DIE ROMANISCHEN
LITERATUREN UND SPRACHEN
MIT EINSCHLUSS DES KELTISCHEN
I VOM
HEINRICH ZIMMBR • KUNO MEYER
I LUDWIG CHRISTIAN STERN- HEINRICH MORF
I WILHELM MEYER-LÜBKE
DIE KULTUR DER GEGENWART l.Xi.i
MPRAUSGRCcBRN VOM | ' '^'" ■■■; ' | VERLAG VON
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DIE KULTUR DER GEGENWART
IHRE ENTWICKELUNG UND IHRE ZIELE
HERAUSGEGEBEN VON
PAUL HINNEBERG
DIE KULTUR DER GEGENWART
TEIL I ABTEILUNG XI, I
DIE ROMANISCHEN
LITERAl UREN UND SPRACHEN
MIT EINSCHLUSS DES KELTISCHEN
VON
HEINRICH ZIMMER • KUNO MEYER
LUDWIG CHRISTIAN STERN ■ HEINRICH MORF
WILHELM MEYER-LÜBKE
1909
BERLIN UND LEIPZIG
DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER
PUBLISHED DECEÄIBER i, 1908
PRIVILEGE OK COPYRIGHT IN THE UNITED STATES
RESERVED UNDER THE ACT APPROVED MARCH 3, 1905.
BY B. G. TEUBNER LEIPZIG.
ALLE RECHTE,
EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN
INHALTSVnRZEICI INIS.
Seile
Einleitung
L DIE KELTISCHEN LITERATUREN . .
I. SPRACHE UND LITERATUR DER KELTEN
IM ALLGEMEINEN
Von HEINRICH ZIMMER.
A. Die keltischen Sprachen
I. Die Geschichte der kehischen Sprachen
II. Charakteristik und Ghederunj^ der kehischen Sprachen
B. Die keltischen Literaturen
I. Der keltische Literatenstand und seine Klassen
II. Die epische Form und der epische Stil . .
Schlußbetrarhtunp
Literatur
137
«-7;
16 — 46
it>— 34
34—46
4(>— 73
46 — 61
01—69
t>9— 73
74—77
IL DIE EINZELNEN KELTISCHEN LITERATUREN 78-1. ?7
A. DIE IRISCH-GÄLISCHE LITERATUR 78—47
Von kl NO .MEYER.
Einleitung 7^— 74
I. Die handschriftlich vor dem 11. Jahrhundert erhaltene Literatur .... 79 — 81
II. Die epische Literatur 62 — 85
III. Die historische Literatur . ... 85 — S7
IV. Die Rechtsliteratur . . 87 — 88
V. Die geistliche Literatur 88 — 91
VI. Die gelehrte Literatur . 91 — 92
VII. Die gnomische Literatur .... qi — 93
VIII. Die wellliche Lyrik 03—05
Literatur . q6 — 97
B. DIE SCHOTTLSCH- GALISCHE UND DIE MANN- LITER ATUK
Von LUDWIG CHRISTIAN STERN.
L DIE SCHOTTISCH GÄUSC HE LITERATUR
I. Die Literatur vor der sprachlichen Trennung vom Irischen
II. Ossian und Fingal
III Die Blütezeit der schottisch -gälischen Poesie.
y8 — 109
98 — 09
99 — 10;
10: — 105
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
IV. Die neuere Poesie 105 — 107
V. Märchen, Sprichwörter und Prosaversuche 107 — 109
VI. Bibel und rehgiöse Bücher 109
n. DIE MANX- LITERATUR HO— III
I. Christliche Lehre und Bibel iio
II. Weltliche Poesie iio — iii
Literatur 112 — 113
C. DIE KYMRISCHE (WALISISCHE) LITERATUR 114 -130
Von LUDWIG CHRISTIAN STERN.
I. Die Quellen der Literatur 114
II. Die ältesten Denkmäler der Literatur ^ 114 — 118
III. Die ältere Bardenpoesie und Prosa 119 — 121
IV. Die neuere Bardenpoesie 121 — 125
V. Die spätere Literatur 125 — 128
Literatur 129 — 130
D. DIE KORNISCHE UND DIE BRETONISCHE LITERATUR . . . . 131— 1 37
Von LUDWIG CHRISTIAN STERN.
I. DIE KORNISCHE LITERATUR I3I — 132
I. Die ältesten Denkmäler der Sprache 131 — 132
II. Reste sonstiger Literatur 132
IL DIE BRETONISCHE LITERATUR 13 2—1 36
I. Die ältesten Denkmäler der Sprache 132 — 133
IL Das neubretonische Theater 134
III, Balladen und Lieder 134 — 136
IV. Neuere Literatur 136
Literatur 137
IL DIE ROMANISCHEN LITERATUREN . . 138-446
Von HEINRICH MORF.
Einleitung 138 — 143
A. Frankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts . . . 143 — 168
I. Frankreichs Hegemonie (11. — 13. Jahrhundert; 144 — 160
II. Frankreichs Niedergang (14. und 15. Jahrhundert) 160 — 168
B. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts . . . 168 — 199
I. Das Mittelalter 168 — 174
II. Der Humanismus 174 — 181
III. Die Renaissance 181 — 193
IV. Italiens Niedergang 193 — 199
Inhaltsverzeichnis. VII
S««te
C. Die kastilische und portugiesische Literatur
bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ..... 199 — 220
I. Bis zum 15. Jahrhundert 199—203
II. Die Zeit der Habsburger (16. und 17. Jahrhundert 'm — 77"
D. Frankreich bis zur Romantik (das 16., 17. und 18. Jahrhundert) . ^20 — 272
I. Die Renaissance des 1 6. Jahrhunderts 2:1 — 229
II. Von der Renaissance zum Klassizismus ... 229 — 239
III. Die klassische Literatur (das Zeitalter Ludwigs XIV., . 239 — 251
IV. Die .Aufklärungszeit 251 — 272
E. Die übrige Romania bis zur Romantik 272—203
I. Italien im 18. Jahrhundert .... ... 272 — 282
II. Spanien und Portugal im 18. Jahrhundert 282 — 288
III. Rätien und Rumänien ... ... 288 — 293
F. Das IQ. Jahrhundert .... ... 204 — 4^8
I. Die Romantik ... 295 — 351
II. Die Zeit nach 1850 ^51 — 438
Literatur 4^9 — 446
III. DIE ROMANISCHEN SPRACHEN . . . 447-470
Von WILHELM MEYER -LÜBKE.
Einleitung 447
I. Ausdehnung und Einteilung der romanischen Sprachen 447 — 454
II. Das Verhältnis von Lateinisch und Romanisch 454 — 456
III. Das Romanische und die nichllateinischen Sprachen innerhalb des romani-
schen Gebietes 450 — 460
IV. Die Entstehung der romanischen Sprachen . . 460 — 461
V. Der Wortschatz ... 461—462
VI. Die Namenkunde . . . 462—468
VII. Die Entstehung der romanischen Scluiflsprachcn 468—469
Literatur 470
Register 471 — 4Qg
\
DIE KELTISCHEN LITERATUREN.
I. SPRACHE UND LITERATUR DER KELTEN
IM ALLGEMEINEN.
Von
Heinrich Zimmer.
Einleitung. Keltische Zunge herrscht heutigentags in den vom Di«- HedeutuoB
Atlantischen Ozean bespülten Grafschaften Süd-, West- und Nordwest- '^^^^J^^Jl'^f^
Irlands, auf den äußeren und inneren Hebriden und in den entlegenen europäische
Strichen der schottischen Hochlande, in einzelnen Fischerhütten der Insel , '*7^*'
' TorscDung.
Man, an den Küsten und in dem Berglande von Wales, sowie in dem
westlichen Teile der französischen Bretagne, der Niederbretagne. Es sind
rund 3000000 Seelen insgesamt, unter ihnen i 000000 Monoglotten, die in
diesen Strichen sich noch keltischer Rede bedienen und sich auf fünf neu-
keltische Literatursprachen verteilen: Irisch- Gälisch, Schottisch -Gälisch,
Manx-Gälisch, Kymrisch (Welsch) und Bretonisch; das Bindeglied zwischen
Kymrisch und Bretonisch, das einst in Cornwall gesprochene Kornische,
ist im 18. Jahrhundert langsam ausgestorben.
In schreiendem Gegensatz zu dieser geringen Zahl Keltisch redender
Individuen im Völker- und Sprachgemisch des heutigen Europa steht an-
scheinend die Rolle, die man nach dem im ersten Viertel des 19. Jahr-
hunderts eintretenden Aufschwung der historischen Wissenschaften in
engeren und weiteren Kreisen den heutigen keltischen Sprachen zur Auf-
hellung der ferneren Vergangenheit West- und Mitteleuropas zuwies. Da
glaubte mehr wie einer, mit einem mangelhaften Wörterbuch des Neu-
irischen oder Neukymrischen bewaffnet, ohne praktische Kenntnis dieser
Sprachen und ohne Einsicht in das Verhältnis der Lautbezeichnung zu den
Lauten sowie in die Geschichte der Laute, den Schlüssel gefunden zu
haben, um den ursprünglichen Sinn aller Völker-, Berg-, Fluß- und Orts-
namen der mittel- und westeuropäischen Kulturländer zu erschheßen; die
tiefere Bedeutung griechischer Wörter und griechischer Göttemamen sollte
plötzlich klar werden, und selbst Namen von Gebirgen und Flüssen Nord-
afrikas waren vor Deutung aus dem Keltischen nicht sicher. Eine wahre
Keltomanie riß in weiteren wissenschaftlich sein wollenden Kreisen Deutsch-
lands, Frankreichs, Englands ein, die keltische Studien in den Augen phi-
lologisch geschulter Männer der Lächerlichkeit preisgab und einen Auf-
schwung keltischer Sprach- und Altertumsforschung auf Dezennien hemmte.
DiB Kultur dir Gigbnwart. L ii. i I
2 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Dieser auf den ersten Blick schreiende Gegensatz zwischen der ge-
ringen Zahl der heutigentags keltische Idiome Redenden, die zudem in
den von mittel- und westeuropäischer Kultur entlegensten Strichen leben,
und der Bedeutung, die viele diesen keltischen Idiomen für die Alter-
tumsforschung West- und Mitteleuropas beilegten, schwindet bei der Er-
wägung, daß die heute kaum mehr als 3000000 Seelen umschließenden
fünf modernen keltischen Sprachen halbverdorrte Reiser sind an einem
einst gewaltigen indogermanischen Sprachstamme, der im 3. Jahrhundert
v. Chr. seine grünen Äste vom Galaterland in Kleinasien über
Mittel- und Westeuropa bis Kap Finisterre in Spanien und an
die Küsten Donegals in Westirland ausbreitete. Kelten spielten
durch mehrere Jahrhunderte in ihren Beziehungen zu Italern und Griechen
eine wichtige politische Rolle, saßen als herrschende Rasse in Westeuropa
und weiten Strecken Mitteleuropas und bilden somit zu mehr oder minder
beträchtlichem Teil das Völkersubstrat der heutigen Völker romanischer
und germanischer Zunge. Nicht nur in Frankreich und dem dem germa-
nischen Sprachgebiet angehörigen Großbritannien gehen zahlreiche heutige
Namen für Berge, Flüsse und Örtlichkeiten auf keltische Rede zurück;
auch Rhein {Rhino s) und Main {Moinos), Mainz {Moguntiäcuni) und Zarten
{Tarodünufn) , Wien [Vindoböna) und Mailand {Mediolänum) finden ihre
Deutung aus den keltischen Sprachen. Bologna in Oberitalien, sechs Ort-
schaften namens Boulogne in Frankreich, Banostor in Pannonien, Vidin
an der unteren Donau {Bodon im Mittelalter bei den Magyaren) haben
ihre ursprüngliche Form in einem altkeltischen Bonönia. Mit einem festen
Wall umschlossen Keltenstämme im Westen und Süden bis zum i. Jahr-
hundert die östlich und nördlich von ihnen sitzenden Germanen von den
Trägern der mittelländischen Kultur, den Griechen und Römern, ab, wäh-
rend sie selbst schon früh unter dem Einfluß der griechischen Kolonie
Massilia zu Anteil an der höheren Kultur der Mittelmeerländer gelangten.
Sie kamen dadurch in jener Zeit gegenüber den in ihrem Rücken sitzenden
Germanen in dieselbe Lage wie die Germanen selbst nach der Völker-
wanderung zu den hinter ihnen sitzenden Slawen, und die Ergebnisse beider
Perioden sind analoge. Die den Germanen vorgelagerten Keltenstämme
wurden, indem sie mit der gewonnenen höheren Kultur die Germanen be-
einflußten, so die Vermittler mittelländischer Kultur an die Germanen.
Zahlreiche gemeingermanische sprachliche Entlehnungen aus der Sprache
jener kontinentalen Kelten, zum Teil über die Zeit der ersten germanischen
Lautverschiebung hinausgehend, legen Zeugnis dafür ab, wie tief vom
6. bis I. Jahrhundert v. Chr. der Einfluß der Kelten auf die Germanen ge-
wesen ist. So wanderte, um ein bezeichnendes Beispiel zu wählen, das
keltische Wort für 'König-' (altgall. rlx^ Genit. rlgos; altir. rl, Genit. rlg)
nebst der dazu gehörigen Ableitung für 'Königsherrschaft' und vom 'König
beherrschtes Land' (altkeit. rlgjo?t, altir. rige) vor dem Eintritt der ersten ger-
manischen Lautverschiebung, also spätestens im 5. Jahrhundert v. Chr., zu
Einleitung. ^
den Germanen (got. rciks König, oberdeutsch rieh in 'Heinrich', 'Dietrich'
und got. reiki 'Herrschaft, Obrigkeit', altnord. nki^ angelsächs. rlce^ altsächs.
rlkiy althochdtsch. rlJilii^ mittelhochdtsch. rlchc, neuhochdtsch. 'Reich'), ganz
wie um ungefähr 600 Jahre später die Germanen ihre Bezeichnung für
'Mann aus vornehmem Geschlecht' (altnord. kunungr, angelsächs. cynirigy
altsächs. kimingy althochdtsch. chuningy mittelhochdtsch. künic, neuhochdtsch,
König) den hinter ihnen sitzenden Litauern (lit. knningas 'vornehmer Herr')
und Slawen (altslaw. kuiicst, russ. kujazl 'Fürst', poln. ksiqze, wend. knjez)
abgaben. !Mit der keltischen Bezeichnung für 'König' übernahmen die
Germanen zugleich das keltische Wort für den 'Boten, Beauftragten des
Königs' (altgall. ambactus^ altkymr. atnaci/i), \x\go\..a?idba/its 'Diener', andbaJiti
'Dienst', angelsächs. ambiJit 'Amt', altsächs. avibaht-skcpi, althochdtsch. amba/if,
ambahti 'Dienst, Amt', mittelhochdtsch. ambet und ainmef^ neuhochdtsch. Amfj
so daß 'Reich' und 'Amt' in unserer Sprache neben manchem anderen Wort
als Zeugen stehen für den Einfluß der Kelten auf die Germanen um die
Mitte des i. Jahrtausends v. Chr.
Es liegt also der Keltomanie in erster Hälfte des ig. Jahrhunderts die
richtige Tatsache zugrunde, daß für die Altertumsforschung West- und
Mitteleuropas die Heranziehung auch der heutigen keltischen Idiome in
vieler Hinsicht von allererster Bedeutung ist. Seit Caspar Zeuß in seiner
die keltische Sprachwissenschaft begründenden Grammatica celtica im Be-
ginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1853) den Grund zur histo-
rischen Betrachtung der neukeltischen Sprachen und damit zu ihrer richtigen
Verwertung für ältere Perioden gelegt hat, treten die Fehler der Kelto-
manen in der Verwendung der heutigen keltischen Sprachen für die euro-
päische Altertumsforschung mehr und mehr zurück, zumal noch im Verlauf
die Erkenntnis in weitere Kreise drang, daß die früher bewußt und un-
bewußt beliebte glatte Gleichsetzung der Begriffe prähistorisch und keltisch
für West- und Mitteleuropa ein grober Fehler war.
Anders geartet, aber nicht minder bedeutsam ist die Rolle, welche die
beiden Zweige der Inselkelten im Mittelalter in der Kulturentwickelung
und dem Geistesleben der romanischen und germanischen Völker gespielt
haben. Einmal die Iren im 7. bis 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung und
dann die Bretonen im 11. bis 13. Jahrhundert.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. war durch germanische und romanische Zunge Irlands Anteil
die keltische Sprache auf das Gebiet der damals noch unabhängigen Kelten- *° "!" *^°'^'"
^ 00 entwickelang im
Stämme, d. h. auf Irland, die Westhälfte Britanniens und die Bretag^ne ein- 7.- la jahr-
geschränkt. Gennanen hatten die alte Welt in Trümmer geschlagen, wobei hundert,
griechisch-römische Kultur in West- und Mitteleuropa, einschließlich Ober-
italien, unter dem Schutt begraben wurde. Für den Zustand der Bildung
in Gallien ist es bezeichnend, daß der aus einer römischen Familie
stammende, Bischöfe zu seinen Ahnen zählende berühmte Historiker Gregor
von Tours (-}• 594) zugesteht, daß er im Lateinischen das Geschlecht der
4 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Wörter verwechsele, die Kasus falsch setze und die Rektion der Präpo-
sitionen ihm Schwierigkeiten mache. Der beredteste Zeuge für den all-
gemeinen Niedergang der Bildung selbst in Ober- und Mittelitalien ist
Papst Gregor der Große: er wurde 540 in Rom als Patriziersohn geboren,
dem die Mittel der Eltern gestatteten, alle in Rom damals erreichbare
profane Bildung sich anzueignen; dann trat er in ein Kloster, ging als
päpstlicher Nuntius nach Konstantinopel, wurde Abt eines Klosters und
festigte als eine der bedeutendsten Gestalten auf dem päpstlichen Stuhl
von 590 — 604 die Grundlagen der römischen Hierarchie. Gregor nun konnte
nach eigenem, mehrfach wiederkehrendem Geständnis kein Griechisch.
Noch 200 Jahre später wagte es der geistreiche und gelehrte Spanier
Claudius, die Versammlung italischer Bischöfe, vor der er seine An-
sichten über den Bilderkultus — er verwarf ihn — verteidigen sollte, eine
^Versammlung von Eseln' zu nennen. Der Mann, der für die gescholtenen
italischen Bischöfe damals die Verteidigung des Bilderdienstes übernahm
— ■ es war der in der Lombardei lebende Ire Dungal — , ist der Repräsen-
tant des Landes, in dem bei dem Niedergang der Kultur des Abendlandes
die griechisch-römische Bildung eine Zuflucht gefunden hatte, und von dem
aus diese griechisch-römische Bildung, in die Formen des Christentums
gegossen, im 7. bis 10. Jahrhundert unter Romanen und Germanen des
Frankenreiches neu gepflanzt wurde,
stand der Bii- Nach dem von Römern nicht betretenen Irland war im 4. Jahrhundert
düng lu irischen ^^^ Christentum von Britannien aus hinübersrebracht worden: es war das
Klosterschulen. '-'
abendländische Christentum aus zweiter Hälfte des 4. Jahrhunderts gewesen,
in welchem durch den Massenübertritt der Gebildeten die klassische Bildung
jener Zeit eine bedeutende Rolle gespielt hatte, und in dem namentlich
bei den geistigen Führern auch im Abendland lebendige Kenntnis des
Griechischen vorhanden gewesen war; also das Christentum, das in seinen
Hauptvertretern wie Basilius sich wild aufbäumte, als der Apostat Julian
den Christen den Unterricht in den heidnischen Klassikern verbieten wollte.
Die Wogen der Völkerwanderung, die dann Westeuropa einschließlich
Großbritannien im 5. Jahrhundert schwer heimsuchten, schlugen nicht an
Irlands Küsten; und während das Abendland rettungslos in den Sumpf
der Barbarei zu versinken schien, entstand in dem isolierten Irland eine
Pflanzstätte christlich -antiker Bildung nach der anderen. Bangor und
Armagh in Ulster, Clonmacnois auf der Grenze von Leinster und Connaught,
Lismore im Süden sind am Ende des 6. Jahrhunderts nur einige der be-
kanntesten Klöster Irlands. Die Bildung, die hier gepflegt wurde, stand
weit über der eines Gregor von Tours und Gregor des Großen; sie knüpfte
in ununterbrochener Reihenfolge an die des 4. Jahrhunderts; Muster des
klassischen Altertums wie Vergil, Horaz, Ovid wurden neben kirchlichen
Schriften in den Klöstern gelesen; Kenntnis des Griechischen und damit
Zugang zu den ersten Quellen des Christentums war hier zu finden: wir
haben das Zeugnis, daß ein mit dem des Griechischen unkundigen großen
Einleitung. e
Gregor gleichzeitig lebender Abt von Bangor in Ulster, Sinlan (Mosinu
Mac Cumin f 6io), einen von einem griechischen Weisen verfaßten
Computus auswendig lernte, und sein Verwandter und Zögling Mocuoroc
Mac Cumin Semon schrieb dieses griechische Denkmal nach Diktat seines
Lehrers auf der 'Gehölz von Dunlethglaisse' (heute Downpatrick) genannten
Insel nieder, 'damit es nicht aus der Erinnerung schwinde'.
Neben der Gelehrsamkeit ist für das irische Mönchtum vom o. Jahr- i>cr Wmaderuieb
hundert an charakteristisch eine starke Wanderlust. Derselbe Trieb, der '"V^ " .,"'^.''"
' und ihra &'iiftoo
in Ag}'pten Christen in die Wüste führte, veranlaßte schon im frühen auf dem
6. Jahrhundert einzelne irische Mönche oder mehrere zusammen in Gruppen <"'«'"«>'■
von 3, 7 oder u unter einem Führer sich von den großen Mönchskolonien
— was die irischen Klöster damals waren — zu einer Art Anachoreten-
leben zu trennen. Mit Inselchen in den Seen und Flüssen Irlands nicht
fem von den eine Art Stadt bildenden Klöstern begnügte man sich zuerst;
von hier ging man dazu über, sich auf die zahlreichen, überall der
irischen Küste in größerer oder geringerer Entfernung vorliegenden Inseln
zurückzuziehen, in mari ercminn quacrerc, wie der Ausdruck lautet; und
als auch diese keine Einsamkeit mehr boten, vertraute man sich in ge-
brechlichen Fahrzeugen dem nördlichen Ozean an ad quacrouiiim in oceano
desertum: so kamen irische Mönche allmählich über Hebriden, Orkneys,
Schettlandinseln bis Island, vielleicht sogar an die Küste von Grönland
und Nordamerika. Dieselbe Wanderlust, verbunden mit dem Trieb nach
größerer Zurückgezogenheit, führte zu gleicher Zeit andere Iren nach Süd-
westbritannien, von iner nach der aremorikanischen Bretagne und weiter ins
Frankenreich der Merowinger, Folgenschwer wurde ein solcher Zug, den
um 5QO — also zu Lebzeiten der beiden als Vertreter abendländischer
Bildung im Frankenreich und in Italien genannten Gregore — ein Ire
mit dem kirchlich lateinischen Namen Columban unternahm. Von dem
Kloster Bangor in Ulster, über dessen klassische Bildung gerade zu jener
Zeit wir ein Zeugnis hörten, brach er mit \i Genossen auf, unter denen
der in der Folge bekannteste Gallus war. Von der Loiremündung, wo sie
landeten, durchzogen sie das Frankenreich und ließen sich in der Einsam-
keit der Vogesen (Anegray) zu beschaulichem Leben nieder. Die Zustände
im Frankenreich zu jener Zeit führten aber dazu, daß Columban und seine
Genossen über ihren nächsten Zweck hinauswuchsen, Missionare und Lehrer
des Volkes wurden, in dessen Mitte sie zu beschaulichem Leben sich
niedergelassen hatten. Am Orte ihrer ersten Niederlassung (Anegray^
gründeten sie zuerst eine Missionsstation, bald eine zweite auf den
Trümmern des verlassenen römischen Badeortes Luxovium (Luxeuil) und
eine dritte in Fontaines. Nach mehr als zehnjähriger Wirksamkeit von den
verkommenen Machthabern im Merowingerreich zum Rücktransport nach
Irland bestimmt gelang es Columban mit seinen Genossen unter Über-
windung mancher Fährlichkeiten um 6 lo ins Alemannenland zu entkommen.
In Bregenz am Bodensee waren diese irischen Mönche drei Jahre als
6 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Spracheu. Literatur d. Kelten im allgem.
Missionare tätig, von wo Columban mit einem Teil der Gefährten 613 ins
Langobardenland zog' und am Fuße der Apenninen das Kloster Bobbio
stiftete, das durchs ganze Mittelalter den Ruhm hatte, eine Pflegestätte der
Bildung im weitesten Sinne zu sein; der in Bregenz krank zurückgebliebene
Gallus zog mit 1 2 Genossen, die er um sich sammelte, tiefer ins Alemannen-
land und gründete im wilden Steinachtale eine Missionsniederlassung, aus
der die Erzieherin des Alemannenlandes, die Abtei St. Gallen, erwuchs.
Die Kunde, die von der Wirksamkeit dieser Männer nach Irland drang,
verbunden mit dem Umstand, daß im zweiten Viertel des 7. Jahr-
hunderts das christliche Irland in nähere Beziehung zum Haupt der
römischen Kirche getreten war, führte im Laufe des 7. Jahrhunderts zahl-
reiche irische Mönche ins Frankenreich, wo sie an vielen Orten Missions-
stationen errichteten, aus denen Franken und Alemannen als Schüler
hervorgingen. Am Ende des 7. und im Beginn des 8. Jahrhunderts er-
streckt sich ein breiter Gürtel solcher irischen Missionsniederlassungen von
den Mündungen der Maas und des Rheines bis Rhone und Alpen: soweit
sie nicht von Iren direkt gegründet, sind sie Töchter einer irischen Nieder-
lassung. Selbst nach jenseits des Rheines in die östlichen Sitze der Franken
und zu den vom fränkischen Reich unabhängigen Bayern dringt das
Missions werk der Iren vor, wobei gegen Ende des 7. Jahrhunderts der Ire
Kilian mit seinen Genossen Colman und Totman im Grenzgebiete Ost-
frankens und Thüringens den Märtyrertod erleidet. •
Höhere Aufgaben erwarteten die Iren von der zweiten Hälfte des 8.
bis ins 10. Jahrhundert in dem von ihnen zum Teil dem Christentum ge-
wonnenen Frankenreich der Karolinger. Angelsachsen strömten schon
durchs ganze 7. Jahrhundert nach Irland, um in irischen Klöstern ihre
theologische und gelehrte Bildung zu vollenden: 'von herdenartiger Menge
lernender Schüler voll', 'gleich dem Pole durch die lichtverbreitenden
Strahlen funkelnder Sterne der Wissenschaft geziert' nennt gegen das
Jahr 690 der Angelsachse Aldhelm Irland mit neidischem Blick. Auch
einzelne Franken lockte es, dorthin zur Ausbildung zu gehen, woher die
verehrten Lehrer kamen. Als aber Pipins tatkräftiger Sohn Karl die Für-
sorge für die Bildung seiner Franken und der übrigen ihm unterworfenen
Völker übernahm, bot sich für irische Gelehrte im Frankenreich selbst
ein dankbares Feld, und Karl der Große nahm sie mit offenen Armen auf.
Wie im 7. Jahrhundert überall im Frankenreich der Merowinger irische
Mönche als Glaubensboten auftreten, um heidnische Germanen dem
Christentum und den ersten Segnungen der Kultur zuzuführen, so er-
scheinen von Ende des 8. Jahrhunderts überall im Frankenreich der Karo-
linger an gelehrten Schulen und in Klöstern Iren als Schreiblehrer und
Unterweiser in allen damals gepflegten DiszipUnen des Wissens, der
Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Astronomie und Arithmetik.
Ein irischer Gelehrter mit dem kirchlich lateinischen Namen Clemens
wurde von Karl zum Lehrer seines Enkels, des nachherigen Kaisers
Kinlcitunj^. •,
Lothar, bestimmt und der Hofschule vorgeset/L, in die im ersten Viertel
des 9. Jahrhunderts aus Fulda und anderen Klöstern die fähigsten jungen
Leute geschickt wurden, um unter Clemens Grammatik zu studieren;
unter ihm soll sich auch die allbekannte Geschichte von den reichen, aber
faulen und den armen, aber fleißigen Schülern abgespielt haben. — Gleich-
zeitig mit Clemens lebte in St. Denis und wahrscheinlich an der Hofschule
tätig der Ire Dicuil: er ist Grammatiker und Metriker, speziell aber
Astronom und Geograph, von dem ein zwischen 814 und 816 verfaßtes
astronomisches Werk und ein bekanntes, wissenschaftlich wertvolles Lehr-
buch der Geographie aus dem Jahre 825 herrühren. — Mit beiden Ge-
nannten gleichzeitig lebte und wirkte unter Karl und seinem Nachfolger
an verschiedenen Stellen des P>ankenreiches der Ire Dungal: im Auftrage
Karls verfaßte er 8 1 1 ein wissenschaftliches Gutachten über zwei Sonnen-
finsternisse des vorhergehenden Jahres; nach längerem Aufenthalt in
St. Denis und im Kloster des heiligen Augustin bei Pavia wurde er 82.5
der Akademie von Pavia vorgesetzt, welcher die Schüler aus Mailand,
Brescia, Lodi, Bergamo, Vercelli, Como, Genua zugewiesen wurden; als
Rektor von Pavia verteidigte er 827, wie vorhin erwähnt, die oberitalischen
Bischöfe gegen den Spanier Claudius. — Schon eine Generation vor diesen
drei Älännern wirkte in Ostfranken, tief im Bayernlande, ein anderer ge-
lehrter Ire, Virgil. Als Abt des südirischen Klosters 'Kuhfeld' (altir. Achad
6(5, heute Aghaboe) hatte er 743 Irland verlassen, weilte bei Pippin zwei
Jahre und wurde von ihm dem Bayernherzog Odilo empfohlen, der ihn 747
zum Bischof von Salzburg machte; zugleich Abt von St. Peter in Salzburg
stand er der Diözese bis zu seinem Tode im Jahre 784 vor. Als Apostel
der Slawen Karantaniens, Urheber des wichtigen Verbrüderungsbuches von
Sl Peter und durch andere Seiten seiner fast 40jährigen Tätigkeit in Bayern
ist er neben Bonifatius die bedeutendste Persönlichkeit der deutschen
Kirchengeschichte des 8. Jahrhunderts. An wissenschaftlichem Geiste über-
ragte er jenen weit. Dies führte zu einem Zusammenstoß. Virgil vertrat
als weißer Rabe auf dem Kontinent im 8. Jahrhundert die Kugelgestalt
der Erde und lehrte, daß es Antipoden gebe, denen Sonne und Mond
auch scheine. Entsetzt über diese kosmologischen Anschauungen denun-
zierte Bonifatius den Mrgil in Rom bei Papst Zacharias, der indessen
offenbar den wissenschaftlichen Interessen Virgils mehr Verständnis als
der beschränktere Bonifaz entgegenbrachte und in einer uns unbekannten
Weise die Angelegenheit so erledigte, daß Virgil noch 35 Jahre seinem
Bistum erhalten blieb. In Irland hatte man den gelehrten Landsmann
nicht aus den Augen verloren, irische Annalen melden seinen Tod. wobei
sie ihm den bezeichnenden Beinamen 'der Geometer' geben.
Aus der großen Zahl der im Erankenreich tätigen gelehrten Iren seien
für Mitte und zweite Hälfte des g. Jahrhunderts noch drei ausgehoben.
HauptpHanzstätte der Bildung für Oberdeutschland war für mehr als drei
Jahrhunderte die irische Gründuncf im wilden Steinachtale, St. Gallen. Alle
8 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgenx
die irischen Mönche und Gelehrten, die vom 8. Jahrhundert ab von der
Somme-, Maas- oder Rheinmündung aus die Rheinstraße hinaufzogen, um
zu den Reliquien der Apostel Petrus und Paulus zu wandern, suchten es
möglich zu machen, sei es auf der Hinfahrt, sei es auf der Rückfahrt, die
berühmte Gründung ihres Landsmannes Gallus zu besuchen. Manche
ließen sich zum Bleiben bestimmen. Der Bedeutendste unter ihnen ist
Moengal. Er war als designierter Abt von Bangor in Ulster, wo Gallus
einst seine Bildung genossen hatte, auf der Rückreise von Rom mit seinem
Onkel Marcus, vermutlich Klosterbischof von Bangor, um 850 nach
St. Gallen gekommen. Durch seine Gelehrsamkeit imponierte er den
St Gallener Mönchen, und sie überredeten ihn, dauernd bei ihnen zu
bleiben. Unter dem Klosternamen Marcellus stand er an 20 Jahre der
St. Gallener Klosterschule vor, und es sind noch heute von ihm in den
Jahren 853, 855, 860 ausgefertigte Urkunden erhalten. Als seine speziellen
Schüler werden Notker, Ratpert und Tuotilo genannt, die, nachdem Iso sie
in der Theologie vorgebildet hatte, Moengal, 'in der Theologie und den
schönen Wissenschaften gleich hervorragend, in die sieben freien Künste,
hauptsächlich aber in die Musik einführte'. Die Zeit dieser drei Schüler
Moengals bildet den Glanzpunkt von St. Gallens Ruhm, in ihnen hat die
St. Gallener Sängerschule ihren ersten Höhepunkt erreicht. Das St. Gallener
Totenbuch erwähnt seinen Tod zum 30. September (871) als ohitus Moengal
cognomcnto Marcelli viri doctissimi et optimi. Es blieb V. Scheffel vor-
behalten, das Bild des Mannes zu verzerren.
Kurz vorher, ehe Moengal in St. Gallen eintrat, um 848 erschien eines
Tages bei Schneegestöber und grimmer Kälte müde und hungrig im
Domstift zu Lüttich ein irischer Gelehrter mit Namen Sedulius. Einen
Mann von seiner gelehrten Bildung konnte man hier gebrauchen, und er
ist von 848 — 858 in Lüttich, Köln und Metz als Lehrer und Schriftsteller
tätig. Er besaß neben theologischer Bildung Kenntnisse in der Mythologie
und Geschichte der Alten, beherrschte die lateinische Sprache in vollendeter
Weise und war mit dem Griechischen wohl vertraut, wie auch noch ein
von seiner Hand geschriebener griechischer Psalter uns erhalten ist.
Mindestens gleichstehend den genannten irischen Gelehrten an Umfang-
des Wissens, an Originalität des Denkens sie übertreffend war ihr Lands-
mann Johannes, der sich bald den Beinamen Scottus 'Ire', bald Eriugena
'in Irland geboren' beilegte. Auch er kam um 840 ins Frankenreich, wo
er das Glück hatte, bald eine Stelle an der Hofschule des wißbegierigen
westfränkischen Herrschers Karls des Kahlen zu finden, der er später sogar
vorgesetzt wurde; er lebte noch 877. Gelegenheitsgedichte in lateinischer
und griechischer Sprache für seinen Gönner Karl den Kahlen sind er-
halten; im Auftrage des letzteren machte er eine lateinische Übersetzung
der Schriften des sogenannten Dionysius Areopagita, in denen der Neu-
platonismus christianisiert auftritt. Sein Hauptwerk ist jedoch sein vor
865 abgefaßtes System der Philosophie (irepi cpvjceiuq )Liepicr|Liou id est De divi-
Einleitung. q
sione natural') ^ in dem er es wagte, die Philosophie als selbständige und
ebenbürtiei'e Wissenschaft neben die Theologie zu stellen. Der Arm Karls
des Kahlen schützte den gelehrten Iren vor der Notwendigkeit, in Rom
sich wegen einer Schrift über die Prädestinationslehre verantworten zu
müssen. Johannes Eriugena war der hervorragendste Vertreter christlich-
antiker Bildung, den Irland in jenen Jahrhunderten nach dem Kontinent
schickte; schon aus einem Grunde: Kenntnis des Griechischen ist in jener
Zeit im Abendland der höchste Ausdruck dieser Bildung, und hierin war
Johannes allen seinen damaligen Landsleuten überlegen. Wo immer aber
im Frankenreich im Laufe des 9. Jahrhunderts jemand Griechisch kann,
steht er unter dem \^erdacht, ein Ire zu sein, oder bei einem Iren in die
Schule gegangen zu sein.
Zur Aneignung und für den Betrieb der Wissenschaften waren neben L>er Aatf.i der
tüchtigen Lehrern damals ebenso wie heute Bücher nötiof. Diese Bücher .. ,^?" *" **"
" ° Erhaltung älterer
aber, d. h. Handschriften, waren in dem Frankenreich der Merowinger und Literatur
Karolinger infolge der Verheerung der Völkerwanderung fast ebenso selten
wie die Gelehrten. Dies ist die zweite Lücke, in die die irischen Mönche
des 7. und 8. Jahrhunderts und die irischen Gelehrten des 9. Jahrhunderts
helfend eintraten. Zur Reiseausrüstung des irischen Mönches im 7. Jahr-
hundert wie des irischen Gelehrten im 9. Jahrhundert gehörte ein lederner
Quersack mit Schreibtäfelchen und einer kleinen Handbibliothek. Von
Moengal berichtet Ekkehart ausdrücklich, daß er die Bücher, die er und
sein Onkel auf der Reise mit sich führten, für sich und das Kloster zurück-
behielt, während die sonstigen Besitztümer den in die Heimat ziehenden
Genossen gegeben wurden. So kamen Bücher in Fülle nach allen Klöstern
des Frankenreiches, die im 7. Jahrhundert von Iren gegründet wurden, oder
in die irische Mönche und Gelehrte bis zum 10. Jahrhundert, sei es dauernd,
sei es vorübergehend, eintraten. Die öffentliche KlosterbibHothek von
Bobbio besaß nach einem Katalog des 10. Jahrhunderts allein 40 Bände
als Geschenk eines Iren Dungal. In dem gegen 850, aber vor Moengals
Ankunft verfaßten alten Katalog der St. Gallener Bibliothek werden an
der Spitze vor dem Sachkatalog 30 Bände 'in irischer Schrift' aufgeführt.
In Irland hatte sich nämlich im 5. und 6, Jahrhundert während der Iso-
lierung ein eigenartiger Duktus des lateinischen Alphabets herausgebildet,
den auch die Angelsachsen im 7. Jahrliundert von irischen Lehrern an-
nahmen. Diese irische Schrift ermöglicht es uns, zu bestimmen, was von
irischen, d. h. von Iren geschriebenen Handschriften aus jener Zeit sich
noch auf dem Kontinent befindet Die Zahl der vollständigen Handschriften,
Fragmente und Blätter von derartigen Handschriften aus dem 7. bis r i. Jahr-
hundert beträgt heutigentags 117 in kontinentalen Bibliotheken ohne
die irischen Handschriften in den beiden großen Sammelbecken mittel-
alterlicher Handschriften, der Vaticana in Rom und der Biblioth«'*que natio-
nale in Paris. Erwägt man, daß von den 30 Handschriften in irischer
Schrift des alten St. Gallener Katalogs unter den auf uns gekommenen
10 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
117 in kontinentalen Bibliotheken sich nur eine vollständige befindet und
zehn in Sammelbänden erhaltene Fragmente von Handschriften mit irischer
Schrift, so bekommt man einen annähernden Maßstab, welche Handschriften-
schätze aus Irland in jenen Jahrhunderten nach dem Kontinent gekommen
sein müssen, um die durch die Stürme der Völkerwanderung hier gerissenen
Lücken auszufüllen. Was von Schriften über göttliche und menschliche
Dinge im 8. bis 10. Jahrhundert von den Gelehrten jener Zeit geschätzt
wurde, hat seinen Repräsentanten unter diesen Handschriften und befand
sich, wie durch die alten Kataloge des 9. und 10. Jahrhunderts bezeugt
wird, in den beiden Klöstern — Bobbio und St. Gallen — , die als Re-
präsentanten irischer Bildung auf dem Kontinent fürs 9. Jahrhundert gelten
können: neben der Theologie im weitesten Sinne wurden Grammatik,
Metrik, Astronomie, Medizin gepflegt und nicht zum wenigsten die Vor-
bilder klassischen Altertums, vor allem Horaz, Virgil, Ovid, Juvenal,
Martial, Persius, Terenz, Cicero sind häufiger vertreten. Unsere Kenntnis
der lateinischen Literatur des Altertums würde ohne diese Iren noch viel
lückenhafter sein, als sie es jetzt schon ist: von manchen Klassikern ge-
hören die irischen Handschriften und die Abschriften von ihnen zu den
wertvollen der Überlieferung; andere minder hervorragende Werke der
lateinischen Literatur sind überhaupt nur so auf uns gekommen, daß sie
mit der christlich -klassischen Bildimg vor der Isolierung Irlands im Zeit-
alter der Völkerwanderung dorthin gelangt waren und von gelehrten Iren
im 8. und 9. Jahrhundert in Abschriften wieder nach West- und Mitteleuropa
gebracht wurden. Zu verkennen ist allerdings nicht, daß manche lateinische
Handschrift mit irischem Duktus aus dem 9. bis 11. Jahrhundert auch von den
auf dem Kontinent weilenden irischen Gelehrten von älteren kontinentalen
Handschriften abgeschrieben sein kann. Es darf jedoch dies Moment nicht
überschätzt werden, da nach sicheren Zeugnissen — Moengal in St. Gallen
im 9. Jahrhundert, Marianus Scottus in Regensburg im 11. Jahrhundert —
die nach dem Kontinent kommenden Iren sehr bald den kontinentalen,
sogenannten fränkischen Duktus der Lateinschrift annahmen, da die Hand-
schriften mit dem irischen Duktus in kontinentalen Klöstern zum Lesen
ähnlich unbequem waren, wie heute einem Franzosen oder Engländer ein
lateinisches Buch in sogenannter deutscher Schrift sein würde, und daher,
wie der alte St. Gallener Katalog gegen 850 ausweist, in den Kloster-
bibliotheken beiseite gestellt wurden. Ausgeglichen, und mehr als das,
wird das bei Anlegung des irischen Duktus als Maßstab für Herkunft der
Handschriften für Irland sich etwa ergebende Mehr durch den Umstand,
daß wir umgekehrt manche wertvolle lateinische Handschrift des 8. bis
II. Jahrhunderts mit kontinentalem Duktus haben, deren Vorlage aus
Irland gekommen und nach gemachter Abschrift untergegangen ist. Wir
haben hierfür schlagende Beispiele.
Aber nicht nur Bewahrer und Überlieferer älterer klassischer und
kirchlicher Literatur waren diese irischen Gelehrten; sie waren auch pro-
RinIcitunfT. j j
duktiv literarisch tätig. \'oii Columban, dem Gründer ßobbios, über
Clemens, den maxister palatinus Karls bis auf den Johannes Eriugena, den
Rektor an der Hofschule Karls des Kahlen, sind die Iren zu bedeutendem
Teile die Träger der gelehrten und schönen Literatur in lateinischer
Sprache fürs 7. bis 10. Jahrhundert, wo ohne sie eine große Lücke klaffen
würde. Sie bilden also auch in der Hinsicht das Bindeglied zwischen
Altertum und Mittelalter.
Nicht der geringste Wert aber der aus dem 8. bis 11. Jahrhundert in
unseren kontinentalen Bibliotheken erhaltenen Handschriften irischer Her-
kunft und Fragmenten von solchen besteht darin, daß in 44 derselben
größere oder geringere Stücke und Bruchstücke altirischer Sprache des
8. bis 1 1. Jahrhunderts in zeitgenössischer Lautwiedergabe uns erhalten sind,
auf Grund deren C. Zeuß die Grammatik der altirischen Sprache schrieb
und so mit seiner Begründung einer historischen Grammatik der erhaltenen
keltischen Dialekte die keltische Philologie schuf.
Die Mission der Iren auf dem Kontinent war mit Ende des <). und
beginnendem 10. Jahrhundert erfüllt. Zwar dauern die Wanderungen
irischer Mönche, besonders in den Gebieten des Rheines auf den alten
Wanderstraßen, noch durchs 1 1. Jahrhundert, ja länger fort, aber es ist
nur mehr die ihnen innewohnende Wanderlust, die sie treibt, in der Fremde
als Klausner ihr Leben zu beschließen. Sie sind als Glaubensboten nicht
mehr nötig und noch weniger vom 10. Jahrhundert ab als Lehrer unter
Romanen und Germanen, die anfingen, ihre irischen Lehrmeister zu über-
treffen und, wofür wir Zeugnisse haben, verächtlich auf die unter ihnen
erscheinenden irischen Epigonen herabzublicken. Es war nämlich in Irland
selbst, das mit dem Vikingerzeitalter gewissermaßen seine Völkerwanderung
erlebte, ein allgemeiner Niedergang des geistigen Lebens eingetreten, der
bewirkte, daß Irland selbst vom 10. Jahrhundert ab keine Gelehrten mehr
aufzuweisen hatte wie die aus der Fülle der Iren auf dem Kontinent oben
ausgewählten Repräsentanten irischer Bildung des 8. und 9. Jahrhunderts.
Gewiß war unter den letzteren kein originaler Kopf; den Ruhm, der Erkennt-
nis neue Bahnen geöffnet zu haben, kann keiner unter ihnen beanspruchen.
Aber als Lehrer auf allen Gebieten des damaligen Wissens, als Inhaber
und Träger einer höheren Kultur, als zu jener Zeit auf dem Kontinent
heimisch war, haben sie Romanen und Germanen das in Irland bewahrte
geistige Erbe des Altertums übermittelt: sie haben, auf den von ihren
missionierenden Landsleuten im 7. Jahrhundort zum Teil gegrabenen
Fundamenten weiterbauend, als Schulmeistor West- und Mittoleuropas im
8. und 9. Jahrhundert für die abendländische Kultur auf dem Kontinent
in erster Linie die Grundsteine gelegt, auf denen unsere Zeit fortbauL
Auf anderem Gebiete liegt die Einwirkung, die 200 Jahre später von iw tuaflu«
einem Gliede des zweiten Zweiges der Inselkelten, des britischen, auf die ^^^*'^^J^^^
Völker romanischer und germanischer Zunge ausgeübt wurde: es sind „n Mitt*tah«r.
I 2 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Erzeugnisse der Phantasie der Kelten britischer Zunge, wesentlich in der
Gestalt, die sie bei den Bretonen gewonnen hatten, die im 12. und 13.
Jahrhundert bedeutenden Einfluß auf das Geistesleben des Abendlandes
gewannen, einen Einfluß, der bis auf unsere Tage in der Literatur fortlebt.
Vor den Einfällen und Raubzügen der Sachsen in Südbritannien
flüchteten im 5. bis 7. Jahrhundert fortwährend Scharen von britischen
Kelten an die Gestade des gegenüberliegenden aremorikanischen Küsten-
landes, das nur dünn mit sprachlich romanisierten Bewohnern besetzt war.
Sie brachten ihr Christentum, ihre Einrichtungen mit und bewahrten ilir
britisches Keltenidiom in der neuen Heimat, nach ihnen Britannia minor
(Bretagne) genannt. Es gelang ihnen, ihre Herrschaft und damit ihre
Sprache immer weiter nach Osten in dem alten Aremorica vorzuschieben,
so daß in der Zeit der größten Ausdehnung- bretonischer Macht im 9. Jahr-
hundert bretonische Zunge fast bis zu einer Linie Avranches -Rennes-
Nantes vorgedrungen war, wenn auch im östlichen Teil noch stark durch-
setzt mit sprachlich nicht assimilierten Romanen. Von geistigen Gütern
hatten diese Briten alte gemeinkeltische und britische Sagenelemente
und Sagenzüge mitgebracht; vor allem aber begleitete sie in die neue
Heimat die Figur des nationalbritischen Sagenhelden Arthur. In den
Kämpfen gegen Sachsen und Angeln in zweiter Hälfte des 5. Jahrhunderts
britische Scharen anführend und an verschiedenen Punkten des bedrohten
Gebietes siegreich, wurde Arthur bald nach seinem Tode bei der weiter
wachsenden Übermacht der germanischen Eroberer der Nationalheros der
Briten, von dessen Wiederkehr man die Verjagung der verhaßten Ein-
dringlinge erwartete. Überall, wo Briten auf der Bresche standen gegen
germanische Eindringlinge, gegen Angeln am Hadrianswall, wie gegen
Sachsen in den Bergen von Wales und Cornwall, erzählte man Arthurs
Taten und ließ sich durch sie anfeuern. Sowohl hoch oben in Britannien
(Cumberland) als in Cornwall wehrte man sich tapfer gegen Angeln und
Sachsen bis ins letzte Viertel des 10. Jahrhunderts, in Wales sogar noch
300 Jahre länger, und als man politisch unterlegen war, da dauerte der
geistige, passive Widerstand gegen den gleich dem leibhaftigen Teufel
gehaßten Sais 'Engländer' (eigentlich 'Sachse' aus Saxo) fort, in Wales
mehr oder weniger versteckt bis heute; natürlich ist, daß hier in Bri-
tannien der Charakter der Arthursage als reine Heldensage gewahrt
blieb, und so kennt der um die Wende des 8. und 9. Jahrhunderts
schreibende südwelsche Historiker Nennius den Arthur nur als dux bellorurn,
der mit den britischen Königen [cum regibiis Britonum\ also als ihr Feld-
herr, kämpfte.
EntWickelung Andcrc Wege schlug die Arthursage bei den Briten der neuen Kolonie
der Arthursage \^ Kleinbritannien ein. Bei ihnen mußten die Kämpfe gegen Angeln und
Sachsen, die den Hintergrund der Sage bildeten, nach und nach ver-
blassen und unverständlich werden, zumal als vom 7. Jahrhundert an die
bis dahin engen Beziehungen zu den Volksgenossen des Mutterlandes sich
Einleitung. I a
mehr und mehr lockerten, in dem Maße als sich die sächsische Herrschaft
über Somerset, Devonshire nach Comwall ausbreitete. So wurde in
Ivleinbritannien Arthur, zuerst nur Träger der alten Heldensage, zum
Träger der aremorikanisch-britischen Sage überhaupt: er gab den
Kristallisationspunkt ab für die aus der alten Heimat mitgebrachten ge-
meinkeltischen und britischen Sagenelemente, der weiterhin anzog, was
im Laufe der Jahrhunderte, bis ins i i. Jahrhundert, aus bretonischer
Geschichte in die Sage geriet, und was durch die Berührung der bretonen
mit ihren fränkischen und romanischen Nachbarn an Sagenelementen nach
der Bretagne kam. Es wurde also die aus der gemeinbritischen Helden-
sage des 5. und 6. Jahrhunderts entstandene bretonische Arthursage zu-
nächst nach Ortlichkeiten und Personen stark bretonisiert: so kamen
um nur einiges zu nennen, der Wald von Br^ch^liant (Broc^liande) und
die Quelle B^renton (Baranton), bekannte Ortlichkeiten der Bretagne, in
die Sage, ferner Nantes, Vannes (Guenet, Gohennet), Carhais u. a.; so
Erec, Karadoc Bricbras (Karadoc Brechbras) und der bis heute in bre-
tonischer Sage lebende mächtige Herrscher der Niederbretagne Gradlonus
magnus de Finibus terrae in zwei Figuren, als Grahelent de Fine posterne
und Graislemier (entstellt aus Graelen meur). Dadurch, daß die den are-
morikanischen Bretonen allmählich unverständlich gewordene geographische
Grundlage der alten mitgebrachten Heldensage nicht getilgt, entstand in
der bretonischen Arthursage ein geographisches Halbdunkel: bald sind die
Figuren an Ortlichkeiten, die wir in Großbritannien suchen müssen, bald
an solchen, die sicher in der aremorikanischen Kleinbretagne liegen, ohne
daß die Sage oder deren Erzähler daran Anstoß nahmen oder die Helden
von einem Lande zum anderen übersetzen lassen; dies wurde natürlich da-
durch begünstigt, daß sowohl die alte Heimat als die neue bei den
Bretonen einfach Bretagne {Brei:: = Briftia) hießen.
Politische Verhältnisse des 9. Jahrhunderts führten zur allmählichen
Rückromanisierung des in vorangegangener Zeit schon in gewissem Um-
fange sprachlich bretonisierten östlichen Teiles der Bretagiie, der heutigen
Haute-Bretagne, und gerade in diese vom 10. Jahrhundert ab sprachlich
größtenteils romanische Hälfte wurde von g36 an der politische Schwer-
punkt (Rennes und Nantes) des Bretonenstaates verlegt Durch die engen
Beziehungen, in die man zu den französischen Nachbarn trat, wurde man
in der Bretagne mit der Karlssage (Charlemagne) der romanisierten Franken
bekannt. Werden die Kelten mit den Sagenhelden fremder Nülker be-
kannt, so haben sie zwei Methoden, sich mit ihnen abzufinden: die eine
ist, daß sie dem fremden Sagenhelden den eigenen Haupthelden im
Kampfe gegenüberstellen und natürlich den fremden unterliegen la5sen;
diese Methode befolgt die Sage der Iren, die überall, wo sie tatsächlich frem-
den Völkern gegenübertreten (Vikinger im q. und 10. Jahrh., Anglonormannen
\i. und 13. Jahrh., Engländer 16, und 17. Jahrh.), unterliegen, aber vom 9. bis
19. Jahrhundert in der Sage immer glänzend siegen. Die andere Methode
14 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
ist, das, was man am fremden Sagenheld bewundert, auf den eigenen zu
übertragnen, aber natürlich mit kolossaler Übertreibung, was dem Kelten
bei seiner lebhaften Phantasie und Talent zum Aufschneiden nicht schwer
fällt. Diesen Weg beschritten die Bretonen, als sie die französische Karls-
sage kennen lernten. Nach dem Vorbild von Charlemagne und seinen
zwölf Pairs bildeten sie Arthur mit der Tafelrunde um. In der kym-
rischen Literatur haben wir das bestimmte Zeugnis, daß der südwelsche
Fürst Rhys ab Tewdwr, der in der aremorikanischen Bretagne gewesen
war, von dort anno 1077 die Kunde von einer Tafelrunde Arthurs nach
Wales, wo sie natürlich unbekannt war, gebracht habe. Also um die
Mitte des 11. Jahrhunderts war die allmähliche Umwandlung der gemein-
britischen nationalen Heldensage des 5. und 6. Jahrhunderts zur roman-
tischen Arthursage der aremorikanischen Bretonen vollzogen.
Erzählungen daraus wanderten bei den seit Mitte des 10. Jahrhunderts in
jeder Hinsicht engen Beziehungen der Bretonen zu Franzosen und Nor-
mannen durch doppelsprachige oder bloß romanisch redende bretonische
Sagenerzähler der Haute -Bretagne zu Normannen und Franzosen, machten
aber auf die Träger der Literatur bei diesen zunächst keinen Eindruck.
Ein wichtiges Ereignis für die Weiterentwickelung der romantischen
Arthursage war der Zug Wilhelms des Eroberers nach England im Jahre
1056. Zahlreiche Bretonen unter bretonischen Führern zogen als Hilfs-
truppen mit den Normannen nach England, wo sie Gelegenheit fanden, am
alten Erbfeind des Britentums, dem verhaßten Sachsen, Rache zu nehmen.
Bretonische Führer wurden im Norden von England, wo damals britische
Rede noch nicht ganz ausgestorben war, von Wilhelm mit Land-
schenkungen belehnt, andere in Devonshire und Cornwall, wo gleichfalls
teils rein keltisches, teils erst mangelhaft der keltischen Sprache entfrem-
detes Gebiet war. Überall aber, in Cumberland wie an der Grenze von
Südwales und in Devonshire -Cornwall, fanden diese Bretonen den Helden
ihrer romantischen Sage im Munde des Volkes wieder. Auch auf die
normannischen Eroberer mußte diese Tatsache Eindruck machen. In diese
Stimmung fiel eine bedeutsame literarische Erscheinung. Ebenso wie die
aremorikanischen Bretonen mit dem britischen Arthur der Heldensage
von 1056 ab neu bekannt wurden, war man seit jener Zeit in Devonshire-
Cornwall und von der Wende des 11. und 12. Jahrhunderts in Südostwales in-
folge der engen Beziehungen zu den Anglonormannen mit der roman-
tischen Arthursage der Bretonen vertraut geworden. Dadurch angeregt
schrieb der sich als Historiker gebärdende südwelsche Fabulator Gottfried
von Monmouth eine Historia regum Britanniae (anno 11 3 5): eine aus
Sagen und eigenen Erfindungen bestehende, Aufsehen erregende Ge-
schichtsklitterung-, in der Gottfried, unter Berufung auf ein bretonisches
Buch, dem Arthur der britischen nationalen Heldensage einen ganz her-
vorragenden Raum gewährte, eine Figur aus ihm machte, in der Arthur
der britisch-kymrische Nationalheld mit dem nach der fränkischen Karls-
Einleitung. i c
sage zu einem mächtigen Herrscher und Hroberer umgestalteten Arthur
der romantischen Sage der Bretonen verschmolzen war. Durch die Be-
arbeitung dieses lateinischen Werkes in normannischer Sprache durch
Wace (anno 1155"», der sich mancherlei Zusätze aus bretonischen P>zäh-
lungen erlaubte, wurde der ganze Sagenstoff über Arthur literaturfähig,
und nun fanden die Erzählungen aus der romantischen Arthursage der
Bretonen die Beachtung in der schönen Literatur der Franzosen, die ihnen
bisher versagt geblieben war. Allerdings, so wie vor dem Zuge Wilhelms
nach England (anno 1056) war ein Jahrhundert später die Sage nicht mehr
ganz: einmal blieb das Bekanntwerden der Bretonen mit der entschieden
älteren Gestalt der Sage in Xordbritannien, Wales und Devonshire- Com wall
nicht ohne Einfluß, der sich darin vor allem zeigte, daß die romantische
bretonische Arthursage, soweit die Szenerie in Betracht kommt, etwas
rückbritannisiert wurde, also Ortlichkeiten Großbritanniens, von denen man
nach 1050 als Stätten der damaligen britischen Arthursage erfuhr, in die
bretonische Gestalt der Sage eingeführt wurden; besonders Franzosen
mußten unter dem Banne von Gottfrieds angeblichem Geschichtswerk
leicht dazu verführt werden, weil ihnen die oben erwähnte aremorikanisch-
bretonische Szenerie wenig klar war, und so läßt sich nicht verkennen,
daß, je jünger die Texte werden, um so stärker wieder die Verleg\ing
nach Großbritannien, ja Wales zutage tritt. Dazu kam weiter der literarische
Einfluß der durch die normannische Übersetzung des Wace verbreiteten
Geschichtsklitterung des Gottfried von Monmouth.
Chrestien von Troyes, ein großer Dichter der Franzosen, nahm (i 168 bis
1191) aus diesen allmählich in Xordfrankreich heimisch gewordenen Arthur- Die ArtharMje
erzählungen und anderen durch bretonische Sagenerzähler ausgebauten
und verbreiteten Sagen das Rohmaterial zu mehreren seiner die höfischen
Kreise damaliger Zeit entzückenden Meisterwerke (Erec, Cliges, Chevalier
de la Charette, Chevalier au Lyon, Perceval le Gallois, Del roi ^Lirc et
d'Isalt). Einen Siegeslauf sondergleichen zu den an nationalen, klassischen
und orientalischen Stoffen gesättigten germanischen und romanischen Völ-
kern traten diese zu Trägern der Ideen der höfischen Gesellschaft benutzten
bretonischen Stoffe an; selbst in Wales lockte das Gewand, in dem Helden
der einheimischen Sage in den französischen Dichtungen auftraten, einzelne
dieser Werke in kymrischer Sprache zu bearbeiten (Jarlles y BYynnawn,
Gereint ab Erbin, Peredur ab Efrawc). Arthurs Name wurde weiter be-
kannt, als das Reich war, das ihm bretonische Erzähler und der fabulierende
Gottfried von Monmouth andichteten: von Lsland bis nach Unteritalien,
von Polen bis nach Spanien. In Deutschland verdanken so, von Dichtem
zweiten und dritten Ranges abgesehen, unsere bedeutendsten höfischen
Epiker um die Wende des 12, und 13. Jahrhunderts — Hartmann von Aue
(Iwein, Erec), Gottfried von Straßburg (Tristan und Isolde), Wolfram von
Eschenbach (Parzival) — das Rohmaterial zu ihren klassischen Werken in
letztem Grunde der Phantasie der bretonischen Kelten.
in der
Weltliteratar.
1 6 HEI^fRICH Zlmmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Noch bis ins i6. Jahrhundert war in England, Frankreich und Deutsch-
land ein lebhaftes Interesse für diese nun in Form von Prosaromanen und
Prosavolksbüchem bearbeiteten bretonischen SagenstofFe vorhanden. Auch
in neuerer Zeit haben sie ihre schier unverwüstliche Anziehungskraft nicht
verloren: in England nahm Tennyson aus ihnen die Vorwürfe zu seinen
zweimal ins Deutsche übersetzten ^Idylls of the King' (1859) und deren
Ergänzungen 'The holy Grail' (1867), 'The last Tournament' (1871), 'Gareth
and Lynette' (1873); in Deutschland griff die bedeutendste Künstler-
erscheinung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Richard Wagner, für
zwei seiner musikalisch- dramatischen Meisterwerke, 'Tristan und Isolde'
und 'Parsifal', zu den Stoffen des bretonischen Sagenkreises, die damit,
ähnlich wie im 13. Jahrhundert, in den Mittelpunkt der Weltliteratur ge-
rückt wurden.
auf dem
Kontinent.
A. Die keltischen Sprachen.
Das Altkeltische L Die Geschichtc der keltischen Sprachen. Die Kelten haben
beim Eintritt in die Geschichte im 6. Jahrhundert v. Chr. ihre Stammsitze am
Mittelrhein. Östlich saßen sie, wie aus Fluß- oder Ortsnamen ersichtlich
ist, über Harz und Thüringerwald bis zur Elbe und einer weiterhin durch
Iser-, Riesengebirge und Sudeten begrenzten Linie; im Süden reichten sie
über die Donau bis zu den Alpen; westlich bevölkerten sie das heutige
Xordfrankreich bis zur Loire. Ob damals schon Keltenscharen nach Bri-
tannien übergesetzt waren, ist nicht sicher auszumachen, aber wenig wahr-
scheinlich. Durch größere Wanderungen vom 5. bis 2. Jahrhundert ver-
schoben sich die Grenzen keltischen Sprachgebietes bedeutend, da die
keltische Völkerwanderung jener Jahrhunderte ähnlich der mehr als ein
Halbjahrtausend späteren germanischen nicht nur zu bedeutender Er-
weiterung des keltischen Gebietes, sondern gleichzeitig zur Aufgabe alter
Sitze führte. Aufgegeben wurde alles Land zwischen Rhein, Main und
Elbe. Dafür drangen im 5. Jahrhundert Keltenscharen durch Gallien über
die Pyrenäen nach Spanien, wo sie in Mittel- und Westspanien sich unter
Iberern niederließen; gleichzeitig setzten andere vom Niederrhein und gal-
lischer Küste nach Britannien über. Die Österreichischen und Schweizer Alpen
gingen in ihren Besitz über, ebenso Rhonetal und die französische Mittel-
meerküste, und um 400 erscheinen Keltenscharen in Oberitalien. Zwischen
den Trümmern des eroberten Rom (390) fand ihr Siegeslauf zwar ein Ende,
aber w^eite Strecken diesseits und jenseits des Po blieben in ihren Händen
und wurden keltisiert. Gleichzeitig hatten andere keltische Stämme die
unteren Donauländer besetzt und kämpften mit Illyrern und Thrakern um
die BalkanhalbinseL Alexander schloß vor seinem Zuge mit den pannonischen
Kelten ein Bündnis, so daß 324 auch keltische Abgesandte in Babylon zu
seiner Beglückwünschung erschienen. Nicht allzulange nach Alexanders
Tode nahmen jedoch Keltenscharen wieder die Offensive auf der Balkan-
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. i-
halbinsel: von einem mächtig-cn Heere pannonischor Kelten erobein«- ein
Teil unter Brennu.s Mazedonien (280), drang- durch Thes.salien zu den Ther-
mopylen vor und plünderte Delphi, während ein anderer in Thrakien sich
loslösender Teil östlich nach Ryzanz sich wandte und {2y(j) nach Kleinasien
übersetzte: nach mancherlei Raubzügen in Kleinasien begründeten sie ums
Jahr 2js in tlen östlich und westlich vom Halys gelegenen Strichen eine
kleinasiatische Keltenkolonie, das selbständige Galaterreich.
In der Zeit der größten Ausdehnung des Keltentums auf dem euro-
päischen Kontinent waren Rhein und Donau von den Quellen bis zur
Mündung keltische Ströme; Kelten saßen an den Ufern des Main, der
Seine und Loire, des Duro, der Rhone und des Po. Es ist dies aber auc:h
zugleich der Zeitpunkt, in dem unmittelbar ihre Zurückdrängung begann.
Naturgemäß war das weite Gebiet vom Galaterland in Kleinasien durch
die Donauebene bis Kap Finisterre in Spanien und den Buchten von Kerry
und Donegal in Irland nicht überall sprachlich keltisiert, und daher schwindet
mit dem Verlust der Macht auch in den meisten Strichen bald die keltische
Sprache. Römer und Germanen hauptsächlich haben ihren Machtbereich
auf Kosten der Kelten ausgedehnt, romanische vmd germanische Sprachen
herrschen infolgedessen um etwa 400 n. Chr. in den meisten Strichen, wo
im 3. Jahrhundert v. Chr. keltische Rede, im Munde der Herrschenden
wenigstens, erklang. Mit dem Jahre 222 begannen die Römer endgültig
die Übermacht über die Kelten Oberitaliens zu gewinnen; nach ihrer Unter-
werfung gelangten vor Ende des 2. Jahrhunderts die Kelten im Rhone-
gebiet (Gallia Narbonensis) und in Spanien unter römische Herrschaft; Mitte
des I. Jahrhunderts wurde durch Caesar ganz Gallien bis zum Rhein Rom
uoterworten, und unter Augustus wurden nicht nur die österreichischen
Alpenländer und die Striche zwischen Rhein und Donau bis tief in
die untere Donauebene dem römischen Reich angegliedert, sondern
auch Galatien in Kleinasien zur römischen Provinz gemacht. Von der
griechischen Kultur wurde das Keltische des Galaterlandes bald ab.sorbiert;
doch hat Hieronymus in der Vorrede zum Galaterbrief- Kommentar die
wenig glaubwürdige Nachricht, daß noch in seiner Zeit Keltisch neben
Griechisch bei den Galatern gesprochen worden sei. Der Rest des alten
Keltengebietes in Mitteleuropa, der beim Tode des Augustus nicht unter
römischer Herrschaft stand, war in der Gewalt der Germanen. Im Beginn
unserer Zeitrechnung gab es keine unabhängigen keltischen V^ölkerschaften
mehr auf unserem Kontinent, und um 400 n. Chr. ist die keltische Rod<
ebenfalls vollständig vom Kontinent verschwunden.
Auf den britischen Inseln fanden die vom Kontinent einwandernden n«
Kelten eine Urbevölkerung vor, hatten jedoch, ehe die Römer im i. und " ^ ,^
später die Germanen im 5. Jahrhundert auch sie bedrängten und teilweise » jahrbaadM
unterwarfen, genügend Zeit, diese Urbevölkerung auf der Hauptinscl Bri-
tannien bis auf die Striche nördlich einer Linie Firth of Fortli und Firth
of Clyde zu keltisieren. Es sind die Bewohner Kaledoniens, die Pikten,
Dl« KoLTvm Dm« Giokxwjuit. I. ti. i. j
1 8 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
wie sie seit ungefähr 300 n. Chr. von den Römern in wörtlicher Über-
setzung des Namens genannt wurden, den ihnen britische Kelten (altkymr.
Prytcin) und irische Kelten (altir. Crut/ini, Cruthentuath) beilegten. Nach
der ^grünen Insel', die bei den Griechen Iverne, bei den Römern luberna,
Ivemia und mit weiterer volksetymologischer Anlehnung an lateinisches
Sprachgut Hibernia nach seiner keltischen Bezeichnung Iverion (woraus
altir. Erhi, Genit. Ercnn imd kymr. Iwerddon entstanden ist) benannt wurde,
drangen die Römer nicht vor. Die keltischen Eroberer Irlands, die bei
lateinischen Schriftstellern bis tief ins Mittelalter (11. Jahrhundert) aus-
schließlich Scotti (Scoti) genannt werden, woher wiederum Scottia als früh
mittelalterliche Bezeichnung Irlands neben Hibernia — der Name '^Ire' und
* Irland' wurde erst von den vom Ende des 8. Jahrhunderts ab Irland heim-
suchenden Vikingern nach der altirischen Bezeichnung Eriu gebildet — ,
konnten daher ungestört von außen die Keltisierung der zweitgrößeren
britischen Insel vollziehen. Zahlreiche, bis ins S.Jahrhundert reichende Zeug-
nisse in lateinischer und irischer Sprache melden uns, daß die keltischen
Iren im 6. Jahrhundert sich wohl bewußt waren, daß Stammverwandte der
in Britannien nördlich des Severuswalles sitzenden unabhängigen nicht
keltischen Pikten einst auch in Irland saßen, und daß die keltisch redenden
Bewohner bestimmter Striche Nordostirlands die Nachkommen solcher
piktischen Urbewohner sind. Mit der Mitte des i. Jahrhunderts unserer
Zeitrechnung beginnt auch auf den britischen Inseln die Unterjochung der
Kelten durch die Römer. Ende des i. Jahrhunderts ist die größere Insel,
Britannien, bis zu der mehrfach genannten Linie den Römern unterworfen.
Im Laufe des 2. und 3. Jahrhunderts schritt wie in Gallien die sprachliche
Romanisierung der Kelten vor: die Städte des Ostens und Südens waren
Zentren römischen Lebens, ebenso die Striche um Severn- und Deemündung
(Chester), so daß durch die nach Abzug der Legionen im 5. Jahrhundert be-
ginnende Überflutung der Insel durch anglische, sächsische, jütische Scharen
zunächst im Osten und Süden nicht viel keltisches, wenigstens rein keltisches
Sprachgebiet weggeschwemmt wurde. Bei weiterem Vordringen der Germanen
trat aber auch dies ein, so daß in erster Hälfte des 6. Jahrhunderts die östliche
Hälfte Britanniens bis zum alten Severuswall im Besitz der Germanen war und
sprachlich der Germanisierung verfiel. Entscheidende Ereignisse vollzogen
sich dann in den Jahren 577 und 613: in ersterem Jahre drangen die Sachsen
im Süden siegreich bis zur Sevembucht vor, und 613 die Angeln bei Chester
an die irische See. Damit war der bis dahin seine Unabhängigkeit vor
Germanen bewahrende keltische Westen in drei getrennte Teile zerrissen.
Neue, in der Zwischenzeit entstandene Kolonien der Inselkelten schienen
diese Verluste keltischer Macht und keltischen Sprachgebietes eine Weile
ausgleichen zu sollen. Die eine ging von den irischen, die andere von
britischen Kelten aus.
Als seit Ende des 3. Jahrhunderts die nördlich der Linie Firth of Forth
und Clyde sitzenden unabhängigen Kaledonier, Pikten genannt, ernst-
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen ig
lieh den Kampf gegen die Römerherrschaft aufnahmen, da fanden sie
Hundesgenossen in den beutelustigen Bewohnern Nordirhinds; waren doch
diese, wie wir sahen, zu einem beträchtlichen Teil die sprachlich keltisierten
Stammverwandten der Kaledonier. Derartige aus Irland herbeigezogene
Bundesgenossen gründeten im Laufe des 5. Jahrhunderts in der heutigen
schottischen Grafschaft Argyll einen unabhängigen Irenstaat, nach ihnen
Scottia minor genannt. Im Laufe des 6. und 7. Jahrhunderts wuchs er an
Umfang und Einfluß; letzteres namentlich durch den Umstand, daß von
der zum neuen Irenstaat gehörigen kleinen Insel Eo (lo, Hi, heute lona)
aus in zweiter Hälfte des 6. Jahrhunderts durch Columba und seine Ge-
nossen das Volk der nördlichen Pikten christianisiert wurde, und so zuerst
Nordpiktenland und im Verlauf ganz Piktenland unter eine im Gebiete der
Iren (in lona) gelegene kirchliche Oberleitung und den geistigen Einfluß
der irischen Kelten geriet Noch bis um die Wende des 7. und 8. Jahr-
hunderts stand diese Kolonie irischer Kelten an Nordbritanniens Westküste
(Scottia minor) in gewisser politischer Abhängigkeit vom Mutterlande Irland,
damals Scottia genannt; sprachlich und literarisch sind diese keltischen
Striche in Nordbritannien bis ins 1 7. Jahrhundert als irische Kolonie zu
betrachten.
Um dieselbe Zeit, als von irischen Kelten an der Nord Westküste Bri-
tanniens der Grund zur Erweiterung keltischer Macht und keltischen Sprach-
gebietes gelegt wurde, begannen christliche Kelten Südbritanniens vor dem
Ansturm der Sachsen nach der gegenüberliegenden aremorikanischen Küste
zu fliehen, wie in anderem Zusammenhang schon erzählt ist Es war alter
Keltenboden, auf dem sich diese britischen Kelten niederließen, aber die
vorhandenen Bewohner des Küstenlandes waren damals romanisiert wie
die übrigen Kelten Galliens. Die Einwanderer betrachteten sich als Brit-
tones, nannten ihre Sprache danach (heute breconek), redeten nur Keltisch-
Britisch {brczonekä) und bezeichneten die neue Heimat als Brittia, woraus
heute Brciz in Breiz- Uchel 'Hochbretagne' und Brciz- Izcl 'Niederbretagne';
von lateinisch schreibenden Schriftstellern wird im Verlauf diese britische
Kolonie Britannia minor genannt ganz wie die neue irische Kolonie ihnen
Scottia minor ist.
Über sieben räumlich geteilte Gebiete, die aber sprachlich und i»»« int«a-
literarisch sich zu zwei höheren Einheiten zusammenschlössen, sind also '^'"'""^' 7"
im 8. Jahrhundert die noch unabhängigen Inselkelten zerstreut Keltische w» hMt«
Iren (Scotti) einerseits in Irland (Scottia), an der Küste Nordwestbritanniens
(Scottia minor) und auf der Insel Man; keltische Briten sitzen anderseits
unabhängig an der Westküste Britanniens südlich des Clyde (Cumberland),
in Wales, in Devonshire und Comwall, im aremorikanischen Küstenland.
Ihre Geschicke und die der von ihnen geredeten keltischen Ti|i.>n.. vind
im Verlauf eines starken Jahrtausends sehr verschieden. ,,^^ Kfiu..!.«
In Irland, wo bis Ende des 8. Jahrhunderts ein einheitliches keltisches in irUndbuHnd*
Sprachgebiet bestand, hat das Keltentum bis in die Tage der Königin '''^^„1,'^,'"'
2»
20 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I.Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Elisabeth eine den Beobachter in Erstaunen setzende Assimilationskraft
gegenüber fremden, selbst in großen Massen eindringenden anderssprachigen
Elementen bewiesen. Es nahm auf und assimilierte die ungezählten Scharen
der Norweger und Dänen, die sich von ca. 800 — 11 00 allerorts in Irland,
am stärksten in den Küstenstrichen und an den mit Vikingerschiffen be-
fahrbaren Flüssen bis weit ins Innere niederließen. Ganz dasselbe Schick-
sal widerfuhr den Anglonormannen und englischen Kolonisten, die sich seit
II 72 auf Irlands Boden niederließen, sei es in Munster oder weit in Con-
naught: selbst die härtesten Strafen, die englische Herrscher schon im
14. Jahrhundert (Statut von Kilkenny 1367) auf die Irisierungen setzten,
vermochten den Fortschritt derselben nicht zu verhindern. Hibernis Hiber-
niores wurden diese Fremdlinge, und in den Tagen der Elisabeth und
Cromwells sind nicht selten die heißblütigsten Iren Nachkommen von iri-
sierten Anglonormannen. Ebenso bewundernswert wie die Assimilations-
kraft bis zum 16. Jahrhundert ist die Widerstandsfähigkeit, die die irische
Sprache vom 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts gegen den Druck einer in
großen Scharen in Irland eindringenden anderssprachigen, die Macht an
sich reißenden Minorität bewies.
Infolge Festhaltens der Kelten an der katholischen Kirche brachen
durch 150 Jahre fortgesetzt Revolten aus. Schreckliche Aderlässe fürs
keltische Element waren die Folgen einerseits: so wurden z. B. allein in
den elfjährigen Kämpfen von 1642 — 1652 von den 1500000 Bewohnern
Irlands durchs Schwert der Scharen Cromwells, die Seuchen und Hungers-
not 600000 Iren dahingerafft. Anderseits wurde dem nichtkeltischen, eng-
lischen Element fortgesetzt neues Blut zugeführt: es wurden die die Auf-
stände anzettelnden, schürenden und führenden irischen Häuptlinge so be-
straft, daß man ihr Gebiet, das in Wirklichkeit Claneigentum war, kon-
fiszierte, an englische Soldaten verschenkte und an zahlreiche Kolonisten
aus England und Schottland verkaufte. Derartige Landkonfiskationen mit
nachfolgender Ansiedlung englischer Kolonisten vollzogen sich 1550 in
Leinster, 1572 im östlichen Ulster, 1580 — 1584 in Munster und in noch er-
heblicherem Umfange 16 10 im mittleren und westlichen Ulster, sowie 1653
aufs neue durch ganz Ulster, Leinster und Munster. Mehr als zwei Drittel
von Irlands Grund und Boden ging so aus dem Besitz der Kelten in die
Hände der protestantischen englischen Kolonie über, die 1695 von den
1 030 000 Seelen der Insel ein gutes Fünftel ausmachte. In die Hände
dieser nicht Keltisch redenden Minderheit war alle Macht gelegt, die
dahin ausgenutzt wurde, daß von 1691 an durch eine Reihe strenger Straf-
gesetze die Keltisch redenden katholischen Iren vom gesamten öffentlichen
Leben, von Schule und Universität ausgeschlossen waren. Als zwischen
1778 und 1829 die auf den keltischen Iren lastenden Strafgesetze be-
seitigt wurden, da zeigte sich als Resultat tausendjähriger Angriffe auf
den Besitzstand der keltischen Sprache Irlands, daß Irisch immer noch
die Verkehrssprache des Volkes, der Massen war: von den 5200000
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. 2 I
Bewohnern Irlands im Jahre 1801 bedienten sich noch annähernd 4000000
im Verkehr untereinander der keltischen Sprache, von denen mehr als die
Hälfte monoj^lotte K<«lten wan-n.
Was 30üjähri^e harte iU-drückunj^^ de.s k«,'lti.schen Elements in Irland
nicht erreicht hatte, die keltischen Massen zum Aufgeben der irischen
Sprache zu bringen, vollzog sich dann ftist in einem Jahrhundert: die Iren
gaben wie von selbst ihre Sprache auf.
Äußerlich hatte die irische Sprache um die Wende des 1 8. und i cy. Jahr- ihm in»ch» »m
hunderts noch eine stattliche Position inne; aber innerlich war diese nach " J*'"'»^*'**
zwei Richtuni.»en geschwächt. Mit der \'erarmung der Iren im 16. und
17. Jahrhundert und dem völligen Verdrängen der irischen Sprache aus
dem öffentlichen Leben ging die im Mittelalter und Beginn der Neuzeit
über den Dialekten stehende gesprochene Literatursprache mehr
und mehr verloren, und eine geschriebene Literatursprache fristete am
Ende des 18. Jahrhunderts noch ein kümmerliches Dasein, als ob die Buch-
druckerkunst noch nicht erfunden wäre. Anderseits war um dieselbe
Zeit der englischen Sprache das in den Zeiten der Rebellion und in den
ersten Dezennien der Penalgesetze aufgeprägte Stigma genommen, wonach
freiwillig Englisch lernen oder reden gleich war mit Verrat an der nationalen
Sache. Nicht zum wenigsten war dies Stigma seit dem zweiten Viertel
des 18. Jahrhunderts allmählich in den Augen der Kelten dadurch ge-
schwunden, daß eine im Dubliner protestantisch -englischen Parlament
wegen eigener materieller Interessen gegen England entstandene Oppo-
sitionspartei anfing als Advokatin für die keltische Masse Irlands ein-
zutreten. So entstand bei den gebildeten Iren die Anschauung, man könne
wie die Grattan und Burke Englisch reden und doch in Opposition zu
England stehen, d. h. den keltischen Haß gegen England bewahren.
In diese kritische Zeit der irischen Sprache fällt der Moment, wo die
katholische Kirche in Irland wieder frei wurde. Sie war während des 17.
und 18. Jahrhunderts gezwungen gewesen, die Ausbildung des katholischen
Klerus im Ausland, vor allem in hVankreich, zu bewerkstelligen. Zu den
katholikenfreundlichen Maßregeln in Irland nach 1778 gehörte in erster
Linie, daß die englische Regierung dem katholischen Klerus einen Staats-
zuschuß für ein in Irland selbst zu begründendes Priesterseminar zur Ver-
fügung .stellte. So wurde 1795 Maynooth gegründet, die katholisch-theo-
logische Eakultät Irlands bis heutigentags. Es war eigentlich selbstverständ-
lich, daß diese neue, ganz frei gegründete, ausschließlich unter kirchlicher
Leitung — ohne Staatsaufsicht — .stehende Anstalt eine Einrichtung be-
kommen hätte, wie sie den wirklichen Bedürfnissen der katholischen
Bevölkerung Irlands entsprach, also einer Bevölkerung, die zu mehr als
neun Zehntel Irisch verstand und zu mehr als der Hälfte nur
Irisch sprach. Nichts von all dem: Maynooth wurde eingerichtet wie
eine Anstalt, die bestimmt war, der katholischen Kirche überhaupt die
Missionare für die wesentlich protestantische Englisch redende Welt zu
2 2 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
liefern, d. h. ohne dem Rasseninstinkt und der religiösen Abneigung des
katholischen irischen Kelten gegen den protestantischen Sassanach (Eng-
länder) entgegenzutreten, im übrigen wie eine gleichartige katholische
Anstalt in England, in der irische Sprache ein vernachlässigter Anhang
war, der zeitweilig auch ganz fehlte.
Damit nicht genug. Neben den Anstalten für die Ausbildung des Klerus
fehlten in Irland, namentlich während Geltung der Penalgesetze, höhere
Schulen jeder Art, in denen den katholischen Iren der besseren Stände —
sow^ohl Knaben als Mädchen — weltlicher Unterricht gegeben wurde, ohne
daß sie Proselytierungsversuchen ausgesetzt waren. Diese Lücke suchte
die katholische Kürche sehr bald nach Aufhebung der sie hindernden Ge-
setze auszufüllen, indem geistliche Kongregationen den gesamten
höheren Laienunterricht für katholische Iren in die Hand nahmen. In
diesen Schulen, in denen die Mehrzahl der Schüler im ersten Drittel des
19. Jahrhunderts aus Irisch redenden Familien stammte, wurde Englisch zur
Unterrichtssprache gemacht wie in den der Klerikervorbildung dienenden
Unterrichtsanstalten; für guten katholischen Unterricht wurde ausgiebig
gesorgt, aber die irische Sprache erhielt nicht einmal die Stelle einer
modernen Fremdsprache wie Französisch, sondern wurde bis ins letzte
Dezennium des ig. Jahrhunderts ganz ignoriert.
So ausgerüstet traten junge Kleriker und Laien beiderlei Geschlechts,
die aus Irisch redenden Familien stammten, ins Leben. Der in der Schule
gegebene Impuls wirkte weiter, zumal nichts da war, ihn zu parieren. Die
Kleriker, statt an Keating und andere Vertreter der irischen Literatur-
sprache des 17. Jahrhunderts anzuknüpfen und durch ausgiebige Be-
nutzung des Irischen in Religionsunterricht, Predigt und öffentlichem
Leben wneder eine gesprochene Literatursprache zu schaffen, verließen
in der Mehrzahl Maynooth als Englisch redende Iren mit stark national-
irischem Fühlen, aber für die irische Sprache war von ihnen nichts zu er-
warten. Die Laien beiderlei Geschlechts waren in den höheren Schulen
durch die englische Sprache mit einer Literatur vertraut worden, die ihnen
reiche geistige Schätze bot und den Weg zur Weltliteratur ebnete, während
die vor Eintritt in die höhere Schule zu Hause gesprochene, im Unterricht
nicht erwähnte keltische Muttersprache verarmt war, nichts von gedruckter
Literatur aufwies. Dort brauchte man nur zu genießen, hier wäre an-
gestrengte, selbstlose geistige Arbeit nötig gewesen, um dem Irischen im
Anfang des 19. Jahrhunderts wieder zu einer modernen Literatur, wert des
Lesens, zu verhelfen. Dies erklärt, wie die aus der Irisch redenden Be-
völkerung seit Anfang des 19. Jahrhunderts hervorgehenden Laien mit
höherer Bildung ebenso wie der Klerus fast ausnahmslos ihrer Pflicht
gegen die Muttersprache nicht nachkamen.
Die Einwirkung dieser Verhältnisse auf die irische Volksseele konnte
nicht ausbleiben. Die täglich zu machende Beobachtung, daß die besten
Söhne des Volkes — Geistliche und Laien — mit der Aneignung der eng-
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. ^j
lischen Sprache zugleich eine gewisse Verachtung gegen die Muttersprache
zu zeigen begannen, daß sie nicht mehr, als unumgänglich nötig war, davon
selbst Gebrauch machten und sie ihren Kindern vorenthielten, dies alles
mußte allmählich einen tiefen Eindruck auf die Massen machen, Scham
über die eigene, von den Besseren des Volkes verlassene irische Mutter-
sprache ergriff die irische Volksseele, und diese Scham, verbunden mit
anderen Momenten wie der seit 1831 wirksamen englischen Volk.sschule
und der von 1846 ab eintretenden starken Abwanderung aus rein irischen
Bezirken, hat das irische Sprachgebiet im k;. Jahrhundert zusammen-
schmelzen lassen wie ein Schneefeld in der Sonne. Von den 5200000 Be-
wohnern Irlands sprachen 1801 noch annähernd 4000000 Irisch, unter ihnen
mehr als die Hälfte nur Irisch; zwei Generationen nach Gründung von
Maynooth gaben nur mehr 1500000 Iren auf 5820000 Bewohner Irlands
im Zensus (1861) Irisch als ihnen geläufige Sprache an; eine Generation
später (i8qi) hatte sich diese Zahl Irisch Redender fast um weitere 850000
vermindert, nur mehr 38107 waren irische Monoglotten neben mehr als
4000000 englischer Monoglotten, und die 642000, die Irisch neben Englisch
angaben, gehörten überwiegend der Generation über 30 Jahre an: An-
gesehene nordirische Häuptlinge, die mit John O'Neill 1562 nach London
kamen, konnten neben Irisch zwar etwas Latein, aber kein Englisch; nicht
350 Jahre später sendet das irische Volk 84 'nationale' Abgeordnete nach
London, von denen zeitweilig keiner das Wort für 'Kopf oder 'Hand' im
Irischen kannte, geschweige denn imstande war, eine kurze Rede in irischer
Sprache zu halten.
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts fing in Köpfen des jungen
Irland die Erkenntnis zu dämmern an, daß mit dem Verschwinden der irischen
Sprache das letzte entscheidende Bollwerk des Keltentums in Irland gegen
das allmähliche Aufgehen in der angelsächsischen Welt weggerissen werde.
Sie begannen (1876) eine 'Society for the preservation of the Irish language
as a spoken language' zu begründen, von der sich 188 1 die Gaelic Union
for the preservation and cultivation of the Irish language abzweigte, die
1893 in der Gaelic League (ir. Cotniradh na Gacdhilgc) aufging, deren Ziel
ist 'the preservation of Irish as the National language of Ireland and the
cxtension of its use as a spoken language, the study and publication of
existing Gaelic Literature and the cultivation of a modern Literature in
Irish'. In der kurzen Zeit sind einige Erfolge in den beiden letzten
Punkten zu verzeichnen; gelingt es aber nicht in kurzer Zeit, der noch
Irisch redenden Bevölkerung in den westlichen und südlichen Küsten-
grafschaften die Scham vor der irischen Sprache zu nehmen und den
Strom der Auswanderung, der besonders jene Grafschaften von Jahr zu
Jahr weiter entvölkert, zum Stehen zu bringen, dann werden alle Galvani-
sierungsversuche im Osten von Irland nicht verhindern kiWinen, daß noch
im Laufe dieses Jahrhunderts das keltische Idiom Irlands aus der Reihe
der lebenden Sprachen schwindet.
2 4 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Das Keltische All der Wcstküstc Nordbritanniens gab es im S.Jahrhundert zwei
^, j^"* . aneinander erenzende unabhänsfiee Keltenstaaten mit keltischen Sprachen:
Nordbntaiimen. o o o Jr
nördlich der von der Clydemündung nach dem Firth of Forth laufenden
Linie in Scottia minor die im 5. Jahrhundert entstandene Irenkolonie; südlich
genannter Linie, umfassend die dort liegenden heutigen südwestschottischen
Grafschaften und die englischen Cumberland-Westmoreland, der Staat der
noch unabhängigen Briten, der nördlichen Kymri. Als Nachbarn hatten
die Iren nach Osten den unabhängigen Piktenstaat, und die Briten die
Angeln in Northumberland. Um 844 gelang es Kenneth mac Alpin, dem
Irenherrscher in Scottia minor, begünstigt durch die im Piktenreich durch
Vikingereinfa.lle hervorgerufene Bedrängnis, sich des Piktenthrones zu be-
mächtigen und so ein großes Iren-Piktenreich (Albanien) nördlich der
Linie Glasgow-Edinburg zu begründen, an welchem im Verlauf der Name
Scottia (Schottland) haften blieb, nachdem für die Mutterinsel (Hibernia,
Scottia) der aus der Vikingerzeit stammende 'Irland' gebräuchlich geworden
war. In den Kämpfen, die das mächtige Vikingerreich mit dem Stützpunkt
in Dublin und kleineren Reichen in Nordengland in zweiter Hälfte des 9.
und erstem Drittel des 10. Jahrhunderts wechselnd mit dem Staate der
vereinigten Schotten -Pikten und den angelsächsischen Herrschern führte,
standen die Fürsten der nördlichen Briten in Alcluith und Carlisle immer
auf Seiten der Dubliner Normannen. Als nun der letzteren Macht 937
gebrochen war, bemächtigte sich Eadmund von England des Staates
der nördlichen Kymri und teilte ihn 946 mit Malcolm, dem König der
vereinigten Schotten-Pikten, in der Weise, daß der nördliche Teil vom
Derwent bis zum Clyde an Malcolm von Schottland und der südliche Teil
mit Carlisle an England fiel. So schwand ein unabhängiges keltisches
Staatswesen und damit im Verlauf keltische Rede in jenen Strichen.
Anglische Sprache war infolge einer vorübergehenden, aber doch immerhin
länger andauernden Oberherrschaft der Angeln von Bernicia im 7. Jahr-
hundert in dem 946 aufgeteilten Britenstaat schon verbreitet, besonders
in der südlichen Hälfte. Sie machte natürlich bald große Fortschritte auf
Kosten des keltisch-britischen Idioms. Ausgestorben war letzteres zur Zeit
der normannischen Eroberung Englands noch nicht Wann britische Rede
im Norden Englands völlig aus dem Munde des Volkes verschwand, ist
kaimi bestimmbar. Bei den südlichen Kymri in Wales wurde im 14. Jahr-
hundert behauptet, daß zu jener Zeit in einzelnen Strichen Nordenglands
noch britische Rede fortvegetiere, was sehr v/ohl möglich ist. Literarische
Denkmäler hat die Sprache der nördlichen Kymri nicht hinterlassen.
Das Keltische Durch Vereinigung des Piktenreiches mit dem Irenstaat in Scottia
minor um 844 unter einem irisch -keltischen Herrscherhaus war der Aus-
breitung der irischen Sprache über ganz Nordbritannien die Bahn frei.
Mancherlei Umstände hemmten jedoch die Ausbreitung des irisch- keltischen
Idioms. Zu den Südpikten war früh von Bernicia aus anglische Sprache
eingedrungen. Verstärkt wurde dieser Einfluß von 717 an, als die pik-
Schottland.
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. 2 S
tische Kirche sich von der irischen Leitunj^ in lli lossagte und naturgemäß
in engere Beziehung zu dem angelsächsischen Kirchenwesen trat Der
schwerste Schlag aber wurde der irisch -keltischen Sprache in Schottland
durch das nationale Herrscherhaus zugelugt. In den Kämpfen der schottisch-
piktischen und englischen Herrscher im kj. und erster Hälfte des i 1. Jahr-
hunderts um die Grenzen fielen die Würfel dahin, daß der Teil des alten
Northumberland zwischen Tweedmündung und l*irth of Forth an den
Schottenpiktenstaat kam. Damit war ein weiteres Gebiet nichtkeltischer,
englischer Zunge dem Schotten -Piktenreich zugefügt. Der Schwerpunkt
des so entstandenen Staates 'Schottland' lag nicht mehr in den keltisch-
irischen Stammstrichen in Scottia minor, sondern auf der Linie Glasgow-
Edinburg und südlich dieser Linie, also in einem ganz oder zu wesent-
lichen Teilen sprachlich anglisierten Gebiet. Mit der Verheiratung Malcolm
Cennmors mit Margarete, der Enkelin Eduard des Bekenners, vollzog sich
dann auch die sprachliche Verengländerung des seinem Ursprünge
nach keltischen Herrscherhauses. Unter ihm und seinen Söhnen
wurde das Staatswesen in Sprache vollständig verengländert und
nach normannischen Idealen ein Feudalstaat geschaffen. Von da an
(1153) ist Schottland als Staat ein feudales englisches Staatswesen im
Norden Britanniens, das in den Strichen nördlich vom Clyde keltische
Bevölkerung hatte, die das irisch -keltische Idiom redete. Bedrückt
wurde dieses keltische Idiom direkt nicht, aber vom Staate als Luft
behandelt bis zur Zeit der Reformation. So kommt es, daß in diesem
Schottenstaat, der eine irisch-keltische Gründung ist, und der bis in die
Neuzeit die Wurzeln seiner Kraft in irisch-keltischem (gälischem) Sprach-
gebiet liegen hatte, seit dem 13. Jahrhundert eine reiche Literatur in
englischer Sprache sich entfaltete, so daß 'schottisch', das eigentlich
'irisch' (irisch -gälisch) bezeichnen sollte und seit dem 10. Jahrhundert
'albanisch' (albanisch- oder nordbritannisch-gälisch) meint, jetzt zur Be-
zeichnung eines englischen, also germanischen Dialekts wurde. Die
eigentliche schottische Sprache, d. h. das Gälische, verkümmerte mehr und
mehr; für die gebildeten Laien war es Patois, eine selbständige gälische
Literatur kam nicht auf: man nährte sich von den Brosamen, die vom
Tische des Mutterlandes (Irland) abfielen.
Glücklichere Tage schienen für das Gälische Nordbritanniens mit dem
Beginn der Neuzeit anbrechen zu wollen. Zwei Ereignisse führten sie
herbei. Zunächst die Einführung der Reformation in der Mitte des
16. Jahrhunderts: sie wirkte überall fördernd auf Idiome, die unter dem
Druck sie umgebender Literatursprachen verkümmerten; auch das Ciälische
Schottlands empfand diesen belebenden Hauch. Das andere fordernde
Moment liegt auf politischem Gebiet Seit letztem Viertel des im. Jahr-
hunderts und mehr noch mit der 1603 eintretenden Personalunion zwischen
Schottland und England und der V^erlcgung des gemeinsamen Hofes nach
London fing der gesellschaftliche Druck auf das Gälische an nachzulassen:
26 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
die Clanhäuptlinge gälischer Zunge betrachteten ihr Heim wieder als
dauernden Aufenthalt; die Barden fanden an ihnen Förderer, und neben
der protestantisch-kirchlichen Literatur in gälischer Sprache beginnt eine
Bardenliteratur in dem keltischen Idiom Schottlands zu sprießen. Gleichwohl
haben sich die Sprachgrenzen in weiteren zwei Jahrhunderten merklich zu-
ungunsten des Gälischen verschoben: gesprochen wird es heutigentags — aber
schon lange nicht mehr ausschließlich — westlich einer Linie, die vom Firth
of Clyde nordöstlich über Loch Lommond an Dunkeid und Baimoral vorbei
bis Naim am Moray Firth läuft, abzüglich des nördlichen Caithness; zu den
Zeiten der weitesten Ausdehnung reichte Gälisch über diese Linie östlich
in die Grafschaften Perth, Elgin, Banff und Aberdeen hinein. Der Haupt-
grund liegt in Ereignissen des i8. und 19. Jahrhunderts, die zu einer
starken Verringerung der Keltisch redenden Bevölkerung geführt haben.
Die schottischen Hochlande mit ihrer Keltisch redenden Bevölkerung
bildeten das große Reservoir, aus dem die Regimenter aufgefüllt wurden,
die in den verschiedenen Erdteilen für des Weltreiches Interessen zum
Teil hingeopfert werden: so wurden in den Jahren 1740 — 18 10 mehr als
50 Hochländer Regimenter von je 1000 Mann ausgehoben. In den drei
großen Aufständen Schottlands nach Vertreibung der Stuarts (1688) vom
Throne Großbritanniens {i68g, 1715 und 1745) waren es die keltischen
Hochschotten in erster Linie, die in Clantreue für die keltischer Sprache
unkundigen, eine andere Religion begünstigenden Prätendenten aus dem
Hause Stuart sich hinopferten in Schlachten (CuUoden 1746) und nach
Niederwerfung der Aufstände blutige Racheakte, die die Bevölkerung
dezimierten, über sich mußten ergehen lassen. Am schlimmsten hat aber
Landlordpolitik dem keltischen Element der Hochlande mitgespielt. Reiche
Feudalherren haben viele der einstigen Clangenossen, die seit Jahr-
hunderten auf Grund und Boden sitzenden Kleinpächter, erbarmungslos an
den Weg geworfen aus reiner Geldgier, um das eine Tal an einen kapital-
kräftigen Engländer zur Schafzucht für hohen Preis und ein anderes mit
den Höhen als Jagdgebiet an einen Millionär zu verpachten: hierdurch
sind weite Strecken der Hochlande, einst dick besetzt mit Gälisch (Irisch-
Keltisch) redenden fleißigen, kinderreichen Kleinpächtern, zur Wildnis ge-
worden. So wurde die Keltisch redende, nach den Städten Englands,
nach Kanada, den Vereinigten Staaten, Australien auswandernde Be-
völkerung der schottischen Hochlande und Inseln im ganzen 19. Jahr-
hundert fortwährend dezimiert. Im Zensus von 1891 gaben noch rund
255000 Bewohner Schottlands das Keltische (Gälisch) als Umgangssprache
an, unter ihnen waren 45 000 einsprachige Kelten. Erwägt man, daß die
Gesamtbevölkerung des oben umschriebenen heutigen keltischen Sprach-
gebietes Schottlands gleichzeitig nur rund 400000 Seelen betrug, so sieht
man, daß die äußere Position des Keltischen in Schottland noch eine viel
gefestigtere ist als des nahe verwandten Keltischen in Irland trotz der
absolut größeren Zahl der Keltisch redenden Iren. Sie ist aber auch
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. 21
innerlich eine viel gefestigtere, da seit 300 Jahren der Protestanti.smus
mit Bibel, Predigt, Kirchenlied und reicher Erbauungsliteratur in schottiscli-
keltischer Sprache dem Gälischen Schottlands Rückgrat verleiht.
l^ie In.sel Man, die ur.sprünglich wolil von derselben Urbevölkerung i>» K«tiUck«
besiedelt war, die in Britannien und Irland den Kelten vorausging, wurde u^itT
zuerst von britischen Kelten erobert, wie ihr ältester Name Monapia
(Manapia) ausweist. Später eroberten sie irische Kelten, wohl in der-
selben Zeit (3. und }. Jahrhundert), in der sie in Nordwe.stbritannien den
Pikten beistanden und an der Küste von Nord- und Südwales Fuß zu
fassen suchten. Über diese irischen Kelten von Man kam das Vikinger-
zeitalter in allen seinen Phasen noch viel heftiger als über die Mutter-
insel Irland: die Plünderungsperiode (798 — 880), die Zugehörigkeit zum
Dublincr Vikingerstaat (880 — Q90), dann die Herrschaft der nordischen
Beherrscher der Orkneys (bis 1079) und ein besonderes norwegisches
Herrscherhaus, bis die Insel 1206 an Schottland fiel. Diese 450 Jahre
dauernde nordische Periode hat unauslöschliche Spuren hinterlassen:
Runendenkmäler in nordischer Sprache; ein volles Drittel aller heutigen
Ortsnamen der Insel und ein Drittel aller Personennamen aus Anfang des
19. Jahrhunderts sind nordischen Ursprungs; die Manxbezeichnung des
'Parlamentsfeldes' Tynwald ist altnord. jingvöllr. Gleichwohl hat das
irisch-keltische Element der Insel Man dieselbe Assimilationskraft besessen,
die es in Irland bewies, und die Normannen sprachlich assimiliert Der
irisch-keltische Dialekt, Manx genannt, war zur Zeit der Reformation
noch so ausschließlich Sprache der Insel, daß der protestantische Bischof
der Insel Man John Philipps (-}• 1633) es für nötig erachtete, das Book of
common prayer ins Manx zu übersetzen, ja der 1773 gestorbene Bischof
Dr. Hildesley hielt es, trotz der relativ geringen Bewohnerzahl der Insel,
noch für notwendig, die ganze Bibel ins Manx übersetzen und drucken zu
lassen. Zwei Momente führten im 19. Jahrhundert zum Untergang dieses
keltischen Dialekts: die um 1790 beginnende und dami, als die Insel Man
immer mehr Sommerfrische für die großen Städte Manchester und Liver-
pool wurde, steigende englische Einwanderung, sowie die starke Aus-
wanderung der alten Bewohner von Man seit 1823. Nur alte Fischerleute
an der Westküste sind unter den ,S5 000 Englisch redenden Bewohnern
der Insel des keltischen Dialekts von Man noch mächtig; ihre Zahl wird
zwischen 800 und 3000 geschätzt. Die moderne pankeltische Bewegung
macht vergebliche Galvanisierungsversuche mit dem Manx.
Nach den Bergen von Wales strömte seit Ende des 5. Jahrhunderts von lai KviiucW
britischen Kelten aus dem Nordosten und Osten der Insel zusammen, was *" ^•'•'
dem anglischen oder sächsischen Joch sich nicht beugen wollte. Um Platz
zu bekommen, vertrieben sie die keltischen Iren, die sich im 3. und 4. Jahr-
hundert in Nordwales und Strichen von Südwales niedergelassen hatten.
Durch den gewalttätigen Herrscher des an Wales grenzenden Germanen-
staates Mercien, Offa (756 — 795), wurde von dem bis dahin noch unah-
2 8 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
hängig gebliebenen Gebiet ein großes Stück abgerissen, die heutigen
Grafschaften Hereford und Shropshire mit der alten Hauptstadt von Mittel-
wales. Um den Besitz dieser Eroberung zu sichern, zog Offa in Nach-
ahmung der im Norden Britanniens in Trümmern damals zutage liegenden
Wälle Hadrians und Antonins einen großen Wallgraben von der Wye-
mündung im Süden bis zur Deemündung im Norden. 'OfFas Wall' (kymr.
clawdd Oßa)j noch heute an vielen Stellen erkennbar, ist seitdem im
wesentlichen die Grenze zwischen Germanen und Kelten in diesen Strichen
Britanniens geblieben Die außerhalb Offas Graben sitzenden Briten ver-
fielen im Laufe des Mittelalters der Anglisierung. Seit den Tagen der
normannischen Eroberung Englands beginnt, zuerst im Süden in Monmouth-
shire und dann nach der Unterwerfung von Wales unter England (1282)
an der ganzen Ostlinie entlang, ein Eindringen englischer Elemente und
Einschränkung des Gebietes der kymrischen Sprache auf Kosten der
englischen. Heutigentags folgt auf Monmouthshire und einige Grenz-
distrikte in Brecknock-, Radnor- und Montgomeryshire, wo nach dem
Zensus von 1891 weniger als io°/(, Kymrisch redeten, ein Strich im Osten,
wo zwischen lo^o und 85 % kymrische Sprache beherrschen, und dann die
ganze Reihe der Grafschaften im Westen an der irischen See von Ang-
lesey an, wo — mit Ausnahme von Pembrokeshire — mehr als 85% der
Bevölkerung noch Kymrisch als Sprache des täglichen Lebens angaben:
in Anglesey war die Zahl der Kymrisch Redenden 97V2 7o ^'^^ ^^ Distrikten
von Cardigenshire 98^4% ^^^ Bevölkerung; 2^ von den 52 Zähldistrikten
hatten mehr als 857,, und insgesamt 33 Distrikte mehr als 60% Bewohner
kymrischer Zunge. Von der Gesamtbevölkerung von Wales mit 1776405
Seelen bezeichneten sich 910289 als Kymrisch Redende, darunter 508036,
die einsprachige Kelten waren.
Diesem gefestigten äußeren Zustande des Kymrischen entspricht auch
die innere Festigkeit. Die gefährdetste Zeit war von Heinrich VIL (1485) bis
um 1730. Mit Heinrich Tudor, dem Enkel des nordkymrischen Häuptlings
Owen ap Meredydd ap Tudor und der Witwe Heinrichs V. bestieg eine
kymrische Dynastie den Thron Englands; er und sein Nachfolger hoben
alle Ausnahmegesetze gegen Wales auf und taten alles, was die Staats-
raison gestattete, um den Kymren das Einleben mit den Engländern zu
erleichtem. Die Folgen blieben nicht aus. Zuerst verengländerten die
politischen Führer des Volkes, der Adel; dann die Geistlichkeit der in
Wales von dem nationalen Herrscherhaus willig angenommenen englischen
Staatskirche mehr oder weniger. Die literarische Produktion in kymrischer
Sprache w^urde schwächer, und die Sprache, die in dieser Literatur zur
Verwendung kommt, zeigt im Vergleich mit der mittelkymrischen Literatur-
sprache Verwilderung. Nach mehr als einer Seite befand sich so die kym-
rische Sprache am Ende des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts in
derselben kritischen Lage, wie die irische am Ende des 18. Jahrhunderts:
während jedoch der Katholizismus in seinen Einrichtungen der ge-
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. ;q
.schwächten irischen Sprache den Tode.sstreich versetzte, führte von 1730
ab der Prote.stcinti.smu.s von Wale.s der kymri.schen Sprache wieder neue
Leben.skraft zu. Es war die methodi.stischc Heweg-ung", die in Wales zu einer
inneren Reformation führte, zu einem relig^iösen Erwachen (kymr. deffroad
crefyddol) der welschen Ma.ssen,' auf dem sich im Verlaufe von 150 Jahren
nach und nach eine nationale Wiedergeburt des um 1730 scheinbar im
Absterben beg-riffenen Keltentums in Wales vollzog. Die Führer der metho-
distischen Bewegung in Wales, die aus dem Volke stammten, bedienten
sich des verachteten Kymrisch, nicht der kymrischen Sprache zuliebe,
sondern um zu den Herzen der Massen zu reden. Die kymrische Sprache
ward im X'erkehr des Kymren mit seinem Gott zu Ehren gebracht, und
indem man der Masse in Wales das Geschenk des letzten direkten
Sprosses aus dem Hause Tudor, der Elisabeth, die kymrische Bibel (1588)
in die Hand gab und sie zum Lesen und Forschen in derselben anhielt,
wurde die Begierde zum Lesen des Kymrischen und zum Denken über-
haupt geweckt: es wurde so in der wesentlich nordkymrische Rede
widerspiegelnden Sprache der Bibel wieder eine Literatursprache
über den Dialekten geschaffen, ein Ideal hingestellt, nach dem sich Schrift-
steller richteten, die in der Sprache des Volkes zum Volke reden wollten.
Durch Kanzel und Sonntagsschule wurde diese Literatursprache fort-
während dem Ohre auch der Ungebildeten nahegebracht. So erhielt die
kymrische Sprache von Wales wieder Rückgrat. Auf die Schaffung des
welschen Kirchenliedes folgte seit dem letzten Drittel des iS. Jahrhunderts
allmählich ganz allgemein ein sprachliches und literarisches Erwachen
(kymr. dc'ffroad llenyddot) des welschen Volkes, wodurch in einem weiteren
Zeitraum von zwei Generationen das Kymrische wieder zu einer das
geistige Leben von Wales beherrschenden Kultursprache erhoben w^urde,
in der für einzelne Gattungen, wie Lyrik und Novelle, Literaturdenkmäler
von dauerndem Wert vorliegen.
Ob die Lage der keltischen Sprache in Wales am Ende des neuen
Jahrhunderts äußerlich und innerlich noch .so gefestigt sein wird, wie sie
am Schlüsse des ig. Jahrhunderts dastand, unterliegt starken Zweifeln.
Es hat nämlich das letzte Drittel des letzten Jahrhunderts für Wales Ein-
richtungen gebracht, die, wenn auch nicht rasch, so doch auf die Dauer
für die k^inrische Sprache ähnlich verhängnisvoll werden müssen, wie
das mit Gründung des Priesterseminars in Maynooth 1705 in Irland in-
augurierte Unterrichtssystem der katholischen Kirche der irischen Sprache
wurde. Rs brachten das Jahr 1870 Wales ein geordnetes Elementarschul-
wesen, 1889 ein Mittelsrhulgesetz und 1804 ^^ Krönung des Unterrichts-
•systems in Wales eine kymrische Universität, d. h. drei philo.sophi.sche
Fakultäten in Bangor, Aber)'stwith und Cardiff. Dieses ganze 'nationale'
welsche Unterricht.s.sy.stem ist im Prinzip auf Englisch als Landes-
sprache aufgebaut: die Vorlesungen in den Universitäten und der Unter-
richt in den Mittelschulen finden in englischer Sprache statt, KjTnrisch
3 0 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
wird behandelt wie eine Fremdsprache, also wie Französisch und ist
nicht einmal obligatorischer Unterrichtsgegenstand; selbst in den kymrischen
Elementarschulen kann Kymrisch nur als Unterrichtsgegenstand eingeführt
werden, sofern die nächsten lokalen Aufsichtsbehörden dies gestatten oder
wünschen. Wie lange das Kymrische bei diesem Unterrichtssystem das Feld
behaupten kann, hängt davon ab, wie stark sich die Dämme für die kym-
rische Sprache ausweisen werden, die heutigentags gegen die anglisierenden
Einflüsse des welschen Unterrichtssystems vorhanden sind; es sind: eine
reiche, schöne Buchliteratur — die Gesamtsumme der von 1801 — 1898
veröffentlichten Werke und Werkchen, nicht etwa Exemplare oder Bände,
in kymrischer Sprache beträgt 8425 — in moderner Sprache und eine
reiche periodische Literatur, die 1895 in 2 Vierteljahrsschriften, 2 Zwei-
monatsschriften, 28 kirchlichen und schönwissenschaftlichen Monatspubli-
kationen und 25 Zeitungen (Wochenausgaben) in kymrischer Sprache be-
stand; sodann die kymrische Bibel und die beiden Eckpfeiler des non-
konformistischen Protestantismus, Kanzel und Sonntagsschule.
Das Keirische Die in die zwischen Severnbucht und Kanal gelegene südwestliche
in cornw . j^g^j|-,jj^sgl Britanniens sich drängenden Briten gerieten vom 7. Jahrhundert
ab unter sächsischen Einfluß und 823 endgültig unter sächsische Herrschaft.
Die Rückwirkung auf die Sprache konnte nicht ausbleiben: Sommerset
und Devonshire waren im ausgehenden Mittelalter anglisiert; in Cornwall
war bei Einführung der Reformation die keltische Sprache, das Kornische,
neben dem Englischen schon so weit zurückgetreten, daß ein Bedürfnis, es
als offizielle Sprache des protestantischen Gottesdienstes zu verwenden,
nirgends mehr vorhanden war; es wurden daher auch weder die grund-
legenden Werke der anglikanischen Kirche noch die Bibel ins Kornische
übersetzt. Die Sprache starb im 18. Jahrhundert aus: der Sage nach soll
die am 26. Dezember 1777 im Alter von 102 Jahren gestorbene Fischer-
frau Dolly Pentraeth aus Mousshole die letzte Kornisch sprechende Person
gewesen sein. Phantasievolle Pankeltisten am Ende des 19. Jahrhunderts
träumen davon, das Kornische wieder zu beleben.
Das Keltische Die vor dem Ansturm der Sachsen im 5. und 6. Jahrhundert in großen
in der Bretagne. Sphären nach der aremorikanischen Halbinsel aus Südbritannien flüchten-
den Briten hatten, wie wir sahen, bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts ihr
Gebiet immer mehr nach Osten in der neuen, Britannia minor genannten
Heimat ausgedehnt. Nach Abschüttelung des fast ein Jahrhundert dauern-
den Vasallenverhältnisses zum Frankenreich der Karolinger (841 — 845)
gründete der Bretonengraf Nominöe einen unabhängigen bretonischen Ein-
heitsstaat in den ungefähren Grenzen der heutigen fünf Departements Finistere,
C6tes-du-Nord, Morbihan, Loire inferieure und Ille- et- Villaine. Die Sprach-
verhältnisse in diesem Bretonenstaat in zweiter Hälfte des 9. Jahrhunderts
waren die, daß das Gebiet östlich einer Linie von Mont Sant Michel an
der Couesnonmündung im Norden bis zur Loiremündung im Süden, also
die östlichen Hälften der Departements Ille -et- Villaine (mit Rennes) und
A. Die keltischen Sprachen. I. Die Geschichte der keltischen Sprachen. 31
Loire inferieure (mit Nantes), rein romanisches Sprachgebiet war; westlich
der genannten Linie lag eine breite Zone, in der das Bretonische schon
vorherrschend war, aber die alte romanische Bevölkerung noch nicht völlig
sprachlich assimiliert hatte; daran schloß sich, wesentlich in den Grenzen
der heutigen Niederbretagne, das geschlossene rein bretonische Sprach-
gebiet Mit dem Jahre 907 kamen über Britannia minor Schreckenszeiten,
wie die gewesen waren, denen die Vorfahren der Bretonen im 5. und 6. Jahr-
hundert durch die Flucht zu entgehen suchten: die Normannendrangsal,
die bis 037 dauerte. Sie lastete naturgemäß am schwersten auf den öst-
lichen Teilen des Landes, aus dem bretonische Mönche, Klosterinsassen
und Edle flüchteten. Dadurch wurde die bretonische Sprache in dem ö.st-
lichen an das rein bretonischc Sprachgebiet angrenzenden gemischt-
sprachigen Strich stark geschwächt Als dann die Normannenbedrückung
aufhörte, geriet die Herzogs würde des bretonischen Einheitsstaates von
y^c^ — 1006 an die nach Abstammung und Sprache ursprünglich zwar rein
bretonischen, aber in romanischem Sprachgebiet sitzenden gräflichen
Häuser von Nantes und Rennes, womit der politische Schwerpunkt der
iresamtbretagne in den kleineren, erst seit Abwerfung des fränkischen
Joches hinzugekommenen rein romanischen Strich verlegt wurde.
Es machten die Briten in Britannia minor von 939 an mit ihrem nationalen
Herrscherhaus ähnliche Erfahrungen wie die Iren der Irenkolonie in Scottia
minor mit dem ihrigen seit den Tagen Malcolm Cennmors (1057). Analoge
Wirkungen auf die sprachlichen Verhältnisse zeigten sich hier wie dort.
In dem zwischen rein bretonischem und rein romanischem Sprachgebiet
liegenden gemischtsprachigen Gebiet empfing nicht das stark geschwächte
liretonische Stütze, sondern durch den Einfluß des sprachlich romanisierten
Hofes, der hohen Geistlichkeit und Aristokratie, das Romanische. So
findet eine allmähliche Rückromanisierung des alten bretonischen Sprach-
gebietes im Osten statt, und im 11. bis 12. Jahrhundert ist neben die
immer rein romanische Zone im Osten (Grafschaften Rennes und Nantes)
eine breite Zone früheren bretonischen Sprachgebietes — umfassend die
alten Diözesen Dol, St Malo, St Brieuc ganz und Vanncs zum Teil —
getreten, die entweder schon vollständig französisiert oder doppelsprachiges
Gebiet mit Überwiegen des Französischen ist Im \'erlauf ist dann diese
Zone für die bretonische vSprache vollständig verloren gegangen, so daß
seit dem 13. bis 14. Jahrhundert eine Linie, beginnend im Norden bei
l'louha (westlich von der Baie de S. Brieuc) und endigend an der Villaine-
mündung im Süden, die Grenze zwischen keltischer und romanischer Zunge,
zwischen Bretonisch und Französisch bildet Diese Linie hat bis Ende
des H). Jahrhunderts keine nennenswerte Verschiebung erfahren. Westlich
von ihr, also in dem Departement Finistere und den westlichen Teilen der
Departements C6tes-du-Nord und Morbihan, gab es 1885 nach einer ge-
nauen Berechnung eines französischen Gelehrten i 300000 Bewohner, die
Bretonisch reden konnten, auf eine Gesamtbevölkerung von i 360000;
3 2 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
670000 von der angegebenen Zahl sollen nur das keltische Idiom verstanden
haben. Diese Zahlen sind für die Gegenwart zu hoch. Es haben seit
1870 verschiedene Faktoren auf die bretonische Sprache eingewirkt, deren
Folgen um 1885 noch wenig in Zahlen greifbar in die Erscheinung traten,
nach Ablauf eines Vierteljahr hunderts und weiterhin aber immer mehr.
Solche Faktoren sind: die Kleinkinderschulen, sowohl die kommunalen
salles d'asile als auch die von katholischen Kongregationen geleiteten so-
genannten christlichen, die so gut wie rein französisch sind; die staatlichen
Volksschulen, aus denen die bretonische Sprache aufs strengste verbannt ist
und nicht einmal als Hilfsmittel zur Erlernung des Französischen verwertet
werden darf; die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, wonach die
Bretonen, die früher in besonderen Regimentern mit Bretonisch verstehen-
den Offizieren vereinigt waren, unter französische Regimenter des Ostens
zerstreut werden; endlich das energische Eintreten der hohen und, zum
Teil wenigstens, niederen Geistlichkeit für die französische Sprache im
Gottesdienst und Religionsunterricht. Die Wirkungen all dieser Faktoren
auf die bretonische Sprache treten in den der Debretonisierung am
ehesten ausgesetzten Strichen schon dahin zutage, daß das durch Kinder-
schule und Elementarschule französisierte Kind mit der im selben Hause
lebenden einsprachigen Großmutter sich vielfach nur mehr durch Gesten
unterhalten kann. Das heutige bretonische Sprachgebiet in der Nieder-
bretagne ist daher äußerlich nicht mehr so kompakt noch die Sprache
innerlich so gefestigt, wie es nach jener Schätzung von 1885 den An-
schein hat.
Gesamtzahl Die Gesamtzahl der im Beginn des letzten Dezenniums in den vier
Strichen der Celtic fringe und der Bretagne keltische Sprachen Redenden
betrug demnach 3148000, unter ihnen i 271 000 keltische Monoglotten.
Sie hat seitdem in vier von den fünf Sprachgebieten entschieden abge-
nommen, so daß die Zahlen 3000000 keltische Sprachen Redender mit
I 000 000 Monoglotten für die Gegenwart eher zu hoch als zu niedrig ge-
griffen sind. Zu ihnen treten noch all die Kelten, die fern von Kelten-
landen in der Diaspora ihre keltischen Dialekte bewahrt haben.
Das Keirische Keltisch redende Iren sind seit den Tagen Cromwells zahlreich über
den Ozean nach der 'neuen Insel' {oilean ür) gewandert; besonders stark
wurde diese Auswanderung nach Amerika, England und anderen Teilen
des britischen Weltreiches seit der großen Hungersnot in Irland, wodurch
die 1841 noch 8 iq6 597 Seelen zählende Bevölkerung Irlands trotz großen
Geburtenüberschusses auf 4725000 im Jahre 1891 sank und weiter sinkt.
Kurzsichtige Landlordpolitik treibt seit 150 Jahren Gälisch redende Hoch-
schotten aus ihren Tälern und von den Inseln in Scharen nach den Ver-
einigten Staaten von Amerika, nach Kanada und in die großen Städte
Niederschottlands und Englands.
Was Wales anlangt, so soll nach einer im 16. Jahrhundert aufge-
kommenen Sage, an die man aber lange in Wales fest glaubte, Madoc,
der Kelrisch
Redenden.
in der Fremde.
A. Die kcltisrlu-n .sprachen I. i>ic ».csiiiuhtc der keltischen Sprachen. ^^
der Sohn des nordwel.schen Fürsten Owein (iwynedd (11.57 — 'löc^), mit
zehn Schilfen und einer ganzen Kolonie Kymren, Männern und Frauen,
nach Amerika gefahren .sein, woselbst sie sich mit den Indianern ver-
mischten und Vorfahren von Stämmen weißer Indianer wurden, die Kym-
risch redeten; noch 1801 beschwor ein nach Wales heimkehrender frommer
Mann, daß er in Washington in einem Hotel mit Kymrisch redenden
Häuptlingen solcher weißen Indianer gesprochen. Eine tatsächliche Aus-
wanderung von Kymren nach Xordanierika hat seit den Tagen der 'Pilger-
väter' ununterbrochen stattgefunden, und modernes Kymrisch wird weit
und breit in den Vereinigten Staaten von welschen Einwanderern oder
Nachkommen von solchen geredet. Auch London und Liverpool bergen
unter ihrer Bevölkerung einen Strom von kymrischen Einwanderern, die
keltische Sprache weiter reden. Die Xiederbretiigne endlich sendet seit
Dezennien den Überschuß seiner Bevölkerung nach Paris, Havre und
anderen Städten Frankreichs, wo manche noch in die nächste Generation
das keltische Idiom der Bretagne hinüberretten.
Überschaut man diese Kelten in der Fremde, so kann in bezug auf
ihr Verhältnis zu den aus der Heimat mitgebrachten keltischen Sprachen
ein durchschlagender Unterschied nicht verkannt werden. Die wesent-
lich katholischen Kelten [Ireu und Bretonen) beweisen in der Diaspora
eine viel geringere sprachliche Widerstandskraft als die wesentlich pro-
testantischen Kelten (Kymren und Hochschotten). Die großen welschen
Kolonien in London und Liverpool haben jede ein Zeitungsorgan in
kymrischer Sprache; welsche Nonkonformisten sammeln sich an beiden
Orten Sonntags in ihren Kapellen, singen die schönen Kirchenlieder in
kymrischer Sprache und unterhalten sich mit Gott in kymrischer Sprache.
Die Zahl der Iren mit keltisch-irischer Umgangs.sprache, die seit den
Tagen der großen Hungersnot nach London zogen und Lancashire über-
fluteten, ist eine größere als die aller Kymren in Wales und England zu-
sammen: wenn sie aber heutigentags sich vereinigen, schelten sie auf
ihre englischen Brotgeber in englischer Sprache. Nicht anders steht es
mit der irischen Sprache in Amerika, während zahlreiche kymrische Ge-
meinden aller nonkonformistischen Sekten mit Kymrisch in Kirche und
Sonntagsschule existieren; keine Zeitung in irischer Sprache dort,
während 1893 in den Vereinigten Staaten drei Wochenzeitungen in kym-
rischer Sprache und eine in der kleinen kymrischen Kolonie in Patagonien
erschienen, nachdem acht Zeitungen in kymrischer Sprache im Laufe des
19. Jahrhunderts eingegangen sind; keine Zeitschrift in irischer Sprache
in den Vereinigten Staaten, aber 1893 deren vier in kymrischer Sprache.
In Kanada angesiedelte protestantische Hochschotten haben seit 1802 in
dem in Sidni (Cape Breton) auf Nova Scotia erscheinenden Mac-Talla ein
Organ ausschließlich — die zahlreichen Annoncen nicht ausgenommen —
in schottisch -gälischer Sprache, während die gesamte Keltisch redende
Irenwelt in allen fünf Weltteilen, Irland eingeschlossen <rst «...jt 1898
L>a KuiTVK OUI G»OW«WA>T. 1. 1:. I.
^_j. Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. 1. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
'a weekly bilingual Newspaper' (zuerst Fäinne an lae, dann An claidheainh
Sohns\ in Dublin besitzt, in dem vorsichtigerweise alles Wissenswerte zu-
dem wesentlich in englischer Sprache mitgeteilt wird.
Die Gründe für dies verschiedene Verhalten der Kelten in der
Diaspora — die Bretonen sind nicht anders wie die Iren — zu ihren
keltischen Muttersprachen liegen auf der Hand. Wo immer der nonkon-
formistische Hochschotte oder Welsche mit einer keltischen Mutter-
sprache hinzieht, da begleitet ihn seine Bibel und der reiche Schatz
von Kirchenliedern in dieser Sprache; wo mehrere Angehörige g^e-
nannter Sprachen sich treffen, da versucht ein Beredter unter ihnen
— und welcher Kelte ist dies nicht — in der Muttersprache die Ver-
bindung mit Gott auch in fremden Landen herzustellen. Bibel, Gesang-
buch, Predigt und die Sonntagsschule werden somit für den wesentlich
protestantischen Kymren und Hochschotten ein meist auf Generationen
vorhaltendes Bollwerk gegen den Verlust ihrer keltischen Idiome, in
anderer Lage ist der katholische Ire und Bretone in der Fremde. Der-
artige Stützen für seine Muttersprache, die um so kräftiger sind, weil
sich der weniger Gebildete ihrer gar nicht bewußt wird, bietet ihm der
katholische Kultus, der überall in seinem Höhepunkt die lateinische
Sprache verwendet, weder daheim noch in der Fremde.
Die Zahl der noch Keltisch Redenden in der Fremde läßt sich schwer
genau bestimmen. Von der Summe von 228000 Welschen, die — in
Wales geboren — nach dem englischen Zensus von 1891 außerhalb Wales
im vereinigten Königreich lebten, konnten nach einer sorgfältigen Be-
rechnung 136000 Kymrisch reden; ihre Zahl in Amerika (Vereinigte
Staaten, Kanada, Patagonien) ist sicher mindestens ebensogroß. Nach
einer Schätzung von Ende 1898 sollen in Paris und einigen Departements
von den aus der Xiederbretagne stammenden Bretonen rund 70000 des
Bretonischen sich im Hause bedienen. Rechnet man alles zusammen, was
außerhalb der Celtic fringe und der Niederbretagne von Kelten in der
weiten Welt eine der fünf keltischen Sprachen noch sprechen kann, mag
immerhin eine Million herauskommen, so daß die Gesamtsumme aller
'Keltisch' reden könnenden Individuen vier Millionen betrüge, worunter
eine Million keltischer Monoglotten.
Das U. Charakteristik und Gliederung der keltischen Sprachen.
Altkeltische, jj^ neucrcr Zeit hat man in Anknüpfung an eine sagenhafte Erzählung bei
Livius von einer festen politischen Einheit der Kelten in den Zeiten
ihrer Ausbreitung und größten Machtentfaltung in Europa vom 5. bis An-
fang des 3. Jahrhunderts v. Chr. geredet, von einem keltischen Kaiserreich
unter Ambicatus sowie dessen Vorgängern und Nachfolgern, das durch
zwei Jahrhunderte und mehr eine feste traditionelle Politik hatte: die rück-
wärts sitzenden unterjochten Germanen hielt man unter eiserner Fuchtel,
und mit den Griechen standen die Kaiser des 'Celticum' im Bündnis
A. Die keltischen Sprachen. II. Charakteristik u. (iliederunj; der keltischen Sprachen.
gegen KarthagiT, Ktrusker (dann Römer) und Illyrier. In erster Linie
durch Aufgabe dioscr traditionellen Politik im Beginn des ]. Jahr-
hunderts V. dir. .soll der Rückgang de.s Keltentum.s seit jener Zeit ver-
schuldet sein. Das ist natürlich ein Phantasiegebilde, entworfen nach dfin
Rezept, die goldene Zeit in der Vergangenheit zu suchen.
Aber eine Einheit, wenn auch keine politische, bestand unter tien i»' i r.h«! 4-«
Kelten, als dieselben an den Mündungen der Donau, des Rheines, der ^''^'■'"•''»«
Seine, Loire, des Duro, der Rhone und zu beiden Seiten des Po saßen,
und diese Einheit erstreckte siih auch auf die kleinasiatische Kolonie der
Kelten und die vorgeschobenen Keltenstämme der britischen Inseln.
Diese Einheit war eine innere und sie war aller Wahrscheinlichkeit na< h
eine größere, als wir nach den mangelhaften Dokumenten aus dem Alter-
tum beweisen können. Sie war in erster Linie basiert auf der sprach-
lichen Einheit der Kelten des Altertums gegenüber griechischer, italischer
und germanischer Rede. Mannigfache andere, innere Bande traten hinzu,
von denen hier nur weniges beriihrt werden kann. Dieselben drei lite-
rarischen Stände treffen wir überall bei Kelten des Altertums und bei Insel-
kelten bis tief ins Mittelalter, und zwar mit denselben Namen: die Druiden,
Vaten und Barden. Ehe Alexander der Große seine Heerfahrt nach
Asien antrat, unternahm er einen Zug zur Bestrafung der streitbaren illy-
rischen Völkerschaften; eine Gesandtschaft der Donaukelten erschien in
seinem Lager und schloß mit ihm ein Bündnis, das sie nach Arrians Bericht
durch folgenden nationalen Eid bekräftigten: 'Wenn wir den Vertrag nicht
halten werden, so soll der Himmel auf uns fallend uns zerschmettern, es
soll die sich öffnende Erde uns verschlingen, es soll das über die Ufer
tretende Meer uns überfluten'. In dem größten altirischen Sagentext,
'Rinderraub von Cualnge', wird erzählt, wie das abgeschlagene Haupt des
Sualtam dem Ulsterherrscher zubrüllte 'Männer werden gelittet, Weiber
geraubt, Herden weggetrieben'; dann fährt der Sagentext fort: 'Ein wenig
/u groß ist dieses Geschrei, sagte Conchobar, denn der Himmel ist über
uns, die Erde unter uns und das Meer um uns herum. Deshalb, wenn
nicht das Eirmament mit seinen Stemenschauem auf der Erde Antlitz fallen
wird, oder wenn nicht die Erde infolge eines Erdbebens bersten wird,
oder wenn nicht der in Ufern eingeschlossene blaugeränderte ( )zean über
das Stinihaar der Erde flutet, werde ich jede Kuh zu ihrer Hürde und
jede I'rau zu ihrem Heim zurückbringen'. Als im Verlauf des Entschei-
dungskampfes eben dieser Conchobar bemerkt, daß er an entfernten Stellen
des Schlachtfeldes selbst nachsehen und eingreifen müsse, *da sagte sein
Gefolge: Wir werden diesen Ort halten, denn der Himmel ist über un.s,
die Erde unter uns und das Meer um uns herum. Wenn nicht das Fir-
mament mit seinen Stemenschauem auf der Erde Antlitz fallen wird,
oder wenn nicht der in Ufern eingeschlossene blaugeräniierte Ozean über
das Stirnhaar der Erde fluten wird, oder wenn nicht die Erde brechen
wird, werden wir keinen Zollbreit zurückweichen bis zum Anbruch des
3*
36 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
(jüngsten) Gerichtes und des (ewigen) Lebens, bis du wieder zu uns
zurückkommen wirst'. Der keltische Eid ist also derselbe bei illyrischen
Kelten und bei irischen, in erster Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. und in
der irischen Heldensage im 9. und 10. Jahrhundert n. Chr. Als Alexander die
Gesandten der illyrischen Kelten entließ, da gab er ihnen, wohl um den
von ihnen geleisteten Eid etwas zu befestigen, neue Goldmünzen mit dem
Bildnis seines verstorbenen Vaters Philipp: vom Ende des 4. Jahrhunderts
ab finden sich dann in Südgallien dem Goldstater Philipps II. von Maze-
donien nachgeahmte Goldmünzen, und um 150 v. Chr. schlugen keltische
Fürsten in Südbritannien rohe, diesen nachgeahmte Goldmünzen.
Auf der Einheit der Sprache gegenüber griechischer, italischer und
germanischer Rede beruht jedoch in erster Linie die Einheit der Kelten
im Altertum. Wo Kelten sitzen, finden wir Namen von Städten in Fülle,
die als zweites Glied das keltische Wort dunon (altir. düriy altkymr. diri)
'befestigter Ort' enthalten: Cambodunum in Yorkshire, Moridunum in
Wales, Senodunum in Irland, Caladunum in Portugal, Estledunum in
Andalusien, Lugdunum in Frankreich und Holland, Cambodunum (Kempten)
in Bayern, Lugidunum in Schlesien, Eburodunum in Mähren, Carrodunum
in Kroatien, Singidunum in Serbien, Noviodunum in Rumänien ist eine
kleine Auslese aus den mehr als 100 Ortsnamen auf -dünum in Kelten-
landen. Nicht viel weniger zahlreich sind die Ortsnamen auf briga 'An-
höhe, befestigte Anhöhe' (gleich germ. -bürg), -uiagus 'Feld' (altir. mag,
altkymr. 7nag). Begreiflich bei dem Wandertrieb der Kelten und den
damit verbundenen Neuansiedelungen sind die zahlreichen Ortsnamen, die
als erstes Glied das keltische Adjektiv novios 'neu' (altir. nüe, altkymr.
noiiid) enthalten: Noviodunum 'Neuburg' findet sich für g Orte im heutigen
Frankreich, je einen in Oberitalien, Schweiz, Pannonien und der Dobrud-
scha; Noviomagus 'Neufeld' für 12 Orte in Frankreich, je einen in
Britannien, Holland, Belgien, Rheinprovinz und bayerische Pfalz. Ebenso
charakteristisch für die Keltengebiete sind die Ortsnamen auf -äcum (-äcus,
äca), besonders bei kleineren Orten: es sind ursprünglich Adjektiva, gebildet
mit dem auch in den Keltensprachen des Mittelalters und Neuzeit gebräuch-
lichsten Adjektivsuffix, die, meist von einem Personennamen abgeleitet,
die von dieser Person begründete oder besessene Ansiedelung bezeichnen.
Denkmäler des Eigentlich literarische Denkmäler in altkeltischer Sprache d. h. der in
Aitkeitischen. ^^^ Tagen der Völkerwanderung verschwundenen Sprache der kontinen-
talen Kelten und der Inselkelten haben wir so gut wie nicht, aber doch
eine solche Fülle von Sprachüberresten, daß wir uns in mancher Hinsicht
ein ziemlich klares Bild von diesem Ast des indogermanischen Sprach-
stammes machen können. Die Quellen des Altkeltischen sind wesentlich
folgende: i. Keltische Wörter, die uns bei griechischen und lateinischen
Schriftstellern in ihren Berichten über die Kelten überhaupt oder einzelne
Stämme überliefert werden. 2. Keltische Wörter, die in ziemlicher Fülle
in die Sprache der Germanen und Römer als Lehnwörter übergegangen
A. Die keltischen Spraclicn. II. CharaktcribUk u. (ilicderunt; der kciti&clien Sprachen. jj
sind, wo sie entweder durch ihre Lautgestalt sich als Kindrinj^linge
erwiesen oder von römischen Schriftstellern als solche denunziert werd«'n,
und die vielfach direkt oder in Ableitungen in den mittelalterlichen und
modernen Phasen des Inselkeltischen vorkommen. .?. Zahlreiche Namen von
keltischen Persönlichkeiten und ( )rtlichkeiten bei Schriftstellern des Alter-
tums. 4. Noch zahlreichere Namen beider Gattungen in den lateinischen
Inschriften Spaniens, Britanniens, Galliens, der beiden Germanien, Ober-
italiens und der Üonauländer. In großer Mehrheit sind diese Namen unter
.^ und 4 zweigliedrig und die Bedeutung der beiden Glieder ist meist
aus dem Sprachmaterial der jüngeren Dialekte des Inselkeltischen sofort
klar. 5. Namen auf Münzen und Hausgeräten (Töpferwaren). 0. Inschriften
in keltischer Sprache, gefunden in Oberitalien und I^Vankreich, in nord-
etruskischem, griechischem und lateinischem Alphabet: 30 an der Zahl,
darunter ein fünfjähriger Kalender. 7. Ein kleines in Südgallien im
5. Jahrhundert entstandenes Glossar, in welchem vulgarlateinische (roma-
nische) Wörter keltischen (gallischen) Ursprungs erklärt werden.
Aus diesen Quellen läßt sich das altkeltische Wörterbuch in bedeuten- i>», verioitBia
dem Umfang herstellen, namentlich soweit Substantive und Adjektive in <*" ^''^«*''»^'*»
Betracht kommen ; in wesentlich geringerem Umfang sind die anderen tinecbuch«!.
Redeteile vertreten, fast gar nicht der wichtigste, das Verbum. Es ergibt sich
I.itani»cbea usd
hieraus, daß für die F"lexion des Altkeltischen — sieht man von den Rück-
schlüssen ab, die die mittelalterlichen Phasen des Inselkeltischen gestatten
— sich nur einigermaßen ein Bild für die Nominalflexion gewinnen läßt.
Dagegen ist die Lautlehre, sowohl X'okalismus als Konsonantismus, voll-
kommen klar erkennbar und lehrt deutlich die Einheit des Altkeltischen
und sein Verhältnis sowohl zur indogermanischen Ursprache als zu den
Sprachen der verwandten Griechen, Italer, Germanen. Von den Sprachen
dieser drei die Keltenwelt umgebenden indogermanischen Sprachäste hebt
sich das Altkeltische in einer Reihe von Punkten scharf ab, von denen zwei
aus dem Vokalismus und zwei aus dem Konsonantismus hervorgehoben
seien: i. altkeltisch ist altes indogerm. r mit dem Laute / zu i zusammen-
geflossen; 2. die indogermanischen Sonanten r und /, die im Griechischen
durch ni, /ti, im Lateinischen und Germanischen durch or, ol {iify ul) ver-
treten sind, erscheinen im Altkeltischen als ri und U {-bri^a gleich genn.
burgy •rifiitn gleich lat porfusy germ. /ur{)\ 3. das indogermanische p ist
im Anlaut und Inlaut, soweit es nicht in wenigen Fällen an anderen Konso-
nanten Halt hatte, spurlos geschwunden (tirv- aus pure-, ritum aus pritum
gleich lat portiis^ germ. ////•/; vir- aus iipcr)\ 4. die indogerm. Media-
aspiraten, die im Griechischen zu Tenuisaspiraten (x, 6, <p), im Italischen
zu tonlosen Spiranten mit Weiterentwickelung und im Germanischen zu
Medien verschoben wurden, sind im Altkeltischen mit den alten Medien
vollständig zusammengefallen. Zieht man die Sprachen des Inselkeltischen
seit dem 7. Jahrhundert mit in Betracht und erwägt, daß alle Punkte, in
denen sie indogermanisches Erbe treu bewahrt haben, auch in dem Alt-
38 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Sprachcu. Literatur d. Kelten im allgem.
keltischen müssen vorhanden gewesen sein, dann ergeben sich aus der
Flexionslehre noch viel mehr Momente, die für die aUkeltische Sprach-
einheit im Gegensatz zmn Griechischen, Italischen und Germanischen an-
geführt werden können. Auch hier seien nur vier Punkte ausgewählt: i. aus
altir. teoir, cetheoir^ dem Femin. zu tri^ cefJiir, und altkymr. /«/-, peteir zu
triy petgiiar ergibt sich, daß das Altkeltische den wunderbaren Flexions-
unterschied bei der Drei- und Vierzahl bew^ahrt hatte, den kein anderer indo-
germanischer Sprachstamm Europas kennt; 2. einen Infinitiv als Teil des
Verbalsystems hatte das Altkeltische nicht, nicht einmal die Anfange einer
solchen Ausbildung, stand also an Altertümlichkeit noch über der ältesten
Periode altindischer Rede, von den klassischen Sprachen und Germanisch
ganz zu schweigen; 3. auch in der treueren Bewahrung des altindo-
germanischen Verbalakzentes — sowohl hinsichtlich der Stellung desselben
als der Bedingungen für die verschiedene Betonung derselben Verbalform
— stand das Altkeltische der ältesten Phase des Altindischen nicht nach
und hob sich in Bewahrung der ursprünglichen organischen Mannigfaltig-
keit von der zwar verschiedenen, aber schematischen Regulierung im
Griechischen, Italischen und Geniianischen ab; 4. am treuesten aber von
allen indogermanischen Sprachen aller Perioden hatte das Altkeltische
eine Erscheinung des Indogermanischen bewahrt, in der noch ganz moderne
keltische Sprachen dem ältesten Indischen oder Griechischen überlegen
sind. Es predigte laut die Tatsache, daß die kleinste gefühlte Einheit
indogermanischer Rede nicht das einzelne Wort war, sondern der kurze
Satz und seine Untereinheiten von näher zusammengehörigen Wörtern,
als da sind: Substantiv und Adjektiv, Substantiv und abhängiger Genitiv,
zusammengehörige Pronomina und Substantive, Präpositionen und Substan-
tive, Verb Substantiv (Kopula) und Nomen, Verbalform und nominales
Objekt. Zwischen ihnen, d. h. zwischen dem Auslaut des einen und dem
Anlaut des anderen, herrschen dieselben lautlichen Einwirkungen (Assimi-
lationen und Dissimilationen) wie zwischen den Silben und Teilen eines
Wortes selbst, und die Nachwirkungen dieser lautgesetzlichen Wandlungen
in den jüngeren Stufen des Inselkeltischen sind derart, daß, wenn ein
moderner Grammatiker mit plumper Hand die Einheit z. B. eines kymrischen
Satzes zerreißt, manches Wort ihm mit vierfachem Anlaut zwischen
den Händen bleibt: einmal dem ursprünglichen in der Isoliertheit, also
dem Anlaut, der im Griechischen, Italischen und Germanischen Wortanlaut
ko-t' eEoxriv geworden ist, und einem auf dreifachem Wandel beruhenden,
je nachdem das vorhergehende Wort vokalisch, nasal oder konsonantisch
in keltischer Urzeit auslautete; also kymr. penn 'Kopf: dy benn Mein Kopf,
fy mhenn 'mein Kopf, ei phenn 'ihr Kopf, oder täd 'Vater': dy däd 'dein
Vater', fy nhäd 'mein Vater', ei thäd 'ihr Vater'. Diese den ganzen
Organismus des Irischen und Kymrischen noch heute beherrschenden Satz-
wandlungen sind von dem Satzsandhi des Indischen so verschieden, wie
blühendes Leben von einem verknöcherten, pedantischen Stubengelehrten.
A. Ulf kcluscijcn hpiachcn. 11. Charakteristik u. (.iliciicrunj; der keltischen Sprachen. in
Anzunelinicn, daß die sprachliche Kinheit des Altkeltischen dialektische i*
Unterschiede ausschließe, widerrät schon ein Blick auf die aus \ ielen ^ """^^ '
Denkmälern wohlbekannten sprachlichen Verhältnisse der Griechen und
Italiker zur Blütezeit des Altkeltischen (4. und 3. Jahrhundert). Sicher ist, daß
auf einem (iebi<'t des Altkeltischen dialektische Unterschiede bestanden, auf
den britischen Inseln. Drei kennen wir dort sicher. Die indogennanischen
sonantischen // und /// vor Konsonanten, die im Altindischen und Griechischen
durch a, im Lateinischen durch in, cm, im Gennanischen durch //«, um
vertreten sind, waren im Altktjltischen Irlands cn, rm, aber im Altkeltischen
Britanniens an, um: man sagte dort kenton 'Hundert', nrgcntou 'Silber'
(altir. clt^ arget) hier kantun, arganton (altk}mr. cun/, tirianf). Femer war
die indogermanische Anlautverbindung sr im Altkeltischen Britanniens zu
Jr geworden, so daß einem irisch -altkeltischen sruttis oder srutis (altir.
sruth) 'der Strom' im Britisch- Altkeltischen ein frutus oder frutis (alt-
kymr. //■///) entsprach. Tiefer ging noch ein dritter Unterschied. Eine altindo-
germanische Doppelheit gutturaler Tenuis, dahin gehend, daß neben reinen
Gutturalen solche mit labialem Element bestanden, also das im I^tein
durch qu und c repräsentierte Verhältnis, war nur im Altkeltischen der
Bewohner Irlands bewahrt, während gleichzeitig in der keltischen Rede
der Briten die gutturale ienuis mit labialem Kleinent durch Assimilation
zu p geworden war wie in den umbrisch-samnitischen Dialekten des Ita-
lischen: also irisch-altkeltisch cquus 'Pferd', maquos 'Sohn', qucnnon 'Kopf,
aber britisch -altkeltisch cpos, mapos^ pennon. Ein Blick auf das kontinen-
tale Altkeltisch lehrt, daß es in letzterem Punkte auf seiten des britischen
Altkeltisch steht; jedoch ist man in neuerer Zeit auf die Suche gegangen,
ob nicht auf dem weiten Gebiet des kontinentalen Altkeltisch, nament-
lich in Gallien, sich Dialekte befanden, wo dieser Wandel ebenfalls sich
nicht vollzogen hatte: es ist weder unmöglich noch unwahrscheinlich,
aber nicht einwandfrei nachgewiesen. Hinsichtlich der ersterwähnten
Differenz im Altkeltischen der britischen Inseln sprechen altgallisch caudrtum
'Flächenmaß von 100 Fuß' (für cantttum)^ der gewöhnliche Name lantu-
mariis (wo iattlu 'Begierde' gleich altir. tt, kymr. iant in mUUant ist) und
arganto- in Argantomagus und Argnntonins lebhaft dafür, daß das kon-
tinentale Altkeltisch auch in diesem Punkte auf Seiten des britischen
Altkeltisch steht; denn Argcntorate statt zu erwartendem Argantoraic
kann auf lateinischer I^utgebung beruhen, welche Annahme allerdings
gewaltsam erscheint für eine auf einer in Kärnten gefundenen Inschrift
vorkommende Xamensfomi /tnfumarus für die gewöhnliche latttumarus.
Sicher auf Seiten des britischen Altkeltisch steht das kontinentale Alt-
keltisch in der dritten Diflferen/. : Opouiig (die Handschriften lesen irrig
<t>poubi5) ist der altkeltische Xame des heutigen Flusses Somme, und
Frutonius kommt auf einer Inschrift in Spanien vor, während bezeichnender-
weise kein mit sr anlautendes altkeltisches Wort auf dem Kontinent
belegt ist.
^O Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Die Die Nachkommen des Altkeltischen auf den britischen Inseln in Mittel-
''*"^'de^''"^^ alter und Neuzeit scheiden sich nach dem Ausgeführten in zwei Gruppen :
Inselkeltischen. I. die keltisclicn Idiome in Irland, Schottland und auf Man und 2. die
keltischen Idiome in Wales, Cornwall und Bretagne. Die erste Gruppe
bildet das irische Keltisch mit seinen Kolonien, die zweite Gruppe ist
Fortsetzung des britischen Altkeltisch. Die Angehörigen der ersten Gruppe
nennen sich 'Gaelen' (altir. goidhel, neuir. und schott. gäl. gaedheal, ge-
sprochen gael), ihre Sprache 'gälisch' (neuir. und schottisch gaedhealg, ge-
sprochen gaclic, manx gailck). Die Angehörigen der zweiten Gruppe
nannten sich zur Zeit der Auswanderung eines Teiles nach Aremorika
brython, d. h. Brittones, und ihre Sprache brythonec ' die brittonische ', welcher
Name in der Form brezonek die heutige einheimische Bezeichnung des
Keltischen in der Bretagne ist, während in Cornwall die genauere Be-
zeichnung kernuak, cernevek ^komisch' und in Wales cymraeg 'kymrische
Sprache' aufkam.
Der gälische Die Sprache des irischen Zweiges des Inselkeltischen, das Gälische,
Zweig des -g^ ^^ Irland seit dem 7. Jahrhundert überschaubar. Bis tief ins Mittel-
Inselkeltischen. ' •'
gälische, ja bis zum Neugälischen sind in den verschiedenen Strichen des
gälischen Sprachgebietes nur dialektische Unterschiede in der bis Ausgang
des Mittelalters gemeinsamen Literatursprache erkennbar: es ist dies
das sogenannte Alt- und Mittelirische. Zwei Momente führten wesentlich
dazu, die literarische und sprachliche Einheit des gälischen Sprachgebietes
zu zerreißen. Die Folgen der oben dargelegten politischen Zustände Ir-
lands seit der Tudorzeit für seine Sprache ließen den bis dahin domi-
nierenden literarischen Einfluß des Mutterlandes auf die Kolonien schwin-
den; sodann wurde direkt entscheidend die Reformation oder vielmehr das
Verhalten der einzelnen Striche des gälischen Sprachgebietes zur Refor-
mation: Irland blieb katholisch, während das gälische Schottland und Man
die Reformation annahmen. Bezeichnend für die sprachlichen Zustände
jener Zeit ist es, daß für die protestantischen Hochschotten lange gar keine
Übersetzung der Bibel existierte, indem der schottische Geistliche Robert
Kirke dem Bedürfnis der protestantischen Hochschotten glaubte vorder-
hand Genüge zu leisten, daß er die 1603 in Dublin erschienene Über-
setzung des Neuen Testamentes ins literarische Irisch -Gälisch, die mit so-
genannten irischen Lettern gedruckt war, im Jahre 1690 in London mit
lateinischen Lettern für die keltischen Hochschotten drucken ließ und nur
ein kleines Glossar hinzufügte, in welchem für gewisse in den schottischen
Hochlanden obsolet gewordene Ausdrücke der literarischen irisch -gälischen
Sprache die dort gebräuchlichen Wörter gegeben wurden. Also dasselbe
sprachliche Verhältnis wie zur Zeit der Reformation in Deutschland, wo
der Baseler Drucker Adam Petri einem Abdruck von Luthers Übersetzung
des Neuen Testamentes ein ähnliches Wortregister wie Robert Kirke bei-
fügte. Ein weiterer Beleg für die Einheit des gälischen Sprachgebietes
in Irland und der Kolonie in Schottland liegt in dem Worte 'Erse', mit
A. Die keltischen S|)ra(hen. 11. Charakteristik ii. (i\\cdciuu>; <i<i m lll^. um ^j)r.i' m n i|
dem norh hiiT und da bei uns in Anlrhnun^ an den Gebrauch in enj^-
lischer Literatur im 17. und 18. Jahrhundert das keltische Idiom der
schottischen Hochlande bezeichnet wird: Erische, Erysche, Einsehe, Erisch,
Erse nennen die jifermanischen Hewohner Xiederschottlands seit den Taj^en
Barbours (1375) und Wallace 11470) die Sprache der mit ihnen zu einem
politischen Ganzen vereinigen keltischen Bewohner der Hochlande, also
'irisch', und bezeugen hierdurch, daß für sie ein Unterschied nicht er-
kennbar war. Xarh der Ablehnung der Reformation durch Irland kamen
im Verlauf die divergierenden Kiemente im schottischen und manx Gälisch
immer mehr zum Durchbruch. 1707 wurde eine Übersetzung des Neuen
Testamentes in schottischem Gälisch veröffentlicht, dem 1783 — 1801 das Alte
Testament folgte; 1772 kam die Übersetzung der Bibel in Manx-Gälisch
heraus. Fürs Auge wurden die sprachlichen Differenzen durch einen Um-
stand verschärft. In Irland wurde die alte bis ins 8. Jahrhundert zurück-
gehende historische Orthographie im wesentlichen bis heute beibehalten,
so daß z. B. für ein altir. nidclu- sumna 'Nacht zu Sommerende' (i. November)
geschrieben wird oUce samna mit diakritischen Punkten über </, r, s und
/// aber gesprochen wird wie deutsches ihe haunc, OMahony ist genaue
Wiedergabe eines in neuirischer Orthographie geschriebenen (f Matgamtta
mit Punkten über /, i^ und inlautendem ///. In Schottland hingegen schlich
sich ein sonderbares Gemisch ein von historischer Orthographie mit
Änderungen nach halbwegs phonetischen und halbwegs unvernünftigen
Gesichtspunkten, wie sie Leute, die von tiefer gehendem positiven Wissen
in Phonetik und Lautgeschichte unabhängig sind, überall aufstellen. Auf
der Insel Man endlich übertrug man infolge der seit Mitte des 13. Jaiir-
hunderts bestehenden Beziehungen zu Schottland eine der mittelalterlichen
Orthographien des englischen Niederschottischen auf den gälischen Dialekt
der Insel, so daß das Wort für 'Vater', das neuir. athair (altir. athir aus
altem pat^r) geschrieben wird, im Gälischen von Man a\r aussieht: ge-
sprochen werden athair und a\r vollkommen gleich. Während so ge-
sprochenes Manx und der Munsterdialekt des Neuirischen kaum so weit
voneinander abstehen wie Munster- und Ulsterdialekt im Neuirischen,
sehen sie geschrieben oder gedruckt fast wie einander wildfremde Sprachen
aus. Sprachlich betrachtet ist das gälische vSprachgebiet von Kerry bis
nach Lewis, in den schottischen Hochlanden und auf der Insel Man immer
noch eine Sprache mit zahlreichen dialektischen Schattierungen; politische
und religiöse Verhältnisse haben drei Literatursprachen in der Nfu-
zeit geschaffen: irisch Gälisch, schottisch Gälisch, manx Gälisch.
Die drei Glieder des britischen Zweiges des Inselkeltischen bildeten »»*» bnti.ci«
für die älteste Zeit ^8. bis 10. Jahrhundert), aus der gleichzeitig geschriebene |^,|^7*iir7M
Sprachdenkmäler vorliegen, eine Einheit mit so geringfügigt-n dialektischen
Differenzen, daß der Begründer der keltischen Sprachwissenschaft in seinem
grundlegenden W^erke noch keine Sonderung der britischen (ilo.vsen aus
genannter Zeit nach den späteren Dial«kt«-ti iKvmrisch. K<irnisch, Bret«>-
42 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
nisch) vorzunehmen wagte. Erst allmählich hat die Beobachtung, daß ge-
wisse kleine lautliche Differenzen in diesen Glossen mit der Herkunft der
Handschriften aus den verschiedenen Teilen des britischen Sprachgebietes
zusammenfallen, gelehrt, daß in diesen Differenzen die Keime jüngerer
dialektischer Ausbildung vorliegen. Die Zerrissenheit des Sprachgebietes,
die durch die politischen Verhältnisse geförderte Absonderung der drei
Striche hat dann die Ausbildung der Differenzen so gefördert, daß am
Ausgang des Mittelalters die sprachlichen Unterschiede auf britischem
Sprachgebiet erheblich bedeutender sind wie gleichzeitig auf dem gälischen
Sprachgebiet. Hierzu kommt, daß das Kymrische im 12. und 13. Jahr-
hundert seine Orthographie selbständig auf der alten Grundlage weiter-
bildete, das Komische dagegen unter englischen und das Bretonische unter
französischen Einfluß in der Schreibung gerieten, wodurch die vorhandenen
Differenzen in der Sprache noch größer erscheinen , als sie sind. Heutigen-
tags sind Kymrisch und Bretonisch, nachdem das in Lauten und Formen
die Brücke bildende Komisch ausgestorben ist, zwei sich zwar nahestehende,
aber doch immerhin mindestens so stark geschiedene Sprachen desselben
Zweiges wie z. B. die beiden nordgermanischen Sprachen Dänisch und
Schwedisch. In Wales war in der Blütezeit mittelkymrischer Literatur
(12. bis 15. Jahrhundert) eine Schriftsprache vorhanden, die sich an das
Kymrische in Südwestwales (Dyfed) anlehnte, während die neukymrische
Literatursprache infolge ihrer Abhängigkeit von der kymrischen Bibel
nordwelsche Eigenheit repräsentiert. Ziemlich starke dialektische Ver-
schiedenheiten, die das Kymrische in Nordwales (Gwynedd) gegenüber
Südwestwales (Dyfed) und Südostwales (Morganwg) im Volksmunde auf-
weist, treten in der gesprochenen Sprache der Gebildeten nicht schärfer
auf als 'Schwäbeln' oder 'Sächseln' in Deutschland auf Kanzel und Katheder.
Anders entwickelten sich die Verhältnisse in der Bretagne. Die seit
Mitte des 10. Jahrhunderts eingetretene Romanisierung des bretonischen
Herrscherhauses verhinderte das Aufkommen einer bretonischen Literatur-
sprache; später haben weder politische noch literarische Machtverhältnisse
einem der gesprochenen Dialekte des Bretonischen dazu verholfen, die Grund-
lage für eine gemeinsame bretonische Literatursprache zu werden. Das
ganze bretonische Sprachgebiet besteht heutigentags aus einer Reihe von
Dialekten, die, rein sprachlich betrachtet, sich auf zwei Gruppen verteilen:
die eine wesentlich umfassend die bretonischen Mundarten in den Departe-
ments Cötes-du-Nord und Finistere, die andere die von Morbihan. In diesen
Verhältnissen sind drei oder vier Literaturdialekte aufgekommen; es beruht
dies wesentlich darauf, daß es vor der französischen Revolution in dem
Gesamtgebiet vier Zentren religiösen Lebens gab, nämlich die Mittelpunkte
der vier Diözesen Treguier, St. Paul de Leon, Quimper, Vannes, in die die
Xiederbretagne zerfiel. In deren Klerikerseminaren bildeten sich so allmäh-
lich vier Diözesenliteraturdialekte heraus. Von ihnen stehen die drei nörd-
lichen von Treger, Leon und Cornouaille sich so nahe, daß ohne Schwierig-
A. l>ie keltisclicn Spraclirn. II. c liaraktfristik ii. dlieilcrunji der kcUischen Spratlu-n. ii
kcit eine gemoinsamo l.iteraturspraclic möglich ist, als welche auch seit
IJeginn des ig. Jahrhunderts der Dialekt von Leon mit mehr oder weniger
starkem dialektischen Einschlag aus den beiden anderen vielfach ver-
wendet wird. Dagegen ist der Dialekt von Morbihan (Vannes) von den
drei anderen scharf geschieden und wird sich bei der keltischen Eigen-
brödelei in eine gesonderte Literatursprache auswachsen, wenn nicht das
Französische vorher das Keltische der Niederbretagne verschwinden läßt.
Stehen also die drei gälisch-keltischon Sprachen (irisch, schottisch und ihr ihffereos««
manx Gälisch) im Verhältnis naher Dialekte zueinander wie etwa die '^'^ K»i^^^
' ..... ""^ brid»cbao
oberdeutschen Alemannisch, Schwäbisch und Fränkisch, die drei briti.sch- Keituch.
keltischen Sprachen (Kymrisch, Kornisch, Bretonisch) unter .sich etwa wie
die nordischen Brüder des germanischen Sprachstammes (Schwedi.sch,
Dänisch, Norwegisch), .so .stehen sich heutigentags diese beiden Zweige des
Inselkeltischen gegenseitig so fern, daß zwischen ihnen und durch sie jede
Art auch nur oberflächlicher Verständigung vollkommen ausgeschlossen ist.
Bis ins Altkeltische reichte, wie wir sahen, eine lautliche Differenz, wonach
die keltische Sprache Irlands der ^«-Ast und die Britanniens der ^-Ast
des Inselkeltischen ist Zu dieser und den beiden anderen hervorgehobenen
lautlichen Differenzen des britischen und irischen Altkeltisch war im
4. Jahrhundert die weitere getreten, daß in dieser Zeit die Iren die indo-
gerra. Längen a und 0 in Wurzelsilben in einem einheitlichen hellen n
hatten zusammenfallen lassen, während umgekehrt die Briten ein einheit-
liches dunkles rr (a) sprachen. Hierzu kamen dann vom 5. bis 1 i. Jahr-
hundert zahlreiche andere Differenzen im Gebiet des Konsonantismus,
Vokalismus und der Flexion. Nur einzelne seien hervorgehoben.
Das Irische ließ in dem angegebenen Zeiträume intervokalisches s, j
und V schwinden, das Britische bewahrte j und v\ im Irischen schwanden
die Nasale vor tonlosen Konsonanten mit Umgestaltung der letzteren,
während das Britische die Na-sale bewahrte: durch Wirkung dieser I^ut-
ge.setze i.st das im Altkeltischen der britischen Inseln fast gleichlautende
Wort für Jüngling im 9. Jahrhundert im Altir. oc (aus und neben oac aus
jüvencos) und im Altkymr. derselben Zeit iouanc. Ferner wurde im Irischen
jede intervokalischeTenuis zur Spirans und bei den Vertretern von /und /des
weiteren zu //, da.s sich ganz verfluchten kann, während dieselben Grundlaute
im Britischen zu Medien wurden, die bis heute bleiben. Im Vokalismus
herrscht in beiden Zweigen ein stark monophthongischer Zug gegenüber
dem Altkeltischen, aber er macht sich in verschiedener Richtung in dem
angegebenen Zeitraum in beiden bemerkbar. Im Britischen und nament-
lich im Kymrischen geht dieser Zug in der Richtung des hellen vokalischen
Extrems, und so k(immt zu dem auf c und / beruhenden altkoltischen
langen / im Britischen um die Wende des 5. und <>. Jahrhunderts ein weiteres
langes /, das aus a über ü entstanden ist, wodurch z. B. die altkeltischen
Namen auf -duiium zu solchen mit dui wurden. Gleichzeitig waren die
alten eu und oti nach Zusammenfallen in cii mit dem alten oi infolge
11 Heinrich Zimmer . Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
starker Betonung der Diphthongen auf dem ersten Element zu o geworden,
welches aus drei Quellen geflossene ö mit dem ö in lateinischen Lehn-
wörtern gegen Wende des 5. und 6. Jahrhunderts zu u und im 6. Jahrhundert
zu ü wurde. Im Südkymrischen ist schon früh dieses // weiter zu i
geworden, und daß eine /-ähnliche Aussprache des aus vier Quellen
kommenden u früh auf weiten Strecken des Britengebietes herrschte, beweist
der Umstand, daß Beda das alte Lindocolönia (Lincoln) Lindocollna schreibt
und den auf ein lat. Dönätus zurückgehenden Namen des welschen Abtes
aus den Tagen Augustins des Sachsenbekehrers mit Dinoot gibt. So
herrschte also im Britischen des 7. Jahrhunderts ein 7, das auf i, e^ ü
zurückgeht, und ein in kymrischer Orthographie //, geschriebener, aber ü
und in weiten Strichen ebenfalls l gesprochener Laut, der ein oi, eu, ou
und ö in Lehnwörtern repräsentierte; dazu war zu der Zeit noch ein i
getreten, das aus kurzem i durch sogenannte Ersatzdehnung (ichi zu ifh,
wie altkymr. rlth gleich altir. rieht) entstanden ist. Diesem einen ge-
sprochenen langen f des Kymrisch-Britischen des 8. und 9. Jahrhunderts, das
achterlei Ursprung hatte, entsprachen im Altirischen derselben Zeit die
Laute /, ij, oe (oi) , ö (öi) , ua (uai) , ich: so lauten also z. B. die altir.
er nach 'Haufe' und froeeh 'Heide' im Altkymr. crue und gruc. Hierzu
nehme man noch, daß das Altkymrische gleichzeitig durch mancherlei
konsonantische Lautgesetze aus den alten Kürzen a, e, o eine Fülle von
Diphthongen (ae, ai, ei, oe, zvy) erhalten hatte, denen im Altirischen meist ein
einfacher kurzer Laut mit nachfolgendem Konsonant oder ein einfacher langer
Laut entsprach; ferner, daß die beiden Zweige des Inselkeltischen, der irische
und der britische, auf der Grundlage des im Altkeltischen noch vorhandenen
freien indogermanischen Akzents schon im 7. und 8. Jahrhundert zwei ganz
verschiedene Akzentsysteme entwickelt hatten, nach denen alle mehr
als zweisilbigen Wortformen verschieden betont wurden und der verschiedene
Akzent noch verschieden auf den Vokalismus der im Vorton und Nachton
stehenden Silben einwirkte. Leicht verständlich ist aus dem allem, daß im
Verlaufe von 500 Jahren gesprochenes irisches Keltisch und britisches
Keltisch sich so fem getreten waren, daß im 10. Jahrhundert ein lebendiger
Austausch zwischen Angehörigen altirischer und altkymrischer Zunge ziemlich
ausgeschlossen war. Obwohl von S. Davids in Südwales und vom Snowdon
in Nordwales bei klarem Wetter die Berge von Wicklow in Irland sichtbar
sind, versteht heutigentags ein keltisch einsprachiger Taffy aus Car-
diganshire einen keltisch einsprachigen Paddy aus Waterford nicht mehr
wie ein deutsch -tiroler Bergführer einen isländischen Fischer.
Die Folgen der Der Umstand, daß die gälischen und britischen Dialekte des Insel-
sprachiicben keltlschcn selt einem Jahrtausend für praktische Zwecke wie vollständig
Unterschiede .-..,.-. • -l t^
für die Literatur, fremde Sprachen sich gegenüberstehen, ist für die literarische Ent-
wickelung der Inselkelten von einschneidender Bedeutung. Es gibt keine
gemeininselkeltische Literatur des Mittelalters, sondern nur
einen Literaturkreis in gälischer und einen Literaturkreis in
A. Die kclüschcn Sprachen. II. Charakteristik u. Ghederung der kcltiv licn Sprachen. 4^
britisch-keltischer Sprache. Diese Literaturkreise ferner sind
getrennt und ohne Einwirkunjr aufeinander. Solche literarische«
Berührungen, wie sie im 6. und noch im y. Jahrhundert zwischen Xieder-
deutschland und dem germanischen Norden stattfanden und dazu führten,
daß im Verlauf nicht nur am Rhein und an der blauen Donau von Sieg-
fried, den Nibelungen und deren tragischem Geschick, sondern auch in
Telemarken und Saetersdal, auf Island und Grönland gesungen und gesagt
wurde — derartige Berührungen sind zwischen den Literaturkreisen in
gälischer und in britisch -keltischer Sprache unbekannt, obwohl damals
wie heute zwischen Wales und Irland nur die Irische See lag. Im g.
und 10. Jahrhundert nahm in Südirland die Ausbildung der Finn-Ossiansage
ihren Ausgang und verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten über
das ganze gälische Sprachgebiet, so daß im 15. und 10. Jahrimndert die
Erzählungen aus diesem Sagenkreis von den Buchten Kerrys bis in die
Täler Hochschottlands den Unterhaltung.sstoff abgaben: in britisch-keltischer
(kymrisch-bretonischer) Literatur tindet sich keine Spur, daß Kunde davon
zu ihr gekommen. Umgekehrt entstand vom ö. Jahrhundert ab eine natio-
nale Heldensage der Kelten britischer Zunge, die Arthursage, die im
I 1. Jahrhundert überall, wo britisch-keltische Rede noch ertönte — hoch
oben in Cumberland, Wales, Cornwall und der Bretagne — , im Volke
lebte: von diesem Sagenkreis ist nichts in den gälischen gelangt, d. h.
nichts direkt von britischen Kelten zu gälischen Kelten. In irischen Texten,
die jünger sind als das i 2. Jahrhundert und in wesentlich jüngeren Hand-
schriften vorliegen, ist in irische Erzählungen — sowohl des älteren,
Cuchulinnsagenkreises, als des jüngeren Ossiansagenkreises — zwar öfters
episodenhaft Arthur eingeführt zur weiteren Verherrlichung des gälischen
Helden; aber schon die Formen der Namen beweisen, daß die Kunde von
Arthur den irischen Sagenerzählem nicht aus lebendiger britisch-keltischer
Rede gekommen ist, sondern aus der um Mitte des 11. Jahrhunderts ent-
standenen irischen Übersetzung der lateinischen Historia Brittonum des
Nennius und des weiteren aus anglonormannischer, englischer oder fran-
zösischer Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, die seit der anglonorman-
nischen Eroberung Irlands im Jahre 1172 und dem daran anschließenden
dauernden Aufenthalt anglonormannischer Adliger nach Irland kam.
Nähere Berührungen zwischen dem irisch-gälischen und dem kymrisch-
britischen Literaturkreis haben also seitdem 0. und 7. Jahrhundert nicht mehr
stattgefunden, wogegen nicht angeführt werden kann, daß sowohl in der
südwestbritannischen Arthursage, als in dem älteren Mabinogionsagenkreis
Erinnerungen an die früheren poUtischen Berührungen der Briten mit den
Iren liegen. Die sind auch im u. bis 1 3. Jahrhundert vorhanden, indem
Iren, denen zu Hause der Boden zu heiß wurde, in leichtem Kahn nach
der britischen Küste und Welsche in gleicher Lage nach Irland flüchteten.
Mit einer näheren Berührung der getrennten Literaturkreise im frühen
Mittelalter, die zu tiefer gehenden Einwirkungen getuhrt hätte, hat dies
^6 Heinrich Zi.mmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
nichts zu tun. Dafür kann auch nicht angeführt werden, daß unter den
sogenannten altwelschen Gedichten sich eine dem Taliessin zugeschriebene
'Totenklage um Curoi mac Dari' (Marwnat Corroi in. Dayry) befindet, in
der auch auf den Kampf zwischen Curoi und Cuchulinn (Kyfrmic Corroi a
Chocholyii) angespielt wird. Im ausgehenden ii, und 1 2. Jahrhundert hielten
nordwelsche Fürsten wie Gruffydd ab Cynan (1076 — 1135) und südwelsche
Herrscher wie Gruffydd ab Rhys (1135) und Rhys ab Gruffydd (1176)
große Musiker- und Sängerfeste ab, zu denen lange vorher — zum Fest
II 76 ein ganzes Jahr — Aufforderungen an Musiker, Sänger und Dichter
in 'Wales und England und Schottland und Irland und viele andere Länder'
zum Kommen geschickt wurden. Iren werden unter den durch große
Preise zum Wettbewerb Herbeigelockten nicht gefehlt haben. Unter ihnen
mag einer eine irische Elegie auf Curoi mac Dare — tatsächlich ist ja in
irischer Literatur ein derartiges Gedicht unter dem Titel Amra Coriroi
tu. Dairi erhalten — vorgetragen und ein kymrischer Barde den ihm
mitgeteilten Inhalt in kymrischer Sprache nachgeahmt haben. Auf das
Verhältnis des gälischen zum britischen Literaturkreis waren solche ver-
einzelte Vorkommnisse ohne Einfluß. Gemeinsam haben Iren und Briten
in den ihnen eigenen mittelalterlichen Sagenkreisen — Cuchulinn- und
Finnsage in Irland, Mabinogionsagenkreis in Wales und Arthursage bei
Briten — nur Sagen züge und Sagen demente; wie dieselben Steine, nur
vielfach anders behauen und in ganz andere Bauten eingefügt, muten uns
diese gemeinsamen Sagenelemente in den beiden Literaturkreisen des Insel-
keltischen an: sie stammen bei den mittelalterlichen Kelten aus dem
gemeinsamen keltischen Erbe der Inselkelten.
B. Die keltischen Literaturen.
L Der keltische Literatenstand und seine Klassen. Bei den
Kelten gab es zu allen Zeiten und allerorts neben dem Adel und der
großen Masse einen dritten Stand, die literarische Welt, die sich ursprüng-
lich überall in drei Klassen teilte. Diese drei Klassen des Literaten-
standes waren nach Zeugnissen griechischer und römischer Schriftsteller
Druiden (Apuibai), Vaten (OudreK;), Barden (Bdpboi) bei den alten Kelten
genannt. Die Klassen selbst und ihre Namen kommen bei den mittel-
alterlichen Nachkommen der Inselkelten, ja teilweise bis auf den heutigen
Tag vor. Nach Zeiten und Umständen tritt auf einzelnen Gebieten des
Keltentums die eine oder andere Klasse ganz besonders in den Vorder-
grund: so z. B. die Druiden bei den Kelten Galliens zu Caesars Zeit, die
Barden im mittelalterlichen Wales, die Vaten bei den irischen Kelten
im Mittelalter. Der den Dingen ferner Stehende kann daher leicht den
Eindruck erhalten, als ob hier oder dort die eine Klasse die gesamte
Welt des keltischen Literatentums repräsentiere, und so kommt denn auch
li. Ute keltischen Literaturen. I. l>cr keltische l.ittrutcnsland und seine Klassen i-
4 4
Julius Caesar zu der Vorstellung, daß es in Gallien neben dem Adel
{»•(/iiift's) nur Druiden {Druidts) ifegeben habe. Die ursprünj^lichen
Wirkunjifskreise der drei Klassen lassen sich im j^roüen mit heuti^^en
Hegriffen dahin bestimmen: die Druiden waren der Priesterstand, dem
das weit in die bürgerlichen V^erhältnisso eingreifende Religionswesen
unterstellt war; die Harden sind die Musiker, Sänger und lyrischen
Dichter, denen die Unterhaltung von Fürsten und Adel in erster Linie
oblag; die Vaten sind die Seher der Kelten und als solche sowohl die
Rechtsfinder wie die Bewahrer der geschichtlichen und sagenhaften Über-
lieferung.
I. Betrachten wir zuerst die Klasse der Druiden. Di«' praktische !>•* Dru»a«j u>
Seite ihres Wirkungskreises, wonacii sie die Religion und was mit ihr '•-"—
zusanimenhing im Staate vertraten, erleichterte es der kastenartig si<h
zusammenschließenden Klasse der Druiden bei den Kelten Galliens zu
Caesars Zeit die anderen KUissen der literarischen Welt so im Staate in
den Hintergrund zu drängen, daß, wenn wir nur Caesars Bericht hätten,
ein ganz falsches BiKl entstehen würde. Ihre Stellung machte die Druiden
zur Seele des nationalen Widerstandes gegen die Römerherrschaft, und
davon mußten sie die Folgen tragen: hingemordet in Scharen in den
lagen der Kaiser Tiberius, Claudius und Xero hatten ihre Reste in den
Tagen des Pomponius Mela und Lucans sich in die Wälder zurückgezogen
und fristen in den Tagen von Plinius dem Naturforscher als Ärzte, Vieh-
doktoren und Zauberer ihr Dasein. Nach Vespasian (79 n. Chr.) redet
kein Schriftsteller m(;hr von ihnen als Zeitgenossen: sie gehörten der
Geschichte an.
Um dieselbe Zeit war es auch mit dem Druidentum in Britannien zu !>■« i>nudeti ■>
Ende, Ihretwegen unternahm Paidlinus im Jahre 01 n. Chr. den Zug »"»*»"»««•
nach Anglesey (Mona), und was danach von Druiden noch übrigblieb,
fiel in der von ihnen angefachten nationalen Insurrektion der Inselkelten,
die mit dem Namen der Icenerkönigin Boudica verknüpft ist. Die \'er-
nichtung war so gründUch, daß ihrer in der Zeit der Römerherrschaft in
Britannien nicht mehr gedacht wird, ja daß bei den mittelalterlichen Nach-
kommen der britischen Kelten (in Wales, Cornwall und der Bretagne)
nicht einmal der Name bewahrt ist. Das moderne Druidentum im
heutigen Wales ist eine junge Erfindung und durch kein Band an das
Druidentum der Briten zu Caesars und Neros Zeit geknüpft Es ist eine
bei Plinius dem Alteren auftretende und in der Folge verbreitete, aber
haltlose Etymologie, daß das altkeltische druidfs — der Xom. Sing, würde
drui!; lauten — von dem griechischen Worte bpOi; in der Bedeutung
'Eiche' abstamme; als man im christlichen Britannien im frühen Mittel-
alter anfing, an der Hand der uns erhaltenen antiken (Juellen die Vorzeit
antiquarisch zu erforschen, da bildete man in Anlehnung an jene Etymo-
logie von dem gewöhnUchen keltischen Wort für 'Eiche' (altir. daur Genit
daro, mittelkymr. dar und dtnvy kom. dar und d<ro-i\ bret derv und d^-ros
aS Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
eine Ableitung ^altbret. darguid^ mittel- und neukymr. derwydd), um eben
ein einheimisches Wort zu haben, wenn man in einheimischer Rede über
die alten Dinge sprach, dichtete oder schrieb. Noch jünger ist das neu-
kymrische Druidentum selbst. In den zahlreichen Denkmälern in lateinischer
und kymrischer Sprache über Wales und seine Zustände von den Tagen
des Gildas (erste Hälfte des 6. Jahrhunderts) über die kymrischen Gesetze
des Hywel dda (lo. Jahrhundert) bis auf Giraldus Cambrensis (Ende des
12. Jahrhunderts) findet sich keine Spur einer Andeutung von übrig-
gebliebenem Druidentum. Es hat das neuwelsche Druidentum seine An-
fange in der Zeit, in welche man vielfach die Anfange des Freimaurertums
verlegt: kabbalistische Ideen fanden im 1 5. Jahrhundert in Südwales Eingang;
sie wurden nationalisiert und in Anlehnung an die aus klassischen
Schriftstellern geschöpften Nachrichten über das antiquarische alte Druiden-
tum Galliens dann im 16. und 17. Jahrhundert in Südwales in ein System
gebracht. Es ist hauptsächlich das Verdienst eines Südwelschen um die
Wende des 18. und ig. Jahrhunderts — Edward Williams hieß er und Jolo
Morganwg war sein Deckname — , diesem neukymrischen Druidentum
zuerst unter Schulmeistern und halbgebildeten nonkonformistischen Predigern
Eingang verschafft zu haben; mit dem zweiten Drittel des 1 9. Jahrhunderts
fand es dann Aufnahme in die mit vielen Unterbrechungen bis ins 12. Jahr-
hundert zurück verfolgbaren nationalen Sänger- und Musikfeste von Wales:
es bildet heute in den Augen vieler deren Mittelpunkt und gilt in weiten
Kreisen als ein Erbe der Vorzeit, älter als Christentum und römische
Kultur in Britannien. Wenn jedoch heutigentags beim nationalen Fest
der Kymren der Erzdruide mit seinem Gefolge auszieht, dann hat dies
mit altkeltischer Druidensitzung im Carnutengebiet nichts gemein; es hat
aber eine Parallele in dem Zug des Prinzen Carneval und seines närrischen
Gefolges am Rosenmontag in Köln, und der 'Bundesstein' [maeti log)
innerhalb des geheiligten Kreises, auf den die modernen Druiden zum
Aufsagen ihres Sprüchleins treten bei den Versammlungen, hat sein voll-
ständiges Seitenstück in der 'Butt' bei den närrischen Sitzungen in Köln.
' Die Wahrheit der Welt zum Trotz ' (i' gwir yn erbyn y byd) ist der gewiß
verwegene Wahlspruch dieses neukymrischen Druidentums. Es ist in jeder
Richtung im Vorschreiten begriffen; infolge der den heutigen Kelten in
hohem Grade eigenen Neigung für Schaustellungen droht das neukymrische
Druidentum sich zu einem neukeltischen auszuwachsen: 1901 erschien der
'Erzdruide' von Wales mit Gefolge in Dublin auf dem ersten Pankeltisten-
kongreß, um dort eine feierliche Sitzung abzuhalten, und im folgenden
Jahre führten einige begeisterte bretonische Pankeltisten, die in Wales die
Weihen erhalten hatten, mit Zustimmung desselben Erzdruiden das Druiden-
tum in die Niederbretagne ein.
Die Druiden in Anderer Art als in Gallien und Britannien war das Ende des alt-
keltischen Druidentums in Irland. Das Christentum, das von Keltisch reden-
den christlichen Briten im 4. Jahrhundert dorthin gebracht wurde, fand
Irland.
B. Die keltischen Literaturen. I. Der keltische Literatenstand und seine Klassen. 40
ungebrochenes Keltentum und un^^ebrochene.s Heidentum vor. Die chri.st-
liche Kirche Irlands hat keine Märtyrer; das Christentum hat also ohne
besonderen Widerstand Eingang gefunden. Dies war nur möglich, wenn
der mächtige nationale Priesterstand, die Druiden, ihm keinen andauernden
Widerstand entgegensetzten, sondern das Christentum des 4. Jahrhunderts,
in dem die klassische Bildung jener Zeit eine bedeutendere Rolle spielte
als 100 oder 150 Jahre später, annahmen und forderten. Mir scheint,
der hohe Stand christlich-antiker Bildung in Irland vom 6. bis g. Jahr-
hundert ist nur recht verständlich, wenn man den Boden mit in Betracht
zieht, den ein fester Priesterstand wie die Druiden mit Unterricht und
Schulen in Irland zubereitet hatte, und wenn die Druiden zu nicht unbe-
deutendem Teil in dem neuen Mönchtum aufgingen. Die beiseite Stehen-
den sanken in dem christlich gewordenen Irland bald zu 'Zauberern'
herab, und so leben sie, wie auch anderswo die heidnischen Priester der
Vorzeit, wesentlich in der Erinnerung. Das Wort 'Druide', das durch die
ganze gälische Literatur bis heute vorkommt in den Formen, die ein alt-
keltisches Wort in ununterbrochener Entwickelung zeigen muß — altir.
Nom. Sing. </r///, Nom. Plur. druidy neuir. und schottisch gälisch draoi — ,
wird in einer irischen Erklärung des g. Jahrhunderts auf die äg^-ptischen
Zauberer Jamnes und Mambres angewendet: 'zwei äg^'ptische Druiden, die
mit Moses gestritten hatten.' In kirchlichen Texten Irlands in lateinischer
Sprache, wie wir sie vom 7. Jahrhundert ab in Heiligenleben besitzen,
wird niagus verwendet und alles, was von Zauberei im Alten und Neuen
Testament vorkommt oder aus klassischer Literatur bekannt geworden war,
mehr oder weniger auf sie übertragen, wie umgekehrt in irischen Texten
drui für mdi^m: der Vorlagen eintritt: so werden sowohl die drei Weisen
aus dem Morgenlande als die Brahmanen Indiens 'Druiden' genannt.
Heutigentags bedeutet draoi im Gälischen Irlands wie Schottlands einfach
*Zauberer', und in diesem Sinne verwandten es auch die irischen Glaubens-
boten, die von 6,3 — 664 die Angeln Xorthumberlands christianisierten,
wie das von ihnen ins Angelsächsische aufgenommene dr\ 'Zauberer' be-
weist In den altirischen Sagentexten haben wir jedoch genügende
Erinnerung, daß die Klasse der Druiden in der Vorzeit des ungebrochenen
Heidentums in Irland eine angesehene Stellung müssen eingenomnirn hahm,
richterliche Funktionen indessen nicht ausübten.
Auf die mittelalterliche Literatur der Inselkelten ist die vornehmste
Klasse der literari.schen Welt der Kelten im Altertum ohne Einfluß dem-
nach, soweit nicht das keltische Mönchtum Irlands im Mittelalter als die
geistigen Erben und teilweisen Nachfolger der Druiden in Irland in die-
selbe eingegriffen hat Ganz anders ist die Bedeutung der beiden anderen
Klassen der literarischen Welt für die Literatur der Inselkelten.
2. Die Zeugnisse der Alten über die Barden der kontinentalen Kelten rn* lUr^M »n
sind älter als die über die Druiden und lassen über ihre Stellung keinen g»u.«^
Zweifel aufkommen; in allen tritt immer die Doppelheit Musiker-Sänger
L>iB Rn.Tvii Dis GaonrwAKT. Lii. 1. 4
^O Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
und lyrischer Dichter zur Einheit verbunden zutage : zu Instrumenten ähnlich
der Lyra der Alten — in Irland und Wales ist es in historischer Zeit die
Harfe, die chrotta Britannica bei Venantius Fortunatus — trugen sie ihre
Lieder vor, und diese waren nach dem Zeugnisse Diodors Preislieder auf
Personen und Ereignisse oder Spottlieder; nirgends findet sich eine
Spur, daß die altkeltischen Barden Träger des Epos waren oder etwas
damit überhaupt zu tun hatten. Posidonius meldet uns bei Athenaeus, daß
Lovernios, der König der Arverner (um 140 v. Chr.), ein großes Fest her-
richtete, daß aber der Dichter zu spät kam und nun neben dem Wagen
des Königs herlaufend die Gewalt des Königs gepriesen und sein eigenes
Mißgeschick beklagt habe; darauf warf ihm der König einen Beutel Gold
zu, welchen der Barde aufrafft und aufs neue in den Preis ausbricht, daß
die Wagenspur des Königs den Menschen Gold und Wohltaten bringe.
Als der Sohn jenes Lovernios, Bituitus, eine Gesandtschaft an den römischen
Prokonsul schickte, befand sich dabei ein |Liou(yiKÖ(; dvrip, der unter Bar-
barenmusik zuerst den König Bituitus, dann die Allobroger, dann den Ge-
sandten sowohl hinsichtlich der Abstammung als der Tapferkeit und des
Reichtums pries. Noch ein so junger Zeuge wie Ammianus Marcellinus
sagt, die Barden besängen in Versen unter Begleitung süßer Melodien die
tapferen Taten berühmter Männer.
Die Barden in In all dieseu Funktionen — als musizierende Sänger, als Dichter von
Irland. Preisliedem und als Verfasser von Schimpfliedern — treten uns in Irland
die Barden (Xom. Sing, bard., Plur. baird) in ältester Zeit entgegen. In
einem aus erster Hälfte des 9. Jahrhunderts stammenden Loblied auf ein
Leinsterköniglein Aed heißt es zum Schluß 'melodiöse Bardenkompositionen
{bairtni bindi) verherrlichen unter Musik bei Trinkgelagen den Namen Aeds'.
Aus der festen Hofstellung wurden die Angehörigen der Bardenklasse
vielfach durch die in Irland fili genannten Vertreter der Vatenklasse ver-
drängt, weil diese die offizielle Gelegenheitsdichtung (Schlachtgesänge,
Schwert- und Schildlieder, Totenklagen) übernahmen; hierdurch fanden
die zum Wandern gezwungenen Barden mehr Veranlassung, die unfreund-
liche Seite ihres Berufs hervorzukehren, und dem entspricht, daß der
Grundton der Stimmung gegenüber den Barden in Irland oft die Furcht, das
Unbehagen vor ihren Spottgedichten ist. Weit war der Glaube verbreitet,
daß ein Schmähgedicht — d. h. der Ärger infolge eines solchen — auf dem
Gesicht des Geschmähten Flecken und Ausschlag hervorrufe, ja daß es einen
Mann, infolge des Ärgers über die Schmach und Schande, innerhalb neun
Tagen töten könne. Wir haben mehr als ein Zeugnis in der älteren irischen
Heldensage, daß Fürsten und berühmte Helden es lieber vorzogen, in den
Tod zu gehen, als einem Barden Veranlassung zu einem Spottgedicht zu
geben. Die erwähnten natürlichen Wirkungen der Spottgedichte —
Folgen des Ärgers — schrieb man in der Folge den übernatürlichen
Kräften der Barden zu, wodurch der irische Barde im Verlauf zum
Teil eine eigentümliche Umwandlung durchmachte. Zwei Beispiele
H. Die keltischen Literaturen. I. Der keltische Literatenstand und seine Klassen. ^ i
mögen dies erläutern. Als im Jahre 14 14 ein mißliebiger englischer
Vizekönig nach Irland kam, da machten, wie uns die Annalen der
vier Meister berichten, die O'Higgins, eine Bardenfamilie von Ulsterland,
ein Spottgedicht, infolgedessen im Verlauf von fünf Wochen der neue
Statthalter 'an dem Gift der Pasquillen starb'. Die nur in einer jungen
Umgestaltung erhaltene Erzählung 'Die Wanderung der lästigen Schar'
enthält ein Gedicht, in dem aus den Anschauungen des 14. und 1 5. Jahr-
hunderts heraus dem im 7. Jahrhundert lebenden Senchan Torpeist ein
Gedicht in den Mund gelegt wird, in dem er die ihm unbequemen Ratten
oder Mäuse zu Tode singt. Von der Misere, welche das Reformations-
zeitalter mit seinen Folgen über das Keltentum Irlands brachte, vor allen
Dingen von der mit den Landkonfiskationen verbundenen allgemeinen Ver-
armung wurden die auf Geschenke der Gönner angewiesenen Barden
schwer betroffen. Wenn auch noch einzelne hervorragendere Gestalten,
wie der unter dem Namen des 'letzten Barden' Irlands bekannte Turlogh
O'Carolan (1670 — 1737), in die Zeit der Penalgesetze hineinragen, viele
Barden scheinen in jenen Zeiten in Irland zur Erlangung des täglichen
Brotes sich der Tätigkeit, Ratten und Mäuse durch Spottgedichte zu Tode
zu ärgern, zugewendet zu haben. Schon Shakespeare hat davon Kunde
(As you like it, Akt ,s Scene 2), und Schriftsteller aus den Tagen der
Elisabeth und aus dem folgenden Jahrhundert liefern zahlreiche Zeugnisse
für die 'rhyming rats to death' genannte Tätigkeit irischer Barden. — In
Schottland kamen gerade zu dieser Zeit die Barden zeitweilig in an-
gesehenere Stellung. Wie bei anderer Gelegenheit bemerkt, begannen die
hochschottischen Clanhäuptlinge nach der Personalunion zwischen England
und Schottland (1603) fern von dem anglisierenden Einfluß der in London
sitzenden Zentralgewalt in der gälischen Umgebung sich wieder mehr zu
nationalisieren. Hierdurch kamen die Barden im 17. und 18. Jahrhundert
im schottisch -gälischen Sprachgebiet annähernd in eine Stellung, wie wir
sie bei den Barden in Wales in den Zeiten der welschen Unabhängigkeit
werden kennen lernen.
Wenden wir uns zu den keltischen Briten. Das in Wales bis in den Die iurdeo in
Beginn der Tudorzeit geltende nationale Recht, also die aus dem
10. Jahrhundert stammenden altwelschen Gesetze kennen unter den Per-
sonen am Hofe des Fürsten den 'Haus- und Hofbarden' (bard tculu).
Unter den 24 Personen, die den Hofstaat eines welschen Fürsten bilden, nimmt
er in Nordwales die 8., in Westwales die 11. Stelle ein: er sitzt bei den
Festen neben dem Vorsteher des Hofstaates, der ihm die Harfe in die
Hand zu geben hat. An den drei großen Festen des Jahres nimmt neben
dem Hausbarden des Fürsten auch der bard kadeyryauc 'der den Stuhl inne-
habende Barde', d. h. der Vorsteher der Bardenklasse in Wales teil. Wie
der Priester beim Beginn der Mahlzeit das Pater zu sagen hat, so muß
der bard kadryryauc anheben, wenn ein Lied begehrt wird: der erste Gesang
gilt Gott; der zweite dem Fürsten, in dessen Palast man sich befindet,
Wale*
C2 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I.Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
oder, wenn kein Fürst da ist, einem anderen König. Dann hat der Haus-
barde drei Gesänge zu singen über verschiedene Dinge. Wenn die Fürstin
ein Lied zu hören wünscht, so muß der Hausbarde zu ihr gehen und ihr,
solange sie es wünscht, singen, aber mit gedämpfter Stimme, daß das übrige
Treiben in der Halle nicht dadurch gestört wird. Beim Einfall eines Clans
in ein Nachbargebiet bekommt der König von der Beute vorweg ein
Drittel; das übrige wird unter die Teilnehmer des Zuges geteilt, wobei
der fürstliche Hausbarde die Nationalhymne singen muß und dafür eine
Kuh und einen Ochsen von der Beute erhält. Nach der Redaktion der
Gesetze für Südwestwales hat der Barde die Nationalhymne während
der Vorbereitungen zum Kampfe zu singen; er erhält dort, wenn er sein
Amt antritt, vom König eine Harfe und von der Königin einen Goldring.
In diesen Angaben der altwelschen Gesetze tritt uns der Barde durch-
weg als lyrischer Dichter, der zur Harfe singt, entgegen. Hierzu
stimmt, daß dasjenige, was uns in verschiedenen Handschriften als Dich-
tungen der sogenannten ^ Alten Barden' (Cynfeirdd) wie Taliessin, Aneurin,
Llywarch Hen und anderer überliefert wird, den Charakter lyrischer
Poesie an sich trägt. Dasselbe gilt von den zahlreichen Dichtungen der
mittelalterlichen Barden vom Jahr 1120 ab: 'Der Inhalt ihrer Dichtungen
sind', wie Walter im Alten Wales sagt, 'Oden und Elegien auf ihre Fürsten
und Helden, Schlachtgesänge, Lieder auf besondere Vorfälle, religiöse
Hymnen, Preis der Naturschönheiten, Trinklieder, kurze Gedichte epigram-
matischer Art'. Daß die welschen Barden im 12. Jahrhundert auch die
unliebenswürdige Seite ihres Berufs hervorkehrten, dafür haben wir bei
Giraldus Cambrensis ein Zeugnis, der uns erzählt, daß bei Gelegenheit
eines großen Festes, das Llewelyn von Nordwales abhielt, am Ende des
Mahles vir qiiidam linguae dicacis, cujusmodi lingua hritannica sicut et
latina bardi dicuntiir in den Saal trat. Neben den in Amt und Stellung
befindlichen Mitgliedern der Bardenklasse, also neben dem bard kadeyryauc
und den zahlreichen Hausbarden, gab es noch eine dritte Gruppe, die
herumziehenden Barden, die für ihren Unterhalt auf zufällige Geschenke
angewiesen waren, bis sie irgendwo bei einem Häuptling Stellung fanden,
falls sie nicht das fahrende Dasein vorzogen. Diese vagabundierenden Barden
{der, clerwr, clerddyn) wurden über die Achsel angesehen, und in einer
Satyre des 13. Jahrhunderts werden sie demgemäß beschrieben. Dem
Herrscher Gruffydd ap Cynan (1080 — 1137) wird nachgesagt, eine Art
offizielle Einteilung der Barden in drei Gruppen eingeführt zu haben.
Die Blütezeit des welschen Bardentums ist die Zeit vom 7. bis Ende
des 15. Jahrhunderts, von den Tagen, in denen die Briten unter Cadwallon
die 'Krone Britanniens' an Angeln und Sachsen verloren, bis zum Besteigen
des englischen Thrones durch den ersten Tudor. In diesem langen Zeit-
raum fiel den kymrischen Barden die Rolle zu, welche die Druiden zu Caesars
Zeit in GalUen und in den Tagen der Boudica in Britannien hatten: sie
waren die Träger des nationalen Hasses, der die Welschen vom 7. bis
B. Die keltischen Literaturen. I. Der keltische Ltteratenstand und seine Klassen. ci
I I.Jahrhundert ebenso gegen Angeln und Sachsen, wie später gegen Anglo-
normannen und Engländer erfüllte. Das wurde anders, als Heinrich Tudor
1485 den englischen Thron bestieg. Angesehene welsche Barden jener
Zeit wie Llewis Glyn Cothi, Dafydd Llwyd hatten schon vorher für diesen
Mann von kymrischem Blut Stininumg gemacht, und die Schlacht bei
Bosworth, die dem von den Kymren verlassenen Richard III. Krone und
Leben kostete, ward als Sieg der Kymren über die Engländer gefaßt
Die Barden dichteten nun Gratulationsoden, in denen sie frohlockten^
daß wieder ein 'Stier vom Blute Arthurs' auf dem Throne von Britannien
sitzt: in Heinrich VIT ist die dem Keltentum Britanniens durch Cadwaladr
(um ö6o) scheinbar endgültig verlorene Herrschaft wiedergewonnen, rühmt
Llewis Glyn Cothi, Die Folgen des Ereignisses für das Bardentum von
Wales waren jedoch andere, als die Barden jener Zeit sich träumen ließen.
Durch das in der Tudorzeit (1485 — 1603) eintretende friedliche Einleben
der Welschen in englische Verhältnisse wurden den kymrischen Barden
die wirklich nationalen Töne von den Saiten der Harfen genommen: gegen
den Seis war nicht mehr zu singen. Anderseits lösten sich allmählich die
Beziehungen der Barden zum kymrischen Adel, als dieser, wie die Tudors
selbst, sich anglisierte. Dadurch verloren die Barden, die wie die Masse
des Volkes an der nationalen Sprache festhielten, auch die Brotgeber.
Mit dem Ende der Tudorzeit ist der Stand der 'Hausbarden' im Aus-
sterben. Zum Teil sinken sie zu vagabundierenden Barden herab, deren
Zahl sich schon im 16. Jahrhundert unerträglich vermehrte: um einen
Schluck Bier und einen Heller war schon ihr Lob zu erreichen nach
dem Zeugnis eines Zeitgenossen. Ein anderer Teil wandte sich bürger-
lichen Berufen zu und dichtete in freien Stunden in den überkommenen
24 gebundenen Metren {mcsurau caethiuu). Bardendichtung wurde so im
17. und 18. Jahrhundert eine Nebenbeschäftigung für Handwerker, wie der
Meistersang in Deutschland 200 Jahre früher; die geistige Ode des Inhalts
vieler Bardengedichte fing an mit den schnörkelhaftesten Künsteleien der
Metrik in Wettstreit zu treten. Hand in Hand mit dem Verfall in der
Bardenklasse ging das allmähliche Verschwinden der großen nationalen
Musik- und Sängerfeste, die, wie schon bemerkt, in den Festlichkeiten,
die nord- und südwelsche Fürsten im 12. Jahrhundert abhielten, wurzeln.
Noch 1523 wurde ein solches unter königlichem Patronat Heinrichs VIII.
und 1 568 unter dem der Elisabeth abgehalten. Seit der nationalen Eisteddfod
von 1568 fand keine allgemeine für ganz Wales bis 181 9 mehr statt;
auch die landschaftlichen und lokalen Versammlungen der Art in Nord-
und Südwales sanken zu immer größerer Bedeutungslosigkeit herab.
Neues Leben kam wieder in das scheinbar im Absterben begriffene
welsche Bardentum mit dem auf das religiöse Erwachen im zweiten Viertel des
18. Jahrhunderts folgenden Aufschwung des geistigen Lebens in Wales
und dem literarischen Erwachen. Schon die Mitte und das dritte Viertel des
18. Jahrhunderts sah in Goronwy Owen wieder einen wirklichen Barden,
c^ Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
der auch Dichter war. Die meiste Förderung erfuhr das Bardentum aber
durch die im letzten Viertel des i8. Jahrhunderts einsetzende Bewegung
für Wiederbelebung der nationalen Dichter- und Sängerfeste und durch
das in Person des Jolo Morganwg mit dieser Bewegung in Verbindung
gebrachte neukymrische Druidentum. Das neubelebte Bardentum wurde
die Krücke, an der das schwindelhafte neukymrische Druidentum seinen
Einzug in das welsche Nationalfest und die Phantasie der welschen Massen
hielt. Die Druiden und Barden wurden in ein System unter den sogenannten
'Erzdruiden' gebracht, eine zunftmäßige Rangordnung eingeführt. An-
spruch auf den offiziellen Titel eines Barden hat nur, wer im Privat-
unterricht bei einem Barden oder an der Hand eines Lehrbuches wie 'Die
Bardenschule ' ( Yr ysgol farddol gan Dafydd Morganwg) die Regeln zum
Dichten sich angeeignet hat, so daß er vor einer Kommission durch ein
Examen, wie es alljährlich an verschiedenen Punkten von Wales abgehalten
wird, die Beherrschung der 24 alliterierenden und assonierenden Metren
nachweisen kann. Zu den Schmieden, Schustern und Schneidern, die im
18. Jahrhundert vorwiegend Bardendichtung im Nebenberuf trieben, hat
das 19. Jahrhundert hauptsächlich Schulmeister gefügt und Geistliche der
verschiedenen nonkonformistischen Sekten, die ja lange Zeit selten mehr
als eine gewisse Halbbildung in ihrer Mehrheit besaßen. Für das all-
jährlich abzuhaltende Nationalfest werden ein Jahr vorher den Barden
Themata aller Art gestellt: erster Preis ist ein wertvoller, geschnitzter
Eichenstuhl, den der Sieger am Nationalfest erhält; er ist so auf ein Jahr
bardd cadeiriog 'Stuhlinhabender Barde' von Wales. Nach dem Muster
pflegen die allerorten in Wales im Laufe des Jahres stattfindenden
kleineren Dichter- und Sängerfeste weniger kostbare, aus Eichenholz
geschnitzte Lehnstühle als Preise auszusetzen, und manch ein welscher
Schulmeister oder nonkonformistischer Geistlicher unserer Tage hat so
seine ganze Wohnung mit Eichensesseln allmählich möbliert, indem er an
Winterabenden Verse verfertigte über vorgeschriebene Themata, die ent-
weder abgedroschene Gemeinplätze sind, oder über seinem geistigen
Horizont liegen oder zu wirklich dichterischer Behandlung sich nicht
eignen. 'Drei Seelen hat die Bardendichtkunst' nach einem modernen
Leitfaden: 'Metrik, Sinn und Harmonie', wobei mit letzterem die durch
die verschiedenen Metren vorgeschriebene richtige Anwendung von Allite-
ration, Assonanz und Reim gemeint ist. In der typischen modernen
Bardenpoesie sind 'Metrum' und 'Harmonie', also die Form, oft fast alles,
der 'Sinn' nebensächlich. Es beruht daher auch der Wert der neu-
kymrischen Poesie nicht auf der umfangreichen Bardendichtung, sondern
liegt in der seit 300 Jahren sich immer reicher entfaltenden Lyrik in den
sogenannten 'freien Metren',
Die Barden Wcder dic cbcu betrachtete Bedeutung noch die Lebensdauer kann
in der Bretagne. ^^^ altkeltlschc Bardeutum in der britischen Kolonie in der aremorikani-
schen Halbinsel aufweisen. Es fehlten eben die in Wales vorhandenen
l\. Die keltischen Literaturen. I. Der keltische Literatenstand und seine Klassen. cc
günstigen Entwickelungsbedingiingen. Die dünngesäte romanische Be-
völkerung der areniorikanischen Halbinsel bot den vordringenden Bretonen
nur schwachen Widerstand, so daß ein für Bardendichtung günstiges
Heldenzeitalter, wie es Wales aufweist, bis ins 9. Jahrhundert in der Bre-
tagne fehlte. Noch ehe eine nennenswerte Literatur in der Volkssprache
hier vorhanden war, romanisierte sich von Mitte des 10. Jahrhunderts an
das bretonische Herrscherhaus, und der östliche Teil des Bretonengebietes
selbst verfiel der Romanisierung. Der Adel in dem reinbretonischen
Gebiet der Niederbretagne war durch seine Beziehung zum Herrscherhaus
mindestens doppelsprachig. Es traten also für die Bretagne schon fürs
IG. Jahrhundert analoge Zustände für die Literatur ein, wie sie die Tudor-
zeit Englands für W^ales brachte. Zeugnisse haben wir aber noch
dafür, daß in Saint Paul de Leon, also im bretonischen Teil des breto-
nischen Sprachgebietes, am Namensfeste des Heiligen vor den zusammen-
geströmten Massen dichterische Vorträge unter Begleitung von Harfe und
Violine stattfanden: Abenteuer, besonders Liebesgeschichten, bildeten den
Inhalt, aber es waren nicht epische Lieder, nicht die Erzählung des
Ereignisses war der Zweck der Gedichte, sondern die begleitende Musik
spielte die Hauptrolle. Es waren also Bardenerzeugnisse, und die Sprache
kann nur die bretonische gewesen sein. Wir wissen ferner, daß der aus
der Niederb retagne stammende Bretonenherzog Hoel (1066 — 1084) an
seinem Hof in den Erblanden in Quimper einen citharista mit dem breto-
nischen Namen Cadiou hatte, und wenn er in Nantes weilte, einen joculator
namens Pontellus: er hatte also je nach seinem Aufenthalt in bretonischem oder
französischem Sprachgebiet einen Barden in bretonischer oder romanischer
Zunge. Die Erzeugnisse der Barden bretonischer Zunge sind, da für sie
naturgemäß nur Hörer vorhanden waren, nicht zur Aufzeichnung gekommen,
während die der bretonischen Barden französischerZunge nach Nordfrankreich
und der Normandie wanderten, von wo sie, ihres vorwiegend musikalischen
Charakters entkleidet, als lais bretotn bearbeitet auf uns gekommen sind.
Mit der völligen Romanisierung aller derer, die auf Besitz und Bildung im
Bretonenstaat Anspruch machten, und nach Vereinigung desselben mit
Frankreich war es um die Barden der Bretagne als Klasse endgültig ge-
schehen. Selbst das Wort verschwindet vollständig aus der bretonischen
Sprache: ein Wörterbuch des 15. Jahrhunderts hat es noch (Parz) mit der
Bedeutung franz. mcncstrier^ lat mimus^ und unter mima ein bret. barses.
Erhalten ist es nur in den bretonischen Eigennamen liarzy Lc Barz und
liarzik. Die heutigen bretonischen Wörter barz 'Dichter' und alle Ab-
leitungen sind gelehrte Auffrischungen des i<). Jahrhunderts.
3. Am wenigsten genau und klar sind wir bei den kontinentalen Kelten Di» Vbim ta
über die dritte Klasse unterrichtet, die Strabo mit ihrem keltischen
Namen OüaitK;, Diodor mit dem sinnentsprechenden griechischen *Seher,
Prophet' (^avTlO und der junge Ammian mit einem Produkt mehrfacher
Entstellung in griechischen Handschriften cuhagcs nennt Es mag wohl
^6 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
einen doppelten Grund haben, daß die Vaten der kontinentalen Kelten
bei den alten Schriftstellern so stiefmütterlich behandelt werden: einmal,
daß ihre Funktionen zum Teil von der Klasse der Druiden in Gallien
weggenommen waren, und sodann, daß ihre Stellung im Volkstum eine
derartige war, daß sie dem fremden Beobachter nicht so in die Augen
fielen wie die an den Thron sich heranwerfenden Bettelbarden. Nach den
Angaben der Alten studierten die Vaten die Zusammenhänge und erhabenen
Geheimnisse der Natur und hatten mit Weissagungen aus dem Flug der
Vögel und der Opfertiere zu tun, welcher letztere Punkt — auch Menschen-
opfer kamen in Betracht — wohl der Ausgang für das Übergreifen der
Druiden in die Sphäre der Vaten wurde. Ihr Name (Nom. Sing, würde
altkeit, vätis lauten) ist urverwandt mit lat. vates und erscheint in genauer
Entsprechung in dX\xr. fäith, das wesentlich auf die kirchliche Sprache ein-
geschränkt ist und hier die Propheten des alten Bundes bezeichnet, die ja
auch im Judentum neben den offiziellen Vertretern des jüdischen Religions-
wesens standen wie die Vaten neben den Druiden bei den Kelten. Es
findet sich jedoch vereinzelt fäith auch in der Sagenliteratur in der Be-
deutung 'Seher', wofür eine charakteristische Stelle im Eingang der ältesten
Rezension des größten altirischen Epos vorliegt. Hier im 'Rinderraub von
Cualnge' wird erzählt, daß das versammelte Heer der Männer Irlands
nicht aufbrechen konnte: 'nicht ließen ihre Vaten und Druiden sie weg
in Erwartung eines Omens'; im altir. Text stehen fäthi und drüid, also
genau die altgall. Oüaren; und Apuibeq entsprechenden Wörter.
Die Vaten in Dcr in der altirischen Profanliteratur für den Stand der altkeltischen
Vaten gebräuchliche Ausdruck lautet Nom, Sing, ßli (Genit. filed); er ist
offenkundig ein Synonym, das auch bei den kontinentalen Kelten zur Be-
zeichnung der Vaten vorkam und uns nur direkt nicht überliefert ist. Es
ist nämlich altir. ßli^ Genit. ßled^ ein altkeltisches velis (aus älterem velesy
veleds), Genit. veledos^ das als reguläre Bildung zu einem keltischen Verb
gehört, das in kymr. gweled, bret. gwelet noch heute das gewöhnliche Wort
für 'sehen' ist; es bedeutet also: 'der Seher'. Zu diesem velis, Genit. vele-
dos, würde das reguläre Femininum altkeltisches veleda sein, wie bekanntlich
die in Tacitus' Historien aus dem Bataveraufstand erwähnte germanische
'virgo fatidica' heißt. Kelten im römischen Heer haben demnach die den Ger-
manen eigentümliche, aber den Kelten fremde Erscheinung Orakel gebender
Frauen für die Römer aus ihren eigenen Anschauungen heraus bezeichnet
Nimmt man noch hinzu, daß die durch altir. fäith wirklich als altkeltisch
ausgewiesene Bezeichnimg vätis für die dritte Klasse der keltischen Lite-
raten uns nur in der einen Stelle bei Strabo überliefert ist, ferner daß die
Iren die altkeltischen Bezeichnungen für die beiden anderen Klassen in
drui (Plur. druid) und bard (Plur. baird) treu bewahrt haben, dann wächst
die Wahrscheinlichkeit, daß in einem durch altir. fili (^hxr. ßlid) repräsen-
tierten altkeit, vells (Plur. veledes) die eigentliche Bezeichnung der in Rede
stehenden Klasse vorliegt, wofür auf dem Kontinent — ebenso wie im
IrUnd.
B. Die keltischen Literaturen. I. Der keltische Literatenstand und seine Klassen.
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altkeltischen Irland — auch väiis vorkam, das den 'Seher' nach seiner
weiteren Tätig-keit als 'Verkündicfer' (Prophet) des Geschauten bezeichnete.
Die etyniolog"ische Bedeutung des irischen Wortes ßli, die durch die
spärlichen Mitteilungen der Alten über die Tätigkeit der gallischen Vaten
gestützt wird, ist nur noch sehr wenig passend auf die Rolle der fili im
christlichen Irland, wie ja ganz natürlich ist, da die bei den heidnischen
Galliern für den fremden Beobachter besonders hervortretende Tätigkeit
der Vaten in dem christianisierten Irland keinen Raum hat. Immerhin hat
die ältere irische Literatur genügend Spuren erhalten davon, daß auch im
heidnischen Irland das Voraussagen und Orakelgeben eine Seite der Tätigkeit
des fili war. Die weiteren Seiten, wie wir sie aus der älteren Sagenliteratur
kennen, waren folgende: der //// ist Rechtsfinder und Kenner der Genea-
logien und der Topographie Irlands; je nachdem die eine oder die andere
Seite bei ihm mehr hervortritt, heißt er altir. brif/ienij Genit briihcman *der
Mann, der sich mit dem Urteilfinden {brcth) befaßt', oder altir. sencha^ Genit
senchad 'der sich mit den Altertümern befaßt'. Weiter ist der fili in engem
Zusammenhang mit den beiden genannten Funktionen der Bewahrer der
historisch -sagenhaften Überlieferungen, also der Träger der epischen Lite-
ratur der Iren, als welcher er den speziellen Titel scelidi\, 'der Mann, der
sich mit den Geschichten {sül) befaßt', hat; endlich ist er 'Dichter', und
dieses ist in der gewöhnlichen altirischen Sprache die spezielle Bedeutung
des Wortes filt.
Die Klasse der fili umfaßte also im alten Irland den Gelehrten-
stand unter den Laien gegenüber dem das altheidnische Druidentum im
christlichen Irland fortsetzenden Stand der Kleriker (des Mönchtums); sie
waren die Träger der Profanliteratur in weitem Umfang. Dem entsprach
ihre Stellung im Staatswesen, die in Irland ebenso angesehen war wie die
des Bardentums in W^ales. Jeder Clanhäuptling, deren es zuzeiten 184
in Irland gab, hatte einen ylrV«; am Hofe der Teilkönige gab es oft mehrere
je nach ihrer Tätigkeit als Richter oder Antiquar oder epischer Dichter;
ebenso gab es in Irland einen ardfili 'Oberfili' wie einen ardrl 'Ober-
könig'. Die fili hatten zahlreiche Privilegien. Nur durch längeres Studium
konnte man die verschiedenen Grade erlangen, deren es sieben gab; der
Angehörige des obersten Grades hieß ollam^ womit man seit Ende des
Mittelalters im keltischen Irland den Titel 'Doktor' übersetzt. Die Grund-
lage für die Gradeinteilung ist die Summe des Wissens, die der einzelne sich
erwarb, die bei dem fili, der sich hauptsächlich /um Träger der epischen
Literatur ausbildete, nach der Zahl der Geschichten bemessen wurde, die ein
solcher auf seinem Repertoire hatte. Zur Erlangung der f//</w- Würde als
Sagener/.ähler (scitlidc) gehörte angeblich Kenntnis von 350 Geschichten.
Die Zahl scheint nicht zu arg übertrieben, wenn man bedenkt, daß in einem
Text des 10. Jahrhunderts uns ein Katalog von 161 Geschichten als
Repertoire des zuzeiten des Oberkönigs Domnall niac Muirchertaig
(956 — 979) lebenden yiVx Urard mac Coise erhalten ist, und daß nach einem
^8 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
anderen Text des lo. Jahrhunderts ein ßli namens Forgoll dem im Jahre 624
gefallenen Ulsterköniglein Mongan jeden Abend eine Geschichte erzählte
vom I. November bis i. Mai, also während des keltischen Winterhalb-
jahres. Bestimmte Geschichtenreihen sind für bestimmte Grade reserviert,
wie auch bestimmte Kompositionen der Dichtkunst fest bestimmten Graden
der fili gehören. Bei dieser Stellung der y?//- Klasse im alten Irland ist
es begreiflich, daß sie ihr Gebiet auf Kosten der Bardenklasse erweiterten.
Öfters kommt in den Sagenerzählungen der erzürnte ßli als Anfertiger
satyrischer Gedichte auf den Beleidiger vor, wie denn in Abhandlungen
und Erzählungen zuweilen die Barden als Teil der yf/e-Klasse erscheinen,
aber so, daß man sieht, daß dies jüngere Entwickelung ist oder unberech-
tigte Theorie: der Barde gilt nämlich dann als gradloser y^/z, als ein Mann,
der 'keine Verpflichtung zum Lernen (Studieren) hat, sondern auf seine
angeborenen Fähigkeiten angewiesen ist'.
Die Vaten in WcsentHch audcrs als in Irland liegen bei den britischen Kelten im
\\aies. Mittelalter (also in Wales und der Bretagne) die Dinge für die in Rede
stehende Klasse der literarischen Welt der Kelten. Hier existiert weder
das dem altgallischen vätis altir. fäith noch das dem irischen ßli ent-
sprechende Wort; es ist auch kein sicherer Hinweis vorhanden, daß neben
der hier besonders hoch angesehenen Bardenklasse eine weitere besondere
Klasse der literarischen Welt bestand. Die altkeltischen Briten standen,
wie sie sicher in manchen anderen Dingen (z. B. der Sprache) den kon-
tinentalen Kelten des gegenüberliegenden Festlandes in Gallia belgica
verwandter waren als den altkeltischen Iren, auch in bezug auf das
Druidentum nach den bestimmten Ang^aben Caesars nahe zu Gallien. Es
ist daher möglich und wahrscheinlich, daß in Britannien wie in Gallien
die Druidenklasse die Rolle der Vaten in wesentlichen Punkten über-
nommen hatte, und daß daher die Klasse der Vaten in Britannien in das
Schicksal des britischen Druidentums mit verwickelt wurde: sie verschwand
als Klasse im dritten Viertel des i. Jahrhunderts ebenso wie die Druiden,
ihr Name ebenso wie der der Druiden. Anderseits ist es natürlich, daß die
im christlichen Wales mächtig werdende Klasse der Barden ihrerseits
Übergriffe machte: naheliegend war es, daß sie das Gesamtgebiet der
Poesie mit Beschlag belegten; sie übernahmen ferner infolge ihrer Stellung
am Hofe die wichtigen Genealogien, so daß noch König Heinrich VII.
von England nach seiner Thronbesteigung sich von dem welschen Barden
Gutyn Owen den Stammbaum seines Großvaters Owen ap Meredydd ap Tudor
anfertigen ließ. Es bleiben von den P'unktionen des irischen ^ä also noch
die als Rechtsprecher und als Träger der epischen Stoffe.
Der Richter (altkymr. brawdwr, egnaf) ist in dem während der Zeit der
Unabhängigkeit nur einheimisches Recht in kymrischer Sprache besitzen-
den Wales eine wichtige Persönlichkeit; er nimmt am Hofe in Nordwales
die fünfte Stelle unter den Hofbeamten ein und gehört nach den Gesetzen
zu den drei für den Fürsten unentbehrlichen Personen; er prüft die übrigen
B. Die keltischen Literaturen. I. Drr keltische Literatenstand und seine Klassen. eg
Richter des Gebietes und g-enießt gfroße Privileg-ien. In dem Richterstand
im alten Wales ist also ein würdig^er Vertreter von einer Seite der alt-
irischen ////-Klasse erhalten.
Weniger glänzend steht es aber mit den Trägern der epischen Stoffe,
also der Seite des irischen yf/i, die seine glänzendste und für die ältere
irische Literatur bodoutond.stc i.st. Sagonliebend waren die britischen
Kelten wohl nicht weniger als die iri.schen. Aus dem lateinisch schreibenden
süd welschen Historiker Xennius können wir lernen, daß die mannigfachsten
Erzählungen über Arthur, den Träger der nationalen Heldensage, am Ende
des (S. Jahrhunderts in Südwajes umliefen; tatsächlich ist uns eine solche
Erzählung, auf die auch schon Nennius anspielt, aus dem 12. Jahrhundert
erhalten in dem Text von 'Arthurs Eberjagd'; vier Erzählungen eines
ganz anderen, älteren Sagenkreises, die sogenannten Mabinogion, legen
weiteres Zeugnis ab. Den Namen eines bekannten Sagenerzählers aus
dem 1 2. Jahrhundert, des Tabulator Bledhericus, erwähnt Giraldus Cam-
brensis gelegentlich. Im geschichtlichen Wales des Mittelalters aber
hat der Träger der Sagenstoffe keine Stellung am Hofe und beim Adel:
er ist in den welschen Gesetzen als Person unbekannt, und auch von seiner
Tätigkeit ist in ihnen keine Rede. Die Angehörigen der Bardenklasse
haben die Gunst des obersten Standes, der Fürsten und Adligen, denen
sie durch ihre Loblieder schmeicheln, und deren Interesse sie mit den
Kriegsliedem befördern. Diese Barden, zugleich die Genealogen der
Fürsten und damit sich als Historiker und Antiquare betrachtend, schauten
verächtlich auf die Sagenerzähler herab als Verbreiter und Fort-
pflanzer von lügenhaftem Zeug, was ja nicht wahr sein kann: diese Ammen-
märchen verdienten nach Ansicht der Barden im Vergleich mit den von
ihnen im Lied gefeierten geschichtlichen Ereignissen, den Tatsachen, keine
Überlieferung. Lehrreicher als Zeugnisse hierfür ist folgende Tatsache: die
vier Erzählungen des Mabinogionsagenkreises sind uns nur in zwei älteren,
aus gemeinsamer Quelle abgeschriebenen Handschriften erhalten, während
die kymrische Übersetzung der aus Sagen und eigener Erfindung be-
stehenden, aber sich als wahrhaftige Geschichte geberdenden Historia
regum Britanniae in nicht weniger als 28 Handschriften, darunter 20 über
das 16. Jahrhundert hinau.sgehend, vorliegt.
Direkte Zeugnisse für die in der angeführten Tatsache zum Ausdruck
kommende Gesinnung der Bardenklasse und ihrer Gönner zu den Sagen-
erzähleni liegen zum Überfluß vor, namentlich wie verächtlich man auf
die Erzählungen {clmudUu , ysforiau) von Arthur und seinen Kriegern herab-
schaute. Die Sagenerzähler standen demnach im mittelalterlichen Wales
wohl auf derselben Stufe wie die vagabundierenden Barden, die, von den
Fürstenhöfen und Häusern der Besitzenden ausgeschlossen, bei dem Volk
im Umherziehen das Brot verdienten. So rechnet denn Llewis Cilyn Cothi
in zweiter Hälfle des 15. Jahrhunderts in seiner Klassifizierung der Barden
den Sagenerzähler (ystorawr) als dritte Klasse der Barden, identifiziert
öo Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
ihn also mit dem vagabondierenden Barden. Zum Schluß der wohl aus
dem 13. Jahrhundert stammenden Erzählung von 'Rhonabwys Traum'
werden Barde (bard) und Sagenerzähler (cyfanvyJ) als getrennte Personen,
aber beide als Träger der genannten Erzählung betrachtet, während in
dem dem Mabinogionkreis angehörigen Text 'Math der Sohn von Ma-
thonwy' direkt berichtet wird, daß Gilvaethwy und Gwydyon in der Ge-
stalt von Barden an den Hof Prj^deris gingen und Gwydyon in dieser
Gestalt den Pryderi als Geschichtenerzähler (cyfarwyd) mit einer Geschichte
am Abend unterhielt. Sieht man also davon ab, daß der Richter es in
Wales zu einer geachteten selbständigen Stellung gebracht hat, so sind
alle übrigen Seiten der in Irland von der y^Y^-Klasse ausgeübten Tätigkeit
in Wales entweder direkt von der Bardenklasse mit Beschlag belegt
worden oder in eine ihr untergeordnete Stellung gedrückt.
Die Vatenidasse Aucli in der aremorikanischcn Bretagne stand neben den zur Harfe
in der Bretagne ^j^^.^ Li^dcr Vortragenden Barden eine Gruppe von Literaten, die wir als
die bretonischen Vertreter der altirischen ßli wenigstens nach einer Seite
hin betrachten müssen. Es sind die bei Wace als 'conteurs' und 'fableurs'
auftretenden Bretonen. Sie erscheinen im 12. und bis Mitte des 13. Jahr-
hunderts an den Höfen der Fürsten und Edlen in Nordfrankreich, der Nor-
mandie und des anglonormannischen Englands und ergötzten in Abwechs-
lung mit den musizierenden bretonischen Sängern durch Erzählungen ihr
Publikum. Sie waren die Träger und Verbreiter der bretonischen Sagenliteratur.
Wie die in die romanische Welt wandernden bretonischen Barden mit
ihren zur Harfe gesungenen Liedern den Romanen die Stoffe zu den lais
bretons lieferten, so sind die bretonischen Sagenerzähler, wie schon früher
bemerkt, die Träger und Verbreiter der Erzählungen aus dem Arthur-
sagenkreise in der romanischen Welt geworden; hier und dort auf-
gezeichnet lieferten diese Prosaerzählungen, direkt oder durch weitere
Bearbeitungen vermittelt, das Rohmaterial zu den gedankenreichen und
kunstvollendeten Epen Christians von Troyes.
Die Gründe der Die ganz Verschiedenartige Entwicklung, die nach dem Verschwinden
verschieden- ^^^ Druidcntums bei den beiden Zweisren der Inselkelten die beiden an-
artigen "J
EntWickelung deren Klassen der literarischen Welt, Vaten und Barden, durchgemacht
bei irischen j^^^gj^ wird wohl zum Teil in den verschiedenen politischen Verhältnissen
und britischen ' •■■
Kelten. in Wales und Irland vom 5. bis g. Jahrhundert seine Erklärung finden.
Aus den entgegengesetzten Teilen des alten Britengebietes strömten vom
5. Jahrhundert ab keltische Briten in die Berge von Wales, die sie zum
Teil von den über die See eingedrungenen Iren säubern mußten, ehe sie
Sitze fanden. Zeit zu behaglichem Stilleben gab es aber auch dann noch
nicht: griffen nicht Angeln und Sachsen an, so zog man von selbst in die
Ebene, um alte Scharten auszuwetzen. Tapfere Tat forderte und fand
nach der Heimkehr ihr Lied; zu neuer beuteversprechender Tat reizte der
Sänger in der Halle. So gelangte das Bardentum in Wales zu seiner
Bedeutung. Anders lagen die Dinge in Irland in jenen Jahrhunderten.
B. Die kellischen Literaturen. II. Die epische Form und der epische Stil. 6l
Irlands krieg-erische Betätigfung- nach außen im .^ und 4. Jahrhundert, die
Iren nach Nordbritannien sowohl wie nach Nordwales und die Striche um
die Severnbucht führte, hatte im 5. Jahrhundert mit der Zurücktreibun^r
der Iren aus Wales ein Ende gefunden. Rein gar nichts ging in den
folgenden 400 Jahren im politischen Leben des irischen Volkes vor, was
zum Preislied anreizen konnte. Wie die Klosterleute unter Anführung von
Mönchen in das Gebiet des benachbarten Klosters einfielen und nach
blutig geschlagenen Köpfen mit einigen Kühen heimkehrten, so machten
die Clanhäuptlinge mit der jungen Mannschaft Einfalle in Gebiete anderer
Clane, um Herden heimzutreiben. Wenn dann von einem solchen Zuge
noch der eine mit abgehauener Hand, ein anderer mit ausgeschlagenem
Auge, ein dritter mit abgeschlagener Ferse, ein vierter mit durchbohrten
Hoden heimkehrte, wie die Sagentexte melden, so waren dies und selbst
ein mitgebrachter Kopf eines erschlagenen Feindes doch nicht Ereig-nisse,
die Stoff zu Preisliedern für die lange Zeit vom 1. November bis
1. Mai in der Halle des Königs oder Häuptlings abgeben konnten. Das
war die Zeit zum Erzählen und zum Hören von Erzählungen, und so
kam die Klasse der fili vor allem in der Person des Trägers der Sagen,
des scilidt', im alten Irland zu Ansehen und Würde.
Was Könige und Häuptlinge in erster Linie interessierte, das kam ihe fo1«m
zur Aufzeichnung in der Profanliteratur, das wurde durch Abschriften )"^**'.
'^ ' für die Utvrmtar.
weiter verpflanzt und daher Literatur im eigentlichen Sinne. Dement-
sprechend ist in Wales eine große ältere lyrische Literatur vorhanden,
neben der die eigentlich epische Literatur keinen Vergleich aushalten kann;
in Irland hingegen finden wir eine epische Literatur von unglaublicher
Fülle in älterer Zeit und verhältnismäßig geringe Profanlyrik: das Rückgrat
der älteren irischen Literatur ist die epische, das Rückgrat der kymrischen
Literatur ist zu allen Zeiten die Lyrik. Das hat einen weiteren scharfen
Unterschied hinsichtlich der äußeren Form zur Folge: während die Masse
der kymrischen Literatur in gebundener Rede in kunstvollen Metren vor-
liegt, ist Prosa die äußere Form der älteren volkstümlichen irischen
Literatur, weil Prosa die keltische Form der Epik ist,
IL Die epische Form und der epische Stil. Die gemein- Pro«»inHiit
ist Ib^
germanische Form der epischen Erzählung ist das Heldenlied, das, im,,^„aKrw»
Gegensatz zum Preislied auf einen Helden oder eine Begebenheit, den »icofÄ^ib» Form.
Zweck hat, die Ereignisse und die Momente der Handlung vorzuführen
und mitzuteilen. Der epische Sänger ist bei den Gennanen der Träger
der Heldensage. Aus solchen epischen Liedern entstand bei oberdeutschen
Stämmen und Angelsachsen das Epos. Demgegenüber muß als Tatsache
festgestellt werden, die nicht stark genug betont werden kann, daß die
gemeinkeltische P'orm der epischen Dichtung die Erzählung in Prosa ist
Am klarsten und greifbarsten liegen die Verhältnisse in Irland. In großen
Sammelhandschriften vom 11. bis 15. Jahrhundert liegen uns Texte der
62 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
irischen Heldensage und anderer Art Sagen in großer Menge vor, die
durch ihre Sprache die Gewähr bieten, daß sie im 9. Jahrhundert ihre
Form und Aufzeichnung gefunden hatten. Die äußere Form bei allen
diesen Texten, sowohl denen der alten nordirischen Heldensage (Cuchulinn-
sage) als den übrigen Sagentexten (SchifFersagen u. a.), ist die Prosa-
erzählung: an Stellen, wo die erzählte Handlung sich dramatisch steigert,
also im Dialog, tritt öfters — nicht immer oder auch nur besonders häufig
— Rede und Gegenrede in gebundener Rede auf, daß sich Strophe um
Strophe oder kleine Gedichte aus mehreren Strophen entsprechen. Das-
selbe ist auch der Fall, wo in der Erzählimg lyrische Elemente vorhanden
sind, also z. B. der Held über dem gefallenen tapferen Gegner oder Freund
eine Totenklage anstimmt, die sowohl in einer den Rahmen der gewöhnlichen
Prosa überschreitenden Prosa mit rh5rthmischer Gliederung als in gebun-
dener Rede erscheinen. Jeder Gedanke, daß diese Prosaerzählungen
größeren oder geringeren Umfanges Auflösungen älterer poetischer Dar-
stellungen sind, muß für den, der diese Texte im Original zu lesen ver-
mag, ganz ausgeschlossen erscheinen. Dem epischen Sänger der Germanen
entspricht demgemäß im alten Irland der ^ Sagenerzähler' {scelid von scel
'Erzählimg, Geschichte, Nachricht' gleich kymr. chwedl '^Geschichte, Fabel'),
der an die Höfe der Königlein zieht und ein Repertoire von solchen
Prosaerzählungen vorrätig hat. Prinzipiell gleichartig lagen die Dinge im
alten Wales, nur daß, wie schon ausgeführt, hier die Heldensage nicht zu
der literarischen Bedeutung kam wie in Irland. Aber Zeugnisse sind in
welscher Literatur genug dafür vorhanden, daß die Welschen die bei den
Iren nachgewiesene Form der epischen Erzählung haben und nur diese.
Alle aus der ältesten britischen Heldensage, dem Mabinogionsagenkreis,
auf uns gekommenen kymrischen Texte — Pwyll, Prinz von Dyfed; Branwen,
Tochter des Llyr; Manau^ddan, Sohn des Llyr; Math, Sohn des Mathonwy
— sind Prosaerzählungen; desgleichen, was von welscher Form der Arthur-
sage und anderen Stoffen zufällig Aufzeichnung fand, wie 'Arthurs Eber-
jagd' (Kulhwch und Olwen) oder 'Rhonabwys Traum'. Auch in ihnen
liegen die Spuren der altirischen Eigenheit vor, daß im Momente dramatischer
Steigerung der Handlung vorübergehend gebundene Rede eintritt.
In Prosa- Nicht minder lehrreich für die keltische Form der epischen Dichtung
erra ungen -^^ ^^^ Übereinstimmung der Iren und Kymren untereinander in der Be-
in acnen '-^ ■'
Iren und Kymrea handlung fremder, zu ihnen kommender Stoffe, und der Gegensatz, in
sich fremde ^^^ ^^^ Iren Und Kymren hierbei zu germanischen Völkern (Engländern und
Stoffe zu eigen. -^ '-' \ o
Deutschen) oder zu Normannen und Nordfranzosen traten, die erklärlicher-
weise die epische Form der Germanen haben. Die Stoffe der Trojaner-
und Alexandersage kommen zu Kelten, Franzosen und Deutschen: die
Iren bearbeiten (nicht übersetzen) und machen sie heimisch in der ihnen
eigenen epischen Form, in Prosaerzählungen, die Deutschen und Franzosen
in der gebundenen Rede ihrer epischen Form. Oder: Galfrieds von Mon-
mouth Aufsehen erregender historischer Roman, genannt 'Historia regum
H. Die keltischen Litcr;iluren. 11 1 'ir epis( he Korin und tlrr episriir mm
Hritanniap', wird von dem Normannen Wac»; im 'Roman de Hrut' in Vitm n
bearbeitet, von einem Welschen aber in Prosa, Oder: die französischen
Arthurepen Christians von Troyes werden Deutschen und Welschen bekannt;
die ersteren machen sie in poetischer Form heimisch (Iwein, Erec, Parzival),
die Welschen j»^jeßen sie in Prosaerzählunjjen um (Jarlles y Ffynnawn,
Geraint ab Erbin, Pereilur ab Mfrawo. Oder: die französischen Kpen
Bovon de Hanstone und Guy de Warwick kommen zu Engländern, Welsch<n
und Iren; die Eni^länder ahmen sie in gebundener Rede nach, aber Iren
und Kymren geben ihnen die heimische Form der epischen Erzählung,
die Prosaform. Es bricht also bei Iren und Kymren, wenn sie fremde
Stoffe bei sich heimisch machen, immer die keltische F'orm der epischen
F>zählunpf durch.
Ebenso bezeichnend endlich für die nachgewiesene keltische Eigenart s»chaiuBaa( d«r
ist eine weitere Tatsache aus der Entwickelung der irischen Literatur. '^ ' .
Um die Mitte des lo. Jahrhunderts hatte die seit Ende des 8. Jahrhunderts Pom d«« Epo«
andauernde Vikingerdrangsal für irisches Volkstum und irische Bildung '*^
ihre Verderblichkeit verloren. Die zahlreichen kleineren Vikingerkolonien
in allen Teilen Irlands hatten sich seit letztem Viertel des g. Jahrhunderts
allmählich irisiert, und durch den Übertritt des Herrschers des Dubliner
Vikingerstaates im Jahre 043 zum Christentum wurde das stärkste Hindernis
für die raschere Angleichung dieser vorläufig noch politisch unabhängigen
Vikingerkolonie an das keltische Volkstum Irlands beseitigt Damit gehen
in der Literatur zwei Ereignisse Hand in Hand: eine neue Form der
epischen Erzählung beginnt sich neben der bisher allein herrschenden ge-
meinkeltischen auszubilden, und eine neue Heldensage kommt langsam auf
neben der fortlebenden Cuchulinnsage. Die neue Form der epischen Er-
zählung ist das germanische Heldenlied, das sich neben die keltische Prosa-
erzählung einer Sagenepisode stellt Es hat dies irische Heldenlied nicht
die Form, wie wir sie aus Homer kennen, wie sie das Hildebrandslied
aufweist, und wie sie Heliand und Beowulf fürs niedersächsische und angel-
sächsische Heldenlied voraussetzen; es reiht sich also nicht wie in den
genannten Vertretern epischer Dichtungen Vers an Vers, bis ein episches
Lied, ein Ebenbild zur alten epischen Prosaerzählung der Iren vorhanden
ist, es hat vielmehr das neue irische epische Lied die strophische Form,
wie sie in den Liedern der Xibelungensage im Norden vorliegt Diese
Strophenform an sich ist echt irisch, wie sie sich auch in der poetischen
Rede und Gegenrede findet, die in die alten epischen Prosaerzählungen
eingestreut sind; aber die strophische Ballade im Umfang von 20 bis
50 Strophen, also 80 bis 200 siebensilbigen Zeilen, als F'orm der epischen
Erzählung für und neben der alten Prosaer/ählung ist etwas Neues in
der epischen Literatur. In diesen irischen Balladen herrscht im Verhältnis
zu den alten Prosaerzählungen nichts von epischer Breite, vielmehr ein
unverkennbares Streben nach Kürze; daher ist auch nichts oder wenig
von <l»r T ••>i«ndigkeit der Schilderung, dl«- in don Pro-va.r/rililuTiven des
64 Heinrich Zi\lmer; Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
altirischen Epos sich findet, in den strophischen Balladen zu bemerken:
wie Memorialverse für eine ausführliche Prosaerzählung muten sie uns an,
deutlich verratend, daß eine für gelehrte, didaktische Dichtung geeignete
Form aus Nachahmung fremder Art auf die epische Erzählung Anwendung
findet. Am bezeichnendsten dafür, daß mit der Verw^endung der strophischen
Ballade für die epische Erzählung in der irischen Literatur es sich um
etwas Neues handelt, sind zwei Momente: die Stoffe der alten Heldensage
der Iren, also die Erzählungen des Cuchulinnsagenkreises, sind noch auf
viele Jahrhunderte so gut wie vollständig tabu für die neue epische Form;
anderseits ist charakteristisch, daß das Hauptgebiet der strophischen Ballade
als Form der epischen Erzählung" die im Vikingerzeitalter sich heraus-
bildende neue Heldensage der Iren, die Finnsage — gewöhnlich Ossian-
sage genannt — ist: hier hat die neue Form der epischen Erzählung volles
Bürgerrecht bis in die Neuzeit neben der altkeltischen Form der Prosa-
erzählung, Einzel episoden der Finnsage in Prosaerzählung und strophische
Balladen kommen als gleichberechtigte Formen seit dem 11. und 12. Jahr-
hundert vor. Als man aber im 13. und 14, Jahrhundert dazu überging, an
Stelle der episodenartigen Einzelerzählungen in Prosa oder Ballade auch in
der Finnsage größere epische Ganze zu gestalten, da ging man nicht zum
Epos im gewöhnlichen Sinne des Wortes, also etwa zu einem mehr oder
minder festgebundenen Balladenzyklus über, sondern fiel in die alt-
keltische Form der Prosaerzählung zurück. Im entscheidenden
Momente, als in der Finnsage der Schritt zum Höchsten in der Epik ge-
schehen sollte, brach also die keltische Eigenart wieder durch. Zeitlich
fällt dies ziemlich zusammen mit den erwähnten Bearbeitung^en umfang-
reicher antiker und mittelalterlicher Texte, die zu den Iren in dem Ge-
w^ande der epischen Form der Germanen und Romanen kamen, aber in
der irisch -keltischen Form des Prosaromans heimisch gemacht wurden.
Einfluß der Gemcinkeltische Form der epischen Dichtung ist also die Erzählung
epischen Form ^^ Prosa, dcr Prosaromau. An zwei Punkten des keltischen Sprachgebietes
der Kelten auf ' ^ ®
die mitteiaiter- hat sie Schule gcmacht. Die isländische Literatur kennt seit dem 11. Jähr-
liche Literatur, j^y^j^gj-j- gjj^g eigene, den übrigen Germanen, selbst Schweden und Dänen
fremde Literaturgattung, die der Sagas. Ein Sohn kann dem Vater bis
in kleine Züge nicht ähnlicher sehen als die isländischen Sagas des 12. Jahr-
hunderts in der äußeren Form den altirischen epischen Prosaerzählungen
des 9. und 10. Jahrhunderts; es ist die gemeinkeltische Form der epischen
Dichtung, die uns in Island entgegentritt, und daß sie eine Errungenschaft
der engen Berührung der Norweger mit den Iren auf Irlands Boden im
Q. und 10. Jahrhundert ist, wird kaum mehr bestritten.
Von viel weittragenderer Bedeutung und wenig beachtet ist die wahr-
scheinliche Einwirkung der in Rede stehenden keltischen Eigenart an einem
anderen Punkte des keltischen Gebietes. Wir haben allen Grund zu der
Annahme, daß die bei Iren und Kymren herrschende keltische Form der
epischen Erzählung auch in der Bretagne im Mittelalter bestand, sowohl
H. Die keltischen Literaturen. II. Die epische Fonn und der c|)ib» iic mu. (jc
bei lien lirt-toni.sch redeiidon als den y^eniischt.sprachij^en liretonen des
Ostens. Dies ist die Fomi, in der das Rohmaterial zu den französischen
Arthurepen nach Nordfrankreich, zu Normannen und Franzosen kam, wo
es in die epische Form der Romanen umj^ej^ifossen wurde; es müssen aLso
hier im 1 2. Jahrhundert prosaische und poetische Uarstellung-en desselben
Stoft'es in französischer Sprache nebeneinander gelegen haben. In Nord-
frankreich vollzog sich dann vom 1 3. Jahrhundert ab der Übergang des
Romans in der poetischen Form zur prosaischen, also der Übergang von
der Form der epischen Erzählung der Germanen und Romanen zu der-
jenigen der Kelten: in N'ersen bearbeitete Stoffe tauchen nun hier in Prosa-
romanen auf, namentlich auch die Stoffe des Arthursagenkreises, und von
hier aus drang dann der Prosaroman allmählich in alle anderen Literaturen.
Bei diesem Stand der Dinge muß doch das Land (Xordfrankreich), wo zuerst
mittelalterliche Prosaromane in der Landessprache erscheinen, und die
Zeit, in der sie ihren Ausgang nehmen, darauf hinweisen, daß bei Ent-
stehung dieser der Literatur der Germanen und Romanen bis dahin fremden
Gattung der prosaischen Romane das Bretonentum mit seiner gemein-
keltischen Eigenart der Form der epischen Dichtung nicht ohne Einfluß
gewesen ist.
Nicht allzu umfangreiche Erzählungen in Prosa, die ein Ereignis ch»nkmr dm
oder mehrere eng zusammenhängende aus dem Leben eines Helden oder ^'*"'
irgendeine keltischen Hörerkreis interessierende Begebenheit zur Dar-
stellung bringen, bilden also die erste Stufe der keltischen Epik. Eine
geradezu hervorragende Kunst des Erzählens zeigt sich in ihnen, und zwar
nicht nur in zahlreichen Erzeugnissen der älteren irischen Sagenliteratur,
sondern auch in den spärlicheren Proben volkstümlicher Erzählung, wie
sie uns die vier Texte des Alabinogionsagenkreises für Wales autljewahrt
haben. Man nehme einen irischen Text, wie 'die Geschichte vom Schwein
des Mac Dathö': die dem Iren noch heutigentags im Leben eigene Schlag-
fertigkeit der Rede und sein damit verbundener Witz kommen in den
kurzen Rt'den und Gegenreden der Connachthelden und Ulsterkrieger
meisterhaft zur Darstellung; in dem Verhalten des Mac Dathö selbst vor
und nach dem Wortstreit, sowie in der Forderung Ferlogas an Conchobar
ebenso der Humor; der Aufbau des Ganzen ist geschickt, die Steigerung
hält den Hörer in Spannung, und der dramatische Höhepunkt, wo der von
den Llsterkriegern schon nicht mehr erwartete Genosse Conall Cemach
plötzlich in den Saal springt, nach kurzer poetischer Rede und Gegenrede,
wie sie sich unter Helden ziemt, den abgeschnittenen Kopf des Anluan
aus seinem Gürtel zieht und ihn dem Connachthelden Cot mac Matach,
der seinen abwesenden Genossen Anluan eben als den größten Helden
gerühmt hatte, auf die Brust schleudert, daß ihm ein Blutstrom über die
Lippen bricht, ist grausig schön. An Umfang übersteigen diese keltischen
Einzelerzählungen in der Regel nicht das, was ein Erzähler seinem Hörer-
kreis in ein bis drei Abendstunden vortragen konnte.
l>ii Ki7i.rvB Dsm OsoBirwAaT. L ii. i. 5
56 Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Mangelnde Wie bci den Germanen die Nordländer nicht über die Stufe des
Fähigkeit der jjgi^jejiliedes hinauskamen, so sind die britischen Kelten, soweit aus der
Kelten zu großen
epischen Ganzen. spärUchen epischcn Literatur der Kymren Schlüsse können gezogen werden,
nicht über die Einzelerzählung in Prosa hinausgekommen. Anders die
Iren, die hierin Angelsachsen oder Oberdeutschen vergleichbar sind.
Solche umfassende Erzählungen aus dem Cuchulinnsagenkreis wie 'Fest
des Bricriu' {Fled Bricretid) und 'Rinderraub von Cualnge' [Täin bö Cua-
Inge) oder 'Schlacht von Finnträig' {Cath Fhiträgä) aus dem jüngeren Sagen-
kreis wird man unbedingt als epische Dichtungen bezeichnen müssen; auch
viele andere noch. So vollendet gewöhnlich auch — namentlich in Texten
der älteren irischen Heldensage — die Erzählung innerhalb der einzelnen
Teile des größeren Ganzen ist, ebenso mangelhaft, oft ganz unkünstlerisch
ist die Komposition als Ganzes; viele Episoden sind oft nur lose aneinander
gereiht; Anläufe zur Durchführung einer Idee werden gemacht, aber durch
das rein Stoffliche zurückgedrängt, so daß der jeweilige Träger der Hand-
lung als das einzig Zusammenhaltende der Erzählung erscheint. Kurz,
wenn auch an Umfang Epen (Prosaromane), sind doch die altirischen Prosa-
epen als Ganze keine Kunstwerke: sie verraten ein auffallendes
künstlerisches Unvermögen.
Derselbe Mangel Wer den Lebeusäußerungen des Keltentums zu verschiedenen Zeiten
auch anderswo ^^^ ^^£ Verschiedenen Gebieten nachgeht, wird immer wieder auf solches
bei den Kelten. ,
Unvermögen für Arbeiten stoßen, die einen längeren Atem erfordern. Weitab
von den altirischen Versuchen, aus epischen Einzelerzählungen ein eigent-
liches Epos zu schaffen, liegen die Arbeiten des 1895 gestorbenen welschen
Novellisten und Romanschriftstellers Daniel Owen, und doch wie ähnlich
sind seine Romane Y Dreflan, Rhys Lewis, Enoc Huws und Gwen Tomos
den altirischen Epen in mancher Hinsicht: die Einzelepisoden in ihnen
sind von einer Anschaulichkeit und Naturtreue, daß man sich als mit-
beteiligter Zuschauer fühlt, aber als Ganzes können genannte umfangreiche
Werke nicht gut den größeren Kunstwerken der erzählenden Gattung
zugerechnet werden, da der Plan des Ganzen und seine Ausführung sehr
schwach ist. — Cymru län nior 0 gän 'das herrliche Wales ein Meer von
Gesang und Musik' ruft der Welsche stolz aus. In der Tat, wo findet
man eine solche Fülle schöner Melodien, als bei den heutigen Kelten
in Irland, Wales oder der Bretagne? Darüber hinaus dasselbe künstlerische
Unvermögen zur Schaffung von musikalischen Kunstwerken, die sich nicht
improvisieren lassen, das wir beim altirischen Epos und neukymrischen
Roman feststellten. Seit 18 19 bestehen wieder die großen nationalen
Musik- und Sängerfeste in Wales, bei denen die Aufführung größerer
Chorwerke im Wettgesang von Chören einen Hauptbestandteil ausmacht,
der Teil, an dem die welschen Masßen am lebhaftesten Anteil nehmen.
Oft schon hat man durch ausgesetzte Preise gesucht, nationale Musik zum
Nationalfest hervorzurufen: große Kompositionen wurden geliefert, gekrönt,
aufgeführt mit dem Erfolg, daß, wenn Cymru län niör 0 gän am National-
B. Die keltischen Literaturen. 11. I >ic epische tiniu und der epiM.hc btil. (yj
fest an eiiu-ni ^üßeri'n Chorwork .sein tiefes Bedürfnis befriedij^en will,
man immer wieder zu Händel, llaydn, Mendel.s.sohn, vereinzelt Schumann
gereift. — Und steht es mit den 'Werken' der Kelten im V'ölkerleben anders?
Man spricht ihnen darum die Staaten bildende Kraft ab. Aber ist das
nicht im Grunde da.sselhe Unvermöijen, was schon hervorj»'ehoben wurde?
Virtuosen in der Kleinkunst, in allem, was sich improvisieren läßt, ^eht
den Kelten überall - in Literatur, Kunst und Völkerleben — die Fähig-
keit ab zu Schr)pfunv(en, die ein läut^'^eres Vorausbedenken, Knotenschürzen
und fest bei der Stande Bleiben erfordern ; wo sie in Nachahmunj^ oder in
Antrieb fremder Vorbilder solches versuchen, fallen die Versuche mangel-
haft aus. An den Vorbildern Ilias und Aeneis — jene in den Darstellungen
aus dem späten Altertum, die unter den Namen von Dares Phryj^us und
Dictys Cretensis auf uns g^ekommen sind, diese im Original bekannt —
ist den irischen Sagenerzähleni der Begriff des Epos im Gegensatz zur
Episode aufgegangen; das, was bei den Iren bei der Nachahmung heraus-
gekommen ist, zeigen uns die umfangreichen altirischen Sagentexte: *A
Kymro has imagination enough for fifty poets without judgement enough
for one' ist eine Art Sprichwort, das auch seine Richtigkeit behält, wenn
man Ire oder Kelte für 'Kymro' einsetzt Liest man eins der größeren epischen
Werke der irischen Literatur, dann hat man den Eindruck, daß, wenn auch
nicht so, so doch eine Anzahl Dichter, die im Verfasser wohnten, der
Reihe nach das Wort nehmen, ohne daß das zu stetiger Ausbildung eines
umfassenden Planes nötige 'judgement' zu gebührender Geltung kommt.
Die Einzelerzählungen, namentlich aus dem Kreise der Cuchulinnsage,
.sind, wie schon bemerkt wurde, kleine Kunstwerke der epischen Erzählung .-^üund ir^hoik
und verraten Stil und Technik, wie sie nur bei längerem Bestehen der ^^^"^j*"
ganzen Literaturgattung, sowie bei berufsmäßiger Pflege und .Schulung
der Träger sich herausbilden können. Rasch, manchmal fast knapp, wird
der Gang der Handlung vorgeführt; breit und ausführlich wird der Er-
zähler, wenn er auf Gegenständliches kommt: so wird bei der von Bricriu
nach dem Vorbild des Königspalastes in Emain Macha erbauten Festhalle
nicht nur gesagt, daß sie sich 'vor allen ähnlichen Häu.sern jener Zeit
ausgezeichnet' habe, sondern der Erzähler zeigt einzelne Teile gewisser-
maßen vor durch den Zusatz 'sowohl Material als kunstvolle Arbeit, so-
wohl Kostbarkeit als Architektur, sowohl Säulen als Frontstücke, sowohl
Glanz als .Stattlichkeit, sowohl Pracht als Eigenart, sowohl .Schnitzwerk
aLs Türverzierung', wobei zu beachten ist, daß im Irischen immer je
zwei Substantive durch Alliteration verbunden sind (c/rr aäbur ochs ela/hmn^
eter chaimi ocus chumtachtcu , eter üatni ocus airinigiy eter ligraJ ocus log-
mairi, tter sochraidf ocus sQachfiiJc , ctcr irscartini ocus imdorus). Peine
Detailmalerei geht bei den Erzählern Hand in Hand mit feststehenden
Wendungen und Redensarten; überall treffen wir stehende Beiwörter für
Helden, Waffen, Pferde, so daß Wörter und Formeln, die in verschiedenen
Texten in zahlreichen Handschriften vorkommen, uns in ihrer wirklichen
68 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
Bedeutung- oft ziemlich unklar bleiben, wenn ihre Etymologie dunkel ist
und die moderne Sprache ihre Hilfe versagt. Erreicht die Handlung einen
Höhepunkt, dann werden die Substantive gehäuft, und die Beiwörter werden
gehäuft, in parallelen Sätzen wird dasselbe zweimal gesagt; die Alliteration
tritt, wie schon aus dem eben gegebenen Beispiel ersichtlich war, als
weiterer Schmuck hinzu: *ich breche Schlachten allein' drückt Medb im
'Rinderraub von Cualng-e' aus brissimsea catha actis comlenga acus congala
vioenur und 'ich war besser im Kampf mit hamsa ferr imchath acus coffirac
acus comlund, wo also für 'Schlacht' oder 'Kampf drei alliterierende Syn-
onyme zur Verfügung des Erzählers stehen; Cathbad, Conchobars Druide,
'weinte fiutengroße, sehr rote Tränen des Blutes, so daß Busen und Brust
ihm feucht war' {ciis dera folcniara forruada fola corbo fliuch blae acus
brunni dö\ als er seinen König elend und bekümmert sah. Besonders die
Vorbereitungen zum Kampf, die Reden, die gehalten werden, und der
Kampf selbst sind Momente, in denen der irische Sagenerzähler alle
Register zieht, die ihm zu Gebote stehen.
In jüngerer Zeit entwickeln sich diese Eigenheiten immer mehr zur
Manier. Es läßt sich der Fortschritt hierin besonders gut beobachten, wenn
ältere Sagentexte auch in jüngeren Umarbeitungen vorliegen, die gelegent-
lich wesentlich darin bestehen, daß überall statt eines schmückenden Bei-
wortes drei alliterierende treten. Man betrachte die Erzählung von 'Ailill
Angubas Siechbett', auch 'das Werben um Etain' genannt, wie sie in der
ältesten irischen Sagenhandschrift des 1 1 . Jahrhunderts als Erbe des Q.Jahr-
hunderts vorliegt, mit der sogenannten ausführlichen Version einer viel
jüngeren Handschrift; noch lehrreicher ist, wenn man den größten Text der
jüngeren Heldensage 'die Unterhaltung der Alten' in älteren und jüngeren
Handschriften vergleicht. Die epische Ruhe, die in den alten Sagentexten
bei aller Lebhaftigkeit im einzelnen doch im ganzen und großen herrscht,
ist völlig dahin; aus gemessenen, alten Sagenerzählem, die in gebildeten
Kreisen zu verkehren wußten, sind gestikulierende Marktschreier geworden.
Es mag diese Verrohung des epischen Stiles, wie sie bei Vergleich von
Texten des g. und ro. Jahrhunderts mit solchen des 13. und 14. Jahr-
hunderts sich stark zeigt, mit den veränderten politischen Verhältnissen
Irlands zusammenhängen. Aus dem Phäakenleben von Mitte des 5. bis
Ende des 8. Jahrhunderts wurden die Iren durch die Vikingereinfälle auf-
geschreckt und 200 Jahre in Atem gehalten; Verschiebungen der Besitz-
verhältnisse fingen in dieser Zeit an und setzten sich nach der Anglo-
normanneneroberung Irlands fort; das Bildungsniveau der irischen Gelehrten
in den Klöstern sank vom i o. Jahrhundert ab ganz bedeutend, was nicht
ohne Einfluß auf die Allgemeinbildung der berufsmäßigen Sagenerzähler und
ihrer Hörer bleiben konnte. Alles Momente, von denen jedes zur offen-
kundigen Verrohung des epischen Stiles beitrug.
Was nun die älteren Sagentexte, also vornehmlich die der Cuchulinn-
sage, anlangt, so stehen dem Sagenerzähler nicht nur feste Beiwörter und
B. Die keltischen Literaturen. Schlußbetrachtung. ^q
feste Formeln zu Gebote; auch kürzere oder längere Heschreibungen von
Gegenstäiiden oder Situationen finden sich in den verschiedensten Texten
der alten Heldensagfe ziemlich wörtlich wieder. Von Gegenständen seien
genannt die Beschreibung von Cuchulinns Pferden, seines Streitwagens;
Anlegen der Waffen durch den Helden vor dem Kampf, Auszug eines
Heeres, Ankunft einer feindlichen Schar, feindlicher Angriff, Dämpfung
der Wut Cuchulinns durch das Entgegengehen von Frauen sind nur einige
der Situationen, die in den verschiedensten Texten ziemlich ähnlich, in
manchen Kinzellieiten gleich erzählt werden. Ja selbst bei weitgehenden
Abweichungen in Einzelheiten zeigt sich oft in den verschiedenartigsten
Texten dieselbe Technik bei Einführung und Darstellung gleicher oder
verwandter Situationen: in unverkennbarer Nachahmung der homerischen
Teichoskopie bietet 'das Fest des Hricriu' ein farbenprächtiges, in jedem
einzelnen Strich echt irisch gehaltenes Bild, auf dem Findabair und Medb
bei einer Mauerschau vom 'Söller auf dem V^ortor des Burgwalles* von
Cruachan die drei Helden Loegaire, Conall und Cuchulinn in dem in der
Ebene von Ai zahllos erscheinenden Ulsterheer zeigen; drei in den Epen
'Trunkenheit der Ulsterleute', 'Rinderraub von Cualnge', 'Zerstörung von
Da Dergas Palast' einen großen Raum einnehmende Episoden sind zwar
nach Rahmen, Figuren und Situation sowohl unter sich als vom 'Fest des
Bricriu' verschiedene Bilder, verraten aber alle dieselbe erborgte Technik
wie letzteres.
Es sind die Texte der älteren irischen Heldensage, des Cuchulinn-
sagenkreises, die bei den flüchtigen Bemerkungen über Stil und Technik
das Material lieferten, da die älteren kymrischen Ouellen spärlich fließen.
In dieser alten irischen Heldensage kommt zwar nicht, wie zeitweilig ge-
glaubt wurde, unbeeinflußtes, aber doch das ungebrochene Keltentum Ir-
lands zu Wort, so daß wir, bei den nachgewiesenen weitgehenden Über-
einstimmungen zwischen Iren und Welschen in der Form der epischen
Dichtung, allen Grund haben, uns hierin an die ältere irische Sagenliteratur
zu halten, um keltische Eigenart zu erkennen.
Schlußbetrachtung. Das letzte Viertel des i^. Jahrhunderts hat in i>w b^wjc»
all den Strichen, wo Nachkommen der Inselkelten in größeren Massen ihre
keltischen Idiome und dadurch sich selbst vor dem völligen Aufgehen in
der sie umgebenden germanischen und romanischen Welt bewahrt haben,
eine starke Bewegung entstehen oder wachsen gesehen, die auf eine
Wiedergeburt des keltischen Volkstums abzielt Sie bezweckt in den Ge-
bieten, wo die keltischen Idiome im I-aufe des 19. Jahrhunderts mehr oder
minder deutlich ein hippokratisches Gesicht zu zeigen begannen, in erster
Linie Wiederbelebung der betreffenden keltischen Sprachen und des
weiteren überall Wiedereinsetzung in ihre Stellung als Literatursprachen,
die auch dem Bedürfnis des Gebildeten Genüge leisten können; endlich
arbeitet die Bewegung darauf hin, den heutigen keltischen Sprachen
yo Heinrich Zimmer: Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
in möglichst weitem Umfang die allmählich verloren gegangene Position
als Sprachen nationalen Lebens überhaupt wiederzugewinnen, sie also zu
herrschenden Sprachen in Kirche und Schule, zu möglichst gleichberechtigten
Sprachen mit Englisch oder Französisch im öffentlichen Verkehr, in Gerichts-
höfen imd Verwaltung in den in Frage kommenden Gebieten zu machen:
also "Wiederherstellung des im Mittelalter in Irland, den schottischen
Hochlanden, in Wales und teilweise in der Bretagne bestehenden Zu-
standes, soweit es nur die Zugehörigkeit zu anderssprachigen Staatswesen
und die Bedürfnisse der Neuzeit gestatten. Hand in Hand mit dieser
sprachlich-literarischen Bewegung geht überall das Bestreben, alles Yolks-
tümliche, den betreffenden keltischen Strichen Eigenartige in Sitte und
Brauch, Tracht und Einrichtungen zu erhalten, zu beleben und geradezu
wieder neu ins Leben zu rufen, also z. B. die nationale Musik auf den
nationalen Musikinstrumenten und die nationalen Spiele. Man ist z. B. in
tland und Wales um so eifriger bei der Sache, je mehr es sich um
Bräuche und Einrichtungen handelt, die möglichst weit von der umgebenden
englischen Kultur abweichen, wobei das Bestreben hervortritt, zu zeigen:
wir K}Tiiren, Iren, Hochschotten, Bretonen sind Individuen mit ausgeprägter
Eigenart neben dem Engländer oder Franzosen, und so sind auch die
Kymren, Iren, Hochschotten, Bretonen nicht mit konstituierender Teil eines
anderen Körpers, also Englands oder Frankreichs, sondern Körper für sich,
wie ein kymrischer Schriftsteller sich ausdrückt. Anderseits betont man:
unbeschadet des Umstandes, daß Kymren, Iren, Hochschotten, Bretonen
einzelne, wenn auch kleine Nationen sind, haben die genannten Nationen
doch gemeinsame Züge im Gegensatz zum englischen oder französischen
Volk, sie sind Kelten im Gegensatz zu den germanischen und romanischen
Völkern.
Diese Bewegung für eine literarische und nationale Wiedergeburt des
Keltentums hat am frühesten in Wales begonnen. Hier ist sie, wie auch
in den schottischen Hochlanden, ein natürliches Gewächs; sie ist, wie in der
Geschichte der Sprache des Kymrischen kurz gezeigt wurde, allmählich
erwachsen aus der Rolle, die bei einem vertieften, innerlichen Protestan-
tismus die Volkssprache durch Bibel, Predigt, Kirchenlied und Erbauungs-
literatur im geistigen Leben der Völker zu spielen berufen ist. Anders
ist es in der Bretagne und Irland. In beiden, wo die Bewegung zur
Wiederbelebung der keltischen Sprachen als Nationalsprachen ein Kind des
letzten Viertels des 19. Jahrhunderts ist, erscheint sie ganz deutlich als Aus-
fluß einer vorhandenen nationalpolitischen Strömung, hervorgegangen
aus der Erkenntnis, daß eine gesonderte nationale Sprache das stärkste
und auf die Dauer allein haltbare Bollwerk eines gesonderten Volkstums
ist. Die Stellung, die die kymrische Sprache seit gut 150 Jahren errungen
hat und im Leben des welschen Volkes heutigentags einnimmt, ist das
erste Ziel, das den sprachlich -literarischen Bestrebungen in Irland und der
Bretagne vorschwebt. Nach Wales als dem Musterlande schauen die
B. Die keltischen Literaturen. SchlußbetrachtunK. ^1
Führor in den übrijifen Keltenstrichcn. In Wales findet die sprachlich-
litcrarischf Ik-we^unj»' seit beinahe loo Jahren ihreti Ausdruck in dem
alljährlicli stalttindenden, eine Woche dauernden großen Nalionalfest, ge-
nannt Eistt'iU/od genedlacthol^ auf dem Wettbewerb der Musiker, Sänger,
Dichter und Literaten st.attfindet. In Nachahmung dessen veranstalten die
1 lochschotten seit iHq2 ein literarisch-musikalisches Fest, genannt MuJ^
die Iren seit 1897 ein gleiches, genannt in ihrer Sprache Oireachto'i^ und
die Bretonen seit 1898 ihren Ktndalch'. die heutigen Eigenarten der vier
keltischen 'Nationen' kommen in diesen der kymrischen Eisteddfod nach-
gebildeten Festen vollauf zur Geltung, so daß z. B. bei dem irischen und
bretonischen Fest theatralischen Aufführungen ein großer Raum gewährt
wird, die bei dem Fest der Welschen und Hochschotten ganz fehlen.
Eine mächtige Anregung zieht diese auf Wiedergeburt des keltischen
Volkstums abzielende Bewegung unstreitig aus dem der keltischen Sprach-
und Altertumsforschung seit zweiter Hälfte des 19. Jahrhunderts zugxite
kommenden Aufschwung der historischen Wissenschaften. Schon allein
der Umstand, daß seit einigen Dezennien Gelehrte germanischer und ro-
manischer Zunge nach den Keltenlanden gehen, im Leben die Sprache
und in Bibliotheken die Literatur studieren, daß im Verlauf an abend-
ländischen Bildungszentren keltische »Sprachen und ihre Literaturen im
Lehrplan erscheinen, erhebt den vom Engländer und Franzosen lange über
die Achsel angesehenen Kelten nicht wenig; die Anerkennung, die infolge
dieser Forschung einzelnen Lebensäußerungen des Keltentums im Verlauf
seiner langen Geschichte geworden ist, steigert das Selbstbewußtsein des
mit lebhafter Phantasie begabten Kelten stark. In Schriften und in Reden
auf den Festversammlungen wird aus solchen Kömchen Edelmetall unter
Zusatz von viel Blech blanke Scheidemünze geschlagen, um die keltischen
Massen damit für die Bewegung zu gewinnen.
Die Anschauung, daß die Keltisch redenden Iren, Hochschotten, t»« »»cebach«
Welschen, Bretonen gemeinsame Züge im Gegensatz zu den sie um-
gebenden romanischen und germanischen Völkern aufweisen, mußte zu
näherer Berührung zwischen den Bewegungen in den einzelnen keltischen
Strichen führen. Zuerst erschienen Deputationen der einzelnen keltischen
'Nationen' zu den Nationalfesten der anderen mit Glückwunschadressen,
bis auf dem welschen Nationalfest in Cardiff im Jahre 1899 der Beschluß
gefaßt wurde, ein von den einzelnen Nationalfesten unabhängiges, alle
drei Jahre wiederkehrendes pankeltisches Nationalfest abzuhalten, wo
'die Seele der alten keltischen Rasse' sich ungezwungen offenbaren sollte.
Im Jahre 1901 wurde in Dublin ein solches Fest der 'keltischen Nationen'
veranstaltet, dem ein zweites 1904 in Camarvon folgfte. Über die innere
Hohlheit dieser Versammlungen kann nur Feststiiiinumg und ungewöhnliche
Kritiklosigkeit hinwegtäuschen. Eine politische Einheit der 'keltischen
Nationen' ist weniger als je vorhanden und liegt selbst außerhalb des
Reiches der Träume. Die sprachliche Einheit, die im Altertum unter
BtoMt 4m
7 2 Heinrich Zimmer : Die keltischen Literaturen. I. Sprache u. Literatur d. Kelten im allgem.
dem Keltentum bestand, ist auch geschwunden. Iren und Hochschotten
können sich zur Not verständigen, Kymren und Bretonen nur mit Hinzu-
nahme der Gebärdensprache; beide Gruppen stehen sich praktisch genom-
men gegenüber wie Angehörige fremder Sprachstämme. Da nun auch
keine der vier modernen keltischen Sprachen in dem Sinne eine Kultur-
sprache ist, daß ein Erlernen derselben von seiten der anderen Brüder aus
praktischen Gründen in Betracht kommen kann, muß ^die Seele der alten
keltischen Rasse' schon zu einer nichtkeltischen Sprache Zuflucht nehmen,
um sich allen verständlich auszudrücken, und auch das macht noch
Schwierigkeiten: die Kelten des vereinigten Königreiches verstehen meist
nur noch Englisch und die der Bretagne Französisch, so daß auf dem
ersten Feste der keltischen Rasse in Dublin keltische Sprachen fast gar
nicht gehört wurden, dafür aber um so mehr Englisch oder Französisch
mit Verdolmetschung ins Englische. Endlich kann bei den heutigen
'keltischen Nationen' weder von jener Einheit die Rede sein, die eine
gemeinsam verlebte Geschichte hervorruft, noch von einer geistigen Ein-
heit, wie sie im keltischen Altertum durch die allen Kelten gemeinsamen
Klassen des Literatenstandes hergestellt wurde. Gerade auf geistigem
Gebiete ist die Kluft größer als sonstwo: Iren und Bretonen sind katholische
Kelten, Welsche und Hochschotten sind protestantische Kelten; aber noch
mehr, die Iren und Bretonen vertreten den römischen Katholizismus ebenso
in Reinkultur wie Welsche und Hochschotten den den Papst als Antichrist
betrachtenden kalvinistischen Protestantismus. So sind zudem gerade die
keltischen Völker auseinander gerissen, bei denen ein sprachlicher Zu-
sammenschluß nicht aus dem Bereich der Möglichkeit läge.
Die sogenannte Für die Fcste der keltischen Rasse bleiben also außer Beratungen
des Keuintums ^^^^ Orgauisationsfragen in fremder Sprache und nationalen Schaustellungen,
bei denen auch ein Wort in einer keltischen Sprache fallen kann, das aber
drei Viertel der anwesenden Kelten oft unverständlich ist, wesentlich zwei
Dinge übrig: Reden in nichtkeltischen Sprachen über die idealisierte Ver-
gangenheit und Träumen von einer den Kelten noch bevorstehenden
besseren Zukunft, das heißt von der Mission des Keltentums im 20. Jahr-
hundert. Ein ausgeprägter visionärer Zug kommt in der mittelalterlichen
Literatur der Kelten zum Ausdruck. In der kirchlichen Literatur Irlands
spielen 'Visionen' sowohl in irischer als lateinischer Sprache eine große
Rolle und sind auf dem Kontinent — Visio Fursaei, Visio Tnudgali, Pur-
gatorium Patricii — Vorbilder für eine kirchliche Visionenliteratur. Ebenso
gehörten zum Repertoire eines irischen Sagenerzählers für die Höfe der
Fürsten im 10. Jahrhundert nach Ausweis der erhaltenen Sachkataloge
'Visionen' und 'Träume' f/is, daiie, aislinge)^ und die verhältnismäßig
geringfügige ältere kymrische Prosaliteratur kennt drei Texte derselben
Gattung (breudwyt). Ein so wichtiges Ereignis wie die Wahl eines Ober-
königs wurde nach zwei Texten der älteren irischen Heldensage — 'Siech-
bett des Cuchulinn' und 'Zerstörung des Palastes des Da Derga' — im
B. Die keltischen Literaturen. Srhlußbclrac:htunj{. ~ ^
heidnischen Irland öfters durch Träume vollzogen: vor den versammelten
vier Teilkönij^en wurde ein weißer Stier geschlachtet, und ein Mann mußte
von dessen Fleisch und Hrühe sich voll essen; über den infolge der
Sättigung Eingeschlafenen sangen vier Druiden das 'Gold der Wahrheit',
und aus der Schilderung, die er nach Erwachen von dem Manne machte,
den er im Traume gesehen hatte, wurde auf die Person des künftigen
Oberkönigs geschlossen.
Nach alledem wird man in den pankeltischen Träumereien über die
Mission des modernen Keltentums einen echt keltischen Zug sehen müssen.
Schwer ist es allerdings oft, der dunklen Reden Sinn zu fassen. Her\'or-
leuchtet, daß die heutigen Pankelten dieselbe kindliche Einschätzung des
Keltentums beherrscht, die die irischen Sagenerzähler seit looo Jahren
charakterisiert: im c). und lo. Jahrhundert ließen diese den Haujithelden
der älteren irischen Heldensage, den Cuchulinn, zu ihrer und ihrer Hörer
Befriedigung nicht nur den Herkules, sondern auch den Sagenhelden der
siegreich auf Irlands Boden weilenden Vikinger, den Nibelung (Fer Diad^,
besiegen; 500 Jahre später bewältigt ein Held der jüngeren irischen Helden-
sage, Oscar mac Oisin, den gefeiertsten europäischen Sagenhelden des
Mittelalters, den König Arthur; in einer irischen Erzählung unserer Tage
überwindet der irische Held sogar 'den Sohn des Königs von Preußen'.
In ähnlicher Selbsteinschätzung sieht man dem heutigen Keltcntum unter
den großen Kulturvölkern die Rolle zugewiesen, die das politisch eroberte
kleine Griechenland in dem römischen Weltreich spielte; man glaubt zu
ahnen, daß der geistige Einfluß der Kelten, die man als die Rasse an-
sieht, 'die am meisten mit geistigen Schätzen begabt ist', unter den beiden
Kulturvölkern Westeuropas, dem anglokeltischen und frankokeltischen, im
20. Jahrhundert immer mehr zum Durchbruch koinmen und Westeuropa
endgültig 'keltisch' niarhcn winl.
Lite ratur.
Spät, erst in der Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts , wurde die keltische Sprach- und
Altertumsforschung durch ein grundlegendes Werk des Bamberger Lyzealprofessors KaSPAr
Zeuss (Grammatica Celtica. E monumentis vetustis tarn Hibemicae ling^ae quam Britannicae
dialecti Cambricae Comicae Armoricae nee non e Gallicae priscae reliquiis construxit
J. C. Zeuss. Lipsiae 1853) in den Stand gesetzt, an dem auf anderen Gebieten schon ein
Menschenalter früher eingetretenen Aufschwung der historischen Wissenschaften teilzunehmen.
Auch von da ab war die Zahl der ernsten Forscher auf diesem Gebiete längere Zeit nur
gering; nach des Meisters frühem Tode (1856) stand diese Forschung fast für zwei Dezennien,
wenn auch nicht ausschließhch , so doch vornehmlich auf vier Augen: es waren der 1875
früh dahingeraffte Hernl\nn Ebel in Deutschland und der noch lebende Engländer Whitley
Stokes, die das Erbe von Zeuss antraten. Mit der Begründung der 'Revue Celtique'
(Paris 1S70) durch Henri Gaidoz bahnt sich hierin eine neue Periode an: seit g^t drei De-
zennien beteihgt sich ein allmählich immer größer werdender Kreis von Forschern deutscher,
englischer, französischer, italienischer und skandinavischer Zunge am Ausbau der keltischen
Sprach- und Altertumskunde, und die Mitarbeit von Männern, deren Muttersprache heutige
keltische Idiome sind, nimmt zu. Immerhin ist aber der Kreis der Forscher noch klein
schon in Anbetracht des zeithchen Umfanges (6. Jahrhundert v. Chr. bis 20. Jahrhundert
n. Chr.) des vernachlässigten Forschungsgebietes, noch mehr aber im Vergleich mit der
Zahl der Gelehrten, die sich berufsmäßig mit anderen Gebieten historischer Forschung
beschäftigen, die — wie z. B. das indische oder arabische Altertum — für die Entwickelung
der kulturtragenden Völker unserer Zeit, der Romanen und Germanen, nicht in dem Maße
in Betracht kommen wie die Kelten.
Die Tätigkeit der Nachfolger von KaSPAR Zeuss war zunächst naturgemäß auf ein
Fortbauen und Ausbauen der vom Meister gelegten Fundamente gerichtet, sie erstreckte sich
also wesentlich auf die Grammatik der älteren Perioden des Irisch -Gälischen und Britischen
in drei Richtungen: Heranziehen neuer und weitere Ausbeutung der von Zeuss benutzten
Quellen, stärkere Verknüpfung der so festgestellten Spracherscheinungen der älteren Perioden
des Inselkeltischen mit den Ergebnissen indogermanischer Sprachforschung und anderseits
weiteres Herabsteigen bis in die modernen keltischen Sprachen, um von hier aus Aufschlüsse
für ältere Zeit zu holen. Dieser allmählich sich vollziehende Ausbau der Grammatica Celtica
zu einer historischen Grammatik des Keltischen von den ältesten Zeiten bis in die heutigen
keltischen Sprachen und deren Dialekte kam auch in hervorragendem Maße den Arbeiten
für wissenschaftliche Wörterbücher der älteren Perioden des irisch -gälischen und britischen
Zweiges des Inselkeltischen zugute. Von der Herausgabe keltischer Sprachdenkmäler aus
grammatischen Rücksichten und zu grammatischen Zwecken ist man seit 30 Jahren allgemach
zur Veröffentlichung von Denkmälern aus literargeschichtlichen Interessen, namentlich auf
den Gebieten des Mittelirischen und älteren Kymrischen übergegangen. Hier lagen — in
Wales bis ins Ende des 18. Jahrhunderts, in Irland bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurück-
gehend — umfangreiche und zum Teil höchst verdienstliche Arbeiten einheimischer Gelehrten
vor. StrengAvissenschaftlichen Anforderungen entsprechen allerdings nur wenige dieser Ver-
öffentlichungen, und derselbe Vorwurf kann auch den meisten Ausgaben älterer Texte der
Forscher nicht erspart werden, die mit erweiterten grammatischen Kenntnissen die Arbeiten
der älteren einheimischen Gelehrten wieder aufgenommen haben. Ganz gewiß hat hier der
Umstand, daß nicht reiner Tisch vorlag, verhängnisvoll mitgewirkt, daß man sich weniger
als wünschenswert und erforderUch die Vorbilder vorhielt, die ältere Schwesterdisziplinen
wie klassische , deutsche oder romanische Philologie bieten; zur Entschuldigung muß ander-
Heinrich Zimmer: Literatur. je
scits anjjcfiihrt werden, daß, solange Herausgeber zu nnjjen haben, um Cirammatik, Wörter-
buch und Roh Verständnis der Texte festzustellen, Kritik, sowohl höhere als niedere, etwas
zurückstehen muß. Es gehört keine große Kühnheit dazu zu behaupten, daß keiner der
lebenden Keltologen beispielsweise von dem wichtigsten altirisrhen .Sagenlcxt 'Der Rinder
raub von Cualngc' oder dem alten kymrischcn Poem }' GoJodin mit allen vorhandenen
Hilfsmitteln ein solches fortlaufendes \'crständnis des Inhalte hat, wie von einem guten
Gymnasialabiturienten hinsichtlich der homerischen C»edichtc ohne jegliches Hilfsmittel vor
gut 30 Jahren in Deutschland verlangt wurde. Wichtige ältere Literaturdenkmäler beider
Zweige des Inselkcltischen sind nur in Abdruck einer Handschrift veröffentlicht, andere noch
gar nicht: hier muß eigenes Handschriftenstudium eintreten oder die von 1870 — 1896 von
der Royal Irish .Acadciny in Dublin veröflTentlirhtcn fünf Faksimiles von fünf großen und
wichtigen Sammelhandschriften Irlands aus Ende des 11. bis Anfang des 1 5. Jahrhunderts
aushelfen.
Bei diesem aus der Kürze der Zeit seit der Neugestaltung der keltischen Studien, dem
großen Umfange des Forschungsgebietes und der geringen Zahl der auf ihm ausschließlich
oder vorwiegend t.itigen Celchrten wohl verständlichen heutigen Stand der keltischen Philologie
ist es begreiflich, daß die eigentliche ernste literarhistorische Forschung noch in den Kinder-
schuhen steckt. Sie liegt noch in zu weitem Umfang in den Händen solcher, die ausschließ-
lich oder fast ausschließlich auf Übersetzungen keltischer Denkmäler ins Deutsche, Englische
oder Französische angewiesen sind, da ihnen selbsterworbene Kenntnis der keltischen Sprachen,
namentlich der älteren Phasen der beiden Zweige des Inselkeltischen abgeht. Soweit Forscher,
die diese .-Kusstellung nicht tritit, im letzten Vierteljahrhundert Uterr.rhistorische Untersuchungen
veröffentlicht haben, ist teilweise der Anstoß hierzu nicht aus der keltischen Forschung
selbst, sondern von außen gekommen, indem Vertreter anderer Gebiete Probleme, die ins
Keltische hineinragen, in einer Weise lösten, die den Widerspruch herausforderten und
Keltologen zwangen, Stellung zu nehmen. Keine der gleich aufzuführenden Darstellungen der
einzelnen keltischen Literaturen oder einzelner Literaturperioden entspricht daher auch nur an-
nähernd billigen .A-nforderungen , am nächsten kam solchen für die Zeit des Erscheinens (1849)
das Werk des W'elschen Thomas Stephens. Sonst wird der Leser bald mit nackten Titeln
bedient, bald gibt's Inhaltsangaben ohne Kritik, bald Gerede über Literaturdenkmäler, die
dem \'erfasser des betreffenden Werkes aus eigener Lektüre gar nicht bekannt sind.
Literaturgeschichtliche Werke. Allgemein: E. WiNDISCH, Keltische Sprachen,
in Ersch. u. Gruber, Enzyklopädie II. Sekt. Band 35, S. 132 — 180. Magnus Maclean, The litera-
ture of the Celts (Glasgow 1902). Mathew Arnold, The Study of Celtic Literature. Populär
edition 'London 1900).
Irisch-Gälisch: Edw.\rd O'Reiu.Y, A chronological account of nearly four hundred
Irish writers (Dublin 1820). H. D'.-\RBOIS DE Jubainville, Essai dun Catalogue de la litterature
epique de l'Irlande (Paris 1883). Douglas Hyde, The story of early Gaehc literature
(London 1895^. DOUGLAS Hyde, A literar>' Histor)' of Irland from earliest times to the
present day iLondon 189')). G. DOTIIN, La litt»?rature gaclique de l'Irlande ^Paris 1901 in
Revue de S\Tithese historique III, 60 — 97). — Heute noch unentbehrlich sind die aus den
Quellen schöpfenden Werke von EUGEN O'CURRY, Lecturcs on the manuscripts matcrials
of ancient Irish history (Dublin 1861) und On the manners and customs of the ancicnt Irish.
Vol. II. 1—178 (London 1873).
Schottisch- Gälisch: Thos. Mac Lauchlan, Celtic gleanings Edinburgh 1857 .
John Stuart Bi.ackik, The language and literature of the Scottish Highlands E<lmliurgh
1876;. Nigel Mac Neill, The literature of the Highlandcrs (^Invemeß 1892 . Mk<.NUS
M.VCLEAN. The literature of the Highlands (Glasgow 1004). G. DomN . La litt«?raturc
gaclique de TEcosse (Paris IQ04 in Revue de SjTithöse historique VIII, 78 — 9'-
Manx-Gälisch: Henry Jenner, The Manx language; its grammar. Uteraturc and
present State (Philological Society's Transactions 1875I. A.W. Moc)RK, A Histon- of ihc
Isle of Man I, 20—23 London 1900). G. DOTlIN in Revue de Synthese historique VIII, qi
(Paris 1904).
•j(t Heinrich Zimmer: Literatur.
Kymrisch: THOMAS Stephens, The literature of the Kymry during the XII. and two
succeeding centuries. 2. Auflage (London 1876), dessen erste Auflage (1849) in deutscher
Übersetzung vorliegt durch San-Marte, Geschichte der wälschen Litteratur vom 12. bis zum
14. Jahrhundert (Halle i8t>4). Charles Wilkins, The history of the Literature of Wales
from 1300 to 1650 (Cardiff 1884). Hanes llenyddiaeth Gymreig o'r fiwyddyn 1300 hyd y
tlwyddyn 1650 (London 1884). Charles Ashton, Hanes llenyddiaeth Gymreig o 1651 hyd
1850 (London 1891). T. M.Jones (Gwenallt), Llenyddiaeth ty ngwlad (Trefifynnon 1894).
Watcyn Wyn, Llenyddiaeth Gymreig (Gwrecsam 1900). G. Dottin, La litterature Galloise
(Paris 1903 in Revue de Synth, hist. VI, 317 — 362). — J. Gwenogvryn Evans, Report on
Manuscripts in the Welsh language (I London 1898. 1899; II London 1902). Edward Owen,
A Catalogxie of the Manuscripts relating to Wales in the British Museum (London 1900). William
Rowland, Cambrian Bibliography, von 1546 — 1800 (Llanidloes 1869). Ballinger and Jones,
Catalogue of printed literature in the Welsh Department, Cardiff Free hbraries (Cardiff 1898).
Kornisch: R. Polwhele, The language, Uterature and hterary Characters of Corn-
wall (London 1806). W. P. Jago, The remains of Comish literature (London 1887 in An
English Comish Dictionary S. VII — XV). Henry Jenner, A handbook of the Comish language
S. 24 — 46 (London 1904). G. DOTTIN, La Htt^rature Comique (Paris 1904 in Revue de Synth,
hist. VIII, 91—93).
Bretonisch: Th. Hersart DE LA Villemarqu£ in le Gonidec, Dictionaire frangais-
breton 8. XXII — LH (Saint-Brieuc 1847). J. Loth, Chrestomathie Bretonne I (Paris 1890).
Taldir, Les Poemes de, S. 413— 415 (Paris 1903). G.DOTTIN, La litterature bretonne armori-
caine (Paris 1904 in Revue de Synth, hist. VIII, 93 — 104).
S. 3 — II. Im Anschluß an H. Zimmer, Über die Bedeutung des irischen Elements für
die mittelalterliche Kultur in Preußische Jahrbücher LIX, S. 27 — 59 (1887). Hierzu noch
Walther Schulze, Die Bedeutung der iro- schottischen Mönche für die Erhaltung und
Fortpflanzung der mittelalterlichen Wissenschaft (1889), und Ludwig Traube, O Roma nobilis
(München 1891), S. 36 — 77.
S. 12. Über die bretonische Herkunft der romantischen Arthursage zusammenfassend
bei W. FOERSTER, Der Karrenritter und das Wilhelmsleben von Christian von Troyes
(HaUe 1899) S.XCIX — CLII.
S. 16. Kaspar Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstämme , S. i6ofif.; Karl Müllen-
hoff, Deutsche Altertumskunde 2, 104 — 321; Leopold Contzen, Die Wanderungen der
Kelten (Leipzig 1861).
S. 17. Al. Budinszky, Die Ausbreitung der lateinischen Sprache über Italien und die
Provinzen des römischen Reichs ; JUL. Jung , Die romanischen Landschaften des römischen
Reichs; MOMMSEN , Römische Geschichte. Band 5.
S. 18. J. Rhys, Celtic Britain, London 1904.
S. 34ff. H. D'Arbois de Jubainville, Les premiers habitants de l'Europe (Paris
1889). See. ed. II, 254ff
S. 35. Über den keltischen Eid H. D'Arbois in der Revue Archeologique XVIII, 346.
S. 37. Alfred Holder, Altkeltischer Sprachschatz, Leipzig 1896, 2 Bände; die alt-
keltischen Inschriften gesammelt von Stokes in den Beiträgen zur Kunde der indogerm.
Sprachen, herausg. von A. Bezzenberger , XI, 112 — 143 (1886).
S. 39, 26. J. Rhys, Celtae and Galli in den Proceedings of the British Academy II (1905).
S. 42, 1—5. H.Bradshaw, CoUected papers (Cambridge 1889), S. 452 — 488.
S. 46. Gemeinsame Sagenelemente: siehe Zimmer in den Gott. Gel. Anzeigen 1890,
S. 516 — 521.
S 43 ff. H. D'Arbois de Jubainville, Introduction ä l'etude de la htterature celtique,
Paris 1883.
S. 48. Das neuwelsche Druidentum durchleuchtet die Artikelserie von J. MORRIS Jones
in der Zeitschrift Y Cymru, dan Olygiaeth Owen M. Edwards X, 21. 133. 153. 198. 293
(Caemarfon 1896) ohne erkennenswerten Einfluß.
Hrinrich Zimmer: Literatur.
77
S. 69. 'Ratten zu Tode sinken': s. Todd in ticn l'rocccdinKS of tlie Koy.il Irish Acadcmy 5
(1853), S. 3f;5 — 366; über Hardcn noch in den Transactiuns of tl>c ()»sianic Society for
the year 1857, vol. V S. XIV— XXII, tzff., jbff.
S. 7oflr. F. Waltkr. Das alte Wales (Bonn 1859), S. 254 — 3«4-
S. 78. \Wt ßli {Gen. yi/fif) zu kymr. /fav/c*/ 'sehen' ^«'»"rt. so va/is zu kymr. gv;edyd
•saKcn', besonders im Koinposiluni r/y-T/rra^v/ ' ansa^jen , sagen', dessen altes Perfekt dywau't
denselben Ablaut aufweist wie altkeit, vdtis , altir. /«i/M, tlieser Ablaut liegt auch in dem
kymrischen Substantiv ^<au<d vor, das in der alteren Sprache sowohl 'Lob, Lobgedicht'
als 'Spott* bezeichnete, heute nur mehr 'Spott' (x^vaivdiaith Sarkasmus;. Altir. /<l/M, alt-
kclt. vaiis und kymr. gicawd verhalten sich als Nomen agcntis und Nomen actionis von der-
selben Wurzel wie g^riech. (popö<; zu q)6po(; (q)6pa;.
S. 84ff. E. Windisch, Verhandlungen der 33. Philologenversammlung S. 26; H ZiMMKk.
Gott. Gel. Anzeigen 1891', S. 806 — So>>.
S. 94bff. H. Zimmer, Der Pankeltismus in Großbritannien und Irland (Preußische Jahrb.
XCII, 426 — 494; XCIII , 59 — 93. i«»4 — 334); die keltische IJcwegung in der Bretajfne
(ebd. IC, 454 — 497)-
S. 94 g. Recht bezeichnend für die Ursprünglichkeit keltischen Denkens ist der Umstand,
daß die Idee von der Mission des heutigen Keltentums ihnen vor 40 Jahren von einem
Engländer geliefert wurde. Der Dichter und Schriftsteller Maithew ARNOLD war von
1857 — 1807 Professor der Poesie in Oxford und hielt als solcher vier Vorträge 'on the study
of Celtic litterature', obwohl er — oder vielleicht weil er — von keltischen Sprachen und
Literaturen gar nichts verstand. Dieses Gemisch von großem Wohlwollen für Kcltcntum,
vollständiger Sachunkenntnis und blendenden geistreichen Bemerkungen wurde zuerst in
'Comhill .Magazine' gedruckt und dann in Buchform (London 1867; mit einer Vorrede, die
einen im Jahre vorher in den Zeitungen veröffentlichten Brief Arnolds an einen Welschen
enthielt, in dem der Abschluß einer schiefen Gedankenreihe lautet: 'In a certain measure
the children of Taliesin and Ossian have now an opportunity for renewing the famous feat
of the Greeks, and conquering their conquerors' (^Populär edition S. X). Die \'orlesungen
Arnolds haben nur Unheil in kellischen Köpfen angerichtet, und die hingeworfene Idee ist
im Verlauf der Jahre zum Glaubensartikel keltischer Schriftsteller geworden. Der allerjüngste
Beleg sei wenigstens angeführt. Der kymrische Dichter ElKlON Wyn hat in seiner 'Feld-
und Meerlyrik' ElFION Wyn, Telytuffion mcus a mor. Camarvon 1906) S. 99 ein Gedicht
betitelt 'Die herrliche Pforte'; an der Eingangspforte zum :o. Jahrhundert stehen, als Wales
einzieht, drei Personen, die es begrüßen: der Dichter \bardd, der Lehrer »^Professor, athraw)
und der geistliche Führer (^Prophet, proßwyd), also nach modernen Verhältnissen die Ver-
treter derselben drei Klassen, die bei den alten Kelten mit Barden, Vaten, Druiden be-
zeichnet wurden. Die zweite Strophe lautet:
Ger y porth mae'th Athraw 'n galw: 't) fy nghenedl, canlyn ti;
Vng nghymanfa y cenhcdloedd cedwir heddyw le i ti;
Golch dy lygad ä goleuni : Eiddot y meddylfyd mawr ;
Bydd yn Rocg y ganrif newydd, wlad marchogion Arthur fawr.'
'An der Pforte ruft dein Lehrer: o mein Volk, folge mir; in der Versammlung der Völker
ist ein Platz für dich aufgehoben; wasch dein .Auge mit Licht: dein Eigentum (dir zu
eigen überwiesen^ ist die große Gedankenwelt, es wird das neue Jahrhundert
griechisch sein, o Land der Ritter Arthurs des tiroßen.'
II. DIE EINZELNEN KELTISCHEN LITERATUREN.
A. DIE IRISCH- GÄLISCHE LITERATUR.
Von
KuNO Meyer.
Einleitung. Bei dem heutigen Stande der keltischen Philologie ist
es ein in mancher Beziehung verfrühtes Unternehmen, einen Abriß der
Geschichte der irischen Literatur zu schreiben. Auch eine eingehende
Behandlung würde heute noch sehr unbefriedigend, lückenhaft und ungenau
ausfallen. Nicht nur fehlt es dazu auf fast allen Gebieten an den nötigen
Vorarbeiten; auch die Literatur selbst schlummert noch zum großen,
vielleicht zum größten Teil ungelesen in Hunderten von Handschriften.
Ganze Gattungen der Prosa und Poesie, ganze Perioden der Entwickelung,
der Blüte, des Verfalls sind kaum durch die eine oder die andere Ver-
öffentlichung bekannt geworden; manche bedeutende Dichter, deren Werke
sich erhalten haben, sind nur dem Namen nach bekannt. Die bisher ver-
anstalteten Ausgaben und Übersetzungen aus dem weiten Bereiche der
älteren irischen Literatur gehen oft nicht über die erste Roharbeit hinaus
und befriedigen kaum je die einfachsten Fragen des Lesers nach Herkunft,
Alter und Heimat. Denn auch die Geschichte der Sprache ist noch so
wenig erforscht, daß sich über diese Dinge meist nur ganz allgemein und
vorsichtig urteilen läßt. So darf man wohl sagen, daß unsere Kenntnis
der irischen Literatur heutzutage etwa auf dem Standpunkte angelangt ist,
den die germanische Philologie zu Anfang des 19. Jahrhunderts einnahm,
da man allmählich dazu schritt, die Werke der älteren deutschen Literatur
in Erstausgaben zugänglich zu machen.
Zwar wenn wir unter der Bezeichnung altirische Literatur nur das-
jenige begreifen dürften, was uns aus der altirischen Sprachperiode, der
Zeit vor dem Jahre 1000, handschriftlich überliefert ist, so wäre unsere
Aufgabe eine leichte, freilich auch eine wenig lohnende. Denn die hand-
schriftlichen Überreste aus dieser Zeit sind so spärlich, daß sie gedruckt
nur ein mäßiges Bändchen füllen würden, und ihr Inhalt ist wenig geeignet,
weiteres Interesse zu erregen. Keine einzige Sage, kaum ein Lied findet
sich darunter. Wie es geschah, daß uns von der großartigen schrift-
stellerischen Tätigkeit der Geistlichen und Gelehrten aus der Blütezeit
irischer Kultur nur so wenig erhalten wurde, ist oben dargelegt worden.
Wenn wir trotzdem von einer umfangreichen und bedeutenden altirischen
Nationalliteratur reden können, so liegt das an der eigentümlichen Weiter-
A. Die irisch gälischc Literatur. I. Die handschriftl. vor dem 1 1. Jahrh. erhaltene Literatur. 70
••ntwick('lun>r des Schrifttums. Um das Jahr 1 100 setztMi die j^roßi-n
Sammi'lhandschritten ein, in denen uns in immer neuen Abschritten und
Redaktionen ursprünjjlich in altirischer Zeit aufgezeichnete Texte vorliegen.
Diese Schreibertätigkeit hat sich bis in den Anfang des ly. Jahrhunderts
fortgesetzt, wo arme Schullehrer sich aus allen erreichbaren älteren Hand-
schriften solche bibliutheaic zu eigenem Gebrauch anlegten. So geschieht
es wohl, daß Texte, die in ununterbrochener Linie auf Vorlagen des 8.
oder y. Jahrhunderts zurückgehen, erst in Abschriften aus dem 17. Jalir-
hundert oder noch späteren Zeiten auf uns gekommen sind. Wenn
auch unter den Händen so vieler Generationen von Abschreibern
Sprache und Text oft arg verwahrlost sind, so können wir doch, nament-
lich bei Gedichten, noch die ursprüngliche Form herausschälen. Auch
trifft es sich manchmal, daß eine späte Abschrift die Gestalt des Textes
besser bewahrt hat, als eine Handschrift, die uns zunächst durch ihr Alter
besticht Hier handelt es sich darum, die l'berlieferung scharf zu prüfen;
Neues von Altem zu scheiden und die echten Fassungen wieder herzustellen.
Aber bei der noch herrschenden mangelhaften Kenntnis der Grammatik
und des Wortschatzes hat bisher kaum ein Herausgeber eine solche Auf-
gabe systematisch durchzuführen gewagt.
So kann es sich also im folgenden nur darum handeln, dem Leser
zunächst einen Begriff von dem Umfang und allgemeinen Inhalt dieser
noch zu wenig bekannten, in mancher Hinsicht einzigartigen Literatur
zu bringen, im übrigen aber die sich an ihren Ursprung und Verlauf
knüpfenden Probleme nur anzudeuten, auf das zu ihrer Lösung etwa schon
Geschehene hinzuweisen oder die Richtung anzugeben, in welcher die
Lösung zu suchen ist. Dazu empfiehlt es sich, zuerst von der uns hand-
schriftlich vor dem Jahre 1000 erhaltenen Literatur zu reden, dann aber
mit Verzicht auf chronologische Einteilung Prosa und Dichtung nach
Gattungen geordnet vorzuführen.
L Die handschriftlich vor dem 11. Jahrhundert erhaltene
Literatur. Die ältesten Aufzeichnungen in zusammenhängender irischer
Rede sind uns in lateinischen Handschriften des 8. und 9. Jahrhunderts
erhalten, von denen die meisten sich in Bibliotheken des Kontinents
befinden i^in Würzburg, St Gallen, Karlsruhe, Mailand, Turin, St Paul in
Kärnthen, Cambray\ Teils stammen sie aus Irland, von wo sie durch
Pilger schon früh nach dem Kontinent gebracht sind, teils sind sie in
irischen Klöstern der Schweiz, Deutschlands, Frankreichs und Italiens
geschrieben. In Irland sind aus so alter Zeit nur drei Handschriften
erhalten, in denen sich längere Aufzeichnungen in irischer Sprache finden:
Das aus dem <j. Jahrhundtrt stammende Buch von Armagh, das von ver-
schiedenen Händen zwischen 900 und i 100 geschriebene sogenannte StoToe
Missal und der in zwei Handschriften aus dem 11. Jahrhundert erhaltene
J.ihtr II\muorttiu.
8o KUNO Meyer: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
Die in diesen Büchern vorliegende irische Literatur ist fast aus-
schUeßHch aus geistlichen Kreisen hervorgegangen und dient dem Zwecke
des Unterrichts, des Gottesdienstes und der Erbauung. In die erste Kate-
gorie gehören Tausende von erklärenden oder kritischen Glossen, die auf den
Rand oder zwischen die Zeilen der Handschriften eingetragen sind. Unter
den auf solche Weise kommentierten Werken ist die Theologie durch Kommen-
tare zu den Psalmen, den Pauliner Briefen, dem Matthäusevangelium und
den Süliloqnia des Augustinus vertreten; die Profanliteratur durch die
Grammatiker Priscian und Eutychius, durch Bedas De Temporuni Ratione
und die Vergilscholien des Servius. Der Inhalt dieser Glossen verrät eine
tiefgehende theologische und grammatische Schulung und Bildung, die
auf einer umfassenden Belesenheit beruht. So werden Cicero, Vergil,
Orosius, Boethius, Isidor, Hieronymus, Lactantius u. a. zitiert, daneben
einigemal auch einheimische Grammatiker. Auf die in den irischen
Schulen gelehrte Theologie wirft der Umstand ein interessantes Licht, daß
für den Glossator des Pauluskommentars Pelagius die Hauptautorität ist. Was
die Sprache der Glossen betrifft, so ist zunächst zu bemerken, daß ganze
Schichten derselben, wie altertümliche Schreibungen und Formen zeigen,
aus Vorlagen geflossen sind, die dem 7. Jahrhundert angehören. Sprache
und Stil stehen im Gegensatz zu den althochdeutschen Glossen auf einer
hohen Stufe der Entwickelung. Wir finden hier eine vollständig aus-
gebildete gelehrte Prosa, die selbst die feinsten Gedankenschattierungen
leicht und genau auszudrücken vermag. Dies läßt auf eine lange Pflege
und Übung schließen, die mindestens in den Anfang des 6. Jahrhunderts
zurückgeht, dieselbe Zeit, in welche wir auch die Fixierung der irischen
Schrift mit lateinischen Buchstaben zu setzen haben. Die bildsame, wort-
und formenreiche Sprache, seit vielen Jahrhunderten durch Sagenerzähler
und Barden gepflegt und ausgebildet, ist im Dienste der klassischen Ge-
lehrsamkeit und christlichen Theologie durch zahlreiche neue Ausdrücke
bereichert worden, die dem Lateinischen teils entlehnt, teils aus heimischen
Worten nachgebildet sind.
Von Erbauungsschriften besitzen wir eine ins 7. Jahrhundert zurück-
gehende Homilie über den Text Si quis vult post 7ne venire, sowie
einen Traktat über die Messe. Von sonstiger Prosa sind nur noch die
Vorreden zu den gleich zu erwähnenden Hymnen zu nennen, sowie einige
Heil- und Zaubersprüche gegen Kopfweh, Harnleiden und andere Krank-
heiten, die, soweit sie verständlich sind, ein eigentümliches Gemisch heid-
nischer und christlicher Vorstellungen aufweisen. So wird in einem von
ihnen neben Christus der mythische Schmied des sagenhaften Volkes der
Tüatha De Donann ^ Goibniu mit Namen, erwähnt, in einem anderen der
mythische Arzt Diancecht.
Von den aus dieser Periode auf uns gekommenen Gedichten haben
die meisten gleichfalls Geistliche zu Verfassern. In dem Liber Hymnorum
finden sich neben lateinischen Kirchenliedern, die zum größten Teil eben-
A. Die irisch -gälische Literatur. I. Die handschriftl. vor dem ii.Jahrh. erhaltene Literatur, gl
falls irischen Ursprung.s sind, sieben Gebete und Hymnen in irischer
Sprache, deren Eiitstehunj»" vor das Jahr looo zu setzen ist; ferner eine
Anrufung des heilii»-en (ieistes, die dem im Jahre 1086 gestorbenen Dichter
Mael-Isu hQa Brolchain zugeschrieben wird, von dem spätere Handschriften
noch manche geistliche Lieder bewahren. Fast sämtliche Hymnen und
weiterhin zu erwähnenden Gedichte weisen gereimte Versmaße auf, die aus
der lateinischen Kirchenpoesie des 5. und 6. Jahrhunderts herübergenommen
und weiterentwickelt worden sind. Silbenzählung ist das Hauptprinzip
dieser Metrik, die keine geregelte Versbetonung (Rhythmus) kennt und
in gewissen Metren selbst im Schlußreim (^Assonanz) nicht rhythmisch zu
verlaufen braucht. Im Laufe der Zeit treten nach bestimmten Regeln
Alliteration und Binnenreim hinzu.
Unter den dreizehn erhaltenen profanen Gedichten und N'ersen be-
ansprucht das einzige Bardenlied, welches aus dieser Zeit überliefert i.st,
die erste Stelle. Es sind nur acht Strophen, in denen der ungenannte
Dichter einen König Aed von Leinster feiert, dessen Datum sich leider
bis jetzt in den Annalen noch nicht gefunden hat. Der Barde preist darin
die Freigebigkeit, Tapferkeit und andere Tugenden seines Herrn und
schließt:
„Beim Hicre werden Lieder gesungen, schöngefiigie Leitern der Kunst erklommen:
liebliche IJardcnweisen feiern bei Strömen Gerstensafts den Xamen .Aeds."
Eine Reihe anderer Gedichte und Verse führen uns ins Kloster. So
schildert ein Mönch in humorvoller Weise das Zusammenleben mit seinem
weißen Kater, der ebenso eifrig dem Mäusefang obliegt wie er seinen
Studien:
„Da zappelt wohl, durch kühne Tat gefangen, in seinem Krallennelze cme Maus;
derweilen fallt mir in das eigne Netz gewichtig Wort voll tiefen Sinnes."
Die Liebe zur Natur, welche in der Literatur der Kelten früher Aus-
druck gefunden hat als bei anderen Völkern, spiegeln folgende \'erse eines
in seiner Zelle schreibenden Mönches wider:
,, Rings umschließt mich Waldeshag, der Amsel Lied schallt zu mir her; bei meinem
Pergament, dem linienreichen, klingt mir der Vögel trillernder Gesang.
Von liaumcswipfeln ruft mit heller Stimme im grauen M.intel mir der Kuckuck zu.
Fürwahr! — es schütze mich der Herr — schön schreibt sich's unter dem Waldesdach ! "
Der folgende Vers, der sich wie die eben angeführten nach irischer
Schreiberart auf eine leere Stelle der St Galler Handschrift eingetragen
findet, muß zur Zeit der Vikingereinfälle im q. Jahrhundert irgendwo an
der Ostküste Irlands entstanden sein:
,,Es rast der Sturmwind «lurch die Nacht, er zaust des .Meeres weiße .Mahne, drum
fürchte ich nicht grimmer Recken Fahrt aus nordschem Lande über Irl.inds Meer."
Schließlich seien noch zwei zum Teil mangelhaft überlieferte und
schwer verständliche Gedichte erwähnt, deren eines ein wunderbares Haus,
das andere eine Mißgeburt zum Gegenstande hat.
DtB KuLTii» Mt« Gboixwamt. L II. I. 0
82 KuNO Meyer: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
n. Die epische Literatur. Prosa ist, wie schon ausgeführt wurde,
die älteste epische Form der Kelten, neben die in und nach der Vikinger-
zeit bei dem jüngsten Sagenkreis, der Finnsage, die strophische Ballade
trat. Die Pflege und der Vortrag der Sagen lag einer der oben ausführlich
betrachteten Klassen des keltischen Literatenstandes, den filid, ob, d. h. ge-
schulten Erzählern und Dichtern, die sich in zwölfjähriger Lehrzeit in
Schulen auf ihren Beruf vorzubereiten hatten. Hier lernten sie im achten
Jahre des Kursus die Hauptsagen Irlands auswendig, ^um sie den Fürsten,
Häuptlingen und Adligen vorzutragen', wie es in einem aus dem lo. Jahr-
hundert stammenden Lehrbuche über Metrik heißt. Im ganzen soll es
damals 350 Sagen gegeben haben, die in 250 Haupt- und 100 Nebensagen
eingeteilt waren. Aus demselben Jahrhundert sind uns Listen mit ungefähr
180 Titeln von Sagen erhalten, dem Inhalt nach geordnet in ^Belagerungen,
Überfälle, Kriegszüge, Schlachten, Rinderraubzüge, Meerfahrten, Ent-
führungen, Liebeswerbungen, Festgelage, Visionen' usw. Unsere Über-
lieferung beginnt aber erst im 11. Jahrhundert mit dem ältesten großen
Sammelband des Lebor na Huidre (Buch der bunten Kuh), der leider nur
mit starken Lücken auf uns gekommen ist, aber noch 134 Folioseiten zählt.
Aus dem nächsten Jahrhundert besitzen wir in dem Buch von Feinster
(410 Seiten Folio) die Zweitälteste Sagenquelle; danach werden die Hand-
schriften zu zahlreich, um sie einzeln zu erwähnen. Fast sämtliche der so
erhaltenen Sagen gehen auf ältere Vorlagen zurück. Manche von ihnen
mögen schon im 7. Jahrhundert zuerst von mönchischen Schreibern auf-
gezeichnet sein. Denn im Gegensatz zu dem Verhalten der festländischen
Geistlichkeit ließen sich die irischen Mönche schon früh die Erhaltung und
Überlieferung der nationalen Literatur angelegen sein, ebenso wie sie neben
der lateinischen die Muttersprache nicht nur zu Zwecken des Unterrichts^
sondern auch des Gottesdienstes und der Erbauung pflegten.
Daß Stoff lind Stil dieser Sagen jahrhundertelang mündlich fort-
gepflanzt worden, ehe sie zur Aufzeichnung gelangten, geht u. a. daraus
hervor, daß sie fast durchweg in mehreren Versionen auf uns gekommen
sind. Trotzdem aber liegt uns wohl kaum eine einzige so vor, wie sie
von den geschulten Erzählern vorgetragen wurde; denn überall stoßen wir
auf Widersprüche, Auslassungen, Interpolationen, Vermengimg verschiedener
Versionen, Versuche, dieselben in Einklang zu setzen usw. Wo wir jedoch
eine leidliche Überlieferung haben, da zeigt sich innerhalb der Einzel-
episode und in Sagen kleineren Umfangs eine hervorragende Erzählerkunst,
die überall die berufsmäßige Schulung und Tradition erkennen läßt. Wie
schon aus den oben angeführten Titeln hervorgeht, sind die Stoffe fast
ausnahmslos tragischer Natur.
Die große Masse dieser Sagen, soweit sie einheimisch sind, zerlegt
sich nun in eine Anzahl bestimmter Gruppen, die nicht nur inhaltlich,
sondern auch der Zeit ihrer Entstehung nach verschieden sind. Noch in
gemeinkeltische Zeiten und Überlieferung führt uns zunächst in seinen
A. Die iris( hgalischc Literatur. 11. bic cjiisciie Literatur. ^■t
ältesten Bestandteilen der mytholoirische Sagenkrei.s zurück. Derselbe
befaßt sich mit einer Welt von überirdischen Wesen, Göttern und Göttinnen,
mythischen Völkergeschlechtern, die einander befehden, wie die Toatha
De Donann und Fomori, Riesen, Phantomen aller Art und einem unter der
Erde in den Hügeln wohnenden Feenvolk, dem dis slde. Es tut sich ein
irischer Olymp vor uns auf, voller Einzelgestalten, deren Xamen sich oft
ohne Schwierigkeit an gallische und altbritannische Überlieferung anknüpfen
lassen. Leider sind uns aus diesem Kreise keine Aufzeichnungen in ur-
sprünglicher Form erhalten. Schon im 8. Jahrhundert hatte sich die christ-
liche und klassische Gelehrsamkeit dieser alten Stammsagen bemächtigt,
um ihren Inhalt mit alttestamentlicher und klassischer Tradition in Ein-
klang zu bringen. Das führte zu einer Überarbeitung, die im Sinne ihrer Zeit
wi.ssenschaftlich verfuhr. Der ganze mythische Sagenkomplex wurde nach
Eusebius-Hieronymus chronologisch eingerenkt, an Japhet, den Turmbau
zu Babel, die Sündflut, den Exodus usw. angeknüpft; eponyme Stammes-
väter wie Fenius der Alte, Göidel der Junge u. a. wurden frei erfunden
und schließlich die mythischen und sagenhaften Geschlechter in wandernde
Völkerstämme umgewandelt, die sich einer nach dem anderen in Irland an-
siedeln. Dies ungefähr ist der Inhalt des sogenannten Lcbor Gabäla oder
Liber Capturarum ., das schon im 8. Jahrhundert von dem welschen Ge-
schichtschreiber Nennius benutzt wurde. Es hat noch lange historisches
Ansehen genossen. GeofFrey Keating (f 1650) legte es seiner Geschichte
Irlands zugrunde und noch heute steht die irische Geschichtschreibung
zum Teil unter dem Einfluß dieser gelehrten Fabeleien. Dagegen hat sich
die volkstümliche Überlieferung länger davon freigehalten, und wir ge-
winnen z. B. ein unverfälschteres Bild von den heidnischen Vorstellungen
und Bräuchen der alten Iren aus den Erzählungen des sogenannten iJind-
senchaSj einer Sammlung von Sagen, die sich an die Ortsnamen Irlands
knüpfen, oder aus einer erst in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts
überlieferten Sage von einer Schlacht zwischen den Toatha De Donann
und den Fomori. Hier läßt die Darstellung an primitiver und naiver An-
schauung und Schilderung nichts zu wünschen übrig. Wir lesen da von
Göttern, die sich höchst menschlich benehmen, von Menschenopfern, um
die Erdgeister zu versöhnen, von mancherlei Zauber, den die Druiden an-
w^enden und dergleichen. Auch die Heldensage hat eine Menge heid-
nischer und mythischer Elemente bewahrt; Metamorphose und Wieder-
geburt, der Glaube an ein Elysium, an Inseln der Seligen, auf denen ein
Menschengeschlecht wohnt, das weder Krankheit noch Tod kennt, spielen
darin eine Hauptrolle, während der Glaube an die Feen, die dem Menschen
bald feindselig sind, bald Bündnisse und Ehen mit ihm eingehen, .sich be-
kanntlich bis auf unsere Zeit erhalten hat. Eine besondere schon alte
Gattung dieser Feensagen bilden die Echtra genannten Erzählungen, in
denen der Sterbliche durch die Liebe einer Fee Eintritt in ihr unter-
irdisches Reich erlangt.
84 KUN'O Mever: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
Die zweite Hauptgruppe bildet die Heldensage. Eine gemeinkeltische
Heldensage gibt es nicht. Was sich von gleichen oder ähnlichen Motiven
und Zügen in der kymrischen Heldensage findet, beruht auf Entlehnung.
Eine ganze Reihe irischer Sagenkreise von zeitlich und landschaftlich ver-
schiedener Entstehung lassen sich unterscheiden. Der älteste knüpft sich
an Personen, die nach der irischen Chronologie um die Zeit der Geburt
Christi gelebt haben, und hat die Kämpfe um Vorherrschaft zwischen der
Provinz Ulster und den übrigen Provinzen, besonders Connacht, zum Hinter-
grund. In Emain Macha, der Residenz des Königs Conchobur, sehen wir
die Haupthelden Ulsters wie zu einer Tafelrunde vereint: vor allem den
jugendlichen Cuchulinn, den Achilles der irischen Sage, seinen Pflege-
bruder Conall Cernach, Löiguire den Siegreichen, den Druiden Cathbad,
den Richter Sencha und viele andere Männer und Frauen. Ihre Aben-
teuer, Wettkämpfe, Liebschaften, ihr Untergang bilden den Gegenstand
zahlreicher Einzelsagen, -während die Erzählung von dem großen Kriege
zwischen Ulster und Connacht unter dem Titel Täin Bö Cüalngi oder
'Der Rinderraub von Cüalnge' eine Reihe von Episoden zu einem Ganzen
vereinigt hat, das sich in mancher Beziehung mit der Ilias vergleichen
läßt. Die in all diesen Sagen zutage tretenden Kulturzustände zeigen uns
Einrichtungen und Sitten der vorchristlichen Zeit, die im großen wie in
vielen Einzelheiten der altkeltischen Kultur des Kontinents entsprechen.
Im Laufe der Überlieferung hat die Cuchulinnsage dann freilich manches
fremde Element in sich aufgenommen, Niederschläge aus christlicher An-
schauung, klassischer Literatur und den Erlebnissen der Vikingerzeit.
Während der Sagenkreis von Ulster unverkennbar auf historischen
Ereignissen beruht, ist der Ursprung eines zweiten jüngeren Sagenkreises
in Dunkel gehüllt. Dies ist die Finnsage oder der ossianische Kreis, ein
Komplex von Erzählungen und Gedichten, die sich mit Finn mac Cumaill,
seinem Sohne Ossin (Ossian), seinem Enkel Oscar und der fiann (Plur.
flannd) genannten Kriegerschar beschäftigen, deren Oberhaupt Finn ist.
Die Entstehung dieser Sage weist nach Südirland, Munster und Leinster.
Obgleich Finn mit dem Oberkönige von Irland Cormac mac Airt zusammen-
gebracht w'ird, der im 3. Jahrhundert lebte, in dessen Diensten er als
Söldnerführer gestanden haben soll, um Irland gegen feindliche Einfälle
zu verteidigen, so befinden wir uns hier doch nicht auf historischem Boden.
Die Geschichte weiß nichts von solchen Söldnerscharen oder von feind-
lichen Einfällen zu dieser Zeit. Wir erkennen hier Sagenbildung, die auf
den Erlebnissen der Vikingerzeit im 9. und 10. Jahrhundert beruht, und in
diese Zeit mögen auch die ältesten uns überlieferten Texte der Sage
zurückgehen. Manche Einzelsagen dieses Kreises sind unverkennbar der
älteren Heldensage nachgebildet worden, die im Laufe der Zeit durch die
jüngere Nebenbuhlerin verdrängt worden ist. Aus solcher Nachbildung
ist auch eines der Hauptmotive der späteren Finnsage hervorgegangen,
das Zusammentreffen Finns im höchsten Greisenalter mit Patrick, dem er
A. Die irisch gälische Literatur. III. Die historische Literatur. gc
und die Seinigen ihre Abenteuer erzählen. Daraus ist die g^oße Rahmen-
erzählung dieses Kreises, die Agalltniih na Scnörach oder 'das Gespräch
der Alten' entstanden, nach der Tain lio Cualngi das umfanj^reichste
Denkmal irischer Sage.
Ks gibt nun noch eine große Menge kleinerer Sagenkreise, die sich
um geschichtliche Persönlichkeiten aller Zeiten gebildet haben. Hier sind
der Rahmen, der Hintergrund, die Daten oft historisch, während Anekdoten
oder romantische Erzählung den Inhalt bilden.
Schließlich sei noch die Behandlung fremder Sagenstoffe kurz berührt
Schon im lo. Jahrhundert werden 'Die Zerstörung Troja.s' und 'Die Ge-
schichte von Alexander mac Pilip' als Titel von Erzählungen in der oben-
erwähnten Li.ste aufgeführt. Beide Texte sind uns aus diesem und den
folgenden Jahrhunderten in mehr als einer Version erhalten; femer eine
Prosaübersetzung der Aeneis; ein seltsam entstellter und mit mittelalter-
lichen Anekdoten durchsetzter Auszug der Odyssee; aus dem 14. und
15. Jahrhundert eine Prosaauflösung von Lucans Hillnm Civile, eine Über-
setzung von Heliodors Aethiopica, endlich Übertragungen einer ganzen
Reihe von Artusepen, der chanson de geste Fierabras, der englischen
Romanzen von Bevis of Hampton, Guy of Warwick usw.
III. Die historische Literatur. Wenn auch die Heldensage einen
historischen Boden hat und die Erzähler in ihr Geschichte zu überliefern
meinten, so überwiegt doch durchaus das sagenhafte Element Dagegen
besitzen wir erstens eine große Masse halbhistorischer Literatur in den
Geschichten einzelner Völkerschaften und Stämme, Aufzählungen berühmter
Männer und Frauen, Schilderungen von Schlachten, Grabstätten usw.,
Gegenstände, die auch oft von Barden und Gelehrten in Gedichten be-
handelt wurden, sowie zweitens rein historische Aufzeichnungen in den
Annalen, ausführlichen Darstellungen einzelner Perioden irischer Geschichte,
den Stammbäumen zahlreicher Geschlechter, Familien und einzelner be-
rühmter Persönlichkeiten, besonders Heiliger, endlich Urkunden der ver-
schiedensten Art.
Die ältesten Annalen sind uns leider nicht erhalten. Doch wissen wir
aus häufigen Zitaten älterer Quellen in den auf uns gekommenen Annalen,
daß schon im 7. Jahrhundert Chroniken in den Klöstern geführt wurden.
Die erste große Zusammenstellung solcher Aufzeichnungen verdanken wir
dem 1088 gestorbenen Tigernach, .\bt von Clonmacnois, von dessen Werke
uns umfangreiche Bruchstücke erhalten sind. Nach einer aus Hieronymu.s,
Josephus, Orosius, Beda u. a. geschöpften lateinisch geschriebenen Ein-
leitung, die mit der Gründung Roms anhebt, beginnen sporadische Notizen
aus der irischen Geschichte mit der Erwähnung des Königs Cimbäed von
Ulster, einem Zeitgenossen des Ptolemäus zu Ausgang des 4. Jahrhunderts
V. Chr., mit der Bemerkung 'omnia monimenta Scottorum usque Cimbaed
incerta erant\ Erst mit dem 4. Jahrhundert n. Chr. werden die Aufzeich-
86 KuNO Meyer: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
nungen irischer Begebenheiten zahlreicher und ausführlicher, Sie werden
lange Zeit lateinisch oder in einem Gemisch von lateinisch und irisch ge-
macht, bis endlich das Irische durchdringt. Leider hat wohl schon Tiger-
nach selbst die von ihm benutzten altirischen Quellen in die Sprache
seiner Zeit umgeschrieben, so daß wir eines wichtigen Kriteriums für
ihren Ursprung beraubt sind. Die Sprache der alten Vorlagen beibehalten
zu haben ist der Vorzug der zweiten großen Annalensammlung, die im
15. Jahrhundert von Cathal Oc mac Magnusa gemacht wurde, Sie ist
unter dem Namen 'Annalen von Ulster' bekannt. Hier zeigt die Sprache,
die sich von Jahrhundert zu Jahrhundert verändert, daß wir es mit Auf-
zeichnungen zu tun haben, die mit den Ereignissen gleichzeitig waren.
Cathal fängt mit A. D. 431 an, als dem Jahre der Mission des Palladius.
Nach seinem Tode ist sein Werk dann bis zum Jahre 1541 weitergeführt.
Es mögen außerdem noch die im 13. Jahrhundert geschriebenen Annalen
von Boyle (A. D. 420 — 1245), die von Innisfallen (von der Schöpfung
bis 13 19) und die von Clonmacnois erwähnt werden; die letzteren sind uns
nur in einer englischen Übersetzung erhalten. Am ausführlichsten und
mit zahlreichen Anekdoten ausgeschmückt sind drei Fragmente von
Annalen, welche die Jahre 573 — 735, 662 — 704 und 851 — 913 umfassen.
In dem letzten Bruchstück ist namentlich die Vikingerzeit höchst lebendig
dargestellt. Endlich wurde im 17. Jahrhundert aus einigen der erwähnten
und anderen seitdem verlorenen Annalen von dem Franziskaner Michael
O'Clery mit drei Gehilfen eine umfassende Chronik zusammengestellt,
die bis auf das Jahr 16 16 geht. Während die Verfasser diesem Werke
den Titel 'Annalen des Königreichs Irland' gaben, ist es bekannter unter
dem Namen 'Annalen der vier Meister'.
Von ausführlichen Darstellungen einzelner Perioden irischer Geschichte
besitzen wir u, a. aus dem 11. Jahrhundert die sogenannte Böroma, d. h.
die Geschichte des Tributs, den die Oberkönige Irlands seit dem 2. Jahr-
hundert von der Provinz Leinster erheischten, ferner zwei wertvolle Schil-
derungen der Kämpfe mit den Vikingern. Die eine, unter dem Titel
'Kampf der Galen gegen die Nordleute' besteht aus Annalenfragmenten,
einer Biographie des Königs Brian von Boroma (941 — 1014) und einer
detaillierten Schilderung der Schlacht von Clontarf (10 14), die offenbar
auf Berichten von Augenzeugen beruht; die andere schildert die Kämpfe
des Königs Cellachän von Cashel (7 954) gegen die in Munster, Ulster
und Dublin ansässigen Vikinger,
Unter den zahlreich erhaltenen Stammesgeschichten sei eine der
ältesten angeführt, die aus dem 8. Jahrhundert stammt und von den
Schicksalen des Clans der Dessi im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung
berichtet. Aus ihren ursprünglichen Wohnsitzen in Meath vertrieben, siedeln
sie sich im Süden von Irland an, während ein Teil von ihnen an der
Westküste von Britannien eine neue Heimat sucht. Von diesen für die
ältere Geschichte Irlands und Britanniens wichtigen Dokumenten ist bisher
A. Die irisch malische Literatur. IV. iJic Rcchtslitf^ gj
noch wtriij^ vcröfFontlicht. Hier venlient noch eine IjcsoiKi.rc l.inralur-
j^attimj^ Kr\vähnun)4^, die soj^cnannten UiiiU ' Ver/.ückunj^en, \'i.sionen', welche
in der Fomi von Prophezeiungen viel \vertvolle.s Material für die ältere Gre-
schichtc Irlanils enthalten. So zählt ein«? derselben, die Jiaili' in »SV<;i7 'Vi.sion
des Phantoms' mehr als 50 Uberkönig^e Irlands auf, von Conn dem Hundert-
schlachtigen an (A.D. 123 — 157) bis ins i i. Jahrhundert, und erwähnt ihre Taten
und Schlachten, die Umstände ihres Todes und viele andere liinzelheiten.
I\'. Die Rechtsliteratur. Eine stattliche Reihe von Texten aus
der irischen Rechtsliteratur liegt gedruckt und übersetzt in fünf Bänden
vor, tienen die Herausgeber den Titel 'Ancient Laws of Ireland' gegeben
haben. Nach dem irischen Worte für 'Richter' brithcm (Plur. brithcmain)
ist die Sammlung auch unter dem Namen 'lirehon Laws' bekannt Diese
Bezeichnungen sind indessen geeignet, irre zu führen. In der älteren Zeit
wurde die richterliche Funktion von den ////</ ausgeübt, aus deren Klasse
sich erst allmählich der Stand lies britlum entwickelt hat. Ferner bilden
die gedruckten Texte weder sachlich noch ihrer Entstehung nach eine
Einheit und können nicht etwa als ein Gesetzbuch bezeichnet werden.
)is> ist vielmehr eine Sammlung sehr gemischten Inhalts, worin sich neben
eingehenden Erörterungen richterlicher Aussprüche gelehrte juristische
Abhandlungen, sagenhafte und historische Anekdoten und eine Reihe von
Lehrbüchern mit Fragen und Antworten finden, wie sie in den Rechts-
schulen Irlands in Gebrauch waren. Diese Texte erschöpfen nun keines-
wegs alles, was von juristischer Literatur auf uns gekommen ist Eine
große Anzahl wichtiger Werke aus älterer und neuerer Zeit, darunter auch
Lehrgedichte, die ganze Kapitel der Rechtslehre in Memorialverse gebracht
haben, harren noch der Veröffentlichung.
Das einheimische Recht ist erst allmählich und spät durch das englische
verdrängt worden. In manchen Teilen Irlands hat es noch bis in die Zeit
der Elisabetii und später gegolten. Es ist bemerkenswert, daß die Haupt-
masse unserer Handschriften erst aus dieser Zeit (i'>. Jahrhundert) stammt
Wir verdanken sie den Rechtsschulen, die an vereinzelten Orten des
Westens und Nordens noch bis ins i 7. Jahrhundert fortbestanden. Indessen
gehen manche dieser Aufzeichnungen, wie die Sprache zeigt, der Über-
lieferung nach in sehr frühe Zeiten zurück. Während in einigen Stücken
sowohl 1 ext als Kommentar mindestens aus dem S. Jahrhundert stammen,
ist in anderen der Text zwar alt, der Kommentar aber bedeutend jüngj'r.
Hier bedarf noch alles eingehender Untersuchung.
Das in dieser Literatur niedergelegte Recht ist durchaus aus den
eigentümlichen irischen Einrichtungen des Clansystems und der Kloster-
verfassung hervorgegangen. Von römischem oder kanonischem Recht
findet sich nirgends eine Spur, Im Gegensatz zum kymrischcn Rechte ist
nie von besonderen Gebräuchen der verschiedenen Stämme oder einzelner
Provinzen die Rede. Alles bezieht sich auf ganz Irland.
88 KUNO Meyer: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
In den zugrunde liegenden Begriffen von Recht und Rechtsquellen
herrscht wenig System. Es wird zwar bald 'das Recht der Natur', bald
'das Recht des Buchstabens', d. h. das mosaische Gesetz, erwähnt, bald
die neue Ordnung, die durch das Christentum in die Welt gekommen ist;
aber was wir tatsächlich dargestellt finden, ist das einheimische Gewohnheits-
recht, wie es zu verschiedenen Zeiten von den filid und hrithejjiain inter-
pretiert und formuliert worden ist. Erlasse von Königen oder Beschlüsse
von Versammlungen finden sich nur ganz ausnahmsweise erwähnt, obgleich
einzelne Oberkönige von Zeit zu Zeit den Versuch gemacht zu haben
scheinen, eine feste Rechtsgrundlage zu schaffen und die Macht und Will-
kür des Richterstandes zu brechen, dessen Aussprüche in archaische dem
gemeinen Mann unverständliche Sprache und kurze, dunkle, formelhafte
Wendungen gekleidet waren. Eine ganze Reihe teils fabelhafter, teils
historischer Autoritäten werden in den Texten namentlich aufgeführt, dar-
vmter auch Frauen. Manchen unter diesen werden auch Rechtsbücher
zugeschrieben, von denen sich einige erhalten haben, so die dem Caratnia
beigelegten 'Falschen Urteile', so genannt, weil sie zu dem üblichen Rechte
nicht stimmten, wenn sie auch durch besondere Umstände gerechtfertigt
waren, ferner ein 'Die fünf Pfade des Urteils' genanntes Werk, welches
von dem fili Cermna (8. Jahrhundert) herrühren soll.
Wie weit die einzelnen Bestimmungen überall der Praxis entsprochen
haben mögen, bleibt zweifelhaft. Oft haben wir es deutlich nur mit Theo-
rien oder logischen Spitzfindigkeiten zu tun. Zur Erleichterung des Ge-
dächtnisses sind einzelne Abschnitte sowie ganze Bücher in der Form von
Triaden, Pentaden und Heptaden abgefaßt.
Neben diesen und ähnlichen Texten besitzen wir noch eine Anzahl
Traktate und Kompilationen anderer Art. So vor allem eine Reihe von
Einzelgesetzen meist kirchlichen Ursprungs, die sogenannten cäiia (Sing.
cäin 'Abgabe, Gesetz'), darunter die Cäin Adamnäin aus dem 8. Jahr-
hundert, ein Traktat über die von Adamnan, dem bekannten Abte von
lona, erlassene und im Jahre 697 auf einer Synode von Königen, Äbten
imd Bischöfen durchgesetzte Bestimmung, wonach weder Frauen noch
Unerwachsene am Kriege teilnehmen sollen; femer aus dem 9. Jahrhundert
eine ausführliche Abhandlung über die Sonntagsheiligung [Cäin Doinnaig\
die auf der bekannten Sonntagsepistel beruht, w^elche um diese Zeit vom
Kontinent herüberkam. Schließlich sei noch eine im 11. Jahrhundert ver-
faßte Zusammenstellung der Gerechtsame und Pflichten des Oberkönigs
und der Provinzialkönige erwähnt, das sogenannte 'Buch der Rechte',
sowie ein um dieselbe Zeit geschriebener Traktat über zwölf Arten von
Gottesurteilen, in denen glühendes Eisen, kochendes Wasser, Losziehen
u. dgl. neben alten heidnischen Gebräuchen aufgezählt werden.
V. Die geistliche Literatur. Es ist wohl kaum ein anderes Volk
so schnell vom Christentum erfaßt und in seinem ganzen Leben durch-
A. Die irisch galischc Literatur. V. l>ic geistliche Literatur. go
drunpen worden wie da.s irische. Davon geben Sprache und Literatur
nicht weniger beredtes Zeugnis als die Geschichte. Wer es z. H. unter-
nähme, die Einwirkung des Christentums auf die altirische Sprache zu
schildern, der würde eine ungleich größere und bedeutendere Liste von
entlehnten Wörtern und Bogriffen aufzustellen haben als Rudolf von Raumer
im Althochiloutsclicn. Manciie Ausdrücke der lateinischen Kirchensprache
bürgerten sich so rasch und tief unter dem Volke ein, daß sie schon im
Altirischen eine Begriffserweiterung erfahren hatten. So bedeutet laich
aus laicus schon im ältesten Irisch 'Krieger', motitar aus monastcrium
'Familie*, aracul aus oracitlum jedes kleinere allein.stehende Gebäude,
und föc aus pac- (pax) verdrängte in der Bedeutung 'Kuß' das heimische
Wort tnimniy das fortan nur noch im obszönen Sinne galt Daß ander-
seits das Irische selb.st früh in den Dien.st der Kirche trat, ist schon er-
wähnt worden. Allmählich wurde es die Sprache des gesamten religiösen
Lebens. So verdrängte es im Gegensatz zu dem Gebrauche aller anderen
christlichen Völker mit Ausnahme der Angeln und Skandinaven da.s Latei-
nische sogar aus den Grabinschriften, die etwa seit dem 8. Jahrhundert
nur mehr noch irisch abgefaßt sind. In der religiösen Literatur herrschte
in den ersten Jahrhunderten des Chri.stentums in Prosa wie in Poesie
wohl ausschließlich die lateinische Sprache. Patrick bediente sich ihrer in
seinen Schriften, die ältesten Bußordnungen sowohl als H)Tnnen sind in
ihr abgefaßt, und bis ins 7. Jahrhundert auch die Leben der Heiligen,
sowie theologische und andere gelehrte Werke. Aber schon um die Mitte
des 8. Jahrhunderts schrieb ColgTi von Clonmacnois (f 796), bei dem ein
Alcuin sich den letzten Schliff der Gelehrsamkeit geholt hatte, seine große
Scitap Chrdbitid ('Scopa Devotionis') genannte Litanei in der Mutter-
sprache. So mag es sich erklären, daß von den Werken der großen irischen
Gelehrten des 8. Jahrhunderts, zu denen Schüler aus ganz Europa strömten,
so wenig auf uns gekommen ist. Ihre irischen Schriften sind meist ver-
loren gegangen und lateinisch scheinen sie wenig geschrieben zu haben,
während sich die Iren im Auslande, wie Sedulius, Dicuil u. a. natürlich
nur des Lateinischen in ihren Werken bedienten, von denen sich dann
wieder mehr erhalten hat.
Die in irischer Sprache überlieferte theologische und geistliche Literatur
vom s. bis 1 2. Jahrhundert ist nun so umfangreich und mannigfaltig, daß
sie hier nur ihrem Hauptinhalt nach kurz aufgeführt werden kann. An
Prosa besitzen wir zahlreiche Predigten, Homilien und Traktate, .so über
die Auferstehung, das jüngste Gericht, die Haupttugenden, die Todsünden,
heimliche Sünden usw., Passionsgeschichten, Legenden aller Art, KJostcr-
regeln, Bußordnungen, sogenannte 'Alphabete', d. h. Grundregeln der
Frömmigkeit, meist mit lateinischen Titeln, z. B. De his quae debet homo
discere, De peritia veritatis. De virtutibus animae usw.; femer Bibel-
kommentare, darunter das Bruchstück eines weitschichtig "n
Psalmenkommentars, Darstellungen 'i-wiMir \i.v, imiTf.. <!( r Hnli;, . :- ..rift
go KUNO Meyer: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
und Geschichte, z. B. die Schöpfung, die Geschichte des Volkes Israel,
die Kindheit Jesu, die Zerstörung Jerusalems unter dem Titel 'Die Rache
für Christi Blut'; eine Schilderung der Welt, des Himmels und der Hölle
unter dem Titel 'Die ewig neue Zunge', vom Geiste des Apostels Philipp
geofifenbart; Gebete, geistliche Unterweisungen, oft in Frage und Antwort
gekleidet, u. dgl. Manches hiervon ist unverkennbar aus lateinischen,
oft freilich unauffindbaren Originalen übersetzt oder bearbeitet, anderes ist
selbständig aus den eigentümlichen Einrichtungen der irischen Kirche
entsprungen.
Zwei große Gebiete der religiösen Prosa verdienen besondere Er-
wähnung, da manches aus ihnen in die Literatur des Kontinents gedrungen
ist, die Visionen und die Hagiologie. Von den ersteren sind die älteste
und eine der spätesten durch Zufall zunächst lateinisch aufgezeichnet, die
aus Beda bekannte Vzsio Fursac {-j- 650), von der aber eine der oben er-
wähnten Sagenlisten auch eine irische Version (Fls Fursa) aufführt, und die
Visio Tnugdali, 1149 "^'o^i ^^m südirischen Mönche Marcus in Regens-
burg niedergeschrieben. Dazwischen liegt eine Reihe in irischer Sprache
verfaßter Visionen, die eben deshalb nicht im Ausland bekannt geworden
sind. In Irland selbst war diese Literatur so populär, daß sie zu Parodien
Anlaß gab, unter denen die aus dem 12. Jahrhundert stammende 'Vision
des Mac Conglinne' die bedeutendste ist.
Die Masse der auf irische Heilige bezüglichen Literatur, von einzelnen
Anekdoten und Legenden bis zu umfangreichen Biographien, ist ungemein
groß und reichhaltig. Daß noch viel mehr als heute erhalten ist in irischer
Sprache existiert hat, beweisen die auf verlorenen irischen Originalen be-
ruhenden lateinischen Vitae mancher Heiligen Irlands. So hat sich auch
die Legende von der Meerfahrt Brendans, ursprünglich eine Episode in
der Lebensgeschichte dieses Heiligen, durch eine lateinische Version über
ganz Europa verbreitet.
Die geistliche Dichtung läßt sich in zwei Hauptgruppen zerlegen,
eine gelehrte, lehrhafte und eine rein lyrische. Zu ersterer gehören die
großen gereimten Festologien (felire), von denen die älteste, um 800
von Oingus verfaßt, über tausend irische und ausländische Heilige auf-
zählt. Sie wurde schon früh mit einem ausführlichen sachlichen Kom-
mentar versehen.
Der gegen Ende des 10. Jahrhunderts verfaßte Saltair na Rann
('Strophenpsalter') erzählt in 150 Gedichten Episoden aus der Geschichte
des Alten und Xeuen Testaments und darf sich, was Stil und Behandlung
betrifft, wohl Otfrids Werk an die Seite stellen. Aber auch manch spröder
Stoff wurde in Verse gebracht. So haben wir gereimte Mönchsregeln,
die den Gründern von Klöstern wie Ailbe (7 541), Comgall (-|- 602), Mochutu
(7 636), Manchm (- 665) zugeschrieben werden, aber alle erst aus dem
8. oder g. Jahrhundert stammen; femer allerlei Lehrgedichte des Airbertach
mac Gösse, eines Lektors (fer legind) an der Klosterschule von Ross
A. Die irisch yalischc Literatur. \'l. Die gelehrte Literatur. qi
Ailithre in der zweiten Hälfte des lo. Jahrhunderts, so über die Psalnu-n,
Babylon, die Midianiterschlacht usw.
Das Gebiet der geistlichen Lyrik ist noch nicht zu übersehen, da erst
wenig- gedruckt vorliegt Inhalt und Form sind gleich mannigfaltig. Kurze
Reimsprüche, Gebote, Sevrenssprüche, Hymnen an die Gottheit oder auf
Heilige, Ennahnungen, Gedichte moralisierenden oder reflektierenden In-
halts, seit dem i.'. Jahrhundert auch viel christlich Mythologisches, femer
Marienlieder, Krcuzlicder usw. finden sich in großer Zahl. Viele von ihnen
werden, zum großen Teil gewiß mit Recht, bekannten und historisch be-
glaubigten Dichtern zugeschrieben, von denen die folgenden hier genannt
seien: aus dem 9. Jahrhundert Fothad mit dem Beinamen na Canöine
(der Kanoniker) und Cormac mac Cuilennain, König von Munster und
Bischof von Cashel [■- 908); aus dem 1 1. Jahrhundert der oben schon erwähnte
Mael-isu hoa Brolchain (-}• 1086), aus dem 12. Jahrhundert Mael-Muire hoa
Moirin, aus dem 13. Jahrhundert Domnach Mör 0 Dalaig (7 1244) und
Mael-Muire ö Lennain, aus dem 14. Jahrhundert Gilla Brigde mac Conmide.
Viele andere geistliche Sprüche, Lieder und Gedichte werden wohl-
bekannten Heiligen, so schon Patrick und Brigitta, zugeschrieben, obgleich
sie wohl nur in den seltensten Fällen von ihnen herrühren. Besonders
zahlreich sind die dem heiligen Columba ^Colum Cille) beigelegten Ge-
dichte, die in der Mehrzahl erst aus dem 13. Jahrhundert stammen. Auch
in den Viten werden bei jeder Gelegenheit den Heiligen Verse in den
Mund gelegt, in denen sich oft der Charakter ihrer Persönlichkeit treffend
und launig offenbart. So wird die Schlagfertigkeit und der Witz des
heiligen Moling (| 650) durch manchen Vers charakterisiert, wie wenn er
in der Klosterschule von sich sagt:
„Bin ich unter den Weisen, den Alten, Nimmt mich der Älteste selber für voll;
Mit den Jungen dann wieder treib ich's so toll, Daß sie mich für den Jüngsten halten. "
In vielen Gedichten treten die Besonderheiten des irischen religiösen Lebens
hervor, das Zusammenleben von Männern und Frauen im Bezirk des
Klosters, der Drang nach Pilgerfahrten, die Freude an der Schreibkunst
Eine besonders interessante Gruppe bilden die Lieder, welche das Leben
und die Gefühle der Einsiedler schildern, die sich allein oder mit zwölf
Gefährten aus den großen geräuschvollen Klöstern in Waldeinsamkeit oder
auf abgelegene Inseln zurückzogen. Sie sind oft reich an ausführlichen
Naturschilderungen.
VI. Die gelehrte Literatur. Es ist als ein großer Verlust zu be-
klagen, daß sich aus der Blütezeit irischer Gelehrsamkeit keine wissen-
schaftlichen Schriften in irischer Sprache erhalten haben. Von all den
Dutzenden von Gelehrten, welche die Annalen vom 7. Jahrhundert an mit
Ehrentiteln wie *vir sapiens', Mector bonus', 'religionis doctor', 'magister
bonus evangelii' auffuhren, besitzen wir nichts der Art Und doch dürfen
wir aus allerhand Zeugnissen, erhaltenen Titeln, den Hinw<i><rn späterer
Q2 KUXO MeveR: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
Bearbeitungen wohl schließen, daß schon im 8. Jahrhundert eine bedeutende
Literatur an Lehrbüchern und wissenschaftlichen Abhandlungen in manchen
mittelalterlichen Disziplinen in irischer Sprache bestand. Was auf uns ge-
kommen ist, davon geht nichts über das 9. und 10. Jahrhundert zurück, ist
meist noch jünger und trägt den Charakter einer Epigonentätigkeit. Da
erst wenig davon herausgegeben ist, so läßt sich auch hier nur eine all-
gemeine und kurze Übersicht geben.
In der Grammatik haben wir verschiedene, zum Teil umfangreiche
Abhandlungen über das lateinisch -irische Alphabet, die Ogamschrift, Dekli-
nation, Konjugation und andere Abschnitte der Formenlehre, alles auf der
Basis von lateinischen Lehrbüchern. Besonders wurde die Etymologie
nach dem Muster des Isidor eifrig gepflegt, jedes irische Wort aus
dem Lateinischen, Griechischen oder Hebräischen hergeleitet oder aus dem
Irischen selbst erklärt und in seine Bestandteile zerlegt. Auch das Kym-
rische und Nordische finden sich manchmal herbeigezogen. Seltene und
veraltete Wörter wurden in Glossare vereinigt, unter denen das dem Cormac
mac Cuilennäin (j 908) zugeschriebene und ein unter dem Namen O'Mulconry
bekanntes die ältesten und wichtigsten sind. Zum Zwecke des Memorierens
gab es auch gereimte Glossare.
Über irische Metrik liegt eine Anzahl Traktate mit zahlreichen Bei-
spielen von Versen aus dem 10. Jahrhundert vor; sie enthalten den Lehr-
stoff, der dem Unterricht in den Bardenschulen zugrunde lag. Daß es
Bearbeitungen älterer Werke sind, wird ausdrücklich erwähnt. Im ganzen
werden 338 Metren besprochen und durch Beispiele erläutert.
Aus dem Gebiete der Geographie sind nur einige Lehrgedichte aus
dem 10, Jahrhundert auf uns gekommen, die auf lateinische Quellen zurück-
gehen; so eine Schulgeographie der drei Weltteile von dem oben erwähnten
Airbertach mac Cosse-dobräin,
Astronomische Abhandlungen finden sich nur in geringer Zahl und
erst aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Aus derselben Zeit stammen auch die
ältesten medizinischen Handschriften, die sich in größerer Anzahl erhalten
haben. Sie scheinen alle auf bekannten lateinischen Werken (Avicenna,
Serapion, Dioscorides usw.) zu beruhen, die sie übersetzen und kommentieren.
Mathematisches und Philosophisches findet sich nicht in der irischen
Literatur, obgleich wir wissen, daß die Iren sich gerade diesen Studien
mit Vorliebe zuwandten und Hervorragendes darin geleistet haben.
VII. Die gnomische Literatur. Die Vorliebe der Kelten für
prägnanten Ausdruck, für das glücklich gewählte Wort, in dem sich Witz
mit Weisheit paart, das ^argute loqui' Cäsars, tritt in vielen sprichwörtlich
gewordenen Redensarten zutage, die sich durch die ganze irische Literatur
zerstreut finden. Manche von diesen wurden schon in altirischer Zeit zu
Sammlungen vereinigt, wodurch eine nicht unbeträchtliche gnomische und
didaktische Literatur entstand. Sie zerfällt im großen und ganzen in
A. Die iribch galischc Literatur. \ 11. l-»ic ^'nomischc Literatur. \lll. l>ic weltliche Lyrik, ni
ethische Maximen und Rftlfktionen, C'haraktcrschilderunj^en und Lebens-
regeln allgemeiner Natur und solche für besondere Stände. Unter den
ersteren sind die Triaden am merkwürdigsten, die nach Art der hebräischen
Zahlensprüche jeden Aus.spruch durch drei Beispiele belegen, die so ge-
ordnet sind, daß sie eine Steigerung enthalten, auch wohl mit einem Anti-
klimax endigen. Solcher Triaden sind im yt. Jahrhundert über zweihundert
gesammelt (darunter auch einige Duaden und Tetraden) und dem Inhalte
nach geordnet worden. Hier finden wir geographische Triaden, wie 'Die
drei (Haupt iströme Irlands: der Shannon, der Boyne und der Bann';
Rechtstriaden, wie 'Drei Dinge, welche die Gerechtigkeit erheischt: Urteil,
Maß, Gewissen', und andere sehr gemischten Inhalts, z. B. 'Drei Leuchten,
welche jede Dunkelheit erhellen: Wahrheit, Natur und Wissenschaft', oder
'Drei Funken, welche Liebe entzünden: ein Antlitz, Benehmen, Rede'.
Die Lebensregeln und Maximen für besondere Stände knüpfen sich
in der Überlieferung an bekannte historische oder sagenhafte Persönlich-
keiten. Es sind Belehrungen und Ermahnungen von Königen an ihre
Nachfolger, von \'ätem an ihre Söhne und von Lehrern an ihre Zöglinge.
Die ältesten sind unter dem Titel 'Das Testament des Morann mac Möin
(i. Jahrhundert n. Chr.) an seinen Sohn Feradach' bekannt, woraus wir
schon in Texten des 8. Jahrhunderts Zitate finden; ferner die Unter-
weisungen Cuchulinns an seinen Pflegesohn Lugaid, als dieser zum Könige
von Irland gewählt wurde, die eine Episode in der Sage 'das Kranken-
lager Cuchulinns' bilden. Die umfangreichste und bunteste Sammlung
der Art ist unter dem Titel Tccosca Curmaic überliefert und enthält Be-
lehrungen des Königs Cormac mac Airt (3. Jahrhundert) an seinen Sohn
Carpre. Hier wird von den Tugenden eines Königs gehandelt, seinen
Rechten und Pflichten gegenüber dem Volke, von der Wahl einer Gattin,
wie man sich in der Jugend und im Alter und in den verschiedensten
Lebenslagen zu benehmen hat, schließlich auch von Wetterregeln. Neben
manchen anderen derartigen Prosastücken aus früher und späterer Zeit
finden wir auch einiges in Verse gebracht, darunter Rätselfrageo, teils
mit, teils ohne Antwort.
VIII. Die weltliche Lyrik. Die große Masse der lyrischen Poesie
Irlands, von der geistlichen abgesehen, zerlegt sich ihrem Ursprung und
Inhalt nach in höfische Bardenpoesie und offizielle GelegenheiLsdichtung;
in die Lieder, welche sich, wie oben erwähnt, in den Sagen eingestreut
finden; und in Dichtungen, welche zwar auch aus dem Kreise der Barden
und filid hervorgegangen sind, aber keine Beschränkung in der Wahl
und Behandlung des Stoffes zeigen. Dazu kommt ferner noch die Volk.s-
dichtung, von der uns aber aus alter Zeit kaum etwas erhalten ist.
Dem Stande der Barden und der filid ^ die bei den Königen, Häupt-
lingen und Adelsgeschlechtem Irlands das Amt von Hofdichteni bekleideten,
lag es ob, die fröhlichen ""-' traurigen Ereignisse der Herrscherfamilie
94
KuNO Me\'ER: Die keltischen Literaturen. II. Die einzelnen keltischen Literaturen.
von der Wiege bis zum Grabe mit Gesang und Dichtung zu begleiten,
die Tug'enden, besonders die Tapferkeit und Freigebigkeit ihrer Herren
zu preisen, sie zu kühnen Taten und Unternehmungen anzuspornen und
das Gedächtnis ihrer Ahnen im Liede lebendig zu erhalten. Unter den
uns erhaltenen Bardenliedern kommen alle diese Funktionen der höfischen
Dichter zum Ausdruck. Da finden wir Festlieder, wie das oben erwähnte
auf den König Aed, Loblieder, Trauerlieder, Totenklag'en, Grabgesänge,
Trostlieder, jNIahnrufe, Triumph- und Siegeslieder, Schlachtgesänge, Schwert-
und Schildlieder. Auch an Schmäh- und Rügeliedern fehlt es nicht, in
denen der von Hof zu Hof ziehende Barde seinen Groll über schlechte
Behandlung und karge Belohnung ausläßt. Da die Dichter mit der
heimischen Geschichte und Sage wohl vertraut waren, so behandelten sie
auch ältere Stoffe in Bardenweise. So entstanden Gedichte, die bekannten
älteren Dichtern in den Mund gelegt werden. Ein solches ist z. B. die
Totenklage um den König Niall (f 405), die in der Form eines Dialogs
zwischen seinem Hofbarden Torna und dessen Sohn, dem Pflegebruder
Xialls, abgefaßt ist. Aber die große Mehrzahl der auf uns gekommenen
Bardenlieder wird gewiß mit Recht Dichtern zugeschrieben, deren Namen
und Daten uns aus den Annalen bekannt sind. Ihre Echtheit läßt sich
teils aus Sprache und Metrum, teils aus der Art, in welcher historische
Ereignisse erwähnt werden, feststellen. Obgleich unendlich viel verloren
gegangen ist — so zählt z. B. ein metrischer Traktat die Anfangsstrophen
von 350 Liedern auf, von denen nur zwei oder drei vollständig in Hand-
schriften erhalten sind — , so besitzen wir doch seit dem 9. Jahrhundert
in immer wachsender Anzahl viele hunderte von authentischen Barden-
liedem, von denen indessen erst wenige veröffentlicht worden sind. Von
dem berühmtesten Dichter des alten Irlands, Ruman mac Colmäin (f 747),
den irische Tradition Homer und Vergil an die Seite stellt, haben sich
leider nur zwei Strophen erhalten. Dagegen besitzen wir ein aus 70 Strophen
bestehendes Schmählied des Fingen mac Flainn (ca. 850), in welchem er
den Clan der Fir Ardda, deren Häuptling ihm den gebührenden Preis für
ein Gedicht verweigert hatte, zuerst Spott und Hohn fühlen läßt, zum
Schlüsse aber wieder gütlich einlenkt. Ein anderer typischer Barde des
9. — IG. Jahrhunderts ist Dallän mac Möre, von dem uns zwei Lieder er-
halten sind, ein Schwertlied und eine Aufzählung von vierzig Schlachten,
an denen sein Herr, König Cerball von Leinster (f 909) teilgenommen hat.
Aus dem 11. Jahrhundert sei Mac Liac erwähnt, der Barde des Häupt-
lings Tadg Mör hüa Cellaig (O'Kelly), Verfasser eines Schildlieds und
einer Totenklage um seinen Herrn, der 10 14 in der Schlacht bei Clontarf
fiel. Von dieser Zeit an bis ins 16. Jahrhundert ist die uns überlieferte Menge
echter Bardenlieder so zahlreich und mannigfach, daß sich aus ihnen allein
die Geschichte Irlands schreiben ließe.
Die Anzahl der in den Sagen eingeschalteten Lieder ist zu groß, ihr
Inhalt zu bunt, als daß sie sich im allgemeinen charakterisieren ließen.
A. Die irisch -gälische Literatur. VIII. Die weltliche Lyrik. ^c
Mauche Sa^enstoffe eigiicn .sich mehr als andere zu lyri.scher Behandlung,
so daß einige Sagen, wie der 'Rinderraub von Coalnge' und da.s 'Gespräch
der Alten* be.sonders reich an Gedichten sind, während z. B. die 'Schlacht
von Finntraig" (Ventry) nur ein einziges enthält. In anderen Erzählungen
überwiegt die Lyrik .so sehr, daß die Prosa ganz ilagegen zurücktritt, wie
z. B. in der Liebesgeschichte von Liadain und ("urithir. Während die
einzelnen eingestreuten Gedichte in der Regel von geringem Umfange
sind, finden sich in der kurzen Sage von der Meerfahrt Brans nicht
weniger als zweimal 28 vStrophen. Manchmal begegnen diese Gedichte
aus der Sage losgelöst in den Handschriften. Auch kommt es vor, daß
dieselben Gedichte in verschiedene Erzählungen eingefügt werden. Das
ist z.B. mit einigen hübschen Xaturgedichten der Fall, die Schilderungen
von Sommer und Winter enthalten.
Unabhängig von den Sagen sind lyrische Gedichte nur in geringer
Anzahl erhalten. Von dem wenigen, was bis jetzt davon veröffentlicht
ist, sei das Lied einer alten Hetäre aus dem 10. Jahrhundert erwähnt, die
nach Art der Belle Heaulmiere von Villon um die entschwundene Schön-
heit und Jugendlust trauert; femer aus dem 11. Jahrhundert eine in kunst-
reichem Versmaße verfaßte Schilderung des .sturmbewegten Meeres.
Das irische Volkslied läßt sich am besten aus modernen Sammlungen
kennen lernen, unter denen Douglas Hydes 'Lovcsongs of Connacht* die
erste Stelle einnehmen.
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Dra Kl-ITVK DC« OlOKMWAaT. I. II. I.
B. DIE SCHOTTISCH- GÄLISCHE UND DIE MANX- LITERATUR.
Von
Ludwig Christian Sterx.
I. Die schottisch -gälische Literatur.
In irischer L Die Literatur vor der sprachlichen Trennung vom Irischen.
Sprache. j)jg Einheit der Sprache, die die Scottia minor mit der Scottia maior verband,
hat bei den Galen der schottischen Hochlande und der westlichen Inseln, den
Albanern, wie sie sich selbst nennen, das ganze Mittelalter hindurch eine
selbständige Literatur nicht entstehen lassen. Auch an der Entwickelung der
irischen haben sie, abseits vom Mutterlande sitzend, einen wesentlichen Anteil
nicht gehabt. Als das älteste Denkmal des Schottisch -Gälischen betrachtet
man ein lateinisches Evangeliarium des 9. Jahrhunderts. Darin finden sich
sechs Eintragungen in gälischer Sprache über Landschenkungen an das
Columbanische Kloster Deer in Aberdeenshire aus dem 11. und 12. Jahr-
hundert, die mit dem damaligen Irischen verglichen eine gewisse, aller
Wahrscheinlichkeit nach in dem albanischen Volksdialekte der Zeit be-
gründete, Unregelmäßigkeit der Aussprache zeigen. Im übrigen aber sind
die alten gälischen Handschriften, die in Schottland erhalten geblieben
sind, nach Schrift und Sprache irisch; auch eine Erzählung vom tragischen
Tode der Söhne Uisnechs und der schönen Deirdre (Darthula), die
zweifellos schottischen Ursprungs ist, gehört der irischen Literatur an. Die
berufsmäßigen Barden der albanischen Edelleute pflegten in alter Zeit
nach Irland zu gehen, um die gälische Poetik zu lernen und ihre Gedichte
sind irisch, wenn sie auch gelegentlich dialektische Eigentümlichkeiten
haben. Namentlich auf den Inseln scheint sich irische Sprache und Schrift
lange erhalten zu haben, so auch in dem Roten und Schwarzen Buche
der Macvurichs, der Hausbarden der Macdonalds im 16. und 17. Jahrhundert,
die außer Oden und Elegieen die Geschichte ihrer Patrone und die Kriege
des Grafen Montrose enthalten. So wenig war man sich in Schottland
einer eigenen Schriftsprache bewußt, daß John Carswell, der Bischof der
Inseln, 1567 für seine Landsleute John Knox' Liturgie ins rein Irische
übersetzte. Einen Fortschritt zeigte ' dieser erste gälische Druck insofern,
als er für die bis auf den heutigen Tag in Irland gebräuchlichen alter-
tümlichen Schriftzeichen die lateinische Type einführte, die auch der
gälische Katechismus Calvins von 1631 und alle folgenden schottisch-
gälischen Drucke beibehielten.
I. Die schottisch -gälischc Literatur. II. Ossian und F:n^al. ng
Den Cberyi^ang- der schottischen Sprache vom Irischen zum Alba- ih. r>«M'«
nischen läßt in gewisser Weise die Sammlung gälischer Gedichte erkennen, '*****'^
die zwischen 15 12 und 1542 James Macgrogor, der Dechant von Lismore,
einer kleinen Insel in Argyllshire, machte. Das ist das kostbare Dean's
Book, jetzt in Advocates' Librarj' in Edinburg, das älteste eigentlich
albanische Buch, das erhalten ist. Es ist in kursiven Zügen geschrieben,
nicht in der gewohnten historisch -etymiologischen Weise, sondern, recht
unbeholfen und ungleich, nach der damaligen Aussprache phonetisch; seine
Sprache ist irisch, aber ohne Zweifel sind in ihrer Wiedergabe wichtige
Eigenheiten des albanischen Dialekts überliefert. Auch der Inhalt dieses
Duanaire oder Liederbuchs gehört vorwaltend zu Schottland, und neben
irischen treten hier zum erstenmal schottische Barden auf, die sich den
Forderungen der alten gälischen Verskunst gewachsen zeigen. Da sind
außer mehreren religiösen Stücken, um einige Beispiele anzuführen, Lob-
gedichte auf gälische Häuptlinge, ein Gedicht voll Haß gegen die 'Sachsen*
oder Engländer, ein anderes von Seaan von Knoidart auf den Mörder des
Königs von Islay 1490, und neben derben Satiren auf die Frauen einige
zarte Verse der Gräfin Isabel von Argyll über die verborgene Liebe.
Der hervorragendste unter den namhaft gemachten Dichtern ist vielleicht
der 1525 gestorbene Finlay mac Xab von Boquhan, der auf einer Insel
des Loch Tay zu Hause war und Barde der Macgregors gewesen zu sein
scheint. Das Buch des Dechanten hat dadurch noch besondere Wichtig-
keit, daß es eine Anzahl ossianischer Gedichte enthält Volkslieder der Art
sind das erste gewesen, was von keltischer Literatur überhaupt über deren
Grenzen hinausgedrungen ist und ihre Existenz weithin bekannt gemacht hat
II. Ossian und Fingal. Im Jahre 1756 veröffentlichte Jerome Stone, Macph«rsooa
ein Schulmeister in Dunkeid, im Scots Magazine ein Gedicht 'Albin and the ^•»*»-
daughter of May', das er als eine Übersetzung aus dem Gälischen bezeichnete.
In der Tat liegt ihm die gälische Ballade von Fraoch, der von einem Drachen
getötet und von seiner Geliebten betrauert wird, zugrunde. Einen großen Ein-
druck konnte das Gedicht mit seinen zwanzig zehnzeiligen Strophen nicht
machen, aber es zeigt, daß man unter Übersetzung in jener Zeit schon eine
Nachdichtung verstand, in der die Form und die Ausdrucksweise des Originals
und selbst die Namen willkürlich geändert waren. Mehr Aufsehen erregften
zwei Lieder in poetischer Prosa, die vier Jahre später im Edinburger
Gentlemans Magazine erschienen: das eine 'Autumn is dark on the moun-
tains' und das andere 'The wind and the rain are over' beginnend. Und
in demselben Jahre folgten 16 Fragmente ähnlicher Naturschilderungen
mit epischer Beimischung 'translated from the Galic or Erse language*,
und als der Übersetzer gab sich James Macpherson (1738— 1796), ein
junger Theolog aus der Gegend von Invemess, zu erkennen. Noch hatte
sich die Aufregung über diese merkwürdigen Bruchstücke alter Poesie
nicht gelegt, als von demselben Macphersor -' ' ein episches Gedicht
loo Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
Tingal' in sechs Büchern, mit einer Anzahl kleinerer, und 1763 ein Epos
'Temora' in acht Büchern, wieder mit kurzen Beigaben, aus dem Gälischen
übersetzt und reichlich mit Anmerkungen versehen, in London erschienen.
Jetzt wurde als Dichter der Originale Ossian der Sohn Fingais eines
gälischen Königs von 'Morven' im 3, Jahrhundert genannt. Eine wie
lebhafte Teilnahme diese Gedichte in der ganzen Welt fanden, beweisen
die zahlreichen Ausgaben, die Übersetzungen in die gebildeten Sprachen
{Goethe, Herder, Bürger sind unter den Übersetzern), die Kommentare, die
man dazu geschrieben, und der Streit, den man mehr als hundert Jahre
über ihre Echtheit geführt hat. Die sanfte Schwermut ('the joy of grief),
die auf dieser Poesie ruht, gewann dem unvergleichlichen Dichter in einem
zum Sentimentalen geneigten Zeitalter immer wieder Bew^underer und Freunde.
'Thy song is lovely, o Malvina, it is lovely, but it melts the souL' Der Nebel,
in den in Ossians Gedichten alles gehüllt ist, verleiht ihnen etwas Geheimnis-
volles, das fesselt, wenn auch das einzelne undeutlich darin verschwimmt.
'Aus dem Gälischen übersetzt' — diese Kette mußte Macpherson zeit-
lebens tragen, da er den ungestümen Drängem die Originale, die seinen
Übersetzungen ungefähr entsprochen hätten, etwa wie die Stones, mochten
sie nun aus Handschriften oder aus mündlicher Überlieferung genommen
sein, nicht vorzeigen konnte. So ward er auf den Abweg geführt, den
er schon 1763 mit dem siebenten Buche des 'Temora' betreten hatte,
indem er verschwiegene Freunde, die etwas mehr von der Sprache ver-
standen, ins Vertrauen zog und mit ihrer Hilfe etwa zwei Drittel seiner
Jugendpoesie en wörtlich ins Gälische übersetzt hinterließ. Diese gemachten,
von Th. Ross durchgesehenen Originale erschienen 1807 und viele glaubten
daran. Aber die Sprache hat kein Alter, die Poesie keine Form, und
selbst als modernes Gälisch hält die stümperhafte Arbeit eine Prüfung
nicht aus. Die Iren verlachten sie und die Bergschotten, unter die man
eine Ausgabe der 'Dana Oisein' gratis verteilte, lasen sie nicht, weil sie von
aller Poesie, die sie kannten, zu verschieden und ihnen unverständlich waren.
Das liegt heute alles klar vor uns und ein Zweifel ist nicht mehr gestattet.
Trotzdem hatten so viele Männer aus dem Volke bezeugt, ja be-
schworen, daß ihnen die gälischen Gedichte Ossians von Jugend auf be-
kannt seien und daß sie im Munde vieler noch fortlebten. Macpherson
kannte die anspruchslosen Balladen, die gemeint waren, sehr wohl, aber
er schämte sich ihrer. Ganz mit Unrecht, denn sie sind wenigstens in
unverfälschter Sprache alt überliefert, sie haben eine poetische Form, sie
verwirren die Sagen nicht, sie haben keine sinnlosen Namen und keine
Anklänge an die Bibel und die KUassiker, und wenn sie nicht so hochtrabend
im Ausdrucke sind, so kranken sie auch nicht an Empfindsamkeit. Dies
waren die wirklichen Originale Macphersons, denen er hier und dort etwas
von der Erzählung und in seltenen Fällen ein paar Verse in seinem eng-
lischen Ossian entnommen hat, dessen gälischen Wortlaut er aber ver-
gessen hatte, als er es ins Gälische zurückübersetzte.
I. Die schottisch - galjschc Literatur. II. Ossian und Kingal. lOi
Schon die erwähnte Hand.schrift des Üechanten von Llsmore enthält o.ria«i»ch«
dreißig ossianische Balladen, und nach dem Zeugnisse des Bischofs Cars- "•"•"*'^-
well stand diese Poesie in Schottland in der Mitte des i6. Jahrhunderts
in der Blüte. Das meiste davon hatte sich in ungeschriebener Über-
lieferung- bis ins i8. Jahrhundert erhalten. Und das ist der Hauptnutzen,
den Macphersons Fiktion gestiftet hat, daß man jenes alte Buch wieder
zu Ehren brachte und eifrig- nach gälischen Volk.sliedem forschte, weniger
zwar in Irland, wo man den Betrug nie bezweifelt hat, als in Schottland,
wo man den Betrüger glaubte rechtfertigen zu können. Aus neuen Hand-
schriften, die in den Hochlanden hier und dort auftauchten, und aus dem
mündlichen Vortrage der einheimischen Rhapsoden hat man in der zweiten
Hälfte des i8. Jahrhunderts wohl alles, was an ossianischer Poesie noch
aufzutreiben war, gesammelt: außer einer Anzahl des Gälischen kundiger
Bergschotten haben sich auch die Engländer Th. Hill und der Bischof
Young darum verdient gemacht. Manches wurde schon damals veröffent-
licht, aber erst hundert Jahre später wurden die Sammlungen durch
J. F. Campbell, der gegen 60000 Zeilen (das sind etwa 100 verschiedene
Balladen) drucken ließ, und durch AI. Cameron allen zugänglich.
Die ossianische Balladendichtung läßt sich bis ins 1 2. Jahrhundert
zurückverfolgen und ihre Entwickelung hat mit der Sprache gleichen
Schritt gehalten. Die mittelirische Ballade wurde durch die neuirische
ersetzt (das wertvollste Denkmal dieser ist das 'Duanaire Fhinn' von 1627),
und die neuirische Ballade wurde dem Verständnis der schottischen Galen
angepaßt, umgestaltet, gekürzt, erweitert. Der Dechant von Lismore hält
Ossian für den Verfasser der meisten von ihm aufgenommenen Lieder,
aber von einigen kannte er auch die wirklichen schottischen Dichter, Alan
mac Ruaraidh, Gilla Caluim mac an ÜUaimh, Caoch Ü'Cluain. Noch im
17. und 1 8. Jahrhundert sind ossianische Balladen in den schottischen Hoch-
landen entstanden, obschon hier die Kenntnis der alten irischen Sagen,
auf die sie Bezug nehmen, und das Verständnis der irischen Topographie,
die ihren Hintergrund bildet, mehr und mehr schwanden. Die Pflege des
Heldenliedes lag hier meist in der Hand ungelehrter Rhapsoden und
daraus erklärt sich, daß die irischen Fassungen den albanischen wie durch
Reichtum, Kraft und Korrektheit der Sprache, so vielfach auch durch
poetischen Gehalt überlegen sind. Auch die metrische Form der sieben-
silbigen Verse hat in der schottischen Überlieferung gelitten. Die Texte
verschlechtern sich mit der Zeit zusehends, sie erhalten im 18. Jahrhundert
macphersonsche Zutaten, und die letzten Aufzeichnungen, die man hat,
lassen keinen Zweifel, daß der Baum dieser eigenartigen Poesie, Laub
und Stamm, längst welk und verdorrt ist.
Einige der schottisch-gälischen Balladen betreffen die alten Sagen
von Ulster: die Helden um König Conchobar, der angeblich am Anfange
unserer Zeitrechnung lebte, Cüchulinn, Fraoch, Deirdre, deren Geschichte
teilweise in Schottland spielt. Aber bei weitem die meisten gehören dem
I02 Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
jüngeren Sagenkreise des Finn mac Cumaill an, der als der Häuptling
der bevorrechteten Kriegerkaste der Fianna im 3. Jahrhundert unter dem
irischen Oberkönige Cormac gelebt haben soll. In seiner, wenn man so
sagen darf, historischen Gestalt finden sich mythologische Züge, die dem
Finn mac Nuadha eigentümlich zu sein scheinen — jenem Gw^nn ab Nudd,
der bei den Walisern der König der Elfen ist. Finns Sohn Oisin oder
Oisean (Ossian) wurde von der Sage als der Dichter erkoren, der die
Taten seines Stammes gefeiert und seinen Untergang beklagt haben soll.
Er soll femer so hohe Jahre erreicht haben, daß er noch die Ankunft des
heiligen Patricius, des Apostels der Iren, erlebte und mit Widerstreben
den Glauben annahm. Daher haben viele Gedichte die Form des Zwie-
gesprächs zwischen Ossian und Patrick. Der König Finn oder Fingal
(diese Form des Namens prägte man in Schottland aus Fionn Gaidheal
'Finn der Gäle') tritt in den Gedichten seltener hervor, obschon er der
Mittelpunkt ist, um den sich die Helden scharen; er heißt mitunter der
von Albain 'Schottland', was aus Almhain, seiner Burg in Irland, entstellt
ist. Die Gegenstände der schottisch-gälischen Balladen sind kühne ICriegs-
züge, blutige Zweikämpfe, verfolgte Jungfrauen, Jagdabenteuer, Zauberer
und Hexen, das tragische Ende der einzelnen Helden und Ossians Klagen.
Häufiger als in Irland werden Feinde aus Lochlan oder Skandinavien
eingeführt, und berühmt ist der Kampf Fingais mit König Magnus Barbein.
Die Balladensprache hat noch nicht durchaus den irischen Charakter ver-
loren. Aber gleichwohl war Ossian wirklich der Homer der schottischen
Galen. Alle waren vertraut mit seinen Helden, mit dem honigmundigen
Sänger Fergus seinem Bruder, seinem tapferen Sohne Oscar, dem starken
Recken Goll, dem raschfüßigen Cailte und Conan mit der bösen Zunge.
Cothrom na Feinne 'das Fiannenrecht' galt ihnen als Richtschnur der
Billigkeit, und Oisean an deigh na Feinne 'Ossian, der die Fianna über-
lebt', ist ihr Gleichnis für traurige Verlassenheit: 'einsam, wie der Baum
auf dem Hügel, wie der Fels in der Brandung, wie die Nuß in ihrer Hülse
ohne eine Nuß daneben, lebte er nur noch, um zu sterben.' Es waren
echt keltische Gestalten, die ihnen kein Fälscher verdrängen oder ersetzen
konnte, nicht 'der Wunsch des alten Barden' 1776, nicht die 'alten
Lieder' {Seandäna) von J. Smith 1787 und nicht die noch plumperen kale-
donischen Bardengesänge des Clark 1778.
Die altern III. Die Blütczcit der schottisch-gälischen Poesie. Die eigent-
Barden. ^^^^ schottische odcr albanogälische Sprache hat sich allmählich aus der
Volkssprache entwickelt, und ihr schriftlicher Gebrauch reicht kaum
über die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück. Ihre Orthographie
bleibt noch altertümlich, etymologisch, aber die Formen haben sich
vom Irischen entfernt, wie sie denn z. B. den nur den alten Nasal-
stämmen zukommenden Plural auf an zu einer fast allgemeinen Plural-
endung ausgebildet hat und die irische Eklipse verliert; auch zeigen sich
I. Die schottisch -gälischc Literatur. III. Die Blütexeit der schottisch- gälischen Poesie, joi
Unterschiede in der Bedeutung^ der Wörter, wie z. B. gaol im Irischen
* Verwandtschaft', im Albanischen aber 'Liebe' bedeutet Diese Sprache,
die nun nicht läng-er ein Dialekt des Irischen heißen kann, herrscht in den
schottischen Hochlanden (garbh chrioch na Ilalban) und auf den Hebriden^
in deren Kette Lewis, Skye, Mull und Islay die wichtij^-eren Glieder .sind.
Sie heißen Innsc Gall 'Die Inseln der Fremden', d. i. der Skandinavier, die
hier am längsten saßen, sich mit den Kelten vermischten und in Personen-
und Ortsnamen überall ihre Spuren hinterlassen haben. Die Aussprache
des Albanogälischen läßt viele Dialekte erkennen, im allgemeinen sondert
sich der nördliche von dem südlichen.
Wie in der Sprache haben sich die schottischen Galen von den
irischen auch in der Form der Poesie getrennt, indem sie die silbenzählen-
den Metra des schwierigen Dan dircc/i, die ihre veränderte Aussprache
nicht mehr durchfühlen ließ, in der Mitte des i6. Jahrhunderts aufgaben
und unter dem Einflüsse der niederschottischen Poesie Strophen von akzen-
tuierenden Versen annahmen. Die Menge und Mannigfaltigkeit der Reime
(oder richtiger Assonanzen) und der Binnenreim mit wirkungsvollen Allite-
rationen verleihen den Versen der schottischen Barden immer noch großen
vokalischen Reiz. Aber indem sie sich der Zucht der irischen Metrik ent-
zogen, verlernten sie sich zusammenzuraffen und zerdehnten dem Gesänge
zuliebe ihren Gehalt in endlose Strophen, Diese Längen sind einer ihrer
Fehler. Ein anderer, den sie von den Iren übernommen haben, besteht
in der Häufung der Eigenschaftswörter, worin sie ihre Künste in der
Alliteration zeigen.
Obwohl sich die schottisch -gälische Sprache im 17. Jahrhundert schon
durchaus befestigt hatte, so sind doch nur wenige Handschriften aus ihrer
frühesten Zeit erhalten geblieben. Eine der ältesten ist die Anthologie
des Duncan Macrae von Inverinate, die am Ende des 17. Jahrhunderts
entstand. Dieses sog. Feraaig- Manuskript, das erbauliche und politische
Gedichte im Dialekt von Kintail enthält, ist wie das Dean's Book phonetisch
geschrieben, doch weniger kraus und schwierig. Eine andere bemerkens-
werte Sammlung der gälischen Poesie Schottlands und der Hebriden ver-
dankt man Hector Maclcan (ca. 1768), in dessen Hause auf der Insel Mull
Samuel Johnson, wie er erzählt, einige zuverlässige Nachrichten über diese
Literatur empfangen hat Die Galen Schottlands haben eine viel regere
Drucktätigkeit entfaltet als die Irlands. Ihre Anthologieen von der Ranald
Macdonalds 1776 bis zu der A. Maclean Sinclairs von igoo, viele Sonder-
ausgaben und zahllose in die Zeitschriften verstreute Gedichte haben uns
sowohl mit den Barden des 16. und 17. Jahrhunderts als mit den Dichtem
des 18. Jahrhunderts bekannt gemacht
Im lö. bis in den Anfang des i8. Jahrhunderts bestand im gälischen
Schottland noch die patriarchalische Clanverfassung, in deren Rangordnung
{sreat/i) den Barden {aosdana) der Platz vor dem Arzte gebührte. Uralte
Bräuche scheinen sich unter ihnen bis in späte Zeiten erhalten zu haben;
lOA Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
wenigstens erinnert, was M. Martin 1703 von den westlichen Inseln über
die Barden erzählt, daß sie bei geschlossenen Türen und Fenstern, auf
dem Rücken liegend, mit einem Steine auf dem Bauche und mit verhülltem
Kopfe, ihre Inspirationen empfingen, an jenes irische Inibas forosna, von
dem der Lexikograph Cormac berichtet. Die Hauptaufgabe der Barden
war die Genealogie der Clan und den Ruhm des Häuptlings zu pflegen.
Sie waren die Gelegenheitsdichter, die sich bei Geburten, wichtigen Ereig-
nissen und Todesfällen in der Familie mit einem Gedichte einstellten. Sie
preisen die Häuptlinge vom 'Stamme des Miles von Spanien', 'die auch
in Irland berühmt sind', als 'die Pfeiler in der Schlacht', als 'die Frieden-
bringer der Inseln'; gedenken ihrer Großmut und Gastfreiheit; erwähnen
ihre Kleidung, ihre Waffen, ihre Jagden in Wald und Fluß, bald auf das
Reh, die Wildgans, den Birkhahn und bald auf den Lachs und die Robbe,
und nehmen teil an ihren Festen und Freuden in ihren Schlössern. 'Leier
und Harfe und schönbusige Frauen', sagt lain Lom in seinem Gedichte
an Domhnall Gorm, 'sind in dem Turme, wo man Schach spielt; da sind
Pfeifen und gestimmte Instrumente und hochgefüllte Becher, und Wachs-
lichter erhellen die Nacht, wenn man dem Wettgesang der Barden lauscht.'
Vor allem ergötzte man sich an den Mären von den Lianna [uirsgeul
na Fei7ine). Die friedlichen Weisen wurden aber oft durch schmetternde
Kriegsgesänge unterbrochen, in denen die Barden die häufigen Fehden
der Clans untereinander und die langen Kämpfe um das Recht des Hauses
Stuart behandeln — die Schlachten von Inverlochy 1645 und Inverkeithing
1651, den Mord der Macdonalds von Keppoch 1663, die Schlacht von
Killikrankie 1689, das Massaker von Glencoe 1692, die Schlacht von
Sheriffmuir 17 15 und das Ende der jacobitischen Hoffnung bei Culloden
1745. Obwohl die Bardengedichte großenteils historisch sind, so bringen
sie doch keine wichtigen Nachrichten über die Ereignisse der Zeit. Denn
die Männer, denen die Pflege der Poesie oblag, konnten vielfach weder
lesen noch schreiben und lebten in engen Kreisen, aus denen sie keinen
Überblick über das Ganze haben konnten. Ihre für den Gesang verfaßten
Lieder auf ihre Lairds geben wohl biographisches Material, aber sie leiden
an Unbestimmtheit des Ausdrucks und lassen in ihrer Gleichförmigkeit
Originalität vermissen. Auch ihre Elegieen, die wie die Leichpredigten
disponiert sind, waren wie die 'Keenings' der irischen Klageweiber be-
stimmt, bei den Leichenfeiern ('wakes', ^dX. faire) vorgetragen und gesungen
zu werden. Und das Gewohnheitsmäßige ist der Tod aller Poesie.
Die Zahl der albanischen Dichter und Dichterinnen des 16. und 17. Jahr-
hunderts ist sehr groß, doch treten nur wenige aus der Menge hervor.
Durch natürliche Anmut der schottisch -gälischen Sprache ist Mary Macleod
ausgezeichnet, die Amme der Macleods auf Skye, die über hundertjährig
1674 starb. Der bedeutendste aber unter den Barden ist lain Lom Mantach
oder John Macdonald, der jacobitische Dichter von Lochaber, der, durch
seine politischen Gedichte von Einfluß, sich der Gunst Karls 11. erfreut haben
I. Die schotlisch gälischc Literatur. I\'. Uic neuere Poesie. 105
soll und hochbetagt 1709 starb. Zu nennen .sind auch Roderick Morison
an Clarsair dall^ der letzte Harfner (geb. 1646), John Mackay an Ftuhaire
doli {^vh. 1666), der seine Zuhörer auf der Sackpfeife entzückte, und John
Roy Stuart, der unerschrockene Kriegsmann, der bei CuUoden dabei war.
1\'. Die neuere Poesie. Nach der Vereinigung Schottlands mit ling- Aimadrr
land und vollends nach der Bewältigung der jacobitischen Aufstände brach ' '^'*°"^'*
für die albanischen Galen eine neue Zeit an. Der Sieger wollte alles
Nationale ausrotten, um den engen Zusammenschluß der Galen 'Schulter
an Schulter' für immer zu verhindern. Das Clansystem wurde aufgehoben
und die erbliche Gerichtsbarkeit ihnen genommen. Sie wurden entwaffnet
und 1747 mußten sie ihre für Reise, Jagd und Krieg .so geeignete
Tracht, das l'artanplaid {hreacan) und das piktische Kilt {Jeilc)^ ablegen
und die verhaßten Hosen anziehen, die beim Ersteigen der Berge unbequem
sind, mit denen man einen Fluß nicht durchwaten kann. Jahrzehnte dauerte
dieses Gesetz. Nun war es mit den Barden freilich zu Ende, aber die Poesie
lebte fort, denn die Sprache war noch nicht erschöpft, und bald hörte man
von der 'Auferstehung des alten albanischen Gesanges'.
Im Anfange des 18. Jahrhunderts wurde der genialste Dichter geboren,
der in schottisch -gälischer Sprache gedichtet hat, Alexander Macdonald
Mac Mhaighstir Alasdair von Ardnamurchan. Er erhielt als Sohn eines
protestantischen Geistlichen eine gelehrte Bildung und hatte neben einer
tiefen Kenntnis seiner Muttersprache (er hat 1741 ein gälisch- englisches
Vokabular veröffentlicht) einen entschiedenen Beruf zum Dichter. Er hat
ein wechselvolles Leben geführt, war ein eifriger Anhänger der Jacobiten,
ward Katholik und soll im Elend verkommen sein. Eine kleine Samm-
lung seiner Gedichte ließ er 1751 drucken; viele seiner Poesieen sind ver-
loren gegangen, und seine Landsleute, die ihm unter den gedruckten die
'Lästerung Morags' und die 'Elegie der Aigennach' sehr verdachten, haben
nichts getan, sie zu erhalten. Macdonald war gewissermaßen der Tyrtäus im
Heere des Prinzen Karl Eduard 'vom Stamme Banquos', de.ssen Getreue er
in einer 'Arche' vereinigen möchte, um alle seine Widersacher durch eine
Sintflut verschlingen zu lassen. Seine politischen Gedichte sind kühn und
scharf; wie hoch er die Clan Macdonald, die den 'Löwen' im Wappen
fuhrt, preist, so bitter ist seine Satire auf die Seaforths, deren Wappen das
'Hirschgeweih' {cabar-/tHd/i) ist Er besingt die gälische Sprache, die allen
Sprachen überlegen ist und die im Paradiese gesprochen wurde, die
Kleidung der Bergschotten, die kriegerische Sackpfeife und den Whi.skey,
den man aus der Kammuschel {slige-chreachain) trinkt, dessen Rieseln aus
der Flasche wie Musik ist. Auch im Liebeslied ist er vorzüglich. Er hat
seiner Frau Jane ein schönes Denkmal gesetzt, aber glühender sind seine
Verse auf Morag, die als ein 'pibroch' {p)obaircachd) den verschiedenen
Tönen der Sackpfeife angepaßt sind. Anmutend .sind .seine Schilderungen
der schottischen Berglandschaft in ihrer Sommerschönheit, aber unvergleich-
io6 Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
lieh ist er als Dichter des Meeres. Man hat von ihm ein Ruderlied [iorram
cuain) und ein längeres Gedicht (ca. 600 Verse) über die Meerfahrt der
Barke Clanranalds, des Herrn der Insel Canna [Birlinii Clainn Ranald). Es
ist in wechselnden Versmaßen abgefaßt, wie alle Gedichte für den Gesang
geeignet und wohl gegliedert. '^ Segne Gott das Schiff Clan-Ranalds!'
und nach dem SchiflFssegen kommt der Segen der Kleider und der Waffen
mit der Ermahnung, allen Gefahren beherzt entgegenzugehen. Dann rudert
man zum Segelplatze zur ersten Ausfahrt, wobei der dicke Calum am ersten
Ruder das Ruderlied anstimmt. Am Segelplatze inUist Won den Wildgänsen'
werden nun vom Schiffsherrn den 1 6 Personen der Bemannung ihre Posten an-
gewiesen. Am St. Brigittenfeste (am i. Februar) bei Sonnenaufgang bricht
man von Loch Ainneart in Süd-Uist auf. Aber der Himmel wird bald bedroh-
lich und zeigt jede Farbe, die im Tartan ist. Das Meer zieht seinen rauhen
zottigen Mantel an und sperrt brüllend seinen Rachen auf In der Be-
schreibung des Unwetters, das losbricht, läßt der Dichter seiner Phantasie
freien Lauf, aber man merkt, daß er den wilden Kampf der Elemente
in Sturm und Gewitter erlebt hat. Das Fahrzeug wird arg mitgenommen;
aber als sich der Wind beim Kreuz an Islays Sunde endlich legt, kann
man den letzten Teil der Reise mit den Rudern zurücklegen und auf der
Reede vor Carrickfergus vor Anker gehen. Die Birlinn Clan-Ranalds ist
das längste und beste Gedicht in schottisch -gälischer Sprache, wenn auch
manche Verse die Feile vermissen lassen. Macdonald hat Kraft und Ori-
ginalität, wohl ist er mitunter nachlässig, aber niemals schwächlich.
Dichter des Nach Macdouald sind noch einige andere namhafte Dichter des 18. Jahr-
'^■~'^-^^^'" hunderts zu nennen. John Maccodrum, der Barde des Sir John Macdonald
hunderts. •' ' •'
auf Nord-Uist, war der letzte Barde, auf den der Name paßt, seinem Herrn
ergeben und von Liebe für seine Heimat, die waldlose Insel mit ihrer eigen-
artigen Schönheit, erfüllt. Maccodrum kannte die gälische Sprache, die er
allein verstand, gründlich, wie seine Gedichte über die Jugend und das Alter,
über das Nationalgetränk u. a. m. beweisen. Er hatte eine satirische Ader
und war im Wortspiele stark, wie einst James Macpherson erfahren mußte.
Niemand wäre so befähigt gewesen, ihm die gesuchten Originale zu liefern
als Maccodrum, der ossianische Gedichte stundenlang rezitieren konnte.
Ein beschreibender Dichter von vorzüglicher Sprachbeherrschung ist
Duncan Macintyre oder Donnchadh Bän nan öran (1724 — 1812), den manche
noch über Macdonald stellen. Er war ein Weidmann, der mit der Flinte
und der Angelrute besser Bescheid wußte als mit der Feder: die erste
Ausgabe seiner Gedichte wurde 1764 nach dem Diktat gemacht. Seine
Sprache ist einfach, gefällig, angemessen, keusch. So beschreibt er die
waldigen Höhen von Ben Dorain mit ihren Hirschen und Rehen und ihren
Vögeln, groß und klein, und die Schlucht von Corrie Ceathach mit ihrem
üppigen Grün und ihrem Sommersegen, und den Lachs in ihrem Bache.
Sein Herz war im Hochlande und er machte große Augen, als er nach
Edinburg kam; noch in hohem Alter denkt er in empfundenen Versen an
I. Die schottisch galjschc Literatur. \'. Märchen, Sprichwörter und Trusavcrsuchc. 107
die glücklichen Tage in seiner Heimat zurück. Er preist die gälische
Sprache und die Sackpfeife, und sein schönes Gedicht an seine Frau Mary ist
sanft und liebreich. Aber ihm stand auch die Satire {aoir) zur Verfügung,
wie denn mehrere Personen seinen Zorn über sich ergehen lassen mußten.
Doch den Ruhm des gälischen Satirikers hat ein anderer ungelehrt<-r
Dichter, Robert Mackay oder Rob Donn (1714 — 1778), der in Suthcrlaud-
shire (Reay's country) Viehaufseher war. Seines Wertes sich bewußt, war
er ein strenger Sittenrichter ohne Ansehen der Person und wegen seiner
bösen Verse weit und breit im Lande gefürchtet; doch ist er in seinen
Angriffen nicht selten kleinUch. Im Liebeslied i.st er weniger hervorragend als
in der Elegie und in der ethischen Betrachtung, wie in 'dem Traume' iam
bntadnr)^ wo er, an Addison im vSpectator erinnernd, die Zufriedenheit
predigt. Es fehlt ihm an Wärme und Phantasie, aber für den Dialekt seiner
Heimat, die er nie verlassen hat, sind seine Gedichte sehr bemerkenswert.
Ein liebenswürdiger Dichter der Natur und der Liebe ist William Ross
(1762 — 1790); auch er ist gelegentlich satirisch, doch nicht so sehr wie
Ailean Dali (7 1829) — und viele Poeten des 19. Jahrhunderts wären
zu nennen. Denn zu keiner Zeit hat es an gälischen Dichtem gefehlt,
und noch in unseren Tagen ernteten die Inselgälen Neil Macleod, Mary
Macpherson und John Macphadyen Beifall.
Außer den Sammlungen der bekannten Dichter gibt es viele Volks-
lieder namenloser Poeten. Die Galen lieben den Gesang und verschönen
ihre Geselligkeit {ccilidli) damit Selbst auf jener weltverlassenen Insel
Hirta oder St Kilda singt das Mädchen von dem Geliebten, der sich in
allen Gefahren des Erwerbs zwischen den schrofifen Felsen bewährt, und
die Frau beklagt im Liede den Mann, der in dem mühseligen Berufe
des Vogelfanges den Tod gefunden hat Der Bergschotte liebt dieses so
wenig fruchtbare Land der Bens, der Glens und der Clans und hat es in
vielen patriotischen Gedichten verherrlicht. Man kennt die Poesie der
Sommerweiden und Sennhütten ('sheiling', gäl. airidh)\ die Walklieder {pran
luaidJi), nach denen die Frauen und Mädchen auf der Wäsche tanzen; und
die Ruderlieder {iorram)^ nach deren Takte die Matrosen die Fluten durch-
messen. Am zahlreichsten sind die Liebeslieder — wie manche 'Highland
Mary' wird da gefeiert! Ihre Zähne sind wie der Kalk und ihr Busen so
weiß wie das canach oder Baumwollengras des Gebirges; ihre Wangen
sind rot wie die Vogelbeeren und ihr Haar gelb wie die Abend wölken
oder schwarz wie der Fittich des Raben. Die gälischen Lieder sind für
den Gesang gedichtet und viele haben einen Chorus {luinneag). Die
Melodieen, den irischen verwandt, sind berühmt, seit sie Patrick Macdonald
1784 bekannt gemacht hat
V. Märchen, Sprichwörter und i'rosaversuche. Ein Besitz, den Mirxb«.
die schottischen Galen sich seit alter Zeit durch mündliche Überlieferung
erhalten haben, .sind die Märchen l^sgeulacluf)^ von denen sie eine gute
Menge haben. Sie bildeten die Hauptunterhaltung, womit sie die Winter-
io8 Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
abende am Torffeuer zu verkürzen pflegten, und haben eine längere Dauer
gehabt als die ossianischen Balladen, die mit der Zeit veralteten und un-
verständlich wurden, Sie reden die Sprache des Volkes, der nach alter
Gewohnheit gelegentlich Stücke in gewähltem, poetischem Stile eingefügt
sind. In einigen werden die Sagen von denFianna erzählt, einfacher als in den
Balladen; manche beruhen auf künstlichen Bardenerzählungen, die bei den
Iren handschriftlich verbreitet sind. Ein großer Teil aber ist dem Märchen-
schatze entnommen, zu dem alle Völker des Ostens und Westens bei-
getragen haben. Unter den rein keltischen sind Proben der ausschweifenden
Phantasie, die Freude am Wunderbaren hat und sich gern das Unmögliche
als möglich denkt. Das Hauptverdienst um die Sammlung der albano-
gälischen Märchen hat der schon genannte J. F. Campbell von Islay; aber
so groß ist der Vorrat, daß man kaum eine keltische Zeitschrift findet, die
nicht etwas hinzugefügt hätte.
Sprichwörter. Ein andcres Stück der ungeschriebenen albanischen Volksliteratur sind
die Sprichwörter, in denen Lebenserfahrung oft eigenartig und poetisch,
seltener satirisch, niedergelegt ist. Auch diese haben sie mit den Iren
gemein, aber einige sind zweifellos schottischen Ursprungs. Die Berg-
schotten teilen mit jenen auch die Vorliebe, Sätze der Lebensweisheit in
poetische Formen zu fassen, und schon das Dean's Book liefert Beispiele
dazu. Einen Gegensatz bildet die Poesie des Aberglaubens, der seit Ur-
zeiten im Volke wurzelt. Dazu gehören allerlei Anrufungen, Verse über
die Jahreszeiten und die Feste sowie Zaubersprüche [uibc) gegen alle mög-
lichen Übel, wie sie in langen Jahren AI. Carmichael auf den westlichen
Inseln gesammelt hat. Manches davon wird noch auf den Heiligen von Hi
oder lona Calum-Cille (Columba) zurückgeführt. Schottland ist das klassische
Land des 'second sight' [taibhsearacht), und die wunderbaren Prophezeiungen
des Sehers von Brahan, Coinneach Odhar, der in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts auf der Insel Skye lebte, wurden von Geschlecht zu
Geschlecht überliefert.
Neuere Vcrsuche, die man gemacht hat, die gälische Literatur auf nicht
keltischem Gebiete anzubauen, haben nur eine sekundäre Bedeutung und
haben keinen rechten Erfolg gehabt. Bemerkenswert ist die Übertragung
der sieben ersten Gesänge der Ilias durch Ewen Maclachlan (1776 — 1822),
da sie wenigstens eine Form haben, wie sie die gälische Poesie erheischt.
Aber der gälische 'blank verse', wie er in den Gedichten Ossians, in
den Epen J. Smiths, D. Macleods, Maccallums von Arisaig und in den er-
zählenden Dichtungen W. Livingstones, des Poeten von Islay (-j- 1870),
erscheint, ist keine gälische Poesie. Und welchem Kenner des Deutschen
und des Gälischen kann der "^Wilhelm Teil' im gälischen Gewände ge-
fallen? Für die Gedanken, die sich aus der modernen Geisteskultur ein-
drängen, ist diese Sprache nicht das richtige Gefäß.
Es haben sich verschiedene bemüht eine gälische Prosa zu schaffen.
Es gibt eine Jacobitische Geschichte von J. Mackenzie, eine schottische
literarische
Versuche.
I. Die schotlisch yaliichc Literatur. \1. Bibel unU rchyiobc IJuchcr. loi^
von Anjfus Mackenzic, und sogar die Tagebücher der Königin Victoria
hat man übersetzt. Schon früher wurden von Geistlichen einige gäUsche
Zeitschriften herausgegeben, wie An teachdaire gaelach i82<>ff., Cuairtear
nan gleann 1840, Fear tathaich nam lieann 1K4H; aber so wohlgemeint sie
waren und so sehr sich Norman Macleod 'der Freund der Galen' {Carnid
nan GaiJhttil) durch den Stil auszeichnete, sie hatten keinen liestand und
mußten Zeitschriften in gemischter oder in rein englischer Sprache Platz
machen: An Gaidheal 1872 — iSjg, Celtic Magazine 1H75 — 1888, Highland
Monthly iS8<) — 18()3 und Transactions of the Gaelic Society of Inverness
1871fr.
VI. Bibel und religiöse Bücher. Neben dem irisch-albanischen H.b«i
Stile der Balladen und dem rein-albanischen der Barden und Dichter ""'* '■-'''■""°«
bildet einen dritten Stil des Schottisch -gälischen der der biblischen und
reformiert kirchlichen Literatur, die einen sehr großen Raum einnimmt.
Die schottische Geistlichkeit hat seit der Mitte des j8. Jahrhunderts
eifrig gewirkt den gälischen Gemeinden die Bibel zugänglich zu
machen. Schon 1059 beginnen die Ausgaben der Psalmen, 17O7 die
des Neuen und i783fF. die des Alten und Neuen Testaments. Von
den Übersetzern sind vor allen James Stewart von Killin und sein Sohn
John Stewart von Luss zu nennen. Man hatte es, wie es scheint, von
Anfang an darin versehen, daß man sich zu sehr nach der irischen Bibel
von i<)0.5 und 1680 richtete; es fehlte der Übersetzung daher vielfach
der eigentliche albanische Charakter und über die Trishisms', die durch
fortwährende Verbesserungen nicht völlig zu beseitigen waren, ist viel
Unzufriedenheit und Streit gewesen. Indessen wurde die Bibel gelesen
und es schlössen sich ihr an Katechismen, Glaubensbekenntnisse, Gebet-
bücher, Traktätlein, Predigten und Gesangbücher in großer Zahl; dazu
kommen Übersetzungen der Bücher der Baxter und Bunyan. Auf die 1753
zuerst erschienenen Paraphrasen der Psalmen {/<7oii///c\ die man in den Kirchen
singt, folgte eine Reihe geistlicher Dichter von David Mackellar bis auf
den pietistischen Schmied John Morison auf der Insel Harris (1791 — 1852),
dessen Werke i8cH) gedruckt wurden. Alle Hymnendichter aber überragt
Dugald Buchanan (I7i() — 17<'8), der sich quälte und grübelte, bis er in
Ergebung und Entsagnng seinen Frieden fand. Wer sich selbst besieg^
ist ein größerer Held als Alexander oder Cäsar; nichts ist so wichtig als
das Ende zu bedenken. Buchanans düstere Themata sind 'Der Winter',
'Der Schädel' und 'Das jüngste Gericht'. Die Poesie ist ihm, der die
Bibel und Shakespeare kannte, eine Magd der Religion, aber er ist kein
geringer Dichter. Er ist ein vollendeter M«Mster der schottisch -gälischen
Sprache, und kein Buch wird in den Hochlanden so viel gelesen wie
seine phantasiereichen geistlichen Lieder, deren erste Ausgabe 1767 er-
schienen ist
iio Ludwig Christian Stern: Die schottisch -gälische und die Manx- Literatur.
II. Die Manx- Literatur.
Das Mittelalter. I. Chfistliche Lehre und Bibel. Die Insel Man in der irischen
See, die, ehe sie an England fiel, zu dem Regnum insularum und dann zu
Schottland gehörte, hat von den Skandinaviern und albanischen Galen mehr
empfangen und bewahrt als von Irland. Auch die Sprache der Mannica
gens, das Manks (d, i., wie Scots 'schottisch', eigentlich ein Plural von
manninagh) ist auf dem Wege der Vereinfachung der Formen ebenso weit
vorgeschritten wie das Albanogälische und hat das Schiboleth dieser
Mundart, die Pluralendung yn, ist aber weit mehr mit Englischem durch-
setzt; im Norden spricht man, heißt es 1690, ein 'tieferes' Manx als im
Süden der Insel. Die keltische Bevölkerung hat keine alte Kultur mit
Barden und Klöstern, und aus dem Mittelalter, wo es nur fremde Herren
und einheimische Hörige gab, ist kein gälischer Buchstabe auf der Insel
und selbst nicht aus dem 1 6, Jahrhundert. Aus dem Zustande der geistigen
Finsternis war die Reformation, die aus England kam, eine Erlösung. Aber
die Kirchendisziplin der Barrow und Wilson und die nachfolgenden metho-
distischen Fanatiker haben den Geist niedergehalten und mit dem Unkraute
das Kraut ausg^erissen.
Bibel Zum erstenmal wurde die mannische Sprache von dem Bischof
""schriSr'^ von Sodor und Man J. Philipps (i 1633) geschrieben, der 16 10 das Book
of Common Prayer mit den Psalmen übersetzte. Dieses neuerdings heraus-
gegebene Gebetbuch ist für das grammatische Studium der Sprache von
Wichtigkeit. Der erste Druck in der Manx -Sprache waren 'die Prinzipien
und Pflichten des Christen' vom Bischof Th. Wilson 1707, auf die manche
andere Bücher zur christlichen Lehre und Erbauung folgten. Unter den
Auspizien des Bischofs Hildesley wurde die Übersetzung der Bibel 1748
mit dem Neuen Testamente begonnen, worauf das Alte Testament 1772 f.
und eine vollständige Ausgabe 1775 erschienen. Einen hervorragenden
Anteil an der Arbeit hatte J. Kelly (1750 — i8og). Der Text, der in der
ersten Ausgabe auch die Weisheit Salomos und Jesus Sirach enthält, hat
verschiedene Revisionen erfahren und ist im allgemeinen von der irischen
Übersetzung unabhängig und besser geraten als der schottisch- gälische.
Auch eine Auswahl Psalmen in Versen (singing psalms) wurde 1762 ge-
druckt, und andere Hymnenbücher folgten. Im Volke aber reifte eine
Frucht der geistlichen Dressur in den Carols oder Weihnachtsliedern, von
denen man viele aus dem 18. Jahrhundert hat. Sie behandeln nicht nur
die Geburt des Heilandes, sondern auch die Passion, und andere sind er-
bauliche Rhapsodieen, die sich besonders in der Schilderung der Hölle und
des himmlischen Jerusalem gefallen.
Weltliche 11. Weltliche Poesie. Die spärlichen Reste der nichtreligiösen
Poesie. pQgsie, deren Musik geschätzt wird, haben in ihrer Form von der echt-
gälischen nichts bewahrt. Das mannische Lied {arratie) kennt weder
siebensilbige Verse noch Alliteration noch Binnenreime und kaum noch
II. Die Manx- Literatur. 1. Christliche Lehre und Bibel. II. Weltliche i'ocic. i i i
den eigentlich güli.schen Keim, der nur die Gleichheit der betonten Vokale
fordert, .sondern die Verse sind gänzlich nach engli.scher Weise geformt
Ältere Balladen und Lieder als aus dem i H.Jahrhundert sind nicht vorhanden.
Es ist zwar glaublich, daß die Manner ossianische Halladen gehabt
haben. Aber ein vereinzeltes Gedicht aus diesem Sagenkreise, von dem
H. Jenner zuerst Nachricht gab, ist eine Nachdichtung in 'Couplets' aus der
Mitte des 18. Jahrhunderts. Es erzählt, wie die zugrunde liegende irisch-
schottische Ballade, die Verbrennung des Hauses der Fianna mit ihren
Frauen durch den argen alten Garadh, den der Manxpoet Ürrce Beg
nennt Sehr viel älter ist auch nicht eine Ballade von 56 Strophen über
die frühere Geschichte der Insel Man, nach der der heilige Patricius ihren
heidnischen Schutzpatron Manannan mac Lir verbannt und ihr das Christen-
tum gebracht habe; diese wurde mit gereimter englischer Übersetzung
W78 gedruckt Aus dem Jahre 1760 hat man noch ein anderes Gedicht
über die Insel und eins über ein Seetreffen zwischen dem Engländer EUiot
und dem Franzosen Thurot Aus dem i^i. Jahrhundert stammt auch ohne
Zweifel die Elegie auf den 1662 hingerichteten Patrioten William Donn
Christian, ebenso einige nautische Gedichte. Ks fehlt dieser mannischen
Poesie an Schwung: die Teuerung des Tabaks, die Kartoffeln und der
Hering werden besungen, und zu einem Trinkliede aus älterer Zeit ge-
sellen sich neuerdings Temperenzlerlieder. Auch die Hochzeitsgedichte,
die Erörterungen zwischen Vater oder Mutter und Tochter, oder zwischen
dem jungen Manne und dem Mädchen, sind hausbacken genug. Aber die
Not des Lebens gestattet diesem 'lieben kleinen Man' {Mannin veg vecn)
keinen hohen Flug der Phantasie. Auch die Liebeslieder, unter denen es
anstößige geben soll, sind selten der Ausdruck des Glückes; doch mögen
viele verloren gegangen sein, denn das hübscheste cc ny fuidleryn wurde
erst vor einem Dezennium vom Untergange gerettet Der Dichter beklagt
sich darin bitter über ein Mädchen, das ihm ein.st Treue geschworen hat;
aber er hat keinen Zeugen als nur den Walnußbaum, unter dem sie saßen.
Die Literatur zu bereichem hat man einiges aus dem Englischen
übersetzt, so ein Ungenannter im 18. Jahrhundert mehrere auf die
In.sel bezügliche Gedichte des Archidiakonus Rutter (zwischen 1041 und 1650)
und Th. Ciiri.stian 171)6 einzelne Teile aus Miltons Verlorenem Paradiese.
Die Manxmen haben ihren Anteil an den Märchen des gälischen Koikior«
Stammes, doch sind sie in der Ursprache nicht gesammelt und es ist ihnen
mehr Skandinavisches und Englisches beigemischt als bei den Iren oder
Schotten. Von den Sprichwörtern, die man im Manx hat, sind wohl
einige auf der Insel selbst gefunden. Die Einfalt und Armut der manni-
schen Bevölkerung lieferte einen vorzüglichen Boden, in dem die Geister
und Gespenster, Heilige und Dämonen, Feen und Kobolde, Riesen, Zauberer
und Hexen und der Aberglaube jeder Art Wurzel fassen und gedeihen
konnten. Der Phynnoddaree und der Glashtin sind mannische Schöpfungen;
indes sind die (Quellen des Folklore hier getrübter als anderswo.
Literatur.
I. Die schottisch-gälische Literatur.
S. 98. J. Stuart, The Book of Deer, Edinburgh 1869 (Spalding Club 25); vgl.
Wh. Stokes, Goidelica p. io6ff.; Al. Macbain in den Transactions of the Gaelic society
of Inverness XI. 1S85, p. I37ff. — Al. Cameron, Reliquiae celticae, Texts, papers, and
studies ed. by Al. Macbain and J. Kennedy, Vol. II. Inverness 1894. — J. Carswell, The
Book of Common Order ed. by Th. Maclauchlan, Edinburgh 1873.
S. 99. The Dean of Lismore's Book, a selection of ancient Gaelic Poetry from a
Ms. collection made by Sir James Macgregor, ed. by Th. Macl.\uchlan, Edinburgh 1862.
Dazu Reliquiae celticae. Vol. I. 2 — 109. Vgl. Zeitschrift für celtische Philologie I. 294 ff.
S. 99. The Poems of Ossian, in the original Gaelic, with a literal translation into
Latin by R. AL\.CFARLAN, together with a dissertation on the authenticity of the poems by
Sir John Sinclair (Highland Society's edition), London 1807, 3 voll. Die zweite Ausgabe
von E. Maclauchlan 1818, die dritte von Th. Maclauchlan 1859, die vierte in zwei
Bänden mit englischer Übersetzung von A. CLERK 1871. — Report of the Committee of the
Highland Society of Scotland appointed to inquire into the nature and authenticity of the
Poems of Ossian. Drawn up by H. Mackenzie, Edinburgh 1805.
S. loi. J. F. Campbell, Leabhar na Feinne Heroic Gaelic ballads, London 1872.
Dazu Reliquiae celticae, Vol. I 1892; Transactions of Inverness XIII. 269 ff., XIV. 314 ff.;
L. C. Stern, Die ossianischen Heldenlieder in der Zeitschrift für vergl. Literaturgeschichte
N. F. VIII. 1895 P- 51 ff- 143 ff- (Transactions of Inverness XXII. 257 ff. , Zeitschrift für cel-
tische Philologie V. 550 ff.)
S. 103. The Fernaig Manuscript in den Reliquiae celticae. Vol. II i — 137 (1894);
teilweise transkribiert von G. Henderson, Leabhar nan Gleann, Inverness 1898; vgl. Trans-
actions of Inverness XI. 30 ff., Zeitschr. f. celt. Philol. II. 566 ff. — R. Macdonald, Comh-
chruinneachidh orannaigh Gaidhealach, Edinburgh 1776 (Glasgow 1809); J. GiLLlES, A collection
of ancient and modern Gaelic poems and songs, Perth 1786; A. and D. Stewart, A choice
collection of the works of the Highlands Bards, Edinburgh 1804; P. Turner, Comhchruinn-
eachadh do dh'orain taghta ghaidhealach , Edinburgh 1813; J. Mackenzie, The Beauties of
Gaelic Poetry, Glasgow 1841 (Hauptwerk); D. Macpherson, An Duanaire, Edinburgh 1868;
A. Menzie, Comhchruinneacha do dh'orain thaghta Ghaidhealach, Glascho 1870; Arch.
Sinclair, The Gaelic Songster, Glasgow 1879; A. Maglean Sinclair, Clarsach na coille,
Glasgow 1S81; Derselbe, The Glenbard Collection of Gaelic poetry, Charlottetown 1890;
The Gaelic Bards from 141 1 to 1715, ibid. 1890; from 1715 to 1765, ibid. 1898; The Maclean
Bards, ibid. 1898. 1900, 2 voll. (vgl. Transactions of Inverness XXIV. 259 ff.); A. Macdonald,
The Uist collection, Glasgow 1894.
S. 104. Gaelic historical songs (Scottish Review XVIII. 301 — 341), 1891.
S. 105. Alastair Mac Dhonuill, Ais-eiridh na sean chanoin albannaich, Edin-
burgh 1751. — Von den Gedichten Al. Macdon.\lds, R. Donns, D. Macintyres, Will.
Ross' u. a. sind in Edinburg häufiger Sonderausgaben erschienen. Übersetzungen bieten
Th. Pattison'S Selections from the Gaelic Bards, Glasgow 1866 (zweite Ausgabe 1890).
S. 107. Orain le ROB. DONN. Songs and poems in the Gaelic language, Edinburgh 1829,
von dem Lexikographen Macintosh Mackay (f 1873) herausgegeben (vgl. Quarterly Review
XLV. 1831 p. 359 ff., J. G. Lockhart's Anzeige); 2. Auflage, Edinburgh 1871; 3. vermehrte
Ludwig Christian Stern : Literatur. , , »
Ausgabe von M. Morrison. Edinburgh is-ig; 4. weniger vollständige Ausgabe, mit Melodiecn.
von A. (;iNN und M. Mackarlane, 1899.
S. 108. J. F. Campbell, Populär tales of the West -Highlands orally collected, wiili
a translation. London 1860, 1862, 4 voll, zweite Ausgabe, Psiisley 1890— 189 Vi. — Waifs
and Strays of Ccltic Tradition. Arg^'Ilshire Scrics, London 1889 — 1895, 5 voll.
S. 108. D. Mackini OSM, A roUection of (iaelic proverbs, and familiär phraiics, Edin-
burgh 1785, der viclvcrmchrtcn Bearbeitung von Al. NicOLSON, Edinburgh 1881, zugrunde
liegend. — Al. Carmichael, Carmina gadelica, Edinburgh 1900, 2 voll.
S. 109. Caraid nan (laidhcal; aircamh taghta de sgriobhaidhncan Tormoid Macleoid
(ed. Arch. Clerk) , Glasgow 1867).
S. io<). J. Reii), Hibliotheca Scoto-ccltica; or, an account of all the books which
have been printed in the Gaelic language, Glasgow 1832.
II. Die .ManxLitcratur.
S. 110. The Manx Societ/s Publications, Vol. I— XXXI. 1859 ff., wovon namentlich
Bd. 16. 20. 21 Texte in der Manx Sprache enthalten.
S. MO. The Book of Common Praycr in Manx Gaelic edited by A. W. MoORE,
assistcd by J. Rhys, London 1895, 2 voll. Eine neue Übersetzung mit neuer Orthographie
erschien 1705 spätere Ausgaben 1806. 1842), während eine irische 1712 gedruckt wurde. —
Manx Carols, translated into English, Isle of Man 1891 (von A. W. MoORE herausgegeben).
S. III. Ch. ValIw\NCEY, A vindication of the ancient history of Ireland, Dublin 1789,
p. 510. s^Q ff. — A. W. Moore, Manx Ballads and .Music, Douglas 1896. — E. F.\RQL'H.\R,
Skeealy .-Vesop, Douglas 1901.
S. 112. A. W. MooRE, The Folklore of the Isle of Man, Douglas 1891.
Dra KoLTVK o«m Gbocvwabt.
C. DIE KYMRISCHE (WALISISCHE) LITERATUR.
Von
Ludwig Christian Stern.
QueUen I. Die Quellen der Literatur, Die Literatur der Cambrer (Cymry)
und Studium. Q^jgj. Waliser (Walen) ist im allgemeinen nicht so alt, wie die irische.
Denn von der altcambrischen Sprache sind fast nur Glossen zu latei-
nischen Werken erhalten; und so große Pergamentcodices aus dem Mittel-
alter wie die irischen aus dem ii. bis 1 5. Jahrhundert besitzen die Waliser
fast gar nicht. Trotzdem ist ihre Literatur, von der vieles gedruckt ist
und mehr noch in den Handschriften liegt, so umfangreich, daß in dieser
Skizze ihr Gang nur im allgemeinen verfolgt, die Hauptnamen, die ihre
Epochen bezeichnen, genannt und die fremden Einflüsse, die gewirkt
haben, hervorgehoben werden können.
Wohl die wertvollsten Schätze der walisischen Literatur sammelte im
17, Jahrhundert der Antiquar Robert Vaughan auf Hengw^rt bei Dolgelly
(1592 — 1666); es sind dieselben, die sich jetzt im Besitze der Familie
Wynne in Peniarth befinden. Andere Handschriftensammlungen sind im
Britischen Museum, in Oxford, Mostyn Hall, CardifF, Lianstephan und an
anderen Orten. Die ältesten und wichtigsten Codices sind das Schwarze
Buch von Carmarthen, eine Gedichtsammlung aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts; das Buch Aneurins aus der Mitte des 13. Jahrhunderts; das
Buch Taliessins aus dem Ende des 13. Jahrhunderts; das Weiße Buch des
Rhydderch in Peniarth aus dem 14., teilweise 13. Jahrhundert; das Rote
Buch von Hergest, Prosa und Poesie enthaltend, jetzt in Oxford, aus dem
14. Jahrhundert und das Buch des Anachoreten von Llandewivrewi von 1346
ebendaselbst.
Die erste Anregung zum Studium der walisischen Literatur ging
wiederum von Macpherson aus, dessen ossianischen Gedichten Evan Evans
gen. leuan Brj^dydd Hir (1730 — 1789) einige authentische Stücke der älteren
walisischen Barden gegenüberstellte. Dieser Gelehrte hat auch der
Herausgabe eines Corpus der walisischen Literatur, wie es 1801 unter
dem Titel Myyyrian Archaiology erschien, gewissermaßen vorgearbeitet.
Die ältesten IE. Die ältcstcn Denkmäler der Literatur. Es ist von kym-
Gedichte. j-jsci^gj. Literatur nichts älteres erhalten als die Gedichte, die den Barden
des 6. Jahrhunderts Aneurin, Taliessin und Llywarch Hen zugeschrieben
werden. Das sind vor allem Schlachtgesänge mit Beziehung auf die
II. Die ältesten Denkmäler der Literatur. , , ,
Geschichte des 6. bis 7. Jahrhunderts, mit vielen Namen von Personen
und Örtlichkeiten. In einij^^en wird der Fürst Cunedda erwähnt, in
anderen der Fürst Arthur, der über die Sachsen in zwölf Schlachten
siegte und in der Schlacht von Camlan gegen Medraut fiel, und
häutiger noch Urien Reged, der Fürst des Nordens. Aber diese Sagen-
helden treten uns in fragwürdiger Gestalt entgegen, denn der Stil
der Bardenlieder ist dunkel und orakelhaft, wie denn auch wirkliche
Prophezeiungen nach den Ereignissen daruntergemischt sind. Das alter-
tümlichste Gedicht ist das viel besprochene, Gododin betitelte des Aneurin
in dem jedoch keine rechte Einheit ist. Der früheste Teil würde sich
nach W. J. Skene auf die achttägige Schlacht zwischen Gododin und
Catraeth am Firth of Forth beziehen, wo die Briten und Scoten unter
Aidan dem Könige von Dalriada gegen die heidnischen Sachsen und
Pikten kämpften (das 'bellum Miathorum' Adamnans). Ein anderer Teil
wurde erst nach 642 hinzugefugt, und ob mehrere gorchan betitelte Stücke
überhaupt zu Aneurins Gedicht gehören, bleibt zweifelhaft. Taliessin war
der Barde des Urien Reged: „Möge ich niemals wieder lächeln, wenn ich
Urien Reged nicht preise", war sein Wort. Ihm werden die meisten Ge-
dichte beigelegt, außer panegj'rischen auch religiöse und mystische, ein
Gedicht über den Wind und eins über den Met, ferner über die zehn
ägyptischen Plagen, über Alexander den Großen und andere Betrachtungen.
Um 1600 entstand eine 'Geschichte Taliessins' {Hanes Taliessin) , in der
man eine Anzahl dieser Gedichte dem Verständnis näher zu bringen suchte
und andere unter seinem Namen beifügte. Llywarch Hen tritt von den
drei Dichtem am deutlichsten hervor: er ist melancholisch und sententiös.
Von Husten und Alter, Krankheit und Gram gedrückt, betrauert er seine
Söhne, die in der Schlacht gefallen sind; er beschreibt die Öde des
Winters, und auch der Sommer stimmt ihn nicht froh, wenn er seine
Krücke betrachtet. Viele Gedichte, namentlich im Schwarzen Buche, sind
religiös, Lobpreisungen Gottes, der Dreieinigkeit, Christi; auch ein Ge-
spräch zwischen Seele und Körper kommt vor.
Es ist ausgeschlossen, daß diese Gedichte in der überlieferten Form
dem 6. Jahrhundert entstammen. Ihre Sprache ist jünger, als die zweier
kleiner Poeme aus dem g. Jahrhundert, die in einen lateinischen Codex
des Juvencus in Cambridge eingeschrieben sind. Abgesehen von den Be-
ziehungen auf viel spätere Ereignisse in einzelnen Gedichten, finden sich
in anderen gelehrte Anspielungen, z. B. auf Beda, die Distichen Catos,
allerlei Theologica wie die vier Evangelisten als die Stützen der Welt u. .1.
Ein Gedicht betrifft eine irische Sage, die Totenklage auf Cüröi mac
D4ire. Viele Gedichte sind zwar in der ältesten walisischen Strophe, der
Terzine {triban oder etiglyn mihcr), abgefaßt, mehr aber in den späteren
Bardenmetren und auch die irische Rannaigecht kommt vor. Die ältesten
Gedichte von Wales führen uns in eine Zeit, wo das Bardentum bereits
völlig ausgebildet war: es wird 'die Gewohnheit der britischen Barden*
ii6 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
{gnawt bcird o Vrython) erwähnt und ihre Abweichung vom guten Ge-
schmacke getadelt. Man muß sich daher der Meinung anschUeßen, wonach
diese ältesten Poesieen dem 12. Jahrhundert näherstehen, als dem 6., und
daß sie vielleicht dem 10., 11. und 12. Jahrhundert angehören. Ein Zwie-
gespräch zwischen Taliessin und Myrddin ist weder von dem einen, noch
von dem anderen verfaßt, und daraus folgt, daß jene alten Dichter, wie
bei den Iren z. B. Columcille und später Oisin, poetische Figuren geworden
sind, unter deren Namen die Barden und Genealogen der späteren Jahr-
hunderte ihre Gedichte gestellt haben. Was insbesondere Myrddin oder
Merlinus betrifft, den die Historia Brittonum noch nicht kennt, so ist er
eine durchaus fabelhafte Person, die bald mit dem wahrsagenden KJnaben
Ambrosius verwechselt wird und bald als Merlinus Silvester (Myrddin
Wyllt ab Morvryn) halb Krieger halb Dichter ist. In der Mitte des
12. Jahrhunderts wurde es üblich, diesem ^homo fatuus' politische Gedichte
von gesuchter Dunkelheit beizulegen, zur Zeit als Johannes Cornubiensis
eine kornische Prophezeiung der Art in lateinische Hexameter übertrug
und als Giraldus Cambrensis den Spuren solcher Fiktionen eifrig nachging.
Dergleichen sind Avellen feren 'Lieblicher Apfelbaum', Oidn a parchellan
'Eiapopeia mein Schweinchen', die Synchronismen {Cyvoesi) Myrddins
und seiner Zwillingsschwester Gwendydd, seine Stimmen aus dem Grabe
und solch 'skimble-skamble' Zeug mehr, an dem man einige Jahrhunderte
Wohlgefallen fand, so daß es noch den Unwillen eines großen Dichters
erregte.
Die Gesetze. Ein höchst bedeutendes Denkmal der alten Kultur der Waliser
sind die Gesetze, die der König Hywel Dda (907 — 948), mit Benutzung
älterer von dem sagenhaften Dyvnwal ab Moelmud, durch eine Anzahl
der fähigsten Männer des Landes, unter Mitwirkung der Geistlichkeit, im
Weißen Hause am Täv beraten und ausarbeiten und, nach weniger glaub-
licher Nachricht, durch den Papst sanktionieren ließ. Der ursprüngliche
Codex ist nicht erhalten geblieben, aber es beruhen darauf drei Gesetz-
bücher des II. und 12. Jahrhunderts, die für die drei Teile des Landes
aufgestellt sind: der Codex Venedotianus für Nordwales, der Demetianus
für Südostwales und der Gwentianus für Südwestwales. Der erste, der
dem lorwerth ab Madog zugeschrieben wird, ist in einer der ältesten
walisischen Handschriften, dem Schwarzen Buche von Chirk (ca. 1200),
überliefert, kann aber erst nach der Zeit des darin erwähnten Bleddin ab
Cynvyn (f 1073) verfaßt sein. Der Demetianus weist auf die Zeit des
Fürsten Rhys ab Gruffydd in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
zurück. Der Gwentianus nennt Cyvnerth und seinen Vater Morgenau als
seine Urheber. Es gibt auch noch sehr alte lateinische Fassungen der
Gesetze. Einen apokryphen Charakter haben die Gesetzsammlungen aus
späterer Zeit, namentlich aus dem 15. Jahrhundert, als das einheimische
Recht längst außer Kraft und seit Eduard L 1284 durch die Statuta de
Rothelan ersetzt war. Die Gesetzbücher zerfallen in drei Teile: das Recht
II. Die ältesten Denkmäler der Literatur. Iiy
des Königs, das Landrecht und das von lorwcrth hin/uijcfügto Prüfungs-
buch {lly-i'yr pniv). VVonn sie auch vielleicht nicht ohne Einfluß der angel-
sächsischen Gesetze entstanden sind, so geben sie doch durch ihre genaue
Abgrenzung der Rechte und Pflichten von dem praktischen Verstände der
Gesetzgeber einen hohen HogrifF,
Die ältesten Mären der Cymry bieten in der Form, in der sie in i>.«m»i
das 14. Jahrhundert gelangt sind, die allbekannten Mabinogion. Man hat
sich gewöhnt, damit elf Erzählungen zusammenzufassen, die in dem Roten
Buche von Hergest und in dem Weißen des Rhydderch vorkommen und
nach dem ersteren ediert sind. Aber der Titel maHnogi 'disciplina* gebührt
eigentlich nur den vier ersten dieser Erzählungen, die einem mabinog oder
Bardenschüler zu kennen niUig waren. Diese vier Erzählungen (die einzelne
wird caiiic 'Zweig' genannt) mit ihren Helden Pwyll, Hranwen, Mana-
wyddan und Math, sind echt kymrisch und aus lokalen Legenden zusammen-
gefügt. Sie haben viel Wunderbares, aber lassen auch ein eigenes Ge-
schick der Erzählungskunst erkennen. Nicht so urwüchsig wie das Mabinogi
erscheinen der Traum des ALixen Wledig, Llud und Llevelys mit den drei
Plagen Britanniens und der Traum des Rhonabwy. Die letztgenannte
Erzählung, eine artige bardische Erfindung, die kein Mensch 'ohne Buch'
vortragen kann, ist nicht vor der zweiten Hälfte des \i. Jahrhunderts ent-
standen, da Madog von Powys, der Verbündete Heinrichs IL 1158, darin
erwähnt wird. Sehr merkwürdig ist weiter die Erzählung von Kulhwchs
Werbung um Olwen, da sie aus der alten Sagenfülle der Cambrer und
Galen so vieles zusammenträgt, in einigem bestens zur Historia Brittonum
.stimmend, in anderem darüber hinausgehend. Man ist erstaunt, hier
Arthur, den 'dux bcllorum' des 6. Jahrhunderts, wiederzufinden als einen
König, der in Caerlleon ar Wysc Hof hält, mit der Königin Gwenhwyvar,
.seinem Bischof, seinem Pförtner, dem Haudegen Kai und den anderen
Helden der nachmaligen komischen Tafelrunde. Frau Aventiure ist un-
ablä.ssig geschäftig gewesen, die Gestalt Arthurs auszubilden, und wahr-
scheinlich haben alle drei britanni.schen Stämme einen Anteil daran; denn
noch zu Giraldus' Zeiten konnten sie sich unschwer miteinander verstän-
digen. Wieviel jedem Lande von der 'matiöre de Bretagne' gehört, wird
sich nicht entscheiden lassen; aber daß die Franzosen sie von den Bre-
tonen empfangen haben, ist schon aus den Eigennamen über jeden Zweifel
festgestellt. Und dann ist der ritterlich romantische Geist, womit .sie ein
Christian von Troyes verschönt hat, mit den Anglonormannen wieder zu
den Walisern gedrungen, die sich so die Romane von Owain mit dem
Löwen, Peredur oder Parzival und Geraint oder Erec in vollendeterer
Form angeeignet haben, kun.stvoller und in der Charakterisierung feiner,
so daß man Personen wie Kai oder Arthurs Pförtner, die schon in den
ältesten Gedichten vorkommen, kaum wiedererkennt
Die mythologische Deutung, die einige der ältesten wali.si.schen
Sagen erfahren haben, müssen auf virh bmihf-n, und in die v-r»., lihingenen
ii8 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
Wege des Folklore können wir sie nicht verfolgen. Aber die alten Ver-
bindungen, die die walisische Epik mit der irischen gehabt hat, drängen
sich immerfort auf. Die Erzählung von Branwen spielt nach Irland hinüber
und das darin vorkommende eiserne Haus findet sich schon in der irischen
Sage Mesca Ulad. Manawyddan ist der alte irische Zauberer Manandän,
und an Arthurs Hofe erscheint Conchobar mac Nessa. Arthurs Schwert
Caledvwlch ist der caladbolg des Iren Fergus, und das Geschoß mit Wider-
haken im Kulhwch der gac bolga Cüchulinns. Das ebendort erwähnte
Gebot, daß der Fremde ins Haus, das er betritt, eine Kunst mitbringen
müsse, ist so g"ut irisch wie Mas Mahl für fünfzig', das ihm vorgesetzt
wird. Die drei Farben der Geliebten Peredurs (rabenschwarz, blutrot
und schneeweiß) sind uns aus der irischen Sage von Nöisi und Deirdre
bekannt. Das walisische tynghet ist das irische geis, das Tabu, das in
den gälischen Märchen eine so große Rolle spielt Die walisische Erzählung
kennt die fünf Provinzen Irlands {^pump rann Iwerdon), in denen die Runde
gemacht wird (wal. cylchaiü = ir, cuartugud), aber auch den Shannon
(Llinon), Garselut (Geir selut), Sescenn Uairbheoil (Esgeir Oervel), sowie
im Rhonabwy die weißen Lochlanner oder Norweger (ir. Findgenti) und
die schwarzen Dänen (ir. Dubgenti). So mancher Zug in der normannischen
und romanischen Sagenüberlieferung trägt noch die Marke des irischen
Ursprungs. Die Sage vom Mantel, die den Walisern verloren gegangen
ist und nach ihrer Wanderung durch Europa im 15. Jahrhundert nach
Irland kam, ist dahin zurückgekehrt, von wo sie ausgegangen war, wenn
sie nämlich nichts anderes ist, als die von Moranns Halsband. Das Glas-
haus oder ^urbs vitrea', in das Melwas die g-eraubte Guennuwar brachte, oder
das ty gztydr, in das der Zauberer Myrddin seine Buhle steckte, ist der grianan
mit Glasfenstem, den das irische Märchen von Etäin kennt; es kommt
auch in Tristans Geschichte vor, ebenso wie die Botschaft durch ein Holz-
stück, das den Bach hinunterschwimmt; dieses gebraucht schon Oisin in
einer Erzählung des Dinnshenchas. Sir Gawains Abenteuer mit dem
grünen Ritter ist ganz ähnlich dem letzten Teile der Fled Bricrend und
seine Heirat mit der verwandelten Hexe findet sich im Cöir anmann. Im
Lancelot du Lac durchsticht König Arthur den Medraut durch und durch,
so daß man das Loch sogar in seinem Schatten sieht (was Dante erwähnt)
— das ist eine irische Hyperbel, die bei den Senchaid häufig wieder-
kehrt.
Manche arthurische Legenden, die die Barden wohl kannten, sind als
Erzählungen nicht erhalten geblieben; dazu gehören Arthurs oder Kais
Kampf mit dem Seeungeheuer Paluc, die Geschichte von Creirwy und
Garwy u. m. a. Auch Tristan und Isolde findet sich nur unvollständig
in zwei Cardiffer Handschriften, von denen die ältere erst aus dem
16. Jahrhundert stammt. Von dem normannischen 'Roman du Quete du
Saint Greal' des Walter Mapes und von dem Perceval le Gallois besitzt
man eine alte walisische Übersetzung.
Hl. Die altere llartlcnj)ocsic und Ir^ v j iq
III. Die ältere Hardenpocsie und Prosa. Dm lilütezoit der iho luxdr«
Bardenpoesie fällt unter die Reg-ierung der einheimischen Fürsten des "«»•••*•»
12. und 13. Jahrhunderts. Ihr gelten Aneurin und Talicssin als die
großen Vorbilder und der Kes.sel der Ceridwen ist ihr cast^dlscher
Quell (fxiir <ru'in). Aber Arthur und die Helden und .Schönen des
romantischen Sagenkreises haben bestimmtere Formen angenomm«*n. Die
Barden lebten an den Höfen der Könige und Fürsten von Wales und
ihre Gesänge sind daher für die Cieschichte von Owain Gwynedd (1137
bis ii'>9) bis zu Llcwelyn ab Gruffydd, unter dem da-s Land seine Selb-
ständigkeit verlor, von einiger Bedeutung. Eulogieen und Elegieen bilden
den größten Teil dieser Poesie. Sie berichten von inneren und äußeren
Kämpfen und von Schlachten, die die Flüsse färben und die Raben froh
machen; sie feiern die Tapferkeit, Gastlichkeit und Freigebigkeit der fürst-
lichen Gönner; auch der F^sttrunk wird besungen, und bekannt ist eine
Ode über das Trinkhorn Ilirlas, worin der Fürst von Powys Owain Cyveiliog
selbst (t 11^7) seiner Getreuen gedenkt Von den Lobrednern des Owain
GwjTjedd sind Cynddelw *der große Dichter' und Gwalchmai die be-
rühmtesten. Hervorragend sind auch Llywarch ab Llywelyn gen. Prydydd
y Möch, der Barde Llywelyns des Großen (11Q4 — 1240), und Davydd
Benvras. Gruffydd ab yr Ynad Cöch ist der Dichter einer bewunderten
Elegie auf den letzten F'ürsten Llewelyn; ein Gesang der Klage sind auch
'die Monate' von Gwilym Ddu. Den Gedichten ist ein Zug der Frömmig-
keit eigen, indem sie meist mit der Anrufung Gottes anheben und mit
einem Gebet um die ewige Seligkeit schließen. Auch sind religiöse und
erbauliche nicht wenige darunter, und Elidr Sais zeichnet sich in der
Gattung aus. Der Stil dieser Barden, den Th. Grey geschickt nachgeahmt
hat, ist erhaben, nicht mehr so dunkel wie der der ältesten, aber doch
mit dem schweren Tritt ihrer Metra nicht leicht und natürlich. Terzinen
werden nur noch selten gedichtet, aber die langen Strophen mit den durch-
gehenden Endreimen und ihren Alliterationen und Binnenreimen sind in
diesen pindarischen Gesängen für den freien Ausdruck des Gedankens
immer noch eine Fessel.
Keiner der alten Barden ist so leicht und gefällig wii- Hywel, der
Sohn des Owain Gwynedd. Er sagt, was er liebt und haßt Er haßt
England mit seinen Listen. Er liebt seine Heimat mit ihren Küsten,
Bergen und Tälern, ihren F'eldern und Wäldern; er liebt ihre Burgen.
Krieger und Rosse, ihre Jagden und schönen Frauen. Einmal klagt er
über eine 'Schwester' mit holdem Lächeln und reinem K>'mrisch, deren
schlanke Glieder durch den blauen Schleier schimmern, weil ihre
Sprödigkeit ihm das Herz bricht Ein andermal rühmt er sich .seiner Er-
folge bei den Gwenlliant, Gwervyl, Lleucu, Xi-st, Hynydd — er halt
in seiner Aufzählung inne: „es ist gut, daß die Zähne die Zunge ein-
schließen«* (j'j da diiiit rac Un'orvf). Hier ist in die walisische Poesie-
ein Element eingedrungen, das die Alten ni'-^^' V nititcn. i!.-i> Liebes-
I20 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
lied, das weder in Wales noch in einem anderen keltischen Lande er-
funden ist
Mittelwalisische Je mehr die Waliser im 13. und 14. Jahrhundert mit dem Auslande
Prosa. -j^ Berührung traten, desto mehr steigerte sich das Bedürfnis, den Gesichts-
kreis zu erweitem und die Literatur mit Werken der Belehrung und Unter-
haltung zu bereichem. In der Theologie hatte man das Hagiologische
gepflegt, wovon eine Anzahl lateinischer Acta Sanctorum zeugen. Aber
die Heiligen {Sciiif) sind den Walisern ein weiter Begriff: man verstand
darunter vornehme Männer christlichen Glaubens, auf deren Genealogie
man \4el Sorgfalt verwendete, denen man wohl übernatürliche Kräfte bei-
legte, die aber selten Märtyrer sind. Sie stammen vorwaltend aus Süd-
wales, und Frauen sind wenige darunter. Die ältesten kymrischen Vitae
sind das Leben des heiligen David (Dewi), des Schutzpatrons der Waliser,
das auf dem von Ricemarchus verfaßten lateinischen beruht, und das des
Beuno; aus späterer Zeit ist das Leben der heiligen Gwenvrewi, übersetzt
finden sich die Vitae der heiligen Catharina, der heiligen Margareta u. a.
Das 'Buch des Teilo' über die Bischöfe von Llandäv und ihre Schenkungen
an ihre Kirche ist lateinisch, enthält aber bemerkenswerte Eintragungen
in der kymrischen Sprache des 12. Jahrhunderts. Die Waliser besitzen
alte Übersetzungen der wichtigsten theologischen Schriften, die im Mittel-
alter allgemein gelesen wurden, namentlich die Legende von Adam und
Eva, die Evangelien des Pseudomatthäus und des Nicodemus, das Leben
und den Hintritt der Jungfrau Maria, die Geschichte des Pontius Pilatus,
den Traum des Apostels Paulus, das Fegefeuer Patricks von H[enry?] von
Saltrey, den Brief des Priesters Johannes, und Adrian und Ipotis, dessen
lateinisches Original nicht erhalten ist.
Geschichte. Auch die Geschichtschreibung der Waliser ist ursprünglich lateinisch.
Sie nennen eine Geschichte Brut (Historia Bruti) von ihrem angeblichen
Stammvater Brutus, dem Urenkel des Trojaners Aeneas, und daher stellen
sie die Übersetzung des Dares Phrygius an den Anfang ihrer Historien.
Mit ihrer '^Geschichte der Könige Britanniens' treten sie den Iren an die
Seite, die ihre Königsreihen über tausend Jahre vor den Anfang der
christlichen Zeitrechnung zurückverfolgen. Die kymrische Übersetzung
dieses Werkes des Gottfried von Monmouth oder Gruffydd ab Arthur
(f 1155) ist in vielen Handschriften erhalten, die in Einzelheiten verschieden
sind (die älteste Hegt in Mostyn Hall); ein Auszug daraus ist das sogenannte
Brut Tysilio. Zwei andere Bruts, die gelegentlich dem Caradog von
Llangarvan (ca. 1157) beigelegt werden, sind die 'Geschichte der walisischen
Fürsten' von 660 — 1282 und die 'der Sachsen' oder Engländer von 800 — 1382.
Bemerkenswert ist auch das Leben des Fürsten Gruffydd ab Cynan, von
dem man einen Text aus der Mitte des 13. Jahrhunderts und eine alte
lateinische Übersetzung hat.
Medizin. Schou in früher Zeit haben sich die Briten mit der Medizin beschäf-
tigt, wie das Fragment eines lateinischen Buches der Heilkunde aus dem
1\ . Die neuere Bardenpocsic. I2i
(). Jahrhundert in Leiden lehrt; es finden sich nicht wenig-e altbrotonische
Baum- und l^flanzennamen darin. In Wales waren in der Mitte des i 3. Jahr-
hunderts Rhiwallon und seine drei Söhne in Myddvai (in Carmarthenshire)
als Ärzte berühmt, und ein ihnen zugeschriebenes Büchlein über Heilmittel
und Vorschriften der Hyj^ione steht im Roten Buche von Hergest. Die
Kunst soll sich in dem Geschlechte vererbt haben, und einem Abkömm-
ling, dem Hywel Veddyg ab Rhys, der wohl im 17. Jahrhundert lebte,
verdankt man ein umfangreicheres Werk der Art. Diesen und anderen
Sammlungen von Hausmitteln ist reichlich Aberglaube beigemischt.
Außer den arthurischen Sagen wurden manche andere Unterhaltungs-UDterhAUaoc.
bücher übersetzt; dazu gehören die sieben Weisen von Rom, Karl der
Große und Roland (die sogenannte Kompilation des 14. Jahrhunderts),
Amis und Amiles, Bown von Hamtoun, die Iniago mundi des Henry von
Huntingdon, die Peregrinatio des Odoricus u. a. Es gibt auch mehrere
kleinere walisische Erzählungen {areif Ji)^ und ein walisischer Äsop scheint
schon im 14. Jahrhundert entstanden zu sein.
IV. Die neuere Bardenpoesie, Während sich die Waliser aus der Die ttaieni
lateinischen und der normannischen Literatur manches aneigneten, erschloß *^
sich ihnen mehr und mehr der romanische Geist. Der hundertjährige
Krieg Englands mit Frankreich, der die Völker in nahe ßeriihrung
brachte, machte sie nicht nur mit der französischen, sondern auch mit der
provenzalischen Literatur bekannt. So ward das dürre Feld des Barden-
tums mit bedeutenden Anregungen getränkt, und die belebenden Strahlen
der südlichen Sonne haben im 14. Jahrhundert eine neue Blüte ihrer Poesie
entstehen lassen.
Die Wiedergeburt bezog sich nicht nur auf die Mannigfaltigkeit der
Stoffe, auch eine neue Form wurde geschaffen. Unter der Regierung
Eduards IIL, so wird berichtet, verbanden sich die Barden von Nord- und
Süd Wales zu einer dreimaligen 'Eisteddvod dadeni', um die Kunst neu zu
beleben und ihre Regeln aufzustellen. Man soll sich namentlich über die
Annahme eines siebensilbigen Metrums in einem gereimten Doppelverse
geeinigt haben, indem man sich vermutlich das irische Dthidc zum Vor-
bilde nahm und die Binnenreime und die Alhteration (die Cytighancdd)
auf Grund der alten Bardenpoesie regelte. Das so geschaffene* Cyspy<üi
(Uu air hirion wird nun die Hauptform der walisischen Poesie des 14. bis
16. Jahrhunderts, die dadurch in vieler Beziehung gewonnen hat.
Wenn nicht der Urheber dieser Umgestaltung, so doch der her\or- i>ar^ «b
ragendste Vertreter der wiedergeborenen walisischen Poesie ist der Minne- '*
sänger Davydd ab Gwilym, der im Anfange des 14. Jahrhunderts geboren
ist, 1346 auf der Höhe stand und i;^68 gestorben ist. Von seinem Leben,
das die Späteren zu einem Roman ausgearbeitet haben, weiß man nichts
sicheres. Er war von südwalisischer Herkunft und erfreute sich der Gönner-
schaft des freigebigen Ivor H ' '' Hf>rrn von Maesaleg in Glamorgan,
122 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
SO daß er sich scherzhaft seinen viacr oder Steward nennt. Seine Gönner
waren auch sein Oheim, der Dichter Llewelyn ab Gwilym Vychan in Emlyn
in Cardiganshire, der 1329 starb, und Hywel ab Tudur, der seit 1359
Dechant von Bangor war. Den Kreis seiner Freunde bildeten andere Bar-
den der Zeit, unter ihnen namenthch Madog Benvras (f 1370), Gruffydd
ab Addav, der 1344 ermordet wurde, lolo Goch und Gruffydd Gryg, ein
nordwaUsischer Dichter, die ihn beide überlebt haben. Es ist eine Reihe
von Gedichten erhalten, in denen sich der letztgenannte und Davydd be-
fehden, ein wenig im Ernst, wie es scheint, aber mehr zum Schein nach
der Bardensitte, die bis in das 16. Jahrhundert andauert. Sie ist aber ohne
Zweifel romanischen Ursprungs, wie denn die Tenzone in Sonetten zwischen
Dante und Bicci Forese Donati der zwischen Davydd und Gruffydd Gryg
ganz ähnlich ist.
Davydd ist der Dichter der Liebe und so fruchtbar in diesem Fache
wie irgendein romanischer oder deutscher Dichter seiner Zeit. Man darf
nicht hoffen, aus diesen Gedichten Aufschluß über sein Leben zu erhalten,
so lang auch die Liste der von ihm besungenen Schönen ist — von der
zärtlich geliebten Dyddgu und der keuschen Nonne bis zu Elen, der Eng-
länderin in Bro Eithindan, die ihm Strümpfe verkaufte, und der Schuster-
frau Madrydd. Sie alle werden überstrahlt von Morvudd, der schönen
Blondine, der er zwei, nein achtzehn Jahre gehuldigt und hundertundein
Lied gewidmet hat — bald schmeichelnd, bald flehend, einmal himmel-
anjauchzend und das andere Mal zu Tode betrübt. Über ihre Verhältnisse
ist nichts festzustellen. Ob sie in Nord- oder in Südwales lebte, ob er
wirklich des Glückes vertrauter Stunden bald im Hause der Geliebten und
bald im verborgenen Haine teilhaftig geworden ist, ob sie ihn ausgeschlagen
hat zugunsten eines häßlichen alten Eifersüchtigen, der einst im Kriege
den kleinen Bogen {y Biüa back) geführt hatte, ob er die Frau entführt
und sein Unrecht mit dem Verluste seines Vermögens schwer gebüßt
hat — in alledem läßt sich die Wahrheit nicht von der Dichtung scheiden.
Wahrscheinlich ist, daß Morvudd ein Kind der Phantasie ist und nicht
einmal die gleiche Wirklichkeit gehabt hat wie Beatrice oder Laura. Der
Süden ist die Heimat dieses Minnedienstes, dieser ars amandi in allen
ihren Einzelheiten.
Da ist der Liebesbote {llaftai), als welchen der Dichter artig genug
allerlei Tiere verwendet — den Rehbock, den Adler, die Waldschnepfe,
die Nachtigall, die Lerche, die Schwalbe, die Drossel, die Amsel, den
Kuckuck, die Elster, den Birkhahn, den Schwan, die Möwe, den Lachs,
die Forelle; oder er vertraut auch seine Klage dem Winde, um sie an
Morvudds Bett zu bringen. Das ist der mcssatge der Provenzalen, dessen
Rolle Marcabru dem Staren, Peire von Auvergne der Nachtigall und ein
anderer der Schwalbe überträgt. In Wales hatte Davydd in der Llatteiaeth
keinen Vorgänger, denn die bekannten Gedichte des Rhys Goch ab Rhiccerd
sind pseudepigraph und um zwei Jahrhunderte jünger. Weiter werden in dem
I\'. Die neuere llardcnpoesic. I2»
walisischen Minnedienst Zeichen [iinoyddion) vereinbart, so wie im pro-
venzalischcn die tnsinlui oder cntrcsinha. Das oed oder die Zusammen-
kunft oder das Stelldichein ist es, worum der Dichter unablässijr bittet, und
es findet in der Regel in einem Laubversteck im Walde statt, seltener
im ^Inldhüsy wo man Wein trinkt, oder in der Behausunj^. Doch klafft
der Dichter oft genug vor dem Fenster der Geliebten in Regen und Kälte
und würde kühn verwegen eintreten, wenn nicht die knarrende Tür, der bissige
Hund und die schlaflose Alte ihn verrieten. Unter den Gedichten Davydds
finden sich zwei 'Taglieder', wie sie aus unseren eigenen alten Dichtem
wohlbekannt sind; der Provenzale nennt sie Alba d. h, 'Morgendämmerung'.
Da ist vor allem der Eiddii^^ der Eifersüchtige, dem Davydd eine so
komische Rolle zuerteilt; er kommt aber schon in einem Gedichte des
viel älteren Cynddelw vor und entspricht dem oft verhöhnten Gilos
der Trobadores. Davydd gibt seinem Nebenbuhler auf den Weg nach
Frankreich den unchristlichen Wunsch mit, er möge niemals wiederkehren
und entweder über Bord geworfen oder von einem guten Schützen nieder-
gestreckt werden. Ähnliches wünscht Guillem Adhamar etwa 130 Jahre
früher seinem verhaßten Rivalen im Kriege gegen die Sarazenen.
Wie weit Davydds Kenntnis der fremden Sprachen reichte, läßt sich
nicht sagen; daß er Petrarca und Boccazz gekannt habe, ist nicht wahr-
scheinlich, lolo Goch nennt ihn einen 'Baumeister der Sprachen' {pensiur
yr iciDwedd) und Madog Benvras nennt ihn einen 'berühmten Gelehrten'
{docfor clöif). Des Englischen scheint er mächtig gewesen zu sein und er
wendet viele Wörter der Sprache an, weshalb ihn Goronwy Owen, mit
Unrecht, wie mir scheint, tadelt Aber er selbst sagt, daß er kein Sterbens-
wörtchen Latein auf einem würdigen Pergamen verstehe, was man viel-
leicht nicht allzu genau nehmen darf.
Davydd war in der Literatur seines Landes wohlbewandert und stand
in der Beherrschung der Sprache den alten Barden, wie seine Lob- und
Trauergedichte zeigen, nicht nach; auch in der Satire war er so scharf,
wie jemals Madog Dwygraig gewesen, seinen Widersacher Rhys Meigen
traf er tödlich damit Die düstere Lehre der Dominikaner war seiner
heiteren Lebensauffassung zuwider, wogegen verschiedene erbauliche Ge-
dichte seine aufrichtige Frömmigkeit bezeugen. Dazu war er ein Meister
der Tonkunst {ardJ dannnu\^ und seine Lieder wurden im Norden und
Süden gesungen.
Davydd ist unter den walisischen Barden der mannigfaltigste. Er
wendet sich gegen die Putzsucht der Damen, er besingt dius Schwert, die
Schlaguhr, den Spiegel, seinen Schatten, das Echo. Am größten er-
scheint er jedoch als d«'r Dichter der Natur. Wo er die Offen' -n des
Unendlichen, die Wunder des Weltalls, die Erscheinungen ;nmels,
das Tierleben, die Pflanzen und Bäume betrachtet, setzt er durch die Fülle
und Genauigkeit seiner Beobachtungen in Erstaunen. Hier entfaltet er
auch den ganzen Reichtum seiner Phantasie und weiß a11">- '" ^' tn..m ho.
124 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
sonderen Zustande in nahe Beziehungen zu bringen. Man hat 250 — 300
Gedichte von diesem bedeutenden Manne, die freiüch in beklagenswertem
Zustande auf uns gekommen sind, durch Interpolation imd Unverstand über
die Maßen entstellt. Die Arbeit von Jahrzehnten wird nötig sein, um mit
seinem Texte einigermaßen ins reine zu kommen.
Seine Den patriotischen Gesang belebten am Anfange des 15. Jahrhun-
Nachfoiger. ^q^^^ (jjg Taten des berühmten Owen Glendower. Vor allen des Lobes
würdig ist das Gedicht auf den walisischen Kriegshelden von seinem
Hausbarden Gruffydd Llwyd ab Davydd ab Einion, Seiner Gunst erfreute
sich auch lolo Goch, der von den zahlreichen Barden nach Davydd ab
Gwih'm vielleicht der bedeutendste ist. Er hat nicht nur Owen und sein
Schloß Sycharth, wo er wohl aufgenommen wurde, besungen, sondern auch
Eduard III., mehrere walisische Kriegsmänner und Edelleute, und hat
außer Lob- auch Rügelieder gedichtet. In einigen historischen Stücken
gebraucht er nach dem Geschmack der Zeit dunkle Andeutungen und
Gleichnisse. Er hat auch ein Gedicht über das Schiff und eins über den
Landmann. Als seinen Lehrer nennt er Llywelyn Goch ab Meurig H§n,
der durch seine schöne Elegie auf Lleucu Llwyd bekannt ist, hat sich
aber im Liebeslied wenig versucht. Dagegen zeichnet er sich im reli-
giösen Gedicht aus, wo lateinische Hymnen seine Vorbilder waren. Auch
eine Bearbeitung der Visio Fulberti, das Gespräch zwischen Seele und
Körper, soll ihm gehören. Zwei jüngere Zeitgenossen sind der Theolog
wiklefianischer Richtung Sion Kent, der nicht von der Zunft der Barden
war, und Rhys Goch Eryri, der durch die Sprache hervorragt.
Von den Dichtern des 15. Jahrhunderts darf man nicht übergehen
Davydd Nanmor in Beddgelert (-j- 1463); Davydd ab Edmund (f 1490), der
sich im Liebeslied hervortat und ein System der 24 Metra aufstellte; Robin
Ddu von der Insel Anglesey; ferner Gutto y Glyn (-}- 1490), der bei dem
Abte von Valle Crucis gute Tage sah; Guttyn Owain (f 1499), den Histo-
riker und Genealogen; und Lewis Glyn Cothi, der bis i486 dichtete. Er
lobt den Herrn und die Herrin, von denen er Gastfreundschaft und Ge-
schenke empfing, fertigt Hochzeitsgedichte an, preist die Freuden der Tafel,
und wie er den Haß gegen die 'Sachsen' und den Krieg predigt, so be-
grüßt er die Thronbesteigung Heinrichs VII. Tudur.
Unter den Barden des 16. Jahrhunderts steht voran Tudur Aled, ein
Franziskaner (-|- 1530), der wie Guttyn Owain von Davydd ab Edmund ge-
bildet war. Er war der Lehrer des Gruffydd Hiraethog (7 1564), der vier
namhafte Schüler hatte : William Lleyn (-j- 1584?), einen talentvollen Dichter,
der mit Owain Gwynedd (f 1587?) stritt; William Cynwal (f 1588), der im
Wettgesange gegen den Theologen Edmund Price (•]- 1624) unterlag; Sion
Tudur {7 1602), der einsichtig genug- war, die Fehler der Barden zu er-
kennen; und Simwnt Vychan den Prosodisten (-j- 1606). Thomas Price
(1589 — 1634) gehört mit seinen pointierten Gedichten, obwohl noch im
Cywydd dichtend, bereits einer neuen Zeit an.
V. Die spätere Literatur. 12«
Dio walisischen Barden waren in dieser zweiten Blüte ganz ähnlich
wie die provenzalischen Dichter i.,'-eordnet Der bardd oder pryJydd 'der
Dichter' möchte dem trubairc und der clerwr 'der fahrende Sänger' dem
provenzalischen y'ö^/rtr entsprechen. Je mehr der 'Hausbarde' außer Dienst
gestellt wurde (aus dem 17. Jahrhundert werden die letzten erwähnt), desto
häufiger wurde der Barde zu einem fahrenden Sänger, Es mehren sich
mit der Zeit die Gedichte, in denen die Barden um ein Geschenk bitten
oder dafür danken, und im Anfange des 17. Jahrhunderts berechnet einer
von ihnen, Rhys Cain, seine Jahreseinnahme aus seinem acrs clcra auf
etwa 30 Pfund. Schon der königliche Erlaß von 1586 klagt über 'die
unerträgliche Menge' der Barden, und um dieselbe Zeit hatte Grniffydd
Roberts eine sehr geringe Meinung von ihnen: mit einem Töpfchen Bier
und einem Penny, sagt er, könne man sich ihr Wohlwollen leicht erkaufen.
Daß die Barden, zu deren Ausbildung in den drei cuv oder Ge- Crmmmatik
dächtnisgegenständen außer der Geschichte und der Genealogie die Kennt-
nis jedes Wortes und jeder Wortsilbe gehörte, ihre Sprache gründlich ver-
standen, zeigt die Kunst ihrer Verse, die in aller keltischen Poesie ebenso
wesentlich wie der Inhalt ist. In ihrer Grammatik oder ihrem Donat
{d-oned) ist der erste Teil, die Formenlehre, auf einem elementaren Stand-
punkte geblieben, da der zweite, die Prosodie {ccrdd tavaivd) für sie wich-
tiger war. Es ist eine Legende, daß Geraint Vardd Glas, der unter Alfred
dem Großen gelebt haben soll, die Grammatik begründet, und daß Gruffydd
ab Cynan (f 1137) zu Caerwys die Regeln der Prosodie aufgestellt habe;
der Nationalgrammatiker ist vielmehr Edeyrn der Goldzungige [tava^vd
our) im i 2. Jahrhundert. Das 'Dosparth Edeyrn', sein System der 24 Metra,
findet sich im Roten Buche von Hergest, und das 1451 von Davydd ab
Edmund aufgestellte weicht nur in zwei Metren davon ab. Dieses 'Dos-
parth Caervyrddin' hatte namentlich in Xordwales Geltung, und nicht er-
heblich verschieden ist das des Simwnt Vychan, der sich auf Davydd Ddu
stützt. Erst 1681 trat Edward Davydd mit einer südwalisischen Metrik
(Dosparth Morganwg) hervor, die Edw. Williams als das Cyvritiach hcirdd
ynys Prydain (den l*itel hatte Guttyn Owain 1455 für seine Grammatik
gefunden) 1829 ediert hat. Zu diesen nützlichen Sprach- und Verslehren
haben die Barden des 10. und 17. Jahrhunderts allerlei phantastisches Bei-
werk in endlosen Triaden ersonnen, das in dem 'Barddas' des Llywelyn
Siön seine Darstellung gefunden hat. Zu jenen närrischen Erfindungen
gehört auch das berühmte Coclbren y beirdd., eine altbritische Schrift, die
auf Holzstäbe eingeschnitten wurde, und dieser Bardismus und Druidismus
hat viele Köpfe verwirrt. Abseits von den Barden arbeitete Gruffydd
Roberts seinen Katechismus der kymrischen Sprach- und Verslehre, den
er 1567 in Mailand bei Vicenzo Girardini drucken ließ.
\'. Die spätere Literatur. Zu der Zeit, als in verschiedenen n«M««r.
Städten Englands die Mysterien und Mirakelspiele in Blüte standen, haben
126 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
auch die Waliser die Anfange eines Volkstheaters gehabt. Llitd a lledrith
'Zauberei und Erscheinung' soll es geheißen haben und die Bühne mit
dem Worte twnipath 'Hügel' bezeichnet sein. Der Hauptgegenstand der
Spiele war Ymdaith Crist 'der Lebenslauf Christi', von dem zwei Teile,
'Herodes und die drei Könige' und 'die Passion' bekannt geworden
sind. Das erstere wird dem lolo Goch (ca. 1400), das andere dem lorwerth
Vynglwyd (j 15 16) zugeschrieben. Es sind aber deutlich Bearbeitungen
eines englischen Originals und vermutlich aus dem 16. Jahrhundert. Aus
den Mysterien entwickelten sich dann im 16. und 17. Jahrhundert Inter-
ludi, dramatische Szenen, in denen auch nichtkirchliche Gegenstände
behandelt wurden. Eines der ältesten Spiele der Art ist ' der Priester
und der Mächtige' (1543), ein anderes 'der verlorene Sohn'. Dann
wagte man sich an größere Aufgaben, wie Troilus und Cressida, König
Lear, Philipp und Mary u. a. Das Komische ward ein wichtiges Element
in den Aufführungen, und die letzten Schwanke, die mitunter in niedrige
Sprache verfallen, sind die zahlreichen Interludes von Thomas Edwards,
genannt Twm o'r Nant (1738 — 18 10).
Die Dichter der Im 17. Jahrhundert erfahrt die walisische Poesie eine Veränderung
Nenzen. ^^^ Form, indem man für die alten silbenzählenden Versmaße [y mesuraii
caethion) die freien {y viesurau rhyddion) einführt, die, wie die neuen
gälischen, akzentuierende sind. Das ist ihr Merkmal, denn sie bewahren
noch eine Fülle der Reime und Binnenreime und haben auch Alliteration.
Einer der ersten Dichter der neuen Form ist Richard Hughes (um 1600),
unter dessen Carolau jedoch auch einige in der irischen Rannaigecht sind
(in der 'alten Liederweise' lien ganiad, wie sie jetzt genannt wird); und
der hervorragendste ist Hugh Morris (1622 — 1709), der Royalist, der
sich in leichter und ernster Lyrik auszeichnet. Die Form des Cywydd
mit der Cynghanedd ist aber niemals ganz vergessen und verloren ge-
gangen.
Unter den hundert Dichtem der neuen Zeit ist der bedeutendste
Goronwy Owen, der 1723 auf der Insel Anglesey geboren wurde und nach
einem verfehlten Leben kaum 50 Jahre alt in Amerika starb. Er hatte
eine gelehrte Bildung, verstand das Kymrische in seiner Feinheit (er
rühmt seine Mutter, die ihm von früh auf jeden Sprachfehler verbessert
habe) und ward nicht müde die Kunst zu lernen. Von seinen wenig zahl-
reichen Gedichten ist seine Ode auf das jüngste Gericht am bekanntesten.
Er ist ein Dichter voll Gemüt, ob er nun, vom Heimweh erfaßt, seine
Klage aus der Feme nach Mon richtet oder die Gestalten des Neides und
der Armut zeichnet oder von der Dachstube dem Treiben der Welt zu-
schaut oder den Freund aufs Land einlädt. Seine Verse haben einen
eigenen Zauber, er ist der Liebling seiner Landsleute geworden. Von
der Aufzählung anderer Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts müssen wir
leider absehen, dürfen aber nicht unerwähnt lassen, daß die Waliser aus
fremden Sprachen manche Dichtung übersetzt haben. Es gibt ein kym-
V. Die spätere Literatur. 12^
risches Verlorenes Paradies von William Owen Pughe und sogar eine Gött-
liche Komödie von Daniel Rees.
Neben der Poesie der Barden und der fahrenden Sänger haben skoUen.
die Waliser seit alter Zeit die Hauspoesie gepflegt. Wenn man sich der
Geselligkeit hingab, wenn Harfe, Pfeife und Viola {cnvth) ertönten, dann
stimmte man auch wohl einen Rundgesang an, in dem jeder das Beste
brachte, was er aus dem Gedächtnisse oder dem Stegreife darbieten konnte.
Man sang um die Wette, den Text den wechselnden Melodieen der Harfe
anpassend. Diese pcnnil/ion, Einzelstrophen oder Skolia, über alle mög-
lichen Gegenstände sind in der Regel epigrammatisch, oft scherzhaft,
mitunter satirischen, am häufigsten aber verliebten Inhalts. Sie sind nicht
nur in freien Metren, sondern auch in der schwierigen Form des Englyn
üblich. Man hat sie zu vielen Hunderten gesammelt.
Ihr Reichtum an Spruchweisheit zeichnet die Waliser vor vielen Spruchw««heit
Völkern aus. Es handelt sich nicht nur um Sprichwörter, deren sie eine
große Zahl besitzen; die Sammlung des Gruffydd Hiraethog erschien schon
1546 und ist neben der Prime des Sir John Prj's der erste Druck in der
Sprache. Viel zahlreicher sind ihre Triaden {friocdd), Sätze der Erfahrung
und Belehrung, in denen beständig eine Dreiheit als eine Einheit zu-
sammengefaßt wird. Sie handeln über das Haus und die Familie, den
Staat und die Welt, die Cymry und die Sachsen, die Geschichte und die
Theologie, die Gesetze und die Moral, die Poetik und die Barden. Die
verschiedenen Triadensammlungen werden alten Weisen beigelegt, nament-
lich dem weisen Catoc, der wohl mit dem Cato der Distichen verwechselt
wurde. Aber in Wahrheit sind die Urheber die Barden bis ins 1 6. und 1 7. Jahr-
hundert Aus früherer Zeit gibt es verhältnismäßig wenige, und diese
sind historisch oder mythologisch. Da nun die Triadensammlung- der Iren
ein höheres Alter hat, nach der Sprache zu urteilen etwa aus der zweiten
Hälfte des <;. Jahrhunderts stammt, so ist es wahrscheinlich, daß sie die
Gattung, die wohl in der biblischen Sprache und in dem Begriffe der
Trinität ihren Ursprung gehabt hat, früher ausgebildet, aber nicht ebenso
ausgedehnt haben.
Die neuwalisische Sprache wird mehr geschrieben, als irgendeine Neuere Ptoml
andere unter den keltischen Sprachen, auch der Tagespresse dient sie in
großem Umfange. Aber nur wenige Prosawerke von dauerndem Werte
sind geschafften. Eine Geschichte Englands von Wilhelm dem Eroberer
bis zu Eduard VI. von Elis Gruff"ydd liegt noch im Manuskript Ein mittel-
mäßiges Werk über die alten Briten Drych y prifocsocdd , zuerst 1716 er-
schienen, lieferte Theoph. Evans (1693 — 1769). Die beste Geschichte von
Wales {Hancs Cymru) veröffentlichte Thomas Price, genannt Carnhuanawc
('7^3 — 1848), im Jahre 1842. Geschätzt werden die Schriften des Mystikers
Morgan Llwyd (-}- 1659), von denen das Gespräch der drei Vögel (Adler,
Rabe und Taube) von 161 3 die bedeutendste ist Leichterer Art ist eine
südwalisische Übersetzung von Jean de Cartignys 'Irrendem Ritter' {Y
128 Ludwig Christian Stern: Die kymrische (walisische) Literatur.
marchog cnvydrad), wovon man in Llanwrin eine Handschrift von ca. 1600
hat. Vielleicht das beste Prosawerk sind 'Die Gesichte des Schlaf barden'
{Gweledigaetheu y Bardd Cwsc) von Ellis Wynne (167 1 — 1734); es ist eine
Satire auf die Torheiten der Welt, nach dem Vorbilde der Suenos des
Francisco de Quevedo Villegas, aber durchaus auf die walisischen Ver-
hältnisse übertragen. Das Volksmärchen ist in Wales weniger gepflegt
worden, doch hat man eine Anzahl Elfenmärchen in kymrischer Sprache
gesammelt, und der ausgezeichnete Silvan Evans hat in seinem 'Ysten
Sioned' hübsche Beiträge zum Folklore des Landes geliefert.
Bibel Das Hauptbuch der Waliser ist die Bibel, deren erste Ausgabe
"°LitI!ato^^ von dem Bischof William Morgan (1547 — 1604) 1588 erschien. Sie wurde
aber durchgehends überarbeitet von Rieh. Parry (1566 — 1623), dem bei
der ersten Ausgabe von 1620 der Grammatiker John Davies (1570 — 1644)
zur Seite stand. Auf dieser beruhen die späteren Drucke. Das schon 1567
herausgegebene Neue Testament von William Salesbury und R. Davies
ist in Vergessenheit geraten, da es in sprachlicher Hinsicht anfechtbar
war. Die kirchliche und religiöse Literatur der Waliser ist umfangreich
imd wird fortdauernd vermehrt. Auch die religiöse Poesie ist unter der
Herrschaft des Methodismus sehr angewachsen, und auf die Singpsalmen
von Edmimd Price sind zahlreiche Hymnenbücher gefolgt, unter denen
die Gedichte von William Williams von Pantycelyn aus der Grafschaft
Carmarthen (1717 — 1791) am höchsten gestellt werden. Allbekannt ist auch
'Die Leuchte der Waliser' {Can'wyll y Cymry) von Rhys Prichard, dem
Vikar von Llandovery, gleichfalls in Carmarthenshire (1579 — 1644); es ist
eine Sammlung erbaulicher Gedichte in der Sprache des Volkes, 'leicht zu
lernen und leicht zu behalten', worin er viel ins Menschenleben hinein-
greift und unablässig zum Guten mahnt.
Literatur,
S. 114. Enw. Lhuyd, Archaeologia Britannica, Oxford 1707; J. G. Evans, die er-
wähnten Kataloge kymrischer Handschriften; W. ROWLAND, die erwähnte kyrnrische BibUo-
graphie (mit Nachträgen in der Revue celtique I. 376 ff. III. 30 ff. 346 ff.). — The M>'v>Tian
Archaiology of Wales coUected out of ancient manuscripts, London 1801 — 1807, 3 voll.
(Neudruck Denbigh 1870 in einem Bande); der Titel bezieht sich auf Glyn y MyvyT in Denbigh-
shire, den Geburtsort des Kürschners Owen JONES (1741 — 1814), der die Kosten der Publi-
kation trug; seine Gehilfen bei der Herausgabe waren Will. Owen (Pughe) und Enw.
WiLLLXMS (lolo Morganwg); lolo Manuscripts. ed. by Taliesin Williams, Llandovery 1848
(Neudruck Liverpool 1888), wie alles von Edw. Williams Ausgehende nur mit Vorsicht
zu benutzen. — Femer die obengenannten Literaturgeschichten von Th. Stephens, Th. Wilkins,
ROB. lOAN Prys und Ch. .Xshton. — Zeitschriften: The Cambrian Register 1796— 1 8x8, 3 voll.;
Y Greal 1805 — 1807; Seren Gomer 1814 ff; The Cambro-Briton 1820—1822, 3 voll.; Trans-
actions of the Cymmrodorion 1822 — 1843, 2 voll.; The Cambrian Quarterly 1830 — 1835, 5 voll.
Y Traethodydd 1845 ^-i Archaeologia Cambrensis 1846 ff. bis zurzeit; The Cambrian Journal
1854—1864, II voll.; Y Brython 1858— 1863, 5 voll.; Y Cymmrodor 1877—1905, 18 voll.;
Transactions of the Cymmrodorion 1892 — 1904, 11 voll.
S. 114. W. F. Skene, The Four ancient Books of Wales containing the Cymric poems
attributed to the Bards of the si.xth Century, Edinburgh 1008, 2 voll. Von den vier Codices
ist der älteste, das Schwarze Buch von CARi\L\RTHEN , von J. G. Evans in Faksimile heraus-
gegeben, Oxford 1888. — Th. Stephens, The Gododin of Aneurin Gwawdr\T)D ed.
Th. PowEL, London ib88.
S. 116. Cyfreithyeu Hywel Dda ac ereill, seu Leges Wallicae ecclesiasticae et civiles,
ed. Gu. WOTTON, Londini 1736; Ancient laws and institutes of Wales, ed. An'EURIN Owen,
184 1, fol. und okt; F. Walter, Das alte Wales, Bonn 1859; J. Rhvs and J. Brynmor -Jones,
The Welsh people, London 1900.
S. 117. The Text of the Mabinogion and other Welsh Tales from the Red Book of
Hergest, ed. J. Rhvs and J. G. Ev.\NS, Oxford 1887. Die erste .Ausgabe mit englischer
Übersetzung von Lady Charl. Guest 1838 — 1849; die zweite mit neuwalisischer Übersetzung
von I. Foulkes, Liverpool 1880; deutsche Übersetzung in den Schriften San-Martes,
französische von J. Loth, Paris 1889. — über die vielerörterte Frage der 'matit^re de
Bretagne' vergl. die abschließenden Bemerkungen H. Zimmers in W. Försters Ausgabe
der Werke Christians von Troves Bd. IV p. CIX ff.
S. 110. Ev. Evans, Some specimens of the poetry of the antient Welsh bards,
London 1764; Edw. Jones, Musical and poetical Relicks of the Welsh Bards, London 1784
(1794). i8o2, 2 voll.
S. 120. W. J. Rees, Lives of the Cambro- British Saints, Llandovery 1853; The Text
of the Book of LIan Dav reproduced from the Gwysaney Manuscript by J. G. Evans, Oxford
1S94 (erste .Ausgabe von W. J. Rees 1840); R. Willia.ms, Sclcctions from the Hcng^^•rt .Mss.
London 1876. 1892, 2 voll.; J. MORRIS JONES and J. Rhvs, The Elucidarium and other tracts
from Llyvyr agk>T Llandewivrewi A. D. 1346, Oxford 1894; The Text of the Bruts from the
Red Book of Hergest, ed. J. Rhvs and J. G. Evans. Oxford i8f)o; The life of Griffith ap
Cynan (Archaeologia Cambrensis lll. XII. .?off., ihöo). — The physicians of Myddvai, trans-
lated by J. Pughe and cd. by J. Williams ab Ithel, Llandovery it6i. — Amis and Amiles,
cd. H. Gaidoz (Revue Celtique IV. 201 ff.).
Di« Kolivk dcs Giohtwart. L h. t. 9
130 Ludwig Christian Stern: Literatur.
S. 121. Barddoniaeth Dafydd ab Gwilvm. O gr}'ngoad Owen Jones a William
Owen, Llundain 1789; die zweite Ausgabe mit unbedeutenden Zusätzen und zahllosen Druck-
fehlem von ROB. Ellis (Cynddelw), Liverpool 1873; eine Auswahl von Owen M. Edwards
(Ab Onven), Llanuwchllyn (1901). Vgl. Prof. Cow^ll, Y Cymmrodor II. loiff.; Annales de
Bretagne IV. 387 ff.
S. 124. Gorchestion beirdd Cymru, o gasgliad Rhys JONES, Amw'>'thig 1773 (zweite
Ausgabe von C\'NDDELW, Caernarfon [1864] und eine dritte); O. JONES, Ceinion Llenyddiaeth
Gymraeg, London s. a. (1876), 2 voll.; J. Fisher, The Cefn Goch Mss.: two mss. of Welsh
poetry, written principally during the XVII th Century, Liverpool 1899 (vielfach gekürzt, ne
contra bonos mores); Gweithiau lolo Goch, ed. Gh. Ashton, Croesoswallt 1893 (vgl. Zeit-
schrift für celt. Philol. II i62ff.); The poetical works of Lewis GhYS Cothi, Oxford 1837.
S. 125. Dosparth Ede\'RN Davod aur; or the ancient Welsh grammar, ed. J. WIL-
LIAMS ab Ithel, Llandovery 1856; Griffith Roberts, A Welsh grammar and other tracts,
Milan 1567, a facsimile reprint , Paris 1883. — J. Loth, La metrique galloise, Paris 1900 — 1902,
3 voll. (vgl. J. Morris Jones in der Zeitschrift f. celt. Philol. IV. 106 ff.).
S. 125. Caniadeu Cymru yn y mesurau rhyddion, gyda rhagymadrodd ar godiad
a datblygiad barddoniaeth rydd yn y Gymraeg, Caerdydd 1905. — W. Lewis Jones,
Caniadau Cymru, Bangor 1897. — GorONWY Owen, The poetical works, with his life and
correspondence, ed. RoB. JONES, London 1876, 2 voll. (Auch Ausgaben in Liverpool und in
Llanuwchlyn.)
S. 127. J. Jones, An essay on Pennillion singing, London 1895; vgl. Annales de
Bretagne IX. 6iiff. ; Jenkyn Thomas, PeniUion telyn, Caernarfon 1894; Transactions of the
Society of Cymmrodorion 1899 — 1900, p. io6ff. — H. H. Vaughan, Welsh proverbs with
English translation, London 1889; Extraits des dictons du sage Cadoc (Revue celtique III.
419 — 442).
S. 128. Ellis Wynne, Gweledigaetheu y Bardd Cwsc, dan olygiaeth J. Morris JONES,
Bangor 1898 (vgl. Zeitschrift f. celt. Philol. III. 165 ff.); Y marchog crwydrad steht in y Brython,
vol. V. — J. Rhy'S, Celtic Folklore, Welsh and Manx, Oxford 1901 (vgl. Zeitschrift f. celt.
Philol. III. 605 ff.).
S. 128. Über die Ausgaben der Canwyll y Cymry s. Y Cymmrodor XIII. iff.
D. DIE KORNISCHE UND DIE BRETONISCHE LITERATUR.
Von
Ludwig Christian Stkkn.
I. Die kornische Literatur.
L Die ältesten Denkmäler der Sprache. Comwall, das schon Äitette
seit dem lo. Jahrhundert zum eng^lischen Könii^reiche gehört, hat seine '-''*^*"'-
keltische Eigenart am frühesten verloren und konnte sich dem Einflüsse
der herrschenden Bevölkerung am wenigsten entziehen. Hier gab es
keine Barden an den Sitzen der Fürsten und Edelmänner, und so sind die
Bergleute und Fischer des rauhen Gebirgslandes geistig arm geblieben.
Indes hat man einige Zeugnisse dafür, daß die Literatur der Cymry auch
nach diesen sprachverwandtesten Nachbarn eine Wirkung ausgeübt hat und
daß sie im Mittelalter nicht ohne alle Kultur gewesen sind. Von den nur
sprachlich bemerkenswerten Aufzeichnungen sehen wir ab, aber Edw.Llwyd
hörte im Lande noch einen Vers in der alten Form des 'Englyn milwr',
und R. Carew erwähnt in seinem Survey of Comwall 1602 das mit solchen
Terzinen vielleicht zusammenhängende 'three man's song, cunningly con-
trived for the ditty, and pleasantly for the note'. Wir haben noch einzelne
Worte aus einer komischen 'Prophetia Ambrosii Merlini de Septem regibus*,
die Johannes Cornubiensis auf den Wunsch des Bischofs Robert von Ox-
ford um II 70 'juxta nostrum britannicum' in lateinische Hexameter über-
trug und kommentierte. Diese aus einer vatikanischen Handschrift von
Greith edierte Weissagnng betrifft die Zeitgeschichte unter Wilhelm dem
Eroberer, seinen vier Söhnen, König Stephan und Heinrich II. Die
kornischen Schriften aus der späteren Zeit sind der armorischen Literatur
näher als der kymrischen verwandt und fast ausschließlich religiös.
Die Korner haben im Ausgange des Mittelalters, noch früher als Thcawr.
die Waliser, die Mysterien gepflegt, und man zeigt im Lande noch die
Rounds, die als Spielplätze [plan an gwarc) oder Amphitheater gedient
haben mögen. Einige Dramen der Art, zu denen die Anregung vielleicht
von der Bretagne ausgegangen ist, sind uns erhalten. Dem i 5. Jahrhundert
gehört eine Mysterien -Trilogie an, deren erstes Stück die ErschatTung der
Welt bis zu König Salomo, das zweite die Passion und das dritte die
Auferstehung des Herrn behandelt. Die biblischen Stoffe haben manche
Zusätze aus den aprokryphen Schriften und aus den Acta Sanclorum er-
halten; man nennt die Schauspiele ihrem Ursprünge aus der kirchlichen
Liturgie gemäß Ordinalia, weil sie wie die Zeremonie der Messe geordnet
9*
132
Ludwig Christian Stern: Die kornische und die bretonische Literatur.
sind. Die Bearbeiter halten sich streng an ihre lateinischen Quellen, sie
lassen das Triviale und Phantastische zu, aber es fehlt Geist und Leben
und jenes komische Element, wodurch die englischen Mysterien aus-
gezeichnet sind. Die Bühnenanweisungen sind lateinisch, und die Verse
und Strophen haben nur noch zum Teil die Merkmale der keltischen Poesie.
Einen hohen Begriff von der kornischen Kunst gibt auch das Leben und
der Tod des heiligen Meriadek nicht, ein in Peniarth aufbewahrtes Drama,
das 1504 der Dominus Nad. ton (?) zur Aufführung in der Stadt Camborne
verfaßt hat. Der Held ist der Bischof Meriadek, der als der Sohn des
bretonischen Herzogs Conan 758 geboren wurde, mit dessen Ge-
schichte aber die des Papstes Silvester und des Kaisers Konstantin sowie
die Legende von der Mutter, die das Jesuskind aus den Armen Marias
nimmt, um ihr eigenes zu erhalten, verwoben sind. Noch jünger ist ein
zum Teil nach dem älteren gearbeitetes Mysterium von der Erschaffung
der Welt bis zur Sintflut, in das Lucifers Fall, Kains Tod, Henochs Ent-
rückung und Seths Weissagung aufgenommen sind. Man besitzt es in
einem Texte, den Will. Jordan von Halston im Jahre 1611 geschrieben
hat, und dazu eine Übersetzung des Korners J. Keigwyn.
Andere Au dicsc religiösen Stücke schließt sich ein erzählendes Gedicht
"^stü^kr über die Passion in 259 achtzeiligen Strophen, das gleichfalls aus dem
15. Jahrhundert stammt. Es hat mit der Erzählung der Evangelien einige
apokr}^phische Zusätze verbunden. Das Kornische hat keine Bibelüber-
setzung, und schon 1534 war das Interesse für die Sprache im Lande so
gering, daß man es ablehnte, die protestantische Liturgie zu übersetzen.
Es finden sich jedoch in kornischer Sprache das Pater, das Credo, die
zehn Gebote und einige Kapitel des Alten und Neuen Testaments.
weitüche n. Reste sonstiger Literatur. Nur wenig ist von sonstiger
kornischer Literatur erhalten, und die Bruchstücke zeigen, daß sie nicht
bedeutend war. Ein Fragment eines Dialogs, vielleicht aus einem Drama,
fand H. Jenner auf der Rückseite einer Urkunde aus dem Anfange des
15. Jahrhunderts. Unter sonstigen Gedichten befindet sich ein Liebeslied
an eine gelbhaarige Schöne, ein Gedicht über den Ehestand von James
Jenkins von Alv ertön (f 17 10) und eins über das Einpökeln von Heringen.
Eine der letzten kornischen Poesieen ist die Elegie E. Llwyds auf Wilhelm
von Oranien von 1702. Man hat noch eine Anzahl einzelner Strophen,
Maximen und Sprichwörter, die die Neigung zu moralisieren bezeugen.
II. Die bretonisclie Literatur.
Die älteste I- Die ältesten Denkmäler der Sprache. Mehrere Jahrhunderte,
Literatur, nachdcm der Auszug der Britannier von Dumnonia im 5. und 6. Jahrhundert
stattgefunden hatte, unterschied sich die Sprache der Armorikaner oder
Letewiccion, d.h. der Bewohner von Litavia ^Küstenland' (^semitacentes' die
undeutlich sprechenden ist eine alte kymrische Deutung des Namens), nicht
bretoniicbe
Uenkmiler.
II, Die bretonische Literatur. I. Die ältesten Denkmäler der Sprache. j^i
erheblich von der komischen und walisischen. Obwohl eine alte Literatur
der Bretonen, aus der noch der Bardenprophet Guinj^lan und der ebenso
mythische Satiriker Riwal genannt werden, nicht erhalten g^eblieben ist,
so ist es doch nicht zweifelhaft, daß es eine gegeben hat und daß sie den
Franzosen die arthurischen Sagen in der ihr eignen Fortbildung vermittelt
hat. Die anglonormannische Dichterin des 12. Jahrhunderts, Marie de France,
sagt zu ihren epischen Gedichten immer wieder: 'Li Bretun en firent un
lai.' Auch aus der poetischen Form der erhaltenen älteren bretonischen
Stücke mit den charakteri.stischen Binnenreimen der mittelkymrischen
Poesie (die Penultima reimt mit der Cäsur oder mit zwei Cäsuren des
Verses) ist zu schließen, daß die alte Metrik den Bretonen niemals ganz
verloren gegangen ist. Indessen ist aus dem Mittelalter außer Namen
und Glossen nichts übrig geblieben; die bretonischen Verse in Maistre
Pathelin gehören zu dem ältesten, was es in der Sprache gibt, und das Catho-
licon des Jehan Lagadeuc von 1464 ist der erste Druck aus dem Jahre 149g.
Man bezeichnet die Sprache des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts als mittelbretonisch, weil 1659 durch den Jesuiten Julien Maunoir
eine neue der Aussprache näher stehende Orthographie eingeführt
wurde.
Die mittelbretonische Literatur behandelt nur religiöse Stoffe und MitteJ-
hat nichts eigentlich Keltisches an sich. Auch hier pflegte man wie in
Comwall die Mysterien, von denen einige in alten Drucken erhalten sind.
Das Leben der heiligen Nonn, der Mutter des walisischen Heiligen Dewi,
ist vielleicht das älteste dieser Dramen, da es ganz nach der lateinischen
Vita gearbeitet ist. Das Mysterium von der Passion und der Auferstehung,
das 1530 erschien, ist nach einem französischen Original verfaßt, und das-
selbe ist von dem Mysterium der heiligen Barbara zu sagen, von dem
man einen Druck von 1557 hat. Hieran schließt sich ein Leben der heiligen
Katharina von 1576, eine Übersetzung aus der Legenda aurea. Die Dramen
kennen wie die kornischen keinerlei Einheit und halten sich streng an ihre
Vorlagen, nur kleinere Rollen von Handwerkern und Knechten werden
gelegentlich eingelegt. Die Kunst der Komposition ist gering und z. B.
in der heiligen Barbara ohne Konsequenz. Von der Roheit des Zeit-
alters zeugt es, wenn der heiligen Nonn vom Könige auf offener Bühne
Gewalt angetan wird.
•Man hat aus älterer Zeit eine Übersetzung der Hören, ein Gedicht
über den Transitus der Jungfrau Maria, ihre 15 Freuden und das Buluz
mabdcn^ die 1575 erschienen; ferner den 'Spiegel des Todes' von 1509,
der 1575 gedruckt wurde; den 'Spiegel der Beichte' von 162 1, der ebenso
wie 'die christliche Lehre' von 1622 aus dem Französischen genommen
ist Dazu kommen die geistlichen Gedichte des Doctrinal ar Christienian
von 1628 und eine Sammlung von Weihnachtsliedern von 1650. Die
religiösen Meditationen des J. Cadec über die Messe von 1651 sind wohl
die letzte Poesie in der alten Versform.
134
LuD\viG Christian Stern: Die kornische und die bretonische Literatur.
Das neuere II. Das 11 eub T 6 tonis ch 6 Theater. Aus den alten Mysterienspielen,
Theater. (jgj.gjj Aufführung in Frankreich schon in der Mitte des i6. Jahrhunderts
aufhörte, ist die eigentliche neubretonische Unterhaltungsliteratur des
i8. bis 19. Jahrhunderts hervorgegangen; aus dem 17. Jahrhundert stammt
nur das Leben des heiligen Antonius. Es war die Blüte des bretonischen
Theaters, an der namentlich die dem französischen benachbarten Gebiete
der Bistümer Vannes, Tr^guier und Saint Brieuc teilhatten. Das Drama
{myster, buhcs, ystoar und zuletzt trajedi genannt) hatte 4 bis 8 Akte und
wurde in 2 bis 3 Tagen aufgeführt, besonders zu Weihnachten, in den
letzten Tagen des Karnevals, zu Ostern und auf den Jahrmärkten. Den
kirchlichen Charakter bewahrte man noch dadurch, daß man es mit dem
Gesänge des Veni creator einleitete.
Die Stoffe der Stücke, von denen nur wenige gedruckt, aber über
hundert in abgenutzten Manuskripten erhalten, sind zunächst biblische
Alten und Neuen Testaments, wie die Erschaffung der Welt bis zum Tode
Noahs, das Leben Jakobs, Moses, Sauls und Davids; das Leben der heiligen
Anna, Johannes des Täufers, die Passion und Auferstehung, Peter und
Paul und der Antichrist mit dem Streite zwischen Seele und Körper.
Zahlreicher noch sind die Vitae der Heiligen, wie Antonius, Alexis, Dio-
nysius, Wilhelm Graf von Poitou, Laurentius und des keltischen Heiligen
Gwennole; auch das Fegefeuer des heiligen Patricius (Louis Ennius) ist
darunter. Eine dritte Gattung ist mehr romantisch, wie Genoveva von
Brabant, Helena von Konstantinopel, die vier Haimonskinder, Karl der
Große und seine Paladine, Orson und Valentin und Huon von Bordeaux.
Diese Dramen sind ausschließlich nach französischen Vorbildern verfaßt,
selbst wenn sie keltische Helden wie Arthur behandeln; die Verfasser waren
meist cloer.) d. h. ehemalige Studierende der Theologie und Schulmeister.
Es fehlt ihnen nicht an Handlung, sie sind spannend, reich an Abenteuern
und Kämpfen; auch die Liebe spielt darin eine Rolle, um über die Tri-
vialitäten und Längen hinwegzuhelfen. Niedere Personen in den Episoden
(wie Diener, Henker, Bettler, Handwerker) haben komische Rollen; aber
die Grandiloquenz mit Maximen und Sprichwörtern herrscht vor, und zu
ihr paßt der Alexandriner, der den Stücken eigen ist und nur mitunter
durch achtsilbige Verse abgelöst wird. Ihr sprachlicher Wert ist bei ihrer
Vorliebe für französische Wörter nicht groß; aber als die letzten Schöpfungen
des mittelalterlichen Theaters, das bei uns nur in Oberammergau noch
künstlich am Leben erhalten wird, sind sie merkwürdig genug.
De la viiie- HI. Balladen und Lieder. Man wußte außerhalb der Niederbretagne
°^d^chte^^ nichts von einer bretonischen Literatur, bis 1839 der Vicomte Th. H. de la
Villemarque (1815 — 1895) ^i^^ Sammlung bretonischer Gedichte mit franzö-
sischer Übersetzung herausgab, die, obwohl aus mündlicher Überlieferung auf-
genommen und mit ihren Melodieen versehen, aus sehr alter Zeit stammen
sollten. Es sind außer lyrischen und einigen religiösen Poesieen namentlich
II. Die bretonische Literatur. II. Das neubrcton. Theater. III. Balladen und Lieder. 135
Balladrn über Stoffe der früheren bretonischen Geschichte, die bis auf die
Zeit der Kreuzzüge, auf Abälard und Heloise, auf Nom«^no^, die Cber-
schwemmung der Stadt Is, ja bis auf Arthur, den Träumer Merlin und das
Druidentum zurückgehen. Aber die Gedichte des Barzaz-Breiz mit ihren
'rimes plates' lassen keine ältere Kunst erkennen und sind im Stile modern.
Gründliche Kenner des bretonischen Volksgesanges wie G. Lejean und
¥. M. Luzel konnten auch leicht nachweisen, daß die Gedichte de la Ville-
marques in der gegebenen Form den Bretonen unbekannt sind, daß einzelne
Verse, auch wohl hier und dort ein Couplet in seinen Balladen, aber niemals
das ganze Stück echt sind. Man braucht nur z. B. die Belagerung von
Guingamp oder die Pest von Elliant mit den später bekannt gewordenen
authentischen Fassungen zu vergleichen. Es sind Gedichte des Herausgebers,
der mitunter eine Anregung aus dem Volksliede empfangen, häufiger aber
aus Büchern geschöpft oder frei erfunden hat. Zur Aufklärung des peinlichen
Verhältnisses ist schließlich bekannt geworden, daß er mit vorzüglichen
Kennern des Bretonischen, wie dem Abbe Henr}' und dem Abbe Gueguen,
zusammengearbeitet hat. Sein Beispiel hat andere verleitet, und J. de
Penguem in Lannion, der nach ihm mit vollkommener bona fides sammelte,
hat sich von weniger gewissenhaften Helfern täuschen lassen. Von diesen
leichten Versuchen ist indes eine Anregung zu ernsteren Leistungen aus-
gegangen wie ehemals in Schottland in einem ähnlichen Falle.
Erst der verdiente F. M. Luzel (1821 — 1895) veranstaltete eine zu- voikiUcder.
verlässige Sammlung der bretonischen Volkslieder, wovon er 1868 die
Balladen {gwcrzioit) und 1890 ff. mit Unterstützung A. Le Braz' die lyrischen
Gedichte {sonioic) veröffentlichte. Erschöpft wurde der Reichtum damit
nicht, andere Sammler haben sich angeschlossen, und vieles verdankt man
den Druckereien in Morlaix. Das Volkslied wird namentlich in Tn^guier
und Goi'lo gepflegt; aus Vannes ist bisher weniger veröffentlicht und die
anderen Gebiete der Bretagne sind ärmer daran. Die Dichter waren vor
allen wieder die dorr von geistlicher Bildung, aber auch Müller, Weber,
Seiler, Holzschuhmacher und Schneider.
Diese Poesie ist nicht alt. Wohl gibt sie ein getreues Bild von den
dcrmaligen Zuständen des bretonischen Volkes, aber sie ist mehr französisch
als keltisch, und von den Wörtern der Sprache sind zwei Fünftel franzö-
sisch. Die Gwcrziou oder Balladen (complaintes) haben selten historische
Stoffe, es sind Dorfgeschichten mit rohen Leidenschaften, Verbrechen und
Gewalttaten jeder Art, und ihre Sühne, tödliche Zweikämpfe, Entführung
und Verführung, Kindesmord, Heiligenlegendcn und Wunder, Erscheinungen,
der Teufel und die Schrecken der Hölle, Beichten und Wallfahrten, Bar-
barei und Aberglauben. Es i.st nicht alles in der Bretagne erdacht, vieles
.stammt aus Frankreich, anderes aus Spanien, auch dekameronische Stoffe
werden behandelt. Ein freundlicheres Aussehen haben die Sonioii oder
lyri.schen Gedichte; unter diesen sind Liebes- und Ehelieder, Handwerker-,
Soldaten- und Matrosenlieder, und neben satirischen auch Kinderlieder,
136 Ludwig Christian Stern: Die komische und die bretonische Literatur,
Weihnachts- und andere erbauliche Lieder. Die poetische Form ist von
der französischen nicht verschieden; in der vierzeiligen Strophe ist die
Wiederholung eines Verses häufig. Die Bretonen lieben den Tanz und
die Musik; die nationalen Instrumente sind der biniou und die bo^nbarde.
Folklore. IV. NeucTe Literatur. Umfangreich ist die Literatur der bre-
tonischen Märchen, die nach E. Souvestre, Dulaurens de la Barre und
Troude namentlich F. M. Luzel und A, Le Braz, meist in französischer
Sprache, nacherzählt haben. Besonders zahlreich sind die Legenden über
die Heiligen und Thaumaturgen, deren Andenken über das ganze Land
zerstreut ist. Auch Seegeschichten sind häufig. Die bretonischen Sprich-
wörter bilden eine stattliche Sammlung. Beschwörungen und Zauber-
sprüche sind bei ihnen weit verbreitet. Zu diesen und anderen Gegen-
ständen des Folklore liefern die Melusine von H. Gaidoz 1876 — 1901 und
die Annales de Bretagne 1886 ff. wertvolle Beiträge.
Neuere Dichter. Wie in dcn anderen keltischen Ländern, so wurde im 19. Jahr-
hundert die Teilnahme für die angestammte Sprache auch in der Bretagne
neu belebt. Eine einheitliche Schriftsprache zu schaffen, ist aber noch
nicht gelungen; denn die Reformation des Grammatikers und Lexiko-
graphen P. Legonidec (1775 — 1838) hat eine Kunstsprache aufgestellt, deren
Purismus die volkstümliche Entwickelung der bretonischen Dialekte wider-
strebt. Indes traten einzelne Dichter hervor, wie Brizeux, Prosper Proux,
N. Quellien, F. M. Luzel u. a. Es wurde auch einiges übersetzt, wie die
Georgica Virgils durch den Abbe Guillome und die Fabeln Lafontaines
von Milin. Die neuen Dichter haben eigentlich bretonische Themata be-
handelt, die erhabene Natur, die harte Landarbeit, die gefahrenvolle See-
fahrt und vor allem die Heimat; auch fehlt es nicht an Liebesliedern.
Der Charakter der bretonischen Kunstpoesie ist mehr ernst als heiter,
er ist häufig melancholisch. Unter den Neueren zeichnet sich der talent-
volle F. Jaffrennou (Taldir) aus.
Bibel Nirgends scheint die Kirche größere Macht über die Bevölkerung
und ReUgioses. ^^ haben als in der Bretagne. So eifrig und allgemein ist der Kultus
der Heiligen, so zahlreich sind die Sanktuarien, Oratorien und Wallfahrten
ipardons). Im katholischen Lande nimmt die Frömmigkeit andere Formen
an als im protestantischen. Legonidec hat seine Landsleute mit einer
Übersetzung der Bibel in seinen Dialekt von Leon beschenkt, die von
Troude und Milin revidiert wurde; das Neue Testament erschien 1827,
das Alte 1866. Einzelne Teile des Neuen Testaments hat A. Torrien in
andere Dialekte übertragen und eine Bibel im Dialekt von Treguier, von
dem Kalvinisten Le Coat übersetzt, ist 1897 in London gedruckt. Aber
Leser werden diese Bücher wenige gefunden haben. Denn die ganze
Bibliothek des Bretonen besteht, wie man sagt, in dem Leben der
Heiligen, den Hören und dem Almanach des Nostradamus.
Literatur.
I. Die kornische Literatur.
S. 131. C. Greith, Spicilcgium \'aticanum, Frauenfeld i8;,8.
S. 131. The ancient Comish drama, ed. Edw. Norris, O.xford 1859, 2 voll.; The
life of Saint Meriasek, ed. Wh. Stokes, London 1872: The creation of the world, a Comish
mystery, ed. Wh. Stokes, London 1864 (die erste Ausgabe von D. Gilbert 1827).
S. 132. Pascon agan arluth. The passion of our Lord, ed. W. S. , Berlin 1862 (die
erste Ausgabe von D. Gilbert 182O).
S. 132. W. Pryce, Archaeologia CornuBritannica, Sherbome 1790.
II. Die bretonische Literatur.
S. 133. Über das Bretonische in der Farce von Maistre Pathelin s. Revue cel-
tique IV. 450. V. 225. XVI. 192 ff.
S. 133. Sionnett et Legonidec, Bxihez Santez N<ynn, Paris 1837 (Neuausgabe von
E. Ernal'LT, Revue celtique VIII. 280 ff. 405; ff.); H. DE LA ViLLEMARQUt, Le grand myst^re
de Jesus, Paris 1805; E. Ern.\ult, Le mystöre de Sainte Barbe, Paris 1S88; Wh. Stores,
Middle Breton Hours etc., Calcutta 1876; H. DE LA Villem.\rqu£ , Pommes bretons du moyen
äge, Paris 1879; Anciens nocls bretons, in der Revue celtique X — XII wieder abgedruckt;
Les cantiques bretons du Doctrinal, im Archiv f. celt. Philol. I. 213. 360. 556; J. Cadec in
der Revue celtique XX. 56 ff.
S. 134. A. Le Br.\z, Le theätre celtique, Paris 1905; vgl. Revue celtique V\ 314— 332;
— Sainte Trj-phine et le roi Arthur, ed. F. M. LuzEL, Quimperle 1863 (der Text ist vom
Abb^ Henr>- vielfach geändert); La vie de Saint Gwennole, ed. F. M. LuzEL, Quimper 1889
(über eine andere Bearbeitung s. P. DE Nestour, Revue celtique XV. 248 ff.; auch kennt
man eine mittelbretonische von 1580); La creation du monde, ed. E. Bernard, in der Revue
celtique IX. 149. 322. X. 192. 416. XI 254; Cognomerus et Sainte Trefine, ed. A. Le Braz,
Paris 1904; Saint Crepin et Saint Crdpinien, ed. V. TOURNEUR (Revue celtique XXV). In
Vannes wurde 1745 ^'^ Dreikönigespiel und neuerdings ein Passionspiel von 1787 gedruckt.
S. 134. Th. de LA Villemarqu^, Barzas-Breiz, Chants populaires de la Bretagne
recueillis et pubüds, Paris 1839, 2 voll.; vermehrte Ausgaben 1845. 1867.
S. 135. Giverziou Breiz-Izel, Chants populaires de la Basse - Bretagne recueillis et
traduits par F. M. LuzEL, Lorient 1868. 1874, 2 voll. ; Soniou Breiz-Izel, Chansons popu-
laires de la Basse - Bretagne recueillies et traduites par F. M. LuzEL avec la collaboration
de A. Le Br.\z, Paris 1890, 2 voll.; N. Quellien, Chansons et danses des Bretons, Paris 18JS9.
S. 130. F. M. LuZEL, Contes bretons recueillis et traduits, Quimperlti 1870; Legendes
chrdtiennes de la Basse -Bretagne, Paris 1881, 2 voll.; Contes populaires de la Basse-Bretagne,
Paris 1887, 3 voll; A. Le Br.\z, Vieilles histoires du pays breton, Paris 1897, — Brizeux,
Fumtz Breiz, Sagesse de Bretagne, Lorient 1855; F. L. Sauv^, Proverbes et dictons de la
Basse-Bretagne, Paris 1878. Vgl. die bretonische Bibliographie von H. Gaidoz und P. StBiLi.OT
(Revue celtique V. 277—338).
S. 136. Barzaz Taldir ab Herninn. Les po^mes de Taldir, Texte breton et traduction
fran^aise, Paris 1903.
DIE ROMANISCHEN LITERATUREN.
Von
Heinrich Morf.
Die Entstehung Einleitung. Das römische Reich war mit Kaiser Septimius Severus
der Romania. ^j. ^u^j auf der Höhc scincr territorialen Entwickelung angelangt. Die
Reichssprache, das Latein, erklang von Schottland bis Nordafrika und
Ägypten; von Portugal bis an die Küsten des Schwarzen Meeres und
Mesopotamien. Rhein und Donau bildeten längst nicht mehr die Grenze
gegen Germanien und Sarmatien. Der römische Limes durchquerte von
Neuwied bis Regensburg germanisches Land und an der unteren Donau
dehnte seit 107 sich weithin nach Norden die Provinz Dacia.
Die römische Kultur führte auf diesem ganzen weiten Gebiete die
lateinische Gemeinsprache dem Siege über die bunten einheimischen Idiome
entgegen. Nur wo sie mit dem Hellenentum zusammentraf, lag ihr die
Anerkennung der alten Überlegenheit griechischer Bildung und Sprache
im Blute. Auf der Balkanhalbinsel schieden sich die beiden Sprachen:
in Makedonien und südlich des Hämus überwog griechisches Wesen. Nur
langsam latinisierte sich das Land zwischen Donau, Adria und Alpen.
Doch aus Spanien, Afrika, Gallien blühte im 2. Jahrhundert lateinisches
literarisches Leben, dessen Schöpfungen sich mit den zeitgenössischen in
Italien messen konnten. Es bereitete sich in diesen Ländern ein eigenes
römisches Volkstum vor.
Septimius' Nachfolger Caracalla erteilte das römische Bürgerrecht an
alle freien Provinzialen (212). Er gab dadurch dem Völkerchaos des
Reiches eine künstliche Einheit und grenzte den zivilisierten Erdenrund
gegen die Barbaren ab. An Stelle der Urbs trat der Orbis und neben
dem Römer erhob sich der Romane. Caracallas Edikt inauguriert die
Auflösung Roms im Völkerkonglomerat der Romanitas. Die Fortschritte
des Christentums begünstigten, sein Triumph besiegelte die Auflösung des
nationalen Staates in ein chaotisches Weltreich und schuf provinzielle
lateinische Literaturen.
Über dem Kampf mit inneren vSchwierigkeiten und der Abwehr der
äußeren Feinde bereitet sich das Auseinanderbrechen des Länderkolosses
in eine griechische Pai)Liavia und eine lateinische Romania vor. Längst
warfen die vom Osten und Norden andrängenden Barbaren ihre Völker-
wellen über die Grenzen des Reiches. Dacien ging schon unter Aurelian
Einleitung. I^g
(274) der römischen Kultur verloren. Andere periphere Gebiete folgten.
Das Gebäude der Romania erzitterte in seinen Grundfesten, wankte und
stürzte im 5. Jahrhundert unter den Streichen jener Germanen zusammen,
die Augustinus illos Romaniae eversores nennt
Diese Eroberer, Stammesindividualisten, waren sich der Einheitlichkeit
ihres Volkstums nicht bewußt. Sie nannten sich nach ihren Stämmen
Goten, Franken, Langobarden usw., und nur der feindliche Romane faßte
sie unter dem weiteren Namen der Barbaren, d. i. Fremden, zusammen.
Sie aber bezeichneten den Romanen mit einem keltischen Lehnwort als
Welschen (Walha).
Die Barbaren beschnitten und zerstückten das Reich der Welscheru
Britannien blieb den Kelten und Angelsachsen überlassen und büßte
seine römische Kultur ein. Versprengte Inselsekten kamen über den
Kanal und besetzten die gallische Armorika, wo ihr Keltentum sich bis
heute erhalten hat (La Bretagne). Auf der ganzen Donaulinie, von Rätien
bis nach Illyrien und Mösien wich der Römer vor dem Ansturm der
Barbaren zurück.
Über die Balkanhalbinsel ergoß sich ums Jahr 600 eine slawische
Völkerflut, die das illyrische Romanentum zerriß und verschwemmte und
damit auch das Band zwischen der westlichen und östlichen Romania zer-
störte. Aus dem Kernland dieses östlichen Römertums, aus Sirmium und
Moesia Superior (Serbien) wanderte später die Bevölkerung nordöstlich über
die Donau ins alte Dacien: die heutigen Welschen Rumäniens, Sieben-
bürgens und Bessarabicns. Andere zersprengte Reste dieses Balkanroma-
nischen (Rumänischen) finden sich noch in Makedonien, Albanien, Griechen-
land und Lstrien. Stetig ist im Lauf der Jahrhunderte vor dem Slawen-
und dem Germanentum das Romanische Dalmatiens und Rätiens zurück-
gegangen und vor unseren Augen vollzieht sich jetzt sein Untergang an
der Adria und in den Tälern Graubündens und Tirols. Literarisch haben
diese Trümmer der östlichen Romania wenig Bedeutung.
Die literarische Bedeutung des Welschtums beruht ganz auf We st-
röm an ia, wo sich in Italien, Gallien, Spanien, Afrika selbständige
Germanenreiche erhoben. Das afrikanische der V^andalen fiel freilich nach
kurzer Zeit dem griechischen Ostrom zur Beute und um 650 fegte der
Sturm der muselmännischen Eroberung afrikanisches Romanentum und
Christentum gleichzeitig weg. Die übrigen germanischen Sieger, Häretiker
oder Heiden, fielen dem orthodoxen Bekenntnis zu: zuerst die heidnischen
Franken (um 500), dann 100 Jahre später die arianischen Langobarden
und Westgoten. Erst diese konfessionelle Assimilierung ermöglichte und
sie beschleunigte auch die Auflösung des germanischen Volkstums in der
romanischen Völkerflut der drei Länder jenseits des Rhein.s, der Alpen
und der Pyrenäen. Nur am entvölkerten linken Rheinufer und im mittleren
Helvetien war die römische Kultur nicht stark genug, um siegreich zu
sein. Der Rhein ward germanisch.
140
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
So blieb das zerstückte Gewebe der westlichen Romania lateinisch
und katholisch, trotz des g'ermanischen Einschlags. An die Stelle des
politischen Verbandes der Romania trat der ideelle Verband der Civitas
Dei, an deren Spitze wieder Rom stand, Rom mit seinem Bischof, die
heilige Stadt Diese Romania hat, wie die alte, ihren Schwerpunkt im
südlichen Europa: das Welschland ist eine südliche Welt, der Germanien
als das Land des Nordens erscheint.
Die Empfindungen, welche die ersten Berührungen bei Welschen und
Germanen weckten, haben die Jahrhunderte überdauert. Der Germane
erschien jenem als der rauhe gierige Sohn eines unwirtlichen Landes, als
ungebildet und von schwerfalligem Ernste. Der Name Barbar schallt ihm
aus der welschen Literatur eines Jahrtausends entgegen. Schiller und
Goethe sind für den Franzosen des ho-nimes du nord; von Lavater sagt
Mirabeau, daß er „im eisigen Norden die Phantasie eines Südländers"
besitze und V. Hugo begrüßt 1838 den Rhein als „den großen Graben,
der den Süden vom Norden scheidet". Andererseits empfand der Germane
am Romanen einen Mangel an Ernst und Tiefe und warf ihm schon damals
Frivolität und Sittenlosigkeit vor. „Toren sind die Welschen" heißt es in
einem bayrischen Schulbuche des 9. Jahrhunderts, und der Langobarde
Liutprand erklärt wenig später, daß die Germanen das Wort: Welscher!
als Schimpfwort brauchen, das alle sittliche Entrüstung in sich schließe.
Seit die Herrschaft der Langobarden in Italien, die der Westgoten in
Hispanien, die der Franken in Gallien sich dauernd befestigt; seit die
Sieger ihr Recht (Leges Barbarorum) in einem Latein kodifiziert haben,
das auch seinerseits den Untergang der hochlateinischen Tradition bezeugt;
seit hochstehende Romanen die Interessen der rechtgläubigen Barbaren-
fürsten vertreten und das römische Nationalgefühl mit der antiken Bildung
geschwunden — seit dieser Zeit, dem Übergang vom 6. zum 7. Jahrhundert,
darf man von neuen romanischen Völkergebilden, Italienern, Franzosen,
Spaniern, sprechen, obwohl die Namen erst viel später ihren heutigen natio-
nalen Inhalt bekommen. In dieser neuen Verbindung weicht allmählich
das germanische Wort der Übermacht der einheimischen romanischen
Rede; nirgends hat es nachweislich das Jahr 900 überdauert. Die Krieger
Karls des Kahlen verstanden 842 nur noch französisch.
Nordfrankreich. Am nachhaltigsten war die Wirkung des germanischen Ferments in
Nordgallien, dem merowingischen Neustrien zwischen Maas und Loire, dem
Sitz jener Frankenherrschaft (Francia), die unter den Karolingern die
führende Macht des christlichen Abendlandes ward und die Ungläubigen
(Sarazenen), die Heiden (Sachsen) und die antipäpstlichen Langobarden
überwand. Hier entwickelten sich am frühesten und kräftigsten Feudalismus
und Rittertum. Dieses Neustrien erfuhr im Anfang des 10. Jahrhunderts
eine neue stürmische Germanisierung durch die Normannen, die sich in-
dessen rasch französierten und dann mit kraftvoller Hand England und
Süditalien (seit 1060) sich eroberten und so das von den Römern einst
Einleitun{(. i«!
aufjjfegobeno Hritannion von neuem romanisierten und Süditalicn von d«*n
ByzantintTn und Arabern tlir iVw Roniania /.urückpo\vann«'n. Diese Nor-
mannen wurden die kühnsten und märhtij^-sten Agenten des Welschtums
und ihre wunderbaren Siegeszüge reihten sich an die glorreichen Heer-
fahrten der Franken. Francia war die politische Vormacht der Romania.
Sie inaugurierte auch jene große politische Manifestation der Civitas Dei:
die Kreuz/üge.
In Südgallien haben Hurgunder und Westgoten weniger Spuren des Südfr»»kniich.
Germanentums zurückgelassen als die Franken im Norden, Im I^ande der
Provinciales — so wurde um iioo einerseits im engeren Sinne das Gebiet
zwischen Alpen und Rhone {/a Provence)^ andererseits aber der ganze
Süden genannt — mit seiner älteren und tieferen römischen Kultur war der
Germane widerstandsloser als im Lande der Francigena». Die kriegerische
Seite des Feudalismus bildete sich weniger aus. Das römische Erbrecht
blieb bestehen und sicherte den Frauen Lehensbesitz und Herrschaftsrechte :
an der vSpitze provenzalischer Fürstenhöfe stehen frühe auch Frauen, Ein
großer Teil dieses welschen Kemlandes, von der Rhonemündung bis über
den Jura hinaus, gehörte als Königreich Burgund jahrhundertelang
(ii. — 14. Jahrhundert) zum deutschen Imperium und bildete eine breite
Brücke, die aus dem Herzen der Romania in deutsche Lande führte. Die
Entwickelung dieses Südens ist überhaupt weniger einheitlich und weist
kräftige munizipale und partikularistische Züge auf (die Ketzerei der Albi-
genser\ die ihn politisch schwächten und zur Beute des Nordens machten.
Auch in Italien drang der germanische Einfluß nur in geringe Tiefe, itah«..
In Süditalien herrschte ohnedies Griechen- und Sarazenentum, Wohl
wurde „Lombardo" zur Bezeichnung des Italieners; wohl rief's wie ein
Echo der Zeit der Völkerwanderung germanische Könige nach Italien —
an der starken wenn auch latenten römischen Tradition dieses I^indes,
dessen Baudenkmäler sein Römertum jedem Auge dokumentierten, scheiterte
das germanische Wesen. Die Kultur des Feudalstaates vermochte sich
nicht durchzusetzen; die Feudalmonarchie des Südens war dekorativer
Import der französischen Normannen, Dazu verlegten die Herrschafts-
ansprüche des Papstes und das Phantom des römischen Kaisertums den
Weg zur Entwickelung eines starken nationalen Staatswesens mit gemein-
samen großen Gedanken und drängten das Land in die Bahnen städtischer
Kultur. In den Städten aber entwickelte sich der moderne Geist An
ihrem rationalistischen Laientum fand der Enthusiasmus für die CiviUus Dei
eine Schranke. An den Kreuzzügen beteiligten sich die Italiener als
rechnende Handelsherren. Ihre Ablehnung feudaler Lebensführung fiel
dem Nordländer auf und trug ihnen Schimpf und Spott als Krämer und
Feiglinge ein. So nahmen sie am Kulturleben des Mittelalters verhältni.s-
mäßig geringen Anteil und machten Frankreich die Führerrolle nicht streitig.
Ebensowenig tat dies Hi-spanien, wo die Araber schon im Anfang des
8. Jahrhunderts der morschen Gotenherrschaft ein jähes Ende bereiteten und
112 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen-
im Sturme das ganze Reich bis an den Fuß der asturischen Berge unter-
warfen. Die Rückeroberung {la Rcconquista) erfüllt sieben Jahrhunderte
der spanischen Geschichte und erfolgte unter lebhafter militärischer und
kultureller Beteiligung Frankreichs in parallelen Vorstößen von der ganzen
nördlichen Basis des Landes aus. Von hier aus entstanden jene König-
reiche von Galizien, Leon und Kastilien, von Navarra und Aragon. Das
letztere verwuchs mit jener spanischen Mark (Grafschaft von Barcelona),
die mit Kolonisten aus dem angrenzenden einst gotischen Frankreich
(Septimanien) gebildet worden war und sprachlich und kulturell eine Ver-
längerung Südfrankreichs auf hispanischem Boden darstellt (Katalonien und
Valencia). So entstand in Spanien im Ringen mit dem sarazenischen
Gegner, eine eigenartige vom Glaubenseifer geführte romanische Kultur,
in der die Erinnerung an das alte Gotentum lebendiger blieb als in der
übrigen Romania: der Spanier will von gotischem Adel sein. Die geo-
graphische Lage des Landes wie seine Bodengestaltung begünstigten die
kulturelle Isolierung.
Von Byzanz und den Arabern im Süden ernstlich gefährdet, war die
Romania im 8. Jahrhundert auf ihrem territorialen Tiefstand angekommen:
nur Frankreich war noch intakt. Unter der Führung der Francia erhob
sie sich wieder und wuchs sogar über ihre alten Grenzen hinaus. Das
neu erworbene England (Anglonormannien) vermochte sie aber nur
während zwei, allerdings fruchtbaren Jahrhunderten zu behaupten.
Die heuHge Seit dem Verluste Englands und der Wiedereroberung Spaniens ist
Romania. ^^ Wclschlaud innerhalb seiner alten Marken geblieben. Rheinwärts hat
sich seine Ostgrenze nur unwesentlich verschoben, wobei Einbuße und
Gewinn, von Flandern bis hinauf zur Schweiz, sich die Wage halten.
Gegenwärtig aber wird das einst römische Nordafrika wieder romanisiert
und entwickelt sich das Mittelmeer zur welschen Binnensee. Der gewaltige
Länderzuwachs, den die Romania im neuen Kontinent, von Kanada bis
Argentinien erfahren, hat vorläufig mehr ihren literarischen Markt erweitert
als ihre literarische Bedeutung erhöht. —
Die romanischen Lange kleideten sich die romanischen Sprachen, die sich aus der
Sprachen, lateinischen Reichs Verkehrssprache in Frankreich, ItaHen und Spanien auf
der Basis der verschiedenen ethnischen Substrate (Akzente) entwickelt
hatten, ins Schriftgewand des Hochlatein. Fast vierhundert Jahre vergehen
nach dem Sturz des Reiches, bis wir dem ersten bescheidenen Versuch
begegnen, zusammenhängende romanische Rede als solche lautgerecht auf-
zuzeichnen: dem französischen Texte der Eide, den zwei Söhne Ludwigs
des Frommen 842 sich zu Straßburg schworen. Es ist wohl nicht bloß der
Zufall der ÜberHeferung, der uns hier wieder Frankreich, und zwar mit
einem politischen Dokument, an der Spitze der Romania zeigt, der Italien
dann mit einer Privaturkunde (960) folgen läßt und erst nochmals zwei-
hundert Jahre später Spanien mit einem asturischen Stadtrecht {Fuero)
anschließt.
A. Krankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. I^t
In dieser Reihenfolge treten die drei Länder auch in die Literatur
ein: Frankreich führt Hterarisch die Romania an und beherrscht ihr mittel,
alterliches Schrifttum. Dann erhebt sich mitten aus politischer Kmiedrigunj^
Italiens frondierender Geist zur Hegemonie der Renaissance. Und in-
zwischen gedeiht Spaniens literarische Eigenart zu köstlicher Reife.
A. Frankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts.
Auch literarisch scheidet sich das mittelalterliche Frankreich in Nord
und Süd, Francia und Provincia. Innerhalb des Nordens ist es wieder das
Gebiet des alten merowingischen Xeustrien (d.h. die Landschaften Picardie,
Champagne, Ile-de-France und Xormandie), das die führende Rolle spielt
Und im Süden dominiert das Gebiet der alten Provincia romana (Rhonetal
und Languedoc). Diese beiden literarischen Kemlandschaften Frankreichs
entsprechen die eine dem ältesten Sitze der römischen Kultur, die andere
der Zone der stärksten germanischen Invasion. Diese beiden physischen
und geistigen Extreme des Landes sind die Brennpunkte seines literarischen
Lebens geworden: Nord und Süd! Aus der ungleichen Erde und dem un-
gleichen Volkstum der beiden Gebiete erwuchs ungleiches Schrifttum, ein
episches dort, ein lyrisches hier — zwei verschiedene, aber stolze Bäume,
deren vereinigte üppige Kronen das Abendland beschatten und mit Blüten
und Früchten überschütten.
Was nach dem Sturm der Völkerwanderung, in vorliterarischer Zeit r>ir Voik«.
in Frankreich gesungen wurde, ist unaufgezeichnet verklungen. Daß das •j»"'»'-
Volk auch damals nicht stumm war, ist gewiß. Es sang bei eintöniger
Arbeit und bei der Erholung; es erzählte und ließ sich vorspielen. Wir
haben dafür zeitgenössische — lobende oder tadelnde — Zeugnisse, und
wir sehen seit dem 11. Jahrhundert in Frankreich eine Kunstdichtung uns
entgegentreten, die auf volkstümlicher Basis erwachsen ist Denn zwischen
Volkslied und Kunstlyrik besteht ein unabliussiges Hin und Her: bald dient
der Kunstdichtung eine bescheidene populäre \'orlage zum Ausgangspunkt
verfeinernder oder spöttischer Variationen; bald findet das aristokratische
Gedicht beim Volke Anklang und wird in seinem Munde zersungen.
Ein alter Chronist überliefert uns in lateinischer Umschrift Anfang und
Schluß eines romanischen Geschichtsliedes {Chanson dltistoirc) aus dem
7. Jahrhundert, das eine Episode eines sagenhaften Sachsenkrieges feiert,
und das, wie er sagt, die Weiber zum Tanze sangen (Faro-Lied). Solche
historische Lieder in romanhafter Gestaltung, mit welchen die Frauen
Arbeit und Tanz begleiteten, sind uns sonst erst aus dem \z. Jahrhundert
erhalten. Sie sind nach Form und Geist von den Romanzen, die da.s Volk
heute singt, nicht unerheblich verschieden.
Der Tanz scheint im alten Frankreich ursprünglich ausschließlich ein
1* rauen vergnügen gewesen zu sein; ein Frauenreigen, der zu Liedern auf-
144
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
geführt wurde. Erst in den späteren höfischen Kreisen, welche diesen
Liederreigen als gesellige Unterhaltung aufnahmen, nahm auch der Mann
daran teil. Ein Zentrum dieses volkstümlichen Reigens bildete das alte
Maifest, dessen Freiheit in jenen ausgelassenen, vielfach gattenfeindlichen
Frauentanzliedem sich aussprach, die den Tadel der Kirche erregten. Ihr
traditionelles Thema, Frühling und Liebe, ging später auch in die höfische
Dichtung über: in die elegante Chanson und in die scherzende Pastourelle
von der spröden oder gefälligen Dorfschönen.
Spottverse erklangen auch damals, und das Berufslied des Soldaten,
mit welchem schon der römische Legionär dem Cäsar Preis und Spott sang
lebte weiter im Lied des mittelalterlichen Kriegsknechtes {provenz. Sirven)
und trat als ungebundener Sirventes (Rügelied) in die Literatur ein. Nach
dem Berufslied des Nachtwächters wurde das höfische Taglied {A/da), das
die Liebenden mahnt, gebildet.
Nicht verstummte seit den Tagen der Kirchenväter die geistliche In-
vektive gegen den Mimus, den Maitre de plaisir der alten Welt, der sich
mit den Trümmern seiner antiken Schaubühne in die romanische Welt
herübergerettet hatte. Nachdem mit dem politischen und wirtschaftlichen
Zusammenbruch des römischen Reiches die wohlhabende Gesellschaft und
die mächtigen Kulturzentren verschwunden waren, die das große realistische
Drama mit seinen Schauspielertruppen trugen und ernährten, verfiel auch
das römische Schauspielhaus, verschwand das Drama, und die Truppen
zerbröckelten und zersplitterten sich. Der bisher vergesellschaftete Mimus
zog wieder allein oder von seiner Mima begleitet durch die barbarisch
gewordene Welt als ein Fahrender, der durch alle weltlichen Künste,
Musik, Gesang, Schwank und Gaukelspiel, Kurzweil schaffte. Der Nähr-
boden für seine kostspielige Vergesellschaftung war geschwunden, und da-
mit machte der dramatische Großbetrieb wieder dem Einzelbetrieb mit
seiner Unsicherheit und seinem Kleinkram, und der Name Mimus der Be-
nenmmg Joculator {Jongleur) Platz. Als Joculator scenicus ist er der
Träger jenes komischen Theaters, das, obwohl ungeschrieben, in der
Romania durch all die Jahrhunderte bestanden hat. Es scheint sich
wesentlich mit Einzelspiel begnügt zu haben, ein „Solisten "-Theater ge-
wesen zu sein. Aus den Streitreden {Rioies, Debats) dieser Jongleurbühne,
denen Kleriker Schulreminiszenzen aus der antiken Literatur zuführten, hat
sich das höfische Streitgedicht (prov. Tenso) entwickelt, das dann in die
bestimmte Form eines literarischen Kampfspiels (Turnier) gegossen wurde
und dessen Namen {Jeu parti) bekam.
L Frankreichs Hegemonie (ii. — 13. Jahrhundert). Von einem
mächtigen nordfranzösischen Grafen des 12. Jahrhunderts, Baudouin de
Guines, der freilich weder lesen noch schreiben konnte, trotzdem aber
lebhafte geistige Interessen hatte und ein Mittelpunkt kirchlichen und pro-
fanen Lebens war, berichtet ein zeitgenössischer Chronist, daß er es den
, LAam,
A. Frankreich bis xum Ende des 15. Jahrhunderts. I. Frankreichs Hegemonie. 145
besten Spielleuten gleichtat in den cantilenis gestatoriis {Chansons de gesU),
den oventuri-s nobilium [Romdns (favenfurfs) und den fabelli.s ignobilium
{Fabliiiu.x). Das sind die drei Hauptformen der franzü.si.schen erzählenden
Profandichtung: das Heldenepos, der Abenteuer- und Minneroman und der
Schwank.
I. Das Heidonepos. Das französische Heldenepos ist historisch und
aus christlicher Zeit. Es beruht auf der nationalen Geschichte eines halben
Jahrtausends, von der Gründung der fränkischen Monarchie bis auf Hugo r"/'A
Capet: Merowingerzeit, Glanz und Verfall der karolingischen Epoche. Es
erhob sich aus und neben den historischen Volksliedern, welche rasch am
Wege entstehen und auch rasch welken, wenn der Zug der Ereignisse
vorüber ist Dieses Epos ist uns in reichen, wenn auch späteren Über-
resten erhalten geblieben und läuft der geschriebenen Chronik {Gtsfc) und
der späteren lateinischen Dichtung parallel, mit welchen es mannigfache
Wechselbeziehungen verknüpfen. Mythische Züge finden sich in dieser
Epik wenig. Fremde ältere SagenstofFe haben sich darin dem forschenden
Auge erst spärlich enthüllt. Was an erkennbaren Resten von Merowinger-
erinnerungen sich darin erhalten hat, ist gering. Und da von den drei
Jahrhunderten karolingischer Herrschaft die Zeit Karls des Grroßen die
glänzendste war, so wird sie ins Zentrum der epischen Überlieferung ge-
rückt. Auf Kosten der geschichtlichen Wahrheit, der Chronologie und
der Topographie wird eine künstliche Einheit in der Person des großen
Kaisers geschaffen und das französische Heldenepos zum Karlsepos
gebildet.
Das germanisch gebliebene Austrasien hat eine Karlsepik nicht her-
vorgebracht Das Christentum hatte schon ihre Grundlage, die heidnisch-
germanische Epik, zum voraus lädiert. Dasselbe Christentum hat im ro-
manischen Xeustrien das französische Epos hervorgerufen. Die Xormannen-
schlacht von Saucourt (881) führte zu einem französischen Epos (vom Recken
Isembart); im deutschen blieb es beim historischen Lied (Ludwigslied).
Die Entstehung dieses Epos entzieht sich unserem Blick. Wir können
nicht mehr erkennen, wie und wann sich aus Lied und Sage dies Epos
gelöst hat, das uns erst in der Form entgegentritt, welche die Diaskeuasten
des II. — 13. Jahrhunderts ihm gaben. Doch scheint seine eigentliche
Bildungszeit das g. und das 10. Jahrhundert zu sein, die mit dem
Verfall der Karolingermacht den Feudalismus gezeitigt haben. Und es
scheint, als erhöbe sich das französische Epos auf den Trümmern der ver-
stummenden germanischen Dichtung. Das jedenfalls sehen wir, daß der
Anstoß zur romanischen Epenbildung von den Germanen kam: der epische
Geist des jugendlichen Volkes, unter dessen Führung die neue Völker-
gemeinschaft stand, schuf sie. Germanisch, feudalistisch sind die In.stitutionen,
ist Recht und Sitte: germanisch sind die Xamen der schwergerüsteten
Helden (Barone) dieses romanischen Epos. Aus dem Geiste dieser adeligen
Kriegerkaste (Ritter) ist es geboren, als ein ständisches Lied, ob nun der
Pn Kn.Tvm om Gbockwart. Lii. t. 10
14.6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Poet, den dieser Geist getrieben, selbst ein Baron oder ein kriegerischer
Clerc (d. h. Akademiker) gewesen.
Die Chansons de geste sind eine aristokratische Poesie, für den Krieger
verfaßt und gesungen. Die Rolle des Weibes ist bescheiden, ob zart oder
roh. Gelegentlich ist es ein Streitobjekt, so gut wie ein Lehen oder ein
Pferd. Frauendienst fehlt. Der Held minnt nicht, aber weibliches Ver-
langen giert oft nach seiner hohen Gestalt. Im Heldenepos herrscht der Mann.
Dieser Mann ist ein Glaubensstreiter. Die Kriege des Epos sind Re-
ligionskriege. Wohl werden auch Kämpfe besungen, die um verweigerten
Vasallengehorsam oder um bestrittene Lehen mit dem kaiserlichen Herrn (die
Haimonskinder mit Renaut de Montauban; Ogier; Huon; Girart de Vienne)
oder zwischen einzelnen feudalen Familien (Lothringerepos) geführt werden
— aber der Hauptkampf, um den sich die übrigen gruppieren und in wel-
chen sie meist ausmünden, ist der gemeinsame Kampf um das große Lehen,
das der Kaiser und König Karl von Gott verliehen bekommen hat: um
die do7ice Fraticc, die von Sarazenen, Wickingern, Sachsen, Slawen be-
droht ist. Das Epos feiert diesen jahrhundertelangen Kampf, den das christ-
liche Abendland unter fränkischer Hegemonie gegen Ungläubige und Heiden
stritt, als einen nationalen französischen Krieg, den der französische Kaiser
Karl mit Hilfe Gottes und seiner Frangais de France zu siegreichem Ende
bringt. Das Stoßgebet des sterbenden Roland: Vater im Himmel, laß über
Frankreich keine Schande kommen! ist das Motto. Zu Hunderttausenden
werden die Feinde erschlagen oder getauft, und die Seele der gefallenen
französischen Helden nehmen die Engel des Himmels in Empfang. Fromm
ist alles Ende, auch das des rebellischen Vasalls: der Recke Renaut stirbt
als simpler Steinträger beim Bau des Kölner Doms. So bildet die kirch-
liche Idee einen integrierenden Bestandteil der nationalen.
Die Form dieser Gedichte ist einfach. Die Verse sind durch Gleich-
klang des Zeilenschlusses zu ungleich großen einreimigen Gruppen {Laisse)
verbunden und schreiten in wuchtigem Takte daher. Die versweise sich
wiederholende einfache Melodie und der rezitative Vortrag mit Begleitung
eines Saiteninstrumentes entspricht der schlichten Kunstlosigkeit dieses
Baues. Von Kehrreim {Refrain) finden sich nur Spuren.
Dieses kriegerische Epos, das vom Leben des Friedens nichts weiß und
dessen arbeitsames Volk {Vilains und Bourgeois) mißachtet, trat auf den
Lippen des berufsmäßigen Sängers aus dem Königshof oder der Ritter-
burg vor ein bürgerliches Publikum und ward Gemeingut. Der Jongleur
pflegt die Chanson de geste, fahrend oder in fester Stellung {Menestrel)^
ein unwissender Laie oder ein entgleister Kleriker. In seinem Vortrag
oder unter seiner Feder entwickelte sie sich weiter, bald in glücklicher
Erhaltung der alten Form und des alten Geistes, bald sich stärker umge-
staltend und dem neuen Milieu sich anpassend.
Das RoiandsUed. Als im August 778 Karl von einem kurzen Feldzug aus der spanischen
Mark zurückkehrte, wurde in den Pyrenäen, bei Ronceval, seine Nachhut
A. Frankreich bis lum Ende des 15. Jahrhunderts. I. Frankreich» Hegemonie, j.y
von räuberischen Basken vernichtet und dabei fiel, wie die Chronik be-
richtet, der Höflinj»- Hruotlandus, Graf der bretonischen Mark. Dieses un-
bedeutende Ereignis liej^ dem hervorragendsten der Epen, dem Rolands-
liede, zugrunde, das uns in der Form erhalten ist (4000 Verse in 293
Laissi's), die ihm ein normannischer Überarbeiter, Turoldus, gegen 1100
gegeben hat: das Lied vom christlichen Achill, seiner Hybris, seinem und
seiner Waffenbrüder Tod durch Ganelons Verrat. Trotz ihrer rauhen Form
und ungelenken Stilisierung ergreift die wilde Tragik der einfachen Er-
zählung und wenn das aristokratische Rolandslied an künstlerischer Voll-
endung und an menschlichem Gehalt weit hinter der Ilias zurücksteht, so
ist es ihr in der Ausprägung niitionalen Empfindens ebenbürtig, während
die Nibelungen inhaltlich zu sehr verwittert und durch späte höfische Über-
arbeitung zu romanhaft geworden sind, um noch als nationales Epos zu
gelten.
Zu der nämlichen Zeit da Turold den alten Roland pietätvoll über- d»«- w«trre
arbeitete, verfaßte ein anderer Kleriker für das Jahrmarktspublikum von *'-••*•''"'"»«
Saint -Denis das Lied von Kaiser Karls Pilgerfahrt, in welchem er den
Inhalt älterer Epen mit Schwank und Märchenstoffen zu einem unterhalt-
samen Ganzen an- und ineinanderfügte.
Im allgemeinen wuchs und dehnte sich das alte Epos unter der Arbeit
der Diaskeuasten. Das eine streckte seine Arme nach dem anderen aus,
und schließlich wurden die Helden in drei großen kinderreichen epischen
Häusern untergebracht: das Haus des Königs, das Haus der Mainzer (die
rebellischen Vasallen, nach ihrem Anherrn, Doon de Mayence, benannt)
und das südfranzösische Haus Montglane, in dessen Mittelpunkt der sagen-
hafte Wilhelm von Orange steht. Auch diese letzteren Epen, in welchen
fränkische Barone der Provincia gleichsam ihren Anteil am poetischen
Ruhm der Sarazenenkriege geltend machen, sind französisch verfaßt, d. h. in
der Sprache der nördlichen Heimat, die allein in der weiten Romania ein
Heldenepos her\'orgebracht hat. Das Französische galt denn auch bis nach
Italien hin als die Sprache der Epik.
Den hervorragendsten Anteil an der zyklischen Entwickelung hat der
Kleriker Bertrand de Bar, der um 1200 mit „Girart de Vienne** und mit
„Aimeri de Xarbonne" poesievoll erneute Überarbeitungen geliefert hat
Eine moderne Prosaversion zweier Episoden daraus hat V. Hugo Stoff und
Wort für „Le mariage de Roland*' und „Aymerillot" seiner „L«'*gende des
Si^cles" geliefert
Die Eroberung Englands brachte spärliche Anfänge eines anglo- tn- A«rii«fw
normannischen Epos (Bovon von Southampton). Das letzte Ereignis der fran- '*" ^i»»«»« «•
zösischen Geschichte, das ein kurzes Aufflackern epischer Inspiration her-
vorrief, ist der erste Kreuzzug mit Gottfried von Bouillon. Das Kreuzzugs-
epos ist in die Form der Chansons de geste gegossen, doch ist es mehr
chronistischen als epischen Geistes. In ihm tritt als Ursprungssage des
Hauses Bouillon der wohl keltische Mythus des Ritters mit dem Schwan
Minneroman.
148 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zum erstenmal in literarische Erscheinung. Hier fand Wolfram den, den
er unter dem Namen Lothringer Garin (Lohengrin) so stolzen poetischen
Geschicken entgegenführen sollte.
Allmählich verfiel das Heldenepos. Gemeinplätze und Formeln zerstörten
gleich Parasiten sein Mark. Es ward zum Bänkelsängerlied und mit dem
14. Jahrhundert kam die Zeit, da diese sterbende Poesie von ihrem Leiden
erlöst und in Prosa umgesetzt wurde. Heute vertreibt der Kolporteur in
den Hütten der Armen als Volksbuch das, was einst das Entzücken der
Königsburg gewesen.
Früh drang die Chanson de geste über die Grenzen des Landes. Deutsch-
land— mit den Niederlanden — übertrug sie: es hat ein Rolandslied und einen
Willehalm. Die Gegend am Niederrhein insbesondere ist eine Stätte lite-
rarischen Austausches. Skandinavien hat die Chanson de geste als Karla-
magnus-Saga in naiver Treue übertragen. Englische und keltische Über-
setzungen sind vorhanden. Mit Wallfahrern und Kriegern kam sie nach
Spanien und gab Beispiel und Stoff für den Cantar de gesta. Auf den
Pilgerstraßen ist diese Materia di Francia nach Italien gezogen einer glän-
zenden Auferstehung entgegen.
Der Abenteuer- 2. Der Abcnteucr- Und Minneroman. In der kriegerischen Kaste der
■^^ ^^ feudalen Ritter entwickelte sich mit dem ii. Jahrhundert eine Gesellig-
keit, deren Mittelpunkt die Frau war. Es entstand die Societe courtoise
mit ihrem Frauendienst, dessen Abbild im Kultus der Mariendienst ist. Der
französische Süden mit seiner friedlicheren Geschichte ging voran. Der
Norden folgte und schuf sich zum Teil eigene Formen, wie das Turnier.
Erst Jahrzehnte später holte Deutschland unter Frankreichs Einfluß diese
Entwicklung nach, wobei Flandern die Brücke bildete. Hier fanden die
ersten deutschen Turniere statt.
Das nämliche ii. Jahrhundert brachte die Eroberung Englands und
Süditaliens und reifte die Kreuzzüge: ein gewaltsames Aufrühren der kel-
tisch-angelsächsischen, der griechisch-maurischen und der orientalischen Welt.
Der keltische Im eigenen Lande wohnten die Franzosen längst mit den sagen- und
Einschlag, üederreichen Armorikanem zusammen. Bretonische Harfner hatten ihnen
das keltische Lied i^Lai) gebracht, dem eine in Prosa gehaltene Erzählung
{rAventure) vorausging, meist eine romantische, märchenhafte Herzens-
geschichte, die nun literarischer Gestaltung harrte. Der Hof des sagen-
haften Königs Artur mit seiner Tafelrunde bildete oft den geheimnisvollen
Hintergrund. Alte Wikingersagen skandinavisch -britischer Herkunft spielten
herein. Diese schlummernde Welt des Abenteuers und der Liebe wurde
durch die Eroberung Englands gleichsam aufgestört, und ihre Ge-
stalten traten im anglonormannischen Königreich, das mit Heinrich II.
(Plantagenet) die literarische Führung, übernimmt, in Chronik und Dichtung
ans Licht. In strahlender Offenbarung zogen Tristan und Iseut um die
Mitte des 12. Jahrhunderts auf. In Lais (Novellen), in Romanen, von denen
uns aber nur Fragmente erhalten sind, und in Prosabüchem wurde ihre
A. Frankreich bis zum Ende des 1 5. Jahrhunderts. I. Frankreichs Hegemonie. 140
schicksalsmüchtige Leidenschaft verkündet, die alle Schranken von Gesetz
und Sitte durchbricht. I' rankreich gab diesem hohen Lied der Leidenschaft,
das Fiktrn und Kymren einst angestimmt und dem wir noch heute lauschen,
zuerst literarische Gestalt. Hervorragenden Anteil an der poetischen Lr-
schließung der keltischen Fabelwelt und ihres Eros hat eine am Londoner
Hofe lebende PVanzösin, Marie de France.
Ein wesentliches konstituierendes Element lieferte zu dieser neuen Lite- i ».
raiur das Altertum, besonders die Sage von Theben, von Troja, von Aeneas
und die „Liebeskunst" Ovids, In der poetischen Erschließung und Travestie-
rung dieses Altertums ist Frankreich vorangegangen. Von den thebanischen
Sagen weiß das Mittelalter durch die Thebais des Statius. Den Trojaner-
krieg kennt es nicht aus Homer, sondern aus lateinischen Fälschungen christ-
licher Zeit Es ist trojanisch gesinnt; die Fürsten der Romania leiten ihre
Herkunft von den versprengten Söhnen des Priamus ab. Im Kampf um
Theben, in der Geschichte Trojas und in der Aeneis Vergils ist von Liebe
und Frauenschicksal die Rede. Im anonj-men „Roman de Thebes" (gegen
1 150), im „Roman de Troie" den ein Benoit aus der Touraine der Königin
von England, Alienor von Poitiers, widmete und im „Roman d'Eneas" seines
unbekannten Landes- und Zeitgenossen (um 1 160) werden aus zum Teil ganz
unscheinbaren Anfängen die Liebesschicksale einer Ismene und Antigone,
einer Briseis, Dido, Lavinia entwickelt. Briseis ist die wankelmütige Tochter
des trojanischen „Bischofs" Calcas, die aus den Armen des Ritters Troilus
in die des Ritters Diomede übergeht Im Aeneas-Roman ist fast ein Drittel
der eleganten Verse der Schilderung der Liebe des Helden und der La-
vinia gewidmet, mit deren höfischer Hochzeit das Gedicht schließt In
langen Monologen und Dialogen, die vorbildlich wirkten, werden die Liebes-
empfindungen subtil und mit preziösen antithetischen Wendungen zergliedert:
die Liebe heißt bereits eine bittere Süßigkeit Geist und Ursprungsort
dieser Romane weist auf südfranzösischen Einfluß.
Ovids Ars amandi, die ein beliebtes Schulbuch war, lehrte den auto-
ritätsgläubigen Leser die Liebe als eine nach bestimmten Regeln zu führende
Kunst verstehen und förderte die Neigung zu formalistischer Auffassung
und förmlicher Kodifizierung.
Über Byzanz, dem erschlossenen Tore des Orients, drangen die wunder- n«
baren Stoffe des spätgriechischen Liebesromans mit syrischen, persischen,
indischen Erfindungen herein. Das ganze, allen Völkern gemeinsame Erbe
an Erzählungsstoffen stieg aus der Tiefe der dunkeln mündlichen Über-
lieferung ans Tageslicht Eine unübersehbare Fabulierarbeit begann mit
der Mitte des 1 2. Jahrhunderts in Frankreich und gab zum erstenmal im
Abendland jenen Fiktionen literarische F"orm, von denen lUnge Jahrhunderte
zehren sollten und die heute noch in der alten oder einer neuen Gestaltung
ihren Zauber haben: ApoUonius, Cleomades, die sieben weisen Meister,
FloLre et Blanchefleur, Aucassin und Xicolette, die Chätelaine von Vergy,
\ eilchenroman, Herzmäre usw. Liebesschicksal ist der Gegenstand und
150
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zumeist sind es Verlobte oder Gatten, die abenteuerliche Trennungsnot
glücklich überwinden.
Die Minne. In dicscn Romanen greift nun jene Auffassung Platz, die in der Minne
eine feudale Lebensform sieht und die wesentlich ein Produkt des franzö-
sischen Südens, der Troubadourpoesie ist. Sie weisen zunächst nach den
glänzenden Höfen von Blois und Troyes, deren Gräfinnen Alix und Marie
Töchter der Königin Alienor von Poitiers waren. Vornehme Damen sind
die Förderinnen dieser Romanliteratur, die für Frauen von Frauen handelt
und an der die elegante Gesellschaft die neue Kunst des Lesens übt, wie
Francesca und Paolo. „Partenopeu de Blois" und „Ille et Galeron" sind zwei
typische Beispiele der sechziger Jahre. Im „Partenopeu" wird unter Ab-
lehnung der alten Sarazenengeschichten das neue Rittertum und seine Minne
gefeiert. Der unbekannte Dichter hat von „Amor und Psyche" gehört,
und fast scheint es, als sei aus Apuleius etwas von den neuplatonischen
Minnelehren in seine Verse geflossen. Im zweiten Roman bearbeitet der
pikardische Verfasser, Gautier von Arras, der sich bemüht, zentralfranzösisch
zu schreiben, den Inhalt eines bretonischen Lai im Sinne der neuen höfi-
schen Respectability und lehrt, daß die Dame mit dem Lieb es wort zurück-
zuhalten, und der Bewerber erst lange en son service zu verharren habe —
wie später in der preziösen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Edle Liebe
aber mache den Mann tüchtig. Und dieses Brevier höfischer Sitte widmet
Gautier der „Empereris de Rome", der deutschen Kaiserin Beatrix von
Burgund, zu ihrer Hochzeit mit Friedrich Barbarossa (1167).
Chretien. Chr^ticn, der zu Troyes am Hofe der Gräfin Marie dichtete, verkörpert
diese literarische Entwickelung. Er begann um 11 65 damit, keltische Sagen
in Novellen {Lais) und einem größeren Conte d'aventure {Erec) zu behandeln,
sowie Ovid zu übertragen. Dann bearbeitete er unter Verwendung der
neugewonnenen Minnekenntnis einen byzantinischen Stoff {Cliges) und
machte aus ihm unter Ausfällen auf die undisziplinierte Leidenschaft Iseuts
ein höfisches Gegenstück zum Tristanroman: er disziplinierte gleichsam den
Tristan zu höfischer Lebensart. In der Abenteuerreihe des „Lancelot"
schuf er nach Anleitung der Gräfin Marie, das Idealbild des feudalen
Frauendieners. Im märchenhaften „Ivain" kehrte er zu einer einfacheren
Darstellung von Abenteuer und Minne zurück und im unvollendeten und
imdurchsichtigen „Perceval" spielt neben dem keltischen Torenmärchen
und der geheimnisvollen Legende von der Abendmahlschüssel (Graal) die
Minne keine entscheidende Rolle mehr. In allen diesen Romanen laufen
die Fäden der Handlung an der Tafelrunde des Königs Artur zusammen.
Chretien ist ein anmutiger, eleganter Erzähler des Details, allzu künstlich frei-
lich in der Führuhg des Ganzen, und ein seelenkundiger Liebesschilderer.
An der Minnedichtung entwickelte sich seit der Mitte des 12. Jahr-
hunderts auf zentralfranzösischer (franzischer) Basis die Schriftsprache der
höfischen Kreise, die am Hofe Heinrichs IL einige normannische, am Hofe
zu Troyes einige champagnische Züge zeigt.
A. Frankreich bis lum Ende des 15. Jahrhunderts. 1. Frankreichs Hegemonie. 151
Eine Kluft scheidet die Romane von den Chansons de geste, formell
und inhaltlich. Die kurzen Verse der Romane .sind paarweise zierlich po-
reimt. An Stelle der patriotischen Errejrung' tritt das Interesse an aben-
teuerlichen wunderlichen Schicksalen fabelhafter Liebespaare, in welchen
die etikettenreiche Lebensform der eleganten Welt und besonders ihre
Galanterie idealisiert wurde. Reli^^iüse Stimmung fehlt völlig. Die I-rau^
die Liebe ist Veranlasserin aller hohen Taten, Ursprung und linde
jeglicher Handlung. Der Roman ist von Anfang an das Buch der Frau
gewesen. Die Prosaform, die der gereimten früh zur Seite trat, löste,
wie beim Heldenepos, diese schließlich ab.
Einzelne Versuche, die nationale Welt der Chan.son de gcste mit dem
Geiste des Romans zu erfüllen, haben nicht zu organischen Schöpfungen
geführt. Andererseits war die Form des Romans so mächtig, daß die
Taten eines Königs oder die Kämpfe eines rebellischen Vasallen, die
vordem in breitbeschwingten epischen Laissen besungen worden wären,
nun vom Mcnestrel in modischen Kurzversen romanhaft erzählt werden:
so Richard Löwenherz' Kreuzfahrt (iiQo), so die Not und Versöhnung des
anglonomiannischen Barons Fulko. Es entsteht schließlich die romantische
Gestalt des verbannten Vasallen {Bandit)^ der zum Abenteurer und Räuber
wird (Eustache, genannt le MoitiA.
Die nämliche Erzählungstechnik wie die Romane und Novellen zeigen Di» Omtat
die Heiligenleben und Legenden {Contcs devot s). Die Wechselfalle des '^''^^
Menschenschicksals sind hier in den Dienst eines frommen und naiven Wunder-
glaubens gestellt. Es entsteht eine große Heiligen- und Märtyrer-Epopöe,
deren Stoffe, aus Okzident und Orient, aus Altertum und Gegenwart,
französische Kleriker in die Vulgärliteratur einführten. Wenige Jahre nach
der Ermordung Thomas Beckets (i 170) trug an seinem Grabe in der
Kathedrale zu Canterbury ein Fahrender den Pilgerscharen das Leben des
Heiligen in kraftvollen Versen vor, die freilich mehr an die Chanson de
geste als an den Roman erinnern. Unter den kleinen Novellen finden sich
Erzählungen von unvergänglicher Lebenskraft (Engel und Einsiedler, die
drei Ringe, der Ritter mit dem Fäßchen).
Die zentrale Figur dieser ganzen Epopöe ist die Königin aller Frauen,
Maria. Der Conte d(^vot wird zum Marien wunder; es ent'^teht ein lite-
rarischer Mariendienst, dessen umfangreiche Denkmäler neben viel ge-
künstelter und platter Reimerei wahre Schmuckstücke der Erzählerkunst
enthalten.
Nach den französischen Abenteuerromanen irdi.scher und himmlischer dpt Komin im
Minne griff ganz Europa, das romanische und das germani.sche. Das
Abendland besang Troja nach dem Muster des Franzosen BenoiL Spanien
zahlte sein französisch -bretonisches Anleihen später mit seinem „Amadis**
und „Don Quijote" heim. Italien führte die Matcria dt lirftagna des
Minneromans ins früher entlehnte Epos über und schuf so das romantische
Heldengedicht Und wie wurde Deutschland vom literarischen Geist
152
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Frankreichs ergriffen! Noch 1043 scheuchte Heinrich III. aus der Ingel-
heimer Pfalz unter dem Beifall der Geistlichkeit die welschen Spielleute,
die literarischen Träger südfranzösischer Kultur, weg, die seine Hochzeit
mit Agnes von Poitiers angezogen hatte. Aber 11 84 hielt Kaiser Friedrich I.
mit seiner burgundischen Gattin Beatrix am nämlichen Rhein jenes be-
rühmte Hoffest, auf welches die Flut welschen Wesens mächtig herein-
bricht und an dessen Tor wie ein literarischer Herold Heinrich von Veldeke
steht. Herbot von Fritzlar und Konrad von Würzburg, Hartmann von Aue,
Gottfried von Straßburg, Wolfram, Rudolf von Ems folgen welschen
Vorbildern, die einen als bloße Übersetzer, andere wie Gottfried und
Wolfram als künstlerische und sittliche Persönlichkeiten.
Wie einst die Germanen den epischen Geist nach Francia brachten,
so weckte jetzt das französische Beispiel in Deutschland, besonders am
Rhein, die Lust nach den Trümmern des nationalen Epos (Nibelungen und
Gudrun) zu greifen und sie mit höfischem Geiste neu zu beleben. Auf
die Germanisierung Frankreichs folgt die Romanisierung Deutschlands.
Schwank 3. Schwauk Und Tierepos. Frankreich ist es auch, das zuerst aus dem
und Tierepos, j-gj^j^gj^ Schatze der mündlichen Scherzgeschichten geschöpft und das Bei-
spiel literarischer Behandlung des Schwankes {Fabliau) gegeben hat. Seit
dem 12. Jahrhundert fing man solche Anekdoten zu reimen an; im 13. blühte
die Fabliaux-Literatur, um dann im 14. mit den Spielleuten zu verschwinden.
Es sind uns 150 Stücke dieser gereimten Schwanke erhalten. Der Versuch,
einzelne um eine bestimmte komische Person (Trubert) zu gruppieren und
so zu einer Eulenspiegel-Epopöe zusammenzuschließen, ist in den Anfängen
stecken geblieben und von einer Dirnen- und Kuppler-Epopöe (Richeut
und ihr Sohn) ist nur ein Fragment erhalten.
Eine kräftige realistische Kunst ist hier an oft unsauberen Stoffen ge-
übt. Das kleine Volk der Bauern, Bürger, Ministerialen, Priester und
Mönche und besonders die Weiber tragen die Kosten des ausgelassenen
Lachens, das der Spielmann mit dem Vortrag dieser Spaße in Schloß und
Stadt erregte. Einzelne dieser Erzählungen sind von ganz dramatischem
Bau und weisen deutlich auf die primitive weltliche Bühne des Mittel-
alters, auf welcher ein einzelner Jongleur den Dialog dieser Schwanke
mit heiterem Stimmwechsel {modulatione vocis) agierte. Die Fabliaux sind
im wesentlichen eine Form der dramatischen Literatur der Zeit und
Truberts Name kehrt in der Farce wieder.
Die Stoffe sind teils dem unmittelbaren Alltagsleben entnommen, teils
stammen sie aus jenen uralten Geschichten, deren Ursprung und mündliche
Ausbreitung sich in der Vorzeit der wandernden Völker verbirgt. Un-
bestreitbar hat Indien an ihrer literarischen Verbreitung erheblichen Anteil.
Das Tierepos {Roman de Renard) ist gegen 1200 unter dem doppelten,
wenn auch ungleichen Einfluß der mündlichen und der literarischen Über-
lieferung verfaßt worden. Jene, die kräftigere, ist vorzugsweise ein-
heimisch (Tiermärchen), diese wesentlich antik (Fabel).
A. Frankreich bis rum Ende des 1 5. Jahrhunderts. I. Frankreichs Hegemonie. |ci
Tiermärchen (Tierschwänke) sind unter den Menschen überall ent-
standen. In ihnen fanden Lebensweise und Aussehen der Tiere ver-
menschlichende Deutung (z. H. die Tierhoch/eiten). Die älteste literarische
Gestaltung des Tiermärchens, die äsopische Fabel mit der exotischen
Figur des Löwen, lebte in der Form, die ihr die römische Welt gegeben,
in den mittelalterlichen Schulen. Diese von den Klerikern durch weitere
Schwanke vermehrten lateinischen Fabelsammlungen wirkten ihrerseits auf
die mündliche Überlieferung. Sie wurden auch wiederholt in französische
Verse übertragen, zuerst am Hofe Heinrichs IL von Marie de France.
Diese altfranzösischen Fabeln erzählen in kunstloser Behaglichkeit eine
Tierszene, um daraus eine Lebenslehre {exemplc) zu gewinnen.
In den Tiermärchen der verschiedensten Völker zeigt sich eine zykli-
sche Tendenz. Die Erzählungen, in welchen ein Fuchs oder ein Wolf
eine Rolle spielten, werden dem Fuchs und dem Wolf zugeschrieben, die
als Individuen auch menschliche Namen erhalten. So entsteht die Tier-
sage mit bestimmt charakterisierten Helden, Die Sage, welche den Fuchs
Reinhard, den Wolf und die Wölfin Isengrin und Hersent nennt, scheint eine
germanische Schöpfung zu sein. Vieles weist auf die Länder am Rhein.
Von hier kam sie nach Frankreich, wo sie sich mit weiteren Personi-
fizierungen und romanischer Xamengebung bereicherte. Kleriker des
französischen Xordostens bauten sie zuerst in französischen und lateinischen
Versen aus. Einzelne Schwanke wurden zu kleinen Reihen {Dranches) zu-
sammengefügt, in denen Schärfe der Beobachtung und Frische der Dar-
stellung sich zu einer humorvollen Parodie des Menschlichen vereinen.
Später gelangt die satirische Tendenz, die der Tiersage ursprünglich
fremd ist, zu verdrießlicher Aufdringlichkeit. Unter der Führung jener
Branche, welche den Hoftag des Königs erzählt — ihr Kern ist die äso-
pische Fabel vom kranken Löwen — werden sechsundzwanzig Abenteuer
als „Roman de Renard" aneinandergereiht. Auch diese epische Arbeit
Frankreichs hat Deutschland Anregung und Beispiel gegeben; die deutschen
und flämischen Vorgänger von Goethes Reineke Fuchs folgen den franzö-
sischen Klerikern, welche zuerst die Geschichten dieser „unheiligen Welt-
bibel" erzählten.
4. Der Minnesang. Aus dem Volkslied erwuchs die Kunstlyrik der d»
höfischen Gesellschaft des Südens. Der Entwickelungsprozeß entzieht sich
unserer Kenntnis; wir wissen insbesondere nicht, inwiefern das Vorbild der
arabischen Kunstpoesie mitgewirkt hat Mit dem ältesten Troubadour,
Wilhelm, Grafen von Poitiers und Herzog von Aquitanien, tritt uns der
provenzalische Minnesang gegen 1 100 schon in charakteristischer Ausbildung
entgegen. Der ausgelassene Ton, der einfache Vers deuten zwar noch
auf die Nähe der Volkspoesie; aber Form und Geist des höfischen .Sanges
ist in seinen vier Minncliedem da. Auch hat er bereits eine Schriftsprache
zur Verfügung, die jenseits der Grenze seines Landes, an den Höfen des
I^anguedoc und der Provence erwachsen war: Das Provenzalische.
154
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
So tritt diese Dichtung, in welcher zum erstenmal in der Romania
ein persönliches Lied an unser Ohr klingt, und die berufen war, sich die
romanische und germanische Welt, Könige und Bürger, zu erobern, in
der Person eines mächtigen eleganten aber sittenlosen Fürsten entgegen,
dessen Mutter eine französische Königstochter und dessen Schwester Agnes
eine deutsche Kaiserin war. Wilhelms Enkelin, Alienor von Poitiers,
heiratete 1137 den König Ludwig VI. von Frankreich und wurde später
die Gattin des Normannenherzogs, Henri d'Anjou, der als Heinrich IL sie
auf den Thron von England führte (1054) und dem sie den ganzen Süd-
westen Frankreichs zubrachte. Ludwig VI. hatte keine künstlerischen
Interessen und die fünfzehnjährige Anwesenheit Alienors hat in Paris keine
direkte literarische Spur hinterlassen. Aber König Heinrichs II. überragende
Gestalt schuf aus dem englischen Hof eine Stätte reicher Kultur. Sein
Name ist mit den bedeutendsten Schöpfungen der französischen Literatur
der Zeit verbunden. Unter dem Einfluß der Alienor wird sein Hof auch
dem Minnesang erschlossen. Bernarts von Ventadour Kunst vertritt ihn.
Alienors Tochter Marie führt diesseits in der Champagne das literarische
Zepter, und auch ihre übrigen Kinder, Richard Löwenherz an der Spitze,
leihen der Dichtung Tat und Wort. An der Geschichte dieses poitevinischen
Grafenhauses ließe sich die Geschichte der Literatur Nord- und Südfrank-
reichs im 12. Jahrhundert erzählen.
Die Provenzalische Troubadours kennen wir mit Namen ein halbes Tausend,
danmter etwa zwanzig Frauen. Fürsten eröffnen den Reigen; Leute
niederer Lebensstellung bilden den Zug. Dreitausend Gedichte mögen uns
von ihnen erhalten sein, doch nur selten mit der Melodie, ohne deren
Flügel es damals kein Lied gab: Tanz- und Taglieder, Streit- und Kampf-
spielgedichte, Pastorelas mit bäuerlichem Liebesabenteuer, und vor allem
Kanzonen, deren kunstvolle Strophen ein Geleite schließt. Über hundert
dieser Troubadours sind uns angebliche Lebensnachrichten zum Teil in
Form kleiner Novellen überliefert, bisweilen mit einem Sachkommentar
{Razö) zu einzelnen Gedichten. Die ältesten Versuche biographischer Kunst
liegen in diesen Fabeleien vor.
Der ehefeindliche Charakter der volkstümlichen Maifestlieder erhielt
sich in dieser Minnedichtung um so eher, als auch Ovids freie Liebeslehren
gegen Ehe und Gatten wiesen. Daher der Preis der Heimlichkeit, die
Verstecknamen, das Verwünschen der Schleicher und Spione. Ist der
Ausdruck dezent, so ist der Geist doch durchaus nicht platonisch. Dabei
prägt sich die Huldigung an die hochstehende Frau der Gesellschaft in
die Formen des feudalen Verkehrs: sie ist der Lehensherr — oft genug
wird sie als „mein Herr" angeredet — und der Sänger ist der Vasall, der
in ihrem Dienst zu stehen wünscht, der ihr treu und verschwiegen dient,
dafür Huld und Lohn von ihr erwartet, wenn das Dienstverhältnis Bestand
haben soll. Das Konventionelle dieser lehensrechtlichen, allegorischen
Minnesprache erschwert uns die Kenntnisse der realen Verhältnisse. Oft
Troubadours.
A. Frankreich bis lum Ende des i v Jahrhunderts. I. Frankreichs Hegemonie, fcc
mag wahre Liebe sich in den Liedern au.s.sprechen; zumeist handelt es
sich nur um höfische Huldij^uns^ und Galanterie und erscheinen die Süng^er
wirkhch als die Vasallen vornehmer Lrauen, die um diis Lehen des täg-
lichen Hrotes poetischen Dienst verrichten als höfische Herufspoeten. Die
Fragen dieses galanten Verkehrs werden mit verteilten Rollen in Gedichten
um die Wette erörtert Diese Galanterie gilt als die große Angelegenheit
des Dasein.s. Hei allen Handlungen richtet der Mann seinen Blick auf
die hohe Minne. Sie macht ihn tüchtig; sie allein g-ibt ihm Wert Es ist
ein weltfrcudiges, unkirchliciies Leben.sideal. Diese Minne des Herzens
oder der Lippen besingen Jaufre Rudel, dessen sagenhaftes Schicksal
Heine und Uhland gefeiert haben, der abenteuerliche Peire Vidal, der
anmutige und innige IJernart von Ventadour, der dem glänzenden Hofstaate
Alienors nach dem Norden folgte, der kunstreiche Peire von Auvergne,
der ernste Meister Giraut von Borneil, der stünnische Bertran von Born,
der zarte Guillem von Cabestaing.
Es i.st die älteste literarische Kun.st des Abendlande.s. Ihre Leinheit
und ihr Reichtum erwecken Bewunderung. Strenge !• ormenge.setze bildeten
sich aus. Jedes Gedicht wurde zu einer .strophischen Erfindung mit eigener
Melodie, nach der Vorschrift der Dreiteilung. Der poetische Ausdruck
wurde formelhaft: das Bild der Geliebten als Herrin, der Preis ihres Auges
und ihres blonden Haares, des Frühlings und der Nachtigall, die Klage
über ihre Härte, über Amor mit seinen Pfeilen, Ketten und Netzen, die
Vergleiche mit Sonne, Rose, Schnee, Gold und Edelstein, Phönix und
Salamander, das alles kehrte in den kunstvollen Reimen immer wieder.
Es entstand eine poetische Rhetorik, die zur Preziosität, zur Hyperbel, zum
Wortspiel, zur Antithese von der süßen Bitternis und dem eiskalten Feuer
und zur Allegorie drängte. Man fing das „dunkle Dichten" an, und sein
Meister Arnaut Daniel erfand die Sestine. In den Streitgedichten über
die Berechtigung dieses „trobar clus" hören wir gegen 1 200 zum erstenmal
die Stimme litcrari.scher Kritik, und in der nämlichen Zeit begegnen wir zum
erstenmal einer literarischen Gesellschaft (in Le Puy-Notre-Dame im Velay),
die unter dem Vorsitz eines Troubadours einen Dichterwettstreit {Cor/) zum
Preis der Gottesmutter abhielt Der Mariendienst schuf den Sängerwettstreit
Für ausländische Liebhaber wurden im 13. Jahrhundert Anweisungen
zum Gebrauch dieser Dichtersprache verfaßt: die ersten Lehrbücher ciiirr
modernen Sprache.
Glucklirherwei.se hat sich die Troubadourpoesie nicht in Minneliedeni
erschöpft Mit seinen Sirventesen mischt sich der Sänger in den Streit
der Welt Bertrans von Boni leiden.schaftliche Lieder begleiten die Kriege
von 1181 — 97. Ein streitbarer Journalist sendet er seine Kriegsgesänge
durch seinen Spielmann an die Könige von Frankreich, Fngland und
Aragon. Im Kampf zwischen Kaiser und Papst, zwi.schen Krtzer und
Rom steht der Sirventes gegen die Kirche. Wie preist Guillem Figueira
den Kaiser Friedrich IL!
156 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Die volkstümliche Melodie, die den Sirventes trug, diente auch für
das religiöse Lied. Das Mittelalter hat, wie Altertum und Neuzeit, dem
frommen Vers in und außer der Liturgie gerne die Flügel des weltlichen
Gesanges gegeben.
Die Trouveres. Um 1 1 50 wurdc diese südliche Kunstpoesie, besonders durch die Lieder
Bernarts und Jaufres, nach Nordfrankreich verpflanzt. Dort begann der
Trouvere den Troubadour nachzuahmen. Die französische Kunstlyrik ist
einerseits aristokratischer und künstlicher als die provenzalische; anderer-
seits hat sie manch frischen volkstümlichen Zug bewahrt, der ihr besonderen
Reiz verleiht. Die Vagantenlieder sind das lateinische Echo dieser Poesie.
Der champagnische Hof war ihr Zentrum. Chr^tien schrieb neben den
Romanen Minnelieder, Unter der Führung der Gräfin Marie wurden
mündlich und brieflich jene subtilen Erörterungen von ehefeindlichen
Liebesfragen gepflogen, die zu förmlichen Protokollen führten und die
falsche Vorstellung von Liebesgerichtshöfen veranlaßten, während es sich
nur um den eleganten Müßiggang preziöser Salons handelt. Die pedan-
tische Immoralität dieser neuen Artes amandi bewog die Kirche, sie auf
den Lidex zu setzen.
Maries Enkel, der Graf Thibaut IV., König von Navarra (-j- 1253)
wurde für die Nachwelt zum typischen Vertreter des nordfranzösischen
Minnesangs. Anmut und Innigkeit, aber auch allegorische Subtilität
zeichnen seine Lieder aus. Auch seine schwankende Politik war die eines
Poeten.
Die Städte. Unter dem Schutze bürgerlicher Mäcene und im Kreise literarischer
Gesellschaften {Puys) und Innungen {Confreries) wurde auch in den auf-
strebenden turbulenten Städten des Nordostens die Kunstpoesie gepflegt.
So zeigt die Stadt Arras im 13. Jahrhundert ein kräftiges literarisches Leben,
und wenn ihre Dichter die höfische Technik pflegen, so haben sie daneben
fesselnde Eigenart und Heimatkunst, wie Jean Bodel und Adam derSchöfi"e.
In diesen bürgerlichen Puys liegt der Keim einer neuen Entwickelung.
Auf dem Boden bürgerlichen Lebens der Hauptstadt Paris, die damals noch
keine führende Rolle spielt, erwächst seit 1250 die Gestalt Rutebeufs, des
Pariser Boheme. In eindrucksvollen Versen weiß er die Not seines Lebens,
die Trauer um einen verlorenen Freund und die politische Invektive zu
gestalten. Leidenschaftlich kämpft er gegen das Eindringen der Kongre-
gationen in den Universitätsunterricht.
Das Ausland. Provcnzalische Sänger durchzogen schon im 12. Jahrhundert das ganze
Gebiet der Romania. Sie kamen an die Fürstenhöfe Oberitaliens und
mischten sich mit ihren Sirventesen in den politischen Kampf. Ihr Beispiel
weckte norditalienische und toskanische Troubadours, welche provenzalisch
dichteten. Auch Dante schreibt provenzalische Verse. Die meisten pro-
venzalischen Liederbücher, die erhalten geblieben sind, rühren von italieni-
schen Schreibern her. In italienischer Sprache erstand der Minnesang
zuerst am Hofe Friedrichs IL zu Palermo, und von dort aus verbreitete er
A. Frankreich bis zum Ende des 1 5. Jahrhunderts. I. Frankreichs Hegemonie. 157
sich im 1 3. Jahrhundert über das ganze Land. So vollzog .sich die literari.sche
Eroberung Italiens durch Krankreich zugleich vom Norden und vom
Süden aus.
vSpanien hatte zunäch.st durch Katalonien unmittelbaren Anteil an der
Troubadourpoesie, und bald beugte sich unter Portugals Vortritt das ganze
Land vor ihrer überlegenen Kunst
Nach Deutschland drang sie zugleich mit dem französischen Minne-
roman. Früher und stärker beeinflußte sie den deutschen Westen mit seinem
„curteis povol" als den (^sten. Je tiefer dieser Einfluß in Gedanken, Sprache,
Rhythmik und Musik sich heute der Forschung ofl"enbart, um so siegreicher
erhebt sich darüber der eine Walter von der Vogelweide.
Während sich die Troubadourpoesie .so die Welt eroberte, wurde sie D»t EmS«
in der eigenen Heimat durch jenen Kreuzzug gegen die Albigenser zer-
stört, in dessen Heiligkeit sich die Herrschgier nordfranzösischer Streber
kleidete. Die selbständige kulturelle und politische Entwickelung der „Süd-
staaten" wurde dauernd gebrochen und die völlige Herrschaft des Nordens
vorbereitet
Der Meistersang löste den Minnesang ab. Er trat in den Dienst der
Kirche. Bürger von Toulouse begründeten 1343 eine „Companhia" zur
Pflege der geistlich gewordenen Dichtkunst {Gay Sadi'r), aus welcher ein
umfangreiches poetisches Gesetzbuch (Liys d\lmors) und fromme Dichter-
wettstreite hervorgingen. Ihre kunstvollen Blumenpreise trugen der In-
stitution den Namen der Jeux floraux ein. Die „Companhia" entwickelte .sich
zur wohlbestallten Academia und ward zum Vorbild für jene Akademien,
die zur Pflege der Sprache in Barcelona, Florenz und Paris entstanden.
An der Toulousaner Akademie ersetzte das französische Lied seit 1694
völlig das provenzalische. So verstummte schließlich die Troubadoursprache
vor dem französischen Kla.ssizismus.
5. Der Rosenroman. V^on Anfang an wandte sich die muttersprachliche i>« Ro««
Kunstübung gern lehrreichen Stoff'en zu, um den I^ien Erbauung und
Wi.ssenschaft zu vermitteln. Predigten, Sprüche und ständische Satire, Ka-
lender, Tier- und Steinbücher gehören zu den ältesten französischen Reime-
reien, Tode.sbetrachtungen zu den eindrucksvollsten Schöpfungen, und die
„Frauenfrage" zu den beliebtesten \'orwürfen. Die mittelalterliche Frauen-
frage hat der Kleriker formuliert: ihm ist die Frau die begehrliche, listige
V^ersucherin, durch die einst die Sünde in die Welt gekommen: aber mit
Maria ist ihr Geschlecht hoch über den Mann erhoben worden. Verächter
und Lobredner der Frau berufen sich so auf die heilige Schrift Beide geben
ihr in em.sten oder spöttischen Lehrgedichten gute Räte. Die anglonorm.in-
nische Gesellschaft zeigt sich be.sonders lernbegierig. Im 13. Jahrhundert
.schwillt die didaktische Literatur mächtig an. Sie bildet gleichsam den
profanen Hofstaat der Pariser Universität, die jetzt das Zentnim der mittel-
alterlichen allegorischen Wissenschaft darstellt Das ganze .\bendland
strömt ihr zu.
1^8 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Zu diesem Hofstaat gehört der Rosenroman. Ein schwärmerischer
Jüngling begann ihn zu Orleans gegen 1230 (4000 Verse); ein skeptischer
Student der Pariser Universität schrieb 40 Jahre später eine Fortsetzung
von 1 5 000 Versen dazu. Jener verherrlicht die Minne in einem Mainachts-
traum, der ihm die Vision Amors bringt und ihn in einen Rosengarten zu
der Geliebten (Rose) führt. Mit wirklicher Anmut und Ursprünglichkeit
gestaltet Guillaume de Lorris die überlieferten Formen der Vision und der
Allegorie zu einem Minnebild, auf welchem sich Amors Liebesregeln und
„Dame Raisons" Widerspruch wirkungsvoll abheben. Diese verwirft die
Minne als Ausfluß des Müßiggangs und Feindin der Tüchtigkeit. Nach
Guillaumes Absicht war „Dame Raison" zu unterliegen bestimmt. Der Fort-
setzer, Jean de Meun, aber ist anderen Sinnes, obwohl er schalkhaft ver-
sichert, daß er im Geiste Guillaumes weiterdichte. Auch ist er nicht Poet,
sondern Dialektiker. Die Handlung stockt; nur die endlosen digressionen-
reichen Debatten gehen weiter. In diesen wird Amor gründlich widerlegt
und der ganze duftige Bau des ersten Teiles aus den Fugen gehoben und
zertreten. Traumdeutung und Minne, Aberglauben, Bettelorden, Askese
werden von Jean auf Grund antikisierender naturphilosophischer Ent-
wickelungen bekämpft, lebendig, geistreich, keck, aber auch zynisch. Die
Minne wird vor seiner naturalistischen Betrachtung zum Fortpflanzungstrieb.
Sein Gedicht wird zu einer Enzyklopädie aufklärerischer Gedanken, für die
er Dutzende von antiken und neueren Autoren in Kontribution setzt, zu
einem Pamphlet gegen die Weiber. Mit schamlosem Realismus gestaltet
er die Rolle der Kupplerin, die von Ovid, dem Roman und dem Fabliau
gelieferten Züge zusammenfassend.
Dieses widerspruchsvolle Werk, das in seinem ersten Teil ein leuch-
tendes Denkmal der Minnepoesie ist und im zweiten Teil gegen poetische
Verklärung die satirische Darstellung der gemeinen Wirklichkeit und gegen
transzendentale Lebenseinrichtungen naturalistische Lebenslehren ins Feld
führt, ist ein Bild der Stimmungen des mittelalterlichen Schrifttums. Dort
träumt der Geist der Poesie; hier spöttelt der Esprit gaulois. Nicht eine
kunstvolle Synthese ist erreicht; den einfacheren Ansprüchen der Zeit ge-
nügte das kunstlose Nebeneinander.
Ausland und Nachwelt haben im Rosenroman das Hauptwerk der
französischen Literatur des Mittelalters gesehen. Li Deutschland scheint
er sich nicht verbreitet zu haben.
Der Rosenroman beherrschte das Schrifttum Frankreichs für lange
Zeit. Er zwang ihm den Rahmen der Vision und die Form der Allegorie auf
und förderte den literarischen Ausdruck des poesiefeindlichen Esprit gaulois.
Die Prosa. 6. Die Prosa. Die Rolle der ungebundenen Rede ist im mittelalter-
lichen Schrifttum überhaupt eine bescheidene. Die Sprache der Prosa ist
das Latein.
Die französische Prosa ist eine Schöpfung des 12. Jahrhunderts. Vom
Mißtrauen der orthodoxen Kirche begleitet, übt sie sich an der Über-
A. Frankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. I Frankreichs Hegemonie, i cq
trag^ung der Bibfl, zuerst in lingland, dann besonders in Metz. Erbauungs-
schriften, Chroniken folgen; doch läßt sich der Vers nur lang.sam ver-
drängen. Prosaversionen von Arlurromanen zeigen die erste orig^inale
Verwendung ungebundener Rede. Erst das 13. Jahrhundert weist einige
Vertreter der Prosanovellen auf. Hat der erste Kreuzzug die letzten Epen
gebracht, so bringt der vierte die erste historische Originalprosa, die noch
die Stilisierung der Chanson de geste verrät und der sechste den lebens-
vollen Hericht des Seneschalls Joinville (1272/73), das erste Memoiren-
werk der glorreichen französischen Memoirenliteratur.
Das 13. Jahrhundert trägt den Ruhm der französischen Prosa ins Aus-
land. Engländer und Italiener — unter ihnen Dante — rühmen ihre leichte
und anmutige Gemeinverständlichkeit. Der Florentiner Brunetto Latini,
Dantes Freund, schreibt sein Lehrbuch des Lebens französisch, und
französisch ist die berühmte Reisebeschreibung des Venezianers Marco
Polo (1298).
Die Verwendung der französischen Prosa im öffentlichen und privaten
Verkehr überdauerte in England den Untergang der blühenden anglo-
normannischen Literatur (nach 1 300). Die königliche Kanzlei und die Juristen
fuhren fort französisch zu schreiben, und sogar Cromwells patriotisches
Verbot wirkte nicht unmittelbar.
In Xorditalien wich die französische Prosa vor der toskanischen erst
gegen 1500; in Piemont, der Wiege der poUtischen Einheit Italiens, war
sie noch im 16. Jahrhundert die Sprache der Administration und noch im
18. herrschte sie am Hofe und in der Akademie zu Turin.
Der direkte Anteil, den England und Italien an der Literatur Frank-
reichs vom 12. — 14. Jahrhundert genommen haben, hat auch die glückliche
Folge gehabt, daß englische und norditalienische Kopisten uns Werke
erhalten haben — Epen, Romane, Liederbücher und Prosaschriften — die in
ihrem Heimatlande untergegangen sind. Ohne sie hätten wir nur Trümmer
des Rolandsliedes. —
So ist Frankreich die Führerin des Abendlandes auf dem Wege zur /
literarischen Kunst geworden. In seinem Süden hat es das erste persön- '*
liehe Lied angestimmt; in seinem Norden hat es germanischem Geiste in
der Helden- und Tiersage romanische l'onn gegeben, die Schätze der
keltischen und der antiken Sage, die Fabeleien des Orients, die Legende
und das Erbe volkstümlicher Contes der neuen Welt erschlossen und eine
universelle Prosa geschaffen. Auch in der Entwickelung der Lebensformen
ist Frankreich vorangegangen und seine Wissenschaft, insbesondere seine
Theologie, war maßgebend. So konnte Chretien von Troyes stolz sagen:
zuerst waren Gelehrsamkeit {Clergic) und höfische Bildung (Chevaierit) in
Griechenland heimisch; von da kamen sie nach Rom, und nun ^; ' in
I* rankreich zu Hause. Ein deutscher Zeitgenosse hat ihm das nt-idlo^ 'gt.
Dieses selbe Nordfrankreich ist auch die Heimat der Gotik. Es hat
im 1 2. Jahrhundert der Civitas Dei das Gotteshaus geschaffen. England,
jijr
i6o Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Italien, Spanien, Deutschland, Skandinavien haben es ihm nachgebaut. Die
Schüler seiner Literatur sind auch die Schüler seiner Kunst.
So war es denn wirklich wie ein alter Chronist sagt: Francia, domina
multarum natiomun.
n. Frankreichs Niedergang (14. und 15. Jahrhundert). Im 14. Jahr-
hundert vollzieht sich ein rascher Verfall. Es ist eine lernbegierige aber
keine kunstsinnige Zeit, wenigstens nicht literarisch. Die Musik freilich
zeigt frisches Leben, und in der führenden Pariser Malerschule von 1400
bereitet sich die neue Kunst vor, die in den Niederlanden aufgehen wird.
Es ist als ob die Poesie erstorben sei; die Didaktik blüht. Noch einmal
gelingt es Frankreich ein Thema vorbildlich zu gestalten: den sog.
Totentanz.
Die Prosa gewinnt die Oberhand. Sie gewinnt auch dem Latein
Boden ab. Die offiziellen Königschroniken im Kloster zu Saint-Denis
werden jetzt französisch redigiert. Historiker, Philosophen und Redner des
Altertums werden aus dem Latein übersetzt. König Karl V., der Weise,
liebt und fördert diese Bildungsarbeit, die durch den Jammer des folgenden
Regiments unterbrochen wird. Der Latinismus beginnt Wortwahl und
Satzbau zu beeinflussen. Greift man zu einem Poeten, wie Ovid, so werden
seine Fabeleien „moralisiert", d. h. allegorisch lehrhaft gedeutet. Es ent-
stehen Werke über Politik, Kriegskunst, Recht, Münzwesen, zum Teil
im Rahmen von Visionen, Der Roman schwillt zum endlosen Lehrbuch.
Die Chanson de geste verkommt und ihre Umsetzung in Prosa beginnt.
Die Tierschwänke werden zur formlosen Enzyklopädie. Die moralisierte
Fabel blüht. Das Fabliau verschwindet. Die Kunst der kurzen Erzählung
scheint verloren.
Die älteren Formen der Lyrik treten zurück. Es sind nicht mehr die
höfischen Kreise, die den Ton angeben, sondern die bürgerlichen Puys
der immer mächtiger werdenden Städte. Hier bildet sich der Meistergesang
aus. Es entstehen Anweisungen zur Poeterei. Wenige Gedichttypen, zum
Teil zierlicher, komplizierter Form wie Balladen, Rondeaux, Virelay — die
Namen verraten das ursprüngliche Tanzlied — dienen sowohl der Liebe
wie dem Glauben, der Politik und der Moral, der Fabel und der Satire.
Originelle Kompositionen tragen sie bis nach Italien. Die Ballade ist für
zwei Jahrhunderte die herrschende Form. Der treffliche Eustache Des-
champs (f 1405) hat uns über 1000 solcher Balladen hinterlassen, die ein
buntes Bild seiner und seiner Zeit Geschichte geben. Es sind die bösen
Jahre des Krieges mit England, deren Rittertaten in der Chronik Frois-
sarts eine zwar äußerliche, aber um so farbenreichere Darstellung ge-
funden haben, die Walter Scott entzückte. Es sind auch die Zeiten tief-
gehenden Aufruhrs im Innern: Königsmacht und Feudalmacht ringen um
die Herrschaft; das erstarkende Bürgertum mischt sich in den Kampf; die
Not zwingt die Bauern zu verzweiflungsvollen Aufständen. Die Kirche,
A. Frankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. M. Frankreichs Niedergang. 161
deren Haupt in Avignon residiert, treibt dem Schisma entgegen, das die
Gemüter der Gläubigen verwirrt. Inzwischen ist Avignon ein Zentrum
kirchlicher und profaner französisch-italienischer Kultur. Die Päpste be-
schäftigen senesische Maler und französische Architekten und Plastiker.
Jean de Meun ist die literarische Autorität, der man folgt oder die
man bekämpft Fromme Dichter benutzen seine Form, um seine Lehre zu
widerlegen. Die gelehrte Christine von Pisan (Pezzano) stellt ihm Dante
gegenüber, verteidigt die Ebenbürtigkeit der Frau gegen seine zynischen
Angriffe und hilft damit 1401 eine große literarische Debatte entfachen.
Die „Frauenfrage" erfüllt die Literatur der Zeit. Einem unbekannten Pariser
verdanken wir das satirische Kleinod „Les quinze joies de mariage", ein un-
ehrerbietiges Pendant zu den fünfzehn Freuden Mariae. Die Verteidigung
der Frau gipfelt in den 24000 Versen des „Champion des dames" von
Martin le Franc (1442).
Das 15. Jahrhundert bringt Frankreich die schwere Krise der englischen d«. fünf««hnt
Eroberung und der burgundischen Rivalität Die Jungfrau von Orleans J»*'^''"^^"^
hilft jene überwinden (1429); die Macht der burgundischen Herzöge brechen
die Schweizer (1477).
x\uf den Reformkonzilien zu Konstanz und Basel haben die Pariser
Theologen die Führung. Sie begründen die sog. gallikanischen Freiheiten.
Die friedenslose christliche Gesellschaft liefert der satirischen Dichtung
reichen Stoff. Spott und Zynismus erfüllen die Verse, aber das Schicksal
der Jeanne d'Arc findet keinen Poeten.
Die französischen Könige der Zeit haben wenig literarisches Interesse,
und Paris tritt nicht besonders hervor. Meister Alain Chartier schafft
sich dauernde Autorität durch seine ernste poetische Rede. In den Zeiten,
da das Vaterland dem Untergange nahe ist, werden Alains anmutig ge-
reimte Gemeinplätze von der „Grausamen Schönen" (1424, La belle dutne
Sans merci), die mit guten Gründen den tränenreichen Liebhaber abweist,
zum höfischen Ereignis. In Blois hält der Prinz Karl von Orleans
nach seiner Rückkehr aus 2 5 jähriger englischer Gefangenschaft (1440)
einen literarischen Salon, in welchem ein zierliches, erfindungsreiches Spiel
mit Balladen und Rondeaux getrieben wird, an dem vorübergehend auch
der verkommene Pariser Fran(^ois, genannt Villon, teilnahm. Dieser Fürst
und dieser Vagabund sind die Poeten des 15. Jahrhunderts. Aber der
Vagabund ist der größere Dichter. Er erinnert an Verlaine. Das Leben
hat sein Inneres tief gepflügt und aus den Furchen sprießt eigene Frucht,
Die Lieder des verschollenen Mannes sind nicht zahlreich. Sie bewegen
sich in den überlieferten Formen und verschmähen nicht deren Zierat
Aber Villon hat der Ballade, in die er mit ergreifender Aufrichtigkeit Lust
und Klage seines zertretenen Lebens goß, für immer den Stempel seines
Geistes aufgedrückt. Das Altertum hat ihn nicht besonders inspiriert
Ganz fremd ist es Philipp de Commines, der „aucufu littdraturi^ hat und
der deshalb ohne rhetorische Ambitionen die politische Erfahrung eines
Dn Kltn'K dkr Ctmr.cNwMir I II. I II
j52 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
35jälirigen Fürstendienstes in schlichter Prosa darstellt als ein Vorläufer
Machiavells. Die Freude an der einfachen Erzählung regt sich wieder
und schafft z, B. die reizende Prosanovelle vom König „Jean de Paris".
Am prachtliebenden Hofe von Burgund herrscht eine prunkvolle
Literatur. Die Prosa seufzt unter der Last lateinisch aufgeputzter Wörter
und im Schnürleib latinisierender Konstruktionen. Die literarische Kunst
wird zur pompösen Rhetorik und Rh^toriqueurs nennen sich diese Schrift-
steller, die mit der nämlichen anspruchsvollen Feierlichkeit Prosa und Verse
behandeln und die Künstlichkeit Alain Chartiers und Karls von Orleans
durch Reimschnörkel imd Formverrenkungen noch verkünsteln.
Diese burgundische allegorische Rhetorique überdauert den politischen
Sturz und findet in Frankreich gelehrige Schüler. Manch unbestreitbares
Talent erschöpft sich im Latinismus und Formengeklingel dieser sterbenden
mittelalterlichen Dichtung.
Seit 1400 dringen neue Anregungen aus Italien herein. Italien
liefert lateinische Versionen griechischer Originale, nach welchen Originalen
sich in Frankreich noch kein Verlangen zeigt. Vom italienischen Humanismus
stammt die rhetorische Eloquenz, der latinisierende Schwulst und der über-
triebene Kultus der antikisierenden Form, der sich auf französischem Boden
viel greller abhebt als auf italienischem. Dante, Petrarca, Boccaccio werden
übersetzt. Des letzteren Beispiel leitet die neuerwachte Erzählimgskunst
und bringt Frankreich das Wort „Xouvelle". Ein Unbekannter vereinigt
in den „Cent nouvelles nouvelles" in reizvoller Form sehr freie Geschichten,
so sich in Frankreich, England, Deutschland und Brabant zugetragen haben:
es ist das alte derbe Schwankgut der Fabliaux. Dann erschließen die
italienischen Feldzüge (seit 1494) Frankreich das Renaissanceland jenseits
der Berge. An der Eingangspforte, zu Lyon, bildet sich eine einflußreiche
italienische Kolonie. Italienische Gelehrte, Poeten und Künstler werden
die Lehrer der Franzosen.
Für Deutschland bleibt Frankreich im 15. Jahrhundert noch maß-
gebend. Es sendet ihm seine Prosaromane und vermittelt italienische Ent-
lehnvmgen.
Die neue Kunst des Buchdrucks fand in Frankreich eine Schrift-
sprache vor, die sich literarisch bereits das ganze Land erobert hatte und
als literarische Verkehrssprache auch dem Ausland diente: la plus com-
mune par Funiversel monde^ wie Christine um 1400 sagt.
Diese Jahrhunderte sahen indessen neben der sich erschöpfenden Epik
und Lyrik der alten Zeit eine zwiefache literarische Blüte: Erstens schafft
diese Epoche der künstlichsten Kunst dichtung neue Formen des Volks-
liedes, Grundlage und Muster für die folgenden Zeiten, und wieder ist es
Nordfrankreich, das an der Arbeit der volkstümlichen Romanzendichtimg,
die durch das ganze Abendland pulsiert, führenden Anteil nimmt.
Das Theater. Zwcitcus läßt dicsc Zeit cinc neue Dichtungsform aus alten unschein-
baren Anfängen zu glänzender Entfaltung gelangen: die dramatische.
A. Frankreich bis lum Ende des 15. Jahrhunderts. II. Frankreicht Niedergang. 163
Die dramatische Kunst des Mittelalters fließt vornehmlich au.s zwei
Quellen: aus der uralten Schwanktradition de.s Mimus- Jongleur und aus
dem Kultu.s. Dazu g-esellt sich die Schule.
Der Wunsch, die zwei Ileilswahrheiten (Mysterien), an die es glauben soll,
dem Volke vor Augen zu fuhren, macht sich in der Kirche um so nachdrück-
licher geltend, als ihr Latein diesem Volke unverständlich war. So ent-
stand die Pantomime als Teil der Gottesdien^iorilnunvr, /u r)st(rn um «-in
Grab und zu Weihnachten um eine Krippe.
Früh bildet sich in der abendländischen Kirche der liturgische Brauch, dm« OttrrWe«.
am Karfreitag vor dem Altar ein Kreuz aufzustellen, es hierauf in einer
Art von Grab im Chor symbolisch zu bestatten und später wegzuschaffen,
um am Ostermorgen das leere Grab zu zcigin. Mit dieser Pantomime der
Kreuzbestattung verbindet sich im 10. Jahrhundert einer jener Gesänge
(Tropen), mit denen damals die römische Liturgie erweitert wurde. Dieser
Tropus .stammt aus St. Gallen, wo man ihn in der Me.sse des Ostermorgens
vor dem Tedeum einschob. Er besteht aus einem Wechselge.sang der
zelebrierenden Geistlichen, deren Worte nach dem Texte der Evangelien
von den zum Grabe wandelnden drei Marien gebildet war: „Wen sucht
ihr im Grabe, o Christinnen?" „Jesum Xazarenum, den Gekreuzigten, o
Engel." „Er ist auferstanden, Halleluja!" Während dieses Gesanges hält
ein weißgekleideter Geistlicher als Engel Grabes wacht; drei andere in
langen Gewändern nähern sich mit suchender Gebärde als Marien und
jener, die Decke vom Grabe wegziehend, zeigt ihnen und den Gläubigen
das leere Leichentuch: surrexit! Halleluja!
So verlief um 967 die Osterfeier in englischen Klöstern, die sich dabei
auf französisches Beispiel berufen. Es setzt sich dieses lateinische litur-
gische Spiel aus einer Pantomime und einem Wechselgesang zusammen,
die nebeneinander hergingen. Die weitere Entwicklung war eine doppelte:
Entweder blieb es bei dem Nebeneinander: das Spiel blieb Pantomime und
ward zu einem pnmk vollen Schaustück, das dem Gesang oder dem Worte
des Predigers entlang lief oder einen eigentlichen Erklärer beschäftigte.
Oder der Wechselgesang ging in den Mund der agieremlen Figuren, Engel
und Marien über, und es entstand dius feierliche lateinische Musikdrama.
Jetzt war die Freude am Spiel geweckt Die Evangelien bieten Material
zu Erweiterungen: den Wettlauf der Apostel Petrus und Johannes zum
Grabe (Joh. 20, 2) — womit .schon ein Lächeln sich zum feierlichen Ernst
gesellt — ; die Frauen kaufen unterwegs Salben beim Krämer (Luk. 23, 56)
— womit eine komische Laienfigur in die heilige Gesell.schaft tritt — ;
Jesu-s erscheint der Maria Magdalena (Joh. 20, 11) — der lyri.sche Dialog
zwischen Jesus und der Sünderin wird in rhj-thmischen Couplets ausgespomien,
die auf volkstümliche Melodien weisen — ; Jesus erscheint den klugen und
den törichten Jungfrauen — .seine Zurückweisung der törichten ruft die
Teufel auf den Plan und öffnet die Hölle. So wird das liturgische Sing-
spiel weiter und bunter.
II*
l54 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Im Mittelalter werden Epos, Lyrik und Drama gesungen. Der Gesang
ist Träger aller dichterischen Arbeit.
An der Entwickelung dieses lateinischen Osterspiels sehen wir haupt-
sächlich Deutschland und Frankreich beteiligt. England, Spanien und
Italien treten zurück.
Seit dem 12. Jahrhundert dringt das Französische in diese Musikdramen
ein. Es entstehen zunächst gemischte (farcierte) Formen: lateinische Stücke
mit französischen Refrains am Strophenschluß, mit angefügter Übersetzung
einzelner Hauptstücke, mit selbständigen französischen Einlagen. Die
Vulgärsprache bringt einen etwas derberen Ton. Dem ersten ganz fran-
zösischen Auferstehungsspiel begegnen wir ums Jahr 1200. Es ist nicht mehr
strophisch, sondern in paarweise gereimten Kurzversen geschrieben; nicht
mehr gesungen, sondern gesprochen, von der Liturgie gelöst, laisiert.
Das Wie die Ablösung sich vollzog, zeigen die reichen Überreste des
weihnachtsspieL "^ygij^jj^f^^^s^jj-ajjjas, das in Nachahmung des Osterspiels sich gebildet hat:
hier zogen suchende Hirten zur Krippe, wie dort die Marien zum Grabe.
Doch lockte der biblische Bericht zu weltfreudiger Ausgestaltung. Der
prunkvolle Zug der Könige trat hinzu; der Elindleinmord brachte mit
ihnen den Herodes zusammen, in dem der Keim zum Theaterbösewicht
schlummerte. Eine Lectio aus der Weihnachtsmesse führte dazu, eine Reihe
von Propheten Christi auftreten zu lassen, wie Jesaja, Bileam, die drei
Jünglinge, Daniel. So ward die Welt des Alten Testaments erschlossen.
Bileam reitet auf einem Esel; Xebukadnezar singt von seinem Königs-
thron aus den Befehl, die drei Jünglinge in den feurigen Ofen zu werfen;
Daniel kommt auf Geheiß des Darius in die Löwengrube. Die Handlung
ist aus dem engen Chor in das breite Schiff hinausgerückt, wo ein naives
Nebeneinander die Inszenierungskünste vereinigt (Juxtaposition).
Klosterschüler bauen sich die Danielepisode der Prophetenreihe als
selbständiges buntes Singspiel für ihre studentische Weihnachtsfeier aus:
so tritt die Schule in die Entwickelung ein und pflückt die reifende Frucht
vom Baimie der Liturgie.
Inzwischen wird dem Prophetendefile, aus Anlaß einer anderen Lectio
der Weihnachtsmesse, die Darstellung des Sündenfalls und des Bruder-
mordes vorangestellt und damit der Anfang zu einer Dramatisierung des
Alten Testaments in Biographien gemacht. Diese Form zeigt uns das
älteste vollständig erhaltene französische Mystere {La rcpresentation
d'Adai?i)j das sich allerdings noch an der Krücke lateinischer Gesänge
und Lektionen bewegt und so an die Kirche gefesselt erscheint, das aber
bereits außerhalb des Gotteshauses im Vorhof gespielt und dessen naives
Französisch gesprochen wird.
Das lateinische liturgische Drama ist uns in reichen Proben erhalten.
Von den französischen Oster- und Weihnachtsmysterien, die sich im 12.
und 13. Jahrhundert daraus entwickelten, sind uns nur wenige, meist Trümmer,
überliefert. Dieses Wenige weist besonders nach England. So tritt in
A. Frankreich bis xum Ende des 15. Jahrhunderts. II. Frankreicht Niedergang- 165
dieser Blütezeit der Epik und der Lyrik dif dramatisch«« Literatur
zurück.
Nicht rt'icher i.st die l'hcrüotcruni^ jener Mirakelsj)!«-!»-, mit welchen dm
Laiengesellschaften ihre Mcilivif-n fi-iorten: kleine weltliche Uranien, deren ^"'
bunte Verwickelung durch «in Wumler des mächtij^en Schutzherm heilsam
gelöst wird. Sie sind unabhänj^ig von der Liturgie entstanden. Uie Spiel-
freudigkeit der Klosterschüler, von der wir manches hören, gab mit latei-
nischen Nikolaus- und Katharinenmirakeln da.s Beispiel. Dann folgten
unter ihrer l'ührung die Laien. Für eine Arraser Gesellschaft drama-
tisiert Bodel (Um 1200) eine abenteuerliche Handlung, zu der ein Wunder
des heiligen Nikolaus fast nur noch den Vorwand bildet Für einen Pari.ser
Puy liefert Rutebeuf ein Marienmirakel („Theophilus").
In diesen Mirakelspielen lag weltlicher Stoff für ein romanti.sches
Drama bereit Doch fand sich der Künstler nicht; denn ganz isoliert
.stehen die zwei originellen poetischen Frühlingsspiele da, die Adam der
Schöffe um 1265 für den Puy zu Arras .schrieb: das eine ein buntes Jahr-
marktsbild mit Narrenszenen [Soffic), da-s andere eine dramatisch aus-
geführte liederreiche Pastourelle: das erste Vaudeville. Das begabte
Arras erscheint hier auf dem Wege zu einer weltlichen Kunst Doch wird
er nicht weiter verfolgt. Die Geschichte des Dramas ist reich an solchen
V^erwerfungsspalten.
\'om Jongleurtheater sind uns aus dieser Zeit — außer den Fabliaux Dm joa^kw
— nur kärgliche Überre.ste des Einzelspiels: komische Monologe, Streit-
und Narrenreden geblieben. So scheint es, als hätte der fahrende Spiel-
mann erst spät und erst nach dem Beispiel der Mysterien- und Mirakel-
bühne gelernt, Szenen im Zusammenspiel mehrerer Personen aufzuführen.
Seit dem 13. Jahrhundert wird, im Gefolge des Marienkultus, dem Auf- d»«?
erstehungs.spiel die Klage der Mutter Gottes am Kreuz vorausgeschickt ^'^^
Um diese Marienklage gestaltet sich dann die ganze Leidensgeschichte
Christi. So wird das Ostermy.sterium zum Myst6re de la Passion. Hierin
ward Frankreich für Deutschland und England vorbildlich. Auch das
Passion.sspiel lag in den Händen bürgerlicher Gesellschaften. Die Pariser
Confr^rie de la Passion erlangt 1402 die königliche Erlaubnis, ihr Spiel
auch außerhalb des O.sterfestes, .sonn- und feiertäglich, zu wiederholen.
Damit tritt das ursprüngliche F'estspiel in das Alltag.sleben hinein. Es
entsteht das hauptstädtische Theater, und die Dilettanten der Confrerie
sind auf dem Wege zum Berufsschau.spielertum. Jetzt erst begegnen wir
dem Namen „Mystere".
Mit dem 15. Jahrhundert nimmt diese ganze Dramatik einen gewaltigen in» .Wt.ä^j.
Aufschwung. Das Leiden Chri.sti wird mit weitläufiger Aufdringlichkeit
dar^r.stellt Die Rolle Marias wird nach Herzen.slust ausgedehnt Da.s Welt-
leben wirft seine Wellen in die heilige Handlung und kommt der Figur
der Sünder, der Magdalena und des Judas, zugute. Überall aber kommt
die theologische Gelehrsamkeit zum Wort, in deren Büchern die Mysterien-
l66 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
dichter mit vollen Händen schöpfen. Die Pariser Confreres erhalten um 1450
durch Arnoul Greban ein solches Passionsspiel, das in 33000 Versen
das ganze Leben Christi darstellt, also auch das Weihnachtsspiel absorbiert.
Der selbe schreibt eine „Apostelgeschichte" in 62 000 Versen mit 500 Per-
sonen, deren Aufführung zehn Spieltage in Anspruch nimmt. Die Biographien
des Alten Testaments werden zu einem riesigen Mystere du Vieux Testa-
ment zusammengelegt. Auf langgestreckter und tiefer Bühne, deren Seiten
von Paradies und Hölle gebildet waren, und deren Mitte die Schauplätze
der irdischen Vorgänge in anspruchslosem Nebeneinander vereinigte, verlief
die wechselvolle Handlung, ohne daß ein Vorhang sie unterbrach. Diese
w^ahrhaft epische Szene, die keine örtlichen noch zeitlichen Schranken
kannte, bot eitel Augenweide, vom Anfang bis zum Schluß. Die ganze
Bürgerschaft einer Provinzstadt war monatelang mit den Vorbereitungen
eines solchen Spieles beschäftigt. Die Städte rivalisierten und Frankreich
erscheint als ein großes Schauspielhaus.
Die Idee dieses Glaubensdramas, das vor Torschluß des Mittelalters
noch einmal Hoch und Niedrig zu gemeinsamem literarischen Genuß ver-
einigte und das durch viele lyrische Einlagen noch an seinen musikalischen
Ursprung erinnerte, ist grandios. Aber die Ausführung ist mißlungen. Die
Schönheiten des Details verschwinden in Myriaden von platten Versen.
Das organische Element des Komischen und Niedrigen, das aus den
biblischen Berichten schon ins liturgische Drama geflossen war, stört die
robuste Gläubigkeit des Mittelalters so wenig, daß man es förmlich hegte
und unter der Führung der Jongleurpossen ausbaute. Hirten, Bettler,
Narren, Henker, Teufel sind ihre Hauptträger, Prügelszenen ihr Höhe-
punkt. Die antisemitische Komik der deutschen Mysterien fehlt. Aus der
Sitte dieses komischen und oft unflätigen Füllsels {Farce) erwuchsen selb-
ständige Stücke und entstand für das Possenspiel überhaupt der Name
Farce.
Das geschärfte religiöse Empfinden der späteren Zeit ertrug dieses
Lachen nicht mehr und bereitete dem naiven Glaubensdrama der Civitas
Dei den Untergang (1548). —
Nach den bescheidenen Mirakelspielen, die in ein Wunder des
Schutzheiligen ausliefen, führen die bürgerlichen Vereine nun ganze
große Heiligenleben (Mysteres des Saints) mit viel Weltlichkeit auf,
und naturgemäß wandte sich die Spielfreudigkeit gelegentlich auch
ganz weltlichen Stoffen zu. Die rührsame Geschichte der Griselidis wird
(1393) gespielt, der Jahrestag der Entsetzung von Orleans durch ein Be-
lagerungsfestspiel gefeiert und der trojanische Ursprung des franzö-
sischen Königshauses durch die Tragödie vom Untergang Trojas ver-
herrlicht. Doch ist von diesen weltlichen Materien kein fördernder Ein-
fluß ausgegangen.
Neben dieser reich entwickelten Dramatik erhielt sich die Sitte der
prunkvollen pantomimischen Ausstattungsstücke.
A. Frankreich bis zum Ende des 1 5. Jahrhunderts. II. Frankreiclis Niedergang. 167
Aus den Disputationsübungen der Schulen gingen lehrhafte Rededramen ih» Jür*/ur,.
hen'or {A/ortj/iUs)^ die mit Vorliebe allegorische Figuren in Szene setzten
und sich zu kirchlicher oder politischer Polemik eigneten.
Auch das ausgelassene Possenspiel blüht inmitten dieser üppig trei- /-arr, aa4
bcnden Dramatik, und die nämlichen Studenten und Bürgergesellschaften^ ^^''"
die den Tag ihrer Heiligen feierten, liebten die tolle Lust des Jongleur-
theaters und pflegten sie. So bildet sich ein dramatisches Schwankspiel^
in welchem Laien und Kleriker ihren Scherz und Spott zum Ausdruck
brachten. Zwischen den lateinischen Schulkomödien und dieser Schwank-
bühne gehen die Einflüsse hin und her. Es bildeten sich wieder, wie ein.st
in römischer Zeit, föniiliche Truppen von Herufsschauspielern, die von
dieser „Farcerie** lebten uml ihre Not unter lustigen Namen (z.B. Galants
Sans souci) bargen.
An den kirchlichen Xarrenfesten hatten von jeher die Kleriker sich
für den kirchlichen Zwang des ganzen Jahres ausgelassen gerächt: die
Figur des schellentragenden, langohrigen Narren {Sof) mit seiner Rede-
freiheit ist früh von der Bühne benutzt worden, und im 1 5. Jahrhundert
wird die Sottie, die die Welt als ein Narrenhaus verspottet, eifrig gepflegt
Die Beamten der Landesgerichte trieben mit der Justitia Faschingsscherz
und führten sog. „Causes grasses" auf: die köstliche Farce vom Advokaten
Pathelin ist ihr Denkmal. Ehestreit und Weiberlist, Prellereien aller Art,
ethologische Scherze bilden den Gegenstand der zumeist rohen und nicht
selten unflätigen Farcen, deren Satire oft in verletzender Weise persönlich
ist. Von einer Ausbildung eigentlicher komischer Typen sind nur Ansätze
vorhanden.
Das deutsche Fastnachtsspiel ist von der französischen Farce un-
abhängig. Die norditalienische Farsa, der spanische Sainete aber zeigen
ihren Einfluß. —
Eine regelrechte Theateraufführung des 1 5. Jahrhunderts begann mit Zo»««m«i-
der Sottie als „Lever de rideau"; daran schloß sich ein lustiger Monolog; *■•"'«
dann folgte das ernste Stück, und die Farce mit einem ausgelassenen Lied
bildete den Schluß. So schritt man „in dem engen Bretterhaus den ganzen
Kreis der Schöpfung aus".
Dieser bodenständigen Dramatik machte die Renaissance ein Ende.
Nur die Posse widerstand, die ja in primitiver l-'orm auch zuvor schon
existiert hatte. —
So erscheint die Dramatik als die literarische Kunst, die in der Romania
am langsamsten sich entwickelt hat und am spätesten zur Blüte gelangt ist
Ihren Kern bildet das seit dem 10. Jahrhundert aus dem Kultus erwachsende
Theater des Mysteriums. Dieses religiöse Festspiel ward Veranlassung und
Vorbild für die ernsten und heiteren Festspiele der Schule und der Korpo-
rationen und befruchtete auch die viel ältere Bühne des Jongleurs. Es gab
der primitiven Jongleurposse, die bis dahin wesentlich Einzelspiel gewesen
war, mehr szenische Form und gab ihr auch den Namen Farce.
i68 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Frankreich ist in dieser Entwickelung nicht in dem Maße führend
gewesen wie in der Epik und der Lyrik. Wohl aber ist es das Land, das
auch hier die reichste Entwickelung zeigt.
B. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts.
Es ist bezeichnend, daß unter den ältesten Denkmälern der italienischen
Literatur das kirchliche Element viel weniger stark ist als in Frankreich.
Sie tritt wesentlich als Profanliteratur auf. Italien hat überhaupt am mittel-
alterlichen Schrifttum nur verhältnismäßig spärlich, wenig schöpferisch
und zögernd teilgenommen. Aber es hat den einen Dante und hat allen
Ländern voran seit dem 14. Jahrhundert eine neue auf der Antike beruhende
Weltanschauung und Kunst hervorgebracht, welche die mittelalterlichen
Stoffe und Formen umschafft oder verdrängt.
Das Schwergewicht der italienischen Literatur ruht im Festland. Von
den Inseln hat nur Sizilien, vorübergehend, eine Rolle gespielt. Sardinien
gehörte bis ins 18. Jahrhundert literarisch zu Spanien.
Die Ein Heldenepos hat Italien nicht geschaffen und selbst von einer
Volksliteratur. Hcldensagc sind nur Ansätze erkennbar. Wahrscheinlich, doch bei der
mangelhaften Überlieferung nicht nachzuweisen, ist die Fortdauer der
römischen Possenspiele. Von den Liedern, die das Volk in jenen fernen
Zeiten sang, haben wir keine direkte Kunde. Erst das 13. Jahrhundert
hat uns einige Aufzeichnungen und einige höfische Nachahmungen er-
halten. Die weitere Entwickelung und der heutige Stand der italienischen
Volkspoesie zeigt, daß zwischen dem Norden einerseits und Mittel- und
Süditalien andererseits ein Unterschied bestanden hat, der auch im Sprach-
charakter wohl begründet ist: hier haben wir paroxytone Wortform
[cantdre, bello), im Norden oxytone Form {cantd{r)^ bei), was diesen Norden
sprachlich mit Gallien verbindet und ihn dem Import nord- und süd-
französischer Dichtung mehr öffnete.
Die Volkspoesie, die in Süditalien autochthon ist, ist wesentlich lyrisch,
subjektiv; ihre Form ist das Schnaderhüpfel {Strambotto , tosk. Rispetto;
Ritorncllo, tosk. Stornello), kleine Gebilde von zwei bis vier resp. acht Zeilen
zehnsilbiger Verse, die aus Sizilien stammen und vielleicht die Fortsetzung
der antiken Liebeslieder sind. Durch kunstmäßigen Ausbau schufen süd-
imd mittelitalienische Dichter im 13. Jahrhundert aus diesen Liederformen
das Sonett, die Terzine und die Ottava rima. Die Ballata und das
Madrigal (Hirtenlied) scheinen der Toskana anzugehören.
In Norditalien herrschte das objektive epische Volkslied, die Romanze.
Wenig ist davon nach dem Süden gedrungen; das meiste weist nach Nord-
frankreich, dem romanischen Herde epischer Poesie.
Dig I. Das Mittelalter. Nach Gallien weist auch die früheste Kunst-
Kunstdichtung. dichtuug Italiens. Nur in der religiösen Poesie der Franziskaner zeigt sich
B. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhuiulerts. I. Dai Mittelalter. i5q
Selbständigkeit, uiul machtvoll tritt aus dieser literarischen Botniäßiv(keit
heraus die Figur Dantes.
Während Frankreich im 1 j. Jahrhundert in einem glänzenden Schrifttum
zu Kuropa spricht, ist Italien noch stumm. Erst seit iZ'in erhebt es die
Stimme, zunächst um Frankreich seine Lieder nachzusingen.
Dieser späte Eintritt in die Vulgärliteratur beruht auf den namlu hen
Ursachen, die in Italien die volle Entfaltung mittelalterlicher Kultur über-
haupt verhindert und aus ihm das Land der Renaissance gemacht haben:
der starken Nachwirkung der antiken, munizipalen Kultur auf allen Lebens-
gebieten, besonders auch auf dem Gebiete der Schule. Die weltliche Schule,
die den nördlichen Ländern fi-hlte, schützte und verbreitete die weltlichen
Wissenschaften der Grammatik, Rhetorik, Medizin und Juristerei und .schuf
ein aufklärerisches rationalistisches Laientum. Dante wäre im Norden ein
Kleriker geworden.
Durch den Jongleur, der die Scharen der Pilger nach Italien begleitete,
kam das französische Karlsepos zu den Norditaliencrn. Im Piemont, in
Mailand, Verona, Bologna wurde es von Bänkelsängern gesungen, und in
ihrem Vortrag bildete sich ein merkwürdiger franko-italienischer Jargon,
eine hybride Epensprache aus. Während das Volk sich an diesen Gesängen
der „Materia di Francia" ergötzte, las und kopierte der Gebildete die nord-
französischen Prosaromane von der Tafelrunde (Materia di Bretagna) und
lauschten die Fürstenhöfe dem südfranzösischen Troubadour. Es entstand
von Ligurien bis Venetien ein Geschlecht einheimischer Trovatori, die in
provenzalischer Sprache dichteten. Daneben wurden die einheimischen
Mundanen, das Genuesische, Lombardische, Venedische usw. in kunstloser
didaktischer Literatur verwendet. So bietet Norditalien im 1 3. Jahrhundert
ein Bild sprachlicher Zerfahrenheit, die zugleich seine literarische Un-
selbständigkeit illustriert.
Das erste kunstmäßige Lied in italienischer Sprache erklang im Süden, i>»e
wo seit 1220 Kaiser Friedrich II. in Palermo mit jener Constanza von
Aragonien Hof hielt, die aus einer fürstlichen Troubadourfamilie stammt.
Um sie gruppierten sich Männer — wir kennen etwa dreißig — aus allen
Teilen Italiens imd sangen mit dem Kaiser und seinen Söhnen, Enzo und
Manfred, um die Wette kunstvolle Kanzonen nach provenzalischem V^orbild.
Sie erfinden das Sonett. Das Italienisch, dessen sie sich bedienen, zeigt
südliche Ba-sis mit mittelitalienischen Formen, Latinismen und Provenzalismen.
Die Dichtung dieser „Scuola siciliana" ist konventionellste Minnelyrik: jede
Originalität, jedes Echo jenes eigenartigen Lebens fehlt. Seine politischen
Lieder dichtet Pier delle Vigne lateinisch. Die Schlacht von Benevent
bringt Maofred den Tod und Konradin wird 1268 gemordet, ohne daß ihnen
ein italienisches Lied nachweint So endet diese stautische Poetenherrlich-
keit. Die folgende angevinische Herrschaft trägt keine literarische Frucht
Inzwischen war diese Lyrik nach .Mittelitalien gedrungen. In Toskana
nahm sie volkstümliche Elemente auf {ßa//a/a); sie öffnet sich dem städtischen
rW itrtJuns.
I70
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Leben und der Parteipolitik. In Bologna und Florenz mischt sich ihr einst
feudaler Minnedienst mit philosophischen Schultheorien und religiösen Vor-
stellungen. Die Minne wird vollends übersinnlich; die Geliebte zum Symbol
aller sittlichen Tüchtigkeit, aller Erkenntnis und endlich des Glaubens:
Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Ein „süßer neuer Stil" entsteht,
in welchem die Tradition des ritterlichen Minnedienstes und der Scholastik
zu allegorischem, mystischem Frauenlob zusammenfließen.
Die Lazuia. Er ist vom frommen Geiste der Franziskaner beeinflußt. Vom Ober-
lauf des Tiber und den Gestaden des Trasimenischen Sees ergoß sich jene
wunderbare Glaubensbewegung, deren erste Boten noch lateinisch dichteten
und uns das „Dies irae" und das „Stabat mater" geschenkt haben, während
die späteren, wie Jacopone von Todi, ihr Evangelium als „joculatores
Dei" in die populäre Form der Ballaten kleideten und so an Stelle des
lateinischen Kirchenliedes die italienische Lau da (Loblied) setzten. Auch
sprachlich demokratisierten die Laudesi des „armen Lebens" die Kirche.
Im Mittelpunkt dieser Laudenpoesie stand die Marienklage. Ihre
dialogische Gestaltung führte zum Wechselgesang und lockte zu drama-
tischer Darstellung. Im Schöße der franziskanischen Geißlerbrüderschaften
liegen die Anfänge des italienischen Dramas und nicht, wie in Frankreich,
im lateinischen liturgischen Schauspiel, das in Italien über die Anfänge
nicht hinausgekommen zu sein scheint und wesentlich pantomimische Schau-
stellung blieb, die sich zum Teil prunkvoll gestaltete.
An Stelle der gesungenen Form der dramatischen Lauda mit ihren
Tanzliedstrophen trat im 1 4, Jahrhundert die gesprochene Rede der Ottava
rima. Sie wuchs in den Gottesdienst hinein und gesellte sich dort zur
Pantomime.
Florenz. Immer mehr entwickelte sich die reich gewordene Handels- und Industrie-
stadt Florenz zu einem künstlerischen Mittelpunkt. Neben den Liedern
des „süßen neuen Stils" kommt der kecke Realismus der Humoristen und
Satiriker zum Wort. Literarische Debatten werden in Sonetten geführt. In
eifriger Übersetzung lateinischer und französischer Originale bildet sich die
Prosa. Chronisten von ausgeprägter Eigenart (Dino Compagni, G.Villani)
schreiben die Geschichte ihrer Zeit. Die Lust zu Fabulieren schafit schon
vor 1300 Sammlungen kleiner Novellen, die sich als „Lebensbeispiele"
geben, und deren Inspiration nach Frankreich weist. Cimabue bereitet für
Giotto den Weg. Und dieses intensive geistige Leben entfaltet sich auf
dem Hintergrunde der erbittertsten Parteikämpfe, in deren beschränkten
Interessen sich viel wahrer Heroismus verzehrt. Die feudale Partei der
GhibeUinen unterUegt; die fortschrittUche Partei der Autonomisten (Weifen)
siegt. Florenz ist weifisch. Zum letzten Male lodert der Gedanke des deut-
schen Kaisertums mit der Italienfahrt Heinrichs VII. auf, der 1 3 1 3 untergeht.
Die drei Kaisergräber Friedrichs 11. zu Palermo, Konradins auf dem
Mercato zu Neapel und Heinrichs VII. zu Pisa sind die Mausoleen des
Ghib ellinismus.
H. Italien bis lum Ende des 17. Jahrhunderts. I. Uas Mittelalter. jji
Im weifischen Florenz bekämpften sich die Partei der demokra- i»*aw
tischen Schwarzen und der aristokratischen antipäpstlichen Weißen (Guelfi
bianchi^. Dante, den Geburt (1265) und Gesinnung den letzteren zuweisen,
unterliegt mit ihnen, und aus dem rücksichtslosen Kampf um Kirchtums-
interessen rettet er sich später zu ghibellinischen Träumen. Er diente der
Vaterstadt seit 1288 als Soldat und Beamter, ward 1302 ein Opfer ihrer
päpstlichen Politik (Bonifaz VIII.) und irrte die letzten 20 Jahre seines
Lebens als ein Verbannter umher, ohne daß wir heute den Stationen seines
Lebensweges, der ihn vielleicht bis Paris führte, vorzüglich aber an die
norditalienischen Fürstenhöfe fesselte und ihm ein Grab in Ravcnna (1321)
vorbehielt, mit Sicherlieit folgen können.
In seinen Liedern, Kanzonen, Ballaten und Sonetten wird er der vor-
nehmste Vertreter des süßen neuen Stils. Einem gleichaltrigen Mädchen,
das er — wir kennen es nicht — Beatrice, die Beseligerin, nennt, gelten
seine schwärmerisch zarten Jugendgedichte, erfüllt von der Goetheschen
Empfindung: „In unseres Busens Reine wohnt ein Streben — Sich einem
Höhern, Reinen, Unbekannten — Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben
— Wir heißen's: Fromm sein . . . solcher seligen Höhe — Fühl' ich mich
teilhaft, wenn ich vor Dir stehe." Beim frühen Tod der Geliebten (1290)
vereinigte er diese Minnelieder mit einem erklärenden Prosatext zu einem
stilisierten Büchlein provenzalischer Inspiration [l^i/a ////c^tv/ = Jugendleben).
Diese wundersame Schrift ist der erste Versuch einer Autobiographie,
„Dichtung und Wahrheit", in einer modernen Sprache. Um einen Freund
zu besänftigen, der ihn in Zeiten überschäumenden Lebensgenusses der
Untreue an der Verewigten zieh, fügte er später einen Anhang von zwölf
Kapiteln hinzu, worin er diesen Abfall erklärt und berichtet, wie sie aus
Himmelshöhen ihn durch eine Vision zu sich zurückgerufen habe. Nun
faßt er den Plan, Unerhörtes von ihr zu sagen — den Plan eines großen
Huldigungsgedichtes an die im Paradiese Erstrahlende. Auf dem Boden
der Minne erwuchs ihm so der erste Gedanke der Commedia. Die
Bitternis der Verbannung hat ihn dann zur Reife gebracht
Inzwischen dauerte noch die Zeit süßen Lebensgenusses. Er wirft sich
später vor, daß Mädchen und anderer Tand ihn gefesselt hätten. Es folgt
seine Verheiratung mit Gemma Donati und Jahre eifrigster philosophischer
Studien, Ihr Denkmal ist das „Convivio" (Gastmahl), eine unvollendete
Prosaschrift, die ihn in den späteren Jahren der Verbannung noch be-
schäftigte. Von den 14 inhaltsschweren Kanzonen, die er darin zu
kommentien-n vorgenommen hat, gelangen nur drei — zwei Minnelieder
und ein Moralgedicht — zur Erklärung. Das „Convivio" ist das erste
Lehrbuch der Philosophie in italienischer Sprache, und nicht zum wenigsten
hat Dante an Frauen als Leserinnen gedacht Boetius schwebt ihm vor.
Enthusiastische Worte findet er zum Preise der wissenschaftlichen Erkenntnis,
die zur Tugend führe, unsere höchste Vollkommenheit bedeute und unser
höchstes irdisches Glück sei. Die Fragen des praktischen Lebens fesseln
T-1-
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ihn. Der Weltentsagung gegenüber verteidigt der Bürger einer Großstadt
die Tatkräftigkeit, die nicht von der ewigen Seligkeit ausschließe, denn
„Iddio HO II vuolc rcligioso di not, se no?i il cuore'-'-. Nicht gegen Dogma
und Glauben, sondern gegen den starren asketischen Katholizismus kämpft
Dante. In diesem Buche der Vernunft hat auch seine Gattin einen Platz.
Sie erscheint unter dem tiefen Schleier der allegorischen Figur der „Donna
gentile e pietosa", als das Symbol irdischer Erkenntnis und Lebensarbeit,
während die entschwundene Beatrice allmählich zum Symbol des mystischen
Glaubens geworden ist. So verkörpern sich in ihrer beider Gestalten die
beiden Pole der damaligen christlichen Weltanschauung: thomistische Er-
kenntnis und franziskanische Mystik. Ihre Elemente liegen ungetrennt in
Dantes Seele. Vom Erkenntnisdurst der Philosophie erfüllt, die der Er-
leuchtung durch die Lehre Christi bedürfe, lenkt der Alternde sein Lebens-
schiflFchen „mit gesenkten Segeln" dem sommo Bene des Glaubens zu.
Auch die beiden lateinischen Werke „Von der Monarchie" und „Von
der italienischen Dichtersprache" {De vulgari eloqiieiitid) fallen, sowie die
Commedia, ganz in die Zeit der Verbannung. Jene beiden beschäftigen
sich mit der politischen und sprachlichen Anarchie des Vaterlandes. „De
Monarchia" (seit 1302) ist ursprünglich eine Streitschrift gegen die weltliche
Anmaßung des machtvollen Papstes Bonifaz VIII. Aber Dantes Blick
erhebt sich über den Einzelfall zu weltgeschichtlicher Betrachtung und einer
Lehre der Völkerverbrüderung. Er will die moralische, soziale und poli-
tische Notwendigkeit der Universalmonarchie und der Trennung der welt-
lichen von der geistlichen Gewalt erweisen, die beide von Gottes Gnaden
seien, und die beide ihren Sitz in Rom haben sollen. Mit leidenschaftlichem
Eifer verteidigt er den weltlichen Staat mit seinen irdischen Kulturzielen,
die nur ein starkes Kaisertum mit seinem Frieden schützen könne: L'empire
c'est la paix. Er schreibt 350 Jahre vor Bossuet einen „Discours sur
l'histoire universelle", um die Wunder aufzuweisen, die Gott im Laufe der
Geschichte — nicht für seine Kirche, sondern für seine auserwählte Monarchie
getan hat.
„De vulgari eloquentia" ist die erste kritische Abhandlung über eine
romanische Sprache, Dantes modernste Schrift. Aus Mißverständnissen —
er verwechselt Sprache und Stil — , mittelalterlichen linguistischen Vor-
stellungen brechen moderne Gedanken z. B. über die Individualsprache
hervor. Dante sucht das Phantom der unverdorbenen Schriftsprache {Volgare
illustre oder aulico) umsonst unter den lebenden Mundarten des Vaterlandes.
Seine Lehre, daß der italienische Dichter die vornehme Gesetzmäßigkeit
der lateinischen „Poetae reguläres" erstreben solle, verbindet ihn mit der
Die göttiiche Renaissauce. Inzwischen hat er seine Hand an sein großes Werk gelegt,
Komo le. ^^ ^.^ Komödie, welche die Nachwelt, Boccaccios Beispiel folgend, die
göttliche nennen wird.
Dieses große Gedicht benutzt die dem Mittelalter geläufig'e Vision des
Jenseits; doch gehört das Detail der Architektur der jenseitigen Reiche,
B. Italien bis xum Ende des 17. Jahrhunderts, l. Das Mittelalter. 1-3
Hölle, Pur^atorium und Paradies, Dante an: es ist von einem wunderbaren
Künstl«'raui»^e j^e.sihaut. Die Roise durch diese Phantasiewelt i.st eine
Allegorie der Lebensrcise des sündi{j^fn, sich reiniy^jenden Men.schen, zu
deren Deutung uns Dante in seinen Prosaschriften selbst anleitet; doch
bleibt im einzelnen vieles dunkel. Die Reise wird vom Dichter in die
Üsterzeit des Jahres 1300 verlegt; sie dauert nach eintägiger Wanderung
bis zum HöUontor 67, Tage. Nach einem einleitenden Gesang werden
jedem Reiche 33 Gesänge gewidmet, so daß das Ganze 100 Canti in Ter-
zinen umfaßt. Komödie nennt sich das Gedicht, weil es aus schreckens-
vollem Anfang zu heiterem Schlüsse führt.
Des in Sünde versunkenen Dante erbarmt sich die göttliche Gnade.
Sie sendet ihm Vergil, den „famoso saggio" (die Vernunft) — zu dem sich
Dante auch als Künstler hingezogen fühlt — , damit er ihm zu seinem Heile
die Schrecken der Hölle und die Not des Purgatoriums zeige. Auf der
Höhe des Purgatoriumsberges, im irdischen Paradies, erscheint dem über-
wältigten Wanderer seine lieatrice in sublimer Vision. Zu seinem Fluge
durch die Sphären des Himmelreiches übernimmt sie, die selige lieseligerin,
die Führung an Stelle der hier versagenden Vernunft Dante dringt bis
zum Anblick der Dreieinigkeit vor, und von der Liebe, die Sonne und
Sterne in Bewegung setzt, ergriffen, flutet auch sein Geist im heiligen
Kreise.
Durch diese Unterweisung, in welche irdische Vernunft und himmlische
Offenbarung sich teilen, erfolgt .seine Errettung; sie soll er nun auch den
Mitmenschen zuteil werden lassen. „Wozu sucht ich den Weg so sehn-
suchtsvoll, wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?" Er schreibt also
ein Lehrgedicht, gleichsam den „Roman von der himmlischen Rose". Aber
sein künstlerischer Gestaltungsdrang durchbricht diese Schranke. Seine
machtvolle Persönlichkeit überwindet die Allegorie. Das Lehrgedicht wird
zum leidenschaftlichen Bekenntnis der Liebe und des Hasses des verbannten
Florentiners. Welche Bilder von Natur und Leben weiß er zu gestalten,
lakonisch und doch scharf umrissen, mit einer eigenwilligen, man möchte
sagen: gewalttätigen Kunst, die das ganze Geschehen der Welt in ihren
Dienst zieht und ihn sprechen läßt, wie während eines Jahrtausends keiner
gesprochen hat Wie nahe steht er Hotner, den er doch nicht gekannt
hat Welche Bilder der Liebe! Und sein Haß! Dieselbe Anima sdegnosa
schreitet durch die Höllenkreise und flieget durch den Himmel; auch hier
vergißt er nicht, „wie ge.salzen schmeckt das fremde Brot und wie so herb
der Pfad ist — den man auf fremden Stiegen auf und ab steigt". In
Worten von hinreißender Schönheit und Kraft, in Szenen von unvergeßlicher
Plastik hält er Gericht über seine Zeit, ein mitleidsloses Gericht über eine
wilde Zeit Während sein von Beatrice geführter Blick bewundernd sich
an den Sit^ heftet, der im Paradies des „hohen Kaisers" Heinrich wartet,
deuten Hand und Wort voller \'erachtung auf den schmachvollen Höllen-
platz, der dem treulosen Papste bestimmt sei. Die Invektive verstummt
174
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
auch angesichts des Ewigen nicht. Wie bluten die Florentiner und das
Papsttum unter seinen Streichen! Von den 80 Personen des Inferno sind
mehr als die Hälfte Toskaner, 32 stammen aus Florenz. Florentinern und
Päpsten ist Dantes Paradies sozusagen verschlossen.
In der Sprache der Commedia hat Dante die fremden Bestandteile
(lateinische, provenzalische , süditalienische) reduziert, die engen Schranken
der Kanzonenlyrik durchbrochen und das Florentinische zur Grundlage ge-
macht. Dem Florentinischen, das er im Zorn eine Schandsprache genannt
hat, hat seine Kunst den Adel verliehen.
Dante steht ganz in der Weltanschauung des Mittelalters, deren Elemente
er sich in stolzer Eigenart zurecht legt, wobei sein scharfes Auge manches
Neue sieht, das erst Spätere wieder gesehen haben. Aber kein Sehnen
nach einer Neugestaltung des Lebens spricht aus seinem Werk. Am
machtvollsten tritt uns seine Individualität als Künstler entgegen. Mißt
man diesen an seiner Zeit, so muß von Dante gelten, daß die Romania
seinesgleichen weder vordem noch seither gehabt hat. Von ihm ist das
Wort, daß die Kvmst als Tochter der Natur gleichsam die Enkelin Gottes
sei: a Dio quasi nipote.
Sein Einfluß auf die bildenden Künste beginnt mit den Jenseits-
darstellungen des Orcagna und Luca Signorelli, um dauernd die Figuration
der letzten Dinge zu beherrschen (Michelangelo). Sein poetischer Einfluß
ist mächtig bei dem widerstrebenden Petrarca und bei dem sich bewundernd
gebenden Boccaccio. Kleine Nachahmer schildern in allegorischen Dich-
tungen Fragmente seiner Welt ab, in Italien, Spanien, Frankreich. Der
Humanismus hat ihn mit dem übrigen Mittelalter zurückgedrängt. Aber
beim Erwachen der neuen Literatur im 18. Jahrhundert ersteht Dante wieder
und nun auch in der deutschen und englischen Literatur. Am spätesten
und nur zögernd erschließt sich ihm Frankreich.
n. Der Humanismus. Dantes Hinneigung zur italienischen Mutter-
sprache begegnet bereits dem Widerspruch der ersten Humanisten. Der
Petrarca, größte Teil vou Petrarcas (1304 — 1374) Werken ist lateinisch geschrieben:
seine geschichtlichen, antiquarischen, moralphilosophischen Traktate, seine
Briefe, Reden und Pamphlete. Lateinisch sein Epos „Africa", seine
Epistolae, seine Eklogen. Die Muttersprache schrieb er nur als Minne-
singer und im Wettbewerb mit der Commedia: in den Liedern seines
„Canzoniere" und in den Terzinengesängen seiner „Trionfi".
Petrarca kennt nicht nur die antike Literatur in weiterem Umfange
als Dante; er hat ein anderes Verhältnis zu ihr. Sie birgt für ihn ein Land
der Sehnsucht, des Vorbilds und des Trostes. Sie zeigt ihm sein Vater-
land Italia geeinigt, unabhängig, ja herrschend und weckt in ihm, wie
in den späteren Humanisten stolzes Nationalgefühl. Er ist nicht sowohl
toskanischer Patriot, als Italiener und wendet sich zornig gegen den deutschen
Barbaren und den Papst. Als Bibliophile geht er auf Entdeckungen aus.
H. Italien bis iura Ende des 17. Jahrhunderts. II. Der Humanismus. 1^5
erwirbt, pflegt, kopiert und kommentiert er antiko Handschriften. Er .schafft
den (irundstock zur ersten öfTontlii hcn Hibliothfk. Mit ("icrro und Verg^il
verkehrt er wie mit persönlichen Freunden und sclireibt ihnen liriefe „aui.
der Welt der Lebenden". Er baut sein Gärtchen nach den Lehren VergfiU
und macht auch neue Versuche, denn: placet experiri (man muß etwas
probieren). Livius' Geschichte liest und bejrleitet er mit leidenschaftlichem
patriotischem Interesse. Er mustert ihre Schauplät/e in der heilijron Stadt.
Er klagt über die Zerstörung des antiken Rena durch das christliche. Im
Griechischen ist er, wie Freund Hoccaccio, nicht über die ersten Kiemente
hinaus gekommen: die beiden lassen sich Homer ins Latein übertragen.
Von Plato weiß Petrarca so viel, daß er als sein erster Herold der Scholastik
gegenüber gelten darf. Er sieht das gelobte Land Hellas aus der Ferne;
Dante aber hat vom Griechentum nur die armseligen mittelalterlichen Vor-
stellungen. Petrarca schreibt nicht mehr barbarisches Latein, sondern ahmt
Seneca und Cicero nach. Er g^ibt das erste Beispiel humani.stischer Pflege
der lateinischen Form. Er inaugxiriert den Kultus des Wortes, die Eloquenz,
die in gleicher Weise TVr)s,-i und Pofsic umfaßt und den I)i( htrr /uin
Orator macht
Schmerzlich empfindet Petrarca die Unvereinbarkeit der Leben.s-
an.sprüche dieser ruhmvollen Welt mit der überlieferten Lehre. Er ist ein
kritischer Kopf. Der Glaube an Magie und Astrologie hält seiner Ver-
nunft nicht stand. Er ist stolz auf sie und klagt sich selbst dieses Vernunft-
stolzes an. Nach Augustinus' Beispiel schreibt er Selbstbekenntnisse
{Secrctum vicitm^ I343), die in die Klage ausklingen: ich bin nicht im-
stande, dem lockenden Rufe dieser Welt zu widerstehen, und bitte den
Himmel um Gnade. Das Intim -Persönliche, die Verschmelzung von antiker
Weisheit und Christentum, der unversöhnte Schluß geben dem Büchlein
einen unmittelalterlichen Charakter. Aber diese innere Unbefriedigtheit
treibt den Weichen nicht zur Verzweiflung. Die Melancholie hat ihren
Reiz, und er spricht selbst von der „Wonne der Wehmut", die er künstlerisch
gestalten kann. Er ist eine durch und durch künstlerische Xatur, eines
jener subtilen Gebilde, die, wenn der Sturmwind des Lebens über sie
braust, wie eine Äolsharfe in elegischen Tönen erklingen. Dieses künst-
lerische Empfinden spricht auch aus seinen historischen Arbeiten und bildet
die Grundlage kritischer Stimmungen gegenüber der Überlieferung, wie
sie das Mittelalter nicht kannte.
IVtrarca hat seine Bildungszeit und seine besten Jahre außerhalb
Italiens in Südfrankreich (1313-- 1353) verbracht Auch .sein Aufenthalt in
Vaucluse (1337 — 1353), der Stätte seiner schöpferischen Arbeit, war durch
häufige lange Reisen unterbrochen. Seine Vaterstadt I-Iorenz hat er nie
bewohnt Die avignone.ser Frau, Madonna I^ura, die seinen Wün.schen
unnahbar blieb, kennen wir nicht Die Verse, mit denen er ihr — aber
auch anderen — huldigt, hat er selbst gesammelt und zu zwei Gruppen ver-
einigt: Lieder, die der Lebenden und irdischen Interessen gewidmet sind.
iy(t Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
und Lieder der Jenseitsbeziehungen. In diesem „Canzoniere" hat er die
Klage seines Lebens gesungen: die sonnenbeschienene Erde mit ihrem
Frühlingsmorgen, mit ihrem Abendfrieden, mit der wunderbaren Licht-
gestalt des geliebten Weibes erfüllt ihn mit Sehnen und stillt es doch
nicht. Das wundersame Buch ist voll tiefer Empfindung, lebendigen Natur-
gefiihls, voll feinster Seelenanalyse und herrlichster Sprachkunst. Tiefe
und dauernde Wirkung mußte einem solchen Kunstwerk beschieden sein,
das die Liebespilgerfahrt eines Poeten zwar zart und duftig, aber mit einer
Fülle schilderte, daß daneben Dantes Vita nuova nur wie ein Fragment
sich ausnimmt. Der Canzoniere wurde zur vorbildlichen Ars amandi.
Doch neben der tiefen Empfindung findet sich viel Rhetorik, neben der
Sprachkunst ärgerliche Künstelei und Überfeinerung. Hat das Gewebe
dieser Lyrik auch einen hervorragenden persönlichen und einen fühlbaren
antiken Einschlag, so stammt seine Kunstübung doch von den Troubadours.
War Petrarca auch Künstler genug, diese überlieferte Form meisterlich zu
handhaben, so verfiel er doch andererseits ihrem Konventionalismus. Er hat
mit ihren Metaphern und Periphrasen, ihren Hyperbeln und Antithesen virtuos
gespielt. Er hat sie ausgebaut, ganze Gedichte daraus zusammenphantasiert
und eine förmliche poetische Rhetorik daraus gebildet — die Rhetorik
des Petrarkismus, der für drei Jahrhunderte die Lyrik des Abendlandes
beherrschen sollte und zu jener literarischen Krankheit ward, die man als
Preziosität, Secentismo, Culteranismo, Marinismus, Euphuism bezeichnet.
Als Erbe der Troubadours faßt Petrarca ihre Lyrik zusammen und
schafft mit seinem Canzoniere nicht nur ein Denkmal seiner Liebe, sondern
zugleich das Denkmal des Minnesanges.
Das W^erk seines Alters sind die „Trionfi", die figuren- und bilderreiche
Schilderung eines visionären Läuterungsganges, eine Humanistendichtung,
die mit der Commedia nicht wetteifern kann. Ihre Gestaltenreihe hat bis
ins 1 6. Jahrhundert zahllose Hände bildender Künstler in Bewegung gesetzt.
Aber Michelangelo dichtet zwar petrarkistische Lieder, doch den großen
Maler inspiriert Dante.
Der Einfluß, den Petrarca auf die nächsten Jahrhunderte ausgeübt hat,
ist weit größer als der Dantes. Dafür gehört dieser Einfluß auch längst
der Geschichte an.
Die Freundschaft, die den ehrsüchtigen und anspruchsvollen Petrarca
Boccaccio, mit dem schlichten, schwankenden Boccaccio (1313 — 1375) verband, beruht
auf ihrer gemeinsamen Wißbegierde gegenüber dem Altertum. Boccaccio
erfüllt dieselbe Bücherliebe, und er mag belesener sein als der Freund.
Aber angesichts der glänzenden alten Welt ist er unkritischer und ängst-
licher. Er ist abergläubisch. Eine mönchische Prophezeiung führt zur
Bekehrung des 48jährigen, In lateinischen Sammelwerken, aus denen die
folgende Zeit als aus reichen Magazinen eifrig geschöpft hat, stellt er die
Schicksale berühmter Männer und Frauen moralisierend dar und vereinigt
er die antiken Göttersagen zu einem Lehrbuch poetischer Fiktionen. Diese
U. Italien bis xum Ende des 17. Jahrhunderts. II. Der Humanismus. j-y
mytholo^schen Fabeleien .schrecken und rt-i/en ihn zugleich: sie sind
Heiden werk, aber des christlichen Poeten unentbehrliches Rüstzeug. Denn
die Poesie i.st für Hoccaccio Wi.ssenschaft im Kleid«? allfgr)ris(hfT Rhetorik.
Kin unregelmäßiger Bildungsgang führte den jugendlichen lioccaccio
früh nach Neapel in die glänzende Stadt König Roberts, wo er ein Jahr-
zehnt verblieb. Des Königs natürliche Tochter Maria d'Aquino fesselt ihn.
Lange Werbung um die Gunst dieser seiner Fiammetta, kurzes Liebes-
glück, erinnerungsreiche Klage und Hoffnung auf Wiedergewinnung klingen
aus Boccaccios italieni.schen Jugenddichtungen entgegen. Er erzählt im
„Filocolo" (1338) die Geschichte von Floire und Blanchetleur mit auto-
biographischen Einlagen und Szenen aus dem Minnehof der Fiammetta,
die schon den Keim des Dekameron enthalten und nach Xordfrankreich
weisen. Er bringt die französische Erfindung von Troilus und Briseis in
Ottavc rime {Fi/os/rei/cA, die er damit zur epischen Versform erhebt, und
schafft poetische Bilder menschlicher Leidenschaft. Er .schreibt die ersten
italienischen Hirtendichtungen, deren zum Teil reizende bukolische Form
autobiographischen Inhalt birgt. In der „Amoro.sa Visione" (1343) gerät
ihm die Nachahmung Dantes zur liebenswürdigen Novelle. Wie sind alle
diese Werke bewundert und nachgeahmt worden, z. B. von Chaucer. Nach
der Pest von 1348 redigiert er (bis 1353) das „Decameron". Im „Cor-
baccio" (1355) rächt sich der einstige Frauenlicbling an einer Frau, witzig
und unfein, aber unter viel Beifall. Seine Dantebiographie ist arm an
tatsächlichen Angaben und reich an rhetorischem Beiwerk. Vom tloren-
tiner Magistrat wurde Boccaccio 1373 auf den neugegründeten Lehr-
stuhl zur Erklärung der Commedia berufen. Krankheit zwang ihn nach
der 60. Lektion im 17. Gesang der Hölle abzubrechen. Der Kommentar
ist lehrreich, aber er verrät das Alter und jene ängstliche Orthodoxie, die
ihn auch sein Dekameron bereuen ließ.
Schon im „Filocolo" läßt er eine höfische Gesellschaft Geschichten er-
zählen. Aber wie reizvoll hat er im Dekameron diesen Rahmen nun auf
dem grausen Hintergrund des großen Sterbens ausgeführt, mit lieblicher
Naturschilderung, mit anmutigen Gesprächen, Neckereien und Liedern, mit
schalkhaftem Vor-, Zwi.schen- und Schlußwort, in welchem er humorvoll^
aber entschieden sein Buch in den Dienst irdischer Lebensfreude stellt
Hier ist ihm Gott noch der Dieu des bonnes gens — und an den Menschen
ein Wohlgefallen. Zehn Tage lang erzählen sich die sieben Damen und
drei Herren Geschichten, meist über ein zum voraus bestimmtes Thema;
Boccaccio aber .schreibt sie auf, wie er .sagt, „zum Zeitvertreib der Damen".
Die tragischen und romantischen Novellen liegen ihm nicht so gut
wie die komischen und realistischen aus der Alltagswelt der Menschlich-
keiten. Das i.st .seine Welt Einzelne wenige der hundert Novellen mögen
auf eigenen Erlebnissen beruhen, alle übrigen sind altes Erzählungsgut, das
schon in französischer Form gestaltet war, in Fabliaux und auch in Legenden,
<leren manche Boccaccio zur Lebensfreude gewendet hat, wie .später Gott-
Dn Kcinm oam GMwawAaT. L 11. 1. 12
lyS Heinrich MORF: Die romanischen Literaturen.
Med Keller. Er ist ein Schüler Frankreichs, aber seine souveräne Kunst
hat die einzelne Spur verwischt und die Novellen zu seinem Eigentum ge-
macht. Er ist ein wunderbarer Erzähler. Seine Sprache zeigt eine lachende
Mischung von Lingua parlata und eleganten latinisierenden Konstruktionen,
deren Beispiel den Nachahmern gefährlich geworden ist. Der Zauber
dieser Kunst überwindet die Indezenz einzelner Geschichten: Ars omnia
vincit Das Dekameron ist nicht unsittlich. Aber die Prüderie hat aus
dem Frauenbuch Boccaccios ein Herrenbuch gemacht.
Das Dekameron krönt die mittelalterliche Schwankliteratur. Hat Dante
in der Divina Commedia den Ernst, so hat Boccaccio den Scherz des
Mittelalters in einer „Commedia umana" künstlerisch verklärt. Sein Novellen-
buch steht an der Spitze der modernen Erzählungsliteratur.
Die drei großen Florentiner des Trecento sind die Konquistadoren ge-
worden, mit denen Toskana das übrige Italien und das Abendland seiner
literarischen Kunst untertänig gemacht hat.
Latein »Der zuerst in italienischer Sprache dichtete, ward dazu durch den
""■^ Wunsch bewogen, seiner Angebeteten verständlich zu werden, die kein
Humanismus. _ _
Latein konnte", sagt Dante in seinem „Jugendleben". Die Vorstellung, daß
die Muttersprache also nur ein literarischer Notbehelf gegenüber Un-
gebildeten sei, hat Dante selbst siegreich überwunden. Petrarca und Boc-
caccio aber blieben ihr verfallen. Die adelige Sprache der Heimat ist
ihnen das Lateinische, in welchem der Ruhm der glorreichen Vorfahren
sicher geborgen und allem Sprachwandel entzogen ist. Die italienische
Muttersprache heißt bezeichnend: „il volgare", und „le cose volgari non
possono fare un uomo letterato", versichert Boccaccio.
Mit Macht setzt sich nun diese Anschauung durch. Das Latein ist
die vornehme Sprache der Literatur, die dauernden Ruhm verleiht und
wahre Bildung in sich schließt. Und „homines humani" nennen sich nach
Cicero die Vertreter dieser Bildung. Diese Humanisten pflegen die Form
nach dem Vorgang Petrarcas künstlerisch und gestalten sie nach dem Vor-
bild Ciceros, Livius' und Vergils, Auf die Geringschätzung der Form, die
dem Mittelalter eigen war, folgt ihre Überschätzung. Als Hauptleistung
der Geschichtschreibung gelten die Reden, die den Helden in den Mund
gelegt werden. Es bildet sich jene gefährliche Vorstellung, daß die Form
an und für sich etwas bedeute, daß die Eloquenz einen vom Inhalt unab-
hängigen Wert habe: L'art pour l'art. Diese Trennung von Kunst und
Inhalt, von Rede und Leben ist griechisch-römisches Erbteil. Die Huma-
nisten haben sie der Romania von neuem gebracht. Sie haben dabei, wie
die Sophisten, innerlich Schaden genommen und ihre Rhetorik in den
Dienst des Scheins gestellt und an das Häßliche verschwendet. Sie haben
auch in der Übersetzung das böse Beispiel der rhetorischen Paraphrase
gegeben. „Nur die können behaupten, gelebt zu haben", sagt Poggius, „die
beredte und gelehrte lateinische Bücher verfaßt und Griechisch in Latein
übersetzt haben." Er selbst bückt sich nach volkstümlichen Stoffen
H. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. II. Der Humanismus. i^g
nur, um zu zei^i'ii, daß die lateini.sche Form auch ihnen ^..MTerht
werden kann.
Die Tradition der alten römisclien Literatur aufzunehmen und in
lebendijTcm Schaffen fortzusetzen, erscheint als die wahre nationale Aufgabe
des Modernen. Der italienische Humanismus wurzelt im Xationalgefuhl
und fordert es in Zeiten nationaler Zersplitterung. Er wird zur förmlichen
Leidenschaft. Man sucht und verehrt Manuskripte, wie man im Mittelalter
Reliquien suchte und verehrte. Die irdischen Lebensinteressen werden
gefördert Gegen Askese und Scholastik erhebt sich antike Weltanschau-
ung, Naturalismus und Individualismus. Die Lehre des Epikur, mit dessen
Namen das Mittelalter alle Gottlosigkeit bezeichnete, wird offen auf-
genommen. Ein neues Heidentum entsteht, und auch L. Valla (-j- 1457),
der es ablehnt, bekämpft noch viel leidenschaftlicher Scholastik und As-
kese. Des selben historische Kritik wendet sich gegen die Schenkung
Konstantins. Pico della Mirandola ist der erste, der die Astrologie
mit wissenschaftlichen Gründen bekämpft
Florenz ist die führende Stadt. Inmitten der kommunalen Kämpfe
hatte der Humanismus für die beiden kämpfenden Mächte preisende Worte:
für die unterliegende Demokratie und für die sich erhebende Tyranni.s,
für die Pazzi und für die Medici. Aber die Tyrannis bot dem Humanisten
als eloquentem Beamten und Hofpoeten, als Erzieher und als Gelehrten
größere Sicherheit und den Pomp der Dichterkrönung.
In Florenz wird zuerst öffentlich Griechisch gelehrt (1397) und werden
die ersten griechischen Werke in elegantes Latein übertragen. Hier ent-
steht im Landhause, das Cosimo von Medici seinem philosophischen
Freunde schenkte, jene Akademie, wo Ficino als „zweiter Plato" waltet
und unter Teilnahme Lorenzos die docta religio seiner „Theologia plato-
nica" (1482) schafft, in welcher die Religion der Liebe durch die Philo-
sophie der Liebe gestützt wird. Die Erfindung der Buchdruckerkunst kam
eben zur rechten Zeit (1465), um all diesem neuen Denken Flügel zu
leihen. \'on Florenz aus verbreitet sich der Humanismus über Italien
als Vorbereitung und Grundlage einer Nationalliteratur. Toskanisch ist
das 14. und zum guten Teil auch da,s 15. Jahrhundert; das Cinquecento
wird italienisch sein.
In Rom, da-s sich von den Erschütterungen des großen Schisma er-
holte, zog mit Pius II. (1458) der Humanismus siegreich ein. Diesen Papst
begleitete der Ruhm des Poeten. Er hatte seine genußfreudige Jugend in
lateinische Dichtungen gegossen und seine kunstvolle „Geschichte vom
Liebespaar Eurj'alus und Lukretia" (1444) wurde, neben Boccaccios Fiam-
metta, in zahllosen Ausgaben und Übersetzungen zum einflußreichen Muster
der sentimentalen und schlüpfrigen Liebesnovelle. Die Reaktion unter
seinem Nachfolger Paul II. war empfindhch, aber vorübergehend. Die
norditalienischen Höfe von Mailand und I'errara, sowie das nun (seit 1450)
aragonesische Neapel wetteiferten mit Horenz, mit dem sie eine Con-
l8o Heinrich MorF: Die romanischen Literaturen.
federazione verband, die Italien vier Jahrzehnte ruhiger Ent Wickelung
brachte. Neapel und seine Akademie können sich rühmen, in Pon-
tano den größten Lyriker des sinnenfrohen Humanismus besessen zu
haben.
Diese Humanisten machten auch seit Mussato und Petrarca den Ver-
such, die antiken Tragödien und Komödien durch Nachdichtungen und
durch Neuaufführung der plautinischen und terenzianischen Originale wieder
zu beleben. Sie gaben so die Anregung zum klassischen italienischen
Theater, wie sie der Vulgärliteratur auch das Beispiel der Prunkrede, des
Briefes, des Dialogs, der Ekloge und der Elegie gaben.
Eine gewaltige Erschütterung brachte dem medizäischen Humanismus
der glaubensstarke Dominikaner Savonarola. Aber der Sturm, den er
gew^eckt, verschlang ihn selbst und trübte den neuen Tag nicht dauernd.
Die Es fehlte nicht an Humanisten, die auch italienisch — in latinisieren-
voigäruteratur. ^^^ g^.j _ schrieben, wic Leon Battista Alberti (f 1472). Doch nicht
sie geben der Vulgärliteratur des Quattrocento zunächst das Gepräge. In
dieser herrscht vielmehr ein stark volkstümlicher Zug vor.
Volkstümüch ist jene religiöse Literatur, die in Vers und Prosa gegen
den Humanismus Glauben und Askese predigt. Ein reicher Quell volks-
tümlicher Liebeslyrik bricht auf, und begabte Poeten dichten ihre Kanzo-
netten, Strambotti, Madrigale, Tanzlieder {Ballate und Frottole) nach, die
auf reizenden Melodien durchs Land fliegen. In der rhythmisch sehr freien
Form der „Caccia" wird das bewegte Treiben, Reden und Schreien der
Jagd, des Marktes, des Kampfes wiedergegeben. Eine humoristische und
burleske Dichtung reimt die Alltäglichkeiten des städtischen Lebens in
Sonetten und Terzinenreihen {Capitoli) mit oft stark persönlicher Satire.
Im politischen Kampfe erscheint der offiziöse Poet {rAraldo), der in ge-
reimten Leitartikeln die Politik der Regierung vertritt, die ihn besoldet
und der in Florenz auch die Aufgabe hat, die Väter der Stadt nach Er-
ledigung der Amtsgeschäfte poetisch zu unterhalten. Neben Nachahmungen
Boccaccios, in denen sein Stil zum Schwulst wird, entstehen Novellen-
sammlungen, wie die Sacchettis, in welchen mit der Schlichtheit, aber
auch der Trivialität der Lingua parlata heitere Anekdoten erzählt werden.
Aus Norditalien ist der Inhalt der franko -italienischen Karlsepik herüber-
gedrungen. In Vers imd Prosa erfreut sich diese „Materia di Francia*' in
der Toskana einer großen Popularität. Zu einer Zeit, da sie in ihrer
französischen Heimat in schweres Siechtum verfallen war, gedeiht sie hier
in üppiger Fruchtbarkeit. In endlosen Prosabearbeitungen, deren eine, „Die
Königskinder von Frankreich" (/ Reali di Francia) betitelt, heute noch
das verbreitetste Volksbuch Italiens ist, reiht sich Heldensage an Helden-
sage. In Tausenden von Ottave rime läßt der Bänkelsänger {Canterind)
des öffentlichen Platzes eine unübersehbare Schar von edlen Paladinen
{Reali) ^ niederträchtigen Verrätern [Maganzesi) und mächtigen Heiden-
fürsten an seinen andächtigen Zuhörern vorüberziehen. Über 8000 Ottave
n. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Ml. l>ic Kcnajssancc. iRj
rime umfaßt /. H. der anonyme „Orlando" von den Abenteuern Rolands
und seines riesenhaften Knappen Mor^ante.
Das Fest seines Heilij^en, San Giovanni, feierte Morenz von alters
her mit pomphaften Schaustellungen. Aus Anreg^unj^en, die aus diesen
Pantomimen und aus den umbrischen Passionsspielen flössen, scheint sich
das florentinische religirtse Drama des Ouattrocento, die Sacra Rap-
presentazione, entwickelt /u haben. Vielleicht aber stammt es vom
g-leichzeitigen französischen Mystere und Miracle her, mit welchem viele
Züge es verbinden. Doch ist es von weniger trivialer Gestaltung, frei
von rohester Komik, wenn auch die „Färse" durchaus nicht fehlen, knapper
und verrät keine zyklische Tendenz. Ihre Ottava rima hat epische Quali-
täten, aber sie ist eine schwere Fessel des Dialogs.
Die Sacra Rappresentazione verbreitet sich übf-r Italien, doch kam sie
nicht bis Sizilien. Öfters forderte sie durch Entartungen Widerspruch
heraus, und nirgends hatte sie Zeit, heimisch zu werden.
Die italienische Dichtersprache war, trotz der illustren Vertreter des
Trecento, an Ansehen gesunken, seit die Gebildeten die Hand von ihr
zurückgezogen. Aber schon machen sich Anzeichen bemerkbar, die ihre
Erhebung ankündigen. Auf Veranlassung von L. B. Alberti und Piero
d'Medici fand 1441 ein poetischer Wettstreit statt, der zwar kein bedeuten-
des italienisches Lied schuf, der aber durch seinen äußeren Prunk, durch
die Verwendung antiker Versmaße und auch dadurch symptomatisch ist,
daß er den ersten Versuch einer italienischen Tragödie {//iempsaf) im Ge-
folge hatte.
ITI. Die Renaissance. Gegen Ende des Quattrocento kehrt man in
den Zentren des Humanismus, in Florenz, in Neapel und auch in Xord-
italien zur kunstmäßigen Pflege der Muttersprache zurück.
An der Spitze dieser nationalen Bewegung erscheint Lorenz o il nortn».
Magnifico, Sohn des Piero de' Medici und Vater des späteren Papstes
Leo X. Er ist der Typus des hochgebildeten, kunstsinnigen, aber auch
amorali.schen Dynasten. In der Literatur tritt er von Polizian und von
Pulci flankiert auf, selbst ein Künstler, bald ernst und innig wie jener,
bald derb und satirisch wie dieser, von einer Duplizität des Wesens, die
sogar Machiavells Bewunderung erregte, und — wie die Gesellschaft, die ihn
umgab — von jenem religiösen IndiflFerentismus, der den Weg zum an-
dächtigen Wort wie zum Spott findet. Er verteidigt die Würde des
Italienischen. Die feine und anmutige Nachahmung Dantescher und Petrarca-
scher Lyrik verbindet er mit den Inspirationen des Piatonismus; aber er
parodiert auch Plato und Dante. Er führt die Lyrik zum Jungbrunnen
der volk.stümlichen Dichtung; aber er macht diese Dichtung auch /um
Gegenstand spöttischer Kunstübung. Es stellt sein vielseitiges Können in
den Dien.st der Kommunalpolitik und sorgt für die öffentliche Lu,stbarkeit
durch T«»'»''^' hon Kamevalsscherz und durch dramatisches Spiel.
i82 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Von ihm und seiner Umgebung stammt eine Reihe der über hundert
Rappresentazioni, die uns erhalten sind. Die Renaissancegesellschaft
bemächtigte sich dieser mittelalterlichen Bühne, stellte die Kunst ihrer
Techniker in deren Dienst, versuchte es mit antiken Zutaten, mit roman-
tischen Elementen, schuf durch bunte und komische Intermezzi (Bauern,
Gastwirte, Bettler usw.) Augenlust und Heiterkeit, aber es gelang ihr
nicht, aus dieser lyrisch -epischen Dramatik ein Drama zu schaffen. Die
Sacra Rappresentazione schwand denn auch vor dem antikisierenden
Theater.
Aus der Fülle seines philologischen und künstlerischen Hellenentums
folgt der Humanist Polizian seinem Freunde Lorenzo zur Ottava rima, zur
Ballata und zum Strambotto und schafft Kunstwerke lieblichen Wohllautes,
edler Einfachheit und zarter Malerei, was diesem höfischen Pastiche den
unvergänglichen Wert einer originalen Schöpfung gibt.
Griffen Lorenzo und Polizian zum volkstümlichen Lied und Drama, so
tat sich Luigi Pulci auch als höfischer Bänkelsänger auf und schnitt sich
aus dem „Orlando" und anderen Epen der Canterini mit eigener grotesker
Zutat ein „Rolandslied" in 28 Gesängen zurecht, dessen Hauptfiguren die
Riesen Margutte und Morgante sind (1460 — 1483). Die holperigen und
eintönigen Berichte der Canterini von den Heldentaten der Paladine, den
Heidenschlachten und Abenteuern, weiß er zu variieren, zu vertiefen und
in feine elegante Verse umzusetzen, in welchen klassischer Zierat und
volkstümliche Redeweise auf das glücklichste verbunden sind. Er flicht
wissenschaftliche und dogmatische Erörterungen ein. Er begleitet die
ritterlichen Abenteuer mit den skeptischen Reflexionen eines aufgeklärten
Bürgers, bricht die aufsteigende Andacht oder Bewunderung durch Tri-
vialitäten. Pulci hat es auf den Spaß abgesehen, den seine Bänkelsänger-
attitüde seiner Gesellschaft bereiten wird. Er spielt seine Rolle mit Grazie
und Natürlichkeit, so daß noch heute darüber gestritten wird, wo in seinem
„Morgante Maggiore" der Ernst aufhört und die Parodie anfängt. Pulci,
der kräftig und gutmütig Scherz und Ernst zu verbinden weiß, ist ein
Liebling der Nation geblieben.
Neapel. Am Hofe Ferdinands I. zu Neapel wenden sich die Humanisten der
pontanischen Akademie unter der Führung Sannazaros ebenfalls der
italienischen Dichtung zu. In den populären Formen des Strambotto und
der Ballata verwenden sie den Dialekt; in Kanzone und Sonett aber herrscht
das Toskanische, und schon wird die Nachahmung Petrarcas zum Schwulst
und zur Geziertheit in den höfischen Huldigungen des Cariteo (f 151 5).
Auch hier führt der Versuch, das Volkstheater zu disziplinieren, zu keiner
wirklichen Leistung. In der aus Prosa und Lyrik gemischten „Arcadia"
(1502) stellt Sannazaro als „Sincero" seine eigene Liebesnot dar und
schafft, auf der Spur Boccaccios und der antiken Idylle, ein ausgeklügeltes
Werk ländlicher Mythologie, dem Mit- und Nachwelt bewundernd hul-
digten.
U. li.iiifii Ol-, /um Ende «u -. i , . j.ihrlmnderts. III. Die Renaissance. 183
Ahnliche Züi^c* zeigt das literaristho Lehen Mailands, über welches Sorditah««.
sich in stolzer Einsamkeit die machtvolle Persönliclikeit des j^roßen Denkers
und Künstlers Leonardo da \'inci erhebt. Ähnliche, aber charakteristische
Züge weist auch Ferrara auf, wo petrarkistische Lyrik blüht, wo Herzog
Ercole L (f 1505) die Übersetzung antiker Werke fordert und zum ersten-
mal (i486) Plautus in italienischer \'ersion aufführen läßt, worin die Gonzoga
von Mantua ihm folgen.
An diesen gelehrten dramatischen VOlgarizzamenti nahm eifrigen i'»froin*Bti»ch.-
Anteil der Graf von Scaiidiano, Hojardo. Daneben schreibt er reizende ^^
Minnelieder und wendet er sich, wie Pulci, zum Karlsepos — nicht mit
demokratischem Spott, sondern mit aristokratischer Herzensneigung. Er
zerstört nicht; er schafft eine neue Welt: eine Welt Kaiser Karls, in der
nicht mehr der alte, rauhe Geist des Glaubenskampfes herrscht, sondern
in welcher die feine Sitte der Ritterlichkeit, die Minne regiert. Er erfüllt
die volkstümliche Materia tli Francia mit dem Geiste der höfischen Materia
di Bretagna. Er schreibt das Lied vom „Verliebten Roland" und schafft,
durch die harmonische Vereinigung der beiden Ströme epischer Dichtung,
das romantische Epos mit neuen glänzenden Figuren, neuen bunten Aven-
tiuren, die eine überreiche Erfindungsgabe ihm bietet, und die er kunstvoll
führt und verschlingt. Ein köstlicher Humor durchzieht das Ganze. Bojardo
treibt poetische Kurzweil mit all dem Minnevolk, das er liebt, und mit
dem er lacht und klagt. Er ist ein großer Dichter; aber er ist nicht sorg-
fältig in der Ausgestaltung. Unaufhörlich drängt's ihn vorwärts. Seine
Pinselstriche sind flüchtig, und über dem stofflichen Reichtum vernach-
lässigt er die Darstellung des inneren Lebens. Auch ist die Sprache des
ferraresischen Edelmannes nicht von der toskanischen Reinheit, die man
damals zu fordern begann.
So hat Bojardo einem Nachfolger noch zu tun übriggelassen, der
seiner Phantasie weit wahres Leben einzuflößen vermöchte, der, vielleicht
von geringerer Originalität in der stofflichen Ertnulung, ein größerer
Künstler sein würde: Lodovico Ariosto. l. Ario«©.
Als 14Q4 Bojardos Hand die Feder am unvollendeten Werke ent-
sank, war Ariost 20 Jahre alt. Damals schrieb der junge Mann noch
lateinische Verschen nach Horaz und Catull. Dann faßte ihn das Leben
hart an und zwang ihn zum mühseligen und kärglich gelohnten Dienst
des Hauses Este. Die letzten Jahre verlebte er als berühmter Intendant
des Hoftheaters zu Ferrara, der ersten stehenden Bühne Itiiliens (7 1532).
Von geringem Kunstwert, aber großer histori.scher Bedeutung sind
die vier Verskomödien, die er für dies Theater schrieb. Die beiden ersten
(1508— 1509) sind die ältesten Renaissance-Lustspiele: frisch geschriebene, aber
unfreie Nachahmungen der Welt des Plautus und Terenz, deren buhlerisches
Treiben ebenso ausgeklügelt wie indezent ist Das Altertum erweist sich
hier gleich als Fessel, während es Ariost in seinen liebenswünligen Vers-
episteln {Ctifyifoli oder S,i/irA auf das glücklichste inspiriert hat In
184 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ihrem Humor spiegelt sich das Leben dieses harmlosen Poeten der
Welt der Lucrezia Borgia. Früh zog ihn der „Orlando innamorato" an, und,
den Faden der 1494 abgebrochenen Erzählung um 1504 aufnehmend, spinnt
er ihn 5000 Oktaven lang weiter und führt die Verliebtheit des Paladins
zur Raserei. Es sind die selben Personen und die nämlichen Situationen
wie bei Bojardo; aber es ist ein feineres, höheres Leben: der Stoff, den
ein anderer bereitet, ist in die Hand des wahren Künstlers gefallen.
Ariosts „Orlando furioso" (gedruckt 15 16) bringt in die reizende Traumwelt
das Maß von Realismus, von Verständigkeit, von Ernst imd Pathos, ja
von Tragik, das sie ertrug, und verbindet damit jenes Maß von Ironie und
Schalkhaftigkeit, das nötig ist, um das moderne Bewußtsein mit dem Ana-
chronismus dieser Fabeleien zu versöhnen. Dieses in Schönheit getauchte
Lied vom Roland, der über der Liebe zu der schönen Heidenfürstin Angelika
den Verstand verliert, ist das wahre Gedicht der Renaissance, die wahre
Inkarnation des gesunden L'arte per l'arte.
Ariost, der an die französische Epik von den germanischen
Helden die letzte Hand gelegt hat, tritt neben die drei großen Trecentisten.
Er ist der vierte in diesem unvergleichlichen Bunde, dessen Werke die
mittelalterlichen Schöpfungen des entthronten Frankreich mit neuer, italieni-
scher Kunst krönen: Epik, Lyrik, Didaktik. Ariost und Boccaccio sind
die Umbildner des epischen Stoffes; Petrarca verklärte den Minnesang,
und Dante erhob die Didaktik zu unvergänglichem Leben.
Gewiß ist das Altertum an diesen Schöpfungen beteiligt: dieser Künstler
Schönheitssinn entzündete sich an der Antike, und ihre Phantasie bereicherte
sich an der antiken Dichtung, obschon keiner von ihnen Griechisch gelernt
hat. Aber sie schufen in eigenen, romanischen Formen sich eigene, roma-
nische Welten, in welchen der Anteil des Altertums romanifiziert erscheint.
So ist das Größte, was das dem Mittelalter sich entringende Italien ge-
schaffen hat, nicht Nachahmung der Antike, sondern Heimatkunst der
Romania, und auch hier zeigt sich, daß, was unvergänglich sein soll, aus
dem Eigenen kommen muß. —
„Schon umzieht mich", singt Bojardo in der letzten Strophe seines
Orlando, „der Feuerschein, wovon mein Land entglommen — Durch diese
Franken, die so heldenmütig — Ich weiß nicht welchen Gau zu plündern
kommen." Er meint den Zug Karls VIII. von Frankreich {1494), mit welchem
die neue Invasion der „Barbaren" beginnt. Verheerend ergießt sich ihr
Strom durch die Renaissanceherrlichkeit des von Zwietracht gelähmten
Landes. Mit dem Ringen zwischen Frankreich und Spanien beginnt die
Zeit der Fremdherrschaft. Noch blühen Kunst und Literatur, und das unter-
jochte Italien beherrscht in diesem Zeitalter, das nach Leo X. benannt
wird, geistig seine Eroberer, bis das Übergewicht Spaniens auch diesen
Geist beugt.
In diese Zeit der beginnenden „Barbarenherrschaft, die jeden mit Ekel
MachiaTeiii. erfüllt", fällt Machiavclls vierzehnjährige politische Tätigkeit im Dienste
H. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. III. Die Renaissance. jgc
der floreiitini.schen Republik; aus dieser Barbaronherrschaft, die 151 2 seinen
Tatendrang zur Tatenlosigkeit verurteilte, erwächst seine Schriftstellerei:
„Eine lange Erfahrung der modernen und ein ununterbrochenes Studium
der alten Geschehnisse" haben ihm die „Kenntnis der Handlungen der
hervorragenden Menschen" gebracht. Die starke Individualität zieht ihn
an. Seine Geschichtsauffassung ist die heroistische.
Gewiß ist sein Ideal die Republik — sein hi.storisches Ideal. Er ver-
urteilt Cäsar. Aber gegenwärtig gilt es vor allem, Italien ein Haupt zu
schaffen und es von der Fremdherrschaft zu befreien. Dieser „Erlöser"
muß ein Mann von rücksichtsloser Tatkraft sein, wie Cesare Borgia, den
Machiavcll aus der Nähe gesehen, den er als Menschen preisgibt, dessen
Tatkraft er aber bewundert, und dessen Scheitern er bedauert. Er ver-
urteilt den alten Cäsar in seinen „Reden über Livius" und .stellt den
modernen Cesare im „Principe" als Beispiel für den hin, der ein neues
italienisches Prinzipat gründen wilL Und romanhaft schildert er diesen
kommenden Mann in der Gestalt des alten Lucchesen Castruccio. Was
Italien fehlt, ist ein Staat, ein Staat, der sich auf ein Volksheer stützen
kann. Der Staat aber ist das Höchste. Was ihm dient, ist gut, weil es
nützlich ist. Das Salut publicjue ist das oberste Gesetz; es steht über Moral
und Religion. Denn Geschichte und Erfahrung lehren, daß die politischen
Fragen Machtfragen und nicht Moralfragen sind. Mit schneidender vSchärfe
und rücksichtsloser Aufrichtigkeit legt er diese naturalistische Erkenntnis
dar, vor der andere sich gescheut oder verschlossen hätten. Er verweist
die tugendreichen Musterherrscher ins Reich der Träume. Moralisches
Handeln eines Staatengründers sei erwünscht, unmoralisches aber zumeist un-
entbehrlich. Die Menschen waren von jeher schlecht; in der Welt gibt's
nur Pöbel {vulgo). Wer sie zum Staate zwingen will, muß Löwe und
Fuchs, muß ein schönes Raubtier sein und zur rechten Zeit {fortuna)
kommen.
Aus Altertum und Gegenwart baut Machiavell wie ein Künstler die
Welt seines Staats nach rein irdischen Gesichtspunkten auf, in stählernen
Perioden, die wie scharf geschliffene Klingen glänzen. Die Antike —
auch er kann nicht Griechisch — ist in ihm lebendig, aber sie bindet ihn
nicht Er ahmt nicht nach, er schafft.
Seine politischen Lehren haben leidenschaftliche weltliche und
kirchliche — Verurteilung gefunden. Sie sind aus dem Notstand jener
Zeit zu erklären. Die bedrängte Vaterlandsliebe hat sie dem Geiste der
Aufklärung geboren. Machiavells Stellung im politischen Leben war
nicht frei von Zweideutigkeit, wie die Mirabeaus, an den er auch durch
die Verbindung von Genußsucht und edlem Schaflfungsdrang erinnert
Die realistische und pragmatische Betrachtungsweise macht Machiavell
zum trefflichen Historiker. Da er aber auch in der „Geschichte von
Florenz**, die er in amtlichem Auftrage etwas rhetori.sch schrieb, Beispiele r,i»,co;.rdi<ii
für seine Theorien suchte, so ist er nicht so verläßlich wie sein
j86 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Freund, der Opportunist Guicciardini, der leidenschaftslos, mit durch-
dringendem Blick die politische Katastrophe seiner Zeit in lebensvollem
Bild für die Nachwelt festgehalten hat, schonungslos die eigene und
anderer Handlungsweise zergliedernd, wie hundert Jahre später La Roche-
foucauld. Durch die Reden, die er seinen Helden in den Mund legt,
gab er freilich der rhetorischen Historiographie ein gefährliches Beispiel.
Der durchdringende Weltverstand und die unerschrockene Wahr-
haftigkeit, mit denen diese beiden großen Enttäuschten, Machiavell und
Guicciardini, die Welt des politischen Kampfes ihrer Zeit darstellten, hat
diese Welt in den Ruf besonderer Schlechtigkeit gebracht. Sie haben
ihrer Zeit keine Toilette gemacht und dafür hat sie in der Erinnerung der
Nachwelt büßen müssen, denn auch auf die geschichtlichen Epochen läßt
sich das Wort anwenden, daß Klleider Leute machen. Die politische
Moral ist zur Zeit der Renaissance kaum verderbter gewesen als sonst.
Der Kampf um die Macht war in den wilden Zeiten von besonderer
Brutalität; die politische Unmoral ist heute wenigstens humaner geworden.
CastigUone. Ein hervorragcndes Kunstwerk dialogischer Prosa, in dem sich antike
Form zu modernem Leben gestaltet, ist der „Cortigiano" des Grafen
CastigUone (gedr. 1528). Er stellt den Principe und seinen Hof nicht
— wie Machiavell — so dar, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten.
Aus der eleganten Welt des Hofes zu Urbino heraus, entwirft er ein
Idealbild jener Gesellschaft, wo Cortigiani und Donne di palazzo in
universeller Bildung und feinem Anstand wetteifern: ein graziöses Spiel
gegenüber dem furchtbaren Ernst der Zeit, der aus Machiavell spricht.
Diese Zeit spiegelt sich hier nur in der Vertrautheit mit französischen und
spanischen Dingen, in Reden von Franz L und Isabella von Castilien,
von spanischer Feierlichkeit und französischer Lebhaftigkeit, in den Hi-
spanismen der eleganten Sprache. Frankreich gilt dabei noch als das
Land des Rittertums, das literarische Kultur nicht schätze. Der „Cortigiano"
ist das internationale Bildungsbuch der Romania.
Stellt er die höfische italienische Rede der Zeit dar, so lebt die
toskanische Lingua parlata in dem Buche, in welchem Cellini den
Roman eines bewegten Künstlerlebens erzählt.
Der Der Humanismus wendet sich vom Latein immer mehr dem Italienischen
zu — mit der Bedingung jedoch, daß die ungebärdige Fülle der Mutter-
sprache sich der Regel beuge. Der Wortführer dieses regelhaften
Klassizismus ist Bembo, Meister lateinischer und italienischer Eleganz
und aller Nachahmung: er schreibt nach Cicero, liebt nach Petrarca,
plaudert nach Boccaccio. In den Liebesdialogen, die er Lucrezia Borgia
widmet, vereinigt er Petrarkismus imd Piatonismus in der Form boccaccesker
Erfindung und Sprache, In den berühmten Gesprächen über die italienische
Prosa (gedr. 1525) stellt er das Toskanische als die attische Sprache und
den archaischen, latinisierenden Ausdruck Boccaccios als Muster hin
und gibt eine grammatische Skizze des Trecento. Nicht die lebende
Klassizismus
utd Purismus.
IJ. Italien bis zum Ende des 17. Juluhumlcrti. 111. Uic Kcnaj^sancc
Lingxja parlata, sondern dit« vornehme Sprache seiner toten Khissikcr ist
die Xonn. Diese haben die itaUenische Schriftsprache in Wortwahl und
Formenbau festgelegt, wie einst die j»Toßen Altiker die Reinheit der
griechischen Schriftsprache geschaffen und geschützt haben. iJembo be-
handelt das Italienische als tote Sprache, wie die Alexandriner das ürie-
clnsche. Sein Purismus ist alexandrinischen Geistes. Die Dichtung wird
für diesen italienischen Boileau eine Frage der Wohlanständigkeit der
Form — vor Bembos Forum kann Dantes Commedia nicht bestehen.
Der große Kampf, den Bembos Lehre entfachte, verlief zunächst in
dem Wortstreit, ob die Schriftsprache florentinisch oder italienisch zu
nennen sei. Der Lombarde Trissino veröffentlichte 1529 eine Übersetzung
des verschollenen „De vulgari elo(juentia" Dantes, dessen Theorie
gegen die Horentinischen Ansprüche geht, während, wie Machiavell schon
1514 zeigte, Dantes Sprachpraxis in Wirklichkeit florentinisch war. Den
Finger auf Dantes streitbarer Schrift fordert Trissino die Italianitä
(Nationalität) der Schriftsprache, während andere sich enger an Dantes
Wort vom „Volgare aulico" halten und speziell die Fürstenhofe, besonders
die Corte romana, als sprachlich maßgebend erklären {Lingua cortigianä).
So wenig diese beiden Theorien sich bei der Buntheit ])rovinziellen Sprach-
gebrauchs auf ein bestimmtes positives Progfranmi einigen konnten, so einig
waren sie im Kampf gegen die sprachlichen Herrschaftsansprüche des
toskanischen Dialekts. Gegenüber den Bestrebungen, die Schriftsprache
in den Grenzen einer städtischen Mundart zu halten, verlangen sie von
ihr Universalitä und Xobiltä und dieser zentrifugalen Bewegung hat Italien
den großen Formenreichtum seiner poetischen Sprache zu verdanken.
Canteria neben cantercbbc ist provinziell — und poetisch.
Zu den Sprachregeln des Purismus gesellten sich die Regeln der
Poetik, die eine ängstliche und spitzfindige Philologenwissenschaft aus
Aristoteles gewann. Die Übersetzung seiner Poetik erschien 1548 zu
Florenz und zum ersten Male fügte Castelvetro 1570 zur Forderung der
dramatischen Tageseinheit die Vorschrift der Einheit des Ortes. Diese
Theoretiker kamen eben recht, um der Sprachmeisterei der entstehenden
Akademie ^Crusca) zu helfen, sich den Forderungen einer lebensvollen
eigenen Kunst zu verschließen. Und so begab es sich, daß in der näm-
lichen Zeit, da Malerei und Skulptur zu einer herrlichen Offenbarung der
Natur wurden, die Dichtung sich dieser Natur verschloß. Dort Rafael und
Tizian, hier Bembo und Trissino. Die Philologie siegte über die Kunst
Es herrscht über die reiche Literatur der Folgezeit das Trecento
und die Antike. Spaniens politische Herrschaft führt freilich seit dem
15. Jahrhundert zum Import seiner Sprache, seiner Literatur und .seiner
Literaten nach Neapel und dem Rom der Borgia und dann über das ganze
Land; doch waren bei dieser engen Berührung die Spanier viel mehr die
Empfangenden. Ihr Guthaben beschränkt sich auf die höfische Sprache,
die sie mit Modewörtern .stark durchsetzten, auf den Ritterroman, für
i88 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
den sie mit ihrem „Amadis" auch den Italienern das Beispiel gaben,
und auf eine wortreiche Moralliteratur. Rasch erlosch das vom
Ketzer Juan de Valdes in Italien entzündete Licht, das mit so viel
Jubel von den Besten begrüßt worden war. Was Frankreich im Cinque-
cento Italien bot, beschränkt sich auf die Vermittelung protestantischer
Gedanken. —
Die NoveUe. Die XoveUenbücher, die auf der Spur des Dekameron entstehen,
sind Sitten- und quellengeschichtlich bedeutsam. Aber Boccaccios Kunst
ist nicht in ihnen, um über die Anstößigkeit hinwegzuhelfen und sein
Humor macht der Satire Platz. Fabeleien aus der Welt von looi Nacht
dringen durch mündliche Überlieferung von Orientfahrern in Strapa-
rolas „Lustige Nächte" (1550) und machen sie zum ältesten Märchenbuch
des Okzidents.
Die Lyrik. In der endlosen Reihe von Lyrikern, die nach Petrarca oder seinem
Herold Bembo elegante oder verkünstelte Sonette und Kanzonen bauen,
offenbart sich viel Formtalent. Man hört wohl die Botschaft der Liebe,
aber es fehlt dem Leser der Glaube. Das Konventionelle erstickt zu-
meist die Intimität auch in den Liebesliedern Tassos. Doch finden
Tansillo und Vittoria Colonna eigene Klänge. Auf seine Skizzen-
blätter schreibt Michelangelo Verse, in denen der große Gestalter wie
ein Dilettant sich müht, die Sprachmaterie zu meistern und Petrarcas
Form zu Danteschen Gedanken zu zwingen. Petrarca leitete auch die,
welche einen frommen Gesang anstimmten oder ein politisches Lied
dichteten, das wirklich oft ein garstig Lied ist, da es sich meist vom
Vaterlande ab-, dem Fremden zuwendet.
Auf dem Gebiete mehr verstandesmäßiger Dichtung, wie der Epistel
und des ländlichen Lehrgedichts fanden Horaz und Vergil glückliche
Nachahmer. Der Hellenist Trissino gibt Lehre und Beispiel für Imitation
der Griechen. Er schreibt Oden nach Pindar, die erste „klassische"
Epos Tragödie (Sophonisbe 15 15) nach Euripides und Sophokles und das erste
und Tragödie, ^^kiassische" Epos (Das von den Goten befreite Italien, 1547) nach Homer.
Aber von Trissinos Neuerungen hat nur eine: der reimlose Zehnsilbler, in
den er den Rhythmus des antiken Trimeter gießen wollte, Bestand. Man
kehrte zur billigeren Nachahmung der neu entdeckten Anakreonteia, der
horazischen Ode und der Aeneis zurück, und das Lateinertum siegt end-
gültig über den schwächlichen Hellenismus. Die Tragödien Senecas mit
ihren Schrecklichkeiten und ihrer sentenziösen Rhetorik blieben vorbild-
lich. Giraldi füllte ihren blutigen Rahmen mit verwickelten romanhaften
Intrigen, welche die dramatischen Einheiten und den Chor gefährdeten.
Giraldi ist der Corneille der Italiener. — Die lange Reihe der Renaissance-
tragödien mit ihren antiken oder modernen Greueln und ihren moralischen
Gemeinplätzen ist dem Fluche der Nachahmung erlegen. Nicht eine
Schöpfung ist gelungen, doch erklingt gelegentlich ein schönes Chorlied
(Tasso) oder fesselt eine Leidenschaftsszene wie in Aretins Horatiern.
B. Italien bis zum fclndc des 17. Jahrhunderts. 111. Die Renaissance. jgg
Einzelne Stücke entfes.seln leidenschaftliche literarische Fehden, in denen
beide Parteien sich auf Aristoteles berufen.
Mit mehr Kunst als Ariost fügen andere das Leben des derben und i>io KomMi«.
anstößigen Schwankes oder der romantischen Novelle in den Rahmen der
alten Intrigenkomüdie mit ihren fuhrenden Dienerrollen, mit ihren lösen-
den Hrkennungszenen an der Straßenecke, und befreiten sich von der Fes.sel
des Verses, so Aretino und besonders Machiavell, dessen Wirkhchkeits-
sinn in der „Mandragola" (Liebestrank, gegen 1520) gei.stliche und welt-
liche Schwankfiguren zu individuellen Charakteren gestaltet hat, wie es
keinem anderen der vielen Nachfolger mehr gelang. Überreich ist die
Zahl dieser Renaissancelustspiele, die für die übrigen Länder vorbildlich
geworden sind. Zu den ältesten und erfolgreichsten gehört die „Komödie
der Irrungen", die „Ingannati" (1531)» ^^^^ ^^^ Nachbildungen der
„Menaechmi", die auch an der Spitze des französischen (1543), des spa-
nischen (1567) und des englischen Lustspiels stehen. Manche „Commedie**
weisen tragische Züge auf und beanspruchen ausdrücklich das Recht,
Tränen und Lachen zu mischen. In prunkhaften Aufführungen über-
wuchern musikalische und pantomimische Intermezzi die traditionelle
Haupthandlung. Es entwickeln sich nach dem Vorgange der antiken
Komödie gewisse Typen: der Parasit, der schulmeisterliche Pedant, der
einfaltige Rechtsdoktor und besonders der prahlerische Offizier {Capitano)
— die Karikatur jener Soldateska, deren spanische Exemplare dem Italiener
am läng-sten unbequem waren.
Neben der Komödie bestand die volkstümliche Posse {Farsa). Die i-'^r,,,
Kosten ihres Lachens trug der Bauer {Contadino). Der städtische Charakter "'',/,;^l'^ *"
der italienischen Kultur .spricht sich eben auch darin aus, daß der
„dumme Bauer" mit der Mundart seines Dorfes viel öfter und nachdrück-
licher als in Frankreich Gegenstand der dramatischen Komik ist und der
Städter mit Vorliebe an solch „ländlicher Farce" sich vergnügt
Es ist kaum zu verstehen, daß diese städtische Gesellschaft während
des Mittelalters kein weltliches Theater gehabt haben soll. Doch ist vor
dem ausgehenden 15. Jahrhundert in Italien keine sichere Spur einer pro-
fanen Bühne zu entdecken, die mehr als das Einzelspiel der fahrenden
„Giullari" geboten hätte. Erst seit 1450 erscheint die Farsa in Florenz,
Neapel, Siena; sie erscheint als Ableger der schwindenden Sacra rappre-
sentazione. Sie ist, wie in Frankreich, die selbständig gewordene Possen-
einlage der Mysterienbühne.
Ihr vornehmster Vertreter ist der hochbegabte Ruzzante aus Padua
(f 1542), der erste italienische Berufsdramatiker, zugleich Leiter einer Truppe
paduanischcr Schauspieler. Denn nun entsteht mit der Farsa die Schau-
spielertruppe, die von Stadt zu Stadt nach festlichen Gelegenheiten
wandert Es sieht der Rat von Venedig mit Sorge ihre anstößige Lust-
barkeit bei öffentlichen und privaten Festen einziehen und verbietet solche
neue Unterhaltung 1508 — erfolglos.
IQO
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Diese Farsa fing an, literarische Elemente aufzunehmen. Sie fügte
in oberitalienischen Städten zu ihrer eigenen typischen Figur des bäuer-
lichen Lastträgers Zane (Johann) oder Brighella, der den Dialekt seiner
bergamaskischen Berge spricht, die Typen der Renaissancekomödie. Sie
formte den Zane nach den Dienerfiguren dieser Komödie und gesellte
ihm den Pedanten, den Dottore, den Capitano bei. So entstand in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein neues, aus volkstümlichen und
humanistischen Elementen gemischtes Possenspiel. Jeder seiner Schau-
spieler beschränkte sich auf eine dieser typischen Rollen und führte so
mit seinen Kollegen berufsmäßig diese Schwanke {Commedia delV arte
= Berufskomödie) auf, für die nur eine Szenen skizze {Scenario) bestand,
deren Dialog und deren clownartiges Spiel aber improvisiert wurden. Und
dieser verachtete Ableger ward die lebensvollste Schöpfung der Renaissance-
dramatik. Fahrende Truppen dieser Berufsschauspieler begründeten die
ersten städtischen Bühnen, über welche verderbliche Neuerung z. B. der
Erzbischof von Bologna schon 1568 klagt, da dreimal in der Woche
öffentlich „Commedie de Zani" aufgeführt werden. Komische Typen
anderer Städte, wie Pulcinella aus Neapel (seit 1600) gesellten sich später
zu Brighella und machten den Siegeszug mit, der die italienischen Berufs-
schauspieler mit ihrer Stegreifkomödie vom 16.— 18. Jahrhundert durch das
römische und germanische Europa führte.
Romantisches Dcu Versuch, die Sacra rappresentazione noch mehr der Profan-
Drama nnd (Dramatik ZU nahem und sie in deren äußere Form, mit Akten und Verso
Pastorale.
sciolto, zu gießen, unternimmt der fruchtbare Cecchi. Schließlich gelangt
er zur Formulierung eines zwischen Tragödie und Komödie liegenden,
beider Freiheiten vereinigenden romantischen Schauspiels (La Romanesca,
1585); doch fand er für dieses Unternehmen der sog. Tragikomödie
keine Nachfolge.
Das weite Gebiet des romantischen Dramas war von der Pastorale
mit Beschlag belegt. Während die biblischen Hirten in der Rappresen-
tazione mit der Zeit zu Possenfiguren {Contadini) geworden, ließ die
Renaissance den heidnischen Hirten der römischen Eklogen höfische Ehren
zuteil werden. Aus dem einfachen Schäferdialog entwickelte sich seit
1500 das Schäferdrama. Die üblichen Lustspielintrigen wurden darin
ländlich zugerüstet oder der Moderoman lieferte eine bimte Handlung,
in der die höfische Welt ihre romantischen Herzensgeschichten spiegelte.
Der elegante Stoff führte zu feiner Form; man entlehnte von der vor-
nehmen Tragödie Chor und Zeiteinheit. Tasso hat in den fünf kurzen
Akten und Chören seiner Favola boschereggia „Aminta" (1573) den Sieg
Amors über eine widerspenstige Hirtin vor dem ferrarischen Hofe dia-
logisiert und ein lyrisches Kunstwerk geschaffen, dessen hellenische An-
mut in Sprache und Stimmung kein anderer erreicht hat. Aber maß-
gebend für die Folgezeit blieb die reicher und üppiger gestaltete Tragi-
commedia vom „Pastor fido" seines Nachfolgers Guarini (1590), der die
H. Italien bis zum Kndc des 17. Jahrhunderts. 111. Die Rcnu.,. ,yj
halb hfidnisrhc und halb christliche Hirtcnwclt Arkadiens mit ihren
Priestern und Satyni, mit ihren Spielen und ihr«'m Echo kunstreich dra-
matisiert und die Mischung- von 1 ra^rik und Scher/, in «iner Abhandlung
„Della poesia tragicomica" als ein Recht freier Kunst verteidigt. Den:
„Pastor tido" hat, wie der „Arcadia" Sannazaros, ganz Europa gehuldigt.
Die Zeit fand ein Gefallen daran, aus der Kompliziertheit der Kultur in
Arkadiens ursprünglichere Zustände zu flüchten, zu jenem freieren Leben
des Herzens und der Sinne, das man sich wünschte.
\'on den Wegen, welche die Renaissancedrainatik betrat, um neben
dem Trauerspiel und dem Lustspiel ein modernes Schauspiel (Tragikomödie)
zu schaffen, hat nur dieser Erfolg gehabt. Im romantischen Hirtendrama
hat die Renaissancedramatik ihr Kunstvollstes geschaffen; ilir Wirkungs-
vollstes aber in der Stegreifkomödie.
Die korrekte Eleganz der lateinischen Poe.sie und die höfische Fein- i>ie Buru-k»
heit der italienischen Dichtung fand auch ihre Parodie, Jenes mit Wörtern
und Wendungen der \'ulgärs])rache durchsetzte Scherzlatein, das in Italien
immer bestanden hat, erhält jetzt kunstmäßige Pflege als maccheronisches
d.i. Schlemmer-I^itein. Ks dient zur Verspottung der Schäferei, des Petrar-
kismus und des romantischen Epos, das Folengo, als ein \'orläufer des
Cervantes, schon seit 1517 parodierte. Xeben der Etikette der modi.schen
Dichtung schufen sich Viele Kurzweil mit Versen, in denen „nicht die
Amsel Bembo schwatzt und nicht der Rabe Petrarca krächzt". Gewandte
Versemacher benutzten deren Formen und Mittel, um burlesk das Alltäg-
liche und Häßliche zu besingen: den Kilse, den Nachttopf, Pe.st und Gicht
Der Toskaner Berni hat dieser humorvollen, oft aber auch gemeinen
Dichtung den Namen gegeben {brrnrscn). Sein Nachfolger Caporali hat
sie mit mehr Grazie gehandhabt und mit seinen heiteren Berichten vom
Parnaß eine Form geschaffen, welche Spanien und Frankreich nachahmten,
um den Dichtern Huldigung darzubringen oder Spott nachzurufen.
Doch der bedeutendste Vertreter des Geistes der Aufleiinung gegen i
den Klassizismus ist Pietro Aretino (7 1556). Er verfügt über alle Töne,
aber der bis zur Frechheit ungebundene liegt ihm am besten. Er huldigt
Bembo und Trissino und verwirft doch jede Autorität; er verhöhnt die
Poesia bemesca und ahmt sie doch nach. Er tadelt die parfümierten Wort-
spielereien und ist ihr Virtuos. „Die Fröhlichkeit", so schreibt er zum
Beispiel, „hielt glanzvoll Hof im Saale seiner Brust, und sein Herz tanzte
auf der Hochzeit, die sein Glaube mit meiner Lüge feierte." Er bildet
den vollendeten Gegensatz zu allem, was regelhaft ist und imponieren
will. Nieder mit dem Respekt! ist gleichsam seine Devise. Der Srhuster-
sohn von Arezzo sendet unter dem Schutze der Republik von San Marco
seine Leitartikel (Briefe, gedr. 1537 — 1557) an die Mächtigsten der Erde ala
der erste Journalist. In dieser Welt der philologi.schen Vielwi.sser gründet
er, der Ignorant, sich einen Prinzipat mit den Mitteln des machiavellischen
Principe: den Prinzipat des Genies. Göttlich nennt er sich selbst in seinem
192
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Übermut und bestialisch seine Arbeitskraft. Zwischen divino und bestiale
schwankt sein Wesen und seine Scliriftstellerei. Er ist als Schmeichler
wie als Verleumder gemein; aber er hat ein wunderbares Gefühl für alle
natürliche und freie Schönheit und eine Sprache von überreicher Fülle,
um es auszusprechen. Mit der Phantasie des Pomographen verleumdet er
Michelangelo, und eine Lebensfreundschaft verbindet ihn mit Tizian. Wie
die Romantiker nimmt er die Fachausdrücke des Atelier in die literarische
Kritik herüber und verlangt er vom literarischen Kunstwerk malerische
Qualitäten. Gegen das Grundübel der Renaissanceliteratur, gegen die Nach-
ahmung, kämpft er als „Sekretär der Natur", mit Worten, die kein Moderner
besser gefunden hat. Er vertritt die Lehre von der Freiheit und vom Fort-
schritt: W'ir seien künstlerisch weiter als die Antike. Griechisch- und
Lateinsprechen sei überhaupt kein Requisit der Bildung. Er spricht wie
ein Parvenü. Aber das große freie Werk der Poesie, das er zu schaffen
träumte, blieb ungeschaffen, da seine Kraft am Frondienste des Wohllebens
in journalistischer Kleinarbeit hängen blieb. Auf der Höhe selbsterworbener
Machtstellung rühmt er sich, der Erlöser der Literaten zu sein, die er aus
der Hölle höfischer Knechtschaft befreit habe.
Lidem die Renaissance sich zum Klassizismus wandte, ward sie dem
Grundsatz der individuellen Freiheit untreu ; da entstand ihr in der genialischen
Individualität des Aretin ein romantischer Gegner. Aber die Zeit des
Tridentiner Konzils w^ar nicht dazu angetan, die Freiheit des Dichters zu
schützen; das zeigt das Schicksal Tassos.
T.Tasso. Tasso, der epische, lyrische und dramatische Werke geschrieben hat,
ist weder ein Epiker, noch ein Dramatiker, sondern ein großer Lyriker,
und sein wunderbares Formtalent macht ihn auch zum eleganten Prosaiker.
Die Geisteskrankheit (Verfolgungswahn) hat bei ihm, so wenig wie bei
Rousseau, die künstlerische Ausdrucksfähigkeit vernichtet. Er ist auch im
Irrenhause Poet und feinsinniger Essayist. Sein Schönstes, „Aminta" und
„Gerusalemme" (1565 — 1575), gehört freilich der gesunden Zeit an, doch
hat er später ergreifende „Rime" für sein Unglück gefunden. Auch
posthume Tragik verfolgt ihn: an Stelle des von den Poeten idealisierten
Tasso der Legende hat die Forschung einen kleinen charakterlosen Menschen
gestellt, dessen Schwachheiten die psychische Entartung entschuldigen mag.
Früh gaben ihm Zeitläufte und Erziehung den Gedanken ein, die ruhm-
reiche Geschichte des ersten Kreuzzuges in einem Epos zu besingen. Auf
Trissino sich stützend und mit Ariost wetteifernd, unternahm er es, den
universalgeschichtlichen Stoff mit der Poesie der Fabelwelt zu verklären
und in diese Kombination von Wahrheit und Dichtung die strenge Ein-
heit des klassischen Heldengedichts zu bringen, Vergil noch eifriger
folgend als Homer. Auf diese Weise ist ein Gedicht entstanden, das nicht
durch große und freie epische Kunst, sondern durch lyrische Eigenschaften
glänzt, dessen Helden aus elegischen und idyllischen Episoden ihr Leben
ziehen, und dessen Stanzen auch da noch wunderbar klingen, wo ihre
H. Italien bis zum Kndc des 17. Jahrliundcrts. l\ . luhciis Niederyang, jg«
antithetische Ziererei unleidlich ist. Auf die poetische Hilfe der heid-
nischen Mythologie verzichtet Tasso. In diesem einen Punkte weicht er
als Christ von der Poetik des Aristoteles ab, zu der er sich in seinen
„Discorsi" weitläufig bekennt
Als das Epos im Manuskript vollciulet war, da verband sich der (ieist
der Crusca mit dem Geiste der Cicgenreformation, um den kranken Dichter
zu rastlosen Änderungen zu drängen, die der Allegorie, der Regelhaftig-
keit und der Geziertheit zustatten kamen und die „Gerusalemme liberata"
in unsicherem Flusse erhielten, bis sie endlich in der klassischen, d. h-
korrekteren „Gerusalemme conquistata" (159.?) erstarrte. So quälte das
kranke Land seinen kranken Dichter. Der griff zu der Schöpfungswoche
des Franzosen Dubartas und schrieb nach ihr „II mondo creato".
Seit zwei Jahrhunderten hatte Italien sich von Frankreich literarisch
emanzipiert, und nun sollte das glanzvolle Cinquecento nicht zu Ende
gehen, ohne daß der letzte Große wieder seine Hand nach einem franzö-
sischen Vorbilde ausstreckte, gleichsam zum Zeichen, daß Italiens Zeit vor-
über sei und Frankreichs Stunde wieder nahe. —
Die individualistische Renaissance endete im autoritären Klassizismus.
Zu der nämlichen Zeit, da die Herrschaft der Logik des Aristoteles
gestürzt wurde, bestieg seine Poetik den Thron. Zur griechischen Theorie
gesellte sich die römische mit Horazens „Ars poetica" und auch die
römische Praxis mit Cicero, Vergil und Seneca. Ihr Schönstes hat die
Renaissance gegeben, ehe sie in diese Fesseln geschlagen war und ehe die
Autorität des Trecento Italien jene archaische Buchsprache aufgezwungen
hatte, die vor allem dazu beitragen sollte, den Bruch, den der Humanismus
der nationalen Bildung gebracht, zu besiegeln und die Literatur auf Jahr-
hunderte vom Volke zu trennen. „Unsere Sprache", wird Foscolo einst im
Unmute sagen, „unsere Sprache ist nie wirklich gesprochen worden."
Damit lebte der sprachliche Munizipalismus wieder auf. Es ent-
wickelte sich eine kräftige mundartliche Literatur. D:us Land der Renais-
sance ist bis heute auch das Land der lebendigen Dialektpoesie geblieben.
IV. Italiens Niedergang. Die Zersplitterung der Kräfte, welche
munizipale Selbständigkeit und intensive städtische Kultur Italien gebracht
hatten, machten das ungeeinte Land zur Beute der P'remden. Aus den
italienischen Feldzügen der Deutschen, Franzosen und Spanier gingen um
die Mitte des 16. Jahrhunderts die Spanier als Sieger hervor. Mailand
und Neapel, Sizilien und Sardinien blieben ihnen verfallen: sie waren, wie
Tassoni sagt, von fremdem Hochmut zertreten und verbarbart {imlnirbariti).
Durch zahllose politische Traktate und Lieder „AH' Italia" schallt die
Klage über iberische Anmaßung und Gier und ertönt d«'r Ruf nach der
kraftvollen Hand eines einheimischen Fürsten.
Zur |X)litischen Knechtung gesellte sich der geistige Zwang im Ge-
folge des Tridentiner Konzils und der Gegenrefommtion. Der freie Ge-
Dw KctTtn on GaoDnrA«T. Li». 1. |j
194
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
danke wird verfolgt und unterdrückt; die Schöpfungen der Renaissance
auf den neuen Index gesetzt oder von geistlicher Hand gestutzt, und kirch-
liche Rücksichten vielmehr als sittliche leiteten diese in ihrer Planlosigkeit
klägliche Arbeit.
Es blühen die Akademien und die von ihnen kodifizierte literarische
Nachahmung. Besonders ist es die Akademie der Crusca zu Florenz, die
den Geist der Unfreiheit vertritt und über den Regeln des Klassizismus
imd der sprachlichen Tradition des Trecento wacht. Der akademische
Purismus fördert die Verarmung der Schriftsprache und trägt dazu bei,
daß der Dichter für den begrenzten Wortbestand immer neue Mätzchen
metaphorischer und antithetischer Verwendung sucht und so der Petrarkis-
mus zur unerträglichen Künstelei gesteigert wird. Die akademische Gering-
schätzung Dantes, der der Barbarei geziehen wird, ist die Begleiterin dieser
Ziererei des „Secento" („Secentismo").
Epos. Ein Schulbild dieser Entwickelung bietet das Epos. In zahlreichen
Heldengedichten ahmt man Tasso nach — man richtet sich nach den
Theorien seiner „Discorsi" und der Praxis seiner „ Gerusalemme ". Mal-
miginati besingt Heinrich IV. von Frankreich („Enrico", 1623) für dessen
Sohn Ludwig XIII. und wird nur noch deswegen genannt, weil hundert Jahre
später der Dichter der Henriade vielleicht aus ihm schöpfte. Der phantasie-
Marini. vollste uud begabteste dieser Verskünstler ist Marini, ein höfischer Aben-
teurer aus Neapel, den literarische Wanderjahre über Rom und Turin
nach Paris (161 5) führten, wo er am Hofe der Maria von Medici den
klingenden Lohn für langjährige poetische Schmeichelei erntete. Er hat
indessen keine Beziehung zum Hotel Rambouillet. In Paris vollendete
und druckte er die 20 Gesänge seines „Adone" (1623), in denen er um
die „magere Geschichte" von Venus und Adonis eine FüUe von Episoden
gruppierte und so ein Gebilde schuf, das eine Art mythologischen Romans
in Oktaven ist, und das er selbst nicht schlechthin ein Heldengedicht zu
nennen wagte. Es sollte etwas Neues sein, wobei ihn üppige Vorbilder
aus alexandrinischer Zeit leiteten. Marini stellt es selbst als das Ziel des
guten Dichters hin, Staunen zu erregen. Im Streben, mit etwas Neuem
zu verblüffen, nimmt er es mit den Regeln der Alten leicht, „die man zur
rechten Zeit verletzen" darf Er fürchtet die Kritik der Akademiker, aber
er verlangt nach der Gunst des Publikums. Dieses zum Staunen zu zwingen,
zwingt er seine Muse zur Grimasse. Der elegante Verskünstler wird im
„Adonis" zum Virtuosen der Metapher, der Hyperbel, der x\ntithese, des
Wortspiels, die er maßlos häuft. In der Form- und Gedankenspielerei
dieser „Concetti", unter deren Flittergold das Dichterische verschwindet,
ist er unerreicht. Im „Adonis" sind alle Künsteleien des italienischen
Petrarkismus zusammengeflossen. An ihn denkt, wer von der unerträg-
lichen Manieriertheit des „Secentismo" spricht. Er verkörpert sie so sehr,
daß sie wohl auch nach seinem Verfasser benannt wird (Marinismo), was
dazu geführt hat, daß man Marinis Bedeutung überschätzte. Marini hat
D. Italien bis zum Ende des 17. Jahrhunderts IV. Italiens Niedergang. ige
nichts geschaffen; er hat nur nachgeahmt — sogar die Kün.steleien des
Marinismo.
Natürlich fehlt in dieser Zeit der epischen Überproduktion nicht der
Schalk, der mit komischem Ernst oder mit offenem Spott die Welt des
antiken und modernen Epos parodiert oder travestiert und so dem Lachen
des Lesers überliefert. Tassoni besingt den „memorando sdegno", der
zwischen Bologna und Modena nicht um einer geraubten Helena, sondern
um eines geraubten Eimers willen entbrannte {Secchia rapita, Paris, 1622),
und an dem sich die Götter Homers in burle.sker Haltung beteiligten.
Andere nehmen diese Götterwelt noch schärfer vor oder travestieren die
Aneis.
Es ist bezeichnend, daß die beiden t^^Dischen Werke des Marinismus
und der Burleske „Adone" und „Secchia rapita" zu Paris erschienen. Nach
Paris und seinen preziösen Kreisen richten sich Italiens Blicke.
In der Lyrik blieb der Petrarkismus herrschend trotz des Wider- Lyrik.
Spruchs und des Spottes zeitgenössischer Kritiker und trotz der Versuche
Chiabreras und anderer, nach dem Beispiel der französischen Plejade
der Form und dem Gedankengang der griechischen Lyrik zu folgen. Xur
die patriotische Klage über die Schmach des Vaterlandes bringt tiefe
eigene Töne und zeigt freieren Flug. Auch das Geplauder satirischer
Episteln mag erfreuen.
Typisch für Stimmung und Kunst der Gegenreformation sind die
15 Gesänge Tansillos (f 1586) von den „Tränen des heiligen Petrus«:
eine endlose, gezierte Amplifikation des schlichten „er ging hinaus und
weinete bitterlich". Italien trauert gleichsam über die Sünden der Renais-
sance mit der Pose dieses wortreichen Petrus, und Frankreich und Spanien
hörten bewundernd zu und nahmen Wort und Weise auf
Das 17. Jahrhundert sollte Spanien und Frankreich inmitten einer i>ramaok.
reichen literarischen Blüte auch die volle Entfaltung reifer dramatischer
Kunst mit unvergänglichen Meisterwerken der Bühne bringen. Solcher
Meisterwerke entbehrt das gleichzeitige Italien. Als nach 1600 die Reife-
zeit der romanischen Dramatik gekommen war, schienen die Kräfte des
Landes erschöpft zu sein. Die Kunst der antikisierenden Tragödie und
Komödie versagt gänzlich. Stofflich wird die dramatische Arbeit stark
von Spanien, besonders von Lope, abhängig.
Zwei sekundäre Formen der Renaissancedramatik dominieren in Italien
und setzen ihren Siegeszug durch Europa fort: die Stegreifposse und
das Hirtendrama.
Dieses Hirtendrama, das sich in der Nachahmung Tassos und Guarinis
erschöpfte, zeigt außer seiner mythologischen Maschinerie mannigfache
antike Züge. Aus der Ekloge war es entsprungen; es vereinigte Elemente
der Komödie und der Tragödie (Chöre). So kam das Studium, das man
der musikalischen Seite des antiken Chores widmete, auch ihm zugute.
In die prunkvollen Einlagen seiner Zwischenakte {Intermezzi) waren längest
iq6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Musik und Gesang eingedrungen. Bereits wurden kleine dialogische
Eklogen ganz in Musik gesetzt. So war das Hirtendrama gleichsam von
der Musik umlauert. Siegreich drang sie schließlich darin ein und unter-
warf sich seinen ganzen Dialog. Und so erwuchs zu Florenz am Ende
des i6. Jahrhunderts die Oper aus dem Schäferstück (die „Dafne" des
Rinuccini, 1594).
Ein merkwürdiges Schicksal! Voll der stolzesten Hoffnungen hatte
die Renaissance zu Anfang des Jahrhunderts sich der antiken Formen der
Komödie und Tragödie bemächtigt. Sie versagten. Aber aus der un-
scheinbaren Ekloge erwuchs eine neue Form dramatischen Spieles, die den
Ruhm Italiens in alle Länder trug, als Hirtendrama während hundert Jahren
das Abendland entzückte und als Oper nun längst überall ihre eigenen
Paläste neben bescheideneren Schauspielhäusern hat.
Die Prosa. Auch in die Prosa, besonders in den Roman, den Brief und die
Predigt, drang der gezierte Ausdruck (der Secentismo) ein. Die Wortführer
der Gegenreformation bedienten sich bei ihrem Bekehrungswerk mit Vor-
liebe des in Ornamenten schwelgenden, modischen Stiles, dem der nach
den Jesuiten benannte Stil der zeitgenössischen Baukunst entspricht. Ihre
Schriften gleichen ihren Kirchen mit der überladenen Innendekoration, in
der der Schnörkel die Klarheit der Form zerstört. Die nämliche schwel-
gerische Art zeigt die Malerei in Sujet, Zeichnung und Farbe und die
Skulptur in ihren schreienden Gebärden.
Anders die wissenschaftliche Prosa. Der Geist der freien Forschung
lebte noch fort, obwohl die ganze Romania sich in seine Verfolgung teilte :
von den Erneuerern der Naturphilosophie, die für Lukrez und gegen Ari-
stoteles kämpften, verfiel G. Bruno dem italienischen und Vannini dem
französischen Henker. Galilei wurde vor das Inquisitionstribunal gezogen
(1633), und sein Schicksal schüchterte den jüngeren Descartes ein. Der
kräftige Geist dieser Wissenschaft bewahrte ihre Sprache vor dem Miß-
brauch der Ziererei: Galilei und Descartes schreiben als große ernste
Forscher einen lichtvollen Stil und verschmähen auch dann den modischen
Zierat, wenn sie sich als treffliche Vulgarisatoren an das große Publikum
wenden, um es mit den Resultaten ihrer Forschungen bekannt zu machen,
ihm die neue empirische Methode darzulegen oder über das Verhältnis
von Wissenschaft und Glauben mit ihm zu sprechen.
So schafft die Naturforschung in Zeiten allgemeinen Niederganges
sprachliche Kunstwerke. Ihr frisches Leben erneut die sprachliche Form.
Tassoni. Literarisch spiegelt sich diese Zeit am besten in den ernsten und
heiteren Werken Tassonis. Er hat ausgesprochenes naturwissenschaft-
liches Interesse. Als Patriot bekämpft er die Spanier. Er ist rebellisch
gegen jede Autorität, doch ist er vorsichtig und es ist schwer zu sagen,
wieweit sein Katholizismus erschüttert war. Er preist als ein Modemer
die Gegenwart, die nach dem Gesetze des Fortschritts in Wissenschaft
und Kunst der Vergangenheit überlegen sei: „si perfezionano le arti con
b. Italien bis zum Kndc des 17. Jahrhunderts. I\'. Italiens Niederrang. igy
lunv^ho/za die fatica e di studio." Er lehnt nicht nur das Altertum ab und
macht Homer den Prozeß, sondern lehnt auch die Vorbildlichkeit desTrecento
ab, das die Muttersprache bloß gestammelt habe, und die poetische Autorität
des Petrarca. Maßgebend soll das lebende Italienisch der Corte romana sein.
Er bekämpft den alten Petrarkismus und Chiabreras Rückkehr zum Griechen-
tum; aber mit nichten bekämpft er den modernen Secentismo. Die zeit-
genössische Lyrik ist ihm vielmehr eine wunderbare Sammlung von Schön-
heiten, und sein Stil ist denn auch von Paradoxen und Concetti nicht frei.
Er stellt Proben alter und moderner Autoren einander gegenüber, und aus
diesen Parallelen wird der Franzose Perrault lernen. Er glaubt an die
Kunstregeln, die aber nicht aus Aristoteles, sondern aus Vernunft und Er-
fahrung gewonnen werden.
Mit seinem Hauptwerk, den zehn Büchern seiner „Pensieri diversi"
(1620) hat Tassoni einen tiefen Einfluß auch auf Frankreich ausgeübt
Darin unterstützt ihn sein Vorgänger Boccalini, der schon 161 2 als stil-
gewandter „Reporter des Parnasses" in seinen „Parnassischen Nachrichten"
eine Parodie des Apollinischen Hofstaates gegeben, wo unter dem Vor-
sit2e des Gottes die größten W^eisen und Künstler über die Welt Gericht
halten, und wo Aristoteles in Fesseln geschlagen wird. Dieser Kampf
gegen das — heidnische — Altertum findet Unterstützung in dem ge-
schärften kirchlichen Empfinden der Gegenreformation.
Das Geschlecht der „Modernen", das in Italien — wie auch in Frank- Dw s«seot 1
reich — auf die Renaissance folgt, ist eigenwillig und rebellisch gegen
jede literarische Tradition. Es hat romantische Allüren. Aber seine Auf-
lehnung erschöpft sich in einem Virtuosentum, das eben doch keine wirk-
liche Freiheit bedeutet, sondern das sich wieder neue Regeln und Fesseln
der Mode schuf, die von den bisherigen nicht sehr verschieden waren.
Wie oft deklamieren diese Dichter des Secento gegen Petrarca, aber im
Grunde schreiten sie nur auf der Bahn weiter, die er, der letzte Minne-
sänger, gewiesen, wenn sie sich nicht geradezu begnügen, seine Bilder
und Formen zu wiederholen. Sie werden zu akademischen Meister-
singern.
Diese universelle Künstelei hindert niclit, daß gelegentlicli auch ein-
fache Klänge, die von Herzen kommen und zu Herzen gehen, ertönen. Sie
schließt auch den Widerspruch natürlicher empfindender Menschen nicht
aus. Einzelne, wie der kecke Xapoletaner Salvatore Rosa (f 1673^
spotten der Ziererei in der Musik, der Malerei und der Dichtung, mit der
diese „modemi Orfei" ihre Damen feierten und sich bemühten, das Reper-
torium des Petrarkischen Stiles zu erneuem: Sie kämen schließlich so weit,
Sonne und Seele in Metaphern zu ersticken, indem sie von der unsterb-
lichen Seele sagten, „sie sei ein Reittier, das der Himmel, wenn es .seinen
Reiter abgeworfen, im Stemenstall mit Ewigkeitshaber füttere", und aus
der leuchtenden Sonne „einen Henker machen, der mit der Strahlenaxt
den Schatten köpft".
igg Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Der Stil wird zur Renommisterei, zum beständigen Radschlagen. Und
diese renommistische Rhetorik wird durch den Einfluß Spaniens unterstützt:
sie wird sozusagen zur literarischen Form der spanischen Fremdherrschaft.
Der Einfluß spanischer Kultur, der im 15. Jahrhundert auf Neapel be-
schränkt geblieben war, hatte sich im 1 6. Jahrhundert über das ganze Land
ausgebreitet. Spanisch blieb im 17. Jahrhundert die Sprache der Herrschen-
den und der Mode. Spanische Bücher wurden im ganzen Lande gedruckt.
Italienische Dichter schrieben spanische Verse, auch die, wie Tassoni,
Spanien haßten. Hochtrabende Titel und zeremonielle Umgangsformen
Hispaniens wurden trotz allen Widerspruchs herrschend. „Don'' zwar ver-
mag sich nicht dauernd festzusetzen, wohl aber das neue j,Sig7tore", gegen
das als „häßliche spanische Schmeichelei" schon Ariost protestiert hatte.
Vossignoria verdrängt in der Anrede das gute alte V^oi und bereitet mit
seinen Ella, Lei, Le, Suo den Patrioten und — den Grammatikern Schmerzen.
Lei, Signore ist das sprachliche Denkmal der spanischen Herrschaft und
des Secentismo, und etwas Gespreiztes und Anspruchsvolles wohnt ihm
noch lange inne. Wie ist Giusti erfreut, als Manzoni (1845) ihn statt mit
Lei mit Voi anredet!
Das Virtuosentum dieses Secentismo, das nach Marinis Wort es darauf
abgesehen hat, zu überraschen, zu verblüffen, begünstigt auch die Steg-
reifdichtung. Italien hat zu jeder Zeit sich durch Improvisatoren aus-
gezeichnet. Die Renaissance hat die Stegreifposse hoffähig gemacht. Jetzt
wird das improvisierte Lied akademisch.
Auch während der Zeit dieses Niederganges behielt Italien noch die
literarische Vorherrschaft in Europa. Das Schrifttum, in welchem nach
1 600 die Kunst der Renaissance in Italien agonisierte, blieb für die anderen
Länder maßgebend, bis seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Frank-
reich wieder an die erste Stelle trat. —
Zusammen- Füuf Jahrhundcrtc italienischer Literatur sind an uns vorübergezogen,
fassung. ^^ deren Verlauf Italien die Führung, die im 14. Jahrhundert der ermatten-
den Hand Frankreichs entglitten war, aufgenommen hat.
Itahen hat die mittelalterliche Kultur, an der es vorher wenig selb-
ständigen Anteil genommen, in der überragenden Persönlichkeit Dantes
wie in einer machtvollen Synthese zusammengefaßt. Dann hat das Land,
in dessen städtischer Laienkultur die antike Tradition nie so völlig wie im
Norden unterbrochen war, in dem neu erwachenden Geiste der Antike
das literarische Erbe Frankreichs (Minnesang, Novelle, Epos) umgeschaffen
und mit Heimatkunst erfüllt. Es entstanden die herrlichen freien Kunst-
werke des Humanismus und der Renaissance. Nur das Drama versagte.
Aus der toskanischen Literatur entstand die italienische. Mit der neu
erworbenen Kenntnis des Altertums schmiedete die Gelehrsamkeit rasch
philologische Fesseln. An Stelle der Schöpfung trat die Nachahmung; an
Stelle des freien Hellenentums das gradlinige Römertum: der Klassizis-
mus. Das übermächtige Beispiel Petrarcas verführte zur Ziererei und zum
C. Die kastilischc u. portugics. Literat, bis zum Ende des i7.Jahrh. I. His zum I5.jalirh. igg
Schwulst des Petrarkismus, der sich frei und modern jrebärdete und doch
so gebunden war.
Klassizismus und Petrarkismus sind die beiden Fesseln, die nach so
hohen und freien Werken Italiens stolze literarische Herrschaft Europa
hinterließ. Und an Stelle der versagenden großen dramatischen Kunst gab es
Europa das Beispiel dramatischer Kleinkunst in der Stegreifposse und die
Pastorale, in deren grüner Laube die Oper schlummerte.
C. Die kastilische und portugiesische Literatur bis zum Ende
des 17, Jahrhunderts.
Die spanische Halbinsel zerfallt literarisch in drei Teile: vom eigent-
lichen spanischen (kastilischen) Land sind zwei Küstenstreifen, ein östlicher
und ein westlicher, zu scheiden: Katalonien und Portugal.
Katalonien gehört sprachlich, und im Mittelalter auch literarisch, zu
Südfrankreich. Seine Troubadours dichten provenzalisch. Die Meister-
singer des 14. Jahrhunderts ziehen dann ihre katalanische Muttersprache
zu Ehren, deren sich die Prosa von Anfang an bediente. Die wunder-
lichen und tiefen Werke des abenteuerlichen Franziskaners Ramon Lull
(i 1315)» die trefflichen Chroniken jener Zeit und der erfolgreiche Ritter-
roman „Tirant lo blanch" (1490) gehören dazu. Mit dem 16. Jahrhundert
beginnt die unbestrittene Herrschaft des Kastilischen. Seit etwa 70 Jahren
ist der Gedanke der sprachlichen Autonomie wieder mächtiger geworden
und hat im Anschluß an die südfranzösische Bewegung zu einer kata-
lanischen „Renaxensa" mit ihren Jochs florals geführt.
Portugal, das seit Ende des 11. Jahrhunderts ein selbständiger Staat
ist, hat aus dem galizischen Dialekt {Gallego) ^ der sich vom Kastilischen
von Anfang an im Vokalismus stark unterschied, auch eine eigene Schrift-
sprache entwickelt. Ihre Literatur ist stark von der kastilischen abhängfig,
doch nicht ohne Eigenart, wie auch der Charakter des geschmeidigen
Portugiesen von dem des herben Kastiliers sich unterscheidet. Portugal
hat gleich die peninsulare Führung im Minnesang übernommen, ist aber
in der epischen Dichtung (Romanze) und im Drama unter die Hegemonie
Kastiliens getreten. Im Mittelalter erscheint Portugiesisch als die Gattungs-
sprache der lyrischen (strophischen) Kunstdichtung und Kastilisch als die
der epischen (unstrophischen) Poesie.
I. Bis zum 15. Jahrhundert. Das ist die Zeit der Reconquista, an
deren Schluß die Vernichtung der maurischen Macht (1492) steht. Durch
die Vemiählung Isabellas von Kastilien mit Ferdinand von Aragon (1469)
waren die beiden Hauptländer unter dem „katholischen Königspaar" ver-
einigt worden, und im nämlichen Jahr, da der Fall Granadas ihnen ein
christliches Spanien schenkte, erschloß Kolumbus den erstaunten Augen
200 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
der Reyes catölicos die Neue Welt. In der Alten wurden inzwischen die
Juden vertrieben und die Inquisition ausgestaltet. Spanien betrat den Weg
der unduldsamen Weltmachts- und Glaubenspolitik, und Portugal folgte
ihm darin.
Die Von alten Volksliedern ist außer einigen Trümmern des 13. Jahr-
voiksdichtung. jj^uj^gj-^s und höfischen Nachahmungen nichts erhalten. Es zeugen von
ihnen auch zwei trochäische Versmaße, die sich in der volkstümlichen
Dichtung erhalten haben: der Zehnsilbler mit Zäsur nach der fünften {Ar^e
mayor) und der Vierzehnsilbler mit Zäsur nach der siebenten Silbe (Ro-
manzenvers), uralte romanische Weisen, für die aber Spanien eine be-
sondere Vorliebe und eigenartige Behandlung hat. Diese Volkslyrik muß
sehr formenreich gewesen sein, Einfluß der arabischen Poesie ist nicht
erwiesen. Die Frauentanzlieder, die Hirtenlieder {Villancicos, Serranillas)
weisen nach Frankreich. Diese strophische Refraindichtung tritt seit dem
15. Jahrhundert zurück und macht der unstrophischen Poesie der Schnader-
hüpfel {Coplas usw.) und der Romanzen Platz, die heute fast ausschließlich
herrscht. Dabei scheinen die Schnaderhüpfel sich aus dem Süden (Anda-
lusien) herzuschreiben, die Romanzen aber Kastilien zu entstammen, so
daß die spanische Halbinsel wie Gallien und Italien sich in einen mehr
episch veranlagten Norden und einen mehr lyrisch dichtenden Süden teilt.
Die Literatur. Spaniens älteste Kunstliteratur steht unter dem doppelten Einfluß des
maurischen Gegners und des französischen Nachbars, Kampfgenossen und
Kolonisten. Die orientalische Weisheit in Form von Spruch, Erzählung
imd Traktat wird seit dem 12. Jahrhundert nachgeahmt. Durch einen
spanischen Juden lernt das Abendland das erste Beispiel einer morgen-
ländischen NoveUensammlung mit Rahmenerzählung kennen {Disciplina
clericalis).
Französischer Geist reformiert im 1 1 . Jahrhundert Klöster und Liturgie.
Er weckte die lateinische Historiographie in Prosa und Vers. Das Grab
des Apostels Jacobus, Santiago, in Compostella zog Scharen französischer
Pilger an, die der Weg durch das Tal von Roncevaux führte. Sie brachten
das Rolandslied mit, und ein Geistlicher von Santiago verw^ob es in die
Chronik seines Heihgtums (1140). Doch fanden Karl und Roland wenig
Gnade vor den Spaniern, deren Chronisten eigene Sarazenenbezwinger
schufen: König Alfonso, seinen Neffen und Bemardo del Carpio, denen
schließlich auch die Vernichtung des Frankenheeres in Roncevaux an-
gedichtet wurde.
Das Heldenepos Ereiguisse des 10. und II. Jahrhunderts bilden die historische Grund-
icaniardegesta).^^^^ des kastilischcn Heldenepos. Die französischen Chansons de geste
dienen als Vorbild: sie haben im 12. Jahrhundert die „Cantares de gesta"
überhaupt erst ins Leben gerufen. Der Franzose nahm die geringere
schöpferische Kraft des spanischen Epikers ins Schlepptau, ohne daß
dieser seine nationale Eigenart einbüßte. Es ist für diese spanische
Epopöe charakteristisch, daß sie den Ereignissen noch näher steht und so
C. Die kastilischc u. portugies. Literat, bis zum Ende des 17. Jahrh. I. His zum is.Jahrh. 201
der höheren geschichtlichen Perspektive entbehrt- Es ist weniger das
nationale Ringen, das sie schildert, als die sagenhafte Geschichte einzelner
Geschlechter auf dem Hintergründe der Maurenkriege: wie der Cid
(f 1099) seine Töchter verheiratet, wie die Familie Lara vom Schwager •
ins Verderben gestürzt wird usw. Sie erinnert an das französische Loth-
ringerepos viel mehr als an das Rolandslied. Ein starkes heimisches
Leben pulsiert in ihrer ungelenken realistischen Kunst Dem Helden
werden später auch Jugendtaten angedichtet: Jung Cid erschlug einst den
Vater der Jimena und ward zur Vermeidung von Blutrache mit dem
Mädchen verbunden. Von dieser Epik sind uns nur Trümmer zweier
Cid-Cantares erhalten. Andere Lieder, wie den grandiosen Cantar der
Lara, können wir aus der „Crönica general" erschließen, die Alfons X.,
der Gelehrte, um 1280 verfassen ließ, und die seine Nachfolger weiter
führten. In der poetischen Prosa dieser Königschroniken brechen die
alten epischen Verse der Cantares, die von den Chroniken benutzt wurden,
noch deutlich durch. Diese wunderbaren Chroniken sind zum Herbar der
epischen Blumen des alten Kastilien geworden.
Inzwischen geriet die rauhe Kunst dieser langen Gesänge in Ver- lh«
gessenheit (gegen 1400). Nur einzelne besonders fesselnde Szenen, ^"^
namentlich dialogische, nur einzelne Höhepunkte des epischen Berichts
erhielten sich im Munde des Volkes und lebten als Fragmente weiter:
das sind die volkstümlichen, alten Romanzen. Die Romanzen sind Bruch-
stücke verwitterter „zersungener" Epen; ihr Vers ist der des alten Cantar:
der assonierende Vierzehnsilbler. Die spanische Romanzenpoesie ist also
ein episches Trümmerfeld. Das Dunkle, Sprunghafte, das manche alte
Romanzen haben und das oft ihren geheimnisvollen Reiz erhöht, schreibt
sich eben davon her, daß sie aus einem weiteren Zusammenhang gelöste
Lieder sind. Sie gesellten sich nun befruchtend zu den übrigen romanzen-
formigen Volksliedern, die von älteren oder neueren romantischen Taten
scherzend oder klagend sangen und insbesondere den Grenzkrieg mit den
Mauren begleiteten {Romancfs frontcrizos).
Nordfrankreich lieferte auch das Beispiel der erzählenden und PrmuMKiMr
lehrhaften Kunstdichtung. Es gab auch den Vers dazu, den Alexandriner- ^^^"^
quatrain, den der Spanier als „nueva maestria" preist und die paarweise
gebundenen Kurzverse: jambische Maße. Heiligenleben, Marien wunder
werden eintönig gereimt und einige Versuche im Kunstepos antiken und
nationalen Inhalts gemacht. Hoch erhebt sich dariiber das aus bunter
Sprachkunst gebaute „Liederbuch" {Libro dt- btun nmor) des Erzpriesters
Juan Ruiz (gegen 1350), eine Ars amandi in autobiographischem Rahmen,
in deren persönlichen Bekenntnissen sich Ausgelassenheit und (iläubig-
keit paaren. Dieses eigenartige realistische Lebensbild hat in der mittel-
alterlichen Literatur nicht seinesgleichen. Es ist echt spanisch, obwohl
die Inspiration nach Frankreich weist Echt spanisch auch das ernste
Gegenstück dazu, die Lebensbeichte des Kanzlers Lopez de Ayala
202 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
(um 1380). Dann verschwindet mit dem französischen Einfluß auch der
Alexandriner.
Der Provenzalische Troubadours waren seit dem 12. Jahrhundert auch an
provenzaUsche ^^^ spanischen Höfen arern sresehene Gäste und in Kastihen und Leon
Minnesang. •■■ o o
erklang manch südfranzösisches Lied, Aber zum einheimischen Minne-
sang kam es nur in Portugal, wo die Maneira de provengal unter König
Diniz um 1300 ihren Höhepunkt erreichte. Drei Liederbücher [Cancioneiros)
haben uns diese „Cantigas" erhalten, deren importierte Kunst oft glück-
lich mit einheimischer Art durchsetzt ist und dem volksmäßigen Frauen-
lied {Cantiga de amigd) großen Raum gewährt. Zum weltlichen Minnelied
fügt Alfons X. fromme Marienlieder. Für diesen kastilischen König, dem
die spanische Prosa so viel verdankt, war das Portug^iesische die Sprache
seiner Jugendzeit, also auch seiner Lieder. Er ist mit König Diniz
Hispaniens Troubadour.
Die Prosa. Aus der Sprachc seiner Kanzlei entwickelte sich seit 1250 die Kunst-
prosa, die er, von zahlreichen Mitarbeitern unterstützt, in den Dienst ge-
lehrter Kompilationen und Übersetzungen, einer umfassenden Gesetz-
gebung und einer stolzen Historiographie {Crönica general) stellte. Seine
Nachfolger behielten gleich ihm ein Stück literarischer Führung. Portugal
übertrug kastilische Prosawerke. Französische Ritterbücher regten zu
Neuschöpfungen an. Es entsteht auf der Spur des Lancelot und Tristan
der anonyme „Amadis de Gaula" von besonders feiner, anmutiger Art und
glücklichem Aufbau, der den Ruhm kastilischer Ritterromane über die
Welt verbreiten und sogar in Cervantes' Augen Gnade finden wird.
Der hervorragendste Prosaiker nach Alfons X. ist sein Enkel Don
Juan Manuel (f 1348). Nationalgeschichte, Jagd und Kriegswesen,
Fragen der Lebensführung behandelt der tatkräftige Grande in schlichter
und doch selbstbewußter Art mit jener Vorliebe für stilisierte, praktische
Lebensweisheit, die damals dem spanischen Schrifttum aus orientalischen
El conde Quellen so reich zufloß. Im Rahmen eines Gesprächs, das der Graf
Lucanor. L^canor mit seinem Rat Patronio führt, erzählt Don Juan Manuel fünfzig
Geschichten, ein halbes Dekameron, doch von anderem Geist. Es ist
nicht die heitere Kunst des Italieners, der das Leben lachend genießt,
sondern die herbe Lehrhaftigkeit des Spaniers, der sich das Leben nach-
denklich zurechtlegt, der nicht fabuliert, sondern unterweist, was ihn nicht
hindert ein trefflicher Erzähler zu sein. Übersetzungen haben den „Conde
Lucanor" zum bekanntesten der altspanischen Bücher gemacht.
So hatte Kastilien von Anfang an die Führung auf dem Gebiete der
Prosa. Nun übernimmt es sie (gegen 1400) auch in der Poesie, während
Der Einfluß an die Stelle des sinkenden Einflusses Frankreichs derjenige Italiens tritt,
Italiens, ^^g ^^^^ Spanien durch Aragon politisch verbunden ist.
Diese neue höfische Dichtung ist uns in den Liederbüchern erhalten,
die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts von Sammlern oder Dichtern an-
gelegt werden und dann nach 1500 in den spanischen „Cancionero general"
C. Die kastil. u. portugics. Literat, bis zum Kndc des 1 7. Jahrli. II. Die Zeit d. Habsburger. 203
und den poituvfie.sischen „Cancioneiro geral", der ganz ka.stilischen Geistes
und auch voll kastili.scher Sprache i.st, zusammenfließen. In dieser kunst-
reichen Lyrik regt .sich schon Petrarcas und auch Dantes Heispiel. In
glücklichen Tönen und I-Omien lebt N'olkstümliches weiter. Didaktik, das
religiöse Lied und besonders die politische Satire finden kräftigen Aus-
druck. Der Marques von Santillana schickt seinen Gedichten, in denen
anmutige Refrainliedchen sich zur schüchternen Nachahmung italienischer
Versmaße (Sonett) und horazischer Vorbilder gesellen, den ersten Versuch
einer romanischen Literaturgeschichte voraus (1441^).
Der lilick richtet sich immer nachdrücklicher auf Italien und Alter-
tum. Nach italienischem Muster werden Griechen und Römer übersetzt
Der Stil antiker Historiker dringt in die Chronik und die latinisierende
Schreibweise italienischer Humanisten findet Nachahmer. Aber der
humanistische Gedanke wendet sich auch der Muttersprache zu, um durch
grammatische Fürsorge ihren Bestand zu sichern ^Nebrija, 1492).
IL Die Zeit der Habsburger (16. und 17. Jahrhundert). Die zwei
Jahrhunderte der habsburgischen Herrschaft bilden den Höhepunkt
spanischer Geschichte: erst der Glanz der Weltmacht und dann, während
dieser seit Philipp IL verblaßt und der wirtschaftliche Verfall eintritt,
eine herrliche Blüte der Literatur und Kunst. Die Habsburger waren
kunstsinnige Despoten. Die Bourbonen traten 1700 ein völlig erschöpftes
Land an und begannen mit der politischen und ökonomischen Reform.
Das Schicksal des mächtigen Landes ist die Tragödie des Na-
tionalismus. Als nach dem vielhundertjährigen siegreichen Kampf
gegen die Ungläubigen die stolzen Weltmachtscrfolge sich einstellten und
Spanien das führende Land des Erdenrunds wurde, da bildete sich in der
Nation die Vorstellung, daß sie das auserwählte Volk Gottes sei. In un-
duldsamer Selbstüberhebung verschleuderte sie ihre Kräfte, beförderte sie
den ruinösen Absolutismus ihrer Könige, schuf sie die Inquisition, drängte
zur Vertreibung der Juden und der Morisken. Nachdem Spanien durch
die Entdeckung der Neuen Welt eine neue Menschheitsepoche inauguriert
hatte, verfiel es inmitten von Glanz und Wohlfahrt einem Hochmut, der
es den übrigen Völkern Europas entfremdete. Es lebte diesem gereizten,
prahlerischen Nationalismus, sah mit verständnisloser Einbildung, ein Don
Quijote, auf den Lauf der Welt, der die anderen Nationen emporführte
und — blieb dauernd zurück.
Portugal teilte Spaniens Schicksal. Auf einen kurzen Weltmachts-
traum folgten seit 1550 Niedergang und Demütigung. Vorübergehende
Vereinigung mit Spanien unter den „drei Felipes" (1580 — 1640) schlugen
das Land vollends in den Bann des mächtigen Nachbars.
Die kastilische Lyrik entfaltet sich unter dem steigenden Einfluß d«. Lyrik
Italiens, das den Sinn für Feinheit der Form und des Gedankens schult
Wie im 13. Jahrhundert Frankreich, so leiht jetzt Italien dem spanischen
204
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Kunstdichter Vers und Strophe. Neben die kunstloseren einheimischen
Gebilde tritt der italienische Endecasillabo mit Sonett, Oktave, Kanzone usw.
Boscän eröffnet diese Phase des Petrarkismus; der anmutige Garcilaso
folgt mit der glücklichen Gabe eines originellen Nachahmers. Die Neue-
rungen blieben nicht ohne Gegner. So fanden die alten nationalen Formen
einen witzigen und liebenswürdigen Verteidiger in Castillejo. Aber von
Wien aus, wo er lebte und starb (1556), erklang sein anmutiges Lied nicht
stark genug. Eine lange Reihe zum Teil hochbegabter Lyriker schließt
sich an Boscän und Garcilaso. Es lassen sich regionale Gruppen unter-
scheiden: die Sevillaner, die Salmantiner, die Portugiesen. Die ersteren
führt Herrera (f 1597), der so schwungvoll den Sieg von Lepanto besang.
Zu den Salmantinem gehört der Mystiker Luis de Leon {j 1591), dessen
fromme Lieder von ergreifender Innigkeit sind. Man hat diesen Augustiner-
mönch den größten Lyriker seines Landes genannt. Aus dem reichen
Dichterchor der Zeit löst sich seine kunst- und klangvolle Stimme in herr-
licher Eigenart. Er ist ein „Klassiker", in dem, wie in Polizian die antike
Dichtung neues Leben gewinnt und dessen Hand „aus dem Marmor des
Pentelikon christliche Statuen" gestaltet. In dieser Durchdringung des edeln
hellenischen Materials mit christlicher Poesie hat er nicht seinesgleichen.
Die Portugiesen erscheinen mit Sä de Mir an da als Anführer und
Luis de C am 5 es (7 1580) als reichstem Sänger der Liebe, den die Halb-
insel kennt. Über Camöes' lyrischem Werk hat ein Unstern gewaltet. Was
der Dichter in Heimat und Fremde, unbeständig wie das Meer, in Sonetten,
Redondilhen, Elegien, Kanzonen gesungen, das hat erst die Nachwelt der
Camonistas dauernd zu vereinigen vermocht. Es sichert ihm aber durch die
Fülle seiner Poesie einen Platz unter den ersten Lyrikern aller Zeiten.
Nicht ohne Widerspruch also, doch ohne eigentlichen Kampf vollzog
sich diese Italienisierung, die übrigens Sinn und Neigung für die leichten
nationalen Formen nicht zerstört.
Die neuen Insbcsondcre blühte die Romanzendichtung. Die schlichte Form der
Romanze wird jeder Art poetischer Inspiration dienstbar gemacht: sie
betet, liebt, spottet und klagt, vor allem aber erzählt sie. Um die Mitte
des Jahrhunderts wird die alte „Crönica general" gedruckt und ihr Schatz
an nationaler Überlieferung allgemein zugänglich. Kunstdichter, wie
Sepülveda (1550), schöpfen daraus mit dem willkommenen epischen Stoff
auch eine altertümliche Sprachkunst, ohne zu ahnen, daß die poetische
Prosa dieser Königschroniken aus alten Epenversen gebildet ist. Sie
schaffen neben viel Verkünsteltem neue Romanzen von wahrer Schönheit.
Es entstehen Sammlungen {Romanceros), in welchen uraltes volkstümliches
Gut naiv neben diese „Romances nuevos" gereiht erscheint. Es kommt
zum Ausbau förmlicher Zyklen [Roviancero del Cid), so daß die nationale
Epopöe aus Trümmern wieder ersteht: eine epische Wiedergeburt, die
Gegenwart und Vergangenheit unlöslich verbindet, wie dies kein anderes
Land kennt.
Romanzen.
oad
C. Die kastil. u. portugies. Literat, bis rum Ende des 17. Jahrh. 11. Die Zeit d. Habsburi;er. 20S
Im Romancero liegt die unversehrte Einheit der spanischen National-
poesie. Aus ihm sprießt nach Form und Inhalt das Drama.
Die Spanier sind von allen Schülern der italienischen Lyrik die eigen- CoImtmImo
artig"sten, auch in den Gebrechen, die sich seit 1600 entwickeln: dem
C'ulteranismo und dem Conceptismo, den beiden Formen der spa-
nischen Preziosität Inzwischen wird Madrid allmählich zum geistigen
Zentrum des Landes.
Göngora (f 1627) erhebt durch die Virtuosität seiner metaphorischen,
antithetischen und hyperbolischen Künsteleien den „demonio culterano"
zur literarischen Herrschaft. Diese hispanische Art petrarkistischer Ziererei
(Gongorismo) ist noch durch jene gelehrte {cuUa) Latinisierung in Wort-
wahl und Wortstellung charakterisiert, die Frankreich damals längst
überwunden hatte, und die ihr etwas altmodisch Schwülstiges und Ge-
schraubtes gibt — „por la de la buena fama gloria". Aber über dem
„Gongorismo" seiner späteren Dichtungen ist jener Göngora nicht zu
vergessen, der als einer der größten Poeten Spaniens so wundervolle
Sonette und Romanzen verfaßt hat In lustiger Übertreibung seiner
eigenen Manier ist er, wie so viele Vertreter der modischen Ziererei, auch
zu einem Meister der burlesken Poesie geworden. Als solchen haupt-
sächlich haben ihn die Franzosen gekannt und nachgeahmt
Der Conceptismo strebt im Gegensatz zu Wortgeklingel und Am-
plifikation nach gedankenschwerer Kürze des Ausdrucks. Er ist etwas
spezifisch Spanisches, stammt aus der Literatur der Mystiker, deren ge-
heimnisvollen Symbolismus er liebt Er ist die Preziosität der rehgiösen
und profanen Didaktik und eignet mehr der Prosa. Die Neigung zu
Metapher, Antithese und Wortspiel teilt er mit dem Culteranismo, in den
er oft genug übergeht
Während der Culteranismo seinem Wesen nach die allgemeine abend-
ländische Erscheinung des Petrarkismus darstellt, bedeutet der Concep-
tismo etwas wesentlich Autochthones. Ihre \'erbindung ergibt einen eigen-
artigen literarischen Barockstil, dem alle Schriftsteller der Zeit mehr oder
weniger verfielen, auch die ihn direkt verspotteten, wie Lope de Vega,
Cervantes und Quevedo.
Neigung zum Redeprunk und zur Spitzfindigkeit zeigen schon die Spanier
der Römerzeit, Seneca und Lukan, und so hat man wohl im Culteranismo und
Conceptismo eine alte Anlage des spanischen Geistes wieder erkennen wollen.
Quevedo (f 1645) ist ein großer Satiriker von echter Hodenständig-
keit, der die Kunst antiker und italienischer Vorbilder mit grimmem spa-
nischen Humor erfüllt und dabei das beschränkte Gebiet der heimischen
Kultur mit phantastischen Kreuz- und Querzügen durchmißt in Vers und
Prosa, deren seltene Kraft und Tiefe leider oft durch Spiufindigkeit und
Ziererei zu Schaden kommen.
In Culteranismo und Conceptismo erstickt schließlich die Lyrik. .Nur
die Inbnmst des Gläubigen und der Haß des Satirikers, die sich beide gerne
2o6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
in naiven Formen aussprechen, schaffen noch Hervorragendes in frommen
Gesängen und bitteren Spottliedern. Die Übertreibung der Ziererei und
des Schwulstes führen zu burlesker Haltung imd Sprache: die burleske
Poesie begleitet denn auch, wie bei Göngora selbst, den Gongorismo.
Im 17. Jahrhundert wird die Lyrik auf der Iberischen Halbinsel —
wie in Italien und Frankreich — ein Gegenstand modischer Spielerei,
ein Luxus der vornehmen und der gebildeten Kreise. Diese Elreise
schließen sich zu Salons {Tertulias) zusammen, und aus diesen freien
Kränzchen gehen schließlich geschlossene etikettenreiche Meistersinger-
Akademien hervor. Besonders in Portugal — auch in Brasilien — blühen
diese Akademien der Seiscentistas, und ihre Mitglieder sind nicht selten
auch bei italienischen Akademien eingeschrieben.
Das Epos. Dem Beispiel Italiens folgt Spanien auch in der epischen Behandlung
antiker Sagenstoffe, und besonderer Vorliebe erfreut sich die Versnovelle
von Pyramus und Thisbe, in deren tragischem Liebesschicksal der modische
Redepomp sich ein Genüge tun konnte.
Nachdem seit 1550 Ariost und Vergil übersetzt worden, beginnt eine
Zeit eifriger epischer Produktion in Oktaven, die nach der Übertragung
Tassos (1587), des „christlichen Vergil", ihren Höhepunkt erreicht und
ein halbes Jahrhundert dauert. Die Karlssage zeigt auch hier ihre Kraft;
aber die spanischen Epiker lassen ihren Bernardo über den Frankenkaiser
siegen. Einen wunderbaren epischen Stoff bildet die Eroberung der Neuen
camSes. Welt: Ercüla hat in der „Araucana" (seit 1569) und Camöes in „Os
Lusiadas" (Die Söhne Portugals, 1572) selbstgeschaute Länder und Meere
geschildert. Der Kastilier erzählt mit schlichtem, humanem Sinn die
chilenischen Ereignisse, deren Augenzeuge er war, und fesselt durch die
unmittelbare poetisch geschaute Wahrheit der Vorgänge. Der Portugiese
schildert prunkvoll mit erfundenem Detail die Expedition Vascos de Gama,
deren Zeuge er nicht war, deren afrikanischen und indischen Schauplatz
er aber kannte. Camöes folgt in der Komposition Vergil und entlehnt
ihm auch den Pomp der olympischen Maschinerie; Ariost gibt ihm das
Beispiel üppiger Episoden.
Die zehn Gesänge der Lusiadas schließen zugleich einen Kursus por-
tugiesischer Geschichte ein: sie sind ein Lied zum Ruhme Portugals, ab-
gestimmt auf einen weltgeschichtlichen Moment. Aber selbst die Kunst
eines Cambes hat diese geschichtliche Unterweisung und jene entlehnte
Mythologie nicht zu reinem, poetischem Leben zu erheben vermocht, so
schön auch einzelne Szenen irdischen oder olympischen Tuns sind, so
stürmisch auch die Vaterlandsliebe durch die Verse flutet. In der
Schilderung maritimen Lebens jedoch erhebt er sich zum höchsten Können.
Er ist der romanische Sänger des Ozeans.
Columbus hat einen großen Poeten nicht gefunden. Überhaupt hat
die Romania ihr maritimes Heldenzeitalter nicht ebenbürtig gefeiert. Nur
in Portugal hat es zu einer großen Schöpfung geführt. Italien hat noch
C. Die kastil. u. portugies. Literat, bis zum Ende des 17. Jahrh. II. Die Zeit d. Habsburger. 207
weniger aufzuweisen als Spanien. In Frankreich hat nur die Prosa
Rabehiis' das Entdeckertuni verherrliclit, und nur, um es aufklärerischen
Zwecken dienstbar zu machen.
Im Jahre von Camoes Tod (1580) schlug Spanien seine schwere Hand
über Portugal. Damit ward auch die literarische Abhängigkeit des kleinen
Landes enger und drückender. Die Geziertheiten des Culteranismo wirkten
hier im Lauf der Jahrzehnte noch verheerender. Seine krankhaft üppige
Blüte bezeichnet man mit dem Ausdruck des Seiscentismo. Das Ka-
stilische ward in Lissabon Hof- und Literatursprache. Es ist die Zeit, da
es auch nach Italien und Frankreich gedrungen war und als Modesprache
der Romania von Paris bis Neapel, von Lissabon bis Mailand erklang. Das
nationale Empfinden kam darob auch in Portugal zu Schaden. Camöes wurde
zugunsten des fremden Tasso ungerecht hintangesetzt, freilich nicht ohne
Widerspruch. Wenn das Portugiesische diese Not und diese Demütigung
siegreich überdauert hat, so verdankt es dies zum guten Teil dem hoch-
ragenden Denkmal, das eben dieser Camöes mit den Lusiaden ihm ge-
schaffen hatte. Denn was seine Nachahmer von portugiesischen Helden-
taten in Indien oder Afrika oder vom Siege zu Lepanto singen, das reicht
nicht an seine Kunst heran.
161 3 schrieb Azevedo seine „Creacion del Mundo" nach der
„Schöpfungswoche" des Franzosen Dubartas. So geschah in Spanien,
was soeben auch in Italien geschehen war: das erschöpfte Können griff
nach einem französischen Vorbild. Seit zweihundert Jahren war der
literarische Einfluß Frankreichs gewichen: jetzt kündigt er seine Rück-
kehr in Spanien durch das nämliche Werk an wie in Italien.
Dem konservativen Charakter des Landes entsprechend ist das Latein- Die Pro«L
schreiben von zäherer Herrschaft gewesen als anderswo. Aber der
humanistische Unfug, das Spanische mit lateinischen Flicken aufzuputzen,
schwindet mehr und mehr aus der Prosa. Die Neigung zur Fülle der
Periode bleibt. Die Muttersprache findet Untersuchung und Pflege (Juan de
Valdes, Diälogo de la Icngua um 1535). Mariana verfaßt seine National-
geschichte lateinisch, überträgt sie aber selbst in die Vulgärsprache (1601):
ein kunstvolles Werk und nicht das einzige dieser Art aus einer Zeit, die
stolz auf die Überwindung der Mauren und die Eroberung Me.xikos zurück-
blickte. Die lateinischen Traktate spanischer und portugiesischer Theologen
wie Molina, Escobar überschwemmen in Lyoner Drucken Frankreich und
fuhren dort zur Ojjposition des Jansenismus. Die religiöse Erregung, die
im 16. Jahrhundert durch Europa ging, äußerte sich in Spanien durch ein
mächtiges Aufflammen des schwärmerischen Geistes mystischer Frömmig-
keit, der in hervorragenden Individualitäten wie Luis de Granada,
Juan de la Cruz, Teresa de Jesus, einen sublimen Ausdruck fand, ihc Mj«uk«
Diese Bewegung, die das Mißtrauen der Inquisition verfolgte, hat dem
I^ande außer herrlichen Liedern eine große Zahl poesieerfüllter Andachts-
bücher geschenkt, in denen die kastilische Sprache naiv aus dem Herzen
2o8 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
über die Lippen fließt, Bücher, aus denen das gesprochene Wort bald
weich, bald stürmisch, schHcht oder blütenreich entgegenklingt. Die Be-
wegung erinnert an die Zeit des heiligen Franziskus: aber wie viel reicher
ist ihr literarischer Ertrag, wie viel reicher Persönlichkeit und Werke der
Teresa de Jesus (f 1582) als die der Caterina da Siena (f 1380)! Wie
bittend streckt das romanische und das germanische Europa seine Hände
nach den Erbauungsbüchern dieser spanischen Mystiker aus.
Noch im 17. Jahrhundert übt der mystische „Geistliche Führer" des
spanischen Beichtvaters Molinos, der von Rom aus in die Welt gesandt
wurde (1675), einen tiefen Einfluß auf Kunst und Literatur Italiens und
Frankreichs (der Quietismus).
Auch die Probleme des Weltlebens fanden in dieser Zeit Bearbeiter
von großer Begabung. Diese „politische" Literatur ist nicht erst durch
die Übersetzung von Castigliones „Cortegiano" geweckt worden. Die
Guevara, wortrcichc Elcgauz, mit der Bischof Antonio de Guevara die Gemein-
plätze seines „antiken" Erziehimgsromans von Marcus Aurelius („Die
Fürstenuhr", 1529), seiner „Verachtung des Hofes", seiner „Briefe" ent-
wickelt und ein höfisches Altertum vortäuscht, entzückte ganz Europa und
besonders Deutschland. Spanien liefert Europa Muster komplimentöser
Briefstellerei. Nach Guevara gibt namentlich A. Perez, der Vertraute
Philipps IL, besonders seitdem er als Flüchtling in Frankreich und Eng-
Graciän. land lebt, ein böses Beispiel. Der Jesuitenpater Graciän (f 1658) hat
außer seiner berüchtigten Theorie des Conceptismo, die als maßgebendes
Stilbuch viel Schaden angerichtet, eine Reihe gedankenreicher Bücher
über die Kunst des Lebens geschrieben. Er lehrt in gedrängten Cha-
rakterbildern, in Form des allegorischen Romans, in Aphorismen, die
Ausbildung der hervorragenden Persönlichkeit, des „Heros", in dieser Welt
der Schurken und Dummköpfe, eine Lehre, die im Grunde dem Dogma
zuwiderläuft. Im Ausdruck dieses kampfbereiten Lebenspessimismus ent-
faltet er einen unerschöpflichen Reichtum an Bildern, erklingen alle Töne
des Humors, der Satire. Dieser tiefe Denker ist ein großer Darsteller.
Leider hat er vergessen, daß Schlichtheit eine Bedingung wahrer Kunst
ist. Die Mätzchen seines quintessenzierten Stiles haben ihm zwar damals,
als die Franzosen seine Bücher Europa vermittelten, nicht Eintrag getan;
aber heute halten sie seine Wiedererstehung hintan, obwohl Schopenhauer
sich seines „Handorakels" weise angenommen hat.
Quevedo. Weniger Sammlung, Vertiefung und Vornehmheit als der in sicherer
Stellung lebende Gracian zeigt sein genialer Freund und Geistesverwandter
Quevedo, den das Leben schwer bedrängt hat. Er erscheint dem haus-
hälterischen Graciän gegenüber als der Verschwender, der die Münze
seines originellen und exzentrischen Geistes wie prahlerisch ausgibt. Die
Phantastik seiner kraftvollen satirischen „Träume" hat viel Nachahmung
gefunden. Auf seiner Spur schrieb Velez de Guevara den „hinkenden
Teufel" (1641), jenes kunstreiche Nachtbild des Madrider Lebens, das
C. Die kastil. u. portugies. Literat, bis zum Ende des 17. Jahrh. II. Die Zeit d. Habsburger. 200
durch Lesage der Weltliteratur zug-eführt \vord<.'n ist. Seinen ganzen
hohen Krnst leiste Quevedo in die Schrift, mit der er in die wogende
politische Literatur der Zeit eingriff, die „Politik Gottes" (1620). Nicht
um die Gründung eines weltlichen Staates handelt es sich — wie in dem
Italien Machiavells — , sondern um Erhaltung einer christlichen Monarchie,
die in offenkundigem Verfalle begriffen war. Das gequälte Spanien hält
seinen Königen das Idealbild eines christlichen Fürsten vor.
Eifrig hörte Europa all diese Lehren, die vom Prestige eines Welt- Rom*»
reichs getragen waren; noch eifriger lauscht es den Geschichten der °"'^ >«'o"U'»
spanischen Erzähler. Hier hat Spanien nicht nur historisch Bedeutsames,
sondern Unvergängliches geschaffen.
Nebeneinander blühte der Idealroman und die realistisch-satirische ivr ideairoman.
Erzählung. An die Drucklegung des „Amadis" (1508) schließt sich
während mehr als 50 Jahren eine lange Reihe von phantastischen Ritter-
geschichten, deren fahrende Helden in edlem Minnedienst und endlosem
Kampf gegen Gewalt, List und Zauberei die Dinge dieser Welt von oben
nach unten kehren. Die Dynastie der Amadise allein füllt schließlich 12,
ja 14 Bücher, dazu die Felixmarte, Lepolemo, Belianis, die Palmerine,
deren berühmtester, „Palmeirim de Inglaterra**, ein Portugiese beigesteuert
hat, der aus der höfischen Gesellschaft Frankreichs herausschreibt (1544).
Ein Portugiese ist es auch, doch ein kastilisch schreibender, der den
Rahmen, den Sannazar im Idyll „Arcadia" für seine Liebe geschaffen,
zum Hirtenroman ausbaut („Die sieben Bücher von der Diana" des Jorge
de Montemayor, 1558), in dessen sentimentalem Liebesleben er seine
Herzensgeschichte idealisiert, in die elegante Prosa zierliche Verse
mischend. Seine glückliche Erfindung fand unter den Größten Fortsetzer
und Nachahmer. So trat der Pastoralroman neben den Ritterroman, und
die beiden Minnewelten des Mittelalters und der Renaissance begannen
sich zu vermischen.
Und daneben tat sich, nun die Maurenherrschaft der Vergangenheit
angehörte, die Welt des maurischen Rittertums auf. Sie entstieg den
Sagen der letzten Grenzkriege. Schon in der „Diana" findet sich die
reizende Novelle von einem treuen und tapferen Abencerrajen und der
schönen Jarifa eingelegt. Den poetischen Ausbau dieser historischen Welt,
deren Trümmer er noch selbst geschaut, unternahm der Murcianer P^rez
de Hita in seinen „Guerras civiles de Granada" (1595) mit ihrem König
Boabdil, ihren Abencerrajen und Zegries. Aus schöner Prosa, aus über-
lieferten und eigenen Romanzen, hat er einen geschichtlichen Roman von
großem Reiz gebildet und damit die farbenreiche, sterbende granadinische
Welt literarisch in Mode gebracht {Romanccs moriscos).
So hat Spanien den Ritterroman in dem Augenblick zu neuem
Leben erweckt, als die Buchdruckerkunst eine neue Lesewelt bereit stellte.
Es hat auch den Hirtenroman und die maurische Romantik ge-
schaffen; doch überstrahlt der Erfolg der Libros <ü cabalUria jeglichen
Ihl KVITVK DIB G(OK>UkHr. I II I I^
Schelmenroman
2IO Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
anderen. Sie haben während eines Jahrhunderts in Spanien triumphiert
wie in keinem anderen Lande. Hoch und nieder, Weltkinder und Geist-
liche, Lope de Veda und Ignaz von Loyola „leckten sich die Finger da-
nach", wie J. de Valdes sagte. Sie entsprachen dem kühnen und aben-
teuerlichen Geiste des Landes, dessen Krieger eben ganz Europa durch-
zogen und dessen Conquistadoren eben die Neue Welt eroberten.
Der Same der aus Gallien stammenden Ritterromane ist auf italienischer
imd spanischer Erde üppig aufgegangen und hat zu einer reichen, wenn
auch künstlerisch ungleichen Ernte geführt. In Italien haben Bojardo und
Ariost ihre moderne, genußfreudige Zeit in romantischen Epen idealisiert;
in Spanien verkörpert Amadis und sein abenteuerliches Romangefolge das
Ideal eines verspäteten Rittertums, das vor Torschluß, prahlerisch, noch die
ganze Welt erobern will. Italien spielte mit den überlieferten Fiktionen
in heiteren Versen; das noch mittelalterliche Spanien baute sie mit gravi-
tätischem Ernste in Prosa aus.
Der Zu all dieser Romantik schuf es auch das Gegenstück, den Schelmen-
roman, die autobiographische Erzählung eines armen Teufels [Picaro], der
weder in Arkadien noch in Utopien, sondern im hungernden Spanien ge-
boren ist und sich, gerieben und vorurteilslos, durch die Niederungen des
Lebens schlägt. Als Führer eines blinden Bettlers beginnt im „Lazarillo
de Tormes" (1554) der kleine Held seine Laufbahn, als Diener eines Geist-
lichen, eines Hidalgo, eines Ablaßhändlers setzt er sie fort, als öffentlicher
Ausrufer und Gatte einer Pfarrköchin schließt er. Der unbekannte Ver-
fasser, der hier Eigenes mit altem Possen- i^entr eines) und Schwankmaterial
zu einem schlichten Ganzen zusammenfügte, hat nicht nur ein kleines Meister-
werk humorvoller realistischer Erzählung, sondern auch das erste Muster
einer neuen Gattung geschaffen. Er hat die dem Publikum vertraute Figur
des verschlagenen „Valet de Comedie" zum Träger einer Satire der spanischen
Gesellschaft gemacht. Daß er Grund hatte, seinen Namen zu verschweigen,
geht daraus hervor, daß die Inquisition das Büchlein wegen seines anti-
klerikalen Geistes verfolgte.
Ein halbes Jahrhundert verging, bis ein zweiter, Aleman, zu dem
Rahmen griff. Dessen „Guzman de Alfarache*' weckte dann nachdrück-
lich die Lust an der satirischen Picaro- Erzählung, die von Spanien aus
ganz Europa ergriff. Einen gesprächsreichen Komödiantenroman, der diesen
nämlichen Geist atmet und von der nämlichen scharfen Beobachtungsgabe
erfüllt ist, gibt Rojas in seiner „Unterhaltsamen Reise" (1604), die durch
Scaraons „Roman comique" zu „Wühelm Meister" leitet.
Cervantes. Die utopistische Welt des Amadis und die gemeine des Picaro ver-
einigte zu einem Vollbilde des Lebens Cervantes. Sein „Don Quijote"
ist eine Synthese aus Idealismus und Realismus. Der Humor vereinigt
und versöhnt sie.
Der kastilische Hidalgo Miguel de Cervantes, obwohl Kind der
Universitätsstadt Alcalä, war kein „studierter Mann", sondern ein „lego"
C. Die kastil. u. portuyies. Literat, bis zum Ende des 17. Jahrh. II. Die Zeit d. Habsburger. 2 l l
(Laie). Ihn hat, nachdem er notdürftig- Latein gelernt, das Leben geschult:
wir finden den Zweiundzwanzigjährigen (156g) im Hofhalt eines Kardinals
zu Rom. Er focht bei Lepanto mit und verlor dort die linke Hand, aber
er bewahrte die Freude am Waffendienst, die auch noch aus Scherz und
Ernst seines „Don Quijote" spricht. Korsaren führten ihn (1575) zu lang-
jähriger Gefangenschaft nach Algier, und auf den Glanz weltgeschichtlicher
Tage folgte die Schmach der Sklaverei. Losgekauft, kehrte er nach Spanien
zurück (1580), aber das Vaterland bot ihm nur kärgliche Existenz, zumeist
in Verwaltungsgeschäften, deren Verwickelungen ihn vorübergehend ins
Gefängnis führten. In den Residenzstädten Valladolid und Madrid ver-
suchte er es daneben seit seinem 35. Jahre auch mit der Schriftstellerei.
Aber dramatische Arbeit lag ihm nicht, auch wenn er Selbstgeschautes,
wie im „Leben zu Algier", darstellte. Seine „Xumancia" ist ein Stück
patriotischer Eloquenz. Lebensvoll gerieten ihm nur die kleinen Possen,
in denen er die Narren- und Schelmenwelt seiner Novelas skizzierte. Die
Bühne lohnte ihm schlecht und seine Erzählungskunst hatte erst spät Er-
folg. Der Hirtenroman „Galatea" (1585) wurde wenig gedruckt, so daß
20 Jahre vergehen, ehe ein neues Buch des unberühmten Autors erschien:
der „Don Quijote" (1605 — 16 14).
Cer^-antes' literarische Bildung stammt aus Italien. Dieses Land war
seine Hochschule: italienische Volgarizzamenti haben ihm die antike
Literatur vermittelt; an italienischen Autoren, Ariost an der Spitze, hat er
seine Erzählungskunst gebildet; Italien gab ihm das Beispiel der literarischen
Heerschau seiner „Reise zum Parnaß"; Strophen italienischer Lyrik streut
er in seine Bücher. Sonst schätzt er Übersetzerarbeit gering. Er rühmt
sich mit Recht seiner Originalität. Doch ist es etwas übertrieben, wenn
er 161 3 in der Vorrede zu seinen Mustemovellen sagt: „Ich bin der erste
spanische Novellist . . . mein Geist hat diese Geschichten erzeugt, meine
Feder sie geboren und in den Armen des Druckes sollen sie heranwachsen."
Er ist ein großer Erfinder, wie Bojardo. In diesen prächtigen Novellen,
in den posthumen „Mühsalen des Persiles" (161 7) gibt er inmitten von
bunten Verwickelungen, bei denen er selbst an den Roman Heliodors
erinnert, lebenswahre, humorverklärte Handlungen und Menschen spanischer
Erde aus Andalusien, Estremadura, Kastilien, von der Landstraße, in
algerischer Sklaverei, aus dem Zigeunertum. Hier hat er jene Preziosa
gebildet, deren Liebreiz auch neben dem ihrer glänzenden literarischen
Kinder, wie Mignon, Esmeralda und Carmen, nicht verblaßt ist. Cervantes'
„Novelas ejemplares" sind glückliche Muster einer reichen, bald roman-
tischen, bald realistischen Erzählungsliteratur geworden, welche die nächsten
Jahrzehnte füllt und Frankreichs Nachahmung geweckt haben.
In den nämlichen sorgenvollen Jahren schrieb er die ergötzliche Ge- Don Quijote.
schichte seines „Don Quijote". Auch der war ursprünglich wohl eine
Novelle und umfaßte nur die ersten sechs Kapitel des späteren Romans:
die „Novela ejemplar" von einem Narren, wie die andere vom „gläsernen
'4*
2 12 Heinrich Morf : Die romanischen Literaturen.
Assessor". Der „sinnreiche Junker" ist der Typus jenes spanischen Adeligen
{Hidalgo) — Adelssucht ist Spaniens Krankheit — , der mitten in einer
neuen Welt von alten Träumen lebt, der nicht, wie Cervantes selbst, die
Einsicht und Energie hat, in den Kampf ums Dasein hinauszutreten, sondern,
zu stolz, um zu arbeiten, in schäbiger Vornehmheit unter den Trümmern
seines ländlichen Wohlstandes haust, eine Zielscheibe des Spottes, dem
Lustspieldichter längst verfallen. Diesen unnützen Hidalgo und die unnütze
Literatur, die von seiner verblichenen Größe erzählt: die Ritterromane —
diese unwirklichen Menschen und Bücher will Cervantes an der Wirklich-
keit messen. Er hat den genialen Einfall, seinen Hidalgo als einen Menschen
darzustellen, der ob der Lektüre seiner Ritterbücher den Verstand verloren
und nun auszieht, um deren Ritterideal in dieser schlechten Welt wieder
herzustellen. Die wunderbare Kontrastwirkung zwischen Lebenswirklich-
keit und Phantasterei wird dadurch noch reicher, daß den gebildeten, aber
närrischen Junker ein einfältiger Knappe, Sancho Panza, als Echo der
nüchternen Welt begleitet. Und nicht höhnisch schildert uns der Dichter,
wie der arme Narr sich an der Realität stößt, wie er gegen Windmühlen
und Schafherden kämpft, Zuchthäusler befreit und Barbierbecken erobert,
sondern mit einem milden Humor, der dem Leser den Helden lieb macht,
wie er dem Autor lieb war. Auf drei Ausfahrten führt er seinen Ritter
durch Spaniens Welt dahin. Mit jeder reift Cervantes' Sicherheit und wird
seine Kunst freier. Was ursprünglich nur als Satire der Ritterbücher ge-
dacht war, wird zu einem Bilde des Lebens. Mit heiterer Skepsis, ohne
Bitterkeit, beschaut sich Cervantes dessen zweifelhaftes Treiben, unter dem
er selbst so schwer gelitten. An der Sonne seines Humors sprießt aus
diesen bodenständigen Geschichten unvergängliche Lebenswahrheit, und zu
ihrem Realismus gesellt sich die Romantik der Novellen, die in den
Rahmen der großen Erzählung eingefügt sind. Scherz und Ernst fließen
zusammen, wie in Don Quijotes Kopf Bildung und Narrheit nebeneinander
wohnen. Durch die Heiterkeit schimmert der Ernst, und aus gravitätischer
Rede klingt die Stimme des Schalks. Jeder Leser wird das anders sehen
und hören, aber keiner wird sich dem Zauber dieses unvergänglichen
Lebensbildes entziehen. So sicher es z. B. ist, daß Cervantes die Vernich-
tung der räuberischen Berberstaaten Algiers wünscht, so zweifelhaft er-
scheint es, ob er wirklich die Morisken Spaniens gehaßt und ihre ver-
hängnisvolle Austreibung gebilligt habe.
So hat, hundert Jahre nach Ariost, Cervantes noch einmal aus der ent-
schwundenen Welt des weiland französischen Minneromans ein modernes
Kunstwerk entstehen lassen, das zugleich ihr Mausoleum ist. Roland ist
zum armen närrischen Junker geworden, mit dem der Alltag seinen Schaber-
nack treibt, und Angelika zur derben Bauemdirne von Toboso, die Minne-
botschaft nicht versteht. Der spanische Humor hat diese Welt endgültig
entzaubert und unter Sancho Panzas Piedestal gebannt. Aber der liebens-
würdige Künstler hat uns nichts geraubt, sondern viel geschenkt, denn
^
C. Die kastil. u. portugies. Literat, bis zum Ende iles i7.Jalirh. 11. Die /cn d. Habsburger. 213
wir können den Ingenioso Hidalgo neben dem Orlando furioso ge-
nießen.
Gegen Ende seines Lebens wollte Don Quijote aus einem Ritter ein
Schäfer werden. Cervantes dachte also daran, eine andere moderne Narr-
heit, an der er selbst mit seiner „Galatea" Anteil hatte: die Schäferei, zu
verspotten. Doch hat er diese Aufgabe anderen überlassen, die kein
Kunstwerk daraus schufen.
Schon zu Lebzeiten des Cervantes machten sich Unberufene an die
Fortsetzung und Nachahmung seines Buches und nie hat man seither auf-
gehört Don Quijote und Sancho zur Satire auf Philosophen, Literaten,
Politiker und Kirchenmänner zu verwenden: Napoleon ist ihr verfallen,
wie die Demokraten, Freidenker, wie die Puritaner (Hudibras), Fräulein
von Scudery wie Bodmer (^Don Sylvioj. Und Gottsched hatte es Lessing
wenigstens zugedacht. Aber wenn die unverwüstliche Lebenskraft der
Cervantesschen Erfindung in all den Nachahmungen sich bewährte, so ist
die überlegene Kunst des Erfinders ihnen auch allen gefahrlich geworden.
Sie sind verstaubt und vergessen, indessen das Original lebt als das meist-
übersetzte und verbreitetste Buch, das jenseits der Pyrenäen entstanden
ist, und es muß gesagt werden, daß sich das Ausland des Werkes lange
Zeit mehr angenommen hat, als seine Heimat und das germanische Aus-
land mehr als das romanische, Frankreich oder gar Italien. Der Humor
des Cer\'antes hat die reichsten Sympathien und die meisten Anklänge bei
den Germanen gefunden, von Fielding bis Gottfried Keller. Er ward ihr
Führer auf dem Wege von der lieblosen Satire zum sympathischen Scherz.
Die spärlichen Trümmer liturgischen Theaters in lateinischer und in r>i« dr*mmti»cb«-
spanischer Sprache (11. — 13. Jahrhundert) weisen auf französischen Einfluß. Li«««*«"'-
Daß Weihnachtsspiele (die Hirten; die drei Könige) und Osterspiele (Auf-
erstehung mit Passion) blühten und auch eine ausgelassene weltliche Posse
{Juegos de escarnios) bestand, zeigt uns eine Verordnung um 1250. Daß
diese Ausgelassenheit auch ins kirchliche Drama eindrang', beweisen die
Verbote, die solche inlwncstas rcprcrsoitationcs oder farsas in späterer Zeit
treffen (um 1500). Es blieb übrigens bei der bescheidenen Dramatisierung
einzelner Fakta der biblischen Geschichte. Sie zu „Mysterien" aneinander
zu reihen wurde nur in Katalonien versucht.
Immer mehr entwickelte sich, wie in England, das Fronleichnamsfest
im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum religiöser Dramatik mit biblischer
{Auto) oder mehr moralischer {Farsa) Unterweisung, die weder die weisen
Reden allegorischer Figuren noch die Spaße des Narren (Bodo) verschmäht.
Die Polemik gegen die Reformation dringt ein und vor der Schärfung
konfessionellen Empfindens verschwinden Naivetät und Bobo. Es über-
wuchert die Allegorie mit jener gereizten Frömmigkeit und schwülen
Mystik der glaubenseifrigen Dichter des 17. Jahrhunderts.
Kurz vor 1500 begegnen wir zu Madrid und gleich nach 1500 zu
Lissabon den ersten Dramatikern, dort Encina, hier Vicente. Beide
214
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zeigen, wie gegenüber dem Weihnachtsspiel mit seinen reahstischen Hirten-
szenen die Passion zurückblieb. Beide bedienen sich des lyrischen Verses
und legen g-erne eigentliche Lieder ein, besonders am Schluß. Die Namen
Reprcscntacion, Comedia, Auto, Farsa erscheinen noch in ungeschiedenem
Gebrauch.
Der Portugiese Vicente, der auch spanische Stücke schreibt, ist
mittelalterlicher; aber er ist der größere. In seinen Hirtenspielen ist zum
plebeischen Hirten biblischer Tradition der Eklogenhirt noch nicht getreten
wie bei Encina. Nur in seinen höfischen, mythologischen Festspielen ver-
rät er Einfluß Italiens. Seine religiösen Stücke sind von viel originellerer
Art (z. B. sein Prophetendrama) und eine bunte Fülle eigenartiger und
überlieferter Komik zeigen seine kleinen Lebensbilder mit ihren Hirten
und Bauern, ihren hungrigen Hidalgos, ihren Mauren, Juden, Zigeunern.
Die neue Welt des Seefahrertums spielt hierein. Auch NovellenstofEe
dramatisiert er. Während bei Encina alles in die Pastorale gebannt ist,
die aus dem Zusammentreffen biblischer und antiker Überlieferungen ihre
Kraft zieht, zeigt der Portugiese die mittelalterliche Tradition, unter
augenscheinlichem französischem Einfluß, in viel reicherer Entfaltung.
Zu Encina und Vicente gesellt sich an der Schwelle des i6. Jahr-
hunderts der unbekannte Kleriker, der den Prosadialog von Calisto und
Melibea verfaßt hat, ein Lesedrama in ursprünglich i6 Abschnitten [Autos),
in denen die tragische Liebe dieses Paares auf dem Hintergrund der
Kuppler- und Dirnenwelt geschildert ist, die sich um die alte Celestina
gruppiert. Der geniale Autor dieser Komposition malt mit schimpflicher
Sachkenntnis in kraftvollem Realismus diese Welt und in der Darstellung
der Liebe weiß er zarte Empfindung mit stürmischer Leidenschaft und
Sinnlichkeit lebenswahr zu vereinigen, als ein spanischer Villon. Das
originelle Gebilde steht an der Spitze der zahlreichen spanischen Buch-
dramen und hat in den Leidenschaftsschilderungen der Bühnenstücke tiefe
Spuren hinterlassen.
Inzwischen lernt Spaniens weltliche Dramatik weiter von Italien.
Torres de Naharro schreibt um 1515 für die spanische Gesellschaft
am Hofe Leos X. Festspiele, Possen, romantische Dramen, in welchen
sich der Geist spanischer Ritterlichkeit originell mit italienischer Kunst-
übung mischt. Auch der Sevillaner Lope de Rueda tritt seit 1544 als
Schüler der Italiener auf, deren Truppen damals Spanien durchzogen. Er
überträgt ihre geschriebenen Komödien und schafft mit direkter Benutzung
ihrer Stegreifpossen kleine komische Prosastücke, dramatisierte Anekdoten
des andalusischen Alltags, erfüllt von der „Weisheit der Gasse", die in
umfangreichere Dramen eingeschoben werden können und deshalb Pasos
(Episoden), Entremeses (Zwischengerichte von der späteren feineren Kunst:
Comedias antiguas) genannt werden.
Die direkte Einwirkung der antiken Dramatik tritt in Portugal etwas
mehr hervor als in Spanien, bleibt aber in beiden Ländern unerheblich.
C. Die kastil. u. portuyics. Literat, bis zum Ende des 1 7. Jahrh. II. Die Zeit d. Habsburj^cr. 2 1 5
Trafifödien nach den Griechen und Seneca, Komödien nach Phiutus und
Terenz sind vereinzelt. Xur Fcrreira.s Tragödie „Ine.s de Ca.stro" (um
1560) erwarb sich in Portugal dauerndes Bürgerrecht und fuhrt der Nach-
welt einen willkommenen dramatischen Stoff zu.
Die fremden Beispiele vermochten die nationale Kunstübung nicht zu
verdrängen; sie beeinflußten sie bloß und disziplinierten sie. Die drama-
tische Handlung gewann an Fülle und wurde in Akte geteilt, denen die
mittelalterliche Bezeichnung Jornada (ital. Giornata., franz. Juiirti^c) verblieb.
Schließlich blieben drei Akte herrschend. Die lyrische Form blieb Siegerin
über die importierte Prosa; aber die italienischen Formen des Verses und
der Strophe (Oktave, Sonett) traten neben die nationalen Romanzenverse,
die Redondillas und Quintillas. So behielt das Drama die strophi.sche
Gliederung des Dialogs bei: eine Fessel, aber auch ein Schmuck von
eigenartigem Reiz und zwar ein Schmuckstück aus alter Zeit, aus dem
Schrein der Kirche stammend: das alte liturgische Singspiel hatte diese
Tradition geschaffen. So ist das Drama formell tief in alter Überlieferung
verankert Aber auch inhaltlich stand es fest in dieser Überlieferung. Die
nationalen Stoffe wurden nach Torres' Beispiel von Cueva nachdrücklich
gepflegft. Damit übernahm nun Spanien durch Lope de Vega die Führung. Lop« dev«
Die Familie Lopes stammte aus Asturicn, wo alles adelig ist Der
Dichter wuchs in Madrid als undiszipliniertes Wunderkind heran. Hat er
vielleicht auch an der großen Unternehmung der Armada nicht selbst teil-
genommen, so begleitet er doch die Erinnerung an 1587 und 88 mit
fanatischem Chauvinismus in epischen Invektionen gegen Francis Drake
und Isabel (Königin Elisabeth). Der große Dramatiker ist kein ebenbürtiger
Epiker, obschon die Fülle seiner poetischen Kraft ihn auch hier nicht
verläßt Er folgt Ariost und zieht dessen schöne Angelica nach Anda-
lusien; er macht Tassos Jerusalem zu einer „Jerusalem conquistada" des
dritten Kreuzzuges, dessen imaginärer Held ein ka.stilischer König ist
Reichtum und Überlegenheit der italienischen Dichtung i.st seine stete
Präokkupation, Er gesteht, ihr Nachahmer zu sein und hofft, daß des
weiten spanischen Reiches grandcs ingeniös die Italiener einst übertreffen
werden. Ansprechenderes gelingt ihm, wenn er bei der schlichteren
heimatlichen Inspiration bleibt wie im „Isidro", dem Leben des Madrider
Schutzpatrons, in welchem nach volkstümlich mittelalterlicher Art Legende
und Schwank sich paaren; im komischen Epos vom „Krieg der Kater"
{Gatüma(]uin) um die schöne Zapaquilda, in seinen Novellen und dem
Roman vom „Pilger in seiner Heimat", wo er autobiographische Elemente
in die bunten Abenteuer eines Liebe.spaares flicht Er liebt es, sein lockeres
und doch arbeitsreiches Leben in der Dichtung zu spiegeln. Der Vers ist
sein Element Er baut ihn mit genialer Leichtigkeit und Klarheit Er
spottet über die Poeten, die nach italienischem Beispiel mit gequälten
Konstruktionen und schweren Worten latinisierten. Er sieht darin eine
Bettelei, deren die Muttersprache, die jetzt selbst eine Senora sei, nicht
2 1 6 Heinrich Morf : Die romanischen Literaturen.
bedürfe. Nicht eine gelehrte Mühsal, sondern eitel Ergötzen sei das
Dichten, ein escribir deleitando. Diese Lust läßt ihn freilich oft geschwätzig
werden, wie in den 7000 Versen jener Heerschau über 300 nationale Poeten
(„Apolls Lorbeerkranz" 1630), wo die Farblosigkeit der Urteile ermüdet
und der Leser auch dadurch enttäuscht wird, daß der alternde Dichter
in dieser parnassischen Musterung die volkstümlichen Formen der Dramatik
und Lyrik zurücksetzt. Und doch bilden gerade diese seinen Ruhm. Die
Sammlung seiner Lieder {Rimas, seit 1604), die so vieles umfaßt, was er
in poetischen Diensten für andere geschrieben, enthält neben glänzender
Rhetorik Perlen schlichter Lyrik, neben kunstvollen pointierten Sonetten
und burlesken Klängen warme Herzenstöne. Alter und Schicksalsschläge
steigerten mit seinem religiösen Empfinden freilich auch seine äußere
Kirchlichkeit und ließen ihn Geistlicher werden. Doch hat ihn dies der
Bühne nicht entfremdet: ein halbes Jahrhundert hat er für sie geschrieben.
Von seinen Comedias, deren Zahl er selbst auf anderthalb Tausend angibt,
sind etwa 450 erhalten. Dazu kommen 500 Autos (Einakter). Seine
Entremeses sind verloren.
Im Widerstreit zwischen klassischer Kunstlehre und Bühnenfreiheit
stellt sich Lope resolut zur letzteren und setzt der Antike die „neue Kunst"
entgegen. „Arte nueva" betitelt er die kleine Dramaturgie, die er 1609
an die „Doctos" der Madrider Akademie richtet, um zu zeigen, daß er
zwar die gelehrte Trennung zwischen heroischer Tragödie und Alltags-
komödie und die 24 Stunden-Regel des Aristoteles -Robortello kenne, daß
er indes auf die Gefahr hin, von Italienern und Franzosen für einen Igno-
ranten gehalten zu werden, sich von der Neigung des Volkes tragen lasse
und den „barbarischen" Freiheiten der überlieferten Comedia treu bleibe,
die allein ihren Mann ernähre und deren Mischung von Tragik und Komik
ebenso ergötzlich wie natürlich sei.
Lopes dramatische Leistung hat etwas von der Macht eines Natur-
ereignisses: die elementare Wucht und die souveräne Selbstverständlichkeit.
Das strömt daher unaufhaltsam wie ein Fluß, dessen vorüberziehenden
Wellen immer neue Wellen folgen, der immer vorwärts drängt und doch
immer da ist. Unerschöpflich ist die Fülle des Lebens, die sein Theater
birgt: eine ganze Welt, wie sie erfindungsreicher kein zweiter Dramatiker
gebildet hat. Mit dieser Schöpferkraft verbindet Lope einen Wirklichkeits-
sinn, wie ihn wenige besessen. Viele sind tiefer als er, keiner ist
„wirklicher". Was man vom Leben sieht, das bringt er mit naiver
Sicherheit zur Darstellung. Kein Grübeln hemmt ihn im Nachbilden der
Realität und ein unvergleichliches Künstlerauge leitet ihn. Das Leben
der Leidenschaft wogt, klirrt und glänzt in seinen Schauspielen. Es
spricht in den feinsten Nuancen aus den Frauengestalten dieses Dichters,
der so reiche, stürmische Liebeserfahrung hatte. Man fühlt Natürlichkeit
bis ins Sprunghafte, Zufällige und Inkonsequente seiner Handlungsführung.
Sorglos, von keinerlei Anspruch auf hohe Kunst gefesselt und — mißleitet,
C. Die kastil u. purtu^irs. Literat, bis zum Ende des i7.Jahrh. II. Die Zen <i. Hahsburgcr. 2 1 7
schafft er für ein naives Puhlikuin, das bunte Leben.sbiUler, Bewegung von
ihm verlanjTt, das bis zum Scliluß in heiterer oder bang-er Spannung sein
will. Nicht Buchdramen, sondern ausschließlich für die Bühne schreibt
er, den Druck des Stückes fast dem Zufall überlassend. Die Einheit der
Handlung, die er theoretisch verteidigt, handhabt er lax, z. B. als bio-
graphische Einheit. Er dramatisiert Lebensläufe. Auf das Sinnreich.ste
weiß er die Episoden mit ihren wechselnden Stimmungen in die Einheit
des Interesses zu bannen und grelle Tragik mit Lustigkeit zu einem
Gesamtbild zu vereinigen. Aus dem „Bobo" des alten Dramas und dem
„Zane" der Italiener formt er mit glücklicher Hand die „Scherzfigur" des
Lakaien (Gracioso), die Parodie des ritterlichen Helden und Herrn. Er
zeigt im Detail eine geradezu geniale Technik und im großen einen
wunderbaren szenischen Instinkt, aber seine Eilfertigkeit bringt ihn zu oft
zu Fall. Auch seine schönsten Stücke, wie die tragische „Estrella von
Sevilla" und das lu.stige „Unmöglichste von allen", sind ungleich. In
anderen wird seine N'irtuosität zur Hudelei und zum Mangel an Ebenmaß
gesellt sich bisweilen der blühende Unsinn.
Doch bleibt in dem halben Tausend seiner erhaltenen Stücke, die das
moderne Theater nicht mehr spielt, genug, um ein wahres dramaturgisches
Arsenal zu bilden. Wie viele haben sich daraus glänzende Bühnenrüstung
geholt, freilich nicht alle mit so bewundernder Dankbarkeit wie Grillparzer.
Bibel und Profangeschichte, christliche und heidnische Mythologie, Sage
und Tagesereignis, Biographie und Novelle — alles ist Lope recht. Doch
greift er mit Vorliebe zum heimatlichen Stoff, zur Chronik, zum Königs-
drama. Ein echtes Kind seiner Zeit und seines Standes, ist er in deren
Vorurteilen befangen. Seine glaubenseifrige, ehr- und wundersüchtige
Welt mutet heute fremdartig an, ja wir empfinden einen Mangel an
tieferer menschlicher SjTnpathie. Lyrische Form und Stimmung hilft in-
de.ssen vers()hnlich über manches hinweg. Lope weiß seine Welt mit dem
Hauche der Poesie seines J 'erso dulcc zu verklären, in eine unerschöpfliche
Bildlichkeit des Ausdrucks zu kleiden und auch sein lieben.swürdiger
Humor, die natürliche Anmut seines Dialogs versteht vieles zu überwinden.
Dem Mangel kunstvoller Inszenierung begegnet er durch poesievolle
Situationsmalerei. Seine Verse ergänzen die ärmlichen Kulissen. Seine
Kunst ist heiter. Die Bezeichnungen Tragicomedia oder Tragedia können
nicht aufkommen. Wegen ihres überwiegend versöhnlichen Schlusses bleibt
den Schauspielen der Name Comcdia. Romeo und Julia kriegen sich in
den „Castelvines y Monteses".
Lope starb 1635 ^^ Beherrscher der nationalen Bühne auf der Höhe
einer beispiellosen Popularität. Rasch erlosch inde.ssen sein Ruhm. Eis
verschlang ihn die Flut der Nachfolger.
Die spanische Comedia ist Lopes Werk. Unter Ablehnung klassischer
Kunstfesseln hat er die lebensfähigen Elemente des Theaters seiner Vor-
gänger zusammengefaßt und auf dieser be.scheidenen Grundlage ein Werk
2i8 Heinrich MORF: Die romanischen Literaturen.
der Dichtung von solcher Mächtigkeit geschaffen, daß gleichsam dessen
bloßes Gewicht, wie ein Anker, die weitere Entwickelung festhielt. Die
Comedia blieb ein schmiegsames Gebilde in völliger Unbeschränktheit der
Stimmungen und Personen, blieb ein dramatisches Spiel, aus drei Akten
{yor?iadas) bestehend, deren Dialoge, Monologe, Berichte im epischen
Romanzenvers oder in lyrischen Strophen, einheimischen und italienischen,
verlaufen und 2— 2V2 Stunden Spieldauer erfordern.
Zur nämlichen Zeit haben Spanien, Frankreich und England je einen
Dramatiker hen'orgebracht, der, vom neuerwachten Interesse an weltlicher
dramatischer Dichtung geleitet, in den Dienst der hauptstädtischen Bühne
trat und, von der Gunst des Publikums getragen, unbekümmert um die
Fesseln gelehrter Kunstregeln, freie bunte Schauspiele schrieb und durch
die Mächtigkeit seiner Schöpfung zum Beherrscher dieser Bühne und zum
Vertreter des nationalen Theaters wurde. Lope in den Corrales zu
Madrid, Hardy am Theätre de Bourgogne zu Paris, Shakespeare am
Globe Theater zu London. Ihre bühnengeschichtliche Stellung ist die
nämliche, wenn auch ihr Können und ihr Schicksal ein verschiedenes war.
Der größte, Shakespeare, fand keine ebenbürtige Nachfolge und sein
Ruhm erlag bald der Ungunst der Verhältnisse. Der produktive Praktiker
Hardy war zu unkünstlerisch, um Dauerndes zu begründen; sein Drama
{Tragicomedie) erlag der gelehrten Kunstkritik. Allein Lope war es vor-
behalten, die Form des freien, nationalen Dramas zu finden, welche jene
Vereinigimg von Kunst und Volkstümlichkeit aufwies, die ihm den glück-
lichen Eifer vieler Nachfolger und die Gunst von Generationen sicherte.
So geschah es, daß nur Spanien aus dem literarischen Sturm der
Renaissancezeit ein ungebrochenes nationales Theater rettete.
Lopes Die unzertrennliche Begleiterin der Comedia ist die Zwischenaktsposse,
Zeitgenossen ^.^ ^^ Loocs Zeiten ihren Poeten in Benavente fand. Er baute sie aus
und Nachfolger. ^
und nannte sie „Sainete" (Leckerbissen). Er ließ auf die zweifelhafte Welt
des alten Entremes den Strahl der Poesie fallen und gewährte dem gesungenen
Wort jenen Anteil, der die Posse zum Vaudeville {Zarzueld) macht.
Neben und nach Lope blüht die Comedia, besonders unter Philipp IV.
(-{■ 1665), und von den Bühnen zu Madrid, Valencia und Sevilla strömen
Tausende von Stücken über das Land. Gegen die Wucht dieser Produktion
und den Tagesbeifall, den sie entfesselte, konnte die akademische Kunst-
kritik nicht aufkommen.
Aber die Zeit kam dagegen auf. Das freie Schauspiel wurde
konventionell; auch die „Arte nueva" der Comedia entwickelte ihre Regeln;
die Stoffe erschöpften, die Dichter wiederholten sich und suchten sich in
Verwickelungen zu überbieten. Die ursprüngliche Mannigfaltigkeit ward
zum Klischee. Aus dem Gracioso er^^uchs die stehende lästige Figur des
komischen Vertrauten, der Schatten seines Herrn. Der siebensilbige
trochäische Vers in vierzeiliger Strophe {Redondilld) verdrängt immer mehr
die längeren Verse und Strophengebilde, und damit werden die Allüren
C. Die kastil. u. porlugics. Literat, bis zum Ende des i7.Jahrli. 11. Die Zeil d. Habsburger. 2 IQ
der Stücke operettenhafter und mit der Form auch ihre Gedanken kurz-
atmiger. Auch drini^t die gezierte, neumodische Sprechweise ein.
Hei alledem bleibt die Comedia des 17. Jahrhunderts ein großartiges
Denkmal nationaler Dramatik, dem kein anderes Volk etwas Ebenbürtiges
an die Seite zu setzen hat. Auch Frankreich.s mächtiges Theater des
15. Jahrhunderts reicht bei weitem nicht heran: mit der Kun.st fehlt ihm
der nationale Inhalt. In der Comedia aber i.st alles zusammengeflossen,
was das Land in Chroniken und Romanceros, in Legenden, Novellen und
Romanen kannte. Sie ist die X'erkörperung des nationalen Lebens, eine
tägliche Gloritikation der rechtgläubigen und ritterlichen Heimat, das selbe
was früheren Zeiten das Epos war. Sie kettete in dem konservativen
Land die Gedanken der Gegenwart an die Erinnerungen der Vergangenheit,
mit welcher der Spanier des 17. Jalirhunderts viel lebendiger verbunden
bleibt als die übrigen Völker der Romania.
Die Bodenständigkeit dieser Kun.st hat das Au.sland fremdartig berührt
und direkte Übersetzungen erschwert. Aber mit vollen Händen haben
Frankreich und Italien aus ihren Motiven geschöpft. England und Holland
haben sie ebenfalls nachgeahmt und ihr Einfluß ist auch nach Deutschland,
nach Dänemark gedrungen. So ist Spanien zu einer führenden Rolle in
der romanischen Dramatik des 1 7. Jahrhunderts gekommen. Wie viele
seiner Dichter haben hier glänzende Spuren zurückgelassen! So Guillen
de Castro, der 161 2 die Historie des Cid dramatisierte, indem er die in
Romanzen besungenen Höhepunkte der„Mocedades" (Jugendtaten) des Helden
in Szene setzte, mit glücklicher Erfindung die Liebe des Cid und der Jimena
zur Folie des überlieferten Zweikampfes machte und so die Reihe der
biographischen Geschehnisse zum Drama erhob — worin ihn Corneille
nachahmte, ohne ihn zu übertreffen. Aus der Comedia eines unbekannten
Andalusiers stammt die unvergängliche Figur des Don Juan (Der Spötter
von Sevilla, 1630), dieses romanischen Faust, die über Italien zu Moliere
gelangte. Und wie oft begegnet der Forscher, um bei diesen beiden
Franzosen zu bleiben, Spuren des sinnreichen Hurtado de Mendoza,
des überschäumenden Tirso de Molino, des tiefen Alarcön, des kraft-
vollen Rojas, des feinen Moreto und endlich Calderöns.
Calderön (1600—81) i.st sozusagen der Klassiker dieser romantischen caid^riio.
Bühne: Was bei Lope dem Instinkt entspringt, fließt bei Calderön aus
Überlegung. Er ist in dem Maße weniger ursprünglich und natürlich als
er geordneter ist. Den „Alcalden von Zalamea" gestaltet Lope aus einer
italienischen Novelle zum richterlichen Leben.sbild. Calderön schält daraus
die Katastrophe und bringt Rai.son in die Strafe. Die sinnreich ausgedachten
Verwickelungen seiner Stücke sind mit sicherem Vorbedacht geführt, aber
sie sind von zu einturmiger Künstlichkeit. Nach bestimmtem Plane ent-
faltet er sein Thema, da, wo Lope sorglos von Einfall zu Einfall eilt —
er entfaltet es mit prunkhafter Sicherheit in einer glänzenden meta-
phorischen Sprache, deren im Grunde einförmige Rhetorik leicht ermüdet
2 20 Heixrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Seine Kunst hat etwas Imponierendes; doch neigt sie zur Manier. Höfische
und kirchliche Aufträge (Fronleichnamsspiele) förderten diese Neigung
und stellten kunstvolle Maschinerie in ihren Dienst. Calderön schwelgt in
opernhaften Effekten und in preziöser Sprachkunst. Lopes weltlichem
Optimismus gegenüber vertritt er den christlichen Pessimismus; er ist der
katholische Dramatiker. Es ist „Das Leben ein Traum". Die Hölle
kämpft mit dem Himmel um unsere Seele einen grauenvollen Kampf, der
aber am freien Willen („Der wundertätige Magier") oder an der bloßen
„Andacht zum Kreuze" scheitert. Der Priester Calderön dramatisiert mit
den reichen Mitteln seiner Phantasie und seines Lyrismus und mit tech-
nischer Meisterschaft spanische Kirchhchkeit als eine poeta vates, der die
Inquisition, aber auch Murillo zur Seite hat.
Er folgt auf Lope, wie Tasso auf Ariost folgt. Er schließt eine
Epoche, Xach dem Tode seines Gönners Philipps IV. kamen die
traurigen Jahre Karls II. Calderön starb und das erschöpfte Theater blieb
verwaist, wie die Malerei nach dem Tode Murillos (1682). —
Die Bedeutung einzelner dynastischer Ereignisse für die literarischen
Beziehungen von Land zu Land erfuhr besonders das sonst isolierte
Spanien. Fürstliche Besuche kamen dem Export seines Dramas und seines
Romans zugute. Mit diesen beiden unklassischen Gebilden trat es führend
vor die Romania. Aber während Frankreich eifrig aus der spanischen
Comedia schöpft, fangen auch die Spanier schon an, vom französischen
Theater zu entlehnen: nicht nur Moliere liefert ihnen Stoff, sondern
Diamante holt sich sogar den Corneilleschen „Cid" {El ho7irador de su
padre 1658), als ob die „Mocedades" des Castro nicht vorhanden wären. —
Die iberische Halbinsel hat keine eigentliche Renaissance erlebt. Von
deren Bildungselementen hat sie mancherlei aus Italien übernommen, ohne
einen Bruch mit dem Mittelalter zu vollziehen. Von der Reformation
vollends ist sie kaum erreicht worden. Die beiden protestantischen Herde
von Valladolid und Sevilla, die Kreise erasmianischer Freidenker, erlagen
rasch der Inquisition. Der Denker Luis Vives (f 1540), der spanische
Erasmus, lebte und lehrte im Ausland, in Löwen, Oxford, Brügge und
zerstreute auf bewegter Lebensbahn seine lateinischen Werke, Bücher
wirklicher Aufklärimg. In den Kampf der Geister jener Zeit hat Iberien
den Ignatius von Loyola als seinen Mann gesandt.
D. Frankreich bis zur Romantik (das 16., 17. und 1 8. Jahrhundert).
Diese drei Jahrhunderte sind literarisch sehr fruchtbar. Zunächst er-
scheint Frankreich ganz von Italien' abhängig. Dann tritt neben den
Einfluß der italienischen Renaissance der der spanischen Romantik. Aus
dieser doppelten Abhängigkeit entwickelt sich der stolze Klassizismus,
mit dem Frankreich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts von neuem die
D. Frankreich bis zur Romantik. I. Die Renaissance des lo. Jahrhunderts. 2 21
literarische Führuntr Europas übernimmt und dessen elej^ante Form im
i8. Jahrhundert (1<mi Aufkl.'irungsgedanken als \'ehikcl dient.
I. Die Renaissance des i6. Jahrhunderts. Das Jahrhundert der
letzten Valois ist eine bluticfe Zeit. Die erste Hälfte ist von den italienischen
Kriegszügen, vom Kampf wider Papst und Kaiser, die zweite von den
Religionskriegen ausgefüllt. Die „Luth^rerie" dringt aus Deutschland
heriiber. Die Sorbonne verdammt Luther 1520 und wenige Jahre später
flammen die ersten Scheiterhaufen für die „Evangelischen". Auf dem
Boden Frankreichs stoßen die italienische Renaissance und die deutsche
Reformation feindlich zusammen, so daß weder die eine noch die andere
sich ganz entfalten kann. 1598 machte der erste Bourbon, Heinrich IV.,
durch das Toleranzedikt von Nantes und den F^rieden von Vervins dem
Streit der Waffen ein Ende. Die herrschsüchtige Einmischung Spaniens
wurde zurückgewiesen. Aber das bildungsfreundliche Geschlecht der
Renaissance war untergegangen.
Seit Karl VIII. ziehen die französischen Könige italienische Schrift- Der Charakter
steller und Künstler in ihren Dienst. Nur langsam bricht sich das Studium , ^*' ^
des Griechischen Bahn. Nur langsam durchsetzt sich das zähe mittel- Renauianc«.
alterliche Schrifttum mit Renaissance-Elementen: mit einer neuen feinern
Kunst und einer neuen auf natürlichen und persönlichen Lebensansprüchen
beruhenden Weltanschauung.
Das blühende Lyon ist die Eingangspforte für italienische Einflüsse.
Noch ist Paris nicht das Zentrum literarischen Lebens. Zwar herrscht das
Zentralfranzösische bereits in der Administration und Franz I. erhebt
es (1530) vollends zur Staatssprache. Aber dieses Idiom ist nicht dis-
zipliniert; es herrscht ein neologistisches Treiben und in ungebärdiger
Lebensfülle mischt es Fremdes und Heimisches, Antikes und Dialektisches.
Wortreichtum ist die Devise.
Zögernd legte FVanz I. (1530) den Grund zu einer freien Hochschule
humanistischer Studien {College de France) y die aus bescheideneu aber
bedeutsamen Anfangen sich zu stolzen Geschicken entwickeln sollte.
Der geschichtliche Zusammenhang zwischen FVanzösisch und den alten
Sprachen beschäftigt die Grammatiker. (ielehrte wie Pasquier und
Fauchet wenden sich der Erforschung der Kultur Altfrankreichs zu als
die ersten Romanisten. Ihre ernste Arbeit zerstört mittelalterliche F'abeleien.
Die wilden Zeitläufte finden auf Seiten der Katholiken und der Pro-
testanten farbenreiche Schilderung in Geschichtswerken und Memoiren.
Der Brief (die briefliche Abhandlung) hat hervorragende Vertreter.
Während in Italien die Renaissance spontan aus dem eigenen lioden
sprießt, trägt sie in Frankreich den Charakter des Importierten. Es liegt
etwas Gewalttätiges in ihr. Sie hat auch von Anfang an au.sgesprochene
politische Art Sie i.st ein Stück französischer Eroberungspolitik. FVank-
reich will nicht nur Italien besitzen, es will von ihm auch die geistige
222 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Führung zurückerobern — denn es herrscht der stolze Glaube, daß
Hellas und Rom einst ihre Kultur von den gallischen Druiden bezogen
haben. „Faire retourner les arts liberaux en Gaule'-\ das ist das Programm
(P. Ramus): Frankreich fordert sein angebliches Erbe zurück. Auch wenn
es die 12 Bücher vom Ritter Amadis aus dem Spanischen überträgt (1540),
so glaubt es, altes Eigentum „en so7i premier frangais'-'' zu restituieren.
Hastig birgt es denn auch den ganzen Inhalt der antiken Literatur
in Übersetzungen, um die Muttersprache zu bereichem und zum würdigen
Werkzeug seiner Weltpolitik zu machen. Diese Übersetzungen erstreben
weniger Genauigkeit als moderne französische Färbung. Sie sind „de
heiles infideles'-'-. Sie popularisieren das Altertum für den Laien. Amyots
Übertragung des Plutarch (1559) ist ein anmutiges, aber gefährliches Vor-
bild dieser eleganten Travestierung: Plutarch heißt fürderhin Amyot. Der
Ciceronianismus spielt in Frankreich keine Rolle. Die Renaissance ist von
Anfang an eine Bewegung zugunsten der Muttersprache.
Nach 20 jähriger Übersetzertätigkeit und aktiver Politik schreibt
Seyssel 1515 „La grande monarchie de France", zu der Zeit da Machiavell
seinen „Principe" und Morus seine „Utopia" verfaßt. Diese drei Bücher
zur Neuordnung der Zustände sind charakteristisch: die beiden Romanen
sind Realpolitiker und der Franzose überdies ein Großmachtspolitiker.
Die Die Reformation fand in Calvin ihr Haupt. Dieser Logiker gab ihr
eonnation. ^^^^ Systematik in sehniger französischer Sprache und schuf aus Genf
(1541) die Hochschule und Hochburg einer neuen Orthodoxie. Die Bibel-
übersetzung überließ er anderen. Dem deutschen Kirchenlied hat der
Calvinismus nur Psalmenübersetzungen zur Seite zu stellen. So ward er
für das französische Schrifttum nicht, was Luthers Werk für das deutsche.
Auch in Frankreich bildeten „Evangelische" und Humanisten zunächst
eine große Partei der Auflehnung gegen den Zwang des Mittelalters.
Als aber der Calvinismus eine neue Form des Glaubenszwangs einführte,
vollzog sich ihre Trennung. Calvin verdammte die Vertreter der Renais-
sancelehren {Libertins); er haßte Natur und Persönlichkeit. Die mystische
Königin Margarete von Navarra und der naturalistische Rabelais
blieben mit ihren evangelischen Sympathien innerhalb der katholischen
Kirche stehen. Das antike Heidentum trat in Frankreich weniger hervor
als in Italien, weil inmitten der Kämpfe der Gegenreformation auch der
Humanist ein Bekenntnis haben mußte.
Unter Berufung auf Italien fordern und nehmen die Frauen Anteil
an dem neuen geistigen Leben. Ihr Anrecht wird eifrig diskutiert und
die „Frauenfrage" erfüllt die Literatur um die Mitte des Jahrhunderts.
Margarete In der Königin Margarete (7 1549) mischen sich in typischer Weise
von Navarra. ^^^ Gegensätzc der Zeit. Sie hängt paulinischen Lehren an und macht
aus ihrem Hof ein Zentrum platonischer Studien. Sie verwirft das Dogma,
aber sie warnt auch vor der Gefährlichkeit des anmaßlichen Denkens,
des „Cuider^^ {= cogitare). Aus ihren Liedern sprechen mystische Frömmig-
D. Frankreich bis zur Romantik. I. Die Renaissance des 1 6. Jahrhunderts. 223
keit und heitere Weltfreude; aus ihren didaktischen Gedichten die Minne-
lehren des Rosenromans und die Inspiration Dantes. Ihr Vers ist etwas
prohx; ihre Prosa von eleganter Glätte. Eine Übersetzung des Dekameron
regt sie an, ein ähnliches Xovellenbuch zu schreiben {Heptameron\ dessen
epischer Teil oft genug indezent ist, während die angefügten Gespräche
Liebeslehren mit Glauben.slehren paaren. So erscheint sie uns: in der
einen Hand das Evangelium, in der anderen das Dekameron und ein
Wort Piatos auf den Lippen.
Rabelais (7 1553), der als Bettelmönch früh den verbotenen Plato KabcUii
las, der das Evangelium als Quelle religiösen Lebens pries und dem die
italienischen Novellisten nicht verhaßt waren, ist ihr Bundesgenosse. Doch
trennt ihn von ihr der ganze Ungeschmack seiner mönchischen Erziehung.
Sein Ruhm bei den Zeitgenossen schreibt sich weniger von seinem
heiteren Witz als von seinem umfassenden Wissen her. Er ist ihnen
omnium ho rar um homoy besonders auch der — philologisch gebildete —
Arzt
Für einen Lyoner Verleger besorgt er den Druck gelehrter Arbeiten
und bescheidener Volksbücher. Die Freude an den ungeschlachten Riesen-
hguren dieser Volkssage ergreift ihn. Er baut die Sage aus und spinnt
sie weiter. Er legt seinen ganzen Durst nach Erkenntnis, nach Freiheit
der Lebensarbeit und des Lebensgenusses und seinen ganzen Abscheu
vor Askese und Geisteszwang in die Worte und Taten seines furchtbaren
und gutmütigen Helden, des Pantagruel und dessen Vaters Gargantua.
Während 20 Jahren (1532 — 52) hat er bei unstetem Leben und mit
langen Unterbrechungen vier Bücher veröffentlicht; das fünfte ist posthum
und hat fremde Überarbeitung erfahren. Die beiden ersten fallen in die
Zeiten der jungen Renaissance und atmen frische Kampfeslust. Ihr Schau-
platz ist Frankreich, besonders die heimatliche Touraine mit ihren Jugend-
erinnerungen. Das „Tiers livre" stammt aus bösen Jahren (1540); der
Autor ist vorsichtiger und macht eine Diversion nach der „Frauenfrage".
Die Fortsetzung (1552) steht im Schutze der gaUikanischen Kirchenpolitik
Heinrichs IL und geht wieder offener zum Angriff gegen die mächtigen
Hüter der mittelalterlichen Autorität vor. Das neue Seefahrertum (die
Entdeckung Canadas) liefert Rabelais den Gedanken, seine Helden auf
dem Wege der Xordwestpassage nach „Oberindien" (Ostasien) zu führen und
lebensfrische geographische Erkenntnis der Allegorie und Satire dienstbar zu
machen. Die Darstcllungsmittel der ernsten Schriftstellerei benützt er zur
burlesken Ausführung seiner Spaße und Vulgaritäten. Auf diesem burlesken
Grunde baut er groteske Erfindungen in einer Sprache von überschäumender
Fülle, wahllosem Reichtum und fesselnder Bildlichkeit Sein Mangel an
Schönheitssinn ist für die französische Renaissance charakteristisch. Im
Geist und Stoff ist Rabelais ein Schüler der Italiener, aber nicht in der
Formung. Doch sind seine Riesenfiguren bei aller Übertreibung und
Vulgarität voll tiefer Lebenswahrheit und von hohem Gedankenflug: die
224
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ungeschlachten Propheten des Fortschritts auf allen Gebieten. Sein Buch
ist eine Phantasie über „L'ave?iir de la science'K
Gegenüber dem christlichen Pessimismus predigt er einen arbeits- und
genußfreudigen Optimismus {Pantagruelisnie) im Schutze einer wohlwollenden
Gottheit. Der Askese gegenüber singt er einen begeisterten Hymnus auf
die Xatur, auf Erde und Leib, und weist uns begeistert irdische Aufgaben
und irdische Rechte. Gegenüber der Autorität lehrt er das Recht der
Persönlichkeit. Der Renaissancepalast, der seine Gesinnungsgenossen be-
herbergen soll, trägt die Inschrift: Fais ce que voudras.
Mit Rabelais sprengt die Renaissance den mittelalterlichen Zwang und
erhebt triumphierend ihr Haupt. Da kommen die Religionskriege und
brechen ihren Mut.
Eie Gegen- In den konfessionellen Kämpfen siegt schließlich der Katholizismus
re orma on. ^j-jgj. Renaissancc und Reformation und innerhalb der katholischen Kirche
siegt die Societas Jesu und der Romanismus über den Gallikanismus der
Universität und der Landeskirche. Die Gegenreformation brachte einen
Aufschwung kirchlichen Lebens, deren erste literarische Frucht das schöne,
etwas preziöse Erbauungsbuch des FranQois de Sales, die „Introduction
ä la vie devote" (1609) für Weltleute ist, das noch heute aufgelegt wird.
Die politische Literatur bewegt sich zwischen den beiden Polen antiker
Freiheitslehren und der Theorien Machiavells. Sie gipfelt in der für die
Sache Heinrichs IV. g'eschriebenen Pamphletsammlung [Satire JMenippee., 1693),
die den „Frieden um jeden Preis" und einen nationalen König verlangt
und in dem Buche vom Staat {La Republique., 1576), in welchem der
gelehrte und aufgeklärte Bodin einen patriarchalischen Absolutismus ver-
teidigt, Solidarität predigt und den verwirrten Gewissen Lehren des
Gemeinwohls gibt. Selbst ein Freidenker, wünscht er religiöse Diskus-
sionen verboten zu sehen,
ii'ontaigue. Dicses Ruhebedürfhis spricht auch aus Montaignes „Essais", deren
107 „Skizzen" das Bild eines Renaissancemenschen geben, den der Geist
der Antike geschult und den die wilde Gegenwart eingeschüchtert hat.
Mit 38 Jahren tritt er als Richter zurück, der öffentlichen Amter längst
überdrüssig, denn „la plus grande chose au vionde est de savoir etre a soi".
Xur widerwillig und vorübergehend kehrte er zur amtlichen Tätigkeit zu-
rück als Bürgermeister seiner Vaterstadt Bordeaux. Aus der behaglichen
Stille seines Schlosses, wo er Lektüre und Arbeit als Lebenskünstler maß-
voll genoß, ging die erste Form der „Essais" (1580), wesentlich Lesefrucht
aus Amyots Plutarch, hervor. Dann unternahm er eine längere Reise
durch Deutschland und Italien, um Menschen zu suchen. Unablässig ver-
mehrte er seine „Essais". Bei seinem Tode (1592) hinterließ er eine Fülle
von Nachträgen, die Freundeshand zum übrigen fügte (1595). In dieser
posthumen Form lesen wir heute die „Essais".
Nachdem Montaigne den Menschen erst in Büchern, dann in den andern
gesucht, stellte er ihn schließlich nach sich selbst dar: „ich bin selbst der
D. Frankreich bis zur Romantik. I. Die Renaissance des i6. Jahrhunderts. 22s
Stoff meines Buches". Die „Essais" sind kecke Bekenntni.sse — nicht eine
St'lbstankla^c, wie die des hl. Aujru.stin, nicht eine Verteidijrunj.fsschrift
wie die Rousseaus, sondern eine Beichte aus weltlicher Neugier. Aber
darin gleicht er Rousseau, daß er den lirkenntnisstolz seines Zeitalters
bekämpft. Er leugnet mit den Skeptikern die Möglichkeit sowohl meta-
physischer als wissenschaftlicher Erkenntnis: (^m: sais-je? Er erklärt
das Streben darnach, la malaJive curiusifi', als wertlos, preist den .staaLs-
erhaltenden Autoritätsglauben und empfiehlt, den unruhigen men.schlichen
Geist mit den „Scheuledem der Tradition, der opinions communcs^*^ zu
versehen. Er ist wissenschaftsfeindlich und läßt gleichsam auf Rabelais'
„L'avenir d€ la scicnce^' ein „La banqueroute de la scicnce^ folgen.
Er verurteilt die Reformation als anmaßliche Ruhe.störung. Sein
Katholizi.smus i.st ein bürgerliches Bekenntnis. Sein Gott ist die Gottheit
des Sokrates. Doch fehlt religiöse Stimmung. Irdische Intcres.sen fesseln
seine Aufmerksamkeit: „das Erdenleben ist unser alles". Auch in der
praktischen Moral ist er ein Schüler der Alten: Tugend ist naturgemäßes
Leben. Er trägt eine vom Gei.ste der Renaissance erfüllte, naturali.stische
und individualistische Diätetik der Seele und des Leibes vor gegen Askese
und Entsagung. Die höchste Vollkommenheit ist nach Montaigne: savoir
j'ouir loyalement de son ctrc.
Der Verfasser dieser Plaudereien war ein großer Lebenskünstler und
die Kunst seines Wortes steht auf der Höhe seiner Lebenskunst, Eine
Sprache voller Frische und Ursprünglichkeit, von persönlichster Prägung
reichster und kräftigster Bildlichkeit erfüllt diese „Essais", die, wider-
spruchsvoll, kühne Lehren moralischer Befreiung mit einer furchtsamen
Doktrin des Geisteszwanges vereinigen.
Der Kanonikus Charron baut aus den Montaigneschen Skiz/cn ein
Lehrbuch „Von der Weisheit" (1601). Er vollzieht an Montaigne die Arbeit
des Klassizismus, bringt Regel und Ordnung in die Materie, unterdrückt
das Persönliche und Indezente. Er will lenksame und tolerante Bürger
schaffen. Andere erheben das Wort um arbeitsame Bürger zu bilden.
Es entsteht eine Literatur zur Regeneration des nationalen Lebens, zum
Preis der Landwirtschaft, des Handels, des Kunsthandwerks und der
Industrie. Denn, .sagt Montchr^tien in seiner „Economie politiquc" (löis'»,
la vic et le travail sont ins/ par ablerne nt eonjoints. —
Den selben Weg wie die Prosaliteratur nimmt die Dichtung: enthusias- ih* i>ichta«t.
tisch kündet sie Lehren einer neueren freieren Kun.st, um schließlich, der
I-Vfiheit müde, sich der Autorität zu beugen.
Noch herrscht freilich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die alle-
gorische Poesie der prunkenden „Rh^torique" und der Meisterge.sang der
Puys. Clement Marot (7 1554I bringt neue persönliche Elemente und
die heitere Kunst der gereimten Plauderei, doch in.spiriert ihn weder
Italien noch die Antike. Seine Schüler sind zugleich gelehrter und
fremdem Einfluß zugänglicher. Sie liefern dem Königshof, dessen Brevier
In« KllTi« nia CticiMWART. I. II. I 15
2 26 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
der „Cortigiano" Castigliones ist, poetische Kleinigkeiten italienischen
Geistes. Aber der eigentliche Einbruch italienischen Geistes vollzieht sich
über Lyon. Dort erscheint die erste Übersetzung eines italienischen
Renaissancedramas (der Igannatt) mit einem Manifest dieser neuen drama-
tischen Kunst (1543). Dort entstehen die ersten petrarkistischen Lieder-
bücher. Seve gießt die Petrarkismen, die er seiner Delie widmet (1544),
noch in die Form des nationalen Dizain. Tyard aber benutzt 1549 bereits
das importierte Sonett.
Ronsard und Da ergreift der Norden die Führung, indem er über Italien hinaus
DuBeUay. ^^^^ Altertum zurückgeht.
Taubheit hatte den jungen Höfling Ronsard in die Bahn gelehrter
Studien gedrängt. Im College Coqueret zu Paris trieb er mit seinem
Schützling Baif, unter der Leitung des Humanisten Daurat eifrig Griechisch
(seit 1547). Zu ihnen gesellt sich Du Bellay. Aus diesem Kreise ging
1549 die „Defense et illustration de la langue fran9aise", das Manifest
einer neuen Poesie, hervor. Es beruht auf Horaz und den italienischen
Theoretikern und bringt das Programm einer auf den Spuren der Antike
gehenden Dichtung. Fort mit den Kleinigkeiten der Marotschen Schule!
ruft es. Überlassen wir den Quark der Rondeaux und Balladen den
Meistersingern der Puys, der im wissenden Menge! Wir wollen fortan
inhaltsschwere Oden, Elegien, Episteln, Satiren und auch Sonette bringen.
Doch gelte es nicht, die griechischen und römischen Dichter zu übersetzen,
sondern in ernstem Studium sie sich zu eigen zu machen. Die Nach-
ahmung habe an die Stelle der Übersetzung zu treten und auf diese Weise
werde es den Modernen gelingen, in hoher Poesie die Antike zu über-
winden. Zu diesem Zwecke sei auch die Muttersprache zu bereichern
und zu veredeln: zu bereichern durch freie Wortwahl aus Dialekt und
Technik, durch Variation des nationalen Sprachguts in Ableitungen und
Zusammensetzungen; zu veredeln durch Nachahmung des Ganges der
antiken Phrase, ihrer Tropen und Figuren, ja ihrer Syntax. Aus dieser
Fülle schöpfe, o Poet! Wähle nach dem Urteile deines Ohres, unbekümmert
um kleinliche Nörgeleien! Es werden Reimfreiheiten gewährt, die in
Frankreich dann erst 300 Jahre später wiederkehren werden.
Dieses Manifest verkündet den Ruhm der nationalen Sprache und
verwirft die nationale Dichtung; es verkündet die individuelle Freiheit der
Poeten und schlägt ihn in den Bann der Antike; es verkündet eine neue
hohe Poesie und gibt eine Lehre des poetischen Plagiates. Es ist wider-
spruchsvoll. Seine Freiheitslehren bargen philologische Fesseln. Der
Fluch der Nachahmung hing ihm an und erfüllte sich an ihm. Das zeigen
die Musterbeispiele die es begleiten: ,Du Bellays Sonette {„Olive") sind
eine Anthologie italienischer und antiker Gedanken. Ronsards Oden suchen
keuchend Pindars Höhe, später spielen sie mit horazischen Motiven: häufig
genug sind sie nur eine neue Variation der Lieder, welche seit Polizian
und Lorenzo schon Italien der Antike nachgesungen hatte. Seine Sonett-
D. Frankreich bis zur Romantik. I. Die Renaissance des lO. Jahrhunderts. 227
Liederbücher verbinden Anakreon mit Petrarca. Beide, Ronsard und
Du Bellay, sind oriji^inelle Nachahmer, die ihren Entlehnunj^en den
Ton des Ursprüng^lichen und des Persönlichen zu geben verstehen. Das
Altertum leitet sie im Ausdruck der Natur- und Lebensfreude, Petrarca
im Ausdruck der Liebe. Sie fühlen auch den Druck dieser Leitunj^ und
revoltieren gelegentlich in Worten dagegen, wie es die Engländer der
elisabethanischen Zeit tun, die den Italienern und Franzosen ihre Sonette
auf Delia und Diana nachsingen. Auch das poetische Spiel Shakespearescher
Sonette für und wider eine dunkle Schönheit stammt aus Frankreich-
Die Schüler Daurats konstituieren sich enthusiastisch als „Sieben- We Pi«j«<u.
gestim", nachdem Tyard den Einschlag des Lyoner Petrarkismus gebracht
und Jodelle und Belleau (1656) dazu gekommen waren. Ronsard ist ihr
Haupt (f 1585). Er ist der Apoll des Hofes Heinrichs II. und Karls IX.
In seinen Werken wird ein halbes Jahrhundert später Opitz die Lehren
seiner deutschen Poeterei holen.
Deutschland lernt bei Frankreich, wie dieses bei Italien.
Diese Plejade mit ihrer Philologendichtung hat in Frankreich den
poetischen Stil geschaffen. Ronsard sang sich seine Verse; der taube
Poet gab ihnen mit tiefer künstlerischer Empfindung Harmonie und Klang.
Er erfand als ein großer Meister neue Rhythmen, neue Strophen. Er
erhob den vergessenen Alexandriner zum lyrischen Vers der Franzosen
und schenkte seinem Lande, mit du Bellay, einen Strauß reizender
Lieder.
Der Beifall, den Programm und Arbeit der Plejade fanden, führte
zum völligen Bruch mit der überlieferten nationalen Dichtung. Eine vor-
nehmere, fremde (d. h. antike und italienische) Kunstübung trat an ihre
Stelle und engte das Gebiet des Literarischen dauernd ein. Keinem
anderen Lande hat die Renaissance einen solchen Bruch gebracht
Schließlich beherrscht Italien völlig die französische Lyrik. Die
Hyperbeln, Antithesen und Metaphern seiner Petrarkisten werden kopiert;
die Kun.stfertigkeit der formellen Wiedergabe dieser Geziertheiten gilt
als poetischer Triumph und autorisiert gleichsam das Plagiat Nur wenige
protestieren gegen diese billige Hofkunst. Kraft und Eigenart zeigt
schließlich nur noch die leidenschaftliche Satire, das religiöse Lied und
die nüchterne Didaktik. Heftige Klagen werden gegen die Italienisierung
von Kunst, Sprache und Leben laut, gegen diese miserable affedation
ift'irangcft', wie Montaigne sagt. H. Estienne schreibt 1578 ein Buch
gegen die gezierte Redeweise der „gä/c-/ran(ais^^.
Schon Ronsard hatte vor der antikisierenden sprachlichen Willkür
gewarnt, in welche die Philologenpoesie seiner Nachfolger vorfiel. Nach-
drücklich erhob sich gegen Ende des Jahrhunderts aus den Laienkreisen
der Hauptstadt und des Hofes der Widerspruch gegen diese Dichtung
und verlangte von ihr Gemeinverständlichkeit und Unterwerfung unter den
herrschenden Sprachgebrauch. An Stelle der mißbrauchten sprachlichen
2 28 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Freiheit trat die Autorität des commun usage und Malherbe ward ihr
engherzig-er Wortführer.
Die Epik und die Dramatik der französischen Renaissance hat nichts
Dauerndes geschaffen.
Die erzählende Ronsard quälte sich umsonst zwanzig Jahre lang mit vier Gesängen
Dichtung, eingj. ^^Franciadc" (1572), in der er Homer durch Vergil hindurch schüler-
haft nachahmte. Kraftvoller und eigenartiger, aber auch maßloser ist die
prahlerische Kunst des Protestanten Du Bartas, der biblische Stoffe
wählte und die sieben Schöpfungstage {La semaine^ 1578) zu einer epischen
Enzyklopädie gestaltete: seit zwei Jahrhunderten das erste französische
Werk, dem das Ausland wieder bewundernd huldigte.
Auf dem Gebiet des Romans zieht siegreich der Einfluß Spaniens ein.
Ob zwar auch die Übersetzung antiker Romane das Beispiel abenteuerlicher
und schäferlicher (Daphnis und Chloe) Liebesgeschichten lieferte, so über-
wogen doch spanische Vorbilder: Die stolze Ritterlichkeit des „Amadis",
die sentimentale Schäferei der ,, Diana", das romantische Maurentum der
„Bürgerkriege von Granada". Und auch die realistischen Gegenstücke:
Schelmenroman und Don Quijote, lieferte Spanien. Die Novelle italienischen
Stiles tritt zurück. Bescheidene epische Heimatkunst blüht in zahlreichen
Schwanksammlungen provinzieller Herkunft.
Die Bühne. Im Kampf gegen die mittelalterliche Bühne ging die Hauptstadt
voran. Sie verbot 1548 das biblische Mysterium, das die Passions-
brüderschaft in ihrem Theater des Hotel de Bourgogne aufzuführen
pflegte, verlieh dieser aber zu gleicher Zeit das Monopol weltlicher Auf-
führungen. So ergab sich die Ungeheuerlichkeit, daß eine Handwerker-
innung, die sich ihres eigentlichen Repertoires beraubt sah, zur Herrin
des hauptstädtischen Theaters wurde. Ihr war während eines Jahrhunderts
tributpflichtig, was an einheimischen und fremden Berufsschauspielern nach
Paris kam.
Der Hof begünstigte namentlich die italienischen Truppen der
Commedia dell' arte, die schließlich in Paris förmlich seßhaft wurden
{Theätre italien). Mit dem Aufkommen des Berufsschauspielertums trat
die Theaterunterhaltung vom Sonn- und Festtag auch in den Werktag
hinüber (seit 1597). Doch führte das Monopol des Hotel de Bourgogne
zu endlosen Streitigkeiten und war einer gesunden Entwickelung der
hauptstädtischen Bühne hinderlich.
Die neue Die Renaissaucedramatik blieb dieser 'Bühne fern. Sie wandte sich
dramatische ^jQ. die Dilettantenbühnen der Schule und des Hofes und blieb wesentlich
Dichtung, t-^ ,
Buchdramatik.
Die ersten Versuche einer neuen dramatischen Kunst gehen von den
Protestanten aus (seit 1550), und dienen Erbauungszwecken. Diese
protestantischen „Tragödien" von Abraham, David usw. sind nichts anderes
als eine Umbildung des Mysteriums, dessen Maßlosigkeiten zwar beschnitten
werden, dessen bunte Handlungsfülle aber nicht aufgehoben, sondern nur
D. Frankreich bis zur Romantik. II. Von der Renaissance zum Klassizismus. 220
— in Akte und Szenen — di.s/.iplinicrt ist. Es sind romantische Schau-
spiele [iragicomcdifs) biblischen Inhalts, denen sich bald auch weltliche
und moderne anreihen: die Liebesgeschichte einer Lyoner Bankierstochter
oder der schönen Ginevra des „Orlando furioso".
Dann schufen die Philologen der Plejade nach dem Vorgang Italiens
ihre französische Tragödie im Stile Senecas, d.h. die Dialogisierung der
letzten Stunden (der Krise) eines entsetzlichen Fürstenschicksals mit
wenigen Personen, mit wenig Handlung, aber reich an Botenbericht und
Chorgesang, an elegischem Klagen und sentenziösem Reden. Zuerst kam
Kleopatra dran (1552), dann die „/aits AUddans^\ Sophonisbe, Dido — ganz
wie in Italien, das auch hier geplündert wird. Biblische (z. B. Saul) und
moderne Stoffe werden nach Tragödienart bearbeitet: die Jungfrau von
Orleans, wie die Bartholomäusnacht. Erst nachträglich (seit 1560) stellt
sich die dramaturgische Theorie ein und verteidigt im Xamen der
Xaturwahrheit der Handlung die sogenannten Einheiten. Sie findet auch
Widerspruch, doch bleibt die Diskussion ohne Bedeutung, wie die
Schöpfungen der Dichter.
Völlig von Italien abhängig ist auch das Lustspiel. Sein Bestes
besteht in Bearbeitungen italienischer Renaissancekomödien mit ihrem
buhlerischen Treiben und ihren Reminiszenzen aus Plautus und Terenz.
Der öffentlichen Bühne bleibt es fremd. Diese kennt nur die alte Farce,
die den Renaissancesturm überdauerte, oder dann kleidet sie die Lustspiel-
handlung in schäferliches Gewand. Die Komödie wird zur Pastorale.
Die Bühne wird seit 1600 von Hardy, dem ersten berufsmäßigen
Dramatiker Frankreichs beherrscht. Den Namen Komödie braucht er
nicht. Die rhetorische Tragödie ersetzt er durch die bunte Tragikomödie
mit ihrer kombinierten Szene. Diese Tragikomödie stellt das bühnenmäßig
gewordene Renaissancedrama dar. Das ist Hardys eigentliche Form. In
sie gießt er den Stoff spanischer Novellen. Seine Mache ist fruchtbar
aber völlig kunstlos.
Die alte Farce, die italianisierende Pastorale und die Tragikomödie
hat Hardy als das dramatische Erbe der Renaissance der Bühne des
17. Jahrhunderts überliefert. Stolz kann man dies Erbe nicht nennen. —
Die französische Renaissancepoesie ist trotz ihrer Berufung auf Pindar,
Homer und Euripides wesentlich lateinischen Geistes. Horaz, Vergil und
Seneca sind ihre Vorbilder und auch Plutarch hat vorzüglich dazu gedient,
ihre Gedanken nach Rom zu lenken. Dabei ist Italien die Führerin:
Sein Petrarca, Ariost und Trissino gelten als Autorität gleich den Alten.
Nachahmung und Plagiat überall. Frankreich übt sich wie ein Gymnasiast
in der Form.
IL Von der Renaissance zum Klassizismus. (Frankreich in der i>ie RMktion
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.) Während die Macht des französischen ^***" **•
Königtums durch Richelieu und Mazarin nach außen und nach innen eine
230 Heinrich MORF: Die romanischen Literaturen.
unerhörte Kräftigung erfuhr, machte die Literatur (bis 1660) eine merk-
würdige und tiefe Wandlung durch. Gewiß hat die Renaissance den
französischen Klassizismus beg'ründet, aber dieser beruft sich nicht auf
jene. Racine und Boileau knüpfen nicht an Praxis und Theorie des
16. Jahrhunderts an. Die Literatur der Renaissance war vielmehr schon
um 1620 völlig veraltet und fing an, der Verg-essenheit anheimzufallen:
Marot lebt weiter, aber die Plejade wird vergessen. Die Maßlosigkeiten
ihrer poetischen Sprache sowohl wie der Individualismus und Xaturalismus
ihrer Weltanschauung hatten sie kompromittiert. Damit war auch die Vorbild-
lichkeit der Antike erschüttert worden, um so mehr, als nun neben dem Einfluß
des „klassischen" Italien der des „romantischen" Spanien immer stärker wurde.
Spanien förderte die unklassischen Genres: Roman und freies Schauspiel.
Die französische Literatur der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat
vielfach romantische Züge; aber im Grunde drängt doch alles nach fester
Ordnung und Wiederherstellung einer Autorität.
Die Freidenkerei der Renaissance [le libertinage) wird mit Feuer und
Schwert verfolgt; die „Opinions particulieres " gelten als gefährlich. Der
geistreiche Cyrano kleidet seine naturalistische Doktrin in phantastische
Reiseromane — wie einst Rabelais und später Voltaire — die posthum
Descartes. Und fragmentarisch erscheinen. Descartes erschrickt ob Galileis Schick-
sal. Er stellt den Materialismus seiner Naturlehre unter das Schutzdach
einer idealistischen Metaphysik (1637), welche die Brücke zur herrschenden
Glaubenslehre schlägt, obwohl ihre Spekulationen autoritätsfeindlich sind.
Descartes Schriften popularisieren die philosophische Diskussion, da sie
keine fachmännischen Kenntnisse voraussetzen. Die abstrakte Geradlinigkeit
seiner Spekulationen trug dazu bei, die Literatur von der liebevollen
Beobachtung der Natur abzudrängen und der Kunstlehre einen rationa-
listischen Charakter zu verleihen. Descartes' Philosophie ist weder der
Poesie hold, noch geschichtlichen Studien freundlich. Er glaubt an Fort-
schritt und will die Gegenwart vom Altertum emanzipieren.
Pascal Der junge Pascal teilt als Physiker Descartes' Autoritätsfeindlichkeit.
Aber häusliche Erlebnisse und eigene Krankheit führen seinen Geist zu
unduldsamer Unterwerfung unter die Autorität des Christentums.
Der Eifer der Gegenreformation hatte damals auch die auf Augustinus
beruhende Lehre des Jansenismus gezeitigt, deren fromme Anhänger
durch ihre Theorie von der Gnadenwahl und durch die Strenge, womit sie
das Christentum nicht bloß als äußeres Zeremoniell, sondern als eine Ge-
sinnungs- und Lebensweise auffaßten, den Kalvinisten nahe standen. Diese
katholische Sekte der Jansenisten, die von Rom als ketzerisch erklärt war
und mit Sorbonne und Jesuiten in Fehde lag, gewann Macht über Pascal.
Er schloß sich den Einsiedlern an, die sich um das Kloster Port- Royal
scharten und dort der Erbauung und dem Jugendunterricht leben. Zu
ihrer Verteidigung begann er (1656) „Briefe an einen Provinzialen" {Lettres
provinciales) zu schreiben. Schließlich wurden der fliegenden Blätter acht-
I). Frankreich bis zur Romantik. II. Von der Renaissance zum Klassizismus.
231
zehn. Die ersten und die letzten sind dogmatischen Erörterung-en über die
Gnade gewidmet; die mittleren sind moraltheologischen Inhalts und richten
sich gegen die Kasuistik, deren Subtilitäten be.sonders von den .spanischen
Jesuiten gepflegt wurden. In einer Darlegung, die über alle Töne verfügt
und von dramatischer Kraft und Lebendigkeit ist, denunziert Pascal der
Öffentlichkeit die Immoralität dieser Moral. Er vollzieht einen Akt sitt-
licher Hygiene, dem sich die Papstkirche später anschloß.
Dann macht er sich an ein Buch gegen die „Libertins", die der chri.st-
lichen Wunder spotten. Doch starb er (1662), ehe er seine Notizen zu
einem Ganzen fügen konnte. Freunde errichteten .später aus den sprach-
gewaltigen und gedankenmächtigen Bruch.stücken den Notbau der „Pens^es
sur la religion", 1670. Der kartesianische Optimismus ist hier dem tiefsten
Pessimismus gewichen, aus welchem der jubelnde Herzensglaube .sprießt
Die unheilbare Schwäche der menschlichen Vernunft wird, unter Berufung
auf Montaigne, verkündet, wissenschaftliche Forschung abgelehnt, Natur
und Persönlichkeit als hassenswert, Gesundheit als unchristlich dargestellt:
der vollendete Gegensatz zur Renaissance.
Auch anderswo zeigt sich dieser Gegensatz. Die politische Literatur Die politische
hört auf, die Grundfragen des staatlichen Lebens zu erörtern. Sie ergeht L''«"^'^-
sich in persönlichen Pamphleten oder begnügt sich, die Gemeinplätze einer
absolutistischen Doktrin rhetorisch zu entwickeln. Dieser Doktrin dient
auch die erste französische Zeitung, die „Gazette de France", ein Wochen-
blatt das seit 1631 erscheint Den letzten Kämpfen gegen die wachsende
Königsgewalt, den Frondekriegen (1649 — 53)> verdanken wir w'enigstens
die hervorragenden Memoirenwerke, in denen der frondierende Adel sich
darstellt: die gedankenreichen Erinnerungen des eleganten La Roche-
foucauld, die malerischen und lebensvollen Schilderungen des skrupel-
losen Kardinals von Retz.
Der Reaktion, die sich gegen die Freiheiten der Philologendichtung Die literaritct
der Renaissance erhoben hatte, lieh Malherbe (-|-i62 8) sein autoritäres ^^^^
Wort Der dichterischen Sprache und der metrischen Technik
werden bestimmte Normen vorgeschrieben.
Die Sprache des Poeten soll „alle Eigenschaften einer guten Prosa NUiherb«.
haben" und nur „gebräuchliches" Wortmaterial verwenden. „Gebräuchlich"
aber ist für den Puristen Malherbe was der Hof braucht, .so daß dieses
Wortmaterial in „edles" und „gemeines" geschieden erscheint und dem
Dichter eine Reihe von Wörtern als „unhöfisch" verboten werden. Der
spezielle, malerische Ausdruck wird verfolgt; der farblose gilt allein als
vornehm, denn „das Detail zieht herab". Man soll nicht inuguct (Wald-
meister) sondern einfach ficicr sagen. Das schmückende Heiwort wird ver-
worfen. Malherbe findet „goldblonde Ähren" „lächerlich" und begreift
nicht was in nuü ombreuse das Adjektiv zu tun haben soll.
Der nämliche Gei.st der Beschränkung beherr.schte Malherbes Behandlung
der Versform. Nichts soll mehr dem subjektiven Ermessen des Dichters über-
232 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
lassen bleiben. Silbenzählung, Reimgestaltung, syntaktische Gliederung
wird vorgeschrieben, der Hiat verboten. Malherbes Vorschriften bilden
eine Art Anstandsbuch für Poeten: Es schickt sich nicht! Docteur eit
negative! schilt ihn eine grollende Anhängerin der Renaissancepoesie,
Marie de Gournay. Was die dichterische Sprache an Klarheit, gram-
matischer Regelhaftigkeit und rednerischem Ebenmaß gewann, das verlor
sie an Farbe, Stimmung und Leben. Sie verlor die Eigenschaften, deren
die Lyrik bedarf.
Für die Prosa lehrte Balzac die rhetorische Entwickelung des Ge-
meinplatzes fast mit den Worten Malherbes. Und wie dieser den Poeten,
so machten andre den Prosaikern des 16. Jahrhunderts, Montaigne und
Amyot, den Prozeß.
Ordnung und Regel ist das Losungswort. Man glaubt an die schöpfe-
rische Kraft von Kunstvorschriften. On dement polte par Vctude des regles,
sagt Chapelain. Die höfische Gesellschaft in ihren Salons stimmte zu.
TAe Academü KviS dieseu Salons erwuchs (1634 — 39) die Acad^mie Fran9aise, deren
ranfaise. A^fg^T^g gg ggjjj sollte „dcr Sprache bestimmte Regeln zu geben, sie rein
und beredt zu machen". Richelieu gründet diesen offiziellen Salon,
um dem neuen literarischen Leben, an dem er selbst vergänglichen An-
teil nahm, staatlichen Schutz, aber auch Aufsicht zu schaffen. Die Literatur
ward zum Gegenstand staatlicher Verwaltung wie die bildende Kunst
{Acadeniie de peinture).
Diese Academie erwies sich als wenig produktiv. Die geplante
Grammatik, Rhetorik und Poetik kam nicht zustande. Das Wörterbuch,
das 1638 begonnen wurde, erschien erst 1694. Der Vorschlag, es historisch
Vaugeias und ZU gestalten wurde abgelehnt. Es wurde unter der Führung Vaugelas
er unsmus ^^^^ ^^ ^^^ Dieust der puristischen Tendenzen gestellt. Dieser engte das
literarische Idiome durch minutiöse grammatische Kritik ein und zwang es
vollends in den Schnürleib höfischer Rede. So wird in Frankreich jene
Kritik herrschend, die den Charakter grammatischer Nörgelei nnd puris-
tischer Kleinkrämerei trägt. Noch Voltaire wird sie üben.
Dem übertriebenen Wortreichtum der Renaissance treten hier die
Übertreibungen puristischer Wortarmut gegenüber. So wird die Literatur-
sprache ein sprödes Instrument. Bei der Übersetzung fremder Eigenart
wird es dauernd versagen. Die französische Übersetzungsliteratur zeigt
dies bis auf den heutigen Tag. Sie ist weder Dante noch Shakespeare,
noch Goethe oder Heine gewachsen. Ihre Wiedergaben erwecken den
Eindruck eleganter aber farbloser Travestie. Die französische Literatur-
sprache nivelliert und ersetzt das Charakteristische durch den Gemeinplatz.
So entwickelte sich jener unduldsame Geschmack, jene literarische
Die Ablehnung Selbstgefälligkeit, die alles ablehnte was diesen Saloninteressen fern lag,
tertums. jyj^g^jj gg^j^ (j^g Blüte der Bildung in der Gegenwart verkörpert, erklärte
die antike Literatur für übertroffen und wies ihre Führung um so nach-
drücklicher ab, je eindringlicher sie vordem gelehrt worden war.
D. Frankreich bis zur Romantik. II. Von der Renaissance zum Klassizismus. 23^
In der Acad6mie spricht (1636) Co Hot et die Überzeug-ung au.s, daß
Griechenland und Rom die Jugend, die Gegenwart aber das Alter der
Menschen darstelle — antiquitas saeculi, novitas mundi — und daß unser
reicheres Wissen auch die Grundlage einer der antiken überlegenen
Kunst bilde. Wissen und Kunst erscheinen da noch ungeschieden im
Gedanken des Fortschritts vereinigt, bei Vielen auch mit der Über-
zeugung verbunden, daß die chri.stliche Kultur der heidnischen überlegen
sei. So stützten die Lehren der Wissenschaft (Descartes, Pascal) und der
christliche Glaube die Prätensionen der Kunst. Diesem modernen Em-
pfinden erschien die Kunst des Altertums als zu naiv, zu unfein. Seinen
Livius wortgetreu zu übertragen lehnt Malherbe ab, da er nicht grotesk
werden wolle. Cl. Perrault sagt von der Sprache der antiken Poeten,
daß sie im Französischen burlesk erscheinen würde. Diese verfallen derm
auch dem Spott der travestierenden Dichter: es blüht um 1650 die Travestie
der Antike im Epos. Dafür gab übrigens Italien das Beispiel. Diese
Verherrlichung der Gegenwart und diese Ablehnung des Altertums ist vom
Geiste Tassonis und die Travestie der Antike vom Geiste der Bemeschi.
Vom Altertum bleibt nur das literaturfähig, was die Übersetzer und
Romanschreiber — wie auch die Maler — für die allgemeine Bildung als
dekoratives Material retten: Geschichte, Moral, Mythus — ein modernisiertes
Salonaltertum {anfiquitc mondainc\ eine Spielerei, die Boileaus zornigen
Widerspruch erregen wird.
Eine besondere Form dieses Purismus ist die sogenannte Preziosität.
Mit der Renaissance hatte die Frau begonnen, bestimmend und selbsttätig
in die Literatur einzutreten. Die Preziosität ist gleichsam die Dekoration,
mit welcher die Literatur den triumphierenden Einzug der Frau feierte.
Die metaphorischen, hyperbolischen und antithetischen Zierereien hatte das
16. Jahrhundert überliefert. Ihre Wurzeln gehen bis in die höfische
Literatur des Mittelalters, die Minnelyrik und den Minneroman, zurück.
Dann prägte Petrarca deren noch etwas rohe Materie mit dem Stempel
seines erfindungsreichen und feinen poetischen Geistes. Die Petrarkisten
Italiens bildeten diese literarische Kunst weiter aus und brachten sie um
1500 nach Spanien und nach Frankreich, wo sie selbständig, wenn auch
in stetem Zusammenhang mit dem italienischen Petrarkismus, hier zur
„Pr6ciosit6" dort zum „Culteranismo" sich entwickelte.
In Frankreich wurde, was bisher nur literarische Form gewesen war,
von der Socicti^ polic zu einer eigentlichen Lebensform des galanten \'er-
kehrs erhoben. Man wollte reden und sich benehmen „wie's im Buche
stand ".
Die Preziosität ist der „Petrarkismus in Aktion", der erste Ausdruck
weiblichen Verlangens nach Bildung und Geltung. Die ganze gebildete
Welt Frankreichs ist von der Preziosität ergriffen und keiner der Autoren,
deren Schriftstellerei auf PVauen Bezug hat, i.st frei von ihr, auch die
nicht, die, wie Moliere, die Pn'cicuses verspotten.
234
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Die zeitgenössische Unterscheidung zwischen wahren und lächerlichen
Preziösen ist wesentlich sozial. Die Hochgestellten ernten Beifall für das,
was in kleinen Verhältnissen nachgeahmt, lächerlich erschien.
Die Lyrik. So Ward die Dichtung eine Angelegenheit gesellschaftlicher Bildung
und literarischen Anstands. Eine große Zahl formgewandter und geist-
reicher Männer und Frauen übten sie auf der Spur Malherbes und Balzacs,
drechselten um die Wette Sonette über die „schöne Bettlerin", bauten
Stanzen auf eine Statue Richelieus, spitzten Epigramme, paraphrasierten
Psalmen und schrieben Briefe voller „Amplifikationen", Hyperbeln, Anti-
Der Brief, thcscn Und Kalaucr. Die Briefe sind über den einzelnen Adressaten
hinaus an die ganze Salongesellschaft gerichtet und darauf berechnet
durch prunkvolle Großwortigkeit oder tändelnde Witzelei zu verblüffen.
Ob der spanische Verbannte Antonio Perez oder der italienische Flücht-
ling Marini aus Paris in ihre Heimat schreiben oder ob Balzac von
Italien, Voiture von Spanien aus nach Paris berichten — es ist bei
Franzosen, Italienern, Spaniern die nämliche Affektiertheit im Dienst der
nämlichen Verblüffung.
Aus der heiteren Übertreibung dieses modischen Getues entstand
seine Karikatur: burleske Gedichte und Briefe wie die Saint-Amants
und Cyranos.
Die erzählende Eine Domäue dieser Modernen ist die erzählende Dichtung: das Epos
^ *"°^' und der Roman. Trotz ihrer prahlerischen Unabhängigkeitserklärungen
sind die epischen Rhetoren, die von Alarich, Chlodwig, Jeanne d'Arc
singen, Nachahmer der Antike und Sklaven der Regel.
Die Romanliteratur nimmt nach dem Vorbild Spaniens und unter der
Führung des Salonlebens einen großen Aufschwung. Die höfische Gesell-
schaft idealisiert darin ihr galantes Treiben, wie einst im Mittelalter, und
wie damals denunzieren geistliche und weltliche Zensoren diese Bücher
als gefährliche Verführer. Wie das galante Bühnenstück, so liebt der
Roman p astorale Einkleidung. Ganz Europa schäfert. Deutsche Prinzen
und Prinzessinnen huldigen der französischen „Astree" und England zahlte
der Romania seine Schuld durch Sidneys „Arcadia" zurück. Von schäfer-
licher und ritterlicher Einkleidung erfundener Helden gelangte man zur
Wahl geschichtlicher Persönlichkeiten, um deren Schicksale salonmäßig
zu travestieren. Galante Gallier, Römer, Griechen, Perser, Skythen,
Franken, Mauren kämpfen, leiden, klagen, werben, reimen und witzeln
Tausende von Seiten lang. La Calprenede feiert den stolzen Meder
Artaban auf 4000, die Scudery den ruhmreichen Perser Artamene (Cj'rz/i-)
auf 6000 Seiten. Die eingeschobenen Biographien der Nebenpersonen
wachsen sich zu förmlichen Novellen (Romannovellen) aus.
Gegen den Geist dieser zwangreichen Etikette revoltierte der unbot-
mäßige esprit gaulois. Für den Zwang, den ihnen jene antat, pflegten
sich die Dichter bei diesem zu erholen. Gegenüber Purismus, Prüderie,
Feierlichkeit und Regel greifen sie zum freien, archaischen, vulgären
I). Frankreich bis zur Romantik. II. Von der Renaissance zum Klassizismus. 235
Ausdruck der burlesken Lyrik und Epik, die sich an den Capitoli Bernis,
Caporalis und den Sonetten Göngoras inspiriert und deren Virtuose der
geniale Bettler Scarron (j 1660) ist. Neben den idealistischen Roman
tritt der realistische, der die tieferen Reg^ionen und die Nachtseiten des
Lebens satirisch darstellt. Der spanische Schelmenroman gibt das Bei-
spiel; „Don Quijote" wird nachgeahmt. Scarron schreibt nach Rojas
seinen „Komödiantenroman" {^Le roman comique, 1651 — 57), ein Kunstwerk,
aus provinziellem Theatcrleben aufgebaut. Er verfaßt als der erste Fran-
zose eigentliche, selbständige Novellen, wobei er sich auf Cervantes' Vor-
bild beruft.
Die Bühne tritt immer mehr in Beziehung zum Leben. Die offiziöse Die BUhoe.
„Gazette" beschäftigt sich mit ihr und ein königliches Dekret befreit 1641
den Schauspielerstand von der bürgerlichen Ehrlosigkeit {Infamie comique).
Seine kirchliche Rechtlosigkeit blieb bis zur Revolution bestehen. Die
hauptstädtischen Bühnen mehren sich im Kampfe mit dem Bourgogne-
theater. Die großen Pariser Messen bieten den Wandertruppen Schutz.
Richelieu baut sich ein eigenes Haustheater. Die italienischen Schau-
spieler fesseln die Pariser dauernd durch ihr lustiges Radebrechen und
das gebärden- und schurrenreiche Spiel ihrer Possen. Spanische und
englische Komödianten erscheinen nur vorübergehend.
Renaissance tragö die und -komödie sind um 1625 völlig ver- r)icdram»ti»cb«
schwunden. Es herrschen neben der Farce die freien Tragikomödien '>":*>«^k
und die Pastoralen. Diese romantischen Hirtendramen sind die Liebling.s-
form der Societe folie^ die nach Italien ausschaut. In der italienischen
Pastorale aber ist die Zeiteinheit (24 Stunden) beobachtet, die nun plötzlich
von der Pariser Salonkritik ebenfalls gefordert wird {1628) als ein Gebot
der Eleganz und der Naturwahrheit. Darob entbrennt der Streit zwischen
diesen Salonästhetikem und den Praktikern der Bühne, die die alte Frei-
heit verteidigen, der Streit — wie es dann hieß, als man sich auch auf
Aristoteles berufen gelernt — zwischen den „Doctes" und den „Ignorants".
Auch die allzu freie Behandlung des Ortes in der kombinierten Inszenierung
wird angefochten, die .strenge Ortseinheit aber erst viel später formuliert.
So ist die neue Unitc de tcmps italienischer Import, am Hirtendrama
vollzogen. Sie ist eine Forderung der „Modernen" und erst nachher gesellt
sich zu ihr die UniU de Heu.
Die Dichter, die in den Salons verkehren, aber auch mit der Bühne
rechnen müssen, schwanken. Führend und typisch ist das Verhalten
Mairets. Er beginnt 1625 als Irregulärer, schreibt hierauf nach der „Regel"
eine „Pastorale" {Silvanire^ 1629), eine Tragödie (ßophonisbe)^ der 1635-36
gleich noch zwei weitere folgen und kehrt dann, durch den geringen
Bühnenerfolg dieser Stücke enttäuscht, endgültig zur Tragikomödie zurück.
1635-36 ist das „Tragödienjahr". Jeder Dichter liefert nach Mairets
Vorgang seine regelrechte Tragödie Senecascher Observanz. Sogar der
unbotmäßige Scud^ry erklärt „den Doctes durch einen ^CiLsar" genügen
236 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zu wollen, um dann durch die Buntheit einer „Dido" wieder das Volk zu
befriedigen".
p. Corneille. NuT widcrwillig fügt sich 1632 Pierre Corneille aus Rouen der
neuen „Zeitregel" der Pariser Kritik, die ihn in der freien Entfaltung des
Handlungsreichtums hindert. Er ist Romantiker und erklärt, „lieber die
Augen durch Handlung zu ergötzen, als die Ohren durch Botenberichte
zu ärgern". Aber das Tragödienjahr fordert auch von ihm ein Opfer
{Medee) und die ,,Tragicomedie du Cid'' (1637) zwingt er in die Tages-
einheit Mit glücklichem Griff hatte er hier aus dem biographischen
Drama des Spaniers das Drama einer jungen Liebe gezogen und ihren
Kampf frisch und kraftvoll mit einem prahlerischen Pathos dargestellt,
dessen Klänge neu waren. Aber die historische und menschliche Wahrheit
hatte durch die Zeitregel Schaden genommen und der Verlauf der Hand-
lung durch die kombinierte Szenerie an Klarheit eingebüßt. Doch brachte
ihm das Stück einen Triumph. Der stieg dem jungen Autor zu Kopf.
Er schien zu vergessen, was er der spanischen Comedia schuldete und
erfuhr dafür von Kollegen eine Zurechtweisung, der auch Richelieu nicht
fern stand. Der Streit um den „Cid" zog sich mit vierzig Pamphleten
über ein Jahr hin. Die „Irregulären", wie Scudery, warfen Corneille vor,
daß er die Freiheiten, welche die Bühne der Tragikomödie gewähre, un-
genügend ausgenützt habe. Die Akademie aber machte die Zeitregel zur
Grundlage ihres Urteils und erklärte die romantische Geschichte des „Cid"
für dramatisch imgeeignet. Sie empfahl auch Beobachtung strenger Orts-
einheit.
Damit war das romantische Schauspiel akademisch verurteilt. Corneille
fügte sich und wandte sich der Tragödie zu. Er schöpfte aus der von
den Übersetzern zurechtgemachten alten Geschichte. Aber seine Herzens-
neigung für spanische Romantik blieb, und bis in seine Römertragödien
wie „der Horatier" oder „Cinna" findet sich spanischer Stoff und spanischer
Geist. Als wirklich tragische Leidenschaften anerkennt er den Ehrgeiz,
die Rachsucht — aber die Liebe, die er nur als Galanterie kennt, weist
er als zu schwächlich aus dem Zentrum der Tragödie an die Peripherie,
wo sie als Schmuck Verwendung finde. Er empfand zeitlebens die Kunst-
gesetze der Tragödie als Fessel seines Talentes. Aber zu entschlossener
Auflehnung fehlt ihm der Mut. Er erschöpft sich in kleinlichen Kompro-
missen und kam bis zu förmlicher Verzerrung, Weder seine szenische noch
seine psychologische Kunst ist wirklich hervorragend. Sie ist im wesent-
lichen eine an verwickelten Schrecklichkeiten geübte, oft glänzende Rhetorik
im ^Munde übermenschlicher Heroen.
CorneiiJes Comeilles Zeitgenossen scheiden sich in drei Gruppen. Entweder
bekennen sie sich zur Form der Tragödie vom Stile Comeilles. Oder sie
sind Vertreter der freien Kunst der Tragikomödie, wie der geschickte
aber wenig sorgfältige Praktiker Rotrou, der mit vollen Händen aus
dem spanischen Theater schöpft, aber auch das Italienische darüber nicht
D. Frankreich bis zur Romantik. II. Von der Renaissance zum Klassizismus.
237
verg-ißt. Oder endlich führen .sie über Corneille hinau.s zu Racine.s feinerer
Art, wie Quinault. Die Tragödie wird herrschend und die Tragikomödie
verschwindet gegen 1660. Nachdem sie einst mit Hardy über die Senecasche
Tragödie gesiegt, muß sie mit Corneille dieser wieder weichen. Und mit
ihr schwindet die komplizierte mittelalterliche Inszenierung allmählich.
Gegen 1640 bürgert sich die Unsitte ein, auf der Bühne selbst Zuschauer-
plätze einzurichten, und dies führt zu weiterer Beschränkung des Handlung.s-
raumes und Szenenbildes. In seiner „Pratique du theätre" (1657) schafft
der Abb6 d'Aubignac das klassische Regelbuch dieser eingeengten
Kunst
Es tritt die Com^die wieder neben Farce und Pa.storale — nicht das Die Komadi«.
Charakter- aber das Intrigenlustspicl. Auch es erfährt Anregung aus
Spanien. Corneille gibt im „Menteur" die elegante Bearbeitung einer
Comedia Alarcöns. Scarron entlehnt muntere spanische Intrigen.stücke,
wendet deren Gracioso seine ganze Liebe zu, gießt die sprudelnde Fülle
seines Witzes in diese parodistische Figur und schafft so eine eigenartige,
aus spanischer Realistik und französischem Esprit gemischte Dienergestalt:
die Parodie Comeillescher Tragödienhelden. Moliere hat Scarron manche
Züge entlehnt. Vor allem aber hat Scarron diesem Größeren den Weg
bereitet: mit dem Erfolg seiner acht witzigen Lustspiele (1645 — 55) hat er
die Komödie auf der Bühne heimisch gemacht. —
Es i.st hier der Ort, auf die Erscheinung, die dieser Zeit — nicht nur aackbuck:
in Frankreich, sondern in der ganzen Romania und darüber hinaus — das ^^"'° und Eot.
_ '^ Wickelung der
literarische Gepräge gibt, einen überschauenden Blick zu werfen: auf die Pt^otiu.
sogenannte Preziosität.
Nicht nur hat es zu jeder Zeit und überall Menschen gegeben, die
zur Ziererei und Überschwenglichkeit des Ausdrucks und des Benehmens
neigen, sondern es gibt einen seelischen Zustand, der überhaupt den
spielerischen und überschwenglichen Ausdruck begünstigt: die Liebe.
Das ewige „Ich liebe dich" drängt ewig zu neuen Umschreibungen,
Hyperbeln, Antithesen. Sie sind der schillernde Schrein, in dem der
Poet das Kleinod seiner einzigen Liebe der Geliebten zu Füßen legt; sie
sind der Lockruf, mit dem der Poet das Auge der Geliebten auf sich
lenken, mit dem er sie an seine Persönlichkeit fesseln will. Die Preziosität
erscheint in der Literatur mit der Minnedichtung. Die Liebespoesie —
Lyrik und Roman — bleibt stets ihr Zentrum. Auch die Ekstase der himm-
lischen Liebe spricht sich schon früh und gern in der preziösen Form der
Frauenminne aus.
So wird man in allen Literaturen jederzeit preziösen Individuen be-
gegnen. Das Mittelalter zeigt sie uns in der Schar seiner Troubadours
und seiner Romandichter — und zwar unter den Besten — wie in der
Schar seiner Heiligen. Seine höfische Gesellschaft mit ihren Frauen,
begün.stigt naturgemäß den literarischen Frauendienst, der in der Pre-
ziosität liegt
238 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Von solch begünstigenden äußeren Umständen hängt es ab, ob die indi-
viduelle Preziosität zur universellen werde und, übermächtig, das ganze
Schrifttum durchsetze.
Solch günstige Umstände schuf die Renaissance durch ihre Befreiung
des Individuums, das aus der Menge herauszutreten, sich auszuzeichnen
und persönlichen Ruhm zu erstreben gelehrt wird.
Als überlegener Künstler über die Hyperbeln, Metaphern, Antithesen
der mittelalterlichen Minnedichtung gebietend, in ihnen schwelgend, prägt
Petrarca sein Liebeslied. Er schafft damit das leuchtende Vorbild für
die Renaissancelyrik, das die Späteren nachahmten, indem sie es zu über-
bieten strebten. Schließlich entstand die ästhetische Lehre, die das Wunder-
bare, das Verblüffende als das Schöne erklärt. Kunst und Lehre kann
man nach ihrem Ausgangspunkt geschichtlich als Petrarkismus bezeichnen.
Dieser Petrarkismus ward zur förmlichen literarischen Kjrankheit.
Xicht die Preziosität an und für sich, die immer und überall zu finden
ist, sondern ihre Verbreitung als Petrarkismus seit dem 15. Jahrhundert
und ihre Weltherrschaft während des 16. und 17. Jahrhunderts ist eine
literarische Folge des Individualismus der Renaissance. Das klassische
Altertum, dem man einerseits verbindliche Muster und Regeln für das
Kunstschaffen entnahm, lieferte anderseits auch die Lehre der Ungebunden-
heit des Individuums. Es fließen also die beiden divergierenden Strömungen
des Klassizismus und des Petrarkismus aus der nämlichen Quelle. Ihre
Vertreter bekämpfen sich: der Petrarkismus ist antiklassisch und oft geradezu
altertumsfeindlich; der Klassizismus verwirft die moderne Willkür des
Petrarkismus. Aber sie gehen auch die verschiedensten Verbindungen ein.
So begleitet der Petrarkismus den Anbruch des neuen Tages der
Menschheit und das Einziehen der Frau in die Literatur. Er ist die da-
malige Form der „Moderne". Er hat, wie die Renaissance selbst, seinen
ersten und vorbildlichen Ausdruck in Italien gefunden und hat sich mit
ihr von Italien aus über ganz Europa verbreitet, wobei er in den ver-
schiedenen Ländern und Gesellschaftsschichten ein verschiedenes land-
schaftliches und soziales Gepräge bekam.
Er ist schließlich, wie alles ursprünglich freie und persönliche Kunst-
schaffen, von den Nachfolgern systematisiert und dadurch zu einer Fessel
gemacht worden — denn neben jeder originellen Prägung eines großen
Künstlers lauert das servum pecus imitatorum. Viele Petrarkisten litten
unter dem Drucke dieser Fessel und wenden sich mit Unabhängigkeits-
erklärungen gegen den Petrarkismus — aber die übermächtige Mode ließ
sie nicht los. Man sehe den Aretin, Lope, Moliere.
Mit diesem unfreien Petrarkismus, der schließlich ebensogut Nach-
ahmung geworden war, wie der Kllassizismus , konnte sich auch die Gegen-
reformation, die doch den Individualismus der Renaissance bekämpfte,
befreunden. Ja er wurde, gegenüber dem heidnischen Klassizismus, recht
eigentlich ihre Kunstform. So hat vor einer ungeschichtlichen Betrachtung
D. Frankreich bis zur Romantik. III. Die klassische LitL-raiur. 2^0
die Auffassung entstt'hon können, als ob die Geg-enreformation überhaupt
den literarischen Barockstil des Petrarkismus erzeugt hcibe. Sie hat ihn
vielmehr vorgefunden und sich bloß an seiner Weiterbildung beteiligt.
So begab es sich, daß die Kunstform des Individualismus sich in ihr
Gegenteil verkehrte und schließlich auch zur literarischen Dienerin des
Geistes der Unterdrückung ward.
m. Die klassische Literatur (das Zeitalter Ludwigs XIV.). Das
Land begrüßte den jungen König Ludwig XIV. wie einen Friedensengel.
Aus der inneren und äußeren Machtfülle heraus, die Richelieus Politik
dem französischen Königtum geschaffen, gewährte Ludwig dem Lande
erst zehn Jahre des Friedens und zwang es dann zu vierzig Jahren ruinösen
Krieges. Seine halbhundertjährige Regierung reiht an den Glanz den
Bankerott des Absolutismus.
Seine Herrschaftsansprüche führen den König auch zum Zwist mit Der kirchUch«.
Rom. Dabei ist Bossuet der Wortführer der landeskirchlichen Interessen •J"'^^*'«"""*
ktinstleriicba
wider den Ultramontanismus (i 68 1). Durch einen 25jährigen administrativen Ab»oiuti.mo*.
Kleinkrieg gegen die Protestanten wird die Aufhebung des Toleranzedikts
(1685) vorbereitet. Tausende wenden sich nach dem protestantischen d. h.
germanischen Ausland. Sie werden zu Fühlern, welche die abgeschlossene
romanische Welt nach England, den Niederlanden, Deutschland und der
Schweiz hin ausstreckt Ludwig XIV. meinte durch die Vertreibung der
Protestanten die katholische Romania in ihrer Unversehrtheit wieder her-
zustellen; in Wahrheit öffnete er durch die Refugies das französische
Schrifttum germanischen Kultureinflüssen. Die R^fugi^s wurden, wie
später die Emigranten, Agenten des literarischen Kosmopolitismus. Die
Hauptrolle fällt dabei den Niederlanden zu. Hier entsteht in den Händen
der Refugies die literarische Journalistik, die zwischen der Gedanken-
arbeit der Völker vermittelt. Im Amsterdamer Literaturblatt eines
französischen Protestanten gab der Engländer Locke i')88 die ersten
Mitteilungen aus seinem: „Essay concerning Human Understanding."
Über die R^vocation de l'Edit de Nantes hinaus verfolgt Bossuet BoMo«t.
seinen Plan einer Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen: La
Rdunion ist sein hohes Ziel. Er sendet den Vertriebenen sein Werk
„Geschichte der protestantischen Wandelungen" nach (1688) und korre-
spondiert über die R^union mit Leibniz {1692). Er ist der gjoße Hüter
der Tradition, der beredte Verteidiger der Uniti', Er kämpft gegen den
subtilen Ouietismus des Neuerers Fenelon wie gegen die weltliche Forscher-
krankheit der „vaine et indocile curiosit^". Im sicheren Besitz der Wahrheit
verlangt er vom Christen das Sacrificium intellectus. Eine eigene Meinung
zu haben sei das Zeichen des Ketzers; der Katholik stelle über seine
„Opinion particuliere " die in der Kirche überlieferte Anschauung. Was bei
Pascal nur in fragmentarischen Tönen erklang, das wird bei Bossuet zu
rauschenden Akkorden und rollt wie Orgelklang durch das Haus der
!40
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Gläubigen. Und zum machtvollen Worte des Dogmatikers Bossuet gesellt
sich das elegante prickelnde Wort des strengen Moralisten Bourdaloue.
Die Kirche gibt nach Bossuet auch die Grundlehren der Politik. Der
Alleinherrscher ist Gottes Stellvertreter. Sein Wille ist für alle undiskutier-
bares Gesetz. In diesen Gedanken unterweist Bossuet den Dauphin auf
dem Gipfel des Absolutismus (1670). Zwanzig Jahre später gibt Fenelon
dem Sohne dieses Dauphin angesichts der demütigenden Not des Landes
Lehren weiser Selbstbeschränkung in pädagogischen Märchen, deren um-
fänglichstes jener „Telemach" ist, der aus einer aufsehenerregenden
politischen Schrift heute ein harmloses Schulbuch geworden.
Die ungeheuere politische, gesellschaftliche und moralische Machtfülle
führt auch zur Zentralisierung und hierarchischen Einreihung der künst-
lerischen Betätigungen. Literatur und Kunst werden zur Dekoration
des Hofes.
La Bruyere. Darunter litt besonders ein anderer Prinzenerzieher: La Bruyere.
Die großen Fragen, sagt er, sind heutzutage der Diskussion entzogen; es
gilt, Kleinigkeiten zu behandeln und ihnen durch die stilistische Arbeit
Wert zu verleihen. So goß er sein Mißbehagen in Hunderte kleiner
„Charakterbilder" (1688), in denen er die Welt des Hofes und der Stadt,
der Vornehmen und der Enterbten meisterlich zeichnet, mit jenem male-
rischen Detail und jener rein menschlichen Teilnahme, die beide unklassisch
sind. Er schreibt aus einem schmerzlichen Gegensatz zu seiner Zeit heraus
als ein Wortführer der nahenden Demokratie und ein Gegner der Kirch-
lichkeit.
Nicht eine kräftige Individualität erscheint der herrschenden Anschauung
als Blüte der Bildung, sondern eine glatte Soziabilität. Der Gesellschafts-
mensch, der in allen Konventionen zu Hause ist und hinter dessen äußerer
Korrektheit die Ecken der Persönlichkeit verschwinden, der sogenannte
„honnete homme", ist das Ideal der Zeit, ein Typus und nicht ein In-
dividuum. Er ist die Welt des Poeten; seine Gefühle spricht die Dichtung
aus, und für ihn spricht sie sie aus. Er ist der Gegenstand der Analyse
für den klassischen Moralisten La Rochefoucauld, dessen 5 — 600
„Maximes" (1664) die Schwächen dieses „honnete homme" bis in seine
Tugenden verfolgen. Die jansenistische Lehre von der unheilbaren
Jämmerlichkeit des Menschen findet hier einen lapidaren Ausdruck, der
an Gracians Conceptos erinnert. Die „Maximes" sind ein kunstvolles
Denkmal steriler Menschenverachtung, die „Moral von der Geschichte"
des Frondenkrieges.
Bei der verhältnismäßigen Einförmigkeit des Gedanken- und Sprach-
materials strebt der Schriftsteller, wie La Bruyere sagt, nach formeller
Variierung des begrenzten Bestandes, nach rhetorischer Gestaltung und
kunstvoller Komposition. Die rednerischen Eigenschaften werden immer
mehr gepflegt. So wird der Dichter zum Redner und das Gedicht zur
Rede. Die Komposition wird zur förmlichen Stilisierung.
D. Frankreich bis zur Romantik. III. Die klassische Literatur. 241
Der Klassizismus ist eine Rhetorisierung- der Literatur; seine Poesie
ist stilisierte Poesie. Er ist seinem ganzen Wesen nach unlyrisch; er kennt
auch den Humor nicht, der ja eine Ausdrucksform des Individualismus ist
Er hat keine Sympathie für das menschlich Unvollkommene. Er hat nur
Spott dafür.
Seine lyrischen Formen sind die mythologische Ode, das Epigramm, iioiioau.
die Satire und das Lehrgedicht. Ihr maßgebender Vertreter ist Boileau,
Er übt die rednerische Kunst Malherbes. Während aber dieser als
„Moderner" die Führung des Altertums abgewiesen hatte, kehrt Boileau
angesichts der modischen Unnatur der „Modernen" nachdrücklich zu dieser
Führung zurück. Die Antike, die als überwunden galt, erlebt mit ihm seit 1660
eine zweite Auferstehung. Sie wird seine Kunstreligion. Seine „Satires"
baut er nach Horaz und Juvenal (nur drei von den zwölfen sind wesent-
lich sein Eigentum) und wendet sich gegen die Gegner der Antike.
Leidenschaftlich bekämpft er die moderne Literatur der Preziosität und
der Burleske, die das Altertum, das ihm heilig i.st, travestiert. Auf das
modische Epos und den galanten Roman mit ihrer Altertumsspielerei fallen,
Keulenschlägen gleich, seine wuchtigen Sätze gereimter Prosa. In den
„Episteln" und im „Art poetique" (1674) beginnt er dann die Grundsätze
seiner Kritik zu entwickeln.
Der Unnatur der Salonziererei stellt er die Natur gegenüber, nicht
„la gTOSsiere Xature", sondern jene Xatur, die uns der antike Dichter
zeige, die erhaben und einfach sei. Diese Xaturwahrheit mit ihrer Ver-
nünftigkeit {Raison), ihrer Klarheit und Allgemeingültigkeit müsse der
heutige Dichter vom alten lernen. Der Tragiker werde sie bei dem
Griechen Sophokles eher finden als bei dem pompösen Römer Seneca,
den Corneille nachgeahmt habe. Höher als Horaz führe der Schwung
der Pindarschen Ode mit ihrer kunstvollen Unordnung. Die Italiener und
Spanier lehnt er ab; beiläufig und nicht ohne Geringschätzung nennt er
ihre besten Namen. Petrarca nennt er nicht mehr. Die Kunst des Sonetts
preist er zweifelnd; ihre Vertreter verwirft er. Die ruhmreiche Form ist
durch den Petrarkismus kompromittiert und wird für anderthalb Jahr-
hunderte verschwinden.
Mit vorbildlicher Klarheit, in wohlklingenden Versen und in eben-
mäßiger Prosa formt Boileau seine Kunstlehre. Lehre und Werk sind
harmonisch: für die verbildete Gegenwart eine eindrucksvolle Tat literarischer
Sanierung, seiner großen Freunde MoUere und Racine würdig — aber für
die Zukunft eine Fessel. Denn in seiner Begeisterung für das Altertum
übersieht er völlig, daß auch diese alte — auch die hellenische — Kun.st
national bedingt war, daß ihr keine allgemeingültigen, über Raum und
Zeit erhabenen Kunstregeln zugrunde liegen und daß die Regeln, die
nachträglich aus ihren Schöpfungen abgeleitet werden, keinen Anspruch
auf dauernde Herrschaft haben, so wenig wie Solons Gesetze oder Davids
Theokratie. Diese Begei.sterung macht ihn ungerecht gegen Vergangen-
Dia KvLrus dir GiontwART. Lii. i. I6
242 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
heit und Gegenwart des eigenen Landes. Er schätzt jene gering und ver-
kennt die Rechte dieser.
Wenn Bossuet in der Theokratie Davids das Vorbild der Regierungs-
form sieht, so sieht Boileau im Hellenismus das Vorbild der Kunstform.
Beide unterwerfen das Leben uralten Autoritäten. Der politische und der
literarische Absolutismus reichen sich die Hand.
So bleibt Boileaus klassische Kunsttheorie in der Auffassung befangen,
daß die geradlinige Regel das Primäre und das lebendige Kunstwerk das
Sekvmdäre sei; ja er befestigt diese Lehre aufs neue dauernd. Diese
Theorie hat keinen Raum für neuere Formen: für die historische Tragödie,
für das Schauspiel, für den Roman, für die Kleinwelt der Tiermärchen
des Freundes Lafontaine.
Racine ist der große Poet dieses Klassizismus, aber nicht, weil ihn
Boileaus Regeln geführt hätten, sondern weil ihm die griechische Kunst
kongenial war. Moli er e ist Boileaus Bundesgenosse im Kampf gegen die
modische Unnatur; aber weder ist seine Kunst wesentlich antik noch an-
erkennt er den Zwang der Regel.
Racine. Daß Raciuc der Schüler der strengen Jansenisten gewesen, hat seine
dramatische Tätigkeit in doppelter Weise beeinflußt: einmal ist er der
Arbeit für die Bühne nicht eigentlich froh geworden, da mit ihrer Weltlich-
keit seine strenge Religiosität im Streite lag, und dieser innere Unfriede
machte ihn reizbar und ungerecht, sowohl gegen andere, wie gegen sein
eigen Werk. Zweitens lernte Racine griechisch und fand damit den Weg
über Seneca hinaus zum hellenischen Theater. Er dichtete in dem Ge-
danken: „Was würden Homer und Sophokles sagen, wenn sie meine Verse
läsen?"
Zwar beginnt er 1664 in der Manier des alten Corneille. Er dramatisiert
die Schrecklichkeiten der thebanischen Geschichte und verbrämt sie mit
Galanterien. Er macht nach Quinaults Art in seinem „Alexander der
Große" aus dem Eroberer Lidiens einen galanten Romanhelden, Allmählich
aber gelangt er zur Darstellung wahren Lebens und füllt fast ein Jahr-
zehnt mit Werken hoher Poesie. Das deklamatorische Wesen starrer
senecaischer Helden ist ihm ebenso zuwider wie die verwickelte Handlung
— beides lehnt er als unnatürlich ab: d. h. er lehnt Corneilles Über-
treibungen ab. Er sucht den Mikrokosmus widerstreitender Gefühle in
schwankenden Menschen darzustellen, welche die letzten Stunden vor einer
Katastrophe durchleben. Die Katastrophe selbst verbirgt er dem Auge;
sie wird durch einen Botenbericht erzählt. Diese subtile Kunst des
„honnete homme" vermeidet jeden rauhen Handlungsvorgang auf der
Bühne als etwas Unfeines. Racine kommt bis zur dramatischen Elegie
seiner „Berenice". Die materiellen Hilfsmittel der Inszenierung treten
zurück. Die Einheit von Ort und Zeit ergibt sich aus der so vereinfachten
dramatischen Aufgabe von selbst. Die „Regeln", die Corneille wie eine
Fessel trug, sind Racine natürlich.
D. Frankreich bis lur Romantik. III. Die klassische Literatur. 2ax
Die Liebesleidcnschaft, die Corneille als untraj^isch bezeichnete, rückt
Racine in den Mittelpunkt. Er stellt meist die Krise einer Liebe dar.
Die Anhänger Comeilles schalten das eine Alltäglichkeit. Fast immer
weist Racine dabei der Frau die Hauptrolle zu; er hat die Tragödie
feminisiert. Man schalt seine Kunst weichlich, indem man sie an Comeilles
Heroismus matt.
Für diese Liebestragödien wählte er die Welt der antiken Sage und
Geschichte: „Andromaque", „Berenice", „Iphig«?nie", „Phedre". Er stellt
die Liebesschicksale, die ihm das Leben bot, im glänzenden Rahmen der
Antike dar: modernes Leben in tausendjährigen Fiktionen. Er tut im
Grunde dasselbe, was die zeitgenössischen Romanschreiber taten, und
Boileau hätte ihm deswegen eigentlich zürnen müssen. Aber Racine voll-
brachte als wahrer Künstler, was andere vor und nach ihm mit untaug-
lichen Mitteln versucht hatten. Wohl französisiert er z. B. den Bericht des
Tacitus über Xero — aber mit welcher Kun.st weiß er das Erwachen des
Verbrechers in „Britannicus" zu schildern! Gewiß beraubt diese über-
lieferte Einkleidung Racine mancher Ursprünglichkeit; gewiß ist seine
Sprache in den überlieferten Formen der eleganten Diktion befangen.
Aber aus diesem spröden Material baut er dramatische Kunstwerke, die
nicht nur elegant und von vornehmer Einfachheit sind, sondern die in
ihren zarten und tiefen Seelenschilderungen wahres Leben atmen, und
deren Verse von musikalischem Wohllaut überfließen. Dieser Tragiker
Racine ist ein Lyriker. Seinen Vers baut er denn auch biegsamer und
freier als die strenge Vorschrift eigentlich gestattete.
Racines gemessene Kunst ist das Gegenstück zur freien Kunst Shake-
speares. Wer von Shakespeare kommt, der wird in den stilisierten
Reden des Racinischen „honnete homme" die poetische Nuance einer
schweigsameren Leidenschaft vermissen und einen Mangel an Fülle und
an Stimmung empfinden.
Seine Dichterlaufbahn schließt Racine um inito mit zwei biblischen
Tragödien, in deren reichen Chorgesängen die Lyrik überquillt, und die
auch dem Auge ein bewegteres Szenenbild zeigen. In diesen dramatisierten
jansenistischen Klageliedern zeigt der Sechzigjährige noch sein volles
Können. „Athalie" ist ein Meisterwerk.
Die heftigen Angriffe, die Racine erfuhr, erfolgten immer im Xamon
der Comeilleschen Dramatik. Diese beiden Dichter, welche die Nachwelt
in einem Atem zu nennen sich gewöhnt hat, waren Vertreter ganz v>---
schiedener Richtungen innerhalb der heroischen Tragödie.
Racines überragendes Bei.spiel zwang diese Tragödie endgültig zur
Beschränkung ihrer Darstellungsmittel und zum Verzicht auf eine bewegte
Szene. Aber obwohl seine Nachfolger ihn als den großen Führer be-
wunderten und ihm nachzustreben erklärten, so blieb seine feine Kunst
ihnen unerreichbar. Sie griffen zu den billigeren Deklamationen und den
roheren Effekten Comeilles oder den (ialanterien (Juinaults.
i6»
244
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
So trug" des großen Künstlers Beispiel dazu bei, das französische
Trauerspiel zu immobilisieren.
MoUfere. Eine ähnliche Herrscherstellung gewann auf dem Gebiete des Lust-
spiels Moliere; doch bewahrte hier die beweglichere Form vor Erstarrung.
Was Moliere um 1640 vorfand, war der dramatische Schwank in
Gestalt der einheimischen Farce oder des importierten italienischen Possen-
spiels. Diese bescheidenen Vorbilder leiteten die ersten Schritte des Schau-
spielers und des Autors in drangvollen Lehr- und Wanderjahren. Er skizziert
für seine Bühne formlose Schwanke, deren Stoffe er dann in reiferen
Zeiten kunstvoller gestalten wird. Seine weiteren Versuche leiten italienische
Intrigenkomödien, die er überarbeitet, verfeinert, mit Eigenem durch-
setzt Aus deren konventionellen Welt macht er den Schritt zum wirk-
lichen Leben mit dem satirischen Schwank der „Precieuses" (1659), Eine
Posse, die Scarron einst aus dem Spanischen entlehnt hatte, lieferte die
Intrige. Italienische und spanische Stücke und Novellen geben seiner
originellen Gestaltungskraft viel mehr Stoff als das Altertum. Ein Lebens-
problem, die Liebe eines Vierzigjährigen zu einem jungen Mädchen, be-
handelt er, angesichts seiner Verheiratung in der „Männerschule" und der
„Frauenschule" (1662). Er macht aus der alten Posse ein Charakterlustspiel,
das naturalistische Lebenslehren vertritt. Der lebenslustige König lernt
ihn schätzen und liefert die höfischen Gecken [Marquis) seiner Satire aus.
Die Pariserbühne, an der Moliere in dreifacher Eigenschaft als Dichter,
Schauspieler und Direktor wirkt, wird die erste der Hauptstadt.
Die neidischen Kollegen von der Feder [les auteiirs) und vom
Theätre de Bourgogne {les comediens), die Precieux und die kirchlich
Gesinnten gebärden sich Moliere gegenüber als Hüter der Ordnung und
erklären Religion und Staat in Gefahr. Das kampfreiche Jahr 1663 ist
ein Brennpunkt Moliereschen Schaffens. Im Sturme dieser Kämpfe spricht
er programmatisch über seine Kunst, die frei und natürlich sei [peindre
d' apres nähere) und Lebensbilder, aber nicht persönliche Satire geben
wolle. Es zeichnen sich in seinem Geiste die Themata des „Tartuffe", des
„Misanthrope" und der „Femmes savantes".
Der jugendliche König schützt ihn, auch als der „Tartuffe" einen
neuen Sturm entfesselt. Moliere wird Hofdichter. In diesem Dienst hat
er viel Kraft an bestellte Ware wenden müssen und viel hastige Arbeit
geliefert. Die Form, die er sich dafür nach italienischem Beispiel ge-
schaffen, ist die Komödie mit eingelegten Liedern und Ballettszenen.
Moliere war auf dem Wege zum Singspiel. Diese Comedies-ballets von
den „Fächeux" bis zum „Bourgeois gentilhomme" und dem „Malade
imaginaire" enthalten viel Sinnreiches, Schönes und Tiefes.
Im „Amphitryon" modernisiert er Plautus mit überlegener Feinheit.
Der „Avare", auf plautinischer Grundlage aus vielen kleinen Entlehnungen
kunstvoll zusammengeschweißt, ist eine Posse von unvergänglicher Lustig-
keit — doch kein Sittenstück, noch Charakterlustspiel. Aus der armseligen
D. Frankreich bis rur Romantik. III. Die klassische Literatur.
245
Intrige einer Commedia dell' arte schafft er den machtvollen „TartufFe",
der die heuchlerischen Formen asketischer Kirchlichkeit bekämpft, die
den natürlichen Lebensansprüchen den Weg verlegen. Der feine „Mi.s-
anthrope" ist eine Studie über das Schicksal der Liebe, die ein tiefer und
aufrichtiger aber nervöser Mann für ein oberllächliches Weib empfindet,
das die Salons verbildet haben. Die „Femmes savantes" (oder „Trissotin")
sind eine streitbare „Autorenkomödie", deren Satire kunstvoll in ein
Sittenlustspiel hinein verwoben ist. Verhaßte literari.sche Gegner im Ver-
ein mit dem „dritten Geschlecht" tragen die Kosten des Spottes, der hier
gereizter und persönlicher ist, als sonst
Das französische Lustspiel ist Moli^res Werk. Er hat die Fesseln der
Farce endgültig gesprengt und die Komödie dem Leben geöffnet. Freilich
hat er von den alten Traditionen noch manches bewahrt. Er duldet nur
Lachen in seinen Stücken und wehrt Ernst und Rührung nachdrücklich,
oft durch possenhafte Lustigkeit, ab. Seine lebensvollen Gestalten haben
etwas T\-pisches. So meisterhaft seine Expositionen sind, so kunstvoll die
Ausführung der seelischen Probleme, so eilig ist oft die Lösung. — Die
Verbindung von Dichter und Schauspieler gab ihm eine wunderbare
szenische Sicherheit. Seine Schöpfungen wollen geschaut mehr als ge-
lesen sein.
Vierzehn Jahre (1658 — 73) war Moliere in Paris tätig. Bewundernd
sehen wir die Ernte der 26 Stücke, die er in dieser Zeit eingebracht und
die so viele unvergängliche Meisterwerke, Sitten- und Seelenbilder,
einschließt. Er ist viel nachgeahmt und nicht übertroffen worden. Noch
heute ist er wahrhaft lebendig.
Von seinen Nachfolgern und Erben pflegten die einen, wie Regnard,
sein Intrigenstück und ergötzen durch die ausgelassene Heiterkeit. Die
anderen, wie Boursault und Destouches, versuchen sich auf der Spur
des „Tartuffe" und des „Misanthrope" im Charakterlustspiel. Die dritten,
wie Dancourt und Lesage, schildern in Sittenkomödien die wurmstichige
Pariser Gesellschaft realistischer und derber als Moliere. La Hruyeres
Geist regt sich in diesen bitteren ständischen Satiren und während die
Geldnot den roi soliil zwingt, mit Börsenleuten umzugehen, ist es be-
sonders diese neue Welt der hnntr fuiancc, welche mm dio Koston des
Spottes trägt
Die eigentlichen höfischen Formen der dramatischen Kunst sind das iuu»<t ona Op«
Ballett und die Oper, die beide aus Italien kommen. Das Ballett blüht
am Hofe seit der Zeit Heinrichs IL als mythologische Huldigung für die
Majestäten. Im Olymp des Balletts träumten die jugendlichen F"ürsten den
ersten Traum ihrer Göttlichkeit Gegen die Oper (seit 1645) verhielt sich
das französische Publikum erst ablehnend als gegen einen irtr.uiil bizarre
de poisie et de musique. Die Oper galt als Spielerei, gut für Hirtenszenen,
nicht aber für heroisches Geschehen. Das Publikum verband diese künst-
lerische mit der politischen Opposition gegen Mazarin und gewöhnte sich
246 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
nur langsam an das gesungene Wort der Handlung. Eine besondere
Stätte erhielt die Oper erst 167 1 und führend blieben dabei italienische
Musiker und Maschinisten.
Die Bühne am Ludwigs XIV. Bühneufreundlichkeit wandelte sich mit den Jahren in
Ende der Feindschaft Nach Molieres Tod beg-ann die Zusammenlegung der Theater,
klassischen Zeit. _ ■= .....
Seit 1680 gibt es nur noch ein französisches Theater in Paris: die privi-
legierten comediens frangais die rot, spöttisch auch die Romains genannt.
Daneben die Comcdie italienne und das Opernhaus. Kirchlicher Eifer
drohte allen gänzliche Aufhebung (1694); schließlich wurden die Italiener
1697 ausgewiesen.
Das ist die Bilanz der klassischen Theaterherrlichkeit am Ende des
Jahrhunderts.
Die Italiener hatten sich längst französisiert gehabt. Sie brachten
ihre traditionellen Stegreifpossen in der Landessprache vor, fügten aus-
geführte französische Szenen, französische Gassenhauer, komponierte Lieder
ein. Sie schilderten französische Unsitten; ihre literarischen Parodien ver-
spotteten die Akademie, Racine und Boileau. Bei ihnen liegt der Ursprung
des Vaudevilles und der Operette.
Dieses Erbe der Coiuedie italienne traten nach 1697 die Bühnen der
großen Pariser Messen {le Theätre de la foire) an. Aber die Romains und
die Sänger der Oper machten auf Grund ihrer Privilegien den Forains
das Recht, zu sprechen und zu singen, streitig". Es entbrannte ein lang-
jähriger listenreicher Kampf, in welchen Lesage als führender Bühnen-
dichter der Forains eintrat. Er lieferte ihnen über hundert Vaudevilles,
in denen er eine satirische Heerschau über die zeitgenössische Gesellschaft
abhält. Der Kampf endete mit einem Vergleich. Seit 1 7 1 3 erhob sich
auf der Messe ein Gebäude mit der Aufschrift: Opera comique. Und so
rettete der Jahrmarkt, was die schwere Hand des alternden Monarchen
zerstören wollte.
Epos und Von der Erzählungsliteratur gilt nur das nach dem Schema Vergils
Roman, yj^^^ Homers gebaute Epos als klassische Form. Aber das Feld wurde,
nachdem Boileaus Spott wie ein Frost auf die galanten Heldengedichte
gefallen war, wenig bebaut und blieb unfruchtbar.
Boileau hat auch den Roman der Modernen verspottet, der sich ja eben-
falls am Altertum vergriffen hatte. Aber der Roman, dem die Zeiten ein
stolzes Geschick vorbehalten hatten, blieb in Gunst. Ihm floß an Leben zu,
was in den klassischen Kunstformen keinen Ausdruck finden konnte. Er blieb
als ein Herd antiklassischer Kunstübung, aus dem hundert Jahre später
die Flamme der „Nouvelle Heloise" aufschlagen sollte. Es fand sich 1670
auch ein Theoretiker, Huet, der ihm antike, hellenische Ahnen gab und
ihn als eine Schule feiner Lebensart rechtfertigte. Die schäferliche oder
antike Einkleidung der Romanhandlung fiel. Wirklichkeitsbedürfnis und
zeitgeschichtliche Interessen führten zur Bevorzugung der Gegenwart oder
nahen Vergangenheit. Deren Großtaten und deren Klatsch wurden in
D. Frankreich bis zur Romantik. III. Die klassische Literatur. 247
historischen Romanon, besonders in Memoirenform verarbeitet: an die Stelle
des Persers Artamene und des Meder.s Artaban trat der Gascogner Ar-
tagnan (f 1673) — das Verfahren und den Helden hat dann A. Dumas
geerbt England, Spanien, Portugal lieferten ebenfalls Stoff. Mit dem
Tagesereignis zieht auch die vulgäre Person und das vulgäre Abenteuer
in den Hehlenroman ein. Seine Welt wird realistischer. Die Grenzen
zwischen Idealroman und Schelmenroman verschwinden. Auch wird sein
Umfang geringer. Es wirkte das Beispiel der Novelle, das Scarron ge-
geben und das zuerst nur spärliche Nachfolge gefunden hatte. Der Roman
bricht gleichsam in Novellen auseinander.
Und in der Novelle tritt neues Leben zutage. Sie bemächtig^ sich
unter der Führung der Frau vonLafayette des Problemes der Ehe. Romane
und Novellen hatten bisher die Geschichte der Liebesleidenschaft erzählt,
die nach tausend Schwierigkeiten zur glücklichen Heirat führt. Sie schlössen
mit der Vermählung ab. Die Ehe selbst galt als uninteressant Der Ehe-
bruch wurde nur komisch, in Schwänken und Possen von Weiberlist, be-
handelt Frau von Lafayette schildert seit 1662 in mehreren Novellen die Not
der innerlich untreu gewordenen Gattin: das Problem ihres eigenen Lebens.
Sie schreibt aus historischen Studien über das 16. Jahrhundert heraus, auf
dem Hintergrunde der traditionellen Galanterie „La princesse de Cleves"
(1678), einfach, vornehm und tief wie eine Tragödie Racines, das einzige
wirkliche Kunstwerk der Gattung.
In einem anderen Büchlein, das nur wenige Seiten stark ist, bricht
plötzlich aus den Tiefen des Lebens der Quell gefühlsseliger Leidenschaft
mächtig auf: es sind die „Lettres portugaises"(i669), in denen eine namenlose
verlassene Nonne über gewonnenes und zerronnenes Liebesglück in wahren
Tönen jubelt und klagt. So wird der Brief des Weibes zum Vehikel des
leidenschaftlichen Liebeswortes, das nun in diese Literatur der zierlichen
Galanterie hinein ertönt, und von den „Portugaises" und ihren Nachahmungen
wendet man sich auch wieder zu den alten Mustern, die Heloise und
Abaelard ein.st geschaffen.
Die Erzählungsliteratur ist in üppigster Blüte: es ist die Zeit, da
Deutschland nach dem Worte „Roman" auch den Ausdruck romantisch
entlehnt, um die tollen Piiantastereien dieser Bücher zu bezeichnen.
Die Lust zum Fabulieren führte auch zur X'erserzählung, die seit dem LAfontuM.
Mittelalter brachgelegen: zur Fabel und zum Fabliau. Ihr Poet ist
Lafontaine. Verhältnismäßig spät, ein Vierziger, fand er diese Form,
nachdem er sich ohne Eifer und auch ohne Erfolg in der klassischen Elo-
quenz des Alexandriners versucht und sich mit mythologischen Fiktionen
gequält Malherbes Beispiel sagte ihm nicht zu. Feierlichkeit und Würde
waren ihm fremd in Kun.st und Leben. Er kannte das Altertum: er liebte
und genoß es als Poet, aber nicht als Nachahmer, noch als Aristarch.
Homers Schwein und Esel konnten dem zukünftigen Sänger des „Dom
Püurccau'' und des „Maitre Baudtf nicht mißfallen, wie den spröden
248 Heinrich Morf; Die romanischen Literaturen.
Kunstrichtern. Er gehört zu der Familie der Mohere und Rabelais: er ist
gaidois. Von naturalistischen Lebenslehren aus hat der Haltlose bisweilen
eine Hand nach dem Jansenismus seiner Freunde ausgestreckt.
Eine Fabeldichtung hatte Frankreich seit dem Mittelalter nicht gehabt.
Freilich hatte die Renaissance die antike Fabel wieder erweckt; doch zu
eigener Dichtung war es nicht gekommen. Indessen war das Material
bereitgestellt.
Die zwölf Bücher von Lafontaines Fabeln (250) sind während 25 Jahren
(seit 1668) erschienen. Auch Lafontaine war kein großer Erfinder; stofflich
hat er fast alles, und besonders das Beste, entlehnt. Aber als der große
Künstler hat er den uralten Stoff neu geformt und zu seinem Eigentum
umgeschaffen. Die antike Fabel ist sentenziös und rhetorisch; ihre Theo-
retiker rechnen sie auch nicht zur Epik. Die mittelalterliche Fabel fügt
naiv Erzählungsgeplauder und Didaktik zusammen. Lafontaine macht aus
der Fabel ein episches Kunstwerk, und wenn sich eine Moral mit Grazie
anfügen läßt, so heißt er sie schalkhaft willkommen. Ihn freut das Klein-
leben der Tiergestalten um der Fülle des Lebens willen, in der er überall
Weltlauf und Menschenschicksal sieht. Er schildert die Komödie des Lebens
in hundert kleinen Szenen nicht als Zensor, sondern als Humorist, dem die
UnvoUkommenheiten dieser Welt nicht verhaßt sind. Das unklassische
Detail zieht ihn an. So malerisch weiß er die unbelebte, so bewegt die
belebte Natur zu schildern und mit einem so köstlichen Anthropomorphis-
mus, daß kindlicher Sinn und gereiftes Urteil sich in gleicher Weise von
diesem Werke der Poesie angezogen fühlen. Auf die natürlichste Weise
hat er sich für sein Fabelvolk eine sprachliche Form geschaffen, die mit
ihrem freien schmiegsamen Vers, ihrem sorglosen Reim, ihren stimmungs-
vollen Archaismen, ihren drolligen Neubildungen aller klassischen Regel
spottet. Und ebenso natürlich hat er diesem Fabelvolk die sonst so kalte
Mythologie angepaßt und aus dem feierlichen Olymp Götter der Mäuse
und Frösche gebildet. So gestaltet er alles zu vollendeter Harmonie und
Natürlichkeit. Er „trägt Fabeln" wie ein Baum Früchte trägt.
Er trug auch „Contes". Seine ganze sprachliche Kunst wandte er
dabei vorzüglich an alte Fabliaux- Stoffe, wie er sie z.B. im Decameron oder
bei Ariost fand und deren Laszivität der Alternde mit vergnügter Scham-
losigkeit hervorkehrt. Nur selten behandelt er ohne Anstößigkeit feinere
Herzensgeschichten.
Perrauit und die Auf der Suche uacli ueucn Contes-Stoffen fand und reimte Ch.Perrault
Querelle des ^^^ Märchcu vom „ Allcrlelrauh". Bald darauf leitete er seinen noch
Anctens et des "
Modernes, jugendlichcn Sohn an, die Märchen vom Rotkäppchen, Dornröschen,
Aschenbrödel in schlichter Prosa wiederzugeben (1696): die erste und für
lange einzige Sammlung wirklicher Volksmärchen in Europa. Aber in
dieser von aller Volksliteratur abgekehrten Zeit dachte niemand daran,
noch mehr zu sammeln. Man machte vielmehr aus der glücklich entdeckten
Form ein literarisches Spielzeug. Die „Contes de Fees" schössen üppig
I). Frankreich bis zur Romantik. III. Die klassische Literatur. 24Q
in die Halme und als 1704 Gallands Übersetzung von looi Nacht erschien,
da wurde die Märchendichtung zur Orgie.
So erscheint auch in dieser Periode die epische Dichtung als das Asyl
derer, denen die Kunstreligion Boileaus zu eng war.
Darüber sollte es noch zu Auseinandersetzungen zwischen l^errault
und ßoileau kommen und damit zu einem Kampfe zweier Heerlager, der
„Modernes" und der „Anciens". In stolzen Versen feierte Perrault in der
Akademie 1687 den literarischen Glanz der Gegenwart und verkündete
jene Lehre vom Fortschritt und von der Überlegenheit der „Moderne" über
das Altertum — jene Lehre, die ebenda fünfzig Jahre zuvor unwidersprochen
zu Wort gekommen und seither nie verstummt war. Jetzt erhob sich der
zornige Widerspruch der von Boileau geführten ^l/icitns. Perrault appellierte
mit seinen geistreichen „Parallelen der Alten und der Modernen" an das
gebildete Publikum und denunzierte diesem die Naivitäten des „geschwätzigen"
Homer. Boileau verteidigte Homer in seinen „Gedanken über das Er-
habene" (1693), verlegen, gereizt, ohne Überlegenheit. Andere mischten
sich ein und redeten, wie die Führer, vielfach aneinander vorbei. Ruhiger
geworden, goß Boileau Wasser in seinen Wein und es kam i 700 zu einer Art
Waffenstillstand. Aber nochmals entbrannte der Streit, und wieder um Homer,
als der Moderne La Motte 17 13 die Ilias verkürzt und modernisiert übertrug.
Sogar das Thcätre de lafoire mischte sich mit Parodien in den Kampf. F^ne-
lons schiedsrichterliches Urteil wurde von der Akademie angerufen. Der
klassisch gebildete, kunstliebende und elegante Kirchenfürst mit dem un-
ruhigen Geist, der das vierte Buch der Odyssee in ein liebliches Prosaepos
{Tclemaqiie) übergeführt hatte, brachte geteilte Gefühle mit und gab ihnen
beredten Ausdruck. Er pries die Einfachheit des griechischen Tempel-
baues, aber auch die Eleganz des gotischen Doms. Man solle beides
schätzen. Er, der selbst die Odyssee modernisiert hatte, machte zwar zu
La Mottes Poesielosigkeit Vorbehalte, verwarf aber das Unternehmen nicht
grundsätzlich. Wenn er Hellas als Amicn bewunderte, so galt diese Be-
wunderung weniger dem Erhabenen als dem Idyllischen und statt Kunst-
vorschriften fand er beim Griechentum vielmehr das Beispiel sprachlicher
Freiheit, die er, unter Berufung auf Ronsard, statt der zwangreichen Poetik
der Zeit der Akademie ans Herz legte. Freilich ohne Erfolg. Andere wie
La Motte forderten geradezu die Ersetzung des dramatischen Verses durch
die Prosa und bekämpften die drei Einheiten. Doch fehlte ihnen die Kraft,
und sie blieben sich selb.st nicht treu. Am grundsätzlich.sten äußerten sich
zu der ganzen Frage solche, die die freiere Luft des Au.slandes atmeten,
wie St-Evremond. Sie lehren die Relativität des Geschmacks und
verlangen für eine neue Zeit eine eigene, neue, freie Kunst. Aber man
hört nicht auf sie.
Und das Resultat dieser langen „Querellc"? Da die Modernen eben-
sowohl wie die Anciens in dem Mißverständnis befangen waren, daß die
Dichtkunst ein Wissen und also nach bestimmten Regeln erlenibar sei, so
250 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
drehte sich ihr Kampf nicht eigentUch um die Freiheit der Kunst, sondern
nur um die Frage der Überlegenheit des Altertums. Und hier siegte aller-
dings das Selbstgefühl der Modernen: das Altertum trat zurück und er-
schien entbehrlich. Es gewann hier jene Anschauung wieder die Oberhand,
die zur Zeit Malherbes und Chapelains geherrscht hatte — ja sie war
eigentlich, trotz Boileau, immer die herrschende gewesen. Die starren
Kunstgesetze, die der spröde Geschmack geschaffen, blieben darob im-
erschüttert und wurden von dem folgenden unkünstlerischen Zeitalter über-
nommen. Bücken wir zurück:
An der Fackel des Hellenentums hatte sich im i6. Jahrhundert der
neue Geist der französischen Literatur entzündet. Aber der freiere helle-
nische Geist wich rasch, und das bequemere Lateinertum des antiken und
modernen Italien blieb maßgebend. Nachdem die Dichtung Frankreichs
sich an ihm gebildet, wurde das Altertum überhaupt zurückgedrängt.
Boileau versuchte seinen Kultus von neuem herzustellen und fügte von
neuem Pindar zu Horaz, Sophokles zu Seneca, Homer zu Vergil. Aber
seine Lehre wurde nicht einmal an ihm selbst wirklich fruchtbar, denn des
freien griechischen Geistes hat er keinen Hauch verspürt. Racines geniales
Griechentum ist ein „glücklicher Zufall".
Der französische Klassizismus ist lateinisch. In seinem fundamentalen
und dauerhaften Lateinertum bedeutet Hellas nur eine Episode. —
Der Geist Während die literarische Autorität des Klassizismus bestehen blieb,
der Opposition. ^^^ ^.^ Staatliche und kirchliche Autorität ins Wanken.
Die vertriebenen Protestanten nahmen die politischen Gedanken der
Religionskriege des i6. Jahrhunderts wieder auf, verwarfen das gewalt-
tätige Königtum, predigten den esprit repiiblicain und beriefen sich auf
einen angeblichen contrat social. In nächster Nähe des Thrones bemühte
sich der Erzieher Fenelon, den zukünftigen König von Frankreich, den
Enkel Ludwigs XIV., von den gefährlichen Wegen des Großvaters abzubringen,
und kommt darüber zu Fall. In dem Ringen, das zwischen Bossuet und
Fenelon beginnt und das in der äußeren Form einer theologischen
Kontroverse verläuft, verbirgt sich der Kampf um die Regierungsgewalt.
Fenelons Traum, der Kanzler eines gesetzlichen, patriarchalischen Herrschers
zu werden, macht vor Torschluß des alten Regiments der jähe Tod seines
Zöglings zunichte.
Unter der Decke des Autoritätsglaubens machte die Freidenkerei
Fortschritte. Descartes Vernunftlehre dringt in den Universitätsunterricht.
Sie vermählt sich in den Schriften Malebranches, unter Bossuets Wider-
spruch, mit den christlichen Heilslehren und tritt in Fontenelles und
Pierre Bayles Schriften seit 1680 aufklärerisch zutage. Bayles „Histo-
risch-kritisches Wörterbuch" (1696) ist ein wahres Arsenal vernunftmäßiger
Zergliederung aller Überlieferung und leidenschaftslosen Skeptizismus.
Leibniz richtete gegen das Buch seine Theodicee; Friedrich der Große
aber w^ünscht seine Verbreitung in Deutschland und sagt noch 1781: „Es
D. Frankreich bis zur Romantik. 1\'. Die Aufklarunysrcit. 251
würde ein unschätzbarer Vorteil für junj^e Leute sein, wenn sie die Stärke
des Raisonnenients und den ganz ausnehmenden Scharfsinn dieses großen
Mannes Bayle sich völlig zu eigen machten."
Frankreich ward dieses Geistes Schüler. Die erst vereinzelten Stimmen,
die sich gegen den Absolutismus erhoben, mehrten sich nach 1700 und
schlössen sich dann zu dem mächtigen Chor der Aufklärungsliteratur zu-
sammen. —
Beziehungen zu den germanischen Literaturen bestanden für den
französischen Klassizismus niciit. Die pciiples du nord^ so meint der
elegante Bouhours 1671, entbehren der feinen Bildung, und er .stellt die
Frage auf, „j-/ lui Allein and pcut, par la tiaiurc des choscs, avoir de Vcsprit'\
Daß Boileau die italienische und spanische Literatur verwarf, ent-
sprach schon um 1Ö70 dem Zug der Zeit. Das Selbstgefühl, mit dem
Frankreich die Vorbildlichkeit der Antike ablehnt, mußte sich schließlich
auch gegen die übrigen fremden Muster richten, die den französischen
Dichtern zur Zeit Chapelains noch so vertraut gewesen waren. So war
durch Assimilierung und Besiegung der fremden Einflüsse jene stolze
nationale Literatur entstanden, von der schon Ronsard und Du Bellay ge-
träumt hatten, daß sie nach Überwindung der Antike als ein modernes
Römertum die Welt beherrschen werde.
Der französische Klassizismus, zu dessen Bau seit 1550 ein ganzes
Jahrhundert die Steine brach, zusammentrug und behieb, ist die macht-
vollste Schöpfung der Romania.
IV. Die Aufklärungszeit. Gleich nach dem Tode Ludwigs XR'.
trat die Erschütterung der Tradition auf allen Lebensgebieten deutlich zu-
tage. Zwar blieben die äußeren Einrichtungen des politischen, sozialen,
kirchlichen und literarischen Absolutismus bestehen: Das Königtum prunkte Frankreich n
mit seiner rücksichtslosen Herrscherwillkür; der Adel, der käuflich war, '^ J* ' "° «
mehrte sich, und seine Privilegien wurden drückender; die Kirche ver-
schärfte ihre Edikte gegen die Protestanten; Klöster und der Besitz der
toten Hand wuchsen. Auf der großen Menge der Unprivilegierten lastete
die ganze Schwere eines unseligen Steuersystems und einer barbarischen
Strafjustiz. Über die literarische Produktion herrschten die Gesetze des
unduldsamen Klassizismus, der ihr eine zwar glänzende, aber spröde, un-
geschmeidige Form vorschrieb. Innerlich aber war alles in Gärung. In
diese klassizistische Form kleideten sich unkla.ssische, naturalistische und
individuali.stische Lebenslehren. Was unter Ludwig XI\^ durch Feierlich-
keit und Prüderie zurückgehalten worden war, drängte jetzt zum Ausdruck
in Leben, Wort und Bild. Die Ungebundenheit ward dabei vielfach zur
Ausschweifung, die gesunde Sinnlichkeit zur Lüsternheit. Die Literatur
trägt diesen Zug. Auch die Kunst: die Neigung zu schwelgerischer Ele-
ganz löst die strengen Linien des „Style academique" auf. Man spielt
graziös und auch lüstern Xatur. An den anmutigen Watteau reiht sich der
252
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
laszive Boucher. In Versailles, Dresden, Potsdam entstehen Fürstensitze
in Rokoko.
Die Unprivilegierten, denen jede gesetzliche Vertretung im Staate
fehlte, schufen sich aus ihren Schriftstellern eine Art unverantwortlichen
Parlaments. Es entstand eine öffentliche Meinung. Neben dem konfessio-
nellen Hader machte die Freidenkerei in der Hierarchie selbst Fortschritte.
Die Macht des Geldes begann die Standesschranken zu durchbrechen und
den Adel zu zersetzen. Die Refugies verkündigten immer nachdrücklicher
die revolutionären Theorien, die schon in den Religionskriegen des
i6. Jahrhunderts gegen die Monarchie gepredigt worden waren.
Und bis an die Stufen des Thrones wagte sich die Opposition. Fene-
lons „Telemaque", dessen politische Lehren den Zorn des Hofes erregt
hatten, durfte 17 17 dem achtjährigen König gewidmet werden und Massillon
sprach vor ihm in seinen Fastenpredigten politische Gedanken aus, die
über Fenelon hinausgingen und redete vom König als einem Beauftragten
der Nation. Zugleich wies er auf die erschreckenden Fortschritte des Un-
glaubens hin, der einst seinen einzelnen Vertretern zur Unehre gereicht
habe und nun geradezu zu Ansehen verhelfe. Die Katastrophe, die der
Schotte Law 1720 dem französischen Geldmarkt brachte, erschütterte alle
Besitz Verhältnisse und kehrte, nach einem Wort Montesquieus „die Ge-
sellschaft um, wie ein Trödler einen alten Rock wendet".
Zum erstenmal richten sich die Blicke Frankreichs nachdrücklich über
die Grenzen der Romania hinaus und zwar nach England. Für die bis-
herige geistige Isolierung Frankreichs ist es charakteristisch, daß um 1720
der junge Montesquieu zu Bordeaux seine naturwissenschaftlichen Arbeiten
ohne Kenntnis der großen Entdeckungen Newtons (1687) schrieb.
Nun tritt die germanische Welt in den Gesichtskreis des Franzosen.
Holland und die Schweiz vermitteln sie ihm. Der Berner Muralt ver-
öffentlicht 1725 seine „Briefe über die Engländer und Franzosen", skizziert
darin zum erstenmal die Züge eines vorbildlichen, politisch freien, ver-
nünftigen, arbeitsamen, philosophisch denkenden England und nennt den
Namen Shakespeares.
Ursprung und Zu der freien Denkart, die aus eigenen französischen Quellen floß,
A.u^ärun'^' ^^^ Descartes, Gassendi, Bayle, gesellt sich der mächtige Strom eng-
lischer Gedanken Newtons, Lockes und der Deisten. Dieser englische
Einschlag gab der französischen Aufklärung ihren eigentlichen Charakter.
Es ist die Zeit, die Voltaire le siede des Anglais nennen und die von
anderen den Vorwurf der Anglomanie erfahren wird.
Diese Aufklärung nahm das Thema der Renaissance wieder auf:
Lehren irdischer Lebensbetrachtung von den Rechten des Individuums
und der Natur. Die Renaissance hatte einst diese Lehren unter der
Hegemonie des Hellenentums und der Philologen vorgetragen. Das
18. Jahrhundert verkündete sie unter der Hegemonie Englands und der
Naturforscher. Seine Führer, Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau,
D. Frankreich bis zur Romantik. 1\'. Die Aufklärun^fszcit. 253
sind „Physiker". Newtons Gravitationsgesetz wurde zur kräftigsten Stütze
des heliozentrischen Weltbildes, in welchem unsere Erde ihre privilegierte
Stellung im Universum verliert. Lockes Sensualismus wurde zur kräf-
tigsten Stütze der Lehre von der körperlichen Bedingtheit unseres geistigen
Lebens — Vctroitc coüturc de Vcsprit et du Corps, wie Montaigne sagte —
und der animalen Organisation des Menschen. Die Xaturbedingtheit alles
Lebens ist der Text über den in der Eglise philosuphique gepredigt wird.
Aus dieser Anschauung erwuchsen sowohl der Materialismus als die An-
fange der Entwickelungslehre, sowohl die pragmatische Geschichtschrei-
bung als die neue Ästhetik und die nationalökonomischen Theorien der
Physiokraten. Deshalb nennt Voltaire das siccle des Anglais zugleich Ic
silclc des sciences nahtrelles.
Es sollte die „Herrschaft der natürlichen X'ernunft" an die Stelle aller
Tradition treten, und es sollte der Mensch, statt seine Blicke hilfesuchend
himmelwärts zu richten, im Vertrauen auf die ihm innewohnenden Ent-
wickelungskräfte, tatkräftig und hoffnungsfreudig seine irdische Bahn wandeln,
die ihn vorwärts zu Wahrheit und Glück führen und ihm das goldene Zeit-
alter bringen werde, das vor uns und nicht hinter uns liege. Diese Lehre
der Perfektibilität stellt die Krönung des Aufklärungsgedankens dar, ein
enthusiastisches Programm irdischer Lebensarbeit, wie es Condorcet (1794)
in seiner „Esquisse des progres de l'esprit humain" formuliert.
Diese Aufklärungsliteratur trägt den Stempel der Parteiversammlungen,
aus denen sie hervorgegangen: der Salons. Sie ist weltmännisch im guten
wie im schlechten Sinne, elegant und geistreich, aber auch oberflächlich.
Die von den Frauen beherrschte „Gesellschaft" bestimmt Wahl und Be-
handlung des literarischen Stoffes. In dieser Welt der Causerie war der
Gesprächswert entscheidend. Längst war die französische Prosa um ihrer
angenehmen Gemeinverständlichkeit willen berühmt {propter faciliorem ac
delectabiliorcm vulgaritatem, wie Dante schon vierhundert Jahre zuvor
sagte). In diesen Salons machte sie eine eigentliche hohe Schule der
Vulgarisation durch. Hier wurde das sprachliche Gesellschaftskleid zu-
rechtgemacht, das in PVankreich jedem, auch dem mittelmäßigen Schrift-
steller, etwas vorzustellen gestattet — das aber auch alle nivelliert. Hier
bildete sich jene glänzende und gefährliche SoziabiUtät aus, die dem Fran-
zösischen seine weltbeherrschende Stellung schuf und die zugleich der
Tiefe und Eigenart seiner Literatur Abbruch tat.
Noch zu Lebzeiten Friedrichs II. schrieb die Academie de Berlin die
Preisfrage von dem guten Rechte der Universalität der französischen Sprache
aus und krönte die Schrift Rivarols, die diese Sprache als die eigent-
liche langtie htimaine bezeichnete (1784).
Die Augen Europas waren auf Paris gerichtet Die auswärtigen
Fürstenhöfe, von Rußland und Schweden bis Toscana, hielten sich in Paris
literarische Korrespondenten. Goethe wartete in Weimar mit Spannung
auf den vierzehntäglichen Bericht der diskreten handschriftlichen Corre-
!54
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
sp07idance litteraire, welcher Diderot seine gefährlichsten Manuskripte bei-
fügte. Eine große Zahl gedruckter Wochen- und Monatsschriften brachten
der Welt die französischen Ideen zur Kenntnis. Von dieser Zeit gilt, daß
nur Frankreich und französische Form universellen Charakter zu verleihen
vermochte. Die Ideen des englischen „Spectator" wurden in Deutschland
und in Italien wirksam, weil Bodmer und Gozzi sie aus einer — lücken-
haften — französischen Übersetzung kannten. Lessing gewann aus Voltaires
Schriften die erste Kenntnis Shakespeares. Die französische Übersetzung
war für Geßners Idyllen das Mittel, sich Amerika zu erobern. Und —
lang'e später — lernten noch der Engländer Carlyle und der Amerikaner
Taylor den Namen Goethes bei Frau von Stael kennen.
Die einzelnen Schriftsteller vertreten die Lehren der Aufklärung in
verschiedener Weise und mit ungleicher Entschlossenheit. Schon früh
finden sich solche, die sie bis in ihre letzten Konsequenzen verfolgen. Der
Arzt und Forscher La Mettrie lehrt den Materialismus sans phrase (JJhoimne
machine, 1747) und Diderot führt die Lehren des Individualismus bis zum
Preise der Anarchie. Voltaire nimmt immer eine gemäßigte, mittlere Stellung
ein und Rousseau geht zum offenen Kampfe gegen die Aufklärer über.
Montesquieu. Ein hohcr richterlicher Beamter, Montesquieu, schrieb 172 1 eine
Satire auf sein Land, die er reisenden Persem in den Mund legte. Diese
„persischen Briefe" sind aus dem Haß des Aristokraten gegen die „asia-
tische Despotie", die Richelieu in Frankreich begründet und Ludwig XIV.
verkörpert hatte, geboren. Sie malten den Monarchen und den Papst,
das Weiberregiment und die Bischöfe mit geistreichem Spott; sprachen
unehrerbietig über Dogma und Akademie, musterten pessimistisch alle
Lebensverhältnisse des monarchischen und katholischen Landes. Sie
mischten auch libertine Serailberichte unter die eindrucksvollen, scharf-
geschauten Bilder französischen Lebens. Die großen Züge historischen
Geschehens ziehen Montesquieu früh an, insbesondere in den Schicksalen
Roms und in der Verschiedenheit menschlicher Gesetzgebung, deren
tieferen Lebensbedingungen er seit seiner Studentenzeit nachgeht. Er lernt
England kennen, dessen „extreme politische Freiheit" ihn mit Staunen,
aber auch mit Sorge erfüllt, denn Revolution und Abfall der Kolonien
scheint ihm hinter ihr zu lauern. Nach zwanzigjähriger Arbeit veröffent-
lichte er 1748 sein Buch über das „Lebensprinzip der Gesetze" {Uesprit
des lois). Auch es ist gegen den herrschenden Absolutismus gerichtet, der
jene Vorrechte des Adels und jene bürgerliche Freiheit des Volkes zerstört
habe, die, in den Zeiten der germanischen Eroberung begründet, noch in
der altfranzösischen Monarchie zu Recht bestanden hätten. Montesquieu ist
ein volksfreundlicher, konservativer Aristokrat. Reformen empfiehlt er nicht
und keineswegs beabsichtigte er, der englischen Konstitution in Frankreich
den Weg zu bahnen. Er lehrt vielmehr die Relativität aller staatlichen Ein-
richtungen. Er spricht mit Objektivität über diese Verschiedenheiten und
ihre Vorzüge. Er zeigt, wie die Form des staatlichen Lebens mit tausend
D. Frankreich bis zur Romantik. I\'. Die Aufklarungszeit. 155
Fäden an die natürlichen Lebensbedingfungcn eines Volkes gebunden seien,
und trägt, als ein Newton der Staatslehre, gleichsam eine mechanische
Erklärung dieses staatlichen Lebens vor. Er weist für irdische Einrich-
tungen irdische Ursprünge nach; er klärt auf und lehrt denken, nach
seinem eigenen Wort: // nc sagit pas de /airc lirt', mais de faire ft nsi r.
Daß Montesquieu seine Quellen allzu kritiklos benutzt und im einzelnen
deshalb oft irrt, ist dem Buch weniger zum Schaden geraten, als daß er
in schöngeistiger Ziererei seine Darstellung pointiert und zertlattern läßt,
so daß der Gesamteindruck leidet. In der Revolution von 1789 beriefen
sich alle Parteien auf den „Esprit des lois". Das Buch stellt ein Arsenal
politischer Waffen dar. In Deutschland sind Herder und Friedrich II. seine
bedeutendsten Schüler. Sein Verdienst ist, die wissenschaftliche politische
Diskussion geschaffen zu haben.
Nichts zeigt deutlicher den Unterschied zwischen dem 1 8. und dem Di« uteratur
17. Jahrhundert, als die reiche Entfaltung einer Literatur der politischen **" '^^^!*''^°*
und wirtschaftlichen Reform. Nicht nur die Realpolitiker des aufgeklärten and
Despotismus — die sich mit X'orlicbe auf ein idealisiertes China berufen — kün»üenich«i
kommen zum Worte. Von hochherzigen Utopisten werden die Grundlagen
der Monarchie ebensogut in Zweifel gezogen, wie die des wirtschaftlichen
Lebens. In ihren Zukunftsträumen finden sich die disjecta membra des
späteren Sozialismus. Die sogenannten Physiokraten preisen im miß-
achteten Ackerbau die natürliche Grundlage aller Wirtschaft. Sie besonders
lehren, daß man den Menschen moralisch hebt, wenn man ihn materiell
fördert und diese Förderung erkennen sie im freien, natürlichen Spiel der
ökonomischen Kräfte: laisser faire y laisser passer. Politisch und kirchlich
konservativ, bereiten sie die wirtschaftliche Seite der Revolution vor.
Eine Lehre von den natürlichen Bedingungen des Kunstschaffens {les
causes physiqucs dans le progrls des arts et des lettres) trägt der feinsinnige
Dubos in seinen „Gedanken über Poesie und Malerei" schon 171g vor.
Er erklärt auch das Recht auf persönlichen Geschmack. An ihm erkennt
man die befreiende Wirkung Homers. Batteux führt diese Lehre der
Freiheit von neuem in den Dienst ängstlicher Kunstregeln zurück (1746),
wogegen Diderot, wieder von Homer geleitet, Einspruch erhebt. Diderot
verlangt freie Bahn für den Genius, beruft sich gegen den Akademismus
auf die Natur und gegen den Naturalismus auf die Antike, spricht ganz
modern über Rembrandt, verwirft das /// pictura poesis und regt damit
Lessing zum „Laokoon" an, während der Übersetzer seines „Essai sur la
peinture" Goethe wird.
Fast in den nämlichen Jahren wie Montesquieu verlebte auch Voltaire Votuir«.
zwei Jahre in England, das ihn, den Jüngeren, noch tiefer ergriff als
jenen. Dem frivolen schöngeistigen Skeptiker, gab es bestimmte Ziele,
es machte ihn reifer und ernster.
Was in Frankreich bisher über ein freies England bekannt geworden
war, das resümierte, vermehrte und popularisierte Voltaire. Er stieß die
256 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
halb geöffnete Türe vollends auf und richtete als Herold so kecke Worte
an seine Landsleute, daß die Staatsverwaltung zur Verfolgung griff und
den „Lettres sur les Anglais" (1734) die Weihe des Skandals gab. Voltaire
beabsichtigte in diesen 18 Briefen nicht sowohl eine Darstellung des kirch-
lichen, politischen, philosophischen, sozialen, literarischen England, als
eine Satire auf Frankreichs Rückständigkeit: daher die Übertreibungen,
Einseitigkeiten und Lücken.
Die g-ermanische Welt ist wiederholt in dieser Weise der erstaunten
Romania vorgestellt worden: ihre primitive Gesamtheit einst durch Tacitus;
hier zunächst die Anglia durch Voltaire und achtzig Jahre später die
Germania durch Frau von Stael. Die reformatorische Absicht war modi-
fiziert durch die Verschiedenheit der Zeiten: Tacitus predigte moralische
Reform, Voltaire hauptsächlich Denkfreiheit, Frau von Stael vornehmlich
literarische Wiedergeburt. Voltaire kämpft gegen kirchliche Engherzigkeit,
soziale Vorurteile, politische Bedrücktheit, vulgarisiert die Lehren Bacons,
Newtons, Lockes; schöpft Anregung aus Popes Didaktik, Swifts Satiren.
Aus Shakespeare, dessen freier aber auch rauher Größe er mit zwie-
spältiger Empfindung gegenübersteht, empfängt er die Ahnung einer
lebensvolleren Dramatik, deren Lockungen er aber nur behutsam, ja
ängstlich, folgt. Andere, wie Prevost, stellen in den Dienst dieser eng-
lischen Ideen periodische Publikationen nach dem Muster der moralischen
Wochenschriften Englands.
Noch peinlicher als Shakespeares wirkt später Dantes große Kunst
auf Voltaire. Der scharfe Ausdruck dieser Empfindung weckt in Italien
lauten Widerspruch. Es ist charakteristisch, daß zur nämlichen Zeit
Deutschland, unter Bodmers Führung, seiner Bewunderung für die Poesie
des großen Italieners und des großen Briten Worte leiht.
Die Ungunst der Verhältnisse zwingt Voltaire, seinen Wohnsitz fürder-
hin fem von Paris zu nehmen. Er verlebt anderthalb arbeitsreiche Jahr-
zehnte auf Schloß Cirey, folgt 1750 der Einladung Friedrichs IL nach Berlin,
wo auf die Honigmonate fürstlicher Intimität bald Verstimmung und
längere, doch nicht dauernde, Entfremdung folgt. Über vier Jahrzehnte
erstreckt sich der bedeutungsvolle Briefwechsel, in welchem die beiden
Männer Urteile über Menschen, über literarische Dinge und Fragen
der Weltanschauung austauschen. Die letzten 25 Jahre verbringt Vol-
taire in der Nähe von Genf, besonders in P'erney, im Besitze eines
förmlichen literarischen Königtums. Zu Cirey überwogen die dichterischen
und historischen Arbeiten; in Femey steht der Kampf um die Freiheit
des Denkens im Vordergrund. Voltaires philosophische, antikirchliche
Schriftstellerei bricht namentlich im Gefolge jener Affaire Calas macht-
voll auf, die seit 1762, auf seinen Kampfruf hin, die öffentliche Mei-
nung Europas aufrührte. Und Calas blieb der letzte Protestant, der
um seines Glaubens willen in Frankreich gefoltert und aufs Rad ge-
flochten wurde.
D. Frankreich bis zur Romantik. IV. Die Aufklärungszeit. 257
Die zahlroichen historischen Arbeiten Voltaires überragt an Bedeutung
sein Versuch einer Universalgeschichte {Kssai sur Ics mccurs et Vcsprit des
nations), der zugleich als Fortsetzung und als Gegenstück zu Bossuets
Predigt über die Weltgeschichte geschrieben ist. Durch seine eindringende,
von nationalen Vorurteilen freie Kritik der Überlieferung [pliilusophic de
Vhistuirc) und durch die weite Auffassung seiner Aufgabe als einer
kulturgeschichtlichen, hat er schöpferisch gewirkt. Begeistert preist
ihn dafür Lessing. Die aufdringliche Didaktik des Aufklärers setzt
indessen Voltaires großer Leistung eine Schranke, die freilich Lessing
nicht fühlte.
In seinen philosophischen Schriften vertritt Voltaire die in der ^,Eglise
philosophiquc'^ herrschende Lehre des Deismus, die er eklektisch aus-
gestaltet. Ihn erfüllt ein fester, unerschütterlicher, durch Vernunftschlüsse
unabweislich gebotener Glaube an ein höchstes Wesen, das ewig, weise
und gerecht ist und als Lebensprinzip neben und über der ewigen Materie
steht — also Dualismus. Die metaphysische Ausgestaltung dieses Dualis-
mus ist bei ihm widerspruchsvoll. Als praktischer Philosoph legt er viel
mehr Nachdruck auf die Unumstößlichkeit der Tatsache, daß Gott existiert;
seine gelegentlichen \"ersuche, durch metaphysische Spekulation das Wie
dieser Existenz zu erklären, gibt er selbst jeweilen ohne Bedauern preis.
Er ist im Innersten überzeugt von der sittlichen Verderblichkeit des
Atheismus, der den obersten Gesetzgeber und Richter aus der Welt
schaffe, und kämpft leidenschaftlich gegen die Gottesleugner unter den
Aufklärern. Er ist auch überzeugt von der Unwandelbarkeit der Begriffe
von Recht und Unrecht, Tugend und Laster, welche das höchste Wesen
als loi naturelle in unsere Herzen gegraben hat und in deren Befolgung
wir, unbekümmert um Kultus und Dogma, unsere praktische Religion
erblicken sollten. Er faßt die Welt auf als einen Bau nach bewußten
Endzwecken. Die Natur i.st ihm Kunst. Die Liebe zu Gott wird zur
Liebe zum Künstler, dessen Werk wir bewundern. Um das Vorhanden-
sein des Übels in dieser zweckmäßigen Welt zu erklären, hält er unsere
Vernunft nicht für ausreichend. Ob er die Summe dieses Übels geringer
anschlägt, wie in jüngeren Jahren, oder höher taxiert, wie in der späteren
Zeit... alle Versuche des Optimismus, das Rätsel zu lösen, scheinen ihm
ungenügend und reizen seinen Spott. Der Fortschritt der Menschheit auf
der Bahn des Glückes ist, nach ihm, sehr lang.sam. Den Enthusiasmus
des Perfektibilitätsglaubens teilt er nicht. In der Erkenntnislehre ist er
ein Sensualist von der Schule Lockes. Große Wahrscheinlichkeit hat für
ihn die Hypothese, daß die sogenannte Seele nur eine dem Körper von
Gott verliehene Fähigkeit sei. Das führt ihn zu unabweislichen Zweifeln
an unserer persönlichen Fortdauer nach dem Tode, und, indem er die
Unsterblichkeit der Seele preisgibt, glaubt er, daß das göttliche Gericht
über Gut und Böse schon auf Erden in dem Gewissen des einzelnen
Menschen abgehalten werd*^». .Aus einem entschiedenen Indeterministen
Du KOLTVK DIR GlOtMWART. 1. 1 I. i 17
258 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ist er schließlich, vorzüglich durch Friedrichs IL Einflui5, ein ebenso ent-
schiedener Determinist geworden.
Für diese Lehren steht Voltaire eine glänzende sprachliche Form zur
Verfügung. An Stelle der gemessenen Feierlichkeit der klassischen Satz-
periode, die dekorativ verweilt, würdig gebietet oder untertänig huldigt,
tritt bei Voltaire der rasche Schritt der Rede, die zur Tat schreitet. Die
Periode ist kürzer. Knapp umschließt ihre Hülle den Gedanken, dessen
lebhafte Bewegung durch ihre einfache Eleganz nicht gehemmt und nicht
verdeckt wird. Alles erscheint von vollendeter Natürlichkeit, alles in
helles Licht getaucht; alles macht den Eindruck müheloser Selbstverständ-
lichkeit. Diese leuchtende Darstellung überwindet spielend alle Schwierig-
keiten — es ist nicht die Darstellung des Forschers, der sich müht. Es ist
die des genialen Dilettanten. Dabei stellt Voltaire alle literarischen Formen
in den Dienst der philosophischen Propaganda: das Drama, das Lehr-
gedicht, das ihm meisterlich gerät; jene abenteuerlichen Erzählungen, die
er Romane nennt; Predigten, Dialoge, Disputationen, Briefe und das —
Taschenwörterbuch.
Die neue naturwissenschaftliche Erkenntnis von der organischen Ent-
wickelung überzeugt Voltaire nicht. Die Veränderlichkeit der Arten an-
zunehmen, lehnt er ab. Die Zeit überholte ihn und die weiter links
stehenden espHts forts spotteten über ihn als einen esprit faible.
Diderot luzwischcn hatte Diderots „Encyclopedie" zu erscheinen begonnen,
und sein Kreis. YQ^^-g^jj-g arbeitete erst mit, ging dann aber zu kritischer Ablehnung über.
Der stürmische Diderot war, von englischen Anregungen ausgehend
und durch La Mettrie geführt, vom Deismus zu einer materialistischen
Entwickelungstheorie und physischen Interpretation aller Lebensvorgänge
gelangt. Er ging bis auf den Grund des naturalistischen und individu-
alistischen Zuges der Zeit. Er ward der konsequenteste, rückhaltloseste
und umfassendste Vertreter der neuen Denkweise und verrichtete als
solcher eine ungeheure Arbeit. Staunend überblickt man den Umfang
dieser Leistung, diese philosophischen, mathematischen, naturwissenschaft-
lichen, kunstgeschichtlichen, technologischen, politischen, historischen,
pädagogischen Schriften, diese Romane, Dramen und Dramaturgien, die
Lessing, Goethe, Schiller, Geßner zu Übersetzungen anregten und die ihn
so wenig erschöpften, daß er vom Überfluß seiner Ideen einem großen
Freundeskreise freigebig spendete. „Tief und närrisch" nennt er selbst
seine philosophischen Dialoge und diese Bezeichnung verdient besonders
„Le neveu de Rameau", jene dialogisierte Studie über die Verbindung
von moral insanity und Genialität, die Goethe festhielt. Diderot, der so
fesselnd zu plaudern weiß, verfallt auch leicht in wortreiches Dozieren,
und in überquellender Rührseligkeit verbindet er Lehren der Moral und
des Libertinage. Ein starrer Gottesleugner ist der Monist Diderot nicht
geworden. Sein enthusiastischer Materialismus bewahrt einen idealistischen
Zug, der in seiner altruistischen Morallehre und seinem Pantheismus zu
D. Frankreich bis zur Romantik. IV. Die Aufklärungszeit. 250
Wort kommt. Dieser Zugf fehlt dem Buch des Helvetius (De Vesprit,
1758), durch welches das Frösteln platter Prinzipienreitcrei g'cht, und dem
die Verfolgunj.|fen des Staatsanwaltes einen unverdienten Ruf verschafften,
als wäre es der urkundliche Ausdruck der Aufklärung. Auch Holbachs
„Syst«'me de la nature" (1770) ist trotz Diderots Mitarboiterschaft trocken
und kalt g^eblieben. Diese doktrinäre Bilanz des Naturalismus wurde
nicht nur von Voltaire abgelehnt. Auch König l'Viedrich ergriff die
Feder zur Widerlegung.
Ein Aufenthalt in England führt Buffon zu naturwissenschaftlichen
Studien. Die 36 Bände seiner „Histoirc naturelle generale et particuliere"
(seit 1749) verbinden exakte Forschung auf Grundlage des Experiments
mit kühnen und wechselnden entwickelungsgeschichtlichen Hypothesen,
und seine glänzende Rhetorik trägt diese Xaturbetrachtung in weite
Leserkreise. D'Alemberts Bedeutung liegt weniger in seiner eigenen
literarischen Tätigkeit, als in seinem wissenschaftlichen Ansehen als
Mathematiker und in seiner Machtstellung in der Schriftstellerwelt, die
ihn zu einer Art „Minister der Aufklärungsangelegenheiten" erhob.
Auch die Encyclopedie (1750— 1772 mit Supplementen bis 1780, Die
35 Bände) geht auf englische Anregung zurück. Ihre Redaktoren Diderot ^''"^ "•
und D'Alembert beabsichtigen eine Prüfung des gesamten menschlichen
Lebens auf seine Vernünftigkeit hin. Die Arbeit ist sehr ungleich aus-
gefallen. Ihre Hauptlast ruhte auf dem unermüdlichen Diderot Die zahl-
losen Mitarbeiter waren zwar durch aufklärerische Tendenz, aber nicht
durch wirkliche Einheit der Doktrin verbunden. Doch ist aus dem
Stimmengewirr der materialistische Grundton wohl herauszuhören. Die
Rücksicht auf die Verfolgungen zwang zu allerlei redaktionellen Winkel-
zügen, und die Angst vor der Strafe führte den Verleger zu umfangreichen
heimUchen Verstümmelungen des Textes, deren Perfidie Diderot zu spät
entdeckte, und die vom Publikum nicht bemerkt wurden. Dieses Publikum
wandte sein Hauptinteresse den reich illustrierten technischen Partien zu.
Man pflegt die Bedeutung der „Encyclop«'die" für die Verbreitung speziell
materialistischer Lebensanschauung zu überschätzen. Sie wirkte mehr
durch ihre allgemein freiheitliche Tendenz als weithin sichtbare Hochburg
des freien Gedankens und des Fortschritts.
Die Zeit um 1750 ist eine Epoche bedeutsamer Schöpfungen. Sie
bringt den „Esprit des lois"; nach La Mettries „Naturgeschichte der Seele**
treten Buffons „Historie naturelle" und Diderots „Encyclop»''die" her\*or.
Die Jahre bedeuten einen Höhepunkt materialistischer Literatur. Ein Zeit-
genosse spricht von „allgemeiner Vernunftgärung", und andere klagen,
daß bei dieser allbeherrschenden Verstandestätigkeit das Herz zu kurz
komme: U caur est btfc commc un cochon sagt d'Argenson damals, car cc
sit'cle est tourm' a la paralysic du carur. Hinter einer zur Schau getragenen
Rührseligkeit verberge sich hochmütige Herzenskälte: on jouc la sensibilii^
presquc comme si on la sentait.
26o Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Schon bringen aber diese selben Jahre den beginnenden Rückschlag:
Vauvenargues' Fragmente erscheinen 1746, und 1750 erhebt Rousseau
seine Stimme.
Vauvenargues. Der von Not Und Krankheit früh gebrochene Vauvenargues will sein
raisonnierendes, skeptisches Zeitalter zu Gefühl und Tatkraft zurückrufen.
Leidenschaftlich fühlen und nach auszeichnenden Taten streben soll der
Mensch! Obwohl Vauvenargues seine Diätetik der Seele ohne Hilfe der
Religion aufbaut, so brechen doch gelegentlich christliche Stimmungen
bei ihm auf. Der Enthusiast bezeichnet es als „die Krankheit unserer
Tage, alles scherzhaft zu behandeln" — die nämliche Klage wird später
die gefühlsselige Frau von Stael gegen ihre Zeit erheben. Die Fülle des
Wissens erdrücke und lähme den Menschen — „es macht das Denken
Feige aus uns allen" — und schaffe keine Erkenntnis, die der Erkenntnis
ebenbürtig sei, die Gefühl und Herz ihm freigebig gewährten. „Durch
das Wissen entfernen wir uns von der Wahrheit mehr als durch die
Unwissenheit." Vauvenargues ist ideenmüde und gefühlsdurstig. Notre
-plus grand mal est dans Vesprit, sagt er und auch: Ics grandes pensees
"üiennent du cceur.
La Mettrie und Vauvenargues — welche Gegensätze! Dort der ge-
lehrte aber frivole und spöttelnde Vertreter des esprit, der es ablehnt,
daß aus seinen Spekulationen praktische Konsequenzen gezogen werden.
Hier der ungelehrte, ernste und enthusiastische Verkündiger der Macht
des Herzens und einer Moral der Tat. Vauvenargues, der seiner wissens-
stolzen Zeit die „Wege des Herzens" und die „Erleuchtung durch das
Gefühl" predigt, ist der Vorläufer Rousseaus.
Rousseau. Als dcr Genfer Rousseau nach einem unsteten, verwahrlosten Jugend-
leben, ohne eigentliche Schulbildung, aber mit emsig zusammengerafftem
Wissen, ein Dreißiger, nach Paris kam, schloß er sich den Aufklärern an,
die gegen das Bestehende kämpften. Allmählich aber erwuchs in dieser
Bundesgenossenschaft auch der Gegensatz der Meinungen und Charaktere
und führte nach anderthalb Jahrzehnten zum Bruch. Erst auf den Trüm-
mern dieser Freundschaften erhebt sich seit 1757 des einsamen Rousseau
weltbewegende Eigenart.
Schon in seiner ersten noch schülerhaften Schrift hatte Rousseau seinem
bildungsstolzen Zeitalter zugerufen: auf eure Zivilisation, auf eure Kunst
und Wissenschaften braucht ihr nicht stolz zu sein! Der Weg, den sie
führen, ist nicht ein Weg aufwärts zum Glück, sondern ein Weg abwärts
zum Verderben der Menschheit. Das Menschenparadies liegt nicht vor
euch, wie die Propheten der Perfektibilität lehren, sondern unwiederbring-
lich hinter euch. Jene raison, die euch etwas vorgaukelt, ist eine Ver-
führerin; jene Perfektibilität ein Fluch. Es gilt, zu einfacheren, natürlicheren
Lebensformen zurückzukehren.
Dem Evangelium der Weltfreude gegenüber, das die Aufklärer verkün-
deten, beginnt Rousseau ein Evangelium des Weltschmerzes zu predigen.
J
D. !■ rankreich bis zur Romantik. IV. Die Aufklarungszcit. 26 1
Er fährt fort zu lehren, daß die Zivilisation ein Unglück, daß „der
Mensch, der nachdenkt, ein verdorbenes Geschöpf" sei. Aus den Tiefen
des Volkes aufgestiegen, redet er einer Gesellschaft, die dieses Volkes
vergessen hat, ins Gewissen: es gibt viel wichtigere, erhebendere, wahrere
Dinge, als die ihr da treibt in eurer städtischen, abgezirkelten, geckenhaften
Exklusivität. Es gibt eine Solidarität und Gleichheit, die auf der Natur
beruht. Da sind die starken Wurzeln unserer Kraft! Rousseau weckt das
soziale Gewissen.
Seine Worte erregten Aufsehen. Er, der fünfzehn Jahre zuvor noch
ein Abenteurer der Landstraße gewesen, ist seit 1750 ein berühmter Autor.
Da von Kindheit an bei ihm zum körperlichen Leiden sich eine krankhafte
psychische Veranlagung gesellte, so affizierte ihn der Glückswechsel und
die damit verbundene Komplikation des Lebens stärker als einen Gesunden.
Er erschütterte sein labiles seelisches Gleichgewicht. In Jahren solch
schmerzvoller Erschütterungen schreibt und druckt er Schlag auf Schlag
seine Meisterwerke: die „Nouvelle Heloise", den „Contrat social" und den
„Emile" (1756— 1762). Die Verfolgungen beginnen. Nach dem Beispiel des
monarchischen Frankreichs erlassen auch die schweizerischen Republiken
Verhaftbefehle gegen ihn. Aus dem Asyl im Xeuenburgischen, das dem
Flüchtigen König Friedrich gewährt, sendet er flammende Worte gegen
seine geistlichen und weltlichen Widersacher, um sich dann, ruhiger ge-
worden, botanischen und musikalischen Lieblingsarbeiten hinzugeben. Neue
Verfolgungen trieben ihn nach England, wo die Flammen des Wahnsinns
vollends über ihm zusammenschlagen. Die unerhörten literarischen Triumphe
hatten Rousseaus Eitelkeit bis zum Größenwahn gesteigert Wo natürliche
Gegnerschaft ihm erwuchs, oder seine Ansprüche Streit herbeiführten, da
sah er ungeheuerliche, diesem Wahne entsprechende Komplotte. Vor
ihnen floh er auch in Frankreich ruhelos von Ort zu Ort um gegen die
moralische Vernichtung aufzukommen, mit der sie ihn angeblich bedrohten,
schrieb er seine Autobiographie {Lcs Confessions)., ein Werk feinster Seelen-
analyse, wunderbarer Schilderungen, in dessen oft zynischer Offenheit aber
viel Selbstüberhebung und Täuschung schlummert. Die letzten Jahre ver-
lebt Rousseau in Paris, bald jene Klagen redigierend, die ihm der Ver-
folgungswahn diktierte, bald, in ruhigeren Zeiten, zu Blumen und Liedern
sich neigend und mit träumerischen Gängen durch sein wundersames Leben
beschäftigt.
Die Natur ist gut, lehrt Rousseau im „Emile", wie ihr Schöpfer gut
ist Die Hand des Menschen verdirbt sie; vom Menschen stammt alles
moralische und physische Übel her. Es gilt deshalb, das Kind als Jiommc
de In nature heranwachsen zu lassen und die Verderbnis der Zivilisation
von ihm fem zu halten. Schutz seiner natürlichen Güte und Vortrefflich-
keit! Natur! Natur! Rousseau protestiert gegen alle Schulmeisterei, die
in den „lächerlichen Einrichtungen, die man Gymnasien nennt", sich breit
macht Er gibt eine „Erklärung der Menschenrechte des Kindes". Er
202 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
hat übrigens nur die Erziehung des Reichen im Auge, die es zu verein-
fachen gelte, um die sozialen Unterschiede zu verringern. „Der Arme
bedarf keiner Erziehung." An Volksschulung denkt er nicht, da er ja
überhaupt bildungsfeindlich ist. Eine Kluft trennt ihn von Pestalozzi und
von den Bildungsbestrebungen unserer Zeit. — „Emile" enthält auch ein
Glaubensbekenntnis. Es ist gegen die Materialisten gerichtet und setzt der
verneinenden Vernunft das bejahende Herz entgegen: ich fühle, daß Gott
ist. Rousseau verschmäht den Bibelglauben und lehnt die Offenbarung
ab. Er glaubt nur an die Offenbarung seines Herzens. Er ist religiös, aber
unkirchlich.
Trotz vieler Entlehnungen ist das Werk in hohem Maße originell und
persönlich. Durch die Kühnheit des ganzen Baues, durch die Unerbitt-
lichkeit der Forderungen, die Eindringlichkeit der harmonischen Sprache
setzte er die Gemüter in die heftigste Aufregung.
Rousseau sieht im Eigentum eine Hauptquelle unseres Unglückes.
Doch verlangt er nicht seine Aufhebung, sondern nur seine gleichmäßige
Verteilung. Er ist kein Sozialist, aber seine Lehren sind einer leidenschaft-
lichen Interpretation fähig, und der Sozialismus hat von ihnen Anregungen
empfangen.
Der „Contrat social" gilt der Erörterung der Frage nach der besten
Staatsform. Der Staat wird, nicht mit Hilfe geschichtlicher Forschung
sondern rein konstruktiv, auf einen Vertrag zurückgeführt, durch welchen
jeder Einzelne seine sämtlichen Rechte an die Allgemeinheit abgetreten
habe, um sie von dieser auch wieder g^arantiert zu erhalten: Eigentum,
Leben, Unabhängigkeit. Von dieser Allgemeinheit, die in Majoritäts-
beschlüssen ihren Willen kundgebe, abhängen — und nur von ihr als Souverän
abhängen — heiße frei sein. Der beste Staat ist also der Volksstaat mit
allgemeinem Stimmrecht, obligatorischem Referendum, direkten Volks-
versammlungen und mit einer aus der Volkswahl hervorgegangenen Re-
gierung, die aus den Tüchtigsten des Landes besteht. Dabei schwebt
Rousseau, dessen Auge auf Stadtstaaten wie Genf, Venedig und Athen
gerichtet ist, die Einrichtung kleiner Bundesstaaten vor, die freilich für
Frankreich nur durch eine Revolution erreicht werden könnte, über welche
er sich vorsichtig äußert. Rousseau lehrt als citoyen de Geneve republi-
kanische Gesinnung im monarchischen Frankreich. Ist auch eine Reihe
seiner Gedanken nicht neu, so ist es doch erst seiner schriftstellerischen
Meisterschaft und der Energie seiner Behandlung gelungen, die Lehre
der Volkssouveränität zu einer treibenden Kraft im Staatsleben zu machen.
Die Lehrsätze seines Buches zündeten wie Blitze und das Echo der Worte
peuple souverain, cifoyen, liberie, egalite findet sich in den Unabhängigkeits-
erklärungen Nordamerikas wie in den Manifesten des revolutionären Frank-
reich von 1789—93. Alle Parteien beriefen sich auf Rousseau. Seine
politischen Ideen haben die friedliche und die blutige Regenerationsarbeit
geleitet.
I). Frankreich bis zur Romantik. IV'. Die Aufklärunj^sicit. 2()X
Was Rousseau mit der Einbildung-skraft des Poeten und der leiden-
schaftlichen Beredsamkeit des Priesters über die Rechte des Individuums
und seines empfindsamen Herzens und über die Rückkehr zur guten Natur
vortrui»", setzte auch die Geister Italiens und Eni^lands in heftijife He\veg"ung.
Tief ergriff es Kant, Herder, Goethe, Schiller, Fichte — Rousseau steht
an der Spitze des modernen Denkens und der neueren Literatur des In-
dividualismus und Naturalismus.
Auf seiner krankhaften seelischen Veranlagung ist sr-ine idoengeschicht-
liche Bedeutung erwachsen; in seiner zuchtlosen Empfindungsseligkeit lag
das Zündende und Aufregende seiner Schriftstellerei.
Was Rousseau als Prediger der Natur, als Vertreter der Reaktion Bero»rdin
gegen Aufklärung und Klassizismus begann, das führte Bernardin de '^«Saint-Pierm.
St- Pierre weiter. Er wollte im Wettbewerb mit Buffon eine allgemeine
Geschichte der Natur schreiben {Etudes de la nature, 17 84 ff.; Ilarmonies^
1796) und der entgötterten Natur Gott wiedergeben, dessen Allgegenwart
er in der reichen heimatlichen und in der üppigen tropischen Natur fühlt.
Er spottet des „traurigen Kompaß der menschlichen W^issenschaft" und
leitet zu gefühlsmäßiger Erkenntnis der „göttlichen Harmonien der Natur"
an. Er gibt Naturbilder von bisher unerhörtem Glänze bunter Farben,
wogender Formen, lieblicher Düfte und arbeitet mit einem Wortmaterial,
das vordem nicht literaturfähig gewesen.
Seine Schilderungen aus dem Leben der Tropen kamen der Neigung
zu einem sentimentalen Exotismus entgegen, den die zeitgenössischen Reise-
berichte geweckt hatten, und erwarben diesem Exotismus literarisches
Bürgerrecht. Neben das Idealbild aufgeklärter Chinesen stellt sich so
das des tugendsamen Wilden. —
In diesem „philosophischen" Jahrhundert tritt die Dichtung stark zurück. Die Dichtuag.
Die Produktion freilich ist groß, aber der künstlerische Wert leidet unter
dem doppelten Drucke der lehrhaften Tendenz und der zur Formel ge-
wordenen klassizistischen Form. Jetzt bekommt das Wort „classique", das
bisher, gleich dem lateinischen „classicus" einfach „ersten Ranges" bedeutet
hatte, seinen auf das i 7. Jahrhundert bezogenen historischen Sinn.
Doch zeigen sich viele Ansätze zu Neuem, und hier gesellt sich zum ivr r-rmuiucb*
englischen seit 1750 der deutsche Einfluß. Der Geist der „Europe ger- ^J'>fl«*
manique" beginnt immer kräftiger in das gallische Land einzudringen, das
sich von den früheren italienischen und sjianischeii Einflüssen befreit hatte
und nun von der Höhe seiner Aufklärung sehr geringschätzig auf seine
romanischen Geschwister, Italien und Spanien, herabsah. Aufklärung und
literarische hicnst'ance hinderten Voltaire und seine Zeitgenossen in gleicher
Weise, die Kunst Dantes zu verstehen, die ihnen noch barbarischer er-
schien als die Shakespeares.
An dem englischen Beispiel des bürgerlichen Romans (Richardson)
und des bürgerlichen Dramas (Lillo) kräftigt sich in Frankreich die Neigung
zur Darstellung der modernen Welt. Thomsons Natursinn, Sternes
264 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
kecker Individualismus, Grays und Youngs Melancholie wecken empfind-
samen Widerhall. Macphersons Ossian und Percys Balladensammlung
lenken den Blick auch auf das romanische Mittelalter. Man gräbt Trouba-
dours, Fabliaux, Volksbücher, spanische Romanzen aus
Während im 17. Jahrhundert kaum ein Lehrbuch der deutschen Sprache
in Frankreich erschien — es sei denn für Soldaten, die der Krieg über
den Rhein führe — , so wird jetzt Gottscheds „Deutsche Sprachkunst"
eifrig übersetzt und das Studium des Deutschen wird in Paris Mode. Gottsched,
Geliert, Kästner und andere sind Mitarbeiter kosmopolitischer Pariser
Zeitschriften. Die Übersetzung von Geßners Idyllen erntet den größten
Beifall und verbreitet die Vorstellung eines arkadischen Deutschland, die
noch Frau von Stael begleiten wird. Diese Idyllen schwellen, wie Goethes
Werther, den Strom der Empfindsamkeit. Lessings bürgerliches Schau-
spiel gesellt sich zum englischen.
Dieser germanische Geist der Empfindsamkeit und literarischen Un-
gebundenheit fand seine Theoretiker in Diderot und Mercier, die beide
nicht Deutsch konnten. Ihm stand eine Strömung französischer Malerei
zur Seite, welche die einfache Natur und bürgerliches Leben schlicht
(Chardin) oder mit sentimentaler Lehrhaftigkeit (Greuze) darstellte, und
deren Herold ebenfalls Diderot war, der mit seinen geistvollen „Salons"
die französische Kunstberichterstattung geschaffen hat.
Der Doch begegnen die „harten Sänger des nebligen Nordens" auch
sizismus. jjjg^jj(>]^gj. Ablehnung-. Der klassische Geist Frankreichs erhält neue
Kräftigung durch die philologische Literatur, die sich seit 1750 an
die Entdeckung von Herculaneum und Pompeji knüpft — wobei auch
in Frankreich der Deutsche Winckelmann führend erscheint — und
durch den Kampf gegen Kirche und Monarchie. Auch die politische
Beredsamkeit Rousseaus lieh diesem erstarkenden Neoklassizismus
Flügel. Sein literarischer Theoretiker ist Laharpe, sein großer Künstler
David. Unter Revolution und Kaisertum erreichte dieses neue Lateiner-
tum die mächtigste Entfaltung, und seine politische Gegnerschaft
gegen das germanische Europa hemmte auch den Fortschritt des germa-
nischen Geistes in Frankreich. Doch setzen die Emigranten unter dem
Getöse der Waffen die Arbeit der geistigen Vermittelung fort. Im „Spec-
tateur du Nord" (Hamburg 1798) entwickelt Villers ein Arbeitsprogramm
für Emigranten und ruft ihnen zu: Übersetzt und eignet euch die Schätze
der arbeitsamen und bescheidenen deutschen Nation an, die euch in ihrem
Schöße aufgenommen hat! So rief einst Du Bellay den Franzosen des
16. Jahrhunderts zu, daß sie sich der Schätze der Antike bemächtigen
sollten.
Die Lyrik. In der Lyrik der Aufklärungszeit, die korrekt, geistreich und sinn-
Hch ist, sind germanische oder volkstümliche Töne noch wenig zu ver-
nehmen. Schon stellt sich das Pastiche ein. Der Kreole Parny schafft
aus einer Mischung von Ossian und esprit gaulois „madegassische Volks-
D. Frankreich bis zur Romantik. I\'. 1 'ic Aiit klarunj^^szcit. 265
liodcr" (1787), die auch Herder täuschen. Die neoklassische Strömung^
kulminiert in der Kunst Andre Cheniers (17^)2-1794). Dieser Xeuhellene
kleidet das Heidentum der Aufklärung in Alexandriner, in deren freiem
Schritt, in deren lebensvoller Bildlichkeit und charakteristischem Ausdruck
ihn das Heispiel der griechischen Poesie leitet. In diesem Poeten wird
die persönliche und freie Art der griechischen Dichtung zum Erlebnis,
wie in Ronsard. Aber so wenig wie Ronsard kam er aus der Nach-
ahmung heraus — vielleicht weil er zu jung starb. Sein Wort, das ihm
die Guillotine abschnitt, verhallte ungehört, und Frankreich fuhr fort, den
Reimen Delilles zu lauschen, der die ganze Natur und Kultur in den
korrekten Formen des poetischen Handwerks besang.
Der epischen Poesie meinte \'oltaire in doppelter Weise zu Hilfe d»» Epo^
zu kommen: durch Verspottung des Alten und durch Neuschöpfung. Er
verhöhnt in der „Pucelle" die altvaterische Rhetorik des 1 7. Jahrhunderts
und ihre Verherrlichung von Thron und Altar vielmehr als die Jungfrau
von Orleans selbst Leider entstellt er das in seiner Art bedeutende
Exemplar eines komischen Epos durch Schmutz. Seine eigene „Henriade"
ist mehr didaktisch als lyrisch. Die überlieferte epische Maschinerie dient
hier aufklärerischer Belehrung, deren beredte Weisheit eine Vorrede
Friedrichs II. preist.
Reicher entfaltete sich Roman und Novelle. Lesage bringt durch RomM uod
.seine treffliche „Histoire de Gil Blas" (17 15 — 1735) die hundertfünfzigjährige '*'»'*"*
Entwickelung des einst spanischen Schelmenromans zum Abschluß. In
seiner gelassenen Art, die nicht vertieft, aber auch nicht verzeichnet, er-
zählt er realistisch den Lebensgang seines plebejischen Helden und schildert
er satirisch die zweifelhafte Gesellschaft, die Gil Blas sein Aufsteigen er-
möglicht Doch fehlt der drohende Ton Figaros noch völlig.
Während Lesage die Welt seiner bürgerlichen Helden nach über-
lieferter Weise noch wesentlich satirisch darstellt, haben sich andere längst
der ernsten und sentimentalen Schilderung dieser Welt zugewandt Man
sieht das Nahen des modernen Romans.
•Noch vor Richardson — der ihn nachahmt — läßt Marivaux ein
junges Mädchen {Marianm-y 1731 ff.) die Kämpfe erzählen, die es in den
Gefahren und Versuchungen der Großstadt zu bestehen hatte. Marivaux
schildert mit innererTeilnahme, doch nicht mit der Rührseligkeit Richardsons,
die Tüchtigkeit bürgerlicher Verhältnisse. Er weiß komplizierterer Menschen-
art gerechter zu werden als jener; plaudert, aber schwätzt nicht; verweilt
mit der Ausdauer des Kurzsichtigen bei kleinen Vorgängen, die er psycho-
logisch zergliedert und oft so realistisch wiedergibt, daß die Zeitgenossen
ihm Vulgarität vorwerfen.
Die stoffliche vSpannung, die bei Marivaux zurücktritt, herrscht in den
Romanen des abenteuerlichen und leidenschaftlichen Pr^vost Die Not
des Lebens zwang ihn zu hastiger Produktion, in welcher sein großes
Können als Erzähler sich zersplittert. Nur einmal hat er sich zu der
2 66 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
„unschätzbaren Kunst" — es ist Goethes Wort — jener ergreifenden
Novelle erhoben, in welcher der Chevalier des Grieux die Geschichte
der unbezähmbaren Leidenschaft erzählt, die ihn an die Dirne Manon
Lescaut kettete. Prevost hat hier die äußere Bewegtheit des älteren
Romans mit der Tiefe des neuen glücklich verbunden. — Er war, gleich
Voltaire, ein Verkünder englischen Wesens. Daß er Richardsons Romane
übersetzte, ist seinen eigenen Büchern gefährlich geworden. Sie gingen
in der Tränenflut unter, die „Pamela" und „Clarissa" in Frankreich ent-
fesselten. Richardsons sentimentale Schüler sind Diderot und Rousseau.
Diderot ist ein unnachahmlicher Erzähler kleiner problematischer
Novellen. Eine Wirkung aber ging nur von Rousseaus Roman aus. „La
nouvelle Heloise"{i762) ist die Geschichte der Liebe eines plebejischen Haus-
lehrers, St-Preux', zu seiner vornehmen Schülerin Julie -Heloi'se, in Briefen,
mit Naturschilderungen aus den Alpen. Die beiden Helden sind „schöne
Seelen" — belle äme ist das sentimentale Gegenstück zum bei esprit des
1 7. Jahrhunderts — d. h. edelgesinnte und feingebildete Menschen mit
rührseligen, schwachen Herzen. Sie schreiben sich von Leidenschaft durch-
glühte Briefe, die dem Ganzen einen lyrischen Charakter geben, und die
Rousseau selbst „Hymnen" nennt. Rousseau legte die ganze Erregung seines
fünfundvierzigj ährigen Herzens, das eben einen Nachsommer der Liebe
erlebt, in die Geständnisse der beiden Briefschreiber. Er verleiht ihren Klagen
und ihrem Jubel den Wohlklang einer eigenartigen Sprache, welche die
Zeitgenossen wie eine unbekannte Heimatkunst anmutete. Julie ist indessen
einem anderen als Gattin bestimmt, und nach dem ersten Teil {120 Briefe)
mit seinen heißen Ergüssen folgt ein kühlerer zweiter Teil, der uns statt
der irrenden jugendlichen Geliebten die treue, hingebende Gattin und
Mutter zeigt. Dieser lehrhafte zweite Teil ist eine Art moralischen Schutz-
daches für den ersten, der allein künstlerisch wirksam ward.
Unter seinem Einfluß entstand Goethes „Werther", von dem sein Ver-
fasser wenig später launig sagte, daß er mit der „Nouvelle Heloise" zu-
sammen die „Grundsuppe der Empfindsamkeit" darstelle und der 1776
ins Französische übersetzt wurde. An beider Flammen entzündete sich
die Dichtung des Weltschmerzes, die mit Foscolo, Chateaubriand, Byron,
Europa erfüllen sollte. „Werther" ist der „Nouvelle Heloise" als Kunst-
werk überlegen; Rousseau aber hat das Verdienst, der Frühere gewesen
zu sein und die Quelle entdeckt und gegraben zu haben, an der sie alle
tranken. Er war der erste, der jenen Stimmungen den lyrischen Ausdruck
gab, in welchem die Herzen der damaligen Jugend ihre eigenen Gefühle
wie in einer Offenbarung wiederfanden. In seinem Liebesroman — c'est
une longue romance, sagt die Vorrede — springt der Quell der lyrischen
Dichtung auf.
So erscheint Rousseau, der Verfasser des „Emile", des „Contrat social"
und der „Heloi'se", als der Geist des Jahrhunderts, von dem die meisten
Anregungen ausgegangen sind. Als er den Franzosen ihre Verbildung
D. Frankreich ins zur Komanuk. IV. iJic Aul kiarunKszcit. 267
vorhiolt, unter ihnon als Prcdi^'-er dor Natur, der Ali)fnlandschaft, des
Landlebens, der Demokratie, der Menschen- und Her/ensrechte auftrat
und ihnen in brüsker Art unmodische Dinge in unmodischer Rede voll
eigenartiger Bilder sagte, da flogen ihm die Herzen der jüngeren Zeit-
genossen zu. Die Alteren aber schalten ihn einen ungebildeten Ausländer,
einen AUobrogen. Und wirklich bringt Rousseau, der St/ixs(- rumuiui^ der
aus dem Geiste des provinziellen und protestantischen Genf geboren ist,
einen neuen, man kann fast sagen, germanischen Zug in das französische
Schrifttum.
Bernardin de St-Pierre folgt seinem Freunde und Lehrer Rousseau
mit „Paul et Virginie", in welcher Novelle erzählt wird, wie im „Schatten
blühender Kokospalmen" die Liebe zweier Kinder sich zur Liebe zwischen
Mann und Weib wandelt — ein berühmtes Buch, das zum lesenden Kinde
die Sprache des Kindes und zum Erwachsenen die Sprache der Leiden-
schaft spricht. Retif de la Breton ne, gleich Rousseau aus den Tiefen
des Volkes stammend, aber roher und sinnlicher, lebt sich in der Schil-
derung dieser Tiefen aus, da wo sie am dunkelsten sind und wo ein plötz-
lich hereinfallender Sonnenstrahl die schärfsten Kontraste von Gemeinheit
und Tüchtigkeit aufzeigt. Seine Romane, die den weltfernen Schiller aufs
stärkste fesselten, sind von gestaltungsmächtiger Zuchtlosigkeit, Er rüttelt
mit sentimentalem, drohendem, unflätigem Rufen an den Toren des Schrift-
tums, das bisher dem peuplc verschlossen war.
Immer mächtiger und einflußreicher erscheint so die Form des Romans
— des „roman frivole", wie ihn einst Boileau geringschätzig genannt Er
wird zum eigentlichen Träger der neuen literarischen Ideen. Er wird zum
brennenden und leuchtenden Herd der gefühlsseligen Leidenschaftsschilderung,
und nachdrücklicher als je erheben die Angstlichen die Jahrhunderte alte
Klage, daß der Roman ein Verführer sei. Er geht auch in der Demo-
kratisierung der Literatur voran, indem er, der einst so exklusiv aristo-
kratischer Art gewesen, zuerst die Darstellung der Tragik des bürger-
lichen Lebens wagt. Darin ist er auch für die Dramatik führend ge-
worden.
Voltaire freilich vermag hier nicht zu folgen. Für ilin ist die I ragik
ausschließlich vornehmen vStandcs, obwohl ihn das Bedürfnis, durch das
Theater auf die Menschen zu wirken, zu der gelegentlichen Erkenntnis
drängt, „daß die Bühne nun genug von Fürstentragik widerhallt
habe". Er bleibt in der bicnsi'ance des vornehmen Trauerspiels be-
fangen. Was er als goüt attglais nach Hause bringt reicheres
Szenenbild, Verzicht auf Galanterie, Zulässigkeit nationalgeschicht-
licher Stoffe, freiheitliches Reden — gestattet ihm zwar, die überlieferte
Rhetorik Corneilleschcr Observanz zu variieren, nicht aber die tragische
Bühne mit wirklichem Leben zu erfüllen. Den romantischen Stoff seiner
historischen Trauerspiele, wie „Tancredc", behandelt er im Stil der Römer-
tragödie. Was er dem freien Shakespeare entlehnt, sind bloß Äußerlich-
268 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
keiten, die der gebundenen Hand des ängstlichen Franzosen sich nicht
fügen wollen. Aus Shakespeares weltgeschichtlichem „Julius Cäsar", in
welchem der Geist der Republik mit dem Geist der Monarchie einen
langen Kampf kämpft, macht Voltaire eine Familientragödie, die an einem
Tage sich vollzieht. Gewiß weiß Voltaire immer etwas zu sagen, da er
gedankenreich ist — und schon das allein hebt ihn aus der großen Zahl
der Dramatiker der Zeit heraus — , aber der Druck seiner Ideen führt ihn
auch oft genug dazu, die Kunst der Tendenz unterzuordnen. So ver-
gewaltigt er die Figur Mahomets in einem „Der Fanatismus" betitelten
Trauerspiel, dessen aufdringliche Tendenz aus dem Helden das Zerrbild
eines gemeinen Verbrechers macht, was Goethe in seiner Übersetzung
nach Kräften milderte. Voltaire hat in sechzig Jahren etwa dreißig Trag-
ödien geschrieben, deren Geschehnisse vom Altertum bis an die Schwelle
der Neuzeit und von China bis Amerika führen. Sein Streben, die Trag-
ödie inniger mit den Interessen der Gegenwart zu verbinden, gibt ihr eine
frische Aktualität; seine Gescheitheit macht sie interessant; sein szenischer
Instinkt macht sie bewegt und spannungsreich — aber die Fülle tieferen
Lebens fehlt. Der Tragiker Voltaire ermangelte der Schöpferkraft und
das Klischee Corneillescher Rede tat das Übrig-e.
Daß auch er, der von Anfang an erklärt hatte, Shakespeares monströse
Stücke seien unübertragbar, laut protestierte, als 1776 eine Übersetzung
zu erscheinen begann, in welcher Shakespeare sogar als le dieu de la
tragedie gepriesen war, ist natürlich. Trotz solcher Übersetzungen und
mancherlei — unschmackhafter — Adaptationen, ist Shakespeare für
das französische Theater der Zeit nicht fruchtbar geworden. Auch die
neoklassische Strömung trug dazu bei, die Tragödie alten Stils zu
erhalten.
Das Lustspiel. Kräftigeres Werden zeigt das beweglichere Lustspiel, doch fehlt diesem
Werden der bahnbrechende Künstler. In das Lustspiel, von dem Moliere
Ernst und Rührung entschieden ferngehalten, führt der lehrhafte Des touch es
nach englischem Vorbilde einzelne sentimentale Szenen ein, während La
Chaussee seine dramatischen Bilder des Familienlebens schon überwiegend
rührselig gestaltet und zur comedie larmoyante gelangt (gegen 1748):
Richardson auf der Bühne! Die führende Rolle des Romans wird so
lebhaft empfunden, daß man für diese Rührstücke den Namen „Drames
roma7iesques^' und .^Romanedies'-'- vorschlägt. Es entsteht um dieses neue
^,genre mixte'-'' eine literarische Fehde. Voltaire verfaßt neben rein lustigen
Komödien — er ist übrigens zu witzig und spöttisch, um wirklich gute
Lustspiele zu schreiben — solche mit einzelnen rührenden Szenen. Mari-
vaux dramatisiert „Herzensscharmützel" mit großer Feinheit in eleganter
und zierlicher Sprache (marivaudage). Seine heitere, mit Sinnlichkeit und
Rührung gemischte Darstellung der moeurs mondaines hat die Nähe der
Mussetschen „Proverbes" nicht zu scheuen und besteht heute noch neben
ihnen auf der Bühne.
D. Frankreich bis zur Romantik. IV. Die Aufkliirungszcit. 269
Während auf diese Weise von der Komödie her die Entwickelung !>*• bflrgwUch«
zum bürj^crlichen Schauspiel anij^cbahnt und gleichsam als erste Etappe ^^»»•"•p'*'^
das „weinerliche Lustspiel" erreicht ist, schicken England und Deutschland
Beispiele bürgerlicher Tragödien. Lillos Verbrecherstück „Der Kaufmann
von London" (französisch 1748) und Lessings „Miss Sara Sampson", haben
für die Zeit Bedeutung und Wirkung Ibsenscher Stücke. Rousseau preist
diese neue Richtung, Diderot nimmt sich ihrer mit Enthusiasmus an. Er
wird ihr Theoretiker, verlangt, daß eine freiere Kunst den Menschen inmitten
der Konflikte seiner gesellschaftlichen Stellung (z. B. das Drama eines
Familienvaters, die Tragödie eines Richters) vorführe, und macht sich daran,
Musterbeispiele zu liefern. Lessings bewunderndes Urteil über diese dra-
matisierten, rührsamen Morallehren ist von der Nachwelt nicht ratifiziert
worden.
„Le drame" wird jetzt zum eigentlichen Kampfruf gegen die klassische
Dramatik. Sein typischer Held ist der Kaufmann. Der Handel nivelliert
auch die Standesunterschiede der literarischen Gattungen: die Scheide-
wand zwischen vornehmer Tragödie und bürgerlicher Komödie, die der
Klassizismus errichtet hatte, fällt Tombez viurailles qui siparez les genres, ruft
leidenschafthch S. Mercier {Du Thcätre^ i773), der aus sozialen Gründen
den Klassizismus verwirft und für das Volk der Armen und Bedrückten
eine moralische Schaubühne verlangt, deren realistische Stücke den Zu-
schauer rühren, belehren, bessern und befreien. Goethe veranlaßt eine
Übertragung der Schrift, die „in den Taschen ihrer französischen Pump-
hosen viel Gutes, Wahres und Schönes mit sich herumtrage". Nach der
Sprache dieser „Dramomanen" könnte man meinen, daß die gescholtene
und verhöhnte klassische Dramatik bereits obsolet geworden sei — in dem
Augenblick, da der Xeoklassizismus sie zu neuen Triumphen führte! Mercier
schrieb selbst zwei Dutzend „Drames", Stücke von tugendhaften Kaufleuten,
Richtern, Proletariern, die von Moral und Rührung triefen. Deutschland,
England und Italien übersetzten sie. Sein „Stoßkarren des Essigmannes"
rollte, wie er sich rühmt, über alle Bühnen Europas. Aber dies neu er-
schlossene Gebiet des „Drame" blieb kunst verlassen. Viel Geschrei und
wenig Wolle. Sedaine hat mit seinem „Philosophe sans le savoir" (1705)
das einzige Kunstwerk der Gattung geschrieben.
Auch Beaumarchais begann und schloß mit „Dramen". Seine Meister-
werke aber liegen anderswo.
Das Singspiel {vaudevillf : comcdic a ariffffs) hatten die Jahrmarkts- d.. Sin»»pi«L
bühnen von den vertriebenen Italienern übernommen. Noch während der
ganzen ersten Hälfte des Jahrhunderts mußte dies „Th^ätre forain" um
seine Existenz kämpfen, bis es 1762 mit den längst zurückgekehrten
Italienern zum „Tiieätre italien" (— Opi'ra comique) vereinigt wurde. Dieses
Singspiel ging die Wege der Komödie: es nahm auch rührsame und lehr-
hafte Szenen auf, besonders mit dem liederreichen Panard, während
Favart bei der Lustigkeit Lesages blieb.
270
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Neben dem verfolgten Singspiel bestand, feierlich und gespreizt, die
Oper und ihr von Koloraturen widerhallender Olymp. In den Kampf,
den die neue Musik der italienischen Opera buffa in Paris entfachte, griff
auch Rousseau zugunsten Pergoleses lebhaft ein. Man weiß, wie von
den frischen, natürlichen Klängen dieser Opera buffa auch eine Umbildung
der formalistischen Kunst der ernsten Oper ausging, und welche Rolle hier
die deutsche Musik mit Gluck spielt. Gluck und Mozart beherrschen die
musikalische Bühne Frankreichs.
Beaumarchais. Als Opcra biffa Verfaßte der hochbegabte Beaumarchais seinen
heiteren „Barbier von Sevilla", genannt Figaro, mit dessen Hilfe der gräf-
liche Herr Almaviva die ersehnte Braut Rosine heimführt und dessen Figur
Beaumarchais in einem gargon barbier des „Gil Blas" gefunden hat. Erst
als das „Theätre Italien" das Stück zurückwies (1772) arbeitete er es zur
Komödie um, einer Komödie, die noch ganz mit Musik getränkt ist. In
sturmvollen Jahren reifte ihm dann die Fortsetzung^: „Figaros Hochzeit oder
der tolle Tag". Beaumarchais kämpfte um seine Existenz gegen einen
Staatsgerichtshof, den die vereinigten Mächte des Standes und des Geldes
beherrschten. Seine „Memoires" erregten die öffentliche Meinung des
Landes, ja ganz Europas. Es war nach dem Fall Calas die zweite „Affäre"
des Jahrhunderts. Beaumarchais siegte. Der Sieg des Plebejers bedeutete
eine schwere Erschütterung der staatlichen Autorität. Die literarische
Frucht dieses Kampfes heimste er in dem wunderbaren Lustspiele ein, in
dem nun nicht mehr der Graf, sondern Figaro die Braut heimführt. Figaro
ist der Überlegene, der mit der ganzen Gesellschaft der Privilegierten, die
auf ihm lastet, unter Witz und Lachen abrechnet. Es ist die Rache des
dritten Standes in der nämlichen literarischen Form der Komödie, die
bisher zu seiner Verspottung gedient hatte. Ludwig XVI. verbot die
Aufführung des Stückes — Beaumarchais zwingt sie ihm in zähem
Ringen ab (1784). Das Publikum jauchzte Beifall. „Es gibt noch etwas
Tolleres als meinen „tollen Tag" — das ist: sein Erfolg." Der Hof
kapitulierte vor dem Uhrmachersohn und gestattete auch den Druck der
sprühenden Vorrede.
So erhebt sich an der Schwelle der Revolution das beste politische
Lustspiel, das je geschrieben worden ist.
Die Literatur Die Revolutiou sclbst hat literarisch wenig hervorgebracht; sie hat
durch die völlige Umgestaltung des Lebens mehr den Boden für Neues
vorbereitet, als daß sie selbst schöpferisch geworden wäre. Sie hat durch
Zerstörung der Welt der Salons die Herrschaft der bienseance gestürzt
und Literatur und Sprache demokratisiert. Mercier „setzt dem französischen
Wörterbuche eine Jakobinermütze auf", predigt die „idees fecondatrices"
und die „heureusetes de langage" der Sprachneuerung {N'eologie^ 1801),
die nun von der „akademischen Sichel" nicht mehr bedroht sein werden.
Das Monopol der großen Theater wird gebrochen. Die zahlreichen neu
entstehenden Bühnen genügen einer schwellenden dramatischen Produktion.
der
Revolutionszeit
I). Frankreich bis zur Romantik. IV. Die Aufklärungszeit. 2"!
Diese dient im wesentlichen den Tagesinteressen und opfert die Kunst der
Tendenz, sei es im vornehmen, rhetorischen Stil der Römertrat,'ö(li«' und
des literarischen Trauerspiels, sei es im Sinne Merciers als rührseliger Preis
republikanischer Tugend und grausamen Strafgerichts über Thron und Altar.
Die vulgäre Schauergeschichte Hingt an, Erzählung und Drama zu be-
herrschen. England liefert Anna Radcliffs unheimliche Romane und
Lewis' „Le Moine" (1797), und Buch und Bühne füllen sich mit diesen
Schrecklichkciten für Jahrzehnte.
Die politische Presse entsteht und entfaltet sich machtvcjll. Zum
erstenmal seit fast zwei Jahrhunderten vernimmt man in Frankreich auch
wieder die Stimme der politischen Beredsamkeit. Die große Zeit findet
her\'orragende Wortfülirer. Mirabeau, der Fürsprecher eines demokra-
tischen Königtums, ist ein unvergleichlicher, gedankenreicher Redner, aber
hinter seinem machtvollen Wort steht keine wahrhaft patriotische Persön-
lichkeit, die den kommenden Stürmen gewachsen gewesen wäre.
Diese stürm vollen Zeiten reiften nicht nur Condorcets enthusiastisches
Lebensprogramm, sie fanden in dem geistvollen Cham fort auch einen
Zeugen, der sich vom enthusiastischen Wort bald wieder zur pessimistischen
Zergliederung der Komödie des Lebens wandte. Und beide gingen frei-
willig in den Tod.
Von den Liedern der Revolution — den offiziellen, wie J. Ch^niers
und Mehuls „Chant du depart" (1794) und den Volksliedern wie „^a ira"
(1790) — ist nur eines wirklich lebendig geblieben: die „Marseillaise". Sie
ist 1792 zu Straßburg von einem Genieoffizier der Rheinarmee, Rouget
de Li sie, geschaffen worden als glückliche Improvisation einer Stunde
patriotischer Begeisterung, angeregt und getragen von den geflügelten
Worten und Melodiefragmenten, die von außen an des Dichters Ohr
schlugen. Die „Marseillaise** ist als Nationallied eine wundervolle Schöp-
fung und literarisch das Erfolgreichste, was die Revolution hervorgebracht
hat. So klinget das Jahrhundert des Kosmopolitismus in ein Xationallied
aus. —
Wieder wie einst im 12. und i ;,. Jahrhundert beherrscht Frankreich Rückblick,
zur Aufklärungszeit den gebildeten Erdenrund. Das sind die beiden großen
Epochen seiner geistigen Weltherrschaft. Chidher, der ewig Junge, der je
nach fünfhundert Jahren desselbigen Weges fährt, würde 1750 Frank-
reich als Domina multarum nationum wiedergefunden haben wie 1 250.
Die Kulturgeschichte weiß von keinem anderen Volk zu melden, dem,
gleich Frankreich, im Laufe weniger Jahrhutulerte zweimal diese Führer-
schaft zugefallen wäre.
Frankreich schuf damals für alles, auch für die Dinge, die es von
seinen Nachbarn empfing, jene universelle künstlerische Form, in der sie
dann erst Gemeingut der Kulturvölker wurden. Aus den Barren des
literarischen Metalls prägte es die Münzen, die, mit seinem Stempel ver-
sehen, durch alle Länder kursierten. Nicht nur die Roraania, sondern auch
2'-'> Heinrich Morf : Die romanischen Literaturen.
Deutschland, Schweden, Rußland, ja England waren französischer Bildung
voll. Die Polen wandten sich um politische Belehrung an Rousseau. Es
schien die Zeit gekommen, wie Rivarol 1784 sagte, da man von einem
französischen Weltreich sprechen konnte, wie einst von einem Orbis ro-
manus, von einem „Monde fran9ais", der über den einzelnen Ländern
stand und in dessen Weltbürgertum die Idee der Nationalität verschwand.
Aber schon regte sich in diesem französischen Weltreiche die Op-
position des germanischen Geistes, Die „Barbaren" bereiten sich zu einer
zweiten, friedlichen Invasion in die w^eltbeherrschende Romania, zu einer
geistigen Völkerwanderung vor. Auch der alternde Friedrich der Große,
der 17 So in französischer Sprache über das Zurückstehen der deutschen
Literatur schreibt, glaubt an das Nahen der literarischen Befreiung Deutsch-
lands und schließt mit den Worten: Les beaiix jours de notre litter ature ne
sont pas encore venus; viais ils s' approchent. Je vous les an^ionce; ils vont
paraitre; je ne les verrai pas, nion äge ni'en interdit Vesperance. Je suis
comme Mo'ise: je vois de loin la terre promise, mais je n'y entrerai pas.
Zwanzig Jahre später beklagt W. von Humboldt in Paris, daß die
deutsche Literatur in Europa noch nicht so bekannt sei, wie die französische,
italienische, englische. Er schreibt für Frau von Stael und ihren Kreis
eine orientierende französische Abhandlung (179g), die in das Programm
ausklingt: // serait peut-etre utile de developper davantage le car acter e de
ce Goethe et de ceux qui ont travaille avec lui dans le mime ge^ire, en
donnant une analyse detaillee de leurs ouvrages.
Hier hat wohl Frau von Stael die Idee zu ihrem Buche: „De l'Alle-
magne" gefunden.
E. Die übrige Romania bis zur Romantik.
Die Romania tritt im 18. Jahrhundert wieder in völlige literarische
Abhängigkeit von Frankreich. Das Frankreich des Klassizismus liefert die
maßgebende Kunstform; das der Aufklärungszeit gibt die treibenden Ideen
und Frankreichs mächtige dynastische Stellung bahnt dem künstlerischen
und literarischen Einfluß politische Wege.
Mittlerweile ist auch das rätische und das nmiänische Sprachgebiet in
die Literatur eingetreten.
Der Einfluß des I. Italien im 18. Jahrhundert. Der Spanische Erbfolgekrieg lockerte
franzosischen ^^^ Baude der spanischen Fremdherrschaft und schuf labile politische Ver-
Geistes. •"■
hältnisse, bei denen Frankreichs Macht immer stärker wurde, bis die große
Revolution auch Italien zu schweren Erschütterungen und einem kurzen
Freiheitserwachen führte. Die spanische Sprache trat aus den fürstlichen
Kanzleien und aus der Mode zurück. Sogar in Neapel herrschte schon
in der Mitte des 1 8. Jahrhunderts das Französische.
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. I. Italien im 18. Jahrhundert. 273
Ein neuer Geist machte sich .seit 1700 deutlich spürbar in dieser
galanten, frivolen Welt des italieni.schen Ancien R«'-gime und des Rokoko,
des Cagliostro und des Casanova. Dieser neue Geist weht bald dauernd
und anschwellend, wie besonders im Norden des Landes, bald nur
vorübergehend, wie im neapolitanischen Süden. In Rom vermochten auch
tüchtige Päp-ste nichts gegen die immer drückender und allgemeiner
werdende Macht der religiösen Orden. So standen sich auch in Italien,
wie in Frankreich, die beiden feindlichen Mächte der Tradition und der
Aufklärung gegenüber.
Diese hatte ihre Augen nach Frankreich gewandt. Ihre Anhänger
waren in Paris heimisch und pilgerten zu Voltaire nach Ferney. Ein Ver-
treter dieser französisierten italienischen .-Vurklärcr ist jener neapolitanische
Abbate Galiani {- 1787), der geistsprühende Pulcinella der Pariser Salons,
der tiefe Weisheit mit den Gesten der Posse hier französisch, dort
italienisch vorträgt und der in Neapel an Pariserheimweh krankt.
Dieser Kampf setzte die Gei.ster in heftige Bewegung. Er trug Di«
intellektuelle, aber wenig künstlerische Frucht. Es i.st eine Auferstehung '"***^^^^ "
des Gedankens, nicht der Kunst, und wird im Lande selbst im Gegensatz
zur Renaissance als Risorgimento bezeichnet. Langsam bereitet sich
dieses Risorgimento vor, um nach 1750 sich machtvoll zu entfalten.
Italien beginnt um 1725 an der abendländischen Arbeit, die zur
modernen Geschichtschreibung führt, einen lebhaften und oft geradezu
vorbildlichen Anteil zu nehmen. Giannone interpretiert die Geschehnisse
der neapolitanischen Geschichte, die andere erzählt haben, mit kultur-
historischem Blick und ausgesprochen weltlichem Interesse. Die quellen-
kritische Forschung beginnt; das Lebenswerk des großen estensischen
Bibliothekars Muratori wirkt bahnbrechend weit über Italien hinaus und
lenkt die Blicke auf die Kulturgeschichte des Mittelalters. Sein Nach-
folger Tiraboschi schreibt in seinem Geiste eine monumentale „Storia
della letteratura italiana", die auch die Wissenschaft und bildenden Künste
umfaßt. In Vicos „Neuer Wissenschaft von der Natur der Völker" (i725)vico.
erhält die Historiographie einen naturwissenschaftlichen Einschlag. Vico
sucht nach Gesetzen, die das Steigen und Fallen der Kultur, den Krei.s-
lauf des geistigen Lebens, bedingen: die Geschichte der Menschen bewegt
sich danach von der primitiven theokratischen Kultur zur heroischen
(Homer) und von dieser zur eigentlichen Zivilisation, aus deren Verfall
der primitive Zustand sich wieder ergibt Das ist Vicos „historisches
Gesetz". Wohl ist die Basis, von der er au.sgeht — die griechi.sch-
römische Geschichte — zu schmal für den zu den Wolken strebenden
Bau und hält das zu knappe Material vielfach einer genaueren Festigkeits-
prüfung nicht stand. Aber Vico hat dabei eines der gedankenreichsten
Bücher geschrieben, die je verfaßt worden sind. Leider ist seine Dar-
stellung völlig unkünstlerisch; er hat es nicht verstanden, seinen Gedanken
Flügel zu verleihen. Trotzdem hat das Buch deutliche Spuren in der
Dn KvLTVK DBK GsocxwAKT I. II I. 18
274
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Literatur des i8. Jahrhunderts zurückgelassen. Doch ist es erst in der
Zeit der Romantik zu tiefer Wirkung gekommen. Foscolo ist sein Schüler
wie Michelet, der es ins Französische übersetzt. Vico förderte, leitete und
vertiefte die historische Forschung des 19. Jahrhunderts. Er hat die
Arbeit des Denkers an Gegenständen verrichtet, die vor ihm nur Unter-
haltungswert besaßen oder nur von Seiten der Form interessierten. Er
prüft alles Historische auf seinen Gedankenwert und interpretiert es
psychologisch und entwickelungsgeschichtlich. Er gehört zur Reihe jener
Großen, wie Galilei, Newton, Montesquieu, die auf das Wirrsal der
Fakten das Licht einfachen, ewigen Geschehens fallen lassen. In Zeiten,
da eine regelsüchtige Kunstlehre herrschte, hat Vico die Hilfe verstandes-
mäßiger Regeln bei der Beurteilung von Werken der Poesie abgelehnt
und es zugleich unternommen, die Poeten und ihre Schöpfungen aus dem
Leben ihrer Zeit heraus historisch -psychologisch zu erklären. Mit scharfem
Blick hat er auch in Sprache und Mythus eine Quelle entwickelungs-
geschichtlicher Erkenntnis gesehen, mit kühnen Ausblicken Rassen- und
Wanderungsfragen der Völker behandelt. Er hat wirklich eine „neue
Wissenschaft" von der Menschheit geschaffen.
Vico ist origineller und tiefer als der Historiker Voltaire, der von
ihm gelernt hat; aber Voltaire ist kritischer und ist universalhistorisch,
nicht nur in seinen Zielen, sondern auch in seiner Liformation.
Nachdrücklich tritt, seit Galileis Vorgang, die Naturforschung an die
Seite der philologisch-historischen Arbeit: auch sie gründet ihre Akademien
und Institute , und diese stehen in Verbindung mit dem Ausland und nehmen
den eifrigsten Anteil an dem neuen wissenschaftlichen Leben, das auf
diesem Gebiete Romania imd Germania vereinigt.
Die naturalistischen und individualistischen Lehren, mit welchen
Montesquieu, Rousseau, die Physiokraten alle Lebensgebiete neu dar-
stellten, fanden im Süden und im Norden des Landes überzeugte und
beredte Anhänger und Verkündiger, die auch in der Form ihrer Rede
die Fülle französischen Einflusses verraten.
Um die Mitte des Jahrhunderts geht die Führung des Risorgimento
an Mailand über. Die zuvor spanische und nun österreichische Stadt
wird zum eigentlichen Herde der geistigen Wiedergeburt.
Die neue Lebensanschauung humanisierte die Auffassung der sozialen
Verhältnisse und insbesondere die Beurteilung des Menschen, den diese
Verhältnisse bedrücken und auf die Bahn antisozialer Handlungen (Ver-
brechen) leiten. Niemand hat eindringlicher von Verbrechen und Strafen
geschrieben als der Mailänder Beccaria, dessen Buch [Dei delitti e delle
fene, 1764) leidenschafthchen Beifall und heftigen Widerspruch weckte,
den erregten Kontroversen ähnlich, die in der heutigen Kriminalistik
unter italienischer Führung um die nämlichen Fragen sich erhoben haben.
Die französischen Aufklärer jubelten Beccaria, der die Strafjustiz und
besonders die Todesstrafe bekämpfte, zu und beriefen ihn zu sich.
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. 1. Italien im 18. Jahrhundert 275
Als Träger dieser Aufklärungsgedanken entstehen, nach dem Muster
der englischen und französischen Wochenschriften, Blätter wie der vene-
zianische „Usservatore" (1761 — 1702) und der niailändische „Caffe" (1764
bis 1765). Dort sprach Gasparo Gozzi, ein Mann von umfassendem
Wissen und feinem Geschmack, der aber, vom Leben gehetzt, nicht sein
liestes geben kann; hier eine Kaftegesellschaft von Reformfreunden wie
lieccaria und die Brüder X'erri. Auch in Italien haben diese journalistischen
Unternehmungen nur kurze Dauer und mehr symptomatische Bedeutung
als eigentliche Wirkung geliabt.
Inmitten dieses geistigen Risorgimcnto bereitet sich auch das litera- n«» literanich«
rische vor. Die Erinnerung an die literarischen Reformbestrebungen ^f'>«'-
knüpft sich an den Namen der 1690 zu Rom gegründeten Akademie der
Arcadia.
Der erste Leiter der Arcadia war der Literarhistoriker Crescimbeni; Di» Arcadim.
ihr eigentlicher Schöpfer ist der Ästhetiker Gravina (-J- 17 18), der erklärt,
„zu einer einfacheren Art zu denken, zu schreiben und zu sprechen
zurückzukehren", für welche die äußere Form in der bukolischen Dichtung
gefunden werde, „die eine noch unerschöpfte Quelle schlichter und doch
unterhaltsamer Erfindungen" biete. Allgemein empfand man damals die
Orgie des Secentismo als Ausschreitung und caftivo gusto. So schlug das
Programm einer nach der antiken Dichtung und dem älteren, einfacheren
Petrarkismus orientierten Poesie ein, deren Vertreter sich als Schäfer
gaben und die sich in die äußeren Formen ländlichen arkadischen Ge-
barens kleidete. Aus den vierzehn Arkadiern wurden rasch über tausend,
und Crescimbeni zählte von der Höhe seiner römischen Zentralanstalt
nach wenigen Jahren schon mehr als zwanzig „Kolonien" im Lande
herum. Papst und Kardinäle, P'ürsten und Höflinge gesellten sich zu den
Schriftstellern in dieser römischen Akademie des poetischen Stiles, die
neben die florentinische Akademie der Sprache {Cruscd) trat. Das ganze
gesellschaftlich und geistig hervorragende Italien einigte sicli hier auf dem
Gebiete der Literatur zur Zeit der größten politischen Zersplitterung. Die
Arcadia schafft in trostloser Zeit eine Solidarität und verkörpert ein Stück
italienischen Nationalgefühls. Sie bereitet tiefer gehenden Lebens-
äußerungen den Weg. Das ist ihre große Seite und ihre wahre ge-
schichtliche Bedeutung. Von ihr zehrt sie bis auf den heutigen lag.
Die literarische Reform, die sie um 1700 inszenierte, ward keines-
wegs erlösend. Die Arcadia war nicht schöpferisch. Sie befreite Italien
nicht von der Künstelei, sondern beschränkte sie nur. Gravinas hoch-
fliegende Pläne erfüllten sich nicht, und er schied aus (171 1). Er war
selbst kein Poet. Was er bewundernd von Dante gesagt, verhallte. Was
als universelle Reform verkündet worden war, lief in akademische
I'ormeln, gesellschaftliche Unterhaltung und höfische Adulation aus. Es
gab einen Hirtenkomment, Hirtennamen, Hirtenflöten. Man spielte
Natur in zahllosen Sonetten, Madrigalen, Kanzonetten. „Die werten
i8*
2y6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Schäfer", wie Goethe sie nennt, bemühten sich auch um ihn und nahmen
ihn als Megalio Melpomenio feierHch auf.
KirchUche und poHtische Führung zwang die Arcadia in enge
Gedankenwege zu einer Zeit, da ItaUen der Wissenschaft eine breite
Heerstraße zu bauen begann. ÄngstUch erklären die Arcadi ihren
Katholizismus, während sie von Ninfc, Fato, Destino singen und die blut-
leeren Schemen der antiken Deita heraufbeschwören.
So entstand ein unfreier Meistergesang mit einem Kodex literarischer
Wohlanständigkeiten, in deren Beobachtung viele ein großes technisches
Können verschwendeten, ohne neben tausenderlei Zierlichkeiten zu freier
Schöpfung zu kommen. Das gelang wohl nur dem einen Metastasio,
dessen Stimmung und Anmut die ausgetretenen Pfade des Lieds mit
neuer Lieblichkeit umsäumt. Mit Frugoni aber, in dessen bändereiche
Lyrik die Arcadia schließlich ausläuft, geht über diese geputzte und ge-
schminkte Hirtenwelt ein Reimregen nieder — auf diese Silvio, Mirtillo,
Doris, Chloris, Amaryllis, auf ihre Schäfchen, Hündchen, Kätzchen,
Kanarien — daß alle Bänder und Kleider unheilbar verwaschen und alle
Farben verwässert erscheinen.
Fruchtbar waren die Arkadier auch in theoretischen Arbeiten über
• die poetische Kunst. Sie setzten sich mit dem französischen Klassizismus
auseinander; sie ergänzten und sie bekämpften ihn. „La ragione poetica"
(1708) Gravinas schmeckt nach Boileaus raison', aber er wie Maffei
und Calepio lehnen den von den Franzosen, besonders von Corneille,
interpretierten Aristoteles ab. Bodmer und Breitinger lernen von ihnen
und ihre Ideen kehren über Deutschland und Frankreich nach Italien
zurück, nachdem sie im Ausland fruchtbarer geworden waren als in der
Heimat. Denn in Italien galt trotz aller Proteste das französische
Muster, da die franzosenfeindlichen Theoretiker sich in der Praxis nicht
treu blieben.
Es zeigt sich das am meisten in dem sterilen modischen Bemühen
um die Tragödie, an dem, wie im übrigen Europa, besonders auch die
lehrhaften Jesuiten sich beteiligten. Sogar die verständige, gutgebaute
„Merope" des Maffei (17 13), die damals als Blüte der tragischen Kunst
im Triumph durch Europa geführt wurde, ist trotz aller Erklärungen viel
mehr französischen als griechischen Geistes und wäre längst vergessen
ohne die unerfreuliche Polemik, die Voltaire an seine Bearbeitung knüpfte
und die weitläufige Besprechung, die Lessing ihr gewährte. Heiße
Vaterlandsliebe spricht aus den Römertragödien Contis; aber von Shake-
speares Geist hat Conti aus England kaum etwas mitgebracht. Überhaupt
ist die italienische Dramatik in der Nachahmung Shakespeares damals
nicht über das Maß Voltaires hinausgegangen, das auch für Montis
historisches Trauerspiel „Galeotto Manfredi" vorbildlich war.
Metastasio. Der wahrc Poet der antiken Tragödienwelt ist Metastasio. Er ist
ein Schüler Gravinas, verteidigt die Freiheit des Dramas gegen franzö-
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. I. lullen im 1 8. Jahrhundert. 2^^
sischen Regelzwang und befolgt die dramaturgischen Lehren Gravinas
besser als dieser selbst, denn er ist ein Künstler. Unter den antiken
Stoffen wählt er nicht solche, die durch ihre Schrecklichkeit pompösem
Gerede dienen. Er greift zu „Themistokles am Hofe des Xerxes", zur
Vaterlandsliebe des Regulus. Seine mehr weiche Natur zieht das Elegische
vor. Die dramatische Elegie, in welcher Racine 1670 den Abschied des
Kaisers Titus von der geliebten Berenice inszenierte, wird 1734 von
Metastasio gleichsam fortgesetzt: nach dem grande a<hüo läßt f-r Titus'
schwankende Neigung neue Merzenstumulte entfachen, die in Ver-
schwörung gipfeln und in Verzicht und Verzeihung enden {La cUmenza di
Tito). Die kurzen Szenen, deren freie Verse in schlichte Lieder aus-
klingen, lassen wohl erkennen, daß Musik das Ganze tragen soll. Aber
der Wohllaut dieser Verse und Lieder ist selbst Musik. Metastasio ist
ein großer Lyriker wie Tasso, und seine Szenen vertragen die Nähe des
Aminto sehr wohl. Trotz der musikalischen Stilisierung sind Handlung
und Charaktere lebensvoll, von der Hand eines wirklichen Dichters gestaltet
So erwuchs aus der Verbindung mit der Oper die poetischste Erucht
der Renaissancetragödie. Sie reifte freilich auf fremder Erde. Metastasios
Dramen sind Festspiele des kaiserlichen Hofes zu Wien. Ihre Verse und
Lieder erklingen bei Maria Theresias Hochzeit
Der piemontesische Graf Alfieri (-}- 1803) ist ein Schüler der Franzosen, Aiß«ri
die er dann maßlos schmäht. Sein Pamphlet „Misogallo" und seine Auto-
biographie {Vita) sind während eines mehrjährigen Aufenthaltes im revo-
lutionären Paris, diesem „stinkenden Spital Unheilbarer und Wahnsinniger*',
begonnen und in dem von den Franzosen — Sita Maesta la Xazion
gallina — befreiten Italien haßerfüllt vollendet worden. Der Haß ist auf-
richtig. Aber der intransigente Heroismus, den er in seiner „Vita"
prahlerisch zur Schau trägt, ist Pose. Seine krankhafte Ruhmbegier
macht ihn unaufrichtig. Sie treibt ihn auch, die französischen Vorbilder
zu verleugnen, während er doch seine „Vita" nach Rousseaus Konfessionen
und seine Tragödien nach Voltaire schreibt. Er gießt seine impulsive
Natur in diese Trauerspiele (etwa zwanzig, von 1767 — 178()). Er, den die
Worte Gloria, Libertä, Patf^ia begeistern, erfüllt seine Stücke „Saul",
„Bruto" usw. mit flammenden Tiraden zum Preise des Heldentums, der
Freiheit und gegen jede Art von Tyrannei. Er idealisiert die republi-
kanischen Freiheitshelden und karikiert die Vertreter der Tyrannis. Er
spricht immer selbst, erhitzt und atemlos. Er ruft, er schreit Die
tragische Handlung ist nur ein Vorwand, um leidenschaftliche Worte in
das lethargische Volk zu werfen. Die Sprache seiner tragischen Helden
Ist die nämliche wie die seiner lapidaren Sonette.
Aus einem Kosmopoliten französischer Observanz ist Altirn ein
italienischer Patriot geworden: einig und frei soll Italien werden — auch
sprachlich! Das „häßliche Kauderwelsch" der provinziellen Mundarten,
insbesondere auch seine piemontesische Muttersprache soll verschwinden 1
278 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Aus der machtvollen rhetorischen Gestaltung dieses einen Freiheits-
gedankens in der Form des Hasses gegen Unterdrücker und Wider-
strebende klingt ein Echo Dantescher Invektiven. Alfieris Leier hat nur
diesen einen Klang. Der aber ertönte in schlimmen Zeiten voll genug,
um den dramatischen Sänger zum Tyrtaeus des „futuro popolo d'Italia"
zu machen.
Alfieri ward zur treibenden Kraft in den nationalen Bestrebungen,
besonders seit 1 8 1 5, und das geeinte Land blickt heute mit Recht dankbar
auf ihn zurück, auch wenn sein Ruhm als Tragiker längst verblaßt und
heute auch sein politisches Heldentum zweifelhaft geworden ist.
Alfieri und Metastasio, der Rhetor und der Poet der Tragödie! Der
eine läßt die Helden der alten Welt in den Klängen melodischer Szenen
zur Unterhaltung eines fremden Fürstenhofes auferstehen; der andere
braucht sie, um durch ihre Invektiven sein schlummerndes Volk zu
wecken. Der eine stellt Leben dar, der andere hat Leben geweckt.
Goidoni Ncucs Leben schuf auch der fruchtbare Goldoni (-J- 1793), der
über die Welt des Lustspiels gebot. Wie Corneille damit begonnen, an
Stelle der Roheit und Unwirklichkeit der alten Farce, feinere Art und
städtisches Treiben vor ein lachlustiges Publikum zu bringen, so setzte
Goldoni allmählich an Stelle der rohen und unwirklichen Comrnedia dell
arte mit ihren erstarrten Typen das Lustspiel des heimatlichen venezia-
nischen Alltages mit seinen Fischern und Gondelführern, den Narren der
Sommerfrische und der Sammelwut, Schwätzern, Polterern, Flegeln und
einer ganzen Galerie venezianischer Weiblichkeit. Goldoni malte dies
Leben in reicher Fülle und Kräftigkeit, die sich schon in der starken
Verwendung des Dialektes ausspricht. In diesem italienischen Lustspiel
dient die dialektische Rede nicht der Karikatur und dem Spott, sondern
der Lebenswahrheit, der Heimatkunst. Goldoni ist von allen italienischen
Dramatikern der, der durch Erfindungsgabe, sowie durch Anmut und
Reichtum des Dialoges am meisten an die Spanier erinnert. Freilich
gleicht er ihnen auch in der Unsorgfältigkeit der Ausführung. Die Not
des Lebens zwang den scharfen Lebensbeobachter oft zu eiligen Skizzen,
die sich unter die Meisterwerke mischen. Auch er geht bei den Fran-
zosen in die Schule, die aber, Voltaire und Diderot so gut wie Lessing, auch
wieder von ihm lernen. Er tritt in die von Richardsons Romanen ge-
tragene Bewegung des Rührstückes ein. Im Grunde aber geht er von
Moliere aus, der ihm den Weg des Charakterlustspieles wies und dem er
auch darin folgte, daß er dem Geschmack des Publikums durch öftere
Rückkehr zur Farce Rechnung trug. Das Publikum folgte ihm nicht
willig und führte ihn nicht zu Triumphen. Die comrnedia dell arte leistete
erfolgreichen Widerstand, sei es in ihrer alten Form, sei es in dem
phantastischen Aufputz, den ihr Carlo Gozzi gab. Der führte ihr die
Welt von looi Nacht zu und machte aus dem Hanswurst einen Märchen-
prinzen. Seine dramatischen Märchen {Fiabe) enthalten auch Satire gegen
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. I. Italien im i8. Jahrhundert. 27g
Goldonis Kunst und Ideen, die als ausländisch, französisch denunziert
werden. Den AuRfenblickserfolpf, den die bizarre Fomi dieser „Fiabe" er-
rang-, hat das Land — und die Romania überhaupt — nicht ratifiziert.
Mehr und dauernden Beifall fand Gozzi in Deutschland.
Goldoni aber wandte sich nach Paris (1762) und schrieb dort, als
Leiter des Tht'ätrc italien, italienische und französi.sche Lust.sjnele, die zu
seinen besten gehören, und seine fesselnden „M^moires".
Als Goethe im Herbst 1786 nach Venedig- kam, zogen binnen vier-
zehn Tagen Proben des ganzen italienischen Theaters an ihm vorüber: eine
gewöhnliche üpcr mit schlechtem liallett; zwei blutige Tragödien, von
denen eine aus dem Französischen übersetzt i.st; eine tolle Stegreifposse
mit unübertrefflichem .Spiel, deren Ma.sken ihm wohltun „als Ge.schöpfe
dieser Landschaft". An Gozzis Märchendrama bewundert er die Kunst,
mit solchen Masken die tragischen Figuren der „P'iabe" zu verbinden.
Und „endlich kann ich denn auch sagen, daß ich eine Komödie gesehen
habe" — Goldonis „Fischer von Chioggia", deren bodenständige Kunst
ihn trotz der sprachlichen Schwierigkeit mit Entzücken erfüllt und zu
langem Bericht veranlaßt.
Wie der andere Poet der italienischen Bühne des Settecento, Meta-
stasio, hat auch Goldoni seine Laufbahn im Ausland beschlossen. Die
Heimat, die ihn einst undankbar behandelte, ehrt heute sein Andenken.
Sein Werk lebt noch frisch auf der italienischen Bühne.
Die Jahre, in denen Goldoni kämpft und unterliegt, sind überhaupt d«
Jahre lebhaftester literarischer Bewegung. \\ le m rrankreich ist in
Italien eine neoklassische Strömung zu erkennen, der ja auch die
Arcadia nicht fremd ist. Von ihr getragen, kommt inmitten der all-
gemeinen Verskünstelei der reimlose Zehnsilbler ( \ 'er so sciolto) immer
mehr in Aufnahme und dringt auch in die Lyrik ein. Dieser Vers bedarf
freilich der Künstlerhand, soll die poetische Rede nicht platt werden wie
bei Frugoni, Algarotti, Bettinelli, deren Verse beschreibend plätschern.
Vom Kaffee zu singen: „der liebe schwärzliche Brei, den, die morgend-
lichen Tassen mit Phöbus' Arznei zu füllen, Mexiko sendet", ist auch
Delille gelungen. Es soll virgilianisch sein und stellt in Wahrheit jene
Mischung von Xeoklassizismus und Petrarkismus dar, die man in Frank-
reich später style empirc nennen wird.
Bettinelli glaubte diese Kunst durch Briefe verteidigen zu sollen»
die er Virgil (1757^ aus der Unterwelt an die Arcadia schreiben ließ und
in denen er die ältere italienische Dichtung, die zu sehr auf der Gegen-
wart laste, einer strengen Revision unterzieht und insbesondere Dantes
Commcdia nach Inhalt, Absicht und Stil verurteilt Es ist der .spröde
Greschmack der Moderne ä la Voltaire, der aus dieser Kritik .spricht
G. Gozzi antwortete 1758 siegreich, indem er für Dante eine historische
Beurteilung forderte und der wachsenden Anerkennung dieses Großen
Bahn brach.
28o Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Der Kampf um Dante umtönt die Wiege des Risorgimento. Er
dauerte lange, und noch Jahrzehnte später leisteten der junge Monti, der
junge Leopardi Widerstand. Eindrucksvoll heben sich vom arkadischen
Hintergrund die zwölf „Visioni" Varanos ab (178g), die mit den äußeren
Mitteln der Danteschen Dichtung zeitgenössische Geschehnisse (Krieg,
Fürstentod, Pest und Erdbeben) besingen.
Parini. Der Meister des antikisierenden verso sciolto ist Parini, der Dichter
des „Giomo" (seit 1763), der einen jungen mailändischen Signore alten
oder auch neuen Adels ironisch unterweist, wie er die „öden und lang-
samen Lebenstage" verbringen solle. Den Parini erzogen ähnliche Lebens-
verhältnisse wie den LaBruyere: der Niedriggeborene und unabhängig Ge-
sinnte litt unter dem Drucke sozialer Mißverhältnisse. Langsam reift ihm
der fein ziselierte Vers, in dem er den philanthropischen Ideen der Auf-
klärung Ausdruck gibt, während er zugleich französische Formen und
Sitten des „Belmondo" als eifriger Patriot bekämpft. Er baut seine Sätze
mit lateinischer Freiheit, als wollte er durch die Latinismen der Satz-
fügung die Bodenständigkeit seiner italienischen Kunst gegenüber dem
flachen Gallizismus hervorheben. Künstlerisch eindrucksvoll ist der Gegen-
satz zwischen der ernsten Form und der Nichtigkeit des Treibens, das der
„Giorno" schildert. Da wird auch jener style e?npire wirksam, der den
Kaffee umschreibt: „Schenke, o Edler, die Gunst deiner Lippen dem Nektar,
in welchem gebräunt dampft die Bohne, die aus Aleppo und Mokka zu
dir gelangt." Einzelne Oden Parinis sind poetische Reden über die näm-
lichen Themata, über welche die Artikel der moralischen Wochenschriften
damals handelten. Schön erklingt manches lebensfrohe Wort des Alternden
— er spottet der nordischen Melancholie — und herrlich ist das Gedicht
„An die Muse", welche die Gattin des Freundes besuchen soll. Mit
Parinis Dichtung tritt man aus der Treibhausluft der Arcadia in die frische,
ja scharfe Luft des stürmischen Tages hinaus. Man atmet auf, wenn man
an der Wende der sechziger Jahre auf ihn trifft. Gebt euem Versen
Inhalt; laßt das Leben in sie fließen! — so lehrt er gleichsam. Aber seine
gemessene Verskunst ist gänzlich unmodern, und ihr verspätetes Alexan-
drinertum wirkt bisweilen wie Karikatur.
Sein eigenes Leben zeigt, wie schwer es bei den labilen staatlichen
Zuständen des ausgehenden Jahrhunderts auch für einen charaktervollen
Menschen war, den Schein politischer Zweideutigkeit zu meiden.
Germanische Der Turiuer Barctti (f 1789), der ein Menschenalter in London
Einflüsse, gelebt hat, bringt einen rauhen aber erfrischenden Ton aus England mit.
Die erbarmungslosen Streiche seiner Halbmonatsschrift „Die literarische
Geißel" (1763 — 1765) fallen auf die „Eunuchenpoesie" der Arcadia, auf die
Franzosen — besonders Voltaire — und auf jene italienische Literatur, die
sich vor den französischen Kritikern verneigt und „mehr den Rückgrat als
den Geist anstrengt". Aber er, der als Herold Shakespeares in Italien
auftritt, verkennt Dante. Sein Urteil ist mehr temperamentvoll als
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. I. Italien im 1 8. Jahrhundert 281
sicher und poesieverständig. Eine Übersetzung Shakespeares erschien
erst 1 800,
Der alte Streit über die Italianita. oder Toscanita. der Schriftsprache
dauert ununterbrochen. Das puristische Wörterbuch der Crusca (161 2 zum
erstenmal erschienen) blieb ein „Idiotikon des älteren Florentinismus".
Anderseits macht sich der Neologismus, besonders der gallisciie, als Träger
moderner Ideen breit. Am vernünftigsten spricht dazu der Paduaner
Cesarotti, der eine maßvolle Xeologie gegen die puristische Sprach-
meisterei der „insetti lettcrari" verteidigt und den Vorschlag macht, ein
italienisches Wörterbuch unter Mitwirkung des ganzen Landes zu schaffen.
In der Praxis ist er dem französischen Beispiel gegenüber widerstandsloser
gewesen, als seine Theorie erwarten läßt. Durch seine Übersetzung Ossians
(1763) und Grays hat er Italien die Poesie nordischer Sentimentalität und
nordischen Heldentums erschlossen, deren Echo in der Rhetorik Montis
und Alfieris widerhallt.
So war in Italien wie in Frankreich die englische Literatur früher
und nachdrücklicher bekannt als die deutsche. Bertölas romantische
Fahrten in Deutschland und seine Übertragungen aus Geßner, Wieland,
Goethe beginnen um 1780. Ein „Giornale della letteratura straniera", das
diese EinHüsse zusammenfassen will, erscheint 1790. Den Übersetzungen
aus den nordischen Literaturen liegen vielfach französische Zwischen-
versionen zugrunde.
Aber dieser germanische Import trug zunächst keine wirkliche lite-
rarische Frucht. Das Ende des 18. Jahrhunderts steht durchaus
im Banne des Xeoklassizismus, aber eines Klassizismus, hinter dem die
hohe mittelalterliche Gestalt Dantes sichtbar wird. Es dominiert die ein-
drucksvolle Stimme Montis und der Meißel Canovas. Monti hatte erst Montu
im Schatten des Vatikans ein kraftvolles Lied dantescher Form und dan-
teschen Geistes gegen das revolutionäre Frankreich gesungen (/// morte
di IJgo Ba:ssvilk^ '793)» war dann nach 171)7 zum Preise revolutionärer
Errungenschaften übergegangen — bis endlich auch der Kaiser des Dienstes
seiner beredten Muse sich erfreute. Der ossianische „Barde vom Schwarz-
wald" (1806), zu dessen kriegerischen Gesängen die „cheruskische Harfe
unter den Rosenfingern Malvinas" erklingt, war ein Gedicht nach dem
Herzen Bonapartes. Nach dessen Sturz huldigte Monti den Österreichern.
Sein Klassizismus war eine poetische Livree, in der er gelehrig Volks-
und Fürstendienst verrichtete. Er ist, gleich einem Humanisten des
15. Jahrhunderts, der „Typus des Literaten". Er verstand es, den
Faltenwurf der römischen Toga um Dante, Ossian und Klopstock zu
legen. Virtuos vereinigte er alle poetische Geschicklichkeit seiner klassi-
zistischen Zeit Seiner Geschmeidigkeit war es vorbehalten, ihr Bestes in
einer Übersetzung zu geben. (Die Ilias, 18 10.) —
Seit 1750 durchsetzte sich Italien mit den regenerierenden Ideen, die
ihm aus dem Ausland zuflössen, doch nicht ohne daß es seine Eigenart
282 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Stark und oft eifersüchtig betonte. So bestellte es das Feld für die reiche
nationale Ernte, die es im i g. Jahrhundert einbringen sollte.
Der Einfloß des TL. Spanien und Portugal im 18. Jahrhundert. Wie
inzösisch
Geistes.
anzosisc en ^j^ Echo der geschildcrten italienischen Zustände klingt die Kunde von
der iberischen Halbinsel. Die Zeit ist unkünstlerisch. Die nationale
Dichtung geht auf ausgetretenen Wegen. Es überwiegt das prosaische
Schrifttum, in welchem das alte Spanien und Portugal der Inquisition
mit den neuen Ideen der Aufklärung ringt. In Spanien regieren seit 1700
die Bourbonen. Die portugiesischen Braganca stehen durch verwandtschaft-
liche Bande dem französischen Hofe nahe. Französische Sprache und
Literatur dringen mächtig vor. Das Inquisitionstribunal sieht sich ge-
zwungen, gegen die Lektüre Voltaires und Rousseaus aufzutreten, und ver-
urteilt /as obras de Voltcr, Ruso und andere ähnliche monstruos de impiedad
y de irreligio7t (1789). Den französischen Büchern folgen (1807) die
französischen Waffen und die Okkupation (bis 1813). Der heldenmütige
Freiheitskampf, der in der Verteidigung Zaragozas durch Palafox gipfelt,
zieht die Augen Europas auf das vergessene Spanien, weckt überall Be-
wunderung und läßt das verachtete „Land der Inquisition" im Glänze
romantischen Heldentums erstrahlen.
Die friedliche und wohlmeinende Regierung eines aufgeklärten Des-
potismus läßt das von der habsburgischen Weltmachtpolitik erschöpfte
Land aufatmen. Ein langsamer wirtschaftlicher Aufschwung wird von
patriarchalischer Fürsorge der Regierung und der Aristokratie umgeben
und geleitet. Hier findet Carlos IIL in A ran da und Campomanes, dort
Jose I. in Pombal Minister der Regeneration, welche auch die Herr-
schaft der Jesuiten brechen. Der Geist enthusiastischer Philanthropie
dringt aus Frankreich herüber. Frankreich vermittelt auch Geistes-
erzeugnisse Englands und Deutschlands. Wer Englisch lernt, greift zur
Grammatik eines Franzosen. Dieser „Nordwind", wie man damals
sagte, ruft eine große Zahl gemeinnütziger Gesellschaften ins Leben.
Der einst so kriegerische Hidalgo tritt jetzt in den philanthropischen
Dienst dieser friedlichen Armee. Es herrschte nach dem Ausdruck eines
Historikers ein „u7iiversal afan de mejora" (ein allgemeines Streben nach
Besserung).
Nichts ist bezeichnender für diesen Geist als die Aufnahme und Ein-
führung Pestalozzischer Ideen, die 1806 zur Gründung eines königlichen
Institutes durch Godoy führen. „Spanien ist das erste Land", schreibt
Pestalozzi an den Herzog von Frias, „das den Bildungsmitteln meiner
Methode mit Staatskräften offene Prüfung gewährt!" Die Pestalozzi-
Bücher und -Fabeln dringen, wie Godoy selbst nach Yverdon meldet, in
die Gemächer des Infanten. Aber der nahende Sturm fegt schon 1808
alles weg. Es war ein Strohfeuer und ließ, wie die übrigen Reform-
versuche, kaum Spuren zurück.
E. Die übri^fe Romania bis zur Romantik. II. Spanien u. Portugal im i8. Jahrhundert. 283
Eine eifrige Bildungstätigkeit hatte eing-esetzt. Nach dem Beispiele Die
der Franzosen hatte man angefangen, den Weg der Belehrung durch ;^eit- '*'"*°*!'"'*"*^''
Schriften zu betreten. Das „Diario de los Literatos de Esparia" (17.37 — 1742)
berief sich auf Bayle. Die sogenannten morali.schen Wochenschriften
wurden in Spanion durch das „Universaltheater" und die „gelehrten Briefe"
ersetzt, in weJciion der gescheite Benediktiner I*'eij(jo (seit 1726) fa.st vier
Jahrzehnte lang nützliche Kenntnisse verbreitet. Inquisition und Routine
traten gegen ihn auf; die bourbonische Regierung (Karl III.) schützte ihn.
Die selben Spanier, deren Kampfeslust einst Cervantes belacht hatte, gaben
sich jetzt in ihrem Wissensdurst Blößen und werden von Cadalso in seinen
„Eruditos a la violeta" (Die Halbgelehrten, 1772) verspottet. Feijöos Stil
verrät die französischen Bildungsquellen; doch bekämpft er das französische
Lehnwort derer, die ohne Notwendigkeit „csti(dia)i cn afranccsar la loigua
castellana". Und noch mancher Andere, der gleich ihm und Cadalso bei
Frankreich in die Schule gegangen, beklagt mit ihnen die Französisierung
der Sitten {modales franceses) und Rede.
17 13 wird die Real Academia Espahola gegründet, die sich eifrig
an ihre Aufgabe macht und schon 1726 ein großes Wörterbuch zu drucken
beginnt. Sie zeigt sich ihrem französischen Vorbilde darin überlegen, daß
sie dem Lande eine einfache, von einem aufdringlichen, halbgelehrten
Historismus freie Rechtschreibung schenkt, während die später gegründete
portugiesische Akademie ganz im französischen Fahrwasser segelt und
eine historische Orthographie adoptiert, in welcher geheimnisvolle Buch-
staben wie Grab.steine verstorbener Laute aufragen.
Der neue Geist des gesunden Utilitarismus wandte sich gegen die
alten spielerischen Meistersingerakademien. Man verlangte nach Akade-
mien, die nützlicher Arbeit gewidmet wären, wie die gelehrten Körper-
schaften des Auslandes. Gebildete Spanier, die eifrig mit dem Ausland
Beziehungen unterhielten, erwarteten von diesen neuen Akademien {Aca-
demia de la historia, de ciencias etc.) eine Verbesserung der „gotischen
Methoden", in denen die Universitäten stagnierten. Naturwissenschaftliche
und geschichtliche Studien nahmen einen großen Aufschwung. In liebevoll
ausgeführten Sammelwerken eines unermüdlichen Gelehrtenfleißes wurden
die Denkmäler der ruhmreichen literarischen Vergangenheit vereinigt und
dargestellt. Der alte Cantar vom Cid wird zum erstenmal gedruckt. Es
ist, als ob die Historiker angesichts der nahenden Französisierung des
Schrifttums alle Anstrengungen machten, die nationale Tradition in um so
helleres laicht zu setzen. Und tatsächlich ist denn in Spanien auch durch
den Xeoklassizismus des 18. Jahrhunderts der Zusammenhang mit der Ver-
gangenheit nicht gelöst worden. Spanien hatte keinen Dante, der es aus
klassischen Fernen zurückrief; aber es hatte seinen Romaticero und seine
Comcdia , die es literarisch an sein Mittelalter fesselten.
Portugal freilich entbehrte dieses Gewichtes der Bodenständigkeit und
verfiel dem Einfluß der französischen Dichtung mehr als Spanien. Es
284 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
blieb in den Spielereien bukolischer Akademien länger befangen. Seine
„Arcadia" ist eine bloße Kopie der italienischen. Ihre gegen den Seis-
centismo und den Gallicismo gerichtete Reform blieb unschöpferisch. Das
große literarische Ereignis Portugals im 18. Jahrhundert ist — das Erdbeben
von Lissabon (1755). Der Fortschritt der Aufklärungsidee wurde durch die
düsteren Zeiten der fanatischen Königin Maria (seit 1777) verzögert. Der
Rigorismus dieser Regierung unterdrückte die Intelligenz und zwang sie
zur Auswanderung.
Brasilien kopierte mit seiner „Arcadia Ultramarina" (1772) das
Mutterland, Seine Jugend bezog die Universität Coimbra und bildete
dort Geist und Geschmack. Aber bereits zeigten einheimische Poeten
eigenartige Bilder und Klänge aus Leben und Landschaft der Tropen.
In Spanisch-Amerika aber regte sich noch nichts. Die Verkündigung
französischer Ideen büßte der Verfasser des „Neuen Lukian" (um 1780)
in Ecuador mit Gefängnis.
Die Kauzei- Dcr crste Bourbon, Philipp, der am Hofe seines Großvaters Lud-
ere sam -ei . ^.^ XIV. Bossuet gehört hatte und von Fenelon gebildet war, mußte
von der zugleich schwülstigen und burlesken Art der spanischen Kanzel-
redner verletzt sein. So hatte man wohl in Frankreich zur Zeit seines
Urgroßvaters gepredigt. An dieses Königs Philipp Maßnahmen schließt sich
jene Reformbewegung, die dann in dem Jesuitenpater Isla den siegreichen
Wortführer fand. Dessen „Historia del famoso predicador Fray Gerun-
dio" (1758) erzählt mit unübertrefflicher Komik, wie ein wortgewandter
Bauemjunge, von geistlichen Lehrern in trostlosen Methoden gedrillt, zu
einem Gecken der Kanzel wird. In Frankreich war mit Buch und Bühne
gegen das unwürdige Spiel mit dem heiligen Wort gekämpft worden.
In Italien schwang eben Baretti seine „Geißel" über diesen Unfug. Aber
nur in Spanien, wo der Unfug am grellsten war, fand sich der Künstler
der aus Phantasie und Wirklichkeit ein Lebensbild schuf. Die „Precieuses
ridicules" und der „Fray Gerundio" sind die Denkmäler der Preziosität
des eleganten Frankreich und des kirchlichen Spanien. „Fray Gerundio"
entfesselte einen Sturm. Die Inquisition verbot jede weitere Äußerung,
und die Mode wandte sich vom geistlichen Gongorismus ab.
Die dramatische Dcn erstcu Versuchcu, regelrechte Tragödien zur Aufführung zu
IC tung bringen, leistete die nationale comedia erfolgreichen Widerstand. Zwar
hatten Lope und Calderön keine ebenbürtigen Nachfolger mehr. Kunst-
werke entstanden nicht mehr; aber treffliche Schauspieler unterhielten
eine lebenskräftige Bühnentradition. Es wurden für die co?nedia eigent-
liche Schauspielhäuser errichtet, während bisher in offenen Höfen [corrales)
gespielt worden war.
Jene ersten Versuche gingen aus dem Kreise Luzäns hervor, dessen
„Poetica" 1737 erschienen war. Luzän war in Italien gebildet und ein
Schüler der Arcadia. Er nimmt die Stellung der Italiener ein: er pole-
misiert theoretisch gegen den französischen Klassizismus und unterwirft
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. II. .Spanien u. Portugal im i8. Jahrhundert. 28s
.sich praktisch — wie Gravina — „den Regeln, die bei den gebildeten
Völkern in Kraft sind" und denen ja die vielbewunderten Lope und
Calderön nicht genügten. Andere griffen auf Boileau.s, Huets, Desmarais'
Lehren zurück. Das Auftreten dieser Schule Luzäns hat viel Ähnlichkeit
mit den dramaturgischen Bemühungen der französischen Plejade: ihre
Trauer- und Lustspiele — Schöpfungen, Nachahmungen, Adaptionen,
Übersetzungen — blieben lange Zeit Buchdramatik, da ihnen (vor 1770)
keine öffentliche Bühne zur Verfügung stand. Ihr Auftreten ist mit Aus-
fallen gegen die heimatliche Kunst verbunden und ist von der Unter-
drückung des alten religiösen Dramas {Ai//o sacramcntal) begleitet (1765).
An dieser Unterdrückung hatte übrigens der später durch Beaumarchais
bekannt gewordene Clavijo besonderen Anteil: seit Jahren bekämpfte er,
ein Mann ganz französischer Bildung, in seiner periodischen Publikation
„El Pensador" aus kirchlichen und künstlerischen Gründen diese Spiele,
die dazu beitrügen, „die Spanier bei den anderen Völkern in den Ruf
von Barbaren" zu bringen.
Der Weg, der über das sentimentale Lustspiel zum bürgerlichen
Drama führt, mußte auch den lehrhaften Spaniern sympathisch sein.
Luzän übersetzt aus La Chaussee; Jovellanos schreibt im Geiste Diderots
und Sedaines den pathetischen „Delincuente honrado" (1784), der tränen-
und erfolgreich über die Bühnen Europas zog. So wird das Theater der
„Afrancesados", freilich unter heftigen Kämpfen, zu einer Macht, obwohl
es weder in Spanien noch in Portugal zu großen Leistungen kam. Wenn
es der alten comedia^ die allmählich verwildert war, Abbruch tat, so ver-
schwand diese doch nicht von der Bühne. Ihre freie, bieg- und schmieg-
same Form setzte sie in den Stand, aller Schau- und Hörlust zu dienen,
Trauerspiel, Spektakelstück und Posse zu sein und eine Revue über alles
irdische Geschehen abzuhalten. „Wilhelm Teil", „Katharina zu Kronstadt",
„Friedrich IL zu Torgau" gingen um 1780 über die Madrider Bühne.
Moratln hat in seiner „Comedia nueva" von 1702 über diese billige Morat.n.
Dramatik, die ihr Kleid aus französischen Flicken zusammenstückte, die
Fülle seines geistreichen Witzes ausgegossen.
Das Beste, was die „Afrancesados" der Bühne geschenkt haben, sind
die Lustspiele dieses jüngeren Moratln (1760 — 1828). Er begegnet sich
mit Goldoni, den er in Paris kennen lernt, in der Nachahmung Molieres.
Er übersetzt die „Männerschule" und bearbeitet mehrfach ihr Thema des
„alten Freiers". Kr sucht sich dem Zuschnitt der fremden Vorbilder auch
formell zu nähern, indem er die traditionelle strophische Rede entweder durch
Romanzenvers oder durch Prosa ersetzt. Aus der anmutvollen Eleganz
seines Dialoges und der ZierUchkeit seiner Charakterführung .spricht der
Geist Marivaux'. Moratin ist in seinen Theorien starr; er beurteilt Shake-
speare auf den Spuren der französischen Kritik. Aber in der Ausfuh-
rung verleugnet er den Spanier nicht. Er ist kräftiger, würziger als
Goldoni.
2 86 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Damals beherrschte Mohere die Lustspieldichtung des germanischen
und romanischen Abendlandes. Nur in Spanien blieb es bei wenigen
Adaptationen und sporadischen Übersetzungen Molierescher Stücke, wie
ja andererseits auch Europa von der reichen Blüte des spanischen Theaters
nichts übersetzt hat. Spanien empfand den „klassischen" Moliere als zu
fremdartig. Eigentliche Freizügigkeit zwischen der spanischen Bühne und
den Bühnen der anderen Länder hat erst die nivellierende Neuzeit gebracht.
Über der Kunst der „Afrancesados" versiegte indessen die alte Tra-
dition der Posse nicht, die im 17. Jahrhundert so kräftig gediehen war.
Ihre, trotz Benavente, zumeist rohe und unkünstlerische Form fand in
Ramön Ramöu de la Cruz (f 1794) einen sorg^losen aber kraftvollen Meister,
de la Cruz. ^^^ besonders das Sittenbild aus dem Alltagsleben der Hauptstadt, den
Sainetc, mit unübertrefflicher Lebensfrische gestaltete. Was im Bürger-
haus, an der Puerta del Sol, im Prado, in der Kneipe, was unter Stier-
fechtern, Maultiertreibern, Hökerinnen vor sich geht, das läßt er uns an
unvergeßlichen Figuren erleben. Der Gassenhauer klingt auch in seine
Verse hinein, durchsetzt den Sainete und macht ihn zum Singspiel, zur
Zarzuela. Neben der klassizistischen Kunst, die er verspottet, wächst
Cruz aus dem Boden Madrids hervor wie Goya. Beide verstehen zu
malen zu einer Zeit, da es in Europa kaum mehr Koloristen gab. Cruz'
Werk ist überreich. Mit Hunderten von Sainetes hat er während dreißig
Jahren sein Land ergötzt. Frankreich hat nichts Ebenbürtiges aufzuweisen;
aber Cruz hat augenscheinlich von französischen Possen und Vaudevilles
einen gewissen gallischen Zuschnitt gelernt. Doch bleibt er spanisches
Vollblut. Sein oft herber Humor schreibt nieder, wie er sagt, „was die
Wahrheit diktiert". Es ist die spezifisch spanische Art des „Verismus",
dessen Vorfahren das „Libro de buen amor" und die „Celestina" sind.
Wenn Sainete und Zarzuela noch heute die spanische Bühne be-
herrschen, so hat den Grund zu dieser soliden Herrschaft Ramön de la
Cruz gelegt.
Die Verhältnisse des spanischen und italienischen Theaters werden
durch die hier genannten Meister der komischen Bühne trefflich illustriert:
dem einen Goldoni, der sowohl regelhafte Lustspiele als heimische Possen
schreibt, stehen hier zwei Dramatiker gegenüber, Moratin und Cruz, die
sich in das Feld teilen und von denen jeder mehr heimatliche Eigenart be-
wahrt hat als der Italiener. Das spanische Theater ist mannigfaltiger
und kräftiger.
Die Oper ist in Madrid und Lissabon italienischen Geistes. Ihre Hof-
kunst ist von Metastasio beherrscht.
Die Fabel. Dem lehrhaften Zeitgeiste entspricht die Vorliebe für die Fabel.
Lafontaines Kunst wird in feiner, glücklicher Nachahmung in den Dienst
der moralischen oder literarischen Unterweisung gestellt. So kleidet
Iriarte (f 1797) „las reglas del arte" in die Lehren hübsch erzählter
Tiermärchen. Wenn er auch ein „Afrancesado" ist, so klagt er doch
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. II. Spanien u. Portugal im i8. Jahrhundert, 287
über die Vernachlü.ssigfung der heimatlichen Dichtung: mancher Spanier
könne fünfhundert Verse aus Tasso oder lioileau hersagen, wis.se aber
nicht einmal, in welcher Sprache Garcilaso gedichtet habe. Und gerade
mit Iriartes Fabeln erwarb diese heimatliche Dichtung neuen Ruhm, auch
in Frankreich, wo Florian nach ihrem Vorbild griff.
In der Lyrik herrscht bis 1760 das bukolische und anakreontische u« Lyrik.
Tändeln, das Spanien von Italien übernommen und seit dem 16. Jahr-
hundert nach seiner Eigenart ausgestaltet hatte. Dann aber führt Frank-
reich auch den Liederdichtem neue Stimmungen und Ideen /u. J. M elend ez
X'aldes (1754 — 1H17) ist ihr Größter und ein wahrer Poet. Seine Harfe
erklingt erst unter dem Hauche des arkadischen Zephyrs und dann unter
dem Wehen des französischen Nordwindes, bald zart und schmeichelnd,
bald kräftiger, aber immer harmonisch, auch in der „Grandilocuencia",
und von liebUcher Bildlichkeit Es sind ihm Lieder von außerordentlicher
Schönheit gelungen. Aber dieser große Künstler ist ein kleiner, haltloser
Mensch. Er ist ein Echo der Gedanken anderer. Mel^ndez gehört jener
führenden Dichtergruppe an, die sich nach Salamanca benennt. Sie zeigt Die saiiBaaaa«r.
die starke klassizistische Färbung der Zeit und pflegt neben Reim und
Assonanz (Romanzen) den reimlosen Vers.
Cadalso und Jovellanos sind die intellektuellen Leiter dieser Sal-
mantiner Schule. Jovellanos (f 181 1) ist der Repräsentant des spanischen
Liberalismus, der moderne Mann jener Zeit, der Frankreich liebt, aber
Rousseau und die Revolution ablehnt Politische, soziale, literarische
Reform predigt er in Wort und Schrift, in gereimter und freier Prosa,
mit Buch und Bühne. Cadalso, auf Reisen gebildet, verbindet Liebe zum
heimatlichen Schrifttum mit offenem Sinn für das gute Fremde. Youngs
„Xachtgedanken" inspirieren ihn. Er schreibt nach Montesquieus „Persischen
Briefen" seine witzigen „Cartas marruecas" (gedr. 1793).
In diesem Maße geht im 18. Jahrhundert die literarische Arbeit der Der EjoAiiä «le«
Iberischen Halbinsel auf französischen Einfluß zurück, mag auch beim ■^'"'»'"•»
einzelnen der Erdgeschmack noch so kräftig sein. Alle hier genannten
führenden Schriftsteller weisen nach Frankreich: Feijoo, Isla, Luzän,
Jovellanos, Cadalso, ihre Tragödien und Schauspiele, das Lustspiel
Moratins wie die klassizistische Lyrik der Sidniantiner und der Sainetc
des Cruz. Auch was aus England und Deutschland herüberdringt, kommt
zumeist über Frankreich; die literarischen Journale berichten über das
germanische Ausland nach französischen Blättern. Dabei steht England
im Vordergrund. Schon Luzän kennt zwar Milton und Pope, aber keinen
Deutschen; Moratin und Melendez studieren englische Vorbilder, und
Jovellanos schreibt eine englische Elementargrammatik. Ossian findet
seinen Weg über Italien: Montegön überträgt ilm 1795 nach Cesarotti.
Um ihn aber auf die Bühne zu bringen, übersetzt Gallego dtis Stück
Arnaults, „Oscar, fils d'Ossian". Auch Grays „Dorfkirchhof" (Cemcntcrio
de aUüä) fehlt nicht Deutschland steht stark zurück, Geßner führt es
288 Heinrich Morf; Die romanischen Literaturen.
an. Lessing, Goethe, Schiller sind kaum dem Namen nach bekannt. Das
deutsche Theater ist durch den vertreten, den die Spanier Kot-bue
(Kotzebue) nennen.
Quintana. Zur Scliulc von Salamanca gehört auch Quintana (1772 — 1857),
dessen klangvolle Stimme über dem in schweren Freiheitskämpfen sich
mühenden Lande erschallt wie in Italien die Stimme Montis. Aber wenn
Quintana ebenso beredt ist wie Monti, so ist er ihm an Patriotismus und
Hochsinn überlegen. Mit einer Begeisterung, die jeder Enttäuschung
standhält, singt er seiner eroica Espaha das Lied von Fortschritt und
Freiheit. So ist dieser Herold am Tor des ig. Jahrhunderts seinem Lande
viel mehr gewesen und geblieben als der Rhetor Monti für Italien.
Wie hatten die Zeiten sich geändert! Um 1650 herrschte in der
Romania die Sprache der spanischen Weltmacht: Spanisch erklang als
Echo einer glänzenden Literatur und im Gefolge der Diplomatie und der
Waffen in Italien und Frankreich. Hundertfünfzig Jahre später steht die
selbe Romania unter der geistigen, sprachlichen und politischen Hege-
monie Frankreichs, einer Hegemonie, die, auch literarisch, eine merk-
würdige Mischung von Freiheit und Zwang darstellt. Dabei waren es in
den beiden Ländern Italien und Spanien die nördlichen Gebiete, denen in
dieser Wandlung die führende Rolle zufiel.
III. Rätien und Rumänien. Die literarische Geschichte dieser
beiden ostromanischen Gebiete zeigt bei großer Verschiedenheit doch
manche Parallele. Das romanische Sprachtum der Ostalpen (Rätisch) und
das romanische Sprachtum, das um die Karpathen sich lagert (Rumänisch),
sind beide exponierte Gebiete, Vorposten der Romania, der eine gegen
das Deutsche hin, der andere mitten in slawischem Lande. Diese beiden
mächtigen Kultursprachen mächtiger Nachbarn hielten die schriftliche
Fixierung und Verwendung der beiden romanischen Idiome hintan. „Die
Rhetijsch Sprach ist nit gericht, das man die schryben könne, denn all
brief und geschrifften in jrm lande sind von alter har in Latin und yetz
mehrteils zu tütsch gestelt", sagt Tschudi noch 1538.
Die Reformation, die von der deutschen Schweiz nach Graubünden
und von den siebenbürgischen Sachsen zu den Rumänen dringt — diese
germanische Botschaft weckt die schlummernden romanischen Idiome
und spricht ihnen Worte vor, die sie stammelnd wiederholen. Im nämlichen
Jahrzehnt (1550^ — 1560) erscheinen die ersten gedruckten rätischen und
rumänischen Bücher: Katechismen und Bibelübersetzungen, hier nach
deutscher, dort nach slawischer Vorlage, die sie in Wortwahl und
Satzbau reichlich verraten. Ein dürftiges geistliches Schrifttum rankt sich
während Jahrzehnten an der Kirche empor. Aus Frankreich klingt
dabei ein kalvinistischer Ton hinein, während Rom sich anstrengt, nicht nur
die Fortschritte der Reformation zu hemmen, sondern auch den Weg zu einer
Verständigung mit den griechisch-orthodoxen Rumänen zu finden (Union).
E. Die ubri^je Romania bis zur Romantik. III. Rätien und Rumänien. 289
Aus solchen Anfangen hat das rumänische Sprachgebiet mit seinen
87, Millionen Bewohnern schließlich ein ansehnliches, wenn auch nicht
sehr originelles Schrifttum entwickelt, das heute von einem starken, wirt-
schaftlich aufblühenden Staate getragen wird, während das kleine Rätien
mit der sprachlichen auch seine bescheidene literarische Eigenart zu ver-
lieren im Begriffe steht: Graubünden und die rätischen Täler Tirols
werden in absehbarer Zeit germanisiert sein.
Die bescheidene rätische Literatur beruht wesentlich auf Grau- Kibm
bünden mit seinen etwa 40 000 Romanen. Die 1 1 000 Räten Tirols
kommen nicht in Betracht, und die halbe Million Räten Friauls gravi-
tierten von jeher zu sehr nach dem Venedischen und der toskanischen
Schriftsprache, als daß ihr Idiom literarisch nicht den Charakter einer
bloßen Mundart trüge.
Das Volkslied erschallt natürlich über das ganze Gebiet hin, am
reichsten, soviel wir heute wissen, in den Tälern des Rheins und des Inn.
Alte Romanzen verwitterter metrischer Gestalt singen von Liebe und
Sterben, von den Geheimnissen und den Gefahren der Berge, vom armen
Jungen, der ein Königreich gewinnt, von Tierhochzeit, von „Malmariees".
Das „Verwandlungslied" der Magali, das Mistral in der Provence ge-
funden, ertönt auch in Rätien und Rumänien.
Kräftige politische und historische Lieder begleiteten die bewegte
Geschichte der „drei Bünde", die mit dem Siege an der Kalven (1499) in
die europäische Geschichte glorreich eingetreten waren, begrüßt von dem
stolzen Epos „Raeteis" des Humanisten Lemnius. Die deutsche Refor-
mation und die italienische Gegenreformation machen sich die blühenden
Gemeinden streitig; doch hatten die italienischen Kapuziner im Engadin
weniger Erfolg als im Rheintal. Die Bünde strecken ihre gewappnete
Hand nach dem Veltlin aus. Ihre Politik und die Wichtigkeit der Alpen-
übergänge zieht sie in die endlosen Kriege der Großmächte hinein, auf
deren Hintergrund die inneren Kämpfe zwischen Konfessionen, Ge-
schlechtern und Talschaften sich abspielen. Sirventese fliegen hin und
her. Dem tragisch untergegangenen Jürg Jenatsch ruft ein solches Rüge-
lied 1638 bösen Spott nach. Eine andere svargugnusa chanzun (schänd-
liches Lied) drückte schon hundert Jahre zuvor dem tapferen Engadiner
Travers die Feder in die Hand, daß er in einer kunstlosen Reimchronik
den „Müsserkrieg" erzähle. Er hatte selbst am Zug gegen den mailän-
dischen Schloßherrn von Musso am Comersee (15 17) teilgenommen und
wollte die Wahrheit über die vird'it dals Griscliuns, die sco liutis (wie
Löwen) gekämpft hatten und deren Gesandten nur dem Verrat erlegen
waren, verkünden. Diese Reime „dalla guerra dalg Chiast^ d'Müsch"
sollen der älteste Versuch sein, das Rätische schriftmäßig aufzuzeichnen.
Zahlreiche Lieder beschäftigten sich mit dem Leben des Söldners. Der
Sohn der Berge, der im Ausland diente, brachte neben viel Unsitte auch
manches Buch, manche literarische Anregung mit nach Haus. Die fran-
DU KutTU» DM GbOIHWART. L 11. I. ig
290 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zösische Revolution warf ihre Wellen auch in diese Täler; aber die
Stimmungen, die sie weckte und die in kecken Liedern zum Ausbruch
kamen, schwanden, und 181 5 stellte die alte Ordnung in dem konser-
vativen Lande wieder her.
Die religiöse Bewegung schuf zahllose Kirchenlieder, zum Teil ein-
fache Umbildungen von Volksliedern, wie allerwärts. Es ist viel Schönes
darunter, vom „Ver sulaz da pievel giuvan" (Jungen Volkes wahre Er-
götzung, 161 2) des Prädikanten Gabriel bis zur „Consolaziun dell' olma
devoziusa", dem alten katholischen Erbauungsbuch. Das protestantische
Kirchenlied ist vom deutschen inspiriert. Gabriel hat Luthers „Ein feste
Burg" schön übertragen:
Ün ferm casti igl niess Dens ei
Agid ad er fortezchia . . .
Die Volksbücher, Chroniken, Reisebeschreibungen zeigen natürlich
wenig Eigenart. Von mittelalterlicher Dramatik hat sich im katholischen
Oberland eine doppelte Spur erhalten: in Passionsspielen und in dem
dramatischen Scherzgericht {Dertgira nauschd), in welchem über den Streit
zwischen Frau Fasten imd Junker Fasching verhandelt wird — ein altes
und weitverbreitetes Thema. Die Reformation hatte, wie anderswo, ein
propagandistisches Theater im Gefolge, dessen Stücke aus schweizer-
deutschen Drucken entlehnt waren. Die Weltlust, die sich mit diesem
Spiel verband und die auch zu profanen Stoffen griff, verdrängte bald
das dann auch von der Kirche mißbilligte konfessionelle Theater.
Diese ganze Literatur, auf welche die deutsche Schweiz viel nach-
drücklicher eingewirkt hat als der italienische Nachbar und die Romania
überhaupt, ist nach den Talschaften stark mundartlich gefärbt. Es fehlte
ihr der große Schriftsteller und das hervorragende Kunstwerk, welche
die zentrifugalen Kräfte des kleinen Schrifttums überwunden und die
Männer der Feder vom Gotthard bis zum Ortler in den Bann einer ein-
heitlichen Schriftsprache gezwungen hätten.
Rumänien. Staatliche Einigung und Selbständigkeit war dem rumänischen
Sprachgebiet ebensowenig wie dem rätischen gegeben. Die Signatur
seiner Geschichte ist Fremdherrschaft, und zwar eine Fremdherrschaft
orientalischen Charakters. Zur Zeit, da es in die Literatur eintrat,
gehörten Moldau, Walachei und Siebenbürgen mit Ungarn zum Osmanen-
reich. Die Türken hatten sich über die Balkanhalbinsel ergossen
wie einst die Araber über die iberische. Um 1700 begann die Rück-
bildung dieses Reiches: Siebenbürgen fiel mit Ungarn an Österreich.
Walachei und Moldau wurden von Stambul aus durch Griechen verwaltet,
d. h. gebrandschatzt. Der Bojar lernte die Sprache dieses griechischen
Landvogts, den er deshalb nicht weniger haßte. Rumänisch war die
Sprache des geknechteten Bauern. Die französische Revolution und die
Kriege Napoleons brachten der Balkanhalbinsel wohl Unruhe, neue Ideen,
persönliche Beziehungen, den Freiheitsruf des Dichters — aber keine Um-
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. III. Rätien und Rumänien 2QI
wälzung-. Am Aufstand der Griechen gegen die Türkei (i8ji) nahmen
die Fürstentümer teil, um sowohl von den türkischen Herren, als von den
griechischen Hospodaren loszukommen. Die verhaßte hundertjährige
Fanariotenherrschaft nahm denn auch ein Ende. Aber bis zur Erreichung
wirklicher Selbständigkeit sollten noch Jahrzehnte vergehen, und das
Königreich Rumänien vereinigt noch heute nicht einmal zwei Drittel aller
rumänisch Redenden.
Die rumänische Kultur ist nach alledem wesentlich orientalisch. Sie
erscheint als eine Ausstrahlung slawischer Kultur, mit einem starken
griechischen Einschlag. Das Slawentum hält die rumänische Erde um-
klammert als einen Bestandteil jener großen Kultureinheit, „deren histo-
risches Fundament das einstige byzantinische Reich und deren Kitt das
orthodoxe Bekenntnis bildet".
Von den Slawen her kam das Christentum und die Kirchensprache,
und noch lange nachdem die schriftsprachliche Herrschaft des Slawischen
gebrochen war, bediente man sich seines Alphabets, um das Griechische
und dann — auch die rumänische Muttersprache zu schreiben. Es gibt
liturgische Werke, deren griechischer Text und deren rumänische
Übersichtstitel in gleicher Weise mit slawischen Lettern gedruckt sind.
In der reichen rumänischen Volkspoesie finden sich Themata, die
unter den Völkern weit über die Romania hinaus verbreitet sind. Die
Sitte der Weihnachts- und Neujahrsumzüge, die wir in Frankreich schon
vor 600 Jahren bezeugt finden {qiicrre noel\ hat auch in Rumänien
religiöse Bittlieder (Balladen) gezeitigt {colindc = \2X^\x\. calcndac), die, von
Geistlichen verfaßt, nun im Munde gabensammelnder Kinder umgehen.
Die weltliche Lyrik weist mit ihrem schönsten Bestände nach den Slawen
oder Griechen. Oft ist sie geradezu slawisches Gut in romanischem Sprach-
kleid, wie so viele prächtige Balladen und Romanzen der fahrenden
Sänger {läutari). Das Lied von Manoli, der beim Bau des Klosters
Argesch sein Weib lebendig einmauert, ist griechischer Herkunft, wie die
Lieder von Hero und Leander. Der Zyklus von der Sippe Xovac mit dem
reckenhaften Gruia, ob dessen Stimme die Berge erzittern und dessen
Schnurrbart so mächtig ist, daß er ihn hinter dem Kopf in einen faust-
großen Knoten schlingt, stammt aus Serbien; anderes aus Rußland. Der
Tanz (//(^/-^z < xöpoq) , zu dem muntere Schnaderhüpfel improvisiert werden,
die Melodie, zu welcher das sehnsuchtsvolle, schwermütige Liebeslied {doind)
gesungen wird — Doinä, doinäy cintec dulcc! — , tragen den Stempel der
Kultur, die allen Völkern der Balkanhalbinsel gemeinsam ist. Das Räuber-
lied des Outlaw (Haidukem klingt, klagend oder übermütig, durch die
ganze Halbinsel. Die Figur des Renegaten, der Türke geworden, be-
schäftigt die Dichtung südlich und nördlich der Donau.
Aber wenn es auch auf diesen großen Chor eingestimmt ist, so hat
doch das liederreiche rumänische Land vieles eigenartig geprägt — und
unermüdlich fährt es darin fort — vom Liebes- und Heimwehlied bis
19»
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92
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
zum Geschichtslied, dem Ausgangspunkt späterer Romanzen. Es hat in
seinen historischen Liedern auch seinem Haß gegen die Unterdrücker,
gegen Türken, Ungarn, Griechen ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt.
Lebendig aber quillt der Born der Volkspoesie gegenwärtig nur
noch im großen dakorumänischen Kernland. In den Sprachinseln der
Aromunen (Makedonien), der Megleniten und in Istrien ist das Volkslied
im Verstummen oder schon verstummt.
Der Mühe, neben Schwänken und anderer „Weisheit der Gasse" auch
Volkslieder aufzuzeichnen, hat sich zum erstenmal der Kantor und
Kalendermann A. Pann (f 1844) unterzogen. Die Kalender, „Spinn-
stuben" usw., in denen der Unermüdliche sammelte und auch reimte, was
das Volk sich erzählt, zuruft und zusingt, haben zur Erweckung dieses
Volkes in ähnlicher Weise beigetragen, wie der Armand prouvengau in
Südfrankreich. Pann ist der Roumanille seines Volkes, und er ließ sich
nicht träumen, daß ein halbes Jahrhundert später die Königin des Landes
sich nach den nämlichen Liedern bücken würde, um sie in kunstvollen
deutschen Übertragungen den westlichen Literaturen zuzuführen. Dafür
dringt auch von der Volksliteratur des Westens noch in neuerer Zeit
manches hinüber, von der Genovevalegende bis zu den Schwänken des
Till Eulenspiegel.
Man weiß, wie groß der Anteil des Orients an den Volksbüchern des
Abendlandes ist. Der Alexander- und der Trojaroman, Barlaam und
Josaphat, die sieben weisen Meister, die apokryphen Evangelien und
Legenden aller Art haben sich vom Orient über den ganzen Westen aus-
gebreitet. Auch Rumänien besitzt sie, oft auf griechischer Grundlage und
meist durch slawische Vermittelung. Der „Alexander" ist das beliebteste
Volksbuch des Landes.
Nur ganz allmählich trat seit 1650 das Slawische aus seiner Stellung
als Literatur- (Kirchen-) Sprache zurück. Das Rumänische drang mit
Kapitelüberschriften und mehr populären Teilen, wie Psalmen und Be-
gräbnisformeln, in das Ritual ein und teilte in der Liturgie noch lange
seinen bescheidenen Platz mit dem Griechischen.
Der römische Seit 1660 begegnen wir rumänischen Chroniken. Die Moldau als der
Nationalgedanke. gg)3ii(jgtgj-e Landcsteil erscheint dabei führend. Schon diese ältesten
Historiker vertreten nachdrücklich, oft leidenschaftlich und mit Hilfe
phantastischer Etymologien, die Auffassung, daß die Rumänen Abkömm-
linge der dakischen Römer, daß sie die Römer des Ostens seien. Dieser
römische Nationalgedanke wurde besonders durch die von Rom aus geleitete
Bewegung der Gegenreformation in Siebenbürgen genährt. Er trat so in
den Dienst katholischer Propaganda und ihrer unierten Kirche, in der
lateinisches Vorbild und Alphabet nun an Stelle des slawisch -griechischen
aufgenommen wurde. Er fand begabte Historiographen mit westlicher
Bildung, wie Schincai (f 1816). Er schuf nationale Schulen mit mutter-
sprachlichem Unterricht. Das abseits liegende Siebenbürgen übernahm
E. Die übrige Romania bis zur Romantik. III. Räticn und Rumänien. 293
damit eine nationale Führunjjf, die inde.s.sen, weil sie zugleich einen kirch-
lichen Gegensatz bedeutete und nicht nur übertrieben sondern auch ein-
seitig war, viel Unfrieden im Gefolge hatte.
Mit der Annahme des lateinischen Alphabets wurde unter der
Führung von P. Maior (f 1824) die Neigung herrschend, den lateinischen
Charakter des Rumänischen durch eine angebliche historische Orthographie
zu bekunden. Diese „nationale" Schreibung führte zur „Säuberung" der
Grammatik und des Wortschatzes und zur Ersetzung des Gewordenen
durch gewalttätige Latinismen. Es sollten gleichsam die sprachlichen
Zeugnisse der slawischen, ungarischen, griechischen Herrschaft vertilgt
und die alte römische Reinheit und Freiheit wiedergeboren werden. Diese
Renaissancebestrebungen, die nicht aus künstlerischem sondern aus poli-
tischem Bedürfnis flössen und von ungenügender linguistischer Einsicht
begleitet waren, richteten in den Köpfen böse Verwirrung an und
brachten auch der Literatur auf Jahrzehnte hinaus Schaden. Die \'er-
treter dieser Renaissance meinten den nationalen Gedanken zu fördern,
indem sie die Entnationalisierung der Sprache lehrten. Auch dies Er-
lebnis hat Rumänien mit Rätien gemein.
Die Rumänen haben im Laufe der Zeit erfahren müssen, daß es
nicht genügt, sich „Enkel der Welteroberer" zu nennen; daß die Tradition
von einem glorreichen Ursprung auch ein Verhängnis sein kann und daß
es noch einen anderen, werktätigeren Patriotismus gibt als den der un-
duldsamen geschichtlichen Phrase.
Durch griechische Übersetzungen drangen im 18. Jahrhundert Werke Der i.tcranK;b<
der schönen Literatur des Abendlandes zu den gebildeten Rumänen der ^"^"^ ''**
^ Weiiem.
Walachei und Moldau. Dann trat gegen Ende des Jahrhunderts das
Französische als Modesprache neben das Griechische. Die geistige Ver-
bindung mit dem Westen wird enger, und zu der eintönigen Nachahmung
der tändelnden griechischen Poesie gesellt sich seit 1820 die Übersetzung
und Nachahmung westlicher, französischer und italienischer Muster, z. B.
durch J. Väcärescu, dem manch schönes Lied gelang. Zeitschriften
werden gegründet, welche die Kenntnis westlicher Kultur und Kunst ver-
breiteten.
Von einem rumänischen Theater älterer Zeit ist nichts bekannt. Ein
bescheidenes Weihnachtsspiel (Herodes) stammt von den Sachsen; das
Marionettenspiel weist auf den türkischen Karagöz. Auf der Bühne zu
Bukarest wurde um 1820 Voltaire und Alfieri noch griechisch aufgeführt.
Dann aber mehrten sich die rumänischen Übertragungen und Aufführungen.
Diese Übungsarbeit blieb aber noch lange innerhalb der klassischen
Tragödie und Komödie befangen.
So tat das Rumänische der Fürstentümer nach dem Sturze der
P anariotenherrschaft die ersten zögernden Schritte nach der höheren
literarischen Kunst der abendländischen Romania.
294
HEI>fRICH MORF; Die romanischen Literaturen.
F. Das 19. Jahrhundert.
Unaufhaltsam waren im Laufe des 18. Jahrhunderts germanische
Ideen nach Frankreich und von dort in die weitere Romania ge-
drungen, erst aus England, dann nach 1750 auch aus Deutschland, erst
die Weltanschauung überhaupt umgestaltend, dann auch die Kunstlehre
und Kunstform beeinflussend.
Die kriegerischen Zeiten von 1792— 181 5 hemmten diese friedliche
Entwickelung. Anspruchsvoll erhob sich das Lateinertum des Neoklassi-
zismus als der künstlerische Ausdruck romanischer Hegemonie und des
Cäsarentums. Aber gerade diese wilden Zeiten führten romanische
Emigranten und Eroberer tief in deutsches Land und Leben, und wenn
alte Verbindungskanäle der Völker verödeten oder verschüttet wurden,
so wurden Tausende von einzelnen Beziehungen geschaffen, die aus an-
fänglicher Unscheinbarkeit zu einer Macht erwuchsen. Die Dinge begaben
sich wie zur Zeit der Kreuzzüge, da das Abendland ausgezogen war, um
den Orient zu unterwerfen: die politischen Eroberungen gingen wieder
verloren, aber die Wechselbeziehungen der Völker übten dauernde
Wirkung, und über den Okzident ergoß sich damals ein Strom morgen-
ländischer Literatur.
So ergießt sich nun nach 181 5 eine Fülle deutscher und englischer
Anregungen über die Romania.
Es ist der charakteristische Zug des 19. Jahrhunderts, daß die
nationalen Literaturen in enge und rasche Wechselbeziehungen treten
und jene „allgemeine Weltliteratur" sich bildet, die Goethe kommen
sah. Es handelt sich nicht mehr um literarische Herrschaft der Romania,
wie sie bis jetzt im Abendland seit der Hohenstaufenzeit, durch sechs
Jahrhunderte bestanden. Jetzt tritt das germanische Europa der Romania
zur Seite und teilt sich mit ihr in die literarische Führung. // faut,
sagt Frau von Stael 1813, il faut dans les temps modernes avoir Vesprit
europeen.
Das reiche Schrifttum dieser modernen Romania bildet sich unter
dem Einflüsse der Germanen (der Deutschen, Engländer und Skandinavier) und
auch der Slawen — unter dem tiefen Einflüsse der Litterature du Nord,
wie andererseits das Feld der germanischen und slawischen Literatur mit
romanischen Ideen bestellt wird.
Der Weltverkehr, der die Völker in Liebe oder Abneigung aneinander
schließt und sie alle den starken Pulsschlag gemeinsamen Lebens fühlen
läßt, hat diese Weltliteratur vorbereitet und trägt sie. Sie bedeutet
keineswegs eine Entnationalisierung, denn auch ihre Kunstwerke haben
die starken Wurzeln ihrer Kraft in der Heimat. Die „Weltliteratur" des
19. Jahrhunderts ist in der Romania bodenständiger als das Schrifttum des
Ancien Regime,
F. Das 19. Jahrhundert I. Die Romantik. 2Q5
I, Die Romantik. Was ini iS. Jahrhundert an (Jpposition ^e^en
den Geist der klassischen Kunstg-esetzg-ebunj^ sich perejrt hatte, das
floß in der sogenannten Romantik zusammen, und auch darin bHeb
Frankreich innerhalb der Romania führend. Es zuerst füj^'-te die disjecta
membra zu einem romantischen Ganzen: die freie aus England stammende
Auffassung des Dramas; den Individualismus und Lyrismus Rousseaus;
die polymorphe und polychrome Darstellungsart und den Exotismus
Bemardins; die Freude an der nationalen \'ergangenheit und besonders
am Mittelalter, seinem bunten Treiben und seiner gotischen Kunst; das
Interesse für die farbige nationale Gegenwart, wie sie sich in der Eigen-
art und Mannigfaltigkeit des provinziellen Lebens ausspricht. Das bereitete
sich während des Kaisertums in berühmten Büchern vor und trat unter
der Restauration in glänzenden Schöpfungen zutage.
Frankreich. Früh erwies sich, daß die kirchlich-religiöse Seite der Der g«« da
Revolution mißlungen war. Den „Ideologen", welche die Traditionen des '^»'•«'♦™»"
Materialismus vertraten, erwuchs aus den Lehren des Deutschen Kant, des
Schotten Reid sowie aus Mystik und Kirchlichkeit scharfe Gegnerschaft.
„Man drängte sich zum Hause Gottes, wie man in Zeiten der Pest zum
Arzt stürzt." Manche wie Cuvier, Frau von Stael rieten zur staatlichen
Einführung des protestantischen Kultus: nur der Protestantismus könne
die Religion der Republik sein. Der erste Konsul schwankte. Dann
stellte er den katholischen Kultus wieder her und verkündete im April 1802
das Konkordat, das die Republik unserer Tage nach so viel Not wieder
hat aufheben müssen. Die Errichtung des erblichen Kaisertums (1804)
besiegelte die Rückkehr zur Autokratie. Die politische Beredsamkeit
verstummte; nur noch einer hielt politische Reden: Bon aparte selbst,
und bekanntlich sprach er meisterlich. Die Presse wurde dezimiert An
Stelle der politischen trat die literarische Kritik. Das Feuilleton ent-
stand (1800). Der höhere Unterricht und der Geist der Wissenschaft
wurde in staatliche Aufsicht genommen [l'nivcrsift' de France, 1808).
Eifrig unterstützt Bonaparte die Literatur, die ihm diente und seine
Ansprüche an Prunk, Feierlichkeit und Adulation erfüllte. Style empire
heißt denn auch die Blüte der neoklassischen Kunst. Charakteristisch ist,
daß der Kaiser, dem literarische Neuerungen und Ausländerei gleich ver-
haßt waren, Ossi an verehrte. Hin lockte die romantische Verherrlichung
des kriegerischen Heldentums, l^r wünscht sie für sich. Aber die Musen
flohen den gewalttätigen Mäcen,
In den Schriftstellern dieser bewegten und widerspruchsvollen Zeit
mischte sich heidnischer Klassizismus und mittelalterliche Christlichkeit,
Nationalstolz und literarischer Kosmopolitismus, ererbtes aufklärerisches
Freidenkertum und neuerwachte Religiosität, Autoritätsglaube und An-
spruch auf persönliche Geltung, so daß aus den Werken der Hüter der
Tradition oft eine Quelle der Opposition aufbricht und die Rollen ver-
tauscht erscheinen.
2g6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Zwei Persönlichkeiten überragen die Literatur dieser Jahre: Chateau-
briand und Frau von Stael.
Chateaubriand. Ren^ de Chateaubriand hat sein Leben (1768— 1848) in den
„Memoires d'outre-tombe" mit mehr Kunst als Wahrhaftigkeit erzählt.
Doch darf man ihm glauben, daß er in einer schlecht geleiteten Jugend
seinem krankhaft gesteigerten Empfindungsvermögen überlassen blieb.
„Ich vergähnte mein Leben." In diesem unbezähmten Vorherrschen der
Stimmung, das an Rousseau gemahnt, liegt die Quelle seines Welt-
schmerzes {enmci): Die Welt nahm zu wenig Rücksicht auf sein hyper-
trophisches Ich. Das Beispiel des Vaters führte ihn 1791 für fünf Monate
nach Nordamerika. Durch diese Fahrt in ein exotisches Land sollte, wie
einst durch die Reise Bernardins nach Mauritius, der französischen
Dichtung Neuland erschlossen werden. Chateaubriand sah freilich nur
Baltimore und einige andere Städte des Ostens; nach dem Inneren kam
er nicht. Er hat weder den Niagara, noch den Ohio oder Mississippi oder
gar Florida gesehen. Was er darüber während dreißig Jahren in seinen
Werken, besonders im „Voyage en Amerique" und in den Memoiren
Abenteuerliches erzählt, ist eitel Flunkerei und Plagiat. Auch in der
Schilderung seiner Orientreise hat er geflunkert {Itineraire 18 11). Man
kennt heute die Reisebücher, die er geplündert hat und hat die Kniffe
aufgedeckt, durch welche er bewundernden Glauben zu erwecken verstand.
Aber diese große Mystifikation hat wunderbare literarische Frucht
getragen. Der fragmentarische Anblick der neuen Welt und das aus-
giebige Studium von Reiseberichten Anderer befruchtete seine Phantasie,
als er, ein armer Emigrant, in London vom Ertrag seiner Feder lebte,
während zugleich schwere Schicksalsschläge in ihm religiöse Stimmungen
weckten. Er schrieb sein Prosaepos vom Untergang der Nadowessier
[Les Natchez)^ jenes Indianerstammes der Luisiana, den die Franzosen 1717
vernichtet hatten. Die Protagonisten sind: der greise Nadowessier Chactas,
der einst seine Braut, die Halbblutindianerin Atala, verloren, und der
junge europamüde Rene, der unter die Indianer gegangen ist. Das Opus
ist eine wunderliche Mischung aus herrlichen Schilderungen und schwül-
stigem Style empire, aus lyrischem Roman und steifem Epos, aus antiker,
christlicher und indianischer Mythologie. Chateaubriands Phantasie ist
pervers; er führt seinen Helden Ren6 bis an die Grenzen der Blutschande
und des Lustmordes. In London entwarf er auch das „Genie du Christia-
nisme". Die acht Londoner Jahre sind seine schöpferische Zeit.
Nach Paris zurückgekehrt, veröffentlicht er 1801 die „Atala "-Episode
der „Natchez", und dieses Prosagedicht einer unglücklichen Liebe mit
seinen wunderbaren Schilderungen und Bildern aus dem Urwald machte
ihn mit einem Schlage zum berühmten Manne. Er gab darauf aus den
„Natchez" eine weitere Episode: wie der junge Rene dem Chactas sein
verfehltes Leben erzählt. Vom Hintergrunde prachtvoller Kulissen hebt
sich der Bericht dieses französischen Werther wirkungsvoll ab. Wir hören
K. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. 2g7
die Botschaft dicsor verzwoiflunirsvollen ronommistischen Melancholie au.s
dem Munde eines Zwanzigfjährigen — allein uns fehlt der Glaube. Es ist zu
viel Pose dabei. Chateaubriand deklamiert und wirbt um die Bewunderung
der Welt, die er zu verachten vorgibt. Goethe erzählt im „Werther" schlicht
das, wessen das Herz voll ist. Wenn Chateaubriand behauptet, er habe
mit Rene das Gift der Empfindsamkeit und tatenlosen Träumerei, das die
„Nouvelle H^loi'se" und „Werther" der Jugend eingeimpft, bekämpfen
wollen, so irrt er. Er hat das Werthergift noch mehr vergiftet. Nicht
mit Unrecht spricht ein Zeitgenosse sogar von einer vergifteten Hostie,
denn Chateaubriand reihte den „Ren6" einem Buche christlicher Apologetik
ein, dem „G(^nie du Christianisme".
Das „Genie du Christianisme" erschien in den Tagen des Konkor-
dates (1802). Wie eine Glocke ruft es die Lebenden zur Versöhnung mit
der Kirche. Ursprünglich sollte es den Titel tragen: „Des beaut^s poe-
tiques et morales de la religion chretienne." Er nennt es selbst eine
poetische Theologie. Es ist eine Ästhetik des katholischen Christentums.
Es ist dem Nachweis gewidmet, daß das von der Aufklärung verhöhnte
Christentum in Wirklichkeit die wahre, weil eine schönheitsvolle Religion
sei, und von selbst wenden sich dabei des Verfassers Augen nach der
Glanzzeit dieser Religion, dem Mittelalter, dessen Gotik er triumphierend
der antiken Kunst gegenüberstellt und dessen Dichtung er wenigstens
gelegentlich anzieht. Chateaubriand verehrt zwar im 1 7. Jahrhundert eine
Zeit kirchlicher Autorität, aber poetisch ist er sein Widersacher mehr, als
er Wort haben will. Er spricht gegen Boileau die Meinung aus, daß die
heidnische Mjlhologie eine Fessel sei und daß die christliche Bilderwelt
(/<• mervcillcux chretioi) die Phantasie des Dichters erfüllen solle. Er
predigt eine christliche und nationale Poesie. Den literarischen Kosmo-
politismus lehnt er ab. Shakespeare erklärt er für einen Barbaren. Er
ist für Gesetz und Regel. Das Buch ist glänzend geschrieben. Was
Kraft und Neuheit der Gedanken anbelangt, so steht es nicht eben hoch.
Chateaubriands Art zu urteilen ist oft ganz leichtfertig angesichts des
Ernstes und der Würde des Gegenstandes. Aber die Phantasien seiner
mittelalterlichen Natursymbolik geben ihm Veranlassung zu glänzenden
Schilderungen voll lyrischer Inspiration, deren Alinea sich wie Strophen
eines Gedichtes aneinander reihen und lassen unter seiner Feder eine
Galerie prächtiger Bilder entstehen, unter denen die divinitvs chrctiinnt<:
— Plural! — den hervorragendsten Platz einnehmen. Das „G(^nie du
Chri.stianisme" ist das Bilderbuch zu Pascals „Pensf^es".
Kurz zuvor waren in Deutschland Schleiermachers „Reden über die
Religion" erschienen. Beide Bücher markieren die Abkehr von der Auf-
klärung, aber wie verschieden ist das philosophische Buch des Protestanten
von dem Bilderbuch des Katholiken!
Den praktischen Beweis für die Lehre von der poetischen Überlegen-
heit der christlichen Mythologie wollte Chateaubriand mit dem Prosaepos
2g8 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
„Les Martyrs" (1809) erbringen. Es spielt zur Zeit Diokletians, da
Heidentum und Christentum zusammen ringen. Die ganze, dem Altertum
bekannte Welt, insbesondere das Gallien der Frankenkämpfe, sowie die
drei Reiche des christlichen Jenseits bilden den Schauplatz.
Aber Chateaubriand ist zu selbstbewußt und virtuos; er ist nicht naiv
und gläubig genug, um wie Dante auf den Spuren der Apokalj^pse zu
dichten. Die wahrsten Partien sind nicht die christlichen, frommen, sondern
die heidnischen, sündhaften. So ist sein Beweis mißlungen. Aber das Epos
blieb ein Bildermagazin für die junge Romantik. „Ich habe poetische An-
regung nötig, schreibt Stendhal an einen Freund, sende mir die Mariyrs.^''
Früh nahm die Politik den ehrgeizigen Chateaubriand gefangen, der
seine dichterische Arbeit schon mit vierzig Jahren einstellte. Er diente
prahlerisch der Restauration. Aber mit dem Gottesgnaden tum der Bour-
bonen und der Priester lagen seine alten freiheitlichen Neigungen im
Widerspruch. So ist seine politische Stellung schwankend. Doch bewahrt
sein Gefühl für Würde diesen Pair de France davor, schlechte Figur zu
machen. Er weiß sein Leben zu inszenieren. Seine spätere Schriftstellerei
ist wesentlich Wiederholung: er schreibt sich und andere aus. Er hatte
sich längst ausgegeben und wollte immer noch scheinen.
Chateaubriand hat sich selbst mit Byron verglichen und sich auch
über ihn gestellt. Und wirklich haben die beiden Zeitgenossen viel
Ähnlichkeit. Sie haben ihre Zeit fasziniert durch den glänzenden farben-
und bilderreichen Ausdruck ihrer ungemessenen persönlichen Ansprüche.
Sie haben starke und tiefe Anregung gegeben. Heute überwiegt der
Eindruck des Sterilen in ihren ewigen Wiederholungen, des Theatralischen
und Unwahren in ihrer steten Pose.
Frau von staei. Frau vou Staöl (1766 — 1817) ist uicht kühl und skeptisch wie
Chateaubriand, sondern gefühlsselig und überschwenglich, nicht katholisch
sondern protestantisch. Sie ist weltbürgerlich, ein romanisches Reis auf
deutschem, brandenburgischem Stamme. Sie ist französisch gebildet und
empfindet deutsch und das ist, wie sie klagt, un contra sie qui abime la vie.
Ihre Schriftstellerei ist dreifach: Sie kämpft, von Rousseau ausgehend, für
die Neugestaltung der Literatur, die sich im Hergebrachten erschöpfte
und sich, um mit Goethe zu reden, „in sich selbst ennuyierte" {De la
litter atur e ; De r Allemagne.) Sie behandelt das Problem weiblicher Lebens-
führung — das Problem ihres zerfahrenen Lebens. „Delphine" und
„Corinne" (1807) sind redeselige Romane, darin sie den schmerzlichen
Streit idealisiert, in den die eigene zuchtlose Empfindsamkeit sie mit der
Gesellschaftsmoral verwickelt hatte. Wertherstimmung erfüllt diese tragischen
Frauenbiographien. In beiden klopft die Liebe fragend an die Schranken
der Sitte: muß in unserer engherzigen Gesellschaft die hervorragende Frau
auch immer eine unglückliche Frau sein? — Endlich hat Frau von Stael
in politischen Schriften die großen Ziele und Errungenschaften der Revo-
lution gegen Staatsstreich und Reaktion verteidigt.
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. 2gq
Die tiefste Wirkung' ist von ihrem Kampf für die Reg-eneration des
Schrifttums ausgeirangen. In dem Buche „Von der Literatur und ihren
Beziehungen zu den sozialen Verhältnissen" (1800) trägt sie eine literarische
Freiheitslehre vor. Sie bekämpft jene engherzige Art, die eine fremde
Literatur ohne weiteres als barbarisch verurteilt und erklärt, daß es sich
in der Besprechung von Kunst und Poesie fremd<'r Völker nicht um Fest-
stellung der eigenen Überlegenheit, sondern um ein sympathisches Studium
der Verschiedenheiten handle. Sie spricht dabei kurz von der antiken,
der spanischen, italienischen, deutschen Literatur — überall ohne eigene
Kenntnis, Lange hält sie sich beim Beispiel des englischen Schrifttums
auf, das ihr vertraut ist. Jetzt weist W. v. Humboldt sie nachdrücklich
auf Goethe und Deutschland hin. Emigranten wie Chenedolle, Degerando
und Villers, Deutsche wie H. Jacobi fördern sie im Studium des Deutschen.
Sie unternimmt 180,5 eine erste und — nachdem sie auch Italien besucht
hat — 1807 eine zweite Reise nach Deutschland. In Weimar spricht sie
Goethe, Schiller und Wieland; aus Berlin bringt sie A.W.Schlegel als
Erzieher ihrer Kinder mit. J. von Müller, Fichte, Nicolay, Zach. Werner
u. a. lernt sie auf diesen Reisen kennen oder beherbergt sie zu Coppet.
So entsteht ihr Buch „De l'Allemagne", das die kaiserliche Zensur 18 10
als unfranzösisch verbot und das 18 13 in London erschien.
In vier Teilen handelt es i. über Deutschlands Sitten, 2. über seine
Literatur, 3. über seine Philosophie und 4. über Religion und Idealität. Was
sie im dritten Teil über die Philosophen sag^, ist wenig kundig. Im vierten
Abschnitt entwickelt die Verfasserin, die in schmerzlichen Kämpfen aus
einer Freidenkerin zur frommen Protestantin geworden war, ihre Gedanken
über Religion und Ideale. Überall preist sie Deutschland als ein Land des
Ernstes, des Enthusiasmus, der Liebe und der Religiosität, ein idyllisches
Land, wo tugendhafte Menschen hinter blumengeschmückten Fenstern
wohnen, ein Land der Ritterburgen und der Schloßfräulein. Politisch un-
goeint und der herrschenden Hauptstadt entbehrend, zeige dieses glückliche
Land große Mannigfaltigkeit und Freiheit der geistigen Bildung und einen
ausgesprochenen Individualismus, In Frankreich habe der ausgebildete
gesellschaftliche Verkehr die Menschen geistig nivelliert und der persönlichen
Empfindungsweise beraubt. Dieses Salonlebcn verhindere die stille Samm-
lung, die zusammenhängende Arbeit und habe die Franzosen daran ge-
wöhnt. Alles, auch das Ernsteste, zum Gegenstande witzelnder Unter-
haltung zu machen, deren verletzende Persiflage jeden bedrohe, der aus
der Reihe heraustrete und etwas Eigenartiges wolle. Der Mangel dieses
Salonlebens sichere den Deutschen Ursprünglichkeit des Empfindens und
Denkens, gestatte ihnen Sammlung und Träumerei, gewähre unbeschränkte
Arbeitszeit und schütze sie vor der lähmenden Herrschaft des Spottes,
vor der tcrribU autoriti' du ridiculc. So seien die Deutschen die Vor-
posten der Armee des menschUchen Geistes. Aber diese kühnen und
tiefen Denker seien unterwürfig gegenüber den Mächtigen dieser Welt.
300 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
In Frankreich habe eine engherzige Versgesetzgebung die Lyrik er-
tötet. Der Klassizismus sei eine Poetik der Negation. Sie klagt über die
lois prohibitives de la litterature frangaise, ähnlich wie eine andere begabte
Frau 200 Jahre zuvor, M. de Gournay. Deutschland aber besitze eine
Lyrik. Die gedeihe eben nur da, wo der Dichter die in der Tiefe
schlummernden Gefühle frei in Worte entfesseln dürfe. Sie rühmt die
Freiheit des deutschen Verses und der Wortstellung, die malerischen Bei-
wörter, die dem poetischen Ausdruck etwas Vages, Träumerisches ver-
leihen. Dabei sei die Poesie immer ernst. Der Scherz gehöre in die
Prosa. Scherzen heiße erniedrigen — c'est rabattre que de plaisanter!
Die Entwickelung der Kulturmenschheit zerfalle in die zwei Phasen der
Naturreligion des Heidentums und des Spiritualismus des Christentums.
Der ersteren entspreche die klassische Dichtung, die keiner Entwickelung
mehr fähig sei. Der zweiten entspreche eine neuere Dichtung, für welche
die Deutschen den Ausdruck romantisch aufgebracht hätten. Dieser
„poesie romantique ou chevaleresque", die, auf Geschichte und Religion
christlicher Zeit beruhend, national und christlich sein werde, gehöre die
Zukunft. Hier trifft sie sich mit Chateaubriand.
Als Beispiele solcher Poesie führt sie Dichtungen Klopstocks, Goethes,
Schillers und namentlich auch Bürgers auf, dessen „Lenore" sie nicht
weniger bewundert als Goethes „Fischer" oder die „Braut von Korinth".
Das Element des Aberglaubens scheint ihr besonders poetisch verwertbar,
und der Vampyrismus hat es später, nach Byrons Vorgang, manchem
Romantiker und Parnassien angetan. Am ausführlichsten spricht sie vom
Theater. Ihre Darstellung wird zur Dramaturgie. Sie redet besonders
dem freien historischen Schauspiel das Wort. Nicht entlehnen soll man
die Dramatik der Deutschen, wohl aber sich an ihr inspirieren. Wie ist
sie von „Wallensteins Lager" entzückt, von „Faust" trotz allem, was in
Form und Inhalt sie daran verletzt, gefesselt! Aber auch Klinger und
besonders Z. Werner bewundert sie. Von Herder hebt sie namentlich die
„Stimmen der Völker" hervor. Sie versteht und genießt die Volkspoesie;
aber sie glaubt, daß französisch die Wiedergabe solcher Volkslieder mit
ihren Naivitäten nicht möglich wäre. Sie hat eine ausgesprochene Ab-
neigung gegen bürgerliche Helden und alltägliche Verhältnisse. Das
„Genre mixte" des bürgerlichen Dramas verurteilt sie als literarische
Kontrebande. Ihre prosaischen Übertragungen deutscher Verse vermeiden
das pittoreske Detail. Des „Bösen Geistes": Als Du aus dem vergriffenen
Büchelchen Gebete lalltest, halb Kinderspiele, halb Gott im Herzen", heißt
bei ihr: Tu balbutiais timidement les psaumes et Dieu re'gnatt dans ton
ca;ur. Daß sie hierin noch so sehr ein Kind ihres — Salons war, bildet
wohl eine Bedingung des Erfolges ihres Buches, das für mehrere
Jahrzehnte die geistigen Beziehungen Frankreichs zu Deutschland be-
herrschen und in Frankreich besonders als Dramaturgie maßgebend
bleiben sollte.
F. Das II). Jahrhundert. I. Die Romantik. »Ol
Es ist in „De rAllemagne" viel mehr von den deutschen Klassikern,
Lessing, Goethe, Schiller, als von den Romantikern wie Tieck, Werner,
Novalis die Rede. Frau von Stael führt den Franzosen hauptsächlich
unsere klassische Dichtung vor, die für die Romania ja romantisch genug
war. Heine setzte 1833 ihr Buch zu Paris, freilich in anderem Geiste
fort {Dt- rAllcmagnc, zu deutsch: Die romantische Schule.)
Hat Frau von Stael einerseits nicht alle Vorurteile des Klassizismus
abgestreift, so ist andererseits in ihrem Lobe Deutschlands viel Illusion
infolge flüchtiger Kenntnis und viel Voreingenommenheit gegen das
kaiserliche Frankreich. Die Stimmen sehr verschiedener Gewährsmänner
sprechen aus den Teilen ihres Buches, die von deutschem Leben,
deutscher Wissenschaft und Kunst handeln. Am vernehmlichsten ist dabei,
wie Heine sagt, „der feine Diskant des Herrn Schlegel'*. Aber selbständig
urteilt Frau von Stael über Dichter und Dichtung. Es bleibt ihr das
Verdienst unbestritten, die wissenschaftliche literarische Kritik in Frank-
reich als Vorläuferin Villemains begründet und den ersten Versuch
gemacht zu haben, die Völker Europas, welche die Revolution politisch
zu einigen nicht vermocht hatte, geistig zu vereinen zu einer Republik
der humanitären Interessen. Sie will über die nationalen Schranken
hinaus „eine Vereinigung aller denkenden Menschen Europas" anbahnen.
„Das wahre Volk Gottes sind die Menschen, die am Menschengeschlecht
nicht verzweifeln und ihm das Reich der Gedanken erhalten wollen."
„Was tut ihr in Wahrheit, wenn ihr die Arbeit der Deutschen nicht an-
erkennt, sondern verhöhnt", ruft sie ihren Landsleuten zu, „ihr vermindert,
nörgelnd, die Ruhmestitel der Menschheit."
Daß diese Frau in Zeiten, da Europa von wildem WafFenlärm erfüllt
und Deutschland vom französischen Sieger geknechtet war, eine Germania
schrieb und Völkerverbrüderung lehrte, war eine Tat, und dagegen kann
der Spott Heines nicht aufkommen.
Chateaubriand und die Stael sind die beiden Pfeiler der französischen
Romantik. Er, vom Klassizismus noch stark gefesselt, lehnt zwar die
fremden Literaturen ab, schafft aber eine ganze Welt neuer glänzender
Bilder. Sie ist kosmopolitisch und erschließt durch das Ausland Frank-
reich eine ganze Welt neuer Ideen und Stimmungen. So ist ihr Einfluß
bedeutender, nachhaltiger als der seine. Sie ist modemer, entschiedener,
umfassender.
Um ihre kosmopolitische Position entbrannte der Kampf am heißesten. Der iiter«n.chr
Leidenschaftlich widersprachen die Kritiker der alten Schule, denen alles *'°*°"''^"''"""'
Neue, Fremde und Volkstümliche Barbarei war. Schrill tönt dem V^er-
brüderungswort der Frau von Stael gegenüber der Ruf F.-B. Hoff"manns:
iSTayons pas la sottisc de nous faire allemumis! und Beranger trällert ein
Liedchen dazu {Lc bon Fran^ais). Große Erbitterung schuf W. Schlegels
Vergleichung Racines mit Euripides (1807), sowie die von der Stael
veranlaßte Übertragung seiner Vorlesungen über dramatische Literatur
302
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
(i8i6), von denen auch Stendhal ausging, als er 1823 sein keckes „Racine
et Shakespeare" schrieb.
Ein wahrer Strom ausländischer Poesie ergießt sich um 1820 über
Frankreich. Proben aus dem Theater aller Länder werden in einer
Sammlung vereinigt, an der keine Geringeren als Barante und Guizot
mitarbeiten. Jener übersetzt außerdem Schillers, dieser Shakespeares
Theater. Manzonis Tragödien bringt Fauriel. W, Scott und Byron werden
seit 182 1 übertragen. Raynouard veröffentlicht „Poesies originales des
troubadours". Spanische Romanzen, griechische Volkslieder, englische
Balladen werden — in Prosa wiedergegeben, da die französische Dichter-
sprache vorläufig nicht geeignet erscheint, solche ^^sauvage simplicite^'' aus-
zudrücken. Merimee liefert bereits spanische und illyrische Pastiches.
Aber das Volkslied des eigenen liederreichen Pays de France sieht niemand.
Deutlich steigen „romantische" Gedanken, Stimmungen, Bilder in Lied
und Roman auf. Nodier gibt 1803 die Essais cTun jeu?ie Barde. Mille-
voye und Chenedolle präludieren Lamartine. Des selben Nodier
„Proscrits" und „Peintre de Saltzbourg", Senancourts „Obermann" (1804)
zergliedern kranke Herzen tatenloser Helden, die in reicher Naturszenerie
verzweiflungsvoll enden. Das mit starken und bunten Mitteln arbeitende
„Drame" — die „Tragödie der Kammerzofen", wie die konservative Kritik
höhnte — fuhr fort, Scherz und Ernst, Feierliches und Groteskes zu
mischen. Es importierte Stücke des deutschen (Werner, Zschokke) und
englischen Repertoires und bereitete auf diese Weise Publikum und Schau-
spieler für die Bühne der Romantiker vor. Lemercier macht ein ge-
schichtliches Ereignis (die portugiesische Revolution von 1640) zum Gegen-
stand eines Lustspiels und deckt in der vornehmen Welt der Tragödie die
kleinen Menschlichkeiten auf [Pinto, comedie historique). Pixer6court
liefert als ein zweiter Hardy von 1798 — 1835 über hundert „Melodramen",
d. h. geschickt gebaute, rührselige, historische und häusliche Moritaten.
Das Drama V. Hugos wird nichts anderes sein als das ins Reich der
Kunst erhobene Melodram Pixerecourts — releve, wie Nodier meint, de la
pompe artißcielle du lyrisme. An dem kunstlosen Schauerdrama werden
die französischen Romantiker die nämliche Arbeit der poetischen Stili-
sierung vollziehen, welche die englischen Romantiker am Schauerroman
übten: W. Scotts Kunst hat aus der tollen und wüsten Welt der Bücher
Anne Radcliffs, Maturins und Lewis seine glänzenden Romane geschaffen.
So steigen mit der Romantik Stoffe und Stimmungen zu den Höhen
der Literatur empor, die bisher in vulgären Niederungen ein mißachtetes
Dasein geführt hatten. Der Romantiker bückt sich, um aus dem trüben
Strom des Lebens Dinge aufzuheben, über die der Klassiker mit hoch-
gezogenem Fuße wegschreitet. An diesem Wandel ist insbesondere der
Umstand beteiligt, daß die Revolution die streng-e Tradition der klassischen
Bildung unterbrochen hatte und daß die neue Generation weniger
latinisiert war.
F. Das 10. Jahrhundert. I. Die Romantik. ^O i
Inzwischen war Bonaparte gestürzt und das Königtum der ßourbonen i>io Juü-
wieder errichtet worden (i<Si5). Die Wünsche der ültraroyaU.sten nach '"'°''""*'
Wiederherstellung der Zustände des Ancien regime ließen sich nicht er-
füllen, so kräftig die Reaktion der beiden alten Könige, von der Kirche
unterstützt, ans Werk ging. In der Revolution von 1830 explodierten dann
die gebundenen Kräfte des Fortschrittes. Auch im Lager der Poeten, wo
bisher vielfach literarischer Umsturz mit politischer Reaktion zusammen
Haus gehalten, gab es Zerstörungen, und aus den Ruinen blühte in der
Folge neues Leben.
Auf die „heiligen Julitage" folgte eine politisch bewegte Zeit. Der
politische Sieg des liberalen Bürgertums trug auch den künstlerischen: die
Romantik zog siegreich ins Schauspiel- und Opernhaus (Auber, Rossini)
und die Ausstellung von 1831 verkündete den Triumph ihrer Malerei
(Delacroix' Barrikadenkampf und Ermordung des Bischofs, nach W. Scott).
Das Julikönigtum schien sich durch eine versöhnliche Politik erst dauernd
zu befestigen, verschloß sich dann aber den notwendigsten Reformen und
kam in Unpopularität 1848 zu Fall. Die Republik wurde proklamiert: ein
Poet, Lamartine, steht an ihrem Anfang, Napoleon lU. an ihrem Ende.
Die zwanziger und dreißiger Jahre bedeuten die Höhezeit des lite- Krmkreich and
rarischen Einflusses Deutschlands. Daß von den ersten Romantikern f^'""'»'''''*»'*
kaum einer deutsch kann, hindert dies nicht. Ist etwa Shakespeare in
Deutschland nur da wirksam geworden, wo man ihn englisch lesen konnte?
Hatte man doch „De l'Allemagne" der Stael und die Übersetzungen,
Goethe dominierte ohnedies alles und der war einfach „l'auteur de Werther
et de Faust". Neben ihn trat um 1830 E. T. A. Hofifmann mit seinen
„Contes fantastiques" und noch heute steht er in Frankreich neben Goethe.
An diesen beiden, an Schiller, Jean Paul, Bürger begingen die Fran-
zosen, wie Heine spottet, ihre „Gefühlsplagiate". Heine selbst, der 1831
nach Paris kam, wurde als der geistreiche Autor der „Romantischen Schule"
und der „Tableaux de voyage" (1834) bewundert. Der Lyriker Heine gewann
erst viel später (mit den „Parnassiens") Ansehn und Einfluß. Unter seinen
Zeitgenossen erfüllt er nur Th. Gautier und G. de Nerval, diesen künst-
lerischsten unter den Interpreten deutscher Dichtung, der 1828 den „Faust",
1830 Gedichte Uhlands, Schillers usw. und 1848 Heines „Intermezzo" in
schöne Prosalieder übertrug — hier hat das moderne „Po^me en prose"
seinen Au.sgangspunkt. Die Zeitschriften fingen an, regelmäßige und kun-
dige Referate über deutsche Literatur zu bringen. Zu diesen periodischen
Vermittlern deutschen Geistes (Marmier, Girardin, Taillandier) traten
Männer wie Quinet, der Herders „Ideen" übersetzt, Cousin, Michelet,
Renan. Und das „junge Deutschland" blieb hinter den „Jeunes-I'Vance**
nicht zurück: es schulte sich nicht nur an Frankreichs schriftstellerischer
Technik, es entlehnte bei ihm politische und soziale Ideen, zog sich den
Ruf gefährlichen Franzosentums zu und weckte die scharfe nationale
Opposition der Konservativen.
304
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Der scharfblickende Quinet erkannte früh die Wendung, welche die
Dinge in Deutschland zu nehmen begannen. Er schreibt schon 183 1, „daß
Deutschland anfange, seine Gedankenarbeit in politische Taten umzusetzen,
daß Preußen als führende Macht an Stelle Österreichs erscheine und daß
die deutsche Einheit sich in bedrohlicher Weise vorbereite". Aber sein
Wort wurde nicht verstanden. Als Heine und Börne Frankreich über die
wahre Stimmung des herrschenden Deutschland spöttisch aufklären wollten,
da ergriffen Franzosen das Wort, um „das harmlose Volk der Denker"
zu verteidigen. Freilich erhellte die Kriegsgefahr 1840 blitzartig die
Situation. Auf Beckers „Rheinlied" antwortete wohl Lamartine friedlich
mit der „Marseillaise de la paix", aber Mussets prahlerische Antwort
fand in dem großen Streiten, das sich nun erhob, mehr Tagesbeifall. Doch
fuhr man fort, Deutschland im Lichte der Frau von Stael zu sehen.
Es ist, als ob die heftigen kirchlichen, politischen, sozialen und lite-
rarischen Kämpfe des eigenen Landes Aller Aufmerksamkeit absorbierten.
Die kirchlichen Die Kirchc, die durch das Konkordat wiederhergestellt war, wendet
^^^™^^^' sich unter Führung der zurückkehrenden Jesuiten zum Ultramontanismus.
Die Lehre, daß die Revolution Teufels werk sei und daß nur die Rückkehr
zu unbeschränktem politischen und kirchlichen Absolutismus Frankreich
und mit ihm Europa retten könne, vertrat niemand rücksichtsloser als der
Graf Joseph de Maistre (f 182 1). Er geht bis auf den Grund des anti-
liberalen Zuges der Zeit. Er bekämpft Bossuets Lehre einer nationalen
Kirche und gallikanischer Freiheiten als Irrlehre, verdammt alle Wissen-
schaft, preist die Wahrheit und Einheit der Tradition, erklärt den Papst
als einzigen, unfehlbaren Hüter des Christentums und schreibt in den
Dialogen seiner „Soirees de St-Petersbourg" eine — man möchte sagen:
blutige — Theodicee: die Erde schreit nach Blut, nach der göttlichen
Institution des Krieges, nach dem Henker! Schafft den Henker ab, und
alles wird zusammenstürzen! Hätte Frankreich gleich Spanien die Inqui-
sition gehabt, so wäre die Revolution nicht möglich gewesen! Dieser
Prätorianer des Vatikans predigt der Christenheit le salut par le sang.
Er predigt es als glänzender Stilist in den Farben Chateaubriands und
mit den Paradoxen Voltaires. Er ist nicht wirklich religiös, er ist nur
Theokrat.
Auch ein streitbarer Schüler Chateaubriandscher Kunst, aber tief
religiös, ist der Geistliche Lamennais (-{- 1854). Er predigt der Christen-
heit le salut par la foi. Mit der wunderbaren Beredsamkeit seines Werkes
gegen die religiöse Indifferenz (das ursprünglich den Titel L'esprit du
christianisme tragen sollte) schafft er seit 18 17 eine Erregung, die Maistre
mit einem Erdbeben vergleicht. Als er, von saintsimonistischen Gedanken
getragen, dazu übergeht, vom Staate praktisches Christentum zu fordern,
da gibt ihn die Regierung preis, und er wendet sich vom legitimen König-
tum an die Demokratie. Aber über seinem Versuche, einen liberalen Katholi-
zismus zu schaffen {catholiciser la liberte)^ zerfällt er auch mit Rom (1833)
1'. i>as ly. Jahrhundert. 1 iJiu Romantik. »qc
Und nun richtet er sich ans \'t)lk, an die prulctaircs tt hummes du peuble,
um mit ihrer Hilfe die Civitas Dei auf Erden zu begründen, die auch eine
politische und wirtschaftliche Befreiung bringen soll. Glaube und Freiheit
sollen, Monarchie und Papsttum zum Trotz, im Volk und für das Volk
verwirklicht werden, das er in seinen „Paroles d'un croyant" (183.^), „Le
livre du peuj)le" mit leidenschaftlichen Worten überschüttet. Er prophezeit
ein Reich der lirüderlichkeit, doch lehnt er die kommunistischen Lehren
ab. Inbrunst und Poesie des Glaubens kommen zu herrlichem Ausdruck.
Aber auch mit der Phrase der Utopie kämpft dieser Prophet, dessen Seele
keine Windstille kennt Er hat zum erstenmal die demokratische Mission
des Katholizismus formuliert.
Lacordaire (-j- 1861) ging mit Lamennais bis an die Schwelle des
Bruches mit Rom, die er nicht überschritt. Die Xotredame- Kirche ver-
mochte die Andächtigen nicht zu fassen, die dem stürmischen, bilderreichen
und gläubigen Worte dieses Kanzelredners lauschten, der, kühn und orthodox
zugleich, dem Leben nachging und seine Probleme jikzeptierte, um der
Kirche die Leitung der modernen Gewissen zurückzuerobern.
Mit den Parlamenten erstand auch die politische Beredsamkeit wieder. Die poiiüiche
In der Deputiertenkammer der Restauration stießen die beiden Mächte der I-"•"«»'■•
Vergangenheit und der Gegenwart unmittelbar und leidenschaftlich auf-
einander. In dem Widerstreit des legitimen Königtums und der sich
immer demokratischer wendenden Zeit erstarkte die Partei des „juste
milieu". Die Doktrinen des liberalen Bürgertums fanden die beredtesten
Vertreter {Duc/rinairis): den würdigen Royer-Collard, den autoritären
Guizot, den geschmeidigen Thiers. Lamartine, der „auf einer höheren
Warte als auf der Zinne der Partei" zu stehen beansprucht, trägt humanitäre
Gedichte in edler Prosa vor. Schrille jakobinische Beredsamkeit wird erst
1848 mit dem allgemeinen Wahlrecht ins Parlament einziehen.
Die politische Journalistik hat die literarischen Kunstwerke des Artillerie-
offiziers, Gräzisten und „Weinbauers" P.-L. Courier aufzuweisen: Pamphlete,
Briefe, Tagebücher (18 ig — 1825), die einen unversöhnlichen Kampf gegen
Regierung und Kirche, Adel und Klerus führen. Er kleidet Denk- und
Redeweise in die archaisierende Form klassischer Stilisierung und erreicht
durch den Gegensatz zwischen den respektlosen Allüren des Räsonnement^
und der konservativen Formbehandlung eine große Wirkung, obwohl seine
Kunst nicht selten zur Künstelei des Virtuosen wird. Im Xamen der
Lehrfreiheit begannen seit 1830 die geistlichen Kongregationen und be-
sonders der Orden Jesu sich des Unterrichts zu bemächtigen. Die darob
entbrennenden Kämpfe gipfeln in der Jesuitenfrage des Jahres 1843, als
Michel et und Qu in et durch ihre Vorlesungen an der Sorbonne ant-
worteten und der kampflustige Schulmeister Claude Tillier, der Ver-
fasser des humorvollen „Unkel Benjamin" als „Flößer" auf den Spuren des
„Weinbauern" Courier seine Pamphlete schrieb. Gelöst aber hat die Frage
der Kongregationen erst die heutige Republik im Kampfe um ihre Existenz.
Dil KVLTVB DBm GlOV<WAXT. l. II. I. »o
2o6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Der SoziaUsmus. In diescn Jahrzehnten findet nun auch die sozialistische Doktrin ihre
erste selbstbewußte Formulierung. Das Proletariat tritt als neuer Kom-
battant in den Kampf der Bourgeoisie und des Feudalismus ein. Der
Utopist Saint-Simon (f 1825) verkündet die Herrschaft der arbeitenden
industriellen Menschheit, die vom Geiste christlicher Brüderlichkeit durch-
drungen sein soll. Seine Schüler Bazard und Enf antin bildeten die
Lehre weiter (z. B. Abschaffung des Erbrechts) und fanden die Formel
von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. An ihren Ver-
sammlungen in der Rue Taranne nahm die romantische Jugend begeistert
teil. Sie trug manchen Gedanken als fruchtbaren poetischen Keim mit
sich fort. Die soziale Dichtung knüpft hier an. Als Ausgangspunkt
des wissenschaftlichen Sozialismus aber muß in Frankreich Proudhon
(f 1869) gelten, ein scharfsinniger, ideenreicher Kopf und ein glänzender
Schriftsteller.
Die Jugend des liberalen Bürgertums saß in den Jahren der Restau-
ration zu Füßen des „Triumvirats der Sorbonne": Cousins des Philosophen,
Guizots des Geschichtsforschers und des Literarhistorikers Villemain, der
seinen Stoff zum erstenmal „in europäischem Geiste" wahrhaft historisch
behandelte: aber zu seinem Europa gehört Deutschland noch nicht.
Die PhUosophie. In V. Cousin (1792 — 1867) erreicht die philosophische Reaktion
gegen die materialistischen Doktrinen der Aufklärungszeit ihren Höhe-
punkt. Cousin trug seine spiritualistische Philosophie, deren moderne
Elemente er bei den Engländern und den Deutschen (Kant, Schelling,
Hegel) gefunden (Eklektizismus), mit großer Eloquenz vor. Sein elegantes
Wort zog die gebildete Pariser Gesellschaft zur Sorbonne, in deren großen
Hörsälen sie seither heimisch geworden ist. Cousins Haltung war die
eines Hohepriesters, der auf Dekorum bedacht ist , der im Tempel herrschen
will und auch draußen auf gute Ordnung sieht. Aber die Weltanschauung,
die er überwunden zu haben meinte, erhob mit dem Fortschritt der exakten
Wissenschaften und mit Comtes „Philosophie positive" (seit 1830) ihr Haupt
mächtiger als zuvor, und Taine zertrümmerte 1855 vollends das luftige
Gebäude des Eklektizismus. Das Dauerndste sind Cousins geschichtliche
Arbeiten. Seine Neigung galt dabei dem 17. Jahrhundert.
Den Lärm des politischen Sturmes übertönten 1830 die Diskussionen,
der Academie des sciences, in welchen Geoffroy de Saint-Hilaire
gegen Cuvier die Lehre der vergleichenden Anatomie von der Einheit
der organischen Welt siegreich verteidigte. Man stand an der Scheide
zweier Weltanschauungen. Der Entwickelungsgedanke brach sich Bahn.
Die französische Naturwissenschaft huldigte dabei Goethe, und der ver-
galt es ihr durch die enthusiastische Ungeduld, mit der er ihre Botschaft
aus Paris entgegennahm.
A. Comte will dem zerrissenen geistigen Leben seiner Zeit die
Einheit wiedergeben, die nicht mehr in der alten Kirche und ihrem
Glauben gefunden werden könne, sondern auf die Wissenschaft der sinn-
1
F. Das 19. Jahrhumicrt. I. Die Romantik. -iQj
fälligfen, positiven Fakta gegfründct worden müsse, unter Ausschluß aller
Metaphysik und aller Teleoloirie. Mit den Allüren eines Relijrionsstifters
predigt er den Glauben an die große, eine, positivistische Wissenschaft, deren
Reich nun nach den Epochen der Theologie und der Metaphysik gekommen
sei und die sich auf der Basis der Mathematik stufenweise aufbaue als
Lehre der unorganischen (Astronomie, Physik, Chemie) und der organischen
Welt (Biologie, Soziologie). Die Soziologie, d. i, das Wissen vom Gesell-
schaftskörper, ist die Krönung des Ganzen. Sie lehrt die biomechanischen
Gesetze des kollektiven geistigen und moralischen Lebens. Sie bildet den
sozialen Instinkt und führt den Menschen wissenschaftlich zur altruistischen
Moral. Es gilt „die Menschheit zu organisieren".
Zu der nämlichen Zeit, da Lamennais /e salut par In fui verkündet,
predigt Comte Ic saliif par In scicnce^ und wie sehr dieses neue Evan-
gelium die Jugend ergritf, zeigt Renan s „L'Avenir de la science", das,
in den Stürmen und Enttäuschungen des Jahres 1848 geboren, der Über-
zeugung Worte leiht: Die Zukunft der Menschheit liegt in der Zukunft der
Wissenschaft — ein Bekenntnis, dem die Generation der Renan, Taine, G. Paris
treu blieb. Comte hat weit über Frankreich hinaus die Erziehung zum
wissenschaftlichen Denken gefördert. Bei allen Übertreibungen und
schließlichen Verirrungen gehört er zu den mächtigsten Befruchtern
des modernen Geistes. Die „Intellektuellen" haben Sinn und Xamen nach
ihm bekommen.
Die Anwendung der positivistischen Weltanschauung auf das Kunst-
schaffen hat den Naturalismus gezeitigt. Balzac beruft sich im Vorwort
zur „Com^die humaine" 1842 auf die Diskussionen der Academie des
Sciences, um seine „zoologische" Betrachtung der menschlichen Gesellschaft
zu rechtfertigen.
Unter den zahlreichen und bedeutenden Historikern haben zwei als Ehe Ge«:bicht-
Staatsmänner eine hervorragende Rolle gespielt: Guizot und Thiers. «chreibang
Guizot ist auch als Historiker der Mann der staatsmännischen Aktion,
den besonders die Aufdeckung des Schachspiels der Politik interessiert.
Ein ganzer Mann, aus dessen ruhiger Erzählung die Energie spricht, mit
der er als Minister, der Tyrannei und der Demokratie gleichermaßen feind,
eine starke Königsmacht, eine kräftige Bourgeoisie und das sie verbindende
Christentum verteidigte. Das sind die drei Komponenten der europäischen
Zivilisation, deren Geschichte er schrieb, lehrhaft wie ein protestantischer
Bossuet. Sein schönstes Buch sind seine Memoiren. Den trefflichen
Mignet fesseln die Revolution und die Reformation. Entgegen der tra-
liitionellen heroistischen Geschichtsauffassung betont er die treibenden
Kräfte der Massen, was diesem ernsten Forscher und klaren, bündigen
Darsteller den obertlächlichen Vorwurf des l'atalismus eingetragen hat
Sein Freund Thiers ist auch als Historiker der kluge, redegewandte poli-
tische Geschäftsmann. Er macht die Geschichte Bonapartes intelligent
zurecht und vertritt die Moral des Erfolges. Um fesselt das klirrende,
20*
tqS Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
glänzende Leben, das er packend darstellt. Er malt das glorreiche
Kaisertum im Gegensatz zur tristen Restauration und schaflft mit Beranger
und Hugo jene Kaiserlegende, die Napoleon III. die Wege ebnete, den
er so wenig- wie Hugo liebte. A. de Tocqueville ist der Aristokrat, der
die Geschichte der Demokratie schreibt. Er sieht mit Bedauern, aber
auch mit Gott vertrauen, wie die moderne Entwicklung auf die Zerstörung
der alten Aristokratien hinarbeitet. Er geht nach Amerika, studiert dort
die Demokratie an Ort und Stelle und schildert sie streng geschichtlich,
mit wunderbarer Unparteilichkeit. Dann wendet er sich zu den Verhält-
nissen seines eigenen Landes und erforscht die langsame Entwickelung
demokratischer Gedanken im i8. Jahrhundert, die zur Revolution führte
{Uancien regime et la revoliition i8ßö). Diese selbst und die moderne
Gesellschaft zu schildern, war ihm nicht mehr vergönnt. Taine wird seine
Arbeit fortsetzen; wenn er glänzender und philosophischer darstellt, so ist
ihm Tocqueville doch an strenger Objektivität überlegen.
Thierry und Michelet sind Forscher und Poeten zugleich, sie sind
romantische Historiker.
A. Thierry. A. Thierrys (-j- 1856) Geschichtschreibung hat zwei Quellen: die
Politik und die Poesie. Die farbige Welt von Chateaubriands „Martyrs"
und Scotts „Ivanhoe" führt ihn zum Studium des Mittelalters, dem er
stets als Epiker gegenübersteht. Die bewegte Gegenwart führt ihn zur
Politik. Die alte Lehre, daß die französischen Edelleute von den ger-
manischen Eroberern und das Volk von den unterworfenen Kelten ab-
stamme, war von dem anspruchsvollen Adel der Restauration zum poli-
tischen Leitsatz erhoben worden. Man sprach mehr als je von den deux
races Frankreichs, wobei man race auf deutsch freilich nicht mit „Rasse",
sondern mit Stamm, Volkstum wiedergeben soll. Thierry greift diesen
Gedanken als Historiker auf und wendet den so geleiteten Blick auf die
Eroberung Galliens und Britanniens durch die Germanen, Die ganze Ge-
schichte Frankreichs — und Eng'lands — erscheint ihm als ein durch die
Jahrhunderte fortgesetztes Ringen zwischen den germanischen Siegern und
den keltischen Besiegten. Die Revolution von 1789 ist ihm die endliche
Auflehnung des Gaulois vaincu. Die Geschichte Frankreichs stellt sich
ihm also im Grunde als Ihistoire dune conqiicte dar. Dabei gelte es, die
Geschichte des Besiegten zu schreiben, die noch fehle: die Entwickelung
der Landschaft, der Gemeinden, des Bauern. Und keinen Frieden werde
es in Frankreich geben, ehe es gelungen sei, die letzten Spuren der alten
Eroberung zu tilgen [effacer la conquete). Eifrig wendet sich der junge
Politiker historischen Quellenstudien zu. Er lernt „die Geschichte um
ihrer selbst willen lieben". Er wird ein ernster Forscher, der freilich den
alten Clironisten oft zu sehr vertraut. Er besitzt die Kraft, vergangene
Zeiten lebensvoll auferstehen zu lassen. Seine Geschichte der Eroberung
Englands (1825), seine „Recits des temps merovingiens" (1833) sind das
Werk eines Künstlers und haben epische Züge. Thierry ist der Epiker
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. 500
zweier weltg-oschichtlicher Eroberunj:ren, dos.sen Sympathion den Unt<r-
worfenen j^clten. Er schreibt: Pt'popct' (/ts vaincHs.
Thi(*rrys Grundauffa.^.sun^ von den beiden feindlichen X'olk.stümern,
die sich auf dem Boden Frankreichs vom 5. bis zum 19. Jahrhundert be-
kämpfen, ist wissenschaftlich unhaltbar. Er hat sie später auch selbst auf-
frejreben. Dafür haben andere sie wieder aufgenommen. Die antiquierte
Lehre von der Konstanz der Arten förderte den Glauben an eine so-
genannte „Konstanz des Volkstums" {rirreiiuctibilifi' des nic€s)\ die Ent-
deckungen der indogermanischen Sprachvergleichung lieferte die an-
gebliche Grundlage für die Hypothese einer „arischen Rasse", der Rasse
der Eroberer und Kulturträger xar' i^o-piv. Solche Rassentheorie ist auch
in diesem neuen Aufputz eine politische Phrase geblieben wie zur Zeit
der Restauration, ein Gefühlspostulat, das wissenschaftliche Allüren zur
Schau trägt, und mit dem heute ein Evangelium des Streites gepredigt wird.
Neben dem Epiker Tlnerry der Lyriker Michelet (f 1874). Michelet J MicheUt
erzählt in seinem wundervollen Buche „Ma jeunesse", wie er, ein armes
Pariser Kind, unter Entbehrungen und Demütigungen heranwuchs: „Ich
kannte die Menschen nur durch das Böse, das sie uns zufügten." Der
Anblick eines Museums weckte sein geschichtliches Interesse, ein Land-
aufenthalt bei bäuerlichen Verwandten sein Verständnis für Natur, Volks-
leben und Folklore; die Lektüre der Iniifafio CJiristi offenbarte ihm Gott:
je seniis Dien. Er ist religiös aber unkirchlich. Michelet ist von tiefem
und leidenschaftlichem Fühlen. „Meine Ideen kommen meist aus dem
Herzen." Er wird, nach seinem eigenen Wort, die historische Welt mit
seinem Herzen erklären. Er ist ein begeisternder Lehrer, der Freund
seiner Schüler. Für sie schreibt er 18 .''7 einen meisterlichen Leitfaden der
neueren Geschichte, der noch heute verbreitet ist: eine Bilderreihe für die
Jugend, eine Gedankenreihe für die Erwachsenen. Vico hat ihn gelehrt^
daß die Geschichte der fortschreitende Sieg der Freiheit ist. Mit dem
Plan zu einer Reformationsgeschichte beschäftigt, besucht er 1828 la botnie
et sai'ante Allemugtie, um Luther zu studieren, diesen „Mann des Volks,
der ein Arbeiter war wie sein Vater, der Bergmann: ein gtiter, treuer
Schmied des Herrn (//// bon et loyal /orgeroti de Die//)". Er lernt J.Grimm
kennen, dessen „Rechtsalterthümer" ihm „die juristische Poesie des Volkes
erschließen". Später besucht er in Tübingen Uhland, le fninnesunger
souabe. Er popularisiert in Frankreich die Forschungen Niebuhrs und, um
die römische Geschichte erzählen zu können, studiert er Land und Leute
in Italien. Seit 1831 verbindet er mit dem akademischen Lehramt die
Direktion des Nationalarchivs, „wo die Urkunden Childeberts neben dem
Testament Ludwigs XVI. ruhen". Hier forscht er unermüdlich wie keiner
vor ihm. Er schwelgt. Er lacht unti weint mit seinen Helden, deren Leben
er selbst lebt. In 24 Bänden erzählt er (^1833-1867) die Geschichte seines
Landes, erst das Mittelalter — seine bedeutendste wissenschaftliche
Leistung — , dann die große Revolution, und hierauf holt er das 16. bis
3IO
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
1 8. Jahrhundert nach. Die Geschichte der Revolution schrieb er, während
das Jahr 1848 um ihn brauste. Durch den Staatsstreich verlor er sein
Amt; seine Schulbücher wurden verboten. Immer nachdrücklicher wird
er der Anwalt des vergewaltigten Volkes und der Ankläger von Thron
und Altar. Der Krieg von 1870 warf ihn aufs Krankenlager, machte ihn
aber nicht ungerecht. Er protestierte gegen das erobernde Deutschland,
aber dankbar fuhr er fort, Beethoven, Grimm, Pestalozzi seine Erzieher zu
nennen. Auch er verfiel dem Vorwurf, daß er nach deutscher Methode
arbeite — und wie französisch ist er doch! Mit erlahmender Hand ar-
beitete er noch an der Geschichte des 19. Jahrhunderts.
Michelet hat ein einzigartiges Werk geschaffen. Er vereinigt einen
ausgesprochenen Sinn für Wirklichkeit (Realismus) mit mächtiger lyrischer
Stimmungs- und Gestaltungskraft. Von dem Bedürfnis geleitet, der Ge-
schichte eines Volkes eine solide natürliche Basis zu geben, setzt er die
Geographie an die Spitze der Historie und erklärt er die Franzosen durch
Frankreich, dessen Provinzen, Berge, Flüsse, Städte er in einem Bande
voll der herrlichsten Landschaftsbilder schildert. Auf diesem realistischen
Boden sprießt ein förmlicher geographischer Mythus: diese Landschaften,
diese Flüsse werden zu Personen; das alles atmet und lebt von der Hand
eines Poeten g^eformt. Wie lebt die Gotik unter seiner Feder! Er baut
sie förmlich nach. Und dieser Poet ist ein glühender Patriot, der über-
zeugt ist, daß sein Vaterland die Welt zum Heile führen wird. Sogar die
geschichtlichen Epochen werden personifiziert: das Mittelalter ist „ein Kind,
das aus dem Leibe des Christentums unter Tränen geboren wurde, das
in Gebet, Träumerei und Herzensangst heranwuchs und dann starb, ohne
etwas vollendet zu haben und das uns eine so schmerzliche Erinnerung
hinterlassen hat, daß alle Freuden und Herrlichkeiten der Neuzeit nicht
imstande sind, uns über seinen Verlust zu trösten". Das 16. Jahrhundert
ist ein Heros. Alles wird bei Michelet zum Bilde. Er ist, wie V. Hugo,
ein mythologisches Genie. Das Faktum wird ihm zum Symbol, und auf
den Flügeln seiner Phantasie entschwebt der Historiker in die Höhen der
Dichtung. Weil Michelet diese Phantasie nicht durch strenge Methode
zügelte, wird seine Forschung vielfach unterschätzt. Seine Information ist
von erstaunlichem Umfang. Keine Lebensäußerung ist ihm zu g-ering, um
nicht nach ihrem Zeugnis befragt zu werden. Die ganze Vergangenheit
soll in seinem Buche als eine große Einheit auferstehn: la resurredion de
la z'ie integrale du passe! So ist ihm eine machtvolle Synthese gelungen.
Ohne die Schöpferkraft des Poeten hätte der Historiker sie nicht ge-
schaffen. Daß der Poet oft überwiegt, wird auch den ernsten Leser
weniger verdrießen, als daß der Rhetor schließlich so oft zum Wort
kommt.
Außer der„Histoire de France" hat der Unermüdliche mit dem Feuer-
kopf und dem Feuerherzen noch vieles veröffentlicht: Abfälle des großen
Werkes, politische und kirchliche Kampfschriften, Erzieherisches über
V. Das i(). Jahrhundert. I. Die Roinanlik. ^li
Familie, Weib und Kind, Natur.schildorungen {L'oiscau, In mcr usw.). Er
eriniuTt an Diderot. An lierrliche Stücke reihen sich Stellen unerfreu-
licher Rhetorik. Wunderbar vereinigen seine Naturbilder die Beobachtung^
des Forschers mit der Phantasie des Lyrikers in einer Sprache von musi-
kalischem Wohllaut. Sie sind der „Sonnenicesani,'-" eines modernen Franz
von Assisi. Michelet empfindet in hohem Maße im Christentum die Lücke
der Tierwelt. Sein Herz zieht ihn zu allem, was in diesem „universellen
irdischen Vaterland" lebt. Um seines Herzens willen glaubt er auch an
die Unsterblichkeit der Seele: „Meine Denkfähigkeit mag untergehen —
meine Fähigkeit zu lieben, kann nicht sterben! . . . Guizot, Thierry sind
glänzende und tiefe Historiker; ich — ich habe mehr Liebe als sie." Ein
Strom von vSympathie und Lebenstüchtigkeit geht von Michelet aus.
Dieser Forscher und Poet ist unbestreitbar ein großer Führer seines
Volkes auf dem Wege zu Freiheit und Humanität.
Die Werke Lamennais', Thierrys und Michelets legen Zeugnis dafür
ab, wie im französischen Schrifttum dieser Zeit Lyrismus und P'arben-
freudigkeit machtvoll aufgegangen sind. Das war nicht ohne große i>ie uteraritc
Kämpfe geschehen. Ihr Schauplatz sind die literarischen Zeitschriften *°"*'
und die Vorreden der Liederbücher und Dramen.
Unter den zahlreichen Zeitschriften der ersten Jahre tritt „Le Globe"
(1824-1830), später (seit 1829) die „Revue des deux mondes" und die
„Revue de Paris" hervor. Der „Globe" will im Geiste der Stael Frank-
reich mit der Welt {globc) in Beziehung setzen; in Frankreich selbst will
er die literarische Freiheit erstreiten {„laisscr tcntcr tun t es Ics cxpcrieticcs''')
und auch das geistige Leben der Provinz erwecken. Ste-Beuve, der feine
kluge Ch. de Remusat, Guizot, Thiers sind Mitarbeiter. Der alte Goethe
liest das Blatt mit Lob und Interesse und übersetzt daraus, wie er ein
halbes Jahrhundert zuvor mit Grimms „Correspondance litteraire" getan.
Die „Revue des deux mondes" und die „Revue de Paris" ergänzen sich
in der geschickten und starken Hand Buloz'. Beide dienen der neuen
Zeit: in der erstcren überwiegen die Aufsätze historisch-kritischen Inhalts,
in der „Revue de Paris*' erscheinen allmonatlich die Werke der Dichter.
Die Jugend, die hier zu Worte kam, schloß sich zu Gesellschaften
{fhiaclcs) zusammen, in denen der bildende Künstler neben dem Poeten
saß. Dichterheim und Atelier sind Nachbarn. Die Vignette wird charak-
teristisch für die Werke des romantischen Verlags Renduel.
Zur Musik hatten die Romantiker keine nähere Beziehung. Ls lag
ihnen nichts daran, ihre Lieder singbar zu machen. Die Lyriker des
16. Jahrhunderts waren Musiker. Ronsard rühmte sich „r/<: inarier Us odts
a la lyrc'\ Die Romantiker des 19. Jahrhunderts sind Maler.
Mit 17 Jahren beginnt 1819 V. Hugo als literarischer Redaktor einer v. Hogo »i»
Chateaubriandschen Zeitung über die zeitgenössische Dichtung zu referieren. "***'^*''"^
Er setzt diese kritische Tätigkeit in den Vorreden zu seinen „Ödes" (1822)
fort und bringt sie mit „Cromwell" zu einem gewissen Abschluß. In diesen
312
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
acht Jahren wird der konservative Schildknappe Chateaubriands zu einem
Uterarischen Revolutionär. Wer diese Entwickelung verfolgen will, muß
zum ursprünglichen Wortlaut der Texte greifen; Hugo hat seiner eigenen
Versicherung zum Trotz den Artikeln später Toilette gemacht. Er ist
nicht wahrheitsliebend.
Der jug'endliche Hugo verteidigt den literarisch-ästhetischen Katholi-
zismus seines Meisters Chateaubriand, lehnt den Kosmopolitismus der Stael
ab, will von sprachlichen Neuerungen nichts wissen, da Racine und Boileau
„die Sprache fixiert" hätten. Er ist „stolz auf unsere Regeln" und möchte
das neumodische „romantische Genre einfach das schlechte nennen". Aber
schon lauscht er gern dem freien Schritte [la coupe bizarre) der Verse
Cheniers, die eben damals (1819) gedruckt wurden. Lamartines lyrische
Stimmungen (1820) gefallen ihm. Mathurin und W. Scott locken ihn auf
das Gebiet des abenteuerlichen Romans (1824). Er bewundert die dra-
matische Art der Scottschen Erzählung, die durch Zusammenfügung der
stärksten Gegensätze (z. B. von Folter und Lachen) wunderbare Wirkungen
erzeuge. Den „Quentin Durward" nennt Hugo geradezu „/^ nouveau drame
de Scott'-'' (1823). Die Vertreter des intransigenten Klassizismus lehnen Hugos
„Ödes" als romantisch ab. Inzwischen hat er (1823) begonnen, unter
dem Einfluß der Troubadourpoesie und der fremden Balladenliteratur Bal-
laden zu dichten. Shakespeares Dramen und Staels „De l'Allemagne"
treten mächtig in seinen Gesichtskreis. Jetzt {Ödes et ballades) verwirft er
jene „künstliche Literatur", welche für die Tragödie andere Schönheits-
vorschriften aufstelle als für den Roman, die überall Regelhaftigkeit
predige, als ob die Regellosigkeit des Urwaldes und Shakespeares nicht
schön wäre! Frei müsse die Dichtung werden, nachdem sie klassisch,
d. h. wesentlich nachahmend, gewesen sei. Die neue Schule wolle kein
Echo sein und arbeite nicht nach berühmten Mustern, sondern nach Natur
und Wahrheit. Ihr Name romantisch, den er jetzt adoptiert, bedeute
einfach, daß sie's anders machen wollten als ihre Vorgänger: ^^Faisons
autrement!^^ Das ist die umfassendste Definition des Romantikers: er ist
der Widerpart des Klassizismus.
An dem Wege, den Hugo in diesen Jugendjahren gegangen und der
ihn immer mehr von Chateaubriand entfernte, stehen als Marksteine
Ch^nier, Scott, Shakespeare und Frau v. Stael. Auf die Dramaturgie der
letzteren stützt er sich in seiner berühmten Vorrede zu „Cromwell" (1827).
Was er als sogenannte historische Wissenschaft aus dem Eigenen hinzu-
fügt, ist sehr anfechtbar. Auf ein erstes, lyrisches Zeitalter der Poesie
(Genesis) sei ein episches (Homer) gefolgt. Aber erst das dritte, christ-
liche Zeitalter habe den wahren dualistischen Charakter der Welt erkannt
und neben dem Schönen und Erhabenen auch das Häßliche und Groteske
künstlerisch gestaltet. Seine Eigenart liege in der fruchtbaren Vereinigung
dieser beiden Gegensätze [sublime et grotesque), die sein wahrer Poet,
Shakespeare, biete. Dieses dritte Zeitalter sei dramatisch und: „le drame
F. Das 19. Jahrhundert. 1. Die Romantik. ^i^
fsi la Poesie complite^^. K.s umfaßt da.s g-anze Leben in .seiner Realität:
,Joui ce (]ui t'sf t/tins la fiature. est dnns l'art'*. Der Künstler müsse die
Xatur wie durch einen Hohlspiejjfel konzentriert wiedervfeben. Er solle
das Charakteristische, die Lokal- und Zeitfarbe suchen. Und diese freie
Kunst bedürfe eines freischreitenden Verses und freier Wortwahl. Sie
bedürfe auch statt nörgelnder Kritiker einer befruchtenden Kritik, welche
die Schönheiten aufweise (fritiquc des bcaiiti's).
Hugo ahnte nicht, daß das freie Drama, das er hier postulierte, im
Mittelalter bestanden hatte und von den Romantikern des 17. Jahrhunderts
gegen die Akademie verteidigt worden war. Lst also das „romantische
Drama" in Frankreich nicht so neu, wie er meint, so i.st doch die glänzende
Form neu, in der er es verkündet. Die Prc/ace zu „Crom well" ist, obwohl
nicht in Versen geschrieben, voller Poesie; sie ist weniger verständig als
der Art poetiquc Boileaus, aber in ihrem Schwung und ihrer Bildlichkeit
das Werk eines Dichters.
Die Lehre, daß die ganze Xatur Gegenstand der Kunst sein müsse,
schließt bereits den späteren Realismus und den Naturalismus in sich, der
sich dann auch auf Hugo berief, den Hugo aber ablehnte. Ihm selbst
dient das Häßliche und Grote.ske nur als antithetische Folie für das Er-
habene. Die Antithese ist bei ihm das Primäre. Sie ist seine Kunstform.
Diese Preface wurde das eigentliche Wahrzeichen der romantischen
Schule in Frankreich und Hugo ihr bewunderter Führer. Es ist eine
merkwürdige Erscheinung, daß diese Schule, deren Größtes lyrische
Dichtungen sind, sich um eine Dramaturgie scharte und im Drama ihr
Heil sah.
Im nämlichen Jahre (1827) veröffentlichte der Medizin.student Sainte-
Beuve im „Globe" Studien über die leichter des 16. Jahrhunderts. Er
zeigte die Freiheiten ihres persönlichen poetischen Stiles und ihres
reichen Strophenbaues und schuf den Romantikem nachträglich literarische
Ahnen und historische Hilfstruppen, bei denen er selbst die verlorene Form
des Sonetts wiederfand.
Inzwischen hatte sich Hugo auch politisch von Chateaubriand emanzi-
piert. Der Monarchist von 1819 ward zum Revolutionär von 1830. Der
Saintsimonismus bringt ihm die soziale Frage näher. Die Kunst wird ihm
eine soziale Funktion, das Amt des Dichters ein Prie.steramt zur Erziehung
des Menschengeschlechtes, der Dichter zum„Po^te saint" der Renaissance
mit moderner Mission. Stets und nachdrücklich hat Hugo die Formel /'<//■/
pour l\irt — die vielleicht aus V. Cousins Vorlesungen stammt — abgelehnt
Er spricht von der „hoheitsvollen Verbindung des Schönen mit dem Nütz-
lichen". Aber die anmaßende Form, in der er seine Hoheprie.sterrolle zu
spielen begann, erweckte auch innerhalb der Schule Widerspruch. Sainte-
Beuves Weltverstaiul, Mussets Temperament vertrug dieses Getue
nicht Musset wandte sich zum heiteren Spott gegen die Romantik,
während zur nämlichen Zeit (1835) Gautier die Lehre des l'art pour Vart
314
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
in aller Schroffheit verkündete: „Nur das ist wahrhaft schön, was zu
nichts nütze ist — touf cc qui est iitilc est laid.'-''
Das weseu Die roiTiantische Doktrin, die rings um Hugo in zahllosen Vorreden
der Romantik. ^^ Licdcrn, Dramen und Romanen zum Ausdruck kommt, birgt viel
Schwankendes, Wechselndes und Widerspruchsvolles. Musset hat darüber
in den Briefen seiner literarischen Spießbürger Dupuis und Cotonet mit
köstlichem Humor gescherzt und die Romantik schließlich spöttisch als
die metaphorische Verschwendung der Epitheta ornantia definiert: Vespoir
vermeil, la ßeiir qui vole et l'oiseazi- qui embaume. Im Schöße des
Romantismus ruht in Wahrheit die ganze literarische Entwickelung des
IQ. Jahrhunderts: der Realismus Balzacs und der Naturalismus Zolas, die
Lehre des „Parnasse" wie die der sozialen Poesie und des vSymbolismus.
Sie alle entfalten sich neben- oder nacheinander auf dem Boden der
literarischen Freiheitslehre, welche der Romantismus verkündet hat. Der
Dichter soll sein persönliches Empfinden, die vom Klassizismus verpönten
„sentiments particuliers", ohne den Formelkram der überkommenen poe-
tischen Rhetorik aussprechen.
Le poete, oubliant Venus et sa rigueur,
Au Heu de sa jnemoire interroge son coeur,
singt Ulric Guttinguer. Er soll über die ganze Sprache verfügen können,
auch über den Teil, den der Klassizismus als unedel geächtet hatte.
Qui delivre le mot, delivre la pensee,
ruft Hugo, der sich auch rühmt, den Vers aus dem „Zäsurkäfig" befreit
zu haben, damit er auf ungehemmten Schwingen sich in den Himmels-
raum erhebe. Und für diese volle Sprache und diesen beschwingten Vers
soll dem Dichter die ganze Welt der Farben und Formen zur Verfügung
stehen und ihm Bilder liefern, bald scharf und leuchtend in Zeichnung'
und Kolorit, bald vag und verschwommen in Färbung und Umriß. So
vereinigt die Romantik alle literarischen Reformbestrebungen vom
Naturalismus bis zum Symbolismus. Die Romantiker sind die Naturalisten,
sie sind auch die Symbolisten ihrer Zeit. Die Anhäng'er der Alten warfen
ihnen sowohl Vulgarität der Sprache und der Lebensbilder, als Dunkelheit
der Metaphern und Phantastik vor. Denn der Romantismus verlangt:
Freiheit in der Wiedergabe der inneren und äußeren Welt. Das ist
seine große Seite. Dadurch ist er fruchtbar g^eworden.
Diese literarische Freiheitslehre ist g'ermanischer Herkunft. Sie ist
dafür von den Hütern der lateinischen Tradition auch als teutonisch
{tudesque) und barbarisch gescholten worden. Der Romantismus ist eine
Befruchtung der französischen Kunst durch diese germanische Lehre, die
am meisten dem Teil der Dichtung- zug'ute kam, der der Freiheit am meisten
bedarf: der Lyrik. Gewiß irren die, w^elche die romantische Dichtung
Frankreichs schlechthin germanisch nennen. Diese Dichtung ist vielmehr
echt französisch — ebenso französisch, wie das Volkslied, das in ganz
Frankreich so voll und frei erklingt wie in Deutschland. Aber geweckt
F. Das iq. Jahrhundert. I. Die Romantik. •»je
wurdt* die romantische Dichtunj^ durch germanischen Einfluß, gerade so
wie durch ihn der Wog zum N'olk.sHcd gewiesen wurde. Seit zwei Jahr-
hunderten schlummerte die lyrische Poesie in der liefe der amc /riin(aiu\
vom Klassizismus verschüttet. Wie Moses mit dem Stab den Fels in
Horeb öffnete, daß das verborgene Wasser hervorsprang, so schlug der
Romantismus — cc Titan du Rliin, wie Banville sagt — wider den Felsen
des Klassizismus, daß der Quell der Lyrik mächtig aufbrach und bis auf
den heutigen Tag reich und erquickend fließt. Zur Zeit der Völker-
wanderung hatten die Germanen in Gallien als ej)isches Ferment ge-
wirkt; jetzt, tausend Jahre später, ruft ihr friedliches Bei.spiel dort die
Lyrik wach. In diesem Sinne ist das, was nach den Romanen A
romanfismc genannt wird, in Wahrheit germanischen Geistes.
Die Erweckimg der Lyrik, die Schaffung einer Literatur von i»« iyri»che
lyrischen Qualitäten macht das eigentliche Wesen der französischen '*''^ **"*
Romantik aus.
Neben dem Orchester der romantischen Dichtung erklingt etwas
mager (i 8 13— 1833) ^^^^ Glöcklein der Chansons Berangers, die in
Deutschland zu so dauerndem Ruhme gekommen sind. Den Anakreon-
tiker alten Schlages, der in ihm steckt, haben andere an Anmut und
Ursprünglichkeit übertroffen. Die Not des Lebens gab ihm Lieder ein,
deren unbestreitbarer Reiz freilich oft durch Sentimentalität leidet Die
Restauration reizt seinen Zorn, den er in witzige Spottlieder oder in
patriotische Chansons goß, welche die Erinnerung an den ersten Kaiser
und die grandc armi'c belebten. In die neue soziale Bewegung warf er
kräftige Proletarierlieder. Er ist ein oft recht prosaischer, sprachanner
Reimer, der die Fessel seines Refrains mühsam trägt. Die Muse seiner
Jugend, die Grisette, spukt auch noch in den Versen des Alternden.
Unter den Neuen hat Coppee die größte Ähnlichkeit mit ihm.
Auch Lamartine (1790—1869) kann nicht zur Schule der Romantiker i^martwe
gerechnet werden. Er steht für sich. Die wahre Quelle für die Kenntnis
seiner Entwickelung bilden nicht seine Memoiren, sondern sein Brief-
wechsel. Seine ersten Gedichte sind die eines Libertin des 18. Jahr-
hunderts. Dann halten die Zeitläufte, Rousseaus und Chateaubriands Bei-
spiel woltschmerzlichc Emj^findungen bei ihm fest. Es entsteht eine erste
Sammlung melancholischer Stimmungsbilder {Mvdilniions poi'iiqucs 1820),
die der Verleger Didot als unfranzösisch zurückweist, deren ungeheurer
Erfolg aber zu einer zweiten {Xotivi'llcs vii'iiitatiotis) und dritten Samm-
lung {Ilarnionits poi'tiijuis et rcligieiiscs 1830) führt. Petrarca, die
Bibel, Ossian und der „Luzifer" Byron inspirieren Lamartine, aus dessen
Liedern die gläubige Innigkeit der einen und die Düsterkeit und Ver-
zweiflung der anderen spricht. Er lernt in Herder, den Quinet eben
übersetzte, einen verwandten Geist und einen Lehrer der Humanität
kennen. Auch in dem groß angelegten epischen Versuch einer Mensch-
heitsepopöe „Les Visions", von der nur Fragmente {Jociiyn, La chutc
3i6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ifun angc) erschienen sind, ist er Lyriker. Mit den „Recueillements
poetiques" des Fünfzigjährigen schließt die Dichterlaufbahn. Der Politiker
löst den Poeten ab und nachdem er 1848 als Minister des Auswärtigen
kurze Zeit die Schicksale Europas gelenkt, kehrt er, arm, zur Literatur
zurück. In der hastigen, sorgenbedrückten Arbeit der letzten zwanzig
Jahre ist noch hie und da die Inspiration der glücklicheren Zeiten zu
erkennen.
Lamartine ist ein großer Dichter, und er ist ganz Romantiker in der
übermächtigen Subjektivität seines Liedes. Er ist eitel Gefühl. Er haßt den
Esprit g-aulois. Aber so voll er die innere Welt darzustellen vermag, die
äußere bleibt farblos wie in der klassischen Dichtung. Er verwendet auf
ihr Bild ebensowenig Sorgfalt wie auf die Reimsprache. Die Gedanken-
stürme seiner Zeit dichten in ihm herrliche Lieder. Er erklingft wie das
natürliche Instrument eines inneren Gesanges. Daß Komponisten seine
harmonischen Verse „in Noten übersetzten", liebte er nicht.
Man hatte ihn in Frankreich über der Sprachkunst der Pamassiens
lange Zeit vergessen. Jetzt ist er wieder zu Ehren gekommen, er, der
mit Recht von sich sagen durfte, daß er der erste w^ar, der „die Poesie
vom antiken Parnaß herabgeholt und der sogenannten Muse statt einer
konventionellen siebensaitigen Lyra die Fibern des Menschenherzens ge-
geben, die von den Schauern der Seele in Schwingungen versetzt waren".
Von allen französischen Dichtern steht wohl Lamartine Goethescher Lyrik
am nächsten.
A.deVigny. Viguy (1797— 1863), der 1835, auf der Höhe seines Ruhmes, seine
poetische Arbeit fast gänzlich einstellt, ist der Denker der romantischen Schule.
Er erhebt die persönliche Empfindung, der er dichterischen Ausdruck gibt,
zur Höhe von Menschheitsproblemen. Er liebt die unpersönliche Form
des Symbols. Die Lösung, die er dabei den Problemen gibt, ist die des
Pessimismus. Im Gegensatz zu den übrigen Romantikern ist er der stille,
in sich gekehrte Poet, ohne besondere Fruchtbarkeit langsam produzierend.
Er ist durchaus nicht farblos. Er hat vielmehr giänzende Farben auf
seiner Palette; aber er malt mit w^eniger Verschwendung als die anderen.
Er ist einfach in Vers und Rhythmus. Das Schreiende der romantischen
Kunst erscheint ihm als Unaufrichtigkeit. Die Natur begeistert ihn nicht.
Er naht ihr, wie der Gottheit, als Ankläger, da alle Kreatur mit einem
geheimnisvollen Fluch beladen sei und leide. Der sterbende Wolf lehrt
ihn: „souffre et viceurs satts parier!" Widmanns „Der Heilige und die
Tiere" ist Geist von Vignys Geist. Seine Kunst ist Gedankenlyrik. Das
ist seine wahre Originalität angesichts der deutlichen Spuren, die
Cheniers Neoklassizismus, Chateaubriands, Miltons und Klopstocks Bilder-
welt und Byrons Stimmung bei ihm zurückgelassen haben. Der Denker
ist nach Vignys Meinung der eigentliche Mann der Tat. Die Macht des
Gedankens wird die Menschheit aus dem Schiffbruch der Individuen
retten und an die gastliche Küste des Reiches der Wissenschaften tragen.
K. Das i«j. Jahrhundert. I. Die Romantik. ^i-.
Der LyriktT Vi^ny hat mit „Poömes" im Geiste Cheniers bej^onnen.
Lr hat daim die Romantik j^^rkrcuzt, aus deren Schule er im Unfrieden
schied und i.st in seinen letzten, wundervollen Gediciiten (184.^ — 18541 der
Verkünder des Reiches der Wissenschaften geworden. Sully Prudhommes
Gedankenwelt setzt sein Werk fort Die Symbolisten lernen von ihm und
von Lamartine.
Sind Victor Hug-os erste Oden (1822) im wesentlichen nur die v huc«,
poetische Einkleidung- Chateaubriandscher Gedanken, .so verrät diese reiche
und doch schmiegsame Einkleidung bereits die künstleri.schc Persönlich-
keit. Er schaift die strophische (Jde neu. Ein Sänger der Liebe wird er
erst später. Die Balladen {1826) sind mittelalterliche Inspirationen von
keckster Sprachkunst, die „Orientales" (1829) ein poetischer Rausch mit
orientalischen Träumen von wunderbarer Eülle des Rhvthmus: die Offen-
barung seines sprachlichen Virtuosentums. In den folgenden Gedicht-
sammlungen („Herbstblätter**, „Dämmerungsheder**, „Innere Stimmen",
„Strahlen und Schatten", 1 831- 1840) wendet er sich mehr zur Schilderung
seines Inneren. Inmitten der Zweifel, die ihn bewegen und der Schuld,
mit der er seine Liebe beladen, wird sein Lied düsterer, aber auch
rhetorischer und prahlerischer. Er trägt das Tu es in sccna zur Schau.
Vom schuldigen Menschenleben, von der Rechtfertigung der Leidenschaft
wendet sich sein Blick zur Natur und zu einem goldenen Zeitalter der
Zukunft, an denen er seinen Optimismus aufrichtet. Er ist reiner, tiefer
Bewegung fähig, solange nicht seine literarische Eitelkeit im Spiele ist,
vor der bei ihm weder Wahrhaftigkeit noch Ereundschaft bestehen kann.
Sein Wissen ist sehr lückenhaft. Fremde Sprachen kennt er nicht; für
ruhiges Lesen ist er zu wenig geduldig. Er hat in den Jahren seiner
unregelmäßigen und früh abgebrochenen Bildung die Wohltat intellektueller
Zucht nicht erfahren.
Die vierziger Jahre führen ihn zur Politik. Während eines Dezenniums
veröffentlicht er kaum etwas. Die Februarrevolution drängt ihn immer
weiter nach links. Als ein Opfer des Staatsstreiches verlebt er die Jahre
des zweiten Kaiserreiches in der Verbannung, die Amnestie .stolz zurück-
weisend. Sein Ruhm wächst im Exil Von den nonnandischen Inseln
aus schwingt er die Geißel seiner „Chätiments" über „Xapoh'on le petit*'.
Eis sind wundervolle Stücke darunter, die an Dantes politisches Gericht
erinnern. Seine reifste Lyrik enthalten die „Contemplations" (1856), in
deren sechs Büchern er die „Memoiren einer Seele" arrangiert, und der
erste Teil der „Legende des Siecles" (1859), in deren strahlender Bilder-
reihe er die Entwickelung der Menschheit vorführen will. Er ist in-
zwischen, wie einst Ron.sard, vom hohen Fhron der Ode herabgestiegen,
um den paarweise gereimten Ale.xandriner wieder aufzuheben und nach
leichter beschwingten Liederstrophen zu greifen. In den „Chansons des
nies et des bois" will er nochmals jung erscheinen. Was nachfolgt, gibt
sich immer großwortiger und an.spruchsvoller. Aber auch in dem senilen
^i3 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Bombast findet sich noch Schönes. Hugo war von ungeheurer Frucht-
barkeit. Was eifrige Hände seit seinem Tode (1885) aus dem Nachlaß
lierausgegeben, vermehrt seinen Ruhm nicht. Eine zuverlässige Ausgabe
seiner Werke steckt noch in den Anfängen und rückt langsam vor.
Zweierlei zeichnet den Lyriker Hugo aus: ein wunderbares Form-
gefühl und eine wunderbare Energie der Wiedergabe. Seine lyrische
Beredsamkeit verfügt über alle Töne, über alle Rhythmen. Er läßt sie
schwellen, brausen, abklingen mit der selbstverständlichen Sicherheit eines
souveränen Gebieters. Die Musik seiner Strophenfülle flutet. Das Lied
Lamartines klingt wie ein Gesang a capella; das Gedicht Hugos ist mit
Recht eine Orchestrierung der lyrischen Themata genannt worden. Hugo
steht zur Wiedergabe das schlagende, suggestive Wort zur Verfügung,
und die Macht dieses Wortes erfährt nicht nur der Leser, sondern der
Dichter erfährt sie an sich selbst. Das Wort, besonders das sonore Reim-
wort, reißt ihn fort auf der Bahn der Empfindungen, auf der er ein neues
Wort findet, das neue Empfindungen in ihm auslöst. Der Reim wird bei
ihm oft genug zum Schöpfer. Hugo ist ein Dichter des Wortes, und
dankbar hat er dem Worte als einem „Etre vivant" gehuldigt. Mächtig
und in unerschöpflichem Reichtum weiß er die innere Welt mit den
Formen der äußeren Welt wiederzugeben. Alle inneren Erlebnisse werden
in sinnfälligen Metaphern plastisch, farbig, dramatisch gestaltet. Wo sein
schöpferischer Blick hinfällt, entsteht ein Reigen von Bildern; er schafft
ganze Mythen wie sie mächtiger kein jugendliches Volk geschaffen hat.
Er steigert die Energie der Wiedergabe durch die Antithese, die zum
hellen Licht die scharfen Schatten fügt. Er ist ein lyrisches Genie von
unerhörter Machtfülle.
Aber diesem großen Künstler fehlt die Sophrosyne. Wo Hugo maßhält,
da sind ihm vollendete Schöpfungen gelungen. Doch liegt dieses Maß-
halten nicht in seiner Natur — deshalb ist ihm auch das Sonett zu enge —
und schwindet mit dem zunehmenden Alter vollends. Sein Kultus des
Wortes führt zum großwortigen Schwulst, seine mythologische Begabung
zur prahlerischen Häufung der Bilder, seine antithetische Gestaltungskraft
zum Mißbrauch und zur Übertreibung der Kontraste. So siegt schließlich
die Rhetorik über die Lyrik und bisweilen schlägt das eitle Haschen nach
sublimen Effekten wirklich in Lächerlichkeit um.
Hugo hat den Anspruch erhoben, ein Denker und ein Führer seines
Volkes zu sein. Dieser Anspruch hat ihm besonders deshalb so viel Spott
eingetragen, weil er ihn so selbstgefällig zur Schau trug und dabei
mit einem Wissen prunkte, das er in Wahrheit nicht besaß. Er hat oft
genug geradezu Unsinn geredet. Der wissenschaftlichen Bewegung der
Zeit ist er völlig fremd geblieben. Doch enthalten seine Verse gewiß auch
tiefe und originelle Gedanken. Ein Führer seines Volkes ist er aber nicht
geworden. Wenn er sich vom katholischen Royalisten zum sozialistischen
Utopisten entwickelt hat, so hat er eben den Meinungswechsel seines
I
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. ,,q
Jahrhunderts mitgemacht Er hat ihn mit dem Echo seiner Verse ge-
lehrig begleitft. Vielstimmig- gab seine Seele die Stimmen der Zeit
wieder:
,\fon dmt aux mille voix que le Dien que j'adore
Mit au lentre de taut lomme un i'cho sonore.
Man lauscht und schaut mit Entzücken, bis einen plötzlich die Stimme
der Rhetorik schreckt, die sich an ein sonores Reimwort knüpft. Denn
die Rhetorik ruht immer zur Seite Hugos und es bedarf nur eines
Wortes, um sie zu wecken.
Sainte-Beuve übt auch in seinen Gedichten das Amt eines histori- st«-it«-uv,
sehen und technischen Führers der Romantik. Er feiert Ronsard, den
reichen Reim, kultiviert das Sonett in reizenden Kunstwerken und folgt
Cheniers Elegien. Auf der undeutlichen Spur der englischen Lakistes
besingt er das Leben der Kleinen, der Enterbten. Er geht Baudelaire
voran in der technisch vollendeten Behandlung des Abnormen.
Musset (1.S10-1857) wächst in der moralischen Atmosphäre der ent- Mu.wt
schwundenen Welt des Ancien Rr^gime auf: er wird ihr prahlerischer Dandy
in seiner Lebensführung und in seinem Dichten. Renommistisch übertreibt
er die Sinnlichkeit der Elegien Andr^ Cheniers auf der Spur Byrons.
Er macht sich die formale Freiheit zunutze, welche die Romantik ver-
kündet, und treibt sie weiter als ihre Schulpoesie gestattet. Ihn freut es,
Ärgernis zu erregen durch Form und Inhalt: lu blagiic! Oft reimt er
mit affektierter Nachlässigkeit die reine Prosa. Von Esprit aber funkeln
seine Verse mehr als die irgendeines Romantikers. Er ist der geistreiche
Libertin des Boulevard, dem auch die Natur fremd bleibt. Die Yun^r-Frau
des Berner Überlandes dient ihm zu einem preziösen Kompliment ä la
Voiture. Sein lyrisches Talent schlummert, wie sein Glaube, unter einer
dichten Hülle von Blague und Esprit, die kälten und verletzen. Kaum
etwas, was den großen Lyriker verrät. Da bringt dem Dreiundzwanzig-
jährigen die Liebe zu George Sand eine schwere Erschütterung, und nun
bricht aus dem vom Schmerz gepflügten Inneren des Unglücklichen die
Stimme wahrer Dichtung hervor. Der ins Herz getroffene Dandy wird
nach 1834 der Dichter unvergänglicher Lieder, die in ihrer Form freilich
nichts von romantischer Prachtentfaltung haben, die aber von ergreifender
Unmittelbarkeit im Ausdruck des Wehs, der Ergebung, der Hoffnung, der
Enttäuschung sind. Der hochfahrende Spötter wirft die Maske von sich,
lächelt durch Tränen oder bricht in Schluchzen aus. Der Poet hat keinen
anderen Ehrgeiz mehr, als — so sagt er selbst - „aus einem Lächeln,
einem Seufzer, einem Blick eine köstliche Arbeit zu gestalten, angst- und
reizvoll zugleich, und aus einer Träne eine Perle zu bilden". Wie schlicht
ist sein Lied „An eine Blume" oder „An Ninon", die brutic aux mux bltiis!
Er reimt kunstlos roseau mit piano, voith mit Spinosa. Schwennutsvoll-
lieblich erklingt ein Gelegenheitsgedicht wie „Une soir^e perdue". Ge-
legentlich findet er auch den kecken Ton der früheren Jahre wieder und
^2o Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
läßt, wie Heine, ein Gedicht in schriller Dissonanz ertönen. Mit dem zu-
nehmenden Verfall des Dreißigjährigen wird sein Lied seltener und lange
vor seinem leiblichen Ende verstummt es. Musset erinnert an den größeren
Heine, den er kaum nennt, dessen Einfluß er hie und da verrät. Es gab
Zeiten, da Heine in Frankreich bekannter war als Musset, dessen Lieder
keinen Schumann gefunden haben. Beiden ist ähnliche Gegnerschaft be-
schieden: sie ist zu gleicher Zeit und in gleicher Weise zu Wort ge-
kommen, als jüngst Mussets Standbild zu Paris enthüllt und in Deutsch-
land das Andenken an Heines fünfzigsten Todestag gefeiert wurde.
Lang würde die Reihe, sollten alle die genannt werden, die um
diese Führer der Romantik mit schönen Gedichten sich scharten oder die
im Gefolge dieser freieren Lyrik ihre klangvolle Stimme erhoben. Emile
Deschamps' „Etudes fran9aises et etrangeres" ( 1 8 1 8) wirkten durch ihr kosmo-
politisches Programm und ihre Proben mächtig auf die lyrische Inspiration.
Frau Desbordes-Valmore fand innige Herzenstöne in Liebes- und Kinder-
liedem. Die Enttäuschung von 1830 entfesselte die „Jamben" des fünf-
undzwanzigjährigen Barbier, Satiren voll ungebärdiger Kraft, deren
leidenschaftlicher Ruf ein begeistertes Echo fand. Es erklang das
Lob der freien Natur, des ländlichen Lebens, nicht in jener bloß kon-
ventionellen Form, welche auf der Spur von Horazens „Beatus ille" geht,
sondern als der Ausdruck wahrer Liebe zur ländlichen Heimat, zum dörf-
lichen Leben. Die Romantik hat auch die lyrische Heimatkunst geweckt.
Brizeux besingt die Bretagne, Moreau das Tal der Voulzie, Juste Olivier
sein Pays de Vaud am „bleu Leman". Roumanille bindet 1847 den
reizenden Strauß seiner provenzalischen „Margarideto". P. Dupont, der
Typus des volkstümlichen Chansonnier, der zum schlichten Vers die schlichte
aber siegreiche Weise findet, begleitet mit seinen Liedern gleichsam die
ländlichen Novellen der George Sand, bis die Februarrevolution ihn zum
politischen Sänger des erträumten Völkerfrühlings macht.
Ja, die Romantik hat energische Bestrebungen literarischer Dezentrali-
sierung ins Leben gerufen: L3^on lehnt sich nach 1830 gegen die künstlerische
Oberherrschaft der Hauptstadt Paris auf und stellt in den Dienst dieser
Schilderhebung frische und begabte Kräfte und wahre Poeten wie Laprade
und Soulary, freilich ohne einen dauernden Erfolg.
Xh.Gautier. Th. Gautlcr (1811 — 1872) beginnt als enthusiastischer Romantiker,
insofern seiner kecken, impulsiven Art die Auflehnung gegen die Rutine
im Blute liegt. Aber in der Tiefe dieses Temperaments schlummert auch
die Auflehnung gegen die „gotische Krankheit" der Romantiker und
gegen das anspruchsvolle Prophetentum Hugos, das sich in so breit
beschwingten Strophen rhetorisch äußert. Schon seine „Poesies" von 1830
verraten die Neigung zum einfacheren Lied. Zugleich zeigen sie in dem als
kalt verschrienen Künstler Innigkeit und eine durch Scherz gedämpfte
wahre Emotion. Auf diesem Wege führt ihn dann Heine weiter: die
Lieder der „Emaux et Camees" (1852) bestehen aus lauter kurzversigen
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik.
321
Vierzeileni, und zu mancluMi hat Heine das direkte Vorbild geliefert.
Gautier erklärt, daß die Kun.st keine andere Aufj^abe habe als die, Kunst
zu .sein. Seine Reisen gelten ausschlielMich der Kunst. Er wendet sich
vom NV()j»-eniIen Leben ab und ziseliert die wundervollen Verse seiner
„Bildersteine" ohne des Sturmes zu achten, „der wider meine jje-
schlossenen Fenster schlä^^t". Ihn interessiert nur die Form: in der Natur
sieht er immer nur das Bild, im Menschen nur die Statue. Vom Mittel-
alter wendet er sich zum Orient. Sein Malerauge fesseln die großen
strengen Linien der griechischen Plastik, die geheimnisvollen Formen der
ägyptischen Bildnerei.
Lamartine und Musset malen gar nicht. Vigny und Hugo schaffen
glänzende Bilder zur X'eranschaulichung der inneren Welt; für beide ist
das Körperliche nur der Ausdruck der Idee. Für den Maler Gautier aber
sind die sichtbaren, körperlichen Linien und Farben das Primäre und
bilden den eigentlichen Vorwurf des Poeten. Man sehe nur, wie sich bei
diesen Dichtern die Krinnerung an entschwundene Liebe zur Klage ge-
staltet: zum wehmutvoll-sinnlichen Sang bei Lamartine {Lt' lue), zum
Lied, das wie ein Aufschrei ertönt, bei Musset {Souvenir)^ zur sym-
phonischen Dichtung bei Hugo {Trisffsse d'Olympio). Gautier aber schildert
malerisch den stillen Zeugen des zerronnenen Glückes, die Steinbank {Le
baue de pierre)^ über welche trauernd die Äste des Baumes sich neigen
und auf deren Moos der Mondschein ruht.
So führt er von der Romantik hinüber zur Fornienkunst der Parna.ssiens.
Wann immer in Frankreich sich der Widersprucii gegen den Klassi- i>ie Koi
zismus reg^e, hat die Roman diciitung ihren Vorteil davon gehabt. Die **"''*'°*
Romantik bringt ihr einen mächtigen Aufschwung und führt ihr begabte
Werkmeister und große Künstler zu. In der Fülle der Produktion lassen
sich drei Richtungen erkennen: der historische (\\ Hugo), der idealistisch-
lyrische (G. Sand) und der realistische Roman (Balzac, Stendhal), der
dann zugleich über die Romantik hinausführt.
Historische Romane gab es längst, seit dem 17. Jahrhundert. Aber Der
es ist für die Romantik bezeichnend, daß sie dieses Genre zu einer t>»«»^
üppigen — wenn auch kurzen — Blüte führte und daß auch die Erzähler
ihm vorübergehend gehuldigt haben, deren Begabung in anderer Richtung
lag, wie Stendhal, Balzac und G. Sand. Der eigentliche Schöpfer dieser
Blüte war W. Scott. Die farbenprächtige Erweckung der Vergangenheit,
die anschaulichen Milieuschilderungen, die dramatische Gestaltung der
Vorgänge, die lebensvolle Charakterisierung tler Helden, die bunte, aben-
teuerliche Handlung — die ganze große Kunst mit der Cenchonicur tfEäin-
bourg den Schauerroman eines Lewis ins Reich der Poesie erhob, be-
geisterte die Franzo.sen um so mehr, als Scotts Erzählungen zugleich eine
strahlende Offenbarung des alten Frankreich waren, von der Zeit Richard
Löwenherz' bis auf Waverly, mit den glänzenden Bildern Ludwigs XL und der
Maria Stuart. Scotts Einfluß herrschte ja auch im Drama und bestimmte die
Du Kultus dm Giu»<wakt. Lii. i. 21
mAii-
322 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Geschichtschreibung — Vhistoire waltcr -scottee^ wie Balzac scherzt. Er
wurde wie ein nationaler Schriftsteller gefeiert und (1832) betrauert. Aber
die Franzosen schufen auf seiner Spur nichts Ebenbürtiges. Vigny, der
es zuerst versuchte, vergriff sich, indem er es wagte, die Figuren
Richelieus und Ludwigs XIII., sowie den Charakter ihrer Zeit im Dienste
der „vcrife i?iorale" zu alterieren und die „päleitr du vrai" durch eine an-
geblich höhere Wahrheit zu ersetzen {Cinq-Mars 1826). Hugo hatte
bereits in dem Schauerroman „Han d'Islande" Scotts dramatische Art
nachgeahmt, als er 1831 mit „Notre-Dame de Paris" das Paris der Zeit
Ludwigs XL zu beschwören unternahm. Den heldenhaften und rührenden,
den teuflischen und grotesken Gestalten seines Buches glaubhaftes Leben
und der tollen Handlung Wahrscheinlichkeit zu verleihen, war er nicht
imstande. Aber es lebt der Handlungsschauplatz, die wunderbare Kathe-
drale und die malerische Stadt, und es lebt das bunte Volk, dessen
wogendes Meer hier brandet. Der alte Goethe fand den Roman ein „ab-
scheuliches" Buch, das auch das Allerunerträglichste und Häßlichste dar-
stelle, und er beklagte die Zeit, die ein solches Buch ergötzlich finde —
so hatte fünfzig Jahre zuvor der alte König Friedrich über den „abscheu-
lichen" Götz von Berlichingen und seine „abstoßenden Plattheiten" geklagt.
Alter und Jugend!
Dem englischen Vorbild kommt Merimee am nächsten, der Dichter
mit dem scharfen, archäologisch geschulten Blick, dessen Szenen aus dem
wilden Bauernkrieg {La Jacqiierie, 1828), dessen „Chronique du regne de
Charles IX" (1829) eine Galerie fesselnder und treuer Sittenbilder sind.
Die Intrige ist lässig geführt und wird leichthin abgebrochen; aber die
Zeitstimmung, die bei Vigny fehlt und die bei Hugo nur im Malerischen
liegt, durchdringt das Ganze. K. F. Meyer lernte bei ihm und fand in
der „Chronique" den Stoff seines „Amulett".
Hugo hat sich später nochmals im Roman versucht und die bände-
reichen „Miserables" (1862) geschrieben, in denen Schönes und Ab-
geschmacktes, lyrischer Schwung und naturalistische Gegenständlichkeit
zu einem farbenreichen Bilde der letzten fünfzig Jahre verbunden sind,
von dem Flaubert sagte, daß „es nicht mehr erlaubt sei, die Welt
so falsch zu malen". Die beiden anderen, Vigny und Merimee, haben
sich von der romantischen Historie weg der Novelle zugewandt
und hier als Erzähler ihr Bestes gegeben. Vigny widmet zwei
reizvolle Sammlungen {Stcllo 1832 und Servitude et grandeur mili-
taires 1835), die in lockerer Komposition je drei Novellen enthalten,
den beiden „Parias der modernen Gesellschaft", dem Poeten und
dem Soldaten, deren Leiden er selbst gekostet hat. Der Geist des
Pessimismus, aber eines werktätigen und hochsinnigen Pessimismus, spricht
aus diesen Geschichten. Und Merimee schenkt seinem Lande in den
nächsten zwanzig Jahren eine Reihe Wunderwerke der Erzählungskunst,
vom Drama des „Mateo Falcone" über das Grausen der „Venus d'Ille"
F. Das i<). Jahrhundert. I. Die Romantik. ^2 1
und die Lebonsfülle der „Colomba" zum dämonischen Zauber der
„Carmen" (1845^. Wilde ursprünjrlicho Menschen haben es Mi'Tim<k* an-
getan, Korsika zieht ihn an, und er, der die Mitwelt bereits mit spanischen
Dramen und dalmatischen Volksliedern mystifiziert hatte, schrieb den
„Mateo Falcone" (1829), längst ehe er die Insel besucht und dort seine
„Colomba" crefunden hatte. Der einstige Romantiker kommt hier zu
wahrhaft „parnassischer" Kunstübung. Dieser große Künstler, den das
Leben gelehrt, seine Weichheit hinter Kälte und Ironie zu verbergen,
fühlt sich zur russischen Literatur hingezogen. M6rim(^e ist der erste,
der den Franzosen mit der realistischen Erzählungskunst Puschkins und
Gogols bekannt machte (seit 1850) und so seinem späteren Freunde
Lurgenieff den Weg bahnte.
Der historische Roman, dem die erste große Liebe der Romantiker
gegolten, da seine freie und bewegte Gestaltung ihr stürmisches
Sehnen nach „couleur locale" am reichsten erfüllte, sank, von den
Poeten verlassen, bald in seine frühere Sphäre zurück. Von ge-
wandten Zubereiten! angerichtet, diente er weiter zur Befriedigung
des Lesehungers eines nach starken Reizen begierigen Publikums
und feierte im Zeitungsfeuilleton neue Triumphe. Der erfolgreichste
dieser Zuberciter ist der ältere Dumas, der in den alten Abenteuer-
roman eine sprudelnde, farbige, aber oberflächliche Lebensfülle gießt und
mit unerschöpflicher Fabulierkunst die Geschichte gleichsam in Bilder-
bogen für das Volk detailliert. Auch diese naive Kunst hat ihr Recht,
und es ist anzuerkennen, daß Dumas in ihrer schwelgerischen Ausübung
dezent geblieben ist. Als er 1848 seine Kandidatur für die Deputierten-
kammer aufstellte, konnte er in seinem Aufruf „An die Arbeiter" sich
rühmen, durch seine 400 Bände etwa zwölf Millionen Franken in Umlauf
gesetzt zu haben. Noch heute werden von den „Drei Musketieren" oder
vom „Grafen von Monte Cristo" Tausende von Exemplaren jährlich ver-
kauft. Dumas ist bis heute populär geblieben.
Immer zieht der historische Roman auch wieder große Künstler an
und findet vereinzelt Pflege. Die über das Ägypten der Pharaonenzeit
erschienenen Bilderwerke führte Th. Gautier zum Farbenrausch seines
„Roman de la Moniie" (1858). Bald darauf folgte ihm Flaubert mit der
gemessenen Kunst seiner „Salammbö" und seiner „Herodias": orientalische
Archäologie zu glänzendem epischem Geschmeide gestaltet.
In den literarischen Frühling des Jahres 1830 tritt plötzlich eine junge c s«o<i
l-rau, die unter der Last zerrütteter Familienverhältnisse aus dem heimat-
lichen Berry nach der Hauptstadt geflohen war. Sie greift zur P'eder,
leistet Mitarbeiterschaft und dann selbständige Arbeit und kommt unter dem
Namen George Sand durch Romane wie „Indiana", „Valentine", „Lelia",
„Jacques" (1832 — 1834) zu rascher Berühmtheit. Nach kaum einem Jahr-
zehnt verläßt sie Paris wieder, um in ihr Nohant zurückzukehren; aber
die Feder legt sie nicht mehr aus der Hand, bis der Tod die 72jährige
2I*
324
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
abruft, Ihre Erzählungen, Romane und Novellen füllen gegen loo Bände.
Das Thema ist die Liebe, die große Angelegenheit des Daseins. G. Sand
behandelt sie leidenschaftlich in ihren stürmischen ersten Büchern; sie
stellt sie als die große Panacee dar in ihren mitleidvollen sozialen
Romanen; sie gibt ihr ländliches Kleinleben zum Hintergrund in ihren
anmutigen Idyllen; sie wendet ihrer Schilderung in den letzten Büchern
die gereifte und geläuterte Erfahrung des Alters zu.
Vom eigenen bewegten Liebesleben sind jene ersten Romane ein-
gegeben. Die junge, unglückliche Frau, die sich und ihren Kindern selbst
den Weg durch eine egoistische Gesellschaft bahnen muß, verteidigt
leidenschaftlich das Recht der Selbstbestimmung des Weibes gegen „les
saintes lois des prejuges". Diesem Selbstbestimmungsrecht opfert sie, in
der prahlerischen Art der Romantik, ihre Geschlechtsehre. Dann fordert sie
nicht nur die Befreiung des unterdrückten Weibes, sondern der Unter-
drückten überhaupt. Sie sitzt zu Füßen Lamennais. Ihre tiefe Liebe zur
Menschheit macht sie zur Priesterin der neuen sozialistischen Lehren,
denen sie in ihren Romanen oft die Kunstform opfert. Von da kommt
sie zu einer reiferen Darstellung des Lebens derer, die mühselig und be-
laden sind, in ihren Dorfgeschichten, in die sie ihre ganze Liebe zur
Natur und zu den Menschen ihrer ländlichen Heimat gießt. Sie schreibt
mit Benutzung bäurischer Rede und dörflicher Lieder, doch nicht mit dem
Anspruch naturg^etreuer Sittenschilderung\ Sie erhebt das Ganze ins Reich
der Poesie und erzählt so, „als ob auf der einen Seite ein Pariser, auf
der anderen ein Bauer zuhörte", wie sie zu der prächtigen Geschichte
ihres Müllerburschen {Frangois le Chaitipi 1850) bemerkt. Tiefe Wirkung
ist von ihrer liebevollen Beobachtung und kunstvollen Gestaltung länd-
lichen Lebens ausgegangen, besonders auf das Ausland, auf G. Elliot wie
auf Turgenieff und Tolstoi.
G. Sand arbeitete leicht und die Not des Lebens zwang sie zu eiliger
Produktion. So viele ihrer Bücher zeigten die Spuren der Improvisation:
Schwanken der Motive und Personen, ermüdende Längen, unsicheren ■
Abschluß. Aber herrlich erg^länzt bei alledem ihre natürliche Begabung
in der Sicherheit, Seelenzustände zu enthüllen, sowie in der Harmonie
und dem Zauber ihrer Sprache. Sie ist die Schülerin Rousseaus; auch
ihre Romane sind Gedichte in Prosa. Sie ist unübertroffen in der Er-
zählung ländlichen Lebens und in der anmutigen und bewegten Schilderung
von Herzenszuständen.
Sie sieht das Leben optimistisch. „Ja", schreibt sie 1875 im Vorwort
zur Gesamtausgabe ihrer Werke, „der Mensch wird auf dieser Erde
glücklich werden, denn er wird weise und gut werden, indem er über
sein Ziel und seine Aufgabe besser unterrichtet wird." So ist auch ihre
Kunst optimistisch. Sie idealisiert Figuren und Empfindungen, nicht aus
H. de Balzac. Tendenz, sondern aus Anlage. „Idealisez dans Ic bcaii'', habe Balzac zu
ihr gesagt, „desi im ouvrage de fenime.'' Er, Balzac, halte es anders.
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. ^25
Auch er idealisiere die Alltagsfiguren: ,,y^ les idealise, en sens inverse,
dans leur laideur ou Icur bctise. Je donne a leurs difformitcs des pro-
portions effrayantes ou grotesquesy
So der Meister der realistischen Erzählung, dem jede lyrische Art
fehlt. Er hatte nach einigen Jahren des Tastens 1829 mit einem Roman
aus der jüngeren Vergangenheit begonnen (Schilderung der Bretagne von
1799: Les Chouans)y dessen dramatischer Aufbau und genaue Milieu-
schilderungen deutlich die Schule W. Scotts verraten. Dann folgt in
fieberhafter Tätigkeit Buch auf Buch. Von seinen Gläubigern gehetzt,
verrichtet Balzac eine ungeheure Arbeit, bis er nach zwanzig Jahren
zusammenbricht (f 1850). Gewiß tragen seine Romane die Spuren dieser
Hast in Form und Inhalt. Gewiß ähnelt der Tourangeau Balzac oft seinem
Landsmann Rabelais in Ungeschmack, in den Maßlosigkeiten seines Stiles.
Und doch ist sein Werk die größte literarische Schöpfung der Zeit. In
seinen Romanen lebt diese Zeit. G. Sand schildert erfundene, Balzac
gibt beobachtete Geschehnisse wieder. Unbekümmert um Theorien,
stellt er den Mechanismus des Lebens dar, als ein Beobachter, der ein
wunderbares, unersättliches Auge für das komplizierte Räderwerk hat und
als ein Gestalter, dessen Zauberhand diesen Mikrokosmus nachzubilden
und sein subtiles Triebwerk in Gang zu setzen vermag. Und diese Klraft
der Beobachtung und Gestaltung wendet er an einen völlig neuen Stoff:
an die Darstellung der Not und Sorgen des materiellen Lebens, an die
Darstellung der Welt, in der man einen Beruf ausübt [le monde profcs-
sionnel) und Geldfragen verhandelt. Er stellt die Tragödie des Geldes
dar, die sein eigenes Leben erfüllte. Seine geschäftliche Sachkenntnis
fließt in seine Bücher. Er führt in die Welt der Geschäftsleute und der
Bauern, der kleinen Angestellten, Häuservermieter, Landärzte — fouf
un peuple de douleurs, wie er sagt. Er offenbart dem Hauptstädter
das Kleinleben der Provinz. Es ist eine Demokratisierung des Romans.
Und welche Kenntnis auch des technischen Teiles dieser ganzen Alltags-
welt zeigt z. B. die Geschichte vom „Glanz und Fall des Parfumeurs
C6sar Birotteau"! So phantastisch oft die Intrige seines Romans ist, so
wirklich und determiniert ist das Augenblicksbild seiner Menschen und
der Handlungsschauplätze. Es sind bescheidene Milieux, die er schildert,
und kleine, schwache Menschen, an deren Beschränktheit, Gemeinheit oder
Narrheit Existenzen verkümmern oder scheitern. Balzac übt keine tiefe
psychologische Analyse; er spricht zweifelnd über die Aufhellung der
,, dunkeln Tiefen der Leidenschaften". Aber er stellt das leidenschaftlich
bewegte Leben mit unübertrefflicher Sicherheit dar. Wie weiß er z. B.
Gesichter zu schildern! Sein Hauptmittel ist der Dialog. Die Handlung
springt von Dialog zu Dialog, und im Feuer dieser Gestaltung verliert
Balzac oft genug den reellen Handlungsschauplatz aus den Augen. Als
er am Schlüsse des „P^re Goriot" das Sterben des Alten so meisterlich
erzählte, hatte er den Schauplatz, die Pension Vauquer, die er am An-
^26 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
fang so eingehend geschildert, ganz aus den Augen verloren. Die Szene
könnte irgendwo passiert sein. So sind die Mittel der Darstellung noch
unausgeglichen. Zola wird sorgfältiger sein.
Balzac korrigiert an seinen Romanen fortwährend. „Je les leche",
scherzte er, indem er sich mit einem Bären verglich. 1842 schloß er sie
mit Änderung von Titeln und Namen unter der Überschrift „La comedie
humaine" zusammen. Die „Comedie'' umfaßt 86 Romane und Novellen;
die Pläne zu 60 weiteren blieben unausgeführt. In der denkwürdigen Vor-
rede spricht er von der „Zoologie humaine", die er biete. Diese natura-
listische Auffassung zeigt sich schon frühe bei ihm. Er erkennt die
physische Bedingtheit des moralischen Menschen. Er nennt sich einen
„Physiologiste" und liebt das Wort f'hysiologie auch auf den Titeln seiner
Bücher, Er meint, daß die Krankheit häufiger denn bisher als Ursache
moralischer Verheerung erwogen und dargestellt werden müsse und streut
dilettantische medizinische Erörterungen in seine Geschichten. Was sich
beim späteren Naturalismus auswachsen wird, findet sich im Keime in
diesen deterministischen Anschauungen, diesen wissenschaftlichen Allüren,
die Balzacs Katholizismus durchbrechen.
Gewiß schreibt Balzac nicht schön, wie auch seine Welt nicht schön
ist. Doch ist sein Stil von kraftvoller Eigenart und paßt vortrefflich zum
Gesicht dieser Welt. Er hebt die Einheitlichkeit dieses großen Kunstwerks.
Stendhal. Ncbcu Balzac steht, eigenartig und doch ein Vertreter der nämlichen
realistischen Entwickelung, teils über ihn hinausgehend, teils hinter ihm
zurückbleibend, H. Beyle (1783 — 1842). Er ist unter dem Namen Stendhal
berühmt geworden, einem der zahllosen Pseudonyme, die ihm für die
Maskerade seines Lebens dienten. Er ist ein Virtuose der inneren Be-
obachtung, der sein hypertrophisches Ich mit erbarmungsloser Luzidität in
Tagebüchern zergliederte und in Romanen ofiPenbarte {Le rouge et le noir,
1830; La Chartreuse de Panne, 1839), „Chroniken" der zeitgenössischen
französischen und italienischen Gesellschaft, in deren Helden er selbst lebt.
Er hat darin, seit Rousseau, insbesondere einen Vorgänger, der ihm auch
in seiner Neurasthenie sehr ähnelt, B. Constant, den Verfasser der Novelle
„Adolphe" (1807), die, in Übereinstimmung mit Constants Tagebüchern,
erzählt, w^ie die Liebe des zweifelhaften Helden aus Eitelkeit erwächst
und diesem Fluche qualvoll erliegt. Liebes- d. h. Verführungsgeschichten
sind auch Stendhals Romane. So ist sein Horizont viel enger, seine Welt
viel traditioneller als Balzacs. Aber er w^eiß realistisch zu schildern: die
Ankunft Juliens in Besan9on könnte Balzac so erzählt haben, oder auch
Zola, der denn auch Stendhal als Naturalisten anspricht. „Le rouge et le
noir" ist nach den Akten eines Kriminalprozesses gearbeitet. Stendhal
ist der erste, der eine Schlacht so darstellt, wie sie sich in den erregten
Sinnen eines einzelnen Soldaten malt: er stellt sich ungewöhnliche psycho-
logische Aufgaben. Das macht die Neuheit seiner Romane aus. Und diese
Aufgaben löst er mit einem bewundernswerten Scharfblick. Aber ihm,
F. Das 19. Jalirliundcrt. I. Die Romantik. 5 27
der für bildende Kunst und Musik ein so U'bhaft<'s Kniptinden hatte, fehlt
die literarische Kunst. Seine Bücher werden jederzeit den Denker mehr
fesseln als den Künstler. Es fließt nicht jfenug- rotes Lebensblut durch
das verzweigte Geäder dieser seelischen Analysen. Stendhals Neigung
gilt zu sehr den ])sychischen Anomalien, wie er eben selbst ein abnormer
Mensch war. Er liat etwas irritierendes, dieser prätentiöse Spötter mit
dem unerbittlichen Scharfblick und den paradoxen Einfällen. Er hat
etwas Verschrobenes, dieser geistreiche Mensch, der Anderen Gedanken
und Form stiehlt, wie ein armseliger Skribent. Krankhaft erscheint er in
den maßlosen Ansprüchen seiner Eitelkeit, die ihn zum Schauspielern
zwingt; krankhaft in seiner Willensschwäche, welche Ubermenschentum
vortäuschen will als berühmtes Muster. Er lebte im Krieg mit seiner
Zeit, die seinen Ehrgeiz niciit befriedigt hatte. Er bekämpfte sie und lehrte
eine Umwertung aller Werte. Nietzsche hat ihn in maßloser Übertreibung
das „letzte große Ereignis des französischen Geistes" genannt Stendhal
starb fast unbeachtet. Dann hat ihn Taine, der seinen psychologischen
Scharfsinn bewunderte, seit 1860 in Mode gebracht.
Stendhal liebte es, neue Wörter zu prägen. „Egotisme" nannte er
seinen Kultus der „Ichheit". Mit „Beylisme" aber bezeichnet die Nach-
welt Stendhals Beispiel, die Komödie des Übennenschentums zu spielen
und sich als „satanique'' zu gebärden. Sein literarisches Werk ist ge-
schichtlich bedeutsam, aber es fehlt ihm die freie Natürlichkeit des
Kunstwerks.
So wurde das Feld des Romans \ on der Romantik bebaut. Es trug
glänzende, reiche und originelle Frucht. Die folgenden Jahrzehnte werden
reichlich davon pflücken, weniger aus den Gärten Scotts und G. Sands,
als von den weiten, freien Ackern, die Balzacs Pflug durchfurcht, und von
den Spalieren, an denen Stendhal seine Raritäten gezogen.
Die neue literarische Kunst der Romantik hatte längst in Lieder- dm romMd»ch«
büchem ihren Ausdruck gefunden; sie sprach auch bereits aus historischen
Romanen zum Publikum — aber die Kanzel der Bühne war ihr noch ver-
schlossen. Es fehlte ja nicht an dramaturgischen Manifesten, an Über-
setzungen fremder Schauspiele, an Manzonis Beispiel, an Buchdramen.
Aber erst das Jahr 1829 — 1830 erschloß den Neuerern die Bretter, welche die
Welt bedeuten. Über ihrem Siegeszuge flatterte das Banner Schillers und
Shakespeares; Träger sind Dumas und Vigny. Das Th<^ätre-Fran(;ais
brachte im Februar 1829 Dumas' „Henri III et sa cour" - ein Stück, das
den Einfluß Schillerscher Dramatik auf der Stirn trägt — und führte
Vignys Übersetzung des „Othello" auf
Der glänzende Erzähler Dumas ist auch ein glänzender und frucht-
barer Dramatiker. Seine unerschöpfliche Phantasie weiß reiche Lebens-
fülle mit dramatischer Meisterschaft zu gestalten. Er ist ein Virtuose der
Mache wie Scribe. Noch heute vermag die Laterna magica einiger
Dramen und historischer Lustspiele {Lis DemoisclUs lü SfCyr, 1843) zu
Drama.
328 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
fesseln. Aber tiefere dichterische Art fehlt in Form und Gehalt, und die
Geschichtsklitterung ist allzu naiv. Mit keckem Griff hat er in „Antony"
(1830) zum Thema der Auflehnung des Plebejers und der Frau gegen die
Gesellschaftsordnung gegriffen — dem zukünftigen Thema des modernen
Theaters. Die schreiende Kunst seiner Stücke hat viel Lärm gemacht.
So marschiert die herkulische Gestalt dieses Mulatten an der Spitze der
romantischen Schar, die auszog four escalader la citadelle du Theätre-
Frangais^ wie Vigny sagt.
Vigny selbst war kein Dramatiker, aber Shakespeare hat er für jene
Zeit trefflich wiedergegeben. Die Welt seines „Cinq-Mars" brachte er
ohne Erfolg auf die Bühne. Seinem „Stello" entlehnte er das legendäre
Bild eines Poeten, der an der Härte der Gesellschaft stirbt, und schuf
seinen Dreiakter „Chatterton" (1835), dessen rauschender Triumph selbst
Hugos Fanfaren übertönte. Das Stück hat weder Handlung noch Farbe;
es ist eine dramatische Elegie, deren überschwenglicher Subjektivismus
bei der literarischen Jugend ein volles Echo fand, die wir aber heute,
trotz aller Feinheit, als zu deklamatorisch und utopistisch empfinden.
Die neue, mit mehr innerlichen Mitteln arbeitende Dramatik, die
„Chatterton" zu versprechen schien, blieb aus. Herrschend blieb die
Hugosche Richtung, die im Februar 1830 mit „Hernani ou l'honneur
castillan" den entscheidenden Triumph gefeiert hatte.
Diese historische Dramatik löste gleichsam den historischen Roman
ab. Ihr Triumph war lärmender, ihre Blüte länger; aber nach einem
Dezennium hatte auch sie sich erschöpft. Hugo lieferte bis 1838 sieben
Stücke, die der spanischen, französischen, italienischen und englischen
Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts entnommen sind. Es wird darin
ein großer Aufwand von „couleur locale" und Inszenierung historischer
Milieux getrieben; aber die zur Schau getragene Gelehrsamkeit ist faden-
scheinig, die Farben sind oft genug falsch und das Milieu operettenhaft.
Dazu ist Hugo unfähig, die historische Stimmung im Reden und Tun
seiner Helden festzuhalten. Er hat nicht nur das Ausland sondern auch
Frankreich selbst verzeichnet — er hat z. B. die Zeit Franz' I. geradezu
karikiert. Äußerlich, wie das Mittel der bunten Inszenierung, ist das der
abenteuerlichen Bühnenhandlung, mit welcher der Dichter die Spannung,
die Verblüffung des Zuschauers erstrebt. Hier arbeitet Hugo mit den ge-
walttätigen Mitteln des populären Moritatenstückes. Und irreal wie die
Vorgänge sind ihre Träger, die Personen. Hugo ist viel zu sehr Rhetor,
er ist viel zu wenig auf Wahrheit bedacht, um wirkliche Menschen bilden
zu können. Insbesondere hindert ihn daran seine Neigung zur Antithese,
die ihn zu förmlichen Verzerrungen des Einfach-Menschlichen treibt. Er
führt uns oft geradezu eine verdrehte Welt vor. Aber diese Welt spricht
zu uns mit dem ganzen Wohllaut Hugoscher Verse; durch ihre Irrealität
zieht der Klang Hugoscher Lyrik, der Sang von Liebe, Freiheit, Auf-
opferung, Mitleid, Duldung. Was „Hernani" bis heute auf der Bühne
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. i2q
orhalten hat, ist sein lyinschcr Stimmung-.sjrfhalt, der ein Lied von Liebe
und Jugend aus ihm macht. Wenn Hugo seinem eigenen Programm un-
treu wird und in Prosa schreibt (z. B. Marie Tmior), dann liefert er, trotz
pompöser Vorreden, nicht Be.sseres als der Melodramatiker Pix6r6court
Er fühlte schließlich die Einfi)rmigkeit der dramatischen Welten, die sein
erhitztes Gehirn gebar: das Klischee der Handlung und des Milieus, das
Typische der Personen, dieser edlen Plebejer, dieser fürstlichen Böse-
wichter und hochsinnigen Dirnen. Nach dem tollen, aber poesieerfüllten
„Ruy Blas" (1838) versuchte er eine Erneuerung seines Dramas durch die
Epik. Eine Reise ins burgengeschmückte Rheinland, dieses „mittelalterliche
Thessalien, wo Götter und Titanen kämpften", gab ihm die Trilogie seiner
„Burgraves" ein, ein ungeheuerliches Stück, das vier Generationen umfaßt
und voll melodramatischen Gespensterspuks ist. Dieses epische Drama wurde
vom Publikum abgelehnt (1843). »Die Intentionen sind hie und da höchst
grandios, aber am Ende überwiegt doch der Unsinn", schreibt Jakob
Burckhardt am 16. Juni aus Paris an Kinkel. Und so ist es. In Hugo
war über alledem die Ereude an der epischen Gestaltung der Geschichte
erwacht und der Entschluß gereift, sich als Dramatiker aller Rücksichten
auf die Bühne zu entschlagen. So entstanden einerseits die „Legende des
siecles" und anderseits die lyrischen Buchdramen seines „Theätre en libert«^".
Der Fall der „Burgraves" schließt die Epoche des romantischen
Theaters. Man hatte seine einförmige Unnatur satt, und eben kam die
jugendliche Rachel zur rechten Zeit, um durch ihre Kunst der Tragödie
Racines und Corneilles, die keinen Talma mehr hatte, neuen Glanz zu
verleihen. Durch den Gegensatz zur romantischen Barbarei erschien das
klassische Trauerspiel und sein Altertum wieder modern. Die Antike
kehrte aus ihrer Verbannung zurück, und es entstand jene Strömung, die
zur Rehabilitierung des Parnasses und seiner Musen führte. Ein un-
bedeutendes literarisches Ereignis markiert diesen Umschlag. Es knüpft
sich an den Xamen eines Juristen, der als Pariser Student sich für Hugo
begeistert, dann zu \'ienne im Schatten der heimatlichen Kathedrale einen
historischen Roman geschrieben und später, ernüchtert, sich dem Altertum
zugewandt hatte: F. Ponsard. Von der Überzeugung geleitet, daß die
Zukunft der Literatur in der Kombinierung klassischer und romantischer
Darstellungsmittel liege {,Ja liitt'rattire sc rrposcra dans Us biiufaits (ü
r^clecticismey\ verfaßt er eine Römertragödie {Lucr^cc)j die den antiken
Stoff mit einem Einschlag von Romantik versieht, Zeit und Ort frei be-
handelt, einige Lokalfarbe anbringt und die Figur des Brutus bewegt ge-
-staltet. Dieser „Tragödie" fiel der Beifall zu, der dem „Drame" Hugos
versagt blieb, und so gab das Jahr 1843 ^^^ „Lucr«>ce" eine historische
Bedeutung, die sie künstlerisch nicht verdient. Mit ihr kehrte der tra-
gische Stil auf die Bühne zurück, und Ponsard selb.st übte ihn nochmals
mit Erfolg in seiner „Charlotte Corday" (1H50). Andere taten wie er,
schufen achtbare Trauerspiele, die eine honette Mitte halten zwischen
330
Hkinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
romantischem Überschwang- und klassischem Zuschnitt und erwarben sich
das Ansehen einer „Schule des gesunden Menschenverstandes" {Lecole du
bon - sens).
So hat die Dramatik, die auf dem Boden des Hugoschen Programms
erwachsen ist, keine großen Kunstwerke aufzuweisen. „Le drame" ist
vielmehr die schwächste Schöpfung der französischen Romantik, Ihre
Poeten waren keine Dramatiker und ihre Dramatiker keine Poeten. Aber
diese vergänglichen Schöpfung^en haben das große Verdienst, mit der
sterilen Nachahmung- der alten Tragödienform, in der die dramatische Kunst
der Franzosen seit mehr als einem Jahrhundert agonisierte, aufgeräumt
und für eine freiere, lebendigere Kunst Bahn gebrochen zu haben. Sie
hatten insbesondere das Beispiel der Lokalfarbe g-egeben und damit die
Bedeutung des Milieus für die dramatische Handlung illustriert. Und wie
aus den Milieuschilderungen des historischen Romans der realistische
Roman Balzacs hervorging, so bereitete das historische Drama dem
realistischen Sittenbild Augiers und Dumas' den Weg\
Das Lustspiel. An dicscr Vorbereitung ist die Lustspieldichtung stark beteiligt.
Die Romantik hat keine eigene Komödie geschaffen; doch hat sie mit
ihrer Neigung zur Historie das historische Lustspiel — das heitere Seiten-
stück zum „Drame" — gefördert, das mit Scribe {Le verre d'eaii, 1840)
und Dumas manch Hübsches aufweist, ehe es in die Operette Ofifenbachs
ausläuft. Im übrigen ließ die Romantik die Komödie klassischer Obser-
vanz bestehen, deren traditionelle Verssprache ein starkes Hindernis für
wirksame, bewegte Sittenschilderung bildete.
Dafür bot solcher Sittenschilderung das lustige Vaudeville in seinen
leichtgeschürzten Szenen eine anspruchslose Stätte. Wie zur Zeit Lesages
begleitete es mit seiner Prosa, seinen Quidproquo und seinen Couplets,
keck zugreifend die Tagesereignisse, und wie einst Lesage selbst wandten
sich die modernen Vaudevillisten dann auch dem ausg'eführten Prosa-
lustspiel zu. So entstand aus dem Vaudeville eine neue Sittenkomödie.
„La mere et la fiUe" (1830), „Une liaison" (1834) ^'on Mazeres und
Empis schildern mit eindrucksvoller Kunst die Zerrüttung der Familie
durch Ehebruch und „Collage". Sie zeigen, daß dieses Lustspiel sich an
die Darstellung ernster, trauriger Verwickelungen wagt, wie sie das spätere
soziale Drama, Dumas Fils in der „Kameliendame" (1892) und Donnay in
„L'autre danger" {1902), geben.
Diese Entwickelung des Vaudevilles verkörpert der fruchtbare E. Scribe.
Unter seinen 400 Stücken sind zudem alle Formen des Theaters vertreten.
Er hat auch, als trefflicher Librettist, der Oper neuen Handlungsreichtum
zugeführt. Er ist. ein Künstler der modernen dramatischen Technik; er ist
es so sehr, daß er gleichsam in dieser Technik aufgeht und das dramatische
Spiel als Selbstzweck behandelt. Scribe ist kein Dichter; er ist weder
tief noch gedankenreich, und seine Prosa entbehrt persönlicher Gestaltung.
Er schreibt aus dem Geist des Bürgertums heraus, dem er entstammt, das
K. Uas H). Jalirhundcrt. I. 1 )ic Koinantik. ^^j
ihn umii^ibt und ihn nährt, und führt mit großer, vulgärer BehagHchkeit
das Bild der Gesellschaft von 1820 — 1850 vor. Im größten Umfange und
am nachdrücklichsten hat er jene Zustände und Figuren geschaut, skizziert
und bühnenfähig gemacht, die später den realistischen Vorwurf des sozialen
Dramas bilden werden. Die Keckheit, mit der er den Fall der Frau, die
Schäden des neuen Parlamentarismus, die Macht der neuen Aristokratie
des Geldes zunächst in Vaudevilles und dann in Fünfaktern auf die Bühne
brachte {Dix ans de In vie (Ttuie femmc 1832; La camaraderic 1837;
La calumuic 1840; Lc mariagc d'argcnt 1827), hat meist den lauten Wider-
spruch der Kritik geweckt, aber den Beifall des Publikums gefunden.
So bleibt dem Lustspiel dieser Jahre das Verdienst, die Probleme
dargestellt zu haben, die dann einer späteren Zeit von einer ernsteren
Kunst werden vorgeführt werden. Auf diese Weise ist das Vaudeville zur
Vorschule des modernen Sittenstückes geworden, ähnlich wie das Melodram
die \'orschule des romantischen Dramas ward. Die Erneuerung der fran-
zösischen Dramatik im ig, Jahrhundert leitet sich also aus populären
Formen her. Das ist der Kreislauf der Kunst und des Lebens.
Scribe hat während Jahrzehnten einen Teil der Pariser Bühnen be-
herrscht, und schon dieser Umfang seiner Leistung bildet eine Macht.
Es ist zudem die Macht des gutgebauten Stückes, und dieser technische
Wert sichert Scribe noch heute den Beifall des Publikums, das einen
unterhaltsamen Abend schätzt.
Wie reizende Märchengestalten heben sich von der Alltagswelt dieses u« The*ier
Theaters die Figuren der Mussetschen Stücke ab. Der Dichter hat sie '^ "*" ^'"»••*^
ohne Rücksicht auf die Bühne als „Un spectacle dans un fauteuil" ge-
schrieben (die meisten von 1833 — 1836), und mehr als zehn Jahre ver-
gingen, ehe ein Zufall sie dem Theater zuführte und einige davon zur
Aufführung kamen. Seither gehören diese Findlinge zum Bestand der
Bühne, der sie der Dichter nicht bestimmt hatte, deren Rampe ihre Kon-
turen forciert und ihre Traumwelt einengt. Ins Land der Dichtung führen
uns diese Stücke, mag auch äußerlich ihre Szene nach Italien, Bayern,
Ungarn verlegt sein — in jenes Land, das allem irdischen Wechsel ent-
rückt ist, wo Shakespeares Gestalten wohnen. Shakespeares Beispiel, auf
das die romantische Schule sich so prahlerisch berief, ist nirgends wirklich
lebendig geworden als in den graziös -phantastischen Spielen, die Musset
für die ,,Revue des deux mondes" geschrieben hat, in „Fantasio", den
„Caprices de Marianne", dem „Chandelier" und in jenen „Proverbes" wie:
„Ün ne badine pas avec Tamour", „II ne faut jurer de rien", in denen er
eine Form der dramatischen Unterhaltung wieder aufnahm, die den Salons
des 18. Jahrhunderts teuer gewesen war. Die Stücke sind erfüllt von des
Dichters eigener Person. Er selbst ist Fantasio, Fortunio, Valentin. Es
ist seine Welt, die Welt der Liebe, die er schildert, ihren Jubel und ihre
Klagen, zart und leidenschaftlich, traurig und ausgelassen, närrisch und
tief. Kein anderer Dichter hat reizvollere Mädchen- und Frauengestalten
y:>2
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
geschaffen, keiner auch die verheerende Wirkung der Liebe ergreifender
dargestellt als er. Er ist ein Racine, der sich in Shakespeares Wunder-
land ergeht. Die ganze Tragik seines eigenen Schicksals hat er in der
Figur jenes „Lorenzaccio" verkörpert, dessen edle Natur der Aus-
schweifung erliegt, die sein Tun der Würde beraubt und sein viel-
versprechendes Leben knickt. Dieser fünfaktige „Lorenzaccio", den ihm
die Geschichte der Mediceer (1536) während des Aufenthalts zu Florenz
eingab, ist das wahre historische Drama der französischen Romantik.
Mussets lyrisches Theater hat eine bestrickende Sprache. Mag auch
der geistreiche Dichter sich dem Reize seines Gedankenspieles oft mehr
ergeben, als für den Schritt der dramatischen Handlung förderlich ist; wird
die Feinheit der Rede auch oft zur Geziertheit, zu einem „Marivaudage", so
ist doch Mussets Theater das Poesievollste, was die romantische Dramatik
geschaffen hat.
Italien. Trotz der schweren Last, welche die französische Um-
wälzung und die napoleonische Herrschaft Italien brachten, förderten die
neuen Zustände dieser Jahre den nationalen Sinn der Italiener. Beim
Sturze Napoleons brach auch jenseits der Alpen die französische Herr-
schaft zusammen. Der Wiener Kongreß stellte, soviel an ihm lag, das
alte, zerstückte Italien wieder her. Im Gefolge der österreichischen Vor-
macht, die sich von neuem des Nordens bemächtigte, zogen die alten
Souveräne wieder in ihre Staaten ein. Aber das Land ertrug diese Re-
aktion nicht mehr. In zahllosen Verschwörungen und Aufständen äußerte
sich ein unbesiegbarer Patriotismus. Freilich führten die Stürme, die im
Gefolge der Julirevolution ausbrachen, und führte Mazzinis „Giovine
Italia" nicht zum Ziel. Und auch die Kämpfe, die das Jahr 1848 entfesselte,
straften das stolze Wort „Italia farä da se" Lügen.
Politik und Im Banne dieses politischen Ringens für die nationale Unabhängigkeit
und Einheit steht das ganze Schrifttum, und die zeitgenössische literarische
Kritik mißt dieses Schrifttum mit politischem Maßstab. Das tut nicht nur
der ungestüme Mazzini in seinen glänzenden Essays, sondern auch der
Literarhistoriker Giudice in der „Storia delle Belle Lettere in Italia" (1845).
Wie wird Dante im Dienst der Parteien gedeutet und zum mystischen
Führer der nationalen Bewegung gemacht! Und wie manches Gedicht,
das die erregte Stimmung eines Augenblicks in zündende Worte faßte,
weckte Begeisterung und trug den Namen des neuen Tyrtäus durch das
ganze Land. Welche Bewegung erweckte z. B. Berchet mit seinen Vers-
novellen, seinen Romanzen, seinen „Fantasie".
u. Foscoio. Charakteristisch für diese Allgegenwart der Politik ist F" o s c o 1 o s Werk —
sein Werk und sein stürmisches Leben, die sich beide eindrucksvoll ab-
heben von Montis feigem Literatentum. Der fünfundzwanzigjährige Foscoio
sandte 1802 dem illustre scrittore tedesco Goethe den Roman „Jacopo
Ortis' letzte Briefe" mit dem Bemerken, daß ihn „Werther" ins Leben ge-
F. Das IQ. Jahrhundert. I. Die Komantilc. 311
rufen habe. Aber bei aller Ähnlichkeit zeif^t „Ortis" eigene Art. Diese
Eigenart besteht weniger darin, daß die Landschaft südlicher, der Ton
übersclnvenglicher und die Farben schreiender sind, als darin, daß zur un-
glücklichen Frauenliebe des Helden eine unerfüllte Vaterlandsliebe sich ge-
sellt, die, vereint, den Verzweifelten in den Tod treiben. Seine geliebte
Therese ist das Weib eines anderen, sein geliebtes Italien die Beute fremd«?r
Barbaren. Auch wenn Therese die Mutter meiner Kinder werden könnte,
klagt Ortis, so hätten diese Kinder kein Vaterland! In der Klage um
dieses Vaterland, dessen Zerrissenheit es zur Fremde für die eigenen Söhne
macht, findet F'oscolos poetische Prosa wundervolle Bilder und Klänge.
Zur patriotischen Rede Alfieris fügt er den Ton der Melancholie und der
Rührung — ein neues lyrisches Element. Es ist Rousseausche Stimmung.
Die Briefe des Jacopo Ortis stehen in Italien an der Spitze des modernen
Romans, wie die „Feuerbriefe" der „Nouvelle H^loi'se" in Frankreich.
In den nämlichen Jahren schrieb Chateaubriand auf der Spur Rousseaus
und Goethes seinen „Rene". In der universellen Enttäuschung des Franzosen
fehlt die Note des Patriotismus, obwohl das Buch im Exil geschrieben ist
Zu ähnlichem Vergleich führt auch F'oscolos Gedicht „Die Gräber"
(/ si-polcri, 1807). Der FYanzose Legouve hatte in seiner „Sepulture" die
„Elegie auf einen Kirchhof" zu einer Lehre bürgerlichen Lebens gewendet:
On se sent grandir au tombeau d'un grand komme.
F'oscolo macht daraus das machtvolle Lied von der Lebendigkeit der
Toten, an deren Urne die F'lamme patriotischer Taten sich entzündet.
Die „Sepolcri" sind ein Werk herrlicher Poesie. Ihr Lyrismus kleidet
sich in den vcrso sciulto Parinis. Ein Strom des Wohllauts trägt ihre
antike Bilderwelt. Für diesen Italiener, der von griechischer Mutter auf
griechischer Erde die Sprache Hellas' gelernt, ist die Welt Homers und
Herodots lebendig. Er zuerst hat auch die ganze ursprüngliche Gewalt der
Homerischen Poesie den Italienern gekündet und Dante mit Homer erklärt
Aber selbst in der Hand des Künstlers F'oscolo versagte die antiki-
sierende Form auf die Dauer. Er fühlte das, fühlte auch den inneren
Widerspruch zwischen seinem Verlangen, auf die Menge zu wirken, und
der aristokratischen F'orm, die nur wenigen zugänglicli war. Und in ge-
reiztem Ton sucht er theoretisch recht zu behalten.
F'oscolos Empfindungswelt ist modern, romantisch. Herkunft und Er-
ziehung aber fesselten ihn an die klassizistische Form. Die F'orm brachte er
vom Süden mit; sein Geist wurde vom Norden befruchtet Es ist eine
merkwürdige Fügung, daß jene Form in Frankreich und Italien zu gleicher
Zeit durch einen großen Dichter erneut wurde, durch Ch^nier und durch
F'oscolo, die Beide Söhne griechischer Mütter waren.
Sur des petuers tioin>eaux faisous des 7ers antiques,
sagte Ch^nier. Wenn es in allen Ländern klassischer Bildung immer
Dichter geben wird, die moderne Denk- und Empfindungs weise mit
antikisierender Kunstübung verbinden, so wird das Geschlecht der Ch^nier
334
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
und Foscolo in Italien besonders kräftig sein. Der literarische Kosmopolit
Mazzini gehört dazu wie Leopardi und Carducci. Italien ist das Land
der romantischen Klassizisten. Es ist das Land, in dem der Klassizismus
eine nationale Kunstform ist: die Kunstform der alten, glorreichen Welt-
herrschaft.
Die produktive Zeit Foscolos gehörte der Lombardei. Lombardei und
Toskana wurden die führenden literarischen Landschaften Italiens in dem
Die romanrische Kampfe zwisclicn klassischcr Tradition und romantischer Neuerung. Wenn
Schule. Florenz, die Stadt der Crusca, als die Hüterin der einheimischen Tradition
erscheint, so begünstigten in Mailand geographische Lage und politische
Verhältnisse das Eindringen ausländischer Ideen. Mailand wird zur Wiege
der italienischen Romantik.
Der Kampf entbrennt im Gefolge der Schriften der Frau von Stael.
Während Italien die schon im i8. Jahrhundert begonnene Übersetzungs-
tätigkeit weiterführt und aus dem Englischen und Deutschen (meist mit
französischen Zwischenversionen) überträgt, erscheint zu Mailand das Buch
„De FAllemagpae" in italienischer Sprache (1814), und setzt Frau von Stael
in einer Mailänder Zeitschrift (18 16) den Italienern auseinander, daß sie
ihr literarisches Heil im Schrifttum der germanischen Völker suchen sollten.
Diese Mahnung erfuhr leidenschaftliche Abwehr und begeisterte Zu-
stimmung.
Als Beispiel nordischer Gefühls- und Bilderwelt legte der Mailänder
Berchet im nämlichen Jahre Bürgers „Lenore" und „Wilden Jäger" in
Übersetzimg vor. Derselbe Berchet war auch die Seele der Zeitschrift,
deren blaue Blätter unter dem Namen „Der Vermittler" {Conciliatorc)
1818 und 181 9 das Programm des Romantizismus vertraten. Auch die
Florentiner „Antologia" begrüßte sympathisch die Werke des Auslands,
ohne aber das romantische Programm sich zu eigen zu machen.
Berchet und seine Mitarbeiter, zu denen auch Silvio Pellico ge-
hört, verlangen die Abkehr von der griechisch-lateinischen Nachahmung
und fordern statt der Philologendichtung mit heidnischen Allüren ein
nationales (historisches), populäres, christliches Schrifttum, das im Zusammen-
hang mit dem Leben des Volkes eine soziale Mission erfüllen und deshalb
sein Auge auf das befreiende Beispiel der Germauen, besonders der
Deutschen, richten solle. „Laßt die alten Litaneien!" ruft Berchet, „laßt die
Göttin Venus und ihre Jämmerlichkeiten! wärmt den alten Kohl nicht
wieder auf!" Es ist eine Lehre der Befreiung, die sich vom Boden der
Politik ins Land der Dichtung gerettet hat und in deren Refrain die
politischen Untertöne immer mitklingen. Es gibt nicht nur die eine antike
Dichtung, sagt der „Conciliatore"; es gibt der Poesien viele bei den
Völkern der Erde. Diese mit sympathischer Lernbegier umfassen macht
frei und gibt Einsicht und Kraft zur Schöpfung einer eigenen italienischen
Literatur, die der Vorbote besserer Zeiten für unser armes Vaterland sein
wird. Seien wir Kinder unserer Zeit!
V. Das ig. Jahrhundert. 1. iJic Romantik. ^^i^
Mit Recht orhoboii deshalb die Männer de.s „Concihatore" den An-
.spruch, als g-ute Patrioten j^eltcn zu dürfen, auch wenn sie auf das Schrift-
tum der verhaßten deutschen Herren hinwiesen. Sie erklärten, daß sie im
Beispiel der individualistischen, jjfermanischen Literatur eine Lehre literari-
scher Unabhänß^i^rkt'it suchten, und daß sie jede direkte Nachahmunjr vor-
werfen. Die \'erfolgunj»- seitens Österreichs .stempelte sie zu I-iberalen.
Das hinderte die Gegner nicht, die Romantiker vaterlandsfeindlicher und
reaktionärer Gesinnunpf zu beschuldigen.
Der Streit drehte sich insbesondere um die Frage der Verwendung
tler heidnischen Mythologie. Foscolo, Leopardi verteidigten das poeti.sche
Recht der antiken mythologischen Tradition, und Monti verglich .spöttisch
die nordischen Gespenster der „Scuola boreale" Bürgerscher Observanz
mit den Göttern Griechenlands (1825). Der Klassizismus erklärte,
freier und vornehmer zu sein : freier, weil er der katholisierenden
Romantik gegenüber der alte Träger der Aufklärung war; vornehmer,
weil seine aristokratische Form sich nicht an das Volk wandte {Lartc
per Parte).
Der Name „romantico" selbst kam in Italien nicht zu allgemeiner
und dauernder Geltung. Die Gegner verwendeten ihn ironisch im Sinne
von nordischer Barbarei; die „Antologia" sprach von „Überschwang in
Gedanken und Worten". Nur die entschiedensten Parteigänger führten
ihn. So blieb ihm etwas ^L1rktschreierisches, das Manzoni sehr wenig .\. .Maotooi
paßte. Er selbst nannte seine Richtung die „historisch -christliche". Goethe, *^* '^"''>'««'
der dem Streiten aus der Feme lernbegierig zusieht, meint, es erhelle
deutlich, „daß unter diesem Namen [romanticö) alles begriffen sei, was in
der Gegenwart lebt und lebendig auf den Augenblick wirkt".
Dazu gehörte, seit man ihn (18 18) zu übersetzen begann, insbesondere
auch Byron. Die Liebe, die Childe Harold Italien erklärte, fand be-
geisterte Erwiderung. 1821 wurde auch Scott übersetzt. Die Versnovelle
gedieh auf ihrer Beider Spur.
Manzoni hatte fünf Lehrjahre in Paris verbracht (1805 — 1810) und
seine literarischen Anschauungen dort in den Kreisen gebildet, die der
feine Gei.st des treflflichen Fauriel belebte. Er verwirft nachdrücklich die
Regel von den drei Einheiten; er lehnt die Nachahmung der antiken
I'^ormen und Erfindungen und besonders die heidnische Mythologie ab;
aber sein ganzes Temperament war wenig romantisch. Seine maßvolle
Art hat vielmehr etwas Klassisches. Die Shakespearesche Mischung von
Tragik und Komik ist ihm unsjTnpathisch; er empfindet hier als „buono
e leal partigiano del Classicismo". Mit der Zeit freilich hat er sich hier
bekehrt, und V. Hugos Vorrede zu „Cromwell" ist wohl an die.ser Be-
kehrung nicht unbeteiligt. Schließlich bildete sich unter Rosminis Ein-
fluß in Manzoni immer bestimmter die Lehre eines christlichen Realismus
{verisnio) aus, die das Wirkliche in seinem ganzen Umfange als Gegen-
stand der Kunst erklärt, da ja auch das Xiodrivf«- ihk^ H.iniiche zu jener
336 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
göttlichen Weltordnung gehöre, deren wahrhaftige Darstellung Aufgabe
des christlichen Künstlers sei. Der Künstler Manzoni ist in erster Linie
Moralist. Sein Wort von der Dichtkunst, „die das Nützliche als Ziel, das
Wahre als Gegenstand und das Interessante als Mittel" haben soll,
charakterisiert ihn, auch wenn er es später fallen ließ. Aus der mora-
lischen Idee des Christentums sprießt seine realistische Theorie, die sich
schließlich so bestimmt gestaltet, daß der Verist Manzoni den historischen
Roman als eine trügerische Verbindung von Geschichte und Fiktion ver-
wirft und damit 1845 sein eigenes Kunstwerk, die „Promessi Sposi", ver-
urteilt, das er zwanzig Jahre zuvor geschaffen hatte. Man freut sich des
Mutes, mit dem der Sechzigjährige sich ausspricht; aber man sieht mit
Bedauern, wie dieser Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis seine
Schöpferkraft früh gelähmt hat und wie unfruchtbar die neue Lehre des
Realismus für ihn war, der nicht nur Balzac, sondern auch noch Zola er-
leben sollte — ohne mitzuschaffen.
Der Streit Inmitten der literarischen Kämpfe nahm auch der Kampf um die
um die Schriftsprache schärfere Formen an. Im Norden lehnten sich nicht nur
achnftspracne. ^
die Romantiker gegen das Joch der fiorentinischen Trecentisten auf, das
Mittel- und Süditalien geduldig trug. Als die Crusca sich weigerte, zu-
sammen mit der mailändischen Akademie das italienische National-
wörterbuch zu bearbeiten, das einst Cesarotti vorgeschlagen, holte Monti
mit seiner berühmten „Proposta" (18 17) zum wuchtigen Angriff gegen die
Crusca und ihre Puristen aus. Perticari sekundierte im Namen Dantes.
Italienisch nach freier Wortwahl des Schriftstellers, und nicht florentinisch
nach dem Kodex des Trecento, sollte die Nationalsprache sein! Da trat
Manzoni auf den Plan. Er hatte, kurz nachdem sein Roman erschienen
war (1827), nach seinem eigenen Ausdruck es unternommen, die schmutzige
Wäsche seiner Sprache im Arno waschen zu lassen. 1840 gab er die
„Promessi Sposi" in einer Gestalt heraus, in welcher die ursprünglichen
Lombardismen einer ziemlich systematischen, fast ängtlichen Toskanisierung
unterworfen worden waren. Dabei legte Manzoni nicht die tote Sprache
des Trecento, sondern die lingua parlata des gebildeten Florentiners zu-
grunde. Manzonis Vorgehen war getragen vom Gedanken der nationalen
Einheit. Er formulierte ihn 1868 in der „Proposta manzoniana" für eine
Staatskommission, die unter seinem Vorsitz in der neuen Hauptstadt
Florenz tagte. Die Puristen erhoben Widerspruch im Namen der
Kunst, die Anhänger Montis im Namen Italiens, die Linguisten,
wie Ascoli, im Namen der Wissenschaft. Und diese behielten recht,
denn eine Einheitssprache wird nicht durch Programm und Ver-
ordnung geschaffen, sondern sie wächst aus der gemeinsamen
geistigen Tätigkeit einer Nation naturgemäß hervor. Italien hat sie in
den letzten vierzig Jahren mächtig gefördert. Und diese Entwickelung
zeigt, daß in der zukünftigen Einheitssprache des Landes das ,,Idioma
gentile", das am Arno erklingt, die Führung behalten wird, ohne daß alle
I
F. Das iq. Jahrhundert. I. Die Romantik. ^^j
Florcntini.smcn des Lautes, der Formen und der Wendung im Lande
herrschend zu sein brauchen, wie die Heißsporne der Partei es verlangen,
die manzonischer sind als Manzoni. Das florentinische ,,jWoi si doventa
omini'" braucht das italienische „noi diveniamo uomini" nicht zu ver-
drängen.
Das Phantom der sogenannten Sprachreinheit .spielt in der litera-
rischen Kritik des Landes noch heute eine Rolle, die ihm nicht gebührt.
Es ist für die Sprache, nach der die Hand des Künstlers greift, besser,
daß sie frei, als daß sie „rein" sei. Die Kritik, die den Provinzialismus
grund.sätzlich verfolgt, ist steril und unkünstlerisch.
Die Zeit akuter Romantik ist in Italien viel kürzer als in Frankreich. Der GeUt dai
1830, als in Paris die Bewegung ihre höchsten Wellen schlug, war in R"'»*'"'«"»»
Italien der Sturm längst vorüber. Er war ohnehin schwächer gewesen.
Italien hat in der Romantik von neuem gezeigt, wie seine kräftigere
antike Tradition — gestützt von der vaterländischen Geschichte, ihren sicht-
baren Monumenten und der Sprache — als Bollwerk gegen nordische Ein-
flüsse steht und wie sein rationalistischer Geist dem Überschwang abhold
ist. Seinem Romanticismo fehlt überdies der ästhetische Katholizismus
eines Chateaubriand; es fehlt seinem Gewebe aber auch der protestantische
Einschlag der Frau von Stael. Ein patriotischer, praktischer Gegenwarts-
zug gibt der italienischen Romantik ihre Eigenart. In der Politik er-
scheinen die Romantiker gegenüber der klassischen Verschwörungspartei
Mazzinis als die Realpolitiker, welche, nach den Niederlagen jener, den
Kampf um die Einheit zu glücklichem Ende führen.
Italien hat die Erschütterungen des militanten Katholizismus eines
de Maistre und Lamennais nicht gekannt. Die Abwendung vom Indivi-
dualismus und Naturalismus des 18. Jahrhunderts und die Rückkehr zur
alleinseligmachenden Kirche vollzog sich stiller, wenn auch nicht weniger
entschieden. Das zeigt das Beispiel Manzonis, der aus Paris als ein Be-
kehrter zurückkam und nicht nur seine Dichtung in den Dienst werk-
tätigen Glaubens stellte, sondern mit der „Morale cattolica" (1819) auch zu
urbaner Polemik gegen das Aufklärertum griff. Und aus dem patriotischen
Stürmer Pellico machte die Gefangenschaft einen demütigen und
asketischen Christen, der auf Rat seines Beichtigers „Le mie prigione"
(1832) als frommes Erbauungsbuch schrieb. Daß der schlichte, leiden-
schaftslose Bericht dieses Märtyrers über die Qualen seiner zehnjährigen
Kerkerhaft den Haß gegen die Fremdherrschaft mehr als irgend ein
anderes Buch schürte, hatte nicht in scinor .\bsicht gelegen. Der Geist
seines Buches atmet stille Ergebung.
Mit dem 37. Jahre (1825) stellt Manzoni seine poetische Arbeit ein. Maoiooi «u
Ihr Umfang ist nicht bedeutend: einige Lieder, zwei historische Trauer-
spiele und die „Promessi Sposi". Weder als Lyriker noch als Dramatiker
gehört er zu den Großen. Seine lyrische Stimmung fließt aus tiefer
Frömmigkeit. Die festlichen Hymnen (///«« sacri) ergreifen als der schlichte,
Dt» KlTLTVK DBB GbOKMWAKT. I. H . I. j -.
Dichter.
338 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
wahre Ausdruck des Herzensglaubens; sie waren Tausenden aus der Seele
gesungen. Auch seine eindrucksvolle Improvisation auf Napoleons Tod
(„Der 5. Mai") oder der tragische Chorgesang auf das Sterben der Ermen-
garda sind Hymnen, in denen die friedenbringende Hand des Himmels
sich auf die stürmischen Geschicke der Menschen senkt. Manzoni hat die
Gestalt eines Condottiere des 15. Jahrhunderts („Der Graf Carmagnola") und
den Untergang der Langobardenmacht durch die Franken („Adelchi", der
Langobardenkönig) dramatisiert und damit Italien das epochemachende
Beispiel des Shakespearschen historischen Dramas gegeben. Doch ist es
ihm nicht gelungen, dem genau studierten geschichtlichen Ereignis
dramatisches Leben einzuflößen. Es sind zwei Buchdramen entstanden,
vornehm in Sprache und Gesinnung, aber durch historische Grundlage
und moralische Absicht zu sehr gefesselt, als daß ihnen Bühnenerfolg be-
schieden gewesen wäre.
Fauriel veröffentlichte 1823 zu Paris eine Übersetzung dieser Trauer-
spiele Manzonis und fügte dessen französischen Brief gegen die drama-
tischen Einheiten, sowie Goethes ermunternde Kritik und Manzonis Dank-
schreiben an Goethe hinzu. Wie bezeichnend! Der literarische Prozeß
der romantischen Dramatik wird in Paris geführt. Fauriel leitet die Ver-
handlungen in französischer Sprache und der Meister von Weimar wird
als Zeuge angerufen.
Die Promessi Eiu großcs Kuustwcrk schuf Manzoni mit den „Verlobten", der ein-
^''"' fachen Geschichte zweier dörflicher Liebesleute, Renzo und Lucia, deren
Bund durch die Nachstellungen eines Schloßherrn bedroht, von einem
furchtsamen Landpfarrer und einer verbrecherischen Signora unzureichend
geschützt wird. Der Kampf um Lucia spielt sich auf dem historischen
Hintergrunde der Jahre 1628 — 1631 ab, als die spanischen Herren die
Lombardei bedrängten, als Kriegs- und Hungersnot das Land durchzogen
und die Pest mit der Todesangst alle Feigheit und allen Heroismus ent-
fesselte. Anders und glücklicher als in seinen Dramen verteilt hier
Manzoni Geschichte und Dichtung. Nur zwei der handelnden Personen
sind historisch, die zwei vornehmsten: der Kardinal Borromeo und die
Signora de Leyva: so bewegt sich die erfundene Fabel frei im Sturme
jener wilden Jahre. Um ihr Glauben zu verschaffen, stellt sich Manzoni,
als hätte er sie in einer alten Chronik gefunden, und dieser Fiktion ist er
in unübertrefflicher Meisterschaft gerecht geworden. Das behagliche
Plaudern, die lehrhaften Digressionen und scherzhaften Zwischenbemer-
kungen, die ganze humorvolle Art eines Erzählers, der trotz aller
Schrecken, von denen er berichten muß, weiß, daß der liebe Gott ja
doch alles zum guten Ende geführt hat — diese schlichte, anschauliche
Darstellungsweise eines gottesfürchtigen, aber auch weltverständigen
Chronisten ist ganz Manzonis eigenste Art. Hier hat wirklich ein Künstler
die Form gefunden, in der er sein Bestes geben konnte. Und mit wie
reichem inneren Leben hat er diese Form zu erfüllen verstanden; wie
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. j*q
lebendig steht z. H. dieser Pfarrer Don Abbondio in seiner giitmütigen
Schwäche vor uns! Freilich ist nicht das etwas hausbackene Liebespaar
der Brennpunkt des Lebens: den Sturm der Liebe zu schildern, lehnt
Manzoni aus sittlichen Bedenken ab. Solchen Sturmes gibt es nach seiner
Meinung im Leben genug, der Dichter braucht ihn nicht noch künstlich
zu erzeugen. Wer so denkt, der handelt wohl richtig, wenn er auf die
Darstellung der Liebe verzichtet. Wenn hier das Schaffen Manzonis eine
Lücke zeigt, so würde anderseits dieses Schaffen sicher nichts ge-
wonnen haben, wenn er sich bemüht hätte, diese Lücke auszufüllen.
Das Beispiel Scotts hat Manzoni zum Roman gezogen und die zufällige
Bekanntschaft mit einem historischen Dokument von 1627 auf den Stoff
geführt. Lange Jahre arbeitete der Dichter an seinem Buche. Wir wissen
heute, wie er änderte, umstellte und — kürzte. Nicht die Rhetorik, die
seinem Wesen widerstrebte, aber das Plaudern bildete für ihn eine Gefahr.
Er war ihrer bewußt und wir bewundern den Kunstverstand, mit dem er
an sich selbst Kritik übte.
Gewiß hat Manzonis ängstliche Kunstlehre seinem Kunstschaffen enge
Grenzen gezogen. Sie hat seine Dramatik der Bühne entfremdet, hat
seiner Lyrik nur wenige hohe Flüge gestattet und hat das Lebensgebiet
seines Romans beschränkt. Aber eine glückliche Fügung hat ihn für
diesen Roman Stoff und Form finden lassen, die ihm erlaubte, sein großes,
wenn auch gebundenes Können ganz zu betätigen und mit dem liebens-
würdigen Kunstwerk zugleich das Beispiel künstlerischer Wahrhaftigkeit
zu geben. Diese Tugend ist in hohem Maße am Erfolg des Kunstwerks
beteiligt.
Manzonis Lyrik, seine Dramen, sein Roman machten Schule. Die
Stimme des Patriotismus, die bei ihm nur diskret erklang, tönte laut und
scharf aus den Werken seiner Mitstreber und Nachahmer. „Leier und
Schwert" könnten fast alle Liedersammlungen der Zeit überschrieben
werden und mehr als einer dieser Sänger ist im Kampf ums Vaterland
geblieben, wie jener G. Mameli, der das „Fratelli d'Italia", da-s Sturmlied
zum Jahre 1848, gesungen, oder der vielversprechende Ippolito Nievo.
Das reichste Werk romantischer Lyrik hat G. Prati hinterlassen. Er ist
ein hervorragendes Talent. Seine glänzenden Versnovellen, .,Canti",
„Ballate" bergen die ganze Welt der Romantik, Nord und Süd, V. Hugos
Spanien, Bürgers Phantastik und Byrons Klage.
Es ergoß sich eine Flut von historischen Romanen, in welchen die
ganze Geschichte Italiens in den Dienst des politischen Kampfes gestellt
und zu leidenschaftlichen Angriffen in tyratuios benutzt ist. Ein be-
deutendes Kunstwerk entsteht nicht; aber die Verfasser haben wie z. B.
d'Azeglio im politischen Kampf auch ihre Person eingesetzt und so im
Leben die Beispiele des Mutes gegeben, die sie in ihren Romanen erzählten.
Auch die Toskana trat allmählich in die Bewegung ein, sowohl das
Florenz der gemessenen „Antologia", des Capponi, Tommaseo, Niccolini,
340
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
als das Livomo des ungebärdigen „Indicatore Livornese", des Mazzini und
Guerrazzi. Doch faßten die neoguelfischen Neigungen der katholisierenden
lombardischen Romantik hier weniger Fuß, Man träumte von einer Einigung
Italiens unter einem Monarchen auf Kosten des Papsttums. Der Klassiker
Xiccolini, den nicht künstlerische Überzeugung, sondern der Patriotismus
zur Benutzung romantischer Formen führte, schrieb historische Trauer-
spiele, deren bedeutendste, wie „Arnaldo da Brescia" (1843), Buchdramen
voll lyrischen Schwunges sind. Eine imponierende Gestalt ist der Dalma-
tiner Tommaseo, dessen origineller und umfassender Geist sich in un-
ermüdlicher Arbeit mit den wogenden Ideen der Zeit beschäftigte. Von
ihrem Widerstreit hin und her gezogen, hat er in eindrucksvoller Diktion,
die von verhaltener Leidenschaft spricht, als Gelehrter und als Patriot an
der moralischen und wissenschaftlichen Erziehung des italienischen Volkes
gearbeitet und ihm und seiner dalmatischen Heimat schöne Lieder gesungen.
Bühnenwirksameres als die romantische Tragik bietet die Komödie.
Das 19. Jahrhundert hatte vom 18, einerseits das weinerliche Lustspiel
übernommen, dessen Sentimentalität nach französischen und deutschen
Mustern gepflegt wurde; anderseits war ihm das Erbe Goldonis im heiteren
Lustspiel zugefallen. Hier hat sich der römische Graf Giraud (-I-1834)
im Sitten- und Charakterbild wirklich ausgezeichnet. Er hat gegen eng-
herzige geistliche Erziehung den „Hofmeister in Nöten" (1807) geschrieben.
Er hat im „Ehrenmann, der mit sich handelt" (// galantuomo per trans-
azione, 1832) einen richterlichen TartüfF mit großer Kraft und hervor-
ragender Kunst gezeichnet. Das feige, korrupte Treiben munizipalen
Lebens hat er mit der Schärfe Pasquinos in Satiren verspottet, deren leb-
hafter Stil und deren bewegte Kurzverse der akademisch zugeschnittenen
Satire bisher fremd gewesen.
G. Giusti. Hierin fand er einen Schüler, der die Kunst des Lehrers weit
übertraf: Giuseppe Giusti (f 1850). Der Toskaner Giusti hat
während eines Jahrzehnts über die Enge, den Kleinmut und die
Heuchelei toskanischen und italienischen Lebens, über Fürsten, Adelige
und Bürger die Geißel der Invektive geschwungen, daß ihr Sausen
und Knallen auch die Trägen antrieb. Auf die Höhe seiner Kunst
erhob er sich, als Lamartines und Anderer Spott über das „tote Italien"
ihm sein zorniges „La terra dei morti" (1841) eingab und er den
nahenden Dies irae seines Volkes verkündete. Und der so sein Italien
nach außen stolz verteidigte, legte nun auch dessen Elend und Schwächen
mit schlagendem Witz und ätzendem Spott bloß. Abscheu und Ver-
achtung erfüllen seine Verse, so daß nach seinem eigenen Wort des
Dichters Antlitz die Züge eines Menschen trägt, der über Schmutz dahin-
schreitet. Er schuf Bilder, z. B. der Stellenjägerei oder des politischen
Charlatanismus, deren Gestalten zu wahren Typen geworden sind. Der
Reichtum der toskanischen lingua parlata ist über diese „Scherzi" aus-
gegossen, was bisweilen bis zur Überfülle und Künstlichkeit geht. Die
F. Das 19. Jahrhundert. I. hic Romantik. 3^1
Revolution von 1848, auf die seine Poesie hindrängte, fand ihn krank
und enttäuschte ihn.
Giustis Kunst ist romantisch nach Form und Absicht Er arbeitete
an der nämlichen Aufgabe wie Manzoni. Das verband die beiden so ver-
schiedenen Menschen, vermochte aber die tiefe innere Abneigxing Manzonis
nicht zu überbrücken.
Völlig abseits von Manzoni, von dem ihn die ganze Lebensanschauung i>«K>p*rdi
trennt, steht Leopardi (1798 — 1837), der überhaupt ein Einsamer war.
Dem hofFnungsfreudigen, versöhnlichen Optimismus Manzonis gegenüber,
vertritt er den düstersten Pessimismus. Die philosophische Lyrik Leopardis
bildet inhaltlich und formell den schärfsten Gegensatz zu den „Inni sacri".
Leopardi ist Romantiker in dem überquellenden Subjektivismus, mit dem
er die Seelennot gesteht, die in seinem mißgestalteten Körper wohnt
Frühreife Überempfindlichkeit, unbändiges Verlangen nach einem Ruhm,
mit dem die Welt so oft auch dem Genie gegenüber geizt; frühe Ent-
täuschung durch das Leben und die Liebe nähren in ihm einen Welt-
schmerz, der nicht renommistisch sich gebärdet, wie bei Byron — den er
nicht liebt — , sondern in tiefen und wahren Klagen sich ausspricht und
deren Ironie keine Frivolität ist. Ihm, dem Kranken, dessen Liebe kein
Weib erwidert, der nicht mehr an Ruhm noch an Tugend glaubt, der an
Wissenschaft und Fortschritt verzweifelt, in dem auch die Vaterlandsliebe
verdorrt und dem die Natur als böse erscheint — ihm hat sich die Er-
kenntnis, daß alles Leben Leiden ist, in ihrer ganzen Furchtbarkeit ent-
hüllt wie dem kranken Pascal. Nur fehlt Leopardi der Glaube. Er ist
Heide, gleich Viguy, an den er vielfach erinnert. Aus seinen klassischen
Studien war ihm das Bild des Altertums, des alten Hellas, als des
Landes seiner Sehnsucht geblieben. Zu ihm flüchtete er, um, nicht als
autoritätsgläubiger Nachahmer sondern als Dichter und Denker, seine
Lebensklage zu gestalten. Er wollte kein Kind seiner Zeit, sondern des
Altertums sein — aber wie sehr zeigt, trotz dieser Abkehr, seine melan-
cholische Gestalt moderne Haltung, moderne Züge! Er hat dies auch
selbst anerkannt und in einem jener nachgelassenen „Pensieri" ausgesprochen,
daß er die antike Xaivetät verloren habe.
Noch stark rhetorisch sind seine jugendlichen Kanzonen (i8i8). Auch
ist Petrarcas Vorbild deutlich erkennbar. Dann schwindet das übertriebene
Pathos aus seiner Lyrik, die sich zu stolzer Einfachheit und auch metrisch
zu freier Natürlichkeit entwickelt. Er findet für seinen Weltschmerz Lieder
von höchster Schönheit und eine Prosa von einer Eleganz und Biegsamkeit
der Form, in die sich, wie in ein schönes antikes Gewand, der Reichtum
seiner Gedanken kleidet - auch jener „Pensieri", die er bei anderen, wie
Larochefoucauld, entlehnt
Die psychische Veranlagung, die seinen Geist zu düsterer Lebens-
auffassung drängte, fand in einer zwangreichen Erziehung und körper-
licher Infirmität den Boden zu raschem Wachstum und voller Entfaltung.
342
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Leopardi hat selbst nachdrücklich auf die körperliche Bedingtheit aller
Lebenswerte hingewiesen. „Alles was das Leben edel und voll macht,
hängt von der Vitalität des Leibes ab . , . der Schwächliche ist weniger
denn ein Kind . . , das Leben ist nicht für ihn." Er hat damit deutlich
ausgesprochen, daß die Krankheit, die ihn der Möglichkeit beraubte, am
Leben handelnd teilzunehmen, ihn verdüstert. Sein Pessimismus ist der
ungestillte Lebenshunger eines Unglücklichen, der zugleich ein tiefer
Denker und ein großer Dichter war.
Aber es ist dem Menschen nicht gegeben, die Lehre des Pessimismus
so zu vertiefen, daß kein belebender Hoffnungsstrahl mehr in ihr Düster
fällt. So ist auch bei Leopardi die Lebensverneinung nicht rein destruktiv.
Er hat nicht nur zerstört, er hat auch aufbauen helfen. Er hat für die
Jugend und ihre beglückenden Illusionen, er hat für die Volksherrschaft
und die soziale Arbeit beredte Worte und hat, im glücklichen Widerspruch
zu seinen eigenen Zweifeln, seine Werke als Waffen im Kampf für sein
Italien betrachtet.
Die Dialekt- Die Romantik ist von einem Aufschwung der Dialektpoesie begleitet,
poesie. ^^^ g^^^ Auflehnung gegen Feierlichkeit und Purismus bedeutet. Aus der
Schar dieser munizipalen Poeten erheben sich zwei große Künstler: der
Mailänder Porta (f 1820) und der Römer Belli {f 1863). Jener schildert
das Volk, das im Schatten des Mailänder Doms lebt, leidet und genießt,
Proletarier, Soldaten, Pfaffen, Nobili. Das menschlich Unvollkommene er-
faßt er mit wunderbarem Auge, gestaltet es mit Schöpferhand und mit
tiefem Humor in Augenblicksbildern und Versnovellen. Dieser herrliche
Humor fehlt seinem Schüler Belli, diesem modernen Pasquino. der in
elfter Stunde (1830 — 1847) dem päpstlichen Rom ein Denkmal ohnegleichen
errichtet hat. In 2000 Sonetten bildet er ebensoviele Szenen römischen
Lebens, zumeist Dialoge. Wir hören die Menschen des Trastevere plaudern,
schelten, fluchen, spotten — wir hören das Leben des lärmenden Südens.
Porta läßt uns schauen, Belli läßt uns hören: ihre verwandte und doch so
verschiedene Kunst ist gleich fesselnd. Kein Dichter hat wie Belli mit
solcher Meisterschaft bewegtes, lautes Menschenleben in die Enge des
Sonetts gezwungen: heimatlichen Stoff in heimatliche Form. Er hat damit
ein Beispiel gegeben, das ihm in Pascarella einen glücklichen Nach-
folger geweckt hat.
Spanien und Portugal. Von England unterstützt hatten Spanien
und Portugal in heldenmütigen Unabhängigkeitskriegen die politische
Herrschaft Frankreichs abgeschüttelt. Aber trotz der Konstitution von
1 8 1 2 hatten nicht Freiheit und Fortschritt den Lohn davon. Das restau-
rierte absolute Königtum diente auf der ganzeo Halbinsel der Reaktion.
Die politischen Wirren nahmen kein Ende; es war der Bürgerkrieg in
Permanenz. Diese Kämpfe nahmen wie in Italien die besten Kräfte in
Anspruch. Der Charakter der Literatur dieser Zeit, ja des ganzen Jahr-
F. Das 19 Jahrhundert, l. Du- Romantik. i^^
hundcrts, ist vorwici^end politisch. Die junj^^en Dichter b«-^rinnen damit,
daß sie die Helden der Unabhängfigkeitskänipfe, vor allen die //crot-s </W
i/os de Miixo (2. Mai 1808), besingen. Ihnen allen steht Kampf auf dem
Schlachtfeld, Kerker, Exil bevor, und mancher ist aus diesen Fährlich-
kriten später /u ruhmvoller politischer Laufbahn ins Vaterland zurück
gekehrt.
Schwach nach außen, verlor das Königtum die Herrschaft über die
weiten amerikanischen Kolonien; nach innen führte es ein Regiment des
Schreckens. Die Intelligenz des Landes wurde verfolgt. Über die
hoffnungslos erscheinenden Zustände gießt Jos6 de Larra (f 1837) die
Schale seiner Satire. Er ist ein großer literarischer Karikaturist, der
mit erbarmung.slo.ser Hell.sichtigkcit die Misere um ihn her mu.stert und
mit grininiigern Humor ihre charakteristischen Züge zu Papier bringt.
Seine ganze Persönlichkeit ist ursprünglicher als P.-L. Courier; seine Rede
bitterer, sein Stil weniger ziseliert aber von kräftigerer Kunst
Demütig trug das Schrifttum das Joch des französischen Klassizismus, ivr Ku.nxiw»mt
der eleichsam eine bourbonische Institution war. Die nationalen l'ormen ^. °° „
der Literatur, Comedia und Romancero, galten als plebejisch und trivial
und erschienen der Beachtung durch den Gebildeten unwert.
In der Hebung des Schatzes spanischer Epik ist das germanische und
romanische Ausland Spanien selbst vorausgegangen, und weit herum im
Ausland haben Romanzen und Calderöns Theater enthusiastische Be-
wunderung erregt zu einer Zeit, da sie im eigenen Lande in Mißachtung
gefallen waren. Gewiß lenkten in Spanien so gut wie in Italien patrio-
tische Männer in diesen schweren Zeiten die Blicke auf die ruhmreiche
Vergangenheit des Landes zurück. Sie begegneten da großen Männern
und einer reichen Kunstdichtung — aber keinem Dante, in dessen über-
ragender Figur patriotisches und künstlerisches Sehnen hätte zusammenfließen
können. Quintana zeigte (seit 1807) jene Männer in seinen „Esparioles
c^lebres" auf und stellte diese Kunstpoesie in einer Anthologie zu-
sammen — aber er selbst folgt in seiner Dichtung dauernd den Regeln
der nämlichen Franzosen, deren politische Herrschaft er so leidenschaft-
lich bekämpft hatte. Künstlerisches und nationales Empfinden blieben
völlig getrennt.
Die erste Sammlung wirklicher Volksromanzen gab 1815 Jakob Grimm
heraus; nach ihm kommt Depping (181 7), dessen Ausgabe ein „Espahol
refugiado", SalvA, zu London- 1825 überarbeitete. Dann folgt der Spanier
A. Dur4n dankbar diesen deutschen Spuren und, mit bescheidenen Samm-
lungen beginnend (1828), kommt er in 2 »jähriger Arbeit zum Xational-
werk seines „Romancero general", das 2000 Romanzen birgt. Und in
ähnlicher Weise gingen in der Hebung der Schätze des Theaters von
Juan del Encina und Vicente bis Lope und Tirso Deutsche vor: der Ham-
burger Kaufmann Bohl de Faber, der in CAdiz seine Muße an literarische
Studien wendete, deren Früchte er „seinen I*>eunden in Deutschland"
344
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
darbrachte (z.B. das Teatro cspaiwl anterior d Lope, Hamburgo 1832) und
E. Hartz enbusch, der aus der Tischlerwerkstatt seines Vaters den Weg
zur Wissenschaft und zur Dichtung fand.
Um 1830, da Frankreich und ItaUen in geräuschvollen Kämpfen die
klassizistischen Fesseln bereits abgeschüttelt hatten, war in Iberien noch
alles still. Auch die klangvolle Stimme des Kubaners J. M. de Heredia
(f 1839) besingt die tropische Natur im Adagio des Klassizismus, etwa im
Stile Millevoyes, dessen „Chute des feuilles" er übersetzt.
Der EinfiuB des Wohl Waren die „Pasiones del joven Werter" und Chateaubriands
Auslands. ^^Atala" Seit 1803 übertragen; wohl brachte Bohl de Faber den Spaniern
seit 1818 Schlegels dramaturgische Ideen zur Kenntnis und spann der
treffliche Durän diese Gedanken weiter — dieser romantische Import trug
keine künstlerische Frucht.
Die Regeneration ging von den Emigranten aus. Welche Erregungen,
Gedanken und Wünsche das freiere Leben des Auslandes in diesen
patriotischen Männern weckte, die die Reaktion ins Exil getrieben
hatte, zeigen Zeitschriften, wie die „Mußestunden spanischer Emigranten",
die 1824 — 1827 zu London erschienen. Wie entscheidend ein Aufenthalt
im Ausland sein konnte, beweist um 1830 das Beispiel des Martinez de
la Rosa, den Paris in kurzer Zeit aus einem Anhänger Boileaus und
Luzans zu einem Schüler V. Hugos und Dichter historischer Dramen
machte.
In England hatte der Herzog von Rivas, Angel de Saavedra, die
Romanzen seiner Heimat bewundern lernen. Dort fand er auch in den
epischen Dichtungen Scotts — den er den ritterlichen nennt — das Vor-
bild für die Behandlung sagenhafter Stoffe. Ihm folgend, baute er aus
der Geschichte der Infanten von Lara ein strophisches Epos. In der Vor-
rede zollt er der englischen Literatur seinen bewundernden Dank. Dieses
Heimwehgedicht „El moro expösito" (Das maurische Findelkind), dessen
Strophen sich der alten epischen Assonanz bedienten, das in farbenreichen
Bildern eine poetische Verklärung des heimatlichen Cördoba und eine
Verherrlichung der alten Königstadt Burgos gab, erschien zu Paris 1834.
Und zu dieser Glorifikation des nationalen Epenschatzes schrieb ein anderer
Flüchtling, Alcalä Galiano, die Vorrede: das Manifest der spanischen
Romantik. Er fordert zum literarischen Freiheitskampfe auf. Während
die übrigen „Naciones cultas" bereits die Fesseln des ,,Clacisismo frances"
abgeworfen, liege Spanien noch in Ketten.
Der Einzug der Nach Ferdinands VII, Tod (1833) waren etwas hellere Tage gekommen.
omantik £)gj^ Versuchen, die Inquisition wieder einzuführen, wurde durch ihre end-
in apanien. ' ^ '
gültige Aufhebung ein Ende bereitet. Das „Ateneo" von Madrid wurde
wieder geöffnet, dieser neutrale wissenschaftliche Salon, der den Ge-
bildeten aller Parteien offensteht, dessen Diskussionen in der geistigen
Entwickelung des Landes tiefe Spuren zurückgelassen haben und dessen
Gastlichkeit der Fremde dankbar gedenkt. Die Amnestie öffnete 1834
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. j« e
den ausgewanderten Intellektuellen die Tore der Heimat. Mit ihnen zieht
die Romantik in Spanien ein. So wirkte die politische Amnestie literarisch
befreiend. Die Romantik ist in Spanien von Anfang an die H<';^dfiterin
des politischen Fortschritts gewesen.
Martfnez brachte aus dem Exil seine „Conjuracion de \ Liiecia" '>»• i>f«
(in Prosa) mit: venezianisches Mittelalter voll l-arbe und Spannung, Lust
und Grauen, dessen prahlerisches Leben das Madrider Theater (April i8.,4)
mit brausendem Beifall erfüllt, während der Autor als Minister die
Geschicke des Landes lenkt. Larra griff zur ritterlichen Welt und zur
Verssprache Lopes de Vega und schrieb seinen „Macias" mit Anklängen
an Dumas. Den großen Sieg aber errang Saavedra. Vom Ruhm des
„Moro exposito" begleitet, kehrte er mit einem Drama „Don Alvaro"
aus Paris zurück, das er dort inmitten der rauschenden Erfolge der ro-
mantischen Dramen Hugos geschrieben hatte und in dem der Geist einer
Novelle Merim^es lebt {Les ämcs du Purgatoire). Es ist aus Vers und
Prosa, aus Schriftsprache und Dialekt, aus leidenschaftlichem, schicksals-
mächtigem Heroismus und realistischem Alltag kunstvoll gemischt Der
Zuschauer konnte sich an alter Ritterlichkeit atemlos begeistern und an
heimatlichem Kleinleben heiter ergötzen. Das Stück entfesselte in Madrid
(1835) einen Sturm des Enthusiasmus. Es ist dank seiner nationalen Quali-
täten bis heute auf der Bühne geblieben, obwohl seinem effektvollen
Leben die innere Wahrheit fehlt.
Gewiß war die Dramatik, die hier als flammender Protest gegen den
Tragödienpomp auftrat, in Spanien nichts völlig Neues. Larra gab dieser
Erkenntnis spöttischen Ausdruck, indem er das romantische Drama eine
Entdeckung nannte, „die allen bisherigen Jahrhunderten unbekannt und
den Kolumbussen des neunzehnten vorbehalten geblieben sei." Er wies
dabei nicht nur auf die alte einheimische „Comedia" hin, sondern auch
auf die Melodramen nach Pix^r^courts Art, deren Moritaten und Senti-
mentalitäten die Madrider Bühne längst von der Pariser bezogen hatte.
Das romantische Drama bedeutet in Spanien eine Rückkehr zur alten natio-
nalen Bühne, die auf dem Umweg über Pix6r6court und V. Hugo
sich vollzog: die Handlung der alten Comedia wird auf fünf Akte aus-
gedehnt; ihr Dialog wird frei in Vers und Prosa gestaltet; ein schwung-
voller Lyrismus stellt sich ein; die selbstbewußt gewordene Kunst hält auf
Stil, erhebt den Anspruch auf geschichtliche [Lokalfarbe und" erstrebt
wirkungsvolle Kontraste von Komik und Tragik. Ihr Liebling ist der
Rt'bcll, der mit titanenhafter Hybris gegen Sitte und Schicksal sich auf-
lehnt Abnorme Menschen und Fügungen sind ihre Welt: Sturm und Drang.
Es folgte Triumph auf Triumph. A. Garcfa Gutierrez bildet gleich-
sam aus dem Geiste der G. Sand das Leidenschaftssiückjseines „Trovador*
(1836), aus dessen Intrige später Verdi seine Oper gestaltet Hartzen-
busch wußte das alte Thema der unglücklichen „Amantes de Teruel (1837)
mit neuer — etwas rührseliger — Poesie zu verklären. ZA rate be-
^^6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
geisterte im nämlichen Jahre durch die Schrecklichkeiten seines „Carlos IL",
eines effektreichen historischen Zerrbilds. Wie viele sind gleich Zarate in
solche Übertreibungen verfallen und haben vor einem beifallslustigen
Publikum die Romantik in zügelloser Freiheit, in Blut und Schauder ge-
sucht. Ihre marktschreierische Kunst hat viel dazu beigetragen, daß das
romantische Theater der Bühne heute fremder geworden ist als die alte
Comedia.
Das Lustspiel. Die Emcuercr des Dramas sind auch die Reformatoren des Lust-
spiels: Hartzenbusch, dessen Literaturkunde Spanien so viel verdankt und
besonders der fruchtbare Breton de los Herreros (f 1873). Von Moratins
Beispiel ausgehend, der in Spanien herrschte wie Goldoni in Italien, be-
freite sich Breton von dessen sprachlichen und technischen Fesseln. Seine
hastige Produktion tut wohl seiner Tiefe Eintrag, läßt ihn aber nicht eigent-
lich nachlässig werden. Sein dramatischer Instinkt leitet ihn sicher. Die
natürliche Anmut seiner Verssprache und die Fülle seiner heiteren Einfälle
bleiben ihm treu. Humorvoll mustert er die bürgerliche Welt, in deren
Mitte er lebt, und läßt mit dem Strahl des Witzes auch den Strahl der
Poesie auf sie fallen. So erneut er gelegentlich die Intrigenkomödie
Tirsos und Calderöns. Seine lehrhafte Art ist echt spanisch: der Zug
humoristischer Unterweisung eignet dem spanischen Schrifttum. Noch
heute lebt Breton auf der Bühne.
Der Anteil, den das Au.sland an der Erneuerung der spanischen
Dramatik hat, spricht sich auch darin aus, daß diese Dramatiker wie
Breton, zugleich Übersetzer sind.
Die Prosa. Auch die Prosalitcratur, der Essay und die Erzählung, beziehen, trotz
der glorreichen nationalen Tradition, ihre Vorbilder aus dem Ausland.
Das Beispiel jener satirischen Bilder aus den Pariser Sitten, das Jouy 18 12
unter dem Namen des „Hermite de la Chaussee d' Antin" gab — und nicht
der Vorgang von Guevaras „Hinkendem Teufel" — weckt die „Escenas
matritenses", dieMesonero Romanos während dreißig Jahren (1832 — 1862)
in liebenswürdiger Plauderei fortsetzt und die „Escenas andaluzas", in
denen Estebanez Calderön, genannt „El Solitario", sein „weites, reiches,
tapferes, schöpferisches, nahrhaftes, anmaßendes und machtvolles Anda-
lusien" malerisch aber etwas preziös schildert.
Spanien hat auch W. Scott, dem Sänger des Königs Don Rodrigo,
und G. Sand reichlich nachgeahmt. Diese Nachahmung hat kein Kunst-
werk geschaffen. Saavedras „Moro expösito", Esproncedas „Pelayo" haben
schöne, ja glanzvolle Einzelbilder. Den historischen Romanen, den
lyrischen Erzählungen fehlte jede Glaubhaftigkeit.
Die Lyrik. Den Chor der romantischen Lyriker führt Espronceda, der in einem
ruhelosen Dasein, das ihn mit 20 Jahren auch auf die Barrikaden der
Pariser Julirevolution führte, sich früh verzehrte (f 1842). Um sein Leben
hat sich, nicht ohne sein Zutun, eine Legende gebildet. Literarische
Schulung fand er in England, das ihm die düsteren Stimmungen Ossians und
F. Das 19. Jahrhundert. 1. Die Romantik. ^aj
für Dichtung und Wahrheit seines Lebens Byron als Vorbild bot, und in
Frankreich, wo Hugos bilderreiches Pathos und Mussets prahlerische Sinn-
lichkeit seiner Neigung entsprachen. Goethes Faust, Tirsos und Byrons
Don Juan ziehen ihn an; er baut an ihrer Welt und ihren T'iguren weiter,
bald zart unil kunstvoll, bald in orgiastischer Übertreibung. Aus Saint-
Simonistischen Stimmungen geht sein „Bettler" (Mcndigo) hervor. Espron-
ceda ist der geborene Rebell. Was er seinen „Pirata" — Byrons Corsaren! —
singen läßt: „Mein Gesetz ist Kraft und Sturm" (Mi ley la fucrza y cl
vienfo), das gilt von seinem eigenen zügellosen Wesen, das seine kurze
Bahn mit Trümmern besäet hat, — Trümmern von Dichtungen, Lebens-
stellungen, Liebe und Freundschaften. Übermäßige Subjektivität macht
ihn zur künstlerischen Gestaltung seiner erzählenden und dramatischen
Werke unfähig. Er ist Lyriker. Im Pathos weiß er sich noch weniger
zu beherrschen als Hugo. Aber inmitten des Pathos finden sich, ein Ge-
schenk glücklicher Stunden eines großen Dichters, Lieder der Klage, der
Empörung, der Enttäuschung, deren herrliche Sprache und deren Macht
bezaubern. Der neue Ton, den er angeschlagen, und das Beispiel der
Romantiker des Auslands zog viele Talente an, in denen eine stark
deklamatorische Art hervortritt. Sympathisch klingt die Stimme des
melancholischen E. Gil y Carrasco, der 1846 zu Berlin gestorben ist.
Von den Dichterinnen der Schule mag Gertrudis Gömez de Avellaneda
genannt werden, eine Cubanerin, die sich in Spanien nach den glück-
lichen Gefilden zurücksehnt, über welche „die tropische Sonne ihre
Schätze" ausgießt. Sie verbindet glücklich die lyrische Inspiration der
Romantik mit der Fülle klassischer Form.
Noch später als vSpanien trat Portugal in die romantische Bewegung Die portum«--
ein. Der Klassizismus und die heimische Arkadia beherrschten die Litera- "**^'** '^'~*"'''
tur bis zum Schluß der dreißiger Jahre. Auch in Portugal ist der Klassi-
zismus die literarische Begleitform der Reaktion und singt die Romantik
dem Volke das Lied der I'Veiheit und des Nationalbewußtseins. Und auch
hier wird dieses Lied vom Emigranten angestimmt, der in der Fremde den
Wert der einheimischen Dichtung kennen lernte. In Paris erscheint
1826 — 1834 der „Parnaso lusitano", zu dessen altem Liederschatz Almeida
Garrett (1799 — 1854) die historische Skizze lieferte. Dieser Garrett hat in
wechselvollen Schicksalen mit dem Schwert, mit Leier und Bühne, mit
dem Wort des Historikers und des Parlamentariers für die Erweckung
seines Landes gestritten. In Frankreich und England besingt er heimweh-
voll den Nationalpoeten „Camoes" (1825), gestaltet er patriotische Ver-
gangenheit zu einer politischen Novelle („Donna Branca" 1826), deren
Vorrede ein romantisches Programm ist, erneut er heimatliche Volkslieder
in dem reizenden Romanzenkranz „Adozinda". In der Heimat schreibt
er einen historischen Roman, schenkt er als Generalintendant dem Lissaboner
Theater historische Dramen von großer Wirkung (1838 — 1847), in welchen
Bilder des alten Portugal lebensvoll („Der Schwertfeger von Santarem")
348 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
oder mit überquellendem Lyrismus („Frei Luiz de Sousa") dargestellt werden.
In romantischen „Wanderungen" offenbart er die Poesie seines Landes, der
alten Baudenkmäler, der ewig jungen Natur, des Volkslebens. Wir sehen
ihn die Hand an eine Übersetzung des „Faust" legen. Mit allen Glocken
hat dieser liebenswürdige Dichter sein Volk zur neuen poetischen Andacht
in der gotischen Kathedrale des Romanticismo zusammenberufen. Der
fromme Herculano ließ dazu, nach Lamennais, die „Voz do propheta"
und die „Harpa do crente" (Die Harfe des Gläubigen 1838) erschallen und
gab mit seiner Zeitschrift „O Panorama" das literarische Erbauungsbuch.
Als Quinet 1843 Lissabon besuchte, da erkannte er hoffnungsvoll in der
schlummernden Stadt — „wo nur einer sich bewegt: der Tajo" — die
Anzeichen dieser literarischen Erweckung. Die Hoffnung sollte sich nicht
erfüllen: das Lied, das die romantische Gemeinde Garretts und Herculanos
vielstimmig intonierte, war kein wirklich portugiesisches — es blieb ein
französisches Lied. Portugal vertauschte einfach den importierten Klassi-
zismus mit einer importierten Romantik. Ein lebensvoller nationaler Ein-
klang, zu dem Garrett das Beispiel gegeben, stellte sich nicht ein.
Seit der Unabhängigkeitserklärung (1822) löste Brasilien auch seine
literarischen Beziehungen zu Portugal; aber es ging den nämlichen Weg.
Magelhäes' Gedichtsammlung „Suspiros e saudades" (Seufzer und Sehnen)
sind dafür bezeichnend. Sie sind in Frankreich und Italien entstanden; sie
erschienen 1836 zu Paris und zeigen deutlich den Einfluß Lamartines.
Die Musen des heidnischen Parnasses werden verabschiedet; Gott, die
Natur und die Heimat sollen den Poeten inspirieren. Andere folgen Hugo,
Musset und, gleich diesen, auch Byron. Die Romantik lehrt die Bedeutung
der Lokalfarbe und führt zur Heimatkunst, die sich gerne in langen
epischen Gebilden äußert. „Brasilianas" nennt Porto Alegre seine
Naturschilderungen (1845). „Romance brasileiro" betiteln andere ihre nach
Sand oder Balzac gestalteten Romane. Die innere Abhängigkeit vom
französischen Vorbild ist auch bei den Dramen brasilianischen Stoffes
nicht zu verkennen. So hat auch diese Literatur sich von dem konventio-
nellen rhetorischen Element, das in der Nachahmung liegt und das der
Brasilianer in nativistischem Wortreichtum amplifiziert, nicht hinreichend zu
befreien vermocht. Sie ist auch bis heute nicht eigentlich national ge-
worden trotz der Heimatliebe, die sie belebt, trotz des tropischen Lebens,
das sie so üppig schildert und trotz der sinnlich -träumerischen Stimmung
(Saudades), die ihren besten Schöpfungen eigen ist.
j. ZoriUa. Die Romantik der iberischen Halbinsel erscheint in der Figur des
Jose ZoriUa (1817 — 1893) zusammengefaßt, der 1837 am Grabe Larras
zum erstenmal seine dichterische Stimme erhob. Er ist Lyriker, Epiker
und Dramatiker und assimiliert in seiner umfassenden Kunst die importierte
Romantik mit dem Geiste des ritterlichen und rechtgläubigen Spanien.
Damit hat er für Jahrzehnte sein Land entzückt, das ihn dankbar im Alter
unterstützt und den Siebzigjährigen zu Granada gekrönt hat. Von der
F. Das 19. Jahrhundert. I. Die Romantik. 3^g
Byronschen Stimmung seiner Lyrik kommt er später zu glaubiger Buße.
In seinen Vcrslegrnden läßt or die Sagen seiner Heimat glänzend auf-
erstehen. StotTi" der alten Comedia verjüngt er mit großer dramatischer
Kraft. Er will der Troubadour sein, der seinem Lande, das über Trümmern
weint, ein Lied alten Ruhmes und neuen Trostes singt: „Fern von mir
die lockende Geschichte fremder Länder und unheiligen Glaubens: meine
Stimme, mein Herz und mein Geist singen die Glorie meines Vaterlandes , , .
auf den Flügeln einer feurigen Dichtung erstrebte ich keinen anderen Lor-
beer als — ein Lächeln meines süßen vSpaniens." „La leyenda del Cid"
hat er in reichen Farben um dieses Lächeln seiner „dulce Espaüa" aus-
geführt — er hat aucli die Legende von der Pförtnerin („Margarita la tor-
nera**) lieblich auf Goldgrund gemalt. Das Drama des Juan de la Hoz
vom „Bauern Juan Pascual" hat er in „Schuster und König" um-
gebildet und es mit modernen Aspirationen erfüllt. Den „Burlador de
Sevilla" läßt er in seinem „Don Juan Tenorio", zu dem ihm A. Dumas'
„Don Juan Marana" den Weg wies, in phantastischer Weise zum reuigen
Büßer werden. Das Stück wird noch heute alljährlich am Allerseelentag
auf allen Bühnen des Landes gespielt: es ist der romantische Bußtag
Spaniens.
Zorilla ist hastig in seiner Ausführung. Er ist eine Art Improvisator
wie so viele große Talente des Südens, Die Psychologie seiner Dramen
ist schwach. Der Verpflanzung ins Ausland halten sie nicht .stand. Aber
mit der Resonanz des gläubigen Patriotismus übt sein musikalisches Dichter-
werk wahren Zauber. Es ist die romantische X'erkörperung des Xational-
gefühls. Darin ist er dem kosmopolitischen Espronceda überlegen, —
Nachdem das 18. Jahrhundert den literarischen Kosmopolitismus vor- Ru-kbUck «u«
bereitet hatte, hat sich aus den schweren politischen Konvulsionen um die *" °'"*"''
Jahriiundertwende die eigentliche Romantik erhoben. Die vorübergellende
oder dauernde Entwurzelung, welche die Stürme der Revolution und des Kaiser-
reiches so vielen Landeskindern der Romania gebracht, führte zu neuem
literarischem Wachstum. Europa war mit verschlagenen Romanen übersäet
Es ist bezeichnend, daß gerade die kräftigsten Förderer der Romantik solche
Entwurzelte gewesen sind: Chateaubriand und F"rau von Stai-l, Villers und
Stendhal, Foscolo und Manzoni, Saavedra, Espronceda, Garrett. Dabei sind
die literarischen Vorkänij)fer der südlichen Romania zugleich auch poli-
tische Freiheitskämpfer und Märtyrer des nationalen Gedankens.
Es lohnt sich, hier noch einmal hervorzuheben, in welchem Maße
Frankreich auch in der Romantik die Führerin — in welchem Maße sein
Paris die Hauptstadt der Romania geblieben ist Die französi.schen
Dichter Millevoye, Lamartine, Hugo, Musset dienten den südlichen Poeten
als Vorbild. Französische Übersetzungen erschlossen Italien und Hispanien
germanisches Schrifttum. In Paris wurde Manzoni gebildet und als
Dramatiker legalisiert. Dort erschien seit 1.S26 Garretts „Pama5o lusi-
tano" und „Donna Branca", 1834 Galianos spanisches Manifest, 1836
350 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Magelhäes brasilische „Saudades". Paris war die zweite Heimat derer, die
im Dienste des neuen literarischen Geistes stritten.
Von Nordfrankreich aus verpflanzte sich die literarische Bewegung"
der Romantik wie eine Welle durch die Romania dahin. Überall fegte
sie den aus dem 17. Jahrhundert stammenden, baufälligen Klassizismus
weg: in Italien, Spanien und Portugal. Überallhin trug sie die Materialien
einer neuen Dichtung, die ursprünglich aus germanischen Landen stammten,
die aber in ihren Formen die kunstvolle Hand der Franzosen verrieten. Mit
ungleicher Künstlerschaft griffen die südlichen Romanen nach diesem
Material. Den Portugiesen fehlte die Kraft, es eigenartig zu gestalten:
sie blieben die Schüler der Franzosen. Die beiden anderen Völker aber
assimilierten es ihrer eigenen nationalen Kunst: die Italiener ihrem ein-
heimischen Klassizismus, die Spanier ihrer bodenständigen Romantik, dort
Leopardi, hier Zorilla.
Die Romantik hat nicht nur unvergängliche Werke lyrischer In-
spiration hinterlassen, sondern auch eine neue fruchtbare Art der literari-
schen Kritik und damit auch der Literaturgeschichte geschaffen. Es ist jene
Kritik, die Goethe die produktive genannt hat, jene Kritik, die ein Kunstwerk
nicht nach exoterischen Mustern schulmeisterlich zensiert, sondern die ohne
Voreingenommenheit das Kunstwerk von innen heraus, nach Vorsatz und
Ausführung des Künstlers, sympathisch — Goethe sagt: liebevoll — zu
verstehen versucht als eine individuelle, wenn auch geschichtlich bedingte
Schöpfung. Die Romantik hat, indem sie die „Weltliteratur" heraufführte,
für uns die Grenzen des Reiches der Schönheit in Vergangenheit und
Gegenwart erweitert. Sie hat damit auch den Horizont der Kritik er-
weitert und die Fundamente dieser Kritik vertieft.
Danach ist das literarische Denkmal für den Kritiker ein ästhetisches
und ein geschichtliches Problem. Der Kritiker soll dieses Denkmal ohne
vorgefaßte Meinung der Schule oder der Pa,rtei als ein Werk der Kunst,
das sein Lebensgesetz — die Verwirklichung des Schönen — in sich
selbst trägt, naiv auf sich wirken lassen und in seinem Urteile widerspiegeln;
er soll aber auch die gegenwärtigen oder vergangenen Kulturverhältnisse
und die geschichtlichen Abhängigkeiten studieren, aus deren Mitte der
Künstler und sein Werk sich erheben. Er soll Historiker sein.
So hat die Romantik mit der neuen literarischen Kritik auch eine
Blüte der historischen, besonders der philologischen Studien gebracht.
Die romanische Philologie insbesondere ist eine Schöpfung der Romantik.
Das psychologische Problem eines literarischen Denkmals ist für den
Kritiker immer zugleich ein ästhetisches und ein entwickelungsgeschicht-
liches. Historische Forschung und ästhetische Würdigung sollen sich
in der Weise harmonisch verbinden, daß diese sich auf der breiten Basis
jener erhebt.
Daß entwicklungsgeschichtliche Fundamentierung und künstlerische
Beurteilung zusammengehören, ist eine Erkenntnis, die seit der Romantik
F. Üas 19. Jahrhundert. II. Die Zeil nach 1850. icj
Gcmeing-ut geworden ist In der verschiedenen liemessung der beiden An-
teile drückt .sich die Verschiedenheit der literarhistorischen Schulen au.s,
der mehr historischen und der mehr ästheti.schen. Jede der beiden
Richtungen hat ihre eigenen Gefahren zu meiden: jene den geistlosen
Historismus und diese die schöngeistige Phrase.
IL Die Zeit nach 1850. Die Wissenschaft und ihr künstlerischer
Begleiter, der Naturalismus, lösen die Romantik ab. Diese Ablösung
hatte sich langsam vorbereitet. Ihr Nahen hatte längst die einen mit
sehnsuchtsvoller Freude und die anderen mit Abneigung erfüllt Zur Zfit
da Renan jubelnd das „Avcnir de la science" verkündete, spottete der
alternde S. Pcllico in seinen „französischen Briefen" (1840) der wachsenden
gelehrten Produktion, mit deren Büchern man bald Häuser bauen und
Straßen pflastern könne: „an habitera Jans la science^ on marchera dans la
science et on sc cuuchcra sur la scicnce.*'^ Darwins Lehre krönte den Ge-
danken einer Entwickelung der organischen Welt, der seit hundert Jahren die
Denker beschäftigte und popularisierte ihn. Die Descendenztheoric wurde
zu einer Stütze jener Religion der natürlichen Wissenschaft, deren Syste-
matiker A. Comte gewesen. Diese Wissenschaft vollendete die Zerstörung
des alten anthropozentrischen Weltbildes, welche die Aufklärung des
XVIII. Jahrhunderts begonnen hatte. Sie erschien als die große Erlöserin:
„A/ science, sagt Juliette Adam um 1860 in ihren Memoiren, e/ail pour
nous la Science!'^ Sie sollte ein neues Aufklärungszeitalter heraufführen,
das die Menschen in einem großen Reiche des Friedens vereinigte. Der
demokratische Gedanke machte große Fortschritte. Er verband sich mit
der neuen Wissenschaft, die den alten Aristokratien feindlich ist; aber er
fand in ihr auch einen Regulator, da sie neue Aristokratien schafft. Im
Dienste dieser Göttin Science bildete sich dann ein Schrifttum, das die
Botschaft der neuen naturali.stischen Lebenskunde künstlerisch zu gestalten
suchte. Der Naturalismus ist die Kunst form der Aufklärung.
Unerschrocken machte er sich anheischig, in ihrem Geiste die Probleme
des Daseins zu lösen. Er erstritt sich eine machtvolle Herrschaft Aber
der alte „srntinuntalische" Geist der Romantik revoltierte gegen die „naive
Dichtung" des Naturalismus. Sein Weltreich kam zu Fall und noch dauert
der Kampf der Diadochen um das große Erbe. „Größe und Niedergang
des Naturalismus'* könnte dieser Abschnitt überschrieben werden.
Frankreich. Mit der Romantik schwand in Frankreich die Ciermano-
philie. Die Niederlage, die das Jahr 1848 dem Liberalismus gebracht, be-
deutete in Deutschland auch eine Niederlage des Frankophilentums. Der
Zauber war auf beiden Seiten geschwunden. Die Errichtung eines zweiten
napoleonischen Kai.serreiches erschien wie eine Drohung. Man beobachtete
sich neugierig und mißtrauisch. Aber die literarischen Beziehungen der
beiden Länder hörten nicht auf, auch wenn sie fortan etwas weniger
stürmisch waren. Heines Einfluß wird eigentlich erst jetzt mächtig; die
352
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
deutsche Philosophie fand jenseits des Rheines aufmerksame Schüler.
Juliette Adam erzählt, wie um 1860 ihr Vater sie zwang, „Kraft und Stoff"
zu studieren und an den Verfasser zu schreiben und wie ihr Gaston Paris
die Antworten Büchners übersetzte. Und der alte Sainte-Beuve schreibt
1867: „Cette connaissance cTOutre-Rhin et de tout ce qui s'y passe est de
plus an plus indispensable et dest etre inanchot dans les choses de VespHt
que dejt etre privc'^ Auch der Krieg von 1870 führte keinen dauernden
Abbruch der geistigen Beziehungen herbei. Die junge Revue critique
fuhr fort, im Geiste wahrer Wissenschaftlichkeit über die Arbeiten der
deutschen Forschung zu referieren. „L attention et tetude chez nous se
portent en ce moment vers rAlle7nagne", sagt E. Sch^rer 1872 zu Beginn
seiner Studie über Goethe. Und welch tiefen Einfluß hat Deutschland
seither auf Frankreichs Geistesleben, seine Wissenschaft, seine Schule,
seine Musik geübt; wie hat es, zusammen mit den nordischen Ländern,
auf seine literarische Kunst gewirkt. Aber wieviel hat Deutschland dabei
selbst von Frankreich zurückempfangen. Beide Länder haben sich darob
bereichert nach dem schönen Worte der Frau von Stael: „On se trouvera
donc bien e7i tout pays d'accueillir les pensees etrangeres ; car dans ce genre
rhospitalite' fait la fortune de celui qui regoit." —
Der neue Geist der Wissenschaft hielt nirgends stürmischeren Einzug
als in Frankreich.
Das „Jahrhundert der Naturwissenschaften" hatte Voltaire um 1750
seine Epoche benannt — hundert Jahre später würde er das Zeitalter
nicht anders überschrieben haben. Diderot hatte um 1750 die induktive
Methode als die Befreierin und das Experiment als ihre siegreiche Waffe
gepriesen — hundert Jahre später inaugurierte die experimentelle Methode
eine neue, glanzvolle Epoche wissenschaftlicher Arbeit, indem sie aus
dem Laboratorium des Chemikers in den Arbeitsraum des Klinikers
und des Biologen übertragen und auf die Erforschung der Lebensvorgänge
angewandt wurde. Cl. Bemards Introductioii a la medecine experimentale,
1865, setzte die Geister der „Intellektuellen" in lebhafte Bewegung. Be-
gierig vernahm man Kunde um Kunde von neuen Entdeckungen auf dem
Gebiete der Physiologie und der Psychologie. Ernste Forschung und
wissenschaftliche Neugier führten dazu, daß man den Lebensmechanismus
hauptsächlich in seinen Störungen, seinen pathologischen Äußerungen
studierte. Abnormität und Krankheit, der Erblichbelastete, der Phthisiker
und der Irre fesselten das Interesse und traten als Lebenszeugen in den
Vordergrund. Ein ungeheures Material experimenteller Tatsachen aus
Laboratorium und Klinik kam zusammen. Es verbreitete manches Licht
über die Geheimnisse der Lebensvorgänge; aber es führte auch zur Über-
schätzung der Methode und zu voreiligen Schlüssen. Begeisterte Forscher
und enthusiastische Laien ergingen sich in kühnen Versprechungen und
übertriebenen Hoffnungen. Die neue Wissenschaft schuf sich auch eine
Metaphysik (Monismus), die selbst als Wissenschaft ausgegeben wurde,
F. Das 10. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. tc»
obwohl sie doch nur ein Glaube ist Und wie die „EgHse philosophique"
des 18. Jahrhuiidt-rts in der Herrschaft der natürlichen \'omunft und
der natürlichen Moral das zukünftige Glück der Menschheit sah, so
versprach die neue „Eglise scientifique" der Intellektuellen, die Mensch-
heit mit einer experimentell begründeten wissenschaftlichen Ethik zum
Glück zu führen.
Durch all die Jahrzehnte erschallte der Preis der erhebenden und
beglückenden Macht wissenschaftlicher Lebensbetrachtung. Es klingt wie
ein Echo jener „Esquisse" des unabsehbaren Fortschrittes der Menschheit,
welche Condorcet hundert Jahre zuvor geschrieben. Lc triomphe universel
<//.' lii scietice arrivera a assurcr aux hommcs lc maximum possible de bonheur
et de moralitCy versichert Berthclot 18Q5 — nicht anders sprach 1795 Con-
dorcet vom Fortschritt der Wissenschaft, der die Menschheit besser machen
werde, denn „la naturc lie par une chaine indissoluble , la veritc, le bonheur^
et la moraliti''.
Diese Interessen, diese Stimmungen, dieser Glaube erfüllten die
geistige Arbeit auf allen Gebieten, auch die künstlerische. Scicntifiquey
expdrimental^ wurden zum Schlagwort wie einst philosophiqtu. Es ent-
stand eine politique scientißque und ein roman expt^rimental. Nirgends
haben die Propheten und Künstler des neuen Glaubens begeisterter ge-
sprochen als in Frankreich. Mit den Propheten Renan und Berthelot
wetteifern die Dichter wie Zola. Die Franzosen sind auch für diese
moderne Aufklärung die literarischen Vulgarisatoren geworden.
Aber nicht alle Blütenträume der wissenschafthchen Arbeit reiften.
So erschien die Wissenschaft kompromittiert, während doch nur einzelne
ihrer Vertreter den Mund zu voll genommen hatten. In der „Eglise
scientifique" kam es zu einer Krisis und die Dissidenten verkündeten, daß
sie bankerott sei. Aber die so sprachen, zeigten in ihrem geistigen
Habitus selbst ganz unverkennbar die naturwissenschaftliche Neigung der
Zeit, der kritische Fechter Brunetiere ebensogut wie der literarische
Elegant Bourget.
Als 1868 die Staatsgewalt gegen den experimentellen Unterricht der s.iDt«B«g
Universitäten angerufen wurde, sprach Sainte-Beuve (-j- i86q) im Senat
zugunsten der Methode naturwissenschaftlicher Forschung, die für die
Menschheit eine moralische Hygiene bedeute. Er, der einst Medizin studiert,
übte selbst diese induktive Methode in seiner literarhistorischen Arbeit
Er wandte sie an eine umfassende Durchforschung des ganzen Individuums
in allen der Beobachtung zugänglichen Lebensäußerungen und dabei kam
ihm zustatten, daß er viel Weltverstand besaß und selbst Poet war. Er
sucht in und hinter der literarischen Schöpfung deren Autor, mit dessen
Leben und Persönlichkeit er die Schöpfung unzertn-nnlich vorbindet Er
gibt als der Erste eine Biologie der literarischen Schöpfung. Mit
unstillbarer Wißbegier geht er dem charakteristischen Detail nach, sammelt
er tausend kleine Lebensblüten und analysiert sie gleich dem Botaniker.
354
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Schmiegsam, von keinem System gefesselt, reiht er seit 1849 ^^ einem
halben Hundert Bänden Lebensbild an Lebensbild, eine reiche Geschichte
des französischen Geistes, eine Kulturgeschichte in Monographien. Über
Port-Royal veröffentlicht er eine psychologische Studie von reichster
Lebensfülle und jenem Lebensverständnis, welches das Buch auch Anders-
denkenden lieb macht. Er ist überzeugt, daß die führenden Kräfte der
Menschheit im Individuum liegen. Das Goethe wort: „Wir lieben nur das
Lidividuelle " hätte Sainte-Beuves Motto sein können. Taine, der be-
wundernd von seinen Schilderungen spricht, wird diese Detailforschung in den
Dienst seines Systems stellen, das Sainte-Beuve ablehnte. Aus der Biologie
literarischer Schöpfungen wird Taine eine Biologie der Literatur machen.
Taine H. Tainc (1828 — 1893) ist seit 1850 von starken deutschen Anregungen
(Hegel) ausgegangen. „Die Deutschen sind für uns, was zur Zeit Voltaires Eng-
land für Frankreich gewesen ist; ich finde bei ihnen, dem monde inßni d'outre-
Rhin, Gedanken, die ein ganzes Jahrhundert bestreiten." Aber schon
ehe das Kriegsjahr ihn ungerecht macht, hat ihn deutsche Art doch immer
fremdartig angemutet. Englisch stand ihm näher. Er steht unter dem
Einfluß Carlyles, Mills, Buckles. Er bewundert Shakespeare, aber auch
Rembrandt, Goethes Faust und deutsche Lyrik. Corneille und Racine
sind ihm zu farblos und zu rhetorisch. Der Überschwang der Romantik,
besonders Hugo, war ihm zuwider. Die deutsche Prosa schätzt er gering.
Ihr gegenüber hat er als französische Qualitäten nachdrücklich bezeichnet:
Die Beobachtung des lebendigen Details und der bewegten Persönlich-
keit {portraits psychologiques), die Gabe der Klassifikation (Klarheit) und
das Talent der oratorischen Darstellung (Schönheit). Er fügt hinzu: ma
forme d'esprit est frangaise et latine. So ist er denn ein unermüdlicher
Sammler charakteristischen Details geworden, das er systematisch klassi-
fiziert und formschön darstellt. Seiner aristokratischen Denkernatur war
die Wendung der Zeit zur Demokratie unsympathisch. Er verabscheut
Rousseau. Seine akademische Laufbahn scheiterte früh an klerikaler
Opposition. Mit Renan teilte er sich in die Angriffe der Kirche. Er sah
im Klerikalismus den größten Feind. Obschon völlig unkirchlich und
pantheistisch gesinnt, ging er nicht zum kirchenfeindlichen Radikalismus
über, sondern schloß sich äußerlich dem Protestantismus an. Im Kampf
gegen die katholische Reaktion sind in Frankreich auch sonst vielfach
protestantische Zusammenhänge und Sympathien zu erkennen (Michelet,
Quinet). Taine selbst sah im Protestantismus das Ideal einer Landeskirche
— „mais le protestantis?ne est contre la nature du Frangais". Er glaubt
an „l'avenir de la Science", an die erlösende Rolle der voraussetzungs-
losen Wissenschaft, welche die Tatsachen ohne Leidenschaft konstatiert
und erklärt. Seine wundervollen Naturschilderungen verraten tiefere
Sympathie als seine Menschenschilderungen.
Schon als Student kommt er zur Überzeugung, daß die Geschichts-
schreibung erneuert und nach naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten
F. Das ig. Jahrhundert. 11. Die Zeit nach 1850. ^e*
dargestellt werden müsse, „damit sie über die Meinungen und Handlungen
der Menschen die nämliche Autorität gewinne, die in medizinischen
Dingen gegenwärtig die Physiologie hat". Er betrachtet es als seine
Aufgabe „de faire de Dnstoire une science en lui donnant comme au monde
organique unc anatomie et tinc Physiologie''. Auch das geschichtliche
Geschehen unterliege Gesetzen und zeige ifadmirables nicessiUs. So seziert
er gleich einem Anatomen den Menschen der Vergangenheit und erkennt
in ihm einen geistigen Organismus, der physiologisch (race), örtUch
(mi/ic/A und zeitlich {momoif) bedingt wird. Diese Kräfte: Rosse (d. h.
Volkstum, nationale Inzucht), Milieu, Moment, werden für ihn fast zu
mythischen Persönlichkeiten, welche die literarischen Geschicke lenken,
der Künstlerindividualität das Gepräge geben und die Abfolge der Geistes-
perioden bestimmen. Diese biomechanische Auffassung { Physiologie morale)
führt er nun mit der Schärfe und Eindringlichkeit eines überlegenen
Geistes, aber mit ungleicher Konsequenz, in seinen historischen und
philosophischen Arbeiten durch: in seinem Buch über Lafontaines Fabeln
(185.^), über die Geschichte der englischen Literatur, über die Philosophie
der Kunst, über die Intelligenz und über die „Origines de la France con-
temporaine", zu welchem — unvollendeten — Werke ihn die Katastrophe
des Jahres 1870 führte, in dem Augenblicke, da er ein Buch über
Deutschland vorbereitete.
In diesem Taine begrüßt Zola 1866 den Künstler nach seinem
Herzen, der kühl im methodischen Aufbau aber innerlich bewegt bei der
Ausführung ist, der allen starken Lebensäußerungen nachgeht und be-
sonders la bete dans l'homme suche. Taine aber lehnte jene Romankunst
ab, die den An.spruch erhebt, auf wissenschaftlicher Dokumentation
zu beruhen und spricht schon 1862 aus Anlaß von Flaubert von einer
degenerierten Literatur, die gewaltsam auf das Gebiet der Wissenschaft
und — mit der Ausmalung des physischen Details [vision du detail
physique) — auf das Gebiet der Malerei hinübergezerrt werde.
Die Aufgabe der Literaturgeschichte hat Taine dahin bestimmt, daß
hinter dem literarischen Denkmal die geistige Struktur des Individuums,
ja einer ganzen Nation und einer ganzen Epoche zu erkennen und so
diese Denkmäler als die feinsten Zeugnisse für die Psychologie eines
V^olkes zu begreifen und zu benutzen seien. Taine hat eine aus-
gesprochene Geringschätzung nicht für die Gelehrsamkeit überhaupt, aber
für die geduldige Kleinarbeit des Philologen. Unermüdlich sammelt auch
er das Detail der historischen Fakta, wie Sainte-Beuve; aber ungeduldig
schweift sein Auge vom Detail in die Fernen des Systems. Er ist gleich
Montesquieu, an den er in so vielem erinnert und auf den er sich beruft,
dem Detail gegenüber unkritisch und ungenau. Er beeilt sich, die Masse
der Tatsachen auf eine einfache Formel zu bringen. In seinem gerad-
linigen Streben nach Klarheit ist er ein genialer Vertreter jenes Siinplis-
mus, der dem gallischen Denken eignet Er hat ein Werk von impo-
7 = 6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
nierender Einheitlichkeit geschaffen, das die Disziplinierung des Willens
auf der Stirn trägt. Mensch und Denker sind aus einem Guß. Der ge-
schichtliche Wert seiner „Origines de la France contemporaine" ist nicht
nur deshalb vergänglich, weil Taine zu sorglos in der Sammlung des
Materials und zu eilig in seinen Verallgemeinerungen ist, sondern besonders
auch deshalb, weil sein Simplismus — so wenig er es Wort haben
will — im Dienst von politischen Theorien steht. Seine Darstellung
der Revolutionstrilogie (ancien regime, revolution, regime nouveau) ist
leidenschaftlich voreingenommen, vom Standpunkt eines Politikers aus ge-
schrieben, der im Volke nur die Bestie und in der Demokratie nur die
rohe Auflösung alter, bewährter Ordnungen sieht. Indem Taine von
diesem Standpunkt aus das Bild der revolutionären Wirren in grellen
Farben malt, hat er zwar manche Legende jakobinischen Heldentums
zerstört, aber die wahre Geschichte der Revolution zu schreiben hat er
der Zukunft überlassen.
Niemand hat mehr als Taine die Anwendung des Positivismus auf
das historische Denken verbreitet. Er hat auch die Schulphilosophie des
Eklektizismus in energischem Kampfe zu Fall gebracht. Er hat in hohem
Maße auch das Kunstschaffen beeinflußt. In Stendhal hat er den Menschen-
bildner, in Sainte-Beuve den Menschenschilderer par excellence gesehen.
Neben der machtvollen Synthese Taines, hinter deren Abstraktionen
die Züge des historischen Individuums verblassen, sind indessen die
Bücher nicht verschwunden, welche Individuen, „Führende Geister", dar-
stellen: neben der materialistischen Geschichtsauffassung verschwindet die
heroistische nicht. In seiner „Critique scientifique" erklärt Henne quin
(1889) ausdrücklich, daß er einen Weg einschlage, der dem Taines ent-
gegengesetzt sei. Die Bedeutung der mächtigen Persönlichkeit möchte
er ins Licht setzen und statt dem ungewissen Einfluß nachzugehen, den
das Milieu auf einen Künstler habe, will er vielmehr den großen Einfluß
aufweisen, den der Künstler auf seine zeitgenössische Umwelt übe. Dazu
scheinen ihm vor allen die ausländischen Dichter geeignet, die Frank-
reich zu den Seinen gemacht habe {Ecrivains francises: Dickens, Heine,
Poe, Tolstoi). Ihn interessieren „ces mouvements d'agregation des masses
autour de V komme qui sait se reveler leur maitre", besonders wenn sie
nationale Schranken überwinden. Und in den Dienst seiner „ ästhopsycho-
logischen" Analysen stellt er die Ergebnisse und die technische Sprache
der modernen Psychologie und Psychopathologie. Man fühlt wie Medizin
und Physiologie ihre Hand nach dem Gebiete der Literaturgeschichte
ausstrecken.
Eine Systematik der positivistischen Versuche, literarhistorisches
Geschehen zu interpretieren, gibt zu Ende des Jahrhunderts G. Renard
{La methode scientifique de Vhistoire litteraire, 1900).
G.Paris. Taines Freund, Gaston Paris (f 1903) teilte seine Auffassung von
der Aufgabe der Geschichte und von dem Wert der Literaturdenkmäler
K. Das 1 9. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. 357
für die historische Psychologfie ; aber er verband sie mit der gcduldij^sten
Kleinarbeit des Forschers und mit der tiefsten menschlichen Sympathie.
So hat er, harmonischer als Taine, kritische Sorgfalt und künstlerische
Darstellung vereinigt. Nirgends tut bei diesem großen Gelehrten die
herrliche Form dem Geiste der Wissenschaft Eintrag. Seine Arbeiten
erscheinen als die lilüte geschichtlicher Darstellung. Daß sie sich auf
die Kultur des Mittelalters beschränken, hat freilich ihrer Wirkung engere
Grenzen gezogen. Frankreich hat für sein mittelalterliches Werden noch
heute wenig Interesse und der Gebildete lenkt nur selten seinen BUck
über „le grand siecle" zurück bis zur „Barbarei" der Capetinger.
Bei allen Zeitgenossen ist Taines Einfluß erkennbar. Der junge
Bourget z. B. übt „naturalistische" Kritik. Er stellt in seinen „Essais
de Psychologie contemporaine" (i8<S3) die Schriftsteller nicht um ihrer
selbst willen dar, sondern als Zeugen zeitgenössischer Stimmungen und
Strömungen und will seinen Versuchen über Baudelaire und Taine, Amiel
und Turgeniew nur „ein Bild der sozialen Tendenzen der Literatur unter
dem zweiten Kaiserreich" geben. Seine psychologische Feinarbeit hat
eine Vorliebe für das Pathologische.
E. Renan (1825-92) ist des nämlichen positivistischen Geistes Kind, R«»«»-
wie Taine, und wie dieser hat er der Welt das Beispiel der Überzeugungs-
treue gegeben: seinem stolzen Worte „es ist einem Gelehrten nicht ge-
stattet, sich mit den Folgen seiner Forschung zu beschäftigen", hat er
auch dann nachgelebt, wenn diese Folgen seine materielle Existenz er-
schütterten. Im einzelnen aber stimmt er mit Taine wenig überein.
Der geschmeidige und gesellige Künstler Renan bildet eine Ergänzung,
aber auch einen Gegensatz zu dem starren, einsamen Systematiker Taine.
Im Positivisten Renan lebt noch etwas vom alt»n Sinn der Romantik
und seinem wissenschaftlichen Habitus hat die geistliche Erziehung ihren
Stempel aufgedrückt. Aus Doktrin und Leben seiner trefflichen Lehrer
im Priesterseminar, von denen er als ein Ungläubiger doch ohne Groll
(1845) schied, hat Renan dreierlei mit ins Säkulum hinausgenommen:
Einmal hat er für den naiven Glauben, den er selbst verloren, eine
Poetenliebe bewahrt und eine Zärtlichkeit für die behalten, die dieses
Glaubens noch fähig waren. Der Mann, der Bücher von unversöhnlicher
Forschung geschrieben hat, war kein Antiklerikaler. „JA/ vie est toujours
gouvernie par une Jui que je nai plus", sagt er selbst Sein Kopf ist mit
einer außer Dienst gesetzten Kathedrale verglichen worden.
Dann hat er etwas Priesterliches behalten, das sich ausspricht in der
Macht seines Bekennertums, in seiner Wertschätzung des inneren Lebens
und der sittlichen Interessen, sowie in der Art, wie er sein Leben zu
einem schönen Beispiel der Weisheit und Wahrheitsliebe gestaltete. An
den geistlichen Beruf erinnert auch die Mischung von Würde und humor-
voller Vertraulichkeit, die bei ihm manches Mißverständnis verschuldete.
Es klingt durch Renans Leben wie Kirchenglocken, aber auch der
»Cjß Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Schellenklang des Schalks ist vernehmbar. Man weiß ja, wie Kathedralen
auch profanen Schmuck tragen und wie an ihren Pfeilern und Chorstühlen
allerlei weltliches Figurenwerk sein neckisches Wesen treibt
Endlich führte ihn das schulmäßige Studium des Hebräischen zur
orientalischen Philologie und lieferte ihm das wissenschaftliche Rüstzeug
des Spezialisten, den eine unstillbare Neigung dazu trieb, den Ursprüngen
jener Glaubenslehren nachzugehen, deren Fesseln er abgeworfen hatte.
Im Seminar hatte Renan die Bekanntschaft mit der deutschen Exegese
gemacht: sie hat seinen Glauben erschüttert. Jetzt lernt er die Natur-
wissenschaften kennen und auf sie baut er seine Weltanschauung. Nun
wird er auch ein Schüler der vergleichenden Sprachforschung und dringt
noch tiefer in die Geheimnisse des Orients ein. So ward er, nachdem
ihm sein „neuer Glaube" das „Avenir de la Science" (1848) diktiert hatte,
zum Geschichtsschreiber der religiösen Kultur, die das Abendland einst
vom Orient überkommen hat. Er schrieb eine Geschichte des Volkes
Israel imd der Ursprünge des Christentums bis auf Marc Aurel in einem
Dutzend Bänden (1863— 1893). Über diese Dinge hatten die Gebildeten
Frankreichs bisher nur das vernommen, was die Theologen ihnen mit-
zuteilen für gut gefunden. Hier wagte zum erstenmal ein Historiker das
Wort zu ergreifen. Und er begann nicht mit Israel, sondern, in media re,
mit der Person Jesu, die ein Aufenthalt in Palästina vor seinen Augen
aufsteigen ließ. Die „Vie de Jesus" (1863) machte ungeheueres Aufsehen.
Ein Sturm durchbrauste das Land wie zwei Jahrhunderte zuvor aus Anlaß
der „Lettres provinciales" Pascals, der auch in Reservatgebiete der
Hierarchie eingebrochen war. Der Laie Pascal brachte einst Fragen der
theologischen Moral, Renan jetzt Fragen des Glaubens vor das Forum
des großen Publikums. Pascal maß jene an der Norm christlicher Sitten-
lehre, Renan diese mit dem Maße historischer Forschung. Er kannte
D. Fr. Strauß' „Leben Jesu" von 1835, das mit nüchterner Kritik, ein
negatives Buch, für Theologen geschrieben war. Renan schrieb für die
Gebildeten, auch ein Buch der Kritik, doch ein positives Buch, das aus
den Trümmern der alten Legende einen neuen irdischen Jesus zu bilden
versuchte, voller Sympathie, mit tiefer psychologischer Erfassung, inmitten
wunderbarer Naturschilderungen und in einer Sprache von eitel Wohllaut.
Strauß' „Leben Jesu" war ein wissenschaftliches Ereignis und bildet einen
Wendepunkt der theologischen Forschung. Renans „Vie de J6sus" ist
kein Markstein der Forschung, aber ein literarisches Ereignis. Und es
ist bezeichnend, daß ihm die erste Volksausgabe des Straußschen Buches
folgte (1864).
Auch in der Geschichte des Urchristentums, deren Bände sich nun
anschließen, vereinigt Renan Tatsachen und Vermutungen, historische
Berichte und Legenden zu einem künstlerischen Ganzen, immer darauf
bedacht, aufzubauen und zu einer Synthese zu kommen, deren große
Züge der Wahrheit entsprechen, wenn auch das Detail unsicher bleibe.
F. Das iq Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. 35Q
Dem Detail selbst mißtraut er. Kr rät, daß man zu den meisten seiner
Sät/e sich ein piut-itrt- hinzuzudenken habe. So ist er in den Ruf eines
Skeptikers gekommen, während er doch bloß ein vorsichtiger I-orscher
ist Er arbeitet, sag"t Harnack von ihm, „mit allen Mitteln der hi.storischen
Wissen.schaft". Kr ist der Überlieferung gegenüber kritisch wie ein
Forscher und im Aufbau kühn wie ein Künstler. Die i^lastizität des über-
lieferten Materials reizt seine Künstlerhand zu lebensvoller Formung. So
wird seine Kritik schöpferisch. Solche Darstellungsweise hat ihre Gefahren,
da bei ihr gefühlsmäßige Abschätzungen hervorragend beteiligt sind —
er nennt sie „des raisons de scntiment qiii ne s'im/>uscnt pas". Diese
Gefahren treten besonders in der ältesten „Histoire du peuple d'Israel"
hervor, wo die Überlieferung mehr als anderswo unsicher und lücken-
haft ist.
Wenn die erschreckten Gläubigen Renan einen „sceptique" schalten,
weil er an der Heiligen Schrift historische Kritik übte, so nannten ihn
ängstliche Gelehrte einen „dilettante", weil sie an der künstlerischen Form
seiner kühnen Synthese Anstoß nahmen. Die einen schalten den Forscher,
die anderen den Künstler. Am Künstlertum Renans vermißte der Histori.smus
das schwerfällige Spezialistentum, das zur Philologie zu gehören schien.
Diese geschmeidige Gestaltungskraft, die, feinfühlig und intelligent, entfernte
Zivilisationen nachzubilden unternahm; diese universelle Neugier, die sich
den verschiedensten Arbeitsgebieten zuwandte und den verschiedensten
Gedanken Gastfreundschaft gewährte, wurde halb geringschätzig, halb
neidisch als „dilcttantisme" bezeichnet. Aber Renan, der Professor der
semitischen Philologie am College de France, der Gründer und Leiter des
Corpus inscriptionum semiticarum, der Mann, der für die „Histoire litteraire
de la France" einen Hand über die französischen Rabbiner des 14. Jahr-
hunderts geschrieben hat, ist kein Dilettantl Hat er zwar wie die Könige
gebaut, so hat er auch mit den Kärrnern zusammen die geduldigste philo-
logische Kleinarbeit geleistet
Den Forschungswert dieser Renanschen Synthesen mag der Fachmann
beurteilen. Ihre literarische Meisterschaft ist unbestritten und ihre kulturelle
Bedeutung tiefgreifend. Die geschichtliche Macht des Christentums hat
keinen mächtigeren Künder gefunden als Renan. Seine Bücher haben
die Aufmerksamkeit der Gebildeten von der Frage der Wahrheit der
Dogmen zur Frage ihrer entwickelungsgeschichtlichen Gestaltung hinüber-
gelenkt und damit die Lehre vom menschlichen Ursprung und von der
Relativität der religiösen Anschauungen verbreitet. Renan hat bei den
Gebildeten Frankreichs die religionsgeschichtlichen Interessen geweckt und
seinem Kinflusse ist es zuzuschreiben, wenn heute die Religionsgeschichte
einen guten Teil der Religion dieser Gebildeten ausmacht.
Ein fertiges philosophisches System hat Renan nicht besessen. Er ist
ein Wahrheitsucher und „dieses Suchen führt zum Schein des Wankel-
muts", .sagt er einmal selbst. Alles ist bei ihm im Fluß; Plato würde ihn,
360 Heinrich Morj': Die romanischen Literaturen.
wie den Heraklit, einen peovia genannt haben. Nicht in der amoralischen
Natur, sondern in der Geschichte sucht Renan Gott. Gott ist in der
unwiderstehUchen Kraft, welche die Menschheit auf dem Wege zur Ver-
vollkommnung vorwärts drängt; er ist in unserem Gewissen; er ist das
geheimnisvolle Ende der Welt. Renans Positivismus hat einen sieghaften
idealistischen Zug.
Die Wendung der Zeit zur Demokratie widerstrebt auch Renans aristo-
kratischer Natur. Er war ein politischer Utopist. Schließlich hat auch dieser
Utopist mit der Republik seinen Frieden gemacht. Sein Verhältnis zu
Deutschland erlitt durch den Krieg eine schwere Erschütterung. Aber
schon 187g schreibt er einem deutschen Freund: „la collahoration de la
France et de V Alleviagne , ma plus vieille illusion de jeunesse, redement la
conviction de mon äge mür . . . Out, sans nous, vous serez solitaires, et vous
aurez les defauts de V komme solitaire . . . et sans vous, notre oewure serait
maigre, insuffisajite^'.
Renans ganze Liebe gilt der Wissenschaft, der uneigennützigen Er-
forschung der Wahrheit, von deren siegreicher Macht er überzeugt ist.
Sie schafft Tugend und Freude. Der Mann, der mit Rührung auf die
gläubige Vergangenheit der Menschheit blickt, sieht mit Begeisterung in
ihre wissenschaftliche Zukunft. Die Gegenwart begleitete er mit klugen
Aufsätzen. Eifrig beteiligt er sich nach 1870 an der Regenerationsarbeit.
Renans Sprache ist klassisch in ihrer Einfachheit und Klarheit. Sie
bedarf des Neologismus nicht. Aber sie ist ganz modern in ihrer Biegsam-
keit und ihrem Mangel an Rhetorik. Renan spricht immer zur 3ache
und bringt der Form nie das Opfer des Gedankens. Der Zauber seiner
Persönlichkeit lebt in dieser Sprache weiter. Dieser Mann mit der
leuchtenden Intelligenz und der wärmenden Herzensgüte ist ein großer
Charmeur geblieben.
Gewiß hat seine Kritik des Christentums den Oberflächlichen das
Spotten über religiöse Dinge erleichtert: er hat ihnen eben nicht zugleich
sein eigenes religiöses Empfinden mitteilen können. Den Ernsten und
Lernbegierigen aber hat er die große Lehre von der versöhnenden
Wirkung des geschichtlichen Verstehens geg'eben. Er hat ihnen gezeigt,
wie mit dem Lohne tieferer Einsicht dem Forscher der Lohn innerer
Beruhigung zufällt, wie aus dem Bekenner ein Erkenner wird und
angesichts der Erkenntnis großer gesetzmäßiger Entwickelungsvorgänge
die Leidenschaft entzaubert zusammensinkt.
Ohne Zweifel hat das Beispiel dieser einzigartigen Persönlichkeit mit
ihrer Mischung von Forschung und Künstlertum, von Positivismus und
Metaphysik, von Glaubenslosigkeit und Frömmigkeit, mit ihrer Verbindung
von Geschmeidigkeit imd KJraft, von Milde und Unversöhnlichkeit auf
Viele verwirrend gewirkt. Viele bekannten sich zu ihm, die nur die
Schwächen seiner Vorzüge besaßen. Die wurden die bloßen Dilettanten
der souveränen Kunst ihres Meisters.
K. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. xbl
Heiterkeit der Seele soll nach Renan die Begleiterin der Lebens-
arbeit st'in: „/aisoNs notre oitvn' tri chantant''. Kr schreibt aus Kreude
und Sympathie heraus. Darin ist er Taine überlegen. Renan hat in
seiner „Histoire des origines du christianisme" ein Werk der Sympathie
geschrieben, Taine in seinen „Origines de la France contemjjoraine" ein
Werk der Abneigung. Auch wenn ihre Kunst gleich groß war«-, <<>
würde jenes Werk dieses überdauern.
Drei Bretonen: Chateaubriand, Lamennais, Renan, haben im Laufe des
Jahrhunderts tief in das religiöse Leben Frankreichs eingegriffen und ihre
BücluT gehören zu den größten Erfolgen der Neuzeit: „Le Genie du
Christianisme" 181 2, der „Essai sur rindiif(^rence" 181 7 und die „Vie de
J^sus" 1863. Das erste stellt den Katholizismus durch die Poesie wieder
her, schaift ein ästhetisches Christentum und macht aus ihm die Quelle
einer neuen literarischen Kunst. Das zweite restauriert den Katholizismus
durch den Glauben und macht aus ihm ein praktisches Christentum, eine
treibende Macht in der entstehenden Demokratie. Renan aber sieht in
diesem Christentum eine historische Ersclieinung, deren lebendige und
verehrungswürdige Kraft der Vergangenheit angehöre. Ihn trennt von
den anderen der Wandel eines halben Jahrhunderts, das den Positivismus
Comtes gebracht hatte.
Dieser Positivismus ist der breite Boden, auf dem die führenden
Männer der Zeit stehen, auch die, welche nachher wieder zur Kirche
zurückgekehrt sind und an deren Spitze die eindrucksvolle Gestalt
Brunetieres (f 1906) schreitet. Brunetiere ist ein Mann des autoritären
17. Jahrhunderts, der sich in die Zeit Darwins und Taines verirrt hat
Sein geistiger Habitus erinnert an Bossuet, in welchem er den großen
Hüter der Tradition und den größten Schriftsteller seines Landes verehrt.
Diesen geistigen Habitus durchdringen langsam aber nachdrücklich die
Bildungselemente der Neuzeit: die der historischen Forschung und der
naturwissenschaftlichen Erkenntnis. So entsteht in Brunetirrc eine natura-
listische Geschichtsauffassung, die er als Literarhistoriker und Kritiker
autoritär vorträgt. Er spricht mit großer Sicherheit und seine unelegante,
fast gewalttätige Diktion atmet Kampfeslust.
Er möchte in dem französischen Schrifttum, das sich immer mehr von
seiner klassischen \'ergangenheit emanzipiert, die Einheit der Tradition
wieder zu Ehren bringen und zu diesem Zwecke eine literarische Kritik
begründen, welche imstande wäre eine sichere Führerin auf dem Wege
dieser Disziplinierung zu sein.
Bruneti^re haßt den Individualismus der „opinions particulieres" und
verlangt die Wiederherstellung der Autorität der „opinions g«'^nerales" —
nicht nur auf dem Gebiete der Literatur, sondern auf allen Lebens-
gebieten. Als Ursache des moralischen Bürgerkrieges, der sein I^and in
den neunziger Jahren verheerte, betrachtete er die Anmaßlichkeit des
Individualismus. Ostentativ bekannte er sich zur Autorität der römischen
BrnaMür*.
362 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Kirche, bedauernd, daß sein Bossuet einst als Gallikaner gegen Rom
gesprochen hatte. Brunetieres Ultramontanismus ist ein rein bürgerliches
Bekenntnis, ähnlichen Verhältnissen entsprungen wie einst das Bekenntnis
Montaignes. In den Schriften {Discours de combaf), in denen Brunetiere
als ein moderner Scholastiker für die kirchlichen Dogmen kämpft, herrscht
weniger religiöse Stimmung als in den Büchern, mit denen Renan wider
den Glauben stritt.
Als Feind des Individualismus verwirft Brunetiere die subjektive
Poesie und stellt die dichterischen Schöpfungen am höchsten, in denen
die Persönlichkeit des Autors zurücktritt. Als ein Mann, der die staats-
erhaltende Macht über alles stellt, verlangt er von der Literatur in erster
Linie sozialen Wert. Er bekämpft das rart pour l'art, und ohne seine
Ansicht in ein Schlagwort zu prägen, vertritt er die Auffassung des l'ari
pour la vie. Die Kunst existiere nicht für sich allein und wenn sie auch
nicht für etwas anderes da sei, so sei sie doch mit anderem da. Wer
schreibt, sagt Brunetiere einmal, legt sich eine soziale Funktion bei und
übernimmt eine moralische Verantwortung {„il pre?td charge d'ämes'').
Aufs nachdrücklichste bemühte er sich, die literarische Kritik dem
Einfluß des Individualismus zu entziehen und sie auf objektive Grundlagen
aufzubauen. Er will sie wissenschaftlich gestalten, wenn er auch den
Namen scicnce für sie ablehnt. Diese Grundlage findet er einerseits in
den literarischen Meisterwerken des 17. Jahrhunderts und anderseits in
der modernen Wissenschaft. Jene Werke liefern ihm die Norm seines
ästhetisch -moralischen Urteils; diese Wissenschaft liefert ihm die Methode
des Aufbaues. Hier setzt er die Arbeit des Systematikers Taine fort, in-
sofern auch er bei der zeitgenössischen natur geschichtlichen Forschung
neue literaturgeschichtliche Einsicht sucht. Zugleich aber bekämpft er
Taine in wesentlichen Punkten: Taine vernachlässige ob der kultur-
historischen die künstlerische Seite der literarischen Werke; seine Kritik
begnüge sich, die Bedingtheiten der Werke zu konstatieren, statt zugleich
Werturteile in usum scriptorum zu fällen und sich damit Autorität zu
sichern; seine Theorie des Einflusses von race, milieu und moment vermenge
ungleichwertige Faktoren und verkenne die schöpferische Bedeutung des
genialen Individuums. Ein völlig neues Licht falle auf das literarische
Geschehen durch Darwins Lehre von der Entstehung der Arten und durch
ihre Ausgestaltung in Häckels Schöpfungsgeschichte. Denn auch in der
Literatur gebe es Arten — er nennt sie aber nicht cspeces, sondern fährt
fort von genres litteraires zu sprechen — wie in der Natur: Lyrik,
Tragödie, Roman usw., und diese literarischen Spezies entstehen, wachsen,
bilden sich um, und in ihrem Leben offenbare sich die natürliche Zucht-
wahl wie bei den physischen Organismen.
1889 begann Brunetiere mit dem. Bande „L'evolution de la Critique
depuis la renaissance" eine Darstellung der neueren französischen Literatur
gemäß seiner neuen Lehre. Aber das Gebäude dieses literarischen
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^5^
Darwinismus ist FragTiient geblieben. Die bewegten Zeitläufte gestatteten
dem militanten Leiter der „Revue des deux mondes" nicht, das Werk
durchzuführen — oder sollte es an den eigenen inneren Schwierigkeiten
gescheitert sein? Denn die Theorie von den literarischen Spezies ist eine
bloße naturwissenschaftliche Metapher. Die darauf gebaute Biologie („les
gcnrcs sc fafigucnt , ih srpuiscnt, sc nu'coniiaisscnt, mcurcnt'') ist ein
Mythus und alle Beredsamkeit des unerschrockenen Mythologen würde
ihr kein wirkliches Leben verliehen haben. Er tat den literarischen Tat-
sachen Gewalt an, um sie in sein Schema zu zwingen.
So krankt Brunetieres historisches Werk. Trotzdem ist es von großer
Bedeutung, nicht nur in jenen umfangreichen Teilen, die bereits vor seiner
Theorie der literarischen Spezies (i88g) erschienen waren. Wenn jemand
auf neuen Pfaden, mögen es auch Irrwege sein, altes Gelände durch-
schreitet, so wird er neue An- und Ausblicke finden. Davon sind
Brunetieres Bücher voll, Sie säen Anregungen. Ist er kein gfuter Führer,
so ist er doch ein kenntnis- und ideenreicher Begleiter. Seine In-
formation ist sehr umfassend, wenn auch für die Behandlung der aus-
ländischen Literaturen nicht ausreichend. Die Metapher von der natür-
lichen Auslese hat ihn dazu geführt, die Rolle, die das auserlesene
Individuum in der Geschichte spielt, ins Licht zu setzen. Die Evolutions-
theorie hat sein Auge für die Erkenntnis historischer Zusammenhänge
und seinen Sinn für streng chronologisches Vorgehen geschärft Er hat
wirklich entwickelungsgeschichtlichen Blick und mit diesem Blick hat er
die Bedeutung von Übergangsepochen erkannt, deren formende Arbeit
bisher wenig beachtet geblieben war. So hat die literarhistorische
Forschung durch Brunetiere viel Förderung erfahren. Hier hat er unver-
gängliche Spuren zurückgelassen.
Und die critiijiic litfcrairc? Gewiß fallt aus aller geschichtlichen
Betrachtung Licht auch auf das zeitgenössische Schaffen, und ist der,
dessen Blick entwickelungsgeschichtlich geschult ist, auch imstande, tiefer
in das Wesen der Kunstübung der Gegenwart einzudringen und das Amt
eines Kritikers mit besonderem Nachdruck zu üben. So auch Brunetiere-
Und unzweifelhaft hat er dadurch, daß er die Künstler an ihre Ver-
antwortlichkeit erinnerte und ihr Schaffen mit dem Maße einer sozialen
Funktion maß, Gutes gewirkt. Wie der Ruf eines willensstarken Asketen
ertönt seine Stimme in einer Zeit überschäumender Schafifenswillkür. Um
aber dieser Zeit wirklich eine führende Kritik zu schenken, dazu war
er selbst zu unkünstlcrisch und zu unfrei. Er ist an die gebundene Kunst
des 17. Jahrhunderts gefesselt, was für ihn auch eine Einbuße an histo-
rischer Einsicht bedeutet: so steht er dem Mittelalter verständnislos gegen-
über und ist gegen das 18. Jahrhundert ungerecht
Endlich ist Brunetieres Anspruch, eine objektive Kritik zu schaffen,
überhaupt unerfüllbar. Das ist ein Gedanke des 17. Jahrhunderts. Brune-
tiere verwechselt objektiv mit autoritär. Niemand redet häufiger als er
364 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
in der ersten Person und sagt: je crois. Niemand spricht subjektiver,
selbstherrlicher als er. Aber ebenso selbstherrlich ist das Schaffen des
genialen Künstlers und dieses wird auch gegen den Kritiker recht be-
halten. Denn im Anfang war die Tat!
Die impressio- Brunetierc hat hauptsächlich gegen zwei Gegner gestritten: gegen
nistische Kritik. ^^^ NaturaUsmus von der Art Zolas und gegen die persönliche Literatur
(„le personnalisme'') in jeder Form, besonders gegen jene individualistische
Kritik, die sich Impressionismus nennt und als deren Haupt Vertreter ums
Jahr 1890 J. Lemaitre {„Les contemporains'' \ „Impressions de t/ieätre")
und A. France {,iLa vie litteraire'') hervortraten.
Lemaitres „Theatereindrücke" haben dieser Art von Kritik den
Namen gegeben. Sie ist in ihrem Wesen der impressionistischen Malerei
verwandt; wie diese gibt die impressionistische Kritik einen augenblick-
lichen, künstlerischen Eindruck wieder. Der impressionistische Referent
ist selbst Poet. Er lehnt es geradezu ab, als Kritiker zu gelten. Er will
bloß ein Genießer sein und seiner eigenen Voluptas Worte leihen. Diese
„critique volupiuense"' umspielt das Kunstwerk; sie gibt nicht Lehrsätze,
sondern Poetenphantasien. Sie ist darauf bedacht, die Kritik selbst zum
Kunstwerk zu gestalten. Und darin waren jene beiden klugen und geist-
vollen Literaten Meister. Dabei galt Lemaitres Interesse ganz der Gegen-
wart. Die Klarheit seiner Einsicht findet ihre Grenze in seinem Chauvinismus
und die possenhaften Allüren seines Esprit g-aulois kompromittieren oft
den wirklichen Ernst seiner Bekenntnisse. France hatte jederzeit mehr
universelle Interessen und zeigte bei ebenso großer Kunst mehr Zurück-
haltung und versöhnenden Humor. Beide liebten das Paradoxon und seine
Freiheit. Das Leben hat seither diese „Impressionisten" von der Voluptas
ihrer literarischen Kritik weg in den politischen Kampf gerufen. Heute
gehören die Individualisten Lemaitre und France zwei gegnerischen Lagern
an, die beide in gleicher Weise dem Individualismus feind sind, jener dem
nationalistischen, dieser dem sozialistischen.
Faguet. Mehr intellektuell als künstlerisch interessiert spricht E. Faguet von
Dichter und Dichtung. Er kennt — wie Brunetiere und wie die Impressio-
nisten, mit denen er aber nichts gemein hat — nur das moderne Frank-
reich seit der Renaissance und es zerfällt für ihn in Hunderte von Autoren
und Werken, die er mit großer Schärfe in Monographien analysiert. Er
ist in der Kunst dieser Analyse unübertroffen. Es sind lichte, kluge,
geistvolle Arbeiten von anerkennenswertem Freimut. Die Methode wissen-
schaftlicher Kritik ist ihm fremd. Seine „Histoire de la litterature fran9aise
depuis les origines" (1900) ist eine Sünde wider den Geist der Forschung.
Heute spricht Faguet bändeweise zu allen Fragen des modernen Lebens,
immer gescheit und ideenreich, aber vom Publikum verwöhnt, das ihm auch
dann zuhört, wenn er . . schwätzt. —
Rückblick auf £)ie literarische Kritik zeigt zu Ende des Jahrhunderts drei
die literarische -r t .. .
Kritik. Hauptstromungen , eine wissenschaftliche, eine impressionistische und
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach i8^o. ^^c
eine aristarchische : die Kritik des Forschers, des Genießers und des
Dogmatikcrs.
Die doginatischc Kritik ist ein Erbteil der klassischen Zeit. Ihr
Aristarch, Brunetiere, hat sie zu modernisieren versucht, indem er ihr ent-
wickelunsrsgoschichtliche, darwinistischo Gruiidlaj^cn g'ab. Aber die wider-
strebende Zeit fügt sich diesem alten Kunstrichtertum nicht mehr.
Die wissenschaftliche und die impressionistische Kritik sind die mo-
dernen Formen literarischer Beurteilung. Es ist bezeichnend, daß diese
beiden divergierenden Richtungen zu gleicher Zeit blühen, ja daß diese
Zeit der eifrigsten wissenschaftlichen Forschung, eines Taine, auch die
des ausgesprochensten Impressionismus, eines Lemaitre, ist.
Die impressionistische Kritik hat ihr gutes Recht, sintemal das Kunst-
werk zum Genießen geschaffen ist. Das Empfinden, dem eine künstlerisch
begabte Persönlichkeit ihr künstlerisches Wort leiht, lebt unausgesprochen
in Vielen. Der Kritiker weckt und befreit es und oft genug begibt es
sich, daß er, der nur ganz persönlich zu sprechen behauptet, den Eindruck
Vieler wiedergibt. Und sein Wort kann zu einer Macht werden, wie z. B.
damals, als Lemaitre sich gegen Ohnets plumpe Kunst erhob (1889). Die
impressionistische Kritik will bloßem Gegenwartsempfinden Ausdruck
geben; sie lehnt geschichtliche Betrachtung ab. Sie mißt auch das alte
Kunstwerk mit dem Maßstab der Moderne. Sie ist lebendig, intensiv, aber
beschränkt Doch führen auch von dieser „critique litteraire" viele Wege
zur „histoire litteraire", denn die Bildung des modernen Menschen ist
geschichtlich, und in Wahrheit ist für ihn Kritik und Geschichte nicht mehr
völlig zu trennen.
Daß bei der wissenschaftlichen Kritik die Gefahr besteht, daß der
künstlerische Wert der poetischen Schöpfung nicht zu seinem Rechte
kommt, zeigt das Beispiel Taines. Daß aber geduldigste literarhistorische
F'orschung und feinstes ästhetisches Empfinden sich auch harmonisch ver-
binden können, zeigt das Beispiel G. Paris'. Dieser Forscher und Künstler
sucht in der Erkenntnis des historischen Werdens auch das \'erständnis
der poetischen Schöpfung. Mit jener Bereitwilligkeit, die lernen und ver-
stehen will, naht er dem fernen Kunstwerk, das ihn erst fremdartig an-
mutet Die geschichtliche Betrachtung „putzt sein Auge" und weitet
seinen Blick, vor dem das Reich der Kunst sich weitet. Neues Genießen
erwächst dem Forscher auf dieser historischen Grundlage und mit ge-
schärftem Blick kohrt er zur Gegenwart zurück, um im Kampfe der im-
pressioni.stischen Urteile die Lehre historischer Gerechtigkeit zu vertreten.
Die moderne Naturwissenschaft erhebt den Anspruch, daß das psy-
chologische (d. h. ästhetische und entwickelung.sgcschichtliche^ Problem des
literarischen Kunstwerks und seines Schöpfers in ihren Bereich falle und
daß sie imstande sein werde, auf dem Wege der experimentellen Forschung
der literarischen Kritik feste Normen zu geben, „deren letzte Fundamente
in der Anatomie und der Physiolog^ie des Gehirns zu suchen sind", wie
366 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Dr. Toulouse sagt. Diese „critique technog^nique" ist über interessante
Apercus bislang nicht .hinausgekommen.
Wen solche Materialisierung der Forschung erschreckt, der mag in
der Erkenntnis Trost finden, daß auf dem Boden des nämlichen Positivis-
mus, der uns diese Materialisierung gebracht hat, längst idealistische Lehren
erwachsen sind, in denen die Macht der Idee {idees-forces) sich siegreich
erhoben hat. Auch in Frankreich sucht die Philosophie der Gegenwart
nach Lösungen, die zugleich monistisch und idealistisch wären. Auch hier
hat der Monismus sich seinen Idealismus geschaffen in den kühnen Büchern
Fouillees und des zu früh verstorbenen Guyau, der seiner Krankheit eine
Philosophie der Lebenstüchtigkeit abgerungen hat. Alle Forschung und
Weltanschauung erhebt sich zu idealistischen Forderungen, weil diese tief
im Menschen begründet sind. —
Die Rhetorik. Deutlich ist in der Literatur der letzten fünfzig Jahre ein Zurücktreten
der Eloquenz, eine geringere Wertung des rednerischen Charakters zu
erkennen. Das wissenschaftliche, sachliche Interesse drängt die Freude
an der rhetorischen Amplifikation, diesem lateinischen Erbteil, zurück: der
elegante Universitätsredner der alten Schule, Caro, verfallt dem Spott des
Lustspiels. In dem selben Maße wird in der Demokratie das Schreiben
und Reden allgemeiner. Jeder schreibt und die Sprache der Literatur,
die einst im akademischen Kanal ruhig dahinfloß, gleicht jetzt einem un-
gebändigten Strom, dessen aus dunkeln Tiefen hervorbrechende Fluten ein
neues Delta bilden. Jeder hält Reden; jeder ist „Conferencier". Die Frei-
heit der Presse hat ihrem literarischen Charakter vorläufig Abbruch getan.
Unter der alten Zensur, inmitten von Verfolgung und Unterdrückung, be-
durfte die politische Opposition größerer Kunst der Rede. Zur Zeit
Napoleons III. war Prevost-Paradol ihr Meister.
Der Geist der Das gauze Geistesleben steht im Zeichen der wissenschaftlichen
Forschung. Sie dringt überall ein, und überall wendet sich ihr die Neu-
gier zu. Erkenntnisgebiete, die in Wirklichkeit nur dem Spezialisten zu-
gänglich sind, werden in gemeinverständlichen Darstellungen dem g'ebil-
deten Publikum aus der Ferne gezeigt. Eine Fülle bunten, dilettantischen
Wissens verbreitet sich wie nie zuvor. Dabei kommen an den Grenzen
der alten Forschungsgebiete neue „Hilfswissenschaften" auf. Es entstehen
Zwischendisziplinen, die von einem Arbeitsfeld zum andern die Brücke
schlagen und die sogenannten Geisteswissenschaften mit der Naturwissen-
schaft verbinden: die Urgeschichte läuft in Anthropologie aus, die Psycho-
logie führt zur Medizin. Überall zeigen sich neue Beziehungen, neue Ab-
hängigkeiten. Es entsteht die Vorstellung einer großen biologischen
Wissenschaft.
Die Ausbreitung dieser Wissenschaft stört alte literarische Besitzrechte.
Das hat besonders die Geschichtsforschung erfahren. Der Historiker
darf heute keine poetischen Synthesen im Stile Thierrys und Michelets,
oder gar Gobineaus mehr wagen, der in seinem „Essai sur l'in^galit^
Wissenschaft.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. »5^
des races humaines" (1853) den Versuch machte, die „Rassentheorie", die
Thierry einst auf die Nationalg-cschichte angewendet hatte, nun auf die
„Geologie niorale" der ganzt-n Menschheit auszudehnen. Die natürliche
Menschheit kenne weder Gleichheit noch Brüderlichkeit: sie bestehe aus
Herren- und Sklavenrassen. Die Geschichte der Menschheit sei die Ge-
schichte des \'ertalls der Herrenrasse der „Arier", die sich auf ihrer kultur-
schaffenden Bahn durch die Welt hin mit den Schwarzen und Gelben
vermischt haben. Gobineau schreibt den pessimistischen Roman von der
Degeneration der „Arier", deren edle Aristokratie in die Wogen eines
demokratischen \'ölkerchaos rettungslos versinke. Die Demokratie be-
schäftigt ihn, wie seinen Freund Tocqueville. Der war ihr exakter
Historiker; Gobineau aber ist ihr leidenschaftlicher Ankläger. Er ist ein
aristokriitischer Rousseau, der den Roman vom Sündenfall — nicht der
Menschheit sondern ihrer Herrenrasse schreibt Die Franzosen haben
der Botschaft Gobineaus wenig Beachtung geschenkt; in Deutschland aber
hat sie eine Gemeinde gefunden.
Wie die Forderungen exakter Darstellung heute den ernsten Forscher Piutei
beeinflussen, das zeigt die Lebensarbeit Fustels de Coulanges. Er hat «i" Co»**»»»^
1864 mit einem literarischen Meisterwerk begonnen, in welchem er die
Entwickelungsgeschichte der antiken Stadtstaaten erzählte {La Citc
antiijiie), in deren Zentrum er als Agens den Wandel der religiösen An-
schauungen stellte. Das Werk ist wie ein antiker Tempelbau von strenger
Schönheit, harmonisch, weihevoll. Aber es ist nicht die Geschichte der
antiken Religion. Es ist die kühne Konstruktion eines schartsichtigeii,
leidenschaftslosen Forschers, der allen unsachlichen Schmuck verschmäht
und für den das einzelne Geschehnis und das Individuum nur den Wert
eines entwickelungsgeschichtlichen Zeugnisses haben. Darauf hat die Kritik
die sich gegen ihn erhob, Fustel ängstlicher gemacht. Von der Höhe
weltgeschichtlicher Synthese ist er zu monographischen Untersuchungen
herabgestiegen und von psychologischer zu wirtschaftlicher Erklärung der
staatlichen Umwälzungen fortgeschritten. Damit hat er seit 1S85 die Er-
forschung der Merovingerzeit völlig erneut {Hisioire des institutions polt-
tiqucs (ü Vancienne France); doch künstlerisch Wertvolles wie die „Cit6
antique" hat er nicht mehr geschaffen.
Es ist für den Geist der Epoche bezeichnend, daß sie gleichzeitig drei
monumentale Werke geschichtlicher Forschung hervorgebracht hat, die
sich mit Ursprungsfragen beschäftigen: Renans Entwickelung des Christen-
tums, Fustels und Taines Entwickelung des alten und des modernen
Frankreich.
Wenn aber die Wissenschaft alte literarische Besitzrechte stört, so
erschließt sie anderseits der Literatur auch neues Land, das nun des
künstlerischen Bebauers harrt. Denn die Wissenschaft selbst ist keiner
Kunst Feind, auch nicht der literarischen. Wohl aber hat sie das Publi-
kum kritischer gemacht und damit die Kunst selbst höher gehängt Daß
2 68 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
indessen angesichts der Forderungen der exakten P^orschung' auf dem
Gebiete der Geschichtschreibung es fortan nicht mehr mögUch sein
werde, die Synthese zu einem Kunstwerk zu gestalten, ist ein Irrtum.
Wohl triumphiert heute die historiographische Unkunst mit ihren Kollektiv-
arbeiten. Aber zwischen dieser formlosen Gelehrsamkeit und den Erfin-
dungen des historischen Romans ist noch Platz für die lebensvolle Synthese
aus einem Gusse. Sie wird freilich nur die Schöpfung eines ungewöhn-
lichen Menschen, eines Künstlers der Forschung, sein. Doch werden auch
der zukünftigen Wissenschaft wieder Männer erstehen, die durch die
Tore der Forschung ins Reich der Kunst einziehen und hier weiter leben,
auch nachdem die Zeit ihre Forschung überholt haben wird.
Beim Rückblick auf diese Periode heben sich besonders die sechziger
Jahre ab, in deren Mitte Renans „Vie de Jesus" (1863), Taines „Histoire
de la litterature anglaise" (1863 — 69), Fustels „Cite antique" (1864) und
G. Paris' „Histoire po^tique de Charlemagne" (1868) sich folgten und sich
zu einem profanen Chor von Stimmen aus dem heidnischen und christ-
lichen Altertum, aus dem gläubigen Mittelalter und der aufklärerischen
Neuzeit zusammenschlössen — gerade in der Zeit, da Rom seinen Wider-
spruch gegen diese moderne Wissenschaft in jenem „Syllabus" verkün-
dete (1864), der die „praecipuos nostrae aetatis errores" zusammenfaßte.
Der Gegensatz hat sich seither verschärft. Er ist in Frankreich zum
Kampf um Staat und Gesellschaft geworden und man spricht heute von
den „deux Frances", die einander unversöhnlich gegenüberstehen: dem
Frankreich des Syllabus und dem der freien Forschung. Der Kampf ist
so allgemein und leidenschaftlich geworden, daß er den Schriftsteller von
seiner literarischen Arbeit herunter in die Arena des öffentlichen Lebens
ruft, damit er in dem großen Ringen Partei ergreife. Wie viele sind seit
zehn Jahren diesem Rufe gefolgt unter der Führung von Brunetiere oder
Zola, Lemaitre oder A. France!
Der Einfluß des Die französischc Literatur dieser Zeit steht unter mannigfachen aus-
ländischen Einflüssen, freilich nicht sowohl romanischen als germanischen
und slavischen. Italien und Spanien üben, trotzdem die literarhistorische
Forschung und der Universitätsunterricht Frankreichs sich neuerdings
eifrig mit ihnen beschäftigen, keine literarische Wirkung aus.
Deutschland hat mit Hegel und Schopenhauer auf Wissenschaft
und Kunst (Naturalismus) gewirkt, mit Nietzsche den Individualismus ge-
fördert und mit R. Wagner nicht nur die Musik erst beherrscht (etwa
1880 — 95) und seither bestimmt, sondern zugleich in der Dichtung den
Symbolismus heraufführen helfen, nachdem die Lyrik auch durch Heines Kreise
geschritten war. Über die großen und die kleinen Ereignisse des literarischen
Lebens Deutschlands referierte in der „Revue des deux mondes" bis zum
Kriege (1843— 1869) jährlich der kundige Saint-Rene Taillandier.
Englands Einfluß ist durch die Studien Monteguts und das Beispiel
Taines neu belebt worden. Außer Darwin befruchtet Stuart Mill und Spencer,
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach iSjo. ^50
die selbst von Comte gelernt, den französischen Gedanken. Von Dickens'
humorvoller Kleinmalcrci, liliot.s moralisierendem Realismus, Poes Phan-
tastik gingen sehr verschiedene, aber tiefe Wirkungen auf Roman und
Lyrik aus. Und England, die alte Heimat realistischer Kunst, sandte
Frankreich auch die zarten symbolischen Gebilde und das künstlerische
Priestertum der Präraffaelliten.
Skandinavien hat mit Ibsen der französischen Dramatik neue Im-
pulse gegeben.
Rußland hat nicht sowohl durch den Kosmopoliten Turgeniew, als
durch Dostojewski und Tolstoi neue und tiefe künstlerische Erlebnisse ge-
bracht. Ihr \'crmittler war de Vogüe. Sein Buch „Le roman russe"(i886)
war ein literarisches Manifest. Wie einst Frau von Stael der im Kon-
ventionellen erschöpften französischen Literatur die frische Ursprünglich-
keit des deutschen Schrifttums erschloß, so verweist hier de Vogüe die
im Naturalismus sich erschöpfende Erzählungskunst seiner Landsleute auf
das Beispiel der Russen. Die literarische Annäherung an das Zarenreich
soll gleichsam den Zweibund bekräftigen. Dem französischen Naturalis-
mus fehle die Liebe zur leidenden Menschheit; er sei mitleidlos und ent-
mutigend; er wirke lähmend. Die Kunst der großen Russen aber sei —
wie der englische Realismus einer Eliot — voll Erbarmen und mensch-
licher Erregung. Der starke Glaube eines jugendlichen Volkes lebe in
ihr und erwärme sie. Dostojewskis ergreifende Schilderung furchtbaren
Leidens wecke nicht Verzweiflung, sondern Werktätigkeit, wie der Pessi-
mismus Tolstois. De Vogües Buch ist ein Datum in der Geschichte des
französischen Naturalismus. Seine Wirkung aber der an die Seite zu
setzen, die einst von „De l'Allemagne" ausgegangen war, ist eine starke
Übertreibung.
Sieht man von den tausend vereinzelten, zufälligen und ephemeren
Beziehungen ab, welche Dichter und Werke der verschiedenen Nationen
verbinden und hält man sich an die großen Züge des wirklich Be-
stimmenden und Dauernden, so kann man sagen, daß die moderne
französische Lyrik von Deutschland und England, der Roman von Ruß-
land und England und das Theater von Skandinavien aus orientiert
worden ist. Das wissenschaftliche Denken hat von Deutschland und
England tiefe Anregungen erfahren. Die übrige Romania aber, Italien
und Hispanien, sind an der Schaffung dieser neuen literarischen Werte
nicht beteiligt. Sie sind Frankreich gegenüber die Empfangenden.
So hat Gallien innerhalb der Romania immer noch die Führung; es
selbst aber ist den „nordischen" Literaturen tief verpflichtet.
An der befruchtenden Arbeit der lit<'rarischen Vermittelung haben
sich Viele beteiligt, insbesondere auch Kritiker schweizerischer Herkunft
wie die protestantischen Theologen A. Vinet (f 1847) — dessen kritische
Arbeiten erst nach seinem Tode erschienen — und Ed. Scherer (f 1889).
Die KtiTini Dim GioncwAiiT. L 11. 1. i*
370
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Die Bildung Vinets ist von Deutschland stark bedingt Dieser fromme,
gedankenreiche Mann, der überall religiösen Fragen nachgeht, dringt tief
in Menschen und Werke ein. Er hat wohl nur wenige, darunter aber die
einflußreichsten, wie Brunetiere, beeinflußt. Der skeptische Scherer hat
den Kürchenglauben, aber nicht die theologische Art überwunden. Mit
seinen ausgebreiteten Kenntnissen wurde er ein kosmopolitischer Kritiker
von ausgesprochener Eigenart. Er ist ein Denker; aber sein Scharfsinn
hat etwas Starres, Kältendes und so ist seine Wirkung beschränkter ge-
blieben, als die Bedeutung seines hervorragenden Geistes verdiente. In
neuerer Zeit sind besonders die Zeitschriften der Jungen, der „Mercure de
France" an der Spitze, im Dienste der literarischen Verständigung tätig.
Dreißig Jahre nachdem Dumas seine berüchtigte Vorrede zu einer neuen
Faust-Übersetzung (1873) geschrieben und in der Schmähung Goethes
eine unrühmliche Rache für 1870/71 genommen, bringt „L'Ermitage, revue
mensuelle de litterature ", Aufsätze über „La sagesse de Goethe", in
denen Goethe als großer Lebenslehrer gepriesen wird. Aus dem
französischen Universitätsunterricht gehen vortreffliche Arbeiten zur Ge-
schichte der deutschen und englischen Literatur hervor. Und heute be-
müht sich Frankreich auch um gute Übersetzungen der führenden Werke
des Auslands. Die „Collection d'auteurs ^trangers" des „Mercure de
France" bringt Nietzsche und Carlyle, Kipling und Gorki.
Die Chauvinisten beklagen diesen Import als eine Gefährdung- des
„genie francais" und leugnen die befruchtende Wirkung einer literarischen
Annäherung zwischen romanischem und germanischem Europa. Es ist
zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen über den Kosmopolitismus
und das „genie francais" oder — wie die Franzosen heute nach „nor-
dischem" Vorbild sagen — der „äme francaise". Die Lehren der Ge-
schichte sind dabei oft genug verkannt worden, stellt doch z. B. Lemaitre
die „litteratures du nord" mit Ibsen, Tolstoi, Nietzsche als französische
Ableger dar. Dagegen hat J. Texte (f 1900) ruhig und sachlich der ge-
schichtlichen Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen. —
Die Lyrik. Die vicrzigcr Jahre hatten keine erhebliche lyrische Ernte gebracht.
Hugo schwieg. Das heitere Glockenspiel der B an vil leschen Reime
setzte ein (1842—46). Es läutet die Romantik aus und präludiert der Lyrik
der Parnassiens. Banville setzt die Wortdichtung Hugos fort: der sonore,
kecke, seltsame Reim ist der Erzeuger und Träger seiner Inspiration.
Er ist der Jongleur des Reims und schreibt einen „Petit traite" dieser
Jonglierkunst. Er liebt das romantische Adjektiv und singt von etoiles
sonores und von einem sourire vermeil. Aber seine überschäumende
Lebenslust dränget ihn zum heidnischen Altertum, das die Romantiker,
besonders Hugo, geflissentlich mieden. Ein schöner Arm ist für ihn, wie
für Gautier, ein bras payen. Er folgt Gautier auch in den kunstvollen
Ziselierungen seiner Verse und nennt sich selbst ouvrier et artiste. Es
ist feinstes Kunsthandwerk, das er auch auf der Spur Ronsardscher
F. Das I'). Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^--i
„Odelettes", Heinescher Lieder, Villonscher Balladen spit-lond übt. So
wurde er zu einer Art Workmoister soincr Zeitgenossen.
Die neue Lyrik geht Hand in Hand mit einer Rcnais.sance des /Vlter-
tums. Man wird an die Zeiten Ronsard.s erinnert. Die Muse wird auf den
Parnaß zurückgetiihrt , von dem sie mit Lamartine herabgestiegen war.
Leconte de Lisle (1818 — (),}), dessen „Po«';mes antiqucs" 1852, dessen i>oc«n« d« u«j«>
„Poemes barbares" 1862 erschienen sind, ist der mächtigste Gestalter
dieser neuen Lyrik, die vom Übermaß des Individualismus, vom Über-
schwang der Herzensergießungen und Geständnisse zu gemessener Hal-
tung zurückkehrt; die die innere Erregung nicht erstickt, aber zügelt und
zurückhält, den persönlichen Aufschrei dämpft. Sie erscheint mit ihrer
verhaltenen Emotion den Überschwänglichkeiten der Romantiker gegen-
über kühl, „inipassible". Man vergleiche die knappe Schilderung leiden-
der Tiere bei Leconte mit den wortreichen Ergüssen von Hugos „Cra-
paud". Leconte spottet der „montretirs'\ die ihr Inneres in gefühlvollen
Versen vor dem großen Publikum zur Schau stellen. Den Schmerz des
Daseins hat auch er empfunden, aber er gießt ihn nicht in persönliche
Klagen, sondern er gestaltet ihn in grandiosen Bildern, die er fem ab
von sich in alte Zeiten und entlegene Länder rückt, zu den Hindus,
in die Wüste, in seine tropische Heimat, nach Ägypten, ins alte Hellas.
Von vornehmer Unpersönlichkeit soll die Dichtung sein. Sie soll, wie die
Philosophie des Positivismus, auf „innere Beobachtung" verzichten.
Nicht komplizierte Odenstrophen, sondern die Rhj-thmenfülle des ver-
jüngten Alexandriners und das gemessene Sonett sind die B'ormen seiner
Dichtung. Leconte birgt seine Erregung in lyrischen Gebilden von
strengen Linien, satten Farben und von plastischer Geschlossenheit und
zeichnet, koloriert, .skulpiort mit einer unermüdlichen Sorgfalt und einer
malerischen Präokkupation, für welche Gautier das N'orbild gab. Andr6
Ch^niers Beispiel hat ihn schon in der Jugend dem Altertum zugeführt.
Es ist für ihn die ewig junge Lehrerin der Schönheit und die weise
Gegnerin des Christentums: er preist Hypatia — die Aphrodite mit dem
Geiste Piatos — und schmäht den Galiläer. Die Lokalfarbe seiner Dich-
tung ist ernster, sorgfältiger als bei den Romantikem, die im Über-
schwange der Phantasie .so oft übereilt zu falschen Farben griffen. Das
üppige Kolorit Lecontes erscheint oft gelehrt, studiert, wie das Flauberts:
man meint oft Verse zu „Herodias" oder „SalammbA" zu hören. Auch die
Häufung der exotischen Namen verrät das Gewollte dieser gelehrten,
aristokratischen Dichtung, die, eigenwillig, dem Leser in keiner Weise
entgegenkommt; die aber, der Erweiterung der Wi.ssenschaft entsprechend,
nicht mehr bloß Philologendichtung ist, wie einst die Poesie Ronsards,
sondem auch Ethnologie und Zoologie, nicht nur „poemes antiques",
sondem auch „poemes barbares" umfaßt. Wenn Leconte die Berührung
mit dem Meinungsstreite des Tages als vulgär meidet, so sucht er doch
den Zusammenhang mit der Wissenschaft. Von der neuen Wissenschaft ge-
24 •
\1^
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
leitet soll die neue Kunst die Menschheit neu darstellen. Diese neue Wissen-
schaft aber hat den Menschen aus seiner privilegierten Stellung, die er
bisher im Zentrum der Schöpfung eingenommen, hinausgedrängt und die
ursprüngliche Einheit der organischen Welt entwickelungsgeschichtlich er-
wiesen. Nun sollte auch die neue Dichtung den Weg der Wissenschaft
gehen und aufhören „anthropozentrisch" zu sein. Sie sollte die große
Einheit des Lebens aufweisen, das durch die Tierwelt, durch die prä-
historischen Zeiten, durch untergegangene und exotische Kulturen flutet
und alles in den nämlichen Kreislauf des Genießens und Leidens zieht.
Es ist die selbe naturwissenschaftliche — hier optimistische, dort pessi-
mistische — Weltanschauung, es ist der nämliche „Naturalismus", der
Vignys „La mort du loup" (1843), Michelets „Oiseau" (1856) und Lecontes
„Vipere" geschaffen hat: die nämliche Sympathie mit der ganzen unteil-
baren Schöpfung. Der Naturalismus führt auch in der Lyrik dazu, das
Ich aus seiner herrschenden Stellung zurückzudrängen und es den Lebens-
gesetzen, w^elche die Wissenschaft entdeckt hat, unterzuordnen.
So hat Lecontes Lyrik gleichsam drei Komponenten: Cheniers
Hellenismus, den pessimistischen Naturalismus des alternden Vigny und
die Formenpracht des Malers Gautier. Dabei reiht Leconte ein Lebens-
und Kulturbild an das andere, durchwandert Zeiten und Länder und
schafft eine pessimistische Epopöe des Lebens, wie Hugo in der „Legende
des siecles" eine optimistische Epopöe der Menschheit begonnen hatte.
Solch epische Einkleidung lyrischer Stimmung war übrigens nicht neu:
Lamartine hatte schon in den dreißiger Jahren dafür das Beispiel gegeben.
Nun ist es fesselnd zu sehen, wie die beiden Dichter Hugo und Leconte,
die zwei verschiedene Kunst- und Weltanschauungen verkörpern — der alte
Romantiker in seinem Exil auf Guernesey und der Parnassien, der um
1860 die Jugend um sich schart — ihr hohes poetisches Können an die
Lösung ähnlicher Aufgaben setzen. Frankreich verdankt diesem Wett-
eifer machtvolle und originelle Schöpfungen. Der Zeit entsprach Lecontes
Kunst besser; er wurde der Führer der neuen Lyrik.
Der „Parnasse" Unter Seiner Ägide erschien 1865, und von neuem i86g und 1876,
„Le Parnasse contemporain, recueil de vers nouveaux" mit Beiträgen von
mehreren Dutzend Poeten. Der Titel, der von C. Mendes stammt, ward
zur Devise. Die Mitglieder dieses „Parnasse" haben einen gemeinsamen
Zug; eine förmliche Schule bilden sie nicht. Dieser gemeinsame Zug ist:
die Ablehnung jener Formlosigkeit, zu der schon Lamartine und Musset
das Beispiel gegeben, und der Kampf gegen die gedankliche und formelle
Zuchtlosigkeit, die im Gefolge Hugos bei seinen turbulenten Nachfolgern
überwucherte. Das Dichten sollte aus einem Schwelgen und Delirieren
wieder eine Arbeit werden; zum Poeten, der „wie der Vogel singt", sollte
wieder der selbstbewußte Künstler treten, der Wort und Gefühl meisterte,
statt sich von ihnen meistern zu lassen. So hatten einst Ronsard und
Dubellay des ungelehrten Marot Formlosigkeit mit Eifer bekämpft. Die
und die
Pomassiens.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. xTl
Ablehnung aller Banalität der Form, die Betonung einer strengen Technik
ist den Parnassiens gemein.sam und ihr „Parna.s.se" schließt einen großen
Reichtum herrlicher Sprachkunst in sich. Sie reagieren gegen die Romantik.
Aber im übrigen welche Verschiedenheit in dieser sogenannten „Ecole
parnassienne"!
Die einen folgten Leconte de Lisle mit seiner aristokratischen Poesie.
So L^on Dierx und H6r6dia, beide Söhne der Tropen wie ihr Meister
und beide sehr große Künstler, Leconte völlig ebenbürtig. H6r6dia bildet
fast nur noch Sonette; er zwingt seine Kunst ganz in diese straffe Form
und schafft im Laufe von 30 Jahren ein Hundert leuchtender Kleinodien,
deren Schrein er 1893 „Les Troph^es" überschreibt.
Andere, wie Sully Prudhomme, verfolgten das hohe Ziel der Ver- s»uy
P ffti (4 Kit fn mJi
bindung von Poesie und Wissenschaft und wollten mit edlem Streben und
vornehmer Kunst aus der Dichtung eine Führerin des Menschen auf dem
Wege zu einer modernen Weltanschauung machen. Doch sucht schon
die Mitwelt die Lehre des würdigen und tatkräftigen Pessimismus Sully
Prudhommes mehr in seinen kleinen Gedichten, die der Darstellung des
inneren Lebens gewidmet und von des Dichters Persönlichkeit ganz erfüllt
sind. Hier steigt er, vom milden Schein der Traurigkeit geführt, in die
tiefsten Tiefen der Seele. Magische Worte und herrliche Strophen fügt
er zu Gebilden von höchster Zartheit und Feinheit zusammen, deren sym-
bolische Bedeutung der Klarheit der Form keinen Abbruch tut.
Diese Klarheit der Form, die Frucht einer zielbewußten, unermüd-
lichen Bearbeitung edeln Sprachmaterials, das Produkt sprachlicher Gold-
schmiedkunst, ist das Gemeinsame der parnassischen Dichtung. Der
„Parnasse" war die technische Hochschule der durch die Romantik
befreiten französischen Dichter. Der Gefahr, daß die künstlerische Technik
zu einseitig betont werde, ist der „Parnasse" nicht entgangen. Der Vor-
wurf, daß bei der blendenden Wiedergabe des Sichtbaren die unsichtbare
Welt des Gedankens, des Traumes, der Töne — kurz die Poesie leide,
ist ihm mit Recht gemacht worden. Und aus seinen eigenen Reihen
entstanden ihm nach 1880 Widersacher in der Person Mallarm^s und
Verlaines.
Früh hatten sich nämlich zu der klaren kastalischcn Quelle des B«oa«uir»
Parnasses die trüberen Wellen der Dichtung Baudelaires (i 821- 1867)
gesellt Man braucht für die „Fleurs du mal" (1857) keine Sympathie zu
empfinden, um zu erkennen, daß ihr Verfasser eine bedeutsame Erschei-
nung in der Entwicklung der neueren französischen Dichtung ist, wäre
es auch nur deswegen, weil er die Werke Edgar Poes den Franzosen
gebracht (1855) und ihnen Richard Wagners Ruhm vorausgesagt hat.
Baudelaire hat dazu beigetragen, den Sinn für Musik in der Dichtung
wieder zu erwecken; auf musikalischer Eingebung beruhen seine „Petits
poemes en prose" (1861), die so reiche Nachfolge finden sollten. Sein Poe
aber offenbarte den Franzosen eine Stimmungsgewalt, die den Hoffmannschen
374
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Zauber in Schatten stellte. Die Angst- und Schreckensvisionen Poes, die
in ihrer Kunst und ihrer Aufrichtigkeit gleich ergreifend sind, bahnen
einen Weg aus der Wirklichkeit zu einer mystischen Traumwelt, den dann
Viele gingen, um in Versen und Prosa das Gruseln zu lernen und zu
lehren. Aber was bei dem unglücklichen Amerikaner die Gebärde und
der Schrei der Natur war, wurde bei den Nachahmern leicht zur Pose
und Grimasse. Auch Baudelaire lernte von ihm — doch sind seine
„Fleurs du mal" größtenteils älter. Das will heißen, daß Poe den
Baudelaire nicht geschaffen, sondern nur geleitet hat. Beide sind, mit
Hoffmann, verwandten Wesens. Wenn Hoffmann von sich sagt, daß er
„im Zustande des Delirierens, der dem Einschlafen vorausgeht, eine
Übereinstimmung der Farben, Töne und Düfte finde", so hört Baudelaire
im Sonett der „Correspondances", wie in langen fernen Echos
Les parfums, les couleiirs et les sojis se repondent.
Der junge Baudelaire ist eine sensible Künstlernatur. Das Verlangen
sich auszuzeichnen spricht schon aus seinen jugendlichen Paradoxen. Er
sah und fühlte anders als seine Freunde, sagt Gautier. Aus Freude am
Renommieren und Mystifizieren hat er sein Leben wohl zügelloser
erscheinen lassen, als es wirklich war. Sicher ist, daß dies Leben ihm
physische und seelische Zerrüttung gebracht hat. Er ist ein Kranker und
nimmt Narkotika. Im künstlichen Glück des Rausches sieht er weite
mystische Horizonte und tiefe Abgründe des Daseins. Diese enttäuscht
und verzweiflungsvoll zu malen, steht ihm reiche pamassische Kunst zur
Verfügung. Er wendet sie mit diabolischem Behagen an die Schilderung
des Ekels seiner Existenz und man wird den Eindruck nicht los, daß
dieser Künstlichste der Künstler dabei posiert. Gewiß hat Baudelaire
schöne und tiefe Gedichte geschrieben. Er kann von Liebe und Sterben
singen wie ein Poet; dann aber schildert er wieder mit tadelloser Mache —
nicht die Majestät des Todes, sondern das Verrecken und den Gestank
des Aas. Es ist der Triumph des Vart pour Vart. Die 14 Goldspangen
des Sonetts glänzen im Schmutz.
Baudelaire hat selbst auf die Zeit des sinkenden römischen Reiches
als auf eine Art geistiger Heimat hingewiesen. Er fühlte sich als Zeit-
genosse jenes Verfalls {decadence) einer raffinierten Zivilisation mit ihren
künstlichen Formen eines überreifen Lebensgenusses. Das Morbide mit
seinem penetranten Parfüm, seinem fahlen Glänze, seinen sich zersetzenden
Formen zog ihn an. Aus seinen Büchern spricht die Lehre, daß das
Krankhafte vornehmer ist als die vulgäre Gesundheit. Der christliche
Mystiker Pascal hatte einst von der läuternden, vergeistigenden Krankheit
ähnliches gesagt, da sie ihm neue Welten der Jenseitsfreude erschloß; dem
Mystiker Baudelaire erschloß sie neue Welten irdischen Genusses. Aber
auch er ist gläubig. Der Schauer des Kirchenglaubens ist die natürliche
Ergänzung seiner Sünde und bildet das Echo seiner Lästerungen und
Verwünschungen. Die schwarze Messe bedarf der Liturgie und des Glaubens.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850, 37 e
Die Poesie, welcher der RonKintismus und der „Parnasse" die ganze
innere und äußere Welt erschlossen hatten, fing mit dem kranken (nevrose)
Baudelaire an, bis an die Grenzen dieser Welten vorzudringen. Wie
harmlos erscheint von hier aus die Poesie des Grotesken, für deren Recht
der gesunde Hugo einst so stürmisch kämpfen mußte; wie harmlos die
schlichten Klagen des unglücklichen Musset, Auch seine Dichtung, wie
die Heines, war dem Leiden entstiegen, das ja der tiefste Quell aller
Poesie ist. Aber Baudelaire hat mit seinen kranken Nerven auf Eindrücke
künstlerisch reagiert, die bis jetzt bei allen andern nur kunstwidriges
Unbehagen hervorgerufen hatten.
Seine Kunst ist der literarische Ausdruck der Neurose. Als
einzelner Krankheitsfall sind Mann und Werk zunächst wie etwas
Seltsames, Unerhörtes angestaunt worden. Dann wurde es offenbar, daß
hier nur das Sympton einer allgemeinen Erkrankung der Zeit vorlag.
Denn Baudelaires Beispiel wirkte kontagiös. Bei der Generation, die auf
den großen Krieg folgte, fand er Schüler, für welche Champsaur den
Namen „Decadents" aufbrachte. Für diese wurde er ein Lehrer der
Schwäche und Perversität. Die Gigerl der Neurasthenie sahen in ihm
die künstlerische Rechtfertigung ihrer Haltlosigkeit und komponierten sich
die blasierte Miene, den müden Gang und den wollüstigen Tik der Taten-
losigkeit. Künstlerisch Wertvolles ist kaum hervorgegangen aus dieser
Schule der Dekadenz, deren Adepten sich als weihrauchduftende Dandys
der Sünde gebärdeten und in einem Tempel, den sie dem Teufel gebaut,
zu Gott beteten.
Th. Gautier hatte einst von „robuster Kunst" {i'arf robuste) gesprochen Die symboiin«
und robust war bei aller Feinheit die Kunst der Pamassiens. Aber gerade
die Fülle ihrer Formen und der Glanz ihrer Farben führte zur Über-
sättigung. Die Extremen, wie Baudelaire, ersetzten die robuste Gesund-
heit durch Krankheit und Fäulnis; die Gemäßigten begnügten sich, Fülle
und Glanz des Lebens zu mildem und die Schärfe der sichtbaren Bilder
in verschwimmende Konturen und zarte Farbentönc aufzulösen. Zu gleicher
Zeit wies England durch Lehre und Beispiel seiner PrärafFaelliten vom
Farbcnglanz der klassischen Malerei auf die zarte innige Kunst der
Primitiven hin. Das Auge war gleichsam müde geworden. Es schloß
sich und der Blick wandte sich nach innen. Schon Baudelaire und Sully
Prudhomme hatten das Beispiel dieser „innem Beobachtung" gegeben.
Dieser hatte melancholische Lebensfreude, jener quälende Lebensangst
dargestellt Andere, weniger glänzende Dichter der vic inivrüurc hatte
es immer gegeben, z. B. den Genfer H.-F. Amiel, der seinen Weltschmerz
in formlose Verse goß. Nun erschien 1883 dessen posthumes „Journal
intime", die Beichte eines ganz nach innen gewandten Lebens, eine Beichte
von unerbittlicher Aufrichtigkeit und fast krankhafter Penetration. Amiel,
der in Deutschland gebildet worden war, ist eine Hamletnatur, die bei
dem schmerzlichen Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen sich ins
376 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Reich der Träume flüchtet. Seine Taten sind des ctats d'äme. Das
Problem seines Lebens gehört zu denen, die mit VorUebe germanische
Darsteller beschäftigt haben. Der große Erfolg seines „Journal" bedeutet
einen neuen kräftigen Einschlag deutschen Geistes. Wagners Tongewalt
entfesselte das Sehnen nach musikalischer Gestaltung der vie Interieure
und das Beispiel des Volksliedes mit seiner musikalischen Technik und
seinem Stimmungsgehalt wurde wirksam. Hier wurde der poetische
Reichtum, der in dem herrUchen Volksliederschatz Frankreichs ruht, zum
erstenmal literarisch fruchtbar.
So schloß sich gleichsam das Auge des französischen Dichters. Er
begann nach innen zu lauschen — auf Melodien zu lauschen, die aus dem
Reich der Träume zu ihm herüberdrangen. Die Lyrik war lange malerisch
(visuell) gewesen; nun wurde sie musikalisch (auditiv). Lamartine kam
wieder zu Ehren.
Die neuen Poeten nahmen die ganze Unbestimmtheit und Ungebunden-
heit der musikalischen Suggestion für sich in Anspruch. Wie die Roman-
tiker einst gegen die Fesseln des Klassizismus revoltiert, so revoltierten
diese Modernen gegen die technische Zucht des „Parnasse". Freiheit der
Form! hieß es von neuem. Und diesmal ging die Forderung viel weiter
als 1830 — bis zur völligen Auflösung der Form. Denn nicht nur das
gute Recht des poeme en prose und seiner rhythmischen Prosa wurde
gefordert, sondern der französische Vers selbst wurde von der Tradition
gelöst. Es fielen mit Verlaines „Sagesse" 1880 nicht nur seine letzten
Fesseln, sondern auch seine natürliche Ordnung wurde schließlich
zerstört. Der Aufbau wurde völlig frei, die Mischung kurzer und langer
Zeilen völlig regellos. Und seit G. Kahns „Les palais nomades", 1887,
wurde der Vers geradezu auseinandergezerrt, ausgerenkt und gebrochen.
Für diese amorphen Gebilde kam die Bezeichnung „vers libres" auf, mit
der einst bloß jene bescheidenen Freiheiten benannt worden waren, deren
Lafontaine und Moliere sich bedient hatten. Es herrschte keine allgemein
verbindliche metrische Vorschrift mehr. Es herrschte ausschließlich das
individuelle Gefühl, der „musikalische Gedanke" des Poeten. Der Reim
wurde aus seiner sonoren Herrschaft verdrängt und neben bloßer Assonanz
und Alliteration als willkommenes Klangelement frei verwendet. So
persönlich wurde diese rhythmische Form, daß sie dem allgemeinen
Empfinden sich entzog und ihr Genuß auf den Kreis der Eingeweihten
{vers-libristes) sich beschränkte.
Der Form folgte der Lihalt. Bild und Gedanke verflüchtigten sich.
Sie sollten nicht schildern noch erklären, sondern bloß andeuten und
anklingen. Der Dichter sollte in Symbolen reden [symboliste) — was
schließlich ja alle Kunst tut, was aber von den Poeten dieses „dolce Stil
nuovo" unter ängstlicher Vermeidung der expression direde in einem
besonderen ätherischen Verfahren geübt wurde. Nicht bestimmte Vor-
stellungen, sondern nur Empfindungen {etats d'äme) sollten im Leser
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^-7
geweckt werden und am Ende kleidete der Poet seine Träume überhaupt
nicht mehr in zusammenhängende Sätze, sondern hing sie an bloße Wort-
klänge, bei deren vagem Schall nun auch der Leser den Traum nach-
träumen sollte — wenn er konnte. Das Gedicht ward gleichsam zum
Musikstück, das nicht mehr verstanden, sondern nur noch gefühlt werden
sollte, und dem Hingeweihten verbanden sich die Klänge mit Farben- und
Duftvisionen (Synästhesien).
So überschritten die Individualisten der „Poesie nouvelle" mit ihren
freien Versen und ihrer Schwer- oder Unverständlichkeit vielfach die
Grenzen der Dichtkunst und weckten berechtigten Spott. Die Formlosig-
keit und Dunkelheit, der sie verfielen, ist nicht lateinische Tradition. In
ihrem Mißbehagen hat die französische Kritik nicht ohne Grund darauf
hingewiesen, daß unter diesen neuen Poeten die frauzösisierten Ausländer,
besonders germanischer Schattierung (Belgier, Amerikaner) stark vertreten
sind. Es handelt sich tatsächlich um eine kosmopolitische (germanische)
Krisis der französischen Lyrik.
Die Literaturgeschichte nennt diese Dichter die Symbolisten. Sie
selbst haben den Namen einst approbiert (1885); doch ziehen sie heute
die vagere Bezeichnung der „Poesie nouvelle" vor. Mit Decadents
mag die krankhafte Abart des Baudelairisme benannt bleiben.
Der Bahnbrecher des Symbolismus ist Verlaine, den das Leben vom verUiaa.
schmalen Kunstpfade Lecontes und Banvilles abgedrängt hat Einem
Schüler, H. de R^gnier, der ihn um technische Anleitung bat, schrieb
er: Tout est bei et bon qui est bei et bofi, (Tou qicil victnic et par quclque
proccde qti'il soif obtenu. Dieser Freiheitslehre hat er in einem „Art
po6tique" von 36 Vierzeilern einige Richtlinien beigefügt: De la
musiqiie avant tonte chose . . . pas la couleur, rien que la nnance. Er
empfiehlt den kapriziösen Rhythmus der Verse mit ungerader Silbenzahl
(^L^ers impairs), den leichten Reim. Er verdammt den Esprit und die
Rhetorik des disconrs en verSy die das poetische Helldunkel zerstörten.
Manches hört sich wie ein Echo der schlichten Technik des Volksliedes.
Aus dem Schmutz und Elend seines Lebens, das ihn von der Kneipe ins
Gefängnis und Krankenhaus führte, hat dieser moderne Villon in lichten
Tagen und in den Zeiten wahrer Reue Lieder ergreifender Sehnsucht,
erschütternder Klagen und naiven Herzensglaubens zu Gott und Menschen
ausgesandt. Er ist ein Schöpfer wunderbarer Rhythmen und keiner hat
in Frankreich mehr als Verlaine, der „Poete maudit", den Ton des Volks-
lieds getroffen. Mallarme hat im Gegensatz zu Verlaine das Beispiel M*u*rmo.
persönlicher Würde gegeben. Der Träumer hat die Dichtung aus dem
Lande der schönen Verse und der rhythmischen Prosa, wo er selbst sehr
wohl zu Hause war, hinübergeführt ins Xebelreich der bloßen Klänge und
der Unverständlichkeit. Er hat die Preziosität des Symbolismus theoretisch
und praktisch begründet Andere sind ihm zögernd oder entschlossen
gefolgt und ihre Extravaganzen haben den Symbolismus kompromittiert.
378 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Die „Poesie Die begabtesten, wie H. de Regnier und Ch. Guerin, sind bald davon
nouveUe". zuTÜckgekommen und schenken uns Lieder, die von freiem Baue sind,
ohne die Verständlichkeit ihres Rhythmus zu gefährden, und die voller
Harmonie und Stimmungsgehalt sind ohne die Verständlichkeit des Ge-
dankens zu zerstören. Dabei kann man bemerken, wie die Verwendung
kunst- und zwangreicher Gebilde [ballades, rondeaux etc.) schwindet. Nur
das Sonett bleibt.
Es ist das Verdienst der germanischen Krise, die der Symbolismus
der französischen Poesie gebracht hat, daß Sinn und Verständnis für eine
freiere poetische Technik geweckt und so für eine neue Lyrik Platz ge-
schaffen ist. Die unromanischen Übertreibungen, die mit untergelaufen
sind, werden von selbst verschwinden. Übrig bleiben wird ein lyrischer
Vers, der, verrosteter Fesseln ledig, sich dem Gedanken und der Stimmung
freier anschmiegt, der des Füllsels der Rhetorik nicht bedarf, der Hiat,
Silbenzahl, Zäsur und Reim frei zu behandeln wagt {voix:loi; /leur:
demeiire; Paris : patrie), wie dies im Geist der lebendigen Sprache liegt
— ein Vers, der gleichsam von der chmison fopitlaire gelernt hat. Auch
Parnassiens wie Sully Prudhomme kamen schließlich dazu, diese Frei-
heiten zu billigen und bedauerten, ihnen so lange widerstrebt zu haben.
Ein solcher biegsamer Vers wird in Zukunft auch imstande sein, Stimmen
fremder Völker wiederzugeben und z. B. Heines „Klinge kleines Frühlings-
lied" zu übertragen, ohne es zu travestieren. Der Alexandriner und seine
Sippe wird dabei nicht verschwinden, sondern der Franzose wird ver-
schiedene Arten der Lyrik achten uud genießen lernen, so wie wir den
freien Schritt von „Wanderers Sturmlied" genießen können, ohne die
Freude am straffern Bau der „Zueignung" zu verlieren.
Und das wird eine Bereicherung der französischen Kunst bedeuten.
Auch das ist vielleicht eine Bereicherung, daß es zurzeit eine herr-
schende literarische Schule mit einer bestimmten Doktrin in Frankreich
nicht gibt. Aber Dichter gibt es und es stehen ihnen nicht nur die neuen
Revuen zur Verfügung, die den Kämpfen der letzten zwanzig Jahre ihre
Entstehung verdanken {Le Me?'cure de France, La Revue blanche, La
Plume, L' Ermitage), sondern auch die „Revue des deux mondes" bringt
H. de Regniers Gedichte und die Akademie krönt die Verse F. Greghs
trotz ihrer „Fehler". Während Viele-Griffin den vers libre mit subtiler
Kunst handhabt und sein Instrument, bald innig wie ein primitif, bald
bewußt wie ein Virtuose spielt, übt A. Samain eine vornehme Zurück-
haltung und erinnert auch durch die Welt seiner Bilder an die Parnassiens.
Andere pflegen neben der neuen Kunst jene naturalistische Lyrik, die
den Stimmungsgehalt der Zolaschen Welt mit ungeschminkter Staffage
und in der Sprache des Milieus wiedergibt Dabei schwelgen einzelne wie
Richepin noch in der klingenden, prahlerischen Wortkunst der Romantiker.
Eine wahre poetische Bereicherung hat Frankreich auch dadurch er-
fahren, daß die Heimatkunst, die der Befreiungskrieg der Romantik einst
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. jyg
geweckt, in dieser zweiten Hälfte des Jahrhunderts ihre Früchte trug,
besonders im Süden und im Norden, in der Provence und in liol^-ien.
Die aus der Verbindung Hämischer und wallonischer Art (;nt.standene iuifia«.
belgische Nationalität hat seit drei Jahrzehnten eine Literatur, die in ihrer
Inspiration und in ihren Vorwürfen belgisch — d. h. nicht einfach pari-
serisch — ist Historiker wie Kurth, Redner, Journalisten, Kritiker
haben den Heimatgedanken geweckt und gestärkt und die Dichter, be-
sonders die Lyriker und die Erzähler, haben diesem Gedanken Flügel
geliehen. Die Zeitschrift „La jeune Belgique" trägt den Wahlspruch:
„Soyons nous". Drei Züge sind es, die in diesen Poeten als national-
belgisch angesprochen werden können: eine träumerisch-innige Art, die
auch bei den Naturaliston durchdringt; die Vorliebe für die malerische
Darstellung, namentlich des Kleinlebens ä la T^niers, und eine gewisse
Undiszipliniertheit, ein Freiheitsbedürfnis, das leicht zur Maßlosigkeit führt.
So besingen die Eigenart ihrer belgischen Heimat der träumerische, feine
Rodenbach und der kraftvolle Verhaercn, dieser literarische Rembrandt
Groß ist die Zahl der einheimischen Erzähler; allen voran tritt ebenbürtig
neben C. Meuniers bildende Kunst die epische Kraft C. Lemonniers,
des „belgischen Zola".
Kräftig tritt der Süden hervor. Dort, und besonders in dem alten Säd{rmnkr«4ch.
literarischen Kemland an der Rhone, war die Erinnerung an die glänzen-
den Tage der provenzalischen Dichtung und der politischen Selbständig-
keit wieder lebendig geworden. Das Land drängte nach einer eigenen
Poesie in der Sprache der Väter, der kngo do^ die durch die Sprache
der Franzosen {Aer /rancliiman) aus Literatur und Schule verbannt worden
war. Aber diese Icngo iTo war nur ein Konglomerat von Mundarten, die
sich gegenseitig die Führung streitig machten. Da vereinigte der Ruf
Roumanilles 1854 eine Avignoner Dichtergruppe, zu der Aubanel
(-}• 1886) und Mistral gehörten, zu einem Bunde. Sie nannten sich mit
einem alten Worte, dessen Bedeutung nicht klar ist, filibrt'^ und begannen
auf Grund der Mundart des unteren Rhonetales mit Hilfe von Neologismen
und Archaismen und einem kunstvolleren Satzbau eine neue süd französische
Literatursprache zu schaffen. Die l'elibresprache ist also nicht schlecht-
hin ein provenzalischer Dialekt, sondern eine schriftsprachliche Erweiterung
und Veredelung. Mit Liedern voll südlicher Leidenschaft trat Aubanel
hervor. Aber die Führung fiel Mistral zu, dessen Idyll von der kleinen
Miriam „Mireio" 1859 erschien. In zwölf Gesängen, die aus Girlanden
kunstreicher Strophen aufgereiht sind, erzählt der Dichter Glück, Not und
tragisches Ende der Liebe Mireios. Das Leben des Sonnenlandes glüht
und wogt, jubelt und klagt darin. Das Volkslied klingt herein. Man
spürt den Hauch homerischer Poesie und die Nähe der Bibel in dieser
naiven Heimatkunst. „Mireio" ist ein Lied überquellender Heimatliebe.
Das Bestreben, den Ruhm seines Landes zu singen, läßt den Dichter
stellenweise zu lehrhaft werden. Aber in seinen episch -lyrischen Teilen
380 Heinrich AIorf: Die romanischen Literaturen.
ist „Mireio" ein Werk reiner Poesie. Die folgenden Epen Mistrals sind
als Kunstwerke mißlungen, aber sie bergen hundert leuchtende Schön-
heiten. Eine Auswahl seiner Lyrik vereinigte er 1876 in den „Gold-
inseln" {Lis isclo d'or), einem Strauß lieblicher, ergreifender und auch
trotziger Lieder. Auch hier kehren zwei Themata immer wieder: die
Klage um das verkannte Vaterland und der Preis seiner verfemten
Sprache.
Im Gefolge „Mireios" wuchs in den Kreisen des Felibrige das süd-
liche Selbstgefühl. Der Gedanke einer größeren Selbständigkeit Süd-
frankreichs gegenüber der gewalttätigen Zentralisierung, die von Paris
ausgeht, machte Fortschritte. Der Albigenserkrieg des 13. Jahrhunderts,
erklärte Mistral 1867, habe die „Südstaaten" in dem Augenblick getroffen,
da sie auf dem Punkte gewesen seien, unter sich und mit den Katalanen
einen Vereinigten- Staatenbund zu bilden von der Loire bis zum Ebro, von
den Alpen bis zum Biskayischen Meerbusen. Wenn diese Geschicke sich
nicht erfüllen sollten, wenn das Land an Nordfrankreich fallen mußte, so
durften die Südländer wenigstens wünschen, in ein Bundesverhältnis und
nicht in ein Untertanenverhältnis zu kommen! „Wenn wir in unseren
alten Chroniken, fä.hrt Mistral fort, die Erzählung jenes ruchlosen Albi-
genserkrieges lesen, dann: il nous est impossible de ne pas etre emus dans
notre sang'''. Und über die Jahrhunderte hinweg reichen die Felibre den
Katalanen die Hand, deren „Renaiximent" ähnliche Ziele verfolgte und
die mit ihnen von der „idee latine" der „Vereinigten Staaten des Mittel-
meers" träumten. Es hat bisweilen ein scharfer politischer Wind an den
Hängen des provenzalischen Parnasses geweht. Das Felibrige sprach sein
Streben nach Dezentralisation, nach regionaler Selbständigkeit unmiß-
verständlich aus, und die Antwort aus dem Norden ist nicht immer freund-
lich gewesen. Eine einheitliche Formulierung hat indessen jenes Streben
nicht gefunden. Die verschiedensten Ziele und Stimmungen kamen
zum Wort, von der Freude am Stiergefecht bis zur Forderung politischer
und sprachlicher Unabhängigkeit. Am einsichtigsten ist Mistral vor-
gegangen. Er hat in einem monumentalen Wörterbuch, dem „Tresor du
felibrige" (1878), Sprachgebrauch und Sitte seiner Heimat geborgen. Er
hat in Arles ein Landesmuseum gegründet. Er hat das Felibrige neu
organisiert und über den ganzen Süden ausgedehnt — doch ist trotzdem
Gascogne und Limousin, Auvergne und Dauphine dem Felibretum fast
ganz ferngeblieben: sein Zentrum ist das Rhoneland. Mistral sammelt gegen-
wärtig auch die ganze Märchen- und Sagenliteratur seines Volkes. Er ist
Dichter, Sprachforscher, Antiquar, Organisator, Folklorist. Die Katalanen
folgen seinem Beispiel in der Förderung heimatkundlicher Einrichtungen
und Studien.
Paris hat dem Dichter der „Mireio" schon 1859 enthusiastisch ge-
huldigt. Er aber hat der verführerischen Hauptstadt — Paris, ce grand
fascinateur et ce grand voleur, wie Roumanille sagte — gelassen den
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^gl
Rücken gekehrt Die Werbungen der Academie fran^aise hat er ent-
.schiedon abgewiesen. Er ist seiner Heimat in Dichtung und Wahrheit
treu geblieben. Paris aber hat aus dem FeUbretum vielfach eine Spielerei
gemacht.
Gewiß birgt die Sache des Felibrige viele Illusionen. Ihre Verfechter
tragen der modernen Welt zu wenig Rechnung. Ihr römischer Katho-
lizismus ist eine künstlerische und eine kulturelle Schranke — das hat
Aubanel erfahren. Es ist dem Felibrige nicht gelungen, den ganzen Süden
zu einigen, denn der berechtigte Partikularismus, aus dem es geboren, hat
in seinem eigenen Schöße partikularistische Strömungen und Rivalitäten er-
zeugt. Das Streben, auf dem Boden P'rankreichs eine zweite ebenbürtige
Schrift.'^prache erstehen zu lassen, beruht auf einer Verkennung des Laufes
der Welt, der unaufhaltsam die sprachlichen Minderheiten zermalmt und
zur Bildung großer Einheiten drängt.
Schöne Lieder soll das Felibrige seinem Süden und der Welt schenken.
Die Heimatforschung soll es fördern. Ein kräftiges regionales Leben soll
es in Frankreich anbahnen und die H)'pertrophie der Hauptstadt sanieren
helfen: Lieder, Heimatkunde und Dezentralisation, das werden seine besten
Früchte bleiben.
Das literarische Leben der französischen Schweiz {Suissr romande) Di« Schweix.
ist weniger schöpferisch. Ihre Lyrik dringt kaum über die Grenzen der
Heimat, obwohl sie begabte Sänger hat und ihr Lied mannigfaltig ist. Sie
i.st ein Echo der schönen Natur des Landes. Sie hat den Reiz des
Intimen, schlingt sich um den häu.slichen Herd und die Stimme des Kindes
durchklingt sie. Protestantismus und Verschwisterung mit der deutschen
Schweiz geben ihr manchen germanischen Zug und ihr Vers entbehrt oft
französischer Eleganz. Ihre neuesten Dichter aber pflegen die kunstvolle
Form nach dem Vorgange der Poesie nouvelle. Der Aufgabe, eine Ver-
mittlerin deutschen und romanischen Geistes zu sein, ist die Suisse romande
treu geblieben. Sie hat mit Amicl einen stillen aber erfolgreichen Boten
ausgesandt.
Auch jenseits des Ozeans, in Kanada, gibt es ein französisches Kan«d«.
Schrifttum. Kräftig blüht dort in der Provinz Quebek die Deszendenz der
alten französischen Kolonisten inmitten der angelsächsischen Welt. Kräftig
ebt in den Fran^ais canadiens die Liebe zum französischen Mutterlande.
Aus ihr fließt die poetische Inspiration des Kanadiers. Indessen trägt das
bescheidene Schrifttum, das erst wenige Jahrzehnte alt ist, die Züge der
Isolierung. Diese Kolonie Frankreichs hat in der Diaspora zu lange des
Zusammenhangs mit der Romania entbehrt: sie liegt an den Ufern des
Lorenzo gleich einem vergessenen Stück des katholischen IVankreich des
17. Jahrhunderts. Wie ihr Französisch, so ist auch ihre Literatur unmodern
und von fremden Elementen durchsetzt L. Fr^chette, den die Heimat
und die französische Akademie (1880) als den größten kanadischen Dichter
feiern, ist ein Nachahmer V. Hugos. Man ist in Kanada noch bei der
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen,
die Novelle.
G. Flaubert.
Romantik. Im kanadischen Lied ist weder die abenteuerreiche Geschichte
des Landes, noch die Eigenart von Natur und Leben zu spontanem
künstlerischen Ausdruck gekommen. —
Der Roman uad Wenn die Romantik ihren Ausdruck vorzüglich in lyrischer Dichtung
gefunden hat, so bedient sich der Naturalismus mit Vorliebe der epischen
Gestaltung. Die repräsentative Form der Romantik war die Lyrik; die
des Naturalismus ist der Roman. Er setzte 1856 mit einem Meisterwerk
ein: mit „^Madame Bovary, moeurs de province" von G. Flaubert.
Als „Madame Bovary" erschien, war das Nahen einer neuen lebens-
wahren Kunst, welche die erschöpfte Romantik endgültig ablösen sollte,
dem Publikum bereits angekündigt, wenn dieses auch für solche Kunst noch
nicht gewonnen war. Die „Revue de Paris" hatte 1853 unter dem Titel
„La liquidation litteraire" einen Artikel Ulbachs gebracht: die Literatur
habe von nun an entschlossen das Erbe Balzacs anzutreten und diesem
Meister der Anatomie und Physiologie zu folgen, um gleich ihm Werke
zu schaffen qu'on ouvre avec cette äcre ciiriosite qiie donne Tappetit des
mysteres de la viort et de la honte humaine. Und 1855 hatte der Maler
Courbet eine Ausstellung seiner Bilder veranstaltet, deren Programm ein
naturalistisches Manifest war, das allem Akademismus den Klrieg erklärte.
Flauberts Roman ist die Lebensgeschichte eines Landarztes aus der
Umgebung von Rouen, der an seiner Frau zugrunde geht. Diese Bauern-
tochter hat in klösterlicher Pension eine „gute Erziehung" erhalten. Aus
wahlloser Lektüre hat ihr müßiger Kopf sich ein irrationelles Bild des
Lebens gemacht, dem die Alltäglichkeit ihres Ehedaseins nicht entspricht.
Unbefriedigt träumt sie von einem Unbekannten, wie es den Heldinnen
ihrer Bücher zuteil geworden et la legioii lyriqiie de ces femmes adulteres
se mit a ckanter dans sa memoire avec des voix de sceurs qui la charm,aient.
Diese romantische Sentimentalität bringt sie zu Fall. Das ist die „education
sentimentale" der Frau Bovary. Vom romantischen Sündenfall sinkt sie
— nach einer religiösen Klrisis — zum vulgären Liebesabenteuer. Et eile
retrouuait dans Fadultere toutes les platitudes du mariage. Vor dem öko-
nomischen und moralischen Zusammenbruch ihrer Existenz flüchtet sie in
den freiwilligen Tod. Figuren des vulgärsten Alltags umgeben die vul-
gären Helden dieses Buches — vom lupuskranken Bettler bis zu seinem
Quälgeist Homais, dem unausstehlichen Bildungsphilister. Jegliche Art
von Größe fehlt.
Der Roman erweckte Aufsehen. Der Staatsanwalt schritt im Interesse
der „öffentlichen imd der religiösen Moral" ein. Aber Gericht und
Publikum schützten das Kunstwerk, das durch die mitleidlose Wahrheit
und die furchtlose Kühnheit seiner Lebensbilder, durch seinen feinziselierten
Stil und seine geschlossene Komposition die Erzählungen Balzacs übertraf.
Der dreißigjährige Autor sagt von sich selbst, daß in ihm zwei
Künstler leben: ein romantischer Lyriker und ein Realist qui creuse et
qui fouille le vrai tant qu'il peut, qui aime a accuser le petit fait aussi
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^83
puissammcnt que le grand, qui voudrait vous faire scntir presqne
matcrielUmcnt Ics choscs qu'il reproduif. Romantiker und Realist — an
diesem Zwiespalt litt Flaubert. Das Protokoll dieser innern Kämpfe sind
seine Briefe. Ihre widerspruchsvollen Urteile, ihre Aufgeregtheit, ihr
Poltern und Schimpfen verraten das innere Mißbehagen. „Je ne dtcolere
pas"', sagt er einmal und um mit scherzhaftem Nachdruck zu versichern,
daß er indigniert sei, liebt er es HHHindigtU zu schreiben. Wir wissen,
daß er krank war. Sein Arzt nannte ihn „une femme hyst^rique" und er
findet das zutreffend.
Die Romantik war die Liebe seiner Jugend. Er liebt V. Hugo und
wettert gegen ihn; er teilt seine Abneigung gegen den „alten Tintenkleckser
Boileau" und sagt von Bossuet: Faigle de Menux mc parait dccidement
une oic. Der Alternde schloß eine Herzensfreundschaft mit G. Sand, die
ja auch eine romantische Sentimentale war, wie die arme Bovary. Flaubert
nennt sich selbst „une äme sensible". Diese Sentimentalität hält er als
Erzähler unter Schloß und Riegel. In der autobiographi.schen „Education
sentimentale, histoire d'un jeune homme" hat er inmitten eines Bildes der
französischen Gesellschaft von 1840—50 ausgeführt, wie die Vulgarität des
Lebens die romantischen Träume der Jugend elendiglich zerstört und wie
der Philister {bourgeois) den Geist ertötet. So ist in ihm, mit dem Haß
gegen den unkünstlerischen Alltag und seine Vertreter, die Überzeugung
entstanden, daß der Künstler die Berührung mit dem Leben dieses Alltags
zu meiden habe und daß das Zurücktreten des Künstlers eine Bedingung
der Vornehmheit des Kunstwerks sei. Er schafft sich eine eigentliche
Kunstreligion. Sinn für Xatur hat er nicht; ein Land interessiert ihn nur
archäologisch. Das zentrale Dogma seiner Kunstreligion ist: tart pour Tart.
L'art, schreibt er gegen G. Sand, ne duit scrvir de ehaire a aucune
doctrine sous peine de dc'c/ioir. Der Inhalt ist indifferent — die Form ist
alles. Nie werde man von ihm, Flaubert, sagen, „daß seine Werke im
Dienste einer erhabenen Aufgabe stehen — non, il ne faut chantcr que
pour clianter!'-^ Er möchte am liebsten das Kunstwerk vom Stoff ganz
emanzipieren und ein Buch ohne Inhalt {un livre sur rien) schreiben, das
eitel Stil, eitel Schönheit wäre. So haben ihn auf der Akropolis einst die
Linien einer nackten Mauer so freudig ergriffen, daß er Herzklopfen bekam.
Der Stil! „Straffe deinen Stil und bilde daraus ein Gewebe, geschmeidig wie
Seide und stark wie ein Panzer", rät er einer F'reundin. „Zwinge deine
Gedanken zusammen und schaffe eine Einheit — ohne Einheit gibt's wohl
tausend schöne Einzelheiten, aber kein Werk!" Ein Werk zu sohatfen,
ringt er selbst in erschöpfender Arbeit.
Hinter diesem Werk soll die Person des Schöpfers verschwinden. Das
Kunstwerk soll unpersönHch sein. Das sentimentale Hervortreten des
Autors sei eine vulgäre Schwäche. Der Künstler soll nach dem Vorbilde
des Naturforschers sich begnügen zu beobachten — Flaubert füllte Notiz-
bücher mit solchen Beobachtungen — und zu beschreiben. Schlüsse soll
284 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
er nicht ziehen. Flaubert stimmt Leconte de Lisle bei: La litter ature
prendra de plus en plus les allures de la science: eile sera surtotit ex-
posante . . . avec absence d'idee morale. Auch das Ungeheuerliche dürfe
nicht zum moralischen Deklamieren führen; wie in der Natur, so habe auch
im Kunstwerk dieses Ungeheuerliche seine Berechtigung {la legitimite des
vionstres).
Diesen Grundsatz der Unpersönlichkeit des Werkes teilt Flauberts
Kunst mit dem Klassizismus und das läßt sie vor den Augen Brunetieres
Gnade finden. Wie sehr aber im übrigen diese naturalistische Kunst der
Widerpart der klassischen ist, die das Sublime sucht, zeigt Flauberts Wort:
L'ignoble me plait — dest le sublivie d'en-bas.
Aus solcher Kunstanschauung heraus schrieb Flaubert „Madame
Bovary": nul lyrisme, pas de reflexions, la personnalite de Fauteur absetzte,
wie er selbst sagt. In sechsjähriger Tortur — das ist sein Ausdruck —
rang er seinem Temperament dieses Werk ab, das ihn zwang, „in die
Haut von Menschen zu schlüpfen, die mir antipathisch sind und in dem
alles das nicht da ist, was ich gern habe". Kaum ist je ein Kunstwerk
aus so gewaltsamer Entpersönlichung hervorgegangen. Flaubert ist ein
Märtyrer der Kunst.
Von der Schilderung der heimatlichen Gegenwart zog es den alten
Romantiker zur exotischen Vergangenheit, zur Karthago Hamilkars. Nach-
dem er die Bovary in schimmligem Grau gemalt habe, so erklärt er den
Goncourt, wolle er etwas in Rot machen (Je veux faire quelquechose
pourpre). So malte er in glühenden Farben „Salammbo" (1862), ein kunst-
reiches, opernhaftes Werk, dem man die Mühsal seiner Elaboration an-
merkt. Es kränkte ihn, daß er für das Publikum der Verfasser der „Ma-
dame Bovary", homo unius libri, blieb. Später kehrte er zur Welt der
Bovar}^, zum Thema Homais, zurück, um die Naturgeschichte des be-
schränkten Philistertums zu schreiben. Er verkörpert die „betise humaine"
in den beiden Helden „Bouvard und Pecuchet", und belädt die Unglück-
lichen mit einer Blütenlese von Binsenwahrheiten und Unsinn. Aus Hun-
derten von Büchern sucht er mit der Gewissenhaftigkeit eines Forschers
diese Anthologie zusammen. Der Humor, der allein mit einem solchen
Unternehmen versöhnen könnte, geht Flaubert ab. Er ist verbittert. Die
Übertreibung macht den Realismus des Buches unwahr und so rächt sich
der mißhandelte Bourgeois für die Grausamkeit seines Biographen. Aus
der unerfreulichen Atmosphäre dieser letzten Arbeit, die er übrigens nicht
vollendet hat, flüchtete sich Flaubert zu kleinen Erzählungen {Trois contes,
1877): Die „Legende vom heiligen Julian" ist ihm weniger gelungen.
„Herodias" ist in die Farbenglut und Wildheit der „Salammbo" getaucht
und in der Gedrungenheit dieser fünfzig Seiten ist der Aufwand sehr ein-
drucksvoll. Die Jugenderinnerung „Ein einfältiges Herz" ist die sym-
pathische Darstellung obskurer Beschränktheit, die mit Güte gepaart ist.
Flaubert hat beim Begräbnis der G. Sand Tränen vergossen und will
F. Das 19. Jahrhundert. 11. Die Zeit nach 1850. ige
nun, wie er sagt, die andern weinen machen. So tut er gleichsam Buße
für seine Lieblosigkeit und setzt diese rührende Erzählung als Denkmal
auf das Grab seiner Freundin.
Nach den Schlagworten Realismus und Naturalismus klassifiziert zu
werden, lehnte Flaubert ab. In der Tat findet ihn ein Haujjtartikel des
naturalistischen Glaubensbekenntnisses, die Macht des Milieus und der
Vererbung, ungläubig. Und doch ist er Naturalist durch seine ganze
Kunstübung: durch die Sammlung und Hervorhebung des „petit fait", durch
den Stoff seines Hauptwerkes, durch die Lehre vom wissenschaftlichen,
unpersönlichen Charakter der literarischen Arbeit, Flaubert ist mehr Na-
turalist als Balzac, für den er wenig Sympathie hatte, da dessen Un-
sorgfältigkeiten ihn verletzen mußten. Der stürmische Balzac hatte von
der sprachlichen Freiheit, welche die Romantik geschaffen, den kühn.sten
Gebrauch gemacht. Flaubert disziplinierte diese Freiheit, suchte aus der
Fülle des Sprachmaterials in gewissenhaftester Abwägung für jeden Fall
den präzisesten Ausdruck, das eigentliche „mot propre" für die Beschrei-
bung und das „mot naturel" für das Gespräch. So gab er seinen Nachfolgern
das Beispiel sprachlicher Ehrlichkeit. In Zola begrüßt er einen macht-
vollen Künstler. Wohl tadelt er manches, besonders Beschreibungen,
— wohl erkennt er im Kritiker Zola den Ignoranten — aber ein Buch
wie „Nana" erscheint ihm als le livre enorme tfun Jwmmc de gtnie und er
verteidigt es gegen die Bedenken seiner F'reunde.
Die Brüder Edmond und Jules de Goncourt haben Flauberts D.r (;-ncoart
Naturalismus weitergeführt, aber ohne seine große und kräftige Kunst.
Aufsehen erwecken sie zunächst — seit 1854 — durch sittengeschichtliche
Studien über das Leben des 18. Jahrhunderts, an das sie mit neuen
Interessen, mit moderner Neugier herantreten: mit Hilfe von Zeitungen,
Privatbriefen, Rechnungen usw. beleben sie den Alltag des Ancien
Regime, schildern sie seine Möbel, sein Porzellan, seine Teppiche, seine
Gerichte. Sie entdecken seine Maler und offenbaren seine Frauen. So
geschult, wenden sie sich der Schilderung ihrer Gegenwart, dem Roman,
zu. Der heutige Roman, sagen sie 1864, ist die literarische Form der
etujuitc sociale: er ist Diistoire morale contemporaine und als solche: il
sest ifnposv /es tludes et les i/evoirs de la science. So sammelten sie denn
unablässig Material und wurden vorbildlich für die Schriftsteller, die sie als
die „Ecole du document humain" bezeichneten. Sie haben das System der
Tagesnotizen zu einem förmlichen literarischen Reportertum au- ' ' ' i.
Sie sind stofflich aus der Welt der Bovary gern noch tiefer hinab;^ , n
und haben noch mehr als Flaubert, über dessen Buch schon der Schatten
des Hospitals liegt, das Gebiet des Pathologischen beschritten. Mit dem
Roman einer Krankenschwester begannen sie ihr Programm zu verwirk-
lichen {Sa-ur Philom^tte — maurs d'höpi/al, setzt Flaubert hinzu). Sie
besuchen die Charitt^ und ihre Hefte füllen sich mit klinischen Beobach-
tungen und Eindrücken. Die Geschichte der „Germinie I^acerteux«* folgt 1864.
Dn KiTiTvm ov« G(on<w«mT. t. 11. 1. 2C
386
Heinrich JNIorf: Die romanischen Literaturen.
Die Verfasser, heißt es in der Vorrede, haben die Wahrheit nicht in der
Gesellschaft, sondern auf der Straße gesucht Sie schildern, wie sie sagen,
nicht Liebeslust, sondern „la clinique de l'amour": ihre Heldin ist eine
hysterische Dienstmagd. Edmond nennt das Buch später: le livre type du
naturalismc.
Die Brüder Goncourt sind die ersten, die den Roman als eine wissen-
schaftliche Lebensbeschreibung definiert und zu verwirklichen ge-
sucht haben. Sie haben allerdings kein Kunstwerk geschaffen. Sie waren
malerisch begabte Künstler, deren krankhaft gesteigerte Empfindungs-
fähigkeit auf Farben- und Lichtreize und auf moralische Eindrücke heftig
reagierte und die diese Reize und Eindrücke mit den Mitteln einer ganz
individuellen, neologistischen, raffinierten, fast gewalttätigen Diktion
wiedergaben. Sie bestrebten sich, sagt Edmond, a spiritualiser la pein-
tiires des choses materielles par des details moraux und bedienten sich dazu
einer Sprache voll unakademischer Freiheiten, die sie ecriture artiste
nannten. Sie ahmen das gesprochene Wort des erregten Menschen nach,
in welchem die Satzbildung zerflattert und geben damit das erste Beispiel
der Vergewaltigimg der Syntax, die dann zur Kunstübung der Symbolisten
wurde. Ihre Darstellung, in der sich Verschrobenheit mit intensivster
künstlerischer Wirkung paart, ist inkohärent, impressionistisch. Sie schufen
kein Buch, sondern stellten eine Sammlung von Eindrücken zusammen.
Die Brüder waren unzertrennlich in Arbeit und Genuß. Bei aller
Verschiedenheit der Temperamente lebten sie das selbe Leben und empfingen
sie die nämUchen Eindrücke. Durch ihr Tagebuch {Journal des Goncourt^
1851 — 1895 umfassend), in dem sie alles notierten, von ihren einsamen
Träumen bis zu den Erlebnissen und Äußerungen ihres Freundeskreises,
sind sie der Schrecken der Zeitgenossen geworden, die darin seit 1887
ihre impressionistischen Porträts zu schauen bekamen.
Die Goncourt waren nicht schöpferisch wie Flaubert. Sie waren und
blieben Sammler, Kollektionisten von Kunstgegenständen, Nippsachen,
Eindrücken. Ihre Bücher sind ein Museum von Raritäten und Schmuck-
stücken, wie ihre Wohnung. Der überlebende Bruder hat der japanischen
Kunst Bahn gebrochen und die heutige Forschung anerkennt bewundernd
seinen feinen Kunstsinn.
Die Brüder stellten durch Testament Renten für zehn unakademische
Schriftsteller bereit, die eine durch Kooptation zu ergänzende „literarische
Gesellschaft" bilden sollten. Man nennt diese heute „L'Academie des
Goncourt". Von Zeit zu Zeit hört man von ihren Preisen und ihren Wahlen.
E.Zola. Die zwanzig Bände der „Rougon Macquart, histoire naturelle et
sociale d'ime famille sous le second empire" (1871 — 1893) Zolas schließen
den Triumph und den Fall des naturalistischen Romans in sich. Zola
kommt wie Flaubert von der Romantik her. Die Not drückte ihm früh
die Feder in die Hand. Seine ersten Erzählungen (1864) verraten die
Jugendliebe für die Romantik, und in seinen kritischen Arbeiten lebt ihr
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ■tgj
Sturm und Drang. Da offenbaren ihm „Germinie Lacerteux" und die
Hildcr Courbets und Manets die Anforderungen, die da.s Leben der
Gegenwart an die Kunst stellt, Zola tritt als Verteidiger dieses kecken
Realismus in die Schranken und erklärt, daß diese reale, materielle Welt
sein ganzes Wesen anziehe. Schon 1867 nennt er sich einen ecrivain
tiaturalistt'. Im wirklichen Leben liege die Poesie; dort gelte es, sie zu
holen, freilich nicht in mechanischer Übertragung, sondern in persönli( her
Herausarbeitung: une a:uvrc dart est une personnalite.
„Wir stehen, sagt er zur nämlichen Zeit, am Zusammenfluß der beiden
großen Strömungen des Jahrhunderts: der exakten Beobachtung, die von
Balzac ausgeht, und der kunstvollen Rhetorik, die von Hugo kommt Noch
bewundert er Hugo. Da zieht eine dritte Strömung seinen Blick auf sich:
die der wissenschaftlichen Forschung. Taine tritt in seinen Gesichtskreis.
Er studiert auf der Nationalbibliothek die Bücher der Mediziner. Er
„dokumentiert sich". Mit einer durch keine Sachkenntnis getrübten
Unbefangenheit nimmt er die neue Botschaft der Physiologie auf, und
mit der naiven Sicherheit des Dilettanten erklärt er: Je suis un positi-
viste, un evolutioniste ^ un materialiste. Mon System est fherediie. yai
trouvc Foutil de mon ipoquc. Je mettrai en otuvre le positivisme, U
niaterialisme et les hypothises les plus rdcentes de la sciencc. Et je suis
dien documentc: fai lu ceci, ceci, ccci et encore ceci ... Je vais peindre
t komme physiologiquc. Ma formule est la et delle va naitre un nouvcl art,
uui nouvclle litfrrature a moi. Le uafuralisme ce sera mui fout srul (1869),
Jetzt behauptet er ein Gelehrter zu sein. Von Balzac werde ihn unter-
scheiden, daß er, Zola, einfach Tatsachen schildere (//;/ simple expos6 des
faits — Point d€ eonclusion), während Balzac als Politiker und Moralist
die Menschen beurteile: „Mein Werk wird »wissenschaftliche Arbeit«
{(vuvre scientifique) sein; ich werde mich begnügen ein Gelehrter zu sein."
Ein Gelehrter! Daß dieser Wahn für sein ganzes Leben vorgehalten hat,
zeigt Zolas große Naivität Mit mehr Recht würde man ihn einen Igno-
ranten nennen können. Nicht Intelligenz noch W^issen zeichnet ihn aus,
sondern ein unbeugsamer Wille. Je veux ist das Leitmotiv seiner Arbeit
Etrc le plus grand romancier de mon pays et de mon temps . . . Je le veux,
schreibt er, als er an die Rougon Macquart geht, um, wie da5 Schlagfwort
bei ihm lautet: das Schema der modernen Wissenschaft auf die Literatur
anzuwenden {appliquer a la litteraturc la formule de la sciencc mocUrne).
Diese „Naturgeschichte" einer in Neurose, Alkohol und Prostitution ver-
kommenden Familie nennt er le roman experimental. Die aus dem I^ibo-
ratorium des Biologen entlehnte Benennung ist bezeichnend für das Miß-
verständnis, in welchem Zola sich bewegt. Weil die Wissenschaft,
deren Bücher er exzerpiert hat, auf dem Experiment beruht, behauptet
er das nämliche von seiner Schriftstellerei und spricht von „experi-
mentieren", während er doch nur an seinem Schreibtisch sitzt und Ge-
schichten erzählt In seiner dilettantischen Verallgemeinerung der noch
ogg Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
vagen Lehren der Vererbung und der sozialen Bedingtheit wird er ein
Opfer der Metapher, gebärdet er sich als Vivisektor, redet er von seinen
blutigen Händen und nennt er seine Studierstube ein Laboratorium. Er
verwechselt Experiment und Hypothese! Die Männer der Wissenschaft
sahen zweifelnd auf dieses Gebaren, und nur halb belustigt schrieb
Pasteur: il nc faut pas croire a rmtelligence de la science chez tous ceux
qui en empruntent le langage.
Nun kennt Zola den romantischen Poeten gegenüber, die seine Jugend
erfreut hatten, keine Nachsicht mehr. Er wettert gegen die Gefühlsselig-
keit der Lyriker, wie Hugo, deren Idealismus ein Volk auf Irrwege leite
und an der Niederlage von 1870 mit Schuld trage. Die Lehre der Tat-
sachen müsse an die Stelle der folie du lyrisme treten: oit meiert d'ideal
et 011 ne vit que de science. Die lyrische Poesie — wenn sie nicht über-
haupt eingehen werde — habe fürderhin nur die Rolle eines Orchesters:
les poetes pewuent continuer a nous faire de la musique pendant que nous
travaillerons.
Jahr um Jahr erarbeitete er nun einen Band der „Rougon Macquart"
von „La fortune des Rougon" bis zu „Docteur Pascal", 10 000 Seiten.
Er zeigt uns darin programmgemäß den von erblicher Belastung und
Umwelt bedingten Menschen: le jeu de la race modifie par la milieu . . .
je soumets rho^nme aux choses. Und in der Tat herrschten nicht bloß in
seiner Theorie, sondern auch in seiner Kunst die „Dinge" und kommt
auch in seiner Kunst der „Mensch" zu kurz. Den Menschen nennt er
selbst eine Drahtpuppe {le pantin. humain), deren Mechanismus er bloß-
legen wolle. Die Individuen, die Zola schildert, sind Drahtpuppen seiner
Theoreme. Seine Psychologie ist äußerst dürftig; sie begnügt sich mit
einer gewissen typischen Wahrheit der Figuren. Aber seine Kunst, zu
beschreiben ist groß und meisterlich seine Fähigkeit, die Dinge zu beleben,
denen der Mensch Untertan ist und das dumpfe Leben der Menge zu
schildern, die das Individuum umwogt und mit sich reißt. Jene „Dinge"
werden ihm zu persönlichen Mächten, werden die eigentlichen Helden der
Handlung. Die Mietkaseme, das Warenhaus, der Park, die Kneipe, das
Kohlenbergwerk, der sausende Eisenbahnzug, sie wachsen unter Zolas
Hand zu riesigen Gebilden mit mysteriösen Kräften. Gespenstisch ringen
sie um den Menschen in einer förmlichen Gigantomachie , die er visionär
gestaltet. Zola ahnt nicht, wie er in dieser mythenbildenden Arbeit der
Romantik und dem Symbolismus die Hände reicht und wie seine ganze
naturalistische Kunstübung an V. Hugo erinnert, der den fliegenden Eisen-
bahnzug auch nicht anders als „le tram fantome"- genannt haben würde.
Der heroischen „Legende des siecles" Hugos stellt er gleichsam die vulgäre
„Legende du second empire" an die Seite.
Zu den allergrößten Künstlern gehört Zola als Schilderer der beweg-
ten Menge. Das Instinktmäßige des Kollektivlebens in seiner dumpfen
Wucht wiederzugeben hat er nicht seinesgleichen. Das Getümmel der
F. Das 19. Jahrhundert. 11. Die Zeit nach 1850. ^go
Schlacht {La dcbäcle) oder des Rennplatzes {Xuna), das Wogen des Auf-
ruhrs {Gcrminat) oder des religiösen Wahnsinns {Lourdfs) beschreibt er
mit einer elementaren Macht. Wo das Individuum verschwindet und die
Soziologie anfängt, da beginnt Zolas Reich. Er ist der Epiker der
Soziologie.
Zolas Stil ist wuchtig; er entbehrt, wie seine ganze Produktion, des
Maßhaltens. Zola dehnt seine Beschreibungen ungebührlich aus und gibt
seinen Büchern ermüdende Längen, Für das Spiel seiner von der Medizin
bezogenen Theorien bedarf er krankhafter Helden und Heldinnen, in denen
die animalen Instinkte vorherrschen (Ja bete Iiumaiue). Es war sein gutes
Recht in dieser Schilderung des Trieblebens das sexuelle Moment zu be-
tonen. Aber damit wuchs die Gefahr, daß die Brutalität und die Unsauber-
keit des Stoffes auch den Dichter herabzog. Die schlechte Gesellschaft
rächte sich an seiner Phantasie und führte ihn zur Häufung der Roheiten
und zur Unfläterei. Die führende Kritik bekämpfte ihn längst mit großer
Schärfe (Brunetiere, A. France). Beim Erscheinen des 15. Bandes {La
terre, 1887) manifestierte auch eine Reihe von Schülern und fiel vom
Meister ab. Der hatte seine Hauptleistungen {Asommoir 1877, Germinal
1885) hinter sich.
In dem Kampf für sein Werk hat Zola sich wiederholt über seine
moralische Absicht ausgesprochen. Er nimmt für seine Schilderungen den
Wert wissenschaftlicher Aufklärung in Anspruch. Er nennt sich einen
mor allste expcrimentatriir, der den Mechanismus des Nützlichen und des
Schädlichen zeige, die Bedingtheit der menschlichen und sozialen Vorgänge
aufweise, damit man eines Tages diese Vorgänge beherrschen und
leiten könne. Er will die Kräfte der Menschen vervielfachen und so
zur Eroberung der Natur und des Lebens anleiten.
Schließlich überzeugte sich Zola selbst, daß die Zeit eine andere ge-
worden und aus der Enge starrer Theorien hinausdrängte zu einer
conception plus attendrie de la vie, wie er dies selbst ausdrückt. So folgt
auf die Geschichte der Rougon Macquart die der Familie Fromont {I^es
trois villcs; Lcs quatre cvangiles). Sie ist mystisch wie jene. Aber in diesen
lehrhaften Büchern bricht der ursprüngliche Optimismus Zolas — den er
in den Elendschilderungen der Rougon Macquart zurückgedrängt hatte —
zukunftsfreudig und wortreich durch. Es ist der Einfluß sozialistischer
Ideen und man merkt, daß das Beispiel Tolstois ihn leitet. In den
„Fromont" wirken die lebensfreundlichen Mächte, die den Zola, der sie
feiert, zu jenem yaccusc trieben, dem Bekenntnis unbezwingbarer Wahr-
heitsliebe.
Man hat Zola des Plagiats beschuldigt. Er hat sich mit der größten
Offenheit zu seinen Quellen bekannt und das Recht in Anspruch genommen,
die Werke der anderen zu benutzen, „um daraus Leben zu gestalten". Er
verschlinge ganze Bibliotheken: je suis Ic rcquin gui avaU sott epoquf pour
la rccrter et cn faire de la vie. Seine Notizbücher, Entwürfe, Manuskripte,
3go Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Korrekturbogen hat er der Nationalbibliothek vermacht: er breitet seine
Arbeitsweise vor der Nachwelt offen aus, wie er vordem (1896) seine
physische und moralische Persönlichkeit dem Arzte Toulouse zu experi-
mentellen Untersuchungen überlassen hat, mit jener Ehrlichkeit und Furcht-
losigkeit seines Wesens, die nicht einmal die Lächerlichkeit scheut.
Man hat Zolas Werk unmoralisch gescholten. Die „Rougon Mac-
quart" seien eine Schule pessimistischer Mutlosigkeit und sittlicher
Schlappheit, Das ist ungerecht. Man kann der sozialen Epopöe Zolas
Sünden gegen den Geschmack und Verstöße gegen die guten Sitten vor-
werfen. Man kann sagen, daß sein wissenschaftlicher Dilettantismus
weder Intelligenz noch tiefere Bildung verrät — aber man muß an-
erkennen, daß ihn bei seiner Darstellung der Not und Gefahr des
menschlichen Trieblebens ein starkes Gefühl der Verantwortlichkeit
geleitet hat und daß dieser willensstarke Mann, der sich darin gefiel,
unsere Bedingtheit zu zeigen, durch sein Werk und durch sein Leben
eine Lehre der Energie gegeben hat.
Diese energische, robuste und gesunde Art unterscheidet ihn von
Retif de la Bretonne. Sie und seine, wenn auch fragmentarische, Kunst
wird ihn wohl vor dem Schicksal bewahren, so völlig wie Retif ver-
gessen zu werden. Einzelne Beschreibungen und Szenen von wunder-
barem materiellen Relief, die grandiose Belebung der Handlungs-
schauplätze und die machtvolle Vision der Psyche der Massen werden
den zukünftigen Epiker immer wieder anziehen. Und die ganze Wucht
der Zolaschen Schöpfung, die zwei bis drei Millionen Bände, in denen
sie verbreitet ist, haben eine „naturalistische" Wirkung getan, die sich
nicht wie ein Name auslöschen läßt. Der Strom hat mit trüben Fluten
viel reserviertes Gelände überschwemmt, aber die Überschwemmung hat
neue Wehren errichten gelehrt und ihr Schlamm hat erschöpftes Kultur-
land befruchtet.
Maupassant. Durch sciuc aufklärerische, didaktische Tendenz hat sich Zola von
Flaubert entfernt. Lizwischen reifte in seiner Nähe ein Talent heran, das
in Flauberts rein artistischer Tradition blieb: Maupassant. Maupassant
ist erst mit dreißig Jahren (1880), nach langer, von Flaubert geleiteter
Vorbereitung, hervorgetreten, hat darauf in einer zwölfjährigen er-
schöpfenden Tätigkeit ein großes künstlerisches Lebenswerk geschaffen
und ist dann in geistiger Umnachtung untergegangen. Flaubert erlebte
noch die erste Erzählung seines „tres aime disciple". Begeistert nannte
er „Boule de suif" ein Meisterwerk. Auf Novellen folgten Romane und
wieder Novellen, wohl zweihundert an der Zahl. So gut die Romane
sind [Une vie), so hat Maupassant doch sein Bestes in den kleinen Er-
zählungen gegeben. Kein System beengt oder stört sein Schaffen.
Wenn er gelegentlich über literarische Theorien spricht, so verrät er
weder Wissen noch Intelligenz. Er ist bloß — Künstler, aber ein ganz
großer. Er ist eine durchaus sinnliche, animale Natur. „Ich liebe den
F. Das 10. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. xqi
Himmel wie der Vogel, den Wald wie der .streifende Wolf, das klare
Wasser, um drin zu schwimmen wie ein Fisch . . . von allen Instinkten,
allen dumpfen Wünschen der niedern Kreatur fühle ich etwas in mir
zittern." Er liebt das Fest des Leibes in Spiel und Genuß. „Ich über-
lasse mich den urwüchsigen Kräften der Natur und kehre zum primitiven
Leben zurück ... in meinen Adern rollt das Blut der alten lüsternen
Faune — ich bin nicht mehr der Bruder der Menschen, sondern der
Bruder aller Kreatur." So empfindet dieser unheilige Franziskus und
aus diesem elementaren Empfinden heraus bildet er Stoff und Sinn seiner
Novellen. Er schaut und gibt eine Sichtbarkeit, die dem Auge nicht
wieder erlischt. Meisterlich ist seine Verwendung mundartlicher Rede
zur Charakte'risierung normandischer Bauemart. Pessimistisch veranlagt,
sieht Maupassant im Leben vornehmlich das Quälende, Groteske, Vulgäre.
Der Erotik räumt er in schrankenloser Selbstbehauptung breiten Raum
ein; er ist ohne Scham, wie /es vieux fauncs lascifs. Daß er hier die
Sitte mehr verletzt hat, als auch einer starken Kunst gestattet ist, hat
sich an seinem Andenken schwer gerächt.
Es hielt dieser echteste Naturalist „in derber Liebeslust sich an die
Welt mit klammernden Organen", während schon die Schatten der
nahenden Paralyse seinen Geist schreckten. Mit Entsetzen beobachtet
er ihre Fortschritte. Was Flaubert einst geplant — die eigene psychische
Krankheit zu schildern — aber „aus Angst" auszuführen unterlassen
hatte, das wagt Maupassant. Mit der nämlichen Aufrichtigkeit, mit der
er das Lebensleid anderer erzählt, bildet er aus Schrecken und Grauen
seiner eigenen Krankheit erschütternde Erzählungen, in denen die Ge-
spenster des Wahnsinns umgehen. Wir hören den Unglücklichen mit
einem seiner Helden stöhnen: fai pcur de la peur. Das sind in Wahr-
heit experimentelle Novellen.
Der Erzähler Maupassant verrät keine innere Anteilnahme; er bleibt
kalt. Gelegentlich gibt er seiner Menschenverachtung in Ironie und Sar-
kasmus Ausdruck. Er ist grausam wie ein Naturmensch. Und diese mit-
leidlose Hand beherrschte Form und Farbe meisterhaft.
Es war wohl eine Bedingung solch naturalistischer Kunst, daß ihr
Meister der Liebe nicht hatte. Doch hat auch von den Mitleidvollen keiner
besser erzählt. Maupassant ist als Novellist unübertroffen.
Die Zeitläufte haben es mit sich gebracht, daß im epischen Material
des Naturalismus kriegerische Ereignisse eine hervorragende Rolle spielen.
Die tiefe Erregung der Niederlage von 1870 hat der Erzählungskunst bei
Zola und bei Maupassant besondere Gestaltungskraft verliehen, aber auch
zu falscher Darstellung des Gegners geführt.
Gegen die lieblose Kälte des artistischen Naturalismus eines Mau- rn«, Bu»nj d*^
passants, gegen die bedrückende deterministische Physiologie des doktri- «»•»^'^'»ti»«^*"-''
naren Naturalismus Zolas empörte sich der Geist des Ideals, den Zola
abgetan wähnte. Die Literatur, der man so lange Wissenschaft und
392
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Realität gepredigt hatte, verlangte nach Lyrik und Phantasie. Sie ver-
langte, ihren Blick, den man so lange zur Erde gezwungen hatte, wieder
himmelwärts zu erheben und an den weiten geheimnisvollen Fernen die
von der Naharbeit ermüdeten Augen zu weiden. So ward der Naturalis-
mus überwunden. Aber, die ihn überwanden, haben viel von ihm gelernt.
Er hat der Kunst des Romans dauernden Gewinn gebracht. Er hat dem
Erzähler die Lehre genauer, ehrlicher Beobachtung gegeben. Er hat ihm auch
das Vorbild sprachlicher Ehrlichkeit gegeben und hat die Sprache von den
Fesseln des Akademismus befreit. Es ist charakteristisch, daß die Pforten
der Akademie sich keinem der Naturalisten erschlossen haben. Eine
literarische Richtung, die während zwei Jahrzehnten Frankreich und die
Welt beherrscht hat, ist nicht in die Akademie gedrungen — so wenig
kann diese als Vertreterin der Literatur ihres Landes gelten. Der
Naturalismus hat ferner die Erkenntnis verallgemeinert, das jeder Mensch
durch sein Milieu mit bedingt ist und daß es zu den Aufgaben des
Dichters gehört, die Umwelt seiner Helden lebendig zu machen und so
tiefer in die Kompliziertheit unseres Daseins einzudringen. Der natura-
listische Feldzug hat mit den literarischen Standesurteilen aufgeräumt und
an Stelle der „Gesellschaft" die Menschheit gesetzt — nil humani a se
alienum putans. Er hat der Kunst das moderne Leben erobert und ihr
die Poesie erschlossen, die die Welt der Technik birgt, die in der
Arbeit des Alltags, im wuchtigen Makrokosmus der Massen, in der Enge
und Eigenart des provinziellen Mikrokosmus liegt. Der naturalistische
Roman ist verschwunden; der soziale Roman hat sein Erbe angetreten.
Gerade zur Schilderung ländlichen oder kleinstädtischen Lebens greift
der moderne Erzähler gerne. Aber es ist nicht mehr die Idylle George
Sands, wenn es auch ebensowenig die grausame Macht der „moeurs de
province" Flauberts und Maupassants, noch die brutale Art von Zolas
„Terre" ist. Es sind Darstellungen von einem ehrlichen, starken aber
auch humanen Realismus. Schon F. Fahre, der seit 1862 das bäuerliche
und das geistliche Leben seiner cevennischen Heimat gestaltete, zeigt
diese kraftvolle realistische Kunst, die sich vielmehr von Balzac als von
G. Sand herschreibt. Er spricht von der Physiologie der Leidenschaften
wie Balzac und besucht Kliniken wie Flaubert. Er verankert seine
Helden in der heimatlichen Erde und in ihrem Beruf. Pfarrhaus und
Hofgut haben Teil am Leben von Bauer und Hochwürden und die Dar-
stellung ihrer Miseren ist von Mitleid durchweht. Fabres Kunst ist
stärker, selbstbewußter als die des viel erfolgreicheren LothringersTheuriet.
Beide sind wirkliche Poeten wie es auch Pouvillon ist, dessen Bauern
aus dem Boden der Guyenne zu hartem Lebenskampf erwachsen.
Außerhalb des Immerhin gibt es unter den älteren Erzählern dieses Zeitraumes einige
hervorragende Persönlichkeiten, die von der anschwellenden natura-
listischen Strömung nicht ergriffen wurden. So Feuillet (f 1890), der
bei allen romantischen Allüren ein scharfer Beobachter der aristokra-
Naturalismus.
F. Das 19. Jahrhundert. 11. Ihc /cit nach 1850. xox
tischen Welt war, in deren Eleganzen er sich, gleich ßourget, mit Kenner-
mine bewegt und deren sittliche Zersetzung er in spannenden Leidenschafts-
katastrophen darstellt. So Cherbuliez (-{- 1899), der ein Meister des
Dialogs ist und den Leser unter fesselnden, paradoxen Gesprächen durch
die verschlungenen Pfade seiner Handlung zu geistreichen und oft exzen-
trischen Menschen führt. So Fromcntiii, der 1863 den Roman „Domi-
nique" schrieb. Meisterlich sind dem Maler die Schilderungen der Natur
gelungen ('„c€ monde ailc, subtil, de visions et d'odeurs, de bruits et
d'images'''), in deren Mitte sich der Held mit dem weichen Herzen, ein
Werther, aus Tatenlosigkeit zu einem nützlichen Leben durchkämpft.
Fein ist seine Seelenbeobachtung. Keiner von denen, die ihre Bücher
als psychologische Romane bezeichnen, hat mit mehr Wahrheit jene
plötzlichen Entschließungen verwendet, die im Unbewußten langsam vor-
bereitet, wie unvermittelt hervorbrechen; keiner jenes langsame Erwachen
der Seele feiner und keuscher geschildert, in welchem der Knabe heran-
reift, das Mädchen heranblüht, und Kinderfreundschaft zur Liebe wird.
„Dominique" ist die wohltuende, vornehme Schöpfung eines liebenswürdigen
Künstlers, der sich selbst erzählt. Und wie er hier das soziale Empfinden
episch objektiviert, welches das Leben in ihm geweckt hat, so zergliedert
er in den „Maitres d'autrefois" (1870) mit unübertreflFlicher Feinheit sein
künstlerisches Empfinden vor den Meisterwerken der Niederländer, Rem-
brandts und Rubens'.
Mit welcher Macht zu Ende der achtziger Jahre die Abkehr vom Di« Abkehr Tom
Naturalismus Zolascher Observanz einsetzte, das zeigt sich in der Ent- ^'»'"™i»»»"-
wickelung einer Reihe von Schriftstellern, die seither zu Ruf gekommen
sind, wie J.-H. Rosny, P. Margueritte, Rod und Huysmans. Sie alle haben
in vergessenen Erstlingswerken Zolas Kunst und Unkunst kopiert, um
dann ihre Fesseln abzuschütteln. Die einen suchen ihr Heil bei einer
mehr idealistischeren Kunst — der sich ja dann Zola selbst zuwendet —
die anderen flüchten zur Kirche. Doch bleibt einige Familienähnlichkeit.
Die Brüder Rosny sind epische Dichter, deren ungeschlachte, apokalyp-
tische Art an Zola erinnert. Aus Wissenschaft und Poesie haben sie sich
einen kräftigen Optimismus gebildet, der in mühsamen Büchern mit eigen-
artigen Schönheiten zum Ausdruck kommt. Margueritte schreibt Ro-
mane von ergreifender uud doch wohltuender Realistik {La forcc drs
choses). Wenn er mit seinem Bruder, einem Offizier, zur Darstellung des
Kriegsjahres {Une i-poque) sich zusammentut, so i.st der Einfluß Zolas bei
aller Verschiedenheit offenkundig in all diesem dokumentierten Detail, in
den Massenbewegungen, z. B. der furchtbaren „Commune" (1904). Die
Margueritte schreiben aus größerer Entfernung als der 20 Jahn« ältere
Zola. Sie sind histori.scher. Aber ihre vierbändige „Epoque" zerflattert
stellenweise in historische Novellen. Eine geschichtliche Restituierung
großen Stils hat auch P. Adam versucht, der Napoleon L und der
Restauration vier Bände {Le temps et la -'iV, 1899- 1903) gewidmet hat, die
jQA Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
ein großes Talent verraten. Er besitzt die Gabe der Belebung der Massen
— er nennt dies „Interpsychologie" — wie der lebendigen Kleinmalerei.
Er wagt sich an alle Stoffe, stellt ihnen eine stürmische Kunst zur Ver-
fügung, die zart und auch naturalistisch derb sein kann. In einer sich
überstürzenden Tätigkeit verzehrt er eine Kraft, die wohl Großes zu
schaffen vermöchte, und ist darin typisch für so viele begabte Erzähler
des heutigen Frankreich. Der Genfer Rod gibt auf einer von verschie-
denen Reuestationen unterbrochenen Bahn, die ihn schließlich zum
Glauben führte, feine Studien über moderne Konflikte des weltlichen
imd geistlichen Lebens. Aber seine Kunst entbehrt in ihrer schwankenden
Produktion des Charakters. Rod vertritt die protestantische Nuance jenes
schillernden Neokatholizismus, der heute so viele literarische Bekenner hat.
Niemand hat ihn mit inbrünstigerer, wilderer Kunst gestaltet als Huysmans.
Keiner hat so entschieden wie er den Schritt vom krudesten Naturalis-
mus zur üppigsten Kirchlichkeit getan. Er stellte die naturalistische
Übung in den Dienst des religiösen Lebens, indem er der irdischen
Kunst Zolas einen „transzendentalen Naturalismus" gegenüberstellt, für
den sich Anfänge bei Dostojewski finden. Huysman ist kein Erzähler,
sondern ein literarischer Meister der Farben, Düfte und Klänge. Er ist wohl
der raffinierteste Wortmaler, den Frankreich besitzt, der Literat mit den
sensibelsten Augen. Daß er, wie sein Maler Cyprien {£n menage, 1881),
„die Traurigkeit der im Zimmer welkenden Levkoie dem Lachen der sich
frei erschließenden Rose" vorzieht, charakterisiert die Stimmung, die
ihn von der Welt ins Kloster führt. Er hat aber nicht nur die Herrlich-
keiten des Glaubens in Farbenpracht, Weihrauch und Orgelklang gehüllt,
sondern er hat auch die Wollust der Sünde gemalt und in „Lä-bas"(i89i)
aus der Schilderung der schwarzen Messe ein Bilderbuch des Satanismus
gemacht, als ein advocatus diaboli. Der innere Widerspruch zwischen
Huysmans raffinierter Kunst und der Schlichtheit des Evangeliums ist
freilich nicht allen Lesern entgangen.
A. Daudet. Zu den Naturalisten rechnet man auch A. Daudet, der Flaubert
seinen Meister nannte und mit den Goncourt befreundet war. Solche Zu-
weisung tut ihm entschieden Gewalt an. Was diesen liebenswürdigen
Erzähler mit den Naturalisten verbindet, ist die unstillbare Neugier, mit
der er seit den Kinderjahren dem Leben nachgeht, um seine Notizbücher
mit tausendfältigen „observatio?ts sur la vie'-'- zu füllen. Seine Erzählungen
sind ein Mosaik von documents humains , wie er uns berichtet. Auch
sie führen, wie die naturalistischen Bücher, in Großstadtelend und zu
menschlicher Schwäche und Verkommenheit. Er schreibt die „Geschichte
eines Arbeiters" und bezeichnet seine etwas laxen Romane gern als
Sittenbilder {nioeurs parisiejines). Er gibt meisterliche Milieuschilderungen.
Er, der „meridional", der den Einfluß südlicher Herkunft und Umwelt an
sich selbst erfahren und erkannt hat, weiß seine Helden eng mit dem
Milieu zu verbinden, das sie bedingt. Sein MIDI — er Hebt diese
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. 705
Majuskeln — wird ihm zur Persönlichkeit, zum mythischen Vater der
Tartarin, Roumestan und — Napoleons, Wollte er doch den g^anzen
Napoleon aus dem MIDI erklären. Daudets Stil hat teil an der Freiheit,
die der Naturalismus erzwungen hat und zeigt den Einfluß der Goncourt.
Er ist weniger raffiniert, trägt aber doch den Stempel kunstvoller im-
pressionistischer Arbeit.
Daudet hat sich nicht auf die Elendschilderungen des Naturalismus
beschränkt. Von keinen Theorien gefesselt, hat er eine Zickzackreise
durch alle Stände der zeitgenössischen Gesellschaft gemacht. Seine be-
wegliche Phantasie liebt figurenreiche Erzählungen und weiß sie lebens-
wahr zu führen. Ja er mischt eine gewisse Phantastik diskret in seine
Realistik und verbindet gelegentlich Märchen und Wirklichkeit. Ihn
trennt von den Naturalisten das ganze südfranzösische Temperament. Er
selbst spricht von seiner iiaturc dimprovisatcur d de trouvlrc. Flaubert
hat den „trouvere" in sich zum Schweigen gebracht; der Epiker Daudet
läßt ihn jubeln und klagen, singen und weinen. Seine menschliche Teil-
nahme klingt aus allen Büchern, bald laut, bald gedämpft entgegen. Oft
redet er den Leser direkt an in altmodischer Gemütlichkeit. Daudet ist
ein Humorist, einer der wenigen Humoristen, die Frankreich besitzt. Er
ist eine ganz eigenartige Künstlernatur, die inmitten einer Zeit natura-
listischer „impassibilit^" das glückliche Beispiel eines subjektiven Realis-
mus gab. Daudets Teilnahme für das menschlich Unvollkommene, die
übrigens nirgends sentimental wird, trägt seine Bücher über die Mode
des Naturalismus hinweg zu den Herzen der Menschen, „Sapho" ist
nicht nur ein besserer Roman als „Nana", sondern birgt auch wirksamere
„sexuelle Aufklärung". Daß seine Psychologie oberflächlich sei, darf dem
Verfasser der „Evangeliste" nicht vorgeworfen werden.
Man hat Daudet den französischen Dickens genannt, was ihm keine
Freude machte, weil damit eine literarische Abhängigkeit angedeutet war,
die er entschieden bestritt. Die Kindergeschichtc „Le petit chose" (1868)
verdankt „David Copperfield" nichts.
Daudets Werk ist in hohem Maße autobiographisch. Tisonner d€s
Souvenirs ist der malerische Ausdruck den er für sein Erzählen braucht.
Nirgends ist er dabei liebenswürdiger als in den kleinen Novellen, deren
er eine ansehnliche Zahl zwischen seine Romane streute. Gegenüber den
rein epischen Novellen Maupassants nehmen sich die Daudetschen wie
Lieder aus.
Eine andere Umbildung des Naturalismus .stellt Bourget dar. Auch d^
für ihn ist das Individuum durch die Umwelt bedingt — hat er doch -p*''^^*'**'»*«"
neuerdings unseren Goethe wesentlich als den Sohn eines angesehenen
Bürgerhauses gedeutet. Auch er betrachtet seine Romane als wissen-
schaftliche Untersuchimgen. Aber seine Veranlagung drängt ihn mehr
zur Beobachtung des inneren als des äußeren Mechanismus des Lebens. Er
ist vom Habitus Stendhals. Es zieht ihn die Zergliederung des inneren
3q6 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Menschen {Vhoimne viorat) an, die der klassische Naturalismus über der
Milieuschilderung vernachlässigt. Und für diese Zergliederung brachte er
einen hervorragenden Scharfblick, ein feines Empfindungsvermögen und
ein großes Darstellungstalent mit. Sein Stoffgebiet ist eng: es ist die
kosmopolitische Lebewelt der schiffbrüchigen Ehen mit ihren Helden
egoistischer Genußsucht, wo das Schlechte immer das Stärkere ist. Den
Instinkt- und Gehirnmechanismus einiger dieser sterilen Genüßlinge, dieser
„Raubseelen", hat er tief ergründet und höchst eindrucksvoll dargestellt
{Mensonges, i887; Le disciple, 1889). Aber in der Enge dieser Welt er-
schöpft sich seine Kunst rasch, sowohl seine Seelenmalerei als seine
Milieuschilderungen mit ihren eleganten Boudoirs, ihrer kostbaren Spitzen-
wäsche, ihren prunkvollen Hotels und unvermeidlichen Automobilen. Auch
der Neokatholizismus hat Bourgets Kunst keine neue Kraft gegeben, denn
es liegt bei ihm nicht eine Bekehrung vor, aus der ein neuer Glaube
sprösse, sondern nur der Übergang zu einer kirchlichen Partei. Er knüpft
heute nicht mehr bei Taine, sondern bei Bonald an und nennt sich mit
einem Wort jener Zeit einen Traditionalisten. Der Roman dieses Traditio-
nalismus ist „L'etape" (1902). Der einstige Künstler Bourget ist zum Mora-
listen geworden und bemüht sich nun, die Sensationserotik seiner
Jugendromane nachträglich in den Dienst seiner neuen Mission zu deuten.
Mit mehr Anmut, aber auch mit mehr Leichtfertigkeit behandelt der
kunstreiche Prevost die Erotik dieser Kreise. Er verteidigt gegenüber
dem Naturalismus eine „romantische Realistik" [le romanesque du rtel) und
sucht sie in weiblichen Schicksalen. Er füllt seine Bücher mit lüsternen
Herzensscharmützeln, deren Heldinnen auf allen Altersstufen stehen, vom
Mädchenfrühling bis zur herbstlichen Frau.
Von den schönen Sünderinnen dieser Welt des eleganten Müßigganges
und der Pornokratie werden die Erzähler leicht auf die Wege lasziver
Schilderungen geführt und es ist nicht zu leugnen, daß oft genug die
Unzüchtigkeit dieser „Psychologen" schlimmer ist, als die Unsauberkeit der
Naturalisten.
Psychologisch nennt sich diese Richtung der Epik im Gegensatz
zur „Physiologie" des naturalistischen und sozialen Romans. Sie will damit
die Verinnerlichung ihrer Aufgabe andeuten. Bedeutende Talente sind
dieser Richtung zugefallen. Aber die Eigenart dieser Talente fügt sich
keiner schulmäßigen Klassifizierung und die Unterscheidung zwischen
„psychologischem" und „sozialem" Roman selbst ist schwankend. Diese
Termini nennen nicht fest umgrenzt Besitzstände, sondern bezeichnen
Tendenzen. Der soziale Roman — die heutige Form des weiland
naturalistischen — stellt das Kollektivleben, die Umwelt und das gesell-
schaftliche Problem in den Vordergrund. Den psychologischen Roman
interessiert mehr das Individuum, ohne daß es freilich dem modernen Er-
zähler gestattet wäre, die bedingende Umwelt zu ignorieren. Man könnte
diesen Roman richtiger den individualistischen nennen. Der Widerstreit
F. Das 19, Jahrhundert. II. Die /.eil nach 1850. 507
der beiden Romanrichtungen, der sozialen und der individualistischen, ist
der Widerstreit des heutigen Leben.s. Auch der Roman wird seine höchste
Fonn in einer harmonischen Synthese beider finden, wie sie z. H. Hervieu
und Estauni6 versucht haben.
Hervieu ist ein scharfer Analytiker des Individuums und zugleich
von starkem sozialem Interesse erfüllt. Er hat .seine Helden enst unter
den Armen des Lebens und des Geistes gesucht und die gereifte kraft-
volle Kunst dann an die Schilderung aristokratischer Gemeinheit gewendet
{Piin/s par lux-mtmcs, 1893), ehe er zum Drama überging. Estaunie
schildert, Milieu und Individuelles mit hervorragender Kun.st verbindend,
wie geistliche Erziehung die Persönlichkeit zermürbt {L\mpreinfi\ 1895)
oder, welche Gefahr das gelehrte Proletariat für die Gesellschaft birgt
{Lc fermcnt, 189Q).
Der Roman ist endgültig aus dem engen Kreise der Liebesgeschichte
herausgetreten — was einst die Stael theoretisch verlangt und Balzac ein-
zuleiten begonnen hatte — und hat sich des ganzen Lebens bemächtigt.
Auf dem weiten freien Felde des Romans treten alle Ideen, die unsere
Zeit bewegen, zum Kampfe an: Gewissensfreiheit und Landflucht, Kinder-
arbeit und Nietzsche, Kirchentrennung und Feminismus. Der Roman ist
ein sozialer Training geworden und wartet auf den großen Künstler, der
diesem Geisteskampf die ebenbürtige Form geben mag.
Fem steht solchen Problemen Loti. J'ai pour rlgle de condiiite de p Lod.
faire toitjoiirs cc qiii vic plait cn depit de toute moralifc, de toute Convention
sociale; je ne crois a ricn fii a per sonne; Je nai ni foi ni esperance, sagt
er schon in seinem ersten Buche {Asiyade, 1879). Ihn, den Seemann, trägt
das Schiff von den Gestaden des Naturalismus in die Weiten des Meeres.
Daß er Sittenbilder aus dem Leben der Fischer und Matrosen seiner
bretonischen Heimat gibt, ist gewiß Einfluß naturalistischer Erzähler; auch,
daß die unendliche See, welche die Küste der Bretagne mit den Ländern
der Tropen und den Inseln des Eismeeres verbindet, seine Romane mit
ihrer Allgegenwart erfüllt wie ein Fatum. Lotis Beispiel zeigt, wie die
Erweiterung, die der Naturalismus dem Felde der Epik gegeben hat, auch
für solche fruchtbar geworden ist, die sonst in ihrer Kunstübung nichts
Naturalistisches haben.
Lotis Bücher sind Stimmungsbilder. Er ist ein Lyriker und dieser
Lyriker ist zugleich einer der größten literarischen Maler seines Landes.
Die Handlung seiner Erzählungen ist schwach, oft bloß, und wie wider-
strebend, angedeutet. Seine Menschenkun.st ist nicht herv<irragend. Er liebt,
einfache, primitive Wesen zu bilden, in deren Lust und Leid seine Me-
lancholie sich spiegelt. Seine üppige Sinnlichkeit ist von Todosgedanken
überschattet und diese unheilbare Traurigkeit spiegelt sich auch in den
herrlichen Natur.schilderungen, ob er die heimische Küste mit ihren regen-
schweren Wolkenvorhängen, ob er die brennende Wüste oder die Farben-
pracht der Tropen malt. Nicht der Exotismus ist das Wesentliche seiner
398 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Kunst, sondern die Stimmungsmacht, welcher der Zufall seines Berufs das
weite Meer als Reich angewiesen hat, so daß hier seine Dichtung zum
Erlebnis ward. Souverän gebietet Loti über dieses Reich und stellt neben
das fahle Licht des arktischen Meeres die Glut der tropischen Sonne in
wunderbarem Kontrast — Fichtenbaum des Nordens und Palme des
Morgenlands. Seine Vorliebe für das Abnorme, Krankhafte mischt oft
etwas Quälendes in die Poesie dieser Bücher und tut der rein mensch-
lichen und auch der künstlerischen Wirkung Eintrag. Man fühlt etwas wie
Vorsätzlichkeit. Loti bedient sich einer einfachen Sprache. Es charak-
terisiert den Lyriker, daß er gerne Wörter und Sätze wie einen Refrain
wiederholt. Seine freie, impressionistische Diktion ist viel schlichter als
die der Goncourt. — Leider ist dieser Poet später zum Reiseschriftsteller
geworden.
So war Frankreich gegen Ende des Jahrhunderts reich an ungewöhn-
lichen Talenten und an hervorragenden Schöpfungen. Man nehme das
eine Jahr 1887, das Lotis „Pecheurs d'Islande", Zolas „La terre", Mau-
passants „Le Horla" und Bourgets „Mensonges" gebracht hat, um daran
die Macht und die Weite dieser Kunst zu ermessen.
A.France. Wie der Lyriker Loti die elastische Form des Romans benutzt, um
immerfort sein Ich zu erzählen, so auch A. France, von dem das Wort
stammt: tout romaii est une autobiographie. Er ist Lyriker wie Loti;
aber nicht das weite Meer, sondern die enge Bibliothek, nicht das durch
alle Zonen fliehende Schiff, sondern die fest verankerte Studierstube läßt
seine Prosagedichte entstehen. Doch hat diese Bibliothek weitere Fernen
als das Meer Lotis: sie hat die unendlichen Horizonte menschlicher Ge-
schichte. Dem Seemann Loti fehlt jedes historische Interesse, das den
Polyhistor France allein leitet. Jener sucht primitive Menschen in
malerischer Szenerie. Die Reisen, die France durch seine Bücherwelt
unternimmt, führen ihn zu historischen Landschaften, den Zeugen alter
Zivilisation. Nicht ihr malerischer Wert fesselt ihn, sondern ihr geschicht-
licher, als Stätten denkwürdigen menschlichen Geschehens. Auf diesen
Stätten w^andelt er, um sich zu den fernen Menschen zu gesellen, die dort
einst das Leben erlitten haben. Mit unstillbarer Neugierde lauscht er den
längst verklungenen Reden, die sie miteinander geführt haben müssen und
gibt sie wieder: die Unterhaltung des Apostels Paulus mit dem Prokonsul
GaUio, die Gespräche der Anachoreten in der Wüste mit den Kindern der
Welt — und so durch Altertum, Mittelalter, Renaissance und Revolution
bis zur Gegenwart, von Korinth und Alexandria bis zur rue Saint-Jacques.
Er, der so gerne das Weltall einmal aus dem Facettenauge einer Fliege
sehen möchte, verschafft sich wenigstens den Genuß, den Weltlauf aus
den verschiedensten menschhchen Augen zu besehen: bald wie ein vor-
nehmer Römer, bald wie ein asketischer Franziskaner, bald wie ein
Revolutionsmann, bald wie ein Kind — und doch immer er selbst, klug
und liebenswürdig, sinnlich und para,dox. Die Geschmeidigkeit {le dilet-
K. Das IQ. Jahrhundert. 11. Die Zeit nach 1850 jqq
tantisme) dieser Intelligenz ist bewundernswert, bewundernswert die scharfe
Erfassung von Individualitäten, Orten, Zeiten, die den großen Künstler
zeigt, dem ein scharfer Kritiker zur Seite steht. Sein Stil ist von wunder-
barer Klarheit, der das Kleinste ins Licht setzt Und dieses ausgebreitete
Wissen, dieser kritische Sinn und diese künstlerische Gestaltungskraft
werden von „zwei guten Beraterinnen" geleitet: der „lächelnden Ironie"
und dem „weinenden Mitleid". Die eine, so sagt er, macht das Leben
liebenswert, das andere macht es heilig. Das ist die Stimmung des Hu-
moristen. Aus ihr fließen seit der prächtigen Geschichte vom „Verbrechen
des Philologen Sylvestre Bonnard" (1881) — einem der wenigen wirk-
lichen Romane, die France geschrieben — so viele große und kleine Er-
zählungen, in denen er „die Abenteuer meiner Seele" berichtet. Es ist die
Lebensbeichte eines vSkeptikers: alles ist eitel. Alle Wahrheit und alle
Lüge i.st relativ; was uns rettet ist die Illusion der schönen Form. Dieser
Skeptizismus legt seine Hand an alles Aber er ist, indem er alle Über-
lieferung lästert, nicht brutal und zornig, sondern mitleidig und lächelnd.
Nie hat der uralte Skeptizismus einen glänzenderen künstlerischen Aus-
druck gefunden. France ist sein modemer Poet. So behandelt er auch
die Dinge des Glaubens, man möchte sagen: mit einfältigem, frommem
Sinne. France gleicht hierin Renan: er ist von der nämlichen freundlichen
Unversöhnlichkeit gegen den Glauben. Auch ihn ziehen jene Zeiten an,
wo das Christentum mit Judentum und Antike rang. Ihn beschäftigt die
Pathologie der Frömmigkeit Er hat neulich das Problem der Jeanne
d'Arc behandelt und es ist leicht möglich, daß der kluge „Dilettant"
richtig sieht
„Uesprif spcciilati'f rend Uiommc impropre a Faction"' sagt France, der
die Welt lange Zeit von seinem Schreibtisch aus betrachtete, ohne in ihr
Treiben handelnd einzugreifen. Doch hat ihn immer wieder die Gegen-
wart angezogen und aus den Femen der Geschichte ist er immer wieder
zu ihr zurückgekehrt. „Histoire contemporaine" betitelt sich eine neuere
Serie seiner geistvollen „rotnans discouranfs". Und schließlich hat die
Allgewalt des Lebens auch über seinen Skeptizismus gesiegt und hat den
alten Zweifler in den Kampf des Tages gezwungen, wo er sich leiden-
schaftlich zu optimistischen Forderungen erhoben hat. So hat es sich auch
an ihm erwahrt, daß es dem Menschen nicht gegeben ist, mit einem völligen
Agnostizismus sich zu begnügen, und daß die Kämpfe der Gegenwart keine
Neutralität dulden.
A. France hat auch Verse geschrieben. Seine „Poemes dor<^s" ge- Ve« «Dd Pro«»,
hören zur reichsten pamassischen Poesie. Aber die endgültige Form seiner
Dichtung ward doch die Pro.sa und er gleicht darin so manchen hervor-
ragenden Künstlern der Gegenwart, welche die gebundene Rede
ihrer Jugend zugunsten der Prosa aufgegeben haben, wie Maupassant,
Bourget, Daudet Und der Lyriker Loti hat überhaupt keine Verse
geschrieben.
Literatur.
400 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
So wandeln sich die Zeiten! Im Mittelalter überwog der Vers bei
weitem die Prosa; er beherrschte das ganze Schrifttum, auch das gelehrte.
In unserem wissenschaftlichen Zeitalter überwiegt die Prosa; sie beherrscht
auch die dichterische Schöpfung. Und so hört man denn die Klage,
daß die Wissenschaft und der Naturalismus die Poesie ertöten. Die Klage
ist ungerecht. Wahr ist nur — trotz der glänzenden Gedankenlyrik Sully
Prudhommes — daß die moderne Poesie sich nicht mehr so leicht in die
Gebundenheit der Verssprache findet. Der moderne Gedanke ist zu kom-
pliziert, zu kritisch geworden für das Gleichmaß des Verses, das mehr
zum Ausdruck einfacherer Empfindungen und Vorstellungen paßt. Daher
die Rebellion der Verslibristes gegen den alten Zwang der metrischen
Form. Daher bei anderen, wie France, der Verzicht auf den Vers über-
haupt, dessen verslibristische Gestaltlosigkeit ihren Formensinn unbefriedigt
ließ. Nicht die Poesie, wohl aber das Gebiet der Versdichtung ist in der
modernen Zeit zurückgegangen. Und in dem Maße wie die Wissenschaft
selbst eine neue Quelle der Poesie wurde, hat sie auch ihre Sprache, die
Prosa, mit neuem dichterischem Leben erfüllt. Was der Vers verlor, hat
die Prosa an Poesie gewonnen.
Die dramatische Wic in dcr Romantik das „drame" über die Tragödie gesiegt hatte,
so wird es nun durch die „comedie" verdrängt, die von der Romantik
vernachlässigt worden war und nur in den literarischen Niederungen gedieh,
wo Scribe sie beherrschte. Jetzt, zur Zeit des Kaiserreiches, kam diese
Lustspieldichtung zu einer dreifachen, charakteristischen Manifestation in
den Operetten Offenbachs, den Possen Labiches und den Sittenbildern
Augiers und Dumas'.
Wie für die Jahre des lebenslustigen Ludwig XIV. die „ballets" mit
Lullys Musik und Benserades Versen charakteristisch sind, so für die Lebe-
welt Napoleons IIL die Libretti Meilhacs und Halevys, von „Belle
Helene" bis zur „Vie parisienne", mit der Musik Offenbachs: diese bouffonne
Verklärung des eleganten Skeptizismus und raffiniertester Genußsucht,
diese Dramatisierung der „blague". Die bürgerliche und provinzielle Welt
schildert mit einer unerschöpflichen Fülle närrischer Einfälle Labiche
{-}• 1880), der an seinen Zeitgenossen Breton de los Herreros erinnert. Auf
den Narrenspiegel seiner „comedies-vaudevilles" fällt der Strahl der Poesie
imd seine starke und gutmütige Wirklichkeitsfreude schafft in Karikaturen
Lebensbilder, die nicht nur beim Schein der Rampe, sondern auch im
Licht der Lektüre bestehen {Le voyage de M. PerricJwn, 1860). Das ge-
sungene Couplet schwand aus dem Vaudeville, dem es einst den Namen
gegeben, und verblieb der Operette.
Augier Auch Augier und Dumas sind, wie Sardou, Schüler Scribes. Aber
während Sardou sein Talent vorzüglich in Scribes Mache und Geschäfts-
kunst übte, haben jene mit hohem künstlerischen Ernste die Mache ge-
adelt und in den Dienst einer sozialen Mission gestellt, welche die Schranken
der Konvention nicht achtete. Man fühlt die Nähe der Welt, die Balzacs
Dumas.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. aqi
Realismus erschlossen hat. Augier und Dumas sind künstlerischer, tiefer
und entschlossener als Scribe. Der Ernst dieser realistischen Sitten.stücke
mit ihren tragischen Konflikten führte oft dazu, daß die Bezeichnung comcdie
als unpassend empfunden und durch das indiiferente piice ersetzt wurde.
Und oft genug machen diese pilccs von den dramatischen Freiheiten wenig
Gebrauch und stellen die letzten Stunden vor einer Katastrophe, eine bloße
Krisis, ohne Schauplatzwechsel dar, wie einst die klassische Tragödie.
Augier und Dumas zeigen in ihren Anfängen noch romantischen
Schmuck. Sie beginnen mit der romantischen Darstellung liebender Dirnen,
denen diese Liebe zum Verhängnis wird: Augiers Donna Clorinde {L'aven-
iurüre, 1848), und Dumas' Marguerite Gautier [Dame aux camilias, dramey
1852). Auch schreibt Augier erst in Versen. Aber die alte Verssprache
liegt ihm nicht und gibt etwas Unfreies auch seiner „Gabrielle", mit welcher
comt'tüc er 1849 seinen Weg findet: sie stellt den Sieg des Gewissens über
die romantische Leidenschaft dar. Das Beispiel einer Freundin und das
vertrauende Wort des Gatten erhalten die schwankende Gabrielle ihrer
Pflicht. Und nun gibt Augier in einem Dutzend hervorragender Stücke
das Maß seines Könnens vom „Gendre de M. Poirier" (1854) bis zu den
„Fourchambault" (1878), in denen das Problem der Familie — der reichen
und der armen „besseren" Familie — im Vordergrund steht. Die P'amilie
soll auf Neigung und Gewissen gestellt sein, nicht auf Mitgift, gesellschaft-
liche Stellung, auf Collage und Schein. Den Verheerungen, welche die
Jagd nach Geld und Genuß im öffentlichen Leben anrichten, folgt Augier
ebenfalls. Wuchtigen Schrittes tritt er in die Arena des politischen Kampfes
gegen Streberei, Reaktion und Klerikalismus. Es liegt eine große, ge-
sunde Kraft in diesen starken Dramen eines charaktervollen Dichters. Ist
ihm Dumas an Tiefe und Weitblick überlegen, so tut dafür bei Augier
keine „Philosophie" der energischen Lebenswirklichkeit Abbruch. Program-
matische Vorreden zu seinen Stücken zu schreiben, weigerte er sich. Er
hat eine unvergängliche Galerie defekter Menschen geschaffen, vom Drei-
viertelsehrenmann bis zum unzweideutigen Spitzbuben. Daß ihm die ho-
netten Gegenstücke, die edeln Offiziere, Gelehrten, Ingenieure — nternel
ingihiieur vertueux des romans et des comidies^ wie Lemaitre sagt — etwas
langweilig geraten sind, teilt er mit anderen Moralisten: es ist die Rache
der Kunst.
Dumas, der ßls naturcl eines pirc prodigue — die Helden zweier seiner
Stücke — schreibt aus andern Voraussetzungen heraus als Augier. Er
spricht auf Grundlage seiner eigenen irregulären gesellschaftlichen Stellung.
Er plädiert seinen eigenen Fall gegen die bestehende Gesellschaft, gegen
ihre Sitten und Gesetze. Seine comcdies und püces sind dramatische Plä^
doyers und damit man sie nicht mißverstehe, gibt er ihnen flammende,
etwas skandalsüchtige Vorreden mit. Ein „iln'iilrc utile"' will er schaffen,
trotz der Apostel des „Tart pour l'urt: trois mots absolumcnt vidts de sens".
So postuliert er das Tendenztsück {püce a tht'se). Er ist sein geistreicher
1)11 Kl-ltCR DIK GCUKXWAIIT. L II. I. 26
402
Heinrich Morf; Die romanischen Literaturen.
Virtuose. Was das Tendenzdrama, dessen Handlung so leicht schematisch
wird, dessen Personen so leicht blutleer geraten, dessen Rede so leicht
in aufdringliche Didaktik ausläuft — was dieses Tendenzdrama an wirk-
lichem Leben überhaupt fassen kann, das hat ihm dieser dramaturgische
Hexenmeister gegeben. Es bleiben Stellen genug, wo keine Realistik
über Schema, Symbol und Lehrhaftigkeit zu triumphieren vermocht hat.
So schwankt der Eindruck, den seine meisterlich geführten Stücke machen:
sie sind teils packend wie das Leben, teils erkältend wie die Theorie.
Für Dumas ist, wie für Augier, das zentrale Thema die Familie, die
Heiligkeit der Ehe. Aber Dumas kämpft insbesondere für die Frau, die
er heben, stärken und durch die Möglichkeit der Scheidung befreien will:
„Notre biit est de pro feger la femvie co7itre les dangers de l'ignorance, de
la misere et de loisivete . . . evipecher de choir ou tächer de relever . . ." Er
ist ein Vorkämpfer der Emanzipation der Frau, obschon das Wort ihm
mißfällt. Sein Hauptinteresse gilt der Rehabilitierung derer, welche die
Familie nach Sitte und Gesetz ausgestoßen hat: der unverheirateten Mutter
und ihrem Kinde, diesem Schmerzensproblem der Gesellschaft. Das ist,
was er seine eigentliche these sociale nennt. Er klagt diese Gesellschaft
an und plädiert für Milde. Indem er die Schuld des einzelnen der Ge-
samtheit aufbürdet, bekennt er sich zur naturalistischen Lehre, obwohl er
es ablehnt der ecole naturaliste 'pure anzugehören. Seine Produktion ist
nicht eben stark: anderthalb Dutzend Stücke. Aber sie zeigt kein Er-
lahmen. Das letzte {Francillon, 1887) ist wohl sein bestes. Daß sein erstes
Sittenstück „Le demi-monde" (1855) zu dem geflügelten Worte von der
Halbwelt führte, verdroß ihn. Sein demi-monde ist nicht die Welt der
käuflichen Liebe, sondern die der gefallenen Frauen. Gegen Ende seiner
Laufbahn spürt Dumas den Hauch Ibsenscher Dramatik. Er empfand
Ibsen als einen, der das weiterführte, was er selbst begonnen: die Revo-
lutionierung des sozialen Gewissens.
Augier und Dimias, die man, wie Corneille und Racine, immer zu-
sammen nennt, sind, wie diese, recht verschieden. Augier hält der Ge-
sellschaft den Spiegel ihrer konventionellen Unmoral vor und mit seinem
eindringlichen und aufrichtigen Wort sagt er ihr: So sieht's bei euch aus
— schämt euch! Dumas aber will bestimmte Opfer dieser konventionellen
Unmoral befreien und fordert eine Umwertung gesellschaftlicher Werte.
Er stellt die Dramatik in den Dienst von Thesen für eine Reform von
Gesetz und Sitte. Die beiden Männer sind sich im Leben nicht näher ge-
treten. Wenn Dumas dem altern Kollegen viel verdankt, so hat er doch
auch auf Augier Einfluß geübt und dieser hat sich ihm beigesellt im
Kampf für die Ehescheidung {Madajne Caverlet, piece, 1876) und die Re-
habilitierung des natürlichen Kindes und seiner Mutter (Z es Fourchambault).
Die machtvollen Schöpfungen dieser beider Dramatiker begründeten
eine neue eiu"opäische Herrschaft des französischen Theaters: auch die
germanischen Länder übernahmen dieses Sittenstück und bildeten es formell
F. Das 10. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^03
und stofflich nach und weiter — um mit diesen Weiterbildungen dann
wieder auf die französische Bühne /u wirken. Ibsen hat von Dumas
gelernt.
Unter den Vertretern dieser Sittenkomödie ist im Auslande besonders
Paillcron mit seinem „Monde oü Ton s'ennuie" (i86q) bekannt geworden.
Der Theoretiker der vSchule ist der geistvolle Fr. Sarcey (-j- 1899). Während
dreißig Jahren hat Sarcey all die Dramen, die den Regeln der pibce Inen
faxte nicht entsprachen, im Feuilleton des „Temps" der Mißbilligung des
Publikums überantwortet. Das technische Schema ging ihm über alles,
ein regelrechtes Vaudeville über Shakespeare, und es ist bezeichnend
für den literarischen Autoritätsglauben der Franzosen, daß Sarcey jahr-
zehntelang eine förmliche Herrschaft besaß.
Gegen das Schema dieser „Theaterküche" revoltierten in den letzten Di« i»*tnrau-
Jahren des Kaiserreiches die Jungen als gegen eine Künstelei. Sie pro- "^^'^ ^"™*'*''
testierten im Namen der Wahrheit und der Natur gegen Scribesche Szenen-
führung, gegen den ebenmäßigen Bau der Akte, gegen die Rollen, die
einem Bedürfnis des Optimismus entsprangen oder zur Belehrung des
Publikums erdacht werden {Ic personnage sympat/nque), gegen die lehr-
haften Tiraden. Diese Jungen kommen vom Roman her, der inzwischen
naturalistisch geworden war, keine Kunstregeln anerkannte und seine
Helden gern in den Niederungen des Lebens suchte. Aber die Dramen
dieser Romandichter wie Goncourt, Zola sind keine Kunstwerke, Auch
Daudets „Arl6sienne" (1872), dieses schöne Drama leidenschaftlich be-
wegten provinziellen Lebens, drang nicht durch. Da kam H. Becque H.BM»ioe.
^1837 — 99). Becque hat zwar gegen die Naturalisten polemisiert — wie
gegen jedermann — aber die Übertreibungen, die er ihnen vorwirft, finden
sich auch bei ihm. Er gehört zur Schule, So phantastisch sein „Michel
Pauper, drame en sept tableaux" (1870) sein mag, dieser edle Ingenieur
und Naturbursche Michel verrät schon durch die Nuance des Alkoholismus
seine literarische Herkunft und das dritte tableau des vierten Aktes {une
rue sur les quais)^ das ihn betrunken vor der Haustüre liegend zeigt,
während seine Frau mit ihrem Liebhaber über ihn wegschreitet, ist das
richtige Romanbild: Coupeau, Lautier und Gervaise {L'assomrnoir). Zu
wirklicher Größe erhebt er sich in den „Corbeaux" (1882), dem Bild einer
Familie, auf die nach dem plötzlichen Tod des Ernährers die Raben nieder-
steigen: Geschäftsfreund, Notar, Gläubiger, um aus der äußern und innern
Not der Schutzlosen Gewinn und Genuß zu ziehen: rücksichtslose, von
allen dramatischen Mätzchen freie Darstellung ergreifender Alltäglichkeit
in meisterlicher Charakterisierung. Und das selbe Lob gebührt der „Pari-
sienne" (1885), diesem dreiaktigen Ausschnitt aus dem Leben eines Weibes,
das in souveräner Amoralität sich mit sicherer Verstellung und Lüge in-
mitten zweier Liebesverhältnisse bewegt: einem menage h quatre. Becque
gibt uns diese wurmstichigen Personen in brutaler Wirklichkeitsfreude,
ohne jede Milderung, ohne einen erfreulichen Zug, ohne irgendwelche
26»
404
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Lösung, gleichsam höhnisch erklärend: so gemein ist das Leben. „Corbeaux"
und „Parisienne" enden beide mit dem Siege der Gemeinheit. Er nennt
diese Kunst: representer ses semblables. „In der Dramatik, erklärt er, gibt
es weder Gesetze noch Regeln; es gibt nur Werke . . . ich hasse das
Thesenstück/' Man dürfe bei ihm keine „Ideen" suchen; er sei kein Denker.
Das Publikum lehnte unter Sarceys Führung Becques grausame
Meisterstücke ab. Doch fand Becque begeisterte Anhänger, die gleich
ihm nicht kunstvoll aufgebaute Dramen, sondern bloß Lebensausschnitte
{tranches de vie) und tableaux gaben und die Wirklichkeit mit Vorliebe in
der Häßlichkeit der Zustände und der Gemeinheit der Helden suchten, sei
es aus künstlerischer oder philosophischer Überzeugung, sei es aus Re-
nommisterei. Eine ganze Welt von Jammer, Elend, Brutalität und Ekel
steigt auf die Bühne und trotzt zynisch jeder Konvention der Form und
des Inhalts {la comedie rosse, z. B. Goncourts Germinie Lacerteux^ 1887).
Das Diese naturalistische Dramatik fand seit 1887 in Antoines Th6ätre-
libre eine Stätte, welche die jungen Talente gastlich empfing und schon
in den ersten drei Jahren 125 „actes inedits" spielte, während die beiden
großen Staatsbühnen zusammen nur deren 92 brachten. So ward Antoines
Unternehmen von Anfang an zu einem starken Ferment dramatischer
Tätigkeit. Wenn indessen die „freie Bühne" während der sieben Jahre
ihrer Existenz keine andere Aufgabe erfüllt hätte, als die „Trotzstücke"
der Ancey, Ceard, Jullien usw. einem abonnierten Liebhaberpublikum
vorzuführen, so würde ihre Rolle bescheiden geblieben sein, denn die Mode
wandte sich von Becques Nachfolgern bald ab, obwohl ihre pieces, etudes
usw. mit der düsteren Auffassung des Lebens als einer amoralischen Ord-
nung viel intensive, packende Bilder geben (z.B. Hennique, EstJier
Brandes^ 1887; Ceard, Les resignes, 1889). Die Formlosigkeit der comedie
rosse wurde zur Formel, die Lebensverleumdung zur förmlichen These, ge-
wisse Rollen zu förmlichen Typen [le personnage cynique), und so erschöpfte
sich die Neuheit bald in Einförmigkeit und ward konventionell. Und das
war das Ende. Antoine kämpfte indessen nicht sowohl für die comedie
rosse als für jegliche Freiheit des Dichters und des Schauspielers: laisser
tenter ioutes les experiences war der Wahlspruch. Er kämpfte für natur-
getreue Inszenierung der Umwelt und, wie einst Moliere, für einfache, natür-
liche Diktion und Geste gegenüber dem konventionellen Vortrag und
dem stilisierten Pathos der führenden Bühnen. Er öffnete sein Haus den
Werken des Auslandes, den russischen, skandinavischen, deutschen: Tolstois
„ Macht der Finsternis " 1888, Ibsens „Gespenster" 1890, Hauptmanns „Weber".
Das Theätre-libre wurde das Einfallstor für diese „nordischen" Drama-
tiker, als deren Führer Ibsen galt, von dem in Frankreich hauptsächlich
die „Gespenster", „Wildente" und „Nora" bekannt geworden sind. Gewiß
hat das französische Publikum nie ein wirkliches Verhältnis zu dieser
fremden Kunst gewonnen und Sarceys Protest gegen die ibsenite war ihm
aus dem Herzen gesprochen. Aber einzelne Dichter sind durch das
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^05
nordische Schauspiel tief ergrifTen und beeinflußt worden. Ibsen besonders,
der grüblerische Wahrheitssucher, ward in ihnen mächtig-. Mit den weiten
Horizonten und den erbarmungslosen Tiefen seiner Stücke, an denen der
eine den Naturalismus und der andere den Symbolismus, dieser den
Sozialismus und jener den Individualismus pries, zwang- er zum Nachdenken
über die Probleme des Daseins. Er war, was Becque nie sein wollte, ein
Denker, und gab das Beispiel einer Dramatik der Ideen und Probleme, die
weder das Mittel kruder Gegenständlichkeit noch das der symbolischen
Einkleidung verschmähte. Das Element des Krankhaften, Schrecklichen,
Grausigen, Schicksalsmächtigen, das in diesem Theater eine hervorragende
Rolle spielt, führt von selbst zum Symbol. So reichte in der neuen
Bühnenkunst der Naturalismus dem Symbolismus die Hand — wie im
Roman.
Neben und nach dem Th^ätre-libre haben andere Bühnen, wie das
Th^ätre de l'CEuvre (seit 1892) seine Aufgabe weitergeführt. Auch die
„Cabarets" (seit 1880) haben daran Anteil, deren Scherz und Ernst für
manches junge Talent die erste Versuchsstation neuer Kunst war.
Die durch das Th^ätre-libre geleitete naturalistische Be wegging ist das oai Erb«» d«
große Ereignis in der Geschichte der französischen Dramatik der letzten Jahr- °^|^J,^ "'^
zehnte. Nachdem Sturm und Drang verrauscht, ist der Gewinn deutlich erkenn-
bar: das Gewitter hat erfrischte Fluren hinterlassen. Inszenierung und
Spiel der Bühne, die Handlungsführung der Stücke, die idiomatische
Nuancierung der Rede sind freier, lebenswirklicher, natürlicher geworden.
Die ganze dichterische Arbeit ist befreit von den Konventionen der
Schule: Niemand regiert und befiehlt. Die Künstler bilden statt zu reden.
Daß die Technik nicht selten leidet, ist unbestreitbar: das ist die Kehr-
seite der Freiheit. Das Feld des Dramatikers hat sich erweitert. Es ist
so weit geworden wie das Leben selbst und umfaßt auch das Dasein der
Kleinsten und Elendesten. Auch ihr Schicksal ist Menschenschicksal und
birgt für das Auge des Sehenden den Quell der Poesie, und der Künstler
hat das Recht, es nachzubilden. Daß dies heute anerkannt ist, ist das —
nicht nur soziale, sondern auch künstlerische — Verdienst des Naturalis-
mus. Niemand wundert sich, daß der feinsinnige A. France neben dem
Drama vom „Lys rouge" auch das Straßenbild „Crainquebille" (iqos) ge-
schrieben und mit den drei tablcaux ein kleines Meisterwerk geliefert hat.
Und wenige werden sich weigern, Courtelines „tragischen Possen" Kunst-
wert zuzugestehen. Aber nicht nur erweitert, sondern auch vertieft hat
sich die dramatische Arbeit, Die naturalistische Beobachtung h.it in der
Tiefe des menschlichen Handelns neue Beweggriinde erkannt, die den
Menschen bedingter und komplizierter erscheinen lassen, als die ältere
Dramatik ihn begriff. Die Psychologie des neuen Dramas hat daraus Ge-
winn gezogen.
Aus der naturalistischen Bewegung und zum Teil geradezu vom
Th^ätre-libre kommen die repräsentativen Dramatiker des heutigen Frank-
4o6 Heinrich IMorf: Die romanischen Literaturen.
Die „comedie rcich: Portoiiche, Donnay, Brieux, Hervieu, Curel und diese Herkunft
spiegelt sich auch im Schicksal ihrer berühmtesten Stücke: Curels „Fossiles"
sind 1892 vom Theätre-libre aus der Taufe gehoben worden und dann
acht Jahre später an die Bühne des Staatstheaters übergegangen. Diese
Dramatiker sind indessen weit davon entfernt eine Schule zu bilden. Porto-
riche und Donnay schildern mit Vorliebe die 7?t(Eurs mondaines der
Gesellschaft, deren Liebesleben Portoriche mit verfeinertem Naturalismus
tief erfaßt, während Donnay als ironischer Beobachter es mit schillernder
Rede geistreich umspielt. Nur schwach und unsicher ist in Donnays
Stücken der Hauch der neuen Zeit. Stark ist er bei Brieux. Brieux
kann als der moderne Augier gelten. Er stellt z. B. die demoralisierende
Wirkung der Mitgiftspekulationen dar {Les trois filles de M. Dupont, 1899);
doch merkt man deutlich, wie er in der Schilderung des bürgerlichen In-
terieurs von Becque gelernt hat. Ehrlich und kraftvoll behandelt er die
Probleme unseres Lebens. Wenn auch Brieux den Kreis dieser Probleme
viel weiter zieht als Augier und darin den Einfluß Ibsens verrät (z. B. Les
avaries), so ähnelt er Augier doch wieder darin, daß er gegenüber der
„Revolutionierung des Gewissens" Zurückhaltung übt {L'e'vasion). Aber
seine Kunst leidet unter der Lehrhaftigkeit. Die erzieherische Absicht
seiner Stücke macht sich zu sehr breit. Nicht daß er überhaupt in seinen
Dramen eine Tendenz vertritt und sich ein Problem vom Herzen schreibt,
darf dem Dichter zumVorwurf gemacht werden. Das Wort vom„Tendenzstück'''
ist ein Schlagwort und führt zum Mißbrauch. Jeder Künstler hat die
Tendenz seiner Persönlichkeit und jedes Kunstwerk spricht sie aus —
muß sie aussprechen. Aber es darf dieser Tendenz kein Opfer bringen.
Das aber tun die Dramen Brieux' und einzelne so sehr, daß in ihnen ge-
radezu das alte Thesenstück wieder ersteht (z. B. Les bienfaiteurs). Da
ist die künstliche Zurechtmachung der Handlung, da sind die simplistischen
Charaktere und die simplistische Lösung, wie sie das Leben nicht so restlos
bietet; da ist sogar die Figur des Räsonneurs, der den didaktischen Kom-
mentar vorträgt. Hervieus vornehme Kunst arbeitet mit feineren Mitteln,
und zu Unrecht bezeichnet man seine Stücke als pieces a these. Aber
etwas Geradliniges eignet sowohl der Handlung wie den Personen der
straffgebauten Dramen. Sie packen den Zuschauer durch die Folgerichtig-
keit ihrer Entwickelung und den inneren Reichtum ihrer Szenen, in denen
die Seelennot, welche Natur, Sitte und Gesetz über uns Menschen bringen,
erschlossen werden — und doch entlassen sie einen mit dem Eindruck,
daß der Dichter zu sehr konstruiert. Am wenigsten wohl in seinem besten
Stücke „La course du flambeau" (1900), einer Tragödie der Mutterliebe,
deren symbolischer Titel vom griechischen Fackellauf hergenommen ist,
bei welchem jeder die von seinem Hintermann empfangene Fackel eiligst
zu seinem Vordermanne weiter trägt, wobei aller Augen dem wandernden
Lichte folgen, ohne sich zurückzuwenden: so geben wir Menschen das
Licht des Lebens weiter, eine Generation der anderen, und jeder von uns
F. Das K). Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^07
blickt dem wandernden Lebenslichte nach — blickt nach seinen Kindern
und nicht zurück. Es ist ein Gesetz des Lebens, daß die Mutter ihr Kind
mehr liebt, als dieses seine Mutter. ,,La piete filiale nc rtsistc pas a
rt'prcuvi'' ist das Thema des „Fackellaufes" und es ist ergreifend behandelt
in den drei Figuren der Großmutter — in welcher der Quell des Lebens
versiegt ist — , der Mutter — die ihrer Tochter alles opfert — und dieser
Tochter, die sich von der Mutter abwendet, um dorn Licht des Lebens
zu folgen.
Der bedeutendste dieser Dramatiker ist ohne Zweifel Curel. Seine
„Fossiles" sind das beste Stück der letzten Jahre und auch sein bestes:
Das Bild des alten Adels, der fem von der demokratischen Welt, die er
nicht versteht und die ihn nicht brauchen kann, sich resigniert in Taten-
losigkeit verzehrt, während seine Kinder diese Tatenlosigkeit hassen und vor
Verlangen brennen, ins Leben zurückzukehren und als moderne Menschen
eine Mission zu erfüllen. Dieser Konflikt ist von Curel in origineller und
kühner Erfindung auf tiefen seelischen Fundamenten aufgebaut und zur
Tragödie gestaltet. Er hat das Thema von der sozialen Nutzbarmachung
der noblcssc iniitilc wieder aufgenommen im „Repas du Hon" (1897) und
es weiter geführt: Der Adel wird industriell und wird in die Arbeiter-
bewegung hineingezogen. Aber hier ist Curel, wie anderswo, der Gefahr
nicht entgangen, die im Hintergrunde dieser Stücke lauert: das didaktische
Pathos reißt ihn fort.
So greift der französische Dramatiker der Gegenwart mit entschlossener
Hand nach allen Problemen, die uns umgeben: Arbeiterfrage und Sozia-
lismus, Erziehung und Unterricht, Politik und Börse, Ehescheidung und
drittes Geschlecht, psychische und physische Heredität, Wissenschaft und
Dogma.
Neben dieser „com^die nouvelle", die zum Nachdenken zwingt und
erzieht, die eine Schule der Handlung und des Willens ist, steht ihr
Halbgeschwister und Widerpart: „le drame symbolique." Es ist aus der
nämlichen pessimistischen Weltanschauung geboren, aus welcher das natu- ^^ ^^^^^^
ralistische Theater hervorgegangen. Aber es ist nicht erzieherisch, wie d„sj.„boU.iiic
die „comedie nouvelle". Nicht der Wille, sondern die träumerische
Stimmung beherrscht es. Es ist poesieerfülltes aber unsoziales Spiel. Sein
vornehmster Vertreter ist Maeterlinck — nicht der Verfasser des lyrischen
Eflfektstückes „Monna Vanna", sondern der Dichter von „L'intruse", „Les
aveugles" (1890), „Aglavaine und Selysette", der aus der Tragödie des
Alltags — das ist sein Ausdruck — wie aus der Welt des Märchens
wunderbare dramatische Gebilde gestaltet: nicht Sitten- sondern Stim-
mungsstudien. Die Helden dieses Theaters sind Menschen mit dämmernden
Sinnen: Blinde, Greise, Irre, Kinder. Ahnen ist ihr Tun; lallen, schweigen
ist ihre Sprache. Von unbegreiflichen Schicksalsmächten geführt, wandeln,
taumeln sie angstvoll ihre Bahn. Man denkt unwillkürlich an die Kom-
positionen Sascha Schneiders. Der Tod ist der allgewaltige Beherrscher
4o8 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
dieses Reiches, in welchem köstliche Wunder nur geschehen, um in un-
abwendbares Leid zu versinken. Die Stimmung dieser lyrischen Bühne,
auf welcher — naturalistisch — die Inszenierung- mitspielt, ist beklemmende
Lebensverneinung. Neuerdings aber ist Maeterlinck unter Führung der
Naturbeobachtung zu nachdrücklicher Lebensbejahung gekommen und
schreibt, ein zweiter Michelet, vom „Leben der Bienen", von der „Intelli-
genz der Blumen". Und daraus ist, als ein Versprechen werktätigerer
Kirnst, „Joyzelle" (1903) hervorgegangen.
Von Maeterlincks Stimmungskunst geleitet, von Baudelaires Lyrik er-
füllt, und Flauberts „Herodias" vor Augen, schrieb O.Wilde seine „Salome"
(1893) französisch. Aus dem historischen Stoff machte er eine dramatische
Studie über sexuelle Perversität, die anwidert. Es ist das Werk eines
Kranken, der aber seine hohe Künstlerschaft von neuem erweist in der
Schilderung jenes römisch -orientalischen Königshofes, über dem gewitter-
schwer die Ahnung eines unentrinnbaren Unheils lagert, und in der Evo-
kation jener ganzen barbarischen Welt, in deren Soldatengespräche und
Judengezänk der Ruf des Evangeliums hineinklingt.
Neben dem Prosadialog des naturalistischen Sittenstückes ist der
klingende Vers des weiland romantischen Dramas nicht ganz verstummt.
Von Zeit zu Zeit folgt das Publikum gern seinem Rufe zu einer Fahrt ins
alte romantische Land und niemand hat mit diesem Rufe mehr Glück ge-
Rostand. habt, als Rostand. „Cyrano de Bergerac" (1897) hat durch seine glän-
zende Erweckung stolzer Vergangenheit, durch seine virtuose Wortkunst,
durch die lyrische Verherrlichung nationaler Eigenart all die Stimmungen
siegreich ausgelöst, die beim naturalisme und ibsenisme zu kurz gekommen
waren. Der Triumph dieses Stückes — den ganz Europa den Franzosen
abgenommen hat — ist ein Datum, aber kein Wendepunkt in der Ge-
schichte der Dramatik. Denn „Cyrano" ist zwar ein Werk der Poesie —
dem der Autor übrigens nichts Ebenbürtiges hat folgen lassen — aber
seine Wurzeln ruhen in der Kunstanschauung einer vergangenen Zeit.
Ein verspäteter Romantiker ist auch Gobineau, dessen Buchdrama,
historische Szenen aus der italienischen Renaissance (Savonarola, Cesare
Borgia, Julius IL, Leo X., Michelangelo, 1877), ein Werk ungewöhnlichen
dichterischen Könnens ist. In diesen Szenen voll tiefer Empfindung, hohen
Geistesfluges und leidenschaftlicher Erregung huldigt der Poet jenem
Rinascimento, dessen Herrenmenschen den „Rassenphilosophen" anzogen.
Auch der Philosoph Gobineau ist ja — nur ein Poet.
Das Buchdrama hat in Frankreich nicht die Bedeutung, wie im zeit-
genössischen England. Aber Renans Name {Drmties philo sophiques)
muß dabei genannt werden. Er hat Figuren aus Shakespeares „Sturm"
— den nach Mailand zurückgekehrten Prospero mit Caliban und Ariel —
sowie die Sage vom Dianaheiligtum am Nemisee zu geistvoller Behand-
lung von Zeitfragen, besonders zur Auseinandersetzung mit der siegreichen
Demokratie benutzt und in der „Abbesse de Jouarre" (1886) das heid-
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850, ^OQ
nische „Omnia vincit amor" zugleich weise und frivDl in Worthandlung
gesetzt.
Die französische — d. h. die Pariser — Bühne gehört nicht mehr wie KOckbUck.
zur Zeit der Romantik einer bestimmten Schule. Der moderne Individua-
lismus hat die Schultheorien zu Fall gebracht und die Autorität einer über-
ragenden künstlerischen Persönlichkeit fehlt. Der Dichter sucht sich selbst
den Weg. Der Sturm des Naturalismus hat eine Freiheit zurückgelassen,
wie sie kaum zuvor bestanden und welche die einen als Gewähr für die
Zukunft begrüßen, während die andern sie als Anarchie beklagen. Er
hat auch dem zeitgenössischen Drama des germanischen Auslandes eine so
einflußreiche Stellung geschaffen, wie sie nie vorher dagewesen. Die ein-
heimische Kunst hat dadurch einen mächtigen Impuls erhalten, ohne daß
sie nun, wie Angstliche befürchten, über ihrem weiteren Horizonte den
Blick für das eigene Volkstum zu verlieren Gefahr läuft.
Shakespeare ist endlich auf der französischen Staatsbühne eingezogen.
Die moderne Dramatik zeugt von ernster künstlerischer und sozialer
Arbeit. Das Verlangen nach einem nationalen Festspiel hat zur Wieder-
belebung des antiken Theaters von Orange geführt. Doch ist das moderne
Kunstwerk, nach welchem diese Bühne schreit, noch nicht geschrieben.
Auch die Volkstheaterbestrebungen haben eine Stätte und begabte Förderer
wie M. Bouchor gefunden. Das Ausland aber beurteilt zu leicht die
dramatische Arbeit der Franzosen nach jenen leichtgeschürzten Possen und
erotischen Unsittenstücken, welche die Pariser Boulevards, dieser ewige
Jahrmarkt, besonders für die neugierigen Fremden schafft und die mit
diesen Fremden den Weg in die Welt finden und die Franzosen in den
Ruf besonderer Frivolität bringen. —
Wenn auch Frankreich heute noch innerhalb der Romania die lite- Frankmchi
rarische Hegemonie besitzt, so hat es sie doch in Europa nicht mehr inne. J*"^»"»«^*""
, Hegemomo
Dessen Geist ist mündig geworden und, kosmopolitisch, widerstrebt er
einer be.stimmten Führung. Darüber klagt Frankreich seit Jahrzehnten.
„Lesprit europecn, sagt z.B. de Vogü^ 1886, uou!^ cchappc''. Noch kaufe
Europa französische Bücher aus Gewohnheit und Mode, aber das eigent-
lich bildende, nährende Buch komme nicht mehr aus Paris. Und tatsäch-
lich zeigt die Statistik, daß der französische Büchermarkt in seiner Ausfuhr
stark zurückgegangen ist und heute nicht nur weit hinter dem deutschen
und englischen steht, sondern auch vom nordamerikanischen überflügelt ist.
Ein langer Aufenthalt im Ausland hat de Vogü6 gelehrt, daß les iiivea
gnuralfs </ui tratiüformcnt l' Kiiropc ne sortent plus de Finne fnitK^aisc.
Die letzten zwei Jahrzehnte haben freilich gezeigt, daß dieses Urteil
einer Stunde der Niedergeschlagenheit übertrieben und daß Frankreich
keineswegs aus der Reihe der leitenden geistigen Mächte ausgeschieden
ist. Für das nationale Empfinden mag es schmerzlich sein, die alte Allein-
herrschaft verloren zu sehen. Aber die Menschheit hat ihren Gewinn da-
von, daß auch anderes Volkstum als das romanische entscheidend in den
4IO
Heinrich ]Morf: Die romanischen Literaturen.
geistigen Wettbewerb eingetreten ist — jenen Wettbewerb, oü Vecolier
dliier devicnt le maitre d'aujourd'hui, wie Renan sagt. Man wird dankbar
anerkennen, was die Welt dem französischen Schrifttum schuldet und wird
sich freuen, daß die Zeitläufte nun auch den Quell anderer, ursprünglicherer
Literaturen erschlossen haben. Die „äme fran9aise" sitzt lauschend an
diesem Quell. Sie schöpft aus ihm und ihr kunstvolles Lied erklingt im
Chor der anderen stolz wie je.
Italien. Das Jahr 1850 fand Italien besiegt und unfrei wie vordem.
Noch länger sollte der politische Kampf die besten Kräfte absorbieren.
Die Blicke der Patrioten waren auf den neuen König von Sardinien,
Viktor Emanuel, gerichtet, dem Cavours kluger Rat und Garibaldis rasche
Tat zur Seite stand. Brausend scholl Mercantinis Garibaldi -Hymnus
durch das Land:
La terra dei fiori, dei suoni e dei carmi
Ritorni, quäl era, la terra dell'armi !
Frankreich half 1859 gegen Österreich, aber das selbe Frankreich schützte
den Papst, so daß das junge „Regno d'Italia" sein natürliches Zentrum,
Rom, erst noch entbehren mußte. Mit der Einnahme Roms (1870) fand
endlich das vielhundertjährige Ringen seinen Abschluß.
Die Prosa. Seither hat Italien an der wissenschaftlichen Arbeit eifrigen und durch
glänzende Namen ausgezeichneten Anteil genommen, nicht nur in der
historischen und philologischen, sondern auch in der naturwissenschaftlichen
Forschung. Und seine Forscher sind oft Meister gemeinverständlicher Auf-
klärung, wie Lessona und Mosso. Lombroso hat den Ausnahme-
menschen, den Verbrecher und das Genie, vor das Forum der Psycho-
pathologie gezogen. Seine Lehre hat viel Beunruhigung gebracht, auch
bei den Literarhistorikern, aber sie hat weittragende Anregung gegeben.
Die Romantik hatte die moderne Literaturgeschichte geschaffen, die
das Dichterwerk als ein Dokument seiner Zeit anspricht und es aus seiner
Zeit heraus historisch -psychologisch zu verstehen versucht. Inmitten der
politischen Kämpfe war freilich die kritische Bewertung der Dichterwerke
stark politisch bedingt geblieben. Es hatte sich eine Art patriotischer
Ästhetik gebildet, die z.B. Cantü (f 1895) und Settembrini (-{- 1877) ver-
traten. Gegen solche Voreingenommenheit erhob sich De Sanctis (f 1883).
Er lehrt die Kritik des Varte per Varte und hat als Kritiker nicht seines-
gleichen in der lebendigen Wiedergabe des großen Kunstwerks. Aber
indem in seiner „Storia della letteratura italiana" (1870) die Meisterwerke
in machtvoller Offenbarung hervortreten, leidet die entwickelungsgeschicht-
liche Betrachtung Not und die storia bricht in eine Serie geistvoller
Monographien auseinander. Das heutige Italien hat begabte Schüler De
Sanctis', wie z. B. Croce, die seine ästhetische Kritik systematisch ausbauen
und geschichtlich vertiefen. Aber die Führung in der so außerordentlich
fruchtbaren literarischen Forschung'sarbeit des Landes hat die historische
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. 411
Schule. Ihr gehört G. Carducci an, und schon der eine zeigt, daß
entwickoluni^fsgeschichtlicher Sinn den ästhetischen nicht ausschheßt und
daß auch bei der historischen Forschung das Kunstwerk zu seinem Rechte
kommen kann.
Der populärste Schriftsteller ist heute wohl E. de Amicis (~ 1908), ein
Meister des „idioma gentile", der schönsten to.skanischen Prosa, deren
natürliche Eleganz alle Blätter seines umfangreichen literarischen Skizzen-
buches füllt: anmutige, kräftige, erhebende Blätter, voll Humor und Lebens-
freude. Daß er Liebe für das kleine Volk hat und leicht gerührt ist, hat
ihm viele Herzen gewonnen. Er selbst hielt seine literari.sche Philanthropie
für Sozialismus.
Die letzten Vertreter der romantischen Lyrik singen im Gefolge We Lyrik.
G. Pratis in der Lombardei. Vielfach gehen sie auf den Spuren des
Auslandes, wie der treffliche Heineübersetzer Zendrini (7 1879). Der
Priester Zanella (f 1888) erregt 1868 großes Aufsehen durch formvoll-
endete „Versi", die mit dem Ausdruck des Glaubens den Preis der For-
schung verbinden, die dem „Venerdi Santo" fromm zum Gekreuzigten
folgen und sich von der „Versteinerten Muschel" nachdenklich in vorbiblische
Zeiten führen lassen. Fogazzaros Verse sind aus der Schule Zanellas.
Gegen Pratis Schule erhob sich in der Mitte der fünfziger Jahre eine
kleine Schar junger Toskaner. Ihr Führer war G. Carducci (1836-1907), carducö.
der schon als Student die sentimentale und christliche Dichtung der Ro-
mantiker ablehnte und ihre nordische Gespensterpoesie sow^ohl wie Man-
zonis „Inni sacri" parodierte. Er spottet über das „sccolctfo 'M che
cristianeggia^\ über „gereimte und ungereimte Herzensragouts mit üblicher
Gefühlssauce", über Mondscheinpoesie. Der Klassizismus sei die befruch-
tende Sonne; der Romanticismo gleiche der bleichen Himmelsnonne Luna,
deren runde Fratze er verabscheue. Das Banale und Formlose der zeit-
genössischen Poeten ist ihm verhaßt. Die neue Richtung, die Carducci
mit seinen „Rime" (1857) wies, ist die nämliche, die zur selben Zeit in
Frankreich zum „Pamasse" führte. Carducci forderte für sie die An-
erkennung, daß sie alte, bodenständige, nationale Kunst bedeute.
Er war eine robuste Kampfnatur. Er nennt selbst den Zorn eine Quelle
seiner Inspiration. Sein politisches und kirchliches Freidenkertum kleidete
er gerne in agressive Form. Und in dem Streit, der sich dann entspann,
hieb er wuchtig drein. Seinen naturalistischen H}Tnnus auf Gedanken-
freiheit und Lebensfreude betitelt er „Inno a Satana" (1863). Er widmet
dem Pariser September von 1792 einen Sonettenkranz mit der Aufschrift:
„(^a ira". In den „Polemiche", die sich daran knüpften, führte er die
glänzende Klinge eines überlegenen Stilisten. Er war auch Gelehrter.
In klassischer Prosa hat er eine reiche geschichtliche und kritische
Forschung geborgen. Mit ihr und mit seiner Lehrtätigkeit an der Uni-
versität Bologna hat er, der Mann der Arbeit, eine blühende Schule der
Arbeit gegründet
412
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Als Kämpfer ist er sich treu geblieben. An seiner Versöhnung mit
der Monarchie war der Politiker und der Poet in gleicherweise beteiligt:
jenen leitete die Liebe zu einem starken Vaterland; diesen begeisterte die
j^Regina si mite e bella^^. Er hat mit vorbildlichem Mute zu seiner Über-
zeugung gestanden und ist damit siegreich geblieben. Nachdem ihn 1891
die Studenten insultiert, hat ihm schon vor 1907 die Nation gehuldigt.
Immer selbstbewußter wurde seine antikisierende Kunst. Ihr Klassi-
zismus scheut vor dem derben Wort nicht zurück. Er ist realistisch, das
Gegenteil des alten akademischen Klassizismus. Er ist modern. Mit den
„Rime nuove" blickt Carducci auch über Italien hinaus, nach Herders
„Stimmen der Völker", nach Platen, Goethe, Heine, Hugo. Da er Goethe
nicht in den Reim setzen kann, reimt er „Volfango". Diese bunten „Rime"
sind von herrlicher Sprachkunst, voll plastischer Bildlichkeit. In ihrem
Lied des Lebens und der Kraft fehlt der Ton der Melancholie nicht und oft
blickt der Dichter „con gli occhi iiicerti trdl sorriso e il pianto''. Leider
fehlt auch nicht die rhetorische Amplifikation, obwohl Carducci den natio-
nalen Hang zur Rhetorik, auch in seiner Poesie, sichtlich bekämpft.
1877 nahm er den Versuch wieder auf, die antiken Versgebilde,
alkäische, sapphische Strophen, Hexameter, italienisch nachzubauen. Seit
der Renaissance hatten viele sich daran gewagt; die einen, indem sie eine
sprachwidrige, quantitierende Poesie schufen, die andern, indem sie die
antiken Versmaße akzentuierend wiedergaben. Carducci schlug sich zu
diesen und seiner feinen und doch freien Kunst gelangen die „Odi bar-
bare", deren Wortakzent die antiken Rhythmen wie ein sonores Echo
wiedergibt. Er wagt es, Bilder modernsten Lebens in diesen alten Rahmen
zu spannen, z. B. den Abschied im Bahnhof an einem Novembermorgen.
Aber er bietet mehr als solche Kunststücke. Er hat in diesen Oden Un-
vergängliches geschaffen, Lieder von hehrer, kraftvoller und doch zarter
Schönheit, in denen das Leben Italiens in goldener Fülle flutet. Und in
unteilbarer Einheit: das Italien der Römer und das der Italiener, ab urbe
condita bis auf den heutigen Tag. Immer schweift des Dichters Auge von
hier nach dort, in glanzvollen Visionen. Noch blühen im „grünen Um-
brien", „an den Quellen des Clitunno" die alten Rindertriften, Getreide-
felder und Weingärten und — hindurch saust, neue Arbeit schaffend, der
Eisenbahnzug, Wie liegt die schlafende Roma zum Erwachen bereit, an
ihre Hügel gelehnt! Der Anblick eines stolzen Pferdes oder eines be-
scheidenen Langohrs, der seinen Kopf über die Weißdomhecke streckt,
führt Carduccis Gedanken zu Pindar und Homer. Die eleganten Weiber,
die sich zu Gerichtsverhandlungen drängen, in denen ein Mörder um seinen
Kopf kämpft, führen seinen Zorn zu den Römerinnen des Gladiatoren-
zirkus. Seine Verse sind erfüllt von antiker Sage und Geschichte. Es ist
Philologenpoesie — aber Philologenpoesie eines Italieners : die Kultur des
Landes ist ihr lebender Kommentar. Er reicht freilich nicht überall aus.
So ist Carduccis Poesie zwar berühmt, aber nicht populär geworden. Er
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. «I?
hat nie nach Popularität gestrebt. Ihm genügte, das Maß seines Schaffens
in sich selbst zu linden und er selbst zu sein. Er hat ein imponierendes
Bei.spiel künstleri.scher Selbständigkeit und Aufrichtigkeit gegeben. Er ist
als Künstler, Gelehrter und Mensch ein Erzieher seiner Nation geworden^
wie sie seit Dante keinen mehr besessen.
Mit den kunstvollen „Rime e Ritmi" schloß er an der Jahrhundert-
wende sein Lied.
Die reiche lyrische Poesie des heutigen Italien zeigt auch bei den
Widerstrebenden einen tiefen Einfluß Carduccis. Ihn verrät der begabte
aber maßlose Cavallotti, der die Form der „Odi barbare" bekämpfte,
und der graziöse Panzacchi.
Carduccis Nachfolger haben wohl neue Formnuancen gefunden und
haben Töne angeschlagen, die beim Meister nicht miterklingen; der un-
erschöpfliche Reichtum der italienischen Landschaft hat ihnen der neuen
Bilder eine Fülle gewährt — aber ihren „Odi", „Canti", „Poesie", „Fantasie",
so viel Schönheit sie bergen, schadet die Nähe des Meisters.
Die klassische Form ist das ernste Kleid der Gedankenlyrik. A. Grafs
eindrucksvoller Pessimismus — der sich seither zur Lebensbejahung ge-
wendet hat — trägt es [Medusa, 1880) und ebenso die Naturphilosophie
G. Pascolis. Pascoli, der heute Carduccis Lehrstuhl inne hat, ist ein
echter „Pamassien", ein Dichter von vollendeter klassischer Form, wie
Polizian, und ein Künder der Religion der Wissenschaft, wie Sully Prud-
homme. Er umfängt die Natur, die große Lehrmeisterin der modernen
Forschung, mit tiefer Liebe. Er lauscht mit Andacht ihrer erlösenden
pantheistischen Lehre. Diese Natur ist ihm in schwerer ländlicher Jugend
vertraut geworden. Nicht „Blumen", sondern bescheiden „Sträucher"
{AlyricaCy 1891) betitelt er seine Lieder, die von verborgenen Reizen der
Natur singen. Melancholie zieht durch sein Werk; der Schatten des von
unbekannter Hand ermordeten Vaters überragt es, ohne es indessen düster
zu gestalten. Aus dem Schmerz fließt ihm nicht Verzweiflung, sondern
tiefe Erkenntnis, Mitleid und Hoffnung. Man möchte Pascoli den bedeu-
tendsten unter den lebenden Dichtern Italiens nennen. Gedankenschwer
und rein sind die wundervollen Verse dieser Lieder.
Wie mager und steril erscheint daneben das Getändel der Lebemanns-
poesie des O. Guerrini {Posfuma^ 1879), deren Sinnlichkeit und Eleganz
einst nicht nur Italien entzückt hat.
Schrill tönt in diese formvollendete Dichtung hinein das Prolctarier-
lied Ada Negris {/wA/Z/A/, 1893), packend in der Ursprünglichkeit des
Ausdrucks von Liebe und Haß. Ihre Kunst hat Schwielen, wie die Hand
des Arbeiters, und sie verunzieren sie nicht. In der Idealisierung dieses
Arbeiters, in der Karikierung des Bourgeois, in der Verherrlichung einer
zukünftigen Ordnung der Dinge gibt sie völlig und unmittelbar die
Empfindungen ihres Milieus wieder. Sie ist ein starkes Talent, das
Schmerz und Not geweckt haben, und das nun in glücklicheren Tagen
414
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
D'Annunzio.
weiter wirkt und zum Preise der rettenden Mutterschaft sich wendet
{Mafentifa, 1904).
Neben dieser plastischen und malerischen Lyrik, die das Abbild des
formen- und farbenreichen Landes ist, kommt die Lyrik des Symbolismus
mit ihren verschwommenen Farben, vagen Linien und musikalischen Quali-
täten nicht zu wirklicher Entfaltung. Zarte Gebilde sind Fogazzaros
Gedichte {Poesie scelte, 1898), aber die Willkür der Form erscheint im
Lande des Klassizismus als unkünstlerische Nachlässigkeit. Fogazzaros
Lyrik weist nach dem Norden; seine Kunst hat überhaupt starke germa-
nische Affinitäten.
Auch DAnnunzios Bemühen im freien Vers ist umsonst. Aus Car-
duccis strenger Schule ist dieser Künstler in alle Fernen des symbolistischen
Raffinements entlaufen. Jetzt baut er die Gesänge „Laus Vitae" — einen
Hymnus auf Pan — aus regellosen „musikalischen" Zeilen. Zu einer Zeit,
da Frankreich vom „Verslibrisme" zurückgekommen ist, beginnt D'Annunzio
die „vers libres" zu pflegen: er geht hier hinter den französischen Lyrikern
her, wie er in seinen Romanen hinter Zola und Maupassant herschritt.
Nicht als Führer erscheint er, sondern als ein Epigone. Aber ein lebendiger
Schönheitssinn und ein herrliches Sprachtalent geben ihm imbestreitbare
Künstlerschaft. Nachdem er sie in seiner früheren Lyrik reich entfaltet,
ist er immer mehr einem emphatischen Virtuosentum verfallen. Man
spürt den Geist Marinis: far stupir la gente. Seine Muse sucht nach
Effekten in allen fremden Literaturen. Ihre üppige Formenkunst bedarf
der Anlehnung. Es klingt oft wie ein ausgesungenes Lied, was dieser
Virtuose immer noch weiter singt. Pascoli und D Annunzio — der Dichter
des Mitleids und der Dichter des Genusses! Diesem hat eine raffinierte
Sinnlichkeit das Maß und die Kraft geraubt, ohne die es keine große
Kunst gibt.
Brunst erfüllt auch D'Annunzios Romane und diese Brunst selbst hat
etwas Unwahres, Ausgeklügeltes, nicht sowohl Erlebtes als Erwünschtes.
Das wird Übermenschentum genannt und ist doch nur — neurasthenisch.
In dem unzüchtigen „Piacere" erklingt die Musik der wunderbaren Sprache,
glänzt der Reichtum der Farben, wogt der Rhythmus der Formen imd das
alles ist eine Offenbarung seltener Kunst. Aber „L'innocente" ist ein
rohes Buch und wenn der „Trionfo della morte" (1894), mit welchem der
Romanzyklus „Die Rose" abschließt, künstlerisch höher steht, so ist er
doch nicht gedankenreicher und nicht lebenswirklicher. Diese Bücher als
die Boten einer „Renaissance latine" zu erklären, wie die „Revue des
deux Mondes" 1895 tat, war um so mißlicher, als sie DAnnunzios Ver-
satilität und Unselbständigkeit verkünden: nicht nur die Franzosen von
Zola bis Bourget sind an diesen Büchern beteiliget, sondern auch bald
Goethe und Shelley, bald Tolstoi und Dostojewski, bald Ibsen und Nietzsche.
Und wenn er in späteren Romanen die „intellektuellen Hausgötter des
lateinischen Geistes" gegen die nordischen Barbaren zu verteidigen imter-
F. Das 19. Jahrhundert. II. I )ic Zeit nach 1050. 4^1 c
nimmt, so ist das etwas spät und wird dabei weder sein „Egotismus" maß-
voller, noch seine Kunst inhaltsreicher.
Italien ist reich an Romanliteratur, nicht nur an Unsittenromanen, die
auf Sensation ausgehen und eine aufgedonnerte und geschminkte Houdoir-
und Abontourerwelt schildern. Es hat vortreffliche Erzähler, die aus liebe-
voller Beobachtung der Menschen und Dinge heraus, wahr und mit wirk-
licher Kunst das Leben schildern, wie der Horentiner Castelnuovo, der
Sardinier S. Farina, der Genuese Barrili, die Xapoletanerin Serao: be-
kömmliche Kost für das Lesepublikum. Diese Erzählungskunst ist auch
bei solchen, die nicht wie D'Annunzio geradezu piagieren, stark von Frank- i>er /Vm«
reich beeinflußt. So bei einem der größten, dem Sizilianer V^erga, dem
Führer, der 1878 den Kampf für den italienischen Naturalismus (IVrismo)
leitete. Verga lehrt und übt die „unpersönliche, experimentelle" Kunst
der französischen Naturalisten. Er widmet den vom Leben Unterjochten
einen Romanzyklus (/ 7'infi) wie Zola. Seine gedrungenen Novellen er-
innern an Maupassant. Aber er ist kein Nachahmer. Was er von seinen
sizilianischen Fischern und Bauern erzählt, ist von solcher Hellsichtigkeit,
solch unerbittlicher Wahrheitsliebe und solch ursprünglicher Kraft, daß
die Selbständigkeit dieses Künstlers sich selbst verkündet.
Der italienische X'erismo ist nicht den Ausschreitungen des französischen
Naturalismus verfallen. Er ist maßvoller geblieben, wie auch die Romantik
maßvoller geblieben war. Er hat in dem Lande Manzonis, der ja selbst
Verist sein wollte, keinen förmlichen Sturz erlebt. Die Erzählungskunst
hat veristischen Charakter bewahrt. So in den prächtigen Bildern aus Scherz
und Ernst des Lebens der toskanischen Maremma, die R. Fucini, genannt
Neri, in seinen „Abenden" gab {Le i'cglie di Neri, 1882). So in den
fesselnden Büchern, in denen Grazia Deledda Natur und Menschen ihrer
schönen und wilden sardischen Heimat erzählt und aus denen der würzige
Hauch eines in seiner Ursprünglichkeit fast antiken Lebens entgegen-
schlägt. So in dem sozialen Roman, in welchem G. Cena ergreifende
Bilder aus den dunkelsten Räumen eines Turiner Miethauses gibt, wo
ringende Bravheit mit Krankheit, Laster und Verbrechen zusammengedrängt
wohnt und die Besitzenden mahnt {GH nmmoiitori, 1903I Ja, auch der
träumerische Fogazzaro gibt seinem Spiritualismus veristische Züge und Ko<»««4ro.
den Hintergrund mundartlicher Rede.
Längst hatte Fogazzaro in der Versnovelle „Miranda" und im heimat-
lichen Landschaftsbild „Valsolda" gezeigt, welcher Seelenschildorcr und
Naturmaler er ist und hatte in Romanen wie „Daniele C'ortis" (1885» hohe
Kunst und hohe Lebenslehre vereinigt, als er mit seiner Trilogie „Kleine
Welt der Väter", „Kleine Welt der Gegenwart" und „Der Heilige«
(1896-1906) großes und berechtigtes Aufsehen erregte: Vorgeschichte,
Lehr- und Wanderjahre und tragisches Ende eines modernen Heiligen.
Der fromme Fogazzaro gibt dem kirchlichen Mißbehagen der gebildeten
Welt künstlerischen Ausdruck. Zur nämlichen Zeit, da Frenssen in prote-
4ii
Heinrich Morf; Die romanischen Literaturen.
stantischen Landen seinen Kai Jans bildet, schafft Fogazzaro im katholischen
Italien seinen Piero Maironi. Maironi, der mystische Prediger einer christ-
lichen Demokratie, die über den Konfessionen steht, wird von Kirche und
Staat als Unruhstifter verfolget und erliegt ihren unheiligen Mächten, bei
deren Schilderung sich Fogazzaros Humor in beißende Ironie verwandelt.
Fogazzaro setzt das Werk religiöser Regeneration, in dessen Dienst
Manzoni und Rosmini gearbeitet haben, fort. Doch geben moderne Kunst
und Wissenschaft seinem Streben besonderes Gepräge. Er sucht als
Denker den Darwinismus mit dem Glauben zu versöhnen und gewährt als
Poet in den tiefen Menschenoffenbarungen seiner Romane der Liebe Raum
und Ruhm.
Dramatik Auf den alten Goldoni berufen sich und nach seinem Beispiel richten
nd Mundart, g-^j^ ^^^ Lustspicldichtcr, wclche heimatliches Leben auf die Bühne bringen.
Gherardi del Testa schafft in den fünfziger Jahren mit seinen toska-
nischen Possen saftige iesH di lingiia parlata. Bersezio setzt im mund-
artlichen „Monsü Travet" der piemontesischen Beamtenschaft ein Denkmal.
Ein unerschöpflicher Born der Komik fließt aus dem provinziellen und
munizipalen Leben den Komödiendichtern zu. Die Dialektstücke enthalten
viel Sinnreiches und Feines. Mehr als einem gelang, gleich Bersezio, die
Schöpfung einer Figur, die das Interesse des ganzen Landes fesselte.
Vergas „Cavalleria rusticana" ist ursprünglich ein solches Dialektstück.
Am lebendigsten ist das mundartliche Theater heute wieder im goldonischen
Venedig, dank der exquisiten Kunst des zarten Gallina und des tempe-
ramentvollen Bertolazzi, während das einst so reiche „teatro milanes"
sich vorübergehend erschöpft zu haben scheint.
Es ist bezeichnend, daß heute, trotz nationalistischer Proteste der
sprachliche Munizipalismus in dem politisch geeinten Italien mehr blüht
als je. Die endliche Erlangung der Unitä hat in dem frisch pulsierenden
Leben des Landes viele Kräfte für regionale Interessen frei gemacht. Das
Land fühlt sich stark genug, um die Dezentralisierung zu ertragen, die
auch in der Literatur eine reiche Erschließung der Talente mit sich bringt,
denn mancher vermag sein Bestes nur in der Mundart zu geben. Das
zeigt insbesondere die Blüte der dialektischen Lyrik und Epik, die Dich-
timg eines Crespi (Mailand), Renato Fucini (Pisa), Pascarella (Rom),
Di Giacomo. Di Glacomo (Neapel). Ihr Erfolg ist durchaus nicht auf Heimatstadt und
Provinz beschränkt. Es handelt sich nicht bloß um Lokaldichtung in
unserem Sinn: es handelt sich um eine Poesie von wirklich künstlerischer
Gestaltung, die ihren allgemein menschlichen Motiven buntes Lokalkolorit
und eigenartigen Tonfall zu geben vermag. Sie wird von Rezitatoren
über das ganze Land getragen, bringt dem Norditaliener den Süden nahe
und umgekehrt. Sie trennt nicht, sie verbindet.
Doch kehren wir zum Theater zurück. Gewiß hat Italien auch in den
letzten fünfzig Jahren eine eigentliche nationale Dramatik nicht geschaffen;
aber es hat auf den Bahnen, die das französische und nordische Theater
F. Das 19. Jahrhundert. II Die Zeit nach 1850. ,17
ihm vorausschritt, Schönes und auch Eigenartiges gefunden. So mit den
Martini, Vater und Sohn. Jener begann 1H54 mit dem „Cavalier d'in-
dustria"; dieser schenkte 20 Jahre später feine und anmutige „Proverbi",
welche die Nähe der Mussetschen nicht zu scheuen haben. Reich ent-
faltete sich die historische Dramatik. P. Ferrari bildete zuerst (1851) und '
mit großem Erfolg historische Lustspiele, deren Helden Goldoni, Alfieri,
Dante, Parini sind. Mehr nach Art der Romantiker gestaltete P. Cossa
seit 1870 Dramen aus dem antiken und mittelalterlichen Rom. Er strebte
danach, mit kräftiger Lokalfarbe Bilder wirklichen Lebens zu geben. Er
schafft mit der Figur des klassischen Histrionen Nero eine Künstlerkomödie
und wählt später auch Messalina und die Borgia zu Helden. Die originellen
Stücke sind von starker dramatischer Wirkung. Aber weder die historische
noch die künstlerische Durchbildung Cossas war tief genug, um die Welt
seiner Stücke glaubhaft zu machen.
Das Beispiel Augiers und Dumas' führte zu Dramen — der Italiener Da» lotui«
nennt auch sie gerne „commedie" — , die ein soziales Problem behandeln. ^*°^
Ihre lehrhafte Gestaltung durch P. Ferrari schuf dieser Dramatik der
Thesenstücke {commedie a tesi) scharfe und schließlich erfolgreiche künst-
lerische Gegnerschaft. Andere sind an die realistische Aufgabe, die pro-
blematischen Naturen der modernen Gesellschaft zu dramatisieren, mit
tauglicheren Mitteln herangetreten und haben die Tendenz den Anforderungen
der künstlerischen Gestaltung untergeordnet. So der fruchtbare und ge-
schmeidige Skeptiker Rovetta (seit 1876), während freilich bei Butti
(seit 1892), der auf Ibsens Spuren geht, die Tendenz im Kampf gegen
moderne Mächte (Sozialismus, Atheismus) deutlich über die kraftvolle Kunst
sich erhebt Noch hat keiner von den talentvollen Jüngern wie Bracco,
Praga, gegen die auch das Ausland mit seinem Beifall nicht kargt,
die Reife des jüngst verstorbenen Giacosa erreicht Vom zierlichen
Phantasiespiel seiner „Partita a scacchi" (1873) hat er sich allmählich —
die Führung der Franzosen ist deutlich zu erkennen — zum Sittendrama
gewendet, das er mit der Eigenart eines gesunden Talentes und einer tiefen,
edlen Menschlichkeit behandelt Die „Tristi amori" (1888) sind ein ergrei-
fendes Ehebruchsdrama ohne lärmende Katastrophe. Man fühlt in der
Trauer, die das Stück durchweht, des Dichters Mitleid mit den unglück-
lichen Menschen. Die Geschichte der unverstandenen Gattin nach Ibsens
Art zu behandeln (/ diritti d^iranima)^ gelang ihm weniger gut Aber ein
hervorragendes Werk ist die Tragödie des Wohllebens „Come le foglie"
(1900), der rauschendste Theatererfolg der neueren Zeit: wie dürre Blätter
fallen im Sturme des finanziellen Zusammenbruchs die untauglich ge-
wordenen Menschen.
Und nicht nur der Mann bringt diese Probleme unseres öffentlichen
und privaten Lebens auf die Bühne. Auch Frauen treten mit entschlossenen
Fragen und unerschrockenen Lösungen auf den Plan: Frau Rosse lli und
T eres ah.
Dra KoLTO» Dm Gmmkwakt. L 11. 1. 2y
Aig Heinrich Mork: Die romanischen Literaturen.
Die italienische Literatur der Neuzeit ist durch eine rege und frucht-
bare Teilnahme der Frau ausgezeichnet in Lyrik, Roman und Drama.
D'Annunzios Spüit man in dieser Dramatik den sozialen Geist Manzonis, so führen
die Tragödien D'Annunzios weit ab von ihm. D'Annunzios Tragödien
sind vom Geist seiner Romane. Das strahlende Kleid der lyrischen Diktion
freilich ist von oft wunderbarer Schönheit. Lebende Bilder von berücken-
der Lieblichkeit oder üppiger Pracht nehmen die Sinne gefangen. Aber
dieser Glanz birgt eine mitleidlose, eine kranke Kunst, die sich an Greueln
imd Blut weidet. Es ist die tragische Glorifikation des Menschen, der
sich als Übermensch gebärdet, weil er genußsüchtig'er und perverser ist
als die anderen. Das Haus der Atriden zieht D'Annunzio an {La citta
mortd). Aus der mitleiddurchtränkten Szene bei Dante macht er in „Fran-
cesca da Rimini" ein „Poem der Wollust und des Blutes" wie er selbst
sagt. D'Annunzio hat sich die griechische Tragödie zum Vorbild genommen:
er ist ihr in der „Figlia di lorio" am nächsten gekommen, diesem Leiden-
schaftsdrama aus den heimischen Abruzzen: hier hat ihn die lebende
Wirklichkeit in Schranken gehalten, die sein Asthetentum sonst nicht
kennt. Hier spielt sein Bergvolk mit. Mit dem Helden Brando seiner
Tragödie „Piü che l'amore" (1906) kehrt er indessen zur alten Botschaft
des Übermenschentums zurück und behauptet, seinem Volke eine Lehre
der — Energie zu geben, die es nicht verstehen will. Da ist Lessonas
„Volere e potere" einleuchtender und wirksamer.
Wenn man erwägt, welchen Einfluß in Frankreich die Tradition gut
geleiteter Theater auf die dramatische Produktion gehabt hat, so sieht
man mit Bedauern, daß die italienischen Städte zwar Schauspielhäuser,
aber keine stehenden Bühnen haben. Als ob ihnen das Wandern aus der
Zeit der Commedia dell'arte noch im Blute läge, ziehen die Schauspiel-
truppen auf Gastspielreisen von Stadt zu Stadt. Es ist die innere und
äußere Misere des ambulanten Künstlertums. Der Mangel an ständiger,
literarischer und materieller Leitung verunmöglicht einen Spielplan, ver-
hindert die künstlerische Erziehung von Schauspieler und Publikum und
hemmt das Schaffen der Poeten. Leider sind auch die jüngsten Versuche
der Städte, ständige Bühnen zu schaffen, gescheitert. Die Hauptschuld
liegt wohl am Publikum, das für eine ernste Dramatik — es nennt sie
schlechthin teatro di frosa — wenig Tnteresse hat. All die Jahrhunderte
italienischer Literatur zeigen das Zurückstehen der dramatischen Dichtung
hinter Epik und Lyrik.
Der Patriotismus. Mögcu die Richtungcu der heutigen italienischen Literatur noch so
sehr auseinandergehen — in einem Worte finden sie sich immer zusammen:
im Worte vom Vaterland. Die innige Verbindung von politischem imd
literarischem Empfinden, die in den langen Freiheitskämpfen sich gebildet,
dauert noch. Ein künstlerischer, ein wissenschaftlicher Erfolg ist in Italien
immer auch ein patriotisches Ereignis, Der Ton, der jenen drangvollen
Zeiten entstiegen, hallt noch heute durch das Werk des Poeten. Der natio-
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^jq
nale Held, Garibaldi, ist der Held der Dichtung. Garibaldi, Caprera! tönt
uns aus Carducci und Pascarella, aus D'Annunzio und Pascoli entg^egen.
Und zu Romulus ist von Garibaldi, der „nuova Roma novello Romolo"
nur ein Schritt. Antikes und modernes Leben fließen in eins zusammen:
das stille Mantua ist die Stadt Vergils und die Arbeiter des Simplon-
tunnels sind noch „die eisernen Kohorten". Über dieser dritthalbtausend-
jährigen N'ergangenheit weht heute die Tricolore: ,,la bella, la pura, la santa
öanJicra dei tre colori ", deren Namen Carducci seinem ganzen Dichterwerk
als Geleite mitgibt: Fior triculorc!
Das Vaterland ist heute Anfang und Ende jeglicher Dichtung in Italien.
Frankreich und Italien haben auch ihre nationalsprachlichen Organi-
sationen, ihre „Sprachvereine" und zwar in charakteristischer Verschiedenheit
Während der Franzose mit seiner Weltsprache sich als beatus possidens
fühlt und die „AUiance fran^aise" auf die weitere Ausbreitung dieser
Weltsprache bedacht ist, ist der italienische Sprachverein zum Schutz
bedrohter Bestände gegründet. Jene hat sprachliche Missionare, dieser
sprachliche Schutztruppen. Er hat diese Truppen nicht nur an der Grenze
gegen Slawen- und Deutschtum mobil gemacht, wo gereizte Stimmungen
den Kampf schmerzlich gestalten, sondern er breitet eine schützende Hand
über das Italienertum des ganzen Erdenrunds. Er begleitet den Aus-
wanderer in die Neue Welt und nimmt sich seiner Bildung an diesseits
und jenseits des Ozeans, in Zürich und in Neuyork, in Lima und San
Francisco. Dieser Sprachverein trägt den Xamen „Dante Alighieri". Das
italienische Sprachtum ist auf der ganzen Erde in den Schutz dieses
Größten gestellt, der von sich selbst gesagt, daß er zwar in Florenz ge-
boren, daß aber sein Vaterland die ganze Welt sei: ego cui mutidiis est
patria siciit piscibus acquor.
Spanien und Portugal. Der Völkerfrühling von 1 848 ergriff
Spanien nicht. Portugal hatte schon 1847 einen Staatsstreich der Reaktion
erlebt, dessen Schatten sich dauernd auf das Land senkte. So fand die
Mitte des Jahrhunderts die iberische Halbinsel von schweren Bürger-
kriegen erschüttert In ungleichem Fortschritt bewegte sich das Land auf
der Bahn zum modernen Staat Freunde und Gegner dieser Entwickelung
blickten nach Prankreich. Ein J. de Maistre entstand dem Lande in
Donoso Cort^s, der im Bunde mit dem französischen Ultramontanismus
eines Veuillot die modernen Ideen vom zahmen Liberalismus bis zu den
Lehren des „ciudadano Proudhon" mit einer bilderreichen Beredsamkeit
bekämpfte, deren leidenschaftliche Erregung den Leser ergreift {Ensayo
sobrc cl catolicismo, 1851). Die Revolution von 1868 stürzte die Königin
Isabella. Tief wurde das Land aufgewühlt Die politische und religiöse
Krise führte in Spanien zu einer neuen Verfassung mit allgemeinem Stimm-
recht, bürgerlicher und kirchlicher Freiheit und einer entschiedenen Ver-
weltlichung des Lebens. Auch der Rückschlag, der die Restauration der
420
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Bourbonen (Alfons XII., 1874) brachte, vermochte diese Grundlage nicht
mehr gänzlich zu zerstören. Hinter einer republikanischen Partei, die nach
1850 in Erscheinung tritt, hat sich seit 1882 auch eine sozialistische er-
hoben. Unter schweren parlamentarischen Kämpfen ist eine politische
Arbeit geleistet worden, die vom Ausland leicht unterschätzt wird. Die
Rechtseinheit ist geschaffen, die soziale Gesetzgebung gefördert. Aber
das seit 1848 ernüchterte Europa verfolgte eben mit Mißtrauen die wort-
reiche Politik der Cortes und lauschte zweifelnd dem harmonischen Wort-
schwall mit welchem ein Charmeur wie der treffliche E. Castelar diese
Arbeit enthusiastisch begleitete. Ein echt spanisches, hauptstädtisches Ab-
bild dessen, was sich seit 1830 im Lande begeben, bieten die schlichten
„Memoiren eines Siebzigers", mit denen der treffliche Beobachter Meso-
nero Romanos 1880 seine sittenschildernde Tätigkeit schloß. Zorrillas
gleichzeitige „Recuerdos del tempo viejo" aber sind eine poetische Im-
provisation.
Nachdem mit dem Verlust der letzten Kolonien der Alp des Welt-
machttraums gewichen, wird das Land mit noch mehr Erfolg seiner inneren
Arbeit obliegen, die ihm wirtschaftlichen Aufschwung und Volksbildung
bringen soll. Noch heute besitzen Spanien und Portug'al, trotz wohl-
meinender Verfügungen, kein geordnetes Schulwesen. Die Bevölkerung
zerfällt in Akademiker und — Analphabeten. Der wissenschaftlichen
Forschung, die die Nationen verbindet, folgen jene mit regem Interesse.
Die große naturwissenschaftliche Arbeit des 19, Jahrhunderts zwar ist ge-
tan worden, ohne von ihnen Förderung zu erfahren; aber die geschicht-
lichen Studien haben durch sie wesentliche Bereicherung gewonnen und
man darf anerkennen, daß die Eigenart der peninsularen Kultur: der musel-
mannische Einschlag, das Rechtsleben und die Literatur, von hervorragenden
einheimischen Gelehrten vorbildlich dargestellt und erforscht wird. Da
ist der Katalane Milä y Fontanals, der Portugiese Th. Braga und — der
Menendez y hervorragendste — der Spanier Men^ndez y Pelayo, der mehr als
^°' irgendein anderer die Geistesgeschichte Spaniens aufgehellt hat. Menendez
ist von der Geistesrichtung J. de Maistres; er ist „Traditionalist" und ver-
urteilt die modernen Ideen. Er erklärt nicht nur, er verteidigt Intole-
ranz und Inquisition. Hat er in jüngeren Jahren dieser Weltanschauung
leidenschaftlichen Ausdruck gegeben, so hat ein Leben unausgesetzter
Forschung, die ihn über die Romania hinaus auch zur germanischen
Kultur geführt hat, sein Urteil geklärt und gemildert. Seine Arbeit steht
im Dienste des Patriotismus. Ihn schmerzt es, Spanien mißachtet, weil
verkannt, zu sehen. Er will sein Vaterland rehabilitieren, seine Eigenart,
seinen Anteil am Werk der Kultur aufweisen. Menendez' gelehrte Bücher
sind ein temperamentvolles Plaidoyer und auch die, die seine Resultate
ablehnen und z. B. nicht geneigt sind, Calderön den dritten Platz der
Weltliteratur nach Sophokles und Shakespeare anzuweisen, werden seine
Worte nicht ohne tiefen Eindruck lesen.
F. Das 10. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. «2 1
Men^ndez betont sein Lateinertum. Er hat Horazon nicht nur ein
gelehrtes Buch {Ilonicio en Kspaha), sondern auch Verse ^.(ewidmet, in
denen er die literarische „Herrschaft der Teutonen und Slawen" beklagt.
Er verkörpert die „klassische«* Reaktion gegen d<;n Romantici.smo. Aber
wie romantisch ist in Spanien selbst der Klassizist! Wie romantisch i.st
Menendez, der so nachdrücklich die Rückkehr zur einheimischen Tradition,
auch in der Philosophie, lehrt!
Menendez erklärt dankbar, daß er bei Ste-Beuve gelernt. Doch ist der
tiefe Eintluß der deutschen Forschung bei ihm nicht weniger unverkennbar,
und auch seine etwas formlose Komposition ist nicht französischer
Observanz.
Neben der gelehrten literarhi.storischen Forschung fehlt Spanien auch
nicht die strenge literarische Tageskritik, wie sie L. Alas (f ic/oi), ge-
nannt Clarin, an den Größen des Tages unnachsichtlich geübt hat.
Auch Frauen treten in dieser ernsten Arbeit der Regeneration hervor
als entschlossene und beredte Vertreterinnen moderner Gedanken: so jene
Emilia Pardo Bazan, für die Paris — der Salon der Goncourt — eine
Schule der Gedanken und der Kunst geworden ist.
Der spanische Geist hat in den fünfziger Jahren aus Deutschland eine
überraschende Beeinflussung erfahren. Auf einer Studienreise lernte
Sanz 1843 die Lehre des 1832 verstorbenen unglücklichen H. J. Fr. Krause
kennen, einen „Pan-en-theismus" mit mystischen Allüren, voll sittlichen
Ernstes und humanitärer Schwärmerei. Sanz machte sich daraus ein eigenes
„System" und lehrte diesen „Krausismo" 1854 — 69 an der Madrider Uni-
versität, zu einer Zeit, da Krause in Deutschland selbst schon völlig ver-
schollen war. Die liberale Jugend saß zu seinen Füßen. Er hat gewiß
fruchtbare Gedanken ausgesäct und zur Befreiung der Geister beigetragen.
Doch ward die Gemeinde der „Krausisten" schließlich zur Sekte und ver-
fiel. Später wandte sich das spanische und portugiesische Freidenkertum
dem französischen Positivismus zu.
Die beiden Länder haben seit 1850 die literarischen Wandelungen ihc i.vnk
der übrigen Romania mitgemacht. Portugal ist dabei in starker Ab-
hängigkeit von Frankreich geblieben; ja es war französische Sprache und
Literatur in der portugiesischen Gesellschaft bis zum letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts fast verbreiteter als die einheimische. Die letzten
Jahrzehnte haben einen Umschwung gebracht und das portugiesische
Schrifttum etwas selbstbewußter werden lassen. An diesem Umschwünge
ist besonders die Lyrik beteiligt. Nach dem Vorbilde der französischen
„Parnassiens" hatte sich schon um 1865 die sogenannte Schule von Coim-
bra gegen die selbstgefällige Art der schwülstigen Romantik erhoben.
„Bom-senso e bom-gosto" betitelte A. de Quental das Manifest dieser
Eschola (U Coimbra. In dieser Universität entstand, wie einst im Bologna
G. Guinicellis, ein „neuer süßer Stil" der Liebeslyrik mit Joao de Dcus
(I 1897) u"f^ c*i"t? Gedankenlyrik mit Quental (-j- 1891). „In Portugal sind
42 2 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Alle Dichter", sagt Braga im „Parnaso portuguez moderne", und wo so
Viele singen, fehlt auch die Stimme Heines nicht, der mehr als irgendein
anderer den Ruhm deutscher Lyrik durch die Welt getragen hat. Araujo
Becquer. singt ihm nach. Aber eigenartiger tat es der Sevillaner Becker (Becquer,
1837 — 70), der trotz seines Namens nicht deutsch konnte, aber ferner
deutscher Herkunft ist. Becquer war ein echter Poet, auch darin, daß er
sein Leben nicht zu disziplinieren verstand. Er hat, von Hoffmann angeregt,
phantastische Novellen geschrieben. Er hat ein Bändchen Lieder {Ri?nas,
1872) hinterlassen, deren einfacher und doch kunstvoller Bau und deren
Inspiration auf Heines „Intermezzo" weisen. Es sind die Klagen eines
Dichters, der von Hoffmann kommt, der „sich davor fürchtet, mit seinem
Schmerz allein zu sein" und in wehmutvoller Träumerei vor sich hin
singt — für sich, ohne an ein Publikum zu denken, das man durch den
Pomp des Wortes fesseln muß. Diese in sich gekehrte Lyrik, die in
Schleier und schlichtem Gewand auftrat, erschien dem Spanier fremdartig:
Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
die auch dann nicht eigentlich heimisch wurden, als Nachahmer sie künst-
lich zu züchten unternahmen.
So romantisch Becquer unserer Empfindung erscheint, so sehr kon-
trastierte er mit dem spanischen „Romanticismo palabrero", gegen den
Campoamor. sich die Poetik (1881) und die Poesie des Spruchdichters Campoamor
(7 iQOi) wandte. 1846 erschienen seine ersten „Doloras". Mit diesem
erfundenen Namen bezeichnete er frei gebaute metrische Gebilde von
knapper Form, die unter Verzicht auf poetischen Schmuck eine Lehre der
Lebensweisheit — meist durch eine kleine dramatische Szene — illustrieren.
Oft sind es Fabeln — man möchte sagen: Lessings Fabeln in gereimter
Prosa. Manches ist sehr eindrucksvoll gestaltet, oft ganz kurz („Humo-
rada") mit der antithetischen Gedrungenheit des alten Conceptismo, bis-
weilen zu „pequenos poemas" erweitert. Campoamor sucht den Zusammen-
hang mit dem modernen Leben, mit der Wissenschaft. Sein Pessimismus
ist verträglich. Die Tendenz {/a intencionalidad) soll, wie er selbst sagt,
in dieser „poesia transcendental" alles sein; die metrische Form ist gleich-
sam nur ein Reif, der das Ganze zusammenhält — ein mnemotechnischer
Behelf. Während einer langen Laufbahn hat Campoamor diese Dichtungsart
unermüdlich gepflegt. Man fühlt die Anstrengung. Es ist viel Banales
mit untergelaufen. Mancher Binsenwahrheit ist dabei zu viel Ehre ge-
schehen und schließlich hat der Dichter auch zu schwächlichen Ent-
lehnungen gegriffen.
Zur wort- und farbenreichen Dichtung der Romantiker bildet diese
„Doloras "-Poesie einen vollendeten Gegensatz. Dort ist alles Leiden-
schaft — hier bloß leise Erregung, und auch die fehlt leider nur zu oft.
Wenn, wie behauptet worden ist, Campoamors Dichtung unspanisch
wäre, so würde sich ihr Erfolg, der ein halbes Jahrhundert füllte und zur
F. Das 19. Jahrhundert II. I>ic Zeit nach 1850. ^2*
Dichterkrönung- (iHgc)) führte, nicht erklären. Die Lehrhaftigkeit ist
immer ein charakteristischer Zug des spanischen Schrifttums gewesen und
die Konzision der Form hat gerade in Spanien ihre Virtuosen gefunden«
Sem Tob hat unter Peter dem Grausamen „Proverbios morales" ge-
rrimt — Campoamor tut 500 Jahre später das nämliche mit der reiferen
Kunst des k^ Säkulums. Der Prosaismus des lehrhaften Campoamor und
die Überschwänglichkeit des rhetorischen Zorrilla sind äußerste Gegensätze,
aber sie sind beide bodenständige Vertreter des Kspanolismo.
Campoamors Erfolg entfesselte eine Flut gereimter Gedankensplitter.
Doch erklingt neben dieser Eintönigkeit die spanische Lyrik reich und
mannigfaltig von den Lamartineschen Weisen des Ruiz Aguilera (Blcos
nacionahs, i84(); Elrgias, 186;^) und den Satiren des Garcia y Tassara,
der die Konvulsionen des „glaubenslosen Europa" von i8.}8 und den Sieg des
deutschen Attila von 1870/71 im Stile Barbiers verwünscht, bis zu der
ausgesuchten Sprachkunst des M. Reina {El jardin de los poetas, igoo)
und den zarten ländlichen Liedern des Murcianers Medina {Aires muK'
ein n OS, 1899).
Eine Schule wie die des französischen „Parnasse" kennt Spanien nicht
Der Geist des Landes widerstrebte dieser antik -heidnischen Kunstübung.
Wohl aber gab es Dichter, die im Gegensatz zur Romantik zu strengerer,
selbstbewußterer Technik neigten und dabei ihre Blicke auf Leconte de
Lisle richteten. Der bedeutendste von allen ist Nunez de Arce (f 1903). NoS« de Ar«.
Die Revolution von 1868 rief diesen Lyriker auf den Plan, da er sein
Land haltlos von der Anarchie zur Diktatur schwanken sah. Den wech-
selnden Ereignissen folgt sein Sang. Er schleudert Lieder des Zornes
gegen das „kleinliche Geschlecht", das die Freiheit schände, das „keinen
Dichter, keinen Künstler, keinen Soldaten" aufweise und vereinigt sie in
seinen „Schlachtrufen" {Gritos de combate , 1875). Es ist machtvolle Rhetorik
in den erzgegossenen Strophen dieser „Gritos": die glänzende Rüstung
eines konservativen Kämpfers, dem für die „madre Rspafia" und für ihren
Glauben bangt. Xunez hat sich später auch umfangreicheren lyrisch-epischen
V^orwürfen zugewendet. Er hat den Realismus reizender Idyllen in kunst-
reiche Terzinen und Strophen gefaßt. Sein Zehnsilbler erinnert an den
Alexandriner des Leconte de Lisle. Er meistert das Sonett gleich den Par-
nassiens. Er hat den modernen Kampf zwischen Glauben und Zweifel in
der Person Luthers {La Vision de fray Martin) symbolisch dargestellt
Dieser „Luther" enthält in seinen „versos sueltos" zwar keine tiefe Seelen-
ofTenbarung, aber eine Serie glänzender Bilder und, trotz des Fluches, der
das Ganze endet, ein ernstes Streben nach Objektivität Das Gedicht hat
1880 leidenschaftliches Interesse erregt.
Nunez hat seinem Land eine Lehre der Energie, auch der künstlerischen, Di« draoutucb«
gegeben. Seine ersten Werke galten der Bühne. „El haz de lena" {Reis- '-'••"♦«'
holz, 1872) ist berühmt geworden: es ist der Stoff des Don Carlos, nicht in
der romantischen Beleuchtung Schillers, sondern im Lichte der Geschichte,
424
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
die Philipp IL längst gerechter geworden ist. In den Jahren der Revo-
lution wollte der Traditionalist Nunez die glanzvolle Vergangenheit auf
den Brettern erstehen lassen: ein grito de combate auf der Bühne.
Damals aber war die historische Dramatik schon hinter dem modernen
Thesenstück im Stile Augiers und Dumas' zurückgetreten. Der lehrhafte
Charakter dieser Sittendramen und ihr Realismus entsprachen in hohem
Maße spanischer Neigung und schufen Erholung von den Extravaganzen
der Romantik.
Lopez de Ayala (1829 — 78) gibt mit seinen trefflich gebauten, in
sonoren klassischen Versen sich bewegenden Stücken Lehren der öffent-
lichen und privaten Moral, gegen renommistische Verführungskunst, gegen
die Geldgier, die vor der Vernichtung von Existenzen nicht zurückschreckt
(„Die Prozente", 1861), gegen das Wohlleben, dem die Rechte des Herzens
geopfert werden („Consuelo", 1878). Über die Vielen, die erfolgreich diesen
Tamayo y Baus. Weg gingen, erhebt sich Tamayo y Baus (1829 — 98). Ein Schauspieler-
kind, begann er schon in jugendlichen Jahren für die Bühne zu schreiben.
Er bildete sich an Bearbeitungen Schillerscher Trauerspiele. Das Vorbild
Ponsards führte ihn zur römischen Welt, die er in einer „Virginia" (1853)
zu fesselnder Handlung „romantisch" ausbaute. Eine farbenprächtige
Comedia gab er in der „Edelfrau" [La ricahembrd), in der das starke Leben
des Romancero pulsiert; eine tiefe psychologische Studie über die Königin
Johanna (1506) in „Liebeswahnsinn". Seine Stücke werden bei allem
Realismus tiefer, der Aufwand von Personen und Intrigen geringer. Er
gibt den leicht spielerischen Romanzenvers auf und greift zum gemesseneren
Zehnsilbler oder zur Prosa. So vorbereitet trat er nach einer Pause in
die Kampfdramatik ein, als katholischer Gegner der modernen Gesellschaft.
Er schrieb das beste Thesenstück, das Spanien kennt, die „Ehrenhändel"
[Lances de honor): ein kühner Angriff auf den Duellzwang. Politische
Machenschaften bilden den Hintergrund dieses ergreifenden Kampfes zweier
Weltanschauungen, an dessen Schluß über der Leiche eines Schuldlosen,
der Katholizismus triumphiert. Die Leidenschaften des Tages umtobten
das Stück (1863), wie sie es auch erfüllen: der Sturm des politischen
Kampfes wirft seine Wellen in die ungleichen Häuslichkeiten zweier De-
putierter. Das Pathos des spanischen Lebens wogt in diesen Familien-
szenen. Die leidenschaftUche Anteilnahme des Dichters durchzittert das
Ganze und doch zwingt er sie unter die Kunst. Vier Jahre später erlebte
Tamayo seinen größten Erfolg mit jenem „Drama nuevo", mit dem er,
den Kampf unterbrechend, sich wieder zur Behandlung eines seeUschen
Problems wendet, eines Problems des Schauspielerlebens , das ihm aus der
Jugend so vertraut war. Yorick, der Lustigmacher, begehrt von seinem
Direktor Shakespeare eine tragische Rolle zugewiesen zu erhalten. Theater-
intrigen treten ihm in den Weg, und Verräterei weckt in ihm die Eifer-
sucht gegen sein junges Weib und seinen Freund Edmund. Als er die
ersehnte Rolle sich erkämpft hat und sie nun spielt, gewinnt die Leiden-
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. *2S
Schaft solche Macht über sein Spiel, daß es ernst wird und er den Freund
ersticht. Wie die Leidenschaft, die der vSchauspieler spielt, bei der Be-
rührung mit der Wirklichkeit zu heißem, verzehrendem Leben wird, das haben
seit Lope de Vega Verschiedene dargestellt, indem sie „die Bühne auf die
lUihne brachten". Im „Drama nuevo" ist der ergreifende Stoff in die
Hand des wahren Künstlers gefallen, der in Bau und Sprache (Prosa) ein
Meisterwerk geschaffen hat. Hier hat Leoncavallo seinen „Bajazzo" ge-
funden.
Tamayo ist der größte Dramatiker des modernen Spanien. Er hat
mit vierzig Jahren sein Schaffen eingestellt. Seinem kunstvollen, vom Leben
durchglühten Realismus ist kein echter Erbe erstanden. Sainete, Zar-
zuela und leichter französischer Import dominierten nach 1870. Eche- Ecbetarmy.
garay (geb. 1832) knüpfte nicht bei Tamayos nationaler Tradition an; das
tun erst Neuere wieder. Aber Echegaray ist wenigstens ein Datum. Sein
Name bedeutet ein kosmopolitisches Intermezzo.
Aus der langen Reihe seiner Stücke ist „El gran Galeoto" (1882) das
berühmteste. Der „große Kuppler" ist die Gesellschaft, die mit ihrem
Klatsch in die Familien eindringt, mit ihren inquisitorischen Indiskretionen
alle Harmlosigkeit trübt und zu tragischen Zerstörungen führt. Das Stück
ist packend, wie auch das berühmte „Wahnsinn oder Heiligkeit?'' (1877)
und so viele seiner anderen. Dieser „ingeniero poeta" Echegaray ist ein
Meister der Mache und unerbittlich in der Darlegung der grausamen Kon-
sequenzen seiner Probleme. Doch fehlt seiner effektvollen Kunst die tiefe
Lebenswahrheit. Wie sehr ist ihm Giacosa überlegen! Das Leben verläuft
nicht in solch mathematisch geraden Linien und spitzen Winkeln; es
schwankt hin und her, wogt auf und ab. Seine Logik ist nicht so hell
sein Licht kennt Trübung, sein Lärm kennt Dämpfung. Echegarays Sim-
plismus hat etwas Kältendes. Auch ist er völlig vom spanischen Boden
gelöst und entbehrt so jener belebenden realistischen Perspektiven, die der
Ausblick auf da-s eigene Land eröffnet.
Echegaray hat durch seine aufregende Dramatik seine Zeitgenossen
lange in Spannung erhalten. Er hat seine Landsleute gezwungen, über
Probleme nachzudenken, deren Lösung bisher das Privileg der Kirche
war. Das neue und das alte Spanien haben dabei manchen Strauß zu-
sammen bestanden, so noch jüngst, als dem greisen Dichter (1905^ der
Nobelpreis zufiel.
Madrid beherrscht mit seinen beiden großen und seinen kleineren
Bühnen das Repertoire des ganzen Landes mit Ausnahme Kataloniens,
das seine regionale Selbständigkeit behauptet Sein Theater hat in
Guimerä einen Künstler gefunden, dessen Kraft sich auch die Haupt-
stadt nicht zu entziehen vermochte. Der heiße Atem der sozialen Frage
seiner Heimat strömt aus seinen Stücken. An der spanischen Bearbeitung
derselben hat sich auch Echegaray beteiligt, dessen Stern im Erbleichen
ist Die Jüngeren, die ihn umgeben, sind bodenständiger als er. Sie
426
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Die erzählende
Dichtung.
P. Galdös.
J. Valera.
haben, wie z. B. J. Benavente mit „Gente conocida" oder „La comida
de las fieras" wohlverdiente Erfolge errungen — neben Ibsen und Suder-
mann, neben Pailleron und Rovetta usw., deren lohnende Übertragung so
Viele anzieht. Wie begeisterte „Cyrano de Bergerac" die Spanier! In
dem Lande, das einst das reichste Theater der Welt besessen, will heute
die dramatische Kunst nicht recht zur Blüte kommen neben Stiergefechten,
Zarzuela und Übersetzung.
Auch im Roman, der heute wieder den literarischen Ruhmestitel des
Landes bildet, stehen sich das alte und das neue Spanien gegenüber. Als
Galdös 1877 mit seiner „Gloria" für die Toleranz gemischter Ehen ein-
trat, verteidigte Pereda mit „Wie der Stock, so der Spahn" den starren
Katholizismus, der die Rechte des Herzens unter den Zwang des Bekennt-
nisses beugt.
Galdös (geb. 1845) ist außerordentlich fruchtbar. Seine ganze rastlose
Tätigkeit steht im Dienste des modernen Lebens. Sie wird umschlungen
von dem vielbändigen historischen Roman der „Episodios nacionales",
deren erste Serie 1873 zu erscheinen begann und zu deren dritter Reihe
er sich 1898 gewandt hat: einer Erzählung der Wehen der neuen Zeit des
Unabhängigkeitskrieges und der Reaktion unter Ferdinand VII. Er ist
durch diese Bilder aus der Vergangenheit der Gustav Freytag seines
Volkes geworden. Diese fortlaufende Arbeit hat er durch Gegenwarts-
schilderungen unterbrochen. Er malt in „Dona Perfecta" (1876) den engen
Horizont einer Provinzstadt, deren fanatische Bewohner, von einem
Kanonikus geführt, die wissenschaftliche Bildung als eitel Gottlosigkeit
verfolgen. Als geschäftskundiger Autor bringt er seine Romane auch
auf die Bühne. Doch verdanken seine Stücke ihre zum Teil lärmenden
Erfolge mehr der antiklerikalen Tendenz als ihrem dramatischen Wert.
Er schildert einheimisches Leben, besonders Madrider Sitten, in seinen
„Novelas contemporaneas". Ihre Galerie tragischer und lächerlicher Figuren
stellt eine „Comedie humaine" spanischer Erde dar, in deren Anlage man
den Einfluß Balzacs spürt, deren poesievoller Realismus aber echt heimat-
liche Kunst ist.
Weniger kräftig und warm, aber feiner, ja von unübertrefflicher Fein-
heit, ist Juan Valera (1828 — 1905), der geistvolle Essayist, der gelegent-
lich auch Erzählungen, novelas und cuentos, geschrieben hat. Als er
über der Lektüre der großen Mystiker des 1 7. Jahrhunderts träumte, formte
sich in seinem Geiste die Gestalt eines jungen Seminaristen, der dieser
himmlischen Liebe voll, plötzlich das Mysterium irdischer Liebe an sich
erführe . . . Valera warf die schlichte Herzensgeschichte dieses Don Luis
und der schönen Pepita Jimenez aufs Papier (1874) und schuf eine reizende
Novelle, voll der inneren Kämpfe einer dnima espahola^ durch die der Hauch
der Mystik geht und die mit dem Siege des Erdenlebens endet, ohne daß
das Parfüm des Himmels verloren ginge. Zu ähnlichen Konflikten ist
Valera in weiteren Erzählungen mit reiferer Kunst zurückgekehrt, ohne
F. Das iq. Jahrhundert II. Die Zeit nach 1850, ^2 7
„Pepita Jim^nez" als poetische Schöpfung- zu übertroffen. Valera ist eine
liliite spanischen Geistes, ein iberischer Anatole France, in seiner Hell-
sichtigkeit und der Klarheit seiner klassischen Sprache, in seiner durch-
dringenden und doch so liebenswürdigen Ironie, seiner Skepsis, die mit
einer tiefen S\Tnpathie für don Glauben verbunden ist, den er nicht mehr
teilt. In einer langen diplomatischen Laufbahn hat er die g-anze Welt ge-
sehen. Er ist ihrer Bildung, ja ihrer Gelehrsamkeit voll. Aber dieser
polyglotte Kosmopolit hat den Spanier nie verleugnet und seinen andalu-
sischen Akzent auch im Sprechen bewahrt.
Wie die Romantik Spanien nicht sowohl Neues zugeführt, als vielmehr
verschüttete heimatliche Quellen wieder zum Fließen gebracht hatte, so
hat das Land zur Zeit des Naturalismus nicht sowohl einen Import neuer
Kunst als eine Renaissance seines alten Realismus erlebt, der einst mit
den Schelmenromanen ganz Europa entzückt hatte. Der Erfolg von Zolas
„Assommoir" lockte um 1880 zur Nachahmung. Mancher erlag ihr im
Sturm der ersten Liebe. Es erhob sich ein heftiger literarischer
Streit. Die deterministische Lebensanschauung, die dem Naturalismus zu-
grunde liegt, konnte in Spanien nicht Wurzel fassen. Die Tüchtigen, wie
A. P. Vald^s oder Emilia Pardo Bazän kehrten von dem literarischen
Abstecher, der sie nach Frankreich geführt, wieder in das Reich des
spanischen Realismus zurück mit reiferer Technik, geschärfterem Auge,
bereit zu rücksichtsloserer Wiedergabe der Wirklichkeit.
Das ist die Distanz, die Pereda von Fernan Caballero, die
„Sotileza" (1884) von „Gaviota" (1848) trennt.
Die treffliche Frau, die sich hinter dem Namen F. Caballero verbarg, f Cab«Uero
war die Tochter des Deutschen, Bohl de Faber, und einer Spanierin, die,
halb irischer Herkunft, in England aufgewachsen war. Die junge Cecilia
kam an den Ufern des Genfersees zur Welt, verlebte manches Kinderjahr
in Deutschland, wurde französisch gebildet — und dieses nach Herkunft
und Jugendleben so kosmopolitische Menschenkind ward, gleich als wäre
sie andalusisches Vollblut, die literarische Verkündigerin des andalusischen
Volkslebens. Von ihrem siebzehnten Jahre an lebte sie fast ununterbrochen
in Andalusien (f 1877). Ihre deutsch -französische Bildung vollendeten
schwere Lebensschicksale, die sie an ihre „querida Espana" fesselten.
Sie führte dem bloßen Sittenbild {citndro de costumbres) das epische Ele-
ment zu und schuf die spanische Dorfgeschichte in den selben Jahren, da
Jeremias Gotthelf mit ähnlicher Absicht schweizerisches Bauemieben ge-
staltete. Ihre ersten Erzählungen schrieb sie deutsch, hierauf französisch,
denn sie dachte an ein ausländisches Publikum. Dann erschien „Der
Sturmvogel" {Gcn'iofa) spanisch, und an diese Geschichte der stürmischen
Fischerstochter aus Villamar reihte sich während zwei Jahrzehnten Novelle
um Novelle. Das Loben der Niedrigen, Bedrückten ziolu sie an, auch das
Leben der Tiere, was im Lande der Corridas de toros ungewöhnlich ist.
Sie weiß in der Vulgarität dieses Lebens die verborgene Poesie zu ent-
^28 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
hüllen. Mitleid und Humor weiten und vertiefen ihren Blick und führen
ihre Feder. Ihre Sprache scheut den provinziellen Ausdruck nicht. Was
das Volk sich erzählt und singt, das zeichnet sie liebevoll auf. Sie hat
das spanische Folklore aus der literarischen Taufe gehoben. Der länd-
liche Rahmen schließt eine meist einfache Intrige ein, deren Personen
prächtig charakterisiert sind in Beschreibung, Handlung und natürlich be-
wegter Rede. Fernan Caballero erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit
unverfälscht wiederzugeben. Aber ihr poetischer Realismus hat ähnliche
erzieherische Schranken wie der christliche Verismus Manzonis. Sie denkt
bei ihren Novelas an jugendliche Leser — um nicht zu sagen: an junge
Mädchen, und „mildert" die Wirklichkeit entschlossen, wenn auch nicht
ohne künstlerische Skrupel. Sie begleitet die Erzählung mit lehrhaften
Reden als eine überzeugte Verteidigerin von Thron und Altar. Sie ist
ganz Spanierin in der Inbrunst ihres katholischen Glaubens. Diese mora-
lischen Exkurse üben, wo sie Maß halten, oft großen Reiz. Die alternde
Schriftstellerin aber ermüdet damit den Leser. Auch wenn die liebens-
würdige Kunst Fernan Caballeros nicht kraftvoll genug sein sollte, ihre
schönen Bücher zu fernen Geschlechtern zu tragen, so bleibt ihr der Ruhm,
in der iberischen Literatur Epoche gemacht zu haben. Der in der „Gaviota"
ausgesprochene Wunsch, daß alle Provinzen des Landes ihre Sittenromane
bekommen möchten, sollte in Erfüllung gehen. Die Spanier und Portugiesen,
die einst ausgezogen waren, um neue Kontinente zu finden, zogen
jetzt auf F. Caballeros Spuren aus, um ihr eigenes Land zu entdecken. Und
wieviel Schönes haben sie da gefunden, in West und Ost, Süd und Nord!
Der Portugiese Julio Diniz (f 1871) erzählt die sonnige Geschichte
einer Kinderliebe („Die Mündel des Pfarrers", 1866). Alarcön berichtet in
schalkhaftem Tone, wie der Corregidor einer andalusischen Stadt dafür
bestraft wurde, daß er der schönen Müllerin nachstellte („Der Drei-
spitz", 1874): man glaubt den Verfasser von „Mein Onkel Benjamin" scherzen
zu hören. Ein anderer führt uns in das Land der Basken, ein anderer auf
die Fluren von Valencia, E. Pardo Bazän nach Galizien.
Wie dabei diese Heimatkunst selbstbewußter, naturalistischer wird,
Pereda. das Zeigen besonders Per e das (geb. 1834) Erzählungen aus Santander
und den asturischen Bergen. Pereda ist ein intransigenter Traditionalist,
der den Geist der Revolution von 1868 verfolgt und dessen Träger unter
den Streichen seiner kraftvollen Satire bluten oder — sich bekehren läßt.
In seinem schönen Roman „Auf die Höhen!" {Penas arriba, 1895) zeigt
er inmitten herrlicher Schilderungen, wie der blasierte Städter im Kontakt
mit der großen Natur des Gebirges und dem patriarchalischen Leben
seiner schlichten Bewohner selbst wieder tüchtig wird — er zeigt anders-
wo, wie die „Fremdenindustrie" die Badeorte der asturischen Küste de-
moralisiert. Seine Stärke ist die Schilderung der Fischer imd Bauern.
Das Fischerkind, das um seiner Schlankheit willen Sotileza (Angelschnur)
heißt, ist die Gaviota des Nordens. Pereda bildet diese Gestalten mit
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. 4 20
vollendeter Plastik, gibt ihre Rede mit künstlerischer Treue wieder und
erzählt ihr Leben in seinen Höhen und Niederungen, seiner Klarheit und
seinen Rätseln mit tiefer Sympathie. Seine Sprache schöpft viel voller
aus dem Dialekt als die der F. Caballero; seine malerischen Dialoge sind
weniger glatt. Er opfert die Fülle des irdischen Geschehens nicht einer
ängstlichen Kunst. Aber wenn das Leben in seinen Romanen in wilder
Ursprünglichkeit flutet, so erleidet es doch nicht den künstlerischen Sünden-
fall des krassen Naturalismus. Pereda hält die Bete humaine am Zügel
christlichen Empfindens.
Unter den Jüngeren, die heute den „regionalen" Roman pflegen, ragt b ibise«.
Blasco Ibänez hervor. „La Barraca" (Die Hütte, 1899) ist die ergreifende
Erzählung eines furchtbaren Dramas aus dem Bauernleben der Huerta
von Valencia: die Off'enbarung einer uralten Welt in machtvoller Realistik.
Diesem Buche sind andere vorangegangen und gefolgt, in denen Ibänez
das kleine Volk seiner Provinz schildert, Bauern, Fischer, Krämer, Schmuggler,
Zig'euner — trotzige, leidenschaftlich bewegte Menschen, die mit elementarer
Kraft nach dem Ziel eines beschränkten aber wuchtigen Ehrgeizes ringen
und dabei untergehen. Pereda ungleich ist Ibänez ein militanter Vertreter
des modernen Spanien, Der Widerstreit alter und neuer Weltanschauung,
der Kampf zwischen Kirche und Welt, Gesellschaft und Sozialismus
führt ihn in neueren Romanen über die Grenzen seiner valencianischen
Heimat hinaus. Nicht die Liebe zum Weibe — wie in „Pepita Jimenez"
— ist es, die den Seminaristen Luna der Kirche entfremdet {La Cafedral,
1903), sondern die Leidenschaft für eine soziale Mission bei den Enterbten
dieses Lebens. Sterbend predigt Luna den aufhorchenden Armen, die im
Schatten der Kathedrale von Toledo hungern, die Botschaft einer neuen
sozialen Ordnung, die er selbst in Paris vernommen. Aber Ibäüez ge-
staltet mit größerer Kunst die primitiven Menschen seiner cucntos vaUncianos
als die komplizierten Helden seiner lehrhaften Romane.
Gegenüber dem zentralisierenden und nivellierenden Einfluß der Haupt-
stadt zeigt Spaniens Literatur kräftige zentrifugale Tendenzen. An diesen
regionalen Quellen schöpft heute die hispanische Muse ihren erquickendsten
Trank.
Diese zentrifugalen Bestrebungen sind am stärksten in Katalonien, das,
alter literarischer Selbständigkeit sich erinnernd, sein Katalanisch wieder
als Schriftsprache pflegt und sich den Südfranzosen anschließt. Auch in
Katalonien verbindet sich damit das Drängen nach politischer Autonomie.
Das Galizische besinnt sich ebenfalls auf seine alte schriftsprachliche
Mission als Gattungsidiom der Lyrik und wird von einheimischen Dichtem
zu Ehren gezogen.
Die Literatur von vSpanisch-Amerika scheint keine starke Eigenart ent-
wickelt zu haben. Buenos Aires gravitiert mehr nach Paris als nach
Madrid. Zolas Romane erschienen zur nämlichen Zeit in Paris und in der
„Naciön" zu Buenos Aires.
430
Heinrich INIorf: Die romanischen Literaturen.
Rückblick. Die x\ufklärungszeit hat Spanien als das Land der Inquisition ver-
achtet. Die Romantik hat es mit Überschwang gepriesen und idealisiert.
Zwischen diesen beiden Extremen der historischen Geringschätzung und
der dichterischen Idealisierung schwankt noch heute das Urteil über die
Heimat des Ignaz Loyola und des Cervantes — wenn sie anders überhaupt
einer Beachtung gewürdigt wird in einer Zeit, wo sich die Völker
nach wirtschaftlicher Bedeutung und politischer Machtstellung würdigen.
Spaniens Anteil an der abendländischen Kunst verdient es, daß man dem
Lande ein sympathisches Interesse widmet. Wer am „Don Quijote" sich
erfreut hat, kann sicher sein, im spanischen Schrifttum alter und neuer
Zeit noch vieles zu finden, was ihn erquickt und wie eine Erinnerung an
die Kunst des Cervantes festhält. Das sechshundertjährige Reich der
spanischen Literatur zeigt allerorten das Wirken schöpferischer Kraft. Die
Literaturen der übrigen romanischen Völker sind von strengerer Form, sie
sind „lateinischer" — aber keine ist origineller als die spanische. Den
jSIangel an tadelloser Mache ersetzt sie durch Frische und Ursprünglich-
keit. So manches Werk macht, wie der „Don Quijote", den Eindruck der
Improvisation, in der ein gottbegnadeter Künstler wie achtlos seine Schätze
spendet. Und wenn die iberischen Autoren an umfassender Bildung den
übrigen Romanen nachstehen, wenn sie von der Arbeit, die zu dieser
Bildung führt und die von ihr ausgeht, weniger mitzuteilen haben, so
leuchten sie doch durch ihren natürlichen Weltverstand hervor, für dessen
Ausdruck sie die Form des Humors in einer Fülle besitzen wie kein an-
deres Volk der Romania. Sie sind einzig in der Verbindung von welt-
verständiger Lehrhaftigkeit und schöpferischer Kunst.
Diese Verbindung gibt der spanischen Literatur ihre Eigenart, ihre
kräftige Würze. Die Würze mag dem Gaumen, der an alle modernen
Pikanterien und Raffinemente gewöhnt ist, nicht reizvoll genug sein. Die
spanische Literatur wird manchen zu „moralisch" dünken, weil sie den
lehrhaften Zug hat und weil sie den Leser respektiert. Die literarische
Kunst der Spanier ist auf alle Fälle stark und gesund. Eines schickt sich
nicht für alle: Spanien hat keinen D'Annunzio. Es gibt keine Literatur,
so schreibt Feman Caballero einmal mit Recht, deren ernste Bücher
keuscher wären, als die spanischen: no hay literahira eji lo serio mas casta
que la espahola.
Rumänien. Walachei und Moldau blieben nach dem Frieden von
Adrianopel (1829), der Griechenland die Selbständigkeit sicherte, in der
doppelten Abhängigkeit von Türkei und Rußland zurück. Das Jahr 1848
brachte eine Volkserhebung und in der patriotischen Begeisterung schuf der
Siebenbürge Muresianu das Nationallied: „Wach auf, Rumäne." {Deste-
apia-te, Romme!). Die Revolution wurde noch einmal niedergeworfen,
aber über der Rivalität zwischen der Türkei imd Rußland erstarkte das
Land, und der Krimkrieg führte die endgültige Wendung herbei. Alec-
F. Das 19. Jalirliumlcrt. 11 Die Zeit nacii 1,-550. a^i
sandri sang- 1S56 sein begeistonides Lied von der „Vereinij^unj,^". iJa-s
„Fürstentum Rumänien" entstand lü^ij und im Laufe der beiden folgenden
Jahrzehnte errang es sich die Anerkennung als unabhängiger Staat (1877)
und als Königreich (1881). Der unvermittelte Übergang aus orientalischem
Despotismus zur Form eines konstitutionellen Staatswesens fand das Land
unreif, verwirrte die Köpfe und schuf ein politisches Abenteurertum,
dessen Bekämpfung viel tüchtige Kraft verzehrte. Auch die Literatur
wurde in diesen Strudel der Leidenschaften hineingezogen. Die literarische
Kritik ward zur Betätigung politischer Gegnerschaft und nicht jeder
Kritiker verfügte dabei über das Wissen, den Geschmack und die Kraft
des Sozialisten Gherea.
Siebenbürgen , das einst in der Literatur die nationale F'ührung Su>b<wMrcra
besessen hatte, ist im Laufe der Zeit von dieser F'ührunjr völlijr zurück- ««»«*<"•
getreten. Es blieb politisch vom Königreich getrennt und ist in seiner
Isolierung vom ungarischen Nationalismus bedränget. Wohl entstammen
ihm hervorragende Dichter der Gegenwart, wie Cosbuc und losif, aber
diese haben ihre zweite Heimat in Rumänien gesucht und gefunden.
Wenn auf solche Weise das ungarländische Romanentum literarisch zurück-
gegangen ist, so haben dazu auch seine schriftsprachlichen Tendenzen
beigetragen. Es hat, von seinem römischen Nationalismus mißleitet, die
Literatursprache auch weiterhin gewalttätig latinisiert, während in Rumänien
die Richtung der Etymologisten unterlag und die Schriftsteller vielmehr
aus dem Born der Volkssprache schöpften. So löste sich Siebenbürgen
auch kulturell vom Königreich, und es erfüllten sich an ihm die Geschicke
sprachmeisterlicher Unnatur. Eifrig wird heute an der Aufgabe gearbeitet,
diesen Schaden gutzumachen und die Schriftsprache Rumäniens auch im
„unerlösten" Siebenbürgen zu verbreiten. Auch dieser Schriftsprache liegt
übrigens ein gewisser „Zug nach dem Westen" im Blute. Das slawisch
klingende Wort wird gerne durch sein lateinisches Synonymon ersetzt:
man schreibt lieber (7/;ior als dru^os/t'.
Den maßgebenden kulturellen Einfluß hat in dieser Bildungsperiode d« eMoI Am
des modernen Rumänien Frankreich ausgeübt. Deutschland tritt erst ^»•'»*'*»
später hinzu. Noch heute ist Paris die Hochschule des rumänischen
Aristokraten, der auch mit Vorliebe französische Bücher liest. Maiorescu
und Eminescu aber studierten in Deutschland. An der französischen
Romantik bildete sich die rumänische Lyrik. Dann drang auch die
deutsche Ballade und das deutsche Lied herüber: neben Goethe, Uhland
u. a. wirkte besonders der ungarische Nachbar Lenau. Der am meisten
übersetzte Dichter des Auslandes aber ist Heine. Man singt ihn in
Rumänien, und kürzlich hat losif eine neue Übertragung seiner „Romante
si Cintece'* gegeben (1901). Roman und Theater sind stark von Frank-
reich abhängig. Was in Paris einen Tageserfolg erringt, findet in Bukarest
rasch Leser und Übersetzer. Das legt sich wie glänzender Firnis über
die tiefere Unkultur des Landes.
432
Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
Ein lebendiges Bild der politischen und literarischen Entwickelungs-
geschichte Rumäniens gibt der alte Bürgermeister von Jassy Nicu Ganea
(geb. 1835) in den Erinnerungen seiner „Vergangenen Tage" (1903).
Rumänien hat einen reichen Schatz vitaler Volksliteratur. In dem
eigenartigen Leben, das sich in ihr spiegelt, und nicht in der Nach-
ahmung des Auslandes, liegen die Wurzeln eines wirklich rumänischen
Schrifttums.
Nach dieser Volksliteratur griff V. Alecsandri (1821 — i8go), der
berühmteste Dichter des Landes, zugleich ein Führer in der sozialen und
politischen Regenerationsarbeit. Keiner hatte vor ihm in solch poetischer
Sprache die Heimat gefeiert, im Reichtum ihrer Natur solche Liebes-
lieder gesungen und dem heißen patriotischen Sehnen solch klangvollen
Ausdruck gegeben. Auch seine Sammlung von Volksliedern, mit deren
Überlieferung er frei schaltet, stellt er in den Dienst der Erweckung
seiner Rumänen. Er geißelt ihre Schwächen in Lustspielen, deren Komik
freilich übertrieben und deren Psychologie flüchtig erscheint. Als patrio-
tischer Dichter erinnert auch er oft genug mit stolzen Worten an die
römischen Vorfahren. Er suchte die rumänische Renaissance mit der
felibrischen zu verbinden, und sein „Sang des Lateinervolkes" wurde 1878
zu Montpellier preisgekrönt. Seine Verherrlichung der „Gintä latinä" hat
einen ausgesprochen antideutschen Zug. Aber die Prahlerei gewisser
„Enkel Trajans" verfiel dem Spott seines Lustspiels.
Seit Alecsandri ist das satirische Sittenbild realistischer und kunst-
voller geworden. L L. Caragiales Komödien (gedruckt seit i8go) stellen
in wirkungsvoller Lebenswahrheit das Kleinbürgertum dar, das sich in
dem Chaos des neuen Lebens noch nicht zurechtgefunden hat und das in
der großstädtischen Gesellschaft einen schlechten Führer besitzt. Die
nämliche packende Realistik findet sich in seinen und anderer, wie
Basarabescus, Skizzen und Erzählungen aus dem Leben der Bauern
imd Kleinstädter: es ist eine Schilderungskunst, die sich an westlichen
Meistern wie Maupassant trefflich gebildet hat. Diese Erzähler und
Dramatiker stellen, der eine voller Zorn und Spott, der andere mitleidig
und humorvoll, die schmerzliche Erschütterung dar, die der Sturm des
Lebens, der plötzlich aus dem Westen hereingebrochen, der rumänischen
Volksseele gebracht hat.
Gegenüber diesen Gegenwartsschilderungen erscheint die patriotische
Kunst der historischen Romane und Dramen, die auch Hasdeu und
Alecsandri pflegten, unwirklich und gering.
Der ausgesprochene Zug nach dem lateinischen Westen, dem
Alecsandri Worte leiht, tritt in anderen noch stärker hervor. Schon
Alecsandri zeigt nicht nur Anlehnung an Hugo und Lamartine, sondern
er hat auch manches französisch geschrieben. Bolintineanu (f 1872)
überträgt seine Poesien geradezu ins Französische und entzückt mit der
morgenländischen Offenbarung seiner „Brises d'Orient" (1866) nicht nur
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850, ^1,
die Paii.ser, sondern auch — seine Land.sleute. Und Andere folgen ihm,
die überhaupt nur französisch dichteten. Bolintineanu ist eine wahre
Dichternatur. Sein sinnenfrohes Liebeslied erklinj^^t in eijronen Tönen.
Seinen „Bosporusblumen" entströmt das berauschende Parfüm des Orients.
Und wenn er in seinen „Märchen" allzusehr den Erotiker verrät, der, wie
Ovid, galante Mythologie treibt, so weiß er dafür die Fanfare des
Patriotismus in den „Sagen" kräftig zu blasen.
In der Moldau, die westliclu-n Einflüssen weniger offen war, erhob Moldau
sich seit 1865 unter der Führung des T. Maiorescu eine „neue "'' J""^**-
RiclUung". Maiorescu bekämpfte den lateinischen Chauvinismus und die
Ausländerci. Er zeigte die Aufgaben eines wahrhaft nationalen und künst-
lerischen Schrifttums („Die rumänische Poesie") im ersten Jahrgang (1867)
der vortrefflichen „Convorbiri literare" (literarische Unterhaltungen), der
ältesten literarischen und gemeinwissenschaftlichen Zeitschrift Rumäniens,
die seit 1867 nicht aufgehört hat, an der Bildung der Nation zu arbeiten.
Heute steht ihr „Sämänätorul" (Der Säemann) zur Seite, dessen samen-
streuende Hand der energische und gelehrte lorga führt.
Um seine „Convorbiri literare" scharte Maiorescu zu lassy, das damit
für Jahre die literarische Führung des Landes übernahm, eine Gesellschaft
gleichgesinnter jugendlicher Kräfte, „Junimea" (Die Jugend). Dem Einfluß
dieser Reformbewegung konnte auch die von den Latinisten gegründete
Bukarester Akademie sich nicht entziehen. Das Beispiel des Ernstes und
der Gründlichkeit der Forschung wirkte auch auf den widerstrebenden
Hasdeu (-j- 1907), dessen gelehrte Arbeiten freilich einen nationalistischen
Zug behielten, der ihnen viel Phantastik beimischt. Rumänien gleicht
einem Parvenü, der von historischer Forschung nur insoweit hören will,
als seine Adelsansprüche dadurch nicht kompromittiert werden. Der
Patriotismus, wie er heute in Rumänien verstanden wird, so klagt noch
O. Densusianu in seiner „Histoire de la languc roumaine" (19021, verlangt
von der Wissenschaft Schonung der nationalen Vorurteile und verhindert
die Forscher, die Wahrheit zu ergründen und auszusprechen.
Daß Alecsandri der moldauischen „Jugend" beitrat und an den EmiM««.
„Convorbiri" teilnahm, förderte die Bewegung. Doch nicht er, sondern
Eminescu (1849 — 1889) ist ihr Poet. Er hat den Ernst der Kunst, den
Maiorescu lehrte, an seinen formvollendeten Dichtungen geübt Seine
Liebeslyrik ist voll herrlicher Bilder, seine Balladen von großer Gestaltungs-
kraft, seine Vaterlandsgesänge, seine Satiren voll flammender Beredsam-
keit In düsteren Liedern wälzt er schwere Gedanken und gestaltet sie
zu Anklagen gegen Gott und die Welt Die Kämpfe eines ungeregelten
und früh gebrochenen Lebens haben ihn verbittert und finster gemacht
Sein Mund öff"nct sich zum Huch gegen den kalten, fühllosen Himmel,
der den Menschen der Pein überläßt Es ist die Stimmung Vignys und
auch dessen fein ziselierter Vers. Seine Seele, so sagt Eminescu, gleiche
einer verfallenen Kapelle; die Bilder des Glaubens, die sie einst
Du KutTvm D«« GtonrwAiiT. L it. t. 28
4.34 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
schmückten, sind verblaßt; wo einst der Priester waltete, webt die Spinne
ihre Fäden, und der Schlag seines Herzens deucht ihn das Klopfen des
Holzwurmes in morscher Wand. So ist sein poetisches Lebenswerk aus
Lebenslust und Melancholie in schroffen Gegensätzen gemischt. Ein tiefer,
aber ein werktätiger Pessimismus erfüllt seine politischen Schriften.
Maßlos im Studium, das ihn von Kant zu Schopenhauer und Buddha, von
Nationalökonomie zu Sprachstudien führte, war er auch maßlos im Genuß.
Mit 33 Jahren umnachtete sich sein Geist. In lichten Perioden arbeitete
er weiter. So entstand jenes Gedicht „Der Stern", eine unbewußte
Reminiszenz aus Gottfried Kellers Liederbuch. Nicht er selbst, sondern
sein Freund Maiorescu sammelte zum erstenmal seine Gedichte (1883).
Aus der Schule Eminescus ist A. Vlähutä zu besonderer An-
erkennung gekommen. Er singt das Lied des Meisters mit geschmeidigem
Talent und wendet die Klage des Armen zu sozialistischen Forderungen.
Das starke Hervortreten sozialistischer Stimmungen ist für die heutige
Literatur Rumäniens ebenso charakteristisch, wie das Fehlen religiöser
Inspiration. Das rumänische Lied betet nicht; es verkündet das Evan-
gelium einer neuen irdischen Ordnung. Und es sind von den hervor-
ragendsten Talenten, die sich dazu bekennen: Gherea, Caragiale, Vlähuta
und G. Cosbuc, der Sänger des Bauernlebens, dessen meisterhafte Verse
volkstümliche Art mit selbstbewußter Kunst verbinden. Cosbucs Gedichte
überfließen von dem, dessen dieses Bauernsohnes Herz voll ist. Weniger
kräftig, aber von nicht geringerer Kunst sind die zarten Lieder, die
poetischen Stimmungsbilder, die kurzen Balladen losifs, der heute ein
Liebling seiner Nation ist und, obwohl an deutschen und französischen
(Verlaine) Vorbildern geschult, jenen heimatlichen Zug in Stoff und Form
bewahrt hat, den auch der westliche Leser beim rumänischen Dichter
sucht. Denn es ist, wie lorga im „Säemann" gesagt hat: eine rumänische
Literatur wird nur dann in der Weltliteratur Bürgerrecht erwerben, wenn
sie ihrem Lande treu bleibt und die ewige Legende vom Menschen-
schicksal so erzählt, wie Natur und Geschichte des Balkans sie im Laufe
der Jahrhunderte gestaltet haben — pe pämintulu Romäniei.
Rätien. Das moderne Leben schlägt seine Wellen auch nach Rätien,
Kalender, Zeitung, Volksschule, Militärdienst tragen es. Rätien beginnt
seine eigene Geschichte nach Art der Romantiker zu behandeln. Seine
Lyriker und Epiker geben stimmungsvolle Bilder aus dem Leben der
Hochtäler. Huonder singt das kraftvolle Lied des freien Bauern,
Caderas das zarte Lied der Heimatliebe, Muoths Erzählungskunst zeigt
ein durch philologische Schulung geleitetes Formtalent. Alle rätischen
Poeten sind zugleich Übersetzer. „Wilhelm Teil" und „Rufst du mein
Vaterland" sind dem Räten vertraut wie dem Deutschschweizer. Das
bescheidene rätische Schrifttum ist die Literatur eines kräftigen, freiheits-
liebenden und gläubigen Bauemlandes, dessen Bildimg a ")llig zur deutschen
Schweiz neigt.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit nach 1850. ^35
Das Lied Huonders und das Lied Cosbucs! Noi vrem pämint (wir
wollen Land)! rufen bei Cosbuc die besitzlosen rumänischen Bauern in
schneidendem Kehrreim ihrem Herrn zu: „Bewahr Euch der heilige Gott
vor dem Tage, an welchem wir Blut und nicht bloß Land verlangen
werden . . . noi vrcm pämint '.'•'^ Huonders Lied ist überschrieben „Der
freie Bauer" (II pur suveran) und singt: „Feld, Scheune ist mein Eigen-
tum — Mit Weg und Steg mein Land — Nach keinem schau ich dankend
um — Und König heißt mein Stand:
Qiui ei miu prau, quci min clavau,
Quei viiti regress c dretg;
Sai a ncgin per quci ifengrau,
Sun eheu ftu mez il refg.
So mag das romanische Schrifttum hier in zwei Bauernlieder aus-
klingen, in deren fesselndem Gegensatz sich zwei verschiedene Welten
der weiten Romania spiegeln.
Schlußwort Also stellt sich dem überschauenden Blicke die acht-
hundertjährige Geschichte der romanischen Literaturen dar. Es ist eine
stolze Geschichte.
Während fast sieben Jahrhunderten hat das Abendland unter der
literarischen Führung der Romania gestanden. Diese Führung war erst
beim mittelalterlichen Frankreich, hierauf beim Italien der Renaissance
und kehrte dann, nachdem für kurze Zeit auch Spanien im Gefolge seiner
Weltmachtstellung hervorgetreten war, zu Frankreich zurück, dem Frank-
reich des Klassizismus und der Aufklärung. Innerhalb der einzelnen
Länder dieser Romania sind die nördlichen Landesteile mit ihren Metro-
polen zu dauernder Hegemonie gekommen: Xordfrankreich mit Paris, Xord-
italien mit Florenz und Mailand, Nordspanien mit Madrid und Barcelona. Die
südlichen Gebiete haben nur vorübergehend eine führende Rolle gespielt.
In diese mächtige, führende Romania drangen mit dem iM. Jahr-
hundert germanische, englische und deutsche, Ideen ein und in der
sogenannten Romantik trat darauf diese Germania ebenbürtig neben die
Romania, um sich mit ihr in die literarische Hegemonie des 19. Jahr-
hunderts zu teilen. Diese Romantik bedeutet die literarische Befreiung
Europas von der Alleinherrschaft des I^teinertums, die Begründung einer
europäischen, einer Weltliteratur.
Dreimal haben im Laufe von anderthalb Jahrtausenden die Germanen
ihre Hand an die römisch -lateinische Weltherrschaft gelegt: an die
politische in der Völkerwanderung, als sie das kaiserUchc imperiura
romanum zerstörten; an die kirchliche in der Reformation, als sie das
geistliche imperium romanum durchbrachen; und um die Wende des
18. Jahrhunderts, als sie sich dem literarischen imperium romanum
entwanden und die große Sezession vollzogen, die zur Romantik führte.
28*
,^5 Heinrich Morf. Die romanischen Literaturen.
Völkerwanderung, Reformation und Romantik sind drei große Mark-
steine in den Beziehungen der beiden Welten, der lateinischen und
germanischen. Diese Marksteine sind freilich von ungleicher Bedeutung
für das Romanentum, für welches die Reformation ja nicht direkt fruchtbar
geworden ist. An Stelle dieser religiösen Auflehnung des individuellen
Gewissens zeigt die Romania eine mehr künstlerische und intellektuelle
Revolution in der Renaissance. Die Romania blieb eine katholische
Welt mit strengerer geistiger Disziplin. Jederzeit ist ihr am Germanentum
der Individualismus aufgefallen.
Der Völkerwanderung verdankt die Romania ihre Entstehung; aus
der Mischung von Lateinertum und Germanentum sind die romanischen
Nationen hervorgegangen. Die germanischen Minderheiten lösten sich in
den neuen romanischen Volkstümem auf und langsam bildeten sich auf
den Trümmern der römischen Welt neue Kulturen, aus deren Mitte sich
mit dem ii. Jahrhundert Frankreich zu führender Stellung erhob. Mit
ungleichem Eifer beteiligten sich die Romanen Italiens und Hispaniens
unter Frankreichs Leitung an dem blühenden mittelalterlichen Schrifttum.
Die Romania besuchte gleichsam eine französische Klosterschule.
Dann bezog Italien die Universität des Rinascimento und studierte
Philologie. Unter seiner Führung folgten die anderen, Spanien freilich
nur zögernd. Es wurde die Renaissance die Universitätszeit Europas,
während der die Romanen mehr die philologia profana und die Germanen
die philologia sacra studierten. Es war eine Zeit reichen Lernens und
Schaffens, in der die Romania die Grundlage zu ihrer glänzenden künst-
lerischen Kultur legte. Doch ward die Philologie zur Fessel der Kunst
und aus der Unselbständigkeit erwuchs die Nachahmung. Ihr Fluch
erfüllte sich im Klassizismus, mit welchem Frankreich die Führung wieder
übernommen hatte.
Die Herrschaft dieses Klassizismus ist dann durch den germanischen
Geist des Individualismus gestürzt worden. Nachdem das alte Europa in
den Erschütterungen der französischen Revolution zusammengebrochen
war, zog dieser Geist in die Romania ein. In dem latinisierten Europa
des aufgeklärten Despotismus und des Klassizismus ging die politische
Auflehnung von den Franzosen aus; die literarische kam von den
Deutschen und Engländern und eine diente der anderen als Vehikel. Den
Geist des Individualismus, den die Romania zur Zeit der Reformation
abgelehnt hatte, hieß sie jetzt willkommen zum Kampf gegen künstlerische
Fesseln, zum Kampf gegen die Nachahmung. Selbständig, eigenen Rechtes
verlangte die Poesie zu werden, unbeschadet der Bewunderung für die
unvergängliche Schönheit klassischer Werke antiker und neuerer Zeit.
Auf die „declaration des droits de l'homme" folgte die Erklärung der
Rechte des Dichters. So bildete sich die kosmopolitische Freiheitslehre,
welche die Romantik heißt und auf deren Grundlage sich die moderne
Literatur erhebt. Frankreich hat die Lehre für die Romania formuliert.
F. Das 19. Jahrhundert. II. Die Zeit narh 1850. , -,>,
Italien hat sie soinor alten klassischen Tradition assimiliert. .Spanien hat
sie in seiner eigenen Literatur wiedergetunclen. Frankreich selbst hat sie
.so weit verwirklicht, al.s sich mit seiner langen kla.ssi«»chen Schulung vertrug.
Denn das Ergebnis dieser Schulung: Geradlinigkeit {esprit gvometriquc)
und Simplisnius; methodischer Aufbau, Klarheit und Harmonie des Stils
ist nicht einfach ausgelöscht worden. Licht und Schatten dieser Eigen-
schaften liegt auch noch auf Frankreichs modernen Büchern. Und da bei
diesen Eigenschaften das Prosa werk besser gedeiht als die Dichtung, so
kämpfen besonders die Lyriker gegen ihre Herrschaft.
Es ist der Welt Lauf, daß junge Freiheiten mit der Zeit zu alten
Fesseln werden. Auf dem Boden jeder Freiheit bildet sich eben eine
positive Tradition und entstehen Autoritäten. Die kommenden Jungen
empfinden Tradition und Autoritäten als Fessel und schreiten protestierend
zur Sezession. Das ist der Kreislauf der Kunst. So ging's der Romantik
um die Mitte des Jahrhunderts; so dem Naturalismus am Jahrhundertende.
Das Jahrhundert schloß mit einer allgemeinen Sezession. Nirgends herrscht
eine bestimmte Schule. Die romanische Poesie ist ganz individualistisch
geworden, der Zeit gewärtig, da ein Großer all die individualistische Frei-
heit in neue überragende Schöpfungen zwinge und eine glorreiche Tradi-
tion schaffe.
Am lebhaftesten und ausgeprägtesten ist der Verlauf der Dinge in
Frankreich, dessen Norden innerhalb der Romania immer noch unbestrittene
F'ührerschaft hat. Es ist der Teil der Romania, der in der Völkerwanderung
die stärkste Germanisierung erfuhr, wo über die alte, völlig dunkle Unter-
lage der geheimnisvollen Urbevölkerung und über die keltisch-romanische
Kultur sich die machtvolle Invasion der FVanken und dann die Invasion
der Normannen schob: das alte Neustrien. In diesem Neustrien hat sich
eine in ihren Komponenten und Verhältnissen besonders glückliche Völker-
mischung vollzogen, die zur Macht einer vielhundertjährigen Herrschaft
geführt hat.
Eine solche Herrschaft kann in der modernen Literatur nicht mehr
bestehen. Diese gedeiht im freien Wettbewerb der Völker, wie Wissen-
schaft und Technik. Jedes Volk schafft aus dem Eigenen und schafft
damit den anderen Anregungen. Die Geschichte lehrt, daß jede literarische
Umwälzung, die zu großen Schöpfungen geführt hat, ihren Anstoß von
außen bekam. „Eine jede Literatur ennuyiert sich zuletzt in sich selbst,
sagt Goethe, wenn sie nicht durch fremde Teilnahme wieder aufgefrischt
wird." Gegen solche Auffrischung mit Worten zu streiten ist ebenso
kurzsichtig wie erfolglos. Spiritus flat ubi vult, und literarische Gast-
freundschaft, die dem fremden Kunstwerk erwiesen wird, bereichert- Unser
Schrifttum ist reicher geworden, indem es Dante und .Shakespeare, Cer-
vantes und Moliere gastlich aufgenommen hat
Die Schöpfungen des Auslandes mit jenem s}Tnpathischcn Interesse
zu verfolgen, dem allein ein wirkliches Verstehen gelingt, hat uns Goethe
438 Heinrich Morf: Die romanischen Literaturen.
gelehrt. Daß darob die bodenständige Art der Nationalliteratur nicht Not
zu leiden braucht, zeigt auch die Gegenwart: zu keiner Zeit ist die
literarische Heimatkunst mehr gepflegt worden als heute im Zeichen der
„Weltliteratur", und Meisterwerke werden auch in dieser Literatur nur
dadurch entstehen, daß der Dichter das allgemein Menschliche auf der
Grundlage des speziellen Erlebnisses in künstlerischer Harmonie gestaltet.
Goethe hat uns auch gezeigt, wie mit jenem sympathischen Interesse
für das Fremde sich tiefe Liebe zum Eigenen verbinden kann.
Achtung vor dem Fremden und Liebe zum Eigenen — in solcher
Empfindung können die Völker sich auch dann begegnen, wenn materielle
Interessen sie trennen. Dieses Empfinden zu wecken und zu kräftigen ist
vor allem die geschichtliche Betrachtung geeignet. Ihr gelten die voran-
gehenden Seiten. Aus ihr heraus sind sie geschrieben, sine ira et studio,
es sei denn das Studium veri.
Literatur.
Während wir längst eine Geschichte der romanischen Sprachen besitzen, gibt es noch
keine Darstellung, die dieses Sprachgebiet auch als eine literarische Einheit zusammen-
faßt. Die sprachliche Einheit der Westromanen hat schon Dante betont. Ihre litera-
rische Zusammengehörigkeit ist zum erstenmal zum Ausdruck gekommen, als vor vier und
einem halben Jahrhundert der Marques von S.\ntillana seine Übersicht über die Poesie
dieser Romanen {de los romancistas ö vulgares) schrieb (s. oben S. 203) — damals waren
Francisco Imperial und Alain Chartier modern! — , und seither haben sie nicht aufgehört,
sich innerhalb Europas als eine literarische Sonderwelt zu fühlen. Doch kam in der literatur-
geschichtlichen Forschung dieser interromanische Standpunkt nicht zur Geltung. Erst die
Romantik bringt SlSMONDiS De la litU'raiure du midi de l'Europe. Dann stellt sich aber
mit Frau von Stael auch gleich die weitere, kosmopoUtische Betrachtungsweise und der
Begriff einer ,, europäischen" — d. h. romanisch -germanischen — Literatur ein, die für die
Folgezeit maßgebend bleiben. Bruneti^re spricht am internationalen Kongreß für historische
Wissenschaften 1900 über La littcrature europt'enne {Annales, Paris 1901, 6« section).
Der interromanischen Literaturforschung dienen seit mehr als dreißig Jahren zwei
Zeitschriften, deren Arbeitsgebiet indessen speziell das Mittelalter ist: die Romania {%t\\. 1872)
und die Zeitschrift f. rom. Philologie (seit 1877). Dazu die Rei'ue des langues romancs
(seit 1870), die auch die Neuzeit berücksichtigt; ebenso VollmöLLERS Romanische For-
schungen (seit 1881). Die Zeitschrift gibt jährlich auch einen bibliographischen Supplement-
band heraus, der das ganze romanische philologische Schrifttum bis zur Gegenwart umfaßt. Die
lange Reihe dieser Supplementbände ermöglicht eine rasche Orientierung in der Fachliteratur
der letzten dreißig Jahre. Nähere Auskunft über den Wert dieser Fachliteratur gibt VOLL-
Möllers Kritischer fahresbericht über die Fortschritte der roman. Philologie (seit 1890, unter
Mitwirkung von über hundert Fachgenossen). Grübers Grundriß der romanischen Philo-
logie stellt die romanischen Literaturen einzeln dar und beschränkt diese Darstellung zum
Teil auf die ältere Zeit (mit reicher Bibliographie). Ein Verzeichnis der Arbeiten, welche
Fragen der literarischen Beziehungen der romanischen Länder unter sich und mit dem Ausland
beJiandeln, geben Betz, La littcrature compart'e, Straßburg 1902, und Jellineks jährliche
Bibliographie der vergl. IJteraturgcschichte, Berlin (seit 1903). — Ausgaben: W. FOERSTERS
Romanische Bibliothek (seit 1889); Gesellschaft für romanische Literatur (seit 1903).
Frankreich. Histoire de la langue et de la litti'rature frant^aise des origines <i igoo
publie'e sous la direction de L. PETIT DE JL'LLEVILLE, Paris 1896 — 99, acht Bände mit unglcich-
wertigen Beiträgen: I u. II: Mittelalter; III: Renaissance; IV u. V: 17. Jahrb.; VI: 18. Jahrb.;
VII u. VIII: 19. Jahrh. G. Lanson, Histoire de la litt, frani^aise^, Paris 1906, ist ein treff-
liches Handbuch, das für die vier letzten Jahrhunderte auf Quellenstudien beruht. F. Brune-
Tl^iRK, Manuel de fhist. de la litt, fran^aise, Paris 1898, nur für das Gebiet der vier letzten
Jahrhunderte von selbständigem Wert. — Seit 1894 erscheint eine Rnue dhist.-lttl. de la
France, welche in Frankreich die Romania literarhistorisch ergänzt. Dazu in Deutschland
Behrens' Zeitschrift f. franz. Sprache und Literatur (seit 1879). Speziell für Südfrankreich :
Annales du Midi (seit 1888). — Sammlungen literarhist. Monographien: Les grands ^crivains
fran^is, Üudes sur la vie, les ceuvrcs et tinjluence des principaux auteurs dt notre littcrature.
440
Heinrich Morf: Literatur.
bis jetzt über fünfzig Bände (von Rutebeuf und Villon bis Lamartine und Hugo) usw. —
Die Bibliotheque de bibliographies critiques publice par la Sociiti des ettides historiques (seit
1900) umfaßt auch Schriftsteller. Ausgaben: Publications de la Sociiti des anciens textes
fran^ais (seit 1872); W. FOERSTERS Altfranzösische Bibliothek (seit 188 1); H. Suchiers,
Bibliotheca Normannica (seit 1879); Societd des textes frangais moaernes (seit 1905); die
Editions der Grands ^crivains de la Frattce, die Ausgaben der Bibliotheque elzcvirienne
(zirka 180 Bände) usw. Ferner Textsammlungen, die sich um ein bestimmtes Zentrum
gruppieren, wie z. B. die Collection inoliiresque, 1867 fF.
Italien. G. Mazzoni, Avviamento allo studio critico delle lettere italiane *, Firenze 1907. —
Bei Vall.^RDI in Mailand erscheint seit 1898 eine große Storia letteraria d'Italia scritta da
una societä di professori in neun Bänden, jeder von einem besonderen Autor: Letteratura
romana v. Giussani; Origini della lingua v. NOVATI; Da?tte v. Zingarelli mit Le vite di
Dante, Petrarca, Boccaccio v. Solerti; Trecento v. VOLPl; Quattrocento v. Rossi; Cinque-
cento v. Flamini ; Seicento v. Belloni ; Settecento v. Concari ; Ottocento v. Mazzoni ; Origini
und Ottocento sind noch unvollendet. Das Werk bringt ausgiebige Literaturnachweise.
A. d'ANCONA e O. Bacci, Manuale della letteratura italiana, 5 Bände und Supplem., Firenze
1892 — 1904, ist ein bequemes und verläßliches Hilfsmittel, eine Chrestomathie mit guten
Übersichten und wohldokumentierten Charakteristiken von über 300 Schriftstellern (keine
lebenden). — Gioj-nale storico della letteratu7'a italiana (seit 1882, jährlich 2 Bände) ist ein
eigentliches Zentrum der literarhistorischen Forschung Italiens und bringt auch den Inhalt der
übrigen Zeitschriften. Collezione di opere inedite (seit 1862); Scelta di curiositä letterarie in-
edite 0 rare (etwa 250 Bände), usw.
Spanien und Portugal. J. Fitzmaurice -Kelly, A history of spattish lit., 1898; in
der spanischen (1900) und französ. (1904) Übersetzung vermehrt und verbessert (mit aus-
führhcher Bibliographie). Ph. A. Becker, Geschichte der spattischen Literatur, Straßburg 1904.
A. Farinelli, Espatia y su literatura en el extranjero d traves los siglos , Madrid 1902,
mit bibliogr. Orientierung. — Revista de archivos , bibliotecas y museos (seit 1870). Literar-
historisch-kritische Zeitschriften haben bislang in Spanien nicht zu eigentlichem Leben
kommen können. In Frankreich: Revue hispanique, Paris (seit 1894). — Biblioteca de autores
espaholes desde la fortnaciön del lenguaje hasta nuestros dias, Madrid 1846 — 80, 71 Bände
(mit nützlichem Index im letzten Band); fortgesetzt als Nueva biblioteca (seit 1905). Die
Colecciön de escritores castellanos usw. Es gibt zahlreiche Sammlungen seltener, klassischer
und moderner Texte. Bibliotheca hispanica v. Foulch^-Delbosc, Paris (seit 1900). Die
Colecciön de autores espaholes v. F. A. Brockhaus, Leipzig. Die eingehendste deutsche
Darstellung der portugiesischen Literatur geben C. Michaelis De Vasconcellos und
Th. Braga in Gröbers Grundriß II, 2, S. 129 — 381 (vgl. dazu Vollmöllers Jahres-
bericht, IV, 2, 190); sie reicht bis in die Mitte des 19. Jahrh. Th. Braga, As modernas
ideias na literatura portugueza, Porto 1892, stellt die Literatur der zweiten Hälfte des Jahr-
hunderts dar. In Gröbers Gru?idriß l\, 2, S. 70 — 128, die katalanische Literatur von
A. Morel-Fatio; der neueren Zeit — nach dem 15. Jahrh. — fallen am Schlüsse nur wenige
Zeilen zu. Über die neueste katalan. Lit. vgl. ^loU-^iöiAXSS, Jahresbericht, Band I, VII u. VIII.
Kürzlich (1907) ist eine literaturgeschichtliche Zeitschrift, Empori, in Barcelona begründet
worden.
Rätien. Die rätische Literatur verzeichnet bibhographisch E. BÖHMER in seinen
Ro7nan. Studien, Band VI, 1883. Dargestellt hat diese Literatur C. Decurtins in Gröbers
Grundriß III, 3, S. 218 — 261. Einen großen Teil derselben vereinigt der nämhche in seiner
Rätoromanischen Chrestomathie, Erlangen, seit 1888 (bis jetzt 8 Bände).
Rumänien. Die eingehende Darstellung des rumänischen Schrifttums in Gröbers
Grundriß II, 3, S. 262 — 428 (v. M. Gaster) reicht nur bis zum Anfang des 19. Jahrh.
N. lORGA, Istoria literaturii romäne in secolul al XVIII i^"-, Bukarest 1901, 2 voll.
G. Alexici, Geschichte der rumän. Literatur, in deutscher Umarbeitung v. K. Dieterich,
Leipzig 1906, umfaßt auch die neueste Zeit.
Hkinrich Mork; Literatur.
441
S. 138 ff. G. Paris, über Romani, Romania usw. in Romania, I. i fi^
S. 141. Zum Namen Provincia, Blanc in der Revue des langes romanes J894,
November. Fr. Nova ri , L'influsso del pensiero latitio sopra la civiltä italiana del medio
ei'O*, Milano 1899.
S. 142. Die Sprache der alten Grafschaft Barcelona, das Katalanische, erscheint nach
den neuesten Forschungen nicht als ein Ableger Scptimaniens, sondern als autochthone
hispanische Entwickelung, und der katalanische Dialekt des Roussillon (Pyren($es orientalcs)
als alter hispanischer Import.
S. 143 ff. Frankreichs mittelalt. Literatur ist am ausführlichsten dargestellt in der
Histoire lilWraire de la France, Paris I733— 1906, 33 Bünde. Eingehende und genaue
Orientierung bietet — bis zum 15. Jahrhundert — Gröber im Grundriß d. roman. Philologie
Band II ', 433—1247 (1902), Knapper: G. P.\R1S, La litt. /ran^. au moyen dge* (bis 1328),
1905. Gröber und Paris geben ausreichende Literaturnachweise. Paris" Esquisse hislorique
ae la litt. fr. au moyen Age , 1907, umfaßt auch das 14. und 15. Jahrb., das Paris auch
in gesonderten Aufsätzen behandelt hat {La pot'sie du moyen äge , 2. Band, 1895;. Petit
DE JULLEVILLE widmet dem Mittelaher zwei von acht Bänden. SucHlER, in Geschichte der
franz. Litt, von H. SucHiER und A. BiRCH- Hirschfeld, 1900, 1—308, behandelt auch die
provenzalische Literatur, die Stimming in GröBERS Grundriß II*, 1-69 speziell dargestellt
hat (,bis zum Ausgang des Mittelalters;. G. Paris, Les origines de la poesie lyrique en France
au moyen dge, im foum. des Satuints 1892 — 93.
S. 144. H. Reich, Der Mimus, Berlin 1903.
S. 145. Die Epenforschung wird in neue Bahnen gelenkt von Ph. A. Becker, Grund-
riß der altfranz. Literatur I.Teil, Heidelberg 1907, und J. Bi^:dier, Les Ugendes ^iques,
recherches sur la formation des Chansons de geste , Paris 1908, die hier leider nicht mehr
haben berücksichtigt werden können.
S. 154. Fr. Diez, Die Poesie der Troubadours"^, 1882: Beck, Die Melodien der
Troubadours, Straßburg 1908; Fr. Diez, Leben und Werke der Troubadours^, 1882. — Zur
Kritik der alten Troubadourbiographien: ZlNG.\RELLl, Ricerche sulla vita di Bern, de
Ventadorn , 1905 (in Studi mediex'ali I).
S. 159. Das Französische in England: D. Behrens in Pauls Grundriß der german.
Philologie V; cf. die Verhandlungen des Pariser Kongresses von 1900 {Annales internal,
d histoire Vh section 1901 S. 43 ff.). — In Italien: P. Meyer, De texpansion de la langue fr,
en Italie, Roma 1904 {Atti del Congresso intern, di Scienze storiche, vol. IV;. Die Äußerung
Chr^tiens im Cligh, vers 30 ff.; dazu Moritz von Craon.
S. 160. Domina multarum cx'osit nationum, bei AlMOlN, Historia Francorum , ed.
Bouquet, Hist. de la Gaule, III (1741), S. 28. Zu den französischen Liedern in Itahen vgl.
R.A.Meyer, Franz. Lieder aus d. florent. Handschrift StrozziMagliab. CL. VII. 1040.
Halle 1907.
S. 162. Zu den itahenischen Anregungen vgl. K. BURDACH, Vom Mittelalter zur
Reformation, Brunn 1898, und Abhandig. d. k. preuß. Akad. vom Juni 1903. — Die Volks-
poesie: Paris, Chansons du XV* sihle {Soc. des Anc. textes , 1875).
S. 163 ff, W. Creizenach, Geschichte des neuem Dramas, Halle 1893 ff.
S. i68ff. A. Gaspary, Gesch. der ital. Literatur. I. 1885; II. 1888 ^bis zur Gegen-
reformation); ins Ital. übersetzt mit Ergänzungen) von V. Rossi, Turin 1887—1901 (die Biblio-
graphie ist nachgeführt). Nigra, Canti popolari del Piemonte , Turin 1888, dazu G.Paris
wa foum. des Sai>ants 1889. — A. D'Ancona, La poesia popolare italiana"*, Livomo 1906.
S. 169. K. Vossler, Wie erklart sich der spate Beginn der Vulgarliteratur in
Italien.' in Zeitschr.f vergl. Lit.- Gesch. 1903.
S. 170. 181. A. D'Ancona, Origini del teatro italiano*, Turin 1891; dazu G. PARIS im
foum. des Sarants i8<»2.
5. 171. Die neuere Literatur über Dante verzeichnen Passeri.m e .Mazzi, In
deunnio di bibliografia dantesca 1 891 — 1900, Mailand 1905, sowie die beiden Dante -Zeit-
schriften: Bullettino della Societä danUsca ^scit 1890) und Giornale dantesco ^seit 1893).
442
Heinrich Morf: Literatur.
S. 172. K. Vossler, Die göttliche Komödie, I. Band (in zwei Teilen), Heidelberg 1907,
gibt die Entwickelungsgeschichte des Gedichts; der zweite Band soll die fortlaufende
Erklärung bringen.
S. 174. E. Calvi, Bibliografia analitica petrarchesca, iSj-j — 1904, Roma 1904.
S. 176. Die Bibliographie Boccaccios ist wenig gepflegt worden. Jetzt hat G. Traversari
die Veröffentlichung einer Bibliografia boccaccesca begonnen. Erster Band: Scritti inforno
al B., Cittä di Castello 1907.
S. 182 f. Zu Pulci-Bojardo-Ariost vgl. MORF, Vom Rolandslied zum Orlaftdo furioso
in Aus Dicht, und Sprache der Romanen, 1903.
S. 198. Die spanische Sprache in Italien: B. Croce, La lingua spagnitola i?i Italia,
con un' appendice di A. Farinelli, Roma 1895.
S. 199. G. Baist, Die spanische Literatur in Gröbers Grundriß IP reicht bloß bis
zum Ende des 17. Jahrh. und behandelt dabei die Literatur der Habsburgerzeit nur anhangs-
weise. Von gleichförmiger Kürze ist Ph. A. BECKER.
S. 201. H. Morf, Die sieben Iti/anten von Lara in Aus Dicht, und Sprache der
Romajien, 1903.
S. 201, 203 f. Eine Geschichte der spanischen Lyrik stellen die Einleitungen dar, die
Men^ndez y Pelayo den einzelnen Abschnitten seiner Antologia de poetas liricos castellanos,
Madrid 1890 ff., vorausschickt.
S. 209. Men]£ndez y Pelayo, Origines de la Novela in Nueva Bibl. de autores
espanoles I, Madrid 1905.
S. 210. A. Morel -Fatio, Cervantes et le troisieme centenaire du ,,Don Quijote" im
Archiv f. d. Stud. der neuern Spr. und Lit. CXVI, 340 — 361.
S. 213. Die Nachahmungen des ,,D. Quijote" bei Rius, Bibliogr. critica de Cervatites,
Barcelona 1895 ff. , II, 255. — Das grundlegende Werk für die Geschichte des span. Theaters
ist immer noch Schacks Gesch. der dram. Lit. und Kutist in Spanien, 1845 — 46. Im
einzelnen ist es durch eine eifrige Detailforschung überholt. Wertvolle Angaben über
schwer erreichbare Stücke bei Schaeffer, Gesch. des span. Nationaldramas , 1890.
S. 215. Lopes Werke werden seit 1890 von der spanischen Akademie (Menändez
Y Pelayo) herausgegeben.
S. 217. A. Farinelli, Grillparzer und Lope, Berhn 1894.
S. 221 fif. Petit de Julleville Band III. Morf, Geschichte der neuern franz. Lit.
I. Das Zeitalter der Renaissance, 1898. BRUNETli;RE, Hist. de la litt, franqaise classique,
I. Band, De Marot ä Mo7itaigne, 1904 (nicht mehr erschienen). A. Tilley, The litt, of the
french re?taissance , Cambridge 1904, 2 voll. Revue de la Renaissance, Paris 1901 ff. Die
Revue des etudes Rabelaisiennes (seit J903) hat das Studium Rabelais völlig erneut.
S. 224. P.Villey, Les sources et l' Solution des ,, Essais" de Montaigne , Paris 1908, 2 voll.
S. 228 f. u. 235. E. RiGAL, Le theätre franqais avant la periode classique, 1901.
S. 229 ff. Petit de Julleville, Band IV. F. Lotheissen, Gesch. der franz. Lit. im
17. fahrh.^, Wien 1897, 4 voll. A. DUPUY, Hist. de la litt, frangaise au XVI I« siede,
Paris 1892.
S. 231. Brunot, La doctrifie de Malherbe, Paris 1891.
S. 235. E. Magne, Scarron et son milieu^, Paris 1905.
S. 235 f. Zur Dramaturgie der Zeit vgl. Archiv f. d. Stud. d. neuern Spr. u. Lit. CXV,
431 ff. Zur Würdigung Comeilles: Deutsche Rundschau, Juni 1906, 439 — 452.
S. 239 ff. Petit de Julleville, Band V.
S. 239 f. Seit 1900 erscheint eine Revue Bossuet (gegenwärtig in zwanglosen Heften);
ebenso eine Revue Bourdaloue. Verlaque, Bibliographie raisonnee des ccuvres de Bossuet, 1908.
S. 244. E. RiGAL, Moliere, Paris 1908, 2 voll. Die Moli^re gewidmete Zeitschrift
{Le Molieriste) ist 1889 eingegangen.
S. 246. Barberet, Lesage et le theätre de lafoire, 1889. O. Klingler, Die Co^nedie
italienne in Paris, Straßburg 1902. V. Waldberg, Der empfijidsa7ne Roman in Frankreich.
I. Die Anfänge bis zum Beginne des iS.fahrh., Straßburg 1906.
Heinrich Mork Literatur.
U3
5.^50. /.u loiitcncllc und Haylc; Mork, Drei l'orpoiUn der /ran:: Auj ki.nunti '"
Atis Dkhl^. u. Spr. ti. Komanen, 1903, 240 fll.
S. 25ift. Tkih i»E Juixeville, Band \ I. H. Heitner, Gesch. d. Jrans. Litt, im
rtihtzehtiten Jiihrh.^, 1894.
S. 255. Die neueste zusammenfassende Darstellung Voltaires gibt C. Lanson, V^oUaire,
Paris ii)o6.
S. 260. Jetzt hat ilie Kousscauforschung ein Zentrum gefunden in den Annales de In
Soci/t^ J.J. Rousseiiti, Ceni:vc, seit 1905.
S. 263. J. Texte, /._/. Rousseau et les ori^^iius du cosmopolitisnte litt/raires , l'aris 1895.
V. Rössel, Hist. des relations litt, entre la France et t Allemagne , Paris i8'»7. HalüENS-
percer, üessner en France in der Kex'ue d'hist. litt, lie la France, X (1903;, 437. Ders.:
Youn}^ et ses „Xuits" en France in seinen Etudes d'hist. litttlraire, Paris 1907.
S. 267. Zu Voltaires tragischer Kunst vgl. Mork, Aus Dicht^. u. Spr. der Romnncn,
1903, S. 265—299,
S. 269. O. Zolunger , L.S. Mercier als Dramatiker und Dramaturg, Straßburg 1 899,
und in Zeitschr. /. frans. Sprache u. Litt., XXV (1902), 87 ff, A. Font, Fan-art , l'op/ra
comique et la com/die ■7'audeT.'ille aux 17 " et 18' siicles , Paris 1894.
S. 270. A. Haixays, Beaumarchais , Paris 1897.
S, 271. Zur Marseillaise vgl. J. Tiersot, Hist. de la chanson populaire en France, 1889,
S. 281 f.
S. 272. Die Abhandlung Humboldts neugedruckt in Zeitschr./. vergl. Literaturgeschichte,
VII (1894).
S. 272 ff, CONCARI, II settecento.
S, 270, Zu den dramaturgischen Ideen vgl. A. Farinelli in der Rassegna bibliografica
(Ulla lett. itaJiana, X (1902), p. 249 ff. Bodmer und die Italiener von L. Donati in der
Festschrift/. /. Bodmer, Zürich 1900.
S. 277. E. Bertana, V'.Alßeri, Turin 1902.
S. 281. Zum Streit um die Schriftsprache. V. ViVALDi, Storia delle controi'ersie intorno
alla nostra lingua, Catanzaro 1894 — 98, 3 voll., gibt die fast unerreichbare Literatur dieses
Streites von vier Jahrhunderten. Ossian: K, WeitnauER, Ossian in d. ital. Lit. bis /Sj2,
vorzulegend bei Monti , 1905.
S. 282. Zur Verfügung des Inquisitionstribunals vgl. Annales de la soc. /./. Rousseau,
I, 140. Zum ,, Nordwind ' vgl. V. ClAN, Italia e Spagtia nel secolo XVIII, Torino 1896.
Pestalozzi in Spanien, vgl. H. MoRK, Einige Blatter aus Pestalozzis Lebensgeschichte,
Langensalza 1887.
S. 283 flf. Men^NDEZ Y Pel.\Vo, Hist. de las ideas est^ticas en Espaha, Band III.
Madrid 1880.
S. 284 u. 348. F. I. Wölk, Ilistoire de la litt, br^silienne, Berlin 1803.
S. 287. Über die literar. Beziehungen zu Deutschland vgl. /\. Farinelli. in der Zeitschr.
/. vergl. Lit.Geschichte , VIII (i8<)4).
S. 291, Z, II. Das Zitat stammt aus KrumraCHER, Bysant. Zeitschri/t. VIII. 557.
S, 291. Zur Volksdichtung; K. Weigand in seinen Büchern über die Sprache der
Oiympo • Walachen (1888) und über die Aromunen (1895). K. DlETERlcH, Dit Volks-
dichtung der Balkanlander in ihren gemeinsamen Elementen in der Zeitschr. d. \ 'eretns /
Volkskunde, 1902. Gegenwärtig werden die \'olkslicdcr mit Unterstützung der Rr^'i^ning
gesammelt und unter der Leitung TociLESCUS herausgegeben (seit 1890}.
S. 295. Die romantische Literatur Frankreichs hat noch keine zus.iiuiiicnn.injjinuu
Sonderdarstellung gefunden. — Petit De JulI-EVILLE, Band VII, Les Anna/es romojitifues
(seit 1904). H. Tmieme. Guide bibliographique de la litt/rature /ran^aise de iSoo ä igo6
Paris, 1907, gibt die Bibliographie von über 800 franz. Autoren des 19. Jahrb.
S. 295, Z. 18. Das Zitat stammt aus einer späteren Vorrede (I8a8) lum GM4 du
christianisme.
444
Heinrich Morf: Literatur.
S. 296. Chateaubriands Mystifikationen: J. B^dier, Ch. eti AmMque, in seinen Etudes
critiques, 1903; weiteres in der Revue dhist. littiraire de la France XIII (1906), 228 ff.
S. 299. Zu den deutschen Quellen der Stael, F. Walzel, „De l' Allemagne" und
W. Schlegel, Weimar 1898; Joret in Rev. dhist. litt. IX (1902), i — 28.
S. 301 und 303. Zum deutschen Einfluß: J. Texte in der Rev. dhist. litt. V (1898),
I — 53, sowie Einzelstudien wie Betz, Heine /« Frankreich, Zürich 1895; Baldensperger,
Goethe c?i France, Paris 1904 — 07; M. Breuillac, Hoffmann en France in der Rev. cThist.
litt. XIII (1906) 427; Baldensperger, „Le'nore" de Bürger dans la litt, fratiqaise in seinen
Etuaes dhist. littöraire, Paris 1907; etc. H. Bloesch, Das jutige Deutschland in seinen Be-
ziehungen zu Frankreich. Bern 1903.
S. 302. W. J. Clark, Byron und die rotnantische Poesie in Frankreich, Leipzig 1901.
S. 304. Quinets Äußerungen in seinen Briefen aus Heidelberg an Michelet (1831) und
in seiner Schrift De l' Allemagne et de la rdvolutiott, 1832.
S. 306. Zu Goethe und Geoffroy de St-Hilaire vgl. Goethes Unterhaltungen tnit Fr. Soret,
hg. V. Burkhardt, 1905 p. 120.
S. 311 ff. Hugos kleine literarische Unehrlichkeiten hat Bmfi aufgedeckt. Näheres bei
Ganser, Beiträge zur Beurteilung des Verhältnisses von Hugo zu Chateaubriand, 1900, und
Roedel, Hugo und der Conservateur littiraire, 1902. Vgl. auch Becker, im Archiv f. d.
Stud. d. neuen Spr. CXVI, 327 ff,
S. 315 ff. Zur Lyrik: BRUNETifeRE, L'e'volution de la poesie lyrique en France au
XIX e siede. Paris 1894. 2 voll.
S. 316. Lamartines Äußerung in der Vorrede zu den Meditations.
S. 319. Über Musset vgl. M. Werner in der Deutschen Rundschau, Juli 1908.
S. 320. Das literarische Lyon nach 1830, vgl. Rev. dhist. litt. XII, 359 ff.
S. 321. Maigron, Le roman historique ä l'ipoque romantique, Paris 1898.
S. 324. Die Zitate aus G. Sand, Histoire ae ma vie, IV, 135.
S. 328. Vigny in der Vorrede zu Othello.
S. 330. Ch.-M. Des Granges, La comedie et les mceurs sous la Restauration et la
Monarchie de Juillet, Paris 1904.
S. 332. Italien. Mazzoni, L'ottocento. ]. Luchaire, Essai sur Devolution intellectuelle
de r Italic de i8iß ä i8jo, Paris 1906.
S. 334 ff. G. A. BORGESE, Storia della critica romantica in Italia, Napoli 1905. G. MUONI,
Lod. di Breme e le prime poleniiche intorno a M"'<^ di Stael ed al romanticismo, Milano 1902.
S. 335 ff. Das Studium Manzonis hat eine neue Grundlage erhalten durch die Ausgabe
der Opere bei Hoepli, Mailand 1905 fif., die auch seine Entwürfe und nachgelassenen Schriften
enthält. Von den acht Bänden sind drei erschienen.
S. 336. F. d'OviDIO, Le correzioni ai Promessi Sposi e la questione della lingua'^,
Napoh 1895.
S. 339. P. Heyse, Itahen. Dichter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, Berhn 1889—1905,
5 Bände, Übersetzungen und Charakteristiken.
S. 340. Zu Giraud: T. Gnoli, Le satire di G. Giraud, Roma 1904.
S. 342. Zu Belli: E. BOVET, Le peuple de Rome vers 1840, d apres les sonnets de
G. G. Belli, I. Band, Rome 1898.
S. 344. E. Pineyro, El romanticismo en Espaha, Paris, o. D. Fr. Blanco Garcia,
La literatura espatiola en el siglo XIX, 3 voll. Madrid 1899 — 1904.
S. 347. Zur portug. Romantik, vgl. GröBERS Grundriß II, 2, 367 fif.
S. 351. Die Stelle aus Pellico im Giornale storico della lett. italiana, XLVII (1906) 251.
S. 351. Frankreich. Vgl. Petit de Julleville, Band VIII. Die Bibliographie gibt
Thieme, vgl. zu S. 295.
S. 352. Die Stelle aus Ste-Beuve in seiner Nouvelle correspondance p. 231.
S. 353. Berthelot in der Revue de Paris i. Febr. 1905.
S. 354 ff. Die Zitate stammen zumeist aus H. Taine, sa vie et sa correspondance,
1904 — 07. 4 voll.
Heinrich Morf: Literatur.
445
S. 3S5- ZOLAS Äußerung über Taine in Mes Haines. S. 209.
S. 350. Renans wissenschaftliche LcistunK'cn charakterisiert J. I^akmesteteR in der
Rei'ue bUue, Oktober 1803.
S. 305 f. R. Fath, Inßuence de la science sur la litlirature fran^aise daits la seconde
moilU du XIX f sihle, Lausanne 1901.
S. 368. P. Skippel, Les deux Frances et leurs origines historiques , Paris 1905
S. 370. Von Texte stammen auch die Abschnitte über Frankreichs literanscnc
Beziehungen zum Ausland in Pktit De Jli.levilij;, z. H. VIll. 062—703.
S. 370 — 78. Eine umfassende Auswahl moderner französischer Lyrik geben die drei
Bände dtx Antholof^ie des polUs /ram^ais contemporains (1866 — 1906) vonG.WALCH, Paris o. I).
S. 372. Zu Leconte und Hugos Ugende vgl. RiGAL, Hugo Poe le ^ique, Paris 1900, S. 1 ff.
S. 373. Baudelaire und Poe bei Betz, Studien s. vergl. Literaturgeschichte der neuen
Zeit, Frankfurt 1902. S. 16 — 52.
S. 374. Klinke, Hoffmanns Leben und Werke vom Standpunkte eines Irrenarztes.
Braunschweig 1903. S. 87.
S. 375. Wie sehr Amiel die Franzosen beschäftigte, zeigen die Artikel von Rena.n,
Renouvier, BRUNETlfeRE etc. Über ihn (Mitte der achtziger Jahre).
S. 376. Zum Vers lihre vgl. Gladow, Vom franz. Versbau neuerer Zeit, in den Roman.
Forschungen Vollmöllers XXII (1906).
S. 378. SuUy Prudhommes Äußerung in der Vorrede zu Walchs Anthologie des poites
fran^is contemporains, Paris (1906).
S. 379. Belgien: J. BoUBf.E, La litt, beige, Bruxelles 1906.
S. 379. Mistral. Sein Wort über die Albigenserkriegc in den Anmerkungen zum Epos
Calendau (1867}. Zu Roumanille vgl. E. RllTER im Bulletin de flnstitut genevois, XXXIII
(1894. Eine wissenschaftliche Darstellung des Felibrige fehlt noch. Doch gibt es gute
Monographien zu einzelnen Persönlichkeiten und Werken; auch fehlt es nicht an biblio-
graphischen Arbeiten (z. B. E. Lek^vre, Bibliogr. mistralienne , Marseille 1903; L'ann^e
ßlibr^^nne 1904 ff.). Die franz. Literarhistoriker räumen in ihren Histoires de la litt. Jran^aise
dem proven^alischen Schrifttum keinen Platz ein.
S. 3S1. Schweiz. Ph. Godet, Hist. litt, de la Suisse fran^aise, Paris 1890.
S. 381. Kanada. Ch. ab der Halden, Etudes de litt, canadienne J'ran^aise, Paris 1907.
S. 38 2 ff. Die Äußerungen Flauberts stammen fast alle aus den vier Bänden seiner
Correspondance, 1830 — 1880 umfassend.
S. 386 ff. Zolas kritisrhe Äußerungen sind Mcs Haines ib66), Le roman exp&imental
(1880) und besonders den handschriftlichen Notizen entnommen, die Massis, Comment
E. Zola composait ses romans^ 1906, veröffentlicht hat.
S. 400—8. Im Zusammenhang der europäischen Dramatik stellt R. F. ARNOLD Ihis
moderne Drama, Straßburg 1908, auch das romanische und besonders das französische
Schauspiel dar (mit Bibliographie).
S. 404. Die Zahlen über das Th6Ätre-Libre nach seinem gedruckten Rechenschafts
bericht vom Mai 1890.
S. 409. Petermann, Der deutsche Buchhandel und seine Abnehmer. Dresden 190(1.
S. 410 — 18. Italien. Eine betjueme übersieht der modernen Literatur mit einer chrono-
logischen Tabelle) gibt V. FkkraRI, Letteratura italiana moderna e con' .' •,
Mailand 1904 {Manuale Iloepii). Eine Sammlung von zwei Dutzend Skizrcn i; o
ristiken enthält La litt, italienne daujourd'hui von M. MURET, 1906.
S. 419. Zu Garibaldi und dem ,,Fior tricolorc" vgl. CarDUCCI. Aus«. im (;ii »Wiki- m
twei Bänden, Bologna 1903—05, Poesie p. 845; Prose p. 1348. — Das Wort Dantes in
De vulgär i eloquent ia i, 0.
S. 4 19 — 29. Spanien. Fn zmaurice • Kelly, /.///. espagnole, 1 004 (vgl. oben S. 440, reicht
bis zur Gegenwart Fr. Blanco Garcia vgl. xu S.344). Th. Braga vgl. oben S.440). B.Tannen-
BERG, L'Espagne litt^raire, portraits d'hier et d' aujourd' hui , Paris 1903.
5. 431. Zum Krausismo vgl. MENtNDEZ Y Pu-AVO, Htsl. de hu ideas tstdtieas, IV, 40a ff.
aa() Heinrich Morf: Literatur.
S. 422. Zu Campoamor vgl. Revue hispanique, I, 238 fif.
S. 423ff. H. Lyonnet, Le thiätre en Espagne, Paris 1897. A. Gassier, Le thiätre
espagnol, Paris 1898. Th. Braga, Hist. do ieatro portiiguez, Porto 1870.
S. 426ff. F. Vezinet, Les maitres du roman espagnol coJitemporain , Paris 1907.
S. 427. Zu Feman Caballero vgl. A. Morel- Fatio, F. C. d' apres sa correspondance
avec A. de Latour in seinen Etudes sur V Espagne, III, 1904.
S. 429. Die neuere katalanische Literatur wird von Fr. Blanco Garcia mitbehandelt,
ebenso wie das südamerikanische Schrifttum. Zum mittelamerikanischen vgl. J. Calcano,
La literatura venezolana en el siglo XIX in Cultura espanola, Madrid, Mayo 1907.
S. 430. Das Zitat aus F. Caballero bei Morel -Fatio, 1. c. p. 340.
S. 430 ff. O. Densusianu, Poesia romänä tn sec. al XIXiea jn Noua revista romdnä,
Bukarest, III (1902). Th. Cornel, La Roumanie litteraire d'aujourd'hui, Paris 1903. Über
Eminescus Leben und öffentliche Tätigkeit handelt I. Scurtu im Zehnten Jahresbericht des
Inst, für rumän. Sprache zu Leipzig, 1904, S. 2540.; über seine Stellung zur Romantik
Sanielevici in der Noua rev. rem., I (1900).
Dill ROMANISCHEN SPRACIIRN.
Von
Wilhelm Mkyer-Lürke.
Einleitung'. Mit einem Geschick, wie es in der uns bekannten Die roin«ni»cbfo
Völkergeschichte seinesgleichen bisher nicht gefunden hat, haben die l^^r"cr /^"^j*^^.^^
es verstanden, in verhältnismäßig kurzer Zeit ihre Sprache bei fast all den herrorc«-»»n6«i.
verschiedenartigen Völkern zur allgemein gültigen zu machen, die sie all-
mählich ihrer Herrschaft unterworfen haben. Kulturell gleich oder höher
stehende und kulturell zurückgebliebene, sprachlich nahverwandte wie die
Osker oder die Umbrer, femerstehende wie die Gallier, gänzlich unver-
wandte wie die Etrusker oder die Iberer, sie alle haben ihre Idiome zu-
gunsten des römischen rasch aufgegeben. Und so gründlich ist die Ro-
manisierung vor sich gegangen, daß noch heute, fast anderthalb Jahr-
tausende nach dem Zerfall des Römerreiches, der gemeinsame Ursprung
der in Spanien, Frankreich, Italien und Rumänien gesprochenen Mundarten
auch von einem nicht gerade sprachgeschichtlich geschulten Auge wahr-
genommen werden kann, so gründlich, daß anderseits nur sehr geringe
Spuren der vorrömischen Sprachen im Romanischen nachweisbar sind.
Man hat denn auch seit dem Wiederaufleben wissenschaftlicher Studien
den Zusammenhang der romanischen Sprachen unter sich und mit dem
Lateinischen bald mehr, bald weniger deutlich gcfülilt, wissenschaftlich
bewiesen wurde er aber erst durch Friedrich Dicz in seiner 'Grammatik
der romanischen .Sprachen 1836 — 1843', Wohl fehlte es nicht an Sonder-
lingen und wird es nie an solchen fehlen, die z. B. wie der Abb6 Es-
pagnolle in Frankreich dicke Bücher schreiben, um zu beweisen, daß das
Französische direkt vom Griechischen stamme, aber solche Abirrungen
werden heute in den Fachkreisen nicht mehr ernst genommen, weil der
lateinische Ursprung der neulateinischen Idiome nicht mehr eine Hypothese,
sondern eine bewiesene Tatsache ist
I. Ausdehnung und Einteilung der romanischen Sprachen. v«»br««noc»-
Die geographische Übereinstimmung zwischen dem alten 'Orbis Romanus* ^|^^^^^,|^
und der heutigen 'Romania' ist nun freilich keino vollständige, vielmehr sind SptmcW«.
einzelne Grenzgebiete teils frühzeitig abgebröckelt, teils nie ganz von der
römischen Kultur erfaßt worden. Da ist zunächst Britannien zu nennen, dessen
4^8 Wilhelm Meyer-Lübke: Die romanischen Sprachen.
räumliche Trennung von dem lateinischen Festlande von vornherein einer
direkten Kolonisierung nicht günstig war, das lange zu halten kein po-
litisches oder militärisches Interesse gebot, daher die römischen Kolonien
beim Ansturm der Angeln und Sachsen sich selbst überlassen wurden und
untergehen mußten. Ebenfalls die räumliche Absonderung und der Mangel
eines römischen Hinterlandes werden es erklären, daß Nordafrika nicht
romanisch geworden ist, obschon man nach Maßgabe der ungewöhnlich
großen Zahl von da gefundenen Inschriften und der reichen, namentlich
christlichen Literatur, die hier blühte, eine Intensität römischen Lebens
voraussetzen kann, wie sie nirgendwo stärker gewesen sein wird. Wenn
ferner Helvetien zum Teil und das rechtsrheinische Germanien schon in
der Völkerwanderung ihren römischen Charakter völlig einbüßten, so liegt
das in den politischen Verhältnissen der späteren Kaiserzeit. Ganz anders
standen die Dinge im Osten. Griechenlands Kultur war der römischen zu
sehr überlegen, vor allem war Griechenland von Rom ohne weiteres als
Lehrmeisterin anerkannt, seine Sprache in Rom hoch, oft höher als die
eigene geschätzt, so daß wohl nie auch nur der Versuch gemacht wurde, bei
den Griechen die Reichssprache in demselben Grade zur Geltung zu bringen
wie in den westlichen Provinzen. Nur im Norden der Balkanhalbinsel, in
lUyrien und jenseits der Donau in Dazien herrschte das Latein, aber die
Illyrer sind nur halb romanisiert worden, wie die Sprache ihrer Nach-
kommen, der Albanesen, zeigt, und die Kolonisten Daziens wurden von Marc
Aurel nach Mösien zurückgeführt.
Verschiebungen Außer den romanisicrten Gegenden, die nie romanisch gewesen sind,
gibt es nun auch solche, die erst in nachrömischer Zeit romanisch ge-
worden, und solche, die, einst romanisch, ihre romanische Sprache wieder
verloren haben. Vor dem Eindringen der Angeln und Sachsen haben sich
Inselkelten über den Kanal geflüchtet und die nach ihnen benannte Halb-
insel Bretagne besetzt. Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung, im 9. Jahr-
hundert, hatten sie die Diözesen Dol, S. Malo, S. Brieuc, Tr^guier, Cor-
nouaille, Vannes und die Halbinsel Guerande fast ganz inne, sind dann aber
allmählich wieder zurückgedrängt worden. Wie hier, so zeigt das Franzö-
sische auch gegenüber dem Flämischen im Departement Nord seine
Ausbreitungsfähigkeit, und in den Reichslanden ist im Mittelalter das
Niedtal ganz deutsch gewesen, während heute die Nied die Sprachgrenze
bildet. In der Schweiz dagegen haben nur geringfügige Besitzverschiebungen,
bald zugunsten der Deutschen, bald zugunsten der Franzosen stattgefun-
den, eine starke Einbuße hat das Romanentum einzig in Wallis erlitten,
das noch zur Karolingerzeit mit dem Urserental romanisch war, so
daß also die sprachliche Kontinuität vom Rhonetal zum Rheintal noch nicht
unterbrochen war. Am stärksten ist nun aber der Verlust im Osten.
Dalmatien ist heute völlig an die Slawen verloren gegangen und ob die
Rückeroberung der Städte durch die Venetianerim Mittelalter lange Be-
stand haben wird, ist zweifelhaft. Auch in Istrien dringen die Slawen vor.
der
Sprachgrenzen
I. Ausdehnung und Einteilung der romanischen Sprachen. ^^g
sie bedrohen selbst Triest und das halb friaulische, halb venezianische
Küstenland. Forner ist die Ostschweiz mindestens bis zum Wallensee,
Chur, Maycnffld, das Prättii»^au, dann Vorarlberg und das Oberinntal bis
gegen Innsbruck zu, Etsch- und Pustertal erst im Laufe der letzten sieben
Jahrhunderte, zum Teil erst in neuerer und neuester Zeit germanisiert
worden, und die Germanisierung macht namentlich in Graubünden unauf-
haltsame Fortschritte.
Diesen Einbußen stehen als vorübergehende Neuerwerbungen Eng-
land, als bleibende die außereuropäischen Kolonien der romanischen Völker
gegenüber. Mit der Eroberung Englands durch die Normannen wurde das
Französische in einer Form, die man anglonormannisch oder anglo-
französisch nennt, bald Reichs-, Hof- und Literatursprache und blieb es
bis ins XIV. Jahrhundert hinein. Außerhalb Europa herrscht Französisch
namentlich in Algier und in Kanada, Spanisch in Mexiko, Kuba, den
kleinen mittclamerikanischen Staaten, Chile, Peru und Argentinien, Portu-
giesisch auf Ceylon und in Brasilien. Ist die Sprache hier von dem
Mutteridiom nicht wesentlich verschieden, so zeigen dagegen die kreo-
lischen Älundarten eine merkwürdige Mischung von Romanisch und den
Idiomen der Eingeborenen oder der eingeführten Neger, die namentlich in
der Formenlehre eine ganz eigenartige ist So trifft man Negerfranzösisch
auf der Insel Mauritius, in Louisiana, Haiti, Martinique, Cayenne, auf den
Reunionsinseln; Anamitofranzösisch in Cochinchina; Malaiospanisch auf den
Philippinen; Negerspanisch in St. Domingo und Trinidad; Negerportugiesisch
am Kap Verde und in Senegambien; Indoportugiesisch in Ceylon, Cochin,
Diu und Mangalore; Malaioportugiesisch in Batavia und Tugu. Der Grad
der Mischung ist natürlich ein sehr verschiedener.
Die Gliederung der romanischen Sprachen ist darum sehr schwer, weil Di« GUad«««
es bisher an deutlichen Kriterien für die Unterscheidung von Dialekt und " ^^^^^^
Sprache fehlte. Als Schriftsprachen haben sich heraus entwickelt: Italienisch,
Französisch, Provenzalisch, Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch. Allein das
Sardische ist durch eine ganze Reihe von charakteristischen Zügen so
durchaus verschieden vom italienischen Typus, daß man es füglich als
selbständiges Glied bezeichnen kann, dasselbe gilt von den Alpenmund-
arten in Graubünden, Tirol und Friaul, die man als I^idinisch oder Räto-
romanisch zusammenfaßt, und endlich erweist sich das jetzt ausgestorbene
Dalmatinische als ebenso eigenartig, so daß man also wohl alles Recht
hat, von neun romanischen Sprachen zu reden.
Betrachten wir die sprachlichen Verhältnisse in den einzelnen Gebieten Di* \u
näher, so zeigt vorab Italien auf kleinem Räume eine ungemein große
Zahl unter sich stark verschiedener Mundarten. Zunächst ist es der Apennin,
der eine erste Scheidelinie bildet: am nördlichen Abhang, im ganzen Huß-
gebiete des Po und noch bis über Ancona hinab begegnen tönende Ver-
schlußlaute statt der tonlosen: ro(/<jf roda aus lat rvta, einfache Konso-
nanten statt der doppelten, am Südabhange von Toskana bis hinunter nach
Dn KvLTVR Dc« GionwAJiT. I. ii. t. 29
450 Wilhelm Meyer -Lübke: Die romanischen Sprachen.
Tarent und Sizilien herrschen die tonlosen und gedehnten Laute. Im Nor-
den bilden weiter Piemontesisch, Genuesisch, Lombardisch, Emilianisch und
Venezianisch besondere Gruppen, und zwar werden die vier ersten, die
unter sich nahe zusammenhängen und in manchen Dingen an das Fran-
zösische gemahnen, mitunter als 'galloromanisch' zusammengefaßt; im
Süden kann man unterscheiden das Toskanische, das Römisch-Umbrische,
das Abruzzische, das Neapolitanische, das Tarentinische, das Kalabresische
und das Sizilianische. Wie stark die Verschiedenheiten sind, mögen
die Reflexe von lat. seta und cor zeigen. Sie lauten siz. sita^ kori\
kalabr. sita, köre; neap, sete, kore\ abruzz. saity kor; röm., flor. seta
euere; emil. saida, kor; lomb. seda, kör; gen. säa, ko, piem. seia, kör;
ven. sedüy kuor, und diese Verschiedenheiten sind natürlich noch wesent-
lich größer, sobald der gesamte Sprachbestand verglichen wird. Über das
Alter der Differenzierungen steht nur so viel fest, daß ums Jahr looo die
wesentlichen Charakteristika der einzelnen Gruppen schon größtenteils be-
standen haben, so daß also die dialektische Mannigfaltigkeit hoch hinauf-
reicht. Die starke Lebensfähigkeit der Mundarten zeigt sich auch darin,
daß sie zu allen Zeiten literarisch bearbeitet worden sind, nicht nur im
Mittelalter, bevor das Toskanische sich als Schriftsprache überall geltend
machte, sondern bis in die neueste Zeit hinein. Giovanni Meli (1740 — 18 15)
in Sizilien, Carlo Goldoni (1707— 1793) in Venedig, Carlo Porta (1776 — 182 1)
in Mailand, Giuseppe Gioachino Belli (1791 — 1863) in Rom, der erste als
Idyllendichter, der zweite als Dramatiker, die beiden anderen als Satiriker,
nehmen in der Geschichte des italienischen Schrifttums eine hervorragende
Stelle ein, ihnen gesellen sich zahlreiche Schriftsteller und Dichter von
nur lokaler Bedeutung zu, außerdem zeigen die vielen Übersetzungen von
Stücken namentlich aus der Divina Commedia und aus dem Orlando furioso,
wie die Schriftsprache geradezu als etwas Fremdes und nicht eigentlich als
etwas höher zu Bewertendes empfunden wurde.
Sardinien. Das Sardischc, namentlich der Dialekt des Zentrums, zeichnet sich
durch hohe Altertümlichkeit aus. Noch heute sind die betonten Vokale
von pilum und tela, von cruce und voce usw. geschieden: sard. pilu, tela ;
rüge, voge neben ital. pelo, tela; croce, voce; franz. poil, toile; croix, voix.
Noch heute sagt man kelu {coelum), kentu [centiim); auch servti, servos
deckt sich genauer mit lat. servu{m), servos, als franz. ser/, serfs oder span.
siervo, siervos. Und wie die Laute vom Lateinischen sich wenig entfernt
haben, so zeigt der Wortschatz eine Menge von Ausdrücken, die den
anderen romanischen Sprachen fehlen, das 'Haus' heißt noch domo nicht
casa oder mansio (franz. maison); für '^groß' ist mannu aus viagnus ge-
bräuchlich, nicht grandis usw. Ein eigenartiges Gepräge gibt der Mund-
art auch der Artikel sii, sa aus ipsii, ipsa neben ital. z7, /«, franz. le^ la,
span. el, la aus illu, illa, freilich ist das nicht spezifisch sardisch, sondern
findet sich auf den Balearen und an der Ostküste der iberischen Halb-
insel wieder.
I. Ausdehnung und Einteilung der romanischen Sprachen. 451
Au Altertümlichkeit scheint das Dalmatinische dem Sardischen wenig ünUMii-i.
nachgestaiulcn zu haben. Leider kennen wir es nur aus geringen liruchstücken.
In den mittelalterlichen Urkunden aus Ragusa und im heuligen serbo-
kroatischen Dialekte von Dalmatien finden sich mancherlei lateinische
Wörter, die ihrer lautlichen Form nach nicht die unmittelbare Umgestal-
tung lateinischer Grundlagen sein können, sondern eine romanische Mittel-
stufe verlangen. Ferner wurde noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
auf der Insel Veglia ein Dialekt gesprochen, der vom Venezianischen,
Friaulischen und Rumänischen durchaus verschieden ist und der mit den
romanischen Kiementen des Ragusäischen das Dalmatinische repräsentiert.
Der letzte Vegliote ist 1898 gestorben. Auch hier trifft man c vor e als k:
caira aus cera, und überhaupt wenig Veränderungen bei den Konsonanten,
dafür aber um so größere bei den betonten Vokalen: a wird zu ua: tual
{talis)f <* zu ai: vaila {vela)y 0 zu au: aiira {Jiora)^ l zu ai: vain {vinum),
ü zu oi: ßoim (flumen) usw.
Das Rätoromanische erstreckt sich über Graubünden, Tirol, Friaul d».
und von da südlich in die istrische Halbinsel hinein, wo noch zu Anfang *^****^'**''**^^
des 19. Jahrhunderts in Triest, zu Ende in Muggia die letzten Spuren vor
dem venezianischen Idiome verschwunden sind, das in Istrien wie in Dal-
matien frühzeitig Fuß faßte. Diese Mundarten stehen namentlich durch
die Bewahrung des auslautenden -s, durch die Palatalisierung des c vor </,
z. B. casa 'Haus' aus lat casa, zum Teil auch durch die Diphthonge ei aus i,
ou aus ö in scharfem Kontrast zu den italienischen Typen Veneziens und
der Lombardei, stimmen dagegen in den genannten und anderen Zügen
zu dem Südostfranzösischen des Rhonetals. Eine politische Einheit zwischen
den verschiedenen Gegenden hat nie bestanden, ein Schrifttum hat sich
seit der Reformation nur in Graubünden entwickelt, dennoch muß ein starker
innerer Zusammenhang zwischen den Alpenvölkeni und ein Gegensatz zu
den Bewohnern der Ebene bestanden haben, der die sprachliche Eigentüm-
lichkeit ermöglichte. Ganz besonders groß namentlich im Wortschatz ist
die Übereinstimmung zwischen Graubünden und Frankreich, so zwar, daß
man wohl an eine direkte Einwanderung galloromanischer Bevölkerung
über Furka- und Oberalppaß und Verschmelzung mit einer sprachlich eng-
verwandten rätoromanischen denken kann. Bemerkenswert ist, daß die
Völkerwanderung hier geringe Spuren hinterlassen hat: germanische Eigen-
namen fehlen und von dem germano- romanischen Wortschatze ist hier
weniger anzutreffen, als in Frankreich und Italien. Aber später hat die
politische Unselbständigkeit die Widerstandsfähigkeit stark geschwächt
Daß im Norden das Deutsche große Fortschritte gemacht hat, ist schon
bemerkt worden; vom Süden gewinnen Lombardisch und Venezianisch
bedeutend an Boden. Am weitgehendsten sind natürlich dank den poli-
tischen Verhältnissen und der geographischen I^ge die Fortschritte des
Deutschen in Graubünden, namentlich äußern sie sich auch beim roma-
nischen Wortschatz in ganz deutschen Wendungen und Bedeutungen, vgl.
29*
452 Wilhelm Mever-Lübke: Die romanischen Sprachen.
ei vo bucca Her ad ella 'es geht sie nichts an% wo Her eigentlich eine
Präposition im Sinne von 'an, bei, nach' ist, survir ora 'ausdienen', wo
ora franz. hors entspricht, de j 07ts vegl 'drei Jahre alt.'
Die Mundarten Frankreich zerfallt mindestens seit dem 8. Jahrhundert in zwei scharf
Frankreichs, getrennte Gruppen, das Nordfranzösische und das Südfranzösische oder
Provenzalische. Jenes liebt Diphthonge, dieses meidet sie, vgl. franz.
avoir, ficd, sctcl, coeur neben prov. aver , pe, sol, cor aus lat. habere, pede,
sollt, cor und auch franz. vier neben prov. mar aus inare. Vom Nord-
französischen löst sich später das Südostfranzösische ab, das den größten Teil
der französischen Schweiz, das Lyonnais, einen Teil des Dauphin^ und
Savoyen umfaßt. Zeigt es die nämlichen Diphthonge zum Teil in eigenartigen
Weiterentwickelungen, wie das Nordfranzösische, so ist dagegen a geblieben:
mar, außer nach Palatalen: cliicr entsprechend altfr. chier aus caru.
Natürlich lassen sich innerhalb dieser Hauptsprachen wieder mancherlei
Mundarten unterscheiden, doch sind die Verschiedenheiten nicht so tief-
gehende wie in Italien, namentlich erweisen sie sich in viel höherem
Grade als Differenzierungen einer gemeinsamen, vom Lateinischen schon
entfernten Grundform, als dies in Italien der Fall ist. Die geringeren
Unterschiede haben neben anderen Umständen denn auch ein rascheres
Umsichgreifen der Schriftsprache und in späterer Zeit den Mangel einer
literarischen Ausbildung der Dialekte zur Folge. In Südfrankreich verhält
es sich nicht viel anders: nur das Gaskognische nimmt eine Stelle für sich
ein und zeigt im Wortschatz und im Wandel von f zu h: haba aus fava
enge Beziehungen zum Spanischen.
Die Mundarten Ein wescntUch andcrcs Bild bietet die Iberische Halbinsel. Von
Norden nach Süden gehen drei unter sich stark verschiedene Sprachen
parallel: das Katalonische im Osten, das Spanische im Zentrum, das
Portugiesische im Westen. Nach Wort- und Formenschatz sind die zwei
letzten enger miteinander verwandt, sie bilden das Iberoromanische, wo-
gegen das Katalonische mit dem Provenzalischen, namentlich dem der Graf-
schaft Roussillon, zusammengehört. Innerhalb dieser drei Sprachgebiete
sind die dialektischen Verschiedenheiten aber ganz unbedeutend. Das
erklärt sich wohl am besten daraus, daß das romanische Element, durch
die maurische Invasion zurückgedrängt, erst allmählich vom Norden aus
vordringend die Halbinsel von neuem gewinnen mußte, auf dem engen
Räume im Norden bei dem durch die politischen Verhältnisse gegebenen
engen Zusammenhang aber eine Dialektbildung nicht möglich war. Ob
und inwieweit die unter maurischer Herrschaft lebenden, ihr romanisches
Idiom bewahrenden Mozaraber sich von den reinen Spaniern sprachlich
unterschieden und bei der Rückromanisierung etwas von ihrer sprachlichen
Eigenart beibehalten haben, ist eine noch ungelöste Frage. Auch das
läßt sich noch nicht sagen, weshalb in dem Suebenreich in Galizien das
Romanische sich so ganz anders entwickelte, als in dem Gotenreich in
Asturien, wenn man auch die Tatsache der Differenzierung bis auf einen
der Iberischen
' HalbinseL
I. Ausdehnung und Einteilung der romanischen Sprachen. akx
gewissen Grad eben mit den politischen Gegensätzen in Verbindung
bringen kann.
Endlich das Rumänische. Heute völlig losgelöst von den anderen Ro- Dm RnmiaiKW.
manen finden sich die Rumänen in kompakter Masse im Königreich Rumänien,
im Hanat, in Siebonbürgon und in der Bukowina, dann inselartig in Maze-
donien, in Meglen, in der \'al d'Arsa in Istricn. Sie sind aller Wahrscheinlich-
keit nach nicht die Nachkommen der römischen Kolonisten Daziens, viel-
mehr weisen sprachliche und geschichtliche Tatsachen darauf hin, daß eine
dichte, expansionsfähige und expansionsbedürftige romanische Bevölkerung
am rechten Donauiifer, in Mösien gesessen hat, von wo sie zu nicht mehr
bestimmbaren Zeiten östlich und nördlich gewandert ist und ihre heutigen
Wohnsitze eingenommen hat, vielleicht zum Teil noch auf schwache Reste
stamm- und sprachenverwandter \'ölker treffend. Ihre Wanderzüge haben
sich weit nach Galizien und Mähren ausgedehnt; der Volksname der Huzulen
(mm. Hotzul 'der Dieb') im östlichen Galizien, der Ortsname Walachisch-
Meseritsch in Mähren u. a. zeugen davon. Auch nach Westen sind sie
gezogen über den Karst bis nach Istrien, wo sie einst viel zahlreicher
waren als heute. Hat die räumliche Trennung auch verschiedene dialek-
tische Entwickelung gezeitigt, so daß man zwischen Walachisch oder Dako-
nimänisch, Meglenisch, Mazedorumänisch (aromunisch) und Istrorumänisch
unterscheiden kann, so ist dagegen innerhalb der einzelnen Gebiete die
sprachliche Verschiedenheit noch geringer als auf der iberischen Halb-
insel. Der Gesamtcharakter des Rumänischen ist ein ganz eigenartiger,
der Wortschatz ist in sehr weitem Umfange mit slawischen, dann auch
mit mag)'arischen, türkischen und neugriechischen Elementen durchsetzt,
die letzteren erscheinen namentlich bei den Balkanrumänen ungemein
zahlreich, die slawischen überwuchern das Istrische noch viel mehr als
das Walachische, während allerdings die türkischen dem Istrischen völlig
abgehen, was auf das Alter der Auswanderung einen Schluß ziehen läßt
Auch slawische Suffixe sind eingedrungen, anderweitige slawische Ein-
flüsse etwa auf die Formenlehre oder Syntax dagegen kaum nachzuweisen.
Wohl aber zeigt das Rumänische eine Anzahl von Charakteristiken, die
den anderen Romanen ganz oder fast ganz fehlen, dafür aber in bald
größerem bald geringerem Grade im Neugriechischen, Albanesischen und
Bulgarischen wiederkehren. Dahin gehört vor allem die Nachstellung des
Artikels: rum. calul 'das Pferd' gegenüber ital. il cavallo, franz. Ic chcval,
span. cl cavallü, ebenso alb. kal-i, bulg. kon-it; die Bildung des Futurums
mit 'wollen': rum. cänta vohi wie ngr. Ga (aus OAuj va) äbuj, südalb. Jo /^
k^n^iön gegenüber dem cantarc habco der anderen romanischen Sprachen;
die weitgehende, im Albanesischen und Neugriechischen bis zum
völligen Untergang führende Verdrängung des Infinitivs durch volle Sätze:
'ich will, ich kann, daß ich komme', statt 'ich will, kann kommen*, eine
Erscheinung, die auch auf dem süditalienischen Festlande Entsprechungen
findet Hat man früher geglaubt, alle diese Eigentümlichkeiten auf die
454 Wilhelm Meyer-Lübke: Die romanischen Sprachen.
Einwirkung einer vorrömischen Sprache zurückführen zu dürfen, so sieht
man darin jetzt mit mehr Recht zu verschiedenen Zeiten entstandene und
nicht notwendigerweise von demselben Punkte ausgehende Sprach-
strömungen, die sich allmählich über die vier geographisch und kulturell
eng zusammengehörigen Völker ausgebreitet haben.
schriftiateinisch ü. Das Verhältnis von Lateinisch und Romanisch. Wenn die
"°^ ^°°"*^'^^' romanischen Sprachen ihre Quelle zweifellos im Latein haben, so ergibt
sich doch bei näherer Betrachtung, daß die Form, auf der sie beruhen, in
vielen Fällen nicht übereinstimmt mit der Gestalt des Lateinischen, die
wir aus unseren Klassikerausgaben kennen. Ital. avere ave?ia, frz. avoir
avoine, span. Iiabcr, gesprochen aver avena, portug. havcr aveia lassen nicht
ahnen, daß der mittlere Konsonant der beiden Wörter im Lateinischen ein
verschiedener war: habere ave7ta; umgekehrt zeigen ital. cinque guindici,
frz. ci7iq quinze, span. ci7ico quince, daß die Gleichmäßigkeit der Anlaute
von lat. quinque und quindecim zerstört wurde, so zwar, daß cinque an Stelle
von quinque getreten ist. Die Erklärung dafür liegt darin, daß die roma-
nischen Sprachen das gesprochene Latein darstellen, unsere Klassiker die'
Schriftsprache in einer streng normierten Form, die wie alle Schriftsprachen
ihren Charakter beibehielt, auch wenn in der gesprochenen Sprache ziem-
lich tiefgehende Veränderungen vor sich gegangen waren. Da die durch
das Romanische geforderten Abweichungen vom klassischen Latein zum Teil
sich mit den Notizen decken, die die alten Rhetoriker und Grammatiker
über eine vulgäre, in sorgfältigem Schriftgebrauch und daran sich an-
schließender gewählter Rede zu meidende Sprechweise gaben, so pflegte
und pflegt man mehrfach auch heute noch von '^Vulgärlatein' als der
Grundlage der romanischen Sprachen zu reden. Freilich ist es um so
schwerer, für den Begriff 'Vulgärlatein' eine befriedigende Definition zu
geben, weil auch der dazu in Gegensatz gestellte des 'klassischen Lateins'
ein ziemlich vager und willkürlicher ist. Die vielfachen Bevölkerungs-
verschiebungen, wie sie die römische Verwaltung mit ihren Kolonien, mit
ihrem Militär- und Veteranenwesen mit sich brachte, hatten zur Folge, daß
zu Anfang der Kaiserzeit fast auf dem ganzen Gebiete der lateinischen
Sprache ein ziemlich gleichmäßiges Idiom gesprochen wurde, das im großen
und ganzen dem der Schriftsprache entsprach, immerhin mit den — je nach
dem Bildungsgrade des einzelnen — größeren oder geringeren Verschieden-
heiten, die stets zwischen Schriftsprache und Umgangssprache, zwischen
der Redeweise der einzelnen Gesellschaftsklassen bestehen. Im Laufe der
Zeit haben sich dann mancherlei Veränderungen vollzogen, also z. B. der
Wandel von zwischenvokalischem b 7m v, ohne daß die festgefügte Schrift-
sprache davon Notiz genommen hätte, während man wohl annehmen kann,
daß bald alle Kreise in der Alltagssprache {h)avere statt habere usw. sprachen.
Etwas leichter als lautliche mochten formale Umgestaltung fii ihren Einzug
auch in die Literatursprache finden, noch leichter Wortbedeutungen und
II. Das Verhältnis von Latcinisrh und Romanisch. <ec
Wortfüt^unjren, wie man denn in der Tat romani.sche Abweichungen
vom laleini.schen Typus der klassischen Zeit auf den letzteren Gebieten
viel eher nachweisen kann. Daß auch nicht der gesamte römische Wort-
schatz in unserer Literatur enthalten ist, ist von vornherein anzunehmen,
na^ientlich dürfte die Terminologie der einzelnen Handwerke viele uns
nicht überlieferte Ausdrücke enthalten haben, und man kann immerhin die
Frage aufwerfen, ob und inwieweit eine Ergänzung von selten des Roma-
ni.schen möglich sei. Mit etwelchcr Sicherheit kann man z. B. sagen, daß
ital. piallarc 'hobeln', woher pialln 'der Hobel', ein lateinisches planularc
voraussetzt, das zweifellos dieselbe Bedeutung gehabt hat, da vom for-
mellen Standpunkte aus eine entsprechende italienische Weiterbildung von
piano aus pianolarc gelautet hätte, und da vom begrifflichen aus planulnrt
zwar jedes beliebige Glattmachen, Ebnen bedeuten kann, aber doch die
spezielle Bedeutung gehabt haben wird, da die Übertragung von einer
anderen Technik auf die des 'Glättens' des Holzes sehr wenig wahr-
scheinlich ist.
Hat man nun einmal erkannt, daß aus den romanischen Formen die Aitutcini«:h
Lücken der lateinischen Überlieferung bis zu einem gewissen Grad aus- ""* **°'"°'*'''-
gefüllt werden können, so begreift sich leicht, daß man mehrfach versucht
hat, im Romanischen altertümliche Formen des Lateinischen wiederzufinden,
die die klassische Sprache verschmäht hat. In der Tat stehen sich z. B.
auf der einen Seite altlat. arger ^ ital. argine , span. arcen^ auf der anderen
Seite kl. lat. agger gegenüber. Allein in dem Verhältnis zwischen arger
und agger liegt nicht eine organische Entwickelung vor, sondern eine
Umdeutung von arger nach aggerere., eine Umdeutung, die die Schrift-
sprache akzeptierte und sanktionierte, die darum aber keineswegs allen
Volksschichten angehört zu haben braucht. Und so erklärt es sich in allen
ähnlichen einigermaßen sicheren Fällen; analogische, volksetymologische
Umgestaltungen sind nicht immer durchgeführt: in den einen Kreisen bleibt
die organische Form, in den anderen die neue, und dementsprechend ist
bald die eine bald die andere Sieger geblieben, ja es können sogar beide
fortleben, wie dies unter anderem der F'all ist bei glomus *glcmeris^ das in
der klassischen Sprache zu glomus glomeris vereinfacht wurde, \ia[. gJiiomo^
das aber ebensogut zu *glemus *glemeris ausgeglichen werden konnte und
es auch tatsächlich ist: venez. gemo. Die Fälle, wo das Romanische direkt
altlateinische F^ormen bewahrt hat, sind nun aber im Vergleich zu denen,
wo es auch analogische Umbildung aus der klassischen Zeit fortsetzt, so
wenig zahlreich, daß man sie nur, wenn jede andere Erklärung versagt,
mit etwelcher Sicherheit annehmen darf.
Kommt man also immer wieder darauf, die Sprache des ersten Christ- yxtA,^ dM
liehen Jahrhunderts in dem im ganzen treuen Bilde der damaligen Schrift- ^-J^''^!,^^^^
spräche als Grundlage der romanischen Sprachen anzusetzen, so hat nun "^ die
der Umstand, daß trotz der immer weitergehenden Sprachveränderung schnftsprachrn
jener Tj^pus durch fast ein Jahrtausend die einzige Form schriftlichen voik«!^«cben.
.c6 Wilhelm Mever-Lübke: Die romanischen Sprachen.
Ausdruckes war, und daß die Kirche, der Staat und die Gelehrten bis ins
17. Jahrhundert in allerdings mehr und mehr abnehmendem Umfange sich
seiner in Schrift und Rede bedienten, einen merkwürdigen Einfluß auf die
Volkssprache ausgeübt. Aus jenen schriftkundigen Kreisen nämlich flössen
immer und immer wieder Wörter in der unveränderten Form hinüber in
den allgemeinen Gebrauch, fanden hier Bürgerrecht und wurden teils in
veränderter Bedeutung neben der alten verwendet, teils blieben sie
allein übrig. Lat. pensare 'abwägen' wurde schon zu Quintilians Zeiten
pesare gesprochen und lebt in dieser Form ununterbrochen bis heute: ital.
pesare, frz. peser in demselben Sinne. In den Kreisen der Gelehrten aber
nahm pensare die abstrakte Bedeutung Menken' an, und in diesen Kreisen
wurde unter Eindruck des Schriftbildes auch pensare gesprochen. Später
drang dann peiisare wieder in dieser speziellen Bedeutung in die Volks-
sprache: ital. pensare^ frz. penser ^ und es wurde namentlich in Frankreich so
heimisch, daß es auch andere Verwendungen erfuhr: es bedeutete 'denken
für jemanden, sorgen für jemanden', dann konkreter 'einen Elranken, einen
Verwundeten pflegen', schUeßlich 'eine Wunde verbinden', wofür die spätere
Orthographie ein anderes Schriftbild wählte: pariser. Die Zahl dieser 'Buch-
wörter', 'gelehrten Wörter', wie man sie nennt, ist in allen romanischen
Idiomen außer dem Rumänischen ungemein groß und sie nimmt von Jahr-
hundert zu Jahrhundert zu; die Sprache, speziell die Schriftsprache kann
dadurch eine Bereicherung aus einem immerhin eigenen Stoffe erreichen,
wie es dem Deutschen nie möghch ist, da hier die lateinischen Fremd-
wörter doch eben ein fremderes Gepräge haben und behalten. Ital. giu-
stizia, in. justice sind zweifellos ebensogut fremd, d. h. nicht von jeher im
Italienischen und Französischen vorhandene Wörter wie 'Justiz' im
Deutschen, aber sie haben ihre Anklänge nicht nur an güisfo, juste, die
auch nicht Erb Wörter sind, sondern zx\. giudice giudicare^ juge juger\ docteur
zeigt in seinem et eine Lautgruppe, die im Französischen ebenso fremd ist
wie kt in deutschem Doktor^ aber die Endung -eiir ist in zahlreichen Erb-
worten vorhanden, so daß dadurch der Eindruck des Fremden stark ver-
wischt ist.
in. Das Romanische und die nichtlateinischen Sprachen
innerhalb des romanischen Gebietes. Wenn das Lateinische das
wesentlichste Element der romanischen Sprachen bildet, so kann man doch
von vornherein voraussetzen, daß die vorrömischen, dann aber romanisierten
und die später in das römische Reich eingedrungenen und in Römern
oder Romanen aufgegangenen fremden Völker Spuren ihrer sprachlichen
Eigenart hinterlassen haben. Man muß zum mindesten die Frage auf-
werfen, ob sich in den mittel- und süditalienischen Mundarten nicht direkte
oder indirekte Einflüsse des Etruskischen, Umbrischen, Oskischen usw.
nachweisen lassen, in den norditalienischen und in Frankreich des Galli-
schen, in Spanien und Portugal des Iberischen; ob die Herrschaft der
III. Pas Romanische u. d. nichtlatcinischen Sprachen innerhalb d. romanisch. Gebietes. 457
Germanen fast auf dem ganzen romanischen Gebiet, oder ob die der
Araber auf der Iberi.schen Halbinsel und in Sizilien auch in der Sprache
in größoroni Umfang-c nachwei.sbar .sei. Die Beantwortung die.ser Fragen
ist an sich schwierig, und sie wird es noch mehr dadurch, daß uns die
vorrömischen Idiome sehr unvollkommen, manche wie z. li. das Iberi.scho
und das Rätische soviel wie gar nicht bekannt sind. Zwcir das eine
scheint schon jetzt sicher zu sein, daß die romanische Formenlehre voll-
ständig unberührt geblieben ist, während im Wortschatz das fremde Element
am sichtbarsten i.st. Die Beurteilung der Syntax und der Wortbedeutung
entzieht sich uns, da wir darüber aus dem Gallischen nichts, aus dem
Oskischen und Umbrischen nur Unwesentliches wissen. Dagegen sind wir
über das Laut.sy.stem dieser Sprachen besser unterrichtet, und hier i.st es denn
auch, wo die Forschung zunäch.st und mit einigem Erfolg eingesetzt hat
Der Gedanke, daß bei der Romanisierung die verschiedenen fremden Keiti«:be Eia-
Völker das Lateinische auf Grundlage ihrer eigenen Artikulationsart aus- i^^^^
gesprochen haben, und daß daraus die Verschiedenheit der romanischen
Sprachen gegenüber dem einen Latein entstanden sei, liegt ja in der Tat
nahe genug. Allein wenn man der Sache tiefer auf den Grund geht, so
ergibt sich bald, daß ein Beweis dieser Annahme durch die Tatsachen
fast unmöglich ist. Lat. // wird in Süd- und Xordfrankrcich, in Piemont,
Genua, in der Lombardei und in Graubünden zu ü und schon längst hat
man darin einen Einfluß der Gallier gesehen, da ja das Verbreitungsgebiet
des // .sich ungefähr mit dem der Gallier deckte. Allerdings sehr ungefähr:
denn die Ligurer waren keine Gallier, während das Genuesische // spricht,
und die vorrömischen Bewohner Bononias waren es, während das Bolo-
gTiesische wie überhaupt das Emilianische, vom äußersten Norden abgesehen,
kein ü kennt Ein anderes Beweismittel aber als das geographische haben
wir nicht, da uns jeder Anhaltspunkt für die Aussprache des u als ü im
Gallischen fehlt Ein anderes scheint sicherer zu sein. Nach Maßgabe
der gallischen Inschriften ist c/ schon früh zu c/// geworden, und ebenso ist
zwischen lat. /tw/u und frz. /ai/ eine Stufe fachtu anzunehmen. Da ist nun
denkbar, daß die Gallier auch beim Lateinsprechen nach ihrer Gewohnheit
vor folgendem / nicht einen Verschlußlaut, sondern nur einen Reibelaut
gebildet haben und daß ihnen darin die Römer in Gallien, mit denen
sie zusammenlebten, gefolgt seien: es ist denkbar, aber man darf doch
nicht übersehen, daß der Wandel von et zu cht eine jener Erscheinungen
ist, die auf den verschiedensten Sprachgebieten, z. B. im Neugriechischen,
im Albanesischen, im Spanischen usw. auftreten, so daß für Frankreich
ein Anstoß von Seiten der Gallier wenigstens nicht nötig ist
Etwas mehr bieten die itahenischen Mundarten im Vergleich mit dem Oddach«. «■•
Oskischen und Umbrischen. Der Wandel von nd zu //«: quantto tur ^ t„,„j„^
quando^ von wr, ///, //// zu ng^ nJ^ mb'. trougo für tromo, tattdo für tanto^ dw if h— twrW«
tembo für tcmpo, von d zu r: rare für darc findet sich weit über Mittel- und **'»»*'*~^
Süditalien, und die erste der drei Erscheinungen ist auch oskisch-umbrisch,
4=8 Wilhelm Meyer -Lübke: Die romanischen Sprachen.
die beiden anderen sind umbrisch. Das Verbreitungsgebiet der Phoneme
ist heute freilich ein wesentUch größeres als in alter Zeit, aber doch wird
man sich des Gedankens nicht erwehren können, daß hier ein direkter
Zusammenhang besteht. Aber gerade das, was den italienischen Mundarten
das charakteristische Gepräge gibt, die eigentümlichen Ausgestaltungen
des Vokalismus, die mancherlei Diphthonge — gerade das hat an den
vorrömischen Idiomen keinen Anhaltspunkt. Es sind also nur Neben-
sächlichkeiten, Kleinlichkeiten, nichts von dem, was man als das Konsti-
tutive bezeichnen kann.
Einfluß Anders liegen die Dinge beim Wortschatz. Hier handelt es sich
im Wortschatz, ^umcist darum, daß Kulturgegenstände und was mit ihnen zusammenhängt,
ihren Xamen beibehalten, weil der fremde Eroberer den entsprechenden
Gegenstand überhaupt nicht hat oder in einer Form, die von der ein-
heimischen verschieden ist und sie nicht zu verdrängen vermag. Bemerkens-
werterweise ist es bisher nicht möglich gewesen, innerhalb des oskisch-
umbrischen Gebietes derartige die römische Kultur überlebende Begriffe
nachzuweisen. Freilich sagt der Neapolitaner morfende für 'Schneidezähne',
bifolco ist allgemein für lat. hiihiilcus^ und so gibt es noch einige Wörter,
deren f statt h oder d oskisch-umbrischer Lautung entspricht: es sind
nicht eigentliche Entlehnungen, es sind nur Beispiele dafür, daß im Kampfe
zwischen der römischen und der fast gleichlautenden nichtrömischen Form
die letztere geblieben ist.
GaUische In Frankreich dagegen, dann auch in Oberitalien, in geringerem Um-
Wörter. fange in Mittelitalien und am wenigsten auf der Iberischen Halbinsel treffen
wir nun wirkliche gallische Wörter, die verschiedenen Sphären angehören.
Die carruca, der gallische Pflug, hat das römische aratrum in Italien nicht zu
verdrängen vermocht (ital. araio), in Frankreich aber ist umgekehrt aratrum,
das in altfrz. arere noch erscheint, vor charrue zurückgetreten, und zu
charrue gesellt sich soc Tflugschar' und altfrz. raie, neufrz. rayon 'Furche',
die beide gallischen Ursprungs sind. Zur Landwirtschaft gehört auch
banne 'Korbwagen', vouge 'Rebmesser', marne 'Mergel' u. a. Eine andere
Gruppe wird durch cervoise 'Bier', brais 'Malz' und lie 'Hefe' gebildet, und
so ließen sich noch manche andere anführen. Auch geographische Gattungs-
begriffe bleiben: savoy. na 'Bach', lomb. frut, fruva 'Bergbach', altfrz. rin
'Bach' entstammen dem Gallischen: sie sind Bezeichnungen, die den Orts-
namen sich nähern, also am Boden festgewachsen und dadurch widerstands-
fähiger sind. Aus ähnlichem Grunde mögen diene und verne sich gegen-
über quercus und alnus behauptet haben.
Iberische Daß in derselben Weise iberische Reste im Spanischen, rätische in
Einflüsse, ^gjj Alpcnmundartcn, dakische im Rumänischen geblieben seien, ist an
sich denkbar, aber schwer nachzuweisen, da uns die betreffenden Sprachen
ganz oder fast ganz unbekannt sind. Das paramus einer lateinischen In-
schrift ist ja wohl zweifellos identisch mit span. j2^a>^;//c 'die Ebene' und ist
unrömisch; auch sonst mag die eine und andere Übereinstimmung zwischen
III. Das Romanische u. d. nichtlatcinischen Sprachen innerhalb d. romanisch. Gebietes, «eg
Spanisch und Baskisch auf das Iberische zurückgehen, doch ist bei solchen
Vergleichen um so mehr Vorsicht j^febotcn, weil der haskische Wortschat/
in hohem Grade von spanischen Kiementen durchsetzt ist.
Endlich mag von den vorrömischen Sprachen noch das Griechische Grt««iii«:he
erwähnt werden. Auch hier handelt es sich selbst in Süditalien, der *'*^•^•••
einstigen Magna Graecia, und in Sizilien nur um lexikographi.sche Einflüsse,
d. h. also um Kulturverschiedenheiten. Bemerkenswert ist, daß näch.st
Süditalien die größte Zahl alter griechischer Wörter auf der Iberischen
Halbinsel anzutreffen ist. Daß auch von Massilia aus ein erheblicher Ein-
fluß noch auf das Römische und dann also auf das Südfranzösische statt-
gefunden habe, ist zweifelhaft, jedenfalls, wenn man von den Phantastereien
kritikloser Dilettanten absieht, bisher nicht nachgewiesen.
Sehr intensiv und lange andauernd ist der germanische Einfluß, GermamKh«'
ersichtlich wiederum vor allem im Wortschatz. Nur Xordfrankrcich ver- '■^'''''^•»*'
dankt den Germanen auch einen neuen Laut, das //; aber mit ver-
schwindend geringen Ausnahmen erscheint dieser Laut ausschließlich
in Wörtern germanischen Ursprungs, so daß die Verschiedenheit zwischen
dem Französischen und den anderen romanischen Sprachen sich darauf
beschränkt, daß jenes den fremden Laut beibehält, diese ihn einfach
weglassen: frz. hcaumc^ ital. clmo^ span. yclmo. Fremd war den Romanen
auch der Laut des germanischen «•; sie ersetzten ihn durch gu^ woraus
neufrz. g\ ital. guardarcy span. guardar^ frz. garder. Dafür ist, wie gesagt,
die Durchsetzung des Wortschatzes eine recht bedeutende, wobei nur
nach verschiedenen Seiten hin Abstufungen zu machen sind. Schon in
römischer Zeit haben die Soldaten den einen und anderen Ausdruck von
ihren germanischen Lagergenossen übernommen, und solche Ausdrücke
konnten dann bald im ganzen Reiche zirkulieren. Immerhin ist es von
nicht zu unterschätzender Wichtigkeit festzustellen, daß keiner dieser direkt
germanischen Ausdrücke im Rumänischen zu finden ist, noch auch Bildungen
von der Art von cotnpanio, 'der Brotgenosse', das als Übersetzung eines
germ. gahlaifs zu combibo getreten ist. Dann haben die einzelnen Stämme
während der Völkerwanderung bei der Romanisierung in ähnlicher Weise
wie früher die Keltoromanen einen Teil ihres Wortschatzes beibehalten,
nur ist dieser Teil ein viel größerer, weil die Kulturelemente, die die
Römer und Romanen von den Germanen übcrnonmien haben, zahlreicher
sind. Und zwar ist es nicht nur das Kriegswesen, ist nicht nur der Helm:
frz. heaumc^ die Brünne: altfrz. brognCy der Halsberg: altfrz. hiiusbt'rc, das
flammende Schwert bratulon mit dem Schwertgriff": altfrz. luut, der Spieß:
altfrz. espicut und der 'Strahl': ital. stralo und mit anderem Worte frz.
diird^ es sind nicht nur die Bezeichnungen staatlicher Einrichtungen, auch
die Frauenbeschäftigung, heitere und ernste, spielt eine Rolle: die beiden
Verba des Tanzens: dttnscr und altfrz. trc schier sind germanischen Ur-
sprungs, aber nicht minder broder^ ital. brustare und guipcr *mit Seide
überspinnen', buer ' bauchen ', ^<f<r//^T 'waschen'. Dann gehören hierher /£?<«//<'
^60 Wilhelm Meyer-Lübke: Die romanischen Sprachen.
*Tuch', guimpe 'Schleier', fände 'Saum', huvet 'Haube', gueurle 'Gürtel'
und in diesem Zusammenhang erklären sich die zum Kleiderfärben ge-
brauchten Pflanzen: gtilde 'Waid', garancc 'Krapp' und vielleicht auch
die Farbennamen: bleu, blond, blanc, brun, gris. Den Steinbau lernten die
Germanen von den Römern {\g\. Äfazier aus viurus, Ziegel aus legula usw.),
sie haben aber daneben ihre Lehmhütten und ihre geflochtenen Häuser
beibehalten, vgl. frz. magoiiy eigentlich 'der Klneter', bätir 'bauen' aus
bastjan 'mit Bast arbeiten, flechten', hoiirder 'grob übertünchen' zu
altfrz. Jwrde 'Schranke', kor der 'schützen', alle drei zu deutschem 'Hürde,
Hurd' gehörig. Das Fischen war natürlich schon eine römische Be-
schäftigung, aber den 'Brassen', frz. breme aus germ. brahsimo und die
'Asche', ital. l-asca, dürften erst die Germanen geschätzt haben, daher der
Name, den sie gebrauchten, übriggeblieben ist. Auch hierin zeigt Nord-
frankreich den stärksten Prozentsatz des fremden Elementes, und zwar
namentlich in fränkischer und althochdeutscher Gestalt; Italien weist be-
deutend weniger auf, und zwar ostgotisches und vorab langobardisches; die
Iberische Halbinsel endlich kennt nur vereinzeltes westgotisches, darunter
luva 'Handschuh' und merkwürdigerweise galiz. laverca 'Lerche', dann
indirekt tizona 'Schwert, Degen' zu tizon 'Feuerbrand', lat. titio, offen-
bar in Nachahmung der Doppelbe deutung des altgerm. 'brand'.
Arabische Noch oberflächlicher, noch viel mehr den Stempel fremder Kultur
Einflüsse, ^-j-^g^jj^^ js^^ ^^^ jig Araber in Spanien und in geringerem Umfange in
Portugal, anderseits in Sizilien an Sprachstoff zurückgelassen haben. Es
sind die Bezeichnungen für Ämter und Würden, wie alcalde 'der Richter',
Maße und Gewichte: quintal 'Zentner', Ausdrücke der Heilkunde, der
Mathematik, Astronomie, Musik, in bescheidenem Maße das Kriegswesen
und Pflanzenbezeichnungen: aceihma 'Olive', aceite 'Ol', bellota 'die Eichel',
alerce 'die Lärche'; auf die berühmten Bewässerungsanlagen, die nament-
lich in Andalusien bis heute sich erhalten haben, weisen acequia 'Be-
wässerungskanal' und anoria 'Schöpfrad' usw. Entsprechend der Tat-
sache, daß die Entwickelung des Spanischen im ganzen abgeschlossen
war, als der Maureneinbruch stattfand, ist dieses maurische Element fast
gar nicht verändert worden, also auch viel leichter erkennbar als das
ältere germanische.
Die Entstehung IV. Die Entstehung der romanischen Sprachen. Wenn somit
der romanischen ^^^ Einfluß dcr Völker, die, mit den Römern verschmelzend, die neuen
sprachen. ' ' '
Nationen der Romanen hervorgebracht haben, auf die Sprachentwickelung
ein geringer und ziemlich äußerlicher ist, so kann er offenbar nicht ge-
nügen, um die Verschiedenheit der romanischen Sprachen zu erklären, und
man muß sich nach anderen Gründen zur Deutung dieser immerhin auf-
fälligen Erscheinung umsehen. Die Romanisierung ist bekanntlich in den
einzelnen Provinzen in sehr verschiedenen Zeiten vor sich gegangen: erst
ist Sardinien unterworfen worden, dann Spanien, später Südfrankreich,
IV. Die Entstehung der romanischen Sprachen. V. Der Wortschatz. 461
weiter Nordfrankreich, zuletzt Dakien. In diesem Zeiträume, der über
300 Jahre umfaßt, hat das Lateinische in Italien sich vielfach verändert, so
daß also /.. H. nach Sardinien oder nach Spanien eine wesentlich ältere
Sprache importiert wurde als etwa nach Dakien. Die Verschiedenheiten,
die dadurch in den einzelnen Provinzen entstanden, wurden freilich sehr
stark durch die schon oben erwähnten militärischen Transloziorunj^en
paralysiert, aber ein g^ewisser Rest konnte doch bleiben und i.st tatsächlich
geblieben. Noch wesentlicher aber ist folgendes. Wo kirchliche, politische
oder natürliche Grenzen dem Verkehre ein Hindernis bieten, da finden
sich auch Sprachdifferenzierungen ein; wo gegenseitiger Verkehr herrscht,
gleichen sich Verschiedenheiten aus. Die kirchlichen Grenzen im Mittel-
alter deckten sich vielfach mit den Völker- und Gaugrenzen aus vor-
römischer Zeit, und zwar hauptsächlich darum, weil trotz der Romani-
sierung das Gefühl der Zusammengehörigkeit der alten Stämme blieb und
die Kirche diesem Zustande Rechnung trug. Daraus folgt unmittelbar,
daß die heutigen romanischen Sprach- und Dialektgruppen mehrfach sich
mit den vorrömischen Völkergruppen decken, ohne daß doch ein direkter
sprachlicher Einfluß nachweisbar wäre. So erklärt sich einerseits die ge-
ringe Dialektbildung bei den wandernden Rumänen, anderseits die sehr
starke Differenzierung in den wenig zugänglichen Tälern Graubündens, die
erst in neuer Zeit schwindet, wo Eisenbahn- und Straßenbauten und die
Touristik eine größere Beweglichkeit der Bevölkerung und einen Ausgleich
der Mundarten mit sich bringen. So scheint die Loslösung der südost-
französischen Mundarten von den nordfranzösischen mit der Gründung und
der Selbständigkeit des burgundischen Königreichs zusammenzuhängen;
das bunte Bild, das uns die 'Italia dialettale' zeigt, stimmt mit dem nicht
weniger bunten der vorrömischen sprachlichen und politischen und der
mittelalterlichen politischen überein. Eine Geschichte der romanischen
Sprachen und Mundarten wird also dereinst eine Verkehrsge.schichte
werden, die die politische und administrative Geschichte ergänzen und
vertiefen kann, letzteres insofern, als sie zeigt, wieweit admini.strative
Zusammenlegungen und Trennungen wirklich auf die Bevölkerung gewirkt
haben.
V. Der Wortschatz. Noch weitere Probleme bietet die Wort- wonccchichw
geschichte; sie wächst sich aus zur Kulturgeschichte. Wenn wir näher ]^^ JJ"^*^'"
zusehen, so finden wir in jeder der romanischen Sprachen zahlreiche Ent-
lehnungen aus den anderen, in den Schriftsprachen aus C^qw Mundarten,
und wir können sagen, daß, wo es sich um Sachbezeichnungen handelt,
dann auch stets die Sache in einer bestimmten Form entlehnt ist; wo um
abstrakte Begriffe, die empfangende Sprache in gewissen maßgebenden
Kreisen als die minderwertige empfunden wurde, die man durch die
fremden Anlehen zu veredeln glaubte. Von Frankreich, vor allem von
Nordfrankreich, haben zu verschiedenen Zeiten mächtige Kulturwellen über
fr»ch)chte>.
i52 Wilhelm Meyer -Lübke: Die romanischen Sprachen.
die Westalpen nach Italien, über die Pyrenäen nach Spanien und über
den Rhein nach Deutschland hinübergeschlagen, und sie haben eine ent-
sprechende Menge von Sprachmaterial mit sich geführt. Die Übereinstun
mung zwischen Deutsch und Romanisch ist dabei beachtenswert: ital.
bastia ist so gut aus altfrz. hastie entlehnt, wie deutsch bastei) altportug.
saliiar ^grüßen' aus zMxz. sahtcr wie m}ciA.s alliieren. So weist fast die ganze
Terminologie des höfischen Lebens deutlich nach Nordfrankreich hin. Aber
vom 14.— 1 6. Jahrhundert ist umgekehrt Italien namentlich im Heerwesen
vielfach tonangebend gewesen: bastia kehrte wieder nach Frankreich zurück
dilsbasHllc, 6.er pugnale, pugnä, pugnar der berühmten lombardischen Waffen-
fabriken wurde als poignard übernommen und verdrängte das alte echt
französische poigniel usw. Auch für die Marineausdrücke sind es vor-
wiegend die italienischen Hafenstädte, dann auch Marseille, die die Aus-
drücke liefern: \\.2\. prua^ iri. proiie aus prora ' Schiffsvorderteil ' ist genue-
sischen Ursprungs; Udo und molo venezianischen; span. mezana, hol!., deutsch
'Besanmast' stammen vom ital. mezzana u. a. Aus der Glanzzeit Portugals,
da die westlichsten der Romanen als Seefahrer und Entdecker den Ge-
sichtskreis der Alten Welt ins ungemessene erweiterten, ist portug. feitigo
(lat. facticius) als fetiche, feticcio 'Fetisch' weiter gewandert. Was wir
hier auf weitem Gebiete sehen, wiederholt sich auf engerem: frz. beurre
statt älterem bure ist eine Form, die in östlichen Mundarten korrekt, von
da mit der Sache nach Paris und in die Schriftsprache gekommen ist;
vieleze 'Lärche' ist ein savoyisches Wort, dessen Aufnahme sich daraus
erklärt, daß die Lärche in der Ile de France eigentlich nicht zu Hause ist;
cudet ist ein bearnisches Wort zur Bezeichnung des jüngeren erblosen
Sohnes, der bei Hof sein Glück versucht, der Typus, der durch De Vignys
Cinq Mars bekannt geworden ist, und erst nach und nach tritt es an Stelle
von pidne in - Gegensatz zu aine usw.
VI. Die Namenkunde. Einen besonderen Teil der Wortkunde bildet
Italiens, vor- ^^^ Erforschuug dcr Ortsnamen und der Eigennamen. Man kann von
' TamL. ^ vornherein erwarten, daß in der Toponomastik die Spuren der vorrömischen
Völkerschaften am deuthchsten zu finden sind. In der Tat gibt z. B.
Arestaffele (Provinz Molise, Italien) ein osk. ar Stafelo 'bei den Ställen',
lat. ad Stablila denkbar genau wieder; der Städtename Nepi steht etrusk.
Neped näher als lat. Nepete^ der Flußname Amasena weist mit seinem s
zwischen Vokalen statt r auf die Sprache der Volsker. Aber das oskische
Städtchen Stabiae hat seinen oskischen Namen Stafias völlig gegen den
römischen vertauscht, Stabbia: hier ist also die Latinisierung und das
Bewußtsein, daß eigenem / in der Staatssprache b entspreche, stark genug
gewesen, um die alte Form zu verdrängen. In Norditalien haben alle
größeren Städte ihre Bezeichnungen selbstverständlich bewahrt. Die
GalUer haben etrusk. Felsina durch Bononia ersetzt, die Römer haben
an Bononia^ heute Bologna^ ebensowenig gerüttelt wie an Mediolanum,
Die Ortsnamen
VI. Die Namenkunde. ^(j.
Milanoy das man passend als 'Mittenfelde' erklärt (lannm wäre die )^al-
lische Entsprechung von lat planum), Genua Gencnui, Padova I\uiua^ Ber-
gamum licrgamo usw.
Zu diesen vorrömischen Namen gesellen sich nun im I^ufe der Romani- lUoiiKb«
sierung zahlreiche römische, unter denen die über ganz Italien und Süd- ^^*'**'*"'***
Frankreich verbreiteten auf -anu, -ana, bzw. -an besonders zahlreich sind,
also Namen wie Gavignano aus Gabinianumy Viggiano aus Vibianum usw.
Bei diesen handelt es sich ursprünglich um Höfe, die nach dem Besitzer
benannt sind, daher der Stamm ein Nomen gentile enthält, Höfe, die sich
später zu Dörfern herausgewachsen haben. In römische Zeit fallen weiter
die verschiedenen Coßcnti u. dgl. in Italien, Cuufulan, Cuu/oulans u. dgl.
in Frankreich, Confrentes in Spanien, die alle auf conflucntes zurückgehend
unserem 'Gmünd' entsprechen und darum hohen Alters sein müssen, weil
im Romanischen conflucntes als Adjektivum oder als Appellativum nicht
mehr lebt. Mehr außerhalb des alten Italien begegnen uns Carobbio im Po-
gebiet, Codroi p in Friaul, Carouge, Caroi in Frankreich öfter, vom lat.
Qutidruviumy also zunächst Poststationen und Wirtshäuser an Kreuzwegen,
speziell an dem von den Römern angelegten Straßennetz. Ebenfalls nicht
im eigentlichen Italien trifft man Aosta aus Augusta, Antun aus Augusto'
dununiy Saragossa aus Caesar .lugusta u. dgl. — Auf die vorrömische und
römische Schicht folgt in Italien die germanische. In den ziemlich häufigen GermanUcho
Sarmazza aus Sarmatia, in Zebedo aus Gepidcs in der Lombardei hat man O'^*»''^™«-
vielleicht noch in römischer Zeit auf römische Anordnung hin erfolgte
Kolonien von Sarmaten und Gepiden zu sehen. Aber die weit über die
Halbinsel zerstreuten Fara enthalten das langob. Wort fara 'Geschlecht'
und Castel Gandol/Of Gamberaldi aus Campus Araldiy Monte -Gundi u. dgl.
brauchen zwar keine langobardischen Gründungen zu sein, da frühzeitig
auch die vornehmen Italiener langobardische Namen angenommen haben,
können aber doch ihrer Entstehung nach nicht vor die Langobardenzeit
fallen, und daß sie nicht ausschließlich Italienern zuzuschreiben .sind, ergibt
sich schon daraus, daß ihre Zahl nach dem Süden zu abnimmt. Hier im
Süden, namentlich im Südosten, begegnet uns ein anderes fremdes Element
Bei näherem Zuschauen überrascht nämlich der große Prozentsatz von omstucb*
Dörfern, die nach Heiligennamen, also offenbar nach den Kirchen genannt ^"■"■'■""
oder um die Kirchen herum entstanden sind. Spielen diese Namen im
ganzen christlichen Europa eine gewisse Rolle, so ist doch ihre Wichtig-
keit an manchen Orten eine geringere, an anderen eine größere. Es ist
vor allem das Gebiet der griechischen Kirche, wo das christliche Element
die ganze Toponomastik durchtränkt hat. Seit dem 6. Jahrhundert beginnt
man auf dem Balkan zahlreiche alte Orte nach griechischen Heiligen um-
zunennen, und vom Balkan geht diese Mode weiter auch auf diejenigen
Teile der Apenninischen Halbinsel über, die dem Kulturkreis der grie-
chischen Kirche unterworfen waren, und gab ihr ein Gepräge, das bis
heute bleibt, wo doch längst die römische Kirche wieder allein herrscht
^64 Wilhelm Meyer-Lübke: Die romanischen Sprachen.
Gallische Das galUsche und ligurische Oberitalien kann seinen vorrömischen
und ligunsche (^j^^rakter nicht efanz verleugfnen, wenn es ihn auch freilich nicht so offen
Ortsnamen. ° o 7
an der Stirne trägt wie die Gallia transalpina. Neben oder statt der -ano-
Orte begegnen hier -aco- und -asco-OT{.e, so zwar, daß -asco namentlich im
Ligurergebiete heimisch ist, -aco (lomb. z.T. irrtümlicherweise afe^ friaul. acco
geschrieben) im Gallierlande. Der Stamm dieser Namen ist aber durchaus
oder doch fast durchaus Lateinisch, so daß also nicht römische Gründungen
vorliegen, sondern Höfe, sei es von Römern, sei es von Kelten oder Ligu-
rern, die dem Hofe den Namen ihres römischen Patrons zugrunde legten.
Die Ortsnamen Ganz andcrs liegen die Dinge in Frankreich. Hier treffen wir die
aiuscheTorts- fielen Co7ide, Condat aus gall. Co7tdate, das begrifflich genau dem vorhin
namen. erwähnten Confluentes entspricht; Artliie{s) aus gall. are tegias bei den
Hütten, Moiliens, Meilan u. dgl. aus Älediolanum; dann die zahlreichen
Namen auf {d)un, {d)on wie Mellmi SiMS Metlodtimim, Yverdo7i aus Eburodu7iumy
Lyon aus Lugdunum, also gall. dunum ^Berg, Burg'; auf -crre^ -eurre aus
d-duriuti 'Thor', z. B. Auxerre aus Aiitessioduricm; Brive aus briva 'Brücke'
und vieles andere, was zum größten Teil vorrömisch ist, wobei noch be-
merkt werden mag, daß nach Maßgabe der heutigen Namen die Zahl
dieser Ortschaften nicht unwesentlich größer war, als man nach den
antiken Quellen für die Geographie Galliens annehmen mußte. Daß die
eine und andere Gründung erst römisch ist, zeigt Autun aus Augustodunum,
und daß während der zweisprachlichen Zeit manche der zweistämmigen
Bildungen in ihrer Bedeutung völlig klar waren, ergibt sich daraus, daß
Isarobriva heute Ponthoise [Pons Isarae) lautet, und daß Chäteaudun in
seinem ersten Teil die lateinische Übersetzung des zweiten, gallischen ent-
hält. Sodann ist Frankreich ganz eigentlich das Land der aco -Orte: süd-
frz. -ac, nordfrz. -y. Zeigt sich hierin schon ein starker römischer Einfluß,
so kommt er weiter auch darin zur Geltung, daß die Hauptstadt des
Gaues nach dem Volke benannt wird: Parisiis, heute Paris statt Lutetia Pari-
siorum, so nun Reims, die Hauptstadt der Rejni, Langres der Lingones,
Troyes der Tricasses usw. Die weitere Entwickelung ist dieselbe wie in
Germanische Italien: Samiaise aus Sarmatia ist eine von Römern nach Gallien gebrachte
namen. Saj-j^atcnkolonie; die verschiedenen Bazouches aus basilica sind römisch,
vielleicht christlich, dann aber älter als die Zeit, wo ecclesia an Stelle von
basiliccT getreten ist. Dann folgen die Germanen, die nun namentlich im
nördlichen Frankreich eine große Rolle spielen. Ist Mont-didier aus
Monte Desiderii auch nach der Wortstellung lateinisch-romanisch, so sind
dagegen die vielen Bildungen auf -court 'Hof, -bourg 'Burg', -mlle 'Hof,
-viller, -villard 'Weiler' mit einem Eigennamen im ersten Teile nach der
Stellung der beiden Komponenten deutsche Gründungen, und damit stimmt
auch ihre Verbreitung.
Die Ortsnamen Auf der Iberischcn Halbinsel zeigen sich keltische Spuren: Coimbra
Halbinsel.^" ^^^ Conimbriga, aber keine -«t(?-Namen; starke Umgestaltungen der römi-
schen bzw. vorrömischen Formen im Munde der Araber: Sevilla aus His-
\'I. Die Namenkunde.
465
palis, ydiiva aus Stjrtabis, Saraj^ossa aus Carsarau^usta sind aus rein roma-
nischer Sprarhontwickelunßf undenkbar. Dazu kommen bis in den äußersten
Norden rein arabische Bezeichnunj^en: Alcala 'Hurj^', Ahdtitara 'Hrücke*,
Mediud 'Stadt', ja sogar die Flüsse tragen den Stempel der Fremden-
herrschaft an sich: Guadolquivir^ Guadiana usw., während sonst gerade
an den Flüssen selbst die Römer wenig, die Germanen gar nichts geändert
haben. Gegenüber diesem ungemein starken arabischen Einschlag ist der
germanische unbedeutend. Nicht als ob er ganz fehle, gerade die nörd-
lichen Provinzen zeigen z. B. recht viele Dörfer, deren Xamen auf wi/,
■mir entsprechend got. -mirs ausgehen, aber vif> <:\wi\ alle klein geblieben,
sind Höfe, nicht Burgen oder Städte.
Daß es endlich überall Namen gibt, die als rein romanische zu be-
zeichnen sind, Namen wie Xruvfvillt-, Beauforty Fcrrit'rc usw., ist selbst-
verständlich.
Man sieht, wie an Hand der sprachlichen Untersuchung der Ortsnamen
die ganze Siedelungsgeschichte von dem Eindringen der Römer bis auf
heute dargestellt oder zum mindesten in vielen Punkten ergänzt und er-
weitert werden kann. Vollends die Bewegungen an der Sprachgrenze
werden nur auf diesem Wege einigemiaßen verfolgt werden können.
N'ergleicht man z. B. das Verhältnis romanischer und germanischer Orts-
und Flußnamen im jetzt ganz deutschen Kanton St. Gallen, so kann man
beobachten, daß die Deutschen längs der Flüsse vorgerückt sind, die
Romanen sich in die Berge zurückgezogen haben; im deutschen Inntal
tragen die Alpen und Wiesen, die Südsonne haben, romanische Namen,
die schattigen auf der Nordseite germanische: diese waren frei, unbebaut
oder nicht umworben, als die Deutschen einzogen, während die alt-
eingesessenen Romanen jene hatten und hielten usw.
Im Gegensatz zu den Ortsnamen zeigen nun die Personennamen nicht Dk
nur fast nichts Vorrömisches, sondern auch wenig Römisches, soweit nicht das
Christentum das Römertum in sich aufgenommen und gehalten hat. Das
römische Dreinamensystem, ein Ausfluß der altrömischen Staatsverfassung,
mußte bei dem völligen Umschwung der Gesellschaftsordnung in der
Kaiserzeit der Vergessenheit anheimfallen, verschwanden ja doch nach
und nach die alten Geschlechter, die es hochhielten, und war es den
Italikem fast ganz, den semitischen und griechischen Christen, die bald
einen so großen Einfluß gewinnen sollten, ganz fremd. Der Rufname
genügte, höchstens wurde ihm, wo es not tat, als unterscheidendes Merk-
mal der Vatersname oder ein Beiname, zumeist ein Neckname, hinzugefugt;
mit der Verstaatlichung des Christentums werden die Namen mehr und
mehr christlich: hebräisch, griechisch, römisch, und sie wären es mit der
Zeit ganz geworden, hätten nicht die Romanen überall da, wo die (ier-
manen herrschten, die Namen der Herrscher anzunehmen bald mit größerem
bald mit geringerem Eifer sich bemüht Da nun aber umgekehrt die ver-
christlichten und romanisierten Germanen sich auch christliche Xamen
I>ri K1ITI-« DtH OlOt<<WA«T I 11. I IQ
^66 Wilhelm Meyer-Lübke: Die romanischen Sprachen.
beilegten, so ergibt sich für das romanische Mittelalter eine Mischung
christlicher und germanischer Namen.
Gennanische Dabei Verhalten sich freilich die verschiedenen Gegenden verschieden.
Eigennameu Rumänien, Dalmaticn, Rätien und Sardinien zeigen keine oder fast keine
germanischen Elemente, dafür trifft man hier altrömische in viel weiterem
Umfange als anderswo, wie denn auch in Süditalien das altlateinische
Element eine ziemlich hervorragende Rolle spielt; findet man doch noch
im 12. Jahrhundert Cecero. Sonst begegnen in Italien zahlreiche lango-
bardische Namen, wogegen bemerkenswerterweise die Westgoten keine
Spuren hinterlassen haben, und zwar ist der Einfluß der Langobarden
naturgemäß im Norden und in Toskana besonders stark. Dann folgt eine
nicht viel schwächere fränkische Schicht, der unter anderem Ugo mit
seiner Sippe und die große Klasse auf -ieri^ wie Gualtieri usw., angehören.
In Frankreich sollte man entsprechend im Norden fränkische, im Osten
burgundische, im Süden westgotische Formen antreffen. Legt man aber
als Charakteristikum etwa die Namen auf got. -mers^ später -tnirs., fränk.
-mar zugrunde, so macht man die überraschende Wahrnehmung, daß zwar
die lateinischen Urkunden des Südens bis ums Jahr looo -Ä^2>-Namen
haben, daß aber das Provenzalische nur -mar kennt: Azemar aus fränk.
Hademar, nicht aus got. Hapumirs usw. Man sieht also, daß die Vor-
herrschaft der Franken bald so gewaltig wurde, daß sie auf demjenigen
Gebiete der Sprache, in dem am deutlichsten die Machtverhältnisse der Völker
zum Ausdruck kommen, die Goten völlig verwischte. Ganz anders im alten
Sueben- und Westgotenreiche in Spanien; da wimmelt es nun von Namen,
die ausgesprochen westgotische Gestalt zeigen, Namen auf -mir., oder
Namen wie Elvira, das nach spanischen Lautgesetzen aus älterem Gelvira
entstanden ein got. Gailavera darstellt usw. Entsprechend den historischen
Verhältnissen ist ein fränkischer Nachschub wie in Italien nicht zu kon-
statieren, doch zeugen vereinzelte Namen von den Beziehungen, die wäh-
rend der Völkerwanderung und später zwischen den verschiedenen Ger-
manenstämmen diesseits und jenseits der Pyrenäen bestanden haben.
christüche Das christliche Element zeigt deutlich die christliche Ethik und zeigt
igenaamen. g^^mmatisch Bildungen, die ganz unrömisch sich als Übersetzungen fremden
Gutes kennzeichnen: Justus, Bona^ Spes, Gaudia (griech. Hedone), Desideriusy
Gustabilis^ Delectus , dann Benedictus^ Benenatus, Bonaßdes sind ihrem
Inhalte nach, Adeodatus, später Deodaftis, Credindeus, Spesi7ideo, Deusdedif
(südfrz. Daudet) ihrer Form nach für einen heidnischen Römer unver-
ständlich. In Süditalien, wo sich der Einfluß der griechischen Kirche noch
stärker fühlbar macht (S. 463), begegnen uns nicht nur griechische
Heiligennamen, sondern auch Bildungen wie Grisoiohannes, Hieraviariay
PetronakiSy hier ist Vivtcs als Übersetzung von Zosimus, Domnus als
Übersetzung von Kyriakus besonders zu Hause, hier begegnet uns wie in
Rumänien die Santa Vener e^ worin aber keineswegs eine vorchristliche
Venus y sondern die Übersetzung von griech. Paraskeue, Namen einer Hei-
VI. Die Namenkunde.
467
ligen und zujäfleich Bezeichnung" des .sechsten Wochentaj,(es, spätrömi.sch
Dies IV/itris, zu .sehen ist.
Einzahle dieser christUchen Xanien machen den lundruck von Zu- KrtmioacMi
.sammensetzung^en oder sind es tatsächlich: Jitnc-dictuSy Christo-phorwi. eben.so t*'^"»*^'»^
verhalt es sich mit den meisten germanischen: Adal-bcrt, /ialiiuin usw. n.»«.
Da man nun aber die Bedeutung der beiden Bestandteile längst nicht
mehr verstand, so vertauschte man die beiden Glieder beliebig und bekam
so ein bequemes unil unerschöpfliches Mittel, die Zahl der Namen ins
unendliche zu vermehren. So entstehen Christv-pirius oder Christo -hildii^
Restitutus wird ähnlich zerlegt in zwei Teile und man bildet Rcst-valdu<;,
Reste -mundus\ diuS Bene- natus, Benc -dictiis baut sich Berte -christus auf usw.
Auch in den Kosenamen zeigen sich die zwei Elemente. Wenn in Kot«iaMM.
Italien und Dalmatien -uliis das beliebteste Suffix ist, .so wird man nicht
zögern, darin das lateinische -idiis zu sehen: Ug-ol-ino ist also nur in der
Stammsilbe ursprünglich germanisch; und wenn der Italiener bei den
filiformen die betonte Silbe wahrt und alle anderen vemachlä-ssigt, so
zeigt sich auch hier die lateinische Betonung: Gigi aus Luigiy V^anno
aus Gim'anni, Pcppc aus Giuseppe. Aber ^Ubizzi^ Benizzo auf Lango-
bardengebiet zeigen dasselbe germanische Suffix, das bei Heinz ^ Frits,
Kunz usw. noch heute bei uns gang und gäbe ist und das in Benizzo zu
benedictus also auch bei christlichen Xamen auftritt. Im Gegensatz zu
den italienischen P'ormen stehen Gabro aus Gabriel^ Bene aus Benedictus
bei den Romanen im Mittelalter in den Städten Dalmatiens, also mit Fest-
halten an der ersten Silbe nach slawischem Prinzip. Wieder anders tritt
in Frankreich Rob-in zu Robert^ Cat-on zu Catharine^ Guill-on^ Guill-ot zu
Guillanme ^ Did-ot zu Didier {Desiderius), d. h. die erste Silbe bleibt,
idles Folgende wird weggeworfen und durch ein Kosesuffix ersetzt, also
wieder eine Hervorhebung der ersten Silbe, die nicht romanisch, sondern
germanisch ist. Endlich auf der Iberischen Halbinsel ist im Mittelalter das
got. -ild das beliebte.ste Kosesuffix. So spiegeln sich in den Xamen die
Völkerkreuzungen wider, aus denen die romanischen Nationen ent-
standen sind.
Völlig unaufgeklärt ist die Entstehung und Entwickelung der Ge- du G«KiaKki»-
schlechtsnamen. Daß sie zunäch.st aus Beinamen hervorgegangeui sind, ist '^'*^
selbstverständlich, aber die sozialen Verhältni.sse, die es mit sich brachten,
daß der Beiname eines einzelnen zum Sippennamen wurde, sind noch
fast nirgends klargelegt. .\urh hier be.stehen tiefgehende Verschieden-
heiten. Xur die Iberische Halbinsel besitzt ein ausgebildetes System von
Patronymiken: Enriques ist zunächst der Sohn eines Knrigue, V'elasqius
der eines V'elasco usw.; nur Italien zeigt auch durch die äußere Form, das
Plural -r- Tassoni, Alighieri^ daß der Geschlechtsname mehreren Personen
angehört usw. Mehr noch als die Rufnamen wandern die Ge.schlechLs-
namen von Ort zu Ort, und eine sorgfältige .sprachliche Untersuchung wird
namentlich in neueren Jahrhunderten zeigen können, w^ie manche Familien
30*
a68 Wilhelm Meyer -Lübke: Die romanischen Sprachen.
da nicht bodenständig sind, wo sie uns entgegentreten. Daß Faure die
südfranzösische Form von nordfrz. fevre, lat. faber; daß Loubet das Dimi-
nutivum zu südfrz. loitp (Wolf) ist, das im Norden Louvet lautet, sind offen-
kundige Belege dafür.
Die italienische VII. Die Entstehung der romanischen Schriftsprachen. Als
Schriftsprache, j^g^^te ist noch die Frage nach der Entstehung der romanischen Schrift-
sprachen aufzuwerfen. Die Verhältnisse sind hier sehr ungleich. Hat in
Italien das glänzende Dichterdreigestirn Dante, Boccaccio, Petrarca durch
die Form nicht weniger als durch den Inhalt seiner Schöpfungen einem
veredelten Toskanisch volles Anrecht verschafft, überall da Verwendung
zu finden, wo künstlerisch- literarisches Schaffen versucht, dann überhaupt,
wo schriftlicher Verkehr stattfinden sollte, so fehlten doch in dem in so
und so viel voneinander unabhängige Städte und Städtchen zerfallenden
Lande die Bedingungen, fehlte auch das Bedürfnis zu einer Gemeinsprache.
In der Tat sehen wir denn auch, wie ungefähr gleichzeitig oder doch
wenig später in den großen literarischen Zentren der Poebene der Ver-
such gemacht wurde, unter Beibehaltung der gemeinsamen und Unter-
drückung allzu spezifischer Merkmale der einzelnen Mundarten eine überall
gleichmäßige und darum überall verstandene Form sprachlichen Ausdruckes
zu finden. Da kam mitten hinein die Verlatinisierung des Italienischen
durch die Renaissance: die literarisch tonangebenden Kreise schrieben
und dichteten Latein in Neapel wie in Ferrara, in Este wie in Florenz,
in Rom wie in Bologna. Dadurch erst erwachte in diesen Kreisen das
Gefühl für die Zusammengehörigkeit, das Bedürfnis eines gegenseitigen
Verkehrs auf gleicher sprachlicher Grundlage, so daß, als die Klleinkinder-
krankheit des Latinismus überwunden war, nun eine italienische Schrift-
sprache aufkam, die naturgemäß nur die der größten Dichter, also die
toskanische, sein konnte, wie sie die Trecentisten geschaffen hatten.
Die französische Anders in Frankreich. Soweit die südfranzösische Troubadourdichtung
Schriftsprache. ^^^^ gleichmäßige Sprache zeigt, weist sie nach dem Nordwesten, wo die
Wiege dieser Dichtung gestanden hat. In Nordfrankreich aber bewahrt zu-
nächst jede Provinz auch in ihrer literarischen Produktion ihren Dialekt, ja man
kann ohne Übertreibung sagen, daß gerade Paris vor den anderen Gegen-
den zurücksteht. Eine große Zahl der Epen ist in der Pikardie entstanden,
die Normandie weist namentlich Reimchroniken auf, eine eigene Art der
Lyrik ist wallonisch, der größte Erzähler des Mittelalters, Chr^tien von
Troyes, schreibt die Mundart der Champagne usw. Wenn nun trotzdem schon
im 13. Jahrhundert sich die ersten Spuren davon zeigen, daß einzelne
Dichter, den Dialekt ihrer Heimat verschmähend, die Sprache von Paris zu
schreiben sich bemühen, wenn die Zahl solcher Dichter im 14. rasch zu-
nimmt, so daß man schon im 15. fast iiur noch das Idiom der Ile de France,
genauer das der höheren Pariser Kreise als Schriftsprache antrifft, so
hängt dies offenbar ausschließlich mit dem kulturellen Übergewicht zu-
\'1I. Die Entstehung der romanischen Schriftsprachen. ^69
sammen, das die Hauptstadt in einem infolge verschiedener Umstände von
früh an in unj^owühnHchem Grade zur ZentraHsation ncij^enden I^nde ge-
winnen konnte. Wohl besteht noch heute zwischen der Pariser Vulgär-
sprache und der Redeweise der höheren Stände, die sich in der Schrift
widerspiegelt, eine Verschiedenheit, und es ist anzunehmen, daß eine
darauf gerichtete Untersuchung doch wohl zeigen würde, daß die west-
französische Herkunft so vieler tonangebender Scliriftsteller des i(>. Jahr-
hunderts auch in ihrem sprachlichen Ausdrucke sich gelegentlich widerspiegelt,
aber es ist ein Beweis der gewaltigen Assimilationskraft von Paris, daß
trotzdem auch diese Westfranzosen der Schriftsprache einen direkt anderen
Charakter aufzudrücken nicht vermochten und es auch nicht anstrebten.
Auf rätischem Sprachgebiete ist es zu einer Schriftsprache nicht ge- rh«. scknh-
kommen. Die Reformation zeitigte in Graubünden ein ziemlich reiches »p"^"^ •"
Schrifttum, das bis heute weiterlebt, sich auch einiger nicht unbedeutender and titol
Dichter rühmen kann. Aber noch heute schreibt der Oberländer ober-
ländisch, der Oberengadiner oberengadinisch, der Unterengadiner unter-
engadinisch, und gelegentliche Versuche, eine Art Einheit zu erzielen, sind
völlig gescheitert: es fehlt ein politisches oder literarisches oder kulturelles
Übergewicht einer Gegend über die andere. Und der Versuch Altons,
für Welschtirol eine Art Schriftsprache zu schaffen, mußte auch daran
scheitern, daß ein Bedürfnis danach völlig fehlte.
Auf der Iberischen Halbinsel war die Erhebung der Mundart einer du> scknft-
einzelnen Gegend zur Allgemeingültigkeit um so leichter möglich, weil /''"f'^ "
hier die sprachlichen Verschiedenheiten besonders kleine sind (S. 452). Porta«^
Daß dabei das politische Zentrum maßgebend war, ist natürlich. So ist
das Kastillanische zur spanischen Gemeinsprache geworden, so ist in
Portugal die galizische Hofpoesie mit dem \'ordringen der Macht zur portu-
giesischen geworden. Die eigentümliche Art und Weise, wie das Romanen-
tum den verlorenen Boden den Mauren wieder abgewann, gestaltete hier
das Problem der Schriftsprache auch wesentlich einfacher.
Endlich in Rumänien sind es zunächst auch die politischen Verhältnisse, ih«. ramirnKb«
die nur für die linksdanubischen vStämme jenen Grad von Kultur emiög- ^<^''^»»rf»<^
lichten, der die Verwendung schriftlichen Sprachaustausches in weiterem
Umfange bedingt, und da ist es im ganzen die Moldau, deren Fürsten
schon früh ein politisches und geistiges Übergewicht gewannen. Auch
hier freilich ist die P>age eine wenig interessante, da die Sprachverschieden-
heiten so unbedeutend sind.
Wie innerhalb der einzelnen Schriftsprachen die verschiedenen Ten-
denzen wechseln: bald übertriebene Anlehnung an das Lateinische, bald
Nachahmung einer der anderen Sprachen, bald übertriebener Purismus;
das eine Mal eine demokratische vStrömung, das andere eine aristokratische
— das sind Dinge, die so eng mit den literarischen Strönmngen verknüpft
sind, daß sie nicht mehr als Hauptaufgaben der Sprachgeschichte, sondern
als Nebenaufgaben der Literaturgeschichte zu betrachten sind.
Literatur.
Die meisten hier besprochenen Fragen sind eingehend und mit reichen Literaturangaben
behandelt in
W. Me\"ER - LÜBKE , Einführung in die romanische Sprachwissenschaft. 1901.
G. Gröber, Grundriß der romanischen Philologie I. Bd. 2. Aufl. 1904.
Die romanische Sprachwissenschaft ist begründet worden von
F. DiEZ, Grammatik der romanischen Sprachen i. Aufl. 1836; 3. Aufl. 1870 — 73;
5. (Titel-) Aufl. 1882.
F. DiEZ, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen i. Aufl. 1856; 5. Aufl.
mit Anhang von F. Scheler 1887.
Die vergleichende Grammatik sucht nach dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft
darzustellen
W. Me\^R-Lübke, Grammatik der romanischen Sprachen I — IV 1890 — 1902.
Einen ersten Versuch, das lateinische Wörterbuch aus den romanischen Sprachen zu
ergänzen, macht
G. Gröber, 'Vulgärlateinische Substrate romanischer Wörter' im Archiv für lateinische
Lexikographie I — VII.
S. 449. Zu den italienischen Dialekten vgl. auch G. J. ASCOLI, L'Italia dialettale im
Archivio Glottologico Italiano VIII 98 — 128.
S. 451. M. Bartoli, Das Dalmatinische (Schriften der Balkankommission Heft IV
und V. Wien 1906).
S. 451. ASCOLI, Saggi ladini im Arch. Glott. Ital. I und VII.
S. 452. Für die modern französischen Mundarten liefert ein unvergleichliches Material der
monumentale Atlas linguistique de la France von J. GillierON und E. Edmont.
S. 463. K. Jirecek, Das christliche Element in der topographischen Nomenklatur der
Balkanländer. (Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der k. Akademie der Wissenschaften in
Wien 136.)
Das Manuskript der vorliegenden Arbeit ist Anfang November 1904 abgeliefert und
nicht mehr umgeändert worden.
REGISTER.
\'on Dr. Richard Böhme.
B«i mehrfach angcnihrten Namen und Srichworten lind die HauptsteUen dorch einen Stern bezeichnet.
A.
Abälard. 247.
»Abbesse de Jouarre« von Renan. 408.
Aber>'stwith , Philosophische Fakultät in. 29.
Absolutismus, Kirchlicher, staatlicher und
künstlerischer, in Frankreich. 239 ff.
Acaddmie Franqaisc. 232.
■aco- und öj^^j- Ortsnamen. 464.
Adam, Juliette. 351. 352.
— P. 393.
Adam, der Schöffe. 156. 165.
Adamnan, Abt von lona. 88. 115.
Addison, Thomas. 107.
»Adelchi« Manzonis. 338.
Adhamar, Guillem. 123.
»Adolphe« von Constant. 326.
».Adone« Marinis. 194.
»Adozinda« von Garrett. 347.
Adrian und Ipotis. 120.
Aed, König von Leinster. 50. 81. 94.
Aeneas, Sage von. 149.
Aencis, Irische Prosaübersetzung der. 80 85.
Asop, Walisischer. 121.
— in der französischen Literatur. 1 53.
Afrancesados. 285 f.
lAglavaine et St^lysette« von Maeterlinck. 407.
Agnes von Poitiers. \^z. 154.
Aguilera, Ventura Ruiz. 423.
Aidan, König von Dalriada. 115.
Ailbe. 90.
>Ailill Angubas Siechbett«. 68.
Airbcrtach mac Cosse-dobräin. qo. 92.
>Aircs murcianos« Medinas. 423.
ais slde. 83
Akademie, Florentiner. 179.
— — s. auch Crusca.
— , Neapclcr 180. 182.
— , Königliche portugiesische. 283.
— , Königliche spanische. 283.
— , Spanische Meistersinger-. :o6.
.Man mac Ruaraidh. loi.
Alarcön, Pedro Antonio de. 237. 428.
Alas, L. 421.
Alba. 144.
Albaner. 98.
Albanesisch. 453.
Albanien. 24. 102.
Alberti, Leon Battista. 180. 181,
Albigenser. 141. 157.
»Albin and the daughter of May«. 99,
Alcahi 465.
»Alcalde von Zalamea, Der* Calderöns, 219.
Alcdntara. 465.
Alcluith. 24.
Alcuin, 89.
Aidhelm. 6.
Alecsandri, Vasile. 431. •432. 433.
Alembert, Jean d'. 259.
Aleman, .Mateo. 210.
Alexander der Große. 16. 35. 30. 02. 85. 115.
Alexanderroman. 292.
Alexandriner. 201. 227.
Alfieri, Graf Vittorio. •277. 281. 293. 333.
Alfonso, der Sarazenenbesieger. 200. 202.
Alfons -\ von Spanien, der Gelehrte. 201.
Algaroti, Graf Francesco. 279.
Alicnor von Poitiers. 149. 150. 154.
Alix von Blois 150.
AUagamhnaScnörachs.UntcrhaltungdcrAltcn.
»Allcmag^c. De 1'« von Fr. von Stacl. 298.
•2"9 334
Almham, Burg. 102.
Alphabet, Lateinisches. Seine Annahme m
Rumänien 293.
»Alphabete«, Irische. 89.
Altirisch. 11. 40.
— . Einfluß des Christentums auf das. 89.
Altkeltisch •3^ ff 43
Altlateinisch, Verhältnis des, zum Romanischen.
455-
472
Register.
Alton. 469.
>Amadis«. 151. 188. 202. 209. 210. 222.
228.
»Amantes de Teruel« von Haxtzenbusch. 345.
Ambicatus. 34.
Amicis, Edmondo de. 411.
Amiel, Henri -Frdderic. 357. *375. 381.
»Aminta« Tassos. 190. 192.
Amis und Amiles. 121.
Ammianus Marcellinus. 50. 55.
»Ammonitori , Gli« von Cena. 415.
».Amorosa Visione« Boccaccios. 177.
>Amphitryon« Moli^res. 244.
Amra Conroi m. Dairi. 46.
Amyot, Jacques. 222. 224. 232.
Anachoret, Der, von Llandewivrewi. 114.
Anamitofranzösisch. 449.
Ancey. 404.
»Andacht zum Kreuze« Calderöns. 220.
Anegray. 5.
Aneurin. 52. 114. 115. 119.
Angeln. 12. 18. 24. 49. 52. 53. 60. 139.
Anglonormannen. 20. 53.
Anglesea. 47.
Anluan. 65.
Annalen der vier Meister. 51. 86.
— Tigernachs. 85.
— von Boyle, Clonmacnois, Innisfallen,
Ulster. 86.
Annales de Bretagne. 136.
Annunzio, Gabriele d'. 414. 418. 419.
a«ö- Ortsnamen. 463.
Anthologien, Schottisch -gähsche. 103.
Antoine, Direktor des Theätre libre. 404.
>Antologia«, Florentiner. 334. 335. 339.
»Antony« von Dumas. 328.
Apollonius. 149.
>> Apolls Lorbeerkranz«. Lopes'de Vega. 216.
»Apostelgeschichte« von Arnoul Greban. 166.
Apuleius. 150.
Araber. 141. 142.
Arabische Wörter im romanischen Wortschatz.
460.
Aragon, Königreich von. 142.
Aranda. 282.
»Araucana« Ercillas. 206.
Araujo. Manoel de. 422.
»Arcadia« Sannazaros. 182. 191. 209.
Arcadia, Akademie der. 275. 279. 280.
— , Portugiesische. 284.
— Ultramarina. 284.
Archaiology, Myvyrian. 114.
ardfili. 57.
Aremorica. 12. 40. 132. 139.
Aretino, Pietro. 188. 189. •191. 238.
Argenson, Antoine Ren^ de Voyer-. 259.
Argyll. 19.
— , Gräfin Isabel von. 99.
Ariosto, Lodovico. 183. 189. 192. 198. 206.
210. 211. 215. 220. 229. 248.
Aristoteles. 187. 189. 193. 196. 197. 235. 276.
»Arl^sienne« Daudets. 403.
Armagh, Buch von. 79.
— , Kloster. 4.
»Arnaldo da Brescia« Niccolinis. 340,
Arnault. 287.
Arnold, Matthew. 77.
Aromunisch. 453.
arrajie. 1 1 o.
Arras. 156. 165.
Arrianus. 35.
»Art poätique« Boileaus. 241.
Verlaines. 377.
Arte mayor. 200.
»Arte nueva« Lopes de Vega. 216.
Arthur, Fürst. 115,
Arthursage. *I2. 45. 46. 60. 63. 85. 117.
118. 119. 150.
»Arthurs Eberjagd«. 59. 62.
Artikel in den romanischen Sprachen. 450.
Ascoli, Graziadio Isaia. 336.
Astronomie, Altirische. 92.
»Ateneo« von Madrid. 344.
Athenaeus. 50.
Aubanel, Theodore. 379. 381.
Auber, Daniel Frangois Esprit. 303.
Aubignac, Abbe d'. 237.
Aucassin und Nicolette. 149.
Auferstehungsspiel, Erstes französisches. 164.
Aufklärung in Frankreich. 252 fif.
Augier, Emile. *40o. 406. 417. 424.
Augtista und Zusammensetzungen als Orts-
namen. 463.
Augustinus. 139. 175. 230.
Augustinus' Sohloquia. 80.
Augustus. 17.
Auto. 213. 214.
— sacramental 285.
/>Autre danger, L'« von Donnay. 330,
Auvergne, Peire von. 155.
»Avare« Moheres. 244.
»Avaries, Les« von Brieux. 406.
»Avenir de la science« von Renan. 307. 351.
358.
»Aventuri^re, L'« Augiers. 401.
»Aveugles, Les« von Maeterlinck. 407.
Avicenna. 92.
Avignon. 161.
Ayala, Lopez de. 201, 424.
Azegho, Massimo Taparelli Marchese d'. 339.
Azevedo. 207.
»Aziyad^« von Loti. 397.
Bacon, Francis.
Baif. 226.
256.
Register.
473
liaile in Siili/. 87.
IJalkanlialbinscl, Bevölkerung der. 139.
Balladen, Bretonische. lJ4f.
— , Französische. 100.
— , Irische. 63. 8a.
— , Mannische, m.
— , Ossiantsche. •lui. 108. m.
— , Schottische Volks-, luo.
Ballata. 168. 169 182.
Ballett 24 5-
lialiac, Honorö de. 232. 234. 307. 314 321.
•3^- 336. 382 384- 387- 393. yn- 4^0-
4:6.
Bangor, Kloster. 4. 5.
— , Philosophische F"akultät in. 29.
Banville, Th<fodore de. 315. •370. 377-
Barante, Frosper. 302.
Barbara, Mysterium der heiligen. 133.
Barbaren. 13g. 140.
Barbier, Henry. '320. 423.
> Barbier von Sevilla« Beaumarchais'. 270.
Barbour. 41.
Barcelona, Grafschaft von. 142.
bard tculu. 51.
— kade)Tyauc. 51. 52. 54.
Barden. 33. 46. 47. '49. 58. 59. 60. 80.
93 ''8 9f>
— , Schottische. 103 ft
— , Walisische. 114. 115. 'iig. 121.
Bardenliteratur, Gälische. 26. 81. 94.
»Bardcnschule, Die«. 54.
Baretti, Giuseppe Marc. Ant. • 280. 284.
Barlaam und Josaphat. 2(>2.
»Barraca, La« von Ib.ifiez. 429.
Barrili, Antonio Giulio. 415.
Barrow. uo.
Bartholomäusnacht 229.
Ban. 55
Basarabescu. 432.
Basilius. 4.
Batteux, Charles Lc. 255.
Bauilflaire. Charles. 319 357 '373 408.
Baudouin de Guincs. 144.
Baxter, Richard. 109.
Bayle, Pierre 250. 252. 283.
Bazard, Saint Amand. 300.
HasoUikes. 404.
Beatnce Dantes. 171. 172. 173.
Beatrix von Burgund. 130 152. i
Beaumarchais,!* Aug Caron de. 269. •270, 285. [
Bcccaria, Ccsare Marches« di Ik)nesana. 274.
Becker, Nikolaus. 304.
Bocket. Thomas. 131.
Becquc, Henri. '403 406.
Ikfcquer, Guslavo Adolfo. 422.
Beda 44 ^o. hv ii^.
Beethoven, Ludwig van. 310. I
»Belgique, La jeune«. 379.
»Belle dame sans mcrci«. 161.
»Belle Hdlöne« von Oflenbach 400.
Bdleau. 227.
Belli, Giuseppe Gioachino. 342 450.
»bellum .Miathorum«. 115.
Bembo, Pietro. • 186. 18». 191.
Benavente, J. 218. 280. 426.
Benott aus der Touraine. 149. 151
Benseradc. 400.
Bcowulf. 63.
Bdrangcr, Pierre Jean de. 301. 308. '^is.
Bcrchct, Giovanni 332. •334.
♦ Bercnicc« Racines. 242.
Bergamum. 403.
Bergerac s. Cyrano de B.
Bemard, Claude. 352.
Bemardo del Carpio. 2l»o. 206.
Bemart von \'cntadour. 154. 155. 156.
Bemi, Francesco. 191. 235.
Bernicia. 24.
Bersezio, V'ittorio. 416.
Berthclot, Marcellin Pierre Eugöne. 353.
Bertöla. 281.
Bertolazzi, Carlo. 4x6.
Bertrand de Bar. 147.
Beuno, Leben des. 120.
Beyle, Henri (Stendhal). 298. 302. 321. •326.
349. 356. 3«»5-
Bibel, Kymrische. •29. 42. 128.
Bibelübersetzung, Bretonische. 130.
— , Irisch gälische. 40.
— , Manx • gälische. 41. 110.
— , Schottisch gälische. 109.
Bibelkommentarc, Irische. 89.
»Bicnfaitcurs, Les« von Brieux. 406.
»Birlinn Clainn Ranald« Macdonalds. 106.
Bituitus, König der Arvcmer. 30.
Bleddin ab Cynv>'n. 110.
Bledhericus F"abulator. ^9.
Bobbio, Kloster. 6.
— , Klosterbibliothek vdd j 10.
Bobo. 213. 217.
Boccaccio, Giovanni. 1-3. i.K>i. 172. 174. 175.
• 176. 178. 179. 180. 182. 184. 186 188.
348. 4Ü8.
Boccalini. i<>7.
Bodel, Jean. •156. 165.
Bodin, Jean. 224.
Bodmer, Johann Jakob. 2^4. 35t). 176.
Bohl de Faber, Johann Nicolaus 343. 344
427-
Börne, Ludwig. 304.
Boethius. 80. 171.
Boileau. Nicolas. 230. in *24i- 243 >4<>-
248. 350 2$t. 267. 276. 28$ 187. 397. 3t3.
313 344 383
Bojardo, Mateo Man» Graf von Scandiano.
* 183. 184. 3IO. 311.
474
Register.
Bolintineanu , Dimitrie. 432.
Bologna. 170.
»Bom-senso e bom-gosto«. 421.
Bonifatius 7.
Bonifaz VIII., Papst. 171. 172.
Bononia. 462.
Borgia, Cesare. 185.
— , Lucrezia. 184. 186.
Born, Bertran von. 155.
Bomeil, Giraut von. 155.
Börotna. 86.
Boscän, Juan. 204.
»Bosporusblumen« von Bolintineanu. 433.
Bossuet, Jean-Benigne. 172. * 239. 242. 250.
257. 284. 304. 3Ü1. 383,
Bosworth, Schlacht bei. 53.
Boucher, Frangois. 252.
Bouchor, Maurice. 409.
Boudica. 47. 52.
Bouhours, Dominique. 251.
»Boule de suif« Maupassants. 390.
Bourdaloue, Louis. 240.
-bourg in Ortsnamen. 464.
»Bourgeois gentilhomme« Moliferes. 244.
Bourget, Paul. 353. * 357. 393- * 395- 398.
399- 414-
Boursault, Edme. 245.
Bovon de Hanstone. 63. 85. 121. 147.
Bracco, Roberto. 417.
Braga, Th. 420. 422.
Brans Meerfahrt. 95.
Branvven, Tochter des Llyr. 62. 117. 118.
»Brasilianas<^^ von Porto Alegre. 348.
Brasihen, Literatur von. 284. 348.
brawdivr. 58.
Bregenz. 5.
Brehon Laws. 87.
Breitinger, Johann Jacob. 276.
Breiz. 13. 19. 134.
Brendans Meerfahrt. 90.
Brennus. 17.
Bretagne. 3. 12. 19. *30. 40. 42. 45. 47. 54.
55. 60. 64. 70. *I32. 448.
Breton de los Herreros, Manuel. * 346. 400.
Bretonen. *ii. 19. 31. 33. 34. 40. 70. 71.
72-
Bretonisch. 31. 41. 42. 132.
— , Dialekte des. 42.
brezoneka. 19. 40
Brian von Boroma. 86.
Brief in der französischen Literatur. 234.
»Briefe, Die gelehrten« Feijoos. 283.
Brieuc, St , Diözese. 31. 134. 448.
Brieux, Eugfene. 406.
briga. 36.
Brighella. 190.
Brigitta, Die heilige. 91.
»Brises d'Orient« von Bolintineanu. 432.
Britannien, Briten. 3. 4. 12. 17. 18. 24. 28.
30. 43. 47- 52. 58. 60. 86. 139. 141. 448.
brithetn. 57. 87. 88.
Brizeux, Auguste. 136. 320.
Bruneti^re, Ferdinand. 353. *36i. 365. 368.
370. 384. 389. 439.
Brunetto Latini s. Latini.
Bruno, Giordano. 196.
Brut, Roman de. 63.
— (Historia Bruti). 120.
— Tysilio. 120.
Buch des Anachoreten von Llandewivrewi.
114.
— Aneurins. 114.
— , Das schwarze, von Carmarthen. 114. 115.
— , — , von Chirk. 116.
— , Das rote, von Hergest. 114. 117. 121.
125.
— der bunten Kuh. 82.
— von Leinster. 82.
— , Rotes und Schwarzes, der Macvurichs. 98.
» — der Rechte«, Irisches. 88.
— , Das weiße, des Rhydderch. 114. 117.
— Taliessins. 114.
» — des Teilo<'''. 120.
Buchanan, Dugald. 109.
Buckle, Thomas. 354.
Büchner, Ludwig. 352.
Bürger, Gottfried August. 100. 300. 303.
334- 339.
BufFon, George-Louis Leclerc comte de.
259.
Buhez mabden. 133.
Bulgarisch. 453.
Buloz, Frangois. 311.
Bunyan, John. 109.
Burckhardt, Jakob. 329.
»Burgraves« von V. Hugo. 329.
Burgunder. 141.
Burke. 21.
Burleske, Italienische. 191.
Butti, Enrico Annibale. 417.
Byron, Lord George Gordon Noel. 266. 298.
300. 302. 315. 316. 319. 335- 339. 341- 347-
348.
Byzanz. 17. 142. 149.
c.
Caballero, Fernan. *427. 429. 430.
Cabestaing, Guillem von. 155.
Cadalso, Don Jos^ de. 283. 287.
Cadec, J. 133.
Caderas, Gian Frederic. 434.
Cadiou. 55.
Cadwaladr. 53.
Cadwallon. 52.
Caesar, C. lulius. 17. 46. 47. 52. 58. 84. 92.
Register.
475
)Cäsar€ Scudtfrys. 23-;.
tCaJfhi. 275.
Cailte. 102.
Qün Adamnain. 88.
— Domnai^. 88.
»^ ira< (franz. Volkslied). 271.
— Carduccis. 411.
Calas, Jean. 256.
Calderon de la Barca, Don Pedro. •219, 284.
a«5 343- 34(>- 4-0.
— , Don Serafin Estöbanez (El Solttario). 346.
Caled\'Avlch, Arthurs Schwert. 118.
Calcpio. 270.
Calisto und Melibea. 214.
»Calomnic, La«> von Scribe. 331.
Calum-Cillc s. Columba
Calvin, Johannes. 98. * 222.
> Camaraderie , La» von Scribe. 33t.
Cameron, AI. loi.
Camlan, Schlacht von. 115.
Camöcs, Luis de. 204, • 200. 207.
»Camöes« von Garrett. 347.
Campbell, J. K. 101. 108.
Campoamor, Don Ramon de. 422 f.
Campomanes, Pedro Rodriguez Graf von. 282.
Cancioneiros, Portugiesische. 202. 203.
>Cancionero general«'. 202.
Canova, Antonio. 281.
Cantar de gesta. 200 f.
Cantü, Cesare. 410.
>Canzoni« Leopardis. 341.
>Canzoniere* Petrarcas. 174 *i70.
Caoch O'Cluain. 101.
Caporali, Cesare. 191. 235.
Capponi, Gino. 339.
»Caprices de Marianne* von A. de Musset.
Ml
Caracalla 138.
> Caractt^res * La Bruy^res. 240.
Caradog von Llangarvan. 120.
Caragiale, loan Luca. 432. 434.
Caratnia 88.
Cardiff, Philosophische Fakultät in. 29.
— , Nationalfest in. 71.
Carducci, Giosuö. 334. •411. 414. 410.
Carew, R. 131.
Caritco (Ucnedetto GarethV 182.
Carlisle. 24.
»Carlos II.« von Zriratc. 346.
Carlylc, Thomas. 2^4. 354. 370.
»Carmagnola, Der (iraf« Manzonis. 338.
»Carmen« M(5rimccs. 323.
Carmichael, AI. icS.
Camarvon. Nationalfcst in. 71.
Carols in Manx. iio.
Carpre, Sohn Cormacs mar Airt. u}
Carswell, John. 98. loi.
Cartigny, Jean de. i ?-
Castclar, Emilio. 4 21.
Castclnuovo, Enricu. 415.
Castelvetro 187.
»Castelvines y Montescs« Lopes de Vega.
217.
Castiglione, Graf Haldassare. • 180. 2«j8 226.
Castillcjo, Cristobal dcl 204.
Castro, (»uillen de. •2i<). 220.
♦ Catedral, 1-a« von IbAnez. 429.
Caterina da Sicna. 208.
Cathal C)c mac Magnusa 86.
Catharina, Vita der heiligen 120 (walis ).
133 (breton.).
Cathbad. 68. 84.
Catholicon des Jehan Lagadcuc. i ^3.
Catoc, Der weise. 127.
Catos Distichen. 115.
Catraeth. 115.
CatuUus, C. Valerius. 183.
»Cavalier d'industria« von Martini. 417.
»Cavalleria rusticana« Vergas. 416.
Cavallotti, Feiice 4n-
Cavour, Graf Camillo Benso di. 410.
C^ard. 404.
» Celestina <if von Rojas. 214.
Cellachän von Cashel. 86.
Cellini, Benvenuto. 186.
Celtic Magazine. 100.
Cena, G. 41 >
Cerball, König von Leinster. 94.
Cermna 88.
Cervantes, Miguel de. 202. 205. • 210. 235.
=83. 437-
Cesarotti, Melchiorre. 281 287. 336.
Cet mac Matach. 65.
Chamfort, Nicolas Sebastien. 271.
•»Champion des dames» von Martin le Franc.
161.
Champsaur .>7v
»Chandelier« von A. de Musset. 331.
Chanson. 144.
— de geste. 'mS- 151. 100.
Chansons d"histoire. 143.
♦ — des rues et des bois« V. Hugos. 317.
>Chant du d<5part« von J. Ch^nier und M^hul
271.
Chapelain, Jean. 232. 2^0.
Chardin, Jean Simdon. 264.
»Charlotte Corday* Ponsards. 329.
Charron, Pierre. 225.
Chartier, Alain. •loi. i<«2 439.
»Chartreuse. La. de Parme« Stendhals. 326.
Chateaubriand. Fran^ois Ken^ vicomte de.
266. •200. 300. 301. 308. 312. 315. 316.
.^13 .U7 344- 349. 3<»l-
CMtitfaudun. 464.
ChÄtcIame von Vcrgy. 149
»rhAtiments« V Hugos. 317.
476
Register.
»Chatterton« von A. de Viguy. 328.
Chaucer, Geoflfrey. 177.
ChenedoUe, Charles Lioult de. 299. 302,
Chenier, Andre. 265. 312. 316. 319. 333.
371. 372.
— , Joseph. 271.
Cherbuhez, Victor. 393.
ehester. 18.
Chiabrera, Gabriello. 195. 197.
»Chouans, Les« von Balzac. 325.
Chrestien von Troyes. 15. 60. 63. 117. *i50.
156. 159. 468.
Christentum, seine Einführung in Irland. 4.
49. 88.
— , sein Einfluß auf Orts-, bzw. Personen-
namen. 463. 466.
Christian, Th. iii.
Christine von Pisan. 161. 162.
Chroniken, Rumänische. 292.
— , Spanische. 201.
»Chronique du r^gne de Charles IX.« Meri-
mees. 322.
Chrotta Britannica. 50.
Cicero, M. TuUius. 10. 80. 175. 178. 186. 193.
Cid Campeador. 201. 204. 219, 220. 236.
— , Erster Druck des Cantar vom. 283.
Cimabue, Ceanni. 170.
Cimbäed von Ulster. 85.
»Cinna« Comeilles. 236.
»Cinq-Mars« von A. de Vigny. 322. 328.
»Cite antique, La« von Fustel de Coulanges.
♦367. 368.
»Cittä morta« d'Annunzios. 418.
Civitas Dei. 140. 141.
claidheamh Soluis, An. 34.
Clanverfassung, Schottische. 103. 105.
Clarin = L. Alas.
Clark. 102.
Claudius, Kaiser. 47.
— , Bischof von Turin. 4. 7,
Clavijo, Jose. 285.
Clemens der Ire. *6. 11.
»Clemenza di Tito« Metastasios. 277.
Cleomades. 149.
der, clerddyn, clerwr. 52.
Clonmacnois, Kloster. 4. 85.
Clontarf, Schlacht von. 86. 94.
Codex Demetianus, Gwentianus, Venedotianus.
116.
Coelbren y beirdd. 125.
Coimbra. 464.
Coimbra, Schule von. 421.
Coinneach Odhar. 108.
Colgu von Clonmacnois. 89.
Cohnde, Rumänische. 291.
College de France. 221.
CoUetet. 233.
Colman. 6.
»Colomba« M^rimdes. 323.
Colonna, Vittoria. 188.
Columba, Der heilige. 91. 108. 116.
Columban. 5. 6. 11. 19.
»Come le foghe« Giacosas. 417.
Comedia, Spanische *2i6. 220. 285.
»Comedie humaine« von Balzac. 325 f.
»Comedie nouvelle«. 406.
Comgall. 90.
Commedia dell'arte. 190. 228. 278.
» — divina« Dantes. 171, *I72. 187.
Commines, Philippe de. 161.
Compagni, Dino. 170.
Companhia von Toulouse. 157.
Comte, Auguste. *3o6. 351. 369.
Conall Cernach. 65. 69. 84.
Conan. 102.
Conceptismo. 205. 208. 422.
Conchobar. 35. 65. 68. 84. loi. 118.
»Concihatore«. 334.
Condorcet, Nicolas Caritat, marquis de. 253.
271. 353.
» Confessions « Rousseaus. 261.
Confluentes. 463.
Confr^rie de la Passion, Pariser. 165.
»Conjuracion de Venecia« von Martfnez. 345.
Conn der Hundertschlachtige. 87.
Connacht. 84.
Connaught. 20.
Connradh na Gaedhilge. 23.
Constant, Benjamin. 326.
Constanza von Aragonien. 169.
»Consuelo« von Ayala. 424.
»Contemplations« V. Hugos. 317.
» Contemporains , Les« von Lemaitre. 364.
Contes ddvots. 151.
— de Fees. 248.
Conti, 276.
»Contrat social« Rousseaus. 261. 262.
»Convivio« Dantes. 171.
»Convorbiri literare«. 433.
Coppde, Frangois. 315.
»Corbaccio« Boccaccios 177.
»Corbeaux« von H. Becque. 403.
»Corinne« von Fr. von Stael. 298.
Cormac mac Airt. 84. 93. 102.
— — Cuilennäin. 91. 92.
— , Lexikograph. 104
Corneille, Pierre. 219. 220. *236. 237. 241.
242. 243. 278. 329. 354.
Comouaille, Diözese. 448.
— , Literaturdialekt von. 42.
Comwall. 12 19. *3o. 40. 45. 47. *i3r.
Cort^s, Donoso. 419.
»Cortigiano« Castighones. * 186. 208. 226.
Cosbuc, G. 431. »434. 435.
Cossa, Pietro. 417.
Courbet, Gustave. 382. 387.
Register.
477
Courier, Paul Louis. •305. 343.
»Course du flambeau« von Hervieu. 406.
Courteline. 405.
Cousin, Victor. 303. •306 313.
»Crainquebillc« von A. France. 405.
»Creacion del Mundo* Azevedos. 207.
Crescimbcni, Giovanni Mario de. 275.
Crespi. 410.
>Critique scientifique« Hennequins. 356.
Croce, Bencdetto. 410.
Cromwell, Oliver. 20. 32. 159.
»_« von V. Hugo. ,-,ii. 312. 313. 335.
»Crönica general«- Alfons' X. 201. 202. 204.
Crusca, Akademie der. 187. 194. 275. 281.
334 33^^-
Cruz, Juan de la. 207.
— , Ramön de la. * 286. 287.
Cuairtear nan gleann. 109.
Cuchulinn. 69. 84. 93. lOi. 118.
Cuchulinnsage. 4-;. 46. 62. 63. 64. 60. 68.
73- 84
Cueva, Juan de la. 215.
Culloden, Schlacht bei. 26. 104. 105.
Culteranismo. '205 207. 233.
Cumberland 45.
Cunedda, Fürst. 115.
Curel, Fran^ois de. 406. *407.
Ciiröi mac üdire. 46. 115.
Cuvier, Georges. 306.
cyfarwyd. 60
Cynddelw. ♦119. 123.
Cynfeirdd. 52.
Cynwal, William. 124.
Cyrano de Bergerac. 230. 234.
»CyranodeBergerac*^ von Rostand. •408.426.
Cyvnerth. iid.
Cyvrinach beirdd ynys Prydain. 125.
D.
Dacien. 138. 139. 448.
Dänen. 20. 118.
Dafydd Llwyd. 53.
Dakorumänisch. 453.
Dali, Ailean. 107.
Dallän mac Möre. 94.
Dalmatien, Sprachverschicbungen in. 448.
Dalmatinisch 451.
>Dame aux cam^lias« Dumas'. 401.
>Dhna Oiscin«. • loo.
Dancourt fp'lorent Carton). 245.
Daniel, Arn.iut. 155.
> Daniele Cortis« von F'ogazzaro. 415
Dante Alighieri. 118. 127. 156. 159. 162. i68.
169. •171. 177. 178. 181. 184. 187. 194.
198. 203. 223. 232. 253. 256. 263. 279. 280.
»98. 332 333 n^ 343- 418. 437. 439. 468.
Dares Phrygius. 67. 120.
Darwin, Charles. ^:;i. 361. 362. 368.
Daudet, Alphonse. '394. 399. 403.
Daurat. 226. 227.
David, Leben des heiligen. 120.
— , Jacques Louis. 264.
Davies, John. 128.
— , R. 128.
Davydd Bcnvras. 119.
— Ddu. 125.
— ab Edmund. \i\. 125.
— , Edward. I2S-
— ab Gwilym. 121 f.
— Nanmor. 124.
Dazien s. Dacien,
Dean's Book. *99. 101. 108.
D^cadents. 374. 375.
*Decameron«; Boccaccios. 177 f.
Deer, Kloster. 98.
»Defense et illustration de la langue fran-
9aise«. 226.
Degerando. 299.
Deirdre. 98. loi. 118.
Delacroix, Ferdinand-Victor-Eug^ne. 303.
Deledda, Grazia. 415.
Delille, Jacques. 265. 279.
Delphi. 17
»Delphine« von Fr. von Stael. 298.
»Demi-monde, Le« von Dumas. 402.
»Demoiselles, Les, de St.-Cyr« Dumas'. 327
Densusianu, O. 433.
Depping. 343.
Dertgira nauscha. 290.
Desbordes-Valmore, Marceline. 320.
Descartes, Ren^. 196. •230. 233. 250. 252.
Deschamps, Emile. 320.
— , Eustache. 160.
Desmarais. 285.
Dessi. Geschichte des Clans der. 86.
*Desteaptä-te, Romlne!« von Murejianu.
430.
Destouches, Philippe Nericault. 245. 268.
Deus, Joao de. 421.
Deutsche Literatur, ihr Einfluß auf die fran-
zösische. 264. 303 f. 368.
— , — auf Italien. 281.
»Deutschland, über« s. »AUemagne. De 1 •
* — , Das junge«. 304.
Devonshire. 19. 30.
Dialektdichtung, Italienische, im 10. Jahr
hundert. 342. 410.
Dialekte des Altkcltischcn. 39
— des Inselkehischen. 42.
— Frankreichs. 4>a.
— der iberischen Halbinsel. 4f>2.
»Dialoge de la lengua« von J. de Vald^s
207.
»Diana, Die sieben Bücher von der« Monte-
mayors. * 209. 228.
478
Register.
Diancecht 80.
»Diario de los Literatos de Espana«. 283.
Dichten, Das dunkle. 155.
Dickens, Charles. 356. 369. 395.
Dictys Cretensis. 67.
Dicuil, der Ire. 7. 89.
Diderot, Denis. 252. 254. 255. *258. 259.
264. 2ü6. 269. 278. 285. 352.
Dido. 229.
» — « Scuderys. 236.
Dierx, Leon. 373.
Diez, Friedrich. 447.
Dind-senchas. 83.
Diniz, Julio. 428.
— von Portugal. 202.
Dinoot. 44.
Diodor. 50. 55.
Dionysius Areopagita. 8.
Dioscorides 92.
»Diritti deiranima<'; Giacosas. 417.
»Disciple, Le<'' von Bourget. 396.
Disciplina clericalis. 200.
»Discorsi« Tassos. 193. 194.
»Discours de combat« Bruneti^res. 362.
»Dix ans de la vie d'une femme« von Scribe.
33 I;
Doctrinal ar Christienian. 133.
Doinä, Rumänisches. 291.
Dol, Diözese. 31. 448.
»Doloras« Campoamors. 422.
Domhnall Gorm. 104.
^) Dominique« von Fromentin. 393.
Demnach Mör 5 Dälaig. 91.
Domnall mac Muirchertaig. 57.
>Don Alvaro« von Saavedra. 345.
Donati, Gemma. 171.
Donaukelten, Bündnis der, mit Alexander
dem Großen. 35.
Don Juan. 219.
»Don Juan Tenorio« ZorriUas. 349.
»Donna Branca« von Garrett. 347. 349.
»Donna gentile e pietosa«. 172.
»Dona Perfecta« von Galdös. 426.
Donnay, Maurice. 330. * 406.
Donn Christian, William. 11 1.
Donnchadh Bän nan öran. 106.
/>Don Quijote«'. 151 235.
— Cervantes'. 210. *2ii. 228.
Doon de Mayence. 147.
Dosparth Caervyrddin. 125.
— Edeym. 125.
— Morgan wg. 125.
Dostojewski, Fedor. 369. 394. 414.
»Drama nuevo« von Tamayo y Baus. 424.
drame symbolique. 407.
»Drames philosophiques« von Renan. 408.
»Dreispitz« Alarcöns. 428.
Drucke, Schottisch -gälische. 103.
Druiden. 35. 46. *47. 58. 83.
»Duanaire Fhinn«. loi.
Dubartas, Guillaume de Salluste. 193. 207.
228.
Du Bellay, Joachim. 226. 227 251. 264. 372,
Dublin. 24. 34. 71. 72. 86.
Dubos. 255.
Dulaurens de la Barre. 136.
Dumas Fils, Alexandre. 330. *4oo. 417.
424.
Dumas P^re, Alexandre. 247. *323. *327.
345- 349- 370.
Duncan Macrae von Inverinate. 103.
Dungal. 4. *7. 9.
Dunlethglaisse, Gehölz von. 5.
dünon 36.
Dupont, Pierre. 320.
Durän, Agustin. 343. 344.
Dyvnwal ab Moelmud. 116.
E.
Eadmund von England. 24.
Ebel, Hermann. 74.
Echegaray, Jose. 425.
Echtra. 83.
»Economie politique« Montchr^tiens. 225.
»Ecole du bon-sens«. 330.
Edeyrn der Goldzungige. 125.
Eduard I. 116.
Eduard III. 124.
»Education sentimentale« von Flaubert. 383,
Edwards, Thomas. 126.
»Eglise scientifique«. 353.
egnat. 58
Eid, Keltischer. 35. 36.
Eide, Französische, der Söhne Ludwigs des
Frommen. 142.
Eigennamen s. Personennamen.
Einheiten, Streit um die, auf der französischen
Bühne. 235. 249
Einsiedlerlieder, Irische. 92.
Einzelepisoden der keltischen Prosaerzäh-
lungen. 65.
Eisteddfod. 53. 71.
»Eisteddvod dadeni«. 121.
Ekkehart von St. Gallen. 9.
Eklektizismus. *3o6. 356.
»Elegie der Aigennach« Macdonalds. 105.
Elegien der schottischen Barden. 104.
Elidr Sais. 119.
Eliot, George. 324. 369.
Elisabeth von England. 20. 29. 51. 53. 87.
»EUiant, Pest von«. 135.
»Eloquentia, De vulgari« Dantes. 172. 187.
Emain Macha. 84.
»Emaux et Camees« von Th Gautier. 320.
»Emile« Rousseaus. 201. 262.
Register.
479
Eminescu, Michail. 431. *43J.
Empis, Adolphe. 330.
»Empreintc, L'« von Estauni^. 397.
Encina, Juan de la. 213. 214.
»Encyclopcdie« Diderots. 258. *259.
Enfantin, Prosper. 306.
England 142. 147. 159.
— , Einfluß von, auf die französische Literatur.
— , Eindringen der romanischen Sprache in.
449
Ennius, Louis. 134.
»Ensayo sobre el catolicismo * Cortds'. 419.
Entremeses. 214.
Enzo der Hohenstaufe. 169.
Eo oder Hi, Insel. 19. 25. 108.
Epik, Altirische. 82 ff.
— , Französische. 228. 246. 265.
— , Italienische. 172. 182. 183. 188. 192. 194.
— , Keltische 61 ff.
— , Spanische. 204. 206.
Epikur. 179.
>Episodios nacionales« von Galdos. 426.
♦ Epoque, Une« von Margueritte. 393.
Erbauungsschriften, Altirische. 80.
Ercilla, Alonso de. 206.
Ercole I. von Este. 183.
Erec 13.
»Ermitage, L'«. 370. 378.
■»Erse«. 40.
.>Eruditos ä la violeta« Cadalsos. 283.
» Escenas andaluzas « und » matritenses <<. 346.
Escobar, Antonio. 207.
EspagnoUe , Abbe. 447.
» Espafioles celebres « Quintanas. 343.
•.Esprit, De l'« Helvetius'. 259.
♦ — des lois<' Montesquieus. 259.
Espronceda, Jose. *346. 349.
»Essai sur l'indifference« von Lamennais.
361.
» — sur l'inegalite des races humaines« von
Gobineau. 366.
» — sur les moeurs et l'esprit des nations<r
Voltaires 257.
♦ Essais« Montaignes. 224.
» — d'un jeune Barde << von Nodier. 302.
» — de Psychologie contemporaine« Bourgets.
357.
Estaunid. 397.
Estienne, H. 227.
» Estrella von Sevilla« Lopes de Vega. 217.
»Etape, L'« Bourgets. 3^6.
Etrusker. 35.
«Etudes de la nature« St. Pierres. 263.
euhages 55.
Euripides. 188. 229. 301.
»Euryalus und Lucretia, Geschichte vom
Liebespaar« von Pius II. 179.
Eustache le Moine. 151.
Eutychius. 80.
Evangeliarium, Lateinisches, des 9 Jahr
hunderts. 98.
»Evangöliste« von Daudet 395.
»Evangiles, Les quatre* Zolas. 389.
Evans, Evan = leuan Brydydd Hir. 114.
— , Silvan. 128.
— Theoph. 127.
»Evasion, L'« von Brieu.x 406.
»Evolution de la critique depuis la renais-
sance-^ von Bruneti^re. 362.
F.
Fabel, Französische. 160. 247.
— , Spanische. 28O.
Fabliau. 1^2. 162. 247.
Fabre, Ferdinand. 392.
Faguet, Emile. 364.
Fäinne an lae. 34.
faith. 56.
»Fantasio« von A. de Musset. 331.
Farce. 166. 167. 235.
Farina, Salvatore. 415.
Faro-Lied 143.
Farsa. 189. 213. 214.
»Fatalith<< Ada Negris.
Fauchet, Claude 221.
Fauriel, Claude Charles.
Favart, Charles Simon.
Fear tathaich nam Beann.
Feensage, Irische. 83.
Feijöo. *283. 287.
Felibre. 379.
felire. 90.
»Femmes savantes« Moliercs. 244. 245.
Fenelon, Frangois de Salignac de Lamothe-
239. »240 249. 250. 252. 284.
Fenius der Alte. 83.
Ferdinand von Aragon. 199.
— I von Neapel. 182.
— VII. von Spanien. 344.
Fergus. 102. 118.
Ferloga. 65.
»Ferment, Le<<' von Estaunid. 397.
F'ernaig- Handschrift. 103.
Ferrara. 179 183.
Ferrari, Paolo. 417.
Ferreira, Jorge. 215.
*Fest des Bricriu«. 66. 67. 09.
Fcuillet, Octave. 392.
Fiabe 278. 279.
Fiamctta. 177. 179.
/lann. 84. 102. 104, 108. iii.
P'ichte, Johann Gottlieb. 263. 299.
F'icino, Marsiglio. 179.
Fielding, John. 213.
413-
302. 335- •338-
269.
109.
48o
Register.
Fierabras. 85.
^Figaros Hochzeit oder der tolle Tag« Beau-
marchais'. 270.
^Figlia di Jorio« d'Annunzios. 418.
Figueira, Guillem. 155.
Pili. 50. 56. »sy. 61. 82. 87. 88. 93.
»Filocolo« Boccaccios. 177.
Fingal = Finn mac Cumaill.
»Fingal«. 100.
Fingen mac Flainn. 94.
Finlay mac Nah von Boquhan. 99.
Finn mac Cumaill. 84 102.
Finn mac Nuadha. 102.
Finn -Ossiansage. 45. 46. 64. 82. *84.
Fir Ardda, Clan der. 94.
Firth of Forth und Firth of Clyde. 17. 18.
24. 25. 115.
Flaubert, Gustave. 322. 323. 355. 371. *382.
386. 390. 391 392. 394. 395. 408.
»Fleurs du mal« Baudelaires. 373. 374.
Floire et Blanchefleur. 149. 177.
Florenz. 170. 179. 181. 334. 339.
» — , Geschichte von« Machiavellis. 185.
Florian, Jean- Pierre Claris. 287.
Fogazzaro, Antonio. 411. 414. *4I5.
Folengo, Teofilo. 191.
Folklore, Bretonische. 136.
— , Mannische, iii.
Fomori. 83.
Fontaines. 5.
Fontenelle, Bernard le Bovier. 250.
Forains des französischen Theaters. 246,
»Force, La, des choses« von Marg^eritte.
393-
ForgoU. 58.
Foscolo, Ugo. *I93. 266. 274. *ll^. 335.
349.
»Fossiles« von Curel. 406. *407.
Fothad na Canoine. 91.
Fouillee, Alfred. 366.
»Fourchambault« Augiers. 401. 402.
France, Anatole. *364. 368. 389. *398. 405.
»Francesca da Rimini« d'Annunzios. 418.
Francia. 140. 141. 142. 143
»Franciade« Ronsards. 228.
»Francilion« von Dumas. 402,
»Frangois le Champi« von G. Sand. 324.
Franken. 139. 140. 141.
Frankreich. 141. 142. *I43. 159. *22i.
— , Mundarten von. 452.
— , Einfluß von, auf die italienische Renais-
sance-Literatur. 188.
— , — , auf die spanische erzählende und lehr-
hafte Kunstdichtung. 201.
— , beeinflußt durch die deutsche Literatur.
264. 303 f. 368.
Franz L von Castilien. 186.
— L von Frankreich. 221.
Franziskaner. 168. 170.
Franzosen. 140.
Fraoch, Ballade von. 99. loi.
Frauenfrage in der französischen Literatur.
157. 161 222. 223.
»Frauenschule« Moliäres. 244.
»Fray Gerundio, Historia del famoso predi-
cador« Islas. 284.
Frechette, L 381
»Frei Luiz de Sousa« von Garrett. 348.
Frenssen, Gustav! 415.
Friedrich Barbarossa. 150. 152.
Friedrich IL, Kaiser. 155. 156. 169. 170.
— der Große. 250. 255. 256. 258. 259. 265.
272. 322.
Froissart, Jean. 160.
Fromentin, Eugene. 393.
Frugoni, Carlo Innocenzio. 276. 279.
Fucini, Renato. *4i5 416.
Falko, Not und Versöhnung des Barons. 151.
Fustel de Coulanges, Numa Denis. '^367.
368.
G.
Gabriel. 290.
»Gabrielle« Augiers. 401.
Galen. 98.
Gaelic League. 23.
Gaelisch. 25. ^40.
Gaidheal, An. 109.
Gaidoz, Henri. 74. 136.
» Galan tuomo per transazione« Girauds. 340.
»Galatea« Cervantes'. 211.
Galaterreich. 17
Galdos, Perez. 426.
»Galeoto, El gran« Echegarays. 425.
Galiani, Fernando. 273.
Gahano, Alcalä. 344. 349.
Galilei, Galileo. 196. 274.
Galizien, Königreich von. 142.
Galland, Antoine. 249.
Gallego, Juan Nicasio. 287.
Gallen, Abtei St. 6. *7.
— , Klosterbibliothek von St. 9. 10.
Gallien. 47. 49. 56. 58.
Gallier, Einfluß der, auf die französischen
Ortsnamen. 464.
Gallina, Giacomo. 416.
Gallische Wörter im romanischen Wortschatz.
458.
Gallus. 5. 6.
Ganea, Nicu. 432.
Garadh. 1 1 1 .
Garcfa y Tassara, Gabriel. 423.
Garcilaso de la Vega. *204. 287.
»Gargantua et de Pantagruel, La vie de«
Rabelais*. 223.
Garibaldi, Giuseppe. 410. 419.
Register.
481
Garrctt. J. B de Almcida. •347- 349-
Gaskognisch. 4^2.
Gasscndi , Pierre. 2!;2.
»Gatomaquia« Lopes de Vega, 215.
Gauticr. Thöophile. 303. 313. •320. 323. 370.
371. 373. 374 375-
— von Arras. 150.
»Gaviota« von Caballero. 427.
>Ga2ette de France c. 231. 235.
Gedichte, Altirische. 81.
— , Älteste kymrische. 114.
Gegenreformation. 238.
— in Frankreich. 224. 230.
»Geistliche Fuhrer, Der*, Molinas. 208.
Geistliche irische Literatur. 88 ff.
Gelehrte Literatur, Irische. 91 ff-
Gelehrtenlatein, sein Einfluß auf die roma-
nischen Sprachen. 4-;6.
Geliert, Christian Fürchtegott. 204.
»Gendre de M. Poirier« Augiers. 401.
>G<5nie du Christianisme« Chateaubriands.
296. '207. 301.
Genua. 463.
Geographie, Altirische. 92.
Geraint Vardd Glas. 125.
»Gericht, Das jüngste«, von Buchanan 109.
Germanen, Germanien, ii. 17. 18. 34. 56.
61. 139 140. 448.
— Einfluß der, auf Orts-, bzw. Personennamen.
403. 464. 406.
Germanische Wörter im romanischen Wort-
schatz. 459 f.
>Germmie Lacerteux«, von E. und J. Goncourt.
385. 387. 404.
>GcrusaIemme Uberata* Tassos. •192. 194.
»Geschichte vom Schwein des Mac Däthö«.
65
Geschichtsliteratur, Französische im 19. Jahr-
hundert. 307 ff. 366 f.
— , Irische. 85 ff
— , Italienische. 170. 1840. 273.
— , Rumänische. 202.
— , Walisische. 120 127.
Geschlechtsnamen, Romanische. 407.
Gesetze, Kymrische, des Hywel dda. 48.
•116.
Gespräch der Alten s. Unterhaltung der Alten.
Geßncr, Salomon. 2^4 2;;8. 281. 287.
Gherardi del Testa, Tommaso. 416.
Gherea. 431. 4^
Giacomo, Salvatore di. 416.
Giacosa, Giuseppe. '417. 423.
Giannone, Pietro. 273.
»Gil Blas, Histoire de« Lesages. 265.
Gildas. 48.
Gilla Brigde mac Conmide. 91.
— Caluim mac an OUaimh idi
Gilvaelhwy. 60.
Dn KvLTvm oam Gbcvcwart. I. 11. 1.
Gil y Carrasco, E. 347.
»Giomale della Ictteratura straniera«. 281.
»Giovine Italia« Mazzinis. 332.
»Giomof Pannis. i'-ij
Giotto. 170.
Giraldi, Giovanni Battista. 188.
Giraldus Cambrensis. 48. 5:. 59. iio. 117.
Girardin, Emile de 303.
Girart de Vienne. 146.
Giraud, Graf Giovanni. 340.
Giudice, Paolo Emiliani. 332.
Giusti, Giuseppe. 198. 340.
Glashtin. 1 1 1 .
Glencoe, Blutbad von. 104.
»Globe, Le». 311.
Glossen, Altirische. 80.
Gluck, Christoph W Ritter von. 270.
Gnomen -Literatur, Altirische. 92 f.
Gobineau , Graf Joseph Arthur. 366. 408.
Gododin , kymnsches Bardenlied. 1 1 5.
Godoy, Manuel de. 282.
Goethe, Johann Wolfgang. 100. 140. 210
232. 253. 254. 255. 258. 263. 264. 268. 269
276. 279. 281. 288. 294. 297. 299. 300. 301
303 306. 311. 322. 332. 333. 335. 338. 347
350. 352- 354- 370. 395- 4«- 414 431. 437
438.
Gogol, Nikolaus. 323.
Goibniu. 80.
Göidel der Junge. 83.
Goldoni, Carlo. '278. 279. 285. 280. 340.
346 416. 450.
Gell. 102.
Gömez de Avellaneda, Gertrudis. 347.
Goncourt, Edmond und Jules de. •385. 394.
398. 403. 404.
Gongora, Luis de. 205. 200. 235.
Gorki, Maxim. 370.
Goronwy Owen. 53. 123. *iib.
Goten. 141.
Gotik. 1 59.
Gottesurteile, Irischer Traktat über 12 Arten.
88.
Gottfried von Bouillon. 147.
— von Straßburg. »5. 152.
Gotthelf, Jeremias. 427.
Gottsched, Johann Christoph. 204.
Goumay, Marie de. •232. 300.
Goya, Franc. Josö de. aSo.
Gozzi, Carlo. 254. •278.
— Gasparo. 275. 279.
Gracidn, Balthasar. •ao8. 140.
Gradoso. 217. 218. 237.
Gradlonus magnus de Finibus temc 13.
Graf, Arturo. 413.
»Graf von Monte Christo« Dumas'. 323.
Gral, Heilige s Rom.in du Ouctc du Saint
Gr^aL 118.
3»
48:
Register.
Grammatik, Altirische. 92.
— der walisischen Barden. 125.
Granada. 199.
Grattan, Henry. 21.
Gravina, Gianvincenzo. *275. 276. 285.
Gray, Thomas. 264. 281. 287.
Greban, Amoul. 106.
Gregh, F. 37^^-
Gregor der Große, Papst. 4.
— von Tours. 3. 4.
Greuze, Jean-Baptiste. 264.
Grey, Th. 119.
Griechen. Griechenland. 34. 448.
Griechische Wörter im romanischen Wort-
schatz. 459.
Gnllparzer, Franz. 217.
Grimm, Jakob. 309. 310. 343.
— , Frederic baron de. 311.
»Gritos de combate« von Nunez de Arce.
423.
Gruffydd ab Addav. 122.
— ab Arthur. 120.
— ab Cynan. 46. 52. 120. 125.
— EHs. 127.
— Gryg. 122.
— Hiraethog. 124. 127.
— Llwyd ab Davydd ab Einion. 124.
— ab Rhys. 46.
— , Roberts. 125.
— ab yr Ynad Goch. 119.
Guadalquivir. 465.
Guadiana. 465.
Guarini, Giovanni Battista. 190. 195.
Gueguen, Abbe. 135.
Guerande, Halbinsel. 448.
Gu^nn, Gh. 378.
»Guerras civiles de Granada« de Hitas. 209,
Guerrazzi, Francesco Domenico. 340.
Guerrini, O. 4i3-
Guevara, Antonio de. 208.
— , Velez de. 208. 346.
Guicciardini , Francesco. 186.
Guillome, Abbe. 136.
Guimerä. 425.
>Guingamp, Die Belagerung von«. 135.
Guinglan. 133.
Guizot, Frangois- Pierre. 302. 305. 306. *307.
3".
Gutierrez, A. Garcfa. 345.
Guttinguer, Ulric. 314.
Gutto y Glyn. 124.
Gutyn Owen. 58. 124. 125.
Guy de Warwick. 63. 85.
Guyau, Jean -Marie. 366.
>>Guzman de Alfarache« Alemans. 210.
Gwalchmai. 119.
Gwendydd. 116.
Gwenvrewi, Leben der heiligen. 120.
Gwerziou s. Volkslied, Bretonisches.
Gwilym Ddu. 119.
Gwydyon. 60.
Gwynn ab Nudd. 102.
H.
Haeckel, Ernst. 362.
Hagiologie, Irische. 90.
— , Walisische. 120.
Haimonskinder. 146.
Haldvy, Ludovic. 400.
»Han d'Islande« von V. Hugo. 322.
»Handorakel« Graciäns. 208.
Handschriften, Irische. 9.
— , Schottisch- gälische. 98. 103.
Hardy, Alexandre. 218. 229.
»Harmonies« St. Pierres. 263.
» — poetiques et religieuses« von Lamartine.
315-
Harnack, Adolf. 359.
»Harpa do crente«. 348
Hartmann von Aue. 15. 152.
Hartzenbusch, Eugenio. 344. 345. 346.
Hasdeu, Bogdan Petriceicu. 432. 433.
Hauptmann, Gerhart. 404.
»Haz de lena« von Nunez de Arce. 423.
»Heaulmiere, La belle«, von Villon. 95.
Hebriden. 103
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 306. 354.
368.
»Heilige, Der« von Fogazzaro. 415.
Heiligennamen als Ortsnamen. 463.
Heimatkunde, Französische. 379 f.
Heine, Heinrich. 155. 232. 301. 303. 304.
320. 351. 356. 375. 412- 422. 431.
Heinrich III., Kaiser. 152.
— Vir, Kaiser. 170.
— VII. von England 28. 53. 58. 124.
— VIII. von England. 53.
— II. von Frankreich. 117. 148. 154. 223.
227. 245.
— IV. von Frankreich. 194. 221. 224.
— von Veldeke. 152.
Heldenepos, Französisches. *I45. 151. 160.
— , Spanisches. 200 f.
Heldenlied, Irisches. 63.
— , Schottisches. 10 1.
Heldensage, Irische. 83. *84.
— , Italienische. 180.
— , Keltische. 12 fif. 61 ff. 63. 66. 69. 72.
Heliand. 63.
Heliodoros. 85. 211.
Heloise. 247.
»H^loise, Nouvelle« Rousseaus. 246. 26 r.
*266.
Helvetius, Claude -Adrien. 259.
Hennequin, Alfred. 356.
Register.
483
Henni({ue. 4U4.
♦ Henri III et sa cour< Dumas'. 327.
»Hcnriade* Voltaires. 2b>,.
Hcnr)', AbW. 135.
Hcptaincron. 227.
Herbot von Friular. 152.
Hcrculano, Alexandre H. de Carvalho e Araujo.
348-
Herder, Johann Gottfried. 100, 255. 263. 300.
303 31;. 412.
Hcredia, Jose Maria de. 344. 373.
Hercford, Grafschaft. :8
Hergcst. 114.
♦ Hermitc de la Chaussöe d'Antin « Jouys. 340.
»Hernani«, von V. Hugo. 328,
»Herodias* von G. Flaubert. 323. 384. 408.
Herrcra, Fernando de. 204.
HerN'ieu, Paul 397. •406.
♦ Herz, Ein einfältiges« von Flaubert. 384.
Herzmäre. 149.
Hibemia. 18.
»Hiempsalf, Tragödie. 181.
Hieronymus. 17. 80. 85.
Highland Monthly. 109.
Hildebrandslied. 63.
Hildesley, Bischof. 27. iio.
Hill, Th. IUI.
Hirta oder St. Kilda, Insel. 107.
♦ Histoire contemporaine* von France. 399.
»Histoire de France« von Michelet 300 f.
»Histoire de la literature anglaise«. von Taine.
368.
♦ Histoire de la litterature fran^aise depuis
les origines« von Faguet. 364.
♦ Histoire des institutions politiques de l'an-
cienne France« von Fustel de Coulanges.
367.
»Histoire naturelle g<5n<5rale et particuli«^re «
Buffons. 259.
«Histoire des origines du christianisme « von
Renan. 358. 361.
♦ Histoire du peuple d'IsracU von Renan.
3>8 359.
»Histoire po<5tique de Charlemagne « von
Paris. 368.
Historia Brittonum. 45. 110. 117.
Historia regum Britanniae. 59. 62. 120.
Hita, Pcrcz de. 209.
Hochschotten s, Schotten.
Hocl, Brctoncnhentog. sS-
HofTmann. Hrnst Theodor Amadeus. 303.
374- 422.
— , F. B. 301.
♦ Hofmeister in Nöten« Girauds 340.
Holbach, Paul Henri Thiry baron d*. »59.
Homer. 63. 173. 175. 188. 192. 197. 228.
2:9. 242. 246. 24g. 250. 255. 333.
♦ Horatier« Comeilles. 230.
Horatius Flaccus, Q. 4. 10. 183. 188. 193.
220. 22<). 241. 2^0 421.
»Horla, Le< von Maupassant 3<;8
Huct, Pierre Daniel 240. 285.
Hughes, Richard. 126.
Hugo, Victor. 140. 147. 302. 308. 310. •311.
3M •317- 321 312- •3»8 335 339. 344-
345- 347. 348 340. 354- 370- 371 372. 37S.
381. 383. 3»7- 388. 412- 431-
Humanismus, Italienischer, '174. 178.
Humboldt, Wilhelm von. 272. 299.
Huntingdon, Henry von. 121.
Huon. 146.
Huonder, Ant. 4^. 435.
Hurtado de Mcndoza, Diego. 219.
Huysmans, Joris Karl. 393. •394.
Huzulen. 4v?.
Hyde, Douglas. ^5.
Hymnen, Altirische. 81.
— , Schottisch gälische. ioq.
H>'wel dda, Kymrische Gesetze des. 48. 116.
Hy>N'el, Sohn Owain Gwynedds. 119.
— ab Tudur. 122.
— Veddyg ab Rhys. 121
I.
lain Lom Mantach. 104
Ibäfiez, Blasco. 429,
Iberische Wörter im romanischen Wortschatz.
458-
Ibsen, Henrik. 369. 370. 402. 403. 404. 406.
414. 417. 426.
leuan Brydydd Hir. 114.
Ilias, Gälische Übersetzung der. 108.
— , La Mottes Übersetzung der. 249.
♦ nie et Galeron«. 150.
Illyrier. 35. 448.
Image mundi iles Henry von Huntingdon. 121.
Imhtis /orosna. U14.
Imperial, Francisco. 439.
Impressionismus. 364. 305.
»Impressions de lh<5.itre* von Lcmaltre. 364.
»Indiana« von G. Sand. 323.
»Indicatore Livomese«. 340.
Indoportugiesisch. 449.
»Ines de Castro* Ferreiras. 21 >.
»Inni sacri« Manionis. 337. 341. All.
»Inno a Satana« von Carducci 411.
»Innoccnte, L'< d'Annunxios. 414
Innse Gall. 103.
Inquisition. 20O. 203. 207. 210 220.
Inselkeltisch. •17. 3''- 37- 3» •40-
»Intelligenz der niumen« von Maeterlinck. 408.
Intcrludrs 1:6.
»Intrndurtion il la m^decine exp^mentalc«
Ikmards, 352.
»— li la vie dövote« Fr. de Sales' 224.
3f
484
Register.
»Intruse, L'« von Maeterlinck. 407.
Inverkeithing, Schlacht von. 104.
Inverlochy, Schlacht von. 104.
lolo Goch. 122. 123. 124. 126.
lorwerth ab Madog. 116. 117.
— V>Tiglwyd. 126.
losif. 431. *434.
Iren. 33. 34. 38. 43. 46. 56. 60. *6i. 66.
67. 68. 70. 71. 72. 89.
— , Anteil der, an der Erhaltung älterer
Literatur. 9 ff.
— , Einfluß der, auf germanische und roma-
nische Kulturentwickelung. 3 ff.
Iriarte, Tomas de. 286.
Irisch im 19. Jahrhundert. *2i. 33. 34. 38.
43-
Irish lang^age, Society for the preservation
of the, as a spoken language. 23.
Irland. 3. 4. 6. *i9. 40. 41. 45. 48. 50. 56f.
60. 61. 62. 70. 72. 79. 83. 86. 98.
Isabella von Castilien. 186. 199.
»Iscio d'or, Lis« Mistrals. 380.
Isembart, Epos vom Recken. 145.
Isidor. 80. 92.
»Isidro« Lopes de Vega. 215.
Isla, Jose Francisco. * 284. 287.
Istrien, Sprachverschiebungen in. 448.
Istrorumänisch. 453.
Italien. 142
— , Mundarten von. 449.
— , Einfluß von, auf die spanische Literatur.
202 f.
— , Französischer Einfluß in. 272 f.
— , Germanischer Einfluß in. 141.
Italiener. 140.
» Itineraire <•- Chateaubriands. 296.
Ivor Hael. 121.
J.
Jacobi, H. 299.
»Jacopo Ortis' letzte Briefe«- von Foscolo.
332
Jacopone von Todi. 170.
»Jacquerie, La« Merimees. 322.
»Jacques« von G. Sand. 323.
Jaffrennou, F. 136.
Jamnes. 49.
Jansenismus. 207. * 230.
»Jardin de los poetas« von Reina. 423.
Jean Paul 303.
»Jean de Paris«. 162.
Jeanne d'Arc. 161 229.
Jenatsch, Jürg 289.
Jenkins von Alverton, James. 132.
Jenner, H iii. 132.
»Jerusalem conquistada« Lopes de Vega. 215.
Jesuitenfrage in Frankreich. 305.
Jeux floraux. 157.
Jochs florals. 199.
Joculator scenicus (Jongleur). 144.
Jodelle, Etienne. 227.
Johannes Comubiensis. 116. 131.
— Eriugena. *8. 11.
Johnson, Samuel. 103.
»Joies de mariage, Les quinze«. 161.
Joinville, Seneschall. 159.
Jongleurtheater. 165. 167.
Jordan von Halston, Will. 132.
Jorga, Nie. 433. 434.
Jornada. 215.
Jose I. von Portugal. 282.
Josephus. 85.
»Journal des Goncourt«. 386.
»Journal intime« Amieis. 375.
Journalistik, Französische politische. 305.
Jouy, Victor Joseph de. 346.
Jovellanos, Gaspar Melchor. 285. 287.
»Joyzelle« von Maeterlinck. 408.
Juan Manuel, Don. 202.
Julianus Apostata. 4.
Julirevolution. 303,
JuUien, Jean. 404.
»Junimea«. 433.
Juvenalis, D. Junius. 10. 241.
Juvencus. 115.
K.
Kästner, Abraham Gotthelf. 264.
Kahn, G. 376,
Kaisertum, Französisches. 295.
Kaledonien. 17.
»Kameliendame« von Dumas fils. 330.
»Kampf der Galen gegen die Nordleute«. 86.
Kanada. 33.
— , Literatur von. 381.
Kant, Immanuel. 263. 295. 306.
Kanzelberedsamkeit, Spanische, im 18. Jahr-
hundert. 284.
Karadoc Briebras. 13.
Karl der Große. 6. 145. 146. 200.
— — und Roland. 121.
— der Kahle. 8. 9. 140.
Karl II. von England. 104.
Karl VIII. von Frankreich. 184. 221.
Karl IX. von Frankreich, 227.
Karl von Orleans. *i6i. 162.
Karl II. von Spanien. 220.
Karl III. von Spanien. 282, 283.
Karl V., der Weise. 160.
Karl Eduard, Prinz. 105.
Karlamag^ius-Saga. 148.
Karlsepos. 145. 147. 169. 180,
Karlssage. 13. 206.
Karolingerreich , Irische Gelehrte im. 6 ff.
Karthager. 35.
Register.
485
Kastilien, Königreich von. 14:.
Katalonien. 143. 199.
Katalanisch. 4f;2.
»Kaufmann von London«. LiUo;.. :69.
Kcatin^'. (icoffrcy. 22. 8v
Kcij-wyn. J 13;.
Keller. Gottfried. 178. 213. 4^
Kelly, J. 110.
Kelten. 40. 139.
— , Kaiserreich der. 34.
— , Siue der. 10.
— , Britische und irische, in Man und in
Wales. 27.
— , EinHuß britischer, auf die Literatur im
Mittelalter. 1 1 ff.
Keltcntum , An^jchliche Einheit des heutigen.
7»-
Keltische Sprachen, id. •loflT. 34 ff.
— — im Auslande. 32 ff.
— — , Einfluß der, im romanischen Laut
System. 4|;7.
Kendal'ch. 71.
Kcnncth mac Alpin. 2.}
Kilian, der Ire. 0.
Kilkcnny, Statut von. 10.
Killikrankie, Schlacht von. 104.
Kilt, I'iktisches. 105.
Kipling, Rudyard. 370.
Kirchendisziplin von Barrow und Wilson, iio.
Kirchenkampfe Frankreichs im 19. Jahr-
hundert. 304 f.
Kirchenlied, Rälisches 290.
Kirkc, Robert. 40.
Klassizismus 430.
-, Französischer. •230. 238. 241fr.
— , Italienischer. 186.
Kleinasien. 17.
Kleopatra. 2 2<».
Klinger, Friedrich Maximilian von. 300.
Klopstock, Friedrich Gottlob. 300. 316.
Klostcrschulen, Irische. 4.
Knox, John. 98.
Konigschroniken. Französische. lOo.
Kolumbus, Christoph. i<>9. 200.
Konrad von Wurzburg. 152.
Konradin von Schwaben. 169 170.
Konsonantismus des Altkeltischcn. 37.
des Irischen und Britischen. 43.
Komisch '30. 40, 41. 42.
Kosenamen, Romanische. 467,
Kotzcbue. August Fr. Ferdinand v. 288.
Krause, H. J. Fr. 421.
Kreuzzuge. 141.
Krcuzzugscpos, Französisches. 147.
Kritik, Literarische. 231. 350. 361. •36a
410. 421.
KuUiwchs Werbung um Olwcn. 117. 118.
Kurth, Godcfroid. 379.
Kymri. 24. 33. "oi. 70. 114
Kymrisch. 28 f. 38. 44». 41. 42. 92.
L.
>Lh-bas< von Huysmans. 394.
Labirhe, Eugene. 41 >o.
La Bruyörc, Jean de. 24«j. 245.
La Qdpren^de, Gauticr de Costc», .Seigneur
de. 234.
La Chaussee, Pierre Claude Nivelle de i')«
285.
Lacordairc, Jean Baptiste. 305.
Lactantius. 80.
»Lästerung Morags« Macdonalds. 105.
Lafayettc , Marie von. 247.
Lafontame, Jean de. 130. '247. 286. 355.
376.
Lagadcur, Jchan. 133.
Laharpc, Jcan-Fran^ois de. 2O4.
lais bretons. 55.
Lamartine, Alphonse de. 302. 303. 305.
312. •315. 321. 34C'. 34'' 37'. 37: 376.432-
Lamennais, Hugues Felicitc Robert de. 304.
307. 324. 337- 348 361.
La Mettrie, Julien Offroy de. 2^4. 258. 259. 260.
La Motte, Antoine Houdart de. 249.
»Lances de honor« von Tamayo y Baus. 424.
Landlordpolitik in Schottland. 26. 32.
Langobarden. 139. 140.
Langres. 464.
Laprade, Victor de. 320.
Lara, Familie. 2oi.
La Rochefoucauld, Fran^ois de 186 231.
24^'. 341.
Larra, Jose de. 343. 345. 348.
Latein als Reichssprachc. 138.
— als Humanistensprache. 178.
— , Verhältnis von, und Romanisch. 454
Latini, Brunetto. 159.
Latinismus, Französischer. \bo.
Lauda. 170.
Laura Petrarcas. 175.
Lautsystem. Romanisches, beeinflußt durch
Keltisch, Oskisch, Umbrisch. 4S7f.
Lavatcr . Johann Caspar 140
Law, John. 252.
Laws of Ireland, Ancicnt. 87.
»Lazarillo de Tormes«. 210.
»Leben zu Algier« Cervantes". 3il.
»Leben der Bienen« von Maeterimck. 408.
»Leben, Das, ein Traum • rjl<!rr.>n^ uo.
Leber na Huidre. 82.
— Gabftla 83.
Le Brai. A 135 136.
Le Coal 136
Leconte de Lisle. Charles Manc Rctu? •371.
373 377. 3»4 4i3.
486
Register.
»Legende de Saint Julien « von Flaubert. 384.
»Legende des Si^cles«^^ V. Hugos. 317. 329.
37=-
Leges Barbarorum. 140.
Legonidec, P. 136.
Legouve, Emest. 333.
Leibniz, Gottfried Wilhelm. 239. 250.
Leinster. 20. 84. 86.
Lejean, G. 135.
»Lelia«^ von G. Sand. 323.
Lemaltre, Jules. 364. 365. 368. 370. 401.
Lemercier, Louis Jean Nepomuc^ne. 302.
Lemnius, Simon. 289.
Lemonnier, Camille. 379.
Lenau , Nikolaus. 431.
Leo X., Papst. 181. 184.
Leon, Königreich von. 142.
Leon, Literaturdialekt von St. Paul de. 42.
43. 55-
Leonardo da Vinci s. Vinci, Leonardo da.
Leoncavallo, Ruggiero, 425.
Leopardi, Giacomo Graf. 280. 334. 335.
*34i. 350.
Lesage, Alain Rene. 209. 245 246. *265.
330.
Lessing, Gotthold Ephraim. 254. 255. 257.
258. 264. 269. 276. 278. 288. 301.
Lessona. 410. 418.
>>Lettres portugaises«. 247.
»Lettres provinciales « Pascals. 230.
Lewis. 271.
— . 302.
— Glyn Cothi. 124.
»Leyenda del Cid« Zorrillas. 349.
Liadain und Curithir, Liebesgeschichte von.
95.
//Liaison, Une« von Mazeres und Empis. 330.
Liber Capturarum. 83.
— Hymnorum. 79. *8o.
»Libro de buen amor« von J. Ruiz. 201.
Liebeslied, Wahsisches. 119. 122.
»Liebeswahnsinn« von Tamayo y Baus. 424.
LiUo, George. 263. 269.
Lindocolonia. 44.
»Liquidation htteraire« Ulbachs. 382.
Lismore, Kloster. 4. 99.
Litavia. 132.
Literatur, Brasilianische. 348.
— . Bretonische. 132.
— , Französische. 143 ff. 220 ff. 351 ff.
— , Irisch -gälische. 78 ff.
— , Itahenische. 168 ff. 332 ff. 410 ff.
— , Komische, 131.
— , Kymrische (wahsische). 114 ff.
— , Manx-. HO f.
— , Portugiesische. 199 ff. 347 ff. 419 ff.
— , Rätische. 288 ff. 434 ff.
— , Rumänische. 290 ff. 430 ff.
233-
52. 119.
122.
59.
Literatur, Schottisch -gälische. 98 ff.
— , Spanische. 199 ff. 342 ff. 419 ff.
»Literature, De la« von Fr. von Stael. 299.
Literaturen, Die keltischen. 46 ff.
— , Die romanischen. 138 ff.
Literaturgeschichte in Frankreich. 355. 362.
— in Italien. 410.
Literaturkreis, Gälischer und britisch -kel-
tischer. 44 f.
Liutprand. 140.
Liverpool. 33.
Livingstone, W. 108.
Livius, T. 34. 175, 178.
Livomo. 340.
Llewelyn von Nordwales.
— ab Gwilym Vychan.
Llewis Glyn Cothi. 53.
Lleyn, William. 124.
Llud und Llevelys. 117.
Llwyd, Edward. 131. 132.
— , Morgan. 127.
Llywarch ab Llywelyn. 119.
— Hen. 52. 114. *ii5.
Llywelyn der Große. 119.
— Goch ab Meurig Hen. 124.
— Sion. 125.
Locke, John. 239. 252. 253. 256. 257.
Loegaire der Siegreiche. 69. 84.
Lohengrin. 148.
Lombroso, Cesare. 410.
London. 25. 33.
Lope de Vega s. Vega Carpio , Felix Lope de.
Lorris, Guillaume de. 158.
Lothringerepos. 146. 201.
Loti, Pierre. * 397. 399.
/> Lorenzaccio (^^ von A. de Musset. 332.
Lovernios, König der Arvemer. 50.
Lovesongs of Connacht. 95.
Loyola, Ignaz von. 210. 220.
»Lucanor, El conde«. 202.
Lucanus. 47. 85. 205.
»Lucrece^-^ Ponsards. 329.
Lucretius Carus. 196.
Ludwig VII. von Frankreich.
Ludwig XIII. von Frankreich.
Ludwig XIV. von Frankreich.
254. 400.
Ludwig XVI. von Frankreich.
Ludwigslied. 145.
Lugaid, Pflegesohn Cuchulinns. 93.
Lugdunum. 464.
Luis de Granada. 207.
— de Leon. 204.
LuU, Ramon. 199.
LuUy, Jean-Baptiste. 400.
»Lusfadas^'' Camöes'. 206.
Luther, Martin. 221. 222. 290. 309. 423.
Luxeuil. 5.
154-
194.
239. 246. 250.
270.
Register.
487
Luzdn, Don Ignacio de. •:84. 287. 344-
Luzel, F. M. 13.V 136.
Lyon. 221. 226.
Lyrik, Bretonische, ijv
— , Französische. 153 ff. 234. 264. 3isff
370 ff.
— , Irische geistliche. 91-
— , Irische weltliche. 93 ff.
— , Italicnische. lOq f. 188. i9>;. 411.
— , Spanische. 201 f. 203 f. 206. 287. i^bfl.
421.
»Lys rouge« von A. France. 405.
M.
Mabinogion, Mabinogionsage. 45. 46. 59.
60. 62. 05. 'ii;.
Mac Cumin, Mosinu. 5.
— , Mocuoroc, Semon. 5.
>Macias«^ von Larra. 345.
Mac Liac. 94.
— Mhaigstir Alasdair. 10 v
Mac-Talla 33.
Maccallum von Arisaig. 108.
Maccodrum, John. 106.
Macdonald, Alexander = Mac Mhaigstir Alas-
dair. 105.
— , John = lain Lom Mantach. 104.
— , Patrick. 107.
— , Ranald. 103.
— von Keppoch. 104.
Macgregor, James 99,
Machiavelli, Lodovico. 181. * it<4. 186. 187.
189. 209. 222. 224.
Macintyre, Duncan = DonnChadh Bän nan
öran. loO.
Mackay, John. 105.
— , Robert = Rob Donn. 107.
Mackenzie, Angus. 109.
-, J. 108.
Mackellar, David. 109.
Maclachlan, Ewen. 108.
Maclean, Hector. 103.
Macleod, D. 108.
— , Mary. 104.
— , Neil. 107.
— , Norman. icK).
Macphadyen, John. 107.
Macphcrson, James. *q<). 106. 114. 264.
— , Slar>'. 107.
Mac\Tjrichs, Hausbarden der Macdonalds. 98.
>Madame Bovary« von Haubert. '382. 384.
> Madame Caverlet« Augiers. 402
Madoc. 32.
Madog von Powys. 117.
— Benvras 122. 123.
_ Dwygraig. 123.
Madrid. 205.
.Madrigal, 168.
.Maelisu hOa Brolchain. 81. 91.
Mäcl-Muirc hOa Moirln. 91.
— 0 Lennam. 91.
* Männerschule' Moliöres. 244. 285.
Märchen, Bretonischc. 136.
— , Französische. 248.
— , Italienische. 188.
— , Mannische, in.
— , Schottische. 107 f
— , Walisische, 1:8
Maeterlinck, Maurice. 407.
Maffei , Francesco .Scipione , Marchcse. 276.
Magalhäes, Domingo Jos^* Gon(;alvez de,
•348. 35'^-
•> Magier, Der wundertätige* Calderöns. 220.
Magnus Barbein. 102.
magus = Feld. 36.
— = Zauberer. 49.
Mailand. 179. 183. 274. 334.
Maior, F. 293.
Maiorescu, Titus. 431. '433.
Mairet, Jean de. 235.
Maistre , Graf Joseph de. '304. 337. 419. 420.
»Mattres d'autrefois-r von Fromentin. 393.
>Ma jeunesse« von Michelet. 309.
»Malade imaginaire« MolitJres. 244.
Malaio- Spanisch und -Portugiesisch. 449
Malcolm Cenmor. 25.
— von Schottland. 24.
Malebranche, Nicolas. 250.
Malherbe, Fran^ois de. 228. •231. 233. 241.
247. 250.
Mallarmd, Stephane. 373. •377-
Malmiginati. 194,
Mameli, G. 339.
Malo, St., Diözese. 31. 448.
Mambres. 49.
Man, Insel. 19. '27. 40. 41. 110.
— , — , Gedichte auf die. 11 1.
Manannan mac Lir. in,
Manawyddan, Sohn des L1>t. 62 117. 118.
Manchln. <»o.
»Mandragola* Machiavellis. 189.
Manct, Edouard. 387.
Manfred der Hohenstaufe. 169.
Manoli, Lied von. 291.
»Manon Lescaut« Prdvosts. :66.
I Man.x. 27. MO.
1 Manzoni, Alessandro. * i^». 30=- *335- 336.
I •3.W 34'- 349- 411- 415 4««' 4l8-
j Mapes, Walter. n8.
Marcellus. Abt von St. Gallen. 8.
Marcus, Mönch 90.
Margareta, Vita der heiligen 120
Margarete, Enkelin Eduards des Bekenners.
— von Navarra, 222.
488
Register.
>Margarita la tomera« Zorrillas. 349.
Margueritte, Paul. 393.
Maria von Portugal. 284.
— , Gedicht vom Transitus der Jungfrau. 133.
— in den Contes d^vots. 151.
Maria d'Aquino. 177.
>Mariage d'argent« von Scribe. 331.
Mariana, Juan de. 207.
Marianus Scottus. 10.
Marie de France. 133. 149. 153.
— von Troyes. 150 154. 156.
Marienklage, Französische. 165,
— , Italienische. 170.
Marini, Gianbattista. 194. 198. 234. 414.
Marivau.x, Pierre de. '265. 268.
Marmier, Xavier. 303.
Marot, Clement. 225. 230. 372.
> Marseillaise « Rouget de Lisle's. 271.
Martialis. 10.
Martin, M. 104.
Martin le Franc. 161.
Martinez de la Rosa. 344. 345.
Martini, Ferdinande. 417.
»Martyrs, Les« Chateaubriands. 298.
Marwnat Corroi m. Dayry. 46.
Massillon, Jean. 252.
>Mateo Falcone« Merimees. 322. 323.
»Materia di Bretagna« 183.
— di Francia«. 180. 183.
/>Matemitä« Ada Negris. 414.
»Math der Sohn von Mathonwy«. 60. 62. 117.
Mathematik, Altirische. 92,
Matthäusevangelium. 80.
Maturin, Ch. R. 302. 312.
Maunoir, Julien. 133.
Maupassant, Guy de. *390. 392 395 398. 399.
414- 415- 432.
Maxen Wledig, Traum des. 117.
»Maximes« La Rochefoucaulds. 240.
Maynooth, Priesterseminar. *2i, 22. 23. 29.
Mazarin, Jules. 229. 245.
Mazedonien. 17.
Mazäres. 330.
Mazzini, Giuseppe. 332. 334. 340.
>Med^e« Comeilles. 236.
Medici, Cosimo und Lorenzo von. 179.
— , Piero. 181.
— , Lorenzo il Magnifico von. 181.
Medina.. 465.
Medina. 423.
Mediolanum. 462.
>M^ditations poetiques« Lamartines. 315.
Medizin, Altirische. 92.
— , Walisische. 120 f.
Medraut. 115. 118.
* Medusa« Grafs. 413.
Meerfahrt Brans. 95.
— Brendans. 90.
Meglenisch. 453.
M^hul. 271.
Meilhac, Henri. 400.
Meister, Die sieben weisen. 149. 292.
Meistersang. 157. 160. 199. 225.
Mel^ndez Valdds, J. 287.
Meli, Giovanni. 450.
»Melusine« von H. Gaidoz. 136.
»Memoiren eines Siebzigers« von Romanos.
420.
»M6moires d'outre-tombe« Chateaubriands.
296.
»Manage, En« von Huysmans. 394.
Mend^s, CatuUe. 372.
»Mendigo« von Espronceda. 347.
Men^ndez y Pelayo, Marcelino. 420.
Menestrel. 146.
»Mensonges« von Bourget. 396. 398.
Mercantini. 410.
Mercien. 27.
Mercier, S. 264. •269. 270.
»Mercure de France«. 370. 378.
»M^re, La, et la fille« von Maz^res und
Empis. 330.
Meriadek, Leben und Tod des heiligen. 132.
M^rimde, Prosper. 302. *322. 345.
Merhnus. 116.
Mesca Ulad. 118.
Metastasio, Pietro Antonio Domenico Bona-
ventura. *276. 278. 286
»Methode scientifique de l'histoire litt^raire«
Renards. 356.
Metrik, Altirische kirchliche. 81. 92.
— , Schottische. 103.
— der späteren walisischen Bardenpoesie. 121.
Meun, Jean de. 158. 161.
Meunier, Constantin. 379.
Meyer, Konrad Ferdinand. 322.
»Michel Pauper« von Becque. 403.
Michelangelo Buonaroti. 174. 176. 188. 192.
Michelet, Jules. *274. 303. 305. •309. 354.
366. 372.
Mignet, Frangois. 307.
-mil, -mir m Ortsnamen. 465.
Milä y Fontanals. 420.
Milin. 136.
Mill, John Stuart. 354. 368.
Millevoye, Charles. 302. 344. 349.
Milton, John. 11 1. 127. 287. 316.
Mimus. 144.
Minne. 150. 170.
Minnesang. •153. 156. 176. 202.
Mirabeau, Honor^ - Gabriel Riquetti, comte de.
185. 271.
Mirakelspiel. 165.
Miranda, Franc, de S4 de. 204.
»Miranda« von Fogazzaro. 415.
»Mir^io« Mistrals. 379.
Register.
489
>Misanthrope« Moli^res. 244. 245.
>Mis<?rables, Lcs« von V. Hugo. 322.
Mission, Irische, auf dem Kontinent, s ff-
»Miss Sara Sanipsonc Lessings. :09.
Mistral, Freden. 28<). •379.
Mittelirisch. 40.
»Mt)ccdades€ de Castros. •219. 220.
Mochutu. 90
Mod. 71.
Mönchsrcgcln, Irische, qo.
Moengal •=. Abt Marcellus der St. Galler
Klosterschule. *8. 9. 10.
Moesia Superior. 139.
»Moine, Le« Lewis". 271.
Moliöre, Jean ■ Baptiste Poquelin (de). 219.
220. 233. 237. 238. 241. 242. »244. 268.
27». 285. 376 437-
Molina. 207 208.
Moling, Der heilige. 91.
Monapia — Man. 27.
»Monarchia, De* Dantes. 172.
»Monarchie de France, La grande« Seyssels.
222.
»Monde oü Ton s'ennuie* von Pailleron. 403.
»Mondo creato, II « Tassos. 193.
Mongan, König von Ulster.
Monismus. 352. 306.
Monmouth, Gottfried von.
— , Galfried. 62 120.
Monmouthshire, Grafschaft.
»Monsü Travel« Bersezios.
Montaigne, Michel de * 224. 227. 232. 253. 362.
Monichretien. 225.
Montdidier. 464.
Montegön. 287.
Montögut. 3b8.
Montemayor, Jorge de. 209.
Montesquieu, Charles Sccondat de. 252. '254.
2S9 274- =»7 35.V
Montglane, Haus. 147.
Monti, Vinccnzo. 276.
33> 336.
Montrose. Graf 98.
Morag. 105.
»Morale cattolica«, Manzonis.
Moralit(fs. 107
Morann mac Möin. 93. 118.
Moratin, Nie. * t^t^. 287. 346.
Morbihan, Dialekt von. 42. 43.
Moreau, H<'g«fsippe. 320.
Moreto, Don Agustin 219.
Morgan. William. 128.
• Morgante Maggiore« Pulcis. 182.
Morganwg, Jolo. 48. 54.
Morgenau. 116.
Morison, John. 109.
— , Roderick. 105.
»Bioro exp6sito< A. de Saavedras. 344. 34b.
58-
14. I.S.
28.
41b.
!8o. •281. 288. 332.
337-
Morris, Hugh. 120.
>Mort du loup< Vignys. 372.
Monis, Thomas. 222.
Morvudd. 122.
Mosso, Angelo. 41a.
Mozaraber. 452.
Mozart, Wolfgang Amadeus. 270.
»Muhsale des Persiles« von Cervantes. 211.
Müller, J. von. 299.
»Mündel des Pfarrers« von Diniz. 4x8.
»Musserkrieg« Travers'. 289.
Munster. 20. 84. 86.
Muoth. 434.
Muralt. 252.
Muratori, Lodovico Antonio. 273.
Muresianu. 430.
Murillo, Bartolomd Estcban. 220.
Musik- und Sängerfeste in Wales. 53. 06.
Musikdrama. 163.
»Musketiere, Drei« Dumas'. 323.
Mussato. 180.
»Mußestunden spanischer Emigranten«. 344.
Musset, Alfred de. 304. 313. 314. '319. 32'-
*},7,i- 347- 34«- 349. 372. 375.
Myrddin. iio. 118.
»Myricae« Pascolis. 413.
»Mystöre du Vieux Testament«. 160.
Mysterien. 120. 131. 133. i6s f. 228.
Mysterium, Komisches, von der ErschafTung
der Welt bis zur Sintflut. 132.
Mystiker, Die spanischen. 207.
Mythologie, Irische. 83.
N.
Nacht, Gallands Übersetzung von 1001. 249.
Nad. ton(?). 132.
Namenkunde, Romanische. 462.
»Nana«, von Zola. 385. 395.
Nantes. 31. 55.
— , Edikt von. 221. 239.
Napoleon I. 281. 295. 303. 393.
Napoleon III. 303. 308. 400.
»Natchez, Les« Chateaubriands. 296.
NaturaUsmus. 351. 364. 308. 369. 372- '382.427.
Navarra, Königreich von. 143.
Neapel. 177. 179. 182.
Neger Spanisch, Portugiesisch und Frantö-
sisch. 449.
Negri, Ada. 413
Nennius. 12. 45. 59 83
Neoklassizismus , Französischer. 204.
— , Italienischer. 279.
Nero, Kaiser. 47.
Nerval. G^rard de. 303.
Neugriechisch. 4^3.
Neustrien. 140. 143.
»Neveu de Rameau, Lc«. Didctois. 2>.-»
490
Register.
Newton, Isaac. 252. 253. 256. 274.
Nlall, König. 94.
Niccolini, Giovanni Battista. 339- *340.
Nicolay. 299.
Niebuhr, Barthold Georg. 309.
Nietzsche, Friedrich. 327. 368. 370. 414.
Nievo, Ippolito. 339.
Nodier, Charles. 302.
Nominöe, Graf. 30.
Nonn, Leben der heiligen. 133.
Nordafrika. 448.
Nordbritannien, Das Keltische in. 24.
Nordfrankreich, Germanischer Einfluß in. 140.
Nordfranzösisch. 452.
Normannen. 24. 31. 140. 141.
Northumberland. 25.
Norweger. 20. 64. 118.
Notker von St. Gallen. 8.
»Notre Dame de Paris« von V. Hugo. 322.
»Nouvelles nouvelles, Cent«. 162.
Novae, Zyklus von der Sippe. 291.
Novalis. 301.
»Novelas contemporaneas« von Galdös. 426.
»Novelas ejemplares« Cervantes'. 211.
Novelle, Französische. 162. 247. 265.
— , Italienische. 170. 177. 180. 188.
»nueva maestria«. 201.
»Numancia« Cervantes'. 211.
Nunez de Arce, Don Caspar. 423.
o.
»Obermann« von Senancourt. 302.
O'Clery, Michael. 86.
»Ödes et ballades« von V. Hugo. 312.
»Odi barbare« Carduccis. 412.
Odyssee, Altirischer Auszug aus der. 85.
Offa von Mercien. 27. 28,
Offas Wall. 28.
Offenbach, Jacques. 330. 400.
Ogier. 146.
O'Higgins, Bardenfamihe. 51.
Ohnet, Georges. 365.
Öingus. 90.
Oireachtas. 71.
»Oiseau« Michelets. 372.
Olivier, Juste. 320.
ollam. 57.
O'Mulconry. 92.
O'Neill, John. 23.
Oper. 196. 199. *245. 270.
Operette. 246. 269. 400.
Orange, Wilhelm von. 147.
Orcagna, Andrea. 174.
Ordinalia, Komische. 131.
»Orientales« V. Hugos. 317.
»Origines de la France contemporaine«
Taines. 355. 356. 361.
»Orlando«, anonym. 181.
» — furioso« Ariosts. 184.
» — innamorato« Bojardos. 183.
Orosius. 80. 85.
Orree Beg. iii.
Orthographie des Inselkeltischen. 41.
— , Rumänische. 293.
Ortsnamen Frankreichs. 464.
— der iberischen Halbinsel. 464 f.
— Italiens. 462 ff.
Oscar mac Oisin. 73.
Oscar, Enkel Finns. 84. 102.
Oskisch, Einfluß des, im Lautsystem der
italienischen Mundarten. 457.
»Osservatore«. 275.
Ossian (Oisln, Oisean), der Sohn Finns. 84.
100. loi. *i02. 116. 118. 264. 281. 287.
295 315- 346.
Ossiansage. 45. 64.
Osterspiele. 163. 213.
Otfrid. 90.
Ottava rima. 168. 170. 177. 180. 182.
Ovidius Naso, P. 4. 10. 149. 150. 154. 160.
Owain Cyveiliog. 119.
Owein Gwynedd. 33. 119.
Owen, Daniel. 66.
— Glendower. 124.
— ap Meredydd ap Tudor. 28. 58.
P.
Padua. 463.
Pailleron, Edouard. *403. 426.
»Palais nomades« Kahns. 376.
Palladius. 86.
»Palmeirim de Inglaterra«. 209.
Panard, Charles Fr. 269.
Pankeltismus. 69 f.
Pann, A. 292.
»Panorama« Herculanos. 348.
Pantomime. 163. 166. 170.
Panzacchi. 413.
Pardo Bazän, Emilia. 421. 427. 428.
Parini, Giuseppe. *28o. 333
Paris. 156. 161. 221. 228. 349. 464.
Paris, Gaston. 352. »356. 365. 368.
»Parisienne« von Becque. 403.
»Parnaso portuguez modemo«. 422.
Pamasse. *3i4- 329- 370- *372. 4ii-
»Pamasso lusitano«. 347. 349.
Pamy, Evariste Desire Desforges Vicomte
de. 2G4.
»Paroles d'un croyant« von Lamennais. 305.
Parry, Richard. 128.
»Partenopeu de Blois«. 150.
»Partita a scacchi« Giacosas. 417.
Pascal, Blaise. •230. 233. 239. 297. 341.
358. 374-
Pascarella, Cesare. 342. 416. 419.
Register.
49'
Pascoli, Giovanni. •413. 414. 4'9-
Pasos. 214.
Pasquicr, Klicnnc Denis, ui.
Passion, Komische. 132.
Passionsspiel, Französisches. 105 f.
Pasteur, Louis 38Ü.
»Pastor ßdo« Guarinis. 190.
Pastorale. 190 f. 195. 199.
Pastourelle. 144. 165. 229. 235.
Pathelin, Maistre. 133. 167.
Patrick. Der heilige. 84. 89. 91. 102. iii.
120. 134.
Patriotismus in der modernen italienischen
Literatur. 418.
Paul IL. Papst. 170.
»Paul et Virginie* St. Picrres. 267.
Paullinus Nolanus. 47.
Paulusbriefe. Sd.
Pavia, Akademie von. 7.
»Pöcheurs d'lslande* von Loti. 398.
»Peintre de Saltzbourg« von Nodier. 302.
»Peints par eu.\-mcmesc von Hervieu. 397.
Pelagius. 80.
»Pelayo« von Elspronceda. 346.
Pellico, Silvio. 334. 337 351.
»Penas arriba» Peredas. 428.
Penguem, J. de. 135.
»Pensees sur la religion* Pascals. 231.
»Pensieri* Lcopardis. 341.
» — diversi« Tassonis. 107.
Pentraeth, Dolly. 30.
»Pepita Jiraenez« \'aleras. •426. 429.
Perceval le Gallois. 118.
Percy, Thomas. 264.
Pereda, Josd Maria de. 426. 427. •428.
»Pore Goriot* von Balzac. 325.
Pcrcgrinatio des Odoricus. 121.
Perez, Antonio 208. 234.
Pergolese, Giovanni Battista. 270.
Perrault, Charles. 197. 248. 249.
— . a. 233. 248.
Persius P'laccus, A. 10.
Personennamen , Romanische. 465 ff.
Perticari. 336.
Pestalozzi, Johann Heinrich. 202. 282. 310.
»Petit chose. Lct von Daudet. 395.
Petrarca. Francesco. 123. 162. •174. 178.
180. 181. 182. 184. 180. 188. 197 198. 203.
227. 229 233. 23«. 241. 315- 34»- 408.
Petrarkismus. 238.
Petri, Adam. 40.
»Pfade des Urteils, Die fünfc Cermnas. 88.
Philipp II von Mazedonien. 36.
— von Spanien. 203. 308.
Philipp IV. von Spanien. 218 220. 284.
Philipps, John. 27. 110.
»Philosophc Sans le savoir« Sedaines. 269.
Philosophie. /Mlirische. 02.
Philosophie, Französische im i<). Jahrhundert.
300. 366
Phynnoddaree. iii.
Physiükratcn "25^ 274.
»Piaceret d'Annunzios. 414.
Pico della Mirandola, Giovanni. 17g.
Pier delle Vigne. 109.
Pikten. 17. I». 19. 24. II V
»Pilger, Der, in seiner Heimat« Lopes de
Vega 215.
Pindar. 188. 226. 229. 241. 250.
» Pinto ♦ von Lemercier. 302.
Pippin. 0. 7.
»Pirata« von Espronccda. 347.
»Piü che l'amore* d'Annunzios. 418.
Pius IL, Papst. 179.
Pixdr^court. 302. 329. 345.
Plato. 175. 181. 223. 359.
Plautus, T. Maccius. 183. 215. 229. 244.
Plcjade. 227. 229. 230.
Plinius der Ältere. 47.
Plutarch. 222. 224.
Poe, Edgar Allen. 350. 369. 373.
»Po^mc en prose«. 303.
«Poi;mes antiques« und *Poi;mes barbares«
von Leconte de Lisle. 371.
»Poi;mes dorcs«, von France. 399.
»Poi;mes en prose, Petits* Baudelaires. 373.
»Poesie nouvellc«. 375 ff.
♦Poesie scelte*, Fogazzaros. 414.
»Po^sies« von Th. Gautier. 320.
»Poetica« Luzins. 284.
Poggio, Gi;m Francesco. 178.
»Polemiche« Carduccis. 411.
»Politik Gottes« Quevedos. 209.
Poliziano, Angelo. 181. 1S2. 204. 220.
Polo, Marco. 159.
Pombal. Sebastiäo Josö de Carvalho e McUo.
Marquis von. 282.
Pomponius Mela. 47.
Ponsard, Franijois. '329. 424.
Pontano, Giovanni Gioviano. 180.
Pontellus. S5.
Pope, Alexander. 256. 287.
Porta, Carlo. 342. 4S'»-
Porto Alegre. 348.
Portoriche. 400.
Port-Royal. Kloster. 230. 354.
Portugal. 199. 200. 203.
— , Französischer Einfluß in. im 18. Jahr-
hundert. 2S3 f.
Portugiesisch. 4S--
Posidonius. 50.
Posilivismus. •306. 35O. 360. 301. 36O.
Possenspiel. It.ilienischcs. 168.
Pouvillon. Emile. 392.
Präraffaeliten. 369. 375.
Praga. 417-
492
Register.
Prati, Giovanni. 339. 411.
Predigt s. Kanzelberedsamkeit.
»Pratique du theätre« d'Aubignacs. 237.
»Prdcieuses« Moli&res. 244.
Preislieder, Bardische. 50. 61. 81.
Presse, Französische. 271.
Prevost, Marcel. 396.
Prevost d'Exilles, Antoine, l'abbe. 256. *265.
Prevost-Paradol , Lucien Anatole. 366.
Preziosität in Frankreich. 233. *237.
— in Spanien. 284.
Price, Edmund. 124. 128.
• — , Thomas. 124. 127.
Prichard, Rhys. 128.
»Prigioni, Le mie« Pellicos. 337.
»Princesse de Cl^ves« Marie von Lafayettes.
247.
»Principe« MachiaveUis. 185. 222.
»Prinzipien und Pflichten des Christen« von
Wilson, iio.
Priscian. 80.
»Promessi Sposi« Manzonis. 336. 337. *338.
Prophetia Ambrosi Merlini de septem regibus.
131-
»Proposta manzoniana«. 336.
»Proposta« Montis. 336.
Prosa in der mittelalterlichen französischen
Literatur. 158 ff.
— in der italienischen Literatur des 16. Jahr-
hunderts. 196.
— in der itahenischen Renaissance-Literatur.
184 ff.
— in der spanischen Literatur. 202. 207.
Prosaerzählung, Irische und kymrische. 61.
Prosaroman, Keltischer. 64. 65.
»Proscrits« von Nodier. 302.
Prosodie der walisischen Barden. 125.
Proudhon, Pierre Joseph. 306.
Proux, Prosper. 136.
»Proverbes« von A. de Musset. 331.
»Proverb i« von Martini. 417.
»Proverbios morales« von Sem Tob. 423.
Provincia (Provence). 141. 143.
Provinciales. 141.
»Prozente« von Ayala. 424.
Priifungsbuch lorwerths. 117.
Pryderi. 60.
Prydydd y Moch = Llywarch ab Llywelyn.
Prys, Prime des Sir John. 127.
Psalmenkommentare. 80. 89.
Psalmenübersetzung, Schottisch-gälische. 109.
»PuceUe d'Orleans« Voltaires. 265.
Pughe, William Owen. 127.
Pulci, Luigi. 181. •182. 183.
Pulcinella. 190.
Purgatorium Patricii. 72.
Purismus, Französischer. 232.
— , Italienischer. 187.
Puschkin, Alex. Sergej ewitsch. 323.
Puys, literarische Gesellschaften. 156. 160.
225.
Pwyll, Prinz von Dyfed. 62. 117.
Pyramus und Thisbe. 206.
Q.
Quadruvium. 463.
Quellien, N. 136.
Quental, A. de. 421.
Querelle des Anciens et des Modernes. 249.
Quevedo ViUegas, Francisco de. 128. 205.
*208.
Quinault, Philippe. 237. 242. 243.
Quinet, Edgar. 303. ♦304. 305. 315. 348. 354.
Quintana, Manuel Josd. 288. 343.
R.
Rabelais, Frangois. 207. 222. *223. 225. 230.
»Rache, Die, für Christi Blut«. 90.
Rachel (Felix), Elisa. 329.
Racine, Jean. 230. 237. 241. *242. 246. 250.
277. 301. 312. 329. 354.
Radcliffe, Anna. 271. 302,
»Raeteis« Lemnius'. 289.
Rätien. 288. 434.
Rätoromanisch. 451.
Rafael. 187.
»Ragione poetica« Gravinas. 276.
Ramus, Petrus. 222.
Rannaigecht. 115. 126.
Rappresentazione, Sacra. 181. 182. 189. 190.
Ratpert von St. Gallen. 8.
Raynouard, Frangois. 302.
»Reali di Francia«. 180.
Rechtschreibung s. Orthographie.
Rechtsliteratur, Irische. 87 ff.
»Recueillements poetiques« von Lamartine.
316.
»Recuerdos del tempo viejo« Zorrillas. 420.
»Reden über Livius« MachiaveUis. 185.
Rees, Daniel. 127.
Reformation. 436.
— in Frankreich. 222.
— , Einfluß der, auf die keltischen Idiome.
25. 40.
— , — , auf das Keltentum Irlands. 51.
— , — , auf die Insel Man. iio.
— in Spanien. 220.
Refugies. 239.
Regnard, Jean. 245.
Rdgnier, H. 377. 378.
Reid, Thomas. 295.
Reims. 464.
Reina, M. 423.
Religiöse Literatur, Bretonische. 133. 136.
— , Komische. 132.
Register.
493
Religiöse Literatur, Schottisch-gälische. 109.
— , Walisische. 120. 128.
Rembrandt, HarmensE. 354.
Remusat, Charles de. 311.
Renaissance. 'iSi. 238. 436.
— , Französische. *22i. 252.
^Renaissance« von Gobineau. 408.
Renan, Emest. 303. 307. 351. 353. 354.
•.>57- 362. 367- 368. 399- 408. 410.
Renard, G. 356.
Renard, Roman de. 152. 153.
Renaut de Montauban. 146.
Renduel, Verlag. 311.
>Rene<<: von Chateaubriand. 333.
Rennes. 31.
»Repas du lion« von Curel. 407.
»Republique, La«: Bodins. 224.
R^tif de la Bretonne. *267. 390.
Retz, Kardinal von. 231.
Revolution, Französische. 270 f.
»Revue critique«. 352.
»Revue des deux mondes«. 311. 378. 414.
»Revue de Paris«. 311. 382.
Rhein. 139. 140.
Rh^torique, Rh^toriqueurs. 162. 225,
Rhiwallon. 121.
»Rhonabwys Traum«. 60. 62. 117. 118.
Rhydderch in Peniarth. 114.
Rhys Cain. 125.
Rhys Goch Eryri. 124.
Rhys Goch ab Rhiccerd. 122.
Rhys ab Gruffydd. 46. 116.
Rhys Meigen. 123.
Rhys ab Tewdwr. 14.
»Ricahembra« von Tamayo y Baus. 424.
Ricemarchus. 120.
Richard IlL 53.
Richard Löwenherz' Kreuzfahrt. 151. 154.
Richardson, Samuel. 263. 265. 278.
Richelieu, Armand Duplessis Duo de. 229.
232. 236. 239. 254.
Richepin, Jean. 378.
Richeut und ihr Sohn. 152.
Richter in Wales. 58.
»Rime« Tassos. 192.
»Rime« und >)Rime nuove« von Carducci.
411. 412.
T>Rime e Ritmi« Carduccis. 413.
^Rinderraub von Cualnge«. 35. so. 66. 68.
69. 84. 95.
Rinuccini. 196.
Risorgimento. 273. 280.
Rivarol. 253. 272.
Riwal. 133.
Rob Donn. 107.
Robert von Neapel. 177.
Robin Ddu. 124.
Rod, Edouard. 393. •394.
Rodenbach, Georges. 379.
Römer. 17. i8. 3v 138. 447.
Rojas, Fernando de. 210. 219. 235.
Roland. 146. 200.
Rolandslied. 147. 148. 159. 182. 200. 201.
Rom. 140. 179. 410.
Romains des französischen Theaters. 246.
Roman, Französischer. i4Sflr. 160. 228. 234.
24O. 265. 321 ff. 382 ff.
— , Italienischer. 41 5 ff.
— , Spanischer. 210. 426.
— , — und italienischer Ritter- und Hirten-.
187. 199. 202. 209.
»Roman comique, Le« Scarrons. 235.
»Roman de la Momie« von Th. Gautier. 323.
Roman des Qucte du Saint Greal. 118.
»Roman russe, Le« von Vogii^. 369.
»Romancero general« Duräns. 343.
Romanen. 11.
Romanesca, Die. 190.
Romania, Entstehung der. 138.
— , Ausdehnung der. 447.
Romanisch, Verhältnis von, und Latein. 454.
Romanos, Mesonero. 346. 420.
Romantik. 435. 436,
— in Frankreich. 295 fr.
— in Italien. 334 ff.
— in Portugal. 347 ff.
— in Spanien. 344 ff.
Romanze. 168. 20 j. 201. 204.
Romanzen-Sammlungen, Spanische. 343.
Ronsard, Pierre. 226. 227. 228. 249. 251.
265. 311. 317- 319. 371- 37=-
Rosa, Salvatore. 197.
»Rose, Die«, Romanzyklus d'Annunzios. 414.
Rosenroman. 158. 223.
Rosmini, Antonio Graf, 335. 416.
Rosny, J.-H. 393.
Ross, Th. 100.
— , William. 107.
Ross Ahthre, Klosterschule von. 90.
Rosselli, Frau. 417.
Rossini, Gioachino Antonio. 303.
Rostand, Edmond. '408. 426.
Rotrou, Jean de. 236.
»Rouge, Le, et le noir« Stendhals. 326.
Rouget de Lisle, Joseph. 271.
»Rougon Macquart« Zolas. 386. *388. 390.
Roumanille, Joseph. 320. 379. 380.
Rousseau, Jean-Jacques. •22-;. 252. 254. •260.
204. 266. 269. 270. 272. 274. 282. 315. 324.
320. 333. 354.
Rovetta, G. 417.
RoyerCoUard , Pierre Paul. 305.
Rudel, Jaufr^. 155, 156.
Rudolf von Ems. 152
Rueda, Lope de. 214.
Ruiz, Juan. 201.
494
Register.
Rumänien. 290. 430.
Rumänisch. 453.
Ruman mac Colmain. 94.
Rußland, Einfluß von, auf die französische
Literatur. 369.
Rutebeuf. *i56. 165.
Rutter, Archidiakonus. 11 1.
»Ruy Blas« von V. Hugo. 329.
Ruzzante. 189.
S.
Saavedra, Angel de, Herzog von Rivas. 344.
*345- 346. 349-
Sacchetti. 180.
Sachsen. 12 18. 19. 30. 52. 53. 60. 99. 115.
Sängerschule, St. Gallener. 8.
Sagas, Isländische. 64.
Sagen, Irische. 82 ff.
— , Kymrische. 117 f.
Sagenerzählung in der Bretagne. 60.
— in Irland. 67 f. 80.
— in Wales. 59.
Sainete. 286. 287. 425.
Saint - Amant. 234.
Sainte-Beuve, Charles Augustin. 311. 313.
*3i9 352. *353. 356. 421.
St-Evremond. 249.
Saint - Hilaire , Geoffroy de. 306.
St. Pierre, Bemardin de. 263. 267.
Saint -Simon, Claude Henri Comte de. 306.
»Salammbo« von G. Flaubert. 323. *384.
Sales, Frangois de. 224.
Salesbury, William. 128.
Salmantiner. 287.
»Salome« von Wilde. 408,
Salons, Französische. 253.
»Saltair na Rann«, go.
Saltrey, Henry (?) von. 120.
Salvä. 343.
Samain, A. 378.
»Sämänätorül«. 433.
Sammelhandschriften, Altirische. 79.
Sancho Panza. 212.
Sanctis, Francesco De. 410.
Sand, George. 319. 320. 321. *323. 345. 346.
383. 384. 392
»Sang des Lateinervolkes« von Alecsandri. 432.
Sannazaro, Jacopo. 182. 191. 209.
Santillana, Inigo Lopez de Mendoza, Marques
von. 203. 439.
Sanz, Julian. 421.
»Sapho« von Daudet. 395.
Saragossa. 463.
Sarcey, Francisque. 403. 404.
Sardisch. 450.
Sardou, Victorien. 400.
Sarmatia. 463. 464.
»Satire Menippee«. 224.
»Satires« Boileaus. 241.
Saucourt, Schlacht von. 145.
Savonarola, Girolamo. 180.
Scarron, Paul. 210. 235. 237. 244. 247.
scelide. 57. 61. 62.
»Schädel, Der« von Buchanan. 109.
Schauspiel s. Theater.
Scheffel, Joseph Victor. 8.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph. 306.
Schelmenroman, Spanischer. 210. 228. 235.
Schenkung Konstantins. 179.
Scherer, Edmond. 352. *369.
Schiller, Friedrich. 140. 258. 263. 267. 288.
299. 300. 301. 302. 303. 327. 423. 424.
Schincai. 292.
»Schlacht von Finnträig«. 66. 95.
» Schlaf barden. Die Gesichte des« von Wynne.
128.
Schlegel, August Wilhelm. 299. 301. 344.
Schleiermacher, Friedrich Ernst Daniel. 297.
Schnaderhüpfel. 200.
Schneider, Sascha. 407.
Schopenhauer, Arthur. 208. 368.
Schotten. 33. 40. 70. 71. 72.
Schottische oder albanogälische Sprache. 102.
Schottland, Das Keltische in. *24. 40. 41.
51. 70. 98.
Schrift, Altbritische. 125.
— , Irische. 9.
— , Schottische. 98.
Schriftlateinisch. 454.
Schriftsprache, Französische. 150. 162. *468.
— , Italienische. 186 f. 336. *468.
— , Rumänische. 431. 469.
— in Spanien und Portugal; in Graubünden
und Tirol. 469.
»Schuster und König« ZorriUas. 349
Schwanenritter , Mythus vom. 147.
Schwank in der französischen Literatur. 152.
Schweiz, Literatur der französischen. 381.
— , Sprachverschiebungen in der. 448.
»Schwertfeger, Der, vonSantarem« von Garrett.
347.
Scott, Walter. 52. 160. 302. 308. 312. *32i.
325. 335- 339- 344- 346-
Scotti, Scottia. 18. 19.
Scottia minor. 19. 24. 25. 98.
Scribe, Eugene. 327. *330. 400.
Scuap Chräbuid (Scopa Devotionis) von Colgfu.
89.^
Scudery, Madeleine de. 234. 235. 236.
Scuola siciliana. 169.
Seaan von Knoidart. 99.
Seaforths, Clan der. 105.
Seandäna von J. Smith. 102.
»Secchia rapita« Tassonis. 195.
Secentismo. 194. 196. *I97. 275.
Second sight. 108.
Register.
495
»Secretum meuin« Petrarcas. 17s.
Sedaine, Michel Jean. 269. 285.
Sedulius Scottus. 8. 8q.
Seetreffen zwischen Elliot und Thurot, Gedicht
über ein. iii.
Seiscentismo. 207.
»Semaine, La« Dubartas'. 228.
Sem Tob. 423.
Senancourt. 302.
sencha. 57.
Sencha, Richter. 84.
Senchan Torpeist. 51.
Seneca. 18S. 193. 205. 215. 229. 241. 242. 250.
*Sepolcri<.< Foscolos. 333.
Septimius Severus. 138.
» Sepulture « Legouv^s 333.
Sepülveda. 204.
Serao, Matilde. 415.
Serapion. 92.
»Servitude et grandeur militaires« von A. de
Vigny. 322.
Servius 80.
Sestine. 155.
Settembrini, Luigi. 410.
S^ve. 226.
Sevembucht. 18. bi.
Severuswall. 18.
Sevilla. 220.
Sevilla. 464.
Seyssel. 222.
Shakespeare, William. 51. 218. 232. 243.
252. 254. 256. 263. 267. 268. 276. 280. 285.
297. 302. 303. 312. 327. 328. 331. 354. 408.
420. 437.
.Shelley, Percy Bysshe. 414.
Sheriffmuir, Schlacht von. 104.
Shropshire, Grafschaft. 28.
Sidneys .>Arcadia«. 234.
Siebenbürgen. 431.
Sigmondi. 439.
Signorelli, Luca. 174.
»Silvanirec Mairets. 235.
Simwnt Vychan. 124. 125.
Sinclair, A. Maclean. 103.
Singspiel, Französisches. 269.
— , Spanisches. 286.
Sinlan, .Abt von Bangor. 5.
Siön Kent. 124.
Siön Tudur. 124.
Sirmium. 139.
Sirventes. 144. 155. 156.
Sittenkomödie s. Tendenzdrama.
Skandinavien , Einfluß von , auf die franzö-
sische Literatur. 369.
Skene, W. J. 11«;.
»skimble-skamble«'. 116.
Skolien, Walisische. 127.
Smith, J. 102. 108.
Soci^t^ polie in Frankreich. 233. 235.
>Soeur Philomt!;nc<' von E. und J. (joncourt.
3«.S.
Somerset. 30.
Sonett. 168. 169. 182. 226. 241.
Soniou s. Volkslied, Bretonisches.
Sophokles. 188. 241. 242. 250. 420.
Sophonisbe. 229.
— Mairets. 235.
;•> Sotilega <^ Peredas. 427. 428.
Sotties. 167.
Soulary. 320.
Souvestre, Emile. 136.
Sozialismus in der französischen Literatur. 306.
Spanien. 142. 200. 419 ff.
— , Mundarten von. 452.
— , Einfluß von, auf die italienische Literatur.
187. 19«.
— , Französischer Einfluß auf. 282.
— , Germanischer Einfluß auf. 141.
Spanier. 140.
Spanisch. 452.
»Spectacle dans un fauteuiU' von A. de Musset.
331-
»Spectator«. 254.
Spencer, Herbert. 368.
»Spiegel der Beichte«. 133.
»Spiegel des Todes«. 133.
Spottlieder, Bardische. 50.
— , Französische. 144.
Sprachen, Die romanischen. 142. '447 ff.
Sprachverein, Italienischer. 419.
Sprichwörter, Mannische, iii.
— , Schottische. 108.
— , WaHsische. 127.
Stabiae. 462.
Stael, Germaine Necker baronne de. 254.
250. 260. 272. 294. 295. •298. 31 -• 334-
337- 349- 352. 369. 397- 43<'-
Stammesgeschichten, Irische. 80.
Statius, P. Papinius. 149.
Statuta de Rothelan. iio.
Stegreifdichtung, Italienische. 198.
Stegreifposse, Italienische. 195. 199. 214.
»Stello« von A. de Vigny. 322. 328.
Stendhal s. Beyle, Henri. 298.
»Stern, Der,« von Eminescu. 434.
Sterne, Lawrence. 203.
Stewart von Killin, James. 109.
— von Luss, John. 109.
Stil, Der süße, neue. 170. 171.
Stokes, Whitley. 74.
Stone, Jerome. 'og. 100.
»Storia dcUa letteratura italiana« von De
Sanctis. 410.
/•Storia delle Belle Letterc in Italia« von
Giudice. 332.
> Stoßkarren des Essigmannes« Merciers. 209.
496
Register.
Stowe Missal. 79.
Strabo. 55. 56.
Straparola. 188.
Strauß, David Friedrich. 358.
Streitgedicht, Höfisches französisches. 144.
Strophe, Irische. 63.
Stuart, John Roy. 105.
Stuarts, Haus der. 26.
Südfrankreich, Germanischer Einfluß in. 141.
Südfranzösisch. 452.
Sully - Prudhomme , Rene - Frangois - Arm and.
317- *373- 378. 400.
»Suspiros e saudades« Magalhäes'. 348. 350.
Swift, Jonathan. 256.
»Syllabus«. 368.
Symbohsten. 375. 407.
»Systeme de la nature« Holbachs. 259.
T.
Tacitus, P. Comehus. 56. 256.
Tadg Mör hüa Cellaig (O'Kelly). 9-^^.
Taglied. 144.
Taillandier, Saint-Rene. 303. 368.
Täin Bö Cüalngi s. Rinderraub von Cualnge.
Taine, Hippolyte. 306. 308. 327. *354. 357.
361. 362. 365. 367. 368. 387. 396.
Taldir = F. Jaffrennou.
Tahessin. 46. 52. 114. *ii5. 116. 119.
Tamayo y Baus, Manuel. 424.
Tansillo. 188. 195.
Tanz im alten Frankreich. 143.
Tartanplaid. 105.
»Tartuffe« MoH^res. 244. 245.
Tasso, Torquato. 188. 190. *I92. 194. 195.
206. 207. 215. 220. 277. 287.
Tassoni, Alessandro. 193. 195. *I96. 198. 233.
Taylor. 254.
Teachdaire gaelach, An. 109.
»Teatro espanol anterior ä Lope« Böhls de
Faber. 344.
Tecosca Cormaic. 93.
»Telemach« Fenelons. 240. 249. 252.
»Temora«. 100.
»Temps, Le, et la vie« von Adam. 393.
Tendenzdrama. 401 f. 406. 417.
Tennyson, Alfred Lord. 16.
Terentius Afer, P. 10. 183. 215. 229.
Teresa de Jesus. 207. 208.
Teresah, Frau. 417.
»Terra, La, dei morti« Giustis. 340.
»Terre, La« von Zola. 398.
Terzine. 168.
Testament, Altes, in bretonischer Sprache. 136.
— , — , in irisch-gälischer Sprache. 90.
— , — , in kornischer Sprache. 132.
— , — , in Manx. iio.
— , — , in schottisch-gähscher Sprache. 41. 109.
Testament, Neues, in bretonischer Sprache.
136.
-, in irisch-gälischer Sprache. 40. 90.
-, in komischer Sprache. 132.
-, Luthers Übersetzung. 40.
-, in Manx. iio.
-, in schottisch -gälischer Sprache. 41.
109.
— , — , in walisischer Sprache. 128.
»Testament, Das, des Morann mac Möin an
seinen Sohn Feradach«. 93.
»Teufel, Der hinkende« V. de Guevaras.
208.
Texte, J. 370.
Theater, Bretonisches. 133. 134.
— , Deutsches. 300.
— , Französisches. i62ff. 228ff. 235f. 242ff.
267 ff. 327 ff. 400 ff.
— , Hof-, zu Ferrara. 183.
— , ItaUenisches. 181. i88ff. 195. 276. 338.
340 416.
— , Komisches. 131.
— , Rätisches. 290.
— , Rumänisches. 293.
— , Spanisches. 213 ff. 284ff. 345 ff. 423 ff.
— , Waüsisches. 125 f.
»Theätre, Du« Merciers. 269.
»Theätre en liberte« von V. Hugo. 329.
Theatre-libre Antoines. 404.
Theätre de l'CEuvre. 405.
Theben, Sage von. 149.
Thermopylen. 17.
Thesenstück s. Tendenzdrama.
Thessalien. 17.
Theuriet, Andrd. 392.
Thibaut IV., König von Navarra. 156.
Thierry, Augustin. *3o8. 366.
Thiers, Louis -Adolphe. 305. '307. 311
Thomson, James. 263.
Thrakien. 17.
Tiberius, Kaiser. 47.
Tieck, Ludwig. 301.
Tierepos, Französisches. 152.
Tiermärchen, Tiersage. 153.
Tigernach, Abt von Clonmacnois. 85. 86.
Tillier, Claude. 305.
Tiraboschi, Girolamo. 273.
»Tirant lo blanch«. 199.
Tirso de MoUna. 219. 346. 347.
Tizian, Vecellio. 187. 192.
Tocqueville, Alexis, de. *3o8. 367.
Tod der Söhne Uisnechs und der schönen
Deirdre. 98.
Toleranzedikt s, Nantes, Edikt von.
Tolstoi, Leo Graf. 324. 356. 369. 370. 389.
404. 414.
Tommaseo, Niccolo. 339. *340.
Torna, Barde. 94.
Rcffister.
497
Torrcs de Naharro, Bartolom^. 214. 215.
Torrien, A. ißo.
Totcnklagc um Curoi mac Dari. 4(1. 1 1 5.
— um Köniy Niall. . 94.
— um Tadg Mör hOa Cellaig. 04
Totentanz. 160.
Totman. 0.
Toulouse, Dr. 366. 340.
Traditionalismus. 396.
»Tränen des heiligen Petrus« Tansillos. 193.
Tragikomödie. 229. 23?;. 237.
Tragödie s. Theater.
Transactions of the Gaelic Society of Invcmess.
109.
Traum des Maxen Wledig. 117.
— des Rhonabwy. 117.
Travers. 2S9.
»Tresor du felibrige« Mistrals. 380.
Trcguier. 42. 134. 448.
Triaden, Altirische gnomische. 93.
-, Walisische. 127.
triban. 115.
*Trionfi« Petrarcas. 174.
»Trionfo della morte«' d'Annunzios. 414.
Trissino, Giangiorgio, löy. •ib8. 191. 192. 229.
Tristan und Isolde. 118. 148.
»Tristi amori<,' Giacosas. 417.
»Trois fiUes, Les, de M. Dupont« von Brieux.
406.
Troja, Geschichte von. 149. 292.
«.Trophees, Les« von Heredia. 373.
Troubadours. •154. i'i9. 202. 468.
Troude, 136.
Trouv^res. 1 56.
•Trovador« von Gutierrez. 343.
Trovatori. 109.
Troyes. 464.
Trubert. 152.
»Trunkenheit der Ulsterleute«. 69.
Tschudi, Aegidius. 288.
TQatha De Donann. 80. 83.
Tudur Aled 124.
Tuotilo von St. Gallen. 8.
Turgenieff, Iwan. 323. 324. 357. 3O9.
Turlogh O'Carolan. 51.
Turoldus. 147.
Tyard. 226. 227.
Tynwald. 27
U.
Übersetzungen der antiken Literatur, Fran-
zösische. 222.
- der Ii^annati, Fraruösische. 220.
— , Rumänische. 293.
Uhland, Ludwig. 153. 303. 30»». 431.
Uisnech. 98.
Ulbach, Louis. 382.
Ulster. 20. 83. 86. 101.
Dn Kultur diu Giocmwart I. it. i.
Umbrisch, Einfluß des, \m Lautsystem der
italienischen Mundarten 437.
vUniversalthcater* Keijöos. 283.
»Unmöglichste von allen. Das« Lopcs de
Vega. 217.
»Unterhaltsame Reise« Rojas'. 210.
»Unterhaltung der Alten, Die«. 68. 85. 95.
Urard mac Coise. 57.
I Urien Reged. 115.
»Urteile, Falsche« Caratnias 88.
»Utopia« Morus". 222.
Väcärescu, J. 293.
Valdds, Juan de. i88. 207. 210.
— , A. Palacio. 427.
Valencia. 142.
»Valentine« von G Sand. 323.
Valera, Juan. 426.
Valla, Lorenzo 179.
Valladolid. 220.
.>Valsoldao von Fogazzaro 413.
Vandalen. 139.
Vanini. 196.
Vannes, Diözese. 31. 43. 134. 448.
Varano. 2tSo.
Vaten. 35. 46. 47. »33.
Vaudeville. 165. 218. 246. 330.
Vaugelas. 232.
Vaughan, Robert. 114.
Vauvenargues , Luc de Ciapier, marquis de.
200.
Vega Carpio, Felix Lope de. 193. 205. 210.
•215. 2iq. 220. 238. 2S4. 285. 423.
»Veglie, Le, di Neri« von Fucini. 413.
Vegliotisch. 451.
Veilchenroman. 149
vehs. 56.
Venantius Fortunatus. 50.
»Venus d'Ille*' Merimees. 322.
»Verbrechen des Philologen Sylvestre Bon-
nard«, von France. 399.
Verdi, Giuseppe. 345.
Verga, Giovanni. 415. 416.
.>\'ergangene Tage« von Ganca. 432
VergiUus Maro, F. 4. 10. 67. 80. 85. 130.
149. 173. 175. 178. 188. 192. 193. 2o6. 228.
224. 246. 250. 279.
Verhaeren, Emile. 379.
Verismus. 333. 415.
Verlaine, Paul. 373. 370. '377.
»Verre d'eau, Le« von Scribe. 330.
Verri. 275.
vers libres. 376.
Verso sciolto. 279. 280. 333.
Verv-ins, Friede von. 221.
»Verwandlungslied« der Magal^. 289
498
Register.
Vespasian. 47.
Viaud, Julien = Loti, Pierre.
Vicente, Gil. 213. 214.
Vico, Giovanni Battista. 273. 309.
Victor Emanuel von Italien. 410.
Victoria, Tagebücher der Königin. 109.
Vidal, Peire. 155.
»Vie de Jesus« Renans. 358. 361. 368.
»Vie litteraire, La« von France. 364.
»Vie parisienne« von Offenbach. 400.
Viele-Griffin. 378.
Vierzehnsilbler, Spanischer. 200. 201.
Vigny, Alfred de. *3i6. 321. 322. 327. *328.
341- 372. 433- 462.
Vikinger. 63. 68. 81. 84. 86.
Villani, Giovanni. 170.
-villard, -ville, -viller in Ortsnamen. 464.
Villemain, Abel Frangois. 301. 306.
Villemarqu^, Th. H. de la. 134.
Villers, Charles. 264. 299. 349.
»Villes, Les trois« Zolas. 389.
Villon, Frangois. 95 *i6i.
Vinci, Leonardo da. 183.
Vinet, Alexandre. 369 f.
»Vinti, I« Vergas. 415.
»Vip^re« Lecontes. 372.
Virgil, der Ire, der Geometer 7.
»Virginia« von Tamayo y Baus 424.
Visio Fursaei und V. Tnugdah. 72. 90.
— Fulberti. 124.
»Vision de fray Martin« von Nunez de Arce.
423-
»Vision des Mac Conglinne«. 90.
Visionen in der Literatur Irlands. 72 87.
90.
»Visioni« Varanos. 280.
»Visions, Les«, Lamartines. 315.
»Vita nuova« Dantes. 171. 176.
Vives, Luis. 220.
Vlähutä, A. 434.
Völkerwanderung. 435. 436. 451.
Vogüe, Melchior de. 369. 409.
Voiture, Vincent de. 234.
Vokahsmus des Altkeltischen. 37.
— des Irischen und Britischen. 43.
»Volere e potere« Lessonas. 418.
VolksHed, Bretonisches. 135 f.
— , Französisches. 162. 376.
— , Irisches. 95.
— , Italienisches. 168.
— , Rätisches. 289.
— , Schottisches. 99. 100. 107.
Volksliteratur, Deutsche. 300.
— , Französische mittelalterhche. 143.
— , ItaUenische mittelalterhche. 168.
— , — des Humanismus. 180.
— , Rumänische, 291 f. 432.
— , Spanische mittelalterhche. 200.
Voltaire, Frangois Marie Arouet. 230. 232.
252. 253. 254. *255. 259. 265. 267f. 274.
276. 278. 280. 282. 293. 352.
»Voyage en Amerique« Chateaubriands 296.
»Voyage de M. Perrichon« von Labiche 400.
»Voz do propheta« von Herculano. 348.
Vulgärlatein. 454.
w.
Wace. 15. 60. 63.
Wagner, Richard. 16 308. 373. 376.
»Wahnsinn oder Heiligkeit?« Echegarays.
425-
Walachisch. 453.
Wales. 12. 19. *27. 40. 42. 45. 47. 51. 54.
58. 60. 61. 62. 70. 71. 72.
WaHser s. Kymren.
Wallace, William. 41.
Walther von der Vogelweide. 157.
»Wanderung der lästigen Schar, Die«. 51.
Watteau, Antoine. 251
Weihnachtsspiel. 164. 213.
Weisen, Die sieben, von Rom. 121.
W^elsche. 139. 140. s. auch Wales.
»Welt, Kleine, der Gegenwart« und »der
Väter« von Fogazzaro. 415.
Weltliteratur. 294. 350.
Weltschmerz. 266.
»Werben um Etain, Das«. 68.
Werner, Zacharias. 300. 301. 302.
»Werther« Goethes. 266. 332. 344.
Westgoten. 139. 140. 141.
Widmann, Josef Victor. 316.
Wieland, Christoph Martin. 281. 299.
Wilde, Oskar 408.
Wilhelm der Eroberer. 14. 15.
Wilhelm von Poitiers. 153.
Willehalm. 148.
Williams, Edward. 48. 125.
— , William. 128,
Wilson, Th. iio.
Winckelmann, Johann Joachim. 264.
»Winter, Der« von Buchanan. 109.
Wörterbuch der Academie Frangaise. 232.
— der Königl. spanischen Akademie. 283.
Wolfram von Eschenbach. 15. 148. 152
Wortschatz, Gallische, iberische, griechische,
germanische und arabische Einflüsse im
romanischen. 458 ff.
— , Romanischer, 461 f.
»Wunsch, Der, des alten Barden«. 102.
Wyn, Eifion. 77.
Wynne, Ellis. 128.
Young, Bischof. loi.
— , Edward. 264. 287.
ystorawr. 59.
Repister.
Zacharias, Papst. 7.
Zarte. 190. 217.
Zanella, Giacomo. 411.
Zdrate, Gil de. 345.
Zarzuela. 2S6. 425-
Zeitschriften, Gälische. 100.
Zeitungen, Französische. 231.
— , — , im 19. Jahrhundert. 311.
Zendrini, Bernardino. 411.
499
09.
»Zerstörung von Da Dergas Palast«.
72-
»Zerstörung Trojas, Die*. 62. 85.
Zeuß, Caspar. 3. 11. 74.
Zola, Emile. 314. 320. 336. 353. 355. 368.
385. »380. 391. 392. 393. 398. 403. 414-
41S. 427- 429.
Zorrilla, Jos^. '348. 350. 420. 423.
Zschokkc, Johann Heinrich Daniel. 302.
»Zunge, Die ewig neue«. 90.
Seite
154 Zeile
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200
324 ,.
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34« ff. lie
ERRATA.
7 u. 10 lies Ludwig VII. statt VI.
30 Compostela statt -ella.
27 lies Eliot statt Elliot.
35 (1852) statt (1892).
35 den Sänger statt dem Sänger.
20 lies Magalhäes statt Magelhäcs; ebenso 350; i.
Druck von B. G. Teubner in Dresden.
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