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Full text of "Die preussische expedition nach China, Japan und Siam in den jahren 1860, 1861 und 1862"

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Reifebriefe 
über 
China, Japan und Siam. 


— 


Erſter Theil. 


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Die prenssische Expedition 
nad 


China, Japan und Siam 


in den Jahren 1860, 1861 und 1862. 


Reifebriefe 


von 


Reinhold Werner, 


Lieutenant zur See I. Klaſſe. 


— — —— 


Mil ſieben Abbildungen in Holzſchniti und einer fithograpfirten Rarie. 


— — — 


Erſter Theil. 





Ceipzig: 
F. A. Brockhaus. 


1863. 


Seiner Königlichen Hoheit 


dem 


Prinzen Adalbert von Preußen, 


Oberbefehlähnber der Königlich Preußiſchen Marine, 


widmet diejes Buch 


als Zeichen ſeiner tiefjten Ehrfurcht 


der Berfafler. 


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Borrede. 


— — — 


Als ich im Fruhjahre 1860 beordert wurde, mich als Com— 
mandant des Schiffes Elbe der Expedition nach Oſtaſien anzu⸗ 
ichließen, richtete die Verlagshandlung F. A. Brodhaus in 
Leipzig die Anfrage an mich, ob. ich geneigt wäre, für die 
„Deutſche Allgemeine Zeitung” eine Reihe von Berichten über 
meine Erlebniffe und Beobadjtungen in der djtlichen Welt 
zu fchreiben. Es mar mir dieſer ehrende Antrag willkom⸗ 
men, weil ich in. meiner langen Laufbahn als Seemann _ 
jtet3 einen hoben Genuß darin gefunden habe, fremde Länder 
und Völker mit kritiſchem Auge zu betrachten; ſodann jtand 
auch der Verſuch, das deutiche Bublifum über die Dinge im 
Oſten aufzullären, mit dem Zwecke der Expedition in voll- 
tem Einflange und Tonnte deren Tendenz nur förderlich 
jein. Ich ſchickte demnach, aus der Ferne regelmäßige Berichte, 
bie als ‚Briefe eines Mitglieds der preußifhen Expedition 
nah China und Japan“ während der Jahre 1861 und 1862 
in der genannten Zeitung erichienen und von dem Publikum 
nicht ungünftig aufgenommen worden find. 

"Rah meiner Rückkehr im Mai 1862 ſetzte mich die Ver: 
lagsbandlung in Kenntniß, wie von Vielen Seiten der 


D VIII 


Wunſch laut geworden, ich möchte meine Reiſebriefe in ein 
ſelbſtändiges Werk zuſammenfaſſen. Auf dieſen Wunſch ging 
ich um ſo bereitwilliger ein, als mein Reiſejournal noch 
eine Fülle von Erfahrungen enthielt, deren Veröffentlichung 
zum Theil wenigſtens den deutſchen Intereſſen von 
Nutzen fein konnte. Zudem empfand ich ſelbſt das Bebürf: 
niß, die oft unter den unrubigiten und feltiamften Um⸗ 
tänden entworfenen Reiſebriefe einer genauern Sichtung zu 
unterwerfen. 

So. entjtand denn das Werk," welches ich hiermit dem 
deutfhen Publikum übergebe, und das mit fieben Ab- 
bildungen in Holzſchnitt und einer Drientirungsfarte aus⸗ 
geitattet worden if. Das Buch enthält, auf Grund jener 
Ihon veröffentlichten Reiſebriefe und eines reichlichen neuen 
Material3, die Schilderung meiner perfönlichen Erlebniffe auf 
dem Schiffe Elbe fowie die Erfahrungen und Beobachtungen, 
welche ich über die Länder, Völker und Zuftände der öftli- 
. ben Welt während der langen Reife zu machen Gelegenheit 
hatte. Namentlich aber find es die drei Hauptpunfte der 
Expedition: China, Japan und Siam, denen ih in 
Rückſicht auf das deutſche Handels- und Schiffahrtsintereffe 
meine- befondere Aufmerkſamkeit zugemwendet babe, und der 
Reilemeg, welcher der Elbe vorgezeichnet war, Fonnte Dies 
nur begünftigen, 

Bemerken muß ich im voraus, dab ich ſowol in China 
wie in Japan vieles ganz anders gefunden habe, als ich 
nach den Schilderungen fremder Reiſebeſchreiber vorausſetzen 
durfte, und meine Urtheile über Menſchen und Verhältniſſe 
weichen darum nicht ſelten weſentlich von den Mittheilungen 
meiner Vorgänger ab. 








IX 


Den überraſchendſten Eindrud und bie freudigfte Vewe— 
gung bat mir die Wahrnehmung von der geräufchlofen und 
doch erfolgreichen Verkehrsthätigkeit meiner deutſchen Lands— 
lente in den öftlichen Meeren und Ländern gemacht. Von 
den Küften Indiens bis in den Norden Chinas hinauf haben, 
ohne Schub und Zuthun der deutihen Regierungen und 
gegenüber der mächtigen engliihen und amerifanifchen Con⸗ 
eurrenz, deutfcher Handel und insbefondere deutiche Schiffahrt 
in ungeahnter Weife feften Fuß gefaßt. Die Bedeutung der 
preußiihen Expedition ift durch diefe Thatſache in das glän- 
zendfte Licht geftellt worden, zumal es gelungen, in den 
wichtigften der .abgejchloffenen Verträge — den Bertrag mit 
China — zugleih auch den ganzen Deutfchen Zollverein, die 
Hanfeftädte und Medlenburg mit bineinzuzieben. | 

Der Lefer wird nicht verfennen, wie ich mit Fleiß be: 
müht gewejen bin, die großen commerziellen Intereſſen, die 
Deutihland in Oſtaſien bat, zur Anfchauung zu bringen. 
Ich babe nicht nur zuverläffige Nachrichten über den gegen- 
wärtigen Verkehr Deutichlands im Dften zu erlangen gefudht, 
fondern auch die unermeßlichen Vortheile aufgezeigt, welche 
Induſtrie, Handel und Schiffahrt der Deutichen in Zukunft aus 
der öftlichen Welt ziehen können, wenn dabei planmäßig und 
im gemeinfamen vaterländifchen Intereſſe vorgegangen wird. 

Freilich Tann ich dabei nicht verfchmweigen, daß mit dem 
Abſchluß der Verträge und der Reſidenz eines preußijchen 
Gejandten in Peking nur ein erſter Schritt gefcheben ift. Der 
zweite Schritt, der gethan werden muß, ift die Aufitellung 
eines preußiſchen oder deutihen Kriegsgeſchwa— 
ders in den öſtlichen Gewäſſern, das dem vaterländi- 
ſchen Verkebr nachdrücklichen Schub und dem beutichen 


x 


Namen Reipect zu verleihen vermag. Zu diejem verhältniß- 
mäßig geringen Opfer werden ſich Preußen und Deutichland 
entjchließen müflen, wenn-fie in dem ihnen gebührenden 
Maße an den Bortheilen des öſtlichen Weltverkehrs theil- 
nehmen wollen. | 
. Wiewol e3 nicht meine Aufgabe fein Eonnte, eine Ge⸗ 
ſchichte der preußiſchen Erpedition zu jchreiben, jo habe 
ih doch im Intereſſe der Sache den Berlauf der legtern 
im allgemeinen mit zu zeichnen geſucht. Der VBollitändigfeit 
wegen jehide ich bier noch einen Furzen Bericht über den Bes 
ftand und den Beginn der Erpedition voraus. 

Der Hauptzwed der preußiſchen Erpedition mar die 
Abſchließung von Handelsverträgen mit China, 
Japan und Siam, und diefer Zweck ift auch, menigitens 
was Preußen betrifft, vollftändig erreicht worden. Die Erpedi- 
tion umfaßte im ganzen folgende vier Schiffe: die Dampfcor: 
vette Arkona unter Befehl des Geſchwaderchefs Kapitän zur 
See Sundemwall, die Segelfregatte Thetis unter Kapitän zur 
See Jachmann, den Schooner Frauenlob unter Lieutenant 
zur See 1. Klafle Reetzke (dev leider in der Nähe der japa- 
niſchen Küfte mitſammt der Mannjchaft verloren ging) und. 
das Transportihiff Elbe unter meinem Befehl. Die Arkona 
hatte 27 Gefüge und 355 Mann Befakung,. die Thetis 
38 Geſchütze und 376 Mann, der Srauenlob 1 ſchweres 
Bombengefhüg und 44 Mann, die Elbe 6 leichtere Geſchütze 
und 50 Mann; in Summa 72 Geſchütze und 825 Mann. 
Das. Offiziercorpa des Geſchwaders zählte 2 Kapitäns zur 
See, 7 Lieutenant? zur See I. Klafle, 10 Lieutenants zur 
See DI. Klafle, 10 Fähnriche zur See und 2 Lieutenants vom 
Seebataillon als Detachementsführer. Hußerdem waren 


XI 


auf den beiden großen Schiffen 20 Seecadetten eingeſchifft, 
welche im Laufe der Reife größtentheils zu Fähnrichen avan- 
cirten. Das Beamten: Perfongl wurde gebildet durch 2 Ber: 
waltungs⸗Commiſſare, 8 Aerzte, 1 Prediger, 1 Marine- 
Secretär und 4 Vermalter. 

Bu der Befagung der Schiffe traten no die Gefandt- 
ſchaft, die Commiſſare und die Gelehrten und Künitler, 
welche die Erpebition begleiteten. Grftere beitand aus dem 
Geſandten Grafen zu Eulenburg, einem Legationsjecretär, 
drei Attaches, einem Arzt und zwei Dienern. Die Zahl der 
Commiſſare betrug fünf; davon waren vier für das fauf- 
männiſche Fach und einer für landwirthſchaftliche Angelegeit- 
heiten beitimmt. Bon den Gelehrten nahmen ein Zoologe, 
ein Botaniker und ein Geologe theil und außerdem noch 
ein Maler, ein Zeichner und ein Photograph, im ganzen. 
19 Berfonen. Die Gefammtjunme der Srpeoitionmitglieber 
belief ſich auf 844 Köpfe. 

Die Schiffe verließen nicht gleichzeitig die heimiſchen 
Küſten. Es war zwar die Abſicht, das Geſchwader ſchon im 
Herbſt 1859 zu entſenden, doch verzögerten unvorhergeſehene 
Umſtände die Abreiſe längere Zeit, und während Thetis und 
Frauenlob im October 1859 nach England abgingen, konnte 
ihnen bie Arkona erit im December folgen. Während der Fahrt 
durch die Nordfee erlitt das legtere Schiff in. einem ſchwe⸗ 
ven Sturme fo bedeutende Beihädigungen an ber Mafchine, 
daß die Reparaturen abermals mehrere Monate beantpruchten. 

Anfang März 1860 ftieß die in Hamburg ausgerüftete 
Elbe in Southampton zum Geſchwader. Thetis und Frauen- 
lob wurden vierzehn Tage jpäter nad Rio-de-Janeiro 
vorausgeſchickt, die Elbe folgte am 5. April und wenige Tage 


XIV 


6. 


Schönbeit der Tropennatur. Treiben auf der Rhede von Anjer. 
Die Banka- und die Riowftraße. Zufammentreffen des Geſchwa⸗ 
ders auf ber Rhede von Singapore. Infel und Stadt Singapore. 
Gemiſch und Charakter der Nationalitäten. Das gefchäftliche 
Treiben. Tempel der Hindu und Chinefen._ Die großartigen 
Berbältniffe des Platzes. Die deutſchen Handelshäuſer. Die 
Tigerplage. Die Familie des Maharadſcha von Djohore. Prinz 
Abulbakar. Abfahrt nah China und Sapan................ 


7. 


Die Teufune, das Schrecken der öſtlichen Meere. Die Monſuns. 
Untergang bes Frauenlob. Charakter der Südküſte Chinas. 
Hongkong als englifhe Eolonie und Bankplatz. Die Kaufmanns- 
fürften. Entwidelung des deutſchen Handels und ber Rhederei 
in China. Die Stadt Victoria. Katbolifche und proteftantifche 
Miſſionare... ... . . . . . .. ........ . . . . . . . . . .. .... . .. . . ... 


Die Bocca Tigris, ihre Forts und Kanonen. Die Uferlandſchaften 
am Perlfliuffe. Die Pagoden. Hafenflabt Whampoa. Kanton, 
die Capitale des Südens. Bebeutung und Geſchäfte der Stadt. 
Städtemauern in China. Bauart ber Chinefen. Innere Einrichtung 
ber Häufer. Hausgeräth. Gärten. Die Gefhmadsrichtung ber 
Aſiaten ... . . .. ... ..... ....... ... ....................... 


9. 

Die Yamuns oder Gerichtshäuſer. Grauſamer Charakter der Chi⸗ 
neſen. Die Lage ber Gefangenen. Die Strafe des Halskragens. 
Die Tempel in Kanton. Die drei Religionen in China. Aber- 
glaube der Chinefem . ........ ...... ..... ..... ... . .. ..... 


10. 


Das chineſiſche Theater. Der Stand der Schauſpieler. Die dra⸗ 
matiſche Literatur. Geſang und Muſik der Chineſen ......... 


11. 
Die Boote der Wafferftabt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr- 
zeuge und Schiffahrt ber Ehinefen. Der Kompaß. Zufland der 
Krtegsflotte. Der Flußverkehr ............. .............. 


Seite 


79 


106 


127 


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12. 

Eintheilung und Bevölkerung des chinefiihen Reichs. Stabilität 
und Srundprincip der Regierungsform. Volksbildung und Un- 
terricht. Der Kaifer, feine Stellung, feine Edicte. Das Reichs⸗ 
minifterium und ber Berwaltungsorganismus. Die Gtaats- 
prüfungen für die böhere Beamtenlaufbahn. Der chinefiiche 
Strafcoder. Graufamfeit und raffinirte Strafarten. Käufliche 
Bertreter in der Strafbüßung, felbft bei Kodesftrafe........ 


13, 

Die chinefifche Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Eintheilung. Un- 
friegerifcher Geift ber Armee und des Volles. Bernadhläffigung 
der geſammten Kriegskunft int Reiche der Mitte. Veſchaffenheit der 
Rebellenarmee ..... . . . .. . .. .... .. ... ... .. ........ ...... 


14. 

Die Chineſen als Gegenſatz zu den Europäern. Charakteriſtik des 
hinefifhen Bolkes in Sitten und Gebräuden. Die Fefttage ber 
Ehinefen. Das Neujahrsfeſt. Das Todtenfeft. Das katernenſeſ 
Bergnügungsfpiele ..... ... ....... .......... . . . . . . . . . . . ... 


15. 

Brautwerbung und Hochzeit. Das Concubinat bei den Chineſen. 
Verhältniß der Frau zum Ehemann, der Kinder zu den Aeltern. 
Die Eheſcheidungsgründe. Nachkommenſchaft ein Segen. Noth 
der niedern Klaſſen. Tod und Begräbniß eines Gemitienhaupten. 
Die Grabſtätten.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 


16. 


Seite 


190 


211 


228 


237 


Geſtalt und Körperbeſchaffenheit der chineſiſchen Raſſe. Die Mode 


ber Fußverkrüppelung bei ben Frauen. Kleidung. Die Hutkuöpfe 
als Zeichen bürgerlicher Rangorbnung. Die Schmudfachen ber 
Reichen. Friedfertigkeit des Bollscharafters. Der Nationaldünkel. 
Die Moral der Chinefen. Der Kindermord. Das Häusliche 
Leben und die Etikette. Die Technik des Opiumraudens. Die 
Kochkunſt und die Bielfeitigkeit der Nahrungsmittel in Ehina . 


17. 


Die Landwirtbichaft der Ehinefen. Werth des Dünger. Der 
Reisban. Die Baumwollencultur. Die Seidenprobuctien, 


. 252 


.. xVI 

““ ©eite 

Weberei und Stiderei in China. Die Porzellanfabrifation. Die 
Metallbereitung. Holz» und Elfenbeinfchniterei. Die Kunft- 
fertigfeit und ber Mangel an Kunftfinn. Die hinefifde Heilfunbe 272 


18. 


Das Pitſchen⸗Engliſch. Der Comprador ale Mittelsmann in Ger 
ſchäften. Die chinefiſche Dienerſchaft in europäilcen Familien. 
Munz⸗ und Geldweſen in China ..... . .. .................. 295 


Abbilduugen zum erſten Theil. 


Chineſiſcher Kaufmann mit ſeiner Tochter ................ zu S. 255 
Chineſiſcher Bauerhof in ber Nähe von Schangehae ............ 273 . 


Karte ber Oftküfte von Aften mit Iapan, 


1. 


Abreife. Beſuch auf Madeira. Die Naturbefchaffenheit der Infel. Die 
Bevölkerung. Die Bruftfranfen. Die fhöne Novize. 


Am 5. März 1860 verließen wir den Hafen von Hamburg 
und fagten bamit dem deutſchen Vaterlande Lebewohl, und zwar 
für lange lange Zeit. ‘Der Norboftwind blies fcharf und Falt, 
die Thürme der alten Hanſeſtadt hüllten fich allmählich in einen 
Schleier,. ven Schneefloden immer bichter um fie webten, bie 
Ufer wurben öder und einförmiger, fie traten immer weiter 
zurüd, und als uns der Schleppbampfer wegen ber eintreten- 
den Flut bei Freiburg loswarf, der Anfer in ven Grund raffelte, 
zeichneten fie fich an dem trüben Himmel nur noch als dunkle 
Linien ab, über welche dann und wann eine Kirchthurmſpitze oder 
ein kahler Baumwipfel als einzige Abwechſelung emporragte. 
Die Möven flogen kreiſchend um unſer Schiff, die ſchmuzig gelbe 
Fläche des Stromes war eine trübſelige Umgebung, und wir 
wünſchten ſehnlichſt den folgenden Tag herbei, um mit ihm in 
die freie See zu kommen. Er erſchien ebenſo trüb und kalt, 
wie der geſtrige Abſchied genommen, aber er brachte einen 
ſtürmiſchen Nordoſt mit, der bald unſere Segel ſchwellte und 
uns mit Windeseile der Nordſee zuführte. Um Mittag flogen 
wir bei Cuxhaven vorbei, dann kam ber Thurm von Neuwerk, 

Werner. J. 1 


2 


dann das Feuerſchiff, die Umriffe von Helgoland tauchten 
ſchwach am Horizonte auf, um bald in der grauen Dämmerung 
wieder zu verſchwinden, und nun ſchwammen wir allein auf 
dem weiten Waſſer, deſſen ſchaumgekrönte Wellen der ſcharfe 
Bug unſers Schiffes durchſchnitt. Der Wind nahm beſtändig 
an Stärke zu, bald hatten wir den ſchönſten Sturm, aber er 
war uns günſtig, und wenn er uns auch empfindlich ſchaukelte, 
brachte er uns dafür ſchon nach 48 Stunden in den Kanal 
und am dritten Tage nach Portsmouth, wo wir das Ge— 
ſchwader trafen. Wir lagen hier vier Wochen, theils um 
unſere Ausrüſtung zu vervollſtändigen, theils um die Vorrath: 
gegenſtände für die übrigen Schiffe einzunehmen, und erſt am 
5. April traten wir unſere Weiterreife an, Wir waren fehr 
froh, als wir der Kreidefüfte Englands Lebewohl fagen konnten. 
Das lange PVerbleiben dort, das in unvorhergefehenen und 
deshalb um fo unangenehmern Verzögerungen feinen Grumd 
hatte, wirkte vollſtändig niederdrückend auf uns, und jeber 
athmete hoch auf, als die „Nadeln“, die zadigen Klippen an 
der Weftfpige der Infel Wight, unfern Blicken entſchwanden, 
ſich unfer Schiff auf ven lichtgrünen Wellen des Kanals wiegte 
und mit fchneller Fahrt vor der frifchen Briſe dabinflog. 
Unfer nächftes Ziel war Madeira, jene Perle des norbatlan- 
tiſchen Oceans, die felten ein nach dem Süden gehendes Kriegs⸗ 
ſchiff unbeſucht Läßt. Unſere Reife verlief ohne alle Unfälle 
mit den gewöhnlichen Attributen von Seekrankheit für bie 
Neulinge, lächerlichen Intermezzos und traurigen Mienen ber 
barumter Leidenden. inftimmig warb aber das mwärmere 
Klima von uns begrüßt, deſſen fehneller Eintritt von uns täglich 
angenehmer empfunden wurde. 

Nach zehntägiger Fahrt tauchte Borto Santo am Horizonte 
auf, eine den Portugiefen gehörige und 6 Meilen nörplich 
von Madeira gelegene Infel. Bei Annäherung zeigte jich eine 
fahle, röthliche, fteil aus dem Meere emporfteigende Felſen⸗ 


3 


maffe, reich an jchroffen Abhängen und Klippen, bie ihre . 


ſcharfen Spiten in die Luft hinausftreden und nur ven Vögeln 
des Meeres zum Wohnorte dienen. Hier und dort fchnute 
jedoch auch die grüne Kuppe eines weiter im Innern liegen» 
den Hügels durch eine Felsfpalte und verrieth, daß nicht bie 
ganze Infel jo unwirtäbar fei, als e8 an ver Norpjeite, welche 
wir paffirten, ven Anfchein hatte. Porto Santo hat eine burch- 
Tchnittlihe Höhe von 12— 1400 Fuß und wird, da der Boden 
nicht fehr fruchtbar ift, nur fpärlich bewohnt. Die ganze 
Injel zählt auf 3 Duabratmeilen 1800 Einwohner und dient 
als Berbrechercolonie von Madeira. 

Gegen Abend erblidten wir Madeira und gelangten bei 
bem fortdauernd guten Winde um Mitternacht auf die Rhede 
von Funchal, fonnten aber erft am andern Morgen anfern, 
da und Winpftille überfiel und uns etwa eine Meile von ver 
Stadt entfernt bielt. 

Madeira, das politifch zu Europa, phyſikaliſch aber zu 
Afrika gehört, ift troß feiner Nähe zur Alten Welt nicht fo 
früh befannt gewejen wie die Kanarifchen Injeln. Seine Ent- 
bedung fällt um das Jahr 1344, und zwar gebt die Sage, 
daß ein Liebespaar, Robert Machim und Anna d'Arfel, das 
vor dem Zorne harter Verwandten aus England nah Frank⸗ 
reich fliehen wollte, von einem Sturme nach der damals un- 
befannten und unbemohnten Infel verfchlagen wurde. Sie 
landeten in einer Bucht, die noch heute die Bucht von Machico 
heißt und an ber ein Fleiner Flecken gleiches Namens liegt. 
Die Strapazen der Reife brachten jedoch beiden den Tod, und 
in der Kirche von Machico wird noch als Reliquie ein Stüd 
bes Kreuzes aufbewahrt, das einft auf ihrem gemeinjchaftlichen 
Grabe von ven fpätern Wiederentvedern Madeiras gefunden 
wurde. Ebenfo verewigt ein in dem Gouvernementsgebäude 
von Funchal befindliches jehr altes Gemälde das tragifche Ende 
bes Paares, Da nach ihrem Tode das Schiff, mit dem fie 

1* 


2 
dann das" Feuerſchiff, die Umriffe von Helgoland tauchten 
ſchwach am Horizonte auf, um bald in der grauen Dämmerung 
wieder zu verjchwinden, und nun ſchwammen wir allein auf 
dem weiten Waſſer, deſſen fchaumgefrönte Wellen der fcharfe 
Bug unfers Schiffes durchfchnitt. Der Wind nahm beftändig 
an Stärke zu, bald hatten wir ven ſchönſten Sturm, aber er 
war ung günftig, und wenn er uns auch empfindlich fchaufelte, 
brachte er uns dafür fchon nach 48 Stunden in den Kanal 
und am britten Tage nad Portsmouth, wo wir das Ge- 
ſchwader trafen. Wir lagen bier vier Wochen, theils um 
unfere Ausrüftung zu vervollftändigen, theils um die Vorrath: 
gegenftände für die übrigen Schiffe einzunehmen, und erft am 
5. April traten wir unfere Weiterreife an. Wir waren fehr 
froh, als wir der Kreidefüfte Englands Lebewohl fagen konnten. 
Das Tange Verbleiben dort, das in unvorbergefehenen und 
deshalb um fo unangenehmern Verzögerungen feinen Grund 
hatte, wirkte vollftändig niederdrückend auf uns, und jeber 
athmete hoch auf, als die „Nadeln“, die zadigen Klippen an 
ver Weftfpige der Infel Wight, unfern Blicken entichwanben, 
fich unfer Schiff auf ven lichtgrünen Wellen des Kanals wiegte 
und mit fchneller Fahrt vor der frifchen Briſe dahinflog. 
Unfer nächftes Ziel war Madeira, jene Perle des norbatlan- 
tifchen Oceans, die felten ein nach dem Süden gehendes Kriegs- 
ſchiff unbefucht läßt. Unſere Reife verlief ohne alle Unfälle 
mit den gewöhnlichen Attributen von Geefranfheit für bie 
Neulinge, Tächerlichen Intermezzos und traurigen Mienen ber 
barunter Leidenden. Kinftimmig warb aber das wärmere 
Klima von uns begrüßt, deffen fchneller Eintritt von uns täglich 
angenehmer empfunden wurde. | 
Nach zehntägiger Fahrt tauchte Borto Santo am Horizonte 
auf, eine den Portugiefen gehörige und 6 Meilen nördlich 
von Madeira gelegene Inſel. Bei Annäherung zeigte jich eine 
fahle, röthliche, fteil aus dem Meere emporſteigende Telfen- 








. 
”, 


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maffe, reich an fehroffen Abhängen und Klippen, bie ihre u 


Icharfen Spiten in die Luft hinausftreden und nur ven Vögeln 
des Meeres zum Wohnorte dienen. Hier und dort ſchaute 
jedoch auch die grüne Kuppe eines weiter im Innern liegen- 
den Hügels durch eine Felsſpalte und verrieth, daß nicht bie 
ganze Inſel fo unwirthbar fei, als e8 an der Norbfeite, welche 
wir paffirten, ven Anfchein Hatte. Porto Santo hat eine durch- 
Tchnittliche Höhe von 12— 1400 Fuß und wird, da der Boden 
nicht fehr fruchtbar ift, nur fpärlich bewohnt. Die ganze 
Inſel zählt auf 3 Quadratmeilen 1800 Einwohner und bient 
als Verbrechercolonie von Madeira. 

Gegen Abend erblidten wir Madeira und gelangten bei 
dem fortvauernd guten Winde um Mitternacht auf die Rhede 
von Funchal, fonnten aber erſt am andern Morgen anfern, 
da uns Windſtille überfiel und uns etwa eine Meile von der 
Stadt entfernt bielt. 

Madeira, das politifch zu Europa, phyſikaliſch aber zu 
Afrika gehört, ift troß feiner Nähe zur Alten Welt nicht fo 
früh befannt gewejen wie die Canarifchen Infeln. Seine Ent: 
dedung fällt um das Jahr 1344, und zwar geht die Sage, 
daß ein Liebespaar, Robert Machim und Anna d'Arfel, das 
vor dem Zorne harter Verwandten aus England nach Frank⸗ 
reich fliehen wollte, von einem Sturme nach der damals un- 
befannten und unbewohnten Infel verfchlagen wurde. Gie 
landeten in einer Bucht, die noch heute die Bucht von Machico 
heißt und an der ein Feiner Flecken gleiches Namens liegt. 
Die Strapazen der Reife brachten jedoch beiden den Tod, und 
in ber Kirche von Machico wird noch als Reliquie ein Stüd 
bes Kreuzes aufbewahrt, das einft auf ihrem gemeinfchaftlichen 
Grabe von den fpätern Wiederentvedern Madeiras gefunden 
wurde. Ebenfo verewigt ein in dem Gouvernementsgebäube 
von Funchal befindliches jehr altes Gemälde das tragifche Ende 
des Paares. Da nach ihrem Tode das Schiff, mit dem fie 

1* 


4 


gefommen, wieder abjegelte, verſchwand die Infel abermals 
über ein halbes Iahrhundert aus der Gefchichte. Zwiſchen 
1417 und 1419 fällt ihre zweite Entdeckung durch fpanifche 
Anftepler auf Porto Santo, die zur Eroberung ver Canarifchen 
Injeln von Spanien ausgejegelt waren unb infolge einer 
beftändig in Südweſt fichtbaren dunkeln Wolfe dort Land ver- 
mutbeten. 

Die erſte Erfcheinung Madeiras entfpricht nicht ven Er- 
wartungen, bie man fih nad ben Schilderungen berebter 
Reiſender von biefer fchönen Infel macht. Auf weitere Ent- 
fernungen zeigt es fih nur als eine kahle Felfenmaffe von 
gewaltigen Dimenfionen, veren breite Kuppen faft immer von 
einem trüben Wolfenfchleier verhüllt find, und die zwar groß- 
artig und impofant fi) aus ver blauen Tiefe erhebt, immer 
aber einen befonvers punfeln und triften Einprud macht. Die 
Infel befteht aus einer Dichtgebrängten Gruppe von fchroff 
auffteigenden und von jähen Abgründen burchichnittenen Bergen, 
deren beventendfter, ver Pico Ruino von 6056 Fuß Höhe, un- 
gefähr den Mittelpunkt bildet. Der Lomba Grande, ein Ge 
birgsfamm von etwa gleicher Erhebung und einer halben 
Meile Länge, fteigt an ihrem wejtlichen Ende auf und bildet 
ben Norbrand der gewaltigen Schlucht, die unter dem Namen - 
des Curral zu den Wundern Mabeiras zählt. Die weitliche 
Wand der Schlucht formt ein anderer Kamm, befjen höchſte 
Spike, der Pico Grande, 5391 Fuß emporfteigt. Süplich 
vom Ruivo zeigen fich noch drei Spiten: der Torinhas von 
5980 Fuß Höhe, der Pico Sidrao und ber Pico Arriero von 
5893 Fuß Höhe. Diefe Gipfel bilden mit dem Rnivo ge- 
wiffermaßen die Achje der Infel, von der aus das Land nach 
Süden bin allmählich ſich abflacht, während faft die ganze 
Nordküſte fteil und fchroff gegen das Meer abfällt. 

So kahl und düſter aber die Inſel in der Ferne bem 
Auge erjcheint, fo vomantifch und zugleich Tieblich zeigt fie 





B  IlAE HMIEIBE 
fich in ver Nähe. Der gleichmäßig graue Ton ber Berge 
verſchwindet und macht den munnichfachften Schattirungen 
Platz. Auf den Bergen wechjelt das faftige Grün einer 
üppigen Begetation mit dem Dunfelroth des Baſalts, der bie 
Grundlage der Inſel bildet. 

An den Abhängen ſchweben Häufer in ſchwindelnder Höhe, 
als ob fie dort angeflebt wären, und ihr weißer Anftrich läßt 
fte wie ſchimmernde Lichtpunfte aus dem fie umfchattenden 
Grün hervorftrahlen. Dazu tritt das umgebende Meer, befjen 
tiefes Dlau im Sonnenglanze mit dem Azur des Himmels 
wetteifert, deſſen Wogen ſich mit donnerähnlichem Toſen an 
ber zerriffenen Felfenfüfte brechen und ihren dampfenden Gijcht 
hoch in Die Lüfte peitfchen. 

Bor allem bietet aber die Hauptſtadt der Infel, Funchal, 
ein Panorama einzig in feiner Art. und unübertroffen an Ans 
muth und Lieblichleit. Man fühlt fich unwiderftehlich ange- 
zogen von dieſem reizenden Bilde, das, von der Natur mit 
allen Schönheiten ausgeftattet, Die Vorzüge ber Tropen mit 
benen ver gemäßigten Zonen in reichem Maße in ſich vereint 
und namentlich auf den Norbländer einen unbefchreiblichen 
Zauber ausübt. 

Funchal, an einer halbfreisförmigen Bucht der Süpfüfte 
Madeiras gelegen, ift in einem Thale erbaut, deſſen Hinter- 
grund ber Pico Arrtero mit ven beiden ihn begrenzenden 
Schluchten des Großen und Kleinen Curral bildet, und das fich 
nach dem Meere Hin öffnet. Die Straßen der Stabt laufen 
vom Strande ftrahlenförmig nach dem Gebirge hinauf, und fie 
nimmt dadurch fowie burch ihre weitläufige Bauart einen 
bedeutenden Flächenraum ein. Nur unten am Strande ftehen 
die Häufer näher aneinander, obwol auch hier ein jedes 
berjelben von einem Garten umgeben ift. Das weftliche Ende 
Funchals begrenzt eine runde circa 200 Schritt vom Strande 
fteil aus dem Meere emporfteigende Klippe, der Loo⸗Felſen, 


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der ftarf befeftigt ift und mit feinen Batterien die Rhede be- 
herricht. Die Spite der fich wie eine Pyramide am Gebirge» 
abhange hinaufſtreckenden Stadt bildet Die über 2000 Fuß hoch 
liegende Bergkirche, deren blendend weiße Mauern mit ihren 
beiden Thürmen aus einem reichbelaubten Walde von Eichen, 
Walnuß- und Kaftanienbäumen bervorbliden. Diefe Kirche ift 
gewöhnlich das Ziel der Reiſenden, welche einen Spazierritt 
nach einem der beiden Currals unternehmen, und man genießt 
von ihr aus eine der fchönften Ausfichten, die man fi) 
denken Tann. 

Der Meeresboden läuft bei Madeira ungemein fteil auf. 
Drei Zaufend Schritte von der Küfte beträgt die Tiefe ſchon 
über 1500 Fuß, und die Schiffe müſſen deshalb in unmittel- 
barer Nähe des Strandes ankern. Als wir uns dem Anter- 
plate näherten, wurben wir von einigen zwanzig Booten um- 
ringt, die nur auf die Anfunft des Quarantäneboots warteten, 
um fi auf uns wie Geier auf ihre Beute zu ftürzen. So- 
bald vaffelbe erjchienen war und uns freie Communication 
mit dem Lande gewährt hatte, wurden wir auch fofort geentert, 
und bald fonnte man vor Gefchrei fein eigenes Wort nicht 
verftehen. Jeder wollte zuerſt anlegen, jeder zuerjt jeine 
Dienfte anbieten. Lieferanten, Schlächter, Bäder, Wafch- 
frauen, Knaben, die nach Silbermünzen tauchen wollten, bie 
man in das Meer warf, alles fchrie, gefticulirte und Tärmte 
mit füblicher Lebendigkeit durcheinander, und e8 gehörten eben 
jo gute Nerven als Energie dazu, um in dieſes Getümmel 
etwas Ordnung zu bringen, das uns anfänglich zwar amuſirte, 
bald aber unausfiehlich wurde. 

Bald jedoch Titt e8 uns nicht mehr an Bord. Die Dauer 
unfers Aufenthaltes auf der Infel war fehr befchränft, und 
wir beeilten uns, nachbem wir unfere fchmachtenden nordiſchen 
Leiber mit dem Safte und Fleifche golbiger Apfelfinen und 
Bananen erquidt, ſobald als möglich an das Land zu fommen. 





1 


Das Landen in Madeira ift jehwierig und kann nur mit 
den eigens bazu erbauten Booten der Inſel gejcheben. Es 
eriftirt nämlich weder eine Mole noch ein Hafen, fonbern 
man läßt fih mit der Brandung an ben Strand ſetzen. 
Während dann bie erite Welle verläuft, fallen jechs bis acht 
Männer das Boot, unter deſſen Vorderende Walzen gejtedt 
werben, und ziehen es mit feinem ganzen Inhalte hoch auf 
‚ven Strand, fobald bie nachfolgende Welle angerollt kommt 
und helfen nachjchiebt. Für den Laien fleht die Sache ziem- 
lich gefährlich aus, die Bootsleute find jedoch fo geichidt, daß 
man immer trodenen Fußes ans Land fteigt. Hier wiederholte 
fih die Scene, die bereit an Bord fpielte, und man Tonnte 
fih nur mit Gewalt einen Weg durch die uns beftürmenden 
Führer, Pferbeverleiber, Träger und Bettler bahnen. 

Beim Eintritt in die Stabt wird man angenehm burch 
bie große Reinlichfeit ver Straßen und Häufer berührt, eine 
Wahrnehmung, die man fonft in portugiefiichen' Städten nicht 
zu machen gewohnt ift. Die,Häufer find fänmtlich weiß an- 
geftrichen und fauber; die Straßen zur Abhaltung der 
Sonmenfirahlen zwar fehr eng gebaut, aber gleichfalls aus⸗ 
nehmend reinlich und fehr ſorgſam gepflaftert, wenn auch auf 
eine Weife, die unjern verwöhnten Füßen durchaus nicht an⸗ 
genehm iſt. Die Steine haben nämlich Feine platte Ober⸗ 
fläche, fondern beftehen aus ovalen Kiefeln, deren Spitzen 
auseinander jteben, ſodaß man fehr bald durch fchmerzende 
Füße auf diefe Eigenthümlichkeit aufmerkfam gemacht wird. 
Der Grund viefer fonderbaren Art zu pflaftern liegt in den 
Bodenverbältniffen. Die fteilen Straßen erlauben feine Räder⸗ 
wagen als Transportmittel, und die Wagen beftehen nur aus 
Kntichfaften, die auf Schleifen ruhen und von Ochfen gezogen 
werden. Die Kiejelpflafterung bietet einerfeitS den Schlei- 
fen eine nur geringe Reibung und verjchafft andererfeits den 
Ochſen einen fichern Tritt, erfüllt alfo vollftändig ihren Zweck. 


- 8 


Gleich unten am Strande befindet fich bie Terreiro da Se, 
eine höchft angenehme mit Bäumen bepflanzte, von einer 
Mauer eingefaßte und mit Siten reichlich ausgeftattete öffent- 
lihe Promenade, die fowol am Tage als namentlich abends 
ben Sammelplag der Einwohnerjchaft Funchals bildet. Die 
Baumpflanzung ſcheint abfichtlich aus den verfchiedeniten 
Arten zuſammengeſetzt zu fein, um dem Fremden fogleich beim 
Betreten der Infel vie Mannichfaltigkeit ihrer Vegetation vor⸗ 
zuführen, und wahrlib, man muß auf ein herrliches Klima 
jchließen, wenn die in den üppigſten Laubbüfcheln prangende 
Eiche, der Rhododendron, der Apfelfinen-, der Korallenbaum, 
die Platane und die Palme gleich kräftig nebeneinander ge- 
beihen. 

In der That befikt auch die Infel ein herrliches Klima, 
das fchönfte in der Welt. " 

Auf der Grenze der Tropen liegend und rings umgeben 
von den Fluten des-Dceans, berrfcht auf Madeira ein ewiger 
Frühling und bie Glut der Sonne wird durch das Meer ge- 
fühlt. Es gibt wol fein Land auf der Welt, wo ein 
geringerer Zemperaturwechjel ftattfindet als bier, und Dies 
fowie die warme feuchte Luft machen Madeira zum Eldorado 
ber Schwindfüchtigen, wo Heilung erfolgt, wenn fie noch mög⸗ 
ich, und wo bie Krankheit zum Stillſtand gebracht oder min- 
beftens aufgehalten wird, wenn vollftändige Genefung nicht 
mehr erwartet werben darf. 

Nach achtzehnjährigen Beobachtungen wurbe die mittlere 
Monatstemperatur wie nachftehend gefunden: Januar 64°,18; 
Tebruar 64°,3; März 65°,8; April 65°,50; Mai 65°,53; 
Juni 69°,74; Suli 73°,45; Auguft 75°,2; September 75°,76; 
Dctober 72°,5; November 69°,8; December 65° Fahrenbeit, 
mithin während bes ganzen Jahres nur eine Differenz von 
faum 11° Fahrenheit oder 5° Reaumur. 

Schlechtes Wetter fommt während der neun Sommermonate 





9 


gar nicht, während des Winters äußerſt felten vor und ber 
ſchränkt fich auf etwas Wind und Regen. Die Winterftürme 
find mäßig; nur zweimal in biefem Jahrhundert wurde bie 
Infel von einer Sturmflut heimgefucht, die allerpings großes 
Unglück anrichtete. Im Sabre 1803 wurben von der Flut 
400 Berfonen verfchlungen, und ähnliche Berwüftungen richtete 
bie zweite am 24. Dctober 1842 an. 

Am 15. Detober erſchien die Infel wie unter ainer einzigen 
großen Wolfe begraben, bie eine nächtliche Finſterniß ver- 
breitete. Ein wolfendbruchartiger Regen entlud fich aus ihr, 
ber fpäter an Stärfe zwar etwas nadhließ, aber ohne Unter⸗ 
brechung neun Tage lang anbauerte. Daffelbe wiederholte 
ih am 24. October, und um 1 Uhr erjchien plöglich eine 
furchtbare Flutwelle in der Bucht von Funchal, die, mit ge- 
waltiger Kraft gegen vie Küfte ſtürmend, bie niedrig gelegenen 
Theile der Stadt überſchwemmte, welche ſchon durch bie an- 
gefchwollenen Gebirgsjtröme bedroht waren, und bei ihrem 
Rücklauf 200 Gebäude mit fih fortrif. Am 26. October 
wehte ein Orkan aus Süden, ver ſechs in der Bucht ankernde 
Schiffe auf den Strand warf und fie total zertrünmerte, 
während fait ihre gefammten Mannfchaften in ven Wellen be- 
graben wurben. 

Diefe Fälle find jedoch Abnormitäten, welche in bejondern 
Naturereigniffen ihren Grund haben und feinen Maßftab für 
gewöhnliche Zuftänbe abgeben können. 

Madeira wird von Bruftfranfen aus allen Theilen ber 
Welt aufgefuht. Im Winter befinden fich durchſchnittlich 
2000 Fremde auf der Inſel, die dort Genefung von ihren 
Leiden fuchen. Meiſtens find es Engländer, jeboch gehen 
jetzt auch viele Deutſche dahin. 

Wenn man durch die Straßen Funchals wandert oder 
morgens einen Spazierritt in die höher gelegenen Partien 
des Landes macht, begegnet man ſehr häufig den Kranken, 


10 


die je nad ihrem Zuftande zu Pferde oder zu Wagen die 
liebliche erfriſchende Morgenluft mit vollen Zügen einfchlürfen. 
Zangfam und geräufchlos gleiten bie mit Ochſen beipannten 
Schleifenkutfchen über das Straßenpflafter, und in unferer durch 
die reizenden Umgebungen und den prachtvollen Morgen froh 
und heiter geftimmten Seele erflingt ein fohmerzlicher Mis⸗ 
ton, wenn wir durch die Vorhänge des bicht verbüflten Wagens 
die bleichene Tetvenden Züge eines ſolchen Unglüdlichen er- 
bliefen, ver felbft am Rande des Grabes, vielleicht mit um 
jo größerer Luft, ſich an das ſproſſende blühende Leben 
Hammert, das ringeum in reicher Fülle ihn anlacht. Wer 
weiß, ob nicht fchon in wenigen Tagen ver fchwellende Raſen 
ihn deckt, deſſen buftiges Aroma ihn heute noch erquickt. Dort 
fommt ein anderer Trauerzug, der unfer freubevolles Herz 
mit wehmüthigem Mitleid erfüllt. Zwei Fräftige Männer ver 
Inſel, mit weißen Hemden und Beinkleidern und der Heinen 
ſonderbar gefhwänzten Kappe auf dem fohwarzen bichten 
Haupthaare, tragen an einem Bambusrohre eine Hängematte, 
deren Kopfende purch einen von der Stange herabhängenden Tep- 
pich gegen die Sonnenftrahlen gejchügt ift. Behutſam, gletch- 
mäßig fchreiten fie vorwärts, damit ihre Laſt vor jeber Er- 
Ichütterung bewahrt bleibe. Eine Kranke ruht in der Matte; 
ein junges Mädchen in ber Blüte ver Jahre, aber bereits ge- 
brochen in der Fülle ihrer Jugend und ven Tobesfeim in ber 
wunden Bruſt tragend, fchwebt an uns vorüber. Ihre großen 
blauen Augen, aus denen noch vor kurzer Zeit Luft und Leben 
ſtrahlte, fchweifen matt und glanzlos über bie prachtvolle 
Morgenlandfchaft; über ihre feinen Züge bat bereits der 
Todesengel feinen Schleier ausgebreitet und auf ihren Wangen 
blühen vie Kirchhofsrofen. Wird auch diefer Aermſten ie 
Infel ein Retter fein? Sie kam wol zu fpät hierher, und bald 
ſchläft auch fie in der Fühlen Erde, wo ſchon fo viel Hunderteihrer 
Leidensſchweſtern Erlöfung fanden. Möge die Erde ihr leicht fein! 





11 


Wenn man als Fremder Madeira befucht, ift ein Ritt in 
die Berge, nach der erwähnten Kirche Noſſa Signora da 
Monte und nach der Schlucht des Großen Eurral der gewöhn⸗ 
Ihe Ausflug. In einem Morgen Tann man dieſe Tour ohne 
Anftrengung machen, und fie genügt vollftändig, um Madeira, 
fofern man nicht Tonrift par excellence ift, kennen zu lernen, 
ba das Leben auf ber Infel fich hauptſächlich in Funchal und 
dem Thale, in dem dieſe Stadt liegt, concentrirt. Kleine 
Ortſchaften und einzelne Hütten liegen zwar überall auf ber 
Inſel zerjtreut, aber außer Funchal exijtirt weiter feine Stabt, 
und jedenfalls bat auch die Natur dieſen Punkt vor allen 
andern verſchwenderiſch begünftigt. SHimmelanftrebende Ge- 
birge mit all den erhabenen romantischen Schönheiten, die der 
Menſch an ihnen bewundert, gähnende Schlünde, fchroffe 
Felſenwände, einzelne Klippen in feltfamer Form, wilde Sturz- 
bäche, dunkle Waldungen und bellleuchtenne Matten — alles 
findet man bier vereint. Dazu das bimmlifche Klima, der 
blaue Aether, eine tropifche Vegetation in den mannichfachften 
Formen und endlich das Meer, das ruhelos wallende Meer 
mit den fchwimmenden Segeln darauf, die wie filberne 
Wölkchen am ferne verſchwimmenden Horizonte dahinſchweben 
— wahrlich das ift ein Panorama, welches das Auge erfreut, 
das Herz erhebt und eine unauslöfchliche Erinnerung in unſerer 
Seele hinterlaffen muß. 

Die Bevölkerung der in zehn Diltricte zerfallenven Inſel 
beträgt 120,000 Seelen, von denen 25,000 auf Funchal fommen. 
Die Übrigen Ortfchaften Tiegen ſämmtlich an der Küfte zer- 
jteeut, fie find jedoch faum des Nennens wert und fat in 
allem ber gerade Gegenfak der Hauptitabt, Hein, ärmlich, 
ſchmuzig. Die Häufer bejteben aus vier kahlen Wänden mit 
Strohdach; fie find kaum fünf Fuß Hoch und gleichen eher 
Ställen als menfchlichen Wohnungen. Der fie bewohnende 
Menſchenſchlag ift abftoßend häßlich, namentlich die Frauen, 


12 


während den Männern bie ſtupiden Gefichtszüge, die über pie 
Stirn herabhängenden ſchwarzen firuppigen Daare, ber plumpe 
Körperbau und der gänzlihe Mangel an geiftigem Ausdruck 
einen tbhierifchen Anftrich verleiben. Wo ein gutgefleibeter 
Fremder unter fie tritt, wird er mit verbunmten Bliden an⸗ 
geglott, aber alsbald ftreden fich ihm hundert Arme entgegen, 
bie um ein Almofen bitten. Alles bettelt bier, und die Unver- 
Ihämtheit, mit der es betrieben wird, verfümmert einem zum 
Theil den Genuß des fehönen Landes. Es fcheint faft, als 
ob diejes Almofenfordern mehr Gewohnheit als Nothwendig- 
keit ſe. Haus⸗ und obdachloſe Menjchen gibt es eigentlich 
gar nicht, und man würde der Bevölkerung unrecht thun, 
wollte man ſie träge nennen. Im Gegentheil, die Leute ſind 
ungemein thätig, und man erſtaunt über die Ausdauer und 
den Fleiß, mit der ſie den ſpärlichen Boden in den Gebirgen 
cultiviren und ihm eine Ernte abringen. Die ſteilſten Berge 
ſind von ihnen terraſſirt, und wo nur ein Streifchen Ackerkrume 
von wenigen Fuß Breite an einem Abhange zu finden war, 
iſt es gewiß mit Mais, Yams oder Weizen, je nach feiner 
niedern oder höhern Lage, bebaut, und jede noch fo ärmliche 
Hütte Liegt zwijchen lachenden Feldern. Von eigentlichen 
Mangel kann daher nicht die Rede fein, und das zupringliche 
Betteln ift darum um fo auffallender. Freilich in ben letten 
Jahren, jeit der Weinfranfheit, ift viel Nothftand auf der 
Infel geweſen. Seit 1856 gibt es feinen Wein mehr, und 
nicht einmal Trauben zum Efjen kommen zur Reife. Unter 
2 Thalern ift auf der Inſel feine Flafche Wein mehr zu haben, 
und bald wird der echte Madeira nur noch in der Erinnerung 
leben. Wenn man bevenft, daß im Sahre 1836 der Wein- 
ertrag fih auf 8435 Pinen im Werthe von 1Y, Million 
fpanifchen Thalern belief, fo wird man leicht ermeſſen können, 
welchen harten Schlag die Infel durch die Weinkrankheit er- 
litten hat. 





13 


An Bodenproducten erzeugt Madeira eigentlich alles, was 
bie tropifchen und die gemäßigten Zonen hervorbringen. Früher 
war der Kornertrag gering und reichte nur für zwei’ Monate. 
Seitdem jedoch die Winzer gezwungen find, fich auf biefen 
Zweig der Bopencultur zu werfen, wird faft das ganze Jahres⸗ 
bedürfniß erzeugt. 

Die Einkünfte der Infel betragen 210,000 fpanifche Thaler 
jährlich, deren Hälfte die Zölle abwerfen, währenn bie 
andere Hälfte aus ben birecten Steuern fließt. Die Ausgaben 
für die Infel, inclufive der Garnifon, belaufen fih auf circa 
150,000 fpantfche Thaler, ſodaß dem Mutterlande 50 — 60,000 
fpanifche Thaler übrig bleiben. Die Inpuftrie beſchränkt fich auf 
feine Holzwaaren, Stidereien und Häkeleien und auf bie 
Fabrikation von. Feberblumen. In allen drei Propuctionen 
haben e8 die Madeirenſer zur hohen Tertigfeit gebracht, und 
wenn man nur nicht nach Art der Englänver, bie überall vie 
Preife verderben, fogleich den geforderten Preis gibt, ſondern 
bis auf die Hälfte herunterhandelt, befommt man auf billige 
Art die reizenditen Sachen in dieſem Genre. Erportixt wird 
von jenen Gegenftänden nichts, wenigftens nichts in ber eigent- 
Iihen Bedeutung des Wortes, obwol faſt alle in das Ausland 
gehen. Die vielen Schiffe, welche die Infel befuchen, nehmen 
ſämmtlich dergleichen Andenken mit, und namentlich wurben die 
Federblumen von unfern drei Schiffen vollitändig ausgefauft. 
Dieje reizgenden Blumen werben aus den Federn ſchön ge- 
färbter Vögel, namentlich tropifcher, zufammengefekt. Sie 
werben in Nonnenflöftern gefertigt und zeichnen fich nicht allein 
durch das prachtvolle natürliche Colorit ihres Materials, 
fondern auch durch die feine faubere Arbeit, die kunſtvolle 
Nahahmung der Natur und das höchit geichmadvolle Arran- 
gement der Bouquets für Hut- und Haargarnirungen aus. 
Wie fehnjüchtig wol die armen Nonnen Hinter ihren engen 
triften Mauern nach jener großen fröhlichen Welt biiden 


14 


mögen, wo der aus ihren fleißigen Häuden und vielleicht 
unter fchweren Seufzern und veritedten Thränen hervorge⸗ 
gangene Schmud getragen und bewundert wird! Wie traurig 
fie der Contraft ftimmen muß, wenn fie im Geijte ihren 
groben fchwarzen, alle Reize verhüllenden Anzug mit ver 
Toilette‘ vergleichen, zu der diefer Strauß oder jener Haar- 
ſchmuck paßt! 

Das Klofter Incarnacao hat den Ruhm, die feinften und 
ſchönſten Blumen zu liefern; aber auch noch ein anderer Grund 
bewog uns, wie fchon vor einigen Jahren, jo auch diesmal 
feine dunfeln Mauern aufzufuchen Wir wollten fehen, ob 
noch das Tiebliche Weſen mit ben feurigen tiefſchwarzen Augen, 
ben feinen bezaubernden Gefichtszügen, dem blendenden Teint 
und der graziöfen Figur dort wäre, mit der wir jo manches 
Stündchen durch das doppelte Eifengitter des Sprechſaals ver⸗ 
plaudert, der wir beutjche Lieder vorgefungen, und bie bor 
zwei Jahren von einem unferer Kameraden, ber ihr zu tief 
in die dunfeln Augen gefchaut, porträtirt und als theures An- 
venfen im Album mitgenommen worden war. Unſere Hoffnung 
wurde nicht getäufcht. Schweiter Anunciata begrüßte uns an ber 
Hand der Aebtiffin, gleichfalls einer alten Belannten, durch 
das Sprachgitter mit der frühern harmloſen Heiterkeit und 
Freundlichkeit. Sie war etwas mehr erblübt und zur ausge- 
bildeten Jungfrau gereift, aber fie war noch fchöner geworben, 
und abermals fonnten wir eine Stunde ber liebenswürbigften 
Unterhaltung mit der reizenden Novize zu unfern angenehmen 
Reifeerinnerungen zählen. 

Sie war noch immer Novize. Wie e8 feheint, will fie 
den Schleier nicht nehmen, wenn fie jemand finbet, der ihr 
Herz gewinnt. Und mie es uns vorfam, hat fie bereits 
biefen jemand gefunden. Sie war jo fehalkhaft, jo heiter und 
bezaubernd und lachte jo fröhlich hinaus in die Welt jenfeit 
des Sprachgitters, daß fie unmöglich mit biefer gebrochen 





15 


haben konnte, und gewiß würde die fie begleitende Aebtiffin 
ihre Fröhlichkeit beſchränkt haben, wenn dieſe fie wirklich ale 
eine angehende Braut des Himmels betrachtet hätte. Die 
furze Dauer unfers Aufenthaltes nahte fih ihrem Ende: 
wir fahen von den Bergen hinter Funchal die blaue Flagge 
am Vortop unfers Schiffes wehen, welche die Umherſchweifen⸗ 
ben zufammenruft, wenn alles fegelfertig ift, und wir mußten 
eilen an Bord zu fommen. 

Bald war der Anker gelichtet, der günftige Wind fchwellte 
bie Segel, unfer Schiff zog eine weiße Schaumfurche durch 
bie blauen Fluten, und dahin ging es nach dem Süden. Die 
auf den DBergipigen lagernde Wolfe ſenkte ſich allmählich 
tiefer; jie verhällte wie ein Schleier eine ber auf ber Höhe 
liegenden Quintas nach der andern. Bald Teuchteten nur 
noch die unten am Strande liegenden Gebäude wie ſchimmernde 
Punkte aus dem Wollennebel hervor, dann verjchiwanden 
auch fie. Der nahende Abend ſandte feine grauen Schatten 
herüber, und wir fagten ber lieblichen Infel Lebewohl, um 
einer andern Station der großen Tour zuzuftenern, die ung 
lange von unfern Lieben und dem Vaterlande fern haften 
folfte, aber auch des Intereffanten jo viel verſprach. 


18 

von den alten Guanchen genannt wurde, das im Scheine der 
Morgenfonne wie ein Meteor ftraßlend hoch über einer dun⸗ 
fein Wolfenfchicht bervorglänzte, bie auf bes untern Inſel 
lagerte und dieſe noch einige Stunden-unfern Blicken verhüllte. 
Segen Mittag hob fich der Schleier, die zadigen Umriffe der 
jäh auffteigenden Nordküſte traten aus dem Nebel hervor, 
eine wirre chaotifhe Maſſe von jteilen Belfen, fchroffen Ab- 
gründen, unregelmäßigen Riffen und Spalten von dunkler, falt 
Ihwarzer Farbe und. ohne die geringfte Spur von Vegetation 
bot fih dem Auge var und verfündete, daß bie Inſel ihre 
Entftehung einer jener großartigen Convulflonen der Natur 
zu verdanken habe, die vor Tauſenden von Jahren unfern Erb- 
bau erfchütterten. 

Die Norpfeite Teneriffas ift unzugängfich und unbewohnt. 
Nur nach Nordweſten am Fuße des Pic flacht ſich das Ufer 
etwas fanfter ab, und dort wurde das Auge durch weiß ſchim⸗ 
mernde Häufer, umgeben von frifchem Grün, erfreut. Es war 
Orotava, welches: wir erblicten, berühmt wegen feines Weins 
und feiner Gärten, die ſchon Humboldt's Entzüden erregten, 
und von deren Schönheit jeder die Inſel betretende Tourift 
bezaubert wird. 

Bald war die DOftküfte, an. veren ſteilen Klippen die 
Brandung donnernd emporbrauſte, umſchifft, und die Südküſte 
trat uns in viel freundlicherer Weiſe entgegen. Hier waren 
die Abhänge wenigen ſteil, die Thäler eultivirt, die Berge 
mit üppiger Vegetation. bedeckt und Heine Dörfer lagen ma- 
leriih am Meeresſtrande zerſtreut. Gegen Mittag: hatten wir 
die Rhede von Santa⸗Cruz erreicht und anferten in geringer 
Entfernung von der Stadt, die, ungefähr in der Mitte ber 
Süpfüfte liegend, jet Hauptſtadt der Infel und Sit des Gou⸗ 
verneurs ift und etwa 8000 Einwohner zählt. Das Land 
macht bier eine Meine nördliche Eindiegung, fteigt nur allmählich 
an und bleibt nach Weften ziemlich „flach, während es nörd⸗ 














19 


Yich und öftli von Santa-Cruz ſich zu einer Bergkette von 
1000—1200 Fuß Höhe emporhebt. 

Das Aenkere der Stadt macht feinen angenehmen Ein- 
drud, und die Lieblichfeit, welche Funchal umgibt, fehlt hier 
gänzlih. Während in Madeira ſich alle Schönheiten der In- 
fel in und um Funchal vereinigen, muß man ſie in Teneriffa 
ine Innern auffuchen. | 

Santa-Eruz ift nach demfelben Shfleme erbaut, Bas die 

Spanier bei Anlage von Städten in allen ihren Colonien zu 
Grunde legten. Es bildet ein Parallelogramm mit recht- 
winfelig ſich fohmeidenden Straßen, die 150 Schritt (eine 
Cunadra) voneinander entfernt laufen, während in ver 
Mittellinie fich zwei bis brei große Pläte befinden, an denen 
bie Kirchen und fonftigen öffentlichen Gebände aufgeführt find. 
Die keiner fpanifchen Stadt fehlende Alameda erſtreckt fich 
wegen ber kühlern Luft unten am Meeresſtrande hin, tft 
jedoch nur eine Miniaturausgabe im Kleinften Format, in der 
fh kaum 20 Berfonen frei bewegen können. 
Nach ver Seefeite ift die Stabt ftarf befeftigt, und an ihren 
‚Mauern holte ſich Nelſon im Jahre 1797 eine tüchtige Schlappe. 
Er verſuchte Santa⸗Cruz durch einen Handftreich zu nehmen, 
inbem er mit ven Booten feines Gefchwabers einen nächtlichen 
Angriff machte. Diefer mislang jedoch gänzlich, der umfprin- 
gende Wind ſchleuderte die Boote auf den Strand und fchnitt 
ven Engländern ven Seeweg ab. Sie wurden ſämmtlich ge- 
fangen genommen, und Nelfon büßte außervem noch feinen 
Arm dabei ein. Der fpanifche Gouverneur befaß bie unpo- 
litiſche Großmuth, den Admiral nebft feinen Gefährten unter 
der Bedingung frei zu geben, daß er feinen zweiten Angriff 
auf die Inſel unternähme Wäre er weniger großmäthig ge- 
wefen, hätte er feinem Baterlande vielleicht ben Tag non Tra⸗ 
falgar erfpart. 

Die Gebäube von Santa⸗Cruz find vurchſchmitlich im 

2 * 


20 


untern Theile der Stabt, wo die wohlhabende und kaufmän⸗ 
nifche Bevölkerung ihren Wohnſitz aufgefchlagen, hoch und 
geräumig in maurifchem Stile aufgeführt, im obern Stabt- 
theile dagegen faft ſämmtlich einftöcdig und oft fo niebrig, daß 
man mit der Hand das Dach erreichen kann. ‘Der durch⸗ 
gängig weiße Anſtrich ertheilt jedoch allen Häufern ein freund- 
liches Ausſehen, und auch die zur Abhaltung der Sonnenhite 
eng angelegten Straßen ſehen reinlich aus, was man in Flei- 
nern fpanifchen Städten oft vermißt. Der vornehmfte öffent⸗ 
liche Plag iſt die Placa della Conftitucion, um den fich bie 
Gouvernementsgebäude gruppiren und der in der Nähe bes 
Landungsplates Tiegt. Er ijt mit breiten Fliefen gepflaftert 
und allabenplich der Verfammlungsort der beau monde, bie 
in der engen Alameda nicht Raum genug für die Anfnüpfung 
oder Befprechung ihrer Liebesaffairen hat, welche nun boch 
einmal im Leben jeder Spanierin, namentlich aber in den Eo- 
Ionien den erſten Platz einnehmen. 

Die Hauptfirche von Santa-Eruz ift feine architeltoriſche 
Merkwürdigkeit, obwol im Innern mit reicher Pracht und 
all dem koſtbaren Luxus ausgeſtattet, den vor 2—300 Jahren 
die Conquiſtadoren zur bequemen Buße für ihre nicht immer 
gottſeligen Thaten den Kirchen widmeten. Als ich die zahl- 
loſe Menge der ſchweren, maſſiv ſilbernen Candelaber, die 
koſtbaren Altardecken, die vielen ſilbernen und vergoldeten 
Heiligenſtatuen anſah, die alle aus der Zeit der erſten Erobe⸗ 
rung der Canariſchen Inſeln ſtammen, mußte ich unwillkür⸗ 
lich daran denken, wie viel unſchuldig vergoſſenes Blut der 
armen Guanchen, die von ihren chriſtlichen Beſiegern auf die 
grauſamſte Weiſe zur Ehre Gottes und der Heiligen Jungfrau 
hingeſchlachtet wurden, damit geſühnt ſei. Dieſe Ausrottung der 
Ureinwohner Teneriffas bildet auch einen der vielen Flecken in 
der ſpaniſchen Geſchichte, den Jahrhunderte nicht verwiſchen 
können und der ein ewiges Brandmal Spaniens bleiben wird. 








- 21 


Seit Iahrhunderten fchon exiftirt fein Guanche mehr auf 
ver Infel, und es ift ſchwer, über die erjten Bewohner ber 
insulae felices etwas Näheres zu jagen. Nur fo viel weiß 
man, daß fie ein harmloſes, friedliebendes Völkchen waren, 
bie bei Ankunft der Spanier auf der Inſel einen ziemlichen 
Grad von Eivilifation befaßen, Aderbau und Viehzucht trier 
ben und mit ven übrigen Infeln durch Schiffahrt, wenn auch 
nur in beſchränktem Maße, eine Verbindung aufrecht erbiel- 
ten. Auf mehreren fehr alten Gemälden, die ich auf dem 
Rathhaufe in Laguna, der frühern Hauptſtadt der Infel, ſah, 
waren alle Guanchen mit blondem lodigen Haar, blauen 
Augen und echt germanifchen Zügen abgebildet. Die Gemälde 
tragen das Gepräge eines zwei- bis breihundertjährigen Alters, 
und es it wahrfcheinlih, daß fie Porträts von wirklichen 
Guanchen geben, um fo mehr, als fie die Belehrung derſel⸗ 
ben zum Chriftenthume varftellen. Die Geftalten jind im 
allgemeinen fräftiger und höher als die der mit abgebilveten 
Spanier, und es ift leicht möglich, daß einft ein Haufe unferer 
fühnen norbifchen Vorfahren auf ihren Streifzügen zur See 
bie Inſel erreichte und fich dort anfiebelte. - 

"Ich befuchte die Kathedrale bei Gelegenheit eines großen 
religiöſen Feftes, der Erhebung des Kreuzes. Die Hoftie 
wurde in feierlicher Procefjion in die Gefängniffe getragen 
und den Verbrechern pas Abenpmahl verabreiht. Der Bi⸗ 
ichof und die gefammte Geiftlichkeit fchritten voran, ihnen zur 
Seite Hunderte von Laienbrüdern mit brennenden Wachsferzen, 
hinter diefen die gefammte Garnifon mit entblößtem Haupte 
und umgefehrten Gewehren. Die Proceſſion bewegte fich durch 
alle Straßen der Stadt, die fingerhoh mit Blumen und 
grünen Blättern beftreut waren. Alle Tenfter waren vicht 
gedrängt mit Mädchen und Frauen bejegt, welche Körbe voll 
Blumen auf die Vorbeiziehenden herabftrenten. Die Sol- 
baten marjchirten nach dem Takte ihrer Regimentsmufll, ben 


22 


Körper nach hinten gebogen und ihn bei jedem Schritte bin- 
und berwiegend. Es waren meiltens fchlanfe Geftalten von 
dunkler faft kupferbrauner Hautfärbung und dem Typus ber 
Nordafrilaner. Sie ftammen von den übrigen Canariſchen 
Inſeln, während die auf Teneriffa geborenen auf Gran⸗Ca⸗ 
naria garnifoniven. Nur die Offiziere finn wirkliche Spanier, 
. bie Soldaten ſämmtlich Infulaner. 

Bei der Rüdfehr aus ven Gefängniffen zog die Proceffion 
zum Hochamte in die Kirche. Die Soldaten machten vor ber 
Thür halt, und wie ein Blitz ſchien ein anderer Geift über 
fie zu fommen. Die Läffige Haltung verfchwand, die Körper 
richteten fich gerabe, ihre Fronte bildete eine ſchnurgerade 
Linie, und fie marfchirten in vorzüglicher Orbnung unter klin⸗ 
gendem Spiele in ihre Duartiere. 

Die Kirche war faft gebrängt voll Frauen, bie auf foft- 


baren Teppichen und Züchern fnieten, welche jeve Dame auf 


ihrem Kirchgange ſich nachtragen läßt, da es in ven Kirchen 
weber Stühle noch Bänfe gibt. Wol weniger Andacht als 
Neugier war ber Grund des zahlreichen Damenbeſuchs. Hin- 
ter den Fächern wurbe viel gefichert und gefchwaßt, und eigent- 
lich fchien mir die Kirche nur eine Art von Alameba zu fein. 

Der Kathedrale gegenüber liegt das jeit einem Sahre er- 
öffnete neue Theater. Man muß gefteben, daß es alle Er- 
wartungen übertrifft, die man in biefer Beziehung an eine 
Stadt wie Santa-Crnz ftellen fannı. Es faßt 2000 Menfchen, 
ift ſehr zweckmäßig eingerichtet und fogar im Innern reich aus- 
geitattet. Nur die Eine Unbequemlichkeit iſt dabei, daß bie 
Logen feine Site haben, daß man fich die Stühle jelbft mit- 
bringen muß, auch nicht einen einzelnen Platz, fondern nur 
die ganze Loge miethen kann. ‘Die Leiftungen der gerade jpielen- 
den Truppe waren recht gut, unb gemug befam man auch für 
fein Geld. Bon 7%, bis 12 Uhr hatte man ununterbrochen 
Zuftjpiel, Oper und Ballet. Nur das Orcheiter war unter 





23 


aller Würde. Es beftand aus 12 Inftrumenten, und darunter 
waren 5 Pofaunen und 3 Bäſſe. Ich kann nicht begrei- 
fen, wie die Befucher des Theaters eine ſolche Tortur zu er- 
tragen vermögen, da Doch auf der ganzen Infel ein reger 
und gebildeter mufifafifcher Sinn herrfcht und wir Belegen- 
beit genug fanden, uns davon zu überzeugen. 

Wir fuchten unfere Ohren gegen biefes unheimliche Con⸗ 
cert zu verfchließen, indem wir befto mehr unfere Augen an⸗ 
ftrengten, um den Kranz von feltenen Schönheiten zu betrach⸗ 
ten , der die verjchievenen Logen zierte. So unangenehm wir 
in Madeira dur die mit wenigen Ausnahmen wirklich ab⸗ 
ichredende Häßlichleit des weiblichen Geſchlechts berührt wur⸗ 
ben, fo ſehr erfreute uns bier das Gegentheil, und nie haben 
wir eine größere Zahl von wirklichen Schönheiten beieinan- 
ver gefehen als im Theater von Santa⸗Cruz und auf einem 
Balle, den ver Alcalde uns zu Ehren gab. Wahrlich, dem 
Paris würde es fchwer geworben fein, bier eine vollgültige 
Entſcheidung zu treffen, und wir fonnten nur bewuntern, mit 
welcher Anmuth und Grazie hier die Natur ihre Geichöpfe 
ausgeftattet hat. Freilich find die Spanierinnen überhaupt 
in diefer Beziehung bevorzugt. Schwarze feurige Augen, rei- 
ches dunkles Haar, fchöne Zähne, Feine Hände und Füße 
find faft das Eigenthum einer jeden, und mit ſolchen Schä- 
gen ausgeftattet, kann wenigftens vie Jugend nicht häßlich 
oder unfchön fen. Man muß es ihnen jedoch auch laſſen, 
fie verftehen es meifterhaft, durch eine gefchmadvolle Toilette 
ihre natürlichen Reize zu erhöhen, und fie wiflen es wohl, daß 
die einfache ſchwarzſeidene Mantille, welche fie Eofett über ven 
Kopf geworfen tragen, viel beſſer Fleibet als das ausgeſuch⸗ 
tefte Mufter unferer hohen gefchmadlofen Damenbüte, mö- 
gen fie noch fo reich garnirt fein. Die kosmopolitiſche Erino- 
line hat auf ihrer Weltumfegelung auch Teneriffa erreicht und 
blüht in vollem Glanze bei der bafigen Damenwelt. Ja fo- 





24 


gar der „letzte Verfuch”, der Amazonenhut, tauchte auf der 
Promenade einigemale vor meinen Augen auf, fcheint jedoch 
nur bei den Dienſtmädchen Gnade gefunden zu haben. 

Die Frauen vom Lande tragen -ftatt ver fchwarzfeidenen 
Mantilfe ein weißes, mit breitem gleichfarbigen Seidenbanve 
eingefaßtes Kafimirtuch über den Kopf, das mit dem unab- 
änderlich ſchwarzen Kleive angenehm contraftirt, und unter dem 
bie Schwarzen Augen ftrahlend hervorbligen. Bei ven Aermern 
ift der Kleiderſtoff Wolle, wer es jedoch irgend erſchwingen 
fann, geht in Seide. Eine Bauerfrau von Teneriffa hun- 
gert lieber, als daß fie fich verfagte, mit ſchwarzſeidenem 
Rode zur Stadt zu fommen, während dagegen ihr Mann 
mit dem aus einer weißwollenen Pferdedecke Tunftlos her- 
gejtellten Mantel und dem breitfrämpigen braunen Filzhut 
einherftolzirt. 

Das gefellichaftliche Leben in Santa-Cruz ift angenehm. 
Man ift allabendplih auf Bällen oder bei andern freund- 
Ichaftlihen Zufammenfünften, wo man ſich indeß bier nur um 
feiner ſelbſt willen fieht. In andern Ländern werden felbft reiche 
Leute an allabenplichen großen Geſellſchaften zu Grunde gehen, 
in Teneriffa vermag dies jedoch auch ber weniger Bemittelte 
wohl auszuhalten. Etwas Frugaleres als die Verpflegung 
bei dergleichen Anläffen Tann es faum geben. Wir wa: 
ren zu verjchiedenen Bällen und andern Feſtlichkeiten ein- 
geladen, aber wir nahmen jedesmal zuvor ein fubjtantielles 
Abendbrot zu uns, um nicht auf das Buffet angewiefen zu 
fein, das allerbings eriftirte, aber für etwa 40 Perſonen aus 
zwei Schüffelchen mit leichtem Biscuit, zwei Tläfchchen mit 
Teneriffawein ober, wie es befjer Klingt, Canarienfect, zwei 
Flaſchen Waffer und einer Anzahl von Gläſern beftand. So 
fanden wir es beim Gouverneur, beim Alcalven und bei 
Kaufleuten, die Teineswegs unbemittelt waren. Wir Nord- 
länder find dieſe Einfachheit nicht gewohnt und deshalb Fällt 














25 


fie uns zuerft unwillfürlich auf, aber im Grunde genommen 
kann es nichts Vernünftigeres geben. Unfere Gefellfchaften 
würden viel von ihrer Steifheit und Langweiligfeit verlieren 
und aufhören, eine Qual fowol für Wirthe als Gäfte zu 
fein, wenn fie weniger Abfütterungen als gefellige Zufam- 
menfünfte wären. | 

Ein Tänzchen befchließt regelmäßig die Unterhaltung, und 
namentlich ift der aus der Savannah eingeführte danza be- 
liebt. Diefer Tanz hat eine Aehnlichkeit mit unjerm Walzer; 
ber Takt ift jedoch viel langſamer, und es ift eigentlich nur 
ein Hin- und Herwiegen der Paare zu nennen, die fich faft 
nicht von der Stelle rühren. ‘Die Dame ruht dabei gänzlich 
im Arme des Herrn, und für Liebende gibt es gewiß. feinen 
Zanz, ber zu zärtlichen Unterhbaltungen fich beffer eignete. 
Nebenbei mag bei feiner Erfindung auch dem havannefifchen 
Klima etwas Rechnung getragen fein, da er nicht echauffirt; 
ich glaube aber ficher, daß eine liebeglühende Havanneferin 
ihn erdachte. 

Die Muſik ift, wie man es nicht beſſer ausbrüden kann, 
ſüß, und ich bin feit überzeugt, daß diefe fowol wie der Tanz 
bei uns ungemeinen Anflang finden würbe. 

Die jungen Mädchen entwideln fich bier erjtaunlich fchnell. 
Mit 12 bis 13 Iahren find fie vollftändig erblüht und häu⸗ 
fig ſchon verheirathet. Ich fah eine junge Frau von 14 Jah⸗ 
ren, bie bereit8 Mutter von zwei Kindern war. Ebenſo 
ſchnell verblühen fie jevoch auch, und gewöhnlich ſchwindet ihre 
Schönheit jchon nach der erften Niederfunft fehr, obwol ich 
auch einzelne Mütter fand, die mit ihren erwachlenen Töch— 
tern in jeder Beziehung wetteifern fonnten. Sie ließen ihnen 
jedoch völlig den Vorrang, und oft fonnte man fehen, wie bie 
Tochter in prachtooller Zoilette, aller Augen auf fich ziehend, 
im Bewußtfein ihrer Schönheit ftolz wie eine Königin durch 
bie Straßen fchritt, während einige Schritte hinter ihr in 


26 


befcheidenem ſchwarzen Kleide die vielleicht noch ebenfo fchöne 
und kaum fünfundzwanzigiährige Mutter folgte. 

Da unfer Aufenthalt auf der Infel längere Zeit dauerte, 
wurde auch ein Witt nad Orotava und feinen paradieſiſchen 
Gärten unternommen. Den Pic jahen wir uns nur aus ber 
Nähe an, beitiegen ihn aber wohlweislich nicht. Sch hatte 
bies verfucht, als ich Zeneriffa vor mehreren Sahren befuchte, 
habe mir feitbem aber vorgenommen, e8 nie wieder zu thun. 
Unter ſchrecklichen Anftrengungen, ſaſt erfroren und aus Nafe, 
Augen und Ohren blutend, war ich doch nicht hinaufgefom- 
men und mußte, noch 1000 Fuß von der Spite entfernt, 
mit meinen Gefährten wieder umfehren. Für Naturforjcher 
mag es Reiz genug haben, durch eigene Beobachtungen zu 
erfahren, ob ber Pic 13355 Fuß ober einige Zoll höher ift; 
ber Zourift wird meiner Anſicht nach nicht genug für die er- 
duldeten Strapazen dadurch entjchäbigt, daß er fagen Tann: 
„Ich war oben”. 

Der Weg nach Orotava führt durch Laguna, die ehema- 
fige Hauptftabt der Infel, die etwa zwei Meilen von Santa- 
Cruz entfernt auf einer Hochebene, 1500 Fuß über dem Mee- 
resfpiegel liegt. Die beide Städte miteinander verbindende 
Straße ift breit und ſchön chaufjirt, troß ihrer vielen Win- 
dungen aber bisweilen fo fteil, daß man, wenn man zu Wagen, 
aussteigen muß, auch die Kameele, welche allgemein auf ver Infel 
zum Lafttragen verwandt werben, im jteten Zickzack die Steigung 
zu überwinden fuchen. Auf frühere Erfahrungen geftütt, 
hatten wir tags zuvor im erften Gafthofe von Laguna ein 
Mittagsmahl beftellt und verjchiedene Speijen- ſelbſt binge- 
ſchickt, um nicht bei unferer Ankunft vergebens auf Erquickung 
zu barren und ſchließlich nur in Del gefottene Fifche zu be- 
fommen, wie es uns vor Jahren einmal ergangen. Rad 
eingenommenem Mable ftreiften wie durch die Stadt, die in 
ihrer Dede und Stille an Herculanım und Pompejt erinnert. 


— _ 


27 


Einft zählte Laguna 20,000 Einwohner, jett deren Faum 2000. 
Das Gras mwuchert überall auf den Straßen, viele Hänfer 
find gänzlich verfallen, viele unbemohnt und vom Zahn ver 
Zeit benagt, und in den größten Gebäuden wohnen oft nur 
zwei bis drei Perfonen. Doc ift Laguna nicht allein auf 
Teneriffa, fondern auch in Europa wegen feines ſchönen Men- 
chenfchlages berühmt, und ſoviel wir Davon gejehen, können 
wir dies beftätigen. Obſchon wir zuerft feinem Menfchen 
auf ˖den Straßen begegneten und das Echo unferer Schritte 
laut an den Häufern wiberhallte, trieb boch vie liebe Reugier 
alte weiblichen Köpfe an die Fenſter. Jedes weibliche Geficht 
ift bier ſchön, "wenn e8 nicht gar zu alt ift; wahrjcheinlich 
rührt dies daher, daß bei der Ankunft der Spanier eine Kreu⸗ 
zung mit den Guanchen ftattfand, da man hier mehr blaue 
Augen und Iblonde Haare fieht als in irgendeinem ‘Theile 
Spaniens. 

Später, ald man in der Stadt wußte, daß estrangeros, 
Fremde, angefommen feien, zeigte ſich uns allerdings auch Die 
Kehrfeite der Schönheit in einem Heere von Krüppeln und 
Beitlern von den verfommenften und abſchreckendſten Geftal- 
ten. Auf Schritt und Tritt wurden wir von ihnen verfolgt 
und mit einer Unverſchämtheit angeſprochen, die felbft ven 
Ruhigſten in Verzweiflung bringen konnte. 

Im Sommer ift Yaguna etwas belebter und wirb wegen 
feines kühlern Klimas von den wohlhabenden Bewohnern von 
Santa-Eruz aufgefucht. Das Klima ift aber auch herrlich! Man 
athmet die fehöne reine Seeluft, die der Paſſatwind unver- 
fälfcht über die Berge führt, und die hohe Rage des Ortes 
läßt die Sonnenhige nie exceffiv werven. An Sehenswiürbig- 
keiten befigt Laguna wenig. Die Kathedrale ift innen fehr 
reich ausgeftattet, und die Pracht an edlen Metallen contra- 
ſtirt ſeltſam mit der fchredlichen Armuth, von der man fich 
bier überall umgeben fühlt und die den Reiſenden verfolgt, 


28 


wohin er fich wendet, mag er in der Kirche, im Rathhauſe, 
Gafthaufe oder auf der Straße fein. Das Rathhaus als 
einziges bemerfenswerthes öffentliches Gebäude der Stadt 
zeichnet fich nur durch feine Größe vor ven übrigen Häufern 
aus. Sonft verfällt es ebenfo, ift ardhiteftonifch nicht anfpre- 
hend und wird nur durch bie alten Gemälde intereifant, vie 
feine öden und verftaubten Räumlichkeiten fchmüden. 

Im allgemeinen waren wir froh, als wir ber unheimlichen 
Stadt den Rüden fehrten und unfere Weiterreife antraten. 
Der Weg hinter Laguna nad Orotava läßt manches zu 
wünfchen übrig, und ber vierftändige Ritt über ſcharfe Lava— 
felder und kahle Felfen war feine angenehme Partie. Süd⸗ 
lih von Laguna ift bie Gegend fehr gut cultivirt. Mais, 
Wein: und Weizenfelver wechjeln mit unabjehbaren Cactusan- 
pflanzungen (opuntia coccifera) ab, da bie Zucht der Eoche- 
nille den Hauptnahrungszweig ver Kanarifchen Infeln bildet. 
Auf den Höhen ftehen baumartige Ericeen und das Innere 
ZTeneriffas gewährt bier einen höchſt angenehmen Anblid. 
Senfeit Raguna ift die Umgebung jedoch tobt und öde, und erft 
in der Nähe von Orotava wird man durch reichprangenve 
Felder und Pflanzungen, die alle das Ausſehen von forgfam 
gepflegten Gärten haben, für den traurigen Ritt entjchäpigt. 

Orotava liegt am norböftlichen Ufer der Infel und am Fuße 
bes Pie und kann mit Recht ver Garten ZTeneriffas genannt 
werben. Faſt jeder Einwohner bes etwa 2500 Seelen zählen- 
ben reizenden Stäbtchens ift Weinbauer ober Gärtner, und Oro- 
tava liefert den beiten Eanarienject, ver dem fehönften Ma- 
beira kaum nachfteht. Die Weinfrankheit ift zwar auch ſchon 
jeit 10 Jahren hierher gebrungen, hat aber nicht die Ver— 
beerungen angerichtet wie in Madeira, und die Infel Teneriffa 
probucirt gegenwärtig nur etwa ein Viertheil weniger als 
früher. Orotava liefert ferner auch, im Verein mit Gran- 
Canaria, die große Maſſe von Gemüfen und Früchten, 


—— 





29 


welche nach Santa-Eruz ſtrömt, um an bie Schiffe verkauft 
zu werben. Jedes Haus des Stäbtchens ift mit einem mehr 
oder minder großen Frucht- und Gemüfegarten umgeben, deſſen 
Beete mit prachtvollen Blumen eingefaßt find. Soweit das 
Auge reicht, wird es durch Foftbare Blüten, durch herrliches 
Grün und prangende Früchte entzüdt. Dazu ber fchneege- 
frönte Gipfel des majeftätifchen Pic, das tiefe Blau des 
Meeres, die mit aromatischen Düften gefchwängerte Luft — 
wahrlih, Orstava ift das Juwel der Canarien, und wenn bie 
Alten es Tannten, fo burften fie den Infeln mit Recht den 
Namen ver „Glücklichen Inſeln“ — insulae felices — beilegen. 

Einen ganzen Tag brachten wir in biefem PBarabiefe zu, . 
bann mußten wir uns leider trennen. Die Abfahrt unfere 
Schiffes ftand nahe bevor, und wir durften nicht länger z0- 
gern. Wie fo oft im gewöhnlichen Leben müſſen fat immer 
die Seeleute dann ſcheiden, wenn jie anfangen fich wohl zu 
fühlen. Wir hatten freilich die angenehme Ausſicht, nach 
8—14 Tagen, wenn auch nur auf kurze Zeit, zurüdzufehren, 
und daher wurbe uns ber Abfchien nicht fo fehr erjchwert. 
Indeſſen gerade als wir ben Hafen verlafjen wollten, kam 
die Dampffregatte Arkona an und bradte uns die nicht 
angenehme Weifung, anſtatt nach DBrafilien und ven La- 
Plata-Staaten, direct nach Singapore zu fegeln und bort mit 
dem Geſchwader zufammenzutreffen. Dies war zwar fehr 
ftörend für uns, mußte aber gefcheben, wenn die Schiffe noch 
vor dem im September eintretenden Monfunwechfel, d. b. in 
biefem Jahre Japan erreichen wollten. Die Arkona felbit 
folgte am nächſten Tage den nach Brafilien vorausgefegel- 
ten beiven Schiffen, während wir auf ber Elbe unfern 
Curs nah Lanzarote, einer andern ber Canariſchen Infeln, 
richteten. Einige Heine Befchädigungen an ver Bekupferung 
unſers Schiffes ließen nämlich eine Reparatur verfelben vor 
Antritt der großen Reife nöthig erfcheinen. Da bierzu ein 


* 


34 


zwifchen ven monotonen Steinmajfen der nach einem und dem- 
felben Schema gebauten Häuſer einen Ruhepunft. Kein Baum, 
fein Strauch, fein grünes Blatt war zu erbliden; innerhalb 
ber Stabt nur Steine, außerhalb vulkaniſche Afche und Lava, 
aber überall eine glühende Sonnenbige, die uns fehr bald 
wieder an Bord trieb, da es nicht einmal ein Gaſthaus gab, 
in dem man bie vertrodneten Rippen durch einen fühlen Trunk 
erlaben konnte. 

Man ift hier lediglich auf die Gaftfreunpfchaft der Be⸗ 
wohner angewieſen; wir kannten aber am Tage unſerer An⸗ | 
funft niemand und durften deshalb Feine beanfpruchen. Spä- 
ter machte ftch die Sache befjer, und e8 wäre unrecht, wollten 
wir nicht der Freundlichkeit der Bewohner von Arecife dank— 
barlichjt gedenken; aber die Stadt felbft gewann dadurch nichts, 
fie blieb nach wie vor ein trauriger ſchauriger Ort, felbft als 
Exil ımerträglih. Der englifche Conſul, an den wir gewie- 
fen waren, that alles Mögliche, um uns ven Aufenthalt an⸗ Ä 
genehm zu machen, und feiner Güte verdankten wir auch eine 
Zour durch die Infel nach der Montagna del Fuego, auf 
der wir Lanzarote und das Leben und Treiben auf ihr näher 
kennen zu lernen Gelegenheit hatten. ! 

An einem fchönen Nachmittage brachen wir mit bem Con⸗ 
jul, vier an der Zahl, auf und zwar auf Kameelen. Letztere 
find die einzigen Transportmittel auf der Inſel, die faum ] 
drei ober vier Pferde zählt. Es war das erjte mal, daß ich 
ein Kameel ritt, aber die neue Art zu veifen gefiel mir 
ganz wohl. An jeder Seite des Höckers war ein gepolfterter 
Sitz angeſchnallt, auf denen wir Pla nahmen. Das gela- 
gerte Thier hob fich zunächft auf die hintern Knie, ſprang 
dann auf die Vorberfüße und ſchließlich auch auf die Hinter- 
füge. Dadurch entſtanden drei ziemlich Heftige Bewegungen, 
bie zwar infofern etwas Gewöhnliches für uns waren, als fie 
ung lebhaft an das Stampfen des Schiffes erinnerten, aber Doch 














m m a — —ñ — 


35 


uns leicht von unfern hohen Siten hätten berabfchleudern kön⸗ 
nen, wenn wir nicht vorher burch unfern Gaftfreund darauf 
aufmerffjam gemacht worden wären. Nachdem dies über- 
wunben, ritt e8 fich ganz angenehm. Die Bewegungen ver 
Thiere ind bequem und ihre Zritte infolge der großen elaftifchen 
Fußballen fanft, ſodaß man wie in einem langfam fahrenven 
Wagen fikt. 

Unfer Weg führte uns einige Stunden lang am Meeres⸗ 
Strande entlang durch große Felder von Barilla, die viel auf 
Lanzarote gebaut wird. Die Barilla oder Eispflanze (Me- 
sembryanthemum crystallinum), fo benannt nach ven kry⸗ 
ftallifchen, Eisfugeln ähnlichen Körpern, mit denen ihre Blät⸗ 
ter bebedft find, wächft vorzugsweife auf vulkaniſchem Boden 
und gedeiht befonders auf den unfruchtbarften ver Ganarifchen 
Infeln, Fuerta Ventura, Lanzarote, Gomera und Hierro. 
Die Pflanze bevarf faft feiner Eultur, wirb reif ausgezogen, 
auf dem Acer getrodnet und in Haufen verbrannt. Die zu- 
rücfbleibende Afche wird zu Kuchen geformt, auf Kameelen 
nach Arecife gefchafft und von dort nach Europa verfchifft, um 
zur Sobabereitung verwandt zu werben. 

Etwas weiter ftießen wir auf ein wahres Wunder. Der 
Steptifer, welcher nicht glauben will, daß Berge verjeßt wer- 
pen können, möge nach Lanzarote gehen; bort wird er fich mit 
eigenen Augen überzeugen, wie Berge verjegt werben und inner» 
halb ſechs Monaten eine Tour von drei deutichen Meilen quer 
über die Infel befchreiben. Dies mag unwahrjcheinlich klin⸗ 
gen‘, ift aber nichtspeftoweniger wahr. | 

Der im Frühjahr einfegende und während acht Monaten 
des Jahres wehende Nordoſt⸗Paſſatwind, wegen feiner geſund⸗ 
heitlichen Eigenſchaften auf der Inſel allgemein der Doctor, 
el medico, genannt, bewirkt dieſes Wunder. Er führt von 
der nur 8 Meilen entfernten Küfte Nordafrikas den Sand, 
aus dem fich die wandernden Berge bauen, in ungemein gro» 

3 * 


38 


ihm aufzeichnete. Als er fah, wie viel Arbeit ihm das ein- 
fache Inftrument erfparte, war er. ganz außer fich, und als 
ich ihm aus einer langen Stange und einem Gänfeflügel noch 
einen Fittich zur Entfernung des Staubes conſtruirte, wußte feine 
Dankbarkeit feme Grenzen. Ich aber zerbrach mir ven Kopf, wie 
es möglich fei, daß bei civilifirten Landleuten ein Inftrument 
wie ein Rechen ein vollftändig unbefanntes Ding fein Fonnte. 

Am andern Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang mit 
unſern Rameelen auf, um möglichft noch in der fühlen Mor» 
genluft die 3 Stunden weit entfernte Montagna del Fuego, 
den höchften vulkaniſchen Kegel ver Infel Lanzarote, und das 
Ziel unferer Reife zu erreichen. 

Kaum 200 Schritt Hinter der Meierei nahm die Gegend 
einen ganz andern Charakter an. Bisher war das Land ziem- 
lich flach und mit Aderfrume, wenn auch in geringer Höhe 
bedeckt. Man fah regelmäßige Felder und, wenn fie auch nicht 
üppig ftanden, waren fie doch in der bei uns gebräuchlichen 
Weile bebaut. Yet gelangten wir aber in bie Gegend, wo 
1730 die Eruption eines der Vulkane einige Quadratmeilen 
Land und 20 Dörfer verfchüttete. Als wir jo am Rande eines 
Berges hinritten und fich nach! Norden hin das große, 4—5 
Duapratmeilen haltende Thal vor uns öffnete, in welchem 
nur bunfelbraune zadige Spiten erftarrter Lavamaſſen die 
tieffehwarze Färbung enplofer, mit vulfanifcher Afche beved- 
ter Streden unterbrachen, bejchlich uns ein eigenes beflem- 
mendes Gefühl, als ſchieden wir bon ber belebenden Natur 
und jtünden an ber Grenze des Orcus. Die Unterhaltung 
wurde einfilbig, felbft unfere Kameele ſtöhnten, als fie lang— 
fam fih durch die loſe Afche ihren Weg bahnten, und ſchon 
ftanden wir auf dem Punkte wieder umzufehren, als’ bei einer 
Biegung des Weges plöglich ein Bild vor uns auftauchte, das 
wirklich einzig in feiner Art war und uns allen einen Ausruf 
des Erftaunens entlockte. 














39 


Mitten in diefer troftlofen ſchwarzen Einöde, über der 
nur eine Schicht der von den Sonnenftrahlen erhitten Quft 
zitterte, lagen auf einmal Hunderte von Dafen Hingezaubert, 
beren üppiges frifches Grün um fo faftiger erfchien, als es 
ringsum von ber fehwarzen Ajche umgeben war. Es war 
ein eigener Anblid, der Eoutraft zwiſchen Tod und Erftar- 
rung und dem biühenven, jungen, frifchen Leben. Die einft 
verfchütteten Dörfer und Fluren fehienen Hier nach hundertjäh⸗ 
rigem Schlafe wieder zu erwacdhen und das auf ihnen liegende 
Leichentuch zu durchbrechen, denn bier und bort ſah man auch 
zwifchen dem lachenden Grün die rothen Ziegelpächer von 
Gebäuden hervorſchauen, während ihre Mauern fi noch un⸗ 
ter dem Niveau ber Afche befanden. - 

Die Dafen beftanden aus Anpflanzungen von Feigen und an- 
bern Fruchtbäumen, die in Gruben von 15—20 Fuß Tiefe ange- 
legt waren, und deren oft 50—60 Fuß im Durdhmeffer bal- 
tende Kronen wir von unferm erhöhten Standpunfte aus er- 
blidten. Die Bewohner der Infel hatten die Afche aufgegraben, 
bis fie unter ihr den Humus auffanden. Die jungen Pflan- 
zen gebeihen üppig in ber tiefen Grube, welche unten ftete 
Feuchtigkeit bewahrt, während oben eine tropifche Sonne ihr 
Wachsthum befördert. Die betriebfamen Lanpleute fehen fo 
ihre Mühe jett reichlich belohnt. Wo die Afchenjchicht nicht 
mehr als 6 Fuß überfteigt, ift Wein gepflanzt, gewöhnlich 
von ejnem breiten Kreife von Erbfen und Bohnen umgeben, 
in ben tiefern Gruben aber wachjen Feigen, Aepfel und Birnen. 

Etwa eine Stunbe Yang führte unfer Weg durch dieſe 
merkwürdigen Anlagen; dann gelangten wir an eine Fleine 
Anhöhe, auf ber eine Meierei ftand. Hier hörte mit einem 
Schlage wieder alles Leben auf. Die Montagna del Fuego 
mit ihren Schattirungen von hellem und dunkelm Roth lag 
etwa noch eine Stunde weit vor uns, aber ein bis zu ihrem 
Fuße reichendes Lavafeld trennte uns von ihr, und biefe Strede 


38 


ihm aufzeichnete. Als er fah, wie viel Arbeit ihm das ein- 
fache Inftrument erfparte, war er. ganz außer fich, und als 
ih ihm aus einer langen Stange und einem Gänſeflügel noch 
einen Fittich zur Entfernung des Staubes conftenirte, wußte feine 
Dankbarkeit feine Grenzen. Ich aber zerbrach mir den Kopf, wie 
es möglich fei, daß bei civilifirten Landleuten ein Inftrument 
wie ein Rechen ein vollſtändig unbekanntes Ding fein Tonnte. 

Am andern Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang mit 
unfern Kameelen auf, um möglichft noch in ber Fühlen Mor⸗ 
genluft die 3 Stunden weit entfernte Montagna del Yuego, 
den höchften vulkaniſchen Kegel ver Infel Lanzarote, und das 
Ziel unferer Reife zu erreichen. 

Kaum 200 Schritt hinter der Meierei nahm die Gegend 
einen ganz andern Charakter an. Bisher war das Land ziem- 
lich flach und mit Aderfrume, wenn auch in geringer Höhe 
bedeckt. Man fah regelmäßige Felder und, wenn fie auch nicht 
üppig ftanden, waren fie doch in ber bei uns gebräuchlichen 
Weife bebaut. Jetzt gelangten wir aber in die Gegend, wo 
1730 die Eruption eines ver Vulkane einige Quadratmeilen 
Land und 20 Dörfer verjchüttete. Als wir fo am Rande eines 
Berges binritten und fich nach! Norden hin das große, 4—5 
Duadratmeilen haltende Thal vor uns öffnete, in welchem 
nur bunfelbraune zudige Spitzen erjtarrter Lavamaſſen bie 
tieffehwarze Färbung enblojer, mit vulkaniſcher Afche bebed- 
ter Streden unterbrachen, befchlih uns ein eigenes beflem- 
mendes Gefühl, als fehienen wir von ber belebenden Natur 
und jtinden an der Grenze bes Orcus. Die Unterhaltung 
wurde einfilbig, felbft unfere Kameele ftöhnten, als fie lang- 
fam ſich durch die loſe Afche ihren Weg babnten, und fchen 
Itanden wir auf dem Punkte wieder umzufehren, als bet einer 
Biegung des Weges plöglich ein Bild vor uns auftauchte, das 
wirflich einzig in feiner Art war und uns allen einen Ausruf 
des Erjtaunens entlodte, 





39 


Mitten in diefer troftlojen ſchwarzen Einöde, über ber 
aur eine Schicht der von den Sonnenftrahlen erbigten Luft 
zitterte, lagen auf einmal Hunderte von Dafen Hingezaubert, 
beren üppiges frifches Grün um fo faftiger erfchien, als es 
ringsum von der ſchwarzen Ajche umgeben war. Es war 
ein eigener Anblid, der Contraſt zwiſchen Tod und Erftar- 
rung und bem bfühenven, jungen, frifchen Leben. ‘Die einft 
verfehütteten Dörfer und Fluren fchienen bier nach hundertjäh⸗ 
rigem Schlafe wieder zu erwachen und das auf ihnen liegende 
Leichentuch zu durchbrechen, denn bier und bort ſah man auch 
zwifchen dem lachenden Grün bie rothen Ziegeldächer von 
Gebäuden hervorichauen, während ihre Mauern fich vo uns 
ter dem Niveau der Afche befanben. 

Die Dafen beftanden aus Anpflanzumgen von Feigen und an- 
bern Sruchtbäumen, bie in Gruben von 15—20 Fuß Tiefe ange- 
legt waren, unb deren oft 50—60 Fuß im Durchmeſſer bal- 
tende Kronen wir von unferm erhöhten Standpunfte aus er- 
blickten. Die Bewohner der Infel Hatten die Aſche aufgegraben, 
bis fie unter ihr den Humus auffanden. Die jungen Pflan- 
zen gebeihen üppig in ber tiefen Grube, welche unten ftete 
Feuchtigkeit bewahrt, während oben eine tropifhe Sonne ihr 
Wachsthum beförvert. Die betriebfamen Landleute fehen fo 
ihre Mühe jest reichlich belohnt. Wo die Afchenjchicht nicht 
mehr als 6 Fuß überfteigt, ift Wein gepflanzt, gewöhnlich 
von ejnem breiten Kreife von Erbfen und Bohnen umgeben, 
in den tiefern Gruben aber wachfen Feigen, Aepfel und Birnen. 

Etwa eine Stunde lang führte unfer Weg durch biefe 
mertwürbigen Anlagen; dann gelangten wir an eine Fleine 
Anhöhe, auf ver eine Meierei ftand. Hier hörte mit einem 
Schlage wieber alles Leben auf. Die Montagna del Fuego 
mit ihren Schattirungen von hellem und dunkelm Roth lag 
etwa noch eine Stunde weit vor uns, aber ein bis zu ihrem 
Fuße reichendes Lavafeld trennte ung von ihr, und dieſe Strede 


40 


mußte zu Buß durchwandert werben. Tür Kameele und alle 
größern Thiere ift Diefe Mafje fpigiger und fcharfer Klippen 
nicht zu paffiren. 

Wer im Frühjahr buch Sturm und Regen die Eisdecken 
eines großen Fluſſes anfbrechen und die wirr Durcheinander 
geſchobenen Schollen duch neuen Froft wieder zu einem Gans 
zen erjtarren fah, der nur kann ſich eine Vorjtellung von die⸗ 
ſem granfen Lavafelde machen, doch muß er fich diefes Bild 
noch mit einer granfchwarzen Färbung überzogen venfen. | 

Der Meier, bei dem wir unfere Kameele ließen, biente 
als Führer. Ein jever von uns erhielt einen Springftod, 
und vorwärts ging es durch ven Kirchhof der Natur, auf dem 
bie oft zu wunderbaren Geftalten geformten Lavaklippen wie 
Grabfteine emporragten. Es war feine angenehme Four; 
troß der größten VBorficht brachen wir oft durch bie morſchen 
Schollen, und Schuhe wie Kleider wurben gehörig mitgenom- 

men. Die Sonne brannte glühenb auf unfere Köpfe, aber 
bei aller Ermattung founten wir nicht einmal ruhen, weil 
bie glasartigen Spigen der Lava ſchmerzend ins Fleisch dran 
gen. Endlich war. das Feld überfchritten und der Fuß des 
Berges erreicht, bis zu deſſen Gipfel noch 1000 Fuß unter 
einem Winkel von 60 Grad erftiegen werben mußten, davon 
bie Hälfte loſe Aſche. Indeſſen blieben wir entfchloffen, unfer 
Beginnen burchzuführen, da wir reichliche Belohnung in den 
Schönen Petrefacten zu finden hofften, an denen bie Montagna 
del Fuego reich fein follte. Alſo weiter burch bie kniehohe 
Aſche, in der wir ebenjo tief verfanfen! Das Schlimmite 
war endlich überwunden, fefter Boden war unter ven Füßen, 
und nach kurzer Raft Eommen wir zur Spige hinauf. Wir 
hatten fie erreicht, und ein frifcher Wind kühlte unfern er- 
higten Körper und eine koſtbare Ausficht bot fich dem Blicke. 
Zu unfern Füßen lag das lanzenförmige (und deshalb fo be- 
nannte) Lanzarote, links eine Kette von Kratern, in deren 














41 


unheimliche Ziefen wir hinabfehauten, rechts die weißfchinmern- 
ben Städte, Dörfer und Gehöfte mit ihren grünen Umgebun⸗ 
gen, im Often die Heine unbewohnte Injel Graziofa, tm 
Süben Fuerta Bentura, im Weiten fchimmerte ein welß- 
glänzendes Wölfchen, das wir für die Spite des Pic hielten, 
und ringeam das. blaue wallende leer, deſſen brandende Wo- 
gen die Küften mit einem Silberftreifen befränzten. Es war 
ein prachtuolles Panorama, aber Ieiver wurde uns ein län⸗ 
gerer Genuß nicht geftattet. Wir fühlten plöglich ein ſchmerz⸗ 
haftes Brennen in unfern Füßen, eine Folge der aus ber Berg⸗ 
oberfläche ſtrömenden Hite, und nach fünf Minnten wurde pas 
Gefühl fo. unerträgtich, daß wir unfern Rückweg antreten muß- 
ten. Vergebens ſchauten wir nach ven berühmten Petrefacten 
ans. Nur bier und da lag ein Stück rother Lava, in einigen 
Heinen Höhlen fanden wir Trhftallifirtes Glauberſalz und an 
verſchiedenen Stellen eine Menge reinen Schwefels, ver oft 
zollhoch lag. Um nicht mit ganz leeren Händen heimzukom⸗ 
men, nahmen- wir von jeder Art eine Probe mit. 

Etwa 100 Fuß unter dem Gipfel zeigte und der Führer 
mehrere Deffnungen, bie wie Dachsbaue ausjaben, und aus 
denen das unterirdifche Feuer hervorquoll. Ein zu biefem 
Zwede mitgenommener junger Baumftamım wurde in mehrere 
berfelben hineingeftedt und nach einigen Minuten heil brennend 
wieder heransgezogen — um unſere Eigarren daran anzuzün- 
ven. Das war alfo die Pointe ver befchwerlichen Tour! 
Bir waren 6 Stunden auf Kameelen gerüttelt, Hatten 
Hunger und Durft ertragen, waren ımten und oben halb ge- 
braten, hatten Stiefel und Kleider zerriffen und mindeſtens 
an zwanzig Stellen unfere Haut gefhunden — um uns an 
einem Vulkane eine Cigarre anzuzünden! 

Ih dachte au meine vergebliche Picfahrt, an das damals 
mir gegebene Verfprechen und nahm, mir zum zweiten inale 
feft vor, das Bergfteigen forten den Naturforfchern zu über- 


42 


faffen. Dann aber benubte ich die Afche als Schnee und 
machte eine balsbrechende: Rutfchpartie nad) unten, wo ich 
in zwei Minuten arigelangt war und bie Anfunft meiner be- 
bächtigern Gefährten abwartete, die eine Biertelftunde bazu 
gebrauchten. 

Der Rüdweg über das Lavafeld wurde uns unendlich lang 
und mir fpeciell ſehr thener, da ich einen unglüdlichen Fall 
that und mich nicht nur ftark verlegte, fondern auch einen 
guten Rod an den fcharfen Kanten der Lavablöde durch ben 
Fall vollftändig ruinirte In ber Meierei unſers Führers 
erquidte uns ein Glas Igftbare Ziegenmilch und drei Stunben 
ipäter in ber Wohnung unfers Wirthes ein prächtiges, wenn 
auch nach ſpaniſcher Weife ftarf mit Knoblauch gewürztes _ 
Mittagsmahl, das durch ein nachfolgendes Schläfchen erft 
feinen vollen Werth erhielt. und uns für den Rückweg neue 
. Kräfte verlieh. 

Der Weg führte bergab, und unfere Kameele, denen wir 
unterwegs erlaubten, dann und wann einen Mund voll Feigen- 
blätter zu pflüden, bezeigten. ihre Dankbarkeit burch einen 
jchnellen Trab, der merkwürbigerweife und im Gegenfab zu 
Pferden für uns eine viel angenehmere Gangart als ber 
Schritt war. Nach zwei Stunden hatten wir die Meierei mit 
bem Duell: erreicht, an veffen fühlen Inhalt wir uns erlab- 
ten, während zugleich ein um ihn angelegtes Beet prachtvol⸗ 
fer Erdbeeren geplündert wurde. Noch vor Sonnenuntergang 
Iangten wir in Arecife an, wo wir natürlih Wunberbinge 
von den Annehmlichkeiten unferer Reife erzählten und ben 
Leuten nach ber Montagna del Fuego den Mund wällerig 
machten. Möge ver Berg noch tauſend Jahre brennen und 
Petrefacten ſpeien — zum zweiten mal mache ich ihm feinen 
Beſuch mehr. 

Unfere Reparatiren am Schiffe waren in wentgen Tagen 
vollendet, und am 5. Mai konnten wir fchon unfern Rückweg 








43 


nah Teneriffa antreten. Wit ſchieden ohne Bedauern von 
Lanzarote, Das durchaus nicht unjere Sympathien erweckt 
hatte. Wenn bie Infel in andern als fpanifchen Händen wäre, 
fieße fich übrigens gewiß etwas aus ihr machen. Namentlich 
würbe fie fich heben, wenn etwas für ven Hafen geſchähe, 
der mit leichter Mühe und einem Koftenaufiwande von 50— 
60000 Thalern fi in das. fchönfte Baſſin verwandeln 
tiefe. Er bedarf nur der Vertiefung, um allen größern 
Rauffahrteifchiffen, ja felbit Fregatten einen vollftändig geficher- 
ten Zufluchtsort zu gewähren. Nach Süden gehende Schiffe 
erleiden oft zwifchen Europa und Mabeira Beſchädigungen, 
welche fie zwingen, minbejtens nach Cabdir zurüdzufehren, weil 
weber an ber afrikaniſchen Küfte noch auf ben in ihrer Nähe 
liegenden Infeln die Havarie reparirt werben kann. Lanza⸗ 
rote dagegen liegt auf ihrem Wege und würbe einen prächtigen 
Nothhafen abgeben. Die Infel läßt fich noch beveutend mehr cul- 
tiviren und müßte um fo eber emporblühen, als fie fich mit Xeichtig- 
feit zum Mittelpunkte des afrifanifchen Küſtenhandels machen läßt. 

Es ift ſoviel in Deutſchland von der Nothwendigkeit einer 
Berbrechercolonie die Nebe geweſen. Nun, man laufe ven 
Spaniern Lanzarote ab! Will man feinen einträglichen Ha- 
fen daraus machen, fo gibt es nicht leicht einen paſſendern 
Platz für Verbrecher als Lanzarote, Fuerta Ventura und 
nächſtdem bie gegenüberliegenpe Küfte von Marokko, von der 
fih wol auch ein Theil für Geld und gute Worte erftehen 
ließe. Die Koften eines einzigen Jahres für die Unterhaltung 
ver Verbrecher in unfern Gefängniffen würden ohne Zweifel 
bie Rauffumme deden. Dann laſſe man durch die Zwangs⸗ 
coloniften Cochenille züchten, richte Sopafabrifen ein und be- 
treibe. Fiſcherei, die bereits jett fchon von Lanzarote aus an 
der afrifanifchen Küfte in hoher Blüte fteht. 

Lanzarote probucirt mit Fuerta Ventura jegt jährlich feine 
halbe Million Pfund Cochenille. Vor fünf Iahren erzeugte 


44 


die Infel nur den vierten Theil, und der Ertrag läßt fich min- 
deftens verzehnfachen, wenn alte brach liegenden Ländereien mit 
Cactus bepflanzt werben. 

Die Zucht des Wurmes felbft. macht weder Koften noch 
Schwierigkeiten. Wenn die Pflanze ein Jahr alt ift, werben 
auf einem Morgen Landes etwa 30—40 Blätter mit dem Wurm 
befäet, d. h. man ſteckt ein Fräftiges Weibchen in ein Säd- 
hen von Flor und heftet diefes mit einer Nabel an ein Blatt. 
Das Thier legt eine zahllofe Menge von Eiern, und bie aus- 
gefrochenen Jungen finden ihren Weg durch vie feinen Oeff- 
mungen des Flors auf die Pflanzen, die ihre Nahrung bilven, 
und auf benen fte fich mit- unglaublicher Geſchwindigkeit ver- 
breiten und vermehren. Im April werben die Weibchen aus- 
geſetzt, und 30 derfelben bevölkern, wie ſchon bemerkt, bis Ende 
November einen ganzen Morgen. Um biefe Zeit werden bie 
Würmer mit einem kleinen Spatel von den Blättern in die 
Töpfe geichafft, in Defen gebörrt und danach ala Cochenille 
in den Handel gebradt. Es iſt dies gewiß ein nicht nur 
humaneres, fondern auch beffer rentirendes Geſchäft, als Das 
Wollezupfen und Spinnen in unfern Zuchthänfern. 

Der Erport der Eanarifchen Inſeln an Cochenille hat fich 
feit 1852 faft verbreifaht. Damals betrug die Ausfuhr 
806,284%, 1856: 1,501,776& und 1859: 2,153,000%. Welcher 
Hebung würde aljo diefe Inpuftrie fähig fein, wenn fie von 
Leuten betrieben würde, bie arbeiten müßten, während ber 
ſpaniſche Bauer auf den Canarien nur fo viel Cochenille baut, 
um fein bürftiges Leben zu friften. Das Klima ift gefund, Die 
Temperatur fürSanuar 17°,70, für Auguft, ven heißeften Monat, 
26°,5 Reaumur. Die Infeln Iaffen fi in 14 Tagen bie 
3 Wochen von Deutichland aus erreichen, und wie leicht ließe 
fich überbies von ihnen aus eine Colontfation der maroffani- 
then Küſte bewerfitelligen! 

Am 6. Mai früh morgens befanden wir uns ſchon wie- 





45 


der bei Gran⸗Canaria, nach Teneriffa die größte und be- 
völfertfte Infel des Archipels. Sie hat einen Flächeningalt 
von 137. Duadratleguas mit 82,800 Einwohnern, währen» 
Teneriffa 151 Quadratleguas und 87,900 Einwohner zählt. 
Die Hauptſtadt von Gran⸗Canaria ift Las. Palmas mit 
6000. Einwohnern und ziemlich beträchtlihem Handel, ver fi 
namentlich feit 1852, wo die Haupthäfen der Infeln zu Frei» 
bäfen erklärt wurden, jehr gehoben hat. Im Sabre 1859 
liefen auf der Nheve von Las Palmas 705 Schiffe ein, da⸗ 
von 404 Küftenfahrer und 22 Dampfſchiffe. Gran⸗Canaria. 
ift die fruchtbarfte der Infeln und ‚erzeugt namentlich viel 
Korn, Gemüfe und Früchte, die größtentheils nach Teneriffa, 
aber auch in beveutenden Duantitäten nach Europa geben. 
Der Wein ift jeboch von geringerer Qualität als ber von 
Orotava, dagegen beläuft fich der Ertrag der Cochenille auf 
800,000 % jährlich. Auch viel Fifcherei wird getrieben, doch 
bleibt dafür der Hauptitapelplag immer Lanzarote, und es 
gehen jährlich über 5 Millionen Pfund. gefolzener und ge- 
trockneter Fifche von Arecife nah Cuba und Weftinbien. 

Man bat Kürzlich verfucht, in Grau⸗Canaria auch -bie 
Rameele einzuführen, bie auf Fuerta Ventura, Lanzarote und 
Zeneriffa. jo vortrefflich gebeigen und jo beveutend nüßen; 
jedoch fcheint die bergige Formation des. Landes. und der 
Mangel au weichem Boden ihnen nicht zuträglich zu fein, und 
bis jeßt gibt e8 ſehr wenige dieſer Thiere bort. | 

‚Es dürfte aber wol des PVerfuches werth fein, dieſe 
Thiere in den flachen fandigen Gegenden des mittlern und 
füdlichen Deutfchland zu acclimatifiren. Nach dem was ich 
davon geſehen und an Drt und Stelle gehört. babe, fcheint 
mir biefer Verſuch durchaus nicht gewagt. Das Kameel ift 
im Stande, bedeutende Kälte zu ertragen, und nur weicher oder 
Sandboden fcheint eine Lebensbedingung für daſſelbe zu fein, 
während e8 andererſeits außer dem Efel faum ein Thier gibt, 


46 


das fich mit fchlechterer und weniger Nahrung zufrieden ftellt. 
Ein erwachſenes Kameel macht mit einer Laſt von 6—8 Eent- 
nern einen Marſch von 12 deutfchen Meilen in 20—24 Stun- 
ben, obne einen Biſſen zu fich zu nehmen, ruht 4—6 Stuns 
ben und behält bei einem Bündel Strob und einem Eimer 
Waller feine vollftändigen Kräfte, um jahraus jahrein bie- 
felbe Tour zu laufen Es käme alfo nur auf eine Probe 
an und ich bin feft überzeugt, daß in Mittel und Süddeutſch⸗ 
land die Thiere fich fchnell einbürgern würden. 

. Der Sciffahrtsverfehr in Santa⸗Cruz ift jeit 1852 auch 
beveutend gejtiegen. Im Jahre 1859 Tiefen nicht weniger als 
1279 Fahrzeuge mit einem Gehalte von 139,940 Tonnen ben 
Hafen an, darımter 96 Dampffchiffe, für welche hier Kohlen⸗ 
depots errichtet find. Wenn auch: der größte Theil derſelben 
nur vorübergehend anlegte, um Kohlen, Waſſer oder Erfri⸗ 
ſchungen einzunehmen, bringt dieſe Paſſage doch einen regen 
Verkehr mit ſich und hebt die Stadt anſehnlich. 

Ueber den Export der Inſeln habe ich mir keine ſichern 
Daten verichaffen können, jedoch foll er namentlih in ben 
letzten Jahren burch die vermehrte Zucht der Cochenille den 
Import überfteigen. Lebterer belief fi im Jahre 1857 für 
Teneriffa auf 1,512,900, für Gran-Canaria auf 925,800, für 
Lanzarote auf 155800 und für Palma auf 643000 fpanifche 
Thaler und beftand hauptfählih in Manufacturen, nament- 
lich in feivenen und wollenen Kleiverfteffen und in Luxusartikeln. 

Am 6. Mat mittags Tiefen wir zum zweiten mal 
in Santa- Cruz ein, nahmen Waffer, befuchten wieder das 
Theater, machten in aller Geſchwindigkeit noch einen Ball 
mit: und verließen am 8. Mai mit großem Bedauern, einige 
ber jüngern Herren auch mit halb und ganz gebrochenen Her- 
zen, ſüßen und fchmerzlicden Erinnerungen die ſchöne Infel, 
um unfere Reife nach Singapore anzutreten und vielleicht brei 
Monate lang nur Waſſer und Himmel um uns zu feben. 











4. 


Das Meer in den Tropen. Charakter und Sitten des Seemanns. 
Leben an Bord. 


Menn ein Landbewohner eine Reiſe wie bie des preußt- 
ſchen Geſchwaders im Geifte nach Japan verfolgt, bildet er 
‚ gewöhnlich feinen Ideengang nach gewiffen Echlagmworten, bie 
er in jever Reifebefchreibung gefunden hat, und bie fein Ieb- 
hafteftes Intereffe erwecken. Soll ich dieſe Schlagworte näher 
bezeichnen, fo find die hanptfächlichften: Azurhimmel, tief- 
blauer Dcean, Silberfchaum ver hüpfenden Wellen, wunder- 
barer Glanz des Sternenheeres, feierliche Ruhe der Natur, 
Südliches Kreuz, tropiſche Natur, majeftätifcher Urwald, Tiger- 
und Clefantenjagb u. |. w. Werden dieſe Phrajen ſyſtematiſch 
geordnet und mit der erforberlihen Phantafie ausgemalt, fo 
Laßt fich ein fehr hübſches Bild daraus fchaffen, dem nur 
ein Hanptelement fehlt — die Wahrheit. 

Der Wirklichfeit würde fich dieſes Bild viel mehr nähern, 
wenn man noch folgende Verbindungsglieder einfchaltete: tage- 
langer Regen und Sturm, jchredfiches Arbeiten des Schiffes 
in himmelhoher See, mondloſe Nächte mit Eisbergen, Schnee 
und Hagelbden, Sturzfeen, vie alles von Ded fchlagen, und 
dergleichen mehr. 


48 


Unfere Reife nach Singapore war  beveutend reicher an 
biefen Attributen als an jenen und gehörte nicht zu dem an- 
genehmften. Was wäre das Leben aber ohne Abwechfelung? 
Es würbe all feinen Reiz verlieren, und auch wir Seeleute 
wüßten das Schöne und Intereffante, welches das Meer uns 
anbererjeits wieder in fp reichem Maße bietet, gar nicht nad) 
feinem wahren Werthe zu würbigen, wenn wir nicht durch 
den Contraft darauf aufmerffam gemacht würden. 

Der Gürtel zwifchen 30° Nord- und 30° Süpbreite im 
Atlantiſchen Ocean ift, mit kurzer Unterbrechung bei der Linie, 
bie Lichtfeite des Seelebens. Hier, innerhalb der ewig wehen- 
den Paſſatwinde, hat das Meer alles concentrirt, was es an 
Schönheiten befißt; hier thürmt kein Sturm die kryſtallenen 
Wogen in chaotifchem Gewirr aufeinander, und der Sonne 
erwärmende Strahlen werben nicht. durch Schnee und, Eis 
erfältet. Das fubmarine Leben, welches Wind und Wetter 
jenfeit8 der Tropen mehr in bie Ziefen drängen und bem 
Auge entziehen, tritt bier zu Zage und bie Meeresoberfläche 
wimmelt von Millionen wunderbarer Geſchöpfe, die uns 
ebenſo durch ihre unendliche Formenverſchiedenheit in Erſtqunen 
ſetzen, als fie uns durch ihre Schönpeit erfreuen. 

Namentlich bietet ein ftiller Tag ein Schaufpiel, das für 
den Reifenden ebenfo neu, als, anziehend ift. Oft ift dann 
das Meer buchjtäblich bevedt von Mollusten aller Formen 
und Farben. Bald find es Glodenquallen, bald geftrahlte 
Scheiben oder pyramidenförmige Phyfalianrten, von ‚den Sees 
leuten „Beim Winder“ genannt, welche, mit ihrer Luftblaſe 
in allen Regenbogenfarben glänzend, über die Waſſerfläche da⸗ 
hinſegeln und der Scenerie eine eigenthümliche Belebtheit 
verleihen. Zahllofe Heerden von fliegenden Fifchen,” äufge⸗ 
Ichredt durch das Geräufch, das der Bug des Schiffes beim 
Durchfchneiden ver Fluten erregt, ſchwirren über das Wafler, 
dann und wann die Spiten der Wellen Leicht berührend, um bie 





49 


Flofſen zu benegen und dadurch neue Flugkraft zu gewinnen. 
ME gleicher Gefchmindigfeit folgt ihnen unter Waffer ver 
buntſchillernde ſchlanke Delphin oder der plumper gebaute 
räuberiſche Bonit, um fie im Augenblicke des Niederfallens 
zw verſchlingen. | 

Schwerfällige Botfifche ziehen langjam vor dem Bug vor⸗ 
über und Scharen luſtiger Tümmler ſpielen um das Schiff 
und ſchwimmen mit ihm um die Wette. Weiter in der 
Ferne verkündet der wie eine Fontaine in die Lüfte ſteigende 
Waſſerſtrahl das Athmen des Walfiſches, des Rieſen der 
Tiefe. Sein ungeſchlachter Kopf und Rücken heben ſich lang⸗ 
- am nacheinander über die Oberfläche, wenn er Luft fchöpft, 
und bisweilen fommt er fo nahe, Daß man von Borb aus 
ben ganzen gigantifehen Körper in dem Maren Waſſer unter- 
ſcheiden kann, oder er ſteckt fpielend die koloſſale Seitenfloffe 
in die Höhe und peiſcht damit das Waſſer. Sie ragt dann 
wie eine ſchwarze Klippe aus dem Waſſer hervor, an der 
bie ſchämende Braydung emporſpritzt. 

Was das unbewaffnete Auge im Waſſer nicht zu ſehen 
vermag, fördert das hinter dem Schiffe ſchleppende Gazenetz 
zu Tage. Dieſes ſchöpft Tauſende jener delicaten Organismen 
von der Oberfläche, die ſich unter dem Mikroſkop zu den 
wunderbarſten Thieren geſtalten, von denen der Ocean wimmelt 
und die vom Schöpfer beſtimmt ſind, das Meer in ſeiner 
Form und Zuſammenſetzung zu erhalten und das > ewige Gleich 
gewicht per Natur. zu bewahren. 

Die norbifhen Möven, die frühern ſteten Begleiter des 
Schiffes, ſind zwar verſchwunden, doch die ſchwarz und weiß 
gezeichneten Seeſchwalben haben ſie erſetzt. „Mutter Carey's 
Küchlein“ nennt ſie der engliſche Seemann, der unſere „Sturm⸗ 
vögel“, aber mit Unrecht, denn ſie zeigen ſich ebenſo oft bei 
dem ſchönſten Wetter. Die Matroſen behaupten von ihnen, 
ſie ſetzten ſich nie hin und brüteten ſogar ihre Eier unter 

Werner. J. 4 


“ 


50 


ven Flügeln im liegen aus, eine Idee, die um fo. auffallen» 
ber erfcheint, als man biefe Vögel oft genug figen fehen kann. 
Nähert man ſich irgenbeiner Infelgruppe oder der Küſte, 
fo juchen oft andere ermattete See» und Landvögel Ruhe und 
Raft auf ven Raaen und Maſten der Schiffe, und biefe wird 
ihnen ungeftört gewährt. Ein Aberglaube der Seeleute be- 
wahrt fie vor dem Fangen oder Geſchoſſenwerden, da mit ihrer 
Verfolgung ftets das Eintreten von fchlechtem Wetter oder einem 
Unglüdsfalle als fejtitehend angenommen wird. Bisweilen 
erfcheint auch der vrangegelbe Tropikvogel mit breitem 
ſchwarzen Sammtjtreifen von einer Flügelſpitze zur anderen, 
rothem Schnabel, fchwarzen Füßen und einer einzelnen langen 
Feder, die bogenförmig den Schwanz ziert. Er fchwebt hoch 
über den Spigen ver Maften, und vie Matrofen baben ihn 
„Bootsmann“ genannt, der mit dem Marlpfriem, mit dem fie 
jene Feder vergleichen, nach der Takelage fieht. 
So herricht in diefen Gegenden überall reges Leben in 
ber Tiefe wie in ven Lüften. Jeder Tag bringt Abwechjelung, 
und wer nur das geringfte Interefje für Naturwifjenfchaften 
befigt, findet hier das reichjte Feld, das um fo mehr Reiz be- 
fitt, al8 e8 am wenigften ausgebeutet ift und fo ungemein 
viel Neues bietet. | _ | 
Auch das eigenthümliche Leben an Bord gewinnt infolge 
ber fchönen Witterung einen andern Anftrich), und eine Beob⸗ 
achtung deſſelben kann für ven Landbewohner nur von hohem. 
Sntereffe fein. Die Seeleute, namentlich aber die Matrofen 
find ein ganz befonvderer Schlag Menjchen, im Denken, Handeln 
und Charakter verfchieden von allen andern, und doch unter 
fih wieder einander fo gleih, daß e8 wol der Mühe lohnt, 
fie auf ihrem Elemente zu ftubiren. Ob dies auf einem 
beutfchen oder ausländiſchen Schiffe gefchieht, ift gleich, vie 
Grundzüge des feemännifchen Charafters find auf der ganzen 
Welt diefelben. Das gemeinfame Lebensintereffe, die gleiche 


x 51 


Erziehung und dieſelben Umgebungen mildern bebeutend 
ven fcharfen Abſtand der Nationalitäten und nähern bie 
Seeleute jelbft in ihrer äußern Ericheinung einander fo, 
baß fie demfelben Stamme entiproffen und eine große Völker 
familie zu bilden jcheinen. Sie find bie Kinder des Oceans, 
an deſſen bewegtem Bufen genährt, in feinen ſtarken Armen 
aufgewachjen. Fern von den Fleinlichen Rüdfichten des All⸗ 
tagelebeng, bie in den Herzen ver Menſchen bie Leidenſchaften 
aufſtacheln, unberührt von Haß und Neid wiegen fie fich auf 
dem Nüden des Meeres, umgeben von ber Natur, beren 
ewige unwandelbare Geſetze über alle irbifchen Regungen er⸗ 
haben ſind. Gleiche Anſchauungen, gleiche Erinnerungen bilden 
ein Band, das alle Seeleute des Erdenrunds eng mitein⸗ 
ander verfnüpft, das fie unbewußt zueinander binzieht und 
eine Art geiftiger Freimaurerei unter ihnen errichtet, mit 
deren Hülfe fie fich in jeder Lebenslage, in jeder Schicht ber 
Geſellſchaft fogleich erkennen. 

Es läßt fich ſchwer angeben, worin die Eigenthümlichkeit 
des Seemanns liegt, die ihn dem Standesgenoſſen augen⸗ 
blicklich verräth, ehe er noch ein Wort mit ihm gewechſelt 
hat. Es iſt nicht der ſchwankende Gang, nicht das wetter⸗ 
gebräunte Geſicht, nicht das eckige unbeholfene Weſen, ſondern 
ein gewiſſes Etwas in ſeiner ganzen Erſcheinung, das man 
nicht näher analyſiren und nur als ben Stempel bezeichnen 
fan, ven der Dcean feinen Kindern aufprüdt. 

Selten wol findet das alte Sprichwort: „Gleich und gleich 
gefelit fich gern", eine treffendere Anwendung in gutem Sinne 
als bei ven Seeleuten des gewöhnlichen Schlags und befonders, 
wenn fie ſich am Lande befinden. Jan Maat, mit welchem 
‚Namen man den Matrofen im allgemeinen bezeichnet, fürchtet 
fih vor der Unterhaltung mit Lanpbewohnern Kr fühlt 
feine Logif der ihrigen nicht gewachjen, weilt nur ungern in 
ihrer Gefellfchaft und ſehnt fich ftets nach einem richtigen 

4* 


52 


Salzwafjer- Kameraden, der feine Anfichten theilt und nicht 
über Sachen fpricht, vie über den Meereshorizont hinaus- 
reichen. Findet er einen folchen, jo wird viefer ein wahrer 
ZTroft für ihn. Dann fann er feinen Ideen ihre natürliche 
Richtung geben, die Richtung nach dem blauen Waffer, nach 
jenem großen Theater, auf dem er fo oft aufgetreten ift und 
vielleicht eine hervorragende Rolle geſpielt Bat. 
Sieht man ihn in einem Seehafen, fo fteuert er beftimmt 
- ber Gegend zu, wo die Schiffe liegen, während er in einem 
Flußhafen die Schritte nach dem Kat richtet. Schon das Er- 
blidden von Maften und Raaen läßt feine Augen vor Vergnü—⸗ 
gen “funkeln. Dann unterwirft er die verſchiedenen Takelagen 
und namentlih die neneingeführten Verbefferungen einer 
technifchen Kritik. Nur wenige werben von ihm gebilligt, bie 
meiften begegnen einem geringfchäßigen Lächeln, denn Ian 
Maat ift ftreng confervativ. Hat er feinen Kameraden bei 
ſich, mit dem er feine Gedanken austaufchen Tann, fo beginnt 
er ein Geſpräch mit irgenbeiner- alten Blaujade und appel- 
firt ohne weiteres an deren Sympathieen. Sieht man ihn 
im Inlande, wohin ihn bisweilen das Schidfal, port geboren 
zu fein, verfchlägt, fo wandert er aus natürlichem Inſtinkt 
dem Fluffe zu. Es ift Waſſer, das er fucht; dies Element 
nimmt ſtets feine fpecielle Aufmerkſamkeit in Anſpruch und ob 
füß oder falzig, übt e8 einen magiſchen Einfluß auf ihn. Er 
gedenkt des Dceans mit ebenfo tiefem Gefühl wie ein Bräu— 
tigam der geltebten Braut. Dies Gefühl ift ein Ausfluf 
von Erinnerungen, die nie erfterben. Weder die Gefahren 
des Sturmes, noch der Schlacht, noch bie Leinen der Krank—⸗ 
heit, die Qualen des Hungers und Durftes, noch das äußerfte 
menschliche Weh Fönnen die Liebe zum Dcean in feiner Bruſt 
erjtiden. Ihm wendet er fich zu, wo er auch fein mag, wie 
die Magnetnadel dem Pole. Kann er von einem benachbarten 
Hügel die See erbliden, fo läßt er fein Auge darauf ruhen, 


53 


als jet fie ein wunderbarer Gegenftann, von dem er früher 
nur eine vage Borftellung gehabt. Beſtändig fehnt ſich fein 
Herz ihr zu, und ſelbſt wenn er ben lodenden Tönen einer 
Sirene Gehör gefchenkt Hat und willig ihre Feffeln trägt: das 
Bergefjen feiner Meeresheimat iſt nicht in dem Sauber be- 
griffen. Fragt man ben Seemann, was ihn an das wunder» 
bare Element mit folder Macht feſſelt, jo weiß er feine 
Antwort darauf zu geben. Unmöglich kann es das Leben an 
Bord fein, das nur aus Miühfeligfeiten und Entbehrungen be 
fteht und der meiften Annehmlichkeiten beraubt ift, die unfer ir- 
diſches Dafein verjchönern. Ebenfo wenig ift es Neifeluft; 
fein Reifender fteht weniger von ven Ländern, die er befucht, 
als der gewöhnliche Seemann, da der Dienft am Bord feine 
Gegenwart faft ftetd in Anfpruch nimmt. Was kann es aljo 
anderes fein als das .Meer jelbft, pas ruhelos wallende 
Meer mit feinen Schreden, feinen Wundern, feinen Schön. 
beiten, deſſen Bild ſich ihm mit unauslöfchlichen Zügen in 
das Herz gräbt. Ja es iſt ſchön, groß, erhaben das Meer 
mit feinem tiefen Blau, dem Wiverfchein des Himmelsge- 
wölbes, das fich in feinen Fluten fpiegelt.e Es ift fchön das 
Meer, wenn e8 fich vor dem trunkenen Blicke aufrolit, ein 
Bild der Ewigkeit, an deſſen Azurftirn die Zeit fpurlos dahin⸗ 
zieht, ohne ihre Furchen darauf einzugraben. Es ift ſchön 
bei ver Sonne goldenem Licht, wenn ihre Strahlen in feinen 
weiten Schos fich fenfen, dort Kühlung zu fuchen vor ber 
eigenen Gut, wenn in linder Nacht ver fanfte Schimmer 
bes Mondes über feine Spiegelfläche zittert und der Sternen- 
himmel feine eigene Pracht in ihm bewundert, wenn es 
erglüht in feurigem Glanze und Millionen Funken in ihm 
ſprühen! Wie groß, wie erhaben zeigt es fich in feinem 
Zorne, wenn e8 im Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen 
aufthürmt zu mächtiger Höhe, wenn fochend in weißem Schaume 
und bonnernb fie zufammenbrechen, daß faft bie Natur davor 


54 


erbangt. Ja fchön, groß, erhaben ift der Ocean in allen 
Seftalten. Ueberall bleibt er fich gleich von bes Nordens 
eifiger Küfte bis zu des Südens ewigen Lenze, die beive er 
‚mit feinen Riefenarmen umfängt. Er ift Gottes Spiegel, ber 
Spiegel feiner Allmacht, feiner Güte, feines Zornes — wie 
follte man ihn vergeffen können! Wer nur einmal ihn er- 
ſchaut, fehnt fich nach ihm zurüd, wie viel mehr ver Seemann, 
ber feit frühefter Jugend ſich auf ihm gewiegt. 

Gibt es etwas auf der Welt, das fich mit dem Meere 
vergleichen Tieße, das Erſatz böte für alles, was man mit 
ihm verliert? Wohin das forfchende Auge fich wendet, Aehn⸗ 
liches findet e8 nie! Darum auch ftrebt ver Seemann ihm, 
jeiner Heimat, zu, deshalb fehnt er fich nach ihm, bis es fein 
Grab geworden, mit fühlen Armen ihn umfängt und ihn auf 
feuchtem Grunde zum ewigen Schlafe beitet. 

In ſolchen Umgebungen aufwachfend und lebend, ift es 
natürlich, daß der Charakter des Seemanns fich auf andere 
Weile bildet als bei Bewohnern des Landes. Er gelangt zu 
chnellerer Reife, da der Ernft des Lebens ihn früher be- 

rührt. Er fieht mit fühner Ruhe den Gefahren in das Auge, 
da er fie täglich befämpft und als Sieger über fie triumphirt. 
Er ift harmlos und vertrauend, da bie Faljchheit der Außen⸗ 
welt ihn nicht täufcht und anftedt. Ein Kind der Natur, 
fühlt er fi in ihrem Schofe am wohlften; muthig und un⸗ 
verbroffen erträgt er die Beſchwerden feines mühjeligen Lebens, 
und in feiner befcheivenen Anfpruchslofigfeit an das Leben 
vermißt er nicht die erfinftelten Reize deſſelben, bie über- 
jättigter Genuß hervorruft. Erinnerungen überftandener Ge- 
fahren, Leiden und Kummer, an denen fein Leben doch fo 
reich iſt, ſchwinden weit früher aus feinem Gepächtniffe als 
aus dem anderer Menfchen. 8 bebarf bei ihm micht einmal 
einer freudigen Anregung, die Sorgen der Vergangenheit zu 
verfcheuchen; e8. genügt fchon, daß das Zrübe nur für den 


55 


Augenblid gewichen ift. Ein ſchöner Tag, ein paar außer- 
gewöhnliche Freiſtunden find für ihn die glüdklichften Ereigniffe 
und laffen ihn alle Mühen und Befchwerben vergeffen, vie 
er ‚wochenlang mit fteter Gefahr für fein Leben ertragen 
bat. An folhen ſchönen Tagen und Freiftunden find bie 
Tropengegenven reich, und namentlich find e8 dann die Sonn- 
tage, an denen fich der Matroſe in feiner eigenthümlichen 
Individualität zeigt. Der Sonntag gehört ihm, er weiß, daß 
nur die äußerfte Noihwendigfeit an dieſem Zage feine Freiheit 
beeinträchtigen kann, daß, mit Ausnahme des für die Sicherheit 
bes Schiffes erforderlichen Poftenftehens am Ruder oder auf 
Ausgud, ihn nach der Mufterung und dem Gottespienfte Fein 
Dienft oder Erercitium behelligen wird, unb überläßt fich 
auf einen halben Tag gänzlich dem behaglichen Gefühl, fein 
eigener Herr zu fein. Natürlich hat auch dies feine Grenzen; 
allein am Sonntage find dieje bedeutend weiter geftedt ale an 
Wochentagen. Es wird ihm viel mehr nachgefehen als fonft, 
und felbft wenn ein fchallendes Gelächter aus hundert Kehlen 
die Räume des Schiffes erfüllt, gebietet der Offizier ber 
Wache feine Ruhe. Dergleichen laute Scenen ereignen fich 
aber an folhen Tagen. Ian Maat ift ein gar großer Freund 
von Heiterkeit und in feiner Heinen Welt vor dem Großmaft 
troß deren Beichränftheit Iuftig und guter Dinge. 

Es bedarf nur eines geringen Anlafies, feine Lachmuskeln 
in Thätigfeit zu ſetzen, und unter einer fo ftarfen Beſatzung, 
wie die eines Kriegsfchiffes ift, finden fich ſtets Perſönlich⸗ 
feiten, deren Humor Gelegenheit dazu gibt. 

Ein Hauptvergnügen für ihn ift, im Kreife der Kamera⸗ 
den Geſchichten anzuhören, wobei er eine unermübdliche Aus- 
bauer entfaltet. Die Erzähler kennen dieſe Tugend ihres 
Auditoriums; gewöhnlich find ihre Gefchichten baranf einge- 
richtet und endlos fang. Eine bejondere Eigenthümlichkeit je— 
doch, durch die fich Matrofenerzählungen faft ftets auszeichnen, 


56 


tft ihre Unverftändlichleit. Entweder haben fie gar feine Pointe, 
oder biefe wird burch bie Ausführlichfeit der Nebenumftände 
fo in den Hintergrund gebrängt, daß jeder anbere als ein 
Deatrofe nicht daraus Hug wird. Der feemännifche Ausdruck 
für erzählen — ein Garn ſpinnen — ift daher ungemein be- 
zeichnen. | 

Nach dem Gefchichtenerzählen kommt zunächft das Lieder⸗ 
fingen. Wenn e8 wahr it, daß böſe Menfchen feine Lieder 
haben, fo gehören die Seeleute zu ven fehr guten. Sie be- 
figen beren genug, und wenn auch viele davon das Schidfal 
ber mteiften Opern tbeilen, bei denen ber Text Nebenfache 
ift, find einige wieder vecht gut. Den meiften Anklang finden 
jedoch die eigentlichen Seemannsliever, bejonders wenn fie 
humoriftiicher Natur find und recht viel technijche Ausdrücke 
entbalten. 

Der Matroje ift fein Logiker, und dies äußert ſich aud 


in feinen Poeften, von denen manche ohne Vorderſatz gleich 


mit einem Nachſatze anfangen. As Brobe führe ich ben 
erften Vers eines Favoritliedes an: 
Denn, was ift wol des Seemanns Leben, 
Wie bald ift es um ihn geichehn! 
Ein Seemann muß in Aengften ſchweben, 
Wenn andere Leut’ zur Rube gehn. 
Der Berfaffer diefes rührenden Liedes foll ein poetifcher hel- 
goländer Fifcher fein. Jedenfalls ftedt der Kern des Pudels 
gleich im erften Verfe, und der Dichter fagt von vornherein, 
was ihm bei der Seefahrt am unangenehmften ift, ‚nämlich 
das Wachegeben. Darin ftimme ich nun vollftändig bei, 
namentlich hat aber die Hundewache (eine jehr treffende Be⸗ 
zeichnung) nachts von 12 —4 Uhr etwas Degoutirendes für 
mich. Auf diefer Wache gehen merkwürdigerweiſe alle Uhren 
zu langfam, und bie 4 Stunden find endlos. Ach, wie froh 
war ich fonft, wenn ich bei Beenbigung einer Reife jagen 
fonnte: Gottlob! Heute gehft du die legte Hundewache! 


57 


Ein guter Liederſänger an Bord genießt ebenfo wie ein 
guter Erzähler bei feinen Kameraden ungefähr daſſelbe An- 
ſehen wie weiland Homer bei den alten Griechen. Sft er, 
wie häufig der Fall, ein Freund von Grog, fo beeilen fich zehn, 
ihm einen Schlud ihrer Nation zu überlaffen; viefer ſchenkt 
ihm eine Rolle Zabad, jener wähcht für ihn Zeug, und alle 
beftreben fich, ihm zu Gefallen zu leben. 

Wenn die dienftlihen Einrichtungen dem Leben vor bem 
Mafte auch eine beftimmte Form geben, fo erinnert boch dieſes 
Leben ſehr an patriarchalifche Einrichtungen. Um ben Tenten ben 
Aufenthalt am Bord angenehm zu machen, ift ihnen vie Frei» 
heit gelaffen, ihre Zifehgenoffen, oder wie fte feemäunijch ge- 
nannt werben, ihre Badsmanten zu wählen. Infolge biefer 
Einrichtung bilden fich gewiffermaßen Familien, deren ein⸗ 
zelne Glieber in einem Bruberverhältniffe zueinander ftehen. 
Das oft mehrjährige Zufammenfein, gemeinjame Intereſſen, 
miteinander beitandene Gefahren und gleiche Erinnerungen 
fnüpfen das fie umfchlingende Band feiter, und nicht felten 
entfteht daraus eine treue Freundfchaft für das ganze Leben. 

Der Aeltefte an der Bad ift der jebesmalige Familien⸗ 
vater. Er fpielt den Vermittler, fchlichtet die vorkommenden 
Streitigfeiten, und feinen Ausſprüchen wird willig Folge gege- 
ben, wie überhaupt wol nirgends dem an Jahren Aeltern mehr 
Achtung erwiejen wird als an Bord. Der Seemann refpectirt 
nichts höher als fachliche Tüchtigleit und Weberlegenheit. ‘Da 
biefe aber eine Sache ver Erfahrung, und Selbjtüberfchätung 
ein Fehler ift, den man felten bei Matrofen findet, fo ordnet 
er auch in andern Beziehungen feine Anfichten benen ber er- 
fahrenen ältern Kameraden unter. 

Zwifchen den ältern und jüngern Seeleuten befteht des⸗ 
halb eine gewiſſe Schranke, die nur anf Augenblicke fällt, 
wenn ein gleiches Intereſſe ſie einander näher führt. Ge⸗ 
wöhnlich geſellen ſich die Leute von gleichem Alter zueinander 


58 


und e8 bilden ſich verjchievene Clubs, die ihre befonvern 
Sonntagsnackhmittags » Nendezuous haben. Die Kammer bes 
Botteliers, des mit ver Berausgabung des Proviants betrauten 
" Unteroffiziers, ift das nobelfte dieſer Caſinos. Hier verfammeln 
fih nur Auserwählte, Unteroffiziere und einige alte Matrofen. 
Sie erquicken fih bei einem Glafe Grog, das der Bottelier 
als Wirth aus den Erjparnifien der vergangenen Wochen re- 
jervirt hat. Um einen Borwand zu haben, biefen Grog 
möglichft ftark zu machen, werben Sonntags fehr häufig Ge- 
burtstage gefeiert, und man muß über die Familienanhänglich- 
feit der Betreffenden gerührt werden, wenn nacheinander die 
entfernteften Vettern, Confinen und Tanten an bie Reihe 
fommen. Die übrigen Gruppen find theils oben auf dem 
Deck, theil® in der Batterie und dem Hängemattenbed zer⸗ 
ſtreut, und überall herrſcht ein reges Leben. Hier quält fich 
ein Matrofe, mit der Flöte den Gejang einiger Kameraden zu 
begleiten, wobei Ießtere jedoch einen halben Ton zu tief into- 
niren und dann dem Tlötenbläfer über fein unbarmonifches 
Spiel Vorwürfe machen; dert verfucht ſich ein anderer auf 
einem Accorbion, deſſen Wände von Salzwaſſer aufgeweicht 
find und Nebenluft haben. Born im Bug find fämmtliche 
Schiffsjungen verjammelt. Ein unternehmender Kopf hat vie 
Idee angeregt, ein Theater einzurichten, und biefelbe ift mit 
ungemeinem Beifall aufgenommen. Soeben wird Generalprobe 
gehalten, und das zur Aufführung fommenve Stüd führt ven 
Namen „Todtenkopf“. Es ift ein an Bord felbft compo⸗ 
nirte8 Zrauerfpiel, deſſen Held, ein Seeräuberfapitän, bie 
Tochter des Herzogs von Parma entführt und infolge deſſen 
gehängt wird. Einer der jüngern Knaben fpielt die Tochter, 
fein Kleid ift aus einem Matragenbezuge gefertigt, die Crino⸗ 
line duch Faßreifen bergeftellt, und ein Kranz von weißen 
Rofen aus Manillahanf fchmüdt ven Kopf. Auch Eouliffen 
find vorhanden, auf denen Tannen von unbeftimmter Farbe 








59 . 

und Geftalt einen Wald barftellen. Der Vorhang ift durch 
zwei zufammengenähte Hängematten bergeftellt, und pie Luke 
zum Kabelgat bildet die Verfenfung. Das Orcheſter ift ziem- 
lich ſtark beſetzt. Es befteht aus einer Trommel, einem 
Aecordion, einer Flöte, einem Kamme und drei zu einem 
Triangel verbundenen Labeftöden. Die Offizierburjchen haben- 
die Requifiten geliefert, und fämmtliche Dolche ver Cadetten 
zieren bie Hüften von der „Zobtentopfs”-Bande. Die Probe fällt 
zur allgemeinen Befriedigung aus, und der Director beichließt, 
- am nächften Sontage die .erfte Borftellung zu geben und, bazı, 
auch das Offiziercorps einzuladen. 

Mittfchiffs Hat das Muſikcorps des Schiffes feinen Sitz 
aufgefchlagen, das aus zwölf Mitgliedern befteht. Der Kapell- 
meifter übt eine von ihm felbft componirte Winpftillen - Polfa 
ein und ift fehr verprießlih, daß es der Baßtuba nicht ge- 
lingen will, das Schlagen der Segel gegen bie Maften natür- 
lich wiederzugeben. 

Weiter nach Hinten fiten ein Dugend Matrojen und 
flechten Havannahſtroh zu Hüten, bie fie im warmen Klima ftatt 
der fchwarzen Wachstuchhüte tragen dürfen. Andere ftiden 
mit unenblicher Sorgfalt kunſtvolle Fußmatten mit bunter 
Baumwolle auf Segeltuch, bei denen fie monatelang be- 
tchäftigt find, um fie fpäter bem eriten beiten zu ſchenken, 
der fie darum bittet. 

An einigen Tiſchen, bie am Sonntage zur Bequemlichkeit 
per Mannschaft aufgefchlagen bleiben, wird ein Solo um bie 
morgende Grogportion gejpielt. Die Karten wollen jeboch 
nicht recht voneinander Taffen, und zum Kummer einiger 
Mitfpielenden, die ein gutes Blatt in der Hand haben, wird 
häufig vergeben. Hier Tiegen einige Leute auf dem Deck 
ſchlafend ausgeftredt, doch find es meiftens Seejoldaten, 
„Tümmler“ von ben Matrofen getauft; der Matrofe hat am 
Sonntage viel Wichtigeres zu thun als zu fchlafen. Dort find 





60 


anbere in bie Lectüre fchauriger Ritter⸗ und Geiftergefchichten 
vertieft, Die fie irgenpwo an Bord aufgetrieben haben. 

Der größte Theil der Mannfchaft macht fich jedoch das 
unvermeidliche Matrofen: Sonntagsvergnügen, ben Zeugjad 
umzupaden. Diefe Beichäftigung hat für San Maat einen 
eigenen Reiz, obwol es fchwer zu fagen ift, worin berfelbe 
eigentlich Liegt. Es wird dabei jedes einzelne Stüd ausein- 
ander genommen, genau befehen und ebenfo forgfältig wieber 
zufammengelegt, al8 fei es ein werthuoller Schatz. Beſonders 
wirb aber mit den eigenen Sachen geliebäugelt, die fich außer 
den gelieferten Uniformgegenftänpen im Sade befinden. Be⸗ 
jigt der Inhaber ein baummollenes oder gar feivenes Tafchen- 
tuch, fo fchlägt er jene Sachen forgfam in dafjelbe und gibt ihnen 
einen Plab in der Mitte des Sades, damit fie ja vor Be- 
ſchädigung gefichert find. 

So vergeht ver Nachmittag. Nach dem Abendeſſen fpielt 
die Mufif zum Tanz, und der Matrofentanz, der englifche 
Hornpipe, fest die Fußgelenke in Bewegung, bis die Eigen- 
thümer ermattet in eine Kanonenpforte finfen und fich bie 
erbigten Glieder in der frifch hereinftrömenven Brife Fühlen 
müſſen. Da fchlägt die Uhr acht, der Sonntag tft zu Ende, 
das Uhrwerf des täglichen ‘Dienftes wird von neuem aufge- 
zogen, um in gleihmäßigem Gange fortzulaufen. Die Wache 
bezieht das Ded, die Ronde wird vom erjten Offizier abge- 
halten, die Lichter gelöfcht, und niit dem fchrillenden Tone ver 
Bootsmannspfelfe und dem darauffolgenden Commando 
„Rube im Schiff” erftirbt das heitere Lachen und Schwaben 
zu einem leifen Gefumme Das Schiff wiegt fi Tangfam 
auf den gleichmäßigen Wogen, und nur ver halbftündige Auf 
ber Poſten „Alles wohl” unterbricht die nächtliche Ruhe. 





5. 


Die Reife zum Aequator. Der Weg bes Hydrographen Maury. Die 
Baffatwinde. Gewitter im Stiligürtel. Schreden bes Cap. Der Sturm 
in ber Johannisnacht. Ankunft in der Sunbaftraße. 


Auch für uns war die Reife zum Aequator ganz angenehm. 
Schönes warmes Wetter, ruhige See, in der das Schiff kaum 
merkliche Bewegungen machte, gute Verpflegung, da die von 
Teneriffa mitgenommenen Früchte, Eier u. f. w. ausreichten, 
dann und wann auch ein unverhofftes Frühſtück von fetten 
fliegenden Fiſchen, die wir nachts in ausgeſpannten Netzen 
fingen — kurz es war alles ſehr hübſch, die Zeit verging 
ſchnell und wir merkten kaum, daß wir auf See waren. 
Morgens nahm man ſein erfriſchendes Bad, ſaß nachher unter 
dem Sonnenſegel, las oder ſchrieb, hielt Nachmittags ein 
Schläfchen und ſchwatzte in der Abendkühle bei einer Cigarre 
von vergangenen und fommenben Zeiten, von der lieben Heimat, 
von Teneriffa und von Japan. 

Bon Teneriffa bis zur Linie hatten wir 21 Tage. Der 
Nordoſt⸗Paſſat war fehr ſchwach, und unfere ſtille Hoffnung, 
zum 20, Juli in Singapore zu fein, wurde dadurch fehr her- 
abgeftimmt. Wir wählten den neuen, von dem berühmten 
amerikaniſchen Hydrographen Maurh empfohlenen Weg, ver 


62 


zwifchen 29 und 30° weftl. Länge den Aequator fchneivet, 
während bie alte und von ben meilten Seeleuten noch be— 
folgte Route 150 Meilen öſtlicher zwifchen 18 und 21° führt. 

Sch glaube, es gibt faum eine Kaffe von Menfchen, bie 
mit größerer Zähigkeit am Althergebrachten hängt und ſchwerer 
an vortbeilhafte Neuerungen zu gewöhnen ift, als die See- 
leute. Dies zeigt fich namentlich wieder bei ven Segeldirectorien 
und Karten des Amerifaners Maury, die berfelbe mit Genie 
und beivundernswürbigem Fleiße feit zehn Jahren herausgibt 
und bie für die Schiffahrt einen ungemeinen Nuten haben. Ob⸗ 
wol dieſe Karten und Bücher nur das Reſume vieler Laufende 
von Schiffahrtstagebüchern find und, mit ängjtlicher Fernhal⸗ 
tung jeder, wenn auch der wahrfcheinlichiten Hypotheſe, ledig⸗ 
lich auf Erfahrungen und Thatſachen bafiren; obwol Maury 
in jeder jährlich erfcheinenden neuen Ausgabe feiner Directorien 
ſchlagend beweift, wie ein Schiff, das nach Oftindien, Auftra- 
lien u. f. w. geht, die Reife um 20— 30 Tage abfürzen könne, 
wenn es ben von ihm empfohlenen Weg nimmt; obwol enblich 
bie amerifanifche Regierung mit feltener Liberalität jeven See- 
mann, der eine Abjchrift feiner nautischen Zagebücher an das 
National-Objervatorium fendet, mit den Karten und Büchern 
befchenft, Hält es doch unglaublich fchwer, der Neuerung 
Eingang zu verichaffen. 

Weil im vorigen Jahrhundert einigemal fchwerfällige eng- 
liſche Transportfchiffe, welche die Linie weit weftlich fehnitten, 
Cap St. Rogue nicht abwettern fonnten und dort firandeten, 
ftebt das Cap in ver Einbildung aller alten Seeleute als ein 
Gefpenft da, welchem fie dadurch zu entfliehen fuchen, daß 
fie die Linie 150 Meilen söftlicher Freuzen und fomit, in- 
folge der dort vorherrjchenden Stillen, ihre Reifen um 10—15 
Tage verlängern. Sie mögen nicht begreifen, daß die Ueber» 
windung des Stromes bei St.⸗Roque für ein englifches Trans- 
portfchiff von 1780 vielleicht eine Unmöglichkeit war, daß dies 





63 


jedoch für unfere modernen Schiffe feine Schwierigkeit bat. 
Wir fürchteten uns. nicht vor dem Gefpenft, fehnitten die 
Linte auf 30° Weit und hatten nur 30 Stunden Stille, bis 


“ wir. ven Scupoft- Baflat fanden. 


Es ift befannt, daß von 30° nördl. Breite bis zur Linie 
‚ der Norboft- Baffatwind und ebenfo durch denſelben Breite- 
gürtel füblich vom Aequator der Süpoft » Pafjatwind ununter- 
brochen und in derſelben Weife weht, ſodaß dieſe beftänpigen Luft- 
ftröme die Refultate gleicher Urfachen find. Das Beftreben 
ber Atmofphäre, fich überall im Gleichgewicht zu halten, treibt 
bie Talte verbichtete Luft von den Polen nach dem Wequator, 
wo bie Einwirkung der Sonnenftrahlen die Luftfchichten ver- 
bünnt und ausdehnt. Imfolge der Umdrehung der Erbe, 
die gewiffermaßen unter dem Winde fortläuft, wird ber ur- 
fprünglich direct nad) Sübden und Norden gehende Luftftrom 
abgelenft und erhält im Norden des Aequators eine norböft- 
liche, im Süden deſſelben aber eine füdöftliche Richtung. Beide 
Luftſtröme treffen bei der Linie zufammen, und es entfteht ein 
Stilfgürtel, ver mit der Declination der Sonne mehrere 
Grave jährlich auf- und niederſchwankt. Dieſer Gürtel bat 
nach den von Maury darüber angeftellten Beobachtungen 
eine Keilform, deren ftumpfes Ende der afrifanifchen Küſte, 
beren jpißes dem amerifantichen Eontinente zugekehrt ift. 

Die von den beiden Luftftrömen mit bergeführten und in 
Auflöfung erhaltenen Wafferbänfte fteigen beim Zufammen- 
treffen mit ihren Trägern, ben Quftpartifeln, in bie Höhe, 
‚ eondenfiren in ben obern und bemgemäß fältern Schichten 
und ftrömen als Regen nieder, um dem Meere wieder zuzu- 
führen, was die Paffatiwinde ihm mährend ihres Fluges ge- 
nommen. Der Stillgürtel trägt daher mit Recht ven ihm 
von Maury beigelegten Namen Wolten« over Negenring, und 
feine Paſſage ift eine ver Kehrfeiten der Seefahrt. Schwüle 
Luft, Wafferhofen und ununterbrochene Gewitter, die bisweilen 


64 


von zwei bis drei Seiten zugleich am Horizonte auffteigen, 
find die fteten Begleiter dieſer Zone, und, abgefehen von allem 
anbern, iſt e8 ſchon deshalb jehr angenehm, ven Stillgürtel an 
feiner fchmalften Stelle, d. h. auf 30° Weft zu fchneiben. 

Trotzdem wurden wir von jenen Attributen nicht verfchont. 
Auf dem dritten Grad nördlicher Breite jchlief der Paſſatwind 
allmählich ein; ber bis bahin wolfenlofe Himmel bezog fich 
und verfündete ung bie Nähe der Linie. Einzelne Regenfchauer 
zogen worüber, und das Schiff ſchlich 24 Stunden nur noch 
im Schnedengang durch das Waffer. Gegen Abend bes 
zweiten Tages, nachdem wir ben Paffatwind verloren, wurde 
e8 ganz windftil. Die Segel fehlugen gegen die Maften und 
das Schiff prehte fich, ohne weiter dem Steuerruder zu ge- 
horchen, willenlos bald hier bald dorthin. Dunkles Gewölk 
309 fih am Horizonte zufammen, die Luft war ſchwül und 
brüdend; fie ruhte bleifchwer auf dem Menſchen und beengte 
die Bruſt. Selbſt vie Fifche fchienen ein gleiches Gefühl zu 
empfinden und fprangen hoch aus dem Waſſer, als fuchten 
fie Erleichterung. Die einzelnen Wolkengebilde vereinigten 
ſich zu compacten Maffen, deren untere Ränder ſchwarz und 
fchwer herabhingen und fich auf die Mleeresfläche zu ſenken 
ſchienen. Ihre Eontouren grenzten ſich fcharf auf dem weißlich 
grauen Hintergrunde des Himmels ab, und bie eigenthilmlichen 
Formationen der Wolfenberge machten einen unheimlichen Ein- 
brud. Langſam ftiegen fie zum Zenith empor und näberten 
fih dem Schiffe, als wollten fie e8 verfchlingen. 

Jetzt beginnen bie ſchwarzen Ränder fich fehnell zu ver 
ändern, und die ftarren Maſſen fcheinen Iebendig zu werben. 
Bald find es Scharfe Zaden, bald runde Bäuche, zu denen 
fie fich geftalten — hier trennen fie fich, Dort fließen fie in- 
einander. Eine tiefſchwarze trichterförmige Spitze ſchießt aus 
bem dunkelſten Theile des Gewölks. Bald mächtig anfchwelleun, 
bald zu einem fehmalen Streifen verfchwindend, zudt fie auf 





65 


und nieder. Jetzt dehnt fie fich gleichmäßig aus und fenkt 
fid weiter herab, eine drehende Bewegung ift an ihr wahrzu⸗ 
nehmen, mit ber fie fich in vie Tiefe des Meeres bohrt. — 
Immermehr nähert fich der ſchwarze Kegel unferm Schiffe, 
und feine Entfernung beträgt faum noch einige taufenb Schritte. 
Seine Form verändert fich zu einer am untern Ende zuge- 
fpisten Säule, die faft das Waſſer berührt. 

Blöglich beginnt e8 auch im Meere fih zu regen. Es 
ſchwillt unter ver Säule zu einem Berge und kocht wallend auf! 
Angezogen von der Freifenden Maſſe erhebt es fich immer höher. 
Mit branfendem Ziſchen erfolgt jeßt die Vereinigung beiver Ele 
mente, und Waffer und Wolfe, zu einem Einzigen verbunden, 
. wandeln mit verberbenfchwangern Schritten ihren Weg über bie 
Fläche des Dieeres. Wehe dem Schiffe, das dieſen Weg Freuzt] Es 
würde von ber Gewalt ber tofenden Mafje Hinabgezogen tn 
ven Schlund des Oceans oder maſtlos als hülfloſes Wrad 
aus der Krife hervorgehen. 

Wir hatten alle Vorbereitungen getroffen, um biefem Ger 
Ichie nicht zu verfallen; die Segel waren feſtgemacht und die 
Geſchütze geladen. 

Kaum noch 1000 Schritt iſt die Säule von uns entfernt; 
ihr Dunſtkreis hat bereits das Schiff erreicht und ein feiner 
Regen wie der Staub eines Waſſerfalles hüllt es ein. Das 
brauſende Geziſch wird lauter und unheimlicher, und es ift bie 
höchſte Zeit, das Ungethüm in feinem Laufe aufzuhalten. Das 
Commando „Teuer“ ertönt, das Schiff erzittert von ber 
Dreitjeite in den innerften Fugen, und pfeifend fliegen vie 
Kugeln in den Körper der Wafferhofe. Einen Augenblid er- 
folgt eine Todtenſtille. Da ift es, als fpaltete fich ver Erd⸗ 
ball, ein Schlag, als entlüben fich taufend Gewitter, er- 
ſchüttert die Atmofphäre, ein gewaltiger Windftoß heult durch 
bie Lüfte und legt das Schiff auf die Seite. Die Schleufen 
bes Himmels öffnen fich und überfluten das Fahrzeug; mit 

Berner. 1. 5 


66 


bumpfem Braufen tritt der mit ber Säule vereinigte Waffer- 
berg in fein Bett zurüd, und feine Wellen vollen rauſchend 
unter dem Schiffe fort. | | 
Die Gefahr ift vorüber, die Wafferhofe gefprengt. Nach 
furzer Zeit hört der gewaltige Negen auf; auch ver Sturm 
ſchweigt, und es ruht tiefe Stille auf dem Meere wie vorber. 
Indeſſen haben bie finftern Schatten der Nacht fich anf 
das Waſſer geſenkt und ringsum herrfcht Dunkel, fo tief, fe 
ſchwarz wie Grabesnacht. Kein freundliches: Geftirn durch⸗ 
bringt das ftarre Gewölk, das hoch immer am ganzen Himmel 
lagert, und hin und wieder aufflammenbes Wetterleuchten trägt 
nur dazu bei, die Finfterniß noch ſchwärzer erfcheinen zu laſſen. 
Bald werben die Richtfcheine häufiger und anbaltender, bis- 
weilen ift der ganze Horizont erleuchtet, als ftände er in 
Slammen. Dur die Stille der Nacht fchlägt das bumpfe 
Rollen des Donners an das Obr, und an verfchlenenen Himmels⸗ 
gegenden theilen zudende Blitze die drohenden Wolkengebilde. 
Drei Gewitter ziehen gegeneinander herauf und rüden mit 
langfamen Schritten zum Zenith empor. Die Atmofphäre 
ift mit eleftrifchen Stoffen gefchwängert, bie fich auch dem 
Waſſer mittheilen und jene wunderbare Erfcheinung hervor- 
rufen, welche man unter dem Namen Meeresleuchten Tennt. 
Noch zwar ift es nur ſchwach und mehr ein matter 
Schimmer, da die Wellenbewegung gering ift und beshalb bie 
phosphorescirenden Theilchen des Waſſers nicht in Friction 
gerathen; doch wird das Leuchten allmählich intenſiver und 
läßt bereits die Schönheit feiner vollſtändigen Entwickelung ahnen. 
Jetzt tönt der Donner näher und ununterbrochen wie das 
Getöſe einer fernen Schlacht. In grellem Licht flammen die 
Blitze durch die Finſterniß, aber nicht mehr von oben nach 
unten. Aus der glühenden Baſis des Wetterleuchtens am 
Horizonte ſtrahlen ſie empor zum Zenith, ein merkwürdiges 
Phänomen ver tropiſchen Natur, vie ſich dieſen Abend in furcht⸗ 





67 


bar ſchöner Weife zeigt. Jetzt ftoßen die Gewitter gegen- 
einander; Schlag auf Schlag erfolgt mit betäubendem Krachen 
und der Kampf ver Elemente läßt bie Atmoſphaͤre erzittern. 
Die ganze Natur iſt in Aufruhr! 

Sieh', welches wunderbare Leben gebiert die dunkle Tiefe! 
Der Ocean wallt, feine Wogen fchäumen, feine ſchwarze 
Fläche erglüht wie durch Zauber, Milfionen Sterne funfeln 
in ihm — er ift zum Feuermeere geworden! Feurige Fifche 


ſchießen durch die Fluten und Hinterlaffen lange Streifen grün- 


lich ſchimmernden Lichtes, als ob endloſe Schlangen fich da⸗ 
hinwänden. Glühende Duallen wälzen fich träge unter ber 
Oberfläche, unbelanntes Gethier wogt durcheinander wie 
glänzende Meteore, und die am Schiffe fich brechenden Wellen 
zeritäuben in ftrahlendem Sprühregen. Soweit das Auge 
reicht, erblickt es nur Eine Glut, deren Widerfchein fich am 
bunfeln Himmel abfpiegelt. 

Auch in den Lüften beginnt es zu leuchten. Die elektrifchen 
Stoffe concentriven fich, und auf den eifenbefchlagenen Spiten. 
ver Majten, Raaen und Gaffeln entzünven fich blaue Flämm- 
chen, die Elmsfeuer. Wie Irrlichter tanzen und fladern fie 
auf und nieder in unheimlichem Scheine und erfüllen mit 
Schreden die Gemüther ver abergläubifchen Matrofen, die in 
ihnen die Seelen im Meere verunglücter Kameraden er- 
bliden. 

Noch immer dauert der Kampf der Gewitter mit unge- 
ſchwächter Wuth fort; die Blige flammen fprühend, der Donner 
kracht, als nahte das Jüngſte Gericht, und das Schiff ſchwankt 
bingegeben den Wogen, die fich immer mächtiger heben. 

Da ſenkt fih das ſchwarze Gewölk und fchättet abermals 
in gewaltigen Strömen feinen Inhalt aus. Das von Süpen 
auffteigenve Gewitter hat gefiegt; mit dem helfenden Winve, 
der fich jegt erhebt und dem der Seegang voranlief, treibt 
e8 die übermwältigten Gegner vor fih her. In Süden aber 

5 * 


68 


zeigt fich eine Tichte Stelle am Firmamente, die fich ſchnell 
ausbreitet. Die blauen Flämmchen auf den Maſiſpitzen er- 
löſchen, der Schein des Meeres wirb matter und fein Ster- 
nenbeer erbleiht. Kine andere Sternenpracht entfaltet jich 
am bfauen Azur, der den Himmel wieder deckt, und ftrahlt 
in dem reinen Aether mit poppeltem Glanze. Nur im Norben 
lagert noch eine bunfle Bank, an deren Saum bisweilen ein 
bleiher Schein bHinzittert. Ein frifcher Wind ſchwellt bie 
Segel. Wir haben den Stiligärtel überwunden, und ber 
Süpoft-Paffat führt uns mit fehnellen Schritten nach Süden. 

Am 29. Mai paffirten wir die Linie; e8 geſchah harm⸗ 
und geräufchlos. Die berühmte Taufe mit allen ihren oft 
befchriebenen Attributen fiel fort, obwol über die Hälfte ver 
Beſatzung reif für Neptun's NRafirmefler war. Die Weltlich- 
feit war aus guten Gründen unterfagt. Sie ft ein Ueber- 
bleibfel früherer feemännijcher Roheit und artet gar zu leicht 
aus. Das plögliche Lockern der ftrengen Disciplin wird felten 
von den Matroſen richtig verftanden; es folgen Exceffe, bie 
nicht ungeahndet bleiben können, und deren Confequenzen oft 
ſchwere Strafen find. Um dem vorzubeugen, wurde bie Taufe 
officiell verboten; damit war der Zwed erreicht. Wenn die Taufe 
nun auch im Heimen und insgeheim ftattfand, fo hielt fie fich 
boch innerhalb ber rechten Schranken, und ein Ertraglas Grog 
erheiterte die Mannfchaft gerade fo viel, als wünſchenswerth 
war. 

Der Südoft- Bafjatwind bläft frifcher als der Norvoft und 
wie diefer und alle periobifhen Winde in einer Curve, zuerft 
füplicher, dann allmählich fich herumziehend durch Oft und 
Nord, bis man fünlih vom 30. Grade füblicher Breite in 
den Gegenftrom ber weftlichen Winde gelangt, mit denen man 
eine Strede von nahe 1500 deutſchen Meilen in öftlicher 
Richtung fegelt, um entweder Auftralien zu erreichen oder kurz 
vorher nörblich zu fteuern, wenn man, wie wir, nach Oſtindien 


69 


ımd China will. Man befchreibt daher bis zum Meridian 
bes Cap ber guten Hoffnung einen bedeutenden Umweg und 
kommt der brafilianifchen Küfte ziemlich nahe. 

Auf der Höhe von Bahia wurde der Wind etwas flauer. 
Die See war ziemlich ruhig, und wir konnten einem uns begegnen⸗ 
den engliſchen Schiffe Briefe mitgeben. Das Packet war 
ziemlich groß; ein jeder wollte die günſtige Gelegenheit be- 
nugen, um bie Seinen zu Haufe durch ein paar unverhoffte 
Zeilen zu erfreuen, und mandher ſah lange dem entſchwinden⸗ 
ven Schiffe nah. March tiefer Seufzer fprach heimlich: Ach 
fünnteft bu mit ihm gehen! Auch mein Gedanke war es. 

Ein fehr hübſcher Zug im Charafter der Seeleute ift vie 
Gewiſſenhaftigkeit, mit der die ihnen anvertrauten Briefe un- 
entgeltlich bejorgt werben. Mögen fie noch fo lange Zeit won 
der Heimat entfernt gewejen fein, die Abgabe der Briefe zur 
Boft, die Üeberzeugung, daß fie wirklich in fichere Hände ge- 
langt find, betrachten fie vor allem andern als bie Erfüllung 
einer heiligen Pflicht und felten gehen Briefe verloren, wenn 
fie Schiffen mitgegeben werben, die ihren Beltimmungsort 
erreichen. In der Neuzeit find zwar faft auf der ganzen Erbe 
zwifchen ven belebteften Plägen regelmäßige Poftverbindungen 
durch Dampfichiffahrt eingerichtet; allein es ift zu verwundern, 
wie bisweilen troßbem Briefe jahrelang Hinter den Adreſſaten 
berlaufen und fie an Punkten erreichen, die von dem erften 
Aufenthaltsorte Laufende von Meilen entfernt find, und deren 
Adrefje nicht einen Hafen bezeichnet, fonvern ein ganzes 
Land umfaßt. So erhielten wir nah 13 Monaten Briefe 
aus der Heimat im Golf von Petſchili (Nordchina), die nach 
Montevideo gerichtet waren, wohin wir zuerft gehen follten. 
Dort war befannt, daß das Geſchwader nach China gegangeıt 
jet, und die Poftbehörve fchrieb varauf, China or elsewhere: 
— China oder ſonſtwo. Da feine directe Verbindung zwifchen 

Sütamerifa und China befteht, gingen die Briefe wieder nach 


70 


England und von dort Über Singapore nach China von 
einem Plate zum andern, bis fie uns auf der Rhede von 
Zientfin trafen. - Während unferer ganzen 2%, jährigen Ab- 
weſenheit iſt auch nicht ein einziger an uns gerichteter Brief 
verloren gegangen! 

Mit vem Paffiren des fühlichen Wenpefreifes nahm das 
gute Wetter von uns Abfchien, und jet kamen acht lange 
Wochen, um bie wir nicht zu beneiden waren. Bei einer 
Reife um das Cap der guten Hoffnung, namentlich im Winter, 
ift man ſtets ſchon von vornherein auf Feine angenehme Fahrt 
gefaßt, und man läßt fich gern einen, zwei, auch drei Stürme 
. gefallen. Mein Gott! ohne Stürme würde ja die Seefahrt 
allen Reiz, alles Pikante verlieren; aber ein ftebenwöchent- 
licher Sturm mit Pauſen von höchſtens fechs bis acht Stun- 
ben — da bört alle Gemüthlichfeit auf. 

Wir waren bereits in die Myſterien des Cap feit 14 Tagen 
eingeweiht, als der Johannistag allem vie Krone auffegte 
und uns mit einem Sturme beglüdte, gegen den bie Hunderte 
von Stürmen, welche ich in meiner feemännifchen Laufbahn 
erlebt, nur Kinderſpiel waren. Sekt, wo ich an jene Zeit zurüd- 
denke, hat fie viel won ihren Schreden verloren; manche tomifche 
Momente, die damals nicht beachtet wurden, treten nım 
deutlicher in der Erinnerung hervor und dienen als freundliche 
Staffage des Bildes; aber die Nacht vom 24. auf ven 25. 
Juni war bie fchredlichite, Die ich je erlebt, und der liebe Gott 

möge mich vor einer zweiten folchen bewahren. 

Schon am Morgen des 24. Juni verkündete graues bleis 
farbiges Gewölk, das mit feinen weißlichen Kuppen wie eine 
Mauer im Norden und Weiten lagerte, das Herannahen von 
ichlechtem Wetter. Die Captauben, Sturmtaudher, Albatroffe 
und andere Vögel jammelten fih in Scharen Hinter dem 
Schiffe und umfchwärmten es mit großem  Gefchrei. 
Die See Tief in Immer höhern Wellen heran und brad 








‘1 


troß des verhältnißmäßig geringen Windes mit bonnerndem 
Geräufch zufammen. Das Barometer, dieſer treue Führer 
bes Seemanns, fing an zu finfen, und die aufgehende Sonne 
zeichnete an der ftarren Wolkenmaſſe im Welten einen Regen- 
bogen mit ungewöhnlich lebhaften Farben. ‚Regenbogen am 
Morgen bringt dem Seemann Noth und Sorgen“, heißt bei 
uns ein altberühmtes Sprichwort, und wir fäumten denn auch 
nicht, Vorbereitungen für den fommenden Sturm zu treffen. 
Diefer ließ nicht lange auf fich warten. Morgens um 10 Uhr 
fuhren wir noch unter allen Segeln, und nachmittags um halb 
3 Uhr war bis auf zwei Heine Sturm-Stagfegel bereits alles 
feft gemadt. Der Sturm beulte in der Takelage, und bie 
See rvollte Berge heran, als wollte fie das Niefengebirge 
plajtifch darſtellen. Bis jeßt war e8 eins der gewöhnlichen 
Unwetter, deren Heimat das Gap ift, aber das ftete Fallen 
bed Barometers deutete an, daß wir uns auf eine fchlimme 
Nacht gefaßt zu machen hatten. | | 

Bon 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags war das 
Barometer nicht weniger als -einen Zoll gefallen, und noch 
immer wich es mit tief concaver Oberfläche ftündfich faft um 
einen Zehntelzoll. Der Himmel zeigte jene gleichförmige graue 
Dede, die weder Sonne noch Sterne burchläßt und in ihrer 
jtarren Ungebrochenheit fchwer auf den Gemüthern laſtet. Es 
war Neumond, und die Nacht begann fchon bald nach 4 Uhr 
mit feltener Dunfelheit. Der Sturm wuchs ſtündlich und 
wühlte eine See herauf, als wollte er ven Meeresgrund bloßlegen. 

Um 8 Uhr abends trat der erjte Act des nächtlichen 
Dramas in Scene. Das Hintere Sturm-Stagjegel Tonnte, 
obwol es ganz neu war, ber Kraft des Windes nicht mehr 
widerſtehen. Es zerriß mit einem Knall, als würde eine 
Kanone abgefeuert, peitfchte mit zwei bis drei gewaltigen 
Schlägen in die Luft und flog dann, in Stüde zerfegt, in bie 
dunkle Nacht binaus. Das Barometer ftand auf 29”0 und 


72 


fiel noch immer ſchnell. Es wurde uns unheimlich zu Muthe; 
einen folhen Sturm hatte noch Keiner von uns erlebt. „Es 
kann doch nicht härter wehen“, fagten wir uns, aber es heulte 
immer braufender durch die Zufelage und die Wafferberge 
fhürmten fi immer höher. Bis dahin war der Wind lang- 
fam von Norboft bi8 Nord gegangen, jetzt fprang er mit 
einemmale auf Norbweft, und es entftanden baburch Seen 
in verſchiedenen Richtungen, die das Schiff wie einen Feder⸗ 
ball Hin= und herwarfen und es bie furchtbarften Bewegungen 
machen Tiefen. Es war faum möglich, fich Feitzuhalten, und 
das Schiff holte oft 4„0 — 45 Grad nach beiden Seiten über. 
Ih ftand mit dem wachthabenden Offizier und Unteroffizier 
an der Windfeite auf dem Hinterded, als gegen 10 Uhr 
nachts plögli eine Sturzjee über das Schiff brach. Wir 
wurden alle brei von der gewaltigen Waffermaffe, die das 
ganze Deck überflutete, fortgeriffen und vollftändig in ihr be- 
graben. Durch weldyes Wunder es geſchah, daß wir nicht über 
Bord gefpült wurden, ift mir noch jegt ein Näthfel. Ich fand 
mich etwa 30 Schritt weiter in Lee unter ein paar Treppen wieder, 
und als ich mich, halb betäubt und erfticht, wieder an bie Winpfeite 
gearbeitet hatte, kamen auch meine Leivensgefährten zum Bor- 
ſchein. Der Offizier war fehs Fuß über Ded gehoben und 
von einer nach den Majten führenden Stricleiter wie in einem 
Netzwerk aufgefangen worden. Der Unteroffizier dagegen war 
burd) die Wand der auf dem Ded befindlichen Kajüte in die 
Kammer des erſten Offiziers geſchlagen, der auf die unan- 
genehmfte Weife gewedt wurde, ba das feine Kammer voll- 
ftändig erfüllende Waffer ihn beinahe erjticte. 
Merkwürbigerweife hatte niemand von uns außer einigen 
leichten Contuftonen Beſchädigungen erlitten. Die Sturzfee 
batte indeffen das Verdeck gründlich aufgeflart, das Backbord⸗ 
Seitenboot zerfehlagen, das Steuerborbboot ganz fortgenommen 
und die eifernen Krahne, an denen es. hing, abgebrochen, die - 





173 


in dee Mitte ftehende Dampfbarkaffe gefüllt, deren Befeſti⸗ 
gungsbolzen aus dem Deck geriffen und diefe nach Lee gefchleu- 
dert, die zugenagelten Luken aufgebrochen, auch bei ihrer 
Rundreiſe eine fabelhafte Razzia unter ven auf Deck befind⸗ 
fihen Gegenftänven gehalten und das Meifte mit über Bord 
geriffen. Wenn ber Augenblick nicht fo furchtbar ernft gewefen 
wäre, hätte man über das Chaos, welches theilweiſe aufßen- 
bords, theilweife auf dem Verdeck mit dem nur langfam ab- 
fließenden Waffer Hin» und berflutete, lachen können. Die 
heterogenften Gegenftänte ſah man hier bei dem Wiberfchein 
der in grünlichem Lichte Schäumenden Wogen auf» und neben- 
einander ſchwimmen und bald hier» bald borthin gefchleubert, 
big fie entweder zerträmmert ober über Bord gefpült waren. 
Bier ſchwabberten ein paar Hühnerftälle, deren Infaffen ein 
furchtbares Gejchrei erhoben, dort Eimer, Wafchtonnen und 
Kochgeſchirr; bier ein aus ven Kafüten geſchwemmter Stuhl, dort 
Wafchbeden, Betten und Wäſche. Dazwilchen quielten vie 
aus ihren Ställen verſchwemmten Schweine und man hörte 
ihre burchbringenden Angftrufe bald vorn im Schiff, bald 
hinten in der Kafüte, je nachdem fie von dem hin⸗ und her- 
flutenden Waffer hier» oder dorthin getragen wurden. 

In der Kajüte und in unfern Kammern jah es womöglich 
noch fchlimmer aus. Die See war in, alle gebrungen und 
hatte mit fich fortgeführt, was nicht niet» und nagelfeft war. 
An Retten war natürlich nicht zu denken. Dean Hatte genug 
zu thun, um fich felbit feitzuhalten. Alles, was vor ber 
Vernichtung geborgen wurde, waren zwei Schweine, bie fo 
in unfere Nähe trieben, daß wir ſie greifen und in eine Leer» 
ftehende Kammer fperren konnten. Alles andere mußten wir 
ruhig ſchwimmen lafjen, bis fich- das Waffer verlaufen hatte, 
Kaum war dies gefchehen, als an verfelben Stelle noch eine 
zweite Sturzſee überbrach, die zwar nicht fo heftig als die erfte 
war, jeboch noch Unheil genug anrichtete, da fte bereits Thür und 


74 


Thor geöffnet fand und leichtes Spiel hatte Wir hatten 
ung biesmal feitgebunden und kamen daher mit dem Falten 
Bade davon. Dies Bad war übrigens keineswegs eine 
Annehmlichkeit, venn das Thermometer zeigte 2° Reaumur. Trotz 
unſerer Regenmäntel und hohen Gummiftiefeln hatten wir feinen 
trodenen Faden am Körper und in jedem der Stiefel befand fich 
minbeftens ein halber Eimer Wafjer. An Umziehen war unter 
folchen Umftänden nicht zu venfen, und unfere Situation war 
ſchon darum nicht gerade beneivenswertb. Trotzdem fühlten wir 
uns warm! In zehn Minuten zwei Sturzfeen, die fo ziemlich 
Har Ded gemacht hatten, und troß des ſchweren Sturmes 
noch immer fallendes Barometer, das um 11 Uhr jchon auf 
28”,7 ftand und noch eine concave Oberfläche zeigte — das 
‘war fein Spaß und konnte wol unheimliche Gefühle erregen. 
Indeſſen Hatte e8 bei den beiden Sturzfeen fein Bewenden, und 
das Schiff lag fortan prächtig bei. 

Um 12 Uhr mitternachts ſtand endlich das Barometer ſtill 
und machte Miene zum Steigen. Wir fühlten uns ſehr er⸗ 
leichtert bei diefer Wahrnehmung, aber fo leichten SKaufes 
jollten wir nicht davontommen. Bon 12—2 Uhr erreichte 
ber Sturm feinen Höhepunkt; das war fein Sturm mehr, 
jondern ein Orkan. Mein Gott! Ich Habe nie geglaubt, daß 
e8 fo viel Wind in der Welt geben Fünnte. Das: Schiff lag 
ohne ein Stüd Segel fo ſchief, daß die Leeverfchanzung brei 
bis vier Fuß unter Waller ftand. Die ganze See war ein 
fochenver glühender Schaum, ver Cyklon brüllte in der Take⸗ 
Inge, daß wir jeven Augenblid erwarteten, er werbe die Maften 
abbrechen oder das Schiff Tentern, und wir ftanden Klar, um 
die Maften zu Tappen. Einer unferer Unteroffiziere äußerte: 
„Das weht nicht, das ſchmeißt ja heute Nacht Wind”. Der 
Ausprud war bezeichnend. Bei den einzelnen Stößen rudte 
das Schiff ein, als ob folide Maſſen vagegengeworfen würden. 

Man follte faum glauben, daß ein Fahrzeug ein folches Un- 








75 


wetter aushalten könnte, und bisweilen bezweifelte ich es felbft. 
Doch die Elbe bewährte ſich prächtig; die Pumpe zeigte nicht 
mehr Waſſer, als das Schiff gewöhnlich bei fchlechtem Wetter 
machte, und das war eine große Beruhigung. Aber vie beiden 
Stunden wurden uns troßpem erfchredlich Yang, wie überhaupt 
bie ganze Nacht. Um 2 Uhr morgens ftand das Barometer 
fchon wieder auf 290. Das Wetter mußte danach entjchieden 
beifer werben, und es fprach dafür auch ein anderes Wahr⸗ 
zeichen: die graue gleichmäßige Dede brach fi, auf fünf 
Minuten fam der blaue Himmel zum Vorfchein. „Wenn nur 
jo viel Blau am Himmel ift, daß man fich eine ade davon 
machen laffen fann, dann wird's auch befjeres Wetter”, fagten 
unfere Matroſen, und fie hatten recht. Die Venus fchaute fo heil 
wie eine Sonne durch ven Wolkenriß, als wollte fie uns 
fagen: „Verzagt nicht, bier oben wird .über euch gemacht!” 
und ihr freundlicher Blick verfehlte feine Wirkung auf die 
Semüther nit. „Da ift ein Stern”! rief aus aller 
Munde in frendigem Zone, und nach wenigen Minuten brad) 
fich auch die Gewalt des Orkans. Wenn auch nur langſam, 
ließ feine Wuth doch nach; es traten Paufen ein, die all 
mählich bis zum Morgen immer länger wurben.. Die Wolfen 
zerriffen immer mehr, ein Stern nach dem andern trat hinter 
ihnen hervor. Bald funfelte im lichten Glanze das ganze 
Heer am wolfenfreien Himmel, und endlich ſchimmerte auch 
bie Tangerfehnte Morgenröthe im Often. Gottlob! e8 wurbe 
Tag — Tag nach einer langen Nacht, ber längften, die ich 
je erlebte. 

Die Sonne ging ftrahlend aus dem Horizonte auf, aber 
erft jet jahen wir, in welch furchtbarem Kampfe mit ven 
Elementen. wir begriffen waren. Die von dem Orkane her- 
aufgewählte See war graufenerregend. Der Wind hatte fich 
mehr füplich gezogen, und das ihm folgenne Schiff lag jetzt 
mit dem Kopfe recht gegen die See, ſodaß wir ihre wirk- 


176 


lihe Größe ermeifen konnten. Nach wifienfchaftlichen Beob⸗ 
achlungen follen vie fchwerften Wellen nur eine Höhe von 
32 Fuß erreichen, aber an jenem Morgen bezweifelten wir 
biefe Angabe, fie waren minbeftens 45 Fuß hoch. Wenn bie 
foloffalen Wafferberge, von denen ftetS drei auf einmal folgen, 
ehe eine Paufe eintritt, auf uns ſich zumälgten, ber erfte unter 
dem Schiffe fortrolfte und letteres num unter einem Winkel 
von 45 Grab in das Thal hinunter ſchoß, war es uns, als - 
ob wir für immer in einen enblofen Abgrund hinabftürzten, 
bis wir plöglich wieder auf fchwindelnder Höhe ſchwebten, wenn 
bie zweite und dritte Welle uns auf ihrem gewaltigen Rüden 
emportrug. 

Es war ein großartiges Naturfchaufpiel; aber dieſe Ma- 
jeftät des Meeres war grauſenerregend, und wir fühlten une 
herzlich froh, als im Laufe des Tages bie orfanähnlichen 
Hagel» und Schneebden endlich aufhörten und fich der Ocean 
etwas beruhigen Tonnte. Nachmittags Tonnten wir wieder 
fegeln und barangehen, unfer Schiff in Ordnung zu bringen, 
das fchredlich gelitten hatte. Am Morgen ſah es aus wie 
ein Schlachtfeld, auf dem ein Kampf auf Leben und Tod 
gefämpft worden. Alles war zerfchlagen, beſchädigt oder über 
Bord geſpült. Sämmtlihes Tauwerk fchleppte draußen im 
Waſſer, und in unfern Kajüten fah es nicht erfrenlicher aus. 
Hier fehlte dies, dort jenes; unſer ſchönes Fortepiano, das 
uns fo mandhe.Stunde erbeitert, lag in Trümmern. Spiegel, 
Bilder, Bücher, Betten, Wäſche — alles war. zerbrochen, 
aufgeweicht oder ruinirt. In meiner Kammer war mein Xieb- 
ling, ein reizender Spaniolhund, der mir auf Lanzarote ge 
ſchenkt worden, ertrunfen. Nur die Schweine waren gerettet 
und lagen mit dem vor Angft halb toten Offiziersfelfner in 
der Kammer, in welche wir fie in ber Nacht gefperrt hatten. 

So enbete der Iohannistag, der fich bei ung ein ewiges An⸗ 
denken gefichert bat und ben wir nie wieder auf ſolche Weiſe 








17 


zu begeben wünjchen. Freilich trat damit noch lange fein 
gutes Wetter ein. Wir befanden uns im einer Gegend, welche, 
wie den Biscahiſchen Dieerbufen und Cap Hoorn, bie Seplente 
Sturmbrauerei. nennen. Die großen geölten Röcke, bie 
Süpwefter (Regenfappen) und die Bummiftiefeln famen faum 
nachts von unferm Körper. Wir ſchwammen fürmlich im 
Waller, das jeben Angenblid anf das Ded und in umnfere 
Wohnungen ftürzte. Run, wit Einem Worte, es war höchſt 
unerfrenlich und die Reife nach Japan feine Kleinigkeit. 
Ewig fann e8.doch nicht fo bleiben — war unſer philo⸗ 
jophifcher Troft, und es blieb auch nicht fo. Eine Gewitter- 
bö, die fich von dem Orkan in ver Iohannisnacht nur durch 
fürzere Dauer unterfchieb, dagegen aber einen Wolfenbruch 
über uns ansfchüttete, der bie Sturzjeen faft erſetzte, ſchloß 
mit einem gewaltigen Knalleffect das Drama des Capivetters, 
das uns zwar unenblich viel Ungemach, aber, Gott ſei Dank! 
fein größeres Unglück gebracht hatte. Unfer Bootsmann, ven 


die zweite Sturzjee der Johannisnacht gegen den Befahnbaum 


gefchleubert und ihm beide Knie gebrochen hatte, war auch wie- 
der fo weit hergeitellt, daß nichts für ihn zu fürchten bfieb. 
D, wie wonnig fam e8 uns vor, endlich einmal wieder 
ein trodenes Ded zu haben, als wir jet, norbwärts ſteuernd, 
uns den Tropen näberten! Wie angenehm war e8, die Segel 
bon einem janften Winde gejchwellt zu fehen und bie ſchöne 
warme Luft mit vollen Zügen einzufchlürfen ! 
Alles vergangene Leid war vergeffen. Wol oft wurde ber 
leßtern Zeit und namentlich jener Johannisnacht gedacht, 
aber alle grellen Farben des Bildes waren verwifcht, und 
wir dachten jet nur an bie Annehmlichkeit unferer Zukunft. 
Acht Wochen lang waren wir einfam auf dem Waffer ge- 
ſchwommen, ohne etwas anderes zur Gefellichaft zu haben als bie 
Sturmvögel, die freifchend unfer Schiff umfchwärmten und 
mit gieriger Haft auf alle Abfälle hinabftießen, die über Bord 


78 


geworfen wurben, und jich oft dutzendweis an einem Tage an 
den für fie ausgehängten Angeln fingen, um mit Pergament- 
zetteln, auf denen ver Tag ihres Fanges vermerft war, um 
Fuß oder Hals wieder freigelaffen zu werden. Da erblicten 
wir eines Morgens ein Segel binter uns, das ein Notbfignal 
gehißt hatte. Wir hielten fogleich auf daſſelbe ab und waren 
nicht wenig erfreut, in dem Schiffe einen Landsmann, einen 
Preußen zu finden, ver, gleichfalls nach Singapore beitimmt, 
um ärztliche Hülfe für einen fchweren Kranken bat. Sie 
wurbe ihm natürlich fofort gewährt, und bet biefer Gelegenheit 
erfuhren wir, daß es der „Johanna Wagner‘, jo hieß das 
Schiff, beim Cap nicht viel beffer ergangen war als uns 
felbft. Zwar hatte fie fi am 24. Suni circa 150 Meilen 
dftlich von uns befunden und von dem Cyhklon nur den fchweren 
Seegang, aber zu anderer Zeit Sturm genug gehabt und 
Raaen und Stengen verloren. Wir fegelten mehrere Tage 
zufammen und trafen nach vierzehn Tagen gleichzeitig in ber 
Sundaftraße ein, wo wir am 1. Auguft bei ver Kleinen Stabt 
Anjer auf Java anferten. Nach zwölfmöchentlichen Strapazen- 
fonnten wir uns endlich einen Zag Ruhe gönnen. 





6. 


Schönheit ber Tropennatur. Treiben auf ber Rhede von Anjer. Die 
Banka⸗ und die Riowftraße. Zufanmentreffen des Geſchwaders anf ber 
Rhede von Singapore. Infel und Stadt Singapore. Gemifh und 
Charakter der Nationalitäten. Das gefchäftliche Treiben. Tempel ber 
Hindu und Chinefen. Die großartigen Hanbelsverhältniffe "des Platzes. 
Die deutfhen Handelshäuferr. Die Tigerplage. Die Familie des 
Maharadſcha von Diohore. Prinz Abubalar. Abfahrt nah China und 
Japan. 


Ehe wir nach Anjer kamen, mußten wir zwei Tage in der 
Sundaftraße freuzen. Wir konnten dabei bald die Schön- 
heit und Ueppigkeit ber tropifchen Vegetation auf ben fanft 
gewellten Hügeln Savas, bald die majeftätifchen Bergkegel 
und Vulkane des gegenüberliegenden Sumatra bewundern, und 
uns an ben Hunderten ver Heinen Tieblichen Inſeln ergögen, 
die, von Korallen aus der Tiefe emporgebaut und im Laufe 
der Jahrhunderte mit angeſchwemmtem Humus bevedt, jet in 
faftigem Grün prangen und wie ftrahlende Dafen auf ven 
lichtblauen Fluten ſchweben. Das fchönfte Wetter begleitete 
uns. ine feharfe Seebrife fühlte während des Tages bie 
Atmosphäre, und Abends trug der Landwind bie Foftbarften 
Blumendüfte zu uns berüber. Eine ſolche Seefahrt kann man 
ſich noch gefallen laſſen. Dieſe zwei Tage entfprachen unge⸗ 


80 


fähr dem Phantaſiebilde, das der Landbewohner ſich von einer 
Reiſe nach Oſtindien entwirft, da ſich für alle Sinne Schönes 
und Intereſſantes bot. 

Die Gegend um Anjer ſelbſt ift ein wahres Paradies. 
Unten am Strande erftreden fich große Wälder von Kofos- 
palmen und Bananen. Die Häufer des Städtchens, theils euro⸗ 
päiſch, theils malaiiſch, verſtecken fich in dem dichten Grün 
der fie umgebenden Pflanzungen, und im Hintergrunde erhebt 
fich ein fteil anfteigender Höhenzug, deſſen einzelne Felſen in 
grotesfen Formen fich geftalten und von himmelanſtrebenden 
Bäumen eines undurchbringlichen Urwaldes gekrönt find. Es 
ift ein Punkt, wo jedem Befucher unwillfürlic der Gedanke 
auffteigt: Hier möchteft du bleiben, bier muß ber Himmel 
auf Erven fein! 

Haft alle Schiffe, die von: Europa durch die Sundaſtraße 
nach Hinterindien oder China gehen oder von hier nach dort 
zurückkehren, legen in Anjer an, um ſich an ſeinen Erzeug⸗ 
niſſen zu erquicken und Erfriſchungen einzunehmen. Man ſieht 
daher faſt immer eine kleine Flotte auf der Rhede und dies 
gewährt meiſtens ein Bild von lebhafter und origineller Fär⸗ 
bung. Ein Schwarm malaüfcher Boote empfängt das an- 
ſegelnde Schiff und folgt wie ein langer Schweif im Kiel- 
waſſer des Fahrzeugs. Kaum ift der Anfer im Grunde, fo 
ftürmen pie Boote Tängfeit; ihre Infaffen klimmen wie bie 
Kagen an Bord, und in einem Moment iſt das ganze Deck 
in einen Markt verwandelt. Was nun Herz und Mund 
eines Seereifenden -fich wünfchen kann, findet er hier lockend 
bor fich ausgebreitet, und wie jenes befannte Thier zwilchen 
ben beiven Heubündeln fteht er zweifelhaft, was er zunächit 
wählen foll, während er von einem Dutzend der braunen 
Berfäufer zu gleicher Zeit mit Anpreifungen in allen möglichen 
Sprachbroden beftürmt wird. Dort Tiegen Büſchel gologelber 
Bananen, hier die grüne Kofosnuß, während ver unfchein- 





81 


bare Mangoftin in feiner mohnlopfähnlichen ſchwarzen Hülle, 
die Eoftbarfte Frucht der Tropen, nur von ben Kennern aufe 
gefucht wird. Ananas, Guaven, Pampelmus — riefige Apfel- 
finen von der Größe eines Kopfes — Tamarinden, Apfel- 
finen winken bier in lockender Geftal. An einer andern 
Stelfe ruft ein Korb mit Eiern heimatliche Erinnerungen wach 
und leitet unfere Gedanken auf den Wohlgeſchmack eines Eier- 
fuchens. Auch Hühner, das ganze Dugend für einen Thaler 
(wie verführeriich für Hausfrauen!), fowie ſchnatternde Enten 
finden fih vor. Kinige Affen ſchneiden ihre wunderlichen 
Grimaffen, Kakadus und Papagaien kreifchen in wiverlichen 
Tönen, Turteltauben laffen ihr melancholifches Kufurr Hören, 
und in andern Käfigen erblict man Zibethlagen, Eichhörnchen, 
Zwerghirſche, Neisvögel und fonftiges zahmes und wildes 
Gethier, als ob man fich in einer Menagerie befände. Da- 
zwifchen bewegen fich bie dunkeln Geftalten der Malnien mit 
der fupferbraunen Hautfarbe und dem malerifchen Kopftuche, 
unter welchem das lange fehwarze Haar in dichten Maſſen 
hervorquillt. Sie find ſchlank und leicht gebaut, ihre Haut 
glänzt, als wäre fie mit Del gefalbt, ihre Gefichtsbildung ift 
nicht unangenehm, aber die ſchwarzen Zähne und der vom Siri- 
fauen blutroth gefärbte Mund machen einen widerlichen Ein- 
druck. Mit ungemeiner Zungenfertigfeit preifen fie in eng- 
liſchen und holländiſchen Broden ihre Wuaren an, und bie 
Concurrenz ermäßigt die Preife auffallend. Namentlich ſuchen 
die Verkäufer na Gold. Für eine Guinee befamen wir 
vier Dugend Hühner, 500 Eier und fo viel Früchte, als wir 
für at Tage bevurften. Der Verkäufer wollte feiner Ge- 
liebten einen Ring von dem Goldſtück machen laſſen und war 
überglüclich in deſſen Beſitze. Ich glaube, er hätte noch das 
ganze Boot in den Kauf gegeben, wenn wir es verlangt hätten. 

Endlich war unfere Kaufluft erfehöpft. Zehn Dugend Hühner 
ftanden auf dem Verdeck, in ber Küche brobelte ber heiß 

Berner. 1. 6 


82 
erfehnte und Tangentbehrte Eierkuchen, Bananen und Ananas 
waren zum Weberfluß geprobt, und bie Gelpbeutel waren leer. 
Die Verkäufer verloren fich nach und nach beim Anbruch ber 
Dunkelheit. Wir aber fuhren ans Land, um in ber foftbaren 
Abenpfühle einen Spaziergang zu machen und uns die An- 
nehmlichkeit zu verjchaffen, enplich einmal wieder feſten Boden 
unter unfern Füßen zu haben. Es gefiel uns in Anjer fo 
wohl, daß wir gern einige Tage verweilt hätten, allein zu 
unferm Bebauern erfuhren wir, daß das ganze ‚übrige Ge- 
ſchwader bereits im Laufe ver letzten Woche paffirt und nach 
kurzem Aufenthalte nach Singapore weiter geftenert je. Da 
burften wir denn nicht fäumen, den Unfern zu felgen, und | 
mit wehmiüthigem Herzen nahmen wir frih am andern | 
Morgen Abſchied von dem. lieblihen Orte und fteuerten nord⸗ 
wärts unferm gemeinfamen Rendezvous, Singapore, zu, dem 
Emporium des Bftlichen Handels, 

Wir richteten unfern Curs nördlich durch Die Javaſee 
nach ver Bankaſtraße. Man wählt während des Südweſt⸗ 
monfung diefen Weg ald ben fürzern, und weil man dort 
bei den häufig eintretenden Windſtillen jeden Augenblid ankern 
und dem Zurücktreiben burch heftige Strömungen vorbeugen 
fann. Mit dem Nordweſtmonſun, ber vom October bis April 
weht, geht man jedoch öſtlich von Banka, um in offenem 
Waffer dem bejchwerlichen Kreuzen in den engen Straßen zu 
entgehen. Wir trafen es diesmal glüdlich. Der Wind war 
zwar ſehr ſchwach, aber jtetig, und wir ſahen ung nur einmal 
gendtbigt, in der Bankaſtraße zu Anker zu gehen. ‘Die Straße 
wird durch die Infeln Sumatra und Banka gebildet, hat eine 
Länge von 15 und eine burchichnittliche Breite von 24, Meilen, 
fodag man in ihr faft wie auf einem Fluſſe führt. Die 
Küfte von Sumatra macht feinen angenehmen Einprud. Es 
ift niebriges mit Dſchungeln dicht bewachjenes Moraftland ohne 
alfe Abwechfelung; nur bei Harem Wetter erblickt man bie 














83 


Kuppen der hohen Gebirgszüge im Innern der Inſel. Biel 
freundlicher zeigt fich jedoch das gleichfalls den Hollänvern 
. gehörige Banfa mit feiner am Meeresufer gelegenen Hauptſtadt 
Mintof, von wo aus die Producte der Iufel, namentlich Das be- 
rühmte Banfazinn, verfchifft werden, und wo ein ziemlich veger 
Verkehr herricht. 

Es ift ſchwer zu begreifen, daß bei ber großen Zahl von 
Schiffen, welche jährlich die Banfaftraße paffiren, jo außer- 
ordentlich wenig für bie Regulirung des Fahrwaſſers und 
Bezeichnung der Untiefen gefchieht, von denen bie Straße 
vol ift. Jeden Augenblick ſchwebt man in Gefahr, auf einer 
in den Karten nicht verzeichneten Sandbank zu jtranden, und 
bie vielen Wrade, die man fieht, zeugen von ber Menge ver 
Schiffe, welche bier verloren geben. In den Europäifchen 
Gewäffern, bie theilweife nicht ein Zehntel fo befucht und 
viel weniger gefährlich find, herrſcht Lootſenzwang. Hier, wo 
man gern ein paar Hundert Thaler gäbe, um einen Lootjen 
zu befommen, gibt e8 feinen. Am meiften ift zu verwundern, 
baß bie Privatfpeculation die Sache nicht in die Hand ge- 
nommen hat. Durch bie Bankaſtraße paffiren jährlich 4—5000 
Schiffe, die durchſchnittlich ſechs bis fieben Tage gebrauchen, 
um durch die vielfach von Winpftillen heimgefuchte Straße zu 
fommen. Jedes berfelben würbe mit dem größten Vergnügen 
400 Thaler zahlen, um mit Hülfe eines Schlepppampfers bie 
Strede in einem halben Tage zurüdzulegen. Cine Flotille 
von ſechs ſolchen Dampfern würde hinreichen, um allen Schiffen 
zu dienen. Das Anlagefapital für die ſechs Dampfer beträgt 
kaum 400,000 Thaler, das Marimum des Kohlenverbrauchs 
per Jahr 20000 Zonnen. Mit den Zinfen des Anlage 
fapitalö würde bie Unterhaltung mithin etwa 350,000 Thaler 
foften, während ber doppelte reine Gewinn in Ausficht 
fteht. Hier ift alfo noch ein reiches Feld der Speculation 
offen! 

6* 


84 


Nachdem wir, vom Winde fehr begünftigt, die Banfe- 
ftraße in 2 Tagen paffirt hatten (vor mehreren Jahren 
gebrauchte ich dazu 13 Tage), fteuerten wir ber Riu— 
ftraße zu, indem wir das berüchtigte Seeräuberneft die Inſel 
Linga an unferer linfen Seite Liegen ließen. Die fortdauernde 
Eriftenz diefes Räubervolfs ift auch eine Unbegretflichkeit. Es 
ift erwiefen, daß die Bewohner von Linga mit ihrem Sultan 
an der Spike fich nur von Seeraub nähren. Jährlich werben 
eine Menge ihrer Fahrzeuge aufgebracht. In Singapore 
wurben im Jahre 1859 an 87 Berfonen aus Linga wegen 
Seeraub verurtheilt, und im Juni beffelben Jahres nahmen bie 
Holländer eine Flotte von fieben Prauen, die ebenfalls aus _ 
Linga waren. Trotzdem legt man weder von holländifcher 
noch englifcher Seite den Räubern das Handwerk gründlich, 
und man muß wirklich glauben, was allgemein behauptet 
wird, daß die einen e8 aus Trägheit verfäumen, die andern 
aber Beforgniß hegen, mit Vernichtung diefer Seeräuber eine 
portreffliche Abfatquelle für ihre alten Waffen zu verlieren! 

Wir fegelten in unmittelbarer Nähe der ziemlich roman 
tiſchen Küfte hinauf, gelangten darauf in die von ben Infeln 
Bintang und Battam (beide unter niederländifcher Botmäßig⸗ 
feit) gebildete Riuftraße, die fo nach der Hauptſtadt 
von Bintang benannt tft, ımd trafen am 7. Auguft mittags 
glücklich und wohlbehalten auf ver Rhede von Singapore ein, 
wo wir bereits bie drei übrigen Schiffe vorfanden. Die Ar- 
fona war acht, bie Thetis ſechs und ber Frauenlob zwei ‘Tage 
früher angelangt, und wir hatten mithin alle vier jo ziemlich 
eine gleiche Reiſe gehabt. Die prei Schiffe hatten gegen Mitte 
Juni Rio-de-Ianeiro verlaffen, als wir ung noch einige Grabe 
nördlich Davon befanden. Alle drei hatten den Ehflon am 
24. Juni gehabt und ebenfalls Beſchädigungen erlitten, obwol 
fie nördlicher als wir fegelten und dem Centrum nicht jo 
nahe gelommen waren. 











85 


Merkwürdiger Weife befanden fich, wie bie Vergleichung 
ber Schiffstagebücher ergab, an jenem Tage alle vier Schiffe 
in einem Kreife von 40 Meilen Durchmeffer, ohne etwas von⸗ 
einander zu willen. 

Das Geſchwader rüftete bereit8 wieder, um feine Weiter: 
reife nach Japan anzutreten, ba ber bevorftehende Monfun- 
wechfel Eile anbefahl. Am 12. Auguft ging die Thetis, am 
14. die Arkona, auf der ſich die bis Singapore über Land 
gereifte Geſandtſchaft einfchiffte, und der Srauenlob nach Jeddo 
in See. Nur wir mit ver Elbe mußten noch längere Zeit 
in Singapore verweilen, weil fich herausftellte, daß bie beim 
Cap der guten Hoffnung erlittenen Schäden bebeutenderer 
Art waren. Namentlich hatte das Kupfer fehr gelitten, und 
es war nothwendig, das Schiff zu doden, bamit nicht der bier 
fehr verbreitete Wurın das Holz des Bodens angriffe. Dieſer 
Umftand verurfachte längern Aufenthalt, ald wir vorausge- 
fegt hatten, und erſt anfangs September konnten wir ben 
. Übrigen Schiffen folgen. 

Obwol unfere Zeit durch die Zimmerei und die bamit 
. in Verbindung ftehenden Arbeiten ziemlich in Anfpruch ge- 

nommen wurde, fand fich während unfers nahezu vierwöchent- 
lichen Aufenthalts in Singapore doch Gelegenheit, Stabt und 
Inſel näher kennen zu lernen, um ein Bild des interefjanten 
Platzes zu geben. | 

Eine Gefchichte Hat die gegenwärtig für den Verkehr fo 
wichtige und fo belebte Stadt Singapore nicht; denn fie war noch 
vor vierzig Jahren ein öder, unter der Botmäßigkeit des Sultans 
von Diohore ſtehender Fleden, nur von einigen Fifchern be- 
wohnt. Selten hat aber eine Colonie in fo furzer Zeit glän- 
zenver profperirt. Im Jahre 1822 warfen die Engländer ihr 
Augenmerk auf die Infel, und es gelang ihnen, biejelbe für 
eine geringe Summe von ihren bisherigen Eigenthümern zu 
faufen. Die beiden Söhne des damals gerade verftorbenen 

“ 


86 


Sultans der Malaiiſchen Halbinfel ftritten ſich um die Herr- 
ſchaft. Die Engländer nahmen bie Partei des einen, ihre 
Rivalen in jenen Gewäſſern, die Holländer, protegirten 
ben andern Bruder. Für dieſes Wohlwollen und die ge- 
währte moralifche Hülfe Tiefen fich die einen Singapore, bie 
andern Bintang abtreten; jedoch waren die Engländer bie 
Klügern gewejen. Um es mit feinem zu verberben, zahlten 
fie beiden Brüdern, fowol dem erften rechtmäßigen Erben 
als dem Prätenventen, eine Penſion, und um fich ihrer Treue 
zu verfichern, machten fie die Penſion von der Bedingung ab- 
hängig, daß beide auf Singapore wohnen mußten. Der eigent- 
liche Sultan von Diohore wurde von feinem jüngern Bruder 
gänzlich verbrängt und hat außer feiner Penfion nur noch feinen 
Titel behalten, während der Tumongong oder Statthalter, 
wie der andere genannt wird, fich ven Titel Sri Maharadſcha, 
d.h. Fürſt, beigelegt bat. 

Die Infel Singapore iſt etwa zwölf Quadratmeilen groß, 
hügelig, von Kleinen Bächen burchjchnitten und von der Halb- 
infel Malaffa nur durch einen fchmalen Meeresarm getrennt. 
Sie zählt (1860) etwas über 100,000 Einwohner, von denen 
81,790 auf die Stadt fommen und bie aus neun bis zehn 
verſchiedenen Bölferfchaften zufammengefebt find. Weiße und 
deren Mifchlinge, Teßtere mit dem englifchen Ausprud Eurafians 
(d.h. Abkömmlinge von Europäern und Aftaten) benannt, gibt e8 
im ganzen 2445 auf der Inſel, unvermifchte Weiße jedoch 
nur 590, zum größten Theil Engländer, fonft aber aus Ver- 
tretern ſämmtlicher civilifieten Nationen beftehend. Deutfche 
find davon etwa hundert, die jedoch in gefchäftlicher Beziehung 
eine wichtige Nolle ſpielen. Das größte Contingent ber Be- 
pölferung liefern die Chinefen, jenes ameijenartige Wan⸗ 
dervolk, das die commerziellen Vortheile, welche Lage, 
Verfaffung und die fonftigen Verhältniffe der Colonie in fo 
reihen Maße bieten, ſehr bald begriffen hat und jährlich zu 

® 








87 


Laufenden von ben Küften feines Vaterlandes bier zuſammen⸗ 
ftrömt, um fich entweber dauernd anzuftebeln, ober im Vor⸗ 
übergehen fo viel wie möglich zu erwerben. Ihre Zahl be- 
läuft fich auf 50043, darunter nur 3248 Weiber, die jedoch 
nicht rein chinefifchen Urfprungs, fondern Töchter chineſiſcher 
Bäter und malaiifcher Mütter find. 

An Zahl Stehen den Chinefen am nächtten die Malaien und 
die Kings. Erſtere find theils Eingeborene der Infel, theils 
Angehörige des benachbarten Malaffa, und repräfentiren eine 
Zahl von 10,888 Seelen, während die Klings, dv. b. die aus 
Indien eingewanberten Hintu und Mohammenaner, 11,735 Köpfe 
zählen. Javanen find 3408 auf Singapore, Bengalefen 
1236, Burmefen und Siamefen, Araber von der Küſte Koro- 
mandel, Yugis von ven Sundainfeln und Parfen zufammen 
1037. | 

Faft jede ver erwähnten Nationen bewohnt ein eigenes Quar⸗ 
tier und bat eine beftimmte Beichäftigung Während ber 
Malaie fih faft nur mit Fiſchfang und dem Anbau von 
Früchten befchäftigt, weil died wenig Mühe macht und feiner 
trägen Natur zufagt, find die Klings größtentheils Bediente, 
Kutſcher oder Kalfaterer, während die übrigen Nationen aus- 
fchlieplich Handel treiben. Nur die Chinefen, deren einziges 
Dichten und Trachten auf Erwerb ausgeht, binden fih an 
feine bejtimmte Branche. Sie betreiben alles, was irgend 
Gewinn verfpricht, und fie hauptſächlich haben durch ihre un- 
gemeine hätigfeit, ihre Induftrie und ihren Unternehmungs- 
geift zu ber blühenden Entwidelung der Colonie beigetragen. 
Der Chinefe ift Kaufmann und Krämer, Handwerker und 
Tagelöhner, Landmann und Seemann, Koch und Bedienter. 
Wo es irgendetwas zu verdienen gibt, barf man ficher fein, 
Chinefen zu finden, und felbft wenn bereit8 andere Nationen 
ſich damit befaßt haben, wird der Ehinefe nicht nur glüdlicher 
Concurrent, fondern verſteht durch feine größere Schlaubelt, 


90 


gejtidten Mütze, langem weißen Rod und gleichfarbigen weiten 
‚Beinfleivern ver Araber von der Küfte Koromandel, An 
feinen feingeformten Fingern bligen koſtbare Brillantringe, 
und die ganze Erfcheinung verräth den reichen Kaufmann, 
deſſen Hände nur koſtbare Seidenftoffe und Iumelen geprüft 
haben. Während alles um ihn in gefchäftiger Eile pahin- 
ftrömt, fchreitet er langfam und bebächtig durch bie bunte 
Menge, nur Acht gebend, daß nicht ein fchmuziger Chinefe 
feinen jchneeweißen Zalar berühre An Daltung und Ge- 
fichtsform ihm fehr Ähnlich, nur von bedeutend weißerer Haut- 
farbe, erbliden wir dort den Barfen, mit ſchwarzem Zalar 
und dem eigenthümlich geformten hohen Hute, ver die hohe 
Geſtalt noch größer erfcheinen läßt. Er wandelt wo möglich 
noch majeftätifcher einber als ver Araber, aber beide wenden das 
Geſicht ab, wenn fie fich begegnen. Die leife Abweichung 
ihres Glaubens macht fie zu Todfeinden, und wenn fie fönnten, 
würden fie fich gegenfeitig mit ihren Biden ermorden. 

In jener Vorhalle fit mit allem möglichen Schmud angethan 
ein Klingsmädchen und läßt fich von drei ober vier ihrer dünn⸗ 
beinigen Landsleute den Hof machen. Ihre Gefichtszüge find 
nicht ſchön, aber auch nicht abſtoßend, und jebenfalls 
machen zwei Reihen fchneeweißer Zähne und ein paar feurige 
ſchwarze Augen die Erjcheinung. pikant. Die Haut glänzt wie 
ſchwarzer Sammel, um Fuß und Arın find dicke Silberfpangen 
gewunven, ein ſchweres Halsband von gleichem Metall ziert 
ven Naden; im Haar ſtecken mehrere goldene Nadeln und 
Pfeile, in ven Ohren hängen handgroße Ringe und in dem 
rechten Nafenflügel figt der nie fehlende goldene Knopf. 

Weiterhin fchlürft in feinen unförmlichen Schuhen ein reicher 
Chineſe einher. Aus den langen Aermeln der weißjeidenen 
ade blicken nur die langen Nägel feiner arbeitsjcheuen Finger 
hervor, und dann und wann fchwingt er nachläffig einen koſt⸗ 
baren Fächer, um fich Kühlung zuzuwehen, während ihm ein 


91 


nachichreitender Bebiente den Sonnenfchirm über das glänzend 
gejhorene Haupt hält, von dem die ſtolze Zierde, der Zopf, 
mit ſchwarzſeidenem YBanpe reichlich durchflochten, herabhängt, 
fobaß er gerade den Erdboden berührt. Neben dem Chinefen 
paffirt ver hellbraune Javane mit der enganfchließenden Fade 
und bem biabemartig gewundenen Kopftuch. Seine ftarfen 
Beinmusfeln und ber elaftifche Gang verfünden den Bewohner 
der Berge, und der reiche Griff des Halb aus dem Gürtel- 
tuche berporfchauenden Kris den wohlhabenden Mann. 

Hter zieht ein Trupp Iasfarifcher Matrofen mit wilden &e- 
fichtern und gelb und rothen Gürteln Durch ihr feeräuberähnfiches 
Ausfehen die Aufmerkſamkeit auf ſich. Wüſtes Geſchrei ſchlägt 
an unſer Ohr. Ein paar Chineſen haben ſich gegenſeitig be— 
trügen wollen, ſind darüber in Wortgefecht und Handgemenge 
gerathen, und ihre Freunde haben Partie genommen. Sie 
reißen ſich nach Herzensluſt an ihren Zöpfen, ſpucken ſich ins 
Geſicht, zerkratzen ſich mit den langen Nägeln und gießen in 
gellenden Tönen Fluten von Schimpfworten übereinander aus. 
Da erſcheint die Polizei. Arme Chineſen, die Poliziſten find 
Klings, eure erbittertften Feinde! Die Schläge ihrer kurzen 
Yeulenförmigen Amtsftäbe (clubs) fallen hageldicht auf die 
fahlen Schäbel, und der Haufe ftiebt heulend nach allen 
Richtungen auseinander. Hier läßt fich ein Chinefe ven Kopf, 
bort ein Kling den Leib rafiren, wobei beide Parteien mit 
untergeſchlagenen Beinen auf einem Tiſche einander gegenüber- 
figen und der Barbier fein dreiediges Raftrmeffer mit wun- 
berbarer Gejchieflichkeit handhabt. An jener Edle jteht der Tiſch 
eines Geldwechslers. Silber fieht man jedoch nicht bei ihm, 
ſo Hoch verfteigt fich dieſe Klafje ver Bankiers nicht. Sie wechfeln 
nur Kupfer gegen Meifing, Cents gegen chinefifche Caſh. Zehn 
Caſh von der Größe eines Dreiers mit einem viereckigen Loch 
in der Mitte zum Auffchnüren geben auf einen Eent, Taufend 
auf einen Dollar, und nun gibt es fogar noch Halbe Eafh. 


94 


Priefter nur die Antwort, es fei ein Pferd. Als ich meiten 
in das Innere wollte, fagte mir derſelbe Priefter, es aſtimicht 
erlaubt. „Was wollt ihr überhaupt hier in unjern Teneln, 
‚wir kommen ja nicht in euere!‘ fügte er binzu. Nun: ex. 
Mann Hatte nicht jo ganz unrecht, und ba ſelbſt eine Cigarre 
ihm nicht weicher ftimmen wollte, mußte ich mich fchon mit 
dem Gejehenen begnügen, wenn es auch herzlich wenig war. 

In den chinefiichen Tempeln war man nicht fo ungefällig, 
Sondern ließ uns nach Belieben alles befehen, abzeichnen und 
anfaſſen. Es exijtiren in Singapore drei größere verjelben, 
zwei innerhalb und einer außerhalb der Stadt, ich befuchte 
fie alle brei und fanb fie im Aeußern und Innern ziemlich 
ähnlich. Von ſämmtlichen chinefifchen Gebäuden Singapores 
find fie bie einzigen, bei denen ver fogenannte chinefifche 
Bauitil beibehalten if. Zuerſt tritt man in einen Vorhof 
oder Garten, deſſen gewöhnliche Zierde der große rothe 
Hahnenkamm if. An ber Mauer zur Rechten und Linfen 
befindet fich ein Dfen. Das einzige Gejchäft der im Tem⸗ 
pel wohnenvden Priefter fcheint zu fein, in dieſen Oefen von 
Zeit zu Zeit bedruckte Zettel zu verbrennen, und ebenfo frheint 
ber ganze Eultus ber Zempelbewohner darin zu heitehen. ‘Die 
Chineſen find ein praftifches Voll, das in vieler Beziehung 
Aehnlichkeit mit den Norbamerifanern hat. Ihr Gott ift 
Geld, und auch bei ihnen gilt gleichfalls der Grundfaß: „, Zeit 
ift Geld.“ Wozu fol alſo der Chinefe feine werthvolle Zeit 
mit Herfagen von Gebeten vergenden? Er bat es viel bes 
quemer, von den Prieftern für einige Caſh bie wirkſamſten 
geprudten Gebete zu kaufen und fie gleichzeitig in einem ber 
Defen verbrennen zu laffen. So ijt allen Thellen geholfen. 
Der Gott hat feine Gebete, der Priejter fein Geld und ver 
Zempelbejucher das Bewußtſein, feine religiöfe Pflicht erfüllt 
zu haben. Bequemer Tann doch fein Cultus fein! 

Es würde eine fchwierige Aufgabe fein, das Innere eines 


95 


chinefifchen Tempels befchreiben zu wollen. Es ift nur eine 
Anhäufung von Schnurrpfeifereien, Sachen und Sächelchen, 
für die wir weder einen Namen haben, noch uns einen Zweck 
venfen fönnen. Eine Menge Tifche find damit angefüllt, und 
von der Dede hängen ebenfo viel bunte Bapierlaternen, 
Ampeln, Kronleuchter u. |. w. Kine Unzahl von Blumen- 
töpfen fteht umher, in denen Hunderte von bünnen wohlrie- 
chenden Stäbchen glimmen, d. b. für chinefifche Naſen wohl- 
riechend, denn für die unfern ift ver Qualm ſchrecklich. Im 
Hintergrunde des Tempels befindet fich das Allerheiligfte. Mit 
Hülfe einer den Prieftern offerirten Cigarre gelangten wir ' 
auch dahin. Der. Weg führte durch eine Lichtzieherei, in ber 
von den Bonzen die für beſondere Feierlichkeiten erforderlichen 
Kerzen angefertigt werden. Es roch ziemlich unangenehm und 
war ſehr ſchmuzig. Im Allerheiligiten thront unwandelbar 
das Bildniß des Confureius. Um daffelbe brennen eine Menge 
Lichter und glimmen unzählige Stäbe, die in China täglich 
milllonenweife verbrannt werden. Ebenfo find unter ven Hei- 
ligen allerlei wunderliche Götzenbilder, Drachen und fonftige 
unbegreifliche Figuren gruppirt. In ein paar Steintrögen 
wurben heilige Schilofröten gehalten, und an den Wänden ha⸗ 
ben fich chinefifche Künftler mit den wunderbarften Erzeugniſ⸗ 
fen der Phantafie verewigt, während die Priefter zur Ver⸗ 
fchönerung des Tempels an deſſen Wände eine Menge Bilder 
aus ben Ilustrated London News angeflebt haben, die nad) 
unfern Begriffen durchaus nicht in ein Gotteshaus gehören. 
Genug, ein chinefifcher Tempel in Singapore ift ein unbe- 
jchreibliches Ding, das mit allem andern Hehnlichkeit bat, nur 
nicht mit einem veligiöfen Gebäude, 

Während unferer Anweſenheit im Auguft hatten wir auch 
Gelegenheit, eins der größten religiöfen Feſte ver Ehinefen, das 
Todtenfeſt, anzuſehen, deſſen Beſchreibung jedoch erſt fpäter 
bei der Schilderung Chinas erfolgen wird, und ebenſo verweiſe 


96 


ich auf China ſelbſt in Bezug auf das Theater und die Kirch⸗ 
höfe, die ſonſt gleichfalls zu den Sehenswürdigkeiten Singapores 
gehören, von denen in China ſich aber nicht im geringſten 
unterſcheiden. 

Der Handel von Singapore iſt bedeutend, jedoch beſteht 
er hauptſächlich im Tranſit. Im Jahre 1859 Tiefen 3522 
Schiffe ein und 3812 aus. Die Importen betrugen 24 Mil 
lionen Dollars, der Export belief ſich auf 22,650,000 Dol- 
lars. Die Erzeugniffe ver Inſel ſelbſt, infofern fie für pie Aus- 
fuhr in Betracht fommen, find nur Pfeffer, Muskatnüſſe und 
Gambir, letteres ein Gerbitoff auch unter ven Namen Catechu 
und Zerra SIaponica befannt. Hinfichtlih aller übrigen 
Lebensbepürfniffe ift Singapore auf das Ausland angewiefen. 
Der für den Unterhalt der Bevölkerung nothwendige Reis 
kommt von Malaffa. Infolge einer bewunderungswerthen 
Liberalität der Engländer, die das Land im Innern jedem 
unentgeltlich überließen, der e8 haben wollte, ſiedelten fich 
außerorventfich fchnell Chinefen dort an, und die großen Mo- 
raſt⸗ und Dichungeln-Streden verwandelten fich ſehr bald in 
Eulturland, das ſich namentlich vortrefflich für den Anbau 
von Gambir eignet, während auf den Hügeln Pfeffer- uud 
Muskatanlagen gemacht wurden. 

Die nächte Umgegend der Stadt ift höchſt augenehm. 
Auf den vielen umliegenden Hügeln ſind die Villas oder Bun⸗ 
galos, wie man ſie hier nennt, der europäiſchen Kaufleute 
angelegt und von reichen Gärten und Parks eingeſchloſſen. 
Die Wege ſind in vortrefflichem Zuſtande, und die Droſchken 
laſſen nichts zu wünſchen übrig, wenn man nicht gerade das 
Unglück hat, einen Kutſcher, der nicht Beſcheid weiß, oder einen 
ſtörriſchen Pony zu treffen. In erſterm Falle hat man das 
Schickſal, ſtundenlang auf ber Inſel in der Irre zu fahren, 
und kann froh fein, wenn das Pferd nicht ermüdet und man 
wenigftens die Stadt wieder erreicht. Im letztern Falle befindet 


97 


man fich vielleicht :eine. Stunde von der, Sitabt mitten in ben 
Diebungeln und eine halbe Stunde nou jener menfchlichen Woh⸗ 
‚nung entfernt, nah das Vergnügen wird noch dadurch srhäßt, 
daß es dunkel iſt, [weil man feine Beſuche bed Abende ab- 
ſtattet. Dem Bonn fällt es dann plöglich ein ftill zu ſtehen, 
und feine Macht der Erde kann ihn bewegen porwärts zu gehen, 
wenn man nicht ausſteigt. Damm geht er, ſobald man fich 
aber wieder hineinfett, fteht ex wie angenagelt. Man muß 
nothwendigerweife dann zu Fuße gehen. Trifft dies aber, wie 
uns, in der Regenzeit, wo der xöthliche Thon des Bodens 
aufgeweisht. wird, fo. ift natürlich an Das. Abftatten des Be⸗ 
ſuchs nieht zu denfen, und man: muß feob: fein, wenn man, 
zwar von oben bis unten beſchmuzt, aber wenigſtens ohne 
ſonſtige Unfälle fein Quartier in der Stadt wieder erreicht. 
So ging es uns einige male, und das einzige Mittel, ſich da⸗ 
vor zu behüten, ift für einen Fremden, ſich an einen Polizei- 
beamten zu werden und ſich von dieſem gegen eine. Erfennt- 
lichleit einen Wagen mit.einem guten Pferde beforden zu Eaffen. 
Allerdings wird bie Drojchle dadurch fo viel theurer, aber ben 
Maßſtab unferer Gelpnerhäftniffe darf man in Indien 
überhaupt nicht aulegen. ‘Der Dollar Ift vie gangbare Münze, 
die Drofchte Foftet einen Dollar, das Glas Wein einen Dollar, 
und man gibt einen Dollar Trinkgeld. Im Gafthofe Täßt 
ſich unter fünf Dollars pro Tag uicht Ieben, und ber Europäer 
gibt. dem Bettler nicht unter Y, Dollar (12%, Ngr.), weil 
er fich mit Feinern und. Rupfermünzen nicht befaßt. 

Die deutſchen Hanvelshäufer Singapores gehören zu ben 
angeſehenſten der Stapt und ftehen nach den Engländern in 
erjter Reihe. Die Flaggen der verichlenenen deutſchen Ränder, 
namentlich‘ aber. die hamburger, find im Hafen fehr ftarf ver- 
treten, und der deutſche Handel entfaltet fi von Jahr zu 
Jahr mehr. Wir wurden von unfern Landsleuten mit ver größ- 
ten Zuvporkommenheit und Herzlichkeit aufgenommen, obwol 

Werner. I, 7 


98 


gerade hier die preußiſche Expebition und ihre Zwecke mit 
den wenigft günftigen Augen angefehen waren. Weberhaupt 
aber find wir an allen Pläten, wo fich Deutfche befanven, von 
biefen mit außerordentlichem Wohlwollen empfangen worden, 
und es ift nicht mehr als Pflicht der gewöhnlichſten Dankbarkeit, 
wenn ich dies hier berühre und Hinzufüge, daß zu ben ange- 
nehmſten Erinnerungen unferer Reife der Gedanke an bie 
Freundlichkeit und Gaftfreundjchaft der Deutfchen in China 
ftet8 gehören wird. 

Das Klima von Singapore it' verhältnißmäßig ſehr ge- 
ſund. Dysenterie, Sonnenſtich und die gefährlichen Fieber 
Indiens ſind viel ſeltener als in den übrigen europäiſchen 
Colonien, wozu freilich die Anlage der Häufer auf den frei- 
fiegenden Hügeln (in der Stadt befinden fich nur die Comptoirs 
ber Europäer) und der unbehinverte Zutritt der frifchen See-. 
luft ſehr viel beitragen mag. Die Hite wird bemgemäß nie 
jo exceſſiv, als man nach der Lage der Stadt unter 1° nörb- 
licher Breite‘ ſchließen follte, und nur die Regenzeit ift bie 
unangenehme Saifon. 

Die Injel wimmelt von Schlangen aller Art, meiftens 
find fie jedoch ungefährlich, wenngleich es dem Fremden 
ſonderbar vorkommt, folchen Reptilien fchon unmittelbar vor 
der Stadt und in bewohnten Straßen zu begegnen. Dean 
gewöhnt fich jedoch bald. daran und nimmt feine Notiz mehr 
davon. Nur die Chinefen vigiliren darauf, weil fie bie 
Schlangen als Lederbiffen verfpeifen. 

Bei weitem unangenehmer find jedoch die Tiger, eine 
Plage, von denen bie Inſel mehr heimgejucht wird als irgenb- 
ein anderer befannter Ort der Welt. Man rechnet, daß im 
Durchfchnitt täglich ein Bewohner der Infel von dieſen Raub- 
thieren aufgefreifen wird, obfchon die englifche Regierung für 
jeben erlegten Tiger eine Prämie von 5 Pf. St. zahlt. Man 
würde fich gar nicht erflären können, wie biefe Thiere auf ver 





—— — - — — 


99 


fo bevölkerten Infel fih zu halten vermögen, wenn nicht Erfah- 
rung fejtgeftelit Hätte, saß fie, vom Hunger getrieben, immer wie- 
der von Malakka herüberlommen und ſchwimmend den das Feft- 
land von der Infel trennenden Waiferftreifen überfchreiten. Da 
fie auf Singapore fein Wild oder Viehheerden finden, fo fal- 
len fie Menfchen an, und dies.ift allein der Grund ver zahl- 
loſen von ihnen geforberten Opfer. Namentlich find es Ehi- 
nejen, bie ihnen am beiten zu munden feinen, und felten. 
greifen fie einen Malaien over Kling an. Freilich mag auch 
wol dazu; beitragen, baß bie Chinefen das Innere bevölkern 
und oft allein von ben Zigern in den Dichungeln überrafcht 
werben. Während unferer Anweſenheit beunruhigten fie jedoch 
auch die nächjte Umgebung der Stadt, und von brei Chinefen, 
die fpazieren fuhren, wurde einer vom Wagen herunterge- 
holt. Ein anderer mächtiger Tiger wurbe fur; vor un- 
ſerm Abgange in einer Grube faum 2000 Schritte von dem 
Drte gefangen, wo wir uns täglich babeten. Faſt nie greifen 
fte jedoch die Menſchen am Tage an, fondern ſtets am Abend, 
und e8 ift daher rathfam, im Innern ver Inſel fich nad 
Dunkelwerden zu Haufe zu halten, wenn man nicht auf ihren 
Empfang vorbereitet ift. 

In der Nähe des Dods, wo unfer Schiff reparirt wurde, 
und das ungefähr eine Meile weſtlich von der Stadt gelegen 
ift, befindet fih auch das Palais des Maharadſcha von 
Diohore, der, wie ich jchon erwähnte, durch feine Penfion 
verpflichtet ift, auf Singapore zu wohnen, und nur für 
fürzere Dauer einige male die Hauptſtadt feines Reichs, die 
wie biejes Diohore Heißt, während des Jahres befucht, um 
bort die Regierungsgefchäfte zu erledigen welche feine pers 
jönliche Gegenwart erfordern. Wir hatten Gelegenheit, fowo! 
mit dem alten Fürften als namentlich mit feinen beiden Söh⸗ 
nen Abubafar und Abbul - Rhaman näher bekannt zu 
werben, von benen ber erjtere nach dem im Sanuar 1862 

7* 


100 


erfolgten Tode feines Baters die Herrſchaft angetreten hat. 
Diefe Belanntichaft verichaffte uns ebenſo viele Annehm⸗ 
lichleiten, als. fie uns Blide in. die Häuslichkeit malatijcher 
‚Großen than ließ, bie nicht ohne Intereſſe für. uns iwa- 
ren. In den drei Perſonen des fürſtlichen Haufes reprä- 
fentirten ſich brei gauz verſchiedene Eharaltere, und. wenn 
man fie nebeneinander ſah, konnte man kaum glauben, 
daß fie Glieder derſelben Familie feien. Der Fürft gehörte in 
feinem ganzen Aeußern noch der alten Beit an. Earong, 
Kopftuch, eine Lofe, vorn offene Singham-Iade und Sandalen 
bifneten feine Kleiduug; das lange Haar war zu einem Schopfe 
auf dem Haupte gewunden, vie Zähne Schwarz und der Mund 
vom Sirifauen roth gefärbt. Unanſehnlich von. Geftalt und von 
unfchönen: Zügen, machte ihn nichts als Fürſten in ſeiner 
Umgebung Tenntlich, und wenn er abends in ver Mitte Jeiner 
Minifter vor feinem Garten auf einem Prellfteine ſaß, hätte 
man ihm ebenfo gut für einen gewöhnlichen Malaien Hal- 
‚ten können. Er fprach nur malaiiſch und hatte überhaupt alle 
feine urjpränglicden Sitten und Gewohnheiten beibehalten, von 
beuen er nur abwich, wenn er hochgeftellte Europäer bei fich 
ſah, wie 3. B. unfern Gefanbten, der nebit mehreren Offi- 
zieren bes. Geſchwaders won ihm zum Frühſtück eingeladen wurbe. 

Bei folchen Gelegenheiten ging in felnem Haufe alles 
europäiſch zu, und bie vollſtändig dazu eingerichteten Zimmer 
mit Teppichen, Fauteuils und Ajacon. over bengalifchen ge- 
ſchnitzten Möbeln, ſowie die ausgezeichnete Küche und auser⸗ 
leſenen Weine ließen nicht vermutben, daß man fich bei einem 
malgtifchen Fürften und im Haufe eines Mohammedaners zu 
Bafte befand, wenn man davon abjah, daß er felbft von ven 
Speiſen nur Reis mit Curry genoß und den Wein nicht berührte. 
Die Unterhaltung konnte natürlich nur mit Hülfe eines Dol- 
metſchers geführt werben, den gewöhnlich der Prinz Abubakar 
‘maöhte,. welcher. fertig englifch ſprach. Diefer letztere war faft 








1015. SHRTMEN 


in allen ber Gegenfak feines Vaters. Groß, von majeftäti- 
ichen Aeußern, Halte er die Sitten feines’ Ranbes nur info: 
weit. beibehalten, als: er feinem Wolfe gegenüber es thun zu 
müffen glaubte. Er trug das Kopftuch, ven Sarong und bie 
ſeidene Jacke, abex fein Haar war kırrz gefchnitten, ein Schnurr⸗ 
bart zierte fein männlich Tchönes Geficht, die. Feinfte Wäfche, 
Tuchbeinkleider und Glanzftiefel feinen Körper, In. fernen 
Zügen ſprach fich viel Gutmüthigkeit aus, aber vas große 
bunfle Auge verrietb Muth und Energie, während in bem ves 
Baters fi) mehr die Lift und Schlauheit zeigfe, und mehr als 
einmal hat Abubakar ſchon bewiefen, bag ver Ausdruck feines 
Anges wicht täufcht. Auf Singapore heißt er allgemein ver 
Zigertöbter, und diefer Beiname fnüpft fich an eine bon ihm 
verübte Helventbat, ver man unter ben verweichlichten Stäm- 
men inbifcher Völker felten begegnet. Ex ging eines Tags in 
der Nähe von Diohore im Walde fpazleren, um mit einem 
Blaferohre Heine-Bögel zu fchießeny, eine Beſchäftignug, vie. 
unter den malaiifchen Großen fehr beliebt iſt. Als :einzige 
Waffe trug er nım den Kris, ein gewundenes belchartiges 
Schwert, das nie von ber Seite bed Malaien kommt und 
foft immer vergiftet ift. Plötzlich erblickte Abubakar einen 
mächtigen Ziger Taum 20 Schritte entfernt, fertig zum Sprunge 
liegend. Seine Geifteögegenwart gab ihm ein, Hinter einen 
Daum zu ſchlüpfen und daburch dem erften gefährlichiten An- 
pralle auszuweichen. Gleichzeitig Tieß er aber auch feinen 
Sarong fallen, „widelte ihn um ven linfen Arm, nahın ven 
zweifchneivigen Kris in die Rechte und trat damit beim Unge- 
heuer unerfchroden entgegen, dem er nicht Zeit ließ, fich 
abermals zum Sprunge anzuſchicken, das aber mit balbgedff- 
netem Rachen und blutgierigen Angen ihn erwartete Muthig 
ging er auf. den Tiger los, ftieß ihm bie umwickelte Linke im 
ven Rachen, bohrte ihm gleichzeltig ben Kris in Das rechte 
Auge, und ehe das Thier nur ein Schmerzensgebrüll erheben 


102 

konnte, auch bligfchnell in die Bruft. Ob das Herz getroffen 
war ober das Gift des Dolches fo ſchnell wirkte, jedenfalls 
bra das Raubthier fofort zufammen, biß in feiner Todes⸗ 
angft aber noch einmal jo heftig zu, daß feine Zähne bie 
ſchützende Hülle des Armes burchbohrten und tief in das 
Tleifch drangen, ohne jeboch dem Tühnen Fürſtenſohne erheb- 
fihen Schaden zu thun. Ein dritter Stich in das Iinfe Auge 
bewog das Thier, ven Rachen wieder zu öffnen. Abubakar z0g 
chleunigft feinen Arm heraus, und es war ihm jegt ein Leichtes, 
bem geblendeten Thiere vollends’ ven Garaus zu machen unb deſ⸗ 
‚fen Schwanz als Trophäe feines Sieges nach Haus zu ‚bringen. 

Auf ähnliche muthige Weife hat er fich in Verbinduug mit 
den engliichen Behörden bei dem Angriffe und ver Verfolgung 
malaiifcher Seeräuber benommen, bie jene Gewäſſer beun⸗ 
ruhigen, und eine Empörung von Chinefen in Djohore auf eine 
Art unterdrückt, die lebhaft an Peliffier’s Kriegführung gegen 
‚die Kabylen in Afrika erinnert. Der alte Fürſt hatte nämlich 
auf Betrieb Abubafar’s eine große Zahl Chinefen zur Anfievelung 
in Diohore beivogen, um nach dem Beifpiele Singapores das 
Land durch deren Inpuftrie zu heben, und e8 waren. in wenigen 
Jahren etiva 20000 dieſer Nation der Einladung gefolgt. Einige 
ehrgeizige Köpfe unter ihnen glaubten die Abwejenheit bes 
Fürften benugen zu können, um die Herrſchaft an fich zu 
reißen, und die Verſchwörung wäre ohne Zweifel geglüdt, 
wenn ſie nicht einige Tage vorher verrathen werden. Abubakar 
eilte mit 500 feiner Getreuen nach ‘Diohore, überrafchte pie 
Verſchwörer bei einer ihrer Verſammlungen, griff fie jofort 
an, bieb drei derfelben perfönlich nieder und jagte fie in wil- 
ber Flucht vor fich Her in ein vom Meere begrenztes Diehungeln- 
gebüfch. Dies umftellte er an ver Tanpfeite, und ließ e8 darauf 
anzünden. Die Eingejchloffenen hatten nur die Wahl, fih zu 
ergeben oder eines fchredlichen Todes zu fterben,. jenoch kaum 
noch die Hälfte konnte um Parbon bitten, die übrigen kamen 





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in den Flammen oder im Meere. um. Diefes Beifpiel hat 
allen Berfchwörungsgelüften auf einmal ein Ziel gefebt, und 
da Abubalar, ver überhaupt kein Freund der Englänver ift, 
fich nach dem Tode feines Baters von biefen emancipirt und Die 
Penfion aufgegeben bat, auch wahrfcheinlich feine Reftvenz in 
Diohore aufichlägt, fo ift nicht zu bezweifeln, daß jein Träfti- 
‚ger Arın feine Herrſchaft zu befeftigen willen wird. Abdul⸗ 
Rhaman, fein jüngerer Bruder, ift der fchönfte Malaie, ven 
ich je gejeben Habe, aber auch zugleich ver größte Dandy 
feines Stammes. Während Abubafar fich von jeher die Ent⸗ 
widelung feines Landes ſehr angelegen fein ließ, Säge- 
mühlen und Gambirpflanzungen anlegte, lebte Abbul-Rha- 
man in echt malaüifcher Welfe nur für den Augenblid in 
der Gefellichaft feiner Frauen, oder Tofettirte im Bewußtfein 
feines fchönen Aeußern, das aller Augen auf fich zieht, zu 
Pferde oder zu Wagen auf ven Promenaden Singapores. 
Seine Tracht ift Halb malaiiſch, Halb europätfch, und man 
kann nicht leugnen, daß er es meifterhaft verfteht, durch dieſe 
Combination fich ein malerifches Coftüm zu fchaffen, das eben 
fo geſchmackvoll als Toftbar iſt. Jedenfalls ift der Prinz 
Dialma in dem Sue'ſchen „Ewigen Juden“ fein Ipeal mehr, 
und der junge Fürſt Abbul-Rhaman von Diohore kann in je- 
der Beziehung mit ihm wetteifern. 

Mit Abubafar wurden wir jehr befreundet und verbrach- 
ten höchft angenehme Stunden in feinem Haufe, bas, auf 
einem Hügel nahe am Waſſer gelegen, ganz unb gar auf 
europätfche Weiſe eingerichtet iſt. Wie es an aftatiichen Hö⸗ 
fen allgemeine Sitte ift, bedingt eine folche Freundſchaft einen 
Austaufh von Gefchenten. Wir erhielten manderlei fchöne 
und intereffante Sachen.  Elefantenzähne, Malakkaſtöcke von 
befonvders langem Schuffe, ausgefuchten Thee, ſeidene Sa⸗ 
vongs, Kopftücher aus Borneo, die deshalb fo koſtbar find, 
‚weil das reihe Mufter auf ihnen nicht gebrucdt, ſondern ge- 


94 


Briefter nur die Antwort, es jei ein Pferd. As ich weittn 
in das Innere wollte, fagte mir berfelbe Priefter, es aſeimicht 
erlaubt. „Was wollt ihr überhaupt Hier in unfern Teyigeln, 
‚wir fommen ja nicht in euere!’ fügte er hinzu Nun ne 
Mann hatte nicht fo ganz unrecht, und da felbft eine Cigarre 
ihm nicht weicher ftimmen wollte, mußte ich mich fchon mit 
dem Gefehenen begnügen, wenn es auch herzlich wenig war. 

In den chinefiihen Tempeln war man nicht ſo ungefällig, 
fonvdern ließ uns nach Belieben alles bejehen, abzeichnen und 
anfefjen. Es eriftiren in Singapore brei größere derſelben, 
zwei innerhalb und einer außerhalb ver Stadt, ich befichte 
fie alle prei und fand fie im Aeußern und Iunern ziemlich 
ähnlich. Bon jämmtlichen chineftfchen Gebäuden Singapores 
find fie die einzigen, bei denen ver fogenannte chinefifche 
Bauitil beibehalten iſt. Zuerſt tritt man in einen Vorhof 
oder Garten, deſſen gewöhnliche Zierbe ber große rothe 
Hahnenkamm if. An ber Mauer zur Nechten und Linken 
befindet fich ein Dfen. Das einzige Gejchäft ber im Tem⸗ 
pel wohnenden Priefter fcheint zu fein, in dieſen Defen von 
Zeit zu Zeit bedruckte Zettel zu verbrennen, und ebenfo |cheint 
ber ganze Eultus der Tempelbewohner varin zu heftehen. Die 
Ehinejen find ein praftifches Volk, pas in vieler Beziehung 
Aehnlichkeit mit den Norvamerifanern hat. Ihr Gott ift 
Geld, und auch bei ihnen gilt gleichfalls ver Grundſatz: „, Zeit 
ift Geld.“ Wozu foll alfo der Chineſe feine werthvolle Zeit 
mit Herfagen von Gebeten vergenden? Er hat es viel be- 
quemer, von ben Prieftern für einige Caſh die wirkſamſten 
geprudten Gebete zu Laufen und fie gleichzeitig in einem ber 
Defen verbrennen zu laffen. So ijt allen Theilen geholfen. 
Der Gott hat feine Gebete, der Priejter fein Geld und der 
Tempelbeſucher das Bewußtfein, feine veligiöfe Pflicht erfüllt 
zu haben. Bequemer kann doch fein Cultus fein! 

Es würde eine fchwierige Aufgabe fein, das Innere eines 


o 


95 


chmeſiſchen Tempels befchreiben zu wollen. Es ift nur eine 
Anhäufung von Schnurrpfeifereien, Sachen und Sächelchen, 
für die wir weber einen Namen haben, noch uns einen Zwed 
denken können. Eine Menge Tijche find damit angefüllt, und 
von der Dede hängen ebenfo viel bunte Bapierlaternen, 
Ampeln, Kronleuchter u. ſ. w. Eine Unzahl von Blumen 
töpfen ſteht umher, in denen Hunderte von dünnen wohlrie⸗ 
chenden Stäbchen glimmen, d. h. für chineſiſche Naſen wohl⸗ 
riechend, denn für die unſern iſt der Qualm ſchrecklich. Im 
Hintergrunde des Tempels befindet ſich das Allerheiligſte. Mit 
Hülfe einer den Prieſtern offerirten Cigarre gelangten wir 
auch dahin. Der Weg führte durch eine Lichtzieherei, in der 
von den Bonzeu bie für beſondere Feierlichkeiten erforderlichen 
Kerzen angefertigt werden. Es roch ziemlich unangenehm und 
war ſehr ſchmuzig. Im Allerheiligiten thront unwanbelbar 
das Bildniß des Confueius. Um daſſelbe brennen eine Menge 
Lichter und glimmen unzählige Stäbe, die in China täglich 
millionenweife verbrannt werden. Ebenſo find unter den Hei⸗ 
figen allerlei wunderliche Gößenbilder, Drachen und fonjtige 
unbegreifliche Figuren gruppirt. In ein paar Steintrögen 
wurden heilige Schilpfröten gehalten, und an den Wänden ha- 
ben fich chinefifche Künftler mit den wunderbarften Erzeugnif- 
fen der Phantafie verewigt, während vie Priefter zur Ver- 
fchönerung des Tempels an deſſen Wände eine Menge Bilder 
aus ben Ilustrated London News angeflebt haben, die nad) 
unfern Begriffen durchaus nicht in ein Gotteshaus gehören. 
Genug, ein chinefifher Tempel in Singapore ift ein unbe- 
ſchreibliches Ding, das mit allem andern Aehnlichfeit hat, nur 
nicht mit einem rveligiöfen Gebäude. 

Während unferer Anwefenheit im Auguft hatten wir auch 
Gelegenheit, eins der größten religiöfen Fefte der Chinefen, das 
Todtenfeft, anzufehen, deſſen Befchreibung jedoch erft fpäter 
bei ver Schilderung Chinas erfolgen wird, und ebenfo verweiſe 


96 


ih auf China ſelbſt in Bezug auf das Theater und die Kirche 
höfe, bie.fonjt gleichfalls zu ven Sehenswürbigleiten Singapores 
gehören, von denen in China ſich aber nicht im geringſten 
unterſcheiden. 

Der Handel von Singapore iſt bedeutend, jedoch beſteht 
er hauptſächlich im Tranſit. Im Jahre 1859 liefen 3522 
Schiffe ein und 3812 aus. Die Importen betrugen 24 Mil⸗ 
lionen Dollars, ver Erport belief ſich auf 22,650,000 Dol- 
lars. Die Erzeugniffe ver Infel felbft, infofern fie für die Aus- 
fuhr in Betracht kommen, find nur Pfeffer, Musfatnäffe und 
Gambir, letteres ein Gerbitoff auch unter ven Namen Catechu 
und Terra Saponica bekannt. Hinſichtlich aller übrigen 
Lebensbebürfnifje ift Singapore auf das Ausland angewiefen. 
Der für den Unterhalt der Benölferung nothwendige Reis 
kommt von Malgkka. Infolge einer bewunderungswerthen 
Liberalität der Engländer, die das Land im Innern jedem 
unentgeltlich überließen, der es haben wollte, ſiedelten ſich 
außerordentlich ſchnell Chineſen dort an, und bie großen Mo- 
raſt⸗ und Diehungeln-Streden verwanbelten fich fehr bald in 
Culturland, das fih namentlich vortrefflich für den Anbau 
von Gambir eignet, während auf ven Hügeln Pfeffer- uud 
Muskatanlagen gemacht wurden. 

Die nächte Umgegend der Stadt iſt höchit angenehm. 
Auf den vielen umliegenden Hügeln find die Villas oder Bun- 
galos, wie man fie bier nennt, der europätfchen Kaufleute 
angelegt und von reichen Gärten und Parks eingefchloffen. 
Die Wege find in vortrefflichem Zuftande, und die Droſchken 
laſſen nichts zu wünjchen übrig, wenn man nicht gerabe das 
Unglüd bat, einen Kutfcher, der nicht Befcheid weiß, oder einen 
ftörrifchen Pony zu treffen. In eriterm Falle hat man das 
Schidfal, ftundenlang auf der Infel in der Irre zu fahren, 
und kann froh fein, wenn das Pferd nicht ermüdet und man 
wenigitens die Stadt wieder erreicht. Im letztern Falle befindet 


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man fich vielleicht eine Stunde von der, Stabt mitten in ben 
Dſchungeln una eine halbe Stunde non jeder menfchlichen Woh- 
nung entfernt, unh das Vergnügen wird noch baburch: erhöht, 
daß es dunkel iſt, |meil man feine. Beſuche des Abends ab- 
ſtattet. Dem. Pony füllt es dann plötzlich ein ſtill zu ſtehen, 
und feine Macht der Erde kann ihn bewegen porwärts zu gehen, 
wenn man nicht ausſteigt. Daum geht er, ſobald man ſich 
aber wieder hineinfett, fteht ex wie angenagelt. Man muß 
nothmwendigerweife dann zu Fuße geben. Trifft dies aber, wie 
uns, in der Megenzeit, wo der röthliche Thon des Bodens 
aufgeweiht wird, fo. ift natürlich an das Abftatten des Be⸗ 
ſuchs night zu denfen, und man muß froh: fein, wenn man, 
zwar son eben big unten beſchmuzt, aber wenigitens ohne 
fonftige Unfälle fein Quartier in der Stabt wieder erreicht. 
So ging es uns einige male, und das einzige Meittel, fich da⸗ 
vor zu behüten, ift für einen Fremden, fich an einen Polizet- 
beamten zu wenden und fi) von biefem gegen eine Erfennt- 
lichkeit einen Wagen mit einem guten Pferde beforden zu Eaifen. 
Allerdings wird die Droſchke dadurch fo viel theurer, aber den 
Maßſtab unferer Geldverhältniſſe darf man in Indien 
überhaupt nicht aulegen. ‘Der Dollar Ift vie gangbare Münze, 
die Drofchke koſtet einen Dollar, das Glas Wein einen Dollar, 
und man gibt eisen Dollar Trinkgeld. Im Gafthofe Täßt 
ſich upter fünf Dollars pro Tag uicht Ieben, und ber Europäer 
‚gibt dem Bettler nicht unter Y, Dollar (12Y, Ngr.), weil 
er fich mit Fleinern und. Kupfermünzen nicht befaßt. 

Die deutſchen Hanvelshäufer Singapores gehören zu ben 
angeſeheuſten der Stadt und ftehen nach den Englänvern in 
erfter Reife, Die Flaggen der verſchiedenen deutſchen Ränder, 
namentlich aber die hamburger, find im Hafen ſehr ftarf ver⸗ 
treten, und der deutſche Handel entfaltet fich von Jahr zu 
Jahr mehr: Wir wurden von unfern Landsleuten mit der größ- 
ten Zuvorkommenheit und Herzlichkeit aufgenommen, obwol 

MWerner. I, 7 


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gerade hier bie preußifche Expebition und ihre Zwecke mit 
den wenigft günftigen Augen angeſehen waren. Ueberhaupt 
aber find wir an allen Pläten, wo fich Deutfche befanden, von 
biefen mit außerorbentlihem Wohlwollen empfangen worden, 
und e8 ift nicht mehr als Pflicht der gewöhnlichſten Dankbarkeit, 
wenn ich dies hier berühre und Hinzufüge, daß zu ben ange- 
nehmften Erinnerungen unferer Reife der Gedanfe an bie 
Freundlichkeit und Gaftfreundfchaft der Deutfchen in China 
ſtets gehören wird. 

Das Klima von Singapore iſt verhältnißmäßig ſehr ge- 
ſund. Dysenterie, Sonnenſtich und die gefährlichen Fieber 
Indiens ſind viel ſeltener als in den übrigen europäiſchen 
Colonien, wozu freilich die Anlage der Häuſer auf ben frei- 
liegenden Hügeln (in ver Stabt befinden ſich nur die Comptoirs 
der Europäer) und ver unbehinderte Zutritt ver frifehen See-- 
fuft fehr viel beitragen mag. Die Hite wird bemgemäß nie 
fo .exceffin, ald man nach der Lage ber Stadt unter 1° nörb- 
fiher Breite‘ Schließen follte, und nur die Regenzeit ift bie 
unangenehme Saifon. | 

Die Injel winmelt von Schlangen aller Art, meiftene 
find fie jedoch ungefährlih, wenngleich es dem Fremden 
fonderbar vorkommt, jolchen Reptilien ſchon unmittelbar vor 
der Stadt und in bewohnten Straßen zu begegnen. Man 
gewöhnt fich jedoch bald. daran und nimmt Feine Notiz mehr 
davon. Nur die Chinefen vigiliren darauf, weil fie die 
Schlangen als Leckerbiſſen verfpeifen. 

Bei weiten unangenehmer find jedoch die Ziger, eine 
Plage, von denen die Infel mehr heimgefucht wird als irgend- 
ein anderer befannter Ort der Welt. Man rechnet, daß im 
Durchſchnitt täglich ein Bewohner ber Infel von biefen Raub- 
thieren aufgefreffen wird, obfchon die englifche Regierung für 
jeden erlegten Tiger eine Prämie von 5 Pf. St. zahlt. Man 
würde fich gar nicht erklären können, wie biefe Thiere auf der 


99 


fo bevölterten Infel fich zu halten vermögen, wenn nicht Erfah- 
rung fejtgeftelit Hätte, daß fie, vom Hunger getrieben, immer wie- 
der von Malaffa herüberlommen und ſchwimmend ben bas Feft- 
land von der Inſel trennenden Wajferftreifen überfchreiten. Da 
fie auf Singapore fein Wild oder Viehheerden finden, fo fal- 
fen fie Menfchen an, und dies iſt allein der Grund ber zahl- 
Iofen von ihnen geforderten Opfer. Namentlich find es Chi⸗ 
nefen, bie ihnen am beiten zu munden foheinen, und felten 
greifen fie einen Malaien ober Kling an. Freilich mag auch 
wol dazu, beitragen, daß bie Chinefen das Innere bevölfern 
und oft allein von ben Zigern in den Dſchungeln überrafcht 
werben. Während unferer Anwejenheit beunruhigten fie jedoch 
auch die nächite Umgebung der Stabt, und von drei Chinefen, 
bie fpazieren fuhren, wurde einer vom Wagen herunterge- 
holt. Ein anderer mächtiger Tiger wurbe fur; vor um- 
ſerm Abgange in einer Grube kaum 2000 Schritte von bem 
Orte gefangen, wo wir uns täglich babeten. Faſt nie greifen 
fie jepoch die Menfchen am Tage an, fonbern ftetS am Abend, 
und es ift daher rathſam, im Innern der Infel fi nad 
Dunkelwerden zu Haufe zu halten, wenn man nicht auf ihren 
Empfang vorbereitet ift. 

In der Nähe des Dods, wo unfer Schiff reparirt wurde, 
und das ungefähr eine Meile weitlich von der Stadt gelegen 
ift, befindet fih auch das Palais des Maharadſcha von 
Diohore, der, wie ich fchon erwähnte, durch feine Penfion 
verpflichtet ift, auf Singapore zu wohnen, und nur für 
fürzere Dauer einige male bie Hauptftabt feines Reichs, vie 
wie dieſes Diohore heißt, während des Jahres bejucht, um 
bort die NRegierungsgefchäfte zu erlebigen welche feine per» 
fönliche Gegenwart erfordern. Wir Hatten Gelegenheit, ſowol 
mit dem alten Fürften als namentlich mit feinen beiden Söh- 
nen Abubakar und Abdul-Rhaman näher befannt zu 
werben, bon denen ber erjtere nad) dem im Sanuar 1862 

7* 


27.7102 


konnte, auch bligfchnell in die Bruft. Ob das Herz getroffen 
war oder das Gift des Dolches ſo ſchnell wirkte, jedenfalls 
brad das Raubthier ſofort zufammen, big in feiner Todes⸗ 
angjt aber noch einmal fo heftig zu, .baß feine Zähne bie 
ſchützende Hülle des Armes burchbohrten und tief in das 
Wleifch drangen, ohne jedoch dem Tühnen Fürftenfohne erheb- 
lichen Schaden zu thun. Ein dritter Stich in das linfe Auge 
beiwog das Thier, den Rachen wieder zu öffnen. Abubakar z0g 
chleunigft feinen Arm heraus, und es war ihm jegt ein Leichtes, 
bem geblendeten Thiere vollends den Garaus zu machen und bef- 
‚fen Schwanz als Trophäe feines Steges nach Haus zu ‚bringen. 
Auf Ähnliche muthige Weife bat er fich in Verbinduug mit 
den engliichen Behörden bei dem Angriffe und ber Verfolgung 
malaitfcher Seeräuber benommen, die jene Gewäfler beun—⸗— 
ruhigen, und eine Empörung von Chinefen in Diohore auf eine 
Art unterdrückt, die lebhaft an Peliſſier's Kriegführung gegen 
‚vie Kabylen in Afrika erinnert. Der alte Fürft hatte nämlich 
auf Betrieb Abubafar’s eine große Zahl Chineſen zur Anfievefung 
in Djohore bewogen, um nach dem Beifpiele Singapores das 
Land burch deren Induſtrie zu heben, und e8 waren.in wenigen 
Jahren etwa 20000 diejer Nation ver Einladung gefolgt. Einige 
ehrgeizige Köpfe unter ihnen glaubten die Abwefenheit bes 
Fürſten benugen zu können, um die Herrſchaft an fih zu 
reißen, und die Verſchwörung wäre ohne Zweifel geglüdt, 
wenn fie nicht einige Tage vorher verrathen werben. Abubafar 
eilte mit 500 feiner Getreuen nach Djohore, überrafchte pie 
Verſchwörer bei einer ihrer Verſammlungen, griff fie jofort 
an, bieb drei derſelben perſönlich nieder und jagte fie in wil- 
der Flucht vor fich her in ein vom Meere begrenztes Dſchungeln⸗ 
gebüfch. Dies umftellte er an der Yandfeite, und ließ es darauf 
anzünden. Die Eingefchloffenen hatten nur die Wahl, fich zu 
ergeben ober eines fchredlichen Todes zu fterben,. jedoch kaum 
noch die Hälfte konnte um Barbon bitten, bie übrigen famen 


108 +” 


in den Flammen oder im Meere um. Diefes Beiſpiel hat 
allen Berfchwörungsgelüften auf einmal ein Ziel gefegt, und 
da Abubalar, der überhaupt fein Freund ber Engländer iſt, 
fich nach dem Tode feines Baters von diefen emancipirt und Die 
Benfion aufgegeben bat, auch wahrfcheinlich feine Refivenz in 
Diobore auffchlägt, jo ift nicht zu bezweifeln, daß ſein kräfti⸗ 
‚ger Arın feine Herrichaft zu befeftigen wilfen wird. Abdul⸗ 
Rhaman, fein jüngerer Bruder, ift der fchönfte Malaie, ven 
ich je gefehen habe, aber auch zugleich der größte Dany 
feines Stammes. . Während Abubakar fich von jeher die Ent: 
widelung feines Landes ſehr angelegen fein ließ, Säge- 
mühlen und Gambirpflanzungen anlegte, lebte Abdul⸗Rha⸗ 
man in echt malalifcher Welfe nur für den Augenblid in 
der Gefellfchaft feiner Frauen, oder folettirte im Bewußtfein 
feines jchönen Aeußern, pas aller Augen auf fich zieht, zu 
Pferde oder zu Wagen auf ben Promenaben Singapores. 
Seine Tracht ift halb malatifh, halb europätich, und man 
fann nicht leugnen, daß er es meifterhaft verfteht, durch dieſe 
Combination fich ein malerifches Coftüm zu fchaffen, pas eben 
fo geſchmackvoll als koſtbar iſt. Jedenfalls ift der Prinz 
Dialma in dem Sue'ſchen „Ewigen Juden“ fein Ideal mehr, 
und ber junge Fürft Abdul-Rhaman von Djohore kann in je- 
der Beziehung mit ihm wetteifern. 

Mit Abubafar wurden wir fehr befreundet und verbrach- 
ten höchft angenehme Stunden in feinem Hanfe, das, auf 
einem Hügel nahe am Waffer gelegen, ganz und gar auf 
europäifche Weife eingerichtet if. Wie es an aftatiichen Hö- 
fen allgemeine Sitte ift, bebingt eine folche Freundſchaft einen 
Austaufh von Geſchenken. Wir erhielten mancherlei fchöne 
und interefiante Sachen.  Elefantenzähne, Malaflaftöde von 
befonvders langem Schuffe, ausgefuchten Thee, ſeidene Sa- 
rongs, Kopftücher aus Borneo, die deshalb fo Foftbar find, 
‚weil das reiche Mufter auf ihnen nicht gebrudt, ſondern ge- 


malt'tirb n.h w Wir revaiidirten une mit &iereoffopen, 
bie ein großes Interefſe erregten, und namentlich machte. ein 
Eiſenbahnzug bei. Nacht dem. alten Fürften ungemein viel 
Freude. Er ſowol wie Abubakar erfanvigten fich ungelegent- 
lich nach deutſchen und preußiſchen Berhältniffen, nach ver 
Verwandtſchaft unfers Königshauſes mit.dem engliſchen Hofe, 
und beide verriethen eine große Wißbegierde. 

Abubafar hattö zwar. drei Frauen, aber nm. Ein Kind, 
ein wunberhübjches Mädchen ven 7 Yahren hit Namen. Ka⸗ 
tidija, non fehr heller Hautfarbe, das fehr ‚bald gegen. uns 
zutraulich und imifer Liebling wurde... Er hegt, wie bereits 
bemerft, Die Abficht, ſich möglichft von Den Engländern zu 
emancipiren und aus feinem.Weiche etwas zu machen, Djo⸗ 
hore Legt on der Südoſtſpitze der Halbinſel Malalka, ift circa 
110, Diüadratnieilen groß, aber unr. fehr ſpärlich bevölkert. 
Bor der Einwanderung. per Chinefen zählte &$ nur 60,000 Ein- 
wohner,. augenblicklich aber.fchen 100,000, unb.ver neue Fürſt 
ift bemübt,. immer nerte, Einwanberer heranzuziehen. Die 
Stadt Djohore, zu. Waffer etwa vier Meilen von Singapore 
entfernt,. ift "zugleich bie Hafenſtadt bes Landes, und bie Waſ⸗ 
fertiefe geftattet Schiffen. von. 10 Fuß Tiefgang heranzukom⸗ 
men. Der Hauptreichtifum bes Landes beiteht in Nutzhölzern, 
welche die reihen Waldungen liefern. Die neuerrichteten 
Sägemühlen geben eine. ungemein hohe Mevenu, und die An- 
pflanzungen bon Pfeffer. und Gambir wachfen beträchtlich von 
Jahr zu Bahr. Meis geneiht ausgezeichnet und wird bereits 
ausgeführt, während bie Verſuche mit Bucker ebenfolls ſehr 
günſtig ausgefallen ſind, 

Dieſe Roſultate ermuthigen ben. jungen Furften zu andern 
neuen Unternehrkungen, und es iſt zu wüuſchen, daß feine Be⸗ 
ſtrebungen für die Civiliſation und Hebung des Landes ſtets 
von gleichem Erfolge gefrönt ſein mögen. Es iſt dieſe Politik 
zugleich das beſte Mittel, das Land vor der Annectirung an 


105 


europäifche Kolonien zu bewahren, der die übrigen hin⸗ 
terindiſchen Staaten allmählich verfallen müſſen, weil fie fich 
nicht entfchließen Tönnen, ven Weg der Civilifation zu betreten, 
bie unaufhaltfam vorwärts brängt, bis fie früher oder fpäter 
bie ganze Erde umſpannt haben wirb. 

Eine jehr ſchöne Photographie des Fürften Abubakar, welche 
er mir nebft einem Stereoflop feines Haufes bei meiner fpä- 
tern Rückkunft nach Singapore zum Andenken fchenkte, wirb 
mir ſtets eine angenehme Erinnerung an biefe intereffante 
Berfönlichfeit unb die Stunden fein, bie ich in feiner Gefell- 
ſchaft verlebte. 

Am 27. Anguft war unſer Schiff; für Indien ganz 
auferorbentlich ſchnell, wieder fo weit reparirt, daß es feine 
Weiterreiſe antreten konnte. Leider war jedoch faſt die Hälfte 
unſerer Mannſchaft am Fieber erkrankt; / vas um dieſe Jahres⸗ 
zeit: auf Siugapure herrſcht, und wenn das Hebel auch burch⸗ 
aus keinen gefaͤhrlichen Charakter hatte, zwang ed uns doch, 
noch acht Tage auf der Rhede zu verbleiben, ehe wir unſere 
Welterreife. nach Japan antreten konnten. Erſt am 4. Sep- 
tember gingen wir zu dieſem Zwecke in See. 


108 


NRichtung vorwärts kewegt..und je. mach ber Heftigfeit ſeiner 
Drehung mehr ober minder die mugebenven Luftſchichten in 
. feinen. Wirkungskreis zieht und ihnen Bewegung miltheilt. 
Danach wird der Durchmeſſer des ganzen Sturms größer ober. 
feiner, und zwar iſt ein Heiner Durchmeſſer gefährlicher, weil 
er unwermuthet die Schiffe überfällt. In ver nördlichen He⸗ 
miſphäre dreht ſich das Centrum gegen die Sonne, v. &- son 
Oſt beginnend durch Nord und Weſt nad Süben. Auf der 
ſüdlichen Halbkugel fiudet vas Gegentheiul ſtatt. Affe in ven 
Bereich des Centrums gezogenen Luftſchichten oder Winde 
wehen als Tangenten auf das Centrum und vleſe Thatſache ift 
für den Seemann am wichtigften, infofern fle ihn in den Stand 
jeßt, die Richtung des Centrums zu jenem Schiffe feftzu- 
ſtellen. Er befinde fich z. B. auf der -Morbfeite des Aequa⸗ 
tors mit Norboftwind und allen Anzeichen eines Teufun. Datın 
liegt pas Centrum des Wirbelfturms in ver Richtung der Tangente 
oder um einen Viertelkreis vechts von ihm, wenn er ſich mit 
dem Gefichte dem Winde zufehrt, mithin in Süvoſt, ober, 
wenn er auf ber füblichen Hemifphäre fegelt, um einen Vier⸗ 
telfreis Tinte, d. b. in Norbweit. Das Nächfte, über dag er 
fich jeßt vergewiffern muß, ift dev Weg des Gentrums fowie 
beffen Entfernung von ihm. Der Weg ergibt fi ans dem 
Wechfel des Windes. Stürme ber angegebenen Art beivegen 
fich mit einer Dürchſchnittsgeſchwindigkeit von 15—16 Knoten 
oder vier geographifchen Meilen in ver Stunde, während fel- 
ten ein Schiff, das ſich bereits in Ihrer Peripherie befindet, 
mehr als die Hälfte fegelt, es fei denn gerade vor dem inne. 
Mit Ausnahme des Einen Yalles, wo der Teufun dem Schiffe 
gerade entgegenfommt oder genau in feinem Eurfe folgt, wird 
fich daher bie relative Tage des Centrums zum Schiffe ſchnell 
verändern. Demgemäß wird auch ver Wind wechſeln, und 
zwar um fo fchmeller, je näher man fich dem Centrum be⸗ 
findet. Es fel z. B. ver Wind Norboft, das Centrum mit- 


109 


hin Südoſt und cirea 100 Meilen entfernt. - Das Schiff 
ftenere Nordweſt, währenb ber Wind feit ſtehen bleibt und 
nur ſtündlich bei ftets fallendem Barometer an Wuth Junimmt. 
In diefem Falle ift es Mar; daß ver Teufun dem Curſe des 
Schiffes. folgt und eB in ſechs bis acht Stunden überholt 
haben wird. Das einzige Rettungsmittel ift jegt, bem Cen⸗ 
trum ans dem Wege zu.fegeln, und zwar im rechten Wiufel 
davonab, um fo ſchnell als möglich aus feinen Bereiche. zu 
kommen. Rach Dften kann man nicht wegen des Winves, 
mithin ift Südweſt ver rettende Curs. Iſt andererſeits ber 
Wind Nordoft und ſpringt nach und nach auf Oſt, Süboft, 
Süd n. ſ. w., jo gilt dies als Zeichen, daß man fich auf. der rech- 
ten Seite. des. Sturms befinde oder daß das Centrum Süpoft, 
Süd, Südweſt und Welt petlt, alfo ſüdlich nom Schiffe vor- 
beimarſchirt und dieſes fich mit dem Norbweftcurfe davon 
entfernt. Dann iſt es Aufgabe, ven Curs noch nörblicher zu 
ftellen, je nachbem ber drehende Winb es geftattet, und im 
rechten Winfel von der Bahn des Stuxms abzufegeln. 

Es erſcheint kaum glaublih, daß nach zwanzigjährigem 
Bekanntwerden dieſes ſo überaus wichtigen Geſetzes und den 
aus ihm gefolgerten einfachen Regeln ea immer noch eine 
Menge Seeleute gibt, bie entweder zu nachläffig find, fich 
borum. zu kümmern, oder in ftarrer Ignoranz geradezu bie 
Sache verlachen. Wir ſelbſt haben einen ſchlagenden Beweis 
davon gehabt. An jenem 17. Sept. befanp ſich kurz vor dem 
Ausbruche des Tenfun ein englifches Transportfchiff bei uns, 
‚usit dem wir gegenfeitig Flagge zeigten. Nachmittags webte 
es bereits fo Kart, daß die Marsfegel dicht gerefft werden 
mußten. Der Wind war Norboft, blieb hartnädig fo, und 
der Zeufun kam offenbar hinter uns her. Der Englänper 
brehte bei, ſodaß er den Wind von der Tinfen Geite 
hatte und unter Sturmfegeln langfom nach Süden trieb, ein 
Manöver, das total verfehrt war, weil er ſich bamit bem 


110 

nördlich marjchirenden Centrum näherte. Wir hielten bage- 
gen ab und fegelten vor dem Sturme mit 11—12 Knoten 
Gefchwinnigfeit nach Südweſten. Nach ſechs Stunden fing 
das Barometer an zu fteigen, die See wurbe regelmäßiger 
und überhaupt das Wetter beffer. Zugleich begann ver Win 
fih rechts zu drehen. Wir wußten alfo, daß wir uns auf 
der rechten Seite des Teufun befanden und letterer nicht 
birect nach Norpweften gehe, ſondern fich jegt in einer Curve 
jünlich ziehe. Ein fernerer fünlicher Eurs würde uns ihm 
mithin wieder genähert haben, und wir brehten bemgemäß 
unter den Wind, ſodaß wir ven Wind von ber rechten Seite 
hatten und nach Norden trieben. Wir hatten die Nacht Hin- 
durch zwar noch fchweren Sturm, verloren aber nichts, wo⸗ 
gegen jener Engländer einen Monat fpäter, während wir 
ſchon drei Wochen ruhig in Hongkong lagen, dort ohne Ma- 
ften und faft als Wrad eingebracht wurde. In bemfelben 
Teufun waren noch drei andere Schiffe entmaftet worden und 
zwei gänzlich verloren gegangen. In dem gefchilderten Falle 
hatten wir genügenden Seeraum, um fortzulaufen. Es wer- 
den jedoch auch öfters Schiffe von Teufunen, namentlich von 
ſolchen mit kleinem Durchmeffer, die urplöglich erfcheinen, 
an Stellen überrafcht, wo Land oder Klippen ihnen das Fort⸗ 
laufen verbieten. Dann ift fretlich- nichts weiter zu machen, 
als das Schiff auf der richtigen Seite unter den Wind zu 
bringen, um wenigftens fich fo weit wie möglich vom Gentrum 
des Sturms zu entfernen. ‘Damit ift menfchlicher Macht vie 
Grenze gezogen und das Schiff der Gnade Gottes überlajjen. 

Ein folcher Fall betraf, wie wir jpäter in Hongkong er- 
fuhren, die Dampffregatte Arkona und den Schooner Frauen 
{ob auf ihrem Wege nach Japan. Die Arkona hatte den 
Schooner im Schlepptau und befand fich bereit8 nahe vor dem 
Eingange der Bai von Jeddo, als plöglich ein ſchrecklicher 
Teufun mit Heinem Durchmeffer über die Schiffe hereinbrach, 


111 


die wegen ver gefährlichen Nähe des Landes nicht entrinnen, 
fondern nur beibrehen fonnten. Der Sturm begann morgene 
vier Uhr, erreichte feinen Höhepunkt gegen Mittag und war 
nachmittags vier Uhr ganz vorbei. Die Arkona hatte ſehr ge- 
litten, fie batte mehrere Stunden auf der Seite gelegen und 
nur baburch ihre Maften behalten, daß es ihr enblich gelang, 
mit Hülfe der Mafchine über ven andern Bug zu kommen 
(den Wind von der andern Seite zu erhalten. Der arme 
Schooner Dagegen war verloren, und man hat nie wieber et- 
was von ihm gehört. Wahrfcheinlich Hat ihn eine ver furcht- 
baren Seen, die in den Teufunen vegellos von allen Seiten 
lanfen und 30-40 Fuß pyramidal in die Höhe fteigen, mit 
ihrem Zufammenbrechen erbrädt nnd in bie Tiefe gezogen, 
ein fehmerzliches Opfer, das bie Erpebition den Elementen 
zu bringen hatte. Zweiunbvierzig Menfchen, barunter fechs 
Offiziere und Beamte, kamen dabei um. 

Die japanifche Regierung fehidte ein Dampfichiff aus, um 
Spuren bes verunglüdten Fahrzeuges aufzufuchen, aber weder 
vom Frauenlob noch von dem Dampffchiffe jelbft ward je etwas 
wieder entvedt. Ein zweiter Teufun am 9. Sept. begrub auch 
das abgeſchickte Dampfichiff im Meere, ebenfo wie bie eng- 
liſche Kriegsbrigg Camilla, die fih in jenen Gewäſſern befand. 
. Der September tft der ſchlimmſte Monat. Der Wechiel 
ber Monjuns, die Nequinoctien und bie Perigäen des Mondes 
jcheinen bei der Erzeugung von Teufunen neben den Higeaus- 
ftrömungen ver großen aftatifchen Ebenen eine bedeutende Rolle 
zu fpielen. Im Iahre 1860 kamen drei Zeufune im Monat 
Septentber vor, die nicht nur auf dem Meere, fondern auch an den 
Küften der von ihnen heimgefuchten Länder furchtbare Ver—⸗ 
heerungen anrichteten. Sie treten auch in andern Monaten 
auf; vom December bis Mat find fie jedoch noch nie beobach— 
tet worden. 

Das einzige gewiſſe Anzeichen von ber Nähe dieſer ge= 


112 


waltigen Phaͤnomene iſt das Barometer. Bieweilen fällt daſ⸗ 
ſelbe ſchon 24 Stunden vorher, faſt immer aber fo zeitig, um 
ben barfichtigen- Seemann. zu warnen, Langjährige Probarp- 
tungen haben aus dem Fallen anßeroypeutlich nützliche Regeln 
abgeleitet, nach deuen man ſeinen Abſtand vom Gentrum mit 
ziewlich ox Sicherheit ſchatzen und dangch ſeine Maßregeln tref- 
fen kaun. So zeigt ein durchſchnittlicher Fall von Q",02--0",06 
Zoll in ver Stunde eine Entfernung von 70-40 geographi⸗ 
ſchen Meilen, von 00 0"08 40-28, von 0’08--0"12 
25-20, bon 0"13—0"15 20-10. Meilen an. Wehe je- 
doch dem Sgiffe das ſich in diefer Mühe des Centrums he- 
findet, es iſt faſt ‚xegelmäßig verloren. Bisweilen fällt das 
Barometer | bis 27 Zoll, und wahrfcheinlich iſt Dipfe: ‚plögliche 
‚Berändegung des amofphäriſchen Drudes bie Urſache, baß 
die Wellen in ſolchen Wirhelſtürmen eine ſo außergewöhnliche 
Höge erökhen und ‚eine. ppramibalifche Form mit faft ſenk⸗ 
rechten. Waͤuden ‚annehmen , wodurch fie den Schiffen fo ge- 
fährlich werden ‚Ebenfo erllaärt fich dadurch ber heftige See⸗ 
gang ,. ber. .al@ Borläufer eines Teufun ober Orkans big- 
weiten. ſchon 24 Stunden vor ſeinem Ausbhruche die Schiffe 
warnt, ‚ während. blauer Himmel und bas fchönfte Wetter keine 
Gefahr. ahnen - faffen.. 2 

Der von ums. glück. permiedene Sturm bezeichnete ben 
Wechfel bes Doufun, . per.in dieſem Jahre ungewöhnlich friih 
und mit größerer. Heftigkeit als ſonſt einſetzte. Wir verſuch⸗ 
ten noch mehrere Tage gegen ihn anzukämpfen; allein ver ftür⸗ 
miſche Nordoſt erlgubte uns nicht, fo viel Segel zu führen, um 
durch Laviren die nach Südweſt laufende Strömung zubefämpfen. 
Wir fuchten deshalb unferer Ordre gemäß, bie dieſen Fall 
borgefehen Hatte, den Hafen von Hongkong anzufegeln. Dort 
wollten wir fo lange bleiben, bis der Monfun. feine vegelmä- 
Bige Stärke erreicht haben würde, und daunn unfere Kreuztour 
nach Japan fortſetzen. 





113 


Wir nahten ver Küſte Chinas etwa 20 Meilen weſtlich 
von Honglong bei der St. Johns⸗Inſel, die vor dem Aus⸗ 
fluſſe des Tſchukiang oder Perlfluffes liegt, und an dem Kanton 
erbaut iſt. Hier fanden wir Schuß gegen ven nördlichen 
Wind und Freuzten dicht unter dem Lande, um die Gegen 
ftrömung zu vermeiden, oſtwärts. 

Der Anblid ver chinefifchen Küfte ift nicht erfreulich. Ste 
erhebt fich als eine hohe Mauer, oder als eine von aller 
Vegetation entblößte Felfenkette fteil aus ver Tiefe, und die 
vielen vor ihr zerftreut Tiegenden Infeln bieten denſelben troſt— 
.Tofen Anblick. Keine Spur von Grün war zu entbeden. Die 
Sonne brannte glühend -auf die kahlen röthlichen Bafaltfelfen 
und Regel hernieder, die, in ven fonderbarften Zaden und 
Formen gejtaltet, ver Küfte einen Anſtrich von romantischer 
Wildheit geben, ohne daß dieſe Wildheit durch ein Anzeichen 
von Eultur gemilpert ober dem Auge angenehm wird. Erſt 
in der Nähe von Hongkong, das in der Mitte einer Inſel⸗ 
gruppe gelegen ift, änderte fich die Scenerie etwas und zeigte 
fich freundlicher. Als wir dann am 21. Sept. an der Norpfeite 
von Hongkong entlang nach Victoria, der Hauptftabt der Infel, 
fegelten, wurben wir durch den lieblichen Anblid der mit 
friſchem Grün beffeiveten Felſen, ver hochcultivirten Thäler 
und endlich der bedeutenden in europäiſchem Stil erbauten 
Stadt mit ihren palaſtähnlichen Häuſern, ihren Parks und 
umgebenden Gärten reichlich für die Oede der übrigen Küſten 
entſchädigt. 

Hongkong oder mit der richtigen Ausſprache Hoong⸗Keang 
(d. h. der rothe Gebirgsſtrom) iſt eine ſechs Meilen öſtlich 
vom Ausfluſſe des Perlſtroms gelegene Inſel von circa 
5 Quadratmeilen Umfang und nahe dreieckiger Form, deren 
etwas concave Baſis dem Feſtlande von China zugekehrt und 
von dieſem nur durch eine Meerenge von 4-5000 Schritt 
Dreite getrennt ift. Das Eiland ift wie bie ganze Südküſte 

Werner. I. 8 


114 


und alle übrigen Infeln vulkaniſcher Formation, gebirgig, fteil 
aus dem Meere auffteigenb und hat feine chinefiiche Benen⸗ 
nung bon einem Sturzbache erhalten, ver fi in ber Nähe 
der Stabt Victoria über die mit einer röthlichen Thonſchicht 
bedeckten fenfrechten Felswände in das Meer ergießt. Die 
Meerenge, welche fich durch Vorſprünge des Feſtlandes an 
ber Nordoſt⸗ und Nordweſtſeite ver Infel zu einem engen 
Fahrwaſſer von Taum 600 Schritt Breite zufammenzieht, bil- 
bet bei ihrer gleichmäßigen Tiefe und ben umgebenden hohen 
Bergen einen der fchönften, geräumigften und gefchätteften 
‚ Häfen von ganz China. 

Bis 1841 war bie Infel ebenfo öde, kahl und unbemohnt 
wie die um fie zerftreut liegenden Gruppen. Die Engländer 
wurben zuerſt auf fie aufmerkſam, als beim Ausbruche des 
exiten Opiumfrieges im Jahre 1840 der Commiſſar Lin jeden 
Handel mit England unterjagte, und bie im Perlfluffe vor 
Kanton verfammelten englifchen Handelsſchiffe einen Play in 
ber Nähe fuchten, wo fie ven Verlauf der Dinge abwarten 
tonnten. Der Hafen von Honglong nahm fie auf. Die pracht- 
volle Lage veffelben, feine Vertheidigungsfähigkeit ſowie vie 
Meöglichkeit, von bier aus den Perlfluß zu überwachen und 
zu fchließen, ließen ven Beſitz der Infel ſowol als militärir 
chen Poften wie auch als Handelshafen fehr wünjchenswerth 
erfcheinen, ſodaß ihre Abtretung in die Friedensbedingungen 
aufgenommen ward. Der: erfte vorläufige Friedensſchluß er- 
folgte am 20. Ian. 1841, und fchon am 26. deffelben Monats 
wurde Hongkong in Befik genommen und zur englifchen Colonie 
erflärt. 

Damals war bie Infel von 50-60 armieligen Fifcher- 
Familien bewohnt, deren gebrechliche Hütten am Rande zer- 
ftreut Tagen, heute nach 21 Jahren zählt Hongkong nicht ver 
niger al8 100,000 Einwohner. Hunderte von Schiffen aller 
Nationen beleben feinen Hafen. Dods, Werften, Tabrifen 





115 


unb fürftlich gebaute und eingerichtete Häuſer befunden ben 
Reichthum und die Inbuftrie feiner Bewohner. Diefer ſchnelle 
Aufſchwung gibt Zeugniß von dem praltiichen Blid der Eng- 
länder, bie in dem Befite dieſes Punktes deſſen baldiges Auf⸗ 
blühen und große Zukunft vorherſahen. 

Hongkong bat keinen directen Handel; es exportirt weder 
noch führt es nemmenswerth ein, ſondern es iſt ver Bankplatz 
für den geſammten chineſiſchen Handel und gewinnt dadurch 
ſo große Bedentung. Die großen Handelshäuſer haben hier 
ihren Wohnſitz aufgeſchlagen, ‚weil es bislang der einzige 
Platz in China war, der Sicherheit des Eigenthums bot. In 
den verſchiedenen chineſiſchen Küftenplägen, bie dem europäi⸗ 
ſchen Handel offen ſtehen, wie Kanten, Swata⸗u, Yustfchasu, 
Ningpo, Schang⸗hae und Tientfin, beſtehen nur Commanditen, 
während Hongkong als Geldplatz ber Kreuzpunkt des geſamm⸗ 
ten chineſiſchen Handels iſt, die Reſidenz der merchant prin- 
ces, Kaufmannsfürſten, wie hier die Chefs der großen Häu⸗ 
fer genannt werden. Und wahrlich, fie find die Fürften ver 
Kaufmannswelt, welche ſich die unbebingte Herrichaft über 
ben Handel erworben haben, welche die Preife machen, bie 
Geldeurſe regeln, und deren Unterneßmungsgeift mit Hülfe 
ber großartigen pecuniären Mittel, über bie fie gebieten, com- 
merzielle Zransactionen hervorruft, von benen wir auf bem 
Continent von Europa feine Vorftellung haben. 

Das größte diefer Häufer ift Jardine & Eo., deren Grün- 
ber ein fohottifeher Kaufmann war; die Herren diefer Firma 
befrachten nicht ‘allein jährlich Hunderte von Schiffen, fondern 
befigen noch 30-40 eigene Fahrzeuge. Site Haben eigene 
Werften, Dods, Mafchinenfabrifen, ihnen gehört faft ein 
Biertbeil der Infel und fie laffen wie Fleine Souveräne ihr 
Eigenthum durch eine bewaffnete Macht beſchützen. 

Ihre Schiffe, namentli die mit den chinefifchen Küften 
verfehrenden Opiumfahrzenge, find wie Kriegsſchiffe bewaffnet 

8* 


116 5 


und bemannt. Den Hauptbeweis für die Großartigfeit ihrer 
Hanvelsbeziehungen bietet jeboch die Thatfache, daß ſie ſich 
zwei eigene fühnellfegelnde Dampffchiffe ver größten und fchön- 
ften Art einzig zu dem Zwecke babe bauen laffen, um die 
Poſtverbindung zwifchen Hongfong und Singapore, bisweilen 
auch Bombay, einerfeits und ben norbchinefilchen Häfen an- 
dererſeits für ihre eigenen Briefe. aufrecht zu erhalten. ‘Diefe 
Dampfjchiffe nehmen werner Fracht noch Briefe für andere 
Leute an, fondern befördern nur Paſſagiere. Letztere müſſen 
jedoch nach Ankunft des Schiffes noch 24 Stunven länger an 
Bord. bleiben, um die neuen Nachrichten nicht zum Nachtheile 
der Schiffseigenthümer zu früh zu verbreiten. . Wenn bie 
Ueberlanppoft in Singapore eintrifft, oder, wenn wichtige 
Nachrichten erwartet werben, ſchon in Bombay, Tiegt bafelbit 
eins dieſer Dampffchiffe bereit, um die Briefe der Firma 
Jardine & Co. nah Honglong zu ſchaffen. An Tebterin 
Drte befindet fich das zweite Dampffchiff, welches unverweilt 
bie Correfpondenz des Hauſes weiter nach den verjchiebenen 
Küftenplägen. befördert. Auf diefe Weife gejchieht es, daß 
bas erwähnte Haus rüdfichtlich ver Nachrichten der. regelmä- 
ßigen Poft um zwei bis drei Tage voraus if. Man Tann 
fich denken, von welcher Wichtigkeit für ein folches Handelshaus 
ber Vortheil fein muß, die politifchen Nachrichten und Han 
delsconjuncturen aus Europa um einige Tage früher zu er- 
fahren als die übrige commerzielle Welt. Es kommt z. ©. 
bie Nachricht, Thee oder Seide in England fei jo und fo viel 
geftiegen. Sofort wird von den Agenten des Hauſes von 
beiden Artikeln aufgefauft, was irgend zu haben ift, und bei 
Ankunft der Poft haben die übrigen Häufer das Nachjehen. 
Nur der unermeßliche und fichere Vortheil, der aus biefer 
bejchleunigten Benachrichtigung hervorgehen mag, Tann es 
erflären, daß das Haus im Stande ift, zwei Dampfichiffe, 
bie ein Kapital von 1 Mill, Thalern repräfentiren, beftän- 











117 


dig unterhalten zu können, ohne damit birect einen Pfennig zu 
berbienen. . 

Die Rivalen von Iarbine & Co. find die Engländer 
Dent & Eo. Diefe haben diefelbe Einrichtung mit den Dam- 
pfern getroffen, deren einer, wie ich zufällig weiß, 700,000 Tha⸗ 
Ier gefoftet hat, und deſſen Unterhalt monatlich, wenn er in 
der Fabrt tft, 25,000 Thaler beanfprucht. Soldde Summen mö- 
gen unglaublich erfcheinen, wenn ınan aber bedenkt, baß bie 


. Schiffe darauf berechnet find, Taufende von Meilen mit einer 


\ 


Schnelligkeit von 15 Knoten (3%, deutſche Meilen per Stunde) 
gegen den ftärmifchen Norboftmonfun zu dampfen, wirb man 
es begreiflich finden. Es ift natürlich, daß niemand mit ben 
beiden Häufern concwriren Tann. Um einen Begriff zu ge 
ben, welch Rolle die merchant princes im gejellichaftlichen 
Leben fpielen, fei hier die Thatfache erwähnt, daß Dent & Eo. 
jährlich 50000 Pfd. St., mithin über 325,000 Thaler. einzig 
für ihren Haushalt in” Hongkong verausgaben, worin .aller- 
dings das Gehalt für das gefammite Perfonal einbegriffen ift. 

Der englifche Handel ift in Hongkong wie an ber ganzen 
chinefifchen Küfte natürlich ver beveutendfte, da fich England 
burch die verſchiedenen Kriege zuerſt Vortheile gefichert und 
fie ansgebeutet bat. Nach ihm kommt der amerifanifche und 
dann zumächft ber deutſche. Sch betone dies, da es in 
Deutichland, wenigftens im Innern, durchaus nicht bekannt 
ift, daß unfer Handel und unfere. Rhederei fich in China eine 
jo große Bedeutung errungen haben, namentlich die lettere. 
Dies iſt um fo anerfennungswerther, als ber Ausbreitung 
unſers Verkehrs Feine militärische Schugmacht zur Seite‘ 
ftand und unfer Handel ſich nur durch eigene Kraft empor 
ſchwingen Tonnte. Namentlich hat fich verfelbe jeit- ven letzten 
fünf Jahren gehoben, und die Abſendung der deutfchen (preu- 
ßiſchen) Geſandtſchaft rechtfertigt fich gewiß, wenn man er- 
fährt, daß vom Januar bis Ende September 1860 allein 


118 


93 hauſeatiſche Schiffe mit einem Gehalt von 43,776 Tonnen 
im Hafen von Hongkong einliefen, und bis zum Schluffe des 
Jahres noch einige zwanzig mit circa 11,200 Tonnen erwartet 
wurden. Von andern deutſchen Schiffen waren theils ange- 
tommen, theils bis 1861 noch -erwartet, 55 Schiffe mit 
30,000 Tonnen (die Tonne = 2,000 E Zollgewicht); ferner 
deutiche Schiffe, die unter dänischer Flagge zu fahren haben 
(Holiteiner), etwa 45 mit 25,000 Tonnen. Dies gibt für ein 
Jahr über 200 Schiffe mit 110,000 Tonnen, eime Zahl, vie 
allein an Werth der Schiffe ein Kapital von minbeftens 
6 Millionen Thalern repräfentirt. Nechnet man dazu die 
Ladung mit dem doppelten Werth, was gewiß nicht zu hoch 
gegriffen tft, jo curfirt in China deutſches Eigenthum im 
Werthe von 20 Millionen Thalern, ohne bis jet auch nur 
bie geringfte Ausficht auf Schub zu haben, der bei den un⸗ 
geregelten Zuſtänden des von Revolutionen erjchütterten und 
am Vorabend einer großen politifchen Umwälzung ſtehenden 
Landes dringend nöthig ſein dürfte. 

Der Anwachs des deutſchen Verkehrs wird natürlich von 
Engländern und Amerifanern mit neidiſchen Augen betrachtet, 
da diefe nicht verfennen, daß wir uns allmählich einniften und 
fie auf frieblichem, aber defto fihererm Wege, wenn auch jehr 
langjam aus ihren Poſitionen, die fie als Monopol betrachten, 
zu verbrängen beginnen. Wie in Nord⸗ und Südamerika wird 
deutſche Concurrenz allen andern Nationen auch hier gefähr- 
ch, und wenn vorläufig auch nur die beutjche Aheberei babe; 
im Vordergrunde fteht, fo läßt fich Doch mit Gewißheit voraus⸗ 
jehen, daß ein Vertrag mit China und die Einfekung eines 
mit eigener Jurisdiction ausgeräfteten Diplomaten, dem in 
der Stationirung eines Geſchwaders in jenen Gewäſſern auch 
die Mittel zu Gebote ftehen, feinen Worten ven erforverli- 
hen Nachdruck zu geben, dem fo mächtig fich regenben Un⸗ 
ternehmungsgeift in Deutfchland einen neuen kräftigen Im⸗ 








119 


puls verleihen und bie beutfchen. Kaufleute veranlaſſen wird, 
ihre Aufmerffamfeit einem Lande zuzuwenden, deſſen geival- 
tige Bevöllerungszahl von 360 Millionen Einwohner für ven 
Abſatz unferer induſtriellen Propucte die beften Ausfichten bietet. 

Namentlich feheint gerade fett der günftige Augenblid für 
bie Entfaltung des deutfchen Handels gelommen zu fein. Im 
Einflang mit den letzten Friedensbedingungen find drei neue 
Häfen: am Iang-tfe-fiang eröffnet, unter denen Hankan, 
etwa 120 veutjche Meilen ftromaufwärts Tiegend, ber nörb- 
fichfte und bedeutendſte ift. In allen drei Häfen find engli- 
Ihe Conſuln eingefett, und nach dem PVertrage, der und ven 
begünftigtften Nationen gleichftelit, Haben auch wir das Hecht, 
dort Eigenthum zu erwerben, und wir follten uns die Chancen 
nicht entgehen laſſen, ſogleich durch Anfnüpfung von Hanbels- 
verbindungen und Gründung beutfcher Häufer zu concurriren. 
Den gefammten chinefifhen Küftenhandel haben bereits bie 
Deutſchen in der Hand, und e8 war fehr erfreulich für mid, 
in einem DBlatte ver Hongkong Shipping Gazette eine Notiz 
zu Iefen, nach der in Einer Woche für elf Küftenfrachten zehn 
beutfehe und nur ein englifches Schiff gechartert waren. Die⸗ 
fer. Umftand macht befonders die Amerikaner uns fehr unge- 
neigt, da fie früher die ganze Cabotage hatten. Wie wir von 
Amerilanern und felbft. vom amerilanifchen Conjul in Hong. 
fong äußern hörten, bat diefe Nation ihr Möglichftes gethan, 
um ben Abſchluß unfers Vertrags mit Iapan zu hintertrei- 
ben. Wenngleich ihr dies glücklicherweiſe nicht gelungen ift, 
fo fcheint doch wenigſtens die lange Verzögerung der Ver⸗ 
handlungen und der nur einſeitig mit Preußen ſtatt mit dem 
Zollverein erfolgte Tractat durch Intriguen mit herbeigeführt 
zu ſein. Preußiſche Schiffe beſuchen nämlich am wenigſten 
die chineſiſchen Gewäſſer, und wenn die außerpreußiſchen von 
dem Bertrage ausgefchloffen wurden, fo hatten die Amert- 
-Taner in Iapan weniger Rivalen zu fürchten. 


122 


pagen über das Pflafter; Gas verbräugt die bunfle Nacht. 
Das unvermeidliche Elubgebäube erhebt ſich in palaftähnlichem: 
Stil in der Nähe des Lanbungsplaßes, und vie werfchiebenen 
Wohnungen der Kaufleute reihen fich ihnen würbig an. Hoch 
oben von der Mitte des Berges ſchaut, romantifch gelegen, 
aus freundlichem Grün bie Reſidenz des Gouverneurs auf 
die zu ihren Füßen liegende Stabt und auf einen mit fchatti- 
gen Alleen umpflanzten freien Pla, der fich unmittelbar am 
Waſſer binftredt, und von dieſem eine erfrifchennde Kühle 
empfängt. Hier ift der Sammelplag ver Bewohner auf. 
ihten Abenpfpaziergängen, wo fie entweber ber wöchentlich 
einige mal fpielenden Militärmuſik lauſchen, oder auch ven 
gumnaftifchen Uebungen und Spielen’ zufchauen, welche von 
den Engländbern fo geliebt werben und ihre ebenfo gefunde 
wie interejlante Unterhaltung bilden. Den linken öftlichen 
Flügel ver Stadt nehmen die verfchiedenen Fabrikgebäude, 
Werften und Borratbshäufer ein. Bei der großen Menge 
Schiffe, die Honglong befuchen und feinen Hafen zu Hunder⸗ 
ten bevölfern, herrfcht hier in den Wochentagen ein ungemein 
reges Leben. Tauſende von chinefifchen Arbeitern und Kulis 
wogen durcheinander unb von einer terraffenförmig am Berge 
hingeführten Promenade genießt man eine Höchft belohnende 
Ausficht auf das. Gewähl in diefen auf einen engen Raum 
zufammengebrängten Gefchäftsiofalen, auf den von Schiffen 
und Tauſenden vou Booten belebten Hafen, die, nur von dhi- 
nefifhen rauen gerubert, unter beren gefchidten Händen 
pfeilfchnell über das Wafjer gleiten, und auf bie röthlichen 
Felſen des Feſtlandes, die. fich in fchroff gezadten Contouren 
ſcharf am Abendhimmel abzeichnen, währen weit im Hinter- 
grunde ein -bläulich gefärbter Höhenzug allmählich im Hori- 
zonte verfchwimmt. 

Weſtlich ſchließt fih an Victoria der chineſiſche und bei 
weiten größte Theil der Stadt, in dem bie betriebfamen Söhne 








123 


des Himmliſchen Reichs ihren Wohnſitz aufgefchlagen Haben 
und als echt confervative Nation in echt chinefifcher Weiſe 
ihren tauſendjährigen Ueberlieferungen gemäß haufen. 

Der Europäer bat bier die befte Gelegenheit, vie Gegen- 
füße des aflatifchen und europäiſchen Lebens zu finpiren. 
Wenige Schritte bringen ihn hier aus einer mit allen natio- 
nalen Eigenthümlichkeiten ausgeftatteten englifchen in eine echt 
chineſiſche Stadt, vie fih von denen auf dem Continent nur 
durch die von englifcher Polizei erzwungene größere NReinlich- 
feit auszeichnet, auf die aber fonft die nahe Nachbarſchaft 
und ver tägliche Umgang mit den Fang⸗Kwei oder „auslän⸗ 
difchen Teufeln“, wie die Chinefen alle Europäer nennen, nicht 
den geringften Einfluß geübt hat. | 

Ein Theater gibt es in Victoria noch nicht, ebenfo wenig 
fonftige öffentliche Vergnügungsörter, da jeder Punkt des 
ohnehin befchräntten Raumes zu Handelszwecken dienen muß. 
- Troßdem fehlt es nicht an Unterhaltung. Sänger und Sän- 
gerinnen, Birtuofen aller Art, Kunſtreiter und Afrobaten be 
fuchen auf ihren Reifen auch Hongkong, Pferberennen und 
Regattas werden abgehalten, und an Zweckeſſen fehlt es eben- 
falls nicht. Die Gefelligkeit ift jehr groß; man kommt abends 
zwanglos bei dem einen oder andern zufammen und findet 
ftetS offenes Haus. Die Deutfchen, deren es in Hongkong 
einige fechzig ven höhern Schichten ber Geſellſchaft angehö⸗ 
rige gibt, haben einen Club und halten brüderlich zufammen. 
Wir müffen ihnen das Zeugniß geben, daß wir felten ein 
fo freundliches Entgegenlommen und eine fo rüdhaltslofe Gaft- 
freundfchaft gefunden haben wie hier bei unfern Landsleuten, 
wofür viefelben hiermit noch einmal unfern berzlichften Danf 
annehmen mögen. . 

Victoria tft durch Stranpbatterien genügend befeftigt, um 
jeven Angriff abzufchlagen; der Hafen wird ‚aber jedem Feinde 
volfftändig gefchloffen fein, wenn die am gegenfeitigen Ufer 


124 


bereits in Angriff genommenen Werke vollendet find. Am 
äußerten öſtlichen Ende ver Stadt erheben fi) nahe am 
Waller zwei ziemlich hohe Hügel. Auf dem einen ift das 
Milttärhofpital erbaut, auf dem andern liegen vie Gebäube 
ber deutſchen Miffion. Letztere fteht hier eben nicht in gro- 
gem Anfehen, ebenfo wenig wie bie engliſche und amerikaniſche. 
Dan wirft diefen Anftalten Mangel an Eifer vor, und jeden⸗ 
falls dürfen fich alle drei Feiner großen Refultate rühmen. 
Die Iefuiten und andere katholiſche Meiffionare follen - beffere 
Erfolge erzielen, weil fie in das Innere geben, ſich dort nie- 
derlaffen, im Aeußern ganz Sitten und Gewohnheiten ver 
Chinefen annehmen, jahrelang unter ihnen und in ihren ärm- 
lichen Hütten wohnen und allem Verkehr mit ver Außenwelt 
und den früher gewohnten Kreifen entfagen. Sopiel ich den 
Charakter ver Chingjen kennen gelernt habe, ift dies jeboch 
nicht allein die Urfache, weshalb die Fatholifchen Miffionen 
mehr Convertiten machen; vielmehr, glaube ich, haben fie vor 
ben proteftantifchen ven Vorzug, weniger orthodox und abftract 
zu fein. Die Chineſen find ein fehr finnliches, zugleich aber 
ein fehr praftiiches Volf. Kommen Religionslehrer zu ihnen, 
bie mit brafonifcher Strenge von vornherein ihre Fehler ver- 
bammen, unnachfichtlich ihre finnlichen Neigungen verurtbeilen 
und dafür nur bie von jeber äußern Form entkleideten abjtrac- 
ten Lehren einer Religion bieten, die mit ihrem bisherigen 
Srrglauben in fo grellem Wiverfpruch fteht und für das Auf- 
gegebene feinen fichtlichen Erſatz bietet, der ihrer Lebensrich- 
tung annehmbar oder verftändlich erfcheint, jo darf es nicht 
wunder nehmen, wenn die Bemühungen folcher Belehrer von 
fo geringem Erfolge gekrönt find. 
Die Iefuiten verfahren nicht auf dieſe Weife.. Abgefehen 
Davon, daß die Yatholifche Religion ſich in ihren Formen 
dem faſt nur aus Ceremonien beftehenden Cultus der Chine- 
fen, mag diefer Buddhaismus oder Taoismus heißen, weit 





125 


mehr ale die proteftantifche nähert und ſchon dadurch ben Chi⸗ 
nefen weniger fremd erfcheint, treten auch ihre Mifftonare 
ohne Schroffgeit und mit Hunger Nachfiht auf. Das Be- 
jtreben derſelben geht zugleich dahin, ihre Schüler praktifch 
von der größern Vollkommenheit der chriftlichen Religion 
dadurch zu überzeugen, daß fie den Beweis führen, wie 
Chriſtenthum und Civiliſation voneinander untrennbar find. 
Und das ift meiner Anficht nach der einzig richtige Weg, 
um dem Chriftentyume in China bie Wege zu bahnen, wenn 
es nicht mit Feuer und Schwert gefchehen foll, was dem 
Geiſte unferer Religion widerſpricht. Im 16. und 17. Jahr⸗ 
hundert waren überall in China Sefniten, und man rechnete 
die Zahl der durch fie befehrten Chriſten über eine halbe 
Million. Sie fchlugen genau denſelben Weg wie ihre jeßi- 
gen Nachfolger ein, indem fie die Chinefen zu überzeugen 
fuchten, daß ber Miffionare überlegene Kenntniffe, denen felbft 
der Raifer Anerkennung zollte, die Folge einer Civiliſation 
wären, welche nur unter dem Banner des Chriſtenthums ge- 
deihen könnte. Alle Erfindungen, alle Verbefferungen, pie fie 
in China einführten und deren Nütlichfeit das Volk lebhaft 
empfand und würdigte, ftammten aus chriftlichen Ländern, und 
das unausgefette Streben ber Jeſuiten in viefer Richtung 
nöthigte endlich den Ehinefen eine Achtung vor den Europäern 
ab, welche die Miffionare ſtets auf die Religion zurüdführten 
und fo zu deren Verbreitung benusten. Leider veranlaßten 
Greigniffe, deren Erörterung bier zu weit führen würbe, eine 
Berbanuung der Mifftonare aus China, die faft 200 Jahre 
gedauert hat, und damit fiel das fo mühfam von benfelben 
aufgerichtete Gebäude wieder zufammen. 

Bor einigen Jahren verfuchte ein beutfcher proteftantifcher 
Miffionar venfelben Weg einzufchlagen, wurde aber von fei- 
nen ftarr orthodoxen Amtsbrüdern fo- verkegert, daß er aus 
ihrem Verein ſchied und in die Dienfte der englifchen Negie- 


128 


ben Norden Chinas gejehen und mich an ben verfchievenen 
Pläten des Landes faft ein Jahr lang aufgehalten hatte. 
So glaubte ich meinen Urtbeilen vie Einfeitigfeit Benehmen und 
benfelben die möglichſte Objectivität fichern zu können. 

Die Dampffchiffe, welche die Verbindung zwifchen Honglong 
und Kanton vermitteln, find amerifanifche. Die Tour Foftet 
erelufive Belöftigung 13%, Thaler oder 9 Dollars. Man 
legt die 25 deutfche Meilen betragende Strede in 79 Stun- 
ben zurüd, je nachdem man e8 mit der Flut oder Ebbe trifft. 

Kanton, oder wie es auf hinefifhen Karten beißt: Kwang⸗ 
tung Sangtſchin, die Hauptſtadt der Provinz Kwangtung, 
liegt am linken Ufer des Tſchukiang ‘oder Perlfluffes und 
15 geographifche Meilen von Hoomun (d. i. Tigermund) oder 
der Bocca Tigris entfernt, welche Mündung von den Ehinejen 
als die des Stromes betrachtet wird, während wir Europäer 
btefe noch zehn Meilen füplicher bis über Macao hinausverlegen. 
Die Bocca Zigris, bei welcher ſich der Fluß durch die Einbie- 
gung beider Ufer und durch einige Infeln bis auf 2—300 
Schritt verengt, hat ihren Namen von den Portugiefen erhal- 
ten, welche in ben Umriſſen ber einen Inſel die Geſtalt eines 
Zigerfopfes mit geöffnetem Rachen erfennen wollten. 

Bis zu diefem Punkte ift der Weg von Hongkong aus 
fehr traurig. "Der bereits gefchilderte Charakter ver chinefifchen 
Süpfüfte ſetzt fich bis hierher ohne Abwechfelung fort, und nur 
bier und dort erfreut ein Fleckchen Grün das durch fo viel Dede 
ermüdete Auge, wo am Ausfluffe eines Heinen von ven Ber⸗ 
gen riefelnden Baches Fifyer ein Dorf gebaut. und fo viel 
Humus gefunden baben, um ein paar Bäume zu pflanzen, 
bie Feine chinefifche Anfieblung entbehren zu können fcheint. 
Der einzige Troft für den Neifenden tft, daß er mit dem 
ſchnellen Dampffchiffe dieſe langweilige Strede von zehn Mei⸗ 
Ien in drei Stunden zurüdlegt. Mit dem Paffiren ver Bocca 
fieht er ſich ſodann von einer freundlichern Scenerie umgeben. 


129 


Die Bocca felbft macht von weiten einen fehr impofanten 
und friegerifchen Eindruck. Die beiven vorfpringenden Land⸗ 
ſpitzen, welche fie bilden, und welche Die Ausläufer zweier Höhen 
züge find, die in ber Vorzeit die Ufer des Perlfluffes ein- 
bämmten, fallen von einer Höhe von einigen hundert Fuß 
ziemlich fteil gegen ven Fluß ab, und ebenfo kühn erheben fich 
die drei im Fahrwaſſer gelegenen Infeln. Anihrem Abhange 
find nicht weniger als acht verfchiedene Forts gebaut, deren 
einige über 80 Geſchütze zählen ober vielmehr zählten, und 
welche beftimmt waren, vie Deffuung des Tſchukiang ben 
Kriegsfahrzeugen ver „rothhaarigen Barbaren” zu ver- 
fchließen. Wenn man vie weißen Mauern biefer Feftungs- 
werfe und deren unzählige Schießfcharten, die das Feuer ihrer 
Geſchütze fämmtlich auf das enge Fahrwaffer concentriren, aus 
der Ferne steht, jo glaubt man, daß jedes Schiff dem un⸗ 
fehlbaren Untergange geweiht fein muß, welches verjuchen 
wollte, diefen Eingang zu foreiren. Bei näherm Heran- 
fommen erklärt e8 ftch jedoch leicht, wie die Engländer ſchon 
verſchiedene male dieſe furchtbaren Batterien zum Schweigen 
Bringen und fie mit verhältnigmäßig- geringem Verlufte ſchließ⸗ 
lich ganz zeritören konnten. | 

Wie in allen andern: Dingen find die Chinefen auch in 
ber Kriegskunſt ftationär. In ihrer dünkelhaften Ueberhebung 
über alle Nationen, die namentlich unter der jetzigen Dynaſtie 
genährt und auf ihren Höhepunkt geſchraubt iſt, verſchmähen 
ſie hartnäckig die Annahme von Neuerungen und Verbeſſerun⸗ 
gen, und ihre Befeſtigungskunſt befindet ſich nahezu auf dem⸗ 
ſelben Standpunlie wie vor 1000 Jahren. Ihre Mauern 
und Feftungswerfe waren urfprünglich gegen Pfeile und Wurf. 
gefchoffe aftatifcher Nomadennölfer errichtet und find für bie 
moderne Artillerie nur infofern geänvert, als in ver Krone 
Schießſcharten für Geſchütze eingefchnitten wirven. Ebenſo 
tft Ihre. Artillerie felbft auf der Stufe. ftehen geblieben, auf 

Werner. I. 9 


150 


welche fie, nach dev Eroberung des Landes durch bie Tata⸗ 
ren, ber berühmte jefuitifche Miſſionar Pater DVerbieft, ein 
Deutfoher, erhob, ber im Sabre 1681 für ben Tatarenkaiſer 
Kanghy mehrere hundert Kanonen go. Obwol es unziwei- 
felhaft feftfteht, daß ſchon 500 Jahre früher das Schießpulner 
in China befannt war, benutzte man es zu Kriegszwecken boch 
nicht eher als im Jahre 1621, und jene Geſchütze waren 
bie eriten, welche im Lande gefertigt wurden. 

Außerdem find die Forts an der Bocoa ſämmtlich fo an- 
gelegt, daß jede über fie hinweggehende Kugel von ven un- 
mittelbar Hinter ihnen fteil auffteigenden Felswänden aufge- 
fangen wird und von hinten in die Batterieen bineinprallen 
muß, wodurch die Bedienungsmannſchaften, die ohnehin aus 
unfriegerifchen Leuten beſtanden, demoralifirt wurden. In 
Anbetracht dieſer Umſtände iſt es erklärlich, weshalb nur we- 
nige Lagen einiger engliſchen Fregatten dazu gehörten, um dieſe 
mittelalterlichen Befeſtigungen für immer zum Schweigen zu 
bringen. Beim Beginn des letzten Krieges wurden ſie durch 
die franzöſiſch⸗ engliſche Flotte gänzlich zerſtört, und fänmt- 
liche Geſchütze, 600 an der Zahl, genommen. Die eingeſtürzten 
Mauern liegen jetzt in ihren Ruinen harmlos da. Wie alles 
in China, ſind auch ſie bei dem erſten gewaltſamen Anſtoße 
morſch zuſammengebrochen, und die Erſchütterung hat die Zer⸗ 
ſtörung des kaiſerlichen Palaſtes in Peking nach ſich gezogen. 

Jenſeits der Bocca Tigris nimmt die Gegend einen ganz 
veränderten Charakter an. Die Höhenzüge treten in weiten 
Bogen in dad Land zurüd, und eine reich cultinirte, im üppig- 
ften Grün prangende Alluvialebene dehnt fi) vor uns aus, 
jo weit das Auge reiht. Hunderte non Dörfern, von mäch— 
tigen Bäumen bejchattet und tbeilweife in ihrem Grün ver- 
ſteckt, liegen an den Ufern bes Fluffes oder zwiſchen ben 
üppig ſchwellenden Reisfeldern zerftreut, Tauſende von ſchwer⸗ 
fälligen Dſchonken und leichtern Booten bevölkern den Tſchu— 


131 


fiang, der, in umınterbrochener Xinie zu beiden Seiten mit 
Truchtbäumen eingefaßt, fich durch die reiche Landſchaft win- 
vet. Ueberall erhält man ven Eindruck, daß man eins ber 
fruchtbarften und prachtuolfften Laͤnder der Welt betreten hat. 
Reich und mannichfaltig ift Die Scenerie, obwol te weder 
etwas Romantifches noch etwas Grofartiges bietet. Die nur 
ſpärlich von leifen Erbebungen unterbrochene Ebene ift das 
Bild des Friedens: ein wogendes Feld reiht ſich an das an⸗ 
dere, Laufende von gejchäftigen Menſchen heimfen die Früchte 
ihrer Arbeit ein, und vor den Dörfern thürmen fich die Korn- 
garben zu Bergen. Hochbeladen damit ziehen Schiffe und 
Boote zur Hauptjtadt, bie wir zwar felbjt noch nicht fehen, 
beven Nähe fich aber durch das immer regere Treiben auf 
ven Wegen, durch die immer zahlreicher fich ſammelnden Fahr⸗ 
zeuge fund gibt, und deren Hintergrund, ven ven Chinejen das 
Gebirge der Weißen Wolfe genannt, am Horizont emporfteigt. 
Mit Fliegender Eile trägt uns das Dampffchiff durch die 
üppige Landſchaft. Bald find wiederum 10 Meilen zurüd- 
gelegt, und wir erbliden jegt am rechten Ufer des Fluſſes eins 
jener merkwürdigen Gebäude, die, eine Eigenthümlichleit Chi- 
nas, in dem ganzen weiten Reiche verbreitet find. Kine der 
brei Pagoden, ‚welche vor Kanton das rechte Ufer des Perl⸗ 
flujjes jchmüden, erhebt fich vor unfern Bliden. Ihre ein. 
geftürzte Spike, die hohen Bäume, welche ihre Krone zieren 
und auch, aus den verſchiedenen Gaferien hervorfproffenn, wie 
Laubengänge das verwitterte Gemäner des mächtigen Thurms 
umgeben, zeugen von dem hoben Alter diefer Baudenkmaͤler, 
beren Bebentung und Urfprung wir vergeblich zu entziffern 
juchen und. die vielleicht nicht einmal ein Chinefe kennt. Die 
einen fehen in ihnen die Verewigung großer gefchichtlicher 
Thatjachen, die andern verfuüpfen damit die Einführung der 
Buddhareligion in Ehina. Sie follen urfprünglich als Thürme 
von Zempeln erbaut fein, und auch jest trifft man bei vielen 
9% 


132 


bupbhaiftifche Klöfter und Zempel an. Der Umitand, daß 
faft alle fieben Stockwerke haben, wird mit ben fieben VBer- 
wandlungen Buddha's, die nach chinefifchen Begriffen bis jetzt 
ftattgefunden haben, in Verbindung gebracht, während bie 
neunftödigen, deren e8 in Nanling, Beling und Kanten gibt, 
als eine müftifche Anfpielung auf vie neun Incarnationen 
Wiſchnu's gelten, als welcher Buddha in Indien betrachtet 
wird. Sei dem wie ihm wolle, immerbin bleiben dieſe Bau⸗ 
werte, die fich oft über 200 Fuß in chlindriſcher Form mit 
koniſcher Spite erheben, merkwürdige Reliquien ver alten 
Zeit, und es ift umverzeiblich von der jeßigen Dynaſtie, daß 
fie feit ihrer Thronbeſteigung nichts gethan bat, um biefe 
Denfmäler, die von den chineſiſchen Herrfchern mit befonderer 
Pietät in Stand gehalten wurden, vor dem Verfalle zu 
ſchützen. Allmählich beginnen fie den Einflüffen ver Zeit zu 
unterliegen. Stein für Stein brödelt ab, ver Regen bringt 
in die Spalten, manche kann man ohne Kebensgefahr nicht erftei- 
gen. Nach einem Jahrhundert werden nur noch wülte Stein- 
haufen die Stellen anzeigen, wo biefe mächtigen Säulen viele 
Sahrtaufende ven Stürmen ver Zeit Troß boten. Man fteigt 
im Innern der Pagode zu ihrer Spike hinauf. Die einzel- 
nen Stockwerke find durch Treppen verbunden; jedoch muß 
man merkwürbigermweife jedesmal auf die Galerien hinaus- 
treten und einen Halbkreis um bie Pagode bejchreiben, che 
man buch eine Art Thür in der Mauer zu ver nächiten 
Treppe und auf ihr zum folgenden Stodwerf gelangt. 

Die zweite Pagode fteht in der Nähe von Whampoa, einer 
Fiſcherſtadt, pie jedoch für die Europäer infofern von Bedeu⸗ 
tung ift, als fich Hier der eigentliche Hafen von Kanton, we: 
nigftens für europätihe Schiffe befindet. Theilweiſe bietet 
von Bier bis Kanton die Schiffahrt wegen der vielen Wen- 
dungen des Stroms und feiner veißenden Schnelligkeit große 
Schwierigfeiten, theils auch haben die bedeutend geringern Ha⸗ 


133 


fenabgaben die Handelsſchiffe bewogen, hier zu anfern und ſich 
mit Booten ihre Ladung von Kanton berunterfommen zu laj- 
fen. Whampoa bildet ein fonderbares Gemiſch von enro- 
päiſcher und zugleich echt chinefifcher Stadt. Ein unorbentliches, 
wilffürlich nebeneinander gejettes Conglomerat von elenden 
Hütten erhebt ſich auf Pfählen aus dem Fluffe und macht 
bei der Ebbe den Einprud, als ob e8 auf Stelzen im Sumpfe 
watete. Diefe Hütten find oft fo Klein wie Käfige, und man 
befommt hier zuerft einen Begriff von ber Anfpruchslofigfeit 
der Ehinefen und ihrer öfonomtfchen Raumbenubung, wenn man 
fieht, daß in einem Vogelbauer von faum 200 Kubiffuß ©e- 
halt Familien von acht bis zehn Perfonen wohnen. Mitten 
bazwifchen ragen hohe eiferne oder gemauerte Schornfteine 
in die Lüfte empor, aus denen dichte ſchwarze Rauchwolken 
hervorſteigen, während das ächzende Pulſiren eines Heinen 
Rohrs Daneben in regelmäßigen Abſätzen weißen Wafjer- 
dampf ausjtößt und das Arbeiten einer europäiſchen Dampf- 
maschine verfünvdet. Sie pumpt das Waffer aus einem 
Trockendock, in das foeben ein reparaturbebürftiges Schiff 
eingelaufen. An dieſe Dods, veren fich brei in Whampoa 
befinden, reihen ſich die Iuftigen und leicht zufammengeichla- 
genen Godowns oder Woanrenlager fpeculativer Kaufleute, bie 
durch die Bebürfniffe der Schiffahrt ein Vermögen erwerben. 
Faſt auf Meilen Tieft man die gigantiichen Buchftaben ihrer 
Schilder. "Wie nirgends in ver Welt, fehlt auch Hier nicht 
der Dentfche, und ver Name Müller erwedt neben einem Lä⸗ 
cheln zugleich den Gedanken an bie Heimat, Auch die Chi- 
nefen jcheinen den Nuten von Schilvern begriffen zu haben 
und verfünden in englifcher Sprache, daß hier Tſchai Tſcheong, 
genannt „ver lahme Jack“, als most excellent tailor for 
gentlemen fein Atelier aufgefchlagen, und bort Ahoy, genannt 
„Sechsfinger“, bereit ift, alfe fremden Sifbermänzen on the 
most profitable terms, was natürlich nur auf ihn felbft 


136 


Tſchukiang bei Kanton, wimmeln, und die von ihrer eiförmigen 
Geftalt den Namen. Zanfen oder Eierhäuschen führen, flogen 
mit Windeseile von allen Seiten auf dad Schiff zu, ſobald 
der Anker gefallen war. Jeden Augenblid erwartete man, 
das eine oder andere überfahren. over zerichmettert zu 
jehen, aber mit wunderbarer Gewandtheit wußten die rubern- 
den Frauen jeden Anftoß zu vermeiden und mit ihren langen 
Rudern den Booten jebe gewünſchte Nichtung zu geben, ohne 
deshalb ihr Ziel, die Treppe des Dampfichiffs, außer Augen 
zu laſſen, und fchon auf breißig, vierzig Schritt den Reiſenden 
ihr Fahrzeug zur Pafjage anzubieten. Ich babe felten eine 
jo Ichnelle Expedition von Keifenden gejehen. In Zeit von 
fünf Minuten waren fämmtliche Paffagiere, etwa 50 an der 
Zahl, mit ihrer Bagage ausgefchifft. Die beladenen Boote 
wanden fich wie die Schlangen durch die Scharen der übrigen, 
und and wir ſahen ung, ehe wir. e8 dachten, bei den Fac⸗ 
toreien ausgefegt, wo unfere deutſchen Freunde unferer harrten. 

In Kanton gibt es Feine Gaſthäuſer; man ift lediglich 
auf die Gaftfreundfhaft der dort wohnenden Europäer an- 
gewiejen, und dieſe wurde uns bei ven dortigen beutfchen Kauf⸗ 
leuten auf die herzlichite Weife zu Theil. Aber nicht nur 
‚ eine ungemeine Gaſtfreundſchaft erwieſen uns unfere Lands⸗ 
leute, ſondern fie führten uns auch mit ber unermäblichiten 
Aufopferung ganze Zage lang in der Stabt umber, zeigten 
uns alles nur irgend Interejfante und theilten uns ihre lang- 
jährigen Erfahrungen in der Gapitale des Südens über ven 
Charakter der Bewohner und deren Eigentbümlichfeiten mit. 
Auf diefe Weife jahen wir von Kanton fehr viel, wahrfchein- 
ih mehr als die meiſten Reifenden, und faßten manches auch 
mit einem andern und befjern Verftänbniß auf, indem unfer 
liebenswürbiger Begleiter, Herr Menke, uns ſtets bereitwillig 


Aufjchlüffe gab. 
Kanton ift eine ver äfteften Städte im fühlichen China 





137 


und bat feit feiner Erbauung ebenfo wie das ganze chinefiiche 
Reich die wechfelvoliften Schiefale erlebt. Seine Gründung 
fowie feine urfprüngliche Lage und Benennung reichen bis in 
die mythologiſche Zeit der chinefifchen Gefchichte und find 
deshalb ſchwer zu beſtimmen. Jedoch dürfte es nicht ohne 
Intereffe fein, einen kurzen Abriß ver Gefchichte ber Stabt 
zu vernehmen, wie fie die chineſiſche Chronik, die wenigſtens 
feit den letzten 2000 Jahren auf Glaubwürdigkeit Anſpruch 
machen barf, erzählt. 
Um das Jahr 2150 vor Ehrifto lebte der berühmte König 
Dai, der noch jeßt wegen feiner Weisheit. und großen Herr- 
ſchertugenden in China als das Mufter aller Könige gilt. Er 
war der vorlegte König ber zweiten Dynaſtie, welche ben 
"Thron Chinas innehatte und. unter dem Namen der „fünf 
Fürften‘ in ben Amalen verzeichnet fteht. Dem Anfchein 
nad hat er den bis dahin in Barbarei verjunfenen Süden 
Chinas mit den Segnungen ber Civilifation befannt gemacht 
und ihn mit bem Norben vereinigt. Er befahl einem feiner 
Minifter,. fih nah Nangkeai, das bamals die Stelle von 
Kanton einnahm, zu begeben und bies fo wie Das umliegende 
Land zu regieren. Faſt tauſend Jahre lang wirb dann der 
ſüdlichen Staaten in ver Geſchichte kaum erwähnt. Erſt 
1123 v. Ehr., unter der vierten, der Schang⸗Dynaſtie, welcher 
die Heas vorangegangen waren, treten fie wieder im ben 
Borbergrund und werden als tributäre Staaten des Kaiſers 
von China aufgeführt. China beſtand damals aus einer 
Reihe kleinerer Bafallenreihe, vie oft miteinander Krieg 
führten, dem Kaifer viel Sorge machten, und namentlich war 
es der Süden, ber am wenigften geneigt fchien, feine Ober- 
herrichaft anzuerfennen, bis enblich im Jahre 630 v. Chr, unter 
der fünften, der Tſchan⸗Dynaſtie, der Süden gänzlich unterjocht 
und mit dem Norben zu Einem Reiche verfchmolzen wurde. 
Einen intereffanten Einblid in bie Eulturgefchichte jener Zeit 


140 


Ihinden, auf Ranzen werfen und mit Zigern und Elefanten 
kämpfen“. 

Der Nothſchrei des Volkes über dieſe Greuelthaten bewog 
den Gründer der Sung⸗Dynaſtie, 964 das Königreich Kan⸗ 
ton wieder zu erobern und durch den Sturz ſeiner Herrſcher 
das gequälte Volk zu befreien. Letzteres muß damals noch 
ziemlich in geiſtige Barbarei verſunken geweſen ſein, da Sung 
und ſeine Nachfolger die Hexerei abſchafften, die Zauberei 
verboten, die für die Ausübung abergläubiſcher Riten erbaus 
ten Tempel niebertiffen, dem Volfe unterfagten „den böfen 
Geiftern Menſchen zu opfern”, und Apothefen errichten ließen, 
um ben Epidemien zu fteuern, welche im Lande graffirten. 
Im Jahre 1067 wurde Kanton, das um dieſe Zeit zuerft 
unter feinem jegigen Namen Kwangtung erfcheint, mit einer 
Mauer von einer halben Meile Länge umgeben, die man 
zum Schuß gegen bie Einfälle ver Cochinchinefen, welche vie 
Stadt häufig geplündert hatten, erbaute. 

Die Gründer ver Yuen-Dynaftie überzogen 1279 den Süden 
Chinas mit Krieg und wütheten dort wie Bluthunde. Die Chro- 
niken erzählen, daß fie Städte und Dörfer verwüſteten und fo viel 
Menfchen erjchlugen, daß „das Blut in raufchenden Strömen 
flog”. Aller fremde Handel in Kanton wurde unterbro- 
hen und erholte fich erft um das Jahr 1300, als auch die 
Häfen der Provinzen: Tſchekiang und Fukien ihm geöffnet” 
wurden. . 

Der erjte Pionnier des europälfchen Handels mit China 
ſcheint Fernao Perez de Andrad, ein Bortugiefe, gewejen zu 
fein, der das Cap der guten Hoffnung umſegelte und Kanton 
im Sabre 1517, während ver frieblishen und glücklichen Zeit 
ber Ming - Dynaftie, erreichte. Ihm folgten bald fpanifche, 
englifche und hollänbifche Abenteurer, und bie Häfen von Kan- 
ton, Macao und Tingt in der Provinz Kwangtung, Ningpo 
und Tſchuſan in der Provinz Tſchekiang und Amoy in Zuften 


141 


wurden jetzt große Märkte für den europäiſchen Verkehr, ob⸗ 
wol Kanton ſtets der wichtigfte Stapelplag blieb. Bis zur 

Eroberung Chinas durch die Tataren, bie in ben Jahren 
1646 und 1647 vollendet wurde, erfrente fi der Süden 
einer glücklichen Ruhe. Ein Patriot, Yunglai, erhob aber 
damals das Banner der Rebellion für die geftürzte Ming⸗ 
Dynaftie und wählte Kanton zum Hauptquartier. Eine von 
Beling gegen ihn ausgefandte und hauptſächlich aus Tataren 
beftehende Armee unterwarf bald bie Provinzen Yulien, 
Kwangſi und Kwangtung, wurde aber in ihrem Sieges- 
lauf durch Kanton aufgehalten, das ihm muthig Trotz bot. 
Elf Monate lang machten die Tataren die wüthenpiten An⸗ 
griffe, ſahen fich jedoch ebenſo oft auf das biutigfte zurückge⸗ 
Ichlagen, und hätten unzweifelhaft unverrichteter Sache zurüd- 
fehren müffen, wenn ihnen nicht durch Verrath die Thore ge- 
öffnet und die unglüdliche Stabt in ihre Hände gegeben wor- 
ben wäre. Ein Yefuit, Martin Martinio, der ſich zu jener 
Beit im Süden Chinas aufhielt, befchreibt in Mebereinftimmung 
mit den chinefifchen Chronijten die bei dem Falle der Stapt 
verübten Greuel als etwas über alle Begriffe Furchtbares. 
Am 24. November 1650 wurbe die Stadt übergeben, und am 
folgenden Tage begannen die durch ben muthigen und langen 
Widerftand erbitterten Tataren die Plünderung. Diefelbe 
dauerte faft vierzehn Tage lang bis zum 5. December. Weder 
Alter noch Gejchlecht wurde gefchont, fonvdern alles ohne 
Gnade gemorbet; nur einige Künftler und Handwerker wur⸗ 
den geſpart, um die nothwendigen Induſtriezweige fortzupflanzen, 
ſowie eine Anzahl ſtarker Männer, um die gemachte Beute 
fortzuſchleppen. Während der ganzen Zeit hörte man nichts 
als das brüllende Geſchrei der wilden Sieger, die ſich mit 
ven Worten: „Tödtet, tödtet dieſe barbariſchen Rebellen!“ zu 
weiterm Schlachten anfeuerten. Am 6. December endlich 
kam die Ordre, mit der Plünderung aufzuhören, nachdem 


142 


während ber Belagerung und nach der Eroberung 700,000 
Menfchen umgelommen waren, 

Rachdem die Tataren ihr Todeswerk vollendet Hatten, 
ſchlugen fie ihre Quartiere in der alten Stadt auf, wo fie 
noch bis auf den heutigen Tag wohnen, während Civilbeamte 
und unter ihnen auch der Verrätber Fan⸗tſching⸗ soon in ber 
neuen Stabt ernannt wurden. 

Bon diefem fchweren Schlage erholte fich Kanton nur 
laugſam, und es dauerte volle fünfzig Jahre, bis es aus fei- 
nen. Ruinen, auferftand. ‘Dann aber wuchs es fchnell empor 
und wurde bald der Mittelpunkt der Induſtrie, des Hanbels 
und Reichthums, den ſelbſt nicht die Land- und Seeräuber- 
banden, welche feit ven älteſten Zeiten ihr Weſen in China 
treiben und nie haben unterdrückt werben können, zu beein- 
trächtigen vermochten. 

»Ebenfo haben die englifchen Kriege nur borübergehend hem⸗ 
mend auf die Entwickelung der Stadt eingewirkt, und ihre an⸗ 
dauernde Occupation von ſeiten der Weſtmächte hat durch 
die herbeigeführte größere Sicherheit des Eigenthums eher 
dazu beigetragen, den Wohlſtand zu heben, als ihm zu 
ſchaden, wenngleich die Bevölkerung durch Auswanderung in’ 
Maſſe ſeit dem letzten Bombardement beträchtlich abgenommen 
hat. Von jetzt ab wird jedoch Kanton wahrſcheinlich von 
ſeiner bisherigen Bedeutung verlieren. Es verdankte dieſelbe 
zum großen Theil dem Umſtande, daß die hauptſächlichſten 
Erportartikel des Landes, Thee und Seide, ihren Weg aus 
den nördlichen Provinzen, die ſie hervorbringen, nach Kanton 
nahmen. Schon im Jahr 705 v. Chr. ließ der Kaiſer Tſchan⸗ 
kin⸗ling, um bie Stadt zu heben, jenen berühmten Paß durch 
das Meilinggebirge brechen, der in Verbindung mit einem 
Kanalſyſtem die einzige große Verfehritraße zwifchen Norben 
und Süden biltet, und deren Ausgangspunft Kanton ift. Die 
Eröffnung der nördlichen Häfen Swata-u, Zustjcha-u, Ningpo 


143 


und-Schangshae thaten dem Süden wol etwas Abbruch, allein 
empfinblichen Nachteil wird Kanton erft jet durch die Er- 
öffnung des Jang ⸗tſe⸗kiang erleiden, der die nördlichften Pro⸗ 
vinzen burchftrömt, eine Strede von dreihundert Meilen fchiff- 
bar ift und für die Probucte bes Innern eine viel bequemere 
und billigere Straße ale jener Landweg durch ben Meiling- 
paß bietet. 

Kanton befteht aus drei Theilen, der alten, ber neuen 
und der Wafferftabt, bie ſowol in ihrer äußern als innern 
Erſcheinung fo verſchieden find, daß alfe brei eine fpecielle 
‚Berädfichtigung verdienen. 

Ein: charakteriftiicher Zug aller größern Stäbte in China 
find bie hohen fie umgebenden Mauern, vie, meiftens ein und 
derſelben Zeitperiode angehörend, faft ganz gleiche Größen⸗ 
verhältuiffe haben und theilweife zum Schuße gegen bie Ein- 
fälle, ver Tataren, theild gegen bie Angriffe ber chineſiſchen 
Rachbarftaaten erbaut wurben. 

Die Höhe diefer Mauern, wie ich fie in Kanton, Schang⸗hae 
and Tientfin gefehen, und wie fie nach ver Beſchreibung auch 
Nanking und Peling befigen, beträgt 25—30 Fuß. Sie ber 
ftehen inwenbig aus feftgeftampfter Erde und find äußerlich 
mit ‚blauen Ziegelfieinen verlleivet. An der Bafis circa 
20 Fuß breit, fteigen fie an der Außenſeite perpenpilulär, 
innen aber ſchräg auf und verjüngen fich bis zu einer Kronen⸗ 
breite von 10—12 Fuß. Eine Erenelirung ziert regelmäßig 
bie Krone, jeboch können weder deren Oeffnungen als Schieß- 
fcharten für Gefchüge dienen, noch habe ich je eins berjelben 
auf dem Parapet gefehen. Ebenfo wenig können bie Mauern 
einer Kanonade wiperftehen; ihre Höhe, Gewicht und perpendi⸗ 
fuläre Außenfeite würben das Brefchefchießen jehr erleichtern. 
Bei den verfchievenen Thoren ift bie Mauer durch einen 
halbfreisförmigen Borfprung, eine Art Baftion, verboppelt, 
deſſen Eingänge feitwärts auf das innere Thor ftoßen, und 


144 


in dem jich Thürme von mehreren Stodiwerfen zur Aufnahme 
von Soldaten befinden, während ähnliche Baftionen in Zwifchen- 
räumen von 150 — 200 Fuß die Gourtinen ihret ganzen - 
Länge nach flanficen. Die. berühmte Ehinefliche Mauer, dies 
mächtige Bauwerf, das ſich vom Golf von Petſchili in un- 
unterbrochener Linie ‚über 400 geographiiche Meilen weit 
"His zur weftlichen Tatarei erftrectt, ift nach venfelden Prin- 
eipien conftruitt. Da ich jedoch fpäter darauf zurückkommen 
werbe, erwähne ich fie bier. nur beikäufig. 

Die Kanton umgebende Mauer jchließt jewol die alte als 
die neue Stadt ein, bie jeboch beide wieder durch eine zweite 
Mauer voneinander getrennt werden. Der Flächenraum der 
Stadt. ift im Vergleich zu ver Einwohnerzahl nicht beveutend; 
der ganze Umfang kann nicht. 1Y/, Meile überfteigen, wenigftens 
find wir mit mäßig fohneffen Schritten in 2%, Stunden um. 
die ganze Stadt gewandert. Zwölf Thore, von denen einige 
fehr fonderbare Namen, wie Thor. der ewigen. Reinheit oder 
. der ewigen Glädeligfeit, haben, führen von außen in bie 
Stadt, und vier andere vermitteln. die. Communication zwifchen 
ihren beiden Haupttbeilen. Bei Nacht find. ſämmtliche Thore 
geichloffen und nur mit ſpecieller Erlaubniß eines hoben Be⸗ 
amten zu paffiren, obwol ein paar Aupfermünzen in ben 
Augen der Wächter denfelben Werth haben als jene Erlaub- 
niß. Bei unjerer Anweſenheit waren jenoch die Shore von 
Englänvern und Franzofen bejekt und während der Nacht 
für jeden Ehinefen ohne Ausnahme gefihlofien. 

Die Zahl der Straßen in Kanton ift fehr groß, nicht 
geringer als 600,. pie, ohne beftimmten Plan angelegt, kreuz 
und quer durcheinander laufen, meiftens kurz, krumm . und 
ſchmuzig find. Die beiden legten Prävicate gelten überhaupt 
von allen chinefifchen Straßen, jelten trifft man fie breiter 
als 10 Fuß. In der Mitte find regelmäßig einen Fuß breite 
Bliefen der Länge nach gelegt, der übrige Theil jeboch unger 


145 


pflaſtert. Da es weder Goflen noch fonftige Abzugslanãle 
gibt, auch die fo eng zuſammen ftehenben und oben nach vorn 
überbauten Häuſer ben Sommenftrahlen faft alien Zugang 
nerjchließen, fo fan man fich denken, daß bei dem Verkehr 
einer halb :auf ven Straßen lebenden Bevölferung von über 
eine Million, bie felbft bekanntlich nicht fehr für Neinlich- 
feit eingenommen ift, ein Gang durch Kanton waſſer⸗ 
dichte Hohe Stiefeln beanfprucht, um ben überall herrſchenden 
Schmuz zu überwinden. Namentlich ift die alte oder Tataren⸗ 
ſtadt in diefer Beziehung pas Nonplusultra aftatiicher Un⸗ 
reinlichleit, die um fo greller. in die Augen fällt, weil bie 
baufälfigen fchmuzigen Häufer ebenfo abftoßenb erfcheinen, 
während in - ber neuen Stabt doch wenigftens die Tauſende 
von chineſiſchen Läden mit ihren oft Toftbaren Stoffen und 
geſchmackvoll zur Schau geftellten Verkaufsgegenſtänden ben 
Blick fefleln. 

Außer den Straßen durchziehen noch eine Menge größerer 
und Heinever Kanäle bie Stadt, welche ven Zransport der 
fchweren Güter vermitteln, da in Südchina fein Fuhrwerk 
exiftirt und alles, was nicht von Menfchen getragen werben 
kann, zu Waſſer fortgefchafft werden muß. | 

Nirgends documentirt ſich die in China alle Verhältnifie 
des focialen Lebens beberrfchende Gleichmäßigleit auffallender 
‚als in der Bauart, Form und Größe der Gebäude. Auf 
dem Lande find bie Häufer fait ohne Ausnahme, in ben. 
Städten der bei weiten größte Theil einitödig, nie aber mehr 
als zweiſtöckig. Unſer europätfches Bauen in die Höhe tft 
ben Ehinefen jo unerklärlich, daß der Kaifer zu dem englischen 
Geſandten Macartney äußerte, es könne doch wol nur bie 
große Beſchränkung des Landes Urfache fein, daß die Euros 
päer ihre Wohnungen fo nahe an die Wolfen thürmten. 

- Ein Bauftil nach unfern gewohnten Anfchauungen tritt an 
ven Häufern nicht hervor; wenigſtens haben wir nichts, mit dem 
Werner I. 10 


146 


fich die Banart vergleichen sehe. Der üherntifidg.geltenn muchende 
Grundzug iſt bie Zeltform, bie fich bei ‚allen. Gebänden im 
ber concaven Form bes Daches, ber Zierlichleit der Bfekter,. 
fowie in ber Leichtigleit des Materials deutlich ausſpricht. 
Defbentliche und Privatgebänbe, ver Palaſt des. Kaiſers und 
pie Hätten bes Hungeruben Kuli, bie. Tempel und die Pavlſlons 
in den Gärten ber Wohlhabenden — alles zeigt dieſen Charalter, 
ber, ohne Anſpruch auf Schönheit ober Regelmaͤßigkeit machen 
zu lanunen, dennoch durch feine Zierlichkeit das Auge angenehm 
berährt. Es iſt nicht zu verkemnen, daß bis nomadifirenden 
Bolkerſchaften, weiche zuerſt in China ſich feſte Wohnfitze 
gründeten, in dieſen das gewohnte Zelt nachahmten, und ment 
auch im Laufe der Jahrtauſende das Innere ſich allmählich 
veränderte, warb doch bie äußere Form faft gar nicht medificirt. 
Sie tft jo alt wie bie Gefchichte des Reichs, durch bieltanſend⸗ 
jährige Weberlieferungen geheiligt, und eine Abweichung von 
ihr. erſcheint dem Chineſen eine Profanation. Der Grundplan 
ber chineſiſchen Hänfer im allgemeinen zeigt eine merlwürdige 
Aehnlichkeit mit dem der maurifihen ‚Gebäude. Cine Mauer. 
ohne andere als Thüröffnungen fohließt das. Haus Yon. Her 
Straße ab, wenn daſſelbe nicht ein Kaufladen ift, während alle 
Tenfter nach bem Hofe münden. Durch den ‚Haupteingang 
gelangt man zunäcdft in das größte Zimmer, das ſowol zum 
Empfange von Gäften als zum Speifen bient. An dieſes 
ſchließen ſich die übrigen Räumlichkeiten, bie von beim Haupt- 
zimmer gewöhnlich durch Wände non oft Toftbarem Schnitz⸗ 
wert getrennt find, unb beren Eingänge durch Portieren von 
Selde over Baumwolle, je nach her Lebenslage des Beſitzers, 
gefchloffen werben. | | 

Das Anfehen und die. Großartigfeit ber Wohnungen 
richtet fich nach dem größern oder kleinern Flaäächenraum, ben 
fie bedecken, ſowie nach Größe und Zahl der immern Höfe 
mid der fie umgebeuden Baulichleiten, bie jedoch von außer 


147 


nicht gefehen werben können, da bie Mauer ſie gegen bie 
Straße hin abſfchließt. Gewöhnlich bildet: das Ganze: ein 
Barallelogramm, und bie Mauer ftirst bie Firfte eines Daches, 
beffen untere Fläche auf einer innern mit jener parallel 
laufenden Mauer ruht und eine Meihe von Wohnlichfeiten für 
bag Gefinde abgibt. Man betritt das Innere einer chinefifchen 
Brivatwohnung durch eine ziemlich enge Pforte, bie fogar 
gewöhnlich in einer unfcheinbaren Seitenftraße mündet und 
durchaus nicht auf die Pracht des Innern fchließen läßt. Im 
ber ‘Mitte der verſchiedenen Höfe erheben fich die eigentlichen 
Wohngebäude, zunächſt das oder Pie für die männlichen In- 
ſaſſen beftimmten, ſodann das für die Frauen, und binter 
biefem folgt gewöhnlich ein Garten mit Parlanfagen, Zeichen 
und Pavillons, Wo trgenpwie an den Thüren, auf ven 
Dächern oder Fenftern ſich hat Schnitwerf anbringen Iaffen, 
ift es gewiß gefchegen, und es fällt biefe® dem Fremen eben- 
jowol durch bie Feinheit und Schönhelt feiner Ausführung 
als durch die Bizarrerie des darin vorwaltenden Geſchmacks 
auf. Der Drade, das Sinnbild alles Glücks und alles 
Guten in China, fehlt faft nie. Im allen möglichen Größen 
und aus dem verfchiebenartigften Material gefertigt, fchlingt 
er fich in ven Verzierungen mit geöffnetem Hachen, um bie 
Dämonen zu verſcheuchen, bie in dem Gehirn ber aberglän- 
bifchen Bevölferung ſpuken und auf jede Weiſe in das Hans 
zu bringen fuchen.. 

Der jonderbare und von dem unfern gänzlich abweichende 
Geſchmack ver Chineſen in Form und Einrichtung ihrer Um⸗ 
gebung änßert fich überall in ihren Wohnungen. Gerade und 
gleichmäßige Linien, wie fie unferm Auge behagen, fcheinen 
fie möglichft zu vermeiden. Faſt alle Thüren in ber Wei, 
mögen fie zum PBalafte des Fürften ober in bie Baumrinden⸗ 
hätte des Negers führen, find regelmäßige rechtwinkelige Deffs 
numgen, nur in China nicht. Waudert man im Innern einer 

10* 


148 


chineſiſchen Wohnung umber, fo tritt man bald durch eine 
freisrunbe, bald durch eine onale oder elliptiſche Thür, oder 
fie hat die Form eines Blattes ober einer Vaſe, nie fieht 
man aber zwei gleiche. Daffelbe gilt von ihrem Mobiliar. 
Tiſche, Stühle, Bänke, Sofas, Bettitellen — alles tft ver- 
ſchieden und in ihren Formen berrfcht eine vollftändige Con⸗ 
fufion. Sie find nicht gleich Hoch, nicht gleich breit, vie 
Tiſche haben bald einen, bald drei, vier» und ſechs Füße, bie 
Stühle haben theils Lehnen, theilg nicht, die Sitze find ent- 
weder Holz, Bambusgefleht, Marmor ober andere Stein- 
platten, bald rund, bald länglich, vier⸗ over fechsedig. Nur 
Eine Eigenfchaft Haben alle Möbel miteinander gemein, fie 
find maſſiv, für die Ewigkeit berecinet und plump. Was 
uns mit ihnen ausſöhnt, ift die Toftbare Schnigerei an ihren 
Lehnen und Füßen, und diefem Borzuge haben fie e8 zu banken, 
daß die erträglich fagomnirten Stüde nad) Europa ausgeführt 
und hochgefchägt werden. Der Reichthum umd die Pracht 
dieſer Schnitereien ift oft wirklich wunberbar, und ich habe 
ein zum Verſenden fertiges Mobiliar gejehen, das ein in 
Hongkong anfälfiger Deutfcher nach feiner Heimat fohidte, 
veffengleichen man bei uns vergebens fudhen würde. Jeder 
per Stühle Toftete beinahe 100 Thaler und eine Bettftelle 
500 Thaler. Bedenkt man, daß Arbeitslohn nirgends. in 
ver Welt fo niedrig tft wie. in China, fo wird man ben 
Werth der Schnigereien ermefjen können. . 

Die Chinefen find die einzigen Aftaten, welche von Stühlen 
Gebrauch machen, aber fie haben dafür deſto mehr, ihre 
Zimmer find damit vollftändig Überladen, und ebenfo ift man 
in ihren Gärten nie um Sitze verlegen, die dann ge- 
wöhnlich ver Kühle und Leichtigkeit wegen aus Porzellan ges 
fertigt find und die Geftalt von hohlen Cylindern mit nach 
innen gebogenen Seitenfläden haben. Oft find. es jedoch 
auch hölzerne Seffel mit Steinplatten, die aber nicht behauen 


149 


find, fondern nur eine gerade Fläche haben. Diefe wird nad 
oben gelehrt und das Geftell ver Form des Steins angepaßt. 
Kühl figt man auf ſolchen Steinen, aber auf die Dauer 
würden wir felbft im heißen Klima ein weicheres Material 
vorziehen. Die Chineſen fcheinen jedoch in dieſer Beziehung 
weniger, verwöhnt zu fein, da ſie auch einen teten Gebrauch 
von Porzellankopfkiſſen machen. Diefelben mögen ebenfalls 
fühl fein, als eine wohlthuende Unterlage für den Kopf habe 
ich fie jeboch micht ſchätzen gelernt. Bei einer Picknickpartie 
nach einem chinefiichen Kloſter in der Umgegend von Kanton 
befam ich infolge eines Fieberanfalies fo heftige Kopf- 
fehmerzen, daß ich gezwungen war, mich nieberzulegen. 
Ein gutmüthiger Mönch brachte mir eine Strohmatte als’ 
Unterbeite und ein ſolches Porzellantopflifien. Obfchon es 
mir bei ber höhern Lage des Kopfes Erleichterung gewährte, 
beganıı nach zehn Minuten mein Hals fo zu fchmerzen, daß 
ih das Kiffen wieder entfernen mußte. 

Die Gärten repräfentiven ein ebenfo unregelmäßiges Ge- 
wirr von DBizarrerien wie das Mobiliar, denn die auch in 
Europa befannte und nachgeahmte Verzwerguug der Bäume, 
die bier ganz allgemein ift, rechne ich ebenfalls dazu. Jeden⸗ 
falls kann ich nichts Schönes darin finden. Es tft Feine Nach⸗ 
ahmung, fondern eine Berfrüppelung der Ratur, gerabe fo 
wie die fngenannten Heinen Füße der Frauen, die jebem- 
andern als dem chinefifchen Auge ale Klumpfüße erfcheinen 
und Ekel erregen. Den Zwergbäumen fiebt man es immer 
an, daß fie Krüppel find, und ſchon darum Tann ein gebilveter 
Geſchmack fle nicht ſchön finden. 

Die Gärten enthalten auch manches wirllich Schöne. 
Die Ehinefen find große Liebhaber von Tünftlichen Felspartien, 
bie man in allen Gärten unb, wo dieſe fehlen, fait auf jeden 
Hofe einer anfrändigen Wohnung findet. Biswellen gelingt 
ihnen Hierbei die Nachahmung ber Natur fehr gut, namentlich 


150 


wenn fie fich dabei in kleinen Dimenſtonen Kalten, Ich. abe 
in Kanton einzelne folcher Anlagen geſehen, bie wiellich rei⸗ 
zeus waren. Man konnte fich bei ihrem Anblicke in eine 
wildrömantifche Gegend verjegt fühlen. . Dort. ftürgte fich 
durch die zadligen Klippen einer Felswaund ein Gießbach her⸗ 
Mieber, deſſen Waſſer eine verborgene Fontaine in bie Höhe 
‚Mieb; bier belleideten feinhlätterige Schlingpeivfichfe. mit einem 
‚dichten Teppich Tünftliche Grotten, wührenn Inorrige Zwerg⸗ 
eichen jenen Felsgrat zierten. Es Tag. ewwas Mezaubernbss 
ist biefer Umgebung, bie noch erhöhten Reiz buxch einen großen 
babinterkiegenden Teich erhielt, auf deſſen Spiegelfläche bie 
‚Treisförmigen Wlätter der heilig gehaltenen Loptoepflanje 
ſchwammen, beren gigantifche, roth oder gelb gefleckte Tulpen⸗ 
‚hlüten träumeriſch ſich über das Waſſer neigten, während 
Tauſende ver prachlvollen hinefifchen Gold⸗ und Stiberfifchchen, 
mit Floffen und Schwanz fo lang wie ber Körper ſelbſt, 
zwifchen ihnen durchſchiüpften und in beit. Sonnenftrahlen 
ſpielten. 

Sobald die Chineſen jedoch die N iniaturfortn in biefem 
‚Genre verlafien, werben ihre Schöpfungen gezwungen, un⸗ 
natürlich und häßlich. In einem der großen und öffentlichen 
Theegärten von Schaug⸗hae, ver damals in eine frauzöſiſche 
Kaſerne verwandelt war, befindet ſich eine ſolche künſtliche 
Felopartie in größerm Maßſtabe, auf deren Conſtruction 
offenbar große Sorgfalt verwendet iſt, ohne jedoch einen 
audern Eindruck als den eines Steinbruchs zu. mathen. Es 
ag fein, daß das ſehlende Grim viel dazu beitrug, ba. ich 
im Winter dort war, allein immerbin biieb es ein.. wirrer 
Steinhaufen, dem man es anſah, wie wiel Zwang erſorder⸗ 
lich war, um ihm ſeine auffallendan und unſchobuen dornien 
gu geben. | 
Man kbann fich denken, deß in dem Lande des Beigellans 
dies Material auch vielfältig zur Zierbe der Wohnungen ge 


161 


‚braucht wird, und in ber That findet: man nirgends fo viel 
Vaſen und Töpfe wie hier. . Die Blumen in ven Guͤrten 
werben nicht wie bei uns in Beeten, ſondern ſtets in Toͤpfen 
‚gezogen, wodurch bie Pflanzen viel von ihren: Reize verlieren. 
Es fehlt wieder die Natur. Topfblumen im Zimmer erfreuen 
das Auge; im. Garten müſſen fie - meiner Anſicht nach ftei 
‚blühen, wenn ſich ver Menſch an ihnen ergoötzen ſoll. Der 
Chineſe muß aber vor allem künſteln, er kann nichts ſo Taflen, 
wie Die Natur es gefchaffen, und dieſe Küufteleieu hleiben 
unmer mittelmäßig, weil nie Kunſt darin iſt. Der Kunftimn 
‚geht ihm gänzlich ab, und darin unterſcheiden ſich die Aflaten 
‚mit wenigen Anusnahmen von ver Faukafifchen Nafle. Der 
Chineſe fowol wie der Japaneſe überragen. pen Europäer 
an Zmitationsgabe, beine übertreffen ihn bei meltam au Fein⸗ 
heit und Genauigkeit. ver Arbeit, namentlich ver Dapımefe; 
‚aber beiben iſt Runft fremd, und was fie aus eigener Nueft - 
ſchöpfen, ift entweder Garicatur -oper lleinlich und regelles. 
‚Die Lebhaftigleit und Friſche Ihren Farben. iſt weitberühmt, 
‚und feine Nation erreicht fie darin; ihren Genrhluen aber 
fehlt Licht, Schatten und Perſpeetipe. Ihre Plaftit beirpränft 
fih einzig auf Dafer und Töpfe von Porzellan und Bronge 
‚in barocken formen; ſobald fie die Bildhauetei verfuchen, 
ſchaffen ſie Ungeheuer. Einen Yauftil: befigen fie nicht; ihre 
Muſit iſt ein laͤrmendes Getöfe von Trommeln und freiſchen⸗ 
den Inſtrumenten ohne Melodie und Harmonie. Ihr Theotar 
iſt ein Inftitut, von deſſen künſtleriſchem Werth ber Umſtand 
‚hinläugfich Zeugniß gibt, daß Pie Schauſpieler einer Nıtfle 
angehören, die ähnlich ben indiſchen Parias Fein. Bürgerrecht 
befigt, und die feine andere Beichäftigung als noch bie eines 
Barbiers oder Laftträgers treiben barf. 

Die Ehinefen haben eine beſondere Liebbaberei für Anti- 
quitäten, und bie Wohlhabenden befigen oft eine ganze Samm- 
lung echter oder nachgemachter, denn in biefem Inbuftriezweige 


144 


in dem jich. Thürme von mehreren Stodiwerfen zur Aufnabıne 
von Soldaten befinden, währenn ähnliche Baftionen in Zwifchen- 
räumen von 150 — 200 Fuß die Gourtinen ‚ihrer ganzen - 
Länge nach flanfiren. Die. beräbmte Chinefliche Mauer, dies 
mächtige Bauwerk, das ſich vom Golf von Petſchili in un- 
unterbrochener Linie über 400 geographiſche Meilen weit 
"His zur weftlichen Tatarei erſtreckt, ift nach benfelden Brin- 
eipien conſtruirt. ‘Da ich jedoch fpäter darauf zurückommen 
werde, erwähne ich fie hier. nur beiläufig. 

Die Kanton .umgebende Mauer ſchließt fowol bie alte als 
die neue Stadt ein, bie jedoch beide wieber durch eine zwelte. 
Mauer voneinander getrennt ‚werben. Der Flächenraum der 
Stadt.ift im Vergleich zu der Einwohnerzahl nicht beventend; 
ber ganze Umfang kann nicht. 1%, Meile überfteigen, wenigftens 
find wir mit mäßig fchnelfen Schritten in 2, Stunden um. 
bie ganze Stadt gewandert. Zwölf Thore, von denen einige 
fehr fonderbare Namen, wie Thor. ver ewigen. Reinheit oder 
. ber ewigen Gflüdfeligfeit, haben, führen von außen in bie 
Stadt, und vier andere vermitteln. Die. Communication zwiſchen 
ihren beiden Haupttheilen. Bei Nacht find ſämmtliche Thore 
geſchloſſen und nur mit ſpecieller Erlaubniß eines hohen Be⸗ 
amten zu paffiren, obwol ein paar Kupfermünzen in ben 
Augen der Wächter venfelben Werth Haben als jene Erlaub- 
niß. Bei unferer Anwelenbeit waren jedoch die Thore bon 
Englänvern.und Franzofen bejekt und während ver Nacht 
für jeden Chineſen ohne Ausnahme geſchloſſen. 

Die Zahl der Straßen in Kanton iſt fehr groß, nicht 
geringer als 600,. pie, ohne beftimmten Plan angelegt, kreuz 
und quer durcheinander laufen, meiftens kurz, krumm und 
ihmuzig find. Die beiven. legten Prävicate gelten überhaupt 
von allen. chinefifchen Straßen, jelten trifft man fie breiter 
als 10 Fuß. In der Mitte find regelmäßig einen Fuß breite 
Flieſen der Länge nach gelegt, der übrige Theil jeborh unge⸗ 


145 


pflaſtert. Da es weder Goflen noch fonftige Abzugslanãle 
gibt, auch die jo eng zuſammen ftehenven und oben nach vorn 
überbauten Häuſer den Somnenftrahlen faft allen Zugang 
nerjchließen, ſo kam man fich venfen, daß bei dem Verkehr 
einer halb auf ven Straßen Lebenden Bevölkerung von über 
eine Million, bie felbft befanntlich nicht fehr für Neinlich- 
feit eingenommen ift, ein Gang buch Kanton wafler- 
dichte hohe Stiefeln beanfprucht, um ben überall herrſchenden 
Schmuz zu überwinden. Namentlich iſt die alte ober Tataren⸗ 
ftabt in biefer Beziehung das Nonplusultra aflatifcher Un⸗ 
reinlichteit, pie um fo greller in die Augen fällt, weil bie 
baufälligen ſchmuzigen Häuſer ebenfo abſtoßend erfcheinen, 
während in ber neuen Stadt doch wenigftens die Tauſende 
von chineſiſchen Läden mit ihren oft Toftbaren Stoffen und 
geſchmackvoll zur Schau geftellten BVerlaufsgegenftänden ben 
Blick fefieln. 

Außer ven Straßen durchziehen noch eine Menge größerer 
und Heinerer Kanäle die Stadt, welche ven Transport ber 
ſchweren Güter vermitteln, da in Südchina Fein Fuhrwerk 
exiftirt und alles, was nicht won Menfchen getragen werben 
Kann, zu Waſſer fortgefchafft werden muß. | 

Nirgends documentirt fich bie in China alle Verhältniffe 
bes focialen Lebens beherrſchende Gleichmäßigleit auffallenber 
als in der Bauart, Form und Größe der Gebäude. Auf 
bem Lande find bie Häufer faft ohne Ausnahme, in ven 
Städten ver bei weiten größte Theil einftödig, nie aber mehr 
als zweiſtöckig. Unſer europäiſches Bauen in die Höhe ift 
ben Chineſen jo unerflärlih, daß der Kaifer zu dem englifchen 
Gejandten Macartney äußerte, es könne doch wol nur bie 
geoße Beſchränkung des Landes Urfache fein, daß bie Euro⸗ 
päer ibre Wohnungen fo nahe an die Wollen thürmten. 

Ein Bauftil nad unfern gewohnten Anfchanungen tritt an 
ven Hänfern nicht hervor; wenigften® haben wir nichts, mit Dem 

Werner. 1 10 


146 


ſich die Banart vergleichen ließe. Der überallſich geltend muchende 
Grundgug:ift. bie Zeltform, bie ſich bei allen Gebänden im 
bee concaven Form des Daches, ber Zierlichleit der Pfeller, 
fowte in ber Leichtigkeit des Materials deutlich aueſpricht. 
Oefſentliche und Privatgebände, der Palaſt bes. Kaiſers und 
bie Hätten des huugeruden Kuli, bie Tempel und die Pavillons 
in den Gärten ber Wohlhabenden — alles zeigt dieſen Charakter, 
ver, ohne Anſpruch auf Schönheit oder Regelmaͤßigkeit madgen: 
zu Können, dennoch durch feine Zierltchleit das. Auge angenehm 
berährt. Es ift nicht zu .verlemten, baß bis nommbifirenben 
Bolkerſchaften, welche zuerft in China fich. fefte Wohnfige: 
gränbeten, in biefen das gewohnte Zelt nachahmten, und went 
auch im Laufe ber Jahrtauſende das Innere fich allmählich 
veränderte, warb doch bie Äußere Form faft gar nicht medificirt. 
Sie tft jo alt wie bie Gefchichte des Reichs, durch bieltanſend⸗ 
jährige Meberlieferungen geheiligt, und eine Abweichung von 
ihr. erſcheint dem Chineſen eine Profanation. Der Grundplan 
ber chineſijchen Hänſer im allgemeinen zeigt eine merlwurdige 
Aehnlichkeit mit dem der maurifchen Gebäude. Cine Mauer 
ohne andere als Thüröffuungen ſchließt das Haus won. per 
Straße ab, wenn baffelte nicht ein Kaufladen ift, während alfe 
Tenfter nach dem Hofe münben. Durch den ‚Haupteingang 
gelangt man zunächit in bad größte Zimmer, das ſowol zum. 
Empfange von Gäften ald zum Speifen bient. An biefes 
ſchließen fich die übrigen Raäͤumlichleiten, bie von dem Haupt⸗ 
zimmer gewöhnlich durch Wände non oft Toftbarem Schnuitz⸗ 
wer! getrennt find, und deren Eingänge durch Portitren von 
Selde vder Baumwolle, je nach ver Lebenslage des Beſitzers, 
geſchloſſen werden. 

Das Anfehen und die. Großartigkeit ber Wohnungen 
richtet fich nach dem größern oder Eleinern Flächenraum, den 
fie bedecken, fowie nach Größe und Zahl der Innern Höfe 
mi. der ſie umgebeuben Baulichkeiten, bie jedoch von außen 


147° 


nicht gejehen werben können, da die Mauer fis gegen bie 
Straße Hin abfchließt. Gewöhnlich bildet das Ganze ein 
Barallelogromm, und bie Dauer ftirkt bie Firfte eines Daches, 
beffen untere Fläche auf einer innern mit jener parallel 
laufenden Mauer ruht und eine Reihe von Wohnlichkeiten für 
bag Geſinde abgibt. Dan betritt das Innere einer chinefifchen 
Brivatwohnung durch eine ziemlih enge Pforte, bie fogar 
gewöhnlich in einer unfchembaren Seitenftraße mündet und 
durchaus nicht auf die Pracht des Innern fchließen läßt. Im 
ber Mitte der verſchiedenen Höfe erheben fich die eigentlichen 
Wohngebäude, zunächſt das oder vie für die männlichen In⸗ 
faffen beftimmten, ſodaun das für die Frauen, und binter 
biefem folgt gewöhnlich ein Garten mit Parlanfagen, Zeichen 
und Pavillons. Wo trgenpwie an ben Thüren, auf den 
Dächern oder Fenftern ſich bat Schnitzwerl anbringen laſſen, 
ift es gewiß gefchehen, und es fällt dieſes dem Fremen eben- 
fowol durch die Feinheit und Schönheit feiner Ausführung 
als durch die Bizarrerie des barin vorwaltenden Geſchmacks 
auf. Der Drake, das Sinnbilv alles Glücks und alles 
Guten in China, fehlt faft nie. In allen möglichen Größen 
unb aus dem verfohienenartigftien Material gefertigt, fchlingt 
er fich in den Verzierungen mit geöffnetem Rachen, um bie 
Dämonen zu verfchendhen, die in dem Gehirn ber aberglän- 
bifchen Bevölkerung ſpuken und anf jede Weife in das Hans 
zu dringen fuchen.. | 
Der fonderbare und von dem unfern gänzlich abiveichenbe 
Geſchmack der Ehinefen in Form und Einrichtung ihrer Um⸗ 
gebung änßert fich überall in ihren Wohnungen. Gerade und 
gleichmäßige Linien, wie fie unferm Auge behagen, ſcheinen 
fie möglichft zu vermeiden. Faſt alle Thüren in ber Wet, 
mögen fie zum Palaſte des Fürſten ober in bie Baumrinpen- 
hätte des Negers führen, find regelmäßige rechtwinfelige Oeff⸗ 
nungen, nur in China nicht. Wanbert man im Innern einer 
10* 


148 


chineſiſchen Wohnung umher, fo tritt man bald durch eine 
freisrunde, bald burch eine ovale oder elliptifche Thür, ober 
fie Hat die Form eines Blattes ober einer Vaſe, nie fieht 
man aber zwei gleiche. Daſſelbe gilt von ihrem Mobiliar. 
Tiſche, Stühle, Bänke, Sofas, Bettftellen — alles ift ver- 
ſchieden und in ihren Formen herrſcht eine vollſtändige Con⸗ 
fuſion. Sie ſind nicht gleich hoch, nicht gleich breit, die 
Tiſche haben bald einen, bald drei, vier⸗ und ſechs Füße, bie 
Stühle haben theils Lehnen, theils nicht, Die Sitze find ent- 
weder Holz, Bambusgefleht, Marmor oder andere Stein- 
platten, bald rund, bald länglich, vier= oder fechsedig. Nur 
Eine Eigenfchaft Haben alle Möbel miteinanver gemein, fie 
find maſſiv, für die Ewigfeit berechnet und plump. Was 
uns mit ihnen ausfühnt, ift die koſtbare Schnigerei an ihren 
Lehnen und Füßen, und dieſem Vorzuge haben fie es zu danken, 
daß die erträglich facomnirten Stüde nad Europa ausgeführt 
und hochgefhäßt werden. Der Neichthum und die Pracht 
biefer Schnißereien tft oft wirklich wunderbar, und ich babe 
ein zum Verſenden fertiges Mobiliar geſehen, das ein in 
Hongkong anfäffiger Deutſcher nach feiner Heimat fchidte, 
beffengleichen man bei uns vergebens fuchen würde. Jeder 
ver Stühle Zoftete beinahe 100 Thaler und eine Bettſtelle 
500 Thaler. Bedenkt man, daß Arbeitslohn nirgends. in 
der Welt fo niedrig ift wie in China, fo wird man ben 
Werth der Schnitereien ermeſſen können. 

Die Ehinefen find die einzigen Afiaten, welche von Stühlen 
Gebraud machen, aber fie haben dafür vefto mehr, ihre 
Zimmer find damit volfftändig überladen, und ebenfo ift man 
in ihren Gärten nie um Site verlegen, die dann ge= 
wöhnlich ver Kühle und Leichtigkeit wegen aus Porzellan ges 
fertigt find und die Geftalt von hohlen Cylindern mit nach 
innen gebogenen Seitenflächen haben. Oft find es jeboch 
auch hölzerne Sefjel mit Steinplatten, die aber nicht behauen 


149 


find, ſondern nur eine gerade Fläche haben. Diefe wird nach 
oben gelehrt und das Geftell ver Form des Steins angepaßt. 
Kühl fikt man auf folden Steinen, aber auf bie ‘Dauer 
würben wir felbft im heißen Klima ein weicheres Material 
vorziehen. Die Chineſen ſcheinen jedoch in dieſer Beziehung 
weniger, verwöhnt zu fein, ba fie auch einen fteten Gebrauch 
von Borzellantopftiffen machen. Diefelben mögen ebenfalls 
fühl fein, als eine wohlthuende Unterlage für ven Kopf habe 
ich fte jedoch nicht fchäßen gelernt. Bei einer Picknickpartie 
nach einem chinefifchen Slofter in ber Limgegend von Kanton 
befam ich infolge eines Fieberanfalles fo heftige Kopf. 
jchmerzen, daß ich gezwungen war, mich nieberzulegen. 
Ein gutmüthiger Mönd brachte mir eine Strohmatte als 
Unterbette und ein folches Porzellankopfliffen. Obſchon es 
mir bei der höhern Lage des Kopfes Erleichterung gewährte, 
begann nach zehn Minuten mein Hals fo zu ſchmerzen, daß 
ih das Kiffen wieder entfernen mußte. 

Die Gärten repräfenticen ein ebenſo unregelmäßiges Ge⸗ 
wirr von Bizarrerien wie das Mobiliar, denn bie auch in 
Europa befannte und nachgeahmte Verzwergung ber Bäume, 
bie bier ganz allgemein ift, rechne ich ebenfalls dazu. Jeden⸗ 
falls kann ich nicht8 Schönes darin finden. Es ift feine Nach⸗ 
ahmung, fondern eine Berfrüppelung der Ratur, gerade fo 
wie bie fogenannten Heinen Füße der Frauen, die jebem- 
andern als dem chinefifchen Auge als Klumpfüße erfcheinen 
und Efel erregen. Den Zwergbäumen fiebt man es immer 
an, daß fie Krüppel find, und ſchon darum Tann ein gebilbeter 
Geſchmack fie nicht Schön finden. 

Die Gärten enthalten auch manches wirklich Schöne. 
Die Ehinefen find große Liebhaber von Tünftlichen Felspartien, 
die man in allen Gärten und, wo dieſe fehlen, fait auf jedem 
Hofe einer anfrändigen Wohnung finde. Bisweilen gelingt 
ignen Hierbei die Nachahmung der Natur fehr gut, namentlich 


150 


wenn fie fich babei in kleinen Dimenſionen halten, Sch. habe 
in Kanton einzelne folcher Anlagen geſehen, vie wirklich rei⸗ 
zend waren. Man Tonnte fich. bei ihrem Mnblide in eine 
‚wiloromantifche Gegend verſetzt fühlen. Dort. ftüngte fich 
durch Die zadligen Klippen einer Felswand ein Gießbach her⸗ 
mieder, deſſen Waſſer eine verborgene Fontaine in pie Höhe 
twrieb; bier bekleideten feinblätterige Schlinggewüchſe mit einem 
dichten Teppich künſtliche Grotten, währen knorrige Zwerg⸗ 
eichen jenen Felsgrat zierten. Es lag etwas Bezauberndes 
in dieſer Umgebung, hie noch erhöhten Reiz durch einen großen 
dahiuterliegenden Teich erhielt, auf deſſen Spiegelfläche die 
kreisförmigen Blätter der heilig gehaltenen Lotoepflanze 
fſchwammen, deren gigantiſche, roth oder gelb gefledte Tulpen⸗ 
blüten träumeriſch ſich über das Waller neigten, während 
Tauſende ver prachtvollen chiueſiſchen Gold⸗ und Silberfifchchen, 
mit Floffen und Schwanz fo lang wie ber Körper ſelbſft, 
zwifchen ihnen durchſchlüpften und in den Sonnenſtrahlen 
fpielten. 

Sobald die Chineſen jedoch die Miniaturform in dieſem 
Genre verlafſen, werben ihre Schöpfungen gezwungen, un⸗ 
natürlich und häßlich. In einem der großen und öffentlichen 
Theegärten von Schaugrhae, der damals in eine frauzöfiſche 
:Kaferne verwandelt war, befindet fich eine folche künſtliche 
Felspartie in größerm Maßſtabe, auf beren Conſtruction 
offenbar große Sorgfalt verwendet iſt, ohne jedoch einen 
andern Eindruck als den eines Steinbruchs zu. mathen. Es 
ag fein, daß pas fehlende Grün viel dazu beitrug, ba. ich 
im Winter dort war, allein immerbin biieb es ein wirder 
Steinhaufen, dem man es anſah, wie viel Zwang erforber- 
lich war, um ihm ſeine aufallenden und unſchobnen dornien 
gu geben. 

Man. kaun fich denken, daß in dem Lande des Bergellans 
bie Material auch vielfältig zur Zierde der Wohnungen ge- 


161 


‚braucht wird, und in ber That findet: man nirgends fo tel 
Vaſen und Töpfe wie Hier. . Die Blumen in ben Gaͤrten 
werben nicht wie bei uns in Beeten, ſondern ſtets in Toͤpfen 
‚gezogen, wodurch bie Pflanzen viel von ihrem Reize verlieren. 
Es fehlt wieder die Natur. Topfblumen im Zimmer erfreuen 
das Auge; im Garten müſſen fie meiner Anſicht noch Tzei 
blühen, wenn ſich ver Menfch an ihnen ergäßen ;foll.. Der 
Chineſe muß aber vor alfem fünften, er kann nichts ſo laſſen, 
‚wie die Natur es geſchaffen, und dieſe Künſteleien bleiben 
immer mittelmäßig, weil nie Kunſt darin iſt. Der Kunftfim 
‚geht ihm gänzlich ab, und darin unterjcheiden ſirh bie Wilnten 
‚mit wenigen Ansnahmen von ber kaulaſiſchen Rafle. Der 
Chinefe fowol wie der Japaneſe überragen. pen Euvropäur 
an Smitationsgabe, beine übertreffen ihn bei weitem au’ Fein⸗ 
heit und Genauigkeit. der Arbeit, namentlich ver Dapımele; 
‚aber beiden iſt Runft fremd, und was fie aus eigener Ruaft - 
ſchöpfen, ift entweder Garicatur -oper. kleinlich und regellos. 
‚Die Lebhaftigkeit und Friſche Ihrer Farben iſt weltberühmt, 
und feine Nation erreicht ſie darin; ‚ihren Gemälden aber 
fehlt Licht, Schatten und Perſpeetipe. Ihre Plafiik beſchränkt 
fih einzig auf Dafen und Töpfe von Porzellan und Dranje 
‚in barocken Formen; fobald- fie die Bildhauetei verſuchen, 
ſchaffen ſie Ungeheuer. Einen Nauftil beßtzen fie wicht; ihre 
Muſtk iſt ein läͤrmendes Getäfe von Trommeln und freiſchen⸗ 
‚ven Inftrumenten ohne Melodie und Harmonie. Ahr: Theäter 
iſt ein Inftitut, von define Tünftlerifchem Werth ber Uuſtand 
‚hinläugfih Zeugniß gibt, daß die Schauſpieler einer Kuße 
angehören, die ähnlich ven indiſchen Parias Fein. Biwvgerdecht 
beſitzt, und die keine andere Beſchäftigung als noch die eines 
Barbiers oder Laftträgers treiben barf. 

Die Ehinefen haben eine bejondere Liebhaberei für Anti⸗ 
quitäten, und die Wohlhabenden befigen oft eine ganze Samm- 
lung echter oder nachgemachter, denn in dieſem Induſtriezweige 


152 


find die Söhne Han's Meifter. Am werthuolfften und ge- 
fuchtejten find die Vaſen, deren Material aus einer Zufammen- 
Ihmelzung von Toftbaren Metallen ftammt, die unter dem 
vierten Herrfcher der Ming⸗Dynaſtie, Hoonghy, infolge 
eines Palaftbrandes im Jahre 1440 ftattfand. Ein anderer 
Häuſerzierath find Laternen in allen Formen und Dimen- 
flonen von transparentem Papier, Glas oder Horn. Die Be 
handlung des letztern Materials muß eigenthämlich fein, ba 
ih Laternen fah, deren über 18 Zoll Durchmeffer Haltender 
Körper kugelförmig war und ohne Naht aus einem transpa= 
ventem Stüd Horn beftand. Diefe Laternen find gewöhnlich 
bemalt und zeigen in bunten Charakteren Namen und Titel 
ihres Beſitzers. 

Im Sübden dienen entweder Bettftellen mit Bambusflecht- 
wert oder Matten als Schlafftätten; im Norden bagegen 
haben faft alle Zimmer eine breite gemauerte Bettſtelle, die 
von unten geheizt wirb und zugleich den Ofen vertritt, ben 
man fonft in China ebenfo wenig wie Kamine finde. Ein 
Kohlenbecken tft das ganze Präſervativ gegen die Kälte, 
bie oft fehr empfindlich auftritt und nur durch drei⸗ und vier⸗ 
fache Pelze oder wattirte Röcke erträglich wird. 

Glasfenſter find felten, und man trifft fie überhaupt nur 
im den Plätzen, die direct mit Europäern in Verbindung ftehen. 
Sonft vertritt transparentes Papier, das in Korea und Japan 
fabrizirt wird, ihre Stelle, bisweilen jedoch in den Häufern 
ber Reihen Seivengaze mit fehr. hübſchen Gold⸗ und Silber⸗ 
Stickereien und Im Norden Heine dünngefchliffene Scheiben 
aus den Schalen ver falfchen Perlmuttermuſchel. 


9. 


Die Yamuns oder Gerichtshäuſer. Grauſamer Charakter ber Ehinefen. 
Die Lage ber Gefangenen. Die Strafe bes Halskragens. Die Tempel 
in Kanten. Die drei Religionen in China. Wberglaube ber, Ehinefen. 


Bon ben Öffentlichen Gebäuden Kantons unb anderer 
hinefiiher Städte verdienen die Yamuns, vie Tempel und 
die Theater Erwähnung. Man mag hinkommen, wo man 
will, überall find ſie fich gleich, und überhaupt braucht man 
nur Eine größere Stadt gejehen zu haben, um alle zu kennen. 
Zwar weichen bie Menfchen in ben verfchiebenen Provinzen 
des weiten Reichs vielfach in Sprache und theilweiſe in Sitten 
und Gewohnheiten voneinander ab, ihre Wohnungen, Dörfer 
und Städte aber find alle aus Einem Guſſe. 

Die Yamıms find bie Bureaur der Beamten oder Man⸗ 
barinen, der Befehlenden, wie fie anfänglich von den Bortu- 
giefen, fpäter von allen Europäern und jett auch ſchon von 
den Chinefen felbft genannt werben. In biefen Gebäuben, 
die zugleich Die Privatwohnungen ver Mandarinen einfchließen, 
lanfen pie geheimnißvollen Fäden des Netzes zuſammen, bas 
ber Kaiſer über ein Voll von 360 Millionen Seelen gezogen, 
und an denen er feine „„Kinber” mit Hälfe „‚väterlicher Ermaß- 
nungen“, wie in China die verſchiedenen Geſetzesſtrafen, ſeien 


154 


es auch Folter, Hungertod oder fonftige Graufamfeiten, ge⸗ 
nannt werben, leitete, bis einige Millionen die in das Fleifch 
Ichneidenden Mafchen zerriffen und ihn im Verein mit ben. 
„rothhaarigen Barbaren” zwangen, vom „heiligen Stuhl 
bes Drachen” berabzufteigen und fich zur Rettung feines 
„bimmlifchen Lebens in feine Erblande, die Tatarei, zu flüchten. 
Die Yamuns zeichnen fich vor andern chinefifchen Woh⸗ 
nungen nur burch ihren Umfang und dadurch aus, daß ihre 
nach der Straße blickende Fronte einen großen und zwei kleinere 
Thorwege befitt, durch die man fie betritt, und daß in dem 
Haupthauſe das Beamtenperfonal des Mandarinen logixt, 
während ber letztere felbft mit feiner Familie in dem Gebäube 
des Hinterften Hofes wohnt, Gewöhnlich halten, in Waffer- 
‚farben auf dem CEiugaugstbore. gemalt, zwei riefige. Tataren⸗ 
krieger mit gezüdten Schwertern und zolllangen Zähnen 
Wache, und man erſchrickt unwillkürlich, wenn man bie unge⸗ 
qᷣchlachten Leiber dieſer Wächter mit ihren grimmigen Ge⸗ 
‚fichtern plötzlich ſich zur. Seite ſieht. Für das Bol find 
:diefe Schreckbilder jedoch kaum nöthig. Die Yamuns mi 
ihren Berhoͤrzimmern, Gefängniſſen, Bambushieben und 
Marterwerkzeugen find für ben Chineſen ohnehin. fen 
:Schreden genng. Wenn er es mader kann, weicht er ihnen 
schon von weitem aus, und wenn auch nicht über ben Thoren 
gefchrieben fteht: Lasciate ogni speranza! fo wiſſen Tauſende 
von Unſchuldigen, daß niemand ımgeftraft Binauskonnmt, der 
einmal :alß verbächtig vor das Forum bes dann Zribunale 
gezogen wurbe, 
:. On einem anbern Damm, von ben Franzoefen Pagode 
aux zupplides genannt, ſind zur heilſamen Furchterweckung 
bei den lieben „Kindern“ des „Sohnes der Soime‘ alle 
‚väterlichen Ermahnungen bildlich nud ſehr naturgebsen zu 
beiden Seiten des. erften Hofes unter den Colonnaden Darge- 
ſtellt. Es ift kaum glaublich, welche Varietäten non. vaffl- 





155 


nirten Grauſamkeiten Hier zu finden find, und wenn. wich 
‚einige. humane Chineſenfreunde in Abrede ftellen wollen, baß 
ſolche Strafen wirklich erütiren, und fie diefe Darſtellungen 
‚auf die buddhiſtiſche Hölle beziehen, fo bin ich doch nach allem, 
"was ich erfahren, jehr geneigt, Tas Gegentbeil zu glauben. 

Tüpkloftigleit bei Leiden anderer Menſchen bilvet einen 
Grundzug im chineſiſchen Ehnralter, und damit ift ausge 
ſuchte Grauſamkeit ſehr verwandt. Wenn auch vielleicht Ber⸗ 
brecher nicht mehr auseinander geſägt over gefocht werden, 
fo ift es ebenſo gewiß, daß man Falſchmünzern die Augen⸗ 
über abſchneidet ober fie in einem Käfig verhungern läßt, 
und das ift wahrlich nicht viel beſſer. Man braucht nur ein 
chineſiſches Gefängniß zu bejuchen und die unglädlichen Ge⸗ 
ichbpfe anzufehen, die zu Hunderten in einem dunklen Loche 
“don kaum 200 Duabratfuß Fläche auf bloßen Verdacht Hin 
-Angefperrt. find und fünf, feche Monate ihres Urtheils⸗ 
Äpruche harren müfſen, um, zu willen, daß das Wort Huma⸗ 
nität im Wörterbuche des chinefifchen Geſetzes oder vielmehr 
im dem feiner Ausleger nicht enthalten ift. 

Ich ſah in einem Gefängnißlokale auch ben berühmten 
Cangue over Halskragen in Anwendung gebracht, ber eine 
Hewößnliche Strafe für Heine Diebftähle if. Wenn bei ber 
guten Einrichtung umnferer Gefüngnifſe Verbrecher einzig 
darum rückfällig werben, um wieber hineinzukommen, nachdem 
fie freigelafſen waren, weil ſie ein warmes Zimmer, Kleidung 
mb Nahrung finden, fo. ift das nicht zu versundern. Wenn 
jedoch in China ein Dieb, ver ſechs bis acht Monate ven 
Halskragen gefchleppt, zum ziveiten male. ftiehlt, r ift dies 
wenigftens nicht Schulid der Strafe. 

Daso Juſtrument beſteht aus einem zwei bie betigolligen 
Bretergerüſt von 214-3 Buß im Geviert, in deſſen Mitte 
fich ein Boch‘ gerade groß gemmg für ben Hals des Delinqtzen⸗ 
‚ten "befindet. Diefer Kragen von minbeftens. 25 Pfund. Ge⸗ 


156 


wicht wirb ihm umgelegt, und er muß ihn ununterbrochen 
Zag und Nacht, je nach der Größe feines Vergehens, fechs 
bis acht Monate, ja ein Jahr lang ſchleppen. Man fagt, 
ber Menfch gewöhne fih an alles, aber die Unglüdlichen, 
welche ich mit dem Kragen fah, hatten fich in ſechs Monaten 
nicht daran gewöhnen können, und ich werde ſobald nicht ihre 
von Schmerz und Schlaflofigkeit abgezehrten Gefichter ver- 
geffen. Ste können nur fchlafen, wenn fie ſich auf ben etwa 
einen Fuß hohen Pritfchen ausftredten, ven Holzrahmen perpen- 
bifulär ftellen und dann mit dem Halfe in dem Ausfchnitte 
ruhen. Da legterer jedoch etwa einen halben Fuß höher als 
die Pritfche fteht und Hals und Naden von feinen fcharfen 
Kanten beftändig wund gefchenert find, fo kann man fich 
benfen, wie bie Nachtruhe der gequälten Gefchöpfe fein muß. 
Ueberdies find die alfo Beftraften nach ihrer Sreilaffung durch 
einen breiten Narbenring um ven Hals fir immer als Diebe 
Tenntlich, felbft wenn ihnen ber abgefchnittene Zopf im Laufe 
der Jahre wieder wachen follte. 

In den Gefängniffen, zu denen uns ein franzöfifcher Poli- 
zeioffizier bereitwilligft Zutritt geftattete, fah ich auch zum 
erften male gefeljelte Frauen, die größere Verbrechen begangen 
hatten, unter andern eine Schweiter, die ihren Bruder ge- 
morbet. Einige hundert Weiber, Mütter und Schweftern von 
Rebellen waren gleichfalls eingeferfert, doch hatten fie Freiheit, 
in den Höfen umherzugehen. Die Mutter bes Nebellenhäupt- 
lings ober „jüngern Bruders Chriſti“, wie er fich nennt, 
Zai-Bing- Wang, befand fich fehon feit zehn Jahren Hier und 
erzähfte uns in Jammertönen ihre erlittenen Leiden. Die un⸗ 
glüdliche Greiſin war fogar gefefjelt, und es ift ein Wunder, 
wie ein fo gebrechliches fiebzigjähriges Mütterchen ſolche Qualen 
überleben kann. Die chinefifchen Behörden haben geglaubt, 
daß die im’ Bolfe fo tief eingewurzelte finbliche Liebe Tai⸗ 
Ping- Wang veranlafien werde, zur Befreiung jener Mutter 


157 


von der Leitung der Rebellion abzuftehen, haben dadurch abe 
nur ihre geringe Menfchentenntnig bewieſen. Ein Dann, 
deſſen Ehrgeiz nach einem Kaiferthrone ftrebt, läßt fich nicht 
durch Familienbande zurüdhalten. 

Die gefangenen Rebellen, welche ich hier ſah, machten 
keinen günſtigen Eindruck auf mich. Jedoch, glaube ich, waren 
es weniger die männlichen, puritaniſch ſtrengen und tapfern 
Krieger, von denen die Rebellion ausgegangen, und die kürzlich 
den Zatarengenerat Sankolinſin gefchlagen und bie Tatjerliche 
Armee faft aufgerieben Hatten, als bie ein jedes Heer um- 
ſchwärmenden Maroveure, alfo im Grunde Mörder und Diebe, 
welche als Rebellen bezeichnet wurden, weil fie ftatt bed Zopfes 
ungefhorenes Hauptbaar trugen. Die Anhänger Tai» Ping- 
Wang's tragen nämlich ftatt des tatarifchen Zopfes bie alte 
chineſiſche Haartracht. Die Gefangenen waren fänmtlich ge 
fefjelt; die meiften fchleppten an einer um ven Hals befeftigten 
Kette einen Stein, gingen aber fonft frei in ben Höfen 
umber. Die ihnen von Staats wegen verabreichte Nahrung be- 
fteht in ‚einem halben Pfunve Reis täglich. Außerdem erhalten 
fie 30 Caſh oder zehn Pfennige, um ihre fonftigen Be⸗ 
bürfniffe, zu denen auch die Kleidung gehört, zu beftreiten, 
jepoch ift es ihren Angehörigen freigeftellt, fie mit Nahrung 
und Kleidung zu verfeben. 

Sch befuchte mehrere der größten Yamuns. Der eine war 
der Palaft des Zatarengenerals, ibm aber. feit einiger“ Zeit 
von den Franzoſen ‚‚abgeborgt”, wie ver belichte Ausdruck 
hieß, und in das Generalcommiffariat des franzöflichen Expe- 
bitiondcorps verwandelt. Dieſer Yamun ift noch injofern 
merkwürdig, al8 der berühmte Yeh, der vor fünf Jahren ven 
Englänvern fo viel Sorge machte, darin gefangen genommen 
wurde. 

Yeh war jedenfalls ein Mann von Energie, namentlich 
den Rebellen gegenüber, und wenigſtens trägt er an ber Ver- 


158 


breitung ber Rebelllon nit Schuld. Er ließ in drei Ichren: 
nicht: weniger ale 70,000 Rebellen allen in Kanton bi 
richten. 
Die Zahl der- Tempel in Kanton ſowie überhanpt in 
China iſt ſehr groß, und jebenfalls wirb änßerer Cultus ge⸗ 
nügend zur Schau getragen. Was ich von den Hänfern ger’ 
jagt, gilt auch von den Tempeln; fie find fich überall gleich, 
fammtlich einftöckig, und unterfcheiden fich nur vurch den von. 
' ihnen bebedten Flächenraum und reichere oder geringere 
Ausstattung. Kanton zählt deren 124. Einer der älteſten ift 
ber Kwangheaitſe ober ber „Tempel bes Ruhms und der 
Kindespflichten“. Derfelbe wurde unter Sankow im Sahre 250 
v. Chr. gebant, gehört zu den größten und reichiten von ganz 
China und zeichnet fi durch Die Mafje der in feinen Hallen 
aufgepflanzten Götzenbilder aus. Ein zweiter berühmter Tempel, 
ber faft won allen Fremden befucht wird, ift der von Honan. 
Honan ft, wie Ich beveits weiter oben bemerkte, eine vom 
Tſchnkiang und einem Kanale gebilvete Infel, die Kanton ges 
genäberfiegt, und auf ver feit dem Brande der Factoreien bie 
fremden Kaufleute wohnen. Die Gebäude und Gärten biefes 
Tempels, bie non einer Maner eingefchloffen find, umfaſſen 
einen Raum von 10— 13 Morgen. Urfprünglich em Privat⸗ 
garten, baute ein frommer BPriefter 1400 n. Chr. hier einen 
bem Buddha geweihten Tempel, den er den Tempel „ver 10000 
Herbfte” namnte. Bis zum Sabre 1650 blieb er inbeffen 
ein obſeurer Platz, weicher feine jebige Berühmtheit erft durch 
biej Frommigleit eines Priefters mit Namen Ahtſe erlangte, 
der zugleich ein Wunder verrichtet. Die Provinz Kanton 
wiberftand befanntlih am längften ver Tatarenherrfchaft, und 
gegen das Ende des 17. Jahrhunderts ſchickte der Kaiſer 
feinen Sohn, um ben widerfpenftigen Süden gänzlich zu ums: 
terjochen. Diefer nahm fein Hauptquartier in dem QTemmpel 
von Honan und traf Vorbereitungen, um dreizehn auf ver 


159 


gIuſel liggende Dörfer wegen ihres verzweifelten Widerſtandes 
nach. den Befehleu feines Vaters von Grund aus zu zerſtoͤren. 
Zufällig traf fein Auge auf Ahtſe, der jehe wohlbeleibt war. 
Bingnan, fo hieß der Ratferfohn, nannte ihn einen Heuchler, 
weil er bei der vorgeichriebenen buddhiſtiſchen Prieſterſpeiſe, 
bie nur aus Vegetabilien beſteht, unmöglich fo fett werben 
Kiıme, und zog fein Schwert, um. Ihn böchfteigenhändig zu’ 
beſtrafen. Plotzlich jedoch wurbe fein Arm fteif, nnd da ihm 
uch noch in der Nacht eine göttliche Perſon mit bem Be⸗ 
fehle erſchien, das Leben bes heiligen Ahtſe zu fchonen, fe 
gelobte er am andern Morgen dem Briefter ewigen Gehorſam, 
worauf augenblidlich die Lähmung des Arms aufhörte Durch 
bie Vermittelung Ahtſe's wurden nun auch Die preizehn Dörfer 
von ihrem Untergange gerettet, and die dankbaren Einwohner 
überichütteten ihren Wohlthäter mit fo viel Ländereien, Gelb 
nnd andern Gaben, baß der Tempel, zu dem Pingnan noch 
eine prachtvolle Halle „ver himmlischen Könige‘ erbaute, der 
veichfte in Kanton wurde und bis anf den bentigen Tag ges 
blieben ift. Ä 

Dur das äußere Thor gelangt man auf einen großen 
mit Topfhlumen, namentlich mit dem heiligen Lotos und bem 
ia China fo beltebten Hahnenkamm, gezterten Vorhof und durch 
biefen zu einem zweiten Thore, über deſſen Eingang mit goldenen 
Charalteren der Name bes Tempels, Haretſchwang, geſchrie⸗ 
ben fteht. Diefes Thor wird durch die Toloffafen Holzſtatuen 
zwoler kriegeriſcher Halbgbtter beſchützt, wie im Aeußern viel 
Aehnlichkeit mit ven bei den Yamuns erwähnten Schildwachen 
haben. Durch einen dritten Hof gelangt man zum „Palaſt 
ber vier himmliſchen Könige”, Wilder alter Herven. Bor 
bier führt ein Breiter gepflajterter Weg zu dem eigentlichen 
Tempel, und man befindet fich jebt-in ber geheiligten Gegen- 
wart des „drei Toftbaren Buddhas“, des vergangenen, gegen« 
wärtigen und zukünftigen, ftattlicher Holzfiguren in veiche 


160 


Seide gefleivet und mit braun angemalten Gefichtern. “Die 
Halle, in ber fie. aufgeftellt find, iſt fehr geräumig, cieca 
100 Fuß im Gevierte, und enthält außerdem eine Menge 
Altöre, Gögenbilder u. ſ. w. Oben von der Dede hängen 
unzählige bemalte, mit Seidenbändern, Papierjchnigelchen und 
Troddeln verzierte Laternen herab. Ein mächtiger Gong von 
3 Fuß Durchmeſſer ift beftimmt, mit feinem meilenweit ſchallenden 
Tone bie Priefter und Frommen zum Gebet zu rufen, und bie 
Säulen und Wände find mit Sinnſprüchen buddhiſtiſcher Weiſen 
in goldenen YBuchftaben auf großen fchwarzladirten Tafeln 
oder langen rothen Papierftreifen gefhmüdt. Auf ven Altären 
parabiren Hunderte von Götzenbildern in Miniatur, meiftens 
aus Speditein gefchnitten und zum Verkaufe beitimmt, und 
ein beftändiger Dampf ber zu Ehren ver Götter verbrannten 
Näucherftäbe erfüllt wie eine Wolle den Tempel. Diefe 
Stäbchen werden aus Sanbelholzpulver gemacht, und ihr Ver⸗ 
brauch tft in China unglaublich groß. Täglich werden Milli- 
onen davon verbrannt, nicht allein in den Tempeln, fondern 
vor allen Dausaltären, die keinem chinefifgen Haufe und 
feinem Boote fehlen, und bei jever Feftlichkeit, fie mag Namen 
ober Zwed haben, welchen fie will. Der Rauch foll wohl- 
riechend und den Göttern angenehm fein, Europäer vermögen 
ihn jedoch in gefchloffenen Zimmern nicht zu ertragen. | 

An beiden Seiten biefer großen Halle laufen Reigen von 
Gemächern entlang. An der Linken Seite befindet ſich unter 
ihnen eine Druderei, aus der bie Briefe an die verſchiedenen 
Götter des Himmels und ber Unterwelt hervorgehen, aus 
beren Verkauf die Priefter bedeutende Sporteln ziehen. Die 
übrigen Räume find Zellen für bie Priefter oder Ställe für 
Schweine, Hühner und anderes Vieh, das fromme Gläubige 
den Infaffen des Tempels als Opfer bringen. Rechts findet 
fich zunächſt ein Pavillon für einen militärifchen Halbgott 
Kwang-furtfe, ſodann eine Empfangshalle für Gäſte, eine 


161- 


Schatzlammer, ein Woftelgkigrieikier fin Te⸗thiang⸗Wang, 
ven vielgefürchteten Konig der Niterwelt, ferner bie Wohnutig 
ve Oberprieſters, ein Speiſezuuimer und bie Küche. 

Hinter dem Temwpel folgt ein großer Garten mit ber ge⸗ 
wöhnlichen chinefifchen Ausſtattung von künſtlichen Zeffen, 
Zwergbäumen, Goldfiſchteichen mit Lotosblumen und darüber 
fügrenden Brüden, vie aber nicht, wie bet audern veruänf- 
tigen Menſchen, in geraber Linie hinüßergeführt, fondern in 
rechtwinkeligem kurzen Zickzack erbaut find, wodurch die Vaſſage 
nieht allein unbequem, ſondern and fünf⸗ bis ſechsmal fo 
lang wird. 

Am Ende des Gartens befindet ſich ein Mauſoleum, in 
dem die Aſche ver geſtorbenen und verbrantiten Prieſter ein⸗ 
mal jährlich ‚feierlich beigefetzt wird, und neben ihm der Ofen, 
in dem die Leichen verbrannt, ſowie eine kleine Niſche, in der 
die Gefäße mit der Aſche bis zu ihrer Beiſetzung im Mau⸗ 
ſoleum aufbewahrt werden. Gegenwärtig zählt ber Tempel 
100 Prieſter, die theilweiſe ihren Unterhalt aus ven Fonds bei 
Tempelgüter, theils durch den Verkauf von Räucherſtäben, 
Briefen an die Götter u. ſ. w. beziehen und ein ſorgenloſes 
bequemes Leben führen. Meijtens find es Menſchen one 
Erziehung, und fehr wenige können Anſpruch auf Bildung 
machett. 

Unter den übrigen Tempeln Kantons verbient noch der 
bereits erwähnte ver fünf Genten Beachtung, als ver ältefte 
ber Stabt, fobann ver Tempel der fünfhundert Götter, in 
dem dieſe ſaͤmmtlich in Lebensgröße, aus Holz gehauen, auf- 
geſtellt find, und enblich der mohammebamiiche Tempel, neben 
dem fich ein 160 Fuß hohes ſchlankes Minaret erhebt. Derſelbe 
wurde unter der Tang⸗Dynaſtie 715 n. Chr. von „Trefti- 
den” erbaut, und das Minaret heißt bei ten Chineſen wegen 
ver fehlenben Galerien die ungeſchinückke Pagode. Lnter 
ver Ming- Dynaſtie 1468 wurde die Pagode umgebaut, und 

Berner. I. 11 


162 


Ab⸗tu⸗lah (Abdullah), ein chineflfcher Beamter nebft 17 Fa⸗ 
milien, wahrfcheinlich fämmtlich Mohammedaner, wohnten in 
feiner Nähe. Augenblidlich beläuft fich bie Zahl feiner Nach⸗ 
fommenjchaft auf 3500, die von den Chineſen als Leute bes 
zeichnet werben „die weder Götzen in ihren Tempeln haben 
noch Schweinefleifch eſſen“. Das fcheint aber pas einzige 
Veberbleibfel ihres mohammedanifchen Cultus zu fein. Sie 
unterfcheiden fich weder in Sitten noch Sprache noch Klei⸗ 
bung von den Ehinejen, tragen wie diefe den Zopf und haben 
außerdem. jo viel buddhiſtiſche Ceremonien und abergläubifche- 
Riten aufgenommten, daß ſie vor den Chineſen kaum etwas 
voraus haben. 

In China herrſcht vollftänbige Religionsfreiheit, d. h. es 
ift die Ausübung eines jeden Cultus und Proſelytenmacherei 
mit ſeltener Toleranz geſtattet, aber nur ſo lange, als beides 
ſich von. Einmiſchung in die Staatsverhältniſſe freihält und 
nicht an den herrſchenden ſocialen Verhältniſſen rüttelt. Die 
im 16. und 17. Jahrhundert durch ganz China zerſtreuten 
Jeſuitenmiſſionen wußten ſehr wohl dieſe Grenzen innezu⸗ 
halten und bekehrten nicht nur Hunderttauſende zum Chriften- 
thume, fondern wurden von den SHerrjchern wegen ihrer 
hervorragenden Kenntniffe mit hoben Ehrenjtellen und Ge 
halten belohnt. Ihre zelotifchen und ebrgeizigen Nachfolger 
verbarben alles, indem fie mit, Hülfe ihrer Convertiten in 
das Staatsleben eingreifen, mit ihren geiftlichen Waffen das 
ganze Reich für Rom erobern und es mit weltlichen beherr- 
chen wollten. Die Folge war ihre Vertreibung und bie Aus- 
rottung des Chriftenthums, das troß aller Miffionsberichte 
jet fo wenig Profelyten in China zählt wie kaum ‚irgenbein 
anderer nicht chriftlicher Staat. 

Es exiſtiren in China drei Hauptſekten in friedlicher Ein⸗ 
tracht nebeneinander: die Confucianer, die Buddhiſten und 
die Taoiſten. Davon iſt der Cultus des Confucius die Staats⸗ 





163 


religion, weil anf ihren Principien bie ganze chinefifche Re⸗ 
gierungsform beruht. Diefe drei Weligionen beftehen nun. 
ſchon feit Tauſenden von Iahren, nie aber ward bie chinefi- 
ſche Geſchichte durch ſolche Sreuelthaten befledt, wie fie bie 
europäifchen Religionskriege zur Folge hatten. Dieſer ewige 
Frieden bat die drei Sekten einander fo genähert, baß, wie 
verſchieden auch ihre Principien anfangs waren, ihre äußern 
Formen faft übereinftimmen und mancher Chinefe in Verlegen⸗ 
heit fommen würde, wenn man ihn darauf fragen wollte, zu 
welchem Cultus er fich ſpeciell befenne. | 

Es ift in wiflenfchaftlichen Werken über biefe drei Religio⸗ 
nen jo Vieles und Gründliches gefchrieben, daß ich mich einer 
nähern Erörterung füglich enthalten kann; nur einige wenige 
allgemeine Bemerkungen will ich über vie drei Religionen 
und ihre Belenner bier machen. 

Confucius war weniger Religionslehrer als Philofopb und 
Bolitifer.” Alle feine Lehren und Marimen beziehen fich 
fchließlich auf den Staat. Sein Streben war bie Schaffung, 
einer Regierungsform, die ebenjo einfach als natürlich und 
darum bauernd fein ſollte. Er glaubte in der Familie und 
in ihren natürlichen Beziehungen das Vorbild eines folchen 
Staats zu erbliden, und ſtellte daher Abbängigfeit und Sub⸗ 
ordination, wie fie nach der Natur das Kind dem Bater 
ſchuldet, als die Grundprincipien feines Shftems auf. Un⸗ 
abhängigfeit und Gleichheit, abjtracte und in der Natur nicht 
vorhandene Begriffe, eriftiren auch für feine Staatskunft nicht: 
biefe kennt nur Gehorſam der Kinder gegen die Aeltern, ber- 
“ Süngern gegen bie eltern. Der Raifer ift der Sohn des 
Himmels und diefem allein Gehorfam und Ehrfurcht ſchuldig, 
aber er tft Vater des Volles, und wie der Bater einer Fami⸗ 
lie unumfchränfte Macht über dieſe ausübt, fo tft der Kaifer 
unumfchräntter Herr des Volle. Diefe Gefühle und Ideen 
werben ber Seele bes. Kindes von frühelter Jugend an ein 

11* 


164 


geimpft, fie find die Grundlage feiner moralifchen Erziehung, 
ihre Entwickelung und Anwendung bildet das Studium des. 
Zünglings. und ihre ſtricte Ausuübung iſt Das erfte Erforder⸗ 
niß des Beamten oder Staatsmanns. Dem Einfluffe dieſer 
Brincipten auf den. Geift und die Gefühle des Volks ift es 
aller Wahrjcheinlichfeit nach zuzufchreiben, daß in China bie 
größte. Bevöllerung der: Welt unter einem einzigen Herrſcher 
zufammengehaften wird. Jedenfalls kann fich Fein Philofopk 
rühmen, einen fo großen Theil ber menjchlichen Raſſe feit 
faft 2500 Jahren beeinflußt zu haben, und ebenfo wenig hat 
jemand die ungefchmälerte Verehrung fo vieler Millionen er- 

worben wie Confucius. 

Die von ihm hinterlaffenen Schriften und: Bücher Bilden: 

pie Grundlage einer jeden Erziehung, und eine vollftänbige 
und genaue Kenntniß derſelben fowie ihrer Commentare ift- 
unerlaßliche Bedingung für jeben- Bewerber um einen böbern 
Grad der wiffeniehaftlichen oder Beamtencarritre. . 
" Im jeder Stadt, bis zu den Ortfchaften dritten Ranges, 
befinvet ſich mindeſtens Em dem Confucius geweihter Tempel, 
deffen.-Priefter die Staatsbeamten find. Der Hohepriefter ver 
Staatsreligion ift der Sailer, die vornehmjten Gottheiten find 
Himmel und Erde. Erſterer ift ein höchſtes Weſen, welches 
das Univerfum erhält-und moralifch ftraft. und belohnt. Im 
biefer Beziehung wird der Kaiſer „Sohn des Himmels” 
genannt. 

Wenn der Kaifer dem Himmel-feine Anbetung darbringt, 
trägt er eine azurblaue, wenn ber Erbe, eine gelbe, wenn ver 
Sonne, eine rothe und wenn dem Monde, eine weiße Robe, 
während die daran theilnehmenden Beamten in Hoffleivung 
erfefeinen. Der Altar des Himmels ift rund, der -ver Erbe 
vieredig, was auf ihre Geftalt Bezug haben foll. Bei dem 
geoßen Opferfefte der Natur werben weder Briefter noch 
Frauen zugelaffen; nur wenn ver Göttin des Seidenbaues 





165 


Berehrung dargebracht wird, präſidirt bie Kaiſerin und, nimmt 
eine Zahl ihrer Hofdamen theil. Das Feſt bes Himmels 
findet im Winterfolftitiem ; das ver Erbe zur Sommerſonu⸗ 
nenwende flatt, aud für die übrigen find ebenfalls fefte Zeit- 
puntte gewählte. Bei Mangel an ber erforberlichen Vorbe⸗ 
veitung oder den Opfern ſelbft werden den betreffenden Beam: 
ten Gehaftsfärzungen oder Bambushiebe als Strafe erkunt. 
Leiztere Taffen Ach jedoch Durch Geld ablaufen. Der Dann 
aus dem Volle dagegen erhält ohne Gnade 80 Bambuehiebe 
uf die innern Flächen der Schenkel. 

Der Buddhismus wurde im Jahre 65 v. Chr. in Shina 
eingefährt und hat fich feitbem über das ganze Reich verbrei- 
tet. Er ift imfofern dem indiſchen vorzuziehen, als er ſich 
frei von allem Fanatismus hält und nie zu der religiäfen 
Schwärmerei wie in Judien ausartet. Dies liegt jedoch 
hauptfächlich in Dem praftiichen Charalter der Chineſen, ver 
fih an das Reale hält und eine Geiſtesthätigkeit allein auf 
die Erlangung materieller Genüſſe concentrirt. Weberhaupt 
Gaben die drei chinefifchen Sekten durchaus nichts Fiuſteres, 
Bigotes und Fanatifches an fich; alles tft heiter, ruhig und 
friedlich. Das ift mit ein Hauptgrund, weshalb zefotlfche 
Mifftonen mit ihren Drohungen ewiger Berdammmiß und 
rem Dogma ber Erbſünde feine Erfolge exzielen. Der 
Cultus des Confuchus lehrt gerade das Gegentheil; nach ihm 
ift der Menſch nicht fündig gebsren, ſondern trägt ven Keim 
alles Edlen und Guten in ſich. 

Die buddhiftiſchen Priefter find im allgemeinen unwiſſend, 
faul und ſchmuzig; vom Volle werden ſie verachtet. Sie 
führen ein Leben ohne irgendwelche Zweckthaͤtigkeit. Nach 
den Anfchauungen ihrer Religion iſt es bie Aufgabe des 
Menſchon, alle. Leidenſchaften, ſelbſt die Gedanken. zu unter- 
weücden nud von feinen menfchliiken Wunſchen verſucht zu 
werden. Die Folge eines ſolchen Strebens Tan nur Ver⸗ 


166 


nichtung aller Seelenthätigfeit fein, und in ber That machen 
bie meiften dieſer Priefter den Eindruck ftumpffinniger Men- 
fen, wozu der gefchorene Kopf noch beiträgt. 

Auch buddhiſtiſche Nonnenklöfter gibt es in China. Ich 
habe zwar keins verfelben befucht, aber einige ihrer Infaffen 
gefehen, die mir eine hohe Meinung vou biefen geijtlichen 
Genofjenfchaften einflößten. Sie haben wie bie Priefter das 
Haupt gefchoren und tragen ein ben katholiſchen Nonnen ähn⸗ 
liches grobes Gewand, legen auch wie biefe das Gelübbe der 
Reufchheit ab, ftehen aber in diefer Beziehung in fehr fchlech- 
tem Ruf. 

Der Buddhismus Tann, felbft wenn er nicht im Verfall 
begriffen wäre, in China nie Staatsreligion werden und immer 
nur tolerirt bleiben, weil viele ſeiner Lehren mit den politi⸗ 
ſchen Inſtitutionen des Landes in geradem Gegenſatze ſtehen. 
Ein beſchauliches und von allen Sorgen befreites Leben zu 
führen, wie e8 Buddha als Weg zur ewigen Seligfeit vor- 
fchrieb, und das feine Anhänger zur Trägheit verführte, Tann 
in China nie maßgebend werben, wo der Kaifer felbjt einmal 
jährlich den Pflug führt, und wo nur die angejftrengtefte Ar⸗ 
beit die Maſſe des Volks vor dem Hungertode bewahrt. 
Ebenſo wenig konnte der Cölibat dort Anflang finden, two feit 
undenklichen Zeiten Fortpflanzung und möglichfte Vermehrung 
bes menjchlichen Gejchlechts durch frühe Heirathen das Haupt- 
augenmer der Regierung wär.  Diefe trug daher von jeher 
Sorge, daß die Buddhaprieſter Teinen Einfluß auf Das ge- 
meine Volk erhielten, während bie gebildeten Chineſen viel 
zu rationell find, um fih von den Fabeln dieſer unwiſſenden 
ſchmuzigen Raſſe beherrſchen zu laſſen oder ihre Hunderte 
von Götzen für Götter zu halten. 

Uebrigens iſt der Buddhismus, wie bereits bemerkt, in 
China über ſeine Blütezeit lange hinaus, ſeine Klöſter und 
Pagoden zerfallen, und je mehr das Land den Europäern 


167 


geöffnet wird, deſto mehr werben fich bie Anfchauungen bes 
Bolls ändern. Es ift nicht zu bezweifeln, daß bie Nebellen 
die gegenwärtige Dynaſtie entweder verdrängen ober, wie bie 
nenefte Zeit zu beftätigen feheint, fie zwingen werben, eine 
gänzlich veränderte Politif zu nehmen. Es kann dann nicht 
ausbleiben, daß damit auch die morfchen religiöfen Zuſtände 
des Landes zufammenbrechen mäffen und eine neue Religion 
ihren Einzug balten wird. Einige hriftliche Sanguinifer fehen 
‚bereits in Tai⸗Ping⸗Wang, dem „jüngern Bruder Chriſti“, 
wie er fich nennt, den Bekehrer von 300 Millionen Men- 
‚schen zum Chriſtenthume. Nach dem, was ich von den Nebellen 
gejeben und erfahren, Tonnte ich Teine beveutende Meinung 
von ihnen gewinnen, aber jedenfalls tft die Neligion des Re⸗ 
‚beilenführers und feiner Anhänger beſſer ald irgendeine ber 
gegenwärtigen in China, weil moralifcher und geeignet, einen 
‚Mebergang vom Heidenthum zum Chriftentbum zu bilden. 

Die Taoiften over Rationaliften, nach ber Wurzel Tao, 
Bernumnft, befigen bie wenigſten Tempel und Anhänger. ‘Der 
‚Stifter dieſer Religion Iebte ungefähr gleichzeitig mit Confucius, 
560 v. Chr. Ihre Lehre, deren Kern eine Berachtung alles 
Reichthums und weltlicher Ehren tft, entbehrt trotz ihres Na⸗ 
‚mens aller Vernunft und ihre Priefter befchäftigen fich haupt⸗ 
Jahlih mit Teufelsaustreibung und als Duadfalber, werben 
jedoch nur von den unwifſendſten und abergläubifchften Chi⸗ 
neſen zu Rathe gezogen. Wenn nämlich in einem ſolchen 
Falle Arzueien nicht mehr anfchlagen wollen, fo haben fich 
nach chinefiichen Anſchauungen böſe Geiſter des Kranken be- 
mädtigt, die fih von ihm nähren, und es wird ein Taoprie⸗ 
fter gerufen, um fie zu bannen. Dieſer läßt mit Songs und 
andern Inftenmenten einen fuwrchtbaren Lärm machen, der 
noch durch das Abbrennen von Tauſfenden Heiner Knallſchwär⸗ 
mer vermehrt wird, und glaubt dadurch / den böfen Geiſt zu 
erſchrecken und zu verjagen. Zugleich werden im ganzen 


168 


Haue Lecerbiſſen anfgeftellt, um den Appetit der Dämanen 
:am migen, und ber egoxdfirenbe Taotſe murmelt. währeub ker 
„Zeit. Mehete aber Phraſen in einer ihm ſelbſt wiverſtaͤndlichen 
Eprache, beſchreibt miſtiſche Figuren und eutwickelt überhaupt 
Me jene. Trugmittel, wit denen liftige Pfaffen und Betrüger 
von jeher: Ihre unwiſſenden Mitmenſchen geblenbet haben. 

Aherglaube if -üherhaupt bei bem ganzen chinefiſchen 
Bokfe mehr. als andarwärts zu Enden unb er wird durch ben 
in Peling erſcheinenden Hof⸗ und Stoatskalender, der für.bie 
verſchiedenen Ganblungen bes menſchlichen Lebens wie guten 
und bien. Tage feſtietzt, von oben herab nur noch heförbert. 
Wenn man durch die Strafen einer chineſiſchen Stabt wan⸗ 
begt, wird man durch nichts fo frappirt als durch die Menge 
der Wahrfagerbunen, die man alle Hundert Schritte antrifft, 
und bie ſtets von großen Scharen Volls aus allen Stänben 
umlagert, find. Der Glaube an ein Fatum, am.glüdtiche und 
unglückliche Tage und Stunden hexrſcht unumftöglich im Ge⸗ 
znüthe. des Chineſen. Dabei ift er jeboch fo vorſichtig, dem 
fatterlicden Kalender nicht unbedingt zu trauen, und bei jeber 
nur einigermaßen wichtigen Haublung befragt er noch Dutzende 
yon Wahrfggern fowie vie in jedem Tempel und an jebem 
Feldaltar zum umentgeltlichen Gebrauch aufgeftellten Werber 
wit Orafelftäben, die, ſchräg gegen ‚die Exde gehalten, fo lauge 
geichüttelt werben, bis einer heyausfällt, der Durch bie darauf 
geſchriehene Sentezz dem Frager eine Autwort gikt, Das 
Naipe dabei iſt, daß der Frageſteller ſich durch eine abſchlä⸗ 
gige Antwort nicht entmuthigen läßt, ſondern ven Proceß fo 
lauge fortiekt, ‚bis gr den gewiluichten Beſcheid erhält. Auch 
find die chingſiſchen Wahrjager von ven unſern durch Viel⸗ 
ſeitigkait nerichiehen. Während die unſern ſich anf Korten 
und die Linien dex Hand, hachſtens noch anf ben Kaffeeſatz ber 
ichränten, babe ih: in. China mindeſtens zwangig devariige 
Günftper geſehen, von denen jeder ein aouberes Shitem befolgte. 


169 


Hier wirft eines zwei Kupfermünzen wie Würfel auf ben 
Tiſch und felgert die bevorſtehenden Schicffalsfügungen aus 
ihrer gegenfeitigen Lage und dem Umſtande, welche von beit 
beiven Münzen (deren eine mit tatartfcher, bie andere mit 
sthinefiicher Schrift bedeckt ift) nach oben gelehrt liegt. Dort 
verſucht ein anderer biefelben Reſultate aus den Stellungen 
zweier halber, ber Länge nach ‚gefpaltener Ziegenhörner abzu⸗ 
Jeiten. Ein dritter treibt Phyſiognomik nud ſchildert feinen 
Kunden aus ver Vergleigung ihrer fetten verſchwommenen 
Züge, ver Kloßform ihrer dicken Naſe und ber Länge igrer 
Ohren mit einem Normalgeficht, das auf einem weißen Brete 
feiner Bude Indie Aushängeſchild dient, ihre brillanten Aus⸗ 
fichten für bie Zukunft. Wie wir nämlich in China fo hän⸗ 
fig ven Gegenfag unserer Sitten und Anfchauungen finden, 
jo geht es auch mit ven Ohren. Ye mehr fich dieſe an Ge- 
$talt denen des Eſels nähern, deſto mehr Geiſt und Talent 
wird dem Beſitzer zugefchrieten. Ein anderer Wahrjeger 
wieder iambofiirt Worte. Die dhimefiichen Wortzeichen, deren 
jebos rinen Begriff bedeutet, eignen fich ganz befonders zu 
tiefer Art von Symbolik. Der Frager zieht aus einem Buche 
an Pupierröllchen, auf Dem eins der vieldeutigſten Worte - 
gefehrieben fteht. Der Wahrfager fucht nun Die urfpräng- 
liche Wurzel deſſelben auf, erklärt mit bemwunderungs- 
werther Zungenfertigkeit beren Sinn, ebenfo ihre fpätere 
Umformung, analyfirt die Hinzugefügten Zeichen und bildet 
aus ben einzelnen Zeichen ein Anagramm, das er natürlicher- 
weife für eine Reihe von Fällen in petto but und als Ant- 
wort der Trage anpaft. Ein fünfter legt Karte, ein jechster 
läßt durch Vermittelung abgerichteter Vögel aus einem Haufen 
mit vielfeitigen Sentenzen befchriebener Blätter eins ziehen und 
erflärt dieſes Blatt der an ihn gerichteten Frage gemäß. Im 
folder Weije betrügen dieſe Gauner, deren Zahl man in 
Ehina über eine Million ſchätzt, das unwilfende Volk und 


170 


Ioden ihnen das Gelb aus der Taſche. Diefe Beſchuldigung 
‘will freilich nicht viel fagen. Die chineftfchen Wahrfager find 
Menſchenkenner; fie willen, daß ihre Laudsleute wol ſehr 
abergläubifch find, aber ihr Geld noch lieber haben, und fegen 
beshalb ihre Preife ſehr niedrig, Die Taxe für einen Ora⸗ 
Yelipruch irgendeiner Art beträgt ſechs Cafh oder zwei Pfen- 
nige, und das ift gewiß billig. | 

Ein anderer den Anhängern aller Religionsſekten gemein- 
famer Aberglaube ift der Gebrauch und der Glaube an Ta- 
lismane. Von diefen ift das Gelpfchwert, die Nachbilpung 
‚eines Schwertes mit Krenzgriff aus einer Reihe alter Kupfer- 
münzen, bie unter verfchiebenen Herrſcherr geprägt wurben, 
ber gewöhnfichfte. Man hängt dieſe Zalismane über ven 
Betten oder in Stuben und Häufern namentlich dort auf, 
wo ein Selbjtmorb oder eine andere bintige That begangen 
ward: Site follen die wandernden Geifter, vor denen bie 
Chinefen fo große Furcht haben, abhalten. Zu bemfelben 
Zwecke werben am Neujahr Pfirfichzweige mit Blüten, und 
am fünften Tage bes fünften Monats Kalmusſtauden über 
ben Thüren aufgehängt. Auch wird um den Hals von Kin- 
bern eine Art Flaſchenkürbis befeftigt, ver das Symbol eines 
langen Lebens ift. 


10. 


Das chineſiſche Theater. Der Stand der Schaufpieler. Die bramatifche 
Literatur. Gefaug und Muſik ber Chineſen. 


Unter ven übrigen Gebäuden einer chinefifchen Stadt find 
noch die Theater zu erwähnen. Das chinefifche Volk kennt 
nur zwei VBergnägungsorte. Die Theehäufer oder Theegärten 
und das Theater. Ohne diefe beiden Genüffe glaubt man 
in China nicht exiſtiren zu können. Selbft in jede Colonte, 
wenn fie einigermaßen profperirt, wirb neben allen anbern 
- Sitten und Gebränden regelmäßig das Theater mitgenommen, 
während die Theehäufer als Eigenthum eines einzelnen in 
jedem Dorfe zu finden find. 

Wenngleich die Regierung nicht wie im alten Nom bem 
Bolfe auf öffentliche Koften Schaufpiele gibt, fo trägt fie 
doch inſofern der Vorliebe für Theater Rechnung, als fie 
erloubt, viefelben im jeder Straße zu erbauen und die Koften 
burch allgemeine Subfeription aufzubringen. Diefe. find num, 
was das. bloße Gebäude. betrifft, allerdings nicht bedeutend. ‘Die 
Theater zeichnen fich zwar durch ihre Größe vor den übrigen 
Däufern, aber keineswegs buch Stabilität und Toftbare Aus⸗ 
ftattung aus. Bambus und Matten find ihre Hauptbeftand- 


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teile; erfterer bildet das Gebälk, lettere Die Wände und das 
Dad. Die innere Einrichtung ift gleich primitiv und befchei- 
ven. Ein erhöhtes Bretergerüft bilpet die Bühne, vor ber 
das Orchefter figt, und die Bühne wird durch eine angeftri- 
chene Papier⸗ oder Mattenwand, bie ben Hintergrund vorftellt, 
von der Garderobe getrennt. Für das Publikum find rohe Bänke 
amphitheatraliſch aufgeftellt, während bie Wohlhabenven ihre 
eigenen Stühle Halten. Rechnet man bazu noch ein paar 
Heine Holzbuden an den Eingängen für Kaffirer und Bille- 
teure, fo bat man das Innere und Aeußere eines chinefifchen 
Theaters vollftändig vor fih. Couliſſen und fonftige fcenifche 
Vorrichtungen gibt e8 nicht, wenn man nicht einige feſt auf 
zer Bühne ſtehende beisalte Papierſchirme dazu rechnen will, 
hinter welche bisweilen die außer Scene geſetzten Perſonen treten. 
Es bleibt dem Publitum überlaffen, ſich mit Hülfe der Ein- 
bildungẽetraft alle Scenerie Hinzugupenten, beren Anventiurgen 
ebenfo originell als na find.: Wird z. B. ein General zu 
einer Expedition nach einer entfernten Provinz geſchickt, fo 
ericheint er mit einem Zügel in ber einen und einer Peitſthe, 
die er Tnallen läßt, in ber andern Haud. Unter einem ber 
käubenden Särmen von Songs, Trompeten und Trommeln 
fchreitet er drei⸗ bis viermal auf. der Bühne umber, macht 
Kalt und theilt bem Publikum mit, daß er dort und bort au⸗ 
gelangt ſei. Soll andererfeits vie Reiſe über See geben, 
jo ‚nimmt der Betreffende das Modell einer Dſchonke unter 
ben Arm und. fopreitet Damit über Die Bühne. Pferde wer- 
ben durch einfache Befenftiele dargeſtellt, und wird die Scegerie 
geändert, fo gibt ein. Schaufpieler als Regiſſeur vem Publi⸗ 
kum die nöthigen Erklärungen. 

In einer Sache dagegen übertreffen uns bie Chineſen, in 
ihrer Garderobe. Es Hingt unglaublich, iſt aber doch That 
ſache, daß man auf bem Heinften Theater Coſtume ſieht, die 
fo von ſchwerer Seide, Gold- und Silberſtickerei ſiarren, 


173 


vaß ihr Werth fich nach unſern Preifen auf mehrere hundert 
Taler belaufen würde Faſt alle ernften Thenterftlide ſind 
biftoriichen Inhalts und fpielen in ben Zeiten ver der Ta- 
tarenherrſchaft. Die Eofiinte find Eopien der Trachten jener 
Zeiten, die für die rauen fat unverändert geblieben, aber 
bei ven Männern durch bie Tataren bepeutende Beränderun⸗ 
gen erlitten haben. Faſt alle in foldden Dramen auftzetenben 
Perfonen find im Geficht mehr ober minder weiß bemalt. 
Die metften Fremden halten dies für eine ebenfo entftellende 
als merkwürdige Schminke, aber biefe Malerei diente vor ber 
Tatarenzeit ale äußeres Zeichen des Nangunterfchieves. Je 
mehr Weis das Geficht zeigte, deſto höher fand ber Be⸗ 
treffende im Range. | 

Die Schanfpieler gehören der unterften Klaſſe der Ge⸗ 
jellichaft an. Vor etwa 500 Jahren revoltirten die Einwoh- 
ner eines Diftrict® gegen den Kaiſer. Sie wurden bezwingen 
und bamit beftraft, daß ihnen und isren Nachlommen für 
ewige Zeiten der Weg zu allen Staatsämtern verjperrt 
wurde. Ebenſo warb ihnen verboten, an. den literarifchen 
Wettlämpfen, die zu Zeiten in China ftattfinden, theilzunch- 
men, und ihnen nicht einmal die Wahl eines Berufs ober 
einer Profeffion geftattet. Diefe chinefifchen Parias, die in eigen- 
thämlicher Uebereinftimmung mit einer der niebrigften Kaften 
in Indien Dobi heißen, haben nur die Erlaubniß, Sänften- 
träger, Haufirer, Barbiere oder Schaufpieler zu werben, 
während ihre Frauen das Gefchäft des Heirathitiftens betreis 
ben. Man kann ſich alfo denken, daß von Künftlern unter 
ven Schaufpielern nicht viel die Rede ift, obwol es immer 
einige darunter gibt, die vecht gut fpielen. 

Stationäre Theater wie in Europa gibt es nit. Die 
Schauſpieler ziehen in Trupps im Yande umher und werden 
bald Hier bald dort von irgendeinem Unternehmer für eine 
beftimmte Summe auf eine Neihe von VBorftellungen gemie⸗ 


174 


thet, und biefer. nimmt dann Entree; oder reiche Beamte ober 
Privatleute engagiren fie für eine gewiſſe det, und dann hat 
jedermann unentgeltlich Zutritt. 

Das chineſiſche Drama iſt nicht dazu angethan, große 
Künſtler zu bilden. Die dramatiſche Literatur iſt zwar in 
China ungemein ſtark vertreten, und einige der beſten Schau⸗ 
ſpiele ſind zu verſchiedenen Zeiten in das Engliſche oder Fran⸗ 
zöſiſche übertragen worden; allein die poetiſchen Schöpfungen 
erheben ſich nicht über das Niveau der Mittelmäßigkeit. We⸗ 
der in den ältern noch in den neuern dramatiſchen Erzeugniſſen 
ber Chineſen fiudet man tiefere Anſchanung oder ſchwung⸗ 
volles Pathos. Obſchon ihre Tragödien äußerlich viel Aehn⸗ 
lichkeit mit den Compoſitionen der alten Griechen haben, ſtehen 
fie doch im Werthe tief unter ben Leiſtungen eines Sophokles, 
Aeſchylus oder Euripides. 

In ihren Bühnenftücden machen die Chinefen feinen be⸗ 
ſtimmten Unterfchted zwifchen Tragödie und Komödie, viel- 
mehr läßt fich dies nur aus dem Gegenjtande bed Stüds 
_ und dem Dialog abnehmen. Die Tragödie tft gewöhnlich an 
ihrem hiſtoriſchen oder. mythologiſchen Charakter zu erkennen. 

Bei der großen Sinnlichkeit des Volles ift natürlich auch 
das Repertoire fehr reich an frivolen und unfittlichen Schau⸗ 
jpielen, doch werben, obwol es keine Theatercenſur gibt, 
biefe Stüde nicht fo häufig öffentlich als in ven Privatihen- 
tern reicher Lüftlinge aufgeführt. Bei folder Gelegenheit 
überreicht der Negiffeur dem vornehmen Gafte eine Lifte der 
feiner Geſellſchaft geläuftgen Piecen, und ver Gaft trifft dann 
feine Wahl. Souffleure gibt es nicht in China, jeder Tennt- 
feine Rollen auswendig, aber deswegen beſchränkt fich das 
Repertoire defjelben Theaters auch nur auf eine verhältniß- 
mäßig Heine Zahl von Stücken. 

Das erjie chinefifhe Drama, „Die Waife von Tſchau“, 
wurbe burch den Jeſuiten Premare, einen ber erjten Sino⸗ 


175 


logen feiner Zeit, in das Franzöftiche überſetzt und von Vol⸗ 
taire als Grundlage einer feiner beften Tragäpien, „’Orphelin 
de la Chine’ benugt. Das Stück fpielt ungefähr 100 Jahre” 
vor der Geburt des Eonfucius, und fein Inhalt ift folgender: 
Ein militärtfcher Chef erobert Länder, die dem Haufe Tſchau 
gehören, und befchließt die Ausrottung des ganzen Gejchlechte.- 
Ein treuer Diener rettet das Leben. des letzten männlichen 
Erben, indem er ihn verbirgt und fein eigenes Kind ftatt 
befien opfern läßt. Die Waife wird in Unkenntniß ihrer 
wirklichen Abkunft erzogen, bis ihr in ihrem Mannesalter ihr 
Retter und Pflegevater das Geheimniß enthält. Die Waife 
rät nun das Schickſal ihrer Familie an tem Ufjurpator. 
Die Handlung im Stüde ift einfach und ohne Verwidelungen, 
der Dialog fließend, die Sprache gewählt, ohne jedoch fehr. 
poetifch zu fein. 

Ein zweites Drama, „Der Erbe in hohem Alter‘, wurde 
ein Jahrhundert fpäter von dem Engländer Davis in das 
Englische überfegt. Dies Stüd ift infofern intereffant, ale 
es vielen Auffchluß über Charakter und Sitten der Chineſen 
gibt, Es ſchildert Die Conſequenzen, bie das Volf an bie 
Verrichtung gewiffer Ceremonien am Grabe ber Borältern 
jowie an das Hinterlaffen männlicher Erben knüpft, die allein 
dieſe Andacht verrichten können, deren Details genau beſchrie⸗ 
ben werben. Ebenfo wird darin das PVerhältniß des Kebs⸗ 
weibes zu der legitimen Frau gefchilbert und beutlich gezeigt, 
daß eritere nur. eine Hausſtklavin ift, die ebenfo wie. ihre. 
Kinder ver rechtmäßigen Gattin gehört. 

Saft alle chinefifchen Dramen haben, einfchließlich eines ein» 
leitenden Vorſpiels, fünf Acte, bie jeboch weniger-auf ber 
Bühne als im Buche markirt werben. Die Anweifungen für 
bie Schaufpieler find wie bei uns in die Rollenbücher hinein» 
gebrudt. Frauen betreten nie die. Bühne, ihre Rollen werben 
ſtets durch junge Männer. gegeben. | 


176 


Die Vorftellungen, namentlich diefenigen hiſtoriſcher Art, 
werden während ihrer Aufführung vurch das Orchefter auf 
eine Weiſe begkeitet, bie uns nicht bekaunt iſt. Die Mufil 
bient dabei als Berftärhngsmitiel, und jedesmal wenn einer 
Senten; oder Worten Nachbruck verliehen werben foll, fällt 
anf ein gegebenes Zeichen die Maflf ein und macht einen 
fchrediichen Lärm. Dies geichieht bisweilen fo oft, daß man 
mehr Lärm von Inſtrumenten ale Dialog hört und europkäi⸗ 
The Nerven ſelten die Anhörung eines ee "Dramas zu 
ertragen vermögen. 

An muſikaliſchen Infterumenten befigen bie Chinefen eine 
große Auswahl, namentlich Lauten und Guitarren, die aber 
nur drei Saiten haben und nicht mit den Fingexfpigen, fonbern 
mit Bambusftäbchen in der Form eines Butterſtechers ges 
fpielt werden. Sodann verfchievene Geigen oder vielmehr 
Violoncellos mit zwei Saiten, zwilchen denen der Strang des 
Bogens fährt. Ihre Töne find ungemein fchneidend, machen 
ib am lanteften und greifen bie Nerven am meilten am, 
Ferner mehrere Arten von Flöten und Blechelarinetten, un 
endlich eine Menge von Trommeln, Gongs und Becken aus 
Metall oder hartem Holz. Die Saiten der Streichinſtrumente 
find nicht aus Darm, fondern aus Seide und Drabt gemacht. 

Ueber die Töne, welche viefen Geräthen entlockt werben, 
läßt fich nicht viel fagen; Muſik nach unfern Begriffen: exiftirt 
in China nicht. Man hört freilich eine oft wiederkehrende 
Melodie durch, aber von Harmonte ift Feine Rebe. Die In« 
fteumente find unifono geftimmt, und höchſtens fpielt das eine 
bie betreffende Melodie eine Octave tiefer als das andere. 
Es gibt feine beſtimmte Tonart, fondern Moll und Dur 
wechfeln beftänpig während bes Spiels miteinander ab. Ebenfo 
wenig fennen bie Chinefen halbe Töne, Contrapunkt oder 
Abtheilungen in der Muſik, und ihre Melodien Haben für une 
durchaus nichts Anzichendes. Der Totaleinprud ihrer Muſil 





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bleibt ftets nur ein wüſtes Zuſammenklingen möglichft ge- 
räuſchvoller Inftrumente. Ihr Geſang tft nicht beifer. “Die 
Frauen quieken oder fchreien in den höchften Falfetttönen und 
die Männer durch die Fiftel untjono mit den die Melodie an« 
gebenden und zugleich begleitenten Inftrumenten, und ich werbe 
fo leicht nicht die Tortur vergeffen, welche ich erlitt, als ich 
einft in Hongkong von einem Chinefen zu einem jolchen Sing- 
fang eingeladen und drei Stunden zur Anhörung eines 
ſolchen Inftrumental- und Vocalconcertes verurtbeilt war. 
Die einzelnen vorhandenen Noten werben durch beftimmte 
Charaktere ausgeprüdt und die Melodien in ihnen nieber- 
gefchrieben. 


Nach dem Alter ver Muſik in China und den Aufmun- 


terungen, die Confucius der Pflege dieſer Kunft bat zu Theil 
werden laſſen, follie man vorausjegen, daß fie fich im Laufe 
ver Zeit zu einer höhern Stufe hätte emporfchwingen müffen, 
allein wie alles andere ift auch fie feit TZaufenden von Jahren 
jtationär geblieben. Das ift um fo mehr zu verwundern, 
als der gebildete Ehinefe jehr wohl unfere befjere und harmo- 
niſche Muſik zu würdigen weiß, wie wir dies oft genug Ge- 
legenbeit hatten zu bemerken, wenn die Muſik der Arcona 
öffentlich in Schang-hae fpielte. 


Berner. I. 12 


11. 


Die Boote ber Waſſerſtadt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr⸗ 
zeuge und Schiffahrt der Chineſen. Der Kompaß. Zuſtand der Krieger 
flotte. Der Flußverkehr. 

China ift fo fehr ibervöftert, daß namentlich in der Nähe 
großer Städte, bie ftetS an Flüſſen erbaut find, ein Theil 
ver Bevölkerung feine Wohnfite auf dem Waſſer auffchlagen 
muß, weil ber für ihre Unterbringung nöthige Grund und Boden 
dem Aderbau, der hauptfächlichſten Nahrungsquelle des Volfes, 
nicht entzogen werden darf. Diefe Nothwendigkeit, pie Boden⸗ 
fläche für den Anbau zu veferviren, hat num in Kanton eine 
förmliche Waſſerſtadt in das Leben gerufen, bie nicht weniger 
als eine PViertelmilfion Einwohner zählt. Die Bendfferung 
von Kanton wird auf eine Million gefchätt, obwol ich fie 
für größer halte; die Wafferftadt bildet den vierten Theil. 

Wenn man mit dem Dampfichiffe das ſüdweſtliche Ende 
Kantons paffirt, erblidt man, fo weit das Auge reicht, uns 
zählige Boote von ganz gleicher Form. Bord an Bord lie⸗ 
gend, bilden fie endloſe Straßen zu beiden Seiten des Fluffes, 
in denen fich wieder Hunderte und Zaufende von andern 
Booten hin- und herbewegen und ein fo buntes Gewimmel 
hervorrufen, daß der Fremde ftaunend fteht. 





179 ” 


Diefe Boote, die ich bereits früher als Tanken oder Eier- 
häuschen erwähnte, find die Häufer der Waſſerſtadt, von 
deren Bebentung man eine Borftellung erhält, wenn man 
bevenlt, daß im Polizei⸗Yamun von Kanton 90,000 
biefer Tanken rvegiftrirt find. Zu allen diefen Fahrzeugen 
geſellen fi nun noch die Arbeits-, Fähr- und Frachtboote 
ſowie bie zahllofen größern Handelsdſchonken, bie, entweder 
aus dem Innern ober von ſeewärts kommend, ben Fluß be⸗ 
vöffern und von Whampoa bis eine Meile norbwärts von 
Kanton in Scharen von Hunberten neben- und hintereinander 
vor Anfer liegen, oder auf dem Berlfinuffe und ven Kanälen 
ſich jchwerfällig fortbeiwegen. 

Ich muß geftehen, daß ih auf meinen Reifen nie etwas 
Aehnliches gefehen habe, und nichts lann meiner Anficht nach 
ben eommerziellen gejchäftigen Geift ber Chinefen und die 
große Lebhaftigfeit Ihres innern Verkehrs fchärfer charakteri⸗ 
firen als die im wahren Sinne des Wortes unzählbare 
Menge ihrer Fahrzeuge, die meift noch von Baffagieren voll- 
gepfropft find. Die Form, Bauart, Takelage u. ſ. w. ber 
größern Handels- und Fifcherdſchonken find faft in jeber 
Provinz verfchienen, unb zwar ift dieſer Unterfchiev an ver 
Seefüfte jo markirt, daß europätfche Seefahrer, welche bie 
chineſiſche Küfte öfter befuchen, tm Nebel genau bie Pofition 
ihres Schiffes Tennen, ſobald fie einer der chinefifchen Fifcher- 
flotten begegnen, bie zwei, brei Meilen von der Küfte ihr 
Handwerk betreiben und an ber Form und der Bejegelung 
ihrer Dfchonfen fofort als zu der oder der Seeftabt gehörig 
erfannt werben. 

Mit ven Tanken ift dies jedoch nicht der Fall. Diefe 
fehen fih im ganzen Weiche fo ähnlih wie ein Ei dem 
andern, und ber einzige Unterfchieb ift, daß fie im Süden 
ausschließlich von Frauen, im Norden jedoch auch von Männern 
geführt werden. Sie find 12—14 Fuß lang, 4 Zuß breit, 

12 * 





182 


vielen Haufirer und Lebensmittelverfäufer, welche die Straßen 
der Stadt durchziehen und beren jeder an einem befonderen 
Gefchrei erfannt wird, fahren hier mit ihren Sachen von 
Boot zu Boot und verforgen deren Bewohner mit allen Be- 
bürfniffen. Von Zeit zu Zeit fällt dem Auge eine Gruppe 
größerer, mit heitern Farben bemalter und mit allen mög- 
lichen Flaggen und Flitterftaat gefchmücker Fahrzeuge auf. 
Dies Find die fogenannten Blumenboote, ſchwimmende 
Hotels, in denen Hochzeiten und andere Feftlichfeiten gefeiert 
werben. Bei folchen Gelegenheiten find die Ehinefen in ihren 
Freudenbezeigungen ebenfo lant als unermüdlich, und wehe 
ben armen Europäer, unter bejien Fenſtern em folches 
Bost feinen Anferplag wählt. Die ganze Nacht hindurch 
wird er won den fchredlichen Tönen disharmoniſcher Inſtru⸗ 
‚mente und bem Abbrennen krachender Schwärmer wach gehalten, 

Dan follte glauben, daß eine Nation, von der fo viele 
Millionen beitändig auf dem Waſſer leben, deren hervor⸗ 
ſtechendfter Charafterzug die Liebe zum Handel ift, und die an 
‚ven langgeftredten Küften eine Zahl von Seeſchiffen beſitzt, 
gegen welche die Rhederei unferer größten Hanvelsftaaten wie 
England und Amerika verfchiwindend Klein erfcheint, auch in 
der Seeſchiffahrt bedeutende Fortichritte gemacht habe, aber 
e8 Scheint gerade das Gegentheil ftatigefunden zu haben. Um 
einen Begriff von der Menge der Fahrzeuge zu geben, will 
ih nur erwähnen, daß wir während einer Kreuztour von 
Hongkong nad Japan eine Strede von 60 deutſchen Meilen 
an ver chineſiſchen Küfte Hinauffuhren und während ber fünf 
Tage, welche wir bazu gebrauchten, beftändig von Tauſen⸗ 
ven großer Fifcherpfchonfen umgeben waren. Eines Tages zählte 
ih nur an einer Seite unfers Schiffes deren nahe an 400. 

Man darf jedoch nur einen Blick auf dieſe Fahrzeuge 
werfen, um an ihnen fofort den niebrigen Stanbpunft chine- 
ſiſcher Schiffahrt zu erkennen. Ihre Formen find plump, 





183 


ungefchiät und unpraftiich, das Vordertheil fat vieredig und 
das Hintertheil fo ſchwach, daß man nicht begreift, wie 
Menſchen in einem folchen Fahrzeuge zur See gehen können. 
Die Maſten find unverhältuißmäßig ſtark und werben durch 
. fein Tauwerk geftüßt; die Segel ſind aus Matten gefertigt 
und unhandlich. Ihre Anker find aus Holz gemacht, und bie 
mechanifchen Hülfsmittel, welche wir feit undenflichen Seiten 
zur Handhabung ber Segel und Raaen benuten, wie Flaſchen⸗ 
züge, loben u. ſ. w., fcheinen hier bis auf eine unpraltiiche 
Winde unbefannt zu fein. 

Die Beinkung zählt viel Köpfe, aber auch viel Sinne, und 
. dies fehr oft zum Unglüd des Schiffes. Die Chinejen fahren 
nicht aus Neigung, fondern aus Zwang zur See. Nur wenn 
ihnen am Lande jede Subfiftenz. fehlt, verbingen fie fich als 
Matroſen auf eine Dſchonke, und gewöhnlich ift e8 ver Ab- 
ſchaum der Benölferung, ber fich bier zufammenfindet. Außer 
bem Eigenthümer ver Waaren oder deſſen Vertreter hat das 
Schiff noch einen Kapitän ober Steuermann. Er führt 
nominell ven Befehl über die Matrofen; jedoch gehorchen ihm 
biefe nur, wenn es ihnen convenirt und behandeln ihn oft 
Schlechter wie ihresgleichen. Ieder Mann der Beſatzung darf 
eine beftimmte Quantität Waaren mitnehmen, und jeder beatt- 
fprucht deshalb in der Führung des Fahrzeugs eine Stimme. 
Daber kommt es, daß Kapitän und Steuermann fich oft dem 
Willen der Bemannung fügen müffen, wodurch nicht felten 
das Schiff befchädigt wird oder verloren geht. Im Augen- 
bit der Gefahr Hört alle Ordnung und Disciplin auf, alles 
ſchreit durcheinander, und felten wird eine Dfchonfe aus einer 
gefährlichen Lage durch ihre Beſatzung befreit. Dies fo- 
wie die Gebrechlichkeit der Dſchonken und ibre Schwer- 
‚fälligfeit im Mandvriren und Segeln macht e8 auch er- 
Härlich, daß in einem Zeufun oft Hunderte von, biefen Fahr⸗ 
zeugen auf einmal zu Grunde gaben ober an die Küfte 





186 


feiner Anficht, ven Meeresgrund an bie Oberfläche bringen, 
Als der Müfionar dies als eine Unmöglichkeit exllärte, be- 
hauptete der Chinefe:, „dvann wären die Obferbationen voll⸗ 
ftändig nußlos und echt barbariſch“. 

Der Zuftand der chinefiichen Kriegsflotte iſt um nichts 
befjer al8 pie Beſchaffenheit ner Handelsfahrzeuge. Die Kriegs- 
‚oder Mandarinendſchonken find ebenjo plump gebaut, von 
ebenſo unwiſſenden Führern commanbirt, ebenfo ſchlecht ge- 
banbhabt wie jene, und der Zuftand ihrer Artillerie harmonirt 
mit der fonftigen Art des Schiffe. Alle möglichen Kaliber, 
Sahrgänge und Conftructionen, nur nicht bie ber Neuzeit, 
find Dabei vertreten, und ich habe Hunderte von Geſchützen 
gefeben, deren ehrwürbiges Alter und verroftete Außenſeite 
darauf ſchließen ließ, daß fie zum Glücke ihrer Bedienung 
nie gebraucht wurden, weil fie böchft wahrjcheinlich beim 
erften Schuffe gefprungen wären. Ä 

Jedes Geſchütz zeichnete fich dadurch aus, daß ein Strei- 
fen rothes Zuch um die Mündung gebunden war. Obwol 
ih den Grund davon nicht erfahren konnte, ſchließe ich Doch, 
daß ben Kanonen eine ähnliche Werehrung gewidmet wird 
wie dem Kompaß, dem Steuerruber und dem Anlertau, bie 
ebenfalls an Borb per Hanbelöpfchonfen mit einem rothen 
Zucbftreifen geſchmückt find und benen. allerlei Opfer barge- 
bracht werben. Täglich brennen vor biefen drei Gegenſtänden, 
die allerdings für die Sicherheit des Schiffs fehr weientlich 
fine, Räucherftäbe und werben Heine Dichonfen aus Gold⸗ 
papier verbrannt. Ebenſo wird bei allen Wind- und Wetter- 
veränberungen ver „Königin des Himmels“, der Schugpatrenin 
ver Seeleute, auf, ähnliche billige Weile geopfert. Etwas 
mehr Ordnung und Disciplin herrſcht wol auf ven Mandarinen- 
pichonfen, aber von erropäiſcher Mannszucht tft Teine Rede. 
Es ift gewiß nicht zu boch gegriffen, wenn man bie Zahl der 
Kriegefahrzeuge auf 5—6000 anfchlägt, aber ihr Nuten tft 


187 


geradezu Null. Alle Ylüffe und Küften des ganzen großen 
Reichs wimmeln von Piraten, bie. unter den Augen ber 
Kriegspfchonken ihr Handwerk betreiben, und wo die Manda⸗ 
rine ans Furcht vor dem kaiſerlichen Bambus es einmal 
gewagt haben, enropäiſchen SKriegsichiffen entgegenzutreten, 
baben ſie ftetS bie großartigften Wieverlagen erlitten. Bon 
einem einzigen kleinen europätfchen Kriegsdampfer ſind oft 
60 — 80 Dſchonken in den Grund gebohrt, verbrannt ober in 
die Flucht gefchlagen worden. In ber Gegend von Schang⸗hae 
und Ningpo, wo die Seeräuber am häuflgften und frechiten 
find, bat eine Geſellſchaft chinefifcher Kaufleute fich einen von 
Europäern befehligten und bemannten Kriegebampfer bauen 
laffen, ber ihre Dichonfen escortint, weil fie bei ver Tatjer- 
lichen Flotte auf Schub gegen die Piraten nicht rechnen 
bürfen. Die Frechheit der Piraten überjteigt bisweilen alle 
Grenzen. So 5. B. würde im Jahre 1861 eines Abends in ver 
engliſchen Colonie Hongfeng mitten im Hafen und feine 
taufend Schritt von ber als Wachtſchiff fungirenden Dampf- 
corvette Esk eine amerifanifche Brigg von einigen Piraten⸗ 
pichonten überfallen, die gefammte Manufchaft ermordet und 
das Schiff ausgeraubt. Nur Ein Paffagier, ein beuticher 
Kaufmann, |prang über Borb, und es gelang ihm, ſich durch 
Schwimmen auf die am weitliden Hafeneingange gelegene 
feine Infel Green Island zu retten, die jedoch ganz unbe- 
wohnt ift. Nach einer Stunde hört er eine Dſchonke vorbei» 
rudern, ruft fie an und erfucht fie, ihn an das Feſtland zu 
bringen. Der Diehontenfährer fordert dafür den enormen 
Preis von 50 Dollars, die der Kaufmann auch verfpricht; 
wie erfchrict er jedoch, als er beim Betreten des Fahrzeuges 
alfe jene wilden Gefichter wieder erkennt, vor denen er frz 
vorher über Borb gefprungen. Glücklicherweiſe verläßt ihn je- 
doch feine Geiftesgegeniwart nicht, und er verräth fich nicht. Als 
bie Dſchouke in der Nähe des Wachtichiffes vorbeirubert, ver⸗ 


12. 


Eintheilung und Bevblkerung bes chinefiichen Reiche. Stabilität und 

Grundprincip bes Regierungsform. Vollsbildung und Unterricht. 

Der Kaifer, feine Stellung, feine Edicte. Das Reihsminifterium und 

ber Berwaltungsorganismus. Die Staatsprüfungen für die höhere 

Beamtenlaufbahn. Der hinefiihe Strafeoder. Grauſamkeit und raffi- 

nirte Strafarten. Käufliche Vertreter in ber Strafbüßung, felbft bei 
Todesftrafe. 


Kanton it der Sig eines Gouverneurs oder Vicefönigs. 
Diefer hohe Beamte wird nämlich vom Kaifer mit Löntglicher 
Macht und durch das Symbol eines beſondern Foftbaren 
Schwertes mit Kreuzgriff, goldener Scheide, ſowie mit Brillan- 
ten bejegt, mit dem Rechte über Leben und Tod beliehen, das, 
wie ich bereit bemerkt, unter andern von bem berüchtigten Yeh 
in folcher Weife ausgeübt wurde, daß in drei Jahren feiner 
Herrſchaft allein in Kanton 70,000 Menfchen durch Henfers- 
band fielen. 

Das ganze China ift in 18 Provinzen eingetheilt, deren 
Namen ich füglich übergehen kann, da fie in jedem gengras 
phifchen Handbuch zu finden find. Se zwei Provinzen find 
einem Vicekönig unterftellt, und der Vicekönig von Kanton 
beberricht Kwangſt und Kwangtung, die an Größe und Ein- 
wohnerzahl unfere bedeutendſten europäifchen Neiche übertref- 





191 


fen. Die Angaben über die Geſammtbevölkerung des ganzen 
chineſiſchen Reich weichen bedeutend voneinander ab. Unter 
bem vorigen Kaiſer wurde eine Volkszählung vorgenommen, 
bie 310 Millionen ergab, Gegenwärtig fehäpt man Me Ein- 
wohnerzahl auf 360 Millionen, was wieleicht etwas zu Hoch 
genommen iſt, ba die Bürgerkriege, welche jeit den leiten 
10 Sahren im Innern wüthen, und die in legter Zeit groß- 
artig gewachſene Auswanderung hierbei nicht gehörig beachtet 
zu fein ſcheinen. ' 

Wie dem uber auch fei, fo bleibt es Immer wunderbar, 
daß eine fo ungeheuere Bevöllerung fett Iahrtaufenden unter 
einem Oberhaupte ein eich gebildet und zufammengehalten 
bat, und es ift gewiß intereffant, nach den Urfachen zu for: 
ichen, die eine folde in der Weltgefchichte einzig daflehenbe 
Thatfache begründeten. 

Zunächſt Hat wol das chinefifche Neich feine Stabilität 
ber Regierungsform zn danken, und dieſe muß wenigftens im 
Princip für das Volk gut und zwedmäßig fein, da intelligente 
Menſchen, wie die Chinefen unzweifelhaft find und feit Sahr- 
taufenden waren, eine fchlechte verderbliche Regierung auf 
bie Dauer nicht ertragen hätten. Sein Land der Welt hat 
aber eine fo ftetige gejchichtliche Vergangenheit aufzumeifen 
wie China, und wenn nach dem Ausipruche eines berühmten 
Staatsmamms das Volk glücklich ift, deſſen Gefchichte Tang- 
weilig tft, fo find die Chinefen beſtimmt glücklich. Ihre 
Annalen find das Bild eines ruhig bahingleitenden Stroms, 
ber nur in jahrhundertlangen Zwifcherräumen auf furze Zeit 
durch das Aufbraufen der Wogen feine Ufer überflutet, bald 
aber in fein altes Bett zurüdtritt, um abermals Jahrhun⸗ 
derte ruhig weiter zu fließen. Das Aufbraufen verurfachten 
tyrannifche Despoten, an deren Sturz ſich gewöhnlich ein Dy⸗ 
nnaftienwechfel fnüpfte, und auch die jeßigen Innern Kämpfe 
find nur Widerftand und Auflehnung des Bolks gegen einen 


194 


von Hunderten von Millionen bewohnten Reiche bewährt und 
erhalten hat, ohne auszuarten. 

Die chinefiiche Regierung geiteht den Vätern eine unbe- 
bingte Gewalt über die Kinder zu, fie beanfprucht ale Haupt 
des Staats aber daſſelbe von allen Unterthanen. Der Rai- 
fer ift der Vater des Reichs, der Gouverneur ber Vater der 
Provinz, der Mandarin .ver Vater der Stadt oder des Di- 
ftricts. Auf dieſe Weife wird der Untertban vom zartelten 
Kindesalter an bis zu feinem Tode als Kind des einen oder 
andern behandelt und faugt mit der Muttermilch die Grund- 
fäße der Ehrfurcht und des Gehorfams gegen Xeltern und 
Borgefegte ein. Wenn bei diefem Syſtem die individuelle 
Freiheit und Entwidelung auch ziemlih Null ift, fo bat es 
doch den Vortheil, ruhige Unterthanen zu erziehen, und es 
läßt fich nicht leugnen, daß dies in China der Fall ift, 

In unfern europätfchen Staaten heißt ein Grundſatz: „Un- 
kenntniß des Geſetzes fchügt nicht vor Strafe.” Dies Prin- 
cip mag vieles für fich haben, ganz beitimmt liegt aber eine 
Härte darin, und es ift gewiß ein humaner Zug in der chi- 
neſiſchen Gefeßgebung, daß te dieſe Härte zu vermeiden ftrebt. 
Obwol in China von zehn Menfchen gewiß neun fo viel 
fefen und fchreiben können, um fich mit den Gejegen befannt 
zu machen, fest die Regierung dies doch keineswegs voraus. 
Vielmehr hat fie die Pflichten der Unterthanen in ein Buch 
zufammengefaßt und läßt bajfelbe im ganzen Reiche zweimal 
monatlih durch die Magiftratsperfonen öffentlich vorlefen. 
Der erfte Abfchnitt dieſes Buches lehrt die Pflichten der Kin— 
ber gegen die Xeltern, der Jugend gegen das Alter, nes Volks 
gegen die Regierung und wiederholt nur den Erwachfenen, 
was die Kinder von den Alten lernen, was die heiligen Bü⸗ 
her des Confucius als Fundament der Erziehung binftellen, 
und was bie Schulen lehren, erläutern und befeftigen. 

Es fann freilich nicht geleugnet werden, daß bie väterliche 


195 


Gewalt des Kaiſers oft gemisbraucht, daß das Volk dfter 
von feinen Herrfchern.oper deſſen Dienern tyrannifirt wird; 
und daß fich vieles an der Regierung ausfeten läßt; allein 
folche Zuftände find nur vorübergehend, und das Volk leidet 
fie auf die Dauer nicht. Jedenfalls aber muß man aner- 
fennen, daß die Regierung im großen Ganzen ihre Pflichten 
gegen das Volk jeither felten vernachläffigt bat. Davon gibt 
ber Reichthum des Landes, bie unermüdliche und fröhliche 
Thätigleit feiner Bewohner und deren rührende Anhänglich- 
feit und Liebe zu ihrem Vaterlande genügendes Zeugniß. Die 
Anhänglichkeit geht fo weit, daß Ehinefen nur auswandern, 
wenn ihnen alle Mittel fehlen, im eigenen Lande zu exiftiren, 
daß fie nie daran denken, im Auslande für immer zu ver- 
bleiben, ſondern einzig nach Geld und Gut ftreben, um ver 
einft in der Heimat ihre Lage zu beichließen. Sehr wenige 
fehren zwar zurüd, aber wer es vermag, ber trägt bafür 
Sorge, daß wenigftens feine Gebeine in heimatlicher Erde 
ruhen, und aus allen Welttbeilen fommen in den verfchiedenen 
Häfen des Landes Schiffe mit den Leichen ausgewanderter 
Chinefen an. | Ä | 
Zum großen Theil muß die allgemeine Profperität und 
Ruhe des Landes dem Kinflujfe zugefchrieben werden, ben 
Schulen und Erziehung auf die untern Klafjen üben. Wenn 
ber Zuſtand der Volksbildung in China früher auch vielfach 
überfchäßt und erſt durch den deutſchen Miſſionar Lobſcheid, 
gegenwärtigen Infpector aller Schulen in Hongfong, auf fein 
wahres Maß zurüdgeführt ift, jo gibt doch dieſer Miſſionar 
in einer den Gegenftand behandelnden Broſchüre ſelbſt zu, daß 
wenigſtens von ber männlichen Bevölkerung faft jever lefen 
und fchreiben kann. Diefe hohe Eulturftufe verdankt aber 
das Volk der Regierung, bie ſeit undenflichen Zeiten nicht nur 
beftrebt geweien, die Nothwendigfeit einer guten Erziehung 
und Verbreitung von Kenntniffen durch Bernunftgründe zu 
13* 


196 


beweifen und durch einfchlägige Vorſchriften einzufehärfen, ſon⸗ 
dern auch Kenntniſſe und Talente auf die ehrendſte Weite 
belogat. Dadurch, daß die Regierung vie Aeltern für die Ver- 
geben ihrer Kinder, mögen dieſe nech fo alt fein, verantwort⸗ 
(ich, fie anvererjeits aber auch zu Theilnehmern an beren 
Ehre und Ruhm macht, zwingt fie die erftern, alle Sorgfalt 
anf bie Erziehung der Kinder zu verwenven, und obwol ber 
Staat ſelbſt nichts für Schulen thut, hat doch jede Stadt, 
jedes Dorf eine öffentliche Schule und jeder Wohlhabende 
hält für feine Kinder Privatlehrer. Lobſcheid tavelt die Ober- 
flächlichleit des Unterrichts und bie Unmiffenheit ber Lehrer, 
weiche meiftens durchs Examen zefallene Candidaten für 
Staatsämter find; jedoch ſcheint mir fein Urtheil zu ftreng, 
da man an China nicht den pädagogiſchen Mafftab Deutfch- 
lands legen darf, auch e8 noch gar nicht fo Lange her ift, ja 
vielleicht jet noch der Fall vorfommt, daß ſelbſt bei ung 
Volkslehrer Schulmeijter und Schweinehirten zu gleicher Zeit 
waren. Immerhin iſt das in China erzielte Reſultat ein 
großes. Ich bin erftaunt geweien, auf einem Dorfe, zwei 
Meilen von Schang⸗hae, Kinder von fieben Bis acht Jahren 
die vier cleffifchen Bücher des Confucius mit Geläufigkeit 
fefen zu bören. Dies war freilich in einer Privatfchule, bie 
nur ſechs Zöglinge zählte, aber es ift immer fehr viel, ba 
befanntlih das Lefen und Schreiben ver chinefiichen Sprache 
für Kinder viel ſchwieriger als das irgendeiner anbern 
Sprade ift, weil die Worte nicht aus Buchſtaben zufammen- 
gefegt find, fondern jeder Begriff fein befonderes Zeichen hat. 
Wenngleich fich biefe Zeichen auf eine beftimmte Anzahl von 
Wurzeln zurüdführen laffen, welche die Stelle des Alphabets 
vertreten, und die Zahl der Wurzeln nicht, wie mehrfach be- 
bauptet wird, 6000, ſondern nad) Davis, einem ber beiten 
Sinologen, nur 214 beträgt, fo geht daraus doch fchon ber- 
vor, daß das chineftfche Kind 214 Wurzeln oder Yuchftaben- 


197 


zeichen Tennen muß, während pas europäifche fich nur. bie 
Bilder von 25 einzuprägen bat. Dabei kommt noch in Be⸗ 
tracht, Daß in China nicht weniger als ſechs verſchiedene Schreib- 
unb Druckweiſen eriftiren, die einander viel ferner ftehen als 
3. B. unfere deutſche Fractur der lateiniſchen Enrrentichrift. 

An der Spike des Reichs fteht als abjolnter Herricher 
ber Raifer, „ver Sohn bes Himmels‘ ober ‚Zehn Taufend 
Jahre“, wie feine .offictellen Zitel find. Er wird als allge: 
genwärtig im ganzen Reiche gebacht, ift Hoher Priefter ver 
Staatsreligion, und man erweift ihm göttliche Ehre, In allen 
großen Provinzialftäbten befindet fich eine ihm geiweihte Halle, 
in der bie Staatsbenmten und vernehmften Einwohner ber 
Stadt an feinem und ver Raiferin Geburtstage ihre Huldi⸗ 
gungen darbringen. Diefe Halle ift mit gelbem Zuche, der 
faiferlihen Farbe, ausgefchlagen und mit einem Xhronfeffel 
verfehen, vor bem von jebem Befucher die neum Sniefälle 
vollzogen werben müſſen, welche vie Anweſenheit des Kaiſers 
felbft erfordert. 

Ungleich andern afiatifchen Fürften, zeichnet ſich ber Kaifer 
vor feinem Hofftante nicht durch Pracht, fonbern durch Ein⸗ 
fachheit ver Kleidung aus, und während die Uniformen feiner 
Minifter und Beamten von Gold, Silber, Juwelen und 
Stidereien ftarren, erfcheint er bei Audtenzen in einfachem fei- 
denen Rode und mit einer Sammtmütze befleibet, bie nur 
burch eine große Perle geſchmückt wird. 

Der Kaiſer hat das unumfchränkte und feit undenklichen 
Zeiten beſtehende Recht, ſich feinen Nachfolger zu wählen, und 
es ift öfter vorgelommen, daß von ihm tüchtige Mäuser mit 
Uebergehung der eigenen Söhne anf den Thron berufen 
wurden. Alle Edicte, welche bie Faiferliche Sanction erhalten, 
werben mit feinem Siegel verfehen, feine Bemerkungen mit 
rother Tuſche Hinzugefügt und alle Erlafſe in ver Staatszei⸗ 
tung, dem einzigen öffentlichen Blatte, das China befigt, 


198 


publicirt. Auf Fälſchung irgendeines Artikels in dieſer .offt- 
ciellen Zeitung, die nur Berichte an dert Kaiſer oder deſſen Ant- 
worten barauf enthält, fteht ver Tod. Dies fchließt jenoch nicht 
aus, daß die Berichte felbft jehr häufig durchaus falſch find, na⸗ 
mentlich wenn e8 ſich um einen Aufftund, eine Schlacht orer 
dergleichen Handelt. Die fih auf Erhöhung oder Milderung 
von Strafen beziehenden Edicte gelten jeboch. feineswegs ſpä⸗ 
ter als Präcedenzfälle bei Anwendung des Strafgefetbuches, 
im Gegenfaß zu den Edicten ber römiſchen Kaiſer, die Ge⸗ 
fetzeskraft erhielten. 

Das Miniſterium oder Nuiko beſteht aus vier Perſonen, 
zwei Tataren und zwei Chineſen, von denen bie erſtern je- 
doch ftets den Vorfig führen. Die Minifter bilden mit einer 
Anzahl anderer höherer Beamten den Staatsrath, und fie 
geben aus dem fFaiferlichen Collegium oder Hanlin hervor, 
das fih am beften mit ver ehemaligen pariſer Sorbonne 
vergleichen läßt, indem dieſes Injtitut als höchſte Inftanz in 
Religionsjachen, die in China zugleich Staatsgrundfäte find, 
entfcheibet. 

Die ausführenden Organe des Minifteriums find ſechs 
Behörden, deren erſte alle Beamte anſtellt und controlirt. 
Ihr folgt das Finanzminiſterium, dann das des Cultus, das 
alle ſtaatlichen Ceremonien und Riten zu überwachen hat. 
Zunächft kommt das Militärdepartement, zu deſſen Räthen je- 
desmal die Gouverneure ber verichienenen Provinzen gehören, 
dann ber oberfte Eriminaljuftizhof und fchlieglih das Depar⸗ 
tement der Öffentlichen Arbeiten. Alle dieſe Behörden. refipiren 
in Peking und gelten für das ganze Neich. 

In den Provinzen find bie höchiten Beamten folgende: 
1) der Generalgouverneur oder Bicefönig, ber je zwei Pro⸗ 
vinzen beberricht, ziemlich ſelbſtändig regiert und das Recht 
über Leben und Tod beſitzt. Er ift Mandarin erfter Klaſſe, 
Präſident des Provinzial- Kriegspepartements und führt als 


199 


folcher nominell den Oberbefehl über fämmtliche in feinen 
Landen ftehende Truppen. 2) Der Gouverneur, welcher nur 
Eine Provinz unter fih hat und ziemlich dieſelbe Autorität 
wie fein Vorgejetter bejigt, indem er das Recht übt, wie 
biefer über alfe Angelegenbeiten an ven Kaiſer perjünlich zu 
berichten. Gewiffermaßen ift er der Spion feines Vorge⸗ 
festen, fopaß es im Intereſſe des letztern liegt, fich mit dem 
Gouverneur möglichft gut zu ftellen. 3) Der Provinzial- 
Steuerdirector mit den Functionen, wie fie diefer Beamte in 
Deutſchland hat. Außerdem zahlt er den Sold für alle 
Beamte in der Provinz und befümmert fich wie Die Gouver- 
neure and um allgemeine. Augelegenheiten.. Er darf dreimal 
jährlich dem: Kaiſer direct Bericht erftatten und dient dadurch 
als Spion feiner Vorgefegten. Ihm folgt 4) der Provinzial. 
riehter, die höchfte Behörde ver Provinz für Yuftizfachen und 
zugleich Infpector der Faiferlichen Boften. 5) Der Salzcom- 
mifjar, der den Salz- und Eiſenhandel überwacht, bie beide 
Monopol der Regierung find. 6) Der Tſchutau, ein ſchwer 
zu überfeßender Ausprud. Während nämlich ver Provinzial- 
Steuerdirector alle Geldftenern einzieht, überwacht ver Tſchu⸗ 
tau bie Naturalabgaben und forgt zugleich für pie Verpfle- 
gung der Truppen. 7) Der Tautai. Jede Provinz ift in 
fünf oder ‚mehrere. Regierungsbezirfe getheilt und an ber 
Spige eines folchen fteht der Tautai. Mas der Gouverneur 
für die Provinz, ift er für ven Diſtrict, d. h. er hat feine be- 
ftimmte Branche zu vertreten, fondern fich um alles zu küm⸗ 
mern. 8) Der Zfchifu, welches Wort fich amt beften mit 
Landrath überfeßen läßt, pa er bie oberftie Kreisbehörde bil- 
det. Als Affiftent fteht diefem 9) der Tungtſchi oder Unter- 
präfect zur Seite, und den Schluß der obern Beamtenreihe 
bildet 10) ver Tſchitſchu, eine Art Polizeimeifter, der vie 
erſte Inftanz in allen Klagefachen ift und ziemlich die ſchwie⸗ 
rigfte Stellung von allen feinen Collegen hat, da er faft 


202 


Wenn ver Staat der Wiſſenſchaft und dem Talent folche 
Auszeichnungen gewährt und jedem Untertban ver Weg 
zu den höchſten Ehren und Ehrenftellen offen fteht (der Handel 
mit Stoatsämtern unter der gegenwärtigen Dünaftie ift nur 
als Ausnahme zu betrachten), fo ift e8 leicht erflärlich, daß 
ber ganze Ehrgeiz per Chineſen ſich dahin concentrirt, durch hervor 
tragende Kenntniſſe die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu zieben. 
Es fann ſonach auch nicht mehr auffallen, daß das untere 
Volk, verhältnifmäßig nämlich, einen Bildungsgrad erreicht, 
wie ihn unſere civilifirteften Staaten faum aufzumeifen ver- 
mögen. Cbenfo natürlich ift es, daß Bildung und Wiljen- 
ſchaft überall den Vorrang haben, und jelbjt vie tatarijchen 
- Eroberer mußten fich in biefer Beziehung vor dem dem Bolfe 
innemohnenden Geifte beugen. Sie fönnen wol an unwifjende 
Menſchen Staatsämter und Ehrenftellen verlaufen, aber fie 
haben e8 nicht vermocht, dieſe Creaturen vor. allgemeiner Ver⸗ 
achtung des Volfes zu fchüßen, und ebenfo wenig ift e8 ihnen 
gelungen, ihrem Militär eine andere als ſecundäre Stellung 
zu verfchaffen, Die Offiziere oder Militärmandarinen avanciren 
nicht nach wiffenichaftliher Auszeichnung, auch nicht einmal 
nach Kühnheit und Tapferfeit als Führer der Truppen, ſon⸗ 
bern nur nach ihrer Gefchieflichleit in Handhabung der Waffen, 
fräftigem Gliederbau und vein perjönlicher Tapferkeit. Dieſe 
Eigenichaften fteben aber bei. dem Volke in ſo geringer Ach» 
tung, daß z. B. ein Militärmandarin, erfter Klaffe oft zu 
Fuß gehend gefehen wird, während ein Civilmanbarin vierter 
Klafje fchon als degradirt betrachtet werben würde, wenn man 
ihn nicht in einer Sänfte mit vier Trägern erblidte, . 

Wie vortheilhaft dieſe literariſchen Inftitutionen aber auch 
auf die geiftige Entwidelung des Volks vor Zeiten gewirkt 
und wie frieblihe Unterthanen fie gefchaffen. haben mögen, 
haben fie ſich Doch feit langem überlebt und find ganz gewiß 
auch bie Urfache, daß China feit Sahrtaufenden auf verfelben 


203 


Sulturfinfe ftehen geblieben tft. Die binterlaffenen Schriften 
des Gonfucius, die, infofern fie Staatskunſt und Moral be- 
handeln, unter dem Namen ber clafjifchen Bücher befannt find, 
mögen für die damalige Zeit paſſend gewefen fein, aber daß 
man ihr Studium und Verſtändniß ale alleiniges Beding— 
niß für die Belebung von allen Staatsftellen fordert, Tann 
unmöglich dem Aufblühen ver Eultur förderlich fein und muß 
namentlich in einem größern Staate nicht allein der Regierung 
große Schwierigfeiten bereiten, ſondern auch unfehlbar zu 
einem Stillſtande aller ſtaatlichen u und inbivibuellen Entwidelung 
führen. 

Ich habe bereits bemerkt, daß die Regierung gar nichts 
für den Unterricht thut, es gibt weder Bürger- noch höhere 
Schulen, noch Univerfitäten oder Fachſchulen. Die erwähnten 
Examina find ftaatlich; fie ftellen ihre Forderungen, aber es 
bleibt jedem einzelnen überlaffen, wie er fich die nöthigen 
Renntniffe verfchaffen will. Die Forderungen find für jeden 
höhern Beamten, mag er für einen Verwaltungszweig irgend- 
einer Art ambitioniven, dieſelben, und zwar befchränfen fie 
ſich allein auf das Gebiet ver Morelphilofophie, die auf bie 
Staatsfunft angewandt wird, anf Schöngeifterei, indem ber 
betreffende Candidat ein Gedicht Tiefern muß, und auf fünf 
Fragen über die Gefchichte des Landes und Nationaldfonomie, 
freilich aber auf bie vorhundertjährige, ha die Politik der ge- 
genwärtigen Dynaſtie ausgefchloffen bleibt. Num denke man 
fih aber an ver Spite aller Verwaltungsbehörben in einem 
europätfchen Staatöwefen nur Moralphilojophen ohne irgend- 
welche fachliche Vorbildung. Man ftelle fich einen Regierungs⸗ 
baurafh ohne eine Idee von Mathematik oder Zeichnen, einen 
Hegierungspräfinenten oder Landrath ohne .irgenpwelche 
Kenntniß der Verwaltung vor oder gar einen Zribunalrath, 
ber abwechſelnd als General» Boftmeifter oder al8 Salzes 
commiffar fungirt. Wenn man auch nach. dem Verhältniß 


204 


der Beftanbenen zu ben Examinanden darauf fchließen barf, 
daß in China nur eme Auswahl ver gefcheidteften Köpfe 
überhaupt zu ben höhern Stantsitellen gelangt, und ebenfo 
angenommen werten Tann, daß fie fich altmählich in ihr Fach 
hineinarbeiten, fo ift es ebenfo gewiß, daß fie bei vem Mangel 
aller einfchlägigen Bor⸗ und Fachſtudien im allgemeinen jtets 
nur mittelmäßige Beamte bleiben und zur Förderung ber 
ihren unterftellten Branche nichts leiften können. Sie werben 
ftets mehr ober minder von ihren Untergebenen abhängig 
fein, und jebe geiftige Entwidelung muß gehemmt werben. 
Unfer deutfches Sprichwort: „Wem Gott ein Amt gibt, dem 
gibt er auch Berftand”, ift nirgends angebrachter als in China, 
und es tft überhaupt zu verwundern, daß bei foldhen Einrich- 
tungen woch alles fo gut geht. 

Ein äußerft wirkſames Inſtrument, mit deffen Hülfe die 
Beamten die zahliofen Millionen des Reichs der Mitte re- 
gieren und überwachen, tft das Strafgefehbuch. “Der Englän- 
ber Sir George Staunten, der es überjekt bat und zugleich 
ein befäbigter Kritiker chineftfcher Zuftänve tft, fagt Darüber: 
„Das Auffollendfte bei dieſem Coder ift feine Klarheit, Logik 
und vernunftgemäße Abfaffung, bie gefhäftsmäßige Kürze und 
Beſtimmtheit feines Inhalts und bie beutliche und maßvolle 
Sprache, wodurch es fich jo weientlich von ben Gefegbüchern 
anderer aſiatiſcher Nationen unterfcheidet und den europäifchen 
nahe tritt.’ 

Diejes Urtheil ift unzweifelhaft richtig, trotzdem leidet das 
chineſiſche Gefeß an bebeutenden Mängeln. In feiner väter« 
lichen Fürſorge geht es viel zu weit, mifcht fich in alle Ver- 
hältniffe der Familte und tes Lebens, die einen viel paffenbern 
Richter in dem Herzen und Gefühle der Menfchen finden, und 
ebenfo wie es Diebftahl und Mord beftraft, will e8 durch 
Strafen auch die Ausübung von Qugenden erzwingen. Wir 
haben zwar in einigen europälfchen Ländern und vor noch 


205 


gar nicht langer Zeit m umjerm lieben Deutichlaunb etwas 
ganz Aehnliches gehabt, wen z. B. Angeſtellte aus Furcht vor Ent⸗ 
laſſung zu beftimmten Kirchen» ober Abendmahlsgängen ge 
zwungen wurben; aber ein folches Verfahren ift wenigſtens 
nie durch Geſetze fanctionirt worden und konnte übergaupt 
nur immer gegen einen Bruchtheil ver Bevölkerung in An⸗ 
wendung gebrackt werven. In China jedech ift bie 
religidfe Pflicht, die Gräber der Vorfahren zu beftinmten 
Zeiten: zu befuchen, gefeglich geboten und eine Unterlaffung 
derſelben mit harter Strafe bedroht. Ein anderer Fehler ift 
die Aengftlichkeit, mit ver das Geſetz beftrebt iſt, alle erdenk⸗ 
lichen Möglichkeiten zu begreifen und für alfe vorkommenden - 
Fälle, mögen fie auch noch jo fonderbarer Art fein, eine Be- 
ſtimmung zu erlafjen. So z. B. führt Davis ein Citat aus 
dem die Erbichaftsangelegenheiten betveffensen Theile bes 
Coder an, dad in biefer Beziehung ſehr charafteriftifch ift. 
Danach erhält ein Sohn einen Theil, eine Zochter einen 
halben Theil ver Hinterlaffenfchaft. Für uns wilrbe biefe Be- 
ftimmung allerfeitS ausreichen, für die Weisheit und Voraus⸗ 
ficht des chinefifchen Geſetzes nicht. Daſſelbe zieht auch den 
Fall in Betracht, daß ein Kind eim Zwitter fein könne, und 
verfügt, daß unter folchen Umftänben ver Zmitter bie Hälfte 
von ben Erbtheilen des einen und der andern, alſo drei Bier- 
theile erhalten foll! 

Dieſe Aengftlichkeit führt aber andererſeits zu Gefegen, bie 
im birecten Widerfpruche mit dem Geifte der Klarheit und 
Präcifion ftehen, ber nach dem augenſcheinlichen Willen ber 
Geſetzgeber ven ganzen Eober burchwehen foll, und e8 entftehen 
Vorſchriften, die dem Richter die umbegrenztefte Willkür in 
der Auslegung der Geſetze geftatten. Als Beiſpiel diene hier⸗ 
für folgende Stelle: „Wer fich eines unpaſſenden Benehmens 
ſchuldig macht und gegen den Geiſt ver Geſetze verſtößt, fol, 
wenn er auch feine Vorfchrift dadurch übertreten, mit nicht 


206 


unter 40 Bambushieben, ift das Ungehörige in feiner Hand⸗ 
(ungsweife aber ernfterer Art, mit nicht unter SB Hieben be- 
ftraft werden.” Man fteht, wie fehwer es ift, ven Klauen 
des chinefifchen Geſetzes zu entrinnen. 

Die Strafen für Verbrecheu und Vergehen find, wie ich 
jchon bei den Yamuns erwähnte, hart und graufam. Ihre 
Glaffification lautet: Hiebe mit dem Bambus auf ven Rüden 
oder die innere Fläche des Schenfels; Gefängniß mit oder 
ohne Fellelung; der Halskragen; enblich der Tod des Ent- 
hauptens, des Verhungerns in einem Käfig ober durch lang- 
james Abfchneiden der verſchiedenen Körpertheile. Letztere 
Strafe fteht auf Hochverrath oder Vergehen gegen die Perjon 
bes Kaiſers oder der Xeltern, die ganz gleich geahndet wer- 
ven. Ein franzöfifcher Gelehrter, der bei Beginn des lekten 
chineſiſchen Krieges mit dem englifchen Conſul Parkes gefan- 
gen genommen wurde, ſaß in einen der bejchriebenen Gefäng- 
niffe mit einem Chinejen zufammen, ver bereit8 19 Jahre in 
der Höhle ſchmachtete, weil er als achtjähriger Knabe feinen 
Bater in den Daumen gebiffen hatte. 

Zur Erpreffung von Geftänpniffen tft die Anwendung ver 
Folter geftattet, die meiſtens in Hieben auf die innern Schen- 
fel beiteht. Eide fennt das chinefiiche Geſetz nicht; eine be- 
wiefene Unwahrheit wirb aber fehr hart beftraft; daß noch 
andere Grauſamkeiten und raffinirte Strafarten in Anwendung 
kommen, ift unzweifelhaft. Ich jelbft war Zeuge, wie in 
Chefu ein Greiß mit weißem Haar, der in Verdacht ftanb, 
ein Rebell zu fein, auf die graufamfte Weile gefoltert wurde, 
um ein Geftänpniß zu erpreffen. Nachdem er vor unferer 
Anfunft bereits 300 Hiebe auf Die innern Schenkel erhalten, 
war er an einen Pfahl in der brennenden Sonne mit ven 
Daumen hinter dem Rüden zufammen und fo hoch gebunden, 
daß er nur auf den Fußſpitzen den Boden berührte. “Der 
Unglüdliche war dem Tode nahe, «ls unjere Dazwifchenfunft 


207 


(bei der Belagerung der Stadt durch die Rebellen waren bie 
Europäer Hflbgötter) ihn rettete. Er wurde [osgebunden und 
fpäter als unſchuldig vom franzöfifchen Conſul auf freien Fuß 
gelegt 

Diefe Strafen und Quälereien find zwar nicht gefegmäßig; 
ob aber ein Menſch verhungert ober burch Entziehung von 
Schlaf getöbtet wird, ob man ihn durch langſames Abfchnei- 
den ver Gliedmaßen umbringt oder ihm die Augenliver ab- 
ſchneidet und ihn mit glühenden Zangen zu Tode zwickt, bleibt 
fih am Ende gleih. Das eine ift nicht granfamer als das 
andere, und beides wirft einen unlöfchbaren Flecken auf Das 
Gefeß und feine ausführenden Organe. 

Es gibt in China zehn privilegirte Klaſſen, die nur ver- 
urtheilt und beftraft werben können, nachdem vorher dem 
Kaiſer darüber Bericht erftattet if. Zu diefen gehören vie 
Anverwandten bes Faiferlichen Haufes und die höhern Beamten. 
Bei dem jeßigen AJuftande des Reichs vermag jeboch jeder 
fih dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, wenn er veich 
genug ift, nicht allein die Nichter zu beitechen, ſondern einen 
Stellvertreter zu Taufen, der für ihn die Strafe erleibet. 
Diefer leßtere Uſus ſteht in China einzig in feiner Art ba 
und liefert einen merkwürdigen Beitrag zur Culturgefchichte 
biefes Volle. Das Geſetz verlangt für jedes Vergehen eine 
Sühne, ihm muß unter allen Umftänden Genüge geleiftet 
werben; ob jeboch der Schulpige beftraft wirb, darauf fommt 
es weniger an, als daß überhaupt nur geftraft wird. Begeht 
mithin ein reicher Mann ein Verbrechen, deſſen er überführt 
ift, fo hat er nur einen Vertreier zu fchaffen, ver fich als 
Thäter befennt und dem Gefee verfällt. Bei uns mag bis- 
weilen wol etwas Nebnliches vorkommen, aber dann ganz 
bejtimmt ohne Wiffen des Richters, und in ſehr vereinzelten 
Fällen. In China dagegen ift e8 allgemein, und fo unglanb» 
lich e8 klingen mag, für eine verhältnißmäßig geringe Summe 


208 


find fegar Leute zu kaufen, die al® Stellvertreter bie Todes⸗ 
fteafe erleiden! Ein Diftrict in per Nähe von Kanton Liefert 
viefelben. Für 300 Taels oder 600 Thaler nad) unferm Gelde 
laſſen fie fich hinrichten oder erleiven die ſchrecklichſten Todesqualen. 

Man fragt unwillkürlich: wie ift es möglich, daß ein 
Menih um Geld für einen andern ftirbt? Aber dies kann 
nur in China ftattfinden. Ich habe fchen bemerkt, daß das 
Tamilien« und Stantsleben auf ven unbebingteften Gehorſam, 
Ehrfurcht und Hingebung gegen Aeltern und Staatsoberhaupt 
bafirt if. Der Vater bleibt bis zu feinem Tode unum⸗ 
Ichränfter Herr und Gebieter feiner Kinder, mögen dieſe ſelbſt 
Väter oder Großväter fein. Die Söhne find durch die beilig- 
ften Geſetze gebunden, für die Xeltern zu forgen, wenn Alter 
und Schwäche fie erwerbsunfähig machen. Wehe dem Finde, 
bas feine Aeltern vorſätzlich darben Tieße; nicht nur Die Strafe 
bes Geſetzes würde es ereilen, fondern das Volf es ausſtoßen 
und ächten. Bei der Meberböfferung des Landes geht unglaub- 
liher Reichthum neben der fchredlichiten Armuth einher. Der 
erwähnte Diftriet ift einer der ärmften des Weiche, er wird 
fat jägrlih von Hungersnoth heimgefucht, und Tauſende von 
Familien kämpfen mit dem unglaublichiten Elende. Da ift es 
denn nicht zu vermundern, wenn ein Sohn, um bie bor Hunger 
fterbenden Aeltern zu retten und ihnen eine forgenfofe Zukunft 
zu fichern, fich felbit Dem Tode weiht und in Finblicher Reſig⸗ 
nation feinen Naden dem Henkerbeile biete. Er ftirbt unter 
ben Segnungen des greifen Vaters, der geliebten Mutter in 
den Bemußtfein, das höchfte Maß der Rinvespflichten erfüllt 
und fich dadurch der himmlifchen Seligkeit theilbaftig gemacht 
zu haben. 

Ein auffallendes Beispiel diefer Art trug ſich vor einigen 
Sahren in der Nähe von Kanton zu. Mehrere reiche Chineſen 
hatten, unzufrieden mit dem Mandarin ihrer Stabt, eine 
Verſchwörung gegen ihn angeftiftet und ihn ermorbet. Der 


209 


Provinzialrichter wurde mit Truppen gegen fie ausgejandt, 
fand aber einen jo drohenden Widerſtand, Daß er es ger 
rathen fand, die Unruheftifter nicht mit Gewalt anzugreifen, 
jondern mit ihnen ein Compromiß einzugeben. Wenn er 
nicht. jelbft fein Amt und vielleicht feinen Kopf verlieren 
wollte, mußte er Schulvige finden und richten. Dies fahen 
bie Verſchwörer felbft ein, und da fie fih auch vor einem 
längern Widerftande fürchteten, Fauften fie 20 Stellvertreter, . 
bie fich als Rädelsführer bekannten und fofort hingerichtet 
wurden. Um das Stilffchweigen des Sohnes des Ermorbeten 
zu erfaufen, wurde ihm seine Summe von 100000 Taels 
angeboten, die biefer annahm. So war allen Theifen ge- 
holfen. Die Schulvigen gingen frei aus, fie waren von 
ihrem Verfolger befreit, der Richter behielt Amt und Kopf, 
die Ruhe war wieverhergeftellt und dem Geſetze Genüge ge- 
Ichehen. 

Ein guter Zug in der chinefifchen Geſetzgebung ift bie 
Milde, wo es fih um Beitrafung Mitfchuldiger handelt, 
wenn diefe mit dem Verbrecher durch Familienbande verfnüpft 
find. Gemäß dem Ausfpruche des Confucius: „Der Vater 
mag die Vergehen feines Sohnes, der Sohn bie des Vaters 
verheimlichen, dies ift nur recht”, werben Verwandte und 
Diener, die unter bemfelben Dache Teben, nicht beftraft, 
wenn fie die Vergehen ihrer Mitbewohner verheimlichen, ja 
jogar, wenn fie zu deren Flucht behüfflich find. Sch Habe 
bereit8 bemerft, daß die Regierung ängftlich darauf bebacht 
iit, ihre Untertbanen durch öfteres Vorleſen der Gefeße mit 
biefen befannt zu machen. Um dies noch mehr zu förbern, 
find alle Individuen, welche die Geſetze nach ihrem wahren 
Sinne auszulegen vermögen, im erften Falle für alle folche 
Dergehen ftraffrei, die nur zufällig ober die_ Folge von Vers 
brechen anderer find, mit Ausnahme von Hochverrath oder 
Rebellion, deren Theilnehmern nie Gnade gewährt wird. 

Werner. I. 14 


210 


Sp ift der chineſiſche Strafeoder ein Gemifch von guten 
und fohlechten Gejeten, von Milde und Graufamket. In 
feiner Sorge, das Wohl der Unterthanen zu beförvern, be⸗ 
raubt er fie faft aller individuellen Freiheit, behandelt fie 
wie Heine Kinber und will fie nicht nur vor bem Abweichen 
vom Pfade des Rechts warnen, fondern fie zur Tugend 
zwingen. Seine Mängel find groß, aber immerhin behäft 
das Werk den Ruhm, das befte feiner Art in ganz Aſien zu 
fein und viel Gutes gefchaffen zu Haben. 





13. 


Die chineſiſche Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Cintheilung. Un- 

friegerifcher Geift der Armee und bes Volkes. Vernachläſſigung ber 

geſammten Kriegskunft im Neiche dev Mitte. Beichaffenheit ber Nebellen- 
armer, 


Wenn man bie Rejultate der verfchiebenen Kriege, welche 
China feit 1840 mit ‚England und Frankreich führte, in Be⸗ 
tracht zieht, in benen bie gefammte militärifche Macht ver 
Weſtmächte faum 5—10000 Dann betrug und dennoch ftet8 bie 
numerisch zehnfach überlegenen chinefifhen Truppen ſchlug, 
fo fann man von vornherein feinen hoben Begriff von ber 
Tüchtigkeit und Tapferkeit ver legtern befommen. Wer bie 
Vertheidiger des Reichs der Mitte aber felbft gejehen, wird 
fih nicht mehr wundern, daß fie ftetS gefchlagen wurben. 
Ein unfriegerifcheres Inftitut als das chineſiſche Militär Tann 
e8 Taum geben, und fein Zuftand Fennzeichnet mehr als alles 
andere die vorwiegende Friedensliebe ver Söhne Han’s. Die 
gefammte ſoldatiſche Macht Chinas ift nach den Verhältniſſen 
der Gegenwart geradezu eine Xächerfichfeit und einzig und 
allein im Lande jelbft zu verwenden, aber felbft da noch 
jo unzulänglich, daß e8 3. B. den Hunderttaufenden ber Armee 
troß beftändiger Kämpfe feit dem Beginn ver Zatarenherr- 
ſchaft nicht gelungen ift, einen kriegeriſchen Volksſtamm im 

14 * 


214 


nebft fpecteller Angabe von ben Leiftungen und Verbienften 
eines jeden Offtziers und Soldaten. Die Regierung läßt bie 
Betreffenden avanciren und fchidt die nöthigen Fonds zum 
Unterhalt diefer Armee, an deren Vorhandenfein fie jo gut 
tit, nicht zu zweifeln, und bie Behörden von Shang-hae ſtecken 
ben Ueberfchuß in ihre Taſche. 

Einige Reifende haben vie chinefifche Gavaferie als ſehr 
zahlreich gejchilvert, dies ift jevoch eine irrige Anficht. Zwar 
machten die Tataren in frähern Zeiten mit bebentenben 
Neitertrupps Einfälle in China, allein die Pferdezucht hat 
ſehr abgenommen und ift jet kaum der Schatten von früher. 

Die factifche Eintheilung der Armee ift der unfern jehr 
ähnlich. Sie zerfällt in Divifionen, Brigaden, Negimenter, 
Bataillone und Compagnien, beren Iettere 100 Köpfe zählen. 
Die Generaloffiziere Haben ihren Wohnfig in der Nähe des 
Cantonnements ihrer Truppen. ‘Diefe werden fo wenig als 
möglich in Städten einquartiert, ſondern leben nach alttata- 
rifcher Weife unter Zelten, wenn fie zu einem Corps gehören. 
Ein militärifches Mebergewicht ift im China fo gefürchtet, daß 
ſtets ein Theil ver Truppen unter ven Befehl ver Gouverneure 
und Vicegouverneure geftellt wird, deren Dienft hauptjächlich 
ein abminiftrativer ift, pa man durch dieſe Maßregel bie 
Autorität der Militärmandarine und ihre factiiche Gewalt zu 
beſchränken hofft. Die Erziehung des chinefifchen Soldaten 
beſchränkt fich auf die Behandlung des Bogens, ver Pile und 
der Luntenflinte. Wenn bie Bogenfchügen eingeübt werben, 
ftellen fie fich im Kreife um ihre Offiziere auf, die gemüth- 
lich und ihre Pfeife rauchen unter einem Zelte fiten. Von 
Zeit zu Zeit nähert fich ein von feinem Hauptmann aufge 
rufener Soldat, um Befehle zu empfangen, wobei er nieber- 
knieet. Dann thut jeder Schüge drei Schuß nad einer 

Scheibe auf ungefähr 75 Schritt Entfernung und kehrt zurüd, 
um ſich abermals vor feinem Offizier auf bie Knie zu werfen 


215 


und Lob oder Zabel zu empfangen. Das Erereitium mit 
Säbel und Lanze bei ven Chinefen gleicht eher einer Spielerei 
als einer militärifchen Uebung. Nichts kann grotester fein 
als die Stellungen und Geften dieſer unglüclichen Krieger 
bei ihren Evolutionen.. 

Die jungen Manbarine, welche fich dem Militärfache 
widmen, müſſen ſich ebenfalls einer Prüfung unterwerfen, 
in der ſie ihre Geſchicklichkeit in der Behandlung der Waffen 
und Pferde nachzuweiſen haben. Nach dem Ausfalle dieſer 
Prüfung wird ihnen ein militäriſcher Rang zugewieſen. 

Vom gemeinen Soldaten aufwärts bis zum Divifions- 
general over Tetu können alle Militärperfonen eine lörper- 
liche Züchtigung erhalten, und nicht felten werben höhere 
Offiziere auf Kaiferlichen Befehl auf offenem Markte mit bem 
Bambus beftraft. Yon militäriſchem Ehrgefühl ift natürlich 
bei den chineſiſchen Truppen keine Rede, und ich ſah bei einer 
Gelegenheit in Schang⸗hae, daß es ſowol den Soldaten als 
ihren Führern gänzlich abgeht. 

Ein hoher Militärmandarin traf dort wit einer Escorte 
ein, als ich mich in Schang⸗hae befand. Zuerſt kamen zwei 
ſchäbig gefleivete Soldaten mit einer aus Bambus geflochtenen 
Kopfbebedung in Zuderhutform, kurzem blauen Rod mit 
dunkelblauem Kragen, vergleichen kurzen Beinkleivern und Schu- 
ben. Als Waffe trugen fie ein kurzes verroftetes Schwert 
von höchftens 1 Fuß Länge mit Holzſcheide und auf dem 
linken Arme einen mit einem Tigerkopfe bemalten Schilo aus 
Bambusgefledt. Dann folgten acht ungleich uniformirte 
Sahnenträger, jeber eine große preiedige Fahne aus buntem Sei- 
denzeuge tragend. Hinter ihnen marfjchirten ſechs Mandarine 
der untern Grade, und biefen auf vem Fuße folgte die Sänfte 
bes Generals von vier behelmten Soldaten getragen. Ihre 
Helme hatten Aebnlichfeit mit den Pidlelbauben bes Mittel- 
alters und waren hinten mit einem langen Anbängfel ver- 


216 


feben, das den Naden gegen Hiebwunden fchügen foll, eine 
Borficht, die darauf fchließen läßt, daß die chinefiichen Sol⸗ 
daten ihren Feinden fehr oft den Rüden zeigen. Der Sänfte 
folgten dann etwa 60 Dann Infanterie Man kann bie 
Bürgerwehr von Krähwinfel unmöglich mehr als Caricatur 
betrachten, nachdem man folche Linientruppen gejehen. 
Ebenfo bunt wie Uniform und Tracht war die Bewaffnung, 
Der eine trug Bogen und Pfeile, der zweite Schilb und 
Schwert, der dritte eine Quntenflinte, der vierte ein Gewehr 
mit Steinſchloß, der fünfte eine Pike, dieſer die Waffe auf 
der linfen, jener auf ber rechten Schulter, das Schwert in 
einer beliebigen Hand ober in der Scheide Der Zug be- 
gegnete drei franzöſiſchen Soldaten vom 101. Regiment, das 
Schangshae zum Schutze gegen bie Rebellen bejegt bielt. 
-Diefelben waren ohne Waffen, aber etwas angetrunfen, 
und ber eine hielt einen Stod in der Hand. Er ftellte fich 
ganz nahe an die Truppe und machte fich ein Vergnügen 
Daraus, jedem einzelnen Soldaten mit feiner Gerte den Hut - 
von Kopfe zu fchlagen. Das feige und jeden Ehrgefühls 
bare Volk ließ fich das rubig gefallen, und felbft die Man⸗ 
barine machten nicht die geringfte Miene, ven Franzoſen Ein- 
halt zu gebieten. ’ 

Die wenigen intelligenten chinefifchen Staatsmänner, vie 
ſich in den letzten Jahren durch Umgang mit ven Europäern 
gebilpet haben, und unter ihnen ver jeßige Regent und Bru- 
dev bes verjtorbenen Kaiſers Hienfung, ber Prinz Kung, 
machen fich auch fein Geheimniß aus der betrübenben mili- 
täriſchen Infertorität ihres Vaterlandes und dem ſchlechten Zu⸗ 
ftand der nationalen Vertheidigungsmittel. Prinz Kung geht 
nach den neueften Nachrichten auch wirklich damit um, bie 
Armee zu reorganifiren, europäifch zu bewaffnen und zu bie- ' 
cipliniren. Amerifanifche, engliſche und franzöftfche Inftruc- 
teurs bilden einen Kern, der vielleicht zum Veſſern führt, 





217 


namentlich ba der Mandfchu-Dynaftie das Meſſer an ver Kehle 
fist. Das Material dafür ift da, und gut, namentlich in 
Nordchina, wo ein außerorventlich Fräftiger und großer Men⸗ 
Iherfchlag wohnt. Es kommt nur darauf an, ben Chinefen 
einen kriegeriſchen Geijt einzuflößen, und bei unferer Anwefen- 
heit in Zientfin verfuchte Prinz Kung den erften Schritt, indem 
er das Ehrgefühl der Soldaten durch Vertheilung von Me- 
baillen an alle biejenigen, welche bie letzten Kämpfe gegen 
bie Alliixten mitgemacht, zu weden ſuchte. Das Experiment 
gelang vollſtändig. Zuerjt machten vie bamit Decorirten ihre 
Stoffen darüber, ſchon nach wenigen Wochen betrachteten fie 
es jedoch als eine Ehre, und damit iſt allerdings fchon viel 
gewonnen. 

Das Studium der Kriegsfunft, Taktik und Strategie ift 
vollſtändig vernachläffigt, obwol Bücher darüber eriftiren. 
Bon diefen fiel im Opiumfriege ein chinefifches Werk mit 
dem Titel „Handbuch des Soldaten“ in die Hände ber Eng- 
länder, das einige elementare Regeln über den Marfch einer 
Armee, die Conftruction von Brüden, über Lager, Feldbe⸗ 
feftigung und über Recognofeirungen enthält. Ebenſo behandelt 
es den Gebrauch der verſchiedenen Waffen, die Art, eine 
Schlacht zu beginnen und einen Rüdzug zu leiten, empfiehlt 
die Nüslichfeit von Spionen und lobt die Vortrefflichleit der 
Soldaten, welche beim Beginne eines Gefechts nicht zittern — 
eine Borforift, die mit wenigen Ausnahmen ein chinefifcher 
Soldat ebenfo fchwer befolgen lernt als ein Civilmandarin 
pie Morallehre des Confucius. 

Ihre Tortification liegt ebenfalls noch in der Kindheit, und 
ih hatte Gelegenheit diefe bei dem Beſuche eines wegen ber 
Nähe der Rebellen auf SKriegsfuß befindlichen verfchanzten 
Lagers bei Wuſung aus nächfter Nähe zu beurtheilen. Schon 
auf einige Meilen war das Lager durch Hunderte von auf- 
gepflangten Fahnen fichtbar. ahnen fpielen überhaupt eine 


213 


große Rolle in der chinefifhen Kriegführung, und es fcheint 
fih der als der mutbigere und jiegesgewifjere zu betrachten, 
der die meiften Fahnen Hat. Lebe Compagnie zählt beren 
wenigſtens 15, und bei ven Schantung Rebellen, welche Chefu 
während unferer Anweſenheit pafelbft. belagerten, hatte faft 
jeder dritte Mann eine Fahne. 

Die Fahnen waren roth, grün, gelb, weiß, breiedig, aus 
Seide gefertigt und in dem Hauptfelde mit Charakteren be- 
fchrieben. Sieben verfchienene Banner bezeichneten ebenjo viel 
verſchiedene Lager, bie in dem Umfreife von ungefähr einer 
Meile zerftreut lagen und ziemlich gleich groß waren. Wir 
bejuchten das größte. In der Mitte deſſelben befand fich ein 
etwa 30 Fuß hohes Holzgerüft, oben mit einem Häuschen 
für eine Schildwache, die aus diefer Höhe das umliegende 
Flachland auf viele Meilen weit überfehen konnte und alles 
Trembartige fignalifirte. Die Wachſamkeit fchien jedoch nicht 
ſehr groß zu fein, da unſere Anweſenheit erft bemerft wurde, 
als wir bereits das Glacis befchritten und den erften Feftungs- 
graben pafiirt hatten. Ich fpreche bier in Ausdrücken, wie 
fie in unferer Fortiftcation gebräuchlich find, -jevoch darf man 
damit feineswegs genau die Begriffe verbinden. Jedes Lager 
ſchloß ungefähr einen Flächenraum von 2 Morgen ein, war 
freisförmig und zunächſt von einem 12 Fuß breiten Graben 
umgeben, über ven als Zugbrüde eine Bohle führte, auf ver 
ein Mann paffiren konnte. Diefer Graben war, da es kurz 
vorher geregnet, zufällig naß, doch ftand kaum 1 Fuß 
Waffer darin. Hinter ihm kam bie erfte Enceinte, eine 
Mauer von Schlamm aus dem Graben von 8 Fuß Höhe 
mit Bruftwehr und Schiekfeharten, aber ohne Kanonen. 
Hinter diefer erjchten ftett der Baliffaden ein Verhau von 
Dornengebüſch und Hinter biefem ein zweiter Graben mit einer 
zweiten Mauer, gerade wie bie erfte conftenirt. Danach be- 
trat man das eigentliche Lager, das circa 60 Zelte & 





219 


10 Dann, alfo wahrſcheinlch ein Bataillon faßte. Der Ein- 
gang wurde durch ein auf der YBruftwehr der innern Mauer 
ſtehendes Poſitionsgeſchütz gebedt, mit ber unvermeiblichen 
Zierath von rothem Tuch um bie Mündung. Dies war 
aber das Schredlichite daran, fonft erfchien fie bei näherer 
Betrachtung gänzlih harmlos. Sie beſaß ein einpfünbiges 
Kaliber, ein ehrwürbiges Alter von minbeftens 200 Jahren, 
hatte wahrfcheinlich mehrere Decennien im Wafler gelegen, 
und das forgfam zugebedte Zündloch war fo zugeroftet, daß 
e8 als nicht vorhanden betrachtet werben konnte und ein 
Schießen unmöglich geweſen märe, jelbjt wenn Munition und 
Ladezeug da geweſen, vie aber beide fehlten. Ich fragte 
. ben commanbirenden Mandarin, ob er mir bie Antiquität 
nicht verlaufen wolle, und er ſchien auch gar nicht abgeneigt, 
jedoch durfte er e8 wol fo offen nicht thun und bis zum 
Abend hatte ich Feine Zeit. 

Die Zelte waren fehr gut gemacht, viele mit boppelten 
Wänden aus Baummollenzeug, und ein Holzgerüft gab ihnen 
die nöthige Feſtigkeit. Die der Mandarine waren fehr ge- 
räumig, beftanden inwendig aus zwei Zimmern und hatten 
audh*eine ziemlich comfortable Einrichtung von Matten-Dedten, 
ja fogar von foliden Betten. In den Zelten ver Gemeinen 
fehlte oft das Stroh, und bie Soldaten lagen alle auf dem 
bloßen Erdboden. 

Die hier ftationixten Truppen fchienen zur Elite des Hee- 
res zu gehören, ba fie fämmtlich mit Feuergewehren bewaff⸗ 
net waren. Allerdings darf man fich darunter Teine Minie⸗, 
Enfield⸗ oder Zündnadelbüchſen vorftellen; im Gegentheil bat- 
ten fie den Vorzug, weniger furchtbar als dieſe modernen 
Mordinftrumente, ja in ben meiften Fällen ganz unfchäplich 
zu fein. Bon eben fo ehrwürbigem Alter wie das erwähnte Po- 
fitionsgefchüg gehörten fie ſämmtlich dem Geſchlecht der Lunten⸗ 
flinten an, aus einer Zeit, wo fich dies noch in urfprünglichfter 


220 


Kindheit befand. Dieſe Flinten geben einen weitern fchlagenden 
Beweis für die Friepfeligfeit des chineftfchen Volkes, da eine krie⸗ 
gerifche Nation unmöglich mit folhen Waffen gegen einen 
Feind, und fei er auch ver hafenherzigfte, ziehen kann. Wir 
bejahen uns einige funfzig dieſer Reliquien verfloffener Jahr⸗ 
hunderte, aber auch nicht zehn waren davon zu gebrauchen. 
Bei den meiften Flinten war das Zündloch ganz zugeroftet, 
bei andern fehlte ein Theil oder auch das ganze Luntenſchloß, 
und jedenfalls war feit vielen Iahren aus feinen geſchoſſen, 
obwol man jegt die Abficht zu haben ſchien, da in einem Zelte 
von ben Soldaten Pulver angefertigt wurde. Letztere liefen 
jeden Augenblid einige Schritte weit von ihrer Arbeit weg, 
um eine Pfeife zu vauchen, und wir zogen es darum vor, 
uns fo fchleunig als möglih aus ber gefährlichen Nachbar- 
Ihaft zu entfernen. In China gibt es feine Pulvermühlen; 
alles Pulver wird im Felde von ben Soldaten gemacht, und 
nur bie Ingredienzen nimmt man dazu mit. Die Zufammen- 
jegungsverhältniffe beflelben find den unjern faſt gleich, näm— 
lich 75,7 Salpeter, 14,8 Weidenkohle und 9,9 Schwefel, je= 
boch ift e8 bedeutend ſchwächer als das europäifche, und bie 
Rebellen find Hug genug, lieber 5 Thaler für das Pfund 
engliiches Pulver zu bezahlen, als es wie die Kaiferlichen 
ſelbſt zu bereiten. 

Die Soldaten waren ziemlich fräftige und große Leute. 
Biele trugen auch Uniform, gelb mit blauen Auffchlägen und 
auf der Bruft wie auf dem Rüden ein fußgroßes kaiſer⸗ 
lihes Wappen gebrudt; doch waren auch viele Greife darun⸗ 
ter, und im ganzen machten fie durchaus keinen militäriſchen 
Eindruck. 

Die Taku⸗Forts, welche ich ſpäter beſuchte, beſtanden aus 
einem Erdwalle, welcher der größern Haltbarkeit wegen mit 
ſchweren Teakholzbalken durchfuttert war. Ihr Hauptſchutz 
beſtand in ihrer Lage am Waſſer und dem ſie umgebenden 


221 


Sumpfboden; in ver Kehle waren fie jedoch vollſtändig offen, 
und die Engländer würden die Werfe fofort genommen baben, 
wenn fie biefe beim erften Angriffe umgangen hätten, anjtatt 
birect durch den Schlamm zu waten und babet eine Nieber- 
lage zu erleiden. 

Mit der chinefiichen Artillerie ftebt es nicht beſſer wie 
mit allem Mebrigen. Die im Lande gefertigten Geſchütze find 
fehr roh, nicht gebohrt, fondern blos in einer Form gegoffen, 
in deren Mitte ein chlinderförmiges Stüd Holz von ber 
Stärke des gewünfchten Kalibers aufgerichtet ift. Dieſes oft 
naſſe Holz verurfacht eine zu jchnelle Abkühlung bes innern 
flüffigen Eifens, und daraus entitehen Unebenheiten und nicht 
jelten Riſſe. Die aus dem Auslande bezogenen und mit 
theurem Gelde bezahlten Geſchütze find kaum beffer, nach 
feinem einheitlichen Syſtem beſchafft und faft alle ſehr fchlecht 
gehalten. 

Diefe Thatfachen können auch "allein die wunderbaren 
Kriegserfolge der Weitmächte gegen bie‘ Chinejen erklären 
und auf ihr wahres Maß zurüdführen. Es tft feine Kunft, 
mit bisciplinirten Leuten und modernen Waffen gegen wehrloje 
Leute zu kämpfen. | 

Die chinefifchen Rebellen find in dieſer Beziehung viel 
beffer daran; fte haben nur Feuergewehre neuerer Conftruc- 
tion, die fie wohl zu fhäßen und zu handhaben wifjen, und 
baburch ift es ihnen möglich geworden, mit ihrer verhältniß- 
mäßig fleinen Armee gegen bie Maſſen der Kaiferlichen 
Stand zu halten, dieſe zu fchlagen und oft aufzureiben. 
Trotz der überlegenen Taktik und Bewaffnung ber Europäer 
find die regulären Zatarentruppen ihnen gegenüber nicht feige 
zu nennen. In den Kämpfen ver legten Jahre ijt es häufig 
borgelommen, daß biefe Truppen im beftigften Kartätſchfeuer 
muthig Stand hielten und fich decimiren ließen, ohne zu wei⸗ 
hen, bis ein Bajonnetangriff auf fie geſchah. Dieſem wider⸗ 


222 


ftanden fie nie. Die moralifhe Wirkung einer ihnen entge- 
genftarrenden Eiſenmaſſe jagte fie wie Spreu auseinander. 
Auch die Rebellen haben ihre legten Vortheile hauptfächlich 
dem Umftande zu danken, daß fie den Kaiferlichen meh⸗ 
rere Regimenter mit Bajonnetflinten entgegenführen konn⸗ 
ten. Außerdem haben fie beffere Führer als ihre Gegner, 
bie fühnen, unternehmenden Muth durchaus nicht als eine 
gute Eigenfchaft bei Offizieren betrachten. Bei den Kaifer- 
lichen kann jeder General öffentlich ausgepeitfcht oder mit 
bem hölzernen Kragen gefchmüdt ausgeftellt werben, und fchon 
aus dieſem Umſtande gebt hervor, wie wenig moralifchen 
Einfluß folche Führer auf ihre Untergebenen haben müſſen. 
Bei ven Rebellen dagegen ift jeder Offizier zugleich Beamter 
oder umgefehrt, und er nimmt dem Volke gegenüber biefelbe 
exclufive und bevorzugte Stellung ein wie ver Civilmandarin 
dei den Saiferlichen. 


14. 


Die Chinefen als Gegenjat zu den Europäern. Charakteriſtik bee 

chinefiſchen Volkes in Sitten und Gebräuden. Die Fefttage der Chi- 

nefen. Das Nenjahrsfeft, Das Todtenfeſt. Das Laternenfefl. Ver⸗ 
gnügungsipiele. 


Nachdem ih in den vorhergehenden Kapiteln eine Bes 
fchreibung von Kanton gegeben, die in ihren Hauptzügen auf 
alle größern Städte Chinas paßt, und die allgemeinen Ver⸗ 
hältniffe des Landes infoweit berührt habe, als ich es für 
ben Leſer von Intereffe erachtete, will ich jegt zur Charak⸗ 
teriftit des merfwürbigen Volles jelbft übergehen und das⸗ 
jenige mittheilen, was ich während eines elfmonatlichen Aufent- 
haltes im Reich ver Mitte in dieſer Beziehung zu beobachten 
Gelegenheit hatte. | 

Ein Reiſender bat in einer Heinen Schrift folgende Schil« 
derung feines erften Eintritts in China gegeben: „Auf meine 
Frage an den Bootführer, in welcher Richtung Macao läge, 
wurbe mir die Antwort: im « Weſt⸗-Norden » und der Wind 
fei « Oft-Süb». Wir fagen nicht fo in Europa, dachte ich 
bei mir, ftaunte aber noch mehr, als er mir bei Gelegenheit 
des Kompaſſes erflärte, daß die Magnetnadel nach Süpen 
zeige. Um den Gegenftand des Gefpräches zu wechfeln, be» 
merkte ich hierauf, daß er wahrjcheinlich zu einer hoben Feſt⸗ 
lichfeit gebe, da er ganz weiß geffeidet fei. Er ahtwortete 


224 


mir jeboch mit einem verächtlichen Blick, fein einziger Bruder 
fei vor acht Tagen geftorben,-und er befinde fich deshalb in 
tieffter Trauer, Bei meiner Landung wurde meine Aufmerf- 
ſamkeit zuerft durch einen Milttärmandarin angezogen, ber 
einen geftidten Unterrod, ein Perlenhalsband und einen 
Fächer, aber feine Waffen trug, und von ber rechten Seite 
fein Pferd beitieg. Ich ſah mich von Eingeborenen umgeben, 
die ihren Kopf gefchoren trugen, während ein Theil von 
ihnen das Haar im Geficht wachfen ließ. Auf dem Wege 
nach dem Haufe, wo ich abjteigen twollte, begegnete ich zwei 
hinefifchen Knaben, die mit großem Ernſte fich über den Be- 
fig einer Orange ftritten. Die ‘Debatte war von fehr lebhaf- 
ten Geften begleitet; fchließlich fetten jie fich jedoch rubig 
nieder und theilten die Frucht gleichmäßig unter fi. Kurz 
darauf bemerfte ich einige alte Chineſen mit grauen Bärten 
und außerorventlich großen Brillen, die Drachen fteigen ließen, 
während eine Gruppe von Kindern mit gejpannter und ernfter 
Aufmerkfamfeit den unfchuldigen Befchäftigungen der Greife 
zuſchaute .... 

„Ich verharrte bei meinem Entſchluſſe, auszudauern, und er⸗ 
hielt am nächſten Morgen einen chineſiſchen Lehrer, ber glück— 
licherweife englifch verftand. Sch wußte, daß ich eine Sprache 
ohne Alphabet zu ftubiren Hatte, war jeboch nicht darauf 
worbereitet, daß mein Lehrer, als er das Buch dffnete, von 
hinten an zu leſen fing. Er begann mit dem Tage ber 
Publication nes Werks: «Fünftes Iahr, zehnter Monat, drei⸗ 
undzwanzigiter Tag!» Ich bemerkte ihm, daß wir unfer Datum 
auf andere Weife bezeichnen, und bat ihn, mir etwas über chi: 
nefifches Ceremoniell zu erzählen. «Wenn Sie», begann er, 
«in China einen hohen Gaft empfangen, fo vergeffen Sie 
it, ihn an Ihre linfe Seite zu feßen, denn bas ift ber 
Ehrenplag. Ebenfo hüten Sie fih, das Haupt zu entblößen, 
bies würde eine unpafjende Vertraulichkeit verkünden» Im 


225 


Berlauf unfers Geſprächs kam auch die Rede auf chinefifche 
Philofophie, und indem er das Buch wieder zur Hand nahm, 
{a8 er mit dem größten Ernft: «Die gelehrteſten Leute find 
entfchieden der Anficht, daß der Sit der menfchlichen Ver« 
nunft im Magen zu fuchen if.» Nun wurde es mir aber 
zu arg, ich ergriff in Verzweiflung. mein Buch und ftürzte 
zur Thür hinaus. 

Obwol der Verfaſſer des Schriftchens biefe Thatſachen 
wahrſcheinlich abſichtlich aneinander gereiht, hat er wenigſtens 
nichts übertrieben, und das Erzählte hat feine Nichtigkeit. Nur 
bie Eine Bemerkung, wonach die Chinefen den Sig des Ver⸗ 
ftandes in den Magen verlegen follen, ift wol umrichtig, da 
fie vielmehr das Herz als die Hülle der Vernunft bezeichnen. 
Abgeſehen hiervon veranfchaulicht jedoch jene Zufammenftellung 
jehr zutreffend, in wie vielen Beziehungen bie Chineſen gerade 
der Gegenfaß von uns Europäern find. 8 ift ſchwer, den 
Charakter der Chinefen richtig zu beurtbeilen. Sie zeigen fich 
dem Fremden felten jo, wie fie wirklich find, und nur wer 
ihre Sprache verfteht und lange Jahre mit ihnen umgegangeır 
oder unter ihnen gelebt hat, vermag fie getren zu fchilbern 
und die Gegenfäße zu erklären, die fich in ihrem Denken un 
Handeln offenbaren und dem Trempen oft räthjelhaft erfchei- 
nen. Ich werde daher nur infofern auf ihren Charakter ein- 
gehen, als er fich in ihren Sitten und Gebräuchen fund gibt 
und feine Mispeutung zuläßt. | 

Ich beginne mit den Fefttagen der Shinefen, beren jeboch 
faum ein anderes Volk fo wenige zählt. Eigentlich gibt es 
nur zwei Feſte, die im ganzen Lande gefeiert werben, das 
Neujahrsfeit und das Todtenfeſt zur Erinnerung an bie Ver- 
jtorbenen,  Lebteres ift jedoch mehr eine religiöſe Feier 
und beſchränkt fi auf einen Tag, während erſteres fait 
vierzehn Tage dauert, in’ alle Verhältniſſe des focialen Le— 
bens eingreift und alle Gefchäfte unterbricht, ein Umftand, 

Werner. 1. 15 


226 


ber in China mehr als alles andere für feine Bebeutung 
Ipricht. 

E8 beginnt an dem Tage, wo bie Sonne den 15. Grab 
nördlicher Breite jchneibet, was ungefähr am 10. Februar 
stattfindet. Schon 10 Tage vorher Hören alle Geſchäfte auf, 
die alten werden abgewidelt, aber Feine neuen unternommen. 
Ein durch taufenvjähriges Beſtehen fanctionirter Gebrauch 
fegt nämlich” jevem Bewohner des Himmlifchen Reichs bie 
moralifche Verpflichtung auf, alle laufenden Rechnungen ab⸗ 
zufchließen, zu bezahlen und mit Einem Worte in feinem Ge— 
ſchäfte völlig reine Bahn zu machen. Dies Gefet ift fo ftreng, 
daß ber Chinefe, welcher ihm nicht ftrict nachläme, in ben 
Augen feiner Mitbürger als ehrlos daſtehen würde, und was 
Drohungen, gerichtliche Klagen und Schuldarreft im civilifir- 
ten Europa nicht zu: beiwirfen vermögen, erzwingt bier bie 
Öffentlide Meinung. Ja bie Kaufleute find fo penibel, baf 
fie, wie gefagt, wochenlang vor dem Termine gar feine neuen 
Gefchäfte eingehen, fondern nur nach Kräften bemüht find, bie 
laufenden abzumwideln. Ein folcher Abfchluß mag denn wol 
bei einzelnen brüdende ‚Gefühle hervorrufen, im allgemeinen 
wird aber jeder mit erleichtertem und frohem Herzen das neue 
Jahr beginnen, und feine Feier ift ein Felt ber Freude und 
ber Heiterkeit. | 

Am Testen Abend des alten Jahres bleibt alles wach, und 
jowie die Gongs der Wachthäufer mit ihrem fonoren Klang 
Mitternacht verkünden, beginnt ein enblofes und über alle 
Beichreibung großartiges Abbrennen von Schwärmern, ſodaß 
nach furzer Zeit die ganze Atmofphäre mit Salpeter geſchwän⸗ 
gert it. Diefe Feuerwerkskörper, von Gejtalt und Größe 
eines Kleinen Fingers, find von chinefifchen Feftlichleiten unzer⸗ 
trennlich und werden in unglaublichen Duantitäten angefertigt 
und verbraucht. Man zieht fie zu Hunderten und Tauſenden 
auf Schnüre und ſteckt einen derfelben an, ber dann in fchneller 


227 


Reihenfolge die übrigen entzündet, bis unter lautem Gefnatter 
die Schnur verbrannt if. Es follen jährlich über 600000 
Centner Pulver zur Fabrikation dieſer Schwärmer in China 
verwandt werben, aber nach dem, was ich davon habe ver- 
brauchen fehen, namentlich am Neujahrsfefte, fcheint mir bie 
Angabe viel zu gering gegriffen, da außerdem auch ganze 
Schiffsladungen davon nach Nordamerika ausgeführt werben, 
mit denen bie ebenfo wie die Chinefen Geräufch liebenden Yankees 
ven Sahrestag ihrer Unabhängigkeitserflärung feiern. Der 
ideale Zweck diefer Schwärmer ift, durch ihr Knallen die Dä— 
monen zu erjchreden und gu vertreiben, won benen ber 
Chinefe die Erde bevölkert glaubt und vor Denen er eine 
ftete Angjt hegt. In Wirklichkeit ftiftet aber das Abbrennen 
biefer Schwärmer in fanitätifcher Beziehung nicht wenig Gutes, 
und ihrer quantitativen Verwendung iſt e8 wol mit zu banken, 
daß die von allen Berhältniffen in China begünftigte Erzeugung 
von Miasmen durch den vielen Pulverdampf paralhfirt wird 
und nicht verheerende Krankheiten bringt. 

Bis Tagesanbruch ift jedermann in China befchäftigt, 
fein Haus für die Yeierlichkeit des Neujahrs vorzubereiten 
. oder heilige Ceremonien zu verrichten. Die ganze Wohnung 
wird von oben bis unten gereinigt und ausgepußt. Vor bem 
Altar der Hausgötter werden mächtige Porzellangefäße mit 
fetten Speifen, Oliven, Citronen, fünftlichen und natürlichen 
Blumen, namentlich Narciſſen aufgeftellt, die in feinem Haufe 
fehlen und die in Vaſen fo gezogen werben, daß fie gerade 
mit Neujahr in volliter Blüte ftehen, 

Schon am frühen Morgen des Neujahrstages fieht man 
große Volfsmaffen nach den Tempeln ftrömen, um bort zu 
opfern. Alle haben ſich mit dem Beften gejhmüdt, was fie 
befigen, und der Herr erkennt oft feinen eigenen Diener nicht, 
wenn biefer im Feſtſtaate an ihm vorbeiftoßirt. Der 
ärmlichfte Ruli, ver das ganze Jahr in Lumpen und barfuß 

15 * 


228 


oder mit elenden Sanbalen umberläuft, ftolziet heute mit 
blauem ungeflidten Nanlingrod, weißen bis an die Knie reichen- 
den Strümpfen und den bidbejohlten Filzfchuhen einher, Das 
jtruppige Haupthaar ift gejtern unter dem kleinen dreiedigen 
Meſſer des Barbiers gefallen, ver Schädel erfreut fich eines 
jeltenen Glanzes und der forgfam mit falfchem Haar und 
Bändern verlängerte Zopf reicht mit feiner Spike gerabe 
bis auf den Fußboden. Alles, was nur einigermaßen An- 
ſpruch auf Wohlhabenheit macht, erjcheint in Seide und Belz 
und oft bebeden zwei, drei Foftbare Pelze übereinander im 
Werthe von 800 — 1000 Thalern den Körper eines reichen, 
froftigen Kaufmanns, während bie reiche, geftickte "und mit 
rother Seivenguafte verjehene Pelzmütze pas Haupt ziert. 
Die Andacht in den Tempeln bauert nicht Tange; in 
höchftens fünf Meinuten ift die Sache abgemacht. Ein Opfer 
von einigen Kupfermünzen in die Tempelkaſſe, bei ber ein 
kahlgeſchorener Bubphapriefter mit blöpfinnigem Geſichtsausdruck 
fitt und gedankenlos die Rauchwolfen feiner langen Zabads- 
pfeife aus BPfefferrohr mit kleinem Meſſingkopf in die Luft 
bläst, einige Verbeugungen und IKniefälle vor einem ver 
Hauptgögen und ein Opfer von Saiſis aus Silberpapier, 
bie an den Altar gehängt werden — das ift das Ganze 
und wahrbaftig wenig genug. Beten koſtet zu viel Zeit, 
man überläßt es dem Priefter, dieſer wird dafür bezahlt. 
Die Hauptfache ift ja auch das Vergnügen, Muſik, Spiel, 
Eſſen, Trinken und PVifitenmachen. Saifis heißen die wie 
ein kleiner Kahn geformten Silberjtüde von gewöhnlich 
20 Dollars Werth, welche als einzige einheimifche Silber- 
münze in China curfiren. Zum Neujahrsfefte werben 
Millionen diefer Kähnchen aus Silberpapier gefertigt und 
auf dem Altare den Göttern geopfert, um von dieſen, in Er- 
widerung des Geſchenks, im Laufe des neuen Jahrs ebenfo 
viele Stüde aus reellem Silber zurücdzuerhalten. Die Chinefen 


229 


fpecultren jo gewiffermaßen auf die Dummheit ihrer Götter, 
während die Priefter ebenfalls ihre Rechnung dabei finden, in- 
bem fie bie geopferten Saifis wieber verfaufen, vie auf biefe 
Weiſe oft vier- bis fünfmal aus verjchtevenen Händen am 
Altare niedergelegt werben. Die Tempel in Schang-hae, bie 
ich bei Gelegenheit des Neujahrsfeſtes befuchte, find übrigens 
bie ſchmuzigſten, ſtinkendſten Rauchhöhlen, die ich je in China 
gefehen, bie Götzen rußig wie Schornfteinfeger, und wenn 
man die Räume betritt, möge man gut darauf achten, daß 
man jeine Kleider nicht beflede. " 

In den Vorhöfen ver Tempel ſieht e8 wie ein Jahrmarkt 
aus. Bude für Bude, Tiſch neben Tiſch ift aufgefchlagen, 
Zuckerwerk, von dem bie Chinefen jo große Freunde find, 
religiöfe Opfergegenftände, Saiſis, Wäucherftäbe, bunte 
Opferkerzen werben. überall feil geboten und gefauft. Bor 
allem fällt aber vie Maſſe ver Spielbuden auf. Alle möglichen 
Hazardfpiele chinefifcher und eurspäifcher Erfindung find hier 
vertreten, und bie Maſſe ver umſtehenden Spieler von jedem 
Alter und Gefchlecht, jowie der gierige Eifer der Einjegenden 
zeugt von ber großen Spielmuth der Chinefen, die nach ihrem 
Götzendienſte fogleich praftifch erproben wollen, ob das Opfer 
ihnen geholfen hat. Die jchon erwähnten Wahrfager 
in allen Barietäten geben an Zahl den Spielbuben kaum 
nad, und auch ihre Tifche find von einem geprängten Publikum 
umgeben. Die Schlauheit beutet hier die Dummheit und 
den Aberglauben auf das gründlichite aus. 

In den Theehäufern herricht ein ebenſo lebendiges Treiben 
und Gewoge wie anf den Straßen und in ven Tempeln; fie 
find fat Kopf an Kopf gefüllt. An einer Unzahl von Tiſchen 
figen Männer, Weiber und Kinder, fchlürfen ihren heißen 
Thee, efien Erdnüſſe, Badwerf oder geröftete Sonnenblumen- 
ferne Dazu, und eine dichte Wolfe von Tabads- und Opium⸗ 
dampf hüllt die ganze große Stube in einen trüben Nebel, 


“ 


230 


während man vor dem enblofen Gefchnatter ter rvebjeligen 
Beſucher fein Wort verftehen kann. 

Nach dem Tempelbefuche kommt das Bifitenmachen und 
Gratuliven, gegen das unfere Gratulationen gar nichts fagen 
wollen. Unfer Ceremoniell dieſer Art befchränft ſich doch 
wenigftens auf einen Tag und auf unvermeibliche Befuche bei 
den nächiten Berwandten und Vorgefegten. In China dauert 
die Sache dagegen imindeftens acht Tage. Es iſt faft wie am 
Diterfefte in Rußland. Leute, die fich nie gefehen haben, be= 
grüßen fich wie alte Belannte, arm und reich, niebrig und 
hochgeboren wünſcht fih Glück, doch begleitet hier nicht wie 
bei uns bie offene Hand die Öratulatien, fondern bie Wünfche 
find uneigennügig und aufrichtig gemeint. 

Bor jedem Haufe halten Sänften, an denen dide Padete 
gebrudter rother PVifitenfarten hängen. Roth ift in China 
die Farbe der Freude und Höflichkeit; nur Trauerbriefe wer- 
ben auf weißes Papier gejchrieben. Die Neujahrspifitenfarten 
find ziemlich groß und enthalten einen Holzſchnitt, der die 
Symbole der höchften irdiſchen Glücjeligfeiten varftellt, bie 
nach chinefifchen Begriffen in männlicher Nachkommenſchaft, 
in einer Staatsanftellung oder Beförderung und in langem 
Leben beſtehen. Dieſe drei Wünfche werden durch die Figuren 
eines Knaben, eines Mandarin und eines Greifes mit einem 
Storche perjonificirt. In jedem Haufe empfängt man bie 
Bejucher mit Thee und Betel, und überall auf den Straßen 
und vor den Häufern fieht man das Verbeugen und Compli- 
mentiren mit den affectirten Verfuchen, es zu hindern, bie einen 
fo bedeutenden Theil der chinefifchen Höflichfeitsformen aus- 
macen. Ebenfo werden am Neujahrsfefte zwiſchen allen Be- 
kannten Gefchenfe ausgewechfelt, die aus feltenen Früchten, 
Eingemachten, feinem Thee, bisweilen auch aus ſeidenen 
Kleiverftoffen und Zierathen verfchievener Art beftehen und 
fofort in derſelben Weife erwidert werben. Der Ueber- 








231 


bringer führt eine Lifte der Sachen auf. einem rothen Papier⸗ 
ftreifen mit fi, die der Empfänger mit dem Vermerk: ‚Mit 
Dank empfangen“, zurüditellt, während der Diener jedesmal 
- eine Belohnung erhält. 

Das Todtenfeſt findet zweimal im Jahre ftatt; wir fahen 
es an zwei vexjchienenen Drten mit an, einmal im Anguft 
in Singapore, das andere mal im April in Schang-hae. 
Beide Feſtlichkeiten unterjchieden fich wenig voneinander und 
bie dabei beobachteten Riten ſcheinen im ganzen Reiche ungefähr 
biefelben zu fein. Die Ehrfurcht ver Chinefen für ihre Vor⸗ 
fahren ift ungemein groß, und das Todtenfeſt ift der Ausprud 
dieſes Gefühls, pas überdies, wie ich fchon bei Gelegenheit 
des Strafcoder bemerkte, durch das Geſetz ſtets wach erhalten 
wird. Diefes fchreibt jedoch nur das Ausfchmüden ver 
Gräber vor, und an biefem Tage ftrömt daher alles vor bie 
Thore, um die heilige Pflicht zu. erfüllen. Wer es irgehb 
vermag, nimmt dazu Blumen, und es ijt ein wunderhübicher 
Anblick, wenn plößlich der Kirchhof in einen Blumengarten 
verwandelt wird. Außerdem aber wird auf jedes Grab ein 
Büchel von bunten. oder weißen Papierftreifen geftedt, als 
Sontrole für die Polizei, daß jeder feine Obliegenheit er- 
füllt hat. 0 

Hiermit ift der ernftere Theil der Ceremonie, bie übrigens 
das gefchäftliche Leben nicht weiter unterbricht, beendet, das 
eigentliche Feſt findet jeboch erft abends ftatt. Da fich aber 
ber chinefifche Eultus möglichſt von allem Abftracten frei und 
nur an das Sinnliche hält, fo ift auch das Todtenfeſt eigent- 
lich nur ein Zwedeffen, zu dem bie Verftorbenen durch ver- 
ſchiedene Ober- und Unterpriefter mit Gefang und Infirumen- 
talbegleitung eingeladen werden. ‘Der möglichite Skandal ift 
bei allen religiöfen Geremonien der Chinefen immer Haupt- 
fache, und fomit wurde auch diefes Feft durch das Abbrennen 
von vielen Zaufenden von Schwärmern, Illnmination von Hun⸗ 


232 


derten von Heinen Richtern vor jeder Thür mit obligater Beglei⸗ 
tung des Gong und anderer lärmmachender Injtrumente einge- 
weiht. Gegen Abend jtellte man in den verjchlevenen Straßen 
Tiſche auf- und aneinander, ſodaß biefe bisweilen eine Länge von 
300 Fuß erreichen. Sämmtliche Ehinefen, die e8 vermochten, 
hatten dazu beigefteuert, diefe Tafeln mit Speifen zu bejeten, 
und ich muß geftehen, daß ich nie in meinem Leben eine folche 
Maſſe von Gerichten gefehen babe. Wahrlich, gegen chinefifche 
Kochkunſt find alle andern Nationen Stümper, und von dem 
ganzgebratenen vierbunvertpfündigen Schweine an bis zu 
den fricaffirten Frofchleulen, den farcirten Ratten und Salat 
von Regenwürmern war alles fo reizend und appetitlich 
arrangirt, daß einem das Waller im Munde zufammentief. 
Bon ſechs zu ſechs Fuß waren rings um die Zafeln 8-10 
Fuß hohe Phramiden von verjchievenem Backwerk aufgefteltt, 
unter benen einige aus Nubeln jedenfall den Vorzug ber 
Originalität befaßen. Das Merkwürdigfte auf der ganzen 
Tafel war jedoch eine Gebirgslanpichaft, vie nur von Fett 
und Fleifch gefertigt war. Concave Rippenftüde von Schweinen 
und Hammeln ftellten Grotten, große Yleifchftüde mit der 
Nethaut überzogen Felſen, Berge und Gletſcher vor. Nur 
das Raub ver Bäume war natürlich, aber felbft ihre Stämme 
aus Knochen und alles fo täuſchend nachgeahmt, daß man 
nur ganz in der Nähe den fonberbaren Stoff unterfchied. 
In der Aufftelung der Speifen herrfchte große Ordnung. 
Zunächſt erjchienen Folofjale ganzgebratene Schweine mit 
Rofenfträußen in der Schnauze, denen ebenfo zugerichtete 
Hammel und Ziegen als vis-A-vis beigegeben waren; dann 
fam alles mögliche Wild, dann Geflügel in jeder möglichen 
Varietät und Zubereitung, dann Fifche, unzählbare Arten 
von Riefenpubdinge, Kuchen, Gemüfe, dann Schüffeln 
von undefinirbaren ſpecifiſch chinefiichen Speifen, für die wir 
weder Namen noch Gefchmad Haben, und den Beſchluß 





233 


machten eine Legion Salate. Ich glaube, es gibt faum eine 
Pflanze, aus der die Chinefen nicht Salat bereiteten. Wir zähl- 
ten die Salate; es waren hundert und einige dreißig Arten. 
Das nenne ich doch Dielfeitigkeit! In fämmtliche Speifen 
waren eine Maffe der unvermeidlichen Räucherftäbe gejtedt, 
deren Dalm in einer bichten Wolfe über der von allen mög⸗ 
lichen bunten Laternen erleuchteten Tafel lagerte und auf 
30—40 Schritte die Atmofphäre verpeftete. 

Gegen 8 Uhr abends, nachdem alles aufgeftellt und Tunft- 
gerecht arrangirt war, erjchienen verfchiebene Bonzen in lang⸗ 
ärmeligen gelben Talaren, die jedoch, wie Geficht und Hände 
ihrer unfaubern Eigenthümer, in fehr langer Zeit nicht ges 
wachen waren. Es waren ihrer brei, und das Kleeblatt 
nahm mit einem Flötenbläfer am obern Ende ver Tafel Platz. 
Hier war für fie eine originelle Nifche gebildet. Dieſe bejtand 
aus zwei Tiſchen, auf deren einem ein gefchlachtetes Schwein, 
auf dem andern eine Siege paradirte. Beide waren 
blendend weiß rafirt, trugen Citronen im Maule und waren 
noch anderweitig mit Blumen gefhmüdt. Der Oberprieiter 
breitete eine Neihe Becher mit Reis, Mais und Erpnilffen 
gefüllt vor fich au8 und begann mit einer fchauerlichen Stimme 
Gebete abzufingen, die, wie wir erfuhren, eine Einladung an 
die Berftorbenen zu dem ihnen fervirten Mahle enthielten. 
Bon Zeit zu Zeit wurden einige der Körner aus den Büchfen 
auf die Erde geworfen. Der Flötenbläfer begleitete ven Ge- 
fang unifono, und die beiden Gehülfen des Bonzen accompag- 
nirten mit Becken und ein paar Caftagnetten. Diefe Einladung 
dauerte mit Zwifchenräumen bis gegen 10 Uhr. Als bis da- 
hin die Verftorbenen von ber ihnen zu Ehren veranitalteten 
Veitlichkeit feine Notiz genommen hatten, befchloß man, nicht 
länger auf fie zu warten. ‘Die Speifen wurden abgetragen 
und in den Häufern der Bezirfsporfteher an bie Armen ver- 
theilt. Gewiß ift an dieſem Abende fein Bepürftiger der 


234 


ganzen Stadt ungefättigt zu Bett gegangen. Die Gaftgeber 
ſelbſt verſammelten fich aber gleichfalls zu Zwedellen, und wie 
jehr fie denjelben Ehre anzuthun wußten, ging aus dem Umſtande 
. hervor, daß am folgenden Tage faft ſämmtliche Läden ge- 
fchloffen waren, 

Auf den. eriten Vollmond im neuen Jahre fallt das La⸗ 
ternenfeſt, das jedoch weder eine religiöſe noch eine ſociale 
Bedeutung hat, ſondern weiter nichts als eine öffentliche 
Schauſtellung von allen möglichen Arten Laternen iſt, die in 
der chineſiſchen Häuslichkeit eine große Rolle ſpielen. In 
jedem Zimmer, auf den Fluren, vor den Thüren, in den 
Gärten und Pavillons hängen Maffen von Laternen aus allen 
möglichen Stoffen und von den verfchiedenften Dimenfionen 
und Farben. Jeder Kuli trägt abends eine Laterne; jeder 
der Zaufende von ambulanten Köchen und Krämern zählt 
deren brei bis vier auf feinem Tiſche, und ven Sänften ber 
Wohlhabenden werven fie oft zu Dugenden, den Namen 
des, Beſitzers darauf gemalt, angehängt und vorgetragen. 
Am Laternenfefte, das Übrigens nur einen Abend dauert und 
weiter nicht das Volksleben berührt, bemüht fich ein jeder, 
die ſchönſten und Fünftlichiten Exemplare zum Vorfchein zu 
bringen, damit zu prunfen und fie von ver Menge bewundern 
zu lafien. Vor den Häufern ver Reichen werden 50 — 60 Fuß 
hohe Bambusftämme mit daran befeftigten langen Duerhölzern 
aufgerichtet, die, mit unendlich vielen buntfarbigen Papier- 
Internen geſchmückt, wie riefige Weihnachtsbäume fich in vie 
Lüfte emporftreden. Alle Formen, alle möglichen Arten von 
Thieren, die fo conftruirt find, daß fie fih Durch Die aus- 
ſtrömende Hite ober im Luftzuge bewegen, find babei ver- 
treten. Ein gigantifcher Drache, das Symbol alles Guten in 
China, von 60—80 Fuß Länge, deſſen Gliever durch hobe 
Bambusftangen unterftügt find, wird in Proceffion durch 
bie Straßen getragen und gewährt von weiten ein prachtoolles 





235 


Schaufpiel. Wie eine glühende Schlange winbet er ſich langſam 
über die Stadt, und die Bewegungen feiner Träger fcheinen 
ihm Leben einzuhauchen. 

Troß des Mondlichtes ift ber Anblick diefer vielen Tauſende 


von Lichtern, die an ſchwankenden Bambusſtäben hoch über 
den Häuſern ſchweben, großartig und bezaubernd, und ich 


a 


werde nie ben Eindrud vergeffen, den das auf dieſe Weife 
in Lichtern ſchwimmende Schang-hae auf mich machte. 

Im Iuni findet in Kanton noch ein: Volfsfeit, eine Art 
Regatta ftatt, eins ber wenigen gymnaſtiſchen Spiele der 
Chinefen, die zwar ſehr thätig, aber feine Freunde von frei- 
willigen Leibesübungen find. Diefes Wettrudern gejchieht in 
fehr langen und fchmalen Booten, die von reichen Chinefen 
ausprüdlich für dieſe Zwede gebaut und mit 40 — 80 
Ruderern befegt find, welche ihre Ruder nach dem Takt des 
Gongſchlags handhaben. Die Aufregung bei diefen Fahrten 
und das Streben, ven Preis zu gewinnen, ift jo groß, baß 
faft immer einige Boote dabei zu Grunde gehen. 

Neben den erwähnten Feften und den Familienfeierlichkeiten 
bei Geburtstagen, Hochzeiten u. |. w. kennen die Chinefen weder 
Sonn» noch Feiertage. Die Vergnügungen und Zerjtreuungen, 
denen fie fich außer dem Haufe hingeben, fuchen fie im 
Theater, in ben Theehäufern oder in Spielen und Beſchäf— 
tigungen, die wir ben Kindern überlafien. Das jogenannte 
Murmelfpiel unferer Knabenwelt, das Anpiden mit Geldſtücken, 
bas Feverballfpiel, das hier jedoch ohne Schlägel nur mit 
Hand oder Fuß getrieben wird, namentlich aber das Steigen- 
Iaffen von Drachen find Amuſements von Erwachjenen und 
Greifen. Die chineſiſchen Drachen find freilich veizend, und 
ich glaube, daß auch bei uns Erwachjene ihr Vergnügen an 
diefer Spielerei finden würden. Alle möglichen Figuren, 
Männer, Frauen mit Kindern auf dem Arme, Schiffe unter 
Segel, Thiere, die Töne von fich geben, Raubvögel mit aus- 


236 


gebreiteten Schwingen u. f. w. werden als Modelle genonimen 
und fo natürlich nachgebilvet, daß man, namentlich bei ven 
Vögeln, fehr häufig getäufcht wird und fie für wirffiche anfleht. 
Die größte Fabrif diefer Drachen iſt in Kanton und zwar 


werben fie dort mit vielem Geſchick von den tatarifchen Sol» 


daten der Garnifon gefertigt. 








15. 


Brautwerbung und Hochzeit. Das Eoncubinat bei den Chineſen. Ber- 
hältniß der Fran zum Ehemann, der Kinder zu ben Aeltern. Die Ehe⸗ 
ſcheidungsgründe. Naclommenfhaft ein Segen. Roth der niebern 

Klaſſen. Tod und Begräbniß eines Familienhauptes. Die Grabftätte. 


Mac den erwähnten öffentlichen Feſten nehmen vie häus— 
lichen eine nicht wenig bedeutende Stelle im Leben der Chinefen 
ein. Die drei großen Abjchnitte des Familienlebens: Geburt, 
Hochzeit und Tod, werben auch von ihnen hervorgehoben und 
mit entfprechenden Feierlichkeiten begleitet. 

Das freudigfte und wichtigfte Treigniß iſt die Hochzeit, und 
Thon im frühelten Alter der Kinder befchäftigen fich bie 
Aeltern mit der Negelung viefer Angelegenheit. Nach ihrer 
Anficht vereinigt Yuelau, „ver alte Mann im Monde”, den 
fih auch unfere Volfspoefie aus den dunfeln Stellen des Ges 
ftirns conftruirt, mit einer feinenen Schnur alle füreinander 
beitimmten Paare ſchon vor ihrer Geburt, und nichts vermag 
viefelben je mehr zu trennen. Die Aufgabe ber Neltern und 
Verwandten ift e8 nur, für ihre Kinder die durch Yuelau er- 
wählten. Gatten ausfindig zu machen. 

Diefes fchwierige Gefchäft beginnt daher fehr früh und 
wird hauptfächlich durch Freimerber geleitet, die entweber aus 


238 


’ 


den Verwandten oder aus einer eigenen Klaſſe von Leuten, 
ben Frauen ber Schaufpieler, gewählt werben. Dieſe legtern 
Frauen betreiben die Sache gefchäftsmäßig, haben ihre be- 
jtimmten Diftricte und befigen innerhalb biefer Die nothwen⸗ 
dige Familien- und Perſonalkenntniß, um ihren Clienten die 
gewünfchte Auskunft über Vermögensverhältniffe u. |. m. zu 
geben, die eine Hauptrolfe dabei fpielen. Gleichheit an Rang 
und Lebensitellung ift das nothwendigſte Bedürfniß für das 
junge Paar, und ohne dieſe ift eine Verbindung nicht denkbar. 
Bei der großen Achtung jedoch, in der Gelehrfamfeit jteht, 
fann ein ſich auszeichnender junger Gelehrter, mag er auch 
aus der unterften Volksklaſſe entjproffen fein, breit fein 
Auge zu den angefehenjten Mädchen der Stadt erheben und 
wird ſtets willfommen fein. Glauben die Aeltern, den Auser⸗ 
wählten oder die Auserwählte ihres Kindes gefunden zu haben, fo 
werben zumächft verſchiedene Wahrfager befragt, und dieſe ftellen ven | 
jungen Leuten das Horoffop. Fällt diefes zur Zufrievenheit Ä 
aus. (dies hängt natürlich Tebiglich von der Bezahlung ab), 
fo ift alles in Orbnung; das Paar wird als verlobt betrach- 
tet und bie beiberfeitige Mannbarfeit abgewartet. Auf gegen- 
feitige Neigung wird babei feine Rüdjicht genommen; ja in 
vielen Fällen fieht ver Bräutigam die ihm beftimmte Gattin 
am Hochzeitstage zum erften. mal. 

Die Feitfegung diefes Tages erfordert gleichfalls wieder 
eine Menge Vorbereitungen, und die Wahrfager werben dabei 
abermals zu Rathe gezogen. Ein glüdlicher Tag, vorzugsweife 
im erjten Monat des Jahres (Februar), wenn „die Pfirfich- 
blüte ihren Kelch öffnet“, iſt nothwendig erforverlich, und ob» 
wol der faiferliche Hoffalender genau die guten und fchlechten 
Eigenfchaften eines jeden Tags im Jahre für diefen oder jenen 
Zwed angibt, genügt bies den ferupuldfen Verwandten ber 
Brautleute keineswegs. Oft wird die Hochzeit Meonate, 
ja ein Jahr lang hinausgefchoben, weil die günftigen Zeichen 








—— [ml — —— — — —— — — — — Â — 


239 


dafür fehlen. Sind dieſe Zeichen endlich vorhanden, fo ſendet 
der Bräutigam der Braut Gejchenfe, was als officielle An- 
erfennung der Verlobung von feiner Seite betrachtet wird. 
Diefe Geſchenke find ebenfo wie ein Theil der Ceremonien nach 
den verſchiedenen Provinzen verfchieden. Im Norden beftehen 
fie in einer golvenen Haarnadel (e8 ifi bier die mittlere 
BDürgerflaffe angenommen), einem Baar filbernen oder golbenen 
Armbändern, einem Päckchen Thee, einem Stüd rothen und 
einem Stüd grünen Seidenzeugs, nebft vier Stangen Silber 
im Werthe von 10 Thalern und mehr. Die Braut erwibert 
dies im allgemeinen nicht, wie fie überhaupt feine Mitgift 
bringt, bisweilen ſendet fie jedoch Stickexeien eigener Arbeit, 
ein Fächerfutteral, das jeder Chinefe wie einen Dolch an ber 
Seite hängen hat, einen Zabadsbeutel und eine Geldbörſe. 
Ihre Aeltern ſchicken dagegen eine rothe Karte, auf der die Er- 
theilung ihrer Zuftimmung gejchrieben fteht. Von dieſem Tage 
an wird das Haar ber Braut anders frifirt; ftatt der bishe⸗ 
rigen jungfräulichen einfachen Flechte wird die Haartracht ber 
Frauen, wieich fie ſchon befchrieben, adoptirt. Der Bräutigam 
wird ebenfalls zum Zeichen ver bevorſtehenden Verheirathung mit 
einer Heinen runden Mütze befleivet, die er fortan im Haufe 
trägt. Am Hochzeitstage felbft ſchickt der Bräutigam größere 
Geſchenke, pie in 8—10 Pfund Thee, Kleidern, Juwelen und 
einer Summe zwifchen 50 — 4000 Thalern, je nach den Vers 
mögensumftänden, des Gebers beftehen. Die Brautältern 
fenden dafür Seidenzeuge und die acht Charaktere des Jahrs, 
Monats, Tags und der Geburtsjtunde der Braut mit Gold 
- auf rother Seide gebrudt zurüd. Der Bräutigam empfängt 
von feinen Freunden, die Braut von ihren Freundinnen eben 
falls Gefchenfe. Unter ven erftern befinden fich ftets ein Paar 
lebende Gänfe, die in China als das Symbol eines einträch- 
tigen ehelichen Lebens gelten und deswegen auch ber Hoch- 
zeitSproceffion vorangetragen werden. Die Gefchenfe der 


242 


Mann nur Töchter gebiert, ift er dazu berechtigt. Wie 
bie öffentliche Meinung in ſolchem Falle urtheilt, geht aus 
folgendem Paffus einer Ermahnung hervor, die einer ber 
populärſten Schriftiteller Chinas an die unfruchtbaren Frauen 
über diejes Thema hält: „Es gibt in der Welt Frauen“, jo 
Sagt dieſer Weife des Mittelreichs, „die, obwol fie ſelbſt nie 
einen Knaben geboren oder ein Mädchen genährt. haben, ihren 
Mann verhindern, eine Concubine in das Haus zu bringen 
oder ein Mädchen zu unterhalten, um feine Nachfommenfchaft 
zu fichern, .felbft wenn er bis zum vierzigften Jahre gewartet 
hat. Sie fehen auf eine folche mit eiferfüchtigem Haß und 
Uebelwollen. O wißt ihr nicht, wie flüchtig die Zeit iſt? 
Dehnt eure Monate und Jahre fo lange aus wie ihr wollt, 
fie fliegen wie Pfeile, und wenn eures Gatten animalifche 
Lebenskraft und fräftiges Blut erfchöpft fein wird, dann wird 
er nie Kinder befommen, und ihr, feine Frauen, werdet ſchuld 
daran fein, daß die ben Ahnen fälligen Opfer nicht gebracht 
werben; ihr werdet feine Nachlommenfchaft zeritört haben. 
Dann wird die Reue, auf welche Weife ihr fie auch an ben 
Tag legt, zu fpät kommen. Sein jterblicher Körper wird 
fterben; fein Eigenthum, welches ihr und euer Gatte ge⸗ 
ſucht habt zufammenzuhalten, wird nicht auf feine Kinder 
übergehen, fondern bie Verwandten werden darum kämpfen. 
Ihr werdet nicht allein eine Berfon, euren Gatten, fondern 
euch felbjt beleidigt haben; denn wer wird Sorge tragen für 
euren Sarg und euer Grabmal? Wer wird euch begraben 
oder Opfer bringen? D! euer verwaifter Geift wird die Nächte 
mit Weinen durchwachen! Es ift traurig Daran zu 
denken! .... | 

„Es gibt Frauen, welche ihre Eiferfucht zügeln und ihren 
Männern geftatten, eine Concubine zu fich zu nehmen; aber 
fie thun es auf eine Weife, als ob fie Eſſig tränfen und 
Säuren genöffen. Sie fchlagen auf die Diener der Concu⸗ 











243 


bine, um biefe zu treffen, und es ift fein Friede im Haufe. 
Aber ich ermahne euch, wie Huze und tugenphafte Frauen zu 
handeln. Wenn ihr feine Kinder habt, forgt mit Offenheit 
und Wohlwollen für eine Concubine eures Mannes. Wenn 
fte ihm Kinder gebiert, wird er es euch verbanfen, baß bie 
Adern feiner vorälterlichen Linie nicht vertrodnen. Seine 
Kinder werden euch als ihre Mütter ehren; und wird bies 
nicht ein Troſt für euch fein? Ueberlaßt euch nicht ver übel- 
wollenden Eiferfucht einer böfen Frau. Bereitet nicht eine 
Bitterfeit, die ihr felbft verfchluden müßt!’ . 

Diefe Homilie läßt uns zugleich einen Blick in die chine- 
ſiſche Häustichkeit und die Stellung der Frauen thun. Sie 
zeigt, daß bie Frau in China nicht willenlofe Sklavin wie 
bet ven meiften Afiaten, ſondern fo ziemlich Herrin im Haufe 
ift, gegen beren Willen ver Mann nicht ungeftraft anfämpfen 
Tann, | 

Mit jeder Concubine, die der Mann über eine hinaus 
nimmt, finkt er jedoch in der öffentlichen Achtung. Chine- 
fen, die auf ihren guten Ruf etwas geben, greifen darum 
nicht zu diefem Auswege, ſondern aboptiren, im Falle 
auch die erite Concubine Finderlos bleibt (Töchter zählen 
nicht), die Söhne eines jüngern Brubers oder anderer naher 
Verwandter. Der Kaifer befigt Hunderte von Concubinen 
aus den erjten Yamilien der Tataren, die fich gewöhnlich zu 
biefer Ehre drängen, obwol es auch häufig vorfommt, daß 
ehrbare Väter ihre Töchter dem Faiferlichen Harem verweigern. 
Nach dem Tode des Kaifers werben dieſe Unglücklichen alle 
in einen Palaft eingefperrt und dürfen fich weder verheirathen 
noch venfelben bis zu ihrem Tode wieder verlaffen. 

Heiratben zwifchen Perfonen von gleichen Familiennamen 
find verboten, und da es in China faum 150 verjchiedene 
Familiennamen gibt, fo Tann man fich denken, welche Schwie=. 
rigfeiten ſich ſchon deshalb einer Verbindung in den Weg 

16* 


244 


ſtellen. Ebenſo dürfen ſich nahe Blutsverwandte nicht hei⸗ 
rathen. Für Beamte beſtehen ſogar noch beſondere Verhin⸗ 
derungsgründe. So z. B. darf ein Mandarin nicht die Tochter 
eines Schauſpielers zur Gattin nehmen. Geſchieht es dennoch, 
ſo wird die Ehe für ungültig erklärt und jeder der ſchuldigen 
Theile mit 60 Hieben beſtraft. 

Das Verhältniß einer Frau zu ihrem Manne iſt durch 
bie Thatſache ſcharf charakteriſirt, daß die Frau fein Ver⸗ 
brechen begehen Tann, ohne daß ihr Mann dafür verantwort⸗ 
lich gemacht und als Hauptfchuldiger betrachtet wird. Iſt fie 
buch ihren Dann dazu verleitet, jo geht fie ganz ftraflos 
aus. Rechtlich wird ihr daher eine ganz untergeorbnete 
Stellung angewiefen, und wenn fie, wie aus jemer ange— 
führten Ermahnung hervorgeht, fich trotzdem zur Herrin des 
Mannes macht, jo zeugt Dies von nicht geringer Energie ihres 
Charakters. Andererſeits räumt man der Frau als Mutter 
wieder merkwürdige Vorrechte ein. Stirbt 5. 9. der Mann, 
jo bleibt die Mutter das Haupt der Familie, und die Söhne 
find ihr bis zu ihrem Tode unbedingten Gehorſam und Ehr- 
furcht ſchuldig. Wie weit dies geht, hatte ich Gelegenheit 
in Ranton zu fehen. Wir machten dort die Belanntfchaft 
eines jungen Mannes Kinlin, aus ver Familie Hauqua, einer 
der reichften in China, und wurden von ihm zum Frühſtück 
eingeladen. Der junge Mann war 22 Jahre alt und felbft 
verheirathet, wobei ich beiläufig bemerfen will, daß feine Frau 
die hübſcheſte Chinefin war, die ich je gefehen, und daß ihre 
Schwiegermutter, obwol 40 Jahre alt, von mir für ihre 
Schwefter gehalten wurde und ihr an Schönheit wenig nach— 
gab. Es wurde und Wein vorgefegt, unfer Wirth felbft 
tranf aber feinen. Als wir ihn nach dem Grunde fragten, 
erhielten ‘wir die Antwort, feine Mutter habe es ihm ver- 
boten. Diefes naive Geſtändniß zeigt gewiß, wie unbebingt 
Kinder ihren Aeltern in China Gehorfam leiften. 


245 


Eheſcheidungsgründe gibt es fieben in China: Unfrucht- 
barkeit der Frau, Ehebruch, Ungehorfam der Frau gegen bes 
Mannes Aeltern, Schwaßhaftigfeit, Diebftahl, böfe Laune, 
unheilbare Krankheit. Im drei Fällen kann jevoch Scheibung 
nicht ftattfinden: nämlich, wenn die Frau bereits für bie Ael⸗ 
tern ihres Mannes getrauert hat, wenn fie nach der Hochzeit 
Geld befommen bat, oder wenn fie Feine Aeltern mehr befikt, 
die fie wieder aufnehmen können. 

Für Witwer ift es immer unpaffend, wieder zu bei- 
vatben, für Witwen von gemwiffen Range aber ungefeglich, 
und folche Heirathen finden daher Höchit felten ftatt. Ehe⸗ 
liche Verbindungen zwifchen Fremden und Eingeborenen find 
gänzlich unterfagt, ebenjo zwifchen Unterthanen des Kai⸗ 
fer8 und den Misaustfe, jenen ununterworfenen Bergvöl- 
fern, bie ich bei Gelegenheit des chinefifchen Militärwejens 
erwähnte. 

„se mehr Kinder, defto mehr Segen’‘, iſt ein chinefifches 
Sprihwort, unter dem jedoch hauptfächlich nur Söhne ver- 
ftanden werben. Dies Berlangen nah Söhnen erflärt fich 
ans dem Umftande, daß der Vater während feines ganzen 
Lebens abfolute Macht über fie behält, einer gegen alle Sor⸗ 


* gen geficherten Zukunft entgegenfehen darf, und fie als wahr- 


Icheinliche Duelle von Reichthum und Würben betrachtet, wenn 
fie etwas gelernt haben. Dies fowol als die Thatfache, daß 
ber Bater für alle Handlungen feiner Söhne verantwortlich 
bleibt, trägt ungemein viel. zur Verbreitung der Vollsbildung 
bei. Eine forgfame Erziehung und Aneignung von Kennt⸗ 
niffen bereitet nicht nur den Weg zu Ehren, die der Bater 
mitgenießt, ſondern ſchützt auch vor Strafen, die für Ver⸗ 
gehen, welche Roheit und Lafterhaftigfeit des Sohnes veran- 
laffen, ven Vater zunächſt treffen. Wenn die hinefifche Re- 
gierung dieſe Verantwortlichkeit in ihren Gefegbüchern aufge: 
jtellt Hat, um das Wolf geiftig zu heben, fo hat fie vollftändig 


246 


ihren Zweck erreicht, und der Scharfblid des Geſetzgebers 
vervient alle Anerkennung. 

Bor allen fehnt fich aber der Vater nah Söhnen, um 
feinen Namen fortzupflanzen und jemand zu binterlaffen, der 
an feinem Grabe die jährlichen Andachten verrichtet. Der 
Gedanke, niemand zu haben, ver diefe fromme Pflicht erfüllt, 
ift für einen Chinefen ebenfo drückend wie bei uns für ben 
gemeinen Mann die Furcht, einft Fein ehrliches Begräbniß 
zu erhalten. Tin Mann ohne Söhne lebt ohne Ehre und 
ftirbt unglüdlih. Die Geburt eines Sohnes iſt deshalb in 
China ftets ein freudiges Ereigniß, das von der ganzen Fa— 
milie Tebhaft begrüßt wird. Der Meine Weltbürger erhält 
gleich nach feiner Geburt einen Milch oder Zärtlichfeitsnamen 
beigelegt, den er neben feinem Familiennamen bis zum Ein- 
tritt in die Jünglingsjahre behält, um ihm erft dann mit 
einem andern zu vertaufchen. Wenn das Kine einen Monat 
alt ift, fehiden ihm die Verwandten und Freunde eine Silber: 
. platte, auf der die Worte: „Ranges Leben, Ehre, Glückſeligkeit“, 
eingrabirt find. Von frühefter Jugend an wird ber Knabe 
im Benehmen und in gejellichaftlicher Etikette, vie im Leben 
bes Chinefen eine jo große Rolle fpielt und für alle Verhält- 
niffe bemeffen ift, unterrichtet, und mit dem vierten und fünften 
Jahre beginnt er zu lefen. Seit wie langer Zeit ſchon man 
in China große Wichtigfeit auf allgemeine Erziehung legt, 
geht aus einem Werke hervor, das vor unferer Zeitrechnung 
gebrudt wurde, und das bereitd von „dem alten Unterrichts- 
ſyſteme“ fpricht, nach dem jede Stadt und jedes nioch fo Fleine 
Dorf eine gemeinfame Schule haben folt. 

Körperlihe Züchtigung wird bei der Erziehung ver 
Kinder ſowol in Schule als Haus möglichft vermieden. Man 
erſchöpft erft alle andern Mittel, ehe man dazu greift. Ich 
habe nur einmal während meines elfmonatlichen Aufenthalts 
in China gejeben, daß ein Kind von ven eltern gefchlagen 


- 


247 


wurde, umd dies gehörte den untern Ständen an; Dagegen 
fiel es uns ftets auf, daß Kinder von 10—12 Jahren ſtets 
wie Erwachfene behandelt wurden und ihre ganze Erſcheinung 
auch den Eindruck ſolcher machte. 

Lehrer gibt es in China in großer Zahl. Faſt alle Stu⸗ 
dirende, welche bei dem Staatsexamen durchfallen und mit⸗ 
bin von Staatsämtern ausgeſchloſſen find, werden Privat⸗ 
oder öffentliche Lehrer. Dean teifft in jedem Dorfe mehrere 
folcher verborbener Literaten, bie fich freilich oft nicht zu Pä- 
dagogen eignen mögen. 

Die chinefiiche Tugend unterfcheidet fi) von der Yugend 
anderer Völker durch großen Ernſt. Die lärmende, übermü- 
thige Fröhlichkeit, welche fonft überall die Kinverwelt belebt, 
vermißt man bier gänzlich und, es macht ordentlich einen trau- 
rigen Eindrud, diefe ernften und bevächtigen Kinbergefichter 
zu Schauen, die fo gar nicht mit ihrem Alter harmoniren. Bel 
bem wohlhabenden Theile der Bevölkerung ift diefe Unnatur 
eine Folge des Formenweſens, in welches man bie Kinder 
von zarteſter Jugend an hineinzwängt, fowie der Erziehungs- 
marimen des Confucius, alle Leivenfchaften im Keime zu er» 
ftiden und Selbftbeherrichung als die höchfte Lebensaufgabe 
bes. Individuums zu betrachten. 

Bei dem ärmern Theile erzeugt die Noth des Lebens den 
frühen Ernft der Kinder. Nur die angeftrengtefte Thätigfeit ver⸗ 
mag die Eriftenz des nievern Volks zu friften, und die Kräfte des 
Kindes, mögen fie noch fo ſchwach fein, müffen benußt wer⸗ 
den, ſei e8 auch nur, um Baummolle zu zupfen, oder Unfraut 
zu jäten, oder aus den KReisgarben bie tauben Achren auszu⸗ 
Iefen. Zum Spielen aber bleibt den armen Kindern feine 
Zeit. Frobfinn und Iugendluft lernen fie nicht fennen, und 
ihr ganzes Leben vom Erwachen des Bewußtjeins, bis bie 
falte Hand des Todes fie berührt, ift ein mühfeliger Kampf 
um ein elendes freudenlofes Daſein. 


248 


Wenn ein Familienvater ftirbt, wird der Tod allen Fami⸗ 
lienmitgliedern formell angezeigt. Die Thürflügel des Hau- 
je8 werden weiß angeftrichen, und die birecten Nachlommen 
des Verſtorbenen fiten in groben weißen Kleidern, eben 
folde Tücher um den Kopf gewidelt und die Zöpfe mit 
weißem Band durchflochten, weinen neben ber Leiche auf dem 


Fußboden, während die Weiber, ähnlich wie in mohammevani- 


ſchen Ländern, lautes Klagegefchrei erheben. Die Freunde 
bes Todten hüllen den Körper in weiße baummwollene ober 
ſeidene Laken. Der ältefte Sohn ober directe Nachlomme 
begibt fich, an beiden Seiten von Verwandten unterftügt, mit 
einer Porzellanfchale, in der zwei KRupfermünzen liegen, zum 
nächften Fluffe oder Brunnen, um „Waſſer zu kaufen“, wie 
biefe Ceremonie genannt wird. Sollte der ältefte Sohn bes 
reits geftorben fein, fo hat deſſen Sohn vor dem. Bruder 
feines Vaters den Vorzug, diefe Ceremonie zu verrichten, bie 
ihm das Recht auf zwei Theile der Erbſchaft gibt, welche 
fonft gleichmäßig unter die Söhne vertheilt wird. Mit dem 
Waffer wird Geficht und Körper des Todten gewafchen, verfelbe 
dann wie im Leben angefleivet und in den aus 5—6 Zoll dicken 
Bohlen gefertigten Sarg gelegt, ver unten mit pulverifirtem 
und ungelöfchten Kalk angefüllt ift. Nachdem ber Sarg ver- 
fchloffen, wird er mit Cement luftdicht gemacht, überfirnißt 
und in die Gepächtnißhalle ver Verftorbenen, die fich in jedem 
wohlhabenden Haufe befindet, fonjt aber in ven Raum geftellt, 
der ihre Stelle vertritt. Eine Tafel mit Namen, Titel, Eh- 
ren u. |. w. des Todten, wie fie fpäter auf den Grabftein ge- 
jegt werben, liegt zu Häupten auf dem Sarge, ver 21 Tage 
im Haufe bleibt. Nach Ablauf diefer Zeit folgt das Begräb⸗ 
niß. Die Gebächtnißtafel wird in einer vergoldeten Sänfte 
porangetragen, rings mit brennenden NRäucherftäben umftedt; 
der Sänfte folgt Muſik, die fich von der Hochzeit: ober fon- 
jtigen fröhlichen Muſik nur durch das in Pauſen ftattfinvende 





249 


breimalige Anfchlagen einer Trommel unterfcheidet, in ihrem 
Charakter aber durchaus feine Trauer verräth; dann folgen 
bie Kinder und Verwandten beiverlei Gefchlechts mit Aus- 
nahme ber verheiratheten Töchter, die vom Augenblide ber 
Heirath an als nicht mehr zu der Familie gehörig betrachtet 
werden. Sie gehen gewöhnlich zu zweien, aber ohne vorge- 
ſchriebene Ordnung, in weißen Kleidern, die Söhne mit unge- 
ſchorenem Kopfe, die Töchter mit einer weißen Kappe über 
dem Haar. Am Grabe beginnen die Ceremonien. Buddha⸗ 
prieſter lefen Todtenmeſſen, und damit der Verftorbene in jener 
Welt auch die nothwendigen Lebensbedürſniſſe vorfinde, wer⸗ 
den verfchiedene Kleivungsftüde und Hausrathsgegenftände auf 
bem Grabe verbrannt, aus öfonomifchen Gründen jedoch nur 
aus Papier gefertigte. Nach der Beendigung wird die Ge- 
pächtnißtafel unter denſelben Formalitäten wieder zurückgetra⸗ 
gen und in der Halle der PVerftorbenen aufgehängt. 

Die Gräber find verfchienen geformt. Im Süden, Kanton, 
Hongkong und Singapore haben faft alle die Geftalt eines 
Hufeifens oder großen griehifhen &. In Schang-hae, Tient- 
fin und Chefu habe ich nur fehr wenige von dieſer Form 
gejehen, und dieſe gehörten allein reichen Familien an. , Hier 
hatten die Hügel faft alle eine regelmäßige Kegelform, und 
das Mauerwerk, das die Gräber im Süden auszeichnet, fehlte 
gänzlih. Die Kirchhöfe werden, um fein Eulturland zu ver- 
lieren, ſtets an unfruchtbaren Stellen und gewöhnlich an 
Abhängen von Hügeln und Bergen angelegt. Reiche Leute 
lafjen ſich bisweilen allein begraben, kaufen oft ven Platz nebft 
einigen umliegenden Morgen Land für viele Tauſende von Tha⸗ 
lern und wählen dann einen Punkt, wo das Grab recht weit 
fichtbar ift, eine Eitelkeit, welche die Chinefen wie auch wir 
häufig mit Pietät verwechfeln. Wenn man Hongkong von Often 
durch die Lyemoon-Paſſage anfegelt, fieht man fchon meilen- 
weit ein folched Hufeifenfärmiges Grab in fehr großen Di- 


250 


menfionen. Es ift etwa 800 Fuß hoch über der Meeres- 
fläche gelegen, mit großem Koftenaufwande in bie ziemlich fteile 
Felfenwand gearbeitet und zieht mit feinem weißen Anftrich, 
ber fich gegen Tas umgebende Grün abhebt, jogleich die Blide 
auf fih. Aehnlihe Gräber liegen auf ven Bergen im In- 
nern der Inſel zerftreut, und auch in dem Gebirge bei Ning- 
hae, über das die chinefifhe Mauer fteigt, fand ich fie jo 
iſolirt und Hoch gelegen. _ 

Wo es, wie 3.9. in ber Umgegend von Schang-hae und 
Wufung, feine unfruchtbaren Streden oder Berge gibt, begräbt 
jeder feine Todten auf dem eigenen Ader. Die ganze Gegend, 
bie eine unabfehbare Alluvinlebene bilvet, hat baber das An⸗ 
jeben eines einzigen großen Kirchhofs. Soweit dus Auge 
veicht, erblidt es überall die hohen fpigen Grabhügel, die zu 
Hunderttaufenden fich aus dem FTlachlande emporheben. Alte 
diefe Gräber waren am Morgen des 5. April belebt, und am 
Nachmittage wehten von jedem weiße und rothe Papierjtreifen, 
als Zeugniß, daß die Angehörigen ihrer frommen Pflicht nach- 
gekommen und ihre Andacht verrichtet hatten. 

Diele Arme beſitzen fein Stüdchen Land, um ihre Todten 
barauf zu begraben. Wenn nicht gutherzige Reiche ihnen bie 
nothwendige Erde fchenfen, jo bleiben vie Leichen unbegraben, 
und die Särge werden an die Seite eines Wegs oder an 
einen Platz gejtelit, ver niemandes Eigenthum iſt. In China 
gibt e8 aber viele Arme, und man fieht Daher auch eine Menge 
folder Särge auf dem Felde, ja häufig feine brei Schritte 
‘von der Thür ber ärmlichen Hütte fteben, in die der Todte 
gehörte. Viele find mit Matten ummidelt, manche auch nicht, 
weil die Ueberlebenden nicht das Geld hatten, um bie wenigen 
Matten zu Kaufen. Ich werde nicht ven rührenden Anblid 
vergeffen, al8 zwei in armfelige Lumpen gehüllte Frauen einen 
ſolchen unbeffeiveten Sarg, ver vielleicht den Vater oder die 
Mutter barg, ſorgſam von allem Staube reinigten, in Er- 


251 


mangelung von Blumen ein Stüdchen Rajen varauflegten 
und es mit einigen Streifen zerfnitterten Papiers fchmüdten. 
Es fpricht fih in dieſer Sitte eine fo tiefe Pietät und ein 
jo ſchöner Zug des Charakters aus, daß man dadurch mit 
vielem wieder ausgeſöhnt wird, was uns bei den Chinefen 
abftoßend und unmoralifch erfcheint. 


16 - 


Geſtalt und Körperbefchaffenheit ber chinefiichen Raſſe. Die Mode der 

Fußverkfrüppelung bei den Frauen. Kleidung. Die Hutknöpfe als 

Zeichen bürgerlicher Rangordnung., Die Schmudjadhen der Reichen. 

Hriedfertigleit des Volkscharakters. Der Nationaldünkel. Die Moral 

ber Chinefen. Der Kindermord. Das häusliche Leben und bie Etikette, 

Die Technik des Opiumrauchens. Die Kochkunſt und die Bielfeitigfeit 
ber Nahrungsmittel in China. 


Ebenſo wie die Chineſen in geiſtiger Beziehung alle an- 
bern Völkerſchaften des afintifchen Feſtlandes weit überragen, 
find fie ihnen auch in körperlicher Hinficht überlegen. Im 
allgemeinen find die Männer ein fräftiger ftarfer Menſchen⸗ 
Ichlag mit proportionirten und naturgemäß ausgebilveten Glied» 
maßen, bie bei vielen ein fo fchönes Ebenmaß beſitzen, wie 
man fie bei Modellen nur wünfchen kann. Den Träftigen 
Gliederbau verdanken fie bauptfächlih dem gefunden Klima 
und der niebrigen Temperatur ihres Vaterlandes, das, an ber 
Ditfeite des Continents gelegen, viel gemäßigter als deſſen 
weftlicher Theil if. Die Frauen find in den mittlern und 
höbern Klaffen des Südoſten im allgemeinen fehr belicat ge- 
baut, was jedoch wol bauptfächlich ihren verfrüppelten Füßen 
und der dadurch fehr befchränkten Körperbewegung zugejchrieben 
werden muß. Die Frauen ver nievern Klaſſen und bie 
Tatarinnen, von denen die erftern, weil fie arbeiten müſſen, 








253 


die Füge nicht verfrüppeln können, während es die lettern 
überhaupt nie thun, find jeboch vobuft, Fräftig und unterfekt. 

Nach ihrer Schädelbildung halten die Chinefen die Mitte 
zwifchen Kaufafiern und Negern. In der Dide der Lippen 
nähern fie fich den Negern; auch die Nafe ift did und ziemlich 
platt, die Nafenflügel find ausgedehnt, jedoch nicht jo bedeu⸗ 
tend wie bei den Negern; die Geftalt ift von Mittelgröße, Füße 
und Hände Hein und feingeformt, namentlich beim weiblichen 
Geſchlechte. In vieler Beziehung ähneln fie ven nordameri—⸗ 
fanifchen Indianern; wir finden bier daffelbe ftarfe glänzend 
Ihwarze Kopfhaar, ven gleichen fchiefen Schnitt der Augen 
und Augenbrauen und den dünnen Bart. 'Ebenfo hat ber 
Shinefe faft auf dem ganzen Körper Fein Haar und die Haut- 
farbe ift der indianiſchen ähnlich, obwol die dunklere Färbung 
mehr ein Reſultat ver Witterung zu fein ſcheint. Wenigſtens 
iſt die vornehmere Klaffe, welche ſich der Sonne nicht ſo aus⸗ 
ſetzt, faſt weiß zu nennen. | 

Unftreitig find die Chinefen mit der mongolischen Raſſe 
nahe verwandt, jeboch find Deren harte Gefichtszüge in ihnen 
ſehr gemilvert, und man fieht oft Jünglinge von wahrhaft 
überrafchenver, faft weiblicher Schönheit. Nachdem fte jedoch 
die Zwanzig paffirt, werben die Züge ſcharf, die Badenfno- 
chen treten hervor, und als alte Männer und Frauen find fie 
bisweilen über alle Begriffe häßlich. Frauen müffen nach 
chineſiſchen Schönbeitsbegriffen belicat und zart von Geftalt 
fein, bet Männern wünfcht man jedoch ein behäbiges Em- 
bonpoint, und wohlhabende Leute, bie nicht Förperlich zu ar- 
beiten brauchen, richten ihre ganze Lebensweife fo ein, um 
ein gewichtiges Aeußere zu befommen. “Die Frauen der mitt- 
lern und untern Klaſſen find im allgemeinen nicht hübfch zu 
nennen; bie platte Nafe und ver große Mund treten überall 
jtörend hervor; der gelblihe Teint ohne Anflug von Roth 
mildert nichts, und der unbeholfene Gang auf ben verkrüppel⸗ 


254 


ten Süßen beeinträchtigt die gunze Haltung des Körpers auf 
das unangenehmfte. Diefe unglückliche Move kam zuerft unter 
ver Tang-Dynaſtie auf, und ihr fowie den langen Fingernä- 
geln liegt die Idee des nicht Arbeitens zu Grunde Nicht 
zu arbeiten, ift ber Ehrgeiz ber Chinefen, und der Mann wird 
glücklich gefchätt, der durch Wachſen der Nägel feinen Mit- 
menſchen verkündet, daf er e8 foweit gebracht habe. Um bie 
Nägel zu fchonen, werden vielfach Futterale von Bambus 
barüber getragen, bisweilen aber auch von koſtbarerm Ma- 
terial. Bei der Plünverung des Faiferlichen Palaftes durch 
die Sranzofen wurden verfchievene folche Yutterale von Gold 
erbeutet, und ich Jah in Schang=hae eins derfelben, das dem 
Kaiſer felbit angehört haben foll und allerdings koſtbar ge- 
nug war, um’ biefen Glauben zu rechtfertigen. 

Zwiſchen dem Aeußern ver Chinefen im Norden und Si- 
den des Reichs herrfcht ein bedeutender Unterfchied, und na⸗ 
mentlich gibt fich Dies beim weiblichen Gefchlechte fund. ‘Der 
Gliederbau und die Gefichtszüge find im Süpen viel feiner, 
die Hautfarbe aber nicht dunkler, obwol das Klima ber füb- 
lichen Provinzen faft tropiſch iſt. Wahricheinlich ijt die Ur- 
fache dieſer Verfchiedenheit die Kreuzung mit den Häßlichern 
Zataren, bie hauptfächlich im Norden geblieben find, während 
im Süden der chinefifche Typus reiner erhalten if. Die 
Küftenbevölferung im Norden zeichnet fich namentlich durch 
Häßlichkeit aus; fie fcheint einer andern Raſſe anzugehören. 
Vielleicht ftammt fie von den Esfimos, die bei der Aufſu⸗ 
Kung eines mildern Klimas vom Norden herunter gewandert 
find und ſich hier niedergelaffen haben. Daß jene Bevöl—⸗ 
ferung von ber chinefifchen Regierung felbit als ein frember 
und untergeorbneter Stamm betrachtet wird, feheint aus 
einem Verbote hervorzugehen, nach welchem fein Süftenbe- 
wohner fih mit Chinefen over Tataren verheirathen darf. 
Ih ſah fpäter in Nangafaki fechs bis acht Einwohner Koreas, 


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Chinefifher Kaufmann mit feiner Tochter. 


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255 


die aus dem Norden der Halbinfel nach Japan gelommen 
waren; fie zeigten getreu den Typus ber chinefifchen Küften- 
beivohner, nur fchienen fie mir noch brauner zu fein, was 
jedoch eine Folge ihrer weißen. Kleidung fein mochte, welche 
die Hautfarbe mehr hervorhob. 

Die Kleidung ver Chinefen ift wie alles Uebrige ftationär und 
nicht dem vielfachen Wechſel der Moden unterwerfen wie bei 
ung. Der Schnitt der Kleider wird durch jenes Tribunal in 
Peking vorgefchrieben, deſſen Aufgabe es ift, über die geheiligten 
Riten und Ceremonien der Staatsreligion zu wachen. Die 
Trachten unterfcheiden fich deshalb bei hoch und niedrig 
hauptfächlich nur durch die Wahl des Stoffes. Die neben- 
ſtehende Abbildung ftellt einen chinejifchen Kaufmann, deſſen 
Bekanntſchaft wir machten, mit feiner kleinen Tochter bar, 
und bringt zugleich die gewöhnliche Hauskleidung der wohls 
habenden Bürgerflaffe zu Veranſchaulichung. 

Der beveutende Temperaturunterſchied zwiſchen chinefis 
fhem Sommer und Winter, der befonvers im Norden 
außerordentlich ift und 50° Reaumur beträgt, hat für dieſe 
Jahreszeiten auch abweichende Kleidung gefchaffen, zu beren 
Anlegung der Vicefönig oder Gouverneur der Provinz das 
Signal gibt. Die Sommerbefleivung befteht aus weiten Bein- 
kleidern, einem ebenfo Iofen Node, der bis auf die Knöchel 
reicht und einer bis auf die Hüften fallenden Jade. Alle drei 
find, wie ich ſchon früher bemerkte, bei dem ärmern Volke aus 
Baumwolle, bei den Reichen jedoch aus Seide gefertigt. Wolle 
wird in China nicht fabrizirt; das Wenige, was bisjegt davon 
verbraucht wird, fommt aus Rußland. Baumwollene oder feidene 
gewebte Strümpfe nebft Schuhen aus demfelben Material mit 
zolfpidem zufammengenähten Zeug oder Filzfohlen bilden pie ' 
Fußbekleidung, und die Strümpfe werden über ben Beinfleivern 
bis an die Knie veichend getragen. Der Kopf wird mit Tonifchen 
Hüten aus Bambusgeflecht bevedt, die bei den untern Klaſſen 


256 


zum Schuße gegen die Sonne oft einen Rand von 2 Fuß 
Durchmeifer haben. Strümpfe und Schuhe trägt jeder, ver 
es ermöglichen kann. Der hungernde Kuli natürlich begnügt 
fich mit bloßen Strohfandalen, wie er bisauf Hut'und Bein- 
Heider im Sommer überhaupt nichts trägt. Im Winter 
werben über die weiten Beinkleider enge Beinlinge gezogen 
und an den Hüften befeftigt. Röcke und Iaden werben mit 
Watte oder Pelzwerf gefüttert, und ftatt des Tonifchen Bam- 
bushutes erfcheint ein pelz- oder fammtverbrämter Filzhut 
oder eine Feine geſtickte chlindrifhe Mütze. Das Kopftheil 
des Hutes ift fehr niedrig, fchließt fich eng an den Kopf an, 
und fein Rand iſt feharf nach oben gebogen. Von der Spiße 
deſſelben fällt bei den Wohlhabenden ber fchon erwähnte 
Büſchel von rother Seide herab, während die Kopfbedeckung 
bei Berfonen von Rang mit dem betreffenden unterfcheidenden 
Knopfe verziert if. Es gibt neun folcher Rangordnungen, 
und das entfprechende Ausfehen ver Knöpfe ift folgendes won 
oben an gerechnet: 1) Ein platter rother Knopf, 2) ein mit 
Blumen verzierter rother, 3) ein transparenter blauer, 4) 
ein unburchfichtiger blauer, 5) ein ungefärbter Glasknopf, 6) 
ein weißer Glasknopf, T) ein platter vergolpeter, 8) ein gol- 
dener Knopf mit Blumen in Hautrelief, 9) ein dito mit Blu- 
men in Basrelief. | 

Die Röde und Jacken werben unveränberlich vorn über- 
einander gejchlagen und an ber rechten Seite zugelnöpft. ‘Die 
Tracht der Frauen ift faft ganz biefelbe, nur ziehen fie meh- 
rere lange Röcke übereinander, und diejenigen, welche ver- 
ftümmelte Füße haben, tragen biefe jtatt der Strümpfe in 
Bandagen von buntem Zeuge eingewidelt, was, twie ich glaube, 
nötbig ift, um dem Fuße Halt zu geben und zugleich bie 
Hade an die Ferſe zu fehnüren, da die Chinefinnen eigentlich 
nur den Ballen als Fuß gebrauchen. Wenn der Fuß bie 
faconmäßige Länge von nur 3 Zoll befigt, fo wird er von 





257 


chineſiſchen Schöngeiftern „golvene Lilie“ betitelt und in Open 
befungen. - Schön ift diefe Berfrüppelung nach unfern Be- 
griffen nicht; mich hat der Anblick ftets mit Efel erfüllt, und 
eine folche „goldene Lilie“ gleicht auf ein-Haar einem Pferde: 
oder Eſelshufe. Die Zatarinnen find jo vernünftig, ihre 
Füße zu tragen, wie fie ihnen ber liebe Gott wachſen ließ, 
und die Chinefinnen würden wenigftens bei Fremden viel 
mehr Anerkennung finden, wenn fie es mit ihren von Na- 
tur äußerjt zierlichen und Tleinen Füßen ebenſo machten, 

Der Werth, ven reiche Chinejen im Norden des Landes 
in Pelze fteden, überfteigt alle Begriffe, und man kann oft 
Kaufleute jehen, die minveftens für 4 -5000 Thaler Pelzwerk 
am Körper haben. Noch weit foftbarer ift der Anzug ihrer - 
Frauen, ber durch Hals- und Armbänder ſoviel theurer wird. 
Die Chinefen erhalten aus ber Zatarei eine bejondere Art 
von Erelftein, ben fie Yu und die Engländer jade stone 
nennen (Bitterftein, Nephrit). Die geringere Sorte ift blaß- 
grün und achatähnlich, die feinere Sorte bräunlic und fehr 
jelten. Bon Europäern wird diefer Stein wenig gefchäkt, 
in China jedoch ungemein hoch gehalten und theuer bezahlt. 
Es werden aus der letztern Art Arm⸗ und Halsbänver ver- 
fertigt, die unanfehnlich, aber bisweilen 1000—1800 Thaler 
werth find, und mit denen fich reiche chinefifche Damen dop⸗ 
pelt und dreifach behängen. | 

Ein Freund von mir war zu einem chinefifchen Kaufmann 
m Schang⸗hae eingeladen, der allgemein nur als wohlhabend 
galt. Nach einem copidfen Mahle, an dem, fobalod Europäer 
zugegen find, vie weiblichen Mitglieder der Familie nicht 
theilnehmen, ftellte ver Wirth ihm feine Frau vor, bie, foeben 
von einem Gefchäftsgange zurücdgefehrt, in ihrer gewöhnlichen 
Hauskleidung erfchten. Dies war ein Zeichen von befonderer 
Aufmerkſamkeit, da chinefifhe Damen aus bejfern Ständen 
fih jelten Fremden zeigen. Trotzdem verriethb die Dame 

Werner. I. 17 


258 


durchaus Feine Verlegenheit und bewegte ſich jo natürlich, als 
ob fie fange mit dem Befuche befannt ſei. Sie war hübſch, 
Batte feine Züge und war fehr vortHeilhaft geſchmückt. Ihr 
glänzend fchwarzer Haarputz ftarrte von Goldſpangen, und bie 
Stirnbinde von Biber, welcher vielfach getragen wird, zeigte 
vier der Foftbarften Yufteine in Golpfaffung. Um Hals und 
Hand trug fie Doppelte Reiben von Perlen aus bemfelben 
Stein, und mindeftens fünf bis fechs feine Pelzröde und Jacken 
übereinander bildeten den Anzug: Das Geſpräch kam auf die 
Preiſe diefer Artikel, und mein Freund erfuhr, daß Die Dame für un- 
gefähr 8000 Taels oder 16000 Thaler auf ihrem Körper trage, 
wohlgemerkt, bei einem Hausanzuge. Dagegen erfcheinen bie 
Anſprüche unferer europäifchen Damen allerdings fehr be- 
fcheiden, wenn eine. chinefifche Kaufmannsfrau ſolche Summen 
für Häusliche Kleidung verwendet. | 

Die Kinder werden in China gleichfalls ſehr herausgeputzt 
und ihr Anzug zeichnet fich nicht allein Durch Qualität, fon- 
bern auch durch Duantität aus, Auf der Straße fehen fie wie 
Heine unförmliche Ungeheuer aus, Sie werben fo in Röcke und 
Jacken gepackt, daß fie fich faum betvegen fönnen, bie Arme im rech- 
ten Winkel zum Körper halten müffen und ebenfo breit wie lang ſind. 

Beim Ausgehen trägt jeder anftändige Chinefe außerdem 
noch verichiedene Sachen int Gürtel, die ihm ein Triegerifches 
Ausfehen geben, obwol fie in Wirflichleit außerorpentlich 
frieplicher Natur find. Die feivengeftidte Scheide, in der wir 
einen Dolch vermuthen, das Geſchenk einer Braut oder Frau, 
birgt einen harmloſen Fächer, den unzertrennlichen Begleiter 
bes Chinefen vom Kaiſer bis zum ärmlichiten Kuli. Die 
lederne ebenfalls oft geſtickte Taſche, welche viel Aehnlichfeit 
mit einer Patrontaſche hat und wie dieſe an einem Gürtel hängt, 
enthält bei näherer Befichtigung nur Stahl und Stein zum 
Anzünden der Pfeife, und der daneben placirte geſtickte Beu⸗ 
tel den Vorrath an Taback. 





259 


Waffen trägt nur der Soldat im Dienft und felbft ver 
Militärmandarin nur bei befondern Gelegenheiten. Der Beſitz 
von Feuerwaffen ift dem Volke ftreng verboten. Das Verbot 
tft jedoch kaum nöthig bei einer Nation, bie von Natur fo 
friedfertig, und der ſchon der bloße Gedanfe an Anarchie ein 
Greuel if. Diefen ruhigen und vorfichtigen Charakter ver- 
banken die Chinejen hanptfächlich dem Einfluffe und der Au- 
torität des Alters. Da die Individunen der verjchiedenen 
Generationen ftets unter der Aufficht und Gewalt des älteften 
überlebenden Familienhaupts bleiben, fo wird bie unwiſſende 
und unerfahrene Jugend ftet8 von dem reifern Urxtheile des 
Alters geleitet, und alle Ausbrüche von Leidenſchaft und Un- 
klugheit werben zurüdgehalten. Eine volllommene Selbftbe- 
berrfchung, wie fie ſchon Eonfucius als unerlaßlich vorfchreibt, 
ift die Folge dieſes Erziehungsſyſtems, und fie erflärt auch 
bie geringe Zahl‘ von Gewaltthätigfeiten im Verhältniß zu 
andern Ländern. Diebftahl und Raub ift fehr Häufig, faft 
nie aber von Mord begleitet, denn bie jegigen Greuel ber 
Bürgerfriege können nicht mit in Betracht gezogen werben. 


So oft Chinefen auch in Streit miteinander gerathen, . 


enbigt biefer felten mit einer Schlägerei. Nach ihren Geften 
und dem gegenfeitigen Anfchreien erwartet man jeden Augenblid 
tödliche Schläge, aber das Schreien dient gewiffermaßen als 
moraliſches Sicherheitöventil, und gewöhnlich geben die Par- 
teten nach einem folchen Zungengefecht, bei dem fie fich höch- 
ſtens an. ven Zöpfen reißen und Tragen, beruhigt auseinander, 
wie die erwähnten Knaben, welche die beftrittene Orange zu⸗ 
legt friedlich theilten. | 

Zwei Attribute werben an ihren Mitmenfchen von den 
Chinefen jehr hoch geachtet: eine durch perſönliches Verdienſt 
erworbene hohe Stellung und Hohes Alter. Bloßer Roich⸗ 
thum wird aber fo wenig geehrt al8 Armuth verachtet, und 
ein reicher Dummkopf würde vergeblich ftreben, durch Stel- 

. 17* 


260 


lenfauf einen Armen zu verbunfeln, ver fich durch Talent und 
Fleiß einen Rang zu erwerben gewußt bat. Die Selbftüber: 
hebung und ber verlegende Nationalpünfel den Europäern 
gegenüber ift ;von mir bereits wiederholt berührt worden. 
Diefer Dünfel muß, tbeilweife wenigftens, als bie Duelle des 
treulojen und binterliftigen Betragens angefehen werben, deſſen 
fih die Chinefen bei Conflicten mit Fremden fchuldig machen 
und über das fich namentlich die Engländer in ihren Streitig- 
feiten mit China heftig beffagt haben. Wenn fich dieſer Zug 
nicht ableugnen läßt, ift er jeboch, was das Volt ſelbſt ber 
trifft, einigermaßen zu entſchuldigen. China ift viele Jahr⸗ 
hunderte von dem Verkehr mit Europäern oder, was baffelbe 
ſagen will, von Nationen, die den Chinefen geiftig Überlegen, 
ausgefchloffen gewejen. Bis 1840 war Kanton der einzige Be⸗ 
rührungspunft mit Europäern, und in biefer großen Stadt 
war es wiederum nur eine Corporation von Kaufleuten, bie 
mit den Fremden verkehrte. Dieſer Kaufleute gab es zwölf, 
die Hong- Kaufleute genannt wurden. Sie hatten das alte 
Privilegium, allein mit Europäern zu handeln und mußten da⸗ 
für an die Mandarinen enorme Summen bezahlen, bie fie natür- 
ih wieder aus den Fremben zu prefien fuchten. Diele 
Fremden waren ihrerfeits beftrebt, das Verlorene durch alle 
möglichen Betrügereien wieder einzubringen. Sie gingen 
lepiglich nach China, um Geld zu machen, und waren darum 
in ver Wahl der Mittel nicht ſehr ferupulds. Faſt täglich 
fam e8 zu Neibereien, ſowol mit ven Ehinefen als befonders 
zwifchen ben verfchienenen Nationalitäten der Ausländer, bie, 
aufeinander eiferfüchtig, einer den anbern zu verbrängen und 
zu übervortheilen bemübt waren. Wenn auch die wenigen 
„Hong⸗Leute“ die wahre Urſache dieſes Zuſtandes Tannten, 
ſah doch der große Haufe nur den ewigen Streit der Fremden, 
die ſchon dadurch ſich unbeliebt machten, weil dem friedfertigen 
Chineſen nichts widerwärtiger iſt, als Streit und Hader. 


261 


Nohe Gewalt, wie ſie von den Fremden oft angewendet wurbe, 
zog ihnen die allgemeine Verachtung zu, und vie Abneigung 
des Volks wurde noch künſtlich durch die Mandarinen genährt, 
deren furchtfame und elende Politif in ber gegenfeitigen Un⸗ 
einigfeit ein Intereife zu erbliden glaubte. 

Was die Chinefen fonft von den Fremden hörten und 
ſahen, konnte nicht dazu beitragen, ihre Meinung zu änbern. 
Ans Europa drangen nur dunkle Gerüchte von langen biutigen 
Kriegen nah China, das fich bis dahin eines zweihundert- 
jährigen Friedens erfreute, und was ihnen bie Fremden an 
Induſtrie und andern Gegenftänden brachten, erfchien ihnen 
im Verhältniß zu den eigenen Ergeugniffen fehr untergeordnet, 
weil es ihren burch pofitive Geſetze und geheiligtes Herkommen 
Beftimmten Bedürfnifſen nicht entſprach. Selbſt nach einem 
zwanzigjährigen bebeutenden Verkehr find bie Importen an 
europäifchen Producten mit Ausnahme von Shirtings für 
den Gebrauch des chineſiſchen Volfs außerordentlich gering, wäh⸗ 
rend die Erporten dagegen von Jahr zu Jahr jo bedeutend wachen. 

Es ift daher ſehr natürlich, daß die Chinefen fih uns 
geiftig überlegen venfen und uns bieje Weberlegenheit fühlen 
Iaffen wo fie fönnen. Wir erjcheinen in ihren Augen als 
bie Nationen, welche China als den Mittel» und Glanzpunft 
der Erde umgeben, und welche das Wolf der Mitte, wie es 
fich nach dieſer Anfchauung nennt, an Cultur und geiſtiger 
Ausbildung unenplich überflügelt hat. Wir find nach ihrer 
Anficht Barbaren, und ver vom Volle gebrauchte Name Fan⸗ 
kwei, „ausländiſche Teufel“, bezeichnet genau pie Stellung, bie 
wir ihnen gegenüber einnehmen. Zeufeln braucht man weder 
Treue noch Glauben zu halten, kann fie auf jede Weiſe be- 
teügen, belügen und übervortbeilen, ohne damit das geringjte 
Unrecht zu begehen. Das Brechen von Verträgen u. |. w. iſt 
nur. eine natürliche Confequenz ihrer Meinung von uns. 
Wollte man daher ven Charakter der Chinefen lediglich danach 


262 


beurtheilen, wie fie fich den Fremden gegenüber benehmen, 
fo würde man ſich Einſeitigkeit zu Schulden kommen Taffen. 
Dem ftrengen Moraliften erjcheint der Charakter immerbin 
noch ſchlimm genug, allein man darf an ein Volf, das ohne 
eigentliche Religion lebt, nicht ven Maßſtab .einer geläuterten 
hriftlichen Sittenlehre und Weltanſchauung legen. Vieles ift 
bei ihnen erlaubt und malellos, was unſere Moral als un- 
jittlich und verbrecherifch verurtheilt, und es Tann nicht Leicht 
ein Volk geben, das weniger von ber Wahrheit hält als das 
chineſiſche. Eine Lüge zu fagen, ift dem Chinefen nichts 
weniger als ehrenrührig. Im allgemeinen kann man an⸗ 
nehmen, daß er nie die Wahrheit redet, ſobald er ven ge- 
ringften Nachtheil dadurch befürchtet. Allein jedermann bält 
dies für fehr natürlich, und wir können uns deshalb nicht 
wundern, wenn wir von Chinefen nie bie Wahrheit hören, 
mögen unfere Fragen noch fo gleichgültiger Natur fein. Alles 
was wir dabei thun können ift, dem Chinefen zu zeigen, daß 
wir jeine Worte bezweifeln, weil er fich fonft noch auf unfere 
Koften Tuftig macht. 

Ebenfo ift es mit dem berüchtigten Kindermorde, von dem 
manche Reiſende mit Webertreibung erzählen. Wenn fich bie 
Thatfache auch nicht wegleugnen läßt, ja fogar zugegeben 
werben muß, daß die Regierung das abfcheuliche Berfahren 
duldet, fo gefchieht e8 Doch nur aus abfoluter Noth und in 
dem Falle, wenn Aeltern ihre Kinder durchaus nicht mehr zu 
ernähren vermögen. Auf andere Weife ift das Verbrechen 
auch gar nicht erklärlich. Wenn man fih nur furze Zeit in 
China aufgehalten und ‚fich die Muͤhe genommen hat, mit 
dem Volke fich etwas genauer befannt zu machen, muß man wahr- 
nehmen, daß nicht nur bie Kinder mit größter Ehrfurcht und 
Liebe zu den Aeltern aufblielen, fondern daß auch umgekehrt 
bie Anhänglichkeit ver Aeltern an die Kinder jehr groß tft, und, 
was man fonft and) an ben Chineſen auszufegen haben mag, 


263 


ihr Familienleben bildet gewiß eine ber jchönften Seiten 
ihres Charakters. Kinverlofigfeit ift, wie ich ſchon bemerkt 
habe, das größte Unglüd von Eheleuten. Dieſe berechtigt 
fogar den Dann, feine Frau zu verftoßen und eine andere 
zu nehmen oder neben ihr Kebsweiber zu halten. Zahlreiche 
Nachkommenſchaft, namentlich männliche, zu erzielen, ift ber 
ſehnlichſte Wunfch eines jeven Ehinefen, und bie ganze innere 
Politif der Regierung ift darauf berechnet, diefem Streben 
Vorſchub zu leiften. Wer feine Nachlommen bat, vie an 
feinem Grabe ihre Andacht verrichten, wird als der beflagens- 
werthefte Menſch angejeben. Wie reimt fich aljo diefe That- 
fache mit dem Beftchen eines Gebrauchs, der jener geradezu 
wiberfpricht? Nur Noth, die ſchrecklichſte Noth kann Aeltern 
bewegen, ihre Kinder zu töbten; und in einem fo überpölferten 
Lande, wo die Bewohner lediglich auf die Producte des Acker⸗ 
baues bezüglich ihrer Eriftenz angewieſen find, wie leicht Tann 
da eine folche Noth eintreten ! 

Sch felbft habe in der Nähe Kantons Kinderleichen ben 
Fluß hinabtreiben ſehen, bin aber weit entfernt, deswegen 
den Kindermord als eine regelmäßige und häufige Erfcheinung 
in China zu betrachten. Faſt alle Neifenpe, welche über dieſe 
Sache berichtet, befuchten nur Kanton und hielten das Ver⸗ 
brechen für eine Gewohnheit, weil fie häufig Kinderleichen 
in dem vor ihren Thüren vorbeifließenden und fchmalen Fluſſe 
ſchwimmen ſahen. Sie jcheinen jeboch gänzlich vergeffen zu 
haben, daß in und um Kanton circa 500,000 arme Menfchen 
auf dem Waffer leben, vaß in einem Fleinen Boote von 14 
Fuß Länge und 4 Fuß Dreite oft Familien mit 4—6 kleinen 
Kindern haufen; wie leicht ift es daher möglich, daß biefe 
Kinder durch Zufall über Bord fallen und gerave die Kale- 
baffe, der ausgetrocknete Flafchenfürbis, der falt bei allen 
dieſen Leichen fich vorfindet, beweift pie Zufälligfeit Des Todes. 
Wo in einem Boote Kinder fahren, die noch nicht verftändig 


264 


genug find, die fie umgebende Wafjergefahr zu beurtheilen, 
ſieht man fie regelmäßig mit dieſer Kalebaffe, die ihnen von 
ben eltern als Rettungsmittel gegen pas Ertrinfen umgebun- 
den wird. 

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chinefen fehr 
häuslich. Deffentliche Vergnägungsörter gibt e8 außer ben 
Theatern und Theehäufern nicht. Letztere befucht aber ein 
Mann aus der höhern Klaffe nicht. Bälle und Tanz fin 
fhon aus Rüdficht auf die Füße der Damen unzuläffig und 
daher unbefannt. ‘Die Frauen erſcheinen felten in Gegenwart 
von Fremden und eſſen auch nur bei Tiſche mit der eigenen 
Familie oder den nächiten Verwandten. Frauen ber höhern 
Klaſſe ficht man daher äuferft felten und auf den Straßen 
nie, da fie ftets ihre Beſuche in dicht verfchloffenen Sänften 
machen. Dagegen fpielen PVifiten und Zweckeſſen im gefell- 
fchaftlichen Leben eine Hauptrolle. Der Beſucher kommt in 
ber Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- 
geben, auf der fein Name und Titel geprudt iſt. Diefe Karten 
find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß 
mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern 
lange gefaltete Streifen, die man ebenfo gut als Zapeten 
verwenden könnte. Die Anftands- und Höflichkeitsformen 
unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range der Be- 
treffenden bemeffen und einem ganz bejtimmten Ceremonien- 
gejeg unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette 
bes frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei ben 
Befuchen fchreibt dieſes Gefek vor, die Freunde ftets einzuladen, 
biefe müſſen aber ebenfo ſtandhaft ausjchlagen, und lächerlich 
ift e8, das Complimentiren und bie Verſuche ver beiden Par- 
teien, es gegenfeitig zu verhindern, mit anzufehen. 

Nah dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm 
bis zur Sänfte oder zur Haus- oder BZimmerthür entgegen 
und ebenjo find die Verbengungen und Hinderungsnerfuche 


265 


genau danach regulirf. Die gewöhnliche Begrüßung unter 
Gleichgeftellten befteht darin, bie gefchloffenen Hände zufammen- 
zulegen und fie einigemale mit den Worten „Haustfing-tfing“ 
Bis an die Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie Tich 
wohl? und tfing, tfing: Heil, Heil! In den Worten tfing, 
tfing, tichop, tſchop (ſchnell), masfi (es macht nichts) und 
tſchau, tichau (effen) bejteht gewöhnlich die gefammte Kennt- 
niß der chinefiihen Sprache bei Fremden, mit ber fie fich 
den Landeseinwohnern verftändlich zu machen fuchen, wenn 
biefe nicht bereit8 einige Fortſchritte in dem berühmten Pitjchen- 
Englifh gemacht haben, das die gewöhnliche Converfation 
zwifchen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich 
ſpäter zurückkommen werde. 

Zunächſt wird der Beſuch in das Wohnzimmer geführt, 
wo ſich der für den Hausherrn und deſſen vornehmſten Gaſt 
beſtimmte Ehrenplatz befindet. Dies iſt bald eine Niſche, 
bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan⸗ 
filfen für den Kopf und zwei Fußſchemeln ausgerüſtet, auf 
benen beim Liegen bie Füße ruhen, während fich in ver Mitte 
ein Heiner Zifch erhebt, um Theetaſſen oder den Apparat zum 
Dpinmrauchen daraufzuſtellen. Diefer befteht zunächit aus 
Bfeifen von Bambusrohr mit Meffingkopf, die nach dem 
Stande des Beſitzers mehr oder minder koſtbar verziert find. 
Das Rohr hat feine Spige, fonbern ift einfach ſtumpf abge- 
ſchnitten, einen Zoll did ımd etwa 18 Zoll lang. Der Kopf 
ift Hein, gleicht einer Treisförnrigen Schale und hat im Boden 
nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Sted- 
nabelfopfes. Nebft der Pfeife fieht man eine Qampe, eine 
Büchfe mit dem Opium, eine fleine Schale und zwei ſtrick⸗ 
nabelähnliche Drabtftüde, deren eins an einem Ende mit 
einem Fleinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auegeftattet 
iM Beim Gebrauch taucht man die Nadel mit dem 
Knopf in das Opium, das die Eonflftenz von dickem Syrup 


— 


266 


bat, nimmt eine Exrbfengröße davon auf und Hält es über 
bie Lampe. Hier wirb e8 unter beftändigem Drehen gekocht, 
wobei es blafenförmig auftreibt und zulegt fich wieder zu 
einer feiten Kugel zufammenzieht. Dann ift aller Schmuz entfernt 
und nur das Narkoticum zurücdgeblieben. Dieſes wird über 
bie Heine Deffnung des Pfeifenkopfes gefchmiert, bie Pfeife ange- 
ftedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum 
verzehrt, worauf das Reſiduum mit ver Heinen Schaufel entfernt 
und auf bie erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wieberholt 
fich nun, bis die Wirkung des Stoffes ven gewünfchten Einfluß auf 
das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biejen in ben er- 
Ichlaffenden und trunfenen Zuftand verfegt, der fo viele An- 
nehmltchfeiten befigen joll, welche wir Europäer nicht zu 
würdigen wiffen, ver jedoch auch Körper und Geift ruinirt. 
An das Fußende des Ehrenplates fchließen ſich in rechten 
Winkeln zwei Reiben fchwerer maſſiver Armſeſſel für bie 
übrigen Gäfte an, die je nach ihrem Range dem erftern näher 
oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Nieberjegen wirb 
ven Gäften Thee präfentirt, Bei längerm Bleiben werben 
auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Vortgehen 
beobachtet man biefelben Formen wie bei ver Ankunft. 

Die Gaftmähler der Ehinefen zeichnen fich durch ihre Kofte 
barkeit und bie unendliche Barietät ihrer Speifen aus, bie 
oft aus den wunderbarſten Ingrebienzien befteben, jehr gut 
bereitet, fauber fervirt und auf den Schüffeln und ber Tafel 
außerorbentlich geſchmackvoll arrangirt find. Trotzdem munben 
fie uns vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, bie uns durch⸗ 
ans nicht auf den Tiſch zu gehören ſcheinen. Dabin rechne 
ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Zintenfifche, Haifiſch⸗ 
flofjen, bebrütete Xaubeneier und mehrere gallertartige Er- 
zeugniffe bed Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- 
flößt. Ich nahm mehrere male theil an chineftfchen Gaft- 
mäblern, und nahm mir dabei vor, alles durchzufoften, ein 


7 





267 


Vorſatz, ven ich beroifch durchführte. Daß irgendetwas geradezu 
ſchlecht geſchmeckt Hätte oder ungenießbar geivefen wäre, kann 
ich durchaus nicht behaupten; nur ber Gedanke: es ift pas 
und das, fehnürte bisweilen unwillkürlich vie Kehle zufammen. 

Die Chineſen haben eine beſondere Vorliebe für alle 
gelatindfen Subftanzen, benen fie gewiſſe ftärfende Kräfte zus 
fchreiben und an denen ihr Speifezettel paher: fehr reich ift. 
Dahin gehören auch die indischen VBogelnefter, die auf Feiner 
anftändigen Tafel fehlen und ſehr theuer bezahlt werden. Ich 
theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen 
Europäer, die fie gefoftet. Sie ſchmecken nad gar nichts, 
und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für 
Nudeln gehalten haben. Ihre Subftanz ift Inorpliger Natur 
und wird im Magen ber Schwalben, von denen die Nefter 
ftammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ 
mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu⸗ 
gänglichen Höhlen niften, aber feineswegs, wie früher die An⸗ 
ſicht war, ihre Nefter aus den Ueberreſten von Fifchen fertigen. 
Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fiſche. Nach» 
dem bie Neſter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge— 
wachen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft 
transparente weißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man 
fte in nudelähnliche feine Streifen und kocht fie abermals mit 
ftarfer Fleiſchbrühe. Das Pfund von den fchönften Neſtern 
foftet durchſchnittlich 20 Thaler, die Suppen find daher ziem- 
[ich theuer. “ 

Die chinefiiche Mahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen 
Thee, der auch ebenfo regelmäßig den Schluß bildet. Bier- 
zig bis funfzig Gerichte find pas Minimum bei einem an- 
jtändigen chinefifchen Diner, was jeboch.nicht zu viel ijt, ba 
jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaft 
zwei bis drei Biſſen enthält. Mit fünf ober ſechs Schüffeln 
wird gewöhnlich angefangen. Sie werben in bie Mitte bes 


268 


Tiſches geftellt, der ftets nur fo groß ift, daß die Gäfte ohne 
weitere Unbequemlichkeiten vie Speifen erreichen körmen. lm 
jene erften Schüffeln gruppiren fich allmählich die folgenden 
Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich 
mit Knoblauch gewürzten Sauce. Sämmtliche Fleiſchſpeiſen 
find in mundgerechte Stüde zerfchnitten, um fie ohne Hülfe 
von Meſſer und Gabel, vie ver Chinefe bei Tifche nicht ge- 
Braucht, mit den Efftäbchen faffen und fie in den Mund 
dringen zu fönnen. Die Stäbchen find von Elfenbein over Eben- 
holz, rund, fo did wie ein DBleiftift und etwa 6 Zoll lang. 
Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher da⸗ 
mit angefüllt zum Wechſeln für vie Gäfte Natürlich find 
diefe ganz neu und ungebraudht. So prädtig die Chinefen 
damit umzugehen wilfen, jo unbequem find fie für den nicht 
daran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung 
verurjacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Tiſch— 
genoffen. Wenn nicht der Hausherr den Gäften mitleivig zu 
Hürfe time und ihnen mit großer Geduld ftets etwas auf 
ihren Teller legte, würben dieſe häufig hungrig von ver Tafel 
aufftehen müſſen. Die Suppe wird aus Porzellanfchalen mit 
Heinen Porzellanlöffeln gegeffen. Neben jedem Couvert fteht 
eine Heine geſchmackvoll verzierte Theekanne mit Samtſchu, 
dem aus Reis bereiteten chinefifchen Branntwein, der aus 
feinen Porzellannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, 
getrunken wird, da er fehr ftarf ift und namentlich auf euro- 
Räiſche Naturen eine jehr nachtheilige Wirkung äußert. Es 
fommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich 
darin betrinfen, in vollftänpige Tollwuth verfallen und fich vie 
Schädel gegen Mauern einrennen. Die Chinefen find je- 
doch daran gewöhnt, fie trinfen fehr viel davon, und man 
kann fle durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäbten 
gibt es auch fehon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle 
erhielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol 


269 


unfere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- 
zutrinfen, und zwar fajt genau auf englifhe Weile. Der 
Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem 
vorher durch einen Bedienten aufmerkſam gemachten Gaſte 
zunickt und baranf fein Zrinkichälchen leert. . Dies geht dem 
Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find jchon 
deshalb unfere Gläſer unzuläſſig. Trotzdem ift e8 faft regel- 
mäßig der Fall, daß die meilten Gäſte von ihren Dienern 
Abends im Schuße der Dunkelheit und unter dem fchirmenden 
Dache einer verfchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht 
werben müffen. Ein Trinkſpiel, ähnlich dem italientfchen 
Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren 
Zahl ein zweiter gleichzeitig jagen muß, trägt hierbei haupt⸗ 
jählih die Schuld, da jever Fehler mit dem Trinken eines 
Schälchens beitraft wird. 

Sit der Tiſch von Speifen zu fehr angefüllt, fo tritt eine 
Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gaſte ein in heißes 
Waſſer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwiſchen 
der Hände und des Mundes dargereicht, und ein Gang ift 
beendigt. Bald darauf beginnt die Arbeit von neuem, und 
gewöhnlich dauert eine folhe Tafel 4 — 5 Stunden. Den 
Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nach 
ihr fommt das Dejert, aus Früchten, Eingemachten und Bad 
werk aller Art bejtehend. Große Diners werben gewöhnlich 
von muſikaliſchen und theatralifchen Darftellungen begleitet, 
bie jeboch die unangenehmfte Zugabe .von allem find und bie 
Europäer nervenfrant machen können. Sie werben weniger 
häufig im eigenen Haufe als in Reftaurationen gegeben, wahr- 
Theinlih, um die bamit verbundene Unruhe zu vermeiden. 
Für das niedere Volk beftehen vergleichen Reftaurationen 
in großer Zahl, und zu ihnen gejellen fi noch unzählige 
ambulante Küchen, in denen für wenige Rupfermünzen warme 
und kalte Speifen verabreicht werben. 


270 


So wählerifch die Reichern in ihren Speifen, fo Tiberal 
find die Aermern. Wenn es nur den Hunger ftillt, Tommt 
es ihnen gar nicht darauf an, was fie genießen. Die Noth 
zwingt fie bazu, und die Noth macht die Chinefen fowol zu 
Kochkünftlern, als fie auch die unendlichiten Varietäten von 
Speifen ſchafft. Was in China irgend Nahrungsftoff hat, wird 
hervorgefucht, um mit Hülfe der Kochkunft fchmadhaft oder 
wenigftens geniekbar gemacht zu werben. Sch habe ſchon 
früher der vielen Arten von Salaten erwähnt; ich glaube, es 
gibt in China Feine Pflanze, deren Blätter nicht dazu ver- 
wanbt würden. Neis bildet den Danptnahrungsftoff des ge- 
ſammten Volles, und wie man bei ung Morgen- Mittag- 
und Abendbrot fagt, jo heißen die Mahlzeiten in China 
Morgen» und Abenbreis, da man nur zwei berfelben hält. 
Zu ben Fleifchipeifen, die jedoch nur auf den Tiſch der Wohl- 
habenden kommen, liefern Schweine das größte Contingent, 
beren Fleiſch, namentlich wenn es recht fett ift, ver Chinefe 
außerordentlich liebt. Schafe gibt es im Süden bes Landes 
gar nicht, und Rindvieh im ganzen Lande fo wenig, daß es 
felten auf den Markt fommt. Bon zahmem Geflügel find 
Enten ſehr bevorzugt, und man fieht fie zu Hunderten in 
den Läden gelocht, gebraten, geräuchert, frifch gejchlachtet 
und lebendig, Hunde, Raten und Ratten werben jeboch 
ebenfo wenig verjchont und namentlich fieht man bie Ratten, 
fein weiß rafirt und fehr appetitlich ausfchauend, in ven 
Schlächterläden hängen. Die mittlere und ärmere Sllaffe 
fieht jedoch fehr felten Fleiſch auf ihrem Tiſche, ſondern 
lebt ftatt deſſen von Fiſchen, an denen bie von einem 
Kaltwaſſerſtrome befpülten Küften des Landes und auch 
die Flüſſe außerordentlich reich find. Tifcherei wird des⸗ 
halb auch in ganz China in großartigfter Weiſe betrieben, 
und man bat berechnet, daß faft ein Zehntel der Bevöl⸗ 
ferung damit bejchäftigt if. Nach dem, was ih an ben 


f 


271 


Küften felbit gefehen, wo wir täglich von Tauſenden von 
Dſchonken umgeben waren, iſt dies auch faum zu bezweifeln. 
Es gibt Fein Inftrument, um Fiſche zu berüden, das hier 
nicht mit Erfolg angewendet würde. Alle möglichen Arten 
Netze und Hamen, Angeln, Harpımen u. f. w. find in Ge 
branch; bei Tag und Nacht wirbe gefifcht, bei Mond⸗ und 
Fackelſchein und in tieffter Dunkelheit mit 'abgerichteten See- 
raben und Zauchern, mit Körben, Reuſen und Pfahlwert. 
Jeder Fluß, jeder See, jeder Pfuhl iſt mit Fiſchern bedeckt, 
ein Stüdchen Waſſer ift ebenfo viel werth wie fruchtbares 
Land, und wo feine Fiſche darin find, bevölkert man es bald 
durch Laich, mit dem über das ganze Reich ein Tebhafter 
Handel getrieben wird. Ein chinefifcher Fiſchmarkt iſt der 
frequentefte, geräufchuollfte, interefjantefte, aber auch zur 
gleich ſchmuzigſte und übelriechenpfte Punkt der ganzen Stabt; 
denn obſchon die Flußfiſche von ihren Verkäufern ſorgſam 
in friſchem Waffer gehalten und die unverlauften abends 
wieder in Teiche zurädgefegt werben, fo äußert fich Doch 
bei den Seefifchen bald ver Einfluß ver Wärme, und wenn man 
fie auch einfalzt, 'gefchieht Dies, gewöhnlich nicht eher, als bie 
es die höchfte Zeit if. Die Seen und Teiche liefern indeß 
auch noch andere efbare Sachen, Krebfe, Krabben, mit einem 
Worte alle fiſchbaren ruftaceen, Holothurien, Seeigel 
fommen zu Markte, ebenfo auch Wafferfaftanien (scirpus tubero- 
sus), Lotus (nelumbium) und Segras. Letteres wirb in enormen 
Uuantitäten von ber ärmern Klaffe gegeffen. Es Tommt 
von Japan, Korea und der Lieufien- Gruppe, an deren Küften 
ed wächft und in vielen Hunderten von Schiffsladungen nad) 
China ausgeführt wird. Dieſes Gras Aft fchilfartig, die 
Blätter find aber dicker und ſchwammig. Es foll Nahrungs- 
ftoffe enthalten, ſchmeckt aber nur falzig und wirb zum Reis 
genoffen, den es mwürzt. 


17. 


Die Landwirthſchaft der Chineſen. Wertbh des Düngers. Der R 

Die Baumwollencultur. Die Seidenproductien. Weberei und = 

in China. Die Borzelanfabrilarien Die Meiallkereitung. Hol 

Eifenbeinfchnigerei. Die Munftertigfeiz umr ber Mangel an Kır 
Die Ginekkbe Heiffeni 


Die Hanptbeichäitigang bes Volles ift ber Aderbau, 
die große Leberpälferung tes Yanres Bat jene Bewohner 
jwungen, tiefen Zweig ter Zellswirthicdhait auf eine W 
ju veroelllommmen, tie idhem tie Bewunberung ver Trühei 
Beſucher Chinas erregte war noch immer Beachtung verdie 
ebwel fie, wie vieles anvere im Neich ter Mitte, eft überihü 
iſt. Es üht fi micht im Abrede ftellen, def die Chizei 
ung überiegen fiat, we es jidh varum hantelt, amf tragbaren 
Boden ten mözlicht arefen Gewiem zu jieben: ie kleiben 
jedoch hinter und zurüd, wenn tie Melieratien jenen Boten? 
in Betrocht Tommi. Das eriere boben fie fheilmeiie der 
beilern Vearkeitung tes Aders, theilä ber Düngum mt Dr 
hantiung tes Sxatrfeıns rer ver Seat zu tenfen. 

Der Aderkun in Thina wirt ziel richtiger als Gartenbau 
bezeichnet; tie Felder made ale rem Cistead nen Garten⸗ 
deeten. amt nidt einmai ter Reis, ver te Stelle wie 
Korne vertritt, wirt zuiie, tezzure Safe für Zeiss mit der 








er u T r 
4 HB 

141 
,. 4 


264 


genug ſind, die ſie umgebende Waſſergefahr zu beurtheilen, 
ſieht man ſie regelmäßig mit dieſer Kalebaſſe, die ihnen von 
den Aeltern als Rettungsmittel gegen das Ertrinken umgebun— 
den wird. 

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chineſen ſehr 
häuslich. Oeffentliche Vergnügungsörter gibt es außer den 
Theatern und Theehäuſern nicht. Letztere beſucht aber ein 
Mann aus der höhern Klaſſe nicht. Bälle und Tanz ſind 
ſchon aus Rückſicht auf die Füße der Damen unzuläffig und 
daher unbekannt. Die Frauen erſcheinen ſelten in Gegenwart 
von Fremden und eſſen auch nur bei Tiſche mit der eigenen 
Familie oder den nächſten Verwandten. Frauen der höhern 
Klaſſe ſieht man daher äußerſt ſelten und auf den Straßen 
nie, da ſie ſtets ihre Beſuche in dicht verſchloſſenen Sänften 
machen. Dagegen ſpielen Viſiten und Zweckeſſen im gefell- 
fchaftlichen Leben eine Hauptrolle. Der Befucher kommt in 
ber Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- 
geben, auf ber fein Name und Titel gebrudt ift. Dieſe Karten 
find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß 
mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern 
lange gefaltete Streifen, die man ebenfo gut als Tapeten 
verwenden Tönnte. Die Anftands- und Höflichleitsformen 
unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range ver Be- 
treffenden bemeifen und einem ganz beſtimmten Ceremonien- 
gejeß unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette 
des frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei ven 
Befuchen Schreibt dieſes Gefeg vor, die Freunde ftets einzuladen, 
biefe müffen aber ebenfo ftandhaft ausichlagen, und lächerlich 
ift e8, das Complimentiren und bie Verfuche der beiden Par- 
teien, es gegenjeitig zu verhindern, mit anzujehen. 

Nah dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm 
bis zur Sänfte oder zur Haus- oder Zimmerthür entgegen 
und ebenjo find bie Verbeugungen und Hinderungsverſuche 


265 


genau danach regulirt. Die gewöhnliche Begrüßung unter 
Gleichgeſtellten befteht darin, die gefchloffenen Hände zufammen- 
zulegen und fie einigemale mit den Worten „Hau⸗tſing⸗tſing“ 
bis an bie Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie fich 
wohl? und tfing, fing: Heil, Heil! In den Worten tfing, 
tfing, tichop, tichop (ſchnell), maski (e8 macht nichts) und 
tichau, tichau (effen) beiteht gewöhnlich die gefammte Kennt- 
niß der chineſiſchen Sprache bei Fremden, mit ber fie: fi) 
den Randeseinwohnern verftändlich zu machen fuchen, wenn 
dieſe nicht bereits einige Fortſchritte in dem berühmten Pitichen- 
Engliſch gemacht haben, pas die gewöhnliche Eonverfation 
zwiichen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich 
fpäter zurüdfommen werde. 

Zunächſt wird ver Beſuch in das Wohnzimmer geführt, 
wo fich der für ven Hausherren und beffen vornehmften Gaft 
beitimmte Ehrenplatz befindet. Dies ift bald eine Nifche, 
bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan- 
filfen für den Kopf und zwei Fußſchemeln ausgerüftet, auf 
denen beim Liegen die Füße ruhen, während fich in der Mitte 
ein Heiner Tiich erhebt, um Theetaffen oder den Apparat zum 
Opiumrauchen baranfzuftellen. Diefer befteht zunächft aus 
Pfeifen von Bambusrohr mit Meffingkopf, die nach dem 
Stande des Beſitzers mehr oder minder foftbar verziert find. 
Das Rohr hat Feine Spige, ſondern ift einfach ſtumpf abge- 
fhnitten, einen Zoll did und etwa 18 Zoll lang. Der Kopf 
ift Hein, gleicht einer Freisförntigen Schale und hat im Boden 
nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Sted- 
nabelfopfes. Nebit ver Pfeife fieht man eine Lampe, eine 
Büchfe mit dem Opium, eine Fleine Schale und zwet ftrid- 
nabelähnliche Drahtftüde, deren eins an einem Ende mit 
einem Heinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auggeftattet 
it. Beim Gebrauch taucht man die Navel mit dem 
Knopf in das Optum, das die Eonfiftenz von dickem Syrup 


— 


266 


hat, nimmt eine Exrbfengröße davon auf und Hält es über 
bie Lampe. Hier wird e8 unter beftändigem Diehen gefocht, 
wobei es blafenförmig auftreibt und zuletzt fich wieder zu 
einer feften Kugel zufammenzieht. Dann ift aller Schmuz entfernt 
und nur das Narkoticun zurücgeblieben. Dieſes wird über 
bie Kleine Deffnung des Pfeifenkopfes gefchmiert, vie Pfeife ange- 
ftedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum 
verzehrt, worauf das Reſiduum mit der kleinen Schaufel entfernt 
und auf die erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wiederholt 
fich num, bis Die Wirfung des Stoffes ven gewünschten Einfluß auf 
das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biefen in den er- 
Ichlaffenden und trunkenen Zuftand verjegt, der fo viele An- 
nehmlichkeiten befigen foll, welche wir Europäer nicht zu 
würbigen wiffen, ber jedoch auch Körper und Geift ruinirt. 
An das Fußende des Ehrenplages ſchließen fich in vechten 
Winkeln zwei Reiben fehwerer maſſiver Armſeſſel für bie 
iibrigen Gäfte an, die je nach ihrem Nange dem erftern näher 
oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Nieberfegen wird 
den Gäften Thee präfentirt. Bei längerm Bleiben werben 
auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Fortgehen 
beobachtet man viefelben Formen wie bei der Ankunft. 

Die Gaftmähler der Chinefen zeichnen fich durch ihre Kofte 
barkeit und bie unendliche Barietät ihrer Speifen aus, bie 
oft aus ben wunderbarſten Ingredienzien befteben, fehr gut 
bereitet, fauber fervirt und auf ven Schüffeln und ber Tafel 
außerordentlich geſchmackvoll arrangirt find. Trotzdem munden 
fie ung vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, die ung durch 
aus nicht auf den Tiſch zu gehören jcheinen. Dahin rechne 
ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Tintenfiſche, Haifiſch⸗ 
floffen, bebrütete Taubeneier und mehrere gallertartige Er- 
zeugniffe des Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- 
flößt. Ich nahm mehrere male theil an chineſiſchen Gaft- 
mäblern, und nahm mir dabei vor, alles durchzufoften, ein 


267 


Borjak, ven ich beroifch purchführte. Daß irgendetwas gerapezu 
fchlecht geſchmeckt Hätte oder ungenießbar geweſen wäre, kann 
ich durchaus nicht behaupten; nur ber Gedanke: es tft Das 
und das, fchnürte bisweilen unwillfürlich die Kehle zufammen. 

Die Chinefen haben eine befondere Vorliebe für alle 
gelatindfen Subftanzen, denen fie gewiffe ftärfende Kräfte zu- 
ſchreiben und an benen ihr Speifezettel daher fehr reich ift. 
Dahin gehören auch die indiſchen VBogelnefter, die auf feiner 
anftändigen Tafel fehlen und jehr theuer bezahlt werden. Ich 
theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen 
Europäer, bie fie gefoftet. Sie fchmeden nach gar nichts, 
und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für 
Nudeln gehalten haben. Ihre Subftanz ift Inorpliger Natur 
und wird im Magen der Schwalben, von denen bie Nefter 
ſtammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ 
mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu- 
gänglichen Höhlen niften, aber feineswegs, wie früher bie An- 
ficht war, ihre Nefter aus den Ueberreftenvon Fischen fertigen. 
Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fifche. Nach» 
dem die Nefter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge- 
waschen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft 
transparente mweißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man 
fte in nudelähnliche feine Streifen und kocht fie abermals mit 
ſtarker Fleiſchbrühe. Das Pfund von den fchönften Nejtern 
foftet durchjchnittlih 20 Thaler, die Suppen find baher Biem- 
lich theuer. 

Die chinefifche Mahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen 
Thee, der auch ebenſo regelmäßig den Schluß bildet. Vier⸗ 
zig bis funfzig Gerichte find das Minimum bei einem ans 
jtändigen chinefifchen Diner, was jedoch nicht zu viel iſt, da 
jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaſt 
zwei bi8 drei Biſſen enthält, Mit fünf ober ſechs Schüffeln 
wird gewöhnlich angefangen. Ste werben in die Mitte bes 


268 


Tiſches geftelit, der ftets. nur jo groß tft, daß die Gäfte ohne 
weitere Unbequemlichkeiten die Speifen erreichen fünnen. Um 
jene erften Schüffeln gruppiren fi allmählich die folgenden 
Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich 
mit Knoblauch gewürzten Sauce. Sämmtliche Fleifchipeifen 
find in mundgerechte Stücke zerfchnitten, um fie ohne Hülfe 
von Meſſer und Gabel, die der Chinefe bei Tifche nicht ge- 
braucht, mit den Eßſtäbchen faffen und fie in den Mund 
bringen zu fönnen. Die Stäbchen find von Elfenbein oder Eben- 
holz, rund, fo did wie ein DBleiftift und etwa 6 Zoll Tang. 
Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher ba- 
mit angefüllt zum Wechfeln für die Gäſte. Natürlich find 
biefe ganz neu unb ungebraudht. So präctig die Chinefen 
damit umzugehen wilfen, fo unbequem find fie für den nicht 
baran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung 
verurfacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Zifch- 
genoffen. Wenn nicht der Hausherr ven Gäften mitleidig zu 
Hülfe käme und ihnen mit großer Geduld ftets etwas auf 
ihren Teller legte, würben viefe häufig hungrig von ber Tafel 
aufftehen müſſen. Die Suppe wird aus Porzellanfohalen mit 
Heinen Porzellanlöffeln gegeffen. Neben jebem Couvert fteht 
eine Heine geſchmackvoll verzierte Theefanne mit Samtfchu, 
bem aus Reis bereiteten chinefifchen Branntwein, der aus 
kleinen Porzellannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, 
getrunfen wird, da er fehr ftarf ift und namentlich auf euro- 
gäifche Naturen eine fehr nachtheilige Wirkung äußert. Es 
fommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich 
darin betrinfen, in vollftändige Tollwuth verfallen und fich die 
Schädel gegen Mauern einrennen. Die Chinefen find je- 
doch daran gewöhnt, fie trinken fehr viel davon, und man 
kann fte durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäpten 
gibt e8 auch fehon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle 
erhielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol 


Tr 


269 


unſere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- 
zutsinfen, und zwar fajt genau auf engliihe Weile. Der 
Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem 
vorher durch einen Bedienten aufmerffam gemachten Gafte 
zunickt und baranf fein Trinkſchälchen leert. Dies geht dem 
Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find fchon 
deshalb unfere Gläſer unzuläſſig. Trotzdem iſt es faft regel 
mäßig der Fall, dag die meilten Gäſte von ihren Dienern 
Abends im Schuße der Dunfelbeit und unter dem fchirmenben 
Dache einer verjchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht 
werden müſſen. Ein Zrinfipiel, ähnlich dem italienifchen 
Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren 
Zahl ein zweiter gleichzeitig jagen muß, trägt hierbei haupt⸗ 
ſächlich die Schuld, da jever Fehler mit dem Trinken eines 
Schälchens beſtraft wirb. 

Iſt der Tiſch von Speiſen zu ſehr angefüllt, ſo tritt eine 
Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gaſte ein in heißes 
Waſſer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwiſchen 
ber Hände und bes Mundes dargereicht, und ein Gang ift 
beendigt. Bald barauf beginnt bie Arbeit won neuem, und 
gewöhnlich dauert eine folche Tafel 4—5 Stunden. Den 
Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nach 
ihr fommt das Defert, aus Früchten, Eingemachtem und Bad 
werk aller Art beftehend. Große Diners werben gewöhnlich 
von mufilalifhen und theatralifchen Darjtellungen begleitet, 
bie jedoch die unangenehmfte Zugabe .von allem find und bie 
Europäer nervenkrank machen können. Sie werben weniger 
häufig im eigenen Haufe als in Neftaurationen gegeben, wahr- 
ſcheinlich, um bie bamit verbundene Unruhe zu vermeiden. 
Tür das niebere Volk beftehen vergleichen Reitaurationen 
in großer Zahl, und zu ihnen gejellen ſich noch unzählige 
ambulante Küchen, in benen für wenige Kupfermünzen warme 
und kalte Speifen verabreicht werben. Ä 


264 


genug ſind, die ſie umgebende Waſſergefahr zu beurtheilen, 
ſieht man ſie regelmäßig mit dieſer Kalebaſſe, die ihnen von 
den Aeltern als Rettungsmittel gegen das Ertrinken umgebun- 
den wird. 

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chineſen ſehr 
häuslich. Oeffentliche Vergnügungsörter gibt es außer den 
Theatern und Theehäuſern nicht. Letztere beſucht aber ein 
Dann aus der höhern Klaffe nicht. Bälle und Tanz ſind 
ſchon aus Rüdficht auf die Füße der Damen unzuläffig und 
baber unbekannt. Die Frauen -erjcheinen felten in Gegenwart 
von Fremden und effen auch nur bei Tiſche mit der eigenen 
Familie oder den nächiten Verwandten. rauen ber höhern 
Klaſſe fieht man daher äußerft felten und auf den Straßen 
nie, da fie ſtets ihre Beſuche in dicht verfchloffenen Sänften 
machen. Dagegen fpielen PVifiten und Zweckeſſen im gefell- 
fchaftlihen Leben eine Hauptrolle. Der Befucher kommt in 
ver Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- 
geben, auf der fein Name und Zitel gedruckt ift. Diefe Karten 
find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß 
mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern 
lange gefaltete Streifen, bie man ebenfo gut als Tapeten 
verwenden könnte. Die Anftande- und Höflichkeitsformen 
unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range ber Be- 
treffenden bemeffen und einem ganz bejtimmten Geremonien- 
gejeß unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette 
des frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei den 
Beſuchen jchreibt diefes Gefet vor, die Freunde ftets einzuladen, 
biefe müſſen aber ebenfo ftandhaft ausjchlagen, und lächerlich 
ift es, das Complimentiren und bie VBerfuche ber beiden Par- 
teien, e8 gegenjeitig zu verhindern, mit anzufehen. 

Nach dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm 
bis zur Sänfte oder zur Haus- oder Zimmerthür entgegen 
und ebenjo find die Verbeugungen und Hinderungsverſuche 





265 


genau danach regulirt. Die gewöhnliche Begrüßung "unter 
Gleichgeſtellten befteht darin, die gefchloffenen Hände zufammen- 
zulegen und fie einigemale mit den Worten „Hau stfing-tfing” 
bis an die Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie Tich 
wohl? und tfing, tfing: Heil, Heil! In den Worten tfing, 
tfing, tichop, tichop (ſchnell), maski (es macht nichts) und 
tichau, tfchau (effen) beiteht gewöhnlich die gefammte Kennt- 
niß der chinefifchen Sprache bei Fremden, mit ver fie fich 
den Landeseinwohnern verftänplich zu machen fuchen, wenn 
dieſe nicht bereits einige Fortſchritte in dem berühmten Pitfchen- 
Engliſch gemacht haben, das die gewöhnliche Eonverfation 
zwilchen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich 
fpäter zurückkommen werbe. 

Zunächſt wird ver Beſuch in das Wohnzimmer geführt, 
wo fich der für ven Hausherren und deffen vornehmften Gaft 
beftimmte Ehrenplat befindet. Dies ift bald eine Nifche, 
bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan- 
fiffen für den Kopf und zwei Tußfchemeln ausgerüftet, auf 
denen beim Liegen die Füße ruhen, während fich in der Mitte 
ein Feiner Tiſch erhebt, um Theetaſſen oder ven Apparat zum 
Opiumrauchen baranfzuftellen. SDiefer beſteht zunächft aus 
Pfeifen von Bambusrohr mit Meffingfopf, die nach dem 
Stande des Bejigers mehr oder minder foftbar verziert fin. 
Das Rohr hat Feine Spite, fondern ift einfach fiumpf abge- 
ſchnitten, einen Zoll did und etwa 18 Zoll lang. Der Kopf 
ift Hein, gleicht einer Freisförmigen Schale und hat im Boden 
nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Steck⸗ 
nabelfopfes. Nebſt ver Pfeife fieht man eine Lampe, eine 
Büchſe mit dem Opium, eine Fleine Schale und zwei ftrid- 
nadelähnliche Drahtftüde, deren eins an einem Ende mit 
einem Heinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auggeftattet 
ft. Beim Gebrauch taucht man die Nabel mit dem 
Knopf in das Opium, das die Eonftftenz von dickem Syrup 


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hat, nimmt eine Erbfengröße davon auf und hält es über 
bie Lampe. Hier wird e8 unter beftändigem Diehen gelocht, 
wobei es blafenförmig auftreibt und zuletzt fich wieder zu 
einer feften Kugel zufammenziebt. Dann ift aller Schmuz entfernt 
und nur das Narkoticum zurüdgeblieben. Dieſes wird über 
bie Feine Deffnung des Pfeifenfopfes geſchmiert, die Pfeife ange- 
jtedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum 
verzehrt, worauf das Reſidnum mit der Heinen Schaufel entfernt 
und auf die erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wiederholt 
ſich nun, bis die Wirkung des Stoffes ven gewünfchten Einfluß auf 
das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biejen in ben er- 
Ichlaffenden und trunfenen Zuftand verfegt, ver jo viele An- 
nehmlichfeiten befigen fol, welche wir Europäer nicht zu 
würdigen wiſſen, ver jedoch auch Körper und Geift ruinirt. 
An das Fußende des Ehrenplages jchließen ſich in rechten 
Winkeln zwei Reihen jchwerer maffiver Armſeſſel für bie 
übrigen Gäfte an, die je nach ihrem Range dem erftern näher 
oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Niederfegen wird 
den Gäſten Thee präfentirt. Bei längerm Bleiben werben 
auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Vortgehen 
beobachtet man diefelben Formen wie bei der Ankunft. 

Die Gaftmähler der Chinefen zeichnen fich durch ihre Kofte 
barfeit und die unendliche Varietät ihrer Speifen aus, Die 
oft aus den wunderbarſten Ingrebienzien beftehen, jehr gut 
bereitet, jauber fervirt und auf ven Schüffeln und ver Tafel 
außerorventlich geſchmackvoll arrangirt find. Trogdem munden 
fie uns vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, bie ung durch⸗ 
aus nicht auf den Tiſch zu gehören fcheinen. Dahin rechne 
ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Zintenfifche, Haifiſch⸗ 
fioffen, bebrütete Taubeneier und mehrere gallertartige Er- 
zeugniffe des Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- 
flößt. Ich nahm mehrere male theil an chinefifchen Gaft- 
mäblern, und nahm mir dabei vor, alles purchzufoften, ein 


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Borjat, ven ich beroifch purchführte. Daß irgendetwas gerapezu 
fchlecht geſchmeckt hätte oder ungenießbar geweſen wäre, kann 
ich durchaus nicht behaupten; nur ver Gedanke: es tft das 
und das, fchnürte bisweilen unwillfürlich vie Kehle zufammen, 

Die Ehinefen haben eine beſondere Vorliebe für alle 
gelatindfen Subftanzen, denen fie gewiſſe ſtärkende Kräfte zu- 
fehreiben und an denen ihr Speifezettel daher jehr reich tit. 
Dahin gehören auch die inpifchen Vogelneſter, bie auf Feiner 
anftändigen Tafel fehlen und fehr teuer bezahlt werden. Ich 
theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen 
Europäer, die fie gekoſtet. Sie ſchmecken nad gar nichts, 
und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für 
Nudeln gehalten haben. Ihre Subitanz ift Inorpliger Natur 
und wird im Magen ver Schwalben, von denen bie Nefter 
ſtammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ 
mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu⸗ 
gänglichen Höhlen niften, aber Teineswegs, wie früher die An- 
fiht war, ihre Nefter aus den Ueberreften"von Fifchen fertigen. 
Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fiſche. Nach⸗ 
bem die Nefter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge- 
waschen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft 
transparente weißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man 
fie in nubelähnliche feine Streifen und Tocht fie abermals mit 
ftarfer Fleifchbrühe. Das Pfund von den jchönften Neftern 
foftet durchſchnittlich 20 Thaler, pie Suppen finb daher ziem- 
lich thener. “ 

Die chinefifche Meahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen 
Thee, der auch ebenfo regelmäßig den Schluß bildet. Vier⸗ 
zig bis funfzig Gerichte find das Minimum bei einem an- 
ſtändigen chinefifchen Diner, was jeboch.nicht zu viel iſt, da 
jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaft 
zwei bis drei Bilfen enthält. Mit fünf oder ſechs Schüffeln 
wird gewöhnlich angefangen. Ste werben in bie Mitte des 


268 


Tiſches geftellt, der ſtets nur fo groß ift, daß die Gäſte ohne 
weitere Unbequemlichkeiten die Speifen erreichen fönnen. Um 
jene erſten Schüffeln gruppiren fich allmählich die folgenpen 
Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich 
mit Knoblauch gewärzten Sauce. Sämmtliche Fleifchfpeifen 
find in mundgerechte Stücke zerfchnitten, um fie ohne Hüffe 
von Meffer und Gabel, vie ver Chinefe bei Tiſche nicht ge- 
braucht, mit den Eßſtäbchen faffen und fie in den Mund 
bringen zu können. Die Stäbchen find von Elfenbein over Eben- 
holz, rund, jo did wie ein Bleiftift und etwa 6 Zoll lang. 
Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher da⸗ 
mit angefüllt zum Wechfeln für die Gäſte. Natürlich find 
biefe ganz neu und ungebraudht. So prächtig die Chinefen 
bamit umzugehen wiffen, jo unbequem find fie für ven nicht 
daran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung 
verurfacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Xifch- 
genoffen. Wenn nicht der Hausherr ven Gäften mitleidig zu 
Hülfe käme und ihnen mit großer Gebuld ftets etwas auf 
ihren Zeller legte, würben vieje häufig hungrig von der Tafel 
aufftehen müffen. Die Suppe wird aus Borzellanfchalen mit 
Heinen Porzellanlöffeln gegefien. Neben jevem Couvert fteht 
eine Heine geichmadvolt verzierte Theelanne mit Samtjchu, 
dem aus Reis bereiteten chinefiichen Branntwein, der aus 
Heinen Porzelannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, 
getrunfen wirb, da er fehr ftarf ift und namentfich auf euro- 
"Gäifche Naturen eine ſehr nachtheilige Wirkung äußert. Es 
kommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich 
darin betrinfen, in vollftändige Zollwuth verfallen und fich vie 
Schädel gegen Mauern einrennen. Die Ehinefen find je- 
doch daran gewöhnt, fie trinken ſehr viel bavon, und man 
kann fie durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäbten 
gibt es auch ſchon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle 
erbielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol 


269 


unſere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- 
zutrinfen, und zwar faft genau auf englifhe Weiſe. Der 
Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem 
vorher durch einen Bedienten aufmerkffam gemachten Gafte 
zunickt und darauf fein Trinkſchälchen leerrt. Dies geht dem 
Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find fchon 
deshalb unfere Gläfer unzuläſſig. Trotzdem ift es faft regel- 
mäßig der Fall, daß die meiften Gäfte von ihren Dienern 
Abends im Schuße der Dunkelheit und unter dem fchirmenden 
Dache einer verfchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht 
werden müſſen. Ein Trinkſpiel, ähnlih dem italienischen 
Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren 
Zahl ein zweiter gleichzeitig fagen muß, trägt hierbei haupt⸗ 
jählih bie. Schuld, da. jever Fehler mit dem Trinken eines 
Schälchens beftraft wird. 

St der Tiſch von Speijen zu fehr angefüllt, fo tritt e eine 
Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gafte ein in heißes 
Waffer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwifchen 
der Hände und des Mundes bargereicht, und ein Gang ift 
beendigt. Bald darauf beginnt bie Arbeit von neuem, und 
gewöhnlich dauert eine foldhe Tafel 4—5 Stunden. Den 
Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nad 
ihr fommt das Defert, aus Früchten, Eingemachtem und Bade 
wert aller Art beſtehend. Große Diners werden gewöhnlich 
von mufilalifchen und theatralifchen Darſtellungen begleitet, 
bie jedoch die unangenehmfte Zugabe ‚von allem find und bie 
Europäer nervenfranl machen können. Sie werben weniger 
häufig im eigenen Haufe als in Reftaurationen gegeben, wahr: 
Tcheinlih, um die damit verbundene Unruhe zu vermeiden. 
Für das niebere Volk beftehen dergleichen WReftaurationen 
in großer Zahl, und zu ihnen gefellen fich noch unzählige 
ambulante Küchen, in denen für wenige Kupfermünzen warme 
und falte Speifen verabreicht werben. 


270 


So wählerifch die Reichern in ihren Speifen, fo liberal 
find bie Aermern. Wenn e8 nur den Hunger ftilit, kommt 
es ihnen gar nicht darauf an, was fie genießen. Die Noth 
zwingt fie dazu, und bie Noth macht die Chinefen fowol zu 
Kochkünitlern, als fie auch die unendlichiten Varietäten von 
Speifen ſchafft. Was in China irgend Nahrungsftoff hat, wird 
bervorgefucht, um mit Hülfe der Kochkunft ſchmackhaft oder 
wenigjtend genießbar gemacht zu werben. Ich habe ſchon 
früher der vielen Arten von Salaten erwähnt; ich glaube, es 
gibt in China feine Pflanze, deren Blätter nicht dazu ver- 
wandt würben. Weis bilbet den Dauptnahrungsftoff des ge⸗ 
fammten Volles, und wie man bei und Morgen- Mittag- 
und Abendbrot jagt, jo heißen die Mahlzeiten in China 
Morgen» und Abendreis, da man nur zwei berfelben hält. 
Zu den Fleifchipeifen, die jedoch nur auf den Tiſch der Wohl- 
habenden kommen, liefern Schweine das größte Contingent, 
deren Fleiſch, namentlich wenn es vecht fett ift, ber Chinefe 
außerorbentlich liebt. Schafe gibt es im Süden bes Landes 
gar nicht, und Rindvieh im ganzen Lande jo wenig, daß es 
jelten auf den Markt kommt. Bon zahmem Geflügel find 
Enten ſehr bevorzugt, und man fieht fie zu Hunderten in 
ben Läden gelocht, gebraten, geräuchert, friſch gefchlachtet 
und lebendig, Hunde, Kaben und Ratten werben jedoch 
ebenfo wenig verjchont und namentlich fieht man die Ratten, 
fein weiß vafirt und fehr appetitlih ausſchauend, in ben 
Schlächterläden hängen. Die mittlere und ärmere Klaſſe 
fieht jedoch ſehr felten Fleiſch auf ihrem Zifche, fondern 
lebt ftatt deſſen von Zifchen, an benen bie von einem 
Kaltwafferftrome beſpülten Küften des Landes und auch 
die Flüffe außerorventlich reich find. Fiſcherei wird des⸗ 
bald auch in ganz China in großartigiter Weife betrieben, 
und man bat berechnet, daß faft ein Zehntel ver Bevöl⸗ 
kerung damit bejchäftigt ift. Nach bem, was id an ben 





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271 


Küften felbft gejeben, wo wir täglich von Zaufenden von 
Dſchonken umgeben waren, tft dies auch kaum zu bezweifeln. 
Es gibt Fein Imftrument, um Fiſche zu berüden, das hier 
nicht mit Erfolg angewendet würde. Alle möglidden Arten 
Nege und Hamen, Angeln, Harpımen u. f. w. find in Ge 
brauch; bei Zag und Nacht wirbe geftfcht, bei Mond⸗ und 
Fackelſchein und in tieffter Dunkelheit mit abgerichteten See- 


raben und Tauchern, mit Körben, Reufen und Bfahlwerf. 


Jeder Fluß, jeder See, jeder Pfuhl ift mit Fiſchern bevedt, 
ein Stüdchen Waffer ift ebenfo viel wertb wie fruchtbares 
Land, und wo feine Fifche darin find, bevölkert man es bald 
durch Laich, mit dem über das ganze Neich ein Lebhafter 
Handel getrieben wird. Ein chinefifcher Fiſchmarkt ift ber 
frequentefte, geräufchvollfte, intereffantefte, aber auch zu⸗ 
gleich fchmuzigfte und übelriechendfte Punkt der ganzen Stabt; 
denn obſchon bie Flußfiſche von ihren Verkäufern forgfam 
in friſchem Waffer gehalten und die unverkauften abends 
wieder in Teiche zurücdgefegt werben, jo Außert fich doch 
bei den Seefiichen bald ver Einfluß der Wärme, und wenn man 
fie auch einfalzt, geſchieht Dies, gewöhnlich nicht eher, als bis 
es die höchfte Zeit if. Die Seen und Teiche liefern indeß 
auch noch andere eßbare Sachen, Krebfe, Krabben, mit einem 
Worte alle fifchharen Cruſtaceen, Holothurien, Seeigel 
fommen zu Markte, ebenfo auch Wafferfaftanien (scirpus tubero- 
sus), Lotus (nelumbium) und Segras. Lebteres wird in enormen 
Duantitäten von der ärmern Klaffe gegefien. Es Tommt 
von Japan, Korea umd der Lieufien- Gruppe, an deren Küften 
es währt und in vielen Hunderten von Schiffslanungen nad 
China ausgeführt wird. Diefes Gras Aft fehilfartig, bie 
Blätter find aber dicker und ſchwammig. Es foll Nahrungs- 
ftoffe enthalten, ſchmeckt aber nur falzig und wird zum Reis 
genoffen, ven es würzt. 


1. 


Die Landiwirtbfchaft der Chineſen. Werth des Düngers. Der Reisbau. 

Die Baummwollencultur. Die Seidenprobuction. Weberei und Stiderei 

in China. Die Porzellanfabrifation. Die Metallbereitung. Holz» und 

Eifenbeinfohnigerei. Die Kunftfertigkeit und ber Mangel an Kunftfinn. 
Die chinefiſche Heilkunde. 


Die Hauptbeſchäftigung des Volkes ift der Aderbau, und 
die große Uebervölkerung des Landes bat feine Bewohner ge= 
zwungen, biefen Zweig der Volfswirthichaft auf eine Weiſe 
zu vervollfommmen, vie ſchon die Bewunderung ber früheiten 
Bejucher Chinas erregte und noch immer Beachtung verbient, 
obwol fie, wie vieles andere im Reich ver. Mitte, oft überfchätt 
iſt. Es läßt fich nicht in Abrede ftellen, daß bie Chinefen 
uns überlegen find, wo e8 fich darum handelt, aus tragbarem 
Boden den möglichft großen Gewinn zu ziehen; fie bleiben 
jedoch hinter ung zurüd, wenn die Melioration fterilen Bodens 
in Betracht kommt. Das erftere haben fie theilweile ber 
beffern Bearbeitung des Aders, theild der Düngung und Der 
handlung des Saatlorns vor der Saat zu danfen. 

Der Aderbau in China wird viel richtiger als Gartenbau 
bezeichnet; die Felder machen alle den Eindrud von Garten- 
beeten, und nicht einmal der Neis, der die Stelle unſers 
Korns vertritt, wird gefäet, fondern Halm für Halm mit der 


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Su I, 273. 


Chineffcher Bauerhof in der Mähe von Schang- har. 


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274 


- Baumwolle oder Seide und Filz gefertigt wird. Außer 
Schweinfleifh und Geflügel wird faft fein Fleifch gegeffen. 
Biehzucht findet daher nur in fehr geringem Maßſtabe ftatt. 
Das Culturland fteht nicht im Verbältniß zu der ungehenern 
Bevölkerungszahl, ſodaß man anf Weideland verzichten muß. 
Ich Habe Dörfer von 1500-2000 Einwohnern gefehen, deren 
ganzer Viehbeftand drei bis vier Dchfen waren, bie fich außer⸗ 
dem in feinem befondern Zuftande befanden. Das Vieh wirp 
nur auf Streden getrieben, vie Feine Frucht bervorzubringen 
vermögen. Heu tft ein fo unbekannter Artikel, daß bie 
Fremden, welche fih in China Pferde Halten, daſſelbe aus 
Europa beziehen. 

Schon aus biefem Grunde fehlt es an feften Dünger, 
und das Volk ift gezwungen, feine Zuflucht zu ben menſch⸗ 
lichen Auswürfen zu nehmen, die dann auch im ganzen Lande 
auf die forgfamfte Weile gefammelt werden. Da diefer Dün- 
ger aber nicht ausreicht, fo werben alle Subftanzen, bie. nur 
irgend Düngkraft befigen, hinzugefügt. Als ein Beiſpiel ver 
Sorgſamkeit in diefer Beziehung will ih nur anführen, daß 
eine Menge Mienfchen allein mit dem Sammeln ver abrafirten 
Haare in ven Barbierläden ihren Unterhalt erwerben, bie fie 
als Dünger verlaufen. - Im erflen Augenblid mag dies be- 
lächelt werben; wenn man aber bedenkt, daß in China durch» 
fchnittlich täglich 100 Millionen Menſchen der Kopf raſirt 
wird, erjcheint die Sache rationeller. 

Der Werth des Düngers wird ben Europäern hier fo 
deutlich vor Augen geführt wie nirgends faft, und dabei freilich 
auf Auge und Nafe wenig Rücficht genommen. Die Latrinen 
für das Publikum find ſtets an den belebteften Plägen ange- 
legt, und je ängftlicher man beftrebt geweſen ift, durch fauber 
gemauerte Reſervoirs unter Ber Erbe dafür zu forgen, daß 
auch nicht das Fleinfte Quantum des Toftbaren Stoffes ver- 
geudet werbe, deſto forgkojer ift die Einrichtung über ber 


" 275 


Erbe getroffen. Derartige Pläge liegen offen vor ben Blicken 
der Vorübergehenden da. Ebenfo wenig werben, wie bemerft, 
die Nafen verfchont, da man in allen Straßen und zu allen 
Tageszeiten Kulis begegnet, die mit zwei mächtigen Eimern 
ſolchen Düngers fich durch die dicht gevrängten Menfchenmaf- 
fen winden und ſich dem Fremden burch einen beleidigenven 
Geruch bemerflich machen, auch wol ganz harmlos im Vorüber⸗ 
gehen beffen Kleider ftreifen. Auf chinefiiche Nafen fcheint 
biefer Duft feinen unangenehmen Eindruck zu machen; über- 
haupt feheint ihr Geruchsorgan nicht fo zart conftruirt wie 
das unſere, da ſie ſonſt unmöglich ben ſchrecklichen Geſtank 
in ihren engen Häuſern und Straßen zu ertragen vermöchten. 

Die Reisfelder werden gar nicht gedüngt, ſondern das 
Saatkorn wird einige Tage vor der Saat in flüſſigem gego- 
venen Dünger geweicht. Dieſes gejchieht übrigens mit alfer 
Saat, nnd dies beförbert nicht nur das Keimen, ſondern ſchützt 
das Korn auch in der Erbe gegen Infeltenfraß, ſodaß das 
Berfahres in beider Hmficht die Beachtung unferer Landwirthe 
verdient. 

Unfer Korn wird in China faft gar nicht gebaut, dagegen, 
wo es irgend angeht, Reis, das hauptjächlichfte Nahrungs- 
mittel des Volle. Die Alluvialebenen, an denen das Land 
fo reich ift und die fich mit geringer Mühe bewäffern laffen, 
eignen fich befonders dazu, und namentlich find vie ſüdlichen 
Provinzen die Kornlammern des Reichs, obwol fie immer 
noch nicht den Bedarf deden und jährlih noch Millionen von 
Centnern aus Siam, Cochinchina und Iava eingeführt werben. 

Sind im Frühjahr die Felder durch ben reichlich im März 
fallenden Regen bewäflert, jo werben fie noch naß gepflügt 
oder gehadt und für die Aufnahme ber jungen Reispflanzen 
vorbereitet, die vorher in andern bazu geigneten Heinen Fel« 
dern gefäet und gezogen werben. Sobald dieſe Pflänzchen 
5—6 Zoll erlangt haben, werben fie auf die eigentlichen Sel- 

18* 


276 


ver verpflanzt, und zivar field in Büfcheln, die zu 6 und 8 Zoll 
nach allen Richtungen voneinander abftehen. Danach wird 
ber Ader wierer einige Zoll unter Waffer geſetzt und fo ger 
halten, bis fich die Pflanzen gelb fürben und bie Zeit ber 
Reife naht. Nun läßt man das Waſſer allmählich ab, ſodaß 
mit dem Eintritt ber Ernte Ende Juli das Feld troden 
liegt. Die Büfchel werben mit einem fichelförmigen Meſſer 
nahe über ber Erbe abgeſchnitten und bie Garben fofort ge 
heimft. Unmittelbar danach beginnen bie Borbereitimgen für 
bie zweite Saat. Die Aecker werden gereinigt, bewäffert und 
gepflügt, und die zweite Ernte findet dann im November ftatt. 
Der Reis wird, ganz wie bei uns das Getreide, auf Tennen von 
feftgeitampfter Erde mit Flegeln gedroſchen und das Reiskorn 
buch Stampfen enthülſt. Bisweilen find dieſe Stampfen 
förmliche Mühlen, die von Ochſen getrieben werben; meiſtens 
geiieht das Enthülfen jedoch in Handſtampfen, halbkngel⸗ 
fürmigen Steinmörfern, in die das Korn gefchüttet und iu 
benen e8 mit einem fchweren Holzſtampfer in Ferm eines 
abgeitumpften Kegels bearbeitet wird. ‘Der Stiel des Stam- 
pfers ift an einer fich in Zapfen drehenden Welle befeftigt, 
an ber fich Längere Hebel befinden, vie abwechſelnd mit ben 
Süßen wieder getreten und losgelaffen werben. 

Für die Bewäfferung ihrer Felder befiten vie Chinefen 
eine Menge einfacher aber fehr finnreicher und wirffamer Vor⸗ 
richtungen, die wahrjcheinfich ebenfo alt wie pie Geſchichte 
ihres Aderbaues find. Außer einer Meafchinerie, die nach 
dem Princip unferer Flußbaggermaſchinen conftruirt tft und 
als eine Art Kettenpumpe wirkt, werbient eine andere einfache 
Vorrichtung Erwähnung, vermittelft deren das Waffer an 
hoben Ufern 40—50 Fuß hoch emporgehoben wird. Dies 
gefchieht mit Hülfe eines Rades von großem Durchmeffer, 
das ganz ähnlich wie ein Unterwaflerrad, aber aus Bambus 
gebaut ift und dadurch, neben beveutender Feſtigkeit, große Leich⸗ 


277 


tigfeit und Beweglichkeit erhält, wie bei uns- gebränchliches 
Material fie nicht zu geben vermag. Statt der Schanfeln 
find an ber Peripherie des Rades etwas fehräg geftellte und 
am untern Ende werjchtoffene Bambusröhren von 3—4 Zoll 
Durchmeffer angebracht. Der Strom fest das Rab ohne 
weitere Hülfe in Bewegung, und eine Röhre fteigt nach der 
andern empor, um nachbem fie oben angekommen, ihren Inhalt 
in eine neben das Rad gelegte Rinne und durch dieſe auf 
das Feld zu ergießen. | 

Unter andern Felofrüchten werben Bohnen und Erbſen ger 
wonnen. Lebtere läßt man vielfach nicht reifen, fondern nur 
feimen, und bringt fie fo zu Markt, wo fie als eine beliebte 
Speife viel gefauft werden. Im Norden wird eine Art Bohne 
gebant, aus der man Del preßt, das allgemein im Lande zum 
Betten der Speiſen fowie zum Brennen verwandt wird. “Die 
ansgepreßten Bohnenfuchen bilden einen ungemein bedeutenden 
Handelsartikel nach dem Süpen, wo fie fowol als Biehfutter 
iwie als Dünger verivandt werden. Sehr viele deutſche Schiffe 
find bei diefem Handel betheiligt. 

Unfer europäiſches Obſt ift ſämmtlich im Norden Chinas 
zu Hanfe, während fi der Süden reich an tropifchen Früch- 
ten zeigt. Faſt alle Flußufer find in ununterbrochener Reihe 
mit Obftbänmen bepflanzt, die in dem fchönen Alluvium 
üppig gebeiben und jedenfalls nutzbringender als unfere 
Anpflanzungen von Weiden und Erlen find. So fchön 
jedoch bie tropifchen Früchte, fo geſchmacklos iſt das übrige 
Obſt. Birnen, Uepfel und Pflaumen haben ein prachtuolles 
Ausfehen, fchmeden aber ſämmtlich wie Kohlrüben. Nur 
Pfirfichen und Weintranden find Toftbar. Man ißt das 
Stein- und Kernobſt deshalb auch nie roh, ſondern ftetS ge 
ſchmort oder in Zucker eingemacht. Im Einmachen von 
Früchten find Die Chinefen Meifter, und die Fabrik des Tſchai⸗ 
fung in Kanton erfreut fich in dieſer Beziehung eines in ber 


278 


ganzen Welt verbreiteten und wohlverdienten Rufes; nament- 
lich Liefert fie prachtoollen Ingwer. 

Merkwürbig ift es, daß in China Leine Kartoffeln gebaut 
werben, obwol fich im Norden guter Boden bafür findet und 
fie ein vortreffliches Mittel fein. würden, den oft wieberfehren- 
ben Hungersnöthen zu begegnen, bie infolge von Ueberſchwem⸗ 
mungen ber niedrig gelegenen Reisdiſtricte eintreten. Seit 
einem Jahrhundert wird die Kartoffel in Macao für die Frem⸗ 
ben mit gutem Erfolge gebaut. Im ihrer unmotivirten Ab- 
neigung. gegen alle Neuernugen, überhaupt gegen die von 
außen fommenven, haben bie Ehinefen jedoch bisjetzt nicht be- 
wogen werben können, dem Beifpiele zu folgen. Der Bedarf 
ber Europäer in den, Häfen Chinas wird aus Japan 
und Californien bezogen und ber Scheffel mit 6—7 Thaler 
bezahlt. 

Zu den Hauptzweigen des chinefifchen Lanpbaues gehört 
bie Baummollencultur. Ihr Ertrag reicht jedoch kaum für 
das eigene Bedürfniß aus. Der Anzug des nievern Volles 
befteht, wie ich fchon anführte, Tediglich aus Baumwolle, und 
zwar aus jenem feften dauerhaften Gewebe, welches bet uns 
unter dem Namen Nanfing befannt ift und feine gelbliche 
Farbe dem Umftande verdankt, daß es aus ungebleichter Baum- 
wolle gefertigt wird. Diefer Stoff tft ſämmtlich Handgefpinft 
und Hausweberei. Fabriken gibt es in China ebenfo wenig 
wie Dampfmafchinen. Auf dem Lande hat jedes Haus feinen 
Webituhl, auf dem die Hausfrau pas felbftgefponnene Garn 
zu dem für den Familtenbevarf nothwendigen Stoffe verar- 
beitet. Die Spinnräver find den unfern ähnlich, jedoch wer- 
ben von einer Perfon immer brei Fäden zu gleicher Zeit ge- 
ſponnen, was ich noch nie gefehen hatte. Die Baumwolle 
wurde von einem Finde auf 6 Zoll lange Bambusröhrchen 
gewunden, welche die Mutter nebeneinander mit den Fingern 
ver linken Hand hielt, während die vechte drei fehr feine und 


279 


egale Fäden auszog. Allmählich beginnt das englifhe Ma⸗ 
fchinengefpinft fihb in China einzubürgern, namentlich im 
Norden, wo der Bedarf bedeutend größer ift als die Produc- 
tion, auch die Baumwolle vom Süden auf dem Landwege bezo- 
gen und baburch veribeuert wird. Im Süden ift bagegen ber 
Import von Shirtings noch jehr beſchränkt. Das dhinefifche 
Gewebe ift zwar tbeuer, aber voppelt und breifach jo ftarf 
und haltbar als das englifche, und auch deshalb ſchon läßt 
es fich bei den praftifchen Chinefen nicht fo Leicht durch das 
Fabrikat der rotbhanrigen Barbaren verbrängen, folange im 
Süden dem Bedarf im Lande genügt werben kann. 

Ein weiteres, auch für Europa in ben legten Jahrhun⸗ 
derten jehr wichtig gewordenes Erzeugnig chineſiſcher Agricul- 
tur iſt der Thee. Für China felbft ift er indeſſen noch bei 
weiten wichtiger, da er das einzige Getränk der Bevölkerung 
bildet, wenn ich ben aus Weis bereiteten und jedenfalls nur 
befchränft genoffenen Samtſchu⸗Branntwein abrechne. Rohes 
Waffer wird faft nie von den Chinefen getrunfen, und ich 
mußte jedesmal über die erftaunten uud fragenden Blide lä⸗ 
cheln, wenn ich mir in einem chinefifchen Haufe eine Schale 

Waſſer ausbat. Der Theekeſſel fteht vom. frühen Morgen 
- bis fpät in die Nacht fingend und brodelnd am Feuer, und 
fobald man ein Haus betritt, wird man, wie im Orient mit 
Kaffee, fo hier mit Thee vegalirt, der außerdem auch zu jeber 
Mahlzeit verabreicht wird. Man bereitet ven Thee nicht in 
einer Kanne, ſondern in ber Taſſe jelbft, deren jede einen 
Dedel, aber feinen Henkel hat. Beim Trinken fchiebt man 
den Dedel ein wenig zur Seite, faßt mit Daumen und Zeige 
finger die Taſſe oben und unten und fehlürft ven Thee- zwi- 
fhen Zaffenrand und Dedel heraus, welcher lebtere bie 
Blätter zurückhält. Zu jeder neuen Zaffe wird frifcher Thee 
genommen. Weberhaupt lernt man Thee bereiten nur in 
China, und man wird ſtets das eigentliche Aroma des Getränfs 


280 


verlieren, wenn man es anders macht als die bort anjäfli- 
gen Europäer. Für 4—6 Perfonen wird ein gehäufter Eß⸗ 
löffel voll Thee genommen, Tochendes Waſſer darauf gegoſſen 
und die Miſchung eine Minute nur ſtehen gelaffen, che fie 
in die Zaffen gefchenft wird. Das fogenannte Ziehen ver- 
birbt das Getränf, es verliert feinen angenehmen Geſchmack 
und wirb berbe. Will man aljo guten Thee trinfen, jo be⸗ 
zeite man ihn auf bie angegebene Art. 

Wie bekannt gibt-e8 hanptfächlich zwei Sorten Thee, den 
Schwarzen und ben grünen, von. benen ber erſtere gewöhnlich 
als der billigere und gefündere vorgezogen wird, während man 
dem feinern und theurern grünen eine aufregende und für vie 
Gefunpheit ſchädliche Wirkung zufchreibt. Obwol der ſchwarze 
Thee hauptfächlich in der Provinz Folien und ber grüne in 
Tichefiang gebaut wird, ſtammen doch beine von berjelben 
Pflanze ber und unterfcheiden fih nur durch Farbe und Zu⸗ 
bereitung. Dev ſchwarze Thee wird beim Röften Länger dem 
Teuer auägefett als ver grüne; davon ftammt der Unterjchien 
in der Färbung. Außerdem enthält der ſchwarze Thee mehr 
holzige Theile des Blattes, während bei bem grünen bie Fi⸗ 
bern entfernt find. Dieſer Umftand ſowie daß der grüne 
Thee, weil er weniger geröftet wird, viel eher durch Feuch⸗ 
tigfeit leidet und verbirbt, iſt die Urfache, daß er höher im 
Preiſe fteht. Daß er jenoch feine grüne Farbe durch Röſten 
auf Kupferplatten erhalte, ijt eine Zabel, wenngleich es che- 
miſch feſtſteht, daß ein Farbeſtoff bei ver Bereitung benutzt 
wird, dem vielleicht auch die aufregende Wirkung zugeſchrieben 
werden muß. 

Die Theepflanze wächft innerhalb eines Gürtels, der ſich 
zwiſchen dem 27. und 33. Breitengrade von Oſten nach Welten 
durch ganz China erſtreckt. Die Pflanze liebt die Berg⸗ 
abhänge, woder Humus nicht zu hoch liegt, und wird an ſol⸗ 
chen Stellen hauptſächlich gezogen. Sobald die Staude Alätter 


281 


treibt, beginnt die Ernte Die erjten Blütenknospen find 
mit einem weißen feidenartigen Flaum bedeckt; fie geben den 
Pellothee, eine Corruption des hinefifchen Wortes Balbo, 
Das „weißer Duft‘ bedeutet. Ein längeres Wachsthum ver 
Blätter von einigen Tagen gibt ven „‚Ichwarzblätterigen Bello“. 
Die fleiſchigen und ausgebildeten Blätter liefern den Suchong, 
bie noch gröbern ven Congo und die letzte Ernte enplich ben 
Boden. Der Bohen ift nad dem Diftricte genannt, aus 
bem er vorzugsweiſe kommt. Congo ift eine Verſtümmelung 
des chinefifchen Wortes Kungfu, ‚Arbeit oder Beharrlichkeit”, 
und Suchong tft auf dieſelbe Weife aus Seautſchung, „kleine 
oder ſeltene Sorte“, gebildet. 

Die feinern Arten Suchong werben im ſüdlichen China 
oft mit wohlriechenden jasminartigen Bläten parfünirt. Im 
Norden wird er jedoch obne Verſatz und ganz rein getrunken, 
weshalb er und weniger fchmedt, da wir in Europa felten 
reinen Thee befommen. Die grünen Theeforten zerfallen in 
Twankai⸗Heiſon (Ausſchuß), Helfen (Geſchützpulver) und Jung⸗ 
Heiſon, von unten auf gerechnet. Heiſon bedentet im chineſiſchen 
„blühender Frühling“, und der ſo benannte Thee iſt der 
koſtbarſte, ven es gibt. Jedes Blatt wird einzeln zuſammen⸗ 
gerollt, und von feiner körnerähnlichen Geftalt hat diefer Thee 
wol au den Namen Geſchützpulver ober Kugelthee erhalten. 

Das Röften des Thees gefchieht im eingemauerten eifernen 
Pfannen von Halblugelform. Wenn diefelben gehoͤrig erhikt 
find, wird eine Portion frifeher Blätter hineingefchüttet und 
fortwährend mit ver Hand umgerährt, um fie ſowol einer 
gleichmäßigen Hitze auszufegen als vor dem Berbrennen zu 
bewahren. Haben fie ſich durch dieſen Proceß etwas zuſäm⸗ 
mengelrämmt, fo werben fie herausgenommen, und es wird ihnen 
mit der Hand längere ober Türzere Zeit nadhgebolfen, je nach⸗ 
bem bie Qualität feiner ober geringer ift. Der Hauptunter⸗ 
ſchied zwifchen ſchwarzem und grünem Thee beruht alſo Darauf, 


282 


baß bei erfterm das Feuer und bei leßterm bie Hand am 
meiften thut. Der Thee wird dann in Fiften verpackt, ver 
ſchwarze mit Füßen bineingetreten, der grüne dagegen nur 
bineingefchüttet, da er durch das Zreten brechen und zu ſehr 
leiven würbe, 

Ein in botanifcher Beziehung ber Theepflanze jehr ähnliches 
und von ven Chinefen auch gleichnamig bezeichnetes Gewächs 
verbient wegen feiner Wichtigfeit für die Vollswirthichaft 
gleichfalls Erwähnung Dies ift Die Camellia oleifera, vie 
fi von der Theepflanze bauptfächlich nur durch die Form 
ihrer Samenfapfeln unterjcheivet, und ans deren Samen jenes 
feine Del bereitet wird, das in China die Stelle der Butter 
vertritt. Es wird auf ähnliche Weile wie vie- Fettjubftanz 
gewonnen, welche der Purgir⸗Kroton, Croton sebiferum, gibt, 
und bie, bort allgemein zur Fabrikation von Lichtern dient. 
Der Same biefer Pflanze ift von einer talgähnlichen weißen 
Maſſe umgeben. Diefelbe wird mit den Sapfeln in einem 
eifernen Keffel durch ein fchweres Rad zerbrüdt, in Säcke 
getban, Über dem euer erwärmt und unter bie Prefje ge- 
bracht. Da das Del jedoch ſchwer erftarrt, werben bie Daraus 
bereiteten Lichter mit einem Wachsüberzuge verjeben. Sie 
geben jedoch Fein gutes Licht, brennen ſchnell fort und machen 
viel Qualm. Talg oder thierifche Wette werben zu Lichtern 
in China nicht gebraucht. 

Es bleibt mir nur noch übrig, einige Worte über bie 
Seide zu fagen, die allmählich für Europa eine ebenfo große 
Wichtigfeit wie für China felbft erlangt hat und neben dem 
Thee einen von Jahr zu Jahr mächtiger wachſenden Export- 
artitel des Landes bildet. 

Es ift eine eigenthümliche Erſcheinung, daß ein faft nur 
Aderbau treibendes Boll wie die Chinefen, die doch wahr⸗ 
icheinfih als Hirten aus den Innern Aſiens ſüdoſtwärts zo⸗ 
gen, feine urfprünglichen Gewohnheiten fo gänzlich abgeftreift 


283 


und von ben Thieren, auf die feine Vorältern in Bezug auf 
Nahrung und Kleidung allein angewiefen waren, jetzt für beive 
Zwede faft nichts mehr verwendet, fonbern ven Erſatz dafür 
in dem Reiche der Begetabilien ſucht. Ebenſo wie der Reis 
das Danptnahrungsmittel ausmacht, theilt fich vie Kleidung 
in Baumwolle und Seide, welche letztere wenigftens zur Häffte 
als Prodnet des Pflanzenreichs betrachtet werben kann, info- 
fern die Cultur eines beftimmten Baumes ihre Propuction 
alfein bevingt. Eine Erflärung für diefe Anomalte läßt fich 
wol nur in dem Umftande fuchen, daß China fchon in ven 
älteften Zeiten ungemein übervölfert war, daß das Vieh dem 
Drenfchen weichen mußte und der Nabrungsmangel nicht 
geftattete, dem Eulturlande bie für das Vieh nötbige Weide 
zu entziehen. 

Die Erfindung der Seivenbereitung ift unftreitig in China 
einheimifh. Ste wanderte von hier über Perfien und Grie- 
henland nah Rom, und wird in den Annalen ihres Vater⸗ 
landes ebenfo wie der Aderbau in bie mythologiſchen Zeiten 
verſetzt. Beide Beichäftigungen bilden den Gegenftand einer 
der Belehrungen, bie zweimal monatlich dem Volke öffentlich 
vorgelefen werben, und in Bezug auf fie beißt es unter ans 
berm: „Seit den älteften Zeiten führte ver Sohn des Himmels 
den Pflug und pflanzte die Kaiferin den Maulbeerbaum. 
Indem. diefe erlauchten Perſonen felbft der Arbeit fich nicht 
ſchämten, wollten fie zugleich den Millionen ihrer Unterthanen 
ein edles Beiſpiel der Nacheiferung geben und fie anfpornen, 
ihre wefentlichften Intereffen nicht zu vernachläffigen.” ‘Der 
erste Paffus dieſer Sentenz bezieht ſich nämlich auf die That⸗ 
ſache, daß der Kaiſer alljährlih im Frühjahr unter Beglei- 
tung feines Hofftaates dem Aderbau durch eigenhändiges 
Ziehen einer Furche bie Weihe gibt, während bie Kaiferin 
als Beichüikerin des Seidenbaues einen Maulbeerbaum pflanzt. 

Gute Seide wird nur in den vier Provinzen Tſcheliang, 


284 


Kiangnan, Hoope und Szetfchuen producirt. Tſchekiang 
fiefert die weiße und beite, und Schang-hae ift der Hauptftapel- 
ort, von wo aus im Jahre 1861 allein 73,000 Ballen aus⸗ 
geführt wurden. Alle 4 Provinzen werben vom 30. Breiten- 
grade parallel durchſchnitten unb haben ungefähr das Klima des 
nördlichen Italien. Tſchekiang tft reih an Alluvinlebenen 
unb wird von einer Menge Flüffe und Kanäle durchſchnitten. 
Nach chinefifchen Anfichten ijt das Haupterforverniß- für 
Production von guter Seide die forgfältige Eultur des Maul⸗ 
beerbaums, um bie größtmögliche Menge junger und gefunder 
Blätter ohne Frucht zu erzielen. Zu biefem Zwecke läßt 
man die Bäume nur beftimmte Höhe und Yahre erreichen. 
Sie werben in paffender Entfernung voneinander gepflanzt, 
und der Boden wird gewöhnlich mit Flußſchlamm und Afche 
gedüngt. Zu Anfang des Jahres werben fie bejchnitten, an 
jedem Zweige nur etwa vier Knospen gelaffen, und man trägt 
Sorge, daß fie überall gutes Licht haben. Die Blätter wer- 
den mit einer freiftehenven Leiter vom Baume gepflüct, da⸗ 
mit leßterer nicht leidet. Nach dem Pflücden werben bie 
Zweige noch mehr abgeftugt, bamit ver Trieb nicht ausgeht, 
und nad drei Monaten Tann ſchon bie zweite Leſe gehalten 
werben. Sind die Bäume zu alt, d. h. die Blätter zu grob, 
jo erjett man fie durch junge. Die Hänfer für Züchtung 
der Raupen liegen gewöhnlich ganz einfam in ber Mitte ver 
Maufbeerpflanzungen, um möglichft gegen jede Art von Ge- 
räufch geichüßt zu fein, ba die Erfaßrung gelehrt hat, daß 
en plößlicher Schrei, ein Hundegebell ober vergleichen für 
die jungen Raupen fehr gefährlich ift; ja man Kat Beiſpiele, 
daß durch Donner eine ganze Brut zerftört wurde. “Die 
Brutzimmer find fo eingerichtet, daß fie bei Falter Witte 
rung auch künftlich erwärmt werben können. Beſondere 
Sorgfalt wird auf die Bapierftreifen verwendet, auf welche 
die Seldenmotten ihre Eier legen. Die Ausbrätung ber 





285 


Eier wird duch Application von Wärme ober Kälte, je nad) 
Umftäupen geregelt, ſodaß die jungen Raupen gerade um 
diefelbe Zeit ausfrieden, wenn bie zarten Frühjahrsblätter 
ber Maulbeere für ihre Ernährung tauglich find. Die 
Blätter werden den jungen Thieren genau zugewogen, zuerit 
gefchnitten, fpäter aber, wenn die Raupen ftärler werben, im 
ganzen gegeben. Große Aufmerkſamleit wird auf die gleich“ 
mäßige Temperatur ber Brutzimmer verwendet, und ebenio 
werden fie reinlich, ruhig und frei von allen Gerüchen gebal- 
ten. Die Raupen werben anf Matten gefüttert und bieje ber 
Neinlichkeit wegen oft gewechjelt. Je mehr bie Thiere wach⸗ 
jen, defto mehr Futtermatten erhalten fie, bamit fie gemmg Raum 
zur Bewegung haben. Wenn fie ihre nerfchiedenen Häutungen 
vorgenommen haben und ausgewachfen find, was fich an ber 
gelblich transparenten Farbe zeigt, die fie bau aunehmen, wer- 
den fie in bie für das Einpuppen vorbereiteten Fachwerle ge- 
legt. Acht Zage nach Beginn des Puppeus ſind bie Cocons 
fertig und e8 wird Zeit, fie zu verwenden, ba bie Seibe fonft 
burch das Ausfriechen ver Motten zerjtört wird. Ein Theil 
der Cocons wird für fpätere Zucht verwahrt, nie Puppe 
in den übrigen dadurch getödtet, daß man fie fchichtenweife 
in irdenen Töpfen mit Salz und Blättern überbedt und bie 
Töpfe luftdicht verfchlieft. Später werben fie in lauwarmes 
Waffer geworfen, das die fchleimige Subftanz auflöft, welche 
bie einzelnen Fäden zujfammenhält, und danach bie Seide 
abgehaspelt. Diefe wird dann entweder in Bündel von be— 
jtimmter Größe und Form gejihlungen und fommt als Roh⸗ 
feide in den Handel, oder wird gefponnen und auf ben Web- 
ſtuhl gebracht und zu verfehienenen Stoffen verarbeitet. 
Trotz der großen Einfachheit ihrer Webftühle fertigen bie 
Chinefen nicht .allein die fehönften Zenge, fondern auch bie 
eleganteften und neneften englifchen. und franzöfifchen Mufter 
zum Export. Namentlich excelliren fie in Damaft und Satin 


286 


nnd ihrem Erepe kann ſich nur der japanefifche an die Seite 
stellen. &benfo berühmt find die chinefifchen Stickereien, bie 
theilweife an den nach Europa verfandten Erepe-Shawls 
auch bei uns bewundert werben können. Das Schönfte in 
biefer Art bleibt jedoch im Lande und dem Auge bes Fremden 
für gewöhnlich verborgen, da es für den Taiferlichen Palaft 
gemacht wird. Bei Gelegenheit der Plünvderung beffelben 
durch. die Franzoſen find vergleichen Meifterftüce in großer 
Zahl nach Schangshae und in die Hände von Europäern ge- 
langt, bie fie anfänglich von den Soldaten für ein Spottgelp 
kauften. ever behielt was er hatte, und wir Tonnten nur 
bie Pracht der Sachen anftaunen und ihre Eigenthümer be- 
neiden. Einen ſolchen Reichthum von Stoff, Barben und 
Stiderei hatte von uns noch niemand gefehen, und folche Ar- 
beit würde auch bei uns weder Verfertiger noch Käufer finven. 

Die ganze chinefifche Inpuftrie ift originell und dem Volke 
eigenthümlich. Dies beweift bie Form ihres Handwerkszeugs, 
von dem auch nicht ein einziges Stück mit dem unfern überein- 
ftimmt. Dan mag anfehen was man will, ein Beil, eine Säge, 
Ambos, Bohrer, Blafebalg, alles ift anders wie bei uns, ohne 
deshalb weniger praftifch zu fein. Im Gegentheil ift praftifche 
Einfachheit und möglichfte Wirkfamfeit bet billigfter Conftruc- 
tion ein herbortretender Zug an den Werkzeugen chinefifcher 
Technik. | 

Ebenfo wie wir von den Chinefen die Seibenbereitung er- 
lernt, wie ihre Erfindung des Pulvers, der Buchoruderfunft 
unb des Kompaſſes der unfern viele Jahrhunderte voranging, 
wenn wir diefe Dinge nicht gar von ihnen annahmen, find 
fie auch unſere Lehrmeifter in ber Porzellanmanufactur ges 
weſen und barin bisjegt noch unerreicht geblieben, 

Der früheften Porzellanfabrif wird in ben Annalen bes 
Landes zu Anfang des 7. Jahrhunderts unferer Zeitrechnung 
Erwähnung geihan. Sie befand fich in der Provinz Kiangfi, 





287 


die noch gegenwärtig das meifte Porzellan liefert. Die be- 
rühmten Oefen von King⸗ta⸗tſchin, welche das fchönfte Fa- 
brifat erzeugen, wurden jeboch erft drei Yahrhunderte fpäter 
angelegt. Die Vorzüge des chinefifchen Porzellans vor dem 
unfern beftehen in feiner Härte, ver Feinheit feines Bruchs, 
in feiner Transparenz und in bem Wiberftande, ben es ber 
Hitze entgegenfett, ohne zu fpringen ober Riffe zu befommen. 
In diefen Punkten haben wir vergebens verfucht, dag chine- 
ſiſche Porzellan zu übertreffen. Was dagegen Form unb 
Malerei betrifft, fo find die Fabrikate von Stores, Meißen 
und Berlin bei weitem ſchöner als bie Toftbarften hinefifchen 
Saden. Es iſt bisjetzt nicht aufgeflärt, wie bie Bereitung 
bes Porzellans in China ftattfindet. Nach allem, was man 
darüber erfahren, fcheint zunächit die Porzellanerve feiner ge⸗ 
mahlen zu werben als bei uns; außerdem foll fie aber auch 
einen Zufag einer uns unbefannten Ouarzart erhalten. 

Das fchönfte hinefifche Porzellan ift mehrere Hunderte von 
Jahren alt, fehr felten und fehr theuer. Es wird von den reichen 
Chinefen zu enormen Preifen gefauft und ihren Sammlungen 
bon Antiquitäten einverletbt, die fich in jenem wohlhabenden 
Haufe befinden. Was fih, aus frühern Zeiten ftammend, 
in Europa befindet und verfäuflich ift, wirb von fpeculativen 
Kaufleuten anfgefauft und nach China zurüdgeführt. Ich 
habe einzelne dieſer Suchen bier auf Auctionen veriteigern 
und von Chinefen zu ganz unerhörten Preiſen erfteben ſehen. 
Namentlich ift eine unter dem englifchen Namen cracker ware 
befannte Borzellanart fehr geſucht. Dies find gewöhnlich 
Vaſen von 12—16 Zoll Höhe und gelblich weißer Farbe, 
ohne alle Verzierungen und gefällige Formen. Ihre ganze 
Koftbarkeit befteht darin, daß die Glafur überall in kleine 
unvegelmäßige Quadrate oder rechtwinffige Figuren zerfprungen 
ift. Dies wurde früher bei der Bereitung künſtlich heroorge- 
bracht. Das Geheimniß iſt aber in China verloren gegangen 


288 


und bie Waare deshalb fo gefucht. Einzelne dieſer Vaſen, 
bie fehr alt ausfahen, gingen zu 50 — 60 Taels pas 
Stüd fort. Ich bin indeffen überzeugt, daß bie engliſchen 
- Borzellanmanufacturen das Geheimmg entvedi haben und 
anwenben, ſodaß alle diefe theuern Stücke wahrfcheinlich erft 
friſch fahrizirt und kaum ein Jahr akt find. Im Fälfchen 
und Nachınachen erweiſen fich die Chinefen feibft ale große 
Meiſter. Doch erlaubt ihnen ihr Eigendünkel nicht, bie 
Meinung zu faflen, daß fie von den Barbaren betrogen wer⸗ 
den könnten, und biefer Umſtand begünftigt die Durchführung 
jenes Betrugs. Die Ausfuhr des Porzellans ift jegt faft auf 
Null reducirt. Das europäliche tft ſowol billiger als geſchmack⸗ 
voller und höchftens kauft ein Euriofitätenfammler hier und 
ba ein paar chinefifche Vafen. ' 

Ebenſo gebt e8 mit den Lackwaaren ber Chineſen, vie 
früher bei uns fehr gefchägt waren, birch- Die neuern euro⸗ 
päiſchen Erfindungen aber fehr verbrängt werben, obwol fich 
nicht leugnen läßt, daß wir ben Glanz der feinern Sachen nicht 
erreichen. Diefe find aber auch in China jehr theuer. Der 
gröbere Lad wird aus dem Samen ber Dryandra cordata, 
ber feinere aus einer Species des Rhus bereitet, und feine 
größere Koftbarfeit entfteht hauptfächlich ame ber großen 
Sorgfalt, die. beim Auftragen der verfchiebenen dünnen Lad- 
lagen angewendet werben muß. | 
* In der Verarbeitung des Eifens find die Chinefen ziemlich 
weit, obwol fie theurer arbeiten als wir. Ihr weißes Kupfer 
fieht Silber fehr ähnlich, ift fehr feinkörnig und nimmt ſchöne 
Politur an. Es befteht aus einer Legirung von Kupfer, Zink, 
Eifen und etwas Silber mit einer Beimifchung von Nidel. 
Die Erze werben fein gepulvert, mit Holzlohlenftanb ver- 
miſcht, in Schmelztiegeln über Tangfamem Feuer geglüht und 
bie aufjteigenden Metalldämpfe nienergefchlagen. Es werben 
aus biefem Metall alle möglichen Hausrathsgegenftände ge- 





289 


fertigt. Seine merkwürdigſte Verwendung ift jedoch die Ueber- 
ziehung von irdenen Theetöpfen damit, eine Arbeit, die man 
wol auch nur in China antrifft. Die Glasfabrikation iſt uns 
befannt. Was von Glaswaaren fih im Lande befinvet, hat 
alles europäifchen Urſprung. Spiegel werben aus Metall, 
einer Mifchung von Kupfer und Zinn mit etwas Silberzufak, 
gefertigt, Laternen, wie ich fchon bemerkt, aus Papier, Horn 
ober Seide. Die Fenſter beftehen im Süden aus Papier, 
im Norden aus Horn oder transparenten Mufcheln, gewähn- 
ich aus den dünngeſchliffenen Perlmutterſchalen. Bisweilen 
verjuchen die Chinefen gebrochenes europäifches Glas umzu⸗ 
ſchmelzen; die Reſultate ergeben fich jedoch als ſehr mangel- 
bafte. Zrinfgläfer fennt man nur in den Küftenftäpten ; unfer 
gläfernes Tafelgeſchirr wird faft überall durch Porzellan 
erfeßt. 

In Holz» und Elfenbeinfchnigereien find die Chinefen allen 
andern Nationen weit überlegen. Ihre berühmten Effenbein- 
bälfe, von denen oft fechs bis acht verſchiedene ineinander ruhen, 
haben von jeher vie Bewunderung der Europäer erregt, und 
man wollte nicht glauben, daß fie aus Einem Stüd geichnitten 
jeien. Ich habe ihre Verfertigung jedoch felbft gefeher und 
über ben ſchnellen Bortgang ber Arbeit geftaunt. Die maffive 
Kugel wirb zunächft in fechs bis acht Richtungen regelmäßig durch⸗ 
bohrt; dann wird mit einem hafenförmigen Meſſer die Sub 
tanz zwifchen ven Deffnungen innen herausgefchnitten und 
die äußere Halbkugel abgetrennt. Iſt die beftimmte Zahl ber 
Kugeln auf dieſe Weife berausgefchnitten, fo beginnt vie Ber 
arbeitung der äußern Fläche und man kann ſchon recht hübfche 
Kunftiwerke der Art für 2—3 Thaler haben. Ihre Möbel: 
ſchnitzereien find fehr gefucht, und ich habe ſchon erwähnt, daß 
bie gutfaconnirten Möbel von den Fremden ſehr theuer be- 
zahlt und nach Europa ausgeführt werben. In Kanton gibt 


ed in biefer Art das Beſte. Ebenfo liefert Ehina fehr viel 
Werner, I. 19 


290 . 


Schnigereien aus Stein, Perlmutter und Bergkryſtall. Die 
Figuren aus dem Yuftein find jehr gefucht, aber ungemein theuer, 
ohne daß wir ihnen Geſchmack abzugewinnen wußten. Die 
Riechfläſchchen aus Achat und Bergkryſtall find merfwärbig, 
kaum 2 Zoll lang und durch eine nicht über einen Viertel 
Zoll weite Halsäffnung nicht nur inwendig vollkommen aus⸗ 
gearbeitet, ſondern an der innern Fläche mit Heinen eingra- 
virten Eharafteren befchrieben, bie man durch die transparenten 
Wände Iefen kann. | 

Es erijtirt in China eine Art weißlich grauer mit ſchwarzen 
over dunkeln Adern durchzogener Marmor. Diefe Adern 
nehmen oft merfwärbige Geftalten an und ähneln bisweilen 
Landſchaften, bisweilen Bäumen oder Thieren. Derartige 
Platten werben in größere ober Fleinere Quadrate gefchnitten 
und vielfach in den Zimmern wie Bilder als Zierrath auf- 
gehängt. Oft find die Figuren fehr täufchenn, aber man 
muß fih wohl hüten, fie für Natur zu halten. Der Chinefe 
ift ein geborener Fälfcher und hat es fehr bald bewerkſtelligt, 
die Figuren auf den Stein zu ätzen. Man thut daher wohl, 
in Kanton, wo bauptfächlich ſolche Platten feilgeboten werben, 
diefe nicht mit den geforberten horrenden Preifen zu bezahlen. 
Troß ihrer Geſchicklichkeit in Stein⸗ und Holzfchnigereien find die 
- Chinefen in der Bildhauerei weit zuräd. Alles was fie in 
biefem Genre liefern, ift ungefchidtt, plump und ohne Verhält- 
niffe. Es tft faum denkbar, daß einem fo früheivilifirten und 
geiftig vorgefchrittenen Wolfe der Sinn für Kunft ganz und 
gar abgehen follte. Man behauptet zwar, daß die Chinefen 
3. B. die disharmoniſchen Laute ihrer ſchrecklichen muſikaliſchen 
Snftrumente als die höchfte Kunft bewundern, und dies mag 
bei den untern Vollsflafien auch der Fall fein. Ich habe 
aber Gelegenheit gehabt, bei gebilbeten Leuten das Gegen- 
theil wahrzunehmen. In Schang-bae fpielte die Muſik ver 
Arkona zweimal in der Woche öffentlich. Während bas nievere 


291 


Bolt gleichgültig vorüberging, ſammelten ſich alle anftänbigern 
Chinefen, die ſich in der Nähe befanden, Iaufchten mit offen- 
barem Entzüden dem ungewohnten Concert und blieben bis 
zu Ende. In Kanton war der von mir früher erwähnte junge 
Rinlin gar nicht vom Fortepiano fortzubringen, wenn einer 
von uns fpielte, und fein Geſicht ftrahlte ſtets vor Freude 
und Aufregung. Dies ift der Beweis, daß der Sinn für 
Kunft im Volke nicht gänzlich fehlt, fondern nur fchlummert. 
Der Mangel an frembem Beiſpiel bei ver langen Abgefchloffen- 
heit des Reichs, fowie die fehlende Aufmunterung im eigenen 
Lande ift wol bie Haupturſache, daß es mit den fchönen 
Künften in China fo traurig beftelft ift. Diefe ſeltſame Ver⸗ 
nachläffigung in der Entwidelung des künſtleriſchen Geiftes 
hat aber ihren Grund in der Regierungspolitit, die alfen 
Luxus zu unterbrüden und nur diejenige Arbeit zu fchügen 
unb zu heben beftrebt ift, welche Nahrung für das Volk 
producirt. Sollte die jeßige Ummälzung, wie vorausſichtlich, 
eine unbefchränfte Deffnung des Reichs für die Fremden nach 
fih ziehen und in dem Wachsthum des Handels ſich eine 
neue mächtige Nahrungsquelle für das Volk aufthun, fo wird 
bie Regierung nicht mehr fo ftarr an ihren bisherigen Prin- 
cipten feitbalten, und mit dem zunehmenden Wohlſtande wird 
gewiß auch bie Liebe zur Kunft erwachen. 

Zu den freien Künften in China, wenn man biefen Aus- 
druck gebrauchen darf, gehört auch noch die mediciniſche Wif- 
fenichaft, ba jeder Beliebige fie betreiben und ohne irgend- 
welche Staatscontrole als Arzt prakticiren kann. Die Heil 
kunde fteht daher natürlich noch auf einer fehr nieprigen Stufe, 
fie entbehrt jeder wiſſenſchaftlichen Begründung und ift. nichts 
weiter als Quackſalberei. Sie hat namentlich viel mit ber 
Zahl fünf zu thun. Die chinefifchen Aerzte unterfcheiden fünf 
auf das Körperfpitem Einfluß habende Planeten: Saturn, 
Jupiter, Mars, Venus und Mercur; fünf Eingeweide: Ma⸗ 

19 * 


294 


zufammengefegt ift, nehmen fie an, daß bei jever Innern 
Krankheit das Verhältniß des einen zum andern geftört ift. 
Ihre Diagnoje befteht demnach darin, daß fie zu beitimmen 
fuchen, wie viel der Körper von einem Elemente mehr oder 
weniger hat, als er befiten fol. Danach richten fie dann 
auch ihre Medicamente ein und verordnen 3. B. Holz, Erbe, 
Waffer u. f. w. Mediciniſche Schulen beftehen in China 
nicht. Die Aerzte bilden eine Gilde, bie ihre Kunft und Ge⸗ 
beimniffe forgfam bewahrt und nur zuverläffigen Schülern 
anvertraut. Webrigens läßt ſich nicht Teugnen, daß fie ne- 
ben allen Quadfalbereien -in- gewiffen Krankheiten überra- 
ſchend glüdliche Euren machen, und fie werben beshalb in 
ſolchen Fällen felbft von Europäern vielfach zu Rathe ge- 
zogen. . 

Das Honorar für, einen Beſuch beträgt 1Y.—2 Grofchen, 
excluſive des Sänftenträgerlohnes, und es muß ſchon ein fehr 
berühmter Arzt fein, der 5 Grofchen fordert und erhält. In 
Kanton wohnt jest ein nach europälfcher Art gebildeter chine- 
fifcher Arzt, der erfte und einzige feiner Art. Er hat feine Stupien 
in England auf ber Univerfität Oxford gemacht, ift ein fehr 
aufgeflärter Mann und erfreit ſich des Zufpruchs feiner 
wohlhabenden Landsleute. Kürzlich bat er ein Fleines mebict- 
nifches Werk für feine Collegen herausgegeben und es fteht zu 
hoffen, daß fein Beiſpiel zur Nacheiferung ermuntert. 


18. 


Das Pitſchen⸗Engliſch. Der Comprador als Mittelsmann in Geſchäften. 
Die chineſiſche Dienerſchaft in europäiſchen Familien. Münz⸗ und 
Geldweſen in China. 


Ich habe weiter oben das ſogenannte Pitſchen⸗-Engliſch 
erwähnt, oder das Kauderwelſch, das bie allgemeine Vermitte- 
Inng zwifchen Fremden und Chinefen bildet. Die chinefifche 
Sprache ift jo ſchwer, daß ein Europäer mindeſtens brei Sahre 
unausgefett ftubiren müßte, um fie zu lernen. ‘Die Leute, 
welche nach China gehen,. um dort zu handeln oder Inpuftrie 
zu treiben, haben aber weder Luft noch Zeit, fo viel Mühe 
auf ein Studium zu verwenden, das ihnen außerdem nicht 
einmal reelle Vortheile fichert, und von dem fie fpäter nach 
ihrer Rückkehr in Europa nicht den mindeften Gebrauch ma- 
hen können. Sie haben es daher von vornherein gar nicht 
verfucht, und unter ben vielen Tauſenden von Europäern, bie 
China jegt bevölfern, gibt es kaum zehn, die der Sprache 
wirklich mächtig find. Da jedoch irgenbein Idiom zur ge 
ſchäftlichen Verftändigung nöthig war, fo hat fih das Pit- 
Ichen-Englifch gebilvet, ein Engliſch, pas aber auch von ben 
Engländern erft erlernt werden muß, weil es vollſtändig cor- 
rumpirt, mit chineſiſchen Worten gemifcht und mit chinefifcher 
Satconftruction gefprochen wird. Das befte Beifpiel viefes 


296 


Jargons gibt das Wort Pitfehen, die chinefifche Ausiprache 
bes englifchen Wortes business (Geſchäft), ſodaß Pitichen- 
Englifch in ver Ueberfegung Gefchäfts-Englifch Heißt. Geſchäft 
ift bei den Chinefen das Wichtigfte in ihrem focialen Xeben, 
und auf wie viele andere Beziehungen das Wort übertragen 
wird, iſt ebenfo merfwürbig, als es zur Charafteriftif des 
Bolfes einen Beitrag Tiefert. : Wollen ſie 3. B. fagen: „Du 
ſprichſt eine Unwahrheit“, jo prüden fie dies aus: „you makee 
ly pitchen“, „Du machſt ein Lügengeſchäft.“ Ebenſo ſpre⸗ 
chen fie von „love pitchen, chin chin joss pitchen“, „Lie⸗ 
besgefchäften, Götteranbetungsgejchäften‘ u. |. w. Noch un- 
verjtänplicher wird dieſe Sprache durch verfchienene Eigen- 
thümlichkeiten in den Sprachorganen der Chinejen, die 3. 9. 
fein r haben, ſondern ftets 1 dafür ſetzen, und an bie meilten 
Worte ein ioder o hängen. „My talkeeplopple” ift ein Beifpiel 
biefer Art, das fchwerlich jemand veritehen wird, wenn ex 
auch noch fo gut englifch |pricht, da e8 heißen foll: „I talk 
propre“, „ich rede, wie e8 fich gehört, oder die Wahrheit.” 
Dber man Tommmt in ein europäiſches Haus und fragt, ob 
ber Herr zu Haufe ift. Das richtige „Is Mr. N. at home?” 
würbe fein chinefifcher Bedienter verftehen. Man muß fragen 
„Mr. N.hab got?“ und der Diener wird dann antworten: „Hab 
got topside, down side oder inside”, „Ja, der Herr ift oben, 
unten oder drinnen“. Number one, Nummer eins, jpielt im 
Pitichen-Englifch ebenfalls eine große Rolle und wird auf alle 
moraliichen Eigenfchaften übertragen; alles, was als befon- 
ders gut und ausgezeichnet hervorgehoben werben foll, ift num- 
“ber one. Dex Chinefe fpricht von number one Thee, number 
‘one Geld, womit die unbefchnittenen fpantichen Thaler bezeich- 
. net werben, ebenfo wie von numbel one mastel (r), einem 
guten Herrn, ober numbel one lial (r), einem pfiffigen Lügner. 
Ja und nein wird fehr felten gebraucht, ftatt veffen can und 
no can, fann und Tann nicht. Ebenſo dient das aus dem Spa- 


297 . 


nifchen übernommene Wort sabee (von saber) für alle For- 
men ber Zeitwörter wiffen und verftehen. Die Häufige An- 
wendung des Wortes piece, Stüd, iſt aus dem chinefifchen 
Sprachgebrauche übertragen. Der Chineje fett nicht bie 
einfache Cardinalzahl vor das Hanptwort, ſondern fügt ftets 
Stüd dazwiſchen. Er fpricht daher ftetS von einem Städ 
Frau, vier Stüd Männern. Unfere preußifche Flagge be- 
zeichneten fie mit „one piecee white flag, with one largee- 
pieceeblack fowlo inside”, d.h. ein Stüd weiße Flagge mit einem 
großen Stüd fchwarzen Huhn darin, und als wir nach längerer 
Anwejenheit ihnen näher befannt wurben, machten fie aus 
dem englifchen Prussian für Preußen Blussum. 

Seit den leßten Jahren, wo bie Franzofen im Süden 
und Norden Pofto gefaßt, hat fih auch ein Pltfchen- Franzd- 
fiſch gebilbet, da der Franzofe im Auslanpe ebenfo wie ber 
Engländer feine Mutterfprache felbit zur Geltung zu bringen 
fucht; jedoch ift es ſehr lokal und wird bisjekt nur im der 
Umgegend ber franzöftfchen Quartiere verftanden. Nur bie 
Deutfchen, die womöglich mit den eigenen Landslenten im Aus- 
ande eine fremde Sprache reden, bleiben bier, wie überall, 
troß ihrer großen Zahl nicht deutfch, und ungeachtet des Namens 
Germania, wie fie ihren Club getauft haben, hört man indemfelben 
mehr englifche wie germanifche Laute. Wenn nun auch dieſes Ge- 
Ichäfts - Englifch genügt, um fich mit dem Dienerperfonal und ben 
Kaufleuten In den Küftenftäpten zu verftändigen, fo reicht es 
für ven Enropäer doch durchaus nicht aus, um mit jedermann 
auszulommen ober mit Leuten aus bem Innern Taufmännifche 
Zransactionen abzuſchließen. Es Hat fich daher, ſeitdem 
Srembenverfehr in China geftattet ift, eine Art einheimifcher 
Zwiſchenhändler herausgebilvet, bie unter vem Namen Com⸗ 
prabor (vom ſpaniſchen comprar, Taufen) befannt find, und 
entiveber als Angeftelite in ven europäiſchen Kaufmannshäufern 
over unabhängig zmifchen Ausländern und Ehinefen alle Geld⸗ 


298 


gefchäfte geringerer ober größerer Art vermitteln. Durch 
Procente, die fie fich entweder nehmen, oder bie man ihnen 
ftilffchweigend zuerfennt, wird dieſe Klaſſe von Leuten, bie 
von Iugend auf dazu erzogen werben, beivogen, das Intereffe 
ihrer augenblidlichen Herren ben DBetrügereien ‚ihrer Lande» 
leute gegenüber wahrzunehmen. Der Europäer ift unter ben 
Chinefen mehr oder minder gänzlich von Ihnen abhängig, unb 
indem er feine Gefchäfte durch ven. Comprador abfchließen 
läßt, kommt er immer noch am beften weg. ‘Dem Comprador 
opfert er eine beftimmte Zahl Procente, von den übrigen 
Chinefen wird er aber doppelt und breifach betrogen. Jener 
nimmt 10 Procent von allen Anlänfen, das ift fo Stil Der 
Europäer weiß e8, fanctionirt den Betrug durch Stilffchweigen, 
und der bei dieſem Satze ftehen bleibende Comprabor gilt 
bei feinen Landsleuten für einen anftändigen, ehrenwerthen 
Dann, während er bei ihnen als Betrüger vaftehen unb ber 
allgemeinen Verachtung anbeimfallen würde, wenn er mehr 
nähme. 

Das Gehalt dieſer Compradoren, die übrigens meiſtens 
ſehr gewandte Leute ſind, fertig engliſch leſen und ſprechen 
und nicht ſelten einen literariſchen Grad erworben haben, 
richtet ſich nach der Bedeutung des Handelshauſes, dem ſie 
angehören, aber in umgekehrtem Verhältniſſe. Je größer der 
Geſchäftskreis des Hauſes, deſto kleiner das Gehalt, weil eben 
die Procente dabei in Betracht gezogen werden. Im Ver⸗ 
hältniß zu den Summen, die in ihrer Eigenſchaft als Kaſſirer 
durch ihre Hände geben, müſſen fie Caution ſtellen, und in 
einigen ber erften Häuſer beläuft fich deren Summe auf 
100000 Dollars. Solche Compradoren fangen gewöhnlich ohne 
alle Mittel an. Söhne chinefifcher unbemittelter Kaufleute be- 
ginnen fie die Carrière als Diener in ven Hänfern der Euro- 
päer, machen fich als folche mit .veren Sprache, Stiten und 
Gewohnheiten befannt, avanciren allmählich zum Haushof⸗ 





299 


meifter, und werben, wenn fie fich die nötbigen Kenntniffe an- 
geeignet und eine Kleine Kaution geſpart haben, Compraboren, 
nm dann gewöhnlich als reiche ober wenigſtens wohlhabende 
Männer zu enden. 

In China darf man jedoch nicht Diener mit Bedienten 
verwechſeln. Ein chinefiſcher Diener oder Bob (Junge), wie 
er von den Europäern genannt wird, läßt ſich nie herab, 
Zeug zu reinigen, Stiefel zu pußen oder dergleichen niedere 
Dienfte zu verrichten, dafür find die Bedienten oder Kuli. 
Der Boy iſt der Kammerbiener, er macht Gänge, fteht bei 
Tiſche hinter dem Stuhle feine® Herrn und begleitet viefen, 
wenn er eingeladen ift, um ihm aufzuwarten, da man in China 
ftets feinen eigenen Diener mitbringen muß, wenn man in 
einem fremden Haufe etwas zu effe Haben will, Er erfcheint 
vom frühen Morgen bis zum fpäten Abend rein und adrett 
angezogen, und darf alfein vie Zimmer betreten, während ber 
Kult draußen bleibt. 

Da e8 Europäern bei ihrer Unfenntniß der Sprache und 
in großen Stäbten unmöglih fein wiürbe, ihre zabl- 
reiche Dienerfchaft zu controliren und fich gegen beren 
Spitgbübereien zu fichern, fo wird nie ein Domeſtik ohne 
Barantie in das Haus genommen. Selbft der Comprador 
fludet troß feiner Kaution nur eine Anftellung, wenn er zwei 
fichere und zahlungsfähige Männer als. Bürgen für feine 
Sicherheit ftellt, und er ift wieder feinem Herrn Bürge für 
das gefammte Dienerperfonal für das Silberzeug verant- 
wortlich, und hat e8 zu erjeßen, wen etwas im Haufe fort» 
fommt. Daber find faft alle Bebienten eines Haufes Verwandte 
oder nahe Bekannte des Comprabor, ver fie fo gut als ftell- 
vertretender Vater zu jchulen weiß, daß es felten beffere, 
reinlichere, aufmerffamere, ruhigere Bedienten gibt als bie 
chineftfchen Boys in emropäifchen Häufern. 


300 


Zum Schluffe mögen noch einige Bemerkungen über bie 
Geldverhältniſſe in China bier Play finden. Eourante Münze 
gibt es in dem großen Lande nur eine Art, bie Scheng ober, 
wie fie von den Fremden genannt werben, Caſh. Sie find 
aus einer Mifchung von Kupfer und Zinn gefertigt, von ber 
Form eines Zweigrofchenftüds, und in der Mitte mit einem 
viereckigen Loche verfeben, um auf Schnüre gezogen zu werben. 
100 Scheng machten urfpränglich ein Mäs, 10 Mäs einen 
Tael aus; jeßt jedoch ift der Werth bes legtern auf 1500 
Scheng geftiegen. Mäs und Zaels eriftiren in Wirklichkeit 
nicht mehr. Sie wurden fo viel gefälſcht, daß die Regierung 
alles Kupfer und Silbergeld einzog, und ſelbſt die Compe- 
fition der Scheng allmählich jo verjchledhterte, daß Diele 
Scheidemünze jett 50 Procent unter ihrem urfprünglichen 
Werthe ſteht. Trotzdem wird felbft dies fchlechte Geld noch 
gefälfcht und wer für einen Tael Scheng einwechfelt, ift als 
Europäer ftcher, mindeſtens 200 eiferne oder bleierne Stüde 
unter der Schnur von 1500 zu finden, wenn er fie beim 
Empfang nicht genau revibirt. 

Es ift Har, daß bei ter mangelhaften Communication in 
dem mächtigen Reiche und feinem bebveutenden in- unb aus- 
ländifchen Handel eine Münze wie die Scheng unmöglich 
dem Bedürfniffe entfprechen Tann, da eine Summe von 
100 Thalern über einen Gentner wiegt, und daß nothiwendiger- 
weife ein Surrogat gefchaffen werben mußte, um nicht allen 
Verkehr ins Stocken zu bringen. Edles Metall war dazu 
durchaus nothiwendig; da aber leins aus der Landesmünze 
hervorging, wurben ausländifche Silbermünzen die gangbaren 
Verkehrsmittel. China bezieht aus den übrigen Welttheilen 
im Verhältniß zu feinen Exporten faft nur Opium. Die . 
500 Millionen Pfund Thee und 200,000 Ballen Seide, welche 
es jährlih an das Ausland abgibt, müſſen zur Hälfte baar 
und in Mingendem Silber bezahlt werben. Dies bleibt alles 


301 
im Lande und wird größtenteils in Saiſis umgefchmolzen, 
bie dann als Silbergeld curfiren. Aus biefem Umſtande er- 
klärt fich auch wol mit bie Abnahme des Silbers in Europa, 
bie fchon öfter die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen 
und bei ven Staatsökonomen Bedenken erregt bat. 

Die von mir Schon bei Schilderung der Neujahrsfeitlichfeiten 
erwähnten Saifis find Heine ſchuh⸗- oder kahnförmige Barren 
von 10 — 50 Taels (20—100 Thaler) Werth, die jeber 
große Kaufmann felbft gießen läßt und als Garantie für bie 
Richtigfeit ihres Nominalwerthes mit feinem Namenszuge 
ftempelt. Ihr Silbergebalt wird Dadurch von der Regierung 
inbirect feftgejtellt, daß alle fisfalifchen Abgaben in biefen 
Barren bezahlt werben. und ihr Gehalt aus 28 Theilen rei- 
nen Silbers und 1 Theil Kupfer beftehen muß. An ver 
Küfte find überall mericanifche Thaler die gangbare Münze, 
und ſämmtliche Zahlungen werden in ihnen geleifiet, obwol 
man nominell im Norden nach Taels und im Süden nad 
Dollars rechnet. Das Eigenthümliche und Merkwürdige dabei 
ift aber, daß fich dies Nominelle auch allmählich auf das 
Neelle übertragen hat. Wenn es ſich auch aus der größern 
Entfernung von Europa erklären läßt, daß daher bezogene 
Gegenftände in Schang-hae 1 Tael koſten, die in Hongkong 
mir mit 1 Dollar bezahlt werben, fo bleibt es immer höchft 
merkwürdig, daß man 5.3. für vie Hinfahrt von Hongkong nach 
Schang-hae mit der Poſt 60 Dollars gibt, dagegen auf ber 
Rückfahrt von Schang-hae nach Hongkong auf demſelben Schiffe 
60 Taels, alfo 25 Procent mehr bezahlen muß. Solche Ano- 
malien find aber auch nur in einem Lande wie China möglich, 
und fönnen nur von einem Publikum geduldet werben, das 
den Geldunterſchied von 30 Thalern als eine nicht nennens- 
werthe Bagatelfe betrachtet. Im Süden ſchlägt jeder Gefchäfte- 
mann, burch dejjen Hände Dollars gehen, ebenfalls feinen Stem- 
pel darauf, und man fieht faft nie eine foldhe Münze ohne 


302 


20 — 50 Stempel, ſodaß oft bie beiden Seiten gar nicht 
mehr voneinander zu unterfcheiden find. Dieſes Stempeln 
ſoll urſprünglich eine Garantie gegen Fälſchung fein; es 
wird jenoch häufig geradezu das Gegentheil. Theile werben 
mit dem Stempeln kleine Stüdchen Silber berausgefchlagen, 
theil8 die Ränder befchnitten. Oper man. nimmt etwas 
Metall aus der Mitte, das durch Blei erfegt wird, und fucht 
bie Stelle durch einige Stempel unfenntlich zu machen. 
Chinefen gegemüber gelingt viefer Betrug weniger, weil 
ein Gefchäftsmann einen falfhen Dollar entweder fofort 
am Gefühl oder am Klange ober auch am Gewicht erkennt, 
ba er jede Silbermünze wiegt, aber Europäer müſſen ſehr 
häufig darunter leiden. Neben den mericanifchen Thalern 
wird in China jedoch alles übrige Geld genommen, wenn. es 
nur Silber tft, und wir haben für unfere preußifchen Thaler 
ftetS den vollen Werth von 3 Shilling Sterling nach ihrem 
Gewichte erhalten. Im Norden wird fein Dollar angenommen, 
der einen Stempel bat, wenn man nicht Agio zahlen will. 
Hier iſt die Bedingung bei allen Zahlungen: clean mexican 
dollars, reine mertcanifche Thaler; jedoch ſchützt dies ebenfo 
wenig vor ber Fälſchung, und man muß jedes Stüd forgfältig 
unterjuchen, dad man von einem Chinejfen erhält Wie ich 
fchon früher bemerkte, gilt e8 in China durchaus nicht für 
unmoraliih, einen Fankwei zu belügen oder zu betrügen, 
und eine beherzigenswerthe Regel für Europäer ift es, in 
biefer Beziehung feinem Chinefen zu trauen, er mag fo hoch 
ober .niebrig ftehen wie er wolle. Wir haben während 
unfers Aufenthaltes dies fchwer empfunden, und ich fpreche 
aus Erfahrung Man braucht fich durchaus nicht zu ſcheuen, 
überall offenes Mistrauen zu zeigen. Läßt man fich täufchen, 
jo wird man für dumm gehalten, fteigt jedoch fofort in ber 
Achtung, wenn man fich nicht überliften läßt. 

Ich glaube hiermit pasjenige berührt zu Haben, was 


303 


mir in China fowol in Betreff der Lanbesart wie bes 
Volkes als charakteriftifch erfchienen ift und meiner An- 
fiht nach für deutſche Leſer von Intereſſe fein Tann. 
Ich bin weit entfernt, meine Wahrnehmungen als maßgebend 
Hinftellen zu wollen. Um China und bie Chinejen richtig zu 
beurtheilen und fie wahr zu ſchildern, dazu gehört ein viel- 
jähriger Aufenthalt im Lande und vor allen Dingen bie 
Kenntniß der Sprache. Ich war nicht ein volles Jahr dort, 
und von ber Sprache verſtand ich nichts. Manches mag ich 
daher einfeitig und unrichtig aufgefaßt Haben, jeboch war meine 
Abſicht auch nur, die Eindrücke wiederzugeben, bie Land und 
Lente auf mich gemacht, nicht aber eine kritiſche Abhandlung 
zu fchreiben, zu der mir bie erwähnten Vorbepingungen fehlten. 
Was ich in meiner Schilderung nicht aus eigener Anfchauung 
babe, verdanke ich der Mittheilung von Leuten, bie lange 
Sahre im Lande waren und benen ich ein competentes Urtheil 
zutrauen durfte; aber was den Charakter des Volkes angeht, 
fo tappen fie ebenfo im Finftern wie faft jeder Europäer. 
Dem Europäer gegenüber zeigt fich der Chinefe nun einmal 
nicht, wie er wirklich ift, und in dieſem Umſtande allein haben 
wir die Erklärung der Gegenfäge zu fuchen, die im Volks— 
charakter uns fo fchroff entgegentreten, und die wir ſonſt nicht 
begreifen können. Die biftorifchen, ftatiftifchen und politifchen 
Notizen endlich habe ich Davis entnommen, der in China 
nicht nur für einen ber beften Sinologen, fondern auch für 
einen ber gebiegenften Kenner chinefijcher Zuftände gilt, und 
in feiner Iangjährigen Stellung als Regierungsbolmetfcher und 
Gouverneur von Hongfong Gelegenheit Hatte, bie zuverläſſigſten 
Nachrichten zu fammeln. 


Drud von F. A, Brockhaus in Leipzig. 





Reifebriefe 
über 
China, Japan und Siam. 


Zweiter Theil. 





302 


20— 50 Stempel, ſodaß oft die beiden Seiten gar nicht 
mehr voneinander zu unterfcheiven find. ‘Diefes Stempeln 
ſoll urſprünglich eine. Garantie gegen Fälſchung fein; es 
wird jeboch häufig geradezu das Gegentheil. Theils werben 
mit dem Stempeln Fleine Stüädchen Silber herausgefchlagen, 
theils die Ränder befchnitten. Ober man. nimmt eiwas 
Metall aus ber Mitte, das durch Blei erjegt wird, und fucht 
bie Stelle durch einige Stempel unfenntlich zu machen. 
Chinefen gegemüber. gelingt biefer Betrug weniger,. weil 
ein Geſchäftsmann einen falfhen Dollar entweder fofort 
am Gefühl oder am Klange oder auch am Gewicht erfennt, 
ba er jebe Silbermünze wiegt, aber Europäer müſſen fehr 
häufig barunter leiden. Neben den mericanifchen Thalern 
wird in China jeboch alles übrige Geld genommen, wenn. es 
nur Silber ift, und wir haben für unfere preußifchen Thaler 
ftetS den vollen Werth von 3 Shilling Sterling nach ihrem 
Gewichte erhalten. Im Norden wird fein Dollar angenommen, 
der einen Stempel hat, wenn man nicht Agio zahlen will. 
Hier ift die Bedingung bei allen Zahlungen: clean mexican 
dollars, reine mericanifche Thaler; jedoch ſchützt dies ebenfo 
wenig vor der Fälſchung, und man muß jedes Stüd forgfältig 
unterfuchen, das man von einem Chinefen erhält. Wie ich 
fchon früher bemerkte, gilt es in China durchaus nicht für 
unmoraliih, einen Fankwei zu belügen oder zu betrügen, 
und eine beherzigenswerthe Negel für Europäer iſt es, in 
biefer Beziehung feinem Chinefen zu trauen, er mag jo hoch 
oder .niebrig ftehen wie er wolle. Wir haben während 
unfers Aufenthaltes dies ſchwer empfunden, und ich fpreche 
aus Erfahrung Man braucht fich durchaus nicht zu ſcheuen, 
überall offenes Mistrauen zu zeigen. Läßt man fich täufchen, 
jo wird man für dumm gehalten, fteigt jedoch fofort in ver 
Achtung, wenn man fich nicht überliften läßt. 

Ich glaube hiermit pasjenige berührt zu haben, was 











303 


mir in China fowol in Betreff der Landesart wie des 
Volkes als charakteriftiich erfchienen ift und meiner An- 
fiht nah für deutſche Leſer von Intereſſe fein Tann. 
Ich bin weit entfernt, meine Wahrnehmungen als maßgebend 
binftellen zu wollen. Um China und die Chinejen richtig zu 
beurtheilen und fte wahr zu fchilvdern, dazu gehört ein viels 
jähriger Aufenthalt im Lande und vor allen Dingen bie 
Kenntnig der Sprache, Ich war nicht ein volles Jahr bort, 
und von ber Sprache verjtand ich nichts. Manches mag ich 
baber einfeitig und unrichtig aufgefaßt haben, jedoch war meine 
Abfiht auch nur, die Eindrüde wiederzugeben, bie Land und 
Leute auf mich gemacht, nicht aber eine kritiſche Abhandlung 
zu fohreiben, zu der mir die erwähnten Vorbedingungen fehlten. 
Was ich in meiner Schilderung nicht aus eigener Anfchauung 
babe, verbanfe ich der Mittheilung von Leuten, die lange 
Fahre im Lande waren und denen ich ein competentes Urtheil 
zutrauen durfte; aber was den Charakter des Volfes angeht, 
fo tappen ſie ebenfo im Finftern wie faft jever Europäer. 
Dem Europäer gegenüber zeigt fich der Chinefe nun einmal 
nicht, wie er wirklich ift, und in diefem Umſtande allein haben 
wir die Erklärung der Gegenfäge zu fuchen, bie im Volks— 
charakter uns fo fchroff entgegentreten, und die wir fonft nicht 
begreifen können. Die hiftorifchen, ftatiftifchen und politifchen 
Notizen endlich babe ich Davis entnommen, der in China 
nicht nur für einen ber beiten Sinologen, fondern auch für 
einen der gebiegenften Kenner chineflfcher Zuftände gilt, und 
in feiner langjährigen Stellung als Regierungsdolmetſcher und 
Gouverneur von Hongkong Gelegenheit hatte, bie zuverläffigiten 
Nachrichten zu fanmeln. 


Drud von F. U, Brockhaus in Leipzig. 





Reifebriefe 
Über 
China, Japan und Siam. 


— — — 


Zweiter Theil. 


Die preussische Expedition 
nad 


Ehina, Yapan und Siam 


in den Jahren 1860, 1861 und 1862. 


Reiſebriefe 


von 


Reinhoſd Werner, 


Lieutenant zur See J. Klaſſe. 


— — — 


Mit ſieben Abbiſdungen in Holzfchnitt und einer lithographirten Rarte 


— — —— 


Zweiter Theil. 





Leipzig: 
TE A. Brockhaus. 


1863. 








— nn 


Inhalt des zweiten Theile. 


— — — — 


19. 


Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreiſe von Hongkong 
nach Japan. Die Fahrt unter Nordoſtmonſun. Aufenthalt an 
der Südoſtſpitze der Inſel Formoſa. Beſuch der Küſte; Schar⸗ 
mützel mit den Eingeborenen. Lage, Beſchaffenheit und Bedeu⸗ 
“tung der Inſel. Geſchichte der holländiſchen Colonie auf Formoſa 
im 17. Jahrhundert ....................... .............. 


20. 


Ankunft der Elbe vor Nangaſaki. Die Naturſchönheit der Bai. Be⸗ 
nehmen und Verlegenheit der japaniſchen Behörden. Vereinigung 
der Elbe mit dem preußiſchen Geſchwader zu Jeddo. Die Ver⸗ 
handlungen des Grafen Eulenburg mit ber japaniſchen Regierung. 
Einzug des Geſandten in Jeddo und Aubienz beim Minifter bes 
Auswärtigen. Ungünftige Lage der Dinge. Die geograpbifchen 
und politiſchen Umriffe des Landes, Verkehr und Stellung ber 
Fremden in Japan im früherer Zeit........................ 


: 21. 

Die Bai von Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerkfe, Umfang 
und Bevöllerung der Stadt. Die Yalonins als Beauffichtiger 
der Fremden. Bau und Eitrichkung der japanifchen Hänfer. 
Die Daimios und ihre Stellung als Feudalherren zum Bolfe, 
Die Vorbereitungen ber focialen Revolution burch bie Eröffnung 


Seite 


17 


— —— — — — —— — 2— 


VI 


S 
des Landes. Schwierige Lage der Regierung gegenüber der 


Adelspartei. Feuersbrünſte nnd Feuerspolizei in Jeddo. Die 
Gärten und der Naturſinn der Japaneſen ................... 


22. 


Die Tempelgebäude. Der Buddhismus in Japan. Die Sinto- 
religion, ihre Götterlehre, ihr Eultus. Die Sekte der Siodoſie. 
Die Prieſterſchaft......... ......... .................. 


23. 


Die Abftammung der Sapanefen. Die Volkstracht. Die Frauen. 
Die Reinlichkeit des Volks. Die Bäder. Die japanefifchen Be- 
griffe von Schambhaftigfeit. Die Theehäufer als Bordelle. Die 
Geſchlechtsliebe und die Stellung ber Frauen. Höflichkeit und 
Anftandsformen. Eine japanefiihe Hochzeit. Das Koncubinat. 
‚Kinder und Kindererziehung. Der Schulunterricht ........... 


24. 


Sapanefifche Bücher. Die Beamtenlaufbahn. Die wilfenfchaftliche 
Bildung. Die Heilfunde. Wißbegierde und Auffafjungstalent 
ber Iapanefen. Die japanefifhe Sprache, Die Literatur. Das 
Theater. Kunftreiterei und Ringkämpfe. Schauluftigfeit des 
Volks. Gefellfehaftliche Gelage und Unterhbaltungen. Guitarren- 
mädchen und Tänzerinnen. Die Iapanejen im Rauſch........ 


25, t 


Strenger Charafter der japanifchen Strafpflege. Das Syſtem der . 


Berantwortlichfeit und die geringe Zahl ber Verbrechen. Die 
Hinrihtungen. Das Banchaufichliten mit eigener Hand nis 
Strafmilderung und Ehrenreparation. Das Spionenſyſtem in 
der Landesregierung. Die Machtlofigfeit des Zaifın. Das Ge- 
folge der Datmios-Armee und Militärwefen. Die Einfehränfung 
bes Seeverfehrs vor Eröffnung des Landes. Die neue japanifche 
Marine . . . . . . ....... .................................. 


26. 


Japans Bedeutung in Handel und Induſtrie. Kohlen, Metalle und 


Thee. Das Porzellan und feine Fabrikation. Lad und Lack⸗ 


waaren. Rapsöl und vegetabilifihes Wachs. Miako als Mittel-- 


punft japanifcher Induftrie. Bereitung und Verwendung des 


eite 


57 


63 


84 





vi 


Seit 
Papiers. Münzen und Münzwefen. Aderban und Viehzucht. *ite 
Die Yorfteultur und der reihe Baumwuchs des Landes ....... 118 


27. 


Die Bai und die Stadt Nangafafi. Infel und Eolonie Defima. 
Die Biftte beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Dra- 
chenfeſt. Die Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Ge⸗ 
felligfeit der Iapanefen. Das Dracenfpiel. Eine Kunftreiter- 
vorftelung in Nangafafi. Ausflüge in die Umgegend. Natur- 
romantik. Lieblichleit der Oartenanlagen. Bilb der japanifchen 
Hänslichkeit.. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängmiß. Das Klima 
und der Gefundheitszuftend in Japan ...................... 139 


28. 


Die Verhandlungen mit ber preußiſchen Geſandtſchaft. Anjchläge 
der japanifchen Adelöpartei gegen bie Fremden. Ermordung bes 
amerikaniſchen Gefandtichaftsfecretärs Heusken. Betragen und 
Intriguen der Regierung. Feſtes Auftreten des Grafen Eulen- 
burg. Beftattung Heusken's unter Afiitenz ber preußifchen Waf- 
fen. Abreiſe bes engliihen und franzöfiihen Gejchäftsträgers 
nah Yokuhama. Enpliher Abſchluß des Vertrags mit Preußen 
am 25. Sanuar 1861. Abgang der preußiihen Schiffe nad 
Schang-hae. Charakter des japanifhen Volks und Ausfichten 
auf feine freiere fociale und politifhe Entwidelung............ 167 


29. 


Schang-hae und fein Theegarten. Ankunft der preußifchen Gefanbt- 
haft daſelbſt. Ungünſtige Verhältniffe für die Abſchließung des 
Handelsvertrags mit China. Die Elbe im Sandwirkelfturme. 
Chefu und die „Verzweiflungsinſel“. Aufenthalt an ber Peihos 
mündung. Die Tafuforts. Tientfin und feine Bedeutung als 
Handelsplag. Das Städtchen Ning-bae. Beſuch der dinefifchen 
Mauer. Geſchäfte, Bauart, Zwed und gegenwärtige Beſchaffen— 
beit dieſes Wunderwerls. Die Ebene um Ning-hae. „Kieſelack“ 
in China. .............................................. 177 


30. 
Hohe Landescultur jenfeit des Gebirges von Chefu. Amerifa- 
nische Miffionare als Kaufleute. Bolitifche Veränderungen in 
China im Sommer 1861. Der Tob des Kaifers Hienfung. 


DEE re 


VIII 

Seite 
Der Prinzregent Kung, ſein Charakter, ſeine aufgeklärte Politik. 
Die Rebellion der Taipings. Verhalten ber Engländer zum 
hinefifden Bürgerkriege. Gefchichte der Schantung: Rebellen. 
Borrüden derſelben gegen Chefu. Bertheidigungsanftalten und 
Feigheit der Chinefen. Admiral Protet mit wenigen Franzojen 
übernimmt bie Bertheidigung des Platzes. Ueberraſchung und 
Flucht der Rebellen durch einen Bombenfhuß. Scheußliche Grau⸗ 
ſamkeiten der Nebellen wie der Kaiferlichen ................. 196 


3l. 


Unterzeichnung des Hanbeldvertrags zwijchen Preußen und China 
am 15. Auguft 1861. Ausdehnung befjelben auf ben Zollverein, 
Medlenburg und die Hanfeftädte. Große Bedeutung des Ber- 
trags für Deutfchlands Induftrie, Handel und Schiffahrt. Die 
Concurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und bie 
politiiche Macht des Welthandels. Gründungsgefchichte der deutſchen 
Handelshäuſer in Oftafien. Ihr bisheriges VBerhältni zum Vater- 
lande. Der Zollverein in Bezug auf den öſtlichen Verkehr. Die 
deutſchen Schiffe in den chinefiihen Gewäſſern. Freude ber deut⸗ 
ſchen Kaufleute in China Über den Abſchluß des Vertrags. Noth- 
wenbdigfeit eines preußischen Kriegsgeſchwaders in ben öſtlichen 
Meeren. Der Koſtenpunkt und die Beſchaffenheit der Schiffe. 
Der Neid der Engländer. Abreiſe nah Siam. Bereinigung des 
preußifchen Gefchwaders im December 1861 auf der Rhede von 
Bangkok ........................ ......... ....... ....... 210 


32. 


Das Königreich Siam, ſeine Länder, ſein Waſſerſyſtem. Geſchichte 
bes Landes. Der Mainamfluß. Die ſiameſiſchen Feſtungen. 
Die Stadt Bangkok. Bauart der Häuſer und Aermlichkeit ihrer 
Einrichtung. Eine Dame von Stande. Die Buddhatempel, ihre 
Architektonik, ihre Pracht, ihre Götzen. Leben und Treiben der 
fiameſiſchen Prieſterſchaft. Der Todtendienſt und die Leichenver⸗ 
brennung. Das Todtenfeld der Armen. Unterricht und Volks⸗ 
bildung ...... . . . . . . .................................... 229 


33. 

Schlechte Beſchaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf 
dem Mainam. Schwimmfertigkeit der Einheimiſchen. Nationa⸗ 
lität und Zahl der Bevölkerung von Bangkok. Körperbildung 
und Tracht des ſiameſiſchen Volks. Häßlichkeit der Frauen. Die 


IX 
Seite 
Abſchließung ber Ehen. Die Bielweiberei. Das Verhältniß der 
Frau zum Manne. Das Eoncubinencorps und bie erfte Frau 
bes Königs. Die Sklaverei. Der Reisbau und die fiamefifche 
Faulheit. Betriebfamkeit der Chinefen in Siam. Mufil und 
muftfalifhe Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein fla- 
mefſiſches Feuerwert. Die Induftrie des Landes in den Händen 
ber Chinefen. Der König-ald® Kaufmann. Schiffahrt und Han- 
bel. Uebergewicht der Deutjchen im fiamefiichen Verkehr. Teaf- 
holz als Ausfuhrartifel. Die Landesmünzen ................ 257 


34. 

Das Zweildnigfyften in Siam. Die Thronfolge. Die Prinzeffinnen. 
König Mongkut. Die ftameflihen Aftrologen. Prinz Kroom 
Luang Wong-fa. Die Prinzen des Königlichen Haufes. Die Bolks⸗ 
Haffen. Die Einnahmen des Königs. Segnungen und Plagen 
bes Tropenklimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Nahrungs- . 
mitteln. Siam ein Handelsftaat. Die franzöfliche Annectirungsluft 
in Hinberindien. Preußen und die Holländer. Hülflofigfeit Siams 
gegen franzöfifhe Eroberungspolitil. Die Reichthümer König 

Mongkut’s. Der Bertrag zwifhen Siam und Preußen ...... 273 


35. 


Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. Ans 
kunft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nach Serang, 
dem Site der Regentſchaft. Ueppigkeit und hoher Eulturftand 
ber Landſchaft. Die blühenden BVerhältnifie der Eolonie Java. 
Die Holländer als Muftercoloniften, Die Agrarverhältniffe und 
die Behandlung der Eingeborenen. Der Ertrag Javas und bie 
Bortheile, welche Holland aus ber Kolonie zu ziehen weiß. Die 
Stadt Serang. Das Schachfpiel der japanifchen Großen. Riüd- 
reife nach Anjer ......................................... 287 


36. 


Ein neuer Weg durch den Indiſchen Ocean. Ankunft der Elbe am 
Cap der guten Hoffnung. DierTafelbai und der Tafelberg. Die 
Kapftabt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrifaner”. Die 
holländiſchen Eoloniften und die Engländer. Bernadläfftgung ber 
Communicationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe 
ber Kapcolonie. Der Capwein. Das Dorf Eonftantia. Zwei 
große deutjche Firmen in der Capſtadt. Warnung an bie Deut- 


VIII 
Seite 
Der Prinzregent Kung, ſein Charakter, ſeine aufgeklärte Politik. 
Die Rebellion der Taipings. Verhalten der Engländer zum 
chineſiſchen Bürgerkriege. Geſchichte der Schantung Rebellen. 
Vorrücken derſelben gegen Chefu. Vertheidigungsanſtalten und 
Feigheit der Chineſen. Admiral Protet mit wenigen Franzoſen 
übernimmt bie Vertheidigung bes Platzes. Ueberraſchung und 
Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche Grau⸗ 
ſamkeiten der Rebellen wie der Kaiſerlichen ................. 196 


31. 

Unterzeihnung des Handelsvertrags zwiſchen Preußen und China 
am 15. Auguft 1861. Ausdehnung beffelben auf den Zollverein, 
Medlenburg und bie Hanfeftädte. Große Bedeutung bes Ber- 
trags für Deutſchlands Induftrie, Handel und Schiffahrt. Die 
Eoncurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und bie 
politifche Macht des Welthandels. Gründungsgefchichte der deutſchen 
Handelshäuſer in Oftafien. Ihr bisheriges Verhältniß zum Vater⸗ 
lande. Der Zollverein in Bezug auf ben öſtlichen Verkehr. Die 
deutſchen Schiffe in den chineſiſchen Gewäffern. Freude der deut⸗ 
ihen Kaufleute in China Über den Abichluß des Vertrags. Noth- 
wendigfeit eines preußifhen Kriegsgeſchwaders in ben öftlichen 
Meeren. Der Koftenpunft und bie Befchaffenheit ber Schiffe. 
Der Neid der Engländer. Abreife nah Siam. Vereinigung des 
preußifchen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von 
Bangkok ............................................... 210 


32. 

Das Königreich Siam, ſeine Länder, ſein Waſſerſyſtem. Geſchichte 
bes Landes. Der Mainamfluß. Die ſiameſiſchen Feſtungen. 
Die Stadt Bangkok. Bauart der Häuſer und Aermlichkeit ihrer 
Einrichtung. Eine Dame von Stande. Die Buddhatempel, ihre‘ 
Architektonik, ihre Pracht, ihre Götzen. Leben und Treiben ber 
fiamefifhen Prieſterſchaft. Der Todtendienft und die Leichenver- 
brennung. Das Todtenfeld ber Armen. Unterridt und Volks⸗ 
bildung ... ... . . . . . . . . .. .. ... ..... ...................... 229 


33. 

Schlechte Beſchaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf 
dem Mainam. Schwimmfertigkeit der Einheimiſchen. Nationa- 
lität und Zahl der Bevölkerung von Bangkok. Körperbildung 
und Tracht des ſtameſiſchen Volks. Häßlichkeit der Frauen. Die 


IX 


Abſchließung der Ehen. Die Bielweiberei. Das Verhältniß ber 
Frau zum Manne. Das Eoncubinencorps und bie erſte Fran 
des Königs. Die Sklaverei. Der Reisbau und die ſiameſiſche 
Faulheit. Betriebfamleit der Ehinefen in Siam. Muſik und 
muſikaliſche Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein fia- 
meſiſches Feuerwerk. Die Iubuftrie des Landes in ben Händen 
der Ehinefen. Der König-als Kaufmann. Schiffahrt und Han- 
bei. Uebergewicht ber Deutfchen im fiamefiichen Berfehr. Teak⸗ 
holz als Ausfuhrartifel. Die Landesmünzen ............... 


34. 
Das Zmeildnigiyften in Stam. Die Thronfolge. Die Brinzeffinnen. 
König Mongkut. Die fiameflfhen Aftrologen. Prinz Kroom 
Luang Wong-fa. Die Prinzen des Föniglichen Haufes. Die Bolle- 
Haffen. Die Einnahmen des Königs. Seguungen und Plagen 
bes Tropenflimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Rahrungs- 
mitteln. Siam ein Handelsftaat. Die franzöftfche Annectirungstuft 
in Hinderindien. Preußen und bie Holländer, Hülflofigleit Siams 
gegen franzöſiſche Eroberungspolitil. Die Reichthümer König 
Mongkut's. Der Bertrag zwilden Siam und Preufen ..... 


35. 


Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. An⸗ 
funft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nad Serang, 
dem Site ber Regentſchaft. Ueppigkeit unb hoher Culturſtand 
ber Landſchaft. Die blühenden Berhältniffe ber Eolonie Sava. 
Die Holländer als Muftercoloniften. Die Agrarverhältniffe und 
die Behandlung ber Eingeborenen. Der Ertrag Iavas und bie 
Bortheile, welche Holland aus der Eolonie zu ziehen weiß. Die 
Stadt Serang. Das Schachfpiel der japanifchen Großen. Rüd- 
reife nach Anjer ......................................... 


36. 


Ein neuer Weg durch den Indiſchen Ocean. Ankunft ber Elbe am 
Cap ber guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Zafelberg. Die 
Capftadt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrilaner”. Die 
holländiſchen Eoloniften und bie Engländer. Bernadläffigung ber 
Communicationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe 
ber Capcolonie. Der Eapwein. Das Dorf Eonflantia. Zwei 
große deutſche Firmen in ber Capſtadt. Warnung an bie Deut- 


x 


— Seite 

ſchen. Die Kaffernkriege. Gouverneur Sir George Grey. Das 

Kafferncollegium. Die Kafferntruppen. Die Hottentotten ..... 296 
37. 


Die Heimreife. Naturbefchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der 
Inſel St.-Helena. Das englifche Geſchwader an ber weftafrifa- 
nifhen Küfte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genom- 
menen Neger. Die Infel Ajcenfion. Ankunft der Elbe in Swi⸗ 
nemiünde am 29. Mai 1862. Die Opfer, welche bie oftaflatifche 


Erpedition gekoſtet. Die Bortheile bes Unternehmens für Ge * 


ſammtdeutſchland. Neellität, ein Haupterforberni im Berlehr 


mit den Aſiaten. Abſchied vom Lefer ...................... 305 
Abbildungen zum zweiten Theil, 

Japaneſiſcher Jakonin........ .. .. ... . ....... ......... zu S. 41 

Japaneſiſche Mädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 67 

Theegarten in Schangehae. ...............- .. . . . . .... ....... 178 

Erſte Frau des Königs Mongkut von Siam......... .......... 262 


Phra Somdet Mongkut, Erſter König von Siam ..........--- 274 


— —— — 


19. 


Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreife von Hongkong nad 
Japan. Die Fahrt unter Norboflmonfun. Aufenthalt an der Süpof- 
fpige der Inſel Formoſa. Beſuch der Küſte; Scharmügel mit ben 
Eingeborenen. Lage, Beichaffenheit und Bebeutung ber Infel. Ge- 
fchichte der holländiſchen Colonie auf Formoſa im 17. Jahrhundert. 


Mir hatten mit ber Elbe bereit einen Monat lang in 
Hongkong gelegen und vergeblich auf Nachrichten vom Ge⸗ 


ſchwader gewartet, das drei Wochen vor uns aus Singapore 


nah Japan gefegelt war, als die mit den beginnenden Norb- 
oftmonfuns von Kanagava kommenden Schiffe die Ankunft 
ber Arkona und Thetis in der Bai von Jeddo berichteten, 
zugleich aber die Zrauerbotfchaft von dem mwahrjcheinlichen 
Verlufte des Schooners Frauenlob brachten, eine Runde, Die 
einen trüben Schatten auf die” Erpebition warf. Ein fchred- 
tiher Teufun hatte am 2. September mit Tagesanbruch ven 
Frauenlob von der Arkona, welche ihn im Schlepptau führte, 
getrennt. Es gejchah dies in einer Entfernung von Taum 


noch 40 Meilen von der Iebbobai. Um 5 Uhr morgens 


ward das Schiff zulekt geſehen, und feit jener Zeit hatte 

man nichts wieder von ihm gehört. Ein gleihes Schiefal 

theilte die englifche Kriegsbrigg Camilla, und nach dem fchred- 

fihen Wetter, pas kaum eine fo große und ftarf gebaute 

Fregatte wie die Arkona mit Hülfe der Dampffraft auszu- 

halten vermochte, war nichts anderes anzunehmen, als daß 
Werner. II. 1 


2 


das preußiſche wie das engliſche Schiff ver Wuth des Stur⸗ 
mes erlegen und beide total verunglückt ſeien. Mit dem Frauen⸗ 
lob gingen 4 Offiziere, 1 Arzt, 1 Verwalter und 38 Unter- 
offiziere und Matroſen verloren, ein Ereigniß, das nicht nur 
- auf dem Geſchwader, fondern auch in ganz Deutfchland tief. 
betrauert ward. Am 30. Detober erhielten wir nom Geſchwa⸗ 
derchef ven Befehl, mit unferm Schiffe nach Naugafafi zu geben, 
um die Schiffe dort zu erwarten und fie mit Vorräthen zu ver- 
fehen. Am 1. November verließen wir bemgemäß das uns durch 
bie außergewöhnliche Freundlichkeit unferer bortigen Landsleute 
fo lieb gewordene Hongfong, jegelten nach unferm Beftimmungs- 
orte ab und machten uns auf eine minbeftens vierwöchent⸗ 
liche und unangenehme Kreuztour gefaßt, da der Norboft- 
monfun fehr Träftig blies und wir die ganze Strede von 
400 geographifchen Meilen ihm abzufämpfen hatten. 

In frühern Zeiten hielt man es gar nicht für möglich, 
gegen diefe halbjährigen Winde einen längern Weg anzufreuzen, - 
und die Schiffe blieben oft 4—5 Monate in einem Hafen 
Tiegen, um den günftigen Monfun abzuwarten, wie es noch 
jet alle chinefifchen Dfchonfen machen, die im Detober von 
China nah dem Süden gehen und im Mat von dort nach 
Haufe zurüdfehren. Die Fortfchritte im Schiffbau und in den 
nautiſchen Wiffenichaften, ver Hydrographie und Meteorologie, 
haben e8 jedoch nicht nur ermöglicht, gegen die Monfuns an- 
zufämpfen, fondern bejtimmte Reifen auch in bejtimmter Zeit 
zurüdzulegen, und gegenwärtig bedenkt fich ſelbſt das ſchlech— 
tete Rauffahrteifchiff nicht, mit Ausnahme der Teufunmonate 
Auguft, September und October, im Sommer nad dem 
Süden und im Winter nach dem Norden zu Freuzen; ja, gute 
ftarfe Fahrzeuge, deren Kapitäne mit genügenber Fachfenntniß 
theoretifche Bildung vereinen und den neuen Entdeckungen 
auf dem Gebiete der Meteorologie gefolgt find, fcheuen fich 
nicht, felbft Teufunen die Spike zu bieten, wenngleih Muth 


3 


und Geſchicklichkeit nicht immer fie vor dem Unterliegen in dem 
ungleichen Kampfe fichern können. 

Wir befanden uns im November und hatten daher weniger 
von den Unholden zu fürchten, ſondern nur eine ftürmifche 
Reife mit allen ihr Gefolge bildenden Unbequemlichkeiten zu 
erwarten, eine Ausficht, die fih auch zur Genüge verwirffichte: 
Vom Süden Chinas nach dem Norven over nach Japan hat 
man bei ungänftigem Monfun zuvörderſt ganz nahe unter 
der Küfte bis zu den Namoa- Infeln auf 25° nördl. Breite 
aufzufreuzen, um ven durch den Bormofafanal fallenden 
fünmweftlichen Strom zu vermeiden. Dann bat man dftlich nach 
ver Süpfpige von Formoſa ‚hinüber zu ftechen und an ber 
Oſtküſte dieſer Infel nach Norden zu gehen, wo man ben äqua⸗ 
torialen bis zur Behringsftraße reichenden Warmwafferftrom, 
der in der Nähe von Japan faft vie Schnelligkeit und Tem⸗ 
peratur bes nordamerikaniſchen Golfftroms annimmt, findet 
und benugen Tann. 

Die erften Tage ging e8 troß bes fcharfen Windes vor- 
trefflih. Unſer Schiff Freuzte bei der hohen See über Er- 
wartung gut, und ſchon am 6. November befamen wir bie 
Südſpitze von Formofa in Sieht. Zugleich aber wurbe bie 
Gegenftrömung, bie ſich von dem erwähnten Golfftrome hier 
weftlich abzweigt, jo heftig, daß wir faft nicht von der Stelle 
famen, und uns am 10. November noch auf vemfelben Fleck 
wie am 6. befanden, obwol: wir feitvem 150 Meilen durch 
das Waffer gefegelt waren und ohne den Strom hätten min- 
deſtens 50 Meilen oftwärts Freuzen müſſen. Ia, einmal hatten 
wir, als der Wind fich etwas legte, bie merfwürbige Er» 
ſcheinung, daß fämmtliche Segel rund voll ftanden, das Schiff 
aber, ſtatt vorwärts zu geben, mit ziemlicher Schnelligkeit 
rüdwärts ging, eine Thatfache, die auf ven erften Blick 
unerflärlich erjcheint, aber nur die Folge eines heftigen Unter⸗ 

wafferftroms ift. Dieſelbe Sache Hatte ich ſchon früher ein⸗ 
| * 


4 


mal in der Straße von Florida im amerifanifchen Golfitrom beob» 
achtet, Dort war jepoch bie Strömung bei weiten nicht fo heftig. 

Am 10. November zog fich der Wind enblich ein bischen 
nördlicher, und wir erreichten die Spite ber Inſel, deren 
Süpfeite von Weften nach Oſten ungefähr 4 Meilen weit ſich 
erftreckt. Im Schutze dverfelben ging es troß bes zunehmen- 
ben Windes nun beffer. Wir Freuzten ganz nahe unter ihr hin, 
bewunderten vie romantifchen Zandfchaften, welche die pracht- 
volle und terraffenförmig auffteigenpe Infel Dem Auge in reicher 
Fülle bot, und bebauerten, daß dieſe ſchöne und fruchtbare 
Strede Landes noch nicht von der Civiliſation beledt, nament- 
lich aber, daß fie nicht veutiche8 Eigenthum fei. Die zunehmen- 
ben heftigen Bewegungen des Schiffes gaben jeboch unfern 
Gedanken bald wieder eine andere Nichtung. Je mehr wir 
uns der Oftküfte näherten, befto mehr fühlten wir ben warh- 
jenden Wind, und faum traten wir ganz aus bem Bereiche 
der ſchützenden Küfte, als uns der fchönfte Nordoſtſturm ent- 
gegenblies, der nicht allein eine. himmelhohe See aufwühlte, 
fondern uns auch zwang, ſobald als möglich unfere Segel 
auf ein Minimum zu kürzen. Da wir unter folchen Um—⸗ 
ftänden nur die Ausficht hatten, zurüdzutreiben und ven müh⸗ 
fam erfämpften Boden wieder zu verlieren, zogen wir es vor, 
jhleunigft umzulehren und im einer ringsum won hohem Lande 
geſchützten Bucht, die uns ſchon vorher ſehr einladend erjchienen 
war, an der Süpoftfeite der Infel vor Anker zu gehen. 

Die Karten von Formofa find fehr mangelhaft. Die er- 
wähnte Bucht war gar nicht einmal darauf angegeben, und 
wir mußten uns vorfichtig heranlothen, fanden aber einen jo 
ſchönen, bequemen Anferplag, wie wir nur wünſchen Tonnten, 
nicht zu tief, baltbaren Grund, faum tauſend Schritt von ber 
Küfte und gegen alle nördlichen und öſtlichen Winde, die wir 
allein in dieſer Jahreszeit zu fürchten hatten, ſo gefichert, wie in 
Abraham's Schos. Der Anfer raufchte vom Bug in bie 








5 


Tiefe, die Segel wurden feftgemacht, und alsbald erwachte in 
uns auch ein jehnliches Verlangen, das mit einer fo reizenden 
Außenfeite geſchmückte, faſt gänzlich unbefannte, deshalb aber 
um fo intereffantere Land etwas näher zu betrachten. Die 
That folgte bald dem Entſchluſſe. Die Gig wurde in das 
Waſſer gelaffen, mit ſechs Träftigen Leuten bemannt, und ihre 
Ruderſchläge trugen uns in wenigen Minuten ans Land, das 
an einer Stelle einen prächtigen Sanbftrand zum Anlegen 
bot. Wit hatten vom Schiffe aus Hier einige Eingeborene 
bemerkt, wollten mit ihnen Verbindungen anknüpfen, um Früchte 
und Lebensmittel zu erhalten und einen kleinen Streif» und 
Jagdzug auf die nahe liegenden Platenus zu machen. Dort 
hatten wir mit unfern Fernröhren merfwürbige Thiere herum⸗ 
fpringen fehen, die wir bald für Bären, bald für Affen hielten, 
und allem Anfchein nach Tonnten wir uns ergiebige Beute 
verfprechen. Da wir jedoch bereits früher von der feindfeligen 
Unnahbarkfeit ver Formofaner gegen Fremde gehört, trugen 
wir Sorge, uns gehörig zu bewaffnen, und außer uns vier 
Theilnehmern an der Partie, die wir unfere eigenen Büchfen 
befaßen, erhielten auch umfere ſechs Bootsruderer jeder eine 
er vortrefflichen Zündnadelbüchſen, mit denen unfere Schiffe 
ausgeräüftet find. 

Wir betraten den Strand, der bier 30 bis 40 Schritt 
breit fein mochte und von einem dichten, und wie es uns fchien, 
faum durchdringbaren Gehölz eingefaßt war. Wir theilten 


uns in zwei Parteien von je 4 Mann, mwährenn 2 Mann 


zur Bewachung des Bootes zurüdhlieben. Die Munition 
wurde ausgegeben und die Gewehre geladen, während vefjen 
wir am Strande nach Muſcheln fuchten und uns nach ver- 
ſchiedenen Seiten hin zerftreut hatten. 

Auf einmal fiel eim Schuß; Teiner von uns achtete anfangs 
baranf, weil jever glaubte, irgendeiner habe etwas Jagdbares 
entdeckt, und wir blickten von unferer Beichäftigung kaum auf. 





6 


Unmittelbar darauf knallte es jedoch prei=, viermal binterein- 
ander und einer unjerer Matrofen rief: „Wir werben ange- 
griffen, ich bin getroffen.” Zugleich ſahen wir an verſchiedenen 
Stellen den Pulverdampf aus dem Gebüfche aufiteigen und 
befanden uns in der gerade nicht erfreulichen Lage, kaum 
30 Schritt vor den. Gewehrläufen eines unfichtbaren Feindes 
zu ftehen, ohne auf dem offenen Sanbftrande felbft die geringfte 
Dedung zu haben. Die Sache wor fritifch; die Feinde ans 
zugreifen und in das dichte Geftrüpp vorzudringen, wo man 
feine 3 Schritte weit fehen Tonnte, wäre ebenfo gewagt als unflug 
gewejen, da wir feine Ahnung hatten, wie viele uns gegenüberftan- 
ben. Ebenfo wenig konnten wir aber bleiben, und das einzige Ver⸗ 
nünftige war, uns in unfer Boot zurüdzuziehen und ven Rückzug 
fo gut wie möglich zu decken. Während deshalb zwei-Matrofen 
ben Befehl erhielten, das Boot zu unferer Aufnahme fertig 
zu balten, bildeten wir übrigen acht eine Tirailleurlinie und 
warteten mit geipanntem Hahn auf den nächſten Schuß, um 
auf den Punkt eine Salve zu geben, wo wir ben aufſteigen⸗ 
den Rauch bemerfen würden. Daß von den fünf, auf kaum 
30 Schritt Entfernung auf uns abgefeuerten Schüffen nur 
einer getroffen, gab uns Feine hohe Meinung von ver Ge- 
ſchicklichkeit unſerer Feinde. Ueberdies war der getroffene 
Matroſe nicht einmal verwundet. Ein ſonderbarer Glücksfall 
hatte es gewollt, daß die ſonſt unfehlbar tödliche Kugel auf 
ein Meſſer traf, das er im Gürtel ſtecken hatte, daran ab⸗ 
prallte und weiter keinen Schaden that, als durch das Hemd 
zu gehen und den Hoſenbund durchzuſchneiden. Wir hatten 
kaum eine Minute geſtanden, als der erwartete Schuß fiel. 
Er war wiederum auf den erwähnten Matroſen gezielt; die 
Kugel ging hinten durch ſeinen Hemdenkragen, wunderbarer⸗ 
weiſe wieder ohne zu verwunden. Wir antworteten ſofort 
mit einer vollen Lage, hatten jedoch noch nicht wieder geladen, 
als uns noch zwei Kugeln um die Ohren pfiffen, aber harm⸗ 


7 


[08 hinter uns in das Waffer fielen. Wir blieben die Er- 
widerung nicht ſchuldig, und unfere acht Kugeln Inatterten in 
das Gebüſch, daß es eine wahre Freude war. Sekt hörte 
das feindliche Feuer auf, entweder hatten wir getroffen ober - 
eingefchüchtert, genug, wir nahmen ben günftigen Augenblick 
wahr, um unfer Boot zu befteigen und einige 100 Schritt 
vom Strande abzuruvdern. Wir mochten kaum 500 Schritt 
davon entfernt fein, als vier braunrothe hohe Geftalten, mit 
langem fchwarzen Haar und bis auf einen Schurz um bie 
Hüften vollftändig nadt, aus dem Gebüſch auf den Strand 
beraustraten und nad der Stelle hingingen, wo wir gelandet 
waren. Sie trugen jeder eine lange Zuntenflinte in der Hand, 
und ein großer Hund begleitete fi. Wir hielten inne mit 
Rudern und nahmen fie auf das Korn; da jedoch die ſchwan⸗ 
enden Bewegungen des Bootes Tein genaues Zielen erlaubten, 
trafen wir nicht, wenngleich die Kugeln in ihrer unmittel- 
baren Nähe einfchlugen und dem Hunde ein Bein zerfchmettert 
wurde. Diefe Wirkung erfchredite fie jedoch fo, daß fich fofort 
alle nieverwarfen und fo fchnell wie möglich auf allen Bieren 
in das Gebüfch zurüdeilten. Ein fünfter, ver Hinter ihnen 
bergefommen war und wahrjcheinlich fich als beſonders muthig 
zeigen wollte ober auch unfer jchnelles Wiederladen nicht 
vorausfeßte, blieb kühn ftehen. Wir nahmen viesmal 
genauer Ziel; e8 knallte, der Formoſaner ſprang hoch in bie 
Luft und ftürzte auf ven Sand nieder; er hatte feinen Vor⸗ 
wig mit dem Leben bezahlt. 

Wir fuhren jest an Bord zurück, und da das Schiff mit 
feiner Breitfeite gerade nach dem Blake zugemwenbet lag, wo 
wir durch die Zweige der Bäume die Dächer von Hütten 
Ihimmern und Rauch anffteigen fahen, bejchloffen wir bie 
Hinterlift der Eingeborenen durch einige Kanonenkugeln zu 
beftrafen unb damit zugleich noch unfere rückſtändige Schieß- 
übung abzubalten. Schon nad bem dritten Schuffe be- 


8 


merften wir, daß wir das richtige Ziel genommen hatten. 
Eine Prenge Menfchen, darunter viele Weiber und Kinder, 
die fich hinter den Leibern von Ochfen, welche fie fortführten, 
zu ſchützen fuchten, flohen auf vie höher und weiter im In⸗ 
nern gelegenen Plateaur, zu denen fie jeboch nur gelangen 
fonnten, wenn fie auf den Strand herausfamen unb einige 
taufend Schritt auf ihm entlang gingen. Sie befanven fich 
demnach gerabe in unferer Schußlinie, und wenn wir hätten 
unmenfchlich fein wollen, Tonnten wir mit Kartätichen ein 
ſchreckliches Blutbad anrichten. Dies lag uns jeboch fern; 
wir richteten noch ein halbes Dutzend Kugeln auf’ das Dorf 
und begnügten uns mit dieſer ausreichenn erjcheinenden Be— 
‚fteafung, um fo mehr, als wir jelbft keine Verluſte erlitten hatten. 

Nach Dunkelwerden wurden wir noch einmal in eine Fleine 
Aufregung verfegt; auf allen umliegenden Plateaur und Berg 
tuppen bis weit in das Innere flammten plöglich Signalfeuer 
auf. Da wir am Strande Boote bemerkt hatten, glaubten 
wir eine Zeit lang an einen beabfichtigten nächtlichen Angriff 
auf unfer Schiff und trafen alfe nöthigen Vorbereitungen, um 
ihn mit der gehörigen Kraft abzuweiſen. &8 blieb jedoch alles 
rubig, und obwol die Feuer die Nacht hindurch brannten, war 
während des ganzen nächften Tags kein Eingeborener in ber 
Nähe des Strandes zu ſehen. Dagegen bemerkten wir fie 
weit im Innern auf den Platenur, die wir vom Schiffe aus 
mit unfern Fernrohren recognofciren konnten, 

So endigte dies Heine Abenteuer auf Formofa, das zwar 
ohne bintige Folgen für uns und beswegen Intereffant war, 
aber uns andererſeits die feltene Gelegenheit abſchnitt, die 
ſchöne, faſt gänzlich unbelaunte Infel näher in Augenfchein 
zu nehmen. Wir mußten uns begnügen, fie von außen zu 
betrachten und ihre üppige Vegetation, ihre palmengekrönten 
Hügel und die majeftätifchen Höhenzäge zu bewundern, bie 
weiter im Innern die Gipfel zu den Wolfen emporfandten 


9 


und in jenen bläulichen Tinten ſchwammen, die den tropiſchen 
Gegenden allein eigenthümlich ſind. Das Land erhob ſich 
von der Kuſte an terraſſenförmig aufſteigend, und die einzelnen 
Hochebenen glichen Fünftlich angelegten Parts mit Nafen- 
plätzen, Boskets und Waldung. Auf einigen weidete Vieh der 
Eingeborenen, auf andern bemerkten wir Heerden ber erwähn⸗ 
ten Thiere, bie uns gänzlich unbelannt waren, und bie wir 
bafo für Bären, bald für Affen hielten. Sie hatten die Größe 
eines Schlächterhundes, waren lang geichwänzt und bewegten 
ſich Ichwerfällig auf ver Erde. Sobald ein ungewohntes 


Geräuſch ihr Ohr erreichte, fprangen fie im fliegenden Galop- 


über die Ebenen und in ein paar Sätzen in die höchiten 
Bänme Wie bevauerten wir, daß unfere fchöne Jagdpartie 
fo geftört worben war! 

Formoſa liegt auf ber Grenze des nördlichen Wendekrei⸗ 
ſes; es erſtreckt fich in norböftlicher Richtung zwifchen 120 
bis 122° öftlicher Länge von 21° 55’ bis 25° 19’ nörblicher 
Breite, alfo in einer Längenausbehnung von 51, bei einer 
Breite non 29 geographtichen Meilen. Sein Flächeninhalt 
beträgt ungefähr 1300 Ounpratmeilen, ift jeboch nie feftge- 
ftellt, ba das Lanb nur einmal ein halbes Jahrhundert 
hindurch den Holländern zugänglich war, feit der Mitte bes 
17. Jahrhunderts aber allen Europäern verichloffen iſt. 
Was man vom Inmern ber Infel weiß, ift jehr wenig. Die 
Holländer hatten nur den nächften Umkreis ihrer Colonien 
an der Weftjeite im Auge, und ber einzige Europäer, welcher 
Formoſa befuchte und befchrieb, der polnifche Graf Benjomffi, 
der über Kamiſchatka aus Sibirien entfloh, hat in feinen 
Schilderungen offenbar mehr Dichtung als Wahrheit gefagt. 
Man kann jedoch die Infel faft ganz überfehen, wenn man 
ſie umfegelt, und: daß fie ein ſchönes und fruchtbares Land 
einfchließt, geht aus ben Toftbaren Artifeln hervor, bie fie 
teils nach China als Tribut, theils als Ausfuhr zum Han- 


10 


del in das Ausland fendet. Reis, Reispapier, Kampher und 
Indigo nehmen unter ihnen die erfte Stelle ein und fie gehen 
über den Hafen Keelung an der Nordſpitze der Inſel theils 
nad Sapan, theils über China nach Europa. 

Das fogenannte Neispapier, durch die auf ihm ausge- 
- führten koſtbaren chinefifchen Malereien auch in Europa 
befannt, wird lediglich auf Formoſa gewonnen, nicht 
aber aus Reis, wie der Name andentet, fordern aus dem 
Marke einer bambusähnlichen Staude gefertigt, das in feiner 
Structur viel Achnlichfeit mit dem Marke unfers Hollunder- 
baumes hat. Die Staude wird ganz jung in Töpfe ver- 
pflanzt und, nachdem fie eine gewiffe Stärfe erlangt, gefocht 
und von der äußern harten Rinde befreit. Das oft 2—3 Zoll 
im Durchmefjer haltenne Mark wird dann in eine Dreh- 
bank eingejpannt und, während e8 fich wie eine Walze dreht, 
vermittelt eines ſehr fcharfen, feinen und breiten Meſſers 
in Blätter gefchnitten, die fich der Länge nach abheben over 
vielmehr abrollen. Die größten Bogen, welche die Confiftenz 
des Stoffes erlaubt, find 18 Zoll lang und 9I—10 Zoll breit. 
Das fo gewonnene Papter iſt außerordentlich weiß, zart, ſpröde 
und fieht aus, als ob feine Beftandtheile zerftampfter Reis 
jeien, was wahrjcheinlih den Grund zu feiner Benennung 
gegeben Hat. Zum Schreiben ift e8 gänzlich unbrauchbar, 
dagegen eignet e8 fich vortrefffih zum Malen, und bie Neis- 
bilder find mit Recht durch ihre ungemeine Farbenpracht be- 
rühmt, bie wir in Europa vergebens zu erreichen trachten. 

Alle Metalle und Kohlen follen überbies reichlich in dem 
Gebirgen vorhanden fein. Das Land ift durch einen Höhen- 
zug, ver fich an verſchiedenen Stellen bis 12,000 Fuß erhebt, 
in eine öſtliche und wejtliche Hälfte gefchieden. Die lettere ift 
flach, eben und mit China durch eine Menge Feiner Infelfetten 
verbunden, deren bebeutendfte die Pescadores bilden, die aber 
ebenfo wie die ganze weitliche Küfte faft gar nicht näher be- 





11 


fannt und bejtimmt find. ‘Der öſtliche Theil ift durchaus 
gebirgig, reich bewaldet und fällt fehr fteil gegen das Meer 
ab. Bon dem mittiern Höhenzuge laufen im rechten Winkel 
zu biefem und parallel untereinander in ziemlich gleichen 
Zwifchenräumen Gebirgsrüden aus, in deren Thälern man 
überall reicheuftinirtes Land, Dörfer und Stäpte erblidt. 
Die nördliche Spite ift wieder ziemlich flach, ebenfo bie ſüd⸗ 
liche, und beide erheben fich erft drei bis vier Meilen von ber 
Küfte beveutender. Die ganze Oſtſeite befitt feinen einzigen 
Hafen; nur eine Fleine Bucht in der Mitte der Küfte gewährt 


‚zweifelhaften Schub gegen die Südweſtmonſuns. Ebenſo 


wenig haben wir vort ein Fahrzeug, fei es auch nur ein 
Tifcherboot, entdeckt, und es ift daher wahrfcheinlich, daß vie 
Bewohner dieſes Theils fich lediglich mit Ackerbau und PVich- 
zucht beichäftigen. Der erwähnte Hafen Keelung ift gegen 
alle Winde gefichert, doch macht e8 Schwierigkeiten, ihn wäh⸗ 
vend bes Norboftmonfuns, der eine ſchwere See vor ihm 
aufthürmt, mit Segelfchiffen zu verlaffen. An der Süd⸗ und 
Weftfeite follen nach nautifchen Angaben Teine Häfen fein. 
Ich bin jedoch anderer Anficht und überzeugt, daß bei näherer 
Unterfuchung fih nicht allein an der Weft-, ſondern auch an 
der Südſeite Häfen finden werden. “Die Bucht, in der wir 
lagen, gewährte während bes Nordoſtmonſuns vollftändigen 


. Schuß, war jedoch nach Süden offen und mithin weber gegen 


Südweſtwind noch gegen Teufun gefichert; dagegen bemerften 
wir zwei Meilen weftlicher einen tief in das Land gehenden 
Einſchnitt, ver ein trefflicher Hafen zu fein ſchien, und ben ich 
unter allen Umftänden zu erreichen trachten würbe, wenn mich 
einer der in dieſer Gegend fo häufigen Zeufune hier über- 
rafchen ſollte. An der Weftlüfte befaßen bie Holländer 
50 Sabre lang eine Eolonie, die jährlich von vielen großen 
Schiffen bejucht wurde, und es ift faum benfbar, daß dies 
praftifche feefahrende Volk ſich dort angeſiedelt haben würde, 


12 . 


ohne einen guten Hafen zu finden. ebenfalls hat aber bie 
Weftfeite ver Infel vor China, Iapan und allen umliegenven 
Ländern den großen Vortheil voraus, daß fie nicht von Teu⸗ 
funen beimgefucht wird; und bis jet noch feiner dort beob- 
achtet if. Im Chinefifchen Meere wandern vie Teufune faft 
immer von Südoſt nach Nordweſt, alfo im rechten Winkel zur 
Lage Formoſas. Wahrfcheinlih werden fie durch ben 
die Inſel theilenden Höhenzug aufgehalten und abgeleitet. 
Mithin könnten an diefer Küfte fchon bloße Rheden die Hä- 
fen erfegen, und es wäre wol der Mühe wertb, in dieſer Be- 
ziehung genauere Forſchungen anzuftellen, um ein fo reiches 
Land in ben Bereich des Weltverfehrs zu ziehen und feine 
Schätze auszubeuten. 

Formoſa wird von zwei verfchievenen Raffen bewohnt, 
von Eingeborenen und Chinefen. Erſtere bevöffern bie äftliche 
Gebirgsgegend, letztere die weftliche ebene Hälfte. Die For- 
mofaner gehören zum großen malaiifchen Völkerſtamme, zeich- 
nen fich aber durch hohe Statur und fräftige Muskelbildung 
aus. DBenjowfli fchildert fie gerade im Gegenfak zu ben 
Erzählungen fpäterer Reifender, die der Zufall oder das Un⸗ 
glüd an ihre Küften verfchlug Sie follen jetzt ein durchaus 
ungaftliches, jedem Europäer feindlich gefinntes Volk fein, pas 
auf Feine Weife Verbindungen mit Fremden anknüpfen will 
und vorläufig durch bie Unzugänglichfeit feiner Küften gegen. 
jeden Zwang in biefer Beziehung gefhütt if. Man könnte _ 
nur von Keelung aus zu ihnen gelangen, denn der Höhenzug 
bildet gegen Weften eine unüberfteigliche Schranfe. Mit ven 
Ehinefen liegen fie ebenfalls beftändig im Kriege und über- 
fallen fie unvermuthet von den Bergen aus, ſodaß diefe nur 
in größerer Anzahl und bewaffnet ihre fern gelegenen Weder 
bebauen fünnen. 

Die Chinefen find nämlich die Ufurpatoren der weftlichen 
Hälfte von Formofa, und an ihre Erfcheinung Tnüpft fich pie 





13 


Vertreibung der Holländer. Zur Zeit als diefe noch bie 
Herrſchaft der Meere allen andern Nationen ftreitig machten 
und namentlich die Portugiefen aus ihren oftindifchen Beſi⸗ 
gungen zu vertreiben fuchten, zu Anfang bes 17. Jahrhun⸗ 
verts, wollten fie ihren Handelsverkehr auch auf China aus. 
dehnen und machten der Wegierung bed Kaifers darüber 
Eröffnungen; jedoch erft nach 10 Jahren, 1624, gelang es 
ihnen, ihren Zwed zu erreichen. Mit Hülfe von Batapia 
aus nahmen fie einen heil der formofanifchen Weſtküſte in 
Befig und gründeten eine Colonie, bie burch eine ſtarke 
Teftung, Zeeland, geſchützt wurde, Die neue Nieberlaffung 
gebieh ungemein und erwedte durch ihr jchnelles Emporblühen 
nicht allein den Neid der Portugiefen und Spanier auf Ma- 
cao und Manila, fondern auch der Ehinefen, die, von jenen 
angereizt, ven Holländern jett wieder die Handelsfreiheit ent- 
zogen. Letztere züchtigten indeſſen den Vertragsbruch durch 
ihre Flotten auf ſo energiſche Weiſe, daß China es gerathen 
fand, andere Saiten aufzuſpannen. Gegen Aufgabe ver Pes- 
cadores⸗Inſeln, welche vie Holländer beſetzt hatten, wurde biefen 
unbedingte Handelsfreiheit zugeftanden. Die Holländer be- 
gannen nun zunächſt die Eingeborenen der Injel Formofa 
zu civilifiven und fich unterthänig zu machen. Sie gründeten 
Nefivenzfchaften im Innern, wie auf Java, gingen mit ben 
einheimifchen Fürften Bündniſſe ein, und ohne die Unvernunft 
und die Starrföpfigfeit eines ihrer Admirale würde Formofa 
wahrjcheinlich heutigentags ein zweites Java fein. 

Im SIahre 1644 fiel Peling und mit ihm alle nörblichen 
und am Theil der ſüdlichen Provinzen in bie Hände der Tas 
taren, die, von Norden her einpringend, mit einer Hand voll 
Leute China eroberten. Infolge defjen wanderten 25000 chi⸗ 
nefifhe Yamilien nah Formofa aus. Diefer Zuwachs an 
arbeitfamen und inpuftriellen frienlichen Menfchen war ven 
Holländern anfangs fehr erwänfcht, und fie ermuthigten ſogar 


14 


die Einwanderung. Schließlich jedoch wurbe es ihnen zu viel, 
obwol jte, jet aber vergebens, dem Strome Einhalt zu thun 
verjuchten. 

Ein hriftlicher Ehinefe aus Macao, Nikolaus mit Namen, 
und anfänglich ein bloßer Kuli, war burch Handel mit ven 
Europäern einer ber reichſten Leute in Ehina geworben. Als 
bie Manpfchu fein Baterland überſchwemmten, rüftete er in 
edlem Patriotismus eine eigene Flotte gegen fie aus und be- 
fümpfte ſie mit entfchievenem Erfolge. Bon allen Seiten 
ſtrömten ihm Schiffe zu, und bereit8 nach einem Jahre ſtand 
er als Admiral an der Spite einer 300 Fahrzenge ftarken 
Flotte. Nach verfchievenen geivonnenen Schlachten wurde er 
mit dem Anerbieten eines hohen Ranges nach Peking an ven 
Hof gerufen. Er fonnte der Verfuchung nicht wiberftehen, 
nahm e8 an und übergab das Commando feinem Sohne 
Kuaſching, von den Portugieſen Koſchinga genannt, welcher ber 
hineflihen Sache treu blieb. Nach drei bis vier Jahren 
wußten e8 indefjen bie Zataren durch Verrätherei jo weit zu 
bringen, daß er die chinefifchen Küften verlaffen mußte, unb 
er zog fih 1650 mit feinen Scharen nach dem großen und 
fruchtbaren Formoſa zurück. 

Die Holländer machten ſich jetzt auf Krieg gefaßt und 
verſtärkten die Beſatzung von Zeeland. Solange Kuaſching 
ſeine Kämpfe gegen China fortſetzte, blieben ſie noch unbe— 
läͤſftigt, nachdem er jedoch 1660 vor Nanking eine totale Nieder⸗ 
lage erlitten, blieb er gänzlich auf Formoſa und gründete ein 
eigenes Königreih. Der Gouverneur hatte um Hülfe nach Ba⸗ 
tavia gefchrieben. Die Beſatzung von Zeeland warb varauf 
auf 1500 Mann gebracht, und bie erbetene Flotte von 12 Schife 
fen traf in der Colonie ein. Kuafching heuchelte die freund- 
Tchaftlichften Geſinnungen, und obwol der Gouverneur ihm durch⸗ 
aus nicht traute, ließ fich doch der holländiſche Admiral voll- 
ſtändig durch feine Sreundfchaftsnerficherungen täufchen. Ja, 








15 


der Admiral verflagte jogar den Gounerneur wegen Feigheit und 
falfcher Rapporte, und biefer wurde deshalb 1661 zur Berant- 
wortung nach Batavia citirt. Der Admiral felbjt ging mit 
feinen Schiffen nah Amoy, um dort gegen die Portugiefen 
zu kämpfen. | 

Kurz nach Abgang der Flotte indeffen erfchien Kuaſching 
mit 20000 Mann vor Zeeland, blokirte e8 und fchnitt Die 
Verbindung zwifchen ihm und einer anbern feiten Poſition 
ab, welche die Mündung des Fluſſes beherrichte, an dem die 
Hauptfeftung erbaut war. Die Holländer machten mit 400 
Dann einen Ausfall, wurden jedoch zurüdgefchlagen. Auch 
zwei Kriegsichiffe, die noch im Hafen lagen, litten jehr; das 
eine wurde durch Brand zerftört, dem andern gelang es jedoch 
zu entfliehen und mit ben Nachrichten nach Batavia zu fegeln. 

Unterhandlungen führten zu nichts; das Heine Fort mußte 
fih nach 8 Tagen ergeben, das große hielt tapfer aus, und 
Kuaſching mußte e8 regelrecht belagern. Die Holländer wa- 
ren jedoch furchtbare Feinde; ihr Geſchützfeuer richtete ent- 
fetliche Verlufte unter den Chinefen an. Kuaſching wurde 
infolge deffen zur Aufhebung der Belagerung gezwungen und 
mußte fich nur auf eine enge Blokade befchränfen. Er ver- 
wüftete jeßt die ganze Umgegend, machte alle Reſidenten und 
Beamte mit ihren Familien zu Gefangenen und behandelte 
fie ſehr grauſam. Einer der erjtern, deſſen Frau und Kinder 
fih gleichfalls in Feindesgewalt befanden, wurbe in das Fort 
gefehidt, um es zur Webergabe aufzufordern, wibrigenfalls 
mit der Ermordung fünmtlicher Gefangenen gedroht wurde. . 
Ein zweiter Regulus, mahnte jedoch der kühne und patriotifche 
Mann zur Ausdauer, fehrte zurüc und wurde mit allen Uebrigen 
niedergemacht. Indeſſen langte Succurs von Batavia an; 
700 Soldaten kamen an, und die Belagerten gingen zur 
DOffenfive über. Weiber‘ und Kinder wurden nad Batavia 
geſchickt, und Kuaſching wäre wahrfcheinlich vernichtet worden, 


16 


wenn nicht der neue Gouverneur im Einverftännnig mit dem 
Admiral Die Unklugheit begangen hätte, fünf ver Schiffe dem 
tatarifchen Vicekönig von Fukien gegen bie Chinefen zu Hülfe 
zu fchiden, wogegen biefer nach erfolgtem Siege feinerfeits 
Hülfe gegen Kuafching verſprach. Drei der Schiffe gingen 
in einem Teufun verloren, unb die beiden andern kehrten 
ſchwerbeſchädigt nach Batavia zurüd. Kuafching war zufrie- 
den, feine Feinde fo gejchwächt zu fehen; ein Deſerteur ver- 
vieth einen ſchwachen Punkt ver Feſtung, fie wurbe bort von 
drei Batterien angegriffen. Bald war Brefche gelegt und von 
feiten der Chinefen ber Sturm befchloffen. Der Friegsrath 
ver Holländer erflärte Zeeland für unhaltbar. Nach neun- 
monatlicher Belagerung und einem Verlufte von 1600 Mann 
wurde Formoſa aufgegeben, und 1662 fehrten die tapfern 
Vertheidiger nach Java zurüd. 

Kuaſching wurde unabhängiger Fürſt von der Wejtfeite 
Tormofas. Im Jahre 1683 erkannte jedoch fein Enkel bie. 
Oberherrfchaft ver Zataren an, und feit jener Zeit tft die 
Wefthälfte ver Infel eine tributäre Provinz von China. Seit 
bem Abzuge der Holländer ift feine fremde Macht mit For⸗ 
moja in irgenpwelche Verbindung getreten. Bei dem Um⸗ 
ſchwunge der Verhältniffe in China und der bevorſtehenden 
Theilung des Reichs wird wol auch Formofa-in den Vor⸗ 
bergrund treten. Wie die Koblenlager von Japan ben Ameri- 
fanern den Vorwand für die Deffnung jenes Reichs gaben, 
werden auch wol bald wegen ber Kohlen fich Liebhaber für - 
das harmloſe Formofa finden. Rußland, England und Franf- 
reich werben nicht fäumen, feinerzeit Befchlag darauf zu legen. 
Verſäume Deutſchland nicht, gleichzeitig zuzugreifen. Eine 
Colonie von einigen hundert Quabratmeilen des fruchtbarjten 
Landes mit Kohlen und Metallſchätzen dürfte für uns nicht 
zu verachten fein, wenn wir fie umſonſt befommen können! 





20. 


Ankunft der Elbe vor Nangafali. Die Naturfchönheiten der Bai. Be- 
nehmen und Berlegenheit ber japanifchen Behörden. Bereinigimg ber 
Elbe mit dem prenßifchen Geſchwader zu Jeddo. Die Verhandlungen 
bes Grafen Eulenbnrg mit der japanijhen Regierung. Cinzug bes 
Gefandten in Iebbo und Aubdienz beim Minifter des Auswärtigen. 
Ungünftige Lage der Dinge. Die geographiſchen und politifchen Umriffe 
des Landes, Verkehr und Stellung ber Fremden in Japan in früherer 
Beit. 


Nach zweitägigem Aufenthalt an unſerm Ankerplatze legte 
ſich endlich die Wuth des Sturmes und wir konnten unſere 
Reife fortſetzen. Der günſtige Golfſtrom half uns beveu- 
tend vorwärts, und am 16. November ſagten wir der Küſte 
von Formoſa, in deren unmittelbarer Nähe wir uns vier 
Tage aufgekreuzt hatten, Lebewohl. Je nördlicher wir kamen, 
deſto ſchwächer wurde der Monſun, und am 20. November 
erblickten wir Cap Gotto, die weſtlichſte Spitze Japans. Das 
Ziel war erreicht, wir hatten die Reiſe von Hongkong nach 
Japan in 20 Tagen zurückgelegt, drei Tage weniger als 
bisher irgendein Segelſchiff die Tour gegen den Nordoſt⸗ 
monſun gemacht hat. Von Cap Gotto erſtreckt ſich eine nach 
Norden gebogene Infelfette in Eurvenforn bis an das Feſt— 
land von Japan und bildet eine jchöne Bai, Die gegen bie 
faſt immer bier berrfchenden Nordwinde vortrefflihen Schuß 
gewährt. Sie ift ver TZummelplag für Tauſende von Fifcher- 
booten, die hier außerordentlich reiche Beute finden und Nanga- 

Werner. I, 2 


18 


ſaki, fowie alle weitlichen Theile Japans und auch China mit 
Nahrung verſorgen. 

Wir ſteuerten ganz nahe unter Gotto hin, um das ſich 
einige kleine Inſeln gruppiren. Trotz der vorgerückten Jah— 
reszeit prangten bie Waldungen, welche alle Berge und Thä- 
fer überziehen, noch in vollem Blätterſchmuck, und dieſe herbft- 
liche Färbung des Laubes trug nur dazu bei, vie Reize ber 
Scenerie zu erhöhen. Einen eigenthämlichen Anblick gewährten 
bie Kuppen aller Hügel und Berge, die, foweit das Auge 
reichen Tonnte, überall mit einer Reihe hochſtämmiger Fichten 
bepflanzt waren. Anfangs glaubten wir, es führten Chaufjeen 
bort entlang; fpäter bemerften wir jedoch die Erfcheinung in 
ganz Sapan und brachten in Erfahrung, daß die Spiken ber 
Berge als Wohnfite des Waldgottes betrachtet und deshalb 
mit der im Lande heilig gehaltenen Fichte zur Ehre des Got- 
tes bepflanzt werben. 

Ein günftiger Wind brachte uns bald vor bie 15 Meilen 
öftlicd von Gotto gelegene Bai von Nangafal. Um 4 Uhr 
fam ein Lootſe an Bord, eine Stunde fpäter befanden wir 
uns in ber Bai, und um 6 Uhr anferten wir bei einer von 
den Holländern PBapenberg genannten, zuderhutförmigen In- 
fel, bei der die Bai eine rechwinflige Biegung nach Norden 
macht, und von der aus man ihre innere Hälfte mit der Stadt 
Nangaſaki und ihren Umgebungen überfehen Tann. 

Wir hatten bereitS viel von der Schönheit des Hafens 
gehört; unfere Erwartungen wurden aber bei weitem durch 
die Wirklichkeit übertroffen, und ſoviel ich auch in ber Welt 
umhergekommen bin, erinnere ich mich nie etwas Aehnliches 
gefeben zu haben. Rio⸗-de-Janeiro, Liffabon, Konftantinopel 
werben als bie drei ſchönſten Häfen ver Welt gerühmt, und 
ich habe bis jet auch diefe Anficht getheilt; aber die Einfahrt 
von Nangafaft übertrifft fie alfe bei weiten. Es feheint als 
ob die Natur bier alles concentrirt habe, was fie an roman 








19 


tifcher Schönheit, Lieblichkett und Großartigleit hervorzubringen 
vermag, und menjchliche Kımft hat, wenn auch unbewußt, vie 
Harmonie des Ganzen vollenbet. 

Die Bai ift 2 Meilen lang und erjtredit fich, wie bereits 
bemerkt, in einem rechten Winkel, deſſen Spite der Papenberg 
bildet. Von außen geht fie bis zu dieſem Punkte trichterför- 
mig zu und wird bei ber Infel nım etwa 1500 Schritt breit. 
Alsdann erweitert fie fi mieber zu einem freisförmigen 
Beden, an deſſen Bafis Nangafali erbaut if. Rechts vom 
Eingange Liegen verfchiedene kleine Infeln, das linke Ufer 
bildet das Feſtland, und ber ganze Hafen ift gleichfalls von 
dem letztern eingefchlofien. Die Ufer jelbft find hoch und 
erheben fich höher, je weiter man nad innen fommt, bis fie 
im Hintergrunde der Stadt zu 2—3000 Fuß emporfteigen 
und ihre Spigen fich in den Wolfen verlieren. Alle Berge 
und Hügel find reich bewaldet. Zwiſchen ihnen öffnen fich 
liebliche Thäler, welche bie reizendſten Fernſichten gewähren 
und durch ihre reiche Eultur, vie bis zu einer Höhe von 
1000 Fuß die Ahhänge terraffirt und bepflanzt bat, ebenfo 
den Blick feffeln, wie die einladenden und veinlichen Dörfer, 
bie, zwifchen gefievertem Bambusgehölz, dem dunkelrothblätteri⸗ 
gen Zuderohre, vem faftgrünen Laube des Wachsbaumes mit 
feinen alazienähnlichen Blättern oder zwifchen Obftbäumen 
theilweiſe verftecdt, bald von einem Plateau auf uns herab⸗ 
ſchauten, bald in Heinen Buchten erbaut waren, welche ein 
goldgelber Sandftrand wie ein Gürtel umfpannte. Auf den 
Spiten der verfchiedenen Hügel fianden Heine Wachthäufer 
mit ihren Zelegrapbenftangen, die mit Signalen unſere An- 
funft der Hauptſtadt verfündeten. Bon einer der den Eingang 
beberrfchenden Batterien, die fo von Bäumen eingefchloffen 
waren, daß wir fie gar nicht bemerft hatten, bonnerign zwei 
Schüſſe; ihnen folgten bald darauf vier andere, deren Echo 
taufendfach in den Bergen und Schluchten widerhallte. Die 

2% 


20 


erften beiden verfünbeten, dag ein Schiff in die Bat laufe, 
bie nier andern, daß das Fahrzeug einer fremden Nation an- 
gehöre, die noch feinen Vertrag abgefchloffen habe. Weiter 
nach Norven an der Baſis ver Bai wurden die Dörfer und 
Häufer gevrängter. Ganz hinten lag Nangaſaki mit feinem 
Häufermeere in einem Thale zwifchen zwei mächtigen Bergen, 
unmittelbar vor ihm bie Heine Inſel Defima, die Nieverlaf- 
fung der Holländer, die 200 Iahre lang ihr Gefängniß ge- 
weſen it. Rechts wehten vie Flaggen der Amerikaner, 
Engländer, Franzoſen und Portugiefen über ihren verfchiede- 
nen Anfievelungen, die ihnen vertragsmäßig zuerfannt find, 
und bie fih durch romantische Lage auszeichnen. Links von 
per Stadt befindet fich der innere Hafen mit den fremben 
Handels- und Kriegsichiffen und den Dichonten des Landes; 
weiterhin wehte die Flagge des ruffifchen Confuls, und an 
fie fchloffen fich die Dampfenden Schornfteine ver Meafchinen- 
fabrif, welche die japanefifche Regierung feit zwei Jahren 
hat erbauen laffen. 

Was an der Bai das Auge fo befonvers feſſelt, ift bie 
Kieblichkeit ihrer Ufer und ihre verhältnißmäßig geringe Aus- 
dehnung. Ohne daß man fie Hein nennen könnte, überſchaut 
man auf einmal alle ihre Schönheiten und wohn man blick, 
eriftirt fein Punkt, den man ſich anders wünſchte. Alles ift 
jo zart, fo zierlich geformt, daß man fich verfucht fühlt, bie 
ganze Landſchaft für die plaftifche Nachbildung eines großar- 
tigen Modells zu halten und fie auf den Mipptifch zu ftellen. 
Es Tann nichts Schöneres geben als dieſe nahen Wernfichten, 
biefe Meiniaturhäufer mit ihren Feldern und Gärten, deren 
Fuß das tiefblaue Meer befpült, in deſſen jpiegelglatter Fläche 
bie Uferhöhen ihr Bild reflectiren. 

Wir hatten bereits erfahren, daß Graf Eulenburg wäh— 
rend feines breimonatlichen Verweilens in Jeddo noch feinen 
Schritt hätte vorwärts thun Können, und daß es deshalb 








21 


ſehr zweifelhaft erfchiene, ob überhaupt ein Vertrag zu Stande 
fommen würde. Bei der fchroffen Excluſivität des japanifchen 
Charafters war zu fürchten, daß der Gouverneur von Nanga⸗ 
ſaki unter ſolchen Umftänden wahrfcheinlich unfer Tängeres Blei⸗ 
ben nicht geitatten, befondere aber ein näheres Heranfommen 
an die Stabt verbieten würde. 

Um dieſen Befürchtungen ein fait accompli entgegenzu- 
fegen, das, wie überall in ver Welt, fo auch in Japan ſich 
Geltung zu verichaffen weiß, fuhr ver Commandant, als er 
ein Boot mit Negierungsbeamten auf das Schiff zukommen 
fab, nah Nangaſaki, um für den nächlten Morgen einige drei- 
Big Yugfirboote zu beftellen, welche bie Efbe hinauffchleppen 
follten. Er ſelbſt aber bfieb während der Nacht am Lande, 
um jeder Collifion mit den Behörden aus dem Wege zu _ 
gehen. Die Beamten beftiegen indeſſen das Schiff, erfundigten 
ſich durch einen holländiſch redenden Dolmetfcher mit inquifi- 
toriicher Genauigkeit nach allen möglichen Sachen und hinter- 
Tießen vorläufig ein Hafenreglement, nach dem jede Commu⸗ 
nication mit dem Lande unterfagt und bie weitere Beftimmung 
über das Schiff von ber Entfcheivung des Gouverneurs ab- 
hängig gemacht wurde. 

Am andern Morgen mit Tagesanbruch kamen inbefjen 
die Yugfirboote, und bie überrajchten Beamten, welche uns 
gegen 7 Uhr an unferm alten Plate aufjuchen wollten, fahen 
zu ihrem großen Schreden uns in unmittelbarer Nähe ber 
Stadt vor Anker. Sie kamen fehr entrüftet an Bord; wir 
begegneten ihnen jedoch mit einer fo ausgefuchten Höflichkeit, 
baß die von Haus aus fo wohlerzogenen Leute fich beſchämt 
anfahen und ihre zornigen Aufwallungen fofort unterbrüdten. 
Sie hatten vergeflen zu fagen, daß das Schiff feinen Ort 
nicht verlaffen dürfe und daher ihr anfänglicher Aerger. 
Seht kam eine Ordre vom Gouverneur, die Elbe habe den 
Hafen fofort zu verlafien, ba Preußen mit Iapan in feinem 


22 


Bertrage ftehe. Der Commandant erwiberte, es thue ihm 
leid, dem Wunfche des Gouverneurs nicht nachkommen zu 
fünnen, da er nach der Ordre feines Gefchwaberchefs in Nan⸗ 
gafafi deſſen weitere Befehle abzuwarten habe und deshalb 
unter allen Umftänvden bis zu deren Eintreffen hier verweilen 
werde. Uebrigens fehe er feinen vernünftigen Grund für 
das Erfuchen bes Gouverneurs, da doch der preußifche Ge- 
fandte feit drei Monaten mitten in Jeddo wohne und das 
preußifche Gefchwaber ebenfo lange auf der Rhede der Haupt- 
ftabt vor Anfer liege. Nach dieſen Erörterungen, vie Übrigens 
bei einem Glafe Wein ung einer Cigarre freunbfchaftlicht 
abgehandelt wurden, Tießen die Beamten den Gegenftand 
fallen, brachten dafür aber andere Forderungen auf das Ta⸗ 
pet, die theils abgelehnt, theils bewilligt wırden. So z. 2. 
wurbe verlangt, daß niemand von der Bejakung mit bem 
Lande communiciren folle. Als dies entfchtenen verweigert 
wurde, beftanden die Beamten nicht weiter darauf; Dagegen 
wurbe unfererjeit3 zugegeben, daß außer dem Boote des Com- 
mandanten fein anderes Schiffsbont ans Land fahren dürfte, 
ſondern die Communication mit leßterm durch Regierungs- 
fahrzeuge vermittelt würde. Zuletzt ſchieden die Beamten 
in freundfchaftlichfter Weife, und alle Meinungspifferenzen 
waren zur beiverfeitigen Zufrtevenbeit ausgeglichen. Wir gin- 
gen an das Land, und der Kommandant war eben im Begriff, 
dem Gouverneur feine Aufwartung zu machen, als von Jeddo 
für die Elbe ver Befehl des Geſchwaderchefs eintraf, fofort 
borthin abzugeben. Die beabfichtigte Viſite wurde unter bie- 
ſen Umftänben aufgegeben und alles fertig gemacht, um an- 
dern Tags in See zu gehen. Niemand fchien inbefjen biefe 
Nachricht ungenehn zu fein als nen Beamten, bie in unferer 
Abreife die Löfung vieler Schwierigfeften erblickten, in welche 
fie die Ankunft des Schiffes und unjere Entfchievenheit, zu 
bleiben, zu verwideln drohten. Wol drei- bis viermal erfun- 


23 


bigten fie fich angelegentlih, ob wir noch nicht fort wollten, 
und als fie am Abend fahen, daß wir noch immer feine An- 
ftalt zur Abreife trafen, wurde ein enger Gordon von 
Wachtbooten um die Elbe gezogen. Wir ignorirten dies 
jedoch vollftändig, hörten weder auf die Anrufe der Boote, 
noch ließen wir uns abhalten, ferner. mit dem Lande zu 
commumiciven, und hatten durch dieſe Hanblungsweife ven 
Bortbeil, daß uns niemand ernjtlich anzubalten oder zu be- 
heiligen wagte. Am andern Mittag verließen wir ben Hafen; 
wir Tonnten wegen unjers Turzen Anfentbalts die Stadt 
nur im Fluge betrachten und fie in ihren allgemeinften Um⸗ 
riffen Tennen lernen, Wir glaubten nicht, daß wir noch ein- 
mal zurückkehren würben und benugten die Zeit, um alle bie 
Sachen und Sächelchen einzufaufen, welche in Nangaſaki am 
beiten zu baben find. Porzellan und bie berühmten Lackwaa⸗ 
ven wurden ansgewählt, bis bie volljtändige Ebbe in ver 
Kaffe ein Veto .einlegte, und unfere Kammern füllten fich mit 
den faubern Kiftchen, in welche jeder wenn -auch noch fo 
geringfügige Artifel von den Japaneſen verpadt wird. 

Es war gerade die Zeit der Apfelfinenernte, und auch 
verfchiedene. Tauſende biefer fchönen Frucht wurden an Bord 
gefchafft, um auf ver bevorftehenden Reife unfere Mahle zu 
würzen. Dei fchwachen: nörbliden Winde fagten wir am 
25. November mit traurigen Mienen ver Tieblichen‘ Bai 
Lebewohl, von deren Umgegenb wir uns bei der Ankunft fo 
viele8 verfprachen, die wir aber nur von Bord hatten an⸗ 
ſchauen können. 

Fünf Monate ſpäter, als alles im ſchönſten Frühjahrs⸗ 
ſchmuck prangte und blühte, kehrten wir nach dem paradieſi—⸗ 
ſchen Hafen noch einmal zurück, um vier Wochen dort zu 
verweilen und uns ſeiner Schönheiten im vollften Maße zu 
erfreuen. Ich übergehe deshalb vorläufig hier die nähere 
Schilderung der Stadt, um ſie ſpäter wiederaufzunehmen. 


24 


Seit Hongkong fchien es ‘das Schickſal der Elbe zu fein, 
mit widrigen Winden zu kämpfen. Sobald wir bie Bat 
verlaffen hatten, begann das Kreuzen wieder und bie Tour 
nad) Jeddo war nur eine Fortfegung bes ſchwierigen Wegs 
von China nah Nangafafi, die durch die Unzuverläſſigkeit der 
Karten noch gefahrprohender wurde. Am 27. November paffirten 
wir die Südſpitze Japans, Cap Zichitfchafoff, Liefen durch bie 
Bandiemensftraße, ſahen zu unferer Rechten des Nachts eine 
prachtuolle Teuerfäule aus einem der Infeloulfane aufiteigen, 
und gelangten nach ftürmifcher Fahrt am 3. December vor die 
Bai von Uraga, die das äußere Beden ver Bucht von Jeddo 
bildet. Mit anbrechender Nacht anferten wir im Hafen von 
Yokuhama, einer feit wenigen Jahren mit californijcher 
Schnelfigfeit emporgewachjenen Stadt, die wegen ihrer für 
die Schiffahrt günftigern Lage ftatt des in ben Verträgen 
ftipufirten und zwei Meilen weiter nordweſtlich gelegenen 
Kanagava als Handeldhafen von Jeddo gewählt ift, bis das 
leßtere im Jahre 1863 eröffnet werden wird. Das Geſchwa⸗ 
ber befand fih auf der Rhede von Jeddo; unjern Befehlen 
gemäß gingen wir am nächſten Morgen dahin ab und trafen 
am zweiten Zage wohlbehalten bei ven Schiffen ein. 

Die Arkona war mit der Geſandtſchaft am 4. September 
abends vor Jeddo eingetroffen, und die Thetis Tangte am 
14. d. M, ebenvafelbft an, ohne irgenpwelche" Stürme gehabt 
zu haben. Kurz nach der Anfunft ver Arkona erfchien ein 
Boot mit japanischen Beamten, um fich nach ber Nationali- 
tät des Schiffes zu erkundigen, und am folgenden Tage ein 
zweites Boot mit einem Dolmeticher, um alle andern mögli- 
chen Erfundigungen über Gefandtfchaft, Schiff, Zwecke ver 
Erpebition u, |. w. einzuziehen und anzufragen, ob bie Ar⸗ 
fona Kohlen und Waffer bevürfe. Zugleich ftellten der ame- 
rifanifche Gefchäftsträger, Harris, und er franzöfifche, Duchesne 
be Bellecourt (der englifche Minifterrefipent Alcock war ver- 


25 


veift), vem Grafen Eulenburg auf zuvorkommende Weife ihre 
Wohnungen zur Dispofition. Der Gefandte lehnte Dies 
Anerbieten jedoch ab und prüdte in einem Schreiben an den 
japanefifhen Minifter des Auswärtigen ben üblichen Wunſch 
ans, ihm eine paffende Wohnung anzuweifen. Noch am jelben 
Abend erfolgte durch einen Vicegouverneur ber Stadt bie 
mündliche Antwort, daß ein Haus zur Aufnahme des Geſandten 
und feines Gefolges eingerichtet und am nächiten Mittag in 
Dronung fein werde. Da der Gefandte jedoch auf einer 
Schriftlichen Benachrichtigung durch den Minifter ver auswär- 
tigen Angelegenheiten beſtand, fo erfolgte dieſe am nächiten 
Tage. Dem japanefifchen Driginal bed Brief war eine 
holländiſche Ueberfegung beigefügt, beides in einer Holzſchach⸗ 
tel befinplih. Der Einzug des Gefandten in Jeddo wurde 
auf den 8. September fejtgefegt, und am Morgen dieſes Tages 
erfchien ein höherer Beamter, um Graf Eulenburg ans Land 
zu geleiten. Sein Abgang vom Schiffe wurde durch 17 Sd: 
Intfchüffe der Arkona begleitet, die außerdem mit Flaggen 
becorirt war. Am Lanbungsplage, wo japanefifche Offiziere 
zum Empfange des Gejandten bereit ftanden, bildeten bie 
Seeſoldaten und Matrofen der ihn begleitenden Boote Spa- 
tier, und Graf Eulenburg beftieg eins ber Pferde, welche 
von ben fremben Diplomaten ber Geſandtſchaft zur Verfü. 
gung geftellt worben. Nachdem auch die übrigen Mitglie- 
der der Exrpebition beritten gemacht waren, ſetzte ſich ber Zug 
in Bewegung. 

Voran ging die Muſik, dann folgte ein Detachement 
von 40 Seeſoldaten, hierauf der Geſandte mit dem Geſchwa⸗ 
derchef, Kapitän Sundewall, ſämmtliche Herren ber Beglei— 
tung und mehrere Offiziere der Arkona; den Schluß bildete 
ein Detachement Matroſen. Der Zug ging eine einzige gerade 
Straße entlang durch einen Stadttheil, der zu den weniger 
ſchönen Jeddos gehört. Aus allen Häuſern kamen Neugierige 


26 


herbei, und augenjcheinlich machte auf bie gaffende Bevölkerung 
die militäriſche Haltung der preußifchen Seefoldaten mit 


ihren Helmen und Gewehren ven lebhafteſten Eindruck. 


Bei der Ankunft des Zugs vor Mabani, dem für bie 
Geſaudtſchaft eingerichteten Haufe, das fehr geräumig und 
reinlich gehalten war, marfchirten die Seeſoldaten und Ma⸗ 
trofen durch die geöffneten Thore in den Hof, wo unter mi⸗ 
litäriſchem Salut an einer Flaggenftange die preußtiche Flagge 
aufgehißt wurde. 

Nach einem im Empfangsfaale eingenommenen Frühſtück, 
das aus Dbft, Thee und Kuchen beftand, erfchienen bie beiden 
Gouverneure Safai-ofisuoscami und Horlsoribe-no-cami mit 
einem officiellen Spien, dem Dolmetfcher Morijama Zafitrigo, 
und zahlreichem Gefolge. Beide beglückwünſchten ven Gefandten 
im Namen ber Regierung wegen ber glüdlichen Ankunft und 
überreichten demfelben einen ladirten, reichvergolbeten Kaften 
mit Confituren zum Geſchenke. Zugleih machten die Gou- 
verneure dem Geſandten nach einer Menge Höflichfeitsphrafen 
den Vorfchlag, mit ihnen fogleich wegen Abſchluß eines Hans 
belsvertrages in Unterhanblung zu treten, wozu fie bevoll- 
mächtigt fein. Der Gejandte erklärte jedoch, zuvor erft 
einem ber Meinifter vorgeftellt werden zu müſſen. Die ganze 
Unterhandlung wurde von japanefifhen Beamten, die hinter 
pen Gouverneuren jaßen, aufgezeichnet. Während bes Ab- 
fchievs der Gouverneure, denen von der im Hofe aufgeftellten 
Manufhaft die militärischen Honneurs zu ihrer großen Be— 
friebigung erwieſen wurden, zeigte man denſelben auf ihren 
Wunſch ein Zündnadelgewehr. Die Leichtigfeit und Einfach- 
heit bes Ladens fegte fie in nicht geringes Erftaunen. Uebri« 
gens hatten fie ein fohnelles Verſtändniß für die Wirkung ver 
durch Friction der Nabel hervorgebrachten Entzündung des 
Schuſſes; fie begriffen jogleich die Nehnlichkeit des Vorgangs 
mit dem Reiben und Entzünden eins Zündhölzchens. Nach 








27 


ber Entfernung der Gounerneure Fehrten bie Matrofen und 
Seefolvaten, letztere bis auf eine Leibwache des Geſandten 
von 10 Mann, an Bord der Arkona zurüd. 

Am 9. wurde der Geſandtſchaft ein japanefifches Bewill⸗ 
fommmungspiner ferbirt. Am 10. brachten die beiden erwähn⸗ 
ten Gouverneure Graf Eulenburg die Nachricht, daß er am 
14. vom Miniſter des Auswärtigen werde empfangen werben, 
und am 13. waren beide Herren bei unferm Gejandbten zum 
Diner. Sie erfchienen mit ihrem Spion und dem Dolmetfcher. 
Der eine verjelben verriet eine ſeltſame Wißbegierve, notirte 
ſich mit großer Sorgfalt jeden auf dem Tiſche befinnlichen 
Gegenftand, die Reihenfolge ver Speifen, widelte fich außer⸗ 
dem eine Probe von jedem Gerichte in Papier und ftedte 
alles gravitätifch zu fi. Bei ihrer Ankunft hatten die Gou- 
verneure ein Geſchenk von Thee und Eiern mitgebracht. 
Zeßtere gelten als Geſchenk für glückbedentend und ſegen— 
bringend, während ein Geſchenk von’ Thee allein nur bei 
Todesfällen üblich tjt. Am 14. September nachmittags 2 Uhr 
fette fich vom Geſandſchaftshauſe aus der Zug in Bewegung, 
um fih nach der Wohnung bes Miniſters des Auswärtigen 
zu begeben. Der Weg dahin wurde dem Herkommen gemäß 
in Sänften (Norimons) zurückgelegt. Acht Träger trugen 
den Gefandten, dem der amerifanifche Minifterrefivent jeine 
Sänfte ftatt der unbequemen japaniſchen zur Dispofltion ge 
ftellt hatte. Vor dem Inge wurbe die Sänfte eines ben 
Weg zeigenden japaniichen Offizters getragen, dann folgten 
2 Matrofen mit der preußifchen Flagge, von 2; Seefolbten 
begleitet. Hiernächſt kam die Sänfte des Gefandten, Hinter 
biefer 2 Diener, dann das von einem Diener geführte Pferd 
bed Gejandten. Den Schluß machte das aus 9 Berfonen 
beſtehende Gefolge des Grafen, theils in Sänften, tbeils zu 
Pferde. Zehn Jakonins (Boltzeioffiziere) begleiteten ven Zug 
und forgten für die Ordnung. Nachdem ber Zug an dem 


28 


vornehmern, ven kaiſerlichen Palaft umgebenden Stadtviertel 
angelommen, paffirte er eine Brüde und gelangte durch ein 
bewachtes Thor unter einen mächtigen aus Riefenblöden ohne 
Mörtel gebildeten Wal. in zweiter breiter Graben wurde 
hierauf überfchritten, und hinter einem zweiten Wall und Thor 
zeigte fih ein britter Wall nebjt Graben. Diefer innerjte 
Raum, der die Schlöffer des Kaiſers einjchließt, durfte jedoch 
nicht betreten werden und ift jedem Europäer verfchloffen. 
Der Zug langte endlich vor einem maſſiven Thore an — ber 
Weg bis dahin war etwa eine Stunde lang — und bie 
Preußen wurden zu Fuß in einen Hof und über einige Stu- 
fen in ein Daus geleitet. In dem Vorzimmer befjelben empfin- 
gen die beiden Gouverneure den Gefandten und führten ihn 
nebft jeiner Begleitung in das Audienzzimmer. Hier empfing 
ihn der Minifter des Auswärtigen, Ando - Rufima-no-camt, 
von dem fogenannten jüngern Reichsrath umgeben. Nachdem 
das Gefolge vorgeftellt war und ſich dem Ceremoniell gemäß 
in das Nebenzimmer zurüdgezogen hatte, begann die Audienz. 
Auf der einen Seite nahm ver Gefandte, der Attache du jour 
der Legation und der Dolmetjcher des amerikanischen Reſi⸗ 
benten, auf ber andern der Minifter nebft dem Reichsrathe 
Platz. Bor jeder Perfon ftand ein Tiſchchen mit Thee, Ku⸗ 
ben und Obſt. Auf einem befonpern Stuhle nahm abwech- 
jelnd einer der Gouverneure Plab, einige andere Gouverneure 
(Jeddo zählt deren mit den Vicegouvernenren 10 und außer⸗ 
bem einen für jede kaiſerliche Stadt) befanden fich in ber 
*Entfernung; in der Mitte des Zimmers faß der japanifche 
Dolmetjcher, während hinter dem Minifter 2 Berfonen auf 
dem Boden Tauerten, anfcheinend ohne alle Beichäftigung. 
Während des Geſprächs, das fih anfangs um allgemeine 
Gegenftände bewegte, wurde von Dienern, die feierlich und 
leife einer hinter dem andern herfchritten, Thee in ladirten 
Taſſen fervirt, welche die Diener in der Höhe des Kinns 


29 


trugen. Aus Rückſicht auf europäifche Gewohnheiten wurde 
auch Zuder gegeben. Der Anzug des Miniſters und ber 
. Reichsräthe war fehr geſchmackvoll. Weber einem fehr fchönen 
Dberkleive von Seide trugen fie eine Art Mantille von 
ſchwarzem ſtrepp. Das fichtbare Untergewand war gleichfalls 
in Stoff und Farbe fehr geſchmackvoll. Nach einigen fcherz- 
haften Wendungen des Geſprächs, worin bie im übrigen 
ernften unb würbevollen SIapanefen viel Gewanbtheit und 
Leichtigkeit des DBenehmens verrietben, kam man auf ven ei- 
gentlihen Zwed der Geſandtſchaft; die Unterhaltung dauerte 
etwa zwei Stunden, und man trat dann ben Rückweg zu 
Pferde an. 

Am 19. überbrachten bie beiden. mehrerwähnten Gouver⸗ 
neure dem Gefandten ein volumindfes fapanifches Aetenftüd 
nebjt holländiſcher Ueberſetzung, welches eine Eröffnung bes 
Ministers des Auswärtigen enthielt. 

Daranf befehräntte fich jedoch drei Monate lang ber ganze 
Fortſchritt, welchen Graf Eulendburg in Bezug auf den Ber- 
trag machte. Bei unjerer Ankunft waren die Verhältniſſe 
nicht fehr ermutbigend. Die zögernde und abwehrende Politik 
des Eniferlichen Hofes Tieß noch nicht im entfernteften ben 
Zeitpunkt des Vertragsabichluffes durchblicken, und vie Unter- 
hanblungen befanden fich genau auf vemfelben Punkte wie 
am 19. September, d. 5. es war durchaus nichts Pofitines 
erlangt. Auf alle Anträge des Gefandten wurde ausweichend 
geantwortet, und e8 war Har zu burchfchauen, daß man ihn 
durch beftänniges Hinhalten zu ermüden und auf dieſe Weife“ 
fich feiner zu entledigen hoffte. Graf Eulenburg fette indeſſen 
allen Winfelzügen und Machinationen, die vielleicht durch 
fremde Intrigue genährt werden mochten, eine unerfchütter- 
liche Ruhe entgegen. Gleich bei feiner Ankunft erflärte er 
ben japanischen Behörden, er habe gar Feine Eile, könne 
8—10 Monate in Jeddo bleiben und erwarte ein Transport- 


30 


Schiff, um das Gefchwaner für dieſe Zeit mit den nothwenbigen 
Bevürfniffen zu verjehen. Die Japaner bebarrten trotzdem 
in ihrer angenommenen Stellung, bis etwa 14 Tage nad 
unferer Ankunft ein Umſchwung ver Verhältniffe erfolgte und 
die Sache auf einmal mit aller Energie, die einem fo um- 
ftändlichen Wolfe wie den Japaneſen überhaupt möglich ift, 
in Angriff genommen wurde. Ob man aus ber Ankunft der 
Elbe entnehmen zu müffen glaubte, daß bie Geduld des Ge- 
jandten wirklich unerfchöpflich fei, oder ob ein Miniſterwechſel 
andern Anfichten Eingang verfchaffte, vermag ich nicht zu 
entjcheiden — genug die Sache ging vorwärts, und wenngleich 
fih noch manche Schwierigleiten erhoben, war doch der Vertrag 
Mitte Januar 1861 fertig und am Ende vefjelben Monats 
von ben beiverfeitigen Contrahenten unterzeichnet. Leider konnte 
Straf Eulendburg nur einen Abſchluß für Preußen und nicht, 
wie er beauftragt war, für den Zollverein und bie Hanfeftäbte 
erlangen. Um bie Verhandlungen nicht ganz und gar jcheitern 
zu laffen, mußte er fein Programm mobiflciren, da die japa- 
neſiſche Regierung von einem Vertrage mit einem Staaten- 
verbande, ver fein fichtbares und machthabendes Oberhaupt 
aufzuweiſen vermochte, durchaus nichts willen wollte, _ 

Bon dem Perſonal des Gefchwabers wurde inbeffen ber 
fünfmonatliche Aufenthalt der Schiffe auf das befte benukt, 
um Land und Leute nach allen Richtungen bin zu erforfchen 
und über das feit 200 Jahren abgefchloflene Reich möglichit 
genauen Aufichluß zu erhalten. Wir waren bie erfte Nation, 

® ver es geftattet wurde, Jeddo in fo großer Anzahl und auf 
jo lange Zeit täglich zu bejuchen. Die Amerifaner und bie 
übrigen Vertragsmächte waren nur bis Kanagava gefommen, 
die Preußen befanden fich oft wochenlang in der Hauptitabt. 
Die Offiziere der Arkona vermaßen die Bat von Jeddo und 
fertigten eine genaue Karte davon an. Die Naturforicher, 
Gelehrten und Civileommiſſare wohnten theils in Jeddo, theils 





31 


in Yokuhama, und der Freundlichkeit des Gefandten verdankten 
e8 bie Offiziere des Geſchwaders, daß fie abwechfelnd vier 
bis fünf Tage in Akabani wohnen konnten. Dies war 
äußerft angenehm, da das flache Wafler in der Bat bie 
Schiffe faft eine Meile vom Ufer entfernt bielt und bie 
Communication mit dem Lande fehr weitläufig und beſchwer⸗ 
lich wurbe. | 

Zugleich erhielten wir dadurch Gelegenheit, Iapan gründ- 
licher und befier als irgendjemand vor uns fennen zu lernen. 
Ein jeder von uns beobachtete, und die einzelnen Wahrneh- 
mungen wurden fpäterhin ausgetaufcht und befprocdhen. Es 
fiel dadurch die fubjective Auffaſſung weg, und das ſich 
unferm Geifte einprägende Bild wurde ein möglichft objectives 
und wahres. Daß wir nur Jeddo und feinen Umkreis von 
einigen Meilen kennen lernten, beeinträchtigte das Bild nicht. 
In Iapan ift alles fchematifirt; in der Hauptſtadt concentrirt 
ſich alles Eigenthümliche des Landes und feiner Bewohner, 
und e8 bleibt in dieſer Beziehung wenig Hinzuzufügen oder 
zu ändern, ob man auch das Reich feiner ganzen Ausbehnung 
nach durchreiſt. Davon Tann man fich hinlänglich Überzeugen, 
wenn man von Jeddo nach Nangafafi kommt. Was nicht 
zufällig durch territoriale Verbältniffe nuancirt wird, tft eine 
genaue Copie der Hanptftadt; Menfchen, Sitten, Gewohn- 
heiten, Tracht, Häufer — alles ift genau baffelbe. 

Ich will daher im Nachſtehenden verfuchen, dem Xefer 
unfere gemeinfchaftlichen Beobachtungen in möglichft fuftema- 
tifcher Weife vorzuführen, muß aber zugleich bevorworten, 
daß fie für denjenigen, ver Kämpfer gelefen, wenig Neues, 
wenn auch wielleicht manches von andern Gefichtspunfkten auf- 
gefaßt, bieten werben. Kämpfer, ein Deutſcher von Geburt, 
der 16% in Nangaſaki als Arzt der holländischen Factorei 
lebte, verweilte zwei Jahre in Japan und machte zweimal 
bie Gejanbtichaftsreife nach Jeddo mit. Ueber feine Er- 


32 

fahrungen gab er nach feiner Rückkunft in feiner Heimat ein 
größeres Werk heraus, das zwar fehr felten geworben ift, 
aber jevenfall® bis zu dieſem Augenblide bie befte Arbeit 
über Japan bildet. Wir, die wir fo lange und unter fo 
günftigen Umftänden im Lande waren, können dies am beften 
beurtbeilen. Faſt alles, was der Autor in feinem Buche fagt, 
haben wir genau fo gefunden, und wenn biefer Umſtand einer- 
ſeits einen Beleg für die jahrhundertlange Stabilität der 
Berhältniffe Iapans gibt, Liefert er andererfeit8 einen Beweis 
für die fcharfe und unpartetifche Beobachtung des Verfaſſers, 
deſſen Werk mit der Gründlichkeit eines deutſchen Gelehrten 
gefchrieben if. Wollte man jest ein Werf über Japan 
Schreiben, fo könnte man nichts Geſcheidteres thun, als bie 
Sade in dem Kämpfer’fchen Buche unferm Geſchmacke noch 
etwas mundgerechter zu machen, font aber nur in Anmer- 
fungen basjenige hinzuzufügen, was die einer Gefangenjchaft 
ähnliche Freibeitsbefchränfung Kämpfer's fowie überhaupt ber 
Holländer auf Defima dieſen nicht zu ſehen oder genauer 
zu beobachten gejtattete. 

Japan (im Lande felbft Nipon ausgefprochen und von 
dem dhinefifchen Jih-pun — dftliches Land — abftammend) 
ift ein Archipel von größern Injeln, deren drei bebeutenbte 
Jeſſo, Nipon und Kiuſiu zwifchen 45 und 31° nörbl. Breite 
und zwifchen 126 und 145° öftlicher Länge von Greenwich fich 
in einer perpendikulären Ausdehnung von über 200 Meilen 
erſtrecken. Alle drei Infeln find mit einer Menge hoher Vul- 
kane befeßt, und Nipon wirb feiner ganzen Länge nach von 
einer mächtigen Gebirgsfette purchfchnitten, welche die Waſſer⸗ 
ſcheide der Inſel bildet und deren Spiten von ewigem Schnee 
bededt find. Unter dieſen Gipfeln nimmt ver circa 25 Meilen 
von Jeddo gelegene Fufinsyama, ver Berg von Full, von 
14,000 Fuß Höhe, ven erften Rang ein, da er, wie der Pic 
von Teneriffa, ven Seeleuten durch fein jchneegefröntes Haupt 





33 


30 Meilen weit als vortreffliche Landmarke dient und ben 
Weg zum Hafen zeigt. Die Zlüffe, welche das Land durch⸗ 
ftrömen, find weber zahlreich noch für die Schiffahrt wichtig. 
Ich kann mich daher ihrer Aufzählung und nähern Befchreibung 
füglih enthalten und will nur den in die Bat von Jeddo 
fallenden Todagawa erwähnen, deſſen Kanäle die Hauptftant 
jpeifen. Ueber einen biefer Kanäle führt die berühmte Brüde 
von Japan, Niponbas, welche als Ausgangspunkt für alle 
Entfernungen im ganzen japanifchen Reich gift. 

Japan zerfällt in acht größere Lanpftriche, die Do oder 
Wege heißen und zufammen 68 Provinzen enthalten, welche 
ihrerfeitS wieder 622 Diftricte bilden. Bon den erftern iſt 
Goknai⸗Do als Domäne des geiftlichen Kaifere mit ber 
Hauptitant Miako hervorzuheben. 

Das Land befitt zwei Herrjcher, einen geiftlichen, ven 
Dairi oder Milano mit der fcheinbaren, und den Siogun, 
Zeufun oder Taiko, d. h. den weltlichen Kaiſer, mit ver wirk⸗ 
lichen Macht, die jedoch durch die Vafallenfürften oder Daimios 
jo befchräntt wird, daß er nur in einem Tleinen heil des 
Landes, zu denen bie Städte Jeddo, Hakodade, Simoda, 
Oſaka und Nangafaki gehören, wirklich als Herricher zu be 
fehlen hat.. Das Verhältniß der Daimios zum Teufun Täßt 
fihb am beften mit den feudalen Zuſtänden des mittelalter- 
lichen Deutfchland vergleichen. Die VBafallenfürften find dem 
Kaifer fcheinbar unterthan, thun aber was fie wollen, feßen 
ihn ab, ermorven ihn auch wol, wie dies während unferer 
Anwefenheit mit dem Negenten (der gegenwärtige Teufun ift 
minberjährig) auf offener Straße gefchab, und einzelne, wie 
3. B. der Fürft von Satzuma, erfcheinen auf ihrer jährlichen 
Huldigungsreife in Jeddo mit einer Escorte von 40,000 Mann 
bei Hofe. | 

Ueber die Gefchichte Japans will ich mit kurzen Worten 
hinweggehen, da viefelbe in ven betreffenden "Werfen viel 

Werner. 11. N 3 


34 


befjer nachgelefen werben kaun. Die erſten Nachrichten von 
ver Exiſtenz des Landes haben wir durch Marco Polo, einen 
italienischen Kaufmann, der zu Ende des 13. Jahrhunderts 
faft ganz Wien vurchreifte, von China auch nah Japan ge= 
gelangte und diejes in ‚feinem Reiſewerke mit dem Namen 
Zipangu belegte, eine Korruption des chinefischen Sih⸗bun⸗quo, 
Königreich des Oſtens. Der Mongolenherricher Kublai- Khan, 
an beffen Hofe Marco Polo 17 Jahre lebte, ein Enkel des 
berühmten Dfehingis-Khan, hatte ganz Alten mit feinem Heere 
überflutet und wollte auch Japan erobern, wurde aber mit 
feiner 600 Schiffe ftarfen Flotte, wie einft die ſpaniſche Ar- 
mada, durch einen Sturm zurüdgeichlagen. Dies geſchah 1275. 
Bis 1545 verfanf Iapan wieder in gänzliche Vergeſſenheit. 
Dann wurde es aufs neue durch Portugiefen entdeckt, und dieſe 
fnüpften mit Japan Handelsverbindungen an, an benen fich bald 
andere europäiſche Notionen betheiligten. Francis Aspilcota 
Xavier, ein Freund Loyola's und Mitbegründer des Jeſuiten⸗ 
ordens, ging von Goa als Miffionar nach Japan und fand gute 
Aufnahme. Der König von Satzuma erlaubte durch ein Edict 
allen feinen Untertbanen die Annahme des neuen Glaubens, 
und das Chriftenthbum faßte Schnell Wurzel. Der Prinz von 
Ximo räumte ven Chriften 1568 Nangaſaki ein, das damals 
noch ein Kleines Fiſcherdorf war, ſich aber in Fürzefter Zeit 
zu einer bebeutenden chriftlichen Stadt mit Kirchen, Klöftern 
und Schulen emporſchwang und zugleich ein blühendes Empo- 
rium des Handels mit China wurde. 

Der übertriebene Glaubenseifer der Miffionare, die auch 
nach weltlicher Herrfchaft ftrebten, bie Intriguen der übrigen 
Mönchsorden, welche die Sefuiten verdrängen wollten, hatten 
jedoch in Japan biefelben Refultate wie in China. Zuerft wurben 
bie Chriften ausgewiefen, dann begann eine Priefterverfolgung 
und ſchließlich wurde das Chriftentbum auf die graufamfte 
Weiſe ausgerottet. Gleichzeitig verjchloß die Regierung das Land 


35 


im Jahre 1638 gegen alle Ausländer mit Ausnahme ver Holländer, 
bie bei Belagerung der Feſtung Ximabara bei Nangafafi, dem 
legten Bollwerfe ver einheimifchen Chriſten, Hülfe geleiftet und 
zu beren Zerftörung ihre Gefchüge geliehen hatten. Aber 
auch fie wurden auf die Heine Infel Deſima verwiefen, wie 
Gefangene gehalten und den größten Demüthigungen ausge- 
jeßt, die nur die ſchnödeſte Gewinnfucht zu ertragen -ver- 
mochte. Dean bewachte und behandelte fie wie Verbrecher 
und zog mit der Zeit die Schranken immer enger. Anfäng- 
lich war ihnen geftattet, jährlich mit 4 Schiffen Handel zu 
treiben, zu Kämpfer's Zeit nur noch mit 2, und feit An- 
fang dieſes Jahrhunderts durfte nur 1 kommen. &benfo 
wurde die Gefandtfchaft, welche früher jährlich nach Jeddo 
ging, nur alle 4 Jahre befohlen, und wahrfcheinfich hätten 
bie Holkänder, deren Handelsgewinn fchließlich kaum die Koften 
ber Factorei vedte, alle Verbindungen felbft aufgegeben, wenn 
nicht die amerifanifche Expebition in ven Jahren 1853 und 1854 
Japan ber Welt geöffnet und einen neuen Zuftand ber Dinge 
herbeigeführt hätte. Die Gefchichte dieſer Expedition ift bem 
gebildeten Publikum jo befannt, daß ich fie nicht weiter zu 
berühren brauche. 

Ich führe die Lefer num nach Jeddo, der japanischen Kaiſer⸗ 
ftabt, pie wir durch einen monatelangen Aufenthalt daſelbſt genau 
fennen lernten, und an deren Befchreibung ich qlles das knüpfen 
werde, was bazu dienen Tann, ein getreues und möglichit 
vollſtändiges Bild des merkwürdigen Landes zu geben. 


3 * 


21. 


Die Baivon Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerfe, Umfang und Be- 

völferung der Stadt. Die Jakonins als Beauffichtiger der Fremden. Bau 

und Einrichtung der japanifchen Hänfer. Die Daimios und ihre Stellung 

als Feudalberren zum Volke. Die Vorbereitungen ber focialen Revo⸗ 

Iution durch die Eröffnung des Landes. Schwierige Lage der Regierung 

gegenüber der Adelspartei. Feuersbrünſte und Feuerspolizei in Jeddo. 
Die Gärten und der Naturfinn der Japaneſen. 


Jeddo liegt an der Südküſte der Inſel Nipon, an der 
Baſis einer Meeresbucht, der Bai von Jeddo, die ihrerſeits 


wieder der Einſchnitt einer größern Bucht, der Bai von 


Uraga iſt. Die ſüdweſtliche Spitze dieſer letztern bildet das 
Cap Idzu, die ſüdöſtliche Cap Awa, und während von 
hier aus die Küfte fich in nörplicher Richtung und ziemlich gerad- 
Iinig bis Jeddo erftredt, biegt das gegenüberliegende Ufer 
fih ebenfalls erft nörblih, aber dann wieder ſüdöſtlich und 
bildet das Cap Sagami, eine Lanpfpite, die ben wweftlichen 
Eingang der Bucht von Jeddo bezeichnet. Die lettere hat 
am Eingange eine Breite von 14, geographlicher Meile, er- 
weitert ſich aber fpäter zu einer Kreisform von 3 Meilen 
Durchmeffer, und an der Bafis derfelben liegt Jebbo. Bis 
2 Meilen von der Stadt ift das Fahrwaſſer für jede Art 
von Schiffen tief genug, e8 wechjelt zwifchen 8 und 10 Klaf⸗ 
tern. Weiter nördlich flacht es jedoch bedeutend ab, und 
größere Schiffe können ſich Jeddo nur bis auf 1 Meile 
nähern. Wahrzeuge von nicht mehr als 10—12 Fuß Tief- 
gang können zwar eine Viertelmeile weiter heranfommen, die Stadt 


37 


felhft aber ift nur mit ganz flach gehenden Booten zu er- 
reichen. Die Deffnung Jeddos als Handelshafen ift für das 
Jahr 1863 ftipulirt, aber meiner Anficht nach bürfte, abge- 
fehen von andern Unbequemlichkeiten, das feichte Wafler fo- 
wie der Umſtand, daß bie Rhede nach Süden zu ganz offen 
und gegen Zeufune nicht gefchäßt ift, Jeddo nie zu einem 
bedeutenden Handelshafen werben laffen; vielmehr wird Yoku⸗ 
hama am weftlichen Ufer der Bai der Hafen der Hauptſtadt 
bleiben, 

Das Aeußere der Stadt entfpricht durchaus nicht ven 
Borftellungen, die man fich von einer Metropole von 5 Milli- 
onen Einwohnern macht, und wie man fie aus den übertriebenen 
Schilderungen früherer NReifenden gewonnen hat. Jeddo Tiegt 
in einer Ebene, die nur durch niedrige Hügel unterbrochen 
wird und welcher ber Hintergrund fehlt. Im Nordweſten 
fieht man bei gutem Wetter in weiter Ferne ven Höhenzug 
fhimmern, der Nipon ber Länge nach durchſchneidet; aber 
feine Conturen find jo matt, daß ſie nichts“ zur Hebung ber 
Laudſchaft beitragen, und ber einzig fehöne Punkt ift der er- 
wähnte und weſtlich gelegene Fuſinohama, ber heilige Berg 
der Japaneſen, der in allen ihren Büchern, auf allen Lad- 
fachen und auf ihrem Porzellan abgebildet erfcheint. Der Berg 
bat die Form eines abgeftumpften Kegels, deſſen fchneebevedter 
Gipfel, troß der Entfernung von 25 Meilen, fich uns faft täglich 
unverfchleiert zeigte und, in ben Strahlen der Sonne 
leuchtend, einen überaus prachtvollen Anblid gewährte. 

Jeddo befigt außer einer mehrftöcdigen Pagode, die ben 
fatjerlichen Balaft überragt, und einigen Tempeln, die auf 
Hügeln erbaut find, Teine hervorſpringenden Punkte. Sämmt⸗ 
liche Häufer find, wie ‚überall in Japan, wegen ber häufigen 
Erdbeben von Holz und einftödig aufgeführt. Eigentlich haben 
fie zwei Etagen, bie zweite tft aber unbewohnbar, weil jo 
niebrig, daß man nicht aufrecht barin fiehen Tann, 


38 


Deshalb läßt ſich die Stadt trog ihrer angeblichen 5 Millionen 
Einwohner mit den größten Städten Europas nicht vergleichen. 
Bon unferm Ankerplatze aus wurbe uns ihr Anblid überhaupt 
burch eine Reihe von fünf Forts entzogen, bie auf aufgefchiltteten 
Inſeln in einer Oſt- und Weftlinie quer vor der Stadt 
liegen, jeven Angriff von feewärts abwehren follen und noch 
nahe genug an ber Stadt ftehen (3000 Schritt), um nöthigen- 
falls dieſe ſelbſt zu bombarbiren. Diefe Forts find zuſammen 
mit circa 300 Geſchützen armirt und decken ſich gegenſeitig. 
Sie beſtehen aus Mauerwerk mit einer Bruſtwehr von Erbe 
ohne Schießfcharten, d. h. die Geſchütze fchießen über Bank 
und alle fünf find Treisförmig und faft gleich groß. Nach 
ihrem Aeußern zu urtheilen find fie .nicht über 50 Jahre 
alt, jedoch habe ich nicht erfahren Tönen, wann fle erbaut 
wurden. Man jagt, die Iapanefen haben ruffifche Ingenieure 
pabei gehabt. Dies bezmweifle ich; aber wenn es wahr ift, fo 
haben die Ruſſen bei dem Bau daran gedacht, daß ſie über 
kurz oder lang felbft m ven Fall kommen Tönnten, bie Forts 
zu erobern und haben fte für biefen Zweck eingerichtet. Von 
außen fehen fie furchtbar genug aus; Hat man fie jedoch 
in der Nähe betrachtet, jo wird ein muthiger Mann ſich 
feinen Augenblick befinnen, fle mit ein paar Hundert Leuten 
anzugreifen und alle fünf in wenigen Stunden ‚zu nehmen. 
Die Eingänge zeigen ſämmtlich nach Norden, ein hölzernes 
Thor verfchließt fie, und fie führen ohne Zugbrücke oder 
Graben direct in daB Innere. Vom Thore leitet ein circa 
50 Fuß langer und 12 Fuß breiter bequemer Steindamm in 
das Wafler, an dem 10. Boote zu geicher Zeit anlegen und 
mehrere 100 Mann nebft Artillerie ausfchiffen können. In 
dunkler Nacht Tann dies gefchehen, ohne daß es von ben 
Forts bemerkt wird, und follte e8 bemerkt werben, fo läßt 
es fih von feiten ver Befakung nicht hindern, da bie An- 
areifer bis unmittelbar unter die hohen Mauern rudern können 











39 


und dann ſowol gegen Geſchütz- als Gewehrfeuer gejchüßt 
find, während eine ihrer zwoͤlfpfündigen Bootsfanonen fofort den 
ſchwachen Kehlverſchluß zu fprengen und ihnen ben bireeten 
Marſch ins Innere der Forts zu erzwingen vermag. AS 
während unferer Anweſenheit fich eine Zeit Tang die Verhält⸗ 
niffe für die Fremden fo drohend geftalteten, daß alle Ge⸗ 
fandten, mit Ausnahme des preußiſchen und amerikanischen, 
Jeddo verließen und man nach der Ermordung des amerika⸗ 
nifchen Legationsfecretärs Heusfen, unſers Dolmetfchers, eine 
alfgemeine Maffacre ver Europäer erwartete, lag e8 im Plane 
der auf ver Rhede liegenden Kriegsſchiffe, bei dem Kintritte 
eines folchen Ereigniſſes fofort auf dieſe Weife die Forts zu 
erftürmen und dadurch ganz Jeddo in die Hand zu befommen. 

St man durch die Forts gerubert, fo befommt man zu- 
erit eine Zotalanfiht der Stadt, d. h. man fieht zwei, drei 
Meilen weit die ganze Bafis der Bucht mit einer ununter- 
brochenen Reihe von Häuſern befegt, und ebenfo zeigt ſich dem 
Blicke norvwärts ein unabfehbares Meer von grauen Dächern, 
das bier und Dort durch Hügel, welche mit Tentpeln gefrönt find, 
oder durch Gärten, Baumgruppen, terraffirte Felder eine Abwech⸗ 
felung erhält, welche das Auge angenehm berührt. Allein etwas 
Großartiges Tiegt in der Scenerie nit, und es fehlt, 
wie ich ſchon bemerkt, Jeddo ganz und gar ber Eindruck 
einer großen Stadt. Man glaubt einen Complex von großen 
wohlhabenden Dörfern vor fih zu haben, und das einzige, 
was ftäbtifch ausfieht, tft der auf einer Anhöhe gelegene, von 
Steinen aufgeführte und von heben Feftungswerfen umgebene 
Palaft des Teufun, aus deſſen Mitte eine Tuftige Pagode in 
die Ferne Schaut. Diefer Palaft hält mit allem Zubehör un- 
gefähr eine Meile im Umfange, und wer plötzlich unbewußt 
nad) Jeddo füme, würde ihn für eine Etabt, die verſchiedenen 
Theile von Jeddo aber fir Vorſtädte oder herumliegende Dörfer 
anfehen. Nach alten geographifchen Angaben foll Jeddo 3 Meilen 


40 


lang, 2%, Meilen breit fein und, wie ſchon erwähnt, 5 Millionen 
Einwohner haben. Wir gebrauchten circa 3 Stunden, um 
im Trabe die ganze Stadt zu umreiten, ſodaß ihr ganzer 
Umfang höchſtens 3—4 Meilen beträgt, und obwol fie unge- 
mein bicht bevölfert ift, dürften 2%, Millionen Einwohner 
der Wahrbeit näher kommen ale 5. 

Unfer Geſandtſchaftshotel befand ſich in Alabani, einem 
Haufe unweit ver „Brüde von Japan“ und etwa 3000 Schritte 
vom Landungsplage entfernt. Diefer letztere lag beim Zoll- 
baufe in einem Kleinen, durch Pfähle gebildeten Bootshafen, 
und man ftieg von biefem in einen geräumigen Hof, ver 
durch eine Mauer von der Stadt abgetrennt und für gewöhn- 
ih verfchloffen: gehalten war. Ueber dieſen Hof binauszu- 
gehen wurde unfern Matrofen nicht gejtattet; nur wenn ein 
Offizier etwas zu tragen hatte, Tonnte er einen oder mehrere 
von den Lenten mit in die Stadt nehmen. Bei außergewöhn- 
lichen Gelegenheiten, wie beim Cin- und Auszuge unfers 
Gejandten oder dem Begräbniffe des Dolmetjchers Heusken, 
wo unfere Leute zu Hunderten und beivaffnet erfchienen, machte 
man jedoch Feine Schwierigkeiten, fie in bie Stadt zu 
laſſen, und ich glaube, daß ſich auf dem Geſchwader Fein 
"einziger Mann befindet, der nicht Jeddo kennen gelernt 

hätte. | 

Wir Offiziere fonnten gehen, wo wir wollten, aber nie 
ohne Begleitung von zwei bis drei Beamten, die man vorgeblich 
uns zum Schuge octropirte. In Wirklichkeit jedoch waren 
biefe Leute nur Spione ber Regierung, die uns auf Schritt 
und Tritt überwachten, fich vollftändig an unfere Werfen 
hefteten und uns durch ihre Unverfchämtheit bisweilen fo in 
Wuth brachten, daß wenig daran fehlte, ihnen zu begegnen, 
wie bie Amerikaner es gemacht hatten, d. h. fie mit Fußtritten 
oder ber Keitpeitjche zu tractiren und von und fern zu halten. 


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Iapanefifher Jakonin. 


3u IT, 41. 





41 


Dieſe läſtigen Menſchen waren für uns das einzige 
Störende in Japan oder vielmehr in Jeddo, da ſie in Yolu- 
hama und Nangafafi uns nicht behelligten, und ich kann mir 
lebhaft vorftellen, wie fie bie polizeifreien Yanfees zur Ver: 
‚zweiflung gebracht haben. Gleich beim Zollhaufe war eine 
Station dieſer doppelt befchwerterten Jakonins, wie fie heißen, 
unb nicht eher wurde die Thür nach der Straße geöffnet, 
bis dieſe Herren ihre Pfeifen eingepadt, ihre Strobfandalen 
angezogen und Xoilette gemacht hatten. Anfänglich waren 
wir beſcheiden und warteten auf fie, fpäter fiel jeboch bie 
Kückficht fort; wir gingen direct und mit ſchnellen Schritten 
auf das Thor los, und die Jakonins ftürzten wie Habichte 
hinter uns ber. Bei fchlechtem Wetter fiel ihnen dies jehr 
fhwer, und wir konnten une bie Heine Rache nicht verfagen, 
mit unfern großen Stiefeln jo fehnell als möglich durch den 
Schmuz zu geben, wo dann die. armen Poliziften auf ihren 
jtelzenartigen Holz-Galofchen nur auf einige 100 Schritt Ent- 
fernung und in fteter Gefahr Hinzufallen uns zu folgen ver- 
mochten. Diejelben Jakonins geleiteten uns immer nur eine 
furze Strede bis zur nächſten Polizeiftation, und wir hatten 
damit Gelegenheit, die Vielfältigkeit diefer Inftitute zu be- 
wundern, deren e8 bis zu unferm Gefundtfchaftshotel, einer 
Strede von 3000 Schritt, nicht weniger als acht gab. Nach 
bem Syſtem bes Mistrauens und Spionirens, das die ganze ' 
japanifche Regierung von oben herab charalterifirt, begleiteten 
uns ſtets zwei, ja oft drei Jakonins pro Perfon, und wenn 
wir eine Partie machten, hatten wir bisweilen 20 — 30 
biefer Herren in unferm Gefolge, die uns mit Argusaugen 
bewachten und alles Auffällige notirten, um es höhern Orts 
zu rapportiren. Das nebenftehende Bild ftellt nach einer 
Photographie einen der Jakonins dar, welche vom Gefandt- 
Ihaftshotel ans unfere täglichen Begleiter waren. Anfänglich 
höchft unliebenswürbig, zeigte berjelbe fpäter ein großes In- 


42 


teveffe für die Preußen und hat ung während ber Ießten 
Monate unjerd Aufenthalts manchen freundſchaftlichen Dienft 
geleiftet. | 

Als ich. zum erften mal die Straßen von Jeddo betrat, 
brängte fid mir unwillfürlich eine Vergleihung mit Kanton 
auf, und, wie ſchon in Nangafati, lehrte auch bier ein 
einziger Blid auf Straßen, Menfchen, Häufer, daß Japaneſen 
und Chinefen weder demſelben Menjchenftamm angehören, 
noch daß fie auf derſelben Culturftufe ſtehen. Iapan bat China 
bei weitem überflügelt, barüber Tann fein Zweifel befichen 
und es würde fich ebenbürtig ben civififirteften Staaten Eu⸗ 
ropas an bie Seite ftellen, wenn es während ber leßten 
200 Jahre oder auch nur fo lange wie China mit biefen in 
Berührung gewefen wäre. 

Jeddo ift nach einem beftimmten Plane angelegt und Hat 
faft nur gerabe, fich in gewiffen Zmifchenräumen und recht- 
winklig durchſchneidende Straßen. Was an ven Teßtert, 
namentlid wenn man von China kommt, frappirt, ift ihre 
Breite und bie in ihnen herrfihende Reinlichkeit. Ste find 
30 — 40 Fuß breit, in der Mitte 3-10 Fuß mit Tiefen, 
zu beiten Seiten mit Trottoirs belegt und werben täglich 
zwei bis dreimal von den Hausbeſitzern gefegt. Das finbet 
man in feiner aftatifchen, ja nicht einmal in einer europäifchen 
“ Stadt, und biefer Umftand allein läßt ſchon auf eine vorge 
ſchrittene Eulturftufe des Volks und auf eine für das Wohl 
ihrer Unterthanen bebachte Regierung fchließen. 

Die Häuſer befinden ſich in vollſtändiger Harmonte mit 
den Straßen, b. b. fie find geräumig, luftig, aufen und innen 
höchſt fauber und nett, Faſt alle find, wie ſchon erwähnt, ein- 
ftödig, genau nach demſelben Modell aufgeführt und auch ziem- 
lich von gleicher Größe. Ihre Form ift äußerlich die unferer 
Schweizerhäuschen mit weit überragendem und bisweilen durch 
Säulen geſtütztem Dache. Der circa 2—3 Fuß Über der Erbe 


43 


gelegene Fußboden ift über die Seitenwände binausgeführt, ſo⸗ 
daß Dadurch eine 6— 8 Fuß breite Veranda entfteht, die, durch 
das Dach gegen Senne und Regen geſchützt, einen höchſt ange: 
nehmen und Fühlenden Aufenthalt abgibt. Die Curven⸗ und Zelt 
form des Daches, wie fie in China allgemein ift, fehlt bei japa⸗ 
nifchen Gebäuden gänzlich; alles ift hier geraplinig, und nur 
in den Tempeln ver aus China früher eingewanderten Buddhiſten 
bat fich der chineſiſche Bauſtil unverändert erhalten. “Die 
Gebäude find ungemein leicht conftruirt, aber mit einem ver- 
hältnißmäßig fchweren Dache verfehen. Ein Fachwerk von faum 
preizöfligen Planten wird mit Bambus ducchflochten und biefer 
mit Lehm oder Schlamm, der mit Pfervebünger purchinetet 
iſt, beworfen, außen mit Muſchelkalk geglättet und geweißt 
und innen, nach derſelben Procedur, mit Tapeten von reizendſtem 
Muſter überzogen, auf die ich fpäter bei Gelegenheit des 
Papiers näher zurückkommen werde. Kine folche Wand hat 
daher faum 3 Zoll Dide, tft aber ungentein zäh und elaftifch, 
was ich öfter bei Abbruch eines Hauſes bewundert habe. 
Die Ballen, welche das Dach tragen, find dagegen fehr ſchwer 
und letzteres bei allen beffern Häufern mit ftarten halbchlinder- 
förmigen Dachziegeln gevedt, deren Gewicht das des, ganzen 
Unterhaufes bei weiten überfteigt. Der Grund biefer ſonder⸗ 
baren Bauart find die Erpbeben, von denen Jeddo und bie 
mittlern Gegenden Japans jo häufig heimgeſucht werben. 
Das fhwere Dach foll die Teichten elaftiichen Wände durch 
fein Gewicht vor dem Zufammenbrechen bet heftigen Erbftößen 
ſchützen. Die ärmlichern Wohnungen find mit Holzfehindeln 
gebecdt und dieſe häufig durch Steine befchwert. Feſte Ab- 
theilungen im Innern ver Häufer gibt es nicht; alle Zwiſchen⸗ 
wände find beweglich, Tünnen ebenfo Leicht Hingefegt als fort- 
genommen werben unb beitehen aus Teichtem hölzernen Gitter- 
werk, das mit dem transparenten und ftarfen Papier über- 
zogen ift, welches die Sapanefen aus dem Baſt eines Maul⸗ 


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beerbaums bereiten, und das überall die Stelle des dort un- 
befannten Benfterglajes vertritt. Diefe gegitterten Rahmen 
laufen zwiſchen Leiften auf Porzellanrollen, und man kann mit 
ihrer Hülfe ebenfo fchnell Zimmer jchaffen, als das ganze 
Haus durch ihr Zurüdfchieben in einen einzigen Raum ver- 
wandeln. Vorder- und Hinterfronte haben eben ſolche Papier- 
gitter als Benfter, die nach dem Zuftande des Wetters ge- 
öffnet oder gefchloffen und nachts durch hölzerne Schiebläden 
erfegt werden. Diefe Vorrichtungen erlauben dem Zuge und 
ber frifchen Luft ftetS freien Zugang zu allen Theilen bes 
Gebäudes, ein Umftand, ver nur vortheilhaft für die Gefund- 
heit der Bewohner fein kann, bei uns jedoch wegen bes 
firengern Klimas nicht wohl zur Anwendung kommen Tönnte. 
Zugleich geftattet viefe Einrichtung aber auch dem Vorüber⸗ 
gehenden, das ganze Haus mit Einem Blicke zu überjehen, 
und bei der Ungenirtheit der Japaneſen, die dem Europäer 
anfangs ſehr befremdend erjcheint, wird man oft Augenzeuge 
- bon Tamilienfcenen, die man bei uns weniger öffentlich zu 
behandeln geneigt ift, wie Toilette machen, Baben, u. ſ. w. 
Der Fußboden eines jeden Haufes, er mag bem Reichſten 
oder Aermſten angehören, ift. unveränberlich mit Binfenmatten 
bebedt. Dieſe haben in ganz Japan genau biefelben Formen 
und Dimenfionen; fie find 6 Fuß lang, 3 Fuß breit und 
2 Zoll did. Eine ſolche Matte heißt ein Kin, und alle Ver- 
hältniffe der Häufer find nach diefen Kin fixirt. Will ein 
Sapaneje ein Haus bauen, fo beftellt er beim Baumeifter ‚nur 
jo und fo viel Kin. Wünfcht er eins von 30 Matten, fo 
nimmt es einen Flächenraum von 30 x<6 x 3 = 540 Qua- 
bratfuß ein und demgemäß erhält das Gebäude jo und fo viel 
Stuben, wird fo und fo viel Matten breit, lang und hoch 
nach einer beftimmten und von ber Regierung vorgejchriebenen 
Regel. Das Flechtwerk diefer Matten ift jehr fauber, fein 
und weiß, und bie Sapanejen fuchen es forgfam zu erhalten. 





45 


Sie werden bie Matten nicht anders als in Strümpfen be- 
treten; ihre Sanbalen legen fie regelmäßig auf der Veranda 
ab, und will man als Fremder gut empfangen fein, fo muß 
man ſich hüten, in das Innere eines Haufes mit ſchmuzigen 
Stiefeln zu treten. Mobiliar und Hausgeräth eriftirt in den 
Wohnungen faft gar nicht. Es gibt weder Tifche, noch Stühle, 
noch Schränfe oder Bettftellen, gerade im Gegenfag zu ben 
Chinefen, die dies alles in großer Anzahl befiten. Der Ja⸗ 
panefe fitzt, ißt und fchläft auf feinen Matten. Das Ef- 
gefehirr ift aus Holz gefertigt und mit dem berühmten Lad 
überzogen, ber weder durch Hitze noch Kälte leidet. Die Ge⸗ 
fäße find vieredig oder rund und fo conftruirt, daß fie alle 
ineinander paffen und dadurch ein Minimum von Plab ein- 
nehmen, wenn fie fortgeftellt werden. Die Betten beftehen 
lepiglich aus Baummollenmatragen zum Zudecken und aus 
Kopfkiffen, die uns ebenfo originell und unbequem erfcheinen 
wie die früher von mir erwähnten Porzellankopfliffen ver 
Chinefen. Als wir anfänglich diefe fonderbaren Dinger in 
ben Läden fahen, wußten wir gar nicht, was wir aus ihnen 
machen follten. Man nehme einen hölzernen: Stereoflopen- 
Taften und denke ſich oben einen halbkreisförmigen Ausfchnitt, 
jehr dünn und hart gepolftert, fo hat man ein japanefifches 
Kopfliffen, das bei uns gewiß fehr wenig Liebhaber finven 
würde. Die Familie wohnt, ift und fchläft in dem bintern 
Theile des Haufes. Born befindet fih gewöhnlich das Em- 
pfangszimmer oder bei Kaufleuten der Laden, den man von 
der Seite durch eine Thür betritt, die ebenfalls unverändert 
bie inform hat, d. h. 6 Fuß hoch und 3 Fuß breit ift. 
Schorniteine gibt es nicht; der Rauch muß feinen Weg ander- 
weitig finden, was ihm übrigens wegen der Bauart nicht 
ſchwer fällt. In beffern Häufern befindet fich jedoch gewöhn- . 
lich die Küche in einem eigenen Hinterbaufe, währenn fie in 
ben gewöhnlichern einen Theil des: Wohnzimmers einnimmt. 


46 


Trotz Eis, Schnee und der oft empfindlichen Kälte gibt 
es in Japan weder Defen nach Kamine, was wir während 
des viermonatlichen Winters bitter empfunden haben. “Die 
ihre Stelle vertretenden Kohlenbeden erſchienen uns nur als 
eine jehr unzureichende Aushülfe bei den dünnen Papierwän- 
ben, wenn ein Nordſturm fie jchättelte und pfeifend durch 
alle Spalten der mangelhaft fchließenden Thüren und Yenfter 
fuhr oder der Schnee einige Zoll hoch auf ben Straßen lag 
Die Iapanefen Flapperten zwar auch mit ven Zähnen vor 
Froft, wußten fich inveffen durch fünf bis fechs übereinander 
gezogene dickwattirte Röcke beffer Dagegen zu ſchützen als wir. 

Die Häufer per Daimios und hohen Beamten haben einen 
Unterbau von behauenen Ducaberjteinen, vie jeboch ohne 
Mörtel aufeinander gelegt find, um bei Erdbeben nachzugeben. 
Aus demjelben Grunde find fie an ber Baſis viel breiter 
als oben. Sie haben gewöhnlich eine Höhe von 15— 20 Zuß, 
und es führt eine breite fteinerne Freitreppe zu ihnen hinauf. 
Ein maflives hölzernes Thor verjchließt den Eingang zu bem 
Vorhofe, um den fich im Viered die Wohngebäude gruppiren. 
Diefe letztern unterfcheiden fich vor allen andern Häufern ber 
Stadt durch nichts, als daß fie eine größere Fläche beveden. 
Ich hatte Gelegenheit, bei einer Viſite, die wir dem Gouver⸗ 
neue von Nangaſaki ſpäter machten, das Iunere einer folchen 
Wohnung zu fehen; außer daß vielleicht der zweite Stod 
etwas böher war wie bei den Bürgerhäufern, konnte 
ich Teinen Unterfchied wahrnehmen. Diefelbe innere Einrich⸗ 
tung mit verfchiebbaren Gittern und Papierfenftern, dieſelben 
Matten von vergefchriebener Größe, viefelben Tapeten wie 
überall, 

Das Gouvernementsgebäude in Nangafafi fowie einige 
Daimiowohnungen in Jeddo erhalten durch tie Maſſivität und 
Höhe ihrer Untermauern ein burgähnliches Anfehen, das noch 
durch ihre Lage auf Anhöhen vermehrt wird. Viele der⸗ 





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felben waren jedoch nicht fo imponirend. Die Höhe der 
Untermmmer hetrug nur einige Fuß, umd die fenfterlofen, oft 
3—400 Fuß laugen Seitengebäune, welche den inneru Hof- 
raum umſchloſſen und bisweilen bie Fronte einer ganzen 
Straße bildeten, jahen eher Scheunen ober Schafftällen als 
den Wohnungen ber höchſten Landesariſtokratie ähnlich. Das 
Innere dieſer Gebäude hat noch Fein Europäer betreten, ebemio 
wenig wie feit 200 Jahren jemand das Innere bes Taifer-- 
lihen Palaſtes gejehen bat, außer dem Director ver hollän- 
diſchen Factorei auf Deſima auf feinen Geſandtſchaftsreiſen. 
Was daher über deſſen Großartigkeit uno beiſpiellsſe Pracht 
erzählt wird, kann man in das Reich der Fabel verweiſen, 
wenn es nicht mit Kämpfer's oder ſeiner Nachfolger Thun⸗ 
berg und von Siebold Beſchreibung übereinſtimmt, die, ſoweit 
wir es haben beurtheilen können, in ihren Schilderungen 
durchaus bei der Wahrheit geblieben ſind. Die Daimios 
ſind die Feudalen des Reichs, die Träger des bisherigen Ab⸗ 
Ichließungsfuftens und daher die Feinde ber Europäer. Es 
eriftiven mehrere Hunderte im Lande, und 362 von ihnen 
haben Balüfte oder Wohnungen in Jeddo, bie ihre Abfteige- 
quartiere bilden, wenn fie vem Teukun ihren jährlichen Er- 
gebenheitsbefuch machen und ihre Frauen und Kinber befuchen, 
bie der Kaifer als Unterpfond für die Treue ihrer Männer 
innerhalb feines Palaftes gefangen hält. Einzelne derſelben 
find fehr reich und befigen ein Einfommen von 6— 7 Millionen 
Thalern. Wie ich fchon früher erwähnte, erjcheint der Fürft 
von Sabuma und der von Kwanga, eriterer der kriegeriſchſte 
und leßterer ver mächtigfte Landesherr, mit einem Gefolge von 
40,000 Dann in Jeddo. - Bis zur Eröffnung des Reiche 
waren bie Daimios faft allmächtig. Ihnen gehörte der Grund 
und Boden, te firirten bie Preife ver Lebensmittel wie aller 
Inouftrieerzengniffe, nahmen von allem ihre Rente und ließen 
dem Producenten gerade genug, um eine bürftige Eriftenz zu 


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führen. Die Bevölkerung Japans (25 Millionen Einwohner) 
ift nicht fo Dicht wie in China; fie fteht in feinem Misver⸗ 
hältniffe zu dem von ihr bewohnten fruchtbaren Boden, und 
ba fein Erport ftattfand, waren alle Produete ſehr biffig. 
Die Landesherren konnten mit geringem Aufwande ein großes 
Heer von Bafallen und Dienern halten. Ein Jakonin 
3.3. erhielt außer einem Duantum Reis einen jährlichen Ges 
halt von 40 Itebu ober nach unferm Gelde ungefähr von 
20 Thalern. Für diefe Summe unterhielt er fich und feine 
Yamilte und mußte ſich außerdem in Seide Heiven. 

Der eröffnete Berfehr mit ven Fremden bat inbeffen bie 
Berhältniffe bedeutend geändert. Soviel Schwierigkeiten auch 
von der Regierung dem Handel in den Weg gelegt werben, 
ftebt e8 doch außer ihrer Macht, die Ausbreitung des Handels 
zu hindern, und wenn auch die Ausfuhr bes Hauptnahrungs- 
mittel® für das Volt, des Reis, verboten ift, fo werben ba- 
für andere Sachen exportirt. Im Jahre 1860 wurden 5.8. 
von Yokuhama 6000 Ballen Seide nah Europa veriifft. 
Die Nachfrage ver Europäer nach diefer Seide, bie beffer als 
bie chinefifche fein foll, ift fo ſtark, daß fie feit 1856 um 
das Doppelte im Preife geftiegen iſt. Natürlich wirkt bies 
auf alle übrigen Verhältniſſe zurüd. Wenn auch dem Ya 
panefen das dem Chinefen angeborene Zalent für Tauf- 
männifche Transaetionen abgeht, fo ift er noch Hug genug, 
feinen eigenen Vortheil zu begreifen. Während früher bie 
Bauern ihre Aecker nur mit Reis bebauten und davon nicht mehr er⸗ 
zeugten, als nöthig war, um bie ihnen auferlegten Zehnten 
und ihren eigenen Unterhalt zu beftreiten, verloden die hoben 
Seivenpreife fie jebt, Seide zu bauen und allen möglichen 
Gewinn aus ihren Pändereien zu ziehen, Der Reisbau nimmt 
ab, und bie einfache Folge ift die Vertheuerung der Frucht 
und aller übrigen Lebensmittel. Das Wolf leidet hierunter 
wenig oder gar nicht; der erhöhte Gewinn feßt bie Produ⸗ 


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centen in den Stand, auch ihre Bedürfniſſe theuerer zu be- 
zahlen und dem gewöhnlichen Arbeiter mehr Lohn zu geben. 
Der nicht producirende Adel mit feinem nur confumtrenden 
Gefolge dagegen wird von dieſer Veränderung der Verhält—⸗ 
·niſſe empfindlich betroffen. Nee Steuern. aufzulegen, dürfte 
bei den confervativen Inftitutionen des Landes ein fehr ge⸗ 
wagtes &rperiment fein unb leicht Wevolutionen herbei⸗ 
führen, deren Ausbruch unvermeidlich fcheint, aber fo gefürch- 
tet wird, daß man ihn wenigftens nicht durch eigene Anregung 
bei'hleunigen will. ‘Die von der japanefifchen Regierung nach 
Europa abgeſchickte Geſandtſchaft hat darum auch bei ben Ver⸗ 
tragsmächten alles aufgeboten, um die Deffnung ver Häfen 
von Jeddo und Oſaka noch einige Jahre binauszufchieben. 
So despotifch die Regierung ift, kann fie jich doch nicht ver- 
hehlen, daß ihr Herrſchſyſtem nicht länger bejtehen kann, wenn 
fich neue Ideen und Anfchauungen beim Volke Bahn brechen, 
die bei dem vegern Verkehr mit dem Auslande unfehlbar kom⸗ 
men müfjfen. Außerdem begegnen wir in Sapan berfelben 
merkwürdigen Erjcheinung wie in China. Es befteht nämlich 
auch hier eine Macht im Staate, die fowol der Kaifer als feine 
Bafallen fürchten, vie öffentliche Meinung, und das Individuum 
hat im abfolut vespotifch vegierten Japan bisweilen mehr Rechte 
als in conftitutionellen Staaten Europas. Dafür mag ein 
Beifpiel als Beleg dienen. Während unferer Anweſenheit in 
Nagaſaki beabfichtigte die Negierung ein Hospital zu bauen. 
Der in japanischen Dienſten ftehende holländiſche Oberarzt 
Dr. Bompe hatte einen geeigneten Pla dazu ausgefucht und 
der Gouverneur feine Zuftimmung ertheilt. Es war bie 
Spite eines Hügels, auf ver fich ein armer Bauer angefie- 
belt und etwa einen halben Morgen Feld befäet hatte. Der 
Gouverneur ließ ihn erjuchen, pas Land gegen den Werth bes 
Bodens und der Ernte an die. Regierung abzutreten. Er 
lehnte e8 ohne weiteres mit dem Bemerken ab, daß er erft 
Werner. II. 4 


50 


ernten wolle, was er gejäet. Man bot ihm das ‘Doppelte 
und Dreifache; vergebens, er verharrte bei feinem Eigenfinn 
und erklärte fchlieflih, das Land unter feiner Bedingung 
. abzutreten. Der Gouverneur ſah ſich außer Stande, ben 


Platz zu erzwingen. Ein Exrpropriationdgefeg eriftirt in Iapane 


nicht, und bie Regierung war gendthigt, einen andern und viel 
weniger geeigneten Pla für das Hospital anzulanfen. 
Diefer Fall zeigt die Schwierigkeit, irgendeine Neuerung 
einzuführen, und die Daimios dürfen aljo nicht fo leicht wa⸗ 
gen, ihr Einfommen auf Koften ihrer Unterthanen zu erhöhen. 
Es bleibt ihnen daher nichts übrig, als die Zahl ihres Ge- 
fofges ſehr zu befchränfen. Dies ift bereits mehrfach ge- 
ſchehen. Während unferer Anwefenbeit entfieß z. B. der Fürſt 
von Mito 500 feiner Jakonins, die dadurch brotlos wurben 
und ſämmtlich nach Jeddo famen. Der Regierung erwuchſen 
auf dieſe Weile große Schwierigkeiten; ver Kaifer oder viel- 
mehr fein Miniſterium — denn dieſes allein regiert — befam 
baburch jo viel Feinde mehr, da die Daimios nicht verfehlten, 
ale Schuld auf die Oeffnung bes Landes und die Verträge 
zu wälzen, durch welche ihre Einkünfte befchränft ober viel- 
. mehr ihre Ausgaben vermehrt und fie gezwungen feien, ihren 
Hofhalt zu vermindern. Faſt wäre unfer Vertrag daran ges 
fcheitert, und nur einem Minifterwechjel, ver Männer an das 
Ruder brachte, die der Geſandtſchaft nach Amerila beige- 
wohnt und die Welt gefehen, außerbem Energie bejaßen, hat- 
ten wir wahrjcheinlich den Abfchluß der Verhandlungen zu 
banfen. Auch ver Mord des amerifanifchen Legationsfecretärs 
Heusken wurde biefen entlaffenen Safonins in die Schuhe ge- 
ſchoben, und die Beforgniß der Regierung war fo groß, daß 
bie Gouverneure den fremden Gefandten dringend abriethen, 
fih an der Leichenfeier zu betheiligen, weil fie einen Angriff 
ber Daimiopartei fürchteten. Die furchtlofe Haltung ber 
Geſandten und eine militärifche Escorte von 120 preußifchen 


51 


Seefoldaten und Matrofen nebft 30 bollänbifchen Seefolvaten, 
erſtere ſämmtlich mit Zünpnadelbüchfen und Revolvern be- 
waffnet, beivog wahrjcheinlich die Daimios, ven Zug ungehin- 
dert paffiren zu laſſen und einen geeignetern Zeitpunft für 
die Ausführung ihrer Umfturzpläne abzuwarten. 

Es iſt aber noch ein anderer Umftand infolge ber Ber: 
träge, ber die Daimios und Beamten auf das tieffte erbittert, 
ihren Stolz am empfindlichften verlegt und nothwendig zu 
einer Revolution führen muß. Bor Ankunft der Amerikaner hegte 
das gemeine Volf vor allen Höhern, vor den Daimios fowol 
wie vor den Jakonins, eine Ehrfurcht, die an tieffte Knechtſchaft 
ftreifte. Ja dieſe Unterthänigfeit hat fogar zwei verſchiedene 
Sprachweifen gefchaffen, vie man verſchiedene Sprachen nennen 
könnte, von benen bie eine, von Höhern zu Niebern gefprochen, 
hart, fcharf und rauh, die andere, von Niedern gegen Höhere 
oder zwifchen Gleichgeftellten gebraucht, fanft, angenehm und 
melopifch if. Wenn ein Untergebener einem Vorgeſetzten be- 
gegnete, ftand er auf der Straße ftill, hodte nieder, legte bie 
Hände auf ven Boden und beugte das Haupt, bis es faft die 
Erde berührte. Im diefer Stellung verharrte er fo lange, als 
ber Höhere mit ihm fprach oder bei ihm vorbeipaffirt war. 
Kam aber ein Daimio mit einem Zuge von Hunderten oder 
Tauſenden an, fo mußte fih alles auf die Erde werfen und 
mit dem Kopfe auf ven Boden gevrüdt bleiben, bis ver Zug 
vorüber war. Hätte jemand gewagt, biefen Tribut der Ehrfurcht 
zu verweigern, nicht auf die Seite zu treten ober wol gar 
burch den Zug zu gehen, er wäre unfehlbar fofort nieberge- 
hauen worden, und fein Körper hätte al8 Probe für vie Sä- 
belfchärfe aller Jakonins gedient. Die Europäer natürlich nab- 
men von den Zweibeſchwerterten, mochten fie auch dem höchſten 
Adel angehören, nicht bie geringfte Notiz. Ste grüßten weder 
noch traten’ fie auf die Seite, und einzelne begingen fogar 
abfichtlich die Ungezogenbeit, mitten burch einen folchen Zug 

4. 


52 


zu reiten. ‘Die Jakonins, welche, wie überall, als Heine Her- 
ren das gemeine Volt am meiften Tnechteten und für fich 
womöglich noch mehr Verehrung forberten als für bie Fürften 


des Landes, wurden fogar verächtlich behandelt und womöglich. 


mit Fußtritten regalirt. Sie rächten fich zwar durch einzelne 
Morde, und in Yokuhama fielen binnen furzem zwei hollänpifche 
und zwei ruffifche Offtziere durch ihre Hand, allein das Durch 
bie Drohungen der fremden Regierungen eingefchüchterte Gou⸗ 
vernement fette dieſen nächtlichen Weberfällen bald ein Ziel, 
und die Revolver der Fremden thaten das Ihrige, um die 


Jakonins gleichfalls zurüdzufchreden. Sie wurden fortan nur 


noch wegwerfenver behandelt. Dies verfehlte nicht, auf bie 
gemeinen Iapanejen Wirkung auszuüben. Das Voll gewöhnte 
fih allmählich daran, dies mit anzufehen, ohne, wie anfangs, 
in ein ftummes Entfegen zu gerathen; es begann das Ent- 
würdigende feiner eigenen Knechtfchaft zu fühlen, und das 
Einziehen eines neuen Geiftes machte ſich bald bemerkbar. 
Das Anfehen der Salonins ſank von Tag zu Tag, während 
das der bisher verachteten Kaufleute und Handwerker in glei- 
chem Verhältniffe ftieg. Waren doch faft alle in Japan anfäffige 
Europäer Kaufleute! Jene wurden ärmer, weil ihr Gehalt 
bei den wachſenden Preifen der Bedürfniſſe vaffelbe blieb, 
biefe von Tag zu Tag wohlbabender, und da Geld, wie 


überall, auch in Japan, wenn auch bei dem SKajtengeifte 


etwas weniger, feinen Einfluß übt, fühlten die Jakonins ihre 
Stellung täglih mehr zufammenjchrumpfen. Das einmal 
erwecdte Selbftgefühl des Volks blieb jedoch hierbei nicht 
ſtehen, und nicht allein in Yokuhama, ſondern auch in Jeddo 
faben wir in ven Ießten Monaten bie Leute nicht nur nicht 
ihr Haupt bis in den Staub beugen, wenn ein Daimio durch 
die Straßen zog, ſondern fich fehleuntgft in die Häufer bege- 
ben, um fich ganz und gar ver Verpflichtung zu entziehen. 
Die Ariftofratie müßte bfind fein, um nicht überall durch⸗ 


53 


zufühlen, daß ihre abfolute Herrjchaft fich ihrem Ende nähert. 
Es ift daher leicht erflärlih, daß fie mit verbiffener Wuth 
‘auf bie Fremden als bie erfte und einzige Urfache ihres Ver: 
falls blickkt und alle Anftrengungen macht, um bie Regierung 
zu ftürzen und ben alten Zuftand der Dinge wieber herbeizu- 
führen. Sie hat jedoch bereits zu lange damit gezögert, und 
follte fie ven Kampf wagen, fo kann er nur mit einer Nieber- 
lage der feubalen Partei endigen, ba ſich bie Bertragsmächte 
auf Seite der Regierung ftellen werden und müffen. Aber, 
auch ohne daß fie die Initiative gibt, wird fie unterliegen. 
Dur den wachjenden Handel und ven beftänbigen Zuftrom 
von Fremden bereitet fich mit ſchnellen Schritten eine fociale 
Revolution vor, und felbft ohne äußern Anſtoß ift die Zeit 
nicht mehr fern, wo bie geiftig fo weit vorgefchrittenen Iapa- 
nefen bie Feſſeln ber Knechtichaft ganz abjchütteln und bie 
Freiheit beanfpruchen werden, welche fie nach Maßgabe ihres 
Eulturzuftandes ein Recht zu fordern haben. 

Wie ich ſchon dargethan, find die Häufer in Iapan leichte, 
ſehr fenergefährliche Bauwerke von Hol; und Papier, ſodaß 
eine Feuersbrunft ungemeinen Schaden anrichten muß. Zu⸗ 
gleich aber bat die Beſorgniß vor ſolchem Unglüd zu fehr 
guten Löfchvorrichtungen geführt, die zwar meiftens privater 
Natur, aber nichtspeftoweniger wirffam find. Vor jedem 
Haufe oder auf deffen Flur ftehen ftets 10—12 große Kübel 
mit Waffer gefüllt, und in jeder Straße befindet fich ein 
40 Fuß hohes Geruſt, zu dem eine Leiter hinauf führt und 
in dem eine Feuerglode hängt. Sobald es irgendwo zu 
brennen anfängt, Flettert ein Straßenwächter auf das Gerüft, 
Schlägt die Glocke an und verfündet, da er die ganze Umge- 
gend überjehen kann, dem Publikum, wo das Feuer iſt. Die 
nächtten Straßen find dann verpflichtet, fofort mit ihren ſämmt⸗ 
lichen Kübeln dorthin zu eilen und zu löſchen. Feuerſpritzen 
gibt es zwar nicht in Japan, dagegen ift an Waffer Fein 


54 


Mangel; überall in den Straßen find Brunnen und fait 
jedes Hans hat eine Eifterne. Wie gefchidt bie Sapanefen 
als Feuerleute find, habe ich in unſerm Gefanbtichaftshotel zur 
bewundern Gelegenheit gehabt, in deſſen Küche Feuer aus- 
brach. Sobald der Ruf ertönte, waren die Kulis auch fchon 
mit Ratengejchwinbigfeit auf dem Dache, hatten es theilweife 
abgedeckt, eine Wand eingefchlagen, und das Teuer war bereis 
geldjcht, als wir anfamen. Bei ruhiger Luft beichränfen fich 
bie Brände daher meiftentheils auf ein ober zwei Häufer, 
bei Stürmen brennen jevoch häufig vier bis fünf Straßen nieder. 
Wir felbft erlebten am Neujahrsabend eine Feuersbrunſt, vie 
600 Häufer in Afche legte, und vor 35 Jahren wurde fat 
ein Sechstheil von Jeddo ein Raub der Flammen, in denen 
nicht weniger als 1200 Menfchen umlamen. Indeſſen ift eine 
folhe Feuersbrunft in Japan nicht von fo nachtheiligen Fol- 
gen begleitet wie bei uns, und kommt man nach vier Wochen 
an eine folche Branpftelle, fo ift faum noch eine Spur von 
der Verwüftung übrig. Die häufige Wiederkehr biefer Ereig- 
niffe, fowie die Erdbeben, haben die Inbuftrie auf Abhülfe 
bebacht fein laſſen, und die Zimmerleute haben auf ihren 
Plägen dutzendweiſe Häufer fertig liegen. Da man ein Haus 
nur nach fo und fo viel Kin beftellt, kann man hier mit 
Hecht Tagen, fie werben nach ver Elle verkauft. Das bischen 
Schutt, welches von einer folchen nievergebrannten Wohnung 
übrig bleibt, ift bald weggeräumt, das leichte neue Gebäude 
aber faft ebenfo ſchnell Hingeftellt und mit feinen Matten 
ausftaffirt. In Yokuhama, das in einem Zeitraume von vier 
Sahren von einem Fifcherborfe zu einer Stadt von 20000 Eins 
wohnern gewachfen tft, haben wir oft Imit Staunen ganze 
Straßen erblidt, wo vor acht Tagen noch Sumpf war. 
Was den japanefifchen Häufern außer ihrer ungemeinen 
Sauberkeit und Zierlichleit noch einen weit höhern Reiz gibt, 
ift ber bei feinem fehlende Garten, und fei er auch nur fo 





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groß wie ein Tiſch. Wo Raum ift, Liegt er hinter dem Haufe, 
wo biefer mangelt, ift irgenvein Plägchen auf dem Hofe dafür 
ausgewählt und mit bewunberungswerther Sorgfalt und Zier- 
lichkeit in Ordnung gehalten. Sierlichkeit ift überhaupt ein 
hervorftechender Charakterzug des Volks, der überall hervor⸗ 
tritt in feinen Gebäuden, feinen Gärten, dem Dausgeräth, 
wie auch in jeinen Manieren, unb ber ven Fremden höchſt 
angenehm berührt, Die Gärten find Miniaturfchöpfungen, 
plaftifche Modelle, aber mit fo unenplicher Kunft ber Natur 
nachgebilvet, daß man in eine Liliputwelt einzutreten glaubt, 
Alles ift verzwergt, aber auch bier tritt der Contraft mit 
China lebendig hervor. Die Chinejen verzwergen die Bäume, 
um eine Spielerei zu haben und um zu Fünfteln. Es liegt 
dabei purchaus Fein tieferes Gefühl zu Grunde. Ihr verbor- 
bener ober vielmehr noch ganz unentwidelter Geſchmack findet 
an allem Außergewöhnlichen und Unnatürlichen Gefallen, und 
je verzerrter die Formen, deſto höhern Werth beſitzt ber 
Gegenftand in ihren Augen. Das ift ber Grund, weshalb 
fie Bäume verzwergen, aber biefe Bäume find Krüppel, Kin⸗ 
ber mit einem Greifenantlig, und ihre Unnatur beleidigt unfern 
Schönheitsfinn. | 

Der Iapaneje dagegen bezwect mit feinen Gärten ganz 
etwas anderes. Sein Tindlicher Sinn findet Freude an ber 
Natur, und weil feine Gefchäfte und andere Verhältniſſe 
ihm nicht geftatten, fie täglich zu genießen, fucht er auf dem 
fleinen ihm vergöunten Raume fich ihr Abbild zu verfchaffen. 
Er verzwergt die Bäume, um möglichft viel Plat zu gewin- 
nen und Abwechjelung in feine Schöpfungen zu bringen, aber 
er ift mit größter Aengitlichkeit beftrebt, der Natur ihre Schön- 
heiten abzulaufchen und fie in feinem Meinen Paradieſe nach- 
zuahmen. Seine angeborene Imitationsgabe kommt ihm 
dabei ungemein zu ftatten, und man weiß nicht, wad man in 
ben Gärten mehr bewundern fol, jenes Nachbildungstalent 





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oder den Fünftleriichen Schönheitsfinn in der Zufammenitellung, 
oder bie feine Durch tiefes Gefühl bedingte Beobachtungsgabe. 
Die Tegtere ift wirklich ungemein groß und tritt nirgends 
frappanter hervor, als in den bilplihen Darftellungen von 
Thieren, namentlich Vögeln. Ich bin im Beſitze mehrerer 
Bilderbücher aus Jeddo, deren Zeichnungen anfänglich unge- 
mein roh erfcheinen und nur mit wenigen Strichen auf das 
Papier geworfen find. Bei näherer Betrachtung eritaunt 
man jedoch unwillfürlich über ihre außerordentliche Natur- 
treue. Im diefer Beziehung find es Kunftwerfe, wie kein 
Volk fie jo vielfältig probucirt, und alle, die wir in Japan 
gewejen, haben die Ueberzeugung gewonnen, daß dies Volf 
bei einiger Anregung und weiterer Entwidelung eine ungeahnte 
Vollkommenheit in der Malerei erlangen wird. Während 
unfers Aufenthaltes in Jeddo im Winter fonnten wir nur 
die Zierlichfeit und Tünftliche Anlage dieſer Miniaturgärten 
bewundern; in Nangafafi jevoh, im fjchönen Monat Mai, 
prangten fie im Frühjahrfchmude in ihrer ganzen bezaubern- 
den Lieblichkeit, und ich muß geftehen, daß mich fpäter ein 
ordentliches Heimweh nach diefen wonnigen Plätzen befchlich, 
in denen ich täglich ftundenlang zubrachte, um mich an ihrer 
Schönheit zu. erfreuen. | 





22. 


Die Tempelgebäube, Der Buddhismus in Japan. Die Sintoreligion, 
ihre Götterlehre, ihr Eultus. Die Selte der Siodoſie. Die Prie> 
fterfchaft. 


Die Gebäude, welche in japanifchen Städten durch ihre 
romantifche Lage ftets die Aufmerffamfeit des Fremden auf 
fich ziehen, find die Tempel. Nach einer japanefifchen Karte 
des ganzen Reichs gibt es beren nicht weniger als 149280, 
von benen 27000 auf bie Sinto- oder urfprüngliche Landes⸗ 
Religion und die übrigen auf den aus China eingeführten 
Buddhacultus kommen. Jene werden Mias, biefe Tiras ge⸗ 
naunt und von letztern eriftiren vier verſchiedene Arten nach 
den vier buddhiſtiſchen Sekten. Alle haben das miteinander 
gemein, daß ihre Erbauer die ſchönſten Plätze ausſuchten, 
welche die Gegend bot und daß jedem Mangel in der Har⸗ 
monie der Umgebung durch Kunſt abgeholfen wurde. Was 
von den Gärten im kleinen geſagt iſt, gilt im großen von 
ven Umgebungen der Tempel; nur iſt bier nichts verzwergt, 
fondern alles in natürlicher Größe belaffen, weil feine Raum⸗ 
beſchränkung jenes nöthig machte. Kine Anhöhe mit einer 
Schönen Ausficht auf das niedriger liegende Land oder das 
Meer, Gebüfche und Alleen von prachtvollen und durch Kunft 
zur üppigften Blütenfülle gebrachten Zierfträuchern, Didichte 


58 


von Bäumen mit verfchieven gefärbten Blättern, Bambus- 
gehölze, mächtige Fichten mit weit fich hinftredenden horizon- 
talen Zweigen, hoch emporjtrebenbe Cedern, ein riefelnder Bach, 
jauber mit einfarbigen Kiefeln belegte Pfade, fruchtbare Aeder, 
ländliche Einſamkeit und Stille — das find die unerlaßlichen 
Eigenfchaften, welche die Tempel beanfpruchen. Die bubbhi- 
ftifchen zeichnen fich dabei bejonvders durch ihre ftattliche 
Bauart, ihre Höhe und Geräumigfeit, ihre Verzierungen mit 
funftuollen Schniereien und Vergoldungen vor allen anvern 
Gebäuden vortheilhaft aus. 

Die japanefifchen Buddhatempel unterfcheiden fich wenig von 
den chinefifchen, und ich kann mich deshalb ihrer nähern Beſchrei⸗ 
bung enthalten; wur find fie viel freundlicher und fauberer. Die 
iapanifchen Buddhiſten haben wol den Eultus, aber nicht den 
Schmuz ihrer chinefifchen Nachbarn übernommen. Die Fuß- 
böven find mit weißen Binfenmatten belegt, Altäre, Götzen⸗ 
bilder auf das brillantefte gefehnitt und vergoldet, und wenn 
ſchon in China eine große Aehnlichkeit zwifchen katholiſchen 
und buddhiſtiſchen Obſervanzen aufflel, teitt fie in biefen 
Tempeln noch viel mehr zu Tage. Man venfe fich ſtatt der 
Götzen Heiligenbilver und ſetze ein Crucifix hinein, fo hat 
man das Innere einer katholiſchen Kirche. 

Der Buddhismus wurde 552 n. Chr. in Japan eingeführt 
und verbreitete fich bald fo ftark, daß er in wenigen Jahr⸗ 
hunderten nicht allein ein tolerirter, ſondern ein anerkannter 
Cultus und Staatsreligion wurde. Das geiftliche Haupt des 
Buddhismus ift der Safta Halo. Er refibirt in Miafo und 
hat eine ähnliche Gewalt wie der Papſt, nur daß er feine 
Heiligen Tanonifirt. Der Halo ernennt die Tunbie oder Aebte 
der Klöfter, in denen -alle bubphiftifchen Priefter vereinigt 
find, jeboch müffen diefe Tundie von der Regierung beftätigt 
werben, bie beſondere Sorge trägt, daß fie fowol als ber 
Halo ihren Einfluß lediglich auf geiftlide Sachen befchränfen. 


59 


Die Mias oder Sintotempel haben nur die fchönen Umge⸗ 
bungen mit ven bubohiftiichen Tempeln gemein; fonft find fte 
weit unanfehnlicher, Heiner und bebeutend weniger «ausge: 
fhmüct. Götzenbilder haben ſie gar nicht, fondern über oder 
vielmehr hinter vem Altare hängt nur ein Spiegel, das Sym⸗ 
bol des Kami oder Gottes, dem der Tempel geweiht ift. 
„Wer in biefen Spiegel ſehen Tann, ohne zu erröthen”, lehrt 
bie Sintoreligton, „der allein ift würbig, vor bie Gottheit 
binzutreten und ihr feine Verehrung barzubringen.” 

Sinto beißt Götterlehre und ift fononym mit Kami. Sin 
und Kami find „Bewohner nes Himmels‘ und bezeichnen 
bie beiven mythologiſchen Götter- und Halbgötter - Dynaftien, 
welche dem erſten weltlichen Herrſcher und Civiliſator Japans, 
Sin Deu, vorbergingen, von dem die Dairi oder geiftlichen 
Kaifer abftammen. Sin Mus Vorgänger war Tenſio Daidſin, 
eine _Halbgöttin. Sie wırde in Isje, einer Provinz an ber 
mittlern Südküſte Nipons, geboren, verrichtete viele wunder⸗ 
bare heroiſche Thaten und ftarb auch dort. Man errichtete 
ihr in ihrer Vaterſtadt einen Tempel, der als genanes Modell 
für ſämmtliche Sintotempel in ganz Japan bient, die deshalb 
einer wie der andere ausfeben. Der Sintocultus ift in Bes 
zug auf die Greirung von Halbgdttern überhaupt durchaus 
nie engherzig geweſen. Alle Herven und Heiligen wurben als 
folche gaftfrei aufgenommen, und auch Buddha genoß dieſe 
Ehre; ja er wurde oft mit Tenſio Daidſin tbentificirt, und 
baher rührt bie allgemeine und kaum trennbare Der- 
mifhung der religiöfen Ideen in Japan, aber auch bie 
Thatjache, daß bis zur Ankunft der Portugiefen nie religiöfe 
Berfolgungen ftattgefimben hatten. Jeder Halbgott hat 
nach japanefifhen Ideen die Oberaufficht über ein be- 
ftimmtes Paradies. Sp refipirt einer in der Luft, ber andere 
auf dem Mleereögrunde, ver dritte in ber Sonne, andere 
im Monde, in den Sternen u. f. w., und jeber Gläubige fucht 


60 


fih denjenigen aus, der ihm am beften zufagt. Daher rührt 
auch die große Menge der Tempel, bie fonft gar nicht er» 
Härlich wäre, 

Der Gottespienft befteht in Gebeten und Niederwerfen mit 
dem Geficht auf die Erbe. Beides tft aber ſehr ſchnell ab» 
gethban. Der Gläubige hält eine Wafchung in einem großen 
Wafterbeden, das fich bei jedem Tempel befindet, tritt vor 
ven Tempel und fchlägt dreimal an eine Slode, um bie 
Aufmerkfamkeit des Gottes zu erregen. Dann Hlatfcht er brei- 
mal in die Hände, wirft fich auf das Geficht nieber, betet 
in diefer Stellung einige Secunven, fteht auf, wirft einige 
Rupfermünzen in ven Almofentaften, und tft fertig. Ueberhaupt 
ift die Sintoreligion heiterer und fröblicher Art und betrachtet 
alles von der Lichtſeite. Wahrfcheinlich ift dies auch ber 
Grund, daß der ernftere Buddhismus bald fo großen Anhang 
gefunden hat. Die Sintoreligion macht aus ihren religiöfen 
Feiertagen Freubenfefte und betrachtet Menfchen in Sorge 
und Noth als ungeeignet zur Verrichtung ihrer Andacht. Der 
Buddhacultus dagegen wenbet ſich mehr an bie befümmerten 
Seelen, deren e8 überwiegend viele gibt, und dieſe fliehen 
Troſt ſuchend zu ihm und feinen Tempeln. 

Die Sintopriefter leben nicht wie die bubphiftifchen in 
Klöftern und im Cölibat. Sie find verbeirathet und wohnen 
mit ihren Familien neben ven Zempeln. Das Haar laffen 
fie lang wachfen und binden e8 zu einem Schopfe zufammen. 
Ihre Kleidung weicht von der ber übrigen Sapanefen nur bei 
Teftlichleiten ober religiöfen Handlungen ab; dann tragen fie 
eine Art Zalar mit geftidten Kragen und Aermeln und im 

Haar verjchievene Zierathen. Sie leben theils von ven Als 


mofen, welche die Andächtigen in ben Tempeln opfern, theils 


von dem, was fie durch Wahrfagen over Bettelei gewinnen. 
Auf ihren Bettelzägen legen fie eine beſondere Tracht aus 
grobem weißen Baummollenzeug an und feßen einen Hut 


—— — —— — 


61 


von Bambusflechtwerf mit fehr breitem Rande auf. Auf 
bem Rüden tragen fte einen offenen Schranf, in dem ſich 
entweder das Modell eines Tempels oder das Bild eines 
Gottes befindet, und an einem um ben Leib gefchnallten Gurte 
führen fie eine Glocke, mit ver fie vor ven Thüren ihre An- 
weſenheit befunben, indem fie zugleich Gebete abfingen. Oft 
betteln fie fo familienweife, und an einem beflimmten Feſte, 
wo ihnen wahrfcheinlich befondere Erlaubniß dazu geftattet tft, 
wimmeln die Straßen vollftändig von ihnen. 

Defter begegnet man auch Proceffionen, wobei Götter mit 
Muſik umbergetragen werben. Diefelben haben jedoch nicht 
das geringfte Feierliche an ſich, und wie e8 mir fchien, machten 
fie auch auf-die Iapanefen feinen feierlichen Eindrud. Die 
Muſik beſtand aus einer großen Trommel, die in regelmäßiger 
Pauſe vreimal hintereinander angefchlagen wurde, und brei 
Elarinetten, die in fehredlichfter Disharmonie eine unerfenn- 
bare Melodie fpielten. Jeder viefer Elarinettenbläfer Hatte 
einen chlinderförmigen Korb über den Kopf geftülpt, ver 
bis an das Kinn reichte und fein Geficht vervedte, während 
er felbft durch das Geflecht alles fehen Fonnte. Diefe Men- 
ſchen hatte ich ſchon mehrmals bemerkt, wie fie bettelnb 
umberzogen, und mir ihre fonverbare Tracht nicht erflären 
können. Auch gingen fie in Seide gefleivet, was durchaus 
nicht zu ihrer Befchäftigung paßte. Späterhin erfuhr ich, 
Daß es begrabirte Jakonins feien, die vom Dairi die Erlaubniß 
zum Betteln erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, 
und jenen Korb tragen, um nicht erfannt zu werben. Sie 
werben vorzugsweile zu folchen Proceffionen fowie zu Hoch- 
zeiten und Begräbniffen genommen, und ebenfo wie man bei 
uns verfchämten Armen gewöhnlich am reichlichften Almofen 
ſpendet, fcheint auch für diefe Bettler das Mitgefühl am - 
größten zu fein. 

Außer den Bekennern des Sinto und Buddha gibt es 


62 


in Japan noch eine dritte Sefte: die Siodoſin, Rationaliften, 
welchen faft alle hohe und gebildete Klafjen angehören und 
die auf ben Götzendienſt mit Verachtung herabbliden. Da fie 
jedoch gefegmäßig einer der beiden Staatsreligionen angehören 
müffen, beebachten fie äußerlich bie Form des Sintocultus. 

Die Priefter des Buddha fowol wie die des Sinto ftehen 
beim Volke in Feiner höhern Achtung als in China und nehmen 
in Bezug auf wilfenfchaftliche Bildung auch feinen höhern 
Rang ein. Ihre ganze Beichäftigung beſteht in der Ablei- 
erung von Gebeten zu beftimmten Tageszeiten ober bei bes 
ftimmten Gelegenheiten, und derſelbe blöpfinnige Gefichtsaus- 
druck mit dem geiftlofen Auge ift mir bier wie dort aufge- 
fallen, bei den Buddhiſten jeboch weit mehr als bei ben 
Sintoprieftern, die wenigitens doch ein Familienleben kennen 
und fomit einen Lebenszwed haben, ber einigermaßen ihre 
Geiftesträfte wach Hält. 








23. 


Die Abflammung ber Japaneſen. Die Bollstradht. Die Frauen. Die 

Reinlichkeit des Volks. Die Bäder. Die japaneflfhen Begriffe von 

Schamhaftigkeit. Die Theehäufer als Bordelle. Die Gefchlechtsliebe 

und die Stellung der Frauen. Höflichkeit und Anftandsformen. Eine 

japaneſiſche Hochzeit. Das Concubinat. Kinder und Kindererziehung. 
Der Schulunterricht. 


Auf den erſten Anblick ſcheinen die Japaneſen demſelben 
Volksſtamme anzugehören wie die Chineſen, bald überzeugt 
man ſich jedoch, daß man es mit einer ganz andern Raſſe 
zu thun hat, wenngleich viele aus China eingeführte Sitten 
fie ihren Nachbarn ſehr ähnlich machen. ‘Den ſicherſten Be⸗ 
weis für die gänzlich. verſchiedene Abkunft ver beiden Völker⸗ 
ſchaften gibt aber die vergleichende Philologie. Die Sprachen 
zeigen weder in ihrem Bau noch in ihren Wurzeln bie ge-. 
ringfte Aehnlichkeit miteinander, vielmehr ftehbt das japane- 
ftiche Idiom einzig in der Welt da, und man hat bisjet Feine 
Verwandtſchaft mit irgendeiner andern Sprache entpeden 
können. Dieſer Umftand läßt darauf ſchließen, daß der japa- 
niſche Archipel troß feiner Nähe am Teitlande Aſiens von 
biefem entweder nicht bewälfert wurde ober, wenn dies ber 
Ball war, daß ein fremdes Volk ihn fpäter eroberte und ben 
befiegten Landesbewohnern feine Sprache aufzwang. Diele 
legtere Annahme ift die wahrjcheinlichere, denn es ift nicht 
zu verfennen, baß die Bevölkerung aus zwei ganz verfchievenen 


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Raſſen bejteht, veren eine der Abel und deren andere das 
Volk vertritt. Wol überall übt Beichäftigung, Nahrung und 
Bildung einen beveutenvden Einfluß auf den Körper, und fait 
in jedem Lande unterfcheidet fich die Ariftofratie von dem 
niebern Volle durch feinere Körperformen und edlere Gefichter; 
jedenfalls erftredt fich aber ver Einfluß einer höhern Bildung 
und günftigern Lebenslage nicht fo weit, daß er einem Gliede 
eine ganz bejtimmte und unveränverliche Form gäbe. Dieſer 
Erfcheinung begegnen wir bei ven Japaneſen, und man kann 
bier in der eigenften Bedeutung des Wortes fagen, man fieht 
es ihnen an ver Nafe an, zu welcher Klaſſe, ver höhern 
oder niedern, fie gehören. Die Nafe des Adels ift nämlich 
eine Art römiſche, die zwar etwas breit, aber eine ſcharf 
ausgejprochene und abwärts gebogene Spite hat, wogegen 
die des Volks ftumpf aufgeworfen und did ift. Die Baden- 
knochen treten bei beiden Klaſſen weit hervor, der Mund tft 
groß, dagegen find die Lippen bei dem Adel lange nicht fe 
wulftig, und fein Geficht gewinnt dadurch an Feinheit. Die 
Augen find bei ‚beiden gejchligt und fchräg liegend, aber nicht 
jo ſtark wie bei den Chinefen; die Hautfarbe ift jedoch Dunkler 
als bei dieſen, wahrfcheinlich durch den Einfluß der Sonne. 
Die Geftalt des Apelichen ift im allgemeinen fein geformt und 
überfteigt nicht die Mittelgröße, während man unter dem nie 
bern Volke jehr große und ungemein musfulds gebaute Körper 
findet, die an ein Athletengefchlecht erinnern. So zeigt fich in 
allem ein Unterſchied zwifchen ven beiden Volksklaſſen, welcher 
groß und zu ſtereothp ift, um zufällig ober das Nefultat 
einer verfchievenen Lebensjtellung zu fein. Vielmehr Tann 
man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß der Adel das 
Land erobert bat, indem er aus einem andern Welttheile, nicht 
aus Alten, einwanderte. Man fchwebt bisjegt im ‘Dunkeln 
über feinen Urfprung, aber wahrfcheinlich würde eine genauere 
Bergleichung mit den norpamerikanifchen Indianern weftlich vom 





65 


Telfengebirge beransftellen, daß fegtere mit dem japa⸗ 
neftfchen Adel einerlei Stammes find. Bor der Abfchliekung 
des Landes waren bie Sapanefen als kühne und unternehmende 
Seeleute befannt. Ste beunrubigten als gefürchtete Freibenter 
ben ganzen Inbifchen Archipel, erfchienen auf Java und fegten 
Könige von Siam ein und ab, Wie leicht möglich ift es, 
daß bie Eroberer nes Landes auch von Amerika nad Japan 
berüberfamen. Jene Indianer find ebenjo kühne Seeleute, 
wenn fie fich jetzt auch nur auf Fiſcherei befchränfen. Ihr 
hohes Selbft- und feines Ehrgefühl finden wir auch bei ben 
Japaneſen. Die gebogene Nafe, vie gefchlisten Augen und die 
Hantfarbe ftimmen bei beiben überein, und ebenfo findet 
fich viele Uebereinftimmung in ihren Sitten und Gebräuchen 
jowie in ihrem ganzen Charakter. Bei jenen Inbianern wird 
die Schönheit ihrer Frauen im Vergleich zu denen ber anbern 
Stämme gerühmt, und ebenfo tft befannt, daß dieſe bei vor⸗ 
gerüdtem Alter eine Neigung zum Fettwerden haben. Ganz 
baffelbe findet-man in Japan, und es dürfte für bie Wiffen- 
Schaft wol von Intereſſe fein, auch die Sprachen zu ver- 
gleichen. j 

Die Tracht der Iapanefen tft fehr einfach. Die ber 
Männer befteht aus einem bis auf die Knöchel reichenden 
Node, ver jich von unſern Schlafröden nur durch Kürzere, 
bis an bie Einbogen reichende Aermel unterfcheibet. Diefer " 
wird vorn übereinander, gefchlagen und mit einer Schnur zu⸗ 
fammengehalten. Er ift je nach ber Lebenslage des Beſitzers 
von Baumwolle oder Seide und fat immer dunkel und ein- 
farbig oder ganz fein carrirt. Ebenſo wird er der Jahres» 
zeit angemeſſen leichter ober dicker wattirt getragen. Die 
Beinfleiver find beim niedern Volke geſetzmäßig eng an⸗ 
fchließend und ftets von Baumwolle, bei dem Abel und allen 
Beamten von Seide und weit. Ueber dem Node wird von 
ven Wohlhabenven ftets eine auf die Hüften fallende Jacke 

Berner, I 5 


66 


getragen, deren ſehr weite Aermel mit Taſchen verſehen ſind, 
in denen die Heinen Bedürfniſſe, wie Papier zu Taſchen⸗ 
tüchern u. |. w., aufbewahrt werden. Hemden find unbefannt. 
Die Füße fteden in baummollenen weißen Strümpfen, über 
die jedoch das Beinkleid bis auf den Knöchel fällt, Diefe 
Strümpfe haben eine befonvdere Abtheilung für die große 
Zehe, um zwifchen diefer und den übrigen Zehen ven Bügel 
ver Strohfandalen feftzuhalten, die unveränverlich von jung 
and alt, reih und arm, Abel und Voll, Kaiſer und Bettler 
getragen werden. Sie find äußerft Funftlos und billig und 
werden unterwegs ohne weiteres weggeworfen und durch neue 
erfeßt, die man für einen Groſchen in verfchiedenen Läden 
jeder Straße Taufen kann. Bei fchmuzigem Wetter werben 
Statt der Sandalen Holzgaloſchen getragen. Diefe find ebenfo 
einfach, beſtehen aus einem horizontalen Fußbret und zwei 
daruntergenagelten perpendikulären Bretchen von 3—4 Zoll 
Höhe. Es gehört nicht wenig Geſchicklichkeit dazu, auf dieſen 
hoben Dingern zu gehen, immer aber bleiben fie unficher, 
und man muß ftet3 balanciren, was der Figur ein grotesfes 
Anfehen gibt. Da alles diefe Galofchen benukt, fo denfe man 
fih eine Compagnie Soldaten damit verfehen und militä- 
riſche Evolutionen machend. 

Die Japaneſen tragen ebenfalls einen Zopf, aber dieſer 
iſt von dem chineſiſchen ſehr verſchieden. Sie ſcheren nur 
den Vorderkopf bis an den Scheitel, während ſie das übrige 
Haar lang wachſen laſſen. Dieſes wird von hinten nach dem 
Scheitel gekämmt und, zu einem Zöpfchen von der Form und 
Größe eines Fingers gebunden, mit Pommade fehr glatt ge— 
macht und nach vorn übergelegt. Hüte werben im allgemei- 
nen nur bei officiellen Gelegenheiten getragen, und dann find 
fie wie die chineflfchen von Bambusgeflecht und koniſcher Form. 

Die Kleidung der japanischen Frauen unterfcheidet fich 
wenig von der der Männer. Ihr Hauptkleivungsftüd tft der 











-uspguus spjyaundog 


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67 


erwähnte Schlafrod aus Seide ober Baummollenzeug und 
wattirt. Er wird übereinander gejchlagen und niit einem 
breiten Seidengürtel zufammengehalten. Um ven Oberkörper 
ziemlich loſe hängend, zieht man ihn unten ftraff um bie 
Glieder, ſodaß die freie Bewegung ber Füße gehemmt wird 
und die Schönen einen watfchelnden Gang annehmen. Statt 
ber Beinfleiver tragen die Frauen einen Rod over vielmehr 
ein dünnes Tuch, das um ben Unterförper gefchlagen wird 
und alle Unterröde vertritt. Während bie Männerröde ftets 
einfarbig und bunfel find, gefallen fich Frauen und Mäpchen 
in ven Iebhafteften Farben und Muftern, in deren Auswahl 
fie großen Gefchmad zeigen. Aermel und Kragen fin viel- 
fach geſtickt. Ebenjo koſtbar wie oft ver Rod ift auch ver 
über einen Buß breit getragene Gürtel, Bei jedem jungen 
Mädchen wird die Schleife diefer Schärpe hinten, bei Frauen - 
vorn getragen. Die nebenftehende Zeichnung, nach einer Pho- 
tographie gefertigt, zeigt brei japaneftfche Mäpchen des untern 
Bürgerftandes in gejellichaftlicher Kleidung. 

Die Natur hat alle Iapanefinnen mit einem prachtnollen 
Haarſchmuck beſchenkt. Dies wird von ihnen auch danfend 
anerkannt, und der Aufpug bes Kopfes bildet ein Stubium 
und eine Kunft des fchönen Gefchlechts. Mag eine Iapanefin 
noch fo arm, mit Lumpen bebedt ober häßlich fein, begegue 
man ihr früh morgens oder fpät abends, in den Strafen 
ber Hauptftabt oder in ber ärmlichften einfamen Hütte am 
Dergabhange, ſtets wird fie ihr Haar fauber gefämmt, mit 
Blumen oder einem Stüdchen Krepp verziert und zu jenem 
eigenthümlichen Knoten gefchürzt haben, ver ebenfo hübſch 
als geeignet ift, die Schönheit und reiche Fülle des Haares 
auf das vortheilhaftefte zur Schau zu tragen. 

Weder Männer noch Frauen machen fich das Haar felbft. 

Bei jenen beforgt e8 ber Barbier, bei diefen entwever bie 

Dienerin oder ein anderes weibliches Wefen. Da bie Her— 
5 * 


68 


ftellung der Eoiffüre jedoch ftets eine Arbeit von mehreren 
Stunden ift, fo wird fie nicht täglich erneuert, und um fie 
während ber Nacht feinen Fährlichfeiten auszufegen, hat man 
jene fonderbaren Kopffiffen erfunden, von denen ich weiter 
oben gefprochen und in denen nur ber Naden ruht. 

Eine Unterfcheidung in der Haartracht wie in China 
zwifchen Frauen und Jungfrauen wird in Sapan- nicht gemacht. 
Die fünfjährige Enkelin trägt das Haar wie ihre Großmutter, 
die Gemahlin des Gouverneurs wie die Frau des Ruli, nur 
mit dem Unterfchieve, daß bie unendlich vielen Spangen, 
Nadeln, künftlichen Blumen u. f. w., von welchen das Haar 
ftarrt, dort von Gold, Silber und Schilppatt, hier von 
Raufchgold, Zinn und Kuochen gefertigt find. 

Eine Kopfbedelung haben die Iapanefinnen nie; fie würde 
die zarte Structur des Haarſchmucks bedrohen. Bei ber 
Trauer follen die Frauen von Kopf bis zu Fuß in grobe 
Leinwand gehüllt, Überdies auch der Kopf mit einer Mütze 
bedeckt fein; biefe wird jedoch nur ganz leiſe aufgelegt. 

Die verheiratheten Frauen erfennt man an zwei Merk- 
malen, durch melde fie fich nach ber Hochzeit auszeichnen 
und enfftellen: fie vafiren die Augenbrauen ab und färben 
ihre Zähne ſchwarz. Das Färben ver Zähne mag vielleicht in 
frühern Zeiten, als die Sapanefen noch mit andern Ländern 
verfehrten, aus dem Indiſchen Archipel Üüberfommen fein, je- 
doch iſt es wahrfeheinlicher, Daß es ebenfo wie das Raſiren 
ber Augenbrauen nur vorgenommen wird, um zu entftellen. 

In Japan hat jeder Vorgefekte das Recht, fich die Frau 
jeines Untergebenen zu nehmen, wenn fie ihm gefällt, Um 
biefem Gefallen vorzubeugen, haben die armen Männer jene 
Moden erfunden. Einen Vorzug behalten die Iapanefinnen 
aber doch vor den malalifchen Weibern, fie kauen feinen ' 
Betel, und da laſſen fich die fehwarzen Zähne ſchon eher er- 
tengen. Dagegen find fle aber wie ihre Männer leidenſchaft⸗ 








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liche Raucher. Doch die eleganten Miniaturpfeifen mil 
Metalffpigen und Köpfen, nicht größer als der Nagel 
am Heinen Finger, haben nichts Widerliches. Die Tabads- 
tafche von gepreßtem leberartigen Papier und das Futteral 
aus gleihem Stoff find zierlih und elegant wie bie Pfeife 
ſelbft, und das Rauchen wird auch gerade nicht übertrieben. 
Zwei, drei Pfeifen und aus jeder nur zwei, drei Züge, bamit 
ift dem Drange Genüge geſchehen. Die Pfeife wird forgfältig 
in ihren Behälter zurücdgebracht und biefer an einen ebenfo 
fein als bizarr gefchnitten Knopf aus Elfenbein over hartem 
Holz an den Gürtel gehängt oder bis auf weiteres in biejen 
jelbft geſteckt. 

Ich glaube, es gibt fein Land in der Welt, wo fich bie 
Frauen und Mädchen nicht fehminten ober bemalen, und 
Japan macht feine Ausnahme. Bei uns trägt man gemeinlich 
roth auf; in den tropifchen Colonien ift Bläffe anftänbig, und 
die Europäerinnen und Halbblutvamen ſchminken fich da weiß. 
Die Ehinefinnen malen ihre Lippen roth, die Iapanefiunen 
dagegen ſchminken ihr ganzes Gefiht, Hals und Naden bis 
über die Schulter weiß und bie Baden und Lippen roth. 
Bon weitem macht das einen fehr guten Effect, in ber Nähe 
ift e8 oft ftörend, weil die Farben gewöhnlich zu ftarf auf- 
getragen werben, Ein außergewöhnlicher Schmud bei jungen 
Mädchen ift noch das Vergolden ber Lippen, nach japaniichen 
Begriffen wahrfcheinlich bezaubernd, nach unfern häßlich und 
entjtellend. Da läßt man fich noch eber die goldenen Zähne 
gefallen, die malaiiſche Stuter fich einſetzen. Aber man denke 
fih einen fchwellenden Mädchenmund mit goldenen Lippen! 

Sind ſchon die japaneflfchen Männer kein bäßlicherer 
Menſchenſchlag als die Chinefen, jo dürfen die Frauen fich 
breift mit ihren Nachbarinnen in die Schranken ftellen. 
Während man in China lauge nach einem hübjchen Geficht zu 
fuchen Hat, fieht man in Iapan wenig häßliche, und wir haben 





70 


in Nangafafi zwei junge Mäpchen Fennen gelernt, bie felbft 
in europäiſchen Salons ale Schönheiten allgemeine Bewun- . 
berung erregt haben würben. Beide maren gewöhnliche 
Bürgerstöchter. Die eine wurde bei einer Spaziertour in 


- eitem Fiſcherdorfe, Mogi, entvedt, hieß fortan „das fchöne 


Mädchen von Mogi”, und alles wallfahrtete nach dem Dorfe, 
um bag veizende Rind zu fehen und zu bewundern, zu nicht 
geringer Freude der Mutter, bie nicht nachließ, jedem mit 
Stolz. zu erzählen, daß ſie die Mutter ſei. Daß es in ven 
höhern Kreifen nicht an Schönheiten fehlt, fahen wir an 
einer Photographie. von einer der Töchter des Gouverneurs 
von Nangafafi, die von einem Japaneſen aufgenommen mar 
und uns gezeigt. wurde. Gegen viefe frijchen, blühenden Ge— 
fichter kommen einem bie meiften Chinefinnen mit ihren ein- 
gefallenen farblofen Wangen wie Todtenköpfe vor. Sch habe 
bier nämlich noch zu bemerfen, daß die Sapanefinnen von 
Natur einen viel weißern Teint als jene und, ſelbſt unge 
ſchminkt, fchöne rothe Baden befigen, was man in China nie 
findet. Dabei ift alles jo ſauber, veinlich und appetitlich, 
d. b. im Durchfchnitt, daß man fich in das ganze Land ver- 
liebt. retlich gibt e8 auch Ausnahmen, und ein Filcherborf 
in der Nähe Nangafafis mobiftcirte meine Anfichten in etwas. 
Bis dahin war ich von der "allgemeinen Xeinlichkeit der Ja⸗ 
panefen aufs höchite entzüct; hier fand ich es jedoch tout 
comme chez nous unter ähnlichen Berhältniffen. Erbärm⸗ 
liche Hütten, wie ich fie kaum jchlechter in China gefehen, 
zerlumptes fchmuziged Voll, ungewafchen und ungekämmt, voll, 
von Ungeziefer. Ob vielleicht eine Calamität, Erbbeben oder 
Drand die Leute fo zurückgebracht hat? Jedenfalls war Dies 
aber das einzige Dorf, welches ich in einem folchen Zuftande 
jah, und ich muß im allgemeinen vabei jtehen bleiben, daß bie 
Sapanefen fo reinlich find wie fein zweites Volk der Erde. 
Allabendlich, Winter oder Sommer, wird ein warmes Bad 


7 


genommen und ber ganze Körper gründlich abgefeift. Jedes 
einigermaßen anftändige Haus befigt eine Badeanſtalt mit 
falten, warmen und Dampfbäpern, und für Fremde und 
biejenigen, welche fein eigenes Hans haben, gibt es eine große 
Zahl öffentlicher Bäper. Die Privatbäper Liegen im Hofe, 
find 4 Fuß hohe gemauerte Ehlinder, von ungefähr 3 Fuß 
Durchmeffer, unter denen ein Herb fich befindet. Oft fit 
die ganze Familie darin, und das Waffer wird fo heiß ge 
nommen, baß fie roth wie gefochte Krebfe herausfommen. 
Da jedoch, wie fchon bemerkt, die Häufer mit ihrem ganzen 
Innern von der Straße überjehen werben, fo wird der Vor- 
übergehende unmwillfürlich Augenzeuge dieſer Familienſcenen, 
und zwar aus nächſter Nähe, ohne daß irgend Vorkehrungen 
dagegen getroffen wären. Ebenſo baden in den öffentlichen 
Bädern Männer, Frauen, Kinder, Greiſe, junge Mädchen 
und Jünglinge, alles ungenirt mit- und durcheinander. Die 
Frauen werden von männlichen Badewärtern bedient und 
abgewaſchen und es iſt weder von Schwimmhoſen noch Bade⸗ 
mänteln die Rede. Ueberhaupt zeigt ſich nach dieſer Richtung 
hin die Kehrſeite des japaneſiſchen Charakters. Es iſt das 
liebenswürdigſte, freundlichſte, wohlerzogenfte und höflichfte 
Volk; aber Scham und Sittſamkeit ſind Begriffe, die ſie nicht 
kennen und wofür wahrſcheinlich ihre Sprache nicht einmal 
einen Ausdruck beſitzt. | 

Man jagt zwar, naturalia non sunt turpie, aber alles 
hat feine Grenzen. Obwol wir burch frühere Reifebefchreiber 
ſchon etwas vorbereitet waren, wurden unfere Vorftellungen 
von ber Wirklichkeit doch weit übertroffen. Oft waren wir 
ganz erjtarrt, und felbft wenn bie Delicateffe es erlaubte, 
einzelne Scenen, die wir erlebt, wiederzugeben, würde man 
mid) geradezu der Unwahrheit bezichtigen, ohne daß ich es 
jemand übel nehmen könnte. Ich felbft würde es nicht glau- 
ben, wenn ich es nicht gefeben hätte. Anfänglich waren wir 


12 


wirklich in Zweifel, was wir davon denken follten, und fehr 
geneigt, bier eine paradiefifche Unſchuld zu ſuchen, aber freilidy 
überzeugten wir uns fpäter, daß e8 in Japan überhaupt 
feine Unfchuld in unferm Sinne gibt. Die Naturalia und 
ihr Studium fcheinen einen Theil der Schulbildung auszu- 
machen; die obfcönften Gegenftänve, bilolich und plaftifch dar⸗ 
geftellt, hängen als Spielzeug öffentlich in allen Läden. Der 
Bater bringt diefe Dinge feinen Töchtern, die Mutter ihren 
Söhnen, ber Bruber feinen Schweitern, und das Kind von 
10 Jahren ift fchon mit allen Myfterien ver Liebe fo vertraut 
wie bei uns faum eine Matrone. Man müßte die Japaneſen 
als verworfenes Gefinvel bezeichnen, wenn man fie einfeitig 
nach dieſem Mafftabe beurtheilen wollte Das darf man 
jedoch nicht; die Japaneſen find ſchamlos, aber nur weil fie 
nicht wiffen, was Scham tft. In Iapan verftößt es z. B. 
nicht gegen die Sitte, wenn ein junges Mäpchen in bie nach 
der Straße mündende Thür eines Badehaufes tritt und fich 
mit einem Vorübergehenden unterhält, während. fie fich ab- 
trodnet oder Kühlung zufächelt. Niemand findet etwas barin, 
und ich glaube, man hat dabei nur aus der Noth. eine Tu- 
gend gemacht. Die ganze arbeitende Klaffe der Handwerker 
und Kuli geht bis auf einen fchmalen Gurt um die Hüften 
im Sommer vollftändig nackt, und ebenfo zwingt die Hitze bie 
Frauen, fih im Haufe oder bei der Arbeit des nationalen 
Rocks zu entlebigen, wo daun nicht viel übrig bleibt. Scham 
tft ein Begriff, der nicht nur durch. feineres Gefühl, fonvern 
ebenſowol durch das Klima modificirt wird; je wärmer das 
Klima, defto weniger genirt man fich und kann man fich in 
ber Kleidung geniren. Man würde in Deutfchland uud Eng- 
land ein jchönes Gejchrei erheben, wenn und bie Dame vom 
Haufe bei einer Morgenpifite nur mit einem Sarong und 
einer Kabaie beffeivet und barfuß in Pantoffeln empfinge, 
wie Dies in den tropifchen Eolonien bei allen Europäerinnen 





173 


Sitte ift. Die Japaneſen haben fich daher wahrfcheinfich ge- 
fagt: „Wozu follen wir eine Sitte forciren, die nicht zum 
Klima paßt?” So denke ich e8 mir wenigfteus, unb bie 
Richtigkeit diefer Annahme geht mir eben aus ver fo ganz und 
gor ungenirten Behandlung der Naturalia bervor. Die 
Deffentlichleit, mit der man im allen viefen Sachen zu 
Werke geht, iſt der befte Beweis, daß hier Sitte ift, mas 
bei uns Unfitte. Ueberhaupt aber frappirt e8 uns nur darum 
fo fehr, weil die Iapanefen uns an Körper und Geift näher 
fteben als 3. B. Neger, Indianer, Malaien, deren Nacktheit 
und moralifche Zuftänbe wir von vornherein mit ganz andern 
ı Augen betrachten. Befinden wir uns jeboch in Gejellfchaft 
von Menſchen, deren Umgangsformen faft europäiich find, und 
bie jich überhaupt durch feines, taftuolles Benehmen — nach 
unfern Begriffen — auszeichnen, jo legen wir unwillfürlich 
unfern Bildungsmahftab in jeder Beziehung an, und e8 muß 
uns ebenfo fremb als unangenehm berühren, plötzlich auf 
etwas zu ftoßen, was ſich von unfern gewohnten Anſchauun⸗ 
gen fo weit entfernt. 

Dean Tann fich aber darauf verlaffen, die Japaneſen find 
darnum nicht Tchlechter als andere Menſchen, weit fie andere 
Begriffe von Sittfamfeit und Schambaftigfeit haben. NRie- 
mand, ber das liebenswürbige Volk näher fennen gelernt, wirb 
ihm ein Verbrechen daraus machen, etwas Natitrliches öffent- 
lich zu behandeln, was bei uns bie Sitte zu verſchleiern trachtet. 

Ganz im Einklange mit jenen Anfichten fteht die Einrich- 
tung der Theehäufer in Sapan. Die Theehäuſer find Re— 
jtaurationen und ftet8 Borbelle, in denen man 20—40 und 
mehr Mädchen findet. Nur ift zwifchen diefen und ähnlichen 
Anftalten bei uns der bedeutende Unterfchied, daß jene ſämmt—⸗ 
ih unter genauer Controle der Regierung ftehen, und vie 
Mädchen durch ihr Gewerbe burchaus nicht entehrt werben, 
während biejenigen Frauenzimmer, welche außerhalb ver 





14 


Theehäuſer Proftitution treiben, bei den Japaneſen gerade 
fo verachtet find wie bei ung. Man fieht alfo, auch in Iapan 
gibt es Sittfamkeit und Scham, nur find die Grenzen biefer 
Begriffe fehr enge gezogen. Die Theehäufer darf man, fa 
paradox dies manchem auch klingen mag, als Penfions- und 
Erziehungsanftalten für junge Mäpchen aus unbemittelten Bür- 
gerfamilien betrachten. Arme eltern, die eine Menge Kin- 
ver haben und vorausfichtlich fie nicht gut ernähren können, 
geben ihre Töchter vom neunten oder zehnten Jahre an auf 
eine beftinmte Reihe von Iahren, gewöhnlich zehn oder zwölf, 
in ein Theehans. Dies gefchieht contractlich unter Aufftcht 
des Staats, der die ven Neltern zu gewährende Entſchädigung 
bejtimmt und gewiffermaßen die Vormundfchaft der Kinder 
übernimmt. Die Theehäufer find Reſtaurationen und bie 
Clubs der jungen Männer, die fie ver Mädchen wegen be- 
ſuchen. Es liegt deshalb im Intereſſe der Wirthe, nicht allein 
hübſche Mädchen zu halten, fondern fte auch fo gut als möglich 
zu erziehen, ihre etwaigen Zalente auszubilden und durch fie 
Säfte anzuloden. Es wird daher auf bie Erziehung der 
Mädchen alle Sorgfalt verwandt. Sie lernen nit nur 
alle weiblichen Fertigfeiten und werben zu guten Hausfrauen 
herangebildet, jondern man unterrichtet fie auch in Mufik, 
Tanz, Leſen, Schreiben, wie fie e8 im älterlichen Haufe nie 
würden erlangt haben. Mancher Bürger der Mittefflaffe 
holt fih Frauen aus dieſen Theehäuſern, und biefe ftehen 
unter ihres Mitmenſchen fortan ebenfo geachtet da, als ob 
fie al8 Iungfrauen das Haus ihres Bräutigams betreten 
Hätten. 

In Yokuhama hat die Regierung allein für die Fremden 
ein Theehaus, das ſogenannte Gankyro, bauen laſſen, das, 
auf prachtvolle Weiſe eingerichtet, faſt an europäiſche Städte 
erinnert. Es enthält nicht weniger als 300 Zimmer und 
ebenſo viele Mädchen, die in drei verſchieden tarirte Klaſſen 


75 


zerfallen. Wegierungsbeamte leiten die Verwaltung diefer 
Anftalt, und in ihren Händen rubt der gefchäftliche Theil des 
Stabliffements. Gewiß ftcht dieſe Sache auch einzig im 
ber Welt da, die Regierung als Bordellwirthl Was läßt 
fih darüber fagen? Es ift einmal fo Sitte, man findet 
nichts darin, und ihr Anfehen beim Volle Teidet nicht dar⸗ 
unter. ’ 

Trotz alledem zeichnen ſich die Iapanefinnen, mögen fie 
in einem Theehauſe oder in einer Familie erzogen fein, burch 
ein fittfames Aeußere und feines Benehmen aus. Ein Frauen- 
zimmer ohne Scham bei uns wird gemein, efelhaft und ver- 
räth ihren Charakter durch ihr Benehmen. Den Japaneſin⸗ 
nen ift Takt und Grazie angeboren, fie verleugnen fie nie 
und werben nie gemein. Ob bie Ehen, deren Bränte bie 
Theehäufer liefern, ſehr glücklich werden, laſſe ich dahinge⸗ 
ftellt fein; es iſt ſchwer, darüber richtig zu urtbeilen. Allein 
nach allem, was ich vom Gemütbsleben ver Japaneſen in 
Erfahrung habe bringen können, ift Liebe felten oder nie das 
Motiv einer Ehe, und oft machten die Frauen und Mädchen 
ben Einprud, als wäre Liebe ihnen ein unbefanntes Gefühl. 
Ih habe wol eltern ihre Kinder und dieſe umgekehrt ihre 
Aeltern Tieblofen jehen, aber nie vergleichen bei Eheleuten 
wahrgenommen, unb bie Europäer, bie in Kanagava unb 
Nangaſaki jahrelang mit Iapanefinnen wie Mann und Frau 
lebten, aljo wol ein Urtheil darüber haben konnten, waren 
auch der Anficht, dag Iapanefinnen Liebe in ber eblern Be» 
deutung des Wortes gar nicht kennen. Man Tann ihnen je 
boch feinen Vorwurf daraus machen. eltern» und Kindes⸗ 
liebe pflanzt die Natur auch den Thieren ein. Was aber 
bie Gefchlechtäfiebe an edlen Negungen und feinem Gefühl 
befigt, ift Refultat der Erziehung, der Bildungsſtufe, ber 
Sefeßgebung und der Religion. Wahre Liebe ift undenkbar 
ohne feines Schamgefühl; ein Mädchen, das aus irgendwel⸗ 


176 


chen Gründen dies nicht befitt, kann weder Liebe fühlen noch 
geben, und ein Chegefeß, das dem Mann geftattet, beliebig 
viel Frauen zu nehmen, Tann Liebe nicht weden. Die japa- 
nifhen Frauen nehmen in der Familie nicht die bebeutenpe 
Stellung ein wie in China, find jedoch keineswegs die Sfla- 
vinnen des Mannes, wie e8 im übrigen Orient der Tall ift, 
fondern ftehen ihm in der Häuslichkeit und bei der Erziehung 
ber Finder belfend zur Seite, und weım auch Liebe nicht bie 
Gatten bindet und Glüd in das Haus zieht, fcheint die Ehe 
doch beiderfeitig hoch genug geachtet zu werben, um fie nicht 
purch jene Ausbrüche von Roheit und Gemeinheit zu befleden, 
bie man in unfern civilifirten Staaten leider fo häufig findet. 
Daß ein Mann feine Frau mishandelt, fommt nie vor, ja 
nicht einmal Zank oder Schimpfworte verlegen bie Anſtands⸗ 
formen, die Erziehung und Herkommen zum Gefeße erhoben 
haben und bie im Äußerlichen Leben auf eine Weiſe beobach- 
tet werben, wie man es wol nirgends anders findet. Sie 
find allen Schichten der Gefellfchaft eigen, und zwei befannte 
Straßenfehrer oder Dienftmäpchen begrüßen jich auf biefelbe 
höfliche und originelle Art wie Perfonen aus den höhern 
Ständen. Begegnen fih z. B. ein paar Bekannte auf ber 
Straße, jo bleiben fie einige Schritte voneinander entfernt 
jtehen, bücken fich, Tegen bie Hände auf vie Knie und reiben, 
unter beftändigen Verbeugungen und dem japanifchen „Oheio 
anneta” und „Saginada“ (Guten Tag und Leben Sie wohl!), ihre 
Schienbeine auf und nieder. ‘Dabei ift ver Ton der Sprache 
leife, janft und von einem wiederholten Einziehen des Athens 
burch die Zähne begleitet, das ein zifchendes Geräufch macht 
und ſtets von GTleichgeftellten gegeneinander oder von Unter- 
gebenen gegen Höherftehende beobachtet wird. Wollen bie 
Betreffenden dagegen miteinander fprechen, fo boden fie beide 
nieder, ftüßen fich auf die flach auf den Boden gelegten 
Hände und halten in biefer Lage, mit dem Kopfe nieder- und 





77 


etwas ſeitwärts gebogen, ihre Unterredung, ohne ſich jedoch 
anzuſehen. Die Männer halten die Hände dabei auswärts, 
die Frauen nach innen gelegt. Natürlich wird dieſe Ceremonie 
in gewiſſen Fällen, wenn es z. B. geregnet hat, beſchränkt, 
um ſich nicht die Hände zu beſchmuzen, aber bei trockenem 
Wetter kann man derartige Begrüßung in jever Straße häufig 
wahrnehmen. 

Die Heirathen in Japan find unter ben hehern Ständen 
jtet8 Convenienzheirathen; bei ven Mittelflaffen waren fie es 
bis nor nicht langer Zeit ebenfalls, und der Bräutigam ſah 
feine Braut zum erjten male, wenn fie am Hochzeitsabend 
fein Haus betrat, e8 jei denn, daß er fie fich aus einem Thee⸗ 
haufe gewählt hätte. Jetzt fieht er fie zwar ſchon früher, 
aber die Heirath bleibt eigentlich immer noch das NRefultat 
fuger Berechnung, und Neigung fpielt babet nur eine unter- 
georpnete Rolle. . 

Die meiſten Sitten der Iapanejen find auf die chinefifchen 
begründet und als folche reich. an Etikette. Je höher bie 
Perfon in gefellfchaftlicher Beziehung fteht, deſto weitläufiger 
ift das Ceremoniell, während man bei der bürgerlichen Klaſſe 
etwas weniger Umftände macht. Ich Habe Feine Gelegenheit 
gehabt, eine Hochzeit mit anzufehen; die nachſtehende Be- 
ſchreibung habe ich jevoch von Augenzeugen und gebe fie, wie 
fie mir erzählt ward, mit der Bemerkung, daß bier von der 
Mittelflafje die Rede ift, zu der Kaufleute und Handwerker 
gebören. 

Wie in China, wird die ganze Verhandlung durch Meittels- 
perjonen eingeleitet, bie entweder die Sache geichäftsmäßig 
treiben ober aus dem Kreiſe ver Verwandten dazu gewählt 
werben. Jedoch fallen alle Wahrfagerförmlichleiten fort, denn 
bie Japaneſen find viel zu aufgeflärt, um fich von dieſen 
Gaunern das Geld aus der Tafche Inden zu laſſen. Iſt vie 
Sache abgemacht, fo fhidt der Vater des Bräutigams dem 


18 


Bater der Braut Geſchenke, die der Vermittler überbringt 
und dafür Gegengefchenfe empfängt. 

Alsdann wird die Ausftener der Braut bereitet, die genau 
vorgefchrieben ift, und aus folgenden Sachen bejteht: Ein 
weißes Hochzeitskleid mit gold- und filbergeftidten Kragen 
und Aermeln; vier andere Kleider, roth, ſchwarz, gelb und 
weiß; verichievene andere volljtändige Anzüge; ein bider mit 
Pelz gefütterter Rod, als Nachtfleiv; Matragen, Kopfkiffen, 
Handſchuhe, Teppiche, Handtücher, ein Mantel, ein Sänften- 
überzug; ein Sad mit getrodneten Kräutern, die in das Wafch- 
waſſer geftrent werben, ein Beutel mit SZahnftochern, ein 
Bund Haarſchnüre, ein Hanbfpiegel, eine kleine Kiſte mit 
Mediein, ein Käftchen beſte Schminke für die Lippen, mehrere 
Rollen Padpapier, ein Padet Briefpapier, eine Art Harfe, 
Rollo genannt, eine Öuitarre, ein Schreibzeug, ein Nabel- 
kiſſen mit verfchiedenen Arten Nadeln, ein Kaften mit Käm— 
men, eine Krufe mit Mixtur, um die Zähne ſchwarz zu fär- 
ben, Zangen zum Brennen der Haare, Scheren, ein Brief: 
faften, ein Kaften mit Rafirmefjern, ein Platteifen, einige 
Körbe und Gefäße, ein Heiner Dolch mit weißer Scheibe in 
einem Futteral (ein Talisman gegen böje Geifter und Aus- 
bünftungen), Höflichfeitsfarten von buntem Papier mit Gold 
oder Silber brocirt, die um Geſchenke gewidelt werben, 
Nofi oder eßbares Seegras, von dem ebenfalls jedem Ge— 
ſchenke ein Stüdchen angeheftet wird, Seivdenzwirn, Bambus- 
ftangen, um Zeug barauf zu trodnen, verſchiedene Sorten 
Fächer und — eine Bank, um die Elnbogen darauf zu ftügen, 
wenn bie Hausfrau nichts zu thun bat. Dazu fommen noch 
verſchiedene Bücher, Erzählungen, Gebichte, ein Buch über 
bie Pflichten einer verbeiratheten Frau und ein anderes über 
bie Etifette bei der Dochzeitsfeierlichkeit. 

Wenn dieſe Ausftener fertig ift, werben ver Vermittler 
und feine Frau in das Haus bes Brautvaterd geladen und 





19 


ihnen: zu Ehren. ein Mahl angerichtet. Ein glücklicher Tag 
wird beftimmt und an ihm die Ausfteuer nebft einem Ber- 
zeichniß der Gegenftände gegen Quittung in das Haus bes 
Bräutigams gefchidt. 

Am Hochzeitstage wird ein gewandtes Dienftmädchen zivei- 
ter Klaſſe zum Haufe ver Braut gefchiett, um biefe zu bedie⸗ 
nen. Es gibt nämlich in Japan brei Klaſſen von Dienit- 
mädchen: die Mäpchen erfter Kaffe, unfere Rammerjungfern, 
machen die Kleivung und das Haar ihrer Herrin und halten 
ihr Zimmer in Orbnung; die zweite Klaſſe bedient fie bei 
Tiſch, begleitet fie bei Ausgängen und forgt für die Kinder; 
bie dritte Klaſſe beforgt die Küche und fonftige ſchmuzige 
Arbeit. Alle drei Klaffen dürfen nur aus ben Theehãnſern 
genommen werden. 

Bevor die Braut das älterliche Haus herlaßt, gibt ihr 
Vater allen ſeinen Verwandten ein Feſtmahl. Der Brautzug 
begibt ſich dann in Sänften zum Haufe des Bräutigams; 
zuerſt die Frau des Vermittlers, dann bie Braut, dann bie 
Brautmutter und zuletzt ihr Vater; der Vermittler ſelbſt iſt 
ſchon vorausgegangen. Die Braut iſt weiß (Trauerfarbe) ge⸗ 
kleidet, da ſie fortan als todt für ihre Aeltern betrachtet wird 
und wie in China als Tochter von ihres Mannes Aeltern gilt. 

Im Haufe des Bräutigams ift an der rechten Seite ber - 
Thür eine alte Frau und links ein alter Mann aufgeftelit, 
deren jedes einen Mörſer mit etwas Reiskuchen darin hält. 
Wenn die Sänfte ver Braut vor der Thür anlangt, beginnen 
fie ven Inhalt des Mörjers zu zerftoßen, indem ver Mann 
fagt: „Tauſend Iahr” und die Frau „Zehn Tanfend” — 
Anfpielungen auf die angenommene Lebensdauer der in as 
pan heiligen Kraniche und Schifpfröten, die zu Gunſten ber 
Braut angerufen werben. Die in den Mörfern geftoßenen 
Kuchen werden dann zu Einem verbaden und biejer auf dem 
Toko, dem Ehrenplag für Fremde, aufgeftelft. 

a 


80 


Beim Eingange in das Haus wird die Brautfänfte vom 
Bräutigam in Empfang genommen, während ihm gegenüber 
eine Fran mit einer Laterne ſitzt. Bei dem Lichte biefer La⸗ 
terne ſah früher der Bräutigam feine Zufünftige zum erften 
mal, und er hatte, wenn fie ihm nicht gefiel, das Recht, jetzt die 
Ceremonien abzubrechen und die Heirath rückgängig zu machen. 

Die Braut reicht darauf ihr Marmori, eine Art Amnlet 
von Holz, Metall oder Stein, durch das Sänftenfenjter dem 
Verlobten zu, der e8 durch ein Dienftmädchen nach dem Hoch- 
zeitözgimmer bringen und dort aufhängen läßt. Ste jekbft 
wird son ihren Begleiterinnen dahin geführt und erwartet 
dort ven Bräutigam. Außer vier Brautjungfern, wenn man 
fie fo nennen will, wohnt niemand ber Trauungsceremonie 
bei al8 der -Bermittler und befjen Frau. 

Die eheliche Verbindung wird dadurch vollzogen, daß bie 
Verlobten auf eine beſondere Weife Saft miteinander trin- 
Ten. Der Saki wird durch zwei der Brautjungfern ſervirt, 
von benen bie eine ver männliche, die andere der weibliche 
Schmetterling genannt wird, weil ihre Safiflafchen mit 
Schmetterfingen verziert find. Da dieſe Inſekten meiftens 
paarweife fliegen, follen fie das neuvermählte Paar baran 
erinnern, wie jene zufammenzuhalten. 

Der männliche Schmetterling gieft Saft in die oberfte 
breier ineinander geftellter Schalen, aus welcher die Braut, 
indem fie biefelbe mit beiven Hänben anfaßt, preimal nippt, 
und die fie dann dem Bräutigam reicht. Diefer trinkt eben- 
falls breimal, ſtellt die erfte Schale unter die dritte, läßt 
bie zweite vom weiblicden Schmetterling füllen, trinkt wie 
vorher und überreicht der Braut die Schale. Diejelbe 
Ceremonie wird mit der noch übrigen britten Schale 
vorgenommen, und bamit ift bie Ehe gefchloffen. Die da⸗ 
von benachrichtigten Verwandten, die unterveffen in andern 
Zimmern verweilten, kommen jet herbei und fegen fich in 


81 


fegen fih in einer beftimmten Neihenfolge, um von ben 
Schmeiterlingen nah Anwelfung des Vermittlers mit Sali 
bebient zu werben, wodurch die zwifchen Braut und Bräutis 
gam vollzogene Berbindung auch ihre Anerkennung erlangen 
ſoll. 

Danach werben bie Gefchenfe der jungen Frau an ihren 
Mann, deffen Verwandte und Diener übergeben und diefer 
bejchenkt dagegen feine Verlobte mit einem rothen und einem 
ſchwarzen Kleide, beide mit Gold und Silber geftidt, vie fie 
in einem Nebenzimmer anzieht. 

Nach einem Feſtmahle werden die jungen Leute von ihren 
Aeltern bis an bie Thür der Brautfammer geführt und allein 
im Haufe gelaffen. Am andern Morgen nehmen fie ein 
warmes Bad und frühftüden zufammen. Dann fommen von 
Freunden und Verwandten die Hochzeitögefchenfe und Viſiten, 
und nach drei Tagen macht vie junge Frau in Begleitung 
ihrer Schwiegermutter oder einer Ältern Anverwandten allen 
denen Befuche, die Gejchenfe gebracht haben, und gibt Gegen- 
geſchenke. Sieben Tage nach der Hochzeit wird ber junge 
Ehemann von feinen Schwiegerältern zu einem großen Feft- 
mahle eingeladen und einige Tage darauf revanchirt er fich 
gegen bie Verwandten feiner Frau auf ähnliche Weife, womit 
bie Hochzeitsfeierlichleiten gefchloffen find. 

Ich habe bereits bemerkt, daß ein Mann fich fo viel 
Concubinen nehmen Tann, wie er will. Selbft die moralifchen 
Rückſichten, die ein folches Verfahren in China ſehr befchränfen, 
fallen bier fort. Die Kinder der Nebenfrauen werden von 
ber rechtmäßigen Frau aboptirt und legtere im Verhältnif zu - 
ber Zahl ihrer eigenen wie ihrer aboptirten Kinder reipectirt. 
Dies gilt jedoch nur von dem nicht abelichen Theile des Volt. 
Bei dem Adel haben bie Kinder ver Concubinen Teinen An- 
ſpruch auf Erbfchaft, und die rechtmäßige Frau kümmert fich 
nicht um fie; ja, oft laufen folche Gefchäpfe als Bettler auf ver 

Werner. I. 6 


82 


Straße umher. Söhne find in Japan ebenjo wie in China 
bon ben eltern heiß erfehnt, und im Falle männliche Spröß- 
Iinge fehlen, werden wie dort bie jüngern Söhne der Brüder 
aboptirt. 

Die Japaneſen fcheinen auch das Sprichwort zu kennen: 
„Biel Kinder, viel Segen!” Wo wir hinfamen, wimmelte 
e8 von Kindern, und ich habe faum in China mehr gejehen. 
In Jeddo hatten wir in ber erften Zeit oft einen Schwarm 
von Hunderten hinter uns, die uns wol ein Todſchi! Todſchi! 
— Chinefen — nachriefen, für bie fie uns hielten, fonft aber 
fih merkwürdig anftändig betrugen. Ueberhaupt wirb die 
Jugend trefflih erzogen, und fogenannte „Gaſſenjungen“ 
gibt es in Japan nicht. Wenn das ruhige, höfliche und 
fanfte Wefen der Iapanefen theilweife in ihrem Charakter 
begründet fein mag, fo ift e8 doch bejtimmt auch großentheils ein 
Reſultat der Erziehung. Der Bater hat wie in China un- 
beichränfte Gewalt über feine Familie, aber felten wendet ex 
fie in firengem Sinne an. Die Kinder werben mit großer 
Sorgfalt erzogen, aber faſt nie gezüchtigt und ebenfo wenig 
gefcholten. Mit bemwunderungswerther Geduld fuchen die 
Aeltern fie durch gütiges Zureden und Vernunftgründe von 
ihren Unarten abzubringen, und dies Shitem hat fo guten 
Erfolg, daß Kinder von 10—12 Jahren ſich Hug und gejegt 
wie erwachſene Menfchen benehmen. 

Zur Schule werben. fie im fiebenten oder achten Jahre 
geſchickt, lernen dann aber defto ſchneller. Die Schulbildung 
des Volks ift noch allgemeiner als in China. Während fie 
ſich dort meiftens nur auf den männlichen Theil ver Bevöl⸗ 
ferung erftreckt, fchließt fie bier auch das weibliche Gefchlecht 
ein, obwol e8 ebenfalls nur Privatfchulen im Lande gibt. 
Die Dienſtmädchen in Iapan benugen ihre freie Zeit, um 
fih gegenfeitig freunpfchaftliche Briefe zu fchreiben, und der 
mit Lumpen bevedte Kuli überrafcht uns durch fein Ver⸗ 








83 


ftändniß des Lefens und Schreibens. Nach dem, was wir von 
ber Volksbildung gejehen, kann es kaum ein Procent ber 
Bevölkerung geben, das des Leſens und Schreibens unfun- 
dig wäre. Welches Land der Welt kann dies von fich be- 
haupten ? 


6* 


86 


tbeil erfennen fie willig die Ueberlegenheit ver Europäer an, 
nehmen fie ungefcheut zu Lehrern und fuchen aus ihren Wer⸗ 
fen und Büchern das zu lernen, was fie felbft nicht willen. 
Dabei fommt ihnen ihr ungemeines Imitationsvermögen 
außerordentlich zu ftatten, aber biefes bejchränft fich nicht, wie 
in China, auf das Mechanifche und die Formen, fondern 
fchließt auch ein Verſtändniß der Ideen und des Geiftes ein. 

Ihre Wißbegierve ift ungemein groß, und wo fie es un- 
belaufht von den Organen einer mistrauifchen Regierung 
thun können, fuchen fie durch Fragen ihren Schat von Kennt⸗ 
niffen auf jede Weiſe zu bereichern. 

Nah welchen Richtungen bin und wie exrnftli man in 
Sapan beftrebt ift, fich andere Nationen zum Mufter zu neb- 
men und fich deren Kenntniffe anzueignen, mag aus folgender 
Thatſache erhellen. Bei der Uebergabe der Gefchenfe, welche 
der König von Preußen dem Taikun fandte, ftellte Graf 
Eulenburg ven Taiferlihen Commiffaren feine Attaches und 
unter ihnen ben Lieutenant von Brandt vor. Bei Nennung 
bes Namens fragte der eine der Commifjare, ob dies vielleicht 
ber Herr von Brandt fei, der die „Taktik ber brei Waffen‘ 
gefchrieben. Als ihm die Antwort wurbe, daß ber Vater ber 
Autor ſei, fchidte der Commiffar am andern Tage bem 
Sohne die japanefifche Ueberſetzung des Buches mit ber 
Bitte, dieſelbe als ein Zeichen ver Anerkennung für die Ver- 
bienfte feines Vaters anzunehmen. 

In feinem Fache erfennen die Japaneſen aber bereitwilfi- 
ger die Veberlegenheit der Europäer an als in der Medicin. 
Bis vor kurzem ftand die japanefifche Heilkunde im allgemei- 
nen nicht auf viel höherer Stufe als vie chineſiſche. Wenn- 
gleich die Aerzte der holländiſchen Factorei auf Defima Ele- 
ven hatten, blieben diefelben doch ftetS vereinzelt. Seit ber 
Eröffnung des Landes hat aber die Negierung, welche trog 
ihres Abfperrungsfpftems ſchon die Inftruction ver bolländt- 


* 





87 


ſchen Aerzte duldete, jetzt ein förmliches ärztliches Lehrinſtitnt 
unter Leitung des holländiſchen Marine-Oberarztes Dr. Pompe 
in Nangaſaki eingerichtet, auf dem ſich zur Zeit unſerer An— 
weſenheit 18 Studenten befanden, und fie bat dadurch 
gezeigt, welchen Werth fie auf die wiffenfchaftliche Bildung 
europätfcher Aerzte legt. Um dem theoretifchen Unterrichte 
eine praftifche Ausbildung zur Seite zu ftellen, wird ein 
großes Hospital in Nangaſaki gebaut, und ba fich unter ben 
Zöglingen auch der Sohn des Faiferlichen Leibarztes Mas- 
motto, der präfumtive Nachfolger feines Waters, befindet, ein 
fehr anfgeklärter, wifjenfchaftlich gebildeter, und mie alle 
Studenten ver holländifchen Sprache purchaus mächtiger Mann, 
fo wird die mebicinifche Wiffenfchaft bald in Japan eine 
Stellung einnehmen wie in feinem andern Lande Aſiens. 

Mora und Acupunktur find bisjegt die vorzüglichſten Heil 
mittel der Sapanefen, und namentlich wird bie erftere, wie 
in China, fehr häufig angewandt. Die innern Heilmittel 
find wie dort einfach, und ver Ginfeng fpielt ebenfalls eine 
große Rolle. Doch nimmt man davon feine jo gewaltigen Do- 
jen wie im Nachbarlande. Die meiften Arzneien werben in Pillen 
gegeben von der Größe der unferigen, bie man in den Apotbe- 
fen mit einer ſehr finnreichen Mafchine außerorventlich ſchnell 
und zu vielen Hunderten in wenigen Minuten verfertigt. Ein 
fehr beliebtes Mittel find auch ungeborene Hehe, getrocknet 
und pulverifirtt. Die Cholera, welche Japan vor mehreren 
Fahren [wer heimgefucht hat, wurde nach der Hufeland’fchen 
Makrobiotik behandelt, welches Wert ebenfalls in das Japa⸗ 
neftfche überfegt ift. 

Für fremde Sprachen haben vie Sapanefen großes Talent; 
fie faffen fehr Yeicht deren Geift auf, eignen fih merkwürdig 
gut die Aussprache an, und von jenem Kanderwelſch der Chi⸗ 
nefen, das ich früher erwähnte, findet fich Yeine Spur. Bis 
jest find holländiſch und englifch, erfteres mehr in Nangafafi, 


88 


leßteres mehr in Jeddo, die beiden Sprachen, in denen Dol⸗ 
metfcher ausgebildet werden. Seit unferer Ankunft wurde 
iedoch auch deutſch gelernt, und es mag als Beleg für die 
wunderbar fchnelle Auffaffungsgabe der Japaneſen dienen, 
daß ein Schüler des erwähnten Dr. Bompe, mit Namen 
Siva, der unferm Botanifer, Regierungsrath Wichura, jchä- 
tzenswerihe Ausfunft über die Flora des Landes gab, fich ein 
bejonderes Vergnügen daraus machte, alle japaneſiſchen Pflan- 
zennamen mit beutjchen Lettern, und zwar äußerjt fanber und 
correct zu fchreiben, obwol er vor Ankunft des Hrn. Wichura 
feinen veutfchen Buchſtaben Tannte, und dieſer überhaupt nur 
vier Wochen in Nangafafi verweilte. 

Die Vorträge des Dr. Pompe werven holländijch ges 
halten, und feine Eleven jchreiben fie japanefifch nad. Wo 
findet man etwas Aehnliches? Wir waren vier Wochen in 
Sapan, als uns fchon aus den meilten Verkaufsläden in 
Yokuhama, fobald wir über die Straße gingen, ein: „Gu⸗ 
ten Tag, Preuß, wie geht's, wollen Sie nichts kaufen?“ ent- 
gegenfchallte. Nur r und 1 verwechſeln fie regelmäßig, und 
es ift ihnen nicht möglich, dieſe YBuchftaben richtig zu ge— 
brauchen. 

- Die Erlernung der japanifchen Sprache ift für den Frem- 
den nicht jo leicht, obwol fie fehr in das Gehör fällt; jeboch 
prägt man ſich die Namen von einigen hundert alltäglichen 
Gegenjtänden und häufig vorkommenden Begriffen ſehr ſchnell 
ein, und mit ihrer fowie mit Hülfe der Mimik macht man 
fih bald verftändlih. Der Sprache aber vällig mächtig zu 
werben, dazu gehört ein vieljähriges Studium, ſchon weil es 
vier verſchiedene Schreib» und Drudweifen und zwei Sprech» 
weifen gibt, je nachdem man mit einem Höhergeſtellten over 
Untergebenen redet. 

Man hat früher das Sapanifche vielfach für einen Dialekt 
des Chinefifchen oder wenigftens für fehr nahe verwandt ge- 








89 


halten. Obwol dies, wie ich jchon früher bemerkte, durchaus 
unrichtig ift, erflärt fich dieſe Anficht leicht aus dem Umſtande, 
daß nicht nur bie gefchriebenen und gedruckten chinefifchen 
Charaktere in Japan vielfach in Gebrauch find und veritanden 
werben, ſondern daß auch die chinefiihe Sprache mit einem 
befonbern japanifchen Accent, der hauptfächlich die Nafallaute 
unterdrüdt und einzelne Confonanten weniger jcharf betont, 
als Gelehrtenfprache im allgemeinen Gebrauch ift und in 
Japan ungefähr die Stelle einnimmt wie das Lateiniiche zu 
Zeiten des Mittelalters in Europa. | 

Außerdem Haben aber die Japaneſen ihre eigene Conver- 
fations- und Schriftiprache, durchaus verfchieven von jeder 
befannten und vielfilbig, während die chinefilche Sprache nur 
einjilbige Wörter aufzuweifen hat. Wahrſcheinlich eriftirte in 
Japan lange Zeit nur bie chinefifche Schreibweife, und noch 
jet gibt e8 eine Menge in jenen Charakteren gebrucdter Bü⸗ 
cher, allein man kann dieſe nicht als Ausprud ber japanifchen 
Sprache betrachten. Wer fie leſen kann, verfteht fowol bie 
chineſiſche Schrift als Converfationsfprache, oder follte dies 
nicht der Fall fein, fo muß er wenigitens die Bebeutung der 
für Begriffe ftehenden chinefifchen Charaktere Fennen. Im 
. Bezug auf das letztere haben wir in ven europälfchen 
- Sprachen etwas ganz Aehnliches in. unfern arabifchen Ziffern. 
Sagen wir zu einem Frangofen, der fein Deutſchk ennt: „Ein 
Hundert”, fo wird er e8 nicht verftehen, wol aber, wenn wir 
bie Zahl „100° fchreiben, indem er fofort das Bild oder 
ven Charakter für cent oder Hundert erfennt. Gerade fo ift 
es mit ben erwähnten beiden Sprachen. Chinejen und Ja— 
panefen haben z. B. für „Baum“ ganz verfchiedene Laute, 
aber denſelben Charafter für den fhriftlichen Ausdruck, und 
jo ift e8 erflärlich, wie jemand, der chinefifche Schriftfprache 
kennt, ein japanefifches Buch lefen und größtentheils verftehen 
fann, da außerdem die japanefifche Sprache diefelbe Eon- 


[4 


90 


ftruction wie bie chinefiiche und die mteiften Sprachen bes 
djtlichen Aften bat. Es wird nämlich das Attribut vor Das 
Subject, das Apjectiv vor das Subftantiv, das Adverbium 
bor das Zeitwort u. |. w. gefett. 

Immerhin bleibt das Verſtändniß aber noch fchwierig, 
weil die japanifhen Wörter vielfache Beugungen haben, 
welche die Ehinejen nicht fennen, und für welche ihre Schrift- 
ſprache Teine Zeichen befitt. Das Alphabet ber japanefifchen 
Sprache beiteht aus 47 Silben, bie burch drei angehängte 
Zeichen noch bis zu 144 vermehrt werden. Ebenfo wie wir 
unſer Alphabet mit den drei erften Buchftaben A BC be- 
zeichnen, jo nennt auch ver Japaneſe das feinige nach den 
drei erfien Silben das I-ro-fa. Da die Sprache nur eine 
jo bejchränfte Zahl von Silben befist und fo reich an Voca⸗ 


fen ift, follte man glauben, fie müßte jehr muſikaliſch fein 


und fich Teicht mit .europäifchen Buchſtaben fchreiben laſſen, 
aber beides ift nicht der Fall. Sie enthält Laute, die uns 
fehlen, und gerade die Ausſprache macht die meiſten Schwie- 
rigkeiten. So gibt e8 Mittellaute zwifchen b und f, zwiſchen 
I und d, ſch und dich, g und ch, ch und 8, die wir gar nicht 
im Stande find wiederzugeben. 

Für ihr Silbenalphabet feheinen die Japaneſen zuerft 
47 vollkommen chineſiſche Charaktere, und ziwar die dem japa- 
nifchen Raute entjprechenden, gewählt zu haben. So z. 8. 
wurde für bie japanifche Silbe mi — etwas Weibliches — 
das chinefifche Wortzeichen für „weiblich genommen. Die- 
fem erften Alphabet fcheint ein zweites gefolgt zu fein, in dem 
die chineſiſchen Wortzeichen jehr abgekürzt ober zufammen- 
gezogen wurden. 

Eine dritte und vierte Schreibweife iſt Chira-Kana und 
Kata-Kana, die Schreibweife der Frauen und die ver Män- 
ner, wie die Worte in der Ueberfegung lauten. Aus jener 
find die Formen der chinefiichen Schriftzeichen faft ganz ver- 








91 


ſchwunden, in dieſer find 15 ber einfachften bebalten, bie 
übrigen 32 aber willlürlich genommen. Lebtere ift bie kür— 
zefte, eine Art Stenographie, und wird bauptfächlich zu Noten. 
und Erläuterungen angewandt. Kein einziges. japanijches 
Buch wird jeroh in einer und berjelben Schreibweife ge- 
druckt, und je gelehrier ein Autor fich dünkt, deſto mehr rein 
chineſiſche Worte fliht er in feine Werfe ein, ſodaß ſchon 
beshalb eine Kenntniß des Chinefifchen durchaus nothwenbig 
ift, um ein japanefiihes Buch zu verftehen. Dem renden 
wird natürlich hier das Verſtändniß um fo mehr erfchwert. 
Das Nomen hat im Iapanefifchen weder Gefchlecht noch 
Zahl; um den Plural auszuprüden, wird das Wort bisweilen 
wiederholt, und um das Gefchlecht von Thieren zu bezeichnen, 
fügt man die Worte wo (männlich) und mi (weiblich) hinzu, 
3. B. wo-inu Hund, mi-inu Hündin. Die Declination und 
Bildung der einzelnen Cafus gefchieht durch Suffire, z. 8. 
fito - fitono - fitoni - fitowa - fitogori, der, des, dem, ben, mit 
dem Manne. Die Apjectiven haben gleichfalls weder Gefchlecht 
noch Zahl und werben ftets vor das zugehörige Subftantiv 
gefett. Präſens Indicativ und Infinitiv der Zeitwörter find 
gleichlautend und endigen ftetS auf u. Das Perfectum wird 
gebikvet durch Verwandlung des u in i nnd Anhängung von 
ta, 3.9. wird koku im Perfectum kokita; das Futurum ent- 
fteht nurch Verwandlung des u in o und Anhängung eines u, 
3. B. koku, kokou. Der Imperativ verändert u ine, z. B. 
koku, koke, u. f. w. Flexion für Zahl und Berfon gibt es, 
wie fchon bemerkt, nicht. Um den Conjunctiv ver verfchledenen 
Zeiten auszubrüden, wendet man Partikeln on. Für die nega- 
tive Form bes Zeitworts befteht eine befondere Eonjugatton. 
Zeitwörter, Nennwörter und Fürwörter erleiden beſtimutte 
Veränderungen, je nachdem der Sprechende zu einem Höber: 
ftehenden oder Untergebenen redet. Dies gilt fogar von ab- 
wejenden Perfonen, und die Ehrfurcht vor einem höhern Range 


94 


bifch ſprach, erflärte uns die einzelnen Scenen, aber uns 
war e8 unmöglich, fie auch nur im entferntejten aus den Be⸗ 
wegungen ber Actenre zu erkennen. Im Schaufpiel Dagegen 
ift die Mimik durchaus natürlich, gerade wie bei uns, und es 
bleibt mir ein Räthſel, weshalb man hier zwei jo ganz ver⸗ 
fchievene Arten des mimifchen Auspruds Hat. Als wir 
nah Japan kamen, fielen uns in allen Büchern, die zur 
Klaffe der Soft und Sagen gehören, die unnatürlichen und 
verbrehten Stellungen ver darin abgebildeten Perſonen auf; als 
wir jeboch das Theater befuchten, fanden wir ihre genaue Copie 
im Ballet wieber. Unjtreitig find bie SKörperverzerrungen 
Reiultate eines übertriebenen Pathos, das dadurch umnerträg- 
lich wird. 

Driginell ift es, wenn in einem Drama plöglich eine 
komiſche Berfon auftritt, die mit dem Stüd gar nichts zu 
thun bat, fondern nur erfcheint, um eine Diverfion zu ver- 
anitalten, fobald der Gang der Handlung zu ernft oder wol 
gar tragifch zu werden beginnt und die Schaufpieler fürchten, 
baß bies dem Publikum unbehaglich fei. Jedenfalls ift biefe 
Naivetät ein gutes Kriterium für bie Eulturftufe ber brama- 
tiſchen Kunſt in Japan. 

Die Garderobe iſt lange nicht fo ſchön wie in China, je⸗ 
doch immerhin fehr anſtändig. Die Scenirung liegt noch in 
der Kinpheit, ift aber boch weiter ausgebildet als in China. 
Es gibt Couliffen, und Gegenitände wie Brunnen u. ſ. w. 
werben wol auch auf die Bühne gebracht; im alfgemeinen 
fteht e8 jedoch um die Mafchinerie und Decorationen ſchwach. 
Das japanifche Theater befigt indeß einen bebeutenden Vor⸗ 
theil vor dem chinefiichen: es Hat auch weibliches Perfonal. 
Ich babe zwar nicht viel hübſche Gefichter darunter gefehen, 
allein es fagt ung doch mehr zu, eine Frauenrolle von einer 
Frau ſtatt von einem Mann mit Treifchender Fifteljtimmte 
ipielen zu fehen. Ä 





95 


Bon andern bei den Sapanefen üblichen Kunftvorftellungen 
ift die Kunjtreiterei zu erwähnen, und wir hatten während 
unfers Aufenthaltes in Nangaſaki zulegt noch das jeltene 
Glück, ven Productionen einer einheimifchen Kunftreitergefell- 
Ihaft beiwohnen zu fönnen. Die Beſchreibung derſelben werde 
ich bei der Schilderung Nangaſakis fpäter geben; bier fei nur 
im allgemeinen bemerft, daß dieſe Art von Schaufpielen in 
Japan auffällig ift, da feine Bewohner durchaus fein Reitervalk 
find. Die wenigen Pferde im Befige des Volks werben zum 
Lafttragen benutzt, und nur Jakonins im Dienft reiten. Ich 
habe einmal die fünf Gouverneure von Jeddo zu Pferde ge- 
ſehen. Dies gefchah aber bei einer außerordentlichen Gelegenheit, 
und der Adel Hält fih nur Neitpferde, um fie den Sänften 
nachführen zu laffen, in denen man fich allgemein tragen 
läßt. Cavalerie habe ich nirgends gejehen, wenn man nicht 
bie Polizei» Iafonins — eine Art berittener Gensdarmen — 
bazır rechnen will. Japan ift ein fo gebirgiges Land, mit fo 
halsbrecheriichen Wegen, daß Cavalerie von geringem Nutzen 
fein dürfte und ich glaube faft, es gibt gar feine. Um fo 
mehr ift es deshalb zu bewundern, daß fich Kunftreiter unter 
ſolchen Verhältniſſen bilden und zeigen. 

Die Ringlämpfer, von denen Berry in feinem Buche über 
bie amerifanijche Expedition nach Japan fo viel Aufheben 
macht, jahen wir in Yokuhama; ich kann jedoch nicht fagen, 
daß fie mich bejonders enthufiasmirten. Ihre ganze Kunſt 
war eben weiter gar nichts als ein Ringen, und derjenige 
blieb Sieger, ber den Gegner aus der Arena drängte. Die 
Truppe bejtand aus 16 Mann, die je zwei und zwei mitein- 
ander rangen. Bis auf einen Gürtel um ‚die Hüften gingen 
fie vollftändig nadt, und ich muß geſtehen, daß ich nie fo viele 
wirklich athletifch gebaute Geftalten beieinander geſehen habe. 
Keiner war unter 6 Fuß hoch, ihre koloſſalen Glieder und 
ihr gewaltiger Musfelbau verriethen Herculesfraft, und wie 


96 


in China wurde auch bier der Beweis geliefert, daß Fleiſch⸗ 
nabrung fein nothwenbiges Bedürfniß einer fräftigen Ent- 
wicdelung des Körpers iſt. Die Japaneſen Ieben wie bie 
Chinefen von Reis, Gemüfen und Fifchen, aber unter ben 
Kulis findet man in Japan noch viel fräftigere Geftalten als 
in China. Berrh fchildert diefe Ringfämpfer als ſehr fett, 
und in feinem Buche find fie wie Fleiſchklumpen abgebilvet; 
davon haben wir jedoch nicht? gefehen, im Gegentheil waren 
fie fämmtlih von einem wunderfchönen Ebenmaß der Glieder 
und hätten bie beiten Modelle für einen Hercules abge⸗ 
geben. | 

Die Vorbereitungen zu dem Ringfpiel waren fehr lang- 
weilig; ein ewiges Wafchen und Reiben der Hände mit Sand, 
Reden ver Glieder und Elafticitätsprobe ber Muskeln, Ab- 
wilchen des Körpers mit Papier und Ausfpülen des Mundes 
mit Waſſer. Was dies leßtere mit dem Ringen zu thun Hatte, 
Tonnten wir nicht enträthjeln. Im ganzen war das Schau— 
fpiel für uns fehr ermüdend; die Japaneſen find jepoch große 
Liebhaber von dieſen Ringkämpfen, die in größern Städten 
bei feiner feftlichen Gelegenheit fehlen und der Zufchauerraum 
iſt ſtets gedrängt voll. Eine ganz originelle Art der Beifalls- 
äußerungen muß ich bier noch erwähnen, bie unfern euro- 
päiſchen Gymnaſten und Actenren gewiß wilffommener wäre 
als Klatihen und Herausrufen. Als einige der Kämpfer 
einen ſchweren Sieg errungen hatten, flogen aus verfchievenen 
Logen, in benen dem Anfcheine nach reiche Kaufleute faßen, 
jeivene Röcke, wie fie die Iapanefen tragen, in bie Arena, 
und einer der gigantifchen Ringer erhielt deren nicht weniger 
als fünf, ein Gefchenf, das, ſelbſt nach japanischen Breifen 
berechnet, immer einen Werth von 20—25 Thalern Hatte. 
Das Eintrittsgeld war jedoch gar nicht nach japanischen 
Preifen berechnet, und wir mußten 1 Igebu (15 Silbergro- 
ſchen) pro Berfon bezahlen. 





97 


Die Regierung ermunterrt die Heranbildung folcher 
Kämpfer dadurch, daß fie ihnen erlaubt, wie ber Abel und 
bie Soldaten zwei Schwerter zu tragen, obwol fie aus der 
unterften Volfsklaffe hervorgehen; eine Auszeichnung, auf bie 
fie nicht wenig ftolz find und nach der die Kaufleute z. B., 
mögen ſie noch fo reich fein, vergebens ftreben. Das Recht 
zum Tragen Eines Schwertes tft alles, was fie fich mit 
ſchwerem Gelbe erfaufen können. 

Schauluſtig und neugierig find die Sapanefen in hohem 
Grade. Bald find es wilde und fremde Thiere, bald Mon⸗ 
jtra, die in den Stäbten gezeigt werben, ober e8 fpeculiren 
Zafchenjpieler und Akrobaten, Declamatoren und vagirenbe 
Schaufpieler auf die Liebhaberei ihrer Landsleute und machen 
dabei ſtets gute Gefchäfte. 

Einer dieſer Künftler amufirte ung außerordentlich durch 
ein Spiel mit Schmetterlingen. Sein ganzer Apparat beſtand 
aus einem Blumentopf und einem Fächer. Bei Beginn der 
Vorſtellung nahm er zwei Stückchen buntes Papier und formte 
daraus mit ſeltener Naturtreue zwei allerliebſte Schmeiterlinge. 
Er warf fie dann in die Höhe und fette num feinen Fächer 
mit einer Gejchielichkeit in Bewegung, die uns vom Staunen 
zur Bewunderung hinriß. Die Schmetterlinge begannen gleich- 
fam zu leben, und wir trauten faum unjern Augen, 
als fie, durch ven Ruftzug bes Fächers gelenkt, ihren 
Flug bald hier- bald dorthin richteten, über den Blumen 
ſchwebten und Honig aus ihnen zu faugen. fchienen, dann im 
Zickzack in die Höhe flatterten, bald paarweife, bald getrennt, 
um fich ſchließlich auf die Hand ihres Schöpfers niederzu⸗ 
laffen und dort vor unfern Augen wieder zu todten Papier: 
ftreifen entfaltet zu werben. Ich erinnere mich nicht, jemals 
ein fo intereffantes, untexhaltendes und dabei fo kunſtvolles 
Spiel gefehen zu haben. 

Die durch den gewinnfüchtigen Geift der Chinefen in fo 

Berner II. 7 


96 


in China wurde auch hier ber Beweis geliefert, daß Fleiſch⸗ 
nabhrung Fein nothwendiges Bedürfniß einer Fräftigen Ent- 
widelung des Körpers if. Die Japaneſen leben wie bie 
Chinefen von Reis, Gemüfen und Fiſchen, aber unter ben 
Kulis findet man in Japan noch viel fräftigere Geftalten als 
in China. Berrh fchilvert diefe Ringkämpfer als fehr fett, 
und in feinem Buche find fie wie Fletfchllumpen abgebilpet; 
davon haben wir jedoch nicht gefehen, im Gegentheil waren 
fie fämmtlich von einem wunderfchönen Ebenmaß ber Glieder 
und hätten bie beften Modelle für einen Hercules abges 
geben. | | 

Die Vorbereitungen zu dem Ringſpiel waren jehr lang- 
weilig; ein ewiges Wafchen und Reiben ver Hände mit Sand, 
Reden ver Glieder und Elafticitätsprobe der Muskeln, Ab- 
wiſchen des Körpers mit Papier und Ausfpülen des Mundes 
mit Waſſer. Was dies leßtere mit dem Ringen zu thun hatte, 
konnten wir nicht enträtbfeln. Im ganzen war das Schau- 
fpiel für uns fehr ermüdend; die Japaneſen find jedoch große 
Liebhaber von dieſen Ringkämpfen, die in größern Städten 
bei Feiner feftlichen Gelegenheit fehlen und ver Zuſchauerraum 
ift ftet8 gedrängt voll. Eine ganz originelle Art der Beifalls- 
äußerungen muß ich bier noch erwähnen, bie unfern euro- 
päifchen Gymnaſten und Acteuren gewiß willfommener wäre 
als Klatſchen und Herausrufen. ALS einige der Kämpfer 
. einen ſchweren Sieg errungen hatten, flogen aus verſchiedenen 
Logen, in denen dem Anfcheine nach reiche Kaufleute faßen, 
jeivene Röcke, wie fie die Iapanefen tragen, in die Arena, 
und einer der gigantijchen Ringer erhielt deren nicht weniger 
als fünf; ein Gefchenf, das, felbft nach japaniſchen Preifen 
berechnet, immer einen Werth von 20—25 Thalern batte. 
Das Eintritisgeld war jedoch gar nicht nach japanifchen 
Preifen berechnet, und wir mußten 1 Igebu (15 Silbergro- 
ſchen) pro Berfon bezahlen. 


97 


Die Regierung ermuntert die Heranbildung folcher 
Kämpfer dadurch, daß fie ihnen erlaubt, wie ber Abel und 
die Soldaten zwei Schwerter zu tragen, obwol fie aus ber 
unterften Volksklaſſe hervorgehen; eine Auszeichnung, auf bie 
jte nicht wenig ftolz find und nach der bie Kaufleute z. B., 
mögen fte noch fo reich fein, vergebens fireben. Das Recht 
zum Tragen Eines Schwertes ift alles, was fie fich mit 
ſchwerem Gelbe erfaufen können. 

Schauluftig und neugierig find die Sapanefen in hohem 
Grave. Bald find es wilde und fremde Thiere, bald Mon⸗ 
ftra, die in den Städten gezeigt werben, ober e8 ſpeculiren 
Taſchenſpieler und Afrobaten, Declamatoren und vagirenbe 
Schaufpieler auf die Liebhaberei ihrer Landsleute und machen 
babei ftet8 gute Gefchäfte. 

Einer diefer Künftler amufirte uns außerordentlich durch 
ein Spiel mit Schmetterlingen. Sein ganzer Apparat beſtand 
aus einem Blumentopf und einem Fächer. Bei Beginn der 
Vorſtellung nahm er zwei Stückchen buntes Papier und formte 
daraus mit ſeltener Naturtreue zwei allerliebſte Schmetterlinge. 
Er warf ſie dann in die Höhe und ſetzte nun ſeinen Fächer 
mit einer Geſchicklichkeit in Bewegung, die uns vom Staunen 
zur Bewunderung hinriß. ‘Die Schmetterlinge begannen gleich- 
fam zu leben, und wir trauten faum unjern Augen, 
als fie, duch den Luftzug des Fächers gelenft, ihren 
Flug bald hier- bald dorthin richteten, über den Blumen 
ſchwebten und Honig aus ihnen zu fangen. fchienen, dann tm 
Zidzad in die Höhe flatterten, bald paarweife, bald getrennt, 
um ſich fchlieglih auf die Hand ihres Schöpfers niederzu- 
laffen und dort vor unfern Augen wieder zu todten Bapter- 
jtreifen entfaltet zu werben. Ich erinnere mich nicht, jemals 
ein jo intereffantes, untexhaltendes und babei fo kunſtvolles 
Spiel gefehen zu haben. 

Die durch den gewinnfüchtigen Geift der Chinefen in fo 

Berner. II. 7 


98 


großer Anzahl in das Leben gerufenen Spielbuden aller Art 
findet man in Japan nicht. Der Iapunefe weiß mol ben 
Werth des Geldes zu fchäten, aber er macht es nie zu fei- 
nem ®otte, und das Streben nach Erwerb nimmt nicht bie 
oberfte Stelle in feinem Gemüthe ein. Wenn er fpielt, fo 
ift e8 die Luft an Aufregung, die ihn dazu fpornt, aber er 
wird es laffen, ſobald er Gelegenheit Hat, ein Schaufpiel zu 
jehen, das fein Intereſſe mehr in Anſpruch nimmt. Im 
früherer Zeit hatten die Portugiefen unfere Karten eingeführt, 
und die Japaneſen fpielten leidenſchaftlich; allein vie Regie— 
rung bat fich ins Mittel gelegt und mit prafonifcher Strenge 
das Rartenfpiel verboten. Statt deſſen ſpielt man eine Art 
Domino oder Schach. Lebteres ift von unferm jehr verſchie⸗ 
ben und viel complicirter. Mean bat dabei nicht weniger als 
400 Figuren, die nach den verfchievenften Nichtungen fchlagen. 

Gelage und Tafelfreuden find bei den Japaneſen fehr bes 
fiebt, und wollen fie fich etwas zugute thun, fo geben fie 
mit ihrer Familie und Freunden in ein Theehaus, um dort 
zu fpeifen und fi) von den Mädchen etwas vorjpielen ober 
vortragen zu Taffen. Faſt jedes junge Mäpchen lernt Guitarre 
jpielen und fingen; man mag zu irgendeiner Tageszeit in 
irgendein, Haus treten, in irgendeinem Zimmer hört man - 
gewiß klimpern. Die Guitarren haben einen mit ungegerbtem 
Kalbfell Überzogenen Reſonanzboden, find vierfaitig und wer- 
ben, wie in China, mit einem Stäbchen in Form eines But—⸗ 
terſtechers gefpielt. Der Gefang ift nicht fo kreiſchend wie 
bort, jagt unferm Ohr aber ebenfo wenig zu, wenngleich 
bie Melodien bisweilen burch ihre Eigenthümlichkeit etwas 
Anziebendes erhalten. Die Japaneſen find jedoch von ihrer 
Muſik fo eingenommen, daß fie felten ein Mahl halten ohne 
biefelbe, und Harfen- oder Guitarrenmäbchen find eine zahl« 
veich vertretene Klaffe. Nach Tiſche wird durch Safitrinfen 
und verfchiebene Spiele eine heitere Stimmung zu weden ge- 


99 . ” 


fucht, namentlich durch Pfänberfpiele, bei denen ber Verlierer, 
ftatt ein Pfand zu geben, einen Trunk nehmen muß. In ben 
Theehänfern erjcheinen nach der Mahlzeit gewöhnlich Tän—⸗ 
zerinnen. Dieſe bilden wie die Öuitarrenmäbchen eine eigene 
Zunft, unterfcheiven fih aber von ben übrigen Mäbchen in 
ven Theehäufern dadurch, daß fie nicht wie dieſe zugänglich 
find. Man unterfcheidet zwei Arten Tänze. Die eine wirb 
von zwei, bie andere von einer Perſon ausgeführt. Bei ber 
eritern tragen die Mädchen eine Menge leichter ſeidener Röcke, 
bie fie während des Tanzes einen nach bem andern vom 
Oberkörper abftreifen, bis dieſer fchließlich ganz entblößt ift 
und die Kleider alle vom Gürtel herabbängen. Die Bes 
wegungen finb fehr einfach, und etwas beſonders Schönes 
läßt fih in ihnen nicht finden. Dagegen zeigt fich in der 
zweiten Tanzart, die ein Mädchen allein ausführt, vie ganze 
angeborene Grazie ver Iapanefinnen. Es iſt ein pramatifcher 
Tanz, infofern dadurch nicht allein Affecte, fondern der Ver- 
lauf einer längern Handlung, gewöhnlich einer Liebesaffaire, 
bargeftellt wird. Die Bewegungen find ungemein anmutbig 
und ausdrucksvoll, "dabei jedoch fehr ruhig, und eigentlich ift 
der Zanz nur ein Geben, bei dem Arme und Oberkörper pas 
Meijte zu thun haben. Die Tänzerin ftellt immer zwei 
Perfonen, einen Mann und eine Frau, abwechielnd var; 
erjtern bezeichnet fie außer dem mimijchen Ausbrud ber 
Gefichtszüge und einer energifchern Haltung bes Körpers, äußer- 
ih durch einen Stab, ver ein Schwert vorftellt, während 
das Kennzeichen der Frauenrolle ver Fächer ift. Die Trennung 
beiver Charaktere wirb fehr gut ausgeführt, und wenn mar, 
wie wir, jemand bei fich bat, ver die Handlung erklärt, fo 
findet man die Darftellung fehr treffend. 

Dem Saft, dem aus Reis gewonnenen Branntwein, find 
bie Japaneſen ſehr ergeben, und er wirb faſt wie Bier bei 
und getrunfen. Er ift ziemlich ſchwach, hat eine bräunliche 

. 7 * 


100 


Farbe, füßlichen Geſchmack und wird meiſtens heiß genoffen. 
Sehr häufig thun darin die Japaneſen des Guten zu viel. Das 
Getränf Scheint jedoch nicht fo fchlimm zu wirken wie unfer 
Branntwein, vielmehr habe ich bei Beraufchten nur große 
Heiterfeit und Ausgelaffenheit wahrgenommen, nie aber Aus- 
brüche von Roheit und viehifcher Trunkenheit. Bei dem 
Drachenfefte in Nangafafi, deſſen Befchreibung noch folgen 
wird, und wo mindeftens 10000 Menfchen einen ganzen Tag 
lang fich ihres Lebens freuten, wurde ber fröhliche Verlauf 
bes Tages auch nicht Ein mal durch die Folgen der Trunfen- 
heit geftört. Das ift gewiß mehr, als man von unfern 
Volksfeſten fagen kann, mag aber wol theilweile auch eine 
Folge der jchweren Strafe fein, vie jevem Vergehen und 
Verbrechen auf dem Fuße folgt. 











25. 


Strenger Charakter der japanifchen Strafpflege. Das Syftem ber Ber- 

antwortlichleit und bie geringe Zahl ver Verbrechen. Die Hinrichtungen. 

Das Bauhauffchligen mit eigener Hand als Strafmilderung unb Ehren- 

reparation. Das Spionenfyftem in ber Landesregierung. Die Macht⸗ 

Iofigfeit des Tailun. Das Gefolge der Daimios-Armee und Militär- 

weſen. Die Einichräntung des Seeverkehrs vor Erdffuung bes Landes. 
Die neue japanische Marine. 


Die japanifhe Geſetzgebung ift drakoniſch, obwol man 
eigentlich von Gefegen gar nicht fprechen Tann. Streng ge- 
nommen iſt in Japan alles verboten und nur einzelnes er- 
laubt. Die Strafen find Tod durch Enthauptung, Kreuzigung 
oder Gefängniß. Jene raffinirten Graufamfeiten, wie fie Ge⸗ 
feß oder Gewiffenlofigfeit ver Behörden in China anordnen 
oder dulden, find bier unbefannt; Folter kennt man nicht, un 
nicht einmal Förperliche Züchtigungen werben verhängt. Ich 
habe feine Gelegenheit gehabt, einen Einblid in die Verbre- 
Khenftatiftif des Landes zu thun, aber nach allem, was ich 
gefehen, kommen wol fehr wenig Verbrechen vor. In Nanga- 
faft, einer Stadt von 60000 Einwohnern, gibt es nur Ein Ge- 
fängniß mit faum 50 Zellen. Nach den bejtehenven geſetz⸗ 
lichen Einrichtungen und dem Shftem der in Sapan berrfchen- 
ben Berantwortlichfeit ift e8 auch kaum anzunehmen, daß viele 
Verbrechen begangen werben können. Der Familienvater hat, 
wie erwähnt, unbebingte Autorität über feine Familie, ift 
aber zugleich auch für deren Betragen verantwortlich. Fünf 


102 


Hauseigenthümer einer Straße bilden immer eine Compagnie 
und wählen einen aus ihrer Mitte zum Vorgefetten, ver für 
die übrigen Vier verantwortlich tft. Die Compagnien wählen 
‚wieder einen Ditona oder Straßenvorfteber, ver den Bezirks⸗ 
magiftraten für alles einzuftehen hat, was in ber Straße 
‚gaffirt. Diefer Bezirfsmagiftrate gibt e8 in jeder Stabt vier 
bis ſechs, und fie ftehen in demſelben Verhältnig zum Gon- 
verneur wie die Ditona zu ihnen. Die Pflichten des Ottona 
find: bei Feuersbrünſten die nöthigen Befehle zu geben, bie 
Aufficht Über die Wachen zu führen, ein Regiſter von allen 
Geburten, Heirathen, Sterbefällen, von Ankunft und Abreife von 
Fremden u. f. w. zu halten, Verbrecher zu arrvetiren und 
leichtere Vergehen ſelbſt zu beitrafen, nach Möglichkeit alle 
Streitigfeiten zwilchen den Bewohnern feiner Straßen zu 
Ihlichten und im allgemeinen für das gute Betragen feiner 
Untergebenen zu baften. 

Die Endpunkte einer jenen Straße find mit Thoren ver- 
jehen, bie verfchloffen werben, ſobald die Wächter Alarm 
geben, daß irgenbein Verbrechen begangen tft. Dadurch wirb 
ber Thäter gewöhnlich entbedt, und dies fowie die prommpte 
Juftiz, die in Criminalfällen meiftens ımmittelbar am Orte 
der That erfolgt, übt einen jehr wirffamen Einfluß auf die Be- 
völferung aus. Auf Diebftahl im zweiten Rüdfalle fteht der 
Tod, jedoch befolgen die Gouverneure gewöhnlich eine mildere 
Praxis, indem ſie die Sache des Definquenten nicht zur dffent- 
lichen Entſcheidung bringen, fondern ihn ohne 'richterlichen 
Urtheilsfpruch eine beftimmte Zeit in das Gefängniß ſetzen. 
Bei Hinrichtungen, mögen viefe auf dem Nichtplage oder am 
Drte des Verbrechens ftattfinden, bleibt der Leichnam mehrere 
Zage liegen, und die Vorübergehenden probiren die Schärfe 
ihrer Säbel an ihm, ſodaß er oft in Heine Stüde zerhadt 
wird. In Jeddo fahen wir eines Tages ein folches Opfer 
der Yuftiz in einer der belebteften Straßen liegen, an bem 








103 


mindeftens 100 Säbel ihr Werf gethan hatten. Ein Todes⸗ 
urtheil ſoll eigentlich nie ohne Genehmigung des Staatsrathe 
in Jeddo vollführt werden, doch beichränfen fich die Gouver⸗ 
neure daranf, die Erecution zu melden, nachdem fie bereits 
geicheben. R 

Im - allgemeinen zeigen die Iapanejen bei Hinrichtungen 
eine große PBeftigfeit und Todesverachtung. Mag biefe in 
ihrem Glauben an eine Seelenwanderung und ben enblichen 
Uebergang in das Nichts oder in ihrem Temperament be- 
gründet fein, jedenfalls warb das Factum von allen Euro- 
päern bemerkt. Vielleicht ift diefe Furchtlofigkeit auch ein 
Refultat des Stolzes, der Selbftachtung und des hohen Ehr- 
gefühls, die allen Japaneſen innewohnen, und burch bie fie 
fich jo vortheilhaft vor den übrigen aflatifchen Nationen aus⸗ 
zeichnen. Möglicherweife gründet fich folcher Vorzug darauf, 
daß das japanifche Volf fi rühmen kann, nie von fremben 
Eroberern unterjocht worben zu fein. 

Mit diefem feinen Chrgefühl fteht auch der jo häufig 
vorkommende Selbftmord durch Bauchauffchligen im engiten 
Zufanmenbange. Alle Militärperfonen, der Adel und fänmt- 
liche Civilbeamte des Kaiſers haben die Vergünfiigung, ſich 
ber entehrenden öffentlichen Execution im alle eined von 
ihnen begangenen Verbrechens duch Selbjtmorb zu entziehen, 
und zwar indem fie fich den Bauch auffchligen. Durch dieſes 
Verfahren reiten fie ihre Familie vor Schande und Confis⸗ 
cation der Güter, und der Sohn tritt in einem folchen Falle 
in die Aemter und Würden des Vaters. Sie dürfen biefen 
Act jedoch nicht eher vollziehen, bis ihnen der betreffende Be⸗ 
fehl vom Kaifer zufommt. 

Da das Vergeben, infolge deſſen fie gezwungen find, auf 
jo plögliche Weile vom Schauplate des Lebens abzutreten, 
jehr oft ein unbewußtes fein kann, infofern ein Beamter burch 
irgendeinen an und für fich ſchuldloſen Act fich die Ungnade des 


104 


Kaifers zuziehen Tann, jo ift ein jeder berfelben ftets auf 
einen Befehl zum Bauchauffchligen vorbereitet. Außer feinem 
officiellen und dem Anzuge, welchen jever Beamte bei Feuers⸗ 
brünften anzulegen verbunden ift, befißt er noch einen dritten, 
in dem das Bauchauffchligen gefchieht, und nie tritt er eine 
Reife an, ohne den legtern mit fich zu führen. Derfelbe be- 
ſteht aus einem aus weißer Hanfleinwand gefertigten Rode 
und bergleichen Beinfleivern ohne das Wappenjchild, welches 
fonft jeder auf den Röcken und Iaden gebruct und geftict 
trägt, und das anzeigt, weſſen Unterthan oder Vaſall der 
Betreffende iſt. 

Sobald die Ordre des Kaiſers eingetroffen, ladet der Be⸗ 
treffende ſeine vertrauten Freunde zu dem für die Execution 
beſtimmten Tage ein und bewirthet fie mit Saki. Nachdem 
ſie eine Zeit lang beiſammen geſeſſen, nimmt er von ihnen 
Abſchied und läßt ſich das Todesurtheil noch einmal vorleſen. 
Alsdann hält er noch eine Rede, beugt ſeinen Kopf zur Erde, 
zieht ſeinen Säbel und ſchneidet ſich damit den Bauch auf. 
Dies letztere iſt jedoch nicht immer buchſtäblich zu nehmen, 
ſondern der Delinquent ritzt ſich gewöhnlich nur kreuzweis die 
Bauchhaut, und ein hinter ihm ſtehender vertrauter Diener 
ſchlägt ihm den Kopf ab. 

Außer als Strafe für ein wirkliches oder dafür erklärtes 
Verbrechen iſt das Bauchaufſchlitzen in Japan auch als 
Ehrenreparation ſehr gewöhnlich, und man könnte es in dieſem 
Falle ein einſeitiges Duell mit tödlichem Ausgange nennen. 
Wird z. B. ein Japaneſe beſchimpft, oder glaubt er durch 
irgendetwas ſeine Ehre verletzt, ſo bleibt ihm nichts anderes 
übrig, als ſich auf die erwähnte Weiſe umzubringen. Ein 
ſolcher Fall trug ſich während unſers Aufenthaltes in Nanga⸗ 
ſaki zu. Ein junger europäiſcher Kaufmann hörte eines Nachts 
Geräuſch an ſeinem Fenſterladen; im Glauben, daß es Diebe 
verurſachten, ſprang er auf und trat mit einem tüchtigen 


105 


Stode bewaffnet vor die Thür. Er ſah drei augenfcheinlich 
angetrunfene Jakonins, die mit ihren Säbeln gegen: vie Raben 
ſchlugen. Zwei Tiefen bei feinem &rfcheinen fort, ber dritte 
fchimpfte und drang mit feinem Säbel auf ben Kaufmann 
ein, Diefer fchlug ihm mit feinem Stode die Waffe aus der 
Hand, zerbrach fie und prügelte ihn tüchtig durch. Die Sache 
wurbe befannt, und der durch die Schläge befchimpfte Jakonin 
fchuitt fi am andern Zage den Bauch auf. 

Einer der Commiffare, welche mit Graf Eulenburg den 
Bertrag verhanvelien, der erwähnte Hori-noribe-no-camt, 
ein feiner liebenswärbiger Mann, unter beffen Leitung bie 
Sachen zum baldigen Abjchluß zu gebeihen verfprachen, wurbe 
plötzlich durch einen andern erſetzt. Auf die Frage, wo er 
geblieben, hieß es, er jet an einem Bflutfturz erkrankt und 
noch am felben Tage geftorben. Wahrfcheinlich aber hatte 
er die Sache zu ſchnell betrieben und dadurch fich die Ungnade 
des Kaiſers zugezogen, ſodaß er fich ven Bauch auffchligen mußte. 

Doch nicht allein Beamte und ber Abel müſſen auf eine 
jolde Ordre gefaßt fein, fondern auch felbft der Kaifer. 
Wenngleich er wol nicht leicht in die Lage fommen Tann, 
durch biefen Act eine ibm angethane Beleidigung zu fühnen 
oder einen auf feiner Ehre haftenden Flecken auszumwajchen, 
fann er doch von den Daimios dazu gezivungen werben, 
auf dieſe etwas forcirte Weife abzudanfen. So war es mit 
beim vorigen Kaifer, der durch den Abfchluß des amerifanifchen 
. Bertrages fich den Unmwillen feiner fcheinbar bemüthigen, aber 
in Wirklichkeit ven Kaifertbron beherrfchenden Vaſallen zuge: 
zogen hatte. Man wirb zwar folche Fälle nie öffentlich be- 
Iprechen, und in Sapan ftirbt auch der Kaiſer nie, jeboch bie 
„pläglide Erkrankung an einem Blutſturz“, wie bie officielfe 
Phraſe lautet, läßt fich nicht leicht misverftehen. Der jeßige 
Taikun ift minderjährig, und an feiner Stelle herrfcht ein 
Regent. Im Falle der Kaiſer feinen Sohn hinterläßt, wird 


106 


der Thron aus einem ver drei Fürſtenhäuſer bejett, welche 
die Anwartfchaft Haben, und deren bebeutenpites das von Mito tft. 
Der Prinz von Mito fehten die Regentſchaft nicht zu bilfigen, 
denn im Dectober 1860 wurde ver Regent plöglich auf offener 
Straße mitten in’ Jeddo in feiner Sänfte angegriffen und 
ihm der Kopf abgefchnitten. "Dies gejchah fo ſchnell und uner- 
wartet, daß die Begleitung nicht dazwifchentreten, ja nicht 
einmal des Mörders habhaft werden fonnte. Die allgemeine 
Stimme bezeichnete den Prinzen Mito als den Urheber biejer 
Gewalttbat, der feldft Regent werben wollte. Jedoch ift es 
ihm nicht gelungen. Er durfte die Faiferlichen Befitungen nicht 
mehr betreten, und im folgenden Jahre wurde er in feinem 
eigenen Lande von einem Verwandten des ermordeten Regenten 
erfchlagen. 

Die Regierung befteht zunächft aus fünf Miniftern, unter 
welchen bie Gouverneure ftehen, von denen jede ber fünf 
faiferlichen Stübte drei, Jeddo aber fünf hat. Bon dieſen 
drei Gouverneuren befinden fich zwei in ber ihnen zur Regierung 
beftimmten Stabt, und der dritte wohnt in Jeddo. Letzterer 
löſt nach Jahresfriſt jedesmal den erften Gouverneur «ab, 
wenn dies nicht auf ben Bericht des nur als Spion fungiren- 
ven zweiten bereit8 früher nöthig fcheint. Dies Spionir- 
ſyſtem gebt von oben herunter durch die gefammte Verwaltung. 
Jeder Beamte hat einen officielen Spion neben fi, und 
beide werben wieder von einem britten überwacht, ver alles 
genau berichten muß. 

Werben Sachen von irgenpwelcher Wichtigkeit für ben 
Staat verhandelt, fo tritt der Reichsrath zuſammen und ent- 
fcheidet. Auch von biefer Behörde beftehen zwei Körper, bie 
fih gegenfeitig controliven, ver Heine Neicheratb von 5 
und der große von 17 Mitglievern, fämmtlich Daimios. Im 
Grunde 'genommen bat daher der Taikun wenig zu jagen, 
ſelbſt kaum in feinen eigenen Staaten. Wie wenig er bei 


107 


feinen Bafallen in Anfehen ftebt, mag daraus erhellen, daß 
der Prinz von Satuma, welcher, wie mehrfach erwähnt, all- 
jährlich mit 40000 Mann Begleitung feine Huldigung ab⸗ 
ftattet, feinem Unterthan bes Taikun erlaubt, die Grenzen 
feines Gebiets zu überfchreiten. Diefer Vaſall hat um fein 
Gebiet einen Milttärcorbon gezogen, burch welchen im Jahre 
1860 felbft Faiferliche Geſandte zurückgewieſen wurben, ſodaß 
biefelben unverrichteter Sache wieder umkehren mußten. 

Wenn ein Daimio oder Adelicher einem Vorgeſetzten oder 
irgendjemand einen Beſuch abftattet, fei dieſer auch nur 
einige Straßen weit von feiner Wohnung entfernt, jo ift er 
ftet8 von einem nach feiner Stellung größern ober Tleinern 
Gefolge begleitet, das von 6 bis 200 oder 300 Perſonen fteigt. 
Er führt dann alles mit fih, Eſſen, Trinfen für fih und 
feine Begleiter, Betten, Sterbefleiv, Wäfche u. |. w., als ob 
er auf eine mehrmonatliche Reife in unwirtbbare Gegenden 
auszöge. Der Zug wird von einer Schar feiner mit Säbeln 
und Piken bewaffneten Bafallen eröffnet, und zwar bezeichnet 
die Zahl der vor ihm aufrecht einhergetragenen Piken ven 
Rang des Daimio. Dann kommt die Sänfte, welche feine 
Hoheit birgt, und der fein Pferd gefattelt nachgeführt wird. 
Dann folgen wieder Bewaffneit, und der Zug wird von einer 
Menge Höriger gefchloffen, die an Bambusſtäben vieredige 
ſchwarzlackirte und oft fehr Foftbare Kaften tragen, in benen 
alle jene erwähnten Gegenftände fortgefchafft werben. Ich 
habe zwar nicht hineingejehen, aber nad) ter Haltung ber 
Träger zu urtbeilen, fchienen mir die Kaften fehr leicht zu 
fein, und wahrfcheinlich find fie ganz leer und aus früherer 
Nothwendigkeit ift jet nur eine Sitte geworben. 

Ueber die militärischen Verhältniffe des Landes habe ich 
feine nähern Data erlangen können. Sie gehören zu ben 
Dingen, bei deren Erfragen der Fremde ftetS ausweichende 
Antworten erhält, und dieſer hat bisjegt nicht genug Freiheit im 


108 


Lande, um fich durch feine eigenen Augen von dem Zuftande 
bes Milttärwejens zu überzeugen. Wir haben nie große Truppen- 
körper gefehen, höchftens Abtheilungen von 50— 100 Mann In 
fanterie und auch einmal im Januar 1861, als bie fremden 
Gefandten während der drohenden Unruhen Jeddo verließen, 
etwas Artillerie, eine halbe Batterie von 3 Geſchützen, bie 
zum Schuße ver Gefandten in Yokuhama einrückte. 

Nah dem Aeußern zu urtheilen, find die japanefilchen 
Soldaten den chinefifchen Truppen in jeder Beziehung überlegen; 
fie find befjer uniformirt und beffer bewaffnet, ebenfo zeigen 
fie einen Träftigern und jüngern Menſchenſchlag. Ob fie 
muthiger find und ſich beſſer fchlagen, Taffe ich dahingeſtellt 
fein. Ein faft zweihunbertjähriger äußerer und innerer Triebe 
mag vielleicht auch fie, wie bie einft Friegerifchen Tataren, 
vermweichlicht haben; jedoch glaube ich, daß das ftolze Bewußt⸗ 
fein, nie beftegt zu fein, das hohe Ehrgefühl und die Todes⸗ 
verachtung, welche jedem Japaneſen innewohnen, ihn nie feige 
fein Taffen werben. Es läßt fich nicht verfennen, daß troß 
der bespotifchen Mittel, durch welche die Regierung feit Jahr- 
hunderten jede Regung eines freiern Geiftes zu unterbrüden 
gefucht hat, überall noch ein Geift der Ritterlichfeit im Wolfe 
herricht, ven ver lange Frieden nicht zu ertöbten vermochte, wenn⸗ 
gleich er fich nur unmerflich äußert. Das große Gefallen des 
Volks an den Ningfämpfen, bie bei feiner feitlichen Gelegen- 
heit fehlen, fpricht dafür. Sie find die Turniere des Mittel- 
alters, die Proben hochgefchägter männlicher Kraft, aber ohne 
die Roheit des englifben Bauftlampfes, ohne die Blutgier 
römifcher Gladiatoren und die Graufamfeit fpanifcher Stier- 
gefechte. 

Zu Zeiten der portugiefifchen Miſſionare beitand das 
Tatjerliche ftehende Heer aus 100000 Mann Infanterie und 
20000 Mann Eavalerie. Dazu famen noch 368000 Dann 
Infantrie und 39000 Mann Eavalerie, welche die Vafallen- 


109 


fürften in Kriegszeiten zu ftellen hatten. Für jede 5 Mann 
war ein Offizier, 5 ſolche Sectionen bilpeten einen Zug, 
2 Züge eine Compagnie und 5 Compagnien von 50 Gemei- 
nen und 13 Offizieren ein Bataillon von 250 Gemeinen, 
65 Offizieren und einem Oberoffizier. Zehn Bataillone end- 
lich formirten eine Divifion. Ob die taftifche Eintheilung 
noch jett Diefelbe ift, weiß ich nicht, jedoch habe ich die Zug- 
und Sectionentheilung noch ebenfo gefunden. Japan tft bie 
zu feiner Eröffnung ein ungemein confervatives Land gewefen, 
und es ift daher leicht möglich, daß ſowol Eintheilung als 
Zahl der Truppen jett noch dieſelben find wie damals, 
wenigitens bie Truppenzahl ver Vafallen, die fich von jeher 
darin gefallen haben, fo viel Militär zu Halten als möglich. 
Daß vie FTaiferliche Armee diefelbe Stärke hat wie damals, 
bezweifle ich jedoch; wenigſtens würden wir dann wol in der 
Hauptftadt und Reſidenz, die wir doch nach allen Richtungen 
täglich purchitreiften, mehr Soldaten gefehen haben; es 
müßte denn fein, daß das Gros ber Beſatzung im Innern 
des Palaſtes garnifonirte, der uns verfchloffen blieb. Hier⸗ 
von erwähnt jedoch Kämpfer in feinen bis ins Kleinfte ein- 
gehenden Berichten nichts, ebenfo wenig Thunberg und Titfingb, 
obwol fie, da ihnen der Zutritt zum Innern bes Palaftes ge- 
jtattet war, es jedenfalls gefehen Hätten. 

Die Bewaffnung des Militärs ift noch ziemlich primitiv. 
Einige Regimenter find mit Percuffionsgewehren ausgerüftet, 
welche die holländifche Regierung gegen Kupfer austaufcht und 
dabei ihre vortreffliche Rechnung findet. Die Gewehre, welche 
den Holländern I—5 Thaler often, werben zu 10 Dollars 
(15 Thaler) gerechnet, und für drei wirb immer ein Pikul 
(120 Pfund Zollgewicht) Kupfer in Barren gegeben, ſodaß 
ben Hollänvdern das Pfund circa 4 Sgr. loſtet. Diefer Contract 
befteht erſt feit neuerer Zeit, und es find kaum 6—8000 Ge- 
wehre eingeführt worden. Andere Regimenter find mit Lunten- 


110 


flinten bewaffnet, vie jedoch beffer in Stande find als vie chine- 
fiichen, wieder andere mit Pilen, die meilten aber mit Bogen 
und Pfeilen. In Jeddo haben wir oft die Schiegübungen mit 
letztern angefehen und uns ſowol über bie Tragweite als 
über bie Genauigkeit des Schuffes gewundert. Die Bo— 
gen find ſehr groß, 6 Buß lang, von hartem elaftifchen 
Holze gefertigt, fehr fauber gearbeitet. und von beveuten- 
ber Schnellfrafl. Der Mann Iniet mit dem Imfen Fuß 
beim Zielen und fchießt in biefer Stellung. Die Pfeile 
find von Bambusrohr, oben dreifach gefievert und mit 
eiferner Spike. Wir kauften verſchiedene Kleinere Bogen von 
4 Fuß Länge und fchoffen damit auf 50 Schritt durch ein 
halbzölliges Hölzernes Breit. Die Solpaten fchoffen mit ben 
großen auf 150 Schritt. Die Piken find etwa 8 Fuß lang,- 
mit eiferner Spite von 6 Zoll, unter ber fich ein Querſtück 
befindet, und die für gewöhnlich in einem Futteral ſteckt. Alle 
Soldaten find außerdem mit zwei: Schwertern bewaffnet, bie 
vor dem Bauche im Gürtel getragen werden und den Bewe⸗ 
gungen jedenfalls ſehr hinvderlich fein müffen. ‘Das größere 
hat ein Blatt von 24, Fuß, das Kleinere eins von 20 Zoll 
Länge. Das Stirhblatt ift fehr Hein, ver Griff ſehr lang, 
circa 8—10 Zoll, mit Haiftfchhaut überzogen und mit Schnur. 
und Cifelirarbeit verziert. Mit einem ſeidenen Porteepee 
wird es um bie Handwurzel befeftigt. Das längere Schwert 
ift leicht gebogen, das Fleinere gerade. Das Blatt ift aufßer- 
orventlich ſchön gearbeitet und die Verftahlung wunberbar 
fein angelegt. 

Die Schwerter ber höhern Beamten und bes Adels in 
Japan find überhaupt Kunſtwerke, die den beften Maßitab 
bafür abgeben, wie mweit es die Sapanefen in diefem Inpuftrie- 
zweige gebracht haben, und wie weit fie und barin voraus 
find. Verſchiedene Waffenfabrifanten hatten unferer Gefanbt- 
haft Säbel als Probeſtücke unferer Eifeninpuftrie mitge- 








111 


geben, aber ſchon ein Blick auf die japaniſche Arbeit zeigte 
bie bedeutende Ueberlegenheit ver letern, die um fo mehr aner- 
fannt werben muß, weil alle Handarbeit ift. Nur Elaftichtät 
. verftehen bie Japaneſen ven Klingen nicht zu geben, und fie er- 
ftaunten jedesmal, wenn wir unjere Säbelklingen bis zum Halb- 
freis bogen und zurückſpringen ließen, während bie ihrigen brachen 
oder bei den fohlechten Sorten krumm blieben. Die Preiſe 
diefer Waffen find nicht hoch. Wir haben von ben fchöniten 
mit der feinften eingelegten und Ciſelirarbeit das Paar mit 
30 Itzebu (15 Thaler) bezahlt. Ihre Schärfe ift außeror- 
ventlich groß, man könnte ſich faft damit rafiren, und ein mit 
Kraft geführter Hieb ver fehweren Klinge muß furchtbar fein. 
Einem der ruffiihen Offiziere, welche 1860 in Yokuhama 
ermordet wurden, waren mit einem Hiebe das Schulterblatt 
und ſämmtliche Rippen bis zum Nabel burchgehauen worden. 
Wenn wir dergleichen Schwerter kauften, probirten wir fie 
ftetS mit dem Durchhauen von eifernen Nägeln. 

Cavalerie Habe ich, wie fehon erwähnt, auch nicht einen 
Mann geſehen und kann deshalb nicht darüber wrtheilen. 
Die berittenen Jakonins, welche man jedoch als Muſter der⸗ 
jelben betrachten kann, machten fich recht gut. ‘Die Pferbe 
find von der Ponyraffe, aber kräftig, muthig, fehnell und in 
gutem Stande gehalten. Der Sattel ift von Holz, ziemlich 
hoch und für Europäer fehr unbequem. ‘Die Inpanefen fiken 
barauf mit eingezogenen Knien und können wegen mangeln- 
ben Schlufjes nicht fo feit fiten wie wir. Trotzdem ritten 
fie im allgemeinen gut und bielten auf unfern Spaziertouren 
zu Pferte tapfer mit uns aus, fo oft wir ihmen auch das 
Leben jauer zu machen fuchten. 

Bon Feldartillerie fah ich drei Gefchüge, alte eiferne 
Neunpfünder mit ebenfalls fehr alten Laffetten in nicht fehr . 
gutem Zuſtande. Was die Artillerie zu leiften vermag, weiß 
ih nicht, aber wenigftens Tiefen es, die Japaneſen nicht an 


112 


Schiegübungen fehlen. Solange wir vor Jeddo lagen, hörten 
wir täglich viele Stunden lang mit Kanonen fchießen; es wurde 
uns jedoch nicht geftattet, die Schießpläte zu bejuchen, und 
ich weiß deshalb auch nicht, ob dort mit Feld» ober Feſtungs⸗ 
gefchügen gefchoffen wurde. An Iettern fcheint in Japan 
fein Deangel zu fein, denn bie ganze Bai von Nangafafı tft 
mit Batterien gefpidt, deren Gefchüge fehr forgfam durch 
Ueberbaue. gegen den Einfluß der Witterung gefchütt werben. 
Ob die Iapanefen das Bulver jelbit fabriziven oder aus 
China beziehen, ift mir ebenfalls nicht befannt geworben; ges 
wiß ift es, daß fie bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, 
zur Zeit des portugiefiichen Entveders Pinto, das Pulver 
nicht kannten und diefer das erfte Feuergewehr nach Japan 
brachte. - nn 

In vielen Läden fahen wir Rüftungen von Stahlfchuppen 
oder Drabtgeflecht, fehr fauber und ftarf gearbeitet, Helm, 
Panzerrod, Arn- und Beinſchienen nebft Schild. In den 
alten Heldenbüchern find die Streiter auch ſtets gepanzert 
abgebilvet, jedoch habe ich Feine Solvaten fo gefehen, außer 
in einem Fechtſaale, wo der Schwertfampf geübt wurbe. Die 
Helme fehen brillant aus, haben die Form ber preußifchen 
Küraffierhelme, find aus filberähnlichen Metall gearbeitet, 
reich cifelirt und vergoldet, fowie mit einem Viſir verfehen. 

Das Erereirreglement für die mit Perceuffionsgewehr be= 
waffneten Truppen ift das holländifche. Vor einigen Jahren 
wurben verfchievene holländische Unteroffiziere in Nangaſaki 
commanbirt, um die Iapanefen darin zu unterrichten. 

Die Uniform ift unpraftifch, der weitärmelige, durch eine 
Schärpe zufammengehaltene Rod hindert fehnelle Bewegungen, 
und die Strohfandalen an den Füßen, bie nicht durch Schnüre, 
fondern nur durch einen Lederbügel zwifchen der großen und 
zweiten ehe feitgehalten werden, verurfachen ein ſchlürfendes 
Gehen und Fünnen feinen feiten Tritt geben. An Fahnen 





113 


fehlt e8 in Japan ebenfo wenig wie in China, und jede Com⸗ 
pagnie hat deren mindeftens ſechs. 

Wie es mir ſcheint, ift jedenfalls die Taiferliche Armee unſern 
modernen Truppen gegenüber noch von keiner großen Bedeutung, 
und ein Krieg mit europäiſchen Mächten würde jetzt wahr⸗ 
ſcheinlich noch zu ähnlichen Nefultaten führen wie kürzlich in 
China. Die Truppen einzelner Landesherren jollen befjer fein, 
und namentlich erzählte man fich in Nangafaft vom Prinzen 
von Satzuma, daß er feine ganze Armee von 80000 Mann . 
mit Miniebüchfen bewaffnet und in den von ihm angelegten 
Fabriken bereits 40000 Stüd folcher Gewehre habe anfertigen 
lafjen. Nach dem, was ich von dem Nahahmungstalent der 
Sapanefen, ihrer ſchönen und genauen Arbeit in Metall ge- 
tehen, zweifle ich nicht in geringften an der Möglichkeit. 

Unfere Zünpnabelgewehre imponirten ihnen ungemein, und 
ber Gouverneur von Nangaſaki ftelite alles Mögliche an, um 
einige davon zu erhalten, obwol feine Wünfche nicht erfüllt 
werben Tonnten. 

Mit ihrer. Marine find die Iapanefen noch weit zurüd, 
und bis zur Ankunft der Amerikaner beſaßen fie auch nicht 
ein einziges Kriegsſchiff. Es lag auch keine Nothwendigkeit 
dazu vor. Ihre Schiffe befuchten keine fremden Häfen, und bie 
Regierung ift immer Träftig genug gewefen, um allen feeräu« 
berifchen Gelüften ihrer Untertbanen dadurch ein Ziel zu 
jegen, daß ſie jenen, ver ſich aus Sicht der Küften entfernte, 
mit dem Tode beftrafte. In frühern Jahrhunderten und vor 
Abſchließung des Reichs waren die Sapanefen, wie ich ſchon 
beinerkte, kühne und in ven Inpifchen Meeren fehr gefürchtete 
Seefahrer und fo verzweifelt unternehmend, daß ihnen fehließ- 
lich unterfagt wurde, in irgendeinem indiſchen Hafen zu 
landen. 

Mit der Abfchließung Japans hörte dies auf. Die Fahr⸗ 
zeuge durften nur die eigenen Küſten befahren, und ſelbſt wenn 

Werner, I. 8 


114 


einzelne durch Stürme nach fremden Ländern verfchlagen wur- 
den oder dort Schiffbruch erlitten, durften ihre Bejakungen 
bei Todesſtrafe nicht in ihr Vaterland zurüdkehren. Um ven 
Seeleuten jede Möglichkeit zu nehmen, weitere Touren zu 
machen, ließ die Regierung fämmtliche Dſchonken nach einer 
beftimmten Borjehrift bauen, von der bei fchwerer Strafe 
nicht abgewichen werben durfte. Danach wurden bie Fahrzeuge 
fo Hein und an gewiffen Punkten fo ſchwach conftruirt, daß 
ein hoher Seegang ihren fofortigen Untergang herbeiführen 
mußte und bie Befagungen ſchon ihrer eigenen Sicherheit 
wegen gezwungen waren, fich ſtets in unmittelbarer Näbe 
ihrer Küfte zu halten. 

Auf dieſem Standpunkt blieb die Schiffahrt ununterbrochen 
faft 200 Jahre ftehen. Die japanischen Dfehonfen find den 
hinefischen Flußfahrzeugen fehr ähnlich, alle nach demſelben 
Modell und von gleicher Größe mit einem außerorventlich 
ftarfen Mafte und einem Matten- oder Baumwollſegel. Wie 
in China find Anfer, Steuer und Takelage fehr primitio, 
aber wie in jeder andern Beziehung zeichnen fich die Dſchonken 
ber Sapanefen vor denen ihrer Nachbarn durch das fchöne Ma⸗ 
terial des Rumpfes, vie feine Bearbeitung und durch die größte 
Sauberkeit fehr vortheilhaft aus. Das Holz des Schiffsförpers 
ift nicht mit Farbe angeftrichen, wird aber durch häufiges 
Wafchen und Scheuern. jo rein gehalten, daß alle Fahrzeuge 
jtet8 wie neu ausfehen. Die Heinern Boote werden nach 
bemjelben Princip fortbewegt wie in China, nur arbeiten 
ftatt 1 Ruder deren 4—6, und unter einem rhythmiſchen 
Gejange der Fräftigen Bootsleute fliegen gleichfam bie Fahr⸗ 
zeuge burch "das Waller. Wir hatten 30 dieſer Boote vor 
unfer Schiff zum Bugfiren gefpannt, und fie gingen damit 
vorwärts, als würben wir von einem Dampfer gefchleppt. 

Nach dem Abjchluffe des amerikanifchen Vertrags änderte 
fih der nautiſche Stanppunft Japans. Es war mit dem 





115 


alten Syſtem nun einmal gebrochen, und bie leitenden Staats⸗ 
männer befaßen Klugheit genug, alles das über Bord zu 
werfen, was nur Conſequenz jenes Shftems war, aber jett 
vernunftgemäß nicht mehr aufrecht erhalten werben konnte. 
Der erfte Schritt war, daß den Japaneſen geftattet wurbe, 
Schiffe nach europäiſchem Modell zu bauen, und zwar ging 
die Regierung mit gutem’ Beifpiele voran. Ste begann ein- 
zufehen, baß der Vertrag mit Amerifa nur der Vorläufer. 
von vielen anbern fei, Daß Japan in die Reihe ver Hanpels- 
ftaaten eintreten müſſe und bald der Handel zur See ihren 
Schuß beanfpruchen werde, der nur burch eine Kriegsflotte 
gewährt werden kann. Man war barin weitfichtiger wie in 
unferm guten Deutfchland, das durch eine dänische Blokade 
Tieber noch einmal feinen blühenden Handel lähmen läßt, als 
einige Millionen für fo viel Schiffe aufwendet, um unfern. 
Namen zur See geachtet zu machen. 

Schon 1856 begann man in Japan Fregatten zu bauen, 
zunächft drei. Es wurde nichts gefpart, das fehönfte Holz, 
das beite Metall warb dazu verwendet, die tüchtigften Yau- 
meijter ausgefucht, und nach zwei Jahren ſchwammen die neuen 
mächtigen Schiffe ſtolz auf dem Waſſer. Nur Ein Fehler 
war dabei. Da den Yaumeiftern Tein europätfches Modell zu 
Gebote ftand, fuchten fie Erfaß in Zeichnungen und fanden 
biefelben auch in einer der öffentlichen Bibliotheken in einem 
ruffifchen Werke über Schiffsbaufunft zu ihrer großen Freude 
fehr ausführlich und genau. Alle Schwierigkeiten waren ge- 
hoben, die Sregatten erftanden als getreue Abbilder der Zeich« 
nungen — leider aber ftammten dieſe aus der Zeit Peter's des 
Großen, und jo fahen die Europäer zu ihrer großen Verwun- 
derung plöglich brei unerflärliche Fahrzeuge in der Bat non Nan- 
gaſaki erfcheinen, während die Japaneſen bemerfen mußten, daß 
fie Deonumente Tängftvergangener Jahrhunderte gefchaffen hat- 
ten. Die erfte Probe war demnach fohlecht ausgefallen, allein man 

8* 


116 


ließ ſich dadurch nicht abſchrecken. Holland und England ſchenkten 
als Zugabe zum Vertrage jedes einen Kriegsdampfer. Jetzt 
hatte man Modelle und begann aufs neue. Es wurden Ma- 
ſchinen aus Europa verjchrieben, und nach abermals zwei Jah⸗ 
ren erichienen zwei ſehr fchöne Kriegsdampfſchiffe unter weißer 
Flagge mit vother Kugel (ver japanefifchen) mit japanefifchen 


Difizieren, Mafchiniften und Matrofen auf der Rhede von 


Jeddo. Die fchriffende Pfeife begleitete das Commando, und 
die Mannſchaft Eletterte fo flinf in der Takelage herum, als 
gehörte fie einer Gott weiß wie alten Marine an. Es waren 


die neuerbauten Schiffe und ihre Beſatzung beftand aus dem 


Kern der neuen Marine, ver von bollänpifchen Seeoffizieren 
und Mafchinijten ausgebildet war, die zwei Jahre in japane- 
ſiſchen Dienften geſtanden hatten. 

Diefer Ausfall ermuthigte die Behörden, und es wurde 
eine energifche Vergrößerung ber Marine bejchloffen. Zugleich 
wollte man aber auch vom Auslande unabhängig fein und 
die Maſchinen ſelbſt bauen. Man erfuchte Holland um In- 
genieure zum Bau einer Maſchinenfabrik. Diefe famen, nnd 
nah 6 Monaten ftand in Hakanora, auf dem gegenüberliegen- 
ben Ufer von Nangafali, ein mächtiges Gebäude, mit vauchen- 
den Schorniteinen, ſprühenden Eſſen und fehallenden Hämmern 
. von Dampfmafchinen getrieben und mit allen Apparaten zum 


Bau von Dampfmafchinen ausgerüfte. Als wir im Mai 


1861 zulegt in Nangafafi waren, fanden wir die Anftalt 
bereit in vollem Betriebe, und eine Dampfmafchine von 
250 Pferbefraft für eine Corvette, fowie eine andere bon 
700 Bfervefraft für eine ſchwere Fregatte, deren Hölzer bereits 
behanen wurden, waren in Angriff genommen. 

Jedenfalls ift es Iapan vorbehalten, jchon in nicht zu 
ferner Zeit in maritimer Beziehung eine große Rolle zu fpie- 
fen und für Alten das zu werben, was England für Europa 
ift, mag e8 nun ein unabhängiger Nationalftaat bleiben oder 


117 


eine ruffifche Colonie werden. England und Japan haben eine 
ungemeine Aehnlichkeit miteinander, in ihrer injularen Lage, in 
ber Fruchtbarkeit, dem Mineral» und Kohlenreichthum bes 
Landes, in ber Arbeitfamleit, ver Inbuftrie und der praftifchen 
Gefchicklichteit des Volls; ja felbft in foctaler Beziehung, in 
der Stellung ber Ariftofratie zum Volle ift in gewiffen Maße 
Hehnlichleit vorhanden. 


26. 


Japans Bedeutung in Handel und Induftrie. Kohlen, Metalle und 

Thee. Das Porzellan’ und feine Fabrifation. Lad und Ladiwaaren. 

Rapsbl und vegetabilifches Wachs. Mialo als Mittelpunkt japauifcher 

Induſtrie. Bereitung und Verwendung bes Papiers, Münzen und 

Münzweſen. Aderbau und Biebzucht. Die Korftcultur und ber reiche 
Baumwuchs des Landes. 


Manche Reiſende, die Japan beſucht, ſchöpften in Betreff 
ſeiner zukünftigen commerziellen Wichtigkeit ſehr geringe Be- 
griffe. Ich bin während meines Aufenthaltes dort zu einer 
entgegengeſetzten Anſicht gekommen und überzeugt, daß Preu⸗ 
ßen nichts Beſſeres thun konnte, als ſchon jetzt ſeinen Schiffen 
die Theilnahme an den bevorſtehenden Handelsvortheilen durch 
einen Vertrag zu ſichern. Wenn es auch vorläufig Graf 
Eulenburg mislungen iſt, den Vertrag auf ganz Deutſchland 
auszudehnen, jo erſcheint doch dieſe Beſchränkung von feiner 
großen Bedeutung. Selbſt wenn die deutſchen Schiffe keine 
preußiſche Flagge annehmen wollen und für die nächſten Jahre 
von der Verbindung mit Japan ausgeſchloſſen bleiben, ſo kann 
dies eben nur kurze Zeit währen. Schon zur Wahrung der 
materiellen Intereffen werden fich die deutfchen Regierungen 
gendthigt fehen, eine allen Deutſchen gemeinfame Flagge zu 
Ichaffen, und die japanifche Regierung wirb dann der urſprüng⸗ 
lien Faſſung des Vertrags ihre Zuftimmung nicht länger 
verjagen, wenn Preußen mit der deutſchen Flagge erfcheint. 


119 


Der deutſche Handel und die deutjche Schiffahrt werben dann 
in Japan dieſelbe Bedeutung erlangen und legtere die Con— 
eurrenz anderer Nationen ebenfo verbrängen, wie dies bereits 
in China geſchehen ift. 

Wie man aber noch an einer Fräftigen Hanvelsentwidelung 
Sapans nach den Ergebniffen ver letzten Jahre zweifeln fann, 
ift mir unerflärlih. ine einzige Thatſache, die ich hier an⸗ 
führen will, entjcheivet darüber Har und deutlich. Bis zum 
Sabre 1857, d.h. bis zu dem Jahre, wo die Holländer durch 
ihren Vertrag Hanvelsfreiheit erhielten, beftand ein Haupt⸗ 
theil der Waaren, welchen fie jährlich einführen durften, in 
Rohſeide, die fie aus China holten. Damals bauten bie Ja⸗ 
panefen nothoürftig fo viel Seide, um den Bedarf für bie 
Kleidung der höhern Stände zu beden. Die Regierung be- 
ftimmte die Preife, und der ärmliche Profit, ver dem Erzeuger 
blieb, Tonnte ihn zu feinen Anftvengungen verleiten. Jetzt 
nach der wenn auch nicht unbebingten Freigebung des Han⸗ 
dels fieht der japanefifche Lanpmann, daß ex ven fünf- bis zehn- 
fachen Betrag für feine Seide erhält, und das Reſultat ift, 
daß 1860 aus Yokuhama allein 6000 Ballen Robfeide nach 
Europa verſchifft wurden, außer der Manufacturfeide, bie 
namentlih aus Nangafafi in großen Duantitäten fortgebt. 
Vergleicht man dies mit dem Seidenexrport von China, befjen 
Hauptjtapelplag für diejen Artifel, Schangshae, in demſelben 
Jahre 80000 Ballen ausführte, fo muß man gewiß über 
ven raſchen Aufichwung des eben geöffneten‘ Japan, das bis 
dahin gar keinen Handel hatte, erftaunen. Hierbei iſt aber 
noch in Betracht zu ziehen, daß die Faiferliche Regierung troß 
der Verträge nur fehr widerwillig deu Handel gewähren 
läßt, daß die intereffirten Beamten ihn heimlich zurückzuhalten 
juchen und jevenfall® von ſeiten des Sfants nicht das Ge⸗ 
ringfte gejchiebt, um ihn zu fürdern. Ebenſo ift die Ausfuhr 
ver Seide bisher nur ein Product der Taiferlichen Staaten, 


120 


die kaum ein Achtel des ganzen Neichs umfafjen; denn bie 
Landesherren halten ihre Landesgrenzen ans Haß gegen bie 
Fremden hermetifch verfchloffen. Diefer Zuftanb wirb und 
fann aber nach den von mir angeführten Thatſachen nicht 
lange mehr andauern. Es wird in Japan eine Revolution 
eintreten, welche bie Verhältniffe umkehrt, die Macht ver 
Ariſtokratie bricht, und ihr Ausbruch kann höchſtens nur noch 
einige Jahre auf fih warten laſſen. Es müßte denn fein, 
baß bie Regierung und bie Landesherren vorher freiwillig ge- 
währten, was ihnen fpäter mit Gewalt vom Volke oder wol 
gar durch die fremden Mächte genommen werben wirb. 

Aber auch fchon unter den .jegigen DBefchränfungen Tann 
es nicht ausbleiben, daß fortan Seide auf Koſten des Reis 
gebaut werben wid. Java und Siam liefern fo viel Reis, 
daß der Japaneſe ihm von bort her wenig theurer bezieht, 
als er ihn im Lande felbit Fauft, während ihm ein Maulbeer- 
feld jet das Fünffache einträgt. Die japaneſiſche Rohſeide 
ift feiner wie bie chinefifche, und ebenfo ift die verarbeitete 
Seide ber chinefifchen überlegen. Der wundervolle Krepp fteht 
einzig in feiner Art da und wird wegen feiner Preiswürdig⸗ 
feit und außerorbentlichen Haltbarkeit fpäter ein fehr gefuchter. 
Artifel in Europa werden. Das Stüd vom jchweriten weißen 
Krepp, 33 Ellen lang und 1%, Elle breit, kauften wir in 
Jeddo im Laden zu 36 Itzebu, alfo die Elle etwa zu 17'/, Ser., 
ſchwarzen Atlas, 1%, Elle breit, ein ebenjo fchöner als un⸗ 
verwüftlicher Stoff, in Nangafali zu demfelben Preife. Die 
Muſter find japanifche, aber fo gefehmadvoll und zart, daß fie 
überall Beifall finden und auch in Europa außerordentlich 
gefallen. 

Demgemäß wirb fich auch ganz von felbft in kurzer Zeit 
ein Importhandel bilden, der non Iahr zu Jahr wachien und 
fih auf immermehr Artikel erftreden muß, wenn bie Wohl- 
habenheit des Volkes erſt fo weit gebiehen ift, um fe bezah- 


ı21 * 


Ien zu können. Diefen Umftand halte ich nämlich für ben 

hauptfächlichften Grund, daß pas Importgeichäft verhältniß⸗ 
mäßig jet noch gering if. ‘Der Japaneſe Hält durchaus 
nicht fo ftreng an Uſus und Herkommen wie ber Chinefe; 
er fauft im Gegentheil gern europäifche Sachen, aber bisjekt 
ist die confumirende Maſſe des Volls noch zu arm und Tann 
fie nicht bezahlen. Allerdings wird vielen europäifchen In- 
buftrieerzeugniffen jehr bald in Japan felbft Concurrenz er- 
wachten. Die große Gefchieflichkeit des Volls und fein Nach- 
abmungstafent Iafjen dies mit Gewißheit vorausfeten, und 
man barf nicht glauben, den japaneſiſchen Markt mit allen 
möglichen europäifchen Erzeugniffen verſehen und überſchwemmen 
zu können; aber es gibt einzelne Artifel, welche im Lande 
nicht erzeugt werden können, und wofür fich dennoch ſehr be- 
deutende und namentlich fiir Deutſchland wichtige Abſatzquellen 
eröffnen werden. Dies ift Tuch, das man in Japan nicht 
zu machen verjteht und auch gar nicht fabriziren Tann, weil 
es im ganzen Lande feine Schafe gibt. Seide und Baum- 
wolle find gegen die Winterfälte, die Eis und Schnee mit 
ſich bringt, unzureichende Kleiberftoffe, Pelze gibt es im Lande 
aicht, fie find anch zu theuer. Dies wiffen Die Japaneſen wohl, 
und nichts von unferm Anzuge wurde mehr von ihnen be> 
trachtet, mehr bewundert und mit größerm Gefallen befühlt 
als die Tuchkleider. Das bisjegt von beutfchen Häufern ein- 
geführte Tuch, eine wegen ber erwähnten Umftände freilich 
nur geringe Quantität, bie jedoch von Jahr zu Jahr fteigen 
muß, wurde mit 100—150 Procent Ruten verkauft. Ebenfo 
wird Shirting und Caficot von beftimmten Mujtern mit der 
Zeit bedeutenden Abſatz finden, ba der Baummollenbanu nicht 
bedeutend ift; ferner Glas, Droguen, Teppiche und Deden. 
Droguen werben fchon jett in bedeutenden Mengen eingeführt. 
Teppiche und Decken erforbern glänzende und lebhafte Muſter, 
quadratiſche Form und dürfen nicht zu theuer fein. Plüfch- 


12322 


teppiche von 6 Fuß Breite und Länge liefert England zu 
18 Schilling Facturapreis und macht gute Geſchäfte damit. 

Ein Hauptproduct des Landes und die Quelle großen 
Reichthums bilden die Steinkohlenminen, die namentlich im 
Kiuſiu unerſchöpflich find. Bisjetzt erreichten zwar bie Kohlen 
nicht die Güte der englifchen, aber es wird dies in kurzer 
Zeit der Fall fein, wenn man tiefer fommt; bie, welche man 
jet gewinnt, find bereits 100 Procent beffer als die vor 
2—3 Jahren gelieferten. Die Kohlen find Monopol der Re⸗ 
gierung, und biefe liefert bie beiten für 41, Dollars (7 Thaler 
Preußiſch) die Tonne frei an Bord. Dan bat früher geglaubt, 
daß fie die Züge und Röhren der Keffel angriffen, allein dies 
bat fich als ein Vorurtheil erwiefen. Ihr einziger Mangel tft, 
daß fie bisjetzt nicht eine fo intenfive und nachhaltige Hite geben 
wie die englifchen, und man gebraucht deshalb etwa ein Vier⸗ 
tel der Quantität mehr davon. Dagegen brennen fie vorzüg- 
lich, geben fchnelle Hite, fchmelzen förmlich wie Fett und laſſen 
wenig Schladen zurüd. Immerhin ift ber Preisunterfchied 
aber fo groß, daß bet rationeller Bearbeitung der Minen, 
wie. fie jeßt begonnen hat, des. Dften vom Aften jehr bald mit 
iapanefifchen ftatt mit englifchen Kohlen verfehen werben wird. 
Wir haben in Singapore, Honglong und Schang-hae 17 bis 
20 Dollars für die Tonne Wales- Kohlen bezahlt, während 
wir die Quantität japanefifcher von bemfelben Nutzeffect (pie 
Regierung läßt fo liberal mefjen, daß man ſtets 25 Procent 
Ueberſchuß hat), in Nangafafi für 4%,, in Hongkong für. 10 — 
11 Dollars kauſten. Es geben jetzt jährlich auch ſchon über 
100 Schiffe nah Nangafati, um Kohlen für China zu holen, 
und alle Krtegsfchiffe, welche in ber Nähe paffiren, verfeben 
fih damit. 

An Metallen ift Japan reich, namentlich an Kupfer, veffen 
Ausfuhr bisjetzt jedoch nur Holland, und zwar in fehr be- 
ſchränktem Maße geftattet tft, indem e8 gegen Gewehre, wie 





123 


ich fchon erwähnte, ansgetaufcht wird. Mit dem freiern 
Geifte, der feit der Eröffnung fo mächtig in Iapan einzieht 
und von dem Volke fich nothwendig auch der Regierung mit- 
theilen muß, werben mit der Zeit aber folche Beſchränkungen, 
unter denen der Handel im allgemeinen noch ſehr viel lei⸗ 
det, fortfallen, obfchon die Beichränfung der Ausfuhr bes 
Kupfers gegenwärtig noch mit in ber geringen Ausbeutung 
der Rupferminen ihren Grund hat. Trotzdem ift dies Metall 
im Lande jehr billig, und nirgends in der Welt fieht man jo 
viele Kupfergeräthichaften als in Japan. 

Ein anderes Product beginnt gleichfalls ein beveutenber 
Handelsartifel zu werben: der Thee. Diefer ift nicht jo gut 
oder vielmehr war bisher nicht fo gut wie ber chinefifche und 
wurde deshalb nicht verlangt. Es hat fich jedoch herausgeftelft, 
daß die fohlechtere Dualität nur eine Folge ver Behandlung 
if. Die Iapanefen dörren ihren Thee in der Sonne, und 
durch diefen langſamen Proceß verliert er den größten Theil 
bes Aromas, ſodaß japanefifher Thee gerade wie warmes 
Waſſer ſchmeckt. Nachdem fich aber ergeben, daß der chine- 
ſiſche und japanefifche Tcheeftrauch derſelbe ift, haben einige 
europäifche Hänfer mit der Theebereitung und. Röftung ver- 
traute Chinefen kommen laffen, und im Jahre 1861 find 
bereits 500000 Pfund verfchifft wurden. ‘Der gewöhnliche 
Thee ift jo ungemein billig, daß wir ihn kiſtenweis kauften, 
um unfere an Borb feucht gewordenen Cigarren darin zu 
trocknen, ein uns empfohlenes und probat gefundenes Mittel, 
das fich jedoch wol nur in Japan als praftifch erweiſt, wo 
man das Pfund Thee mit 3—4 Silbergroſchen bezahlt. 

Das Porzellan ift vorzüglich, noch feiner und transparen- 
ter als das chinefifche, vabei aber ungemein ſtark. Nach ein- 
beimifchen Chronifen ift die Kunft feiner Bereitung feit 277 
v. Chr. befannt und gelangte von Korea nah Japan, blieb 
jevoh bis zum 13. Jahrhundert jehr unvolllommen und 


124 


erreichte erft dann feine jeßige Blüte. Die Hauptfabrifen 
liegen auf Kiuftu in dem Fürſtenthum Fifen, nicht weit von 
Nangaſaki bei dem Dorfe Urefino, wo ſich die Porzellanerde 
in Maffe findet. Dieſe befteht aus feinem verwitterten Feld⸗ 
path, der jedoch in fteinartigem Zuftanbe ift, mit Hämmern 
zerfchlagen und pulverifirt werben muß. Dies Pulverifiren 
gefchieht in Stampfen, die ebenfo wie die von mir befchrie= 
benen Reisftampfen zum Enthülſen des Korns conftruirt find, 
nur daß ber fugelförmige Klöpfel nicht aus Holz, ſondern 
aus Eifen beſteht. Es gibt zwei Arten von Erben, eine weiche 
und eine harte, die erftere muß jedoch für den-Gebrauch mit 
der harten gemifcht werben, weil fie fonft beim Brennen zer- 
fpringt. Die harte Erde allein gibt das befte, faft glasartige 
„SImari- Porzellan”, jo benannt nach einem Hafen von Fifen, 
wo zwar felbft fein Porzellan fabrizirt, aber von wo es aus⸗ 
geführt wird. | 

Die gemahlene Erde wird in Steintrögen mit Waffer 
gemifcht und ver Brei durch feine Körbe filtrirt. Die obere 
Schichte des Niederfchlags gibt das feine Porzellan, die mitt⸗ 
lere die geringere Sorte, das Uebrige wird als unbrauchbar 
verworfen. Die meiften Formen werben auf der Drehfcheibe 
gegeben, Vaſen u. f. w. modellirt. Die fertigen Gefäße 
werben im Schatten getrodnet und dann in die Defen ge- 
bradt. Die Malerei — e8 erxiftirt fein weißes Porzellan 
in Japan — geichieht auf ver “Drebfcheibe, wird mit Glaſur 
überzogen und dann gebrannt. Die Glafur befteht aus einer 
Mifchung der obern Haut vom Niederfchlage des Porzellanbreieg, 
ber alfo die feinfte Maffe enthält, mit der Afche von den Scho- 
ten eines unter dem Namen Juſi befannten Baumes. Die 
Defen ähneln in ihrer innern Einrichtung unfern Malzparren. 
Die Deffnungen find 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Neben 
den Ofenthären jind runde, 3 Zoll im Durchmeffer haltenbe 
Löcher, durch Thonftöpfel verfchließbar, durch welche der Zu: 


125 


itand des Brennens beobachtet wird. Die ganze Procebur 
erfordert ungemein viel Mübe, man rechnet, daß ein Gefchirr 
durch 72 Hände gebt, ehe es fertig wird, und bie Japaneſen 
fügen, daß Menfchentuochen ein Beiſatz des Porzeffans feien, 
was, figürlich gemeint, nicht fo unrichtig ift. ‘Dies erflärt 
anch die ziemlich theuern Preife, die trotz bes nienrigen Ar- 
beitslohnes, ver fich für ven Mann in Japan auf höchſtens 
2 Silbergrofhen pro Tag ftellt, im Vergleich zu den unfern 
kaum 30-40 Procent niedriger find, wozu freilich noch ber 
höhere innere Werth des Borzellans tritt. ‘Die Malerei tft 
ſehr reich und originell, erreicht jeboch die unfere an Ge- 
Ihmad und Feinheit bei weiten nicht. Indeſſen find bie Fort⸗ 
ſchritte darin feit Eröffnung des Landes ungemein groß ge- 
wejen, und ebenjo hat man jeit vier Iahren enropäijche For⸗ 
men in den Tafel⸗ und Theeſervicen nachgeahmt. ‘Die erften 
Erzeugniffe diefer Art ließen manches zu wünfchen übrig und 
waren aus Mangel an Uebung ziemlich windſchief, pa alle 
runden Gejchirre an ber Drehſcheibe gefertigt werden. Die 
leßtern Service, welche wir faben, waren jedoch auch fchon 
recht gut und preiswürdig. Ein vollftännpiges Tafelſervice 
für 12 Berfonen, aus 145 Stüd beftehenp, Toftete 80 Thaler. 
Ebenfo fahen wir einige kürzlich angelommene Vafen, bie 
durch ihre originelle Schönheit, feine Malerei und gefälfige 
Formen von uns allgemein bewundert wurden. Sie waren 
circa 4 Fuß hoch, ſchwarz und mit Gold gemalt, letzteres 
jo geſchmackvoll, als wäre e8 aus einer europälfchen Fabrik 
hervorgegangen. 

Ueberhaupt tft die japanefiſche Malerei weit geſchmack⸗ 
voller als die chineſiſche, wie auch alle japaneſiſchen Deffins 
fih unſerm Geſchmack mehr anpafſen als jene. Sie find 
durchaus originell, aber im allgemeinen veizend und auf den 
berühmten Ladfachen, in. venen Iapan unerreicht bafteht, mit 
wunderbarer Schönheit und Feinheit ausgeführt. Das mas 





128 


überall wild wachſenden Wachsbaumes geprekt und an Yeitige 
feit, Weiße und Brennfäbigfeit unferm Bienenwachs kaum 
nachſtehend. Ebenſo alle Arten Nutz⸗ und Zierhölzer, Eiche, 
Eiche, Ceder, Kampherholz, fowie Kampher überhaupt. Dann 
Soya, aus einer beſondern Bohnenart. gewonnen, ohne ven 
ein; Sapaneje faum irgendeine Speife genießt. Der Preis 
veffelben ift fehr gering; ein Faß Soya von 10 Duart 
foftet 1 Itzebu (15 Silbergroſchen). Einen ſchon jett be- 
deutenden Ausfuhrartifel, der jedoch nur "für die Küften- 
fchiffahrt von Intereſſe ift, bildet das eßbare Seegras, das 
in Hunderttaufenden von Gentnern nah China verfchifft 
wird. Ä | 

Mit vem Jahre 1863 ſoll nach den Verträgen ber neue 
Hafen von Oſaka geöffnet werben, und alle in Japan anfälligen 
Fremden erwarten damit ſchon einen ganz bebeutenven Auf- 
ſchwung des Handels. Oſaka iſt eine der bedeutendſten Stäbte 
bes Reiche von circa 100000 Einwohnern mit einem ausge⸗ 
zeichneten Hafen und namentlich durch feine vorzägliche com⸗ 
merzielle Lage zum Haupthandelsplatz von Japan geeignet. 
Es Tiegt in der Mitte von Nangafafi und Jeddo an bem 
Binnenmeere, das durch Kiuſiu, Sikokf und Nipon gebilvet 
wird, und nur drei Meilen von Miako, der Reſidenz bes 
Dairi entfernt. Von Miako aus hat fih in Japan bie 
Eivilifation verbreitet, und vie alte Metropole gilt noch immer 
als der Mittelpunft des Culturlebens. Alles was gut ift 
fommt von Miako; die beften Ladjachen ftammen vorther, 
bie fchönften Seivenmanufacturen, bie koftbarften Bronze 
vaſen — alles wird in Miafo fabrizirt. Bisjetzt wurden biefe 
Sachen größtentheils über Land nad; Nangafafi und Jeddo 
gebracht und durch den Transport um mindeſtens 50 Procent 
verthenert. Mit der Eröffnung von Oſaka fällt dies alles 
fort: Nangaſaki wird nur ein Kohlenhafen bleiben, Yokuhama 
fehr viel einbüßen, obwol legteres immer noch ben Verkehr 





129 


von ber nördlich gelegenen Hälfte Nipons behalten wird. 
Diefes nothwendige Emporblühen des Handels mit ber 
Deffnung Dfafas verbehlt fich auch die Regierung nicht, und 
weil fie daran Die von mir erwähnten Conſequenzen einer 
Revolution knüpft, hat ihre Gefanbtfchaft bei den europäifchen 
Bertragsmächten um eine Auffhiebung des Oeffnungsterming 
angehalten. Diefem Wunfche ift zwar auf zwei Sabre 
Folge gegeben worden, aber dann wird das Gefürchtete 
doch eintreten. 

Noch ein japanefifches Product habe ich als ber Beach— 
tung werth zu erwähnen: das Papier, von dem wol in feinem 
Lande der Welt ein fo ausgevehnter Gebrauch gemacht wird 
wie bier. Es unterfcheidet fih von dem unfern bauptjächlich 
durch feine feidenartige Weichheit und merkwürdige Haltbars 
keit, infolge deren e8 zu vielen Zweden verwandt wird, zu 
benen wir das unfere gar nicht gebrauchen können. Es wirb 
aus der Rinde ber jungen Zweige des Papiermaulbeerbaums 
(Morus papyrifera) bereitet. Es ift mir nicht gelungen, bie 
Fabrikation felbft zu fehen. Auf alle Fragen nach einer Pa- 
pierfabrif erhielten wir ftets nur die eine Antwort: Miako! 
Miako!, ſodaß, wenn dort wirklich alles im Lande verbrauchte 
Papter gemacht wird, dafelbft Millionen von Centnern fabri- 
zirt werben müſſen. Die nachftehende Befchreibung gebe ich 
nah Kämpfer und Thunberg. 

Wenn im December der Maulbeerbaum feine Blätter 
verliert, werben bie jungen Zweige etwa in ber Länge von 
3 Buß abgefchnitten, in Bündel gepadt und in einer Afchen- 
lauge gekocht, bis die Rinde fo zufammengefehrumpft ift, daß 
fie fih an den Enden um einen halben Zoll zurüdzieht. 
Sind die Zweige getrodnet, ehe man fie fochen kann, fo 
läßt man fie vor dieſer Procetur erſt 24 Stunden 
im Waſſer weichen. Nach dem Kochen wird bie Rinde ab- 
geſchält und nach dreiſtündigem Ausziehen in reinem Waſſer 

Werner. II. \ 9 





130 


die äußere fchwärzliche Haut und die barunterliegende grün⸗ 
fiche Faferfchichte mit einem Meſſer abgefchabt. Hierauf wird 
bie Rinde fortirt, die einjährige gibt bie befte, die minder 
alte eine geringere Duantität Bapier. Alsdann wird fie aber- 
mals in einer klaren Lauge gelocht, beſtändig umgerührt und 
jo viel frifche Lange zugejeßt als nöthig, um bie Verdampfung 
zu decken. Diefes Kochen wird fo lange fortgeſetzt, bis bie 
Borle fih in ihre Fibern auflöſt. Die Maffe wird dann 
gewafchen, ein Proceß, der befondere Sorgfalt erfordert, da 
zu wenig Wafler pas Bapier grob, zu vieles e8 aber dünn und 
jtreifig macht. Das Wafchen gefchieht in laufendem Waſſer 
in einem Siebe, und die Maffe wird dabei beftänpig und fo 
lange umgerührt, bis fie als ein zarter und weicher Brei er- 
fcheint. Für die feinern Sorten wird dieſes Wafchen noch 
einmal in einem Leinwandfiebe wiederholt. Nach dem Wachen 
wird die Maſſe auf einer hölzernen Zifchplatte fo lange mit 
Stöden von hartem Holz geichlagen, bis die Fafern jo Fein 
gemacht find, daß fie, in Waller geworfen, wie Mehl aus- 
einander fliegen. Der Stoff wird dann mit einer fchleimigen 
Infuſion gemifcht, die theilweife aus Faltem Waffer, in dem 
Reis geweicht, theilweife aus dem Aufguffe von Hibiscus 
mannihot geivonnen wird. Auch diefe Wafchung, deren Ver⸗ 
hältniffe von der Jahreszeit abhängig find, erforvert viel 
Sorgfalt und wird in einem engen Bottich unter beftändigem 
Umrübren bewerfitellig. Hiermit ift der Papierbrei fertig. 
Derfelbe wird in einen größern Bottih gethan und mit 
Drabinegen zu Bogen ausgefchöpft. Die Bogen werben 
zwifchen Matten von fehr zartem Grasitroh gelegt, anfangs 
leicht, fpäter aber immer ftärfer gepreßt, bis alle Feuchtigfeit 
entfernt if. Dann läßt man fie in ver Sonne trodnen und 
padt fie in Lagen von circa 1—200 Bogen zum Verkauf. 
Das Papier wird nicht geleimt und kann deshalb für unfere 
Schreibezwede nicht benugt werben, während es fich für bie 


* 


131 


Schrift der Iapanefen mit Pinſel oder Tuſche und für ven 
Drud vortrefflich eignet. 

Ich bin jedoch der Anficht, daß „nicht allein die Rinde 
des Maulbeerbaums zur Papiermanufactur gebraucht wird. 
Es tft auch kaum denkbar, wo alle Rinde dazu herkommen 
follte, wenn man gefehen, in welchen unendlichen Ouantitäten 
ber Papierverbrauch ftattfindet. In Yokuhama habe ich oft 
Tauſende von Lumpenballen nach Miako verfchiffen fehen, 
bie feinen andern Zweck als Papierbereitung haben konnten, und 
wahrfcheinlich wird die Meaulbeerfafer mit den Lumpen vermifcht. 

Sch habe bereits erwähnt, daß jämmtliche Fenſter Bapier- 
Icheiben haben. Ebenfo find fait alle Häufer tapezirt. Das 
Muſter der Tapeten tft außerordentlich zart und geſchmackvoll. 
Gewöhnlich find fie filbergrau, merfwürbigermweife werben fie 
aber alle aus Tleinen quabratifchen Stüden von einem Fuß 
Seitenflächhe zufammengefegt. Ebenfo find auch die übrigen 
Papierbogen circa 1 Fuß lang und 10 Zoll breit, obwol 
fie größer gemacht werden Tünnen, wie ich bei tapetenartigen 
Bildern gefeben, die oft 5—6 Fuß lang und 2 Fuß breit 
als Zierden in den Zimmern aufgehängt werden. Als Schnupf- 
tuch, zum Abtrodnen des Schweißes wird nur Papier ges 
braucht, und ſelbſt der ärmlichſte Kuli führt ein zu dieſen 
Zweden käufliches Buch bei fi, aus dem er bei Gelegenheit 
ein oder mehrere Blätter herausreißt. Sämmtlicher Bindfaden 
wird aus Papier gedreht und ift faft ebenfo feft und haltbar 
iwie ber unfere von Hanf. Im Winter bei Regen und Schnee 
tragen die Sapanefen Mäntel von gefirnißtem Papier. 
wir felbft haben uns fänmtlich ſolche Regenanzüge angefchafft, 
von denen das Stüd 3 Thaler Ffoftete, und bie vollftänbig 
wafjerbicht find. Aus wafferdichtem Papier beftehen auch 
bie ſehr künſtlich conftruirten Schirme, die zugleich außer⸗ 
orbentlih billig find und das Stück 3—4 GSilbergrofchen 
foften. Wird man von fchlechtem Wetter auf der Straße 

9* 


132 


überrafcht, fo lauft man fich in einem ver vielen Läden 
einen Schirm, den man fortwirft, ſobald der Regen 
aufhört. 

Eine Bapierforte, die ebenfalls in großen Maffen und zu 
allen möglichen Zwecken verbraucht wirb, verbient noch be= 
ſonders erwähnt zu werden, ba fte fpäter gewiß einen Handels⸗ 
artifel abgeben wird. Dies ift das fogenannte Bapierleder in 
allen Dimenfionen un® Farben, das man faum vom leder 
zu unterfcheiden vermag. Es tft faſt ebenfo dauerhaft 
wie dieſes und würde für unfere Buchbinder und Ga— 
lanteriearbeiter von großer Wichtigleit werben, da e8 jo billig 
iſt. Bon dem gewöhnlichen guten Schreibpapier haben wir 
für 1 Thaler 800 Bogen gefauft und von jenem Lederpapier 
für denſelben Preis 20—25 Quadratfuß in ben fchönften 
Farben und Muftern. Nur eine bei uns jehr gebräuchliche 
Verwendung des Bapiers Tennen die Japaneſen nicht: fie 
haben fein Papiergeld. Dies führt mich auf vie Münzver⸗ 
hältniffe, die in Japan ganz eigenthümlicher Art und für 
europäifche Kaufleute, wegen eines Verſehens in den Verträ- 
gen, leider nicht vortheilhaft find, indem fie den Handel be- 
einträchtigen. 

Es gibt oder gab vielmehr in Japan Golo-, Silber-, 
Kupfer- und Eifenmünzen, den Kobang, den Itzebu, mit 
Halben und Bierteln, den Tempo und die Seni over Cafh, 
letztere den chinefifchen jehr ähnlich. Der Goldkobang iſt feit 
einigen Jahren vollſtändig verſchwunden. Derjelbe war eine 
oblonge Münze und hatte einen Curs von 4%, Thalern; fein 
wirklicher Goldwerth betrug jedoch 6 Thaler 17 Silbergrofchen, 
während dagegen Silber höher im Eurfe ftand, als nach dem 
allgemeinen Maßſtabe fein Meetallivertb betrug. Die Amerir 


foner und alle die Fremden, welche zuerft mit biefen nad 


Japan famen, hatten dies kaum bemerkt, als fie nichts Eili« 
geres‘thaten, als möglichft viele Dollars nach Iapan zu brin- 





133 


gen, die vertragsmäßig zu einem beitimmten Eurfe in Itzebu 
genommen werben mußten, und fih Kobangs dafür einzu- 
taufchen. Dies Gejchäft warf ihnen natürlich enormen Nugen 
ab, wurde aber von ber Regierung durchſchaut. Diele 
taufchte ferner nicht nur Feine Kobangs mehr aus, ſondern 
erließ, um bie Goldausfuhr zu bindern, ein Edict an ihre 
Untertbanen, fämmtliche im Umlauf befindlichen Kobangs an bie 
Staatskaſſen gegen Erftattung des landesüblichen Eurfes in 
Silber oder Kupfer abzuliefern. Die Sapanefen hatten jedoch 
während ihres kurzen Verkehrs mit den Fremden ben Werth 
bes Goldes ſchätzen gelernt, und verfauften ihr Gold ftatt veffen 
an die Ausländer, die ihnen 20 Procent mehr gaben als 
die Negierung. Letztere hatte fich demnach verrechnet und 
würde beffer gefahren fein, wenn fie den Curs des Goldes 
erhöht hätte. Sp ging aber alles außer Landes; vie Fremden 
zogen allein Nuten davon, und gegenwärtig ift alles Gold aus 
dem Verkehr verſchwunden. Die Regierung fucht nun auf 
andere Weile ven Verluſt beim Silber wieder einzubringen, 
und dies ift e8 namentlich, was die fremden Kaufleute em— 
pfindlich trifft, und was die vertragfchließennen Mächte nicht 
genug berüdfichtigt haben. 

Der amerilaniſche Commodore Berry ſetzte in feinem Ver⸗ 
trage feft, daß der mericanifche Dollar als gangbare Münze, 
und zwar zum Werthe von 1600 Seni over Caſh, angenommen 
werben folltee In Ehina find 1000 — 1200 Eafh, je nach dem 
Curſe, = 1 Dollar, und Commodore Perry. glaubte deshalb 
noch bejonders viel erreicht zu haben; aber in Japan find 
1600 Caſh nur = 1 Itzebu, deſſen Silberwerthb 15 Silber: 
grojchen beträgt. Mithin war danach ver Dollar dem Itzebu 
gleichgeftellt, und die Amerilaner mußten alle Gegenftände 
breimal höher bezahlen, wenn fie ihre Dollars brachten. Dies 
war natärlich ein ungemeiner Hemmſchuh und machte ben 
Handel unmöglich. Die Geſandten machten Neclamationen, 


134 


aber alles, was fie erreichten, war, daß e8 ihnen, den Con⸗ 
jularbeamten und dem Perſonal der Kriegsichiffe geftattet 
wurbe, fich bei ven Staatskaffen jo viel Igebu gegen Dollars 

einzuwechfeln, als fie zu ihrem Bedarfe nöthig hätten, und 
zwar zu dem Eurfe von 3 Itzebu für 1 Dollar mit Abzug 
von 4 Procent für die Umprägung. Alle jene Perjonen er- 
hielten daher faft den ganzen Werth ihrer Dollars. Die 
Kaufleute blieben natürlich von dieſer Vergünftigung ausge- 
ſchloſſen, die Begünftigten pagegen legten den Paffus „als zu 
ihrem Bedarfe nöthig“ fehr weit aus, d. b. es kamen Un- 
fummen von Dollars aus China an, die von den Conſuln und 
den Kriegsſchiffbeſatzungen eingewechjelt und an vie Kaufleute 
gegen einen Profit von 20— 30 Brocent abgelaffen wurden, 
ſodaß dieſe jet für ihre Dollars 24, Itzebu befamen. Die 
indirecte Steuer, welche die Regierung durch den niebrigen 
Eurs des amerikaniſchen Silbers im Vergleich zu den Itzebu 
bon den Fremden zu erheben gedachte, war daher verfehlt, 
und fie hatte nur die Mühe, die Dollars umzumünzen, ohne 
Nuten davon zu haben. In einer fernern Verhandlung wurde 
deshalb wieder eine Abänderung getroffen, vie diesmal jedoch 
von den Iapanefen ausging Die Gefandten, Conjuln und 
Kriegsichiffe wurden im Wechſeln befchränft, letztere für ven 
Offizier auf drei, für jeden fonftigen Mann der Befatung auf 
einen Dollar pro Tag, als ein Quantum, deſſen fie wirklich 
bebärftig fein fonnten; dagegen wurde für die Kaufleute ber 
Eurs des Dollars auf 2 Itzebu erhöht, ſodaß fie jegt nur 
noch einen Berluft von 33 Procent hatten. Dies ift immer 
noch ſchlimm genug, allein mit vem Wachlen des Imports wirb 
fih das Misverhältnig immermehr ausgleichen und der Dollar 
Ichließlich einen feinem Silberwerthe angemefjenen Eurs er- 
halten. Schon jest ift das zu merken, und obwol ihn bie 
Regierung nur zu 2 Igebu nimmt, fteht er bereits im Handel 
und Wandel 21, Itzebu. Die japanifche Regierung war fo 


135 


anftändig, die Vergänftigung des Wechjelns auch auf uns 
auszudehnen, obwol wir erft nach fünfmonatlichem Aufenthalte 
in Jeddo ben Vertrag abfchloffen, und vie fehr liberal ausge- 
worfene Summe von 30000 Dollars per Monat deckte unfere 
fämmtlichen Bedürfniſſe, ſodaß wir den angenehmen Vortheil 
hatten, diefelben 25 Procent billiger einzufaufen als frembe 
Kaufleute. | 

Die Tempo find Kupfermünzen von ovaler Form und. fo 
groß wie die Fläche eines burchfchnittenen Eies. Sie haben 
in der Mitte ein vierediiges Loch, um fie wie die Caſh auf 
Schnüre zu ziehen. Sechszehn davon gehen auf einen Itzebu, 
ſodaß ihr Werth alfo 11%, Pfennig beträgt. Die Caſh wur⸗ 
ven früher ebenfalls aus Kupfer gemacht. Seitdem bie Chi- 
nefen aber viefelben förmlich ſchiffsladungsweiſe ausgeführt und 
damit in China treffliche Geſchäfte gemacht hatten, weil fie in 
Sapan für einen Itebu 1600 Caſh befamen, in China aber 
für 1000 einen Dollar, mithin faft den fünffachen Werth, 
wurde erftens die Ausfuhr jehr ftreng verboten, fodann aber, 
um jeben Verſuch zum Schmuggeln zu verhüten, auch bie 
Seni over Caſh von Eifen gefertigt, und man fieht daher nur 
noh wenig fupferne im Berfehr. Sämmtliche japaneftfche 
Münzen find nicht geprägt, fondern gegoffen; Kobang und 
Tempo oval, Itzebu Tänglich vieredig und Seni rund. Auf 
der einen Seite ift der Namenszug des Kaifers und die Jahres» 
zahl, auf der andern Seite der Name des Münzinfpectors 
erhaben ausgevrüdt. Die Formen müſſen jedoch fehr gut 
fein, da die Charaktere ſehr ſcharf herbortreten. 

Ueber die Aderbauverhäftniffe des Landes habe ich wenig 
zu jagen; fie find den chinefifchen ſehr ähnlich, und ich würde 
mich daher nur wiederholen. Auch die hauptfächlichiten Boden⸗ 
probucte ſiad biefelben: Reis, Baumwolle, Thee und Korn. Bei 
Nangafafi wird viel jechszeilige Gerfte gebaut, außerdem weiße 
‚ und braune Bohnen, Erbfen, Kohl und alle Arten von Ge- 


136 

müjen, ſowie Obſt, Aepfel, Birnen, Pfirſiche, Aprikoſen, 
Pflaumen. Das Obſt iſt jedoch lange nicht ſo ſchön wie bei 
uns und ſchmeckt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und 
fade; gekocht dagegen gibt es die ſchönſten Compots. Apfel⸗ 
ſinen in verſchiedenen Sorten, Walnüſſe und Wein find vor- 
trefflih. In Jeddo war es Winterzeit, und wir konnten des⸗ 
halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber 
Erbfen, Bohnen und Gemüfe fcheinen auch dort in großen 
Dvantitäten probueirt zu werben, ebenjo Kartoffeln, von 
denen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie 
ſehr jchön find. In Nangaſaki werden europäiſche Kartoffeln 
nicht gebaut, nur füße. 

Wegen ber gebirgigen Befchaffenheit des Landes find die 
Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- 
zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als 
ihre Nachbarn mit ihren enplofen Ebenen. Dagegen ijt bie 
Bewäſſerung viel leichter als in China, und auf ben Bergen 
find überall Wafferreferveirs angelegt, von Denen das Wafler 
durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet 
wird. Sp fahen wir oft auf Terraſſen 500 Fuß und mehr 
über bem Meeresſpiegel Reisfelder angelegt und überſchwemmt. 
Wo es fih machen läßt, wird ver Ader mit Pferden ober 
Stieren gepflügt, deren e8 hier bedeutend mehr als in China, 
obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der 
Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Men⸗ 
ſchenhände alles, Da der PViehbünger nicht ausreicht, jo 
findet menfchlicder Dünger fehr vielfach Verwentung, jedoch 
wird das Saatkorn nicht darin geweicht, ſondern verfelbe flüſſig 
und gegoren auf die Pflanzen gegoffen. Ebenſo wirb aus 
allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und der Ader 
bamit befruchtet. Da alfo der Boden alles wisber zurüd- 
erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. die Ernten ohne 
Unterbrechung jahraus jahrein fort, und non einem Brach⸗ 





137 


liegen ift nicht Die Rebe. Die Regierung ift fett ver Ab- 
ichließung des Landes beftrebt gewefen, durch Förderung bes 
Aderbaues den Preis der Nahrungsmittel jo ntebrig wie 
mögfich zu bringen, und fie ermuntert Die Bewohner auf fehr 
energifche Weiſe dazu, indem fie denjenigen, ver fein Feld nicht 
bebaut, durch Eonflöcation. des Aders beſtraft. Landwirth⸗ 
ſchaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; 
aller culturfähige Boden wird in Heinen Parcellen von 
6— 8 Morgen von den Landleuten bewirtbichaftet, und da der 
Arbeitswerth ebenfo gering wie in China tft, haben fich die 
Verbältniffe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll⸗ 
fommnet wie dort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, die 
tatarifche und die Ponyraſſe; erftere wird jedoch nur zum 
Zafttragen, leßtere zum Reiten benugt. Der Preis ift zwifchen 
15 und 20 Thalern. Stiere werben fowol als Zug⸗ wie als 
Laftthiere verwandt, und ſchon weil fie bei dem bergigen Terrain 
zum Fortſchaffen ber Laften nöthig find, muß in Sapan mehr 
Vieh als in China gehalten werden. Die Pferde find nicht 
befchlagen. Zur Schonung ber Hufe und wahrſcheinlich auch, 
um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, 
werben jowol Pferden als Stieren Strohſandalen übergezogen. 
Dies ift unter ähnlichen Verbältniffen überall zu empfehlen, 
ba unfere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf 
ben ſchwierigſten und fteilften Gebirgspfaden nie einen Fehl⸗ 
tritt thaten oder ausglitten. 

Schafe gibt e8 nicht, wie ich fchon erwähnt habe. Die 
Schweine find aus China eingeführt, werben aber nicht viel 
und bauptjächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil der Ja⸗ 
panefe ſich faft ausfchließlich von DVegetabilien und Fiſchen 
ernährt. Dagegen ift die Hühmerzucht fehr groß, da bie Eier 
vielfach genoffen werben. Wild gibt es ziemlich viel, nament- 
(ich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im 
allgemeinen alle Lebensbedürfniſſe in Japan, auch fehr billig. 





138 


Ein Fafan koſtet 4—5 Silbergroſchen. Alle diefe Thiere 
werden in Neben oder Schlingen gefangen, va der Gebrauch 
von Fenergewehren zur Jagd — wol wegen ver Gefahr für 
Menſchen — ftreng verboten ift. 

Auf die Forfteultur wird viel Sorgfalt verwandt, und fein 
Baum darf abgehauen werden, ohne dafür einen jungen an- 
zupflanzen. Die Berge find überalf mit reichem Baumwuchs 
bejtanven, und die Umgegend von Jeddo wird namentlich durch 
die vielen und forgfältig gepflegten Schonungen und Gehölze 
ſo ſchön und parkähnlich. 

Ueberhaupt erinnere ih mich nicht, auf meinen vielen 
Reifen je ein Land geſehen zu haben, das in jeder Beziehung 
einen ſo angenehmen” und wohltbuenden Eindrud gemacht, und 
indem ich mich fo heimifch gefühlt hätte, wie Iapan. Diefen 
Eindrud hat ein jeder von uns mit fich genommen. Die voman- 
tiihe Schönheit des Landes, die gaftfreunpliche Liebenswürbig- 
feit feiner Bewohner, die Sauberfeit ver Straßen und Häufer, 
ber poetifche Zauber der Gärten, Tobtenhöfe und Tempel 
- waren. jo anziehend und wirkten fo wohlthuend auf uns, daß 
wir ein orbentliches Heimweh fühlten, als wir endlich dem 
Ihönen Lande Lebewohl fagten, das uns außerdem foniel Neues 
‚ und Imtereffantes geboten hatte. Namentlich aber werben 
wir Nangafali nicht vergeffen; e8 war der Lichtpunkt unferer 
Reife und wird e8 bleiben. Wir gingen von Jeddo nad 
Schang-hae und zwei Monate fpäter zum zweiten male nad 
Nangaſaki, und obwol ich dadurch der chronologifchen Reihen⸗ 
folge unferer Reife etwas vorgreife, will ich im nachfolgenden 
Kapitel zunächſt unfere Erlebniffe an viefem Plate erzählen, 
weil dadurch noch manche PVerhältniffe Sapans berührt wer- 
ben, die zur Ergänzung ber Schilderung des Landes und der 
Leute dienen. 











27. 


Die Bai und die Stadt Nangaſaki. Inſel und Colonie Deſima. Die 

Viſite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Drachenfeſt. Die 

Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Geſelligkeit der Japaneſen. 

Das Drachenſpiel. Eine Kunſtreitervorſtellung in Nangaſali. Ausflüge 

in die Umgegend. Naturromantil, Lieblichkeit der Gartenanlagen. Bild 

der japanifchen Häuslichkeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. 
Das Klima und ber Gefundheitszuftend in Japan. 


Mir kamen biesmal am 12, April vor bie Bai von 
Nangajafi; es war jegt Frühjahr, alles grünte und blübte in 
voller Pracht, und der Hafen erfchien in feinem jugendlichen 
Schmude uns. noch viel lieblicher .und bezaubernver als das 
erite mal. Stets glaubten wir eine neue ſchöne Scenerie zu 
entveden, bie wir früher noch nicht bemerkt. Hier fegelten 
wir faum 30 Schritt vor einer Kleinen Infel vorüber, veren 
kahle zadige Felſen nur Hierher gefegt fchienen, um den Eon- 
traſt mit der lebendig frifhen Umgebung zu erhöhen, bort er- 
ftredte fich eine Ttebliche Bucht weit in das Land, die mit 
einladenven Häufern und Gärten beſetzt war, während ſich 
ein paar Dſchonken auf ihrem tiefen Blau fchaufelten ober 
einige leichtere Boote, von den kraftvollen Ruderſchlägen halb» 
nadter brauner Fiſcher getrieben, pfeilfchnell ihre fpiegelglatte 
: Oberfläche durchfurchten. “Die wie eine Biſchofsmütze geformte 
und fteil aus dem Waller auffteigende Infel Bapenberg mit 
ihrer Krone von hunvertjährigen mächtigen Fichten wurde in 


142 


Truppen, auch einige breißig jehr fauber gehaltene Percufſions⸗ 
gewehre aufgeftellt waren. "Wir wurben hier von einem eng- 

liſch redenden Dolmeifcher empfangen und in einer Vorhalle 
mehreren Offizieren vorgeftellt, die uns mit ausgewählter 
Höflichkeit empfingen und uns durch einen Eorridor zu einem 
feinen Zimmer geleiteten, das der Gouverneur zu gleicher 
Zeit mit uns von der entgegengefeßten Seite aus betrat. 
Nach einer kurzen Begrüßung und Vorftellung richtete .er 
einige bei vergleichen Anläffen übliche Höflichkeitsfragen an 
uns und führte uns danach in den großen Empfangsfaal, wo 
der Vice- Gouverneur und acht andere höhere Beamte. ver- 
fammelt waren und bie gegenfeitigen Vorftellungen aufs neue 
begannen. ‘Die Räumlichkeiten des Palaſtes unterfcheiven fich 
in feiner Weiſe von ben Bürgerhäufern. Es herrichte im 
ihnen biefelbe reinliche Einfachheit und Schmudlofigkeit wie 
überall; die Wände verfchiebbar mit Gitterwerf und Papier- 
jcheiben, der Fußboden mit den weißen fein geflochtenen 
Matten belegt, auf denen es fich ebenfo angenehm als elaſtiſch, 
geht. Mit Höflicher Rüdfickt auf uns waren im Empfangs- 
ſaale Stühle und zwei lange Zifche, in Japan fonft unbe- 
befannte Dinge, aufgeftellt, auf welchen legtern ein Frühſtück 
fervirt war. Wir wurden an bem einen placirt, während an 
dem gegenüberftehbenden der Gouverneur und die übrigen Be⸗ 
amten ihrem Range nach fich niederließen und ver Dolmetjcher 
in der Mitte zwifchen beiden fauerte, Die Unterhaltung drehte 
fih um alle möglichen Gegenftände, japaneftfche und beutjche 
Berhältniffe, Inftitutionen und Erzeugniffe, um die Verwandt⸗ 
ſchaft unſers Königshanfes mit dem holländischen und engli- 
fen, und um die demnächſtige Abreife ber Geſandtſchaft 
der japaniſchen Regierung nach Europa. Der Gouverneur 
ſprach allein, und die ganze Converſation wurde, wie es 
ſchien wortgetren, von zwei Secretären niedergeſchrieben. An 
äußern Merkmalen in ber Kleidung war der Rang ber be- 


— — — u u 


— —— —— — — — — — — — 


·— 


143 


treffenden Beamten nicht zu unterfcheiden. Alle trugen ganz 
gleich den nationalen Rod von blau⸗ und weißgeftreifter Seide, 
über den nur als officielles Kleid eine Art Joppe getworfen 
war, bie fich durch einen befondern Schnitt des Rückentheils 
auszeichnet, ber oben am Halje wie ein Bret über beibe 
Schultern hinausragt. Der Kopf war, wie immer in Japan, 
unbebedt. j | 

Das Frühſtück beftand aus verfchlevenen Gängen, Zuder- 
wert mit Thee, der ebenfo Nationalgetränt ift wie in China, 
Reis, Fiſche und Wild, fowie aus Saft. Alles war trefflich 
bereitet und mundete uns ſehr gut, ſogar der Tintenfiſch, ven 
ich bier zum erften male aß, und ber wie fogenanntes Milch- 
fleifh vom Kalbe fchmedte. Mean hatte uns neben den japa⸗ 
neſiſchen Eßſtäbchen, mit denen wir wahrfcheinlich jehr ſchlecht 
fertig geworben wären, Mefler, Gabel und Löffel fowie 
Porzellanteller gegeben, und auch die Sapanefen bemühten fich 
bamit zueffen, obwol ihnen vie Handhabung ziemlich ungewohnt 
ſchien. Alle Schüffeln beftanden aus Iadirtem Holz, da man 
Porzellan in Japan nur als Ornamente, Waffer- und Saki⸗ 
frufen und als Trinkſchalen flieht. Kurze Pfeifen, wie fie im 
Lande allgemein gebraucht werben, mit metallener Spite und 
Kopf, beides ſehr ſchön cifelirt und letzterer kaum fo groß 
wie ein &ichelbecher, fowie Taback nebft Kohlenbeden batte 
jeder neben fich ftehen, und nach dem Frübftüd wurde ein 
Pfeifchen geraucht. Der Taback ift jo fein gefchnitten wie ber 
türfifche, -Teicht und wohlfchmedend. Nach etwa 1?/, ftünbigem 
Aufenthalte wurde die Viſite von unferer Seite aufgehoben, 
da wir nicht genau wußten, wie bie japanefilche Sitte es er- 
heiſcht. Wir gingen mit demfelben Ceremoniell, wie wir ge- 
fommen, und ſehr befriedigt von dein intereffanten Befuche, an 
Bord, wo kurz darauf ein doppelt beſchwerteter Jakonin mit 
einem Dolmeticher und einem Kuli erfchien und uns mit 
höflihen Empfehlungen des Gouverneurs fünf fauber in 


144 


Papier gefchlagene und mit bunten Seidenſchnüren zugebuntene 
Packete überbrachte. Sie enthielten den nicht verbrauchten 
Theil der uns reichlich vorgefetten Confecte, die jedem Gafte 
nach der Sitte des Landes zugefchidt wurden, und die ſich 
ebenfo durch Wohlgefhmad als künſtliche Anfertigung aus⸗ 
zeichneten. Als der Beamte fich wieder entfernen wollte, blieb 
er eine Zeit lang wie in Verlegenheit ftehen, und e8 fchien 
uns, al8 ob er noch etwas auf dem Herzen habe. Der 
Commanbant fam ihm mit ver Frage zu Häülfe, ob die Sitte 
von uns irgendetwas als Erwiderung erheifche, und fichtbar 
erleichtert, aber immer noch verlegen und mit fchlichterner 
Stimme tbeilte er jegt mit, daß es Sitte fei, den Kult, 
- welcher berartige Geſchenke bringe, mit ein paar leeren 
Flaſchen zu belohnen. Wir mußten innerlich über dies außer- 
gewöhnliche Trinkgeld lächeln, gaben ihm aber fo viel leere 
Weinflafhen, als er irgend zu tragen vermochte. Zur Er- 
klärung biene hierbei, daß Glas und namentlich Flaſchen, 
weiche bie Japaneſen nicht zu fabriziren vermögen, von ihnen 
ſehr gejucht und gejchägt werden. Vor 7 Iahren, zur Zeit 
ver amerikaniſchen Expedition, wurde oft eine Flaſche von ihnen 
mit einem Gegenjtande von 10 Thalern Werth eingetaufcht, 
und wenn fie auch jeßt vielfach eingefilhrt und im Breife jehr 
geſunken find, ja in Nangafafi bereits eine Glasbläferei einge- 
richtet ift, macht man doch einen Sapanefen immer noch damit 
glücklich. Wahrſcheinlich haben die Jakonins die Sitte für 
ihren eigenen Nuten eingeführt und ven Kuli nur vorgefcho- 
ben; wenigftens fchien mir dies aus dem leuchtenden Auge 
bes Beamten hervorzugeben, als dem Kuli mindeftens 15 leere 
Flaſchen aufgepadt wurden. | 

Der Nachmittag bot in anderer Weile ebenfalls hohes 
öntereffe, um einen Blid in das fociale Leben der Iapanefen 
zu thun. Wir find in diefer Beziehung auf unferer Reife 
jehr glüclich gewefen. An allen -Bläten, bie wir bier im 


—— 5 eg rn... 


— —— 


— 


145 


Dften berührten, traf es fich, daß irgenbein außergewöhnliches 
Ereigniß, wie Volfsfefte und vergleichen, ftattfand. In Sin- 
gapore war es das Topdtenfeft, in Kanton das Laternenfeft, 
in Schang-hae das Neujahr ver Chinefen; in Jeddo hatten 
wir eine Art Kirmeß mit angefehen, bei ber ein großer Markt 
gehalten wurde und alles fehr heiter zuging. Hier kamen 
wir gerade zur rechten Zeit, um einem großartigen Volksfeſte, 
dem Drachenfefte, beizuwohnen, das einzig in feiner Art in 
ver Welt bafteht, zugleich aber eins ber fchönften ift, bie 
ich je gefehen. In Japan beiuftigt fich nämlich, wie in China, 
groß und Hein, alt und jung, Dann und Weib täglich 
mit dem Steigenlaffen von Papterprachen, ja in China fehr 
häufig Greif. Der in Spielereien und Slleinigfeiten fo 
fruchtbare erfinderiſche Geift ver Chinefen hat, wie ish ſchon 
früher erwähnte, die unenblichften Formen und Varietäten 
geichaffen, und ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, wie 
ich eines Abends ein vollftänbiges Drachenfchiff in ver Luft 
fegeln ſah, aus deſſen Kanonenpforten überall Heine Sprüh—⸗ 
teufel berausbligten, bis zulett das ganze Spielzeug in 
hellen Flammen ftand, mit einem Ranonenfchlage auselnanver 
flog und nach allen Seiten hin Feuerkugeln ausfandte. 

In Japan iſt man in diefer Beziehung nicht fo weit vor- 
gefchritten.. Die Drachen find ſämmtlich wie die bei uns ge- 
bräuchlicden geformt und nur aus buntem Papier bergeftellt, 
um fie voneinander zu Tennen, aber bie Iapanefen entwideln 
eine außerordentliche Gefchieklichkeit in ihrer Leitung, und 
täglich finden Wettfämpfe darin ftatt. Einmal im Iahre am 
18. April nehmen alle Drachenbefiger an dieſen Kämpfen 
tbeil; eine Unmaſſe von Menfchen ftrömt als Zuſchauer auf 
ten Sampfplak, und das Drachenfeft bietet in größern Städten 
ein Schaufpiel dar, das wirklich prachtvoll ift. 

In Nangaſaki ift es der Kompiraberg, eine Meile binter 


ber Stadt gelegen und 2000 Fuß hoch, wo die eierlichkeit 
Berner. II. 10 


156 


müfen, fowie Obit, Aepfel, Birnen, Pfirfiche, Aprilofen, 
Pflaumen. Das Obft ift jedoch lange nicht fo ſchön wie bei 
uns und ſchmeckt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und 
fade; gefocht dagegen gibt es die ſchönſten Compots. Apfel- 
finen in verſchiedenen Sorten, Walnüffe und Wein find vor- 
trefflih. In Jeddo war es Winterzeit, und wir fonnten des⸗ 
halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber 
Erbfen, Bohnen und Gemüfe fcheinen auch dort in großen 
Duantitäten probucirt zu werben, ebenjo Kartoffeln, von 
benen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie 
jehr fchön find. In Nangafali werden europäifche Kartoffeln 
nicht gebaut, nur füße. 

Wegen der gebirgigen Beſchaffenheit des Landes find die 
Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- 
zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als 
ihre Nachbarn mit ihren endlojen Ebenen. Dagegen iſt bie 
Bewäſſerung viel leichter als in China, und auf den Bergen 
find überall Wafferrefervoirs angelegt, von denen das Waller 
durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet 
wird. So fahen wir oft auf Terraffen 500 Fuß und mehr 
über dem Meeeresipiegel Reisfelver angelegt und überſchwemmt. 
Wo es fih machen läßt, wirb der Ader mit Pferben oder 
Stieren gepflügt, deren e8 bier beveutend mehr als in China, 
obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der 
Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Men⸗ 
ſchenhände alles. Da der Viehdünger nicht ausreicht, fo 
findet menfchliher Dünger jehr vielfach Verwenbung, jeboch 
wird das Saatkorn nicht darin geweicht, fondern verjelbe flüfjig 
und gegoren auf die Pflanzen gegofjen. Ebenſo wird aus 
allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und ber Ader 
bamit befruchte. Da alfo der Boden alles wieder zurüd- 
erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. pie Ernten ohne 
Interbrehung jahraus jahrein fort, und von einem Brach⸗ 








137 


liegen ift nicht die Rede. Die Regierung ift feit der Ab- 
ichließung des Landes beftrebt gewefen, durch Förderung bes 
Aderbaues den Preis der Nahrungsmittel fo niedrig wie 
möglich zu bringen, und fie ermuntert bie Bewohner auf fehr 
energiiche Weife dazu, indem fie benjenigen, der fein Feld nicht 
bebaut, durch Confiscation des Aders beitraft. Landwirth⸗ 
ſchaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; 
aller culturfähige Boden wird in Kleinen Barcellen von 
6— 83 Morgen von den Landleuten bewirthichaftet, und ba ber 
Arbeitswerth ebenfo gering wie in China iſt, haben fich bie 
Berhältniffe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll⸗ 
kommnet wie dort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, bie 
tatarifche und die Ponyraſſe; erftere wird jedoch nur zum 
Rafttragen, lettere zum Reiten benutzt. Der Preis ift zwifchen 
15 und 20 Thalern. Stiere werden fowol als Zug» wie als 
Laſtthiere verwandt, und fehon weil fie bei dem bergigen Terrain 
zum Fortfchaffen der Laften nöthig find, muß in Sapan mehr 
Vieh als in Ehina gehalten werden. Die Pferde find nicht 
befchlagen. Zur Schonung der Hufe und wahrfcheinfich auch, 
um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, 
werben ſowol Pferden als Stieren Strohfandalen übergezogen. 
Dies ift unter ähnlichen Verbältniffen überall zu empfehlen, 
da unfere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf 
ben jchwierigften und fteilften Gebirgspfaden nie einen Fehl- 
tritt thaten ober ausglitten. 

Schafe gibt es nicht, wie ich fchon erwähnt habe. Die 
Schweine find aus China eingeführt, werden aber nicht viel 
und hauptſächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil ber Ja⸗ 
paneje fich faft ausſchließlich von Vegetabilien und Fiſchen 
ernährt. Dagegen ift die Hühnerzucht fehr groß, ba die Eier 
vielfach genoffen werden. Wild gibt e8 ziemlich viel, nament- 
lich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im 
allgemeinen alle Lebensberärfniffe in Iapan, auch fehr billig. 


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müfen, fowie Obſt, Aepfel, Birnen, Pfirfiche, Aprikoſen, 
Pflaumen. Das Obft ift jedoch lange nicht fo ſchön wie bei 


uns und jchmedt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und 


fade; gekocht dagegen gibt e8 bie fchönften Compots. Apfel⸗ 
finen in verfchiedenen Sorten, Walnüffe und Wein find vor- 
trefflih. In Jeddo war e8 Winterzeit, und wir fonnten des⸗ 
halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber 
Erbfen, Bohnen und Gemüfe feheinen auch bort in großen 
Duantitäten probueirt zu werden, ebenjo KRurtoffeln, von 
benen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie 


ſehr Schön find. In Nangaſaki werden europäifche Kartoffeln 


nicht gebaut, nur füße. 


Wegen ver gebirgigen Beichaffenheit des Landes find bie 


Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- 
zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als 
ihre Nachbarn mit ihren endloſen Ebenen. Dagegen ijt bie 
Bewäſſerung viel Teichter als in China, und auf ven Bergen 
find überall Waſſerreſervoirs angelegt, von denen das Wafler 
durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet 
wird. So jahen wir oft auf Terraſſen 500 Buß und mehr 
über dem Meeresjpiegel Reisfelder angelegt und überſchwemmt. 
Wo es ſich machen läßt, wird der Ader mit Pferden ober 
Stieren gepflügt, deren e8 bier bedeutend mehr als in China, 
obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der 
Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Dien- 
ſchenhände alles. Da der Viehdünger nicht ausreicht, fo 
findet menfchlicher Dünger fehr vielfach Verwentung, jeboch 
wird das Saatforn nicht darin geweicht, ſondern derſelbe flüſſig 
und gegoren auf bie Pflanzen gegoffen. Ebenjo wird aus 
allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und der Ader 
bamit befruchte. Da alfo der Boden alles wieder zurüd- 
erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. die Ernten ohne 
Iinterbrechung jahraus jahrein fort, und von einem Brad 








137 


liegen ift nicht die Rede. Die Regierung ift feit der Ab- 
fchliegung des Landes beftrebt gewefen, durch Förberung bes 
Aderbaues ven Preis der Nahrungsmittel fo niedrig wie 
möglich zu bringen, und fie ermuntert pie Bewohner auf fehr 
energiiche Weife dazu, indem fie denjenigen, ver fein Feld nicht 
bebaut, durch Confiscation des Aders beitraft. Landwirth⸗ 
Schaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; 
aller cufturfähige Boden wird in kleinen Parcellen von 
6—8 Morgen von den Landleuten bewirtbfchaftet, und da ber 
Arbeitswerth ebenfo gering wie in China tft, haben fich bie 
Verhältniſſe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll- 
fommnet wie bort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, bie 
tatarifche und die Ponyhraſſe; exftere wird jedoch mur zum 
Rafttragen, leßtere zum Reiten benutzt. Der Preis ift zwifchen 
15 und 20 Thalern. Stiere werden fowol als Zug⸗ wie als 
Laſtthiere verwandt, und ſchon weil fie bei dem bergigen Terrain 
zum Fortfchaffen ver Laften nöthig find, muß in Japan mehr 
Vieh als in China gehalten werden. Die Pferde find nicht 
beſchlagen. Zur Schonung der Hufe und wahrfcheinfich auch, 
um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, 
werben fowol Pferden als Stieren Strobfandalen Üübergezogen. 
Dies ift unter ähnlichen Verhältniffen überall zu empfehlen, 
da unjere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf 
ben jchwierigften und fteilften Gebirgspfaden nie einen Yehl- 
tritt thaten oder ausglitten. 

Schafe gibt es nicht, wie ich fchon erwähnt babe. Die 
Schweine find aus China eingeführt, werben aber nicht viel 
und bauptfächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil ber Ja⸗ 
paneſe ſich faft ausschließlich von Vegetabilien und Fiſchen 
ernährt. Dagegen ift die Hühmerzucht ſehr groß, da bie Eier 
vielfach genofjen werben. Wild gibt es ziemlich viel, nament- 
lich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im 
allgemeinen alle Tebensberürfnifje in Iapan, auch fehr billig. 


138 


Ein Faſan koſtet 4—5 Silbergrofchen. Alle dieſe Thiere 
werben in Neben oder Schlingen gefangen, da der Gebrauch 
von Feuergewehren zur Jagd — mol wegen der Gefahr für 
Menſchen — ftreng verboten ift. 

Auf die Forfteultur wird viel Sorgfalt verwandt, und kein 
Baum darf abgehauen werben, ohne dafür einen jungen an- 
zupflanzen. Die Berge find überalf mit reihem Baumwuchs 
beftanden, und die Umgegend von Jeddo wird namentlich Durch 
bie vielen und forgfältig gepflegten Schonungen und Gehölze 
fo Schön und parkähnlich. 

Ueberhaupt erinnere ich mich nicht, auf meinen vielen 
Reifen je ein Land gefehen zu haben, das in jever Beziehung 
einen fo angenehmen und wohlthuenden Eindrud gemacht, und 
in dem ich mich fo heimifch gefühlt hätte, wie Japan. Diefen 
Eindrud hat ein jeder von uns mit fich genommen. Die roman⸗ 
tiſche Schönheit des Landes, die gaftfreundliche Liebenswürdig— 
feit feiner Bewohner, die Sauberkeit ver Straßen und Häufer, 
der poetifche Zauber der Gärten, Tobtenhöfe und Tempel 
- waren fo anziehend und wirkten fo wohlthuend auf uns, daß 
wir ein orbentliches Heimweh fühlten, als wir endlich dem 
Ihönen Lande Lebewohl jagten, das uns außerdem ſoviel Neues 
und SImtereffantes geboten hatte. Namentlich aber werben 
wir Nangafati nicht vergeifen; es war der Lichtpunkt unferer 
Reife und wird es bleiben. Wir gingen von Jeddo nad) 
Schangshae und zwei Monate fpäter zum zweiten male nach 
Nangaſaki, und obwol ich dadurch der chronologifchen Reihen- 
folge unferer Reife etwas vorgreife, will ich im nachfolgenden 
Kapitel zunächſt unfere Erlebniffe an diefem Plate erzählen, 
weil dadurch noch manche Verhältniffe Sapans berührt wer- 
ven, bie zur Ergänzung der Schilderung des Landes und ber 
Leute bienen. 


27. 


Die Bai und die Stadt Nangaſaki. Inſel und Colonie Deſima. Die 

Viſite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Drachenfeſt. Die 

Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Geſelligkeit der Japaneſen. 

Das Drachenſpiel. Eine Kunſtreitervorſtellung in Nangaſaki. Ausflüge 

in die Umgegend. Naturromantik. Lieblichkeit der Gartenanlagen. Bild 

der japaniſchen Häuslichkeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. 
Das Klima und der Geſundheitszuſtand in Japan. 


Wir kamen diesmal am 12. April vor die Bai von 
Nangaſaki; es war jetzt Frühjahr, alles grünte und blühte in 
voller Pracht, und der Hafen erſchien in ſeinem jugendlichen 
Schmucke uns noch viel lieblicher und bezaubernder als das 
erſte mal. Stets glaubten wir eine neue ſchöne Scenerie zu 
entdecken, die wir früher noch nicht bemerkt. Hier ſegelten 
wir kaum 30 Schritt vor einer Heinen Inſel vorüber, deren 
Table zadige Felſen nur hierher gejegt fchienen, um ven Con⸗ 
teaft mit der lebendig frifehen Umgebung zu erhöhen, port er- 
ftredte fich eine liebliche Bucht weit in das Land, bie mit 
einladenven Häufern und Gärten befett war, während ſich 
ein paar Dſchonken auf ihrem tiefen Blau fchaufelten ober 
einige leichtere Boote, von den kraftvollen Ruderſchlägen halb» 
nadter brauner Fifcher getrieben, pfeilſchnell ihre Tpiegelglatte 
- Oberfläche burchfurchten. ‘Die wie eine Biſchofsmütze geformte 
und fteil aus dem Waller auffteigende Inſel Bapenberg mit 
ihrer Krone von hundertjährigen mächtigen Fichten wurbe in 


142 


Truppen, auch einige breißig jehr fauber gehaltene Percufftons- 
gewehre aufgeftellt waren. "Wir wurben hier von einem eng- 

liſch redenden Dolmetfcher empfangen und in einer Vorhalle 
mehreren Dffizieren vorgeftellt, die uns mit ausgewählter 
Höflichkeit empfingen und und burch einen Eorribor zu einem 
feinen Zimmer geleiteten, das der Gouverneur zu gleicher 
Zeit mit und von der entgegengefeßten Seite aus betrat. 
Nah einer kurzen Begrüßung und Vorftellung richtete er 
einige bei dergleichen Anläffen übliche Höflichkeitsfragen an 
uns und führte uns danach in den großen Empfangsfaal, wo 
der Vice- Gouverneur und acht andere höhere Beamte ver- 
fammelt waren und bie gegenfeitigen Vorftellungen aufs neue 
begannen. Die Räumlichleiten des Palaſtes unterfcheiven fich 
in feiner Weife von den Bürgerhäufern. Es herrfchte in 
ihnen biefelbe reinliche Einfachheit und Schmudlofigfeit wie 
überall; die Wände verfchiebbar mit Gitterwerf und Papier- 
jheiben, der Fußboden mit den weißen fein geflochtenen 
Matten belegt, auf denen es fich ebenfo angenehm als elaftifch, 
geht. Meit Höfliher Rüdfickt auf uns waren im Empfangs- 
ſaale Stühle und zwei lange Zifche, in Japan ſonſt unbe- 
befannte Dinge, aufgejtellt, auf welchen letztern ein Frühſtück 
fervirt war. Wir wurden an dem einen placirt, während an 
bem gegenüberftehenden der Gouberneur und die übrigen Be⸗ 
amten ihrem Range nach fich niederließen und der Dolmetfcher 
in der Mitte zwifchen beiden kauerte. Die Unterhaltung brebte 
fih um alle möglichen Gegenftände, japanefifche und beutjche 
Berhältniffe, Inftitutionen und Erzeugniffe, um bie Verwandt⸗ 
ſchaft unjers Königshaufes mit dem holländischen und engli- 
hen, und um bie bemmächftige Abreife der Geſandtſchaft 
ber japanifchen Regierung nach Europa. Der Gouverneur 
ſprach allein, und die ganze Converfation wurde, wie es 
ſchien wortgetreu, von zwei Secretüren niebergefchrieben. An 
äußern Merkmalen in der Kleidung war der Rang ber be- 











143 


treffenden Beamten nicht zu unterfcheiden. Alle trugen ganz 
gleich den nationalen Rod von blau⸗ und weißgeftreifter Seide, 
über ben nur als offlcielles Kleid eine Art Ioppe geworfen 
war, bie fi) durch einen bejondern Schnitt des Rüdentheils 
auszeichnet, der oben am Halfe wie ein Bret über beibe 
Schultern binausragt. Der Kopf war, wie immer in Iapan, 
unbebedt. j | 

Das Frühſtück beftand aus verfchlevenen Gängen, Zuder- 
wert mit Thee, der ebenfo Nationalgetränt ift wie in China, 
Reis, Fiſche und Wild, fowie aus Sali. Alles war trefflich 
bereitet und mundete uns jehr gut, fogar ver Tintenfiſch, den 
ich bier zum erften male aß, und ber wie fogenanntes Milch 
fleifch vom Kalbe fchmedte. Man hatte uns neben den japa- 
nefifchen Eßſtäbchen, mit denen wir wahrfcheinlich ſehr fchlecht 
fertig geworben wären, Mefler, Gabel und Löffel fowie 
Porzellanteller gegeben, und auch die Sapanefen bemühten fich 
damit zu eſſen, obwol ihnen vie Handhabung ziemlich ungewohnt 
ſchien. Alle Schüffeln beftanden aus ladirtem Holz, da man 
Porzellan in Japan nur als Ornamente, Waffer- und Sali- 
frufen und als ZTrinffchalen fieht. Kurze Pfeifen, wie fie im 
Lande allgemein gebraucht werben, mit metallener Spige und 
Kopf, beides fehr fchön ciſelirt und letzterer kaum fo groß 
wie ein ichelbecher, fowie Taback nebft Kohlenbeden hatte 
jeder neben fich ftehen, und nach dem Frühſtück wurde ein 
Pfeifchen geraucht. Der Taback ift fo fein gefchnitten wie ber 
türkifche, -Teicht und wohlfchmedend. Nach etwa 1°/, ftündigem 
Aufenthalte wurde bie Vifite von unferer Seite aufgehoben, 
da wir nicht genau wußten, wie bie japanefifche Sitte es er⸗ 
heifcht. Wir gingen mit demſelben Ceremoniell, wie wir ges 
fommen, und fehr befriedigt von dem intereffanten Befuche, an 
Bord, wo kurz darauf ein doppelt befchwerteter Jakonin mit 
einem Dolmeticher und einem Kuli erfchien und uns mit 
böflihen Empfehlungen des Gouverneurs fünf fauber in 


144 


Papier gefchlagene und mit bunten Seivenfchnüren zugebuntene 
Padete überbrachte. Sie enthielten den nicht verbrauchten 
Theil der uns reichlich vorgejeßten Confecte, die jedem Gaſte 
nah der Sitte des Landes zugefchidt wurben, und bie fich 
ebenfo durch Wohlgefhmad als Tünftliche Anfertigung aus⸗ 
zeichneten. Als ver Beamte fich wieder entfernen wollte, blieb 
er eine Zeit lang wie in Verlegenheit ftehen, und es ſchien 
ung, al8 ob er noch etwas auf dem Herzen habe. ‘Der 
Commanbant kam ihm mit der Frage zu Hülfe, ob die Sitte 
bon uns irgendetwas als Erwiderung exheifche, und fichtber 
erleichtert, aber immer noch verlegen unb mit fchüchterner 
Stimme theilte er jet mit, daß es Sitte fei, den Kult, 
- welcher berartige Gefchenfe bringe, mit ein paar leeren 
Flaͤſchen zu belohnen. Wir mußten innerlich über dies außer⸗ 
gewöhnliche Trinkgeld Lächeln, gaben ihm aber fo viel leere 
Weinflajchen, als er irgend zu tragen vermochte. Zur Er- 
Härung diene hierbei, daß Glas und namentlich Flaſchen, 
weiche bie Sapanefen nicht zu fabriziren verindgen, won ihnen 
fehr gejucht und gefchätt werden. Vor 7 Jahren, zur Zeit 
ber amerifanifchen Expedition, wurde oft eine Flafche von ihnen 
mit einem Gegenftande von 10 Thalern Werth eingetaufcht, 
und wenn fie auch jegt vielfach eingefilhrt und tm Breife jehr 
geſunken find, ja in Nangaſaki bereits eine Glasbläferei einge- 
richtet ift, macht man doch einen Japaneſen immer noch damit 
glücklich. Wahrſcheinlich haben bie Jakonins die Sitte für 
ihren eigenen Nuten eingeführt und den Kult nur vorgefcho- 
ben; wenigſtens fchien mir dies aus dem leuchtenden Auge 
des Beamten hervorzugeben, als dem Kuli mindeftens 15 leere 
Flaſchen aufgepackt wurden. | 

Der Nachmittag bot in anderer Weife ebenfalls hohes 
öntereffe, um einen Blick in das fociale Leben der Iapanefen 
zu thun. Wir find im diefer Beziehung auf unferer Reife 
jehr glücklich gewejen. An allen Plätzen, die wir hier im 

















— — — 


145 


Dften berührten, traf e8 fih, daß irgendein außergewöhnliches 
Ereigniß, wie Volfsfefte und vergleichen, ftattfand. In Sin- 
gapore war e8 das Todtenfeft, in Kanton das Laternenfeft, 
in Schang-bae das Neujahr ver Chinefen; in Jeddo hatten 
wir eine Art Kirmeß mit angefehen, bei der ein großer Markt 
gehalten wurde und alles fehr Beiter zuging. Hier kamen 
wir gerade zur rechten Zeit, um einem großartigen Volfsfefte, 
dem ‘Drachenfefte, beizumohnen, das einzig in feiner Art in 
der Welt daſteht, zugleich aber eins ber fchönften ift, bie 
ich je gefehen. In Iapan beiuftigt ſich nämlich, wie in China, 
groß und Hein, alt und jung, Mann und Weib täglich 
mit dem Steigenlaffen von Papierdrachen, ja in China fehr 
häufig Greif. Der in Spielereien und Kleinigkeiten fo 
fruchtbare erfinverifehe Geift ver Chinefen hat, wie ish fchon 
früher erwähnte, die unenblichften Formen und Varietäten 
geichaffen, und ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, wie 
ich eines Abends ein vollſtändiges Drachenfchiff in der Luft 
jegeln ſah, ans deſſen Kanonenpforten überall Heine Sprüh- 
teufel herausblikten, bis zuletzt das ganze Spielzeug in 
hellen Flammen ftand, mit einem Ranonenfchlage auseinander 
flog und nach allen Seiten bin Feuerkugeln ausſandte. 

In Japan ift man in diefer Beziehung nicht jo weit vor⸗ 
geſchritten. Die Drachen find ſämmtlich wie die bei uns ges 
bräuchlicden geformt und nur aus buntem Papier hergeftellt, 
um fie voneinander zu Tennen, aber bie Japaneſen entwideln 
eine außerordentliche Geſchicklichkeit in ihrer Leitung, und 
täglich finden Wettfämpfe darin ftatt. Einmal im Iahre am 
18. April nehmen alle Drachenbefiter an biefen Kämpfen 
theil; eine Unmaſſe von Menfchen ftrömt als Zufchauer auf 
ven Sampfplak, und das Drachenfeft bietet in größern Stäpten 
ein Schaufpiel var, das wirklich prachtvoll tft. 

In Nangafaft ift es der Kompiraberg, eine Meile hinter 


ber Stadt gelegen und 2000 Fuß hoch, wo bie Feterlichkeit 
Berner. I. 10 


146 


ftattfindet, die wol eigentlich mit dieſem Ausdrucke bezeichnet wer- 
den muß, da fie religidfen Urfprungs ift und die Beluftigung 
ver Drachenfänpfe. wol nur nachträglich mit ihr verbunden 
wurde. Auf dem Berge ift nämlich der Sik und Tempel 
bes Rompirafama, des „gnädigen Heren Winpgottes’, wie 
das Wort deutſch lautet. Sama ift der Titel, der jedem ge- 
heiligten Gegenftande fowie dem Kaiſer und dem gefürchteten 
Adel des Landes beigelegt wird, während ber Japaneſe 
„San — Herr — allen übrigen Menfchen anhängt. So 
ipricht er nur vom Taikunſama, dem gnädigen Herrn Kaifer, 
Ookiſama, dem gnädigen Herren Kranich, aber von Okatſan, 
dem Herrn Manne, Musmeſan, dem Heren Mäpchen, ober 
Safoninfan, dem Herrn Beamten. 

Der Kompiraſama wird nun an jenem Tage gefeiert, und 
alles was irgendwie mit ver Schiffahrt in Bezug fteht, ſtrömt 
hinaus, um dem Gotte feine Verehrung darzubringen, in 
einem unweit ber Bergipite gelegenen Sintotempel feine An- 
dacht zu verrichten und ven Schub bes Gottes für bie 
Schiffahrt zu erbitten. Da aber die Sintoreligion aus allen 
ihren religiöfen Feiertagen Yreubenfefte macht, fo jah man 
überali nur lachende fröhliche Geftchter, und jeder war beftrebt, 
bie Gegenwart in harmlofer Freude zu genießen und fich auf 
das beite zu ammufiren. 

Der Weg zum Kompira führt in mammichfachen Bindungen 
von Nangaſaki ziemlich fteil auffteigend an reinlichen Dörfern, 
ünpig grünenden Gefilden, trotigen Abhängen und fanft ge= 
wellten Hügeln hinauf, pie mit. großer Kunft terxeffirt und 
eultivirt find. Gerfte, Raps, Bohnen, Tabad: bildeten hier 
den bauptfächlichften Theil bes Adlerbaues. Hier und bort 
erblickte man eine Gruppe Obftbäume, welche, abwechjelnd mit 
einem Bosquet des gefiederten ſchlanken Bambus die freund» 
lichen Häufer befchatteten, vie oft an ven Abhängen zu fchiweben 
fohlenen, und zu denen fich ein halsbrecherifcher Pfad. durch 


147 


wildes Geftrüpp und Geftein fchlängeltee Die rothen und 
weißen Blüten ver baumartigen Camellie und Azalie leuchteten 
noch bier und bort aus dem Grün hervor, aber es waren 
nur noch Nachzügler. Die eigentliche Blütezeit, wo biefe 
Bäume und Sträucher wie mit einem rothen Teppich beffeivet 
icheinen, war fchon feit vierzehn Tagen vorüber. 

Der Menſchenſtrom zu dem Feſte war außerorbentlidh; 
ber von unten faft.eine Meile überjehbare und faum 4 Fuß 
breite Weg bildete eine unumterbrochene bichtgebrängte Linie 
von Geſtalten, bie in ihren verfchiebenartigen heilfarbigen 
Coſtümen wie eine buntfchillernde Riefenfchlange erichten, welche 
in zitternder Bewegung fih langfam den Berg hinaufwand. 

Die Sonne brannte heiß bernieder, und da das unge- 
wohnte Steigen uns fehr angriff, begrüßten wir mit Freude 
bie verſchiedenen Heinen Theehäuſer, melde, als Ruhepunkte 
Viertelſtunden weit auseinander gelegen, auf Heinen Plateaur 
am Wege erbaut find, und deren fchattige Verandas ung ein- 
luden, zu raften und einen Blick auf das reizende Panorama 
zu unfeen Füßen zu werfen. Ich habe fchon bemerft, daß in 
Japan wie in Ehina faft gar fein vohes Faltes Waſſer, ſondern 
nur Thee getrunfen wird, der jeboch jo ſchwach ift, daß er 
feinen Geſchmack befist, und aus biefer Sitte erflärt fich die 
große Zahl der Theehäufer, welche an allen Lanpftraßen 
liegen und wo ven Borbeipaffirenden Thee verabreicht wird. 
Man bezahlt für eine Tafſe Thee einen Seni, alfo circa 
Y, Pfennig. Bon uns wollte man jedoch fein Geld nehmen, 
und überhaupt wurven wir überall mit ber größten Zuvor⸗ 
fommenheit und Höflichkeit behandelt. Sobald wir ankamen, 
wurden uns ftets die beften Pläße eingeräumt, man begrüßte 
ung in vertranlicher, aber nie aufbringlicher Wetfe, bewunderte 
mit fehüchterner Zurücdhaltung unfere Tuchkleider, und es er- 
regte allgemeine Freude, wenn wir mit unjerm Vorrath von 
fapanefifchen Worten eine Unterhaltung begannen, bie ſchließlich 

10* 


148 


ins Stoden gerietb und nur mit Hülfe ber ausprudsvoliiten 
Mimif fortgefegt werben konnte. 

So wanderten wir von einem Theehaufe zum andern, 
bie fich ftet8 Dadurch auszeichnen, daß fie an den romantifchiten 
Punkten erbaut find, und nach drittehalbſtündigem befchwerlichen 
Marſche erreichten wir den erwähnten Sintotempel, wo bie 
Stäubigen, ehe fie zum Spielplate aufbrachen, ihre Andacht 
verrichteten. Sinto- und Bubphatempel in Japan find fchon von 
weiten an ihrem Aeußern zu erfennen. “Der zeltartig con- 
cave Dachfirſt mit ben aufwärts gefrümmten Giebelfpiken 
ber Buddhatempel verräth fogleich den fremden chinefifchen 
Urfprung, während die Sintotempel die gerablinigen Formen 
ber heimifchen Gebäude aufweifen. Im Allerheiligiten, das 
zwar von außen zu fehen, aber nur von den Prieftern zu 
betreten ift, hing als einziges Symbol ein großer Freisförmiger 
Metalffpiegel. „Wer in ihn fchauen kann, ohne zu erräthen, 
ber allein ift würbig vor die Gottheit zu treten, aber niemand 
nahe mit Kummer und Gram im Herzen; eine freudige 
Stimmung, eine heiteres Herz allein Tann bie Andacht ver- 
richten.” Das ift die Kernlehre der Sintoreligion, und wahr- 
lich, in bem einfachen Dogma des erjten Theils Liegt eine 
Ihöne Moral. Das eigene Gewilfen des Menſchen wird zum 
Richter über ihn und als einziger Vermittler zwifchen ihn 
und die Gottheit geftellt, ohne zu elendem menfchlichen Mach: 
wer! in Geitalt von Götzen und Heiligen feine Zuflucht zu 
nehmen. | 

Bor dem Tempel befand fich ein großer fteinerner Brunnen, 
an dem einige zwanzig Handtücher aufgehängt waren. Jeder, 
ver feine Andacht verrichten wollte, trat zu diefem und wufch 
fich Geficht und Hände, um auch äußerlich rein vor ber Gott- 
heit zu erſcheinen. Alsdann begab er fich in ven Tempel, 
ſchlug an eine in deſſen Portal hängende Glode, warf einige 
eiferne Seni auf den Teppich, Hatjchte breimal in die Hände,” 








149 


Iniete nieder und murmelte einige Gebetsworte. Vom Blake 
des Kniens aus konnte man einen Blid in den Spiegel werfen; 
von allen den Hunderten, bie ich beobachtete, erhob jedoch 
fein einziger das Haupt. Vielleicht konnte niemand es ohne 
Erröthen thun und wollte fich die Scham erfparen. Die ganze 
Ceremonie dauerte kaum eine halbe Minute. In fchweigender 
Ordnung folgte.einer nach dem andern; ber hohe Beamte, der 
verachtete Kuli — jo weit da draußen in der Welt verfchieden — 
hier fcheinen fie alle gleih. Der erjtere wartete, bis ber 
legtere fich erhoben, und kniete wie er mit geſenktem Haupte 
vor dem höchſten Wefen. 

Einige 1000 Schritte hinter dem Tempel, nahe ber Spike 
des Kompira, gelangte man auf eine fanft gerunbete Berg- 
ebene, die das Endziel der Wanderung und der Tummelplatz 
des Feites war. Schon ehe wir dort hinfamen, fahen wir 
Tauſende und Abertaufende von buntgefärbten Drachen, viele 
100 Fuß hoch, durcheinander fchwirren und kreuzen; bas 
Summen einer großen Menfchenmafjfe und jubelnde Töne 
ſchlugen an unfer Ohr. Als wir aber die Kuppe erreicht und 
das zwifchen ihr und der Spike des Kompira fich erſtreckende 
Plateau überfihauten, va war der Anblid ein überaus herr- 
licher. Mindeſtens 10000 Menſchen waren hier verfammelt, 
ganz Nangaſaki fchien zufammengeftrömt zu fein, und dieſe 
burcheinander wogende Menge bildete ein Tableau, deſſen 
lebendige Beweglichkeit und bunte Färbung feine Reize unend- 
lich erhöhte. Hier ſah man Hunderte von Wettftreitern, bie, 
mit von Luſt und Ehrgeiz geröthetem Gefichte, die Augen 
funfelnd auf ihren Drachen und bie ihrer Gegner gerichtet, 
bie dünne Leine mit gewandtem Nude leiteten und dem Drachen 
bald dieſe bald jene beliebige Richtung gaben. Es war eine 
wahre Luft, wie die leichten Papierdrachen in den Lüften da⸗ 
hinfchoffen, bald kerzengerade und pfeilfchnell in die Höhe 
ſtiegen, balb wie ein Blitz feitwärts entflohen, wenn ein 


150 ° 


Gegner fich ihnen nahte, oder wie eine Schlange unter ihnen 
fortfchlüpften und triumphirend ſich an ber andern Seite wieber 
auffehwangen. Ein folcher Moment bildete immer die Krifis 
bes Spiels, aller Augen wendeten fich einem ſolchen Einzel- 
fampfe zu, und die beiden Streitenven boten ihre ganze Energie 
auf, um den Sieg zu erringen und unbefiegt zu entjchlüpfen. 
Die Aufgabe befteht nämlich darin, die Leine des Gegners 
oben in der Luft zu burchfchneiven und veffen Drachen zu 
Tall zu bringen. Zu diefem Zwede find die aus. Papier ge- 
drehten Leinen mit pulverifirten Feuerſtein überzogen, ber 
wie eine feine Feile wirft, und ven Sieg erringt derjenige, 
welcher e8 verftcht, feinen Drachen unter dem’ des Gegners 
durchzuleiten, ihn fo abzufangen und durch fchnelles Hin- und 
Herziehen die feindliche Leine zu zerfchneiden. Gelingt dies, 
jo belohnt ein endloſer Jubel den Gewinner, der mit freude⸗ 
ftrahlenden Mieten ven feiner Geſchicklichkeit gezoliten Tribut 
aufnimmt, während ver Gegner befhämt von dannen zieht. 

Ein blau und weiß carrirter Drache war ber Held des 
Tages, ſchon 6 Leinen hatte er durchfchnitten, und feinen 
Zriumphen wurbe die Krone aufgefeßt, ald er den’ leßten 
ftenerlos nieverfinfenden Drachen vollitändig zu jagen begann, 
ihn während feines Fallens hoch in ver Luft zum zweiten mal 
abfing und ihn zur Erde nieverbrachte. Ich habe jelten einen 
fo raufchenden Beifall erlebt wie den, der dieſem Kunſtſtücke 
folgte, muß aber gefteben, daß ber fliegende ‘Drache wunder: 
bar gelenkt wurde, und auch ich ftimmte unmwillfürlich in bas 
allgemeine Frohloden ein. 

Die Bergebene war mit reihem Grün bedeckt, zwifchen 
dem die Familien ihre Ruheſtätten aufgefchlagen hatten und 
bie mitgenommenen Speifen verzehrten. Wie bebauerte ich, 
fein Dealer zu fein, um dies großartige Genrebild verewigen 
zu können. Ein berühmter veutfcher Künftler ver Neuzeit hat 
ih einit gegen Fanny Lewald dahin fehr bitter ausgefprochen, 








. 151 


daß in einem Polizeiftaate alle Kunſt zu Grunde gehen müffe, 
und nur die Revolution mit ihren Barrifadenmännern bie 
Wiege und Pflege der Kunft fei, oder vielmehr einen 
Dialer begeiftern könne, ein ſchönes Bild zu fchaffen. Nun, 
Sapan tft ein Poltzeiftant, wie e8 Keinen zweiten in ber Welt 
gibt, aber wer in diefem Augenblide dem Feſte zufchaute, 
der mußte wahrhaft bezaubert werden von der malerifchen Schön- 
heit dieſes Bildes, das fich vor unfern Blicken aufrollte. Da 
war Boefte, da war Kunft, Lyrik, Idylle und Romantil, 
alles, was man wollte, zu einem harmoniſchen Ganzen vereint, 
und doch war es ein Bild des Frievens, der harmloſeſten 
Freude und der erguidlichiten Ruhe. 

Bon allen Seiten erhielten wir Einlapungen, an ben ver- 
ſchiedenen Pidenids theilzunehmen; bald 309 man uns bier, 
bald dort auf den Raſen nieder, um eine Schale Safı oder 
Thee zu trinken, von ben Speifen zu often, oder ein Mli- 
niaturpfeifchen zu rauchen. Es war für uns ein wohlthuendes 
Gefühl, folcher Herzlichen Gaſtfreundſchaft zu begegnen; wir 
liegen ung nicht nöthigen, und bald ſaßen wir wie alte Freunde 
unter biefen guten liebenswürdigen Menfchen, die fi von 
allen Seiten beftrebten, uns Annehmlichkeiten zu bereiten. Wir 
fofteten ihren Saki, erheiterten fie durch unfere Ungeſchicklich⸗ 
feit in ber Handhabung der Epftäbchen und verurfachten 
ſchallendes Gelächter mit unferm gebrochenen ISapanefifch. Wer 
fonnte einer ſolchen Freundlichkeit gegenüber wol eine abjchlä- 
gige Antwort geben, wenn dann Frauen und Mädchen mit ver- 
ſchämten Mienen uni einen Botan (Corruption von button), 
einen Knopf, baten. ‘Die vergolveten Knöpfe wurden einer nach 
dem andern aus der Wefte oder auch wol vom Rod abgeläft, 
und mit freubigem Stolze zeigten die glüclichen Empfänger das 
koſtbare Geſchenk ihren neidenden Freunden, um es fich andern 
Zags in einen Ring fallen zu laſſen und prunfend am Finger 
zu tragen. Wir aber wanperten weiter, zur böchften Spike 


152 


des Kompira, um noch einen Blick auf das viele Meilen weite, 
großartige und prachtuolle Panorama mit den kämpfenden 
Drachen, dem bunten Gewimmel der Tauſende, ven faftig 
grünen Thälern, den dunkel beivaldeten Bergen, den Stäbten 
und Dörfern und weit, weit bahinter auf das Meer zu werfen, 
das, im Strahle der fcheidenden Sonne glänzend, wie ein 
goldenes Band das Tiebliche Bild umſchlang. Dort jagen 
wir und fehauten lange hinab mit vollem Herzen und weh- 
müthigen Gefühlen. Es war fo fehön hier, aber es fehlte 
immer etwas; dort brüben über dem fehimmernden Spiegel 
ber See, viel taufend Meilen weit lag die liebe theure Heimat, 
bie nichts erjegen fann. Die im Weften fcheivenden Wolfen 
nahmen unfere Grüße mit! 

Einige Tage jpäter befuchten wir auch eine KRunftreiter- 
bube, von der ich fchon früher gefprochen. Dergleichen Kunſt⸗ 
genüffe find in Japan felten, felbft in Nangafafi hatfe man 
feit fünf Jahren feine Runftreiter gehabt, und wir Eonnten des⸗— 
halb von Glück jagen, es fo gut zu treffen. Ihre Ankunft 
veruzjachte unter den jo jchauluftigen Japaneſen große Auf- 
regung, ‚und alles fprach von ihnen. Die Leute kannten ihren 
Vortheil; die Fremden befamen Theaterzettel im beiten Eng- 
liſch, und in zollgroßen Buchſtaben warb auf die außerordent- 
lichen Reiftungen ver celebrated Miss Torio und Miss Schorio 
aufmerffam gemacht. Japaniſche Kunftreiterinnen — das 
war allerdings etwas Sebenswerthes, und wir mietheten uns 
eine Loge. Der Preis war anftändig, 20 Thaler. die Loge 
für 10 Berfonen, natürlich Europäer, denn Japaneſen be- 
zahlen folche Preife nicht. Dafür dauerte die Vorftellung 
aber auch 6 Stunden, und man erhielt etwas für fein Gelb. 
Es wurde jedoch gebeten, Stühle mitzubringen. Wir gingen 
erft um 1 Uhr nachmittags hin, obwol ber Anfang auf 
12 Uhr feftgefegt war. Ein Freund batte uns einige japa- 
nifche Dolmetfcher mitgegeben, die uns den Gegenftand und 


153 


die Mimik der Vorftellungen erflären follten, für welche uns 
fonft das Verftänpniß gefehlt hätte. Der Eircus war außer⸗ 
halb der Stadt auf einer Anhöhe erbaut und fo groß, daß 
er ungefäbr 1000 Menfchen faffen mochte. Er beftand aus 
dem gewöhnlichen Baumaterial, Bambus, mit Matten beflei- 
det und auch oben mit benfelben bevedt. Seine Form war 
bie eines Halbkreiſes, an deſſen Bafis ſich eine Fleine erhöhte 
Bühne befand, während vor ihr die Manege binlief, die je- 
doch Feine runde, fondern eine rechtwinfelige Form und bei 
50 Fuß Länge nur eine Breite von höchſtens 12 Fuß batte. 
Zu ben Logen, bie wie in unfern Theatern angebracht waren, 
gelangte man auf einer Hühnerfteige, die jeden, ber nicht bie 
zähe Haltbarkeit des Bambus kennt, durch ihre anſcheinende 
Gebrechlichkeit vom Befteigen abgefchrectt haben würde. Dann 
froh man buch ein 24, Fuß hohes Loch in bie Logen 
jelbjt, die, wie das ganze Gebäude in höchſt proviforifcher 
Weife und in der leichten japaniſchen Bauart, conftrutet, fehr 
balshrecherifch ausfahen. Der Zufchauerraum'war überfüllt, 
und es ging äußerft naiv zu. Das Parquet war mit Sperr- 
figen verjehen; im Parterre ftanden die Zufchauer und Hinter 
ihm befand fich noch ein leerer Raum, der von dem Publikum 
zur Verrichtung von Gefchäften benutt wurde, die man bei 
uns gewöhnlich der Deffentlichfeit entzieht, die fich aber bier 
unmittelbar unter den Augen ver Logeninhaber zutrugen. 
Wir dachten dabei: „chaque pays, chaque usage” — Japan 
ift ein wunderbares Land! 

In den Logen neben uns und gegenüber hatten fich überall 
wohlhabendere Familien häuslich niedergelaſſen. ‘Der Japa⸗ 
nefe übereilt fich nicht, er ift bebädhtig in jeber That, bedäch⸗ 
tig in feinen Bewegungen, Vergnügungen und Genüffen. Die 
Vorftellung dauerte fechs Stunden; um fo lange anszuharren, 
bedarf man einer Stärkung, und dafür war geforgt. Jede 
Loge bot das Bild einer Pidenidpartie, wie jüngft beim 


154 


Drachenfeſte, hunderterlei verfchienene Speifen jtanden in 
ſaubern Ladfchüffeln ferirt auf dem mit Matten belegten 
Fußboden, und die Sakiflaſche Treifte unaufhörlich in der darum⸗ 
lagernden Tiſchgeſellſchaft. Wir waren kaum eingetreten, als 
wir auch fchon von beiden Seiten Einlapungen erhielten, an 
dem Mahle theilzunehmen. Wir fofteten von allem, hiel⸗ 
ten uns jedoch an die Hier vorzüglich gebadene und gemeinhin 
als Brot genofjene Sandtorte und ließen unfern Wirthen als 
Revanche unfern eigenen Saki, in Geftalt von Gilka — Pfef- 
fermüngligueur, koſten, ver ihnen vortrefflich zu munden fchien, 
ba jedem genofjenen Schlude ein aus innerfter Seele fom- 
mendes epi joka! (fehr ſchön) folgte. 

Dann wandten wir und mit ungetheilter Aufmerkſamkeit 
ber Borftellung zu, deren zweiter Act foeben begann. “Die 
celebrated Miß Schorio und Miß Torio erfchienen, rittlings im 
Sattel figend, in ſehr Hübfcher Garderobe und pompöſem Haar- 
Ichmud, aber total weiß gefchminft und dadurch fehr entitellt, 
obwol fie auch außerdem fchon feinen Anfpruch auf bejondere 
Schönheit machen fonnten. Sie ritten Feine hübſche Ponies, 
wie fie überall in Japan zu Haufe find, mit feinem Glieder⸗ 
bau, einem übermäßigen Reichthum an ftruppiger Mähne und 
bis auf die Erbe reichendem Schwanze, kurzem Hals und feu⸗ 
rigen Augen. Wir hatten Shawlfprung, Reifeniprung, Schen- 
felritt und vergleichen erwartet, fahen uns aber getäufcht. 
Die berühmten Künftlerinnen kamen nie aus dem Schritt, und 
ihre equilibriftiichen Leiftungen befchräntten fich lediglich auf 
ein langfames Führen der Pferde im Einflange mit ven Be⸗ 
wegungen bes Dberlörpers und ver Hände. Der Zügel ging 
um ben Leib der Reiterin, und die Pferde wurden nur mit 
ben Schenfeln geleitet. Das Ganze war eine theatralifche 
Borftellung mit lebhafter Mimik und Begleitung eines hin- 
ter den Couliſſen der Heinen Bühne aufgejtellten, Orchefters, 
deſſen unbarmonifche Töne jeboch das Ohr beletvigten, und 





155 


aus dem ale Grundton das Zufammenfchlagen zweier Stüde 
von hartem Holz herausflang. Die Pferde verfahen die Füße 
der handelnden PBerjonen, und jebenfall® war ihre Dreſſur 
bewunberungswärbig, namentlich wenn man in Betracht zieht, 
daß die Japaneſen durchaus Fein Reitervolk find. Etwas 
fpäter erſchien ein Jakonin in blauem, filbergeftidtem Node, 
dem glänzenpiten Coſtüm, das ich bisher im Lande gejehen, 
und es entwidelte fich jeßt eine LXiebesfcene, deren verjchiedene 
Phaſen und jedoch ziemlich unverftändplich blieben. Einmal 
fcheint nach den ausgebrüdten Affecten Liebe in Japan ganz 
anderer Natur zu fein wie bei uns, und fodann fpra- 
hen unfere Herren Dolmetfcher ungefähr fo fertig engliſch 
wie wir japanefifch, und es jtellten fich daher ber Erklä⸗ 
rung fo abjtracter Begriffe bedeutende Schwierigfeiten in 
den Weg. 

Der folgende Act war Tomifcher Natur und die Mimik 
der vier babei betheiligten Perfonen fo braftiih, daß wir 
nicht umbin konnten, aus vollem Herzen in das enblofe 
Gelächter des Publikums einzuftimmen, welches vie heitere 
Scene hervorrief. Das Sujet war ganz eigenthünli« 
cher Art, wie e8 auch nur in Iapan vorkommen kann und 
ich will e8 zur Charafteriftit des Dolls hier etwas näher 
erwähnen, da fein Verſtändniß für uns feine Schwierigkeiten 
bot, 

Drei Bauern reiten über Land und begegnen einem Fuchs, 
der auf feinem Pferde zu fchlafen ſcheiut. Der Fuchs wird 
von den Japaneſen als eine Art Gottheit betrachtet, von ber 
man nicht recht weiß, ob fie guter oder böfer Natur if. Am 
beften läßt er jich mit den Kobolden unfers Vollsaberglaus- 
bens vergleichen, bie, je nachdem fie gut over böfe von ben 
Menfchen behandelt werben, dieſen mit gleicher Münze zahlen. 
In dem gegenwärtigen Falle neden die Bauern das von einem 
Reiter in Fuchsmaske fehr natürlich dargeſtellte Thier, erweden 


156 


ihn mit Schlägen, bie wie in ber europäifchen niedern Volks⸗ 
poffe auch Hier eine Hauptrolle fpielen, und zwingen ihn mit 
zu reiten. Anfänglich fehr aufgebracht durch die unfanfte 
Behandlung, legt fich ‚fcheinbar bald fein Aerger, er zeigt 
fih willig zu folgen, wirb vertraut und bietet den Bauern 
eine Prife an. Sie nehmen alle drei, niefen unendlich und 
find dadurch fchon halb in der Gewalt des Fuchfes. Sekt 
fommt dann das fpecifiih Japauiſche: der Wuchs reicht 
ihnen zunächſt feine Exrcremente zum Eſſen und bann feinen 
Urin zum Trinken. Um dem Zufchauer jeden Zweifel über 
die Natur biefer Gegenftände zu benehmen, zeigen fehr 
natürlich fingirte Bewegungen ihre Duelle. Durch ven 
Genuß dieſer Zaubermittel find jeßt die Bauern in der Ge- 
walt bes Fuchſes, gezwungen alles nachzuthun, was er 
ihnen bormacht, und die Art und Weile, wie dies gefchah, 
erjchütterte Das Zwerchfell der Zufchauer in hohem Grave. 
Zugleich erhielten wir dabei aber Proben von einer Gewandt⸗ 
heit und Reiterkunſt, bie wir durchaus nicht vermuthet hat- 
ten, und die auch bei uns das größte Furore gemacht haben 
würden. 

Die Pferde gingen dabei allmählich vom Schritt zum Trabe 
und wüthendſten Galop über, wobei wir abermals über ihre 
Drefjur erftaunen mußten, da die Reiter fie weder mit Zü⸗ 
gelnoch Schenkel lenkten, und es für die vier Pferde ungemein 
jchwierig war, fich in dem engen geraplinigen Raume in Galop 
zu bewegen und zu drehen, obne einander binverlich zu feir. 
Der Fuchs war eine vorzüglicher Reiter; bald faß er auf dem 
Kopfe des Pferdes, bald auf dem Schwanze, hing mit ben 
Händen oder Füßen an beifen Halfe, froh in voller Car⸗ 
riere unter beffen Bauch durch, ſtand auf dem Sattelknopf 
auf dem Kopfe, überfchlug fih und machte dabei fo viel Ca⸗ 
priolen, als ob er fich auf ebener Erde befinde und von Gutta- 
percha wäre. Seine drei Bafallen fielen zulegt vollftändig 


157 


erfchöpft vom Pferde, und ihr Qualgeiſt ritt unter dem ſtür⸗ 
mifchen Applaus des Publilums, in den auch wir lebhaft 
einftimmten, aus ber Bahn. 

Der nächte Act brachte wieder eine bramatifche Xie- 
besfcene, in welche plöglic ein Tomifcher Schulmeifter 
mit einer Schule hineinfchneite, ohne anders motiwirt zu 
fein, als die ernite Handlung auf eine kurze Zeit zu unter- 
brechen und ihre Langweiligfeit zu vermindern. Ihren 
Schluß warteten wir jedoch nicht ab, da ein fanfter Regen 
ſich auf Nangafafi herniederſenkte und durch das lockere 
Mattendach, das wol einigermaßen Schutz gegen Sonnen⸗ 
ſtrahlen, aber nicht gegen Näſſe bot, auf uns hernieder⸗ 
träufelte. Zwar boten uns unſere freundlichen Nachbarn 
ſofort ihre breiten waſſerdichten Papierſchirme an, wir hat- 
ten jeboch des Guten genug genoffen, thaten noch einen Blick 
hinter die Eouliffen, um uns bie einen Hugen Pontes zu 
beſchauen, und traten dann unfern Rückweg nach Nan- 
gaſaki an. 

Unfere übrige Freizeit benugten wir, um mit unferer 
flinfen Dampfbarfaffe Partien nad den verſchiedenen 
thönen Punkten der Bat zu machen, ober auch Pidenid- 
partien zu Lande zu veranftalten. Die wechſelvollen Ge⸗ 
nüffe ließen uns die Tage viel zu kurz erjcheinen, und was 
wir wegen bes Winters und amberer Umftände in Jeddo 
und Kanagava verfäumen mußten, fuchten wir bier: im 
Frühjahr auf das befte nachzuholen. Obwol fchon feit 
vierzehn Tagen ber Eintritt der Negenzeit erwartet wurde, 
begünftigte ung, mit Ausnahme eines Turzen Gewitters, 
das jchönfte Wetter, und wir fonnten alles ungeftört ge- 
nießen. 

Ebenſo ſchön wie die Bai ſelbſt ift auch die ganze Um- 
gegend von Nangafali, und ein zweiftündiger Nitt nach ben 
Fiſcherſtädtchen Mogt und Awa, ben Grenzpunften bes fat 


160 


zung ſog. Dann folgte eine mit Raſen und Blumen bedeckte 
Ebene, an die ſich abermals ein Dichtes Gebüfch von dunkel⸗ 
ftem Grün fchloß, auf dem die prachtoollen rothen und -wei- 


fen Blumenkelche der Camellie wie Perlen auf grünem Meere 


blitzten. Ueberall fchlängelten ji Wege, mit blanken Fluß⸗ 
kieſeln fanber beftreut, duch bie Tieblichen Partien; mäh- 
rend weiterhin über die Stadt der Bid auf das Meer 
fchweifte, auf: deſſen Spiegel die Infeln: in bläufichen Duft 
gehüllt zu ſchwimmen fchienen. Alles war ruhig und ſtill 
bier oben; nur dann und wann brangen einzelne Laute von 
dem Leben in ven Straßen herauf, und die jonoren Gloden- 
töne eines benachbarten Buddhatempels funmmten durch bie 
Lüfte. | | . | 
Sanz fim Hintergrunde dieſes kaum 150 Duabratfuß 
deckenden Gartens ftand das Wohnhaus des Cigenthümers. 
Werfen wir einen Blick in daffelbe, fo haben wir die Ver- 
vollftändigung des ebenfo fremdartigen als ſchönen Bildes. 
Bir überfehen das ganze Haus; bie warme milde Frühjahrs- 
luft hat feit langem vie Kohlenbeden entbehrlich gemacht; 
alle Thüren und verfchiebbaren Zwiſchenwände find entfernt, 
und das. Innere liegt offen vor uns. Alles ift fauber, reinlich 
und nett, und auf den Fußmatten figt nahe der Veranda bie 
Familie zum Mittagsmahle vereinigt. Sie befteht aus Vater, 
Mutter, einem Kleinen Mädchen von 10 Jahren und einer er- 
wachſenen Tochter. Eine Dienerin präfentirt gerade ben Saft in 
Heinen Schälchen von burchfichtigem Porzellan, und eine heitere 
Unterhaltung würzt das Effen. Nach jeiner Beendigung ergreift 
bie äftere Tochter die in keinem Hauſe fehlende Guitarre und 
ſtimmt unter ihrer Begleitung ein Lieb an. Seine ftetS wie- 
derkehrende eintönige Melodie, die unerwartet zwifchen Dur 
und Moll wechjelt, fpricht unfer Ohr nicht an, aber fie paßt 
zu ber ganzen frembartigen Umgebung, und wir vergeffen fie 


auch bald, um einem Blick auf die Sängerin zu werfen. - 








161 


Das Märchen ift hübſch, fie hat regelmäßige web feine Züge, 
ein ovales Gefiht ohne die entftellenden hervorſtehenden 
Backenknochen des japantichen Typus, die Nafe ift ein aller- 
liebites Stumpfnäschen, ver Mund Klein, die forgfam gepflegten 
und zweimal täglich mit Zahnpulver geputzten Zähne find 
fchneeweiß und tadellos, die Augen manvelförmig und ſchwarz. 
Ihr glänzend fchwarzes Haar ift in reicher Fülle zu einem 
fünftlihen Bau zufammengebunden; vorm rechts und Tinfe 
gefcheitelt, wird ver mittlere Theil nach hinten übergekämmt, 
währenb das Uebrige feitwärts über die Ohren fällt. Dort ver- 
einigt es fich mit dem Haar deg Hinterfopfes, um mit ihm über 
ein Polſter zurückgekämmt zu werben unb oben auf dem Schei- 
tel einen gefälligen Knoten zu bilden. Dieſer ift durch Span- 
gen von Silber und Gold feftgehalten und von einem Stüd 
rothfeidenen Krepps umwunden, befjen Iebhafte Farbe außer- 
orbentlich pukt. 

Den Körper deckt ein feibener Nod mit ben ungemein 
weiten Zafchenärmeln. Dorn übereinander gefchlagen und 
um die Taille durch einen breiten Kreppgürtel zufammenge- 
halten, läßt er Hals und Bruft faft frei, währen er unten 
bis auf die Erbe reicht und mur außer dem Haufe etwas 
aufgefehärzt wird, um nicht im Schmuze zu fohleppen. Die 
von Natur Kleinen Füße fteden in weißen genähten Strümpfen 
und Strobfanvalen, aber ver Rod verbirgt fie vollſtändig, 
und bie Finßer der ebenſo Heinen als fchmalen Hand ziert 
ein Ring mit einer Heinen Golomünze Nur Eins beein- 
trächtigt die angenehme Erfcheinung. Geficht, Naden und 
Hals find weiß geſchminkt, die Wangen carmotfinroih ge 
malt, die Unterfippe mit Goldſchaum belegt, und bie 
unglückliche Mode, welche bie ganze Welt knechtet, in Eu⸗ 
ropa bie Taillen und in China die Füße verfrüppelt, macht 
auch Hier ihren Einfluß geltend und verunftaltet, wenn auch 
harmloſer wie dort, das von der Natur verliehene Aeußere. 

Werner. I. 11 


162 


Neben da Gärten waren es vorzüglich vie Friebhöfe, 
welche uns anzogen. Es gibt fo viele Orte in der Welt, 
von denen man zu fagen pflegt: „Hier möchte ich nicht be⸗ 
graben fein.” Hier drängt ſich uns jedoch gerade der ent- 
gegengeſetzte Wunfh auf. Es kam feinen fchönern Platz 
für die fette Rubeftätte geben als vie Friedhöfe um Nangaſaki. 
Sie find an den Abhängen der die Stadt einfchließenven 
Berge angelegt, und, die Pietät der Iapanefen, die noch viel 
größer als in China tft, hat diefe Orte in einen immerwäh- 
rend Schönen Blumengerten verwandelt: Die Seitenflächen 
der Berge find bis zu 500 Fuß hoch terraffirt und bilden 
unzählige Kleine vieredige Plateaux. Jedes berfelben ift ein 
Tamilienbegräbnißplag, und die nur wenig Raum einnehmen- 
ben Gräber befinden fich ſymmetriſch am drei Seiten des Vier⸗ 
eds und find jedes mit einen fein behauenen und feulptirten 
Denkſteine geſchmückt. Je nach den Vermögensverhältniffen 
des Eigenthümers find diefe Denkmäler größere, und einzelne 
erreichen die Höhe von 12 Fuß. Der ganze Plag ift mit 
Kiefeln belegt und ſtets ſauber und rein gehalten, mögen vie 
Todten auch dort ſchon viele Jahre ruhen. Bier und dort 
befchatten mächtige Fichten bie Gräber, Camellien, Azaleen 
und andere reichblühende Gefträuche und Bäume bilden überall 
Ihöne Bosquets. Was uns jedoch bejonvers anzieht und 
einen jchönen Zug im Charakter der Japaneſen offenbart, ift 
der Blumenfchmud der Gräber jelbft, ver wähdend des gan- 
zen Jahres wöchentlich mehreremal, ja vielfach auch täglich 
erneuert wird und bie Friedhöfe in einen ewigen Garten vers 
wandelt. In den Sodel eines jeven Denkmals find drei 
runde. Wafjerbehälter gehauen, in welche Keine Blumentöpfe 
von Bambus pafien, und dieſe werben ftets mit Blumen ger. 
füllt, ſolange die Iahreszeit fie hervorbringt. In den Win- 
termonaten vertritt das immergrüne Elicium religiosum 
bie Stelle der Blumen, und bie Heinblätterige Kletterfeige 








163 


umhüllt alfe Steme mit einem grünen Gewande. In ber 
Mitte der Kirchhöfe erheben fih regelmäßig Sinto- ober 
Buddhatempel, in deren Höfen Palmen und Fichten ein 
fchattiges Dach bilden, und wo Tahlgefchorene Priejter mit 
weiten fchwarzfeidenen Talar Miſſen für bie Verſtorbenen 
lefen. 

Leider famen wir einige Tage zu ſpät, um einem ber fchön- 
ften Feſte der Japaneſen, dem Todtenfeſte beizuwohnen, das 
nach der Beichreibung einen wunderbaren Einbrud machen 
muß. Aehnlich wie die Ehinefen an dieſem Tage die Gräber 
ihrer Angehörigen mit weißen und rothen Papierfähnchen 
ſchmücken, wird in Japan mit Einbruch ver Dunkelheit jedes 
Denkmal mit einer farbigen Laterne behängt. Die Friephöfe 
liegen amphitheatraliſch um die ganze Stadt und fämmtlich 
höher als dieſe. Sie enthalten minbeftens hunderttauſend 
Gräber, und man kann fich denken, welchen prachtvollen An- 
blick dieſes Lichtmeer zwifchen dem Grün ver Berge von ber 
Rhede aus gewährt haben muß. Um Mitternacht werben 
biefe Laternen entfernt und die Lichte in ebenfo viele Kleine 
Kähne gefteckt, die, mit einigen Lebensmitteln und Kupfermün- 
zen für die Todten beſchwert, dann auf die Bat gefeßt werben 
und mit bem Lanbwinde ber See zutreiben, ein Schaufpiel, 
das an Pracht alles übertreffen joll. 

Bezüglich. ver Särge fteht Japan wahrfcheinlich auch 
einzig in ber Welt da, und ein Leichenzug gewährt einen ganz 
ungewöhnlichen Anblid. Der Todte wird nämlich nicht in 
einem Holzſarge und in liegender Stellung, fonvern ſitzend, 
mit den Knien bis an das Kinn gezogen und bie Arme nad) 
vorn barübergefrenzt, in einer großen bauchigen Krufe von 
Steingut beerdigt und in einer fehr leicht gebauten Sänfte 
mit Papierfenjtern zu Grabe getragen. Die Gefchmeidigfeit, 
welche erforberlich tft, um der Leiche dieſe fonderbare Stellung 

11* 


164 


zu geben, ſoll durch ein eigenes Pulver erzeugt werben, das 
man dem Todten in den Mund ftrent und wodurch er nach 
Berlauf von wenigen Minuten volllommen weich und biegungs⸗ 
fähig wird. Wir verfuchten mehrmals in ven Beſitz diefes 
Pulvers zu gelangen, reuffirten jedoch nicht, da bie Priefter, 
welche e8 allein verfaufen, durch Tein Geld zu bewegen waren, 
uns davon abzulaffen. Es foll in einem Klofter in Miako, 
ber. Refidenz des geiſtlichen Kaiſers, angefertigt werben, jedoch 
fcheint feine Bereitung ein ftreng bewahrtes Geheinmiß zu 
fein. 

Ein Leidenzug in Iapan fieht nicht fehr traurig aus, 
Wir begegneten in Nangafaft einem folchen, ver ſich in ziem- 
lihem Geſchwindſchritt nach dem Kirchhofe bewegte, während 
fein Geleite heiter fcherzte und lachte. Voran ging ein Knabe, 
ber einen Blumentopf mit großen weißen Papierblumen trug; 
ihm folgte das Muftllorps, beſtehend aus drei Eiarinetten- 
bläfern, mit den früher erwähnten Körben über ven Kopf ges 
ftülpt, und einer Trommel, bie in regelmäßigen Zwifchenräu- 
men angefchlagen wurbe. Ihnen folgte ein fingenver Prieſter 
und die von vier Mulis getragene Sargfänfte, Hinter ihr 
unmittelbar die Hauptleidtragenben, eine Frau und zwei 
Mäpchen in fehr grobe weiße Gewänder gefleivet und mit 
einer weißen Mütze bedeckt. Um jeboch ven fchönen Haar⸗ 
ſchmuck, ven Stolz jeder Iapanefin, nicht durch die häßliche 
Mütze ganz zu verſtecken, war Ießtere nur oben"anf ven Kopf 
gelegt, und unter ihr fchaute die ganze Legion der Span- 
gen ımb ber rothe Krepp kokett hervor. Tout comme chez 
nous! 

An die Frauen enblich ſchloß ſich ein größeres Leichenge- 
folge von Männern, Frauen und Rindern an, die ohne Ord⸗ 
nung hinter dem Sarge herliefen. Auf dem Friedhofe wurbe 
ber Sarg in feine Heine quadratiſche Grube gejenkt und, wäh- 
rend ber - Priefter Gebete abfang, mit Erde bevedt. Die böl- 


165 


zerne Sänfte wurde barübergeftellt und von ben Leibtragen- 
den mit lebendigen Blumen gefhmüdt, währen man ben 
Topf mit ven Papierblumen obenauf ftellte. Diefe Sänften 
werben kann jpäter burch einen Denfftein erjeßt. Die ganze 
Geremonie am Grabe bauerte kaum fünf Meinuten, und das 
ganze Gefolge trat ebenfo heiter feinen Rückweg an, wie es 
gefommen. Der Tod Hat für den Iapanefen durchaus nichts 
Schredliches: er fiebt in feinem Eintreten eine unabweisliche 
Nothwendigfeit, ift ftets darauf vorbereitet, und die Lehren jei- 
ner Religion fuchen allen nachhaltigen Gram von vornherein 
abzujchneiden, vielleicht um das fonft fo despotiſch gefnechtete 
Volle fein Leid vergeffen und nur im Genuffe ber heitern 
Gegenwart ihm bas Leben erträglich zu machen. 

Das Klima von Nangaſaki ift wie das von ganz Japan 
ein überaus mildes und angenehmes. “Der an ver Oftfeite 
bes ganzen Archipels Hinlaufende Warmwaſſerſtrom übt auf 
bie Länder, welche er befpült, einen ebenfo mwohlthätigen Ein- 
fluß wie der Amerilanifhe Golfftrom auf bie weitlichen 
Küften Europas, und wenn wir in Jeddo im Januar auch bis- 
weilen mit Nordſtürmen Schnee und Eis gehabt haben, fiel 
bas Thermometer boch nie unter zwei Grab Reaumur und 
dies auch nur während einiger Morgenftunden. In Nangafafi 
tft fein wiebrigfter Standpunkt jedoch nur + 59 R., und die 
Beſchaffenheit des Klimas mag am beiten daraus erhellen, 
baß bier die Palmen im Freien überwintern. Im allgemei- 
nen iſt das Klima fehr gejund, und epidemiſche Krankheiten 
fennt man mit Ausnahme der Cholera, die in neuefter Zeit 
einigemal erfchienen ift und bedeutende Verwäftungen an- 
gerichtet hat, faft gar nicht. Hin und wieder trifft man auch 
wol beim niebern Volle die Lepra, eine Krankheit, bei ber bie 
Finger und Zehen abfaulen, und vie durch fchlechte Nahrung, 
namentlich verborbene Fifche, herbeigeführt werben foll, aber 
auch nur ſporadiſch und lange nicht in dem Maße wie in 


166 


China, weil in Iapan feine Uebervölkerung herrſcht und kein 
Mangel an Lebensmitteln ift. 

- Hiermit fchließe ich die Charakteriftif Iapans und nehme 
bie unterbrochene Reihenfolge der Kreigniffe wieder auf, 
welche mit dem Abſchluß unfers Vertrags im Zufanmen- 
bange ftehen. 


— — — — — — — 








28. 


Die Berhanblungen mit ber preufifchen Geſandtſchaft. Anſchläge ber 
japaniſchen Abelspartei gegen die Fremden. Ermorbung bes amerika⸗ 
niſchen Geſandſchaftsſecretärs Heusfen, Betragen und Intriguen ber 
Regierung. Feſtes Auftreten bes Grafen Eulenburg. Beſtattung Heus- 
fen’s unter Alfiftenz ber preufifchen Waffen. Abreife bes englifchen 
und franzöfiihen Gefchäftsträgers nach Yokuhama. Endlicher Abſchluß 
bes Vertrags mit Preußen am 25. Ianuar 1861. Abgang ber preu- 
Bifhen Schiffe nach Schang-bae. Charakter des japanifchen Volks und 
Ausfichten auf feine freiere fociale und politifche Entwidelung. 


Es wurde von mir bereits bemerkt, daß Graf Eulen⸗ 
burg den Gedanken aufgeben mußte, den Vertrag im Namen 
des Zollvereins abzuſchließen, um nicht ganz und gar zu ſchei⸗ 
tern, nachdem bereitS drei volle Monate in unfruchtbarem 
Harren dahingegangen waren. Man legte der SHart- 
nädigfeit der Japaneſen in biefer Beziehung zwei verfchie- 
bene Motive unter. Die einen fagten, die Regierung, welche 
ber Mehrzahl nach noch aus Vertretern des alten Abſchlie⸗ 
ßungsſyſtems beftehe, wolle den Handel fo viel als möglich 
beichränfen. Sie wiſſe aber, daß die Hunderte von beutfchen 
Schiffen, welche die Küften von China befahren, ven Staaten des‘ 
Zollvereins und der Hanfa angehörten, während preußijche 
Schiffe fich nur in ſehr geringer Anzahl in ven inbifchen Meeren 
befänden. Bewillige man daher Preußen allein einen Vertrag, 
jo käme vielleicht währenn einiger Jahre nur etiva eins feiner 
: Schiffe, währen bei einem Vertrage mit dem Zolfverein und 
den Hanfeftäbten Iapan fehr bald won beutfchen Schiffen über- 


168 


ſchwemmt fein würde. Die andere Berfion lautete, daß bie 
Amerikaner auf das jtärffte gegen uns intriguirt und bie Ja⸗ 
panejen gegen die Zollvereinsftasten eingenonmen hätten, 
weil fie deren Concurrenz und namentlich fürchteten, von ben 
beutfchen Schiffen bald wie in China gänzlich verbrängt zu 
werben. Die letere Verfion feheint mir die richtige, da ich 
biefe Anficht in Hongkong offen vom amerifanifchen Conſul 
habe ausſprechen hören. 

Wie dem auch ſei, das Factum iſt leider vorhanden, wenn 
auch von Feiner großen Bedeutung, da Zollvereinsſchiffe leicht 
preußifche Flagge erhalten können und überdies e8 unmöglich 
no lange Jahre dauern Tann, bis die deutichen Nord» und 
Dftfeeftanten, welche Schiffe in: vie öftlichen Gewäſſer fchiden, 
in einer oder ber andern Form mit Preußen eine gemein- 
ichaftliche Slagge führen. Ä 

Mitte Ianuar 1861 waren die Verhandlungen ihrem Ab- 
fchluffe nahe, ala plöglich wieder ein Umſtand eintrat, ber nicht 
ollein für uns, ſoudern auch für pie Übrigen Vertragsmächte und 
fammtliche Fremden unheilvoll zu werden drohte. ‘Der freifinnige 
Horienoribe-no-cami hatte fich, wie ich früher ſchon erzäglte, den 
Bauch nuffchligen müflen und war durch einen reactionären 
und frembenfeindlichen Eommiffar erſetzt. Wie es ſchien, hatte 
er dem Einfluß der Daimiopartei, die mit ihren Feindſelig⸗ 
feiten gegen die Fremden wieder offner hervortrat, weichen 
müſſen und war wegen feiner liberalen Anfichten ihrem Haß 
zum Opfer gefallen. 

Zugleich ereignete fich wenige Tage darauf ein Vorfall, 
ber darauf fohließen Ließ, daß von feiten jener Partei eine 
Ratafteophe vorbereitet were, welche nichts weniger als bie 
Vertreibung ver Geſandten aus Jeddo und bie Ermordung 
fänmtlicher Europäer zum Zweck habe. 

Der Seeretär der amerilaniſchen Geſandiſchaft und zu⸗ 
gleich Dolmetſcher der unfern, Herr Heusken, ein Holländer 


169 


von Geburt und ein bei Europäern und Iapanefen beliebter 
Maun, ritt eines Abends gegen 9 Uhr von Alabani, ver 
Wohnung des Grafen Eulenburg, in Begleitung von brei 
Bolizetjalonins nach Haufe. Unterwegs ftürzten plöglich fieben 
bis acht Mänmer auf ihn, jagten die Jakonins in vie Flucht 
und hieben auf ben unbewaffneten Heusken ein, ver tödlich 
verwundet unter ihren Streichen fiel und nach drei Stunden 
eine Leiche war. ‘Der Mord geichah aus politiichen Motiven ; 
Hensten hatte Feine Privatfeinde, jeine Leiche war nicht be- 


. vaubt, alfo war er weder durch dem Act einer Privatradhe 


noch durch die Hand von Räubern erlegen. Die Haltung 
ber Regierung beftätigte dies; bei dem Polizeifpften in Japan 
fann ben Behörden nicht das Geringfte entgehen, aber es ge- 
ſchah nichts, um der Mörber habhaft zu werben. Entweder 
wollte man es nicht, ober fürchtete Ach, es zu thun, obwol 
man wußte, woher ver Schlag fam. Der Zweck des Mor⸗ 
bes war offenbar, bie Gefandten einzufchüächtern und fie zu 
veranlaffen, ihrer eigenen Sicherheit wegen Jeddo freiwillig 
zu räumen. 

Am andern Abend erichienen noch fehr fpät zwei ber 
Gouverneure von Jeddo tn Alabant und erfuchten in fchein- 
bar großer Aufregung unfern Gefandten, Mabani zu verlaffen 
und ſich in ven Schuß eines Fatferkichen feften Schloffes zu- 
rückzuziehen, da man eine Verfchwörung euntdeckt habe, verein 
Zweck fei, ſämmtliche Fremde mit Teuer md Schwert zu 
vertilgen, die Regierung aber den Grafen in feiner Wohnung 
nicht zu fchügen vermöge. Es iſt wahrjcheinlich, daß Dies 
eine anvere Finte war, um die Geſandten zum freiwilligen 
Abzuge zu bewegen, und ich habe mich des Einpruds nicht 
erwehren können, daß die Regierung in diefer ganzen Ange- 
legenheit faljches Spiel trieb. Nach ven Angaben der Gon- 
verneure ſollten 500 entlaffene Jakonins des Prinzen Mito die 
Verſchwörer fein und fich verkleidet in Jeddo eingefchlichen 


170 


haben. Wenn pie Regierung aber dies wußte, weshalb be= 
mädhtigte ſie fich der wenigen Leute nicht, da ihr doch ſoviel 
Milttär und Polizei zu Gebote ſtand und nicht unbefantt 
fein Tonnte, welche furchtbaren Folgen eine folche gewaltſame 
Verlegung bes Völferrechts für Ren und das ganze Land un- 
fehlbar haben mußte? 

Wie nem aber audh fei, der beabſichtigte Zweck wurde 
nicht erreicht. Graf Eulenburg erklürte "Den: Gouverneuren 
ruhig, er werde Akabani nicht verlaſſen. Da vie Regierung 
bie Exiſtenz und ven Zweck ber Verſchwörung kenne, hege 
er das feſte Vertvanen zu ihrer Kraft und Ihrem guten Willen, 
den Ausbruch derſelben zu hindern. Sollte fie ſich aber nicht 
ſtark genug fühlen, fo feier gern erbötig, ihr eine geeignete 
Unterftügung aus: den ' Mannfchaften des Geſchwaders zu 
Hülfe zu geben. Dies wurbe natärlich abgelehnt, und bie 
Gouvernenre verabfchiedeten ſich. Die übrigen Gefandten 
hatten gleichfalls erklärt, ihre Hotels nicht verlaffen zu wollen, 
und es blieb alles beim alten ;' vie’ Verſchworung aber kam 
nicht zum Ausbruch. 

Bon! den Vertretern ber’ fremden Machte war beſchloſſen 
worden, daß ſie ſämmtlich vem Leichenzuge folgen wollten und 
derſelbe ein entſprechendes Geleite von preußiſchen Seeſoldaten 
und Matroſen erhalten follte, da unſere Kriegsſchiffe die 
einzigen vor Jeddo waren. Demgemäß wurden 50 Seeſol⸗ 
daten und 50 Matroſen, ſämmtlich mit. Zündnadelgewehren, 
die Matroſen auch mit Revolvern bewaffnet, an das Land 
beordert. Am: Morgen des Begräbnißtages war jedoch noch 
die hollandiſche Kriegobrigg Kaſchelot auf der Rhede einge⸗ 
troffen, und auch fie ſchickte 20 Seeſoldaten zur Beſtattung. 
Ale Mannſchaften waren mit feharfen Patronen verfehen. 
Außerdem bethelligten 'fich etwa 50 Offiziere, Cadetten und 
Angehörige der verfchiedenen Gefandtfchaften an dem Zuge, 
gleichfalls fämmtlich mit Revolvern und Säbeln bewaffnet. 


171 


Wir waren eben auf dem Hofe von Alabani zum Abmarſch 
nach dem amerikaniſchen Geſandtſchaftsgebäude atgetreten,. wo 
fih bie Leiche befand, als plöglich von dort eine Botichaft 
erſchien, nach .dver von feiten ber Daimiopariei ein Angriff 
auf den Leichenzug.beabfichtigt wäre. Die Gouperneure ‚hatten 
ben amerifanifchen Gejchäftsträger foeben davon in Kenntniß 
geſetzt und ihn erſucht, Die Übrigen Geſandten von ber Be⸗ 
gleitung bes Zuges abzuhalten. Harr Harris hatte jedoch, 
obwol Energie fonft nirht zu feinen Vorzügen zu gehören 
ſcheint, diesmal geantivortet, ber Leichenzug würbe, ‚wie ex 
angeorbnet, jtattfinden; zugleich aber könne fich pie Regierung 
verfichert halten, daß von Jeddo fein Stein auf dem andern 
bleiben ſolle, wenn eine jo ſchreiende Verlegung des Völlker⸗ 
rechts begangen und auch nur einer der bei der Feierlichleit be- 
theiligten Perſonen ein Haar gekrummt würde. Diefem Aus» 
ſpruch ſtimmten die übrigen Gefandten bei; e8 wurde ſcharf 
gelaven, und ver Zug, vollſtaͤndig militärifch geordnet, Muſilk, 
Sarg, Geiftliche, die Flaggen ber fünf. Vertragsmächte und 
bie Gefanbten in der Mitte, fette fich in Bewegung. 

Der Begräbnißplag war braußen vor der Stadt etwa eine 
halbe Stunde weit entfernt, und wir paffirten bie Stelle, wo der 
Mord geſchehen und das Straßenpflafter: noch vom Blut ge- 
röthet war. Dem Zuge voran ritten die fünf Goupernenre der 
Stadt, welche ſich nach dem ihnen gewerbenen Beſcheide er- 
boten hatten, felbft den Zug zu geleiten und durch ihre An⸗ 
wejenbeit bie möglichſte Sicherheit zu gewähren. Anfänglich 
wollten fie fih in Sänften tragen Iaffen, bies wurbe jeboch 
als unpaffend erachtet, da bie. fremden Gefandten zu Fuße 
folgten, und fo Tam man ſchließlich überein, daß ſie zu 
Pferde erſcheinen ſollten. 

Selten wol iſt eine Leiche unter fo eigenthümlichen Verhält⸗ 
niffen zur Erde beftattet worben. Das Gewehr fertig zum 
Anfchlag, die Hand am Revolver, te marſchirten wir unter 


172 


ven Klängen eines Trauermarſches mitten burch eine unbe⸗ 
fannte, von Millionen bewohnte Stadt. Kine unabfehbare 
Menfchenmenge füllte vie Straße, Zaufende und aber Tauſende 
brängten fich heran, um das wunderbare, nie erblidte Schau⸗ 
fpiel mit anzufehen. Oft war das Gedränge fo ſtark, daß ber 
den Nachtrab befehligenbe Offizier: „Halt! Kehrt! Fallt’s Ge⸗ 
wehr“! commanbiren mußte und jeber unmillfürlich feine Waffe 
fefter ergriff. Aber augenblidlich. wogte die Menge zurüd, 
nicht wild und ſchreiend, fondern rubig, friedlich und anftändig. 
Wir fahen einen Bewaffneten, bie Neugierde: allein hatte 
bie Zaufende auf die Straße gelodt. gi 

Der Sarg wurde nach dem Ritus der katholiſchen Kirche 
(ver Verftorbene war Satholif) vom Kaplan der franzöfifchen 
Geſandtſchaft eingefegnet und in das Grab gefenft, und wir 
traten auf diefelbe Weife wie vorher unfern Rüdzug an ohne 
‚die geringfte Störung, ohne das leichtefte Anzeichen von Feind⸗ 
feligfeiten. Ueberall wich man uns ehrerbietig aus und er- 
wiberte freundlich unfere Grüße. 

Es ift möglich, daß fowol unfere Zahl als unfere Be⸗ 
waffnung und die in allen Gefichtern unverkennbar ausge: 
fpsochene Entſchloſſenheit, umfer Leben jo theuer als möglich 
zu verfaufen, die Verſchwörer, wenn folche eriftirten, von dem 
beabfichtigten Angriffe abgehalten hat; ich glaube aber, daß 
auch dies nur wieder ein Manöver der Regierung war, um 
bie Geſandten zu terrorifiren. 

Am folgenden Tage wurde ber Offizier ber japaniſchen 
Jaloninwache, welche zum Schub des amerilaniſchen Geſandten 
in beffen Wohnung poftirt war, abends beim Rondegehen 
ermordet nnd an jedem ber beiden folgenden Abende einer 
ber wachehaltenden Iafonius, ohne daß bie Negierung der 
Thäter habhaft geworben wäre, und zugleich wurden abermals 
Drohungen gegen die Fremden laut, ‘Der franzöfifche, eng- 
liſche und holländiſche Geſandte glaubten fich jett ihres Lebens 





173 


nicht: mehr ficher. Sie zeigten der Regierung ihren Entſchluß 
an, Jeddo zu verlaffen und nad Yoluhama überzufiebeln. 
Zugleich fchrieb jedoch Herr Alcod eine fehr energifche Note, 
in welcher er die Regierung geradezu ber Mitwwiffenfchaft an 
ben norgefallenen Morden bezichtigte und mit per Herbeirufung 
englifcher SKriegsfchiffe zum Schub der Gefandtſchaft drohte. 

Bis die Dampfeorvettse Enconnter eintraf, mit ber ſich 
ber englifche und franzöfifche Gefchäftsträger nach Yokuhama 
einfchifften, während der beflänpiiche an Vord des Kaſchelot 
ging, erhielt Herr v. Belcourt eine Schutzwache von zwölf 
unferer Seefolvaten, und am 22. Ianuar 1861 fegelten bie 
brei Herren von Jeddo ab. Nur Herr Harris erffärte, feinen 
Play nicht verlaffen zu wollen, und ebenfo blieb Graf Eulen⸗ 
burg ruhig in Alabani. 

Ob bie Note des Herrn Alcock bie Regiernng einſchüch⸗ 
terte oder ſonſt Grunde vorlagen, fie anders zu ſtimmen, 
weiß ich nicht, genug, unfere Bertragsverhanblungen wurben 
plößlich wieder aufgenommen und jo fchnell zu Ende geführt, 
daß am 25. Jannar ver Vertrag zum Abfchluß gedieh und 
unterzeichnet wurde. Seinem Hauptinhalte nach denen ber 
übrigen Möchte gleichlautend, tritt der preußifche Bertrag 
am 1. Yannar 1863 in Kraft, geftattet jedoch ſchon früher 
bie Zulaſſung von Confuln und gilt für die im Lande leben» 
ben Preußen bereits von dem Tag der Unterzeichnung. an: 

Jetzt Iag feine weitere Veranlaffung zum fernern Bleiben 
bes Gefanpten und des Geſchwaders vor. Am 26. Januar 
wurden bie übrigen Geſchenke und. unter ihnen ein lebens⸗ 
großes Porträt unfers Königs für den Kaiſer übergeben und 
dafür Gegengeſchenke empfangen, vie hauptfächtich in Foftbarem 
Seidendamaſt beftanden, wie er fo fhän wol nur in Japau 
gemacht werden kann. | 

Am 28. Ianuar verließen wir. mit. ber Elbe und. dem 
Dertrage Yoknhama ımd. trafen nad einer ſehr ſtürmiſchen 


r 


174 


und gefahrvollen Neife, jenoch glücklich und wohlbehalten, am 
7. Januar vor Schang-hae ein, nachdem wir bereit am 
5. Februar in den Iangstfesfiang eingelaufen, aber wegen 
dichten Nebels zwei Tage auf dem Fluſſe zurückgehalten waren. 
Das Boftvampffchiff war gerade im Begriff, nach Hongkong 
abzugeben, und fo Tonnten wir 'glüädlicherweife noch alle Des 
peſchen und Briefichaften befördern. Wir blieben in Schang- 
hae Ttegen, um bie Anfunft der: Arkona und Thetis abzu« 
warten, mit benen Graf Eulenburg am 1. Yebruar nach 
Nangaſaki gefegelt war. Am 25. Februar fam ein Schiff von 
letzterm Hafen mit der Nachricht, daß das Geſchwader am 
18. dort noch nicht eingetroffen. Dies beunruhigte uns fehr, 
ipäter hörten wir jedoch von der am 19. Februar erfolgten 
Ankunft der Schiffe, die eine ſchreckliche Meife gehabt, durch 
wochenlange ſchwere Stürme aufgehalten worden waren, Boote 
und Segel verloren und verjchievene andere Beſchädigungen 
erlitten batten. 

Japan macht faft ven Eindruck einer bezauberten Schönen, 
zu deren Gewinnung man mit allen möglichen Ungeheuern' in 
ber Geftalt von Teufunen, Gegenftrömungen, Nebeln und 
falichen Karten zu kämpfen hat, und fo angenehm uns ftets 
die Erinnerung an das fchöne und intereffante Land fein wird, 
fo wenig werben wir die anf der Reife, bin und zurüd, erlebten 
Schrednifje vergefjen, unter denen ber Berluft bes unglüd- 
lihen Schooners Yrauenlob das traurigfte war. 

Am 1. März traf der Gefanbte mit ven beiden Schiffen 
ebenfalls auf dem Sang-tfe-fiang ein und obwol fpäter alle 
brei Schiffe noch einmal nach Japan zurüdkehrten, wußten 
wir dies doch damals nicht und fagten ihm Lebewohl. Der Ein- 
brud, den wir von Land und Leuten mit uns fortnahmen, war 
ein überaus günftiger. Trotz ber reactionären Bolitif der 
Daimiopartei kann es nicht ausbleiben, daß Japan einer 
großen Zufunft entgegengeht. Die freifinnigen Elemente 


175 


greifen mit Macht-im Volke um fich und werden nicht ver- 
fehlen, auf die Regierung ihren Einfluß auszuüben und dieſe 
zu liberalen Inftitutionen zu; zwingen. Iapan muß, nachbem 
ed einmal mit dem alten Syſtem gebrochen, auf ver Bahn 
des Fortſchritts meitergeben, wenn es nicht fehr bald feine 
Selbftändigfeit verlieren und eine Provinz Rußlands oder 
ein ſchwaches Infteument in den Händen. Amerifns, Englands 
oder Frankreichs werben will, Dagegen muß fich. aber ber 
nationale Stolz feiner Bewohner, die fih rühmen, nie von 
einer fremden Macht: abhängig geweſen zu fein, auf bas 
energifchfte fträuben. Die Iapanefen find gu Hug, um nicht 
einzufehen, daß fie durch Entwidelung ber innern Hülfsquellen 
fih am beiten gegen Abhängigfeit von ben Fremden fchüßen. 
Disjegt ift das Voll arm, unfelbjtändig und fteht unter dem 
Drud einer despotiſchen Herrfchaft; nur ein nach liberalen 
Grundfägen regiertes, wohlhabendes und die Früchte feines 
Fleißes felbjt erntendes Volt wird fremden Eroberern einen 
kräftigen und faft immer unbeftiegbaren Widerſtand entgegen- 
ſetzen. 

Von allen aſiatiſchen Nationen iſt aber keine ſo befähigt, 
freiſinnig regiert zu werden, wie die japaniſche. Die allge⸗ 
meine Bildung des Volks, ſein friedliebender ruhiger Charalter, 
ven keine Ausbrüche von Roheit beflecken, das ihm imewoh⸗ 
nende noble Nationalgefühl, das jedoch von aller Selbſtüber⸗ 
ſchätzung frei iſt und niemand verletzt, das feine Ehrgefühl 
und der Drang nach Wiſſen — alles das find Elemente, bie 
eine fichere Garantie .gegen jeden Misbrauch der Freiheit des 
Individuums geben. Eine Zeit lang mag die Daimiopartei, 
die allerdings bei einer folhen Wendung ber ‘Dinge nur 
verlieren würde, bie freie Bewegung zurüdhalten. Ein Blick 
auf die Veränderungen, welche vie letzten ſechs Jahre herbei- 
geführt, zeigt jedoch am beten, wie reißend jener Einfluß 


178 


bem Iangstfe-fiang. Fremde finden hier nur ein ſehr beichränftes 
Map von Annehmlichkeiten. Abgejeben von den übermäßig 
theuern Preifen aller europäifchen Artifel entbehrt man vie 
meiften unferer gewohnten Zerjtreuungen und Vergnügungen. 
Die Umgegend der Stadt ift ohne alle Abwechjelung, und ohne 
bie ungemein ausgebehnte Gajtfreundfchaft unferer deutſchen 
Landsleute, deren e8 über Hundert in Schang=hae gibt, 
wäre unfer längeres Bleiben bei dem beſtändigen fchlechten 
Wetter, das den marfchigen Boden felbft in den Straßen ver 
Stadt Tnietief aufweichte, ein höchſt trauriges geweſen. 

Die chineſiſche Stadt hat weder Hiftorifche noch fonftige 
Merkwürdigkeiten, welche ven Reiſenden intereffirem könnten, 
und ein Tag genügte vollftändig, um fie zu burchiwanbern und 
den einzigen Punkt in Augenjchein zu nehmen, ver einige Be— 
achtung verbient. Es ift Dies der Theegarten, deſſen ich ſchon 
früher in Bezug auf feine fteinbruchartigen Nachbildungen 
von Telspartien erwähnte. Das nebenftehenne Bild, nach 
einer Photographie gezeichnet, ftellt das Etabliffement bar, 
welches, ſeitdem die Franzoſen Schangehae befett halten, von 
biefen in ihr Hauptquartier verwandelt worden ift. Die Ge- 
bäubde bilden ein Viereck, das einen großen Hofraum ein 
ſchließt, von welchem aus das Bild aufgenommen ward. 
Zeiche, Zwergbäume, fünftliche Felspartien, bizarr gewunbene 
Brüden und alle jene abfonderlichen Schöpfungen, an benen 
bie chineſiſche Geſchmacksrichtung Gefallen findet, find in 
reicher Anzahl vertreten. Die Bewohner von Schangshae 
bliden mit ſchelen Augen auf ihre franzöftfchen Säfte, vie 
jo unhöflich waren, fie aus ven Räumen zu vertreiben. Der 
Theegarten bildete das Eldorado der heimifchen Spiekbürger, 
wo fie am Nachmittage bei einer Schale Thee und dampfen⸗ 
ber Pfeife ihrer angeborenen Neigung zum Plaudern nach 
Herzensluft Genüge leiften Yonnten. 

Die Nachrichten, welche wir von den Zuftänden in Japan 


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179 


mit nah Schang=hae brachten, riefen dort große Aufregung 
hervor. Am andern Tage entfandten die englifchen und fran- 
zöfifchen Admirale fofort mehrere Kriegsichiffe und Truppen 
nah Yokuhama, und noch während unferer Anwefenheit in 
Schang-hae kam auch die Nachricht, daß Herr Alcod und 
Herr von Belconrt ihren Wievereinzug in Jeddo gehalten, 
ihre Flaggen aufgepflanzt hatten, und daß biefelben von ven 
Fapanefen mit 21 Kanonenſchüſſen falutirt worden. Ob weft 
mächtliche Drohungen fie dazu bewogen, oder die altjapane- 
ftiche Partei ihre Macht verloren, kann ich nicht angeben; 
vielleicht wirkte beides zufammen. 

Der Gefandte traf mit den Schiffen am 1. März von 
Nangaſaki ein und nahm fein Quartier in der Wohnung eines 
beutfchen Kaufmanns, der fich eine Ehre daraus machte, ihm 
fein ganzes Haus zur Verfügung zu ftellen. Der Zeitpunkt 
für den Abſchluß eines Vertrags fchien nicht befonders günitig. 
Der Kaifer war nach Jehol in ver Tatarei geflohen, und ver 
liberale Prinz Kung, fein Bruder, ſah ſich durch die alt- 
hinefifche Partei, an deren Spite General Sankolinfin ſtand, 
in ber Regentichaft fehr beſchränkt. Es warb daher zunächſt 
ein Attache der Gefandtichaft nach Tientſin gefandt, um das 
Terrain zu fondiren, und der Aufenthalt der Schiffe verlängerte 
ih dadurch bis zum April. Die Fregatte Thetis trennte ſich am 
27. März von uns. Da für die an Bord befindlichen Ge- 
lehrten und Commiſſare ein längerer Aufenthalt im Golf von 
Petſchili von feinem Nutzen zu werben verfprach, wurde Die Thetis 
mit biefen nach dem Süden entfandt, und zwar über Hongkong, 
Manila, die verfchienenen Häfen des moluffischen Archipels 
und Borneos nah Java. Ende October follte das Schiff ſich in 
Siam einfinden und dort wieder mit dem Geſchwader zu⸗ 
fammentreffen, da der Gefandte beabfichtigte, erft um dieſe 
Zeit nah Siam zu geben, weil dort nur während der Win- 
termonate ein gejundes Klima herrfchte. 


„12* 


180 


Wir mit der Elbe traten am 9. April noch einmal ven 
Rückweg nach Nangafali an, um Kohlen für die Arkona zu 
holen und ihr damit nach der Mündung des Peiho zu folgen. 
Die Arkona felbft ging mit Graf Eulendurg am 24. April 
bahin ab und traf am 29. ein. Die Geſandtſchaft fchiffte ſich 
am 30. aus, um nach Zientfin zu geben. 

Am 8. Mai Hatten wir unfere Gefhäfte in Nangafali 
vollendet und fegelten nach dem Peiho. Bis Cap Schantung, 
am Eingange bes Gelben Meeres, hatten wir eine ſchnelle 
Reife, von dort an jedoch mit Stillen und ungänftigen Winden 
zu kämpfen. Zwiſchen ver Inſelkette, welche Das Gelbe Meer 
vom Golf von Petſchili ſcheidet, wurden wir plötzlich und 
ohne alle Vorahnung von einem jener gewaltigen Sanbwirbel- 
ſtürme heimgefucht, die im Frühjahr dieſe Gegenden beun- 
ruhigen. Wir waren vom Lande befegt und fuchten von 
einer Infel, die und durch ihre Nähe in Lee Hauptfächlich ge- 
fährlich wurde, durch Preß von Segeln freizufommen. Der 
Sturm war jeboch fo heftig, daß mit Einem Schlage ber 
größte Theil ver Segel fortflog und uns nichts anderes übrig 
blieb, als zu anfern und auf die Haltbarkeit unferer Ketten 
zu vertrauen. Died gejchah unverzüglich, da wir kaum 
1000 Schritt von der Infel entfernt waren, Wind und ein 
heftiger Strom gerade baranfitanden und wir mit einer unheil- 
vollen Gefchwinpigfeit uns derſelben näberten. Wir ließen 
beide Anfer fallen, bargen bie zerriffeneh und bie übrigen 
Segel und jtellten unfer ferneres Geſchick Gott anheim, dba 
menschliche Kraft nichts mehr vermochte. Der Sturm wehte 
orfanmäfig, die ganze Atmofphäre war mit Sand gefüllt, 
ſodaß wir kaum die Augen öffnen Fonnten, und während vor 
einer halben Stunde noch das Waſſer faft glatt erjchien, hatte 
ber Sturm in der kurzen Zeit eine fo furchtbare See aufges 
wühlt, daß die Wellen 6—8 Fuß Über unſer Schiff brachen 
und alles vom Verdeck fchwenmten, was nicht feitgebolzt 


181 


war. Durch das ſchwere Stampfen des Schiffs kam fo viel 
Kraft auf die Ketten, daß die eine berfelben brach und wir 
jegt nur noch vor Einem Anfer ritten. Wir glaubten uns 
verloren, denn brach auch dieſer, fo fcheiterten wir auf ben 
drohenden Selfen, und Schiff und Mannfchaft wären an 
ihnen zu Atomen zevjchellt; an Rettung war durchaus nicht 
zu denken. Die Kette, bebeutend ftärfer als die verlorene, 
hielt jedoch vortrefflih, und da die Sandftürme zu den drehen⸗ 
ven Winden gehören, ging der Wind allmählich herum, ſodaß 
wir jegt im fchlimmften Falle bei der Infel vorbei und in 
offenes Waſſer getrieben wären. Zugleich fam dadurch bie 
See von. der Seite ein, und wiewol das Schiff fo heftig 
zu fchlingern beganı, daß es ftets über beide Borde Waffer 
Ichöpfte, jo war doch die größte Kraft von der Anferfette ge- 
nommen, und wir athmeten wieder frei auf. Gegen Mitter- 
nacht, nach jechsftündigem Wehen, nahm ber Sturm all- 
mählih ab, und nachdem wir noch während ber zum Glück 
monbhellen Nacht den größten Theil unferer Schäden reparlıt 
hatten, fegelten wir am andern Morgen weiter und waren 
herzlich froh, der Inſel, die uns in eine fo gefährliche 
Lage gebracht, ven Rücken fehren zu können. 

Am folgenden Nachmittage trafen wir vor dem Peibo ein, 
fanden aber die Arkona bereits unter Segel, um nach Chefu 
im Gelben Meere zu gehen, und erhielten Signal, fogleich zu 
folgen. Wir bebauerten bies nicht; man Tiegt vor der Mündung 
bes Peiho nicht weniger als vier beutfche Meilen von ber 
Küfte, und nur fehr flach gehende Fahrzeuge Können in ven 
Fluß und bis zu den Takuforts Iaufen, die man auf ber 
Rhede bet beſonders gutem Wetter wie zwei bläufich gefärbte 
Häufchen über dem Horizont fchimmern fieht. Dadurch ift 
natürlich die Communication mit dem Lande äußerft erfchwert, 
und ba es für Seeleute feine traurigere Eriftenz gibt, als 
auf einer ſolchen Rhede zu Liegen, wo man weder Filch noch 


182 


Vogel ift, d. h. nicht an das Land geben und auch nicht 
jegeln Tann, fo folgten wir gern ber Arkona nad Chefu, 
einem Hafen an der Süpfüfte des Gelben Meeres. Wir 
lagen bier freilich auch faft eine Meile von der Stadt, doch 
diefer echt chinefifche ſchmuzige Ort, in dem nur 10 Europäer, 
5 Kaufleute und 5 Miffionare, wohnten, übte jo wenig Ans 
ziehungsfraft auf uns aus, daß die meilten von uns ibn 
während unfers fünfmwöchentlichen Aufenthaltes faum einmal 
bejuchten. Dagegen lagen wir nur einige 1000 Schritt von 
einer zur Hälfte von Filchern bewohnten Infel, deren andere 
Hälfte wir in Beichlag nahmen. Wir gründeten bort eine förm⸗ 
liche Colonie. Sämmtliche Handwerker wurden dahin über: 
gefiedelt, die Mannfchaften im Felddienſt, Aufiwerfen von 
Schanzen und Schießen geübt, und nach den Exercitien ver- 
trieben wir uns die Zeit mit Baden, Ballipiel, Scheiben- 
ſchießen und Bootfegeln. Wir hatten in einem Zelte unfer 
Cafino, und wenn wir die von Chefu bezogene Flafche Bier 
auch mit 20 Silbergrofchen bezahlten, genofjen wir boch bei 
Ehbezeit das wohlfeile Vergnügen, uns von den Klippen fo 
viel fette Auftern abzujchlagen, als wir wollien. 

Die Seeleute find von Natur fehr anfpruchslos, ihr Tuch 
bringt das mit fich, und fo begnügten wir uns mit einer uns 
fruchtbaren Sandinfel und machten aus ber Noth eine Tugend. 
E8 war auf der Verzweiflungsinjel, wie wir fie getauft hatten, 
immer noch beifer als vor dem Beiho. Die fünf Wochen ſchwanden 
ſchneller, als man glaubte, und wir wären gern bis zum Ab- 
Ichluffe des Vertrages ganz hier geblieben. Dieſer Wunſch 
wurde jenoch nicht erfüllt. Wir wurden nach dem Peiho be, 
ordert, um den Gefandten an Bord zu nehmen, ber felbft das 
Scheitern feiner Miffion zu erwarten ſchien und Tientſin ver⸗ 
laſſen wollte. Ende Juni gingen wir dahin ab, aber es trat 
wieder eine günftigere Chance ein, und wir fehrten brei 
Wochen darauf noch einmal nach Chefu zurüd. 


183 


Wie wir in Japan mit fremden Einflüffen. und Intrigen 
zu kämpfen batten, jo war e8 auch bier. Einem eigentlichen 
Handelsvertrage boten fich jedoch durchaus Feine Schwierigkeiten 
bar. In diefer Beziehung find die Chinefen liberale! als andere 
Nationen und namentlich als vie Japaneſen. Sie fagten 
„Handelt folange, foviel und wo ihr wollt in unferm Reich, 
folange ihr eure Abgaben bezahlt.“ Allein der fielige Punkt war 
bie Frage wegen Inftallivung eines Gejandten mit Iurispiction 
in Peling, wie Frankreich und England dies auf dem Wege 
der Gewalt, Rußland aber durch die Gefchicklichkeit feiner 
Diplomaten erlangt bat. Bon biefer Bedingung wollte und 
fonnte aber Graf Eulenburg nicht abgehen, und er hatte fie 
zur conditio sine qua non eines Vertrags bingeftellt. 

Die berühmten Takuforts weitmächtlichen Angedenkens be- 
fuchten wir während unfers Aufenthaltes auf ber Rhede. 
Urſprünglich beftanden fie aus vier am Cingange des Peiho 
aufgeworfenen Erdwerken, welche vie Engländer mit Leichtigkeit 
hätten nehmen können, wenn fie piefelben vom Lande aus um⸗ 
gangen hätten, anftatt fie vom Wafjer aus durch einen Moraft, 
der Hunderte ven Schritten breit und knietief iſt, anzu⸗ 
greifen. Zwei ber Forts wurden nach ihrer Einnahme 
gefchleift, die beiden äußern dagegen find wieder in Stand 
gejegt, armirt und eins von ven Engländern, das andere 
von den Franzoſen befeßt. Das Material der Forts bilden 
ihwere Balken, deren Zwiſchenräume mit einer Miſchung 
von Schlamm und Stroh ausgefüllt find, die inbefjen viel 
Widerſtandskraft befist. Soldaten und Offiziere wohnen in 
ven Erbhütten, welche auch den Chinefen als Kafematten 
dienten. Dieſe Hütten fehen wie Maulwurfshügel aus, und jede 
fat 6—8 Dann, Die etwas größere ehemalige Hütte des 
Zatarengenerald Sankolinfin ift zum Cafino für die Offiziere 
eingerichtet. Die Engländer lebten ziemlich ohne allen Com⸗ 
fort; dagegen hatten es fich die Franzoſen ſehr gemüthlich 


184 
gemacht und das ganze Enſemble ließ darauf jchließen, daß 
fie wenigitens ſobald noch nicht daran denken, von bier oder 
aus China Fortzugehen. 

Während unferer Anwefenbeit ging auch noch ein englifches 
Kanonenboot an den Nachwehen des Kriegs verloren. Die 
Chinefen ‚hatten früher zur Sperrung des Fluſſes mehrere 
Schiffsangeln hineingeworfen, Fußangeln in großem Maß- 
ſtabe mit 14 Fuß langen Spigen, von denen ſtets eine auf 
wärts fteht, wie das Inftrument auch geworfen werde. ‘Diefe 
Angeln waren von Eifen und wogen 250 Centner. Die 
Alltirten nahmen aber die Forts ron ber Panbfeite und fifchten 
bie Angeln fpäter auf. Eine muß ihnen jedoch entgangen 
fein, da das erwähnte Kanonenboot darauflief. Die fchräg 
ftehende Spite drang fogleich mehrere Fuß durch den Schiffs- 
boden, und das Fahrzeug, welches auf Feine Weile davon ab⸗ 
zubringen war, ging verloren. Die chinefiichen Behörden 
haben fich gewiß über ven Unfall in das Fäuſtchen gelacht. 

Ein paar Tage waren wir auch in Tientſin, doch bies 
ift fein Ort, wo man fich längere Zeit wohl fühlen kann, 
namentlich wenn man es nur in der Abficht beſucht, fich zu 
amufiren. Schmuzige ftinfende Straßen, faft ſämmtliche Ge- 
bäude von Schlamm aufgeführt, an einem fchlammigen gelben 
Fluſſe gelegen und von endloſen Sand» und Schlammebenen 
umgeben, bietet e8 feinerlei Reize und wird durch die Hiße 
in ben drei Sommermonaten, bei der das Thermometer täg- 
lich 30— 34° Reaumur im Schatten zeigt, während es im 
Winter bis 209 unter Nu ſinkt, faft unerträglich. Nur das 
in veihliden Maße vorhandene und äußerſt billige Eis, von 
dem der Eentner 10 Sifbergrofchen Toftet, ift eine erquickliche 
Annehmlichkeit in der Glut, die jedoch trotzdem für bie Euro- 
päer fehr gefährlich wird. Während der Monate Juli und 
Auguft ftarben purchfchnittlich täglich 5 englifche Soldaten 
von ber 1600 Mann ftarfen Beſatzung Tientfins, lediglich 


185 


infolge des Sonnenftihs und der Hitze. Ebenjo verlor Graf 
Eulenburg einen feiner europäifchen Diener, und 3 Mitglieder 
ver Gefandtichaft erkrankten jo gefährlich am Fieber, daß nur 
ihre fofortige Abreife an Bord ver Schiffe ihre Wiebergenefung 
bewirfte. 

Trotzdem wird Tientfin als Handelsplatz fehr bald eine 
große Bedeutung erhalten und wahrfcheinlich ſchon in wenigen 
Jahren alle andern ohinefifchen Häfen überflügelt haben. Dies 
macht die Nähe von Peling und der große Kanal, die große 
Verkehrsſtraße Chinas, an deifen Mündung ZTientfin liegt und 
anf dem alle Güter Hunderte von Meilen weit verjchifft 
werben können, während fle von ben bisher eröffneten Häfen 
über Laud transportirt werden mußten und baburch ungemein 
vertheuert wurden. Daſſelbe gilt von den Erportartifeln, und 
diefer Umftand hatte fich auch bereits in der kurzen Zeit von 
neun Monaten, feit welchen Tientſin damals erſt eröffnet 
war, ſehr zur Geltung gebracht. Wie wichtig Tientfin 
aber für uns Deutfche ift, hatten wir recht Gelegenheit zu 
fehen. Es lagen aufer uns 25 Schiffe auf der Rhede, da- 
bon waren zwei Engländer, zwei Amerilaner, ein Holländer 
und ein Däne; die übrigen 19 waren fämmtlich ‘Deutfche, 
und zwar 15 Hamburger und 4 Bremer. Diejes Factum 
zeigt gewiß bentlich genug, daß ein Vertrag mit China für 
Deutſchland nicht allein wünfchenswerth, fondern fogar noth- 
wendig ift, fowie e8 auch ein erfrenliches Zeichen abgibt für 
den Unternehmungsgeift deutfcher Kaufleute und für den Auf: 
ſchwung unfers Handels und unjerer Rhederei. 

Das einzige ftörende Element für den Handel mit Tientfin 
ift "die feichte Ahebe, die Schiffen mit über 10 Fuß Tief- 
gang nicht geftattet, fich näher als 2 deutſche Meilen vor ven 
Tafuforts und 8 Meilen vor Tientfin hinzulegen. 

Als wir nach fünfmonatlichem Aufenthalt in Japan enplich 
bon ben mistrauiſchen, umftändlichen und förmlichen Japaneſen 


wi 


188 


ein Wort, und e8 ging uns daraus hervor, daß europäifche 
Schiffe bier eine äußert feltene Erfcheinung fein müſſen. 
Unfere Unterhaltung beſtand deshalb Hauptjächlich in Panto- 
mimen, aber trogbem ging fie unanfhaltfam vor fi. Wir 
erhielten zunächſt eine Einladung, uns in einem Buddhaklo⸗ 
fter, das in unmittelbarer Nähe des Strandes lag, zu erfri- 
ſchen. Ein dider Mandarin mit blauem Knopfe, der höchite. 
im Range, fohritt und voran und geleitete uns, während bie 
Menge ehrerbietig Pla machte, auf den Hof bes Kloſters, 
in bem zwar ber Tempel noch ganz gut erhalten, bas aber 
fonft verlaffen war und fich in einem ſehr defolnten Zuſtande 
befand. Augenbliclich ſchien e8 in eine Militärftation ver⸗ 
wandelt zu fein, einige zwanzig gefattelte Pferde, die im Hofe 
ftanden, ließen darauf fchließen, daß die Mandarinen nebft 
ihren Begleitern unlängft bier eingetroffen und wahrfcheinlich 
nur in Anlaß unferer beiden Schiffe von Ning-hae hierher 
beorbert waren. Um einen maffiven hölzernen Tiſch im Hofe 
wurden ebenfo maffive Stühle gejtellt, wir zum Siten ger 
nöthigt, und man brachte uns Thee fowie eine Schüffel der 
ſchönſten Aprikofen, die wir je gegefien. 

Wir hatten Bier und Cognak mit ung genommen und 
boten unfern Wirthen davon an. Sie fofteten beides, aber 
nur der Cognak mundete ihnen, das Bier fagte feinem zu. 
Wir hatten gehört, daß vor einigen Jahren ein englifches 
Kriegsichiff Hier gewejen fei, daß man bie Offiziere zwar 
ungehindert an Land gelaffen, ihnen aber entſchieden das 
Befteigen der Mauer gewehrt habe. Als wir um die Er» 
laubniß fragten, wurde fie uns fofort mit der größten Bereit 
willigfeit ertheilt. Ein Mandarin nievern Ranges warb uns als 
Begleiter mitgegeben, und wir beftiegen das Rieſenwerk unge- 
ſäumt. Wahrfcheinlich waren die Engländer in ihrer gewöhn⸗ 
lichen arroganten Weife aufgetreten und deshalb von ben 
Chineſen zurückgewieſen worden. 


189 


„ Meber die Entftehungsgefchichte der Diauer und die Dauer 
ihres Baues gibt e8 verfchienene Nachrichten, jedoch fcheint es 
ziemlich gewiß, daß fie um das Jahr 250 v. Chr. begonnen 
und im 5. Jahrhundert n. Chr. vollendet wurde, mithin ihre 
Conſtruction ungefähr einen Zeitraum von 700 Jahren bean⸗ 
ſpruchte. Zieht man ihre 350400 Meilen betragende 
Länge in Betracht, fo erfcheint die Arbeit von 700 Jahren 
nicht groß, aber die Zeit ihrer Ausführung dünkt uns wunder» 
bar kurz, wenn wir bei Ning⸗hae nur einen oberflächlichen Blick 
auf die gewaltigen Schwierigleiten werfen, welche Terrainver⸗ 
hältniffe jchon auf die kurze von bier aus zu überſehende Strede 
bon einigen Meilen entgegenftellen mußten. 

Die Mauer beginnt mit einem ehemaligen runden Yort 
von 150 Schritt Durchmeffer, und man betritt daſſelbe durch 
ein ſehr gut gemanertes und gewölbtes Thor von einigen 
20 Fuß Höhe und 30 Fuß Dide. Bon dieſem Fort an 
führt die Mauer noch fünf Minuten am Meeresitrande Hin 
und dann nach einigen Biegungen, deren Nothwendigkeit jedoch 
burch die jetige Geftaltung des faft ganz ebenen Alluvial- 
terraing nicht bedingt oder erflärt wird, etwa 11, Meilen 
‚ weit in nörblicher Richtung. Dieſe Alluvialebene, in ver bie 
Stadt Ning-hae gelegen tft, wird von einem breifachen Ge- 
birgsfamm! umfchloffen, deſſen mittlerer Zug fich bis zu einer 
Höhe von 4000 Fuß erhebt, während der fünliche und parallele 
Kamm nur circa 2000 Fuß erreicht. Der Höhenrüden 
erjtredkt fich, von Diten kommend, bis etwa drei Meilen weit. 
lich von Ning-hae, wo er allmählich abflacht und fchließlich 
ganz verfchwinvet. Anftatt aber die Mauer fo weit weſtlich 
und um bas Gebirge zu führen, ift fie in norbweftlicher Niche 
tnng über die höchſten Spigen der drei Bergreihen fortgeleis 
tet, wobei fie ſtets in gleichmäßiger Höhe den Unebenheiten 
bes Terrains folgt. Die Breite ver drei Kämme beträgt un- 
gefähr zwei veutfche Meilen, und wenn man bie hundertfälti- 


190 


gen Heinern und größern Steigungen berüdfichtigt, minde- 
ftend das Doppelte Man kann daher ungefähr ermefien, 
welche Rieſenarbeit erforderlich war, um allein biefe Strede, 
ben hundertſten Theil ihrer ganzen Ausdehnung, herzuftellen, 
namentlih da alle Laften auf biefe fteilen Höhen lediglich 
durch Menfchenhände gefchafft werden mußten. Zugleich aber 
fragt man fich vergebens, weshalb die chinefifchen Herrfcher 
bei Aufführung ver Mauer faft unüberwindliche Schwierigkeiten 
aufjuchten, während fte bei einfacher Herumführung um das 
Gebirge e8 fich verhältnigmäßig fo Leicht machen konnten. 
Die durchfchnittliche Höhe der Mauer beträgt 35 Fuß mit 
der Mauerkrone von 7 Fuß; an vielen Stellen, wo eine Ver⸗ 
tiefung oder ein Abgrund auszufüllen war, fteigt fie bis zu 
80, ja an einem Punkte maßen wir fogar 117 Fuß. Don 
außen perpenbifulär, bat fie an der Inmenfelte eine Böfchung 
von ungefähr 45, bei einer Kronenbreite von 25 und einer 
Baſis von 60 Fuß. Die Mauer ift jedoch nicht maſſiv, 
fondern nur von innen und außen befleivet und oben gepfla- 
tert. Die Bekleidungen find 3 Fuß did, und fie ruhen, aber 
nicht durchgängig, auf einer 4 Fuß hohen Untermaner von 
ſehr ſchön behauenen, äußerſt forgfam zufammengefügten und 
cementirten Granitquadern, die im Laufe der Jahrtauſende 
äußerſt wenig gelitten und faſt ein Anſehen haben, als wären 
fie neu. Das Material der Bekleidung find Backſteine von 
graner- Farbe und ungefähr doppelter Größe, wie bie bei 
uns gebräuchlichen haben. Dem Anfcheine nach find fie nicht im 
Teuer gebrannt, fondern nur in der Sonne getrodnet. Dies 
ſcheint mir bauptfächlihd aus dem Umftande herporzugehen, 
baß aus einem großen Theile derfelden durch ben Froft con- 
cave Höhlungen gefprengt find, die oft die Hälfte des Steins 
betragen. Dies wäre wol bei im Feuer gebrannten Steinen 
nicht gut möglich, da der Froſt nur in biefer Weife wirken 
fonnte, wenn ber Stein ſich vorher bis zur Mitte voll Feuch⸗ 





191 


tigfeit faugte, was eine Porofität vorausſetzt, die wol luft⸗ 
trocknen, aber nicht gebrannten Steinen eigen fein Tann. Auch 
war der Then in der Mitte des Steins viel dunkler gefärbt 
und brödliger als an den äußern Flächen, was ebenfalls auf 
Trocknung in der Luft fchließen läßt; bie Froſtbeſchädigungen 
zeigten; fich lebiglich an ben dem Gebirge zugelehrten Seiten ver 
Mauer. Die dem Meere zugewandte Seite war merfwürbig gut 
erhalten, und es fcheinen fonach bie oftwärts über ven Golf 
von Petſchili kommenden Winde, weil fie über ven japaneftfchen 
Golfſtrom ftreifen, keine Kälte zu bringen. 

Die innere Belleidung ber Mauer ift bis zum Gebirge 
auf große Streden abgetragen und ihr Material zum Ban 
von Ningshae und ber zahllofen in ver Ebene zerftreut liegen⸗ 
den Dörfer verwandt. Die Außenfeite tft jeboch merfwürbig 
vollftäindig und warb dem Anfcheine nach noch vor einigen Jahr⸗ 
hunderten forgfältig veparirt. Dagegen liegt pie Brüſtung theil- 
weife in Ruinen, und bisweilen fehlen Strecken von 30—40 Fuß, 
die vom Winde herabgeftürzt find, während andere Theile fo 
wadlig fteben, daß ihnen in nächfter Zeit ein gleiches Schid- 
jal droht. Die Steine des Mauerwerfs fchließen nicht wie 
bet uns um ihre halbe Länge übereinander, fondern find in 
paralielen Reiben nebeneinander gelegt, woburd natürlich 
bie Haltbarkeit des Ganzen beeinträchtigt werben muß. 

Bon 120 zu 120 Schritt wird die Aufßenfeite der Mauer 
durch eine um 20 Fuß vorfpringende Baſtion flanfirt, die in 
einem vieredigen Thurm befteht, während die Innenfeite nur 
jede 500 Schritt eine folche Verftärkung befitt. Diefe Thürme 
find äußerft folid gebaut und durch eine Menge fich rechtwin⸗ 
felig durchfchneidender Wände, die dem Horizontaldurchfchnitt 
das Anfehen eines Schachbrets geben, verftärft. Sie haben 
wie bie Mayer eine mit Schießfcharten verfehene Brüftung. 
Die Schießfcharten find drei Fuß tief, zwei Fuß breit und in 
regelmäßigen Zmwifchenräumen von acht Fuß angebracht. Ihre 


192 


untere Fläche bildet ohne Ausnahme eine Granitplatte mit 
einem Loch in der Mitte. Dies hat umftreitig zur Aufnahme 
für die Gabel ver Wurfgeſchütze und fpäter der Luntenflinten 
gedient. Dagegen ift nicht anzunehmen, baß jemals zur Ver⸗ 
theidigung der Mauer Kanonen verwendet wurden, ba bie 
untere Wläche der Schiekfcharten für Geſchütze viel zu hoch 
vom Boden fteht (vier Fuß) und auch die Brüftung von ei 
nigen Kanonenkugeln fogleich zerfchmettert werden würde. 

Der Zwed der Mauer war Schutz und Vertheidigung 
gegen die Einfälle der Triegerifchen Tataren, bie feit Zaufen- 
ben von Yahren ihre räuberifchen Horden bis in das Herz 
Chinas fandten und deſſen unkriegerifche induftrielle Bewoh⸗ 
ner brandſchatzten. Der gigautiſche Bau Hat jevoch feinen 
Zwed Teineswegs erreicht. Eine bloße Mauer von 35 Fuß 
Höhe konnte den Zataren Fein Hinderniß fein, wenn fie nicht 
überall gleichmäßig vertbeidigt war. Wie viel Millionen 
Soldaten Hätten aber dazu gehört, um eine 400 Meilen lange 
Strede gegen den Einfall von 30—40000 gejtählten Kriegern 
wirkſam zu fchügen! Daß die Mandſchu⸗Dynaſtie feit 200 
Jahren regiert, ift der befte Beweis, daß die Mauer nichts 
half, und die Tataren haben deshalb auch nichts zu ihrer 
Unterhaltung gethan. Sie lafjen fie zerfallen und Material 
zu bem Bau friedlicher Häufer zu liefern tft gewiß das Zweck⸗ 
möäßigfte, zu dem ihr unerfchöpflicher Steinevorrath verwen⸗ 
bet werben kann. 

Immerhin bleibt aber das Werk an und für fich eins ver 
großartigften der Welt und gibt zugleich Zeugniß von ber 
Energie und Macht der chinefifchen Herrfcher, bie jahrhuns 
bertelang nicht erlahmte und fich durch keinerlei Schwierigkeiten 
zurüdichreden Tief, Wir waren der Mauer bis zu dem 
Buße bes; Gebirges gefolgt, aber erft hier, wo mir fie 
in denſelben koloſſalen Dimenfionen bald zu ſchwindeln⸗ 
der Höhe ſich erheben, bald an den ſteilſten Abhängen hinunter⸗ 


195 


laufen und jähe Schlünde überbrüden jahen, konnten wir bie 
ganze Großartigfeit dieſer Rieſenſchöpfung erfäffen und 
würdigen und die Willens» und Thatkraft derjenigen Männer 
bewundern, vie den Muth hatten, einen jo gewaltigen Ge- 
danken zu realiftren. 

Es hat jemand berechnet; daß man mit dem Material viefes 
Baues eine drei Fuß hohe und ebenfo dicke Mauer rings um bie 
Erde ziehen könnte; aber wenn ich nach den vier Meilen, die 
ih davon gefehen, urtheilen fol, würden außerbem noch 
jämmtliche Städte und Dörfer von ganz Ehina davon neu. 
aufgebaut werben können. Nach einer ungefähren Berechnung, 
die wir an Ort und Stelle machten, wober wir aber nur bie 
Durchſchnittshöhe von 35 Fuß zu Grunde legten, famen wir 
zu dem Hejultat von 50 Millionen Badfteinen pro Meile, 
was auf 400 Meilen 20000 Millionen Steine ergeben würde, 
beren jeder 15 Zoff lang, 8 Zoll breit und 4 Zoll Hoch üft. 
Dabei find die Granitgrundmanern, die Brüftung und bie 
Pflafterung der Krone ganz unberüdftchtigt geblieben. Trotz⸗ 
dem gibt fchon jene immenfe Zahl dem Leſer einen Begriff 
von ber Arbeit, welche die Herjtellung eines folchen Werks 
erforderte, das mit Hecht unter die Wunder ver Welt gerech- 
net werben darf, und gegen das die Phramiden nur wie 
ſchwache Verfuche von Pygmäen erſcheinen. 

Wir beſuchten auch Ning-hae, ein echt chineſiſches Städt⸗ 
chen von einigen tauſend Einwohnern mit engen ſchmuzigen 
Straßen, ſchuzigen Häuſern und ſchmuzigen Menſchen, 
Frauen mit breitknochigen häßlichen Geſichtern und verkrüppel⸗ 
ten Füßen, und Kindern, die ſtatt aller Bekleidung nur eine 
dicke Schichte von Schmuz auf dem Körper trugen. Wir glaub⸗ 
ten hier eine reiche Razzia an Proviſionen machen zu können, 
aber außer Obſt und Eiern war abſolut nichts zu haben, 
und auch dieſe erlangten wir nur unter großen Schwierigkeiten, 
weil wir keine chinefiſche Scheidemünze beſaßen und man die 

Werner, U. 13 


194- 


ipanifchen Thaler — im Süden ver Abgott des Volfes — nicht 
nehmen wollte. Erft auf Verwendung eines Mandarin, ver 
ihren Werth kannte, wurden die Verkäufer bewogen, fie an- 
zunehmen. 

Unfern Rückweg nahmen wir durch das flache Land, das, 
aus fruchtbarem Alluvium beftehend, reich cultivirt und mit 
üppigen Mais- und Bohnenfelvern gefhmüdt war. Während 
in Mittel» uud Südchina Neis das Dauptnahrungsmittel des 
Volks ift, wird er bier durch Mais und Bohnen vertreten. 
Erjterer wird zu Brot verbaden, von letztern dient eine 
Sorte zum Eſſen, eine andere.wirb jenoch in großen Duan- 
titäten wegen des in ihr enthaltenen Dels gebaut. Die aus 
der Preſſe hervorgehenden Oelkuchen werden, wie ich fchon 
früher erwähnte, in fehr großen Mengen als Dünger nad 
dem Süden verjchifft. Bis jet gefchah ihr Transport nur 
auf chineſiſchen Dſchonken, und in den mit den verjchiedenen 
Mächten abgefchloffenen Verträgen ift für fremde Schiffe die 
Ausfuhr diefer Oelkuchen ausdrücklich verboten, weil bie 
Dſchonkenfahrt zu fehr darunter leiden würde. Wie aber 
bergleihen Sachen in China gehanbhabt werben, konnten wir 
in Zientfin und Chefu recht deutlich fehen. In beiden Häfen 
lagen zufammen ungefähr 30 europäifche Schiffe, und alle luden 
Bohnenkuchen für die jünlichen Küftenpläge, ohne daß es ben 
Behörden eingefallen wäre, e8 ihnen im geringften zu wehren. 

Zum Aderbau werben hier viel Efel und Maulthiere be⸗ 
nugt, bie fich in einem ausgezeichneten Zuftande befanden. 
Die Ejel ſtammen aus dem Altaigebirge, find gelblich- weiß, 
jehr groß und mit einem ſchwarzen Kreuz über den Schulter: 
blättern gezeichnet. Pferde gibt es Hier beveutend mehr als 
im Süben, jedoch verwendet man fie nicht für den Landbau, 
jondern nur zum Reiten oder fpannt fie vor bie zweiräderigen 
Karren, die um Beling ftatt der Sänften ben Perfonen- 
transport auf weitere Streden vermitteln. 





195 


Bei unferer Rückkehr fanden wir an einer von See aus 
fichtbaren Stelle, wo die Mauer circa 80 Fuß hoch war, in 
12 Fuß langen Buchftaben das Wort „Kieſelack“ mit weißer 
Farbe angemalt, ein Späßchen, das ſich ein paar munter 
Cadetten in ber Vorausſetzung gemacht hatten, daß ber be- 
rühmte beutfche Reiſende doch nicht bis hierher gebrungen ſei. 
Sollte einft ein veutfches Schiff hier vorbeifegeln, fo wird es 
mit Erftaunen dieſe drolfige Vereivigung betrachten, die übri- 
gens ‚mit bewinberungswärbigem Humor und Conſequenz an 
alfen möglichft unzugänglichen Bagodenfpigen, Tempeldächern 
und Felswänden ver von uns befuchten Punkte von ben 
übermüthigen Sünglingen angebracht wurde, 


13* 


30. 


‘ 


Hohe, Landescultur jenjeit des ‚Gebirges von Chefu. Amerikaniſche 
Mifflonare als Kaufleute. Politiihe Beränderungen in China im 
Sommer 1861. Der Tod des Kaifers Hienfung. Der Prinzregent 
Kung, fein Charakter, feine aufgeflärte Bolitil. Die Rebellion der 
Taipings. Berhalten der Engländer zum chinefiihen Bürgerkriege. 
Geſchichte der SchantungsRebellen. Borrüden derſelben gegen Chefu. 
Bertheibigungsanftalten und Feigheit ber Chinefen. Admiral Protet mit 
wenigen Franzofen übernimmt die Bertheibigung des Plages. Ueber- 
rafhung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche 
Graufamfeiten ber Rebellen wie der Kaijerlichen. 


Nach breitägigem Aufenthalte in Ning-hae gingen wir nach 
Chefu und empfanben bort die größere Kühle des Sommers 
äußerft angenehm. Der Zemperaturunterjchied beträgt zwi⸗ 
jhen Hier und Tientfin über 6° Reaumur, obwol Chefu nur 
ein wenig füblicher, dafür aber um 50 Meilen öftlicher als 
Tientfin gelegen ift. Vom September ab fühlte fich die Luft 
bedeutend, und bie täglichen frifchen Norpwinde wurden all- 
mählich rauher. Dieſe Veränderung geftattete uns, einige Zer⸗ 
ftreuungen aufzufuchen, welche bie bisherige große Hiße ver- 
boten hatte, und deren Mangel während eines viermonatlichen 
Aufenthaltes an einem im jeder Beziehung fo uninterefjanten 
Punkte wie Chefu fih um fo fühlbarer machte. Die hiefige 
Gegend ift reih-an Wild, namentlich Fafanen, Hafen und 
Waffervögeln. Während bes Winters follen fich auch oft Wölfe 





197 


und Bären in dem benachbarten Gebirge zeigen, jedoch bofften 
wir nicht, fo Tange bort -zu bleiben, um fte jagen zu Fönnen. 
Die Jagden auf Geflügel und Hafen wurben inbeffen täglich 
und mit-großem Eifer betrieben, und einmal veranftalteten wir 
eine große Partie, die nicht weniger al8 vier Tage dauerte. 
Chefu Tiegt in einem Thale an der Baſis einer Treisför- 
migen Bucht, die ringsum von einer fich zu -1500 Fuß erbe- 
benden Bergketie eingefchloffen wird. Diefe Kette muß über⸗ 
fhritten werben, um anf bie ergiebigen Jagogründe zu kom⸗ 
men, die eine viele Meilen weite Ebene bilden. Der Marſch 
über die Berge, über die feine regelmäßigen Pfade führen, 
ift ſehr anſtrengend; allein man wird dafür vollftändig durch 
die prachwolle Ausficht entſchädigt, die ſich dem Auge bon 
der Spitze bed Gebirgsfammes bietet. in unabfehbarer 
Garten breitet fich vor dem Beſchauer aus, und ich habe nie 
etwas Aehnliches in meinem Leben geſehen. Alle möglichen 
Arten von Korn, Hirfe, Gemüfe, Hanf u. ſ. w. werben bier 
mit einer Sorgfalt gebaut, von der man fich bei uns keinen 
Begriff macht, und wie ich es werer im Süden Chinas noch 
in Japan vorher gefehen. Jede Feldparcelle ift ein Beet, 
von einer Blumenhecke umjchloffen und von ven verfchieben- 
ften Obſtbäumen befchattet, die jet alle im Schmud ihrer 
Früchte prangten. Sämmtliche Felder find mit Furchen und 
Rinnen durchzogen, und an ihren Endpunkten erheben fich 
auf Heinen Terraffen Tauſende ven Brunnen, um das be- 
fruchtende Naß durch jene Furchen den Wurzeln der Pflanzen 
zuzuführen. Diefe Brunnen find regelmäßig von einer Taube 
überdacht, an ber ſich Kürbisranfen emporwinden, deren mäch- 
tige, oft 30 bis 40 Pfund fchwere Früchte das dünne Bam⸗ 
busgeftell der Laube zu zerdrücken drohen. Hier und bort 
wird das Grün der Aecker durch bie Grabhügel und weißen 
Denkſteine eines Friedhofes unterbrochen, ober durch das Laub 
einer dichten Objtpflanzung ſchimmern die Häufer von Dör- 


198 


fern, bie in China faft nie ohne biefe Zierde angetroffen 
werben. Auf den Feldern felbft herrſcht reges Leben. Hier 
wird geheimft, und wenn man bie heimifchen Erntewagen ver- 
.mißt, ‚bewegen ſich dagegen lange Reihen von Maulthieren, 
mit hoch aufgetgärmten Bürben ber verjchiebenen Yruchtarten 
auf ihren Nüden, ven einzelnen ‘Dörfern und Gehöften zu. 
Dort find einige balbnadte Geftalten, deren Haut die Sommer- 
fonne faft dunkelbraun gefärbt, beichäftigt, um ‚unter unmelo- 
diſchem eintönigen Gefunge Waſſer ans: ven Bewäflerungsbrun- 
nen zu. fchöpfen. -Dort wird, nicht wie bei uns mit Pflug 
und Spaten, aber gewiß mit einer ebenfo praftifchen und leichter 
zu handhabenden Ziefhare der Boden aufgebrochen und für 
bie neue Saat vorbereitet, während unbeholfene ‚rauen mit 
verfrüppelten Füßen wie auf Stelgen durch die Felder fchreiten 
und mit Hülfe ver Kinder das Unkraut ausjäten. Berfchämt 
und ängſtlich wenden fie das Geficht fort, wenn ein Europäer 
in-ihrer Nähe erfcheint, als ob ihre Häßlichfeit nicht ſchon 
ein natürlicher Schuß für fie wäre. Doch die Männer find 
zutvaulicher, und wenngleich fie mit ſtupidem Staunen bie 
„Fang⸗Kwei“ angafften, erichallte ung doch regelmäßig ein gut- 
müthiger Gruß entgegen ‚und überall fam man. uns freundlic) 
entgegen. Das jchönfte Wetter begünftigte uns. Unfere 
nächtlichen Binouals hielten 'wir in Tempeln und Klöftern, 
und ‚wir kehrten, obwol mit wunden Füßen und ſchmerzenden 
Gliedern, fo doch mit reicher Beute und angenehmen Erinnerun- 
gen an Bord zurüd. 

Chefu ſelbſt habe ich Schon in kurzen Worten geſchildert. 
Es iſt trotz ſeiner 10000 Einwohner nur ſozuſagen eine 
ambulante Stadt, ein großes Abſteigequartier für die Kaufleute 
aus dem Innern. Sie kommen nur hierher, um zu handeln, 
ihr Aufenthalt iſt vorübergehend und das Gros ver Bevöl—⸗ 
ferung daher ſtets wechjelnd. So kommt es, daß fich in der 
"ganzen Stadt nicht eine einzige verheirathete chinefifche Fran 


199 


befindet, und daß überhaupt nur einige hundert Srauenzimmer 
‘ver niebrigften und bäßlichten Art in der Stadt leben. Bon 
Europäern wohnten hier nur der englifche und der franzöftiche 
Eonful mit einem Affiftenten, ein jchweizer Kaufmann und 
fünf verheirathete amerikaniſche Miſſionäre, vie jedoch 
augenblidtich Kaufleute geworben waren. Infolge ver ameri- 
kaniſchen Wirren fcheinen ihre Gehalte nicht regelmäßig ge- 
floffen zu fein — beiläufig 1800 Thaler pro Kopf und 
300 Thaler Ertraordinarium für jedes Kind, welches dem 
Mifftonär geboren wird. Die Herren haben beshalb Das 
Miffionshaus in Schang⸗hae zu einem anftänbigen Preiſe 
verfanft und mit dem Kapital auf gemeinfchaftliche Rechnung 
einen Handel in Chefu begonnen, der bedeutend rentirte. 

Sn den legten Monaten unjers Aufenthaltes im Norden 
von China trugen fich bebentende politiſche Veränderungen 
im Reiche der Mitte zu. Die wichtigfte berjelben war der 
Tod des Kaifers, ver am 17. Auguft 1861 erfolgte. An⸗ 
fänglich glaubte man, ber Kaiſer fei entweder von feinem Vers 
wandten, dem Regenten, ober von ber altchinefifchen Partei 
aus dem Wege geichafft. Die letztere Annahme gewann 
durch den Umftand an Wahrfcheinlichkeit, daß nicht Prinz 
Kung Regent blieb, fondern für den unmündigen Taiferlichen 
Sohn ein aus drei ven Europäern feindlich gefinnten Man⸗ 
barinen gebildeter Vormundſchaftsrath eingefeßt wurde. 
Sichere Nachrichten haben jedoch allen romantiſchen Nimbus 
vom Sterbebette des Kaiſers ſchwinden laſſen. Hienfung, der 
Sohn der Sonne, obwol noch im beſten Mannesalter, iſt an nichts 
anderm als am Delirium tremens geſtorben. Er war ein 
arger Trinfer und hatte e8 nur feinen liebenden Gattinnen 
zu danken, daß er nicht ſchon längſt in das Grab fteigen 
mußte. Bereit vor zwei Jahren hatte er einen Anfall von 
Delirium, und es foll damals feinen Frauen gelungen fein, 
ihn zu bewegen, feinen täglichen Bebarf an Spirituofen bis 


202 


chineſiſcher Krieg wenigftens in England fehr unpopulär fein 
‚würde, wenn auch Kaiſer Napoleon damit gebient wäre. 
Die Meinung der Europäer, bie noch vor kurzem den Re- 
bellen ziemlich günftig lautete, begann in leßterer Zeit fich auf 
die Seite der Kaiſerlichen zu neigen, und dies ift fehr erflär- 
lich, da fie lediglich von Handelsintereffen geleitet wird. Die 
Erwartungen, welche man an bie Erdffnung des Jang⸗tſe⸗kiang 
und ber norbifchen Häfen Inäpfte, find nicht in dem Maße 
erfüllt worden, als man vorausfegen durfte. Hieran ift 
fediglich der Bürgerkrieg ſchuld, und wie fehr es auch ven vor- 
geblichen civiliſatoriſchen Beftrebungen der Englänver genehm 
gewejen fein: mag, bie „chriftlichen” Taipings zu protegiren, 
fo gründeten fich ihre Shmpatbien in Wahrheit doch nur auf 
die Vorausſetzung, daß die Rebellen den Hanbelsintereifen ber 
Fremden Vorſchub Teiften würden. Diefe Hoffnung ift bis- 
jet nicht erfüllt. Die Producenten des Landes, bie Seide⸗ 
und Theezüchter, find vie anfäffigen Tatferlichen Unterthauen, 
aber fie probueiren nur und der Handel kann nur blühen, 
wenn Ruhe im Lande if. Die erobernben, bald vorwärts⸗ 
drängenden, bald zurückweichenden Rebellen find nur ein zer- 
ftörendes Element, und ver Schreden vor ihnen ift bei dem 
kaiſerlichen Landvolk jo groß, daß feine Wirkung fi auf Hun- 
berte von Meilen erftreeit und ſowol den Hanbel als die 
Production lähmt. In Ehefu traf 3. B. während unjerer 
Anweſenheit vie Nachricht ein, daß die Rebellen Fung⸗tſcha⸗fau, 
eine 100 Meilen weit entfernte Stabt, erobert hatten, aber 
feit jenen Augenblide waren bie Einwohner von einem pa⸗ 
nifchen Schrecken ergriffen, der fofort einen Rückſchlag auf 
bie Gefchäfte übte und dieſe faft zum Stilfftande brachte. 
So geht e8 auch im Südweſten in ven Thee- und Seive- 
biftricten. Die Rebellen find vielfach im Beſitz ber aus dem 
Innern feewärts, führenden Handelsftraßen und fangen bie 
Baarentransporte ab, ſodaß die Zufuhr jener Artikel immer 


203 


fpärlicher wird. Es wurden baber feit einiger Zeit in ben 
englifhen Blättern immermehr Stimmen laut, die auf bie 
Unerträglichleit eines folchen Zuſtandes hinwiefen, in energi- 
cher Weife auf Abhülfe drangen, und da bie chineſiſche Po⸗ 
Litit der Engländer allein durch ihre Hanbelsintereffen bedingt 
wird, fo Dürfen wir bald einer Enticheinung entgegenfehen, 
bie außerdem für ganz China ein unenplicher Segen fein würde. 

Während der leiten acht Tage unſers Anfenthaltes in 
Chefu Hatten wir Gelegenheit, ein Stüd des chinefifchen 
Bürgertrieges mit allen jeinen Greueln und Schreden aus 
nächſter Nähe anzufehen, Die unter dem Namen Schantung- 
Rebellen den Norden verwüſtenden Banden rüdten auf Chefu 
an. Diefe find jedoch nicht mit ben Taipings im Süden zu 
verwechfeln, mit benen fie politifeh nicht gemein Haben. Ihr 
Urfprung ſtammt aus dem Sabre 1860. Im Mat biejes 
Jahres Hatte ein fehr reicher chinefifcher Kaufmann und Ab- 
kömmling der alten von den Mandſchu vertsiebenen Ming- 
Dinaftie eine beveutende von ihm zum Bau der Taluforts 
vorgeftredte Summe Goldes von der Regierung zuräderhalten, 
mit der er öfter in folcher Verbinpung ftand. Das Geld, circa 
eine Million Dollars, kam in Regierungsverſchluß und mit 
dem Siegel ver Staatskaſſe verfehen verziuft zuräd, und ber 
Kaufmann, ver es wegen ber Kriegsverhältniſſe augenblicklich 
nicht verwerthen Tonnte, beponirte es uneröffnet in feinen 
Kaſſengewölben. Nach zwei Monaten exfuchte ihn bie Res 
gierung abermals um ein Anlehen; er zeigte ſich auch fofort 
bereit und gab von den noch mit dem Staatöfiegel ver- 
Tchloffenen Padeten die betreffende Summe zurüd, Am andern 
Tage wird er pläßlih vor den Provinzialrichter geforbert, 
gefeffelt und eingelferfert, um nach 24 Stunden enthanptet zu 
werben. Er war des Verbrechens der Falſchmuͤnzerei ange- 
Hagt; fämmtliches von ihm gegebene Geld war falſch. Da 
den Mandarinen ver Betrug nicht gelang, fuchten fie ihn 


204 


durch ein noch größeres Verbrechen von fih ab und auf ven 
unfchuldigen Kaufmann zu wälzen. Die ſehr angeſehene und 
bebentend nerzweigte Familie bes Gemordeten erhob fich jedoch, 
wie das in China bei jo gewaltthaͤtigen Ungerechtigleiten öfter 
gefchieht, wie Ein Mann; fie fammelte eine Heine Armee und 
verlangte, anf deren Macht geftübt, pie Auslieferung der ver- 
brecherifchen Mandarin. Diefe wurden jeborh von den 
höbern Behörden befchütt und entlamen. Die Mings, da⸗ 
durch in die höchſte Wuth verjegt, wiegelten jett mit Hilfe 
ihres Geldes die ganze Bevölferung ihres Diſtricts auf, und 
jo entftand unter dem fchon längſt gebrüdten und gemishan- 
delten Bolfe die Schantung- Revolution, die bald jo mächtig 
anwuchs, daß ihre Leiter die Herrſchaft darüber verloren und 
bie zufammengelaufenen Scharen jet überall auf Raub, Mord 
und Plünderung auszogen und Binnen einem halben Jahre 
faft die Hälfte der Provinz Schantung, einen Landſtrich fo 
groß wie Preußen, total verwüfteten. Man verficherie, daß die 
Zahl diefer Rebellen, die in brei Abtheilungen umherzogen, 
fih auf 80000 belaufe, und nach ven meueften Nachrichten 
jollte Tat Ping-Wang infofern mit ihnen gemeinjchaftliche Sache 
gemacht haben, daß er fie den Norden Chinas verwüſten lie, 
während er den Süben beimfuchte, 

Jetzt rücdten diefe ‘verheerenden Truppen anf Chef los. 
Seit acht Tagen verriethen die brennenden Dörfer, beren 
Feuerſchein während der Nacht ven weftlichen Horizont erleuch- 
tete, ihr Naben; Taufende von Flüchtlingen, faft entblößt vom 
Nothwendigfien, Tamen in Chefu an und verfündeten die von - 
ben Rebellen begangenen Unmenfchlichkeiten. 15000 Dann 
ſtark zogen fie heran, meiſtens z& Pferde, von Dorf zu Dorf, 
von Stadt zu Stabt, morbeten, raubten und verbrannten, 
was fie nicht mitzufchleppen vermochten. Alle männlichen In- 
bivibuen, die in ihre Hände fielen, und alle Weiber, bie nicht 
ihre thieriſchen Begierden erregten, fielen unter ihren Streichen, 











205 


und jeder geplünderte Ort ging in Flammen auf. Um 
7. October abends fohen wir die Dörfer bremen, bie nur 
zwei Meilen weſtlich von. Chefu liegen, und in legterer Stabt 
war die -Angft und Beftürzung aufs höchſte geftiegen. Allee 
was fliehen konnte, floh; Tauſende und aber Laufende fchiffe 
ten ſich mit dem Werthvollſten ihrer Habe auf Dichonten 
ein, und nur einige Tauſend ber ärmſten Bewohner waren 
zurüdgeblieben. und hatten größtentheils innerbafb der franzö⸗ 
fiichen Befeftigungen (Chefu ift als Garantie des letzten Ver⸗ 
trage und bis zur Bezahlung der Sriegsfoften von ven 
Tranzofen beſetzt) auf einer Heinen Halbinfel am Hafen 
Schuß geſucht. Die fonjt gedrängt vollen Straßen ber Stadt 
waren wie ausgeſtorben, alle Läden gefchloffen und nichts zu 
faufen. Es war ein trauriger Anblick, die armen Flüchtlinge 
zu jeben, wie fie von allen Seiten über die hoben Werge, 
welche Chefu umgeben, fich ermattet hexanfchleppten, wie bort 
ein Züngling fein altes Mütterchen auf dem Rüden trug, over 
. bier ein blinver Greis von feiner Tochter geleitet wurde, bie, 
‚ wie die meiften Frauen mit ihren verfrüppelten Füßen, felbft 
nur mit der größten Beſchwerde über das rauhe Geſtem zu 
gehen vermochte. 

Diele Hunderte wurden mitleivig von ben europäiſchen 
Schiffen aufgenommen, auf bie fich auch bie Frauen und 
Kinder der am Drte befindlichen. Europäer mit ihrer Habe 
flüchteten, während die Männer fich deu Franzofen anſchloſſen, 
bie alle militärifchen Anftalten zur Vertheidigung ber Stabi 
getroffen hatten, Leider war ihre Zahl ſehr beſchränkt. Ben 
‚ ben beiden im Hafen liegenden Transportfregatten waren nur 
250 Mann bisponibel. Zufällig traf noch am 6. October ber 
franzöſiſche Admiral Protet ein, um fich nach Tientfin zu bes 
geben. Er übernahm das Commando, ſandte das Dampfichiff, 
welches ihn gebracht, fofort nach ven Takuforts um Verftärkungen, 
und ſchon am 8. langten 150 Marinefoldaten und eine Bombarte 


206 


an, während zugleich: Das Linientransportſchiff Dryade von 
Schangrhae ankam und ebenfalls 100 Mann ausfchiffte, ſodaß die 
Franzoſen jekt 550 Mann. ftark waren, freilich immer nur 
eine Hand voll Menfchen gegen 15000 Banbiten. . Der Ab- 
miral requirirte num noch ein englifches Kanonenboot, das an 
ber andern Seite des Hafens zur Bewachung der bort er- 
richteten englifchen Depots lag. Chefu liegt, wie ich bereits 
berichtet, in einem- Thallefſel am Meere und wird in Süd, 
Dft und. Weſt von einem hoben Gebirgszuge umfchloffen. 
Man kann dieſe Berge zwar auf ſchmalen Fußpfaden an ver⸗ 
ſchiedenen Stellen paſſtren, aber bie große Handelsſtraße, we 
nur eime Armee marſchiren Tann, führt längs der Küfte über 
das ſich hier ſenkende und zu einem Plateau abflachende Ge- 
birge. Nahe viefem Wege wurden das englifhe Dampfkanonen⸗ 
boot, die Bombarde und zwei mit: Geſchützen bewaffuete Bar⸗ 
kafſen der Fregatte poſtirt. 

Am 8. Detober mittags erſchien die Abantgarde ver Rebellen, 
circa 2—3000 Mann ftark, auf dem Plateau. Sie waren ſaͤmmt⸗ 
fich beritten, alle teugen rothe und blaue Schärpen und min- 
deſtens jeber dritte Mann eine rothe Fahne. Wir lagen mit 
ber Elbe (die Arkona war vor dem Peiho) etwa 3000 Schritt 
von diefer Hochebene entfernt und Tonnten mit unſern Fern⸗ 
rohren altes genau betrachten. Es war ein hochſt malerifcher 
Anblick, dieſe Truppe mit ihren bunten Coſtümen, mit ihren 
wehenden Schärpen. und flatternden Fahnen. Faſt alle hatten 
weiße Bferbe oder Maulthiere, und ihre Hauptbewaffnung be- 
ftand aus einer 12—14 Fuß Tangen Bambuslanze. Mehrere 
trugen auch Säbel und Beile, aber Feuerwaffen bemerkten 
wir bei feinem. Nach einen: kurzen Halt fegten fie fich in 
Marſch und trabten bicht gebrängt den Berg hinab, auf 
Chefu los. Sie waren jet noch ungefähr 1000 Schritt von 
ben äußerften Borpoften ber Franzofen entfernt, und wir er- 
warteten in ängftlicher Spannung jeben Augenblid den Be- 


207 


ginn bes noch immer fehr zweifelhaften Gefechte, als ein 
Donner durch die Berge rollt. Kin bläulicher Rauchſtreifen 
zifchte wie ein Meteor durch die Luft, und unmittelbar baranf 
faben wir mitten. im bichteften Haufen eine Exploflon ftatt- 
finden. Das englifche Kanonenboot Infolent hatte mit feltener 
Präciſion eine 68 pfündige Bombe in die Feinde geworfen. 
Die Wirkung war aufßerorventlich und für die Rebellen, 
bie wahrfcheinlich in ihrene Leben nie etwas Aehnliches ge- 
ſehen, wahrhaft dämoniſch. Der furchtbarfte Schreden ſchien 
mit einem mal unter fie gefahren zu fein; im wilbeften Durch- 
einander fprengten fie nach allen Richtungen bin; ein heil 
ber Pferde ging durch, die umfundigen Reiter flogen wie 
Mohnköpfe herab, und der Haupttroß ftob im Carriere bie: 
Auhöhe wieder hinan. Kine zweite Bombe faufte ihnen nad) 
und fchlug mit den Kugeln ver Barkaſſengeſchütze in ihre 
hinterften Reiben; aber zu weitern Schüffen kam es nicht; 
ebe noch wieder geladen werben konnte, war das Plateau 
rein gefegt, fein Pferd, keine Schärpe oder Fahne war mehr 
zu erbliden. Chefu war gerettet, aber wo bie Granate ge- 
fprungen war, ſah man einen Haufen von Pferden und 
Menfchen fich im Todeskampf in ihrem Blute wälzen; 11 Todte 
und 15 tödlich DVerwundete waren die Reſultate. Diefe - 
Warnung genügte, um bie Rebellen von jebem weitern Ans - 
griff auf Ehefu abzuhalten. Sie zogen fi ſüdwärts Hinter 
dem Gebirge herum, und ſchon am andern Abende fab man 
am Feuerſchein ber brennenden Dörfer, daß fie fich vier bis 
fünf Meilen öftlih von der Stabt befanden. Die Mandarine 
der Stadt hatten ebenfalls große militärische Vorbereitungen 
machen laffen. Die Thore waren verbarrifadirt, Geſchütze 
aufgepflanzt und außerhalb der Stadt verfchiebene Lager von 
2—300 Dann Befabung mit einem wahren Arfenal aller 
möglichen und unmöglichen Waffen ausgeräftet, An prahlen- 
ben Fahnen fehlte es ebenſo wenig, und bie alten Luntenflinten 


208 


und Geſchütze aus dem 16. Sahrhundert Inallien unanfhörfich 
Tag und Nacht, folange die Nebellen noch jenjeits der Berge 
waren. Sobald aber am 7. October abends bie unmittelbar 
hinter den Bergen gelegenen Dörfer brannten, war auch nicht 
einer der tapfern Helden in den durch Wälle und Gräben ge- 
ſchützten Lagern mehr zu finden. Alle hatten fich verfrochen, und 
erft nach ver Entfernung bes Feindes kehrten auch Die muthigen 
Vertheidiger wieder. 

Im Hafen Tagen etwa 40 bis 50 große Dſchonken aus 
Kanton, Amoy und Ningpo. . Diefe find ftets fehr ftarf 
bemannt und auch ziemlich gut bewaffnet. Die Mandarine 
waren am 8. morgens an Bord biefer Dſchonken gefahren 
und hatten deren Beſatzungen aufgeforvert, vie Garnifon der 
Stadt zu verftärken, und zwar follte dies abwechſelnd, einmal 
von den Kwangtungleuten und das andere mal von denen aus 
Amoy une Ningpo gejchehen. Diefe Hatten ſich auch dazu 
bereit finden Taffen, und ‘vie Kwangtungleute verrichteten zut- 
erjt ihren Dienft, ganz fo wie es fich gehörte. Am 9. October 
kamen bie aus Ningpo an bie Reihe. Dieſe fpielten jedoch 
ſelbſt die Rebellen, brachen in die Känfläden ein und raubten 
was fie konnten. Auf das Gefchrei ver Beraubten rückte eine 
franzöſiſche Patrouille zu Hülfe, e8 kam zum Gefechte, und 
ſechs der Marodeure blieben auf dem Plate, während 
10—12 ſchwer verwundet wurden, ohne daß die Franzoſen 
jelbft den geringften Verluft erlitten. Sämmtliche Dfehonfenleute 
wurden infolge deſſen auf ihre Fahrzeuge zurüdgemwiefen und 
am Hafen eine Poftenfette mit dem Befehl aufgeftellt, auf 
jebes chinefifche Boot zu fchießen, das an einer andern ale 
ber beftimmten Stelle Ianden würde. 

Am 12, October unternahmen die Franzofen mit 400 Mann 
und zwei Gejchügen eine Recognoſcirung nach Weften, bie 
ſich 4 Meilen weit erftredte. Sie fanden feine Spur von 
ben Rebellen mehr, wol aber genug Zeichen ver von ihnen 





209 


verübten Scheußlichkeiten. Die einen Teiche, welche fich zur 
Bewäſſerung der Felder bei jedem Dorfe befinden, waren mit 
Leihen von Frauen und Kindern angefüllt, denen man Brüſte 
und Hälfe abgefchnitten. Die Männer, welche fich geweigert, 
ven Rebellen zu folgen, waren niedergehauen oder, wenn file 
Widerſtand geleiftet, auf graufame Weife zu Tore gemartert 
worden. So fand man in einem Haufe fünf Chinefen mit 
den hinter dem Rüden zufammengebundenen Daumen an ben 
Dachbalfen aufgehängt und durch unter ihnen ange: 
machtes Feuer gebraten. Es documentirten fich bei biejer 
Gelegenheit fo recht die fchon früher von mir herworgehobenen 
Züge des chineftfchen Charakters: Feigheit und raffinirte Grau- 
famfeit. Auch die Leichen zweier amerifanifcher Miffionare, 
Parker und Holmes, die, freilich unllug genug und gegen 
den ausprädfichen Befehl des franzöfifchen Admirals, von 
Chefu aus den Rebellen entgegengeritten waren, um fie von 
weiterm Vorbringen abzumahnen, wurden fchredlich ver- 
ſtümmelt und faft verkohlt aufgefunden. Die Kaiferlichen 
machten e8 jedoch nicht im mindeften beifer. Die die Recogno- 
fetrung begleitenden Ehinefen hatten in einem Dorfe zwei zurüd- 
gebliebene verwundete Rebellen gefaßt, und ebenfo waren vier 
ald Spione verdächtige Individuen in Chefu felbft ergriffen. 
Die beiden Rebellen begoß man von unten bis oben mit 
Del, legte fie auf eine Art Roſt und briet fte bei lebendigem 
Leibe. Noch halb lebend hadte man fie allmählich in Stücke, 
bis zulegt nur noch halbverkohlte blutige Fleiſchklumpen 
übrig waren. Zwei der Spione wurden auf ähnliche Weiſe zu 
Tode gemartert; die beiden andern, ein reis von 70 Jahren 
und eine junge Fran, gelang es uns, bie wir als Europäer 
damals Halbgötter waren, ihnen zu entreißen und fle dem 
franzöfifchen Eonful zu übergeben, der, wie wir gleich voraus- 
geſetzt hatten, fte ganz unſchuldig fand und in Freiheit ſetzte. 


Werner I. 14 


31. 


Unterzeichnung bes Hanbelsvertrags zwijchen Preußen und China am 
15. Auguft 1861. Ausdehnung beffelben auf den Zollverein, Med- 
lenburg und bie Hanfeftädte.e Große Bedeutung bes Bertrags für 
Deutſchlands Induſtrie, Handel und Schiffahrt. Die Eoncurrenz mit 
England und Rußland. Der Begriff und die politifche Macht des Welt- 
andels. Gründungsgefchichte Der deutfchen Hanbelshäufer in Oftaften. 
Ihr bisheriges Berhältniß zum Baterlande. Der Zollverein in Be- 
zug auf den öſtlichen Verkehr. Die deutſchen Schiffe in den chineſiſchen 
Gewäfſern. Freude der deutſchen Kaufleute in China über den Abſchluß 
bes Bertrags. Nothwendigfeit eines preußifchen Kriegsgefchwabers in 
ben öÖftlichen Meeren. Der Koſtenpunkt und die Beſchaffenheit ver Schiffe. 
Der Neid ber Engländer. Abreife nah Siam. Bereinigung des preußi- 
Ihen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangkof. 


Am 15. Auguft endlich wurde der preußtfche Vertrag mit 
China vom Kaifer unterzeichnet, und zwar zwei Tage vor 
jeinem Tode; ein glüdficher Zufall, der uns wahrfcheinlich 
monatelanges Harren erfparte. Wenn e8 Graf Eulenburg 
trog aller Geduld und bewundernswertber Ausbaner in 
Japan nicht gelungen war, für ganz Deutfchland zu negociren, 
fo wurben feine Bemühungen in China von defto bedeutenderm 
Erfolge gefrönt, und der Vertrag wurde im Namen Preußens 
nicht allein für den Zollverein, Mecklenburg und bie Hanfe- 
ſtädte, ſondern auch fo günftig abgefchloffen, wie nur irgend 
zu wünfchen war. Ganz abgefehen von ven fonftigen werth- 
vollen Beitimmungen des Tractats ift e8 überaus wichtig, 
‚daß die Zulaffung eines preußifchen Gefanbten in Peling von 
hinefifcher Seite bewilligt tft und wir bemgemäß biefelben 





211 


‚Rechte erhalten haben wie England, Branfreih und Rußland 
in dem vorjährigen Vertrage von Tientſin. Es ift alfo nun 
Sade ver Deutſchen, davon den beftmöglichen Gebrauch zu 
machen. In der Eröffnung des Jang⸗tſe⸗kiang und ber 
nordifchen Häfen bieten ſich für deutſche Induftrie und Handel 
jo günftige Chancen, wie es felten vorfommen dürfte, und ich 
fann nicht genug hervorheben, daß gerabe bie Deutfchen bie 
größten Vortheile daraus ziehen Tünnen, weil fie bei ben 
Chinefen beftebter find als irgenbeine andere Nation. 

Es ift ganz eigenthümlich, daß wir in Deutfchland bie 
beiden Hauptproducte Chinas, Seide und Thee, nicht direct, 
fondern über England beziehen. Bon Schang-hae werben 
jährlich 80000 Ballen Seide 'erportirt, davon gehen 60000 
nach England, und von diefen kommt ein Drittheil auf Deutſch⸗ 
land. Alle dieſe Seide macht nicht den Seeweg, fonbern geht 
über Land durch Deutſchland nah England, um von dort 
wieder zurückzukehren und Gott weiß wie hoch verftenert zu 
werben! Nur ein einziges deutſches Haus in Schang⸗hae 
macht in Seide mit Deutfchland directe Gefchäfte, führt jedoch 
nur 4000 Ballen, alfo immer nur ein Tünftel des Bedarfs 
ans, während diefer Bedarf fich bedeutend fteigern würde, 
wenn die Seide nicht zum größten Theil ihren Weg nad 
England nähme in ähnliches Verhältniß herrjcht beim 
Thee, von dem Hamburg allein eine geringe Quantität birect 
importirt, während wir das Hanptquantum über England und 
Rußland beziehen. Wenn wir mit den Engländern in ber 
Baumwollenmanufactur "coneurriren könnten, würde fich für 
unfere Shirtings und Calicots im Norden bes chinejiichen 
Reichs ein unbegrenzter Abſatz eröffnen. Während im Süpen 
der Chinefe ſich die Baumwolle felbft baut und feine baner- 
bafte Kleidung bavon webt, kommen vie Bewohner der nörb- 
lichen Provinzen beffer babei weg, wenn fie europäifche 
Shirtings Laufen, weil fie die Baumwolle aus dem Süden 

14 * 


212 


beziehen müſſen und biefe Dadurch bedeutend vertheuert wird. 
Dies bat fich fo recht feit der Eröffnung Zientfins gezeigt. 
Hier ift die Maſſe ver Kaufleute aus den nörblichen Provinzen, 
und im Laufe des Sommers 1861 fanden gahz enorme Um- 
ſätze in Shirtings. ftatt, Sp wurben z. B. in einem Zeitraum 
von zehn Tagen 280000 Stüd verkauft, und ein einziger 
Ehinefe Faufte in zwei Tagen 80000 Stüd im Werthe von 
400000 ZThalern, und zwar gegen. baare Bezahlung. Dies 
ift für nem Saufmann aber von großer Bebentung. Er ſchickt 
jein Schiff ven England direct mit Calicots nach Tientfin, 
ſetzt die Waare, wenn auch mit geringerm Gewinn, fofort in Gelb 
um, ‚geht damit nach Schang-bae und kauft Seide, die mit 
der Ueberlandpoſt nach Haufe fommt, ſodaß er in einem Zeit- 
raum von fieben Monaten fein Kapital wiener in Händen hat. 

Wenngleich wir wahrjcheinlich dieſen Handel den Englän- 
bern in nächiter Zeit noch nicht entreißen können, fo follten 
wir uns doch in Bezug auf Seide und Thee von ihnen un- 
abhängig machen, und wir haben außerdem andere Fabrifate, 
in denen wir ihnen fchon jegt erfolgreiche Concurrenz zu machen 
vermögen. Hierzu gehört namentlich Glas, dem fich in Kurzer 
Zeit im Norden Chinas ein bebeutender Markt eröffnen dürfte, 
ba bie -Bapierfenfter in den eifigen Wintern von 10 — 15 Grab 
Kälte ſehr bald außer. Gebrauch kommen werben. Ferner find 
Wollſtoffe ein Artifel, der ſchon gegenwärtig eine große DBe- 
beutung hat, dem aber eine noch viel größere Zukunft bevor- 
ſteht. Bisjett verforgt hauptfächlich Rußland China mit Wolle, 
und zwar über Kiachta. Wollten wir nur Mollitoffe nach 
China bringen, um daran fpeciell einen beftimmten Gewinn 
zu machen, ſo könnten wir mit Rußland nicht concurriren. 
Letzteres gibt feine Manufacturen faft zum Koftenpreife ab, 
aber es tauſcht Thee dafür ein und macht deſto größern 
Gewinn. Ein beveutender Theil dieſes Thees findet feinen 
Weg nach Deutfchland. Weshalb alfo Inüpfen wir nicht eine 











213 


birecte Verbindung mit China an, emancipiren uns von Nuß- 
fand und England, fteden den Profit felbft in bie Taſche und 
bringen unfere Fabriken und unfere Rhederei in die Höhe? 
China gebraucht viel Wolle, und der Bedarf wird fich 
jest nach Eröffnung ber nordiſchen Häfen in ähnlichem Ber- 
hältniſſe fteigern wie ber bes Shirting. Bisjetzt fucht der 
nordiſche Bewohner fich gegen die firenge Kälte feines fünf- 
monatlihen Winters durch Belze zu fehlten. Wenngleich 
biefelben wegen des nahen Kamtſchatka und der leuten be= 
deutend billiger find als bei uns, fo ift der Preisunterfchten 
mit Wollfabrikaten doch fo groß, auch in brei Wintermonaten 
die Temperatur fo befchaffen, daß bie Chinefen ſowol aus 
Geld - als aus Annehmlichkeitsrädfichten die billigern und leich⸗ 
tern Wollftoffe den theuern und fchweren Pelzen vorziehen 
müffen, ſobald ihnen nur hinreichende Duantitäten zugeführt 
werben. Dies kann aber nie auf dem befchwerlichen Land⸗ 
wege über Kiachta gefchehen, und wenn wir es wie die Ruffen 
machen wollen, d. 5. unfere Wolle gegen Thee oder Seibe 
umtaufchen, fo haben wir in wenigen Jahren den ganzen 
Wollhandel in unfern Händen. Es gibt zwar Schafe genng 
im Norden Chinas, aber die Ehinefen verftehen nicht, Wollftoffe 
zu fabriziren und laſſen fich in ihrer eingebildeten Arroganz 
auch nicht darüber belehren. Sie reinigen die Wolle meder 
vor noch nach der Schur und erzielen daher nur ein verhält- 
nigmäßig werthlojes Product, das fle zu feinern Geweben 
gar nicht gebrauchen können, und aus dem fie nur groben 
Filz zu ihren Hüten, Schuhen, Pferdedecken u. |. w. bereiten. 
Das Schaf koſtet in Zientfin nur 1.—2 Thaler. Weiber 
land und Stallfütterung ift vorhanten, und Schafzüchterei und 
Wollproduction im Lande felbft müßte den reichlichiten Ge- 
winn abwerfen, fobald man bamit beginnen würbe, 
Ueberhaupt handelt es ſich nur darum, daß intelligente 
und unternehmende Kapitaliften ven Weg bahnen, um Deutich- 


216 


Brincipalen geftattete Nebengejchäfte einiges Vermögen, lernten 
die dortigen Verhältniffe kennen und benukten fie, um fich 
ipäter felbft zu etabliren. Auf dieſe Weife entitanden faft 
alle deutſche Häuſer in China. Ihre Begründer fingen ſozu⸗ 
fagen mit nichts an, arbeiteten fich allmählich in die Höhe 
und erwarben fich durch angeftrengten Fleiß und kaufmän⸗ 
niſche Tüchtigfeit die ehrenvolle Stellung und die Anerkennung, 
die fie jet allfeitig genießen. Hierüber mußten natürlicherweife 
Sabre vergehen, bie aber ebenjo nothwenbig ihre Verbindung 
mit dem Vaterlande Ioderten; theils kannten fie in ihrer 
neuen Heimat nur Nichtdentfche, theils waren fie, um weiter 
zu fommen, auf ben Credit und die Unterftügung ber Fremden 
angewiefen, während fie von Deutfchland weder das eine noch, 
das andere zu erwarten hatten. So erwuchjen deutjche Häufer, 
aber faft nur dem Namen nach, ihre Gefchäfte waren hauptſäch⸗ 
lich englifch, und wenn feit einigen Jahren bie größern Firmen 
birecte Verbindungen mit Deutjchland anfnüpften, jo gejchah 
dies einmal nur in beſchränktem Maßſtabe und ſodann auch 
nur mit Hamburg ober Bremen. Soll aber Deutſchland in 
dem hiefigen Handel einen Rang einnehmen, fo müffen feine 
Kaufleute e8 machen wie die Engländer. Große deutſche 
Häufer müffen hier Commanditen mit beventendem Kapitale 
errichten und Durch fie einen directen Austaufch der gegenfei- 
tigen Producte beider Länder bewerfitelligen. Wir haben 
Glas, Wolle, Spirituofen und taufend andere Induftriegegen- 
jtände, gegen bie wir Seide und Thee empfangen und in . 
benen wir mit alfen Nationen concurriren können. Nur in 
ber Baummwollenmanufactur find uns bie Engländer voraus. 
Woran Liegt dies aber? Iſt e8 nicht unfere eigene Schuld, 
und Fönnten wir nicht, wenn nur 'dver Wille ba wäre, bie 
Sachen ebenfo billig und noch billiger herftellen als die Eng- 
länder? Was wir an Baummollenfracht von Amerika mehr 
bezahlen als bie Englänver, das gleicht ver geringere Ars 


217 


beitslohn bei uns reichlich wieder aus. Haben bie Englänper 
Steintoblen, fo befiten wir dieſe ebenfalls und außerbein noch 
billige Braunkohle. Es Tann alfo entweber nur in der minder 
guten Beſchaffenheit unferer Maſchinen over an ben Zöllen 
liegen, die uns hinderlich find, und das eine wie das andere 
läßt ſich ja ändern. Concurrirt doch die Schweiz in Banm⸗ 
wollenmanufactur mit England, warum follten wir es nicht, 
die wir unfere Baumwolle fowol aus Aegypten als jaus 
Amerika auf viel firzerm unb wohlfeilerm Wege erhalten! 
Ungeachtet unferer jeßigen politifchen Zerfplitterung haben 
wir doch tu dem Zollverein eine Körperfchaft, die troß aller 
particnlariftifchen VBeftrebungen in irgendeiner Form beftehen 
muß und fich von Jahr zu Jahr mehr entwiceln und conſo⸗ 
fibiren wird. Diefer Körperfchaft ftehen Mittel und Wege 
zu Gebote wie feinem Kapitaliften, mag er auch der reichfte, 
intelligentefte und unternehmenpfte fen. Es ift Sache bes 
Zollvereins, bie Urfachen zu erforſchen, die der Entwidelung 
unferer Banmwollenmanufactur hemmend entgegentreten; er 
kann bie Befeitigung befchwerender Zölle veranlafjen und in- 
ternationale Gejete herbeiführen, die ihren Auffchwung unb 
ihre Vervollkommnung erleichtern; er Tann Kapitaliften in ber 
Gründung großartiger Spinnereien, wie fie England oder bie 
Schweiz befitt, unterftüäben. Die Aufgabe bes Zollvereins 
ift e8, fich mit den öftlichen Verbältniffen vertraut zu machen, 
mit den Deutfchen in China directe Verbindungen anzufnüpfen 
ober ihnen in ihren Speculationen wenigftens eine moralifche 
Unterftügung zu leihen. Der Herftellung einer folchen Verbin⸗ 
bung, ber Gründung von Commanbiten bebeutender beutfcher 
Häufer, wird unfehlbar eine ungeahnte Entwidelung unfere 
Handels, ein Aufſchwung unjerer Fabriken und unjerer Schiff- 
fahrt folgen. Zu den 200 deutſchen Schiffen, die jest fchon 
ben chinefifchen Küſtenhandel betreiben, würden fich ebenjo viele 
gejellen, um den tirecten Handel mit Deutfchland zu vermitteln, 


218 


und eine natürliche Folge würde bie Hebung bes Wohlſtandes 
fein. Die armen Weber in. Schlefien würden nicht mehr am 
Hungertyphus fterben, wenn wir jährlich um einige Millionen 
mehr Shirting probucirten, und wie unfere Induftrie bereit jede 
fremde aus Südamerika verprängt und bie Ausfuhr des Zoll 
vereind nach Nordamerika jeit 1847 von 1 Million Dollars auf 
20 Millionen geftiegen ift, würde man daſſelbe mit Gewißheit 
auf Erfolg auch in China verjuchen Tönnen. 

Nur auf Eins kann ich Hierbei nicht unterlaffen hinzuweiſen. 
Wenn bie beutiche Induſtrie in China eine Abſatzquelle finden 
will, fo muß fie veeff fein. An dem Mangel diefer Eigen- 
Schaft jcheiterten bisher ihre meisten Verſuche, in China mit 
den Engländern zu.concmriren. Die Engländer fchidlen gute 
Probewaaren, der Chineſe fieht ſie, ſie gefallen ihm, und er 
beftellt jahrans jahren Tauſende von Ballen, ohne fie beim 
Kauf auch nur anzuſehen. Er ſchaut nur, ob die richtige 
Marke darauf ift, dann weiß er, daß auch bie barin enthaltene 
Waare gut ift. Darin, liegt das Geheimniß der commerziellen 
Uebermacht Englands. Die Engländer find, mögen fie und 
in vielen: Dingen ‚auch nicht. zufagen, im Handel reell, das 
weiß jeder, ver mit ihnen zu thun hat, und darum fauft jeder 
von ihnen lieber, wenn ‚er auch theurer bezahlen muß; er be⸗ 
kommt bach etwas Gutes für fein Geld. Will man in Deutſch⸗ 
land ſelbſt ſich mit Schund begnügen, fo folkte man doch 
dafür forgen, daß nur gute ober wenigftens probemäßige 
Waaren ind Ausland. verfaudt werben; beun barüber hört 
man ſtets Magen, daß nicht probemäßig geliefert wird. Ent—⸗ 
weder ift das Fabrikat fchlechter oder die Dimenficnen find 
nicht die beftimmten. Man glaubt vielleicht nicht, welcher 
enorme Schaden dem gefammten Vaterlande burch die Ge- 
wiffenlofigfeit mancher Exrporteure erwächft, aber e8 gehen viele 
Millionen dadurch verloren. Man erfährt fo etwas nur im 
Auslande, und es kann baher den betreffenden Behörden nicht 


219 


bringend genug ans Herz gelegt werben, daß fie dad Yhrige 
thun, um Deutſchlands Inbuftrie vor dem Miscrebit. zu be- 
wahren, dem fie mit fehnellen Schritten zueil. Wenn viel- 
Teicht auch eine Controle in dieſer Beziehung unmöglich ift, 
fo haben die Hanvelsfammern und fonftige commerzielle 
Körperfchaften gewiß Mittel an der Hand, um bem Uebel 
entgegenzuarbeiten. 

Unter den vielen beutfchen Schiffen, welche bie Rüften bon 
China befahren und eine Yohnende Beihäftigung finden, find 
leider preußifche am wenigiten vertreten; "während Hamburg 
ein Eontingent von einigen 90 ftellt, und Bremen, Oldenburg, 
Hannover und Mecklenburg über 100 Schiffe Hier draußen 
haben, fanden wir in der ganzen Zeit unfers Aufenthalts 
nur drei bis vier Preußen. Und doch kann ven preußifchen 

Rhedern nicht genug empfohlen werben, ihre Schiffe bier 
herauszufchiden, da, wie ich ſchon erwähnte, die Deutichen 
bei den Chinefen in fo gutem Credit ftehen, daß fie ftets 
Frachten finden, und nicht allein fehr gut, ſondern beſſer be⸗ 
zahlt werden als alle andern Nationen. 

Die großen Seedſchonken, welche früher den chineſifchen 
Küſtenhandel vermittelten, luden 5— 6000 Pikul, nach unſerer 
Rechnung 250 — 300 Tonnen, und die chineſiſchen Kaufleute 
haben fich ſeit nndenflicher Zeit fo an dieſe Maße gewöhnt, 
daß fie nur Schiffe mit der erwähnten Tragfähigkeit beftachten. 
Europäifche Fahrzeuge von dieſer Tonnenzahl finden ftets Be⸗ 
Thäftigung, wenn ihre Tiefgang nicht 10— 11 Fuß’ überfteigt, 
um in alle Heinen Hafenpläge einlaufen zu können. Briggs 
oder breimaftige Schooner find für dieſe Küften die bequemften 
und vortheilhafteften Schiffe und bezahlen ſich amı beften. 
Ein ſolches Fahrzeng von 250 —300 Tonnen Gehalt, das 
ein Anlagefapital von 25— 30000 Thalern mit voller Aus⸗ 
rüftung für zwei Jahre erfordert, Kann im Durchfchnitt ftets 
auf eine jährliche Fracht von 12—15000 Dollars oder 18— 


220 


22000 Thaler rechnen. Faft alle deutsche Schiffe in China 
fahren in Monats⸗Charter, und zwar zum großen Theile für 
chinefifche Kaufleute das ganze Jahr hindurch. “Diefelbe be- 
trägt im Durcchfchnitt für Schiffe non 300 Tonnen 1300 Dol- 
lars oder 2000 Thaler. Die jährlichen Unterhaltungskoften, 
einschließlich Affecuranz, Hafen-, Rootfengelver u. |. w., belaufen 
fi auf 1012000 Thaler, ſodaß auf 12-—15000 Thaler 
reinen Ueberſchuß, alje auf 50 Procent des Anlagekapitals 
gerechnet werben-barf. Sch habe hierbei nur bie gewöhnlichen 
Frachten in Betracht gezogen und das Maximum ber Unfoften 
angenommen, um zu zeigen, worauf Rheder, bie hier Schiffe 
herausſchicken, mit Beftimmtheit rechnen können; es Tommen 
jeboch auch Zeiten, und bie lebten brei Jahre maren fait 
burchgängig folche, wo Schiffe von 300 Tonnen fi in einem 
Jahre frei verdient und 25—30000 Dollars Fracht gemacht 
haben. 

Nach dem Abſchluß unfers Vertrages begab fih Graf 
Eulenburg mit dem Gefanbtfchaftsperfonal auf vier Wochen 
nach Peking, um, einer Einladung ‘des franzöfifchen Gefandten 
zufolge, fich dort von dem in Tientfin geführten triften Leben 
zu erholen. Die Arkona blieb während biefer ‚Zeit vor dem 
Peiho, und wir blieben in Chefu. 

Am 14. October traf die Arkona mit der Geſandtſchaft 
in Chefu ein, um nah Nangafafi zu gehen, wo Graf Eu- 
lenburg noch einige Wochen verweilen wollte, ebe er fich über 
Hongkong nah Siam begab, da er mit NRüdficht auf Das 
Klima erft Anfang December in Bangkok anzulangen beabfichtigte. 
Uns hinderten einige Meine Reparaturen, ver Arkona fo- 
gleich zu folgen, und wir erhielten deshalb Orbre, Direct nach 
Hongkong zu fegeln, wohin wir am 16. October abgingen. 
Auf der Strede von Chefu nach Cap Schantung, circa 
18 Meilen, hatten wir ſtets mit Winbftillen zu kämpfen und 
gebrauchten dazu nicht weniger als brei Tage. So unange- 


221 


nehm ung dies anfangs war, eriwies es ſich fpäter als ein 
großes Glück, indem wir baburch verhindert wurben, in einen 
Teufun zu laufen, ber am 19, Dectober mit furchtbarer 
Wuth 100 Meilen fürlih von Cap Schantung wiltbete, und 
in dem nicht weniger als fünf deutſche Schiffe total verloren 
gingen. Am 25. October trafen wir in Hongkong ein, und 
am 11. November Iangte auch die Arlona mit Graf Eulen- 
burg dort an. 

Die Aufnahme des Geſandten von feiten ver beuifchen 
Kaufleute in Honglong war eine ungemein ehrende und glän- 
zende, und wenn man fie als SKriterium für die Leiftungen 
des Grafen betrachtet, wie man es barf, jo wird ber Werth 
des Vertrags, der die Deutſchen jett in China den meijtbe- 
günftigtften Nationen gleichftellt, von biefen in feiner ganzen 
Bedeutung gefchätt und aufgefaßt. Die Sejtlichleiten nahmen 
fein Ende, und mit Verwunberung fahen die Engländer in 
Hongkong zum eriten mal, daß die Deuffchen als folche auf- 
traten und fich als zu eimer großen Nation gehörig betrach⸗ 
teten. Außer den vorübergehenden Ehrenbezeigungen fuchten 
die Kaufleute dem Grafen Eulenburg auch auf andere Weife 
ihren Dank für feine ausdauernde Gefchielichkeit beim Ab⸗ 
ſchluß des Vertrags barzubringen, indem fie ihm als Aner- 
fennung für feine Verdienſte einen filbernen. Tafelaufſatz im 
Wertbe von 3000 Thalern überreichten. Daß es aber feiner Um⸗ 
fiht und Beharrlichkeit gelungen ift, den Tractat auch auf pie 
Hanfeftänte und Mecklenburg auszudehnen, bat nicht wenig 
dazu ‚beigetxagen, die Dentichen in China, von denen minde⸗ 
ſtens ?/, Nichtpreußen find, ſehr für Die preußifche Regierung 
einzunehmen. Während noch vor einem Jahre die Expedition 
mit Mistrauen betrachtet wurde, indem man ihr ſpecifiſch 
preußiſche Zwecke unterfegte, und dies Gefühl, wenn auch un« 
gerechtfertigt, durch den einfeitigen Vertrag mit Japan nicht 
gemildert war, hat der chineftfche Vertrag fo Har die deutſche 


222 


Geſinnung und Uneigennügigfeit der preußiſchen Regierung ger 
zeigt, daß alle Vorurtheile geſchwunden find, und man jet 
auch in China.auf Preußen als auf eine Macht blickt, welche 
berufen iſt, Deutichland nach außen zu vertreten. Ebeuſo 
angenehm wurde ed empfunden, daß ver Vertrag bereits am 
1. Juni 1862 in Kraft treten follte, da man leicht Kegreifen 
wird, wie willlommen e8 ben Deutfchen fein mußte, fo bald 
mit Englänbern, Franzoſen und Ruſſen auf gleichen Fuß 
zu fommen unb in gleiche Rechte zu treten, während fie bis⸗ 
ber nur geduldet waren. Es bleibt immer. ehrenvoll für 
unfere. Kaufleute und zeugt- von ber innern Kraft der .veut- 
ſchen Nation, daß es ihnen troß fo vieler Schwierigkeiten 
gelungen ift, fi in einem Zeitraume von faum zwanzig Jah⸗ 
ren zu einer fo bebeutenden Stellung emporzuarbeiten, wie 
fie bieje anerfannt in China einnehmen. Wenn ihnen aber ver 
Mangel eines Tractats eine Schranke. z0g, die fie nicht wohl 
überwinden fonnten, fo fteht ihnen jett das Feld offen, und 
mit nur einiger Unterftügung vom Baterlande kann es nicht 
lange dauern, daß fie den Kampf um die commerzielle Ober- 
herrfchaft mit den Englänvern beginnen, ber einzigen. Nation, 
der wir in China noch nachitehen. Sn welcher rüdhaltsiofen 
Weife man bie uneigennügigen Abfichten Preußens anerfannte, 
geht am deutlichften aus ber Thatfache hervor, dag man fich 
bereits volfftändig mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, 
fortan den preußifchen Geſandten in China als den biploma- 
tifchen Vertreter ganz Deutfchlands anzufehen, und ebenjo fand 
man es natürlich, daß dann auch ſämmtliche Conſuln der Fleinern 
deutſchen Staaten in den chineftfchen Häfen ihre Flaggen ein- 
ziehen und fich alle Deutfche unter den Schuß der preußifchen 
begeben würden. 

Abgeſehen von allem andern zeugt e8 wenigftens von einem 
praftiichen Sinn ver Deutſchen in China, daß fie fich freimilfig 
unter Preußen als unter die einzige deutſche Macht ftellen 








223 


"wollen, von ber fie im Falle ver Noth wirklich Schuk und 
Hülfe erwarten können. Kommt man in einen ausländifchen 
Hafen, da fieht man alle möglichen Flaggen auf ven beutfchen 
Eonfulaten wehen. Das macht fich unftreitig recht hübſch, aber 
bas ift auch leider alles, was man davon fagen kann. Bei 
eiviliſtrten Nationen mag eine foldhe Flagge immerhin etwas 
zu bedeuten haben, und ein Conful, mag er Hannover ober 
Oldenburg angehören, bleibt dort immer eine Perfon, beren 
gerechtfertigte Vorſtellungen man in Rückſicht auf internationale 
Höflichkeit wenigſtens nicht ignorirt. Hier in. China aber hatte 
por dem Vertrage ein beutfcher Conſul geradezu weiter Fein 
Recht als das, auf jenem Haufe oder Hofe feine Flagge auf- 
zuhiſſen. Handelte es fich um irgendeine Differenz mit ber 
hinefifchen Regierung, ja wollte ein deutfcher Conſul auch nur 
3.2. einen Matrofen beftrafen, der fich unter feiner Ylagge 
eines Vergehens ſchuldig gemacht, fo war er gezwungen, Hülfe 
und Schub bei Engländern und Franzojen zu fuchen und fich 
außerdem noch demüthigenden over verlegenden Bemerkungen 
von ſeiten dieſer ansfeßen. 

Das ganze deutſche Conſulatsweſen war alſo bei Licht 
beſehen eine Lächerlichkeit und Spielerei, ohne den geringſten 
Nutzen für den Handel, um deſſentwillen es doch eigentlich nur 
beſteht. Dies einzuſehen ſind die Deutſchen in China ver⸗ 
nünftig genug geweſen, und ſie ſind zu gute Kaufleute, um zu 
verkennen, daß ſie als Angehörige eines großen mächtigen 
Staats ganz anders daſtehen wie als geduldete ſchutz⸗ und 
rechtloſe Unterthanen eines Heinen Fürſtenthums. 

Hierbei iſt jedoch eine conditio sine qua non. An bie 
Reſidenz eines preufßifchen Diplomaten muß fich gleichzeitig 
die Stationirung eines preufßifchen Geſchwaders in ben chi⸗ 
nefiſchen Gewäffern fnüpfen, ja dies ift der chinefifchen Regie⸗ 
rung gegenüber fogar bedingt. in Gefanbter ober Conſul 
ohne KRamonen Hat in China ziemlich dieſelbe Bedeutung 


224 


wie in Haiti, und das Erfcheinen von Kriegsichiffen in irgend⸗ 
einem chinefifchen Hufen, wo ein Streitfall entftanden, ift ein 
Argument, deſſen praftifcher Werth von den Manparinen nie 
unterfchägt wird. Bon der Nothwenbigfeit einer phyſiſchen 
Macht Hier draußen muß jeder überzeugt fein, der bie Ber- 
hältniffe in China kennen gelernt, und jeden Augenblid bieten 
fih ſchlagende Beweiſe dafür. Während unferer letzten An⸗ 
wejenheit in Hongkong ereignete fich ein ſolcher Vorfall, ven 
ih als Illuftration bier anführen will. In dem von mir 
erwähnten Zeufun am 19. October jtrandeten unter andern 
an der formofanifchen Küfte ein englifches und ein medlen- 
burger Schiff, Graf Arthur Bernſtorff. Beide Schiffe hätten 
noch gerettet, oder wenigftens ein großer Theil ihrer Ladung 
und ihres Inventars hätte geborgen werben können, wenn 
ihnen von den Landesbewohnern Hülfe geworben wäre. Statt 
deſſen beraubten dieſe die Schiffe, und was von den Mann- 
Ichaften nicht feinen Tod in ven Wellen gefunden, wurde von 
ben Piraten ermordet. Von beiden Schiffen entlamen nur 
fünf Mann und Tangten nach vielen Fährlichfeiten in Hong- 
kong an. Sobald ver englifche nautifche Stationschef Die Nach- 
richt erhielt, beorberte er fofort prei Ranonenboote nach dem 
Orte des Verbrechens, da große Schiffe in die flachen for- 
mojanifchen Häfen nicht hineinkönnen. Die Kanonenboote 
liefen bis nahe unter die Piratendörfer, bombarpirten und 
nahmen fie, machten ihre Mandarine zu Gefangenen unb 
zwangen fie nicht nur zur Herausgabe des geraubten Gutes, 
fondern auch zur Bezahlung von 30000 Dollars Entſchädi⸗ 
gung. Diefe ſummariſche Yuftiz ift die einzig vichtige und 
nothwendige in Ländern wie Formofa, die nominell unter 
chineſiſcher Herrſchaft ftehen,; aber aus der Piraterie ein Ge- 
Ihäft machen. Sie ift das wirffamfte Mittel, um ben bor- 
tigen Seeränbern Achtung vor den europäiſchen Flaggen ein- 
zuflößen und ihrem gefeßlofen Treiben ein Ziel zu feßen 





225 


während den Beraubten gleichzeitig zu ihrem Rechte geholfen 
wird. Die Umgegend von Formoſa, bie von Hunderten deut⸗ 
iher Schiffe befahren wird, iſt die gefährlichite Gegend des 
chinefifchen Meeres, weil fie beim Wechfel des Monſuns 
regelmäßig von Zeufunen heimgefucht wird, in benen faft 
immer Schiffe verloren geben. Im Iahre 1861 fcheiterten 
fieben deutfche Fahrzeuge an den Küften ver Infel, aber nie- 
mand fümmerte fih um ihr Schidjal, niemand forberte von 
den Piraten Rechenfchaft für die ermordeten und in Sklaverei 
gehaltenen Mannichaften oder Herausgabe des Raubes. 
Während die englifchen Eigenthümer ihre Verlufte erſetzt er- 
halten, müſſen bie veutfchen Rheder die ihrigen verfchmerzen. 
Selbft wenn der preußifche Geſchwadercommandant geneigt 
oder autorifirt gewejen wäre, in dem erwähnten Falle mit 
dem medlenburger Schiff das Verfahren Englands zu adop⸗ 
tiven, würbe ev nicht im Stande dazu gewefen fein. Unfere 
Schiffe waren zu groß und konnten nicht in die formofani« 
jhen Häfen einlaufen, die nur 8—10 Fuß Tiefe haben. 
Daffelbe gilt von vielen Heinern Häfen an ber chineftjchen 
Küfte, wo überall noch gewerbmäßige Piraterie getrieben wird, 
und es iſt daher bringend erforverlich, daß neben ein ober 
zwei größern Schiffen einige größere Kanonenboote hier ihre 
Station erhalten, die preußifche Flagge befannt machen und 
in Fällen wie der obenerwähnte ſofort Juſtiz üben können. 

. Bei dem Brande der europäischen Wactoreien in Canton 
im Jahre 1857 wurden auch die Lager und das Kigenthum 
von vier deutſchen Häufern zerftört. Engländer und Franzo⸗ 
fen befamen Ende 1861 eine Entſchädigung für ihre Verlufte, 
und zwar mit dem hier üblichen Zinfenfat von 12 Procent 
für die verfloffenen vier Jahre. Wer entſchädigt die Deut- 
hen? Was gibt Engländern und Franzoſen im Auslande 
das große Selbitvertrauen und ben von uns beneideten Na- 


tionaljtolz anders als das Bewußtſein: Dir darf kein Unrecht 
Werner. 11. 15 


226 


gefchehen, und bu haft bein Land Hinter dir! Laßt die Deut- 
chen dies Bewußtjein haben,- und wir werden bald jehen, daß 
fie ihre Köpfe ebenfo hoch tragen wie bie Engländer. 

Dazu gehört aber eine Flotte und hier in China fpeciell 
eine permanente Station von Kriegsfchiffen. Ohne ein folches 
Geſchwader, das überall Refpect vor ben beutjchen Flaggen 
einflößt, ift der Vertrag eine Illuſion, während er andererjeits 
das Mittel fein wird, unſerm Handel zu einer ungeahnten 
Entwidelung zu verhelfen. Wo es fich um fo große Intereffen 
handelt, wie fie allein in der deutſchen Rhederei an den chi⸗ 
nefifchen Küften vertreten find, faun der Koftenpunft nicht in 
Betracht fommen und gewiß würden Hamburg und Bremen, 
die allein über hundert Schiffe bier befchäftigen, bereitwillig 
ihre Quote dazu geben. Ueberdies find bie Koften auch gar 
nicht fo beträchtlich. Die Unterhaltung eines ausreichenden 
Geſchwaders erfordert jährlich Taum 250000 Thaler, denn da 
Preußen das Necht befit, feinen Kohlenvorrath aus Japan 
zu entnehmen, wo die Kohlen nicht mehr als in England 
ſelbſt koſten, jo fällt der Hauptpunft fort, ber Dampfichiffe 
hier draußen fo vertheuert, weil fie für die Tonne englifcher 
Kohlen 20—25 Thaler bezahlen müffen. 

Was find aber 250000 Thaler gegen die vielen Millionen 
deutſchen Kapitals, die jegt unbeſchützt in ben chinefifchen 
Meeren umberfchwimmen? Wie verfehiwindend erfcheinen fie 
gegen den Nutzen, ven fie indirect ftiften, wenn unfer Handel 
fih Hier ungeftört entwideln kann? Würde es nicht Hun⸗ 
berte von Millionen aufwiegen, wenn Deutfchland im Laufe ver . 
Jahre die erite Handelsmacht in Oftafien wird — wie fi gar 
nicht bezweifeln läßt, wenn die Sache richtig gehanphabt und 
namentlich von ben heimifchen Negierungen gefördert wird? 
Eine Marine koſtet Geld, fo viel, daß das ökonomiſche 
Deutſchland fich mit der Höhe des Betrages eine Zeit lang 
nur ſchwer wird ausfähnen können, aber ohne Marine gebe 


227 


man alle Gevanfen an Großmacht und Theilnahme am Welt- 
handel auf. In China wird uns eine Marine dazu verhelfen, 
bie erfte Rolle zu fpielen, und dann find ihre Koften ein an⸗ 
gelegtes Kapital, das unerhörte Zinfen abwirftl. Weshalb 
fprigen die englifchen Blätter den Geifer ihrer Beleidigungen 
auf das fich in Deutfchland fund gebende Beſtreben zur Schafr 
fung einer Marine? Es tft nicht die Furcht, daß Deutfchland 


England zur See befriege, fondern die wohlbewußte und wohl⸗ 


begründete Beforgniß, daß wir ihm fein Handelsmenopol 
entreißen - oder wenigftens mit ihın darum ringen. ‘Der chi- 
neſiſche Handel ift für England ber einträglichfte, ben es 
befißt, und wir verlegen e8 auf das empfinblichite, wenn wir 
bier als Concurrenten auftreten und, nachdem wir bereitd bie 
ganze Küftenfchifffahrt an uns geriffen, mit Energie auch hier 
unfern Theil am Welthandel fordern — was wir mit einer 
Marine leicht vermögen, ohne eine folche nicht im Stande find! 


Am 24. November ging Graf Eulenburg nad Kanton, 


um dem PVicefönig feine Aufwartung zu machen, und Tehrte 
am 27. November zurück. Am 30. November fegelten wir 
mit der Elbe nah Siam und die Arkona mit der Gefanbt- 
ihaft am 4. December über Macao ebenfalls dahin. Unfere 
Reife war bis zum Golf von Siam eine äußerſt günftige, fie 
dauerte nur fünf Tage; im Golf felbft aber trafen wir Wind⸗ 
ftille und Gegenwinde, ſodaß wir erſt am 11. December auf 
der Rhede von Bangkok zu Anfer kamen. Die Yahrt felbit 
bot nichts Bemerkenswerthes dar, als daß der Golf ven Siam 
von Seefchlangen wahrhaft wimmelte. Wir fahen Taufende 
und Taufenvde beim Schiff vorbeifchwimmen und untertauchen, 
fobald das Geräufch des Segelns fie aus ihrer Ruhe ftörte. 


Trotzdem gelang es uns, 13 zu fiſchen, indem wir fie durch. 


einen Schuß Pulver mit Sandladung betäubten und fie dann 
mit einem Netze fingen. Wir befamen ſechs verſchiedene Ar⸗ 
ten; die größte maß jeboch nur vier Fuß. 

15 * 


228 


Am 15. December traf auch die Arkona vor Bangkok ein; 
bie Thetis war bereits feit drei Wochen hier und mithin das 
Geſchwader feit langer Zeit einmal wieder beifammen. Die 
Thetis hatte eine höchſt angenehme und intereffante Reife ge- 
macht, während wir uns in dem fchredlichen Chefu und auf 
der Rhede von Tientjin fast ſechs Monate lang bis zur Ver⸗ 
zweiflung gelangweilt hatten. Sie war in Manila, Mindanao, 
Banjermaffing, Macaffar, Paſſuruan, Surabaha, Sama- 
rang, Batavia und Singapore gewefen und wir beneibeten fie 
nicht wenig um biefe Zour nach ven fchönften Plätzen in ganz 
Indien. 

Am 21. December fähiffte fich Graf Eulenburg auf einem 
ſiameſiſchen Dampfboote, einer im Lande felbft erbauten Yacht 
bes Premierminifters, nach Bangkok ein, und die Vertrags. 
verhandlungen nahmen ihren Anfang. 


32, 


. Das Königreih Siam, feine Länder, fein Waſſerſyſtem. Gefchichte bes 

Landes. Der Mainamfluß. Die finmeflfchen Feſtungen. Die Stabt 

Bangkok. Bauart ber Häufer und Aermlichkeit ihrer Einrichtung. Eine 

Dame von Stande. Die Bubbhatempel, ihre Architektonik, ihre Pracht, 

ihre Göten. Leben und Treiben ber fiamefifchen Prieſterſchaft. Der 

Zobtenbienft und die Leichenverbrennung. Das Tobtenfeld der Armen. 
Unterrit und Volksbildung. 


Wir mit der Elbe blieben nur 14 Jage in Siam. Ich 
benußte biefe Zeit zu einer Reife nach Bangkok, und fie ge- 
nügte, um alles Wiffenswerthe zu erfahren, alles Merkwür⸗ 
bige in der Stadt und Umgegenb zu fehen und bamit nicht 
allein ein klares Bild der Stadt und ihrer Bewohner zu ge- 
winnen, fondern auch des ganzen Landes und Volle, da in 
der Hauptftabt fi das ganze Siam concentrirt und wider⸗ 
ſpiegelt. 

Das Königreich Siam befteht aus drei größern Reichen, 
bem eigentlichen Siam, beffen alter Name Thai war, aus 
dem Laos und der Kambodſcha, welche beiden letztern erit 
in den legten Sahrhunderten unter die Botmäßigfeit von Siam 
famen. Siam begrenzt ven nörblichen, Laos und Kambodſcha 
den öftlichen Theil des Golfs von Siam, während die Halb- 
infel Malalka vie weitliche Küfte vefjelben bilde. Malakka 
ift unter eine große Zahl von Fürſten vertheilt, über bie ber 
König von Siam ebenfalls eine wenn auch nur ſehr zweifel- 
hafte Autorität beanſprucht. Die Grenzen bes ganzen Reiche 


230 


erftreden fi vom 4. bis 21.0 nördlicher Breite und vom 
96. bis 102.0 Bftlicher Länge von Greenwih. Es zerfällt in 
41 Provinzen, deren jede unter der Herrichaft eines Radſchah 
jtebt, die namentlich im Laos und der Kambodſcha ziemlich. 
jelbjtändig regieren und häufig mit ihrem Lehnsherrn im 
offen Kampfe liegen. Der alte Name von Siam, Muang 
Thai, das Königreich der Freien, paßt nicht recht zu feiner 
frühern Situation. Es war nämlich ein Zributarreih von 
China, und feine Könige erhalten noch jeßt ihre Beftätigung 
von ihrem „ältern Bruder’ in Beling, wenngleich dies eine’ 
leere Form ift, da China weder die Macht bat, den längft 
nicht mehr bezahlten Tribut zu erheben, noch vie Beftätigung 
gu verweigern. | 
Die Geſchichte des Landes: ift fehr unklar und für Euro- 
päer von wenig Intereffe. In den Jahren 1662—80 kam 
es durch einen griechifchen Abenteurer einmal mit Frankreich 
in Berührung. Diefe Verbindung nahm jedoch fehr bald ein 
tragifches Ende, und feitvem ift e8 bis vor 30 Jahren den Eu- 
ropäern ziemlich vwerjchloffen und unbekannt gewejen. Jener 
Abenteurer bie Taucon, war von Candia gebürtig und auf 
irgendeine Weife nah Siam xerjchlagen, wo es ihm gelang, 
fih zum Vertrauten und Premierminifter des Königs aufzu- 
Ihwingen und baburch eine beveutende Macht zu erlangen. 
An diefe knüpfte er die hochfliegendſten Pläne, beabfichtigte 
ſogar felbjt ven Thron zu befteigen und Siam zu einem Va⸗ 
fallenreich von Frankreich zu machen. Auf feine Veranlaffung 
wurde eine fiamefiiche Gefandtichaft nach Paris gejchidt, und 
Ludwig XIV. ging auch mit großem Vergnügen auf Faucon's 
Ideen ein, verbarb aber durch einen zu großen religiöfen 
Eifer alles. Er fandte Schiffe, Handwerker, Künftler, Sol- 
baten und Priefter, um das Land nicht allein zu franzöfiren, 
jondern auch fofort chriftlih zu machen. Anfänglich nahmen 
bie Siamejen die Fremden fehr wohl auf, und ver franzöfifche 











231 


Einfluß begann fchnell Fuß zu fallen, folange Faucon bie 
religiöfen Beftrebungen der Iefuiten mäßigte. Ludwig XIV. 
war jedoch mit ber langfamen Belehrung ſehr unzufrieden und 
forderte peremtorifsh vom Könige, daß er fich taufen laſſen 
folle, widrigenfalls er firenge Maßregeln in Ausficht ftellte, 
Gleichzeitig wurde ber König krank, und Faucon fuchte ihn 
mit Hülfe eines natürlichen Sohnes veffelben vom Throne 
zu ftoßen. ‘Dies gelang nicht, obwol der König wenige Tage 
nach Entvedung des Complots ftarb. Den Siamefen gingen 
die Augen über die franzöfifchen Pläne auf; Faucon wurbe 
als Landesverräther hingerichtet und bie Franzofen aus dem 
Lande gejagt oder gleichfalls ermorvet. So endete biefer 
Verſuch, der mit erforberlicher Klugheit und Vorficht vielleicht 
in wenigen Jahren eins ver fchönften Länder Afiens unter 
Frankreichs Botmäßigfeit hätte bringen können. Es begann 
nun eine antieuropäifche Reaction. Seit diefer Zeit hörte man 
aus Siam von weiter nichts als von feinen äußerſt blutigen und 
graufamen Kämpfen mit Birma und Cochinchina, von welch 
letterm Das Laos und die Kambodſcha unter fiamefifche 
Herrichaft kamen. Erſt feit 1820 wurde, und zwar burch bie 
Portugiefen von Macao aus, eine neue Verbindung mit Siam 
feitens der Europäer angelnüpft und in Bangkok ein portu- 
gieſiſches Conſulat gegründet, obwol dieſe Verbinpung bis 
1851 immer noch fehr loſe und pürftig blieb. 

Die Siamefen haben zwei Zeitrechnungen. Die eine da⸗ 
tirt vom Tode des Buddha und zählte am 24. April 1862 
2054 Jahre, wird jevoch lediglich in religidfen Dingen an⸗ 
gewandt; fje beißt Puhtan Saffarat, bie buddhiſtiſche Zeit- 
rechnung. Die Aera in weltlichen Dingen zählt von ber 
Zeit, wo Bhra Ruang, ein ſiameſiſcher Herricher, fie aufſtellte, 
und bies find am 12. Mai 1862 1223 Jahre geworben; fie 
heißt Tſchulah Saffarat, die Heine Zeitrechnung. Phra 
Ruang iſt die erfte biftorisch beftimmte Figur Siams; er 


232 


regierte um das Yahr 638 n. Ehr., war kriegeriſch, fegelte 
mit einer Flotte nach Ehina, führte Krieg mit dieſem Lande, 
und der Kaiſer mußte ihm feine Tochter zue Frau geben. 
Unter ibm nahmen die Siamefen ven Namen Thai an. 

Das fiamefifche Jahr befteht aus 12 Mondperioden ‚von 
abwechfelnd 28 und 29 Tagen. &8 wird daher jedes britte 
Jahr der achte Monat als Schaltmonat verboppelt. Die 
Donate werden nur nach Zahlen bezeichnet, und December 
ift der erite. Man rechnet nach zwei Chflen, einem großen 
und einem Heinen; der letztere zählt 12 Jahre, die mit Thier- 
namen belegt find. Das erite Jahr ift das der Ratte, bas 
lette das des Schweind, und biefe Bezeichnungen find aus 
dem chinefiichen Thierfreife entnommen. Der große Cyklus 
enthält 60 Iahre oder fünf Cyklen. 

- Bon der Zeit Phra Ruang's bis zur Gründung ber alten 
Hauptſtadt des Landes Ayuthia im Jahre 1320 n. Ch., alſo 
über 600 Iahre lang, ſchweigen fogar die fiameftfchen Landes⸗ 
chroniken, und man weiß abjolut nichts über das Land. Von 
biefem Zeitpunfte an bis jeßt haben vier verfchievene Dyna⸗ 
ftien und 39 Könige regiert. Von dieſen warb faft die Häffte 
ermordet, und ber Dinaftienwechfel wurbe ftetS durch Ufur- 
patoren veranlaßt. 

Die gegenwärtige Dynaſtie batirt vom Jahre 1782 n. Chr., 
wo der Premierminifter Phra Puti Kaoh Luang den wahn- 
finnigen König Phaja Taf binrichten Tieß und ſich zum Herr- 
ſcher machte. Der jetige Herrfcher ift der vierte ſeitdem und 
ber Enkel jenes Premierminifterse. Er folgte feinem verftor- 
benen Bruder im Jahre 1851, obwol er ſchon feit 1826, d. h. 
jeit dem Tode feines Vaters, Hätte zur Regierung kommen . 
mäffen, ba er ber Tegitime Nachfolger, fein Bruber aber ein 
uneheliches Kind war. Diefer bemächtigte fich jedoch bes 
Throns, und ber gegenwärtige König flüchtete bis zu beffen 
Tode in ein Buddhakloſter. Er ift ein Mann von 56 Yab- 


233 


ren, and fein voller Name lautet: Prabat Sombet, Phra 
Paramender Maha Mongkut, ven er jedoch bei feinen Unter- 
fchriften gewöhnlich in Mongkut abkürzt. 

Die alte Hauptſtadt Ayuthia, früher berühmt wegen ihrer 
Paläſte und Tempel, lag 10 Meilen nörblic von Bangkok. 
Sie wurde im Jahre 1766 in einem Kriege mit den Bir- 
manen von diefen genommen, in Afche gelegt und gänzlich 
zerftört. Der König kam auf ver Flucht im Elend in ben 
Wäldern um. Der erwähnte Phaja Tat, Sohn eines Chi- 
nefen und einer Siameſin, 309 fih mit taufend tapfern Sol⸗ 
baten in die Gebirge zurüd, Yimpfte von dort Aus überall 
flegreich gegen bie Birmanen, vernichtete fie ſchließlich, eroberte 
die Kambodſcha und einen Theil Cochinchinas ſowie ganz 
Siam wieder und machte fich zum König. Er gründete 1768 
Bangkok und machte es zu feiner Refidenz. Er fcheint mit 
Kraft regiert zu haben, wurde jedoch den Großen des Landes 
unbequem; biefe brachten ibm Gift bei, infolge deffen er 
wahnfinnig wurde, fih für Buddha hielt und Opfer vom 
Bolt verlangte. Es brach ein Aufftand aus, und bei dieſer 
‚Gelegenheit ließ der Gründer ver gegenwärtigen Dynaſtie ihn 
unter dem Vorwande binrichten, daß fein Leben die Ruhe des 
Reiches bedrohe. Ayuthia wurde nicht wieber aufgebaut; nur 
wenige Hütten und ein Töniglicher Palaft, freilich nur aus 
Holz und Bambus gebaut, befinden fich dort, und ber König 
unternimmt alljährlich aus Bietät eine Reiſe dahin. 

Bangkok Tiegt am Fluffe Mainam, Mutter der Gemäffer, 
wie bie beutfche Weberfegung lautet, an dem auch Ayuthia 
lag, acht deutſche Meilen von der nördlichen Küfte des Golfs 
und zehn vom Ankerplatz ver Schiffe. Eine Barre vor dem 
Fluſſe mit nur vierzehn Fuß Waſſer bei Springflut zwingt 
die Schiffe, über zwei Meilen von ber Küfte entfernt zu 
bleiben, uud man ſieht daher von der Rhede aus faum vie 
ſchwachen Linien der am Horizont abgezeichneten niebrigen 


234 


Küſte. Nur an der Oft: und Weftfeite des Golfs im Laos 
und auf Malakka erheben fich Gebirgsfetten, die Fortfegungen 
ber beiven faſt parallel von Nord nach Sid laufenden Höhen- 
züge, welche die große fiamefifche Alluvialebene einfchließen. 
Diefes ausgedehnte Flachland wird von vier großen Strö- 
men durchjchnitten, dem Bangpakong, Mainam, Jachin und 
Meklong. Der Bangpafong ift ver öſtlichſte und ver Meklong 
ber weſtlichſte. Ihr Lauf ift faft Nord und Süd; fie mün- 
den ſämmtlich an der Nordküſte des Golfs in faft gleichen 
Abftänden von zehn deutſchen Meilen, und bie drei erftern 
find durch Kanäle miteinander verbunden. Der Mainam 
beherricht das größte Flußgebiet und ihm zunächſt kommt 
der Meflong; jedoch tft ver Meklong nicht hinlänglich genau 
unterfucht, um zu fagen, ob er für das Land in Bezug auf 
Handel und Schiffahrt ebenfo bedeutend werben Tann wie der 
Mainam. Diefer legtere ift einer der prachtvollſten Flüſſe 
ver Welt. Sein Lauf beträgt 200 veutfche Meilen, und er 
entfpringt auf ven Gebirgen von Yu⸗nan in China. Bon 
Bangkok bis zum Seegeftabe ift feine Breite ziemlich gleich» 
mäßig 12—1500 Schritt, ebenfo feine Tiefe, die bis unmit- 
telbar an beide Ufer 36—42 Fuß beträgt, und feine Untiefe 
oder Sandbank ftört die Fahrt auf ihm, ſodaß man oft das 
merkwürdige Schaufpiel hat, die Schiffe beim Hinauffreuzen . 
mit dem Klüverbaum die Zweige der bie Ufer befränzenden 
Büfche berühren oder ihre Maften und Raaen vie Kronen 
ber die Geſtade überhängenden Kofospalmen ftreifen zu fehen. 
Diefe Tiefe ſoll ſich noch 30—40 Meilen weit oberhalb Bang» 
kok erftreden, wenngleich die Thatjache noch nicht durch com⸗ 
petente Forfchungen feitgeftellt if. Immerhin bleibt aber ber 
Mainam für Siam von unberechenbarer Wichtigkeit. Etwas 
Kanalifirung würde alle vier Flußgebiete miteinander ver- 
binden und ganz Siam mit einem Net von Strömen über- 
fpannen, das in Ermangelung anderer Communicationsivege, 


235 


welche die Natur bes fumpfigen Bodens nicht zuläßt, diefe in 
reihem Maße erfegen und die Producte des Innern auf bie 
ſchnellſte und billigfte Weife zum Meere führen könnte. 

Der Mainam ift aber nicht nur in Bezug auf Handel 
und Verkehr von Wichtigkeit, fondern für das Land felbft vie 
Duelle feiner Fruchtbarkeit und feines Bodenreichthums. Wie 
der Nil Aegypten mit feinem Schlamme fegnet, fo überflutet 
auch alljährlich der Mainam feine Ufer und bleibt in einer 
Höbe, die fein gewöhnliches Niveau öfter um ſechs Fuß über- 
fteigt, bis zum November, wo er zu fallen beginnt und in 
vierzehn Tagen feinen alten Stand erreiht. Das Haupt 
probuct des Landes ijt der Reis, der befanntlich monatelang 
unter Waſſer ftehben muß, bis die Aehren anfangen gelb zu 
werben. In China und andern Neisländern werben biefe 
Ueberfchwenmungen künſtlich durch Wafferleitungen berbeige- 
führt; Hier jedoch bewirkt fie der Mainam, und wenn einmal 
die Ueberflutung ausbleibt, fo folgt eine Misernte und damit 
eine große Salamität für das Land. Bisweilen fteigt ber 
Fluß jedoch zu einer ſolchen ungewöhnlichen Höhe, daB er 
großen Schaden anrichtet. Vor 30 Jahren zerjtörte er 
alle Zuderplantagen, und eine Menge Rindvieh kam dabei um. 
Wenn man glaubt, daß das Waffer feine größte Höhe erreicht 
bat, wird eine Anzahl Priefter vom Könige befehligt, dem 
fernern Steigen Einhalt zu gebieten, eine Ordre, der ber uns 
geborfame Fluß bisweilen jedoch nicht parirt. 

Der Mainam winbet ſich von feiner Mündung bis Bang⸗ 
kok in verjchievenen großen Krümmungen durch das niedrige 
Land, und man erhält, wenn man auf ibm zur Stabt hinauf: 
fährt, fogleih ein Bild des Lanves im Fleinen. Dörfer, 
Tempel, Wald und Neisfelder, welche die Ufer begrenzen, find 
die Grundzüge dieſes Bildes; üppiges Grün und ber in ruhi⸗ 
ger. Majeftät vabinftrömende Mainam die Staffage Der 
erfte Anblick ift für das Auge wohlthuend und erfreuend, bei 


236 


ben Mangel aller Abwechjelung wirb aber ber Brofpect auf Die 
Dauer langweilig und ermüdend. Eine endlofe Ebene ohne einen 
Nuhepunft für das Auge, ohne einen Berg, ohne eine Er⸗ 
höhung, ift wie eine weite Waflerfläche, ver Bewegung fehlt. 
Sie imponirt anfangs, aber man wird ihrer bald überbrüßig. 

"Zwei Meilen oberhalb der Flußmündung Tiegt Paknam 
und noch zwei Meilen weiter aufwärts Paket, das eine amt 
Iinfen, das andere am rechten Ufer, beide mit den Namen 
Feftungen beehrt. Gegenüber Paknam erhebt fih im Mainam 
eine Heine Inſel, ein reizendes kleines Parapies, aus deſſen 
grünender Mitte das ſchneeweiße Dach eines Tempels mit 
feiner hochftrebenden fchlanfen Spite in die Lüfte emporfteigt. 
Auch diefe Infel wird. ein Fort genannt, und nach der Anficht 
bes Königs von Siam foll dies Fort mit Paknam den Fluß 
bermetifch gegen jeden feindlichen Angriff fehließen. Gott er⸗ 
halte den König bei biefem naiven Glauben, und mögen bie 
Franzoſen ihn nicht bald eines andern belehren. Später 
ſahen wir uns dieſe „Feſtungen“ näher an, aber wir konnten 
‚ung eines mitleidigen Lächelns nicht erwehren. Es geht ihnen 
faft wie allen Producten menfchlicher Kunft und Induſtrie in 
Siam, mit Ausnahme einiger Tempel: man barf fie nicht in 
zu großer Nähe betrachten. Die Wälle, Baftionen, Schieß- 
Iharten, alles fchaut fi) aus der Ferne ganz kunftgerecht an, 
und die Münbungen ber ultima ratio regum blicken ganz 
formidabel über das Parapet; allein der Schein iſt auch das 
Befte daran, und fein europäifches Kanonenboot braucht fich 
zu fürchten, mitten in das Kreuzfeuer der beiden Batterien 
zu bampfen und mit beiden zugleich den Kampf aufzunehmen. 
Es ift Hundert gegen eins zu wetten, baß das Boot fämmtliche 
Batterien zum Schweigen bringt und ungefährbet feinen Weg 
nach Bangkok bis unmittelbar vor ven Königlichen Palaft fortſetzt. 
ALS diefe Feftungen vor 30-40 Jahren gebaut wurden, mö⸗ 
gen fie gut geweſen fein, jeßt jeboch ift das Mauerwerk zer- 


237 


fallen, in ven Schießicharten ift ein junger Urwald aufgefproßt, 
die Miünpungen ber Geſchütze haben Schlinggewächje mit 
zierlichen Feſtons befränzt. ‘Der Roft, -in den feuchten Tro⸗ 
pen ohnehin gefährlich, hat fein Möglichftes gethan, um bie 
Kanonen gänzlich unbrauchbar zu machen; bie Bettungen, auf 
benen fie ftehen, find verfault und bie Räder durch dieſe fuß⸗ 
tief in den moraftigen Boden eingefunfen. Die Laffetten von 
fiamefifcher Conſtruction find zwar koloſſal, aber auch ebenfo 
roh und fchief gearbeitet. Die Hinter ven Gefchügen aufge- 
ftapelten Kugeln find ebenfo verrojtet wie dieſe, nebenbei noch 
vom verichienenften Kaliber. Wenn bie Kanonen nicht jchon 
beim erſten Schuffe fpringen, fo kann doch nach menschlicher 
Berechnung feine ihrer Kugeln treffen. Die Siamefen fcheinen 
auch ſelbſt nicht vecht auf biefe Batterien zu bauen, denn 
unter Schuppen am Stranbe liegen wenigftens 100 Ketten 
von 90 Klafter Länge und 1 Zoll Stärke, um ben Fluß 
abzufperren, und wenn biejelben rechtzeitig ausgefpannt wer- 
den, bürften fie fremde Kriegsfchiffe beifer als die Geſchütze 
abhalten. 

Ye mehr man fi Bangkok nähert, deſto Iebhafter wird 
der Fluß. Boote, nicht fo plump und unbeholfen gebaut wie 
die chinefifchen, jondern fein geformt und mit ſchlanken Linien 
wie die malatifchen Praue, kreuzen fich überall; die Häuſer 
und Hütten am Ufer werben häufiger, auf dem Mainam 
jelbft Ichwimmen auf Bambusfloßen einzelne jener Gebäude, 
aus denen zur Hälfte die Hauptitabt bejteht; hier und bort 
anbern europäiſche Schiffe, welche bie Flut abwarten, um an 
bie Stabt. zu fegeln. Am rechten Ufer erhebt fich ganz un- 
erwartet aus einem Complex von ziegelgededten Steinhäufern 
ein thurmartiger Schornftein, aus dem eine dichte ſchwarze 
Rauchſäule emporfteigt und verfünbet, daß der Cinilifator 
Dampf auch bereits hier feften Fuß gefaßt. Diefe Gebäude, 
befchattet non Kokos» und andern Palmen, bilden eine Dampf- 


238 


mühle zum Enthülfen des Neis, die amerikaniſche Speculanten 
mit einem Aufwande von 120000 Thalern bier in der Hoff- 
nung auf fihern Gewinn errichtet. Sie rentirt jeboch nicht, 
wie überhaupt Mafchinenarbeit in dieſen aftatifchen Ländern, 
wo Menfchenarbeit fo billig ift, nur in ganz befondern Fällen 
rentiren fann. 

Etwas weiter hinauf tauchen bie Gebäude ber amerifani- 
ichen Miffion aus dem fie umgebenden Grün hervor, mit dem 
ihre fchneeweißen Mauern und rothen Ziegeldächer auf das 
angenehmite contraftiren, und einige Augenblide fpäter, nachdem 
man bie letzte leiſe Biegung des Mainam umfchifft, Tiegt 
Bangkok vor unfern Biden. 

Der erjte Eindrud, ven die Stadt vom Mainamfluffe aus 
macht, ift imponirend. Kine meilenlange Häuferreihe erhebt 
fih zu beiden Seiten des Fluffes, überragt von Hunderten 
von Tempeln mit ihren oft 300 Fuß hohen mächtigen Domen 
und Spiten, vom Töniglichen Balafte, der Aubienzhalle und 
andern öffentlichen Gebäuden, die wie Rieſen auf die einftödi- 
gen Bambushütten des Volks herabſchauen. Auf dem Fluſſe 
ſelbſt ſchwimmt eine zweite Stadt. Soweit das Auge reicht, 
reiht fich Bloß an Floß, und auf ihnen ruhen bie ſchwimmenden 
Häufer, die Wohnungen der halben Einwohnerzahl der Stabt. 
Jedes Floß ift mit Tauringen an Pfählen befeftigt, bie in 
ben Grund des Fluffes getrieben find, und an benen fich bie 
Ringe auf⸗ und abſchieben, je nachdem das Waſſer fällt oder 
fteigt. Diefe Häufer haben die große Annehmlichkeit, daß man 
damit fehr bequem Reifen auf dem Fluffe machen kann. Die 
fejfelnden Ringe werden gelöft, und das Haug treibt dahin 
mit dem Strome, folange e8 dem Eigner beliebt. Sehr 
bequem ift dies namentlich bei Feuersbrünften, bie wegen bes 
brennbaren Materials der nur aus Bambus und leichtem 
Holz erbauten Häuſer ziemlich häufig vorkommen, aber auf 
dem Waffer felten großen Schaden "anrichten, da bie umlie- 


239 


genden Häufer fich fofort treiben laffen. Bet folchen Belegen 
heiten fiebt man ganze Straßen fortſchwimmen. 

Die Gebäude auf dem feiten Lande find entweder von 
Stein oder Holz erbaut, eine Combination beider, mit Aus⸗ 
nahme des Daches, wird nicht angewandt. Alle Tempel, Klö- 
fter und königlichen Gebäude gehören zur erftern Klaffe, alle 
übrigen zur zweiten. Jene find gewöhnlich auf natürlichen 
oder Fünftlichen Erhöhungen von 10—12 Fuß aufgeführt, um 

„fie gegen die Ueberſchwemmungen zu ſchützen; die Holzhäufer 
ruben bagegen fämmtlich zu dieſem Zwecke auf Pfählen und 
man fteigt zu ihnen daher auf halsbrecherifchen Treppen empor. 
Das Material der Häufer für die höhern Klaſſen ift Teak—⸗ 
holz. Diefe Häufer find ziemlich folide gebaut und mit Holz- 
ſchindeln, bisweilen auch mit dünnen Ziegeln von ber Form 
unferer Biberfchwänze gedeckt. Die Häufer ber ärmern 
Klaffe und der Mehrzahl find jedoch aus Bambusflechtwerf 
und das Dach aus Palmblättern gefertigt. Ein folches Ges 
bäude hat Feine innern Abtheilungen, und das ganze Mobiliar 
beftehbt aus einigen Matten zum Schlafen. Diefe gehören 
ogar noch zum Luxus; oft ſah ich als einziges Möbel 
nur ein etwas erhöhtes Hürdengeſtell als Schlafftätte. “Die 
Hänfer der PVornehmen haben gewöhnlich zwei Abthei⸗ 
lungen, eine für Männer, die andere für Frauen. Die 
Bauart zeigt Achnlichkeit mit dem maurifchen Stile. In der 
Mitte des Baues findet fich ein Hofraum, ber öfter einige 
Blumen in Töpfen enthält und von Galerien umgeben ift. Auch 
fanden wir bier einige alte Stühle und mit Rohr geflochtene 
Dänfe, die man uns anbot, während die Hausbewohner 
ſtets mit untergefchlagenen Beinen auf dem Fußboden 
fauerten. 

Immer aber, wie hoch auch ber Rang der Eigenthümer 
und wie groß ihr Reichthum fein mag, fehen bie Gebäude 
irmlich, elend und ſchmuzig aus. Geſtank und Koth fcheinen 


240 


ein nothwendiges Lebenselement für die Siamefen zu fein, und 
ich habe es faum in den ärmlichiten Bierteln chinefifcher Städte 
getroffen wie in Bangkok. Eleganz oder Comfort in unferm 
Sinne Tennen jelbjt die reichften Siamejen nicht, in dem Innern 
ihrer Häufer ift alles aus vohem Holz gearbeitet und ſehr 
jelten mit Farbe geftrichen. Ein in Bangkok anfäffiger 
Dentfcher führte mich zu einer ber angefehenften ‘Damen 
Bangkoks, der doppelten Schwiegermutter des Premier⸗ 
minifters, benn biefer hatte zwei ihrer Töchter geheivathet, 
aber trotzdem, daß die Frau fehr reich war, ſah ihre Wohnung 
nicht eleganter aus als die eines Zagelöhners bei uns. Ebenſo 
trug fie felbft weiter nichts als einen Sarong, der von ben 
Hüften bis an die Knie reichte und ein -über die Brüfte ge⸗ 
bundenes werjchoffenes gelbjeidenes Tuch, Dabei war fie ſehr 
häßlich, alt, hatte ſchwarze Zähne und kaute Betel. Einen 
eigenthämlichen Eindrud machten in biefer höchſt ärmlichen 
Umgebung eine jehr fchön cifelivte Bronzevaſe, die ven Dienft 
einer Spuckſchale verfah, und ein prachtvoll gearbeiteter 
ſchwarz ladirter Koffer mit Silberbefchlag, die beide das einzige 
Mobiltar der Stube ausmachten. Wir trafen die Dame bei der 
Anficht einer ſehr reichhaltigen Stereoffopenfammlung, die fie 
fürzlih von ihrem Schwiegerfohne zum Gefchenfe erhalten 
hatte, dem fie feinerfeits wol auch gefchenkt worden war; benn 
die Könige und Großen von Siam laffen ſich von den Euro» 
päern alles ſchenken und Faufen fehr felten vergleichen Sachen. 
In deſto größerm Gegenfage mit dieſen ärmlichen, un⸗ 
faubern und niedrigen Hütten, die fämmtlich einftödig find, 
ftehen Dagegen die Tempel oder Watts mit ihren zugehörigen 
Gebäuden, die nicht nur wie Niefen ihre Umgebung überragen, 
jondern in noch höherm Maße ſich durch Äußere und innere 
Pracht vor den gewöhnlichen Häufern auszeichnen. Wenn man 
biefe gewaltigen himmelanftrebenden Bauwerfe, die oft eine Höhe 
von 300 Fuß und darüber erreichen, in fo großer Zahl vor ſich 





241 


fiebt, deren mit Glas⸗ und Porzellanmofatt belegte Giebel 
und Kuppeln in ven Strahlen der Sonne erglängen, ale ob 
fle mit Golpplatten belegt wären, kann man fie anfangs gar 
nicht zufammtenreimen, weil fie ohne Uebergang fo plöglich 
aus alle vem Elend und Schnuz umber emportauchen. Wenn 
Pracht und Glanz der Tempel einen Maßſtab für die Innig- 
feit des religiöſen Gefühls eines Volks abgeben könnten, fo 
müßte man die Bewohner von Bangkok für die frömmſten 
‚ ber Welt halten, denn felbit die prachtvollſten Dome ber Chri⸗ 
ftenheit, die Monumente des gläubigen Mittelalters, treten 
ver einzelnen, biefer Buddhatempel in den „Schatten. Allein 
nirgends herrſcht wol mehr rveligiöfer Imdifferentismus im 
Bolfe, nirgends ift ein Eultus mehr zu einer bloßen Form 
zufammengefchrumpft, nirgends find die Träger beffelben, bie 
Priefter, mehr entartet umd geiftig verfumpft als in Siam. 
Wie der Buddhismus in China zum Gökenpienft berabge- 
funfen, fo bat er auch im Gemüthe des Volls von Siam 
allen Boden verloren und bier wie dort liegt er im Todes⸗ 
fampfe. Trotz der zahlxeihen Tempel und ihrer Pracht, 
teoß der Tauſende von Priejtern, die in ihrem Dienfte ftehen, 
bleiben jene leer und verfchloffen und werden viefe als eine 
Laft betrachtet, da fie der Sitte und dem Herkommen gemäß 
vom Volke ernährt werben müfjen und auf deſſen Koften ber 
Faufheit fröhnen. In Bangkok gibt e8 nicht weniger als 
50000 #Briefter und im ganzen Weiche eine halbe Million. 
Die Siamejen nennen ſie Phra, die Großen, einen Titel, den 
fie mit den Königen gemein Haben, bei den Europäern 
heißen fie jeboch Zalapoins nach dem Talapat oder Palın- 
blattfächer, ven jie nach ihren religidfen Vorſchriften ftete 
vor dem Geficht Halten follen, um nicht buch Außen- 
binge von ihrer innerlichen Beichaulichfeit abgezogen zu 
werben. 


Werner. I. 16 


242 


‚Die drei größten und prachtvollitien Tempel Bangkols 
find der Watt Seffet, der Watt Subat und Watt Nun. Ich 
habe fie alle drei befucht, fie find einander aber in Bau unb 
Ausstattung fo ähnlich, daß die Beſchreibung des einen ge- 
nügt, um dem Lefer einen Begriff von allen zu geben. Ich 
muß bier noch bevorworten, daß alle Watts nicht etwa burch 
Beifteuer der Bevölkerung oder auf Staatsloften, jonbern 
theils von den Königen, theils von den Großen des Landes, 
Miniftern oder reichen Privatleuten erbaut find, um fich 
einen Namen zu machen oder damit ein Leben zu jühnen, 
beffen Handlungsweife wol nicht immer mit ben BVorfchriften 
des Buddhismus im Einflange geftanden bat. Ein folcher 
Watt beſteht aus verfchiedenen Gebäuben, dem eigentlichen 
Tempel, dem dazu gehörigen Thurme ober Dome, ber nicht 
wie bei ung die Kirche felbft ziert, fondern felbftändig daneben⸗ 
fteht, einem niebrigen galerieartigen Gebäude, das in einem 
Abſtande von 50— 60 Fuß fih um den ganzen Tempel zieht, 
und einem Klofter, d. h. einer Anzahl geräumiger Priefter- 
wohnungen, bie fih beim Watt Sudat auf 40 beläuft. Diefe 
fegtern find ſämmtlich von gleicher Größe, 120 Fuß lang, 
40 Fuß breit und ebenfo hoch, in einem Rechteck erbaut. 
Der von rechtwinklig fich ſchneidenden Straßen burchzogene 
Häuferblod des Watt Sudat bat eine Seitenfläche von über 
1200 Schritt. Tempel, Thurm, Galerie und Priefterwoh- 
nungen find von einer NRingmauer eingefaßt, bie außerdem 
noch Gärten, Parks, Fiichteihe, offene Bejuchshallen und 
die verfchiedenften Anlagen umfaßt, Nachbilbungen von Felſen, 
Grotten und Gebirgen in chineſiſchem Stile, die mit Hunderten 
von Statuen, allegorifchen Figuren und Darftellungen von 
Thieren geziert find. 

Die Watts felbft find oblonge vwieredfige Gebäude von ver⸗ 
ichlevenen Dimenfionen. Der Watt Sudat hat eine Länge 
von 180, eine Breite von 80 und eine Höhe ven 100 Fuß. 


243 


Er ift wie alle Tempelgebäube aus Badfteinen aufgeführt, 
mit weißem Stud beffeitet und mit Ziegeln gebedt; jedoch 
iſt das Dad breifah, d. h. es find brei Dächer fattel- und 
terraffenförmig übereinander gefeßt. Die Ziegel find grün und 
gelb glaſirt und zu vegelmäßigen Siguren gelegt. Die 
fech8 Giebel des Dachs tragen jeber einen großen vergoldeten 
Anlerflügel, eine Zierbe, bie Durch ihre kühne Schönheit ven 
Befchauer außerordentlich frappirt und dem Ganzen einen 
imponirenden Eindruc verleiht. Der Tempel ift, wie unfere 
Kirchen, mit großen Benfteröffnungen verfehen, die für ge- 
wöhnlich durch hölzerne Läden gefchloffen find. Diefe Läden 
erweifen fich aber ebenfo wie bie Thüren am Giebelenve 
bei näherer Betrachtung als wahre Kunftwerke. ‘Sie beſtehen 
aus einem elfenartigen ſchwarzen Holze, das wie Ebenholz 
glänzt und theifweife mit ber feinften Goldmalerei bebedtt, 
theilweiſe koſtbar gefchnigt oder mit Mofaif belegt ift. Der 
Fußboden des Tempels liegt wegen der Ueberſchwemmungen 
etwa 8 Fuß über der Erde erhöht, und zu der Hauptthür, 
über die fich eine großartige Säulenhalle wölbt, führt eine 
breite Treppe. 

Diefer Porticus nebft dem Giebel bietet aus der Ferne, 
und namentlich wenn die Sonne darauf feheint, einen pracht- 
vollen Anblid dar. Die Säulen der Thürpfoften und ber 
ganze Gtebel find nämlich mit Moſaik in den verfchiepenartigften 
Farben belegt, in benen fi die Sonnenftrahlen wiber- 
fpiegeln, deren Reflex das ganze Gebäude wie mit einem 
goldigen Schein umgibt. Nur der Fleinere Theil dieſer Mofait 
beftehbt aus buntfarbigen Glasftüden, das Meiſte ift aus 
Scherben von weißem, blauem und rothem chinefifchen Porzellan, 
aus Tellern und Taffen, aber jo kunſtvoll zufammengefekt, 
bag man nur um fo mehr eritaunt, wenn man bie Entbedung 
macht, daß bie einzelnen Stüde ganz ungleich geformt und 
willfürlich gebrochen find. 

16 * 


244 


Wir hatten die Umgebungen des Watts, die Gärten und 
Anlagen durchwandert, ohne auf eine menfchliche Seele zu 
ftoßen. Ebenſo lautlos und ausgeftorben fanden wir das 
Quartier der Priejterwohnungen. Ihre Infaffen hielten ihre 
faft ven ganzen Zag dauernde Siefta, und wenn unfere an 
ven Wänden ber Kfgftergebäube wiverballenden Schritte dann 
und wann einen diefer Fahlgefchorenen Bonzen erwedten und 
an das Fenfter riefen, verſchwand das Geficht mit dem ftumpf- 
finnigen Ausbrude ebenſo jchnell, um fich wieder auf bie 
Matte zu werfen und weiter zu fchlafen oder zu träumen, 
denn das Vermögen zu denfen gebt wol den meiften dieſer 
verbummten Schar ab. Wir fuchten deshalb unfern Weg 
ohne Führer jelbit. | 

Die Thür des Watts war nicht verjchloffen, die Läden 
ließen ſich mit Hülfe einer zu diefem Dienfte beftimmten 
Bambusftange durch BVerfchiebung der Riegel leicht Hffnen, 
und das einftrömende Tageslicht enthüllte uns das Innere 
des Watts in feiner ganzen Pradt und Schönheit. Wir 
ftanden ftumm, der Reichthum blendete uns, wir fahen an⸗ 
fangs nur Gold, wohin wir blidten, mit Gold die Wände 
bedeckt, vergoldet die Dede dieſes großen Gebäudes, bie 
100 Zuß Hoch über unfern Häuptern fhimmerte. Zwei Reihen 
mächtiger quabratiicher Säulen unterftüßten die Dede nnd 
theilten ben ganzen innern Raum in ein Haupt- und zwei 
Nebenfchiffe, leßtere 20, jenes 40 Fuß breit. Die Säulen 
allein waren nicht vergoldet und ihre blendend weiße Stud. 
bekleidung contraftirte fonderbar, aber feineswegs unangenehm 
mit der reichen Umgebung. Der Fußboden war mit weißen 
und braunen Marmorfliefen fchachbretartig gepflaftert, und 
ber ganze Tempelraum in feiner reichen, großartigen Einfach- 
heit ließ fih mit Einem Blicke überfchauen. Sein Chor, Feine 
Bank, fein Seſſel war zu feben, nur der Thür gegenüber, 
am andern Ende des Tempels, erhob fi im Hauptſchiff in 


245 


foloffaler Größe, mit untergefchlagenen Beinen auf einem 
Boftamente ruhend, die Statue des Buddha, 80 Fuß hoch 
und von oben bis unten vergoldet. Ich muß geſtehen, ber 
Eindruck, ven diefer Tempel auf mich machte, war überwäl- 
tigend; ich wußte nicht, follte ich die einfache Schönheit des 
Baues ober die wunderbare Arbeit mehr anftaunen, bie ich 
jest auf den Wänben entvedte Was ich im erften Augen- 
blicke für einfache Vergoloung gehalten, ftellte fich bei näherer 
Betrachtung ale die feinfte Goldmalerei heraus. Die Wände 
waren in lauter Quadrate von einem Fuß Seitenlänge ge 
tbeilt, und jedes dieſer Quadrate enthielt ein befonveres @e- 
mälde, wie ich fpäter erfuhr, Allegorien aus ber Gefchichte 
des Buddhaismus und Siams felbit. Die einzelnen Figuren 
waren, wie in ähnlichen Erzeugniüfen aller Belenner des 
Buddha, meiftens Ungebeuerlichleiten und bie bargeftellten 
Scenen oft ſehr finnlidh, doch die Ausführung felbft meilter- 
haft. Die Fresken verriethen, daß der Kunfifinn nur auf 
die rechte Bahn geleitet werben müßte, um fich weit über bie 
Stufe der Mittelmäßigfeit zu erheben. Zugleich aber erinnern 
ſolche Tempel, deren Bau und Ausſchmückung jahrelang 
Tauſende von Menfchen befchäftigen mußte, unwillfürlih an 
bie fabelhaften Schäte der Aflaten, wenn man bebenft, daß 
Privatleute fie erbauten, ohne fich deshalb zu berauben ober 
ihr Vermögen wefentlich zu ſchmälern. Freilich bie Arbeit 
von 6—8 Millionen SHaven, denn anderes find bie ſiame⸗ 
fiihen Unterthanen nicht, vermag wol dem Könige, feinen 
Minifter und den wenigen Großen, die ſolche Bauten zur Ver- 
berrlichung ihres Namen? ftiften, Reichthümer zu fchaffen, wie 
Rom fie zur Zeit der Weltherrfchaft beſaß, und von denen wir in 
Europa uns feinen Begriff machen. Daß in biefem despoti⸗ 
ſchen Lande Erpreffungen als legal oder wenigftens als tolerirt 
gelten, geht aus einem Geſetze hervor, nach welchen ber König 
bei dem Tode eines Minifters oder Großen der Erbe eines 


246 


Drittheils von deſſen Vermögen ift, weil angenommen wird, 
daß das letztere ftets auf unrechtmäßige Weife erworben worben. 

Die vergolpdeten Tolofjalen. Statuen des Buddha find bie 
unveränverlichen Zierden eines jeden Watt, deren Bangkok 
über 300 in allen Größen befitt. Sie find aus getriebenem 
Kupfer verfertigt und die einzelnen Platten fo kunſtvoll zu⸗ 
fammengefügt, daß man glaubt, das Ganze fei aus Einem 
Stück. Der Buddha im Watt Subat ift zwar ber größte 
fitende in Bangkok und ganz Siam, aber nicht ber größte 
überhaupt. Im Watt Seftet befindet fich ein liegender, deſſen 
Länge man uns auf 170 Fuß angab, obwol wir nur 136 Fuß 
maßen, Immerhin ſchon eine gewaltige Größe, die ſogar 
feine Aufftelung unmöglich machte. 

Nachdem wir ven Tempel verlaffen, bejuchten wir bie ihn 
umgebende Galerie. Sie bot weiter nichts Merkwürdiges als 
eine Verfammlung von nicht weniger als 85. fißenvpen ver- 
golbeten Buddhas von 5 Fuß Höhe, aber fonft getreue Ab- 
bilder des großen im Tempel, die, in gleichen Zwifchenräumen 
nebeneinander poftirt, an ver Hintern Wand bes ſchmalen 
Gebäudes aufgeftellt waren, während ‚wifchen ihnen und ber 
vordern Wand ein fchmaler Gang blieb. Einzelne dieſer 
Heiligen waren mit gelben Lappen behängt, billige Opfer, bie 
von den Prieftern ihnen dargebracht weerbn. 

Senfeit ver Galerie famen wir zu dem Thurme oder Dome, 
wie ich ihn feiner Form wegen nennen follte. Bei unfern 
Kirchen ift ver Thurm ein Appendir derſelben, eine Zierbe, 
bie nebenbei ven Zwed hät, die Glocken zu beherbergen. Der 
chineſiſche Buddhismus Fennt gar keinen Thurm und bie Glocken 
werben durch die Gongs genannten Metallbeden vertreten. 
In Japan gibt es ebenfalls feine Thürme, wenn man bie 
Pagoden nicht dazu rechnen will, aber man hat Glocken — 
wahrſcheinlich aus der Chriſtenzeit — die in kleinen Häuschen 
neben den Tempeln hängen. In Siam hat man weder Gongs 





247 


noch Glocken, aber Thürme, und biefe find das eigentliche Hei⸗ 
ligthum, währenn ver Tempel erft in zweiter Reihe kommt, 
ſodaß man wol Thürme ohne Tempel, aber nie Tempel ohne 
dabeiſtehende Thürme findet. Jeder der Thärme enthält näm- 
lich eine Reliquie von Buddha, und ihr zu Ehren ift er erbaut. 
Die Echtheit diefer Reliquien ift natürlich ebenfo proble⸗ 
matifch als die der chriftlichen in den Tathofifchen Kirchen, 
jedoch geht die Bigoterte der Siameſen und bie Dreiftigfeit 
ihrer Priefter nicht fo weit, um ben Reliquien Wunder voll 
bringenvde Kräfte. zuzufchreiben. 

In der Bauart der Thürme berrfchen zwei ganz verſchiedene 
Formen vor. Die eine, welche ih als Domform bezeichnen 
möchte, beginnt unten mit einem Viereck, wirb in ber Mitte 
zum Achte und gebt im lekten Drittel ihrer Höhe in ben 
Ehlinder über, der oben in einer fphärifchen Kuppel enpigt. 
Diefer Yauftil gehört den böchiten Thürmen an, weil folche 
Höhe fih in der -zweiten Form, die der originale Banftil 
Siams oder vielmehr des buddhiſtiſchen Cultus zu fein fcheint, 
aus ftatifchen Gründen nicht erreichen lie. Das Modell, 
welches der zweiten Thurmform zu Grunde liegt, ift ber 
Natur entlehnt, und zwar ift es die in allen buddhiſtiſchen 
Ländern beilig gehaltene Lotosblume, das Sinnbild der Ewig⸗ 
feit. Sie wird in den Reliquienthürmen umgelehrt vargeftellt. 
Aus einem rechtwinkfigen und regelmäßigen Poftamente in 
Kreuzesform, mit den nie fehlenden brei Satteldächern und 
den vergoldeten Adlerflügeln auf ihren Giebelſpitzen, erhebt 
ſich ein niedriger quabratifcher Sodel. Auf ihm ruht in 
Slodenform ver Kelch der Blume, ver fich oben zuſammen⸗ 
sieht und wieder zur birnenförmigen Samenfapfel erweitert, 
aus deren Mitte dann der Blumenſtiel in die Lüfte empor- 
fteigt und fich zu einer fchlanfen Spige verjüngt. Bon dieſen 
Thürmen fieht man viele Hunderte in Bangkok, bisweilen 
sehn Dis zwölf in einer Reihe; fie find fämmtlich weiß ange- 


248 


ſtrichen und gewößnlich fehr einfach, ohne alle architektoniſchen 

"Ornamente. Die bomförmigen Thürme dagegen find damit 
faft überladen. Diefelben ungehenerlichen allegorifchen Figuren, 
wie fie auf den innern Wänden der Watts vargeftelit und in 
ven Gärten des Tempels aus Stein gehauen ſtehen, treten 
aus Stud geformt in zahliofer Menge hier wieder anf, und 
wohin man den Blick wenden mag, trifft er auf Rieſen, 
Menfchenleiber mit Vogel» und Thierköpfen, usgeftalte Mis⸗ 
geburten, Die entweder ald Karyatiden die Simſe und Vor⸗ 
fprünge des Banes tragen oder anf den Seitenflächen in 
Niſchen aufgeſtellt find. Diefe Thürme fine mit. gelbem 
Stuck befleibet, und die Kuppel ift ebenjo mit Porzellanmoſeit 
belegt wie die Giebel der Watts. 

Die Wohnungen der Prieſter bieten nichts Bemerlens⸗ 
werthes bar; es ſind traurige öde Räume, in denen nur 
Matten liegen, die Ruhe⸗- und Lagerftätten ihrer Bewohner. 
Hier und, dort ſpringt ans den Wänden ein Sims hervor, 
bevedt mit Heinen Buddhaſtatuen, die dem Volke. von. ven 
Prieftern verfauft werben, ober in einer Ede Liegt ein Haufen 
Palmblattbücher, auf deren langen ſchmalen Blättern die Ge⸗ 
bete und heiligen Schriften des buddhiſtiſchen Cultus mit 
einem eiſernen Griffel ſehr ſorgſam und kalligraphiſch einge⸗ 
ſchrieben ſind. Für einen Tikol oder ſiameſiſchen Thaler, den 
man heimlich einem Prieſter zeigt und irgenbivo hinlegt, ſodaß 
er ihn ſpäter fortnehmen kann, erhält man ſowol eine ſolche 
Statue als auch ein Buch, und ich habe beides mir zum Ans 
denken mitgenommen. 

Die Talapoins leben in Klöſtern, auf bem Lande 10-12, 
in ber Stabt aber in beveutend größerer Zahl zufammen. 
Sie haben eine ‚geregelte Hierarchie. Ihr oberfter Bifchof 
wird vom Könige ernannt und bat unter Eontrole eines welt 
lichen Fürften die Aufftcht und Gerichtäbarfeit über ſämmtliche 
Priejter und Klöfter des Landes, Dann gibt es noch Aebte 





-r—_ -r a —— | 


249 


and Bicare. Drei Monate im Jahre während ber Megenzeit 
müſſen die Talapoins in den Klöftern bleiben, während ber 
übrigen Zeit bes Jahres können fie reifen und von Klofter 
zu Klofter wandern. Dies thun fie auch vielfach und fuchen 
nach heilenden Kräutern, Gold- und Silbererzen, ba fie fich 
vielfach mit Arzneilunde und Alchhmie befchäftigen. Zwar 
‚verbieten dies ihre Orpensregeln, jeboch weichen fie überhaupt 
vielfach davon ab, fuchen ſich möglichft bald ein Vermögen 
zu erwerben und treten gewöhnlich nad 2—3 Jahren in den 
weltlichen Stand zurüd, um fich zu verheirathen. Ihre 
Afeivung befteht aus einem gelben Sarong und einem darüber 
getragenen langen gelben Mantel, ver durch einen gletchfar- 
bigen Gürtel zufammengehalten wird. Sie haben viele Vor- 
rechte, bie fie ſich aufs befte zu Nuten machen, um wohlhabend 
ober reich zu werben. So z. B. find ſie von allen Abgaben 
und Fronen befreit, und ihre Fahrzeuge bürfen von ben 
Zoltbehörben nicht angehalten werben, was fie zum Ein⸗ 
Ihmuggeln von gollpflichtigen Waaren benugen. Einmal jähr- 
lich ziehen fich die Priefter drei Wochen lang in bie Wälder 
zurüd, wo fie in felbftgebauten Hütten wohnen, um im ftren- 
ger Abgeichievenheit ihre Sünben abzubüßen, wozu fie Grund 
genug haben, denn fie find ein faules, aufgeblafenes und lieder⸗ 
liches Bolt. | 

. Ein berühmter Wallfahrtsort, der fowol vom Könige als 
dem Volke und vielfach von Fremden aufgejucht wird, ift 
Phrabat, civca 10 Meilen öftlih von Bangkok gelegen. Hier 
refipirt ner oberfte Bifchof oder Sanglarat, der König ber 
Klausner, wie er zu deutſch beißt, und feine Heiligkeit verdankt 
ber Ort der von ihm beberbergten Fußſpur bes Buddha. 
Das. Klofter Phrabat Tiegt auf einem Berge und wirb von 
mehreren Mauern eingefchloffen. Von einem von Tempeln 
unb andern fchönen Gebäuden umgebenen Hofraume gelangt 
man über eine Marmortreppe mit. goldenen Abfägen auf eine 


250 


Terrafie, die Balls des Denkmals. Die berühmte Fußſpur 
befindet fi in einem von außen ganz vergolveten Tempel 
oder Thurme nach dem Lotosmodell. Das Innere biejes 
Thurmes ift auf das Foftbarfte ausgeftattet, ver Fußboden 
mit filbernen Matten belegt, und im Hintergrunde figt eine 
6 Fuß hohe maffive filberne Statue des Buddha unter einem 
goldenen mit Epelfteinen verzierten Thronhimmel, Die koſt⸗ 
bare Fußfpur jelbft befindet fih in ber Mitte des Tempels 
binter einem filbernen Gitter, ift aber fo mit goldenen und 
filbernen Ringen und Geſchmeiden, welche fromme Glänbige 
geopfert, bebedt, daß man nichts davon flieht. Das Klofter 
tft 260 Jahre alt und wurde 1602 gegründet, in welchem 
Jahre man die Fußſpur entdeckte. Der Fürft- Bifchof ift ber 
ſouveräne Herr des Kloſters und der ganzen Umgegend auf 
4 Meilen. Wie in Iapan und China hat jedoch bie weltliche 
Regierung auch in Siam weiſe Fürſorge getroffen, daß ver 
Einfluß der Priefter fib, mit Ausnahme des Sangkarat in 
feinem Heinen Beſitzthum, nur auf geiftliche Dinge be- 
ſchränkt. 

Die Zahl der zu jedem Watt gehörigen Prieſter iſt ſehr 
verſchieden, bisweilen find es 2 — 300, bisweilen nur 20— 30. 
Dies hängt theilweife von ber Größe, Wohlhabenheit und 
DOpferwilligfeit des zugehörigen Diftricts, theilmeife davon 
ab, wie große Fonds von dem Gründer des Watt für ben 
Unterhalt einer beſtimmten Zahl von Prieftern ausgeſetzt find. 
Gewöhnlich find diefe aber nicht ausreichend, und die Talapoins 
find im Einflange mit ven Vorfchriften des Buddha darauf 
angewiefen, ihre Speife zu erbetteln, und ihre Kleidung durch 
ben Tobtendienft, ven Verkauf von Buddhaſtatuen oder durch 
Unterricht ver Kinder ver Bornehmen zu eriverben. 

Das Einfanmeln der Speifen gefchieht früh morgens 
kurz nach Sonnenaufgang, wenn bie Häufer und Läden gedffttet 
find und die Tagesgejchäfte ihren Anfang genommen haben: 


. 251 


. Wenn man um bieje Zeit einen Spaziergang macht, fo find 
es hauptjächlich drei Arten von Gefchöpfen, deren zahlreiche 
Menge auffällt und bie fich alle drei zu bemfelben Zwecke, 
dent Suchen ihrer Nahrung, auf den Straßen zufammenfinven. 
Dies find Krähen, Hunde und Priefter. ‘Die erftern find fo 
zahllos und reift, daß fie den Menſchen kaum aus dem 
Wege geben und mit den Hunden um ben Biſſen fämpfen, 
wobei fie gewöhnlih Sieger bleiben. Beide Thiere verjehen 
gemeinfchaftlich ven Dienft der Straßenreinigung, ber fich in 
Bangkok allein auf ſie beſchränkt. Die Priefter mit ihren 
fahlgefchorenen Köpfen, ihrem blödſinnigen Geſichtsausdrucke 
und dem bis auf die Knöchel reichenden weiten gelben Ge⸗ 
wande tragen unter biefem verborgen auf dem Rüden einen 
eifernen Topf, an einem Riemen hängend, und gehen von 
Haus zu Haus, um bort ihre Speifen zu erbetteln. Lautlos, 
ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort des Dankes 
zu äußern, empfangen fte die ihnen bargereichten Gaben, feien 
biefe groß oder Fein, aber auch ebenfo gleihmüthig und ohne 
Zeichen des Unwillens geben fie weiter, wenn ihnen nichts ge- 
geben wird. Dies find die Vorfchriften des Vuddha; der 
Kern feiner Lehre, Untervrüdung aller Leidenfchaften und 
Regungen der Seele, wirb wenigftens in dieſer Beziehung 
von den Priejtern befolgt, und ſie unterfcheiden fich dadurch 
vorteilhaft von den türfiichen Derwifchen, pie bei einer Ver⸗ 
weigerung der Gabe ihrem Zorne die Zügel ſchießen Iaffen 
und in bie heftigften VBerwünfchungen ausbrechen. 
Gewöhnlich beftehen vie Gaben in gefochtem Neid. Beſon⸗ 
vers Gläubige legen jeboch auch bisweilen Ichmadhaftere 
Biſſen, gebratene Fiſche, Thee, Früchte und Betel, ven un- _ 
zertvennlichen Begleiter eines jeden Siamefen, in ben gerän- 
migen Zopf, ber fchon nach einer halben Stunde gefüllt tft 
und feinen Eigenthümer für ven Tag wenigftens aller Nahrungs: 
jorgen enthebt. Wie überall fcheint die Geiftlichfeit auch Hier 


252 N 


auf das weibliche Gefchlecht mehr Einfluß auszuüben als auf 
das männliche Nie habe ich gefehen, daß ein Priefter von 
einem Siameſen etwas empfing, ftetS waren es rauen, 
welche die Gaben austheilten, während bie Männer nicht bie 
geringfte Notiz von ben gelben Bettlern nahmen. Gegen 
8 Uhr morgens fiehbt man feinen Priefter mehr auf ver 
Straße, wenigftens feinen bettelnden. Schwer beladen find 
fie zu ihren Watts zurückgekehrt, um ſich an den Speifen, 
bie ihnen nicht einmal die Mühe ber Zubereitung machen, 
zu laben, ihre vorjehriftsmäßigen und vielfach ihnen felbft 
unverftänblichen Gebete zu ber beftimmten Stunde im Tempel 
abzuleiern und dann fich einer träumerifchen Ruhe und dem 
Schlafe zu überlaffen, wenn nicht ihr Amt fie zu einem Bes 
gräbniſſe ruft. 

Der Tobtendienft und die Beforgung des Begräbnifjes 
tft nämlich ihr einträglichftes Gefchäft, das nicht nur bie 
Kleidung abwirft, fondern auch ihren Sedel füllt, obwol Ar- 
muth eins ihrer Gelühbe if. In Siam werben bie Leichen 
nicht begraben, fonbern verbrannt und die Weberrefte in eine 
Urne gefammelt, welche bie Verwandten mit fich nehmen, 
um fie in dem Garten oder an einem Lieblingsanfenthalte 
bes DVerftorbenen in die Erbe zu verfenfen. Eine gewöhnliche 
Bambusſtange bezeichnet den. Ort, ven jedoch weder Stein 
noch Mal dedt, und man fieht deshalb in ganz Bangfof fein 
Grab in unferm Sinne. Wie bei uns foltet pas Begräbniß 
Geld, und da es Monopol der Priefter ift, die nichts umfonft 
tbun, fo wird ein großer Theil der ärmern Leichen nicht ver- 
drannt, fondern Hunden und Geiern vorgeworfen, bie faft 
ebenfo ſchnell wie das Feuer bie fleifchlichen Ueberreſte ver- 
zehren und nur die Gebeine übrig laffen, welche dann Toftenfrei 
von ben Angehörigen gefammelt werben. 

Eine Leiche wird in Siam nicht durch die Hausthür, fondern 
durch eine in die Mauer gebrochene Oeffnung mweggetragen, 


253 


wobei man mit ihr jo geſchwind wie möglich einigemal 
das Haus umkreiſt. ‘Dies gejchieht, damit der Todte vergeffe, 
wo er das Haus verlaffen beat, ‚und nicht zur Plage ber 
Lebenden dahin wieber zurüdfehre, weil nach ſiameſiſchem 
Glauben die Geifter und Gefpenfter nur auf bemjelben Wege 
wieberfommen können, ben fie gegangen. ü 
Stirbt der König, fo wird fo viel Duedfilber in die Leiche 
gefüllt, als fie aufzunehmen vermag. Man bevedit das Ge- 
fiht mit einer goldenen Maske, fett die Leiche auf einen 
Thron und diefen auf einen großen goldenen ſchüſſelartigen 
Unterſatz. Jeden Tag wird dieſe Schüffel mit dem durchge⸗ 
laufenen Ouedfilber und ben Stoffen, welche viefe aus dem 
Körper mit fich führen, ausgeleert und fpäter die Leiche in 
einer großen goldenen Urne eine ganzes Jahr aufbewahrt. 
Dann erft findet das Verbrennen ftatt, und bierzu wird ein 
großes Leichenfeft gefeiert, welches unter öffentlichen Spielen 
und bedeutenden Gelofpenden fleben Tage lang andauert. 
Bei einem unferer Spaziergänge gelangten wir auch auf 
ben Begräbnißplag und Hatten. Gelegenheit, das Verbrennen 
einer Leiche mit anzuſehen. Es war bie Frau eines ſiame⸗ 
fifhen Großen und die Feierlichleit deshalb von allem Pomp 
begleitet. Der Pla liegt mitten in der Stadt am linken 
Ufer des Fluffes, ift jehr groß, mit Raſen bedeckt und bier 
und dort mit Bäumen bepflanzt. Er bat die Form eines 
Halbkreiſes, deſſen Peripherie eine Mauer und befien Sehne 
eine Straße der Stadt bildet. Unweit der Mitte des Um⸗— 
treifes erhebt fich ein Feines tempelartiges Gebäube. Es ruht 
auf einem 8 bis 10 Fuß hohen quadratifchen Unterbau, ift 
ſelbſt vieredig und an allen vier Seiten offen, ſodaß man 
von dem Plate aus das ganze Innere überſehen kann. Im 
ber Mitte dieſes Tempels ift ein Herb erbaut, und von ber 
Dede hängt in Ketten ein fargähnlicher Kaſten von Eifenblech 
mit einem Boden von ftarfem Draht geflochten. Im biefen 


254 


Kaſten wird die in einem Holzſarge an Ort und Stelle ge- 
brachte Leiche gelegt und dann von ſehr harzhaltigem und 
wohlriechennem Holze ein ſtarkes euer darunter gemacht, in 
das bie dienſtthuenden Priefter von Zeit zu Zeit wohlriechenpe 
Dele gießen. Im einer halben Stunte ift die Procebur ber 
enbigt, die durchaus feinen unangenehmen, fondern weit eher 
einen feierlichen Eindrud macht, da man nur die Flamme und 
die Iautlos fie fchürenden Priefter fieht. Mag Buddha das 
Verbrennen der Leichen aus irgendeiner religidfen Urfache an⸗ 
georbnet haben, gewiß hat er bamit ber Gefunbheitspflege 
einen großen Dienft geleiftet. Allen ſchädlichen Auspünftungen, 
bie fo oft in großen Städten von den Kirchhöfen aus bie 
Luft verpeften, und bie in einem fo heißen Klima noch leichter 
gefährlich werben, ift Durch dies Verfahren vorgebeugt. 

Im Halbkreife um den Tempel ift eine offene Halle ge- 
baut. In ihr wohnen die Angehörigen und Leidtragenden bes 
Berftorbenen, wie in China und Japan in weißer Zrauer- 
Heidung, der Ceremonie bei. Ebenſo jigen dort eine Anzahl 
Priefter, je nach ver Bezahlung viele oder wenige, die mit 
vor das Geficht gehaltenen PBalmfächern Todtengebete abfingen, 
und fchließlih Tauert noch eine Schar Mufilanten auf dem 
Boden, um mit den Zönen ihrer Inftrumente die Feierlich⸗ 
feit zu verberrlichen. Zaufende von neugierigen Zufchauern 
füllen den Plaß, und die ganze Scene würde einen erhabenen 
Einprud Hinterlaffen, wenn fie nicht regelmäßig mit einer zu 
ben Ernft des Gegenftannes wenig .paffenden Rauferei 
enbigte. Wenn nämlich pie Leiche verbrannt ift, fo vertheilen 
bie nächſteu Angehörigen Geld unter das Voll, und zwar wird 
daffelbe von zwei eigens dazu erbauten Altanen unter bie 
Menge geworfen. Da die ftamefifhen Münzen aber nicht 
wie bei uns jcheiben- fondern fugelförmig und die Heinften 
faum fo groß wie eine Erbfe find, fo werben fie in Apfelfinen 
gejtedt und dieſe herabgeworfen. Dabei entfteht natürlich eine 


255 


große Rauferei, und es fegt neben fomifchen Scenen gewöhn⸗ 
lich auch blutige Köpfe. 

Dur ein Thor in der Ringmauer bes Tempels gelangt 
man auf einen zweiten Heinern Plat, den man zuerſt für 
einen wundervollen Park hält. Die prachtvollſten tropijchen 
Bäume zieren ihn, und üppiges Gras bedit ven Boden. Doch 
die in ihm berrichende Stille macht ihn unheimlich. Kein 
menjchliches Wefen iſt zu erbliden, fein Singvogel niftet in 
ben Bäumen — nur dann und wann bört man ben lang- 
famen rauſchenden Flügelichlag von mächtigen Schwarzen Geiern, 
bie fich aus den Kronen ver Bäume erheben, um ven Platz 
zu umfreifen, fich dann wieber niederzulaffen und ſtumm unt- 
berzufchauen. Unweit des Eingangsthores find etwas erhöht 
über ben Boden ſechs fteinerne Plateformen gelegt. Auf jeder 
berfelben ruhen in den Strahlen ver Sonne zwei oder mehrere 
Hunde. Sie find fo fett und träge, daß fte fih kaum burch 
einen Steinwurf von ihrem Plate verfcheuchen laſſen. Der 
ſchöne ftille Park ift der Kirchhof der Armen, welche bie Ver- 
brennung nicht bezahlen können. Die Hunde und bie Geier 
find ihre Tobtengräber. Die nadten Leichen werben in Stüde 
zerfchnitten auf die Plateformen gelegt. Kaum haben fich bie 
Träger dur das Thor entfernt, fo raufcht vie Schar der 
Geier hernieder, die Hunde ftürzen berzu, in zehn Minuten 
find nur noch die Gebeine übrig, und wenn fie von ben 
Angehörigen gefammelt und fortgebracht find, herricht wieder 
bie frühere Grabesitilfe über dem Plate. 

Nicht weit von dieſem Begräbnißorte erblidt man bie 
Ruinen eines gewaltigen Thurmes, der, auf einer Tleinen 
Anhöhe erbaut, weit die in der Ebene liegende Stabt über- 
ragt. Der Durchmeſſer diefes Thurms ift 230 Fuß, bie 
Mauern find 25 Fuß Did, und er würde, wäre er vollendet, 
eine Höhe von über 400 Fuß erhalten haben, allein er ift 
faum bis zu 80 Fuß gediehen. Der Hügel konnte das mäch⸗ 


256: 


\ 


tige Gewicht nicht tragen, das Erbreich gab nach, die Mauern 
barften, und wie ein anderer Thurm von Babel fteht das 
verwitterte Geftein als ein Wahrzeichen, daß dem Meenfchen 
ein Ziel gefett ift, welches er nicht überfchreiten kann. 

Ich fprach weiter oben davon, daß die Prieſter ſich auch 
mit Unterrichtgeben befchäftigen. Außer einigen Miffions- 
Schulen für hriftliche Siameſenkinder eriftiren öffentliche Unter- 
richtsanflalten weder in Bangkok noch fonft überhaupt in Stam. 
Wohlhabende Laffen ihre Kinder privatim von Prieftern im 
Leſen und Schreiben, das einzige, was bie meiften Lehrer 
ſelbſt verftehen, unterrichten, oder fie Taffen viefelben auch wol 
jelbit einige Jahre das gelbe Gewand nehmen, theils weil fie 
glauben, daß man fich dadurch ein großes Verdienſt ſowol bei 
Lebzeiten als nach dem Tode für die Seele erwirbt, theils weil 
bie Kinder in ben Klöſtern das lernen follen, was fie dort von 
einzelnen bejjer gebildeten Bonzen ober aus den vorhandenen 
Büchern fchöpfen können. Die untern Volksklaſſen wachſen 
dagegen wild auf, und in Bezug auf allgemeine Volksbildung 
jteht Siam weit hinter China und Japan zurüd, wo fat jeder⸗ 
mann leſen und fchreiben kann. 





33. 


n 


Schlechte Beichaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf dem 
Mainam. Schwimmfertigfeit ber Einheimiſchen. Nationalität und Zahl 
ber Bevolkerung von Banglot. Körperbilbung und Tracht des Ramefl- 
ſchen Volks. Häßlichleit der Frauen. Die Abjchliegung der Ehen. Die 
Bielweiberei. Das Verhältniß der Frau zum Manne. Das Eoncubi- 
nencorp8 und bie erfte Frau des Könige. Die SHaverei. Der Reis⸗ 
bau und die flameftfche Faulheit. Betriebſamkeit der Chineſen in Siam. 
Muſik und muſikaliſche Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein 
ſiameſiſches Feuerwerk. Die Iubuftrie des Landes in ben Händen ber 
Chineſen. Der König. als Kaufmann. Schiffahrt und Handel. Weber- 
gewicht der Deutſchen int ſiameſiſchen Verkehr. Teakholz als Ausfuhr: 
artikel. Die Landesmünzen. 


- Die Straßen von Bangkok find fehr trauriger Art. Sie 
liegen zwar etwas höher als der Grund, und find auch mit 
Backſteinen gepflaftert, allein e8 geht ihnen wie allen Bau⸗ 
werfen in Stam, Tempeln, Häufern, Brüden und Schiffen: 
man baut fie, aber reparirt fie nie Alles wird ausgenukt, 
Bis es in Trümmern fällt und dann durch Neues erfekt. 
Daher macht alles in dieſem Genre einen traurigen Einprud, 
und wie die fchönen Tempel fußhoch von Stüden ihrer Orna- 
mente umgeben find, die Winde und Wetter berabftürzten, fo 
tft auch das Straßenpflafter fait überall zerriffen, und man 
muß ſich fehr in Acht nehmen, um in den Löchern nicht die 
Beine zu brechen. Ueberdies find die Straßen während der Ueber⸗ 

Berner. I. 17 


258 


ſchwemmung des Fluffes nur mit Booten zu pafliren, und 
auch mährend ber übrigen Yahreszeiten ftehen fie theilweife 
bei der Flut fußhoch unter Waffer, ſodaß man nur zur Ebbe⸗ 
zeit einen Spaziergang durch die Stadt machen. Tann, wenn 
man fich dazu aufgelegt fühlen follte und nicht wie bie Stamefen 
barfuß gehen will. Die Hauptwege bleiben deshalb immer 
der Mainam und bie Kanäle, von denen Bangkok überall 
durchſchnitten iſt. Faſt jeder Hauseigenthümer beſitzt auch 
ein oder mehrere Boote, und man ſieht deren faſt ſo viele 
wie in Kanton oder Konſtantinopel in allen Größen, von 
dem ſechsfüßigen Canot, in dem nur Eine Perfon fiten kann 
und bas mit der größten Gefchiclichfeit balancirt wernen muß, 
um nicht umzufchlagen, bis zu ven 8O Fuß langen Töniglichen 
Barken, deren 40—50 Ruderer mit rothen Hemden be- 
kleidet ſind, und bie einen großen rothbefchlagenen Baldachin 
tragen, unter dem 20—30 Perfonen Plat haben. Ich habe 
bereit8 erwähnt, daß die Boote alle fehr feine Linien auf- 
weifen und äußerſt zierlich gebaut find. Die gewöhnlichen 
Paffagierboote find zum Schuge gegen Sonne und Regen 
mit einem balbchlinderförmigen Flechtwerf aus Bambus über- 
bacht, welches jedoch fo niedrig ift, baß man darin nur fiten 
oder Liegen Tanıı. Bei der Maffe folcher Fahrzeuge, vie auf 
dem Yluffe und in ben Kanälen aneinander vorbeifahren, und 
bei ihrer geringen Stabilität fann es nicht ausbleiben, daß 
oft Eollifionen ftattfinden und ebenfo Häufig Boote um- 
Ihlagen. Sehr felten paffirt jedoch dadurch ein Unglüd, 
denn die Siamefen jeden Alters und Gefchlechts find treffliche 
Schwimmer, und täglih Tann man Mütter mit ihren Säug⸗ 
lingen im Waffer umherfhwimmen und Kinder- von drei bis 
vier Jahren wie Enten tauchen feben. 

Es ift fchwer, etwas Genaues Über die Bevölkerungszahl 
ber Stadt zu erfahren. Ein officteller Cenſus eriftirt zwar, 
wird aber nicht veröffentlicht ober nur infomweit, als er bie 


259 


Steuerzahler trifft. Die Angaben ſchwanken zwifchen 100000 
und 500000. Die Siamefen felbft rechnen die Bevölkerung ihrer 
Hanptftadt nach Millionen, und zu Anfang dieſes Jahrhunderts 
ſoll Bangkok auch von 400000 Familien bewohnt gewejen 
fein. Krieg und Cholera, welche letztere verfchiebene male 
fchreflich gewüthet Hat und im Jahre 1857 30000 Menſchen 
Binraffte, haben ihre Zahl jedoch mehr als becimirt, und bie 
Schätung des apoftolifchen Biſchofs Pallegoix auf 400000 Eins 
wohner dürfte eher zu hoch als zu niebrig gegriffen fein. 
Das ganze Land zählt eine Bevölkerung von 7 — 8 Millionen. 
Davon find etwas über ein Drittheil Stamefen, ein Viertheil 
Chinefen, ein anderes Drittheil Malaien und Laosleute und 
der Reit Burmeſen und Araber ven der Küfte Koromanbel. , 

Die Siameſen gehören zur mongolifchen Raſſe, find im 
allgemeinen ein Träftiger Menſchenſchlag, größer als die Ma- 
Inien, von bunfler fupferbrauner Hautfärbung, aber font im 
Gefichtstypus ihnen ähnlich, obwol häßlicher und mit gröbern 
Zügen. Die Stirn ift ſchmal, die Nafe platt mit großen 
Nafenlöchern, die Augen ſchwarz mit gelblichem Weiß, bie 
Lippen bid und das Haar bit und borftig. Die Häßlichkeit 
fällt namentlich beim weiblichen Gefchlecht auf. Die Geftalt 
ber Weiber ift durchgängig fchön, das Ebenmaß der Glieder 
ſymmetriſch, nur vermißt man bie weicher Formen ımd bie 
Muskulatur ift zu kräftig. Dies mag mit won der fchiweren 
Arbeit herrühren, die das Weib in Siam verrichten muß. 
Das Geficht ift jedoch deſto Häßlicher, und ich habe in keinem 
Lande fo unfchöne Frauenzimmer geſehen wie hier. Start 
hervortretende Badentnochen, platte Nafe und großer Mund 
marliren das Geficht, das durch die Haartracht noch mehr 
entjtellt wird, Dieſe Ießtere ift bei Männern und Frauen 
fast gleich. Der Kopfift nämlich fahlgefchoren, und nur vorn über 
ber Stirn fteht ein Freisförmiger Schopf von zollfangen ftrup- 
pigen Haaren. Die Frauen laſſen außerdem an der Vorder⸗ 

17* 





260 


feite jedes Ohrs einen Bäfchel Haare wachfen, jedoch ift derſelbe 
fo dünn, daß ein Fremder ihn leicht "überfieht. Zuerſt ver- 
mag man daher beide Gefchlechter gar nicht voneinander zu un- 
terfcheiden, da auch ihre Kleidung viefelbe iſt. Dieje befteht 
für gewöhnlich aus einem Sarong, ber um die Hüften ge- 
ſchlungen ift und bis auf die halbe Wade reicht, Dazu tritt 
in den Wintermonaten noch eine loſe Kattunjade für ven 
Oberkörper, wenn man fich nämlich auf der Straße befindet; 
‚oder die Jade wird burch ein ſhaͤwlartiges Zuch erjegt, das 
entwever über eine Schulter fchräg Über Bruſt und Rüden 
herunterhängt oder auch von ben Frauen bei ber Arbeit quer 
und ftraff Über die Bruſt gebunden wird, Im Haufe wird 
jedoch ſowol Jade wie Tuch oft abgelegt und der Oberkörper 
unbevedt gelaffen. Kinder laufen bis zum zehnten ober 
zwölften Jahre gewöhnlich ganz nackt; doch tragen die Heinen 
Mädchen häufig an einer Schnur um die Hüften ein Feigen⸗ 
blatt, je nach der Wohlhabenheit ver Neltern aus Silber over 
Meifing und häufig ſehr kunſtvoll gearbeitet. Dies fcheinen 
bie Siamefen von den Malaien angenommen zu haben, bei 
welchem Volle e8 allgemeine Sitte ift. 

Wenn irgendetwas dazu beitragen kann, die Siamefinnen 
noch häßlicher zu machen, fo ift.e8 das beftändige Betelfauen, 
von dem Lippen und Zahnfleiſch blutroth gefärbt werben, 
während man gleichzeitig die Zähne mit einem aus China 
fommenven Pulver Schwarz macht. Man denke fich nun ben 
Mund eines jungen Mädchens in biefer Weife und dazu ven 
Kopf geichoren bis auf den borjtigen Buſch über ver Stirn — 
es iſt wirklich ein fohredlicher Anblid, namentlich aber wenn 
das dunkelbraune Gefiht noch mit Curcume gelb geſchminkt 
wird, wie es bei Frauen und Kindern Sitte ift, welche legtere 
fehr häufig über den ganzen Körper mit jenem Stoffe ge- 
färbt erjcheinen. Dabei find fie jehr für Schmudjachen ein- 
genommen und mit allen möglichen Ringen, Spangen und 


261 


Geſchmeiden bebängt, wenn fie vieſe fich irgend zu verfchaffen 
wiſſen. 

Die Frauen nehmen in Siam feine ſtlaviſche Stellung 
ein, ſondern ſind die Gefährtinnen ihres Mannes, und ſelten 
wird ein Mädchen gezwungen gegen ihren Willen zu heirathen. 
Eine Heirath iſt wie in China mit ſehr vielen Präliminarien 
und Unterhandlungen verknüpft, wird aber als ein reiner 
Civilact betrachtet, der keinerlei religiöfe Weihe bedarf. Die 
Aeltern des Bräutigams erhandeln die Braut von deren 
Aeltern und nach abgeſchloſſenem Contract geben ſie beider— 
ſeitig ihre Kinder zuſammen und ſchließen die Ehe mit den 
Worten: „Seid verheirathet und lebet zuſammen, bis der Tod 
ench trennt.” Finden die Brautleute Widerſtand, fo folgt 
gewöhnlich eine Entführung, bie ſchließlich mit der Einwilligung 
der Neltern over auch ohne diefelbe durch die Gerichte gutge- 
heißen wird. Mit einigen Gefchenfen und Beſuchen ift bie 
Ehe dann abgemacht, die gewöhnlich jehr jung abgejchloffen 
wird. Selten heirathet ein Mädchen fpäter als mit dem funf— 
zehnten oder fechzehnten Jahre. Vielweiberei ift erlaubt, und 
reihe Leute haben gewöhnlich mehrere Frauen. Jedoch ift 
nur die erfte legitime Herrin im Haufe, ihre Kinder find 
alleinige Erben, und die Concubinen ftehen in bienfibarem 
Verhältniß zn ihr. 

Der König geht in der Polygamie mit gutem Beiſpiel 
voran; er befitt circa 300 Concubinen, die zugleich ben 
Dienft im Palaſte haben, vollftändig uniformirt und unter 
dem Namen der Amazonen befannt find. Die rechtmäßige 
Frau barf nicht innerhalb des erften Grades der Bluts— 
verwandtſchaft mit dem Manne ftehen, der König macht je- 
bob in gewiffen Fällen hiervon eine Ausnahme Um vie 
Thronfolge zu fichern, fann er Schweiter und Tochter zur 
Gattin nehmen. Die erfte Frau des jekigen Königs ift vie 
Tochter eines finmefifchen Großen. Wie das nebenanftehenbe, 


” 262 


% 


nach einer Photugraphie entworfene Bildniß diefer Dame auf- 
zeigt, zeichuet fich diefelbe ebenfo wenig durch Schönheit wie 
durch Neichthum ber Toilette aus. Doch fol fie ihre Mut- 
terpflichten aufs befte erfüllen und die 25 Prinzen und Prin- 
zeffinnen, welche theils ihre eigenen Kinder, theils die der ſechs 
eriten Conenbinen des Königs find, trefflich in Ordnung zu 
halten wiffen. 

Dbgleih die Frauen ihren Theil an den Gefchäften des 
Mannes nehmen, find fie doch in Gegenwart veflelben jtets 
jeher unterwärfig, und wenn Europäer babei find, nähern fie 
fih ihm nicht anders als auf allen Vieren kriechend, wie 
e8 überhaupt in Siam Sitte ift, daß der Untergebene zum 
Vorgefegten in diefer Weife fommt. So liegt der Sklave 
vor feinem Herrn, der Gouverneur vor dem Minifter, der 
Minifter vor dem Prinzen und alle vor dem Könige auf der 
Erde. In jeder Verfammlung fteht oder fitt nur Einer, 
der Höchfte im Range, alle andern liegen auf dem Bauche. 
Der Mann Tann feine Frau verfaufen.over verpfünben und Gelb 
darauf borgen; ebenfo feine Kinder, Schwefter oder jüngern 
Brüder und biefe bleiben fo lange Sklaven des Gläubigers, 
bi8 der Schuldner zahlt. Wenn aber die Frau dem Manne 
eine Mitgift zugebracht hat, fo darf er fie nicht verkaufen, 
dagegen ift fie für Bezahlung der Schulden ihres Mannes 
mit ihrer Freiheit verhaftet, wenn biefer fte mit ihrem Wiffen 
oder ihrer Einwilligung gemacht bat. ‘Da ver gejetliche Zins- 
fuß in Siam 30 Procent beträgt, fo fann man fich denken, 
baß eine zum Borgen gezwungene Samilie leicht der Sklaverei 
verfältt, um fo mehr, al8 der Durchfchnittspreis eines Sklaven 
nur 80 Thaler beträgt und daß dadurch die Sklaverei fehr 
ausgebreitet werden muß. Sie ift jevoch fehr milde und vor 
Mishandlungen oder Graufamkeiten werben die Betreffenden 
burch das Geſetz geſchützt. Da die Arbeit eines Sklaven nach 
bem Geſetze nur als Zinfengenuß eines unbezahlten Kapitals 








Erſte Frau des Königs Mongkut von Siam. 


263 


betrachtet wird, fo Tann fich jeder Sklave wieber frei kaufen 
oder feinen Herrn zwingen, ihn an einen andern zu verlaufen, 
wenn biefer die auf ihm Haftende Schuld zahlt. Einige 
Sklaven können jedoch nie wieber frei werben, wenn bies bei 
dem Saufcontracte ausgemacht tft. 

Die Hauptbefchäftigung der Siameſen ift der Aderbau und 
das Haupterzeugniß des Landes der Reis. Obſtbaumzucht findet 
man ebenfalls vielfältig, aber bei der Fruchtbarkeit des Landes 
beanfprucht der Baum nach dem einmaligen Pflanzen weber 
Arbeit noch Pflege. Der Reis wird nah Eintritt der naffen 
Sahreszeit im Juni gefäet, nachdem vorber im Mai der Acker 
aufgebrochen ift. Die Ernte ift im Januar, und ber Reis 
wird auf den Feldern gebrofhen. Stroh und Wurzeln 
werben auf dem Acer verbrannt und bleiben dieſem als Dünger. 

Diefe geringe Arbeit, welche die Lebensbenürfnifie dedt, 
macht das Volt jehr träge, und Indolenz ift ein Hauptcharak⸗ 
terzug der Siamefen. Wenn fie es nicht durchaus nöthig ha⸗ 
ben, arbeiten fie nicht, fondern figen im füßen Nichtsthun mit 
untergefchlagenen Beinen und kauen Betel. Ich Habe unter 
ven aftatifchen Völferfchaften nie jo eifrige Betelkauer ange- 
troffen als in Siam; ver Mund ift in beftändiger Bewegung, 
und jede DViertelftunde wird die Doſis erneuert. Der König 
und ber Bettler huldigen darin vemfelben Geſchmack. 

Wegen der angeborenen Trägheit feiner Bewohner wird 
Siam troß feines Reichthums an Bodenproducten durch bie 
Siameſen jelbjt nie aufblühen, jo gern ver König auch das 
Land heben möchte. Was im Lande am einträglicher Arbeit 
geichieht, machen vie Ehinefen, die zu Millionen eingewandert 
find und einwanvern. Diefe fleißigen jtrebfamen Menfchen 
haben den Siamefen bereits alles vorweggenommen: fie bauen 
ben Reis und Zuder für die Ausfuhr, fie errichten Reis⸗, 
Zuder- und Sägemühlen, vie gefammte Induſtrie ift in 
ihren Händen und ebenfo ber ganze Handel. Sie werben 





264 


rei, und vie faulen. Siamefen bleiben arm. Wie über- 
all auf der Erbe, ſei es Java, alifornien oder Weft- 
indien, wo Chineſen eingewanbert find, haben fle auch ihre 
ganze nationale Eigenthümlichkeit mitgebracht und erhalten. 
Sie bewohnen ein bejonderes Viertel in Bangkok, und dies 
gleicht irgendeinem Theile einer Stadt in China wie ein 
Ei dem andern. Zopf, Kleivung, Theater, Spielbäufer, 
Quackſalber — alles findet fich hier fo originell wie im 
Himmliſchen Reich, und wie dort brennen auch hier in jedem 
Haufe die Räucherſtäbe vor dem nie fehlenden Altar mit dem 
Bilde des verehrten Kong-fustfe. Die nicht allein den 
Siameſen, fondern auch den Europäern unbegreifliche Thätig- 
keit ber Chinefen, die mit Tagesaubruch beginnt and ununter- 
brochen ſich bis fpät in die Nacht erjiredt, macht faft alle 
fehr bald wohlbabend und reih. Der geringe Lohn, mit dem 
bie Arbeiter fich begnügen, macht auch die von ben Europäern 
verfuchte Moafchinenarbeit nicht ventabel, und während z. B. 
bie Handreismühlen der Chinefen zu Zaufenden Tag und 
Nacht arbeiten, liegt vie große amerifantfche Dampfreismühre 
ziemlich brach, 

Die Laosleute, deren Zahl in Bangkok ungefähr 20000 
beträgt, unterfcheiden fich von den Stamefen nicht viel. Man 
erkennt fie nur an der etwas dunklern Hautfärbung und dem 
kangen Haar, das die Männer berunterhängend, die Frauen 
aber in einen Schopf zufammengebunden tragen. Auch find 
ihre Züge nicht fo häßlich, und unter dem weiblichen Gefchlechte 
findet man ganz angenehme Geftchter. Etwa 5— 6000 Sia⸗ 
mefen tragen ebenfalls das Haar lang, dies find aber Chri- 
ften und das Iange Haar. das äußere Erfennungszeichen ber 
Convertiten. König Mongut ift fehr tolerant und gemährt 
vollſtändige Religtonsfreiheit. Die amerifanifche und die franzds 
ſiſche Miſſion wetteifern daher in ihren Belehrungsverfuchen, 
obſchon die letzlere mehr Profelpten macht. Ob aber bie 


m; 


265 


Duantität nicht auf Koften der Dualität erreicht wird, lafſe 
ich babingeftellt fein. 

Ich habe bereits oben gezeigt, daß ven Siamefen in ihrem 
Banftil ein edlerer und großartigerer Kunſtſinn innewohnt 
als ihrem Nachbarvolfe, ven Chineſen, und daß fie in biefer 
Beziehung faft alle aſiatiſchen Völlerſchaften, felbft die hoch⸗ 
civilifirten Japaneſen weit überflügeln. Daffelbe gilt von ber 
Muſik, von der alle Siamefen außerordentliche Freunde find, 
ſodaß man Muſik faft in jedem Haufe hört. Während bie 
chineſiſche Tonkunſt unſer Qrommelfell zerreißt und unfere 
Nerven erfchüittert und, gleich ber japaneftfchen, durch ihren 
Mangel an Harmonie jebes europäiſche Ohr unangenehm 
berübrt, waltet in der fiamefiichen durchaus Harmonie vor; 
fie nähert fich zugleich im Charakter, Eintheilung und Rhythmus 
fo ſehr der unferigen, daß man davon überrafcht wird. Jeder 
ftamefifhe Große oder wohlhabende Bürger Hält fich eine 
Hausfapelle. Sie befteht gewöhnlich aus 8 Perjonen, faft 
immer Frauen, und ich hatte Gelegenheit, der muſikaliſchen Vor⸗ 
ftellung einer folchen Kapelle beizuwohnen. Die Inftrumente in 
erfter Reihe find zwei Harmonikas, nach dem Princip unferer 
Glasharmonika conftruirt, nur daß bie Glasftäbe durch abge- 
ftimmte Bambusftäbe erjegt werben. Jede derfelben hat 22 Töne, 
und zwar jchließt fich in regelmäßiger Folge der tieffte Ton 
ber zweiten an ben höchſten Ton ber eriten an, fobaß fie 
eine Tonleiter von 44 Tönen repräfentiven. Merkwürdiger⸗ 
weife fehlt jedoch in jeder Octave die Ouinte und iſt dafür 
der halbe Ton der Serte eingeſchoben. Das eine dieſer In⸗ 
ftrumente, deren Refonanzboden wie das Modell eines drei 
Fuß Tangen Boote geformt und aus einem Stüd fehr harten 
Holzes ausgearbeitet ift, wird mit. bewidelten, das andere mit 
unbewicelten Holzhämmern angefhlagen, und zwar das erfte 
ftet8 um eine Terz tiefer ald das zweite, d. h. mit emem 
Zwiſchenraum von drei Octaven. Was ich am meiften babei 


266 


. bewunperte, war die Fertigfeit, ja ich darf wohl jagen Bir- 
twofität, mit der die Spielerinnen ihr Inftrument behandelten. 
Die Läufe und namentlich die Triller waren fo gleichmäßig 
und glodenrein, daß man ftaunen mußte, und nie hörte man 
auch bei dem Preſtiſſimo den leifeften falſchen Ton. 

Zwei Gtlodenfpiele, nach demſelben Princip wie bie 
Bambusharmonika conftruirt, traten in zweiter Reihe anf. 
Ein Treisförmiges Geftell mit einem Ausfchnitt, in dem 
bie Spielerin ſaß, bildete den Haltpunft für meffingene 
Stäbchen, auf deren Spige die Gloden ſchwebten. Diefe 
ftimmten wieber in ber Terz mit ven Bambusftäben, und jedes 
Infteument hatte wie die Harmonika 22 Gloden oder Töne, 
Jedoch befchränften fie fich mehr auf vie Begleitung, währen 
die Harmonifas die Melodie angaben. Die dritte Art ber 
Inſtrumente war eine Art Panfldte, Vierzehn Röhren von 
Bambus find in zwei Reihen, alfo in jeder fieben neben- 
einander befeftigt. Je zwei und zwei haben gleiche Länge; 
die längften meſſen 10, vie Fürzeften 8 Fuß. Zwei Fuß von 
den untern Enden find fämmtliche Röhren vurchfchnitten und 
in bie untere und obere Hälfte eines der Länge nach durch⸗ 
bohrten hölzernen Cylinders eingelaffen. Dieſer Cylinder, 
deſſen eines Ende offen ift, dient als Munpftüd, und beim 
Blaſen wird er durch beide Hanbballen feitgehalten, während 
die Singer die unmittelbar über ihm befindlichen Schallöcher 
öffnen oder ſchließen. Diejes Inftrument gibt bei jedem 
Hineinblafen einen regelmäßigen Accord, und feine Töne find 
ſo angenehm, daß Sir John Bowring e8 in feiner Beſchrei⸗ 
bung Siams „vie liebliche Flöte von Laos“ betitelt. Ein 
viertes Inſtrument ift eine Schalmei, wie fie auch Chinefen 
und Iapanefen befigen, und tie einen zwifchen Oboe und Cla⸗ 
rinette liegenden Zon gibt. Eine koniſche Trommel enblich, 
beren beide Felle verfchieden töhen, und ein Paar Glodenca- 
ftagnetten machen ven Schluß einer finmefifchen Kapelle aus. 


267 


Im allgemeinen ift vie Muſik ernft. Sie beginnt gewöhn- 
fih mit dem recitativen Gefange der Caftagnettenfchlägerin, 
ber jedoch fich fehr dem Kreifchen ver Chinefen nähert. Im 
ven letzten Ton des Recitativs fällt unisono die Schalmei 
ein, dann folgen die Bambusharmonikas, und endlich ſchließen 
ſich die übrigen Inftrumente an. Ein Thema ijt vorwaltend, 
und das ganze Mufſikſtück befteht aus vier bis fünf verfchie- 
benen Abtheilungen, einem Adagio, Andante, Scherzo und 
Brefto, in denen allen das Thema erfennbar wieberfehrt, 
wenngleich die drei leten keineswegs nur Variationen deifel- 
ben finds, Die ganze Aufführung dauerte faft eine Stunde, 
und obwol das Enfemble bisweilen fehr laut wurde, hörten 
wir doch mit gefpannter Aufmerkſamkeit und großem Vergnügen 
zu und nahmen einen fehr angenehmen Eindruck mit uns fort. 

Unfer Wirth, ein wohlbabender Kaufmann, regalirte uns 
inpeffen mit Thee, den er in einem Miniaturfeffel, aus vothem 
Thon und fehr fauber gefertigt, felbft bereitete und uns in 
Mintaturfchalen darbot. Da er glaubte, daß das Sigen mit 
untergefchlagenen Beinen auf dem Erdboden uns unbequem 
fein möchte, Tieß er auch Stühle und ein Sopha für ung - 
bringen; er felbft aber blieb auf der Matte figen. 

Unterdeffen war es Abend geworben und bei dem Zurüds 
fahren auf dem Mainam hatten wir das Vergnügen, ein 
Feuerwerk auf dem Fluffe abbrennen zu fehen, das gleichfalls 
der Befchreibung werth iſt. Diefe Feuerwerfe dienen vielfach 
zur Verherrlichung von Fantilienfeften, und man fieht fie des⸗ 
halb in Bangkok ſehr häufig Das Mannbarwerben ber 
Söhne und Töchter wird ftets bamit gefelert, und auch das, 
welches wir faben, hatte darin feinen Anlaß. 

Auf drei hintereinander veranterten Booten war das 
Feuerwerk aufgeftellt. An Sonnen, Sternen, Garben, Schwär- 
mern, Raketen und Leuchtfugeln fehlte es nicht; das Origi⸗ 
nelfe dabei war jeboch eine Feuerorgel, wie ich fie früher 


268 


noch ‚nicht gefehen habe. Dreißig bis vierzig Orgelpfeifen 
aus Bambusröhren waren theilweije mit einem buntgefärbten 
Satze gefüllt. Sie wurden zu vier und fünf zugleich ange- 
fteckt, fprühten eine Zeit lang prachtuoll, Löften fich dann von 
ihren Haltern, flogen als Raketen in die Lüfte und ließen 
einen fehr hellen Ton hören, folange die Pfeife ftieg, ſodaß 
man bisweilen, wenn mehrere zugleich flogen, einen vollftän- 
digen Accord in den Lüften vernahm. in anderes ebenfo 
Ichönes als vriginelles Bild gaben drei Bäume, deren Stämme 
und Zweige aus Bambus und deren Blätter aus Kupfer gefertigt 
waren. Letztere hatte man mit verſchiedenen chemifchen Löfun- 
gen beftrichen und dann mit buntem Sat in Heinen Hülfen 
belegt. Beim Anfteden ſah man zuerjt einen prachtvoll 
brennenden Baum, nach flinf Minuten aber, als das Feuer⸗ 
wert abgebrannt war, die glühend gewordenen und infolge 
ber Chemikalien in dem koſtbarſten Farbenwechfel fchimmern- 
den Kupferblätter. Der Anblid war wunderſchön, und unfere 
deutſchen Feuerwerfer würden gewiß ein danfbares Publikum 
finden, wenn fie etwas Aehnliches fabrizirten. 

Wie bereits bemerft, ijt faft die gefammte Induſtrie des 
Landes in die Hände der Chinefen übergegangen, und es 
dürfte kaum vorkommen, daß in ber Hauptſtadt oder beren 
Umgebung ein Siamefe freiwillig ein Handwerk lernte, ober 
wenn er e8 gelernt, daß er es ausübte, wenn ihm nicht die 
größte Noth dazu treibt, Nur die Architektur ift ihr Fach 
mit den dahin einschlägigen Branchen, als Sculpturarbeiten, 
Moſaik, Goldſchlägerei und Vergoldung, in denen fie Meiſter 
find. Sonft find fie arm an Gewerben, und fabrikmäßig wird 
nur Zuderjieberei und Ziegelbrennerei betrieben. Man fin- 
bet zwar Töpfer, Zimmerleute, Tifchler, Maurer, Gerber, 
Seiler, Färber, Kupferſchmiede unter ihnen, allein die Chine- 
jen winden ihnen alles aus ver Hand, und fo tft es auch mit 
dem Aderbau. Daß Land Lohnt alle darauf verwendete 








269 


Müpe in höchſtem Maße, und die Negierung thut ihr Mög⸗ 
lichites, um den Aderbau zu begünftigen. Jeder bat das 
Recht, ein herrenlojes Stüd Land, deſſen es viele Millionen 
Morgen gibt, zu bebauen und nach Einbolung ber nie ver- 
fagten Töniglihen Genehmigung als fein Eigenthum zu be- 
trachten; ja fleißigen Landleuten werden von ber Regierung 
Geldſummen zinsfrei vorgeftredt. Trotzdem weiſt bie au⸗ 
geborene Trägheit der Siameſen alle dieſe Vortheile von ſich 
und überläßt ſie den fleißigen Chineſen. Jene bauen gerade 
ſo viel Reis, als ihr häuslicher Bedarf erfordert, dieſe erzeu— 
gen bereits jährlich vier Millionen Centner für den Export. 
Ebenſo ſind alle Zuckerplantagen in den Händen der Chineſen 
und ſie führen jährlich ſchon über 300,000 Centner Zucker 
aus. 

Bis vor fünf Jahren war die Reisausfuhr verboten; der 
König ſah jedoch feinen Vortheil, wenn er fie verſtattete, und 
gab fie frei, wodurch feinem Schag eine Ausfuhrjteuer von 
vier Millionen Thalern zufließt, vie fi) von Jahr zu Jahr 
mehrt. Ueberhaupt fcheint König Mongkut in Gelpfachen 
ganz europäifch zu denken und ziemliches faufmännijches Za- 
lent zu befigen. Er ift nämlich der größte Kaufmann feines 
Landes, und während er zuerſt von den Producten die Steuer 
zieht, verdient er zugleich die Fracht ihrer Verſchiffung nach 
fremden Plägen, indem er feine eigenen Schiffe dazu ver- 
miethet. Er verbindet dabei das Angenehme mit dem Nüß- 
lichen, verbient viel Geld und muntert feine Unterthanen 
durch gutes Beiſpiel zur Nachfolge auf. Bisjeht ahmen 
jevoh nur einige Prinzen, Minifter und Chinefen fein Bei- 
ſpiel nah. Brinz Kroom Luang Wong-fa, ein Stiefbrupder 
von ihm, bat fogar fürzlich directe Verbindungen mit Ham- 
burg angefnüpft, und kurz nach uns ging eins feiner Schiffe 
bortbin ab. Er befigt neun Dampffchiffe.und funfzehn Ser 
gelſchiffe, ſämmtlich europäiſch gebaut und größtentheils von 


270 


deutſchen Kapitänen befehligt, bie ber König in ber theoreti- 
fhen Navigation felbft eraminirt, ehe er fie anftellt. Die . 
ganze Handelsmarine Siams befteht aus 23 Dampfichiffen 
und 76 Segelfchiffen, die faft fämmtlich erft in ben legten 
10 Jahren gebaut oder gekauft find. 

Wie fi der Handel von Siam feit dem Regierungsan- 
tritte des jeßigen Königs durch Freigabe ber Reisausfuhr, 
Herabfegung der Zölle für fremde Schiffe und andere Liberale 
Maßregeln gehoben hat, mag aus Vergleichung der -1848 und 
1860 in Bangkok eingelaufenen fremden Schiffe erhellen. 
Im erftern Jahre befuchten 9 Fahrzeuge von zufammen 
2200 Tonnen ben Hafen, dagegen 1860 nicht weniger als 286 
mit einem Gehalte von 109000 Tonnen. Im Iahre 1861 waren 
bis November Schon 317 Schiffe angelommen, und während 
im Sabre 1857 nur 1,047,659 Pilul Reis verjchifft wurden, 
betrug bie Ausfuhr im Iahre 1861 drei Millionen Pikul oder 
über 3%, Millionen Eentner, hatte fich mithin in vier Jahren 
faft verbreifacht. 

Sn frühern Zeiten waren bie Zölle für auswärtige Schiffe 
ſo hoch, daß der Handel faft auf Null rebucirt wurde. Ein 
Schiff mußte für ſechs Fuß Breite 15000 Thaler bezahlen. 
Dann wurde biefer Zoll auf 1000 Tikol oder 800 Thaler 
für jenes Maß herabgefett, feit fünf Jahren jedoch auf ven 
zehnten Theil, und feitvem füllt König Mongfut durch bie 
befebte Schiffahrt feinen Schag. 

Deutſchland ift fowol direct als indirect am fiamefifchen 
Handel betheiligt. Zwei Drittheile veffelben find in den Hän- 
ben zweier veutfcher Häufer in Banglof, und im Vahre 
1861 befuchten 82 deutſche Schiffe den Hafen. ‘Der durch 
Graf Eulenburg abgefchloffene Vertrag ift deshalb für Deutfch- 
land von um fo größerer Wichtigkeit, da die Deutfchen Hier 
in erfter Reihe ftehen, Engländer und Amerikaner aber erjt 
nach ihnen kommen. Das iveutfche Haus Markwald u. Co. 











271 


erpedirte im Jahre 1861 allein 90 Schiffe von zuſammen 
51000 Tonnen. Der Chef dieſes Haufes, ein Preuße von 
Geburt, befitt pas ganze Vertrauen der beiden Könige und bes 
Prinzen Kroom Luang, ift der Agent für deren ſämmtliche 
faufmännifche Geſchäfte und infolge deſſen von bebeutendem 
Einfluffe bei Hofe. 

Außer dem Reis wird Hauptjächlich Zuder ausgeführt, 
im Sabre 1860 im Betrage von 203597 Bilul. Er geht 
meiftend nach Ehina und tft von fehr guter Qualität. Fer⸗ 
nere Erportartifel find Sapanholz, Pfeffer, Araf, Häute, Hör- 
ner, Cardamomen, Zinn, Seide, Elfenbein, leßteres jedoch 
nicht mehr in fo großer Quantität wie früher, da man es in 
Europa aus Afrika bilfiger bezieht. 

Die Einfuhr erreichte im Jahre 1859 einen Betrag von 
563985 Pfund Sterling. Die beveutendbiten Artifel davon 
waren Shirtings, Sarongs und Opium, von beiben erftern 
fehr viel zollvereinsländiſche Waare. Auch Rurusartifel und 
Kurzwaaren famen aus Deutfchland, jeboch wird der Bedarf 
folder Gegenftände für das erfte immer noch befchränft blei⸗ 
ben. Einen Hauptausfuhrartifel des Landes habe ich noch an⸗ 
zuführen, nämlich Zeafholz, an dem Siam, wie überhaupt auch 
an andern Zier- und Nutzhölzern, fehr reich ift. Die eiferne 
Feſtigkeit dieſes Holzes, das felbft ven Würmern zu hart, ver 
Trodenfäule nicht ausgefegt ijt und auch in Berührung mit 
Eifen dieſes nicht oxydirt, hat bei dem Diangelan gutem Bau- 
holz Schon Tängft die Aufmerkſamkeit der europäifchen Schiff- 
bauer, namentlich aber der Marinen auf jich gezogen. Seit j 
Jahren verwenden England und Frankreich Teakholz zum 
Bau ihrer Kriegsichiffe, da e8 bei diefen viel mehr als bei 
Kauffahrteifchiffen auf Feſtigkeit und Dauerhaftigfeit bes 
Baues anlommt. Bisjett wird es jedoch hauptfächlich von 
Rangın und Molmein, den Hauptftationen der Engländer im 
Nordweften ver Hinderindifchen Halbinfel, geholt, obwol es 


274 

vielen Jahrhunderten, aber merfwürbigerweife bat e8 noch nie 
zu Zerwürfniffen Anlaß gegeben, wie dies in andern Staaten 
bei ähnlicher Einrichtung faft ſtets der Fall geweſen. Zur 
öniglichen Kaffe hat der zweite König Zutritt, jedoch nur 
mit Bewilligung des erften Könige und auf Grund einer 
mit deffen Siegel verfehenen Anweiſung. Der zweite König 
iſt gewöhnlich nahe mit dem erften inig verwandt und ber 
gegenmärtige ein Bruder beffelben.-" 

Die Krone ift erblich; jedoch ift es nicht nothwendig, daß 
der ältefte Sohn Thronfulger wird, vielmehr Tann biefer auch 
anderweitig vom König gewählt werden. Die Töchter des 
Königs dürfen ſich nicht verheirathen, um feine mächtigen 
Schwiegerjähne befürchten zu müſſen. Dies fehließt aber nicht 
aus, daß fle eine gute Erziehung erhalten, und während wir 
in Singapore waren, erließ der König von Siam in ben dorti⸗ 
gen Blättern eine Belanntmachung, wonach eine im Franzö⸗ 
fiihen bewanderte und muſikaliſch gebildete Engländer. als. 
Gouvernante für die königlichen Töchter gefucht wurde. Das 
Gehalt betrug 150 Thaler monatlich. 

Ich ſelbſt Habe König Mongkut nicht gefehen, befige aber 
“eine fchöne Photographie von ihm, nach welcher das nebenan- 
jtehende Bild gezeichnet tft. Danach Hat er ein gutmüthiges 
Geficht und, abgeſehen von der Hautfarbe, das Anfehen . 
eines gemüthlich bebäbigen Bürgers. König Mongkut hat es 
übrigen® gern, wenn ex gebeten wird, fich photographiren zu 
laſſen, und, er zwingt ſelbſt feine wiberftrebenten Frauen zu 
ſolchen Sitzungen. Um bie Fremden, welche fein Bild erhal. 
ten, wiſſen zu laſſen, daß er fchreiben Tann, nimmt er ge 
wöhnlich eine Feder in bie Hand. Eine bezeichnende Staffage 
it auch ter unmittelbar neben feinem Schreibtifche flehende 
Flaſchenkeller. Champagner und Ligueure nimmt er gern als 
Geſchenke an, und ich fah einen eigenhändigen Brief Sr. Ma- 
jeftät an einen amerifantfchen Kaufmann, in welchem er fi 





3u II, 274. 
| Dhra Somder Mongkut, Erfer König von Siam. 





[Oo 








275 


auf das wärmfte für die Ueberſendung einiger Flaſchen Cham- 
pagner bebanft. Zugleich bebauert er barin jehr lebhaft, daß 
er nicht im Stande fei, ein geeignete Gegengefchent zu mas 
chen, glaubt aber, daß ber eigenhändige Brief eines Königs 
für ihn, den Kaufmann, Werth haben und fonach. ein Aequi⸗ 
valent fein werde. 

König Mongkut fpricht und fchreibt das Engliſche ziemlich 
correct und beifer als irgendeiner feiner Unterthanen. Er 
gehörte früher dem Priefterftande an und hat feine Prieſter⸗ 
ſchaft anf das befte benugt, um Engliſch, Sanskrit .und Pali 
zu ſtudiren. Außerbem Hat er fich ernftlih mit Theologie, 
Gefchichte, Geographie, Phyſik, Chemie, Aftronomie und 
Aſtrologie beſchäftigt. Ich Habe bereits bemerlt, daß er 
die Kapitäne feiner Schiffe in der theoretiſchen Navigation 
felbft examinirt, und dieſe verfichern, daß er genau barin Be 
fcheid und mit dem Sertanten wie der beſte Praftifer umzus 
gehen wilfe. Nach dem Beifpiele Karl's V. hat er ein ganzes 
Zimmer voll Ehronometer und Uhren, deren Gang er gleich: 
mäßig zu machen beftrebt ift, und bie er zu dem Zwecke öfter 
auseinander nimmt und wieder zufammenfegt. Die Aftrologen 
fpielen in Siam eine große Rolle, und troß feiner für einen 
afiatifchen Fürften bedeutenden willenfchaftlichen Bildung hat 
fih König Mongkut noch nicht von ‚ihnen Iosmachen fünnen. 
Sie müffen Trodenheit'und Negentage, Krieg und Frieden vor- 
berfagen, und nichts Wichtiges gefchieht im Weiche, ohne daß 
fie um Rath gefragt werben. Trotzdem find fie ſchlimm daran, 
wenn ihre Prophezeiungen micht eintreffen. Dann werben 
fie nämlich oft abgefett, erhalten auch jedesmal eine Tracht 
Schläge, während fie andererſeits mit reichen Gefchenten 
belohnt werben. 

Der König befitt nicht weniger als zehn jüngere Brüder; 
ber befanntefte unter ihnen ift der fchon genannte Prinz Kroom 
Luang Wongsfa Tirat Tanit. Er ift ein großer Freund der 

18* 


276 


Europäer und namentlich mit dem Chef des obenerwähnten 
deutfchen Hauſes jehr befreundet, durch den auch ich mit ihm 
befannt wurde. Später, als ih einmal mit einem Boote 
vor feinem Haufe vorbeifuhr, faß er vor der Thür, rief mich 
zu fi, und ich hatte die Ehre, bei ihm eine ſehr feine Ma⸗ 
nilacigarre zu rauchen und eine Taſſe Thee zu trinken. 
Leider war die Unterhaltung ſehr bejchränft, da ver Prinz 
das Englifch kaum fließender ſprach als ich ſelbſt das Sia- 
mefifche. Sein Geficht ift noch gutmüthiger als das bes 
Königs und der alte Herr fehr beleibt. Ich fand Seine 
Hoheit in Heiner Uniform, d. h. nur mit einem um bie 
Hüften gefchlungenen Sarong, während er bei officiellen Ge- 
legenheiten ein Hembe, Beinkleiver, ſeidene Jacke und einen 
mächtigen Schleppfäbel trägt. In legterm Coſtüm erfcheint er 
auch auf einer Photographie, die er mir zum Gefchent machte. 
Der König hat ein Minifterium, das nur ihm allein verant- 
wortlich ift. Prinz Kroom Luang ift Präfident des Staats- 
ratb8 oder Wanglang. Er enticheivet als folcher über bie 
wichtigen Staatsaffairen, ift oberfter Richter für die Radſchas 
und bohen Beamten, Polizeipräfivent von Bangkok und hat 
überdies das fehwierige Amt, vie Amazonenfchar des Palaftes 
in Orbnung zu halten,, ihre Streitigkeiten zu ſchlichten und 
fie eventuell zu bejtrafen. Das tft gewiß feine Sinecure! 
Die Europäer haben dem Prinzen viel zu danken, da 
der Bremierminifter venfelben purchaus nicht wohl will. Ginge 
es nach dem Kopfe dieſes Miinifters, jo würde Siam balı 
ebenjo gegen Fremde gefchloffen fein wie ehedem Japan. 
Seine Motive find ganz patriotifch, der Mann hat Gefchichte 
ftubirt. Er jagt: „Ueberall, wo Hier in Alien die Euro- 
päer Hingelommen find, haben fie die Völker unterjocht und 
bie Herrjcher zu Nullen gemacht. Laſſen wir fie nah Siam 
fommen, fo geht e8 uns ebenfo, und das will ich nicht.” Das 
ift freilich richtig und gut gemeint, gber e8 wird dem Manne 


217 


nieht viel helfen: die Europäer figen in Siam durch Verträge 
feft und geben gutwillig nicht wieber fort. 

Die übrigen Prinzen bes königlichen Haufes ftehen an ver 
Spitze der höchften Hofchargen, find jedoch eine Plage für das 
Land und das Voll. Sie bevölfern nur ihren Harem mit 
geraubten hübfchen Mädchen und ihre’Theater und Mufifcorps 
mit jungen Männern, die fie ebenfalls preffen laſſen, und 
kehren ſich auch fonft nicht viel an Recht und Geſetz. 

Die Beamten fcheiden fich in fünf Klaſſen. Im ebenfo viele 
Klaffen zerfällt auch das nievere Volk, nämlich in die Solba- 
ten, in bie Fronpflichtigen, in die Tributpflichtigen, in bie 
Hörigen der Mandarine und in die Sklaven. Die Fronpflich⸗ 
tigen müſſen drei Monate im Jahre bei allen dffentlichen Bau⸗ 
ten Berfonalvienfte leiften oder gegen eine Summe von 16 Tifol 
fih davon befreien. Die Hörigen ber Mandarinen bürfen 
von dieſen jedoch nur zu gewiſſen Dienftleiftungen herangezo⸗ 
gen werben unb müſſen außerdem noch eine jährliche Steuer 
von durchſchnittlich vier Tikol zahlen. Die Sklaven find 
fteuerfrei, bilden aber faft ein Drittheil ver Bevölkerung. 
Die Chinefen find einer Kopffteuer unterworfen. 

Die Einnahmen des Königs, der überdies eine Menge: 
Gewerbe monopolifirt und deren Ausbeute verpachtet hat, find 
fehr beveutend. Außer dem Tribut, welchen er an Golb, 
Farbhölzern, Droguen und Gewürzen von feinen Vaſallen⸗ 
fürften, den Radſchas, erhält, zieht er die Gyundſteuer, bie 
für jeden Morgen Reisader bei der Ernte in einem Tikol 
beſteht. Sodann wird jeber Pikul ausgeführter Reis aber- 
mals mit einem Tifol verzollt, ebenjo Zuder, Pfeffer, Zabad 
u. f. w., und außerdem erhebt er die Schiffahrtsabgaben. Die 
fih aus allen diefen Einnahmen ergebende Summe beläuft fich 
auf mehr als 25 Millionen Thaler. 

Während Siam einerfeits bie größte Fruchtbarkeit und 
fonftigen Segnungen eines tropischen Bodens und Klimas auf» 


278 


zuweilen bat, beſitzt es auch alle Plagen beffelben. Es ift 
reih an Krokodilen, Schlangen und allem jenen Gewürm, 
deſſen Anblic bei ven meiften Europäern ein Schaubern her⸗ 
vorruft. Schlangen gibt es unzählbar, und wie ber Golf, 
jo wimmeln auch Flüffe, Wege und Welver davon. Die 
weißen Ameifen find eine Landplage, fie richten die größten 
Verheerungen an, und mwehe dem Magazin, in dem fie 
ungeftört vier bis fünf Tage haufen dürfen. Möchten auch 
Zaufende von Centnern Reis darin lagern, fie würben durch 
biefe Räuber, die fich mit märchenhafter Schnelligfeit vermeh- 
ren und fi in ſechs Tagen verzehntanfenpfachen, in Staub 
verwandelt. Faſt alle Magazine werben deshalb auch mit 
naffen Gräben umzogen, das einzige Mittel, um fie abzubal- 
ten. Bei ihrer Metamorphofe bekommen fie Flügel, erheben 
fih in die Lüfte und werben dann von den Inſektenfreſſern 
vertilgt, ein Glück für das Land, das ihnen fonft bei fol- 
her Vermehrung balo ganz zur Beute fallen würde. 
| An Tigern, Leoparden und ähnlichen Raubthieren iſt eben- 
falls fein Mangel, und Affen kann es faum mehr in irgend⸗ 
einem andern Sande geben. Man fieht fie ganz in ber 
Nähe von Bangfof in Scharen ven Hunderten fich ohne 
Scheu vor den Menjchen auf ven Bäumen bewegen, und fie 
richten in ben Gärten und Obitplantagen fchredliche Verwü⸗ 
ftungen an. Gezähmt find fie die poffirlichiten, aber auch zu- 
gleich die nichtsnußigften, diebifchften Racker, die man ſich 
denken kann. Wir hatten eine ganze Auswahl davon an Bord 
für den Zoologifchen Garten in Berlin, und haben fie in dieſer 
Beziehung’ zur Genüge Tennen gelernt. 

Rhinoceroffe gibt es ebenfalls, aber nicht fehr häufig. Sie 
werden wegen des als Arzneimittel dienenden Hornd und we⸗ 
gen der Haut gejagt, die durch langes Kochen in Gallert ver⸗ 
wandelt wird und al8 Leckerbiſſen gilt. 

* Der Elefant wird in Siam fehr geſchätzt und als ein 


279 


vernünftiges Weſen betrachtet. Es gibt deren außerordentlich 
piel im Lande, und fie erreichen oft eine Höhe von 12—14 
Fuß. Da fie zu den Reifen und Märchen im Imern un- 
entbehrlich find, jo bilden fie auch einen bedeutenden Theil 
bes Heeres unb der König hält 600 SKriegselefanten. ‘Das 
berühmtefte dieſer Thiere ift jedoch ver befannte weiße Elefant, 
ber fich einer beſondern Heiligkeit und Verehrung erfreut, weil 
er nach buddhiſtiſchen Begriffen die Seele eines Buddha be- 
berbergt, inbem fich dieſe bald in weiße Affen, bald in weiße 
Elefanten verwandelt. Der Glückliche, welcher ein folches 
Thier fängt, erhält zunächſt fo viel Land, als ber Schell 
eines Clefantenfchreies durchdringt und außerdem ein Jahrgeld 
von 600 Tikol. Der Statthalter ver Provinz, in der er. ent» 
deckt tft, berichtet das glüdliche Ereigniß nach Bangkok, und e8 
wird eine Straße durch die Wälder bis an den nächiten Fluß 
gebahnt und ein reich mit Blumen gefchmitdtes Floß berge- 
jtelit, anf dem das heilige Thier unter einem Iuftigen Gebäude 
untergebracht und mit Zuderrohr und Kuchen gefüttert wird, 
Der Efefont wird dann, von hohen Mandarinen und Muftt 
geleitet, von 50 bis 60 Booten nach Bangkok gerubert, wo er 
vom Könige, an ber Spike ber höchften Beamten, empfangen 
und ihm ber Rang eines Mandarins erfter Klaffe in Gnaben 
verliehen wird. Sein Stall befindet fich innerhalb bes königli⸗ 
hen Palajtes, und er erhält eine Menge Beamte zu feiner 
Bedienung. . Die einen müſſen für fein Sutter forgen, bie 
andern ihm Kühlung zufächeln ober ihm die Fliegen abweh- 
ren, wieder andere jein Lager mit Blumen Jchmüden oder 
ihm Muſik machen, um ihm bie Zeit zu vertreiben. Seine 
Zähne werben mit golvenen Ringen gejchmüdt, und alles 
wirft fib vor ihm nieder. Wenn er zum Baden geht, bält 
ihm ein Beamter einen rothen Sonnenfchiru über ven Kopf, 
und durch Hornfignale wird ven Volle angezeigt, ihn Plak 
za machen. Bei feinem Tode wird allgemeine Zanbestrauer 


280 


verordnet und das Begräbniß ift ebenfalls von großem Pompe 
begleitet. Zu ben Dienftleiftungen niebrigfter Art für ihn, 
als Grasſchneiden, Reinigen des Stalles, werben Zalapoins 
genommen, bie, fich eines Vergehens gegen das Cölibat ſchul⸗ 
dig gemacht haben. Der gegenwärtige weiße Elefant ift jedoch 
feineswegs weiß, fondern chocoladenfarbig, da wirkliche Albi- 
n08 unter den Elefanten außerordentlich felten find und man 
fih daber ſchon mit einem hellen Grau zufriedenftellt. Die 
holländiſche Regierung bat anf Sumatra einen wirklich wei- 
Ben Elefanten einfangen laſſen nnd beabfichtigte bei unferm 
Abgange dieſen dem Könige von Siam zum Geſchenk zu ma- 
hen, wodurch man wol große Freude im Lande erregt haben 
wird. | 

. Außer den Elefanten werben als Zug⸗ und Laftthiere 
bauptjächlich Büffel benugt. Pferde fieht man faft gar nicht, 
und bei dem moraftigen Boden find fie auch nicht zn ver- 
werthen. Schafe find gleichfalls ſelten, Federvieh und Schweine 
dagegen gibt e8 in großen Maffen, lettere oft 4—500 Pfund 
ſchwer. Hochwild aller Art ift gleichfalls in Ueberfluß und 
wird zur Zeit der Ueberſchwemmungen zu Tauſenden erfchla- 
gen, wenn es fich.auf bie Kleinen troden bleibenden Erhöhun⸗ 
gen flüchtet. Hirfchgeweihe- bilden Daher auch einen bedeu⸗ 
tenden Ausfuhrartifel bes Landes, während das Fleiſch bie 
Märkte füllt und von ven Siamefen viel gegeflen wird. 

An Früchten bringt Siam hervor, was nur irgenb ein 
teopiicher Boden vermag, und ebenfo reich find die Flüffe an 
Fiſchen. Diefer Ueberfluß an Nahrungsmitteln und bie 
Müheloſigkeit Des Unterhalts ift auch die Quelle der Trägheit 
ber Bewohner, und deshalb ift feine Ausficht, daß darin eine 
Aenderung eintrete. Die Entwidelung ver reichen Hülfs⸗ 
quellen des Landes. und fein Aufblühen zu einem bepeuten« 
ven Handelsftaate Aſiens haben wir beshalb hauptfächlich 
von ben Chinejen zur eriwarten, bie auch bereit das Ihrige 


281 


dazu thun, oder auch dann, wenn, wie e8 fat den Anfchein 

bat, Siam tbeilweife die Kolonie eines europäiſchen Staates 

wird. 

- Diefe letztere Eventualität jcheint König Mongkut jehr zu 

fürdhten, und meiner Anficht nach hat er auch genügende Urfache 

dazu. Die Sranzofen wollen nun einmal durchaus Colonien 
haben, obwol fein Volk fo wenig das Eolonifiren verfteht wie- 
fie. Nachdem fie Algier erobert, Milliarden von France und 

Hunderttanfende von Menfchen bafür Hingeopfert, haben fie*® 
nah 30 Jahren enplich eine wohlgeregelte Colonie mit De- 

partements, Präfecten, Militär und forcirtem Aderbau. Was 

eine weife Regierung nur irgend für Maßregeln zur Hebung 

eines Landes zu erfinnen vermag, ift in Franfreich für bas 

Schoskind Algier getan, und dennoch bringt e8 nicht nur 

nichts ein, fonbern koſtet dem Mutterlanbe jährlich 60 Millio⸗ 

nen Franc. Nun bat Napoleon bie Colonialpolitif ver letzten 

Ludwige wieder aufgenommen. In ber Ermorbung einiger 

fatholifcher Bifchöfe fand fich Gelegenheit, mit Cochindhina 

anzubinben. 

Nach fünf Jahren und abermaligen großen Geld- und Men⸗ 
ihenopfern bat man es endlich dahin gebracht, Das eroberte 
Land, mit bem Finger am Drüder ber Gewehre, in Departes 
ments einzutbeilen und Präfecten zu ernennen, wenn auch 
größtentheilg noch in partibus. Jetzt bat fich aber Heraus- 
geſtellt, daß Cochinchina ein Kirchhof für Europäer und als 
Colonie ſehr problematifch tft... Dan wendet deshalb die 
Blide auf eine gefündere Gegend, unb dies iſt zunächſt bie 
an das anamitifche Reich grenzende Kambodſcha. “Der fie durch⸗ 
ſtrömende Kambodſchafluß reicht einige 100 Meilen in Stam 
hinauf, und feine Schiffbarkeit bildet das fchänfte Zransport- 
mittel für alle Brobucte des reichen Landes. Der Boden ift zwar 
auch theilweije ſumpfig, aber das Klima im Vergleich zu 
Saigon viel gefünder. Zwar gehört die Kambodſcha zu Siam, 


282 


allein da fie im vorigen Jahrhundert noch einen heil von 
Anam bildete, läßt fich ja leicht pas Nationalitäteprincip in 
Anwendung bringen, und überbies Tann bie Auffindung einee 
Differenzpimktes Franfreih feine Schwierigkeiten machen. 
Um biefen recht fehleunig herbeizuführen, haben die Franzoſen 
im December 1861 Pulo Condore befeßt und als fran- 
zöfifches Eigenthum erklärt. Pulo Condore ift eine ziemlich 
große Inſel mit zwei fchönen Häfen vor ber Mündung des 
Kambodſchaflufſes und war bis dahin im Befitze des Königs 
von Siam. Die Häfen geben eine vortreffliche Flottenftation 
and beherrichen vollſtändig die ganze Kambodſcha. Da man 
jedoch glaubte, daß bie Beſitznahme vielleicht noch nicht den 
gewünjchten Zweck haben werde, fo ging man in Banglok felbft 
gleichzeitig noch weiter. Nach den. Verträgen barf fein be- 
waffnetes Schiff in den Mainam hinein, und ebenfo wenig 
dürfen frembe Truppen das. Land betreten. Am Tage, als 
wir vor Bangkok anlangten, war aber eine vollarmirte Corvette 
bis zur Reſidenz hinaufgedampft. Gleichzeitig brachte ein 
franzöſiſches Dampftransportfchiff die fiamefifche Geſandtſchaft, 
welche Frankreich befucht hatte. Der Kaifer ſchickte mit dieſer 
Geſandtſchaft einen eigenhänvigen Brief an den König und 
das Großkreuz ber. Ehrenlegion. Der Brief ging aljo bie 
Franzofen weiter nichts an, und König Mongkut gab dies auch 
deutlich dadurch zu erkennen, daß er ihn auf bas feierlichite 
mit 24 föniglichen Piroguen von 16—30 Ruderern einholen 
ließ. Zrogbem beftanden aber die Franzoſen barauf, auch ihrer⸗ 
ſeits das Handfchreiben mit ven gehörigen Ehren zu begleiten, 
und es wurden 50 Mann Soldaten ausgefchifft, bie zwar 
nicht den Brief geleiteten, aber acht Tage in Banglok ver- 
weilten. | N 
Es fcheint nicht,. daß dies Verfahren bie gewünfchte Wir- 
fung herbeigeführt hat. Mit der Zeit. wirb fie jeboch wol ein⸗ 
treten, und bie Maßregeln, daß alle in Siam anfäffigen Cochiu⸗ 


283. 


hinefen fich beim franzöftihen Eonful einfchreiben können und 
dadurch factifch unter franzöfiichen Schuß geftellt werben, , 
zielt wol auch darauf hin. Wenn China und Merico erledigt 
find, wird Siam an die Reihe kommen, bis babin hält man 
die Wunde offen. Bon englifcher Seite wurden natürlich alle 
biefe Vorgänge mit eiferfüthtigen Augen betrachtet; allein was 
wollen die Engländer machen, wenn die Franzoſen wirklich 
Siam erobern? Sie haben fih in China fchon lange daran 
gewöhnen müſſen, dem franzöftfchen Einfluffe zu weichen, und 
die Franzoſen haben auch anderwärts ähnliche Sachen gemacht, 
ohne die Engländer zu fragen. Weberdies würden jene nur mit 
bemfelben Rechte handeln, mit dem die Englänver feit Jahr⸗ 
hunderten in Indien annectirt haben, mit dem Nechte bes 
Stärtern, und ich bebauere nur von Herzen, daß Preußen 
nicht ebenfalls Eolonien annectirt. Es gibt deren noch genug, 
bei deren Beſitznahme fein legitimes Recht verlegt wird, und 
es bebürfte wol nur einer Offerte an Holland, um vie Hälfte 
von Sumatra ober Dorneo zu erlangen. Sie wären beides 
gar zu gern los, da das Mutterland für die productive Co⸗ 
loniſirung jo ungeheurer Länderſtrecken zu Hein ift, und nach 
allem, was man an Ort und Stelle darüber Hört, fürchten 
bie Holländer am Ende nur für andere zu arbeiten. Sie allein 
können faum Java gegen einen feinplichen Angriff halten, ge- 
jchweige denn die übrigen Sunda⸗Inſeln. Daraus machen 
fie ſich kein Geheimniß, und fte würden es beshalb Tieber 
friedlih an eine ſtammverwandte Nation abtreten, bie ihnen 
im Fall der Noth zur Seite fteht, als in fteter Angft ſchweben, 
es zu verlieren. Java bringt jährlich AO Millionen Gulden 
netto in den Staatsfchat. Sumatra ift ebenjo reich, und 
unfere Finanzen könnten, abgefehen von allen andern Vor⸗ 
theilen, wol eine folche Unterftügung gebrauchen. 

Bon einem Widerftande gegen franzöfifche Vergewaltigung 
bürfte in Stam kaum die Rede fein, folange nicht andere 


284 


Maßregeln zur Vertheidigung des Landes getroffen werden. 
‚Wenn die Franzofen wollen, fo ſchicken fie in brei Tagen 
eine Dampfflotte von Saigon nach Bangkok, die weder durch 
die Kanonen noch Sperrfetten aufgehalten werben wird, und 
die Hanptftadt und damit das Land gehört ihnen. Wenn 
es auch Feine Militäritraßen in Siam gibt, fo find doch die 
vier Hauptflüffe für Dampffanonenboote fahrbar und das Land 
fremden Truppen daher bis an feine äußerften Grenzen zus: 
gänglich. Der König befitt zwar ein europäifch gebautes Ge- 
ſchwader von mehreren Schraubencorvetten und kleinern 
Dampffahrzeugen, allein das unglüdliche Princip, nichts zu 
repariren, und bie auf halbem Wege ftehen bleibende Civi⸗ 
liſation der Stamefen macht dieſe Schiffe ebenfo wenig furdht- 
bar als die verrofteten Kanonen ber Forts. Die 200 Kano- 
nenboote, welche einft mit einem enormen Koftenaufwande 
in einem Anfalle von Bertheibigungsfieber gebaut worden, 
und für deren jedes ein eigener Hafen gegraben wurde, Tiegen 
im Hafen total verfault und zum größten Theil bis an den 
Rand mit Waffer gefüllt. 

Ebenfo wenig ift das fiamefifche Heer, deſſen einigermaßen 
brauchbarer Theil 10000 Mann nicht überfteigt, im Stande, 
einen gelandeten enropäifchen Feind wieder zu vertreiben. 
Trotz ihrer Tapferkeit, hinter der das Strafgeſetzbuch fteht, 
das jedem mit Hinrichtung droht, der nur auf Klafterlänge 
vor dem Feinde zurücweicht, find die finmeftichen Sol- 
baten den tapfern Chinefen nicht viel überlegen, unb wenn ber 
König auch feit 10 Jahren europäifche Uniformen und 
Erereitium eingeführt hat, fo ift das Wefen der Armee nicht 
viel damit verbeffert. 

Und doc kann es faum ein Land geben, das leichter zu 
vertheidigen wäre als Siam. Ein paar ftarfe Forts an ber 
Mündung jedes ver vier Flüffe, einige ſchwimmende Batterien, 
beides mit wirkſamen Geſchützen armirt und von tapfern 


285 


Soldaten vertheidigt, würden jeden Angriff vergeblich machen, 
da die Natur bes moraftigen Bodens jede Landung an ber 
Küfte verbietet. 

Sollte Siam aber von einer eutopäifchen Macht erobert 
werben, fo ift e8 zugleich das Land, um bie Kriegskoſten zu 
. bezahlen. Wenn auch die orientalifche Weberfchwenglichkeit 
ver Bewohner Bangkoks die Schäte des Palaftes übertreiben 
mag, fo ift der darin enthaltene Reichthum an edlen Metallen 
und Juwelen doch ganz bedeutend und. für europäiſche Be⸗ 
griffe immer fabelhaft. So 3.3. ftehen in dem Tempel, in 
dem ben Königen bei ihrer Thronbeſteigung der Eid geleitet 
wird, und ber fich ebenfalls innerhalb ber Palaſtmauern be- 
finvet, einige preißig Buddhaſtatuen von 6 Fuß Höhe aus maffi- 
vem Golde, und die Stirn eines jeden dieſer Götzen ift mit einem 
nußgroßen Diamanten gefchmüct Außerdem enthält dieſer 
Tempel noch. eine andere Statue des Buddha von 1Y, Fuß 
Höhe aus einem einzigen Smaragd gejchnitten. Das Toftbarfte 
Prachtſtück ift jedoch das vom jeßigen König bei ber Thron« 
befteigung feinem verftorbenen Bruder geſetzte Monument, 
an dem 600 Goldſchmiede unausgefegt neun Monate arbeiteten. 
Es ift 31 Fuß hoch und befteht aus neun Abtheilungen, die 
zufammen ein Thor bilven, das mit ftarfen Golpplatten bedeckt 
und auf das feinfte cifelivt if. Auf dem Thore ftebt eine 
9 Fuß hohe maſſiv goldene Urne, welche bie Ueberreite des 
verftorbenen Königs enthält. Iſt Dankbarkeit nach Gelb- 
ſummen zu berechnen, fo bat Phra Somdet Mongfut es fich 
etwas Gehöriges koſten laſſen, um feine Dankbarkeit dafür 
an den Tag zu legen, daß fein Bruder ihm die Thronfolge 
überließ und ihn nicht zu Gunften bes eigenen Sohnes aus 
ber Welt fchaffte. 

Das Klima von Siam ift im allgemeinen troß ber Ueber⸗ 
ſchwemmungen, des Marſchbodens und ver vier bis fünf 
Monate dauernden Regenzeit nicht fo uhgefund, als man 


2836 


glauben ſollte. Wechjelfieber. find zwar jehr häufig aber leicht 
und nur die Waldfteber find den Europäern gefährlich, weil 
fie faft immer einen tödlichen Ausgang nehmen. In YBang- 
tot, wo der Seewind Zutritt Hat, ift jedoch nichts zu fürchten, 
ba die Walpfieber nur im Innern in den Urwalbregionen 
graffiren. Nur Disenterien find ſehr häufig und lebens» 
gefährlih, und namentlich litten unfere Schiffsmannschaften 
fehr darunter, von denen über 20 Dann diefer Krankheit und 
ihren Folgen erlagen. 

Die Abfchließung unjers Vertrags in Siam miachte durchaus 
keine Schwierigkeiten. Schon ſeit einem Jahre war Graf Eu⸗ 
lenburg vom Könige erwartet, der ſehr gern mit Preußen in 
Verbindung treten wollte, und die Einleitungen zu den Ber- 
bandlungen nahmen alsbald nach Ankunft des Geſandten ihren 
Anfang. Vorausſichtlich war nach ſechs Wochen alles nach 
Wunfch geordnet. Da das Gefchwaber. alsdann nach Preu- 
gen zurüdgehen follte, ſo lag für die Elbe als Transport⸗ 
ſchiff feine Veranlaffung zum fernern Verbleiben vor, und wir 
traten demnach am 24. December 1861 unfere Reife nach ber 
Heimat an. Der Vertrag felbft wurde im Februar 1862 zu 
alffeitiger Zufrievenheit abgefchloffen. Graf Eulenburg ging 
mit der Gefandtichaft von Singapore aus über Land nad 
Europa und die Schiffe im März über Java nach ber Cap⸗ 
ſtadt. Hier verweilten fie einige Wochen, um fich zu trennen. 
Die Arkona jegelte heimwärts, die Thetis dagegen zuerft nach 
ben 2a Blataftnaten und Bahia, welchen lettern Ort fie 
Mitte Juli verließ, um dann ebenfalls nach Preußen zu gehen. 


35. 


Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. Ankunft 
zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nach Serang, dem Site ber 
Regentſchaft. Ueppigkeit und Hoher Eulturftand ber Landſchaft. Die 
blühenden Berhältniffe der Eolonie Sana. Die Holländer ale Mufter- 
coloniften. Die Agrarverhältniffe und die Behandlung ber Eingeborenen. 
Der-Ertrag Javas und bie Bortheile, welche Holland aus ber Eolonie 
zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachſpiel ber japanifchen 
Großen, Rücreiſe nach Anjer. 


Mit freudigem Herzflopfen empfingen wir Ende December 
1861 den Befehl zur Rückkehr nach dem Vaterlande. Am 
Weihnachtsabend, . vem britten, welchen wir fern von ben 
Unfern und ber Heimat verlebten, verließen wir mit ſchwachem 
Landwinde die Rhede von Bangkok und jteuerten dem Süben 
zu. Wir hatten uns anf eine vierzehntägige Reife nach Sin- 
gapore gefaßt gemacht, da ver Januar für ben Golf von 
Siam gewöhnlich reich an Winpftillen ift, wurden jeboch an- 
penehm durch eine frifche Norboftbrife enttäufcht, die uns 
ſchon am 29. December,. alfo in fünf Tagen, .an unfern 
nächſten DBeitimmungsort brachte. In Singapore mußten 
wir zur Ausführung einiger Reparaturen vierzehn Tage blei- 
ben. In der Phyfiognomie der Stadt und Juſel hatte ſich 
jeit unferer legten Abwefenheit nichts Wefentliches geändert, und 
ih wüßte nichts Bemerfenswerthes zu meiner frühern Schil- 
berung hinzuzufügen. In Siam hatten wir bereitS mehrere 


288 


Thiere für den Zoologifehen Garten in Berlin an Bor ge- 
nommen, und dieſe Sammlung wurde noch beträchtlich im 
Singapore vermehrt, da die großen leer ftehenpen Räumlich- 
feiten des Schiffs eine äußerft günftige Gelegenheit für ven 
Transport gewährten. Um diefe Sammlung möglichit reich= 
haltig zu machen, Tiefen wir auch Anjer auf Java an, ben 
Punkt, wo, wie ih ſchon früher erwähnte, ſämmtliche 
von Oft und Weft fommenden Schiffe anlegen, um ſich nach 
langer Seereife zu erquiden ober Erfrifhungen für eine folche 
mitzunehmen. Leider trafen wir es fchlecht mit der Witterung. 
Der Norpweftmenfun ift der Winter in Java und im Januar 
namentlich faft täglich von anhaltendem Regen und beftigen 
Stürmen begleitet. 

Wir hatten von Singapore nach Anjer eine außergewöhn⸗ 
ih ſchnelle Reife von nur drei Tagen, während Schiffe 
felbft im Nordweſtmonſun felten unter acht Tage gebrauchen, 
und Tangten am 16. Januar 1862 früh auf der Rhede an. 
Unfer Aufenthalt dauerte ſechs Tage. Aber troß der kurzen 
Zeit, des nur felten unterbrochenen Regens und ber an- 
haltenden Stürme verlebten wir auf Java bie fchönften und 
angenehmften Zage und. nahmen von ber prachtvollen Infel _ 
Erinnerungen mit, die lange in unfern Herzen nachhalfen und 
von allen auf der Reife empfangenen Einprüden am Ieben- 
digſten bleiben werben. 

Es ift von Reiſenden viel und mit Recht die Gajtfreund- 
fchaft gerühmt, welche ihnen im Auslande entgegengetragen 
wird;. aber Java ift das Land, wo man diefelbe in einem 
“über alles Lob erhabenen Grade übt. Die Holländer er- 
weiſen fih ben Deutjchen gegenüber als ein wahrer Bruber- 
ftamm, und wo wir mit ihnen zufammengetroffen, haben fie 
uns mit der herzlichften Freundſchaft empfangen. 

Wir waren faum einige Stunden vor dem Tieblichen Anjer 
zu Anker gefommen, als wir bereits telegraphiich von dem 





289 


Refidenten ver Provinz Bantam, zu der Anjer gehört, eine 
Einladung nad) Serang, dem Sit der Refiventichaft, erhiel- 
ten. Zugleich wurbe eine mit ſechs Pferden befpannte und 
von zwei DVorreitern hegleitete Exrtrapoft geftellt, und ſchon 
nach einer halben Stunde flogen wir mit Winpeseile durch die 
reichen und hochcultivirten Fluren der fchönen Inſel, ver 
Perle nicht allein aller holländifchen, fondern fämmtlicher 
Colonien der Welt. Serang liegt 22 Paal oder 5Y, veutjche 
Meilen von Anjer entfernt, eine Tour, die wir in zwei Stun- 
den zurücklegten, inclufive des durch vier Relais entftandenen 
Aufenthalts. Der Weg, eine auf beiden Seiten bepflanzte 
Chauſſee, war nicht gepflaftert, ſondern mit Raſen bedeckt, 
auf dem es fich fo fanft wie auf einem Teppich fuhr. Diefer 
führte zuerft eine halbe Meile am Strande entlang und bog 
dann in das Innere ein, wo, er fich bald durch Neis- und 
Zuderfelver, bald durch mächtige Waldungen hinzog, bie, 
jorglam gelichtet, den Kaffeeplantagen durch ihre reichen 
Blätterkronen als Schirm gegen bie brennenden Strahlen ber 
Tropenfonne dienten. in fteter Wechfel der Scenerie, bie 
eine immer lieblicher und ſchöner als bie andere, erfreute das 
Auge. Die üppige Vegetation, die reichen großartigen Formen 
der tropifchen Flora gaben Zeugniß von der unerjchöpflichen 
Productionskraft des jungfräulichen Bodens und bie treffliche 
Cultur des Landes von dem Fleiße und ber Induſtrie ber 
Bewohner. Ich erinnere mich nicht, je eine europätfche Eolonie 
m einem jo blühenden Zuſtande gefehen zu haben wie Jana, 
das ich auf meinen frühern Reifen von vielen verfchienenen 
Bunften kennen gelernt, aber überall fo wie bier gefunden 
babe. 

Man macht den Holländern viele Vordick, man nennt 
fie engherzig, ſtarrköpfig, altväteriſch, und behauptet, daß fte 
nicht mit der Zeit. fortfchreiten. Mag dies mit Recht oder 
Unrecht gefchehen, fo viel ſteht feit, daß fie das Coloniſiren 

Werner. I. 19 


290 


verftehen wie feine andere Nation. Das Können fogar bie 
Engländer nicht in Abrede ftellen, obwol fie es mit Wider⸗ 
ftreben zugeben und gleichzeitig ihre Rivalen der Inhumanität 
zeihen. Letzteres ift jedoch eine ungerechte Behauptung, und 
ich überlaffe es dem Xefer, darüber jelbft zu urtheilen, indem 
ih das holländifhe auf Java befolgte Syſtem in kurzen 
Worten fehildere. 

Da das Mutterland ftets außer Stande war, bie oftin- 
bifchen Eolonien, von denen Java allein eine Bevölkerung 
von 9 Milfionen zählt, durch bloße phyſiſche Machtentwicelung 
in Unterthänigleit zu halten, welche die javanifchen Fürften 
und Kronprätenventen oft abzufchätteln verfuchten, jo ſah fich 
die Negierung genöthigt, eine moralifhe Gewalt zu Hülfe zu 
rufen, indem fie feit der früheften Occupation einen jeden 
Europäer dem Eingeborenen gegenüber als höheres MWefen 
binftellte. Wir finden dies Princip ebenfalls bei allen übrigen 
europäifchen Colonialmächten; allein die Holländer find bie 
einzigen, welche es nicht gemisbraucht und daher von ihren 
Unterthanen weder als Despoten gehaßt werben noch ihr Ans 
jeben .als eine höher ftehende Raſſe durch erniebrigende Hands 
lungen eingebüßt haben. Neben einer umnachfichtlichen und 
drakoniſchen Strenge, fobalo fich ein Eingeborener gegen einen 
Weißen vergangen, herrſcht andererſeits bie unparteiifchfte Ge- 
rechtigfeit im umgefehrten Falle, und ein Eingriff in bie Rechte 
eines Eingeborenen wirb ſtets an dem Weißen geahndet. Die 
größte Schonung aller religiöfen und focialen Vorurtheile des 
Volks iſt einer der erften Negierungsgrundfäge, und es wird 
3. B. fein Beamter angeftellt, der nicht der malaitfchen 
Sprache mächtig iſt. In frühern Zeiten, wo bie einheimifchen 
Fürſten noch öftere Empörungsverjuhe machten, wurden 
abends häufig Europäer auf den Straßen ermorbet, und es 
ſchien unmöglich, fich gegen folche Ueberfälle zu -[chügen, da 
bie braunen Javanen in der Dunkelheit nicht von den umge- 





291 


benden Gegenftänden zu unterfcheiden waren. Es wurde da⸗ 
ber ein Gejeß erlaffen, daß jeder Farbige auf der Infel nach 
Sonnenuntergang eine Tadel zu tragen habe. Wer ohne eine 
folche betroffen wurde, der warb am folgenden Tage gehängt. 
Diefe Maßregel, infolge deren fofort dem Unwefen ein Ziel 
gefegt wurde, ift ein Beifpiel, wie die Holländer es verflan- 
ben, fich gefürchtet zu machen. Als wir nach Serang fuhren, 
büdten fich die uns begegnenden Eingeborenen vor uns zur 
Erbe nieder und nahmen ven Hut ab, eine Disciplin, welche 
fie beftändig daran erinnern fol, daß die Weißen ihre 
Herren find. 

Die Sklaverei befteht factifch auf Java, jedoch wird fie 
fo milde gehandhabt, daß fie eher einer patriarchalifchen Ab- 
hängigfeit gleicht. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, dies 
Verhältniß zu beobachten, aber faft überall eine rührenbe 
Anhänglichkeit der Sflaven an ihre Herrfchaft gefehen, pie nur 
ein Refultat der humanen Behandlung fein konnte. Mis- 
handlungen jeder Art find ftreng vom Geſetz verboten, und 
der betreffende Herr bat auf eine begründete Klage des Sklaven 
biefen jofort freizulaffen. Die Holländer waren jedoch nicht 
bamit zufrieden, eine ſchöne Infel zu befiten und 9 Millionen 
Savanefen ihre Unterthanen zu nennen, fie wollten auch allen 
möglichen Nuten baraus ziehen und bewerfitelligten dies fol- 
gendermaßen. Zunächit erklärten fie alles bereits vorhandene 
und noch zu bearbeitende Culturland wie überhaupt ben ge- 
fammten Grund und Boden der Infel für Staatseigenthbum, 
bas wol von Weißen als Befißthum eriworben, von den Ein- 
geborenen aber nur pachtweife benugt werben Tonnte. Einer 
jeden Ortfchaft wurbe nach Verhältniß ihrer Einwohnerzahl 
eine beftimmte Ouantität Land zugetheilt, aber für die Nutz⸗ 
nießung dem Bauer zugleich auferlegt, fo und fo viel Kaffee, 
Zuder u. |. w. ber Regierung für einen gewiffen Preis zu liefern. 
Diefe Verorpnung hatte einen doppelten Zweck; einmal brachte 

19° 


292 


fie dem Staatsichage eine ganz beträchtlide Summe ein, und 
fodann hielt fie die von Natur trägen Javaneſen an, das 
Land zu cultiviren und ſich an eine thätige Lebensweife zu 
gewöhnen. 

So 3. B. werden von 2 Morgen Land 5 Piful (120 Pfund 
Zollgewicht) Kaffee verlangt und jeder Bilul von der Regie— 
rung mit 7 31. (4 Thlr.) bezahlt. Die 2 Morgen Land fönnen 
aber minvejtens 10 Piful hervorbringen, ſodaß ver fleißige 
Eingeborene vie Hälfte fein Eigenthum nennen fanı. Den 
Veberfluß des Ertrags nimmt ebenfalls die Regierung, aber 
fie bezahlt ihn mit dem gangbaren Preife und zu dem wirk- 
lichen Werthe von 28 Fl. pro Pikul, und zwar an Ort und 
Stelle, ſodaß dem Producenten Feine weitern Koften für 
Transport 2c. erwachlen Der Bauer kann daher durch 
Fleiß und Thätigkeit fich nicht allein einen bequemen Lebens 
unterhalt, fondern fogar ein Vermögen erwerben, da die Re⸗ 
gierung ihm gegen jene, Bedingungen eine beliebige Quanti⸗ 
tät Land überläßt. Wenn auch in der erften Zeit biefe Ein- 
richtung wenig Anklang fand, bewährt fie fih doch von Jahr 
zu Jahr mehr, und die Production der Injel ſowie die Wohl: 
habenheit der Bewohner hebt fich beftänbig. 

Sp iſt es gekommen, daß Java jetzt einen Nettoertrag 
von 40 Mill. Fl. abwirft, daß es Holland in den Stand 
ſetzt, eine Armee von 10000 Mann in den Colonien, eine 
Flotte zweiten Ranges zu erhalten, die Zinſen ſeiner enormen 
Staatsſchuld zu decken und außerdem noch einen beträchtlichen 
Ueberſchuß in den Staatsſchatz abzuführen, abgefehen von dem 
Nuten, den Rhederei und Handel des Landes aus der Colonie 
ziehen. : 

Und die Javaneſen befinden fich wohl dabei. Anftatt der 
ewigen Fehden ver vielen einheimifchen Fürften, die gegen- 
feitig Das Eigenthum der Unterthanen rvaubten und dieſe 
als Sklaven verkauften, erfreuen fie fih unter ver Herrichaft 








293 


der Holländer einer friedlichen Ruhe und des Schußes ihres 
Eigenthums. Das Land erblüht überall wie ein Garteı, 
Armuth eriftirt nicht, und wenn den Holländern vorgeworfen 
wird, daß fie nichts für das geiftige Wohl ihrer Unterthanen 
thbun, weil fie in Java feine Miffionare zulaffen und alle 
Profelytenmacherei ftreng verpönten, fo find fie wenigftens 
bejtrebt, deren materielles Wohl auf jede Weife zu fürbern, 
und das ift mehr, als im allgemeinen von den übrigen euro⸗ 
päifchen Colonialmächten in Bezug auf ihre farbigen Unter» 
thanen gefagt werben kann. In Java gibt es z. B. Feine 
conceffionirten Opium-Shops wie in den englifchen Colonien, 
aus denen die Negierung auf Koften der moralifchen und 
phnfifchen Gefunpheit ihrer Unterthanen ſchwere Steuern zieht. 
Sodann bin ich mit den Holländer aber auch der Anficht, 
daß die farbigen Völker und beionvers bie Bewohner der 
ZTropenländer unfähig find, je die Eulturftufe der kankaſiſchen 
Raſſe zu erreichen, daß zu ihrer höhern geiftigen Entwickelung 
vor allem erft eine Gewöhnung an ein thätiges Leben erfor: 
derfich ift, und daß die Megierung ihre vornehmfte Pflicht 
erfüllt, wenn es ihr gelingt, durch weile Maßnahmen eine 
folche Wandlung herbeizuführen. 

Serang ift ein Heines befeftigtes Städtchen, reizend gelegen 
und mit dem Miltär von circa 200 Europäern bewohnt. 
Die vornehmften Gebäude find die Wohnungen oder vielmehr 
Paläfte des Reſidenten und des javaneſiſchen Regenten. Nes 
ben den holländiſchen Beamten in den Reſidentſchaften gibt 
es nämlich noch ſtets eingeborene, die gewöhnlich aus den 
angeſehenften javaniſchen Familien ſtammen und deren Er» 
gebenheit ſich die Holländer ſichern wollen. Jede Provinz 
hat deshalb außer dem Reſidenten noch einen inländiſchen 
Regenten, der ein Gehalt von 12000 Fl. bezieht, und dem 
alle Ehrenbezeigungen eines Gowverneurs erwieſen werben. 
Wir machten dem Regenten von Bantam unſere Aufwartung 





294 


und fanden in ihm einen Tiebenswürbigen alten Herrn, ber 
ver holländiſchen Sprache vollftändig mächtig war, und mit 
dem wir uns auf das angenehmfte unterhielten. Leider ver- 
ftattete die Kürze unfers Aufenthalts nicht, einigen javaniſchen 
Veitlichkeiten, die nach Verlauf einer Woche jtattfinden follten, 
beizumohnen; doch verfchaffte uns der Regent noch ein origi⸗ 
nelles Schaufpiel, das wol einzig bafteht. In einem mächti- 
gen Saale feines Haufes befanden ſich 64 quabratiiche Er- 
böhungen von ein Fuß angebracht, die zufammen wieder ein 
Quadrat bildeten. An den Seiten des lettern liefen Reihen 
von Sigen, zu denen wir geführt wurden. Gleichzeitig erfchie- 
nen 32 Iavanejen in pbantaftifchem Aufpug und nahmen, fich 
einander gegenüberftellend, auf ebenfo viel Erhöhungen Plag. 
Der Regent begann nun, die eine Partei und eim anderer 
hochitehenver Javaneſe die zweite zu commanbiren. Bis da⸗ 
bin wußten wir nicht die Bedeutung dieſes Schaufpiels, jetzt 
wurde e8 uns aber Har, daß wir vor einem folofjalen Schach- 
bret faßen, deſſen Figuren die 32 Javaneſen waren. Das 
Spiel, welches jeboch in einer von ber unfern abweichenpen 
Weiſe geſpielt wird, ift eine der vornehmſten Beluftigungen 
der javanifchen Großen, und faft alle haben in. ihren Woh- 
nungen einen ſolchen Schachſaal. 

Am andern Tage Tehrten wir in Begleitung des NRefiben- 
ten, feiner Familie und des Negenten, bie unjer Schiff ſehen 
wollten, nach Anjer zurüd. Wir hatten vier Wagen, jeder 
mit ſechs Pferden beipannt, und da uns außerdem circa 40 
Vorreiter und Bediente zu Pferde geleiteten, fo bildete ber 
Zug eine fürftliche Cavalcade, die mit Windeseile pahinbranfte, 
bisweilen jedoch -plößlich ins Stocken gerieth, wenn es ben 
eigenfinnigen Ponies einftel, til zu ftehen, was fie bei jeder 
Steigung des Weges verfuchten und gewöhnlich auch troß 
alles Schimpfens und Peitſchens durchſetzten. Es blieb dann 
nichts anderes übrig, ale daß ſämmtliche Reiter abfaßen und 











295 


den Wagen fo lange vorwärts fchoben, bis er ben Pferden 
in die Hacken kam unb dieſe fich durch folches von ber Beitfche 
unterftäßte Mandver beivogen fanden, ihren Weg fortzufegen. 

Bei unferer Ankunft in Anjer wehte es jo hart und das 
Wetter blieb auch fpäter fo lange fchlecht, daß wir brei Tage 
lang von unſerm Schiffe abgefchnitten waren. Erſt am vier- 
ten Tage konnten unſere liebenswürbigen Wirthe das Schiff 
befuchen, und am folgenden fagten wir ihnen und dem 
. fehönen Java Lebewohl, um dem Süden zuzuftenern und für 
lange Wochen wieder auf dem blauen Waffer umberzu- 
ſchwimmen. 


36. 


Ein neuer Weg dur ben Inbifchen Ocean. Ankunft der Elbe am 
Gap ber guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Tafelberg. Die Cap⸗ 
flabt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrikaner“. Die holländi- 
Ihen Eoloniften und die Engländer. Vernachläſſigung der Communi⸗ 
cattonsmittel unb ihre Yolgen. Handel und Erzeugnifle der Eapcolonie, 
Der Capwein. Das Dorf Eonftantia. Zwei große deutſche Firmen in 
ber Eapftadbt. Warnung an bie Deutfhen. Die Kaffernkriege. Gou⸗ 
verneur Sir George Grey. Das Kafferncollegium. Die Kaffern- 
teuppen. Die Hottentotten. 


Mir nahmen nach dem Cap der guten Hoffnung einen 
andern als den gewöhnlichen Weg. Der Amerifaner Maury, 
deſſen Forſchungen die Schiffahrt fo unendlich viel verdankt, 
empfiehlt nämlich, ftatt des üblichen diagonalen Curfes, 
zwifchen den Breitenparallelen von 15—20 Süd bis nahe 
Mauritius zu fegeln und dann erft ſüdlich zu geben, weil in 
jenem Breitengürtel der Süpoftpaffatwind am ftärfften wehe 
und die Schiffe deshalb eine fehnellere Reife machen würven. 
Wir befchloffen, diefe neue Tour zu verjuchen, und fanden, 
wie früher ſchon fo oft, daß Maury vecht habe... Wir durch⸗ 
fegelten in einer Zeit von funfzehn Tagen eine Strede vou 
765 geographijchen Meilen und liefen am 28. Tage, nachdem 
wir Java verlaffen, bie ſüdöſtliche Spite von Afrika an. 
Wir trafen bier zwei Theeichiffe, die von China kamen. Hier- 
zu werben ftets die beiten Segler genommen, da ber Thee 
burch längere Seefahrten leidet, und es war fein Kleiner 
Triumph für uns, daß beide Schiffe zwölf Tage vor ung bie 
Sundaftraße verlaffen, aber doch nicht eher als wir an jenem 
Punkte angelommen waren, weil fie ben gewöhnlichen Weg 














297 


genommen. Wir hatten daher lediglich der neuen Tour un⸗ 
fern bedentenden Vortheil zu danken. 

Die verhältnißmäßig kurze Strede von ber Süpofifpike 
Afrikas nad dem Kap der guten Hoffnung, melde fidh 
bequem in vier Tagen zurücklegen läßt, Toftete uns jedoch 
fieben Tage, da wir noch einen 36ftündigen fihweren Weft- 
ſturm durchzumachen und überhanpt faft ven ganzen Wen zu 
kreuzen hatten. Am 37. Tage liefen wir in bie Tafelbai ein, 
gerade als der Zafelberg fich mit einem weißen Wolfentuche 
benedt Hatte and uns den Tafeldeder in Geftalt einer fehr 
fteifen Süpoftbrife entgegenfandte. Diefe Südoſter find am 
Cap eine ganz eigenthümliche meteorologifche Erſcheinung. 
Sie wehen faft ausſchließlich während der Sommermonate, 
bisweilen nur nachmittags, bisweilen tagelang und gewöhnlich 
mit einer Gewalt, daß fie eher Stürme als Winde genannt 
werben müfjlen; doch beſchränken _fie fi merkwürdigerweiſe 
auf bie Tafelbei, die kaum eine geographiiche Meile im Durch⸗ 
mefjer Hält. Ihre Grenze ift fo ſcharf, daß man Häufig das 
Schauſpiel hat, von zwei Schiffen, die Tamm 200 Schritte im 
Eingange der Bai voneinander ‚entfernt find, das eine in to- 
taler Winpftille Liegen zu fehen, während das andere faft nur 
Sturmfegel führen kann. | 

Der Daun, weldder die Sidſpitze Afrikas das Cap ber - 
„guten Hoffnung” wennen konnte, muß mehr als anſpruchs⸗ 
[08 geweſen fein. Ich glaube, daß kein Schiff daſſelbe um⸗ 
ſchifft, ohme von Stürmen beimgefucht zu werben, and obwol 
ich es diesmal bereits zum Techzehnten mal paffirte, Tann ich 
mich ur einer einzigen Tour erinnern, ‚die and) nur annü⸗ 
bernd gut Hätte genannt werben können. Bein erfter Ent- 
beder nannte es das „Cap der Stürme”, ud dies iſt es 
im wahrften Sinne des Worte, 

Das Cap der guten Hoffnung erftredt fich als eine ſchmale 
felfige Landſpitze von ungefähr acht Meilen Länge ſüdlich in 


— 


298 


den Dcean hinein, deſſen gewaltige Wellen fich ſchäumend an 
. feinen ftellen Wänden bredden. Das nördliche Ende biefer 
Landſpitze bildet der Tafelberg, jo benannt wegen feiner ab- 
geflachten Kuppe, vie viel Achnlichkeit mit einer Tiſchplatte 
hat. Weftlich von dieſem Berge bildet die Küfte des Yeitlan- 
des die Tafelbai und öftlih die Simons- ober Falſche Bat, 
beides unfichere und fehr oft gefährliche Ankerplätze, nament- 
fih im Winter, wo Weftftürme in bie erftere und Oftwinde 
in die leßtere eine fo bimmelhohe See wälzen, daß die darin 
anfernden Schiffe faft immer auf den Strand treiben, wie 
dies vor zwei Jahren mit neun Schiffen an Einem Nach⸗ 
mittag geſchah. Man hat jet ven Bau einer Mole in ber 
Tafelbai begonnen, vie eine englifche Meile weit halbmond⸗ 
förmig hinausgeführt werben fol. Sie wird einige Millionen 
foften und vor den nächften zehn Jahren auch nicht fertig 
werben, aber ber dadurch geichaffene fichere Hafen wird von 
unberechenbarem Nuten für die Colonie werben und nament- 
ich die Capſtadt ganz beveutend heben. Diefe liegt am ſüd⸗ 
öftlichen Theile der Bai und am Fuße des Tafelbergs in 
einer fandigen und von aller Vegetation entblößten Ebene. 
Sie macht deshalb Feinen freundlichen Eindruck, und nur an 
der Oftfeite, wo Geld und Kunft die Natur verbefiert haben, 
ſchmückt das Grün von Gärten und Parks den öden Strand. 
Unter den letztern zeichnet ſich der botaniiche Garten wenn 
nicht durch feine Größe, ſo doch durch feine Reichhaltigkeit 
und Schönheit ans. Das Cap befigt jenes glückliche Klima, 
wo bie Palme neben ver Eiche, Kaffee und Zuder neben un- 
ferm Korn und die Weintraube neben ver Banane reift; was 
daher in ımfern Gärten fich Hinter Glas ängſtlich bergen muß, 
blüht und grünt bier im Freien wie in ber Heimat. Am 
ſtärkſten find auftralifche Pflanzen bier vertreten, unter denen 

zablreihe Arten von Teſtudinarien durch ihre fonverbaren 
Formen bauptfächlich auffallen. 


299 


Die Phyſiognomie der Stabt ift echt englifh. Sie zählt 
40000 Einwohner, von denen jeboch nur etwa 6—7000 un: 
vermifchtes europäifches Blut haben. Die übrigen Bewohner 
bezeichnet man mit dem Namen Afrikaner, und ſie begreifen 
alle Mifcplinge von Europäern mit Negern, SHottentotten, 
Kaffern und fonftigen Farbigen. Unter letztern zeichnen fich 
noch bie fogenannten Malaien aus. Dies find die Abkömm⸗ 
linge von malaiifchen SHaven, welche die Holländer früher, 
als fie noch das Cap befaßen, von ihren oftindifchen Beſitzun⸗ 
gen einführten. Als die Engländer pas Cap eroberten, wur- 
ben bie Malaien frei, und fie bilden jet bie niebere Bürger- 
Hafle. Der Name Malaie ift jedoch faft das einzige, was 
von ihrer urfprünglichen Nationalität übrig geblieben ift. 
Sie find durch Vermiſchung mit Kaffern und Hottentotten 
ein ganz anderer Menfchenichlag geworden, ein ausgezeichneter 
ſowol in phufifcher als moralifcher Beziehung, und zeigen fich, 
was jedenfalls Beachtung verdient, ben Hottentotten und 
Kaffern weit überlegen. Sie erinnern fehr an bie fpanifchen 
und franzöfiichen Basken, befiten burchgängig eine fchlanfe 
Figur, einen kräftigen Körperbau und angenehme Gefichtszüge. 
Außerdem find fie arbeitfam und penible reinlich: Cigen- 
fchaften, die unter Völlern, deren Heimat bie Tropen find, 
jehr felten angetroffen werden. Mit ihrer Nationalität haben 
fie auch ihre Sprache verloren, aber merkwürdigerweiſe fpre- 
hen fie nicht englifch, fondern, wie überhaupt fünf Sechstel 
fämmtlicher Coloniebewohner, holländiſch. Das Cap ift jeit 
50 Jahren engliſch, aber bisjeßt haben bie Engländer es nicht 
babin bringen fünnen, ihre Sprache auch nur zur offictellen zu 
machen. Sie find noch immer gezwungen, ihre Geſetze, Bekannt⸗ 
machungen in Holländifch zu erlaffen, weil außerhalb der Cap⸗ 
ftabt und Simonstown fein Kolonift, außer den geborenen Eng- 
ländern, englifch verfteht. Kirchen, Schulen, Zeitungen, alles 
ift holländiſch, und der englifche Beamte oder Kaufmann muß 


302 


Conftantia Liegt 1%, Meilen öſtlich von der Capftadt am 
Fuße des Zafelberges, der bie Weinberge gegen die Falten 
Südwinde ſchützt. Es ift ein Hleines hübſches Dorf, das 
wegen feiner onfenartigen Erjcheinung in der umgebenden 
bürren Sandwüſte fo viel mehr Anziehung befigt und nicht 
nur von jebem Fremden, fondern auch vielfach von den Be—⸗ 
wohnern der Capſtadt felbft aufgefucht wird. Wir famen 
gerabe zur Weinernte und Tonnten uns an ben Trauben: er- 
laben, vem einzigen, was am Gap billig ift. 

Unter ven Hanvelshäufern der Colonie nehmen zwei 
deutſche Firmen: Suffert und Gebrüder Mofenthal, eine der 
erften, wenn nicht die erſten Stellungen ein. Die lebtere. 
Firma befigt im Innern große Länderſtrecken, bebeutender ale 
viele Fürften- und Herzogthümer Deutfchlands, und beginnt 
fie durch Deutfche zu colonifiren. Einige taufend Landleute 
find aus der Gegend von Frankfurt auf Koften der Herren 
Moſenthal übergeftevelt, und es geht ihnen fehr gut. Ohne 
einen Contract mit Mofenthbal oder Suffert mögen fich 
deutſche Auswanderer jedoch wohl hüten, nah dem Gap 
zu geben. Infolge der hohen BPreife für alle Lebens- 
bebütfniffe und ver ihr bischen Habe bald aufzehrenden Reiſe⸗ 
toften in das Innere, wo fie allein Befchäftigung finden 
können, gerathen fie Teicht in Schulden, find gezwungen, bei 
den Boers Dienfte zu nehmen, und abgefehen davon, daß fie 
von dieſen faft wie SHaven gehalten werden, Tommen fie 
felten wieber aus der Abhängigkeit heraus. An den Grenzen, 
wo fie noch am eheften ein Unterfommen finden, haben fie 
außerdem noch ihre Eriftenz den Kaffern abzuringen, mit 
denen die Boers in tödlicher Feindfchaft leben. Letztere jchie- 
Ben die Kaffern wie wilde Thiere nieder und machen jedes 
friedliche Leben mit diefen Stämmen dadurch unmöglich. 

Diefe Kafferntriege haben der Eolonie und England, das . 
die Soldaten ſchickt, ſchon unendliche Opfer gefoftet, ohne 


303 


baß fie irgendwelche Vortheile brachten. Die engliiche Re- 
gierung hat deshalb auf Anrathen des vorleßten Gouverneurs 
Sir George Grey, des beften, den bie Capcolonie gehabt 
bat, eine andere Bolitif eingefchlagen, bie wahrfcheinlich beffer 
zum Ziele führt. Alle unterjochten Kaffernftämme müffen 
Geifeln ftellen, und zwar Kinder von 8—12 Yahren ber 
Häuptlinge und Vornehmſten. Diefe werden’ dann in bas 
fogenannte Kafferncollegium in der Capſtadt gebracht, das vor 
einigen Jahren zu dieſem Zwecke gegründet wurde unb von ber 
Regierung mit 20000 Pfd. St. jährlich fubventionirt wird. 
Hier bleiben fie bis zu ihren funfzehnten Jahre und werben 
in der chriftlichen Religion, in der englifchen Sprache und in 
gemeinnügtigen Kenntniffen unterrichtet. Mit dem funfzehnten 
Sabre wechfelt man fie gegen frifche Geifeln. Bei unferer An- 
wejenheit befanden fich einige funfzig dieſer jugendlichen Kaf- 
fern im Colleg und darunter acht bis gehn Mädchen. Sir 
George Grey, deſſen Amtsführung in England vielfach ange- 
griffen ward, hat mit diefem Inſtitut der Zukunft der Colonie 
jedenfalls den beften Dienft geleiftet, und die heranwachſende 
und in ber Capſtadt gebildete Generation wird gewiß in Triebe 
lichen Verhältniffen mit den Europäern leben. 

Die Kaffern find in ihrer äußern Erfcheinung ben Negern 
ähnlich, jedoch viel hübſcher und intelligenter als dieſe. Sie 
find geborene Reiter und Krieger, muthig, tapfer und außer» 
ordentlich fchlau. Einer "ihrer Häuptlinge, Mofhes, ift ein 
erfahrener General, der die Engländer mehr als einmal in 
die Klemme gebracht hat. Mit Infanterie ift gegen die be- 
rittenen Kaffern wenig auszurichten, ebenſo wenig aber mit 
europäifcher Cavalerie, und die Engländer haben deshalb 
einige Negimenter dieſer Waffengattung aus den Stämmen 
treuer Kaffern gebildet, welche ihnen fowol im Kriege als im - 
Frieden, wo fie als Polizei fungiren, die wejentlichiten Dienfte 
leiften. Dieſe Kafferntruppen, von denen ein Regiment in 






















304 


ver Capftabt fteht, machen auf den Fremt 
ordentlich günjtigen Eindrud, Es find ſämmilich 
Yente von treffliher Haltung, denen man | 
jofort anfieht. 

Die Hottentotten ericheinen bagegen wi 
Zwerge. Man erkennt fie fofort an ihrer 
ihrem ängſtlichen gedrückten Wejen, ven auff 
Gefichtszügen und dem überaus großen Mu 
von Natur jehr unreinlich und werden dadurch 
ber. Von den Kaffern werben fie fajt noch 
als von den Europäern. 

Unfer Aufenthalt in ver Capſtadt dauerte 
und wir verließen fie am 17. März, um 
reife anzutreten. 








37. 


Die Heimreiſe. Naturbeſchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der 
Inſel St.⸗Helena. Das engliſche Geſchwader an der weſtafrikaniſchen 
Küſte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genommenen Neger. 
Die Inſel Aſcenſion. Ankunft der Elbe in Swinemünde am 29. Mai 
1862. Die Opfer, welche die oſtaſiatiſche Cxpedition gekoſtet. Die Bor- 
theile des Unternehmens für Gefammtdeutichland. Neellität, ein Haupt- 
erforberniß im Berfehr mit den Afiaten. 'Abſchied vom Lefer. 


Am 29. März gelangten wir nah &t.- Helena, wo wir 
ebenfalls einige Tage blieben, um unfer Trinkwaſſer zu er- 
gänzen. Bon außen gewährt bie berühmte Infel einen trau- 
rigen Anblid, und die ftarren Felsmaſſen, welche bis zur 
Höhe von 1000 Fuß fleil aus dem Meere emporfteigen, laſſen 
nicht ahnen, daß das Innere bie reizenpften Thäler und 
Eulturftreden befigt. St. Helena hat 1%, Duabratmeilen. 
im Umfange und ift von 8000 Menſchen bewohnt, von denen 
etwa ein Drittel unverinifchter enropäifcher Raſſe fine. Die 
übrigen find Abkömmlinge von Weißen, NRegern und Malaien, 
und auch eine fleine Colonie von 3—400 Chinefen befteht 
hier, bie fich mit Aderbau beichäftigen und mit dem Zopfe 
alle Eigenthümlichkeiten ihres Vaterlandes bewahrt haben. 

Die Hauptftadt und zugleich auch die einzige ber Inſel 
ift Samestown von circa 1500 Einwohnern. Sie liegt an 
ber Nordweſtſeite, und ihre Rhede ift mithin geichügt, ba in 


. diefen Breiten beftändig der Süpojtpaffatwind weht. James⸗ 


Merner. I. 20 


306 


town ift eigentlich nur eine Straße, die fich in einem engen Thale 
einige tanfend Schritt landeinwärts erftred. Da die 
Stadt zugleich der einzige Punkt der Infel ift, wo gelandet 
werden kann, jo ijt fie ſehr ftark befeftigt.. Mit ungemeiner 
Mühe und großem Kunftaufwand find Plateformen aus ben 
Wänden ver jteilen Küften gefprengt, um Batterien darauf 
anzulegen, und dieſe erblidt man noch in der Höhe von 
600 Fuß auf dem weftlih von der Stadt Tiegenden Berge, 
ju dem eine Treppe von 735 Stufen in gerader Linie hin- 
aufführt. Die Garnifon benutzt dieſe gewiß einzig in ihrer 
Art daſtehende Treppe täglich, um feinen Umweg zu machen, 
obwol diejer weit bequemer iſt. Ich bin nur hinuntergegangen, 
aber ich rathe jedem Fremden, es mir nicht nachzuthun: ich 


habe acht Zage gebraudt, um die Schmerzen an meinen 


Tüßen zu verwinden. | - 

Das Klima von St.-Helena ift außerordentlich angenehm 
und gejund. Die Lage der Infel auf dem 15. Grade ſüd— 
licher, Breite innerhalb des frifchen Südoſtpaſſatwindes bevingt 
dies. Sie bringt alle tropifchen Früchte hervor und ift fehr 
fruchtbar , aber nicht bie Hälfte des. culturfähigen Landes ijt 
bebaut. Der Ertrag reicht deshalb. lange nicht zur Ernährung 
ver Bewohner bin, und da der Ausfall durch Importen vom - 
Cap der quten Hoffnung gededt werden muß, jo kann man 
jich venfen, wie theuer alles fein muß. Ausgeführt wird 
von der Inſel nichts, und Die ganze. Bevdlferung lebt eigent- 
lid nur von der Schiffahrt, d: 5. von dem Wiederverkauf 
eingeführter Gegenftände an die Schiffe, welche die Infel an: 
laufen, um Waller zu füllen. Die Zahl folder Schiffe beträgt 
2— 3000 jährlich, da: faft jedes von Dftindien fommende Fahr⸗ 
zeug St.-Delena als Anhaltepunft. wählt, und es bejteht da- 
ber in Jamestown ein reger Verkehr. Im allgemeinen berrjcht 
jedoch auf der Inſel große Armuthb, und das mangelnde 
Kapital iſt auch Die Urfache, weshalb nicht mehr Land urbar 





307 


gemacht wird, ba das dazu erforberlihe Ter raſſiren be 
Bergabhänge ziemliche Koften verurfacht. 

Fremde befuchen die Infel nicht, ohne einen Ritt nach Long: 
wood zu machen und die ehemalige Wohnung und bas Grat 
Napoleon’8 I. zu bejehen. DBelanntlich hat der jegige fran- 
zöftfche Kaiſer Longwood angelauft. und reftauriren laſſen. 
Es werten daher von dem Euftos weder Stüde des Eifen- 
gitters, noch Zweige von ber Trauerweide des Grabes mehr 
verfauft; alles ift nem, und an die Stelle des frühern engli« 
fchen Unteroffiziers ift al8 Wächter ver Baron von Rouge- 
mont, eine Neliquie ver alten Garde, getreten. 

St.» Helena ift nebft Afcenfion ver Sammelpunkt für vie 
Schiffe des englifchen. weftafrifaniichen Geſchwaders, das von 
Sierrasteone bis zum Gap zur Verhinderung bes Stlaven- 
handels kreuzt. Durchfchnittlich werden von biefem Geſchwader 
jährlich fechs bis act Sklavenfahrer aufgebracht und ben 
Kapern von ber Regierung 5 Pf. St. für jeden Neger und 
1 Pf. St. 10 Sh. für jeve Tonne des genommenen Schiffes 
als Prifengelvder ausgezahlt. Schiffe und Neger fchafft man 
nah St.-Helena. Erftere werden merfwürbigerweife zerftört, 
mögen fie noch fo fchön fein. Letztere fperrt man fo lange 
in Kafernen, bis fich Gelegenheit bietet, fie nach ben englifchen 
Befigungen in Weftindien zu fchiden. Dort verdienen fie 
die Koften ab, bie ihre Befreiung der englifchen Regierung 
gemacht, und werben Apprentices, ‚Lehrlinge‘, auf einen 
Zeitraum von 10 Jahren; dann ftellt man es ihnen frei, in 
ihr Vaterland zurüdzufehren. So wiſſen die Englänver das 
Angenehme mit dem Nütlichen zu vereinigen; fie leiften ver 
Philantbropie einen Dienft und verfchaffen fich zugleich billige 
Arbeitskräfte für ihre Colonien. 

Unfer nächftes Neifeziel war Afcenfion, eine andere ber 
Klippen, welche vulfanifche Thätigkeit fo viel tanfend Fuß aus 
dem Grunde des füp-atlantifchen Dceans emporgehboben. Die 

20* 





. 308 


Infel biegt etwa 150 Meilen in norbweitlicher Richtung von 
St.»Helena auf dem Wege nach Europa und ift ungefähr ebenfo 
groß und unzugänglich wie letteve, aber bis auf bie Spike 
des: höchften Berges, ver ſich 2500 Fuß hoch erhebt, durch⸗ 
aus unfruchtbar, kahl und nur ein todtes Feld von Lavaffip- 
pen und vulfanischer Aſche. Kim traurigerer Anblick al$ bie 
ihwarzen zudigen Felſen, welche wie ein Gürtel die Inſel 
umfchließen, ift kaum beufbar. Die Rhede ift ungefähr wie 
in St.⸗Helena, das Landen jedoch viel fchwieriger und oft 
tagelang unmöglih, wenn die von Südamerika berüber- 
fommenden Rollſeen, eine: bisjetzt noch nicht genügend erklärte 
Erſcheinung, fih an ven Felſen brechen. Die Inſel ‚hat 
129 Einwohner, und zwar nın Militär. Früher unbewohnt, 
wurbe Acenjion 1816 von den Englänvern in. Beſitz genom- 
men, un Napoleon beſſer zu bewachen und alle Sluchtver- 
juche deſſelben zu vereiteln, va jedes nach Nordamerika ober 
Europa fegefnde Schiff bei der Infel vorbei mußte und won 
ven englifchen Kveuzern leicht angehalten wernen konnte. Seit 
Napoleon’8 Tode dient fie jedoch nur noch als Sanitarium 
für die Fieberfranfen ves afritanifchen Geſchwaders und wird 
außerdem von Schiffen aufgefucht, vie Waffer auffüllen wollen 
und St.-Helena verfehlt haben. Das Hospital ift 2000 Fuß 
hoch über dem Meeresfpiegel an ver Seite Des erwähnten Berges 
angelegt, umb bier fieht man auch das einzige Grün auf der 
Inſel. Die Gouverneure haben ihr Möglichftes gethban, um 
diefes Fleckchen zu cultiviven. Hier ift em großer Garten 
angelegt, und im mächtigen Cifternen wird das ſich aus ven 
Wolfen niederſchlagende Wafjer gefammelt, das: eine Röhren: 
leitung 1%, Meilen weit nach ver Küfte und dem Ankerplatze 
führt. Namentlich bat der jegige Gouverneur, Kapitän Bar⸗ 
nard, fich fehr viel Mühe mit neuen Aspflanzungen gegeben 
und jährlich 1015000 Sträucher und Bilanzen eingefekt, 
um bie Vegetation allmählich weiter zu Thale zur leiten und 





309 


burch das Blätterwerk mehr Teuchtigfeitsnieberfchlag anzu: 
jiehen. Nach ven mietenrologifchen Beobachtungen gelingt Dies 
auch von Jahr zu Jahr mehr. Trotzdem wird Afcenfion 
immer eme traurige Eindde bleiben, auf der niemand frei- 
wilfig wohnt. Das einzige Erzeugniß der Injel find See- 
ſchildkröten, die an der Küfte ihre Eier legen und gefangen 
werden. Die Saifon des Yanges ift vom Februar bis Juni 
und der jährliche Ertrag ungefähr 600 Stüd. Im Durch- 
fehmitt find die Thiere außerordentlich groß, fie wiegen jelten 
unter 300 Pfund, erreichen aber oft das doppelte Gewicht. 
Unmittelbar an ver Küfte find zwei mit dem leere zujam- 
menhängende Baſſins angelegt, in denen fie aufbewahrt wer- 
ven. Die anlaufenden Schiffe nehmen gewöhrdich einige an 
Bord; das Stück Foftet 2%, Pfd. St., und auch wir Fauften 
jwei davon. Kine wurde fpäter geſchlachtet, die zweite für 
ven Zoologiſchen Garten in Berlin lebend überbracht. Jede 
bexrjelben wog ungefähr 2%, Etr., und beide legten täglich 
2—3 Eier von der Größe eines Enteneies, aber fugelförmig 
und ftatt der Schale mit einer pergamentartigen Haut ver- 
fehen; ber Gefchmad ver Eier war jeboch nicht ſehr befonvers. 

Bon Ajcenfion bis zum Aequator batten wir eine ziemlich 
lauge Reife, neun Tage, von dort an jeboch gung es fehr 
Ichnell vorwärts. Wir nahmen abermals eine neue von 
Maury vorgeichlagene Tour, indem wir uns mehr weitlich 
hielten, und fanden bort einen fo günftigen Pafjatwind, daß 
wir ſchon nach vierzehn Tagen die Grenze veffelben und am 
18. Zage von ber Linie an bie Azoren erreichten. 

Am 19. Mai traf vie Elbe in Falmouth ein, am 23. erhielten 
wir Ordre nach Swinemünde zu fegeln. Am 29. Mai begrüß- 
ten wir nach 2Ysjähriger Abwefenheit vie heimiſchen Gejtabe, 
glädlih und wohlbehalten, mit gefunder Mannjchaft und ohne 
einen einzigen Mann verloren zu haben. Bet unjerer Ankunft 
erfuhren wir, baß ver Vertrag mit Siam Anfang Februar 




























310 


abgeſchloſſen worden ſei und die beiden Schif 
Thetis fich bereits auf ver Heimreije befänden. 
Graf Eulenburg war Mitte März von Singar 
nach Berlin gereift und Anfang Mai dort ein, 

Die preußifche Erpebition nach, Oſtaſien ba 
gefoftet; von ben vier Schiffen ift eins nicht 
und von ben 800 Menfchen, welche mit der 
hinausgingen, hat ein ziemlicher Theil fein 2 
wiedergejehen. Die Zahl der Feblenden beträgt 
von jind 42 mit dem Frauenlob verloren gegaı 
bie übrigen durch Krankheiten hingerafft mwurbeı 
ſechs Dffiziere. Große Refultate werben jede 
theuer erfauft, und wir dürfen die Ergebniffe 
groß nennen, wenn nicht für die Gegenwart, | 
Zukunft Deutfchlands und feines Handels. Q 
Verträge geichloffen, Die, wenn fie richtig bemut 
unberechenbare Tragweite haben. Wir haben 
gezeigt, daß bie unter ihnen wohnenden Deutjch 
haben, bie ihnen Schuß angebeihen laſſen u 
pertreten wird. Die Deutfchen in China, Jap 
ſelbſt find durch die gejchlojfenen Berträge a 
andern Boden gejtelt. Wo fie früher nur g 
haben fie jest ein Necht zu fein; fie find ven 
ten Nationen gleichgeitellt und haben nicht mel 
Schutz und Hülfe bei fremben Couſuln und 
betteln, 

Die Erpebition hat ferner den Deutjchen 
eine genaue Einficht in die dortigen Berhältnifi 
hat den Weg zu directen Handelsverbindungen 
bern gebahnt und der deutſchen Induſtrie meu 
eröffnet, Die preußifche Regierung hat bejchl 
heres und mehrere fleine Schiffe hinausſch 
Verträgen Geltung zu verfchaffen und ven Deut 





311 


Schub zu gewähren. Es bleibt daher nur zu wünfchen 
bie deutſchen Kaufleute felbft nunmehr das Ihrige thun. 
habe gezeigt, wie es uns möglich ift, mit allen Natioı 
Dftafien zu concurriren, fie zu verbrängen und jelb 
England einen erfolgreichen Kampf um den Xöwene 
am chinefifchen und damit am Welthandel zu führen. 

viel können dazu die Negierungen, viel der Zollvereii 
die Hanvelscorporationen thun, aber Eins und das 
tigfte ift Sache ver Kaufleute felbft: fie müſſen reel 
Der Mangel an Reellität hat dem beutjchen Handel 
unberechenbaren Schaden gethan. Die Neellität ver 
länder ift das Geheimniß ihrer Hanvelserfolge im : 
und folange wir darin ihnen nachjtehen, werben um: 
Verträge nichts nugen. Der Chineſe läßt ſich einmal 
das Licht führen, aber nicht wieder. Es verloden ihn 
niedrigen Preife dazu. Der Afiate zahlt baar und t 
aber er verlangt gute Waare und daß eine beftimmte $ 
auch unverändert dieſelbe Waare enthalte. Iſt er 

überzeugt, fo fauft er ungefehen nur nach der Marke; 
er einmal getäufcht, jo fommt er nie wieber. 

Hiermit fchließe ich meine Mittheilungen über bie preı 
Expedition. Ich babe den Lefer viele Zaufende von 
weit in ferne Gegenven geführt, die bisher nur theilmweif 
ſehr unvolffommen befannt waren, und habe verfucht, 
‚ein Bild von jenen fremden Ländern und Völkern zu 
werfen. Mein Beitreben war e8, neben der Schilderun 
Neuen und Intereffanten, das fich dem Beobachter auf 
Reife in fo reihem Maße bot, befonders auch die Vor 
darzulegen, welche ſich in handelspolitiſcher Beziehung c 
preußifche Expedition fnüpfen, und die Deutfchen voı 
großen Wichtigkeit des Unternehmens für das gemeinfam 
terland zu überzeugen. 





312 


Dem freundlichen Leſer aber, ver uns ai 
begleitet, Freude und Leid im Geifte mit und 
ich meinen Danf dafür aus und fage ihn 
Lebewohl! 


Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. 





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Universiry of California | 
Berkeley 





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