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Full text of "Die Religion und Mythologie der Griechen"

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■^ 



ot tbe 

Tanivcreiti? of Mieconetn 

A oirr moy thc library or 

WILLIAM F. ALLEN 

PROPEtBOR IN THE UNIVERBlTY OP WIBCONBIN 

1867 TO 1889 




oogle 



* 




Jll, //^^ 



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DIE 



RELIGION UND MYTHOLOGIE 



DER 



GRIECHEN 



VON 



J. A. HÄRTUNG. 



Motto: 
Kdnnt^ ich Magie von meioem Pfiul entfernen 
Die Zaubenprfiche gani und gar Terlemcn: 
Stund ich, Natur, vor Dir ein Mann allein, 
Da w&r*i der MOhe werth ein Mensch xu sein | 



ERSTER THEIL. 

NATUKGBSCHICHTE DER HEIDNISCHEN RELIGIONEN , 
BESONDERS DER GRIECHISCHEN. 



LEIPZIG, 

VERLAG VON WILHELM ENOELMANN. 

1865. 



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286733 
m Z2 1925 

- DEM VETERAN 

»-^ 

UNTER 

DEN JBZT LEBENDEN 

UNSTERBLICHEN DICHTERN DEUTSCHLANDS 

H£ERN GEHEIMEATH 

W FMEDMCH RÜCKERT 



ZUM ANDENKEN 

AN VIEUÄHRIGE FREUNDSCHAFT 

HOCHACHTUNGSVOLL UND DANKBARST 

GEWIDMET. 



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Hochzuverehrender Herr und Freund! 



Ein Buch welches seine Entstehung Ihrer Anregung und 
seine Gestaltung und Vollendung Ihren belehrenden Gesprä- 
chen dankte muss auch billig Ihnen gewidmet werden, wenn 
Sie es anders nicht verschmähen, bei dem Kinde eines Vaters, 
dessen Erzeugte nicht alle wohlgerathen sind, Pathenstelle zu 
vertreten. Wenn wir auf mythologische Gegenstände zu spre- 
chen kamen, pflegten unsere Urtheile über die nöthigenGnmd- 
ansichten übereinzustimmen, und dabei geschah es einmal (es 
war im Sommer 1859) dass Sie, Ihre Unzufriedenheit äussernd 
über die Deutungsversuche eines neueren vielverbreiteten my- 
thologischen Werkes, Ihre Kede mit der Aufforderung an mich 
schlössen, dass ich eine griechische Mythologie schreiben solle ! 
Durch Ihr Zutrauen bewogen, hab' ich die Arbeit unverzüglich 
begonnen, und ohngefar in Jahresfrist war der erste Entwurf 
vollendet, so dass ich Ihnen bereits im Sommer 1860 die Dar- 
legung der Grundsäze meiner Behandlungsweise als Einlei- 
tung vorlesen konnte. Die darauf folgende Erweiterung dieser 
Einleitung sammt vollständiger Umarbeitung des ganzen Wer- 
kes, welche mich abermals ein Jahr lang beschäftigte, richtete 
sich vorzüglich n%ßh Ihren Bemerkungen. Auch bei dieser 
zweiten Durcharbeitung hatte sich der Stoff noch nicht so 



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VI 

vollständig übersichtlich zusammenlegen und zu einem organi- 
schen Ganzen gestalten lassen ^ dass mir kein Zweifel mehr 
über die Richtigkeit alles Einzelnen und seine Stellung zu 
dem Ganzen übrig geblieben wäre. Denn es war keine Klei- 
nigkeit ^ erst jedem einzelnen Gott und Heros nach eigner 
Forschung sein Wesen aufzuschliessen , sodann das Gleichar- 
tige zusammenzuordnen ohne Synkrasie^ und das Verschiedene 
zu scheiden mit Beachtung der überall in allem Organischen 
vorhandenen unmerklichen Uebergänge, und so endlich die 
richtige Gliederung zu dem Aufbau des Ganzen zu gewinnen, 
dass die Theile einander heben und tragen , das Einzelne von 
dem Ganzen Licht gewinne und das Ganze wieder in jedem 
Einzelnen seine Bestätigung finde. Wie sehr meine Arbeit in 
allem diesen von allen früheren mythologischen Werken sich 
unterscheidet, kann daher schon aus der Eintheilung des Stof- 
fes entnommen werden. Um es aber rund heraus zu sagen , so 
lassen die Abweichungen in folgende Punkte sich zusammen- 
fassen: 

Die früheren Untersuchungen gehen alle von einer 
bildlichen AufOetssung des Begriffes Mythus aus, indem sie 
darunter allegorische Erzählungen verstehen, was sie so wenig 
sind wie irgend eine Erzälung des alten oder neuen Testa- 
ments. 

Meine Vorgänger halten sogar die Götter für Allego- 
rien, was sie doch zu keiner Zeit gewesen sind, selbst die 
moralischen Gewalten , der Eros , die Ate , die Dike u. s. w. 
nicht, sondern Dämonen so gut wie die physischen. 

Sie nehmen das S y m b o 1 für ein beweisendes oder beleh- 
rendes Zeichen, während es ein versicherndes Unterpfand ist, 
uncl nicht sowohl etwas bedeutet als etwas gewährt und ist. 
Ihnen allen ist die R e 1 i g i o n ein Erzeugniss müssiger Specu- 
lation und bilderdenkenden Philosophirens , während ich sie 
vielmehr für ein Bedürfhiss des menschUq^en Gemüths und 
für einen mit einem Gott geschlossenen Bund erkläre. 



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vn 

Sie bemühen sich alle bloss um Deutung *derGötterge- 
schicbten, während sie die Heroen- Geschichten entweder 
wie Grimms Volksmahrchen ohne Au&chluss nach einander 
erzälen in der Verbindung in welche sie von den alten Logo- 
graphen gebracht worden sind , oder für entstellte Geschichte 
halten, und einen historischen Kern hexauszuschälen bemüht 
sind, der niemals drinnen gewesen ist. 

Dieses Werk ist daher die erste Tollständige Auslegung 
der Heroen-Sagen, und diese Sagen sind mit den Götterge- 
schichten zugleich abgehandelt, weil, was ja in anderen Mytho- 
logien bereits erkannt worden ist, die Heroen verkommene und 
verdunkelte Götter sind, imd die Deutung ihrer Mjrthen einen 
Schlüssel gibt zur Deutung der Göttersagen selbst , während 
diese wieder zur Deutung jener behilflich sind. 

Meine Vorgänger haben femer den Unterschied zwischen 
Dichter-Erzälimgen und Tempelsagen unrichtig gefasst, und 
nicht genug erwogen, dass der Dichter die Sagen nach seinen 
eigenen Zwecken, unbekümmert um deren mystische Bedeu- 
tung, verändern muss. Sie unterscheiden nicht zwischen 
Glauben und Dichten, und wollen den Glauben aus dem 
Dichten entstehen lassen, anstatt umgekehrt. 

Sie bringen femer die Mythen nicht in die gebüh- 
rende engste Verbindung mit den gottesdienst- 
lichenSymbolen und Ceremonien, welches mir der rich- 
tigste Weg zu ihrer Deutung scheint, und wesshalb mirPausa- ' 
nias für wichtiger gilt als Homer und Hesiod. 

Kurz, meine Vorgänger stehen theils auf dem Standpunkte 
rationalistischer Wundererklärungen und Verwandlung my- 
thischer Erzälungen in historische Facta , theils werden sie 
von romantischer Bewunderung des Aberglaubens beherrscht, 
imd sind darum unvermögend, weder diesen von echter Reli- 
gion , noch auch echte Religion von Wissenschaf): und Philo- 
sophie zu imterscheiden , sondern Alles liegt untereinander 
so dass Eines mit dem Andern verdorben wird. 



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VIII 

Es scheint mir darum doch endlich an der Zeit mit mei- 
ner Arbeit, wie sie auch sein mag, hervorzutreten, zumal wenn 
ich sehe, dass man noch ausländische Forschungen , wie die 
von Gladstone über Homer, worin ein massiger Irrthum mei- 
nes seligen Freundes Nägelsbach auf die Potenz erhoben 
wird, für übersezungswerth achtet , und wenn ich sehe wie 
die Aufwärmung des alten Irrthums in allemeuesten poetischen 
Naturanschauungen immer noch Verleger und liCser findet. 



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INHALT. 



L ABSCHNITT. 

OBER DIE ENTSTEHUNG UND WEITERBILDUNG DER RELIGIONEN. 

A. VON DEK ENTSTEHUNG DER RELIGIONEN. 

Seite 

1. Die Religion ein Bund und ein Erziehungsmittel 1 

2. Der Staat als Kirche 6 

3. Veränderungen und Wandelungen göttlicher Personen 7 

4. Die Symbolik 9 

5. Vermenschlichunff 14 

6. Die Vermenschlicnung ist der Religion nothwendig 18 

7. Dieselbe in der Wissenschaft unzulässig 22 

8. Es gibt keine eigentlich monotheistische Reli^on 28 

9. Der Monotheismus ein Erzeugniss späterer Zeit 32 

10. Die Schöpfungi4i;e8chichten 36 

11. Flüssiffes imd Consistentes in den göttlichen Persönlichkeiten . 38 

12. Variationen des Glaubens und der Mythen 41 

13. Anströmen und Rückströmen der göttlichen Persönlichkeiten . . 43 

14. Die heidnischen Religionen weisen auf keine historische Uroffen- 

barung zurQck 45 

15. Unterscheidung sog. geoffenbarter und natürlicher Religionen . . 48 

16. Der Anfang der Religionen war nicht Speculation 49 

17. Die Religion aus dem Bedürfniss eeboren und im Herzen erzeugt 51 

18. Der Anfang der Religionen war mchtBilderdenken 55 

19. Anhang: Ueber das Avesta 58 

B. VON DER WEITERBILDUNG DER RELIGIONEN. 

1. Glaube imd Aberglaube 62 

2. Wie die Griechen den Aberglauben überwunden haben 66 

3. Der Asiatische Aberglaube 68 

4. Die Oiphiker und Pythagoreer 73 

5. Die Pnesterherrschait und die Reformatoren 78 

6. Das Volk und die Menschenopfer 81 

7. Veredlung der Religions-Formen durch die Kunst 85 

8. Die Religion bei den Griechen durch die Vernunft veredelt ... 88 

9. Homer und seine Götter 90 

10. Li der Hellenischen Religion keine Teufel und keine Entselbstung 98 

11. Die Heiligen und die Reaction 100 

12. Die Mysterien 105 

13. IMe Tragödie 109 

14. Die Wissenschaft und die griechische Religion 115 

15. Allmähliche Auflösung der alten Religionen undUebergang in die 

sog. christliche 118 



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X Inhalt. 

n. ABSCHNITT. 

ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND WEITERBILDUNG DER MYTHEN. 

A. VON DEM URSPRUNG DER MYTHEN. 

1. Bild und Mythu« 122 

2. Allegorien von Dämonen z« unterscheiden 127 

3. Bild und Symbol 133 

4. Ceremonie und Magie 135 

5. Die Orakel schaffen die Zukunft 138 

6. Die Mythendeutung und Ä^hen-Dichtnng 140 

7. Beispiele späterer Mythen-Schöpfiing 142 

8. Das Mährchen . ?^:.HtytK 4 ^^H^<>/^. ^h^^^^ • 144 

9. Beispiele verfehlter Mythendeutung. • • ; 148 

10. Präaikate der Götter und Symbole. Die Rinder des Sonnengottes 151 

11. Die Kuh, der Eber, der Löwe, die Schlange etc., als Symbole . . 154 

12. Die Quellen philosophischer Mythen 158 

13. Ueber das eigenthümliche Wesen solcher My*then ..... ^ . IGl 
II. Die Mythen von der Schöpfung^ .• • • ^^ 

15. Die Mythen von der Sinfluth bei den Parsen und den Assyrien . 166 

16. Die Hellenischen Sagen von Menschenschöpfung und Sündenfall. 170 

17. Der Prometheus bei Hesiod 173 

18. Phoroneus 175 

19. Pandora 177 

B. VON DER WEITERBILDUNG DER MYTHEN. 

1. Legenden und Dichter-Erz&lungen 178 

2. Wie man Dichtei^Sagen zu behandeln hat 182 

3. Unterscheidung von Legenden und Mythen 184 

4. Unterscheidung zwischen Glauben una Dichten 185 

5. Die Elementen-Geister und die Hellenischen Götter 187 

6. Wie Homer und Hesiod den Griechen ihre Götter geschaffen haben 192 

7. Die menschlichen Götter und die Humanität 195 

8. Vor- und Nachhomerisches 197 

9. Die Heroengeschichten waren Göttergeschichten 200 

10. Wie die Götter zu Heroen herabgesunken seien 203 

1 1 . Mythen sind nicht in Geschichten zu verwandeln 205 

12. Historische Namen werden mythischen, mythische hermachen sub- 

stituirt 207 

13. Angebliche Vergötterung wiehtig^ Erfindungen 210 

14. Geschichten als Mythen anzuerkennen 213 

15. Ueber die herrschenden Methoden, Heroengeschichten and My- 

then zu behandeln 213 



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I. Abschnitt. 

Ueber die Entstehung und Weiterbildung der 

Religionen. 



A. Von der Entstehung der Religionen. 

1. Me Religion ein Band and ein Ersiebiiiigfimittcl. 

Die Naturkundigen alter und neuer Zeit*) lehren uns, dass 
wir mit unseren Sinnen nicht die Dinge an sich sondern nur 
den Eindruck der Dinge auf unsere Organe wahrnehmen, 
mithin nieht die Dinge selbst, sondern vielmehr nur uns 
selbst in den Dingen oder die Zustände unserer Organe em- 
pfiiMien, wie sie von den Dingen veranlasst sind. Und die Phi- 
losophen sagen uns, d^ss die Begriffe ßaum und Zeit, in de- 
nen wir die von unseren Sinnen empfangenen Eindrücke der 
Aussenwelt uns zurechtlegen, keineswegs Objecte unserer un- 
mittelbaren Wahrnehmung, sondern nur Formen unserer An- 
schauung und Bestimmungen unseres Denkens seien, mithin 
auch die Gesetze des natürlichen Skisammenhanges der Dinge 
nur in unserem Denken exi&tiren, wenigstens ihre Realität 
nicht nachgewiesen werden kann, weil unser Ich niemals aus 
sich selbst und dem Reiche seiner Gedanken heraustreten 
kann. Sollte es mit imserem geistigen Fühlen anders , als mit 

1) Bereits die Cyrenaisehe PhilodophenachuW im Alterthum war lu 
dieser Erkenntiiiss vorgedrungen : Cic. aoad. pr. II, 24, 76. 
Härtung, Bei. n. Mythol. d. Gr.I. 1 



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2 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

unserem sinnlichen Empfinden und mit unserem Denken be- 
schaffen sein? Muss es nicht eben so subjectiv, innerlich^ 
durch die Organe der geistigen Auffassung bedingt sein und 
bleiben? Lediglich aber um das Fühlen handelt sichs, wenn 
man nach dem Ursprung der Religionen fragt , nicht um das 
Denken^ aus welchem in der ganzen Welt noch niemals eine 
Religion sondern immer nur philosophische Systeme hervor- 
gegangen sind. Die Philosophie aber oder die Wissenschaft 
kann nie etwas anderes als einen Zusammenhang von Ursachen 
und Wirkimgen, eine Kette von Gründen und Folgen in al- 
len Erscheinungen nachweisen^ und wird stets Alles auf orga- 
nisch wirkende unwandelbare Geseze zurückfuhren müssen^ 
mithin die Götter in Ruhestand versezen. Wenn aber bei 
dem unpersönlichen Gedankengotte und der sittlichen Welt- 
ordnung , welchen der Pantheismus uls den Grund der Welt 
und als die zusammenhaltende Einheit sezt^ selbst in unserem 
denkenden Zeitalter die Wenigsten sich beruhigen mögen, son- 
dern einen thätig eingreifenden, d. h. wunderthätigen, und vor 
allem einen ihnen ganz besonders angehörigen Gott für ihr Herz 
verlangen; so ist leicht einzusehen, wie unmöglich die Vor- 
stellung eines derartigen Gedanken -Wesens den Menschen 
der Urzeit gewesen sein muss, oder, wenn sie einen solchen 
Gott sich denken konnten, wie unmöglich er ihnen genügen 
konnte, Menschen, denen der Instinct Alles \md Nichts die 
Reflexion war, und die, von den Eindrücken der nächsten Um- 
gebung beherrscht, überhaupt zu keinem zusammenhängen- 
den Ueberblick sich erheben konnten > wenn anders ihre Be- 
dürfhisse ihnen Zeit dazu liessen. Nothwendig musste auch 
Alles was mit unwiderstehlicher Macht auf den Naturmenschen 
wirkte, ihm als mit einer geistigen Macht belebt erscheinen, 
indem er, wie gesagt, sich selbst in den Dingen empfindend, 
weit weniger zur Ahstraction geneigt und fähig war. Wenn 
er von einem Dinge, sei es angenehm oder unangenehm be- 
rührt, verlezt oder erfreut, beglückt oder gequält wurde, wenn 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 3 

68 eine Macht übte, welcher er unfähig war zu widerstehen, 
so konnte er nicht anders als diesen Gegenstand als belebt sich 
vorstellen, und die unergründlichen Mächte, die ihm zu stark 
waren, als Dämonen anerkennen. Indem er aber von einer 
doppelten Natur , der äusseren und der inneren , von der Ge- 
walt der Elemente und der Gewalt der sinnlichen Triebe, sich 
beherrscht fühlte, so musste er ebensowohl »die geheimen 
tiefen Wunder der eigenen Brust« wie die unbegriffenen Er- 
scheinungen der Aussenwelt anstaimen furchten und verehren. 
Also füllte sich die Schöpfimg um ihn sowohl als in ihm mit 
Geistern oder Dämonen, deren theils wohlthätige theils schäd- 
liche "Wirkungen allenthalben zu erkennen waren. 

Mit diesen Wesen nun , wenn man weder mit List noch 
mit Gewalt über sie Herr werden konnte, musste ein fried- 
liches imd freundliches Abkommen getroffen werden. Von Ver- 
suchen, Dämonen, Riesen und Zauberern mit List und Gewalt 
Vortheile abzutrozen, wird in allen Volkssagen viel erzält, 
doch mehr noch von freundlichen Verhältnissen, die durch 
Graben, d. h. Opfer, und Bitten oder Gebete gewonnen waren. 
Man sucht die Gunst und den Beistand einiger zu gewinnen, 
wenn es nicht möglich ist allen gerecht zu werden. Also 
8chlies8t man zuerst mit einem Haus- und Familien- Gotte 
einen Bund, oder vielmehr der Gott selbst schliesst diesen 
Bund mit seinem Verehrer, so wie Jehovah mit Noah und mit 
Abraham ; und das ist der Begriff des Wortes religio , welches, 
von ligare stammend, unserer Beweisführung zur Stüze dient. 

Monotheistich, aber nicht theistisch, beginnt jede Religion 
des einzelnen Menschen , der sich einen Schutzgeist erwählt 
oder von ihm erkoren wird, wie ja noch die Homerischen Hel- 
den alle an einzelne, ihnen eigene, Schuzgötter^sich halten. 
Polytheistisch wird die Religion erst dann, wenn mehrere 
Stämme mit ihren Schuzgeistem zu einer Gemeinde zusam- 
mentreten, vorausgesezt, dass keine auf ihren eigenen Gott 
und auf ihre eigenen Rechte eifersüchtige Priesterschaft die 

1» 



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4 I- lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Aufnahme fremder Götter hindert. In dieser Weise sind die. 
vielen Stadt- und Landes- Götter der griechischen Stämme» 
als die Hellenen ihver Einheit gegenüber den Barbaren sich 
bewusst geworden waren, in dem griechischen Olymp vereinigt 
worden']: den Bömem aber sind frühzeitig ihre angestamm- 
ten Götter überdeckt und verschüttet worden von dem aus 
allaoL Ländern und Völkern zuströmenden fremden Götter- 
Gemengsel. Polytheistisch gestaltet ist auch bereits die Sage 
von einem Compromiss der griechischen Götter mit den Men- 
schen bei Hesiod 0. 535, welche oben darein von einer Ueber- 
hebung der Menschen zeugt') . Die Götter , so heisst es dort, 
wollten sich mit den Menschen auseinander sezen^), nämlich 
über ihre Rechte und Forderungen an die Menschen ; und da- 
bei wurde Zeus vom Prometheus hinter das Licht geführt, 
der eine partheiische Theilung des Opferfleisches ihm auf- 
BÖthigte*). Monotheistisch dagegen und fromm ist der Ver- 
kehr des Gesezgebers Minos mit Zeus in der Idäischen Grotte: 
überein war auch das Verhaltniss des Tantalus zum Zeus ur- 
sprünglich gemeint, obgleich die Sage auch hier einen Betrug 
in der missverstandenen Sohnes-Opferung angeheftet hat. Von 
Numa und seinem Verhaltniss zur Egeria und noch von ande- 
ren derartigen Religions- Stiftern zu reden wäre hier zu weit- 
läufig. 

Es ist eben so wahr, dass die Götter nach dem Bilde der 
Menschen, vde dass die Menschen nach dem Bilde der Götter 
gemacht sind, imd aus dieser Gegenseitigkeit folgt, dass stets 
die Götter, ihren Verehrern entsprechend, roh und blutdürstig 
bei blutdürstigen Wilden, mild und edel bei den edleren Völ- 
kern sein müssen®). Aber trozdem, wie sie auch nur sein 



2) Vgl. Juven. 13, 42—52. 

3) Vgl. Schömann, Gr. Alt. n. p. 134 f. 

6) Euripides Iphig. T. 390. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 5 

mögen, müssen sie stets einen bildenden Einfluss auf den treu 
ergebenen Menschen üben darum , weil dieser in ihnen seine 
Ideale findet. Und mögen auch immer zuerst Furcht und Vor- 
theil den Bund geschlossen haben , so kann es doch nicht feh- 
len, dass nicht bald auch Liebe und Dankbarkeit sich einstelle, 
weil doch der Wohlthaten mehr als der (geduldeten oder ver- 
hängten) Uebel sind, und jeder Mensch in seinem Leben es 
öfter erföhrt, dass er aus rettungslos scheinenden Ge&hien 
und Nöthen umverhoflt durch die Hand seines Gottes sich er^ 
löst siht. Dabei kann er nicht umhin , das Gute was ihm su 
Theil geworden ist als göttlichen Segen imd Belohnung seines 
Rechtäiuns, und dagegen das Ueble als Strafe begangen«: 
Sünde anzusehen. Wenn also auch bei Abstumpfung des Ghe^ 
Wissens der Gott im Innern des Menschen nicht mehr ver- 
nehmlich spricht, so wird dieser doch noch den ausser ihm 
waltenden Gott furchten und um dessen Ghiade nicht allein 
durch Opfer und Gebete sondern auch durch Rechtschaffenheit 
und Frömmigkeit sich bewerben müssen. Nun gibt es aber keine 
Zeit und keinen Baum und keinen Zustand menschlicher Exi* 
stenz, der von der Gegenwart göttlicher Wesen frei wäre : also 
ziehen die Götter mit den Menschen in ihre Wohnungen ein 
und umschweben sie Tag und Nacht , sie zeigen den Ansied- 
lem die Stätten wo sie sich anbauen sollen , lassen sich mit 
ihnen nieder in Hainen und Tempeln, auf Auen und Höhen, 
beschirmen die Burgen und walten im Haus und 'auf den 
Strassen. Also werden sie auch mit Recht als die Gründer der 
Staaten und Gesezgeber betrachtet. Und so ist die Religion, 
so wie die Sprache, zugleich mit dem Eintritt des Menschen in 
die Menschheit, d. h. mit dem Beginn des gesellschaftlichen 
und staadichen Lebens, entstanden, und gehört so wesentlich 
zur Existenz des Menschen wie die Unterscheidung von Recht 
und Unrecht , durch welche die bürgerlichen Gemeinden be- 
stehen : endlich umffisst sie alles Hohe und Heilige , was dem 
Menschen die Herrschaft über seine Behörden verleihen, was 



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6 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

ihn über ihn selbst erheben , was ihn selbst zur Aufopferung 
seines Lebens für das Glück seiner Mitmenschen begeistern 
kann. 

Z. Der Staat als Kirche. 

Es hat eine Zeit gegeben, wo man die Beligionen von 
staatsklugen Männern, welche einsahen, dass die Massen ohne 
einen übermenschlichen Zaum sich niclit lenken lassen, erfun- 
den sich dachte, und mittelst einer Art von Heuchelei und 
frommen Betrugs, genannt Accommodation, den Völkern ein- 
geprägt. Bald nachher, indem man solche absichtliche Täu- 
schung fiir unvnirdig und des Beispiels wegen auch für gefähr- 
lich erachtete, schien es gerathener, die Beligionsstifter selbst 
mit in die Reihe der Getäuschten zu stellen : also gab man ihnen 
zu ihrerWeltweisheit eine immer dichtende kindliche Phantasie, 
kraft deren alle ihre Gedanken als Bilder zur Welt kamen, 
imd in dieser Gestalt den Völkern mitgetheilt wurden, woraus 
nun sofort die Götter mitsammt den Mythen und gottesdienst- 
lichen Ceremonien hervorgegangen sein sollten. Entgegen 
diesen Erzeugnissen des Bationalismus und der Romantik 
haben wir nun bereits erkannt, dass die Religion ein unmit- 
telbares Product der Menschwerdung des Menschen war, imd 
dass diese Menschwerdung zusammentrifit mit der Entstehung 
patriarchischer und staatlicher Gemeinden, mit denen zugleich 
auch Gesezgebung und Moralübxmg nothwendig wurden. Ob 
es je einen anderen menschlichen Zustand vor diesem gegeben 
hat, und ob man so einen Zustand einen thierischen oder 
einen englischen und paradiesischen nennen müsste (in den 
griechischen Mythen finden sich immer beiderlei Aiiffiaäsungen 
vereinigt) braucht ims hier nicht zu kümmern. Jedenfalls 
wäre derselbe ein sündloser gewesen (denn auch das Thier ist 
sündlos, weil willenlos) , und somit auch frei von den Uebeln, 
welche der Gebrauch der Vernunft in der Willensfreiheit 
sammt der Erhebung über den Instinct und der zugreifenden 



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A. Von der Entstehung der Religionen. ^ 

Begierde den Menschen gebracht hat. Mit der Sünde und 
ihren Folgen (Grram^ Kummer, Mühen und Krankheiten] war 
aber auch sogleich das Heilmittel gegeben^ und dieses Heil- 
mittel war eben die Religion^ welche den armen Sterblichen 
in der Gemeinschaft mit den seligen Göttern zeitweilige Wie- 
derkehr jenes verlorenen paradiesischen Zustandes, von dem 
die Sagen der Vorzeit erzählen, bei den Festfeiem gewährte, 
und eine vollständige Wiederbringung desselben am Ende 
aller Tage verhiess. 

Der in solcher Weise auf Religion gegründete Staat war, 
nach unserer Art zu reden ^ eine Kirche. Zur Unterhaltung 
lebendigen Verkehrs und beständiger Gemeinschaft mit den 
Göttern dienten die Zeichendeuter ißovteig] , die Beter [aQfjrrJQeg) 
und die Opferer (Ugelg) , und als Unterpfander dieser Gemein- 
schaft gebrauchte man die Symbole, an welche, als gottes- 
dienstliche Verrichtung, die Ceremonien, und als belehrende 
Auslegungen, die heiligen Geschichten oder Mythen sich 
knüpften. Von allem diesen werden wir abgesondert ausführ- 
lich in den folgenden Capiteln zu sprechen haben: unsere Ein- 
leitung wird demnach naturgemäss in zwei Theile zerfallen, 
deren einer von der Beligionsübung, den Ceremonien und 
Symbolen, der andere von den Glaubensbekenntnissen oder 
Mythen zu handeln hat: und in einem jeden dieser Theile 
wird wieder abgesondert von der Entstehung und von der 
Weiterbildung zu sprechen sein. 

3. VerttnderaBgen mid Wandelangen göttlicher Personen. 

Der Staat ist eine Anstalt zur Menschenerziehung theils 
durch seine Geseze und theils durch seine Götter. Die Ge- 
seze wirken blos hindernd und verbietend, aber der Glaube 
wirkt fordernd und belebend. Zufolge der Vielseitigkeit der 
Menschen-Natur, indem ein jeder seinen besonderen Gott 
nach seinem eigenen Naturell gestaltet, entsteht auch eine 
Vielseitigkeit imd Mannichfaltigkeit göttlicher Vorbilder*, und 



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8 I. lieber die fiotstehung und Weiterfoildang der Keligionen. 

dieser YorhilAet bedarf ein Volk, damit jeder Einzelne nach 
seiner «ngeborenen Bichtung, nadb Stand und Bemf, Neigung 
und Anlage, im Himmel seinen Vertreter finde ^). Es gehört 
daher zur VoUkammenheit eines jeden Götter- Hinnnris, eu» 
gewisse Vollständigkeit göttlicher Personen zu beateen: und 
damit diese zu Stande komme, muss eine Art g^enseitiger 
Ausgleichung und Ergänzimg unter den göttlichen Wesen 
eintreten. Und das ist nicht schwer, indem ein jeder Gott 
einerseits die Fähigkeit besizt, durch Uebemahme von Aem-* 
tem sein Wesen bis zum Weltengott zu erweitem, und ander- 
seits auch die Nachgiebigkeit, um eingedrungenen Doppelgän- 
gern einen Theil seiner Be^gnisse abzutreten. Dazu koimnt, 
dass die Götterwelt, so wie sie in allem analog und entspre- 
chend der Menschenwelt lebt und waltet , also auch eine Art 
von Staat imter einem Oberhaupte bildet mit Classen ujid 
Ständen von Dämonen, die in allen Elementen walten imd je 
nach ihrem Stand imd Beruf auch schwächer oder mächtiger 
sind. Es gibt aber immer zwei Reiche, des Lichtes und der 
Finstemiss, der Lebendigen und der Todten, die sich mitunter 
auch nach der moraHsohen Schäaung in Beiche des Gkiten 
und des Bösen scheiden. Und im Beiche des Lichtes tritt 
wieder ^ne Scheidung nach den Elementen ein , so dass es 
Luft-, Erd- und Wassergeister gibt; die Luftgeister sind die 
ursprünglich himmlischen, die Erdgeister stehen mit den 
unterirdischen in der nächsten Berührung, doch sind sie auch 
aus dem Hinunel nicht ausgeschlossen, so wenig als die Fluss- 
und Seegötter. Ueberhaupt aber ist kein Reich von dem an- 
deren völlig abgeschlossen, und das ist natürlich, weil ja auch 
das Leben dem Tode verfallt imd vom Tode Wiederkehr zu 
neuem Leben mögüeh ist, \md weil die Elemente alle sich ge- 
genseitig halten und stüzen, so dass also ein Gott verschie- 



7) Plin. H. N. n, 5, 16 Mqfor coditum numerus eUam quam homi- 
num intelligi potest, quum singuli quoque ex semet ipsis totidem deos facir 
ani eic. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 9 

denen Reichen angehören und audi ver0chiedene Wandeliingien 
eingehen kann. Die Yenrandlungen nnd Zertheilungen^ die 
Yerfestungen des Anfangs Flüssigen , die Verwitterungen, 
Zertriiniinenmgen , Uebersohüttungen, und dann wiederum 
der ^v^n Diditem und Kilnsüem bewirkte Neubau aus den 
Ruinen haben die alten Myäiologien und Rddgionen zu biero- 
glyphisch^fi Rätbseln für den Forscher gemacht. Doch dürfen 
wir an deren Aufischliessung trozdem nicht verzweifeln, wenn 
wir nur den rechten Schlüssel finden : der Schlüssel aber ist 
nicht in müssigen Speculationen zu suchen, sondern in den 
Bedürfnissen des Bftenschlichen Herzens und der mensch- 
lichen Natur: und das ist zunächst die Erkenntniss, wo- 
durch sich unsere Arbeit von den Arbeiten unserer 
Vorgänger unterscheidet. 

4. SymWIfk. 
Heyne hat zuerst die Ansicht angestellt, dass die Mytho- 
logie eine bildliche Sprache sei, in welcher die ersten Lehrer 
der Menschheit ihre Ideen über Gott und göttliche Dinge, ihre 
Weisheit und Erkenntniss überhaupt, ausgeprägt hätten, um 
sie den Unmündigen mitzutheilen. Diese Ansicht , einige im- 
wesentliche Abänderungen abgerechnet, hat bis auf den heu^ 
tigen Tag sich erhalten, die unwesentlichen Abänderungen 
aber , welche sie im Laufe der Zeit erfahren hat , sind theils 
Verbesserungen , theils Verschlimmerungen zu nennen. Eine 
Verbesserung war ohne Zweifel die Erkenntniss, dass die Reli- 
gion und die Mytiien keine absichtliche Erfindung seien, und, 
wenn Dichtung, doch keine bewusste, sondern eine eben so 
unwfllkärlich und nothwendig aus dem menschlichen Geiste 
hervorgequollene, wie die Sprache und Anderes was zum Be- 
griff Mensdi gehört. Eine Verschlimmerung aber war die mit . 
der Identitäts-Phik)S(^hie herrschend gewordene Ansicht von ! 
einer reineren Urreligion und einem erleuchteten Urvolke, 
odann von einer geschehenen Trübung und Zertrümmerung 



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10 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

jener Urweisheit, die sich in den Asiatischen Priesterschaften, 
in den Mysterien u. s. w. fortgepflanzt habe. In dieser Schule 
ist die Symbolik förmlich zum System ausgebildet worden 
von G. Fr. Creuzer, gegen den wir uns daher wenden müs- 
sen, wenn wir die Quelle des Irrthums aufieeigen imd wider- 
legen wollen. Es ist der Mühe werth zu sehen, durch welche 
Sprünge Creuzer sogleich bei der Erörterung der Begriffe 
Symbol und Mythus in den Irrthum sich hineingestürzt 
hat. Das Wort av/ußolov kann nur missbräuchlich zuweilen 
für ein beweisendes Zeichen- [argumentum, arjfuiov) ge- 
braucht werden : sonst bedeutet es immer ein Recht- und An- 
spruch -sicherndes UnterpfSuid, und bezieht sich (wie schon 
seine Abstammung zeigt) auf einen Vertrag oder Bund oder 
ein auf Treu und Glauben beruhendes Yerhältniss Zweier. Es 
sezt also femer die Existenz eines Rechtszustandes und den 
AnfiUig zu einer bürgerlichen Gemeinde voraus. Der Unter- 
schied der zwei Synonyma ist gross, und es gehört gerade kein 
grosser Scharfsinn dazu um ihn zu fstösen. Wenn mir z. B. 
für ein dargeliehenes Capital ein Schein eingehändigt wird, 
so ist dieser Schein nicht bloss eine Urkunde , womit ich die 
gemachte Darleihung beweisen kann, sondern, was weit 
wichtiger ist, auch eine Sicherheit, die mir meinen Besiz 
garantirt, ein Unterpfand, dass mir mein Geld, sobald 
ich es rechtlich fordern kann, zurückgezalt werden muss, 
und ist darum, so lange der Schuldner zalungsfahig bleibt, 
von gleichem Werth mit dem Capitale selbst, wes- 
halb jener Schein auch als sogenanntes Papiergeld veräussert 
werden kann. So war auch die tessera ho^taUs, welche man 
avfißolov nannte , kein blosses Zeichen womit man das Gast- 
verhältniss nachweisen konnte, sondern zugleich ein Unter- 
p&nd, welches dem Reisenden die Aufiiahme in dem fremden 
Haus verbürgte: und von gleicher Art war die tessera der 
Soldaten in der Schlacht und alles was nur immer von den 
Griechen av^ißolov genannt wird. Nun ist , wie wir gesehen 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 1 \ 

hab^i^ die Religion ein Bund mit dem Gott oder ein 
Vertrag mit unsichtbaren Mächten^ und alles was zum Gottes- 
dienste gehört, sei es nun Bild, Reliquie, Fetisch u. s. w. 
oder Yerheissung (Omen) oder heilige , von dem Gott selbst 
oder seinen Mittlem eingesezte Ceremonie (Sacrament) , oder 
Grebetsformel, alles das, sag' ich, vertritt die Stelle eines 
avfißolovj so dass es demjenigen, welcher daran Theil hat (in 
die kirchliche Gemeinde aufgenommen ist) und es gläubig 
gebraucht (denn auf Treue von der einen und auf Glauben 
von der anderen Seite beruht, sagten wir, so ein Yerhältniss) 
den Schuz des treuen Grottes, mit welchem der Bund ge- 
schlossen ist , unter den dabei bedungenen Opfern, verbürgt. 
Hätte also Creuzer nur dieses Wort richtig angesehen, 
und wäre er im Stande gewesen , hier und anderwärts von den 
objeetiven Thatsachen vorurtheilslos sich fuhren zu lassen , so 
war er sogleich auf den richtigen Standpunkt gestellt, von 
welchem aus die Räthsel sich lösen mussten. Allein kaum hat 
er die Bedeutung und Anwendung des Wortes av^ßoXov nach 
dem Lexikon richtig angegeben, so springt er zum arj(,ialov 
hinüber und behauptet, dass das Zeichen im Gegensaz des 
Wesens, das Wort als Zeichen der Sache, das Sinnbild als 
Zeichen einer Handhmg oder Gesinnung mit jenem gemeint 
sei, was doch nie und nirgends, selbst nicht in den von ihm selbst 
angeführten Beispielen eines weiter ausgedehnten Gebrauches, 
der Fall ist : denn wenn z. B. der Epheukranz avfißoXov pUtjg 
*Ia&fiuidog genannt wird, so ist nicht bloss ein beweisen- 
des, sondern auch, gleich einem empfangenen Orden, ein auf 
gewisse Ehrenrechte Anspruch gebendes Zeichen gemeint: 
und so ist auch bei Sophokles Phil. 404 av^ßoXov XvTvqg nicht 
ein Zeichen der Trauer, sondern ein Unterpfand erlittener 
Kränkimg gemeint, welches die damit Begabten dem Philoktet. 
zu Bimdesgenossen macht. Die nächste Folge dieser Miss- 
deutung nun war, dass Cr. die fiavreta zu einer Deutung 
des in seinem Ursprünge Dunklen machte, indem ihm die 



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12 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

»Zeichen und Wunder«, die (pdauava^ ommUf prodigia u. s. w. , 
auch bloss in die Augen fallende 2ieidien von der- 
artigem Dunklen d. h. Göttlichem waren, anstatt dass er 
sie Verheissungen und Bürgschaften für gläubige Em- 
pfanger nennen musste. Also unterschied Cr. femer ein 
discurrives Lehren und ein intuitives. Das erstere (um hier 
sogleich an einem Beispiel zu zeigen , welcher Art seine siim- 
bildemden Symbole seien) schien ihm durch ein Symbol, 
den heiligen Steinhaufen des Hermes (des Lehrers der Beredt- 
samkeit) , bezeichnet , » der das Bild der aus Begriffen zusamt- 
mengesezten Bede und der aus Elementen nach und nach 
zusammengesezten Buchstabenschrift sei« — gewiss redit 
sinnig ! ohngefahr wie wenn man aus einem Stereotypendruck 
der Hias alle Wörter und Wörtchen, von einander gerissen und 
über einander hingeworfen , als ein Sinnbild der Ilias geben 
wollte ! Die intuitive Rede aber schied sich ihm in zwei Untere 
arten, in die symbolische oder mythische und in die 
welche durch Bilder redet, -oder in die Orphische und die 
Pythagoreische. Also war symbolisch- oder mythisch-sprechen 
Eins , und der Mythus war im Grunde nicht verschieden von 
der Allegorie, er war nur eine Species der letzteren. Zum 
.Symbol aber verhielt sich der Mythus wie das Ohr zum Auge^ 
er war in seiner firühesten Erscheinimg das ausgesprochene 
Sjrmbol. 

Die Schelling, die Creuzer, die Görres, die Schubert 
u. s. w. waren es, von denen auch alle die weiteren Behaup- 
tungen , die wir in den folgenden Paragraphen zu widerlegen 
haben, aufgestellt worden sind, von einer ursprünglichen gott- 
ähnlichen, sogar auch mit Wunderkraft begabten, Menschheit 
und einer höheren Offenbarung , die mit dem Sündenfall ver- 
. loren gieng, von der aber die Trümmer sich erhalten haben in 
den Asiatischen Priesterschaften, in den Ueberlieferungen der 
Pelasger und in den Mysterien, von einer vorhellenischen Zeit 
symbolischer Dichtung , in welcher noch Poesie, Philosophie 



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A. VoB der EnUtehnng der Religkmeii. 13 

und Theologie uHgetrennt beisammen lagen , von dem Fort- 
erben der dämonischen 'Vt^detkraft In den Erdorakeln^ sammt 
allen den Phantastereieny welche darauf abzielen mussten^ den 
Aberglauben der Asiaten heilig zu sprechen und dagegen die 
Vernunft, welche in der griechischen Kunst und Wissenschaft 
sich offenbarte, als etwas Profanes erscheinen zu lassen. Alle 
diese Uebel aber sind entstanden aus den misslungenen und 
von Haus her missrathenen Versuchen, aus der Religion Philo- 
sophie und aus der Philosophie Religion zu machen , welche 
Versuche immer damit enden müssen, die Religion an der 
Philosophie und die Philosophie an der Religion zu ruiniren. 
Es wäre nun einmal Zeit, das Thörichte solcher Versuche ein- 
zusehen, um fiir immer davon abzustehen : es wäre Zeit sich 
der Unvereinbarkeit beider klar bewusst zu werden, um einep 
Compromiss zu gegenseitiger Toleranz luid Schonung des bei- 
derseitigen Besizstandes zu stiften. Eine Religion kann es 
einmal nicht geben ohne Personificirung des Absoluten , luid j 
eine Philosophie ist wiederum nicht möglich mit Personifi- 
cirung des Absoluten : aber sie können sich trozdem mit ein- 
ander vertragen, so wie Verstand und Gemüth in einem 
Menschen neben einander walten können, ohngeachtet sie 
meistens sich widersprechen oder beeinträchtigen , und ohn- 
geachtet, in getrennten Richtungen, jener zur Philosophie 
dieses zur ReUgion sich hinneigen. 

»Die Eule siht bei Nacht, der Adler schaut in^s Licht : 
Thun beide, Wissenschaft und Andacht, Gleiches nicht ? 
Von denen jede hat ihr eigenes Gebiet, 
Das der geschieden hat, der Tag und Nacht einst schied. 
Und wer rermischen will die zwei, was kommt heraus ? 
Ein misslich Mittelding, der Dftmmerung Fledermaus.« 

So Rückert: aber schon vor langen Zeiten hat Lessing 
das Gleiche gezeigt und gelehrt, ohne dass man auf ihn hören 
mochte. 



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14 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

5. Die VemeBschlicIiaBg. 

Barbaren hatten versucht 
sich Götter zu machen : 

Allein sie sahen verflucht, 
garstiger als Drachen ! 

Die Aegypter erkannten in Zwiebeln, Lauch und Knob- 
lauch etwas Göttliches , schwuren bei ihnen , als bei Göttern, 
und hielten es für Sünde hineinzubeissen^j , und die Py thagoreer 
rührten aus demselben Grunde keine Bohnen an, weil sie 
glaubten ein Geist stecke darinnen. Solcherlei Gründe, um 
das nebenbei zu bemerken, und keineswegs medicinische 
Beobachtungen oder Nüzlichkeits - Principien, waren die An- 
lässe, manche Speisen zu verbieten, manchen Pflanzen geheime 
Kräfte zur Reinigung, anderen zur l^efleckung zuzutrauen, wie 
z. B. die Mistel Alles heilen konnte bei den Druiden und wie 
mit einem gewissen Kraute sogar Todte auferweckt wurden •) . 
Wo man aber Steine und Pflanzen verehrt (und das thaten die 
Orphiker so gut wie die Aegyptier) , da ist es um so weniger 
zu verwiindem , wenn auch Thiere angebetet werden. Dabei 
ist freilich nie zu vergessen , dass nicht das Thier als Thier, 
sondern der Geist oder Dämon, der in dem Thiere, im Stein 
oder in der Pflanze wohnt, vergöttert wird. Darum bleibt man 
auch nicht bei dem Thiere stehen, sondern macht eine Zusam- 
mensetzung aus Thier und Mensch , indem man .einen Stier-, 
Hund-, Sperberkopf u. s. w. auf einen Menschenleib sezt, 
oder imigekehrt einem Stier oder Boss einen Menschenkopf 
sammt Flügeln ertheilt. Schon diese monströsen Zusammen- 
sezungen bekunden den Trieb , die Götter als Menschen zu 
gestalten, und auf diesem Wege sind die Mannstiere, die 
Mannlöwen, die Greife, die Einhörner, die Cherubim und 
Seraphim entstanden, in denen man also keine Allegorien, 



6) Juven. 15, 9. Plin. H. N. XIX, 32, 101 
9) PUn. H. N. XVI, 95, 249. XXV, 5, 14. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 1 5 

sondern ein Hinstreben aus der Thiergestalt in die Menschen- 
gestalt erkennen muss und einen Anfang , den Grott von dem \ 
Elemente, in welchem er be&ngen war, zu trennen. Erst mit | 
der Verwandlung in schöne Menschengestalt wird diese Los- .' 
trennimg vollendet sein, und erst den Griechen ist diese Erhe- > 
bang der göttlichen Mächte über die Natur und die Befreiung ' 
von ihren Elementen vollständig gelungen. Es mag erhaben 
klingen, wenn wir von den Germanen und den Persem lesen, 
dass sie es mit der Majestät der Götter unverträglich gefunden 
haben, dieselben in Menschengestalt auszuprägen und in 
Tempel einzuschliessen : beim Lichte betrachtet besagt das 
doch nichts weiter, als dass die Götter noch in den Elementen j 
darin staken, also noch die Elemente, d. h. die Materie, gött- 
lich verehrt wurde. Indessen haben auch diese Völker bei 
solcher Gestaltlosigkeit ihrer Dämonen nicht beharren und 
dem Anthropomorphismus nicht ausweichen können, so wenig 
wie die Israeliten , wenn sie von der Hand , dem Auge , den 
Ohren, dem Throne Grottes u. s. w. redeten. »Der Mensch 
begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist«, sagt Goethe, 
und das gilt noch von den heutigen Menschen so gut wie von 
den ehemaligen. Wir meinen noch heute Gott am höchsten 
zu ehren, wenn wir ihm alles, was bei Menschen für schön und 
gross gilt, im Superlativ beilegen. Denn der Mensch kennt 
einmal nichts Höheres, so zu sagen Göttlicheres, als die selbst- 
bewusste göttliche Vemimfl;, und vermag sich von sich selbst, 
d. h. seinen menschlichen Vorstellimgen, nicht zu trennen **) . 
Mithin wer sich Gott nicht als ein derartiges Wesen denken kann, 1 
gilt für einen Atheisten. Betrachten wir ein Naturwerk, ein Blatt 
einer Pflanze oder die ganze Pflanze, so erkennen wir darinnen 
eine so wunderbare, über alle Begriffe feine und zweckmässige 
Einrichtung, dass wir mit Staunen die Weisheit des Schöpfers 
preisen, und damit glauben wir etwas Hechtes gesagt zu 



10) jiv&gtonog fAixQOv narttor. 



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16 I. lieber die Entstehung und Weiterbildung d«r Eeligionen. 

haben^ wälurend wir doch im Grunde nichts gethan hab^ ak 
da« Gotteswerk auf die Stufe eines Menschenwerkes herab- 
gesezt. Denn Weisheit oder Vernunft oder Bewusstsein oder 
Gedanke, oder waa wir immer für Ausdrücke gebrauchen^ alle 
sind sie anüiropomorphisch und tiagen eine Berechnung , ein 
Abmessen von Zwecken und Mitteln^ eine Planentwerfung, 
ein Nach- und Nebeneinandererfinden und die ganze Müh- 
seligkeit menschlicher Machwerke auf das Gotteswerk über, 
und diese Armseligkeit wird dadurch nicht verbessert, das» 
wir die Weisheit und Vollkommenheit auf die Potenz erheben : 
denn immer bleibt doch das Gotteswerk in die Kategorie von 
Menschenwerken herabgesezt. 

Ob man nun Götter in Menschengestalt ausprägt oder nur 
in menschlicher Weise von ihnen redet, das macht allerdings 
einen Unterschied, indem dort die Versuchung nahe gelegt 
wird, idie Gegenwart des Gottes an das Bild geknüpft zu glau- 
ben, hier dagegen das Be^russtsein, dass der Gott ein Geist 
sei, sich leichter bewahren lässt : indessen für die theoretische 
Erkenntniss wird der Unterschied verschwinden. Denn ganz 
gewiss stellen die Homerischen Griechen sich ihre Götter eben 
so gut wie die Hebräer zu Davids Zeit als geistige Wesen vor, 
und es sind immer nur angenommene Formen und gleichsam 
nur Mittel um den Menschen begreifbar oder fühlbar zu wer- 
den, wenn sie in leiblichen Gestalten entweder ihrer Phantasie 
oder ihren Sinnen vorschweben, nur momentane Verwandlun- 
gen ihrer, alle mögUche Formen anzunehmen fähigen, Naturen. 
»Eine Gestalt«, sagt Lehrs, Pop. Aufs. p. 137, »muss nach dem 
griechischen Volksglauben, natürlich ein jeder dieser Götter in 
jedem Augenblick tragen: aber welche, das ist ihm als Gott 
völlig gleich und anheimgestellt. Er trägt nur die mensch- 
liche Gestalt für gewöhnhch, als die schönste und edelste und 
geeignetste, aber an sich ist ihm jede andere Gestalt, wenn er 
sie annehmen möchte, eben so natürUcha. Also nehmen sie 
oft auch Gestalten von Thieren an, wie z. B. Athene und 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 1 7 

ApoUon in Gestalt von Geiern, auf einer Buche sizend, dem 
Zweikampfe des Ajas und des Hektors zusehen, oder wie 
Athene, nachdem sie erst als Mentor den Odysseus zum Kampf 
mit den Freiem ermuthigt, in Grestalt einer Schwalbe auf dem 
Balken unter der Decke seinem Kampfe zusiht, und zulezt 
von dort herab die Aegis erscheinen lässt, vor welcher entsezt 
die Feinde auseinander stieben*^; : oder wie Zeus als Schwan 
Jer badenden Leda naht, oder wie Dionysos sich oft als 
Stier oft als Tiger oder Leopard erblicken lässt u. s. w. Es 
ist aber nicht ganz willkürlich, in welche Gestalt ein Gott sich 
verwandeln will , so wie auch die einem jeden Grott zugetheil- 
ten Symbole und die ihn begleitenden Thiere nicht gleichgil- 
tig sind. Wenn also den Zeus der Adler, der Pfau die Hera 
begleitet, wenn die Aphrodite von Tauben, die Demeter von 
Schlangen , der Hermes von Widdern gezogen wird , so ist 
damit gesagt, dass sie sich auch in die nämlichen Thiere zu 
verwandeln oder in denselben zu erscheinen lieben, wie in 
dem Eber der Typhon , in dem Lintwurm oder Drachen der 
Wasserdämon, in der biblischen Schlange der Teufel, u. s. w. 
Anfangs nun ist in dem Glauben der Menschen, so lange sie 
ihren eigenen Vorstellungen .überlassen bleiben, alles unbe- 
stimmt, flüssig, in einander rinnend. Ein Vogel gibt ein 
Zjeichen durch den Flügel oder Ruf — ein Gott steckt da- 
hinter. Welcher? Nun eben der, zu dem man kurz vorher 
gebetet hat, oder auch der begleitende Genius: und dieser 
Genius rinnt wieder meistens mit dem allwaltenden Welt- 
gotte oder mit dem Schicksal zusammen. Ein Mensch gibt 
in einem wichtigen Moment einen Ausschlag auf unsere Ent- 
schliessung sei es im Guten oder im Bösen: ein Grott oder 
ein Dämon hat in Gestalt dieses Menschen uns vor einem 
Fehltritte bewahrt oder zum Bösen verführt. Und sei es dass 
man die Götter als Thiere oder als Menschen oder als Misch- 



11) Od.x, 206. 240. 298. 
Härtung, Bei. v. Mjrthol. d. Qt. 1. 



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IS I. lieber die Entstehimg und Weiterbildung der Religionen. 

gestalten in Tempeln we gegenwärtige erblickt : so dumm ist 
I doch kein Volk jemals gewesen^ dass es den Gott oder Dämon 
/ in dem Thier oder Bilde beschlossen glaubte. Dieses Flüssige 
nun wird zur Consistenz gebracht^ wenn es durch Erzählungen 
der Dichter zu bestimmten Gestalten ausgeprägt wird: und 
dämm hatten die Hebräer es leichter , die Geistigkeit ihres 
♦ National-Gottes zu bewahren, weil sie keine plastische Dicht- 

/v/f^^^^«^^,^'^ kunst besassen. Noch mehr aber halfen (^zu die Tempel- 
Bilder, gegen welche darum die hebräischen Propheten so 
sehr eiferten, während sie gegen die Symbolik der Sprache 
und anderes Vermenschlichende nichts einzuwenden fanden. 
Auf diesem Standpunkt verweilen wir heute noch. 

6. Die Vermensehliehang ist der Rellgiou nothwendig. 

Wenn der Mensch etwas schafft oder bildet, so ben&zt er 
bestimmte Körper als Stoffe und gibt ihnen beliebige Formen, 
sezt sie mit einander in Verbindung, läjsst sie auf einander 
wirken, alles nach Berechnung, Regel und Zwecken. In der 
Natur aber gibt es zuvörderst keine von der Form geschiede- 
I nen Stoffe, sondern Alles, es mag einen Raum einnehmen oder 
nicht, ist Kraft und Leben. Es gibt auch keine Scheidung in 
Zweck und Mittel, sondern alles ist zugleich Zweck und Mittel: 
keine Pflanze und kein Geschöpf ist für andere da , doch be- 
dürfen sie alle einander. Es gibt femer in der Natur auch 
keine Entgegensezung von Ganzen und Theilen, sondern 
Alles ist wie Eines und das Eine wie Alles, jeder Theil wie 
das Ganze und das Ganze wie jeder Theil, weshalb auch nidit 
zu furchten ist, dass jemals ein Theil übergreifen imd das 
Ganze in Gefahr bringen könnte. Wenn man nun von Gott, 
als einem persönlichen Wesen in menschlicher Weise spricht, 
so wird ihm jenes Alles, was wir von den Menschenwerken 
prädidrt haben , Berechnung und Absicht und nach einander 
folgendes Schaffen u. s. w. beigelegt. Und freilich kann die 
Religion, so sehr sie auch immer vor der Vermenschlichung 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 19 

sich schalen mag , des Anthropomorphismus nicht entbehren, 
und würde Gott zu verlieren fürchten , wenn sie ihn nicht als 
Person sich denken dürfte. Darum wird sie , wie gesagt^ auch 
niemals mit der Philosophie oder Wissenschaft zusammen- 
feilen können. Denn die Persönlichkeit lässt sich erstlich 
nicht mit der Allgegenwart vereinigen und zweitens nicht von 
der Yermenschlichimg trennen^ und gegen beides sträubt sich 
der Verstand. Zwar die Vernunft erkennt, dass das Unend- 
liche überall nur durch das Endliche zur Erscheinung kommt, 
und das Endliche nur durch den Inhalt des Unendlichen be- 
steht: doch ^ird durch derartige Reflexionen das Gefiihl 
nicht befriedigt, welches sich im Nachtheil fühlt gegen die 
UebergriflTe des Verstandes, der alle seine Erobenmgen auf 
Kosten des Gefühles macht und dabei unduldsam und herrsch- 
süchtig ist. Wenn aber die Religion gegen den Verstand an- 
kämpfen will, so siht sie sich genöthigt von dem Verstände selbst 
die Waffen zu entlehnen, und dann verfällt si^ nothwendig in 
Sophistik, indem sie die gemüäilichen Schöpftmgen der Phan- 
tasie als Glaubensartikel zu verfechten sucht. Und vielleicht 
gelänge ihr die Besiegung ihres Gegners leichter, wenn sie 
nur ihrer vermenschlichenden Betrachtungsweise wenigstens 
auf Momente sich entäussem wollte. So meint sie z. B. , wenn 
das Weltall nicht das Product eines Gedankens wäre, so 
müsste es das Ergebniss des Zufalls sein. Allein so wie schon 
der Ausdruck »Gedanke« ein menschenähnliches Wesen vor- 
aussezt, so sind auch Zufall und Nothwendigkeit derartige 
auf Zweck und auf Gestaltung eines vorhandenen Stoffes sich 
beziehende Begriffe. In der Natur aber waltet weder Zufall 
noch Nothwendigkeit, sondern ewiges unbegreifliches Leben. 
Und was der Gedanke nach berechneten Zwecken schafll, das 
zeichnet sich durch einseitige Brauchbarkeit aus , und unter- 
scheidet sich eben dadurch von den organischen Schöpftmgen 
der Natur, welche immer nach allen Seiten hin und in jeder 
Beziehung so zu sagen brauchbar und passend eingerichtet 



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20 1- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

und dabei so vollkommen in sich geschlossen und abgerundet 
sind^ als wären sie nur für sich und um ihrer selbst willen da : 
und in dieser Ganzheit und Vollkommenheit aller seiner Theile 
bis zu den kleinsten, durch kein Mikroskop mehr erkennbaren, 
besteht eben die Harmonie , Vollkommenheit und Unzerstör- 
barkeit des Weltalls. Nun sezt aber das Geschöpf einen 
Schöpfer und das Gesez einen Gesezgeber voraus, und w^enn 
immerhin mit dem Aussprechen solcher Begriflfe sogleich un- 
abwendbar die y ermenschlichung sammt der selbstischen Bezie- 
hung auf den die Begriffe bildenden Geist beginnt ; so ist doch 
diese Vereinseitigung Gottes , in welcher recht eigentlich die 
Religion besteht, dem Gefühle so nothwendig wie die Verein- 
seitigung oder ('oncentrirung der Menschenliebe im Patriotis- 
mus und in der Pietät. Dieselbe verträgt sich auch recht gut 
mit der Allseitigkeit wissenschaftlicher Auffassung — weil ja 
doch in der Allseitigkeit der Beziehungen auch jede besondere 
Beziehung mit enthalten sein muss — nur muss man dabei die 
Allseitigkeit nicht aus den Augen verlieren : denn sonst ver- 
iallt man in Irrthümer. Dergleichen Irrthümer sind ausser der 
bekannten Teleologie auch die Uebertragung aller mensch- 
lichen Empfindungen auf den die Welt erhaltenden und regie- 
renden Geist, wozu auch gehört die Verpflanzung eines bösen 
Princips aus der sittlichen Welt in die physische sammt der 
Einbildung , dass was den menschlichen Sinnen schmeichelt 
oder ihnen zuwider ist auch von Gott verworfen sein .müsse, 
während doch in der Natur auch die Verwesung mittelst der 
nämlichen Kräfte wie die Erzeugung und Mehrung vor sich 
geht, und zu Gottes Geschöpfen auch solche Thiere gehören, 
deren blosse Erscheinung oft Grauen erregt, deren Aufenthalt 
übelriechende Pfützen, deren Nahrung das Aas ist. 

Eine der menschlichen Vorstellungs - Weise sich ent- 
äussemde Betrachtung erkennt in den sogenannten »Werken« 
Gottes (das Wort entstammt ebenfalls dem Anthropomorphis- 
mus; denn Gott arbeitet und schafft nicht, sondern lässt 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 21 

wachsen) etwas weit über Vernunft und Weisheit und jegliches 
Prädicat, womit Menschenwerke gepriesen werden. Erhabenes 
und sogar Grundverschiedenes von jenem. Einen Namen da- 
für kann der Mensch in seiner Sprache nicht haben eben 
darum, weil alle seine Begriffe nur menschliche sind. Es ist 
aber auch nicht nöthig, dass wir Alles, auch das was über uns 
steht, begreifen und benennen können. Für unsere Sittlich- 
keit genügt es zu wissen, dass die Geschöpfe alle durch Har- 
monie bestehen und Alles was diese Harmonie stört auf ihre 
Entartung, Verkümmerung und Zerstörung hinwirkt, diese 
Einsicht, sag* ich, genügt um uns daran ein Beispiel zu neh- 
men , indem wir fühlen und an uns und anderen erkennen, 
dass unser physisches und geistiges Wesen den nämlichen 
Gesezen unterworfen ist , ^so dass jede Ueberschreitung der 
Naturgebote zerstörende Folgen hat und jedes Zuwiderhan- 
deln wider unser Gewissen uns mit uns selbst entzweit und 
unser Glück verhindert. Wir sehen femer, dass eine jede 
rechtzeitige und gute That , gleich einem ausgestreuten Saat- 
korn, viele andere gute Thaten, dagegen jede üble andere ihres 
Gleichen hervorbringt, und dass somit unser sittliches Gedei- 
hen sowohl als unsere Seelenruhe von der Befolgung der 
Gebote, die statt des Instinctes uns in's Herz geschrieben 
sind, unsere Entartung aber und stufenartige Entwürdigung 
von der Betäubung und Abstumpfung des Gewissens abhängt. 
Wen solche Betrachtungen nicht von Missethaten und Lastern 
abzuhalten vermögen , den wird auch die gefurchtete Zucht- 
ruthe eines zürnenden Gottes, der doch schliesslich durch 
Busse sich begütigen lässt, nicht zu zügeln vermögen. 

Also führen beide Betrachtungsweisen, die rechnende 
und die fühlende, oder die wissenschaftliche und die gläubige, 
in Bezug auf die sittlichen Vorsäze zu einem Resultat, und 
brauchen sich nicht vor einander zu furchten noch einander 
zu verklagen. Wenn man daher von dem gläubigen Menschen 
verlangen kann, dass er in der Ablehnung grober Vermensch- 



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22 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

lichung des Göttlichen nicht lauter Atheismus sehen möge^ so 
kann hinwiederum auch von dem denkenden Menschen gefor- 
dert werden, dass er nicht jegliche, dem gläubigen Grefühl 
nothwendige, Vermenschlichung verwerfen möge. Grott offen- 
bart sich stets persönlich unserm Innern, wenn wir ihm nahen 
im Grebet, und diese persönliche Offenbarung ist ein Heraus- 
treten desselben aus dem physischen und gesezlichen Zusam- 
menhang der Dinge, als eines lebendigen allmächtigen Gottes, 
mithin ein Wunder, hervorgerufen durch den Glauben welcher 
im Gebet sich bethätigte. Und wie der Andacht des Einzel- 
nen , so erscheint Gott auch der Andacht der Gemeinden in 
dem öffentlichen Gottesdienste, der mit seinen Ceremonien 
und Formen ohne persönliche Vermenschlichung Gottes und 
göttlicher Wesen gar nicht denkbar wäre. Persönlichkeit des 
lebendigen Gottes, Wunder und Glaube, sind also drei von der 
Religion schlechterdings unzertrennliche Begriffe. 

7. Der Anthropomorphismos In der Wissenschaft anxulttsslg. 

Wenn wir aber die Vermenschlichung der Religion zuer- 
kennen , so müssen wir sie eben darum von der wissenschaft- 
lichen Betrachtungsweise ausschliessen und in philosophi- 
schen Forschungen uns verbitten, weil das Denken kein 
Glauben , und das Erkennen kein Fühlen sein soll und weil, 
wo Ursachen und Folgen und Zusammenhang verlangt wird, 
die Wunder ausgeschlossen bleiben müssen. Es kommt stets 
nur ein Gemisch von Wahrheit undirrthum heraus, wenn man 
von unwissenschaftlichen Principien ausgehend; deren Con- 
sequenzen mit den Waffen der Wissenschaft zu behaupten sucht. 

Wer z. B. seinen Volks- und Patriarchen-Gott, wie man 
das von jeher gethan hat, auf den Thron des Weltengottes 
sezt, der mag sich veranlaset sehen, zum Beweise, dass es ein 
»Walten Gottes in der Weltgeschichte« gebe, ein mehrbän- 
diges Werk zu schreiben, und mag viele Noth haben mit der 
Rechtfertigung seines Gk>ttes. Für denjenigen aber, welcher 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 13 

den wahren Gott erkannt hat, ist das ein sehr überflüssiges 
Bemühen : derselbe wird urtheilen, dass nur ein Wahnsinniger 
jenes Walten Gottes leugnen könnte, und dass ohne dasselbe 
es gar keine Weltgeschichte, ja nicht einmal eine Geschichte, 
sondern nur ein wüstes Chaos Ton Geschichten ohne irgend 
eine Entwickelung geben könnte. Der Mensch schafft seine 
Sprache unbewusst gerade so wie die Spinne ihr Nez und die 
Biene ihren Bau, und aller Scharfsinn der Forscher kann die 
Weisheit solcher unbewussten Schöpfungen nicht ausdenken : 
und in der nämlichen Weise machen auch Völker ihre Gre- 
schichte und geht die Menschheit ihren Gang , von der Hand 
des Höchsten wunderbar geleitet. Hier nun mit einer Schema- 
tishrenden Zweckmässigkeits - Theorie heran zu kommen und 
die Völker auf das Prokrustes-Bette gewisser Begriffe zu span- 
nen , das ist gerade so viel werth wie das Bemühen der jüngst 
rerstorbenen Identitäts-Philosophie , nach gewissen Einfällen 
a priori zu bestimmen was mit dem Femglas und Vergrösse- 
rungsglas zu erforschen war. Gott sei's gedankt, dass in der 
Naturforschung diese »Satur^alien«, wie Humboldt sie nennt, 
bereits geächtet sind, und man nicht mehr sich einbildet, was 
Kluges gesagt zu haben, wenn man den Osten Sauerstoff, den 
Westen Hydrogen nennt, und den Regen aus der Vermischung 
der Westwolken und Ostwolken erklärt. Nun wäre es aber 
Zeit, dass man auch im Gebiet der Philologie und der Ge- / 
schichte das Phantasiren sein liesse, und statt sogenannter Ideen 
Erfiedirungen zu gewinnen suchte. Da wird z. B. an der Anti- 
gone des Sophokles von manchem, der kaum eine andere grie- 
chische Tragödie genauer kennen g^elemt hat, das ganze grie- 
chische Drama sammt den Schicksals- Ideen und dem ganzen 
Phinder Hellenischer Beligions- und Sittenlehren construirt: 
oder es wird die Prometheus -Sage bei Hesiod sammt der ein- 
gebildeten Trilogie des Aeschylus zu gleichem Zwecke gemiss- 
braueht. Und eine andere Art solcher geistreicher Schemati- 
sirung ist es, wenn man gewisse Perioden der Weltgeschichte 



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24 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

unterscheidet, in denen die Menschheit immer eine specifiBch 
andere als in den früheren Perioden gewesen sei , und zwar 
ohne vermittelnde Uebergänge, wie ein Wandmahler die 
schwarzen und weissen Striche neben einander hinlaufen lässt. 
Also sei das erste Zeitalter das der Sprach- und Mythenbildung 
gewesen, »wo die Erscheinungen ausgeprägt worden seien zu 
Lauten als Sinnbildern der Begriffe , und das Gottesbewusst- 
sein verwirklicht worden sei durch heilige Mythen und Ge- 
bräuche.« Dabei wird nämlich von vomen herein angenom- 
men, dass die Mythen und die Gebräuche, gleichfalls Sinn- 
bilder, eine bildliche Sprache zur Ausprägung religiöser 
Naturanschauung, gewesen seien. Wer aber hat uns denn 
gesagt, dass die Menschheit irgend einmal in irgend einer 
Zeitperiode plözlich eine andere geworden sei, so dass sie 
anfieng mit anderen Organen zu sehen und mit anderen 
Geistes -Functionen zu denken? Woher schöpft man femer 
das Recht, den religiösen Sagen oder den Legenden der alten 
Religionen und ihren gottesdienstlichen Verrichtungen oder 
Ceremonien einen anderen Charakter und eine andere Bedeu- 
tung unterzulegen , als ihnen heute noch untergelegt werden 
könnte? Nun wird es aber doch wohl Niemanden einfallen, 
solche Ceremonien eine sinnbildliche Sprache zur Ausprägung 
irgendwelcher, aus der Betrachtung der physischen oder der 
moralischen Welt geschöpfter, Ideen zu nennen , sondern 
jedermann weiss oder kann es einsehen, dass die heiligen Ver- 
richtungen und der ganze Gottesdienst die Versöhnung der 
Götter mit den Menschen , die Gewinnung göttlicher Gnade 
und göttlichen Segens zum Zweck haben , ingleichen das& 
die Legenden den Ceremonien, wie auch den Reliquien 
und gottesdienstlichen Geräthen, zur Auslegung dienen, wor- 
aus sich sodann auch eine Geschichte der Heiligen, der Heroen 
un^ der Götter leicht zu entfalten pflegt. Nun sollte man fer- 
ner meinen , dass die also erfruidenen Mythen mit dem Zeit^ 
alter, dem sie angehörten, auch hätten absterben und sich 



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A. Von der Entstehung der Keligionen. 25 

verlieren müssen^ zumal wenn nach demselben eine so ganz 
veränderte Richtung der Geister und eine ganz andere Art von 
Thätigkeit, nämlich eine »auf Staatenbildung und Schöpfungen 
der Kunst und Wissenschaft« gerichtete, eintrat. Wenigstens 
lehrt das die Erfahrung , dass mit dem Versiegen der Quellen 
überall auch die Bäche vertrocknen. Ueberall wo nicht durch 
schriftliche Aufzeichnungen oder durch staatliche Einrichtun- 
gen für die Fixirung der Erzeugnisse früherer 2^iten gesorgt 
ist, da pflegen sie spurlos unterzugehen, und was etwa in 
Sitten und Gebräuchen davon hängen geblieben ist, das wird 
umgedeutet und auf jezt Herrschendes bezogen. Nichts von 
allem dem war in jenem grauen Alterthum, das die Religionen 
schuf, zur Bewahrung seiner Hervorbringungen vorgesehen, 
und trozdem sollen die Rudera davon bis in die spätesten 
Zeiten übergegangen sein, und z. B. dem Abraham soll »die 
Kunde von den geistigen Ahnungen und dem Glauben der 
Urwelt, als eine fliessende, uralte, heilige Ueberlieferung, eine 
Bibel der Vorwelt , vorgelegen haben, reicher und zusammen- 
hängender als wir sie kennen.« Wenn man Wunderglauben 
ausstaffiren und verbreiten will, so muss man wenigstens dabei 
nicht auf Philosophie und Wissenschaft Anspruch machen: 
ein Wunder aber ohne Gleichen wäre es gewesen, wenn Abra- 
ham, mitten unter heidnischen Völkern, deren Gözen und 
Gözendienst er verwarf, die Ueberlieferungen einer recht- 
gläubigen Urwelt hätte empfangen können. In unseren Volks- 
Mährchen ist von dem alten germanischen Heidenthum gerade 
80 viel noch anzutreffen , als sich von diesem Heidenthum in 
dem Glauben der Menschen und in den Gebräuchen des Volkes 
erhalten hat, nicht mehr imd nicht weniger. Und die Legen- 
den, welche man in katholischen Kirchen bei Vorzeigung der 
Reliquien und bei sonstigen Gelegenheiten erzalen hört, 
würden bald vergessen sein , wenn einmal das Volk anfienge 
etwa den Cultus des Genies an die Stelle der Heiligen imd 
des Erlösers zu sezen. Es ist aber das eine rohe Vorstellung, 



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26 1- Ueber die Entstehung und "Weiterbildung der Religionen. 

welche abgesondert erst die Sprache und die Religion, dann 
den Staat, dann die Wissenschaften und die Künste , Alles 
nach einander , erfinden lässt , während es doch einmal Zeit 
wäre einzusehen, dass der Mensch , als Mensch , auch keinen 
Tag lang ohne die drei ersteren , wenigstens nicht ohne ihre 
Anfange, existiren konnte. Denn sobald der Mensch dachte, 
muss er auch gesprochen haben , und sobald er eine Ehe ein- 
gieng (und warum sollte man das dem Wilden weniger zu- 
trauen dürfen als den Vögeln des Waldes?) hatte er auch den 
Anfang zu einem Staate gemacht, der sich patriarchalisch 
erweiterte mit dem Wachsen der Familie; endlich pflegt die 
Religion, sintemal sie Feiern und Feste verlangt, überall auch 
zeitig zur Kunst hinzuführen, abgesehen von der Puzliebe 
und der Genussliebe, der es unmöglich ist sich bloss auf das 
Nothwendige zu beschränken : die Künste aber sind ja grossen- 
theils ein Erzeugniss des Luxus. Uebrigens pflegten auch 
nicht aus dem grauen Alterthum in die Gegenwart herüber, 
sondern umgekehrt aus der Gegenwart in das graue Alterthum 
hinüber in Sagen ausgeprägte Ideen verpflanzt zu werden, 
was sich mittelst vieler Beispiele beweisen lässt. 

Die Einseitigkeit dieser Geschichts - Betrachtung zeigt 
sich auch darin , dass sie unter allen historischen Völkern nur 
drei als Träger ihrer Ideen anerkennen mag, die Hebräer, die 
Hellenen und die Deutschen, denen noch drei andere als 
Leiter der weltgeschichtlichen Tbaten zur Seite gestellt wer- 
den, die Iranier, die Römer und die Engländer hauptsächlich. 
Also bleiben z. B. die Aegypter ausgeschlossen, deren Stand- 
punkt in der Entwickelimg des religiösen Lebens der Völker 
so wohlberechtigt war wie irgend einer , deren Mittheilungen 
an die Hebräer von der grössten Bedeutung, und deren Ueber- 
einstimmung mit den Culten der Hellenen von diesen selbst 
als sehr gross anerkannt gewesen ist. Und wenn man die gottes- 
dienstlichen Formen^ in denen sich die Vorstellungen der 
Menschen von dem Gröttlichen ausgeprägt haben , auf Ideen 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 27 

soTÜckfiihren 9 und nach diesen Ideen die Greschichte oon- 
strinren will, wie ist es möglich den Aegyptischen Thierdienst 
KU übergehen 9 in welchem so deutlich der Gedanke ausge- 
sprochen ist, dass das Gröttliche in dem Instinct zu erkennen 
sei 9 welcher dem vegetativen Walten der Kräfte in den Pflan- 
zen und dem chemischen in den Steinen analog ist ? Und da 
dieser Standpunkt in den idealen Menschengestalten der Helle- 
nischen Beligion seinen Gegensatz und in den Mischgestalten 
der Chaldäer und der Perser seinen vermittelnden Uebergang 
gefunden hat, so würde dieser Eintheilungsgrund, wo nicht 
als der wichtigste allen voranzustellen, doch wenigstens nicht 
zu ignoriren sein. 

Zu der Vermischung der Religion mit der Philosophie 
gehört auch das, dass man die polytheistischen Religionen alle 
vom Theismus ausgehen lässt , und dass man femer , weil das 
aller Er&hrung widerspricht und einzusehen ist , dass nur das 
abstracte Denken, welches doch dem Urmenschen fem lag, zu 
so einer Weltanschauung gelangen konnte , seine Zuflucht zu 
einem göttlichen Wimder , einer Uroffenbarung, nimmt, d. h. 
ein X oder y als unbekannte Grösse sezt , um bequem rechnen 
XU können. Vor allem aber musste man sich klar machen, 
was unter den Namen Monotheismus und Polytheismus fiir 
Begriffe zu verstehen seien, um einzusehen dass, streng genom- 
men, eben sowenig eine monotheistische Religion wie eine 
polytheistische Philosophie möglich sei, indem ein persön- 
licher Gott niemals allein und ohne andere Geister, die ent' 
weder seines Gleichen oder seine Diener sind, existiren kann, 
ein Philosophen-Gott aber niemals ein persönlicher sein kann, 
wenn er sich nicht accommodiren imd mit dem theologischen 
Gotte vereinbaren will. Es gibt viele Teufel imd einen 
Teufel, und jeder böse Mensch hat seinen besonderen Teufel, 
welcher doch wiederum überein oder Eins mit dem Haupt- 
teufel ist**]. So hat auch ein jeder gute Mensch seinen eige- 
12) Vgl. H. Rftckert, Cultorgesoh. d. deutschen Volkes, Th. ü. p. 335. 



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28 I- Ueber-die Entstehung und Weiterbildong der Religionen.* 

nen Gott, der ihn begleitet wo er geht und steht und ihm 
Gutes und Schlimmes verleiht gleich einem römischen Genius : 
und dieser Personal-Gott ist doch wieder Eins mit dem Wel- 
tengott. Also schwanken die Vorstellungen überall^ dass man 
kaum sagen kann^ wo der Polytheismus aufhört und der Mono- 
theismus anfängt. Doch diese Sache fordert noch eine ge- 
nauere Betrachtung. 

8. Es gibt kelae noMolbeisUsehe RellgloB. 

Im Innern ist ein Universum auch, 
Daher der Völker löblicher Gebrauch 
Dass jeglicher das Beste, was er kennt, 
Er Gott, ja seinen Gott benennt, 
Ihm Himmel und Erden übergibt, 
Ihn fürchtet und wo möglich liebt. 

Der Homerische Achill , als er zum ersten Mal wiederum 
in die Schlacht rücken will, ruft den Zeus von Dodona als 
seinen Stammesgott an. Auch die anderen Achäer, als sie in 
die Schlacht ziehen wollen, beten ein jeder zu einem an- 
deren Gott, ihm Leib und Leben zujm Schuz empfehlend 
(II. ß, 400) y zu welchem wohl anders als seinem Stamm-Gözen? 
Der Hippolyt bei Euripides verehrt die Artemis als seine ihm 
einzig liebe Göttin mit Hintansetzung, ja sogar mit Ver- 
achtung anderer: desselben Dichters Medea erkennt einzig 
die Hekate fiir ihre Göttin an. Die Hirten bei Tangos ver- 
ehren den Pan, als wenn es weiter keinen Gott im Himmel 
und auf Erden gäbe ; dagegen wird für die Fürstlen imd Könige 
von Kallimachos der Zeus als deren eigenthümlicher Herrgott 
bezeichnet: endlich von den minneseligen Rittern des Mittel- 
alters ist die Maria auf den Himmelsthron erhoben worden, 
auf welchem sie neben dem in Ruhe bleibenden Grott- Vater 
fast so allmächtig wie weiland der griechische Zeus neben der 
Moira regierte. Bei den Griechen konnte ein jeder Gott in 
einer jeden Noth, imd nicht bloss in dem ihm eigenthümlichen 
Fache, um Hülfe angerufen werden: aber allgemein war man 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 29 

gewohnt, sich an den zunächst wohnenden Gott , den Schuz- 
geist der Stadt oder Gegend zuwenden, was es auch immer be- 
treffen mochte*'). Wenn nun solcherlei Anrufungen der Volks- 
und FamiUengötter für Monotheismus zu halten wären, so würde 
der Monotheismus allerdings das Erste und UrsprüngUchste in 
der Welt gewesen sein; wenn aber nicht, dann möchte wohl 
ausser dem Bekenntniss »Es ist kein Gott ausser Gott« (mit 
welchem aber die eigentliche Religiosität aufhört; schwerlich 
eine streng-monotheistische Religion zu finden sein. 

Es kommt auch Einiges in der Sprach- und Denkweise 
der Griechen und auch anderer Völker vor, was zu der Ansicht 
verfuhren kann , als ob ihrer Religion der Monotheismus zu 
Grunde gelegen habe. Vor allem sind hier die Redensarten 
avv ^e^ und avev &sov und xora S'sdv und VTtiQ S'adr und 
unw &86g zu erwähnen, welche neben avv ^eoig^ avev &€div 
und xarä d'cov %iva hergehen'*). Siht man aber naher hin, 
so erkennt man erstlich , dass dieser d-eog Eins ist mit dem so 
eben betrachteten Personal-Gotte, welcher allerdings, wie im 
vorangehenden Paragraphen gezeigt wurde , mit dem Welten- 
gotte oder auch mit dem waltenden Schicksale leicht zusam- 
menrinnt nach der allgemein herrschenden unklaren Vorstel- 
limg: vgl. z. B. Eur. Phoen. 422 (399) aoq>6g yaQ 6 »edg, 
was in dem vorangehenden Verse 6 dalfi(ov (mein Genius oder 
mein Stern oder Unstern) genannt ist. Zweitens ist zu bemer- 
ken, dass dieser ^€o^, so wie er auch oft to ^eiov und to 
daifiovtov genannt wird, niemals Gestalt gewinnt. »Bei jedem 
Versuche ihn plastisch zu gestalten«, sagt Lehrs, »würde den 
Griechen Hand und Sinn vor Impietät erlahmen. Wer wäre 
denn dieser neue Gott, durch den alle die übrigen aufgehoben 
würden? Es kann dem Griechen nie einfallen zu jenem Gotte 
zu beten, zu opfern. Der Grieche sagt: o liebe Götter, er 



13) Beispiele davon gibt Lehrs, Popul. Aufs. p. 138 ff. 

14) Vgl. Lehrs, Populäre Aufs. p. 128. 



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30 I- lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

sagt: o lieber Phöbus, o lieber Zeus: aber^ o lieber Grott — es 
mu88 jedem ^ der Griechisch versteht, monströs erscheinen.« 

Dass kein Volk der Welt noch jemals so blödsinnig ge- 
wesen sei, dass es nicht eine einheitliche Regierung der Welt 
anerkannt hätte, kann man von vomen herein behaupten, ehe 
man noch die Zeugen vernommen und in Erfahrung gebracht 
hat, dass dieses Wesen durch den Himmelsgott vertreten 
und auch in allen den verschiedenen Zungen oft so genannt 
zu werden pflegt**). Allein theils denkt man sich diese Macht 
bloss als ein unpersönliches Wesen > als ein das Ganze zusam- 
menhaltendes und bis ins Kleinste bestimmendes Fatum oder 
Gesetz {jiolqd) , und theils existirt es auch bloss in der Vor- 
stellung, und wird zwar bei Betrachtung des Weltlaufes und 
der Menschenschicksale mitunter genannt, aber die Religion 
bleibt davon, wie noch heutiges Tages, unberührt, im Cultus 
findet es keine Berücksichtigung und auf die Mythologie hat 
es vollends keinen Einfiuss. Es ist darum grund&lsch, wenn 
ein neuerer Philosoph, nach der oben beschriebenen Weise, 
die Mythologie einen auseinander gegangenen Monotheismus 
genannt hat, und lässt sich das Gegentheil davon ebensowohl 
psychologisch als auch historisch beweisen. Denn kt jener 
sogenannte Himmel als unpersönliches Wesen gedacht, so ist 
er schon an sich kein religiöser Begriff, weil die Religion per- 
sönliche mit menschenähnlichen Empfindungen begabte Wesen 
fordert, die von Bitten und Opfern gerührt werden und diireh 
keine Nothwendigkeit gebimden sind : denn für den persön- 
lichen Gott, für den Gott dem Gebete und Opfer gebracht wer- 
den, ist kein Ding unmöglich, für jene unpersönliche Urmacht 
aber bleibt Alles, was nicht von Anbeginn in ihrem Plane ge- 
legen hat, unmöglich. Das Herrschen der Naturgeseze gewahrt 
und fühlt jedermann täglich und stündlich: allein eben um 
ihnen nicht rettungslos unterworfen zu sein , verlangt der 



15) 8. Welcker, Griech. Götterl. I. p. 137. 



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A. Von der Entstehiüig der Religionen» . 31 

Mensch nach persönlichen, mit übernatürlichen Kräften be- 
gabten, Wesen, deren Gunst und Gnade ihn von jener Noth- 
wendigkeit erlösen könne. Warum denä nun, dürfte man fra- 
gen, nicht sofort nach einem einzigen überweltlichen, die 
Natur und alle die Dämonen und Geister lenkenden Gott? 
I>arum nicht, weil ein persönlicher, allmächtiger und allge- ' 
genwärtiger Grott sich so wenig der Phantasie stellt, so leicht 
er auch mit dem Verstände zu begreifen^ ist: und selbst 
wenn der schlichte Mensch mit seinem Anliegen so leicht zu 
ihm gelangen zu können glaubte , würde er nicht bei ihm be- 
harren mögen, sondern sich lieber an untergeordnete Geister, 
als Mittler, wenden, die nicht für die Wohlfahrt des Ganzen 
einzustehen haben, die nicht so hoch und so ferne stehen, die 
vielleicht auch einmal Menschen gewesen sind, wie Menschen 
gefühlt und gelitten haben, von denen also auch leichter etwas 
den Naturgesezen nicht Gemässes zu erlangen wäre. 

Also kann es keine monotheistische Religion geben, sofern 
man nämlich nicht darunter bloss die absolute Souveränetät 
eines Geistes über alle Geister , welche lezteren mittelst sol- 
chen Absolutismus zu blossen Bothen und Dienern herab- 
sinken, darunter verstehen will. Derjenige Deismus aber, 
welchen neuere Gelehrte den Griechen gern andichten möch- 
ten, und welcher nicht einmal aus irgend einer Religion, son- 
dern aus einer schwächlich - sentimentajien Philosophie her- . 
stammt, würde, wie Lehrs richtig bemerkt (p. 130), den 
Griechen, wie auch dem Kaiser Julian, als ein Atheismus 
erschienen sein *•) . Wäre derselbe aber dem religiösen Bedürf- 
niss genügend, so würde die Menschheit, einmal bei so einem 
Urquell angelangt, niemals mehr zu dessen Ausflüssen sich 
verirrt und niemals mehr von dem einen Geiste weg zu ande- 
ren Geistern sich hingewendet halfen. Allein so sehr die 



16) Das verworfenste weibliche Wesen, das Apulejus kennt, bekennt 
sich cum Monotheismus: Apul. met. IX, 14. 



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32 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Erkenntniss einer überall gegenwärtigen , überein wirkenden 
und das weite All zur Einheit verknüpfenden, alle die walten- 
den, erhaltenden, zerstörenden und wiederum schaffenden 
Kräfte beherrschenden, Urmacht dem menschlichen Verstände 
gemäss ist: so sehr ist dem Gefühle die Vertheilung dieser 
Kräfte in viele Kräfte und der Phantasie die Personificirung 
und Vermenschlichung dieser Kräfte Bedürfhiss *^, und darum 
sehen wir in den sogenannten monotheistischen Religionen 
den Himmel mit Legionen von Engeln und die Hölle mit 
Teufeln bevölkert, um zu schweigen von den Spaltungen des 
einen Gottes in mehrere Personen und von dem Zurücktreten 
des Weltenschöpfers im Cultus und den vielfachen Anru- 
ftmgen der Heiligen, durch deren Bemühungen jener in Ruhe 
versezt wird. Noch hat es auch keinen Religionsstifter ge- 
geben, der nicht an ein unsichtbares Reich von Geistern, 
und nicht bloss eines Geistes, geglaubt hätte. Also kann 
man wohl mit Recht fragen, ob der Monotheismus über- 
haupt religiös sei : denn ob diese Geister gehorsam sich unter- 
ordnen, wie in einer absoluten Monarchie, oder ob sie, wie in 
einem constitutionellen Staate , mitberathen , und aus freiem 
Antrieb , nicht als blosse Diener und Bothen , handelnd er- 
scheinen, darauf kann es doch nicht ankommen, wenn es sich 
bloss um die Zahl der Geister und nicht um die Einrichtung 
ihres Reiches handelt. 

9. Der IMonotheisnius ein Erzeugiii^s späterer Zeit. 

Die Geschichte zeigt auch überall , dass der Monotheis- 
mus eine Frucht philosophischer Betrachtung und mehr ein 
Bedürfiiiss für einsame Denker, der Polytheismus aber ein 
Bedürfiiiss für das Volk gewesen sei, ingleichen dass die Ent- 



17) Plin. H. N. II, 7, 5: Fragilis et lahoriosa morUilitas in partes Uta 
digessity infirmitatis sitae memor, ut porUonihus coleret quisque quos 
maxime indigeret etc. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 33 

Wickelung der Religionen von dem Polytheismus zum Mono- 
theismus hinstrebt, nicht umgekehrt. So ist z. B. das Brahma 
oder der Brahma in Indien ein Product der Brahmanen-Spe- 
culation : von ihm, so wie auch von Vischnu, wissen die Veden 
noch nichts , und bei dem Volke hat er nie Eingang finden 
können*®;. In gleicher Art ist in der Färsen - Religion der 
Ahuramazda an die Stelle des alten Himmelsgottes Vereiraghna 
d. h. Vitra-Tödter, Indm oder Zeus, gesezt worden, ein Wel- 
tenschöpfer und Quell des I^ebens welcher nicht mehr mit den 
Dämonen kämpft, sondern in majestätischer Ruhe auf seinem 
goldenen Thron im Himmel Ganitmana sizt**j. Wie spät 
aber die Färsen - Religion diejenige Gestalt welche wir aus 
dem Avesta kennen lernen bekommen habe, werden wir 
weiter unten zeigen. 

In der griechischen Religion will Nägelsbach***) die Hin- 
neigung zum Monotheismus darin finden, dass die Kinder des 
Zeus {ßioytvaig^ lauter aus ihm herausgeborene Seiten seines 
Wesens seien, dass derselbe in der Gemahlin in den Brüdern 
und in jenen Kindern wirkt, und dass die numina der Olym- 
pischen Götter alle von dem einen numen des Zeus ausgehen 
und nur in Verbindung und Einheit mit ihm gedacht werden. 
Das ist allerdings die Art wie ein zum Monotheismus hinstre- 
beiider griechischer Denker oder Dichter, z. B. ein Aeschylus, 
sich seine Religion zurecht legen konnte. Von Aeschylus sind 
z. B. die Verse : 

ZBvq iativ alS^i^j Zsvg di yrj, Zevg d' oxQavdg. 
Zevg TOI ja navra %oiti xtüvif vjtiqze^jov. 

Und natürlich musste ein so strenger, das Volk gleich den 
Propheten in der Bibel mit Worten strafender I-iehrer*'; gleich 



18) S. Duncker, Gesch. des Alt. II. p 7. 164. 178. Bunsen Gott in d. 
Geschichte 111. p. 443. 

19) Duncker a. a. O. II. p. 343. Vendidad XIX, 107. 

20) S. Nachhom. Theol. p. 133. 

21) S. z. B. die Chöre in den Kumenidcn. 

Uartaug, Rel. u. Mythol. d. Ür. I. ' 3 



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34 I- lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

diesen Propheten auch der bunten Mannichßdtigkeit der 
Götter, welche der krausen Willkür der Neigungen so bequem 
ist, abgeneigt sein. Auf derartige hervorragende Grössen also 
ganz allein hätte Nägelsbach sich berufen sollen, wenn er den 
Monotheismus der griechischen Menschheit nachweisen wollte. 
Allein derartige Geister schaffen die Religion nicht. 

Auch von dem Monotheismus der Hebräer wird mit Recht 
behauptet , dass er das Resultat , und nicht der Anfuig , der 
hebräischen Geschichte gewesen sei. Der Gott der Väter war, 
wie Duncker p. 21 1. bemerkt, nur der Schuzherr der Hebräer, 
wie die verwandten Stämme der Ismaeliter, der Moabiter, 
Ammoniter und Edomiter jeder seinen besonderen Schuzgott 
hatten, und jeder Stamm seinen Gott fiir den stärksten hielt ^^ : 
dass in der Zeit vor Moses neben dem Gott in der Höhe noch 
andere Götter verehrt \\'urden, sagt Duncker p. 213, beweist 
die Pluralform Elohim , welche in der ältesten Urkunde der 
Genesis gebraucht ist*^^ , und dass sie gebraucht werden konnte, 
als diese Schrift geschrieben \\Tirde, zeigt zugleich, dass diese 
Vielheit noch nach Moses fortdauerte. Ob Moses den Jehovah 
nur als den ersten oder als einzigen Stammgott zur Anwen- 
dung brachte, und in wie weit das leztere gelungen sei, muss 
diesem Factum, der Erwähnung des Azazel (Mos. IH, 16) und 
dem häufig bezeugten Gebrauch der Theraphim, wie der Ver- 
sicherung des Ezechiel gegenüber, dass die Hebi*äer auch in 
der Wüste den Gözen ihrer Väter gedient hätten (20, 13, 24), 
ungewiss bleiben. Derselbe bemerkt femer, dass die Prophe- 
ten die ganze Existenz des Jehovali-Cultus bei und nach dem 
Auszuge aus Aegypten bestreiten ^*) . Zu ven^^ndem wäre es 
nicht , wenn ein erleuchteter Geist , wie Moses , welcher den 
Greuel des Aegj'ptischen Thier- und Gözendienstes in der 

22) Richter 11, 24. Ezech. 15, 11. Numeri 14, 25. 

23) S. z. B. Genesis I, 1. 1, 26. 3, 22. vgl. Jos. 24, 2. 

24) Arnos 5, 25. 26. Ezech. 20, 5—8. 20, 18. 24. 26. Jerem. 7, 21. 22. 
Könige I, 22, 19 ff. Hiob 2, 1 ff. 



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A. Von der Knlatehimfi;^ der Keligionen. 35 

Nähe betrachtet hatte, von Verachtung dieses Aberglaubens 
getrieben , auf den Entschluss gekommen wäre, die Gözen 
Hammt und sonders über Bord zu werfen und sich nur dem 
einen, der Himmel und Erde und auch die Götter geschaifen 
habe, zuzuwenden. Wenn man indess die so eben angefiilirten 
Zeugnisse betrachtet, so muss mUn zweifeln, ob das seine Mei- 
nung war; und vergleicht man damit die Vorstellungen, welche 
von dem Wesen des Jehovah in den Hücheni Mosis ausgeprägt 
sind, so muss man erkennen, dass derselbe noch keineswegs 
so wie bei den späteren Propheten ganz von der Molochs- 
Natur sich frei gemacht hatte : »Auf den Hergen war Jehovah 
angerufen«, sagt Duncker I. p. 2U), hier waren ihm die Opfer 
gebracht worden , und er pflegte auf die Berge hernieder zu 
steigen. Auch Steine waren ihm gesalbt worden. Die Opfer 
waren seine Speise , er labte sich an dem lieblichen Geruch 
seiner Feuerungen. Er wohnt im Himmel und fährt am Him- 
mel auf den Wolken daher, und öffnet den Schatz und die 
Schleusen des Himmels. Er verkündet sich in Donner und 
Bliz und im Erdbeben, er erscheint in der Feuei-flamme, 
in der feurigen Wolke, ja er ist selbst fressendes 
Feuer. Jehovah ist ein eifriger , furchtbarer Gott , dessen 
Anblick tödtet, dem Alles gehört was die Mutter 
bricht, dem die Erstgeburt der Thiere und die Erstlinge der 
Früchte dargebracht werden müssen«. Dass die Beschneidung 
eine Ablösung dieser Erstgeburts - Opferung war, wie die 
Schlachtung des Osterlamms eine Stellvertretung derselben, 
ist aus den daran geknüpften Erzählungen zu entnehmen '^'^ . 
Die Einheit des ('ultus selbst, welche von Moses gegrün- 
det worden war, gieng wieder mit der Ausbreitung des Volkes 
über einen grossen Landstrich verloren, und damit wurde auch 
die Verehrung Jehovahs erschüttert. Also wurden die Kanaaui- 
tischen Götter Baal und Astarte neben dem Stamragott Jehovah 

25} S. denselben I. p. 52t 



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36 I. Von der Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

verehrt, und in Sichern selbst, der Hauptstadt des I^andes, 
wurde dem Baal ein grosser Tempel gebaut, und hinwiederum, 
so wie von jenen Gözen , also auch von Jehovah Schniz- und 
Gussbilder, versilberte und vergoldete, aufgestellt selbst von 
solchen die gegen die Gözen eiferten, z. 11 von Gideon. Die 
verlorene Einheit wurde wiedergewonnen durch den Salomo- 
nischen Tempelbau : wie wenig aber der Erbauer dieses reichen 
Gotteshauses die Verdrängung der fremden Götter damit be- 
absichtigte, ist leicht einzusehen, da es eben dieser gewesen 
ist , welcher deren Verehrung neben der des Jehovah wieder 
emporbi-achte**). An diesen Tempelbau aber schloss sich auch 
die Entstehung und Organisirung eines eigentlichen Priester- 
standes, womit das ganze religiöse lieben einen neuen Auf- 
schwung gewann. Indessen ist die Erhebung des Jehovah zum 
Weltengott doch erst durch die, seit Ahabs Gözendienst immer 
bedeutender eingreifenden, Propheten vollbracht worden*^) . 

10. Die Schöpruiig9gescbfchten. 

Alle Kosmogonien, mit Ausnahme der Mosaischen und 
der Persischen, lassen die Welt mitsammt den Göttern 
werden , oder doch die Wirksamkeit der letzteren erst später 
eintreten , nachdem die Dinge bereits eine Zeit lang aus ein- 
anderselbst sich entwickelt haben. Jene beiden Schöpfungs- 
geschichten selbst aber, welche nicht früher verfasst sein kön- 
nen als der Monotheismus ausgebildet war, sind, was deutlich 
zu erkennen ist , auf die Analogie alljährlich wiederkehrender 
Natur- Ereignisse gegründet, die auch in Jahresfesten, z. B. 
den Persischen Gahanbars, als Schöpfungs- Tagen, gefeiert 
^vurden. Also lässt sich behaupten , dass die in den anderen 
Kosmogonien ausgeprägten Gredanken vollkommen mit den 
Ansichten unserer Naturforscher übereinstimmen^ denen zu- 
folge die Weltkörper und ihre Erzeugnisse und Geschöpfe von 

26) I. Kön. 11,4—9. 33. 

27) Duncker I. p. 332. 397. 424. 422 f. 



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A. Von der Entetehung der Religionen. 37 

jeher in der nämlichen Weise sich gestaltet haben, wie wir sie 
noch heute vor unseren Augen sich entwickeln und gestalten 
sehen. Und diese Ansicht ist auch in der Sprache niederge- 
legt : die Alten sagen natura, <pvoig in vielen Fällen wo wir 
Schöpfer zu sagen gewohnt sind , und iialvnra kommt von nasci 
werden und wachsen. Zwischen den zwei Vorstellungen 
aber, dem Schaffen und dem Wachsen, ist ein so grosser, durch 
nichts zu vermittelnder Unterschied , und die Unmöglichkeit, 
von dem einen Standpunkte der Betrachtung auf den anderen 
zu gelangen, ist so gross, dass man getrost behaupten kann, 
der Schöpfungsglaube habe in denjenigen Religionen, wo von 
Erzeugung der Götter die Rede ist , niemals ursprünglich vor- 
handen sein können, weil ein Volk* zwar wohl von dem 
2«eugung8glauben durch Propheten und I^ehrer zu dem 
SchöpAmgsglauben bekehrt werden kann, niemals aber un- 
bewusst von selbst von diesem Glauben zu jenem hinüber- 
gleiten kann, es müsste denn dieser Sehöpfungsglaube auf das 
Ueberhandnehmen des Glaubens an Magie sich gründen, was 
vielleicht bei den Parsen und Magiern wirklich der Fall gewe- 
sen ist Der Magier zaubert alles her durch das Sprechen 
eines einzigen Wortes, eines geister-bannenden und zwingen- 
den Wortes, in dessen Besiz zu gelangen grosse Heiligkeit 
erfordert, und wer diese Macht über alle die Geister erlangt 
hätte, der wäre freilich auch Herr der Welten und allmächtig. 
Das ist das Streben der Indischen Heiligen, die sich einbilden 
durch übermenschUche Büssimgen dahin gelangen zu können, 
dass sie den höchsten Himmelsgott vom Throne stossen imd 
statt seiner das Weltregiment übernehmen. Auf diesem Wege 
erhielte man also zwar einen allmächtigen Herren über die 
Geister, dessen Wille als dw zwingendste Despotismus durch 
den Bann der Geister die Welt beherrschte , aber keinen ver- 
nünftigen Monotheismus. 



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38 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

II. Flüssiges and Coiisisteutes in den <iitttterge8taiten. 

Ein Streben zur Einheit ist allerdings auch in den Reli- 
gionen selbst vorhanden , und es äussert sich darinnen, dass 
fa^t keiner der Götter auf ein einziges besonderes Element in 
seinem Walten eingeschränkt ist, und somit fast jeder die 
Fähigkeit besizt, seine Einseitigkeit zur Allseitigkeit zu erwei- 
tem und am Ende sogar die Weltherrschaft zu bekommen. 
Hängt doch auch in der Natur Alles mit einander zusammen 
und gfjüt in einander über, und selbst das Entgegengesezte 
bedingt sich gegenseitig: wie sollten also die Götter oder 
Geister sich in Grenzen einengen lassen die keine sind? Was 
ist unter sich verschiedener als Tag und Nacht, Tod imd 
I^ben? Allein Tag und Nacht gehen in einander über imd 
scheinen sich gegenseitig zu erzeugen, und auch aus dem Tode 
gibt es ein Erwachen zu neuem Leben. Mithin wird auch die 
Sonne nicht bloss dem Tage und auch nicht bloss den Leben- 
den, das Licht schauenden (wie die Griechen sagen), angehö- 
ren : denn was thäte sie wohl des Nachts, wenn sie nicht denen 
drunten in der Unterwelt, wenigstens den Seligen im Elysium, 
leuchtete? Also wird der König der Lebenden zugleich der König 
der Todten sein müssen (Kronos und Wodan) , und der Helios 
wird wechselsweise auch der Herr des Hades sein können. Dass 
die Seelen der Menschen Ausflüsse aus dem Aether sind oder 
dass sie aus dem Himmel stammen, das ist ein sehr alter, fast 
möchte ich sagen den Menschen angeborener, Glaube, der nicht 
erst auf die Erfindungen der Philosophie zu warten hatte. 
Wenn nun der Mensch stirbt, so kommt zwar die Seele mit 
ihrem Leibe initer die Erde hinab, aber sie bleibt nicht an das 
Grab gebunden, sondern kann frei umherschweifen und walten 
da wo sie einst gelebt und ge^Wrkt hat ; ja sie kann auch wieder 
in den Himmel zurückkehren und werden was sie gewesen ist. 
Ist es also wohl zu verwundem, dass auch Zeus, der Genius 
der Genien, stirbt und begraben wird und wieder aufersteht, 



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* A. Von der Entstehung der Religionen. 39 

also zeitweilig znmÜidwvevg wird? Und wenn nicht er selbst, 
so erleidet das sein ihm gleicher Sohn, der Zagreus (lakchos, 
Atys, Adonis u. s. w.). Also scheint der Zeus nicht allein mit 
seinem von ihm gnmd verschiedenen Bruder Pluton , sondern 
auch mit seinem Vater , dem Kronos , in Eins zusammen zu 
fliessen , und in dem Semitischen Bai oder Bei sind wirklich 
beide untrennbar vereinigt, und dieser Bai ist femer auch mit 
dem Moloch Eins, welcher das Aether-Feuer ist. Zeus ist der 
Himmel : dem Himmel ist die Erde entgegengesezt, und wohl 
in allen Religionen bilden der Himmelsgott und die Erden- 
göttin ein ehliches Paar, aus deren Begattung das Meiste 
erzeugt wird. Aber in dem Phrygischen Zwitterwesen Agdistis 
scheinen Beide vereinigt, imd die Hellenische Religion, welche 
die Zwitterwesen verschmäht, lässt trozdem aus der Hüfte des 
Zeus den Dionysos imd aus seinem Haupt die Athene her- 
vorgehen, und diese von ihm allein gezeugte Tochter ist ihm 
so völlig gleich, dass man sie für sein anderes weibliches 
Selbst, und somit Beide für eine Person, nehmen muss. Posei- 
don ist der Beherrscher des Meeres: aber auch die Quellen 
entspringen alle aus dem Meer und die Wolken entstehen aus 
dessen Ausdünstungen : und wenn die Alles vertrocknende Som- 
merhize am höchsten gestiegen ist, so stürzt der Sonnengott in 
das Meer hinab, und dann steigen aus demselben die Wolken 
auf und bringen mit den Passatwinden die tropischen Regen, 
von denen die Gewächse wieder erquickt und belebt werden. 
Also wird der ins Meer gestürzte Phaethon-Melkarth (Meli- 
kertes) auch zu einem Seegotte und Genossen Poseidons (in 
den Isthmischen Spielen), während umgekehrt der Bellero- 
phon - Poseidon mit dem Quellenross P^asos in den Himmel 
aufsteigt, um in Gewittern, vom Blize getroffen, wieder her- 
abzufahren. Auch der feuergezeugte {nvQiyevi^g) Dionysos 
flüchtet sich zu den Nymphen in die See , und nicht allein 
dieser, sondern auch der Feuergeist Hephästos selbst, aus dem 
Himmel stürzend, findet Aufnahme bei den Göttinnen der 



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40 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen/ 

See, und wandelt sich also in einen See -Kobold um, gleich 
dem Glaukos- Proteus -Nereus. Sollen wir noch ferner davon 
reden, dass die Erdengöttin zugleich Mondgöttin ist, und dass 
dieselbe in den drei Reichen waltet als Artemis -Hekate- Pre- 
serpina? dass sie als Semele stirbt, als Köre hinabgeraubt 
wird, als Persephone oder unterirdische Hera neben dem Plu- 
ton thront, als Thyone in den Himmel zurückgeführt wird, als 
Artemis auf der Erde in Wäldern und an Quellen unter den 
Nymphen waltet? Statt aller anderen Beispiele wollen wir noch 
das erwähnen, dass es mehrere Klassen von Geistern oder 
DämonS^ gibt, Engel und Teufel, Riesen xmd Zwerge, schöne 
jugendUche Götter , Kinder des Himmelsgottes oder Genien, 
und wiederum monströse Erdgeburten und halbthierische Un- 
geheuer, himmUsche und unterirdische. Zwei Klassen nun 
von diesen scheinen sich so schroff entgegen zu stehen , dass 
sie niemals Eins gewesen sein können : und dennoch sind sie 
aus einander hervorgegangen auch nach der biblischen Tradi- 
tion , so dass sie also auch wieder zu einander zurückkommen 
können, gleichwie die Geister der Gestorbenen und die Unter- 
irdischen wieder in den Himmel eingehen können. 

Indessen lassen auch diese Thatsachen sich nicht als 
Beweise für die Ursprünglichkeit des Monotheismus gebrau- 
chen ; vielmehr bestätigen sie nur unsere Behauptung, dass, wo 
immer ein Monotheismus aufgekommen ist, derselbe durch 
1 allmähliche Erweiterung eines Volks- oder Familiengottes ent- 
standen sei , indem die Fähigkeit zu solcher Erweiterung in 
einem jeden Gotte liegt. Der umgekehrte Fall, dass durch 
Beigesellimg immer neuer numina zu einem ursprünglich 
einzig vorhandenen Weltengotte ein Polytheismus aus dem 
Monotheismus hervor gegangen wäre, etwa so wie in dem 
mittelalterlichen Christenthum durch Einimpfung des Christen- 
thums auf das Heidenthum der Himmel mit Heiligen bevöl- 
kert worden ist, denen man die Kirchen und Dome baute, 
und die Maria^ als Himmelskönigin, neben den drei Personen 



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A. Von der Entstehung der Keligionen. 41 

der Gottheit sieh niedergelassen hat dergestalt , dass diese in 
den Hintergrund und in Ruhestand traten — dieser Fall 
würde erstlich das frühere Vorhandensein eines ausgebreiteten 
Polytheismus voraussezen , mithin eben die Ursprünglichkeit 
des Monotheismus nicht beweisen, zweitens auch das Auftreten 
von Religionsstiftem behaupten, von denen doch ii^endwo 
noch eine geschichtliche Spur vorhanden sein müsste. 

Mit der oben beschriebenen Flüssigkeit göttlicher Persön- 
lichkeiten hängen noch einige andere Erscheinungen zusam- 
men, die wir jezt betrachten wollen. 

12. Variationen des Glaubens und der Mythen. 

Es gibt keine einzige griechische Sage von der nicht 
mehrere Variationen sich vorfänden, und dieser Mangel an 
Uebereinstimmung rjihrt keineswegs immer von Dichter- 
Erfindungen her, sondern bestand im Volksglauben, welchem 
die Dichter gefolgt sind^®). So wird z. B. einem Gotte die- 
selbe Göttin oder auch Heroin bald als Schwester und bald als 
Gattin , in einer dritten Sage vielleicht sogar als Mutter zur 
Seite gestellt. Und das geschiht bisweilen unter Beibehaltung 
desselben Namens für die wechselnde Göttin : trägt dieselbe 
aber mehrere Namen , so dass dem Wechsel noch weniger ein 
Zweifel im Weg stand, so geschah es oft, dass die eine Person 
durch die mehrerlei Namen auch in mehrere Personen aus 
einander gieng. Auch Prädicate von Göttern treten als beson- 
dere göttliche Personen auf, und vereinigen sich auch wieder 
mit ihnen : so die iV/xj; neben der Athene, die Qifiig neben 
der Erde. Dieser Umstand macht das Geschäft des mytholo- 
gischen Forschers sehr verwickelt. J^esser ist man bei der 
Religion der Arier in den Veden daran, in welcher noch Alles 
durchsichtig und flüssig ist, noch nichts eine concrete Gestalt, 
sei es durch herrschende Dichtungen oder durch Dogmen, ange- 
nommen hat. Hören wir darüber den Bericht von Max Müller 



28) S. Schömann, Or. Alt. II. p. 129 ff. 



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42 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

in einer durch Welcker**) mitgetheilten Stelle. »Es ist kein 
System von Religion oder Mythologie in den Veden. Namen 
sind in einem H)Tnnus als Appellative gebraucht, in einem 
anderen als Namen von Göttern. Derselbe Gott ist bald vor- 
gestellt als über anderen bald als gleich bald als unter ihnen. 
Die ganze Natur dieser sog. Götter ist noch transparent , ihre 
erste Conception in manchen Fällen klar fasslich. Es sind bis 
jezt keine Geiiealogieen, keine festen Ehen zwischen Göttern 
und Göttinnen. Der Vater ist zuweilen der Sohn, der Bruder 
Gemahl, und die welche in einem Hymnus die Mutter ist, ist 
in einem anderen die Gattin. Wie die Auffassungen des 
Dichters wechselten, so wechselte die Natur dieser Götter. 
Nirgends wird die weite Entfernung, welche die alten Ge- 
dichte Indiens von der ältesten Literatur Griechenlands trennt, 
deutlicher gefühlt , als wenn wir die werdenden Mythen der 
Veda mit den ausgewachsenen und welkenden Mythen ver- 
gleichen, worauf die Dichtkunst Homers gegründet ist«. »In- 
dess steht((, wie Duncker bemerkt, »auch die Anschauung 
dieser Götter nicht melir auf der ersten Stufe, und ist bereits 
ein ziemlich ausgedehnter Vorrath von Mythen 
vorhanden: man weiss ganze Reihen von Thaten, welche 
die Götter vollbracht haben, aufzuzälen, es ist öfter von 
alten Weisen der früheren Zeit die Rede((. Aus diesem 
Schwanken und jenem Flüssigsein folgt für die Forscher die 
Pflicht, das Mögliche und Ideelle von dem Gewordenen und 
Concreten zu unterscheiden. Ideal fliesst Alles in einander, 
aber alles Gewordene ist trozdem ein besonderes Eigen thüm- 
liches, an Ortschaften, Völkerschaften und deren Geschichte 
Gebundenes, als hätte es über diese locale Färbung und Be- 
schränkung niemals hinausgereicht. Das Verhältniss ist ein 
Aehnliches wie bei einer Sprache, deren ganzer Wörtervorrath 
sich wohl auf eine kleine Zal von Stämmen zurückführen lässt, 



29) Gr. Myth. I. p, 226. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 43 

die man in andeten Sprachen wiederfindet, während doch 
jede» einzelne Wort jeder besonderen Sprache durch die eigen- 
thümlichen Begriffe des Volkes ein ganz eigenthümliches, oft 
unübersezbares, geworden ist. 

IS. Da8 Ausströmen und Rückströmen göttlicher Persönlich- 
keiten und die Dogmen. 

Doch nicht allein historisch sind göttliche Persönlich- 
keiten aus einander und in einander übergeflossen, sondern 
noch täglich gehen dergleichen Trennungen und Vereinigun- 
gen in den Gemiithem der Gläubigen vor und ist das die ein- 
zige Möglichkeit die Persönlichkeit der göttlichen Wesen mit 
ihrer Allgegenwart und die Einheit des Welt -Regiments mit 
der Vielheit der Schuzgeister zu vereinigen. Wir haben be- 
reits bemerkt, wie ein jeder Mensch seinen Haus- oder Schuz- 
gott zum Weltengott zu erheben oder, was auf Eins hinaus- 
geht, den Weltengott zu seinem speciellen Schuzgeiste herab 
zu ziehen pflegt, wenn z. B. die Römischen Frauen ihre Genien 
ihre Juno nannten , oder wenn ein Christ in seinem Gotte 
vergnügt ist, und ihn um Hilfe anruft gegen 'seine Wider- 
sacher und ihn immer zur Seite hat gleich einem Genius. Ob 
diese begleitenden Gottheiten Eins mit den höchsten Gott- 
heiten oder getrennt von ihnen walten , darüber gibt das Ge- 
müth sich keine klare Rechenschaft. Der Teufel, welchem 
Faust sich verschrieben hat, ist in der bestimmten sagenhaften 
Ausprägung ein Unter-Teufel, Mephistopheles genannt : die- 
selbe Bewandtniss musste es auch mit demjenigen Teufel 
haben , welcher fast allnächtlich den Schlaf unseres Luther 
störte, um mit ihm zu disputiren. Allein Luther nennt ihn 
den Teufel, nicht einen Teufel, und macht sich über 
die Möglichkeit, wie derselbe böse Geist zugleich bei ihm 
in seiner Schlafkammer verweilen, und zugleich an an- 
deren Orten und bei anderen Personen mit J^einem Wesen 
walten könne, keine Scrupel. Und so kennt auch der 



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44 I- Ueber die Entstehung und Wcitei'bildung der Religionen. 

mittelalterliche Volksglaube zwar ein ganzes Reich von Teu- 
fehi, aber diese zallose Schaar fliesst in jedem Augenblicke 
wiederum mit dem einen Teufel zusammen^ welcher der Geg- 
ner Gottes ist, und man hat sich darüber keine klaren und 
bestimmten Begriffe gebildet. Wenn nun in so ein Gebiet der 
rechnende Verstand hineingreift, wo er nicht hingehört, dann 
stuzt er erst und steht eine Weile still, aber bald ermannt er 
sich wieder und findet Mittel, um auch diese fremde Welt sei- 
ner Botmässigkeit zu unterwerfen : er schafit nämlich Dogmen, 
die, weil sie lauter schlechterdings Unbegreifliches enthalten, 
unei^ründliche Geheimnisse heissen : und wenn er dies voll- 
bracht hat, übergibt er diese so zu Stand gebrachte Organisa- 
tion des heiligen Staates der Wissenschaft, wie er sagt, d. h. 
der Scholastik, zu weiterer Verwaltung. Zwar die alten blinden 
Heiden haben dem Verstand keinen Eingriff in die Gebiete 
des Dichtens tmd Glaubens verstattet, und sind dadurch be- 
wahrt geblieben vor Kezergerichten , Religionskriegen und 
anderen Greueln, welche die Oeschichte der christlichen Völker 
entstellen. Man weiss im ganzen Alterthum nichts von einer 
Bevormundung des Glaubens, bis der Kaiser Julian sich ver- 
anlasst sah, eine Art Religions - Unterricht einzurichten zum 
Schuz gegen die Angriffe der Christen'®]. Nur der Cultus und 
die überkommenen Gebräuche durften nicht angetastet werden : 
die Gedanken aber waren frei bis auf völlige Leugnung der 
Götter, womit natürlich allem Religionswesen sein Werth und 
seine Bedeutung abgesprochen worden wäre **] . Es war allge- 
mein herrschende Ansicht, dass die Religion ihren Ursprung 
in dem Bewusst^in des Menschen habe, nicht von aussen ihm 
aufzudringen sei'*), also bedurfte man auch keiner üeber- 
wachung. 



30) Schömann, Gr. Alt. II. p. 152, Note 3. 

31) S. Schömann, a. a. O. p. 152—155. 

32) vofit^to Ttttvtag avd-Qoinovg laov negl avximv — sc. tmv d-ilfav — 
intüraa^ai sagt Herodot II, 3. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 45 

1^ Die lieldniBcheD Rrliglorten wi^isea auf keine hlsUrisrlie 
Vroirpnbarang zurücic. 

Der bereits oben berührte Glaube, dass die Religionen 
zerfallene und mit Unkraut überwucherte Trümmer einer Ur- 
offenbarung seien, und von dieser reinen Quelle aus eben so 
bis zur Unkenntlichkeit, wie die Lehren eines Buddha und 
Moses, ja selbst Christi , verderbt worden seien , ist ein sehr 
verbreiteter Glaube, und auf historischem Wege und von 
Seiten der Erfehrung allein ist ihm nicht recht beizukommen, 
weil er sich auf die bereits dargelegte, in allen Religionen vor- 
handene, Anlage zum Uebergang in den Monotheismus stüzt. 
Sein Irrthum aber besteht in der Verwechselung des Ideellen 
mit dem Wirklichen, oder darinnen, dass er jenes zu einem 
uranfanglichen Historischen macht. Also geht derselbe auch 
Hand in Hand mit dem Glauben an die historische Existenz 
eines Paradieses in der Urzeit, welcher auf der nämlichen Ver- 
wechselung des in allem Endlichen, als dessen Wesenheit, 
seienden Unendlichen oder Ideellen mit dem Uranfänglichen 
beruht, indem er annimmt, dass das jezige Wirkliche aus jenem 
heraus verdorben sei. Dieser Glaube ist dem Herzen Bedürf- 
niss, und wir wollen ihn walten lassen da wo er hingehört : 
aber im praktischen Theben zeigt er sich schädlich, 'indem er 
die Menschen und ihre Zustände nicht so nimmt wie sie sind, 
sondern wie sie sein könnten wenn die goldene Zeit noch be- 
stände, und Träume zu verwirklichen strebt anstatt Gefor- 
dertes und Mögliches zu leisten. »Verscherzt ist dem Menschen^ 
des Lebens Frucht, so lang er die Schatten zu haschen sucht«. 
Ein Irrthum welcher dem lieben nicht frommt kann aber noch 
weniger der Wissenschaft erspriesslich sein. Und die Wissen- 
schaft soll überhaupt auf keinen Wahn gebaut werden und von 
keinem Wunderglauben ausgehen. Ein Wunder aber wäre es 
gewesen, wenn Gott zu Anfang der Zeiten eine ideelle Welt 
und Menschheit in die reale, eine unendliche in die endliche 



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46 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der lUligionen. 

hinein gesezt hätte, die sich aber nicht halten konnte, sondern 
alsbald in die fehlerhafte endliche umschlagen musste. l^d 
was ist denn damit erklärt? oder was ist überhaupt damit ge- 
sagt ausser demjenigen was jedennann weiss oder doch fühlt, 
dass nämlich hinter dem Unvollkommenen ein Volkommenes, 
hinter dem Endlichen ein Unendliches liege, und dass das 
eine ohne das andere gar nicht gedacht werden könne. Und 
wollen wir den Wahnglauben noch weiter auf unsere For- 
schung anwenden , was haben wir damit gewonnen , wenn wir 
eine sündenreine und erleuchtete Menschheit annelimen, die 
durch innneres Schauen und näheren Verkehr mit Gott die 
reine Erkenntniss unmittelbar an der Quelle geschöpft habe ? 
Mit dem Verluste des Paradieses und der Umwandlung des 
vollkommenen Zustandes in den mivollkommenen musste 
doch diese Erkenntniss so vollständig verloren gehen, dass 
kaum mehr eine Erinnerung verbleiben konnte, sintemal ja 
zugleich eine Umwandlung des ganzen geistigen imd leib- 
lichen Lebens, ja sogar auch eine Veränderung der äusseren 
Natur, eintrat : und wenn auch ! wenn wirklich eine Erinnerung 
an die frühere Erleuchtung gerettet wuide aus dem Paradiese, 
wie lang konnte sie sich rein erhalten und was konnte sie wir- 
ken in dem beschmuzten Gefässe? Oder haben wir die Ver- 
treter jener Ansicht missverstanden, und denken sich dieselben 
keineswegs eine v(m der jezigen Menschheit verschiedene 
Menschheit als die Trägerin der Uroffenbarung, sondern bloss 
einzelne Weise, die durch besondere göttliche Offenbarung 
oder auch durch erleuchtete Erkenntniss und inneres Schauen 
die Urreligion empfangen und ihren Mitmenschen mitgetheilt 
hätten? So ist darauf zu erwidern, dass damit der Wunder- 
glaube nur ein wenig abgeändert, im Grunde aber derselbe 
geblieben ißt. Die erleuchteten Männer aber wachsen nicht so 
plözlich aus dem Hoden heraus noch fallen sie vom Himmel 
herab, sondern entstehen aus dem Volke als die begabtesten 
unter Gleichen, und sie kommen wenn ihre Zeit da ist, d. h. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 47 

wenn die Geistesrichtung , die sie vertreten, die herrschende 
g^orden ist. Auch erscheinen sie nicht unangemeldet, son- 
dern einem jeden Messias geht sein Johannes vorher, noch 
verschwinden sie wie Meteore, sondern lassen Nachfolger und 
Schüler zurück^ welche in ihrem Geiste fortwirken. 

So steht es mit der Annahme , dass die heidnischen Reli- 
gionen Trümmer und verunstaltete Reste einer aus dem 
Paradies geretteten, einst reinen und nachher getrübten, 
Gotteserkenntniss waren, einer Ansicht, welche vielen »Guten 
und Besten« die Köpfe verrückt hat, die harten Köpfe, die an 
»irden -schlechten Töpfen«, wie die Kabiren ^ sind, zerstossen 
wurden, worauf gar viele dickleibige Bände voll spizfindiger 
Phantasien und vornehm klingender Phrasen geschrieben 
worden sind , deren blosse Durchlesung einem gesunden Men- 
schen Kopfweh machen kann. Es ist aber auch dieser Irrthum 
lediglich auf die Verwechselung der philosophischen Specula- 
tion mit der Religion g^^ndet, von welcher wir nachher 
sprechen wollen. Denn hätte sichs um blosse Religion gehan- 
delt, so würde man eingesehen haben, dass gerade diese erst 
nach dem Sündenfall ihren Ursprung haben konnte. Nur der 
sündenbewusste Mensch sucht Gott imd bedarf der göttlichen 
Hilfe zur Erlösung aus seinem unglücklichen Zustande: der 
glückliche und mit Gott einige Mensch bedarf ihrer nicht. Ist 
es aber so, dann haben die Religionen den entgegengesezten 
Entwickelung^fang genommen , nämlich nicht aus dem voll- 
kommenen Zustande abwärts in den entarteten , sondern aus 
der Un Vollkommenheit zu höherer Vollkommenheit. Und wären 
sie auch von einer Offenbarung ausgegangen, da Gott dem 
Menschen niemals anders als im Herzen sich offenbart, das 
Herz aber eine Offenbarung nur immer in dem Grade rein 
empfangen kann als es selber rein und unverdorben ist, so 
kann die Urreligion, als das Erzeugniss einer sündenbe- 
wussten Menschheit, eben nicht die reinste gewesen sein, so 
wenig als jene Menschheit die vollkommenste und reinste war. 



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48 !• Ueber die Entstehung und Weiterbildung der lieligionen. 

Also werden wir wohl Recht haben, wenn wir behaupten, dass 
die Religionen anfänglich so einfach, so naturwüchsig un^.so 
roh wie die ersten Menschen gewesen seien, m ihrer fort- 
schreitenden Entwickelung aber zugleich mannichfaltiger in 
ihren Formen geworden sind und aus dem roheren Zustande 
einem reineren und edleren zugestrebt haben, indem sie glei- 
chen Schritt hielten mit der Cultur, die wir im steten Fort- 
schritt von dem Roheren zum Menschlicheren und Edleren 
hinstreben sehen. 

15. Dnterscliefdaiig geolTeii barter und natürlieber Religionen. 

Es ist endlich auch eine Verwechselung späterer Cultur- 
^stände mit früheren und eine unbefugte Uebertragung dessen, 
worauf die christliche Religion den meisten Werth legt , auf 
die ethnischen Religionen, wenn man in die Urzeit eine Oifen- 
banmg verlegt. Geoffenbarte Religionen, d. h. solche die von 
Propheten als Stiftern ausgehen, kennen .wir in Asien ausser 
der mosaischen noch die von Zoroaster und die von Buddha 
herrührende. Zwar ist die Entstehung dieser beiden, wie auch 
die Personen ihrer Stifter, in Fabeln gehüllt, aber das Gepräge 
geoffenbarter Religionen ist ihnen dennoch so deutlich ange- 
drückt, dass sie sich wesentlich von den sogenannten natür- 
lichen Religionen unterscheiden. Eine Eigenthümlichkeit 
jener Religionen ist es nämlich, dass sie, als Reformationen 
und als Negirung des natui^emäss im Volke entstandenen 
und durch Tradition festgehaltenen Grözendienstes, die 
natürlichen Neigungen verwerfen und eben deswegen eine 
viel strengere Disciplin mit weit weniger Duldung als die 
natürlichen Religionen in sich enthalten. Während daher die 
lezteren, bei aller Anerkennung dass der Mensch nicht wie 
das Thier seinem Triebe folgen könne, und bei allem Ikwusst- 
sein der Sündhaftigkeit, von welchem eine jede Religion 
getragen wird, doch kein höheres Gesez als das naturgemässe 
Leben und Handeln kennen, und als lezte Instanz der Moral 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 49 

nur die innere Stimme , das unverdorbene natürliche Gefühl 
anerkennen, was sie mit einem Worte q>vüLVy naiuram, nen- 
nen ; so verlangen die geoifenbarten Religionen unbedingte Hin- ) 
gebung an die Worte des Propheten, weil dem natürlichen Ge- ' 
fühle nicht zu trauen sei, und nehmen einen Sündenfall an, 
durch welchen der Mensch die Reinheit seines Gefühles ver- 
loren habe"). Auch das ist eine Kluft welche, die ethnischen 
Religionen von den sog. geoffenbarten trennt: weshalb man 
sich wohl hüten soll, die Eigenthümlichkeiten dereinen auf 
die anderen überzutragen. 

16. Der Anfang der Religionen war nicht Specaiation. 

Alle Vorstellungen von Urreligion und Uroffenbarung 
beruhen auf der Annahme , dass die ersten Menschen nichts 
Angelegentlicheres zu thun hatten, als der philosophischen 
Betrachtung, der &eo)Qia, sich hiuzugeben, welches, wie ge- 
sagt, eine Verwechselung ganz später Cultur-Zustände mit den 
ursprünglichen ist. Die Speculation sezt Theilung der Arbeit 
voraus, wenn einzelne vorzugsweise sich ihr hingeben sollen, 
sie sezt eine Schwächung des Instinctes voraus, wenn prak- 
tische Menschen zwischen ihren Geschäften ihr abliegen sollen : 
und die ersten Menschen mussten von diesen beiden vorbedin- 
genden Zuständen gerade am weitesten entfernt sein. Sie 
mussten von einem mächtigen Instincte so richtig wie die 
Thiere geleitet werden, dass sie in allem was sie unternahmen 
sich, so zu sagen, als Genies bewiesen: sie »untersuchten 
nicht, sie fühlten nur«, und ihr Gefühl war immer das rich- 
tige: sie pflegten »zu wandeln und auf ihren Weg zu sehen«, 
und befanden sich dabei wohl, dass sie weiter nichts bedurften. 
Man kann auf jene Menschen Alles dasjenige anwenden was 
Schiller von der Naivetät der Genies sagt. »Unbekannt mit 
den Regeln (Gesezen), den Krücken der Schwachheit und 



33) S. über die Anhänger Buddhas Webers Allg. Weltgesch. I. p. 258 
und über Zoroasters Lehre hier unten. 

H&rtmig, Bei. Q. Mythol. d. Gr.I. 4 



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50 ^' Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

den Zuchtmeistem der Verkehrtheit, bloss von der Natur oder 
dem Instinct, ihrem schüz^iden Engel, geleitet, geht sie ruhig 
imd sicher durch alle Schlingen des falschen Geschmaokest 
u. s. w. « Sie veriahrt nicht nach erkannten Principien, son- 
dern nach Einfallen und Gefühlen: aber ihre Einfalle sind 
Eingebungen eines Gottes (Alles was die gesunde 
Natur thut, ist göttlich), ihre Gefühle sind Gesese für alle 
Zeiten und für alle Geschlechter der Menschen«. In dieser 
Weise also erkennen auch wir einen glücklicheren sündelosen 
Urzustand an, in welcher Weise ihn noch jezt ein jeder Mensch 
theilweise besizt und theilweise verloren hat , je nachdem die 
Natur sich mehr in ihrer Reinheit und Unschuld erhalten hat, 
oder durch Fehltritte, zu welchen Begierde und Leidenschaft 
verführen, unsicher geworden, Hilfe und Wiederherstellung 
bei den Kegeln suchen muss. Denn wer nur immer in irgend 
einem menschlichen Thun, bloss von seinem Gefühle gdeitet, 
das Rechte trifft, ein Mädchen das, von keiner Hofmeisterin 
geleitet, sich mit natürlichem Verstände benimmt und mit An- 
muth bew^, ein Jüngling welcher, von allen äusseren Ein- 
wirkungen unbeirrt, immer das was ihm gemäss ist ergreift, 
und was ihm «darin von Meistern und Lehrern geboten wird 
ohne Nachbeterei und Nachäfferei sich eigenthümlich aneig- 
net, verdankt dies der Unverdorbenheit einer mächtigen 
Natur, und ist, soweit er auf dieser ruht, ein Genie. Ein 
solches Uebergewicht des Instinctes über den Verstand, oder 
vielmehr eine solche Alleinherrschaft des Listinctes, trauen wir 
also den ersten Menschen zu, und in diesem Urzustände hatten 
sie Gott (nicht Götter), ohne es zu wissen, und was sie immer 
thaten das thaten sie mit Gott. In dem Maasse aber als sie 
»des frommen Instinctes liebende Wamtmg verwirkten, als 
das tückische Herz den hellen Verstand trübte, und der Em- 
pfindimgen Streit eines Richters, d. h. der Regeln, bedurfte«, 
in demselben Maasse fiengen sie an über den QueU des Uebels 
nachzudenken, und in dem nämlichen Grade wie sie nach 



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A. Von der Entitehung-der Religionen. 51 

Verlust ihres inneren Friedens sieh unglücklich fdhken^ 
fiengen sie auch anGötterzu suchen. Aber ihr Nachdenken 
über den Ursprung des Bösen und über die Mittel davon frei 
zu werden^ wenn es auch einige Mythen hervorbrachte, wie 
wir späterhin sehen werden, war doch nicht die Quelle 'der 
thätigen Religion, d. h. des Götter- oder Gözendienstes , als 
welcher vielmehr von dem Gefühle des Unglücks und dem 
Drange der Noth eingegeben , und von der Furcht und der 
Hoffiiung, den zwei mächtigsten Beherrschern des Menschen- 
lebens, geschaffen wurde. 

17. Die ReligioB wird «larch das Bednrfoiss In dem Herzen 

erzeagt. 

Der Mensch findet sich hier auf diese Erde heigesezt 
machtlos g^;enüber den Mächten die von aussen und von 
innen ihn gewaltsam beherrschen. Er empfindet zwar die 
Wirkungen, erkennt aber in den seltensten Fällen die Ursachen, 
welche oft nach vielen Jahrhunderten erst die Wissenschaft zu 
entdecken vermag. Da steht denn die Phantasie keinen Augen- 
blick an, für jede Wirkung nicht allein eine Ursache sondern 
auch einen Urheber zu erfinden, an dessen Existenz nicht ge- 
zweifelt werden kann , weil ja der thatsächliche Beweis , die 
Wirkung, vor Augen li^. Wenn Blize zucken und zünden, 
wenn der Donner rollt, der Regen in Güssen auf die Erde her- 
abströmt, so muss gemäss der gleich zu Anfieuig von uns darge- 
legten Anlage des kindlichen Naturmenschen die Schöpfung 
mit lebenden Wesen Dämonen oder Geistern zu erfüllen, droben 
im Himmel ein mächtiger Beherrscher des Himmels und der 
Erde walten, welcher die Blize als seine Geschosse schleudert, 
die Wolken sammelt und in ersäufenden Regengüssen die 
sündige Menschheit heimsucht^). Wenn der Winter Alles 
erstarren imd erfrieren macht, so muss das die Wirkung eines 



34) IL n, 385. 



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52 I. lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

bösgesinnten Dämons sein ; und wenn er im Lenz mit Ueber- 
schwemmungen abzieht, so ist das eine Reinigung der Erde 
von der Befleckung dieses Dämons. Wenn einen Menschen 
plözlich, wie wir sagen, der Schlag trifit, so hat ihn ein Gott 
mit- einem Pfeile todtgeschossen. Und wenn jemand, von einer 
Leidenschaft willenlos hingerissen, gethan hat was ihn gereut, 
dass er hinterher selbst nicht begreifen kann, wie er dazu ge- 
kommen , so war er von einem Geiste besessen. Uns mag es 
oft kaum begreiflich erscheinen, dass die Menschen von so 
häufig wiederkehrenden Erscheinungen, wie z. B. das An- 
schwellen von Flüssen oder auch deren blutrothe Färbung ist, 
die so nahe liegenden Gründe nicht erkannt**), und daher 
Flussgeister sich eingebildet haben, welche durch Herbei- 
ziehung von Gewässern aus dem Erdboden Ueberschwem- 
mungen machen, wenn sie nicht durch Opfer begütigt werden, 
in der Art wie z. B. der Skamander in der Ilias es macht, dem 
man Stiere schlachtete und lebendige Rosse versenkte '•) . Und 
wiederum weil man das Ausbleiben der Quellen bei anhalten- 
der Dürre nicht erklären konnte, dichtete man Drachen, die 
das Wasser im Erdboden zurückhalten. Von wannen die 
Winde kommen, war noch schwerer einzugehen , und darum 
ist der Schlauch des Aeolos (den Kronos zum Verwalter der 
Winde gemacht hatte. Od. x, 21 imd die zwei Fässer bei den 
Indem, aus deren einem die Winde, aus dem anderen die 
Regenwolken herausgelassen werden*^), und die Windebe- 
schwichtiger in Korinth [dve/ioxo'iTai bei Hesych) und die 
Stürme besprechenden Magier bei den Persern^), was auch 



35} Schon darum ist die Deutung des Pr&dicates dun^rrji durch coelo 
lapsus unzulässig. Euripides gebraucht es im Sinne von 6iavy/jg. Also wird 
es auch aus dia-tnuv (oder tnovv) gemacht sein : hptxi aber heisst nicht 
drücken sondern brennen urere^ verwandt mit ignis, 

36) IL <f, 131. 235. 312. 

37) Philostr. Leb. des Apollon. T. III, 3. 

38) Herod. VU, 191. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 53 

Empedokles zu machen verstand^), schon weniger zu verwun- 
dem. Also sind auch noch bei Shaxpear (im Macbeth) Hexen 
die Macherinnen graulichen Wetters und haben alle Winde im 
Besizy und selbst Luther glaubte das noch*®) . Auch Blize wur- 
den hergezaubert**), und was ist nicht Alles den Hexereien 
von Weibern Magiern und Indischen Büssem zugetraut 
worden ! 

So wird die Welt mit Geistern und Göttern bevölkert, 
und kann der Mensch keinen Gedanken hegen imd keinen 
Finger rühren, ohne dass unsichtbare Mächte entweder anregen 
oder mitwirken. Und überall hat auch der Ziifall sein Spiel : 
klug entii^orfene Pläne missUngen in der Ausfuhrung, während 
oft was die Dummheit beginnt mit einem glücklichen Ende 
gekrönt wird und nebenher noch Vortheile erntet: und der 
Starke unterliegt, während der Schwache, vom Glück b^ün- 
stigt, den Sieg davonträgt. Allein Glück und Zufall sind zwei 
Namen welche in dem Begriflfskreise frommdenkender Men- 
schen nicht zu finden sind. Es sind Wirkimgen deren Ur- 
sachen man nicht kennt, mithin Anlässe für die dichtende 
Phantasie, Geister und Götter nach der Wahrscheinlichkeit in 
Handlung zu sezen. Was also andere Glück nennen, das ist 
ihnen ein Offenbarwerden der Gegenwart unsichtbarer Mächte, 
ein sichtbares Eingreifen ihrer Hände. An jedem Ort imd in 
jeder Gemeinde imd bei jedem Geschäft sind sie zugegen : wer 
ihrer Hilfe theilhaftig sein will , der rufe sie durch Opfer und 
Gebete, und mache, fem von stolzem Selbstvertrauen, sich 
diese Machte gewogen, von denen eine jegliche Gabe kommt 
und ohne welche niigends ein Segen oder Gedeihen sein 
kann^*). Nicht Philosophie sondern Psychologie ist der 
Schlüssel zur Erklärung der Religionen und der Mythen : denn 



39) Sturz, p. 53. 

40) S. Tischreden p. 196, b. 

41) PHn. H. N. n, 104. 

42) II. % 546. 



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54 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

aus den Seelenzuständen quellen sie unbewusst hervor^ und der 
Greist des Menschen selbst schaffl; sich seine Glaubens-Objecte, 
um sich von ihnen beherrschen zu lassen und ihre Anerken- 
nung sodann auch anderen als Gresez aufzulegen und als Be- 
dingungen zu zeitlicher und ewiger Seligkeit. So wie nun das 
menschliche Herz bei allen Völkern zu allen Zeiten und unter 
allen Zonen im Wesentlichen das nämliche bleibt, so werden 
uns auch überall die nämlichen Vorstellungen über das Ver- 
hältniss der Götter zu den Menschen begegnen , nur je nach 
dem Stande der Bildung verschieden gefärbt. Also ist die 
Religion zwar überall ein Bund , mittelst dessen man sich des 
Schuzes und Beistandes gewisser Gottheiten versichert : aber 
dieser Bund wird je nach dem Geiste der Contrahenten auf 
verschiedenen Motiven ruhen. Der rohe Mensch hat rohe 
Götter, die von Liebe und Treue nichts wissen , mithin ge- 
zwungen werden müssen. Also wird er den Vertrag mit ihnen 
in demjenigen Sinne schliessen in welchem Faust ihn mit 
Mephistopheles schliesst : 

Die Hölle selbst hat ihre Rechte? ! 

Das find' ich gut ! Da Hesse sich ein Pact, 

Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren» schliessen. 

Wenn aber das Leben menschlicher und die Gesinnung 
milder wird, dann tritt Vertrauen an die Stelle der Furcht, 
Gnade an die Stelle der Schuldforderung, Frömmigkeit an die 
Stelle der guten Werke; dann verschwindet der Glaube an die 
magische Kraft der Ceremonien und Symbole (Fetische) ; 
dann findet man es endlich auch göttlicher Personen unwürdig, 
ihnen Laster und Leidenschaften anzudichten deren selbst 
Menschen sich schämen würden. 

Wenn sodann die Götter sittlich gute Wesen geworden 
sind, so erwartet man dass sie auch bei den Menschen die 
Sittlichkeit befördern, das Gute belohnen imd das Böse be- 
strafen, imd wenn sich dieser Glaube in den Schicksalen der 
Menschen nicht bestätigt findet , so weiss man das in vielerlei 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 55 

Weise zu rechtfertigen. Wenn z. B. ein Edler unschuldig 
leidet 9 so büsst er eine von seinen Vorfahren begangene 
Schuld: wienn ein herrlicher Mensch ^ der kein Verbrechen 
begangen hat, plözlich von einem Glückes-Gripfel in die Tiefe 
des Elendes hinabgestürzt wird , so haben die Götter es nicht 
dulden flögen, dass ein Mensch so hoch steige , etwa gar sich 
ihnen gleich stelle^ oder haben ihn bei Zeiten Demuth lehren 
wollen, damit er nicht ausarte ; wenn Jugend mit Schönheit 
und Unschuld yereinigt vom Tode dahingerafft wird , so war 
sie zu gut für die Erde oder es kann in dieser sündenver- 
derbten Welt überhaupt nichts Vollkommenes existiren (»das 
ist das Loos des Schönen auf der Erdea) , oder Gott hat sie zu 
' sich genommen um ihr ein besseres Dasein zu bereiten u. s. w. 
Ein Mittel mit dem Weltregiment sich zu verständigen findet 
das Gemüth zulezt auch darin, dass es die Vorausbestimmung 
und den ZufiäU, die Moifa und die Tvx^j selbst in die Zal der 
Götter versezt, mithin zu persönlichen Wesen macht gleich 
dem dalfitovj und ihnen zwar Willen und Empfänglichkeit für 
Opfer und Gebete zutraut, aber keine sittlichen Motive*'). 
Mit einem Worte: die Religion quillt aus dem Her- 
zen und wird darinnen durch die Noth und das 
Bedürfniss erzeugt. 

18. Der Anrang der ReligioHen war nicht Bllderdeakeii. 

Man spricht von einer 2ieit wo die Menschen noch nicht 
so wie jezt in Begriffen, sondern in Bildern, gedacht haben, 
oder »wo die Begriffe sich noch nicht ohne die Vermittelung 
der Phantasie dem Bewusstsein dargestellt haben»; und etwas 
Schöneres konnte man wahrlich nicht erfinden, um theils sei- 
nen Irrthum vor den Angriffen der gesunden Vernunft zu 
retten, theils die Fruchtbarmachung der mythologischen Wis* 



43) Vgl. Archilochos Fr. 16. ndvta Tvxn xal MoXqa, U^QCxkiiq, 
avSql JidcjüiV. Diagoras (p. 266 m. Ausg.) xarie SaCfiova xai Tvx«v ra 
ndpta ßQoroXatv ixTiXtlrat. Pindar Ol. XII, 1—16. Plin. H. N. II, 5, 22. 



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56 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

senschaft für unser Leben zu hindern. Indem man die Mensch- 
heit, von welcher die Religion und die Mythen herstammen 
sollen^ als eine von der jezigen spezifisch verschiedene^ sogar 
mit einer anderen Denkkraft begabte^ betrachtet^ ist man der 
Anwendung dessen was die Vergangenheit lehren kann auf 
seine eigenen Zustande überhoben. Also ist auch wirklich 
kein Aberglaube zu plump^ kein Irrthum zu toll und kein 
Missbrauch in ideellen Dingen zu kraus, welchen, und wäre 
er auch schon zehen Mal bekämpft und verworfen worden, die- 
jenigen, welche darin ihren Vortheil finden, nicht immer wie- 
der von Neuem aufzuwärmen und geltend zu machen sich ge- 
trauten, und leider meistens mit Glück durchfuhren, darum, 
weil die Werkstätte, wo dergleichen gebraut wird, noch für 
die meisten ein Geheimniss und die Naturgeschichte des Aber- 
glaubens noch keineswegs genugsam erforscht ist, vielmehr 
die Forscher in der Nebelwolke, um deren Erforschung es sich 
handelt, selber darin stecken. 

Die ersten Keligionsstifter waren weder Philosophen noch 
Dichter noch ein Mittelding von beiden, sondern eben einÜEich 
religiöse Menschen, die was sie sagten eben gerade so sagten 
wie sie's meinten, nicht in Bildern eingehüllt, die man missver- 
stehen und missdeuten, auch wohl mit dem darin eingehüllten 
Gegenstande vertauschen konnte. Philosophen hätten wiedenun 
Philosophen zu Nachfolgern gehabt, Dichter würden Dichter- 
schulen gegründet haben. Das siht man ein, und darum 
erdenkt man gewisse ganz besonders organisirte Dichter- 
Denker, welche unmittelbar in Bildern gedacht haben, weil 
die bewusste Erfindung und Verwendung der Bilder zur 
Accommodation schon eine Art von Betrug voraussezen würde : 
nachher seien die Bilder mit den darin verhüllten unsichtbaren 
Ideen vertauscht worden von dem unfähigen oder entarteten 
Volke, und daraus sei dann die Vielgötterei , Abgötterei , der 
Thierdienst und die grosse Masse von Fabeln und alles was 
uns an den alten Religionen so seltsam vorkommt entstanden» 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 57 

Dieser Grundirrthum hat eine Menge von Irrthümem im Ge- 
folge, den einen schädlicher und an der Auffindung des Rech- 
ten hinderlicher als den anderen, wie wir nachher an einigen 
Beispielen zeigen wollen. 

Jede Religion beruht auf Wunderglauben, und der Wun- 
derglaube ist von AnfiBuig entstaiiden und wird so lange die 
Welt dauert noch immer fort auf die nämliche Weise entstehen 
wie wir ihn täglich unter den Menschen entstehen sehen. Wo 
aber ein Wunderglaube waltet, da ist auch sogleich die Le- 
gende oder der Mythus zur Hand, der ihm zur Auslegung 
dient. Wunder aber sind Thaten von Geistern oder Göttern, 
entweder sichtbare Einschreitungen der Götter in den Grang 
der Begebenheiten, theUs um Menschen aus Nöthen zu retten 
theils um Uebelthäter zu strafen, oder Stichen durch welche 
sie ihren Willen kundthun und die Zukunft vorher bestimmen. 
Die Offenbarungen der lezteren Art fordern mitunter einen 
Ausleger, TVQOqn^rjg : ausserdem gibt es Seher und Wahrsager 
als Erforscher der göttlichen Zeichen, Opferer und Beter. Das 
sind Mittler zwischen der Gottheit und der Gemeinde, und die 
Seher sind die eigentlichen Grründer der gottesdienstlichen 
Gebräuche. Und diese alle sind weder hoch über der Menge 
stehende und sich accommodirende Weise noch müssige, das 
Cebersinnliche in Bildern schauende Betrachter, sondern vor 
allem gläubige und an demjenigen was sie thun und zeigen 
treu haltende Menschen, die religiösesten unter den religiösen ; 
und die Ceremonien verrichten sie nicht als sinnbildliche 
Handlungen, sondern als wirkungskräftige, Geister bewe- 
gende, mitunter sogar bindende, und Gewähr leistende Sym- 
bole. Denn Geistern kann man nur mitOeisterkraft begegnen, 
und das Symbol unterscheidet sich von jedem anderen BUd 
oder Zeichen eben dadurch, dass es eine Bürgschaft gewährt 
und ein Unterpfand ist des Bundes welchen der Gott mit dem 
Menschen geschlossen hat : dadurch aber gewinnt es im Aber- 
glauben magische Kraft gleich einem Amulet, indem der Greist 



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58 ^* Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

oder Gott mit seiner Gegenwart und seinen Wirkungen an 
dasselbe gebunden scheint. Das sind die sogenannten Heil- 
thümer oder Heiligthümer, mit den Reliquien der mittelalter- 
lichen Christenheit zu vergleichen , welche besonders in den 
geheimen Culten eine so grosse Rolle spielen. So w^iig aber 
als diese Symbole^ d. h. Unterpfänder, jemals für blosse Bilder 
gegolten haben , so wenig sind die Götter jemals blosse Alle- 
gorien oder dichterische Ideale oder rednerische Personifica- 
tionen gewesen, sondern von Anfang an lebende Wesen, wal- 
tende Dämonen und Geister, und davon sind auch die sitt- 
lichen Eigenschaften wie Fides j Hanos^ Altai, ^qo u. s.iw. 
nicht ausgenommen. Denn blossen Phantasiegebilden schlachtet 
man keine Opfer, den Göttern aber sind zu allen Zeiten und 
an allen Orten Opfer geschlachtet worden, und zwar je älter 
die Zeiten waren desto grausamere. 

19. Avhaiig. lieber das Avesta. 

In der Untersuchung über die Beschafienbeit der ältesten 
Religionen müssen zwei in der neuesten Zeit erst recht zu- 
gängig gewordene Documente, die Veden und das Avesta, 
einen grossen Ausschlag geben, wenn sie acht sind. Nun lässt 
sich zwar an der Aechtheit der Veden und ihrem Alterthum 
nicht zweifeln, weil der sicherste Beweis fiir dieses die Sprache 
und für jene die Geltung noch bei den heutigen Brahmanen 
ist. Auch'das Avesta stammt ohne Zweifel aus dem Alterthum 
her und seine dem Sanskrit so nah verwandte Sprache ist 
ohne Zweifel die heilige Sprache der alten Perser gewesen: 
daraus folgt aber keineswegs, dass diese Religionsschriften so 
alt seien als sie sein wollen, indem Priestersprachen noch viele 
Jahrhunderte fbrtgesezt zu werden pflegen, wenn sie längst 
im Volke abgestorben sind. Zuvörderst muss man wissen, 
dass der Zarathustra ein mythischer Name ist, wie der Orpheus 
und der Numa , und gleich dem Yima oder Dschemschid zu 
den Heroen der Perser gehört. Trozdem kann die mit seinem 



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A. Von der Entstehung der Religionen. 59 

Namen bezeichnete Reformation in Glaubens-Sachen wirklich 
vorgegangen sein^ und die sehr wesentliche Unterscheidimg 
der Persischen Religion von der Indischen , mit der sie doch 
so Vieles gemein hat, liefert den Beweis für diese Trennung. 
Diese Eigenthümlichkeit der Zarathustrischen Religion aber 
besteht in der scharfen Entgegensezung des guten und des 
bösen Princips^ Äkurch-mazda und des Angriz^-maiT^ffM, zweier 
den Veden noch ganz unbekannter Wesen , während doch die 
Dämonen -Kämpfer Verethragkna und (praosha als Viiraffhna, 
Budra und Maruta auch in den Veden bereits vorhanden sind. 
Vielleicht bekundet die Umwandlung der dev<is (Grötter) in die 
daecas Teufel des Parsenglaubens und des Himmelsgottes 
Indra in den Geist der Finstemiss Andra eine gewisse Feind- 
schaft beider Religionen, die jedoch auch vieles Heilige mit 
einander gemein haben, vor allem den Saft Soma a= Haoma und 
dessen göttliche Verehrung , das Feuer als Verscheucher imd 
Tödter der Dämonen, den Gt)tt Mithray die Sagen yonVhanff- 
hvnt as Vwascat imd seinem Sohne Ytma = Yama, von den Dra- 
chentöAtemTh(ietaana^Bs Traitana und Kereca^a^KrigänUy den 
Qarca a= Qica und die Alpinen ssAcvinen*^) . Die beiden Reli- 
gionen haben auch geographisch einander ganz nahe gelegen, 
indem die Indische in dem Fünfstromlande, die der Iranier in 
Baktrien ihre erste Heimath imd Wiege gehabt haben muss, 
imd beide Völker nannten sich Arier, Deutet soweit der Inhalt 
des Avesta vermöge seiner Zusammenstimmung mit den Veden 
auf den ältesten Ursprung hin, so sind wiederum viele andere 
Umstände vorhanden, welche die Einwirkungen einer spätem 
Zeit erkennen lassen, so dass man wenigstens die Redaction 
dieser Bücher in eine sehr späte Zeit sezen muss, vielleicht in 
die der Wiederaufi&ischung der alten Religion durch die Sas- 
saniden (226 n. Ch.)**). Denn es zeigen sich in der Persischen 



44) Duncker, Gesch. des Alt. II. p. 13. 332. 

45) S. Duncker, IL p. 308 f. 



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60 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Beligionen. 

I Liturgie sogar Elemente vom Cultus der Syrisch- christlichen 
[Kirche*^). Der Name Zend-Avesta, wenn Zend die Huz- 
varesch -Uebersezung bezeichnet*'), scheint nur in dieser Be- 
ziehung von Bedeutung zu sein. Dunckerll. p. 383 meint, 
dass zwar das Gesezbuch Irans, dessen Bruchstücke im 
Vendidad erhalten sind, zwischen 800 — 600 vor Ch. abgeÜBisst 
sein werde : ob aber die Mehrzahl der Gebete und Anrufungen 
des Avesta derselben Zeit angehören, bezweifelt er, weil es 
gewiss sei, dass bei der Erneuerung des Kanon unter den 
Sassaniden viele jüngere Gebete Aufiiahme gefunden hahen. 
Die Haltung des Ganzen sei dürr prosaisch und in gewisser 
Weise modern, meint er p. 372, die Göttergestalten allegori- 
sirend verblasst und eine Menge von Abstractionen imd leb- 
losen Personificationen erfüllen den Himmel, Unterscheidun- 
gen, welche die Inder erst spät machten, seien dem Zendavesta 
bereits geläufig, die existirendeWelt imd die Welt der Geister, 
die körperliche und die körperlose, seien gewöhnliche Katego- 
rien u. s. w. Endlich meint er, es werde Niemand im Zenda- 
vesta das Product einer naiven Religiosität zu erblicken ge- 
neigt sein. Und wir sind der nämlichen Ansicht, und in dieser 
Ansicht befestigt uns Windischmann in seinen Abhand- 
lungen über die Persische Anahita oder Anaiüs und über den 
Mühra, in denen er darauf ausgeht, die Uebereinstimmung 
des Inhaltes des Avesta mit den Nachrichten der Alten darzu- 
legen, in der That aber, d. h. durch die Schuld der That>- 
sachen, das Gegentheil thut. So ist von der Anaitis im Avesta 
keine Spur zu finden ausser der Ardci cüra andhita, d. h. der 
fliessenden starken reinen, der Göttin des überirdischen be- 
fruchtenden Wassers, die vom Berg Hakairya zum See Vourur- 
kascha fliesst und auch mit vier weissen Bossen fahrt, femer 
in Gestalt einer wohlgeformten und schöngeschmückten Jung- 



46) S. Spiegels Avesta I. p. 14. 18. IL p. CXX. 

47) Spiegel, Lp. 45. 



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A. Von der Entstehung der Religionen. Q \ 

frau erscheint und, als Gewässer, den Samen der Männer und 
den weiblichen foetus reinigt. Und es erscheint sogar noch 
zweifelhaft, ob in dem niemals allein vorkommenden Adjectiy 
anähita (nicht unrein) jene Atuü'üs zu finden sei, von wel- 
cher W. Folgendes aus den Zeugnissen der Alten herausge- 
bracht hat : Sie wird vorwiegend Artemis, und zwar die Per- 
sische Artemis genannt, aber auch mit Aphrodite parallelisirt, 
hatte inmitten offenbar Zarathustrischer Institutionen \md 
neben Wesen desselben Religionssystems (Omanos und Ana- 
datosj weit verbreiteten Cultus in Persien, Baktrien, Medien, 
Elymais, Kappadokien, Pontus und Lydien: ihre Tempel sind 
zu Babylon, Susa, Ekbatana, Konkabar, zu Sardes, Hierocä- 
sarea und Hypäpa, in Damaskus, in Zela, in Akilisene, einer 
Armenischen Provinz: ihr Dienst wird von Priestern und 
Hierodulen versehen und ist mit Mysterien, Festen und un- 
züchtigem Wesen verbunden: die Persischen Sakäen werden 
mit ihr verknüpft ; heilige Kühe sind ihr gewidmet ; Artaxerxes 
Mnemon stellte ihr zuerst Bildsäulen auf und führte dadurch 
den Bilderdienst in Persien ein; ihre Statue zur Susa war 
massiv golden und wurde ein Menschenalter vor Christus im 
Parthischen Kriege geraubt. Manche führten ihren Cultus auf 
die Taurische Artemis zurück, andere suchten ihn schon zu 
Zeiten des Kyrus; jedenfalls schliesst die Angabe, Artaxerxes 
habe zuerst ihr Bild aufgestellt, einen früher bilderlosen Cultus 
der Anaitis eben so wenig aus, wie bei den anderen Yazatas. 
Die von Herodot bezeugte Existenz einer Aphrodite bei den 
Poreem lässt vielmehr das hohe Alter desselben nicht be- 
zweifeln. 

Von dem Mithra geschiht zwar viele Erwähnung im 
Avesta, doch geben die Stellen gleichfalls nur ein verblichenes 
Bild im Vergleich mit demjenigen was der auch in das Abend- 
land gedrungene Cultus zu erkennen gibt. Von dem felsge- 
borenen und in Grotten verehrten Gotte, von dem Rinder- 
diebe, der seinen Raub in der Höhle verbirgt, von dem Stier- 



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62 !• Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Tödter findet sich keine deutliche Spur in den yielen Grebet- 
fonneln und Anrufungen des Avesta, und die Entstehung der 
berühmten Mysterien ist aus ihnen nicht zu begreifen. Ent- 
weder also ist dieser ganze Cultus eine Entartung so eigner 
Art wie noch nie eine in den sämmtlichen Religionen vorge- 
gangen ist 9 oder die Bedaction jener Gebetformeln ist jünger 
sogar als die Verbreitung des Mithradienstes nach dem Occi- 
dent hin, welche von der Zeit des Seeräuber- Krieges anhebt. 



B. Von der Weiterbfldong der Religionen. 

1. Glaube and Aberglaube. 

Welcker, Gr.Götterl. n.p. 127 ff. fuhrt eine Menge Bei- 
spiele an von dem unter den heutigen wie unter den ehemaligen 
Griechen herrschenden Wunder-Glauben und von der Leicht- 
gläubigkeit mit welcher dergleichen örtliche Sagen und Legen- 
den sowohl erzält als auch hingenommen werden. Er erkennt, 
wie daran die Mantik, die Zeichen- und Traumdeutung und die 
Astrologie sich knüpfe, und dass die deujidaipLOvlaj die er mit 
»Götterangst« übersezt, nur ein höherer Grrad des Aberglaubens 
sei. Sodann siht er ein (p. 144), wie gerade das Heidenthum 
allem diesen Aberglauben ausgesezt sei und »durch dessen ge- 
fährliche Auswüchse entstellt oder seiner gesunden Lebens- 
säfte beraubt werde.« Von den Christen sodann sagt er: »Viel 
nicht mit der Beligion in Verbindung stehender, sondern i;^ur 
von der Unwissenheit oder der Phantasie hervorgebrachter 
oder aus selbstsüchtigen Absichten genährter Aberglaube 
wird immer bleiben. Denn viel ist dessen aus den vorchrist- 
lichen Zeiten herabgeerbt und, wie es scheint , untilgbar ge- 
worden. Viel anderer wird immer entstehen durch den Himger 
der Geister, auch auf den untersten Stufen, sowohl der Boh- 
heit als auch einer aus XJeberfeinerung, Eitelkeit und Faulheit 



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B. V<m der Weiterbildung der Beligioiieii. $3 

entspringenden Ungesundheit der Reichen^ nach immer neuen 
wunderbaren, ohne Kenntnisse und ohne Nachdenken leicht 
aufruhaschenden Dingen und Vorstellungen. Auch das freie 
Spiel mit dem Absonderlichen und Unerklärlichen wird immer 
Vielen gefiülen, und der Hang £u dem Geheimnissvollen auch 
im Kleinsten hängt immer zulezt zusammen mit dem grossen 
Geheimniss des Menschen und Gottes und der Welt, dessen 
Ahnung oder Bewusstsein in uns sich immer von neuem regt.« 
In allen diesen Betrachtungen vermissen wir eine genaue Un- 
terscheidung dessen was der Verfasser Glaube und was er Aber- 
glaube nenne. Er hat p. 1 35 viele Beispiele von Verwände- 
lung des Wassers in Wein erzält, aber nirgends gesagt, wie 
sich das Wunder zu Kana in Galiläa zu jenen Wundem ver- 
halte. Wir können seine Ansicht darüber ohngefahr errathen 
aus der Bemerkung, dass das Christenthimi »bei seinem 
Eintritt in die Welt von Wundem und Mysterien sei 
begleitet gewesen, und dass dasselbe die Religion selbst 
(ansich) sei und jeden Aberglauben nothwendig verscheuche 
und vernichte (p. 145). Hier erlauben wir uns die Frage: 
Hängen denn jene Wunder, mit denen das Christenthum in 
die Welt getreten ist, nur so aussen daran, ohne einen Wim- 
derglauben vorauszusezen und zu begünstigen, und lassen sie 
sich abstreifen wie eine Schlangenhaut? Wo ist die Grenze des 
Glaubens und des Aberglaubens für die gläubigen Bekenner? 
Denn kaum dass Welcker behauptet hat, das Christenthum 
verscheuche und vernichte den Aberglauben, so weiss er eine 
ziemlidi grosse Masse von Fällen herzunennen, in welchen 
auch christlich gesinnte Menschen dem Aberglauben verfallen 
können. Er hätte aber noch edlere Charaktere und begabtere 
Geister mit in die Beispielsammlung einschUessen können, 
einen Jung-StiUing, einen Lavater, einen F. L. Stolberg; er 
hätte endlich sagen können »fehlerhafte Menschen überhaupt«, 
und endlich, da es keine fehlerlosen Menschen gibt, sondern 
wohl jeder einen unreinen Flecken an sich hat, durch welchen 



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€4 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

der Böse Eingang findet^ »alle Menschen« oder »alle Christen.« 
Auf das Wie kommt es an, wie wir nachher sehen werden, 
und nicht auf das Was allein, und es ist keine Gerechtigkeit 
in dem Verfahren, die Verimingen und Ausartungen, zu wel- 
chen die Religionen überhaupt in dem 6ebahren fehlerhafter 
Bekenner hingerathen lassen, der einen Religion, die Voll- 
kommenheiten aber, zu denen ihre erleuchteten, durch Künste 
und Wissenschaften gehobenen und vor Irrthum mehr und 
mehr geschüzten Bekenner gelangen konnten, der anderen 
Religion in Rechnung zu bringen. Welcker nennt das Chri- 
stenthum die Religion an sich. Ein Ding an sich müsste frei- 
lich von allen Entartungen ewig befreit bleiben können. Aber 
schwerlich möchte diese Religion an sich, die sich zu dem 
wirklichen Christenthum verhielte wie Goethes Urpflanze zu 
der Rose, den Theologen genügen. Es gibt keine Religion an 

I sich, so wenig als es einen Baum an sich oder ein Gebäude an 

I sich geben kann. 

Wenn Welcker sagt, dass der Hang zum Geheimniss- 
vollen zusammenhänge mit dem grossen Geheimniss des Men- 
schen und Gottes und der Welt, so war er auf dem Wege zu 
der Einsicht, dass ein gewisser Wunderglaube zum Wesen 
einer jeden Religion nothwendig gehöre, und dass der rechte 
Glaube von dem Aberglauben nur modal verschieden sei. Was 
man mit eignen Augen sehen, mit eignen Ohren hören, mit 
eignem Verstände prüfen kann , dazu bedarf es keines Glau- 
bens: und wenn die Menschen es jemals so weit bringen 
könnten oder zu bringen hoffen dürften, dass sie Alles durch- 
schauen und Alles erklären könnten, dass das Verhältniss 
Gottes zur Welt , des Leibes zur Seele u. s. w. kein Geheim- 
niss mehr wäre, so könnten sie die Zumuthung des Glaubens 
abweisen. Das Unbegreifliche aber ict auch das Unüberwind- 
liche : was unsere Fassungskraft überragt , dem müssen auch 
unsere Kräfte unterliegen : und wenn jenes zum Glauben auf- 
fordert, so. zwingt dieses auch zum Wunder -Glauben. Ein 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. $5 

Wunder an sich ist schon alles Unbegriffene und Unbegreif- 
liehe, und wo der Mensch mit seiner Kraft zu Ende ist, und 
doch nicht verzichten kann noch will, sei es von Unruhe des 
Geistes oder von Noth getrieben, da muss er auf Wunder 
hoffen und an Wunder glauben, wenn er nicht verzweifeln 
soU. Es ist also das Gefühl der Ohnmacht welches den Glau- 
ben an Götter (Dämonen, Geister, wie man sie immer nennen 
will) und an Wimder (denn alles Eingreifen von Geistern oder 
Göttern in die menschlichen Angelegenheiten nennt man 
Wunder) in den Seelen erweckt: doch muss schon vorher eine 
religiöse Stimmung im Gemüthe sein: denn der Freigeist 
glaubt an den Zufall, der Systematiker an Vorherbestim- 
mung oder Schicksal. Wenn Schiller sagt: »du musst hoffen, 
du musst glauben, denn die Götter leih'n kein Pfand : nur ein 
Wunder kann dich tragen in das schöne Wimderland ! « so ist 
darauf zu erwidern , dass die Götter allerdings Pfänder leihen, 
nämlich die heiligen Symbole, und dass das eben das Wunder 
sei welches mittelst des Glaubens in das schöne Wimderland 
hinübertrage. Schon ein von einem geliebten Menschen ge- 
gebenes Andenken hat eine gewisse Wunderkraft, indem es 
dem Liebenden und Glaubenden den abwesenden Greliebten 
vergegenwärtigt und gewissermassen ersezt, also nicht bloss 
et^vas bedeutet , sondern auch wirklich etwas wirkt und ist. 
Betrachten wir dagegen wie der schlimmdenkende Aberglaube 
dergleichen Pfander missbraucht. Die Amme im Hippolyt des 
Euripides verlangt ebenfalls ein PfScmd von dem Jüngling, 
eine Haarlocke oder eine Franse von seinem Rock , und hat 
den festen Glauben, dass sie mit diesem Mittel zaubern oder, 
was hier einerlei ist, Wunder thün könne. Aber erstlich ist es 
ihr gleichgiltig, auf welchem Weg sie zu diesen Pföndem ge- 
lange, sodann kommt es ihr auch gar nicht auf die Gesinnung 
des Jünglings an, als welcher vielmehr wider seinen Willen 
zur Liebe gezwungen werden soll. Hieran erkennen wir, wie 
sich Glaube und Aberglaube von einander unterscheiden. 

HArtnng, B«l. n. Mythol. d. Gr. I. 5 



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68 I. lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Die Culturgeschichten der Volker liefern genug Beispiele, wie 
die gottesdienstlichen Ceremonien und Symbole als Zauber- 
mittel gebraucht zu werden pflegen und ihnen eine gleiche 
Kraft in Bezug auf die Götter zugetraut wird wie der Zaube- 
rer seinen Sprüchen [earmvia] und Mitteln [medicamenta oder 
veneria) zutraut *•) . Dann ist das Zaubermittel din Fetisch , in 
dem gewissermassen ein Dämon steckt , welcher über andere 
Dämonen Gewalt hat^®), und der Priester ist nicht besser als 
ein Schamane oder Hexenmeister, der mit seinen Verrichtun- 
gen (den »Worten und Werken « oder den Sprüchen und Bräu- 
chen) selbst die Teufel zwingen kann. Da kommt es nun auf 
ganz genaue Beobachtung alles Vorgeschriebenen an: denn 
eine einzige Sylbe felsch gesprochen oder ein Versehen in der 
Verrichtung der Ceremonien macht das Ganze ungiltig oder 
kann auch Unglück bringen. Darum waren die alten Römer, 
als Schüler der abergläubischen Etrusker, so peinlich im Spre- 
chen ihrer Gebetformeln und im Verrichten ihrer Ceremonien. 
Auf die Gesinnung aber kommt es gar nicht an, mehr darauf, 
dass der Opfernde oder Betende keinen Schmuz am Leibe habe 
oder sonst keinen Fehler, durch welchen die Unglücksgeister 
Eingang finden. Etwas besser als dieser Fetisch - und Scha- 
manen-Glaube ist derjenige Standpunkt, in welchem man 
Opfer, Gebete, Büssungen und Ceremonien als sog. gute 
Werke übt, d. h. als Leistungen für welche eine Gegenlei- 
stung zu erwarten sei, wo also die Symbole fast wie Kassen- 
scheine gebraucht werden, als Anweisungen fiir hiesiges Wohl- 
ergehen und dereinstigen Eingang in die Ewigkeit. 

Z. Wie die Griechen den Aberglauben ttbenftondeu liaben. 

Glaube ist also in jedem Fall die Grundbedingung für 
die Religiosität, aber mit dem Glauben allein ist es nicht ge- 



48) Vgl. Plin. H.N. II, 54. 140. 141. H. Rückerts Culturgeschichte 
des deutschen Volkes II. p. 195. 255. 

49) Vgl. Horaz, epod. V, 67— 8i. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 67 

than : denn wer unterscheidet ihn vom Aberglauben der Bud- 
dhisten, der Schamanen, der Hexenmeister, der Fetisch- An- 
beter, der werkheiligen Räuber und Verbrecher? Auch auf 
das Object des Glaubens kommt es nicht an und nicht auf das 
Dogma: denn alles lässt sich missbiauchen, obwohl das Dogma 
nicht gleichgiltig ist. Die Zeit des dreissigj ährigen Krieges 
und der Hexen -Verbrennungen , zugleich der Alchymie und 
Astrologie, kann gewiss am wenigsten sich der Freiheit von 
Aberglauben berühmen: und doch war dieselbe aus dem 
erhizten Streit über die reinste Reinheit der Dogmen hervor- 
gegangen. Die Grriechen haben niemals weder um Dogmen 
noch um Ceremonien gestritten, haben auch niemals einen 
kirchlichen Staat neben dem politischen und eine von den 
weltlichen Beamten getrennte Priesterschaft gehabt, welche 
den Glauben vorschrieb und den Gottesdienst regelte und die 
Kezer bestrafte, und trozdem sind s i e es gewesen, welche die 
Greuel des Asiatischen und Aegyp tischen Aberglaubens über- 
wanden und eine menschenwürdige vernunftgemässe Religion 
aufbrachten, deren grösster Fehler bloss der war, dass sie eine 
Volks- und keine Welt-Religion fiir die ganze Menschheit 
war, und darum nothwendig mit den anderen ethnischen Reli- 
gionen untei^ehen musste als die Zeit derselben vorüber war. 
Durch welche Mittel also haben denn wohl die Griechen ihre 
Religion zu demjenigen gemacht was uns heute noch zur Be- 
wunderung hinreisst erfreut und belehrt, wenn wir die Früchte 
desh^elben in der Poesie und Kunst betrachten? Sie haben 
Gemüth und Seele Geist und Vernunft hineingetragen, den 
zerstörenden Verstand aber mit seiner Frivolität und Streit- 
sucht abgehalten. Also haben sie auch das Material des Glau- 
bens nicht angetastet, nur durch die Kunst verschönert — das 
Schöne aber ist allemal auch vernünftig — , und nicht das 
Was sondern nur das- Wie des Glaubens in Betracht gezo- 
gen. Ein tadelnswerther Glaube war ihnen nicht ein von vor- ( 
geschriebener Rechtgläubigkeit abweichender Glaube, soif^ 



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6g I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

dem ein aus einer unwürdigen Leidenschaft stammender und 
in unwürdiger Weise sich äussernder Glaube. Also nannten 
sie den Aberglauben Geisterfurcht [duoidaifjiovla) . Da »wo 
trüb und wild ein Volk, sich selbst und banger Ahnung über- 
lassen^ des Menschenlebens schwere Bürden trägt a, da wirkt 
die Furcht, dass man den Dämonen Menschen zum Opfer 
schlacKtet, und von ihnen besessen rast um sie los zu werden, 
und auf jedem Tritt und Schritt etwas zu verfehlen furchtet 
was ihnen Eingang verschaffen könnte. Von solchem Verhält- 
niss zu den Göttern finden sich noch genug Spuren in den 
Religionsbräuchen der Hellenen, aber die Homerischen Götter 
bereits sind anderer Art. Auch die Asiaten haben den Zustand 
sklavischer Furcht nicht gerne ertragen und sich davon zu be- 
freien geweht: allein anstatt sich die Götter als eine höhere 
Menschheit zu denken, die man bewundem und lieben könne, 
hat man dieselben in Vorderasien toll und ausschweifend vor- 
gestellt, so wie man selbst gerne war : so war freilich die Höhe 
ausgeglichen, allein der Mensch hatte mit dieser Herabziehung 
des Göttlichen nichts gewonnen. 

3. Der Asiatische Aberglaube and seine Verbreitung nach 
dem Westen. 

Wir betrachten nun zuerst den Asiatischen Aberglauben, 
um den Abstand zwischen ihm und der Hellenischen Religion 
deutlicher zu zeigen , sodann dessen erneuertes Herüberströ- 
men nach Griechenland in wiederholten Reactionen, und die 
erneuerte üeberwältigung desselben durch die Kunst und 
Poesie bis zum entschiedenen Siege der Humanität, wo die 
Völker-Religionen sich auflösen und der Weltreligion weichen 
mussten. 

Der Aberglaube also äussert sich ganz besonders in dem 
Glauben an Magie , die wir Sympathie zu nennen pflegen , an 
Zauberei, Hexerei, Besessensein von Geistern imd Austrei- 
bung derselben, kurz eben in demjenigen was die Griechen so 



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B. Von der Weiterbildung der Keligionen. 69 

richtig Geister furcht genannt haben. Denn was ist Magie 
anders als wunderbares Einwirken auf Geister, die dadurch 
gezwungen werden dem Magier zu Willen zu handeln *•)? 
Eine Geschichte der Magie gibt Plinius H. N. XXX, 1 mit 
interessanten Thatsachen. Wir wollen einige historische Bei- 
spiele dieses besonders bei den Indem und den Aegyptem 
unglaublich weit getriebenen Unsinns vorzeigen. Porphyrius 
bei Augustin De civ. dei X, 1 1 fragt den Aegypter, dessen 
Dämonenglauben er ad absurdum fähren will, wie es möglich 
sei, dass so mächtige Wesen, wie die Götter sind, von laster- 
haften Menschen durch Drohungen sich schrecken lassen. 
Denn man drohe ihnen den Himmel einstürzen zu machen 
und anderes Unmögliches, um sie zu einer Gebetserhörung zu 
zwingen. Und ein gewisser Chäremon, der mit derlei Weihen 
bekannt sei, sage, dass der allbekannte Aegyptische Glaube 
eine grosse Gewalt habe die Götter zu zwingen, wenn z. B. 
ein Spruchsprecher der Isis oder dem Osiris drohe, ihre Wei- 
hen zu verrathen oder zu zerstören, oder gar die Glieder des 
Osiris gräulich zu verstreuen, wofern man seine Bitte nicht 
erfüllen wolle. Bei Apulejus Metam. 11, 5 kommt ein Aegypter 
vor, welcher Todte auferwecken kann : aus Aegypten stammen 
die Mysterien und alles was unter dem Namen des Orpheus 
gäng und gebe war, und zu allen Zeiten, wenn Griechenland 
einer Erneuerung des Aberglaubens bedürftig war, konnte es 
aus jener Quelle sich An besten versorgen. Auch Phrygien 
imd Syrien waren stets bereit mit ihrem Vorrathe auszuhelfen. 
Dort herrschte der Dienst der Naturgöttin mit ihren sich selbst 
entmannenden und verzückte ^änze auflfuhrenden Geissel- 
brüdem, ein nichtswürdiges Gesindel*, deren Thun und Trei- 
ben wohl von Apulejus Metam. Vlll, 24 und 27 am besten 
beschrieben wird. Wenden wir uns von da zu den durch eine 



50) Magwn exütinumt qui communums loquendi cum diu immortalibus 
ad omnia qnae velit incredibili quadam vi cantaminum poüeat, Apul. de 
magia 26. Derselbe über berühmte Magier und Wunderüiäter das. c. 90. 



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70 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

poetische Literatur ausgezeichneten Indiem. Der König Nala 
tritt einmal zufällig Abends vor dem Schlafengehen in seinen 
Urin, und geht zu Bette, ohne vorher die Füsse zu waschen. 
Da bekommt der böse Geist, welcher ihm lange mit Bosheit 
aufgelauert hat, Macht über ihn, und der vorher erstaunens- 
werthe Held, der es werth gewesen war, selbst hohen Göttern 
von der Damajanti vorgezogen zu werden, ist von nun an ver- 
wandelt, und sinkt bis zu einem ganz unbeschreiblichen Grade 
von Geistesverdüstening hinab — und dafür kann er nichts, 
denn es ist ihm angethan. Der Glaube, dass äussere Verun- 
reinigung innere Bethörung und Verblendung nach sich ziehe, 
indem sie den lauernden bösen Dämonen Eingang verschaffe, 
ist in allen ethnischen Religionen vorhanden, nur in ver- 
schiedenem Grade. Denn auf diesem Glauben beruhen die 
Waschungen, die Räucherungen, die Luftschwingungen, die 
Abreibungen mit Erde, die Büssungen und Sühnungen, die 
Besprengungen mit Weihwasser, die Wahl gewisser Speisen 
und Kleider und die Vermeidung anderer, welche unrein ge- 
nannt werden, die Furcht einen Todten oder eine Wöchnerin 
anxiurühren, der Gebrauch gewisser heiliger Zweige und der 
Wollenbinden, welche die Befleckung fem halten sollen : auf 
diesem Glauben beruhen femer die vorbereitenden Fasten Ent- 
haltungen und Kasteiungen welche der Einwdhimg in die 
Mysterien, der Zulassung zu gewissen Orakeln, und sogar den 
meisten gottesdienstlichen ITandlungelL vorausgiengen : darum 
miissten manche Priester so vielen Beschränkungen in Nah- 
rung Kleidung und Aufenthaltsorten sich unterwerfen, wril 
sie Alles vermeiden mussten was ihrem Gott für unrein galt: 
darum endlich haben die Pythagoreer oder Orphiker so Viieles 
zu beobachten und zu vermeiden gehabt, weil sie vor anderen 
Menschen durch Reinheit und Heiligkeit sich auszeichnen 
wollten und von den Einflüssen der bösen Dämonen sich mehr 
als andere fürchteten. Wo nun stehende Priesterkasten sind, 
wie in Indien, in Aegypten, bei den Parsen u. s. w., da be- 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 7 1 

steht ihr Geschäft besonders darin, solche Befleckungen von 
sich und anderen abzuwehren, und, wenn sie geschehen sind, 
Beinigui^en zn erfinden und auszufuhren. Da wird dann das 
ganze Leben der Menschen in unauflösliche Fesseln des Aber- 
glaubens geschmiedet und durch ein ängstliches Cermoniell 
der Obsenranz gebunden, von welchem jede freie Begung ge- 
hemmt, Geist und Natur völlig getödtet werden. So finden 
wir es in dem alten Asien überall, zumal bei den genannten 
Völkern. Zwar so toll, wie in den jezt zugängig werdenden 
Büchern des Zendavesta die Sache erscheint, kann sie selbst 
in Asiatischen Staaten niemals gewesen sein,- weil bei so einem 
Teufels- und Zauber- Wesen ein Staat, wie der alte Persische 
war, gar nieht hätte bestehen können, aber peinlich genug 
bewmsen sich auch die Römer in solchen Sachen und welches 
heidnische Volk war je firei von solchem Aberglauben? Der 
Aberglaube traut, wie gesagt, bestimmten Gebet- oder Be- 
schwörungsformeln und Ceremonien eine bindende \md zwin- 
gende Kraft über die Geister und über die Körper zu. »Seine 
Wort' und Werke merkt' ich imd den Brauch und durch Gei- 
stesstärke thu' ich Wunder auch.« Diese wunderwirkende 
Geistesstärke aber wird wiederum durch die nämUchen Mittel 
wie die übermenschliche Heiligkeit, nämlich durch Kastei- 
imgen und Büssungen, gewonnen. Es ist bekannt, wie weit 
die Indischen Büsser durch solche fortgesezte Uebungen mit 
der Zeit es bringen, uiid welche Macht sie dadurch gewinnen 
können. Ein einziges, noch dazu in ungerechtem Zorne ge- 
sprochenes, Wort eines solchen Büssers bringt jahrelanges 
tiefes Unglück über die Sakontola : ja, soweit geht der Hoch- 
muth dieser heiligen Demuth, dass sie den höchsten Herrn des 
Himmels vom Throne zu stossen und sich selber darauf zu 
sezen hoflt, wenn ihr nur (was allerdings nicht leicht ist) die 
jahrelang fortgesezte, von keiner menschlichen Empfindung 
jemals unterbrochene und gestörte , Büssimg gelingen würde. 
In Medien und Persien, wo die Magie recht eigentlich zu 



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72 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Hause war, muss dieser geweihte Unsinn wo möglich noch 
weitergegangen sein. Hier war es, wo das Wort {Hanoverj 
an sich vergöttert und ihm eine weltengestaltende Schöpfer- 
kraft beigelegt wurde. Hier gab es eine Unzal böser Geister 
[Na^rn und Drukhs) auszutreiben, was nur mit Ceremonien, 
Reinigungen Gebeten und magischen Formeln geschehen 
konnte : und so ein Geschäft forderte einen kundigen Mann, 
ohne Zweifel einen Magier. Den die Drukhs, wenn sie von 
dem einen Gliede vertrieben war, stürzte sich auf ein anderes, 
und der Reihe nach auf die Nägel, die Stime, die Brauen, den 
Hinterkopf, das rechte, das linke Ohr, die rechte, die linke 
Schulter, die rechte, die linke Achsel, die obere Brust, den 
Rücken, die rechte, die linke Brustwarze, die rechte, die linke 
Rippe, die rechte, die linke Hüfte, den Unterleib, den rech- 
ten, den linken Schenkel, und so weiter auf die Knie, die 
Schienbeine, die Füsse, die Knöchel, die Sohlen, die Fersen, 
die Zehen, bis sie endlich, aus allen Winkeln herausgejagt, in 
Fliegengestalt nach dem Norden, dem Size der Daews, ent- 
floh. Das war also keine kleine Arbeit, imd wenn dabei nur 
in einem Worte oder einer Verrichtung gefehlt wurde, so war 
Alles lunsonst. Hier in der Zend - Religion war es auch, wo 
zuerst der Hexenglaube, d. h. der Glaube an eine übermensch- 
liche Zauberkraft im Besize wirklicher leibhaftiger Menschen, 
die von Teufeln gezeugt seien oder mit Teufeln einen Bund 
gemacht haben , aufgekommen ist. Denn wir lesen im Ven- 
didad, dass es Teufels -Verehrer und Genossen der Teufel 
(elaeta) imd Beischläferinnen derselben unter den Menschen 
gebe, dass man bereits im Leben ein diieva werden könne, 
und dass die drukhs von Männern, welche Böses thun, ge- 
schwängert werden können u. s. w. Und es scheint, dass 
dieser Glaube in jenen Ländern sich immerfort gehalten habe 
bis in unser Mittelalter , wo er sammt anderem derartigen Un- 
rath unmittelbar zu uns herübergestürzt ist, um Feste zu 
feiern, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, und alle 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 7J 

Greuel, welche jemals in alten und neuen Zeiten der Aber- 
glaube ausgeheckt hatte, weit zu überbieten. 

Nicht viel besser als die Asiaten mögen die Etrurier in 
ihren Religionsansichten gewesen sein, und die von ihnen an- 
gesteckten Römer waren auf dem besten Wege, ihr ganzes 
Religionswesen, Auspiden und Götterdienst, als blosse M^e 
zu behandeln, wenn nicht die beständigen Kämpfe im Innern 
und die vielseitigen Berührungen und Reibungen mit anderen 
Völkern sie vor Aegyptischer und Indischer Verdummung be- 
wahrt hätten. 

4. Die Orphiker und Pythagoreer. 

Unter den Ghiechen wurde das ächtasiatische Wesen in 
Wunderglauben, in Magie und Zauberei, in Ascetik, Geister- 
furcht und Geisterbannerei durch die sogenannten Anhänger 
des Orpheus vertreten. Sie haben den mythischen Helden 
(einen von Mänaden zerrissenen und seine Gattin aus dem 
Hades zurückholenden und durch Zaubersprüche sogar die 
Höllenmächte besiegenden Gott Osiris, Zagreus oder Diony- 
sos) zu ihrem Meister gemacht, um ihrem Wesen das Ansehen . 
des graXien Alterthums zu geben, während sie richtiger bloss 
Pythagoreer genannt worden wären. Dass jedoch Pythagoras 
der erste Erfinder dieses Glaubens sei, ist ebenfalls nicht mög- 
lich, weil derselbe bereits von Alters her in Asien geherrscht 
hat. Nicht einmal der erste Einfiihrer in Griechenland kann 
Pythagoras gewesen sein, weil, wie gesagt, gewisse Ele- 
mente dieses Glaubens allem religiösen Glauben zu Ghrunde 
liegen. Aber ein mächtiger Erneuerer in diesem Felde ist er 
jedenfalls gewesen : denn während in den Homerischen Ge- 
dichten ein völlig weltliches Wesen herrscht und sehr wenig 
Wohlgefallen an Ascetik sich kund gibt, dabei auch wenig 
Achtung den Sehern Wahrsagern und Spruchsprechem zu 
Theil wird, und die Priester gar keine Macht besizen, ihre 
Dienste auch überhaupt nur wenig gesucht werden, weil die 



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74 ^' Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Opfer von den Fürsten und den Hausvätern selbst verrichtet 
werden^ so findet man dagegen in dem trefflichen Orpheus, 
welchen jener Heroen -Sänger gar nicht einmal zu kennen 
scheint, gerade alles dasjenige beisammen, wodurch sich die 
Aegyptischen Priester und die Persischen Magier auszeichne- 
ten, weshalb er auch von diesen wie ihres Gleichen geachtet 
wurde. Und ächtasiatischer Natur ist auch die Orphische 
Theologie gewesen, eine Art Pantheismus, der das All in Zeus 
aufgehen Hess, der im Volksglauben längst von der Materie 
abgelöst worden war, also ähnlich dem Indischen Brahmais- 
mus**). Nicht mit Unrecht also behaupteten die Aegyptischen 
Priester, dass Orpheus alles von ihnen gelernt und überkom- 
men habe. Was aber Orpheus den Griechen gebracht, oder 
vielmehr was unter seinem Namen gäng und gebe war im 
Volksglauben und im Cultus, das lässt sich kurz als Sympa- 
thie bezeichnen in dem Sinne, in welchem das Wort bei uns 
gebräuchlich ist. Dahin gehören die veXerai, d, h. die ban- 
nenden und bindenden Ceremonien , welche magische Kraft 
über die Geister und über die Körper haben, die inq^dal^ d. h. 
das Spruch -Sprechen oder Singen mit Musik, welche ebenfalls 
heilende Kraft besizt, die idavteia^ mit welcher man die Mittel 
erforscht, und die Magie, d. h. Ausübung dieser Mittel zur Ver- 
söhnung des Zornes eines Dämons oder zur Hebung eines 
Uebels. Diese Zaubermacht, und nicht die unwiderstehliche 
Schönheit seiner Musik, wird damit bezeichnet, wenn es 
heisst, dass er Steine Bäume und wilde Thiere gezwungen 
habe ihm nachzufolgen *^j . Sühnimgen und Büssungen gehö- 
ren natürlich ebenfalls dazu : denn durch solchen sich selbst 
aufgelegten Zwang erwirbt man eben die Macht die Geister 
zu zwingen : und da der Segen solcher guten Werke und from- 
me^ Verrichtungen sieh noch über das Leben hinaus erstreckt. 



51) N&gelsbach, Nachh. Theol. ü. p.402. 

52) Paus. VI, 20, 18. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 75 

einen besseren Zustand nach dem Tode garantirend, so hat 
Orpheus auch die Mysterien gestiftet, wenigstens die Bakehi- 
sehen, während der Dienst der Eleusinischen Gröttinnen dem 
Eumolpos, einem verwandten Geiste, zugeschrieben wird. Er 
hat. (sagt Pausanias IX, 30, 4) erfunden veleväg ^BiüßP xccl egyußv 
oyoaeW xad'aQfioi^g voatav jb Idfiaja xai TQOfiag fujyifAdvonf 
d-suov. Ueber die Uebereinstimmung dieses sogenannten Or- 
pUschen Wesens mit dem Aegyptischen s. Her od. 11, 81. 
Diod. I, 23. 96. Seinen Charakter bezeidmen die Satyren bei 
Euripides trefflich, wenn sie, zu faul und zu feige, um den 
glühenden Pfahl mit anzufassen, mit welchem dem Kyklopen 
das Auge soll ausgebrannt werden, sagen (Kykl. 647) : 

»Ich weiss 'nen kräftigen Zauberspruch, 'nen Orphischen, 
Durch den der Brand von freien Stücken ihm ins Hirn 
Eindringt, den Einaug glühend brennt, den Erdensohn, a 

Hinwiederum lernt man die imponirende Heiligkeit die- 
ser Menschenklasse kennen, wenn man bei demselben Dichter 
den Orphiker und Mystiker Hippolytos sagen hört (Hippol. 993) : 

»Sih dies Sonnenlicht, 
Und hier die Erde ! in ihnen lebt kein Mensch wie ich 
So tugendhaften Wandels, magst du's läugnen auch ! 
Ich weiss fürs Erste Götter fromm zu ehren, weiss 
Den Freund zu schäzen u. s. w. 
Von einem bin ich, wo du mich zu packen meinst, 
Nodi rein : ich hab bis diesen Tag kein Weib berührt.« 

Aber wie viel Nichtswürdigkeit auch hinter solcher Hei- 
ligkeit sich verbergen konnte, das weiss ebendaselbst Theseus, 
indem er spricht (94S) : 

»Du bist der tugendhafte sündenreine Mann? 
Der hocherhabne, der mit Göttern stets verkehrt? 
Ich glaub' es deiner Gleissnerei mit nichten: nein! 
Ich zeihe nicht die Götter solches Unverstands ! 
Nun prahle fürder, kram' in Worten fort und fort 
Bei Pflanzen-Nahrung, sei verzückt ! denn Orpheus ist 



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76 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Dein Meister 1 Ehre vieler Bücher eitlen Dunst ! 
Du bist entlarvt ! Vor solchen warn' ich jedermann : 
Flieht diese Heuchler, die mit frommen Beden euch 
Bestricken, während Sund' und Schand' ihr Thun erzielt U 

In diesem Orphiker schildert Euripides zugleich einen 
Pythagoreer seiner Zeit: denn zwischen beiden war kein Un- 
terschied^) . Man kann sich daher auch leicht denken , warum 
in Grossgriechenland ein allgemeiner Unwille über die Pytha- 
goreer ausgebrochen ist, welchem sie erliegen mussten. Es ist 
gewiss richtig, dass all das Unwesen, was unter dem Namen 
eines Orpheus, Musäus, Bakis, Pamphus, Olenus u. s. w. um- 
lief, erst in der trüben Zeit der Regierungsumstürze vor den 
Perberkriegen überhand genommen hat ; doch darf man nicht 
glauben, dass es vorher ganz und gar nicht dagewesen sei. Es 
ist sowohl vor- als nachhomerisch : denn alles Religionswesen 
geht davon aus und ist immer wieder dahin zurückzukehren 
geneigt. Man hat auch zu jeder Zeit sogenannte Orphische 
Hymnen und kurze Gebetformeln bei den gottesdienstlichen 
Verrichtungen gebraucht, welche, in Versen verfiasst, von den 
Wissenden mündlich fortgepflanzt wurden**). Von solchen 
Hymnen, die im Besiz einer Priesterschaft waren, spricht z. B. 
Pausanias IX, 30, 5. 6. und sagt, sie seien kurz gewesen und 
in poetischer Schönheit nicht zu vergleichen mit den Homeri- 
schen, aber an Heiligkeit jenen weit überlegen**). Nachher 
traten Männer wie Onomakritos auf, welche dergleichen Dich- 
tungen zu sammeln vorgaben, in der That aber fälschten, und 
eine so reiche mystische Literatur hervorbrachten (welche sie 
auf die mythischen Namen Orpheus, Musäus, Bakis u. s. w. 
übertrugen), dass bereits Euripides von TtoXhSv yQaftfiotiDV 
xaTtvog sprechen konnte. »Sie haben«, sagt Plato Rep. II. 



53) Vgl. Diogenes Laert. Vm. 33. Plato Ges. VI. p. 782 D. 
Nftgelsbach, Nachh. Theol. IL p. 404. 

54) Vgl. IL «.473. X» 391. 

55) Vgl. Paus. I, 14, 3. IX, 27, 2. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 77 

p. 364 £. »eine Masse von Schriften des Musäus und Orpheus 
aufieuweisen, angeblicher Abkömmlinge der Selene und der 
Musen^ nach denen sie ihre Ceremonien verrichten, und nicht 
allein Einzelnen sondern auch Städten versichern, dass es zum 
Glück Erlösungen und Reinigungen von Sünden mittelst 
Opfern und Wonnespielen gebe für Lebende und nicht minder 
auch für Todte, die sog. Weihen, die uns von den jenseitigen 
Strafen erlösen : wer aber nicht opfere, den erwarte Schreck- 
liches. « Femer heisst es daselbst weiter oben: »Bettelpriester 
und Wahrsager kommen an die Thüren von Beichen, und 
versichern eine von Göttern verliehene Macht zu besizen, mit 
Opfern und Sprüchen jede Schuld, die einer begangen oder 
von Vorfahren geerbt habe, zu heilen unter Lust und Festlich- 
keiten; und wenn einer seinem Feind was anthun wolle, mit 
wenig Kosten ihm ein Leid zuzufügen, gleichviel ob er recht- 
schaffen oder imgerecht sei, indem sie durch gewisse Beschwö- 
rungen die Götter oder Geister sich unterthan machen oder 
bannen können a. Von den Schriften dieser Magiker spricht 
Euripides auch in folgender Stelle der Alkestb 988: »Auch in 
den Thrakischen Tafeln, welche beschrieben sind mit Orphi- 
schem Spruch, gibts keinen Zauber (gegen den Tod). « 

Was diese Sammler von Schriften, Fälscher und Mehrer 
etwa bereits im Volke Vorhandenes fanden und gebrauchten, 
das muss man sich alles analog den inaoidaig denken ^y, als 
Spruch- und Gebetformeln von magischer Kraft, deren Urheber 
nicht bekannt waren, und die man insgemein Orphisch zu 
nennen gewohnt war, etw^ so wie man den kurzen, im Munde 
der Menschen zu Olympia lebenden, Päan oder Komos — 
(ü Kaklivix€ %diQ ava^ ^HQoncleegf 
avtog t€ xat ^IdkaoQf aixfirivä ovo. 
vfiveXXa xallinxe — 



56) Vgl. Od. T, 457 inaoid^ ^aifji« itiXaivov hx^^iiv. Eurip. Hipp. 
478 ilaXv ^inifijfal xal loyoi O'sXxtiiQtot, 



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78 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

dem Archilocho« beigelegt hat, vielleiclit bloss darum, weil er 
in lamben verfas^t war. Denn die Orphischen Spriiche waren 
in Hexametern yerfasst, und Orpheus galt für den Erfinder 
dieses Maasses. 



' 5. Die Priesterherrschart und die Reformatoren. 

Diesen Orphikem hat also «nichts gefehlt als die Geschlos- 
senheit einer Priesterkaste, um Griechenland völlig mit allen 
den Segnungen Asiatischen Priester- und Kasten -Wesens zu 
beglücken : und vielleicht haben die Pjthogoreischen Gesell- 
schaften in Unteritalien so etwas bezweckt, als man sich be- 
wogen sah, fifte auszurotten, so wie weiland bei uns die Jesuiten. 
Solche Priester-Kasten, vor denen die Griechen ihr guter 
Genius bewahrt hat, pflegen den Segen der Religion recht in 
Unsegen zu verwandeln, wenn sie jede freie Regung des Gei- 
stes unterdrücken und auf Jahrhunderte, ja auf Jahrtausende 
hinaus, die Nationen in unzerreissbare Ketten schlagen*' \ 
Wozu wären sie auch vorhanden, wenn sie nicht durch ihr 
Zusammenhalten die Menschen, von oben bis unten hinab, 
knechten und beherrschen dürften ? Denn fiir den Zwang, den 
man sich auferlegt, will man sich bezalt machen durch noch 
grösseren Zwang, den man seinen Mitmenschen auflegt. Und 
was nüzt die Heiligkeit, wenn sie nicht in Respekt erhält? 
Sowohl die Indische als auch die Aegyptische Kriegerkaste 
haben eine Zeit lang in einem schönen Heldenthum geblüht : 
die Veden und auch noch die späteren Dichtwerke der alten 
Indier und die Bildwerke auf den Aegyptischen Bauten ge- 
ben Zeugniss von dieser Trefflichkeit. Allein sie sind früh- 
zeitig der Uebermacht der Priesterkaste erlegen, und mit ihrem 
Zurücktreten sind auch die Völker gesunken tief und tiefer 
bis in rettungslose Verdumpfung hinein, in welclier Verdum- 



57) Vgl. Juven. VI, 526 ff. XV, 35 ff. XIV, lOü ff. 



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B. Von der Weiterbildung der Heligionen. 79 

pftmg sie seit mehr als tausend Jahren das Joch ausli&ndischer 
Eroberer tragen mussten^ und wohl noch lange tragen werden. 
Ohne Kampf wird die Unterwerfung der Krieger unter die 
Heiligen nicht Tor sich gegangen sein : es wird aber gerade so 
gegangen sein, wie in unserem Mittelalter, wo aus jedem 
Kampfe mit dem Kaiserthum das Papstthum als Sieger mit 
verstärkter Macht hervorgieng, und selbst ein so herrliches 
Helden -Geschlecht, wie die Hohenstaufen, einem tragischen 
Schicksal hat erliegen müssen. Derartige Riesen können nicht 
mit körperlichen Waffen geschlagen werden, imd so wie in 
dem Gremüth eines Menschen eine übermächtige Leidenschaft 
meist nur durch eine andere aufkommende Leidenschaft über^ 
wunden wird, während alle Gründe der Vernunft umsonst ge- 
prediget werden, also muss auch dem religiösen Aberglauben, 
wenn er von Priestern und Fürsten gestüzt wird, ein Feind in 
seinem eigenen Lager auferstehen, wenn er soll gebrochen 
werden. Aber dann pflegt es leider oft zu geschehen, dass ein 
Lrrthum weicht nur um einem anderen Baum zu geben, Bonzen 
an die Stelle von Brahminen treten, und die Welt um nichts 
gebessert ist. Auch pflegen, wie bei allen plözlichen Umwäl- 
zungen, die Rückschläge nicht auszubleiben, welche so bedeu- 
tend sind> dass fest in allen Ländern, wo dergleichen Refor- 
matoren aufgetreten sind, ihre Anhänger, wenn sie auch eine 
Zeit lang die Herrschaft emuigen hatten, doch zulezt den 
Anhängern des Alten erlegen sind, und, aus den alten Reli- 
gionsländem hinausgedrängt, in den Nachbarländern sich 
haben ansiedeln müssen. Wie manche mögen auch von der 
Erde spurlos verschwunden sein, wenn es ihnen nicht gelang, 
im Auslande festen Fuss zu fassen ! Wir wissen nicht, in wel- 
cher Weise, ob gewaltsam oder allmählich, die Zoroastrische 
Lehre sich geltend gemacht hat; doch ist die erstere Art die 
wahrscheinliche. Der zweite, in Indien selbst ausgetretene, 
Kezer war Buddha. Dessen Anhänger haben eine Zeit lang 
in Vorderindien die Oberhand gehabt, aber später, ganz und 



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so I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

gar hinausgedrängt, haben sie in Hinterindien^ auf den Inseki^ 
in China und in Tibet ihre Religion ausgebreitet. Auch in 
dem stockfinsteren Aegypten ist eine solche Reformation ver- 
sucht worden, und die Anhänger der ^Teuerung haben eben- 
falls weichen müssen, wie uns von mehreren Profetn-Scribenten 
berichtet wird, welche diese Vertreibung mit dem Auszug der 
Kinder Israel in Verbindung bringen. 

Diese, von oben herab gegebenen oder reformirten oder 
geoffenbarten Religionen (der leztere Name ist aber unpassend, 
weil jede Religion sich auf Offenbarung stüzt) unterscheiden 
sich von den gewordenen Natur -Religionen durch mehrere 
wesentliche Eigenschaften : 

Erstlich dadurch, dass sie vom Haus her monotheistisch 
sind, was sie jedoch nicht lange bleiben, weil die Legionen 
guter und böser Dämonen, welche sie bestehen lassen, nur auf 
Benamungen harren, um Himmel und Hölle mit neuen Wür- 
denträgem, gleich den Pairs und Marschällen der Napoleoni- 
den, zu bevölkern, wozu mit der Zeit noch eine grosse 2ial von 
Heiligen kommen kann, die keine geringere Macht als die 
Götter beanspruchen. 

Zweitens verwerfen sie das Kastenwesen, indem die 
neue Religion natürlich nur unter den niedrigsten Kasten ihre 
Anhänger findet, welche den erlittenen Druck verabscheuen. 
Wenn aber die neue Religion in einem Staate zur Herrschaft 
gelangt, so ist über kurz oder lang ein neuer Priester- und 
auch ein neuer Kriegerstand aufgeblüht, was in unserem Mit- 
telalter und auch bei den Bonzen der Fall gewesen ist. 

Drittens sind, diese also aus Kampf und Opposition 
hervorgegangenen Religionen intolerant nach innen und nach 
aussen. Die erstere Art von Unduldsamkeit richtet sich gegen 
das Natürliche, den sogenannten natürUchen Menschen, wel- 
cher unter die Zucht der religiösen Vorschrift;en gestellt wird. 
Die zweite beweist sich als Verdammungssucht gegen andere 
Religionen, an welche hernach auch die Bekehrungssucht sich 



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6. Von der Weiterbildung der Religionen. 81 

anknüpfen kann. Die Perser haben das erste Beispiel von 
Misshandlung fremder Götter in der westlichen Welt gezeigt. 
Viertens, so lange ein bildsames Leben in solchen 
Religionen ist, folgen dem ersten Propheten andere nach, die 
seine Bahn verfolgen. Dieser Eifer in Beligionssachen ist 
meistens gepaart mit einem Kampf der geistlichen und der 
weltlichen Macht, und endet, wenn man der inneren Zwiste 
und der Verfolgungen um Glaubens - Sachen satt ist, mit Un- 
terdrückung der Priestermacht durch ein weltliches König- 
thum. Dann tritt Stagnation und Erstammg ein. 

0. Das Volk und die JMenscIieiiopfer. 

Nachdem w ir also gesehen haben, welche Gestalt die Re- 
ligion unter den Händen einer Priesterkaste im Verein mit 
dem Despotismus gewinnt, und wiederum was ein Reformator 
für bleibende Veränderungen hervorbringen und veranlassen 
kann, so geziemt es sich auch deren freie Entwickelung in 
weniger gebundenen Zuständen zu betrachten. Hier wird sie 
immer genau dem Charakter des Volkes sich anschmiegen, roh 
und grausam sein bei grausamen Wilden, mild imd mensch- 
lich bei Gebildeten, wild und ausgelassen bei Ausschweifen- 
den. Die Karthager haben einst bei andauerndem Kriegs- 
unglück funfhimdert Kinder vornehmer Eltern auf einmal 
geschlachtet, weil sie glaubten, dass das Unglück eine Folge 
der Unterlassung solcher Opfer sei , und sie sind von keiner 
herrschenden Priesterschaft, sondern durch ihren eigenen 
Aberglauben zu solchen Greueln, welche fest den Scheuss- 
lichkeiten der heutigen Bewohner des inneren Afrikas gleich 
kommen, gezwungen worden. Wir müssen hier eine kleine 
Abschweifung machen, um der allgemein herrschenden Sitte 
der Menschenopfer eine kurze Betrachtung zu widmen. Es 
ist leicht einzusehen, dass ursprünglich die Thieropfer stell- 
vertretende Menschenopfer waren zur Abbüssung todtbringen- 
der Sünden, so dass also, ehe noch die Menschlichkeit dieses 

H ft r t u g , Bei. u. Mjrthol. d. Gr. 1. Q 



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82 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Rettungsmittel, nämlich die Unterschiebung von Symbolen, 
erfunden hatte, lauter Menschen müssen zum Opfer geschladitet 
worden sein. Denn bei den Aegyptem wurde jedem Thiere, 
welches zum Opfer rein befunden worden war, ein Siegel ein- 
gedrückt welches einen knienden Mann zeigte, dem die Hände 
auf den Rücken gebunden und ein Schwert Itn die Kehle ge- 
legt war. Dessen symbolischer Stellvertreter war also das 
Opferthier. Darum wurde des Thieres Kopf abgeschnitten, 
und auf diesen Kopf wiirden mittelst Verfluchung die Sünden 
geladen, und endlich der also mit Fluch beladene Kopf in den 
Fluss geworfen. Also war jedes Opferthier ein Fegeopfer 
[xd^agiiia] oder Sündenbock gleich dem Bocke welchem vor 
dem Laubhüttenfeste der Juden an dem Versöhnungstage die 
Sünden des ganzen Volkes auf den Kopf gelegt wurden, um 
sie dann, wenn man ihn fortjagte, in die Wüste zu tragen*®). 
Hier war doch bereits ein Thier an die Stelle getreten, wäh- 
rend man bei den Griechen an solchen Buss- und Reinigungs- 
tagen noch wirkliche Menschen, <paQ(xaY,oL genannt, hinaus- 
zuführen pflegte unter Verfluchungen, und von einem Felsen 
hinabzustürzen*^). Auch das Osterlamm, mit dessen Blute am 
Passah-Feste (dem Eintritt in das neue Jahr) die Pfosten und 
Schwellen der Thüren bestrichen wurden, während man reise- 
fertig das Hinwegeilen (aus dem alten Jahr mit seinem Sünden- 
schmuz) darstellte, war eine Ablösung der Erstgeburt vom 
Sündentode : denn in derselben Nacht gieng der Herr umher, 
und wo an einem Hause kein Blut vom Osterlamm angesprizt 
war, da tödtete er alle Erstgeburt von Menschen und von 
Thieren. Jenes Osterlamm aber musste gebraten und ganz 
verzehrt werden mit Haupt und Schenkeln und Eingeweiden : 
und solche Verspeisung der Opfer, bei welcher der Gott als 
gegenwärtig gedacht wird, ist immer das Zeichen der Emeue- 



58) S. Paulus 1. an die Kor. 4, 13. 

69) Vgl. Schömann, Gr. Alt. II. p. 242 ff. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. §3 

rung des Bundes mit dem versöhnten Gotte. Welch eine 
wichtige Rolle aber die Opferung der Erstgeburt und der ein- 
geborenen Söhne von Fürsten und Edlen, die für das ganze 
Volk sich hingaben, bei den Semiten spielte, werden wir 
später zu zeigen Gelegenheit haben. 

Erst im Jahr 657 der Stadt Rom, so meldet Plinius, sind 
durch einen Senatsbeschluss die Menschenopfer abgeschafft 
worden*®), und derselbe betrachtet es sodann als einen der 
grössten Segen der Römischen Herrschaft, dass sie überall auf 
Abschaffiing der Greuel der Menschenopfer hingewirkt hat: 
nee saä's (lesHmari potest, quantum Ramanis deheatury qui sustu- 
lere monstra, in qtUbua hominem occidere reliffiosimmum erat, 
mandi vero etiam saiuberrimum. 

Eine Ausnahme von dieser überall herrschenden Scheuss- 
lichkeit machen die Arier, die wir aus den Veden kennen 
lernen. Dieselben stehen auf der Stufe einer einfachen Natur- 
Verehrung, so fem von den Greueln eines Moloch -Dienstes 
wie von derjenigen Gottes-Erkenntniss, welche die Idealisten 
als Urreligion sich vorstellen. Ob der milde Sinn dieses Volkes 
die Menschenopfer von Anfang an verschmäht, oder ob er bei 
2^ten die Ablösung gefunden hatte (denn überall haben die 
Götter, gern oder ungern, die Surrogate sich gefallen lassen*'] : 
lassen wir dahingestellt. 

Es ist ein wahres Wort des Euripides (um jezt wieder zu 
unserem Thema zurückzukehren), dass die Menschen einerlei 
Sitten mit den Göttern haben**), welches den Sinn hat, 
das« die Götter Menschen - Sitten haben oder sich je nach der 
Gesinnung und Cultur ihrer Verehrer richten. Das beweisen 
auch die so eben genannten Arier, die wir, als Beispiel statt 
aller, einen Augenblick lang, so wie sie uns vorgeführt wer- 
den, betrachten wollen. Den Ariern also sind die Götter, die 



60) H. N. XXX, 1, 12. 

61) S. Hermann, Oottesdienstl. Alt. § 25, 14. 

62) ^vritol &ttaw vofiotat /QtufH&it, Hipp. 96. 



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84 !• Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

sich als Natur-Mächte den Sinnen offenbaren, mächtige Wesen, 
aber ohne sittliche Veredelung, und mssen nichts von Grerech- 
tigkeit, Güte und Gnade. Man bringt ihnen die Opfer, nach 
denen sie troz ihrer Amrita [a^ißqooia] hungern, aus Eigen- 
nuz: denn diese Opfer üben auf die Götter eine zwingende 
Macht, so wie auch die Priester die Gewalt von Zauberern, 
d. h. Macht über die Geister, haben u. s. w. Die Arier 
sind Natur-Menschen, und sie denken sich ihre Götter gerade 
so geartet wie sie selber sind : also erbitten sie von ihnen 
Wohlergehen für sich und Unglück für ihre Feinde. »Wäre 
ich«, so heisst es in einem Hymnus an Indra, »Herr so vieler 
Güter wie du, so wollte ich freigebig sein gegen den der mich 
preist und nichts im Elend belassen: Tag für Tag wollt' ich in 
Ueberfluss geben dem der mir Ehren böte, sei er wer er will, a 
Damit vergleiche man die dringlichen und sogar mit Drohun- 
j^en vermischten Gebete an Heilige der christlichen Kirche, 
Avelche H. Rückert in seiner Cultur-Geschichte 11. p. 196. f. 
anführt. Wenn Indra dem Lande Segen imd Reichthum spen- 
den, wenn er gegen den Vitra und Asi kämpfen, wenn er in 
den ßeihen des Stammes streiten soll, muss man ihm uner- 
müdlich den honigsüssen Soma bereiten : denn die Inder haben 
die Vorstellung, dass der Gott zum Kampf der Kraft bedürfe, 
dass man ihn zu diesem stärken müsse, und dass er nur mit 
dem Stamm kämpfe dessen Soma er getrunken: aber Indra 
soll nicht bloss trinken aus der Opferschale, er soll sich im 
Somasaft berauschen, im Rausche habe er Muth. 

Auf die Formen der Götterverehrung und auf die Glau- 
bens -Artikel kommt es nicht an da wo sichs um den Werth 
einer Religion für die Sittlichkeit handelt, sondern auf die Art 
und Weise ihrer Anwendung. Denn keine Form, so wie kein 
Dogma, schüzt vor Entartung, wenn der Charakter eines 



63) Duncker I. p. 27 f. und Roth im Journal ofthe Atner, orient, 
»ociety B. IV. p. 340 ff., welcher leztere freilich auch Beweise höherer Vor- 
stellungen besonders von der Allwissenheit des Varuna anführt. 



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B. Von der WeiterbÜdung der Religionen. 85 

Volkes dem Verderbniss zueilt. Aber auch wohl keine Form 
widerstrebt der Veredelung durch die Kunst ; und von dieser^ 
als der der Religion allein eigenthümlichen, Weise höherer 
Ent&ltung ohne Gefahrdung des inneren Kernes, welche nur 
bei frei sich entwickelnden Völkern mögUch ist, wollen wir 
jezt sprechen. 

7. Veredlang der Religionsfornieii durch die Kunst. 

Dem Aberglauben haben die Götterbilder, wo welche vor- 
handen sind, die Bedeutung von Fetischen Talismanen oder 
Amuletten, so wie die Ceremonien die Kraft der Magie. Also 
handelt es sich nicht darum, wie schön, sondern wie bedeu- 
tungskräftig sie seien, und das leztere werden sie je mehr sein 
je abenteuerlicher sie aussehen. Daher die Bilder mit den 
vielen Armen, vielen Beinen, Köpfen, Brüsten, drei oder vier 
Augen**) u. s. w., die Mischgestalten von Greifen, Mann- 
löwen und Mannstieren und die XJeberladung mit Symbolen. 
Die Fetische der Wilden sind zwar noch geschmackloser aber 
nicht abergläubischer wie diese Bilder: denn natürlich der 
Stein und das Holz an sich wird so wenig verehrt als der Hund 
und die Kaze, die man in den Tempel stellt, sondern der Dä- 
mon welcher darin verkörpert ist. Es ist also gleichgiltig, ob 
man einen Fetisch oder einen vom Himmel gefallenen Stein 
oder ein Dädalos-Bild oder einen Kloz als Palladium oder ein 
Todtengerippe eines Heiligen oder einen Rock desselben im 
Tempel verehrt mit dem gläubigen Vertrauen dass das Symbol 
von Uebeln erlösen könne oder dass daran das Heil und der 
Bestand des Staates oder des Hauses geknüpft sei. Im Tempel 
des Mars zu Rom wurden zwei Lanzen sammt den Ancilien 
als Pfänder des Bestandes bewahrt, und erst imter den.Tar- 
quiniem sind Götter- Bildnisse aus Griechenland her einge- 



64) 8 chö mann, Gr. Alt. II. p. 175. Auch auf den Stoff des Bildes 
kam es an: das. 176. 



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86 ^- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

fuhrt worden*"), auch von den Griechen haben sich Nach- 
richten solcher Culte erhalten**). Hat man aber einmal Bilder 
von Göttern in Menschengestalt au&ustellen begonnen, so 
wird ein gebildeter Sinn bald die Missgestalten verschmähen 
und, wenn er kann und darf, nicht eher ruhen, als bis die 
göttlichen Personen in der schönsten und vollkommensten 
Menschengestalt ausgeprägt sind mit Abstreüung aller stören- 
den Beigaben. Hier hat die Vernunft einen Weg gefunden, 
mit dem Glauben sich in Einklang zu sezen. Es ist kein 
Wunder, wenn der Aberglaube gegen die Neuerung sich 
sträubt, und das ist sogar in Griechenland geschehen, als die 
Künstler anfiengen die Dädalos - Bilder umzuformen , weshalb 
sie sich auch genöthigt sahen die Haltung und Stellung der 
alten Bilder so genau als mögUch wiederzugeben *') , um von 
den Aegyptem nicht zu reden, deren Priester jede freie Re- 
gung unterdrückten. Dieser Kimstentwickelung gieng bei den 
Griechen die Blüthe der Poesie voraus, und beide strebten 
vereint zu ^inem Ziele. Wenn Dichter die alten G^betformen 
in schöne Hymnen und Chorlieder umwandeln, so thun sie 
das nämUche wie die Künstler, wenn sie den steifen alten 
Gözenbildem Schönheit und Leben mittheilen, und der Glaube 
kann sich auch an dieser Neuerung stossen, weil, wie in der 
Gebetsformel auf das Wort, dass es bedeutungskräftig sei, so 
hier auf die Beibehaltung der Gestalt alles ankommt. Haben 
doch die Römer die einzelnen Worte des Gebetes immer lang- 
sam sich vorsprechen lassen, um sie so genau nachzusprechen, 
wie man einen Eid nachspricht! Indess lässt man sich die 
Neuerung gefallen, von dem Reiz des Schönen überwunden, 



65) Varro bei Augustin civ. dei IV, 31. 

66) S. K. O. Müller, Arch. d. Kunst § 66. Paus. VII, 22, 3. Cjle- 
mens protr. p. 29 af^älit tv *lxdQ(p rijg uiQtif4,i^og to ayttl/ja ^vlov ^p ovx 
ilQyaafiivoVf X(x\ tr^g Ki9-mQ0}vCag*'HQag iv BeanCq nqifivov fxxixofifj^ror^ 
xni TÖ rrjg 2!nu(ag''HQag TiQoxiQov filv ^v aav\g x. t, L Vgl. Schömann, 
Gr. Alt n. p. 172 u. 190. 

67) K. O. Müller, Archäol. § 83—86. 



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6. Von der Weiterbildung der Religionen. 87 

wo keine gar zu orthodoxe Priesterschaft den Künstler hemmt. 
Noch leichter wird die UmschafFiing der Mythen ertragen, 
Torausgesezt, dass diese Erzälungen nicht schon durch Auf- 
zeichnung fixirt, mithin noch flüssig und wandelbar sind, und 
nicht zum Cultus gehören. 

Dem Hellenischen Volk war die Aufgabe zugefallen, nicht 
allein die Götter und die heiligen Geschichten zu vermensch- 
lichen, sondern auch den Cultus in allen seinen Theilen durch 
die Kunst imd Poesie zu verschönern, imd diese edlen Künste 
haben hier, eben weil sie von der Religion, als ihrem natür- 
lichen Boden, getragen waren, ihre schönsten Blüthen entfaltet 
und ihre besten Früchte gezeitigt, und überhaupt zu einer 
Höhe und Herrlichkeit sich emporgeschwungen, die sie wohl 
schwerlich bei irgend einem Volke der Welt wieder erreichen 
werden eben darum weil die Bedingungen nicht wiederkehren 
werden. 

Eine Gefahr droht der Beligion allerdings von der Kunst, 
nämlich eine Laxheit der Sitten, wenn alles was schön ist auch 
erlaubt scheint. Doch wirft sie keinen Zweifel in den erken- / 
nenden Geist und macht den Glauben nicht irre, welches die 
Wissenschaft zu thun pflegt- Zwar pflegen auch die Resultate 
der Wissenschaft der Poesie sich mitzutheilen und von dieser 
in fitöslicher Form, in kurzen schlagenden Worten die sich 
mit dem Zauber des Rhythmus und des Wohllautes dem Ohr 
einschmeicheln und dem Gedächtniss einprägen, unter die 
Menge verbreitet zu werden. Indess wird diese Aufklärung, 
wo kein Glaubenszwang geübt wird, zu keinem gewaltsamen 
Umsturz fuhren : die G^ensäze werden sich ausgleichen und 
sich vertragen lernen, und dann werden Religion und Wis- 
senschaft neben einander ohne Beeinträchtigung hinwandeln, 
und einander friedlich dulden, auch wo sie sich verneinen. 
Diesen W^ sind bei den Griechen die Wissenschaft und die 
Religion gewandelt : wann werden sie*s bei ims einmal lernen? 



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88 I« Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

8. Die ReligioD bei den kriechen darch die VeriiuiiHt veredelt. 

An jinseren mittelalterlichen Dichtungen ist es immer 
sehr deutlich zu erkennen, ob sie von einem Geistlichen oder 
von einem Laien verfasst sind. Bei dem ersteren ist immer 
Singen Beten Bussen Beichten und Sündenvergebung die 
Hauptsache, und das Gelingen der Heldenkämpfe hängt von 
der bewiesenen Frömmigkeit ab. Bei dem anderen werden die 
gottesdienstlichen Verrichtungen nur nebenbei unter den an- 
deren Geschäften mit aufgeführt. Analog ist die Beschaffen- 
heit der Indischen Heldengedichte. Leider scheint die Krie- 
gerkaste in Indien nie so weit in der Bildung gekommen zu 
sein, dass Helden selbst hätten die Thaten von Helden besin- 
gen und beschreiben können: also blieb die Poesie in den 
Händen der Brahmanen, imd wie sie da sich gestaltet habe, 
davon haben wir bereits oben einige Proben gegeben. Man 
kann solche Gedichte nicht lesen ohne ein Gefühl des Be- 
dauerns, indem man den künftigen Untergang der Nation in 
ihnen schon vorbereitet findet. Wo so eine stupide Verehrung 
her heiligen Büsser herrscht und auf die Beobachtung von 
Ceremonien auf Magie und Wunderkräfte so viel ankommt, da 
ist der Contrast dessen was durch solcherlei Künste bewirkt 
und erreicht wird mit dem was reinmenschliche Kräfte, auch 
des mächtigsten Helden, ausrichten können, zu gross, als dass 
nicht bald eine Hintansezung dieser Plaz greifen sollte, welche 
natürlich auch das Streben nach dem Besiz dieser Kräfte er- 
kalten macht. Die Griechen waren glücklich, dass sie ohne 
Vedas und ohne eine Priesterkaste sich frei entwickeln konn- 
ten, dass jeder sein Heil auf seinem Wege suchen und jeder 
Staat imd jeder Einzelne sich dem Gott zuwenden durfte, der 

, ihm am meisten zusagte, dass, wenn die jungen Enten im 
Wasser spielten, nicht immer eine Gluckhenne am Ufer ste- 

; hend über die Entartung des Geschlechtes jammerte, dass der 
Cultus der Natur und des Geistes nicht, weil er die Achtung 



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B Von der Weiterbildung der Religionen. 89 

einer herrschenden Kaste zu beeinträchtigen drohte^ für Athe- 
ismus ausgeschrieen wurde^ dass keine heilige Mordsucht ihre 
Flammen schürte, wenn ein ureigner Greist eine Bahn betrat 
die nicht in ihren Pei^menten verzeichnet stand, dass man 
endlich nicht um das was nach dem Leben kommen soll, sich 
gegenseitig das Leben raubte sich verfolgte und todtschlug. 
Die Aegyptischen Gottheiten, sagt ein römischer Schriftsteller, 
wollen durch Trauer und Wehklagen verehrt sein, die Asia- 
tischen durch Pauken- und Cymbeln- und Pfeifen - Lärm, die 
Griechischen durch Chorreigen •^). Das heisst: die Aegyp- 
tischen wollten recht betrübte Sünder- imd Büsser- Mienen 
sehen und recht jammervolles Wehgeschrei hören, ehe sie 
Gnade gaben: die Asiatischen im Gegentheil wollten die 
Menschen in ausgelassener Schwärmerei toll und verzückt 
sehen, die Griechischen hielten die Mitte, und das Vergnügen 
an dem Schönen galt ihnen für wahrhaft göttlich. Die Aegypter 
nahten ihren Göttern mit den Gefühlen von Sclaven unter 
der Knute, die Phrygier mit den Gefühlen einmal losgelassner 
Sclaven, die Griechen allein mit dem Anstand freier und der 
Freiheit würdiger Menschen. In jener rückgängigen Zeit, wo 
ein Onomakijtos und ein Epimenides wirkten, ist auch das 
Aegyptische und das Phrygische Unwesen in Grriechenland 
eingedrungen, jenes in den Mysterien, dieses im Bakchos- 
Dienst, doch hat keines von beiden zu solchen Ausschweifun- 
gen geführt, wie in jenen Ländern ; die Mysterien haben keine 
Muckerei, die Bakchanalien keine Selbstentmannung und 
keine Liederlichkeit im Gefolge gehabt : es bewährte sich der 
Segen der Freiheit bei einem an Freiheit gewöhnten Volke, 
es bewährte sich im Allgemeinen und im Besonderen das Wort 
des Euripides, dass die Reine auch in der Verzückung rein 
bleibe. Die Griechen hatten das Asiatische Wesen von Haus 



67) Apulejus de. genio Soor. II. p. 149 Aegt/ptiaca numina fere 
plangorihus gandent, Graeca plerumque choreis, harbara autem atrepittt 
cymbaUHarum et igmpanüiarum et ehoraulctrum. 



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90 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

her überkommen, und sind den erneuerten Einflüssen von 
Asien und Aegypten her zu allen Zeiten ausgesezt gewesen: 
weil aber einmal Natur und Geist Vernunft und Takt bei 
ihnen zur Herrschaft gekommen waren; so konnten sie alles 
ohne Schaden ertragen, so musste sich unter ihren Händen 
jede Rohheit in Humanität, jede Monstrosität in Schön- 
heit, jeder Wahnsinn in Vernunft verwandeln : und grösser, 
als die Erfindung der Künste und Wissenschaften, ist das 
Verdienst der Ueberwindung des Asiatischen Aberglaubens. 
' »Es gibtcc, sagt Goethe, »nur zwei wahre Religionen, die eine 
die das Heilige, das in und um ims wohnt, ganz formlos, 
die andere die es in der schönsten Form anerkennt und an- 
betet: Alles was dazwischen liegt ist Gözendienst.« Nur durch 
das Morgenthor des Schönen konnte der Mensch in das Land 
der Erkenntniss eindringen, und »was bei dem Saitenklang der 
Musen mit süssem Beben ihn durchdrang, erzog die Kraft in 
seinem Busen die sich dereinst zum Weltgeist schwang. Was 
er als Schönheit erst empftmden, sollte einst als Wahrheit ihm 
entgegen geh*n. Das Herz, das jene an sanften Banden lenkt, 
verschmäht der Pflichten knechtisches Geleit : ihr Lichtpfad, 
schöner nur geschlungen, senket sich in die Sopnenbahn der 
Sittlichkeit. Die ihrem keuschen Dienste leben versucht kein 
niedrer Trieb, bleicht kein Geschick : wie unter heilige Ge- 
walt gegeben, empfangen sie das reine Geisterleben, der Frei- 
heit süsses Recht, zurück.« 

9. Homer und seine Götter. 

Wollen wir jezt betrachten, wie dieser Sieg über das Asia- 
tenthum bereits im Homer vollendet erscheint. Von der Be- 
leidigung eines Priesters, der seine Sache zu der seines Gottes 
macht, und von der Offenbarung eines Sehers, der Könige zu 
Menschenopfern zwingt und zu Sündern macht Ißdm xcrxcJv, 
oinvinoTi fiioi ro xqtj/vov elrreg xjA., sagt Agamemnon) hebt 
das Gedicht an. Wäre dieser Menschenklasse nicht ein so 



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B. Von der Weiterbildung der Relig:ionen. 91 

kräftiges Heldengeschlecht gegenübergestanden^ und hätte sie 
sich unentbehrlich gemacht in der Verrichtung der Opfer und 
der Beobachtung der Zeichen, so hätte sie nach so einem An- 
fange wohl zu einem bedenklichen Einflüsse fortschreiten 
können. Doch nein! ihre Macht war schon gebrochen, ge- 
schlagen und auf dem Rückzuge. Und so mancher bei den 
Asiaten beliebte Greuel hatte dem sittlichen Gefühle der Grie- 
chen gleich an£Buigs widerstanden, z. B. das Zwitterwesen der 
Götter, statt dessen sie den höchsten Gott lieber in ein männ- 
liches und ein weibliches Individuum, Zeus und Athena, 
spalten wollten, und die Castration von Göttern , statt deren 
sie lieber Dienstbarkeit oder zeitweilige Abwesenheit eintreten 
liessen. So gewahren wir denn bereits überall in den Göttern 
eine höhere, so zu sagen, potenzirte Menschlichkeit. Sie sind 
nicht allwissend, aber sie wissen viel, nicht allmächtig, aber 
yermc^n viel, nicht allgegenwärtig, aber mit wenigen Schrit- 
ten rasch zur Stelle, nicht undenkbar gross, aber doch riesen- 
gross neben den Menschen, nicht dem Tod und Krankheiten 
unterworfen, aber wegen des Antheils welchen sie an Men- 
schen nehmen doch nicht frei von Leiden, haben einen ver- 
klärten Leib mit anderem Fleisch imd anderem Blut als die 
Menschen, und gemessen andere Nahrung, können aber doch 
der Speise des Trankes und «des Sclilafes nicht entbehren. 
Sie sind keine reinen Geister, können aber doch alle beliebigen 
Gestalten annehmen, und auf die Gemüther der Menschen wie 
Geister einwirken. Diese Vorstellungen von Göttern sind von 
manchen unserer Gelehrten för bedauemswerth angesehen 
worden, die da gewohnt sind ein christliches EUenmass an 
alles Classische anzulegen und was nach dieser Elle zu kurz 
erscheint zu bemäkeln, und die bei ihrer Lehre, dass Gott all- 
wissend, allmächtig, allgegen^^ärtig u. s. w. sei, nicht be- 
dachten, dass sie selbst in dem nämlichen Irrthiun der Anthro- 
pomorphie staken, mit dem einzigen Unterschiede, dass sie 
den Superlativ an die Stelle des Comparatives.'g^sezt hatten: 



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92 !• Von der Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

und wenn sie so eine Allg^^nwart mit so einer Persönlichkeit 
vereinigen wollten^ so mussten sie finden, dass ihre eigenen 
Vorstellungen auch von Widersprüchen nicht freier als die 
Homerischen waren. Also mag man sich auch darüber wun- 
dem, dass diese Götter moralisch so im vollkommen , allen 
menschlichen Leidenschaften imd Fehltritten unterworfene 
Wesen seien ; aber waren etwa die Parsen, deren Götter lauter 
reine heilige Engel waren, bessere Menschen als die Griechen ? 
oder haben sie in irgend einem Fache Höheres geleistet? Das 
Erste, worauf es bei Homer ankommt, ist allerdings die Kraft : 
durch die Kraft hat sich Zeus zum Beherrscher der Götter ge- 
macht, und dass er diese Kraft noch besize, das ist er täglich 
dem Poseidon, der Hera, der ganzen Götterschaar und wer es 
darauf ankommen lassen will, zu beweisen erbötig. Durch 
Kraft ist Achill der unvergleichliche Held, und um dieser 
Kraft willen wird ihm selbst die Unbändigkeit seines Schmer- 
zes und seiner Rachsucht von den Göttern zu Gute gehalten, 
während Hektor gewiss liebenswürdiger erscheint, bei welchem 
der Patriotismus thut was bei jenem der Schmerz und die 
Rachsucht bewirkt ••). Aber es wird von dem nämlichen 
Achill, dem selbst die Götter zürnen über das was er q>Q€ol 
fiatvo^iavfjaiv an Hektor thut'®) doch auch gesagt, er sei son- 
stens weder unbesonnen noch tücksichtslos noch sündhaft ''), 
und somit sind es doch nicht vires consHii experteSy otnne fwfas 
ammo movefites, welche den Göttern gefallen, und .wird neben 
der Kraft auch die Güte als eine Macht anerkannt, die, wenn 
sie zu jener in die Wagschale gelegt würde, die rohe Kraft von 
Titanen und Giganten hoch emporschnelle. Diese Milde ist 
in dem Wesen des Zeus nicht minder gross als seine Kraft, er 
wird um ihretwillen von seiner weniger guten Gemahlin oft 
gescholten : und welchem der Himmlischen wohnt sie nicht im 



69) IL (ü, 33—63. 

70) II. w, 113. 

71) ovT€ yuQ (ar aifgtov ovt aattonos ovt aXixrifuav U. (o, 157. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 93 

Herzen? Freilich ist nicht zu verkennen, dass an dieser Güte 
der Götter gegen die Menschen auch das Bewusstsein ihrer 
eigenen menschlichen Schwächen eine];! Antheil habe: aber 
eben dieses ist recht gut für die Menschen, dass der Götter 
Antheil und ihr Mitleid auf dem nämlichen Grunde ruht, auf 
welchem er auch bei den Menschen ruht, nämlich darauf, dass 
man sich in die Lage des anderen hinein denkt. Sie sind eben 
wahre Menschen, nicht ideale überein aussehende Puppen, 
die nicht einmal für die Poesie zu gebrauchen wären, dabei 
ausgeprägte Charaktere und keine Halbheiten, sondern jeder 
ganz und rund in seiner Art, so dass sie ganz natürlich — weil 
doch überall wo Licht ist auch Schatten sein muss — nicht 
ohne Mängel imd Beschränktheiten sein können; endlich 
Bürger eines freien Staates, nicht blosse Diener imd Bothen 
eines fremden Willens, gegen welchen ein eigenes Denken 
und Wollen gar nicht stattfinden könnte. Selbst der höchste 
Gott Zeus ist der Uebereilung imd Bethörung (^^ttj) ausgesezt, 
und als ilim einst seine Gattin mit ungewöhnlichen Beizen 
geschmückt en^egen kommt, gibt er sich hin zur Unzeit: 
hinterher schilt imd droht er, wo er doch bloss sich selbst an- 
zuklagen hätte ; allein das scheint bei Homer so ausgemacht, 
wenn eine Versuchung gar zu stark, der Anlass zur Aufregung 
einer Leidenschaft gar zu übermächtig war, dass da der ihr 
Unterliegende nicht zu verurtheilen sei^*). Wie mild ist Ho- 
mers Urtheil über die Helena, das schöne aber leichtsinnige 
Weib, welches den Reizen ihres Verführers so wenig, wie 
dieser den ihrigen, widerstehen kann, während sie ihn doch 
weniger achtet als den Hektor, und immer dazwischen ihr an 
Menelaos begangenes Unrecht bereut. Homer weiss es so gut 
wie Euripides, dass die Kämpfer \un Troja, wenn sie nicht so 



71) "udnavTa tavayxaia avyx^^QtZ ^tog, sagte selbst das Delphische 
Orakel^ als wegen AbbOssung einer im Rausch begangenen Sünde bei ihm 
angefragt wurde. 



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94 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

blind eingenommen für die Schönheit dieses Weibes wären, 
Ursache hätten, recht erbosst auf sie zu sein^*), aber er verur- 
theilt sie darum nicht wie Euripides, denn er erwägt, dass 
eine jede ausgezeichnete Gabe auch ihre eigenen Versuchungen 
und Gefahren habe. Wer so unbändig in der Schlacht ist wie 
Achill, der darf auch so unbändig in seinem Schmerz und 
seiner Rache sein : wenigstens ist es bei ihm verzeihlich : und 
einem Weib, das eine Welt von Helden in Flammen sezen 
kann mit seinen Reizen, ist es zu verzeihen, wenn sie sich 
nur dem Schönsten ergibt. Die Natur im Schlimmen und 
Guten hat grosse Rechte bei Homer, imd die Zucht Inaideia) 
so viel wie gar keine, so wie bei den Menschen also freilich 
auch bei den Göttern. Sie handeln, gut und schlimm, je nach- 
dem es ihnen ihr Herz eingibt, und finden es ganz in der 
Ordnung, dass auch die Menschen es also machen — so weit 
sind sie davon entfernt, deren Zucht- und Hofmeister sein zu 
wollen. Das aber hindert nicht, dass nicht Vergehungen be- 
straft werden, und dabei wird das Strafrecht nicht einseitig 
etwa bloss an Menschen, sondern auch an Göttern, geübt, und 
für erlittene Unbilden dürfen auch Menschen an Göttern, 
wenn sie's können, Rache nehmen. Selbst Götter leisten mit- 
unter Menschen gegen andere Götter Beistand, und über allen 
Göttern sowohl als Menschen steht die Moiqa oder das Schick- 
sal. Es ist ein Widerspruch gegen das was Diomedes selbst in 
der fünften Rhapsodie gethan hat, wenn er in der sechsten 
äussert '*) , dass er niemals gegen Götter kämpfen möchte ; und 
die Dione äussert zwar die nämliche Ansicht, dass solche 
Handlungen den Menschen keinen Segen bringen^*), weiss 
aber doch keinen Fall anzuführen, wo sich das bewährt hätte, 
während sie mehrere sehr starke, Göttern von Menschen an- 
gethane, Misshandlungen zu erzälen weiss. So stark und so 
unabhängig durfte sich damals der Mensch gegenüber den 



73) IL y, 415. 74) II. C, 129. 75) IL f, 40(>. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 95 

göttlichen Mächten fiihlen — und nicht bloss gegenüber den 
Göttern^ sondern sogar auch gegenüber dem sonst unbezwing- 
liehen Schicksale. Denn auch die Molga kann gezwungen 
werden durch aussergewöhnliche Kraftans^srengung sowohl 
als auch durch aussergewöhnUche Fahrlässigkeit , dass etwas 
geschehe, was nicht in ihrem Plane gelegen hat^*). Es ver- 
steht sich nämUch von selbst, dass Götter, welche höchstens 
die Macht' unserer Elfen und Feen haben, nicht die oberste 
lezte Instanz im Weltregiment seien ; denn es ist noch kein Volk 
jemals so dumm gewesen, dass es an keine einheitliche Macht 
als Weltenlenkerin gedacht hätte, und der Unterschied zwi- 
schen monotheistischen imd polytheistischen Religionen be-. 
steht lediglich darin, dass in jenen der höchste Gott das Gresez ' 
in sich hat oder sein Wille Gesez ist, in diesen aber hat er es 
neben sich, wie der König eines constitutionellen Staates. Das 
nun ist die MoiQa, ein unpersönliches höchstes Wesen, wel- 
ches das Ganze zusammen und in guter Ordnung erhält, der 
vorgeschriebene Plan, nach welchem die Dinge ohne gegen- 
seitige Störung sich abgrenzen und neben einander ihren Gang 
vollenden, darum MoTqo, d. h. der beschiedene Theil, ge- 
nannt, weil in dem grossen Organismus nur durch Unterord- 
nung der Theile und Beschränkung eines jeden auf das was 
ihm gebührt und gemäss ist das Ganze erhalten wird. 

Im Uebrigen versteht es sich von selbst, dass alles was 
man sonst Glück oder Zufall nennt, alles was dem Menschen 
unbewusst geschiSt, alles was er sich nicht selbst gegeben hat 
noch geben kann, bei religiös empfindenden Menschen von 
den Göttern ausgeht. Wenn einem Lenker bei der Wettfiahrt 
die Geissei aus der Hand fallt oder wenn ihm etwas an dem 
Wagen bricht, oder wenn ein Wettläufer ausgleitet imd hin- 
fiQlt, so hat es ein Gott gethan. Wenn ein Mensch, von Zorn 
oder Gier hingerissen, thut was ihn hinterher gereut, so haben 



76) Vgl. n. ß, 156. i;, 29. y, 516. g, 321. n, 780. Od. «, 33. 



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96 1- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

ihm in dem Augenblick die Götter den Verstand genommen 
(d-eol ipQivag äXeaav) oder irgend ein Gott hat ihm eine Ver- 
blendung eingegeben {aTrjv' idtoxe) . Hinwiederum wenn er 
einen glücklichen Einfall gehabt, mit rascher Besonnenheit 
im rechten Momente das Richtige getroffen hat, so war ihm 
dieser Gedanke von einem Gott eingegeben [IttI (p^Boi d^xe) ; 
und wenn er sich selbst übertroffen hat an Tapferkeit Muth 
und Ausdauer, so war er von einem Gotte wunderbar gestärkt 
worden. Dass man schön, reich, stark, klug, geehrt sei, diese 
oder jene Kunst besize. Glück oder Unglück erlebe, kurz alle 
Gaben und alle Schicksale, Sieg oder Unterliegen, Leben und 
Tod, kommen von oben, auch das Gelingen oder Misslingen 
dessen was wir mit unseren Kräften ausziurichten gedenken, 
weil doch überall auf Glück und Umstände dabei das Meiste 
ankommt. Das nun haben die Homerischen imd auch noch 
die Pindarischen und die Sophokleischen Menschen mit allen 
anderen religiös Gesinnten zu allen 2ieiten und bei allen Völ- 
kern gemein : aber nicht überall ist bei diesem Eingreifen der 
Götter ein so vernünftiges, der Natur und Wahrheit so ent- 
sprechendes, der wahren Sittlichkeit so forderliches Maass 
eingehalten : nicht überall geschehen so glaubwürdige, selbst 
unserem aufgeklärten Zeitalter so wenig anstössige, Wimder, 
wie bei Homer, nicht überall wird dem Aberglauben so sehr 
die Thüre wie bei diesem Wunderglauben verriegelt. Diese 
Götter spielen mitunter die Rolle von bösen Dämonen, indem 
sie einen Menschen zu Missethai;en verführen, wenn z. B. 
Athene den Pandaros zum Bruch des Vertrages beredet : aber 

t man siht wohl, es ist sein eignes eitles und treuloses Herz 
Schuld daran, dass er der Versuchung nicht widerstehen kann: 

' das wusste Athena, und darum hat sie gerade an diesen sich 
gewendet. So geht es auch sehr natürlich zu, wenn dieselbe 
Göttin den Achill, der im Begriff ist mit dem Schwert auf 
den Agamemnon loszugehen, hinten beim Schopf ergreift, und 
spricht: »Nur nicht zuschlagen: aber sagen kannst du ihm 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. ' 97 

Alles^ so stark du willst !« Oder wenn ein Held von einem 
Gott in der Schlacht zu ausserordentlichen Thaten angeregt 
wird. Oder wenn Odysseus von der Athena in einen Bettler 
verwandelt wird, was er beinahe selber sich hätte thun kön- 
nen. Das sind lauter sehr natürliche und vernünftige Wunder, 
und geht Alles ohne Hexerei zu. Also troz dem Eingreifen 
der überall, wo es gilt, gegenwärtigen Götter geschiht nichts \ 
was völlig unerklärlich und unbegreiflich wäre, nichts was 
nicht heut zu Tage, wo diese Götter nicht mehr wirken, sich 
dennoch in der nämlichen Weise begeben könnte. Und das 
Alles kommt daher, weil diese Götter den Menschen so nahe 
stehen, dass sie wirkliche, bloss potenzirte, Menschen sind. 
Denn wären sie mehr, wären sie z. B. Engel und Teufel, so 
dass auch die Menschen einer entsprechenden Behandlung von 
ihnen ausgesezt wären, so würden diese weit weniger für ihre 
Handlungen verantwortlich sein — denn was vermag der 
Mensch zur Bewahrung seiner Freiheit gegenüber so starken 
Mächten? — so würde auf Mantik und Ascetik, auf Wa- 
schungen und Räucherungen, auf Opferungen und Büssungen 
mehr als auf Uebung und Gebrauchung der angeborenen 
Kräfte ankommen ; so würden die Menschen, wie zu Miltons 
Zeit, ebenfalls theils Engel und theils Teufel sein, d. h. sich 
gegenseitig als solche ansehen und behandeln ; und was nun 
noch weiter aus dem allen folgen würde, das wissen wir! 

Bei den Pöniem, im Mutterlande und in der Kolonie 
Karthago, und wo immer der alte Bei oder Moloch verehrt 
wurde, mussten bei giossem Staats-Unglück, welches man 
dem Zürnen jenes überreinen Himmels- und Feuergottes zu- 
schrieb, Fürsten und Vornehme ihre Kinder diesem Dämon 
verbrennen oder, wie man das nannte, durchs Feuer gehen 
lassen: und das musste ein eingeborenes geliebtes, dabei 
noch völlig unschuldiges luid von fleischlicher Lust 
ganz unberührtes Kind sein, welches die Sünden des Volkes 
auf sich nehmend unter Jubel xmd Paukenschall hingerichtet 

H*rt«iig, Rel. n. MTthol. d. Or.I. 7 



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98 I- lieber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

wurde. Von solchen Göttern oder Dämonen weiss Homer 
nichts: aber die nachherige Zeit (denn so wie hinter dem 

' Shaxpeare in England die Puritaner, so sind hinter dem. 

) Homer die Orphiker gekommen) hat sammt anderen Herrlich- 
keiten auch solcherlei Bräuche emporgebracht, wie die Iphi- 
genia und so manches Menschenopfer, und die feierliche Hin- 
ausfiihnmg Misshandlung und Hinabstossung der Sünden- 
böcke, (paQ^axol, dies bezeugen. Diese Beaction werden wir 
nachher betrachten. 

10. In der Hellenischen Religion keine Teufel and keine 
Entselbstuuii;. 

Dass die Griechische Religion keine Teufel kannte, dar- 
aus folgte freilich einestheils dass die Götter nicht so nz 
himmlischrein und engelgut sein konnten wie eine dualistiBche 
Religion sie aufstellt — denn irgendwoher muss doch das 
Ueble, woran die Menschenwelt krankt, in dieselbe hineinge- 
; bracht werden, und wenn es keine Teufel gibt, so müssen 
Götter selbst zeitweilig deren Rollen übernehmen — andem- 
theils aber auch dass Menschen nicht zu Teufeln werden konn- 
ten — denn je nach den unsichtbaren Mächten, die man 
glaubt, gestaltet sich immer auch das Menschenleben — dass 
keine sich dem Teufel verschreiben und im Bunde mit ihm 
hexen und zaubern konnten, dass man folglich keine Hexen 
imd Hexenmeister zu verbrennen brauchte, und dass man end- 
lich Andersgläubige nicht wie Kinder des Teufels schonungs- 
los martern und morden durfte. 

Um von den »schweren Leiden des Menschenlebens« oder 
den Uebeln der Erbsünde wenigstens nach dem Tode erlöst zu 
werden, dichtet sich der Mensch ein Elysium über oder hinter 
oder unter der wirklichen Welt. Ein .Elysium aber sezt auch 
eine Hölle voraus, weil immer ein Extrem das andere fordert, 
und die Hölle braucht einen Teufel, und dieser, wenn er ein- 
mal da ist, wird wohl auch in das Leben der Menschen ein- 



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B. Von der Weiterbildang der Religionen. 99 

greifen müssen^ um seiner Opfer im Voraus sich zu versichem. 
Um nun vor diesem bösen Geiste sowohl in diesem als in dem 
künftigen Leben sich zu bewahren hat man mancherlei ver- 
suchte was auf die Moral von grossem Einfluss gewesen ist. 
Die Perser z. B.^ in deren Religion der Teufel (Ahriman) fast 
mit gleicher Macht Gott gegenübergestellt war, haben daraus 
die Moral entwickelt, dass man theils vor Befleckungen sich 
in Acht nehmen soll, welche den Teufeln Zugang verschaffen, 
und theils imm^ort beflissen sein gute Werke zu verrichten, 
die den Teufeln Eintrag thun. Weniger zu- loben ist das Ver- 
halten der Aegypter gegen ihren Seth, dem sie, als Krokodil, 
sogar Menschenopfer brachten, um ihn zu begütigen, trozdem 
dass (wie man jezt aus Inschriften will entnommen haben) 
sein Reich seit dem 13. Jahrhundert vorbei sein sollte ^^). 
Indess pflegte er doch noch alle Jahre den Osiris zu tödten, 
imd die Aegypter waren einmal ein Sclaven -Volk, welches 
sich unter der Zuchtruthe ihrer thierartigen Götter, wie die 
Russen imter der Knute ihrer adeligen Herren, beugten, und 
noch oben darein die Hand, die sie züchtigte, zu küssen für 
Pflicht hielten. Oder was ist das anders, wenn eine Mutter, 
deren Kind vom heiligen Krokodil gefressen worden ist, sich 
deshalb segnet und glücklich preist? Auch durch Heulen und 
Wehklagen und andre ungeberdige Aeusserungen des Schmer- 
zes suchten sie ihre Götter zu rühren : und solches Gebahren 
wird ims von einem Griechischen Schriftsteller als der haupt- 
sächUchste Bestandtheil ihres Götterdienstes bezeichnet. 

Auch die bis zur Thierheit getriebene Ascetik und Ent- 
selbstung war der Ghriechischen Religion unbekannt, deren 
eine Art ist die Versezung in einen bewusstlosen Zustand 
durch tolle Schwärmerei. Durch solcherlei Raserei suchten 
z. B. die Bewohner Phrygiens Gottähnlichk^t Heiligung 
und Sünden-Reinigung zu gewinnen. Denn die Kybelen- tind 



77) S. Bunsen, II. p. 35. 

7» 



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100 ^> Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Attis - Schwärmerei der Gallen ist die älteste Erscheinung 
jenes noch heute bei den Turanischen Völkern so allgemein 
herrschenden Schamanenthums, welches zweierlei erzielt, 
erstlich über die alles umgebenden und erßillenden Geister 
durch Zauberkraft Herr zu werden, und zweitens in dieser 
Erregung des Geistes zum begeisterten Schauen und Hell- 
sehen zu gelangen'®). Diese Art von Ekstase, so wie ihr 
Name aus dem Buddhismus herstammt, also führt sie uns zu 
der in jener Religion am fleissigsten gesuchten Entselb- 
stung, der NirvÄna, hin, welche mit der Vergottung 
unserer mittelalterUchen Mystiker ziemlich genau überein- 
stimmt, ihrerseits aber auch bereits in der Indischen Sankhja- 
Philosoplüe vorgebildet war. »Diese Philosophie<(, sagt Bunsen 
n. p. 133, »ist eben sowenig atheistisch als das System, in 
welchem Brahma, als trwesen, an die Spize gestellt wird. 
Pantheistisch sind beide gleichermaassen, indem die sittliche 
Freiheit des Menschen, und mit ihr der Begriff der Sünde, 
zurücktritt hinter dem Allgottgefühl, oder hinter jener Gott- 
welt-Trunkenheit, in welcher das gesxmde Bewusstsein 
allmählich untergeht.« »Der Zweck der Kreatur (sagt derselbe 
femer) ist kein anderer, als die Vollendung des Geistes und 
die l^freiung der Natur durch den Geist. Der Geist siht dem 
Treiben der Natur als Zuschauer zu, er handelt nur 
scheinbar : sein natürlicher Trieb ist die Natur zu gemessen, 
dann aber sie zu erkennen, nämlich als nichtig. — Das Ziel 
des Geistes ist also die völlige Freiwerdung von der Natur, 
und dadurch die Freiheit der Natur selbst. — Der Weise 
leidet das Dasein: er lobt es nicht.« 

11. Die Helliscii and die ReactioD. 

Oefter als einmal hat das Hellenenthum Rückfalle in der 
Asiatisch -Aegyptischen Barbarei erlebt, und der folgen- 



78)8. Bunsen, IL p. 39. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 101 

reichste dieser Rückfälle war der sogleich nax;h der Homeri- 
schen Zeit eingetretene. Ein anderer Stand kam empor in 
den Revolutionen welche überall das Königthum stürzten, 
und mit ihm tauchten andere Götter auf, die vielleicht hier 
schon länger eingebürgert waren, andere Ansichten und andere 
Beschäftigungen gelangten zur Herrschaft, welche nicht ohne 
Einfluss auf den religiösen Glauben bleiben konnten. Zu- 
gleich mehrte sich der Verkehr mit dem Auslande. Aegypten, 
das man früher bloss vom Hörensagen kannte, und Phöni- 
kien, aus welchem sonst bloss die Kaufleute herüberzukom- 
men pflegten, wurden zugängig : die Kleinasiatischen Küsten 
wurden von Griechischen Ansiedlem in Besiz genommen, und 
die westlichen und östlichen Fabelländer, wo die Skylla, die 
Kirke, der Kyklope hausten, und wo die zusammenschlagen- 
den Felsen die Welt versperren sollten, rückten in den Kreis 
der bekannten, von Griechen bewohnten, ein. Wie weit sind 
nicht Alkäos luid sein Bruder und der Bruder der Sappho in 
der Welt umhergeschweift, imd mit wie vielerlei Menschen 
und Völkern sind sie nicht in Berührung gekommen ! »Kommst 
von dem äussersten Weltende (so singt Alkäos Fr. 50 von 
seinem Bruder) : des Ehrenschwerts elfenbeinernen Griff trägst 
du mit Gold belegt. Hast in Babylon beistehend ein Aben- 
teuer kühn bestanden, das Land aus der Gefahr befreit« u. s. w. 
Und Sappho musste klagen, dass ihr Bruder bei der schönen 
Doricha oder Rhodopis in Aegypten sein Vermögen verthan 
hatte, und dann in der Welt herumreisen musste als Kauf- 
mann, um es wieder zu gewinnen. Was in der Odyssee ahnend 
vorausgebildet war, das war jezt zur Wirklichkeit geworden. 
Da erweiterten sich die Gesichtskreise, die Bestrebungen 
wurden vielseitiger, die Beschäftigungen mehr auf das Nüz- 
liche gerichtet — Alles auf Kosten des Schönen und Edlen. 
Pas Geschlecht war zwar praktischer, aber die Köpfe dabei 
nicht heller geworden. So gaben sie erstlich dem Ausländi- 
schen, Aegyptischen Phönikischen und Phrygischen, Aber- 



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102 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

glauben Eingang, und sodann sorgten sie auch durch ein auf- 
gehäuftes Sündenmaass^ dass man dessen bedurfte. Das war 
die Zeit wo die Kreter Epimenides und Onomakritos ihr my- 
stisches Wesen trieben, denen es auf einen frommen Betrug 
nicht ankam zur Erreichung ihrer Zwecke, und die besonders 
von Machthabern und Gesezgebem gesucht waren, weil man 
hoffte, dass sie das Volk unterwürfiger und gottesfurchtiger 
machen würden. Der Epimenides (um 600 v. Chr.) war ein 
wunderbarer heiliger Mann. In seiner Jugend hat er 57 oder 
40 Jahre'*) in der Idäischen Höhle geschlafen, und als er 
wieder nach Hause kam, wurde er bloss von seinem jünge- 
ren Bruder wieder erkannt, welcher inzwischen ein Greis 
geworden war. Er selbst ist 157 oder gar 299 Jahre alt ge- 
worden. In so vielen Tagen, als er Jahre geschlafen hatte, 
alterte er auch. Seine Seele schweifte ausserhalb des Leibes 
herum so oft er wollte, und kehrte wieder zurück wenn er 
wollte (Suidas v.). Er war auch schon öfter hier in der Welt 
gewesen. Niemand sah ihn je speisen oder einem anderen 
Bedürftiiss fröhnen : denn die Nymphen hatten ihm ein Nah- 
rungsmittel gegeben, von dem er manchmal eine kleine Prise 
nahm, indem er's in einer beinernen Dose bei sich hatte. 
Einst erscholl eine Stimme vom Himmel : » Epimenides ist des 
2ieus Sohn, ist kein Nymphen-Kind« ! Die Kreter nannten ihn 
einen Kureten, und er hatte auch eine Theogonie der Kureten 
und Korybanten, ingleichen ein Gedicht über Minos und 
Rhadamanthys^ verfasst. Er hiess ferner xad-aQti^g, Gottver- 
söhner, war stark in der Kenntniss der Zauberkräuter (man 
meinte sogar, dass er die 57 Jahre, wo er vermeintlich ge- 
schlafen, auf botanische Reisen verwendet habe) , konnte weis- 
sagen^), verstand die Telestik und Enthusiastik aus dem Fun- 
dament, war auch mit Pythagoras (ein Anachronismus!; in 



79) Paus. I, 14, 4. 

80) P lato, Geseze I. p. 642. D. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 1 03 

die Idäische Ghrotte hinabgestiegen und dort in die Mysterien 
eingeweiht worden. Nach seinem Tod wurde seine, mit Ver- 
sen beschriebene, Haut oder auch sein Leib zu#Lakedämon 
aulbewahrt®*). Von den Kretern >vurde er Tollends vergöttert. 
Er ist, sagt Diogenes Laert. I, 112, der erste gewesen, der 
Häuser und Fluren [mithin ganze Städte und Länder) ent- 
sühnte. So wurde er denn auch nach Athen gerufen zur Zeit 
als der Kylonische Mord und eine sogleich damuf folgende 
Noth die Gemüther beunruhigte, dass sogar zwei Jünglinge, 
Kratinos und Ktesibios, sich opferten. Man liess ihn durch 
einen besonderen Gesandten auf einem eigenen Schiffe her- 
beiholen. Um die Stadt zu reinigen, liess er ein schwarzes 
und ein weisses Schaf vgm Areopag aus gehen wohin sie 
wollten, und wo sie sich niederlegten dort dem betreffenden 
Gotte opfern. Er stiftete auch den Tempel der aeiivai &b(xL 
(Demeter und Köre) in Athen. Dieser Magier und Prophet 
[^Bo<piXrfi xai aocpbg neql ra &€ia rijv ivd-ovaiaarixriv mal 
teleatixiiv ooq>iaVj sagt Plutarch Solon c. 1 2) » hat der Gesez- 
gebung Solons vorgearbeitet, indem er durch Versöhnungs- 
und Reinigungsmittel und durch Stiftungen die Stadt zu der 
heiligen Weihe stimmte und gehorsamer zi;m Gerechten und 
fügsamer zur Eintracht machte«. Zur Belohnung nahm er 
nichts als einen Oelzweig, und so zog er von dannen. Vor 
dem Eleusinischen Tempel stand seine Bildsäule. Sein Lands- 
Genosse war OaXrjTag welcher Lakedämon entsühnte®*) . Und 
dieser war wiederum ein Bekannter des in diesem Zweige 
nicht minder bedeutenden Onomakritos^), der ebenfalls seine 
Kunst in Kreta gelernt hatte. Dieser Onomakritos, welchen 
Herodot VII, 6 Orakelsammler [xqrjO^oXoyov] und Ordner der 
Orakel des Musäos nennt, hatte erstlich dem Tyrannen 



81) Suidas und Paus. II, 21, 3. Hesych. v. 

82) Paus. I. 14, 4. 

83) Aristot. Pol. IL, 12. 



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1 04 !• Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

Hipparch in Athen sehr gute Dienste geleistet in seiner Knech- 
tung der Bürger^ dann, durch den Dithyrambendichter Lasos 
von Hennione gestürzt, welcher ihm eine Orakelfälschung 
nachwies, zufolge deren die Inseln bei Lemnos vom Meer ver- 
schlungen werden sollten, hatte er bei den Thessalischen 
Tyrannen, den Aleuaden, Aufnahme gefunden, und mit die- 
sen redete er mittelst günstiger Prophezeiungen dem Perser- 
Könige zu, Griechenland zu unterwerfen. Man siht also, mit 
welchen Leuten man hier es zu thun hat, und was diese Ver- 
düsterung in Glaubeussachen dem Griechischen Volke fiir 
Früchte bringen sollte. Aus despotisch regierten Ländern 
stammte dieser Aberglaube her, und nur Knechtssiim konnte 
er zeugen. Aber jene Zeit war noch an anderen solchen Per- 
sönlichkeiten reich, welche an einen CagUostro erinnern : und 
doch hat sie zugleich die sieben Weisen hervorgebracht, so 
dass also die stärksten Gegensäze bei einander lagen. Da war 
der Hyperboreer Abaris, welcher ebenfalls keiner Nahrung be- 
durfte und auf einem Pfeil durch die Luft fliegen konnte, 
dabei Krankheiten durch Zaubersprüche heilte und weissagte. 
Da war ferner der Aristeas aus Prokonnesos, dessen Seele in 
Gestalt eines Eaben zum Munde herausflog, um ausser dem 
Leibe herumzuschweifen, wenn und wie er wollte, und der an 
demselben Tage, wo er in Prokonnesos gestorben war, einem 
Mann auf dem Wege nach Kyzikos wieder lebendig begeg- 
nete, verschwand und nach sieben Jahren wiederkam, um das 
Gedicht von den Einaugen, den Arimaspen, zu schreiben, aus 
welchen man auch von den goldhütenden Greifen und denUeber- 
nordwindlem Vieles erfuhr, und dann abermals verschwand®*). 
Den Erfindungen dieser Herren dankt man so manche Fabelei, 
von der Homer nichts weiss, zuvörderst die Kretischen Sagen 
von der Geburt des Zeus und von Minos und seinem ganzen 



84) avrjQ yoric, ft TIS ickkos, sagt Str ab o XIII. p. 589. Paus. 1,24,6. 
Herod. IV, 13. 14. Plin. H. N. Vn, 174. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 105 

Hause. Dann haben sie die Mythologie auch mit einigen Per- 
sonen bereichert welche ihnen selbst gleichen^ um ihren Sachen 
die Ehrwürdigkeit eines hohen Alterthums zu verleihen. Da 
sind der Orpheus, der Musäos, der Eumolpos, der Pamphos 
mit neuen Würden und Aemtem, als Hymnen- und Epoden- 
Sänger, als Krankheiten-Heiler, als Zauberer imd Beligions- 
Stifter u. s. w. begabt worden®*). Von Orpheus haben wir 
bereits früher gesehen, wie ihn die Pythagoreer (welche hin- 
wiederum mit den Kretischen Zauberern, einem Epimenides 
und Onomakritos, in Verbindung gesezt werden) zu ihrem 
mythischen Urheber gemacht hatten. Die ihm zugeschriebene 
Theogonie ist wahrscheinlich von Onomakritos vei-fiwst: auch 
haben Pythagoreer, wie Kerkops, zur Vermehrung der angeb- 
lichen Werke des Orpheus fleissig beigesteuert. Musäos, Sohn 
des Eumolpos und auch des Orpheus genannt, oder auch des 
Boreas, der ihm die Gabe zu fliegen verliehen hatte, scheint 
der mythische Name zu sein, hinter welchem Onomakritos sich 
zu stecken pflegte, so dass die Erzälung, Lasos habe ihm eine 
Fälschung nachgewiesen, keinen anderen Sinn haben wird, 
als er veranlasste den Herrscher Hipparch, dem Seher die 
Maske abzureissen, weil ihm seine Orakel nicht mehr ge- 
nehm waren. Dass er aber auch noch Anderes in dessen 
Namen gefälscht hat, zeigt Paus. I, 22, 7. 

12. Die Mysterieo. 

Der Eumolpos, früher bloss ein Thrakischer König der 
mit dem Erechtheus Krieg führte, wurde jezt zu dem Stifter 
der Eleusischen Mysterien gemacht. Diese Mysterien selbst 
aber, so wie auch alle anderen, sind ein Erzeugniss dieser Zeit 
imd eine Gründung derartiger Männer. Denn gerade die Gott- 
heiten, welche in den Mysterien verehrt wurden, hat jener 
Onomakritos und sein Musäos besungen und zu Ehren ge- 



85) Aristoph. Frösche 1030. 



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106 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

bracht®*), und von der Zerreissung des Zagreus durch die 
Titanen (ein Aegyptischer Glaube, ins Griechische übersezt 
durch Sezung der Titanen an die Stelle des Typhon) hat er 
zuerst gesungen®^). In den Mysterien aber wurde die Unsterb- 
lichkeit der Seele, vielleicht sogar die Auferstehung des Flei- 
sches, symbolisch gezeigt oder durch dramatische Darstel- 
lungen einleuchtend gemacht. Und dieser Glaube mag zwar 
allerdings in Indien und Persien bei den l^rahmanen und 
Chaldäem zuerst aufgekommen sein, wie Pausanias IV, 32, 4 
versichert: aber recht vollständig ausgebildet und befestigt, 
so dass er das ganze Leben beherrschte, ist er gewiss erst in 
demjenigen Lande geworden, in welchem das ganze Sti-eben 
der Menschen nur dahin gieug , sich die Fortdauer de« Leibes 
nach dem Tode zu garantiren : und auch nur da, wo man das 
Fleisch durch Einbalsamirung so gut zu conserviren wusste, 
konnte der Gedanke an Wiederbelebimg und Wiederaufer- 
stehung des Fleisches zuerst entstehen. Dass aber der Un- 
sterblichkeits- und Seelenwanderungsglaube von den Aegyp- 
tem zu den Griechen gekommen sei, ist sowohl an sich klai-, 
als auch wird es von Herodot II, 123 versichert, welcher sagt: 
»die Aegypter glauben, dass Demeter und Dionysos die Fürsten 
der Todten sind : sie sind auch die ersten in der Welt gewesen 
welche behaupteten, dass die Seele unsterblich sei: und wenn 
der Leib vergehe, so wandere sie in ein anderes Geschöpf, 
welches eben geboren werde, imd nach der Durchwanderung 
durch alle die Land- und See- und Luft-Thiere kehre sie wie- 
der in einen Menschenleib (doch wohl in den nämlichen, für 
dessen Erhaltung so fleissige Sorge getragen wurde !) zurück. 
Diese Wanderung dauere gegen 3000 Jahre. Diesen Glauben 
(sezt Herodot hinzu) haben auch unter den Griechen welche 
angenommen, theils früher, theils später, als ob er von ihnen 



86) Paus. I, 22, 7. 

87) Paus. VIII, 37, 5. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. ] 07 

selbst ausgegangen wäre — deren Namen ich kenne aber nicht 
nennen will. « Er meint offenbar die Orphiker und die Pjrtha- 
goreer. Die Einheit aber des Pythagoreisch-Orphischen Glau- 
bens mit dem Mysterien -Glauben deutet Euripides dadurch 
an, dass er seinen Hippolyt auch in den Eleusischen Mysterien 
eingeweiht sein lässt. Es war ein Orphischer Saz t6 aw^a 
arjfia und dass der Leib bloss der Kerker der Seele sei. Bei 
den kerngesunden Griechen konnten solche Lehren niemals 
redit Eingang finden, wenn sie auch die Fabeln von der Aus- 
stafi&rung des Hades zu einem Orte der Bestrafung und Beloh- 
nung gläubig angenommen hatten. Denn dass alle diese 
Dinge, von denen Homer nichts weiss (denn sein Todten- 
reieh befindet sich am Ende der Welt imd seine Bewohner 
sind afievtp^ä xaQtjva], in Aegypten zuerst erfunden worden 
sind, beweist uns Diodor I, 96, gestüzt auf das Urtheil Aegyp- 
tischer Priester, aus den Oertlichkeiten bei Memphis, nach 
denen diese Vorstellungen geformt waren, wobei er freilich 
auch Homerisches und Nachhomerisches zusammenwirft. Zwar 
der Kerberos, so wie der Hund des Geryones, ist eine alte den 
Griechen eigene Vorstellung ®®), aber die HöUenfiüsse und die 
Todtenrichter imd der Ort der Verdammten und der Wohnsiz 
der Seligen und die zur Seelenwanderung gehörende Lethe 
und Alles was das dortige Scheinleben zu einem wirklichen 
Leben zu machen geeignet ist, hat erst von Pindar an allmäh- 
lich Greltung bekommen. 

Warum diese Weihen so geheim gehalten wurden, das ist 
für niemand schwer einzusehen welcher das Wesen und die 
Bedeutung der Ceremonien in den alten Religionen überhaupt 
kennt. Muss denn nicht noch jezt alles was man Sympathie 
nennt ganz geheim unberufen und imbeschrieen geschehen, 
wenn es nicht seine Wirkimg verlieren soll? Pflegen nicht die 
Elfen Feen und Zwerge, wenn sie da wo sie ihr Wesen treiben 



88) II. ^, 368. 



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108 I- Ueber die EnUtehung und Weiterbildung der Religionen. 

sich belauscht oder irgendwie gestört sehen, dieselbe Gegend 
auf immer zu verlassen? Also mögen auch die Bakchantinnen 
keinen Lauscher dulden, und das ist der Grund, weshalb der 
Pentheus so grausam bestraft wird — seine Verwerfung dieses 
Cultus hätte ihm sonst wohl hingehen können. Dazu konmit 
noch ein moralisches Gefiihl, dass die begeisterte Hingebung 
und die Andacht und die Schwärmerei überhaupt keinen un- 
betheiligten und nüchternen Zuschauer leiden mag, dem das 
was da geschiht als verrückt und abgeschmackt vorkommen 
muss, weil er des Gefühls entbehrt. Also thut man wohl, 
Kezer und Ungläubige inuner von allem Zutritt in den Tempel, 
wenn Gottesdienst ist, auszuschliessen. Und von dergleichen 
Ausschliessungen hat man auch bei anderen als den eigent- 
lichen mysteriösen gottesdienstlichen Verrichtungen viele 
Beispiele **V Auch der Name von Göttern wurde manchmal 
geheim gehalten^) wohl nur aus dem Gnmde, damit sie nicht 
auch von Fremden konnten angerufen werden**;. Iphigenia 
sagt zum König Thoas: »Wir müssen allein sein, denn wir 
wollen auch gewisse Ceremonien verrichten« i^tj^iiag deij xal 
yoQ alla ÖQdaofiey, und er antwortet : »Ich will Geheimes 
nicht schauen« ov (piX(o rd^rjd^ bqäv. Und lediglich imi dieses 
dqavy Ceremonien - Verrichten, handelt es sich auch bei den 
Mysterien. 

Um dieselbe Zeit muss auch aus Phrygien und Thrakien 
der schwärmerische Dionysos-Cultus nach Griechenland ge- 
kommen sein mit der lärmenden Musik der Pauken Cymbeln 
und Pfeifen, die von dem Dienste der Cybele herübergenom- 
men waren. Auch da haben ohne Zweifel die obengenannten 
Kreter mitgewirkt: denn von den Kureten und Korybanten 



89) Paus. III, 20, 4. 22, 4. Her od. V, 72. 81, PI ut. Quaest. Gr. 
n. 40. Schömann, Gr. Alt. II. p. 200 ff. 

90) Schömann, 11. p. 131. 

91) Vgl. IL r,, 195. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 109 

schrieb diese Lärm-Musik sich her*^), und der heilige Mann, 
der Epimenides, hat sie zuerst emporgebracht, und der Bak- 
chische Rythmus welcher dieser Musik eigen war, soll den 
obengenannten Thaletas z\im Erfinder haben. 

Wir könnten noch die ceremoniöse Reinigung der Mord- 
befleckten nennen, welche wohl von den Parsen herüber ge- 
kommen sein mag*') mit noch manchen derartigen Bräuchen, 
und könnten die Weissagungen des Bakis und der Erythräi- 
schen Sibylla anfuhren, zum Beweise, wie durchgreifend die- 
ser Aberglaube gewirkt hat: wir wollen aber diese Ausein- 
andersezung hier schliessen mit der Bemerkung, dass sie den 
Geist und das Wesen der Ghriechischen Religion doch nicht zu 
verändern vermocht und noch oben darein der Poesie eine 
mächtige Förderung gebracht hat. Welche? das wollen wir 
jezo zeigen. 

13. Die Tragödie. 

Wenn Horaz die Verdienste der Poesie angeben will, so 
erscheint ihm als das wichtigste ihr Gebrauch bei dem Gottes- 
dienste (Epist. n, 1, 132 ff.) : 

Caslis cum pueris ignara puella mariti 
Discei^ei unde preces, vatem m Musa dedisset ? 
Posctt opem chorus et praeseniia numma sentit j 
Caelestes implorat aquas docta prece blandttSy 
Avertit morboa, fnetuenda pericula peUity 
Itnpeirat etpacem et locuphtem frugihus cmnum, 
Carmine di mperi placaniury carmine manes. 

Alles das geschiht in den Hymnen der Teden und des 
Zendavesta ebenfalls, aber in anderer Art, und die Verglei- 
chung der Griechischen Hymnen mit jenen kann zeigen, was 
för ein Unterschied zwischen einem Dichter und einem Beter 



92) Eur. Bakch. 124 ff. 

93) Herod. 1,35. 



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110 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

[aQtjti^Q) oder Spruchsprecher ist. Auch die Griechen müssen 
dergleichen priesterliche Lieder einst besessen haben: man 
könnte das vermuthen auch wenn es nicht überliefert wäre, 
aber sie sind verschollen vor der Herrlichkeit der Diqhterge- 
sänge, wie die Dädalos-Bilder vor den Werken eines Phidias. 
Und nicht bloss die Päane Hyporchemen und Hymnen, son- 
dern alle Gattungen der Lyrischen Poesie, bis herab auf die 
Hirtengesänge, sind nach einander aus religiösen Feiern, aus 
Festspidien, aus ernsten und lustigen Gebräuchen hervorge- 
gangen, und haben sich zu solcher Pracht entfaltet, dass sie 
ihren Anfangen kaum mehr ähnlich sahen. So haben die Lob- 
lieder auf Götter und Heroen zu erbaulichen, staunenerregen- 
den und unterhaltlichen Eraälungen ihrer Thaten sich erwei- 
tert, woraus ganze Rhapsodien geworden sind, die sodann, 
gleich den Balladen vom Cid, unschwer in zusammenhängende 
Epopöen zu verweben waren. Daraus kann man abnehmen 
wie jung Homer sei, und dass sein Wirken nicht der An&ng 
sondern der Abschluss einer langen und reichen Dichtungs- 
Periode war. Nach ihm ist die epische Poesie zwar fortge- 
führt, aber mehr und mehr auf den Nuzen hinübergelenkt 
worden, so dass man Völker- und Staatengeschichten, am 
Ende sogar Theogonien oder Schöpfungsgeschichten, dann 
Lehrgedichte über Haushaltung und Landbau u. s. w. ver- 
fksste, wo überall das meiste Interesse in dem Stoffe lag. 

Diese Bemerkungen haben wir vorausschicken wollen für 
die Behauptung, dass eine Poesie, welche nicht aus der Tiefe 
des Seelenlebens geschöpft ist, Tändelei bleiben muss. Den 
Beweis liefert die ffaia ciencia der Troubadours, welche im 
Ganzen ein galantes Spiel geblieben ist und nicht einmal zur 
Hervorbringung eines Kriegs- oder eines Trinkliedes, was 
doch das Metier jener Ritter .war, gelangen konnte : und unser 
Minnesang ist noch viel ärmer als jene. Darum ist diese Poesie 
auch, wie eine Blüthe welche abfallt ohne Frucht anzusezen, 
mit dem Bitterthume, welches ebenfalls nicht viel besser war 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 111 

in seiner 4iöfischen« Verflachung, untergegangen; und es ist 
schwer zu sagen, wo die Romanischen und Germanischen 
Völker eine neue Erweckung der Poesie hätten hernehmen 
sollen ohne Nachahmung der Alten. Dagegen hat die Helle- 
nische Poesie nie angehört aus dem Boden der Keligion Nah- 
rung zu ziehen^ und hat derselben nach der Hand alle ihre 
Darlehen veredelt imd vervollkommnet zurückgegeben. Es 
zeugt von der unverwüstlichen Gesundheit des Griechischen 
Volkes^ dass es auch das Unwesen des Bakchos-Dienstes ohne 
Schaden verdauen und in gesimde Säfte verwandeln konnte ; 
es zeugt von den Segnungen freier Verfessungen, dass die 
Ausschweifungen des fremden Cultus auf ein sittliches Maass 
ziirückgefuhrt wurden ohne polizeiliches Einschreiten; es 
zeugt femer von der Macht des poetischen Geistes und seinem 
richtigen Instincte dass er aus der Umhüllung des Irrthums 
den Kern der Wahrheit so glücklich herauszuschälen vermochte, 
um mittelst dieses bedeutenden Gewinnstes zu einer neuen 
Stufe der Poesie, ja sogar zu ihrer eigentlichen Vollendung, 
sich emporzuschwingen. Denn so lange sie bloss für glück- 
liche Menschen passt, hat sie noch nicht Alles geleistet was sie 
leisten kann : sie muss auch die grimmigsten Schmerzen und 
die schrecklichsten Leiden, ja selbst den Tod, überwinden 
lehren : und das leistet die Tragödie denen welche in der rich- 
tigen Weise sich ihrer Heilung anvertrauen. Die Tragödie 
aber nahm ihren Ursprung aus dem Dionysos-Cultus und den 
Mysterien, wo die Leiden des Zagreus, seine Züerfieischung imd 
auch seine Wiederbelebung, dramatisch gezeigt wurden: an 
die Stelle der Leiden des Gottes wurden nachher die Leiden 
von Heroen gesezt, und diese Spiele wurden an den Festen 
desselben Gottes aufgeführt. Von dieser neuen Dichtart wurde 
die ganze mythische Geschichte, so weit sie geeigneten Stoff 
darbot, verarbeitet mit einem so regen Fleiss und Wetteifer 
der Dichter, als wäre die Zeit der alten Heldensänger wieder- 
gekehrt, nur mit dem^ Unterschiede, dass jene Rhapsoden 



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112 I- üeber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

einen stolzen kriegslustigen Adel an seinen Höfen ergözt 
hatten, diese den freien Büi^em starkbevölkerter Städte ihre 
Dienste widmeten. 

»Die Ehrfurcht vor dem was unter (nicht über) uns ist«, 
sagt Goethe, »ist ein Leztes wozu die Menschheit gelangen 
konnte und musste. Aber was gehörte dazu, die Erde nicht 
allein unter sich liegen zu lassen und sich auf einen höheren 
Geburtsort zu berufen, sondern auch Niedrigkeit und Armuth, 
Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod 
als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen 
nicht als Hindemisse sondern als Fördemisse des Heiligen zu 
verehren und liebzugewinnen ! « Zu diesem erst im Christen- 
thimi erreichten Ziele bildete der Zagreus-Cultus den Ueber- 
gang, und nur das volksthümliche attische Drama vermochte 
ihm Einlass in die Poesie und Gleichstellung mit den Voll- 
bluts -Geschichten Homerischer Heroen zu verschaffen. Dem 
Adelsdichter Pindar, welcher die Olympischen Sieger in die 
Reihe der alten Heroen und » die Stärke, das Herz, die Sitten 
früh verstorbener Jünglinge zu den goldenen Sternen ver- 
sezte«, war der von den Pythagoreem überkommene Lnsterb- 
Uchkeits-Glaube sehr willkommen und brauchbar zur Tröstung 
betrübter Hinterbliebener: aber von Verbrechen und Leiden 
alter Heroen wollte er noch nichts wissen, und selbst wo er nicht 
umhin konnte die leidigen Geschichten als wahr anzuerken- 
nen, hielt er es für zweckmässiger, daran vorbeizugehen, als 
dabei zu verweilen, weil es nicht fromme, »der lauteren Wahi- 
heit Angesicht entschleiert zu sehen'*)«. »Die Gewaltigen, 
ja! die Gesegneten sind tiefstehenden Sterblichen Götten<, 
sagt der Chor in der Iphigenia des Euripides, als er die An- 
kunft der stolzen Klytämnestra begrüsst: und die Polyxena 
bei demselben Dichter sagt, dass sie als Fürstin den Göttern 
gleich gewesen sei, mit Ausnahme des Sterblichseins. 



94} S. meine Einleitung su Pindar p. 31. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 113 

Ja^ hier li^ es ! und das ist das Leidwesen dieser hochste- 
henden M enschen^ dass sie sich dessen bewusst sein müssen ! 
Allein den Unterthanen gegenüber mögen sie das gerne ver- 
gessen, wenn sie ihren Glanz und Ruhm entfalten. Aber es 
kommt die Zeit, wo der Bürger sich zu gleich stolzem Be- 
wusstsein erhebt, ohne dass er nöthig hat durch falschen 
Glanz zu blenden: und dann, wenn das atupere in tttults et 
imagimhus aufgehört hat, mag er zum Theil mit Schadenfreude 
auf das Elend, welches hinter der Fürstenpracht gekauert 
hegt, zum Theil aber auch mit aufrichtiger Rührung auf den 
Sturz hoher Häupter hinblicken : 

»Denn das Herz wird mir schwer in der Fürsten Palästen, 

Wenn ich herab von dem Gipfel des Glücks 

Stürzen sehe die Höchsten, die Besten 

In der Schnelle des Augenblicks !« 

Also war in dem au^eblühten Bürgerthüm der Boden 
zur Aufnahme der Tragödie zubereitet : der Samen aber musste 
aus der Religion kommen. Auch die Götter können Schmer- 
zen leiden ! auch die Götter können des Todes sterben ! dies 
zu wissen ist ein Trost für die leidende Menschheit. Die 
Poesie vermag zwar weiter keine Salbe auf die Wunde zu 
legen dass sie heile ; aber sie vermag gleich der Philosophie 
zur Resignation zu führen, durch die praemeditado mcUorum, 
dass man dem allgemeinen Menschenschicksale sich gelassen 
füge und was das Schicksal auflegt mit Ergebung trage, weil 
es doch das Beste sein muss. 

Wolltest Herrliches gewinnen, 
Aber es gelang dir nicht ! 
Wem gelingt es? Trübe Frage, 
Der das Schicksal sich vermummt. 
Wenn am unglückseUgaten Tage 
Blutend alles Volk verstummt ! — 

Der tragische Fall bleibt unversöhnlich in neuer wie in 
alter Zeit, und zu verlangen, dass der Dichter die Versöhnung 

HArtnng, Rel. u. Mythol. d. Or. I. S 



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114 I. Ueber die Entstehunf und Weiterbüdung der Religionen. 

dadurch bewerkstellige, dass er den strafenden Gott nach der 
Züchtigung die Ruthe weglegen und dem Gesüchtigten die 
Hand reichen lasse, das ist ein Schulmeister- Gedanke, der 
freilich den poetisch -gesinnten Alten nicht einfallen konnte. 
Also war es den Schulmeistern gestattet noch weiter zu gehen, 
und in diesem Pädagogenthum ihres Gottes sogar den Vorzug 
der christlichen Tragödie vor der heidnischen zu finden. Zwar 
ein Unterschied, imd noch dazu ein bedeutender, ist aller- 
dings zwischen einer Shaxpearischen und einer SophoRleischen 
Tragödie. Denn erstUch herrscht in der Griechischen Tragödie 
die aus der Religion herübergenommene Idee der Erbsünde 
und der Genugthuimg. Wo einen Menschen ein Unglück oder 
ein Leiden trifft, da muss auch eine Verschuldung sein, und 
wenn der Leidende selbst nicht in dem Ghrade gesündigt hat, 
dass sich die Grösse der Strafe daraiis erklären liesse, da muss 
die Sündenbefleckung von seinen Aeltem oder Vorfedireu im 
dritten oder vierten Glied herrühren, und er ist also dex Sün- 
denbock, der für die Vergdiungen seiner Verwandten genug- 
thun muss. Also bleibt die Gerechtigkeit der Götter in Ehren, 
und die Herzen der Zuschauer können sich beruhigt fiihlen, 
weil die Leiden doch nicht als unverdiente erscheinen. Nein, 
nicht die Herzen sondern höchstens der Verstand, und der 
Verstand ist ein schlechter Tröster wenn das Herz blutet, wie 
jedermann weiss! Wir aber haben für diese magische Fort- 
erbung der Sündenbefleckung und ihre unschuldigen Sünden- 
böcke, was man Fatum nennt, gar keine rechte Sympathie 
mehr, weshalb auch die mit der Braut von Messina begonne- 
nen Schicksalstragödien nicht bei uns bekleiben konnten. 
Und sie war abgethan von Shaxpear an, der mit echtpro- 
testantischem und Germanischem Geist das Schicksal des Men- 
^ sehen in sein Herz verlegt hatte. Auch die Versöhnung muss 
im Herzen vorgehen. Darauf hinzuarbeiten war der Poesie 
zwar schwerer mögUch bei Religionen welche die Reinigung 
und Heiligung der Menschen noch nicht ledigUch in seinem 



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B. Von der "Weiterbildung der Religionen. 115 

Innern vollbringen Hessen, und dabei die Annahme des Sün- 
ders nicht rein von der Gnade der Gottheit^ sondern grossen- 
theils noch von der Kraft der Ceremonien oder der guten 
Werke, abhängen liessen : aber trozdem hatte die Tragödie der 
Griechen bereits diese Höhe sittlicher Vollkommenheit er- 
klommen und hatte dadurch der Philosophie vorgearbeitet, 
welche die Glückseligkeit des Menschen lediglich von seinem 
Bewusstsein abhängen liess. Also erkannte auch Aristoteles, 
dass die Versöhnung (von ihm Entladung (%a&agaig) der 
Leidenschaften Furcht und Mitleiden genannt) innerlich in 
dem Herzen der Zuschauer vorgehen müsse, imd dass dazu 
nichts weiter gehöre als Wahrheit der Schilde- 
rungen. 

14. Die WisseBsehafl und die GriecblscHe ReligioB. 

Die Wissenschaft erscheint als die geborene Feindin der 
Religion, wenn sie G«seze und Zusammenhang von Ursachen 
imd Wirkungen nachweist da wo jene nur geheimes Wirken 
von Dämonen gesehen hatte, tmd schliesslich eine Kraft 
[avdyxtp^ fpiaetog) oder eine Weltseele [vovg] an die Stelle eines 
höchsten persönlichen Gottes zu sezen geneigt ist. Und feind- 
lich hat sich die Philosophie auch sogleich vom Anfange dem 
Griechischen Glauben bewiesen : denn was konnte einer Reli- 
gion, welche in allen Natur- Ereignissen die Thaten und Lei- 
den von Gröttem sah \md ungewöhnliche Erscheinungen für 
Ankündigungen göttlicher Strafgerichte zu nehmen pflegte, 
Schlimmeres widerfahren, als wenn eine Naturforschimg den 
Donner und BUz, die Machtäusserungen des höchsten Gottes, 
für blosse Symptome der Luft, und die Sonnenfinsternisse 
ganz einfach als eine Verdeckung dieses Weltkörpers durch 
das Dazwischentreten des Mondes erklärte? imd wenn sie die 
Sonne für eine feurige Masse, den Mond für eine andere Erde 
ausgab, und endlich die ominösen Anzeichen in das Reich des 
Aberglaubens verwies? Kann man es ängstUchen Gremüthem 

8« 



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116 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

verdenken, dass sie dabei nicht gleichgiltig zusahen, dass die 
Athener den Freigeist Anaxagoras und den irreligiösen [ad-eov] 
Diagoras verwarfen, und den erFteren troz seinem mächtigen 
Freunde Perikles, der ein eben so starker Wunder-Leugner 
war, des Landes verwiesen? Allein die Wissenschaft gieng 
darum nicht rückwärts, und die Religion, obgleich des Schuzes 
einer herrschenden Priesterschaft entbehrend, fand eine desto 
mächtigere Verbündete in der Poesie. Ich will nicht reden 
von der Verspottung dieser Naturforschung durch Aristophanes 
in den Wolken, wo seltsamer Weise gerade demjenigen Philo- 
sophen, der sich von dieser Philosophie losgesagt hatte, die 
Sünden aller anderen Philosophen aufgepackt sind: sondern 
ich verweise auf die Tragödien des Euripides, welcher, eben- 
falls ein Schüler des Anaxagoras, und ohne Zweifel mit diesem 
gleichgesinnt, die alten Mahrchen noch mit dem nämlichen 
Ernste, wie weiland sein gläubiger Vorgänger Aeschylos, be- 
handelt. Auch die Bakchische Schwärmerei ist ihm so wenig 
wie jenem zuwider, und die grausame Bestrafung des nüch- 
ternen Moral-Menschen Pentheus findet er völlig gerechtfer- 
tigt. Die Dichter konnten nicht anders, als mit einer Reli- 
gion, die so echt poetisch von Haus aus war, sich vertragen, 
zumal es in ihrer Willkür lag, Anstössiges zu mildem oder 
auch umzudichten, und zumal die Götter, als wären sie ledig- 
lich Greschöpfe ihrer Phantasie, alle möglichen Rollen, ernste 
imd komische, sich auflegen Hessen. Darum that die Natur- 
wissenschaft dem reUgiösen Glauben keinen Eintrag imd die 
Poesie fuhr fort, alle Naturereignisse allen Reiz der Natur 
und alle ihre Schrecknisse als Thaten von Göttern zu feiern. 
Schlimmer aber als die Entdeckungen der Naturforscher war 
der Angriff des Stifters der Eleatischen Schule, Xenophanes, auf 
die menschenähnliche Immoralität der Homerischen Gtitter**). 
Und auch diese Stimme wäre vielleicht noch verhallt, wäre 



95) S. Nägelsbach, Nachh. Theol. p. 428. 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 117 

nicht die Sokratische Moral -Philosophie gekommen, welche, 
gegen jedes ungeprüfte Vorurtheil feindlich gesinnt und Selbst- 
beherrschung für das grösste und gottähnlichste Heldenthum 
achtend, die Tugenden der Homerischen Götter und Helden 
keineswegs für normale erkannte, und dabei den Saz aufstellte, 
dass ein Gott der nicht von menschlichen Mängeln frei sei 
gar kein Gott sei. Das liiess mit ^inem Worte den ganzen 
Schwann dieser Götter in Bausch und Bogen leugnen und 
unaufhaltt»am zum Monotheismus hindrängen. Die Hinrich- 
tung des Philosophen, abgerechnet dass sie von Parteileiden- 
schaft bewirkt war, kolinte dagegen um so weniger etwas 
helfen, als die Lehre bereits in den höchst populären, auf allen 
Theatern, so weit nach Alexander die Griechische Sprache 
verbreitet war, gespielten Tragödien des Euripides ausgespro- 
chen war. Eine Religion verträgt jeden Angriff auf ihre Tra- 
ditionen, wenn bloss die Unwahrscheinlichkeit des Erzälten 
getadelt wird, aber sie wird im Tiefsten verwundet, wenn ihr 
Unmoralität in ihren Glaubenssachen nachgewiesen wird, und 
muss nothwendig endlich einmal aus der Welt verschwinden 
wenn die geläuterte Ansicht vom sittlichen Leben allgemein 
herrschend geworden und bis zu den imtersten Schichten des 
Volkes durchgedrungen ist. Das war der Fall bei dem Grie- 
chisch - Römischen Heidenthum. Es hat lange gedauert, sehr 
lange, bis der Process vollendet war, bis die philosophische 
Erkenntniss bei der Masse Eingang finden konnte : denn von 
Xenophanes bis auf die Kirchenväter verflossen tausend Jahre, 
"und diese haben in der That dem Heidenthum nichts Schlim- 
meres vorgeworfen als was Xenophanes und Euripides eben- 
falls bereits gesagt hatten, nur dass sie zugleich einen positi- ^. 
ven Glauben zu vertheidigen hatten imd sofort eine andere] 
Stüze darbieten konnten während sie die alte schadhafte weg-' 
nahmen. Wie es allmählich dahin gekommen war, dieses um- 
ständlich zu erörtern ist nicht meine Sache : nur wie denken- 
den Menschen schon von Sokrates an diese Religion veraltet 



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1 18 I. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Religionen. 

und halb verbraucht erscheinen musste, und wie man sich zu 
ihr stellte, um einen offenen Bruch zu vermeiden, will ich 
kurz angeben. 

15. Alllnibliche Auflftsviig der alten Religionen und Ueberiang 
in die sogenannte christlirlie. 

Wir können die Beläge darüber vollständig aus dem 
Euripides schöpfen, dem Dichter welcher von dem Aufkom- 
men der Moralphilosophie an die Zeit beherrscht hat, so wie 
Homer dem vorangehenden Zeitalter seine Träume ausgelegt 
und seine sittlichen Grundsäze in Musterbildern ausgeprägt 
hatte. Nachdem nämlich die doppelte Erkenntniss in den 
Köpfen der Denker aufgegangen war, erstlich dass die Tradi- 
tion mit Erdichtungen gemischt, zweitens dass die göttlichen 
Personen durch unwürdige Sagen entstellt seien, war dieser 
bloss auf Tradition ruhenden ReUgion und ihren rein von der 
Poesie gestalteten Göttern der schlichte, nicht deutende imd 
allegorisirende, Glaube bei den höher Gebildeten entzogen. 
Nun konnte ein denkender Geist zwar im Stillen sich von dem 
vulgären Glauben ganz lossagen, und unbekümmert um das 
was gäng und gebe war bloss von der Vernunft Belehrung 
annehmen: und das haben die Philosophen ohne Scheu alle 
gethan. Aber im öffentlichen politischen, wir würden sagen 
kirchlichen, Leben durften sie das nicht thun : den anerkann- 
ten Göttern mussten sie opfern und die gottesdienstlichen 
Gebräuche mussten sie mitmachen, wenn sie sich nicht von 
dem Antheil an dem Gemeinde -Wesen ausschliessen wollten. 
Und auch in der Poesie mussten sie den herrschenden Glauben 
gelten lassen, und konnten es hier um so leichter thun, als 
diese Götter und Heroen Phantasiegebilde von Homer her ge- 
wesen waren. Dieser dreifache Standpunkt ist deutlich ausge- 
prägt in den Tragödien des Euripides. Derselbe erkennt erst- 
lich den kirchlichen Standpunkt an in seinen Rechten, wenn^ 
er in den Bakchen (\^s. 891.) sagt: 



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B. Von der Weiterbildung der Religionen. 119 

Klein ist wahrlich das Opfer^ wo 

göttlich Walten sich offenbart, 

und was ewige Zeiten und 

Natur geweiht haben, die Obmacht dess zu erkennen. 

Femer (Vs. 201.) : 

Der Väter Glauben und was Geltung nach und nach 
Fand bei der Mitwelt — kein Vemunftschluss stürzt es um, 
Was auch der Scharfsinn noch so fein ausklügeln mag ! 

Derselbe Dichter lässt femer als Dichter die Traditionen 
überall in ihrem poetischen Rechte bestehen, gibt die Mythen 
wieder ohne daran zu mäkeln, und prägt die Götter aus mit allen 
den menschlichen Schwächen und Leidenschaften, welche von 
Homer her ihnen angeheftet waren. Allein in den nämlichen 
Dichtungen, deren Inhalt ohne diese Schwächen der Götter 
gar nicht existiren würde, und durch den Mund der nämlichen 
Personen welche einem solchen Fehltritt eines Gottes ihre 
Existenz yerdanken, lässt er diesen Glauben für unsittlich 
und widersinnig erklären, wie z. B. die der Artemis geopferte 
Iphigenie es in Abrede stellt, dass je ein Gt)tt ein Menschen- 
opfer begehren könne, und eingesehen hat, dass bloss die 
Menschen ihre eigene Rohheit imd Crrausamkeit der Gottheit 
angedichtet haben, oder wie dem unehlichen Sohne Apolls, 
dem Ion, die Aeusserung in den Mund gelegt ist, dass wenn 
Apoll und Poseidon und Zeus die Schwängerungen alle be- 
zalen müssten, welche der Aberglaube ihnen andichtet, ihre 
Tempelschäze dazu nicht ausreichen würden. 

Fortan hatte also die Religion bei den Denkern nur noch 
ein formelles, so zu sagen, kirchliches Leben: aber Vieles 
wirkte zusammen, diesem Leben trozdem eine zähe Dauerhaf- 
tigkeit zu verleihen. Fürs Erste das beharrliche Haften an I 
dem Herkommen, welches den Bürgern freier Staaten weit 
mehr als monarchischer eigen ist. Selbst ein Sokrates be- 
kannte sich zu dem Grundsaz, dass die vom Staat anerkannten 
Götter nach dem herkömmlichen Brauch zu verehren seien. 



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1 20 I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Keligionen. 

und seinem Beispiel folgten auch die nachherigen Philoso- 
phen-Schulen ohne Ausnahme. Zur Festhaltung dieses kirch- 
lichen Herkommens bedurfte es weder eines auf seine Privile- 
gien eifersüchtigen Priesterstandes noch eines um seinen 
Herrscher sich schaarenden Beamtenstandes, welcher mit dem 
Untergang dieser Religion seinen eigenen Sturz gefürchtet 
hätte : sondern es waren viel festere haltbarere Stüzen vorhan- 
den. Wir reden nicht von dem eingepflanzten innigen Em- 
pfindungen die sich nicht austilgen lassen in den Herzen 
selbst der Ungläubigen, der Scheu vor dem was für heilig ge- 
achtet wird, wodurch eine jede Religion so eng mit den staat- 
lichen Einrichtungen und den Gewohnheiten des Familien- 
Lebens verwachsen ist. Aber wir verweisen auf die Herrschaft 
der Poesie und der anderen edlen Künste, mit denen der 
Cultus dieser Religion weit inniger als der einer anderen 
jemals verschmolzen war. Kunstgenuss und Gottesdienst 
waren Eins, und der Inhalt der sämmtlichen Kunstschöpfun- 
gen war Religion. Wie hätte aber die Griechische Nation 
von iliren Kunstschöpfungen und Kunstgenüssen je sich los- 
sagen können, ohne ihr eigentliches geistiges Leben zu ver- 
leugnen ? Es ist aber bekannt, w eichen Reiz der Zauber des 
Schönen auch auf das Herz übt, und wie die Menschen so 
gerne das was ihren Sinnen schmeichelt ohne Prüfung für 
wahr hinnehmen, also dass man in Religionssachen, wie 
Tacitus Germ. c. 34 sagt, lieber fromm glauben als zweifle- 
risch grübeln mag. Also würde diese Religion, wenn sie 
staatlich-kirchlich nicht mehr fortgelebt hätte, und wenn ihre 
Wurzeln nicht in den Sitten und Bräuchen fest gestanden 
hätten, wenigstens durch den Zauber der Poesie sich in den 
Gemüthem erhalten und ein poetisches Leben gefristet haben. 
Und das war immer noch ein sehr mächtiger Halt in dem 
Geiste eines Volkes wie die Griechen waren imd noch heute 
sind, welches Dichtung und Wirklichkeit kaum jemals zu 
unterscheiden vermocht hat. In der That diese Griechen 



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B. Von der AVeiterbildung der Religionen. 121 

waren romanischer noch als unsere heutigen Romanischen 
Völker, welche Jahrhunderte lang an Formen sich ergözen 
können aus denen der Geist gewichen ist und so gerne den 
Schein über das Wesen erheben. Aber ewigen Bestand kann 
die Lüge doch bei keinem Volke der Welt haben. Kunst und 
Poesie arteten, je mehr sie des religiösen und moralischen 
Gehaltes baar wurden, immer mehr in Spielereien aus, und 
mussten sich zulezt dazu hergeben auch Unsittlichkeiten und 
Laster zu verschönem. Mit der Zeit und als im Römischen 
Weltreich lange genug alle Religionen sich vermengt und in 
der Vermengung eine an der anderen sich verdorben hatten, 
waren endlich die Herzen genugsam ausgeleert zur Aufnahme 
eines neuen Glaubens: und nachdem man den Hxmger mit 
verschiedenen neu - hergerichteten, meist mysteriösen, Culten 
zu stillen gesucht hatte, fand man dass doch das Christenthum 
allein die wahre Befriedigimg zu geben vermochte. Aber der 
Regierungswechsel gieng ohne irgend eine auffällige Verän- 
derung vor sich : was vom Heidenthum noch übrig war, das 
blieb, indem die neue Religion den Habit der alten anlegte und 
ihre Besizungen usurpirte, nur dass sie dabei, so zu sagen, 
andere Lehensträger einsezte: die Formen des Cultus nicht 
allein sondern auch die festlichen Zeiten mit ihren Gebräu- 
chen, und sogar die Götter und Göttinnen, wurden in Heilige 
übersezt. Die Veränderung war fast so gering, als die Ueber- 
tragung des Weströmischen Kaiserthums auf einen Germani- 
schen Herrscher. Des Heidenthums Grund und Wesen dauerte 
fort unter einer neuen Firma, so dass, wenn man den mittel- 
alterlichen Zustand der Religion unserer Vorfahren in der 
Schilderung bei H. Rückert betrachtet, man in derThat nichts 
vermisst, um sich nicht mitten unter die Griechischen Nordi- 
schen und Persischen Heiden hinein versezt zu meinen. 



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IL Abschnitt 

lieber die Entstehung und Weiterbildung der 

Mythen. 



A. Von dem Ursprung der Mythen. 

1. Bild ODd Mytlias. 

Die mythologischen Forscher sind noch bis aiif die jüngste 
2ieit allgemein des Glaubens, dass die Mydien, als eine Sprache 
des ältesten Götterglaubens, Bilder seien, entstanden zu 
einer Zeit wo die Menschen noch nicht recht logisch, sondern 
nur phantastisch zu denken vermocht hätten. » Eine Inspira- 
tion des von der Phantasie erleuchteten Verstandes« wird dies 
von einem unserer neuesten Mythologen recht empfehlend 
genannt. Also sind ihm die (aus der Thierwelt und den Glie- 
dern des menschlichen Leibes entlehnten; Symbole und die 
(aus dem menschlichen Leben genommenen] Mythen »gewisse 
Formen innerer Wahrnehmung, genialer Erkenntniss, Mittel 
und Werkzeuge zum sinnlich geistigen Verständniss religiöser 
Dinge.« Uebereinstimmend spricht ein anderer von einer 
Zeitperiode, »wo das Volk den Schaz von Gottesbewusstsein, 
welcher ihm bei der ursprünglichen Ausstattung der Mensch- 
heit als sein eigentiiümUcher Besiz zugefallen war (also wohl 
einer Uroffenbarung des Geistes, die in ihm selber aufgieng?) 
zu Namen (Personificationen?) Bildern und Gebräuchen (Sym- 
bolen?), um welche sich eine Gemeinde sammeln und erbauen 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 123 

konnte, ausgeprägt habe.« Also wird der Mythus auch von 
der Allegorie nicht scharf unterschieden : »die allegorische 
Verwendung des alten Mythenvorraths,« sagt Welcker, »ist 
die Blüthezeit der im Mythischen yereinten Geistesthä- 
tigkeit der Phantasie und des Verstandes (!)a, und 
»Homer ist reich an allegorischer Dichtung von der Farbe 
der eigensten neuesten Erfindung.« Und noch weniger ist die 
hieratische Sage (wir werden sie Legende nennen) von der 
Allegorie verschieden. Derselbe Gelehrte nennt sie »eine 
dunkle, oft widerwärtige odör barocke Allegorie, einen Aus- 
druck einer theologischen Idee oder physikali- 
schen Weisheit und ein Vorspiel der freien Spe- 
culation.« Dagegen wird diese hieratische Sage von ihm 
sehr scharf von der Legende getrennt, als welche von Erfin- 
dungen der Exegeten herrühre, während wir finden werden, 
dass zwischen Legenden hieratischen Sagen und Urmydien 
(d. h. solchen, die nicht von Dichtem nach ihren Zwecken 
willkürlich verändert worden sind) gar kein Unterschied 
bestehe. Von. einer klaren Unterscheidung der dichterischen 
Mythen-Behandlung und der streng- gläubig religiösen findet 
man bei diesem Gelehrten, wie auch bei anderen, keine Spur : 
dagegen lässt er die Mythen sich in Mähr eben verwandeln, 
noch während die Götter mit ihrer wunderbaren 
Macht in dem Volksglauben leben, und bringt diese 
Mährchen bereits in den Homer und in die besten Dichter hin- 
ein. Andere, wie Preller, sezen mit eben so wenig Recht einen 
Unterschied zwischen die Bedeutung des Deutschen Aus- 
druckes Sage und des Griechischen Mythus: jener liege 
etwas Historisches zu Grunde (was man also, wie einen Kern, 
aus seiner fabelhaften Umhüllung, herausschälen kann) , wäh- 
rend »das Faktische, welches der Mythus beanspruche, wenn 
man es genauer ansehe, oft blosse Fiction sei. « Wir werden 
aber finden, wie auch diese Unterschddung in Nichts zerrinnt. 
Wir können also nicht umhin, sogleich von vomen herein 



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124 II- Ueber die Entotehung und Weiterbildung der Mythen. 

rundweg zu erklären, dass wir diese herrschenden Ansichten 
von der Natur des Mythus und alles dessen was mit ihm zu- 
sammenhängt, wie auch die Ansicht, dass die Religionen aus 
Speculation hervorgegangen seien, £ür irrig halten, imd wollen 
dies zuerst an den Thatsachen sodann aus den Begriffen zu 
beweisen suchen. Welcker rechnet zu den allegorischen Er- 
findungen Homers folgende Stücke: »die wunderschöne Dich- 
tung von Here welche den Hypnos, um ihren Gemahl ein- 
zuschläfern, von Lemnos auf den Ida lockt durch das Ver- 
sprechen einer der jüngsten Chariten Pasithea, einer Gattin 
nach seiner Natur: denn hold ist der Schlaf und gewaltig 
über alle Natur, darum Ilaaid^irj genannt, und eine der jüng- 
sten Schwestern, weil Jugend reizt. Der Here lieber Sohn 
versprach ihm zuvor zum Lohn einen Sessel worin es sich gut 
schläft, so wie imter der hohen Tanne, worauf darum nachher 
Hypnos als ein erzfarbiger Singvogel sizt, wie bei Virgil die 
Träume auf einer Ulme wohnen. Die Odyssee enthält in den 
Töchtern des Pandareos eine sehr feine Allegorie worin Göttin- 
nen die handelnden sind. Sehr alterthümlichen Charakter hat 
eine allegorische Erfindung in der Ilias, die Kette an welcher 
Zeus alle anderen Götter aufschnellt in ihrem Versuch ihn 
herabzuziehen, nach dem Vorbild eines Ziehspiels. Einen 
weiten Spielraimi erhält die Allegorie durch jene poetischen 
Personen, wie die Hören, Eos, Iris, die Liten, deren Gang 
und Blick das Aengstliche der Bittenden ausdrückt, Eos und 
Kleitos, Eos und Tithonos, die Tödtung des Orion durch 
Artemis, Ate, in der Odyssee Skylla, Kirke, Kalypso, die auch 
Cicero nicht Weiber nennen mag, Sisyphos den Steinwälzer 
und seine Genossen, besonders durch einige der Götter selbst, 
Ares, Aphrodite, diese namentlich in ihrem Verhaltniss zu 
Helena, zu Ares, und durch die Fortbildung der Mythen und 
ihre Behandlung in den epischen Stoff, die grösstentheils eben 
so allegorisch als plastisch ist«. 

Was nun hier erstlich die Geschichte mit dem Traumgott 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 125 

betriffl;, so möchten wir den hochachtbaren Verfasser einfach 
fragen, ob er denn glaubt, dass der Zeus durch eine nichts 
wesenhafte Allegorie sich habe einschläfern lassen? denn 
H. Welcker hat doch gesagt, dass diese Allegorien von der 
eigensten neuesten Erfindung Homers seien: sonst liesse 
rieh sowohl hier als auch bei der Kette der Ausweg treffen, 
dass der Dichter die sinnige Dichtung eines Denkers zu buch- 
stäblich verstanden und so verwendet habe. Haben also, 
fragen wir weiter, die Götter sammt und sonders vor einer 
Allegorie sich gefürchtet? Und ist am Ende der Zeus selbst 
nichts weiter als eine Allegorie gewesen? War also der alte 
Homer selbst bereits so ein Rationalist, wie etwa ein modemer 
Geistlicher^ wenn er von der Gottheit Christi, seiner Aufer- 
stehung und seiner Himmelfiihrt, predigt, und das Alles l^loss 
allegorisch meint? Nun es lässt sich in diesem Geschäfte viel 
machen, wie wir gesehen haben, und manchem bangt nicht 
vor der Aufgabe, den Zeus mit allen seinen Geschichten zu 
einer Allegorie des oberen Lulthimmels, die Hera zur unteren 
Luft, und den Hermes zum Regen zu machen. Und so eine 
Deutung list sich gar erbaulich, z. B. bei Preller, in der älte- 
ren Ausgabe, die Beschreibung des Hermes, die wir zur Probe 
hier mittheilen wollen. Der Hermes also ist der Regen, sein 
Phallus die geile Zeugungskraft desselben (also geil ist der 
Regen !) seine Mutter Maja ist auf die Wolken zu deuten : sie 
empfängt von dem Wolkensammler Zeus den listigen Rinder- 
dieb (wo nur die Rinder auf einmal herkommen?), der in der 
Nacht kommt und in Alles eindringt, bis in die Tiefen der 
Erde (da haben wir den unterirdischen!) : auf allen Wegen 
ist er zu Hause (da haben wir den Götterbothen!), kurz' (so 
überraschend schliesst der Verf. diese Beweisführung) der 
wahre Regengott! Und selbst die einzelnen Züge der 
Sage, meint er, lassen sich so erklären, »wenn man dabei nur 
immer an der ein£Eu^h naiven und allegorischen Naturauffas- 
sung der ältesten Zeit festhalte«. Wenn z. B. Hermes mit der 



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126 n. Ueber die Entatehung und Weiterbildung der Mythen. 

Dämmerung 9 in sein Betttuch gehüUt, aus seiner Grotte 
schleicht um Rinder zu stehlen, so findet der Verf. darin ein 
treffendes Bild für den sein Gewölk mit leiser und heimlicher 
Geschäftigkeit von Bergen über die Thäler ausbreitenden 
Regengott. Dass er auf diesem Wege die Schildkröte findet, 
das kommt daher weil diese Thiere nach jedem Regen aus 
ihrem Schlupfwinkel henrorkriechen. Wenn er die Binder 
des Sonnengottes stihlt, so sind diese Rinder Wolken am 
Himmri, welche durch den Regen vom Himmel verschi^iin- 
den, bis Apoll seine Heerde in einer feuchten Grotte am Mee- 
resstrande wieder findet: denn die Wolken entstehen nach 
Grriechischer Anschauung aus dem Meere. Und wenn diese 
Rinder von Pierien bis nach Elis entfuhrt werden, so glaubt 
der Verf. »ordentlich den dunklen Regenschauer von der nörd^ 
Uchen Grensce des Griechischen Landes bis an die südliche 
hindurchziehen und dort im Meere verschwinden zu sehen«. 
Bei diesem Diebstahl zerstört und verwischt Heimes seine 
eigenen Spuren im Sande, »wie audi der niederplazende 
Regen zu thun pflegt«. Hernach bringt der Gott seinen Raub 
am Meeresstrand unter, schlüpft wie ein feiner Morgen- Nebel 
in seine Ghrotte, zieht das Betttuch über sich und stellt sich 
schlafend — »die anmuthigste Ausfuhrung der einfachen Beob- 
achtung, wie der Himmel sich nach einem starken Regen- 
gusse wieder aufklärt, indem nur noch kleine Nebelstreifen 
hin imd wieder an den Bergen hängen, und auch diese zulezt 
gleichsam in die Gebirge hineinschli^fen. a In seiner neueren 
Ausgabe hat Preller diese Deutung des Wesens des Hermes 
von der blossen Wolken- und Nebel-Bildung weg auf die 
Morgen- und Abend -Dämmerung hinübergerückt, wozu ihm 
als Bahngeleise der Begriff der Verdüsterung gedient hat, und 
so ist denn auch aus dem Rinderdiebstahl, nach Welckers und 
Wehrmanns Vorgang, jezt eine Entziehung des Lichtes gewor- 
den. Aber seine Ansicht von dem Wesen des Mydius und sein 
Verfahren in der Deutung der Mythen hat P. dabei, wie man 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 127 

dhty nicht geändert, und das Kunststück, von dei Yerdüste- 
rung aus die drei herviOirstechenden Eigenschaften des Giottes, 
Befruchtung Betriebsamkeit und List zu ^klären, ist das 
nämliche geblieben. 

Andere sind noch viel erstaunlicher in solcherlei Deutun- 
gen, wie Forchhammer in seinen Helleniken, dessen Ent- 
deckungen von Gerhard gläubig wiederholt werd^i, 9. B. 
so*^) : »Hier g^t die Sage auf jenen Gegensaz von Bewässe- 
rung und Trockniss zurück, der uns das Schicksal der 
N^phele-Kinder und ihres Yliesses Bedeutung ver- 
ständlich machte: in Länmierhüften welche, von fliehenden 
Wölfen zurückgelassen, nach langen Jahren zur Nahrung ihm 
dien^a, lässt sich der Doppelsinn bewässerter Aushöh- 
lungen des Erdreichs erkennen! die als Athamani- 
sches Land benannte Niederung, welche Athamas, angeblich 
ausserhalb Böotiens, dort anbaut, soll er mit einer dritten 
Gemahlin bewohnt haben, deren Name Themisto als wieder- 
gewonnene Naturordnung den Ausdrücken von Regen- 
wolke (Nephele) und Ausdörrung (Ino) vermittelnd sich an- 
schliesst Eine Tochter gesicherten Höhenbodens, des Hyp- 
se u s , gebäret sie dem Athamas vier, von weissem oder rothem, 
binsig feuchtem oder starrerem, Boden benannte Söhne, Leu- 
kon, Erythrios, Schönens und Ptoos«. »In Bezug auf den 
Leukon lässt Themisto auch als Verdampfung sich fassen«. 
— Sollte man nicht meinen, dass das eine Philosophie von 
bodenwühlenden Maulwürfen oder von B^genwürmem sei, 
oder von Unken und Fröschen, für deren Sinne die Unter- 
scheidung des Feuchten und Trockenen das Höchste ist? 

t, Allegorien sind von Dämonrn zu onterschelden. 

Kehren wir nun zur Durchmusterung der von Welcher 
au%ezälten Beispiele von'AHegorien zurück. Also fragen wir 



06) Gerhard, Or. Myth. §701. Forchhammer, Hell. Lp. 196. 



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128 H- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

ferner, was denn der erzfarbige Singvogel mit dem Schlaf zu 
schaffen habe? Bei den Pandareos- Töchtern nicht allein son- 
dern auch bei den Niobiden dem Hyakinthos und noch meh* 
reren anderen mythologischen Figuren werden auch wir nicht 
umhin können zu sagen, dass der Frühling und die Frühlings- 
Monate damit gemeint seien, so wie wir von den theils grau- 
samen theils unglücklichen Kutschern Hippolytos, Oenomaos, 
Diomedes behaupten werden, dass die Sonne in den heissen 
Hundstagen damit gemeint sei. Und wenn der todte Adonis 
in's Wasser getragen wird von weinenden und wehklagenden 
Frauen mit der ausgesprochenen Hoffnung der Wiederkehr, 
und wenn der yd/tiog des Zeus und der Hera alljährlich im 
Cultus gefeiert wird, und in noch vielen anderen Gebräuchen 
undjSagen werden wir ims nicht scheuen zu sagen, dass damit 
gewisse Vorgänge in der Natur bezeichnet werden. Wenn wir 
aber uns so eines Ausdruckes bedienen, so geschiht es mit der 
ein für alle Male hier ausgesprochenen Bitte, uns nicht miss- 
zuverstehen: denn alle diese Wesen bedeuten das nicht 
sondern entweder sie sind es oder sie schaffen es, und zwar 
sind sie es als lebendige persönliche Wesen, als Dämonen, 
imd nicht als Bilder oder Allegorien. Was abet zwischen 
beiden für ein Unterschied sei, das wollen wir hier an einigen 
der von Welcker selbst gesammelten Beispielen zeigen. Dazu 
werden nämlich die »poetischen Personen«, wie Welcker sie 
mit Unrecht nennt, die Hören, Eos, Iris, die Liten am geeig- 
netsten sein. Nehmen wir z. B. die Iris, den Regenbogen,» 
80 frage ich : Wo findet man denn irgend bei den Alten darüber 
so eine Anschauung wie Schiller in dem bekannten allegori- 
schen Räthsel sie ausgesprochen hat? wo findet man eine Hin- 
deutung auf den brückenähnlichen Bogen mit seinen schönen 
aus Dunst gebildeten Farben, oder auf die Wolken welche 
gleichsam das Material dieser Brücke bilden? wo trifft man 
etwas derartiges in dem Wesen und den Handlungen der Iris 
an? und wer würde in den Verrichtungen dieser Göttin den 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 129 

Regenbogen erkennen, wenn ihr Name ihn nicht bezeichnete? 
liier zeigt es sich recht klar, dass das Bedürfniss die Reli-* 
gions- Symbole geschaffen hat, und nicht ein poetisches Spiel. 
Wenn der Herr des Himmels in Donner und Bliz und Wettern 
einherfahrt und die Erde zugleich zu verbrennen und zu über- 
schwemmen droht, so erscheint plözlich dieses freundliche 
Zeichen am Himmel: und so schnell als es gekommen ist, 
verschwindet es wieder. Kann es etwas anderes sein, als eine 
Bothschaft des Himmelskönigs an die bangen Menschen, dass 
er ihnen gnädig sein wolle? ein Friedenszeichen hinter dem 
Schrecken? ^Iqiq wird von Etqi^vt] nicht zu trennen sein. Also 
was kümmern den Menschen die schönen Farben? was die 
runde Wölbung des Bogens? Er achtet bloss auf die Offenba- 
rung, welche aus diesem Himmelszeichen zu sprechen scheint, 
welches Kqoviwv h viq>€i an^gi^f, tigag ^leqoniav ävd-qdntav^''] . 
So wird die Iris zu einer Bothin der Götter sowohl unter sich 
als an die Menschen, gleich allen anderen Wunderzeichen 
{ominibua oder ostentia) , welche ausdrücklich Jibg ayyeloi ge- 
nannt werden^ und nachdem sie das einmal geworden ist, 
scheint alles vergessen was zur Natur des Begenbogens ge- 
hört, so dass, wer in der Weise der oben genannten Gelehrten 
Aehnlichkeiten aufsuchen wollte, sehr in die Irre geführt wer- 
den könnte. Die Iris patscht in das Wasser hinein wie Blei an 
der Angel®®) ; sie fli^ vom Ida nach Ilion hinab so wie Schnee 
oder Hagel vom Nordwind gejagt ••). So heisst sie auch 
sturmfussig TiodrpfBfioq oder aaXXdnog. Sie hat ganz den Cha- 
rakter eines Dienstmädchens, wenn sie z. B. in die Wohnung 
des Zephyros kommt (der eben mit seinen Kameraden beim 
Schmausse sizt) und von den Winden nach der Reihe einge- 
laden wird, sich zu ihnen zu sezen, aber dreist ablehnt, und 
zur Herrschaft zurückeilt, welche eben bei den Aethiopen ein 
Festessen geniesst, imi da noch etwas abzubekommen ^^^) . Und 



97) IL A, 28. Vgl. Genesis 9, 13 ff. 

98) II. o>, 79. 99) II. 0, 170. 100) II. xp, 205. 
Härtung, Rel. n. Mythol. d. Or. I. 



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130 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

bei Kallimachos'®') sezt sie sich gar neben den Stuhl ihrer 
Herrin hin einem Hunde gleich^ der immer die Ohren gespizt 
hat^ des Befehles gewärtig. 

Gehen wir zur Liebe über^ so finden wir weder in dem 
Wesen des Eros noch in dem der Aphrodite etwas dem Aehn- 
liches ausgeprägt^ was bei Neueren von der Liebe bildlich und 
allegorisch gesagt ist^ nichts von zweien Seelen und änem 
Gedanken^ zweien Herzen und ^inem Schlag, nichts von dem 
Wirbel welcher Körper an Körper reisst und Geist an Geist 
zwingt, nichts von der Unsterblichkeit des süssen Verlangens^ 
nichts von der Ausgleichung des Himmels mit der Erde durch 
die Liebe u. s. w. Der ^'EQtag, das blosse Verlangen^ eine von 
seiner Mutter, der Befriedigung, getrennte Person, trägt einen 
Bogen und verwundet die Herzen mit seinen Pfeilen, d. h» 
das Herz empfindet plözliph das Weh einer unüberwindlichen 
Sehnsucht, und weiss nicht woher das kommt: es ist ihm also 
angethan von einem Dämon welcher solche Waffen führt. 

Bei Wesen wie der Eros, die kaum irgendwo im Cultus 
berücksichtigt waren (der Eros hatte bloss in Thespiä einen 
Dienst, imd da war sein Bild von den Künstlern Praxiteles, 
und Lysippos zum Muster für alle übrigen geschaffen wor- 
den) *'^^], und ihre Gestaltung fast einzig den Dichtem zu ver- 
danken hatten, wäre die allegorische Behandlung noch am 
ersten möglich gewesen, und manche Schilderimg des Eros> 
wie z. B. die bei Sophokles Antigone V. 769 — 786, könnte man 
für Allegorie zu halten versucht werden: sie ist aber, bei 
Lichte besehen, ebenfalls weder Allegorie noch dichterische 
Personification, sondern Dämonen-Glaube. Wendet man sich 
aber von solchen, der Poesie ursprünglich angehörenden,. 
Wesen zu denen, welche die Poesie erst aus dem Volksglauben 
empfangen und dann nach ihrer Weise umgewandelt hat, sa 



101) Hymn. Del. 228. 

102) Paus. IX, 27, 1 ff. Anthol. Plan. IV, 204 ff. 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 131 

wird man mit jener bildemden Erkläning8weise noch weniger 
auskommen. Und der Grund davon ist ausser der natürlichen 
Verschiedenheit von Bild und Dämon der, dass jene uns gei- 
stig scheinenden Wesen, die Themis, die Hören, die Chariten, 
die Mören, die Keren, die Erinyen u. s. w., alle ursprünglich , 
Elementen-Götter, also sinnlich und körperlich gefasst waren, i 
und dann erst hinterher, vermöge des Wechsel- Bezuges alles 
Geistigen mit dem Sinnlichen, auf die analogen geistigen Ver- ; 
hältnisse bezogen worden sind. Denn prüft man die Cultus- 
Gebräuche und die Mythen bei den genannten Wesen, so 
kann man nicht umhin einzusehen, dass sie gewisse physische 
Zustände sowohl der äusseren Natur als auch des leiblichen 
Befindens der Menschen vorstellen. So sind z. B. die Erinyen 
nicht von der Demeter und Köre zu scheiden, die Mören wie- 
derum nicht von den Erinyen, und die Eumeniden - Chariten, 
so gut wie die Hören, bezeichnen Witterungs-Zustände. Die 
Themis ist im Besize des Orakels und zeugt, als eine Erd- 
göttin, mit dem Zeus die Hören, die Chariten sind von der 
Eurynome geboren, welche eine der Derketo gleiche Seegöttin 
ist, die Hebe ist ein Prädikat der Hera und ohne Zweifel mit 
ihr Eins *^*), die Musen endlich sind Nymphen der Gewässer 
und Grotten, wie jedermann weiss. Wir müssten einen grossen 
Theil des für die folgenden Bände bestimmten Stoffes aushe- 
ben, wenn wir dies hier Alles ausführlich darlegen wollten. 
Also frage ich nur noch einmal zum Schlüsse, ob denn jemand 
glaubt, dass die Römer einer Fides, Victoria, Concordia oder 
einem Honos, die Griechen einer Nixt], Aldiog, ^'EXeog, 06ßog, 
^fiTjf ^OQfifjy JUrjy EIqtJvtj, Tvxrjf JlBid-ci u. s. w. Capellen , 
und Altäre geweiht, Gebete und Opfer gebracht haben würden, , 
wenn sie dieselben für blosse Allegorien gehalten hätten**^ ? 
Und so verhält es sich auch mit dei^lBgig, mit der Erinys i^^cf, 



103) S. Strabo VIII. p. 382. Paus. II, 17, 5. 12, 4. 13, 3. 

104) Vgl. Hermann, Gottead.^lt. 14, 7. 

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132 II- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

mit der ^ti]y mit den Anaig u. s. w. Dass diese Wesen in 
ihrem Thun und ihrer Erscheinung mit dem Element, in wel- 
chem sie walten, harmoniren müssen, imd dass, so wie Posei- 
don für die Gewässer, der Hades fiir die Unterwelt, der He- 
phästos für das Feuer passt, also auch der Hypnos mit dem 
Schlaf, die Liten mit der Schüchternheit bedrängter Hilfe 
suchender Menschen eine gewisse Uebereinstimmung in ihrem 
Thun und Wesen haben, das versteht sich wohl von selbst. 
Davon werden wir im folgenden Paragraphe noch einm^ zu 
sprechen haben. Trozdem ist ein Unterschied zwischen einer 
allegorischen Personificirung des Meeres, der Hölle, des 
Feuers, des Schlafes, der Bitte, und zwischen der Gestalt auch 
dieser Wesen. Die Hexen sind nicht das Unwetter, Sturm 
und Hegen, aber sie machen es, imd sind darum auch so häss- 
lich wie jenes ^ die »Schöne der Welt« in den Mährchen ist 
nicht die schöne Jahreszeit, aber sie gleicht ihr, wie die Köre 
und der Adonis, und stellt sie vor, und beide, die Hexen so- 
wohl als die guten Feen, sind niemals Allegorien gewesen 
sondern Dämonen vom Haus her. Wäre übrigens die allegori- 
sche Deutimg die richtige, so würden die mythologischen 
Figuren und Geschichten bei dem eifrigen Wandeln der For- 
scher auf diesem beliebten bildlichen oder allegorischen Wege 
wohl bereits alle glücklich enträthselt sein, während bis jezt 
noch sehr wenig damit gewonnen worden ist — der deutlichste 
Beweis, dass dieser Weg ein Irrweg war. 

So ist es auch keine sinnbildliche Bezeichnung, wenn die 
Bewegung der Sonne ein Fahren genannt lüdrd, und ihr darum 
Wagen und Rosse, und zwar anständiger Weise ein Vierge- 
spann, beigelegt werden. Das Sinnbild will etwas Geistiges 
den Sinnen naher bringen : hier aber hat man ja bereits etwas 
Sichtbares Körperliches vor sich, und dass die Sonne weder 
Wagen noch Bosse hat, kann, sollte man denken, jedermann 
sehen. Wenn der religiöse Mensch es n\m trozdem nicht siht, 
so ist es klar, dass er an der Sonne einen lebendigen Gott und 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 133 

keine hinrollende Kugel haben will. Wenn sodann dieser 
Grott, wie ein Basender, alles verbrennt, so muss entweder er 
selbst ein grausamer Tyrann geworden sein, wie der Thrakische 
Diomedes, oder seine Bosse müssen toll geworden und mit ihm 
durchgegangen sein, wie beim Phaethon. Und wenn endlich 
die Gluthhize plözlich in Gewitter -Begen umschlägt, so ist 
der Phaethon vom Bliz erschlagen worden und in das Ge- 
wässer hinabgestürzt, aus welchem die Begenwolken aufstei- 
gen. Das Alles also ist nicht bildliche Sprechweise, sondern 
Glaube: und so entstehen zusammenhängende Geschichten, 
als Erzälungen von Handlungen und Leiden eines Gottes oder 
eines Heros, welche in der Weitererzälung immer mehr nach 
menschlichen Verhältnissen abgeändert und weiter von ihrem 
Stamm entfernt werden. 

3. Bild oud Symbol. 

Wenn dem König Pharaon die sieben fruchtbaren Jahre 
und die sieben Hungeijahre durch sieben fette imd sieben 
magere Kühe im Traum voraus verkündigt werden, so siht 
wohl jedermann ein, dass hier die Jahre durch die Kühe und 
die Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit durch die Fette und 
die Magerkeit bezeichnet werden. Und wenn den Achäem, als 
sie gegen Troja zu Felde ziehen, die zehnjährige Dauer des 
Krieges und die endliche Zerstörung der Stadt durch die neun 
jimgen Sperlinge im Neste mit der alten und durch die 
Schlange, von der sie alle mit einander gefressen werden, 
angedeutet wird, oder wenn der aus dem schon eroberten 
Lager zurückgeworfene Hektor in dem bekannten Omen einem 
Adler gleich geachtet wird, welcher eine gefangene, ihm in 
den Hals beissende, Schlange, wieder loslassen muss: ist es da 
nicht, als ob der Himmel mit einer Zeichensprache oder Mimik 
zu den Menschen rede, um ihnen seinen Willen zu offenbaren? 
Und der Mensch ahmt diese Sprache nach in bildlichen Hand- 
lungen, wenn z. B. der Bömische pater pairatus eine Lanze 



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134 ^I* Ueber die Entotehung und Weiterbildung der Mythen. 

in das Land der Feinde hinüberschleuderte als Kriegserklä- 
rungy oder wenn man bei der Beschwörung eines Bündnisses 
oder Waffenstillstandes das Opferthier mitten von einander 
theilte^ und zwischen den Theilen stehend sprach, dem Eid- 
brüchigen solle geschehen was diesem Thiere geschehen sei'^^;, 
oder wenn der Astrolog Meton zu Athen mit einer Fackel sein 
Haus anzündet^ um den Athenern zu verstehen zu geben was 
er von ihrem Eroberungszug nach Sicilien halte, oder wenn 
Jeremias vor den Augen, des Volkes ein irdenes GeßkBS zer- 
schmeisst, um ilim sein Schicksal anzukündigen, oder wenn 
die Phokäer eine glühende Silbermasse im Meer versenkend 
schwören, nicht eher wieder heimzukehren als bis die Masse 
wieder glühend heraufgekommen wäre. Man könnte daher 
glauben, dass auch die gottesdienstlichen Ceremonien derar- 
tige bildliche oder allegorische Handlungen seien, und könnte 
dafür sehr sprechende Beweise anfiihren, wenn z. B. der todte 
Adonis \mter Trauerklagen von den Frauen in's Wasser getra- 
gen wird, anzudeuten, dass der von der Sommeigluth getödtete 
Frühling durch die Feuchtigkeit der aus dem Meer aufeteigen- 
den R^enwolken wieder belebt werden soll, oder wenn man 
nach der Regenzeit Wasser in Erdlöcher schüttet, in denen sich 
die Sinfluth verlaufen haben soll. Indessen wenn das bild- 
liche Nachahmungen des Greschehenen sein sollten, so würde 
sich doch vor Allem fragen, zu welchem Zweck sie geschehen? 
Kinder, wenn sie von einem Erlebnisse besonders stark ange- 
regt werden, beginnen über kurz oder lang das Erlebte spie- 
lend nachzuahmen. Wollte man der nachahmenden Ceremo- 
nie einen ähnlichen Charakter zuschreiben, so würde man sie 
für eine Kunstübung erklären, was sie doch nimmermehr ge- 
wesen ist. Oder soll die nachahmende Handlung eine sinn- 
bildliche Belehrung sein über die Vorgänge in der Natur? 
Bedarf es auch wohl einer solchen Belehnmg über solche 



105) Vgl. IL a, 300. 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 1 35 

Ereignisse? Nur über das Ideale, das Ausserweltliche und das 
Zukünftige, könnten die Menschen eine Belehrung erwarten, 
und diese scheint allerdings in einigen Ceremonien und My- 
then enthalten zu s^n, wenigstens in denen der Mysterien, in 
welchen offenbar das Wandern durch die Schrecken der Hölle 
und nachherige Eingehen in das Elysium ausgeprägt wurde^ 
jedoch nicht zum Zweck der Belehrung sondern als Garantie 
der einstmaligen Erreichung jener Seligkeit nach 
dem Tode um den Preis dieser Büssungen und mysteriösen 
Uebungen ! Und das ist überhaupt das Wesen und der Zweck 
aller Ceremonien und jedes Gottesdienstes, dass er eine Bürg- 
schaft oder Anwartschaft geben will auf gewisse Güter für die 
gläubigen Gottesdiener. 

4. Ceremonie aad Magie. 

Wir haben das bereits bei der Erörterung des Begriffes 
iWfißokop gesehen, und wollen es hier nun weiter ausfuhren. 
Das Symbol hat eine magische, oder (da diesem Worte ein übler 
Begriff anhängt) wimderwirkende Kraft: denn es ist nicht 
allein eine Sprache, mittelst welcher der Mensch mit den über- 
irdischen Mächten verkehrt (gleichwie auch das Omen eine 
Bothschaft oder Sprache ist mittelst deren der Gott den Men- 
schen sich kundgibt; , sondern auch ein Mittel die Geister oder / 
Götter zu sich herzuziehen, so wie Numa den Jupiter citirte : 
denn auch die Geister haben ihre Geseze, und die Bedeutung 
des Symbols gründet sich auf einen geschlossenen Bund oder 
Vertrag. So wie nun das Omen eine gewisse Analogie oder 
Verwandtschaft mit dem von ihm Verkündigten haben muss 
(denn wie wäre sonst eine Auslegung oder Deutung desselben 
möglich?), also wird Auch die Ceremonie eine solche Analogie 
mit der beabsichtigten Wirkimg haben müssen. Betrachten 
wir dies z. B. bei demjenigen was Sympathie genannt wird: 
denn zwischen den Bräuchen der Magier und den Ceremonien 
der Priester ist kein äusserlicher Unterschied, so wie sie auch 



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136 ^^- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

beide mit demselben Worte (sacrä) von den Römern bezeichnet 
werden. Bing und Kette haben in den Mythen überall die 
Kraft der Fesselung : im Mährchen wird der Spiegel zum See, 
der Kamm zum Walde und das Salz zum Meere ; das Anbren- 
nen eines Haares von einem Menschen, einer Feder von einem 
Vogel, einer Schuppe von einem Fische, macht, dass dieser 
erscheinen muss. In dem Allen ist nicht Sinnbildnerei son- 
dern Zauberei zu erkennen. Die Canidia bei Horaz gebraucht 
die Leber eines vor Hunger und Durst im Anblicke lockender 
Speisen und Getränke verschmachteten Knaben zur Bereitung 
eines Liebestrankes, der mit unwiderstehlichem Liebesschmach- 
ten behaften soll: die Zauberin bei Theokrit hofft, dass dem. 
Ungetreuen sein Fleisch in heimlichen Flammen hinschwinde 
so wie sie den Lorbeer im Feuer verbrennen lasse, dass er vor 
Sehnsucht nach ihr schmelze so wie das Wachsbild im Feuer 
zerschmelze, dass er zu ihrer Behausung hergetrieben werde 
so wie der Drehhals sich im Winde herumdrehe. Damit der 
Zauber desto sicherer wirke, nimmt man etwas von dem Leibe 
des zu Bezaubernden, eine Locke von seinem Haar oder eine 
Franse von seinem Kleid *®^J : und alles was man diesen Beli- 
quien anthut, das thut man ihm selber an. Von der nämlichen 
Art ist es, wenn z. B. die Alkmene so lange nicht gebären 
kann als die Farcen sich gegenseitig bei den Händen geJEisst 
halten, oder wenn im Merseburger Zauberspruch die Idisen 
Haft heften, um Kämpfer in Gefangenschaft zu bringen, oder 
wenn man ein Fenster öffnet oder einen Biegel von der Thüre 
schiebt, um einem Sterbenden das Verscheiden zu erleichtem. 
Eine grosse Kraft liegt endlich auch in der Namens- Aehnlich- 
keit, weshalb z. B. dem Jlev^evgf dem üoXvveUrjgj dem Atag 
sein Schicksal in seinem Namen vorausbestimmt war. Das ist 
also nicht Spielerei des Wizes, wenn Helden der Tragödie im 
höchsten Schmerze über solches Zusammentreffen ihrer Schick- 



106) Eurip. Hipp. 518. 



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A« Von dem Ursprung der Mythen. 137 

sale mit ihren Namen klagen, sondern es ist das Verstehen 
eines Orakels nach seiner Erfüllung. Sonst müsste es auch 
Spielerei des Wizes sein wenn Homer die nichtigen Träume 
aus dem elfenbeinernen Thore und die wahrhaften aus dem hör- 
nernen kommen lässt : nein ! sondern weil das Hom-Thor von 
Hom yUqag benannt ist, hat es die Kraft in Erfüllung gehende 
(xifaiveiv) Träume zu entsenden, und das elfenbeinerne hat 
die entgegengesezte Wirkung eben darum weil ikiipag mit 
ik€g>ai^€iy zu nichte machen zusammenstimmt. 

Auf einer so geringen Aehnlichkeit also, welche oft bloss 
in einem Namensklang besteht meistens aber dem Forscher- 
auge sich ganz entzieht, beruht dasjenige was die sinnbildemde 
Mythologie berechtigen soll die Mythen und die Ceremonien 
für Bilder zu nehmen : und auf so einen Grund hin hat man 
die Zeichendeuter und Seher zu Lehrern über göttliche Dinge, 
die Priester und Schamanen zu Verbreitern göttlicher Ideen, 
den Aberglauben zu einer himmlischen, aus dem Paradiese 
stammenden, Mitgift gemacht, und das Unterste zu oberst 
gekehrt. Wenn Sommer und Winter, Segen und Sonnen- 
schein bloss vermöge bestimmter Naturgeseze sich ereigneten 
und regelmässig wiederkehrten, so brauchte man freilich kei- 
nen Gottesdienst. Das ist aber nicht die Betrachtungsweise 
religiöser an das Walten persönlicher Mächte glaubender Men- 
schen, denn da oft auch in dem regelmässig Wiederkehrenden 
Unregelmässigkeiten vorkommen, dass der Sommer und der 
Winter gegenseitig ihre gewohnte Tracht getauscht zu haben 
scheinen, »grauhaariger Reif in den Schooss der Purpur-Rose 
fällt und des Winters eisiges Haupt in Sommerknospen 
pranget«, so wollen die Götter darum angegangen sein, damit 
sie das Gewohnte auch in der besten Weise wiederbringen, 
und muss der Mensch dazu mitwirken sowohl durch das was 
die Götter als ihre Steuer betrachten als auch durch sympathe- 
tische Handlungen : und von der Art ist das Wassergiessen in 
Erdlöcher und das Hinaustragen des todten Adonis in das 



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1 38 U* Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Wasser. Denn der religiöse Mensch ist weit entfernt von der 
unfroBunen Gesinnung des Kyklopen bei Euripide« welcher 
sagt (V. 332.) : 

»Die Erde muss nothwendig^ wollend oder nicht, . 

Gras wachsai lassen, meinem Vieh zur Mästung stets. 

Das opfr* ich nicht, will sagen mir nur, Göttern nicht W tu s.w. 
Die Erde muss gar nichts, und eben so wenig der Himmel : 
denn es geschiht nichts durch Nothwendigkeit ewiger Natur- 
geseze sondern alles nach freier Macht persönlicher Wesen. 
Alle die wiederkehrenden Opfer und Ceremonien an den 
Jahresfesten hätten keinen Sinn, wenn der Frühling, der 
Sommer, der Winter, der Sonnenschein und der Regen blosse 
wiederkehrende Zustände der Witterung wären, der Himmel 
bloss die umgebende Luft, die Sonne ein blosser Feuerbail. 
Also müssen sie bewusste frei *waltende Wesen, Dämonen, 
sein, und also bedeutet der Adonis nicht den Frühling und 
der Phaethon nicht die Gluthsonne, sondern er ist es oder 
vielmehr er regiert es, so wie Gott die Welt nicht bedeutet, 
sondern entweder Eins mit ihr ist oder sie regiert. 

5. Die Orakel schafTen die Zoknnfl. 

Dass <Ue Götter derartige ceremoniöse Verrichtungen gern 
sehen, das beweisen sie ja dadurch, dass sie dem Menschen 
mittelst dei; omina, prodigia, ostenta [arjfielaj ti^^troj friJUoifa), 
welche, wie wir gesehen haben, vcm der nämlichen Art wie 
die Ceremonien sind, entgegen kommen. Denn diese Zeichen 
haben eben&Us magische Kraft: sie sind keine Yorausv er- 
kündiguugen, sondern Vorausbestimmungen der 
Zukunft, also wiedenmi nicht doctrinell sondern dynamisch. 
Zwischen dem Prodigitun und der Zukunft besteht ein gehei- 
mer Bezug, so dass die leztere durch das erstere mit, so zu 
sagen, magischer Gewalt bestimmt wird. Diese Grestaltung 
der Zukimft ist nun freilich durch die Analogie des Prodi- 
giums bedingt, etwa so wie die Hinabsenkung des Metall- 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. \ 39 

klumpens in die See mit der Nimmer-Wiederkehr der Phokäer 
in Beziehung steht. Indessen ist doch zwischen so eitlem 
Orakel und einer Allegorie oder einem Gleichniss *^') ein 
grosser Unterschied. Und eine Hauptsache ist es^ dass auch 
hier die Gegenseitigkeit eines Verkehres zwischen dem Gott 
und dem Menschen vorausgesezt wird. Denn das Zeichen ist ; 
nichts wenn es nicht beobachtet wird : ja, es muss sogar, um 
giltig zu sein, unter bestimmten Ceremonien hervorgerufen 
sein. Das sind die Linien welche der Augur am Himmel ge- 
zogen denkt, der abgegrenzte Raum innerhalb welches die 
Zeichen erscheinen müssen. Und darum werden Opfer ge- 
schlachtet und Eingeweide erforscht, und ist jeder Laut und 
jedes Ereigniss bei solchen Opfern von so grosser Bedeutung. 
Zwar geschehen solche Zeichen auch oft ohne dass sie gefor- 
dert waren und ohne dass eih gesezliches Organ zu ihrer Beob- 
achtung bestellt ist : denn es besteht eine gewisse Sympathie 
zwischen der moralischen und der physischen Welt, so dass, 
wenn auffällige unnatürliche Thaten in der Menschenwelt 
geschehen, auch ähnliche unnatürliche Dinge in der Natur 
sich ereignen, und hinwiederum seltsame Vorgänge in der 
äusseren Welt entsprechende Voi^änge in der moralischen 
nicht allein ankündigen sondern auch mit sich bringen. iJene 
lezten Verfinsterungen an Sonne und Mond weissagen nichts 
Gutes,« sagt bei Shax|)ear Gloster : i>die Natur empfindet ihre 
Geissei an den Wirkungen die ihnen folgen : Liebe erkaltet, 
Freundschaft fällt ab, Brüder entzweien sich« u. s. w. Und 
die Nadit in der Macbeth ermordet wird ist furchteriich : der 
heulende Sturm wirft den Schlot herab, ein Wimmern erschallt 
in der Luft, ein Todesstöhnen, ein Prophezeien in fürchter- 
lichem Laut u. s. w. Von vielen derartigen Zeichen ist (bei 
Sueton) auch die Ermordung des grossen Cäsars begleitet 
gewesen. So sind also Kälber mit zwei Köpfen, Blutregen, 



107) S. z. B. Herod. I» 53. 



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1 40 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Doppelmonde, Regenbögen, fallende Sterne u. s. w. Bothen 
de^Zeus an die Menschen oder Zeichen die der Himmel, 
auch ungefordert, sendet, um die Menschen vorzubereiten, zu 
warnen, zu schrecken. Zeichen aber sind immer auch Wunder, 
sintemal alles Wunder ist was nicht nach Naturgesezen sich 
ereignet sondern Zeugniss von dem Wirken göttlicher Mächte 
gibt. Und was sie verkünden das muss sich nothwendig 
erföUen, wie aus dem Keime die Knospe sich entwickelt, 
wenn nicht durch Verrichtung von Ceremonien und Opfern 
entgegengewirkt wird (was der Lateiner procurare signa oder 
prodigia nennt) so dass ein Zauber den anderen niederringt 

' 6. Die M^then-Deutong und Mythen-Dichtung. 

Wenn also die Begriffe von Göttern und Thaten der 
Götter aus müssiger Naturbetrachtung hervorgiengen , so 
müssten die Mythen, als Sprache des ältesten Götterglaubens, 
poetische Erzeugnisse von Haus aus und bildliche Bezeich- 
nimgen des Wesens der Götter und ihrer Manifestationen sein. 
Da aber die Götter keine Phantasiegebilde sondern wirkliche 
fühlbare Wesen sind, und die Symbole keine Sinnlnlder, und 
die gottesdienstlichen Gebräuche keine bildlichen Darstel- 
lungen; so können die Mythen keine müssigen Greistes- Er- 
zeugnisse zur Veranschaulichung irgendwelcher B^riffe sein, 
sondern müssen ebenfalls dem Bedürfdiss dienen so gut wie 
die Ceremonien, und, so wie alles was zur Religion gehört, 
auf dem Glauben beruhen. Geister oder Dämonen oder Götter 
offenbaren sich durch ihr Eingreifen in das Leben der Men- 
schen handelnd, nicht lehrend : wer ein solches Einschreiten 
eines Gottes erfahren hat, der hat eine göttliche Geschichte 
erlebt, und wenn er es erzält, so erzält er eine heilige Ge- 
schichte (laqog AcJyog), eine Art von Mythen. Wer femer ein 
heiliges Geräthe, ein Symbol an welches sich die Gegenwart 
eines Gottes knüpft, so zu sagen eine Reliquie, gläubig be- 
trachtet, der wird in demselben Augenblicke, wo er sich dessen 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 14 t 

Kraft im Geiste vei^genwärtigt, auch schon eine Legende, 
einen Mythus, geschaffen haben. Denn ein Zeichen oder 
Wunder^ sagten wir, ist eine Handlung eines Gottes : mithin 
hat, wer diese Geschichte erzält, einen Mythus erzält. Und 
ein Symbol ist ein Unterpfand der Gegenwart des Gt)ttes oder 
aeiner Kraft, eine Gewährleistung der Gremeinschaft des 
Gottes mit der ihn verehrenden Gemeinde, ein Mittel sich 
seines Beistandes zu versichern oder ihn herbei zu rufen. Von 
derselben Art sind, wie wir gesehen haben, auch die Ceremo- 
nien, welche man wohl symbolische Handlungen nennen 
kann, sofern man darunter bedeutungskräftige, die Gottheit 
rührende und bewegende, versteht, aber nicht sinnbildliche, 
zur Belehrung dienende. Die Mythen nun verhalten sich zu | 
den Symbolen, Reliquien imd Ceremonien, wie Auslegungen : 
sie fassen in Worte das was jeder beim Anblick der Symbole 
und beim Verrichten der Ceremonien glaubt und fühlt, und 
zwar geben sie es als Geschichte, weil alles was mit den Sym- 
bolen geschiht Handlung ist, und die Ceremonien selbst Hand- 
lungen sind. Das sind die Legenden oder Tempel-Sagen, welche 
meistens die Geschichte der Gründung des Cultus und der 
Einhändigung der Symbole enthalten. 

Aus dieser Definition des Mythus nun, als einer Wunder- 
Erzälung, folgt zunächst zweierlei : Erstlich dass die Mythen- 
Schöpfung auf keine Zeit eingeschränkt sei und zu keiner 2ieit 
aufhören werde bis einmal der Wunder-Glaube völlig aus der 
Welt verschwunden sein wird, aber zu gewissen Zeiten ganz 
besonders blüht und wuchert, so oft nämlich der Wunder- 
Glaube wieder allgemein überhand nimmt, wie z. B. in den 
ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung in den 
Tagen eines Apollonius von Tyana u. s. w. Es ist auch eine 
irrige Angabe, dass bei den Griechen die Zeit der Mythen- 
bildung mit dem Messenischen Kri^ geendet habe, da erstlich 
von diesem Krieg selbst keine andere als eine mythische Erzä- 
lung auf uns gekommen ist, und zweitens noch Mythen genug 



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142 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

in der historischen Zeit aufgekommen sind. Anstatt also zu 
sagen^ dass gegen die Zeit des Tyrtaos die Mythenschöpfnng 
aufgehört habe, müsste man sagen dass um diese Zeit die Poesie 
bereits so praktisch und Terständig geworden war, dass sie 
einen Lichtstrahl in die Finstemiss des Aberglaubens hinein- 
fallen lässt, vor welchem manche Nebelgebilde verschwinden. 

Das zweite Ergebniss jener Definition ist, dass man, um 
einen Mythus zu deuten, nicht nach einem poetischen Gedan- 
ken oder einer Idee suchen muss, welche in demselbeix ver- 
hüllt stecke, sondern vielmehr fragen, welchen menschlichen 
\ Nothzuständen, die da göttliche Hilfe forderten, oder welcher 
herrschenden Vorstellung von Dämonen und ihrem Walten 
derselbe entspreche. 

Wir suchen nun diese beiden Behauptungen zuvörderst 
an ein paar Beispielen einleuchtend zu machen. 

7. Beispiele späterer Mythen - Schöpfung. 

Wir haben an der erst nach den Zeiten der Reformation 
entstandenen Faustsage ein nahe liegendes Beispiel, an 
welchem sich deutlich erkennen lässt, wie eine ganze Sagen- 
reihe entstehen, und ein mythischer Held, an dem auch gar 
nichts Historisches ist, aus dem Nichts auftauchen kann. Alles 
nämlich was diesem Helden beigelegt wird lebte bereits lange 
vorher in dem Teufels- Hexen- Schwarzkünstler- Eiben- und 
Nixen-Glauben des Volkes, und man findet eine ziemlich voll- 
ständige Darlegung dieses Glaubens in Luthers Tischreden, 
dem 24. Capitel. Was nur immer von den Geschichten, welche 
dort von verschiedenen Hexen und Hexenmeistern erzalt wer- 
den, passen mochte, das wurde später auf den Doctor Faust 
übertragen, einen in der Wirklichkeit ziemlich unbedeutenden 
Menschen; und so entstand eine ganze I^bensgeschichte so 
zusammenhängend wie nur immer die Biographie eines He- 
rakles, Theseus oder Numa bei Plutarch sich ausnimmt. Da 
sich dieses Stoffes in der neuesten Zeit auch die Dichtkunst 



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A. Von dem Ursprang der Mythen. 143 

bemächtigt und ihn nach ihren Zwecken veredelt hat, so fehlt 
dieser neuesten Sag^ischöpfung keines der Momente und Ent- 
wickelungsstufen der aus dem grauen Alterthum herstammen- 
den, nur dass der Charakter der Erdichtung so verschieden von 
jenen wie die Zeitrichtung, ist. Hier bestätigt sich also dass, 
je trüber die Zeiten sind, desto mehr immer der Aberglaub« 
um sich zu greifen pflegt, und je stärker der Glaube an Wun- 
der und Zauberei, Magie, Sympathie emporkommt, desto rei- 
cher auch die Sagen- und Mythen -Erzeugung wuchert. Nur 
die Mittel , Mythen und Geschichte zu scheiden , vermehren 
sich, wenn bei dem geläufigeren Grebrauch der Schreibmittel 
die Dokumente sich mehren. Nicht alle Mythen und mytho- 
logischen Personen, welche bei Homer noch nicht vorkommen, 
sind zu jener Zeit noch nicht vorhanden gewesen : aber gewiss 
auch viele, die er nicht erwähnt, waren wirklich noch nicht 
geboren. So lange noch neue Götter und neue Cultc aufka- 
men, wanderten mit ihnen auch neue Legenden ein, oder 
wurden im Lande selbst erfiinden, und die Dichter aller Zeiten 
fanden immer wieder neuen Stoff im Volke vorräthig, den sie 
für ihre Poesie verwenden konnten. Das Alterthum ist den 
Wunderglauben niemals völlig los geworden: so ein aufge- 
klärter Mann Euripides, der Schüler des Anaxagoras, war, so 
glaubte er dennoch an Mantik und an die Bedeutsamkeit der 
omina, und Sokrates, obgleich er den Glauben an die unmora- 
lischen Götter Homers ablehnte, glaubte dennoch an die Offen- 
barungen seines daißSviov. Auch den Au%eklärtesten unter 
den Alten blieb die Luft und der Himmel von Legionen im- 
dchtbarer Dämonen erfüllt, denen ein weites Feld des Wirkens 
überlassen blieb, so lange die Naturwissenschaften noch in 
den Windeln lagen. Und wenn ja einmal in Europa das Ge- 
schäft der Wunder-Verrichtimg und Wunder-Erzälungen nicht 
recht fort wollte, so war Asien, die Wiege jedes Glaubens und 
Aberglaubens, niemals in diesem Fache müssig, und von dort- 
her konnte Europa sich immer mit neuem Vorrath versehen. . 



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144 II- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Dort sehen wir sogar in der aufgeklärten Zeit der Griechischen 
Herrschaft nach Alexander, zur Zeit des Seleukos Nikator, 
den Mythus vom Kombabos entstehen, einem zweiten Attis, 
der in keiner Weise jenem älteren Attis und seinen Ge- 
schichten nachsteht. Aber was sagen wir vollends von den 
Erdichtungen welche der Kreter Epimenides und seine Hand- 
werksgenossen im Zeitalter der sieben Weisen von sich in 
Umlauf sezten, und von der Gläubigkeit, mit welcher dieser, 
abermals aus dem Orient und Aegypten stammende, Aber- 
glaube aufgenommen wurde ? Es ist noch keine Zeit je so er- 
leuchtet gewesen, dass sie vor der Wiederkehr des Aberglau- 
bens geborgen gewesen wäre, und die Wissenschaft traut 
sich zu viel zu, wenn sie hofft über den Aberglauben, welcher 
den Menschen Bedürfhiss ist, jemals völlig Herrin werden 
zu können. 

8. Das Mttbrchen. 

Als ein Beweis der niemals endenden Mythen -Schöpfung 
kann auch das Mährchen dienen, eine auf den im Volke fort- 
lebenden heidnischen Glauben gegründete Dichtimg. für die 
Kinderstuben, die sich nur darum so imverwüstlich erhält, 
weil der Glaube an Eiben, Nixen, Hexen, Zauberer, Nacht- 
und Lichtwesen u. s. w. nicht auszurotten ist, und aus diesem 
fruchtbaren Boden immer neue, dem alten ähnliche, Gewächse 
zieht. In diesen Mährchen (man nehme z. B. die von Gritom 
redigirten deutschen und die, ihnen ganz ähnlichen, von dem 
Consul V. Hahn gesammelten griechischen und albanesi- 
schen) begegnen uns Feen, welche, wie die Schwanenjung- 
frauen in unseren mittelalterlichen Dichtungen oder wie die 
Thetis, von Männern gefangen oder gewältigt (wie die Walkyre 
Brunhilde] , diesen als Hausfrauen dienen, bis sie etwa wieder 
in den Besiz ihrer Flügel gelangen und damit wieder der Wild- 
niss und den unvergessenen Feen- oder Nereiden -Tänzen zu- 
eilen, aber doch dabei die Anhänglichkeit an ihren Mann und 



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A. Von dem Ursprung der Mjthen. 145 

ihr Kind so wenig wie die Thetis jemals verlieren. Andere 
sind, wie die Köre oder die Eurydike, von bösen Draken oder 
Riesen hinabgeraubt unter die Erde, in Thürmen verschlossen 
wie die Danae, in Kästen genagelt und ins Wasser geworfen, 
Seedrachen ausgesezt, wie die Hesione, und werden befreit 
von Königssöhnen, welchen Abenteuer aufgegeben werden, 
wie dem Herakles und dem Perseus. Andere sind in die Wild- 
niss Verstössen, verdrängt durch' untergeschobene Frauen, 
verfolgt von bösen Schwiegermüttern, und müssen viele Lei- 
den bestehen, bis sie in ihrer Verkleidung und Entstellung 
von dem Gatten wieder gefiinden und in ihre Bechte eingesezt 
werden, gleich der Ino (Genoveva), der Ajiadne, der Antiope, 
der Hypsipyle u. s. w. Und auf der anderen Seite wiederum 
haben wir die starken Helden und die Königssöhne, meistens 
ebenfietlls die jüngsten von drei Brüdern imd kinderlosen 
• Eltern untergeschobene Elfenkinder, gleich den so eben be- 
schriebenen Jungfrauen, die da ausziehen, um dergleichen 
nur einmal erblickte Schönheiten (denn immer zeigen sie sich 
verwandelt oder verkleidet oder unscheinbar wie das Aschen- 
brödel; , zu finden und zu erlösen aus einem Zauberschloss mit 
40 Kammern oder aus den Tiefen der Erde (wie der Dionysos 
die Ariadne) , in welche man nach der Hebung einer Marmor- 
platte hinabsteigt, und dann sie wieder verlieren, von schlech- 
ten Geschwistern verrathen, die so schlimm sind wie die 
Schwestern der Psyche oder des Aschenbrödels, oder von bösen 
Müttern betrogen, und dann eben&Us in Verkleidung in Ar- 
muth Noth und Krankheit (wie die in Dienstbarkeit lebenden 
Griechischen Götter Apollon, Poseidon, Herakles) lange Zeit 
Leiden und Abenteuer bestehen müssen, bis sie das Verlorene 
wieder gewinnen. Auch die Oenomaos und die Hippodamien 
fehlen nicht, welche allen Freiem das Leben kosten, und 
nicht die Blaubärte, welche unter 40 Kammern eine zu 
öffnen untersagt haben, in der aber eben immer die gefiEingene 
Schöne (Köre) zu finden ist. Wer nun dergleichen Mährchen 

H»rtang, Bei. «. Mythol. d. Gr.I. 10 



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146 U- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

in so romanhaften Erzälungen, wie die schöne IVfagelone, die 
schöne Mrfusine, Amor \md Psyche u. s. w, üst, d^r mag 
wohl glauben dass sie zur VersinnUchung sittlicher Ideen ei^ 
fuuden seien; und schon in der feineren Gestalt der deutschen 
Mahrchen bei Grimm vermag man in der Aschenputtel, dem 
Schneewittchen, dem Domröschen schwerhch mehr die Fee 
zu entdecken ; hat man aber Gelegenheit dieselben Erzälungen 
mit älteren, aus denen sie abgeleitet sind, zu vergleichen, oder 
list man die nämlichen oder entsprechende Mährchen auch 
nur in der Sammlung bei Hahn, so kann man sich weniger 
der Einsicht verschliessen, dass dieselben nichts als Thaten 
von Dämonen und deren Eingreifen in das Menschenleben 
sclüldem. Penn es fehlen alle sittlichen Motive, die handeln- 
den Personen fressen und morden sich, heurathen und verlassen 
sich, ohne sich was dabei zu denken ; sie fliehen und suchen 
nach blossem Fürchten und Begehren, und die umgebende • 
Welt enthält bloss entweder feenhaft-paradiesische oder hexen- 
artig-verwünschte Zustände. Dazu nehme man die magische 
Kraft von Steinen und Pflanzen, die Wunderthiere und die 
bleibenden Symbole : denn z. B. Drachen sind überall im Be- 
size der Quellen und halten sie zurück, wenn ihnen keine 
Menschenopfer gebracht werden, ganz wie bei den alten Grie- 
chen , und diese Ungeheuer haben viele Köpfe, die ihnen alle 
müssen abgeschlagen werden. So gibt es auch Rosse, die der 
Bliz heissen und der Bliz sind imd ihren Eeiter wie der Pegasus 
tragen *^) . So wissen die Vögel alle Geheimnisse, wenigstens 
immer einer von ihnen kann Auskunft geben, und wer ihre 
Sprache versteht^ ist gut daran. Es kommt vor, dass eine aus 
der Kammer der Draken erlöste Jungfrau sich (gleich der De- 
meter) in eine Stute verwandelt, auf welcher der Königssohn 
davonreitet'*^*), Prinzen verwandeln sich in Schafe, imi ver- 
zauberte Jungfrauen zu erlösen, in Schlangen und in Tauben, 



108) n. 58 bei Hahn. 109) n. 68. 



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A. Von dem Ufsprimg der Mythen. 147 

um mit solchen zu kosen. Aepfel^ Citronen, Cypressen spielen 
eine grosse Rolle, wie in den Gärten der Hesperiden, imd in 
Citronen und Lorbeerbäumen stecken zuweilen Feen. Aus 
Nüssen und Feigen, wenn man sie zerschneidet, kommen 
schöne Kleider, goldene Hennen und andere kostbare Wun- 
derdinge heraus. Im gold^Dien Haar der Drak^i sizt meistens 
ihre Stärke, und wenn dieses abgeschnitten ist, sind sie ver- 
loren : das goldene Haar erscheint auch sonst als Sjrmbol des 
Sonnenlichtes. Kammern, Thürme, Höhlen vertreten viel£EM)h 
die Stelle der Unterwelt, eine Haube macht unsichtbar^ Moh- 
ren sind Insassen des Schattenreichs, Hexen fressen Pferde 
Kinder und andere Menschen, Dämonen machen Donner und 
Bliz und Unwetter. 

Man kann in solche Mährchen ganz schöne sittliche und 
rdigiöse Ideen hineinwirken durch eine, sinnige Bearbeitung, 
¥rie Apulejus und andere es gethan haben ; man kann solche 
Ideen auch wohl hineindeuten ohne grosse Mühe — man 
braucht nichts weiter zu thun als die Dämonen in Allegorien 
vmzuseBen — dann aber hat man eben die Ideen hineinge- 
legt, nicht herausgenommen. Die Dämonen handeln nach 
Instinet^ und die Allegorien agiren eben so willkürlich nach 
ihrer Bedeutung: beide richten sich nicht nach sittlichen 
Gründen, durch beide also entsteht eine seltsame Welt ohne 
natiirHohe Ursachen und nothwendige Wirktmgen, welche in 
mancherlei Hinsicht dem Dichter willkommen sein kann. 
Wollte man aber darum glauben, dass die Mahrohen aus sin- 
Bigen Dichtungen entstanden und in ihrer jezigen Gestalt 
zertrümmerte und verwitterte Beste einer ehemaligen Uühen« 
den Existenz gewesen seim, so würde das abermals eine Ver- 
wechselung der Cultur und ihrer bewussten Kunsterzerugnisse 
mit dem unbewussten Instinct und s^nen Produkten sdm. 

Ehe wir nun von hier aus zu der Mythendeutung über« 

gehen, wollen wir an einigen Beispielen verfehlter Mythen^ 

deutung zeigen, wie man es nicht machen muss. 

10» 



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148 ^- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

9. Beispiele verfehlter Mytben-Deatiiiig. 

»Es ist bemerkensweitha, sagt Welcker, »dass Homer auf 
seinen so bestimmt gezeichneten Kunst- Hephästos den Zug 
der Schwachbeinigkeit, des wackelnden Granges, überträgt, der 
ohne Zweifel von dem Element entlehnt ist, und daher nächst 
dem Zeus, als Vater, die ohnehin vorauszusezende dichterische 
Metamorphose auch deutlich zeigt. Das Unstete, Schwan- 
kende, aller Strammheit und Festigkeit Entgegengesezte, ver- 
bunden mit so grosser Gewalt, der Flamme, muss der naiven 
(o die naive !) Yorwelt einen tiefen Eindruck gemacht haben, 
da wir dasselbe Merkmal des Feuergottes bei mehreren Völkern 
antreffen«. Man kann es nur als einen Beweis ansehen, in 
welchem Grade das Urtheil eines ausgezeichneten Mannes 
durch systematische Vorurtheile beeinträchtigt werden kann, 
wenn Welcker einem sinnigen Dichter wie Homer zutraut, 
das Züngeln und Flackern einer Flamme in wackelnde Beine 
ihres sie repräsentirenden Gottes verwandelt zu haben, zu- 
traut, sag* ich, mit dem Bewusstsein, dass diese Eigenschaft 
des Dämons auch noch bei anderen Völkern anzutreffen sei, 
mithin wohl schwerlich von Homer erst erfunden ist. Da wäre 
es Pflicht des Forschers gewesen, nach den Grründen dieser 
Missgestalt auch bei den betreffenden Völkern zu forschen, 
statt einem willkürlichen Einfalle Raum zu geben. Der He- 
phästos gehört in die zalreiche Klasse der Riesen und miss- 
oder thiergestaltigen Dämonen (Zwerge genannt) , die zugleich 
Hexenmeister und Zauberer (Telxlvsg) sind, niXtaq aifjTOv 
nennt ihn Homer. Sein, gleichfalls von der Hera geborener 
Bruder, der Typhoeus, und sein mit der Athene gezeugter 
Sohn^ der Erichthonios oder Erechtheus, haben Schlangen zu 
Beinen, mit denen sie bloss rutschen können. Diese Schlangen 
haben sich bei ihm selbst in einknickende zerschlagene [yvito- 
^inagj daher äiiig>iyvii^eig] fast knochenlose Beine verwandelt. 
Sein Indisches Ebenbild^ der Agni [iffnis) , hat noch die Schlan- 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 149 

gen-Natur^ wie Weicker selbst bemerkt, indem es von ihm im 
Big-Veda heisst: (legre prehenderü quasi suboles serpentum. 
Indessen bezieht sich diese Schlangen -Natur keineswegs auf 
die Natur des Feuers, so wie sie auch nicht den Feuer-Dämo- 
nen allein eigen ist, sondern mehr noch den Wasser- imd den 
Höhlen -Bewohnern. Und Hephästos lebt auch keineswegs 
bloss in der Luft. So wie die .Teichinen im Meer ersäuft wer- 
den, also wird auch er in die See hinabgeworfen und im 
Schoosse der Thetis und des Fischweibes Eurynome au%e* 
nommen. Aber ein ander Mal fallt er auf Lemnos hinab, und 
dann steckt er, gleich dem Typhoeus, in feuerspeienden Ber- 
gen und hat mit anderen derartigen Kobolden, den einäugigen 
Kyklopen, (wie Wieland mit den Zwergen) seine unterirdische 
Esse im Aetna. Die Wackelbeine gehören aber keineswegs 
nothwendig zu seinem Wesen: denn sein Doppelgänger Däda- 
los, weldier wandelnde Bilder gleich dem Hephästos fertigt, 
und im unterirdischen Labyrinthe ge&ngen sizt, aber daraus 
entflieht, mit Flügeln durch die Luft fliegend gleich dem Yö- 
lunder, ist frei von dieser Lahmheit. Dieser Völunder aber 
oder Wieland, welcher mit dem Hephästos und dem Dädalos 
so viele merkwürdige Züge gemein hat, wird ausdrücklich 
auch eine Schlange genannt, und ist dabei ein Elbe oder sogar 
der König der Eiben. 

Wir wollen den Gegensaz der beiden Erklärungsweisen 
noch an einem anderen Beispiele deutlich machen. Dass hinter 
der Iphigenia die Göttin Artemis-Hekate stecke, kann einem 
Forscher nicht entgehen, weil es von den Alten selbst deutlich 
genug gesagt wird ^'®) . Aber wie benimmt sich nun jene Kritik 
dabei^^^)? »Iphigenia verschwindet und wird ent- 
rückt, wie der Mond verschwindet, zu den Tau- 
riem, wahrscheinlich in Folge einer historischen Deutung des 



110) Stesiohoros bei Philodemos ntQi (itaißitag im Philologu» 
XXI, 1. p. 139. Paus. I, 43, 1. 

111) S. Preller, I. p. 195. 



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150 U- Ueber die EnUtefaung und Weiterbildung der Mythen. 

Beinamens TavQixi^^ u. s. w. »Auch der Gebrauch^ das Bild 
in einem Röhricht au&ustellen oder wie das Beil in den 
Fasoes mit Zweigen zu umgeben und dadurch zu verstecken 
(daher IvyoSiafAa in Sparta^ ^paxeliTig in Rhegion) scheint 
das Verschwinden des sich gleichsam verstecken* 
den Mondes anzudeuten«. »Und so wird auch der gei- 
stesverwirrende Einflussy den man dieser Taurischen Arlemis 
anschrieb, darauf beruhen, dass man die Wandlungen 
und irrenden Bahnen des Mondes alsFolge einer 
Geistesverwirrung ansah« u. s. w. »Aus diesem Glau- 
ben an einen dämonischen Einfluss auf die Meeresfluth 
und auf den menschlichen Geist aber giengen weiter 
die blutigen Menschenopfer hervor, welche in 
Sparta später in blutige Geisseihiebe der Jugend am Altare 
dieser Gröttin verwandelt wurden«. — Ist es wohl nöthig, über 
die blutigen Menschenopfer in Folge dämonisdien Einflusses 
auf die Meeresfluth und auf den menschlichen Geist, dessen 
Verwirrung von der Abnahme des Mondes kommen soll, oder 
über das Versteckspielen des Mondes, welches mit dem Ver- 
schwinden der Iphigenia 83rmbolisch angedeutet sein soll, 
u. s. w. ein Wort zu verlieren? Hundert Mal kommt es vor, 
dass eine Gottheit oder eine Heroine verschwindet, ja, sogar 
alle die der Isis, der Hera, der Köre, der Helena gleichen 
Wesen thun das, und die leztere mehr als einmal. Ist da wohl 
immer die Abnahme des Mond^ gemeint? Oder will man bei 
jeder verschwindenden mythologischen Figur wieder einen 
anderen Grund willkürlich erfinden? Unbegreiflich ist aber 
vollends, woher einem Menschen bei der Betrachtung der kei- 
neswegs wirren sondern ganz regelmässigen Umläufe und Wan- 
delungen des Mondes die Geistes -Verwirrung kommen soll? 
Auch wüssten wir nicht zu sagen, woher die Ktmde stamme, 
dass zur Heilung verrückter Menschen jemals andere Men- 
schen seien geschlachtet worden. Betrachtet man die Gelun- 
genheit dieser Deutungen, so kann man dem Verfasser nur 



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A. Von dem Ursprung der Mjthen. 151 

dankbar dafiir sein^ dass er nach dem Vorgang anderer die 
Heroengeschichten meistens bloss erziUt hat: nur siht man 
freilich nicht ein, was eine blosse Erzälung in einem wissen- 
flchaftliehen Werke nüzen könne. Die Sache aber ist die, dass 
die ^Iq>iyiv€ia der grausamen und verrückt machenden Kappa- 
dokischen Naturgöttin Anahit entsprach, und dabei eine Oe- 
burtsgöttin war welche die armen Wöchnerinnen oft um- 
brachte (das besagt auch ihr Name) , und dass man so einer 
Göttin auch grausame Opfer bringen musste. 

le. Pr«4lkAte 4er CI4Hter and Symbole. Die Rinder 
des HoDDirttf ottes. 

Man muss also nicht rathen und nicht willkürlich erfin- 
den, wenn man Mythen und Symbole deuten will, um so we- 
niger da die Prädikate der Götter und ihre Symbole etwas so 
Feststehendes und so Durchreichendes sind, dass man z. B. 
in allen Religionen, wenigstens der stammverwandten Völker, 
die nämlichen Thiere den nämlichen Göttern geweiht siht. 
Nicht bloss in der Chriechischen sondern auch in der Römi- 
schen und femer in der Parsischen und in der Indischen My- 
thologie besizt der Sonnengott seine Rinderheerden, und wer- 
den ihm dieselben entwendet. Nun werden von den Sanskrit- 
Gelehrten die Kühe des Indra, welche ihm von dem Dämon 
Ahi geraubt werden, auf die Wolken gedeutet, \md wenn 
sodann der Indra die schwarzen Wolken mit seinem Speere 
trifft, dass sie den Regen von sich geben, so soll das ein Mel- 
ken der Kühe sein. Wo hat man je von so einer Art zu melken | 
gehört? Indessen ist das nicht einmal richtig, und erschlägt 
der Indra, denVeden zufolge, keineswegs die Kühe mit seinem 
Speere, dem Bliz, sondern vielmehr, die Dämonen, den Ahi 
imd den Vitra, welche dem Lande die Feuchtigkeit entzogen 
haben. Denn es heisst"*) : »Er goss die Wasser aus und Hess 



112) S. Duncker, II. p. 21. 



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152 II- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

die Flüsse aus den Bei^n ; wie Kälber zu den Mutterkühen, 
so eilen die Wasser zum Meere. Gleich dem Stiere stürzte 
Indra auf das Opfer und trank dreimal den bereiten Trank 
(den Soma^ womit er sich Muth trinkt) : dann schlug er die 
Erstgeburt der Wolken (den Vitra)«. »Als du Indra sie trafest, 
brächest du die Kunst der Zauberer und zeigtest 
die Sonne und die Morgenröthe am Himmel welchen Vitra, 
der Verhüller, zu schaden pflegt). Mit gewaltigem Wurf 
traf Indra den flnstem Vitra, dass ihm die Schultern brachen : 
wie ein mit der Axt gefiUlter Baum sank Ahi zur Erde : nun 
laufen über des Ahi Leichnam die Wasser, und 
der Feind des Indra schläft dort lange Finsternisse : die Höhle 
des Wassers hat Indra wieder erschlossen«. — »Die Wolken 
hast du ergossen, der Quellen und der Ströme Fesseln 
hast du gesprengt: als du Indra den grossen Berg ge- 
spalten, entsprang der Strom«. Also Zauberer sind diese 
Dämonen : bald zaubern sie die Wolken und bald die Sonne 
vom Himmel (das leztere geschiht bei den Verfinsterungen 
dieses Weltkörpers) : und die Wolken versteckt der Ahi in 
Bergen (natürlich hinter Bergen, vie noch jezt!), welche 
Berge der Indra mit seinem Blize treffen muss, und dazu den 
Ahi selbst, damit sie den Raub wieder hergeben : dann strö- 
men die Wasser über den Leichnam des Dämons und Zaube- 
rers, und wie Kälber zu den Mutterkühen, so eilen dann die 
Wasser nach den grossen Wasserbehaltem hin. Auch in der 
Grriechischen Mythol(^e, wie gesagt, ist vielfach von solchem 
Rinder -Baube die Bede, indem der Hades und der Sonnen- 
gott, gleich zweien Nachbarvölkern, deren haupt- 
sächlichster Besiz in Viehheerden besteht, sich 
immer gegenseitig plündern und berauben. Für den Hades 
aber tritt mitunter der Hermes (oder auch der Neleus oder der 
Admetos) ein, für den Helios entweder der Herakles oder der 
Apollon. Hier haben die Leser auch sogleich die Deutung des 
bekannten Mythus, und können daraus erkennen, wie schief 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 158 

lind verkehrt die oben xnitgetheilte Deutimg war. Also nicht 
der Hermes würde den Regen schenken^ indem er die Rinder 
8tihlt, sondern im Gegentheil» wenn er dem Ahi gleicht, so 
entzöge er ihn dem Lande gledch einem 2^uberer9 und auch 
der Sonnengott schenkte ihn nicht, sondern der Zeus mit 
seinem Bliz, wenn er einen Phaethon erschlägt, der die Welt 
verbrennen wollte, oder zu einer Semele unter Donner und 
Bliz herabfahrt. Dabei das schon halbverbrannte Kind Diony- 
sos rettend und zu neuer Belebung in seiner Hüfte verbeißend, 
bringt er unter Gewitterstürmen nach der verzehrenden Son- 
nengluth mit den Passatwinden die Regenzeit wieder. Wenn 
aber die Rinder des Hermes Wolken wären, so müssen die des 
Augeias, des Neleus, des Geryoneus, des Nestor u. s, w. eben- 
falls Wolken sein, und hätte der Herakles, indem er diese 
eroberte, überall Wolken erobert. Kann aber das nicht sein, 
so wird man auch bei dem Hermes die Wolken aufgeben müs- 
sen. Indessen handelt sich's in jener Bestehlung des Apoll 
durch den Hermes auch gar nicht um Feuchtigkeit und Regen 
sondern um Licht und Finstemiss oder um den Kampf des 
Tages und der Nacht, von welchen beiden im Laufe des Jahres 
bald der eine bald die «andere die Oberhand gewinnt, und 
können also die Heerden eines Gottes (die auch nicht in Rin- 
dern allein bestehen), d. h. sein Eigenthum, auch dieses be- 
deuten. Auch die Spendung nährender Feuchtigkeit kann 
unter Vmständen durch die Kuh r^räsentirt werden, indem 
dieses erquickliche Nass, welches die Wiesen und Grärten grü- 
nen macht, mit der Milch pflegt verglichen zu werden, und 
deshalb die Nymphen die Ammen des Zeus sowohl als auch des 
Dionysos genannt werden: und vielleicht ist das der Grund 
wedbalb die Erde so gern als Kuh gedacht wird, weil rie näm- 
lich mit dieser nährenden Feuchtigkeit begabt ist. 

Wir wollen noch an einem erst in diesem Jahr im Druck 
erschienenen Beispiele zeigen, bis zu welchen Absurditäten der» 
gleichen Mythendeutungen getrieben zu werden pflegen. Bei 



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154 II- Ueber die Entstehnng und Weiterbildung der Mythen. 

Schwarte, poetische Naturanschanungen, heirat es in der Vor- 
rede: Die meisten Gebräuche und Riten waren zunächst nur 
eine Nachahmung der analog gefassten himmlischen Vorgänge, 
indem man die irdischen Verhältnisse 2u ihrem eigenen Besten 
denselben anzupassen fär fördersam hielt (umgekehrt, die 
Menschen legen ihre eignen Sitten und Gewohnheiten den 
GKittem bei!) . Wie im Frühjahr in den ersten Gtewittem man 
die Wolkenrinder ausgetrieben wähnte und meinte dass im 
Blizzickzack dann das Thier einen Busch nach- 
schleppe, lagerte sich eine derartige Vorstellung im Rinder-^ 
raub des Hermes ab u. s. w. Feuer und Butterbereitung ward 
so vorgenommen, wie man es am Himmel im Gewitter vorge- 
nommen wähnte (o, dass Aristophanes diese Bliz- und Donner- 
Deutung nicht auch noch in seinen Wolken benuzen konnte!). 
An die Behandlimg der im Gewitter mit anderer Anschau- 
ung angeblich neu gebornen Himmelskinder (!) schlös- 
sen sich die verschiedenen Formen der Wasser- und Feuer- 
Taufe^ an die im Gewitter angeblich stattfindende Vermählung 
die Ehegebräuche u. s. w. Genug hiervon ! Wer suchen will 
im wilden Tan Manch Waflfenstück noch finden kann: Ist 
mir zu viel gewesen ! 

11. DeatUDg elnlfer Symbole. 

Es ist schwer überall die Gründe aufzufinden, weshalb 
einem Gott ein Thier oder anderer Gegenstand zum Atfribute 
gegeben worden sei, z. B. das Boss dem Meeresgotte, die Esel 
den Silenen, der Stier den Flussgöttem : doch so viel ist deut- 
lich dass die Aehnlichkeit und die Brauchbarkeit in den mei- 
sten Fällen nicht der Grund gewesen ist. Denn was hätte das 
Bobs für eine Aehnlichkeit mit dem Wasser oder was für eine 
Brauchbarkeit hat es zur See? Alle derartigen Deutungs ver- 
suche Verunglücken. So wie aber häufig einer Pflanze eine 
gewisse Heilkraft zuertheilt ist aus. keinem anderen Ghrunde, 
als weil ihr Name mit dem zu heilenden Uebel überein lautet. 



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A. Von dem Ursprnng der Mythen. 1 55 

— FreiMunkraut vertreibt das G^efiDeisch der Kinder, Springwurc 
macht Tearschlossene Thturen aufbringen, — ako scheint das 
auch hier der Fall 2u sein. Denn aqua das Wasser und efum 
skr. a0>a9 das Boss, sind Eins, und ijcxo$ {equus) verhält sich 
zu Ixfiäg wie Xftnog zu dndg sucus, und diese Formen lassen 
auf Urformen schUessen die sich noch mehr glichen. Darum 
heisst einestheils der Regengott ^Infialog und *'l7Uxqogj und an- 
derentheils mrd auch dem Belleio|^on (einem unkenntlich 
gewordenen Regengotte sowohl als Seegotte) das geflügelte 
Boss beigelegt welches Quellen aus dem Bodeu stampft und 
dem Zetis die Blize schleudert bei Gewittern, darum sind die 
Quellen -Dämonen, die Kentauren, p£^degestaltig u. s. w. 
Die Namensähnlichkeit hat überhaupt viel grösseren Ein* 
fluss gehabt als man denkt. Wie z. B. beim Pentheus, beim 
Aias, beim Polyneikos das nomen auch das omen in sich ent* 
hielt,8o bedeutet mit dem nämUchen Rechte eine fette Kuh 
ißin^g gäus chu&xay^ ein fettes oder firuchtbares, ^ne magere 
ein unfiruchtbares Land, und kann die Kuh mithin auch 
Hungeranoth oder Ueberfluss herbeiführen. Der Wolf ist dem 
ApoUon heilig, weil sein Name XvTiog Licht zu bedeuten 
scheint, und das Schaf ist ein Symbol der Reinigung, weil 
naQPog, ingleichen TiQuig, mit hbIqbiv scheeren nicht allein 
sondern auch mit xogetv kehren zusammenhängen mag, 
woraus sogar zwei göttliche Personen, Kfi6g und Kag^eioq 
entstanden sind. Die Geis myig ist das Symbol des Orkimei 
geworden, weil ihr Name, als von dtoaw stammend, dies zu 
bedeuten scheint, und das Hom (yiefag) bedeutet die Erfüllung 
(xfaivia), Elfenbein (iUfog) die Nichtigkeit [iX%q)alqkf) 
u. s. w. Manchmal, wo wirklich zwei ganz unälmliohe Dinge 
einexlei Namen haben (wie z. B. im Sanskrit die Kuh und die 
Erde), mag auch nicht blosser Gleichklang der Laute die Ur- 
sache gewesen sein den einen Gegenstand zum Symbole des 
anderen zu machen, sondern die Vorwelt mag auch eine wirk* 
liehe Aehnlichkeit zwischen beiden gefunden haben, welche 



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156 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

wir jezt nicht mehr zu entdecken vermögen. Dahin rechne ich 
die merkwürdige Erscheinung , dass im Griechischen im Lar 
teinischen und im Deutschen die Pupille im Aug und das 
Kindchen oder Mädchen einerlei Namen haben^ nämlich x6frj 
pupula Kindchen. 

Es ist schwer zu sagen, warum das Schwein bei den 
Aegyptem und den Semiten so ein verrufenes unreines Thier 
gewesen ist (denn was man von Gesundhditsrücksichten spricht, 
ist gerade so viel werth wie die Erklärung der Beschnridung 
mittelst der nämlichen Gründe] , und warum gerade ein Eber 
den Adonis todtbeissen und dem Meleager Verderben bringen 
musste, ingleichen warum gerade Löwe und Eber dem Hera- 
kles imd dem Adrastos (in der Person des Polynikes und des 
Tydeus; unddemAdmetos (der sie beide in's Joch spannen muss) 
80 viel zu schaffen machen. Zwar dass der Löwe aXd'WP heisst, 
die Sonnenhize bezeichne, und der Eber die schlimme Jahreszeit, 
ist leicht einzusehen, aber der Grund davon ist minder Idicht mit 
Sicherheit nachzuweisen. Aber nichts ist kläglicher, als wenn 
hier ein Erklärer, mit extempcmrten, auf keinam historischen 
Nachweis gestüzten. Einfallen angestiegen kommt, und in dem 
Gefühle, dass er da etwas Einfältiges sage, an die »naiven 
Vorstellungen «i der ältesten Menschheit appellirt, wo es doch 
keineswegs um müssige Phantasie-Spiele sich handelte, sondern 
um Heilmittel zur Tröstung noth- und angstgepresster Herzen. 
Ein anderer Erklärer macht den Erymanthischen Eber zum 
Bilde einer Flussüberschwemmung, den Nemeischen Löwen 
zum Bilde einer abgelenkten XJeberschwemmung. Betrachten 
wir einmal den Zug jener Sieben gegen Theben, veranlasst 
durch die besagten zwei Thiere, Löwe und Eber (Tydeiis und 
Polynikes], und geführt von dem Verehrer der lidqAoteia wa 
Astarte. Am Altare des Regen- Zeus (Yhiog) schwören sie, 
entweder zu siegen oder zu sterben ^^'). Auf dem Hinzuge, 



113) Paus. U, 19, 8. 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 1 57 

als rie in die Gegend von Nemea kommeu, finden sie alle 
Brunnen versiegt und alle Quellen vertrocknet. Da wird ihnen 
von der Wärterin des ^Oq)4lTfjg (des Schlangen -Mannes, von 
o^ig) eine Quelle gezeigt, bei der ein Drache liegt, der so 
eben den Opheltes getödtet hat, ohne Zweifel aber von diesem 
Ophehes selbst nicht verschieden gewesen ist. Schlangen sind 
nämlich immer und überall die Hüter unterirdischer Schäze 
sowohl als auch aus dem Boden kommender Quellen. Dieser 
Drache fordert hier das erste Opfer, den kleinen Archemoros 
(Erstlingstod], der mit dem Opheltes mit Unrecht vermengt 
wird; denn Archemoros ist das Opfer welches diesem Unge- 
heuer, so wie die Hesione, preis gegeben wird, damit es die 
Quellen wieder rinnen lasse, und nach seinem Tode wird er 
zum Palämon-Melikertes ^Melkarth), dem die Isthmischen 
Spiele gefeiert werden, deren Bedeutung wiederum den nach 
der Erlegung des Löwen gestifteten Nemeischen Spielen ent- 
spricht. Als die Sieben nach Theben kamen, forderte der dor- 
tige Drache das zweite Opfer, und weil, so heisst es, die 
Theber den Sieben zuvorkamen in der Begütigung jenes Dra- 
chen, so fielen die Belagerer Thebens alle bis auf den Adrast. 
Weil einmal von Symbolen des Regens und der Quellen die 
Rede ist, so wollen wir auch die Bemerkung nicht unterdrü- 
cken, dass man Regen- und Wolkengötter nicht willkürlich 
zu schaffen braucht, wo man einen Zeig ^Yhiog, i/xTaiog, 
^Qtaraiogj ^Ix/ialog^ ^InaQiog vorfindet, an deren Mythen imd 
Culten sich erkennen lässt, wie so ein Regengott ohngefahr 
aussehen kann, und was sich für Begriffe mit seinem Wesen 
vereinigen lassen. Und will man femer wissen, welche Rolle 
die Wolkenbildung in der Griechischen Mythologie spiele, so 
wende man sich an die Nephele und suche die Sage von dieser 
imd dem Phrixos (dem Gerösteten) zu deuten: ingleichen 
erinnere man sich an die Ceremonie, mit welcher der Priester 
des Zeus Lykaeos in Arkadien durch magische Berührung der 
Quelle ^yvii mit einem Eichenzweig bewirkte dass Nebel 



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158 ^^' Ueber die Entotehimg und Weiterbildung der Mythen. 

aufistiegeii, Wolken sich bildeten und Regen das Land er- 
quickte^*^). Und diese magische Handlung des Priesters in 
Arkadien ist wiederum ein Beweis, wie übereinstimmend und 
gleichbleibend ein solcher Glaube durch alle Länder und alle 
Jahrhimdcai» hindurchgehen kann : denn in Hartmanns Iwein 
oder in der »Dame von der Quelle«, wie die Dichtung ur* 
sprünglich heisst, finden wir noch den nämlichen Glauben in 
der nämlichen symbolischen Handlung ausgeprägt. Auch 
werden noch jezt in den Volks*Mährchen Quellen von Dradien 
zurückgehalten, denen man dafür ^lädchen, au Felsen ange- 
kettete, preisgeben muss, noch jeet Prinzessinnen, mit od^ 
ohne Ki&d, wie die Danae, in Särge genagelt und in's Wasser 
geworfen, noch jezt Rosse zu Brunnen gefuhrt, aus denen sie 
sich zu trinken scheuen, wenn oberhalb ^e Jungfrau ^^e- 
fug anotyxo^ivrj oder ^ip^odlvri de^dflt^g) in einem silbernen 
Sarge schwebt***). 

12. Die Qaelleo philosophischer Mythen. 

Die Noth und das Bedürfhiss, sagten wir, hätten die £e- 
ligionen und auch die Mythen geschaffen, und jegliche Noth 
muss in hohem Grade jene ersten Menschen umringt haben, 
welche, nackt und bloss aus dem Paradiese gestossen mit 
vielen auferlegten Uebeln, noch keine Mittel den Uebeln zu 
begegnen, erfunden hatten. Aber sei die Noth auch noch so 
gross, der Mensch findet doch noch Zeit zum Spielen und zum 
Buhen, so wie er auch fast noch früher an Puz als an Be- 
deckung seiner Blossen denkt« Und so wie der Spieltrieb die 
Quelle der Künste, so ist die Ruhe des Leibes, wenn der 
Geist der Sorgen sich entschlägt, der Anfang der Philosophie. 
Demi dann beginnt die gegenständliche Betrachtung der 
Dinge, wenn die Mühen und Schmerzen nachlassen^ und sie 
selbst ist das erste Mittel, über den Schmerz Herr zu werden. 



114) Paus. Vm, 38, 4. 

115) S. T. Hahn , Oriech. u. Alban. Mährchen N. 1. 58. 9S. 103. 50. S« 



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A. Von dem Unpnmg der Mythen. 159 

Denn wenn die erste Betäubung nach dem heftigen Schlage 
des Unglücks vorbei ht, dann kommt die Beflexion^ man fangt 
an über die Gründe des Uebels nachzudenken, sein eigenes 
Verschulden gegen das unverdiente Schicksal in Abrechnung 
zu bringen y den Rest seiner Habe 2u überschauen tind sich 
wieder einzurichten: und das nennt man Tröstung, Darum 
ist jeder Hieb ein Philosoph, so wie jeder Theisites ein Bai- 
sonneur ist, in Folge des Unglücks und der Unzufriedenheit: 
darum bestehen die Schmerzens* Aeusserungen der Leidenden 
in den alten Tragödien naturgemäss immer aus zwei Theilen, 
in dem Schrei des Schmerzes, der sich in Arien auslässt, und 
in angeknüpften Betrachtungen, in denen der Schmerz all* 
mählich verwimmert: darum endlich ist auch die Elegie, welche 
eben diesem zur Ruhe -Kommen der Empfindungen gewidmet 
ist, eine so sententiöse Dichtart geworden und bisweilen in 
lauter Gnomen übergegangen. 

Unter allen Uebeln aber sind keine ergiebiger für die 
Phantasie als die xinabwendbaren, gegen die, wie Euripides 
sagt, kein Orphischer Spruch, kein Zauber und kein von 
Aerzten gefundenes Mittel hilft, und nicht einmal die Religion 
in Opfern und Gebeten eine Abwehr bietet — das ist der Tod 
und das was nachher kommt, das Jenseits I Einen Grund muss 
Alles haben, tmd zwar einen mit dem gedachten Wesen der 
Götter übereinstimmenden: also sind als Deutung alle die 
Sagen entstanden von der Schöpfung und dem Sündenfall, 
vom Paradies, Elysium, Himmel und Hölle oder Tartaros, von 
einer glücklichen, mit den Göttern in brüderlicher Eintracht 
lebenden, Menschheit (Aethiopen Phäaken und Hyperboreer) 
und von frevelhaften Empörern, Satanen, Giganten und an* 
deren Riesen, von rohen Religion*- und SittenverschmShenden 
Polyphemen und von zwar gleichfalls halbthierischen aber doch 
dabei frommen Chironen u. s. w. Dazu kommen dann noch 
die vielen Fabeln von dem Fortleben und Fortwirken von 
Geistern der Abgeschiedenen, welche nicht in ihrem Grabe 



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150 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

bleiben und auch nicht müssig bleiben wollen, und nicht um- 
hin können, um die Menschen und die Dinge, welche sie hier 
Terlassen haben, sich femer zu bekümmern. Und endlich 
knüpft sich daran die Sehnsucht nach einem besseren Zustande 
bereits in diesem Leben, die Hoffnung auf Entfernung der 
XJebel welche mit dem Sündenfall hereingebrochen sind, auf 
einen dereinstigen Erlöser (Soaiosch oder Messias) und auf eine 
Wiederkehr des goldenen Zeitalters, von welchem die Men- 
schen nicht aufhören werden zu reden und zu träumen so 
lange sie noch von Leiden sich gedrückt fühlen werden. Diese 
Furchten, diese Hoffnungen und diese Traume geben reichen 
Stoff auch zu Mythen -Schöpfungen, und so wird das unsicht- 
bare Beich mit Bewohnern bevölkert und eine Welt jenseits 
der wirklichen geschaffen, über deren Aussehen und Einrich- 
tung die Menschen meistens weit besser als über die wirkliche 
Welt Bescheid wissen, von ihrer unaufhörlich dichtenden 
Phantasie belehrt. Sodann wird die Natur imd werden die 
Götter selbst in die Mitleidenschaft hineingezogen : denn alles 
Geistige findet seine Analogie, ja sogar seinen Stüzpunkt, in 
dem Physischen Leiblichen; und da die Vorgänge in der Natur 
Thaten und Leiden von Göttern sind, so ist es klar, dass auch 
Götter sterben und wieder auferstehen, so wie die Natur all- 
jährlich verdorrt oder erfriert und dann zu neuem Leben wie- 
der aufwacht. Eine grosse Zal von Göttern und Heroen ist, 
nach der Erleidung eines gewaltsamen Todes, aus dem Hades 
befreit, manchmal auch in den Olymp emporgefuhrt worden, 
andere leben und walten unsterblich unter dem Boden fort : 
und sie sind der Trost und die Hilfe leidender Menschen nicht 
allein zur üeberwindimg der Schrecken des Todes sondern 
auch oft zur Befreiung von unheilbar -scheinenden Krank- 
heiten, dass man, beinahe schon dem Hades verfallen, noch 
einmal, so wie jene Vorbilder selbst, daraus entlassen werde. 



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A. Von dem Urafruag der Mythen. 161 

lt. V«bM* dms eifenÜiftBilicbe Wesen soleber Mythen. 

Das also sind die Quellen philosophischer Mythen^ wenn 
man sie so nennen will: doch verdienen sie schwerlich diesen 
Namen, schon darum weil sie unbewusst, und nicht mit dich- 
terischer Freiheit, geschaffen werden, und zweitens weil sie 
«ich eng an das Bedürlniss anknüpfen, an das Abklingen der 
Freude, an das Verzimmern des Schmerzes, an das Rasten 
von der Arbeit, weshalb sie auch von den anderen praktischen, 
auf das Diesseits und das alltägliche Leben bezüglichen, im 
Wesen kaum zu unterscheiden sind. Dazu kommt noch ein 
wichtiger Umstand, der uns warnen muss, keine gar zu tiefe 
q)eculative Weisheit und noch weniger etwa eine Erinnerung 
aus dem Gottesbewusstsein im Paradiese dahinter zu suchen. 
Sie verrathen nämlich, wenn man sie genauer betrachtet, gar 
krin von dem Schein der Dinge abgezogenes und methodisches 
Denken : sondern, so wie jene ganze jenseitige Welt mit allen 
ihren Bewohnern und Zuständen bloss ein zurückgestraltes 
Spiegelbild der diesseitigen ist, also sind z. B. auch die 
Schöpfungssagen lediglich nur aus den alljährlichen Belebun- 
gen der Natur und Entwickelungen der Gewächse im Laufe 
der guten Jahreszeit vom Frühjahr bis zum Herbste abgezo- 
gen, dergestalt dass z. B. die sechs Schöpftmgstage den sechs ] 
Jahresfesten der Parsen entsprechen : in gleicher Weise ist die 
Sinfluth nichts weiter als ein vergrössertes Bild der nach der 
grausamen Gluthhize alljährlich mit dem Eintritt der Regenzeit 
und dem Schmelzen des Schnees kommenden XJeberschwem- 
mungen. Eben so verhält es sich femer mit dem lezten Welt- 
brande, der sein Vorbild hat in den grossen Verbrennungs- 
festen, welche in Syrien und auch hin und wieder in Griechen- 
land gefeiert wurden, und dieser Weltbrand wiederholt sich 
im Brande Trojas und in der Verbrennung Sardanapals. 

Um diese Behauptungen zu beweisen, wollen wir in den 
nächsten Paragraphen einige der wichtigsten Mythen von der 

Härtung, B«l. n. Mythol. d. Or. I. H 



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j 62 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Schöpfung dem Sündenfall und der Sinflutti beleuchten, die 
das Steckenpferd der allegorischen Mythendeuter und Vergöt- 
terer des Aberglaubens sind. Nur wollen wir zuvor noch be- 
merken, dass diesen Mythen wohl manchmal auch Erzeugnisse 
müssiger speculativer Menschen beigemischt sein können: 
denn so wie es in jedem Volke Dichter gibt, so hat es in jedem 
wohl auch sinnige, mehr zur Betrachtung geneigte, Menschen 
gegeben, die das Nachdenken über die Gründe der Dinge zu 
ihrem Geschäfte machten, und die, wenn sie auch manchmal 
von anderen darum getadelt wurden, wie der Amphion bei 
Euripides und wie Cicero unter den Kömem, doch von ihrem 
angeborenen Trieb nicht lassen konnten. Und wie alt die 
Einkleidung speculativer Gedanken in das Gewand der Fabeln 
sei, das erkennen wir aus vielen Beispielen. Nur muss man 
diese Einkleidung nie für eine bewusste und willkürliche 
halten nicht bloss bei jenen Denkern aus dem Volke nicht, 
sondern auch bei denen nicht, die als Schriftsteller sich über 
die Menge zu erheben anfiengen. So lange nämlich das Den- 
ken und Dichten in den Banden des Glaubens gefangen liegt, 
ist kein freies abgezogenes Schaffen möglich : und wer in jeder 
j Naturerscheinung das Wirken imd Walten von Dämonen siht, 
i der kann, wenn er über die Gründe der Dinge nachzudenken 
' anfangt, natürlich nicht anders, als wiederum diese Götter und 
■ Geister in Handlung sezen, so dass also zwischen seinen Den- 
ken und dem früher betrachteten Volks - Denken kein speci- 
fischer Unterschied sein kann. Asien, in welchem die Sonne 
der Wissenschaft niemals aufgegangen ist um die Uebel des 
Wahnes zu zerstreuen, ist von den ältesten Zeiten an reich an 
derartigen Denkern gewesen, und das ist ohne Zweifel das- 
jenige was unsere mythologischen Forscher meinen, wenn sie 
von einem durch die Phantasie vermittelten Denken der naiven 
Vorzeit reden. Auf den Namen käme es eben nicht an, wenn 
man sich nur dabei bewusst geblieben wäre, dass jene Halb- 
Denker (wozu sie auf diese Weise gemacht wurden) an die 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 163 

Existenz ihrer mythologischen Gestalten und Geschichten 
auch selber wirklich geglaubt haben, und dass mithin diese 
Götter und ihre Sagen ihnen auch niemals blosse Bilder ge- 
l^resen seien. Die Erfindungen solcher religiöser Denker aber 
unterscheiden sich von den volksthümlichen nur dadurch dass 
sie meistens keine Wurzel unter dem Volk und im Cultus ge- 
fasst haben. Mit den Allegorien berühren sie sich oft näher 
als die gewöhnlichen Mythen, weil ihre Urheber, obgleich un- 
bewusst, doch in der nämlichen Weise wie die Dichter verfah- 
ren sind, also dass sie gewissen Bewegungen in der morali- 
schen und physischen Welt Leben, Empfindung und Bewusst- 
sein gaben, freilich mit dem Unterschied dass ihre Figuren 
wirklich letten, die der Dichter aber bloss so gedacht wurden. 

14. Die Mythen vod der Schöpfang. 

Am ersten wird man immer geneigt sein, eine entweder 
im Geiste aufgegangene oder von aussen gekommene Urofien- 
barung anzunehmen, wenn man etwas von den zimi Christen- 
thum gehörenden Ideen in den heidnischen Sagen vorfindet, 
z. B. von der Einschwärzung des Bösen in die Welt durch 
böse Dämonen, von der Vertilgung einer sündigen Mensch- 
heit durch die Sinfluth, von der Rettung eines Samens der- 
selben durch einen zweiten Adam u. s. w. Alles das aber 
findet sich vor in den Glaubens-Sachen der Parsen, und zwar 
in solcher Gestalt, dass sich keineswegs eine Entlehnung aus 
dem Israelitischen Glauben annehmen lässt, eher umgekehrt, 
weil die Parsische Gestalt weit mehr inneren Zusammenhang 
in sich selbst als die biblische hat, und auch den Natur-Ereig- 
nissen weit besser entspricht. Denn das ist es, was wir hier 
zeigen wollen, dass auch die derartigen Sagen lediglich auf 
gewisse alljährlich wiederkehrende Zustände der Natur, als 
regelmässige Manifestationen von Göttermächten, sich grün- 
den, und gewissen damit zusammenhängenden Festen und 

11* 



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164 II- Ueber die Entstehung und Weit^büdung der Mythen. 

Cultus-Gebräudien zur Auslegung dienen, ganz wie die übri- 
^gen Mythen. 

In sechs Fristen hat dem Parsen- Glauben sufolge der 
Onuuzd durch sein Schöpfungs-Wort die Welt geschaffen. 
Aber diese sechs Fristen vertheilen sich auf den Jahresumlauf 
so dasB die Weltsehöpfung gerade in dem Zeitraum eines 
Jahies zu Stande kcnnmt. Und diese Fristen geben die sechs 
grossen Jahresfeste d^ Parsen, dieGahanbars, deren jedes 
fünf Tage dauerte. Das erste Fest feierte die Schöpfung de« 
Himmels^ das zweite die der Gewässer, das dritte die 
der Erde, das vierte galt den Bäumen und Gewächsen, 
die beiden lezten den Menschen und d«i Thieren**^). 
Die Genien der Monate, in welche die Feste fielen, entspre- 
chen den genannten Schöpfungen, nämlich l.Ardibehescht, 
der Amschaspand des reinen himmlischen Feuers, 
2. Taschter, der Geber des Wa s s e r s , 3. Schahriver, 
Amschaspand der unterirdischen Metalle {nXovT(ov), 

4. Mithra, der Mittler beider Welten, der also die erstor- 
bene Schöpfung wieder belebt und bekleidet mit Gewächsen, 

5. der Dai, der Monat »des Schöpfers«, enthält die Schöpf- 
ung der Thiere, endlich 6. der Sapandomad, d^ Am- 
schaspand der unterwürfigen Erde, die des Menschen. Dass 
nim ein Mythus, der so mit dem Cultus verwachsen ist, weder 
von draussen entlehnt noch erst später erfunden sein kann, 
versteht sich von selbst. Noch dazu entsprechen diese Feiern 
auch in den Gebräuchen den bei anderen Völkern gefeierten 
Jahresfesten. Bei den Aegyptem z. B. hatte man fünf heilige 
Schalttage, welche dort vom Hera^es (Toth) dem Jahre beigefügt 
waren, und an einem jeden dieser Tage war ein bedeutender 
Gott von der Bhea (Nutpe) geboren worden, welchem demnach 
dieser Tag heilig sein musste, nämlich am ersten der Osiris, der 



116) Spiegels Avesta II. p. 4 und p. C. Note 2. Vullers Frag, 
aber die Rel. Zoroait. p. 23 f. p. 47 f. 



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A. Von dem Unpnmg der Mythen. 1 65 

sogleich bei seiner Gebiurt mit lauter Stimme sich als den Herren 
der Welt ankündigte^ am zweiten der Arueris oder der alte 
Boras, am dritten (der ein Busstag war) der Typhon, der zur 
Unzeit seiner Mutter aus der Seite hervorbrach, am vierten die 
Isis ganz im Feuchten, am fünften die Nephtys, welche den 
Typhon heurathete**'^). Bei den Persem wurden ausser den 
genannten Jahresperioden noch fünf, den Gahanbars entspre- 
chende, Schlusstage zum Dank für die Erschaffung aller Dinge 
gefeiert '**) . Auch die Griechen begiengen unter verschiedenen 
Namen und in verschiedener Weise in den verschiedenen 
Staaten mehrere solche Jahresfeste, welche besonders die 
Eigenthümlichkeit hatten, dass man, wie in der goldenen 
Zeit, eine allgemeine Gastbewirthung Fremder und Einhei- 
mischer und eine zeitweilige Freigebung der Sclaven übte, 
einer Sitte, worin die Parsischen Gahanbars mit den Kqovioig 
sowohl als auch mit den Satumaüen zusammen stimmen. Alle 
solche Jahresfeste nämlich waren erstlich Reinigungsfeste für 
das ganze Volk und sogar auch für die von Dämonen befleck- 
ten Elemente, und sodann Versohnungsfeste, indem nach 
Beseitigung des Sündenschmuzes die goldene Zeit wiederge- 
kehrt schien, wo alle Menschen Brüder waren und selbst auch 
mit den Göttern in vertrautem Verhältniss lebten. Darum 
bestanden diese Feiern immer aus zwei Theilen, einer Trauer- 
Ceremonie welche dem Vergangenen mit seinen Sünden ge- 
hörte, und einer Freuden -Feier, mit welcher man in die neue 
Zeit hineingieng. Wo man nur drei Jahreszeiten unterschied, 
da wird man auch nur drei solche Feste gefeiert haben, wie 
z. B. bei den Juden das Passah, das Pfingstfest oder das Fest 
der Wochen und das Lauber -Hütten -Fest gewesen sind^ 
denen immer eine fünftägige Sühne vorhergieng. So 
feierten die Lakedämomer ihre Hyakinthien imd ihre Kameien 



lI7)Plut. Isid. c. 12. 

118) Buncker II, 377 ftlt. Aa«g. 



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166 ^I- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

gleich Pfingst- und Lauberhüttenfesten : und bei den Athe- 
nern sind besonders die Buss- und Reinigungsfeste der 
Anthesterien und der Thargelien von grosser Bedeutung 
gewesen. 

15. Die Sagen von der 8inflath bei den Parsen and 
den Assyriern. 

Sowohl der Dämon des Winters als auch der Dämon der 
Alles verbrennenden Sonnengluthen verunreinigten die Erde 
samt den Sünden der Menschen. Darum bedurfte sie einer 
Abwaschung durch Regengüsse und Ueberschwemmungsflu- 
then. Dieser Glaube hat den Sagen vom Paradies und von der 
Sinfluth ihre Entstehung gegeben, die sich zwar überall vor- 
finden, aber ihre vollständigste Ausbildung in dem Zweistrom- 
lande Mesopotamien erhalten haben mögen. Wir betrachten 
zuerst die Persische Sage, nach dem Vendidad in Spiegels 
Avesta I. p. 69 ff., die sich unmittelbar an die Schöpfungs- 
Geschichte anschliesst und in allen ihren Momenten so imzer- 
trümmert und so deutlich ist, dass man zu ihrer Erklärung 
keiner Beziehung stammverwandter Sagen bedarf, vielmehr sie 
selbst diesen zur Enträthselung dient. 

Yima (Dshem oder Dshemshid beiFirdusi),, dererste 
Mensch dem Ormuzd die Offenbarung gegeben hat und der 
Träger des Gesezes, hat zuerst die Welt bevölkert, und unter 
seiner Herrschaft war kein Winter, kein Tod 
u. s. w. Er führte goldene Siegeswaffen, und herrschte erst 
über dreihundert Länder voll Vieh, Menschen, Hunden, Vö- 
geln und Feuerstätten, dann sind allmählich neunhundert 
daraus geworden, und die Erde wurde zu enge fiir die Bevöl- 
kerung. Da gieng Yima wieder gen Mittag der Sonne (und 
dem Siz der guten Götter) entgegen, und spaltete die Erde 
mit einer goldenen Lanze, und machte sie aus einander gehen 
durch sein Gebet, dass sie um drei Drittheile grösser wurde. 



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A . Von dem Urapnug der Mythen. 167 

Nun hatte Ormuzd in den Ized (Göttern) ein Volk, und ihm 
gegenüber Yima in den Menschen im Paradiese [Airyana- 
vaefa) ebenfalls sein Volk. Aber nun verdarb Ahriman diese 
Welt, indem er den Winter, die Wasserfluthen, die 
Schlange u. s. w. hineinbrachte. Darum be&hl Ormuzd 
dem Yima, einen Garten zu machen von der Länge einer Reit- 
bahn in's Gevierte, und dorthin zu bringen den Samen alles 
Viehes, der Menschen, Hunde, Vögel und der rothbrennenden 
Feuer. Die Milchkühe, die Fische in ihren Wasserbehältern, 
die Vögel, alles soll in besonderen viereckigen Bäumen unter- 
gebracht werden, und sollen daher Stockwerke, Säulen, Höfe, 
Verschlage eingerichtet werden, dass der Samen alles Leben- 
digen, auch aller Gewächse und Speisen, der besten und 
wohlduftendsten, erhalten werde. Dort ist nun aber- 
mals kein Zank, kein Verdruss, kein Betrug, kein Mangel, 
kein Unmaass, keine Krankheit u. s. w. Oben an dem Garten 
sind neun Brücken, in der Mitte sechs, unten drei: an der 
obersten wohnen 1000 Menschen, an der mittleren 600, an der 
untersten 300. Herum geht ein Umkreis mit einem Thor und 
einem Fenster. Diesen Umkreis schafft Yima auf den Bath 
des Ormuzd mit seiner goldenen Lanze und dadurch dass er 
auf die Erde tritt mit den Fersen und sie mit den Händen 
schlägt, ganz so wie Menschen wenn sie die Erde aus einander 
treiben wollen. Innerhalb leuchten die Gestirne, Sonne und 
Mond, und das Jahr ist wie ^in Tag (ohne Nacht). Alle 
40 Jahre wird von einem Menschenpaare ein anderes Men- 
schenpaar geboren, eben so geht es auch bei den Thieren. 
Das Leben ist paradiesisch. 

So wie dieser Glaube, und zwar aus den nämlichen Grrün- 
den wie die Schöpfungs-Sage, nicht aus dem biblischen ent- 
lehnt sein kann, so weist auch der Yima auf einen ganz 
anderen Ursprung zurück. Dieser Yima ist nämlich dieselbe 
Person mit dem Indischen Yama, welcher in den Vedas als 
König der Todten (Wodan) eine besondere Welt bewohnt. 



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168 H- Ueber die Entstehung und Weiterbildumg der Mythen. 

wo er die Unsterblicbeii um sieh venammelt. Diese Welt ist 
keineswegs eine Welt des Schreckens, sondern die Räume sind 
histToU, CS herrscht dort Friäilichkeit Freude Lust und £nt- 
zikken — also wie unter Kronos und wie beim Wuotan in Wal- 
halla*^*). In Iran also ist aus diesem König der Seligen der 
Beherrscher eines doppelten Paradieses geworden, eines m^ 
sjHrünglicben und eines nacb der Verunreinigung durch Ab- 
sonderung wieder hergestellten, so dass der Yima Adam und 
Noah in ^iner Person ist. Die Verwandlung des (Wartens in 
eine Ardie mag wohl zuerst in der Babylonischen Tradition 
stattgefunden haben, imd sie war eine nothwendige Folge der 
eingemischten Sinfluth. Diese Sinfluth nun, welche mitsamm^ 
dem Drachen oder der Schlange (in Gestalt einer Schlange ist 
nämlich der Ahriman in die Schöpfung des OrmtEzd eingebro- 
chen und hat sie verunreinigt und verdorben mit Hilfe der 
von ihm selbst geschaffenen Machte) auch bei den Griechen 
wiederkehrt, wird überall als eine Abwaschung der Erde nach 
deren BefledLung durch den (von Ahriman geschaffenen) 
Winter, für eine Reinigung und Entstindigung angesehen. Man 
würde darum sehr irren, wenn man in dieser allgemein verbrei- 
teten Sage eine Erinnerung an geschehene Erdrevolutionen, 
an das Zurücktreten des Meeres von Ländern welche es früher 
bedeckt hatte, oder an Veberfluthungen firüher bebauter Länder 
u. s. w. sehen wollte. Denn abgerechnet, dass dergleichen 
Evolutionen nicht von Menschen erlebt worden sind, pflegen 
auch keine einmaligen historischen Ereignisse, und wenn sie 
noch so erschütternd waren, den Stoff zu Mythen herzugeben, 
sondern nur die regelmässig wiederkehrenden, dei^leichen 
auch die überschwemmenden Gewässer im Lenze sind. Darum 
ist es audi umsonst, die Anfimge irgend einer Volkes- oder 
Landesgeschidite oder die Ansiedelung eines Stammes an der- 
artige Sagen anzuknüpfen, so wie man überhaupt hinter den 



119) Spiegels Avetta I. p. 7. 



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A. Von dem Unpnmg der Mythen. 169 

Mythen eben so wenig Geschichte als irgend eine andere Wis- 
senschaft zu suchen hat. 

Wo nun grosse Ströme im Lenze mit verheerenden Ueber- 
schwemmungen «aftreten, wie in Mesopotamien, da musste 
die Sage Ton der Sinfluth eine grössere Bedeutung gewinnen. 
Dort sind die Fisch-Götter und die Vögel-Götter 
zu Hause: jene wohnen in der Ueberschwemmung, diese 
machen ihr ein Ende. Und nach der dortigen Sage ist der 
Assyrische Adam-Prometheus selbst ein Fisch-Grott, Oannes 
^Anu), gewesen, der die Menschen aus dem thierischen Zu- 
stande herausriss, Wissenschaft imd Künste lehrte. Nach ihm 
kommen noch sechs solche Fisch-Menschen (deren jeder eines 
der heiUgen Bücher den Babykmiem brachte) , und der lezte 
von ihnen heisst Xisuthros, unter welchem die Sinfluth sich 
ereignet ^'®) . Dieser baut auf Befehl des Kronos (Bei), wie 
Berocos erzält, ein Schiff ganz wie Noah, in welches er such 
den Samen von allen Pflanzen und Geschöpfen bringt. Aus^ 
gesandte Vögel beaeugen ihm, dass die Fluth vorüber sei: das 
Schiff landet an einem Berg in Armenien: die Ausgestiegenen 
errichten einen Altar und opfern; hernach wird dieser Noah 
zu den Göttern entrückt. Bei dem Taubenweibe Semiramis 
aber, welches als Kind von Tauben ernährt wird und als Taube 
aus ihrem Palaste fortfliegt bei ihrem Tode, kommt der Oannes 
abermals zum Vorsdiein als dessen Gatte, Namens 
Onnes ^^') . In der Semirami« selbet endlieh, der Tochter der 
Fisch -Göttin Derketo, erscheinen beide Eigenschaften, die 
des Fisches und des Vogels, geeinigt, und der Syrischen 
Göttin zu HeHopolis warrai die einen so gut wie die anderen 
heilig. 



120) Buncker, Oesch. des Alt. I. p. 113. 

121) 8. Duncker, Gesch. des Alt. I. p. 267. n. 



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170 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

10. Die Hellenischen 8agen von Mensehensolidpfang and 
Sändenfall. 

Zu Kolonos bei Athen wurde neben dem iTtTtoxijg Ho- 
aeidcjv auch 6 nvqq>6qoq d-Bog TtTCcv IlQOfirjd'evg verehrt, wie 
Sophokles Oed. C. 56 bezeugt, und sein Scholiast theilt dar- 
über folgendes Zeugniss des Apollodoros mit: »der Prome- 
theus wird mit der Athena zugleich in der Akademie verehrt, 
gleichwie auch der Hephästos, und es ist dort ein altes Stand- 
bild von ihm und ein Altar in dem vi^evog der Göttin. Man 
zeigt auch ein altes Grundgestell am Eingang worauf das Bild 
des Prometheus und des Hephästos ist : der Prometheus {wie 
auch Lysimachos sagt) ist zuerst abgebildet, alter und mit 
einem Stab in der Hand, der Hephästos neu und nachherig, 
und ihr gemeinsamer Altar ist auf dem Grundgestell ebenüedls 
ausgeprägt«. Dazu muss man das Zeugniss des Pausanias 
I, 30, 2 fügen : »In der Akademie ist ein Altar des Prometheus, 
und beginnt von ihm aus der,Wettlauf mit brennenden Fackeln 
nach der Stadt zu. Es kommt darauf an, seine Fackel unter 
dem Laufen brennend zu erhalten : denn verlöscht sie, so hat 
der erste keinen Anspruch mehr auf den Sieg, eben so der 
zweite und der dritte nicht, wenn ihnen die Fackel verloschen 
ist. Es ist dort auch ein Altar der Musen und des Hermes 
und innerhalb einer der Athena«. Es ist merkwürdig, dass 
man ausser Athen sonst nirgends eine Spur göttlicher Ver- 
ehrung des Prometheus findet, man müsste denn etwa den 
Lehm bei Panope oder das zweifelhafte Denkmal bei Argos***) 
dafür gelten lassen. Auffällig ist es auch, dass bei Athen 
selbst ursprünglich nur 6in Bild und 6in Altar gestanden 
hat; und dieses Bild mit dem Stab in der Hand und sonst 
keinem Abzeichen kann schwerlich den Prometheus bedeutet 
haben. Man könnte also daraus die Yermuthung ziehen, dass 



122) Paus. X, 44. II, 19. z. E. 



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A. Von dem Unprung der Mythen. 171 

der Prometheus erst später von den Athenern beigefugt wor- 
den sei, gleichsam als eine Verdoppelung des Hephästos, um 
den durch Hesiod berühmt gewordenen Titanen bei sich zu 
haben^ der auch in der Entbindung des Zeus von der Athene 
dem Hephästos substituirt worden ist *^') , und sogar auch^ wie 
der Hephästos^ von der Hera geboren werden musste*^*). 
Trosdem braucht man die Vereinigung der beiden Götter 
nicht für eine blosse Erfindung der Attiker zu halten, denn 
sie ruht auf einem guten Grunde. Sie gehören nämlich von 
Haus aus beide zu den Riesen und Urmenschen welche unter 
Kronos die Welt besessen haben, obwohl der koboldartige 
Hephästos, der sich zu dem Titanen verhält so wie ein Schwarz- 
Elfe zu einem Licht-Elfen, erst von der Hera abstammen soll 
gleich dem Typhaon , wobei die Hera als Erdengöttin gefEtsst 
ist. Darum ist diese Gemeinschaft auch in den Dichter-Mähr- 
chen noch nicht verwischt : denn auf Lemnos, wo Hephästos 
eine Werkstätte hat in dem dortigen Vulkane, hat Prometheus 
auch seinen Feuer-Diebstahl vollbracht***), und vielleicht ist 
ihm der Hephästos sogar dazu behilflich gewesen ***i, indem er 
bei Aeschylus von seinem vieljährigen Umgang mit dem Prome- 
theus spricht und so viel Mitgefühl mit dem Gestraften äussert. 
Diese Entwendimg war indess ursprünglich kein Verbrechen, 
und ist erst von den Dichtem dazu gemacht worden. Es han- 
delte sich nämlich um nichts Anderes, als um die Anzündung 
eines reinen Feuers, welches aus dem Himmels- und Ste^men- 
Feuer genommen werden musste, gleichwie dies Zoroaster und 
Perseus bei den Persem, und noch manche andere anderwärts, 
gethan haben, und dieses Feuers bedurfte man zu dem ewigen 
Herd-Feuer in den Prjrtaneen, an welchem auch der Hephär- 
stos mit der Hestia (\''esta) Antheil hatte, so dass also dessen 



123) ApoUod. I, 3, 6. Schol. ApoUon. II, 1249. 

124) Schol. IL J, 295. 

125) S. Cic. Tusc. II, 10, 23 Prometheißtrhtm Lemnium. 

126) Vgl. Aesch. Prom. 14 und 39. 



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tT2 n. lieber die Entstekimg und Weiterbildung der Mythen. 

Entwendung, wenn es eine Entwendung war, audi im Inter- 
Mse des Hephästoe gelegen haben mu98. Mit dem gewönne- 
nen Feuer nun soll der Prometheus auch alles dasjenige 
gemacht haben, was sonst den unterirdischen Schmieden 
(Hephästos, Wieland u. s. w.) beigelegt winl, was ihm weniger 
ziemt als die Erfindung aller Künste, durch welche das ge- 
sellige Leben der Menschen besteht, weil derartige Erfindung 
gen zu den Verdiensten aller Stammväter von Yölkerstämmen 
und bürgerlichen Gemeinden gerechnet werden. Man muss 
nämlich femer wissen, dass Menschen -Schöpfung Staaten- 
Grründung und Anzündimg des Heerdfeuers in ^iner Person 
▼ereinigt zu sein pflegen, und dass auch in diesen Verdiensten 
der Prometheus weder als der erste noch als der einzige in der 
Mythologie dasteht. Menschen- Schöpfungen z. B. gibt es in 
den Griechischen Sagen wohl ein halbes Duzend, wir nennen 
bloss die Stein-Menschen Deukalions, die Ameisen-Menschen 
des Aeakos und Peleus, die anaq^ol des lason-Radmos. Beim 
Prometheus nun wird diese Schöpfung auf zweierlei Art ange- 
geben: Aeschylus lässt ihn Thier- Menschen in Menschen 
yerwandeln mittelst der eingeführten Cultur- Mittel, andere 
lassen ihn Menschen aus Lehm formen, was yielleicht auch 
der Lehm-Mensch ürjXsvg einmal gethan hat. Als Titane hat 
Prometheus nothwendig auch in den Tartaros hinabgestürzt 
werden müssen (ist doch auch sein Freund Hephästos ein paar 
Male aus dem Himmel hinabgeworfen worden, trozdem dass 
er eigentlich schon den unteren Regionen angehörte) , und zu 
solcher Bestrafung musste ein Grund vorhanden sein : darum 
hat seine Feuer -Entwendung, seine Begünstigung der Men- 
schen und fast alles was er gethan hat, den Ghnind dazu her- 
geben müssen. Indessen ist er nicht im Tartaros geblieben, 
so wenig als Kronos und die anderen Titanen. Aber seine 
Erlösimg ist abermals von Dichtem ausgeschmückt worden, so 
dass das Ursprüngliche von den Zuthaten schwer zu scheiden 
ist. Dass für ihn der kranke Chiron sich dem Tode hingibt^ 



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A. Von dem Ursprung der Mjrtheii. t73 

weil nur um diesen Preis der Ueberwind^ der Hölle Herttkles 
ihn erlösen kann, ist sicherlich em alter Zug der Sage: denn 
der Halbmensch öluron reiht sich ebenfalls an die Klasse jener 
missgestalt^Q Wesen zu denen der Hephästos gehört und 
kiHinte mit dem Menschen -Schöpfer Prometheus so eng ver- 
bimden sein wie er mit dem anderen Menschen -Schöpfer 
Peleus verbunden ist: und er gehört, wie Hephästos, den 
unteren Räumen ursprünglich an : warum hätte er also nicht 
gerne fär einen anderen, d^ ids Titane dem Reich des lichtes 
angehört, hinabgehen sollen? Und wie sehr der Prometheus 
den derartigen Wesen befreundet ist, geht auch daraus hervor, 
dass er zu den Kabtren gerechnet wird**^) und dem Schol. 
Hes. I(py. 48 zufolge von der Nymphe Asopis geboren war. 

Also sehen wir dass auch bei dem Prometheus, diesem 
Steckenpferde der allegorisijenden und philoßophirenden My- 
thendeuter, Alles auf die nämlichen volksthümlichen Begriffs, 
wie bei anderen Mythen und mythologischen Personen, zu- 
rückgeht. Und doch sind diese Mjthen duxdi hineingelegte 
fremdartige Ideen von den ältesten Zeiten her entstellt und 
verdreht worden. 

17. Der Prometheos bei Hesiod. 

Denn bereits bei Hesiod repräsentirt der nfOfdrjd'etlg oder 
Vorbedacht mit seinem Bruder ^ETti^tjd^ oder Naehbe- 
dacht den Sieg des menschlidien Verstandes über die Natur- 
kräfte und die Götter, und wiederum auch seine Bethörung 
und sein Unterliegen. Und zwei Dinge besonders sind es, in 
denen Prometheus den Zeus üb^listet, erstlidi die Verthei- 
lung des Opferfleisches und zweitens die Entwendung des 
Feueis. Die erstere haben wir noch zu erzälen. Als einst in 
Mekone (Sikyon) die Grötter und die Mensdien ihre gegen- 
seitigen Rechte bestimmen wollten (so erzält Hesiod 'd'eoy. 535), 



127) Paus. IX, 25, 6. 



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174 n. üeber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

8o schlachtete Prometheus einen grossen Stier, und machte zwei 
Portionen : auf die eine Seite legte er das Fleisch und die Ein- 
geweide mit dem Fett in die Haut eingewickelt, und oben dar- 
auf den Magen, der nichts werth ist: auf die andere Seite legte 
er die Knochen bedeckt mit dem weissen Fett. Nun sagt zwar 
Hesiod, Zeus habe den Betrug gemerkt : da er aber trozdem 
das schlechtere Theil erwählte, und dadurch nicht bloss für 
jenes Mal sondern für immer den Kürzeren zog (denn die 
Folge war, dass die Menschen von nun an stets nur die Kno- 
chen mit Fett bedeckt zu verbrennen brauchten) , so muss man 
annehmen, dass der Dichter eine irgendwoher überkommene 
Sage aus Bespect vor dem Zeus verändert habe. Sehr passend 
erinnert Göttling hier an den Handel welchen der Numa mit 
dem Zeus gemacht hat, als er von ihm wissen wollte, wie vom 
Bliz getroffene Orte zu entsühnen wären**®). Er citirte ihn 
erstlich auf dem Berg Aventin so wie man auch bei uns Geister 
citirt, und zwang ihn, Rede zu stehen. Nach langem Zögern 
sagte Jupiter endUch : Mit Köpfen ! »Von Zwiebeln a, schob 
ihm Numa rasch imter. Von Menschen! sagte Jupiter wie- 
derum. »Die Haare«, fiel Numa wieder ein. Die Seele! cor- 
rigirte der Gott. Allein Numa, eben so gewandt, fügte schnell 
hinzu : »Von Fischen «. Da sagte der Gott zum Schluss : » Du 
hast mich betrogen: denn ich habe Menschenköpfe gewollt: 
doch'^veil es nun einmal ausgesprochen ist, so muss es dabei 
sein Bewenden haben«. Das ist der Glaube einer rohen Zeit, 
welche in den Göttern nichts Anderes als Dämonen siht, 
die den Menschen nichts Gutes gönnen und von denen auf 
gütlichem Wege nichts zu erhalten sei, mit denen man also 
gerade so umgieng wie noch vor hundert Jahren oder vielleicht 
noch heutiges Tages unser Volk mit dem Teufel wenn es 
einen Pact mit ihm macht, wo dieser Dämon sehr oft als der 
geprellte dumme Teufel erscheint. Und aus so einer Zeit 



128) Arnob. V, I. 



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A. Von dem Ursprung der Mythen. 175 

stammt ohne Zweifel auch die Sage^ welche die Götter in 
Mekone sizen und mit den Menschen um ihre Abgaben einen 
Pact machen läset. Verdreht aber ist diese Sage auch be- 
reits in dieser rohen Gestalt, die selbst dem Hesiod zu crass 
gewesen ist , so dass er sie nicht recht verstehen konnte und 
aus Missverständniss abgeändert hat. Denn im Gegentheil, 
anstatt die Götter zu prellen, hätte Prometheus, als Religions- 
Grründer (denn das pflegen die Dämonen und Heroen seiner 
Art und Gattung alle zu sein} einen ehrlichen Handel mit 
ihnen eingehen sollen, wie es andere gethan haben, z. B. der 
Phoroneus, welcher fast in allen Stücken dem Prometheus 
gleicht, und den wir jezt betrachten wollen, um den allegori- 
sirenden Mythendeutem , wenn wir ihnen etwa die Lust an 
diesen ihrem Lieblingsthema verdorben haben soften, einige 
Seitenstücke darzubieten, an denen sie ihre Kunst von Neuem 
versuchen können. 

18. Phoroneus. 

OoQtovevgy Sohn des Flusses Inachos und der Okeans- 
tochter Melia, war König von Argos und beherrschte auch 
den ganzen Peloponnes: seine Söhne waren Apis (von dem 
linla benannt ist), «Argos, Kar (von dem die Burg zu 
Megara Kaqia den Namen hat;, Pelasgos, lasos, Agenor 
u. s. w. *^*'). Dieser Phoroneus hat das Feuer erfunden 
und die Götterdienste gestiftet**®). Er hat auch im 
Streit zwischen der Hera und dem Poseidon entschieden zu- 
gleich mit dem Kephisos und dem Asterion, als jene beide 
Anspruch auf den Besiz des Landes Argos machten. Sodann 
hat er die zerstreute Bevölkerung in eine Stadt 
vereinigt, die er 0oq(avi%6v nannte. Sein Grab zeigte man 
bei Argos neben dem Tempel des Nemeischen Zeus, und man 

129) Apollod. II, 1, 1. Hygin f. 143. Paus. I, 39, 4. Eustath. 
p. 385, 38. 

130) Paus. II, 19, 5. Clemens AI. protr. p. 13, 11. 



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176 II- Ueber die Entitehung und WeiWrbildang der Mythen. 

brachte ihm Todtenopfer noch zur Zeit des Pausanias. Auch 
wurde ihm ein ewiges Feuer unterhalten nahe beim 
Throne des Danaos*'*). Sein Weib KBqdiä lag am Markte bei 
Argos begraben ^'^) . Der Dichter Hellanikos hatte eine (Do^oh 
vlg geschrieben. 

Hygin nennt diesen Phoroneus den ältesten König 
in der Welt und sagt, er habe, als die fttenschen nach 
der Entstehung verschiedener Sprachen getrennt und ver- 
uneinigt waren, dieselben wiederum vereinigt, auch 
zuerst die Verehrung der Hera eingeföhrt, imd darum habe 
ihm Zeus das Regiment über die Menschen gegeben. 
Clemens femer stellt diesen Phoroneus mit dem Migotp zu- 
sammen als ersten Religionsstifter*^*). Das wird der- 
jenige Merops sein welcher , in einen Adler verwandelt, zum 
Zeus in den Himmel aufgenomjnen worden ist, imd nach 
welchem die Menschen fieQOivegy d, h. Sterbliche 
benannt worden sind***). 

In dem Abschnitt welcher die Zwillinge übersclirieben 
ist werden imsere Leser noch mehreren derartigen Heroen 
begegnen, die sich in ähnlicher Weise, wie der Phoroneus, 
um die ganze Menschheit oder nur um bestimmte Völker ver- 
dient gemacht haben, und aus der Betrachtung sdicher Heroen 
oder Dämonen lässt sich leicht erkennen, was für Bestand- 
theile der philosophirende Dichter zur Gestaltung seines Pro- 
metheus aus dem gänge xmd gebe seienden aufnehmen konnte 
und was er dazu gethan habe. Zuthat ist alles was wie Alle- 
gorie aussiht, namentlich Alles was diesen Heros theils mit 
dem Epimetheus und theils mit der Pandora in Verbindung 
sezt. Die leztere bleibt uns jezt noch zu betrachten übrig. 



131) Paus. II, 15, 5. 19, 5. 20, 3. 132) Das. II, 21, 1. 

133) etT€ 4»oQiov€vt ixtivog ^y Bttt MiQoxlß «f« aklog m oiv€<»g xal 

134) Schol. 11. Ol, 293. Hygini astron. II, IS. 



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A. Von dem Unprung der Mythen. 177 

19. Paadora. 

Die Dichtung von der üavdwQa also, besonders wie sie 
in den Tagen und Werken enthalten ist, ist in der That eine 
Satire auf die Weiber und ein Musterstück zu 
des Simonides Schmähgedicht über die Weiber, 
mit dem der sogenannte Hesiod (ich sage der sogenannte, 
denn in dem 29. Fragment findet sich eine ganz andere An- 
sicht von der Pandora ausgesprochen, indem sie als Tochter 
Deukalions von Zeus den Graekos gebiert] in vielen Punkten 
übereinstimmt. Wichtig ist für den Mjrthologen in dieser Er- 
dichtung bloss das, dass dieses Weib vom Hephästos aus Lehm 
geknetet wird, gerade so wie anderwärts von Prometheus die 
Menschen geschaffen sein sollen, so dass wir also wiederum 
die beiden zusammen fällen, oder vielmehr den Prometheus 
später die Bolle des Hephästos occupiren, sehen. Die Pandora 
aber wird in den Tagen und Werken vollends zu einer Eva 
gemacht, welche den Menschen um das Paradies bringt^ indem 
sie den Deckel von dem Geftss abhebt, aus welchem alle ide* 
eilen Güter fortfliegen, dass bloss noch die Hoffnung zurück^ 
bleibt, und dagegen alle möglichen XJebel und Krankheiten 
einziehen. Dkse Dichtungen sind in der That recht hübsche 
Seitenstüeke zu unsres Sdiillers Gedicht »Ehret die Frauen, 
sie flechten und weben Imnmlische Rosen in's irdische Leben«, 
und ein t^rauriger Beweis von der Stellung welche das Weib 
leider auch unter den Griechen (denn von den Asiaten wollen 
wir gar nicht reden) eingenommen hat. 

Es ist übrigens in diese Fabel [denn ein Mythus ist es / 
nidät) eine zweite, nämlich die von den zwei Fässern, des 
Guten und des Bösen, hinein verwoben, welche aus Homer 
n. Cef, 527 ff. entlehnt ist Aber die Erzälung ist fragmenta* 
risch und corrupt, so dass man nicht einsiht, wo das Fass 
plözlich herkommt, und ob das Gute oder das Itöse heraus- 
fliegt, und von einem zweiten Fass ist gar keine Rede. Wir 

Haltung« Bei. n. Mythol. d. Qr. I. 12 



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178 n. Ueber die Eatstehung und Weiterbildung der Mythen. 

sind in der Deutung den Alten, z. B. dem Babrios f. 58, ge- 
folgt, welches uns immer das Sicherste scheint wo inmier so 
eine Deutung vorhanden ist. Neuere haben anders gedeutet, 
z. B. Schömann in seinem Progr. von der Pandora, Greifsw. 1853. 



B. Von der Weiterbildung der Mjrthen. 

1. Legenden und Diehter-Erzttlungen. 

Nachdem wir gesehen haben, wie die volksthümlichen 
und wie die philosophischen Mythen aussehen, geziemt es sich 
nun femer zu betrachten, wie die Mythen unter den Händen 
der Dichter sich gestalten, oder wie die poetischen Mythen 
sich ausnehmen. Die Dichter verfediren mit den überkomme- 
nen Legenden in ähnlicher Weise wie die Künstler mit den 
alten Tempelbildem, nur noch viel freier. So wie jene nur 
schöne ideale Menschengestalten herzustellen bestrebt sind, 
unbekümmert um die Bedeutung der symbolischen Anhängsel, 
welche die Schönheit beeinträchtigen, also pflegt den Dich- 
tem, wenn sie einen religiösen Mythus in die Hand nehmen, 
sehr wenig daran gelegen zu sein, in welchem Zusammenhang 
dieser oder jener Punkt der Sage mit dem Cultus und der 
symbolischen oder religiösen Bedeutung stehe, indem sie ein- 
zig nur darauf bedacht sind, eine wahrscheinliche Geschichte 
mit menschlichen Motiven und völlig nothwendigem Verlaufe 
herzustellen und zugleich eine die da fesseln rühren und be- 
lehren könne. Durch dieses Verfahren werden gerade dieje- 
nigen Züge der Sage, welche dem mythologischen Forscher die 
interessantesten sein müssten, verwischt, und andere hinein- 
gezeichnet welche unkenntlich machen. Wie sehr dadurch 
die Sagen verändert und ihrer ursprünglichen Qestalt entfrem- 
det werden, wollen wir jezt an einigen Beispielen zeigen. 

In Phrygien verehrte man eine Göttinn uid((aa%aiay in wel- 
cher die Hellenen ihre Helene, die Schwester der Dioskuren, 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. i 79 

wiederzuerkennen glaubten. Diese Ädrasteia war aber Eins mit 
der Phoenizischen Astarie, audi der Name Ädrasteia war aus die- 
sem Namen gemacht, und diese Astarte war von ihnen unter 
dem Namen Alkor auch nach Memphis in Aegypten in das 
dortige Quartier der Tyrier verpflanzt worden. Die Astarte 
nun ist bekannt genug, so dass es nicht nöthig sein wird, hier 
auseinanderzusezen, wie sie theils mit der Syrischen Aphro- 
dite (Urania genannt) theils mit der Moira und Nemesis ver- 
tauscht theils mit der Dioskuren- Schwester vermengt werden 
konnte. Nur so viel sei hier bemerkt, dass sie gleich den Pa- 
täken und Dioskuren auch als Beschüzerin der Schiffahrer ver- 
ehrt wurde, und dass sie in Sparta mit dem Menelaos, in Troja 
mit dem Paris, in Aegypten mit dem Seedämon Proteus ver- 
mählt war. Das ohngef ähr sind die Facta, der Thatbestand. 
Lassen wir nun die Sagen-erfindende Volks-Phantasie hinzu- 
treten, so wird sie erstlich den Aufenthalt der Göttin oder 
Heroin in vier entlegenen Ländern durch eine Irrfithrt zu ver- 
mitteln wissen. Zweitens wird die Hingebung der Heroin an 
drei Männer nothwendig in eine oder zwei Entfiihmngen sich 
umwandeln müssen. Und endlich, wenn die sämmtlichen 
Abenteuer und Schicksale sich nicht chronologisch hinter 
einander anreihen lassen, sondern hartnäckig neben einander 
bestehen wollen, so wird nichts übrig bleiben als eine Doppel- 
gängerin zu erfinden, welche zu gleicher Zeit als Luftgebilde 
in Aegypten beim König Proteus verweile, dorthin auf wun- 
derbare Weise (so wie die Iphigenia nach Tauris; entrückt, 
und zu gleicher Zeit als wirkliche Helena in Troja zu sehen 
sei, diMiMn durch den Seefahrer und Asiatischen Weibmann 
Paris entfährt, woselbst sie ein grosses Männer -Morden und 
endlich ein grosses Verbrennungs- Opfer veranlasst, ganz dem 
Charakter jener Asiatischen Göttin gemäss: und das Alles 
wird sie so lange thun, bis sie von ihrem Griechischen Gatten 
den Entführern wieder abgenommen, also zum zweiten oder 
dritten Male entfährt wird, um mit ihm noch einmal in allen 

12 • 



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180 II. lieber die Etttotehung mul Weitorbildung der Mythen. 

den Gegenden hemm zu irren, in denen ihr Culius bestand. 
Wäre den Hellenen zu Homers Zeit bereits die Babylonische 
Semiramis bekannt gewesen sammt ihren Buhlen, den Weib- 
lingen Ninus Ninias und Sardanapal^ so konnte die Lrrfüirt 
des Menelaos und seine Abenteuer noch weiter auch in jene 
Gegend fortgesezt werden : endlich konnte auch die Lydische 
Omphale mit dem dortigen Weibling Sandon, der sich später 
in einen verweiblichten Herakles verwandelte, hindngemischt 
werden. 

Was nun die Erzalungen der Dichter von Homer an bis 
herab auf unseren Ghiethe aus diesen Sagen gemacht haben, 
ist zu bekannt, als dass es einer Hinweisung darauf oder gar 
einer Wiederholung bedürfte : und wer eine geordnete Zusam- 
menstellung aller dieser Dichter -Erzalungen begehrt, den 
verweisen wir auf Lehrs, Populäre Au&äse p. 4 ff. 

Vergleicht man femer dasjenige, was die Iphigenia in 
dem Grottesdienste war, mit demjenigen was aus ihr die Dich- 
ter gemacht haben, so ist jenes in diesem fast gar nicht mehr 
zu erkennen. Da sind zwar die vier Cultiis- Stätten, Sparta 
Artemision Brauron und Tauiien, sinnig mit einander in Ver- 
bindung gesezt, femer ist das, was man von der Iphigenia 
glaubte und wusste, nicht allein mit dem, was von Agamem- 
non erzält wurde, sondern auch mit dem Wahnsinn und dem 
Herumirren des Orestes so innig zu einer zusammenhängen- 
den Geschichte verwebt, als wenn das von jeher so gewes^i 
wäre: und in diesen Geschichten wirken so bedeutende Mo- 
tive, prägen sich so interessante Charaktere aus, gestalten sidi 
so spannende Verwickelungen imd so überraschende Lösun- 
gen, wie es gar nicht anders sein kann, wenn ein Jahrhundert 
lang die begabtesten dichterischen GMster, ohne die ursprung- 
liche Bedeutung der Mythen zu ahnen, auch ohne sich um die 
noch bestehenden Legenden und Cultus- Gebräuche viel zu 
bekümmern, bemüht gewesen sind, immer wahrscheinlichere 
Motive, immer ergreifendere Situationen, immer erschüttem- 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 181 

dere B^iebenbrnteu, kurz immer grössere poetische Schönhei- 
ten in diese Gesdiichten hinein, zu dichten. So wird das nicht 
SiUisammengehörende verbunden, und die also entstandenen 
Geschichten greifen so hübsch in einander, dass nur das ana- 
tomische Messer des Forschers sie noch zu scheiden vermag. 
Dagegen erscheint das Ureprüngliche Symbolische und in 
religiöser Beziehung Bedeutsame, an welches die Mythen sich 
anknöpfe, dergestalt verfälscht verschoben und verändert, 
mit Zusäzen vermehrt, verdeckt und überkleidet, dann abge- 
rundet und überfimisst, dass es ein grosser Zufall ist, wenn 
hier und da noch ein unverwischter Zug oder ein durchschim- 
merndes Gepräge sich erhalten hat. Wer würde wohl in einem 
Achill noch den See- und Küsten-Dämon, in einem Melikertes 
den Melkarth, in einem uiQyog navomtjg den Moloch, in 
einem Admetos, einem Neleus, einem Laomedon den Hades, 
in einer Menalippe die Thetis, in einer Skylla die Britomartis, 
in einer Hekabe die Hekate, in einem Meleage'r und einem 
llcLQiQ Jvarta^ig den Lydischen Sandon wiedererkennen, wenn 
nicht theils die erhaltenen Nachrichten vom Cultus theils die 
Yergkichung der Symbole und der Mythen unter einander 
uns noch zu dem Ursprünglichen und Wahren zu geleiten ver- 
.möchten? Diese Verwirrung also ist grösstentheils erst von den 
Dichtem angerichtet worden, imd sie mussten, eben als Dich- 
ter, diese Geschichten-Fälschung begehen, sie mochten wollen 
oder nicht. Ob z. B. Homer, wenn er von einer Durchpeit- 
schung der Hera und von einem Schwebe -Hängen sowohl 
dieser als auch der sämmtlichen Götterschafb erzält, von der 
ursprünglichen Bedeutung dieser Sagen eine Ahnung hatte 
oder nicht, darf gar nicht erwogen werden: denn als Dichter , 
geht ihn diese Bedeutung nichts an, und wenn er keine mora- 
lischen, d. h. menschlichen, Motive hineinlegen konnte, so 
war die Sache fiir ihn so gut wie nicht vorhanden, so konnte 
er sie nicht gebrauchen und musste sie ignoriren. Wenige 
Dichter sind darauf bedacht gewesen, die historischen Ange- 



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1 82 II. üeber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

denken, d. h. die im Cultus herrschenden Gehräuche und 
Symbole, mit den poetischen Geschichten zu vermitteln, wie 
z. B. Euripides auch in der Iphigenia durch den deus ex ma- 
china die Stiftung des Dienstes zu Brauron in Attika voAer- 
sagen und begründen lässt. Allein was hilft das? Auf die 
Gestaltung seiner Dichtung übt diese Rücksichtsnahme nicht 
den mindesten Einfluss, und oft steht der Cultus mit den poe- 
tischen Erfindungen dieses Dichters selbst in geradem Wider- 
spruch, wenn z. B. im Hippolyt gesagt wird, dass die Liebe 
der Phädra zu Hippolyt ewig von den Mädchen besimgen 
werden soll, während die Phädra doch des Jünglings Unglück 
gewesen ist; oder wenn in der Medea gesagt wird, dass die 
Korinthier Opfer für den begangenen Greuelmord bringen 
müssen, welchen doch der Dichter von jenen auf die Medea 
hinübergewälzt hat. 

t. Wie mao solche Mythen xa behandeln habe. 

Der Dichter hat eben andere Interessen als der Religions- 
glaube: darum können dieselben nie zusammenhalten und 
selten sich mit einander vertragen. Was aber folgt denn dar- 
aus für den mythologischen Forscher? Dass er nicht die Sagen 
von der Argonautenfahrt, von den Sieben gegen Theben und 
ihren Nachkommen, vom Trojanischen Krieg, vom Pelopiden- 
Ilause u. 8. w., ja nicht einmal die Sagen von einem Helden 
wie Herakles, oder von einem Gotte wie Zeus, nach dem ge- 
machten historischen Zusammenhang und fast auch in chro- 
nologischer Reihenfolge wiederbringen, sondern vor allem 
scheiden muss. Er muss trennen was als zusammenhängend 
überliefert ist, und verbinden was weit aus einander gezerrt 
ist. Denn der religiöse Zusammenhang ist ein anderer als der 
poetische, und um jenen hat sich kein Mythograph imd kein 
Dichter je bekümmert, während sie diesen herzustellen und zu 
vervollkommnen um die Wette alle bemüht gewesen sind. 
Dieser leztere also muss vor allem zerstört werden. Wann wird 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 183 

man einmal aufhören^ die Geschichte eines Gottes von seiner 
Geburt an bis zu seinem Verschwinden wie die Biographie 
eines Menschen zu erzälen^ und in so eine ganz nach Plutar- 
chischer Manier entworfene Lebensbeschreibung alle aus allen 
Gegenden Griechenlands und des Auslandes zusammengetra- 
gene Geschichten aufzunehmen^ die meistens viel weniger das 
Wesen dieses Gottes, als das Wesen eines anderen Heros, 
welcher neben jenem eine Rolle spielt, und oft auch nur die 
Sitten und Bräuche der Landschaft, in welcher sie daheim 
sind, betreffen? Die Geschichte von der Geburt und ersten 
Erziehung des Zeus z. B. list sich in gutem Zusammenhange, 
ist aber aus sehr verschiedenartigen Bestandtheilen zusam- 
mengesezt, welche alle das Wesen des Zeus so gut wie gar 
nicht berühren. Denn es handelt sich da um die Wirkung der 
Asiatischen Lärm - Musik zur Verscheuchung böser Dämonen, 
um die Heiligkeit der aus Assyrien und Arabien stammenden 
ßaiTvXoij um die Kinder- Opfer im Molochs- Dienste, um die 
Natur der Nymphen u. s. w. — also um viele aus verschiede- 
nen Religionen und Weltgegenden und mancherlei Glaubens- 
ansichten zusammengebrachte Dinge, deren ein jedes von dem 
Forscher in seine Heimath zurückzuführen und unter der 
Rubrik der analogen und verwandten Dinge zu behandeln ist, 
ganz unbekümmert um den Zusammenhang in welchen die 
Dichtersage sie hier gebracht hat, wofern nicht aus diesem 
Zusammenhange selbst noch hin und wieder eine symbolische 
Bedeutung hervorleuchtet. Wenn sodann Ehestands- Scenen 
von Zeus und der Hera erzält werden, wenn z. B. Zeus bei 
Homer einmal seine Gemahlin peitscht, wenn er bei den Böo- 
tiem die Davongelaufene durch Herumführung eines anderen 
Jiebchens reizt dass sie wiederkommt, so wird auch hier wie- 
der der Forscher erkennen müssen, dass das, was sich zu einem 
moralischen Zusammenhange mit einander verbinden liesse, 
in der wahren Bedeutung aus einander liege. Denn was das 
Peitschen der Hera (Erde) zu bedeuten habe, erklärt uns 



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1 84 II- Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Homer selbst, wena erz. B. IL /?, 782 sagt: »St äfupi Tv^piiUi 
yaiay i^aooy. Die andere fihestandsscene aber will eine Er- 
kUürung geben der grossen Böotischen Yerbrennungsfeste dal- 
daXay und hat sehr wenig mit der ehelichen Eintracht ur- 
sprünglich au schaffen '*") . 



3. Uiitersclieldang von Legenden und Mythen. 

Das Resultat dieser Betrachtung ist : Man muss zwischen 
religiösen und poetischen Sagen unterscheiden, und w ir wollen 
darum die ersteren Legenden, die zweiten Mythen vorzugs- 
weise nennen. Wo es keine Dichtkunst gibt, gibt es auch 
keine Mythen, sondern bloss Legenden. Das sind die Xf^oi 
Xoyot, mit denen Griechenland von Aegypten her bereichert 
worden ist. Dem mythologischen Forscher aber kann überall 
nichts willkommener sein, als so ein Uqoq Xoyog^ und je abge- 
schmackter er erscheint, desto bedeutungsvoller wird er sein, 
gleich den rohen mit Symbolen behangenen und halb thierge- 
staltigen Götterbildern, welche dem Betrachter weit mehr von 
dem Wesen und Wirken der Götter verrathen, als die schön- 
menschlichen und aller Symbole entkleideten Gestalten aus der 
Hand eines Phidias oder Praxiteles. Und darum ist Pausanias 
die wichtigste Quelle für den Forscher , weil er mehr Legenden 
als Dichtersagen überliefert, noch dazu im Verein mit den 
Symbolen und Cultusgebräuclien , aus denen am ersten die 
Bedeutung des Gottes oder Dämons entnommen werden kann. 
Von diesen Dingen soll der Religions - und Mythen - Forscher 
keines übergehen und keine derartige üeberlieferung je unbe- 
achtet lassen. Dagegen soll er im Referiren der Dichter-Erzä- 
lungen, wenn er sie nicht ganz übergehen kann, sich kurz 
fassen, weil die Sachen oft besser in ein Lehrbuch der Aesthe- 
tik als in eine Mythologie hineinpassen. 



135) Paus. IX, 3, 2. 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 185 

4. Uatcr»chelduDg iwischeii Glauben aod Dichten, 

Die symboUsirende Mythologie nun yennengte das freie 
Schaffen der dichterischen Phantasie mit den unwillkürlichen 
Wunder -Dichtungen des Aberglaubens: sie vermochte die 
Geisterseherei eines Torquato Tasso von seinen poetischen 
Erzeugnissen, dessen Dispute mit Geistern von seinen Specu- 
lationen, Macbeths und Hamlets Geisterseherei, und selbst 
den Hexenspuck in jener Tragödie, von Shaxpeares poetischen 
Gestalten kaum zu unterscheiden. »So liegt«, sagt Bauer in s. 
Symbolik und Myth. p. 6, »die poetische Bedeutung des 
Geistes in Shaxpears Hamlet, wodurch der Held der Dichtung 
die höhere Mahnung erhält, so wie der Hexen in seinem Mac- 
beth, in nichts anderem als eben darin, dass sie die objecti- 
virten in einem äusseren Abbild vor uns hinge- 
stellten Gedanken der That sind, um diese in ihrer 
unausweichKchen Nothwendigkeit stets g^^nwärtig zu erhal- 
ten. Und wenn Calderon die träumerische Nichtigkeit des 
Lebens durch einen wirklichen Traum darstellt, wenn Tasso 
in seinem befreiten Jerusalem den seiner inneren Heldenkraft 
vei^essenen Rinaldo durch den Spi^el, in welchen er blickt, 
zur Seelenkenntniss wiederum gelangen lässt, so sind auch 
dies Bilder einer Idee, deren Poesie eben darin 
besteht, dass wir an das ursprüngliche Wesen und Geschäft 
der Phantasie, Ideen und Begriffe in Bildern und Anschau- 
ungen auszuprägen, erinnert werden«. Denn, meint Herr 
Bauer, auch über den di*^hterischen Bildern werde die damit 
ausgedrückte Idee oft vergessen, und hin^dederum falle auch 
die Mythologie, weil sie das üebersinnliche nicht durch Be- 
griffe sondern durch Bilder darstelle, in die Sphäre der Poesie. 
Zu Luther kam fast alle Nacht ein Teufel der mit ihm dispu- 
tiren wollte, und hielt ihm vor dass er mit seinen Lehren die 
Welt verwirrt habe: und Torquato Tasso behauptete steif und 
fest, dass der Geist^ der ihn besuche, Realität ausser ihm 



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1 86 II Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

haben müsse, weil er ihm oft Ideen beibringe, auf die er selbst 
von freien Stücken nimmermehr gekommen wäre. Wir aber 
werden nicht zweifeln, dass hier diese Ideen und dort jene 
Vorwürfe, trozdem dass sie die Visionäre selbst in Erstaunen 
sezten, aus ihrem eigenen Geiste stammten, oder, mit H. Bauer 
2u reden, objectivirte, in einem äusseren Abbild vor sie hin- 
gestellte, Gedanken der That waren. War aber darum Ludier 
wohl unter die Dichter zu rechnen, gleich dem Shaxpear, 
welcher den Hamletischen und den Macbethischen Geist 
erdichtet hat? Nein, Luther und Tasso in dieser Lage waren 
weder Dichter noch Mythologen, sondern geistergläubige 
Visionäre : ihre Erzälungen aber geben Stoff zu Mythen und 
bereichem die Mythologie der Geister. Aber Goethe wäre 
vielleicht ein besserer Dichter gewesen, wenn er den Tasso 
ganz so wie seinen Faust behandelt, und statt der ermüdenden 
Monologe einige Gespräche Tassos mit seinem Geiste ge- 
dichtet hätte, in welchen Tassos Verstand mit den verleum- 
derischen Einflüsterungen des Dämons sich streiten musste. 
Dann würden wir hier an einem neuen deutlichen Beispiel 
erkennen, welch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem 
Glauben und dem Dichten sei. Ein eben so grosser wenig- 
stens, wie zwischen der Historie und der Dichtung. Denn 
auch diesen Unterschied hat man lange Zeit nicht eingesehen, 
und will ihn zum Theil noch jezt nicht einsehen, zum grossen 
Schaden für die richtige Auffassung der antiken Tragödien. 
Es ist ein Glück für Homer, dass man ihm nicht nachzurech- 
nen im Stande ist, was er an den Mythen für Veränderungen 
gemacht hat um ihnen eine poetische Gestalt zu geben, oder 
vielmehr dass man ihm diese Abweichungen nicht nachweisen 
zu können glaubte, weil man gerade immer die Form, in wel- 
cher dieser Dichter die Mythen überliefert hat, für die ur- 
sprüngliche und älteste nahm, während begreiflicher Weise 
die Tempelsagen, wenn sie auch in noch so später Zeit 
erst durch Aufzeichnung fixirt worden sind, sofern sie mit 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 187 

dem keineswe^ wandelbaren Cultus übereinstimmen, für 
ursprünglicher gehalten werden müssen. Dafür hat der arme 
Euripides das Sündenthum tragen müssen, den diese symboli- 
sirende und katholisirende Zeit dazu ausersehen hatte, aus 
jeder seiner Tugenden ein Verbrechen zu machen. Welch eine 
Frivolität war es von dem Manne, die Mythen nicht gerade so 
wiederzugeben, wie sie der religiöse und der historische Glaube 
überliefert hatte, und so willkürlich mit der Tradition zu 
verfahren , der Tradition auf welcher die katholische Kirche 
80 fest ruht, als auf dem Felsen auf welchen Christus selbst 
seine Kirche gebaut hat ! Also musste selbst der frivole Aristo- 
phanes für ein Wunder der Frömmigkeit und des Patriotismus 
gelten, weil er jenen Feind des guten alten Ghriechenthumes 
so muthig verfolgt hatte. Man vergass dabei, dass die Griechi- 
sche Religion nicht auf Dogmen ruhte, dass die Tradition zu 
allen Zeiten etwas Wandelbares und Flüssiges gewesen war, 
tind dass sie, wie eine hingebende Geliebte, alles gerne ge- 
schehen Hess was ihrem Bräutigam, dem Dichtergeist, wohl- 
gefiel. Den grössten Schaden von dieser Bigotterie erntete 
billig die Mythologie : und wenn man sich seit einem halben 
Jahrhundert vergeblich quält mit den Mythen ins Reine zu 
kommen, und ganze Bibliotheken geschrieben hat welche 
unseren Nachkommen einst bloss zum Beweise einer grossen 
Verirrung des menschlichen Geistes dienen werden, so ver- 
dankt sie dies zumeist der Vermengung der Mythen mit den 
Dichtungen. 

5, Die Elementen -Geister and die Hellenisehen Gdtter. 

Wir haben oben bemerkt, wie die Iris eigentlich einen 
Vorgang in der Natur, eine Himmelserscheinung, bedeutet, 
von diesem Phänomen aber so gänzlich losgelöst erscheint, 
dass kaum noch ein hier und da gebrauchtes Prädikat an die- 
sen Ursprung erinnert, den der Dichter Homer selber ver- 
gessen zu haben scheint. Wenn wir den Untersuchungen, 



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1 g8 II- Ueber die Eatotehung und Weiterbildung dor Mythen. 

welche anderen Theilen dieses Werkes aufbehalten sind^ vor- 
gieifen wollten, so könnten wir noch viel anschaulichere Bei- 
spiele hierher ziehen. So ist z. B. der 8ohn der Seegöttin 
ThetiSy der uix^^^Sy dessen Name selbst nur eine Neben£urm 
von ^x^^^S is^ y^^ äx^lifog wird för aqua Wasser noch 
von dem Dichter Euripides gebraucht) ein Wasser -Dämon: 
allein Homer weiss nichts davon, obgleich er ihn mit einem 
anderen Wasserdämon, dem Xanthos oder Skamandros, in 
einen Kampf zusammenfuhrt, dem der Achill beinah crimen 
wäre. Dieser Skamander aber ist in der genannten Beziehung 
das gerade Gregentheil von Achill : er steckt noch ganz in sei- 
nem Elemente drinnen, geberdet sich ganz wie ein Fluss, 
kämpft nur mit den Waffen eines Flusses, und wird auch be- 
kämpft imd zu Paaren getrieben in der Art eines Flusses. Nur 
zwei Male, zu Anfiemg imd zu Ende, zeigt er sich eine Weile 
in Menschengestalt und spricht wie ein Mensch. 

Das ist das Yerhältniss der Hellenischen Mythologie zu 
anderen Mythologien oder Göttergeschichten, wie wir jezo 
zeigen wollen. Denn auch in dem Griechischen Glauben sind 
solche Elementengötter neben den abgelösten Gröttem noch 
vorhanden, und man findet fiist jedem Olympier einen Ele- 
menten- Geist gegenübergestellt, welcher leztere im Cidtus 
wenig oder gar nicht beachtet ist, weil er zu einem alten ab- 
gedankten Regime, so zu sagen, gehört. Da haben wir den 
Okeanos neben dem Poseidon, die Gre neben der Demeter, 
den Uranos neben dem 2ieus, die Rhea neben der Hera, den 
Helios neben dem Phöbos, die Selene neben der Hekate, den 
Priapos neben dem Dionysos, den Pan neben dem Hermes, 
und noch manche andere, welche in Local- Sagen sich verkro- 
chen haben. Noch mehr! ein ganzes zahlreiches Greschlecht 
von Dämonen Riesen und Missgestaltigen (Zwergen), ganze 
Thiere und Halbthiere, Ungeheuer mit denen die Götter und 
auch einige der Heroen zu kämpfen hatten, waren einst vor- 
handen im Himmel auf der Erde und im Meere, sind aber jezt 



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B. Von d«r Weiterbildung der Mythen. 1 89 

yertilgt oder imterwoifen und gebunden^ und die Sagen mel- 
den Ton ihnen als einem früheren, mit Kronos herrschenden, 
Göttergeschlechte, dem aber jezt keine Verehrung mehr ge- 
zollt wird. Diese Mächte, nämlich die Elementen -Götter, 
werden vom Prometheus bei Aeschylus (V. 88.) zu Zeugen 
angerufen gegen den Zeus und die neueren Götter: 

O Himmelsluft und flägelschnelle Winde und 
Ihr Bach* und Quellen, und du heitrer Spiegelglanz 
Endloser Meereswellen, und Allmutter Erd', 
AUseh'nde Sonnenscheibe, dich auch rur ich an: 
Seht was ich Gott von Göttern hier erduldai muss ! 

Hierdurch ist der Gegensaz deutlich ausgesprochen. Wie 
steht es denn aber mit den anderen Religionen? sind die Tita- 
nen da ebenfalls in den Hintergrund getreten? Die Asiaten 
erkannten in dem Kronos ihren Bai und Moloch wieder und in 
der Rhea ihre Erdgöttin. Die Germanen verehrten als höch- 
sten Gott den Wodan, den Zauberer und Beherrscher des 
Elysiums. (Walhalla) , in welchem offenbar wiederum der KQ6vog 
dyHvXof^ijtrfi steckt, und ihre Gröttergeschichten haben nichts 
als Kämpfe und Verhandlungen mit den Riesen \md den 
Zwergen zu erzälen, woraus zwar ein Gregensaz der Götter 
und der Titanen zu entnehmen ist, aber doch auch hervorgeht, 
dass die lezteren noch keineswegs gewältigt und beseitigt seien. 
Und wie wenig jene Götter noch von ihren Elementen losge- 
löst seien, das erkennen wir aus der Maasslosigkeit jener un- 
menschlichen Geschichten, wenn z. B. ein Loki, als unterirdi- 
sches Feuer, im Fressen mit einem der Götter wetteifert, ein 
Hugi, als Gedanke, in der Geschwindigkeit obsiegt, wenn ein 
Trinkhom , welches das Meer vorstellt , von einem Gotte so 
weit ausgesoffen wird wie bei der Ebbe das Wasser von den 
Ufern zurücktritt, wenn eine alte Frau, die Zeit vorstellend, 
sich nicht von der Stelle rücken und nicht niederwerfen lässt 
u. s. w. Freilich sind das zumTheil auch allegorische Mährchen, 
von irgend einem altnordischen Plato oder Prodikos erfunden, 



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190 U. lieber die Entstehung und Weiterbildung der M>then. 

aber doch im Charakter jener Mythen« Wenden wir uns aber 
nach Aegypten, so begegnet -uns dort kein einziger rein -men- 
schengestaltiger Gott, sondern lauter Thiere, also dass offenbar 
der thierische Instinct vergöttert sein muss, welcher freilich 
bereits besser ist als die blosse mechanische Kraft der Ele- 
mente, aber für die Sittlichkeit noch ein schlechteres Vorbild. 
Indessen hat eine Loslösung von dem Elemente doch bereits 
auch hier stattgefunden, wenn man den Dämon in Thiergestalt 
ausprägen imd in Tempel einschliessen konnte, so dass dieser 
' den Persem so anstössige Gözendienst doch bereits ein Fort- 
' schritt nach dem Crriechischen Cultus hin war. Man durfte 
/ nur den Gott aus dem Thiere herausschälen und das also vom 
Gott abgelöste Thier, den Adler, den Pfau, das Käuzchen^ 
den Stier, neben einen Zeus, eine Hera, eine Athena, einen 
Dionysos hinstellen^ so stand der reinen YermenschUchung 
nichts mehr im Wege. Davon waren die Assyrier und die 
Perser, zufolge der Dämonen -Bilder, die man in Persepolis 
und in Ninive antrifft, gerade am weitesten entfernt Die 
Parsen-Religion , zu deren Kennen-Lemung das Avesta nicht 
die reinste Quelle ist, wird von Herodot I, 131 und Strabo 
XV. p. 732 ausdrücklich als Elementen- Verehrung bezeichnet. 
»Es ist nicht Brauch«, sagt jener, »Tempel und Altäre zu er- 
richten, und sie halten es für Narrheit solches zu th\m, wahr- 
scheinlich weil sie die Götter nicht für menschenähnlich, wie 
die Hellenen, ansehen. Wer dem 2^us opfern will, der thut 
das auf dem höchsten Berg, und den ganzen Kreis des 
Himmels nennt man Zeus. In solcher Weise opfert man 
auch dem Sonnengott, der Mondgöttin, der Erde, 
dem Feuer, dem Wasser, den Winden. Und das sind 
ihre ursprünglichen Götter. Von den Assyriern und 
Arabern haben sie noch den Dienst der Urania angenommen, 
die sie Mitra statt Mylitta nennen. Und bei den Opfern fehlen 
die Spenden, die Musik, die Binden, der Opferschrot: man 
führt das Thier an einen reinen Ort, ruft den Gott an u. s. w.« 



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B. Von der Weiterbildimg der Mythen. 191 

Strabo sezt hinzu^ dass der Gott von dem Schlachtopfer bloss 
die Seele begehre^ weiter nichts. Wie sehr mit dieser Art Yon 
Gottesdienst der unserer Germanischen Vorältem überein- 
stimmte, ist aus Tacitus^'^) bekannt. Die völlig geistige Natur 
dieser Dämonen hinderte aber dennoch nichts dieselben als 
Rosse mit einem Hom und als geflügelte Stiere mit Menschen- 
köpfen abzubilden, oder die Bösen unter ihnen als l^öwen, als 
gehörnte Ungeheuer mit Wolfsrachen, mit Adlerkrallen u. s. w. 
zu formen. Solcherlei Symbole vertrugen sich also mit der 
reingeistigen Natiu: der Dämonen, und darum schienen sie 
auch den Hebräischen Propheten nicht allein nicht anstössig 
sondern sogar erhebend und erbaulich **'), wie die Seraphim 
über dem Throne des Herrn, mit sechs Flügeln begabt *^) . 

Wir unterscheiden also vier Stufen der Symbolik bis zur 
Bildnerei: erst blosse Fetische oder ein&che Symbole, dann 
phantastische Mischungen von Gliedern thierischer und 
menschlicher Leiber bei der Verehrung reiner Elementen- 
Geister, dann entweder wirkliche Thiergestalten oder Men- 
schen mit Thierköpfen, wenn der Dämon zwar bereits von 
sdnem Elemente abgelöst, aber noch in den Banden der 
Natur, ab herrschender Instinct, befangen ist, endlich 
Erhebung zur bewussten Persönlichkeit in der Menschen- 
gestalt. 

Erst auf der lezten Stufe ist eine poetisch-gestaltbare My- 
thologie möglich, weil nur Menschen und Menschengestaltigen 
Göttern wirkliche Handlungen beigelegt werden können. 
Dass nicht die Griechen allein im Besize solcher Götter waren, 
ist bekannt : auch der Germanische Glaube war, im Norden 
wenigstens, bis zu dieser Stufe vorgedrungen, offenbar mit 
Beihilfe der Poesie, und dabei hatte er die Aegyptische Zwi- 
schenstufe übersprungen oder imigangen, wie auch die Reli- 



136) Germ. c. 9. 137) S. Jesaia» 6, 2. 

138) Daniel 7, 4 ff. Vgl. Bunsen, Gott in d. Gesch. I. p. 540. 



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192 n. lieber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

gionen Kleinasiens, die Phrygische und die Lydische» an die 
sich die Hellenische Eunächst anschloss. Sovreit also war dem 
Geiste des Hellenischen Volkes , als dasselbe seine Mission 
übernahm 9 bereits vorgearbeitet: nun aber musste noch ein 
Schritt mehr geschehen, nämlich die Zurückstellung des 
KronoB mit seinen Titanen. Das war ein von dem Volks- 
geiste selbst vollbrachter Fortschritt, ehe noch von den Dich- 
tem die Idealisirung der überkommenen Menschengeetalten 
begonnen wurde. Der Zeus in dem Volksglauben, dessen 
Charakter aus dem Cultus zn entnehmen ist, gleicht noch gar 
sehr einem regenspendenden, die Erde befruchtenden^ Blise 
schleudernden Natur -Oeiste: da man ihm aber in Tempeln 
opferte und seine Bilder in r^ner Menschengestalt au&teUte, 
so war er trozdem schon grundverschieden von einem Bai oder 
Moloch. Das Reich der Titanen aber ist aus und vorbei: theik 
sind sie in den Tartaros gestürzt, th^ls weilen sie am Ende 
der Welt im Elysium, und Zeus braucht sidi nicht mehr mit 
ihnen herumzuschlagen. Darum erlaubt ihm seine Stellung 
«n ächter Vater der Götter und der Menschen zu werden, ohne 
die unmenschliche Härte der Riesen -Natur, die er behalten 
müsste wenn er immer noch mit Riesen zu kämpfen hätte, 
ein menschlich-fühlender Patriarchen-König, der seine Macht 
und Strenge mehr gegen die widerspenstigen Götter als gegen 
die schwachen Menschern geltend macht, aber auch bei jenen 
das selten nöthig hat, weil sie ihm gleichgeartet sind und sich 
zu beherrschen wissen. 

•. Wie HoBier und Aesiod den Üriechen fihre CI4lier 
geschaffen haben. 

Wohl einem jeden, der die Erscheinungen (Epiphanien 
Griechischer Götter erwägt^ muss es auffallen, dass dieselben 
so gar nichts Geisterhaftes haben. Wenn in der Odyssee die 
Athene dem Telemachos erscheint oder wenn in der Ilias der 
Poseidon die Ajasse iu der Schlacht unterstüzt, so ist es eben 



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B. Von der Weiterbüdua« der Mythen. 193 

gerade wie wenn dn Mensch mit einem Menschen zusammen- 
kommt; und wenn auch die Art des Yerschwindens den Gott 
erkennen lässt^**), so hat doch auch dieses Verschwinden 
nichts Geisterhaftes. Also bedarf man auch auf dem Theater 
keiner besonderen Vorrichtungen um ein plönliches Sichtbar- 
werden und ein plözliches Verschwinden solcher Wesen etwa 
durch Emporwindungen aus dem Ikxlen und Ven^nkungen 
nachzuahmen: denn diese Götter kommen und gehen wie 
Menschen^ höchstens erscheinen sie über den Giebeln der 
Häuser in der I^uft, aber auch da so leibhaftig wie unser einer, 
nicht nebel - oder schattenartig. Das Geisterhafte, Schatten- 
artige^ verbleibt allein den Seelen der Verstorbenen. Kurz, 
diese Götter haben in ihren Erscheinungen nichts Unheim- 
liches, und in welcher Gestalt sie auch kommen mögen, so 
sind das immer leibhaftige Gestalten, wie Menschen mit 
Fleisch und Blut begabte. In dieser Hinsicht sind die Grie- 
chischen Götter von den Göttern aller anderen Völker merk- 
würdig verschieden. Wie geisterhaft theils und theils wie 
maasslos, bald zu Riesen aufgeschossen und bald zu Zwergen 
verschrumpft, sind die Erscheinungen der meisten nordischen 
Götter 1 Wie roh und crass sind femer die Sagen vom Phry- 
gischen Agdistis, seiner Entmannung, der Geburt des Atysetc. 
»Es ist«, sagt Welker, »von allem Hellenischen das Helle- 
nischeste, dass sie dies Werk bis zur vollständigen Metamor- 
phose und zur allgemeinen Illusion zu vollenden vermochten, 
die PersönUchkeiten der mythischen Götter so lebendig aus 
der Idee hervorbildeten, dass diese an die Stelle der einschlä- 
gigen physischen traten, ohne kaum an sie zu erinnern, und 
in den Religionen des Landes weit hervorragten über die phy- 
sischen, die sich noch erhielten«. Aber wie diese Veränderung 
vor sieh gegangen sei, dass die in der Natur lebenden Götter 
»aus Schatten und Schemen in Personen von bestifnmten 



139) II. r, 71. 72. 
Härtung, B«l. Q. Mythol. d.Or.I. 13 



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194 n. lieber die Eatetehimg und Weiterbiklang der Mythen. 

menfichliohen Eigenschaften ideaÜBirter Art übergienge»« — 
dies scheint mir denn doch kein so unergründliches Gdieim- 
niss zu sein^ wie dieser Gelehrte meint. Mit Einern Worte^ die 
Dichtkunst war es welche diese Verwandelung bewirkte. Je 
mehr van einem Dämon Geschichten erzält werden, d. h. je 
mehr er bei dem Thun und Leiden der Mensdien betheiligt 
und in die Schicksale der Völker und der Familien verflochten 
wird, desto bestimmter muss seine Gestalt und sein Charakter 
sich ausprägen, desto weiter seine Vermenschlichung vor- 
schreiten. Welche fast körperhafte Gestalten zeigen z. B. sc^on 
die Engel der Seherin von Prevost! Wenn also die Geister 
sogar in den Visionen der Träumer und der Halbwachen^ schon 
Vieles von ihrem Geisterhaften opfern und beinahe körperhaft 
werden, um wie viel mehr müssen dies die von ihren Elemen- 
ten abgelösten Götter thun, wenn sie, bald in diese bald in 
jene Gestalt verwandelt, (denn ft^ilich in ihrer eigenen Gestalt 
erscheinen sie den Menschen selten] , zu den Maischen kom* 
men, mit ihnen reden, mit Rath und That zur Bettung aus 
Nöthen beitragen, mit sichtbar -unsichtbarer Hand in die 
menschlichen Angelegenheiten eingreifen? Wenn nun ein 
Dichter solche Erzälungen in die Hand nimmt — ich meine 
aber einen wirklichen Dichter und keinen Verfissser von Ge- 
beten, keinen Spruchsprecher und keinen mystischen Lehr- 
diditer, keinen Orpheus und keinen Melampus, — tritt also 
ein Dichter lunzu, dem es wirklich nur um Ausprägung echt- 
menschlicher Geschichten, nicht um mährchenhaftie Verzierung 
unvernünftigen Glaubens zu thun ist; so wird die Umbildung 
solcher ber^ts so weit von der Natur abgelösten Grötter in 
ideale Menschengestalten, mit Abstreiftmg alles ftir mensch- 
liche Verhältnisse nicht Tauglichen, vollendet. Diese Art von 
Poesie aber ist erst mit den Griechen in die Welt gekommen, 
und in ihrer reinsten Gestalt auch nur von diesen gehandhabt 
worden : also konnten auch die Götter und ihre Geschichten 
nirgends weiter ausser bei diesem Volke bis zur völligen 



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B. Von der Weiterbildung der M^-then. 105 

Menschwerdung sich abrunden. Der Dichter aber arbeitet 
auch dem Künstler vor, wie die Beschreibung der Bilder auf 
dem Schilde Achills beweisst, uml was jener noch ührifi^ lässt, 
das wird von diesem vollends auf das rechte Maass zturückge-^ 
fährt. Der bildende Künstler wird keinen übermässig grossen 
Kyklopen neben einem winzig -kleinen Odysseus darstellem 
mögen, er kann keinen Zeus auq>rägen welcher Erde und 
Meer sammt allen Göttern an einer Kette in der Schwebe hält, 
keinen Ares dessen I^ib sieben Plethren Flächenraumes be» 
deckt, keine Hera, welche, indem sie dem^Y^rt^o^ einen 
Schwur leistet, mit der einen Hand die Erde und mit der an-»- 
deren das Meer fasst, keinen Poseidon der mit drei Schritten 
von Thrakien nach Euböa gelangt, keinen Himmels-Groit, der 
mit einer Bewegung seiner Augenbrauen Himmel und Erde 
zittern macht. Es ist ein ungeschicktes Mähicben, welches 
sagt, das8 Pbidias gerade jenen Vers in der Ilias sich zum 
Muster genommen habe bei der Verfertigung seines Olympi- 
schen Zeus : denn gerade dies konnte er nicht. Darum sind 
später, nachdem auch bereits die Künstler zur völligen Ver- 
menschlichung der Götter mitgewirkt halten, in den Tragödien 
auch jene Ungeheuerlichkeiten bereits von den Gestalten und 
Erscheinungen der Götter verschwunden gewesen. 

7. Bit menschliclien liitf tter aod die UmnaDität. 

Auf jene Weise nun wurde zu gleicher Zeit die Verwand* 
hmg der moralischen und körperlichen Ungeheuer in schöne 
Menschengestalten und der IjCgenden in sinnige Dichtungen 
bewerkstelligt: und so ist zugleich mit seinen Göttern auch 
der Mensch erst ein wahrer Mensch geworden und die Huma- 
nität zum ersten Mal in der Weh empor gekommen. Denn wo 
die Götter Ungeheuer sind, da sind es auc^ die Menschen, 
und wo jene zu hodi zu ferne und zu geisterhaft dastehen, 
da können sie keine Nachahmung wecken. Und liegenden, 
können zwar wohl mit Bewunderung Furcht und Staunen 

13» 



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196 n. lieber die Entstehung und Weiterbildung der M}1.hen. 

erfüllen einestheils und andemtheils den Glauben an die Kraft 
der Ceremonien und Symbole bestärken, doch eine menschen- 
bildende und veredelnde Kraft besizen sie nicht. Aber die 
poetische Erzälung besizt diese Kraft. Um dies hier zu bewei- 
sen, müssten wir wiederholen was über den Einfluss poetischer 
Erzeugnisse auf den Charakter und die Gesinnung schon so 
vielfach und so einleuchtend in alten und neuen Zeiten gesagt 
worden ist. Hierher gehört aber bloss die Bemerkung dass, 
um aus Legenden solcherlei Erzalungen zu machen, welche 
nicht mehr durch ihren religiösen Inhalt stofflich, sondern 
rein nur durch ihren dichterischen Werth, als Bilder mensch- 
licher Thaten und Leiden, fesseln rühren und die Leiden- 
schaften reinigen, wie Aristoteles sagt, oder den Geist froi 
machen, ^vie Schiller sagt, es nöthig sei, dass dieselben eine 
völlige Umgestaltung erfahren. Wie nun dadurch die Griechi- 
sche Mythologie das geworden sei was sie ist, nämlich ein 
Repertorium von Musterbildern für alle möglichen mensch- 
lichen Zustände und Situationen Tugenden und Fehler, eine 
unerschöpfliche Fundgrube und ein Schaz für die Künstler 
aller Völker und Zeiten, ein Gemeingut der ganzen Mensch- 
heit, welches keine andere Mythologie keines Volkes aus der 
Gunst der Menschen verdrängen vermöchte, das ist so aner- 
kannt, dass es keiner weiteren Erörterung bedarf. 

Dass in der dichterischen und künstlerischen Behandlung 
die heiligen Geschichten nicht allein vermenschlicht sondern 
auch venfveldicht wurden , das ist freilich nicht zu leugnen. 
Was kann aber diese Verweltlichung schaden, wenn die Kunst 
mit der Religion zu gleichem Ziele hinstrebt und dabei den 
Glauben mit der Vernunft vereinbart? Denn ein Unterschied 
bleibt doch immer, ob der Stoff ein weltlicher von Haus aus 
oder ein religiöser sei, und ein gemalter Zeus will nicht mit 
einem irdischen König, eine Marie mit dem Kinde nicht mit 
einer gewöhnlichen Mutter verwechselt werden. Es gibt aber 
I kein anderes Mittel, den Inhalt der Religion mit der Vernunft 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. J 97 

EU vereinigen, ausser der Kunst, und keine Festung, in wel- 
cher jener Inhalt vor den Angriffen der Freigeisterei so sicher 
geborgen wäre, als seine Verschönerung durch die Kunst! 
denn das Schönheitsgefuhl übt fast eine so grosse Macht wie 
die Gremüthswärme, und wird, was es einmal in Schuz genom- 
men hat, gegen die Einsprüche des Verstandes nicht aufgeben. 

C f' Vor- uDd Nachhomerisclies. 

Wenn man aus demjenigen, was in manchen mittelalter- 
lichen Dichtungen von einem Christenthum vorkommt, einen 
Schluss machen wollte auf die damalige Geltung des Christen- 
thums überhaupt, so würde man sehr irren, wo z. B, im Tri- 
stan die Isolde, im l^egriff einen Meineid zu schwören, fleissig 
Gott um Beistand anruft und dabei auf dessen Höveschheit, 
d. h. Artigkeit gegen eine Dame, baut, und nachdem der 
Meineid gelungen ist, der Dichter meint, dass der heilige 
Christ windschaffen (zum Umwenden geeignet) wie ein 
Aermel sei, oder wo im Nibelungenliede beim Kirchengang 
die Frauen sich um den Vortritt streiten zanken .und schim- 
pfen, sonst aber von christlicher Religion sehr wenige Spuren, 
ausser dass man einige Male »Gotte dienet«, angetroffen weiv 
den. Nur wie weit bei dieser Classe von Menschen das Chri- 
stenthum gedrungen war, können diese Gedichte zeigen, 
weiter nichts I Einen ähnlichen Massstab müssen wir auch bei 
Homer anlegen : denn auch diese Poesie ist eine Adelspoesie, 
und prägt die Glaubensansichten dieses Standes aus, während ^ 
die Menschen des anderen Standes, den Thersites ausgenom- 
men, bloss als Zalen existiren, und weder in der Schlacht I 
noch in der Berathung jemals hervortreten. Wo aber eine 
solche Kluft sfwischen zwei Ständen besteht, da darf man 
überzeugt sein, dass auch die Religionsansichten nicht völlig 
überein sein werden und nicht einerlei Götter auf beiden 
Seiten verehrt, oder wenigstens diesen Göttern nicht einerlei 
Bedeutimg gegeben werde. So bemerkt Bunsen bei den Indi- 



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198 II- Ueber die Entstehung und Weiterbildung d» Mythen. 

sehen Ariern richtig, das» der Brahmanismus weit mehr der 
Gegensaz als die Fortseaiung der in den Veden vorhandenen 
Religion sei, und die beiden Beligionen verhalten sich in der 
That zu einander so wie die Religionen eines Kriegerstandes 
und einer Priesterkaste sich verhalten müssen. Und neben 
dieselben stellt sich als dritte die des gemeinen Volkes, mit 
den Göttern Qiva und Vishnu an der Spize. Denn man kann 
schon aus dem jedesmaligen höchsten Gottheiten den Geist 
ihrer Bekenner errathen, wenn man bei den Kriegern den 
Dämonen - Schläger Indra, bei den Priestern den metaphysi- 
schen 15egriff Brahma, beim Volke die zu rohen Gözen- Ge- 
stalten gewordenen Naturkräfte betrachtet. Diese Götter- 
mächte nun sind zwar nach einander zur Herrschaft gelangt 
in der Geschichte Indiens, aber nicht nach einander entstan- 
den: denn der Civa sowohl als auch der Vishnu kommen be- 
reits in den Veden vor^*®), sind aber dort von untergeordneter 
Bedeutung, endlich das Brahma, die Weltseele, war vorhanden 
und wird bleiben so lange es pantheistische Weltanschauung^! 
gegeben hat und geben wird. 

Bei Homer findet sich von manchen Dingen keine Sptur 
die doch bereits im Gange sein mussten, z. B. von Menschen- 
opfern, welche so sicher bereits üblich waren in gewissen 
Gottesdiensten, als sie durch die aufgeklärtesten Zeiten hin- 
durch bis zum völligen Verschwinden des HeidenUiums immer 
fort bestanden haben. Es scheint also, dass mit dem stolzen 
Bewusstsein jener Homerischen Menschen ein so demüthiges 
Sündenbekenntniss sich nicht vertragen habe : und natürlich 
mussten Helden, die selbst gegen Götter den Speer in der 
Schlacht zu schleudern sich getrauten, weit entfernt sein von 
der Gözenfurcht Karthagischer Pairs, welche, ab es ihnen 
schief gieng im Kriege gegen Agathokles, auf einmal 500 ihrer 
Söhne, theils freiwillig theils gezwungen zur Opferschlachtung 



140 S. Duncker, II. p. 231 f. 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 199 

beigaben. Wenn also von einefn CultuB des Dionysos oder der 
Demeter, von Mysterien, von Orphischem Wesen, von Mord- 
sühne u. 8. w. sich wenige oder gar keine Spuren in den 
Homerischen Gedichten finden, so folgt daraus nicht, dass im 
ganzen Volke von allem diesem, allerdings nachweislich erst 
später aur Herrschaft gekommenen, Religions -Wesen noch 
gar nichts in jenen alten Zeiten vorhanden gewesen sei : denn 
es kann dasselbe bereits in den unteren Schichten existirt und j 
nur gewartet haben bis es mit dem Emporkommen dieser • 
Volkesschicht sidi geltend machte. Ein unbe&ngener Forscher 
kann zum Theil aus den Homerischen Gedichten selbst und 
noch deutlicher aus anderweitigen Spuren erkennen, dass das 
Asiatische Wesen lange vor Homer bereits an allen Orten 
Griechenlands geherrscht hat. Mehr als ein Duzend Dionyse 
lassen sich aus dem Schutte der Ruinen ausgraben, weldie aus 
gestürsten oder verwitterten Culten übrig geblieben waren. 
Ja, der Homer ist von gestern, und wer das Griechische Beli- | 
gionsleben von ihm ausgehen liesee, > der würde so klug han- 
deln, wie wer die Erschaffung der Welt vom Jahr 5809 an 
datiren wollte! Wie wollte man denn die Flözgebirge, die 
Steinkohlen-Lager, die Versteinerungen erklären? Dergleichen 
AUagerungen, Verschüttungen, Versteinerungen haben auch 
in der Menschengeschichte stattgefunden, und ihre Spuren 
sind noch zu erkennen, namentlich aus den Sprachen und aus 
den Mythologien. In den Homerisch^i Gredichten ist Mne 
grosse Zal von Göttern, wenigstens eine viel grössere als bei 
irgend einem Asiatischen Volke, und eine noch grössere Zal 
von Heroen bereits vorhanden, und alle diese Individuen 
haben ihren Sagenkreis und ihre bereits von Sängern ausge- 
schmückten Geschichten. Und unter den Göttern befinden 
sich bereits welche Asiatischen Ursprungs sogar bis auf die 
Namen, z. B. die Aphrodite, die doch bereits völlig hellenisirt 
und ihrem ursprünglichen Wesen bis zur Unkenntlichkeit ent- 
fremdet sind. Die Heroen aber haben zu ihrer Umwandlung 



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200 II- lieber die Entsteh ung und Weiterbildung der Mythen. 

und Einflechtung in die Stammsagen noch längere Zeit ge- 
braucht : denn sie «ind früher lauter Götter gewesen. Welche 
Zeit musste vergehen und wie viele Dichter mussten den Stoff 
durch ihre Hände gehen lassen, ehe aus dem See- und Küsten- 
Dämon Achill, den, als solchen, noch der ( 'ultus zu erkennen 
gibt, der Held geworden ist mit dem Sagen- Reich thum, wel- 
cher bereits den Homerischen Sängern vorgelegen hat? Die 
Deutung der Heroen-Mythen ist daher, so wie die wichtigste, 
also auch die schwerste für den mythologischen Forscher, und 
sie wäre ohne Nachrichten über den C/ultus meistens gar nicht 
möglich. Darum wollen wir hier betrachten, wie sich's mit 
den Heroen- Geschichten im Allgemeinen verhalte. 

9. Die Heroeii-Ocschicliteii wareo Oötter-(je8cliichti*ii. 

Dass die Heroen verkommene oder verdunkelte Götter 
seien, ist nicht bloss an den meisten derselben an sich deutlich 
zu erkemien, sondern winl uns auch von mehreren ausdrück- 
lich durch wohlunterrichtete Zeugen versichert***;, und wenn 
man die Stätten und die Weisen ihrer Verehrung betrachtet, 
und dabei die überlieferten Legenden prüft, so ist meistens die 
Aehnlichkeit mit einem Gotte, für dessen Sohn oder auch* Ri- 
valen der Heros ausgegeben >vird, nicht zu vericennen. Um 
nicht vorzugreifen und nicht specielle Untersuchungen in diese 
Einleitung herüberzunehmen, wollen wir statt Hellenischer 
Heroen einen Germanischen als Beispiel anfuhren, den Sieg- 
fried. Betrachtet man die Thaten und die I^eiden dieses 
Helden, dass er von drei Walkyren geliebt wird und zweier 
Walkyren Vater wird, dass er die vom Odin verzauberte Hrun- 
hilde aus ihrem Zauberschlafe erlöst, durch die Waberlohe 
mittelst seines Rosses Grani (Grauj hindurchgednmgen, dass 
er die Tarnkappe besizt, dass er von einem Schlangen-Dämon 
erzogen wird und die Schlangen - Dämonen Fafnir und Regni 



141) Vgl. Schömann, Gr. Alt. II. p. 167. 164. 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 201 

tödtet, dass er deu Goldhort besiet, dass er die Runen* und die 
Vögelsprache versteht, auf wunderbare Weise zur Kemitniss 
der einen und der anderen gelangt» dass er mit dem Odin 
selbst einmal auf einem Schiffe fahrt und von ihm, wie von 
der Walkyre, unterwiet^en ^ird, dass er endlich jung stirbt, 
v<m Verwandten auf Anstiften der Walkyre gemordet, welche 
doch nie aufhören kann ihn zu lieben: wenn man, sag ich, 
das Alles betrachtet, so dürfte selbst der flachste aus dem vori- 
gen Jahrhundert sizen gebliebene Rationalist nicht im Stande 
sein, in diesen Geschichten blosse Uebertreibungen zu finden ' 
und zu glauben dass sie durch Einmengung von Wimdeni aus 
historischen Begebenheiten geworden seien. Wohl mit Recht 
hat man daher in diesem Helden aus dem Nibelungenlande, 
d. h. Nebelheim, bereits einen herabgekommenen Wodan er- 
kannt, und diese Annahme findet ihre Bestätigung in vielen 
deutlichen Spuren. So herrscht z. B. in bliesen Geschichten 
ein gewisser immer wiederkehrender Typus, dass ein Held von 
einer Walkyre geliebt, dass er von einem Bruder oder Ver- 
wandten erschlagen wird, dass die Trauer um ihn ohn' Ende 
ist und dass sein Tod durch ein Blutbad gerochen wird. Also 
ist die Sigtud (Siegfried) - Sage eine Wiederholung der Hclgi- 
Sage, und dör Helgi selbst gibt es zwei, die einander ähnlich 
sehen, und die Walkyre Sigrun ist eine wiedergeborene Swawa. 
Und so wie die Frauen lauter Walkyren sind, mithin auf die 
Freya oder Frikka zurückgehen, so sind die Männer lauter 
Wiederholungen des ()din-()dur, und so wie dieser Odur der 
nordische Osiris ist, verschwindet und von seiner Gattin Freya 
gesucht und betrauert ist, und so wie auch Fro oder Freyr 
(d. h. Herr), der Bruder der Freya (Frau), stirbt und begraben 
wird, also scheint auch in allen diesen Mythen nur immer 
wieder der Tod dieser Licht-Götter, auch der des Baldurs, 
nacherzält zu sein, und die Namen und sonstigen Eigenschaf- 
ten der Helden bestätigen die Selbigkeit mit. dem Odin und 
seinen Doppelgängern unter den Göttern. So ist z. B. der 



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202 II. üeber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

Hogni SB Hagen einäugig gleich dem Odin, und sein Name be- 
deutet Dorn, erinnert also an den Dom womit der Odin al« 
Swafhir f Einschläferer) Menschen in Zauber -Schlaf versenken 
kann, wie die Brunhild, eine andere Swawa, d. h. Schlaf. 
Helgi, d. h. Heilig, der vom Dag (Tag) getödtet wird, wie 
Hyakinthos vom Phöbos, bekommt, als er nach Walhalla 
kommt, vom Odin die Mitherrschaft über alle, womit deuUich 
genug gesagt ist, dass er ein anderer Odin sei. Atli oder 
Etzel (Etti; Atti), d. h. der Alte, der ursprünglich so wenig 
mit den Hunnen zu schaffen hat wie der Nibelung Heu (Heun 
oder Hein **') selber, tritt bereits als Genosse des ersten Helgi 
auf, und jene Geschichten spielen keineswegs in Ungarn son- 
dern bei den Riesen und Riesinnen im Norden. Dieser Alte 
aber wiederholt sich in dem alten Barbarossa mit seinem langen 
durch den Tisch gewachsenen Barte in seinem unterirdischen 
Aufenthalte, zwei Eigenschaften worin er dem Wodan-Kronoe 
gleicht***). Endlich Sinfiötli, dessen Mythus zwiscl^n der 
Helgi- und der Sigurd-Sage ein Mittelglied bildet***), wird, 
als er todt ist, in ein Schiff gelegt und den Wogen übergeben, 
und gerade das wird auch von Odin bei Baidur« Leiche gethan. 
Die rationalistische Behandlung solcher Sagen, vermöge 
deren sie in menschliche oder geschichtliche Begebenheiten 
verwandelt werden, ist alt, und beginnt schon innerhalb der 
Dichtung selbst, welche darauf ausgeht, zwar ungewöhnliche 
aber doch nicht unnatürliche Charaktere zu gestalten. Be- 
trachtet man z. B. die Gestalt eines Siegfried in dem Nibe- 
lungenlied, so ist sie bereits so weit herabgesunken in das 
Natürliche und Gewöhnliche, dass er sich von einem mittel- 
alterlichen Ritter kaum mehr unterscheidet: kein Wunder 
dass, wer ihn bloss hier betrachtet, an eine historische Ent- 
stehung seiner Sagen gerne glaubt. 



142) S. Schwenck, p. 242. 

143) PlatoPhileb. p.270D. 

144) S. Schwenck, p. 920. 



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B. Von der Weiterbildung der M)rthen. 203 

10. Wie die OMtcT za Heroen tierabgeKiiük«*» seien. 

Wie gieng es nun zu, das8 Göttei^gestalten sich in Heroen- 
gestalten venvandelten ? Der Gründe lassen sich mehrere den- 
ken. Einer der Gründe scheint der zu sein, das» das Wesen 
eines Gottes sich entzweispaltete in Vater und Sohn, welche 
Eins waren, bis auf den Unterschied, dass der Sohn zu den 
Menschen «ich herabliess^ um unter ihnen zu wandeln. Wir 
haben diese Einheit in der Zweiheit an den Semitischen 
Göttern Bal-Moloch, Ammon und Melkarth u. s. w. betrachtet, 
und dieselbe muss sich überall noch leichter gemacht haben 
wo noch statt der Zeugung die Emanation gegolten hat^^^j. 
Die Zeugung aber ist erst mit der Vermenschlichung der Götter 
recht nbhch geworden, und diese Vermenschlichung ist nur in 
der Hellenischen Religion völlig durchgeführt 

Ein anderer Gnmd scheint in physischen VerhälUiissen 
gelegen zu haben. Die Bevölkerung eines Landes ist von 
neuen Einwanderern besiegt und geknechtet worden, und mit 
ihr sind auch ihre Götter, wenn sie nicht mit denen der Sieger 
Eins und gleichnamig waren, hinabgedrückt, degradirt wor- 
den**®). Die Römer pfl^ten die Gottheiten einer eroberten 
Stadt einzuladen, dass sie nach Rom kommen möchten : dort 
wiurden sie bei hohen Familien untergebracht, d. h. sie beka- 
men das Gnadenbrot, und behielten so zwar den Schein aber 
nicht das Wesen von dem was sie gewesen waren. Es lässt 
sich denken, dass auch die Griechen derartige Rücksichten 
genommen haben : denn mit Göttern will man es nicht gerne 
verderben, zumal wenn Proben ihrer Macht vorliegen. 

Eine sehr fruchtbare Quelle der Vervielfältigung der 
Götter war ferner ihre Vielnamigkeit : und eine nothwendige 
Folge dieser Vervielfältigung war dann wieder die Herabsezung 



145) Vgl. Movers, I, 389. 392. Georgi in Pauly» Encycl. unter 
Melkarth IV. p. 1735. 

146) Schömann, Qr. AH. II. p. 153 ff. 



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204 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

solcher Abzweigungen. Ein Prädikat löst sich ab zu einer 
besonderen Existenz, und nimmt einen Theil des väterlichen 
Vermögens als Erbschaft mit. Je nachdem nun dieser Theil 
bedeutend oder beschrankt ist, waltet sodann die abgelöste 
Persönlichkeit entweder als mächtige Gottheit oder bloss als 
Heros fort. Oft auch wurde eine Gottheit aus der Najchbar- 
schaft herübergenommen, die man schon selber besass, aber 
für etwas Neues hielt, weil sie bei den Fremden nach dem 
Charakter des Volkes eine fremde Gestalt angenommen hatte. 
So haben die Römer den Apoll neben ihrem Janus, die Grie- 
chen die Kypris neben ihre Hera eingebürgert, und konnten 
der neuen Gottheit entbehren, wenn sie die alte mit deren 
Eigenschaften hätten bereichem wollen. Mitunter ist so eine 
Uebertragung wirklich geschehen, und ist ein einheimischer 
Gott mit den Attributen eines ausländischen , mit welchem er 
für Eins galt, dermaassen überbürdet worden, dass er kaum 
mehr zu erkennen war, wie z. B. der Kretische Zeus mit 
denen des Pönischen Baal, und der Kronos mit denen des 
Pönischen Molochs. So ist also diese Unzal von Heroen und 
diese Menge von Göttern weit weniger aus ursprünglicher 
Trennung des Zusammengehörenden als aus späterer Zeiv 
spUtterung Verwechselung Vertauschung und Vermengung, 
kurz aus Missverständnissen , herzuleiten. Von allen den 
Heroen, welche in der Ilias vorkommen, kann man getrost 
annehmen, dass kein einziger Namen erftinden sei, sondern 
überall in der Heimath des Helden ein derartiger Heros unter 
diesem Namen verehrt worden sei. Und daraus kann man ent- 
nehmen, wie viele Erschütterungen, Verschüttungen, Ueber- 
fluthungen, Ablagerungen, Versteinerungen in allen diesen 
Landschafiien bereits sich ereignet hatten, ehe auf der neuesten 
Humusbildung die Vegetation des Homerischen Heldenthimis 
hatte gedeihen können. Es ist aber eine vergebliche Mühe, 
die Revolutionen im Einzelnen erforschen, die aufeinander 
folgenden Völkerschichten ausgraben, den Niederschlag aller 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 205 

Bestandtheile nachweisen und so alles auf's Haar ausrechnen 
zu wollen, und es sind auch in dieser Hinsicht manche stu- 
,peiide Bücher umsonst geschrieben worden, die nicht mehr 
werth sind als weiland die Untersuchungen, aus welchem 
Holze das Kreuz Christi gewesen sei u. s. w. Dergleichen 
Forschungen müssen nothwendig immer im Dunklen tappen, 
indem man hinter den Mythen Geschichte sucht, was sie Ton 
An&ng nicht gewesen sind, folglich auch nie wieder werden 
können. Diese Sucht, Mythen in Geschichte zu verwandeln, 
aus welcher so viele unnüze Bücher hervorgegangen sind, ver- 
dient noch eine genauere Betrachtung. 

II. Mythen sind nicht In Geschichte za verwandeln. 

Alle Geschichten aller Völker beginnen mit fabelhaften 
Königen und mit Fabeln, und diese Sagen sind so geschickt 
an die wahrhaften Begebtoheiten angeschweisst, die Mytholo- 
gie verläuft sich so allmählich und unvermerkt in die wirkliche 
Historie, dass e^ schwer ist zu bestimmen, wo die eine aufhört 
und die andere anhebt. Da war es denn ganz natürlich, dass 
man die Fabel -Geschichte bloss £ür eine Uebertreibung oder 
Verdrehung wahrer Begebenheiten ansah, und hoffte, wenn 
man die Uebertreibungen auf ein menschliches Maass zurück- 
führe, die Vermummungen abreisse, statt der abergläubischen 
Motive wahrscheinliche und gewöhnliche unterlege und statt 
der erdichteten, auf Sinnentäuschung beruhenden, Erscheinun- 
gen simple natürliche Ergebnisse; so werde man auf einen 
Kern kommen, der sich als der wahre Gehalt heraiisschälen 
lasse. Man verfuhr also mit den Heroen -Geschichten wie 
mit den Wundern in der Bibel, die man durch Verwässerung, 
Verdünnung, Verdunstung, Ausschwefelung und Ablaugung 
einem rationellen Gaumen geniessbar zu machen suchte. Man 
irrte sich aber bei jenen so sehr wie bei diesen. Denn die 
Heroen oder die alten Könige, Gründer der Staaten und Stifter 
der Einrichtungen und Erfinder der zum Leben nüzlichen 



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206 n. Ueber die Entstehung und WeiteAildung der Mythen? 

Dinge, sind nicht zu Göttern aufgeschwellte Menschen, son- 
dern zu Menschen herabgeschwundene Götter gewesen. Das 
lässt sich sowohl aus der Erfahrung als auch aus der Vernunft 
beweisen. Denn von einer grossen Zal von Heroen und Hero- 
inen wird uns ausdrücklich überliefert, dass sie da und dort 
mit einem bestimmten Gotte für identisch gehalten wurden, 
z. B. der Erechtheus mit dem Poseidon, die Kallisto und die 
Iphigenia mit der Artemis, die Helena mit der Adrasteia, der 
Tlepolemos und der Phaethon mit dem Helios, die Aglauros 
mit der Athena, der Minos mit dem Zeus, der Lykurg mit dem 
Dionys, die Europa mit der Hera u. s. w. Bei einer noch weit 
grösseren Zal ist es aus anderen Spuren, aus dem Cultus, aus 
den Thaten und Leiden, aus dem Charakter des Heroen deut- 
lich zu erkennen, welcher Gott in ihm stecke. Und femer 
wissen wir, dass die mythologische Ueberlieferung so weit ent- 
fernt ist, historische Personen zu Göttern zu erheben, dass sie 
vielmehr Götter zu historischen Personen herabsezt, wie z. B. 
manche Königinnen der Fränkischen und Longobardisehen 
Geschichte WaUcyren gewesen sein mögen. Wenigstens gleicht 
ihr Thun und Wesen ganz und gar dem der Heldinnen der 
Nibelimgen-Sage, einer Brunhilde, Gudrun, Swanhilde, wel- 
che ausdrücklich Walkyren genannt werden in der Edda, und 
auch ihre Namen (Brunahilde, Fredegunde, Rosamunde) deuten 
dahin. So werden Götter und Göttinnen erst zu Heroen her- 
abgesezt und dann als Könige und Königinnen der Geschichte 
eingereiht. Die nämliche Erscheinung nehmen wir wahr in 
dem Heldengedichte des Persischen Dichters Firdusi, welcher 
um 1000 n. Chr. geblüht hat. Dort ist aus den Adam-Noah, 
dem Yima, einer der ältesten Könige geworden, der die Men- 
schen in vier Kasten theilte, die Diva zwang ihm prachtvolle 
Bauten aufzurichten und das erste Schiif baute. Ein anderer 
Held, Fredun oder Feridun, schreibt sich her von dem gött- 
lichen üeberwinder des dreiköpfigen Drachen mit den sieben 
Schwänzen und dem Befreier der Rinder und Retter der 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 207 

Menschheit aus Tod und Krankheiten, und heiset im Avesta 
Thraetonüy in den Yeden Thrita. Dieser Drache selbst aber, 
Diihaka genannt, hat %ich hier eben&lls in einen König ver- 
wandelt, einen abscheulichen Tyrannen Sohak mit Namen, 
welcher nach Dschemschid (Yima) im Bunde mit dem Teu&l 
Iblü die Welt verwirrt, während ihm aus den Schultern zwei 
garstige Schlangen herausgewachsen sind^^!). Der berühmte 
König Gustaf [Histagpa :» Hysia^pis Pferdebändigerj , unter 
welchem Zertkcht au^^treten sein soll, war gewiss auch eben 
solchen göttlichen Ursprungs gleich seiner Gemahlin Nahid, 
in welcher nicht unschwer die Göttin ^uivaiTig zu ^kennen 
ist^***). 

tZ. Hislorisclie Personen werden mythischen, mythische 
historischen untergeschoben. 

Ein anderes vielgebrauchtes Mittel, Fabeln und Geschichte 
zu vermengen, besteht darin, die Namen berühmter histori- 
scher Helden mythischen Namen zu substituiren, wie z. B. in 
der Dieterichssage der Odoaker an die Stelle des Sibich gesezt 
ist in dem bekannten Hildebrandsliede, und wie dieser Diete- 
rich selbst an die Stelle des Gottes Donar oder auch des Wuo- 
tan getreten ist*^*). Die Rolandssage ist eine Abspiegelimg 
des Kampfes des Erzengel wider den Antichrist, und der Held 
Roland, wenn er jemals gelebt haben sollte, müsste also eben 
so ein Substitut wie der Ottaker sein. Nun sollte man zwar 
meinen, dass eine gewisse Aehnlichkeit der Thaten und 
Schicksale den Anlass zu solchen Vertauschungen gegeben 
habe. Allein das ist nicht der Fall : der mythologische Ezel 
hat mit dem historischen Attila, der mythologische Dieterioh 
mit dem wirklichen Könige der Gothen ausser dem Aufent- 
halte jenes in Ungarn und dieses in Verona geradezu gar 



147) Spiegel, Ayesta II. p. 70 f. Note 3. I. p. 7. 

14$) 8. VuUers Fragin. über d. Kel. ZorosaterB p. 109. 

149) Grimm, D. Myth. p. 346. 



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208 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mjlhen. 

nichts gemein, 8o dass also hier wiederum die Hofihung der 
Historiker, ein Stück Geschichte aus den Fabeln zu gewinnen, 
zu Nichte werden müsste. Was ist deitn nun wohl der Grund 
zu solcher Vertauschung gewesen? Bisweilen die Namens- 
Aehnlichkeit, wiez. "R. der Attila mit demAtliund seine Hunnen 
mit den Hünen oder Hennen vertauscht worden sind. Und 
solche Aehnlichkeiten mussten sich oft vorfinden, weil die 
Kriegshelden gerne Heroen- und Götter -Namen trugen, wie 
z. H. der bekannte Arminius oder Hermann mit der Irmen- 
Säule gleichnamig war, wit welcher er aber sicher keine wei- 
tere Gemeinschaft hatte, indem Irman so viel wie Welt oder 
Erde bedeutete ^*®) . Jene Trminsul aber war ohne Zweifel eine 
Weltsäule die den Himmel mit der Erde verband gleich dem 
Atlas und gleich den Obelisken und den HJiamannim. von 
denen wir bei Hermes sprechen werden. Daraus deutet sich 
auch der Name des Gothischen Königs Ermanrich und des 
ihm gleichen Theoderich, dessen Name auch wohl das 
/i,S^S', nämliche bedeutet. Wenn daher Tacitus meldet, dass der 
Arminius noch fortlebe in den Tiedem [ranifur adhue harharas 
apud genfes) nicht allein seines Volkes sondern der nordischen 
Völker überhaupt, so brauchen wir in die Richtigkeit dieser 
; Angabe keinen Zweifel zu sezen, wohl aber dürfen wir es in 
; Abrede stellen, dass der besungene Erman oder Irmin derje- 
nige gewesen sei, mit welchem die Römer die Kriege geführt 
hatten. Denn es widerstreitet der Vernunft und der Erfahrung, 
dass bei einem Volke, wo die Religion noch Alles ist, Wissen- 
schaft und Kunst aber gar nichts, und wo weit mehr als in 
einer rationalistischen Zeit alles Schöne und Grosse in der 
Natur und im Menschenleben als Thaten der Götter gepriesen 
zu werden pflegt, den Verdiensten eines Mannes eine solche 
Auszeichnung sollte zu Theil geworden sein. 



150) Vgl. irmandiet Weltvolk, d. h. die ganae Menschheit, jannun 
grund die allnährende Erdoberfläche, iormungandr die Weltschlange wel- 
che, wie der Okeanos, die Welt umschlingt. 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 20d 

Es ist wahr ^ Griechisch - Römische Herrscher hahen sich 
vergöttern lassen und Versezungen unter die Heroen haben 
sogar auf Befehl des Orakels stattgefunden ^^^) . Allein wo ist 
denn der grosse Alexander oder einer der Kömischen Kaiser^ 
vollends nachdem sie todt waren, angebetet worden von einem 
Volke? imd wo hat sich irgend so ein Cultus erhalten? Es ist 
auch femer zu berücksichtigen, dass die katholische Kirche 
den Himmel mit Heiligen bevölkert hat. Allein beim Lichte 
betrachtet haben diese Menschen eben auch nichts weiter als 
ihre Namen zur Erzeugung des neuen Heiligen hergegeben, 
der noch dazu meistens auf einen Griechischen Heros geimpft 
worden ist. So läuft also alles Vergöttern sterblicher Menschen 
lediglich auf ein Unterschieben an die Stelle schon vorhande- 
ner göttlicher Wesen hinaus, welches Unterschieben nicht 
allein bei dem Sterben sondern auch schon bei dem Erzeugen 
stattzufinden pflegt , wenn ein Held einen himmlischen Vater 
neben dem irdischen hat, und wenn in den Mährchen Eltern, die 
lange kinderlos gewesen sind, Kinder von Elfen g^eben wer- 
den welche sodann auch immer die Natur der Elfen anzuwei- 
sen haben. Nicht zu verwechseln aber mit dem allen ist das 
äipijQwl^eiv, d. h. die Verehrung theuerer Gestorbener durch 
liebende Hinterbliebene, gleich als wären sie Götter. 

Auch Heroen -Namen selbst werden mit Heroen -Namen 
vertauscht, d. h. es werden gewisse immer wiederkehrende 
Thaten und Leiden göttlicher Personen (wie z. B. dass Wal- 
kyren sich in Helden verlieben, dieselben eine Zeit lang be- 
schüzen aber doch zulezt aus Eifersucht oder Rachsucht um- 
bringen) von einem Helden auf den andern und auch von 
einer Heroin auf die andere übergetragen. Das ist es, warum 
die Fabeln von Helgi und Sigurd (Sigfried) von Swawa und 
Sigrun, von Chriemhilde und Gudnm u. s. w. sich alle so 
sehr gleichsehen. Darum ist es auch sehr zu bezweifeln, ob 



151) S. Schömann, Gr. Alt. II. p. 148 ff. 
Hartnng, Bei. Q. Mylbol. d. Or. I. 14 



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210 II. üeber die Entstehung und Weiterbildung der Mj-then. 

der Longobarden- König Albuin überhaupt und ob er gerade 
von seinem Weibe ermordet worden sei, indem auf die Rosa- 
munde nur die That einer Brunhild am SigMed oder einer 
Gudrun am Atli übergetragen zu sein scheint. In der deut- 
schen Geschichte nun, wo historische Au&eichnungen neben 
den Fabehi überliefert sind, ist man der Beweisführungen 
überhoben, wenn man Dichtung und Wahrheit scheiden will : 
in den Ueberlieferungen aus dem Alterthume entbehrt man 
zwar solcher Zeugnisse, aber die Thatsachen reden doch oft 
auch laut genug, wenn z. B. in die Athenische Königsreihe die 
Namen ^Egvclx^tov^ ^Eq^x^ovioq und ^E^ex^^^S eingeschaltet 
sind, in denen deutlich Prädikate des Gottes Poseidon zu er- 
kennen sind, ingleichen der Name uily&ig, welcher einen 
Dämon des Aegäischen Meeres bezeichnet, und wenn endlich 
der Poseidons -Sohn &Yja€vg^ dessen Name schon mit Ttj^g 
übereinstimmt, sich selbst wieder als einen See- und Küsten- 
Dämon zu erkennen gibt. Doch der Beispiele möchten nun 
wohl genug, sein. 

13. Angebliche Vergötterung wichtiger Erfindungen. 

Es ist aber noch zu bemerken, dass wichtige Einrichtun- 
gen in den Staaten fast immer an mythologische Namen ange- 
knüpft sind, die man als die Repräsentanten solcher Einrich- 
tungen ansehen kann, wie z. B. Numa der Urheber bürger- 
licher und religiöser Anordnungen (vdfioi) in Rom sein soll. 
Nichts scheint natürlicher, als dass die Namen der Männer, 
die solche Erfindungen und Einrichtungen gemacht haben, in 
der Erinnerung seien festgehalten worden. Betrachtet man 
aber die Sache genauer, so ist es gerade bei Erfindungen 
Gründungen und Organisirungen nicht möglich dass die 
I Namen von deren Urhebern gewusst und sonach verewigt 
[ worden seien, weil die Erfiihnmg lehrt, dass von den wichtig- 
; sten und folgenreichsten Erfindungen die eigentlichen Urheber 
nicht gekannt oder doch bestritten sind. Und das geht ganz 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 211 

natürlich zu. Denn gerade das Beste und Zweckmässigste 
wächst 8o allmählich seiner Vollkommenheit entgegen durch 
unmerkliche allmähliche Verbesserungen und zufällige Wahr- 
nehmungen, dass man, wenn eine Erfindung (wie die Buch- 
druckerkunst, die Telegraphen, die Dampf- Maschinen) voll- 
endet dasteht, meistens kaum mehr zu sagen weiss, von wem 
der erste Gedanke ausgegangen sei und wer durch glückliche 
Versuche die Sache weiter geführt habe. 

Es gab eine Zeit wo man glaubte, dass der Bacchus 
wegen der Erfindung des Weines, der Mercur wegen der Er- 
findung des Handels, die Ceres wegen der Einführung des 
Getreidebaus, die Diana wegen der Jagd seien vergöttert wor- 
den u. s. w. ***). Diese Nüzlichkeits- Philosophie, so lächer- 
lich sie auch erscheinen muss, wenn man sie z. B. auf die 
Venus, als Erfinderin des Beischlafes, auf die Hekate als Er- 
finderin der Hexerei u. s. w. ausdehnen wollte, ist noch immer 
nicht völlig angegeben, trozdem dass man nach tieferer For- 
schung und besonders nach Vergleichung der Asiatischen Re- 
ligionen hat einsehen müssen, wie flach und ungenügend jene 
Auffassimg des Hermes oder des Bakchos war, und findet noch 
heute unter sehr achtbaren Männern ihre Bewimderer ^^^) . So 
sei z. B. Herakles darum, weil er das Land von Ungeheuern 
befireite, in den Himmel erhoben worden, und weil er Dämme 
gegen überschwemmende Fluthen errichtete, Weg^ und Was- 
serbauten machte u. s. w., denn das sei auch mit der Be- 
kämpfung mancher Ungeheuer, z. B. der Lema, der Stympha- 
lischen Vögel gemeint, nämlich Trockenlegung einer sumpfigen 
Gegend durch Abzugs -Canäle und Entwässerung des Sees 
Stymphalos. Sodann ist derselbe Heros auch ein Städtegrün- 
der und ein Kri^^held gewesen, und Stammhaupt eines kräf- 
tigen Geschlechtes, femer ein Verfolger hierarchisch blutiger 



152) Vgl. Cicero N. D. II, 23, 60. 

153) Vgl. z. B. Welcker, II. p. 756 ff. 



14» 



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212 H- Ueber die £nUtehung und Weiterbildung der Mythen. 

Priester und Tyrannen, und wegen so vieler Verdienste ist ihm 
erst eine dämonische Natur beigelegt, und diese schliesslich 
auch zu einer göttlichen erhöht worden. Diese Erklärungen 
werden schon dadurch bedenklich, dass z. B. die Stymphali- 
schen Vögel nicht bloss in Arkadien, sondern auch am Pontos 
zu Hause sind, und nicht bloss vom Herakles sondern auch 
von den Argonauten bekämpft werden, dass femer der Nemei- 
sche Löwe seine eigentliche Heimath in Assyrien hat: und 
siht man genauer hin, so zeigt sich das nämliche Verhaltniss 
an allen den Thaten dieses Helden: es wechseln die Schau- 
pläze derselben so wie die Aufenthalts -Orte der Helden, sie 
sind analog und entsprechend anderen Thaten anderer Heroen, 
und der Herakles selbst ist nicht der einzige in seiner Art 
sondern nur ein hervorragendes Exemplar einer ganzen Grat- 
timg von Helden, die nicht darum, weil sie diese oder jene 
Stadt gegründet haben, vergöttert worden sind, sondern um- 
gekehrt darum, weil sie einer gewissen Klasse von Göttern 
oder Dämonen angehören, diese oder jene Stadt (wo man sie 
eben besonders verehrte) gegründet haben sollen. So wie also 
die Kimmerier nicht ursprünglich bei Cumä, die Meroper 
nicht auf der kleinen Insel Kos ihren Wohnsiz gehabt haben, 
und der Aeolos nicht auf den Liparischen Inseln bei Sidlien 
geherrscht hat noch die Kirke oder die Kalypso oder die Sire- 
nen an dem Plaze wo man sie später fixirt hat heimisch gewe- 
sen sind, also hat auch die Gegend um Lema und um Stym- 
phalos nicht den Sagen von der Hydra und den Vögel-XJnge- 
heucm ihre Entstehimg gegeben, sondern diese Sagen waren 
längst da, ehe man an jene Gregenden gedacht hat, und sind 
sodann an jene Gegenden angeknüpft worden, gleichwie die 
Sagen von Nixen welche junge Burschen in das Wasser hin- 
eingezogen haben überall wo Gelegenheit war in Deutschland 
fixirt worden sind, imd gleichwie auch Sagen von mythischen 
Personen auf histori^^che übertragen worden sind. 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 2 13 

14. GeschiehieB als Mythea anzuerkennen. 

Wird man somit das Bemühen, aus der Mythologie Ge- 
schichte machen zu wollen, aufgeben müssen, so wird man 
dagegen einen grossen Theil dessen was noch immer für 
Geschichte genommen wird in das Fabelreich zu verweisen 
berechtigt sein. Ej hat kein Volk von Amazonen je gegeben, 
es ist keine Einwanderung weder aus Phönizien durch Kad- 
mos noch aus Aegypten durck die fün&ig Danaiden jemals 
geschehen : diese Danaiden waren fünfzig Najaden, die Ama- 
zonen waren lauter Idisen und Ebenbilder der Artemis und 
Nymphen derselben, und was der Kadmos gewesen sei, ist an 
den Kabiren zu erkennen. Mit den ältesten Königsreihen 
aller Völkerschaften oder Landschafben verhält es sich so wie 
mit dem oben genannten bei Pirdusi : die Heroen sind mei- 
stens zu alten Königen gemacht worden, hinterher ist von 
Dichtem Zusammenhang und chronologische Ordnung in die 
Sagen gebracht worden, und was die Dichter für den Verstand 
noch vermissen liessen, das ist von den Logographen vollends 
ausgeglichen worden. lieber diesen Zweig der Mythologie 
wäre viel zu sagen, wenn wir uns darauf einlassen wollten. 
Vieles ist darin bereits aufgeklärt, z. B. in der Römischen 
Geschichte, in anderem, wie in den genannten Beispielen, 
herrscht noch gedankenloses Nachsprechen. Man kann aber 
hofiTen, dass die Finsterniss bald noch weiter dem Lichte wei- 
chen werde. 

IS. Ueber die herrBehenden Methoden HeroengesehichteB and 
Mythen zu behandeln. 

Wenn das was wir von der Abwesenheit jedes historischen 
Gehaltes in den Mythen gesprochen haben richtig ist, so wer- 
den dann unsere Leser selbst urtheilen, was von dem Ver- 
fahren unserer Vorgänger zu halten ist, wenn sie z. B. die 
Thessalischen, die Böotischen, die Arkadischen, die Attischen 



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214 n. Ueber die Entstehung und Weiterfoüdung der Mythen. 

Heroen-Sagen, und dann wiederum die von der Argonauten- 
Fahrt, den Zug nach Theben und die Troischen Geschichten, 
ohngefahr so wie sie von den Kyklikem und Logographen 
zusammengereiht worden sind, als wären sie Geschichte oder 
könnte ein geschichtlicher Gehalt aus ihnen entnommen wer- 
den, nach einander referiren. Da bekommt man dann mit- 
unter so klare und anschauliche Belehrungen, wie folgende 
über die Lapithen bei Gerhard: »Im Dämmer der Sage bleibt 
es dahingestellt, ob die Versc}\iedenheit von Gebirg und Thal 
Boden und Lebensweise allein es vermochten, jenem von 
Thrakischem Einfluss sichtlich berührten Volkstamm einen 
zwiefachen Cultus, bald nur von Feuer und Lanze in offenem 
Hohn des Zeus- Hera- und Apollodienstes, bald Apolünisch- 
Asklepischer Mächte, dort von der Ixions- und Phlegjras-Sage, 
hier von milden Heilgottheiten Lapithischen Waldgebirges 
begleitet, zu begründen a (§ 669). Numfurisy anprudens ludis 
me ohscura canendo f Es ist wahr, dass der Cultus gewisser 
Heroen, wie auch gewisser Götter, an gewisse Völkerschirften 
und Städte geknüpft war: so wie aber darum der Herakles 
nicht auf Theben und Tirynth, die Helene auf Sparta, 
die Athena auf Athen, oder die Hera auf Argos, der 
Zeus auf Olympia beschränkt war, so ist es auch impassend 
die Mythen geographisch zu vertheilen, und die Heroen-Gre- 
schichten nach den Völkerschaften einzutheilen. Sowohl in 
der Schweiz als auch in Holland macht man Käse, und Baiem 
ist durch die Bierbrauereien von Alters her ausgezeichnet: 
doch sind diese Produkte nicht auf diese Landschaften be- 
schränkt, und kommen an anderen Orten in so verschiedener 
Gestalt und auch zimi Theil unter so verschiedenen Namen 
vor, dass man an der Einheit bei solchen Varietäten manchmal 
irre werden könnte. Die Sache aber ist diese, dass eine jede Stadt 
und jede Völkerschaft ihren Bedarf an Göttern und Heroen, so 
wie ihren Bedarf an Nahrungsmitteln imd Kleidern, aus dem all- 
gemeinen Vorrathe sich angeeignet und bei sich eingebürgert 



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. B. Von der Weiterbildung der Mythen. 2 f 5 

hatte, so dajBS man also, wenn nur die Nachrichten vollständig ge- 
nug überliefert wären, wie z. B. bei der Stadt Rom, überall eine 
Art von Pantheon vorfinden würde, und dass mit geringen, im 
Charakter des Volksstammes und seiner Beschäftigungen be- 
gründeten, Einschränkimgen und Abweichungen, bei den 
anderen immer im Wesentlichen wieder das nämliche vor- 
kommt was man bereits bei dem ersten betrachtet hat, nur 
öfters unter anderen Namen, wobei auch meistens die Cere- 
monien des Cnltus und der Mythen eine etwas verschiedene 
Gestaltung und Färbung angenommen haben. Nun ist es 
eben die Aufgabe des Mythologen, die Einheit in diesen Ver- 
schiedenheiten durch Unterscheidung des Wesentlichen und 
Unwesentlichen zu erkennen, und durchZusammenstellung des 
Gleichen zu sorgen, dass die Mythen gegenseitig sich selber 
deuten. Wie wenig aber ein Forscher diese Aufgabe erfülle, 
wenn er, von Haus zu Haus gehend, überall ein Inventa- 
rium aufzeichnet, zwar mit gelegentlichen Bemerkungen dass 
dies und jenes Produkt da oder dorther stamme, mit dem 
oder jenem verwandt sein möge, aber ohne es doch zu einer 
durchdringenden technischen oder naturhistorischen Erkennt^ 
niss der Vorkommenheiten zu bringen, kann man hieraus ab- 
nehmen. Damit hängt sodann eine andere seit Otfried Müller 
herrschend gewordene Eigenthümlichkeit zusammen, ich meine 
die zu grosse Einschränkung des Cultus gewisser Götter und 
Heroen auf Oerter und Zeitperioden. Das Bier, tun bei dem 
einmal gebrauchten Bilde stehen zu bleiben, ist nicht erst in 
München erfunden worden, sondern bereits Archilochus 
Aeschylus und andere kennen dieses Gerstengetränke im Ge- 
brauch der Thraken und Germanen beinahe auch schon unter 
dem nämlichen Namen {ßqxkov) . Und nicht bloss die Götter 
sondern auch die Heroen der Griechen finden sich in Asien, 
in Phrygien, Lydien, Syrien und Assyrien wieder. 

Gewissermaassen als Gegensaz gegen diese zu beschränkte 
Verörtlichung der Götter imd Heroen geberdet sich das Ver^ 



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216 n. lieber die Entstehnng und Weiterbildang der Mythen. 

fidiren mancher Sanskrit-Gtelehiten, welche fiut jeden mydio- 
' logischen Namen buchstäblich bei den Indiem wiederfinden 
wollen, dergestalt dass e. B. der ^Effielag-Särameyas ist, die 
^EQiPvg-'Saranyü, die Jianoufa- Ddrapatd, die Kirtavooi" 
Otmdharvas, Mlvwg^Manus, Xtqfp&og-'Bbhuaj die WUyveg- 
Bhrffüs, oder Ofvyeg-Bhrffus, üifOfiifd'Svg'I^'amätha, Ooqw- 
pevg-Bhuranjfu u. s. w. was Alles, wie leicht zu denken ist, 
bei näherer Betrachtung in Nichts zerfällt. Denn man hat 
schon von vomen herein Grund diesem Verfcdiren zu miss- 
trauen, erstlich weil die Griechische Sprache mit dem Sanskrit 
zwar Wortstämme und Flexionen aber nicht sehr viele fertige 
Wörter gemein hat, zweitens weil ihre Götter und ihre Culte 
unmittelbar von Vorderasien sowohl anfirngs herübergekom- 
men waren als auch fortwährend daher neue Zuflüsse erhielten, 
während mit den Ariern nur eine geringe, mehr auf die Ele- 
mente als auf die gewordenen Götteigestalten sich erstreckende, 
Uebereinstimmung zu erkennen ist. Drittens ist zu bedenken 
dass, so lange die Götter und Dämonen noch wirklich im 
Volke leben, dergestalt dass ein jeder in einer bestimmten 
Sphäre seine Wirksamkeit er&sst und anerkannt ist, auch ihre 
Namen noch im Flusse erhalten werden. Daher rührt ihre 
Vielnamigkeit, und einer von den vielen Namen kann immer- 
fort hier und da als der eigentliche und rechte fixirt werden, 
während andere sich ablösen und als besondere Heroen fort- 
zuleben beginnen. Betrachten wir, unter wie vielen Namen 
z. B. in der nordischen Mythologie die Nymphen als Idisen 
oder Disen, Walen, Nomen, Eiben, Alraunen u. s. w., unter 
wie vielen Namen noch jezt im Deutschen Volke die Zwerge 
oder Wichtlein leben, und wie noch die meisten Namen dieser 
Mythologie aus den Germanischen Sprachen sich leicht erklä- 
ren lassen ; so wird man darin eine Bestätigung des Gesagten 
finden. Uebrigens ist hinsichtlich der Etymologien meine An- 
sicht diese, dass man nicht darauf versessen sein soll, alle 
Namen erklären zu wollen, wo sich aber eine wahrscheinliche 



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B. Von der Weiterbildung der Mythen. 2)7 

Ableitung nachweisen täa^t^ dieses Mittel zur AufheUimg des 
Alterihums nicht abweisen soll. 

Hand in Hand mit dieser Art 8u etymologisiren geht ein 
leichtfussiges Herumspringen von einer Aehnlichkeit zur an* 
deren, wodurch man, weil es kaum zwei Dinge gibt die lueht 
dieses oder jenes mit einander gemein haben, von einem auf 
Alles kommen und Alles zu Allem machen kann. So ist z. B. 
neulich nachgewiesen worden dass das Hervorlocken der 
Flamme durch rasche Umdrehung eines Holzes in einem an- 
dern Holze imd das Butter-Machen^ als eine ähnliche Manipu- 
lation, und das Menschen -Zeugen und die Entstehung des 
Blizes am Himmel imd die Bereitung des Göttertrankes und 
die Geburt des Dionysos u. s. w. Alles auf Eines hinausgehen, 
ingleichen dass Hermesstab, Wünschelruthe, Phallus, Donner- 
keil imd Butterstämpel Eins seien, und sind daraus gar wich- 
tige Aufschlüsse über die alten Mythen gezogen worden. Das 
Wahre an diesen Dingen ist aber bloss dieses, dass der Funke 
in dem Holz oder Stein, aus welchem er hervorgelockt wird, 
drinnen zu stecken scheint, mithin manchmal bildlich das 
Holz mit dem Funken schwanger genannt wird; dass man, 
wenn Seuchen herrschten, glaubte dass dies von ^ner Verun- 
reinigung der Elemente, besonders der Luft und der Trink- 
wasser, durch böse Dämonen herkomme, und dieser Verunrei- 
nigung durch eine Feuerreinigung zu begegnen suchte (woher 
noch bei uns das Schüren von Johannisfeuem und das Laufen- 
lassen brennender Bäder kommt), imd dass man zu solcher 
Reinigung natürlich ein ganz reines Feuer haben musste (denn, 
wie schon gesagt, auch das Feuer kann verunreinigt werden), 
welches Feuer entweder durch Anzündung an der Sonne (das 
ist das Herunter -Holen des Feuers vom Himmel) oder durch 
die bekannten Feuerzimgen zu gewinnen war; dass man femer, 
weil die Erhaltimg der Gemeinden von der Erhaltung des hei- 
ligen Herdfeuers und von dessen Reinheit abzuhängen schien, 
von den Gründern solcher Gemeinden imd Stammvätern gan- 



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518 n. Ueber die Entstehung und Weiterbildung der Mythen. 

zer Völker und der ganzen Menschheit, denen zu Ehren jene 
Herdfeuer in Yesta-Tempehi unterhaben wurden, glaubte, 
dass sie dieses Feuer auch ursprunglich angezündet und vom 
Himmel herab geholt haben. Anderer Art dagegen ist es, 
wenn der Indra den D&non der. Trockenheit Qmhna schlägt 
und das Sonnenrad unter den Wolkenberg hinabdrückt, dass 
nach der Dürre die Regenzeit mit den Passatwinden eintritt, 
oder wenn der Frühlingsgott vom Blize verbrannt, dann im 
Meer oder bei den Nymphen oder auch in der Hüfte des Zeus 
eine Zuflucht findet, um neuverjüngt nachher wiederzu- 
kommen. 



Druck von Breitkopf und H&rtel in Leipzig. 



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DIE 



RELIGION UND MYTHOLOGIE 



DER 



GRIECHEN 



VON 



J. A. HÄRTUNG. 



ZWEITER THEIL. 

DIE URWESEN ODER DAS REICH DES KRONOS. 



LEIPZIG, 

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 
1865. 



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Vorwort 

»In Marseille starben am Freitag (22. Sept.) 32 Personen 
an der Cholera. Diese Stadt bot in der Nacht vom Donnerstag 
auf den Freitag in Folge der Feuer , die man in allen Strassen 
angezündet hatte, einen höchst merkwürdigen Anblick dar. 
Auf einem Baum von zwei Quadratstunden brannten Tausende 
und Tausende von ungeheuren Feuern. Vor der Präfectur hat- 
ten die Feuerwehrmänner einen ungeheuren Scheiterhaufen 
enrichtet und denselben in Brand gesteckt. Marseille zalt 600 
Strassen: keine einzige war ohne ihre drei Feuer, in einer der- 
selben brannten sogar 57. Um die brennenden Scheiter- 
haufen herum tanzten, wie auch in Toulon, junge 
Mädchen und junge Burschen. An mehreren Orten 
verbrannte man dieCholeraineffigie; eine hässliche 
Puppe mit kohlschwarzem Gesicht repräsentirte sie. a 

Dieser jüngst in den Zeitungen enthaltene Bericht beweist 
ims Folgendes : 

1) Die Menschen in Marseille Toulon u. s. w. glauben 
an Dämonen; 

2] Sie glauben, dass die Cholera von einem Dämon ge- 
macht sei, oder vielmehr selbst ein Dämon sei; 

3) Sie machen sich ein Bild von diesem Dämon, und glau- 
ben, dass durch Sympathie Alles was man diesem Bild anthue 
dem Dämon selbst angethan werde ; 

4] Sie glauben, dass durch Feuer die Luft, in welcher die 
Dämonen weben , gereinigt und die Dämonen selbst überwäl- 
tigt werden können ; 



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IV Vorwort. 

5) Sie glauben^ dass durch Tanz und wohl auch durch 
Musik und Gesang der Macht der Dämonen Einhalt gethan 
werde ; 

6) Diese Glaubensartikel sind weder durch Unterricht bei- 
gebracht noch überliefert, sondern sie wachsen gleichsam wild 
in dem Boden des menschlichen Herzens, und schiessen auf 
wie die Pilze bei günstiger Witterung ; 

7) Sie werden erzeugt von dem Bedürfiiiss ujid treten her- 
Tor, von der Zeit imd der Noth wach gerufen, so wie von jeher 
alle Religionen und alle Culte entstanden sind. 

Solche nicht etwa bloss bei den Wilden in Afirika Ame- 
rika und Australien, sondern häufig genug auch mitten in den 
Pflanzstätten Europäischer Cultur und Aufklärung vorkom- 
mende Erscheinimgeu bitte ich zu bedenken, wenn man etwa 
meine Art und Weise, die Entstehung der Culte und der My- 
then zu erklären , ablehnen und an der beliebten allegorischen 
Art , als einer vornehmeren , fS&sthalten wollte. 



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INHALT. 



Seite. 
Eintheilung und Ueberblick 1 

A. DIE DÄMONEN, DIE URMENSCHEN UND DIE URWELT. 

1. Dämonen und Götter. S. 3. — 2. Dftmonen und Uimen- 
schen. S. 10, — 3. Arten von D&monen. S. 15. — 4. Hesiods 
Menschengeschlechter sind Gattungen von Dftmonen. S. 20. 

— 5. Gottähnliche Menschen. Aethiopen. Aeolos. S. 23. — 
6. Meropes. S. 26. — 7. Die Phaeaken und Rhadamanthys. S. 
28. — S.Riesen. 8. 31. — 9. Tartaros. Titanen. S. 37. — 10. 
Giganten. S. 44. — 11. Kronos undlapetos. S. 45. — 12. Kro- 
nosfest, Sinfluth, Elysium, Peloros und Pelasgo«. S. 48. — 
13. Offvgos. Deukalion. Kekrops. 8. 53. — 14. Aeakos. Pe- 
leus. Myrmidonen. 8. 5^. — 15. Die Reinigungen nach der 
Sinfluth und die SOndenböoke. 8. 62. — 16. Das Seeunge- 
heuer und die Menschenopfer. 8. 65. 

B. MÄNNLICHE ELEMENTENGEISTER. 

I. Ungeheuer und Thiergestalten [UiX^Qa u. Bv^qh). 67 
1 . Löwe und Eber. 8. 68. — 2. Der Drache oder lintwurm. 8. 
72. — 3. Echidna und Typhon. 8. 75. — 4. Erechtheus. 8 78. 

— 5. Delphyne, Tilphussa. 8. 78. — 6. Der Drache Python 
von ApoUon erlegt. 8. 80.-7. Schlange, Hahn u. Hund. S. 83. 

n. Feuer^eister 87 

1. Die Einäugigen und die Geblendeten. 8. 87. — a) Orion 
und Euenios. 8. 87. — b) Kyklopen. S. 89. — c) Phineus 
und Lykurgos. 8. 92. — 2. Die Daktylen vom Ida. 8. 94. — 
3. Hephaestos. 8. 97. — 4. Daedalos und Palaemon. S. 100. 

III. Seegeister 102 

1. Teichinen. 8. 102 — 2. Triton. Amphitrite. 8. 104. — 
3. Palaemon. Glaukos. 8. 106. — 4. Sisyphos. Odysseus. 
Palaemon. 8. 109. — 5. Briareus. Aegaeon. Aegeus. 8. 113. 
— 6. Eurygyes. Androgeos. 8.114. 

rV. Telchinenartige Wesen 116 

1. Atlas. 8. 116. — 2. Nereus und die Nereiden. S. 117. — 
3- Proteus und Phorkys. 8. 119. — 4. Kyknos. 8. 121. — 
5. Die Schwäne. 8. 122. 

C. WEIBLICHE ELEMENTEN- UND WASSER- GEISTER. 

I. Von den Nymphen, Idisen, Nixen und ihren Ver- 
wandlungen in Schwäne, Tauben, Ziegen, Kühe . 126 
1. Peleiaden. 8. 130. — 2. Bienen. Ganymedes. Meliae. Bri- 
sae imd Briseis. 8. 132. — 3. Amaltheias Hom. Althaea. 
Ammen des Zeus und des Dionysos. 8. 136. 



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VI Inhalt. 

Seit«. 

n. Missgestaltete und unheimliche Wesen 13S 

1. Stymphaliden. S. 139. — 2. Die Sirenen und die Sphinx. 
S. 140. — 3. Die Hesperiden und die Graeen. S. 144. — 

4. Qorgonen, Medusa und Aex. S. 147. — 5. DieHarpvien und 
die zusammenstossenden Felsen. S. 150. — 6. Die Styx und 

der Acheron. S. 152. 

lU. Die dreiheitlichen Göttinnen 156 

1. Die Kekropstöchter. S. 158. — 2. Hyakinthiden, Hyaden 
und Heliaden. S. 160. — 3. Die Hören. S. 162. — 4. Die The- 
mis und ihre Töchter. S. 165. — 5. Die Moeren, die Keren, 
die Erinyen. S. 166. — 6. Die Hulden. S. 169. 

D. DIE SCHWÄRME. 
Von den Schwärmen überhaupt. 

I. Der 9/aao; des Dionysos, Nymphen und Satyren . . 175 

Anhang : Von den Eiben und Zwergen 177 

1. Von den Nymphen. S. 180. — 2. Die Satyren. S. 184. — 
3. Der Silen und der Marsyas. S. 187. — 4. Kerkopen und 
Kobolde. S. 189. — 5. Die Kentauren. Cbeiron. Pholos. S. 192. 

n. Satyrartige Wesen 196 

1. Pan und Terambos. S. 196. -- 2. Priapos. S. 201. 
III. Der 0/ct(ro; des Kretischen Zeus und der Rhea . . . 203 
1 . Kureten und Korybanten. S. 203. — 2. Meleager, Althaea 
und der Kuretenkrieg. S. 205. — 3. Korybanten. S. 206. 

E. DÄMONEN DES LICHTES UND DER FINSTERNISS. 

I. Helios und Hades 208 

Fortsezung von Hades und Helios. S. 212. 
II. Titan und die Rinderbesizer 214 

1. Die Rinderheerden des HeUos auf Thrinakia. S. 216. — 

2. Geryones. Menoetios. Orthros. S. 217. — 3. Alkyoneus. 

5. 219.' — 4. Augeias und Aktor. Neleus, Nestor und Peri- 
klymenos. S. 220. — 5. Nestor. Pero. Erginos. S. 222. — 

6. Elektryon. Hippokoon. S. 224. — 7. Admetos Lao- 

medon. S. 226. 

m. Die Zwillinge 228 

1. Idomeneus. Die Molionen oder Aktoriden. S. 230. — 
2 Die Aloiden. S. 233. 

IV. Die Gluth-Dämonen 235 

1. Phlegyer und Lapithen. Peirithoos, Kaeneus, Phorbas. 
S. 236. -r- 2.Ixion. Endymion. Kephalos. Prokris. S. 238. 

— 3. Tantalos. S. 240. — 4. Minos und Moloch. S. 242. 

— 5. Talos. Perdix. S. 244. — 6. Minotauros. S. 247. — 

7. Argos, S. 248. 



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Eintheilimg und UeberWick. 



Die griechische Mythologie unterscheidet deutlich dreier- 
lei Wesen : 

1) Thierartige und missgestaltige (Kiesen und Zwerge), 
welche zu AnfangallerDingemit demKronos da sind (oi tovKqo-- 
vov äfitpig iovregjy dem Tartaros und dem Elysium angehörend. 

2) Kinder des Kronos (Kroniden) und Himmelsbewohner 
(Uranionen) , die mit Zeus zur Herrschaft gelangt sind. 

3) Kinder des Zeus, jugendliche Wesen oder Genien, 
welche ihre Göttlichkeit sogleich nach ihrer Geburt bewiesen 
haben^ und Heroen (Laren) welche sich durch ihre Werke den 
Himmel verdient haben. 

Demgemäss wird auch unsere Beschreibung der griechi- 
schen Dämonen Götter und Heroen drei Theile haben, und in 
diesem ersten Theile werden wir von den Thier- und miss- 
gestaltigenUrwesen, Titanen, Giganten und Ungeheuern (xHjqeg 
imd niXcoQa) zu sprechen haben , welche theils einen gottähn- 
lichen, theils einen thierähnlichen Zustand bewahren, indem 
sie theils vor dem Aufkommen menschlicher Cultur da gewesen 
sind , theils die Verleugnung menschlicher Gesittung noch in 
dem Reiche des Zeus fortsezen. Nur die ersteren können 
zum Reiche des Kronos gerechnet werden; wir werden aber 
auch die lezteren in diese Behandlung mit aufnehmen wegen 
der Aehnlichkeit. Die Wohnungen jener Wesen liegen ent- 
weder in den fernsten Wunderländern an den Enden der Welt, 
in denen die Abenteuer und Irrfahrten des Odysseus imd die 

Hartanf,Il«l. u. Mythol. d. Gr. II. 1 



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2 Eintheilung und Ueberblick. 

Argonautenfahrt spielen, oder in derartigen bekannten und 
historischen G^enden, auf welche ein Theil der Abenteuer- 
lichkeit jener Wunderländer übergegangen ist, und sie selbst 
gehören nicht dem Cultus sondern bloss dem Glauben an und 
der dichtenden Phantasie. Die andere Classe waltet in Ele- 
menten, die sich nicht mit dem Himmel vereinigen lassen, 
in Höhlen, Felsen, Wäldern und Gewässern, und steht, wie 
Halbgötter, eine Stufe tiefer als die Himmlischen. Alle diese 
Wesen aber, besonders die urweltUchen, haben das Eigenthüm- 
liehe, dass sie von ihren Elementen weit weniger getrennt sind 
als die Olympischen und Homerischen Gottheiten, womit 
sodann der zweite Umstand zusammenhängt, dass man die 
nämlichen Wesen in den verwandten Religionen, z. B. der 
Germanischen, leichter wiedererkennt: denn es sind die Riesen 
und Zwerge [d. h. Missgestalten nach der ursprünglichen Be- 
deutung des Wortes), die Drachen, Lintwürmer, Schlangen- 
und Schwanen- Weiber, die Berggeister oder Bewohner hohler 
Berge mit der Tarnkappe und den unterirdischen Schäzen, 
die Wassergeister, Meerwunder, Nixen und Eiben, die Kobolde, 
Gnomen, Heinzchen und Wichtlein, die Idisen und Walkyren, 
Nomen u. s. w. , endlich die Geblendeten und Einäugigen^ 
Buckligen und Hinkenden, die Zauberer und Hexen, deren 
Handlungen menschliche Gefühle und Sittlichkeit verleugnen. 
Wenn es einestheils einen Rückschritt zu bezeichnen scheint, 
dass die Odyssee diese Wesen wiederum auf die Bühne bringt^ 
so kann es doch zum Tröste dienen , dass sie als entfernte Be- 
wohner der Weltenden und des Nebelreichs vorgeführt werden. 
Denn wir werden späterhin noch deutlicher einsehen, dass der 
Unterschied der Griechischen Religion von anderen, besonders 
der Persischen und Germanischen, eben darin besteht, dass die 
Herrschaft dieser Wesen mit dem Reiche des Kronos gestürzt ist 
Aber merkwürdig ist es, dass selbst unter diesen Wesen 
keine eigentlichen Personificationen von Elementen zu finden 
sind , und dass z. B. der Uranos , der Okeanos nur allein als 



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1 . Dämonen und Götter. 3 

mythologische Wesen existiren, und die Ge nur als 'Stellver- 
treterin der Bhea und der Demeter einige Berücksichtigung 
im Cultus gefunden hat. Das ist auch bei Helios und der 
Selene der Fall, die durch Phöbos undHekate vertreten werden, 
so dass die Rolle , welche sie in Sagen sowohl als in Culten 
spielen, aus dem Ausland herübergedrungen ist. 



A. Die Dämonen^ die Urmenschen und die Urwelt. 

I. DAnioiieii uiul Götter. 

» 

Es gab einst eine Zeit, wo man über Alles das, was dem 
Menschen, so wie das Denken imd Sprechen, natürlich ist, 
untersuchte, wer es zuerst erfunden und aufgebracht habe. 
Diese Zeit ist für die Slythologie noch nicht vorbei, deren In- 
halt man noch dazu immer als Ueberheferungen aus einer 
geistig anders organisirten Menschheit zu betrachten pflegt und 
wie fremdartige Uebeneste einer andern Welt anstaunt. So 
lange man auf diesem Fusse mit einem Objecte wissenschaft- 
lichen Forschens lebt, kann die Beschäftigung mit ihm keinen 
Nutzen bringen. Wie man aber nur um sich blicken dürfe, 
um auch in unserem Fühlen und Denken Gleichartiges mit 
jenen Traditionen zu entdecken, das lässt sich unter Anderem 
an dem Genien- und Dämonenglauben einsehen, über welchen 
viel geforscht worden ist, ob er etwa von den Etruriem zu den 
Römern , etwa von den Persem zu den Griechen gekommen 
sei, und zu welcher Zeit, bei welchen Autoren er sich zuerst 
vorfinde. Dieser Glaube gehört aber ebenfalls zu den natür- 
lichen und gleichsam denMenschen angeborenen Vorstellungen; 
er kann zu gewissen Zeiten und bei gewissen Menschenklassen 

mehr hervor- und wieder mehr zurücktreten , aber vorhanden 

1* 



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4 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

wird er ?u allen Zeiten gewesen sein; und um sogleich die 
älteste Griechische Urkunde, den Homer, zu befragen, so kann 
der oft vorkommende Zuruf daifuovie allein genügen für den 
Beweis, dass die Vorstellung von Geistern, welche einzelne 
Menschen begleiten und von denen diese oft besessen scheinen, 
bereits damals geheiTscht habe, also nicht etwa erst zu Pindars 
oder Phok) lides Zeiten aufgekommen sei. Noch heut zu Tage 
hat ein jeder religiös empfindende Mensch seinen Gott, der 
ihm sowohl Gutes als Schlimmes schickt , und bald dankt er 
etwas bald klagt er etwas seinem Gott, und ist vei-gnügt in 
seinem Gott u. s. w. , und trozdem ist dieser Personalgott 
zugleich der allgemeine Gott und Weltregent. Ist das etwa 
anders bei den Eömern, wo ein jeder ^lann und eine jede Frau 
ihren Genius hatte, und die Fyau den ihrigen Juno nannte, 
mithin der Mann den seinigen mit dem Jupiter für Eins halten 
musste *) ? Aber auch der Polytheismus ist bei uns noch keines- 
wegs ausgestorben ; eine grosse Menge von Geistern, von nicht 
geringerer Macht als irgend einer der alten heidnischen Götter, 
walten allenthalben, und nicht bloss über die abergläubischen 
unter den Menschen. »Kommt Geister alle, die in die Seele 
Mordgedanken säen«, sagt Lady Macbeth ; »Es geht ein finstrer 
Geist durch unser Haus«, sagt Thekla. »Es ist sein böser Geist 
und meiner« , sagt Wallenstein: »Dm straft er durch mich, das 
Werkzeug seiner Herrschsucht, und ich erwarte, dass der 
Rachestahl auch schon für meine Brust geschliffen ist. «1,7 
z. E. — und das sind nicht immer blosse Redensarten , eben 
so wenig wie wenn man von einem begleitenden guten oder 
bösen Engel redet , welcher völlig dem bald hell bald dunkel 
erscheinenden Genius, dem guten und bösen Dämon der 
Griechen, entspricht. Endlich drittens, in die Sprache des Pan- 
theismus übersezt, wird aus dem Engel entweder ein guter 
Stern oder ein Unstern. Es ist femer recht und natürlich, dass 



1) Plin. H. N. 11,5, 16. 



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1 . Dämonen und Götter. 5 

der Mensch Alles dasjenige, wozu ihn die Uebermacht des Ge- 
fühles , vielleicht sogar gegen die Einsprache des Verstandes, 
fast \\411enlos, getrieben hat, und was ihm unbewusst der Regeln 
mittelst eines mächtig waltenden Instinctes [Genie's , das von 
Genius benannt ist) gelungen ist, und wenn er in den wichtig- 
sten Momenten seines Lebens, der Gattinwahl, der Berufswahl 
u. s. w. , dem Zug des Herzens unwillkürlich gefolgt ist — 
dass er dies Alles der Führung seines Gottes zuschreibt. Bei 
diesem ihrem Gotte pflegten daher die Römer zu schwören; 
man pflegte auch andere Menschen bei ihrem Gotte bittend zu 
beschwören , und allgemein herrschend war die Sitte , bei dem 
Genius der Kaiser zu schwören. » Willst du schwören « , sagt 
Julie zum Romeo, »so schwör' bei deinem edlen Selbst, dem 
Götterbilde meiner Anbetung. « In der That scheint in dem 
Genius, wenn er in dieser Weise aufgefasst wird, das eigene 
geistige Selbst des Menschen, aus ihm hinaus gelegt, gegen- 
ständlich geworden zu sein, ähnlich wie von Visionären (einem 
Hamlet , einem Macbeth) die innere R^^ng als ein Geist ob- 
jectiv angeschaut wird. * Rationell und prosaisch ausgedrückt 

heisst das : der Genius bedeutet das Naturell des Menschen, 

'2 . 

und offenbar wird er von Horaz Epist. H, '187 in dieser Weise 

gefasst. Weil aber, wie die Thekla sagt, der Zug des Herzens 

des Schicksals Stimme ist , so bedeutet der Genius auch das 

Schicksal , was auch schon aus seinem Zusammentreffen mit 

dem Stern und dem Unstern zu entnehmen war. 

Nach diesen Betrachtungen soll nun zuerst das Verhält- 
niss der Dämonen zu den Göttern etymologisch erörtert, sodann 
die bei den Griechen üblichen Vorstellungen kurz angegeben 
werden. 

Im Sanskrit heisst dj'äus Himmel oder laicht , diwan Tag, 
diwä oder d/atai bei Tage. Daraus ist zu entnehmen , dass Ju- 
piter , d. h. DjUr-pitery so viel wie Himmelvater bedeute 
und bloss eine andere Form fUr Diespiter sei. Nun ist aber 
I)^'us so viel wie Zfvg und Jiog so viel wie Jacis , und mb 



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6 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

divo entspricht dem kvdiov. Mithin bedeutet auch Zeus den 
HimmeT^). 

Im Sanskrit femer heisst dStcas dem. Das Wort ist also 
zwar verwandt mit diwa aber doch nicht Eins mit ihm ; denn 
es unterscheidet sich von ihm durch die Lautverstärkung. 
Götter sind die imLichte Wohnenden, denn in den Vor- 
stellungen aller Völker ist Licht so viel wie Heil und Leben, 
Finstemiss aber so viel wie Unheil und Tod : also müssen wohl 
die Seligen Theil am Lichte haben. 

Nun ist es auffallend, dass bei den Färsen die ddwas zu 
bösen Geistern geworden sind. Dieser Uebergang lässt sich in 
zweierlei Weise erklären, entweder so, dass die Lichtdämonen 
zu Feuerdämonen geworden sind, oder mittelst der Annahme, 
dass ddwa mit dal^iov mehr als mit ^sdg gleichbedeutend ge- 
wesen sei, mithin einen Geist bezeichnet habe, und dann auf 
die besondere Klasse von Geistern beschränkt worden sei im 
Gegensatz zu Ized, dem guten (angebeteten) Geiste^). 

Das Wort Dämon wird bereits von den Alten für datjfdcjv 
(den Wissenden) genommen, und dieser Ableitung können 
wir um so weniger entgegen sein, da wir wissen erstlich, dass 
auch Dädalos zu den Dämonen gehört, welcher offenbar diesen 
Namen von dem Wissen und von der Geschicklichkeit bat, 
und zweitens , dass alle diese Wesen , die halbthierischen und 
missgestalteten sowohl als die edleren und Genien-artigen, im 
Besize geheimer Kenntnisse und Zauberkräfte seien. Warum 
also sollten sie nicht die Wissenden, dieGescheidten und 
die Kundigen heissen, da sie, die dunklen Höhlen der Erde 
und die Tiefen des Meeres durchforschend, die geheimen Kräfte 
der Metalle der Steine und der Pflanzen kennen, gleich den 
Schlangen , ihren Sjrmbolen , imd mittelst dieser Zaubcrmittel 



2) Vergl. G. Curtius, Gr. Etym. I, 201. 

3) Auch das Wort &c6g, trozdem dass es ein Lichtwesen bedeutet, 
wird von unterirdischen Göttern gebraucht, und Sophokles nennt den 
Ares , als Pest , ai^tov iv ^iotg 9i6v, 



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1. Dämonen und Götter. ' 

auch das Entfernte und noch Verstecktere erfahren können? 
Zudem sind sie Geister, und in dieser Eigenschaft fähig, überall 
hin zu dringen und unsichtbar zugegen zu sein, womit auch 
die andere Fähigkeit zusammenhängt, sich in alle Gestalten zu 
yerwandeln , welche wir an mehreren derselben wahrnehmen 
werden^). 

Plutarch (def. orac. 10. p. 415) bemerkt^ dass Homer die 
Ausdrücke d-aol imd dai^ov$g ohne Unterschied zu gebrauchen 
scheine, Hesiod aber eben so bestimmt die dalfiovag und d'eovg, 
wie die Menschen und Heroen, von einander scheide, und dass 
Andere wiederum Menschen zu Heroen, Heroen zu Dämonen 
und einige von diesen zu wirklichen Göttern werden lassen^). 
Alles das ist richtig imd verträgt sich mit einander , ohne dass 
man darum die BegrüTe zu vermischen oder in einander flies- 
sen zu lassen braucht. So sind nach Hesiod die Dämonen von 
den Göttern bestimmt unterschieden dadurch, dass sie erst- 
lich reine Geister sind, ganz so wie wir uns die Geister zu 
denken pflegen, gasartig, mithin unsichtbar, und überall zu- 
gegen. Denn von dieser Art ist wenigstens das Wesen der 
Homerischen Götter nicht. Zweitens sind sie aus den Seelen 



4) Wir werden auch denen nicht widersprechen, welche Sni^tov lieber 
von ßtt((o t h e i 1 e n , ableiten wollen, weil wir es nicht für nöthig erachten, 
die beiden Begriffe scheiden und erkennen zu trennen; denn zum Oe- 
scheidt-sein gehört eben, dsss man unterscheiden könne. Und endlich' 
irerden wir auch einer Herleitung aus (f«/w — J^dtja, leuchten, nicht 
2u widersprechen brauchen, weU wir im Jtt(dttlos sowohl den Feuerdftmon 
als auch den Künstler gefunden haben , und weil wir die vermeintlichen 
drei Verba als 4ines erkennen, indem das Wissen (oMn) ein Sehen 
{videre) und das Sehen ein Scheiden {cemere) sowohl als auch ein Be- 
leuchtenist; vergl. il<v<ra«f«' und ktcere^ blicken /9A^7r«f9' und blizen, 
Auge nvyji. Der Geist (Gischt) endlich ist etwas Gasartiges, und dieser 
Begriff liegt auch in (T/Jf}a , sanskr. ^fjut. 

5) Vergl. Eur. Alk. 1024 (957) : avtri notl TtQov&nv avÖQog, vvv 6* 
iar) ^ttxaiga Jafutor^ und: d^ioloi ^ ofjtoiwgaißaa&to, Aesch. Choeph. 
210—212. Herod. IV,79. 



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8 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

Abgeschiedener geworden. Das von allen anzunehmen war 
aber nicht nöthig, indem sie, ehe sie noch in einen Menschen- 
leib eingiengen, Ausflüsse aus dem allgemeinen Geisterelemente 
dem Aether, waren, wodurch auch Homer gerechtfertigt er- 
scheint , wenn er sie von den Göttern nicht bestimmt unter- 
scheidet. Wenn also Hesiod hierinnen orientalische Vorstel- 
lungen aufgenommen haben sollte, so hat er doch nichts durchaus 
Neues eingeführt, sondern vielleicht nur etwas Verdunkeltes 
wieder aufgefrischt. Denn dass eine Unterscheidung bereits 
vor Homer gemacht war, das ist eben aus dem Vorhandensein 
der beiderlei Benennungen zu entnehmen; und Neuere haben 
bemerkt, dass öal^iov bei Homer numen, einen Geist oder ein 
göttliches Wesen, ^eog aber personam divinam , eine ausge- 
prägte Persönlichkeit, bezeichne (II. ^, 98; Od. e, 396; 
Od. y, 27), ingleichen dass von Homer dal^tiav öfter für den 
bösen Dämon [(nvyBqov) und für das verderbliche Geschick 
als für das Gegentheil gebraucht werde*). Damit steht Hesiod 
nur scheinbar im Widerspruch, wenn er [eqy, 252 ff.) von drei 
Myriaden Dämonen spricht, welche auf der Welt unsichtbar 
umherschweifend das Thun der Sterblichen beachten, Unrecht 
und Missethaten wahrnehmen. Denn thun sie dies , so können 
sie den Menschen auchUebles zufügen, mittelbar oder unmittel- 
bar ; und dass die Schicksale , die von ohngefähr zu kommen 
scheinen, von dergleichen unsichtbaren Geistern herrühren, 
versteht sich dann von selbst. Allerdings stimmt aber diese 
Auffassung , wie auch der Glaube , dass die Dämonen Seelen 
Abgeschiedener und Genien seien, auch mit den Vorstellungen 
der Orientalen zusammen , wie z. B. nach dem Glauben der 
Parsen die Fratashi fFercersJ ganz wie die römischen Genien 
walten , als Geister von Verstorbenen und begleitende Engel, 
geistige Doppelgänger der Menschen und*sogar auch der Götter, 



6) Nägel8b.Nachh.Theol.S.112j Hom.Theol. S.68. Schömann, 
Gr. Alt. II. S. 143. 



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1 . Dämonen und Götter. 9 

gleichsam als deren reineres Selbst'). Also hatten auch die- 
jenigen der Alten nicht Unrecht, welche in den Dämonen eine 
zwischen Menschen und Göttern stehende Klasse von 
Wesen erkannten und den Glauben an sie von den Magiern 
Zoroasters, von den Aegyptiem und den Phrygiem herleiteten 
(Plut. def. or. p. 415). 

Den Griechen also war diese Auffassung des daifucov eben- 
falls geläufig, dass nämlich derselbe die Schicksalsmacht eines 
Individuums, seinen guten oder bösen Engel, bedeutete®). 
Dabei unterscheidet sich der daifiiov von der Tvx^ ohngefahr 
so wie der Theologengott von dem Pantheistengott, nämlich 
durch die Persönlichkeit^). Uebrigens ist es, wie gesagt, dem 
Menschen so natürlich , den Weltengott zu seinem Gott und 
seinen Gott zum Weltengotte zu machen, dass es sehr unnüz 
ist, zu forschen, wann diese Ansicht zuerst bei den Griechen 
herrschend geworden sei und woher sie stamme. Und auch das 
versteht sich wohl von selbst , dass der Personalgott bald gut 



7) Vergl. Duncker, Gesch. d. Alt. II. S. 359j Welcker, Gr. 
Götterl. I. S. 737. * 

S) N&geUb. Nachh.Th.S. 112ff.;Schömann,Gr.Alt.lLS. 146.; 
Pind. Ol. XIII, 28: xal rorJe Xkov a^Xaßfj r^fnov S^vot^ tivrog fvd^Wi 6af- 
fiovog ovQov (lenke Xenophons Loos in günstiger Strömung) . 

9] Sonst könnte E u r i p i d e s nicht sagen fragm. ine. 187 iXxe Tt/« t/«- 
tXti öftf^tov T(t ßQOTfia xQafrfi ; vgl. Rykl. 606 , Phon. 403 6 dulfitov fi 
ixttUdiv TtQog Ttjv rt'xriv (mein guter oder böser Engel führte mich zu die- 
sem Glück oder Unglück) . Sogleich darauf heisst es : aotfog ynq 6 d^fog [der 
Gott ist klug und listig, insofern er uns, wohin er will, wider unser Wissen 
und Wollen führt) , wo der Fersonaldämon von dem Weltregen- 
ten wiederum nichtgeschiedenist. Denno d^oV pflegt der Welten- 
gott genannt zu werden. Um so weniger aber kann sodann ^ai/LKav jemals 
dos wirkliche, leibhaftige, persönliche Selbst eines Menschen bedeuten 
•wie Nägelsbach meint) , und darum kann ich heute noch so wenig als vor 
16 Jahren glauben, dassEur. Phon. 1696 ovxovr iJtaxi rg[ Tv/tf rör daifdora 
richtig gesagt sei. Denn was wäre das : Er hat seinen Gott dem Geschick (?) 
zum Opfer gebracht? Es muss heissen : Er hat seinen bösen Genius mit dem 
Misslingen seines Untemehi^ens , sein Naturell mit jeinem Tode ge- 
büsst httTfi. 



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1 A. Die D&monen , die Unnenschen und die Urwelt. 

und bald bös erscheinen muss, sintemal ja auch Alles was 
der Mensch unbewusst und willenlos thut oder eingeht (und 
das ist, wie wir gesehen haben, eben die Führung des dai^wr) 
von dieser zwiefachen Art ist; ich sage aber bloss erscheinen; 
denn Christen werden bloss in Versuchung geführt , ohne der 
Versuchung folgen zu müssen. Dass endlich die Personalgötter 
im Polytheismus häufig als Mittelnaturen und als Diener (Bo- 
then] der höheren Götter auftreten, geben wir zu, leugnen aber, 
dass die Dienematur nothwendig zu ihrem Wesen gehöre. 
Endlich , wenn unsichtbare Mächte , wie der Eid , die Scheu, 
die Gerechtigkeit , . das Prädikat Dämon erhalten, so ist damit 
nur gesagt , dass sie keine bloss allegorischen Wesen , sondern 
wirkliche geistige Gewalten seien. 

2. DAiiioiien und llrnienselieii. 

Dass die Menschen den Zustand ihres Lebens in der Welt 
als einen unvollkommenen , durch Sündenbefleckung yerdor- 
benen, und darum mit Krankheiten, Tod und allen Uebeln be- 
hafteten, betrachten, dazu haben sie volle Ursache. Die ganz 
natürliche Folge aber dieser Einsicht ist es^ dass sie sich einen 
vollkommenen , von allen diesen Mängeln freien , Zustand so- 
wohl am Anfang als an dem Ende der Dinge denken, ein Ely- 
sium oder Paradies, aus welchem der Mensch verbannt worden 
sei und in welches er einst wieder zurückkommen müsse. Die- 
ses Elysium hat , so glaubt man , einst wirklich auf der Welt 
bestanden, die ersten Menschen haben darinnen gelebt, freilich 
andere Menschen als die jezigen sind, weil sie von allen den 
genannten Mängeln frei waren; allein die Wiederbringung 
dieses Elysiums in die wirkliche Welt wird zwar immer noch 
gehofft, vorder Hand muss sich aber jeder begnügen, wenn er 
nur erst nach seinem Tode dahin gelangt. 

Der inneren Welt ist die äussere gleich imd entspricht ihr 
so vollkommen , als wäre die eine das Ebenbild der anderen. 
Es gibt in der physischen Welt Frühling und Winter, Tag und 



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2. Dämonen und Urmenschen. 1 1 

Nacht, fröhliches Leben und schmerzhafte Krankheiten, Leben 
und Tod u. s. w. Der Frühling, wo die Natur aus der Erstar- 
rung des Winters zu neuem Leben erwacht, gleicht der Schöpfung 
der Welt aus dem Chaos, wie Virgil Georg. II, 336 sagt: 

»Orade in selbiger Art sah bei der Entstehung der Welt man 
Hell anbrechen den Tag mit dem nftmliohen Gang der Entwicklung, 
Glaub* ich : ein Frahling war es : das Weltall feierte Frühling ! 
WintergestOrm war fem bei dem milderen Wehen des Zephyrs.« 

Also gleicht der Frühling auch dem Paradies oder goldenen 
Zeitalter, womit das Leben in der Welt begonnen hat, wie denn 
auch unsere mittelalterlichen Dichter ewig von Frühling und 
Liebe singen, und damit nur ihre Sehnsucht nach der Wieder- 
kehr jener goldenen Zeit gleich den Idyllendichtem zu ver- 
stehen geben. Man muss aber wissen, dass alle Schöpfungs- 
geschichten den Tages- und Jahreslauf zum Vorbilde haben, 
und dass die Schöpfungstagc den Jahresfesten entsprechen. 
Warum herscht denn nun in der Welt kein ewiger Frühling? 
Weil sie verunreinigt worden ist durch die nämlichen Dämonen, 
welche auch zum Sündenfall verführten. Dieselben brachten 
die Sommergluth und den Winterfrost in die Schöpfung hinein; 
dann kam mit den Passatwinden die Sinfluth der Regengüsse 
als Abwaschung und Reinigung der also befleckten Welt, imd 
dieser Kreislauf wiederholt sich beständig. 

Hiermit haben wir die Sagen von dem Indischen Brüder- 
paare Jama und Manus (welche mit Recht für Eins gehalten 
werden) schon grösstentheils erklärt. Manus d. h. ^Mensch, 
ist der aus der Sinfluth gerettete Noah , und derselbe schaflt 
das erste Weib Idd durch ein ins \A'asser geklärtes Opfer von 
Milch und Butter. Jama, d. h. geminus, Zwilling oder Dop- 
pelter, J i m a bei den Parsen, dann Dschem-schid, genannt, 
ist bei den lezteren zugleich Adam und Noah und König im 
Lande der Seligen sowohl als im Hades. Also ist er Herrscher 
in beiden Welten, der oberen und der unteren, und Sonne des 
Tages sowohl als der Nacht, Helios und Hades zugleich, und 



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12 A. Die D&monen , die Urmenschen und die Urwelt. 

darum heisst er der Zwilling. In der späteren Indischen 
Religion hat er bloss noch die Würde des Hades beibehalten. 
»Die Sonne, welche uns hier leuchtet«, sagt Bunsen (Gott in 
d. Gesch. 11. S. 119), »leuchtet auch dort den Seligen. Da 
sizen sie lun ihn her (die Pitaras, d. h. Ahnen der Väter) 
unter dem Dache eines schön belaubten Baumes an kühlen 
Wassern in ewiger Ruhe. Wenn dieses theils an den grossen 
Seligen, wie Pindar ihn nennt, den Kronos auf den Inseln 
der Seligen, erinnert, theils an Odin (Wodan) und Walhalla, 
so werden manchem Leser Pindarische Gedanken in dem Liede 
Kasjapas anklingen : 

Wo unvergängliches Licht in der Welt, wo der Sonnenglanz wohnt, 
Dahin bring*, o Soma, mich hin in die unsterbliche, unyerlezliche 

Welt u. s.iw.io) 

Vollständiger als in den Veden xmd auch ursprünglicher, 
möcht' ich sagen , hat sich die Gestalt des Titanen und Ur- 
menschen Jima im Avesta bei den Parsen erhalten, wo er noch 
ganz allein Adam und Noah und Kronos oder Wodan ist , und 
in den Sagen die Bedeutung des ersten und des lezten Para- 
dieses sowohl als auch der zwischen beiden übenden Sinfluth, 
als einer Wiederherstellung des Paradieses nach seiner ersten 
Verunreinigung und zugleich als Erneuerung der Schöpfung, 
klar durchschimmert. Dabei ist dieser Urmenschzugleich 
ein Gott, und diesen doppelten Charakter haben , wie wir 
sehen werden , den biblischen Adam ausgenommen , alle die 
Urmenschen der Mythen, so wie auch der Abfallde r^G c i s t e r 
von dem Himmelsgotte mit dem Sündenfall der 
Menschen überall, ausser in der Bibel, Eins ist. 

Der Jima also war der erste Mensch auf der Erde, welche 
damals noch ein Paradies war, die er bevölkert und mit einer 
goldenen Lanze spaltend auseinander getrieben hat, dass sie 

10) Vgl. Windischmann, Ursagen der Arischen Völker, S. 11; 
Hang bei Welcker, Gr. Oötterl. I. 8/ 735 f. Ersterer, um das sogleich 
hier zu bemerken , findet in dem Manus den griechischen Mlvvg , in dem 
Jama den * P«Sdfiai'(hvg wieder. 



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2. Dämonen und Urmenschen. 1 3 

um ein Dritttheil grösser wurde; sodann war er auch ein Gott, 
der neben dem höchsten Himmelsgott und seinem Geistervolk 
(Ormuzd mit den Ized) im Paradies (Varem) mit seinem Men- 
schenvolke wohnte und herrschte. Nachher, als die Welt, durch 
den bösen Geist Areiman verunreinigt , mit dem Winter und 
vielen Uebeln geplagt war , schied er aus dieser also verdor- 
benen Welt ein neues Paradies aus, einen Garten von der 
Länge einer Keitbahn ins Gevierte , wohin er den Samen aller 
Geschöpfe und auch der Menschen brachte. Diesen Garten 
femer sehen wir in ein Schiff verwandelt in der Assyrischen 
Sage , in dem Zweistromlande der überschwemmenden Flüsse 
Euphrat und Tigris, wo die Reinigung der befleckten Welt 
durch die Wasser der Sinfluth darangeknüpft ist. 

Es kommen in allen Traditionen und Mythologien wiederum 
Sagen von der nämlichen Bedeutung vor, aber nicht immer so 
einfach und so durchsichtig, sondern durch Umdichtungen 
entstellt, mit unorganischen Zusäzen, wie mit Unkraut, über- 
wuchert , oder auch ruinenhaft zertrümmert , zerbröckelt , von 
Schutt überdeckt , so dass die erste Anlage des Bauplanes oft 
schwer mehr zu erkennen ist. Wäre das nicht , so würde man 
z. B. in dem Hellenischen Kronos längst den oben beschrie- 
benen Jama oder Jima wieder erkannt haben, in jenem alten 
Könige, der über ein Volk von kräftigen Urmenschen, Titanen 
oder auch Geistern, hen*scht und mit denselben, weil sie sich 
an den Himmlischen versündigen , zwar in die Heia (den Tar- 
taros) hinabgestürzt wird , aber trozdem auch in dem Lande 
der Seligen (Elysion) lebt und herrscht (mithin wieder aus dem 
Tartaros entlassen ist) , und dessen Feste Kronia fSatumaUaJ 
deutlich die Wiederkehr des goldenen Zeitalters nach der Be- 
endigung der Sinfluth bedeuten , wo der Genuss aller Güter 
gemeinsam und alle Menschen Brüder sein sollen. 

Besonders in der Griechischen Mythologie ist es schwierig, 
das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden, 
weil erstlich die Sagen von Dichtem ohne Verständniss ihres 



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14 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

Sinnes in unterhaltliche Geschichten verwandelt sind, und 
dann weil bei der Urzersplitterung des Volkes in viele Stamme» 
deren jeder seine eigene Tradition fortpflanzte, auch die mytho- 
logischen Helden und ihre Thaten in gleicher Weise zertrüm- 
mert und zerbröckelt erscheinen. Also lassen sich statt ^ines 
Noahs leicht ein Duzend auffinden, wie Deukalion, Ogy- 
ges, Kekrops, Pelasgos u. s. w. , ingleichen mehrere 
Könige der Seligen oder Richter im Schattenreich, ein M i n o s, 
Aeakos, Rhadamanthys, und eine ziemlich grosse Zahl 
von Menschenschöpfern und Urmenschen, ein Prometheus 
mit seinen Lehmmenschen, ein P e 1 e u s (dessen Name wiederum 
auf Lehm hindeutet) und ein Aeakos mit seinen Myrmi- 
donen, ein Deukalion mit seinen Steinmenschen [Xäeg — 
kaol) , die von der Erde gezeugten und wiederum von ihr be- 
deckten und begrabenen Giganten u. s. w. — lauter Brocken 
und Trümmer, welche, aus dem Schutt hervorgegraben und zu- 
sammengestellt, erst wieder ein Ganzes zu bilden geeignet sind. 
Einer vollständigen und keineswegs zerspaltenen mytho- 
logischen Figur begegnen wir wiederum in dem obersten Gott 
unserer Vorältem, dem Wodan, der als König in Wal- 
halla^*), d. h. in der Halle welche die in der. Schlacht ge- 
fallenen Helden (die Eniheriar oder Heroen) als Selige auf- 
nimmt (im Elysion) , sich leicht als einen Jama oder Kronos 
zu erkennen gibt, womit auch alle seine sonstigen Eigenschaf- 
ten übereinstimmen, dasser in beiden Welten waltet (wesshalbdie 
Römer den Hermes in ihm wiederzufinden vermeint haben, und 
auch darum , weil er die Runen erfunden habe) , dass seine 
Gattin F r o u w a (Frau) oder F r i g g a eine andere Rhea ist imd 
Herrin der in Schlachten Gefallenen genannt wird und oberste 
der Walkyren, dass man ihm (wie dem Bel-Kronos) Menschen 
zum Opfer schlachtete (Tac. Germ. 9) , während man den 



U) Vergleiche Walstatt, Walkyre, d. h. zum Tod Kürende, Walblut, 
Walraub, Walrabe etc. 



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3. Arten von Dämonen. 15 

Donner und den Z i u ^^ nur mit Thieropfem versöhnte^ dass 
er der Vater dieser beiden igt (so wie Kronos des Zeus und 
seiner Brüder) nnd Oberhaupt der zwölf Äsen (gleichsam Tita- 
nen] y dass er noch jezt mit seinem Gefolge in Bergen unter 
der Erde wohnt, der Wiederkehr harrend (eine Rolle, welche 
von ihm auf einige historische Helden ist übert3*agen worden, 
z. B. auf den alten Barbarossa mit seinem langen , durch den 
Tisch gewachsenen BartJ , und dass er zu gewissen Zeiten aus 
diesem Aufenthalte hervorkommend mit seinem Heere , dem 
sogenannten wüthenden Heere (will sagen Wodans -Heere], 
durch die Luft fahrt, wobei auch seine Gattin , als Frau Holle 
oder Hulda (die im Venus-Berge wohnt} , nicht zu fehlen pflegt. 

3. Arten von DAinonen. 

Um in dem Gtfwirre der Mythen sich zurecht zu finden, 
muss man erstlich auf die Quelle derselben zurückgehen, zwei- 
tens das Leben und die bei allen Menschen in der Welt herr- 
schenden Vorstellungen von über- oder aussersinnlichen Dingen 
berücksichtigen. Die Quelle der Mythen ist die Phantasie, 
welche von den Zuständen der Menschen und ihren Bedürf- 
nissen bestimmt wird. Zu den allgemein herrschenden und den 
Menschen gleichsam angeborenen Begriffen aber gehört , dass ' 
es Geister ober und unter der Erde gebe , und dass die Seelen 
der Verstorbenen zu diesen Geistern übergehen. Der Mensch 
kann sich nicht denken , dass eine Zeit kommen könne , wo 
er nichts mehr wäre, und wo sein ganzes Bewusstsein, so wie 
vor der Zeit seines Entstehens , verschwimden sein sollte. Er 
kann sich eben so wenig auch denken, dass eine geliebte oder 
gefärchtete Person, nachdem sie ihr Leben verhaucht, plözlich 
so ganz aus der Welt und aus dem Reiche der denkenden Wesen 



12) Ziu, wovon Ziestig oder Dienstag: auch der Mittwoch, 
Wednesday (Wodanstag) bei den Engländern , dann der Donnerstag und 
der Freitag (von der Freya) sind nach solchen Göttern benannt. 



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16 A. Die Dämonen, dije Urmenschen und die Urwelt. 

verschwunden sei , dass nicht wenigstens ihr Geist sich noch 
um etwas , das ihr lieb und theuer war , bekümmern sollte. 
Mag darum der Freigeist die Unsterblichkeit leugnen ; in be- 
geisterten Momenten wird er wiederum daran glauben , wenn 
ihn das Bild einer geliebten hingeschiedenen Person wie leben- 
dig umschwebt. Und mögen die Vorstellungen von dem Zu- 
stande der Abgeschiedenen bei verschiedenen Völkern verschie- 
den sein,hier schwankend und nebelhaft (wie bei denHomerischen 
Griechen und bei den alten Hebräern) , hier fester ausgeprägt 
und zimi Glaubensartikel erhoben (wie bei den Aegyptiem) : 
im Ganzen beg^pen wir doch überall den nämlichen^ von 
keiner Theologie abhängigen, sondern dem menschlichen Her- 
zen natürlichen und nothwendigen Vorstellungen, welche sich» 
den Hauptsachen nach etwa in folgende Säze zusammenfassen 
lassen. 

1) Der Geist sinkt in das Reich der Finstemiss hinab, 
wenn das Auge bricht , und kommt in der Unterwelt (Heia, 
Hades] zm* Ruhe , wenn der Leib oder die Asche im Grabe 
beigesezt wird. 

2) Aber der Athem , welcher die Seele ist (wohl in allen 
Sprachen ist Seele und Athem ein Wort} , wird in die Luft 
verhaucht und schwingt sich zum Himmel empor , woher er 
gekommen ist. 

3) Der Geist behält eine gewisse Anhänglichkeit an die 
ehemaligen Orte seines Wirkens und an die angehörigen Hin- 
terbliebenen. Er trennt sich auch nicht gern von der Stelle, 
wo der Leib beigesezt ist. 

4) Sein Wirken ist seinem früheren Wesen entsprechend, 
schadenstiftend wenn es ein böser Mensch war, segenspendend 
wenn es ein guter war. 

5) Die Geister sind auch von verschiedener Kraft und 
Bedeutung je nach ihrer ehemaligen Bedeutung im Leben, 
und ihr Fortleben dauert und schwindet oft mit dem Andenken 
der Menschen. 



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3. Arten von D&monen. 17 

An diese einfachen Säze (zu denen wohl die meisten Men- 
schen fortwährend sich bekennen] knüpfen sich aber andere^ 
die schon mehr in bestimmte Mythengestaltungen übergehen. 
Also leben und wirken diese Geister unter der Erde , in Höh- 
len und Klüften 9 und sind auch im Besize der unterirdischen 
Schäze , der Metalle , die sie bearbeiten , der Quellen , die sie 
hüten , und können diese Schäze den Menschen spenden oder 
Torenthalten. Darum heisst der Gott der Unterwelt Pluton, 
der Reiche , darum wird der Nibelungenhort solchen Geistern 
abgewonnen und wiederum zurückgegeben, darum sind die 
unterirdischen Riesen (Kyklopen) und unterirdischen Zwerge 
so tüchtige Schmiede und Bergleute ; darum lebt da drunten 
ein ganzes Volk solcher Gnomen und Eiben, verkommene und 
vergessene Geister Verstorbener , scheint es , die darum doch 
nicht aufgehört haben zu leben und zu wirken. So weit aber 
solche Geister noch nicht aufgehört haben , sich für Orte und 
Menschen ihres ehemaligen Wirkens zu interessiren, bilden sie 
die Hausgeister, die Penaten der Familien und Gemeinden; 
und so erheben sich solche Manes zu Laren und Heroen, die 
als Grründer und Beschüzer der Haus- und Stadt-Gemeinden 
verehrt werden. Die anderen schweifen im Freien, in Wäldern 
imd Feldern, in der Einöde und in der Wildniss herum, kobold- 
artige, missgestaltige , oft halb-thiergestaltige Wesen; denn 
natürlich haben sie mit dem Tod einen Verlust erlitten, so dass 
sie, sofern sie nicht als hervorragende Persönlichkeiten ins 
Elysium oder in den Himmel aufgenommen worden sind unter 
die seligen Geister , in dieser Beziehung tiefer stehen als die 
Menschen, wenn sie auch in anderer Beziehung, als reine Gei- 
ster, höher stehen, so dass sie den Menschen manchen Vortheil 
bringen imd S^en spenden können , was sie auch gern thun, 
wenn man sie nur gut behandeln vnW. 

Sind schon diese Geister nicht an ihr Grab und nicht an 
den imterirdischen Aufenthalt gebimden, so gibt es andere, 
welche ganz den oberen Regionen angehören. Wir haben ge- 

H artung, Bei. u. Mythol. d. Gr. II. 2 



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18 A. Die Dämonen, die Urmenaehen und die Urwelt. 

sehen, dass bereits von vom herein die Vorstellungen über den 
Aufenthalt der Seelen nicht zusammenstimmen , indem man 
die Seelen theils an das Grab geknüpft denkt [und wer thut 
das nicht , der z. B. am Grabe eines Verstorbenen kniet und 
1 betet?), theils in den Aether emporgeschwungen. Und das 

Imuss man überhaupt sich merken, dass man v<m mythologischen 
Vorstellungen niemals vollkommene Uebereinstimnmng und 
Klariieit, wie von Verstandesbegriffen, fordern dar£ 

Es herrscht ein Glaube, dass die Seelen aus dem Himmel 
stammen und in den Himmel zurückkehren. Die Griechen 
(wenigstens die Denker unter ihnen] denken sich das so , dass 
der Aether (Zeus) ein Seelenstoff sei , von welchem die Seelen 
Ausflüsse seien, so gut wie die himmlischen Götter. Da somit 
beide, Seelen und himmlische Götter, ^ines Stammes sind 
und einer Art, so werden auch häufig Götter und Dämonen> 
Äsen und Licht-Eiben, mit einander verwechselt. So wie nun 
ein jeder Mensch seinen bald dunklen bald hellen Genius hat, 
der sein Glückstem ist , also hat auch eine jede bürgerliche 
Gemeinde einen Kastor und PoUux, Romulus xmd Remus, in- 
gleichen jede Famihe, jedes Haus und jeder Ort u. s. w. ; und 
diese Genien entsprechen wiederum den Penaten und Laren. 
Also gehen die Manen nicht allein in Laren , sondern auch in 
Genien über, und eigentlich sind in dem Genius, wenn er bald 
weiss und bald schwarz ist, beide, der Licht-Elbe und der 
Schwarz-Elbe, der Genius und der Lar, beisammen. Und in 
den meisten Religionen bleiben sie auch wohlvertriglich bei- 
sammen, aber in dualistischen Religionen scheiden sie sidbi als 
Engel und Teufel, indem zugleich die Hölle zu einem Aufent- 
halte der Verdammten, der Himmel zum Aufenthalte der Seligen 
wird. Dann kostet es Mühe, aus dem Hades oder dem Purga- 
torium (denn auch dieser Mittelzustand wird ersonnen] erlöst 
zu werden , und nicht ohne Beihilfe der Hinterbliebenen wird 
die Erlösimg vollbracht. Schon die Römer übten gewisse Cere- 
monieen , durch welche menschliche Seelen in göttliche seHge 



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3. Arten Ton Dimonen. t9 

Geister verwandelt wurden (s. meine Rel. der Römer I, 8. 45). 
Und bei den Griechen ist öfter davon die Bede, dass Heroen 
oder Heroinen aus dem Hades zurück gefiihrt werden entweder 
in den Himmel oder ins Elysium , um selig fortzuleben. Die- 
ses Elysium, am Ende der Welt gedacht (wie auch der Hades 
manchmal) ist nämlich gleichsam ein zweiter Himmel neben 
dem über uns befindlichen Himmel, als Aufenthalt der seligen 
Abgeschiedenen, so wie bei den Indiem der Jama seinen eige- 
nen Himmel im Süden oder Westen hat neben dem Himmel 
des Varuna (XJranos) , welcher im Osten oder Norden auf dem 
BergMeru liegt, ingleichen der Wodan sein Walhalla neben 
dem Asgard (Asen-Stadt) einerseits und dem Nebelheim 
(Hades) anderseits. Allein es waltet bei den Griechen keines- 
wegs ein so starker Gegensaz zwischen diesem Elysium und 
dem Hades, wie zwischen Himmel und Hölle, sondern sie lie- 
gen neben einander , und oft ist jener bloss ein Theil von die- 
sem, gleich dem Orte der gequälten Sünder, der als Gegensaz 
des Elysiums ebenfalls zum Hades gehört. 

Der Tod allein macht ims wieder frei sowohl von den 
Uebeln, in welche wir durch den Sündenfall und die Ent- 
zweiung mit den Göttern hineingerathen sind, als auch von den 
Randen , mit welchen das Leben und das Schicksal uns um- 
strickt halten, und lässt uns zurückkehren in den, sei es halb- | 
göttlichen oder halb-thierischen , Zustand, weichereinst unter 
der Herrschaft des Instinctes und vor dem Eintritt der Cultur 
der allgemeine gewesen ist. Darum haben alle cU^e aus See- 
len der Abgeschiedenen gewordenen Dämonen, die Riesen und 
die Zwerge , die Kyklopen und die Satyren , so gut wie die 
himmlischen Dämonen, mit einander das gemein, dass sie, von 
den Plagen, mit welchen die Menschen sich unter einander 
quälen, so wie auch von Tod und Krankheit^i frei, im Natur* 
zustande Idiend ihren Trieben folgen dürfen, mögen diese nun 
göttlich oder thierisdi sein, dass ihnen erlaubt ist was geftllt, 
ohne dass sie damit eine Sünde begehen. Und aus dieser 

2* 



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20 A. Die D&monen , die Urmenschen und die Urwelt. 

Gleichheit derselben mit den Urmenschen folgert die Vorstel- 
lung des Volkes nun weiter, dass diese Dämonen auch 
wirklich mit jenen Urmenschen Eins seien, oder 
dass die Urmenschennach ihrem Tode in diese Dä- 
monen sich verwandelt.haben, oder dass die verschie- 
denen Gattungen von Dämonen mehreren Geschlechtem urzeit- 
licher Menschen entsprechen, aus denen sie geworden seien. 

4* llesiods Menschengeschlechter sind Gattungen von 

DAmonen. 

Die Aufisälung und Beschreibung dieser Menschenge- 
schlechter gibt uns Hesiod in den Tagen imd Werken 109 ff. 
Er sezt erst ein goldenes und ein silbernes Geschlecht, welche 
genau den Licht- und den Schwarz-Eiben , den Genien und 
den Manen, entsprechen. Das goldene Geschlecht, sagt er, 
lebte wie Götter , frei von Leiden , Nöthen und Sorgen , in be- 
ständigem Wohlleben : ohne zu altem schliefen sie ein , wenn 
sie starben , und die Erde gab ihnen Alles was sie brauchten 
im Ueberfluss ohne ihr Zuthun : sie durften nur zulangen und 
gemessen. Als die Erde sie bedeckt hatte, wmden sie 
nach dem Willen des mächtigen Zeus zu guten Genien [dal- 
fÄOveg ia&lot) welche über der Erde walten als Behüter 
der Menschen [eTtix^dvio i, (pvXaiug dytiTwv av^QiaTTwv)^ 
und mit Luft angethan [rjiqa eaaa^eyoi) überall hinschweben, 
aiif Recht und Unrecht achtend, segenspendend : denn das ist 
ihr fürstliches Amt. 

Nach ihnen wurde das silberne Geschlecht von den Himm- 
lischen geschaffen, viel schlechter als das goldene an Leib und 
Greist. Hundert Jahre lang blieb der Knabe unmündig bei der 
Mutter im Hause sizen, und wenn sie endlich gereift waren, 
lebten sie nur kurze Zeit in Schmerzen aus Unverstand, weil 
sie so wenig sich imter einander vertragen konnten, als den 
Göttern zu geben verstanden was ihnen gebührt Darum nun, 
weil sie den seligen €K)ttem im Olymp gar keine Ehren gaben, 



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4. Hesiods Menschengeschlechter sind Gattungen Ton D&mbnen. 21 

verbarg sie Zeus im Zorne , und seitdem sie von der Erde be- 
deckt sind^ heissen sie unterirdische selige Gestor- 
bene [vTtoxS^viOi fidxageg dvrjToi) j haben die zweite Stufe, 
werden aber gleichfalls geehrt {d&iTe((Oi , dXX^ efiTvtjg tifi^ xal 
TOiatv onrjdei). In diesen tappigen Kerlen, die in hundert 
Jahren nicht einmal gescheidt geworden sind, von gegenseitiger 
Beeinträchtigung nicht lassen können und weder Beligion noch 
Moral haben , erkennt man völlig den Charakter der Satyren 
wieder , die sich auf dem Lande in Wäldern und in der Wild- 
niss herumtreiben mit den Nymphen , welche ihres Gleichen 
\ind auch zum Theil thiergestaltig sind , dabei glücklich , ja 
sogar selig leben, und von den Menschen geehrt werden müssen, 
weil sie doch Macht zu schaden und zu nüzen haben. Ihren 
unterirdischen Ursprung sieht man ihnen weniger mehr an als 
den nordischen Zwergen und Kobolden, Oelken oder Uellerken 
(d. h. Alten) , den Schwarz-Eiben , aber sie lieben doch die 
Höhlen imd die Quellen, welche drunten entspringen, kommen 
nie in den Himmel und haften am Boden gleich anderen irdisch- 
unterirdischen Göttern *') . 

Ursprünglicher jedoch als die Satyren und die nordischen 
Zwerge erscheinen die Homerischen K i mm e ri er ^^) , die eigent- 



13) Die richtige Ansicht wenigstens von den zwei ersten Geschlechtem, 
dem goldenen und dem silbernen, findet man zuerst von B. Roth aus- 
gesprochen in einem Programm (Tübingen 1860), welches ich der Mitthei- 
lung des Herrn Dr. Pertsch in Gotha danke. »Es fugen sich« , sagt Roth 
S. 17, »alle Züge zu völligem Einklang, wenn wir den Gegensaz lichter 
und finsterer Dämonen als den auch in die Schilderung des irdischen 
Lebens der beiden ersten Geschlechter hereinspielenden Grundgedanken 
festhalten.« 

14} Mit dem Namen KiiifjiiQioi haben schon die Alten manche Deu- 
tungsversuche gemacht und ihn zu dem Zweck in Xiift^gioi umgewandelt, 
auch sogar das Aristophanische Wizspiel Xc(»/9^i^fo< aus Man. 187 au%e^ 
nommen, s. Schol. Od. A. 14. Kifißfiog oder xifiiqos wird als ein Phry- 
gisches Wort überliefert, welches Grube bedeutete, s. Hesych xiftt^g, 
vovg (sehr, ßo^wog) 4>gvyis. Diese Emendation ergibt sich aus der von 
Schmidt beigebrachten Parallelstelle. Derselbe Hesych sagti KififitQU 
d^iti' 17 fii^Tri^ TtHv ^tüiv. Es wird die Unterirdische gemeint sein. 



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22 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

lichea Ikwobner der Sehattenwelt ausser den wirkHehea Schatz 
ten^ die Dämonen jener sonnenlosen Welt, welche Hesiod mit 
seinem silbernen Geschlechte bezeichnet hat. B^i Homer (Od. 
JL, 14) wohnen sie am Ende der Welt in ewiger Nacht, wo keine 
Sonne mehr auf- und untergeht. Später hat man sie unter An* 
derem in die Gegend von Cumae versezt, die ein Abbild der 
HöUe zu sein 'schien; denn dort hatte die Kirke als Hekate ge* 
haust y dort war ein Acheron-See und ein Avemusbach, an 
welchem Odysseus die Seelen der Verstorbenen beschworen 
hatte, und ein Stpc, ja sogar auch ein Pyriphlegethon ; darum 
mussten auch die Kimmerier da gesessen haben, die man rich- 
tig für unterirdische Dämonen nahm (Strabo V, 4. S. 244;, 
und Ephoros hatte von ihnen erzält , dass sie in unterirdischen 
Gruben wohnen und durch unterirdische Gänge mit einander 
in Verbindung stehen und dabei Bergbau und die Kunst des 
Propheaseiens treiben : Keiner sehe die Sonne je , imd nur de? 
Nachts sclüüpfen sie aus ihren Löchern hervor. Uebrigens seien 
sie jezt verschwimden , ausgetilgt durch einen König dem sie 
falsch prophezeit hatten. Wer erkennt mdkt in dem Allen un- 
sere Erdmännchen, Heimchen, Wichtlein wieder, oder wie sie 
sonst noch heissen mögen? 

Wir haben jezt ein göttliches imd ein halb - thierisches 
Urgeschlecht betrachtet, und müssen dem Ilesiod weiter folgen 
zu dem Biesengeschlechte , welches er das eherne nennt und 
also beschreibt: »Es war ein in Lanzen furchtbares und ge- 
waltiges'*) Geschlecht, welches nur das Faustrecht übte. Sie 
assen kein Brot , sondern hatten ein erbarmungsloses Gemüth 



15) ** piiXtirr <ff*roV re xal 8ßQt/nov propter arma timendum. Wir fol- 
gen der Erklärung Göttlings. Andere verbinden ix fAiuav mit inoirjafy 
so dass diese Biesen aus Esohenbäumen geschaffen wären, während sie doch 
von £rx waren. Man hat auch sonst nirgends etwas von so einer Schöpfung 
gehört» und die Kedensart dno ^^vog rj aTtb TriTgrjg thiu ist anders zu deu- 
ten (s. weiter unten) ; endlich die vvfKptti MiXittt sind keine Eschen-Nym-* 
phen, sondern MuUai, 



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5. GK)ttähiiliche Menfichen. Aethiopen. Aeolos. 23 

(also dass sie Thiere schlachteten) , die unersättlichen , und 
waren dabei riesenstark mit ihren unnahbaren Armen im den 
mächtigen Schultern imd ihren festen GUedem. Ihre Waffen, 
ihre Häuser, Alles Mrar von Erz : Eisen gab es noch nicht. Sie 
schlugen sich einander selber todt und schwanden so von der 
Erde weg in den Hades hinab ^ so gewaltig sie auch waren, a 

Apollodor (I, 7, 2) bemerkt (wahrscheinlich dem Hesiod 
oder einem anderen derartigen Dichter folgend) , dass dieses 
Geschlecht in der Sinfluth imtergegangen sei, und wir werden 
£nden, dass es Eins war mit den Titanen , die den Sündenfall 
begiengen und in den Tartaros hinabgestossen wiirden; dem 
Torangehenden silbernen Geschlechte aber stellt dieses Ge- 
schlecht sich gegenüber als die Biesen den Zwergen. Von 
dem Worte Zwerg aber, welches wir noch oft gebrauchen 
werden, muss bemerkt werden , dass der Begriff der Klein- 
heit ttrsprünglich nicht zu ihm gehört, sondern erst später 
hineingetragen worden ist, imd dass eigentlich bloss die Miss- 
gestalt damit ausgedrückt wird. Dennzwerchheisstquer, 
«chief (überzwerch ist querhinüber) : also bezeichnet Zwerg 
(das Getwerk) eine yerschobene Gestalt. In der Edda wird 
der Schwarz-Elbe Alwis (Allweise) vom Thor (Donner) selbst 
ein Thnrs (Biese) imd dann wieder ein Zwerg genannt. Die 
Zwerge haben die Tarnkappe (Zwerghut im Dänischen genannt) 
und versehen als imterirdische Schmiede das Amt der Eyklopen. 

Nach diesen Geschlechtem erwähnt Hesiod noch zwei, 
das der Heroen und das der gewöhnlichen Menschen, welche 
uns hier nicht weiter interessiren. Wir gehen nun über zur Be- 
trachtung der Urmenschen vor und nacli dem Sündenfall. 

5. GtttAhyliche Menschen* Aethiopen. Aeoios* 

Im Anfang, sagt Hesiod (Fragm. 187] , speisten die Göt^ 
ter an einem Tisch mit den Menschen, tmd von Tantalos wird 
uns erzält , dass er an dem Tisch der Götter mitspeisen diurfte 
und dass die Götter wiederum zu seinem Haus als Gäste kamen. 



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24 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

bis er dieses Glück aus Uebermuth verscherzte. Ein also glück- 
liches und noch keineswegs durch Versündigung gestürztes 
Volk begegnet uns bei Homer in den Äethiopen , die an den 
beiden Enden der Weh, beim Aufgang und beim Untergang der 
Sonne y wohnen , und zu denen immer Zeus mit dem ganzen 
Grötterkreise auf Besuch hinkommt , um wochenlang bei ihren 
Opfern zu schmausen *•) . 

Ein anderes derartiges^ nie durch Uebermuth gestürztes^ 
Volk waren an einem anderen Weltende wohnend die Ueber- 
nordwindler, Hyperboreer, nach der Schilderung der lyri- 
schen Dichter und dem Glauben der Orphiker. Andere , wie 
die Kyklopen und die Giganten , hatten ihre frühere Seligkeit 
eingebüsst. Der Art gibt es noch einige , die wir jezt betrach- 
ten wollen. So lernen wir z. B. in dem Windgotte Aeolos 
bei Homer einen fast dem Kronos gleichen Patriarchen-Könige 
kennen , der auf seiner Insel in der Nähe des Kyklopenlandes 
mit seinen zwölf Söhnen und zwölf Töchtern (gerade so viel 
sind auch der Olympischen Götter , ingleichen bei Hesiod der 
Titanen) , die er gegenseitig an einander vermählt hat, in einem 
wahrhaft paradiesischen Zustande imd, was noch mehr ist,, 
auch in paradiesischer Uns^chuld lebt; denn sobald er erfahrt, 
dass Odysseus von Göttern gehasst sei, will er nichts mehr von 
ihm wissen und in keinerlei Berührung mit ihm kommen (Od. 
X, 73 f.). Also lebt dieser Verwalter der Winde (ta^lrjg ävi- 
fitoy) in seinem von der übrigen Welt abgetrennten, mit einer 
ehernen Mauer und steilen Felsen verschlossenen Lande, Aeo- 
lien, als Freund der Götter, imd seine Söhne, von Wohlstand 
umgeben gleich denUebernordwindlern, haben alle Tage 
Festtag und Opferschmaus und ruhen alle Nächte in weichen 
Betten bei ihren Schwestei^ttinnen wonniglich, und Odysseus 
weilt bei ihnen eine lange Frist, wie bei den Phäaken, und 
scheidet beschenkt mit dem Besten was er braucht, um gerades 



16) Od. «, 22. €, 282. IL «, 423. i//, 206. 



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5. GottähnUche Menschen. Aethiopen. Aeolos. 25 

Weg8 in seine Heimath zu kommen, was auch gelungen wäre, 
wenn sein Schiffs volk so fromm wie die Aeolos- Kinder ge- 
wesen wäre. 

Windgott ist dieser König erstlich seines Namens wegen, 
der von d^vai, wehen, stammt, und zweitens weil er, als 
Aussender der Winde , selber von Winden in seinem Lande 
frei bleibt, mithin ein wahrer Uebemordwindler, Hyperboreer, 
ist. Trozdem spielt dieser selbige Windgott mit dem Beinamen 
Desmotes (Winde-Fessler) bei anderen Dichtem eine unglück- 
liche, dem Phineus gleiche, Rolle, indem er seine Tochter 
Melani^pe blendet und einsperrt, bis diese von ihren 
Zwillings-Söhnen befreit und ihr das Augenlicht von Poseidon, 
dem Vater ihrer Kinder, wieder hergestellt wird (Hygin. f. 186). 

Man hat nicht nöthig , den sogenannten Stammvater des 
Aeolischen Yolksstamm^ , Enkel des Deukalion , von diesem 
Windgotte zu trennen, zumal jener selbst wiederum Riesen und 
Dämonen zu Söhnen hat^^). Denn unter diesen ist erstlich 
Perieres, der Vater des Aphareus und des Leukippos , offenbar 
ein Feuerdämon, dann Sisyphos anerkannt ein Seedämon; der 
Salmoneus endlich kann nicht von dem Perieres verschieden 
gewesen sein , wenn er auf einem Viergespani^ fuhr und dabei 
den Donner und Bliz des Zeus nachahmte, bis er von diesem, 
wie Phaethon, mit dem Bliz erschlagen wurde *^; . Er herrschte 
in Elis in dem Flecken Salmone neben dem Augeias und dem 
Oenomaos, verwandten Geistern ^^). Endlich gehört auch die 
Tochter jenes Aeolos , '!/iQvi] , als Geliebte Poseidons und Mut- 
ter eines zweiten Aeolos, dem Urgeschlecht an. 



xa} vTi^^iH'fÄog ntQti^Qfjg. Hes. Fragm. 32. 

IS 0(1. Z, 236. Apollod. I, 9,7. Hygin. f. 61. 250. Lucian. 
Timon 2. 

19; Strabo VIII. S. 356. Diod. IV, 68 



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26 A Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

6. Merope« [^iqoTiBg]. 

Von Deukalion und Pyrrha lassen die Ghiechen erst den 
Hellen ^ als Stammvater aller Hellenen^ nnd dann von diesem 
wieder den Doros, Xuthos undAeolos, als die Stammväter 
der drei Völkerschaften Dorier, loner und Aeoler, gezeugt wer- 
den. So wie aber die Namen Hellen Doros und Ion (der wie- 
der von Xuthos gezeugt wurde] blosse Erfindungen nach den 
Namen der Völkerschaften sind, so hat auch Aeolos (welcher 
noch dazu nicht des Hellen sondern des Zeus Sohn von Euri- 
pides im Ion 63 genannt wird) mit dem Aeolischen Volksstamme 
nichts weiter als den Namen gemein. Besser hätte man gethan, 
dem Deukalion oder auch dem Aeolos dieMeroperzu Unter- 
thanen und Nachkommen anzuweisen oder auch jene mit dem 
M e r o p s , dem angeblichen Könige dieser Urmenschen (Hygin. 
f. 16), für Eins zu erklären^). 

Die Meroper sind Sterbliche. Trozdem lesen wir bei 
Aelian (V. H. DI , 1 8) eine aus dem Munde des göttlichen 
Silens gekommene Erzälung, nach welcher diese Meroper auf 
einer Insel im Ocean draussen mit zwei anderen Geschlechtem, 
dem frommen (goldenen bei Hesiod) und dem streitbaren 
(ehernen) , zusammen leben in der Nähe des Einganges zum 
Nebelreiche, um welches zwei Flüsse rinnen, ein Freudenfluss 
nnd ein Trauerfluss; an jedem wachsen Bäume, und wer von 
der Frucht des einen geniesst , der muss sich zu Tode weinen, 



20) M^Qomg bedeutet Überhaupt so viel wie ßQovoif und noch von 
Homer wird das Wort in diesem Sinne gebraucht: er sagt nämlich oft /i/- 
()07rf^ (<fd-QO)7ioi , und Aeschylus, nach seinem Beispiel, sagt fd^Qonfg 
Xaoi (Suppl. 84 = 78). Die Ableitung von ^/^o; oder /uj/^o^cci, als wären 
es ona fifQtCovris (wo aber heisst je fufQCCuv artikuliren?) halteich 
für unrichtig schon darum weil sie eine zu feine Beobachtung voraussext 
Mori heisst sterben, und davon kommt ßQoros und afdßQoaCa, die unsterb- 
lich machende Speise, aber mori sezt ein merere, wie qoQilv ein (f^Qtiv, 
Toraus, und das ist vorhanden im sanskrit. mr, wovon auch mrta = mortiau, 
^mrta » a/aßQoaia gemacht ist. Vgl. Curtius, Or. Etym. I. S. 296. 



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6. Meropes. 27 

wer die andere kostet , der vergisBt Alles was ihn bisher küm- 
merte und rerjüngt sich stufenweise wieder bis zum Kinde. 
Eine sinnige und nicht ganz erfundene sondern auf Tradition 
ruhende Erzälung. Die Meroper aber werden uns auch ander- 
wärts wie ein frommes TJrvolk oharakterisirt. Ist doch ihr König 
MiQotp der Stifter der Religionen und Götterdienste gewesen 
und ist zulezt als Adler zum Zeus in den Himmel aufgefahren, 
während seine Gattin in den Tartaros hinunter musste ^' j . Auch 
Homer kennt diesen König noch als einen Wahrsager, aber da 
ist derselbe bereits an den Hellespont herabgewandert und 
wohnt in Perkote , seine Söhne aber in Adrasteia^) . Später 
ist das Meroperland , welches nach Theopomp und der obigen 
Erzähmg draussen im Ocean lag fStrabö YII. S. 299; , zur 
Insel Kos geworden (Kallim. Del. 1 60) , und dort wohnen die 
Meroper mit ihrem Merops ; trozdem sind sie noch so ein un- 
gewöhnliches Volk , dass des Herakles Angriff auf dieselben 
nicht wie Feuer Sturm oder Wogen, sondern dem Blize gleich 
sein masste^.) Von diesem Kriege muss auch bereits Homer 
gewusst haben (IL f, 255. o, 28). Und Steph. Byz. nennt 
noch den König dieser Insel einen G ig a n t e n ^^) . Nach Apol- 
lod. {II, 7, 1) reihte sich an diesen Meroper-Krieg auf Kos, 
wo der König Eurypylos vom Herakles erschlagen wurde , un- 
mittelbar der Gigantenkrieg in Phlegra; es wird also wohl 
zwischen beiden kein grosser Unterschied gewesen sein : auch 
hat in beiden Herakles das Beste gethan , indem ohne ihn die 
Giganten nicht wären zu besiegen gewesen (Apollod. I, 6, 1> 
Und gleich den Titanen imd Griganten sehen wir auch die sonst 
so frommen Nachkommen des Merops auf dem Eilande Kos zu 



21) Clemens AI. u. Seh. II. w, 293. Hygin. astron. 11, 16. 

22) IL ßy 828. iL, 330. Strabo XIII. S. 586. 

23) Quinctil. VUI, 6, 71. vgl Pind. Isthm. V, 46. 

24) iytiyfvf)) in der Glosse : KtiSg ano K<o, ^ng M^gonog yrjydovg O-v- 
yiirriQ — womit Euripides übereinstimmt, indem er diese Tochter Tita- 
vt^a xovQtiv nennt (Hei. 389 — 345) , vgl. Hygin. astron. II, 16. 



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28 A. Die Dftmonen , die Unneoachen und die Urwelt. 

frechen und gottlosen Menschen entartet in einer Erzälung 
bei Anton. Lib. 1 5. Dabei ehren sie aber doch noch ihre £r- 
seugerin, d i e £ r d e , und leben im Ueberfluss^ weil diese ihnen 
Alles reichlich herrorbringt. 

£s ist noch zu erwähnen, dass derMerops auch als Aethi- 
openkönig und Gemahl der Klymene, der Mutter Phaethons/ 
genannt wird bei Euripides Phaeth. — und die Aethiopen sind 
ein den Hyperboreern und den Meropem gleiches Volk — , in- 
gleichen dass die Merope eine Tochter des Atlas und Gemah-> 
lin Orions sein soll. 

7, Die PhAaken und Rhadmiianthys. 

Ein anderes derartiges Fabelyolk, wie die Meroper, lernen 
wir in den Phäaken bei Homer kennen, welche sich selbst mit 
den Giganten und Kyklopen auf üne Linie stellen und dem 
Dichter Alkäos zufolge sogar auch, wie die Giganten, aus den 
Blutstropfen des entmannten Uranos entstanden sind (Seh. Apoll. 
IV, 992). Auch scheint ihr König Alkinoos v(m dem Gi- 
gantenhäuptling AlkyoneuB nicht verschieden zu sein, und 
er leitet auch sein Geschlecht mütterlicherseits von dem Gigan- 
tenkönig Eurymedon her. Die Phäaken wohnen am Ende der 
Welt beim Okeanos in einem Utopien (Od. ly, 112 — 130) und 
leben in Genüssen und Freuden hin (Od. ^, 248. Horat. Ep. 
I, 2, 28) und sind Gottnahe [dyxi^^o^ Od. «, 35) ; denn die 
Götter pflegten einst zu ihren Gelagen leibhaftig zu kommen 
und mit ihnen , wie mit ihres Gleichen , zu verkehren (Od. i;, 
60) , welches sie bei allen den Urmenschen vor deren Versün- 
digung zu thun pflegten (wie Hesiod Fragm. 187 versichert). 
Ihre Insel Scheria (Festland), wohin sie von ihrem König 
Nausithoos, dem Poseidons-Sohne und Vater des Alkinoos, ge- 
bracht worden sind aus Hypereia herüber, woselbst sie mit 
den übermüthigen Kyklopen zusammen gewohnt hatten, ist 
gleich der Insel des Aeolos durch eine hohe Mauer geschüzt 
und von der sündhaften Welt abgeschlossen (Od. t, 8). Aber 



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7. Die Phäaken und Rhadamanthys. 29 

üne Eigenscbafl an ihnen ist besonders merkwürdig, und ihre 
Erklärung könnte uns schwierig dünken , wenn wir nicht den 
Aeolos vorher betrachtet hätten, nämlich dass die Phäaken 
Geleiter der Mensehen zur See sind (Od. ^, 566) und den 
Odysseus schlafend in seine Heimath bringen, so wie er schla- 
fend auch von dem Fahrwinde des Aeolos dahin gebracht wor- 
den wäre, wenn sein Schiffsvolk die Gabe des Gottes nicht in 
Unsegen verkehrt hätte. Und dabei haben sie wunderbare 
Schiffe : dieselben bedürfen keiner Ruder und keines Steuers 
und laufen, in Nebel gehüllt, von selbst dahin wohin man will; 
denn sie kennen alle Behausungen der Menschen und es gibt 
für sie keine Gefahr auf der See. So ein Schiff ist also in der 
That der richtige Fahrwind (Od. «, 268) selbst, der einen, ohne 
Gebrauch von Rudern und Steuer, schlafenden, dahin fuhrt, 
wohin er gerade will , und die Phäaken selbst sind behütende 
und geleitende Genien gleich den Dioskuren und gleich den 
Dämonen des goldenen Geschlechtes , welche in Nebel gehüllt 
überall herumschweben auf der Erde als Behüter der Menschen 
(Hes . I(jy . 125). Ihr Name endlich bezeichnet die Hellen, so zu 
sagen Licht-Eiben ^^J . Mit Recht also wird ihr Aufenthalt von 
einigen der Alten in die Nähe des Elysiums gesezt , woselbst 
auch Rhadamanthys lebte , den sie einst eben so hübsch , wie 
den Odysseus , zu seinem Freund Tityos, dem Griganten, hin- 
über nach Euböa gefehren haben (Eustath. Od. rj, 324). Spä- 
ter, schon zu Homers Zeiten, war dieses selige Land nicht mehr 
zu finden , denn Poseidon hatte ein hohes , unübersteigbares 
Gebirge um dasselbe aufgethürmt (Od. *, 569) . Von Alkinoos 
aber ist noch zu sagen, dass er zwölf Unterkönige neben sich 
im Lande hatte, so wie Aeolos zwölf Söhne und zwölf Töch- 
ter besass. 

Wir haben jezt noch von Rhadamanthys Einiges zu sagen. 
Der »blonde« Rhadamanthys wohnt sowohl dem Homer 



25) Vgl. (ftttxog und (paidQog, von <fcc{v(a stammend. 



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30 A. Die D&monen , die Urmenschen und die Urwelt. 

als auch dem Pindar nach im Elysium alt Beisiser des Krono«, 
woselbst er audi mit der Alkmene rermäilt itt^j , ausser dass 
er, wie gesagt , einmal von den Phäaken nach Eüböa hinüber- 
ge&hren wird zu dem Erdensohne Tityos (Od. rj^ 324). Was 
er bei den Phäaken gethan und was bei dem Giganten Tityos, 
können wir uns denken, da der Alkinoos uns sagt, dass die 
Phäaken, die Kyklopen und die Giganten ohngeföhr alle in 
eine Klaiise gehören (Od. 17, 205], zwar sterblich, aber doch 
den Göttern näher stehend als andere Menschen (Od. rj , 60. 
Paus. Vni, 29, 2) . Darum können wir auch gar keinen grossen 
Unterschied darin finden, ob derselbe im Elysium oder bei den 
Phäaken verweilt, sintemal au(^ bei diesen ein Utopien ist. 
Aus allem dem aber ist abzunehmen , dass der Bhadamanthys, 
weil er im Lande der Seligen und bei den Urmenschen , den 
Phäaken und den Giganten , lebt und Keisixer des Kronos ist 
in seiner Kronosburg (Pindar a. a. O.) oder auch in der Unter- 
welt Bichter über die Todten, dass also dieser Bhadamanthys 
ein anderer Yima (Adam == Noah) oder auch ein Kronos sei. 
Der Dichter Kinäthon (bei Paus. VIII, 53, 2) macht ihn zum 
Sohne des Hephästos und Enkel des Talos ; vielleicht also hatte 
er eine Kunde, dass derselbe ein Bel-Moloch gewesen sei. Und 
das ist sehr wahrscheinlish, da er, demDiodor (V, 79) zufolge, 
auf allen den Inseln bei Asien, Chios, Lemnos, Kymos, Pe- 
parethos , Maroneia , Paros , Delos , Andros , einst geherrscht 
haben soll. Das macht ihn seinem Bruder Minos desto ähn- 
licher, der ein anderer Bel-Moloch war und dem Ephoros bei 
Strabo X. S. 476 C.) zufolge dem Bhadamanthys nachgeeifert 
hat Aus Kreta musste Bhadamanthys fliehen wegen eines un- 
vorsäzlichen Todtschlages, sodann hat er zu Okaleia in Böotien 
die Alkmene geheirathet und den jungen Herakles im Bogen* 
schiessen unterrichtet (Seh. Lyk. 50. ApoUod. II, 4, 11); auch 
im Flecken Erythrä am Kithäron hat er gewohnt, und wurde 
dort als Stammheros verehrt (Paus. "VTT, 3,7). 

26)Il.|,322.0d.<r,553.Pind.01.n,143.P.n,I34.Anton.Lib.33. 



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8. Riesen. 31 

Ycm der Alkmene, die sonack mit d^n Rhadamanthys un- 
zertrennlich vereinigt scheint ^ verehrte man in Theben einen 
Stein als Bild, in welchen sie gleich der Niobe verwandelt 
worden war^^). Sie wird also auch gleich der Niobe eine an- 
dere Rhea gewesen sein. Ein Grab derselben zeigte man zu 
Megara auf der Burg neben dem Olympischen Zeus (Paus. I, 4 1 ^ 
1). Aber auch zu Haliartos hatte sie , ¥rie es scheint , ein mit 
dem Aleoe gemeinsames Grab (Plut. gen. Socsr. c. 5. p. 578*®). 

8. Riesen. 

Ausser den bisher betrachteten frommen Urmenschen gibt 
es andere rohe , auf ihre Kraft trozende und die Götter ver- 
achtende, dergleichen z. B. in der Odyssee die Kykk4>en sind. 
Mit diesen verkehren keine Götter mehr und sie wissen nichts 
von Moral und Religion , brauchen auch keine , da sie einzeln 
in Berghöhlen und Wäldern ganz wie die wilden Thiere leben> 
ohne eine Gemeinde zu bilden , und um Nahrung und Klei- 
dung nieht zu sorgen haben, indem die Erde und ihre Yi^- 
heerden liefern was sie brauchen. Als daher Odysseus den 
Polyphem um gastliche Aufriahme bittet und dabei den Zeus 
als Hort der Graste anruft, erwidert ihm dieser: »Du bist ein 
Thor oder kommst aus weiter Feme her, wenn du mich mahnst, 
die Götter zu furchten und zu scheuen. Ein Kyklope fragt 
nichts nach dem Donnerer Zeus oder den seligen Göttern, weil 
er selber mehr wie jene ist. Also aus Scheu vor dem Zorne 
des Z^is werde ich weder deiner noch deiner Grenossen da 
schonen, wenn ich Appetit habe« — und darauf packte er zwei 



27) Anton. Lib. 33. Paus. IX, 16, 4. 

28) Der Name ^^Xxfitjrrj mag aus *AXttXxou^ir} geworden sein, und 
* jiXaXMOfitvtj'ig ist einer von den Beinamen der Athene, welche auch '^Xia^ 
d. h. Abwehrerin, heisst, und ihr Fest ^AJi^aia, Der Name 'Pttdaftav- 
&vf aber (vgL (^n^ttfxroq und ^a^avl^o)) scheint mit Tuvndog synonym zu 
sein, d. h. einen Schwebenden zu bezeichnen. Uebrigens vgl. Win- 
dischmann, Urs. d. Ar. Völker, S. 11—18. 



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^2 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

Ton ihnen , stiess ihnen die Köpfe gegen den Boden , dass das 
Hirn heraussprizte , richtete sie zu und frass sie. 

Hier haben wir das Bild einer von den Göttern abgekom- 
menen, in Hochmuth verthierten Menschheit. Denn vor Zei- 
ten waren auch diese Kyklopen Freunde der Götter gewesen 
(Od. f], 206). Von derselben Art sind auch die Phlegyer und 
die Lapithen, ingleichen die Giganten und die Titanen. Diese 
Klasse von Dämonen , unter den Namen Riesen zusammenge- 
fasst, wollen wir nun näher betrachten. 

Homer, der Geschichtschreiber der Heroenwelt, lässt seinen 
Nestor zu diesen Heroen Folgendes sagen {II. a, 260) : » Ich habe 
weiland mit viel stärkeren Helden, als ihr immerhin seid, vei^ 
kehrt , und sie haben mich niemals gemissachtet. Denn ich 
habe noch nie solche Helden gesehen, noch werde idi sie sehen, 
wie den PeirithoosunddenDryas, den Völkerhirten, und 
den Kaeneus, den Exadios und den gottgleichen Poly- 
phemos. Das waren die stärksten Helden, die je auf der 
Welt gelebt haben , und mit den stärksten haben sie auch ge- 
stritten, den in der Wildniss lebenden OrjQeg (Kentauren), 
und haben sie entsezlich vernichtet. Ja , mit denen habe ich 
verkehrt, aus Pylos gekommen, fernher aus dem Lande Äpia; 
denn sie haben selbst mich gerufen , imd ich habe selbständig 
für mich allein gekämpft; aber mit jenen könnte kein Mensch 
von denen, welche jezt in der Welt leben, mehr kämpfen. 
Und sie haben auch auf meinen Rath gehört und sind meiner 
Mahnung und Warnung gefolgt. « Und ein ander Mal wiederum 
sagt derselbe Nestor (II. tp, 629 f.) : »Wäre ich doch so jimg 
noch wie damals, als die Epeer den König Ämarynkeusin 
Buprasion bestatteten und seine Söhne Kampfpreise aufstellten. 
Dort konnte mir's keiner gleich thun von den Epeiem , von 
den Pyliem selbst und von den muthigen Aetolem. Im Faust- 
kampf besiegte ich den Klytomedes, Sohn des Enops, im 
Ringen Ankäos ausPleuron, der es mit mir aufnahm, im 
Lauf überholte ich den Iphiklos,so wacker er war, im Speer- 



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8. Biesen. 33 

wurf den Phyleus und Polydoros; bloss im Wettfahren 
überholten mich die Aktorsöhne durch das Selbandersein^ in- 
dem der eine lenkte und der andere immer mit der Geissei an- 
trieb, a Wieder ein anderes Mal erzält er, wie er bei dem 
Reisigen Peleus, dem Myrmidonen-Könige , einkehrte, und 
wie er in einem Kampfe der Pylier und Arkader am Fluss Ke- 
ladon den Vorkämpfer Ereuthalionim Zweikampfe bestand, 
einen Riesen, welcher weit ausgestreckt über das Maass da lag 
als er todt war. Dieser Riese hatte seine Rüstimg von dem 
Keulensch^vinger Arei'thoos geerbt, der mit einer eisernen 
Keule die Reihen der Helden durchbrach, bis er vom Lykur- 
gos aus dem Hinterhalte getödtet wurde. Wieder ein anderes 
Mal im Kampf um die Heerden erschlug Nestor den Ityme- 
neus und den Mulios und auch die Aktorsöhne, die Molione, 
würde er getödtet haben, wenn ihr Vater Poseidon nicht ge- 
wesen wäre (n. Xj 671. 750). 

Hieraus sehen wir, dass Homer wenigstens drei Men- 
schengeschlechter unterscheidet, das jezige, das der He- 
roen imd das diesem vorangehende, welches Hesiod daseherne^ 
wir das der Riesen nennen wollen. Sehen wir nun erst- 
lich, wo das Riesengeschlecht aufhört, und zweitens, wer Alles 
2u ihm gehöre. Hesiod sagt ausdrückUch, dass zu den Heroen 
diejenigen gehören, welche vor Theben und welche vor Troja 
gestritten haben (Igy. 162 — 1 65) . Und damit stimmt auch Ho- 
mer überein; denn von denf Tydeus, dem Vater des Diomedes, 
weiss bereits Agamemnon zu erzalen, so dass er also nicht 
lange vor der Zeit, in welcher wir bei Homer ims befinden, 
gelebt haben kann, und der Kapaneus lässt sich die Höher- 
stellung der Helden bei Theben nicht gefallen; »Denn«, sagt 
er, »jene haben Theben nicht erobern können, wir aber haben 
es erobert, noch dazu mit geringerer Streitmachta (II. d, 405), 
Trozdem ist auch zwischen diesen zwei Geschlechtem ein 
Unterschied; denn nicht umsonst heissen die Söhne, welche 
den zweiten Zug gegen Theben mit Glück durchgeführt haben, 

Härtung, Bei. u. M}'th. d. Gr. II. 3 



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34 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt 

^ETtiyovoi imd werden als ein viel frömmeres Geschlecht ge- 
schildert, während jene durch ihre Frevel verdarben (H. d^ 
409) y imd wir werden späterhin sehen, dass wir das Recht 
haben, auch sie zum Theil den Riesen beizuzälen. Man muss 
aber überhaupt bedenken, dass die Grenze nicht mit Bestimmt- 
heit gezogen werden kann, indem Riesen unter den Händen 
der Dichter sich gern in Heroen verwandeln. Zu diesen Rie- 
sen aber gehören femer, wenn wir dem Homer folgen: 

1) Die Lapithen und die Phlegyer. Denn Homer 
nennt unter ihnen den Käneus, den Peirithoos, den 
£ X a d i s , den D r y a s , welche sämmtlich von Hesiod (doTt. 
179 f.) unter den Lapithen atifgezählt werden. Mit den Lapi- 
then aber waren, wie wir später sehen werden, die Phlegyer Eins. 

2) Die Kentauren selbst, welche eben so stark wie die 
Lapithen waren, und sich zu jenen verhielten wie Schwarzeiben 
zu Lichtelben. Denn jene waren Feuerdämonen, diese Quellen- 
dämonen, mithin unterirdische. 

3) DieKyklopen, Bergdämonen, aber häufig geblen- 
dete. Homer in der Ilias , indem er den Polyphem an die La- 
pithen anreiht, scheint die beiden Arten gar nicht sehr luiter- 
schieden zu haben. 

4) Einzelne Dämonen gleicher Art wie die Phlegyer, z. B. 
Lykurgos, der wie Perseus den Dionys schlägt und ins feuchte 
Element zurückjagt , dann aber selbst eingesperrt und geblen- 
det wird; der Amarynkeus, deäfeen Name schon den Fla m- 
mendenFunkelnden bezeichnet, womit es übereinstimmt^ 
dass er als Bundesgenosse des A u gei a s auftritt; der Ankäos, 
der seinem Vater Lykurg wird ähnlich gewesen sein , ob er 
gleich vom Kalydonischen Eber (der Sonnengluth) todtgebissen 
wurde; der Ereuthalion, dessen Name wiederum rothe 
Gluth bedeutet; der Itymeneus oder wohl Idomeneu& 
und der Mul i o s oder Molios, die Deukalionssöhne, die von glei- 
cher Art sind mit 

5) den Molionen oder Aktorsöhnen und einigen anderen 



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6. Biesen. 35 

Zwillingen 9 den Aloiden, dem Lynkeus imd Danaos^ dem 
Ankäos und Epochos , die wir nach der Reihe betrachten wer- 
den^ und die sich zu einander wie Prometheus und Hephästos^ 
wie Pdeus und Cheiron verhalten. 

6) Rinderhirten, wie der Enops (II. ^, 445) , und der 
Iphyklos, welche den Hades vorstellen. Denn dieser sass in 
Phylake (Kerker, d. h, Hades), wo er den Melampus ein- 
sperrte, als dieser die schöne Pero (Köre) fiir seinen Bruder 
Blas gewinnen wollte. Dergleichen Dämonen stellen sich den 
unter Nr. 5 genannten, wie Schwarzeiben den Lichtelben, zur 
Seite, oder wie der eine Zwillingsbruder neben den anderen. 

Bei diesen Dämonen können wir wiederum nach dem Vor- 
gange Homers zweierlei Arten unterscheiden, nämlich rein 
menschengestaltige und halb-thiergestaltige, avdqeg und O^geg, 
oder auch völlige Thiere (Lindwürmer, Löwen u. s. w.) , mit 
anderen Worten Riesen und Zwerge (Missgestalten). Wenn 
man einen allgemeinen Namen für die ersteren haben wollte, 
so könnte man sie T i t a n e n nennen mit desto grösserem Rechte, 
da sie Sonnen- und überirdische Feuergeister sind, also Licht- 
elben. Die andere Gattung aber könnte man Giganten nen- 
nen, wenn man nänvlich späteren Dichtem folgen wollte, z. B. 
dem Horaz II, 1 7 , 13, welcher den hundertannigen Griganten 
mit dem Ungeheuer Chimära zusammenstellt, mithin die Hun- 
dertarme Hesiods zu Giganten macht (was freilich auch bereits 
Hesiod selbst &. 50. 185 gethan haben kann, der zweimal die 
Giganten nennt, ohne zu sagen, welche Personen dazugehören, 
und wiederum die Hundertarme eine Rolle spielen lässt welche 
nur für Giganten passen kann^). Indess Homer weiss nichts 
von dieser Unterscheidung, und indem derselbe in der Bias 
die Giganten, in der Odyssee die Titanen nicht zu kennen 



29) He 8. &. 149. 617—626, ferner Horaz III, 4, 43, wo der Dichter 
die sündhaften (impios) Titanenden thier- und missgestaltigen 
[immanem turmam] Giganten gegenüberstellt, und die lezteren ausdrück- 
lich als die Hundertarme {ßdens Juventus korrida hrachm) ckarakterisirt. 

3* 



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36 A. Die D&monen, die Unnenschen und die Urwelt. 

scheint^ und ferner die Giganten mit den Phäaken zusammen- 
stellt und jene als ein früher frommes y nachher wegen seines 
Uebermuthes gestraftes Menschengeschlecht schildert, so ist 
daraus ziemlich klar zu erkennen, dass dem Dichter der 
Odyssee. die Giganten das Nämliche sind, was dem 
Dichter (oder den Dichtem) der Ilias die Titanen sind 
(Od. iy, 60. 206). Und hätte nicht diese Selbigkeit der Gigan- 
ten und Titanen auch bei anderen Dichtem gegolten, so würde 
man nicht einen Gigantenkrieg neben dem Titanenkrieg er- 
dichtet haben. 

Also abgesehen von den Benennimgen haben wir zu unter- 
scheiden : 

1) Riesen; 

2) Zwerge, d. h. Missgestalten und Ungeheuer. 
Unter den Riesen selbst aber ist wiederum ein Unterschied 

zwischen der Umgebung des Kronos, den Urbewohnem 
der Welt, Titanen im engeren Sinne, welche die Natur des 
Kronos iind auch sein Schicksal mit ihm theilen, iind zwischen 
Sonnen- und Feuerdämonen, welche Ebenbilder des He- 
lios (als Titan) und des Moloch imd Wiederholungen 
derselben zu sein scheinen. Die ersteren kommen alle in den 
Tartaros hinab, wie ihr Meister Kronos ebenfalls (wo sie sodann 
dem Beherrscher des Todtenreiches gleichen) , werden aber 
wiederum daraus erlöst; allein 'wichtiger als diese Eigenschaft 
(in welcher ihnen auch mehrere Sonnendämonen gleichen und 
der Sonnengott selbst, welcher, in die Finstemiss hinabgesun- 
ken, zum Hades sich umwandelt) ist der Umstand, dass sie 
zugleich Stammväter der Völker, Menschenschöpfer und Er- 
finder der zum Leben nothwendigsten Dinge sind, während 
die Feuerdämonen meistens bloss durch Grausamkeit und Frech- 
heit sich auszeichnen. 

Die Zwerge und die Ungeheuer {diJQsg und nilcoga) ge- 
hören anderen Elementen, nämlich dem Wasser und der Erde, 
an. Auf die Erdriesen (von vielen Giganten genannt) sind 



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9. Tartaros. Titanen. 37 

Berge gestürzt worden in dem bekannten Gigantenkampfe^ und 
nun walten sie als unterirdisches und vulkanisches Feuer fort, 
bewirken Erdbeben nnd möchten den Kampf mit den Himm- 
lischen gern erneuern , wenn sie nur die Gebii^smassen sich 
vom Leibe wälzen könnten. Das ist dem Sturz der Titanen in 
den Tartaros analog. Die Wasserriesen oder Hundertarme sind 
womöglich noch furchtbarer als jene, z. B. der Aegaeon oder 
Briareus bei Homer (II. a, 403). So sind sie auch von Zeus 
gefesselt und in den Erebos verbannt , aber wiederum daraus 
entlassen worden, um demselben im Kampfe gegen die Titanen 
beizustehen, und seitdem halten sie Wache an den Thoren des 
Tartaros , um die Titanen nicht mehr heraus zu lassen (Hes. 
^. 617. 735). 

Die Wasserriesen haben zum Theil Schlangen- und Dra- 
chengestalt, wie der Erechtheüs und der Kekrops ; die Echidna 
ist ein Schlahgenweib und der imterirdische Typhon wird von 
Kndar ein Wurm' (I^TTCTciy) genannt; andere dieser Dämonen 
sind völlige Thiere. Dieses Thierische haben sie mit den 
Sfityren (den Böcken) und den Silenen, welche in denselben 
Elementen walten, gemein, ingleichen die weiblichen Ungeheuer 
ihre Vogel- und Schlangengestalten mit den Schwanen- und 
Taubehiiymphen u. s. w. Also begegnen sich hier vrieder die 
Kiesen und die Zwerge. Einige Biesen, wie der Atlas, theilen 
mit den Kobolden auch die Gabe, in alle möglichen Gestalten 
sich zu vierwandeln , und mit den kleineren Erd- und Wasser- 
geistern die geheimen Kenntnisse imd die Gabe zu weissagen. 

Nach dieser allgemeinen Uebersicht, in welcher wir die 
Besultate unserer Untersuchungen im Voraus zusammengestellt 
haben, wollen wir nun zu der Betrachtung des Einzelnen über- 
gehen, wobei wir die Beläge geben. 

9. Tartaros. Titanen. 

Bei Homer, wenigstens in der Odyssee, befindet sich der 
Hades nicht imter der Erde , sondern am Ende der nördlichen 



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88 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

Welt bei den Kimmeriem; unter der Erde aber ist der Tar- 
taros , und zwar ist er gerade so tief als der Himmel hoch ist. 
Es ist daher kein Wunder ^ dass nach der anderen (auch 
bereits bei Homer vertretenen) Vorstellung vom Hades ^ als 
einem unterirdischen Aufenthalte, der Tartaros und der Hades 
verwechselt wurden, und diese Verwechselung findet man be- 
reits bei Hesiod , obgleich in der Theogonie gesagt wird, dass 
ein eiserner Amboss neun Tage und neun Nächte fallen müsse, 
bis er vom Himmel zur Erde, und wiedenmi eben so viele Tage 
und Nächte, bis er von der Erde zimi Tartaros hinab käme (^.721. 
1 19. Schild 255). Trozdem war ein Unterschied zwischen bei- 
den : denn der Hades beginnt sogleich wo das Tageslicht auf- 
hört, und wer im Grabe liegt, der befindet sich bereits im Hades. 
Und in den Hades kommt jedermann , wenn er stirbt, in den 
Tartaros aber werden immer nur die Sträflinge unter den Dä- 
monen selbst hinabgestossen , z. B. der Typhos bei Pindar 
(Pyth. I, 29). Und was das Wort Hades bedeute, weiss 
man, nämlich den Unsichtbaren, was Tartaros bedeute, wol- 
len wir jezt zeigen. Bei mythologischen Namen muss man, 
wenn man nach der Stammwurzel sucht, noch weit mehr als 
bei anderen auf die Bedeutung, und sehr wenig auf die Laut- 
verschiebungsgeseze achten; denn diese Namen stammen 
grossentheUs aus Dialekten her, die nicht schriftstellerisch ge- 
worden sind. Das Reich, in welchem nichts athmet und nichts 
lebt, nicht einmal, wie im Hades, Schatten umherschweifen, 
muss wohl von einem Worte wie terpere=sdortmre seinen Na- 
men haben ^). Der Tartaros wird auch als Person gedacht 



30) Döderlein erkennt stertere ala verwandt mit SaQd^dviiv — dor~ 
mire an und erinnert dabei an sterben. JaQddaam — ^hi^ai, anaQa^ai, 
raQtiSat , sagtHesych, femer Sa^daivu -^ fiolvvH, Aber diese Erklä- 
rungen sind vielleicht nicht genau. Sterben ist starr werden und 
ganz gewiss Eins mit torp&rt, «nd ruQitiqos ist für ardQTagoc zu nehmen, 
wie riqtfiva für ai^Qi^va (von axioios) , und ist so zu sagen ein reduplicir- 
tes starr. Andere leiten TaQtctQoi von TtKQtsaadv ebenfklls mittelst 
BedupHoadon. 



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9. Tartaros. Titanen. 39 

und soll mit der Erde den Typhon gezeugt haben ^Hes. ^. 822) . 
Der Tartaros ist mit ehernen Thoren verschlossen und sein 
Fussboden ist ehem. Doch das ist nicht so wichtig als dass in 
ihm kein Lüftchen weht und weder Sonne noch 
Mond erblickt wird *^). 

Ausdrücklich heisst es H. ^, 479 , dass die Bewohner des 
Tartaros den H^-perion nie zu sehen bekommen. Was muss 
denn also der Verfasser der Verse 132 — 138 in der Theogonie 
gedacht haben^ wenn er Folgende zu Geschwistern des Kronos 
und des lapetos macht , welche leztere doch dem Homer zu 
Folge Titanen und Bewohner des Tartaros sind: Okeanos, 
Tethjrs, Koios, Phoibe, Hyperion, Theia, Rhea, Krios, Eury- 
bia, Themis, Mnemosyne? Er fügt auch noch die Söhne des 
lapetos, den Atlas, den Menoitios imd den Prometheus hinzu. 
So viel ist klar, dass hier an dieser Stelle sCn Homerische Tita- 
nen und Tartaros nicht gedacht sein kann. Und doch heisst 
es V. 207, dass diese Kinder desUranos (und der Gaea) 
von ihrem Vater benannt worden seien, womit noch V. 392 
xmd 643 zu vergleichen sind. Und der Tartaros wird weit- 
läufig beschrieben in einer Stelle die sich zweimal widerspricht. 
Denn erst befindet sich dieser Raum imter der Erde so tief, 
dass ein eherner Amboss neun Tage imd neun Nächte lang 
fallen müsste, bis er zu Boden käme; dann liegt dieser finstere 
Raum trozdem an den Enden der Erde imd sizen vor den eher- 
nen Thoren und der Mauer , die vom Poseidon gemacht ist, 
zur Wache die Hundertarme als Diener des Zeus, der Gyes, 
<lerKotos und der Obriareus; und diese sizen gerade da 
wo die Wurzeln imd Enden der Erde, des Tartaros, des Mee- 
res und des Himmels zusammenstossen, welche Enden schlimm, 
moderig, den Göttern verhasst genannt sind. Und an diese 
Beschreibung unmittelbar sind wieder als Apposition die 



31) IL ^, 479 ! tv "laneros re Kqqvos te 

r^fiivoi ovr' ttvy^i* YmqCwog *H(Uoio 
fignovr ovx avifioiai , ßa&vg 6i t€ Taqtaqog afi(fCg, 



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40 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

Worte gefugt: »Ein Abgrund: man braucht ein Jahr, um vom 
Thor zum Boden zu gelangen« — vermuthlich weil der Saum 
so riesig gross ist. Nein ! sagt der zugefügte Vers , sondern 
»weil der Sturm einen dort so hin und her reisst. a Doch wo 
kommen die Stürme her, wenn keine Winde dort wehen? 

Wir müssen also wohl von diesen Vermengungen absehen, 
und ims vor der Hand bloss an den Homer halten , wenn wir 
über die Titanen und den Tartaros ins Klare kommen wollen. 
Die Titanen also sind dem Homer die Bewohner des Tartaros,, 
er kennt aber deren bloss zwei , den Kronos und den lapetös, 
und sie heissen die un teren Götter und die Untertartarischen, 
mit welchem leztcren Worte nicht ein noch unter dem Tarta- 
ros befindlicher Aufenthalt bezeichnet sein kann , sondern ein 
Wohnort drunten im Tartaros^^). Freiwillig sind sie 
keineswegs dahin gekommen , sondern vom Zeus dahin ver- 
wiesen worden (wie aus H. ^, 203 zu entnehmen ist). Also 
wird es wohl erst einen Kampf gesezt haben, und diesen wol- 
len wir sogleich betrachten, nachdem wir erst die Thatsache 
erwogen haben, dass die himmlischen Götter einen ge\^4ssen 
Respect vor den Mächten da drunten im Tartaros heben , und 
bei ihnen schwören, wie beim Styx. Sie furchten sich also vor 
ihnen, so wie vor dem Hades. Ganz natürlich! denn im Tar- 
taros sowohl als im Hades sizen der Tod und die Vernichtung, 
und das ist das einzige, was die Ewigen zu meiden haben. 
Wir glauben daher nicht zu irren , wenn wir in dem Namen 
Titanen gefürchtete Wesen erkennen und seinen Stamm in 



32) Dö der lein im Glossarn. 658 will toiV vjto^ laoTHQCovg geschrie- 
ben wissen, was mir su künstlich dünkt. Die ganze Stelle II. |, 278- 
lautet also : 

oSfZPVi d' toi hilf Vi . »V*oi)f J* otofirjvtv nnavtag 

Tov( vnoTttQTttQiovg oX TiTip'fs xnX^orTKi, 
So pflegen diese Götter immer und überall die drunten bei dem Kronoa 
befindlichen genannt zu werden, (z. B. IL I, 274 fnxQTVQoi ti^a* ol h'tgO^ 
O-iol Kqwov tt(i(f)i iovuc* H. o, 225 otrrtQ M^t(qo£ tiai 9io\ Kqovov 
au(f>U iovtet). 



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9. Tartaros. Titanen. 41 

ümere — tmr^toq suchen^. Erst der Orphiker Oiiomakritos 
hat sie zu Teufeln gemacht, die, ah der Stelle des Typhon, den 
Dionys zerfleischen (Paus. VIIJ, 37, 3). Die Sänger derÖdy^see 
wissen , scheint es , gar nichts von den Titanen. Aber ohn- 
gefahr um die 11 . Olympiade ist entweder vom Eumelos oder 
vom Arktinos eine Titanenschlacht gedichtet worden, aus 
welcher auch die Trümmer der Theogonie Hesiods geschöj)ft 
sein mögen ?^). • Dieser Kampf ist auf den Schauplaz^ det Sin- 
fluth , imch Thessalien , verlegt ; auf dem Berg Othrys haben 
die stolzen Tilanen ihr Lager, auf dem Olympus die von Kirö^ 
nos und Rhea gezeugten Götter, Oeber guter Gaben. Also 
kämpfen dort mit einander neun Jahre lang olme Unterlass die 
Titanen und die Krohos-Kinder , welches, wenn die Verfasser 
der Theogonie mit den Jungem der Iliade zusammenstimmten, 
heissen MÜrde, die Götter bei Kronos und die vom Kronos 
stammenden Götter. 

Die Widersprüche, welche wir iti der Hesiodischen Dteh- 
tung entdeckt haben in Bezug auf die Vorstellung von dem 
Tartaros und den Titanen, liegen zum Theil in der Eigenthüm- 
lichkeit jener Gedichte , zum Theil auch in der Sache selbst. 
Es fehlt diesen Gedichten die Einheit des Entstehens und die 
Naturwüchsigkeit. Dieser philosophirenden Mythen-Dichtung 
steht es zu, den zwölf Olympischen Göttern zwölf Titanen 
gegenüber zu stellen. Auch gleich zu Anfang des Gedichtes 
werden hinter einander Kroniden und Titanen genannt 
(V. 1 1 f. ) , und dort ist das Verzeichniss der lezteren folgendes : 



33) Auch die Rächer können sie heis^sen fHesych: tirai — 
xttTtjyoQoi Ttav ap/oyTOiy) ödet die QjBehrten (Uesyoh: tiraf, 
(VTiftos 5 ^vvdarrje- TiTiivqLif.ßttat3i.iJ6S'''^XTOQog Xvtqoic). 
Und die Geehrten können sie mit Hecht heissen , da der Titel KQoiUrjs 
ein Ehrentitel fQr den Zeus ist , und der Titan Kronos , Stammvater der 
hck^hsten Götter, auch als der Urrater aUer. Gött^ und Menischen su be- 
trachten ist, Hom. Hymn. Apoll. 3:j5- Tit^y^g n i^eol j6iv ii äydQig t« 

U] Athen. VII. S. 277 D. Diod. I, 97. 



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42 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

Helios und Eos^ Selene^ Leto^ lapetos^ Ejronos^ Okeanos, die 
Erde und die Nacht. Nun wäre es schwer zu begreifen , wie 
die Dichter in dem einen sowohl als in dem anderen Yerzeich- 
luss so entgegengesezte Wesen zusammenschaaren konnten, 
wenn wir nicht bereits gesehen hätten^ dass das Wider- 
sprechendste, Licht und Finstemiss, Seligkeit und Marter, in 
dem Wesen dieser Dämonen beisammen ist. Man hat bereits 
bemerkt, dass Natur- und Elementengeister, Dämonen des 
Wassers, der Sonne, des Mondes und des Morgenroths, der be- 
wegenden Kräfte, Winde und Gewaltanstrengung, gegenüber 
den Kroniden atifgestellt seien. Mithin hat der Dichter zwi- 
schen Titanen und anderartigen Biesen nicht unterschieden, 
80 dass er um so weniger berechtigt war, nach der Hand solche 
Biesen gegen die Titanen in den Kampf zu führen. Es sind 
aber noch andere Inconvenienzen in jener Dichtung, wie Wel- 
cker bemerkt. Denn bei der Schilderung des Kampfes werden 
von beiden Parteien keine ausser dem Zeus genannt, und die 
Kroniden spielen eine schlechte Bolle. Nach dem Kriege 
nimmt Zeus nach einander sieben Frauen , um Kinder zu zeu- 
gen, und darunter auch einige Titaninnen ! Trozdem sollen die 
Titanen alle in den Tartaros eingekerkert sein , und darunter 
auch der Okeanos imd die Tethys, welches wiederum nicht 
möglich ist. »Auch der unvermeidliche Widerspruch liegt in 
der Titanomachie , dass die Titanen durch Titanische Hilfs- 
genossen besiegt werden, a Und dabei heissen diese Titanen 
die Herrlichen (dyavoij. 

Nochmals also : wir müssen von dieser Hesiodischen Er- 
aalung absehen, wenn wir über die Titanen ins Klare kommen 
wollen. Und die Titanen für Lichtdämonen zu halten , dazu 
sind wir schon dadurch berechtigt, dass der Name Tndv dem 
Sonnengott ganz besonders zukonmit: denn an einen derartigen 
Missbrauch der Sprache, wodurch ein Wort völlig seiner Art 
und Wurzel entfremdet würde, glauben wir nicht. Betrachten 
wir sodann die Personen, welche von Dichtem mit dem Namen 



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9. Tartaros. Titai^n. 43 

Titanen ausgezeichnet werden^ so lernen wir in ihnen und 
ihren Kindern eine Klasse von Wesen kennen, die zugleich 
Dämonen und zugleich Urmenschen oder erste Welt- 
bewohner, zugleich Freunde der Götter und Empörer, zugleich 
gerichtete Sünder im Tartaros und selige Geister im Elysium 
sind , und noch mehr dergleichen Widersprüche in sich ver- 
einigen, welche aus den obigen Betrachtungen zu erklären sind. 
Wir wollen femer bemerken, erstlich dass zu ihnen alle die 
Menschenschöpfer und Stammväter der Völker (beides ist Eins 
nach den mythischen Vorstellungen) gehören, mögen sie nun 
Titanen heissen oder nicht (denn eine bestimmte Grenze lässt 
, sich zwischen den mythischen Personen um so weniger ziehen, 
da die Gestalten stets im Flusse begriffen sind, und Tita- 
nen sowohl wie Götter \md andere Dämonen in Heroen über- 
gehen könn^ij, wie Prometheus, welcher aus Lehm Menschen 
formt (wiewohl Aeschylus ihn bloss thierische Geschöpfe in 
Menschen umbilden lässtj , wie Deukalion, der sie aus Steinen 
schafft, wie Kadmos, der aus einer Saat von Drachenzähnen 
sie hervorgehen lässt, wie Aeakos und Peleus die Myrmidonen- 
könige u: s. w. Denn der erste Mensch ist immer auch der 
Menschenschöpfer nach den ethnischen Sagen, wesshalb, wie 
gesagt, diese Menschenschöpfer auch die Stammväter der Na- 
tionen sind. Viertais dass sie das heilige Feuer vom Himmel 
geholt , an den Sternen angezündet haben , und dass ihnen zu 
Ehren dieses heilige Feuer auch auf den Herden fort \md fort 
erhalten wird, an dessen Erhaltung die Erhaltung der Gemein- 
den geknüpft ist Drittens dass sie sowohl die Befleckung der 
Erde durch Sünden als auch die Wiederherstellung des ersten 
Zustandes nach der Sinfluth erleben oder selbst bewirken, mit>- 
hin Adam imd Noah in ihnen vereinigt sein können. Alle oder 
doch die meisten dieser Eigenschaften finden wir im Prometheus 
vereinigt, der jedoch keineswegs so einsam und allein dasteht, 
sondern gar viele Nebengänger und Ebenbilder hat sowohl in 
den Grriechischen als auch in den Asiatischen Mythologieen. 



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44 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

10. Giganten. 

Widmen wir nun auch den Giganten eine kurze Betrach- 
tung ^) . Giganten sollen als Autochthonen in Lykien, auf Rho- 
dos, Milet, Kos gesessen hahen^J. Der Gigant Halkyoneus 
mit seinen Meropen , einem Urvolke gleich den M yrmidonen, 
wohnt hei Pindar auf der Insel Kos. Ihre Verwandtschaft mit 
den Phäaken hahen wir bereits gesehen; mit den Kyklopen 
haben sie erstlich die Verwandtschaft mit dem Seegotte gemein 
(denn Eurymedon, ein anderer Poseidon, ist ihr König bei 
Homer) , zweitens die riesenhaften Bauten (Schol. Apoll. r> 
987) \md drittens ihr Wirken in unterirdischem Feuer: denn 
wenn jene im Aetna wohnen als Schmiede , so hausen die Gi- 
ganten in dem vulkanischen Phlegrä (einer fabelhaften G^end 
von ungewisser Lage) , und dort haben sie gleich den Titanen 
(mit denen sie nachgerade völlig vermengt wurden) mit den 
Göttern gekämpft : auch sind auf einige derselben , auf den 
Enkelados in Sicilien imd auf den Polybotes in Kos^ 
Berge gestürzt worden. Aber einer von ihnen, der schon ge- 
nannte Alkyoneus , ist viertens auch ein Hirte gleich dem Po- 

lyphem: wenigstens treibt er den Helios seine Kinder weg in 
Erythrä»^), 

Was für widersprechende Begriffe auf den Namen Gigan- 
ten gehäuft , und wie sie hier mit den Titanen , dort mit den 
Hundertarmen vermengt oder vereinigt worden sind , haben 



35) TVV ifjtti xrtl y* xal '«'/«^Ci sagt Hesych. Dass ylg «= Flc = r^ 
die Sehne und die Kraft bedeutet, glauben wir gerne: ob es aber äuchjittt 

, ytj Eins sei, dürfen wir wohl bezweifehi, weil die alten Erklärer vieles der- 
artige ihren Etjmologieen zu Liebe erfunden haben. Jedenfalls aber dürfen 
wir wohl ylyag als eine Zusammensezung mit diesem ylf und mit ydg (wel- 
ches sich zu yiyatoi verhält wie ßdg zu ß(ßtetSc) betrachten. 

36) Hesych. Et M. yiyavr/«. Diod. V, 55. Paus. I, 35, 5. Sui- 
das s. V. ttTQOfitiros* 

37} Pin d. Isthm. V , 42 , der ihn /^or/^orai^ ovQti law, also einen 
zweiten Polyphem, nennt. 



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10. Giganten. 45 

^wir oben gezeigt. Dass die Erde^ die sie geboren hat^ auch 
wiederum ihr Grab wird, das haben sie mit den Urmenschen 
gemein. Wenn sie aber mit den Göttern kämpfen , wenn ein 
Alkyoneus, todt hingestreckt, wieder lebendig wird , sobald er 
den Boden, seine Mutter, berührt, gleich dem Antäos in Libyen, 
wenn ein Enkelados, ein Typhoeus, ein Polybotes imter Inseln 
und Bergen begraben werden, ein Mimas mit Feuer vertilgt 
wird (Eur. Ion 214) u. s. w. , so muss man wissen und eben 
hieraus erkennen, dass in den ethnischen Religionen die Ur- 
menschen welche den Sündenfall begehen von den 
Dämonen, welche sich gegen den Himmelsgott 
empören und dafür in den Tartaros gestürzt werden, 
nicht geschieden sind, d Getheilt sind Gott und mensch- 
liche Arta, sagt Pindar N. 6. 1, »doch gab beiden 6ine Mutter 
das Leben«, womit Hesiod 1'^/. 108 übereinstimmt. Und diese 
Mutter war die Erde. Man sagte sprichwörtlich von einem der 
Aeltem und Ahnen hatte, d. h. du bist doch nicht aus einem 
Stein oder einem Baum gewachsen (Od. t, 163). Denn man 
glaubte, dass die ersten Menschen gleich Bäumen aus der Erde 
gewachsen seien ^j , und das nannte man avzoxS^ovag Erdmen- 
schen (vgl. den Dichter Asios bei Paus. VIII, 1,2). Dieses 
Prädikat erhalten darum auch bisweilen die Giganten. 

11. Kronos und lapetos. 

Der Name Kronos bedeutet die Zeit^^). Der Kronos 
wird überall der Alte genannt und sein Bild ist das eines ab- 
gelebten Greises, auch bedeutet tcqovioq so viel wie altvaterisch 



38) Pindar bei H i p p o 1. V, 7. S. 136 ; ovg nQfoxovg r^Uog i<piSi <ff rcf^o- 
tpvii( avaßXaat6vrag, 

39) Er kann wohl schwerlich von xquCvco kommen, so wenig als (fovog 
von (faCvo) kommt , aber offenbar ist xgovog die ältere Form von XQ^^^^t 
indem die Aspiration , durch das darauffolgende q bewirkt wie in O^gava), 
^gitlf, tt^QiOTios, erst später eingetreten sein mag. 



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46 A. Die Dftmonen , die UrmeiMohen and die Urwelt. 

oder altmodisch bei den Attikern. Bei den Indiem sind es die 
Ahnen, die V ä t eT , püdras, welche bei dem König Joma, dem 
»Versammler der Geschlechter «, imElysium leben, nndbd 
den Griechen ist es das alte, vorsinfluthliche Geschlecht, wel- 
ches mit dem Kronos in den Tartaros hinabgesunken ist Der 
Beiname apwXofititrig , welchen ELronos bei Homer immar 
trägt, lässt sich zwar anf die Zeit beziehen , von der man nicht 
weiss was sie im Schoosse trägt; doch besser thut man, an die 
Verschmiztheit aller der mit dem Kronos verbundenen imd 
verwandten Wesen, eines Atlas, Prometheus, Phorkys, Glau- 
kos, Proteus u. s. w., zu denken, denen er sdbst auch ähnlich 
sein muss. Seine Verwandtschaft mit diesen Wesen ist auch 
dadurch bezeugt, dass er (ähnlich dem Kyklopen Polyphem^ 
dem Proteus u. s. w.) durch einen Honigtrank von Zeus be- 
rauscht lind dann im Schlaf gefesselt imd entmannt wurde> 
nach Orpheus bei Porph. antr. nymph. 16. p. 17. 

In dem lapetos wollen die neueren Forscher den Japhet 
und den indischen Jayäti (Windischmann a. a. O. S. 8] erken- 
nen , und möglich , ja sogar wahrscheinlich , ist es allerdings^ 
dass die Eigenschaft, Stammvater der Menschheit zu sein^ von 
dem Kronos (der sie sichtbar verloren hat) auf dessen Neben- 
gänger übertragen war. Es ist das um so wahrscheinlicher, 
da diesem lapetos der Prometheus zum Sohne gegeben wird> 
dessen sämmtliche Eigenschaften und Verdienste sich in dem 
Pimkte vereinigen, Stammvater der Menschen (oder Menschen- 
schöpfer) , Anzünder des heiligen Herdfeuers , Stifter des Cul- 
tus (das ist unter dem Zutheilen der yiqa bei Aeschyl. Prom. 
437 gemeint) und Erfinder der zum geselligen Leben notii- 
wendigen Künste zu sein. Diesem Prometheus also sind ein 
grosser Theil der Eigenschaften, welche entweder der Bjronos 
oder sein College, der lapetos, haben sollte, abgetreten worden; 
er gleicht ihnen auch darin , dass er in den Tartaros oder Ha- 
des hinabgestürzt und wieder mit ihnen daraus erlöst worden 
ist Der andere Sohn des lapetos, der Menoetios, Geschick- 



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11. Kr<mos und lapetof. 47 

besteher, ist von Zeus ebenfalls hinabgestürzt worden we* 
gen seines hoffiShrtigen Wesens (Hes. d: 514 — 516)^ und wir 
finden ihn dort als Menoetes wieder bei Apollodor 11^ 5, 10, 
wo er dem Hades seine Rinder hütet. Der Atlas endlich, 
d. h. der Trozer und Dulder^ befindet sich eben da, und 
zugleich am Ende der Welt, streckt sich aber dabei als eine 
himmeltragende Säule empor, ein Obelisk, Beth-El oder J?%am- 
manim , aus welchem später ein Berg gemacht worden ist, und 
erscheint in dieser Eigenschaft als der ganz würdige Gross- 
vater des Grottes Hermes^ dem diese Spizsäulen und Steinhaufen 
bei den Griechen heilig sind. 

Wenn es aljer nach diesen Beispielen scheinen will , als 
wenn die Titanen alle nur dem Tartaros angehörten , so muss 
daran erinnert werden, dass der Name Titan gerade dem 
Sonnengotte g^eben wird. Darum ist es auch ganz in der 
Ordnung, dass der lapetos den Hyperion, d. h. den Son- 
nengott, zum Bruder hat (Hes. ^.134). In Sikyon gab e» 
eine Gebirgshöhe Titane, deren Name von Titan, einem Bru- 
der des Helios , hergeleitet wurde , welcher dort gewohnt und 
die Gestirne beobachtet hatte und die Jahreszeiten bestimmt^ 
in denen ein jegliches Gewächs reifen könne (Paus, ü, 11, 5), 
also ähnUch wie der Atlas auf dem Heroldsberge in Böotien, 
sizend auf dem Plaze Polos, ihut (Paus. IX, 20, 3) . Diese zwei 
Brüder sind also einander gleich als Vermittler der zwei Wel- 
ten, was der Hermes erst recht vollständig geworden ist. 

Im Cultus war der Kronos so wenig wie der lapetos , der 
Atlas, derMenoetios bedacht, nur mit der Ausnahme, dass ihm 
hin und wieder neben seinem Sohne Zeus ein Bild aufgestellt 
war. Einen eigenen Tempel scheint er im eigentlichen Hellas 
nirgends besessen zu haben, und wo das etwa der Fall gewesen 
ist, da wird nicht der eigentliche Hellenische Kronos, sondern 
der Poenische Bei oder Moloch gemeint gewesen sein, welches 
in den Ostländem a\if den Inseln Rhodos und Kreta, welche 
mit den Poeniem und mit Syrien verkehrten, der Fall gewesen 



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<^8 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

ißt/ Jener Poenische Moloch näridich (ein Feuergeist gleich 
den Phlegyem , dem Ilion und anderen , die man ebenfalls zu 
deii Titanen "rechnen köiinte) wird allgemein mit dem Kronos 
vertauscht und Kronos von den Griechen genannt ^^). Man 
opferte ihm Kinder , und nach dem Beispiel der Syrer haben 
auch die Rhodier und Andere ihrem Kronos solche Menschen- 
opfer gebracht**). Dorther stammen auch die Sagen von der 
Entmannung des Uranos durch den Kronos und von seiner 
Kinderverschlingung und der Vertauschung des Zeus-Kindes 
mit einem Steine (Bätylos) . Darum führt der Kronos die Sichel 
in der Hand, gleich dem Nergal-Moloch und dem Perseus, und 
diese Entmannung des (Frühlings-) Himmels ^durch den Feuer- 
geist (die Sonnengluth) ist von gleicher Art mit der freiwilligen 
Entmannung des Attys , der hernach auch getödtet zerstückelt 
und gekocht wird von den Titanen, so wie sie zugleich der 
Grund ist , wesswegen diesem Gotte die Kinderopfer gebracht 
werden, welcher selbst seines Blutes nicht verschonend ent- 
weder seinen Vater entmannt oder seinen Sohn zum Opfer 
schlachtet. Auf diese That werden wir noch oft zurückkommen, 
imd ihre Bedeutung wird bereits aus dem folgenden Paragra- 
phen zu entnehmen sein. 

12. Kronosfest, SiDfluth, Elysium, Peloros und Pe- 

lasgos. 

Es ist indessen auch dem echten Kronos ein Fest gefeiert 
worden , welches zwar grosse Aehnlichkeit hatte mit gewissen 
Asiatischen Festen, aber doch nicht von dorther entlehnti son- 
dern ursprünglich in Griechenland einheimisch war. Es ge- 



40) Voss theol. gent. n. S. 15. 330. Diod. XX, 14. Macrob. I, 
7. Minut. F. c. 30. Lactant. I, 21. Dionys. I, 38. 

41) Porphyr, abst IL p. 202 und p. 197 i&v€To yäg h '/VJy /urivl 
MtrayHTvmvi (xrij lara^^vov avd-Qfonog t^ KQovtp. Sophokles Fragm. 
132 beiHesych. s. v. xovqhov. Das. s. v. ^Ißvg r« ccriStov al yuQ h 
Kaqx^^ovi yvyttTxsg t« tdin xixva xatd ti vofiifiw ia(fayla[cv KQorip. 



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12. Kronosfest, Sinfluth, Elysium, Peloros und Pelasgos. 49 

hörte in die Klasse der Jahresfeste , gleich den Persischen 
Gahanbar^ in denen immer erst eine Sühnung aufgesammelter 
Befleckung und dann sich anreihend eine Erneuerung der 
glückseligen Zeit symbolisch begangen wurde. Und diese 
Kronia waren in der That gleich den Gahanbar (s. Spiegels 
Avesta II, S. C, Note 2] eine Erneuerung der Welt und Wie- 
derherstellung des goldenen Zeitalters nach der Abwaschung 
der Erde durch die Sinfluth , deren Wasser so eben sich ver- 
laufen hatten. Sie fielen in dieselbe 2ieit mit dem Assyrischen 
Laubhüttenfeste, den Sakeen, an denen selbst Sklaven die 
grösste Freiheit gestattet war; auch das Laubhüttenfest der 
Anna Perenna war ähnlich (s. Movers I, S. 484). Von zwei 
Seiten drohte der Welt immer der Untergang, durch die Ueber- 
schwemmimgswasser und durch den Sonnenbrand. Darum 
feierte man auch alljährlich das Fest ihrer Erneuerung , wenn 
die Wasser der Passatregen sich verlaufen und wenn die 
Sonnengluthen sich gelegt hatten. Das ist der Vogel Phönix, 
die im Sonnenbrande verglühende Welt , welche aus der Ver- 
brennung neuverjüngt wieder hervorgeht, und das sind die 
grossen Verbrennungsfeste in Syrien, zu denen man viele 
Tagereisen weit wallfahrtete , das ist der Brand von Ninive 
durch Sardanapal und von Troja durch Paris. Die Vermengung 
des Kronos mit dem Moloch war also keineswegs unbegründet, 
indem jener ebensowohl den Weltbrand als die Weltersäufung 
und deren Wiederherstellung nach der Hand zu bedeuten hatte. 
Das Fest Kronia haben die Athener am 12. des Monats 
Kronion oder Hekatombäon nach der Sommersonnen- 
wende gefeiert ^2) und dessen Beschaffenheit können wir aus 
Plutarch (Thes. K. 12] entnehmen, welcher sagt: »Theseus 
(ein Wasserdämon) soll am 12. [nicht 8.] des Monats Kro- 
nios, der auch Hekatombaeon heisst, in Athen angekommen 
sein. Als er der Stadt nahte imd bereits amKephisos war, 



42) Demosth. Timokr. §. 26; Schol. Arist. Wölk. 397. 

Uartunf, Rel. Q. Mythol. d. Gr. II. 4 



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hO A. Die D&monen , die Urmenschen und die Urwelt. 

kamen ihm Männer vom Stamm der Phytaliden ent- 
gegen und bewillkomipten ihn zuerst, und da er gereinigt 
zu werden begehrte, so entsühnten sie ihn nach dem 
Brauch, brachten Begütigungsopfer und speisten ihn bei 
sich im Hause, nachdem noch Niemand unterwegs 
ihm etwas Freundliches erwiesen hatte, a Man sieht, 
dies Fest war ein Versöhnungsfest, und man pflegte 
Bekannte und Unbekannte an seinen Tisch zu la- 
den; darum konnte es mit den römischen Satumalien ver- 
glichen werden, und ist die Einerleiheit der beiden Feste auch 
allgemein anerkannt worden^). Bei Olympia war ein Kro- 
nosberg, auf dessen Gipfel die sogenannten Königinnen 
dem Kronos in der Frühlings - Tag- und Nachtgleiche im 
Hirschmonat opferten , und man glaubte dort , dass die Olym- 
pischen Wettspiele zum Andenken des Sieges über den 
Kronos und die Titanen eingesezt seien, und zwar durch 
Idäische Daktylen, die aus Kreta herübergekommen seien *^). 
Diese Spiele wurden immer am ersten Vollmond nach der 
Sommersonnenwende, also gerade zur Zeit der 
Attischen Kronien, gefeiert. Hier haben wir also eine be- 
stimmte Beziehung auf den Titanenkampf. Diese Schlacht 
nun ist, wie gesagt, in Thessalien geschlagen worden, wo- 
selbst auch die Sinfluth stattgefunden hat. In Rho- 
dos fiel das Fest Kronia in die erste Hälfte des Monats Me- 
tageitnion (Nachbar- Wechsel) , und da war es wo man einen 
Menschen, später einen verurtheilten Verbrecher, als Sünden- 
bock schlachtete. Man führte ihn zum Thor hinaus, stellte 
ihn vor den Tempel der Aristobule , gab ihm Wein zu trinken 
und erschlug ihn dann (Porph. abstin. H, 54. p. 197). Auf 



43) L. Acciusbei Macrob. Sat. I, 8 Maximapars Grqfum Stxtumo 
et maxtTne Athenae Conficiunt sacra quae Cronta esse Uerantur ah illü etc. , 
um von späteren Autoren nicht zu reden , bei denen die römischen Satur- 
nalien schlechtweg Kgovia genannt werden. 

44) Paus. VI, 20, 1 ; V, 7, 6. lOj Diod. V, 64. 



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12. Kronosfest, Smflutb, Elysium, Peloros und Pelasgos. 51 

dem Berg Othrys (an welchem auch die Arche Deukalions ge- 
landet ist) lagerten die Titanen , auf dem Olympus die Götter 
Hes. d-, 032. Nun hören wir, was uns von den dortigen Sa- 
tumalien, genannt IleXwQia, der Rhetor Baton von Sinope bei 
Athenäus (XIV. S. 639 E.) erzält: Als einst die Pelasger ein 
Volksfest mit Opfern feierten, meldete ein gewisser Peloros 
dem König Pelasgos, dass durch ein Erdbeben das Tempe- 
gebirge gesprengt, die Wasser durch den Riss abgelau- 
fen, der Bach Peneios gebildet und das Land bloss gelegt, 
und so die schönste Gegend entstanden sei. Auf diese Nach- 
richt habe der Pelasgos dem Peloros ein herrliches Mahl 
bereitet und alle Welt dazu eingeladen und mit dem 
Besten, was er hatte, bewirthet. Pelasgos selbst machte 
den freundlichen Wirth , und die anderen Vornehmen thaten 
das Gleiche. Und seitdem bestand der Brauch , dass man an 
dem Fest Peloria dem Zeus Pelorios opferte, die Tische 
mit den besten Speisen besezte und ohne Unterschied Mitbürger 
und Fremde dazu einlud. Gefangene freiliess, Dienstboten wie 
Freie mit am Tische speisen Hess, ja sogar selber bediente u. s. w. 
Da die Peloria Eins mit den Kronien waren, so wird wohl 
auch der Peloros von dem Kronos nicht verschieden gewesen 
sein : daraus erklärt es sich sogleich , wie er die Rolle eines 
Ogygos und eines Deukalion bei der Sinfluth übernehmen 
konnte*^) . Die Griechen haben bekanntlich aus den Pelasgern 
eine ältere Bevölkerung ihrer Heimath gemacht, dieselben auch 



45) Der Name TliXüiQog bezeichnet einen Kiesen; denn tt^Imo ist 
monsfy'um oder portentumj und in das Hiesengeschlecht gehören ja alle di& 
dem Kronos ähnlichen oder verwandten Wesen. Dagegen bezeichnet /Ai«- 
ayos geradezu einen Ueberschwemmungsd&mon , was auch ein Ketter au» 
der Ueberschwemmung sein kann ; denn för IleXaayog kommt auch TTtXu- 
ytov vor (Di od. IV, 72, zu vergleichen mit ApoUod. III, 12, 6). Wenn 
somit Ttikayog (palu$J in TTflaayog darinnen steckt (wie der "Äyi^oj in 
*Slxeav6g), so werden die Pelasger den Deukalioniden gleich^ 
d. h. Menschen sein welche entweder die Sinfluth überstanden haben oder 
sogleich nach der Sinfluth geschaffen worden sind. 

4* 



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52 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

hie und da als einen Volksstamm fixirt^ gerade so vrie sie das 
auch mit den Meropem, Lapithen, Kentauren, Phlegyem, 
Kimmeriem u. s. w. gemacht haben, die doch alle den Mythen 
angehören. Aber noch hat kein Forscher aus diesem vermeint- 
lichen Urvolke klug werden können, welches überall und nir- 
gends ist, bald für Barbaren, bald für die Vorältem der loner 
ausgegeben wird , endUch von dem Erdboden verschwunden 
ist, ohne dass man eine Revolution, einen Yertilgungskrieg, 
eine Völkerwanderung oder Einwanderung geistig und phy- 
sisch überlegener Stämme , etwa wie in Nordamerika , nach- 
weisen kann. Die Neueren haben eingesehen, dass sie von 
den Hellenen nicht zu trennen wären, imd dass man die ältere 
Bevölkerung Griechenlands unter ijmen zu verstehen habe, 
wogegen wir nichts einzuwenden haben , wenn man nur auf- 
hören will , denselben historische Wirklichkeit zu ertheilen. 

Kehren wir noch einmal auf die Kronia und Peloria zurück, 
so ist der Sinn dieser Feste offenbar dieser , dass nach der Be- 
seitigung der Uebel wieder die goldene Zeit b^nnt. Da wer- 
den auch die Titanen wieder aus dem Tartaros entlassen ^^) , 
und dann regiert Kronos im Lande der Seligen , wovon Pin- 
dar nach Pythagoreischen Lehren , welche auch in den Myste- 
rien verkündet wurden , so viel Schönes zu erzälen weiss (Ol. 
n, 130). »Wer es dreimal vermocht hat in dem Verweilen 
beidseits, dass er die Seele vom Betrüge frei erhielt, der schwebt 
auf himmUscher Bahn zur Kronosburg , dem seligen Gestade, 
wo der Seewind das Land durchwehet und erquickt, rings duf- 
tige Goldblumen glühn, zu Land theils auf stolzprangendem 
Gezweig , im Wasser winken andre. Aus denen flechten sie 
sich Kränze zur ümflechtung der Stirn beim graden Rathschluss 
Rhadamanthys , den zum bereiten Beisizer dort erkor Vater 
Kronos*^).« 



46J Ivae ^k Z€vs aif^(rovg Tixävag, Find. P. IV, 480^:518. 
47) Vgl. Find. Fragm. 106, S. 190 m. Ausg. Hesiod. %. 169. 
Diod. V,66. 



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13. Ogygos. Deukalion. Kekrops. 53 

13. Ogygos. Deukalion. Kekrops. 

Es hat in alten Zeiten ein König Ogygos oder Ogyges 
in Böotien, in Attika (wo erEleusis gründete), in Achajau. s. w. 
geherrscht. Zur Zeit seiner Regierung hat eine grosse Ueber- 
schwemmung stattgefunden , der See Kopais ist ausgetreten^ 
und aus dem Tritonsee ist die Pallas hervorgegangen ^^) . Er 
war ein Erdmensch f Autochthon) , nach andern ein Sohn Posei- 
dons, und dabei König der Ektenen in Böotien, in Attika 
Vater des Eleusis und Gemahl der Daira (Persephone^*). Er 
war auch Vater des Kadmos und der drei Praxidiken (Alal- 
komeneia , Thelxinoia und Aulis) . 

Wer dieser Ogygos gewesen sei, sagt uns sein Name*^, 
nämlich ein die Welt umkreisender Strom. Aber überall am 



48) Syncell. S. 148. Serv. Ecl. VI, 41. Euseb. praep. ev. X, JO. 
Strabo VIII. S. 384. Scbol. Ap. III, 1178. Suidas *. r. loyvyiov, 

49) Paus. I, 38, 7. IX, 5, 1. Schol. Lyk. 1206. 

50) Mit dem Adjectiv tayvyiog wurde nämlich , wie es scheint , etwas 
Extremes bezeichnet, so dass also toyvyia xaxa ebensowohl riesenhafte als 
uralte Uebel sein können (s. Suidas) . SjTionjTn mit dyvytog ist or/iviot, 
welches ebenso gedeutet wird. Nun kommt aber toyiviog von t^'n^j ^^ 
ist «JyijV Nebenform von dxfavog, so wie toytv(dat. Nebenform von toxiO" 
vC^ai ist: (vgl. Völcker, M}'th. lap. G. S. 61. Buttmann, M>'th. I, 
205 ff. Pherekydes bei Clemens AI. ström. IV. p. 621) mithin muss auch 
der alte König "Slyvyog Eins mit 'Sixatvog gewesen sein , und diese An- 
nahme wird dadurch bestätigt, dass jener König'* Slyi^yog auch König der 
Götter gewesen sein soll (Schol. Hes. ^. 806). Für wyv^iog sagte man 
femer auch oyvyiog (s. Hesych. 0^17/« ff^^v) * und das Thor zu Theben, 
welches *£iyvytat nvXai genannt wurde, hiess auch "Oyara? oder "Oyy«? 
^A^Tjväg (Hesych. und Paus. IX, 12,2). "O/xo^ heisst die Krümmung, 
aber für iyxvXos sagte man auch oyvXog {oyyvXXw)^ und dies führt uns wie- 
der auf oyvyios und tayifyog zurück. Der Begriff dieses Wortes wird also 
sein Reif, Umkreis (wy»;, (ftiXnyyog tb ^axt'Tov xa\ t6 axQor sagt 
Hesych , und das war eine passende Bezeichnung für den die Erde su 
äusserst einfassenden und umkreisenden Weltstrom. Sanskritgelehrte sagen 
aus, dass augha — offha die Fluth oder Sinfluth bedeute, demnach 
wyvyrig — myayrig der Fluthgeborene sei (s. Windischmann, Ur- 
sagen der Arischen Völker, S. 5 f.). 



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54 A. Die Dämonen, die Unnenschen und die Urwelt. 

Ende der Welt ist auch der Eingang zur Unterwelt , und die 
Gewässer der Erde haben ebensowohl aus dem CNcean wie aus 
der Unterwelt ihre Ursprünge , und an vielen Orten der Erde, 
wie z. B. auf der Akropolis zu Athen und im Tempel Posei- 
dons bei JSf^^tinea und zu Mylasa in Karlen, sah man Meeres- 
wogen aus dem Erdboden hervorquellen (Paus. Vm, 10, 4); 
darum ist es kein Wunder, wenn jene Ueberschwemmungsfluth 
ebensowohl aus der Unterwelt wie aus dem Okean heigeleitet 
wurde, und man, den in jener Sinfluth Umgekommenen opfernd, 
Wasser und Kuchen in die Erdlöcher schüttete , in denen die 
Fluth sich verlaufen und der Drache sich verkrochen hatte ^*) . 
Man muss in der That noch sehr geringe Beobachtungen über 
das Leben der Menschen und ihre Gebräuche angestellt haben, 
wenn man hinsichtlich dieser und anderer Sinfluth-Sagen an 
eine aus den ältesten Zeiten, wo möglich gar aus dem Stamm- 
lande der Menschheit, fortgeerbte Tradition denken kann. 
Wer, frag ich, hat's denn erzälen sollen? Etwa die aus den hin- 
ter den Kücken geworfenen Steinen entstandenen Menschen? 
Oder hatte der Deukalion nichts Angelegentlicheres zu thun, 
als diesen Stein-Menschen seine Erlebnisse zu erzälen? Und 
wenn es Noah gethan hätte sammt Allen die mit ihm in dem 
Kasten waren, würde wohl das jüngere Geschlecht der Sache 
so eine grosse Wichtigkeit gegeben haben? Konnten sie's wis- 
sen und ermessen, dass die Ueberschwemmung über die ganze 
Welt sich erstreckt und dass die Vernichtung die ganze Mensch- 
heit betroffen habe? Nein, sondern sie mussten das Ereigniss 
für ein lokales halten , und dann hatte es keine grössere Be- 
deutung als hundert andere verheerende Uebel ebenfalls. 
Vollends gottesdienstliche Gebräuche für ewige Zeiten zum 
Andenken Ertrunkener einzufahren, ist eine Sache, welche 
allenfalls in unseren Denkmale-stiftenden Zeiten möglich wäre. 



51) Paus. I, 18, 7. Luk. dea S. c, 13. p. 459. Suidas und Et. M. 
Phot. «. r. vdQOffoQia. Seh ol. Arist. Acbam. 961. S ch o 1. Find. Nem. V, 81. 



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13. Ogygos. Deukalion. Kekrops. 55 

aber gewiss nicht in der Urzeit. Und welcherlei Gebräuche ! 
Im Monat Anthesterion (Februar und März) , ohngefiUir am 
1. März, an einem verruchten Tage [fiictga ri^iQu)^ kochte man 
allerlei Früchte und schüttete sie dem unterirdischen Hermes 
sammt Dionysos aus (daher xvtqoi. genannt] , zum Andenken 
derinder Sin flu th Umgekommenen, und man glaubte^ 
dass die Seelen der Verstorbenen um diese Zeit aufsteigen imd 
umherwandeln *^^. Diese Töpfe haben die grösste Aehnlich- 
keit mit den Hekate-Gerichten , und sollten ohne Zweifel die 
Geister der Verstorbenen zufriedenstellen, damit sie die 
Erde nicht verunreinigen möchten durch ihr Umherwandeln 
von der Zeit an , wo diese , von der Befleckung des Winter» 
gereinigt durch die Frühling^wässer , wiederum voll Segens 
sein und Früchte zur Ernährung der Menschen tragen sollte. 
Auf diese Reinigung bezieht sich der Name Deukalion^). 
Ingleichen ist dies damit gesagt, dass der Lichtgott Phöbos, 
derselbe welcher den Lindwurm erlegte , auch der Better aus 
der Sinfluth war; denn am Pamass war die Arche Deukalions 
gelandet, als die Wasser sich verlaufen hatten; dort war er mit 
seinem Weibe ausgestiegen und hatte die neue Bevölkerung 
aus Steinen hervorgerufen (welches , nebenbei gesagt, ein ety- 
mologisches Mährchen ist, weil Xaoi, Leute, so wie Xäeg, 
Steine, lautet) und sodann den Delphischen Tempeldienst 
gegründet. Und die fünf Heiligen (oaioir) , welche zu Delphi 
in Gemeinschaft mit den Propheten den Gottesdienst besorgten, 
stammten von Deukalion her (Plut. qu. ffr. c. 9). Ist daraus 
nicht klar zu entnehmen , dass der Phöbos , welcher den Erd- 
drachen schlug und sodann sich und das ganze Land reinigte, 
und der Deukalion , der die reinigende Sinfluth überstanden 
hat, beide Reiniger der Erde seien? Wir werden die Bedeutung 



52) Hesych. Pbot. s. \. fiiagä ^iga. Plut. Sylla 14. Schol. 
Arist. Frosch. 218. Hermann, Gott. Alt. 68, 20—22. 

53) Sivxig ist so viel wie levxor, iafiTt^w nach Hesych, Tgl. nolv^ 
^tvxrig — noXvUvxi^g Pollux. 



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56 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

der Lindwürmer später erörtern. Dass der Deukalion auch 
Menschenschöpfer ist gleich dem Prometheus, das hat er mit 
andern Stammvätern von Völkern und Herdgöttem gemein. 
Er soll auch sammt seiner Gemahlin Pyrrha vom Prometheus 
und der Pandora herstammen , während Andere wiederum die 
Pandora zu seiner Tochter machen (Hes. Fragm. 29) , ein Be- 
weis, dass Deukalion und Pyrrha mit Prometheus und Pandora 
d. h. der Noah mit dem Adam , zusammenzufallen schienen, 
was wir auch an dem Yima (siehe oben Seite 1 1 f. ) gesehen haben, 
der nämlich beide zugleich repräsentirt. Eine andere Deuka* 
lions-Tochter heisst Protogeneia, d. h. das erste Weib, 
was auch Pandora und Pyrrha sind. Der Name Pyrrha und 
Pyrrhos aber bezieht sich auf das Land Thessalien, wo Deu- 
kalion zu Hause ist; denn dieses Land hat vor Alters Pyrrha 
oder Phyrrhaea geheissen, und an der Grenze Thessaliens 
befand sich eine Anhöhe Namens Pyrrha, und vor derselben 
lagen zwei Werder, Deukalion und Pyrrha genannt (Strab. 
IX. S. 435"). 

Die Arche Deukalions hat auch am Berge Othrys in Thes- 
salien gelandet und er hat dort den 12 Göttern Altäre gebaut 
und den Sohn Hellen gezeugt , von dem die Hellenen stamm- 
ten. Wiederum Andere lassen ihn zu Kynos im Lokrerlande 
aussteigen und zu Opunt wohnen^). Zu Opunt wurde auch 
das Grab der Protogeneia gezeigt , und das der Pyrrha zu Ky- 
nos (Strab. IX. S. 425. Schol. Pind. a. a. O.). Deukalion 
hatte aber auch in Attika dem Olympischen Zeus seinen Tem- 
•pel gebaut und neben diesem Tempel lag er begraben (Paus. 1, 1 8, 
8. Strabo IX. S. 425). In Argos hat Deukalion auf dem Berg 
Aphesios gleichfalls dem Zeus einen Altar gebaut (Et. M. s. v. 



54) Noch ist zu erwähnen, dass der Deukalion auch ein Sohn der i See- 
göttin) Hesione heisst, ingleichen der TTqovoij (denn so wird für JIovi(Ti lu 
schreiben sein beim Schol. Od. x, 2), welche an ITgoiuij&ivg erinnert. 

55) Schol. Find. Ol. IX, 64. Schol. Apoll. III, 1087. Schol. 
11./?, 681. Strabo IX. S. 443. 



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13. Ogygos. Deukalion. Kekrops. 57 

^y4(piotog) , und hierin gleicht er dem Aeakos, von welchem 
wir im nächsten Paragraphen sprechen wollen. Auch auf dem 
Aetna und auf dem Athos hat er sich niedergelassen^. 

Eine andere Sage lautet so: Pamasos, Sohn Poseidons 
und einer Nymphe, hatte am Pamass eine Stadt gebaut, die in 
der Sinfluth unter Deukalion untergieng; die Menschen flüch- 
teten auf die Höhen des Pamass und griindeten dort eine neue 
Stadt Lykoreia, nach Lykoros benannt, einem Sohn Apolls und 
der Nymphe Korykia (Paus. X, 6, 1). In Arkadien hat diese 
Sinfluth tmter dem König Nyktimos stattgefunden , der allein 
davon kam. Derselbe ist, wie Pelops, von den gottlosen Ly- 
kaonssöhnen geschlachtet und dem Zeus zum Essen vorgesezt 
worden, und wieder belebt (Schol. Lyk. 481). Die Gaea (Erde) 
mit aufgehobenen Händen flehte um die Rettung des Nykti- 
mos , als Zeus das ruchlose Geschlecht vernichtete (Apollod. 
III, 8, 1. 2). In Attika hat dieselbe Ueberschwemmung unter 
dem König Kranaos stattgefunden, der ein Erdmensch oder 
AutocKthon war (Apollod. IH, 14, 5). In Megara hat die Fluth 
unter dem König Megaros stattgefunden, der ein Sohn des 
Zeus und einer Njrmphe Sithnis war; derselbe rettete sich auf 
den Berg Gerania , von Kranichen (so wie Noah von Tauben) 
geleitet (Paus. I, 40, 1). Auf der Insel Kos spielt Merops, 
Sohn des Hyas 'Regengottes) , die Rolle Deukalions ; auf Rho- 
dos sind es die Heliaden welche die Sinfluth überdauerten 
(Schol. H. a, 250. Diod. V, 56). Unter den mythischen Kö- 
nigen Attikas hat noch einer Aehnlichkeit mit dem Deukalion, 
nämlich Kekrops, der zweigestaltige {8t(pvris) Schlangen- 
mensch. Die Schlange ist ein Symbol der Ueberschwemmung, 
und der Kekrops ist, wie auch der Deukalion ^ in das Stern* 
bild des Wassermanns übergegangen (Hygin. astr, II, 29). Er 
hat nicht bloss das Athen in Attika gegründet, sondern war 
auch in Böotien bei Haliartos zu Hause , und hat auch dort 



56) Serr. Ecl. VI, 41. Hygin. f. 153. Nigid. Schol. German. 



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58 A. Die Dämonen, die Urmenschen und die Urwelt. 

einst am Tritonfliiss die beiden Ortschaften Athena und Eleu- 
sis gebaut, welche durch die Ueberschwemmung des Sees Ko* 
pais vernichtet worden sind, und auch auf Euböa hat er er ein 
Athen gerundet ^'). Seine Frau war eine Tochter des Aktäos, 
d. h. des Begen-gebenden Zeus, die drei Thaujungfrauen 
Agraulos Pandrosos und Herse heissen theils seine theils Ak- 
täons Töchter; er hat den Landesnamen Akte in den Namen 
Kekropia umgewandelt und den Streit zwischen der 
Athena und dem Poseidon dahin entschieden, dass 
dieser zurückwich und der Athena den Besiz des Landes 
überliess (welches eben so gut wie eine Beendigung der Sin- 
fluth ist] ; dann hat er zuerst dem Zeus ein Bind geopfert und 
auch die Beerdigung der Menschen zuerst eingeführt (Sjncell. 
284. Macrob. I, 10). Als Poseidon im Streit um das Land zu 
kurz gekommen war, überschwemmte er die Thria- 
sische Flur und sezte ganz Attika unter Wasser 
(ApoUod. III, 14, Ij. Daraus kann man entnehmen, was die- 
ser Streit um den Landesbesiz eigentlich bedeutet. Und recht 
hübsch bemerkt Plutarch sympos. IX, 12, 6, dass der Poseidon 
überall um die Landschaften streitet und überall in diesem 
Streit unterliegt, in Attika der Athena, in Delphi dem Apol- 
Ion, in Argos der Hera, in Aegina dem Zeus, in Naxos dem 
Dionysos, und doch überall friedlich mit diesen Göttern, denen 
er weichen musste, zusammen wohnt, ingleichen dass der 
zweite Tag des Monats Boedromion , als der Tag an welchem 
dieser Streit stattgefunden habe, u;iter die nefastos ge^ 
höre. Es fielen aber in diesen Monat auch die Boedromia 
zum Andenken des Sieges über die Amazonen, und zweitens 
die Eleusinia zum Andenken des Sieges über den Eumolpos 
(Plutarch. Thes. c. 27. Etym. M. p. 202. Paus. I, 38, 3), und 
der Name Boedromios, welchen auch ApoUon trug (Paus. IX, 



57) Strabo, IX. S. 407. Paus. IX, 33, l. I, 5, 3. Euseb. chron. 
2 p. 76. 



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14. Aeakos. Peleus. Myrmidonen. 59 

17, 2), scheint überhaupt Beistand ziun Obsieg bedeutet 
zu haben. 

14. Aeakos. Peleus. MyrniidoDen. 

Wir haben noch zwei Urväter von Völkerschaften oder 
Menschenschöpfer zu betrachten , in deren Sagen zwar nichts 
von einer Sinfluth vorkommt aber desto mehr von Begen-, 
Quellen- und Seegewässem die Rede ist. Indem aber die Aehn- 
liohkeit dieser Heroen mit dem Deukalion nicht zu verkennen 
sein wird^ muss desto deutlicher aus ihrer Betrachtung erkannt 
werden , dass die Ueberschwemmungsfluth von den regelmäs- 
sigen Regengüssen^ welche die Jahreszeit bringt ^ einestheils 
und die Menschen- oder Völkerschöpfung von der Wiederbe- 
lebung der Natur durch die erquickende Feuch^gkeit andem- 
theils nicht zu trennen ist. 

Der Aeakos aber und der Peleus ; der eine in Aegina der 
andere auf dem Pelion daheim^ haben folgende Züge mit 
einander gemein : 

1) Sie sind beide Häuptlinge ^ Urheber, Führer der Myr- 
midonen sowohl als auch der Hellenen: denn auch Aeakos 
Terehrt den Zeus Jlav^lXijvwg und hat alle Hellenischen Für- 
sten um sich versammelt. 

2] Sie sind beide mit Seefrauen vermählt. 

3) Sie stehen beide in der engsten Beziehung zu dem 
Begengotte Zeus sowohl als auch zu See- und Quellendämonen ; 
denn der Skeiron wird von dem Cheiron schwerlich ver- 
schieden sein. 

Betrachten wir sie jezt einen nach dem andern! 

Als einst Griechenland bei anhaltender Dürre zu ver- 
schmachten fürchtete 9 giengen Gesandte aus allen Staaten 
nach Aegina zum Sohne des Zeus und der Europa oder der 
Aegina und baten, dass er sich für sie verwenden möchte. Und 
Aeakos opferte sodann dem Zeus Aphesios auf der Höhe des 
Skironischen Felsens (s. über Skiron oben) , welcher auch 



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60 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

Panhellenios hiess, und die Noth nahm ein Ende (Paus. 
I, 44, 9. n, 29, 7). »Wenn auf der Höhe des Hellenischen 
Zeus auf Aegina eine Wolke steht«, sagt Theophrast (tt. at;- 
^eitt}v 1 , 24) »80 gibt es meistens Regen. « Njihe bei Epidau- 
ros war der Berg Arachnäos , vor Alters Sapyselaton genannt, 
auf welchem ein Altar des Zeus und der Hiera stand. Auf die- 
sem Altar wurde gleichfalls geopfert, wenn es lange nicht reg- 
nen wollte (Paus. II, 25, 9). Vom Aeakos aber meldet die 
Sage noch mancherlei Bedeutendes , was ihn als einen Men- 
schenvater gleich dem Persischen Yima (Dschemschid) zu er- 
kennen gibt. Er war in Rath und That ausgezeichnet , sagt 
Pindar, so dass ihm »alle Heldenblumen der Nachbarländer 
gerne von freien Stücken huldigten«. Deren Bilder waren alle 
im Aeakeion,«dem frequentesten Orte auf Aegina, zu sehen. 
Femer nennt Pindar ihn den tugendhaftesten Menschen und 
sagt, er sei zum Schiedsrichter sogar für Götter erkoren worden. 
Dass er Richter in der Unterwelt geworden sei, ist be- 
kannt. Man feierte auf Aegina zweierlei Wettspiele , Delphi- 
nia dem Apoll und Aeakeia dem Aeakos zu Ehren (Schol. Pind. 
Ol. Xni, 155). So wie Peleus, heirathete er eine Seegöttin, 
die Psamathe , welche auch des Proteus Gattin genannt wird 
imd so wie Proteus und wie Thetis sich verwandeln konnte 
(Hes. ^. 1004). Mit ihr zeugte er den Phokos, einen anderen 
Zagreus, von welchen^ wir noch besonders sprechen werden. 

Sein Sohn Peleus , gezeugt mit der Skirons-Tochter 
Endeis, Vater des Seedämons Achilleus , Freund des Quellen- 
dämons Chiron, ist eine Wiederholung von ihm. Seine Myr- 
midonen, vom Aeakos in ähnlicher Weise wie die neue Bevöl- 
kerung von Deukalion geschaffen, oder auch von Zeus mit der 
Eurymedusa (einer anderen Eurynome) gezeugt*^, waren nach 
Hesiod die ersten Schiffbauer und Seeleute. Von der- 



58) Strab. VIII. S. 375. Hesiod. Fr. 93. Hyginf. 52. Schol. 
Lyk. 175. 



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14. Aeakos. PeleuB. Mynnidonen. 61 

selben Art werden auch die Achäer gewesen sein, deren Name 
gleich dem des Achilleus und ^cheloos, auf das Wasser Bezug 
hat, während Peleus den feuchten Schlamm andeutet^^). 
Achäer und Myrmidonen werden immer zusammen genannt 
(IL TT, 564. 595). Zu Pella opferte man dem Peleus und dem 
Chiron einen Achäer, sagt Clemens AI. (protr. 12, 33), und 
Peleus ist dem Homer ein braver Bathgeber und Sprecher der 
Myrmidonen. Obgleich der Peleus mit den Kentauren zu 
kämpfen hat, die ihn ermorden wollen, so lebt er dennoch in 
der innigsten Freundschaft mit dem Kentauren Chiron , mit 
welchem er auch im Cultus vereinigt ist; denn die Sepias- 
Grotte, in welcher der Pelias mit der Thetis hauste, lag unter- 
halb der Chironshöhe am PeUon. Auf der Höhe desselben 
Berges aber war das Heiligthum des Regengottes Zeus Aktäos, 
Auf diesem Pelion, einem zweiten Olymp, mittelst dessen die 
Aloiden den Himmel erstürmen wollten, war die Hochzeit des 
Peleus und der Thetis im Beisein aller Götter gefeiert worden. 
Und Peleus, als Myrmidonenkönig, überstrahlte alle Menschen 
durch Wohlstand und Beichthum von Geburt an (II. to, 534). 
Von den Todtschlägen und mehrmaligen Reinigungen und 
dem Aufenthalte des Helden in verschiedenen Gegenden, und 
anderen Sagen welche später an den Namen des Peleus ange- 
knüpft worden sind, scheint Homer nichts zu wissen ^) . Aber 
wichtig ist, dass unser Held eine Tochter Polydora (eine an- 
dere Pandora) mit der Aktors-Tochter Polymele gezeugt hatte, 
was ihn noch deutlicher als einen anderen Deukalion zu er- 
kennen gibt. 



59) Die Myrinidonen waren yielleicht fiOQfAOveg ^ d. h. ^alfxoviq nla- 
vrjxai. nach Hesych, oder eine Art Teichinen. Denn das etymologische 
Mährchen von den Ameisen taugt noch weniger als das von den Steinen 
als Leuten. 

60) Vgl. Find. N. IV, 88 ff. V, 44 ff. Anton. Lib. c. 38. Schol. 
Ap. I, 224. Schol. Allst. Wölk. 1059. Schol. Lyk. 175. 



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62 A. Die Dämonen , die Urmenschen und die Urwelt. 

15. Die ReiniicungeD nach «der Sinfluth nnd die Sfln- 

denbOcIie. 

Zum Beweise, dass die Sinfluth wirklieh eine alljährliche 
Abwaschung der Erde war, dient die Betrachtung gewisser 
Ceremonien , die zu Athen und anderwärts verrichtet wurden. 
Dort feierte man nämlich alljährlich gegen das Ende des Märzes 
die Delphinia , ein Fest dessen Name auf den von Apoll erleg- 
ten Lindwurm hinweist , der wiederum ein Symbol der über- 
schwemmenden Gewässer ist. Apoll, der RetterDeukalions 
aus der Sinfluth, heisst auch Delphinios von der Er- 
legung dieses Drachen her. An dem genannten Feste aber 
wurde ein Wettspiel geübt, genannt Wassertragung, und 
darin bestehend , dass man um die Wette Wasser in die Ab- 
gründe schüttete aus welchen die Drachenbrut hervorgekom- 
men war ^*) . An dem nämlichen Feste, im Monath Munychion, 
giengen die Mädchen mit Bittzweigen in das Heiligthum des 
Delphischen Apolls gleich denen zu Aegialeia (Plut. Thes. c. 
1 S) ; dem Suidas zu Folge war das ein Trauerfest zu Ehren der 
in der Sinfluth Umgekommenen. Darum ist es wahr- 
scheinlich, dass die Kuchen von Weizen und Honig , die man 
zu Athen alljährlich neben dem Kronostempel (den Deukalion 
gebaut hatte, und nicht weit davon war er begraben) und dem 
Haine der 01}Tnpi8chen Erdgöttin in das Loch warf, worinnen 
sich das Wasser nach der Sinfluth verlaufen hatte, zu dem näm- 
lichen Opferdienst gehörten (Paus. I, IS, 7\ Es wird gemel- 
det, dass man am 16. des Monaths Munychion zum Tempel 
der Artemis Munychia eine Art Kuchen brachte , die rings mit 
Lichtem besteckt waren, womit man die Göttin Hekate ehrte ^ . 
Der darauffolgende Monath Thargelion aber war als ein Rei- 



61) Seh Ol. Find. Pyth. VIII, SS. Nem. V, 81. Ol. .VH, 156. Suidas 
V. v^QOifoQitt. Plut. Sylla c. 14. 

62) Suidas. I. p. 1S2. Etym. M. p. 99. Athen. XIV. p. 645, A. 



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15. Die Reinigungen nach der Smfluth und die Sündenböcke. 63 

nigungsfest ganz dem Apoll und seiner Schwester geweiht (Diog. 
L. n, 44) , und man sagte, die beiden Gottheiten seien in dem- 
selben geboren und zwar am 7. ^), welcher Tag auch in jedem 
anderen Monath dem Apoll heilig war. Die Opfer und die 
Processionen galten nebenbei auch dem Helios und den Hö- 
ren , und man trug alle möglichen Erzeugnisse des Bodens in 
der Procession^J. Am Tag der Delphinia aber gieng auch die 
heilige Gesandtschaft nach Delos, und Theophrast (bei Athen. 
X. p. 424, E.) bemerkt, dass der Apoll, welchem in Delos der 
Tanz aufgeführt wurde, der nämliche sei , dem die Thargelien 
gefeiert wurden. Plato im Phaedon (p. 58, B.) sagt, dass wäh- 
rend der Zeit, wo diese Wallfahrt unterwegs war , der Brauch 
war, die ganze Stadt zu reinigen^*). Darum werden 
wohl auch die zwei Sündenböcke {(pag/uccTcol) y um diese 
Zeit geopfert worden sein, welche, mit schwarzen und weissen 
Welkfeigen behangen, hinausgeführt wurden , weil Helladius 
(bei Phot. p. 534 od. 872) ausdrücklich sagt, dass sie wegen der 
Ermordung des Androgeos geopfert wurden ^) : der todte Kör- 
per der Sündenböcke wurde verbrannt und die Asche in das 
Meer geworfen (Tzetz. Chil. v. 735). Wie diese Opfer und 
Feste dem Feste des Kronos und seinen Opfern entsprechen, 
zeigt das oben S. 50 aus Phorphyrius (11, 54) Angeführte. Auch 
zu Athen wurden , so wie in Rhodus , die Leichname der hin- 



63; Plut. symp. VIII, 1 , 2. Qu. Gr. 9. Diog. Laert. II, 44. He- 
siod. €. 770. 

64) H e sy c h. V. d-nnyi^Xta — rcig (ctik^x^c rdSy <f aivofiivcjv (sehr, (pvo^ii- 
vtov) jrotovvjai xttl 7[€QixofA{Covai — xal o d^agyr^ltog x^r^og iörlv avdnlitfc 
üTiiQfiuTfiv, Schol. Arist. Ritt. 725. Porphyr, abstin. II, 7. 

65) Darum wird der Name ^aoyi^Xtog oder Tttoyi^hog (C ho er ob. bei 
Cram. An. IV. p. 411, 23) yon idgyHv zrz li^nv abwischen, herzu- 
leiten* sein, und bedarf man der feinen Erfindung daQi riXik nicht. Die Aspi- 
ration des Anlauts rührt von dem nachkommenden q her. 

66) Harpokr. p. 291. Vgl. Hipponax. Fr. 36. p. 217 m. Ausg. 
Müller, Dörfer II. p. 326 f. Hermann, Gott. Alt. §. 60, 12—17. 
Seh ö mann, Gr. Alt. II. p. 435 und 244. 



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64 A. Die Dämonen » die Unnenschen und die Urwelt. 

gerichteten Verbrecher mit ihren Kleidern vor dem Tempel 
der Aristobule, welcher vor dem Melitischen Thore war 
(Plut. Themist. e. 22) , hingeworfen , woraus zu entnehmen, 
dass man alle Verbrecher für Sündenböcke anzusehen pflegte ^^) . 
Dergleichen Menschenopfer wurden femer von den Arkadiem 
an ihrem Feste Lykaea gebracht , von den Kureten in Kreta 
am Kronosfeste , von den Poeniem aber oder Phöniziern zu 
allen Zeiten wenn Kriegsunglück oder andere Nöthen den 
Staat bedrängten (Porphyr, abstin. p. 150. 200 S,), was auch 
von den Grriechen regelmässig geschah bei einem Auszug zu 
einem Kriege (das. p. 203) , und das gieng so fort bis auf Ha- 
drian, welcher den Menschenopfern ein Ende machte. Von 
der Zerreissung lebender Menschen zu Ehren des Zeus Roh- 
esser (w^ddiog) werden wir später noch zu sprechen haben, 
ingleichen von den Menschenopfern welche zu Athen der 
Athena oder der Agraulos gebracht wurden. 

Die Sündenböcke *^) aber waren mitunter auch arme Men- 
schen, die sich dazu hergaben, ein Jahr lang gefüttert und dann 
für die Sündenbefleckung der Stadt getödtet zu werden ^V 
Die Leukadier stiessen alljährlich dem Apoll zu Ehren einen 
Verbrecher von dem Leukadischen Felsen. Damit der Gott, 
wenn er wollte , ihn retten könnte , band man ihm Vögel- 
Schwingen imd was den Fall erleichtem könnte an den Leib, 
und unten an der See stand eine Anzal Kähne bereit, den Fal- 
lenden aufzufangen und über die Grenzen zu schaffen (Strabo 
X. p. 451). 

Dieser weiss e Felsen war übrigens aus den Homerischen 
Gedichten herübergenommen in der Art wie man auch die 



67) MerklinaberdieTaIo8-SageinAbh.Peter8b.Akad.B.VII.p.65. 

6S) (faQi^axoi, auch Unflftthe {aoßaxee, nicht aoßaxxoi) genannt. 

69) Serv. Aen. III, 57 Maasiltenses qttoties peatilimtia labarabant, 
unua ae expauperihus offerehai alendus %ntegroannopublie%$ etpurioribus eibü : 
hicpoatea omatus verbenia et vesiibus sacrü eircumducehatur per totam civi- 
tatern cum exBecrationibuSt ut in ipeum recidererU mala civitatie, et nepro^ 
jiciebatur. 



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16. Das Seemigeheaer und die Menwhenopfer. 65 

Sirenen und die Kimmerier und die Insel der Kalypso an be- 
stimmten und bekannten Gegenden unterzubringen gewusst 
hatte. Nämlich Homer (Od. w, 11) lässt den Hermes, als er 
die Seelen der getödteten Freier in den Hades hinabfuhrt , zur 
Strömung des Okeanos und zum Felsen Leukas und zu den 
Thoren der Sonne und zur Behausung der Träume und dann 
erst auf die Asphodel- Wiese kommen, wo die Schatten Gestor- 
bener sich aufhalten. Zur Erklärung des weissen Steines hat 
man an die Redensart d weisse Gebeine faulen a gedacht. Indess 
muss man sich dabei einen schroffen Felsen denken , Yon wel- 
chem man durch einen Sprimg in das Schattenreich hinabstürzt : 
denn das Springen vom Leukas-Stein, als eine That 
der Verzweifelung oder auch der todesmuthigen Verzückung, 
war sprichwörtlich, woraus auch die Sage von dem Selbstmord 
der Sappho entstand'®). 

16. Das Seeangeheuer und die Nensehenopfer. 

Die Opferung der Sündenböcke hängt mit der Erlegung 
des Drachen einestheils imd anderntheils mit der Sendung der 
sieben Knaben und sieben Mädchen zusammen. Das geht 
ausser dem Obengesagten aus dem Brauch in Aegialeia hervor, 
wo die sieben Knaben und sieben Mädchen zur Sühne für die 
Tödtung des Lintwurms den abgewandten Apoll und seine 
Schwester begütigen mussten (Paus. IL 7, 7). 

Eine andere Art von Menschenopfern , ebenfalls auf die 
Sinfluth sich beziehende, wurde an vielen Orten den in der 
See und im Feuchten waltenden Mächten gebracht. Die Stadt 
lope im Land der Philister lag hoch auf einem Felsen vorsprung 
an der See, und hatte in dieser Lage die Sinfluth über- 
dauert. An der Felswand war einst die Andromeda ange- 



70) Wahrscheinlich veranlasst durch ein Wort von üir wie das Ana- 
kreons Fragm. 19 (17) : agS-flg cfiyor dnb AtvxdSog nitQrig ig noXioi' xvua 
xoki'/jßto ittd-vofv ^Qtatt : vgl. Eur. Kykl. 165. 

H artuDf , Bei. u. Mythol. d. Gr. II. 5 



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66 A.]^eDimottea, dwUmentdMnvaddieUrwftlt. 

schmiedet gewesen » und man zeigte die Spuren dieser An- 
schmiedung sammt dem Gerippe des Seeungeheuers als Reli- 
quien^*). Dort und au Gaza und Askalon wurde auch der 
Fischmensch Dakon und das Fischweib Derketo rerehrt, von 
welcher lezteren wir späterhin zeigen werden, wie sie mit der 
angeketteten Andromeda-Hesione-Eurynome Eins war. Dort 
in lope ist der Seher Jonas zu Schiff gestiegen^ der den Unter- 
gang der an dep Wassern gelegenen Stadt Ninive prophezeit 
hat, der selbst als Opfer zur Beschwichtigung der Gewässer in die 
See gestürzt und von dem Seeungeheuer verschlungen worden 
ist, aber trozdem fortgelebt hat, so gut wie der ins Meer ge- 
stürzte Melkarth-Melikertes oder Palaemon. Besser gieng es 
dem Griechischen Sänger oder Seher Arion, der, in gleicher 
Weise von den Schiffern in das Meer gestürzt oder sich zu stür- 
zen gezwimgen, sofort von dem Seethier'^ auf den Bücken 
genommen und zu dem , so hoch wie lope gelegenen, Tempel 
Poseidons hingetragen wurde, woselbst zu allen 2ieiten das 
Bild dieses Melikertes, sizend auf einem Delphin, zu sehen war 
(Herod. I, 23). Der Name des Arion erscheint noch einmal 
(j4qel(jov geschrieben) in wichtiger mythologischer Bedeutung, 
indem er ein von Poseidon geschaffenes Boss, einen anderen 
Pegasos, bezeichnet, und gleich diesem Pegasos die in Wolken- 
gestalt aufsteigende Feuchtigkeit bedeutet Und dieses dunkel- 
mähnige Boss ist niemand anders als der Poseidon selbst 

Die mit ihrem Sohne ins Meer gestürzte Leukothea wurde 
nicht allein auf dem Felsenvoi^sprung Moluris in Megara von 
wo sie hinabgesprungen war) sondern auch anderwärts , frei- 
lich unter anderen Namen, mit ihrem Sohne oder Gesellschaf- 
ter verehrt, und zwar meistens durch Menschenopfer. Auf der 



71) Plin. H. N. V, 14, 34. IX, 4, 11. Tzetz. Lyk. 836. Pompon. 
Mela 1,11,20. Strabo XVI, 2. p. 759. 

72) 6tlifl£t 2ur Erinnerung an die ^tXif^ivia uod an den lintwurm 



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I. Ungeheuer und ThiergMialteiL 67 

Insel Tenedo» z. B. ehrte man ein^i Tennes und eine Halb- 
göttin (Hfiid-ia] als Kinder des Poseidon-Sohnes Kyknos. Der 
Tennes war in Folge einer Verleumdung seiner Stiefmutter ins 
Meer geworfen worden von seinem eigenen Vater, aber Posei- 
don hatte ihn gerettet und zum König der Insel gemacht, wo- 
selbst er göttlich, sogar durch Kinderopfer verehrt wurde ^^). 
Seltsam, aber nicht ungewöhnlich , ist es , dass der Achill (der 
doch mit seiner Mutter Thetis nur eine Wiederholung des Ten- 
nes und der Hemithea ist) in einem feindlichen Verhältniss zu 
diesen steht, und nicht allein den Kyknos, sondern auch den 
Tennes todtschlägt (Diod. V, 83). 

Auf Bhodos endlich verehrt man eine Hai ia als Schwester 
der Teichinen, die bei Homer und Hesiod unter den Nereiden 
ausfuhrt ist, eine Ehre, welche auch der Leukothea von 
Pindar (Ol. II, 54, Pyth. XI, 3) angethan wird. 



B. Männliche Elementengeister. 

I. Ungeheuer und Thiergestalten {nücoQa und &l}Qeg). 

Wir haben bereits bemerkt, dass Homer von den men- 
schengestaltigen Riesen die thier- oder missgestaltigen unter- 
scheidet. Wir müssen noch hinzufügen, dass er unter den 
missgestaltigen wiederum zwei Klassen, die Ungeheuer (/re- 
haqa) und die Halbthiere {S-^Qsg) unterscheidet. Zu jenen 
rechnet er den Hephaestos, die Gorgo, die Skylla, den Poly- 
phem^*), zu diesen die Kentauren (H. a, 268), und ganz ge- 
wiss würde er auch die Satyren so genannt haben, wenn er sie / 



73) Schol. II. a, 38. Diod. V, 83. Konon c. 28. Paus. X, 14, 
2. Tzet«. Lyk. 229. 

74) n. c, 741. 6, 140. Od. », 428. x, 87. 



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68 B. Mftnzüiche Elementengeister. 

gekannt hätte. Alle mit einander haben das gemein, dass sie 
den Elementen angehören, dem Wasser, der Erde, dem unter- 
irdischen Feuer, auch der, Luft als widerwärtige Winde oder 
reissende Ströme. Und je nach der Natur dieser Elemente er- 
scheinen sie entweder furchtbar und grausam oder gutartig und 
harmlos. Und die ersteren sind immer auch riesenhaft, und 
nicht bloss missgestaltige und halbthierische, sondern auch aus 
mehreren Thieren zusammengesezte Ungeheuer, und endlich 
ganze Thiere, wie der Löwe und Eber, welche die schlimmen 
Jahreszeiten regieren, wie die Chimaera in Lykien, das feuer- 
speiende, aus Löwe, Drache xind Geiss zusammengesezte Un- 
geheuer (n. ^, 181), wie das Schlangenweib Echidna, das 
Hundeweib Skylla (eine See-Hekate), die Wasserschlange 
Lema, der fünfzigköpfige Kerberoshund, der dreileibige oder 
dreiköpfige Hirte Geryones. Gutartig dagegen sind die stierge- 
staltigen Flussgötter, die pferdegestaltigen Quellengötter, vol- 
lends die bocksartigen Satyren sammt den eselgestaltigen Si- 
lenen, und meistens auch die Tauben- und Schwanen- Jung- 
frauen. Nach Homers Vorgang also kann man die erstere 
Klasse als Missgestalten (niXcDQa), die andere als Halbthiere 
(dr^Q^g) bezeichnen. 

1. Löwe und Eber. 

Wir betrachten nun einige Tliiergestalten , und zwar zu- 
erst den Löwen imd den Eber. Dem König Adrastos wird 
vom Orakel gesagt, dass er seine zwei Töchter einem Löwen 
und einem Eber anheurathen soll : der Ädmet, um die Alkestis 
zu gewinne^, musste einen Löwen und einen Eber vor den 
Wagen spannen: Herakles muss in Arkadien erstlich einen 
Löwen und dann einen Eber bekämpfen. Der schöne Adonis 
wird von einem Eber todtgebissen : die Nymphen auf der In- 
sel Keos werden von einem Löwen verjagt, und mit ihm kommt 
die alles verdörrende Gluthhitze, zu deren Vertreibung end- 
lich Aristäos die Passatwinde herbeiruft. Der Löwe , welcher 



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1. Löwe und Eber. 69 

von den Dichtem aXd-cDVy brennend, genannt wird, ist das 
Symbol dieser Gluthhitze (Porph. ahstin, IV, p. 352), und wer 
ihn erlegt besiegt oder zähmt, ist^ein dem Melkarth entspre- 
chender Held. Ehe der Herakles den Nemeischen Löwen hin- 
wegschaffte, musste er mit dem Kithäronischen kämpfen, wel- 
cher von gleicher Art war. Während er mit diesem zu käm- 
pfen hatte, beschUef er die 50 Töchter des Thespios oder The- 
stios, welche offenbar dasselbe sind wie die 50 Danaiden und 50 
Nereiden, nämUch Nymphen, und zeugte mit ihnen allen Kin- 
der: das heisst, er hat die von dem Löwen unterdrückten Ge- 
wässer wieder in Fluss gebracht und fiiichtbar gemacht^*). 
Der Nemeische Löwe war nach Hesiod ein Sohn des Typhon, 
d. h. des Qualmes , imd der Echidna , erzogen von der Hera. 
Andere sagen, er sei aus dem Mond auf die Erde gefallen und 
ein Sohn der Selene gewesen. Das Unthier hatte sogar das 
Heiligthum des Zeus zu Nemea verwüstet (Eur. ras. Herakl. 
359=s351). Es war unverwundbar, und Herakles musste es 
mit den Armen umschhngend erwürgen. Aus seinem Fell 
machte er nachher seine Bekleidung, d. h. er verwandelte sich 
selbst in einen Dämon der Wärme. So wie der Held während 
der Bekämpfimg des Kithäronischen Löwen bei dem Thestios 
Au&ahme und Bewirthung gefunden hatte, also kehrte er, als 
er zu diesem Abenteuer auszog, bei dem Bauern Molorchos 
ein. Nach 30 Tagen (so lang dauern die Hundstage] wollte 
der Molorchos, weil der Held noch nicht zurück war , ihm ein 
Todtenopfer bringen: dieses Opfer wurde sodann dem Zeus 
Heiland {2iaiYjq) gebracht als Herakles wirkUch wiederkam, 
d. h. der Herakles und dieser Zeus waren ^ins. Auch nach 
Lesbos wurde der Kampf mit dem Löwen verlegt (Schol. 
Theokr. XHI, 6). 

Eber hat es ebenfalls mehr als 6inen zu bekämpfen ge- 
geben , und nicht alle sind vom Herakles aus dem Wege ge- 



75) Paus, in, 19, 1. Plin. H. N. XXXVI, 33, 39. 



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70 B. Männliche Elememtengeister. 

räumt worden. Der Kalydonische s. R. ist von Meleager^ 
einem anderen Dionysos = Melkarth, erlegt worden. Von die- 
sem Eber ist Ankaeos^ ein zweiter Adonis^ mag er nun in Ar- 
kadien oder auf Samos zu Hause sein, getödtet worden^). 
Zur Ueberwindung des XJnthiers aber half die Atalanta mit, 
d. h. die Nymphenkönigin Artemis, dieselbe , welche es auch 
gesendet haben soll. 

Der Erymanthische Eber hatte sein Lager in tiefem 
Schnee auf dem Gebirge lampeia, und Herakles fieng ihn, 
wie den Kerberos, lebendig, und brachte ihn zum Eurystheus 
geschleppt, der sich aus Furcht in einem ehemoi Fasse ver- 
barg. 

Der Aegyptische Typhon verfolgte einst bei Vollmond ein 
Schwein : da fand er den Sarg des Osiris imd zertrümmerte ihn 
und zerriss den Leichnam in 14 Stücke^). Li Syrien dagegen 
ist der Adonis von dem Wildschwein getödtet worden, in dem 
Wildschwein aber stak der Ares ^). Wohl schwerlich wegen 
der Trichinen, sondern seiner anderen Gefährlichkeit wegen, 
war das Schwein den Aegyptem und den Semiten ein unreines 
Thier. Ln Vollmond ist der Osiris zerrissen worden , und im 
Vollmonde wurde auch immer das Schwein geopfert, und da 
ass man sein Fleisch am 17. Tage des Monaths Athyr, dem 
Todestage des Osiris ^j . Auch dem Erleger des Erymanthi- 
sehen Ebers wurden Schweine geopfert (Welcker H. p. 787. 
756], und auch der Erde : denn bei dem Baube der Köre sind 
auch die Schweine des Eubuleus (Bruders des Triptolemos] mit 
von dem Boden verschlungen worden. Li Böotien wurden da- 
her Ferkel in Erdkeller fjiiyaQa genannt) hineingetrieben, 
und diese Schweine kamen allemal, im anderen Jahre bei Do- 
dona wieder zum Vorschein. Aehnliches geschah auch zu 



76) Schol. Lyk. 488. Apollon. I, 162. Schol. 

77) Plut. Is. cap. 8, 18, p. 354, 358. 

78) Firmic. Mat. c. 9. loann. Lyd. mens. p. 212. 

79) Plut. c. 13,42. Herod,II,47. 



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1. Löwe und Eber. 71 

Athen in den Thesmophorien^). Aus dem Allen ist zu ent- 
nehmen^ dass der Eber nicht die Gluthhitze^ sondern die kalte 
Jahreszeit bedeute. 

Die Germanen^ wenigstens die um die Ostsee herum, 
trugen Helme in Gestalt von Schweinsköpfen, welche, wie 
wir aus Tacitus Germ. 45 erfahren, der Göttermutter geweiht 
waren und selbst gegen Feinde Schuz gewähren sollten®*). 
Diese Göttin heisst bei Tacitus NerthuSj ihr Mann muss Niordhr 
sein , und sie müssen sich zu einander verhalten wie FVey und 
Preya. Der Frey reitet auf einem Eber zur Schlacht, und der 
Freya gehört der Eber Gnüinbursii (Goldborstig). Der Freya 
aber gehört auch der nordische Löwe, die Kaze, an: denn 
ihr Wagen wird von Kazen , wie der der Rhea von Löwen, 
gezogen. Auch den Aegyptem musste die Kaze mit ihren 
Ghithaugen mitunter die Stelle des Löwen vertreten (Horapoll. 
I, 10), und sie glaubten , dass sie eine lebendige Stunden-Uhr 
sei und die Tage des Mondwechsels anzeige ^) . 

. Ix)we und Eber verwandeln sich auch zur Menschengestalt, 
so wie der Lintwurm zum hörnernen Siegfried, vielleicht auch 
zum unverwundbaren Achilleus, geworden ist. Denn es wird er- 
zält, dass dem Adrastos, welcher der ^A6qa0%9ia — Asiatischen 
Aphrodite =* Nemesis — einen Tempel bei Theben gebaut hat, 
und dessen Leiden die Sikyonier gleich denen des Dionysos 
durch tragische Chöre darstellten (s. Herod. V, 67) , einst ein 
Orakel bekommen habe, er solle seine beiden Töchter an 
einen Löwen und an einen Eber verheurathen : der 
Eber war Tydeus und der Löwe Polyneikes (Eur. Phoen. 
1155). Sodann ziehen diese beiden mit Hilfe des Adrastos 
gegen Theben, und erliegen mit dem ganzen Heere : denn der 
alte Drache des Kadmos gewinnt den Sieg über Löwen und 

80) Clemens protr. p. 5, 36. (11,16). Paus. IX, 8, 1. Hesych. 

81) Ettmaller xu Beowulf S. 49 ff. 
82} Damasc. Leb. Isidors p. 537 f. 



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72 B. M&nnliche Elem^itengeister. 

Eber. Dabei geschieht es, dass der Löwe, genannt Hader- 
reich [IlolvveUrjg) y seinen Bruder Ruhmecht (ETeoxX^g) im 
Zweikampfe ersticht imd zugleich von ihm erstochen wird. Die 
Stelle, wo das geschehen war, ohnfem dem Grabe des geopfer- 
ten Menoekeus , war durch eine Säule und einen steinernen 
Schild darauf bezeichnet : man brachte den Brüdern Todten- 
opfer, und dabei pflegte immer die Flamme und der Rauch 
sich entzwei zu spalten (Paus. IX, 18, 3. 25, 2). 

Noch gefährlicher als dieser Haderreich war der Tydeus 
den Thebanem. Denn während die Achäer am Aesopos ge- 
lagert sind, geht er allein nach Theben hinein, fordert alle 
Thebaner zum Kampfe heraus und besiegt alle , und auf dem 
Rückwege, da man ihm einen Hinterhalt gelegt hat, erschlägt 
er alle fünfzig Mann bis auf einen ^) . Das war also ein Blut- 
bad troz dem , welches beim Neleus und dessen Söhnen ange- 
richtet worden ist. Wegen eines Mordes war er schon aus der 
Heimath (Aetolien) geflüchtet. Sodann hat er im Kampfe vor 
Theben, von Melanippos (dem Hades) tödtlich verwundet, 
den vom bodenverschlimgenen Amphiareus (Ueberwinder des 
Todes und Heilgott) ihm dargereichten Schädel des Schwarz- 
rössers von einander gehauen imd das Hirn herausgeschlürft, 
damit aber bei seiner Gönnerin Pallas di^ Gunst verscherzt, 
so dass sie ihm die Unsterblichkeit nun nicht mehr- verleihen 
mochte **) . Sein Grab war bei Theben neben dem Grabe des 
Melanippos von Maeon gestiftet (den Tydeus, als er die 50 er- 
schlug, begnadigt hatte), und bestand aus drei rohen Steinen 
(Paus. IX, 18, 2). 

2. Der Drache oder Lintwurm. 

In den grossen Schlangen, Drachen oder Lintwürmem 
stecken Erd- und Wasser - Geister. Der Name öqdyxop von 



83) IL (T, 383 ff. €, 800 ff. x, 285. 

84) Schol. II. €, 126. Schol. Lyk. 1066. Eustath. p. 1066, 2. 
Schol. Find, Nem. X, 12. 



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2. Der Drache oder lintwurm. 73 

difyuo bezeichnet ein scharfsichtiges Wesen , und das ist die 
Asklepische Schlange zu Epidaurus (Horat. Sat. I, 3, 27) , 
welche dabei noch eine andere , uns hier tt^eniger angehende, 
Bedeutung hat. 

Das Schlangenweib Echidna wohnt im Norden bei den 
Arimern oder bei den Skythen. Wir wollen ihr dahin folgen, 
um zu sehen , welche wichtige Rolle die Lintwürmer in der 
nordischen Mythologie spielen. Da verwandelt sich erstlich 
Odin selbst bisweilen in die Schlangen Svafhir und Ofiiir. 
Sodann sind die drei Brüder Fafnir , Regln und Otter , Söhne 
des Hreidmar. Als der Otr von den Göttern Loki Odin und 
Hoenir erschlagen worden ist , müssen diese Götter zur Busse 
dem Hreidmar so viel Gold zahlen , als in den Balg des Otter 
geht. Dieses Gold bekommen sie von dem Zwerg Andvari, 
dem Schwarzelfen in Fischgestalt, welcher den Schaz un- 
ter dem Wasser (wie der Otter) bewacht, daher Andvati, 
Verwahrung, genannt. Dieser Schaz spielt nun eine grosse 
Rolle als Nibelungenhort. Erst wurde um denselben der 
Hreidmar von seinen eigenen Söhnen eipiordet , dann hassten 
und verfolgten sich die zwei Brüder desswegen. Fafnir sezte 
den Schreckenshelm seines Vaters [regis-hidlmr) auf den Kopf 
(ein Medusenhaupt), fuhr auf eine Haide, verwandelte 
sich da in eine Schlange imd lag auf dem Golde. Regln 
machte sich eine Schmiede und schmiedete dem Sigurd (Si^- 
fried) das bekannte Schwert , mit welchem dieser den Ambos 
in den Grund schlug, und half ihm den Fafiiir erlegen. Des- 
sen Herz wurde vom Sieg&ied geröstet und gegessen, worauf 
er die Vogelsprache verstand. Auch der Regln wurde von ihm 
getödtet: aber der Schaz hat weder ihm selbst noch denen, 
die ihm darum erschlugen , Segen gebracht. 

Auch Beowulf muss am Ende seiner Tage mit einem 
Drachen kämpfen, der grosse Schäze hütet, und erlegt zwar 
den Wütherich, trägt aber den Tod davon. Die Schäze waren 
von Vorfahren angesammelt und von einem derselben ver- 



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74 B. Mlnnliche Elemantengolstar. 

graben worden, der sich sodann, gleich dem Fafiiir, um sie xu 
behalten, in einen Drachen verwandelte (BeowuIf-IiedV. 2784 
—89. 2276). In Nächten zog dieser Drache durch die Luft mit 
feurigem Brande Fieber bringend (V. 2279. 2286). Wenn er 
dann gluthgeschwellt auf seiner Tenne lag, mass er 50 Fuss. 

Aber auch der See -Riese Grendel nebst s^er Mutter, 
der zu den Nichsen gerechnet wird , war von gleicher Art : 
wenigstens mit einer Wurm haut gepanzert (V. 437) : sodann 
war die Hize seines Blutes , als er getödtet war, so gross, dass 
von ihr das Eisen schmolz (V. 1630). Seine Mutter, die Grrand- 
wölfin (von Grendy d. h. Eies, wovon wohl auch Ghrandel 
kommt) genannt, reisst den Beowulf in ihre unterirdische Halle 
hinab , wo auch Waffen an der Wand hängen und Schäze auf*- 
bewahrt sind (V. 1627). 

Das Wesentliche an diesen Sagen, welche in zusammen- 
hängende Geschichte verwandelt erscheinen, ist, dass ein 
Schaz von unterirdischen Dämonen (Schwarzelfen) gehütet 
wird , und diese Dämonen nehmen die Gestalt von Schlangen, 
Ottern, Fischen, Lintwürmem an, weil der Schaz auch unter 
Wassern liegt; femer werden diese Schazhüter um ihres Hor- 
tes willen erschlagen , und ihre Ermordung muss gebüsst wer- 
den, sogar von Göttern, der Hort aber bringt auch dem neuen 
Besizer immer wieder den nämlichen Lohn , welchen er dem 
{ruberen Besizer gegeben hat. 

In anderen mittelalterlichen Sagen spielen solche Drachen 
immer wieder die nämlichen Rollen, wie z. B. der Drache, 
den Tristan erlegte , an einem Wasser hauste , in welches her* 
nach Tristan sich legte, um sich abzukühlen von der Hize, 
welche die abgeschnittene Zunge ihm verursachte. Dem ähn- 
lich ist, dass solche Drachen mit ihrer Brunst die Wasser ver- 
derben, woraus Seuchen entstehen®*). Denn sie fliegen 
auch durch die Luft und lassen dabei ihre Brunst in die Brun- 



85) Kuhn , Die Herabkunft des Feuere etc. 8. 51, 52. 



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3. EehidM und Tjrphon. 75 

nen hinab , wesshalb zur Beinigong derselben das Johannis- 
feuer und das Nothfeuer gebraucht wird. Derartige Entsündi- 
gungen ganzer Länder in Folge ihrer Verunreinigung durch 
solche Drachen, haben wir auch bei den Griechen zu betrach- 
ten. Ein Drache hütet die goldenen Aepfel der Hesperiden, 
gezeugt von Typhon und der Echidna, mit hundert Köpfen be- 
gabt. Ein Drache hütet (in dem rifievog l^Q^og) das goldene 
Vliess, welches lason aus dem Fabellande Kolchis holen mnss. 
Ein Drache 9 gezeugt von Ares und der Tilphosa, liegt am 
Dirke -Quell, aus welchem Kadmos das Weihwasser schöpfen 
muss, und hier, wie dort, wächst aus den hingestareuten Zäh- 
nen des erschlagenen lintwurms eine Schaar gepanzerter Män- 
ner auf, welche nicht minder gefahrlich sind wie der Drache, 
aber doch ein gleiches Schicksal haben. Ein Drache hütet die 
Quelle bei Nemea und bringt das liebliche Kind Opheltes 
oder Archemoros um, dem zu Ehren sodann, ab der Drache 
von den sieben Helden erlegt ist, die dortigen Spiele gestiftet 
werden. Hier bereits weissagte Amphiaraos, dass dieser 
Drache die sieben Helden in den Tod hinabreissen werde. Als 
sie nach Theben kamen, war es ein zweiter Drache , der ihren 
Untergang herbeiführte, der einst von Kadmos erschlagene, 
aber noch unter dem Erdboden fort und fort waltende und seine 
Opfer fordernde, lebendige Menschen, welche in die Drachen- 
höhle gestürzt werden mussten. Dieses Opfer brachte Menoe- 
keus für sein Vaterland, und lenkte dadurch, wie Decius 
einst bei den Römern , das Verderben von seinem Volke auf 
die Feinde herüber (Eur. Phoen. 898 a 960). 

3. Echidna und Typhon. 

Das Schlangenweib Echidna wird, wie der Typhon, 
ins Arimaspenland verlegt: dort wohnt sie in einer Höhle, 
halb Weib und halb Schlange (Hesiod &y 300 ff.}. Sie ist 
die Mutter der l^hinx, verübt auch die Bosheiten der 
Sphinx imd rafft die Vorübergehenden weg, bis sie vom 



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76 B. MAnnliche Elementengeister. 

Vielaug Argos {jiqyog Ttavomrjg) im Schlafe erschlagen 
wird ®*) . Bei Hesiod ist sie, gleich dem Geryoneus, vom Chry- 
saor und der Kallirrhoe gezeugt, bei Pherekydes ist sie eine 
Tochter des Phorkys, gleich den Hesperiden, bei anderen 
stammt sie vom Tartaros und der Erde. Sie selbst hat mit dem 
Typhon, welcher eben&lls oft Schlangengestalt hat, und mit 
noch anderen, gar manche Ungethüme gezeugt: den Kerberos, 
den Orthos, den Drachen in Kolchis und bei den Hesperiden, 
die Skylla, die Chimaera, die Gorgo , die Hydra, den Nemei- 
schen Löwen, den Adler, welcher dem Prometheus die Leber 
frisst u. s. w. Wie endlich Herakles mit ihr die Stammväter 
der Skythen zeugte, erzalt Herodot IV, 8 ff., aber diese aus- 
ländische Sage kümmert uns weniger. 

Den Schlangenleib hat die Echidna mit den Attischen 
Heroen Kekrops und Erichthonios gemein, welche TVasser- 
dämonen sind. Sodann müssen wir uns der Schlangen- Jung- 
frauen, Echiniaden, erinnern, Töchter des Acheloos, die ihren 
Vater vernachlässigten und deshalb von ihm vernichtet wur- 
den. Sie waren Nymphen, so gut wie die Hesperiden , die Be- 
sizerinnen des Drachen , und wie die Sirenen und wie endlich 
auch die Sphinx mit dem Schlangenschweif, welche mit den 
Sirenen so viele Aehnlichkeit hat. Drachen pflegen sich da 
aufzuhalten wo Ueberschwemmungen stattfinden, und das 
Drachenweib , die ögoxaiva, bei Delphi , welche den Typhon 
aufeieht, ist nicht vom Drachen Python und nicht von der 
Echidna verschieden. So wie aber der Typhon unterirdisches 
Feuer ist, welches dann und wann hervorbricht, so ist auch die 
Echidna unterirdisches Wasser, dessen stürmische Bewegungen 
mit denen des Typhon in Verbindung stehen : es ist das Was- 
ser, dessen Verlaufen und Zurückziehen in die Erdhöhlen all- 
jährlich durch Wasseigiessen in derartige Löcher unterstüzt 
wurde. Die Echidna ist ein unterirdisches Wesen {veQT^Qav 
nennt sie Euripides a. O.), und sie wohnt in Höhlen wie der 
86). Apollod. II, 1, 2. £ur. Phoen. 985. 



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3. Echidna und Typhon. 77 

Typhon. Pisander beim Schol. Plat. Phaed. p. 346 Tauchn. 
erzält, dass Kadmos dem Zeus das Mittel an die Hand gege- 
ben habe, über den Typhon Herr zu werden; eben dieser Kad- 
mos aber ist auch ein Schlangenbesieger. 

Der Riese Typhon wird von Pindar ein Wurm ge- 
nannt (Pyth. I, 46). Nach dem Homerischen Hymnus auf 
Apoll und nach einer Dichtung des Stesichoros zürnt Hera 
dem Zeus darüber, dass er ohne sie die Athena zur Welt ge- 
bracht hat, und um sich dafür zu rächen, gebiert sie den Ty- 
phon , ein dem Hephaestos verwandtes Wesen, xmd gibt ihn 
zum Auferziehen dem Schlangenweib {ÖQdxaiva) bei Delphi, 
woselbst sich der Berg Tvq>a6viog nicht weit von dem Berge 
OUiog (dem Sphinx-Berge) befand (Hesiod dcft. 32). Hesiod 
macht den Typhoeus zu einem Sohne der Erde xmd des Tar- 
taros (^, 822). Homer aber sagt gelegentUch: »Bei den Ari- 
mem (die man in KiUkien, in Lydien, in Syrien sucht) dröhnt 
die Erde , wenn sie von dem zürnenden Zeus gepeitscht wird : 
denn dort ist das Lager des Typhoeus« (H. /?, 782). 
Aber dem Pindar zufolge ist der Aetna auf ihn gestürzt oder 
die Pithekusen, andere wiederum versezen sein Lager nach 
Phrygien , andere vermengen ihn mit dem Aegyptischen Ty- 
phon, dem Mörder des Osiris (Schol. Pind. Ol. IV, 11). Zwi- 
schen Aegypten und Syrien war der Serbonische See: dort 
hatte sich der Riese hineingestürzt, von Zeus verfolgt (Schol. 
Apoll, n, 121 1). Ln Kaukasos ist der Typhaonische Fels, wo 
der Typhos Blut gelassen hat, vom Blize getroffen, und aus 
dem Blut- ist der Drache geworden, welcher das goldene Vliess 
hütete ^) . Seine Bedeutimg ist klar aus seinem Namen zu er- 
kennen : es ist der Qualm und das Feuer der Vulkane und das 
damit verbundene Zittern der Erde, es ist femer auch die 
Windsbraut, die Wasserhose und der Wirbelwind. Die Theo- 



87) Schol. Apoll. II, 1210. Man vergleiche ferner über dieses Unge- 
thüm Hesiod », 821, ff. Aesch. Prom. 351 ff. Pindar Pyth. I, 32. 
Frag. 69. p. 149. Strab. XIII. p. 626. Apol lod. I, 6, 3. Ant. Lib. 28. 



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78 B. Minnliche Elementenfeitter. 

gome scheint den Typhaon {^, 306) von dem Typhoeus 
zu trennen (&, 821, B69), sehr mit unrecht; diesem Sammel- 
werke hätte niemand folgen sollen. 

4. Ereehtheiis. 

Der Attische Erechtheus oder Erichthonios (denn 
beide sind Eins, s. Welcker 11. p. 286) war ein Schlangen- 
Mensch. Die Erde hatte ihn hervorgebracht, aber die Göttin 
Athene hatte sich seiner als Mutter angenommen , ihn in ihre 
Burg gesezt und den Thau- Schwestern zur Behütung gege 
ben. Dieses Amt kostete den drei Mädchen das Leben, und 
dieses Menschenopfer scheint mehr noch der Schlange als jener 
Göttin gegolten zu haben (II. /9, 547), wiewohl die Athene so 
innig mit diesem Schlangen- Menschen vereinigt war, dass sie 
dessen Haus wie ihr eigenes gebrauchte (Od. rjj 81), und dass 
die Burgschlange , welche auf der Akropolis erhalten wurde 
(Herod. VIII, 41), ebenfalls von ihr unzertrennlich war. Der 
Vater dieses Erechtheus, Hephaestos, war ursprünglich eben- 
falls ein Schlangen -Mensch gewesen; davon hatte er noch die 
Wackelbeine behalten. Mit der nahen Verwandtschaft beider 
verträgt es sich gar wohl, dass der Erechtheus auch Poseidon 
genannt wird, imd dass in seinem Tempel auf der Burg zu 
Athen das Seewasser sammt dem heiligen Oelbaum zu finden 
war ^) ; denn auch der Hephaestos hat lange Zeit in der See 
bei der Thetis imd der Eurynome gelebt, imd die Quellen 
kommen alle aus der See her. 

5. Delphyne, Tilphussa. 

Das Delphische Orakel und der Erdspalt, aus welchem der 
wimderbare Dunst entstieg, wurde von einem Lintwurm ge- 
hütet, welcher Python und auch Delphyne oder Delphys 
hiess®*) . Den nämlichen Namen führte der Drache, halb Thier 



88) Herod. VIII, 56. V, 82. Paus. I, 26, 6. 

89) Sohol. Apoll, n, 706. Hesych. v. Schol. £ur. Phoen. 239. 



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4. Ereohtkauft. 5. D«lphyne, Tttphussa. 79 

UBd halb Mensch, welcher inKilikien die Korykische Höhle 
bewachte (Apollod. I, 6, 3) , und dieser Name verdient, ehe 
wir weiter gehen, eine nähere Betrachtung. Delphusa hiess 
nach Steph. Byz. eine Quelle bei Delphi, Thelpusa oder 
Telpusa ein Ort und eine Njrmphe in Arkadien am Fluss 
Laden. Dieser Ladon hat seinen Namen mit dem Drachen 
gemein, welcher im Hesperidengarten die goldenen Aepfel 
(also einen goldenen Schaz) hütet (Schol. Ap. IV, 1396), und 
dieser Ladon war der Vater der Nymphe Thelpusa. Tel- 
p h u 8 a oder Tilphussa hiess femer eine dem Apollon heilige 
Quelle in Böotien^ . Nun ist aber Tilphusa auch ein Beiname 
der Erinys, mit welcher der Ares den Drachen zeugte, wel- 
chen Kadmos erschlug (Müller, Orchom. 122, 480), und diese 
Erinys ist wiederum ^ins mit der trauernden Demeter, die 
am Bach Ladon bei Thelpusa ihren Tempel hatte. Hinter 
Thelpusa (sagt Paus. VUI , 25 , 4) fliesst der Ladon an dem 
Heiligthum der Demeter im Onkeion vorbei , imd die Göttin 
wird von den Thelpusiem, so wie auch vom Antimachos, Eri- 
nys genannt, weil sie hier herum irrte, ihre Tochter suchend. 
In diesem Zustande war sie, als Poseidon in Pferdegestalt mit 
ihr, die ebenfalls in ein Pferd verwandelt war, das Ross Areion 
zeugte. Nachher, als sie ihren Zorn fiüiren liess, hat sie sich 
im Ladon gebadet imd darauf Lusia (Badende) geheissen 
(Paus. VUI, 25, 4). Alles das nämliche erzälte man auch zu 
Phigalia in Arkadien, wo man die schwarze Demeter ver- 
ehrte imd noch ausserdem wusste , dass dieselbe vom Poseidon 
die (unterirdische) Herrscherin (Ji(snotva) geboren habe 
(auch die Thelpusier sprachen von einer Tochter dieser beiden 
Aeltem, aber der Name wurde geheim gehalten) , imd dass die 
Göttin ihre Trauer in einer Höhle abhielt , während alle Ge- 
wächse verdorrten , bis sie vom Pan zufällig entdeckt und so- 
dann durch die Parzen auf Zeusens Geheiss begütigt wurde 
(Paus. VIII, 42, 2. Ptolem. p. 188 Westermann). 

90) Paus. Vm, 25,2. IX, 33, 1. Hom. Hym. ApoU. 379. 



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80 B. Männliche Elementen^ster. 

Delphi wird seinen Namen wohl daher gehabt haben, 
weil es am Mittelpunkt der Erde und an dem berühmten Er d- 
Schlünde®*) lag, aus welchem der begeisternde (dämonische) 
Dunst aufstieg. Das war eine Oeffhung der Unterwelt; daraus 
erklärt sich auch, dass die Reinigungsfeste Delphinia hiessen, 
dass der Gott Apoll in einen Delphin sich verwandelte ^ als er 
die Kreter nach Krisa und Delphi hinleitete (nach dem Home- 
rischen Hymnus) und dass der ins Meer geworfene Sünden- 
bock Ärion yon«inem Delphin gerettet wurde. 

6. Der Drache Python von Apollon erlegt. 

Apollon kommt in die Gegend von Haliartos an die Quelle 
Telphusa, und erklärt dieser Nymphe, dass er da seinen Tem- 
pel gründen wolle , lässt sich aber von dieser weiter weisen 
zum Pamass nach Krisa. Hinterher erkennt er, dass die Nymphe 
ihn tückisch betrogen habe^ und bestraft sie durch Unter- 
drückung ihres Quells (Hym. 247). Das ist einerlei mit der 
Erlegung der Drachin Delphyne selbst, welche ohne Zweifel 
mit jenem Quellgeiste 6ine Person war. Denn wie schlimm 
dergleichen Dämonen mitunter erscheinen können, das zeigt 
uns die Sphinx. Andere haben dafür einen männlichen 
Drachen-Menschen, ähnlich dem Faftiir und Regin, gesezt, 
der ein Sohn der Erde, und zwar der schwarzen (MeXalvtj oder 
KeXaiVÜ) also einer Demeter Erinys, und mit ihr zugleich Be- 
sizer des Orakels war (Paus. X, 6, 3. Hygin. 140). Der Ho- 
merische Hymnus macht die Sache noch schlimmer, indem er 
der Sphinx-artigen Drachin (300) den Typhaon von der Hera 
zur Hilfe senden lässt. Auch der Typhon in Kilikien, welcher 
dem Zeus die Sehnen abschnitt, ist mit dem Drachenweib 
JekipvvT] ÖQaxaiva verbrüdert gewesen (ApoUd. I, 6, 7). Die 



91) Jiltfvi heisst die Bärmutter (jLn^TQUf vuha)^ Mtfu^ das Schwein 
(mit der vulva ampla, Horat. Ep. 1, 15, 41), diXtfCg das Meerschwein oder 
Delphin: vgl. Curtius, Or. Etjrm. IL p. 65. 



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6. Det Dtaohe Python von Apollon «rlegt. 81 

Erlegung des Lintwurms zu Delphi aber wird von Euripides 
(Iphig. T. 1189 — 1245) also erzält. »Lag da mit scheckiger Haut 
der Lintwurm dunkelroth in dem Schatten des Lorbeerhaines 
dicht versteckt , ein Ungeheuer der Erde , dem Erdorakel zur 
Hut. Ein zartes Kind noch an der Brust in den Armen der 
Mutter hüpfend^ schössest du ihn zu Tod, Phöbos, tratest hin 
Äum begeisternden Plaz, dich auf dem goldenen Dreifuss nieder- 
lassend, wo der Welt vom allweisen Siz , unbetretnem Grund, 
dein Orakel ertönt , in der Mitte der Welt Kastaliens Quell 
nah der Thron erbaut ist. a Der Ort wo der Drache erschos- 
sen und das Orakel nachher hingebaut war, hiess Schüzen- 
hügel Ih^iov ßovvog (Hesych). 

Dieser Kampf nun wurde in dem neunjährigen Feste Sep- 
tcrion zu Delphi mimisch vorgestellt. Man errichtete eine 
Hütte auf einer Tenne, nicht höhlenartig sondern so anstän- 
dig, dass sie fiir eine Königsbehausung hätte gelten können, 
als Wohnung des Drachen. Gegen diese Hütte rückte man 
schweigend an, wie zu einem versteckten Ueberfall, und das 
nannte man Doloneia. Ein nicht verwaister Knabe, welcher 
den Apoll vorstellte , war Führer : die andern folgten ihm mit 
brennenden Fackeln. Die Hütte wurde angezündet, der Tisch 
umgestossen: dann floh man ohne umzublicken durch die 
Thüre der Kapelle. Dann folgte das Umherirren des Knaben, 
seine Knechtschaft, seine Reinigung im Tempel, welches alles 
eine grosse Befleckung und eine vermessene That vermuthen 
Hess. Die Deutung war verschieden: theils sagte man, Apoll 
habe nach der Tödtung flüchten müssen und der Reinigung 
bedurft, theils auch, er habe dem verwundeten und fliehenden 
Python auf dem sogenannten heiligen Wege nachgesezt , und 
als er ihn einholte, habe er ihn bereits gestorben gefunden und 
dessen Sohn Ziege (^ej) hatte ihn bestatte t^^). Kadmos 
musste nach der Tödtung des Drachen dem Ares (welcher hier 



92) Plut. Qu. gr. 12. p. 293. Def. ot. 14. p. 4lS. Aelian V. H.III, 1. 

Härtung, Rrl. n. Mjth. d. Or. II. 6 



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82 B. M&imliche Elementengeiiter. 

die Stelle des Hades vertritt) acht Jahre lang dienen : Apoil 
musste nach der Erlegung des Python dem Admetos (Hades) 
wahrscheinlich eben so lange fröhnen. Man hat bemerkt, da^ 
immer in 99 Monathen (8 Jahren) der Frühanfgang der Plejaden 
mit derselben Phase wieder zusammenfallt , oder auch , dass je 
nach 9 Jahren das Sonnenjahr wieder in Ordnung sei , indem 
die Verwickelung mit dem Mondenjahr aufhöre (s. Bunsen m. 
p. 437). In Aegialeia (Achaja) wusste man, dass Apoll und Ar- 
temis nach Erlegung des Drachen mordbefleckt dahin ge- 
kommen , und von einem Popanz {(poßog) fortgeschreckt wor- 
den seien (also in keinem besseren Zustande als die Mörder 
Orest und Alkmäon) . Sie flohen zum Karmanor nach Kreta, 
Aegialeia aber wmxie von einer Pest heimgesucht, zu deren 
Abwendung 7 Knaben und 7 Mädchen an den Bach Sythas 
bittflehend wallfahrten mussten. Von deren Bitten bewogen, 
kehrten die Götter Apoll und Artemis in die Burg der Stadt 
zurück, imd man baute an der Stelle der Ueberredung 
[IJei^üi) eine Kapelle (Paus. H, 7, 7). 

Es ist merkwürdig, dass Apoll nach Erlegung des Lint- 
wurms auch in dem Thal Tempe ^oU gereinigt worden 
sein, dem Thale, welches, den Olympus und Ossa von einander 
spaltend, einst den Wassern welche das Binnenland 
bedeckten Abfluss gegeben hat. Und bekränzt mit Lor- 
beer aus diesem Thale , und mit einem Lorbeer-Zweig in der 
Hand, soll der Gott nach Delphi zurückgegangen sein und das 
Orakel in Besiz genommen haben. Man zeigte den Altar, wo 
er sich kränzte imd den Zweig nahm. Dort opferte man und 
bekränzte sich an dem beschriebenen Feste, wie es der Gott 
gethan hatte. Der heilige Pythische Weg aber gieng durch 
Thessalien, Pelasgia, die Gegend am Oeta, das Land der Aeni- 
aner. Melier, Dorier, Lokrer, und alle diese gaben der Proces- 
sion ein ehrenvolles andächtiges Geleite gleich wie den Sen- 
dungen aus dem Hyperboreerlande (Aelian a. a. O.). Zu der 
Reinigung aber von der Lintwurms-Befleckung 



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7. Schlange , Hahn und Hund. 8 3 

gehörte ohne Zweifel auch die Musik, die »Pythische Weise«, 
welche nach ihrer künstlichen Ausbildung und Erweiterung 
den Kampf mit den Drachen in fünf Theilen darstellte^). 

7. Sehlange, Hahn und lluiicl. 

Die doppelte, sowohl bös- als gutartige Natur der Schlange 
erkennt man schon aus den biblischen Erzälungen, erstlich, 
dass die Schlange zum Sündenfall verfuhrt , zweitens dass ihr 
Anblick, als ihr Bild von Moses aufgerichtet war, von Leiden, 
und zwar wiederum vom Biss einer Schlange, heilt. Aus Horaz 
siht man, dass der Schlange zu Epidauros der schärfste 
Blick zugetraut wurde (Sat. I, 3, 27). Schlangen reinigten 
den Melampus im Schlafe die Ohren, dass er die Vogelsprache 
verstand (Apolld. I, 9, 11): und als Siegfried das Herz des 
Fafnir gegessen hatte , verstand er ebenfalls die Vogelsprache. 
»Die Landleute in Norwegen« , sagt K. Schwenck in Myth. d. 
Germ. p. 10, »hielten eine Eingelschlange in den Ställen zur 
Gesundheit des Viehes. Von dem Fleisch der Schlange Hwi- 
toren, meinten sie, werde man weise, und schrieben dem 
Schlangenfleisch auch Heilkräfte zu. Schlangenhaut brachte 
man an die Wöchnerinnen, damit sie leichter gebären könnten. 
Linni erzält, eine solche glückbringende Schlange habe ihre 
Haut einem Bauemjungen gegeben, der sie gegessen habe, 
.wodurch er weise geworden , die Heilkunde geübt und selbst 
Wunder gethan habe.« Dem Seher Polyidos zeigt eine Schlange 
ein Kraut womit man Todte wieder aufwecken kann 
(Hygin. f. 1 36) . Die Schlange heisst dgazcov, weil die Schlangen 
im Finsteren sehen, und in Erdhöhlen herumkriechend die 
unterirdischen Schäze und die verborgenen Kräfte der Pflan- 



93) 1. avdxQovatg, Vorspiel, 2. 9r«/()a, Kecognoscirung, 3. xaraxfXiva- 
fiog, Herausforderung, 4. ftcfißoi, Kampf mit Trompetenruf und Z&hne- 
Knirschen des Lintwurms, 5. anov^tTov, Sieg, dabei Syrinx-Pfeifen als 
Verröcheln des Ungeheuers. PoUux, IV, 10, 84. Strabo, IX, 3. p. 421. 

6* 



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84 B. Mtonliche Elementengeister. 

zen erforschen. . Zu solcher Kenntniss aber gelangten sie als 
blosse Thiere nicht, wenn nicht etwas Höheres in ihnen steckte. 
In Deutschen Mahrchen erscheinen die Schlangen als Hausgeis- 
ter, und in Grriechischen und Römischen Mythen repräsentiren 
sie oft den Genius (s. meine Rel. d. Bömer, I. p. 40). Dieser 
Glaube reicht auf den AegyptischenKneph zurück (s. Schwenck 
Myth. d. Aeg. p. 61). Als Schlange zeugt Zeus mit derPerse- 
phatta den Zagreus, \md der Sabazion schlüpft als Schlange den 
Frauen durch den Busen in den Mysterien : (Clem. AI. protr. 
p. 5. §. 16). Die Schlangen, welche im Bette der Zwillinge 
Herakles imd Iphiklos sich zeigten , waren von der nämlichen 
Art , ingleichen die , welche im Bette der Mutter Alexanders 
und im Bette der Mutter der Gracchen erblickt wurden , und 
nur der Missverstand hat aus dem Schlangenhalter Herakles 
(dg>iOV)(^Oi) einen Schlangen-Erwürger gemacht (s. Schwenck, 
Myth. d. Semiten, p. 294). Zu Amphikleia in Phokis (wo Dio- 
nys durch Träume heilte) wurde einst ein ausgesezter Knabe 
von einer Schlange gehütet und gegen einen Wolf vertheidigt, 
und als der Vater des Kindes aus Missverstand die Schlange 
sammt dem Kinde todtgeschossen hatte , verbrannte er beide 
Leichen auf einem Scheiterhaufen, und die Gegend behielt die 
Gestalt brennender Scheiter (Paus. X, 33, 5). Stecken aber 
einmal Genien in den Schlangen , so stecken auch Geister von 
Gestorbenen in ihnen : \md dass die Schlangen, Ottern , Lint- 
würmer zu den unterirdischen Dämonen gehören, haben 
wir gezeigt. 

Auch der Todtenerwecker, der Asklepios selbst, verwandelt 
sich öfter in die Schlange (Paus. H, 10, 3. HI, 23, 4. Liv. X, 47, 
6). Derselbe fuhrt unter anderen die Beinamen Glänzender 
[Al^Xarj^ imd dylaoTitjQy Hesych) und hat zur Tochter die 
Ae gl e und zur Gattin die Leuchtende Aa/nTtstia (Schol. 
Arist. Plut. 701), weil er aus dem Dunkel des Hades zimi Lichte 
des Tages die fast schon Gestorbenen zurückflihrt und ein 
Bettungslicht den Menschen ist (Arist. Plut. 639). Das be- 



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7. Schlange, Hahn nnd Hund. 85 

deutet auch der Hahn ^ der Wecker des Morgens^ welcher dem 
Asklepios heilig war und von Wiedergenesenen geopfert wurde. 
Und die nämliche Bedeutung muss auch sein Begleiter der 
Hund haben, welcher in der Finstemiss die Gespenster siht, 
wenn welche herankommen , und sie durch sein Bellen ver- 
räth , also vor den des Nachts waltenden bösen Dämonen be- 
schüzt, damit man gestmd und wohlerhalten den anderen Tag 
wiedersiht. Hund und Hahn spielen darum eine so wichtige 
Bolle in dem Glauben der Parsen und sind beide die Symbole 
des Fortlebens geworden, indem sie den Tod überwinden hel- 
fen. Der Todte musste von einem Hunde angebellt werden 
bei den Parsen, dann konnte er fortleben, \md die Seele wurde 
von einem Hunde, gleichwie bei den Aegyptem von dem 
hundsköpfigen Gott, in das Paradies eingeführt. Wenn der 
Hund mitunter für ein unreines Thier geachtet wurde, so kommt 
das daher, weil er ebenfalls zu den imterirdischen gehört gleich 
dem Drachen, und wenn Herakles den Kerberos besiegt und die 
Lernäische Schlange, so hat das den Sinn, dass er, als Sonnen- 
held, solche Wesen der Finstemiss bewältigt. Allein der Hund 
führt auch wiederum aus der Finstemiss zum Lichte, und darum 
ist er an den Himmel versezt als Hundsstern oder Sirius, und 
der Aegjrptische Seelenfiihrer und Seelen- Wäger, der himds- 
köpfige Anubis , ist auch zugleich der Sirius. Diese Ehre hat 
sich der Hund dadurch verdient , dass er der Erigone (Früh- 
geborenen) ihren erschlagenen und in den Brunnen geworfe- 
nen Vater Bcarios (den Regengott) suchen half, wobei dieser 
Hund den Namen Maera (der Glänzende) führt, ganz so wie 
auch der Aegyptischen Isis Hunde den gemordeten und zer- 
stückelten Osiris nicht allein aufsuchen sondern auch beklagen 
halfen, wobei sie mit ihrem Gebelle die schlimmen Bestien 
(und Dämonen !) verscheuchten (Diod. I, 87). 

Den Veden zufolge wird der dunkle Weg zum Size der 
Seligen von zwei gefleckten Hunden, mit je vier Augen, be- 
wacht, und eine dieser Hündinnen, Sarama genannt, wird auch 



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86 B. MAnnliche Elementengeister. 

von Agni oder Indra sammt den Angirasen ausgesendet, die 
geraubten Kühe zu entdecken und ihre Milch den Sterblichen 
zu bringen (Bunsen IL p. 119 f.). 

8. Cliaron und Kerberos. 

Die Griechen haben aus dem Anubis ihren Charon ge- 
macht, dem wir sammt seinen Verwandten hier betrachten 
wollen. Dieser Charon, welchen Homer noch nicht kennt, 
wurde mit Hunds-Ohren vorgestellt (Schwenck , Myth. And. 
p. 437) und sein Name (%a^wi' = x^iQOnogy helläugig) ist das 
Prädicat eines Hundes. Also wird er von dem dreiköpfigen 
Thorhüter Kerberos (vgl. den dreiköpfigen Hermes) im Grunde 
nicht verschieden gewesen sein. Dieser Kerberos sollte wohl 
eigentlich ytiQßo/.og oder axigßoXog ( K 1 ä f f e r ) heissen^*) . Eine 
Verwandte des Charon, der Natur und dem Namen nach, ist die 
Charybdis, und sein Doppelgänger ist der Frühauf COg&og), 
der gleichfalls vom Herakles bezwungen wird^) . Aber ohne 
Hilfe der Athene und des Hermes, der ihn geleiten musste, 
wäre dem Helden der Sieg über diese Höllenhunde nicht mög- 
lich gewesen (Eur. Herakl. 615. Paus. H, 37, 7). Orthos 
oder Orthros (es kommen beide Schreibarten vor) bedeutet den 
Morgen : also beweist sich dieser Hund als sinnverwandt mit 
dem Hahne , der den Morgen weckt, und haben wir also rich- 
tig gedeutet, wenn wir den Hund als den Ueberwinder der 
Finstemiss und der Geister der Finstemiss gefasst haben. 

Die Sanskrit-Gelehrten betrachten es als ausgemacht, dass 
der Name Kerberos Eins sei mit (7aia/a buntscheckig, 
einem Prädicate des Indischen Höllenhundes Särameyas , und 



94) xsgßoXtiv oder oxtgßoXitv heisst loidoQftp (wohl eigentlich an- 
bellen), und xiQttffog — ax^Qatfo^ — axigatfos bedeutet Lftsterung. So we- 
nig, als xiQßoUtv von ßuXXdv stammt, kommt xiQjo/xfty von H/uvtir, und 
mit xfjQt Herz, haben sie beide vollends nichts gemein (s. Curtius, Or. 
Etym. I. p. 117). 

95) He s.^. 309. 11.^,368. Od. A, 625. 



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8. Charon und Kerberos. S7 

da88 dieser leztere Name selbst in Hermeias wiederzufinden 
sei, und dass endlich der Hund Orthros dem sanskritischen 
Vritra entspreche. Der Vritra ist nämlich ein DSmon, welcher 
die Wolken zurückhält, und vom Indra (welcher daher den 
Beinamen, Yritrahan, Vritrar-Tödter, emp&ngen hat) mit dem 
Bliz erschlagen wird , worauf die Gewässer herabströmen und 
die Erde befeuchten^*). Wir können hier um so weniger bei- 
stimmen y als wir in dem Vritra keinen Höllenhund sondern 
einen die Erde verbrennenden iind vom Zeus mit dem Bliz er- 
schlagenen Fhaethon erkennen müssen, imd beim Hermes 
niemals (wie bei dem Asklepios, bei der Hekate- Artemis, 
beim Aktäon u. s. w.) einen Hund erblicken weder auf Bild- 
werken noch in Mythen, geschweige dass er selbst jemals 
hundsgestaltig erschiene. Anderseits kann auch von den 
Tieräugigen Hunden Särameyas keiner für einen Gott des Schla- 
fes oder Genius des Todes gelten ; für die sich das Bellen 
und das Hin- und Wiederlaufen (s. bei Kuhn p. 127) nicht 
schicken würde. 



II. Feuergeister. 

1. Die EinAugigen und die Geblendeten. 

a) Orion und Euenios. 

In Böotien lebte ein Riese Namens Orion, der ein Hirte 
und Jäger war, wie der Kyklope Polyphemos, und auch ein 
Baumeister gleich den Kyklopen, denn er baute dem König 
Zanklos in Sicilien einen Hafendamm und sezte darauf ein 
Heiligthum des Poseidon (Diod. IV, 85). Dieser Riese war 
sehr schön, imd wurde darum von der Morgenröthe ('Hmg] 
geliebt gleich dem Tithonos, mit welchem er auch ohne Zwei- 

96) Kuhn in Haupts Z. f. d. A. VI, 1. p. 125 ff. Th. Malier in 
Xuhns Zeitschr. V. p. 15. IX. p. 1 ff. Spiegel, AvesU p. CXV. 



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S% B. Männliche ElMnentesgeuler. II. Feuergeister. 

fSsl emeriei Wesesis war, nämlich ein Sonnendämon^ was sick 
sogleich noch deutlicher zeigen wird (Od. a, 121}. Homer 
selbst aber vergleicht ihn mit den Zwillingen Otos und Ephi- 
altes (Od. X, 310) , mit denen er auch einerlei Schicksal hatte> 
nämUch von der Artemis, weil er ihr Zumuthungen machte^ 
erschossen zu werden. Auch in ihre Nymphen war er verliebt, 
so lief er (wie Minos der Britomartis) , den Plejaden nach un- 
aufhörlich, bis sowohl er selbst als jene in Sternbilder ver^ 
wandelt wurden ^^). Auf Chios (woselbst er die Insel von wil- 
den Thieren reinigte : denn auch Böotien oder wenigstens die 
Gegend um ^ Tgiac oder Ovgia hat er entwildert der Korinna zu- 
folge: Schol. Nikand. Ther. 15) wollte er einmal der Tochter 
des Oinopion , die Merope , gewaltsam nahen , und wurde hei 
dieser Gelegenheit erst trunken gemacht von diesem Wein- 
gotte und dann geblendet , ganz wie der Kyklope Polypheim 
(vgl. Pind. Frag. 50. p. 217 m. Ausg.). Aber Orion bekam 
sein Augenlicht wieder mit Hilfe des Glühenden, KedaUon, 
des Schmiede-Gesellen des Ilephaestos auf Lemnos, indem ilm 
dieser der aufgehenden Morgenröthe entgegentrug ®^). Daraus 
ist nim deutlich zu erkennen , was sowohl die Blendung als- 
auch die Wiedergewinnung des Augenlichtes besagen wolle. 
Die Sonne wird nicht nur allabendlich blind und gewinnt alle 
Morgen ihr Augenlicht wieder, sondern verliert auch im Win- 
ter die Hälfte ihres Lichtes, was beim Tithonos, dem Liebling^ 
der Eos, durch sein Hinschwinden und beim Apollo durch 
seine Abwesenheit bezeichnet wird. Der Name Orion aber 
selbst scheint die einbrechende Nacht und den Schlaf zu b&* 
zeichnen^®). Nach der Wiederherstellung des Augenlichte» 



97) Schol. Apoll. III, 226. Pind. N. II, 17 Schol. Fragm. 52. p. 
217 m. Asg. 

9«) Apolld, I, 4, a, 5. Servius Aen. X, 763. Lukian d. dorn. 28. 
Anton. Lib. 25. Eratosth. xaraar, 7. 

99) H e 8 y h : tigoi tj vvt an* Slxiarov, Diese Glosse mosf riehtig sein,, 
weil sie mit einer Glosse des Etym. M. übereinstimmt: ägog xitl ä(»ii9Q 



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1 . Die Einäugigen und die Geblendeten« g 9 

musa der Biese Kandaon (von xaUtv und dauiv] geheissen 
habeu^ wdcher Namen desselben ron Lykophron (328) überliefert 
wird (Schol. 938 das.). Aus dem etymologiscben Mährohen 
von dem Urin- oder Samen-lassen der drei Götter Zeus Her- 
mes und Poseidon, ob es gleich vom Pindar herzurühren 
scheint (Strabo IX, 1. p. 404), ist weiter nidits zu entnehmen, 
als dass der Orion auch zu den Erdgeborenen gehört, denn die 
Rindshaut ward in die Erde gegraben (vgl. Hygin. astron. II, 34) . 
Dieser Orion hat einen Doppelgänger in dem Hüter der 
Sonnen -Rinder zu Apollonia, den man geblendet hat, weil 
er im Schlaf liegend nicht gewahr wurde , wie 60 Wölfe die 
Herde verwüsteten ^"^j . Dieser Hirte hiess entweder RitjviOQ 
oder fltidi^nog , und beide Namen bezeichnen einen Wagen- 
lenker, mithin den Sonnen-Dämon selbst. Er genoss göttliche 
Verehrung zu Apollonia, und die Aufseher der heiligen Her- 
den daselbst waren seine Erben. 

b) Kyklopen. 

Wie sehr diese zwei Hirten dem Kyklopen Polyphemos 
gleichen, braucht nicht gesagt zu werden. Um deren Einäugig- 
Sein zu erklaren, hat man eine Masse Einfalle vorgebracht*^*), 
aber an den Odin und an den Ormuzd scheint man nicht ge- 
dacht zu haben. Das einzige Auge auf der Stirn des Ormuzd 
wird ausdrücklich auf die Sonne gedeutet , indem es im Ja9na 
(I, 36) heisst: »Der glänzenden Sonne, der mit schnellen Pfer- 
den begabten, dem Auge des Ahura-Mazda. « Damit vergleiche 
man Macrob. Sat. I, 21, 12 Solem Jovis ecuium oppeUai an^ 
tiquitas. Auch d^n Aegyptischen Horos ist sein Auge vom 
Typhou genommen imd verschluckt, aber nachher dem Sonnen- 

xara tt XfoyaOfJtov töv a , fiij^h nliov ürjfiaivovroi , ä^ogyäQovnvog, 
XttXXifimx^s ItoXXuxi lecd iutvädSv liXcu/ ätjgov an<^ Kai «Sicji^oi. *0<f^t»X*' 

100) Herod. IX, 93. Konon c. 30. 

101) Schömann in seinem Programm de Cyclopibu9 tiieilt davon ein 
Duzend mit , und darunter wirklich einige recht lächerliche. 



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90 B. Minnliehe Elementeiigditer. II. Feuergeister. 

fott wieder gegeben worden (Plut. Ind. c. 55] . Und Odin hat 
sich des einen Auges selbst beraubt , indem er es zum Pfiuid 
aezte ftir einen Trunk aus Mimirs Quelle , welcher Weisheit 
(Allwissenheit) verleiht, was man auf das Untergehen der Sonne 
im westlidien Okean deutet. Dieser Trunk erinnert übrigens 
auch an den goldenen Trinkbecher und Kahn des Helios. Es 
gibt endlich einen griechischen Zeus, welcher ausser den zwei 
regelmässigen Augen noch ein drittes auf der Stirn hat. Die- 
ser 2ieu8 befand sich zu Argos auf dem Wege nach der Burg 
Larissa, und stand dort im Hofe unter freiem Himmel, und man 
glaubte, es sei das nämliche Bild welches einst im Schlosshofe 
zu Bion gestanden hatte und bei welchem der greise Priamos 
Zuflucht suchte, als die Burg erobert ward ^^-^j . Äßt Recht wird 
also dieser Zeus vom Schol. Eur. Troj. 16 ein Umfriedungs- 
Oott {^fxeiog) genannt ^^^;. Aber Pausanias hat Unrecht, wenn 
er die drei Augen auf die drei Reiche der Welt bezieht — 
Himmel, Erde und Meer — über welche Zeus walte. Denn 
diese gehen den Umfriedungszeus weniger an als einen an- 
deren, und passender wäre er in dieser dreifachen Eigenschaft 
mit drei Leibern oder drei Köpfen dargestellt worden. Die 
Künstler haben auch den Polyphem mit drei Augen, zwei klei- 
nen an der rechten Stelle und einem grossen auf der Stirn, ab- 
gebildet. Und man kann sichs denken, warum gerade der 
Umfriedung8-2^U8 mit diesem Stirn- Auge ausgezeichnet war, 
der Gott, welcher in der Aula, demjenigen Theil des Hauses 
stand, wo der Himmel hereinleuchtete, wo der Familien-Herd 
mit den Hausgözen die Bewohner des Hauses um sich versam- 
melte. Denn dieser Theil , cavaedium bei den Römern, tmai- 
^Qov bei den Grriechen genannt, konnte, wenn er eine runde 
Oestalt hatte, eine Runde (xqoxoq und nvxXog) genannt wer- 
den, und nach Hesych (v. xvnXovg) lässt sich annehmen, dass 



102) Paus. II, 24, 5. Virg. Aen. U, 512. 

103) Tov dk igxiiov /1(a — tgioXv 6ipd'aXfioi£ xi^Q^^^^ ifttatv jrrX. 



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1. Die Einäugigen und die O^lendeten. 9 t 

die umgebenden Mauern auch Kyklopiscbe Runde gebeissen 
haben. In diesem Sinne würden also die Ausdrücke Kyklo- 
pischer Siz und Kyklopiden-Herdy Kyklopiscbes 
Land, Stadt oder Mauer (KvxXdn^iov i'doß und Kv^Xta- 
nlÖBS BOT tat und noXtg und yä KvxXtanlcy endlicb die telj^f^ 
KyTcXcima) nicht sowohl einen von Klyklopen gemachten Bau, 
als vielmehr das Umfriedungs-Gemäuer bezeichnen, und in der 
That verbindet sich mit diesem Ausdruck wenigstens bei Euri- 
pides immer der Gedanke an die traute Heimath ^®^). Und 
dann brannte hier das heilige Ilerdfeuer , dessen Anzündung 
man immer dem Hephaestos imd verwandten Geistern verdankte. 

Die Kyklopen aber sind mehr Feuer- als Sonnen-Geister 
(darum gibt es auch deren ein ganzes Heer) imd mehr unter- 
ak oberirdisch ; darum schmieden sie bei dem Hephaestos , als 
dessen Gesellen, im Aetna, und sizen auch in Kilikien bei den 
Giganten, wo man ihre Zahl auf sieben angibt und sagte, sie 
hätten Arme am Bauch ^^^j . Auch in Thrakien sollen sie ge- 
haust haben. 

Die Kyklopen haben aber ausserdem noch viele Eigen- 
schaften, in denen sie theils den GKganten und theils den Tei- 
chinen gleichei^ Sie walten erstlich auch in der See, dann auf 
dem Isthmos von Korinth hatten sie ein altes Heiligthum, in 
welchem ihnen geopfert wurde neben den See-Dämonen Palae- 
mon und Leukothea (Paus. VI , 2, 2j . Man siht hieraus , was 
Homer für eine Berechtigung hatte, seinen Polyphem zu einem 
Sohne Poseidons und der Nymphe Thoosa zu machen. Dass 
sie zweitens Jäger und Viehzüchter sind, haben wir gesehen, 
ingleichen dass sie, wie die Sonnen-Hirten, ihre eigenen Her- 
den hüten, und dabei geblendet werden. Auch mit den Satyren 



104) Eur. Orest. 942. El. 1147. Iph. T. 811. Iph. A. 144. loph. 
Frag. 222. 

105) Thuk. VI, 2. Kallim. Artem. 56 f. 8trabo VIII. p. 373. 
EuBtath. IL U, 559. p. 286, 20. 



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92 B. Männliche Elementengeister. II. Feuergeister. 

und mit den Nymphen haben sie als rohe Naturmenschen man« 
ches gemein, iind nicht mit Unrecht lässt Horaz sie mit diesen 
sympathisiren beim Beginn des Frühlings, so dass sie zu schmie- 
den beginnen in ihrer Werkstatt gerade wenn jene anfangen ihre 
Reigen aufzufuhren (Hör. I, 4, 8] . Eine besondere Erwähnung 
Terdient endlich noch der Kyklope Geraestos auf Euböa, 
welcher dieselben Menschenopfer von sieben Knaben und sie- 
ben Mädchen wie der Kretische Minos empfangt (ApoUd. 
III, 15,8), mithin mit diesem Feuer- und Sonnen-Dämon wohl 
Eins war. 

Hesiod benennt drei Kyklopen mit den Namen Donner, 
Bliz und Weissglanz [Bgowr^g, 2T€Q67t7jg \md''j4Qp;g) , und 
ein von Göttling für unächt gehaltener Vers bezieht diese Na- 
men darauf, dass die Kyklopen dem Zeus die Blize schmieden. 
Wenn man aber bedenkt, dass auch die Sonnenpferde bei dem 
Korinthischen Dichter Eumelos diese Namen führten (s. Hygin 
f. 183), so wird man dieselben lieber auf die zulezt genannte 
Eigenschaft der Kyklopen beziehen mögen, vermöge deren sie 
dem Talos gleichen. 

Diese einäugigen Feuerarbeiter gleichen also ihrem Meister 
Hephaestos auch darin, dass sie nicht bloss einem Elemente an- 
gehören : denn dieser Hephaestos wohnt auch eine Zeit lang 
bei der Thetis in der See, und wenn er als Daedalos ins Laby- 
rinth eingesperrt ist bei dem Kretischen Minos, so erscheint 
er auch als ein Unterirdischer , wie die Kyklopen im Aetna. 

c) Phineus und Lykurgos. 

An dem Weltende im Osten sizt ein Windebändiger, 
P h i n eu s genannt ^^) . Begibt man sich von dem Aeolos her 
zu diesem, so glaubt man aus dem Elysium in den Tartaros 



106) Eigentlich wohl (fmevg oder (fifuoTifg d. h. Ein zwänger, so 
dass der Name mit deüfiwtijf synonym sein wird , den wir erst spät durch 
die Dichter der Argonautenfahrt kennen lernen. 



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1. Die Einäugigen und die Geblendeten. 93 

zu kommen. Demi erstlich ist der Phineus selbst ^ wie atieli 
seine Söhne^ geblendet^ dann ist er von Ungeheuern imd Scheu- 
salen ^ den Harppen^ umgeben^ endlich ist er überhaupt ein 
gemarterter und Andere marternder Mann. Denn er sperrt sein 
Weib und seine Kinder in Höhlen ein oder gräbt sie im Erd- 
boden ein, und dieses Weib, »die Boreastochtcr, das Götter- 
kind, welches mit den Winden wettlief über steile Halden 
weg« (Soph. Ant. 985) , ist doch offenbar nichts Anderes als 
was ihr Vater imd ihre Mutter die Orei thyi a (über Berge weg 
Stürmende) sind ; und ihre Söhne, mit welchen sie die Strafen 
und Leiden theilt, werden wohl ebenfalls bei der Profession 
der Mutter geblieben sein. Von den Harpyien aber ist es 
deutlich und anerkannt, dass mit ihrem Namen reissende 
Winde bezeichnet werden. EndUch werden wir auch von 
den zusammenschlagenden Felsen (avidTtXfjj^ddeg) zeigen, dass 
es Sturmwinde sind. 

Der Phineus nun ist König zu Salmydessos in Thrakien 
bei den zusammenschlagenden Felsen. Ob er nun gleich seine 
Blinder einsperrt imd martert, so wird er doch auch selbst ge- 
blendet, gleichwie der andere Thrakische König, derLykur- 
g o s , der mit dem Dionysos streitet , und , obgleich er diesen 
in die See jagt , doch auch wieder von ihm eingekerkert und 
geblendet wird. Der Lykurg nun ist offenbar ein Sonnendämon 
und wird als solcher auch von Pferden zerrissen, und der Phi- 
neus ist etwas Aehnliches : denn sein Weib heisst TSccla die 
Sehende, und auf ihren Anlass werden die Söhne seines an- 
deren Weibes, der Boreas-Tochter Kleopatra, eingemauert und 
gemartert. Da kommen mit den Argonauten die Boreas-Söhne 
Zetes und Kaiais ins Land , und von diesen werden ihre ein- 
gekerkerten Vettern befreit und auf den Thron gesezt, der 
Phineus aber wird getödet. Geblendet aber wurde der Phi- 
neus entweder vom Helios, oder vom Perseus, oder vom Boreas 
oder vom Poseidon, imd zwar aus verschiedenen Gründen^**'). 
107) Schol. Apoll. 11, 1781, 207. Apollod. I, 9, 21. 



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94 B. Männliche Elementengeister. II. Feuergeister. 

Dabei wurde er auch noch von den Harpyien geplagt, welche 
ihm die Speise wegnahmen und dafür ihren Unrath zurück- 
Hessen (Aesch. Eur. 50. Frag. p. 35 m. A.). Bei seiner Blind- 
heit besizt er auch die Gabe der Weissagung , und leistet mitr- 
telst derselben den Argonauten die nämlichen Dienste, wie der 
Nereus und der Proteus anderen Abenteurern , doch nicht als 
See-Dämon, sondern wie der Atlas, der Titane. 

Z. Die Daktylen vom Ida. 

Die Maischen Daktylen sollen früher an dem Phrygischen 
als an dem Kretischen Ida heimisch gewesen sein (Strabo 
p. 472) . Sophokles in dem Satyrspiel HuHjpoi nannte sie Phry- 
ger , ingleichen Ephoros bei Diodor V , 64 und der Verfasser 
der Phoronis. Nach anderen waren sie die ältesten Bewohner 
von Kreta, imd Bhea oder auch eine Nymphe hatte durch 
einen Griff in den Berg Ida oder in das Land bei Oaxos COa^og) 
sie hervorgebracht ^^^). Von jenen ältesten Bewohnern stamm- 
ten die neuen Kureten und Korybanten, von diesen wieder die 
hundert Idäischen Daktylen der jüngeren Generation*^). 
Apollonios zeichnet zwei Daktylen aus als Schicksalslenker 
i/noiQTjyhag) und Beisizer der grossen Götter, den Titias imd 
den Kyllenos, von denen auch berichtet wird, dass man in 
Milet ihnen noch vor der Bhea zu opfern pflegte; und in der 
Milesischen Kolonie Heraklea in Bithynien wurde der Titias 
als der mächtigste Beförderer der Wohlfahrt d^ß Staates , als 
Zeussohn u. s. w. verehrt und auchTheophanes genannt (SchoL 
Ap. I, 1126). Man unterschied femer rechte und linke, 
auch männliche und weibliche , in verschiedener Zahl , theils 
deren zehn, nach den Fingern der Hand, bald funfrig und 
hundert. Die rechten, sagte Phereky des, heben den Zauber auf, 
die linken machen ihn. Derselbe nahm zwanzig rechte und 



108) Biomedes III. p. 474. Apollon. I, 11, 31. 
109)Diod. V, 64. Seh o 1. Ap. I, 1126. Strabo p. 473. 



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2. Die Daktylen yom Ida. 95 

dreissig linke an y und nannte sie alle mit einander Graukler, 
Zauberer und Metallarbeiter**®). 

Das ist das Wichtigste ^ was wir von ihnen erlBediren, und 
dasselbe ist auch völlig genügend. Andere fünf Namen haben 
wir oben aus Pausanias mitgetheilt. Der Idäische Herakles nun» 
der es mit Magie und Sympathie und Amuleten zu thun hatte 
(Diod. V , 64) , war sehr verschieden von dem Alkmene-Sohn 
(Paus. IX, 27, S). Der Name Keim is (von xi^Aciv) wird so 
viel wie MtUciber bedeuten. Ovid. Met. IV, 28J meldet, -2^/ 
dass der Kelmis in Stahl (adamantaj sei verwandelt worden» 
und es gab ein Sprichwort Kelfug iv atS^Qm (s. Zenob. prov. 
rV, 80). Äkmon (ox^iij?) bezeichnet den Unverwüstlichen* 
Der Name Damnameneus bezeichnet einen Bezwinger. 
Durch Clemens AI. (ström. I. p. 132. §. 73) erfahren wir, dass 
von den Idäischen Daktylen die Zauberformel der sogenannten 
£unf Ephesischen Worte erfunden war, welche bei Hesych also 
lauten: aaxiov, xatäamovy dlly thTi^dl, Sajii^vaitievevs, und 
deren man zur Bannung böser Geister sich bediente*^*). So 
kommt der Name Damnameneus auf Talismanen oder Amu- 
leten vor. 

Die drei Daktylen Keknis, Akmon und Damnameneus 
werden von römischen Gelehrten mit den Laren {"lares prae- 
stitesj für Eins gehalten, ingleichen die Kureten**^). Gewiss 



110) yoriiagxttl (f>ttQixaxi(tgxal6r]fn.ovQyovgaiöriQOV7tQ(o^ 
xovg xa\ fxijttXXiag. In der Phoronis hiess es von ihnen : 

ivdnt yofjTfc 
^iJaToi <pQvy€s uvdQfs oQ^aregoi oXxC hniov 
K^Xfttg /1 tt fjivafxiv^vg n ^fyng xal vniqßtoi ^'AxfnaVf 
tVTraXttfiot O^eouTiovTfs oQfttjg *j4^QijaTfifjg, 
ot nQtSroi rix^fiv noXvßirjriog 'HffaCaxoio 
tVQOv iv ovQeCfiai vdnatg, totvta at^riQov, 
ig nvQ f ijvfyxttv xal agi^TiQentg iQyov fSn^av, 

111) Fröhner im Philol. XXII, 3. p. 545. 

112) Nigidiusbei Amob. III, 41. Diomedes 111,474. Lutatius 
«u Stat. Theb. IV, 784. 



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96 B. M&nnliche Elementengeitter. II. Feuergeister. 

sind die Daktylen unterirdische Dämonen. Nun unterscheidet 
aber Nigidius a. O. viererlei Genien nach den rier Reichen, 
himmlische^ unterirdische, seeieche und irdische, und die lez- 
teren nennt er Genien der Menschen , die ersteren gelten ihm 
für Idäische Daktylen. Allein das ist einirrthum: denn die 
Daktylen, als Laren und zumal als Metallarbeiter, müssen den 
unterirdischen Geistern (den Erdmännlein und Bergleutlein) 
beigezält und mit den Kyklopen in 6ine Klasse gerechnet werden. 

Schwerlich werden diese Phrygischen Däumlinge von der 
Zal der Finger den Namen gehabt haben , tmd selbst die ZaI, 
dass ihrer zehn gewesen seien, scheint auf Missdeutung zu be- 
ruhen. Der Finger hat drei Glieder, drei Glieder hat auch der 
daktylische Rhythmus, und drei waren die Obersten dieser 
Geisterschaar. Die Zal drei ist eine heilige imd zauberkräftdge 
Zal : drei sind der Weltreiche, welche durch die drei Kroniden 
vorgestellt werden, dreierlei Geister imd Genien gibt es, denen 
die drei jugendlichen Götter Apoll, Dionysos und Hermes vor- 
stehen, und die indischen Alwinen haben Alles dreifach eben 
wegen dieser drei Reiche. 

Auch der Fingerring {9dxtvXog] besizt die Kraft von Amu- 
leten , imd wird zum Schuz gegen Behexung imd allen mög- 
lichen Schaden , der von bösen Greistem kommen kann , ge- 
tragen *^^). Es gab eine Deutung, dass die Idäisehen Daktylen 
diesen Namen fuhren wegen ihrer Geschicklichkeit (Pol- 
lux, II, 4, 1). Richtiger würde man sagen »wegen ihrer 
Zauberkunst«, und weil ihre Bilder Amulete waren imd weil 
auch schon das Aussprechen ihrer Namen vor Unheil schüzte 
(Plut. prof. virt. T. VII. p. 266 Hutt). Die Daktylen hiessen 
Erdgeborene {yfjyevslg) , welches Prädicat irrthümlich hie 
und da auf die Kureten übergetragen wird , wegen ihrer Ent- 



113) Becker Charikles II. p. 294. Aristoph. Plut. 885 sammt 
Schol. Für daxTvXiog aber wird manchmal auch ddxTvXog gesagt z. B. 
PoUuxI, ll.y. p. • 



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3. Hephaettos. 97 

siehung aus dem Erdboden durch den Griflf der Rhea. Sie ha- 
ben die Bearbeitung der Metalle zuerst aufgebracht, was die 
Kureten doch nicht vermocht hatten ; denn deren Verdienste 
beschränken sich auf Viehzucht, Jagd imd was man dazu 
braucht, woraus eben ihre Verwandtschaft mit den Nymphen 
zu erkennen ist, während der Bergbau, die Schmiedekunst und 
die Hexerei jene, wie gesagt, als Berggeister oharakterisirt 
(Diod, V, 64. Plut. Numa 15) . Zu dem Wesen solcher unter- 
irdischer Dämonen gehört aber immer auch die Missgestalt, 
welche sich hier in der Zwerggestalt zeigt (Herod. III, 37). 

3. Ilephaestos. 

Homer nennt den Hephaestos ein Ungeheuer {itiXiOQ att]^ 
rov), £r ist an beiden Beinen hinkend, d. h. sie biegen sich 
einwärts wenn er auftritt , wird auch mitunter in Zwerggestalt 
gebildet (Herod. III, 37) und spielt unter den Göttern eine 
gutmüthige imd dabei komische Figur. Alles das bekimdet 
eine koboldartige Natur, wie sie den Idäischen Daktylen und 
den Teichinen eigen ist , und beweist , dass er ursprünglich in 
diese Klasse gehört. Die Schmelzung und Bearbeitung der 
Metalle gleicht der Zauberei, und die Zauberer und Hexen- 
meister haben immer etwas Koboldartiges. Von den drei Ober- 
sten der Idäischen Daktylen (Kelmis, Damnameneus und Ak- 
mon) hätte wohl einer auch Hephaestos heissen können, d. h. 
der Anzünder. Es dauerte daher nicht lange , so wurde der 
Hephaestos mit dem Feuer selbst identificirt. Schon Homer 
und Pindar sagen gerne r> Flamme des Hephaestos a , statt des 
Feuers ; Spätere gebrauchen häufig den Namen Hephaestos für 
Feuer, was auch schon in der Hias geschiht (/?, 426), In 
den Mythen nun tritt bald die eine bald die andere Seite her- 
vor. Das Feuer .stammt vom Himmel , woselbst der Prome- 
theus es hat holen müssen; es gibt aber auch unterirdisches 
vulkanisches Feuer, welches der Hephaestos mit seinen Kyklo- 
pen repräsentirt. Darum ist der Hephaestos der Nebengänger 

Härtung, Bei. u. Mythol. d. Gr. II. 7 



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98 B. Mftnnliche Elementengeitter. II. Feuergeister. 

des Premetheiifi und ist ferner ein Sohn derHera^ und zwar 
der Hera allein (Hesiod ^.927). Er wird von Semem Stief- 
yater ein paar Male aus dem Himmel hinausgeworfen aus irgend 
welchen Ursachen (denn diese ersinnen die Dichter wie sie wol- 
len) ^ und wird das eine Mal in Lemnos von den Sintiem auf- 
genommen^ das andere Mal von der Okeans-Tochter Eurynome 
und von der Thetis : dann schmiedet er diesen, neun Jahre lang 
in Verborgenheit lebend , die prächtigsten Sachen (II. a, 594. 
Oy 395) . Das lehrt uns seine Einheit mit den Schmieden imd 
Seegeistem, den Telchinen^ verstehen. Ausserdem scheinen in 
diesen Sagen noch zweierlei Naturerscheinungen vermensch- 
licht zu sein, das Fallen von Sternschnuppen, Meteorsteinen^ 
feurigen Kugeln aus dem Himmel , und das Feuerspeien ge- 
wisser Berge auf der Erde, wie des Mosychlos auf Lemnos. 
Dort hatte der Hephaestos eine Schmiede und dort wohnten 
auch die Sintier, welche ihm ganz besonders lieb waren (Od. 
1L^, 294 sammt Schol.), wahrscheinlich eine Art von Teichinen, 
wie ihr Name zu bezeugen scheint ^") . Nicht minder als Le- 
mnos wurde ihm später der Aetna lieb imd die Liparischen In- 
seln, als diese Weltgegend den Griechen bekannt ^geworden. 
war**^). Im Aetna arbeiteten die Kyklopen, gleich als seien 
sie Schmiedegesellen; die Liparischen Inseln, besonders die 
^IsQCCf waren ihm gleichfalls heilig (Strabo VL p. 275), Als 
Beherrscher des Feuers wirkt er theils mit dem Prometheus 
zusammen zur Entwilderung der Menschheit, theils mit der 
Athene als der Beherrscherin der Gewerbe imd Verleiherin 
aller Kunstgeschicklichkeit in nüzlichen Arbeiten (Hom. 
Hymnus 19). 

Nach einer Dichtung des Aeschylos war Prometheus vom 
Hephaestos bei seinem Feuerdiebstahl gefördert worden und 



114) Hepbaest fuhrt auch selbst den Beinaxoen ^rriog, s. Niceta^ 
inid', 9t(av bei Westennann Mythogr. p. 355. 

115) Pindar lässt den Typhos, auf -welchem der Aetna liegt, Uifai- 
orro*o MQovyoviy d. h. FlammenbAche, hervorspeien, Pyth. I,«47. 



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3. Hephaestos. 99 

war die Entwendung auf der Insel Lemnos vollbradit worden 
(s. Aesch. Fragm. p. 40 m. Ausg. Prom. 14). In Athen 
wurden die drei Gottheiten Athene Hephaestos und Prometheus 
mit und neben einander verehrt, und hatten die lezteren einen 
gemeinsamen Altar (Schol. Soph. Oed. C 56) . Der Werkerin 
Athene {^qydvrj) zu Ehren in €remeinschaft mit dem Hephae- 
stos feierten die Metallarbeiter das Schmiede - Fest *'^). Soli 
doch Hephaestos auch verliebt in die Jungfrau gewesen sein 
und mit ihr oder auch ohne sie (denn sie wusste dabei ihre 
Jungfrauschaft zu retten) den Erichthonios gezeugt haben ^^') . 
Sonsten hat Hephaestos wegen der Schönheit seiner Weite die 
Charis oder auch die Aglaia (l£yXata) zur Gattin, an deren 
Stelle dann die Aphrodite gesezt worden ist, welche natürlich 
einem solchen Ehemanne nicht treu bleiben konnte. Das hat 
nun zu dem lustigen Malirchen Anlass gegeben, welches Ho- 
mer in der Odyssee erzält "^) . 

Auch mit dem Dionysos ist der Hephaestos befreundet, und 
diese Freundschaft scheint von dem Kabirendienst auf Lemnos 
herzurühren , indem bisweilen einer der Kabiren mit ihm ver- 
mengt wird **^) . 

Von der Kunstfertigkeit des Hephaestos wäre viel zu er- 
zälen. Es genügt uns zu wissen, dass nichts Schönes und 
KünstHches, aus Metall gefertigt, je bei Menschen oder Göt- 
tern erblickt worden ist , welches nicht von ihm gemacht war, 
und dass er darum auch die Beinamen kunstreich u. s. w. 
{y.lvTorix^rjg, vtolvffQCov, tex^Big) bekommt. 



116) Eustath. IL II, 552=1497. Suidas v. Pollux 11, 24, 105. 
Von dem Fackellauf an diesem Feste s. oben und vgl. Herod. VIII, S9. 

117) Apollod. III, 14, 6. Eratostli. xarnar, 13. 

118) IL a, 382. Hesiod. ^. 945. Od. ^, 268. 

119) Vgl. Eratosth. xaraüT. 11, wo er sammt dem Dionys und den 
Satyrn zum Gigantenkampf auf Eseln reitet, und Paus. I, 20, 3, wo er 
sich von seinem treuen Bruder Dionys trunken in den Himmel führen lässt, 
um die Hera wieder aus dem Nothsessel zu befreien, in welchem er sie ge- 
fangen hat. 



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100 B. M&nnliche Elementengeister. II. Feuergeister. 

Auf den Herd stellte man kleine HephaestosbUder von 
Thon, damit der Gott das Feuer bewahren möchte*^). Er 
hatte gewiss auch Theil an dem Feste der Famiiiengemein- 
schaft^ den Apaturien , welche unmittelbar vor den XaXxeioig 
gefeiert wurden : denn das Kind wurde durch Herumtragung 
lun den brennenden Herd zum FamiUengliede eingeweiht 
Wenn er hin und wieder mit dem Helios vermengt wird und 
wenn er von einem Dichter bei Pausanias (VHI, 53, 5} ein 
Sohn des Talos genannt wird, so rührt dies vielleicht von 
Aegyptischen Vorstellungen her, kann aber auch dazu dienen, 
die Einheit der Phlegyer mit den Titanen und den Titel Ti- 
tan beim Sonnengott zu erklären. 

4. Daedalos und Palaenion. 

Ein Doppelgänger des Hephaestos ist erstlich der Daedalos, 
obgleich seine Missgestalt nicht verbürgt ist, zweitens der Pa- 
laemon. »Auszeichnung in jeglicher Kunst vor Irdischen 
schenkte die Lichtaug selber den bildenden Meisterhänden 
dort. Werke schwebten auf den Strassen Lebenden 
Wandelnden gleich, a Diese von den Rhodiem gesagten 
Worte bei Pindar (Ol. VH, 93) ^pflegt man auf die Heliaden zu 
beziehen, denen indess nicht einmal Diodor V, 57 nachrüh- 
men kann, dass sie auch Bildhauer oder Bildschnizer gewesen 
seien, während von den auf Rhodos hausenden Teichinen all- 
gemein bekannt ist, dass sie diese Kunst besassen (vgl. Lobeck 
Aglaoph. p. 1187). Dieselbe Kunstgeschicklichkeit wird fer- 
ner auch dem Daedalos zugeschrieben , dessen Name ein Col- 
lectivum ist, so dass richtiger die Daedaleri gesagt würde. Auch 
des Daedalos Bilder sollen eine Art von Automaten gewesen 
sein , was man nicht rationalistisch auf scheinbare Lebendig- 
keit deuten, sondern einfach als Wunder oder Zauberei 
stehen lassen muss. Wenn nun Daedalos mit den Teichinen 



120) Suidas V, imaTarrjs und Schol. Aristoph. Vög. 436. 



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4. Daedalos und Falftemon. 101 

diese^ mit den Kyklopen eine andere Kunst^ nämlich die Bau- 
kunst, gemein hat, und von Homer drittens in Hervorbringung 
wunderbarer Bildwerke, wie der Schild Achills ist, dem He- 
phaestos an die Seite gestellt wird (H. a, 592), so wissen wir, 
wo wir ihn hinzuthun und für was wir ihn zu halten haben. 
Die Alten hatten sich dahin geeinigt , den Daedalos für eine 
historische Person zu nehmen , woher es auch kam , dass man 
ihm bestimmte alte Götterbilder und auch Bauten zuschrieb, 
und die Neueren stehen grossentheils noch auf dem nämlichen 
Standpunkt. 

Der Daedalos soll an mehreren Orten gewesen sein und 
gewirkt haben , in Attika , in Kreta , in Sicilien , in Sardinien 
u. 8. w., imd die Sage sezt diese Aufenthaltsorte mit einander 
in Verbindung, indem sie den Daedalos von dem einen zum an- 
deren flüchten lässt, durch mancherlei Anlässe genöthigt, wor- 
aus eine zusammenhängende Lebenserzälung des Heroen ge- 
worden ist. Wer diese lesen will , der wende sich an Diodor 
rV, 76 ff. oder auch an Jacobis Myth. Wörterbuch u. s. w. 
Wir aber haben noch zu bemerken, dass der Daedalos auch in 
Aegypten daheim war und zu Memphis göttlich verehrt wurde 
(Diod. I, 97). Seinen Namen kann man ebenso gut von daicjy 
wissen, verstehen, wie vonda/w, brennen, leuchten, 
herleiten , weil die beiden Verba Eins sind , wie wir gezeigt 
haben. Er hatte einen Schwestersohn Talos (Talwg) , der 
noch kunstreicher war und viele Erfindungen machte : dessen 
Name bedeutet die Sonne, nach Hesych. Von seinem Sohn 
Ikaros, der, als ein zweiter Palaemon, auf diese oder jene Art 
im Meere ertrunken ist, werden wir später noch zu sprechen 
haben. Der Aristaeos, mit welchem Daedalos nach Sicilien 
kommt , war mit jenem Ikaros 6ines Wesens : diese Verwandt- 
schaft aber und dieser Umgang wollen die Bedeutung des Dae- 
dalos erweitem, dass wir nicht bloss den Bildschnizer und Bau- 
meister, sondern auch den Elementargeist in ihm erkennen 
sollen. 



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102 B. Männliche Elementengebter. III. Seegeister. 

Der andere Doppelgänger ( Palaemonios — Pakemon — 
Palamcdes) heisst ein Sohn des Lemos vom Stamm des He- 
phaestoB, ist krummbeinig Trie dieser (ApoUon« I, 202] ^ gewandt 
in Ei*findungen und listig wie Odysseus, gehört wie dieser 
auch der See , imd i;\ird allgemein mit Melikertes (Melkarth) 
vermengt (ApoUod, I, 9, 16). 

III. Seegeister. 

1. Telchiiien. 

» Rhodos hiess früher auch Telchinis, sagt Strabo pOV. 
p. 653) von seinen Bewohnern, den Teichinen, welche tbeils 
Skuiberer und Hexenmeister genannt werden , weil sie Wasser 
des Styx auf Schwefel sprengten, um Geschöpfe und Gewächse 
zu verderben , theils ausgezeichnete Künstler , welche durch 
Verleumdung in diesen üblen Euf gekommen seien : sie seien 
aus Kreta über Kypem nach Rhodos gekommen , und haben 
zuerst Eisen und Kupfer bearbeitet und auch dem Kjronos die 
Sichel geschmiedet, a Derselbe (X. p. 472) erklärt sie für Eins 
mit den Kureten, und sagt, es waren ihrer neun. Diodor (V, 55) 
aber erzält Folgendes : » Sie waren Söhne des Meeres (&dikaaaa) 
und haben mit der Okeanstochter Kapheira den Poseidon auf- 
gezc^fen. Sie waren femer die Erfinder mancher nüzlicher 
Künste, haben zuerst Götterbilder gemacht und manchen Kul« 
tus gegründet ^^') . Aber sie sollen auch Zauberer gewesen sein, 
die , sobald sie wollten , Wolken und Regen» imd Hagel und 
Schnee herziehen konnten. Dabei konnten sie sich in alle Gre- 
stalten verwandeln, um auszuweiehen wenn man etwas von 



12t} So ^bt es z. B. einen jinollmv TeXx^vteg zu Lindos, eine'&^iic 
TiXxivüc zu Kametros und lalysos und Nvfi^ni Ttkx^viat, ebendaselbst. 
Nikolaos bei Stob. serm. XXXVIII, 225: ßdaxavoi t€ a^oSqtt rioitv xal 
tf(hovfQo(' Tix^ittti 61 ovtfs xal Ttt T(3v TTQOTiQtor ioya fiifiTiaa/LKrot l^&ti" 

ßaaxavovi vgl. Paus. IX, 19, 1. 



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1. TelehiiMB. 103 

ihren Küimten profitbeu wollte. Poeeidon, als er gross 
geworden^ verliebte sich in ihre Schwester, das Seeweib 
(Alia) , und zeugte mit ihr sechs Söhne^ aus welchen die mor- 
genwärts (wohnendeh) Geister [dalfiova^ TtQoarjipet) geworden 
sind , während die Halia zur Leukothea wurde y der man das 
FestHalieia (aXUuc) auf Rhodos feierte (Athen. Xm. p. 561 c). 
Später in Vorahnung der kommenden Ueberschwenmiung sind 
die Teichinen von der Lousel weggezc^n ^^) . « 

Man tri£ft die Teichinen ausser Rhodos und Kypem noch 
auf mehreren Inseln des Mittelmeeres an, und auch Sikyon hat 
einst Telchinia geheissen. Auch haben noch mehr Götter 
den Beinamen Telchinios geführt, welcher durch ßcunuxvog 
(Hexer) erklärt wird^^). Sie sind aber an sich keinesw^ 
böse Wesen; denn sie haben nüzliche Erfindungen gemacht 
und Gottesdienste gegründet ^^^j . Aber, so wie es ja auch rechte 
und linke Daktylen gab und nicht bloss weisen sondern auch 
schwarze Genien, so können die Telchonen auch böse sein, 
mit dem blossen Blick verderben ^^) . Damm bekommen sie 
überall das Prädikat neidisch, was sie als unseren Hexen 
luad Hexenmeistern ähnliche Wesen charakterisirt. Und di^- 
durch sollen sie auch Götter feindlich gegen sich gestimmt ha^ 



122} Simmifte von Rhodos bei Clemens Strom, p. 674=243, 26 sagt: 
lä^/jucs iJ* ^lyv^rtov xaX TiXxCvfav aXvxri fai/i, d. h. Mutter und Amme der 
Ureingeborenen und der Teichinen war die salzige Meeres-Erregung. So 
wird einfach die »desparate« Stelle zu corrigiren sein , welche also über- 
liefert ist: ufdaatyviiTitßv xal TiXxCvoiv f<fv rj uXvxrj C«i//, Lob eck Faral. 
p. 1 1 1 Termuthete /uvtzfiovag *fyV7Jrtov TiX^Tvag ä(pva</ aXvxrj iaxp, 

123) Dass der Name von ^iXyitp komme imd Zauberer bedeute, 
war bereits den Alten nicht unbekannt : denn man sagte vor Alters auch 
BeXyivig, wie Eustath. Od. «, 47 bezeugt, und eine Nebenform von 
TiXxtv scheint BtXlCtov zu sein bei Paus. U, 5, 6. 7. 

12^ Z. Bv der Mylas die MvXavria hqa auf dem Vorgebirge SLamei- 
ros, der Atabyrios den Dienst des also benannten Zeus auf dem Berg J^ra- 
fiv^ig : 8. Hesych V. MvXag, 

125) Oeuli ipm väümUs amnia visu, Ovid Met. VII, 366. Ttetz. 
Chil. Xn, 814. 



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1 04 B. Männliche Elementengeister. III. Seegeister. 

ben^ und soll Zeus sie durch Ueberschwemmung ersäuft haben 
(welches schwer halten mochte, da sie Wasserdämonen von 
Haus aus waren) , oder Apollon soll sie mit Pfeilen erschossen 
haben *^) . Sie sind auch keineswegs schön von Gestalt : denn 
Eustathius (p. 771, 50) gibt ihnen Zwittergestalt zwischen 
Fisch und Schlange mit grünen Augen, schwarzen Brauen, 
Flosshänden ohne Füsse, und sagt, sie waren aus Aktäons 
Hunden in Menschen zurückverwandelt. 

Nonnus, welcher die Teichinen mit in den Thiasos des 
Dionys aufnimmt, spricht von ihnen folgendermassen (XIV, 
36) : »Es kamen die miss günstigen Teichinen aus den 
Tiefen der See, Lykos, Kelmis, Damnameneus, im 
Feuchten lebende, wahnsinnige Dämonen , die , einst von den 
Heliossöhnen Thrinax, Makareus und Auge saus ihrer Hei- 
math Bhodos vertrieben , mit den eifersüchtigen Händen ihrer 
Arme Wasser vom Styx schöpften und die Flur des fruchtbaren 
Rhodos unfruchtbar machten durch Hes'prengung mit dem Tar- 
tarischen Wasser. « Den Lykos kennen wir auch aus Diod. 
V, 56, und aus der dortigen Erzälung können wir schliessen, 
da^s mit der Vertreibung der Teichinen aus der Insel Rhodos 
eine Trockenlegung derselben und Beschüzung vor Ueber- 
schwemmung gemeint sei. Die Heliaden aber haben mit den 
Teichinen um den Besiz der Insel gestritten , so wie ander- 
wärts die obersten Landesgottheiten mit dem Poseidon strei- 
ten , welcher ebenfalls überall den Kürzeren zieht. 

Z. Triton. Aniphitrite. 

Eine von den Nereiden, Namens Amphitrite, wird von 
Hesiod dem Poseidon zur Gemahlin gegeben , und sie ge- 
biert ihm den Tri ton, »welcher in der Tiefe der See bei sei- 
nen Aeltem in goldenem Palast wohnt, ein gewaltiger Gott« 



1 26) Selbst die Rhea sei ihnen üvrnfa, feindlich, sagt der S c h o l. 
Ap. I, 29. 1J41, sammtEtym. M. 111, 46. 



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2. Triton. Amphitrite. 105 

(Hesiod d. 930. 243. 254). Dieser Gott hat einerlei Namen mit 
dem See Triton, d. h. dem Mittelmeer. Denn wenn die Argo- 
nauten vom Malea - Vorgebirg aus in den Tritonsee verschla- 
gen worden sind (Herod. IV, 179), und wenn sie ihr Schiff 
aus dem Okean in die Mündung des Tritonsees hinübergetragen 
haben, und von da aus unmittelbar in die Heimath geschiffk 
sind (nach Pindar Pyth. IV, 34 ff.) ; so ist klar, dass dieser See 
mit dem Mittelmeer zusammenhieng, wenn er nicht das Mittel- 
meer selbst war. Allein der Name eignet vielleicht gar keinem 
bestimmten Gewässer, indem er gar vielen Bächen, Flüssen 
und auch Seen gegeben wird , und stimmt mit dem der See- 
göttin Amphitrite überein ^^tj^ Anfangs hat es wohl nur 
^inen Triton gegeben, und das war der Glaukos oder Pro- 
teus als Dämon des Tritonsees. In derThat dachte man sich 
denselben als ein dem Proteus ähnliches Wesen , z. B. zu Ta^ 
nagra in Böotien , wo er vom Dionys bestraft worden ist, als er 
den badenden Frauen zusezte, oder von den Männern über- 
listet mit Wein berauscht und dann geköpft worden ist, als er 
die Heerden am Ufer plünderte (Paus. IX, 20, 5). Nachher 
kam der Glaube auf, dass die See von vielen dergleichen We- 
sen bewohnt sei , welche auf Muscheln blasen und mit Men- 
schenstimmen reden, obgleich sie fischartig gestaltet seien 
und die Farbe von Fröschen haben, schuppenartige Haut, zu- 
sammengeklebte Haare , Fischkiemen, breite Mäuler und spize 
Zähne, meergrüne Augen, muschelartige Finger und Nägel, 
und Fischschwänze statt Beinen (Paus. IX, 21, 1. VIII, 2, 7). 
Was auf dem Lande die Satyren waren, das waren somit die 
Tritonen in der See. 



127) Die Ableitung von Tp<i>, zittern, wird von Bergk in Jabn's 
Jahrb. 81, 5, p. 306 mit Recht verworfen, welcher dagegen auf rf^QO) TQCßm 
TiToätD riTQtaOxo} hinweist. TiCqhiV torqtiere ist drehen: also finden wir 
in dem tgiTtorif einen Wendelsee, d. h. einen um die Lfinder sich her- 
umschlingenden See, worunter unsere Vorfahren den Okean, mitunter 
auch das Mittelttieer verstanden haben. Darum ist auch das S}inbol des 
Triton oder der Tritonen die Wendelschnecke. 



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106 B. M&nnliche ELementaagtister. III. Seegeister. 

Dagegen behielt die Ampfaitrite ihre schöne Nymphen- 
gestalte obwo)il sie gleich dem Proteus bei Homer Haifische 
und Seethiere weidet '^). Von einem Tempel oder Altar ver- 
lautet nichts^ obwohl man ihren Namen für den des Meeres zu 
gebrauchen pflegte und sie für die Gattin Poseidons aner- 
kannte (Pind. Ol. rV, 104 = 184). Das macht, weil sie nicht 
verschieden war von der Thelis, mit welcher sie das Tanzen 
im Beigen der Nereiden gemein hat (Schol. Od. /, dt . Eustath.), 
und auch nicht von der Leukothea, welche an ihren Plaz sich 
eindrängte. In Gemeinschaft ihres Gatten Poseidon findet man 
sie wohl hin und wieder abgebildet imd angebetet *^). Wenn 
aber in der Sage von Enalos die Gewährsmänner berichten, 
dass die Amphitrite sammt P^eidon das Opfer einer Jungfrau 
gefordert habe , so ist sie hiebei offenbar mit der Asiatischen 
Naturgöttin vertauscht» 

3. Palaemon. Glaukos. 

Der Name Palaemon ist uns schon mehr als einmal be- 
gegnet, als Doppelgänger des Hephaestos und desDaedalos, und 
mehr als einen Dämon werden wir noch in das Meer stür- 
zen s^en, und am Ende will sich sogar der Atlas ak einen 
anderen Palaemon zu erkennen geben. Denn die Himmels** 
Säulen, welche er halt, trägt an seiner Stelle auch einmal der 
Poenische Herakles , der sie auch errichtet haben soll, und die- 
ser Herakles ist kein anderer als der Melkarth s Melikertes, 
der Melikertes aber ist der Palaemon. Wunder darf uns das 
nicht nehmen von dem Greise , welcher die Tiefen der See so 
gut wie den Lauf der Gestirne kennt und in der That die drei 
Welten mit einander vermittelt, wesshalb er auch an dem 
Sonnendämon Titan einen Collegen in der Astronomie hat. 
Der Palaemcm aber beweist seine Einheit mit diesen Seedämo- 
nen noch in anderer Weise. Die Teichinen z. B. haben eine 



12S) O d. ^ 97 snJTo^ S fivgttt ßoamu ayacto^Bf *jä^iT^tj. 
129) Paus, n, 1,7. Clement AI. Protr.p. 41. 



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3. Palaemon. Glaukos. 107 

Schwester Hi^a, in die sich Poseidon verliebt^ und zeugt mit 
ihr sechs Söhne ^ die morgenwärts wohnenden Geister (s. o. 
p. 103)^ welche in aller Weise wieder den Teichinen gleich 
sind. Denn indem sie im Osten der Insel Bhodos hausen, 
thun sie den Menschen vielen Schaden , und bescUafen zulezt 
ihre eigene Mutter. Da verbarg sie Poseidon unter dem Erd- 
boden, die Haüa aber stürzte sidi ins Meer und wurde in die 
Leokotbea umgetauft, indem sie göttliche Verehrung erhielt 
(Diod. V, 55). Wenn diese östlichen Geister nicht den ost- 
wärts gehenden Kedalion und Orion gleich handelten, so 
wüsste ich diesen Namen (welchen auch die Artemis führt, 
Plut. Them. 8) nicht zu erklären. Euripides (Med. 1250) lässt 
die Ino-Leukothea mit zwei Kindern ins Meer springen , und 
diese Kinder sind ebenfalls unter dem Erdboden verborgen 
worden, also wohl von den genannten Dämonen nicht ver- 
schieden. Der Melikertes aber wird auch mit dem Glaukos 
vermengt, der ein Seedämon ist von gleicher Art wie der Atlas 
und der Phorkys, und ein Hexenmeister trotz den Telchi- 
nen*^). Durch den Genuss des Krautes Immerleb (aei^covjy 
weldies auf den seeligen Inseln wächst, verwandelt sich dieser 
Glaukos, der ein Fischer war, in einen Seegott und springt in 
das Meer (wie Palaemon) bei Anthedon in I^öotien ^•^*) . Er war 
schon hochbetagt und lebenesatt, als er in die See sprang, sagt 
der Schol. Apoll, a. O., und bei den Iberern wird er der Alte 
genannt (vgl. 11, 767). Aeschylos, dem er den Stoff zu einer 
Tragödie gegeben hat, nennt seinen Bart dicht (3avlov)y und 
beschreibt ihn selbst als ein menschenähnliches Thier (dv^Qw* 
noeiSig -dTjqloVy Frag, p. 114 m. Ausg). Nach Plato (Rep. X. 
p. 611. D.) sind seine Glieder verwittert und von den Wellen 
ruinirt, mit Muscheln und Seegras und Steinen bewachsen. 
Er besizt auch die Gabe der Weissagung, Wovon die Seefahrer 



130) Athen. VII, p. 296 1>. Schol. Arirt. Wesp. 1404. 

131) Athem. a.O. Paus. IX« 22,7. SckoL Enr, Oratt. 352. Sehok 
Apollon. I, 1310. Ovid. Met. XUI, 919 I. 



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108 B. Männliche Elementengeister. III. Seegeister. 

viel zu erzÜen wussten (Paus. IX, 22 , 7). Athenäos aber er- 
zält von ihm nach verschiedenen Autoren Folgendes : Er ver- 
liebte sich auf der Insel Dia (Naxos) in die Ariadne (worin- 
nen er mit dem ebenfalls ins Meer gestürzten Theseus zusam- 
mentrifft) , wurde dabei von Dionysos gefangen \md Unit Wein- 
reben gefesselt , und erst als er gestanden , wer er sei , wieder 
entlassen. Er hat auch wirklich bei der Ariadne geschlafen, 
als sie von Theseus verlassen war , auch konnte er sich rüh- 
men ein Sohn Poseidons und der Nymphe Nais zu sein. Er 
verliebte sich femer in eine gewisse lalysos- Tochter Namens 
Syme , entführte sie auf die Insel dieses Namens bei Karien 
und liess sich dort mit ihr nieder. Er hat das Schiff Argo ge- 
baut und als Steuermann gelenkt , und als lason mit den Tyr- 
rhenem focht, blieb er allein unverwundet : darauf erschien er 
nach Zeusens Willen dem lason in der Tiefe der See und war 
ein Seegott geworden. Er hat früher Melikertes ge- 
heissen, sagt Nikanor von Kyrene, und ist in den Glaukos 
umgetauft worden. Der lambendichter Aeschrion liess ihn in 
die Hydne , die Tochter des Schwimmers Skyllos von Sikyon, 
verliebt sein , und durch den Genuss eines Krautes , das Kro- 
nos gesäet hatte, unsterblich werden. Nikander sagt , er habe 
den Apoll in der Musik untenviesen. Der Dichter Hedylos 
sagt, dass er aus Liebe zum Melikertes in die See ge- 
sprungen sei. Hedyle , dessen Mutter, dichtet ihm eine senti- 
mentale Liebe zur Scylla an (s. meine Elegiker B. 11. p. lOS). 
Es gab noch einen anderen Glaukos , der, wie der Thra- 
kische Diomedes, von seinen tollgewordenen Rossen zerrissen 
wurde (Eur. Phoen. 1124. Aeschyl. Frag. p. 36. m. Ausg.). 
Die Sage hätte noch hinzusezen sollen, dass er dabei, wie 
Phaethon, ins Meer gestürzt wurde, um die Einheit dieses mit 
jenem sogleich anzudeuten. Sodann gab es noch einen dritten 
Glaukos, einen Sohn des Minos und der Pasiphae, welcher mit 
dem See -Glaukos das gemein hat, dass er durch den Genuss 
eines Krautes wieder lebendig wird. Demselben steht ein 



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4. Sisypho«. Odysseus. Palaemon. 109 

Seher zur Seite^ Namens Polyidoß, d. h. Vielgestaltiger, 
und beide zusammen machen sicher nur eine Person aus» 
Wenn femer der See -Glaukos dem Palaemon entspricht, so 
scheint dagegen dieser Gestorbene, Betrauerte, Begrabene und 
wieder Belebte dem Melikertes zu gleichen *^^) . Dass er auf 
Kreta göttliche Verehrung genoss, ist aus Lukian (Saltat. 
c. 49) zu entnehmen. Die Wiedererweckung dieses Glaukos 
und das Fortleben des im Kessel gesottenen Melikertes waren 
wichtige Ereignisse für die Orphisch-Pythagoreischen Ansich- 
ten von der Wiederbelebung Gestorbener, und der Dienst der 
Leukotheas-Kinder [der ßebilis Iho] bestand in Trauer, wie um 
Gestorbene. In Tenedos sollen dem Palaemon sogar Kinder 
geopfert worden sein ^^). In Korinth verehrte man den Palae- 
mon in einer unterirdischen Kammer (Paus. IE, 2, Ij, 
und sein Vetter Sisyphos hatte ihm zu Ehren die Isthmi- 
schen Spiele eingesezt: Andere sagen, sie seien dem früh- 
verblichenen und von einem Lintwurm an einer Quelle getöd- 
teten Kinde Ar che moros zu Ehren gestiftet worden, wel- 
ches Kind von dem Palaemon nicht sehr verschieden sein 
wird. Dass aber derartige Spiele immer Todten zu Ehren ge- 
halten wurden, ist bekannt. Jezt aber müssen wir^dem Stifter 
Sisyphos selbst unsere Betrachtung widmen. 

4. Sisyphos. Odysseus. Palaemon. 

Dass der Sisyphos Eins oder verwandt mit dem Schotte 
sei , ist deutlich schon dadurch gesagt , dass er das Ross mit 
dem Dreizack aus dem Boden soll herausgeschlagen haben, 
was doch sonst nur der Poseidon zu thun pflegt (Et. M. p. 473, 
43) . Er lag auf dem Isthmos begraben, wo die Spiele dem Po- 
seidon oder auch dem Melikertes gefeiert wurden , und doch 



132) Seine Geschichte gibt am ausführlichsten Hygin. c. 136, dazu 
Apollod. m,2, 1. 

133) Schol. Lyk. 225 6 MfXtx^Qrrjg 6 rrjc ^fvovg vlog' ovrog atfcäga 



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1 1 B. M/lnnliche Elementengeister. III. Seegeister. 

konnte man die Stelle «eines 'Grabes nicht angeben : auch zu 
Korinth hatte er ein Heiligthum ^^) . Sodann war hinter dem 
Tempel der Aphrodite auf der Burg Akrokorinth die Quelle 
Peirene ihm heilig , ein unversiegliches Wasser, an wel- 
chem sein Enkel Bellerophon, ebenfalls ein Seedämon, das 
Quellross Pegasos gefangen und gezäumet hatte. Dieses Was- 
ser war ihm von dem Flussgotte Asopos geschenkt worden, 
als er ihm die Entfühnmg seiner Toohter durch den Zeus ver 
rieth, sagt man. 

Um dem nachlaufenden Flussgott Asop zu entgehen, ver- 
wandelte Zeus sich in einen Stein (wahrscheinlich einen ßaU 
Tvlog), und einen eben so grossen Stein muss nun Sisyphos 
zur Strafe unaufhörlich in der Unterwelt wälzen ^^) . Andere 
sagen , er habe die Strafe daför bekommen , weil er den Tod 
betrogen und in Fesseln gelegt hat , der sodann von Ares be- 
freit werden musste : und als er nachher dem Tod zum zweiten 
Mal überantwortet war , hat er wiederum aus dem Hades sich 
herausgelogen, vorgebend, dass er sein Weib Merope zur Bede 
sezen müsse, weil sie seinen Leib nicht beerdigt habe*^). 
Hier sehen wir einestheils den durch nichts zu fangenden und 
festzuhalteuden Proteus und zweitens den selbst aus dem Ha- 
des wiederkehrenden und den Mächten des Todes trozenden 
Glaukos -Polyidos-Melikertes. Die Strafe in der Unterwelt 
stellt ihn in 6iue Klasse mit den Titanen, imd das Stein- 
wälzen muss auf eine physische Erscheinung zurückgeführt 
werden. Der Poseidon baut Mauern um die Städte, aber nicht 
mit so leichter Mühe wie sein College Apollon. Denn dieser 
zieht die Quadern mit dem Klang seiner Leier auf die Mauern 



134) Paus. II, 2, 2. Strabo VIII, 6. p. 379. 

135) Schol. Lyk. 176. Schol. II. «, 180. Paus. 11, 5,1. Od. 
1,593. 

136) Pherekydes bei Schol. II. C» 153. Theognis 703. Soph. 
Philokt. 449 = 444. 625 = 617. Schol. Pind. Ol. I, 97. Eustath. 
p. 1701, 50 ff. 



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4. SisyphoB. Odysaeus. Falaemon. ül 

hin^ Poseidon wälzt sie mit der Kraft seiner Arme« Al&o wer- 
den Mauern von Poseidon gebaut und auch wieder eingerissen 
(H. rjy 461), und Sisyphos ist der Erbauer der Burg von Ko- 
rinth , auch König hier auf diesem dem Poseidon geweihten 
Isthmischen Lande , und diesen Thron hat er von der Medea 
überkommen ^^) . 

Schon Homer, Hesiod und Theognis rühmen die Schlau- 
heit dieses Königs *^^) , und er wetteiferte in diesem Punkte 
mit dem eben so verschmizten Autolykos , mit dessen Tochter 
Antikleia er auch den Odysseus zeugte , sein Ebenbild ^^) . 
Seine übrigen Sippen waren von derselben Art : z. B. seine 
Frau Merope war eine Tochter des Atlas, eines ähnlichen 
Sehlaukopfes, von dem wiederum der grosse Betrüger Hermes 
stammte. Sein Sohn war der eben von uns betrachtete Olaukos, 
von dem wieder ein anderer See-Dämon und Reiter , Bellero- 
phon, stammt (Apolld. I, 9, 3. Ilias ^, 153 ff.). 

Die von Sisyphos geschwängerte Antikleia bekommt der 
Laertes zur Frau, und sie gebiert ihm den Odysseus, den er 
für seinen Sohn aufzieht , einen See-Dämon gleich ihm selbst, 
der mit dem Glaukos die weiten Seereisen (s. Aesch. Frag- 
mente p. 115 m. Ausg.) und mit dem Poseidon den Besiz der 
Rosse gemein hat. Denn auf der Burg von Pheneos in Arka- 
dien war ein Tempel der Athene Tritonia imd stand ein erze- 
nes Bildniss des Reisigen Poseidon Clnneog)} von Odysseus 
sammt einem Heiligthum der Rosse finderin Artemis 
[EvoiTtTia] gestiftet, als er seine durch alle Griechischen 
Lande gesuchten Rosse endlich an jener Stelle gefunden 
hatte. Derselbe hat sodann dort in der Gegend von Pheneos 
seine Gestüte gehalten und seine Rindvieheerde auf dem Ithaka 



137) Apolld. I, 9, 3. Thuk. IV, 42. Paus, n, 3, 11. 

13S) x^Q^tOTog yivkx avÖQtSp Ztavifog AtoK^rig, sagt Homer, IL 
C, 153. aioAofii^TTjg nennt ihn Hesiod Frag. 32. oare xal i^ *A't^i<a noXvt" 
^qd^aiv ttvriX&iv niCaag ÜiQakifovtjv ttlfivXtoiatXoyoi sseigt Theogn. 703. 712. 

139) Schol. IL X, 267. Hygin. f. 201. 



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112 B. Männliche Elementengeister. III. Seegeister. 

gegenüberliegenden Continent, und man zagte dem Pausanias 
sogar eine Aufschrift auf dem Poseidonsbild, welche eine 
Verordnung des Odysseus für die Rosshirten enthielt (Paus. 
VUI, 14, 5). Femer ist von Odysseus überliefert, dass er in 
Lakedaemon nahe am Markt der B ah n eri n Athene [Keuv&ia] 
ein liild gestiftet habe , als er im Wettlauf da**elbst die Pene- 
lope errungen hatte. Diese wenigen den Gottesdienst betreffen- 
den Nachrichten müssen dem Forscher mehr gelten als alles 
was in der Ilias und Odyssee von diesem Helden gefabelt ist. 
Ein einziger Punkt aus diesen und anderen Fabeln scheint 
von liedeutung zu sein , weil man nicht einsehen kann , aus 
welchen ästhetischen oder ethischen Gründen ein Dichter auf 
so einen Einfall verfallen konnte , nämUch die Geschichte mit 
dem hölzernen Ross. 

'Oivaoevg von odvaaa&at scheint einen zürnenden See- 
Dämon zu bedeuten : Poseidon zürnt ihm beständig , so dass 
auf den Heros wiederum das Leiden dessen , was der ihm ent- 
sprechende Gott den Menschen anthut, übergetragen ist. 

Der Odysseus hat einen Nebenbuhler Palamedes, in 
welchem uns wieder der schon bekannte Palaemon begegnet. 
Dieser grosse Schlaukopf und Erfinder vieler nüzlichen Dinge, 
gleich dem Prometheus, wird ebenfalls in der See ertränkt 
und dann in einen Seedämon verwandelt, wie auch sein Vater 
der Schiffer [Navnliog) und seine Brüder S teurer und 
Schifflenker {Oi'a^ und JSavatftedcDv]. Dem Palamedes 
aber war auf dem Berg Lepetymnos bei Methymna unter diesem 
Namen eine Kapelle geweiht (Tzetz. Lyk. 384. Philostr. vit. 
Apoll. IV, 13). Vom Nauplios ferner heisst es , er habe den 
Tod seines Sohnes an den Argivem gerochen dadurch dass er 
an dem Vorgebirg Kaphareus die trügerischen Feuer leuch- 
ten liess und die Schiffe stranden machte ^^^;. Dieser also 
gefahrliche Seedämon war ebenfalls mit Gewalt in die See 



140; Tzetz. Lyk. 3S4. Schol. Eur. Orest. 422. 



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5. Briareus. Aegaeon. Aegeus. 113 

gestürzt worden, wie sein Sohn und wie Melikertes. Früher war 
er mit der Klymene vermählt gewesen oder mit der Philyra 
oder endlich mit der Hesione , von denen wenigstens die lezte 
sicher zu den Seefrauen gehört (Apolld. IT, 1 z. E.). 

5« Briareus« Aegaeon« Aegeus« 

Hesiod nennt als Hundertarme die drei Söhne des 
Uranos und der Gaea: Kottos, Briareos oder Obriareos 
und Gyes, welche Schlag, Gewaltstärke und Umringung zu 
bedeuten scheinen"*). 

Homer selbst erklärt den Briareos für Eins mit Aegaeon, 
und andere halten auch den Gyes für identisch mit beiden, und 
ganz offenbar werden mit allen diesen Namen bloss Eigen- 
schaften des sturmempörten Meeres bezeichnet, dessen Gewalt 
allen anderen Gewalten überlegen scheint"^. Der Aegaeon 
(dessen Name von aiylq Bülge kommt) wird theils mit dem 
Poseidon vermengt theils auch von ihm geschieden , und zwar 
mit Recht. Er soll, wie auch der Aegeus, welcher nicht von 
ihm verschieden sein kann , im Aegäischen Meere seinen Tod 
gefunden haben, also ein Dämon dieses Meeres geworden sein, 
wie auch der Theseus, und wie die oben betrachteten See-Dä- 
monen (s. Konon bei Schol. Apoll, a. O.). Der Aegeus soll 
von der Akropolis aus ins Meer gesprungen sein , seltsam ge- 
nug, da die Akropolis so weit von der See entfernt ist ! Hernach 
hat er eine Kapelle bekommen, und ist, wie alle die in Attika 



141) Der Name Kotrog wird, wie xorraflog, von itonxto herkommen 
(Lob eck, Pathol. p. 285). Bglaquog oder ^OßgutQetog (vgl. oßQtfuog) be- 
zeichnet den Gewaltigen, Starken, von ßgiaa^ßQtttQog (Curtius, Gr. 
Etym. II, 109). Endlich bei rvfjs (denn so, nicht rvytiit lesen wir mit 
Göttling) mu88 man an yvrjg das Krummholsam Pfluge und an das Bei- 
wort des Hephaestos d/^tftyvtlsie Krummbein denken, ingleichem an den 
Heros Svgvyvtig, der einem Kyklopen gleicht : und sofern auch die Form 
Vvytig richtig sein sollte , würde der *üyvyrig ein Namens- Vetter und Ver- 
wandter, vielleicht sogar Bruder, des Fvyfig sein. 

142) Hes. V. aiyautv. Schol. Apoll. I, 1165. 
Hartanf,Bel. a. Mjthol. d. Gr. II. 8 



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114 B. M&nnliche Elementengeister. III. Seegeister. 

verehrten ^ aus blossen Prädikaten des Poseidon entstandenen^ 
See-Dämonen in die Attische Königs -Reihe eingereiht wer- 
den»«). 

6. Eurygyes. Androgeos. 

In Attika verehrte man einen Heros Eurygy es, der auch 
Androgeos hiess und für einen Sohn des Minos gehalten 
wurde. Er war entweder im Kampf mit dem Marathonischen 
Stier oder sonst in einem Gefecht umgekommen, oder auch 
meuchlings von den Athenern getödtet worden, welche dafür 
dem Minos das bekannte Opfer der sieben Knaben und sieben 
Mädchen nach ICreta senden mussten, bis Theseus sie von 
diesem Tribut befreite. Nach einer anderen Deutung wurden 
seinetwegen auch die Sündenböcke ((paQfiCCKoi) geopfert*^). 
Also hat man diesen Dämon mit Unrecht zu einem Beschüzer 
des Ackerbaues gemacht, bloss weil sein Name von yvij Art- 
land herzukommen schien: an den Hesiodischen Gyes hat 
man nicht gedacht. Ganz gewiss aber ist er mit diesem Eins 
und hat Bezug auf die Sinfluth und auf die Reinigung der Erde 
von der Winterbefleckung. Sein zweiter Name Androgeos be- 
zeichnet einen ungeschlachten Menschen ^^^) . Also erinnert sein 
Wesen auch an den Kyklopen Geraestos, auf dessen Grabe 
die Athener die vier Töchter des Hyakinthos geschlachtet haben, 
um von einer Himgersnoth und Misswachs frei zu werden, 
und erst, als dieses Opfer noch nicht geholfen hatte, entschlos- 
sen sie sich zur Sendung des oben genannten Tributs an den 



143) Paus. I, 22, 5. Plut. Thes. c. 22. Auch der Aegeus war so ein 
abgelöstes Prädikat: denn der Poseidon hiess AiyaXo^ und seine Ver- 
ehrungsstfttten heissen überall Aiyali II. v, 21. f. ^, 203. Strabo VIII. 
p. 386. Xm, 615. IX, 400. Schol. ApoUon. I, 1165. Hes. v. Aiyai. 
Pind. N. V, 64 sammt Schol. Herod. I, 145. VII, 42. 

144) Apolld.m, 1,2. 15,7. Diod. IV,60. Paus. I, 29, 7. 

145) *Av^Q6yitog könnte auch ^AvS^oyatos heissen , und yatog wird bei 
Hesych und im Et. M. 223, 24 als naxhg xdi avaiod^tjTog ay ^ ^ft>7roc er- 
klärt : vgl. ßovyaiog oder ßovxalog. 



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6. Eurjgye». Androgeos. 115 

Minos (Apolld. III, 15, S). Nun ist femer zu bemerken, dass 
der Androgeos in den Leichenspielen des Lahios zu Theben 
umgekommen ist, dass er in den Spielen der Panathenäen sich 
ausgezeichnet und über alle Mitringer den Sieg davon getragen 
hat (Apolld. III, 15, 2. Diod. IV, 60), dass er auf dem Kera- 
meikos begraben lag, da wo man alljährlich den im Kriege 
Gefallenen ein feierliches Begräbniss veranstaltete , imd dass 
dieses Begräbnissspiel gerade ihm gegolten haben solP^). 
Denn, sagt Hesiod Frag. 106, er hat als Hilfsgenosse der Athe- 
ner sein Leben eingebüsst^^"). Wenn also Eurygyes in den 
Spielen an den Panathenäen sich ausgezeichnet hat , so lässt 
sich daraus entnehmen, dass auch diese Spiele Begräbnissspiele 
waren, gleich den Isthmischen zu Ehren des Meli- 
kertes (Melkarth) und den Nemeischen zu Ehren des Arche- 
moros , und dass er ein diesen ähnlicher Dämon gewesen sein 
muss. Es ist nämlich noch zu erwähnen, dass dieser Eury- 
gyes auch in der See waltet. Das Wort evQvg breit ist ein 
öfter vorkommender Bestandtheil in Namen und Prädikaten 
von Seegöttem (z. B. ivQVftiidtüv, evQvaOsv^jg , Ev^tvvo^infj, 
Gy es selbst ist ein See-Dämon , und Eurygyes wurde im Ha- 
fen Phaleros neben dem See-Dämon Theseus verehrt, 
und er hatte auch gleich diesem in dem Flecken Oinoe an der 
Seeküste bei Marathon mit dem Marathonischen Stier gerungen 
(Paus. I, 1, 4. 27, 10. Diod. a. a. O.). Er wird also mit ihm 
Eins gewesen sein. Auch der Kyklope Geraestos aber wird 
wohl mit dem zu Geraestos verehrten Seegott Poseidon in naher 
Beziehung gestanden haben, d. h. er wird ebenfalls ein in der 
See ertrunkener Melkarth gleich dem Minos gewesen sein. Und 
anders lässt es sich überhaupt nicht erklären, dass die ein- 
äugigen Kyklopen, gleich den Teichinen , auch in der See zu 
Hause sind. 



146) Hesych . In EvQvyvrj aytiv. Thuk. II, 34. 

147) EvQvyvTis d* inCxovgog \^9rjvaitov UqKtav (nach Göttlings 
Emendation für hi xovQog) . 

8* 



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116 B. M&nnliche Elementenge.^ ter. IV. Telchinenartige Wesen. 

IV. Telchinenartige Wesen. 

1. Atlas« 

Homer kennt den Atlas als Vater der Kalypso, dabei nennt 
er ihn einen durch seinen Verstand gefährlichen (oXo6q)Q€OP) 
Dämon , welcher des ganzen Meeres Tiefen kenne und selbst 
(eigenhändig) die hohen Säulen halte , welche die Erde unten 
und den Himmel oben tragen. Er ist, sagt Tzetz. Lyk. S79, 
ins Meer gestürzt, während er nach den Sternen spähte 
— ein Schicksal welches er mit dem Glaukos, dem Palaemon, 
dem Nauplios , dem Aegeus u. s. w. theilte. Seine Himmels- 
säulen^ welche die von Herakles aufgepflanzten Säulen sind, 
werden wir später deuten. Aus diesem Säulenhalter aber ist 
bereits bei Hesiod ein Lastträger geworden, welcher selbst an- 
statt einer Säule oder eines Pfeilers den Himmel auf Kopf und 
Schultern trägt i^®). Ein solches Loos konnte man für nichts 
anderes als eine Pein und Marter für irgend eine begangene 
Schuld ansehen (Pind. P. IV, 478=515), ausserdem ist er bei 
Hesiod sowohl als auch bei Aeschylus ein Bruder des Prome- 
theus und ein gestürzter Titane. Und so wie dieser bald im 
Tartaros bald am Ende der Welt (beides ist Eins) Qualen lei- 
det, also steht auch er am Ende der Welt vor den Gärten der 
Hesperiden , und vermittelt dem Herakles die Gewinnung der 
goldenen Aepfel nicht ohne versuchten Betrug, ähnlich wie 
die Grraeen den Weg zu den Gorgonen dem Perseus , und wie 
der Phineus den Weg zu dem goldenen Vliesse der Argonauten 
vermitteln ^^^). 

Der Halter und Regierer der Himmelssäulen und viel- 
wissende Dämon ist dann auch zu einem Astronomen gewor- 
den, welcher die Umdrehung des Himmels beobachtet \md da- 



14S) Homer Od. «, 52. Hesiod. ;!^. 517. 
149) Schol. Ap. IV, 1396. ApoUd. II, 5, 11. 



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1. Atlas. 2. Nereus und die Nereiden. 117 

bei die obere und die untere Welt erforscht hat^***). Solches 
thut auch derjenige Atlas , welcher auf dem Heroldsberg (Ä^i;- 
QWiov OQog] in Böotien sizt, woselbst sein Enkel Hennes ge- 
boren wurde (ebenfalls ein Zauberer und Hexenmeister) auf 
dem Plaze welcher nolog heisst *^*) . Dieselbe Bewandtniss hat 
es femer mit dem Arkadischen König Atlas , welcher auf dem 
GebirgKyllene hausste, wo ebenfalls Hermes geboren wurde **^) . 
Aus dem westlichen Himmelsträger ist endlich ein himmel- 
ragendes Gebiige im Westlande gemacht worden, auf welchem 
der Himmel zu ruhen schien, und der Dithyrambendichter 
Polyidos hat erzält, dass der König Atlas vom Perseus in einen 
Berg sei versteinert worden , weil er ihm den Durchzug durch 
Libyen verwehren wollte (Schol. Lyk. 879). 

Z. Nereus und die Nereiden. 

»Der Nereus (d. h. Schwimmer) ist ein Seedämon «, sagt 
Hesych, und Alkman nennt ihn Porkos, d. h. Fischer^^). 
Homer gebraucht den Namen Nereus noch nicht, sondern 
kennt den Gott bloss unter dem Namen Se e gr e i s (aXios yiQWv) . 
Im Volksglauben hiess der Gott schlechtweg der Alte {yigiov), 
z. B. in Gythion an der Lakonischen Küste (Paus. HI, 21, 9), 
und Hesiod bezeugt , dass das seine gewöhnliche Bezeichnung 
war^^). Durch sein rechtschaffenes, wahrhaftiges und wohl- 

150) Diod. IV, 27. z. E. Schol. Lyk. 879. 

151).Pau8. IX, 20, 3 Ivtav&a ^Jtlarra xa^fjitvov nolvTigayfiovity 
Ttt TC imo yriQ (faai xal tä ovqdvia. Bei Dionys. Hai. I, 61 ist wohl irrig 
Kttvxdatov oQog für Ktiqvxiov geschrieben: denn er lässt ihn ebenfalls in 
Arkadien wohnen als den ältesten König. 

152) Dionys. Hai. 1,61. Apolld. HI, 10, 1. Der Dichter Rritias 
nennt die Umdrehung des Himmels lArlavtnov noXov, Frag. 4,5. 

153) IToQxog bedeutet ein Fischemez, nooxivg den Nezfischer, wie 
JUtvg : mit dem Porkos aber wird wohl der Phorkys Eins sein. Der Name 
Nereus wird von den Neueren auf den Stamm vatj natare zurückgeführt, 
und vtfQog = voQog ist von NriQtvg nicht verschieden. 

154) ^. 233 NriQia d* dxf^evdia xal altiS-ia ytivaro JTavrog, nQCOßv^ 
raroi^ naiStov aviiiQ xuXiovai Piqovxa, ovvixa ^fifxiQtr^g rc xal ii^tog, 
ovdk ^i[iiaT(t}v AriüiTttt, dXXa dixaia nal j^nia Sijvta ol^fv. 



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118 B. Männliche Elementengeister. IV. Telchinenartige Wesen. 

wollendes Wesen zeichnet sich dieser Seegreis vor den Him- 
melsträger Atlas aus ***) , und unter den Namen seiner Töchter 
der See-Nymphen , befinden sich drei , welche eben&lls diesen 
Charakter aussprechen*^). Trozdem ist auch Nereus gefahr- 
lich-schlau [oXoo^wv) , wenigstens bei späteren Dichtem, in- 
sofern er zum Geständniss der Wahrheit nicht eher gebracht 
werden kann als bis er erst in allen möglichen Verwandlungen 
zu entrinnen gesucht hat, und diesen Charakter theilen mit ihm 
auch einige seiner Töchter, die Thetis und die Psamathe*^^). 
Auch das hat er mit dem Atlas gemein, dass er dem Herakles 
die Mittel angibt zu den goldenen Aepfeln zu gelangen. 

Er hat aber fünfzig Töchter, Nereiden genannt, die bei 
Homer imter diesem Namen noch nicht vorkommen ausser in 
einer Stelle (H. er, 38 — 48) die bereits von den Alten als ein 
unechtes Einschiebsel erkannt ist, doch sind diese Seenixen 
den Dichtem der Dias unter dem Namen Seegöttinnen {äXiai. 
d-eal) und Töchter des Seegreises und Schwestern der Thetis 
bekannt. 

Der Nereiden sind fiin£sig , gerade so viele als Tänzer zu 
einem kyklischen Chorreigen gehören, und sie tanzen auch 
beständig und ihr Tanz ist das Wellenspiel *^ . Verehrung 
genossen die Nereiden an manchen Orten, z. B. am Pelion 
mit der Thetis und dem Peleus zusammen, was dem Pausanias 
n, 1, 7 zufolge auch anderwärts in Häfen und an Küsten der 
Fall war, bei Kardamyle an der Lakonischen Küste, wo 
die Nereus-Töchter ans Land gestiegen waren, um den Achills- 
Sohn Pyrrhos zu sehen , als er die Hermione als Braut abholte 
(Paus, m, 26, 5). 



155} Find. P. III, 131 NfjQios (vßovlov, 

156} QiftiaTm, IlQWoti t€ Nfififgri^g 0^ rj nargo^ ix^^ v^ ad^paroioz 
Hes. ^. 261. 

157) Schol. ApoU. IV, 1386. Apollod. II, 5, 11. 

158) Eurip. Iph. T. 400. Iphig. A. 942 (1060). Androm. 1236. 
El. 433. Troj. 2. Soph. Oed. K. 718. kxajofin6dmv Nnqii^nv. 



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3. Proteus und Phorkys. 119 

Auch diese Wesen gehen Verwandlungen ein , wie z. B. 
die Thetis bei Sophokles die Rolle eines Proteus gespielt hat^ 
als der Peleus sie wältigte. 

3. Proteus uud Phorkys. ^ 

Als Herakles die goldenen Aepfel holen wollte, haben ihm 
die Nymphen des Zeus und der Themis, welche in einer Grotte 
an dem Eridanos hausten, den Rath gegeben, bei dem Nereus 
«ich nach den Mitteln zu erkundigen , und zugleich denselben 
mit Gewalt festzuhalten, weil er sich in Feuer, Wasser und 
alles Mögliche verwandeln würde *^^). An die Stelle jener 
Nymphen ist bei Homer (Od. tf, 366) die Tochter des »See- 
greisesa Eidothea getreten, und der Seegreis heisst hier 
Proteus statt Nereus, imd derselbe hat seine Heimath auf der 
Insel Pharo s bei Aegypten. Die Schilderung dieses Seegreises 
[Carpaihtm senex hei OyiA. Am. I, 15, 10), lautet ähnlich wie 
die des Nereus und zugleich wie die des Atlas *^) . Eigenthüm- 
lieh ist bei ihm nur sein Verhältniss zu den Seerobben, wel- 
ches ohngefähr dem Verhältniss des Pannus oder Pan zu dem 
Herden Vieh oder dem der Artemis zu dem Wild im Walde ent- 
spricht (Horat. I, 2 , 7) . Die Gestalten- Wandlimg dieses Dä- 
mons ist sprichwörtlich geworden, weil man ihn von der Odys- 
see \md von Virgils Geoigikon her kannte. Derselbe wird 
aber auch als Aegyptischer König aufgeführt, wo er von seiner 
.dämonischen Natur nichts beibehalten hat (Eurip. Hei. 4. 
Herod. IT, 112 ff.). Indessen erscheint er doch bei Diod. Sic. 
I, 62 als ein grosser Gelehrter und Astronom, gleichwie Atlas. 
Endlich Nonnus c. 66 vereinigt die beiden Personen, indem 
«r sagt, der König Proteus habe in Betrübniss über den Tod 



159) Pherekydes bei Schol. Ap. IV, 1396. 

160) Od. d, 366 ntoUtTttl ttg ^ivQoyiQiav aXiog vtif^iQtiic 

ad^dvaros ÜQU^Tivi Atyvnriot oars {taXaaafic 



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120 B. Männliche Elementengdster. IV. Telchinenartige Wesen. 

seiner Söhne, die ihm Herakles erschlagen, sich ins Meer ge- 
stürzt Mnd sei ein Seedämon geworden welcher auf der Insel 
Pharos hause. Da sehen wir auch seine Aehnlichkeit mit dem 
Palaemon. 

Eine dritte Varietät des Nereus ist Phorkys, der Sohn 
des Pontos und der Gaea, Vater der Graea, d. h. der Alten, und 
der Gorgonen, ingleichen der Nymphe Thoosa, welche den 
Polyphem gebirt. Er heisst bei Homer Od. a, 72 See- 
könig [dXog OTQvyhoio juiSfov] y ingleichen der Seegreis, 
und es sind ihm die Häfen geweiht, imd Lykophron (376) nennt 
das Meer bei Euböa Fahrplaz des Phorkys {^o'qxvvoq oQfiijr^- 
Qiov], Zu den Seethieren steht Phorkys in dem nämlichen 
Verhältniss wie Proteus, und Virgil nennt dieselben das Heer 
des Phorkos. Wenn aber Karystios beim Schol. Theokr. XIH, 
22, die zusammenschlagenden Felsen Thore des Phorkos, und 
wenn Phanokles den Styx Wasser des Phorkos nennen, so 
scheinen sie den Phorkos mit dem Orcus verwechselt zu 
haben, ingleichen wenn ihn Euphorien zum Vater der Erinyen 
macht. Zu solcher Vermengung hatten diese Dichter weiter 
kein Recht ausser dem Umstände , dass er am Ende der Welt 
zu walten scheint, als Vater der Hesperiden und ihres Dra- 
chen ^^*). Auch die Skylla hat er gezeugt entweder mit der 
Hekate oder mit der Krataeis (Od. ^, 125), und hat sie, als sie 
vom Herakles erschlagen war, wieder lebendig gemacht durch 
Brennen mit Fackeln , woraus zu erkennen , dass er auch ein 
Wundarzt wie der Asklepios war. 

Wenn.Hesych den Namen Phorkis durch einäugig wieder- 
gibt, so ist damit eine Eigenheit der Phorkiden , aber keines- 
wegs eine Etymologie angegeben. Derselbe erklärt auch 
(poQXog als grau und runzelig, und bezeichnet damit das 
Prädikat eines Seegreises. 



161) Hesiod *. 333. Schol. Apoll. IV, 1399, ingleichender Sire- 
nen: Soph. Pragm. 407. p. 66 m. Ausg. 



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4. Kyknos. 121 

4. Kyknos. 

Im südlichen Thessalien am Pagasäischen Meerbusen 
hauste ein gewisser Kyknos (Schwan, d. h. Grauer*^^) oder 
Greis), Sohn des Ares und der Pelopia. Derselbe überfiel 
die Pilger, welche zum Pagasäischen Apoll wanderten, schnitt 
ihnen die Köpfe ab, und schichtete die Schädel auf zu einem 
Tempel des Ares. Dieser Kyknos wird nicht verschieden sein 
Yon dem Sohne des Ares und der Pyrene am Bach Echedoros 
in Makedonien. Als Herakles den lezteren erlegt hat, muss 
er mit dem Ares kämpfen, welcher den Tod seines Sohnes 
rächen will, bis Zeus den Kampf beider durch einen Blizstrahl 
trennt (ApoUd. II, 5, 11). In dem Kampf mit dem ersteren 
Kyknos musste Herakles anfangs sich ziirückziehen, weil Ares 
seinem Sohne half (Pind. Ol. XI, 19 Schol.), aber weil Athena 
diesem beistand , wurde Kyknos trozdem getödtet und oben- 
drein Ares am Schenkel verwimdet *^) . 

Das Verfahren des Kyknos, Menschen zu morden und ihre 
Schädel au&uschlichten, erinnert in der That an die Grausam- 
keit der Yogelgestaltigen Sirenen, welche auf einem Knochen- 
Haufen ermordeter Menschen sizen. Darum können auch alle 
die genannten Schwäne von jenem Singschwane nicht ver- 
schieden sein , welcher einmal Mensch gewesen und aus dieser 
oder jener Ursache von Apoll in den Vogel verwandelt worden 
ist. Entweder war er ein Verwandter Phaethons, als König 
der Ligurer am Eridanosfluss , und wurde in der Trauer lun 
jenen zugleich mit dessen Schwestern verwandelt (Paus. I, 30, 
3. Ovid. Met. II, 367 ff.) ; oder er war ein schöner Jäger bei 
Kalydon, der sich sammt seiner Mutter T hy r i a in den See Ko- 



162) Döderlein hftlt das Wort fOr verwandt mit eanus, alt camus^ 
woher camar, d. h. $en9x im Oscischen Dialekte. Andere denken an 
canerey und leiten auch Schwan (swan) von sonore ab. 

163) Hesiod. aan. Eur. Herakl. 389 ff Paus. I, 27, 7. Stesi- 
choros Fragm. 12. p. 163 m. Ausg. 



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122 B. M&nnliche Elementengeister. IV. Telchinenartige Wesen. 

nope stürzte, wo sie beide in Schwäne verwandelt wurden ^®* . , 
oder er war König von Kolonae im Trojerlande oder auch zu 
Tenedos, das nach seinem Sohne Tenos benannt war, und 
wurde entweder als Kind am Meeresgestade ausgesezt und Yon 
einem Schwane gerettet, oder er hat sich später ins Meer 
gestürzt ^^). Dieser Poseidonssohn war übrigens kein ge- 
ringerer Held als die zuerst beschriebenen Söhne des Ares, 
wiewohl er immer ganzschneeweisseHaarehatte (Schol. 
Theokr. XVI , 49) : Denn er zog mit einer Schaar vor Troja 
und kämpfte mit Achill , der ihn aber , weil er imverwundbar 
war, nicht mit den Waffen tödten konnte sondern erdrosseln 
musste, wobei Kyknos in einen Schwan verwandelt wurde von 
seinem Vater Poseidon ^^^) . Er ist ohne Zweifel ein See- 
Dämon, gleich seinem Sohne Tennes, und also gehören die 
Schwäne eben so gut der See wie den Landteichen an , so wie 
die See in den Sirenen auch ihre eigenen Musen hat. 

Im Beowulfs-Liede heisst die See der Schwans- Weg (V. 
201), und der bekannte Schwanen-Ritter Lohengrin wird 
von einem Schwane über die See und wiederum zurückgezogen. 
Diesen Schwänen müssen wir noch eine genauere Betrachtung 
viddmen. 

5. Die Schwäne. 

Die nordischen Walkyren treten oft als Schwanen-Jung- 
frauen auf, und diese Walkyren gehören zu den Nixen oder 
Nymphen. Unter den griechischen Nymphen befinden sich 
auch die singenden und geflügelten Musen, imd ob diese 
gleich nie als Schwäne erscheinen, so ist doch der Schwan ihr 
Lieblings- Vogel, und schwerlich wohl ist dieser Vogel seines 



164) Anton. Lib. c. 12. O vid. Met. MI, 380. Der Leztere Usst die 
Mutter zum See werden , welcher der Schwanensee hiess. 

165) Tzetz. Lyk. 233. Diod. V,83. Serv. Aen. II, 21. 

166) Ovid. Met. XII, 144. Aristol. Rhet. 11,22. Schol. Pind. 
Ol. II, 147. 



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5. DieSchwÄne. 123 

Gesanges wegen zu dieser Ehre gekommen*^') , sondern eher 
umgekehrt wird der Gesang ihm darum angedichtet sein , weil 
er der Musen- Vogel ist. Denn von einem eigentlichen Ge- 
sang der Schwäne wissen doch die alten Naturforscher so we- 
nig wie die neueren etwas zu berichten , während die Dichter 
alle davon voll sind , was ihnen so wenig Sorgen macht , wie 
das Schwimmen des Eilandes Dolos und hundert andere der- 
artige Dinge , die niemand geprüft hat aber jedermann nach- 
spricht. Als ApoUon geboren wurde , so kamen die Schwäne 
vom Bach Paktolos herübergeschwommen und umkreisten sie- 
ben Mal das Eiland Delos mit hellem Gesang: und auf dem 
Ringelteiche der Insel^ wo das Wochenbett der Leto war , be- 
fanden sich stets singende Schwäne ^*^^) . Ursprünglich lebten 
sie auf dem Okean diese Singschwäne, dann auf dem Strome 
Eridanos und auf dem Hebros in Thrakien *^'^! . Jenseits des 
Eridanos im Lande der Lygier [Aiyveg d. h. der Helltönigen) 
war einst ein gesangkundiger {fiovaixos] König : den hat Apoll 
in einen Schwan verwandelt, daher die Singschwäne daselbst, 
von denen indess die Einwohner dort nichts "wussten ^'^) . Be- 
sonders vor dem Sterben pflegten diese Schwäne wundervoll 
zu singen, gleich als freuten sie sich, mit dem Gott, dessen 
Diener sie seien, bald inniger vereinigt zu werden*"*). Es 
waren überhaupt wunderbare Geschöpfe: denn sie bejammer- 
ten auch den Tod ihrer Aeltem, und der junge Schwan pflegte 
liebevoll den alten zu warten (Eur. El. 151. Bakch. 1363). Es 



167) Vgl. Kallim. Hym. Delos V. 250 Movacctav oQvid^tg aoMra- 
tot TrfTerjvfüv. 

168) Eur. Iph.T. 1053=1111. Ion 167. Kallim. a. O. 

169) Hesiod. äan. 315. Aristoph. Vög. 769. Euripides im 
Phaethon, den Anbruch des Morgens im Aethiopenlande schildernd, sagt: 
an den Quellen des Okeans schreit der melodische Schwan {Tirfyais x* In 
^Slxiorov fiiltßoat »vjtvog ax*T] . 

170) Paus. I, 30, 3. Ovid. Met. II, 366. Lucian. de electro 5. 

171) Plato.Phaed. p. 84 E. 85 B. Aesch. Agam. 1420 xi^koü (f/- 
jnjr Tov varttroy fiihpnoa d-aväat/xoy yow. 



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124 B. Männliche Elementengeister. IV. Telchinenartige Wesen. 

ist also eine sehrunnöthigeMühe^ wenn man untersucht ob denn 
der Vogel, welchen die Naturgeschichte als stumm kennt^^, 
jemals gesungen habe , und zwar noch schöner als alle andern 
Vögel : eben so unnüz, wie wenn man fragt, ob die Memnons- 
bilder in Aegypten jemals geklungen haben. Ohnehin waren 
ja das keine gewöhnlichen Schwäne , so wenig als diejenigen^ 
welche der Deutschen Sage nach singend über den Häuptern 
der kämpfenden Helden einherziehen , welche mithin offenbar 
Walkyren sind. Hekataeus aus Abdera erzält in Aelians Thier- 
geschichte (XI,. 1) , dass im Hyperboreerlande, wenn das Fest 
Apolls gefeiert wird , ganze Schwärme von Schwänen von den 
Rhipäischen Bergen herabkommen und im Tempelhofe sich nie- 
derlassen, und wenn nun die Sänger und Kitharspieler den Hym- 
nus anstimmen, so begleiten die Schwäne denselben mit ihrem 
Gesänge so richtig, als wenn sie den Takt vom Chormeister 
empfangen hätten. 

Wie kommt denn aber,- muss man dennoch fragen, gerade 
der Schwan zu der Ehre, Musen - Liebling zu werden? Dafür 
liesse sich nun eine romantische Erklärung geben. Die Musen 
sind ursprünglich nicht Sängerinnen , sondern Nymphen , und 
zwar Najaden. Nun ziert aber der Schwan bekanntlich die 
schönsten Gewässer, und wir mögen uns einen anmuthigen 
Teich ohne diese Bewohner kaum denken. Das wäre also der 
Grund, wesshalb auch in der Germanischen Sage die Walkyren, 
als sie baden wollten, Schwanen -Gefieder angelegt haben: 
denn wie gerne nehmen göttliche Wesen die Gestalt von Vö- 
geln an auch bei Homer! und immer wenn die Erscheinung 
eines Geschöpfes, sei es Mensch oder Thier, wohlthätig oder 
schädlich auf unser Empfinden oder Handeln einwirkt, hat ein 
verwandelter Gott oder Geist in demselben gesteckt. Indessen 



172) Zwar die Naturgeschichte hat in der neueren Zeit auch einen 
eygnu9 musicus benamset, aber der soll ein dunkles Gefieder haben , wäh- 
rend der xvxvoQ der Alten weiss ist, und sein Aufenthalt ist nur der 
äusserste Norden. 



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5. Die Schwäne. 125 

haben wir gesehen^ dass ein ganz prosaischer Grund näher liegt. 
Nämlich aUe die Zauberer Weissager und Hexen sind alters- 
grau und schwanenweisS; und zu denen gehören auch 
die Nymphen^ trozdem dass man sie^ wohl später erst^ zu schö- 
nen Mädchen gemacht hat. Sind aber die Schwäne einmal den 
Nymphen gleich^ so müssen sie natürlich auch singen können^ 
da Weissagen und Singen Eins ist. Wer nun trozdem noch 
geneigt wäre, an der idyllischen Vorstellung von der Begeiste- 
rung der Musen für alles Hohe und Schöne und von dem melan- 
cholisch-sentimentalen Gesang jener Vögel festzuhalten, den 
wollen wir an die vom Kyknos aufgethürmten Todtenschädel 
und an die von den Sirenen gesammelten Knochenhaufen 
erinnern. 



C. Weibliche Elementen- und Wassergeister. 

Die Betrachtung der weiblichen Elementengeister müssten 
wirnothwendigmitder GaoderGaea, Erde,<beginnen, welche 
die älteste Göttin heisst (Soph. Antig. 338) und die Titanen 
aus sich geboren und wieder in sich zurückgenommen und be- 
graben hat , wenn diese Göttin im Cultus von grösserer Be- 
deutung wäre. Allein Alles was davon vorkommt ist theils 
von der Rhea, theils von der Demeter, theils von der Hestia 
auf sie übergetragen, mit denen sie auch die Prädikate (Kinder- 
hegerin TcovQotQotpog, Grüne j^Xitj , Breitbrüstige eVQvaTSgvog) 
die Feste, die Opfer und die Tempel theilt ^^^) . 

Also spricht man auch von geheimen Weihen dieser Göt- 
tin, wie der Demeter, und der Enkel ihres Sohnes Phlyos 
soll dieselben aus Attika nach Messene verpflanzt haben und 



173) Vgl. Paus. 1,31,2. IV, 1,4. 1,22,3. 



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126 C. Weibliche Elementen- und Wassergeister. 

die Demeter und Kora stehen ihr oft zur Seite (Paus. VII, 21, 
4). Sie forderte Keuschheit von ihrer Priesterin gleich der 
Vesta (Paus. VII, 25 , 8) . Sie theilte mit der Themis den Be- 
siz von Orakeln *^^) . In Schwüren pflegte man sie sammt dem 
Helios und dem Himmel als Zeugen anzurufen, und dabei 
schlachtete man dem Helios ein weisses , der Ga ein schwarzes 
Lamm (II. y , 104). Denn sie gehörte zu den Unterirdischen 
weil sie die Todten beherbergt uud erhielt darum auch ihre 
Opfer bei dem Todtenfeste [vexvaia oder yevioia) , 

Aber diese Berücksichtigungen der Ga im Cultus sind von 
keiner Bedeutung : denn die eigentliche Erdengöttin der Hel- 
lenen war die Hera. 

Ausserdem war das Wesen der Naturgöttin unter vielen 
in Grotten, Wäldern, Winden und Gewässern lebende unterge- 
ordnete Göttinnen vertheilt, welche wir jezo betrachten wollen. 

I. Von den Nymphen, Idisen, Nixen und ihren Ver- 
wandlungen in Schwäne, Tauben, Ziegen, Kühe. 

1. Die Nymphen sind immer mit den Satyren zusammen, 
und lieben gleich diesen die Quellen und die Grotten, die 
Wälder und die Wildniss , man könnte daher nicht mit Un- 
recht sagen , sie seien weibliche Satyren Silenen und Ken- 
tauren. Der Begriff vvfKpa aber ist so weit wie der der Idisen 
oder Disen, und bedeutet einfach Frau. Es wird daher nicht 
imgeeignet sein, diesen nordischen Wesen hier eine kurze Be- 
trachtung zu widmen. 

Als Hagen im Nibelungenlied nach einem Fergen sucht 
um über die Donau zu kommen , da hörte er plözlich Wasser 
giessen, und das geschah von weisen Weibern an einem schö- 
nen Brunnen, die sich da ein kühles Bad bereiten wollten. Er 
schlich ihnen leise nach, sie gewahren ihn und entfliehen : doch 



174) Paus. V, 14, 8. Aesch. Euum. z. A. Eur. Iph. T. 1259=1201. 



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I. Von den Nymphen, Idisen, Nixen und ihren Verwandlungen etc. 127 

er zwingt sie Stand zu halten , dadurch dass er ihre Gewän- 
der wegnimmt. Da spricht das eine Meerweib Namens Hade- 
burg: »Edler Ritter Hagen , wir wollen dir sagen wie diese 
Fahrt zu den Hunnen ausgeht, wenn du uns unsere Gewänder 
wiedei^bst. <c Dabei schwebten sie wie Vögel vor ihm auf 
der Fluth, und darum »däuchten ihm ihre Sinne stark und gut«, 
so dass er ihrer Weissagung gerne vertrauen mochte. Nun 
wird ihm von der Hadeburg zuerst Glück verheissen, um die 
Kleider zu bekommen: als sie aber sodann angelegt hatten ihr 
wunderlich Gewand, so gesteht das andere Meerweib, 
Namens Winelind oder auch Sigelind, dass die Prophe- 
zeiung falsch war , und offenbart sodann den Untergang der 
ganzen Schaar bei den Hunnen. Ferner sagt sie ihm, wo er 
den Fergen finden werde und wie er mit ihm verfahren müsse, 
um seinen Zweck zu erreichen. 

An diesen Meer- oder Wasserfrauen ist Vieles merkwür- 
dig. Erstlich dass sie weise Frauen sind, d. h. Alles wissen, 
wahre iai/toveg d. h. Sai^/itovegy aber nicht leicht zu finden 
sind und nicht Rede stehen, man müsste sie denn überraschen 
und zwingen. Zweitens dass sie im Augenblick sich verwan- 
deln, und zwar am liebsten in Vögel. Damithängt es zusammen, 
dass ihre Gewänder, welche sie ablegen können, von wunder- 
barer Beschaffenheit sind. Es werden nämlich wohl Schwanen- 
kleider gewesen sein gleich denen der drei Walkyren , die von 
den drei Elfen Wieland Eigel und Helfrich einst im Badef be- 
lauscht überrascht und ebenfalls der Gewänder beraubt wor- 
den sind. Wer diese Gewänder in Ven^ahrung hatte, der 
konnte damit auch die Schwanen-Jungfrauen festhalten wenig- 
stens eine Reihe von Jahren lang. 

Im Beowulf-Liede erscheinen die Nixen als gefahrliche 
Wesen, werden zum Engenvolk (Riesenvolk) gerechnet und 
von Beowulf öfter als einmal bekämpft und erschlagen. Es 
gibt deren auch männliche (V. 582) , und sie scheinen sich 
kaum von Grendel und seiner Mutter zu unterscheiden. Der 



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128 C. Weibliche Elementen- und Wassergeister. 

verwundete Grendel flieht in das Nixen-Meer : dieselben pfle- 
gen sammt anderen Wurm- und Drachen-Gestalten auf Land- 
zungen zu liegen und zur Zeit der Abenddämmerung Schiffer 
zu verderben. 

Jomandes weiss, dass die hässlichen Hunnen von unreinen 
Geistern fvmmun^ spiritusj mit Alraunen in öden Wüsten er- 
zeugt sind. Er hielt sie also für Kielkröpfe oder Wechselbälge, 
welche bekanntlich noch jezt von Nixen (deren es männliche 
und weibliche gibt) mit Mädchen und Jünglingen , die sie zu 
sich hineinziehen, gezeugt und sodann ehrlichen Leuten, be- 
sonders solchen die lange kinderlos gewesen sind, untergescho- 
ben werden. Dieses Unterschieben von Draken- und Nerei- 
den-Kindern spielt in den neugriechischen Mährchen, die von 
V. Hahn gesammelt hat, eine grosse Rolle, nur dass die Unter- 
geschobnen dort zwar dem Scheine nach, missgestaltig, schmu- 
zig , verachtet sind , aber dem Wesen nach und wenn sie ihre 
Verkleidung ablegen, immer Wunderkinder, als Mädchen 
himmlisch schön (wie das Aschenbrödel) , als Knaben starke, 
Abenteuer-bestehende , Prinzessinnen-erlösende Hansen sind. 
Auch das Entwenden der abgelegten Verkleidung , besonders 
der Flügel , kommt oft vor , dann müssen solche Wesen sich 
bequemen , Hausfrauen zu werden , wie *die schöne Melusine 
und die schöne Magelone , bis sie etwa wieder in Besiz ihrer 
Flügel kommen : denn der Trieb zum Tanzen mit den anderen 
Feen bleibt ihnen unüberwindlich. 

Die Hellenischen Nymphen aber bezeugen erstlich ihre 
Vogelgestalt durch die Flügel, welche ihnen als Musen ge- 
geben werden (Porph. abstin. HI. p. 250) , sodann treten sie 
auch als Sirenen auf, als Hesperiden, als Graeen und Gorgonen, 
als Sphinxe, als Stymphaliden, sogar als Echidna. Da die ihnen 
entsprechenden männlichen Wesen so thier- und missgestaltig 
sind, so wäre es zu verwundem , wenn sie selbst immer nur 
schöne Mädchen wären. Theokrit nennt die Nymphen un- 
heimliche Wesen für die Landleute, indem er erzalt, 



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I« Von den Nymphen , Idisen, Nixen and ihren Verwandlungen etc. 120 

wie sie den schönen Hylas zu sich hineingezogen haben : »loh 
lieb dich^ mich reizt deine schöne Gestalt^ und bist du nicht 
iNrilKg, so brauch ich Gewalt! « 

Wenn femer Nymphen dem Zeus zur Nahrung bald Am- 
brosia , bald Honig y bald Milch reichen ^ so scheint daraus zu 
folgen, dass sie auch als wilde Tauben, als Bienen und als Zie- 
gen erscheinen können. Bienen heissen sie vielleicht nur bild- 
lich , indem diese Thiere wohl zu klein sind , um Dämonen- 
Leiber sein zu können ; indessen kommt es doch vor, dass der- 
gleichen Geister sich auch in Insekten yerwandeln , wie der 
Perikly menos, welchen Herakles erschlug trozdem dass er, einem 
Proteus gleich, sich in Löwe, Schlange und Biene verwandelte 
(ApoUod. I, 9, 9). Eine Ziege aber hat den Zeus, als er ein 
Ideines Kind war , in Kreta gesäugt. Möglicher Weise könn- 
ten auch die Kühe hier eine Bolle spielen , da die Kuhmilch 
von den ältesten Zeiten her die gebrauchteste war. Indessen 
findet. man nicht, dass Nymphen als Kühe gedacht wären, es 
müssten denn die Kühe ; um welche der Herakles so oft mit 
den Sonnen-Dämonen und dem Hades kämpft, ebenfalls für 
Njrmphen zu halten sein; und ditös unter denselben die Feuch- 
tigkeit, welche den Gewächsen Nahrung gibt, gemeint sei, 
ist einleuchtend^ imfl auch die mit der nihrenden Feuchtigkeit 
begabte Erde wird als Kuh dargestellt in der Isis, in der Europa 
und selbst in der Hera. Daraus liesse sichs denn auch erklären, 
warum die Flussgötter immer die Gestalt von Stieren bei den 
Griechen haben und mit Stierköpfen abgebildet werden. 
Wenigstens geschah das nicht wegen ihres Brausens als eines 
Gebrülles, auch nicht wegen ihres krummen Laufes , obgleich 
Hesiod &. 789 einen Flussarm ein Hom nennt, und Euripides 
vom Okean sagt, er umschliesse mit seinen Armen stierhömig 
die Erde *'*) , eher könnte dabei an das Trinkhom der Zecher 
gedacht worden sein, dessen unversiegliches Labsal wenigstens 



175) Orest. 1344 (1376) ravQoxeQOts ayxaXaig iliaaatv x^va, 
Hartunf,Rel. Q. Mfthol. d. Or. II. 9 



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13Q C. Weibl. £lem«nteii- u. WMsais^itt^r. L Von den Nymphen ftc. 

in dem Hom der Anudthea zu ezkenaen iai^^^). Deim niehi 
bloe« die Flüsse sondern auch die Regengötter Oairis^ Api8> 
2iagreu8 und Moloch werden als Stiere dargestdlt, und Zeus 
h^X in Thi«!ge6talt die Europa entföhrt^ und dem Poseidon 
waren die Stiere heilig« wesshalb auch die lyiundschenkknaben 
an seinem Feste su üpb^sos Stiere genannt wurden (Athen. 
X. p. 425c.)« Der Grund aber des Gebrauches der Trinkhömer 
wird der sein« dass tUfag von Tiaf^am (kredemsen) im kommen 
schien« Aber vom Hom sum Stier ist noch ein weiter Weg« 
so dass auch das Trinkhom die Verstierung der höchsten und 
mächtigsten Götter nicht recht erklären kann. Freilieh w^m 
die Erde eine Kuh ist (und sie ist es darum weil Kuh und Erde 
ursprunglich ün Name ist) so muss der sie befiruchtende Mann 
ein Stier sein« scheint es. Wäre das richtig« so müsste auch 
der umgekehrte Fall eintreten können « nämlich dass der Stier 
die Kuh forderte : indess sehen wir den Acheloos als Stier um 
die Dei'aneira freien« welche offenbar von einerlei Art mit ihr 
ist (sonst würde sie sich nicht mit dem Kentauren Nessos mit- 
ten im Wasser begatten) « ohne dass diese die Kuhgestalt an- 
nimmt« wiewohl ihre Mutter Althäa als Amaltheia (denn 
beide sind Eins) im Besise des bekannten Füllhornes ist Der 
wahre Grund der Stietgestaltui^ jener Götter seheint sich also 
für jezt noch unserer Kenntniss zu entziehen. 

1, Die Peleiaden. 

Die Peleiad^ii (llX^iadiS oder il^Aeki^g) kennt man ge- 
wöhnlich nur als Sternbilder. J[)as sind sie sber ursprünglich 
so wenig als der Orion die Kallisto oder irgend ^ne andere 
von den mythologplschen Figuren« welche unter die Sterne ver- 
sezt worden sind. Sie waren Bergnymphen und wohnten auf 
dem Gebirg Kyllene in Arkadien« woselbst auch ihr Va/ter der 



176) Schol. ApolL IV, 282. Athen. XI. p. 476 a: rovg nQtotovg 
Xfy€rai tote x^Qttüi rctfv fioiSv nlvtiv, a<f ov rov Jiovvaov xigaroq-v^ nkuT- 
tiod-at xri. 



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1. Die Peleiaden. 13] 

Adas gelebt hat Darom Tverden sie aueh Sgsitu genaimt ron 
Pindar und Simonides^^^). Sie liebten die Jungfiauschaft 
gleidi der Artemis (die Taygete war , wie wir sehen werden^ 
selbst eine Artemis] ^ pflegten auch in Gesellschaft dieser zu 
jagen ^ und sollen auch Töchter der Amazonen*Königin 
gewesen sein^^^). Da geschah es^ dass der Jäger Orion sieh 
entweder in sie selbst oder in ihre Mutter Pleione yerliebte. 
Sie fliehen vor ihm , und er läuft ihnen nach fiinf Jahre lang, 
bis sie endlich alle miteinander unter die Sterne versezt wer« 
den^^^). Dieser Orion , Sohn des Hyrieus (der freilich audi 
der Sohil einer Pierjade, der Alkyone, genannt wird) in Böotien 
(wo der Flecken Hyria lag) auchKandaon^ der brennende, 
genannt , hat sich uns oben S. 89 bereits als einen Kyklopen- 
artigen Dämon zu erkennen gegeben. Bei Homer treibt er sein 
Handwerk; die Jagd, noch in der Unterwelt fort (Od. X, 572) 
und ist ein wunderschöner Mann, in den sich die Eos verliebt, 
gleich den Riesen Otos und Ephialtes, welche gleich£edl8 
von der Artemis, weil sie ihr Zumuthungen machen, erschossen 
werden*^). 

Die Plejaden aber anlangend, deren Namen bei Pindar 
Simonides, Theokrit u. A. immer neXemitg lautet, so erkannte 
die Dichterin Moero aus Byzanz in diesen Tauben diejenigen 
Nymphen , welche dem Zeus die Ambrosia aus dem Size der 
Seeligen vom Okean hertrugen (Hom. Od. /u, d3. meine 
Elegiker B. U. p. 100). Die Ambrosia dieser Nymphen erinnert 
an das Füllhorn der Amaltheia, wriches dem Herakles in jener 



177) Find. Nem. 11, 17. Simon. Frag. 4a. p. 156 m, Ausg. Diod. 
ni, 60 ixXii&fiaav dk al 'ArXavtidig xal vvfifpai, 

178) Schol. Theokr. XIII, 25. 

179) So erzälten die Kykliker und Pindar Frag. 52. p. 217 m. Ausg. 
Nem. n, 11. Schol. II. 0, 486. Nach Aeschylos aber haben sich die 
Plejaden über die Qualen ihres Vaters Atlas zu Tode betrübt, und sind 
daim unter die Sterne versezt worden. (Schol. II. a, 486 z. £. Athen. 
XI. p. 491 a. 

180) Od. i, 121. l, 310. ApoUod. I, 4, 4. 

9* 



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t32 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. I. Von den Nymphen etc. 

Weltgegend vom Hermes geschenkt worden ist j ingleichen an 
den goldenen Trinkbecher a\if welchem dieser Held den Okean 
beschiffte. Die Ambrosia aber floss daselbst vor dem Schlaf- 
gemache des Zeus und der Hera (Eur. Hipp. 730). Dass übri- 
gens diese Tauben Eins sind mit denjenigen Tauben, welche 
im Haine des Zeus zuDodona weissagten, werden wir gelegent- 
lich zeigen. Wir haben noch zu bemerken, dass eine jede die- 
ser sechs Plejaden die Mutter eines bedeutenden Sohnes ge- 
worden ist; die Maj a des Hermes, die Elektr a des Dardanos, 
die Tay gete des Lakedaemon, die Alkyone des Hyrieus in 
Böotien, dieSterope desOenomaos^ dieKelaeno dfcs Lykos 
und des Nykteus zu Hysiae am Kithaeron, die Merope des 
Glaukos. Diese ihre Namen aber lassen nicht sowohl Grestime 
als Mondgöttinnen in ihnen erkennen, imd sie haben dieselben 
auch mit der Artemis-Hekate gemein. Die Yersezimg imter 
die Sterne ist später geschehen und drückt so wenig ihr als des 
Orions Wesen aus. 

Von den Plejaden werden die Hyaden im Grunde nicht 
verschieden sein. Den Gratien gleiche Frauen (Nv/bi^ 
ipai Kafheaaty 6fio7ai) werden sie von Hesiod genannt, und 
ihr Name Hyaden scheint Ammen des Hyes=Dionysos zu be- 
zeichnen, des stiergestaltigen Gt>tte8, darum sind sie auch als 
Sternbilder in den Kopf des Stieres gesezt worden (Schol. Arat. 
172). Euripides nennt sie Töchter des Erechtheus, also fallen 
sie auch mit den Hyakinthiden zusammen, und darum werden 
wir sie noch einmal zu betrachten haben. 

2. Bienen. Ganymedes« Bleliae« Brisae und Briseis« 

Die Ernährung des Zeus durch Nymphen könnte man so 
deuten, dass die Gewässer Feuchtigkeit ausdünsten, welche 
zum Himmel aufsteigend diesem den Stoff zum Regen leihen, 
und dabei könnte man sich auf die Magie berufen , welche die 
Priester mit dem Wasser der Hagno in Arkadien treiben. 
Allein das Hom des unversieglichen Ueberflusses und der Am- 



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2. Bienen. Oanymedes. Meliae. Brisae und Briseis. 1 33 

brosia-Quell im Lande der Seeligen und die Zutragung der 
Ambrosia durch die Peleiaden fuhren zu einer anderen Deutung ; 
und dazu kommt viertens die Sage vom Ganymedes. Dessen 
Name kommt erstlich von dem Worte yavogj womit das Lab- 
sal und der reine Glanz frischen Quellwassers, sodann auch 
anderer Getränke^ z. B. des Weines und des Honigs, bezeich- 
net wird. Sodann ist es wichtig zu wissen^ dass Pindar diesen 
Ganymedes an die Quellen des Nil, mithin ebenfalls an das 
Ende der Welt, versezt, und mittelst der Bewegung seiner 
Füsse die Ueberschwemmungen dieses Flusses bewirken lässt, 
mithin offenbar ihn zu einem Flussgott macht (Frag. 184. 267. 
p. 156 m. Ausg.). Andere haben ihn nach dem Vorgange 
Homers zu einem Sohn des Trojischen Königs Tros gemacht. 
Homer erzälte nämlich von diesem gottgleichen Jüngling, er 
sei der schönste Mensch in der Welt gewesen, und die Götter 
haben ihn in den Himmel emporgehoben seiner Schönheit 
w^;en, um ihn für sich zum Mundschenk zu haben: zum Er^ 
saz habe sodann Zeus dem Tros die herrlichen Rosse geschenkt 
(n. V, 232. 8, 266). Einem kyklischen Dichter zufolge hat 
Laomedon zum Ersaz für den Ganymedes einen goldenen Wein- 
stock vom Zeus empfimgen (Schol. Eur. Orest. 1377). Auch 
hat man später den Ganymedes vom Adler des Zeus empor- 
fiihren, auch den Zeus selbst in diesen Adler sich verwandeln 
lassen, weil der Ganymedes zu seinem Liebling gemacht wurde. 
Diese Verdrehung der Sage nach der späteren Mode-Krank- 
heit hin kümmert uns hier weniger, als der Umstand, welchen 
wir von Pindar erfahren, dass der Ganymedes einer ewigen 
Jugend sich erfreute (Ol. XI z. E.), womit überein- 
stimmt, dass zu Phliunt eine Ganymeda als Hebe verehrt 
wurde (Paus. H, 13, 3, 4). Minder wichtig ist, dass andere 
den Ganymed vom Tantalos, andere vom Minos rauben liessen, 
imd dass ein Hafen der Entführung in Phrygien war, wo der 
Jüngling, vaxi nicht missbraucht zu werden, sich vom Felsen 
hinabstürzte, worauf es hiess, ein Sturm und eine Wolke hätten 



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134 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. I. Von den Nymphen etc. 

ihn entführt, u. s. w. (Schol. II. v, 234). Dagegen ist der 
Glaube, dass das Sternbild des Wassermanns am Himmel den 
Ganymedes darstelle, der höchsten Beachtung werth: denn 
darinnen liegt die Deutung, dass das Wasserschenken und das 
Weinschenken als Eins gedacht wurde , und dass eben dess- 
wegen die Quellnymphen und die derartigen Junglinge als 
Ammen und als Mundschenken des Zeus und der Grötter gedacht 
wurden, weil sie mit unversieglichem Nass die Erde , die Ge- 
wächse und die Geschöpfe erquicken. Man muss aber darum 
nicht glauben , dass es Wasser war , womit die Nymphen den 
Zeus und die Götter tränkten: die Amalthea, als Ziege, 
gab ihm Milch, andere gaben ihm Honig (das besagt schon der 
Name ihres Vaters Melissen s), ein vom Himmel gefallenes 
Manna nach Aristoteles (bist. anim. V, 22. Plin. H. N. XI, 
12. §. 30), endlich die Peleiaden brachten ihm Ambrosia. Auch 
die Amalthea hatte eine Schwester Namens Biene {MiXiooa] , 
und wiederum lasst man das Zeuskind von wirklichen Bienen 
gefuttert werden (KalHm. Hymn. an Zeus 50) , die auch später 
von Zeus in Vögel verwandelt oder auch bloss mit Erzgold 
überzogen und unempfindlich gegen Frost gemacht wurden 
(Diod. V, 70. Anton. Lib. 19). Das fuhrt uns auf die Nymphen 
Meliae [MeXiai], über welche Schömann ebenfedb eine Ab- 
handlung geschrieben hat, um zu zeigen, dass es wirklich 
Eschen gewesen seien. Aber wie können Eschen solche Dinge 
thun? Hesiod {&. 187) sagt nicht, dass nur eine gewisse Art 
von Nymphen diesen Namen trug, sondern dass die Nymphen 
überhaupt in der Welt so genannt werden, und er lässt diese 
Nymphen aus den Blutstropfen des entmannten Kro- 
nos gleich den Giganten entstehen, welches uns nach 
der gemachten Er&hrung nicht befremden kann. Und Kalli- 
machos nennt die Melien, als Kameradinnen der Kory- 
banten, unter den Wärterinnen des Zeus (Vs. 47) neben der 
Amaltheia und der Panakrischen Biene. Die Melien haben 
ihren Namen ebenfalls vom Honig: denn warum sollte man 



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2. Bienen. Oanymede«. Meliae. Brisae und Brieeit. 135 

nicht fiiXiOS sagen können so gut wie /AtlXiogl So ist auch die 
Meliboa keine Rinderbeeo^rin ^ sondern dne sanft Hel- 
fende, und dieser Name, der so ziemlich mit Melia Eins ist, 
wird eupheBäiscli der Persephone Yom Diditer Lasos aus Her- 
mione gageben, woselbst die Kora besonders verehrt wurde. 
Es gab anch Brisen als Nymphen [Bglaas yvfjupas) in Kreta, 
woselbst die Britomartis verehrt wurde: und ß^ltog be- 
deutete dort so viel wie mild, süss, wie denn auch jene Bri- 
sen den Aristaeos in der Bienenzu(dit unterrichtet hatten ^^^). 
Endlich gab es auch Bienenfrauen [MsXlaaetg vv/tupc^), 
welche ApoUodor (1,1, 6] geradezu an die Stelle der Melien 
als Ammen des Zeus sezt^^^j. Und die Melissa, heisst es, 
war eine Schwester der Amaltheia , von welcher wir nun zu- 
nächst q;>rechen wollen, ihr Vater Melisseus war König in 
Kreta und Beligionsstifter : denn er hat zuerst die Opfer und 
die Processionen und den Cultus eingeführt. So sei auch seine 
Tochter Melissa nicht allein Nahrerin des Zeus mit ihrem Ho- 
nig gewesen, sondern auch Priesterin der grossen Göttin, deren 
Priesterinnen überhaupt Bienen heissen (Lactant. 5, 22). Auch 
bei der Demeter und der Kora und zu Delphi hiessen die Prie- 
sterinnen Bienen , und die Artemis soll selbst diesen Namen 
gefuhrt haben ^^) . 



181) Etym. M. v. BQtaut. Kesych ßQttv» ylvxv. KQrjrfg und ßQiaai 
— vvfAffat, Ganz gewiss hatte die Bris eis, welche auch Hippodamia 
hiess, mithin eine Artemis war, ihren Namen eben daher (Schol. IL «, 392) 
tmd sie ist die eigentliche Gattin des Wasser-D&mons Achilleüs (II. r, 298) . 

182) Schol. Find. Pyth. IV, 104. Hesych v. oQodt/Ltviadeg. 

183) Schol. Theokr. XV, 94. Porphyr, de antro nymph. c. ISxairät 
^ijfirjTQog IfQiiccg , tug rijs x^^^^^^^S (ftäg /Ltvoridttg, fAillaaag ol nalaiol 
ixalovr, tfVT^r re triy KoQfjy fitXiaaeiJfif Ztlipnjv re, olaav yiv4<notg ngo^ 
üTari&afAiXtüottv (xalow. Die Priester der Artemis zu Ephesus hiess iaarip. 
Paus. VIII. 13,1. 



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136 C. Weibl. Eiementen- u. Wawergeigter. I. Von den Nymphen etc. 

S. AmaltheUis Hom. Altbaea« Aminen des Zeus iinil 
des Dionysos. 

Althaeaoder Amalthaia bedeutet Nährerin^"). Die 
Amaltheia^ sagte man, ist eine Nymphe, welche da^ Zeus-Kind 
genährt hat, und weil andrerseits wieder gefabelt worden war, 
eine Ziege (aJI) sei dessen Amme gewesen, so wurde die Amal- 
theia zur Ziege gemacht und mit der A e x vermengt : das war 
um so bequemer , da man nun von dieser Ziege sogleich auch 
das Hom des Ueberflusses nehmen konnte, womit die Amal- 
theia sich auszeichnete^^). Indess war dieses Füllhorn, wel- 
ches die Künstler gerne der Glücksgöttin in die Hand gaben *^ ,. 
und welches dem Wunschhütlein des Fortunatus glich , nach 
andern Aussagen kein Ziegenhom, sondern ein Rindsho^rn» 
Und es stammte auch von keiner Nymphe her, sondern vovt 
Flussgott Acheloos, dem es vom Herakles abgebrochen wurde,, 
als er mit ihm in Gestalt eines Stieres rang wegen der Deja- 
nira*^^). Nun ist aber Acheloos ein allgemeiner Name jede» 
Wassers, und die Stiergestalt eine allgemeine Eigenschaft aller 
Flussgötter : mithin wird auch nicht bloss bei dem einen das 
Füllhorn zu finden gewesen sein. Wenn somit jeder Bach oder 
Fluss ein Hom des Ueberflusses besizt (denn das allein,, 



184) *j4ftaX^ivii t nXrjd-vH, nloviC^H 5 rgicfci, sagt Hesych. Wem» 
man nun glauben wollte, in dem ä/xakd^eveiv den Stamm des Wortes ^AfidX- 
&tta zu haben, so würde man irren : denn jenes ist erst aus diesem gemacht. 
Die richtige Ableitung und Erklärung gibt ohne Zweifel Job. Lydus de mens. 
IV, 48. p. 73 17 Sfia xal äd^göcos xal M XQo^V '"V -^'^ alj^ovaa. aX&iiy 
yäg to ttv^fiv. Das d d&goiarixdv oder auch intensivum, welches dem la- 
teinischen coti entspricht, ist aus Sfia (welches auch afia heissen könnte» 
Ton dfiog = dfiog) entstanden, und kann also sein f* (so wie das privative 
sein V) vor Yocalen beibehalten (vgl. äfia^a oder Sfia^a von aksha — axü, 
itfiaQjfj von aQta^ afjuXXa und o/Liilog von fXr). 

185) ApoUod. I, 1, 7. Eratosth. xataar. 14. Schol. II. 0, 229. 

186) Paus. IV, 30, 6. VI, 25, 4. VU, 26, 8. 

187) Apolld. 11,7,5. SchoLIl. y, 194. 



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3. AmaltheiasHorn. Althaea. Ammen des Zeug igid des Dionysos. 137 

und nichts weiter ist die Anialtheia)^ so ist mit der Mythe, dass 
diese, entweder selbst oder mittelst der Ziege, den Zeus ge- 
säugt habe , gerade eben so Tiel gesagt, wie wenn es heisst, 
die Quellen oder Quellennymphen haben denselben gesäugt 
oder aufgezogen. 

Als Herakles nach Erytheia hinüberschiffen will, um die 
Rinder des Geryoneus zu holen, bekommt er \w)m Helios einen 
goldenen Trinkbecher geschenkt, auf welchem er, wie auf 
einem Kahne, übersezt. Andere dagegen machen den Trink- 
becher zum Amaltheias-Hom und zu einem Geschenke des 
Hermes ^^). 

Betrachten wir jezt die Nymphen, welche den Zeus ge- 
nährt haben. In Arkadien ist ein Berg Lykaeon, auch Olym- 
pus genannt, und heiliger Arkader- Gipfel. Dort ist der 2ieus 
auferzogen worden auf einem Plaze welcher Kretea hiess: 
und die Nymphen, welche ihn nährten, Messen Theisoa (so 
hiess ein Ort im Parrhasierlande) , Neda (ein Bach) und 
H a g n o (eine Quelle am Berg Lykaeon, die Sommers und Win- 
ters sich gleich blieb). Wenn es im Sommer gar nicht regnen 
wollte und alles zu verdorren drohte, so gieng der Priester des 
Zeus Lykaeos zu dieser Quelle hin, und nach Verrichtung ge- 
wisser Gebete und Opfer rührte er mit einem Eichenzweig die 
Oberfläche des Wassers , aus welchem sodann ein Nebel auf- 
stieg. Dann dauerte es nicht lange , so stiegen Wolken auf, 
die sich immer mehr sammelten und verdichteten, bk der 
ganze Himmel überzogen war und ein wohltiiiätiger Regen das 
Land erquickte (Paus. YHI, 38, 4). Auf dem Altar der 
Athene zu Ale a in Arkadien waren abgebildet Bhea und die 
Nymphe Oinoe, das Zeuskind haltend^ und die genannten 
Nymphen und noch andere (Paus. YHI, 47, 3). In Messenien 
war eben&Us ein Bach Neda und dabei ein Berg Ithome, 
Viuc^ dies^hatten gleichfalls das Zeuskind ernährt und im Quell 

1S8) Aesch. Frag. 71. p. 126. Hesyoh. v,l4fiaX&€iag. 



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138 0. Weibl. Elementen- a. Wassergeigter. II. Misagestahete Wesen. 

Klepsydra auf der Biurg gebadet. Und täglich wurde Wal- 
ser aus diesem QueU in den Tempel des Zens Ithomatas ge- 
tmgen *^) . Auch in Naxos, welches Dia hiess, imd auf Kreta, 
ist Zeus geboren (Eratosth. xmr. 30), und der Nymphen wer- 
den noch gar manche genannt, die seine Ammen waren, z. B. 
Helike aus Kreta, die als Bär am Himmel glänzt, Kynosura 
«US Naxos, welche jener die Ehre streitig macht, und die 
Geraestiades in Kreta (Etym. M. p. 227, 39): dann nennt 
Hygin f. 182 noch die Töchter des MelisseusAmaltheia, 
Ida und Adrasteia, womit Apollod. I, 1, 6 und Kalli- 
machos Vs. 17 übereinstimmen. 

So wie aber die Njnnphen den Zeus und den Dionysos ge- 
nährt haben, so nähren sie fortwährend auch alle anderen Kin- 
der, und darum opfert Urnen der Aegisthos bei Euripides 
El. 630 zum Dank dafür fQog>eia Tteiidfav. 

II. Missgestaltete und unheimliche Wesen. 

Die Artemis kann sich in eine unheimliche Hexe und He- 
kate verwandeln, die Demeter zu einer Erinys werden, die 
Athene zu einer Gorgone, die Hulden sind oft nicht von den 
Furien zu unterscheiden, und die Schöne der Welt in den 
Mährchen kann zur Hexe werden , so wie die Hexentänze ur- 
sprünglich nicht von den Feentänzen und ihre Zaubereien 
nicht von denen der Nixen verschieden sind. Das ist nicht 
mehr zu verwundem , als die oft plözlichen Uebergänge der 
lieblichsten Witterung in hässliches Regenwetter imd gräu- 
\ Kche Stürme, das Gefrieren des durchsichtigen Wasserspiegels 
und die Verwandlung der Kegentropfen in Schlössen, oder dass 
9 silberhaariger Frost in den Schooss der Purpurrose föUt, der 
Lenz, der Sommer, der zeitigende Herbst und der zornige 
Winter ihre gewohnte Tracht vertauschen a, welches» Alles ent- 



1S9) Paus. IV, 33, 1. Kallim. Hymn. Zeus 33. 



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1. StymphaHden. ISO 

Steht ^ wie Shaxpeare sagt, aus dem Zank und XJnfirieden der 
Elfen, oder vielmehr aus der Verwandlung der liehlichen We- 
sen in unheimliche. 

Der Eumeniden, der Graeen und der Gorgonen sollen 
drei gewesen sein. Diese dreiheidiche Einheit kommt auch 
bei anderen , mit den Eumeniden Hesperiden und Gorgonen 
Terwandten, Wesen zum Vorschein, die wir im nächsten Para- 
graph betrachten wollen. 

I. (sMyrnphaUden. 

Am See Stymphalos war ein HeiUgthum der »Stympha- 
lischena Artemis, darinnen stand ihr Bild von Holz und 
übergoldet: am Dach waren die Stymphaliden als Vögel 
abgebildet , auch standen Mädchen von .weissem Marmc»: mit 
Vogelbeinen hinter dem Tempel. Diese »menschenfres- 
senden« Vögel sind, wie auch die Amazonen, vom Hera- 
kles erschossen worden, der üe mit Klapperlarm aufecheuchte. 
Sie sind aber auch, hier Terscheucht, auf die Ares -Insel im 
Pontos geflogen, woselbst wiederum die Argonauten mit ihnen 
zu kämpfen hatten , und schössen ihre Federn wie Pfeile auf 
die Angreifenden (Apoll. H, 1055 ff.). Also waren sie, wie die 
Amazonen , zugleich am Ende der Welt und mitten in Grie- 
chenland zu finden. Mnaseas erzHlte, dass sie yon Stymphalos 
und seinem Weibe Henne ('O^wg) stammten, und dass Hera- 
kles sie darum angriff, weil sie es mit d^i Molionen gehalten 
hatten (Schol. Ap. 11, 1652). Der Stymphalos aber ist König 
Ton Arkadien gewesen, und von Pelops, welcher auf ehrlichem 
Wege nieht mit ihm fertig werden konnte, meuchlings ermor- 
det und zerstückelt worden. Diese Unthat wurde durch Hun- 
ger und Misswachs vom Himmel gestraft, und nur das Gebet 
des (Begengottes) Aeakos hat diese schlimmen Folgen wieder 
gut machen können (Paus. HI, 12, 6). Er war selbst ein an- 
derer Pelops gewesen. Endlich nennt ApoUonius die Stym- 
phaliden herumirrende und eisengefiederte, also dass 



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140 C. Weibl. Elementen- u. WftMorgeister. H. Wugestaltete Wesen. 

sie (wie die Schwaneiyungfrauen) zugleich im Wasser und in 
der Luft sich aufhalten konnten. 

2. Die Sirenen und die Sphinx. 

Von der Insel Aea (uicä) aus^ wo die Morgenrödie wohnt 
und die Sonne au%eht und die Kirke ihre Behausung hat, 
kommt OdysseuB zunächst zu der Sirenen-Insel. Dort 
sizen die zwei Sirenen auf einer Wiese^ und um sie herum lie- 
gen Haufen von Knochen verfeulender Menschen, welche 
durch den Zauhergesang dieser Wesen verlockt worden sind. 
Als Odysseus^ angehunden an den Masthaiun, vorbeiTährt, so 
versichern sie ihm, dass jedermann an Kenntnissen bereichert 
werde, der ihren Gesang höre : denn sie wissen alles was auf 
der Erde geschiht ^^®) . In welcher Weise sie den Tod der Unge- 
warnten bewirken, erfahren wir nicht. Nach den angegebenen 
Eigenschaften aber darf man diese Loreley's für Zauberinnen 
halten: denn Alles zu wissen ist Sftche der Zauberer, und ein 
Alles mit unwiderstehlicher Macht anziehender Gesang übt 
diese Wirkung nicht sowohl durch seine ästhetische Schönheit 
als durch seine magische Kraft. Ihr Name kommt von aei^y 
sol, Sonne, und von dem Sonnengott stammen alle Zauberin- 
nen her ^^^). Wir schliessen also daraus , dass die Sirenen ur- 
sprünglich ähnliche Wesen wie die Kirke gewesen sind, welche 
ebenÜEills vom Helios abstammt und noch obendrein vom Ho- 
mer eine gewaltige und singende Göttin genannt wird. 
Eine Zauberin hilft gegen die andere ^^^). Drum hat Alkman 
nicht imrichtig gesagt, die Ohren der Gefährten des Odysseus 
waren von der Kirke selbst mit einer Zaubersalbe bestrichen 



liK)) tSfiBv (T oififa yiyrjviu inl x^v^ novXvßoutQff. Od. fi , 39 ff. 
158 ff. 

191) Suidas aeig angog 6 ^Xtog, »al aiigtos. Hesych. y. oiiqtogi 
h ^l ^Aqxdo/og xov r^Xiov ^fßvxog 6k ndvxa xa aaxga. Bereits Lobeck und 
Döderlein haben an angalvo», irjgaivwy sents und serenus erinnert. 

192) Horax epod. V, 72 Bohttua amhulat venefictte $cisntiori$ carmme. 



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• % Die Sirenen und die Sphinx. 141 

(Frag. 32«bS7 m. Ausg.). Sogar über die Elemente hatten die 
Sirenen Macht, gleich den Telohinen und unseren Hexen wei- 
land , und konnten Sturm machen und die Winde wiederum 
beruhigen (Od. fi, 168 f.). Dies sagt auch Hesiod, der sie, 
wie Homer, auf einer blumigen Insel wohnen lässt ^^). Bei 
späteren Gewährsmännern werden die Sirenen Töchter des 
Acheloos genannt und wird ihnen eine Mischgestalt von 
Weib und Vogel oder Weib und Fisch gegeben. Euri- 
pides erklärt sie für geflügelte Mädchen, Töchter der Erde, 
die Trauerlieder singen : 

»Flügeltragende M&dchen, Jungfirauen, Erdentöchter, ihr 
Sirenen, ach erschienet ihr 
Bei meinem Wehruf mit Schalmeyen 
Oder mit Flöten, Thränen die 

Meinen Schmerz begleiten, Leid zum Leide, Lied zum Liede 

stimmend.« 

Und Sophokles (in der Tragödie Phäaken) nennt sie Töchter 
des Phorkos welche Grablieder singen. In diesem Sinne 
pflegte man sie auf GiUber zu sezen nicht bloss Dichtem , als 
Symbol ihres Gesanges, wie z. B. dem Sophokles, sondern 
auch anderen Personen als Symbole der Klage um die Ver- 
storbenen ^^) . Es war sprichwörtKch , gewinnende Reden 
Sirenen-Reden, und derartige Dichter und Redner Sirenen zu 
nennen ^®*). Demnach wurden die Sirenen auch mit den Mu- 
sen verwechselt (Plato Rep. X. p. 617) , oder sie wurden zu 
Töchtern Ton Musen gemacht, und femer erzäh, dass sie einen 
Wettstreit mit den Musen bestanden haben , in welchem sie 
aber erlagen *^). In anderem Sinne wiederum wurden sie, wie 
gesagt, als Nymphen zu Töchtern des Acheloos gemacht: als 
solche hatten sie mit der Persephone gespielt als sie Blumen 



193) Frag. 197 vijaev ig*Avd^Bfi6taaav Iva atpiai <f<5x€ KQoviav* 
194} ErinnaEpigr. 1. Mnesalkas in Anth. Pal. VII, 491. 

195) Paus. I, 21, 1. Eur. Andrem. 913. 

196) Enttath. Od. /n, 39. Pans. IX, 34, 3. Plat. bei Plut Symp. 
IX, 14. c. 5. 6. 



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142 C. Weibl. Element^i- u. WaMergmter. II. Missgestaltete Wesen 

sammelte, und sodann die Entschwundene gesucht und tun sie 
Klagelieder gesungen ^^^). Zu gleicher Zdit suchte man ihren 
Aufenthalt in der Gegend ron Steilien und Italien herum zu 
fixirto, ohne zu bedenken, dass sie dem Fabellande angeh<»en 
müssen und nicht weit von der HeimatJbL der Eirke entfernt 
wohnen dürfen (Strabol, 2. p. 22). Auch mehrere Namen 
hat man für dieselben erfunden , und ihre Zahl auf drei ange- 
sezt , dann auf viere und noch weiter gemehrt. Endlich ist zu 
erwähnen , dass zu Neapel der Sirene Parthenope Fackellänfe 
gehalten wurden (s. Hermann, Gott. Alt. §. 68, 9). 

Jedermann muss die Aehnlichkeit der Sirenen mit der 
Loreley au£fiEillen, und auch die Nixe in Goethes Ballade »der 
Fischer« hat die grösste Aehnlichkeit mit ihnen. Preller aber 
hat in den Sirenen den »glatten Spiegel des Meeres« gesehen, 
unter welchem sich die Klijqpe oder die Sanddüne, also Schiff- 
bruch und Tod, verbirgt«, und bereits bei den Alten waz eine 
ähnliehe Deutung aufgekommen, und hat verursacht, dass man 
einige nackte Klippen an der Südküste Campaniens Sirenen 
oder Sirenusen nannte , als hätten die Sirenen auf denselben 
gesessen oder sich darein verwandelt: wenigstens von dn» 
dieser Inselchen bei Paestum, welche Leukosia hiess, sagte 
man, sie habe den Namen vcm der Sirene , die sich hier in das 
Meer gestürzt habe und zur Felsenklippe geworden sei, als 
Odysseus oder Orpheus ihren Lockungen getrozt hatte ^^). 
Wohl besseren Grund hätte die Hindeutung auf das Grfähr- 
liehe einer vorwizigen Wissbegierde, und die Homerisdiea 
Sirenen v^arfen offenbar ihren Köder nach dieser Begierde ^^). 
Die Sirenen haben eine Verwandte in der Sphinx, welche 



197) Apoll. Rh. IV, 893 ff. Liban. p. 367, 20. 25. Placid. f. 9. 
Hyginf. 141. 

198) Lyktiph. 723 sammt Tcetces. Strabo IV, 1. p. 252. 

199) Sie sagen: all' oye Tigiyafiivos xflrni xal nX^l^va Mdc, und 
betheuem dabei, dass sie alles auf Erden Wistenswerthe 
kennen. 



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2. Die Sirenen und die l^hinx. 143 

von Sophokfee (Oed. T. 876. 130) ^atp^dog nviov, d. h. ein 
siagendes freches Wesen, genannt wird, deren Räthsel 
die Wißbegierde der Menschen reizt und alle ins Verderben 
stürzt, bis sie endlich im Oedipus^ so wie die Sirenen im Odys* 
seua oder im Orpheus , ihren Meister findet ^^] und sich vom 
Felsen stüraen muss. Diese Sphinx hat aber noch in man- 
cher anderen Hinsicht die grösste AehnUehkeit mit den Sire- 
nen: denn dem Pisander zufolge (Schol. £ur. Phoen. 1760) 
stammt sie aus dem Fabellande am Ende der Welt ^^j, und 
das ist auch ganz richtig; denn in den Thebanischen Sagen 
wiederholt sich Alles , was von den Weltenden Kolchis und 
Erytheia ge&belt wird. Nach Euripides und Sophokles is( sie 
eine Jungfrau, aber geflügelt*^^). NachHesiod ist sie 
gezeugt vom Hund Orthos und der Chimaera, nach Euripides 
(Phoen. 984) von der Erde und der unterirdischen Echidna. 
Mitunter auch wurde sie für eine verwandelte Tochter des 
Kadmos (Schol. Phoen. 45) oder auch des Lahios (Paus. IX, 
26^ 2) gehalten: imd das ist besonders wichtig, weil der Kad- 
mos mitsammt seinem Hause dem Dienst und Mythenkreise 
der Naturgöttin und des Bakchos angehört. Die Sphinx sass 
bei Theben lauernd auf einer Anhöhe : von da flog sie herab 
aiitf ihre Beute, immer Räthsel singend (Paus. IX» 26, 2. 
Phoen. 990 ff.). Dieser Berg hiess Phikion-Berg ^) , und sie 
selbst hiess Phix oder Bix, keineswegs Sphinx: lesteres ist 
eine etymok^giscbe Namensverdrehung, weil man einen Würg«* 
engel aus ihr machen woUte^^). Es gab auch mehr als 6ine 



200) Find. Pyth. XV, 4,nOfSin4ia 9Wf4$tv. Eur. Pho«n. lOOSxcOAA 
vwoQ M> ajtviyfiatüfv, 

201) anh twv iaj^dttjv (üq^v r^; At^ioniag, 

202) Phoen. 48. 968 fti^aQ^^vw ^ai&r ti^ttt, (potriifn nx^f^ohx**' 
Xaialt Äfioaltotg, Soph. Oed. T. 1199 (1145 m. Ausg.). 

203) Hesiod. aün, 33. ApoUod. UI, 5, 8. Lykaph. 1405. 
Schol. Hesych. 

204) Hetiod ^. 326 n <>* «^ ^^* «Ao^^ r/M KjuifiUtH^ir oU&^ov. 
Plat. Kratyl. p. 914 D. Hesych. v. *Piga, ifJyat a<fiyya «nd ßinacn 



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144 C. WeibL ElementeB» u. Wassergeister. II. Missgestaltete Wesen. 

Sphinx y und am Throne des Zeus zu Olympia , wie auch un- 
ter dem Sise der Dioskuren zu Lakedämon , waren mehrere 
Sphinxe abgebildet , imd die zu Olympia hatten noch dazu 
Söhne von^Thebem gepackt (Paus. V, 11, 2. HI, 18, 14). 
Eben so sezt Euripides auf den Schild Achills singende Sphinxe, 
die mit den Krallen ihre Beute gepackt haben. Auch auf dem 
Schilde des Parthenopaeos bei Aeschylos (Sieb. g. Theb. 499) 
befindet sich eine Sphinx, die einen Kadmeischen Mann un- 
ter sich hält. Das Uebrige, was noch von der Sphinx zu sagen 
wäre , werden wir bei der Betrachtung der Frauen des Oedi- 
pus zeigen. 

• 

3. Die iiesperiden und die Graeen. 

Die Hesperiden sind Nymphen, welche im Hyper- 
boreerland oder im Westen, jenseits des Atlas und jenseits des 
Okeanos wohnen imd im Garten des Zeus (Soph. Frag. 298) , 
welcher dort mit seiner Gemahlin seine Hochzeit gefeiert hat, 
die goldenen Aepfel besizen, die von einem Drachen gehütet 
werden. Sie sind Schwestern der Plejaden, wenn der Atlas ihr 
Vater ist, wesshalb sie auch Atlantiden heissen: aber dem 
Hesiod zufolge sind sie von der Nacht, andern zufolge von 
Phorkos \md der Keto oder von Zeus und der Themis u. s. w. 
gezeugt. Die Aepfel waren so gut wie Ambrosia (welche eben- 
daselbst wuchs) : denn die Hera hatte sie dem Zeus zur Hoch- 
zeit geschenkt ^<^) . Euripides (Hipp. 723sa750) singt: »Hier, 
wo die goldene Frucht glänzt, wo das Lied klingt, 
zu den Hesperiden zog' ich, wo der Herrscher des Meeres 
Schifiem die Bahn verschliesst , hin zum heiligen Ziel der 
Welt durch die purpurne See, wo Atlas' Rücken den EUmmel 
trägt, wo Ambrosia rinnend quillt beim Buhbett an dem Saal 



a<fiyy€tg. Schwenk Etym. mythol. Andeutungen findet in (ft^-a<fiy( den 
Finken, p. 61. 

205) Hesiod &. 215. Eratosth. Katast. 3. Pherekydes bei 
A|»oHod. II, 5, 11. und Sohol. Ap. IV, 1396. 



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3. Die Hesperiden und die Graeen. 145 

des Zeus , segenspendend das seeige Land Fülle des Glücks 
stets den Himmlischen spriessen lässt. « Ueberall wird diesen 
Nymphen ein heller schöner Gesang beigelegt ^^^) . Dabei sind 
sie nicht so schlimm wie die Sirenen und bei weitem nicht so 
abscheulich wie die Sphinx; aber sie haben dafür einen ge- 
fährlichen Drachen neben sich liegen-> der aus seinen hun- 
dert Köpfen ebenfalls mancherlei vielstimmige Töne hervor- 
bringt^^). Die Dichter unterscheiden die Gorgonen von den 
Graeen, im Grunde können aber die beiderseitigen Wesen 
nicht völlig von einander verschieden gewesen sein. Aeschylus 
(in seiner Tragödie OoQxldeg) machte die Graeen zur Vorhut 
der Gorgonen, und Hess also den Perseus erst zu jenen, den 
Phorkiden, gelangen. Denen nahm Perseus ihr einziges Auge 
und warf es in den Tritonsee, damit sie ihm nicht mehr hinder- 
lich sein konnten in der Bekämpfung der Gorgonen : dann erst 
zog er gegen die lezteren ^o^) . Auch im Prometheus gelangt 
die lo erst zu den Phorkiden hinter dem östlichen Meer , und 
dann zu den Gorgonen. Wir werden schwerlich irren , wenn 
wir in diesen zwei Arten von Nymphen (denn dafür müssen 
wir sie erkennen schon zufolge der Analogie mit den vorher 
betrachteten Wesen) einen gewissen Zustand der Elemente, 
wie man sich am Ende der Welt ihn dachte , ausgeprägt fin- 
den. Man dachte sich dort Finstemiss und Frost Dass die 
versteinernden Gorgonen den Frost bedeuten, haben wir schon 
früher bemerkt : die einäugigen und oben darein dieses ^inen 
Auges beraubten Graeen werden die Finstemiss oder die dicke 
nebelige Luft darstellen. Dir Name rqaifXL bezeichnet alte 
Frauen. Diese Eigenschaft haben sie mit den Seegreisen 
Nereus und Proteus gemein, welche ebenfalls schlechtweg die 



206) Sie werden Xtyv(fa}Voi, v^v^cFo/, aoiöol, iqlfiiQoy atCdovaai ge- 
nannt: Hesiod d-, 518. Apoll. IV, 399. Eur. ras. Herakl. 392. 

207) /(>/?T0 (fcjvtttg navxolatg xal noixCkttis (ApoUod. II, 5, 11) gleich 
den Gorgonen, nach der Schilderung Pindars Pyth. XII, 35. 

208) Eratosth. Katast. 22. Sohol. Pind. Nem. X, 6). 

H artung, Bei. u. Mythol. d. Gr. 11. 10 



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146 C. Weibl. Wasier- u. Elementengeister. II. Missgestaltete Wesen. 

Alten genannt werden fHesiod &• 234) : und der Name ihres 
Vaters bezeichnet das Nämliche. Dieser Phorkys femer ist 
sogar Eins mit dem grauen Kyknos , dem Phineus , dem Pro- 
teus und dem Nereus, welcher leztere auchPorkos heisst, 
und wird ebenfalls mitunter Seegreis {SXiog yegiov) genannt. 
Zufolge dieser Abstammung also geben sich die Graeen als 
See-Nixen zu erkennen. Dieselben werden femer als schwa- 
nenweiss und schwanen gestaltig beschrieben, welcher 
Eigenschaft wegen wir auf das oben Gesagte verweisen. Sie 
haben auch bloss einen Zahn, so wie sie ein einziges Auge ha- 
ben, un<l werden weder von der Sonne noch von dem 
Monde beschienen (Prometh. 785 ff.), was zur Bestäti- 
gung unserer obigen Deutung dient. 

Wenn die genannten Seegreise alle durch die Gabe der 
Weissagung sich auszeichnen, aber immer zur Mittheilung 
ihrer Kunde durch Gewalt müssen gezwungen werden: so sind 
auch die Graeen dieser Gabe nicht baar; wenigstens geben sie 
dem Perseus den Weg und die Mittel an, zu den Gorgonen zu 
gelangen, und leisten ihm den nämlichen Dienst, welchen 
Phineus den Argonauten und Proteus dem Odysseus leistet. 
Zum Lohn dafür werden sie vom Perseus um ihr Auge betro- 
gen, also völlig blind gemacht. Perseus hat das nämliche Uebel 
auch dem Phineus angethan, während andere diese Blendung 
durch den Helios geschehen lassen. 

Hesiod kennt bloss zwei Graeen , die von Geburt grau, 
aber doch schönwangig sind, die Pephredo und die safran- 
gewandige Enyo (Hes. ^. 271). Andere fügen noch einen 
dritten Namen, Deino, hinzu. Heraklit (de incred. 13) nennt 
statt der Deino die Per so, und lässt von den Gorgonen die 
goldenen Aepfel bewacht werden. Sowohl hierdurch als auch 
durch die schon erwähnten musikalischen Eigenschaften fallen 
diese, ebenfalls am Ende der Welt befindlichen, Wesen mit 
den Hesperiden zusammen. Zwar ist es eine Gorgone, die 
Euryale, von welcher Pindar a. O. erzählt, dass*nach ihrer 



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4. Gorgonen, Medusa und Aex. 147 

Köpfung eine wimmernde Klage aus ihrem Munde schleifend 
entquoll , was der Pallas zur Erfindung der sogenannten viel- 
köpfigen Tonart Anlass gegeben habe : allein die Einheit der 
Phorkiden mit den Gorgonen erkennt man auch aus den oben 
angeführten Namen TleipQr^diü, ^Ewco und Jeivai^^^), welche 
zugleich Prädikate der als Bellona {^Ewiu) verehrten Natur- 
göttin sind. 

4. Gorgonen 9 Medusa und Aex« 

Auf der Aegis der Pallas Athene liegen ringsum lauter 
Schrecknisse, und darunter befindet sich auch ein Goi*go- 
kopf ^*®). Hektor in seiner Furchtbarkeit hat einen Gorgonen- 
blick (roQyovg üfj^mza, IL ;>, 349); den Odysseus im Hades, 
als sich die Geister alle zudrängen , fasst bleiche Furcht , dass 
die Persephone die Gorgo sende ^**). Man siht hieraus, dass 
die Gorgo im Wesen theils wie der Pavar Pallorque {Jtl^iog 
0üßog ze], theils wie die Aex oder Aegis ist. Euripides (Ion 
859) bringt sie mit der Tollwuth in Verbindung , dass beide 
den Herakles rasend machen ^^^j . Aus einem blossen Gesichte 
besteht dieser Popanz. Daraus hat man später einen abge- 
schnittenen Kopf gemacht , und Perseus musste ihn absehnei- 
den. Homer kennt erst blos 6ine Gorgo, und sie kann überall 
vorkommen. Später sind deren drei geworden, und dieselben 



209) JI((fQf}ä(ü mag mit frigerB — ^lyklv — nit^Qixa zusammen- 
hängen, *Evv(o mit tvoaig Erschütterung, Juvto ist die Furchtbare. 
^10) II. f , 740 : 

fv öi ti FoQyitr] xfqaXij iJfiroio neXtoQOV 
dtivrj T( a^iQdvri te, j^iog ligag atyio^oio. 
Eben das ist auch auf dem Schilde des Agamemnon zu finden [IL X, 36) : 
Tj ö* fnl ^iv FoQyü) ßkoavQwnig taxtqdvojro 
dti%'ov JfQXOfiivrj, TiiQl Jl Jilfiog t€ *P6ßog t€, 

211) Od. A, 633: 

firj fxoi roQytifjy xitfttXriv Jdvoio nfXfüQOV 
ii\4'i6og Ttifiilßinv ayavri ITfQanfovtia. 

212) NvxTog FoQytay ixatoyxftftiXoig oqioiv tax^jf^aai ^4vaöa ^agfiaQ^ 
nnog. 

10* 



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148 C. Weibl. Wasser- u. Elementengeister. II. Missgestaltete Wesen. 

haben ihren Plaz am Ende der Welt und im Hades (Hesiod 
^. 274 ff.). Die Medusa ist aber noch bei Hesiod keineswegs 
so hässlich, wie z. B. Aeschylus (Prom. 793=801) und ApoUod. 
(H, 3, 4) sie und ihre Schwestern erscheinen lassen : denn es 
heissl^ sie habe sogar mit der Pallas um die Schönheitsich 
gestritten ^^^), und Hesiod lässt sie dem dunkelhaarigen Po- 
seidon beiwohnen auf einer weichen Wiese und Frühlings- 
blumen (vgl. Lact. Placid. f. 20). Dieser Dichter macht die 
Gorgonen sammt den Graeen zu Töchtern des Phorkys und der 
Keto (KrjTw). Bei Euripides (Ion 982—1008) wird dieGorgo 
von keinem Perseus, sondern von der Göttin Pallas, welche 
Gorgonenblick [roQywTtig] heisst und die Gorgo be- 
ständig auf ihrem Schilde führt, und zwar in der Gi- 
gantenschlacht getödtet, und die Goi^o ist dort eine Erden- 
geburt : indess folgt Euripides anden;\'ärts wieder der gewöhn- 
lichen Sage (Elekt. 459) . Die Athene heisst daher auch Gorgo- 
tödterin (Fopyoqpoi/ij), woraus man eine Tochter des Perseus 
gemacht hat, deren Grab zu Argos auf dem Markte neben dem 
des Gorgonenkopfes zu sehen war. Die Athene besizt auch 
dieAegis, ein ähnliches Wesen, bei dessen Schwingung Bangig- 
keit über die Menschen kommt ^*^) . Die Aegis (aiylg) nämlich 
ist eine Windsbraut , auch wohl ein Meeressturm. Eustathius 
(H. XV, 318) nennt sie eine furchtbare Liifterschütterung 
{(poßsQotv Tiva TclvfjOiv aiQog) . Der Name kommt von ätoaa) 
und bezeichnet einfach eine Erschütterung 2**) . Es erklärt sich 
leicht, wie Eratosthenes {xat. 13) von ihr erzalen kann ^^ sie 
habe den Göttern selbst dermassen furchtbar geschienen , dass 
sie verlangten, die Erde solle dieselbe in einer Höhle auf Kreta 
verstecken. Aus der Vermengung dieser Aegis mit der Ziege 



213) Schol. Pind.P. XII, 24. Apollod. n, 4, 3. Schol. Lyk.838. 

214) II. <f, 167 intaatinr iQtfiyrjy aly(6a näatv. II. o, 310. (f , 401, 
besonders ^ 741. Biesych. s&gi ToQyovif, aiyl^ig* olil tu Inl rtiv 
uly(6iov TiQoOtoTia, 

215) Vgl. Aesch. Choeph. 584 = 567 ärefioevta ttiy(öoQ xorov. 



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4. Gorgonen, Medusa und Aex. 149 

ai§, die den Zeus gesäugt hat, ist ein etjinologisches Mähr- 
chen entstanden. Als Zeus mit den Giganten kämpfen wollte, 
wurde ihm prophezeit, dass er mit dem Fell der Aex sich wafF- 
nen sollte (Eratosth. a. O.): dasselbe sei unverwundbar imd 
furchtbar, und habe mitten auf dem Rücken ein Gorgo- 
ge sieht. Da nun die Aegis eine physische Erscheinung ist, 
so wird wohl auch die Gorgo ursprünglich etwas Derartiges 
gewesen sein. Nun nennt Hesych die Gorgonen Okeaniden 
und Sophokles nennt sie Meerfrauen 2*^) imd Hesiod macht sie 
zu Töchtern der Keto , wobei wir uns erinnern können , dass 
»Perseus auf demselben Wege , wo er die Medusa tödtet , auch 
ein Seeungeheuer erlegt , indem er die Andromeda befreit. 

Wenn etwas zu Eis gefriert , so pflegt die mythologische 
Sprache zu sagen , es sei versteinert worden. Die Gorgonen, 
am Ende der Welt wohnend , wo die Vegetation aufhört , und 
alles in ewigem Eise erstarrt liegt, sind die Erstarrung und Ge- 
frierung in der physischen Welt, und das haarsträubende Ent- 
sezen und Schreckens -Erstarren in der Menschen -Empfin- 
dung 2i7). 

Der Name der drei Gorgonen Medusa, Stheino und 
Euryale, sind von keiner Aufschluss gebenden Bedeutung. 
Zu erwähnen ist nur noch ihr Aufenthalt am äussersten Ende 
der Welt und hinter dem Okean entweder im Süden und am 
Tritonsee oder hinter den östlichen Aethiopen , woselbst der 
König Kepheus herrscht , oder im Westen nahe bei Tartessos, 
oder endlich im Norden bei den Hyperboreern. 

Berücksichtigung verdient noch die mehrfache Berührung, 
in welche die Göttin Athene mit den Gorgonen kommt. Zu 
Pallene war ein Holzbild der Athene welches, wenn es von 
den Priestern aus dem sonst verschlossenen Tempel heraus- 
getragen wurde , nicht bloss den Menschen verderblich war. 



216) Hesych: ro^'dStüy, aXtdStov ' ^lai^dlt^ ^offoxXtjg, 

217) yooyü} ist Horror und formido, vielleicht auch mit uo()fi(6 Eins. 



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150 C. Weibl. Walser- u. Elementengeister. IL Missgestaltete Wesen. 

sondern auch die Bäume unfruchtbar machte und bewirkte, 
dass die Früchte abfielen, weshalb jedermann sich von ihm 
abwandte (Plut Arat. 32). Und auf der kleinen Insel Kerne 
bei Afrika wurde die Athene selbst Gorgo genannt, sagt Pa- 
laephatos c. 32. Diese Angabe mag genommen sein woher sie 
will , so eigiebt sich eine gewisse Einheit der Gorgo mit der 
Athene schon daraus , dass es heisst , die Gorgo habe mit der 
Athene [ro^ywjiig) um die Schönheit sich gestritten. Aber 
freilich ist die Gorgo nicht die ganze Pallas - Athene , sondern 
bloss ein Theil ihres Wesens. Als die furchtbare Jungfrau, die 
Kriegerin, aus dem Haupt ihres Vaters in voller Rüstung her- 
vorsprang und sogleich einen Waffen tanz begann, da zitter- 
ten Himmel und Erde, das Meer schwoll auf in dunklen 
Wogen und die Sonne stand still, bis die Jungfrau die Waffen 
von ihren Schultern legte und ruhig wurde (Pind. Ol. VH, 
64 — 6S; . Damit ist deutlich gesagt, was die Pallas als Goi^o 
bedeute, nämlich Sturm und Graus der AVitterung, und darum 
hat die Göttin diese Eigenschaft, wie auch alle anderen, mit 
ihrem Vater dem Zeus gemein , welcher den Aether und die 
Wittei-ung vorstellt : denn auch dieser führt die Aegis sammt 
der Gorgo,, und wenn er diesen Schild schwingt, so kommt 
Furcht imd Entsezen über die Menschen , und es ist das ein 
Graus und Aufruhr der Elemente als sollte die Welt unter- 
gehen (IL <J^167. 0, 310). 

5. Die liarpyieii und die zusamiueiistossenden Felsen« 

An die Aex reihen wir am ungezwungendsten die H a r - 
p yi e n , deren Name besagt, dass sie reissende Winde seien ^*^). 
Man muss hierbei an unsere Hexen denken , welche das gräu- 
lichste Unwetter , Sturm , Regen und Schneegestöber machen, 
und doch dabei eigentlich nicht von den Feen sich unterschei- 



219) Hesych: \4Qnv(ag aQitaxTixovgf xvV€ig' a^nvini ai rtSv «y^- 
fifür avatQoqaif &vtkX(a. 



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5. Die Harpyien und die zusammenstossenden Felsen. 151 

den^ denn der Name Hagazusa bezeichnet bloss ein wildes 
Waldweib. 

Dem Homer (Od. v, 63 u. 77) sind Sturm und Harpyien 
ziemlich gleichbedeutende Worte , doch erscheinen die lezte- 
ren bereits als persönliche Wesen , von welchen Menschen oft 
plözUch hinweggeraflFt werden, wer weiss wohin (Od. a, 291. 
^y 37 Ij. Achills Kosse hat der Zephyros mit der Harpyie 
P od arge erzeugt, welche auf einer Wiese am Okeanstrom 
weidete, mithin wohl ebenfalls ein Ross war. Bei Hesiod zeugt 
der Thaumas mit der Elektra die schnelle Iris und die schön- 
haarigen Harpyien Sturm und Schnellflug [jieXXio und 
^ßxv7TiTrj)y welche mit den Winden fliegen. Bei Aeschylus, 
wo sie bereits auch das Mahl des Phineus rauben, sind sie 
schon hässliche Wesen. Die Späteren konnten kein Maass fin- 
den in der Ausmahlung ihrer Hässlichkeit, und zulezt mussten 
sie auch noch Gestank hinterlassen für das, was sie weggerafft 
und gefressen hatten, was gar nicht zu ihrer ursprünglichen 
Bedeutung passt. 

Den Harpyien war es beschieden , durch die Boreassöhne 
Zrjfcrig (von ^£co) und KaXaig (von xaicc>) umzukommen : den 
Boreassöhnen aber war es bestimmt zu sterben, wenn sie jene 
nicht einholen würden. Mit diesem Ausgange bringt die Sagen- 
dichtung die Namen der Wende-Inseln [SjQoqxideg im Ioni- 
schen Meer) und des Baches Harpys im Peloponnes in Ver- 
bindung, welche etymologischen Mährchen uns hier weiter 
nicht interessiren. Besser war es , dass die Harpyien eine Zu- 
flucht fanden in einer Höhle auf Kreta unter der Höhe Argi- 
kus, woselbst sie fortdauern konnten (Schol. Ap. II, 299). 

Von diesen Harpyien sind die unstäten Felsen 
{niayxTal oder Svf.i7ikr]ydöeg oder Kväveai) nicht sehr ver- 
schieden. Denn dass sie Felsen genannt wurden, das geschah 
nrsprünglich bloss bildlich , um die Gewalt und Prallheit im 
Sturme zusammenstossender Winde zu bezeichnen, welche 
zermalmen und zerschmettern was ihnen begegnet. Dass sie 



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152 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. II. Missgestaltete Wesen. 

das sind, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man 
ihre Schilderung bei Homer (f«, 73 ff.) und Pindar (Pyth. IV, 
344) liest. Dieser nennt sie lebendige Wände, die rascher ge- 
gen einander rollen als Winde im heulenden Sturme her- 
stürzen. Jener sagt, dass eine schwarze Wolke {Kvav^tj ve- 
tpiXri , woher der Name Kvaveai) auf ihnen lagere imd ihr 
Gipfel nie von heiterer Luft umgeben sei weder im Sommer 
noch im Winter. 

6. Die Siyx und der Acheron. 

Bei Nonakris in Arkadien war eine ausserordentlich hohe 
Felswand , von welcher ein Wasser träufelte , das durch den 
Felsen , auf welchen es fiel , hindurchdringend in den Bach 
Krathis hinabsickerte und tödtlich war für Menschen und 
Thiere, und alle Gef ässe, sie mochten von Glas oder Stein oder 
Thon sein, zersprengte, Bein, Hom, Eisen, Blei, Zinn, Silber, 
ja sogar Gold mit Rost überzog : bloss der Pferdehxif wider- 
stand ihm. Dieses Wasser hiess Styx, d. h., wie Hesiod 
selbst deutet, die verhasste ((JtrytßiJ) , Paus. VHI, 17, 6. 
18,4. Wie viel an dieser Beschreibung thatsächlich gegrün- 
det, wie viel ersonnen oder ungeprüft vom Aberglauben fort- 
gepflanzt war , lässt sich nicht bestimmen : aber der Umstand, 
dass gerade der Pferdefuss stärker als das Gift dieses Wassers 
gewesen sein soll, der Pferdehuf welcher den Rossquell auf 
dem Helikon und die Peirene auf der Burg zu Korinth aus 
dem Boden hervorgeschlagen hat, macht es wahrscheinlich, 
dass so viel wie gar nichts daran gegründet war ^*^) . Uebrigens 
war diese Quelle eine Wiederholung derjenigen , welche an 
den Grenzen der Welt und des Tartaros sich befand , da wo 
auch die Nacht der Schlaf und der Tod und die Behausung 



219) Heutiges Tages heisst der Quell bei den Einwohnern Schwarz- 
Wasser, Mavroneri, und man weiss so wenig von dessen Schädlichkeit, 
dass man glaubt , ein Trunk daraus an einem bestimmten Tag des Jahres 
mache unsterblich (Bergk Jahrb. Phil. Päd. 81 u. 82, 6. p. 405). 



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6. Die Styx und der Acheron. 153 

des Hades war, und welche vom Hesiod also beschrieben wird 
(•^. 775): »Dort wohnt die den Göttern verhasste Göttin, 
schreckliche Styx , älteste Tochter des in sich zuriickströmen- 
den Okeans. Fem von den Göttern hat sie ihre Behausimg in 
hoher Felsengrotte, die rings mit silbernen Säulen in den Him- 
mel hinaufreicht. Nur selten wandert dorthin die Thaumas- 
Tochter Iris über den weiten Rücken des Meeres , wenn ein 
Streit unter den Göttern ist (der nur durch einen Schwur ge- 
schlichtet werden kann) und Einer unter ihnen falsch schwört. 
Die Iris wird nämlich hingeschickt um das mächtige Schwur- 
Wasser in einer goldenen Kanne zu holen da wo es kalt vom 
himmelhohen Felsen herunter träufelt. Ein Hom oder Arm 
des Okeanos nämlich fliesst weit unter der Erde weg durch 
dunkle Nacht und spaltet sich in zehn Theile, deren neun, um 
die Erde und den bneiten Rücken des Meeres herum in silber- 
nen Wirbeln geschlungen, in die See münden, der zehnte aber 
aus dem Felsen hervorrinnt als gewaltige Strafe für Götter, 
wenn sie einen Meineid schwören. Denn wer das thut , der 
muss ein ganzes Jahr lang sprach- und athemlos im Kranken- 
bette liegen in todenähnlichem Schlummer , ohne Genuss von 
Nektar und Ambrosia. Und wenn er dieses Krankheitsjahr 
überstanden hat, dann kommt erst noch die härteste Pein: 
denn er muss neun Jahre lang verbannt leben , ausgeschlossen 
von Tisch und Umgang mit den Göttern, und erst im zehnten 
Jahr ist seine Strafe überstanden , so dass er wieder zu den 
Himmlischen kommen darf.« 

Bei Homer schwören die Götter bei der Erde, beim Him- 
mel und bei dem her ab trau fe luden Wasser der Styx, wel- 
ches leztere der gewaltigste Eid ist, aber nicht herbeigeholt zu 
werden braucht aus dem Hades, woselbst es rinnt ^. Und 
nicht bloss ein Quell ist die Styx, sondern ein tiefer Bach oder 
Strom , von welchem sogar der Acheron-See nur ein Trumm 



220) IL 1,271. 0, 37. ^,369. 



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154 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. II. Missgestaltete Wesen. 

{d/co^Qfü^ ist: ein Fels steht daneben, bei welchem die zwei 
Bäche Kokytos und Pyriphlegethon zusanunenfliessen , welche 
sodann in den Acheron sich ergiessen. Dass die Stjx von 
diesem Felsen herab riime, ist wahrscheinlich^^] . Hesiod, um 
wieder zu diesem zurückzukehren, macht die Styx zu einer 
Göttin, wie schon gesagt, zur ältesten Okeanide, und gibt 
ihr auch einen Gatten und Kinder , sie soll nämlich mit dem 
Pallas den Eifer und den Sieg, die Kraft und die Gewalt 
{Zijlog, Nixtj, Kfärog, Bia) gezeugt haben : &. 382. Mit die- 
sen Kindern hat sie dem Zeus im Titanen-Kampf beigestanden, 
und dafür die Ehre bekommen , ein so gewaltiger Eid für die 
Götter zu sein. Aber ein Dichter hatte auch gesungen , dass 
die Styx in dieser Schlacht gefallen sei [Athenag. TtQaaß. p. 24} . 
Dem Hesiod ist Epimenides aus Kreta gefolgt , indem er die 
Okeanide Styx von einem gewissen P e i r^ s die E c h i d n a ge- 
bären Hess. 

Von dieser Styx werden sich die Arkader ihren Quell bei 
Nonakris entsprungen gedacht haben , gleichwie man auch in 
Thessalien einen Bach Titaresios aus dem Styx in der Unter- 
welt entsprungen glaubte wegen der seltsamen Natur seines 
Wassers , welches wie Oel auf dem Wasser des Peneios hin- 
schwamm da wo jener Bach in denselben hineinmündete (II. 
^, 755). Von jenem Styx in Arkadien aber gab es eine Sage, 
dass die Demeter, als sie die Pferdegestalt hatte, das Wasser 
verwünscht und schwarz gemacht hatte [Ptolemäos p. 186, 
7 bei Westermann) also dass doch wieder ein Pferd bei der 
Erschaffung der Quelle thätig gewesen ist. Dass nun die ober- 
irdischen Wasser, welche den Namen Styx führten, von %vider- 
wärtiger und vielleicht auch schädlicher Natur waren, kann 
man immerhin annehmen; doch wird damit die Erdichtung 
jenes unterirdischen Gewässers keineswegs erklärt, am wenig- 



221) II. ^, 369. Od. X, 514. Andere deuten die Stelle anders, indem 
sie OS auf den Kokytos beziehen, z. B. Bergk a. a. O. p. 400. 



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6. Die Styx und der Acberon. 155 

8ten.8eine Macht als Eidessymbol. An den Kindern welche 
Hesiod der Styx zutheilt erkennt man , welche Kraft er ihr zu- 
schreibt : dasselbe entnimmt man auch aus den Eigenschaften 
welche dem gleichnamigen Wasser bei Nonakris zugetraut 
wurden , dass es stärker sei als Stein und Bein und alle Me- 
talle zerfresse. Das Wasser an sich wird schwerlich so Grosses 
wirken, sondern die ihm innewohnende magische Kraft. Wenn 
der Kastalische Quell (dessen Eigenschaft in seinem Namen 
ausgedrückt ist) solche Kraft der Beinigimg und Heiligung 
hat, dass er seinen Nymphen die Gabe des Dichtens imd Weis- 
sagens verleiht, so ist es kein Wunder wenn ein schwarzer 
HöUenflus^ tödtlich wirkt und selbst Götter, da er sie doch nicht 
tödten kann, jahielang erkranken macht. Auch die Hölle und 
das Elysium müssen ihre Bäche und Teiche haben , so gut wie 
die Erde, und mithin auch ihre Nymphen und Flussgötter. 
Zu den ersteren gehört ausser der Styx auch die Lethe und 
der Acheron. Die erstere wird nicht früher als bei Plato 
(llep. X. p. 621 C.) erwähnt, imd sie hatte ebenfalls ein 
Ebenbild auf der Oberwelt bei dem Todtenorakel des Tro- 
phonios in Lebadeia, wo der Bach Herkyna zwei Quellen 
Vergessen und Erinnerung {udr]&t]g und Mvr.ixr^g) hatte 
(Paus. IX, 39, 4) . Den Acheron haben wir bereits oben als einen 
durch die Styx gebildeten See nach Homer (Od. x, 513) ken- 
nen gelernt sammt dem Feuerbrand (IIvQifpleye^wv) und 
dem Wehklagen [Kiüxvvos] , welche in ihn einmünden. Die 
Namen dieser bezeichnen deutlich auch ihr Wesen: der Ache- 
ron wird wohl mit dem Bach Acheloos eines Stammes sein ^ , 
und dieser Stamm ist in aqtia — ahvaj aclie zu finden. Was bei 
der Erde der Okeanos ist , dasselbe ist bei den Späteren im 
Hades der Acheron, nämlich die äussersite Umgrenzung, wess- 
halb die Seelen in Charons-Nachen hinüberschiffen müssen, 

222; Vgl. Th. I. p. 155. ^^/(QtoCg die Pappel rechne ich eben dahin, 
weil dieser Baum das Wasser liebt. Die lt4xriQto aber bei Hesych hat schwer- 
lich etwas mit dem Acheron gemein. 



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156 C. "Weibl. Elementen- u. "Wassergeister, in. Die dreiheitl. Oöttinn. 

während dem Homer (IL d-, 369) die Styx dieser Grenzfluss zu 
sein scheint. Desshalb pflegen beide, die Styx sowohl als auch 
der Acheron, für den Hades selbst einzutreten. Auch der 
Acheron hatte seinen Namen mehr als ^inem Wasser der Ober- 
welt geliehen , welches aus ihm zu entspringen schien , z. B. 
einem Bach und Teich bei Dodona, woselbst auch ein Kokytös 
floss (Paus. I, 17, 5), und einem Bach in Bithynien bei Hera- 
kleia, neben welchem eine tiefe mephi tische Höhle , ein Ein- 
gang in den Hades, war (Apollon. II, 729. Xenoph. Anab. 
V., 10,2). 

Ganz anderer Natur sind die Gewässer im Elysium. Denn 
erstlich befindet sich dort der Quell der Ambrosia (Eur. Hipp. 
757), die eigentlich mit dem Nektar Eins war (s. Bergk. a- a. 
O. p. 379). Zweitens wird dieser Götter -Aufenthalt eben so 
von dem Okean, wie die Menschen- Wohnung , die Erde, um- 
strömt: denn derselbe bildet die Grenze zwischen beiden: 
drum wächst an seinen Ufern auch die Ambrosia^). Und der 
Okean ist der Ursprung aller erquicklichen Quellen der Erde 
Eur.^Hipp. 119. II. (p , 196). 

III. Die dreiheitlichen Göttinnen. 

Die Griechische Mythologie kennt eine Anzahl dreiheit- 
licher weiblicher Wesen , welche alle unter sich verwandt zu 
sein scheinen, gtf) weit sie auch in ihren Erscheinungen hie und 
da aus einander gehen, und alle mit einander das gemein haben 
dass sie zugleich physische und geistige Zustände repräsentiren. 
In jeder Entwickelung physischer Dinge kann man drei Sta- 
dien unterscheiden, einen Anfang einen Höhepunkt und einen 
Schluss : und die geistigen Dinge sind den physischen analog. 
Man kann diesen Entwickelungsgang auch einem Kreislaufe 
vergleichen: und darum erscheinen diese Göttinnen nicht allein 



223) Od. ^, 63. Moiro bei Athen. XL p. 490, 5. 



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III. Die dreiheitlichen Göttinnen. t57 

in der Dreizahl sondern sind auch grossentheils in einem Rund- 
tanze begriffen. Es gehören hieher ausser den Moiren , Keren 
und Erinyen noch die Hören, die Chariten (Gratien) und auch 
die Musen. Von den Grratien , den Parzen , den Erinyen , den 
Musen hat man die Vorstellung, dass sie von Haus her geistige 
Begriffe und moralische Zustande darstellen , und kann sichs 
kaum denken, wie die Bilder abstracter Begriffe jemals mit 
physischen Zuständen sollten in Verbindung gestanden haben. 
Und gewiss wenn das Geschäft der Mythen^chöpfung im Ver- 
sinnlichen geistiger Begriffe durch Bilder und Allegorien 
bestände , und wenn die Gratien , die Musen solcherlei Ver- 
sinnbildlichung ihre erste Entstehung verdankten; so wür- 
den sie wohl niemals ihre ätherischen himmlischen Leiber mit 
so irdischem Stoffe befleckt haben und in die Sinnlichkeit 
übergegangen sein. So aber hat die Geschichte ihrer Entwicke- 
lung den umgekehrten Gang genommen : denn in physischen 
Zuständen der Witterung, im Erwachen der Natur zu neuem 
Leben und im Erstarren derselben durch den Winterfrost , im 
W-achsthum der Pflanzen und ihrem Verdorren, im Entstehen, 
Gedeihen und Absterben des Lebens der Geschöpfe u. s. w 
walten sie zuerst und grossentheils noch ganz allein nach der 
Vorstellung des Volkes, und erst später, vornehmlich durch/ 
die Werke der Dichter und Künstler , sind die geistigen und \ 
moralischen Bedeutungen zur Herrschaft gelangt. Diese drei- 
heitlichen Wesen befinden sich in dieser Beziehung in glei- . 
chem Falle mit der Aphrodite, die zum Liebreiz, mit der Athena, ' 
die zur Weisheit, mit der Hekate, die zur Zauberei geworden > 
ist , während ein Blick in den Cultus jedermann leicht über- i 
zeugen kann , dass sie physische Zustände repräsentiren. Und 
mit der dreigestaltigen Hekate scheinen sie zum Theil sogar zu- 
sammenzufallen, mit der Athena aber werden einige derselben 
ausdrücklich vereinigt , und mit der Köre erscheinen andere 
durch ihre Namen geeinigt. 



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158 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. III. Die dreiheitl. Göttinn. 

I. Die Kekropd-Tdehter. 

Die AglauTos wird theils das Weib und theils die Toch- 
ter des Kekrops oder auch des Erechtheus genannt 'Hygin. 
253). Sodann stürzt sie sich entweder von der Burg herab 
sammt ihrer Schwester Herse, wahnsinnig geworden durch 
den Anblick des heiligen Geheimnisses in der Kiste , oder 
opfert sich zur Rettung des Landes in dem Krieg mit Eumol- 
pos. Es gibt auch eine Sage, dass sie versteinert wurde, 
als sie dem verKebten Hermes den Zutritt zu ihrer Schwester 
Herse versagte^*). Hernach ist sie vergöttert worden. Sie war 
Priesterin der Athena, sagt Hesych, und in Attika schwört 
man bei ihr. Aber ein Grammatiker bei Bekker (329 , 24) 
lehrt, dass sie die Athena selbst war {sari di imüvvfiov 
\'/^r]väg), und PoUux (VIII, 105) sammt Ulpian bezeugt, dass 
die Epheben es waren, welche den Kriegereid in ihrem Haine 
schwören mus^ten ^ . Wer die drei in diesem Eid angerufenen 
Göttinnen ^^j seien sagt uns Pausanias (IX, 35,2) mit den Wor- 
ten: »die Athener ehren von Alters her die Gratien vYtJf» 
und ^Hy€fi6vt]y imd die dritte nennen sie QaXXia und verehren 
sie zugleich mit der IldyAgoaog. Denn oiSenbar hat Pausanias 
diese Schwurformel vor Augen, und nennt statt der Aglauros 
die P andre SOS, weil beide Eins waren unddieHerse oben- 
drein. Der Tempel auf der Burg, in welchem der wunderbare 
Oelbaum wuchs, hiess Pandrosion^. Ob derselbe wohl Eins 
war mit dem von Herodot VHI, 53 erwähnten Heiligthum der 
Aglauros an der steilsten Seite der Burg (Paus. 1 , 1 8, 2) ? So 
ist es denn klar, dass die drei Namen blosse Prädikate der 



224) Apolld. III, 14, 2. Paus. I, 18, 2. Ulpian zu Demosth. fals. 
leg. Ovid. Met. n,710ff. 

225) Vgl. Paus. I, 18, 2. Plut. Alkib. c. 15. 

226) Die Anrufung der Götter lautet also (bei Pollux VIII, 106) : 
latOQfg d-€ol^u4ygtivXos, *EvvdXios, **-^QfJS, Zivg, OalkoS, Av^ta, ^HyffAOvn, 

227) Apolld. in, 14, 10. Paus. I, 27, 3. 



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1 . Die Kekrops-Töchter. 1 59 

Athena sind ^) . Und bei der Äglauros schwankten, scheint es, 
schon die Alten zwischen der Form ay)MVQos und aygavXog^ . 
Die drei Mädchen werden auch für Töchter des Aktaeon ge- 
halten^ , und dazu wurde noch eine vierte Namens Phoe- 
nike angenommen, deren Name ohngefähr dasselbe wie Äglau- 
ros besagt. Uebrigens ist die Abstammung von Aktaeon, d. h. 
dem Zeus Aktaeos welcher die Regenwolken bringt mit den 
Passatwinden, sehr bezeichnend für die Jungfrauen welche 
Thau und Morgenröthe herbeiführen. 

Das Schicksal dieser drei Mädchen deutet auf Menschen- 
opfer , welche zur Entsühnung des Landes gebracht wurden, 
wenn es lange nicht regnen wollte und die Gewächse verdorr- 
ten. Ein Gleiches, wie wir sehen werden , erlitten auch die 
Chariten in Böotien , und dieser Bedeutung entsprach auch 
ihr Cultus. t>In der Attischen Kolonie Salamis auf Kypem, 
welche früher Kor onishiess (so erzält Porphyr, abstin. 11, 54), 
wurde im Monat Aphrodision der Agraulos, Tochter des 
Kekrops und der Nymphe Agraulis, ein Mensch geopfert; und 
diese Sitte bestand bis auf Diomedes, wo sie umschlug, so dass 
man seitdem dem Diomedes dies Opfer bringt. Der Tempel 
der Athena der Agraulos und des Diomedes liegt in ^iner 
Umfriedung. Der zum Opfer ausersehene Mensch , von den 
Jünglingen geführt, lief dreimal um den Altar des Zeus ; sodann 
stiess ihn der Priester mit der Lanze in den Magen und ver- 
brannte ihn ganz auf den Scheitern. « Li Athen wurden der 
Agraulos zu Ehren dieOpferPlynteriaundKallyntria (d. h. 
Rein Waschungen] verrichtet (sagt Phot. p, 127), weil we- 
gen ihres Todes die Trauer ein Jahr lang nicht abgelegt 
worden war, und Athenagoras nqiüß* p. 8. c. 1 , spricht von 



228) Schol. Arist. Lys. 439. Harpokr. Suidas. v. "AylnvQog. 

229) "^yXavQog muMYon ylavoog d. h. yavQog (Hesych) hergeleitet und 
als Nebenform von ayXnog betrachtet werden. 

230) S. Suidas y. (foiv, ygäfi^. p. 156]. 



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160 C. Weibl. Elementen- u. Waasergeiater. III. Die dreiheitl. Oöttinn. 

geheimen Weihen ihres Dienstes^*). Was das besagen soll, 
können wir uns wohl denken, zumal wenn wir erwägen , dass, 
wie gesagt, der Aglauros auf Kypem Menschenopfer ge- 
bracht wurden, und dass auch in Athen diese Kekrops-Töchter 
geopfert worden sind oder sich freiwillig von der Burg herab- 
gestürzt haben: denn die Ceremonien der Errephoren (das 
sind ohne Zweifel die von Athenagoras bezeichneten Weihen) 
war nur eine symbolische Wiederholung dessen was die Sage 
als ehemals Geschehenes berichtet. 

Die Aglauros, troz ihrer Einheit mit der Athena, gebar 
vom Ares die Alkippe , eine andere Athena : dieser thut der 
Halirrhothios (ein Sohn Poseidons oder Poseidon selbst) 
Gewalt an, wird dafür von Ares (d. h. vom Morde) erschlagen, 
und zur Richtung dieses Mordes wird das Blutgericht auf dem 
Areopag eingesezt , welches unter der besonderen Obhut der 
Athena steht ^^^j 

2. Ilyakiiitliideii, llyaden und Ileliaden. 

Auch der Erechtheus hatte drei oder sogar sechs Töchter, 
welche bei einer Gefahr des Vaterlandes sich opfern Hessen. 
Diese Mädchen werden Jungfrauen [JlaQ&evoi] mit Vorzug 
genannt (s. Suidas v.) und auch Hyakinthiden, weil sie 
auch für Töchter des Hyakinthos galten: andere sagen, weil sie 
in dem Gau Hyakinthos den Opfertod litten^). Und ihre 
Mutter, das Weib des Erechtheus, hiess Praxithea, ähnlich 
wie eine der Hören Praxidike hiess ^^) . Nach Hesych wer- 



23 1 ) ^AyQavXfii ^Ad-riVKioi juvatTJQia xal t elf rag ayovat xal TTttv- 
^Qoatpf «V ivoju£a&r]aav aafßfiv avoC^uaai. r^r XaQvaxa. Bekk. anec. 
p. 239. Jeinvo(fOQ[a iarl t6 ifiqHv öilmu tois KixgoTro^ d-vyuxQdai' hfi- 
qero dk noXvTfXcSg xara rtvn fAvartxov Xoyov. 

232) Apolld. III, 14, 2. Paus. I, 28, 5. Suidas v.'^(»fiof n, 

233) Demosth. funebr. p. 1397. Paus. V, 203. Suidas v. naq- 
^ipoi. Diod. XVn, 15. 

234) Ihre Namen sind bei Hesych folgende : IlQtoioyiveia , JlurdoiQtt, 
JlQoxQtg, KQiovaa, 'Slgt^d^via, XOonot, Apollodor III, 15, 8 aber nennt 



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2. Uyakinthiden , Uyaden und Heliaden. 161 

deii die Mädchen im Krieg mit Minos auf dem Grabe des Ky- 
klopen Geraestos geschlachtet: anderen Gewährsmännern zu- 
folge opferte man die Chthonia im Krieg mit Eumolpos^ 
worauf die anderen zwei Schwestern, gleich den Kekrops-Töch- 
tern, freiwillig sich von der Burg herabstürzten^. So hatte 
Euripides in seiner Tragödie Erechtheus die Sache gestaltet^). 
Es gab wieder eine Sage, dass ein gewisser Leos seine drei 
Töchter zur Opferung hergegeben habe, als das Orakel sie for- 
derte^"). 

Euripides hatte in seiner oben genannten Tragödie die 
Erechtheus-Töchter Hyaden genannt , deren er ebenfalls drei 
annahm. Diese sind nicht unmittelbar von vfiivVegnen son- 
dern von Hyes, einem Namen des Dionysos, benannt, wess- 
halb sie vom Dichter Myrtilos auch Kadmos-Töchter genannt 
worden sind. Sie sollen gleich den Plejaden , als Nymphen, 
den Zeus und den Dionys mit Ambrosia gespeist haben , und 
Hesiod nennt sie Nymphen die den Gratien gleichen^. Sie 
sollen sich zu Tode geweint haben über ihren Bruder Hyes 
den Jäger , welchen in Libyen eine Schlange oder ein Löwe 
oder ein Eber tödtete (vgl. Phaethon und seine Schwestern) , 
und wurden unter die Sterne versezt^®). Sie sind Schwestern 
der Plejaden, mit denen sie besonders als Sternbilder gern zu- 
sammengenannt werden (Eur. Ion 1171 — 1176), und bezeugen 
uns die nahe Verwandtschaft und sogar Einheit aller die- 
ser drei- und sechszäligen Jungfrauen, welche wir 



folgende: jiv^Cg^ AiyXtJs, *Hv&riv(g (y^y^rjvig?) , Avta(a [AovaM], 

235) Hygin f. 46. 238. Apolld. lU, 15, 5. Plutarch parall. p. 
310. D. Lykurg. Leokr. c. 24. 

236) Eurip. rest. I. p. 471 f. Ion Vs. 289 (286). 

237) Paus. I, 5, 2. Schol. Thuk. I, 30. 

238) Frag. 13. Schol. Arat. 172. 254. Hesiod nennt folgende Na- 
men: 4>mauXri, Ko^tttrig, KXeitt, 4>ati»f Evötiga, andere Hygin u. s. w. 

239) Hygin f. 182. 192. astron. U, 21. Pherekydes bei Schol. II. 
c, 486. Eustath. p. 1155, 45 f. 60 f. 

Härtung, Bei. u. M}-th. d. Gr. H. 1] 



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162 C- Weibl. Elementen- u. Wassergeister. III. Die dreiheitl. Göttinn. 

hier betrachten y mit den Quell-Nymphen und beson- 
ders mit'den drei- und neunzäligen Musen. 

Mit den Hyaden sind ganz gewiss die Heliaden Eins, 
welche, durch die Trauer um ihren l^ruder Phaethon , so wie 
jene durch den Schmerz um den Hyes, umkommen und in 
Pappeln oder Erlen verwandelt werden, d. h. NjTnphenrind^^^). 

3. Die Hören. 

Hesiüd [&. 901 ff.) lässt den Zeus mit der Themis erst- 
lich die drei Hören Gesezlichkeit, Recht und Friede 
[Eivopla^ jUtf und luorjvij) und dann die drei Moeren Spin- 
nerin, Loolerin und Unabwendbare (KXmx^w, ^dx^aigy 
^AtQonoe) , zeugen, mit der Eurynome aber die drei Chariten 
Herrlichkeit, Frohsinn, Wohlleben C^yXata^ KiffQü- 
ovvriy GaXia). Alle diese dreiheitlichen Wesen berühren sich 
unter einander vielfach und sind oft kaum zu scheiden. So 
wurden z. B. bei den Athenern die Hören neben den Chariten 
sowohl als auch neben den Kekrops-Töchtem Pandrosos Aglau- 
ros und Erse verehrt: die Chariten nennt man Auxo und 
Hegemone (Wachsthum und Anfiemg] , die Hören Karpo 
und T hallo (Frucht und Blüthe) — denn man kannte 
deren bloss zwei. Die Namen aber bezeugen deutUch, dass 
man Naturgottheiten unter den Chariten sowohl als unter den 
Hören verstand, und dass deren Wesen von dem der Kekrops- 
Töchter nicht verschieden war (Paus. IX, 35, 1 ^**) . 

Die Hören öffnen und verschliessen die Thore des Him- 
mels bei Homer, und als Thore dienen ihnen die Wolken. 
Ihr Tanz ist der Umlauf des Jahres : in diesem Umlaufe zei- 



240) Ihrer waren ebenfalls drei: '/^ofßr] oder <^«/t^i»ff«, Attftnttm 
und Atylfi, Doch werden derselben mitunter auch mehr genannt. O vi d. 
Met. II, 340—350. Apollon. IV, 604 ff. Schol. Hygin. f. 152. 

241) Der Name ii^oc» selbst deutet sich aus <u(N>f , welches Wort für 
Eins mit unserem Jahr gehalten wird: daher auch oTttaQit, gleichsam oi^^ 
— w«« (vgl. ottiaio) oder post^hara das Spätjahr: vgl. Curtius Gr. 
Et>Tn. II, 323. 



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3. Die Hören. 163 

tipen sie Alles nicht auf einmal > sondern allmählich und un- 
merklich (D. f/), 450. Od. w, 344) : das besagen auch ihre Na- 
men Gesez, Friede und Fug. Die Dike heisst auch 
Praxi dike, und dieser Name wird von Hesych durch Voll- 
enderin gedeutet***) und weil man sagt einen Kopf auftezen 
statt ein End* aufsezen oder krönen [xe^aXtjy ^mTi^dvat=TiXog 
fnntd-ivai] , so wurde die Göttin auch als blosser Kopf abge^ 
bildet. Man verehrte auch drei Praxidiken in Höotien, Namens 
Alalkomenia^ Thelxinoea und Aulis***). Aber der 
Name Thelxinoea kommt auch der Hera zu , deren Diene- 
rinnen die Moeren sind. Wiederum kannte man auch bloss zwei 
solche Wesen, Eintracht und Tüchtigkeit (D/wwercr, 
V/^rri/). Pausanias (IX, 33, 2) sagt, dass die Praxidiken bei 
Haliartos am Berg Tilpusios ihr Heiligthum hatten und 
dass man bei ihnen schwur und dass dieser Sdiwur sehr hei- 
lig war. Im Orphischen H}Tnnus (28 , 5) ist die Praxidike zur 
Tochter der Deo gemacht, folglich mit der Köre vermengt. 
Dagegen muss die Böotische Alalkomenia (Abwehrerin) mit der 
Athena dieses Namens, der Tochter des Ogygos, Eins sein 
Paus. IX, 33, 4. 

In allem was so natürlich allmählich ungesucht und un- 
gefordert von selbst kommt in ruhiger stiller Entwickelung 
liegt auch Anmuth [yotqti] , also kann man schon daraus ersehen, 
wie die Chariten mit den Hören zusammenfallen. Auf eben 
diesem Entwicklungsgang liegt aber auch Geburt und Tod, 
woraus zu entnehmen, dass auch die Moeren und die Keren nur 
eine andre Seite dieses nämlichen Wesens sind, und gleich den 
Keren auch die Eileithyien, die Töchter der Hera, deren Die- 
nerinnen die Hören sowohl als auch die Chariten sind. 



242) Hesych t Jn(fjnavtt^ri&ontQt4Xo^inir^'9^iTatttoUrkXtYo- 

fiura o^od'j^. Dazu Suidas. 

243) Dionysos bei Suidas v. PhotiusLex. 446, 24. 



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164 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. III. Die dreiheitl. Göttinn. 

Wenn ein Ding in die Erscheinung und Wirklichkeit ein- 
treten Boll , 80 müssen die Hören ihm Bahn machen und die 
Thore öffnen. So öffnen sie auch dem Frühling die Thore (bei 
Pindar Fragm. 53. p. 218 m. Ausg.), wie sie bei Homer die 
Himmelsthore auf- und zuschliessen. Auf dem ruhigen Wege 
allmählicher Entwickelung eines jeden Dinges zu seiner Zeit 
liegt ferner die Ordnung, die Gesezlichkeit und der Friede, 
welche auch Pindar preist Ol. XUI, 7 ff. Also ist es natürlich, 
dass diese Hören auch allem Physischen Wachsthum und Gre- 
deihen geben und gleich der Artemis die Säuglinge und die Ju- 
gend in ihre Pflege nehmen: die Hora ist auch spedell die 
Jugend (Pind. Nem. 8. z. A.). 

»Die Hören«, sagt Lehrs Popul. Aufs. p. 16, »sind nicht 
nothwendig drei oder vier bestimmte Jahreszeiten, sondern 
Zeitwellen, welche durch Kennzeichen der Natur und der 
}$eschäftigung , ja der Schicksale , kenntlich und veränderlich 
einen ELreisgang vollenden und dann umwenden um von Neuem 
anzufangen. « »Es gibt«, sagt er ferner, »gewisse Gegenstände, 
die in sich augenfällig einer allmählichen Entwickelung in der 
Zeit aufsteigend zur höchsten Entfaltung und wieder abneh- 
mend unterliegen. — Ein jedes Ding hat seine Zeit, Essen hat 
seine Zeit, Schlafen hat seine Zeit, Ernten hat seine Zeit, Hei- 
rathen hat seine Zeit, der Frühling hat seine Zeit, der Sommer 
hat seine Zeit und so fort. Dieses Eintreten und in vielen Fal- 
len Wiedereintreten eines jeden , sei's im menschlichen Trei- 
ben, ja in seinem Yerhängniss, sei's in der Natur, machte dem 
Griechen das Bild eines angenehmen geordneten Wechsels: 
er erblickte darin nicht willkürliche Menschensazimg sondern 
eine schöne göttliche Ordnung. Und jene Zeiten, in welche 
im Fortlauf jedes zu seiner Zeit kommt, erstanden seinen Ge- 
danken zu göttlichen dem Zeus dienenden Wesen , welche in 
anmuthiger Ordnung gehen und kommen und je herbeiführen 
Mras an der Zeit ist. « 



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4. Die Themis und ihre Töchter. 165 

»Ewig Eerstört , es erzeugt sich e\ng die drohende Schöpfung 
Und ein stilles Oesez lenkt der Verwandlungen Spiel.« 

Daraus, sagt er femer, sei einzusehen, warum die Hören Töchter 
der Themis seien und warum ihre Namen Wohlvertheilung, 
Gleichheit (Billigkeit?) und Einigkeit seien, ingleichen 
»warum sie in eine Reihe mit Wesen treten, durchweiche 
der Grieche in verschiedenen Phasen tuid in reicher Bezeich- 
nung das Gesez, die Fügung, die feste Ordnung in der Welt 
und den Schicksalen unter den Göttern und Menschen aus- 
drückt: Themis, Dike, Moeren ,Aesa, Heimarmene, Pepromene 
und mehrere — gleichsam der Kosmos , sofern er in der Zeit 
erscheint. « 

4. Die Themis und ihre Töchter. 

Die Hören und die Moeren und die Hesperiden sind Töch- 
ter der Themis, von Zeus gezeugt ^'*). Wer die mythologische 
Sprache versteht, dem heisst das so viel, als die Themis und 
die Themistiaden^^) , oder die Themis und ihre Töchter sind 
Eins. Und auch die Themis wird eine Nymphe genannt und 
als solche gebildet, jung und kräftig, mit Helm und Schild, 
der Athena ähnlich , anderseits auch wieder mit der Erde ver- 
mengt (Aesch. Prom. 210, wenn anders der Vers echt ist) , welches 
zum Mindesten ungenau ist : denn nicht die Erde selbst son- 
dern nur eine Eigenschaft derselben, nämlich die feste Ord- 
nung oder Regel in den Wandlungen und Entwickelungen, 
physischen sowohl als geistigen , könnte sie ihrem Namen und 
Begriffe nach darstellen , so dass audbi daraus ihre innige Ver- 
wandtschaft mit den Hören und den Moeren zu entnehm^a ist, 
mit denen sie auch im Cultus und in den Mythen vereinigt zu 
werden pflegte ^^^]. Dass sie Orakel ertheilt , das kommt von 

244) He 8. ^. 90t. Sc hol. Eur. Hipp. 742. 

245] 8. Hesych v. Apollod. II, 5, 11. Schol. Apoll. IV, 1896. 

246) Paus. IX, 25,4. V, 17, I. 14, 8. Diod. V,67 .Anton. Lib. 19. 
Ueber andere CultusstAtten s. 8 c h e i f f e 1 e in Paulys Encykl . v. und A b r c n a 
im Programm von Kann. 1862. p. 5. 



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166 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. III. Die dreiheitl.Oöttinn. 

keiner ihr in wohnenden tellurischen Eigenschaft^ sondern 
liegt unmittelbar in dem Begriff ihres Wesens, indem &d/uig 
mit X9^oiu,6e synonym ist , und beide das Zukünftige als vor- 
bestimmte Saznng Ordnung und Nothwendigkeit bezeich- 
nen^^). Auch die Molgai und Parcae besagen das Nämliche. 
Ist es also wohl zu verwundem, wenn Pindar singt (Frag. 7. 
p. 152 m. Ausg.): »Die wohlberathne [ivßovXov) himmlische 
Themis zuerst Auf goldnem Wagen führten von Okeansquellen 
Zur heiligen Stufe die Moeren , Zum Olymp die glänzenden 
Bahnen hinan, Um Zeus, dem Heiland, erste Gemahlin zu wer- 
den : Sie gebar die richtigen [aXaQiag] Hören, die spangengol- 
denen Früchtegezierten. « Wir können uns nicht darauf ein- 
lassen alle Varietäten der Sagen , die von keiner besonderen 
Bedeutung sind, zu verzeichnen , und haben das nicht nöthig, 
da es Sammlungen genug gibt für die, welche deren bedürfen. 
Also erwähnen wir nur noch , dass Thcmi« die Ordnerin der 
Versammlungen bei Homer ist^^), was sich ja schon von selbst 
versteht und wesshalb auch ihr Bild neben dem des Mai^t- 
Zeus iZaig uj^ogaiog) in Theben stand (Paus. IX, 25, 4), dass 
sie, wie die Moeren, bei den Greburten zugegen ist (Hym. 
Apoll. 91) , dass sie dem Zeus mehrmals guten Rath ertheilt 
und ihn von Fehltritten abhält vermöge ihrer Kenntniss der 
Zukunft^*®; , und dass sie endlich mit der Nemesis sich be- 
rührt 2^). 

5. Die Moeren, die Keren, die EriDyeii. 

Die Moera bezeichnet das Beschiedene (Theil^*). Und 
Homer versteht unter der Moera gewöhnlich den Tod, und hm 



247) Auch mit fatum und fas ist d^<iij gleichbedeutend, zur Jixti aber 
veAält sie sich so vriefas zVLjas. 

248) Od. /S, 68. II v, 4. o , 84. A, 807. 

249) St hol. IL o, 229. Find. Ist. VUI, 31. Schol. ApoU. IV, 799. 

250) Hesych v. ^y«V>i) tvxi- Eur. Med. 160. 

251) MoiQa verhält sich zu /u^(k>; wie Farca zu pars. Da« lateinische 
sowohl als das griechische Wort bezeichnen das dem Menschen B esc hie- 



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5. Die Moeren, die Keren, die Erinyen. 167 

Hesiod {&, 211 und 217) werden das eine Mal der Moros und 
die Ker, das andere Mal die Moeren und die Keren mit einander 
von der düsteren Nacht geboren. So wie aber immer und 
überall nach dem Olauben der Alten das Ende durch den An- 
fang bestimmt wird, also wird auch die Sterbestunde durch die 
Geburtsstunde bedingt, und darum walten die Moeren bei der 
Geburt des Kindes, darum stehen sie in so enger Beziehung 
zu den Eileithyien (Pind. Ol. VI, 72. Nem. 7,1) und darum 
hat der alte Dichter Ölen in seinen Hymnen auf Delos die 
Eileithyia eine gut-spinnende {evkirov) genannt und für älter 
denn Kronos erklärt, indem er sie offenbar mit der Moera ver- 
mischte (Paus. Vni, 21, 2), darum endlich sind auch der 
Moeren gewöhnlich drei , weil sie den Anfang , den Fortgang 
und das Ende handhaben ^^). Die Erinyen stehen in eben 
so enger Verbind^ng, wie die Keren, mit den Moeren, und bei 
Aeschylus Eum. 920 werden die Moeren von den Erinyen selbst 
Schwestern von 6iner Mutter genannt. Darum sandte Zeus die 
Moeren um die Erinys zuversöhnen (Paus. VIII, 42, 2. 25, 4). 
Es gibt nämlich sowohl ^ine Erinys als auch deren drei^'^j. 
ebenso wie es auch ^ine sowohl als auch mehrere Moereu gibt 
(11. Cd, 209. 29). Den drei Erinyen nun hat man die Namen 
Alekto, Megaera und Tisiphone (Ohnunterlass , Groll, 
Mordsühne] gegeben, so wie den Moeren die Namen Klotho 
Lachesis und Atropos (Spinnerin, Loserin, Unabwendbare). 
Die Erinyen sind übrigens unterirdische Wesen und nach He- 
siod ^. 185 zugleich mit den Giganten von der Erde aus dem 
lUute des entmannten Uranos geboren, und bei Homer klopft 



dene (Theil) {to il^aQu^w) : dieses beschiedene iit aber ganz besonders 
der Tod, wesshalb auch zwischen f^^Qos, fioQog und mors kein ursprünjj- 
licher Unterschied ist: denn der Stamm von mori hat, wie wir gesehen 
haben , merere gelautet. 

252) Aesch. Prom. 513 »Und wer ist Steuermeister bei der Noth- 
wendigkeit?« »Die Moeren-Dreiheit und die Rach-Erinyen.« 

253} £ur. Qrest. 390. Troj. 452 meine Note zu Aesch. £ur. 137. 



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1G8 C. Weibl. Elementen- u. Wassergeister. III. Die dreiheitl. Göttinn. 

die Mutter des Meleager auf den Erdboden, als sie die Erinyen 
ruft (H. t, 568). Die Aemter der £rinyen beschreibt Aeschy- 
lus alle im Schlussgesang der Eumeniden, und daraus siht man 
wohl , wie sie mit der zürnenden Demeter Eins sein können, 
indem sie Segen und Unsegen, Pest imd Gedeihen geben. 
Davon ist eine Spur schon in der Odyssee vorhanden , wenn 
die Frühlingskinder, Töchter des Pandareos, den Erinyen von 
den Winterstürmen übergeben werden (Od. v, 77) , während 
sonst bei Homer die Erinyen meistens nur als die Bächerinnen 
verlezter Pietäts-Pflichten erscheinen. Oft sind sie kaum von 
den Flüchen 'ld(^ai) zu unterscheiden, und mitunter sind sie 
mit dem Wahnsinn [Maviaig] Eins^*). Ihr Name bedeutet 
auch ohugefähr so viel wie Fluch, Rache fluch: die Wir- 
kungen gerechter Flüche aber sind eben Tollheit, dämonische 
Krankheiten, fallende Sucht und unheilbare Uebel, denen 
mit keiner menschlichen Kunst begegnet werden kann^. 
Daraus erklärt sich, wie die Moeren und das Schicksal [falfitaff) 
mit den Erinyen , das von Natur Beschiedene mit dem lasten- 
den Fluche, zusammenwirken können^, und wie Hesiod {&, 
220 f.) vollends den Moeren das Amt der Erinyen geben kann, 
die Sünden der Menschen zu bestrafen. 

Das Aussehen der Erinyen, ihre Schlangenhaare, ihre 
blutrothen Augen u. s. w. sind bekannt. Bei Aeschylus wer- 
den sie mit den Gorgonen und mit den Harpyien verglichen. 
Homer nennt sie bloss im Nebel- wandelnde. Die Moe- 
ren haben gewiss nicht das scheussliche Aussehen dieser 
Wesen , doch gehören sie zu den Unterirdischen , nach den 
Opfern zu schliessen welche ihnen gebracht werden ^^), und 
viel liebenswürdiger als jene werden sie ebenfalls nicht ge- 
wesen sein diese Verbündeten des Todes [Oapatog] , der bei 



254) 11. y, 412. o, 204. i, 454. Paus. VIII, 34, 1. 

255) Od. 1, 2S0. Aesch. Choeph. 260 ff. 

256) II. r, 67. Od. ß, 134. Aesch. Eum. 321. 

257) Paul. II, 11 , 4. Aesch. Eum. 920. Sohol. Agam. 70. 



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6. DieHulden. 169 

Euripides (Alk. 34) ihre Sache zu der seinigen zu maclieit 
scheint und dem Apoll es übel nimmt , dass er die würdigen 
alten Damen betrogen habe. Die Keren vollends werden bei 
Hesiod dan. 249 f. geschildert als knirschend mit den Zähnen^ 
furchtbaren Blickes und blutig , den in Schlachten Gefallenen 
das Blut auszusaugen begierig. Aehnlich bei Homer IL a,b^h 
hat die Ker ihr Gewand mit Blute besprizt , indem sie in der 
Schlacht die Gefallenen an den Füssen schleift. 

Inwefem diese Wesen den Nomen und den Walkyren 
des Nordens entsprechen, wird sich zeigen bei der Betrachtung 
derselben. 

ft. Die llulden. 

Die Cliariten werden, wie wir oben gesehen haben, 
oft mit den Hören zusammengestellt, oft auch mit den 
Eumeniden vermengt, als wäre ihr Name auch bloss ein 
Euphemismus, yfie der Name Gewogene (Ev/tevldeg). Auch 
war ihr Cultus nicht immer heiter sondern mitunter einer 
Trauer gleich, kranzlos und klanglos, und man erzält von 
Trauer -Nachrichten, welche die Festesfeier störend unter- 
brochen haben, und von gewaltsamen Todesarten, welche diese 
Göttinnen selbst erlitten haben sollten (Strabo IX, 2. p. 414). 

wDer erste«, sagt Strabo, »welcher den Chariten opferte 
war in Boeotien Eteokles. Es waren deren drei , aber die Na- 
men wusste man nicht, a Der älteste Tempel derselben stand 
zu Orchomenos, und darinnen waren (als Bilder der Göttinnen 
gleich Palladien) vom Himmel gefallene Steine vom 
Eteokles dort aufgestellt (das. IX, 38, 1). Dessen drei Töch- 
ter so erzält Nicolaug p. 387 bei Westermann) tanzten den 
Chariten, und dabei fielen sie unversehens in einen Brun- 
nen hinab, ähnlich den drei Kekropstöchtem. Zum An- 
denken an die Mädchen liess dann die Erde eine gewisse drei- 
gestaltige Blimie emporwachsen. Mit Tänzen wurde das Fe^t 
Xaqiata dort auch später noch gefeiert, und zwar mit nacht— 



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170 C. Weibl. Elementen- u. WasMrgtister. III. Die dreiheitl. Oöttinn. 

liehen (Eustuth. Od. a^ 194). Dass man sich hier unter die- 
sen Wesen etwas anderes dachte , als was man Ton Hesiod an 
unter den Gratien versteht, läset sich schon hieraus erkennen. 
Auf Faros opferte man den Chariten ohne Musik und ohne 
Bekränzung, weil, sagteman, demMinos, während er ihnen 
opferte, derTodesfall seines Sohnes Androgeos gemeldet 
worden war (Apolld. III, 15, 7j. Bei Messeno wurde da» drei 
Chariten mit den Eumeniden zusammen geopfert, und theils der 
Köre theils den Hören ähnliche Wesen müssen diese 
Chariten in der That gewesen sein, zumal da sie offenbar Eins 
mit den drei in den Brunnen hinabgestürzten Eteo- 
kles-Töchtern waren, welche sogar TQiiral XaQnss ge- 
nannt wurden. Schon Welcker hat im Anhang zu Schwencks 
£t}'m. And. p. 289 eine Aehnlichkeit zwischen der Köre und 
der Charts, als Segen und Wonne, erkannt, \md auch be- 
merkt, dass man zu Kyzikos ein dreigestaltiges Chariten-Bild 
hatte, welches mithin wie ein Hekate-Bild aussah ^^) . InLake- 
daemon verehrte man deren zwei, sagt Pausanias, Kleta und 
Phaenna (die Rühmliche und die Schimmernde), und 
ihre Bilder standen neben denen der zwei Hören (das. IH, 18, 
7), ingleichen zu Athen, wo sie Auxo und Hegemone 
( Wachsthum und Anfang) genannt wurden neben den zwei 
Hören Karpo \md Thallo (Frucht und Blüthe) , und die- 
selben werden bei Aristoph. Thesm. 300 von den Frauen im 
Verein mit der Demeter und Köre dem Plutos der Erde und 
dem Hermes angerufen. Von geheimen Weihen , welche den 
»drei am Eingang der Akropolis stehenden Chariten ver- 
richtet wurden, spricht auch Pausanias , deren Bilder von So- 
krates, dem berühmten Philosophen, gemacht waren ^^}. So 



258) Dieses Bild wird beschrieben in einem Epigramm Anth. VI, 342 
•worüber Hecker annot. critt. p. 129 zu vergleichen ist: *'A!>Qfjaov XttQ^rtov 
hnb nttüraSt r^^€ tQtriQfi araUdn. 

259; IX, 35, 7. I, 228. Diog. L. U, 19. 



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6. Die Hulden. 171 

erscheinen sie auch anderwärts im Cultus immer den Natur- 
gottheiten gesellt (s. Welcker a. a. O. p. 290 f.). Dabei ist zu 
bemerken, dass die Klete oder Kleite, auch als Nymphe Da- 
naide und Amazone besonders zu Sparta und zu Kyzikos vor- 
kommt^. Damit stimmt übeitsin, dass Hesiod seine drei 
Chariten (genannt Aglaia, Euphrosyne und Thalia) zu 
Töchtern der Eurynome, der griechischen Derketo, macht, 
und sie den Hyaden an die Seite stellt (Frag. 13). Diese drei 
Namen, mit denen Hesiod sie getauft hat, haben vielleicht am 
meisten dazu bdgetragen, dass man fortan mehr an die ab- 
stracten B^riffe von Fröhlichkeit, Wohlleben und 
Wonne als an Naturweseu dachte, wie z. B. Pindar Ol. XIV, 
20 bei denen zu Orchomenos, trozdem dass dort der Cultus und 
die Mythen anderswolün deuteten. Und auf Hesiods Seite 
stehen auch die übrigen Dichter, bei denen die Chariten immer 
mehr wie Allegorien erscheinen, wohl mit Ausnahme Homers, 
welcher die eine der Chariten statt der Aphrodite dem 
Hephaestos, die andere dem Schlaf, dem erquicklichen, 
zur Frau gibt. Erst spät kam, wie Pausanias bemerkt ^ die 
Sitte auf, die Gratien nackt zu gesfalten. Sokrates hatte die 
Seinigen noch in Kleidung dargestellt Dass sie gerne mit den 
Nymphen herumtanzen, weiss bereits Homer ^^^). Und das int 
ganz in der Ordnung, wenn sie den Hören gleich sind: sie 
werden darum auch der Hera zur Bedienung beigegeben. 



260j S<;hol. Apoll. I, 974. 1065. Schol. Eur. Orest. 615. 
261) Od. (T, 194. vgl. Horat. 1,4,6. I. 30, 6. III, 21 , 22. 



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172 D. Die Schwärme. 



D. Die Schwftmie, 

Von den Sehw&rmen Oberhaupt. 

T)Glücklich der Mensch, der seelig göttliche Weihen 
schaut, sein Leben von Flecken keusch erhält, der das Ge- 
müth zum Tanz stimmt, schwärmet in Wald und Berg, durch 
heil'ge Verzückung Sünden reint, und der allmäch- 
tigen Beigmutter Kybele Orgien recht übt, und emporschwin- 
get den Thyrsos und mit Epheu sich die Stirn kränzt, sich 
dem Dienst weiht Dionysens u. s. w. O du Kureten-Kammer, 
göttergeweihtes Kreta, Wiege des Zeus, o Thalgrund, wo Ko- 
rybanten einst in Grotten den fellbespannten Reif schufen, 
im Dreihelm tanzend , mischten phrygischer Pfeifen einstim- 
migen lieblich ertönenden Hauch mit dem Jubel der Lust, 
reichten der Urmutter die Handpauke zum Aufjauchzen der 
Bakchen. Satyre, rasende, haben sodann sie von derRhea, der 
Mutter, erlangt, sie mit den Tänzen des alldreijährigen Festes 
gepaart , dess sich freut Dionysos. « 

Mit diesen Woiten schildert Euripides in dem Choreinzuge 
seiner Tragödie Pentheus oder Bakchen sowohl die Bedeutung als 
auch die Entstehimg des schwärmerischen Götterdienstes , der 
aus Asien stammte und erst nach Homer überall in Aufiiahme 
gekommen ist. Es war ein Geheimdienst , ohngeachtet er im 
Freien begangen wurde, und der Pentheus wurde weniger/ 
wegen seines Unglaubens als wegen der Belauschifng dieser 
Orgien so grausam bestraft (Theokr. 26). Woher kommt es 
nun, dass die Menschen einem so seltsamen Gottesdienste eine 
so unbegreifliche Kraft beimassen und noch jezt beimessen ; 
denn noch heute herrscht das nämliche Unwesen bei den Scha- 
manen und den Derwischen , um von den Verzückungen eini- 
ger christlichen Sekten nicht zu reden. Es ist ein Erfüllt- oder 
Besessensein von dem Geiste oder Gott, dem man dient, und 



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Von den Schwärmen überhaupt. 173 

dieses Erfiilltsein an sich reinigt von Sünden. Dazu kommt 
die Lärmmusik ^ welche zur Verscheuchung böser Geister 
dient. Denn diese Bedeutung derselben ist sehr klar ausge- 
drückt in dem Mythus von den Kureten, welche durch das 
Zusammenschlagen ihrer Schilder den Biesen verscheucht ha- 
ben, der das neugeborene Kind Zeus verschlingen wollte. 
Diese Kureten thaten also das nämliche, was »die Tänzer«, 
SaUij zu Bom, alljährlich in Bom thaten zur Entsündigung der 
Stadt, und in der nämlichen Gesinnung. 

Ueberall nämlich gehen PriestercoUegien neben Dä- 
monenschwärmen her, als deren Ebenbilder und mensch- 
gewordene Erscheinungen. Was z. B. die den Bakchos beglei- 
tenden Nymphen thun , das Nämliche thun auch bei dem all- 
dreijährlichen Feste die lustschwärmenden Frauen. Also 
braucht man nicht mit den verwirrten Angaben der Alten über 
das Wesen der Kureten und derKorybanten sich viel herumzu- 
schlagen : viel einfacher ist es, das Thun der Priester derjenigen 
Göttin und des Gottes , zu deren &iaaog jene Dämonen gehört 
haben, zu beobachtend^) . Handelt sichs aber um die Bedeutung 
dieser durch Salier, Gallen, Maenaden u. s. w. vorgestellten Dä- 
monenschwärme , so muss man , um nicht durch örtliche Zu- 
fälligkeiten irre geführt zu werden, alle die analogen Erschei- 
nungen übersichtlich betrachten, und dann wird sichs bald 
zeigen , dass sie alle dem Naturdienst angehören und die rohe, 
durch keine Cultur veränderte, Natur datstellen, was ja von 
den Nymphen den Satyren und den Kentauren auch allge- 
mein anerkannt ist. Also wiederhole ich hier, was ich über 
das Wesen dieses Gottesdienstes in meiner Einleitung zu den 
Bakchen des Euripides geschrieben habe: »Wenn wir hören, 
dass die Bakchen die Stadt und die Wohnungen der Menschen 
verlassen haben , um in der freien Natur , in Feldern und in 
Wäldern , auf Bergen und im Forste , in dem Aufenthalte des 



262) Vgl. Baumstark in Paulys Real-Enc. III. p. 638 v. Oalii, 



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174 D. l>ie Schwärme. 

Wildes, frei wie das Wild umherzuschweifen, alles Angehörige 
verlassend und vergessend selbst bis auf die Säuglinge in der 
Wiege, und statt ihrer neugeborenen Kinder junge Wölfe sich 
an die schwellenden Brüste legen, mit Rehfellen sich um- 
gürten und Schlangen in die Haare und um die Schultern 
flechten, die ihnen vertraut die Wangen lecken, dass sie Stäbe 
von Hollunder zur Hand nehmen, deren trockenes Mark glim- 
mendes Feuer bewahrt, und diesen mit den Blättern und Blü- 
then einer Schlingpflanze umwickeln ; wenn wir femer hören, 
dass sie für keinen Unterhalt in diesem Zustande verzückter 
Schwärmerei zu sorgen hatten, weil sie das Fleisch im Sprung 
gefangener Thiere zerrissen und roh verzehrten, weil ihren 
Hunger der Wald, die Erde ihren Durst mit Quellen von 
Milch Honig und Wasser löschte , welche allwärts auf ihren 
Wunsch erschienen ; wenn wir sehen, wie sie nichts thaten als 
scherzen, spielen, dem Gott der Freude Loblieder siegen, und 
ausruhen, um wieder von Neuem zu spielen, zu jubeln und wie 
jochesledige Fohlen umherzuspringen; wenn wir femer ver- 
nehmen, dass sie troz ihres ausser Rand und Band befindlichen 
Treibens nicht dem Laster fröhnen , und , indem sie die reine 
keusche Natur walten lassen , Wunder der Sittsamkeit sind, 
dabei Wunder verrichten und Wunder erleben , die im beson- 
nenen Zustande nicht möglich wären; wenn wir dieses und 
linderes betrachten, mit einander vergleichen und dann zu deu- 
ten suchen, so werden wir nicht weit zu gehen haben , um die 
Idee aufzufinden, welche in diesem Thun und Treiben, als 
einem Bilde, ausgeprägt ist. Wir werden uns der Schilderun- 
gen erinnern, welche die Dichter von dem goldenen, d. h. 
vor dem Eintritt derCultur vorhandenen, Zeitalter 
entworfen haben u. s. w.« 

Auch dadurch ako, dass dieses Schwärmen thatsächlich 
in den Zustand der sündlosen ersten Menschheit zurückführte, 
übte es die Kraft einer Entsündigung. Die Wesen aber, die 



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I. Der {ffttaog des Dionysos, Nymphen und Satyren. 175 

wir nun zu beschreiben haben , gehören alle jenem Urzustand 
der ersten Menschheit an. 



I. Der &iaaog des Dionysos, Nymphen und Satyren. 

Diejenige Gattung von Dämonen , welche Homer xHj^ig 
nennt, hat nach Homers Zeit sich sehr vermehrt zugleich mit 
dem Dionysos - Dienste. Denn es befinden sich darunter erst^ 
lieh alle diejenigen Wesen, welche den Schwärm des Dionysos 
bilden, sodann auch einige analoge Seedämonen, die Tritonen, 
und endlich auch die Nymphen , welche , obwohl von gleicher 
Natur wie die Böcke, doch, durch das Schönheitsgefühl ge- 
schüzt, nicht sämmtlich die Verrvandlung in Thiere einzugehen 
hatten ^^]. 

Diese Wesen lieben die Höhlen und Schluchten in der 
Wildniss, die Gewässer und die feuchten Gründe zu Land, die 
Tiefen der See und die Grotten an den Küsten, sind zwar gut- 
artig, aber wissen nichts von Pflicht und Anstand, stehen in 
ihrer halbthierischen Natur tiefer als die Menschen , aber ia 
ihrer geheimen Kenntniss verborgener Dinge und 2^ubermacht 
höher als dieselben : darum muss man sie doch mit Opfern ge- 
neigt machen, weil sie nüzen und schaden und, wie Gespen- 
ster, durch ihre blosse Erscheinung verrückt machen können. 
Wir haben schon bemerkt, dass man bei den Alten den Dämo- 
nen ihren Bang zwischen den Göttern und den Menschen an- 
wies ^) . Diese Zwischenstellung war um so mehr berechtigt, da 



263) StraboX. p. 468 nennt die meisten derartigen Wesen zusam- 
men in folgenden Worten : ^uXtivui t€ xai JEarvQot xa\ Btix^m Arj^ai re 
xctl MifiitlXovii xal NutJec xal Nvfiffm xal ThvQot nQoanyo^H'o^evo^, 
Er hätte noch die Kentauren hinzufügen können , dagegen konnte er die 
TiTVQovc weglassen , weil sie Eins mit den ZttrvQot^ sind. Femer ist zu 
^merken , dass die Bakchantinnen , die Lenen , die Thyaden , die Mimal- 
Ionen sammt und sonders nichts weiter als schwärmende Nymphen im Ge- 
folge des Bakchos sind, nur unter verschiedenen Namen. 

264) Apul. de mag. c. 43. Flut. def. orac. p. 415. 



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176 D. Die Schwärme. I. Der &{ujjog des Dionys, Nymphen u. Satyren. 

Ilesiod auch die Nymphen mit darunter zält, mithin wohl auch 
die Satyren, die von jenen nicht zu trennen sind (vgl. Hes. 
Frag. 129=28), und diese Nymphen sind ihm nicht einmal 
YÖUig unsterblich: denn in Frag. 163 (bei Plut. a. O.) lässt 
Hesiod eine Nymphe sagen : » Zwölf Menschenalter lebt eine 
Krähe, ein Hirsch vier Krähenalter, ein Rabe drei Hirschalter, 
eine Palme neun Rabenalter, wir Nymphen endlich, wir Töch- 
ter des Zeus , zehen Pälmenalter. a Die Nymphen haben mit 
den anderen Dämonen das gemein, dass sie Besessene machen 
können, sodass nymphenbesessen [wfiq^SXrjnTOQy lympha- 
tus) so viel wie besessen überhaupt [daif.iovit,wv) ist. Beweisen 
«ie sich in dieser Beziehung als reine Geister , so müssen sie 
daneben doch auch oft sehr körperhaft gewesen sein, da so 
viele Götter und Heroen mit ihnen gezeugt worden sind. Es 
bestätigt sich also hier, was wir S. 21 von den Nymphen und 
Satyren angenommen haben, dass die dem Wald imd der Wild- 
niss angehörenden Nymphen und Satyren eigentlich unter- 
irdische Geister sind : denn nur unterirdische Geister können 
Besessene {larvatos, cerritoft) machen, und dieser Wirkung sind 
auch die Satyren fähig, wenn auch nicht unter ihrem gewöhn- 
lichen Namen, doch als Pane , Faune, Kureten und Koryban- 
ten^^). Zu verwundem ist es nun freilich, dass diese aus 
Geistern Verstorbener entstandenen Wesen erstlich wiederum 
^io körperhaft und zweitens auch so zeugungslustig und so geil 
geworden sind. Die Geilheit nun haben sie erstlich mit ihrem 
Führer , dem Dionysos gemein , welcher in den Hades hinab- 
geht, obgleich er von Haus aus ein himmlischer Geist ist, 
zweitens mit dem Priapos, welcher unter den irdischen Die- 
nern das ist was jener unter den himmlischen, und sie erklärt 
sich einfach daraus, dass alle Fruchtbarkeit aus dem Erdboden 
2u kommen scheint. Die Körperhaftigkeit aber theilen sie mit 
allen den anderen Gestalten der Griechischen und Asiatischen 

265) Vgl. Eur. Hipp. 136. Meine Rel. d. Römer I. p. 183. 185. 



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Anhang: Von d«n Eiben und Zwergen. 177 

Mythologie. Sind doch die himmlischen Götter auch Ursprünge 
lieh wohl als Greister gedacht worden^ und ihre Erscheinung 
ist doch nicht minder körperhaft. Und wenn wir sagen ^ dass 
die Satyren u. s. w. gleich den Zwergen der nordischen My- 
thologie aus Geistern Verstorbener geworden seien^ so meinen 
wir damit nicht , dass sie manes, Schatten^ geblieben seien. 
Alle Dämonen haben die Machte sich sichtbar und unsichtbar^ 
fühlbar den Sinnen und unf iihlbar zu machen , und was heisst 
das anders , als dass sie jede beliebige Gestalt annehmen kön- 
nen und sich verwandeln in Grosses und Kleines , ja sogar in 
Feuer und Wasser und jegliches Element? Darin sind einige^ 
wie Proteus, besonders berühmt geworden ; und darin besteht 
auch ihre Zauberkraft. Am Ende kehren sie freilich immer 
wieder in eine gewisse ihnen eigene Gestalt zurück ; doch das 
thut ihrer Gdsterhaftigkeit keinen Eintrag. 

Da somit diese Dämonen den nordischen Schwarz- 
Eiben, sowie andere den Licht-Eiben, gleichen, so ist es 
wohl der Mühe werth, auch diese zu betrachten. 

Anhang: Von den Eiben und Zwergen. 

^Die Eiben« , sagt Lüning in der Edda p. 42, »sind licht 
und schön : man opferte ihnen wie den Äsen , und Äsen und 
Eiben werden häufig zusammen genannt ^^), namentlich im 
Gegensaze gegen die Riesen. Alfheim liegt der Asenwelt 
nahe: Frey, der Gott der Fruchtbarkeit (s. über ihn oben), 
erhalt es als Zahngeschenk, Die Eiben sind Göttern und Älen- 
schen freundlich und hold, die entwickelnden Kräfte des lich- 
tes tmd der Luft. Eine Individualisirung tritt unter den Eiben 
nicht hervor. Die Zwerge stehen den Äsen zwar femer, ar- 
beiten aber doch in ihrem Dienst und verfertigen als kunst- 
reiche Geschmeide für die Äsen alleriei Geräthe. Klein und 
hässlich von Gestalt, hausen sie im Innern der Erde, in 



296) Sid verhalten sieb zu eiminder wie ^io( und StUfiwUj i. o 

Härtung, Rel. u. Mythol. d. Gr. II. 12 



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178 D- Di« Schwinne. I. Der <^aot cL DionyBOB» Nymphen u. Satyren. 

Klüften und Steinen, nnd können das Tageslicht nicht er- 
tragen. Zu dem Gebiet der Zweige gehört Alles, was im In- 
nern der Erde, in Erz und Gestein^ geheimmssvoll wirkt 
und treibt, um für die Entwicklung der Menschen nuzen- 
bringend yerwendet zu werden. « 

»Die Zwerge treten, da sie bei bestimmten Gelegenheiten 
bestimmte kiinstUche Geräthscfaaften verfertigen , als Indivi- 
duen auf, und diese g^edem sidi in drei Abtheilungen unter 
drei Häuptlingen. « Liining bemerkt noch , dass die Zwerge, 
bei ihr» nahen Verwandtschaft mit den Eiben, auch manchmal 
mit diesen, namentlich den Duükel-Elben, verwechselt wer- 
den, und diese Yermengung theils in dem Emporstreben 
eines Theils der Zwerge an die Erdoberfläche sich 
zeige , theils darin , dass unter dem Namen der Zwerge Al/r 
vorkommen. Hierzu bemerken wir, dass der unterirdische Auf- 
enthalt überhaupt nicht zu dem Wesen der Zwerge nothwendig 
zu gehören scheint, und dass wenigstens die Yergleichung mit 
den entsprechenden Griechischen Wesen jenen AuDmthalt 
nicht bestätigt. Und die Aehnlichkeit der Schwarz-Eiben mit 
den Daktylen , Kabiren und Pataeken ist bereits von Grimm 
erkannt worden (D. Myth. p. 416). Derselbe bemerkt ferner^ 
dass, während die Zwerge den schmiedenden Göttern (Wieland 
— Hephaestos) nahe stehen, sidi dagegen die Eiben dem Di^oste 
der Feen (Idisen) und guten Frauen anschliessen. » Der Zwerg, 
sagt er weiter, wird frühzeitig ein Chreis, der Eibkönig wird 
gewöhnlich als weissbärtiger Aher geschildert. Die Lichtelben 
sind wohlgebildet, ebenmässig, die sehwarzen'klein» häasUch, 
missgestaltet , wozu noch der Höcker kommt und die grobe 
Tracht. Die Eiben bilden «n Volk, wie die Riesen, die Äsen» 
die Wanen, und diesem Volke steht ein König vor, so wie die 
Hulda Königin des Huldre-VoÜLes, Berhta Königin der Heim- 
chen (maneif) ist: und dieser König heisst JMerich (Oberoa). 
Die Zwerge aber, Erdmännlein oder wie sie sonst noch heissen» 
umgeben einen König oder Kaiser in s^er unterirdischen Be- 



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Anbang: Von den Eiben und Zwergen. 179 

hausung; den Kaiser Karl^ Friederich, Dietrieh «. s. w., in- 
gleichen auch die Frau Venus (Holda). in ihrem unterirdischen 
Aufenthalte , und namentlich wurde Dietrich von Bern durch 
einen Zwerg in den Berg hineingeführt am Ende seines Le- 
bens« (Grimm p. 421). Dieses gute Völkchen erweist sich den 
Menschen meistens freundlich , diut ihnen Dienste durch 
Schmieden ; Waschen, Backen, sie bedürfen auch mitunter 
selbst menschliehen Beistandes , lohnen durch Kleinode und 
bringen Glück : sie kennen verborgene Heilkräfte der Pflanzen 
und Steine, leben einfach und naturgemäss, können aber eben 
darum mit der Treulosigkeit und Tücke verderbter Menschen 
sich nicht vertragen , und fliehen oder verschwinden aus einer 
Gegend, wo sie dergleichen schlimme Erfahrungen machen. 
Aber auch Gloekengeläute und andere Beweise überhand nel^ 
mender Cultur, wie Ausreuten der Wälder, Pochwerke, sind 
im Stande, Urnen einen Aufenthalt zu verleiden. Weniger hört 
man von d^i Ijichtelben erzälen. Zwar wenn gefiüirliche Pfeile 
von Eiben aus der Luft geschoss^i werden (welche an die Pfsile 
des Phöbus und der Artemis erinnern), so rühren sie ohne Zwei- 
fel von lichtelben her, doch wenn der Donnerkeil Albschoss 
heisstyso kann er von unterirdischen Schmieden, einer Art von 
Kyklopen, geschmiedet sein. Ein schädlicher Anhauch der Eiben 
bringt Thieren und Menschen Krankheit, und ihr Schlag lähmt 
oder tödtet : auch ihr böser Blick schadet. So spielen sie audi 
mandie schlimme Streiche den Menschen in Koboldsnatur, 
sind diebisdi, entwenden Kinder und schieben Kidkröpfe und 
Wechselbälge unter, und die Nixen (Wasserelben) ziehen Jüng- 
linge, die Nixer Bfädchen zu sich hinein, mit ihnen zu buhlen. 
Gleich diesen lieben auch alle Eiben Tanz und Musik (wie die 
Sirenen und die Musen) 5 und der Eibinnen Gesänge locken 
JüngEnge auf den Berg, woselbst sie verloren sind (Grimm 
p. 438) . Auch in der Frau Holdas Wohnung und im Venusberg 
ist Gesang und Tanz, und das Tanzen der Feen in schönen 
hellen Sommernächten bei Shaxpeare gleich dem Tanze der 

12* 



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ISO !)• IK« Schwfinne. I. Der O^imaog d. Dionj-Bot, Nymphen u. Satyren. 

Venus sammtNjrmphen undGratien beiHoraz (TV, 7,5. I, 4, 5) 
sind bekannt. In wüsten Nächten dagegen, in Sturm und 
Regen tanzen die Hexen , die zu den Eiben nicht anders wie 
die Hekate zur Artemis sich verhalten. 

Ein Nachklang von diesen nordischen Zwergen scheint 
zu den Hellenen sdion in ganz früher Zeit gedrungen zu sein : 
denn wer sollte dieselben nicht wieder erkennen in den Home- 
rischen Pygmaeen, welche am Ende der Welt wohnen, wo- 
durch sie ihre Einheit mit den Geistern der Hingeschiedenen 
desto deutlicher kund geben. Es gab ja auch unterirdische 
Pygmaeen in Indien ^') . Dem Herodot HI , 37 zufolge sehen 
sie wie die Foenischen Pataeken aus und wie der Aegyptische 
Hephaestos. Vielleicht war auch der afiixgog avr^g %a>lx£0^ ^^^ 
aidoiov fiiya im Tempel zu Mabug (Lukian de Syr. c. 16) ein 
Pataeke oder Pygmaeos. Dass aber die Kraniche , wenn sie 
vor dem Winter fliehen müssen, über die Pygmaeen herfidlen, 
das mag wohl seinen Grund darinnen haben, dass sie dieselben 
für Zauberer und Urheber des Unwetters halten (E. y, 6). 

1. Von den Nymphen. 

Nvfiq>a bedeutet so viel wie puella oder wie Idis. Aueh 
xoQai (Mädchen) weyden die Nymphen genannt ^^). Je nach 
ihrem Aufenthalte werden sie auch Quell-, Berg-, Wald- und 
Seenymphen ^^) genannt. Bei Homer heissen sie Mädchen 
des Zeus ^^^) und sind dennoch seine Ammen, wie sie auch die 
Ammen des Dionysos bei späteren Dichten heissen. Hesiod 
nennt sie Töchter des Okeanos , weil alle Gewässer aus dem 
Okean entspringen und aus dem Erdboden henrorquellen. Die 



267) Ktes. Ind. II. p. 260. Plin. VI, 32. VII, 2. 

268) Od. Ci 123 xovQcttov ~ Nvfi(fdt)v. £ur. ras. Henkl. 787 ^Aa»- 
nCdig xoQai. Rhes. 932 ntjyaCtue xogaig, 

269) rrftdig oder raiacTcc, oofirecTfc, ^Qvadef, XsifioiVKtir, aX$ai, vantuai 
X. T. X, 

270) xovga^ Jioi Od. c, 154. r« 356. q, 240. 



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1. Von den Nymphen. 18 t 

Nymphen gehören daher zu den halb unterirdischen Wesen, 
woher auch das Unheimliche ihres Wesens kommt (Theokr. 
Xin, 44) . Auch wohnen sie nur an Quellen, wodurch sie sich 
von den Flussgöttem unterscheiden (H. r, 7 — 9), im Wald 
und in der Wildniss , imd sind daher auch immer in Gesell- 
schaft der Satyren, mit denen sie auch Hesiod (Frag. 129) ssu- 
sammenstellt. Mit der Artemis , welche ebenfalls die Einsam- 
keit im Wald und die Wildniss liebt , führen sie Reigentanze 
auf (Od. f, 105. ju, 318) gleichwie die Eiben mit der Feen- 
königin, auch weben und spinnen sie gleich der Frau Hulda 
und Berhta (Virg. Georg. IV, 334. 349). Homer (Od. v, 103) 
beschreibt eine Nymphengrotte also: »Eine liebliche dämme- 
rige Grotte den Najaden geweiht; darinnen stehen steinerne 
Krüge und zweigehenkelte Urnen, imd da bauen hernach Bie- 
nen : darinnen sind femer lange Webebäume von Stein , wo 
die Nymphen Gewänder weben, ein Wunder dem Anblick, 
und unversiegliche Quellen. Die Grotte hat zwei Eingänge, 
eine nördliche für die Menschen, eine südliche für die Götter, 
die nie ein Mensch betritt, a Damit ist die Beschreibung der 
Grotte der Kalypso Od. «, 57 ff. zu vergleichen, in welcher 
Grotte die Nymphe singt und mit goldener Spule dabei webt. 
Dass die Nymphen weissagen und dass sie mit Wahnsinn be- 
halten können , werden wir an einem andern Orte genauer zu 
erwägen haben. Viele Helden haben mit ihnen , so wie mit 
den Idisen und den Walkyren , Liebschaften gehabt und viele 
Helden ^d auch von ihnen geboren. Trozdem sind sie unter- 
geordnete Dämonen und nicht einmal völlig unsterblich^^). 
G^gen die auch von miipschon vielfach bestrittene Be- 
hauptung, dass die Alten kein Naturgefühl gehabt hätten, er- 
innert Lehrs an die Nymphen. »Dass man diesem, sagt er, »hie- 



271) Nach Hesiod Frag. t63 lebt eine Nymphe nur neunmal so lang 
wie ein Palmbaum, nach dem Hom. Hymnus Aphrod. 267 aber nur so 
lange wie ein Baum, womit Pindar Frag. 142 (p. 245 m. Ausg.) Oberein- 
stimmt. 



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182 B* I^ie Schw&rme. L Der &€«iao^ d. Dionyisos, Nymphen u. Satyren . 

bei gar sehr vergas«, ist ein ein bedauerlicher Beweis, wie leb- 
los das , was wir Mythologie nennen y in den Köpfen der Gre- 
lehrten ist, wie wenig noch nauner mit den sogenannten my- 
thologischen Namen und Gestalten das religiöse Gef iUü ver- 
bunden wird, welches sie ausdrücken und welchem sie ifaar Le- 
ben, ihre Bedeutung, ihre Schöpfung verdanken.« Feraor 
sagt er, das Wesen der Nymphen erklärend : »Der Grieche ist, 
recht im Gegensaz eines neueren schroffen Materialismu», der 
' ausgemachteste Spiritualist. An Berg , Grotte , Fluss, Wellen 
und so fort interessirt ihn die Materie gar nicht; sie ent- 
schwindet ihm : was ihn angeht, was ihn anspricht und erfasst 
ist die Anmuth , die Klarheit und die Regsamkeit der Ck^le, 
die sichere Kraftfülle des Flusses , das schattige Dunkel des 
Haines, die üppige Frucht der Trift, das feurbige Wellenspiel 
des Meeres — kurz diese und solche gleichsam seelische Eigen- 
schaften , die wieder auf seine Seele wirken, die aber er eben 
nicht auf&st als Eigenschaften an einem Körper, sondern em- 
pfindet als Lebensäussemngen, als göttliche Wirksamkeiten. « 
Femer sagt er: i^Wenn der Grieche die Regsamkeit, Anmuth, 
XJeppigkeit , Heiterkeit , Keckheit des Naturlebens sidi vor- 
stellt, schaut er gleichsam nicht in die Natur selbst, sondern 
wie in einen Spiegel , in welchem ihm jene Eindrücke in Ge- 
feiten reflectirt sind, die in Anmuth, Heiterkeit, Keckheit 
ihrer Bildung und Bewegung und lebendigen Geselligkeit jene 
Eindrücke wiedergeben. « 

Es ist ganz richtig, dass von dem Naturgefühl der Alten 
auch die Nymphen Zeugniss geben, allein es genügt nicht und 
trift nicht zu, wenn man in dem Wesen dieser Dämxmen bloss 
eine Yergeistigung imd allenfalls auch Personificirung der 
Fändrücke, welche die Natur auf den Menschen macht, erken- 
nen will. Denn z. B. sogleich der Name vvfitpay d. h. pueüa 
(junges Weib oder Mädchen) erklärt sich nicht aus dieser Auf- 
fassung, imd noch viel weniger das Spinnen und Weben, und 
am allerwenigsten das Gefasstwerden von den Nymphen , der 



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1. Von den NjrmplMn. iS3 

'WahTMrinn und die Krämpfe, wekhede gleich den Panen den 
Menschen anthon konnten. Die Alten hatten ein Naturgef ühl, 
und zwar ein sehr starkes , allein es war ein unbewnsstes und 
passives Gefühl, weil alles, was in der Natur vorgieng, Wir- 
kung von Dämonen war, denen die Menschen mitsammt der 
nnbeseelten Natur sich unterwarfen fühlten. Zu diesen Dämo- 
nen gehörten anch die Nymphen, in deren Wesensausprägung 
aOerdings auch solche Züge aufgenommen waren, die als eine 
Abspiegelung der Eindrücke, welche die Waldemsamkeit, die 
Grotten und Quellen auf den Menschen madien , erscheinen 
konnten. Die bösen Geister halten sich in Wüsten, yerfedlenen 
Schlössern imd Buinen auf, ohne daher zu stammen oder von 
daher ihre Eigenschaften zu beziehen : ebenso verhält sich das 
Wesen der Nixen oder der Nymphen zu ihren Aufienthalts- 
orten , Aea Quellen , Grotten imd Wäldern. Das Böse hat Sei- 
nen Urqnrung in der menschlichen Natur, und so auch der 
Wahnsinn, der gutartige sowohl (die Begeisterung) als der 
krankhalte , und die Einhauchung des Wahnsinns dürfte wohl 
früher zu den Eigenschaften der Nymphen gehört haben ^ als 
ihr Baum-, Wasser- und Grottenleben, es müssten denn etwa 
das Wassertrinken und die Waldeinsamkeit wirklich in alten 
Zeiten Bausch , Wahnsinn und B^feisterung sammt epilepti- 
schen Krämpfen zu erzeugen fähig gewesen sein. Es verhält 
sich aber mit den Wunderkräften dieser Elemente so wie mit 
der Wettermacherei des Mardes und wie mit dem GUauben an 
die Wunderkraft so vieler Pflanzen und Steine , welcher auf 
keiner gemachten Erfahrung beruht, sondern auf der Annahme, 
dass der Stein oder die Pflanae einem grossem Dämon ange-* 
höre, welcher sich darin kräftig erweise. 

Wir werden in den folgenden Betrachtungen den Nym- 
phen einen anderen Ursprungs als die Yergeistigung und Be- 
lebung der freien Natur, vindiciren. Hier bemerken wir nur, 
dass die enge Vereinigung derselben mit daxi Baumleben als 



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1 84 D* Die Schwärme. I. Der &iteaot d. Dionysos, Nymphen u. Satyren. 

DryadNi und Hamadryaden , wie Lehrs p. 94 sdbet andeutet» 
zu dem Mifi&f erstehen des Volksglaubens gehört. 

Z. Die Satyren. 

Hefflod Frag. 192 sagt: «Vom Hekatos^^ imd der 
Phoroneus-Tochter itanimen fünf Töditer, und von diesen die 
Nymphen^ die Satyren und die Kureten^^^). 

Diese Zusammenstellung der Satyren sowdlil mit den 
Nymphen als auch mit den Kureten ist wohl zu beachten^ und 
gibt uns sogleich den besten Aufsdiluss über ihr Wesen. 
Ueberall erscheinen die Satyren in Gesellschaft der Nymphen^ 
auch noch bei Horaz : mit ihnen führen sie TSnze auf in Wald 
und Feld, mit ihnen lauschen sie dem Unterrichte des Bakchos 
in einsamen Grotten, mit ihnen begleiten sie denselben Gott 
und bilden seinen Schwärm, mit Nymphen jagen sich die Sa- 
tyren in verliebtem Muthwülen, Nymphen bdiauschen sie ini 
Schlafe u. s. w. Die Satyren sind in der That nichts weiter 
als männliche Nymphen, Dämonen der freien Natur, und ver- 
halten sich zu jenen ganz so wie« ihr Meister, der Dionys, zu 
der Artemis : dass sie so hässHch sind, das verdanken sie eben- 
fitlls einer Eigenschaft ihres Meisters: denn auch der Dionys 
wird Springer Satyr {aiiiiiTtjT^s UdTVQOg) genannt in einem 
Orphischen Hymnus (AnthoL IX, 524, 19), und er gestaltet 
sich sogar zum Fan und zum Priap imi. Der Name amvfog^ 
"^vlwQog bedeutet Bock^^^). Darum wird bei Aeschylua 
Frag. 219 (p. 38) ein Satyr auch mit dem Namen Bock an- 
geredet ^^^) . Das Wesen dieser Dämonen zeichnet Hesiod tref- 
fend mit den beiden Prädikaten ovttdavol und d/ÄfixctroB((yoiy 



272) Die Hdschrr. haben freilich *Exar^Qov und 'Exara^ov. 

273) i^ iy 0VQ€iai NvfOfat. d-ia\ (ityiyovro 

XovQrjHg n d-iol (filoTrafyftovig OQj^ijariiQig, 

274) Schol. Theokr. III, 2. Phot p. 591. Serv. Virg. Ecl. I. K 

275) TQayos, yivttov uqu mv^riaeig f«/«, Bock, Bock, du wirst 
dir gleich den Bart verbrennen, weh! 



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2. Die Satyren. 185 

Taugenichtse, die nichts arbeiten mögen. Aber da^ 
bei sind sie wizig und fiast so geistreich wie verliebt. Wenn 
wir noch die Satyrspiele übrig hätten , in denen sie den Chor 
bildeten , so würden wir uns an ihrer Erscheinung nicht min- 
der oft ergezen als an Hans Falstaff und seinen Genossen : 
nun aber müssen wir uns mit dem einzigen Drama des Euri- 
pides begnügen, aber das ist auch vollkommen genügend. 
Die dortigen Satyren sind, wie ich in meiner Einleitung zu 
jener Dichtung gesagt habe, »feige aus Grundsaz imd In- 
stinct, entbehren somit der moralischen Kraft und Selbst* 
Überwindung, und kennen fest nichts Höheres als den Wein 
imd die sinnliche liebe. Dabei sind sie immer heiter und gu- 
ter Laune , auch Philosophen , sofern sie mit Bewusstsein dem 
Angenehmen nachgehen und das Unangenehme vermeiden. 
Die Kämpfe und Mühen der Heroen müssen ihnen als Thor- 
heit erscheinen , doch sehen sie die Boxereien gerne , lassen 
sich gerne die Kastanien aus dem Feuer holen, und bramar- { 
basiren auch gerne. Sie ignoriren die Cultur, gleichwie auch 
die Nymphen , mit denen sie auf Bergen und in Wäldern her- 
umspringen und die Liebesfreuden haschen. « Bei diesem Cha- 
rakter sind sie nicht wesentlich verschieden von ihrem Meister^ 
dem üppigen Weichling, nur dass dieser ein Sardanapal ist, 
sie aber Nichtsthuer imd genusssüchtig und von gemeinem 
Stande. Wenn des Gottes Wesen nach seiner Geburtsstätte 
Nysa und nach den im Freien begangenen Orgien ein gewisse» 
goldenes Zeitalter vergegenwärtigt, in welchem man nicht zu 
arbeiten , sondern bloss zu gemessen brauchte , weil die Natur 
alles von selbst in Ueberfluss hergab, so stellen die Satyren ein 
zwar halb-thierisches, aber geistig wohlbegabtes Urvolk vor, 
welches dem Culturzustande , wie auch dem Sündenfalle, vor- 
hergieng. Hier gibt es noch keine Pflichten und erlaubt ist 
was gefallt. Eine interessante Rolle muss dieses Völkchen in 
des Prometheus Feuerdiebstahl bei Aeschylus gespielt haben, 
wenn es Zeuge jener That war, durch welche die Menschheit 



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186 D- I^e Schwinne. I. Dtr ^4m&og d. Dionysos, Nymphen u. Sat3rren. 

aus ihrem thierischen Zustand herausgerissen werden sollte» 
einer That , die zugleich als die ente Sünde von den Göttern 
angesehen und mit einer Gegengabe vcm Uebeln bettiaft wor- 
den ist. Die geistreichen Müssiggänger werden aber auch hier 
wieder die lustigen Zuschauer gespielt haben» ohne irgend eine 
Versuchung in sich zu verspüren zur Antretung eines Heroen- 
thuras» welches seinen Trägem ausser dem leicht entiidirlidien 
Buhme nicht viel Vergnügliches zu versi^rechen schien. Im 
Hebrigen haben die Satyren alle Eigenschaften mit dem Pan 
gemein : sie tanzen gerne mit den Nymphen, stellen ihnen auch 
«ach in Geilheit» sie blasen die Syrinx und die P£eife» sehla* 
gen die Becken und schwingen auch den Tbyrsus als schwär^ 
«ende Begleiter des Bakchos gleich den Nymph^i oder Mae- 
naden» und hierinnen feülen sie auch mit den Eorybanten zu- 
sammen ^^). Ihr Tanz aber ist der Sikinis, der ebenfalls aus 
Phrygien vom Kybeledienste herstammen soll » oder auch aus 
Kreta» und ausdrücklieh ein Korybantischer Tanz genannt 
wird 2"). 

Die Satyren werden alle als junge Burschen (xi^ot. — xov- 
f^eg) gedacht : ihr Papa bei Euripides ist der %lenos» und das 
ist übertxaupt das Verhältniss der Silene zu den Satyren» dass 
jene» so zu sagen» alte Satyren» diese junge Silene sind^®). 
Die Sache aber ist die » dass die Silenen dem kleinasiatischen» 
besonders Lydiscben» Glauben, so wie die Satyren dem Helle- 
nisehen » angehören » und dass man sich jene gern als alt und 
glazköpfig dachte, alle nach dem Muster des Ursilens» de» Er^ 
aiehers des Dionys. Indessen gibt es doch audi bei den Saty- 
ren sowohl alte als junge. 



276) Eur. Bakch. 120 ff. Kykl. 430. Horat. Od. I, 1, 30. 
Apollod. n, 1,4. m, 5, 1. 

277) Bustath. II. n, 61». Athen. XIV. p. 630 B. Er wiid mit 
der nv^^xv verglichen, und auch arfar^oinjn} genannt: Hesych. v. u. 
Athen, a. O. 

278) Paus. 1 , 23 , 6 rovg iflixitf ttSv aatvqtov nQOtiXwrag ivofi^Covai 
ertJlijrovc» 



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3. Der 8ilen und der Marsyas. 1S7 

3. Der Silen und der Nar^yas» 

Der wiederbelebte und m den Himmel erhobenen AtÜB, 
welt5hem Zeus Thron und Scepter abtritt , hiess nanag d. b. 
Pappa bei den Phrygem^*) . Der alte Silen führte den näm- 
Kchen Namen ^, woraus die ursprüngliche Einheit desselben 
mit dem Attis und dem Dionys zu entnehmen ist. Er wird der 
Ernährer oder Erzieher des Dionys genannt : doch das sind auch 
die Nymphen , wesshatb Diodor (lY ^ 4) atn diesem Prädikate 
nicht gar zu viel hätte machen sollen , nicht einen Lejirer und 
Führer in den edelsten Künsten und Erheber zu Ruhm und 
Tugend. Zwar ist dieser Trunkenbold, der immer schief auf 
seinem Esel hängt, auch ein Weiser, der im Gespräch mit dem 
König Midas und im Streit mit dem Olympus unter anderen 
die Sprüche verkündet: Nicht geboren zu sein ist das Beste 
u. s. w. Armer Eintagsmensch, du sdiwazest Thorheit 
u. s. w.^*). Doch scheint ihm auch damit zu viel Ehre ge- 
schehen zu sein : er besass eben Weissagungsgabe wie der Pan 
und die Satyren auch. Bei Euripides ist er ein nicht minder 
grosser Taugenichts als seine Jungen ; er prellt den plumpen 
Kyklopen , und ist betrügerisch und verlogen troz einem ehr- 
losen Sclaven , imd schwört fedsch bei dem Leben seiner eige- 
nen Kinder : dabei ist er so renommistisch wie feige , indem er 
als Schildknappe des Dionys im Gigantenkrieg den Riesen 
Enkelados todt hingestreckt haben will, wie der Fallstaff den 
Heissspom Percy. Der Silen hat übrigens die Schrulle mit 
den Teichinen und den missgestaltigen See -Dämonen ge- 
mein, dass er zur Offenbarung dessen, was er weiss, ge- 
waltsam gezwungen, und zu dem Zweck erst listig muss ge- 
jE&ngen werden. Das geschah ihm vom König Midas in seinen 



279) Bnttatfa. II. f, 408. Diod. UI, 58. HippoL lefl hMr. V, 9. 

280) Po 11. IV, 142 6 nannas o Setl^iv^g r^ i^^ft^ i^frl afi^iuä^atBfog, 

281) Aelian V. H. IH, 18. Plut. oonsoL c. 27. Cic. Tose I, 48, 
114. Find. Fragm. 134. p. 225. 



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1 88 I^- I)ie Schwinne. I. Der ^(aof det Dionys» Nymphen u. Satyren. 

Rosengärten , auf dem Gebirg Bennion , der ihn durch Ver- 
mischung einer Quelle mit Wein berauschtet^). 

Diodor (in, 72) erzält, dass die edelsten der Bewohner von 
Nysa, Silenen genannt , mit dem Dionys gegen den Kronos zu 
Felde gezogen seien : und der erste König von Nysa sei der 
geschwänzte Silen gewesen , wesshalb seine Nachkommen den 
Schwanz als Abzeichen beibehalten haben. Pindar (Fragm^ 
133) nennt den Silen »Maleabürtigen Gatten einer Najade, 
Aelian (YIII , 18) nennt ihn Sohn einer Nymphe und sagt, er 
war zwar geringer als ein Gott , aber mehr als ein Mensch we- 
gen der Unsterblichkeit. Indess will Pausanias (VI, 24, S) auch 
Gräber von Silenen bei den Hebräern und Pergamenem ge- 
sehen haben. Nach Servius (Ecl. VI, 13) war der Silen auch 
aus den Blutstropfen des (entmannten) Coelus entstanden. 
Sillos bedeutet Glazkopf^. Die Silene sind das was sie 
heissen, Stumpfiiasen» Glazköpfe, dabei Dickbäuche ^. Der 
Esel vertritt bei den Silenen die Stelle des Kentauren* Pferdes. 
Auf Eseln ritten auch die Satyren, als sie mit dem Dionys gegen 
die Giganten zu Felde zogen , und die Esel haben durch ihr 
blosses Schreien schon die Giganten erschreckt (Eratosth. xot- 
lacrr. c. 12). Uebrigens sind die Silenen Dämonen der Ge* 
Wässer Auen und Haine, wo man sie am liebsten heimisch 
dachte, und werden daher gewöhnlich mit einem Schlauche ab- 
gebildet, welcher die Urne der griechischen Flussgötter vertritt. 

282) Herod.VIII, 138. KononI, 1. Philostr. imag. 1,22. p. 763. 

283) Hesych v. ttv«(fuXXnvt6g\ vielleicht bedeutet es eher Stumpf- 
nase, sofern es Eins sein sollte mit atfAog i und weil Nasen-Kümpfen {noto 
9u$pendere aduncoj so viel wie höhnen, spotten ist, so bedeutet aiiXaC- 
vuv und aiiXovy sich moquiren (vgl. Aelian UI, 40}. Zwar die Gram- 
matiker sagen, atXXovp bedeute zuerst die Augenverdrehen : allein Augen- 
verdrehung wird niemals fQr Hohn und Spott genommen : darum scheint 
hier ein MissverstAndniss su Grunde su liegen. 

284) Lukian deor. concil. 4: o <faiax^ y^Q^>v» aiftog t^ ^rm, in' 
o»^t; r« ;io>Ucr oxovuivog , Av^og •ittog' ol <fi £aTv^i iU'C ra mta, aeol 
avTol (fiiXaxQoi, Migdarttt., ola roh «^r» ytwii&ttüip i^tf^^tg r« uäf^tm vn^ 



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4. Kerkopen und Kobolde. 1 89 

Das war auch bei dem Marsyas der Fall^ einem Fluss-Dämon 
bei Kelaenae in Phrygien, dessen Schlauch , als Symbol und 
Stellyertreter^ am dem Mährchen Anlass gegeben hat^ dass der 
Dämon von Apoll , mit welchem er den Wettstreit im Flöten- 
spiel eingieng, sei geschunden worden (Herod. VII, 26 . Denn 
dieser Schlauch hieng in der Grotte , aus welcher die Quelle 
des Baches Marsyas hervorquoll (Xenoph. Anab. I, 2, 6). 
Der Marsyas aber wird allgemein sowohl ein Silen als auch ein 
Satyr genannt**^). Er war aber ein Flussgott: denn Max. Ty- 
rius p. 235. Ijeid. sagt : » die Phrygier verehren zwei Flüsse oder 
Bäche, den Marsyas und den Maeander. Ich habe sie gesehen : 
sie entspringen aus einer Quelle, welche unter dem Boden ver- 
schwindet und dann getheilt wieder hervorkommt. Man opfert 
thrils dem einen theils dem anderen , und wirft die Schenkel- 
Stücke in das Wasser. « Ein Wasserdämon muss darum auch 
der Askanios sein, weil er seinen Namen von oorxd^ Schlauch 
hat. Die Silenen bestätigen durch ihren Aufenthalt bei Ge- 
wässern , das was wir gleich anfangs von den Satyren gesagt 
haben dass sie als männliche Wesen das Nämliche was die 
Nymphen zu bedeuten haben. Darum sagt auch der Hom. 
Hymnns auf die Aphrodite richtig (Vs. 263) , dass die Silenen 
und der Hermes mit den Nymphen in Grotten sich begatten, 
»die Nymphen, welche zwischen Göttern und Menschen zwi- 
schen inne stehen, ein langes lieben haben und unsterblich- 
machende Speise geniesen und unter Göttern in schönen Rei- 
gen sich bewähren, a 

4. Kerkopen und Kobolde, 

Die Kerkopen sind, was ihr Namen besagt, geschwänzte 
Menschen gleich Affen, für welche sie auch manchmal gehalten 
werden. Ihr Wesen und ihr Verkehr mit dem Herakles in Satyr 
dramen entspricht ganz imd gar dem der Satyren, und Silenen, 

285) Plato lymp. p. 216 B. Athen. IV. p. 284 A. Plut. miu. 5, 7. 
Paus. X, 30, 9. Anthol. Vn,698. 



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190 !)• IHe Schwärme. I. Der Mmmc dM Dion^n, Nymphen u. Satjrren. 

mit denen sie Eins sind, so wie auch die Kobolde KoßaXoi 
niiaqot^ y diei&Oi Charakter Ton Heiych gans wie der Ton 
nichtswürdigen Eckenstdiem beschrieben wird^^). Das war 
also der Charakter^ in welchen diese Wesen in den Satyrdra- 
men geschildert waren. 

Woher der Name Kobalos komme, weiss man nicht, 
aber das8 er mit K o b o 1 d und ^e&» Eins sei, ist anerkannt ^ . 
Das Wort ist wohl schwerlich griechisch, und schweriich haben 
auch wir unseren Kobold von dorther entlehnt, so wenig ak 
die KaboteraBKabouter=EJabouter-Männchen und Klabbers, 
obwohl J. Grimm D. Myth. p. 470. das glaubt. Wie sollte das 
seltene, selbst manchen Grelehiten unbekannte, grieddsche 
Wort unserem Volke bekannt geworden s^n? 

Die Kerkopen begegnen dem Herakles in der Gegend yon 
Oedialia, dann wieder in Ligurien , als er mit dem Geryones 
kämpft, und endlich audi in Lydien, wo er die Gefangenen zur 
Belustigung der Omphale schenkt^) • Ihr Wesen wird überein 
wie das der Kobolde geschildert : sie sind Lügner und Betrüger 
[Hanoi y noixiXoiy novtjqoiy navovQyoi) &ul und gewissenlos 
(eTrioQxoi xai aQyol) und dabei sehr wizige, spöttische Tauge- 
nichtse. Und diese wizige lAune lassen sie sieh durch kein 
Schicksal rauben. Als in Lydien der Herakles zwei Yon ihnen, 
die ihm im Schlafe hatten die Keule stehlen und dann ihn da« 



286) Aber wohl schwerlich x6fi€iQog , eher noch xoßaiQo^. S. Hesych. 

287) navovQyog^ xaxovgyog, arwfivXoSf lälog, aatoTOg Twd-aajfig, ana- 
fttov, xaxoxoXoc, ydoiaarrjc, axmnTtic, loiifo^«rrf{c. 

288) Hesych scheint dreierlei Ableitungen anzudeuten. Er sagt a^* ov 
xalxofiiffog, (vioi fidtatcg, allot XQoraff^tfftiii (schreibe xQotaXiaTijf , denn 
die Gründe welche Lobeck gegen diese Conjectur vorbringt seheinen mir 
nicht stichhaltig) n&mlich 1) von xofix^og 2) von xodltfiog d. h. rjU^iot, 
ttvorjTog, fittraiog 3) von xofißriaai d. h. ix^^ noiov anoreliaa^. Dam 
könnt aus Suidas «ad Sohol. E«r. Hek. 129 aoeh «ine Tieiie a^ Moni* 
de e vom Dolc^, waü et Baub«r seäen ! 

289) Herod. VII, 216. Tzetz. Chil. V, 75. Suidas v. Su^v/forac. 
Aesoh. fals. leg. p. 224 (Lobeck Agl. p. 1301). Aetchrionbei Adien. 
VII, p. 296 £. Harpokr. v. K^gxwng. 



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4. Kerkopen und Kobolde. 191 

mit ermorden wollen, an ^em Tragbalken über die Schulter 
geworfen hatte mit hinabhängendeu Köpfen , machten sie die 
Bemeikungy daM das (au8 einer Fabel des Arohilochos her- 
rührende) Sprichwort: «Hüte dich ror dem Schwarzarsch «, 
als eine Weissagung ihrer Mutter Theia, jest in Erfüllung ge- 
gangen sei. Da wurden sie rom Herakles , den sie dadurch 
zum Lachen gereizt hatten , begnadigt und der Omphale zur 
Belustigung geschenkt^. Sie werden mit den Silenen zu- 
sammengehalten, als die Spassmacher der MHchtigen^^j . Ihre 
Zal ist unbestimmt (Diod. IV, 31), doch werden einige Namen 
genannt^^) . Diese leicht zu deutenden Namen (s. Lobedk Agl. 
p. 1305 f.) können zum Beweise dienen, wie häufig diese We- 
sen in Gesellschaft des Herakles (des gewöhnlichen Helden der 
Satjnrspiele) von den Dichtem gebraucht wordai sind. Schon 
dem Homer wurde ein Gedidit über sie beigelegt, welches viel- 
leicht vom Kreophilos herrühren modite^^). Dann haben 
Kratinos , Eubulos , Hermippos und Flato von ihnen gedich- 
tet^''^). Endlidi hatte auch der lambenschreiber Aeschxion sie 
aufgeffihrt»^). 

Die Kobalen heissen bei Harpokration stramme (anhiQol) 
Dämonen um dem Dionys, womit ein Grammatiker (in 
Bekk. anecd. p. 101) übereinstimmt, der sie bäurisch, derb 
und hässUch nennt. 

Die nordische Mythologie kennt auch gewisse zwergartige 



290) Archll. Fragm. 91.p. 104 m. Ausg. Tzetz. Lyk. Ol.Eudocia 
. 43. Schol. U. »,315. 

291) Plut. adul. et am. diacr. 26 xnl yaq o ^Hgaxiijg Ki^xo^jd xtct xal 

292) TQtßalXoQt ZCXlog^ EvQvßarog (Name eines Verr&thers), Kdvdov^ 
kog^'!ATXaiy IJaOtfaXoc, ^Axli^fittv^ ""SHog, 

203) Veise danrat bei Suidas v. XiQxmna und: JCv^i^/9aroc. 

294) BargX» Comment. de Com. ant. p. 24. Meineke, Comm. gr. 
U. p. 24 ff. 

295) Harpokr. v. K4^xiontg (wo falsch Atox^vris geschrieben ist), 
SekoL Lyk. 688. 



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192 !)• I^ie Schw&rme. I. Der &itta^c des Dionye, Nymphen u. Satjrren. 

Land- nnd Feld-Greister , welche grosse Aehnlichkeit mit den 
Satyren u. s. w. haben, Vättir (Wichte) genannt. Sie verhal- 
ten sich zu diesen wie die Erdmännlein zu den Daktylm, und 
sind troz ihrer Zweiggestalt gröstentheils aus dem Blute der lo- 
ten Ijkervorgegangen. In unserem Volk^lauben scheinen sie 
nicht von den Erdmännlein unterschieden zu warden. 

5. Die Kentauren. Cheiron. Piiolos. 

In Thessalien besonders, aber auch anderwärts, gab es 
vor Alters zwei seltsame Völkerschafien ^ die pferdegestaltigeu 
Kentauren und die frechen Lapithen, die mit einander ver- 
wandt waren: denn Diodor in Uebereinstimmung mit dem 
Schol. II. a, 266 macht sie zu Brüdern, als Söhne Apolls und 
der Stilbe, der Tochter des Hypseus, welcher wiederum 
von Pindar zum Lapithenkönig gemacht wird : oder auch die 
Kentauren stammten vom bdon und der Nephele , der Lapithe 
Peirithoos aber vom Ixion imd der Dia (Pind. Pyth. 11, 80). 
Troz der Verwandtschaft lagen sie miteinander im Streit, doch 
ohne einander vernichten zu können, wiewohl es heisst, dass 
die Kentauren besiegt entweichen mussten (H. ßj 744). Die 
Lapiäien heissen Männer (ävdQ€g)j die Kentauren aber Thiere, 
bei Homer (Od. (p, 299. 303) , und Pindar nennt auch den Ken- 
tauren ein rohes Thier [q^QO ayQOTeQOv) , doch sezt er hinzu 
mit Menschenverstand. Auch rohe haarige Thiere 
nennt sie Homer (II. a, 266). Und sie verdienen diese Prä- 
dikate nicht bloss wegen ihrer Gestalt sondern auch wegen 
ihrer Lebensweise : denn sie sind Rohesser {w/ÄO(payoi) gleich 
den ersten Wilden (Hesiod ^.542), schlagen mit Baumstämmen 
darein, weil sie keine anderen Waffen haben, und wissen, 
wenn sie etwas Besseres wittern, sich nicht wohl zu massigen: 
denn auf den Wein sind sie lüstern, gleich den Satyren und 
Silenen und gleich dem Kyklopen bei Homer, woraus auch die 
grosse Prügelei zwischen ihnen und denL^ithen an der Hoch- 
zeit des Peirithoos entsteht, deren Beschreibung Hesiod [äon* 



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5. Die KentaoreB. Cheiron. Phok>». 193 

123 ff.) und Homer (Od. q>, 295 ff.) g«Hen»>«). Aber dabei . 
sind diese rohen Natur- Wesen auch lasterlos und unange- 
steckt von den Entartungen der Cultur^ so unverderbt am Geiste, 
wie am Leibe ungeschwächt, besonders der Cheiron^'). JJe- 
reits Homer nennt den Erzieher des Achilleus den recht- 
schaffensten Kentauren (II. X^ 832), und Hesiod hatte Lehren 
des Cheiron [vno&riaotg Xelqunog) verfasst (s. Fragm. 178). 

Ein gewisser Hermippoe (bei Clemens AI. ström. 132, 11) 
sagt, dass Cheiron zuerst die Rechtschaffenheit in die Welt ge- 
bracht habe und die Eidestreue und die heiteren Opfer und die 
Einrichtung [oxflt'^fxta) des Olympos, und sest hinzu dass seine 
Tochter Hippo bei Euripides nicht minder weise erscheine. 
Auch seine Grattin C hari kl o scheint nicht hinter ihm zurück- 
geblieben sein, wie schon ihr Name es andeutet und Pindar es 
bezeugt, indem er denlason sagen lässt (Pyth. IV, 168) : i»Die 
Schule , das hoffe ich, Cheirons bring' ich mit , entstiegen der 
Höhle worin mich Chariklo pflegte und Philyra sammt den 
keuschen Mädchen jenes Kentaurs, kehre nach Hause inr zwan- 
zigsten Lebensjahr und habe nimmer bewiesen daselbst leicht- 
fertig Reden oderThun« (vgl. Schol. Apoll; IV, 813). Dagegen 
werden die Lapithen , welche doch keine halbthierische Ge- 
stalt haben, überall übermüthig genannt. 

Aber Cheiron, um das sogleich hier zu erwähnen, der Heros 
und Heilgott, welcher die Gresundheit selber ist, wird zulezt 
unheilbar verwundet, und entschliesst sidi, für einen anderen 
den Tod zu erleiden, um ihn aus ewigen Qualen zu erlösen. 
Dies gieng also zu : Herakles besucht ihn aus Liebe , und ver- 
weilt bei ihm in seiner Höhle; er, der Erl^er der anderen 
Kentauren, verehrt diesen und lauscht auf seine Lehren, wie 
ein Sokratiker versicherte. Da fällt zufällig einer von den ver- 



296) Find. Fragm. 143. p. 245. Eurip. Iphig. A. lOBaa^^e. 

297) Eur. Iphig. A. 609 XiCgtay (l^^^ci^cv JjTprsJUUa) tv ^d^ti fAti fia- 
^i xaMtov ßgordSv, 

Hartang,Bel. u. Mythol. d. Gr. II. 13 



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1^4 !>• IHe Schw^me. I. Der ^aaog des Dionys, Nymphen u. Setyren. 



^fteteH Pfeilen de» Herakles dem Cheiron auf dea Fuse » 
ihm ein imheilbajrea Leiden ^ gleich dem Philoktet^ znzidotifc. 
Hernach kommt Herakles zu dem an den Felsen gieaehmijede* 
ten PrometheuSy erlegt esstlich den Adler, weldi» ihm t%liek 
das Herz abfrass, und erlöst aueh den Titanen selbst Ton seiner 
Marter, und Zeus wUiigt darein unter der Bedingung, daas ein 
anderer für ihn den Tod exkide;* und zu diesem stell vertreten* 
den Opfertode entsehliesst sieh der verwundete Cheiron^. 
So hatte Aeechylus in seLaer Tragödie » der gelöste PrometheuB« 
die Sachen dargestellt 

Es gibt eine andeore Gestakung dieser Sage, in welcher an 
die Stelle des Cheinon derPholoa getreten, und der ELampf der 
Lapithen mit den KeBitaurM[i des Weines wegen in einen, 
Kampf des Herakles mit diesen verwandelt ist. HerakleSy heisst 
es, kehrt auf dem Gebirge Pholoe bei dem Kentauren Pho- 
los ein, der ein Sdin des Silenos und der Nymphe Me- 
li a war. Das Gebirge Pholoe lag im westUdben ArkadBen; 
trozdem lassen einige Gewähiamänner die Sache in Thessalien 
vorgehen^. Dieser Pholos besass ein Fass köstUdsen Weines, 
von Dionys geschenkt, das er nicht anstechen wollte aus Furcht 
vordeniibrigenKentauren; dochHeraklesliessnichtBuhe. Aber 
diese, so wie sie den Wein rochen, stürzten heran und wollten 
ihn rauben. Da sezte es einen harten Kampf g^en die vier- 
fiissigen Wesen, welche so stark wie Thiere, sa geschwind wie 
Ros^ und so klug wie Menschen waren , und dabei von 
ihrer Mutter. Nephele durch Regengusse unter- 
stüzt wurden, welche fiir den Herakles den Boden sdilüp^ 
rig machten. Allein Herakles wurde trosdiem mit ihnen fertig,, 
und erlegte die meisten von ihnen : die üibrigen flüchteten sich, 
in verschiedene G<egendett hin , wo sie einzeln umkamen : Ly^ 



298( Eratosth. Katast. c 40. ApoUd. 11^5, 11. Hygia Aitr.n, 15. 
290) S. So&ol. Find. F. II, 8. Schol. Theokr. Vn, 149. Apoll<L 
11,5,4. Schol. Lyk. 670. Diod. IV, 12. 



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5. Die Kentauren. Cheiron. Pfaolos. 195 

kopkrons Scholia«t lässt sie sogar auf die Sirenen-Insel kommen, 
wo sie das gewöhnliche Schicksal aller von den Sirenen Ge* 
fangenen hatten. Nun traf noch ein trauriges Schicksal den 
Pholos : denn als er seine Brüder beerdigte , und einen Pfeil 
aus einer Wunde herauszogt verwundete er sich selbst damit 
unheilbar, starb und wurde vom Herakles bestattet**^®). Ver- 
gleichen wir nun dasjenige wa6 man in Lydien von den Sile- 
nen erzälte und glaubte mit demjenigen was wir- hier von den 
Kentauren vernommen haben , so wird uns die Gleichheit bei- 
der wohl einleuchten. Auch die Silenen sind rohe Natur- Wesen, 
haben auch manchmal Pferdeschwänze, so wie auch die Satyren, 
und dabei sind sie auch auf den Wein dermaassen versessen, 
dass derselbe als Nez und Lockmittel dient sie zu fangen , fer- 
ner zeichnen sich einzelne, z. B. der alte Eizieher des Bakchos 
und der Marsyas , durch eine eigene Weisheit und Sehergabe 
aus : endlich gehören beide, sowohl die Kentauren als auch die 
Silenen , zu dem ^laaog des Dionysos. Der Silen ist unzer- 
trennlich von seinem Esel, dem Kentauren Cheiron ist das Ross 
als Leibeshälfte anerschaffen, und das entspricht mehr der Grie- 
chischen Vorstellung. Denn wir haben oben gesehen, wie das 
Boss, genannt Pegasos, Schöpfer der Quellen ist: 
und Dämonen der rinnenden Gewässer sind die Kentauren so 
gut wie die Silenen : einer von ihnen, Niaao^, wird von Hesiod 
^. 34 1 auch unter den Flussgöttem aufgeführt. Sie sind also, 
so zu sagen, männliche Nymphen, gleich den Satyren, und nur 
durch das eigenthümliche Gepräge, welches sie aus ihrer Hei- 
maih Thessalien empfiengen , von den Silenen, wie auch diese 
wiederum durch den nämlichen zufiüligen Umstand von den 
Satyren verschieden. Also werden sie auch mit Hecht in dem 
Homerischen Gedichte Kdfiivog zu den Kobolden gerechnet 
welche Sdiüssel und Töpfe zertrümmern wenn der Töpfer ein 
Schurke ist. 



00) Eur. ras. Herakl. ISO. Theokr. YII, 14». 

13» 



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196 ^' I^ie Sohwärme. II. Satyrartige W^sßn. 

Der Namen Kiy$ttVQog scheint au8 Kaivlg und vavQog zu- 
sammengesezt^ und bezeichnet in seinem zweiten Bestandtheil 
einen Dämon der Gewässer. 



II. Satyrartige Wesen. 

1. Pan und Terambos. 

Der bocksfiissige Pan bei den Arkadem wird ein Sohn des 
Hermes genannt oder auch des Zeus und einer Nymphe oder 
auch des Kronos und der Bhea (Schol. Theokr. 1,3. Eur. 
Rhes. 36.). Er ist im Wesen nicht verschieden von den Saty- 
ren und liebt gleich diesen den Wald und die Waldthäler^'^*). 
Der Name kommt von Ttaofxat favere y fovere undpascere, und 
ist ohne Zweifel Eins mit Faunus (s. meine Rel. d. Römer 11. 
p. 150 302). Mit Recht urtheilt Herodot (IT, 145 f.), dass seine 
Verehrung in Hellas sehr jung sei, und noch in der historischen 
Zeit scheint sie sich auf Arkadien beschränkt zu haben. Nach 
Athen kam der Gott erst in Folge der Schlacht bei Marathon ^ . 
Die Eigenschaft, Kriegern mitten in der Schlacht einen Pani- 
schen Schrecken einzujagen, hat er vom Dionys überkommen 
(Eur. Bakch. 302 f.) , und auch die Bocksgestalt erbte er von 
diesem, welcher eqi(pog und €lQaq>i(üT7jg heisst^^) und dem der 
Bock das liebste Opfer war. Jlit dem Dionys zusammen wurde 



301) Dion. Hai. I, 38 oqti xal vanri Ilavl, Xfi/ndivas J^ xal n^Xora 
Xfoqla vvfjLtfttig [nQoOifOQa ehai). 

302) Pans Erzeugung durch diePenelope {nttv—iXontf) und alle {nav^ 
Tts) Freier ist ein etymologisches Mährchen, deren es so viele gibt. 

303) Herod. VI, 105. Paus. I, 28, 4. 32, 7. 

304) Hesych w. sammt ^QQccog und ioKfii^uaTa. Für ?o/r/off wurde 
auch iQiipios und auch ^ggaog (so schreibt Schmidt im Hesych fQr fQQttc) 
gesagt. Also ust dfdttpuinig uz iQ^atptfoTrigf gleichsam der Verbockte: 
denn man muss ein Verbum iQQatptoot wie t6i6(o [f^notfjs) voraussezen : s. 
übrigens Wieseler im Philol. X. p. 701 und Welcker II. p. 587, welcher 
nach Schwenck eigatficirfig von iaq und (pvio herleiten will. Zu bemerken 
ist noch , dass ^Efilq^ die Amme unseres Gottes heisst. 



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1. Pan und Terambos. (97 

der i^an Terehrt bei der Stadt Hemia am Ladon-Bacfa, am Berg 
Erymanthos und da wo der Erasinos aus dem Berg Lykon hervor- 
strömte, und ihr gemeinsames Fest hiess der L är m ^ . Darum 
lässt ihn Lukian (D. D. 22 , 3] sagen : der Dionys kann nichts 
ohne mich thun , sondern hat mich zum Genossen und Mit- 
schwärmer gemacht und ich führe ihm den Reigen. Das erin- 
nert uns sogleich daran , dass der Pan ein begeisterter Tänzer 
ist und im Tanze die Nymphen anfuhrt gleich dem Bakchos. 
»loh Pan!« (so singt der Chor bei Soph. Aj. 694=653) , »Pan 
seeumschweifender Pan, von Kyllenens Felsengebirg her, 
schneeumstöbertem Rücken , komm', erschein, Chorführer der 
Götter, Fürst, auf dass du Nysische Tänze, ureigne, Knosische, 
mir vereinigt stampfest !a Die Nysischen Tänze werden vom 
Sdioliast als Dionysische und Berekynthische, die Knosischen 
als Kretische und Korybantische gedeutet; zwischen beiden 
aber konnte kein grosser Unterschied sein. Es gehörte dazu 
die Pyrrhiche , ein Dionysischer Tanz, der mit Fackeln in der 
Hand getanzt wurde nach Athen. XTV. p. 630 ff. Sodann wer- 
den wir wohl auch den Kranich (ydQOvog) dazu rechnen dürfen, 
der auf Delos vom Theseus zuerst getanzt worden ist, als er aus 
Kreta wiederkehrte , den PoUux IV, 10 1 beschreibt und auch 
Homer schon erwähnt als einen Knosischen (II. a, 591 ff.). 
Der Gott ist aber auch ein eben so grosser Musiker als Tänzer: 
am Maenalos-Berg, welcher ihm ganz geheiligt war, wurde gar 
oft von den Umwohnern sein Syrinxspiel vernommen, und auf 
den sogenannten Weidebergen (N6fiia) bei Lykosura war ein 
Tempel des Waidmanns Pan (Ndfuog) und ein Plaz welcher 
Singplaz {iyii>,7tiiä\ hiess: dort hatte der Pan die Syrinx et- 
funden^^®]. Das trägt Euripides auf die Grotte in dem langen 



305) TVQß risszturba=^6Qvßogzz&vf)ttßo^=zdvgafißoc:=,d^Qiafißog trwm- 
phus. Paus. II, 24, 7. VIII, 26, 2. S. meine Abhandlung über den Bi- 
thyrambos (Griech. Lyrik. IV. p. 196 f.] . 

306) Paus. VIII, 36, 8. 38, 11. Eur. Bakeh. 953=946. 



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193 D. Die Schw&rme. IL 8atyr«rtige Wesen. 

Felsen unier der Burg zu Athen über , und läast den Fan in 
dieser Ghrotte gerne die Syiinx blasen , während die Agwuloe- 
Töchter auf dem Wiesenplane vor dem Tempel da2u teasen 
(Ion 504zb501 ff.) . Dort war ihm nämlidi seit der Schlacht bei 
Maxadkon sein Plaz angewiesen worden , wo man ihn mit all- 
jährigen Opfern und Fackdn ehrte. So war auch am Pamass 
die Korykische Ghrotte dem Fan und den Nymphen gewdht 
(Faus. Xy 32^ 7). Uebrigens soll sein Dienst nach Böotien 
durch Findar gekommen sein , dem entweder der Fan oder die 
Bhea persönlidi ersdiienen waren (SchoL Fyth. HI, 137) . Und 
Findar diditete darauf den Hymnus , in welchem er unter an- 
derem den Fan den yoUbringendsten Tänzer imter den Göt- 
tern^ den Begleiter der grossen Mutter \md Spiel-Liebling der 
Grratien nannte ^ uimI sagte ^ dass er bei den Himmlischen der 
allseitige Hund der grossen Gröttin genasmt werde ifieyilag 
d-eov xvva navtodoarov) : Frag. 71 — 74. p. 164. Allerdings 
gehört der Fan zu dem Grefblge der grossen Göttin (Duncker, 
Gesch. d. Alt. I. p. 246) gldu^h den Korybanten und gleich dem 
Dionys selbst : das wussten auch bereits die Arkader , nur dase 
sie an die Stelle der Rhea die Demeter sezten. Als die tmuemde 
Demeter sich in der schwarzen Höhle bei Fhigalia verborgen 
hatte und in der Welt alles verkam imd zu verhungern drohte 
nach ihrem derartigen Verschwinden , da wurde sie in diesem 
VerstedLe vom Fan entdeckt, der während seines Jagens auf den 
Bergen umher zufallig auch auf den Berg Elaeos kam und die 
Trauerede erblickte : darauf sandte Zeus^ von ihm benachrich- 
tigt, die Moeren zur Demeter, denen es gelang, sie zu besänf- 
tigen : Faus. YIII , 42 , 2. Darum, und schon al» Tänzer und 
Musiker, ist er auch ein begeisterter Schwärmer und ein Weis- 
sager, indem, wie Euripides vom Dionys sagt, Yerzückimg und 
Begeisterung mit Sehergabe nahe verwandt sind^®^ . Einer Sage 
zufolge hat sogar Apoll die Weissagung erst von ihm, dem 



307) r^ ßaxx^vatfiov tml tb fittritSdis fittruxvr noilUv fy^i. 



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1 . Paa und Terambos. 1 9 $ 

8ohAe des Zeae und der Frechheit CYßifts), gelernt (Apolld. . 
I^ 4, 1). Am Maenalosberg bei Akakesion in der Nähe der Hei- 
ügtfaumer der unterirdischen Göttinnen Demeter und Des- 
peinft und des Vaters dieser^ des Poseidons^ war ein Tempel 
Pkins^ welcher dort zu den mächtigen Grottheiten gerechnet 
wurde : und Tor Alters hatte der Gott auch ein Orakel dort, 
uttd seine Prophetin war die Nymphe Erato^ die Gemahlin 
des Aikas^ von der auch aufgeschriebene Sprüche noch in spä- 
terer Zeit existirten (Paus. VIII^ 37, i 1) . Den Troezenem hat 
der Pan im Traume die Mittel angegeben , durch welche sie 
von der Pest frei werden könnten , weshalb er Ton ihnen als 
Befreier {uivtijfiog) verehrt wurde (Paus. 11, 32, 6). Derselbe 
kann aber audi mit Tollheit jbehafiten, wesshalb Krämpfe 
und Gefrais der Pan s grimm (Ilavdg ofyi}) heissen^. Die 
Lateinischen Faunen und Silvanen sind von gleicher Art**). 
Dann ist er auch ein geiler Gott (^o^onjg, aiyißimjQ) und 
nothzüchtigt mitunter eine Nymphe als Ihctänu (Eur. Hei. 
1S9«18S ff.). Trozdem glaubten die Arkader, dass er auch 
Missethäter bestrafe und Gebete erhöre, indem sie ihm ein 
ewiges Feuer unterhielten wie einer Schuzgottheit (Paus. VlJJ, 
37 , 11). Dass er Wege und Stege schüzte (als ivodtog) , dass 
er Hirt und Jäger war (vofiiog %ai äyQwg) , dass er sogar die 
Küsten und Grestade in Obhut nahm (aKttog^ Xi^tvtTtjg) das 
hatte er nicht allein mit der Artemis und ihrem Bruder sondern 
auch zum Theil mit dem Priap gemein. Dabei bewiesen ihm 
die Arkader dennoch wenig Achtung, wenn sie nach einer 
Jagd , auf der sie nichts erbeutet hatten , sein Bildniss mit 
Zwiebehi peitschten (Theokr. VII, 106. V, 14). Auch mit 



SeS) Eur. Med. 1180 = 1133. Hipp. 135 av f of^ ^^^ ^ wmqu, 

309J BeL d. Bömer II. p. 1S4 ff. Artemid. II , U'ExmTii xml Jlav 
jf«l. *ß(fittlTfig (der Alp) : dat. 37 o ^k *£ifialttis o avtog t^ Ilavl nvo^ 
jutarai. 



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200 ^' ^^6 Schwärme. II. Satyrartige Wesen. 

dem Weinbau hatte er zu thun^ und wurde oft neben oft auch 
ohne den Dionys verehrt (Paus. VIII, 23, 1. 39, 4. 26, 3) 

ZumSchluss wollen wir den Inhalt des Homerischen Hym- 
nus ausheben. Hermes verweilt in seinem Kyllene-Crebiig, 
Schaafe hütend, einer Nymphe zu liebe, der Tochter des 
D r y op s , und diese gebirt von ihm ein ziegenfüssiges gehörn- 
tes Kind , das Lärmen und lautes Gelächter liebt. Die Amme 
entflieht entsezt vor dem Anblick dieses haarigen Wesens, ab^: 
der Vater nimmt sein Söhnchen mit Freuden in seine Arme, 
wickelt es in Hasenfelle , trägt es zum Siz der Götter empor 
und zeigt dem Zeus und den Unsterblichen seinen lustigen 
Jungen : und sie freuen sich alle über ihn , besonders aber der 
SchwärmerDionysos [Bayt^eiog Jiovvaog] . Und seitdem 
treibt sich Pan mit tanzgewohnten Nymphen auf baumbewachse- 
nen Wiesen herum, die von steilen Felsengipfel schreiten, den 
Pan anrufend, den Weidegott mit dem starken Haarwuchs, den 
struppigen, dem alle beschneiten Höhen gehören und die Berg- 
firsten luxd die Felsenpfade, und er wandelt hin und her durch 
Walddickicht, bald weichen Bachwiesen folgend bald hoch- 
ragende Felsen erklimmend u. s. w. Dabei jagt er das WUd 
scharf spähend, und Abends ^ wenn er iheimkommt , bläst er 
die Syrinx so schön wie kein Frühlingsvogel pfeifen kann. 
Dabei tanzen die Nymphen an den Quellen und singen dasm, 
dass der Berg wiederhallt : der Gott aber tanzt hinüber und 
herüber im Reigen bald mitten darinnen, fleissig dabei mit deu 
Füssen stampfend. Er hat ein Luchsfell über dem Bücken^ 
während er an dem hellschallenden Spiele sich ergözt, auf wei- 
cher Wiese, wo Krokos und Hyakinthen duften. 

Ein verblichener Abdruck des Pan scheint der Teram- 
bos (wohl d-vqaußog ursprünglich?) bei Nikander und Anton. 
Lib. c. 22 zu sein , der am Othrys seine Heerden weidet und 
dabei die Nymphen durch sein Spiel ergezt , die dazu tanzen. 
Er folgte der Warnung des Pans nicht , die Gegend zu ver- 
lassen, ehe der strenge Winter käme ; der Winter tödtete seine 



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2. Friapos. 201 

Heerden mit 8ammt den Bäumen, und alle Bäche gefroren , er 
selbst aber wurde in einen Hirschkäfer (xsQafißvi) verwandelt. 
Man hat später auch an ein ganzes Geschlecht von Panen^ 
80 wie auch Faunen und Silvanen , geglaubt ^^^) . So wie diese 
Pane mit Satyreü und Korybanten gerne zusammen genannt 
werden, so sind sie auch in der That von denselben dem Wesen 
nach nicht verschieden. 

2. Priapos. 

»Die Gegend von.Parion, Lampsakos und Priapos , sagt 
Strabo (XIII. p. 587), ist sehr weinreich, wesshalb auch The- 
mistokles die von Lampsakos vom König Xerxes zum Ge- 
schenk bekomnien hat, um seinen Wein zu haben. Und hier 
war der Siz des Priapos, der für einen Sohn des Dionysos 
und einer Nymphe, oder vielmehr der Aphrodite^") gehalten 
wurde, und vielleicht aus Omeae, einem Städtchen bei Korinth^ 
herstammte, wo er vor Alters ein Heiligthum hatte ^^^ . Weder 
Homer nach Hesiod weiss etwas vom Priapos , aber er gleicht 
den Attischen Dämonen Orthanes, Konisalos, Tychon etc. o 

Es ist leicht einzusehen , dass alle diese Wesen nichts an- 
deres als abgelöste Prädikate des Gottes sind, dem der Frucht- 
barkeit und Segen schaffende Phallos gehört, nämlich des Dio- 
nysos, dessen Sohn der Priap genannt wird (Athen. I. p. 30 B) . 
Mit dem Dionys hat er auch den Waffentanz gemein, mittelst 
dessen dieser die Welt erobert hat, gleichvrie auch mit den 
Idäischen Daktylen und den Titanen: und diesen Waffentanz 
hat er den Ares gelehrt da er noch klein war, wofür er bei den 
Bithynen immer den Zehnten von der Beute empfieng (Lukian 



310) Z. B. Theokr. IV, 62 rj ZarvqCaxoig iyyv&iv rj Havtam xaxoxitt- 
fioiOiv (QMiif, Aristoph. Ekkl. 1069 m Ilavig t» KoQvßavug to ^loüxogta, 

311) S. Theodoret. IV, 412, dnr es Mysteiienlehre nennt, und 
Schol. ApoU. 1,932. 

312) Strab. VIII. p. 382 EwfQovtoCf der Ver£uter der/T^iaircMt, nennt 
ihn deeshalb *0(frtatfis. 



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202 I>. Die Schwärmer. II. Satyrartige Wesen. 

«alt. §. 51). Von den genannten Stätten seiner Verehrung aus 
verbreitete sich der Cultus dieses Gottes über ganz Griechen- 
land , und fast in jedem Garten stand ein Kid desselben mit 
grossem rothangestrichenem Phallus y mit welchem er sowohl 
die V<^1 scheuchte als auch, wie mit einem Prügel, und noch 
schlimmer, die Diri>e bedrcdite, wie das in vielen Epigrammen 
zu lesen ist. Seine auf Meer und Land sidi erstreckenden Wir- 
kungen ergeben sich aus seiner Abstammung ^*^. 

Nicht mit Unrecht wurde der Gott auch mit dem Hermes 
verwechs^, da seine Bilder, bermenartig nach unten zu ge- 
staltet , in Gärten zu stehen pflegten und der Phallus an ihm 
das Beste war. Dass aber auch der Apollo mit ihm etwas ge- 
mein habe , hat man mit XJnvecht daraus entnehmen wollen, 
dass Apoll zu Priapos, woselbst er verehrt wurde, der Pria- 
päer, sowie zu Ealla der Killäer hiess (Tzetz. Lyk. 29). 
Der Priap aber hiess Kiklaiog von dem Esel xlXkog der ihm 
heilig war. 

Zwar sag^ man , der Gott hasse den Esel , weil ihn das 
Thier einmal durch sein unzeitige« Schreien in der Ausübung 
einer geilen Handlung gestört habe, als er entweder die Hestia 
oder die Nymphe Lotis im Schlafs beschleich^i wollte , und 
deswegen sehe Priap das Opfer dieses Thieres gem^^). Das 
ist aber eben so unrichtig, wie wenn Dionys den Bock hassen 
8oU, weil er den Weinstock benage , während doch sdn Ver- 
kehr mit den Sätyren beweist, wie gern er die Böcke leiden 
mag. Endlich ist zu erwähnen, dass man auch ein Volk von 
Priapen, so wie von Panen , Faunen, Satjn^n und Silenen an- 
nahm (Mosch. Id. ni, 25) , so dass also zwischen allen diesen 
Wesen kein anderer als ein landesüblicher Unterschied scheint 
bestanden zu haben. 



313) Paus. IX, 31, 2. Athen. I. p. 30 B. Leeterer sagt Ti^r«f nttQa 

«t^i9r, me jc«l ^Ittfißoq na\ JtövQttfiß^gx Tgl. So hol. Thteokr. I, Jl. 

314) Lactant. 1, 21. Serv.Virg. Georg. n, 84. Ovid.Fa«t. 1,391. 416. 



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m. Der ^aoog des Kretischen Zeus. 1. Kureten u. Korybasten. 203 

III. Der &iaoog des Kretischen Zeus und der Rhea. 

1. Kiireten mihI KerybaBten. 

Der Name Kureten bedeutet einfach Jünglinge {^t&€Oi 
xal x6qoi) was nach Demetrius von Skepsis bereits Strabo ein- 
gesehn hat (X. p. 468) , indem er bei Homer (IL t, 193. 248) 
xovQtjTeg fiir x6qoi gebraucht fand^*^). 

Die Kureten gehörten, so zu sagen, zuni Schwann des 
Kretischen Zeus, so wie die Satyren (welche Jünglinge im 
Kyklops des Euripides genannt werden) zum Schwann des 
Dionysos ^^•) . Die Beschreibung welche Diodor V, 65 von ihrem 
Wesen gibt, passt auch recht gut zu dieser Deutung. » Sie be- 
wohnten«, sagt er, »waldige Gegenden voll Grotten und Schluch- 
ten , in denen sie Obdach fanden , weil der Häuserbau noch 
nicht erfunden war. Doch haben sie manche nüzliche Erfin- 
dungen gemacht, namentlich Thiere gezähmt und Heerden von 
Schaafen und Rindvieh gehalten , auch den Honigbau gelehrt. 
Ingleichen sind sie gute Jäger im Gebrauch von Bogen und 
Pfeilen , und haben auch Schwerter imd Helme erfunden für 
den Waffentanz , mit welchem sie den Kronos betrogen. Sie 
haben (wie die Nymphen) das Zeuskind genährt und haben 
endlich ein einträchtiges und friedliches Leben aufgebracht. « 
Mit den Nymphen werden auch die Kureten zusammengenannt 



815) Man leitet da« Wort jra^# , so wie auch den Namen des Volkea 
XovQ^us in Aetolien , nicht unrichtig von xd^ev ab : denn dem Knaben 
pfl^^ten die Haare einmal am Feste der xovQtwne abgeschnitten zu werden ; 
dann Hess man sie wachsen bis aum sechsehnten Jährt der Ephebos schnitt 
sodann seine langen Haare zum sweiten Mal ab, und wdhte sie einem Oott, 
am liebsten dem Phoebos, oft auch der Artemis und ihren Lieblingen, s. B. 
dem Hippolyt : dann gieng er knappgeschoren {tr X9^ nixttQfiiyos) bis 
snm Mannesalter : Plut. Lykurg, c. 16. 22. 

316) o/oid adrvQoS uvtg ntQt rir ^tte, sagt Strabo p. 468. ' 



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204 D- Di« Schwärme. III. Der &it€Oof des Kretiaehen Zeus u. d. Bhea. 

in einer Inschrift**') . Der Kretische Zeus aber, welcher im Be- 
size so eines Schwarmes dem Dionys gleicht, ist von dem Helle- 
nischen Zeus wohl zu unterscheiden. In seiner Stiergestalt, 
indem er der Kuh Europa nachgeht und mit der Kuh Pasiphae 
buhlt , gleicht er mehr dem Osiris und dem Moloch als dem 
Olympischen Gotte, auch dem Hyes und dem S ab a z i o s, welche, 
beide mit dem Attis und Dionys identisch , dennoch auf den 
Zeus gedeutet werden : und wie der Attis wird er auch geboren 
sowohl als auch begraben unmittelbar auf Kreta selbst. Dass 
neben dem Zeus die Rhea auf Kreta verehrt worden sei , wird 
von dem Skepsier Demetrius bei Strabo p. 472 in Abrede ge- 
stellt. Und das mag allerdings für einen Beweis mehr gelten, 
dass die Korybanten und die Kureten nicht so schlechterdii^gs 
Eins waren : allein was thut das ? Sie unterscheiden sich doch 
nicht mehr von einander als etwa der Griechische Dionys von 
dem Asiatischen Attis , d. h, als der Charakter der Kretischen 
Religion sich von der Phrygischen unterschied. Der Kriegs- 
tanz der Kureten in dem Kretischen Rhythmus mit Pyrrhichien 
undPaeanen (Strabo X. p. 467) war verschieden von dem tol- 
len Gerase der Korybanten, welche die Vorbilder der Gallen 
waren; allein sie tanzten doch gleich diesen, und der Kretische 
Rhythmus wurde von der Phrygischen Musik eines Marsyas und 
Olympus hergeleitet^*^) . Dass sie mit ihren Tänzen und ihrem 
Waffenlärm den Kronos abhielten, das Zeuskind zu ver- 
schlingen, das will sagen , dass sie damit die bösen Dämonen 
verscheuchten ^^^) . Das war es auch ohne Zweifel , was man 
mit den Mysterien der Kureten sowohl als der Korybanten be- 
zweckte ^^*^) , nämlich Sühnung imd Reinigung, wie auch Epi- 



317) (S. Lob eck Agl. p. 1117 f.) ofipvtu Zifra duntttor xaX^Uqav 
— xai XouQtjrag xal Nv/utfitg xai rovf Koqvßavrag ml, 

318) Flut. mus. c. 10. Vgl. meine (beschichte derRhythmenschöpfung 
Griech. Lyrik. V. pag. 52. 

319) Und das KogvßttvtCC^w hatte den nämlichen Zweck : s . Lobeck p. 1 1 53 . 

320) Ueber welche Lobeck p. 1121 ff. spricht: Tgl. Athen. IX. p. 
375 F. Schol. Fiat. p. 214. 



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2» Meleager, Althaea und der Kiuretenkrieg. 205 

menides^ der 8og^iuauite neuere Kurete^ sie geübt hat^ und 
in Folge solcher Reinigung Abwendung vom Unheil. Aeha- 
liche Bedeutung hatten die Waffentänze der Salier zu Rom, 
welche darum auch von den Römern selbst mit den Kureten 
zusammengestellt werden ^^) . Endlich wird den Kureten auch 
Weissagung gleich wie dem Pan und den Silenen zuge- 
schrieben^, 

2. Aleleager, Althaea und der Kuretenkrieg. 

Bei Homer treten die Kuretenin einer ganz mythischen Ge- 
schichte als ein Volk in Aetolienauf, welches mit den 
Aetolem Krieg fuhrt um die Exuvien des bekannten Kalydoni* 
sehen Ebers, und Kalydon belagert, das von Meleager yerthei- 
digt wird. Dessen Mutter Althaea (s. oben p. 136) ist die 
Geliebte des Dionys, ihr Gatte Oeneus, wie schon sein Name 
besagt, ein anderer Dionys , er selbst mit einem Feuerbrande 
geboren, an dessen Erhaltung sein Leben geknüpft war, gleicht 
dem Paris, der eben&lls als Feuerbrand geboren war und mit der 
brennenden Stadt, die er vertheidigte, zu Grunde gieng. Nun 
schlagen sich aber die Kureten mit den Aetolem um die Exu- 
vien des Schweines, welches von der Artemis ins Land gesendet 
war, 13 ad diese Artemis ist von dem Oeneus beleidigt worden, 
und die Aetoler sind es , von welchen die Artemis beleidigt 
ist. Mithin halten die Kuretisn zu der Artemis, wie 
die Korybanten zur Göttin Kybele. Aber auch dem 
Meleager und dem Oeneus steht diese Göttin nicht in ursprüng- 
licher angebomer Feindschaft gegenüber, so wenig als die 
Althaea d. h. Gedeihen-Gebende , welche ohne Zweifel mit 



321) luqxovvro tois ^(fftattag aanldag xo/nnovvTit (sagt Schol. Apoll. I, 
1134^, tra fitf x^g ^vaiag 9vari£ dvafftifiog ipnvrj aytt<fi^JiT«i, 
o^iv Mal ^vyee xvfißaXois x(ä tvfinavat^ r^y P^av IXdaxwtui. 

322} Hesych Kovq^jtav atofia, ^ia7iii^6y arof^a' idoxow yttQ elvat. 
fi^vtiist Calpurn. ecl. IV, 95 JupiUr — tn antro Carmina Dictaeis audit 
CureUca nlvü. 



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266 !)• I>ie Sokw&me. III. Der ^temo^ des Kretischen Zeus u. d. Rhea. 

dieser Asiatischen Artemis-Eybele xtrsprünglidi Eins ist. In 
Asien beisst der Eber den Liebling der Kybele soglei^ todt> 
hier in AetoKen geht der Held erst in Folge der Biiegong des 
Ebers zu Grunde. 

3. Korybanten. 

Die Korybanten würden richtiger Kyrbanten (Kvq- 
ßavreg) heissen (s. Kallim. Hymn. an Zeus Vs. 46), indem die 
Form Korybanten bloss mundrecht gemacht war , um das 
Wort von xdfmg Helm herleiten zu können^. Kv^ßa^sg 
aber oder tvfßcryug sind lärmende oder verzückte Tänzer'^). 
Die Korybanten waren bei der Bhea die göttlichen Vorbilder 
der Gallen, und thaten alles was diese thaten^). Es ist nichts 
so gewöhnlich als die Vermengung der Korybanten mit den 
Kureten , während doch jene dem rasenden Dienste der Bhea 
in Phrygien, diese dem Dienste des Zeus in Kreta angehörten. 
Lobeck, nachdem er das Wesen der Korybanten durch viele 
deutliche Zeugnisse bewiesen hat, sagt (Agl. 1154) : quarumam^ 
mum nUdl conoenU in SaUas Oreten^es y qtdbus neque fanaüea 
corporis jtxciailio neque furialee iutinetus neque foareniiwn per 
Sacra piacularia tedaiio cukcriMm' neque omnino cum Ooryhar^ 
Hbus quidquam commune est praeter ffenm sdUandi cUvinius et 
eoncitadus pedum puisu , motu armorum varie disdnctum. Wir 
haben beveits bemerkt, wie.das trozdem nicht hindert, die Ku- 



323) Eur. Bakch. 128 JhO^a TQixoQV^eg irrgoif — KoQvßavng. 

324) VgL MVQßttaai, xv^ßaaia und rvgßaatu bei Hesjrch, iagleiehen 
tvQßr}—htrba und ^^gußo^, und sihe meine Abhandlung aber den Dithy- 
rambus p. 197 bei Pindars Werken Th. IV. Dieselbe Etymologie hat, 
wie ich hinterher sehe, bereits Schwenck in denEtym. myth. Andeutungen 
p. 48 gefunden. 

325) L u k i an dcor. dial. XU, 37 17 f4h P4a ixoloXv(ovea ini t^ Urrtfy 
ol KoQvßavTf^ d^ ^ fiiv aunow Hftwrttu fltpH tby Tfij^^vVf 6 dk dwilc d^r xo« 
ftriy Urmi fg^fuff^mg Swt tmv 6^4Öv, o dk mvXit rf x^ari, 6 ^ intßoftßii ttp 
tVfiMov^ rj inuervTtiZ tif »Vfißtik^. »al olms ^4^vßoe xal fiitria ta iw 
r J "/Jy anavtd iaii. 



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a. I^oiybantea. 207 

leten und die Korybanten im Grund und Wesen fdr Eins zu 
halten , und die Pane oder bocksfussigen Satyren (jAaivo^^oi 
^ofw^A Eur. Bakeh, 135) oben darein, tvozdem dass Bocksge- 
stalt weder an den Kureten noch an den Korybanten nach- 
zuweisen ist Denn diese Gestalt wäre selbst auch den Satyren 
nicht nothwendig gewesen , und überhaupt sind die Gestalten 
aller Dämonen wechsdnd. Die Hellenen y sagt Strabo , legen 
meistens dem Dionys y aadi dem Apoll und der Hdcate und 
den Musen^ auch der Demeter und dem Zeus, alles Orgiastische 
bei tinddas Bakchiache und Tänzerische und das Mystische in 
den Weihen. Sodann bemerkt er , was beim Dionys die Sile- 
nen und Satyren und Tityren sind , das seien beim Kretisch^i 
Zeus die Kureten und bei der Berekynthischen Göttin diesel** 
ben, oder vielmehr die Korybanten^). So urtheilt auch Euri- 
pides , dtti man darum nicht des Lrrthimis zeihen darf, in der 
oben mitgetheilten Stdle. 

Wie sich aber die Frauen an den alldreijährigen Feiern zu 
den tollen Nymphen^) des Gottes Dionys veriiiellen [welche 
leztisre bei Euripides den Chor der Tragödie bild^i , wählend 
die erBteren im Walde herumschwärmen) , also verhielten sich 
die Gallen der Göttermntter zu den Korybanten. Die 2iahl 
der Korybanten gibt Pherekydes bei Strabo p. 472 auf neun 
an^. Andere sprechen von Uoss zweien oder dreien. Das 
gesehiht aber alles nur mittelst Verwechselung theils mit den 
Idäischen Daktylen und theils mit den Kabiren : denn die Zal 
der Korybanten lässt sich so wenig wie die der Satyren be- 
stimmen. 

326) 9l ^^''ElXiiVfg %9vc 7iQ0rt^X9vg avrijf (rf r jB^mvi^c) b^mvwpimg Km^- 
gritas Xfyovaty, ov fn^v yi ano ttjg avHj^s /tv&^oTfiiac , alX* it^govs, mg Sy 
vnovQyovi nvag, rotf Zatv(^oig avaloyor. Tovg (T avtoug xal 
Xogvßavtttc xttXovatv. 

327) Bd^x^h Anpai, Sviai, Mtftmllovtt bei Strabo X. p. 468. 

328) Eben so Schol. Plat. p. 51. (377 Bekk.) rot;; XoQvßavrag roi'c 
avTOVf Toie Kov^rjaiv ilvfU ifctaiv nai rrfi 'Piag onaSohg ano ttov tov /ithc 
4mMQvmp y i} %ptf fiä tm v ^ mr ägs^fiop oi f^9 hr4n o/ <f^ xal d4xa kiyüViti. i^ 
*An6lXt9vog xaVPvtUng KoQvßavrtts iwia, otxTfaaidk ttvfvg hZafio^^xff, 



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208 £• Dämonen des Lichtet ttnd der FuuterniM. I. Helios u. Hades. 

E. DAmonen des Idohteii und der FinstemisB. 

I. Helios und Hades. 

An den beiden Weltenden , sowohl da wo die S<mne auf- 
geht als auch da wo sie untergeht , w(^nten Aethiopen, ein 
nicht minder glückliches und von den Lietden der Menschheit 
befreites Volk , als die Phaeaken oder die Uebemord windler 
nur immer es sein konnten^ sintemal sie nichts zu thun hatten, 
als den Göttern Hekatomben su opfern , welche Götter in 
Masse, mit Verlassung des Olymps , zu ihnen kamen so oft sie 
nur konnten , und wochenlang verweilten beim Schmausse der 
Opfer (IL a, 423. Od. a, 22. II. i/;, 205). 

Ingleichen liegt an den beiden Weltenden, 8ow(^I im 
Osten als im Westen, die Insel Aeaea, welche dem Helios und 
seinen Kindern angehört, daher auch die Heimath der Zaube- 
rinnen Medea und Kirke ist^^)., Denn da die Sonne und das 
Frühroth nie im Westen aufgehen, so geht daraus hervor, dass 
sich Homer die Insel der Kirke, welche leztere er Alahpß 
nennt, und das Reich des Aeetes (Od. t, 32. /i, 70) im Osten 
gedacht hat. Und dennoch gelangt Odysseus einmal von der 
Aeolos-Insel aus und dem Lästrygonenlande dahin (Od. x, 135), 
und das andere Mal kehrt er vom Hades aus und dem Lande 
der Kimmerier dahin zurück. Daraus siht man, dass die Be- 
griffe des Dichters von der Lage der Insel Aeaea nicht minder 
unbestimmt sind als die Vorstellungen von dem Aethiopenlande, 
und dass die Späteren sehr imrecht thaten, dieses Land in 
Kolchis zu suchen und auf das Land am Phasis einzuschränken. 
Dem Homer folgt Mimnermos (Frag. 11. 12) , indem er sagt, 
dass lason, in die Stadt des Aeetes gelangend, in den Okeanos 



329j Od. fi, 3 v^aov % AloUt^v o&i r *Iiovg it^yivMifi^ oiwta xal x^^9^ 
tlai Mal avjvlal *HfXUto. 



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I. Helios und Hades. 209 

gekommen sei, und dads dort die Strahlen der Sonne in einem 
goldenen Saale li^^ an dem Bande desOkeans^. Das 
Aethiopenlandaber ist bei demselben auf den Osten beschränkt, 
wahrend das Abendland bei den Hesperiden zu suchen ist, und 
der Gott muss allnächtlich auf einem geflügelten Bette auf dem 
Okean von der Westgegend in die Ostgegend zurückschiffen : 

»Helios wenigstens muss Arbeit tagtäglich ertragen, 

I^emals wird ihm Rast , nie eine Ruhe zu Theil 
Weder den Roesen noch ihm , wenn die Frühe- die rosengeh&nde 

Fort vom Okean sich schwingt zu dem Himmel hinan. 
Ihn trägt über die Wellen zurück ein liebliches Bette 

Räumig, gehämmert aus werthyoUem Metall von Hephaests 
Händen , geflügelt : es trägt vom Garten der Hesperiden 

Ueber den Spiegel der Fluth immer den schlafenden Gott 
Hin zum Lande der Mohren! (^/i^foTrcu»'), woselbst sein Rossegespann steht 

Und ausruht , bis der frühbürtige Morgen erscheint : 
Dann besteigt der Hyperionssohn ein andres Gefährte.« 

Um aber wieder zum Homer zurückzukehren^ so gelangt Odys- 
seus von der Insel Aeaea aus, wo dieMorgenröthe ihre Wohnung 
hat und die Sonne aufgeht und die Heliostochter Kirke wohnt, 
wieder in ein anderes Sonnenland, die Insel Thrinakia, 
wo die Sonnenrinder weiden (Od. /ti, 269. 355). Dasselbe liegt 
hinter der gefahrlichen Meerenge derSkylla imdCharybdis ge- 
rade so wie Aeaea hinter dem Zusammenstoss-Felsen liegt: die 
Skylla und die Charybdis selbst aber liegen hinter den beweg- 
lichen Felsen [TTlayKtal nhqai) , durch welche die Argo ge- 
segelt ist (Od. /i, 60 — 110). Man hatte also sehr wenig Grund 
dieses Thrinakia zu einem Dreispizenland zu machen imd 
in Sicilien zu suchen : eher noch hätte man es im Pontos suchen 
können. Wenn aber dieses Thrinakia uns wieder nach Osten 
führt, so liegt dagegen Ery the [^Qvdij oder ^EQvd^eia) sicher 
im Westen , wie denn auch sein Name auf das Abendroth zu 
deuten scheint : und hier weiden abermals heilige Rinder, von 



330) To&i r* loxiof *HiXioto aiettr€g XQ^^^V xfiarat (v d-alttfit^ *ilx(avov 
H artung, Bd. n. Mytbol. d. Gr. 11. 14 



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210 ^* Dämonen des Lichtes und der Finstemiss. I. Helios u. Hades. 

Geryones gehütet***). Wir werden auf diese geographischen 
Vorstellungen noch einmal zurückkommen , wenn wir auf den 
Kampf um die Sonnen- und Hades-Rinder zu sprechen kom- 
men. Hier wollen wir nur noch bemerken, dass am Ende der 
Welt auch der Eingang in den Hades oder auch der Hades 
selbst liegt hart neben der Einkehr (nvXecg) des Sonnengottes 
und nicht weit von der Insel der Seligen (Od. cw, 12). Odys- 
seus schifft von Aeaea aus in einem Tage zum Kimmerier-Lande, 
wo keine Sonne mehr scheint und ewige Nacht ist : und indem 
er dort am Gestade des Okeans das Todtenopfer bringt , er- 
scheinen sogleich die Schatten der Todten aus dem Erebos. 
Hernach schifft er auf demselben Okean wieder zur Insel Aeaea 
zurück, die nicht mehr im Okean liegt, aber die Heimath der 
Eos ist und den Sonnenaufgang hat , wie wir gesehen haben. 
Die Seligen -Inseln, welche Homer noch nicht kennt, sind 
nicht verschieden von den Hesperiden-G arten, und diese ver- 
sezt man mit Recht in den Westen, weil ihr Name dies fordert 
(Eur, Hipp. 750). Auf den Inseln der Seligen aber ist es be- 
ständig Tag, und die Sonne geht nie unter, das gerade Gegen- 
theil des Kimmerier-Landes , wenn wir dem Pindar glauben 
(Ol. n, 115 ff. Frag. p. 191). Da demnach das Reich des 
Hades so nahe bei der Heimath der Sonne liegt, so ist es auch 
kein Wunder, dass die beiden Götter auch in ihrer Wirksam- 
keit sich oft berühren. 

Was die Dichter sonst für Vorstellungen über die Natur 
der Sonne und ihren Umlauf verrathen, die gehen uns nichts 
an, sofern sie nicht auf den Cultus und die Mythologie Ein- 
fluss haben. In diesem Wesen des Sonnengottes aber scheinen 
zwei Eigenschaften von besonderer Wichtigkeit zu sein : sein 
Verhältniss zur Mondgöttin und sein Yerhaltniss zum Hades. 
Er ist nämUch als ^YTtaqiwv (üeber-uns- Wandelnder) der Vater, 
sonst auch der Bruder der Mondgöttin HeXi^vri : besonders ist 



331)He8iod^. 290— 294. Appolld. I, 6, 1. Herod. IV, 8. 



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I. Helios und Hades. 211 

er der firseuger und Stammvater der Hekate-ähnlichen Wesen 
und Zauberinnen Kirke^ Medeau. s. w.^ so dass seine Abkömm- 
linge lauter Hexen und Zauberer zu sein scheinen. In Bezug 
auf sein Verhältniss simi Hades aber ist zu bemerken, dass sie 
beide Rindeibeerden besizen, der eine helle und der andere 
purpurne, und dass ihnen diese theik geraubt theils entwendet 
werden (Theokr. XXV, 130. ApoUd. II, 5, 10), und es ist 
nicht recht klar, wer von beiden der eigentliche Besizer dieser 
Heerden ist, indem der Helios mitunter den Häubem gegen 
den Hades Vorschub leistet, mitunter auch zum Hades hält. 
Wir werden diese Geschichten hernach alle betrachten. Hier 
wollen wir zuvörderst bemerken , dass der Helios auch xinter 
mancherlei anderen Benennungen ach verbirgt ^^) . Im Götter- 
dienste war der Helios nicht häufig bedacht worden , welches 
daher kam, weil er ein Titane war gleich dem Uranos und, so 
wie dieser hinter dem Zeus, und wie die Selene hinter der He- 
kate zurücktritt , also auch er hinter dem Phoebos zurücktrat. 
Man kann im Ganzen mit Richtigkeit behaupten, dass die Ver- 
ehrung des Helios und der Selene eine ausländische war (s. z. 
B. Strabo XI. p. 503) , nnd dass darum auch der Dienst in 
Rhodos von diesem Standpunkte aus zu beurtheilen sei, über 
welchen Pindar (Ol. VH, 99 — 136) zu vergleichen ist. Dass 
das Eiland, weldies der Helios zu seinem Eigenthum erküren 
will , erst aus den Fluthen auftaucht (d. h. ein ganz unbefleckt- 
reines sein muss das erinnert an die Art wie Phoebos zum Be- 
siz von Dolos gelangt, und überhaupt muss man diesen , wenn 
er auch niemals als Lenker des Sonnenwagens erscheint , für 
den Erben des Helios in der Griechischen Religion ansehen : 
denn auch Rinder- und andere Heerden hütet er mehr als ein- 
mal gleich dem Helios, und lässt sich dieselben auch stehlen, 
wie dieser. In Korinth hat Helios mit Poseidon um den Besiz 



332) Z. B, Ein]rtos oder Jlit&TJfiog, 'InnSXvrog, udevxmnoe, TTfQitjgijg, 
U^QOtjg oder IleQOfvs, *p€tid^tjv, AvyUttg^ ^HXixmQ. 

14» 



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212 £• Dftmonen des Lichtet und der FinftemiM. I. Helios a. Hades. 

des Landes gestritten ^ und Briaieus als Schiedmcfater hat 
jenem die Biug, diesem die Landoigezu^rtheiU. Darum wurde 
dasdbst auch die Sonnentochter und Zauberin Medea verehrt 
(Paus. 11^ 1 ^ 6. 4 , 6). In der Korinthisdien Kolonie Apol- 
lonia, ingleichen auf Taenaron und in Elis, wurden heilige S<m- 
nenheerden gehalten (Herod. IX, 93. Konon c. 30). Einen 
Tempel hatte der Gott zu Hermipne , Altäre aber an mdireren 
Orten und an einigen Orten Statuen. Man opferte ihm weisse 
Pferde auf dem Gripfel des Taygetosin Lakedaemon (Paus, m, 
20, 4). Uebrigras s. über die Cultus-Stätten Welcker Gr. Gott 
I. p. 407. Sein Bild zeichnet sich durch ein volles rundes Ge- 
sicht mit einer Strahlenkrone aus , wie das der Selene durch 
die Homer des Halbmondes (Paus. VI, 24, 6). 



Fortsezung von Hades und Helios. 

Hades (üiidrjg, eigentlich didtjg) ist der Unsichtbare, 
Verborgene. Darum hat er auch den unsichtbarmachenden 
Helm (die Tarnkappe) , den er einmal der Athene, ein andres 
Mal dem Hermes , und auch dem Perseus leiht (Hesiod doTt. 
227) . Im Lichte sein {h gniei ehai) heisst leben: das Gegen- 
theil vom Lichte ist die Finsterniss {ini6tog oder Sffßog) 
und sogleich wo das Beich des Lichtes aufhört fangt das Reich 
des Hades an : also wer im Grabe liegt der befindet sich be- 
reits im Hades. Der Himmel dag^en ist Licht, und Zeus 
oder JQ/avis ist dies Tag : darum sind die Himmlischen so ver- 
schieden von den Unterirdischen , und darum scheuen die bei- 
derseitigen Götter so sehr die gegenseitigen Berührungen. 
Der Aidoneus scheut sich eben so sehr, seine garstige, modrige 
Behausung von den Himmlischen erblicken zu lassen, als die- 
sen der Anblick derselben und aUes dessen was darauf Bezug 
hat verhasst und sogar versagt ist (H. t;, 62 — 65) . 

Dass in der Odyssee der Hades am Ende der Welt 11^^, 
wenn Odysseus in denselben hinschiffit, ist nicht wegzuleugnen 



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Fortsezung von Hades und Helios. 21B 

noch wegzudisputiren^. Das abar hindert nicht, dass Ho- 
mer an anderen Orten die Seelen Gestorbener unter die 
Erde hinab in den Hades fahren lasse (D. Xt ^^2. xp^ 100) : 
denn erstlich sind die Homerischen Gedichte mcht yon Einem 
verfitssty zweitens muss man in solchen Dingen überhaupt nie^ 
mals ganz klare, mit dem Buthenmaass auszumessende, Voxv- 
Btellungen verlangen, und drittens ist, wie gesagt, der Hades 
als Erebos wirklich überall anzutreffen wo das Himmelslicht 
nicht mehr hindringt und Finstemiss waltet Wenn die Phan- 
tasie einen grossen Raum, eine zweite Welt, als Reich der 
Todten, erfinden will, so kann sie freilich dieselbe nicht so- 
gleich ein paar Schuh tief unter der Erde herstellen, und bleibt 
ihr also nichts übrig, als entweder tief unter der Erde oder am 
Ende der Erde dieser Welt der Finstemiss ihren Plaz anzu- 
weisen. Es gibt bei uns noch genug Menschen , welche von . 
Himmel und Hölle die mittelalterlichen Yorstellung^i fest- 
halten , ohne dass sie sich bemühen , diese Vorstellungen mit 
ihren sonstigen naturhistorischen Kenntnissen in Einklang zu 
Imngen. Will man von den Homerischen Menschen mehr 
Klarheit als von diesen verlangen? 

Anders verhält sich's mit dem Sonnengott, welcher alltäg- 
lidi in die Nacht hinabsinkt, mithin ebensowohl König im 
Erebos wie im Reiche des Lichtes sein kann, sowie 
der Kronos im Tartaros eben so gut wie im Elysium verweilt. 
Lucan ¥1,571 lässt ihn während der Nacht der unteren Welt 
ihren Tag schaffen {Titan medium quo tempore ducit mb nostra 
tellure diem). Auf Aegyptischen Bildwerken durchläuft zwar 



333) Vgl. Od. X, 15—20, besonders 155. 475, wo ausdrücklich gesagt 
ist, dass der Odysseus anter die Finstemiss and in den Hades hinabgieng 
{wni C^f ifegotpra and H'Mi^e xatiiX^tv) , eben dahin wohin die Oestoi^ 
benen kommen (h'^a rt vtxQol vatovai , ß()or<oy Mtala xofiovtwv) , also 
nicht bloss in ei n e Oege n d am Eingang zum Hades, andmithin muss er 
den Wohnort der Gestorbenen wirklich betreten haben {vno ü^ov r^X^i 
C»6^i»v\, 156). 



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214 E. D&monen des Lichtes und der Finstemiss. 

der Gott die untere Region , aber ohne Beleuchtung, sondern 
dunkel , wie jene ganze Welt immer und überall vorgestellt 
wird. In dieser Weise findet man in den Gräbern der Könige 
zu Theben den Sonnenlauf dargestellt, und im Grabe des 
Bamses sind sowohl die 12 Stunden des Tageslaufes als auch 
die 12 Stunden des Nachtlaufes zu sehen; im Bereiche des er- 
steren ist auch der Aufenthalt der Seeligen : dagegen in den 
12 Nachtstunden erscheint der Gott schwarz, und in den 
55 Abtheilungen, welche er durchläuft, werden schuldige See- 
len bestraft, welche ebenfalls schwarz sind ^ . 

Also wird man finden, dass auch der Griechische Sonnen- 
gott in den Hades sich verwandelt, und nur daraus erklärt sich 
die Gemeinschaft beider in dem Kinderbesiz und die Freund- 
schaft des Phoebos mit dem Admet (adfirjrog), dem er die Rin- 
der hütet nach seiner Verbannung aus dem Himmel ; nur dar- 
aus die Erscheinung, dass der von Herakles in Pylos (dem 
HöUenthor) todt hingestreckte Hades in den Himmel hin- 
aufkommt, um sich seine Wunden heilen zu lassen (II. e, 398). 
Denn wie könnte er das , wenn er nicht die Kehrseite des He- 
lios wäre? Eine Erinnerung daran liegt auch in der Drohung 
des Helios bei Homer (Od. ju, 383), in der Unterwelt schei- 
nen zu wollen, wenn man ihm seine geschlachteten Rmder 
nicht vergelten würde. 

II. Titan und die Rinderbesizer. 

Uns Nibelungen, d. h. im Nebel Wohnenden, wird es 
schwer zu begreifen , wie die Alten die Sonne nicht immer als 
ein freundliches und wohlthätiges Gestirn betrachten konnten, 
sondern oft als einen grausamen Tyrannen, als einen reissen- 
den Löwen, ab einen unseligen Titanen u. s. w. Wir haben 
aber bereits oben gesehen, dass der Sonnendämon ganz beson- 



334} Champollion bei Schwenck Myth. d. Aeg. p. 140—143. 



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n. Titan und die Binderbetizer. 216 

ders den Namen Titan führt und gewissennassen mit dem ge- 
quälten Atlafi Eins ist, weldier den Himmel tragen muss , 

Der ewig ungeheure Kraft anstrengend, 

Tragend das Himmelsgewölbe auf den Schultern, stöhnt und ächzet. 

Anbrandend brüllt der tiefen See 

Wogenschlag , es dröhnt der Grund , 

Es braust der düstre Erdenschooss der HöUe , 

Und reinquellende Bachesfluth beweint das klägliche Elend. 

(Aesch. Prom. 431 f.}. Ohngefähr als ebenso elend wird das 
Loos des Sonnendämons von Mimnermos geschildert in den oben 
angeführten Versen. Darum, weil er zu den Titanen gehört^ 
geniesst er auch keine Verehrung bei den eigentlichen Helle- 
nen , ausser wo sein Dienst aus dem Auslande eingeschwärzt 
war, wie in Rhodos. Und er verhält sich zum Hades , seinem 
Nachbarn, gerade so wie der Kronos zimi Tartaros, so dass man 
jene beiden gewissermassen für eine Wiederholung dieser be- 
trachten kann , und hat endlich auch alle Eigenschaften mit 
den Biesen gemein, besonders die Zauberei, die er fleissig 
auf seine Kinder vererbt. Wir haben bereits mehrere Ver- 
wandlungen dieses Riesen in den Feuergeistem, den Einäugi- 
gen und Geblendeten, und sogar in einer Thiergestalt, dem 
Löwen, kennen gelernt. Merkwürdig ist an diesem sowohl als 
an dem Helios selbst besonders ^ine Eigenschaft : er ist Hirte 
und Jäger und weidet seine Rinder auf weiten Triften. Diese 
Rinder werden ihm von Helden, wie Herakles, mitunter ab- 
genommen, womit nichts weiter als eine Abnahme seiner Kraft 
bezeichnet wird. Die Geschichten dieser Rinderentwendungen 
aber müssen wir nun durchgehen , ehe wir zu den übrigen ge- 
hen, weil sie am besten dazu dienen können , sein Verhältnis« 
zum Hades und sein Wesen überhaupt zu durchschauen. Wir 
müssen aber dabei im Voraus bemerken, dass in den mei- 
sten dieser Geschichten weder der Helios noch der Hades un- 
ter seinem gewöhnlichen Namen und in seiner bekannten Ge- 
stalt auftritt, sondern beide meistens zu Heroen herabgesunken 
und völlig vermenschlicht erscheinen. 



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216 £• Dämonen d. Lichtes u. d. FinstenuBS. II. Titan u. d. Rinderbesizer. 

1. Di« Hiiiderlieenlett des Helios auf Thrinaliia. 

Nachdem Odysseus durch die Skylla und Charybdis ge- 
drungen ist, 80 kommt er zur Sonneninsel, wo die Rinder des 
Helios Hyperion weiden, am Ende der Welt (Od. /«, 135). 
Der Seher Teiresias und die Zauberin Kirke , welche in dem 
Sonnenlande Aeaea wohnt, haben vor Betretung dieses Landes 
und vor Berührung dieser Rinder gewarnt. Dass die Gefähr- 
ten des Helden sich trozdem nicht enthalten, das wird der 
Grund zu ihrem Verderben (Od. /«, 127 fl. 260 ff.) Die Insel 
heisst Thrinakia, woraus man später das Dreispitzenland 
Trinakria gemacht hat ohne Fug und Recht ^ . Auf dieser 
Sonneninsel nun weiden sieben Heerden Rinder imd sieben 
Heerden Schaafe , je fünfzig Stück , welche nicht gebären und 
nicht schwinden noch sterben, und werden von zwei Nymphen 
gehütet, der Scheinenden und Leuchtenden [<Dae&ovoa^ 
^a^TTsritj). Ob diese 350 Stück Rinder und Schaafe gerade 
die Tage des Jahres bedeuten , wie Aristoteles (bei Schol. Od. 
/u, 129undEu6tath.) deutet, lassen wir dahin gestellt ; dagegen 
wollen wir bemerken , dass auch nach der Religion der alten 
Arier die Titanen - Urmenschen oder die Angirasen (die von 
Angris stammen) im Besiz von Kuhheerden sind, welche ihnen 
von gewissen Dämonen, Balas und Pani, aus dem Himmel 
entführt und in Berghöhlen versteckt und eingeschlossen wer- 
den, bis der Indische Zeus Indra mit seinem Bliz die Höhlen 
spaltet und die Kühe befreit, wobei er von den wehenden Gei- 
stern, den Vajus und Maruts, unterstüzt wird (s. Kuhn in 
Haupts Zeitschrift f D. A. VII, 1 p. 119 ff. Duncker Gesch. 
des Alt. IL p. 323). Unter den Höhlen werden wohl schwerlich 



335) Anch daiu war man nicht berechtigt , unter &Qtva^ einen Drei- 
sack zu verstehen , indem das Wort durchaus nicht von tQiTe tQin her- 
kommen kann. GoQva^ hiess der Apollon bei den Lakedämoniern , und 
dafür konnte wohl auch 9givn^ gesagt werden , so wie i9giditi für OoQ^ai 
(s. ^^^ttxa bei Hesych) . 



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2. Oeryones. Menoetios. Orthros. 217 

Wc^en , sondern eher ein Aufenthalt im Hades zu verstehen 
sein. Ferner ist zu bemerken, dass der Mithra im Avesta über- 
all der ßesizer weiter Triften genannt wird, und dass der Grie- 
chische Helios goldene Binder imd Widder besizt, welche 
audi in den Thierkreis als Sternbilder angenommen sind. Der 
Grund mag wohl der nämliche sein , wie derjenige , nach wel- 
chem der Osiris als Stier und der Amun als Widder vorgestellt 
wurden. Binder und Schaafe sind erstlich die milchgebenden 
Thiere, und die Milch ist das Symbol der befruchtenden Erd- 
feuchte ; zweit^is sind sie den Nomaden ihr wichtigster Besiz, 
mithin auch die natürlichsten Symbole des Vermögens (pecuma 
von pecus) und Wohlstandes. Und jeder Angri£fskrieg beginnt 
mit Heerdenraub , jeder Bachekrieg vergilt mit Heerdenraub. 
Ganz natürlich wird dieser Heerdenraub auch auf die Götter 
übergetragen, und da die Tag- und Nacht-, Licht- und Fin- 
stemiss-schaffenden Mächte in beständigem Bingen unter ein- 
ander begrifien sind, sich gegenseitig beeinträchtigend und 
verkürzend, so konnte dies natürlich für nichts Anderes als 
gegenseitige Schmählerung des Besizes angesehen werden. 

2. G«ryoiie8. Menoetios. Orthros. 

Von ähnlicher Art, wie die Fahrt des Odysseus an das 
Weltende, ist die Fahrt des Herakl^ in das Fabdland Ery- 
theia, welches jenseits des Okeans liegt (Hes. &. 294. Herod. 
rV, S), und zu den Bindern des Geryoneus oder Geryon. 
Dieser Biese scheint aber keineswegs ein Sonnendämon , son- 
dern ein Hades und seinem Namen nach ein Kokyto^, d. h* 
Heulender, zu sein. Seine Binder sind daher purpurn. 
Eben dort , wo die Sonnenrinder weideten (so erzält ApoUodar 
1,6,1. n, 5, 10 hauptsächlich nach Stesichoros, wie es 
scheint), hatte auch der Hades seind Binder, welche von einem 
gewissen Menoetios (s. über denselben p. 46.47.) gehütet 
wurden. Dieser meldete die Sache sogleich dem Geryones, 
als Herakles die Binder wegtreiben wollte, und dieser holte 



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218 £• D&monen d. lichtes u. d. Fintteniiss. II. Titan u. d. Rinderbesiser. 

den Herakles ein, als er die Beute entlang dem Blumenbach 
{ftaQa frarajudp Idi^tpioUvta) hintrieb , stellte sich »ur Wehr 
und wurde vom Herakles mit Pfeilen todtgeschossen. Hera- 
kles aber schifile seine Rinder hinüber auf dem goldenen Trink- 
geTäss, auf welchem er auch herubergeschifft war, und dann 
gab er dieses Fahrzeug dem Helios wieder eurück. Somit 
scheint Herakles hier in freundlichem Vernehmen zu dem 
Sonnendämon gestanden zu haben. Wenn es aber wiederom 
heisst, der Helios habe glühende Pfeile nach dem Herakles 
geschossen^ als er nach dem Sonnenland reisen wollte, und dior 
ser habe den Angriff vergolten dadurch , dass auch er mit sei- 
nen Pfeilen nach der Sonne schoss , so scheint damit wieder 
ein feindliches Verhältniss angedeutet. Indess wird hinzu- 
gesezt, der Gott habe diese Keckhdit nicht übel genommen, 
sondern ihm eben jezt , erfreut von seinem Muthe, den golde- 
nen Humpen geschenkt , auf welchem er selbst den Okean zu 
beschiffen pflegte. Und das ist Alles ganz in der Ordnung: 
denn der Herakles-Melkarth in seiner Löwenhaut ist selbst ein 
Sonnendämon , und seine Pfeile sind nicht schlechter als die 
des Helios ^ . 

Dem Unhold Qeryoneus hat Stesichoros sechs Arme und 
sechs Beine und ausserdem noch Flügel gegeben , und auch 
Aeschylus nennt ihn dreileibig (Agam. 799). Er ist der 
Sohn des Goldschwert [XQVOixwQ) und der Okeanide 
Schönfluss {KakkLqif6ri) y und hat einen Hund Morgen 
COQd^qog) , Bruder des Kerberos, welche beide von dem 
Schlangenweib (^xidva) gezeugt sind (Hes. ^. 309 u. s. o. S. 86 f.) . 
Sodann hat er noch einen Hirten Eurytion, imd beide wer- 

dei\ vom Herakles erschlagen in finsterem Gehöfte jenseits des 
Okeans^7), 



336) Uebrigens vgl. über diese Geschichten S t e s i c h o ro 8 bei Athe- 
näus XI. p. 469 E. 781 A. Frag. p. 164 m. Ausg. 

337) ara&fA^ h rjtQoevrt n^Qfjv xlvrov *£lxe€<yoto: Hes. &. 294. 
ßch. Apoll. IV, 1399. 



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3. Alkyoneui. 219 

Der Helios sefaifft in seiner goldenen Schale b hinüber zu 
den Tiefen der heiligen finsteren Nacht ^ zu dpr Mutter, der 
ehlichen Grattin, den trauten Kindern zurück« (Stesichoros 
a. O.). Aus diesen Versen ersehen wir, dass der Helios seine 
traute Heimath auf dem Eiland Erytheia, d. h. Abend- 
röthlich, hatte, und wo seine Mutter, sein Weib und seine 
Kinder beständig waren, da mussten wohl auch seine Heerden 
weiden (ApoUod. I^ 6, 1). Dieses Eiland dachte sich Stesi- 
choros dem Fhiss Tartessos gegenüber; dort, sagt er, sei der 
Creryones in einer Felsenhöhle (h xev&fiwvi nir^ag) gebo- 
ren gewesen (also vollkommen wie der Mithras!), undHero- 
dot, ihm folgend , sagt , es lag ausserhalb des Pontes bei Ga- 
deira und ausserhalb der Herakles- Säulen am Okean (Stesich. 
Frag. 11). Die Dichter Mimnermos und Pisander sind dem 
Stesichoros gefolgt hinsichtlich des Trinkgefässes, in welchem 
der Helios allabendlich in seine Behausung und von da wieder 
zur Stelle des Aufgangs zurückschwimme: nur gehört dieses 
Gref äfis bei Pisander dem Okean , und dieser schenkt es dem 
Herakles, während es bei Mimnermos von Hephaestos gemacht 
ist (Frag. 12. p. 65. Athen. XI. p. 469 C). 

3. Alkyoiieus. 

Ein anderer Kinderbesizer ist der Gigant Alkyoneus, 
Bruder des Porphyrion, d. h. des düsteren Hades. Der- 
selbe hat dem Helios seine Rinder aus Ery theia hin- 
weggetrieben (Diod. I, 6, 1). Er konnte von keinem Gott, 
sondern nur von einem Menschen getödtet werden : und wenn 
es ihm oder seiner Mutter, der Gaea , gelungen wäre, ein ge- 
wisses Kraut zu finden , so konnte er auch gegen den sterb- 
lichen Feind gefestet werden. Aber Zeus schnitt dieses Kraut 
ab in einer Nacht, in welcher er dem Monde, dem Frü- 
roth und der Sonne zu scheinen verboten hatte. 
J<fun schoss ihn Herakles mit seinen Pfeilen nieder : aber um 
ihn vollends todt zu machen , musste er ^ihn aus Pallene (wo 



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220 £• D&monen d. Lichtes u. d. Finsterniss. II. Titan u. d. BinderbesiBer. 

der Gnigantenkaiiipf geschah) wegschleifen^ da er durch die Be- 
rührung der Erde immer wied^ erwannte *^). Bei Pindar ist 
dieser Rinderräuber ein Rinderhirt in Phlegrae geworden, 
und dabei ein berghoher Biese. Herakles trifft mit ihm zu- 
sammen nach der Eroberung Trojas imd nach der Veraichtung 
des Meropervolkes. Er zerschmettert dem Herakles 24 Streit- 
wägen sammt den darau&tehenden 4S Kriegern mit Felsen- 
stücken, und wird dann von den Pfeilen des Helden todt hin- 
gestreckt. Seine Einheit mit dem Alkinoos haben wir oben 
bemerkt. 

4. Augeias und Aktor. Neleus, Nestor uiiii 
Periklynienos. 

Augeias, dessen Name schon einen Sonnengott zu er- 
kennen gibt, stammt von Helios mit dem Beinamen P ho r- 
bas und der Neleustochter Hyrmine^. Diesem Augeias 
strahlte Feuer aus den Augen, und sein Vater Helios hatte ihm 
einen unendlichen Reichthum an Heerden hinterlassen (Theokr. 
XXV, 118). Herakles reinigte seine Stallungen an Einern 
Tage, ward aber hinterher um den bedungenen Lohn (ein 
Zehntel der Rinder) von ihm, so wie Phoebos vom Laomedon 
(Hades) , betrogen. Später zieht Herakles gegen ihn , dem die 
zwei Aktorsöbne, Molione genannt, beistehen, zu Felde. 
Aktor (von oxr/g Strahl benannt) ist ein Bruder des Augeias : 
auch der Vater des Menoetios trägt diesen Namen. Es stehen 
sich also wiederum wie ZwiUinge gegenüber Augeias und 
Aktor, wie Alkyoneus und Porphyrion. Auf diesem Feldzuge 
nun wird Herakles krank, erleidet eine grosse Niederlage, und 
muss sich zurückziehen. Es war also keine Kleinigkeit, gegen 
die Macht der Sonnen- und Hadeskinder zu streit^i. Später 
kehrt er zurück , nimmt Rache und erschlägt die Aktorsöhne 
sammt dem Augeias selbst , und erobert Elis. 

338) Apollod. I, 6, 1. Schol. Lyk. 63. 

^S9) Schol. Ap. I, 172. loann. Pediasim. c. 5. 



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4. Augeias und Aktx>r. Neleiis, Nestor und Periklymeno«. 221 

Von Elis zieht er nach Pyloe^ wo Neleus herrscht. Ne- 
leus, d. h. der Erbarmungslose oder der Hades, in 
Pylos, d. h. an der Pforte des Hades ^), hatte mit der Chlo- 
ris, der Blassen , und mit anderen Frauen zwölf Söhne er- 
sengty welche hier alle bis auf den Nestor (welcher noch un- 
erwachsen und auch nicht anwesend war] erschlagen wurden 
(H. Xy 690). Auch der Hades oder Aidoneus selbst, als 
Bundesgenosse der Pylier , wird todt hingestreckt : und nicht 
bloss dieser, sondern dem Pindar und Hesiod zufolge standen 
ihm dort auch Poseidon, Phoebos und Ares gegenüber, und 
dem Homer zufolge ward auch die Hera verwimdet (IL e, 
392 ^*) . Pausanias VI , 25 , 3 bemerkt , dass man in Elis zum 
Hades seitdem freundlich gestanden und ihm ein Heiligthiun 
gebaut habe , welches alle Jahre nur änmal geöffioet werden 
durfte ^^ . Aber auch bei P^s selbst am Berge Mindes , wel- 
cher nach einer Geliebten des Hades benannt ist, wurde der 
Hades verehrt , und man hatte ihm ein Temenos geweiht nah 
am Haine der Demeter (Strabo VIH , 3. p. 344). Ein anderes 
Mal hat derNeleus mit dem Seher Melampus einen Kampf 
zu bestehen. Dem Melampus wird vom Neleus seine Habe ein 
ganzes Jahr lang vorenthalten , während er selbst in Phylake 
vom Iphiklos eingekerkert ist. Allein zulezt gelingt es ihm, 
dem Iphiklos die Rinder wegzutreiben und dadurch die schöne 
Pero (Köre) dem Neleus abzugewinnen, die seinem Bruder 
zum Weibe versprochen ist (Hom. Od. o, 221 ff.). 

Ein Bruder des Nestor hiess Periklymenos, und die- 
ser hatte vom Poseidon die Gabe empfangen, sich in alle mög- 



340) »Zwilchen dem Todten-Pylos in der Ilias ((, 397 iv Tlvltp iv vt- 
MV(aai), wo Herakles dem Aides den Hund nimmt, und Pieria, wo Apol- 
lons Heerde weidet , ist im Mythus derselbe Oegensaz wie zwischen Osten 
und Westen in der M^klichkeit.« Welcker Or. OOtt. I. p. 340. 

341) Auch Panyasisbei Clemens AI. protr. p. 10, 44Sylb. fügt diese 
•ammt dem Augeias bei : Avyttaw rov *HUov nal "Hqov Cvyittr. 

342) Find. Ol. IX, 42 ff. Hesiod aan. 359 ff. II. X, 690 ff. t, 395. 
Apollod. n, 7, 2. 3. 



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222 £• Dftmonen d. Lichtes u. d. Finsterniss. IL Titan u. d. Binderbesixer. 

liehen Gestalten zu verwandeln: bald war er Adler ^ bald 
Ameise^ bald Schlange , bald Mücke. AU er in Mückengestalt 
sich auf des Herakles Keule gese^t hatte ^ wurden diesem von 
der Athene die Augen geöffnet^ und sodann der Periklymenos 
vomHerakles todtgeschossen*^). Klymenos ist einer von den 
vielen Namen des Hades ^^). Die Eigenschaft^ sich in alle 
Gestalten zu verwandeln, hat er mit den Land- und See- 
kobolden gemein : und wanmi soll nicht der Hades seine Ko- 
bolde haben , da ja die Zwerge der nordischen Mythologie 
meistens imter der Erde sich aufhalten? 

i. Nestor. Pero. Ergiiio« 

Wie Nestor, zur Beife gelangt, für die Erschlagung seiner 
Brüder an den Pyliem Rache nahm, erzalt er selbst bei Homer 
(vgl. Strabo VIII. p. 351). Dabei ist zu bemerken, dass hier 
die Molionen noch am Leben sind , und von Nestor würden 
getödtet werden, wenn Poseidon sie nicht rettete (II. A, 750. 
Schol. i, 674). In Pylos zeigte man die Höhle, in welcher Ne- 
leus und Nestor ihre Rinder geborgen hatten (Paus. IV, 36, 2). 

Neleus ist noch bei einem anderen Rinderraube betheiligt. 
Er verspricht seine Tochter Per o die Verstümmelte (eine 
andere Köre) demjenigen zimi Lohne , welcher die Rinder des 
Iphiklos aus Phylake (dem Kerker) ihm herbringen würde, 
welche von einem fürchterlichen Hunde bewacht werden. 
B i a s , welcher in die schöne Pero verliebt ist, ruft seinen Bru- 
der Melampus (Schwarzrösser oder Hades) zu Hilfe, welcher 
für ihn die Pero zu entführen sucht, ^ber ergriffen und einge- 
sperrt wird und ein Jahr lang im Kerker schmachten muss. 
Aber mittelst seiner Seherkunst (als ein anderer Apoll) befreit 



343) Schol. Ap. I, 156. Schol. IL ß, 336. Od. X, 286. Apollod. 
1,9,9. 

344) Andere Namen desselben sind EvQvnvkog, TriliTivkos, ^u^dfiffio^, 
^HyioCXaog, EvQva&^vrif, IIoXv^äxT'jg, ^e^afi^vfic, Ano6cifmg^ Nrilfvg, //o- 
XvffovjfiSf MeXd/dTtovg. 



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5. Nestor. Pero. Ergino«. 223 

er sich und bekommt die Rinder, treibt sie nach Pylos und 
gewinnt »o die Braut für den Bruder ^^) . Wir werden diesen 
Melampus noch einmal 2u betrachten haben unter den Heil- 
dämonen, wo wir das Uebrige deuten wollen. 

Der alte Dichter Eumelos von Korinth hat gesagt, das 
Grab des Neleus sei nicht einmal dem Sisyphos verrathen wor- 
worden , weil es geheim bleiben müsse (Paus. II, 2, 2) . Das 
kann uns nicht Wunder nehmen, da wir wissen, wer er ist. 

Sein Sohn Nestor, welcher, in dem blumigen Gere- 
nos lebend, dem Blutbade entkam^*) und ein unverwüst- 
liches Alter genoss, hat einen merkwürdigen Doppelgänger in 
dem Minyer Erginos zu Orchomenos , der , als ein Sohn des 
Klymenos, die Blutrache für seinen von Perieres in On- 
chestos getödteten Vater erbt, und diese Bache so glänzend 
übt , dass er (wie Minos mit seinem Labyrinthe , d. h. Orcue) 
den Thebanem einen jährlichen Tribut von 1 00 Stieren auf 
20 Jahre lang auflegt. Derselbe erscheint unter den Argonau- 
ten mit grauen Haaren, und dennoch besiegt er im Wett- 
lauf die Boreassöhne (Pind. Ol. IV, 31). Alt geworden ohne 
Kinder, nimmt er dennoch auf den Rath des Orakels ein jun- 
ges Weib und zeugt mit ihr den Trophonios imd den Agame- 
des (Paus. IX, 37, 2) , die unterirdischen Schäzesammler und 
Heilande, welche die Menschen vom Hades wiederkehren las- 
sen. Der Erginos hat einen Bruder oder Sohn Namens Azeus, 
d. h. Vegetus (vgl. altrjog) , und er selbst ist eben so wie der 
Admetos, welcher mehrmals dem Tode entrissen wird , ein 
vom Tode nich^ zu bändigender langlebender Jugendgreis. 
Um dies zu sein , muss man entweder in gütlicher Weise mit 
dem Hades sich abgefunden haben oder aber selbst der Hades 
sein. Beim Admet tritt der Herakles feindlich gegen den Tod 
auf und ringt ihm die Beute wieder ab , und das Gleiche thut 



345) Apollod. 1,9, 12. Od. A, 287 — 298. o, 225-240. Schol. 
Od. A, 287. 

346) He 8. Frag. 45 NiartoQ o2og uXv^fv iv av&ffiofvn rtQi^vip, 



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224 £• Dämonen d. Lichtac u. d. FinslenuM. 11. Titan u. d. Rinderbeuier. 

daselbet auch Apollon im Streit mit den Moeren , wfihrend sie 
beide in dem fireundlichsten Verfaältniss zum AdmeCos selber 
stehen^ Dagegen ist des Erginos VerfaSltniss sum Herakles 
feindlicher Art. Der Held schneidet den Herolden des Ei^inos, 
als sie den Tribut einfordern wollen , Nasen und Ohren ab, 
dann besiegt er den Erginos selbst mit Hilfe der Athena, welche 
ihm die Rüstung schafft (Diod. IV, 20). Doch kostet der Si^ 
schmerzhafte Opfer: der Amphitryon fällt in dem Kampfe^ 
und zwei Töchter des edlen Antipoinos (Vergelter) , Namens 
Androkleia und Alkis, müssen den freiwilligen Opfertod 
leiden; denn der Hades muss eben doch immer ein stellver- 
tretendes Opfer bekommen, wenn man ihm eine Beute abringt 
(Paus. IX, 17, 1. ApoUod. H, 4, 11). Die beiden Mädchen 
wurden im Tempel der rühmlichen Artemis (f^xiUicr) zu The- 
ben begraben. Vor diesem Tempel lag ein steinerner Löwe, 
vom Herakles zum Andenken dieses Sieges gestiftet. In der 
Nähe standen, vom Amphi^on gestiftet, zwei steinerne Bil- 
der der ji&tjvS Zioattiqlay d. h. Gürterin der Helden zum 
Kampfe. 

6« Elektryon. iiippoboon« 

Ein anderer Augeias istElektryon, der Vater der Alk- 
mene, dessen Name abermals einen Sonnengott bezeichnet. 
Als solcher ist er im Besize rieler schöner Binder, welche ihm 
von den Teleboern, den Söhnen des Pterelaos, wegge- 
trieben werden. Im Kampfe darüber werden die Elektryons- 
söhne alle bis auf einen, den Likymnios, und die Pterelaos- 
söhne ebenfalls bis auf ^inen , den Eueres, erschlagen, die 
Binder aber nachher dem Eleer-König Polyxenos von den 
Taphiem übergeben. Dessen Name bezeichnet abermals den 
Hades, und Aeschylus hatte ihn zu einem Sohn des Hades und 
Bruder des Zagreus gemacht (Etym. Gud. v. ZayQCvg). Am- 
phitryon löste die Binder imd führte sie nach Mykene, und als 
er sie dem Elektryon abliefern wollte , tödtete er unwiUkür- 



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b. Elektryon. Hippokoon. 225 

lieh diesen seinen Schwiegervater , indem er nach einem aus- 
reissenden Binde die Keule warf, welche vom Hom des Rin- 
des auf den Kopf des Elektryon absprang (ApoUod. 11, 4 , 6. 
Schol. Ap. I, 747). Als hernach Amphitryon die Taphier- 
inseln , das Land des Pterelaos , verwüstete , verliebte sich in 
ihn dessen Tochter Komaetho und schnitt, eine andere Skylla 
oder Delila, ihrem Vater dasgoldeneHaar ab, an welchem 
sein Leben hieng. So gewann Amphitryon den Sieg, aber der 
Verrätherin lohnt er mit dem Tode (Apollod. das. 7). Es 
braucht wohl kaum bemerkt zu werden , dass die Besizer der 
goldenen Haare Sonnendämonen sind, und dass das Abschnei- 
den ihrer Haare das Schwinden der Kraft der Wintersonne 
bedeutet. 

Aber wir müssen noch einmal mit dem Herakles in den 
Peloponnes zurückkehren. »Von Pylos«, sagt Apollod. II, 7, 3, 
»zog Herakles nach Lakedaemon wider die Söhne des Hippo- 
koon, welche dem Neleus geholfen hatten. Sie hatten ihn auch 
durch Ermordung des Sohnes von Likymnios erzürnt. Als 
nämlich derselbe in die Burg des Hippokoon gehen wollte^ 
wurde er (ein anderer Aktaeon) von einem grossen Molosser- 
hunde angefallen , den er aber mit einem Steine todtwarf , wo- 
für er selbst von den Hippokoonssöhnen mit Knitteln todt- 
geschlagen und der Herakles , als er zu Hilfe kam, im Schen- 
kel verwundet wurde (Paus. VIII, 53, 9}. Zum Feldzug wider 
diese forderte der Held sodann den Arkadischen König Ke- 
pheus auf mit seinen zwanzig Söhnen, der sich aber dazu erst 
dann bewegen liess, als Herakles seiner Tochter Sterope eine 
Locke von der Gorgo gegeben hatte, die ihm von der Athena 
geschenkt war. Wenn man diese Locke dreimal ohne hinzu- 
sehen schüttelte vor den Mauern der Stadt Tegea , so mussten 
die Feinde davonlaufen (Paus. VHI, 47, 5). In der Schlacht 
mit den Hippokoonssöhnen fiel Kepheus mit seinen Söhnen 
und auch der Zwillingsbruder Iphiklos: dagegen erschlug 
Herakles den Hippokoon mit seinen zwanzig Söhnen, eroberte 

HftrtuD;,Bel. n. Mythol. d. Or. II. 15 



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226 E- Dämonen des Lichtes u. d. Finsterniss. 11. Titan u. d. Rinderbesixer. 

die Stadt Sparta und «ezte den verjagten Tyndareos wieder auf 
den Thron ^7), 

Der Hippokoon, welcher dem Neleus beispringt , ist der 
Hades: sein Hund, welcher die Vettern des Herakles um- 
bringt, ist der Kerberos, Der Kepheus, Sohn des Aleos (^Xeog, 
d. h. des Wärmersj, auch als Aethiopenkönig bekannt, ist ein 
Sonnendämon. Die zwanzig Söhne auf beiden Seiten (deren 
Zahl aber verschieden angegeben wird) sind mit den zwölf 
NeleiLssöhnen zu vergleichen. Ihre Zahl ist nicht zu urgiren^ 
auch sollen sie nicht gerade alle umgekommen sein. 

Zum Andenken dieses Kampfes stand in Sparta ein Tem- 
pel des Herakles mit einem geharnischten Bilde des Helden, 
und neben dem Tempel sah man das Grab des Oeonos , des 
von dem Hunde getödteten Knaben : sodann war vom Hera- 
kles der AÜiena u4^i6n:oivo9 , d. h. V er gelt er in, ein Tem- 
pel gestiftet. 

7. Adttietos. LaoniedcMi. 

Admetos der Unbezwingliche ist mit dem Lichtgotte 
Phoebos gut befireundet. Sogleich anfangs hilft ihm derselbe 
die Tochter des Pelias, d. h. des Schwarzblauen (er ist 
ein Bruder des Neleus), gewinnen, die Alkestis, eine mit 
dem Admet (Hades) vermählte Köre , welche in die Unterwelt 
hinab muss und wieder ins Leben zurückgeführt wird. Die 
Bedingung, sie zu erhalten, ist nämlich die, dass ein Eber 
und ein Löwe (über deren Bedeutung s. oben S. 68 ff.) an den 
Wagen gespannt werden : und diese Aufgabe vollbringt Ad- 
met mitHilfe des Phoebos (Paus. HI, 18, 16. ApoUod. I, 9, 14). 
Bei der Hochzeit vergisst es Admet, der Schwester seines 
Freundes , der Artemis , zu opfern , und findet in Folge dieser 
Vernachlässigung einen Klumpen Schlangen in der Schlaf- 
kamm^. Auch hier tritt Apollo für ihn ein und versöhnt die 



347) ApoUod. n, 7,3. III, 10,6. Diod.IV,53. Paus. UI, 15, 3—5. 



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7. Admetos. Laomedon. 227 

Artemis. Apolls Sohn Asklepios hat die Todten wieder auf- 
geweckt , Zeus hat ihn wegen dieser Beeinträchtigung der 
Rechte des Hades mit dem Bliz erschlagen : darauf hat Apoll 
die Kyklopen getödtet : nun wollte Zeus den Phoebos dafür in 
den Tartaros werfen (wir wissen was das bedeutet) , doch auf 
Fürbitte der Leto wird diese Strafe dahin abgewandelt , dass 
er ein Jahr lang dem Admet dienen muss , was gerade so viel 
war. Nun hütet Apollo bei Admet die Rinder und bewirkt 
einen ungemeinen Segen in den Heerden : Eur. Alk. 548 — 563. 
Dieser Heerdenreichthum des Admetos ist auch in dem Namen 
seines Sohnes Eumelos angedeutet, und schon Homer kennt 
ihn, indem er den Eumelos mit vogelschnellen Stuten nach 
Hion kommen lässt, welche von Apollon in Pereia erzogen sind 
(U. ßy 764. Schol. n. xpy 383). 

Hier wollen wir sogleich einen analogen Fall erwähnen, 
weil Vergleichungen den besten Aufschluss geben. Apoll und 
Poseidon werden verurtheilt, dem Laomedon (Menschen- 
bez>vinger Hades) ein Jahr lang zu frohnden : Poseidon baut 
ihm die Mauern, Apollon hütet ihm, wie dem Admet, die Rin- 
der, auch bei dem ^[auerbau soll er mit geholfen haben (II. 
g>, 44S. 17, 452). Wohl zum Andenken daran befand sich ein 
Heiligthum der beiden Götter auf der Burg llion. Nun besizt 
femer dieser Laomedon eben so herrliche Rosse, wie der Eume- 
los, die er aber auf anderem Wege, und nicht durch den Phoe- 
bos, bekommen haben soll (II. e, 263 ff.]. Das ist eine Ent- 
stellung der Sage durch Einmischung des Ganymedes: da- 
gegen ist es interessant zu finden , dass der Heraklee wieder 
auf diese Rosse Anspruch macht , und als sie ihm verweigert 
werden, den Laomedon tödtet und die Stadt zerstört (II. ir, 
340 ff. ApoUod. II, 6, 4). 

Auch zum Admet kommt der Herakles , aber nicht um 
ihm Heerden zu rauben, sondern um seine Gattin Alkestis dem 
Tode wieder abzunehmen. Also ist hier an die Stelle Admets, 
welcher den Hades bedeutet, der Tod [Qaifaxog getreten. 

15* 



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228 £• B&monen des Lichtes und der Finstemiss. 

Dieser Admet aber hat ein eben so zähes Leben, wie der Riese 
Alkyoneus, und weder die Moera noch der Tod können ihm et- 
was anhaben : jene werden von ApoUon um ihre Beute betro- 
gen , der leztere muss sich mit einem Aequivalent begnügen ; 
kurz, der Admet ist ad^tjtog, ein zweiter Nestor, und bleibt 
am Leben ^^^). 

III. Die Zwillinge. 

Der Helios und der Hades könnten Zwillinge genannt 
werden, weil sie in einander übergehen, und der Indische Ha- 
des trägt wirklich diesen Namen [Jama =: ffeminus) . Und der 
Augeias hat Zwillinge zu Bundesgenossen, die sogar zusammen- 
gewachsen sind, die Molionen Kteatos imd Eurytos. Auch 
sind wir bereits den Aloiden begegnet, dem Otos und Ephial- 
tes , welche als sehr schön geschildert , theils auch zu den Gi- 
ganten gerechnet werden : denn Eratosthenes bei dem Schol. 
Apoll. I, 482 nennt sie Erdgeborene. Sie sind unter den 
Riesen dasjenige, was Romulus und Remus, Amphion imd Ze- 
thos, Kastor und PoUux unter den Heroen sind , und werden, 
wie diese, auch als Stammväter gewisser Staaten verehrt, und 
demgemäss mit gewissen Kämpfen und Verdiensten bereichert. 

Auch Apoll und Admetos hätten für Zwillingsbrüder oder 
wenigstens für unzertrennlich geachtet werden können, vne 
Prometheus und Epimetheus, ingleichen Apoll und Laomedon 
sammt dem Poseidon : denn auch einen dritten sehen wir bis- 
weilen hinzutreten. Hiermit haben wir die Deutung dieser 
Zwillingsnaturen bereits gegeben : damit aber ihr Wesen noch 
sicherer verstanden werde, wollen wir hier auch eine kurze Be- 
trachtung der Indischen Rossbrüder Acicinau anknüpfen. 
Diese Indischen Dioskuren sind erstlich Brüder des Jama und 
des Manus , d. h. des Zwillings und seines Bruders , gezeugt 



348) Eurip. Alk. d. Prolog, und die Schollen. Libanius narr. 9. 
p. 1102. Apollod. I, 9, 14. 



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III, Die Zwillinge. 229 

von Vivaavat dem Leuchtenden und ASorq/t^ dem Wolken- 
dunkel , und stehen in dem nämlichen Yerhältniss zuein- 
ander wie jenes Brüderpaar. Femer fahren sie mit hellen 
Bossen und schenken ein solches Ross dem Pedu : sie retten 
in Schlachten und aus Meeresstürmen, entführen als ihre 
Braut die Tochter des Sürya (sot) und thun endlich viele Wun- 
der. Zum Beleg des Gesagten sollen hier einige Stellen aus den 
Veden nach der Uebersezung des Herrn Geheimerathes Fr. 
Bückert ausgehoben werden ^ der mir sein Manuscript zu die- 
sem Gebrauche mitgetheilt hat. »Euer Verband ist wie des 
Tages und der Nacht: wohl zu verbinden seid ihr von 
Verständigen. — Ueber drei Erden durch den Himmel wan- 
delnde behütet ihr das Licht (das Gedeihen) in den Tagen und 
Nächten stets.« Wegen der drei Welten haben die Alwinen 
Alles dreifach, die Räder, die Wagenkörbe u. s. w. d Auf den 
Scheitel des Ewigen sezt ihr das Wagenrad , durch den Him- 
mel das andre geht — Himmelweit euer Fahrzeug ist, euer 
Wagen am Meergestade. — Euer unsterblich gemeinschaft- 
licher Wagen geht ja im Meer , A9winen. — Wohl Zwillinge 
gebirt die Zwillingsmutter : alsbald, geboren , nimmt das Paar 
Gestalt an, die Finstre schlagend kommts bei Tages- 
anbruch. — Wie sprizen Funken eure goldnen Felgen, der 
Morgenröthe folgt ihr honigtrinkend. — Nach eurem 
Glanz, Umwandelnde, kommt gegangen das Morgenroth : ihr 
liebt die Feier der Nacht. — Kommt, denn das Opfer ist be- 
reit ! sonst schirrt vor euch der Sonnengott des Morgenroths 
bunten triefenden Wagen zu der Feier an. a 

Auch bei den Parsen kommen diese Zwillinge vor. Aspi- 
nen genannt , und Schwenck (Myth. d. Pers.) erklärt sie für 
die aufgehende und untergehende Sonne. Statt Sonne hätte 
wohl Licht gesagt werden müssen : denn , wie wir so eben 
gesehen haben, die Alwinen werden von der Sonne unter- 
schieden. Es heisst femer von diesen » Geboren hier und dort, 
sterbt ihr zusammen. « Aus dem Wasser sind sie geboren, und 



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230 ^- Dftmonen des liehtes und der Finsternis«. III. Die Zwillinge. 

wenn sie herabgelangen von ihrem Fahrzeuge nimmt die 
Schwester sie auf. 

Kuhn (Ueber die Herabk. des Feuers p. 252) nennt sie 
Götter des aufsteigenden Morgenroths. Fügen wir hinzu »und 
des der Sonne folgenden Abendroths«, so werden wir dem 
Wahren näher gerückt sein. Denn sie kommen vor und nach 
der Himmelsröthe , sind hier und dort geboren , fahren den- 
noch zusammen und erlöschen mit einander. Wenn sie noch 
nicht völlig das waren , was die Dioskuren den Hellenen sind, 
so hatten sie doch die Anlage, es zu werden. 

1. Idofueneu». Die Molionen oder Aktoriden. 

Minos und Pasiphae zeugten den Deukalion , und dieser 
zeugte den Idomeneus und die Kreta , und ausserehlich den 
Molos **^). Zu Elis war des Idomeneus Bild unter denen, 
die der Ausforderung Hektors zum Zweikampf gefolgt waren, 
und dasselbe war kenntlich durch den Hahn auf seinem Schilde : 
denn (sagt Paus. Y, 25, 9) Idomeneus stammte vom Helios, 
und diesem war der Hahn geweiht , als Verkündiger des Mor- 
gens^. Sein Bastardbruder Molos, dessen Namen an die 
Molionen erinnert, wird der ankommende Morgen sein, 
und beide zusammen mit ihrer Schwester Krete sind Kretische 
Dioskuren. Wenn Odysseus in seiner erdichteten Erzälnng 
sich dem Molos unter dem Namen Aethon substituirt (Od. 
T, 183), so scheint wenigstens dieser Name nicht erdichtet zu 
sein : und wenn Helena erzält , dass Menelaos den Idomeneus 
gar oft bei sich bewirthet habe, während sie zugleich die Ab- 

349) IL y, 451. Diod. IV, 60. Apollod. lU, 3, 1. Jtvx^s oder 
Sdxig heisst la^nQoy^ ntgitfctrig nach Hesych, femer irSfvx^g so viel wie 
IfxtfiQig^ ofiotov. Dazu füge man das rom Schol. Apoll. Rhod. durch 
ff;r(^(7<r<^xi;r»c und untoixwi und uqtiv^g erklärte adtvxiig. Daraus lä98t 
sich entnehmen, was JkvxaXduv sowohl als auch was IloXvStvxfig ursprüng- 
lich bedeuten. ^Idoutvivg aber von idklv besagt wiederum das n&m liehe. 

350) Vgl. Aesch. Suppl. 17S, wo der Helios Hahn des Zeus {Ztjfo^ 
&QtHg) genannt wird. 



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1. Idomeneus. Die Mationen oder Aktoriden. 231 

Wesenheit der Dioskuren bedauert, und wenn Hygm (c. 81 und 
270) weiss, dass der Idomeneus in diese Schwester der Dios- 
kuren verliebt gewesen sei : so ist aus dem allen eine gewisse 
Verwandtschaft mit den Dioskuren zu entnehmen. 

Gehen wir zu den Molionen über. Ihr Vater ist Aktor, 
Bruder des Augeias, Sohn desPhorbas (Paus. V, 1, 11), 
drei Namen, welche einen Sonnen- oder Lichtgott bezeichnen. 
Sie selbst sind Weissberitten, gleich den Dioskuren , und 
auch gleich diesen aus einem Ei geboren, und sogar zu- 
sammengewachsen , was jene ebenfalls gewesen sind , wenig- 
stens anfangs: denn noch Phidias hat sie im Parthenonfries 
also dargestellt , wie die zwei Aloiden in der Unterwelt sizend 
gedacht wurden , nämlich mit an einander gelehnten Rückeril • 
Von den MoUonen aber lässt Ibykos, (Frag. 16. p. 189 m. 
Ausg.) den Herakles also erzälen: 

Und das weissberittne Paar 

Schlug ich , die Söhne der Molione , 

Zwillinge gliedergeleimt, schädelgepaart , 

Beide zusammen geboren im £i einer silbernen Schaale. 

Wegen dieser Doppelgestalt sind sie bei Apollod. 11, 7, 2 
Biesen '"»>). 

Davon weiss indessen Homer nichts , bei welchem sie mit 
dem Augeias in den Krieg ziehen noch als Knaben ^ und in 
diesem Krieg Ton Nestor erschlagen worden wären, wenn 
nicht Poseidon (denn auch dieser wird für ihren Vater aus- 
gegeben) sie entrückt hätte in einer Wolke (II. A, 710. 750). 
Ausserdem kennt sie Homer noch als Zwillinge imd als tüch- 
tige Wagenlenker : denn in den Leichenspielen zu Ehren des 
Königs Amarynkeus (des Funkelnden) oder des Sonnen- 
gottes ist Nestor bloss von diesen Aktorionen übertroffen wor- 



351) *UXfkav axQttrr^ovg Evqvtov x«l Ktittrov av^ifviTg, oV difVii- 
fjLH rohi roxi avd-^tonovg vntQ^ßaXlov, 

352) IL X, 710 TitttJ^ ir iovt* ovnto ^dlft «/cTorc {^ovQi^oi ttXxtfS. 



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232 £• Dämonen des Lichtes und der Finstemiss. III. Die Zwillinge. 

den , weil es Zwillinge waren , und während der eine lenkte 
schwang der andere die Peitsche ^). 

Bei Pindar dagegen haben sie's mit dem Herakles , und 
nicht mit dem Nestor^ zu thun^ und das ist auch richtiger. Sie 
halten^ wie billige zum Augeias^ als Herakles gegen diesen 
zieht 9 um seinen Lohn einzutreiben: denn sie sind Licht- 
wesen. Dabei deuten ihre Namen Kteatos und Eurytos 
auf Besiz und Wohlstand^ und das ist ebenfalls in der Ord- 
nung , weil sie Schuzgottheiten des Staates sind. Herakles 
kommt das erste Mal sehr zu kurz gegen sie : die Molionen rei- 
ben ihm sein Heer auf, er muss sich zurückziehen und wird 
krank; später aber überfiel er sie aus dem Hinterhalt bei 
Kleonae im Argeierland^ als sie von Elis her 2u den Isthmischen 
Spielen gehen wollten, und tödtete sie : dort bekamen sie auch 
ihr Grabdenkmal und ihr Heiligthunu Aber ihre Mutter Mo- 
lione legte wegen dieses Verrathes einen Fluch auf jeden Eleer, 
wer fürder die Isthmischen Spiele besuchen würde: darum 
unterblieb dieser Besuch^*). In dem Kampfe gegen die 
Molionen haben dem Herakles gerade 360 Männer aus 
Kleonae beigestanden, welche alle umgekommen sind: 
und er stiftete ihnen Ehren zu Nemea , als er den Löwen dort 
erlegt hatte ^^). Endlich ist noch zu erwähnen, dass diese 
Zwillinge auch Zwillingsschwestern geheirathet haben, Töch- 
ter des Königs D ex am enos (Hades) zu Olenos in Aetolien, 
genannt Theronike und Therophone, und haben mit 
ihnen Söhne gezeugt, den Amphimachos und den Thal- 
pios (Paus. V, 3, 3. D. y, 18^. /J, 620). 



353) IL Vi 64^ 0^' ^ «? f^f^y öC^vfioi' o ^Iv tfjtmdov f^viox^v^v, 

354) Find. Ol. XI, 42 — 55. Schol. ApoUod. II, 7, 2. Paus. II, 
15, 1. VIII, 14, 9. V, 2, 2. Plutarch de P}th. or. c. 12. p. 400. Schol. 
II ;i, 709. 

355) Schol. Find. Ol. XI, 29. Aelian V. H. IV, 5. 



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2. Die Aloiden. 233 

2. Die Aloiden. 

Die Söhne des Aloeus und der Iphimedeia^ als deren 
eigentlicher Vater Poseidon angegeben wird (Schol. Ap. I, 
482^, hiessen t)tos und Ephialtes^. »Die Söhne des 
Aloeusa, sagt Homer, «hatten ein kurzes Leben {ftiwv9adl(a 
yeyia&rp^) und waren riesengross, und dabei die allerschönsten, 
den Orion ausgenommen. Als sie neun Jahre alt waren, mas- 
sen sie neun Ellen in der Breite und neun Klaftern in der 
Länge, imd bedrohten die Himmlischen mit Krieg: sie wollten 
den Ossa auf den Olymp, und auf den Ossa wiederum den 
Pelion sezen, um so in den Himmel hinaufisusteigen : und 
wenn sie die Jahre ihrer Reife erlangt hätten., so hätten sie's 
auch aufführt : so aber wurden sie von ApoUon , noch ehe 
sie einen Bart bekommen hatten, getödtet (Od. A, 305). Das 
Emporthürmen von Bergen zur Ersteigung des Himmels erin- 
nert an die Herakles- oder Atlassäulen und an die Hhammanim 
oder Beth-El. Die Aloiden, beide zusammen, also machen 
einen Atlas aus. Von ihrer Biesengrösse aber weiss Pindar 
nichts , sondern bloss , dass sie sehr gross und schön gewesen 
und auf Naxos gestorben seien. Nämlich beim Anblick des 
lason fragen die Menschen: »Ist er Apollon der Fremdling, 
oder gar im ehernen Wagen der Mann Aphroditens? Todt ja 
sind im lachenden Naxos bereits Iphimedeens Kinder, Otos, 
Ephialtens riesenverwogene Kraft. « Auf Naxos waren sie zu 
Hause diese unzertrennlichen Brüder. Sie hatten nämlich. 



356] 'Sltog oder t^rog heisst die Ohreule, so dass der Otos Eins mit 
dem As kalaphos sein kann. ^Eqiulxtic wird schwerlich der Alp sein 
sollen, wiewohl die Alten den Namen durch 6 iTriJirjSiotf deuten und den 
'BifialTfig (wohl eher ^EnitiXrviq) mit tu den Popansen s&hlten , mit denen 
man die Kinder schreckte (Straho 1 , 2. p. 19) . Vielmehr wird der Stamm 
in ttXdulrio — alere zu suchen sein , sintemal Hesych an mehreren Stellen 
lehrt, dass der Ephialtes auch *£l(i^Xtig und ^E-rrtoi^ ^ktjg geheissen habe. 
Und der Vater ^j4Xiaivs sammt der Stadt jiXcg, die er gegründet hat, wird 
wohl aus dem nämlichen Wortstamm seinen Namen henuleiten haben. 



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2 34 £• D&monen des Lichte« und der Finsterniss. III. Die Zwillinge. 

gleich den Dioskuren^ eine wunderschöne Schwester^ Pan- 
kratis^ eine zweite Helena. IJm diese hatten die besten Hel- 
den der Thraker (welche damals auf Naxos wohnten) sich todt^ 
geschlagen, bis man sich entschloss^ sie dem König Agassa- 
menos zu geben. Aber nun sandte der AloSus seine beiden 
Söhne aus y die Geraubte wieder zu holen. Sie eroberten und 
zerstörten dieses Troja, die Thrakerstadt ^ Hessen sich dann 
selbst auf der Insel nieder, luid nannten sie D ia; aber später 
hatten sie das Unglück, sich gegenseitig zu tödten, empfiengeu 
aber göttliche Ehren bei den Einwohnern der Insel Dia oder 
Naxos. So erzält Diodor V, 50. 51, welcher die Mythen in 
Geschichte umzugestalten beflissen ist. Mit der gegensdtigen 
Tödtung soll es also zugegangen sein. Sie hatten sich, der 
eine in die Hera der andere in die Artemis, verliebt, und das 
nahmen diese Göttinnen übel : darum liess Apoll einen Hirsch 
zwischen sie laufen, auf den sie beide zugleich schössen : oder 
auch Artemis selbst war in diesen Hirsch verwandelt, welchen 
verfehlend sie sich selbst tödteten. Und das geschah auf 
Naxos ^'). 

Homer meldet femer, dass einst der Ares von den Aloeus- 
söhnen sei in Fesseln geschlagen worden , und dass er drei- 
zehn Monate lang in einem ehernen Kerker (xe^/u^) schmach- 
ten musste , und dass er in der That umg^ommen wäre, wenn 
nicht die Stiefmutter , der Jünglinge, die schöne Eeriboia 
(Hegißoia) sich erbarmt imd die Sache ihrem Grossvater, dem 
Hermes, angezeigt hätte, welcher der Hera zu lieb ihn heraus- 
stahl, als -er schon beinahe verkommen war (11. e, 385). Troz- 
dem weiss Philostratus (vit. Soph. H, 3), dass der also Einge- 
sperrte auch Opfer von den Aloiden bekommen hat: dass aber 
der Ares gefangen wurde, das ist dem Scholiasten Homers zu- 
folge also zugegangen. Die Aphrodite hatte ihren schönen 



357) Apollod. I, 7, 4. Schol. II. €, 385. Hyginc. 28. Kallim. 
Hym. Aet. 265. 



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IV. Die Oluthdäraonen. 235 

Lieblinge den Kinyrassofan Adonis^ dem Otos und Bphialtes 
anvertraut. Diesen erschlug der Ares, d. h. der Winter, wäh- 
rend er auf dem Libanon jagte. Darüber er«ümt, sperrten sie 
den Ares ein. Wie er aber wieder frei geworden war, floh er 
nach Naxos und versteckte sich in die sogenannte Eisenrost- 
grotte (aidfjQoßqaJTiv nhqav) . 

Hygin berichtet, dass beide in der Unterwelt mit dem 
Rücken an eine Säule angebunden sind mittelst Schlangen, 
welche sich herumwinden : und zwischen ihnen an der Säule 
sizt eine Nachteule [oTQiy^). Damit soll wohl nichts Anderes 
gesagt sein, als dass sie eigentlich Zwillinge, und zusammen- 
gewachsen waren (daher auch ihre Riesenkraft und Riesen- 
grosse , wie bei den MoUonen) , und dass ^Sitog so viel wie 
Eule bedeute. Diese Eule aber wird nichts Unheimliches zu 
bedeuten haben, so wenig als bei der Athena : denn diese zwei 
Brüder haben zuerst auch den Musen am Helikon geopfert, als 
sie mit ihrem Bruder Oeoklos vereint Askra gründeten. Es 
gab aber damals nur drei Musen, welche Vorbereitung, 
Gedächtniss und Gesang (MeXhr]^ Mvrjfirj imd ^JoifH]) 
Messen. Auch Aloion in Thessalien haben sie gegründet 
nach Besiegung der Thraker (Anhänger des Ares) , und nicht 
bloss auf Naxos , sondern auch auf Kreta und zu Anthedon in 
Boeotien bewahrte man ihr Grab ^ • 

IV. Die Gluthdäinonen. 

Die Gluthdämonen, welche wir jezt der Reihe nach be- 
trachten wollen, entsprechen alle dem glühenden Moloch, der 
nach seinem Hinabstürzen in die See zum Melkarth wird, dar- 
um auch die Stiergestalt hat. Sie sind zum Theil grausame 
Tyrannen, wie der Thrakische Diomedes mit seinen menschen- 
fressenden Sonnenrossen , machen die Quellen versiegen , er- 
zeugen pestartige Krankheiten und stecken Alles in Brand, 



358) Paus. IX, 22, 6. Plin. Vü, 73. Serv. Aen. III, 578. 



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236 £• Dämonen des Lichtes und der Finsterniss. IV. Oluthd&monen. 

bis sie etwa vom Bliz erschlagen oder in den Tartarus hinab- 
gestürzt werden. Sie fallen oft mit dem Himmelsgotf Zeus, 
mit dem Lichtgotte Phoebos, als Titanen auch mit dem Kronos- 
Bei 9 zusammen. In der Eigenschaft des lezteren können sie 
wechselnd auch der goldenen Zeit angehören und Bichter in 
der Unterwelt werden (Minos), während die Einheit mit dem 
Zeus und Phoebos nicht hindert ^ dass sie auch (als Entartete) 
von jenen selbst getödtet werden. 

I. Phlegyer und Lapithen. Peirithoos, Kaeneus, 
Phorbas. 

Eine ganze Klasse solcher Dämonen begegnet uns in die- 
sen Namen, die noch jezt von den Forschem meistens für 
zwei historische Völkerschaften gehalten werden. Der Name 
Phlegyer bezeichnet Brennende und Lapithen (von 
Xa/iina) d. h. Xcctcw: s. Curtius Gr. Etym. L p. 231) Leuch- 
tende. Beide werden als übermüthige Frevler geschildert, 
woher es kommt , dass q)leyvav so viel wie vßQiCei^ bedeutet, 
beide wei^den auch vielfach bestraft und in die Unterwelt hinab- 
gestossen. Die Phlegjer oder ihr König Phlegyas steckten 
Apolls Tempel in Brand, plünderten die Pilger und ruhten 
nicht, bis entweder Phoebos oder Zeus sie durch Blize vertilg- 
ten oder auch in den Tartarus hinabstiess ^^^). Und gleich sei- 
nem Sohn Ixion wird auch der König Phlegyas noch in der 
Unterwelt gemartert ^ . 

Der Lapithenkönig Hypseus (der Hohe) ist niemand als 
der Sonnengott selbst, imd Stilb e (Schimmer), die Mutter 
der Lapithen, ist der Mond. Ihr Stammvater Lapith es ist 
ein Sohn des Apollo , Bruder des Kentaurus. Der Lapithen- 
könig Peirit ho os (der Schnelldurchdringende) heirathet die 
Hippodameia oder Deidameia (eine Artemis) , und bei der Hoch- 



359} Pau«. IX, 36, 2. 3. II. f, 302. Schol. das. 

360) Virg. Aen. VI, 618. Schol. II. «, 268. Schol. Apoll. III, 62. 



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1. Phlegyer und Lapitben. Peiritboos, Kaeneus, Phorbas. 237 

zeit fiel die grosse Schlägerei der Lapithen mit den Kentauren 
(Quellendämonenj vor, in welcher die lezteren unterlagen. 
Hinwiederum sehen wir diesen Peirithoos mit dem Wasser- 
dämon und Poseidonssohn Theseus (so wie den Phoebos mit 
dem Poseidon] innige Freundschaft halten und gemeinsam mit 
ihm die Helena rauben , auch in die Unterwelt hinabgehen, 
um die Kora zu rauben, woselbst sie aber von dem Aidoneus 
nicht besser als Phoebos und Poseidon von dem Laomedon 
behandelt werden. Denn sie werden festgebannt , und Peiri- 
thoos kann selbst von dem Herakles nicht losgerissen werden ^*) . 

Ein anderer Lapithenkönig ist der K a e n e u s der neben dem , 
Peirithoos hergeht im Kentaurenkampf (Paus. V, 10, 8) und, 
statt mit Theseus, mit dem Poseidon selbst in einem Liebes- 
verhältniss steht. Homer (II. a, 264) nennt ihn und den Poly- 
phemos zusammen als Helden der Vorwelt. Dieser Kaeneus 
aber verwandelt sich auch in eine Kaenis, und ist also, wie der 
Melkarth und der Sandon, ein Mannweib. Er ist femer unver- 
wundbar und sinkt ungebrochen , ungebeugt (Apolld. I, 63), 
mit geradem Fusse den Boden spaltend (Pind. Frag. 233. p. 
246 m. Ausg.), unter die Erde hinab (Schol. Apoll. I, 57). Das 
bringt ihn mit den Heilgöttem, einem Amphiaraos und einem 
Teiresias (dem Mannweibe) zusammen , wie er dann auch der 
Bruder des Kraft (laxig)y des Vaters des Asklepios, ist. End- 
lich ist zu sagen, dass er seine Lanze auf dem Markte aufgestellt 
und für sie göttliche Verehrung gefordert hat (Schol. IL a, 
264. Schol. Ap. I, 57). 

Noch haben wir den Phorbas zu erwähnen, der sowohl 
zu den Lapithen als zu den Phlegyern gerechnet wird : denn 
mit diesen plünderte er den Delphischen Tempel, und vom 
Lapithes stammte er (Schol. D. tp^ 660). Vom Phoebos (mit 
dessen Name sein Name zusammenfällt , wie wir gelegentlich 



361) Scbol. Apoll. 1, 101. Diese Oescbicbte wiederbolt sieb imTbes- 
protenlande: Plut. Tbes. c. 35. Paus. I, 17, 4. Horat. III, 4, 80. 



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238 ^* Dämonen des Lichtes und der Finsternis«. IV. Oluthd&monen. 

zeigen werden) beredet , zieht er in das dem Helios geweihte 
Land Rhodos und reinigt es von Schlangen (Diod. V, 58). In 
Elis wiederum ist er der Vater des Augeias und des Lapithen 
Aktor, ingleiehen der Sohn des Argos — welches lauter Son- 
nendämonen sind^^). 

Z. Ixion. Endymion. Kephalos. Prokris. 

Ixions Weib Dia, die mit der Hebe und mit der Gany- 
mede fiirEins galt inPhliunt (Str. Vm. p. 382. Paus, ü, 13, 3). 
war wohl nicht verschieden von der Dione, der Gattin des Do- 
donischen Zeus. Wenn es also heisst, dass Ixion mit der Hera 
gebuhlt habe oder mit einer Wolke an deren Statt, so geht das 
Alles auf Eins hinaus , indem auch die Dia die Hebe und die 
Ganymede Gattinnen des Zeus gewesen sind. Damit stimmt 
es überein, wenn der Lapithe Peirithoos bald des Zeus bald des 
Ixions Sohn genannt wird, indem Zeus an die Stelle des Mo- 
loch gesezt erscheint: denn ein Moloch ist der Ixion, wie wir 
sogleich sehen werden^. Der Name Ixion aber bezeidinet 
einen Gnadengott den man anfleht (IxiaiOQy da l^ig so viel wie 
Ixeaia ist: s. Hesych) ; denn Aeschylus (Eum. 420) sagt »ehr- 
würdiger Flehender in Ixions Weisen« [OB^vog rcffoalxTiaQ 
iv zQonoig^l^iovog^*), Die Sage aber meldet, dass Ixion 
ein grosses Verbrechen begangen habe, von welchem ihn nie- 
mand reinigen und entsündigen konnte ausser Zeus selbst, und 
er war, gleich Kain, der erste Mörder in der Welt^. Also 
wird der Erbarmer selbt zum Erbarmenswerthen , der Sühner 
zum Entsühnten , wie die Opfer heischende Göttin Iphigenia 
selbst zum Schlachtopfer wird. Die That aber weldie Ixion be- 



362) Diod. IV, 69. Enstath. II. /?, 623. Paus. V, 1, 11. H, 16, 1. 
Schol. Ap. I, 172. 

363) Schol. Find. P. H, 39. 11. |, 317. 

364) Ueber das Verschwindendes Asper s. Curtius Gr. Etym. II. 253. 
865) Aesch. Trag. Ixion, Fragm. p. 129 m. Ausg. Pind. P. II, 

58 (32). 



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2. Ixion. Endymion. Kephalos. Prokris. 239 

gangen hatte bestand darin ^ dass er seinen Schwiegervater 
Deioneus^ in eine mit Feuer gefüllte Ghrube stürzte. Also 
wird er wohl selbst ein Moloch gewesen sein. Zulezt 
wurde Ixion mit Händen und Füssen auf ein feuriges Rad 
mit vier Speichen geflochten , und mit diesem wirbelt er seit- 
dem in der Luft herum ^®^). 

Aehnliches war in den grossen Eoen von Endymion er- 
zfUt , nämlich dass ihn Zeus in den Himmel eingeführt habe, 
dass er sich dort in die Hera verliebte und dabei durch ein 
Luftbild betrogen wurde , und dass er dafür im Hades bestraft 
werde (Schol. Apoll. IV, 57). Dieser Sohn des Zeus und Kö- 
nig von Elis, Stifter der Olympischen Spiele, ist wohl zu unter- 
scheiden von dem Schläfer in dem Berge Latmos in Karien, 
mit welchem er jedoch die Liebschaft der Selene gemein hat. 
Er soll nämlich mit ihr fünfzig Töchter gezeugt haben, welches 
die Mondumläufe des Fest-Cyclus sind^^^). 

Es gibt eine dritte, noch unkenntlichere, Verwandlung 
dieses Heros. Nämlich der Sohn des Deioneus hiess auch Ke- 
phalos, und dieser Kephalos stellt sich auf die Berges- 
gipfel {y(.B(pala^ hin, und ruft der Wolke zu, »Komm', o 
Wolke«, als war' er in sie verliebt, wodurch seine Gattin Pro- 
kris eifersüchtig gemacht wird, so dass daraus die tragische 
Geschichte entsteht, welche Ovid so rührend erzält (vgl. Eustatb. 
zu Od. Xy 321). 

Diese Prokris ist ein merkwürdiges Weib. Sie begattet 
sich auch mit dem Minos auf Kreta, und heilt ihn dabei von 
einer bösen Krankheit. Derselbe pflegte nämlich , wenn er 
Frauen beiwohnte , ihnen Schlangen, Skorpionen und andere 



566)-Feu6rmanny von ^a/m: denn cfi^^i« — xnv€tticovy sagt Hesych. 
Der Name erscheint anderwärts verschrieben *Htavfvg, 'Uaiovivg, 

367) Schol. Find. P. II, 39. Schol. Eur. Phoen. 1185. Schol. 
Apoll, in, 62. Diod. IV, 69. Eur. Herakl. 1269 m. Ausg. 

368) Paus. V, 1, 4 ff. 8,1. VI, 20, 9 Schol. Theokr III, 49. 
ApoUd. I, 7, 5. Konon. c. 14. 



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240 E. D&monen des Lichtes und der FinsteriiiM, IV. Oluthdftmoiien. 

böse Insekten in den Schooss zu giessen , woran sie starben. 
Die Pasiphae» eine Mondgöttin d. h. Zauberin ^ hatte ihm das 
angethan^ und die Prokris, eine zweite derartige Zauberin, heilt 
ihn davon mittelst eines Kirkäischen Trankes^. 

Der Kephalos aber hat noch eine Eigenschaft mit dem 
Endymion gemein, nämlich dass er von einer Himmelsgöttin, 
der Hemera (Tag) , geliebt wird, die ihn entfuhrt und von 
ihm den Phaethon gebirt (Hesiod bei Paus. I, 3, 1). Die 
Hemera, als Mutter des Phaethon, ist dann zur Klymene 
geworden und der Kephalos zum Helios (Paus. X, 29. Eur. 
Phaeth.). 

3. TADtalos« 

Auf dem Berg Sipylos in Phrygien , wo die grosse Mutter 
der Götter als Niobe versteinert (erfroren) zu sehen war, stand 
die Burg des reichen Tantalos , \md er lud dahin die Götter 
zum Schmauss und sezte ihnen seinen eigenen geschlachteten 
und zerstückelten und im Kessel gekochten (man denke an 
Melikertes— >Melkarth) Sohn vor, der aber hinterher wieder zu- 
sammeiigesezt wurde mit Ausnahme eines einzigen, von der 
trauernden Naturgöttin verzehrten, Gliedes und von Neuem be- 
lebt wurde. Es ist unschwer zu erkennen , dass dieser Pelops 
ein anderer Zagreus sei, der von seinem Vater den Himmlischen 
geopfert wird , so wie Jehud vom Bei dem Moloch (s. Movers 
I. p. 130), und wenn der Mythus sagt, dass Pelops nachher in 
den Peloponnes hinübergewandert sei, so liegt darinnen das 
Geständniss, dass die Menschenopfer, welche in Arkadien dem 
Zeus Lykaeos , als einem anderen Bei , gebracht wurden , aus 
Kleinasien herstammen, nicht aus der Urheimath des Griechi- 
schen Yolksstanmies: denn bei den Ariern ist keine Spur von 
Menschenopfern anzutreffen. 

Dieser Tantalos aber , dessen Grab auch auf dem Sipylos 



369) Anton. Lib. 41. Apolld. UI, 15« 1. 



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3. Tantalos. 241 

zu sehen war (Paus. V, 13, 7. II, 22 , 3), obwohl er ein Sohn 
des Zeus und der Huton ist oder auch einer Plejade , handelt 
fiilsch gegen den Zeus, mit dem er doch eine Zeit lang in 
inniger Freundschaft gelebt hat. Er plaudert die 6e^ 
heimnisse aus oder ^r trägt Nektar und Ambrosia von der Ta- 
fel seines Freundes weg und verschenkt sie an Menschen, um 
dieselben unsterblich su machen (Find. OL 1, 95-»l 00) . Sodann 
hatte der Zeus in Kreta b^ seinem Tempel einen goldenen 
Himd : der wird ihm gestohlen und dem Tantalos anvert^raut, 
der ihn abschwört , aber von Hermes überfuhrt wird^^^j. Für 
solcherlei Missethaten wird Tantalos zulezt bestraft: entweder 
wird der Sipylos auf ihn gededit oder ein Felsen schwebt ihm 
drohend über dem Haupte , und dieser Felsen hängt zwischen 
Himmel und Erde an goldenen Bändem^^^j. Oder er steht in 
der Unterwelt hungrig und durstig zwischen erquicklichem 
Wasser und labenden Früchten , und kann keine von beiden 
jemals erlangen, weil sie ihn beständig äffen (Od. A, 582). 
Dieser Zustand ist so wenig ursprünglich eine Strafe , als das 
Ixions*Rad, und die Grründe dieser angeblichen Bestrafung 
(unter denen man auch die Schlachtung des Pelops nennt) sind 
unpassende Erfindungen. Tantalos heisst der Schwe« 
bende^^). Also nicht dass etwas über ihm schwebt, sondern 
dass er selbst in der Schwebe hängt , ist die Wahrheit. 

Es ist femer, wie so oft, auf ihn übergetragen, was er selbst 
anderen anthut, wenn er beständig von Hunger imd Durst ge- 
quält wird, und Trank und Speise vor seinen lechzenden Lip- 
pen ^itweicht. Denn es ist in der That ein feuriger verbren- 
nender Moloch: und wenn der Moloch die brennende Sonne 
ist, so kommt dem Tantalos auch das Hängen in der Schwebe zu. 

370) Schol. Find. Ol. I , 96. Anton. Lib. 36. Schol. Od. X, 582. 
Fan6..X,dO,2. 

371) Archilochos bei Paus. X, 31, 12. Find. Istfam. VII, 17. 
Schol. Find. Ol. I, SO. Eur. Orest. 960. 

372} taXartouizzxaXttvtfvui heUst schwingen, xdXtiVTov die s c h w e* 
bende Wage. 

Härtung, Bei. tt. Mjth. d. Gr. II. jy 



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242 £• Dämonen de« Lichtes und der Finstemits. IV. Oluthdimonen. 

4. 9liii«9 und Helocb. 

Wir haben gesehen , wie die Sonnen- und Feuerdämonen 
mit dem Semitischen Moloch zusammen&Uen, und dass diesem 
Moloch der Zeus , so wie dem Bei der Krooos ^ als gleichbe* 
deutend, zum Stellvertreter gegeben ist Wir wollen nun fort- 
fiethren in der Betrachtung solcher Dämonen oder Heroen, 
welche die Stelle des Moloch Tertreten , und dabei entweder 
Zeus-Söhne oder dessen Rivalen genannt werden. 

Einer der wichtigsten ist Mino s, der mit dem Zeus in so 
vertrautem Umgang wie Tantalos gestanden hat, aber mit bes- 
serem Glück 9 so dass er , anstatt in der Hölle ein Gepeinigter 
zu werden, zum Richter daselbst sammt zwei anderen seines 
Gleichen eingesezt worden ist. Der Scholiast des Kallimachos 
(Hymn. an Zeus Vs. 8) meldet, dass auf dem Grrabe des Minos 
in Kreta die Worte gestanden haben Mivioog xov Jibg tdipog^ 
und dass dies mit der Zeit in Jiog %a(pog abgekürzt worden 
sei. Es ist das die Sprache der Mythologie, einen Doppelgänger 
eines Gottes dessen Sohn oder Kameraden, mitunter auch des- 
sen Nebenbuhler imd Gegner zu nennen. Darum glaube ich 
nicht , dass die genannte Inschrift ersonnen sei , sondern er- 
kenne darin eine alte Ueberlieferung, aus der Zeit herstammend, 
wo man sich der Einheit des Zeus und des Minos noch bewusst 
war. Dieser Kamerad des grossen Zeus nun [Jibg /ueydkov 
oaQiOTrig) und Hüter Kretas (K^ijff] iniovfog) und Gesezgeber, 
der neun Jahre lang liwifaQog) dort regierte, gezeugt von Zeus 
und der Europa, Gatte der Pasiphae (Mondgöttin), Vater der 
Phaedra und der Ariadne (ähnlicher Wesen), des Andro- 
geos, des Deukalionu. s. w. , Bruder des Rhadaman- 
thys und mit ihm Richter in der Unterwelt, war also niemand 
anders als der Kretische Zeus selber , zu einem Heros verdun- 
kelt^^'). Hesiod Frag. 112 nennt ihn den königlichsten, und 



373) 11. v, 450. ^, 312. Od. t, 179. 



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4. Minos und Moloch. 243 

sagt dass er Zeusens Scepter besass. Und gleichsam als unter- 
irdischenZeus sikt Odysseus diesen berühmten König und 
Gesezgeber und Sohn des Zeus auch bei den Todten Recht 
sprechen. Die Todten aber stehen dicht herum , seiner Aus- 
sprüche gewärtig (Od. ly 568). Piaton aber lässt ihn in einer 
Höhle (wohl der Diktäischen) mit dem Zeus immer zusammen- 
kommen und dort von ihm die berühmten Greseze empfangen ^^^) . 

Das ist die eine, und zwar die freundliche Seite von dem 
Wesen des Minos , als Verwalter des Rechtes in den beiden 
Welten 9 obersten Richters und Königs. Von einer anderen 
Seite dagegen betrachtet, bietet er das Bild eines Tyrannen imd 
Unholdes, wie so mancher andere Feuer- und Sonnen-Dämon, 
und wird mit Recht von Homer gefährlich {dlo6g>(i(ov) genannt, 
yne Atlas und andere Titanen (Od. 1, 321). 

Da macht er in Attika die Quellen versiegen und er- 
zeugt Krankheiten, bis man seinem Minotauros alle neun 
Jahr e die zweimal neben Kinder zum Opfer sendet : da giesst 
ßr den Frauen, die ihm beiwohnen, Schlangen, Skorpionen und 
andere garstige Insekten in den Schooss, wovon sie sterben: da 
raubt er den Ganymedes , verliebt er sich in die Prokris und 
läuft er der Britomartis nach bis sie sich ins Meer stürzt ^^^) : da 
sperrt er den Daedalos ein, bekriegt Attika, Megara , Sicilien, 
hat sich alle die umliegenden Inseln unterworfen, imd herrscht 
tyrannisch '^^^). Dass endlich Minos seinen Tod in einem heis- 
sen Bade findet, und zwar im Westen der Welt, das hat man 
auf den Untergang der Sonne in die rothglühenden Meeres- 
gewässer gedeutet, während man eher an das Kochen des Za- 
greus und des Pelops im Kessel denken musste : denn er ist 
auch beides. 



374] PUto Min. p. 419. Strabo X\l, 2. p. 272. 

375) Sch'ol. D. v,234.Apolld. lU, 15, I.Anton. Lib.40.Diod. 
IV, 61. Athen. XIIL p. 601 F. Kallim. Hym. an Artemis 190. 

376) Sophokles Kamikier Fragm. p. 181 m. Ausg. Sc hol. Find. 
Nem. IV, 95. Hyginf. 44. 

16» 



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244 £• Dämonen des Lichtes und der Finsterniss. IV. Oluthdftmonen. 

5. Talos. Perdix. 

Der Talos war ein erzener Mann^ der ins Feuer sprang, 
um sich glühend zu machen, und sodann die Menschen 
in seine feurigen Arme nahm und umbrachte '*'') . Er war von 
Hephaestos gemacht und dem Minos zum Geschenk gegeben 
zur Bewachung der Insel Kreta , und umwandelte täglich oder 
jährlich dreimal die Insel, um niemand heran zu lassen, mit 
imgeheurer Schnelligkeit; oder auch Zeus hatte ihn der 
Europa zum Wächter gegeben, woraus seine Einheit 
mit dem Argos sogleich zu erkennen ist^^®). Die dreimalige 
Runde mag wohl auf die dreifache Jahres- und Tagessonne 
Bezug haben, und erinnert an den dreifachen Mithras , zumal 
der Talos auch eherner Dreiriese (zQiylyag xctlxsTog) in den 
Orphischen Argonautiken genannt wird^'*). Dieser Erzmann 
hatte femer eine einzige Ader, welche vom Nacken zu den 
Knöcheln hinablief, und diese Ader war mit einem Nagel ver- 
schlossen. Dort war er verwundbar und dort traf ihn der Pfeil 
des Poeas, eines zweiten Hermes, wenn nicht bereits , wie an- 
dere sagen , der Nagel durch die Zauberei der Medea heraus- 
gezogen war, so dass der Talos sich verbluten musste^. Der 
Poeas hatte die berühmten Pfeile vom Herakles überkommen. 
Denn er kam zufällig zu diesem Heros , als er seine Heerden 
suchte (sein Name ist mit tviZv verwandt) . 

Dieser Talos hiess auch Tauros (Stier), sagt ApoUodor, 
und es herrscht kein Zweifel darüber bei den Gelehrten , dass 
wir in ihm , ob er gleich selbst nicht stiergestaltig abgebildet 
wird, den Poenischen Moloch zu erkennen haben eben 



377; Simonides bei Suidas v. ^aQ^unog y(X(og. Zenob. V, S5. 
Apoll. Rhod. IV, 1640. 

378) S Chol. Od. v, 302. Apoll. Rhod. IV, 1643. PI ato Minos p. 320. 

379) Merklin, Talos-Sage in Petersb. Akad. VII. p. 44. 

3S0) Apoll. Rhod. IV, 1638 f. Schol. Apolld. I, 9, 26. Agathar- 
chides bei Phot Bibl. p. 443 B. 



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6. TalM. Perdix. 245 

so wie in dem berühmten Stier des Phalaris auf Sicilien , wel- 
cher gleichfalls zu den Mährchen gehört^^). Er sprang ins 
Feuer, sagt Eustath. (Od. v, 302. p. 1898), und wenn er seine 
Brust durchglüht hatte , so tödtete er die ergriffenen Fremden 
durch seine Umarmung, welches sehr an den ehernen Stier des 
Phalaris erinnert. Der Schol. Flatos (I. p. 396 Bekk.) aber 
spricht von Verbrennung derer die ihm nahe kamen. Das ist 
die grausame Gluthsonne des Hochsommers, de!en 
Wuth man durch Brandopfer von Menschen zu begütigen 
hoffte *2). 

Ein Stier war es , der die Europa entfElhrte , ein Stier der 
in den sich Pasiphae verliebte, und dieser Stier war allemal der 
Zeus oder das gestirnte Firmament, welches aus dem Meere 
aufsteigt bei der Umdrehung. So war auch jener Stier der Pa- 
siphae auf das Gebet des Minos aus dem Meere aufgetaucht 
zum Zeichen und Unterpfende der Rechtmässigkeit seiner 
Herrschaft : auch der Stier, welcher die Europa entführte, war 
aus dem Osten gekommen. Und jener Stier der Pasiphae zeugte 
mit dieser wieder einen Stier ^ den sogenannten Minosstier 
(Minotauros) , der auch Asterios (Gestirnter) heisst und 
ein anderer Argos oder Talos ist. Und dieser Asterios wird 
geradezu auch Zeus Asterios und femer auch Gemahl der 
Europa genannt ^*) . Es gab aber auch einen ZeusTalaeos 
auf dem Gebirg Talaea in Kreta (Hesych s. Boekh inscr. n. 
2554' , der sich offenbar zu dem Talos so verhält ^ie der Zeus 
Asterios zu dem Minotauros. Mit diesem Talaeos war der 
T al o s wahrscheinlich Eins. Der Name stammt sicher von dem 



aSl) S, Pauly im Tübinger Kunstblatt 1835. N. 57. Heffter in 
Alterth. Wiss. 1847. p. 417. 

382) Nach Hesych wäre T«jlwf so viel wie ^Aiof , und Merklin hält es für 
möglich, da«8 t-ltog-^altog — tdktog — attaXtag — »dktog u. s. w. Eins seien 
oder in einander übergiengen. Eher würde ich glauben , dass täXtog für 
tttVQog gesagt sei. 

383) Apolld. III, 1, 2. Malalasp. 94, 22. Nieb. 



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24B £• D&monen des Lichtes und der Finsterniss. lY. Oluthdimonen. 

Auslände : sudht man aber deftaen Etymologie, so ist zu erwägen« 
dass er auch Kalos und Kokalos lautete, wenn anders der 
erstere Name (bei Paus. I, 21, 6. 26, 5) nicht yerschrieben ist. 
Dieser Kalos wird für einen Künstler ausgegeben, welcher 
vom Daedalos aus Kunstneid sei von der Akropolis in Athen 
heruntergestürzt worden (woselbst unterhalb jener Burg er auch 
begraben lag) : hernach, heisst es , sei der Daedalos nach Sici^ 
lien zum König Kokalos geflüchtet (Paus. YII, 4, 5). Diesen 
Kalos aber nennt Apolld. (III, 15, 9) Talos: andere nennen 
ihn niodi^ Rebhuhn**^), welchen Namen bei ApoUodor die 
Mutter des Talos bekommen hat. Aber so viel scheint sicher, 
dass dieser Attische Talos oder Kalos oder Perdix, mit dem 
Kretischen Talos ^ine Person war. Sein Hinabstürzen von der 
Burg, ähnlich .dem Sprung vom Leukadischen Vorgebirg, deu- 
tet auf einen Gebrauch, Sündenböcke (^a^oxot^) diesem 
Gott vom Felsen zu stürzen. Warum der Herabgestürzte Beb- 
huhn genannt wurde , das erklärt sich vielleicht daraus , dass 
es ein Kraut perdicium gab, welches curirte wenn man einen 
unglücklichen Sturz oder Fall gethan hatte ^) . Es gab aber auch 
einen Jäger Perdika der sich in seine Mutter Polykaste oder Poly- 
karpe, d. h. die fruehtreiche Erde, verliebte, und sodann aus 
einem Jäger ein Feldarbeiter wurde, endlich auch ein geschick- 
ter Künstler und Zimmermann war , so dass er die Säge und 
den Holzkeil erfand: Fulgent. (Mythol. HI, 2). Der Mythogr. 
Vat. in, 7, 3 meldet, dass der Perdix erst in die Artemis, dann 
in seine Mutter (beide werden wohl Eins gewesen sein) sterb- 
lich verliebt gewesen sei. Nach Diodor (IV, 76) und ApoUo- 
dor ist Talos der Erfinder der Säge und anderer solcher Instru- 
mente gewesen , und nach anderen wieder war das der Daeda- 
los (Plin. Vn, 57, 198. 209). Die Verbindimg dieses Künstlers 
mi£ zwei Sonnendämonen, dem Ikaros und dem Talos-Perdix, 



384) OvicLMet. VIII, 237. SerT. Georg. 1, 143. Hygin f. 39.276. 244. 

385) Plin. XXII, 17, 20. Mercklin p. 74. 



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6. Minotauros. 247 

ist merkwürdig y ingleichen dass durch seine Schuld beide aus 
der Höhe hinabstürzen, der eine ins Meer und der andere wahr- 
scheinlich eben dahin. Dass aber der Feuer-Dämon zugleich 
ein so geschickter Künstler und Erfinder nüzUeher Dinge , ja 
dass er mit dem Daedalos Eins ist^ wird denjenigen nicht auf- 
fiUlen, welche bedenken, dass der Daedalos [von daiof bren- 
nen und wissen) und der Hephaestos bei gleicher Natur 
Alles das nämliche sind. 

Es bleibt noch zu erwähnen^ dass der Talos auch auf Chios 
zu Hause (Ion bei Paus. VH y 4, 6) » und dass die Höhe des 
Taygetos-Gebirges ^dem Helios geheiligt war (dem man dort 
Pferde opferte) und Taleton hiess (Paus. HI» 20, 5). 

6. Minotaaros« 

Wir gehen zum Minosstier über. Asterios heisst der 
Vater der Pasiphae, Asterion der Gatte der Europa, Asterios 
der Sohn der Pasiphae , jener bekannte Minotauros : alle diese 
Gestierten sind ^ine Person , so wie auch die Pasiphae Eins 
mit der Europa ist (Apolld. HI, 1,2). Diesem Stiere müssen 
alljährlich zur Abwehr der versengenden Trockenheit 
und Dürr e die sieben Knaben und sieben Mädchen aus Attika 
geopfert werden , ein Beweis dass derselbe Eins mit dem Mo- • 
loch oder Bei war, dem auch auf Kreta Kinder geschlachtet 
wurden***), und zweitens ein Beweie dass dieser Gottesdienst, 
wie der des Talos , auch nach Attika gedrungen war. Dieser 
Talos war von dem Künstler Hephaestos gemacht, und die 
Pasiphae; als Kuh, war von dem Künstler Daedalos so herge- 
stellt worden, dass sie dem Stier passen konnte. Die Menschen- 
opfer, welche der Minotaur bekam, wurden, so heisst es, in 
das Labyrinth hineingesteckt, wo sie umkamen. Dieses Laby- 



386) Porphyr, sbttin. II, M^Iaroof iy rj avvttytoy^ tuv X^firiumv 



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248 E. D&monen des Lichtes und der Finstemiss. IV. Oluthdämonen. 

rinth, 80 wie es niemals existirt hat, ist ein Bild, und bedeutet 
den Hades: und wenn der Minotaur selbst in diesem Laby- 
rinthe gesteckt hat und umgebracht worden ist , so wissen wir 
bereits was damit gesagt sei. Der Argos wird vom Hermes 
Argostödter {^/fgy€ig)6vTr]g) erlegt, welcher den Abend und 
die Nacht herbeifiihrt und auch in die Unterwelt hinab die See- 
len geleitet, der Talos aber vom Poeas, der Minotauros endlich 
vom Seedämon Theseus getödtet, weil der feurige Sonnengott 
sich oft in das Meer stürzt. Dem Theseus aber hilft die Ariadne- 
Aphrodite , welche einen so hellen Strahlenkranz hat, dass er 
selbst in die Finstemiss des Labyrinthes hineinleuchtet. Darum 
hat auch Theseus auf dem Rückwege zu Delos das Wettspiel 
zu Ehren Apolls (der manchmal für den Sonnengott eintritt) 
gestiftet, wobei auch der Kranichtanz getanzt w*urde, eine 
Nachahmung der Verschlingungen der Wege des Labyrinthes 
(Paus. Vm, 48, 3. Plut. Thes. c. 21). Die Ariadne aber ist 
jedenfallsEinsmit der Allleuchtenden (Pasij^ae), undmuss 
also eher mit dem Minotaur als mit seinem Mörder in freund- 
lichem Verhältniss gestanden haben, welches auch dadurch an- 
gedeutet ist , dass es heisst , sie wurde von ihm verlassen und 
heirathete sodann den Dionysos, abermals einen Sti^rgott oder 
. Osiris. 

7. Argos. 

Bei Hesiod Frag. 4 hat Argos vier Augen auf den vier 
Seiten seines Kopfes , und kann daher immer wachen imd nie 
völlig einschlafen. Nach Pherekydes hat er bloss an zwei Sei- 
ten Augen, vomen und hinten , und hat ihm eben durch Ein- 
sezung dieser hinteren Augen Hera den Schlaf genommen 
(Schol. Eur. Phoen. 1116). Nach Euripides (Phoen. 1070) ist 
er zwar rings mit Augen besät , aber diese theilen sich in zwei 
Hälften, welche mit einander im Schlafen und Wachen abwech- 
seln : die einen schliessen sich mit dem Stenienuntergang, die 



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7. Argos. 249 

anderen wachen mit dem Aufgang derselben. Bei Aeschylus 
(Prom. 672 und 563) ist er ein erdgeborener Unhold, ein 
Tausendaug , mit zomwüthigen Augen , welcher die arme lo 
lebend plagt und selbst noch im Tode nicht ruhen lässt, und auch 
Euripides nennt ihn einen Hund. Der Kykliker Dionysos hatte 
erzält, dass Argos den Arkadien - verwüstenden Stier erlegt 
und sodann dessen Haut angezogen (d. h. sich selbst in 
einen Stier verwandelt) und dabei am ganzen Körper 
Augen gehabt habe (ApoUd. ü, 1, 2. Schol. Eur. a. a. O.). 
Da haben wir also den Stier des Minos wieder, welcher Aste- 
rios (der Gestirnte) hiess und mit besterntem Leibe abgebil- 
det wurde. Und dieser ruhelose Stier hütet eine ruhelose , die 
ganze Erde durchschweifende, Kuh. Noch Malalas (V. p. 94) 
weiss, dass auf Kreta ein Zeus-Asterios neben der Europe 
verehrt wurde: so ist also leicht einzusehen, dass der Stier, 
welcher die Europa entführt , Eins mit dem Zeus Moloch war, 
welcher die lo geschwängert hat, und diese lo selbst Eins mit 
der Europa. Dann begegnet uns wieder eine maskirte Kuh, 
die sich in einen Stier verliebt, also wiederum eine andere 
Europa oder Isis. Diese Kuh heisst Pasiphae, die All- 
scheinende, während Europe die Dunkle heisst, aber 
trozdem mit einem besternten Kleide abgebildet zu werden 
pflegt. Und die Mutter der Europa heisst Telephassa die 
Fernscheinende. Dass das alles ein Wesen sei , ist längst 
erkannt worden. Um nun wieder auf den Argos zu kommen, 
so war derselbe keineswegs nach aller Urtheil ein Unhold, 
vielmehr hat er andere Unholde aus dem Wege geräumt, wie 
den H e e r d e n-R ä u b e r Satyros in Arkadien und die Tartaros- 
Tochter Echidna , welche die Wanderer wegraffte. Auch hat 
er die Mörder des Königs Apis, den Thelxion und den Tel- 
chin ^Zauberer), bestraft (Paus. H, 1, 2). Es wird nämlich 
dieser Allseher io JTccvoTiTijg) auch zu einem König des Pelo- 
ponnes gemacht : als solcher ist er ein Sohn des Zeus imd der 
Phoroneus-TochterNiobe, und dabei Vater des lasos undGross- 



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250 £• B&monen des Lichtes und der Finstemiss. IV. Oluthd&monen. 

vater der lo. Sein Hain und sein Ghrab war bei Argos zu sehen 
(Paus, n, 20, 8. 22, 5). 

Also Argos und lo sind die Gestalten, in welche sich der 
Moloch und die Astarte zu Argos verwandelt hatte , ganz 
unkenntlich, wenn nicht Kreta einige MittelgUeder darböte. 
Yermuthlich sind diese Dämonen in ganz alter Zeit durch die 
Phoenizischen Kauf leute dahin gebracht worden. 



Druck von Brf itkopf and H&rtel in Leipzig. 



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