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Full text of "Die Saga von Hrafnkell Freysgoði: Eine isländische Geschichte aus dem 10. Jahrh. N. Chr.: aus ..."

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t^ 




DIE SAGA 



von 



HRAFNKELL FREYSGOBI. 



Eine islänilisGlie aescMclite ans üei 10. JalirL n. Cbr. 



Aus dem altisländischen Urtexte 

zum erBtenmale in^s Deutsche übersetzt und mit ausführlichen 
Erläuterungen nebst einer kurzen Einführung in die isländische 

Sagaliteratur versehen 



von 



DR- HEINRICH LENK, 

Amanuensis der k. k. Hofbibliothek in Wien. 




VV^IEN 1883. 

"Vorlag von Oarl IC o n e g e n 

(Franz Leo & Comp.) 



Hefnrichfihof. 



Herrn 

JOSEF CALASANZ POESTION 

Sol&riftsteller, 

aus Dankbarkeit 
für vielfache Anregung und Belehrung 

zugeeignet. 



.-ü- 



„Islands Literatur ist der an verwitterte Runenstein, 
in welchen der nordische Geist in tiefen, ewig lesbaren, 
unauslöschlichen Zügen die Erinnerung seiner Vorzeit ein- 
gegraben hat." 

O. F. Koppen. 



(Litenur. Einleitong In die nord. Mythologie. Berlin 1887. OcUv. Seite 28. 



X 

^ 



{ 



Inhalt. 



Seite 

Vorrede. 

Kurze Einführung in die isländische Sagaliteratur 1 

Einleitung in die Saga von Ilrafnkell Freysgodi 23 

Die Saga von Hrafnkell Freysgodi. (Sagan af Hrafnkeli Freys- 

goda.) Aus dem Alt-Isländischen zum erstenmale in's Deutsche 
übersetzt 31 

Erläuterungen 73 

Beilage. Ueber die Heiraten und das eheliche Leben auf Island 

in der heidnischen Zeit. (Im Anschlüsse an Capitel 2 der 

Hrafnkels saga.) 127 



Berichtigung. 



Die Verweisung auf Erläuterung 92 (Seite 63) gehört in Zeile 4 
von oben (nach „prunkliebender Mann*'). 



Vorrede. 



Vorliegende kleine Arbeit möchte sich in Zweck und 
Abfassung zunächst den wenigen bisher erschienenen Ueber- 
setzungen isländischer Sagas, namentlich den neuesten von 
Kölbing, ^ Willibald Leo^ und Poestion^ anreihen dürfen 
und vor allem dazu beitragen, den gewaltigen Schöpfungen 
des altisländischen Volksgeistes auch ausserhalb des Kreises 
der Fachgelehrten beim deutschen Lesepublicum Freunde 
zu gewinnen. Ausserdem aber beabsichtigte ich noch, durch 
meine üebersetzung auch ein brauchbares Hilfsmittel zum 
Verständnisse des isländischen Grundtextes zu schaffen, wes- 
halb mein Bestreben war, nicht so sehr elegant, als viel- 
mehr so treu als möglich zu übersetzen, um allen jenen, 
welche das Original entweder gar nicht oder doch nur mit 
Schwierigkeiten lesen können, durch einen zuverlässigen 
deutschen Text einen annähernden Ersatz hiefür zu gewähren; 



^ Die Geschichte von Gunnlaug Schlangenzunge. Aus dem isländi- 
schen Urtexte übertragen von Eugen Eölbing. Heilbronn 1878. Octav. 

^ Die Hovard Isfjordings-Sage. Aus dem altisländischen Urtexte 
übersetzt von Willibald Leo. Ebenda 1878. Octav. 

3 Fridthjofs Saga. Aus dem Alt-Isländischen von Jos. Cal. Poestion. 
Wien 1879. Octav. (Auch von Willibald Leo im gleichen Jahre übersetzt 
erschienen.) 



— vm — 

besonders hatte ich hiebe! Freunde der nordischen Rechts- 
kunde im Auge. Ich bin mir der Schwierigkeiten einer 
solchen Aufgabe sehr wohl bewusst; zumal dieselben erst 
neuerdings von einer höchst massgebenden Autorität auf 
diesem Gebiete in folgender treffenden Weise hervorgehoben 
wurden: „Es verwischt jede Uebersetzung den Reiz, den 
die so ausgebildete sögur-Sprache auf den Leser ausübt . . . 
Eine angenehme Form herzustellen, die noch das Original 
durchschimmern lässt, gut deutsch ist und zum Stoffe passt, 
halte ich für eine eminent schwierige Aufgabe; wird sie 
gelöst, so darf man raschen Eingang der sögur in Deutsch- 
land erwarten, vielleicht auch ein ausgebreiteteres Studium 
der Originale selbst. Eher zu erwarten scheint mir jedoch 
die Einführung, freilich eines engeren Kreises, in die Saga- 
Uteratur durch die Uebersetzungen, wenn sie als leicht zu 
beschaffende Hilfsmittel zum Verständnisse des isländischen 
Textes benützt werden wollen; an sie werden dann vor 
allem keine sehr grossen ästhetischen Forderungen gestellt 
werden müssen, wohl aber dürfte man richtiges Verstehen 
und präcise Wiedergabe des Originales von ihnen ver- 
langen."^ Letztere Bemerkungen enthalten das Ziel, welches 
ich meiner Aufgabe steckte und worüber noch des näheren 
auseinanderzusetzen mir gestattet sein wolle. 

Von der Ueberzeugung ausgehend, dass nur durch 
möglichst getreue Wiedergabe des Originales dessen 
ureigenartiger Typus und Ton auch der deutschen Ueber- 
setzung — bis zu einem gewissen Grade — erhalten werden 
könne, war ich — wie bereits bemerkt — bemüht, so treu 
als nur immerhin möglich zu übersetzen, d. h. das Original- 
so weit wörtlich wiederzugeben, als es geschehen konnte, ohne 



^ Oskar Brenner im „Literaturblatt für germanische und romanische 
Philologie*'. Jahrgang 1880. Seite 207. 



— IX — 

der deutschen Spräche Gewalt atizuthun und dadurch die 
Uebersetzung unlesbar erscheinen zu lassen. 

Ich schliesse mich ganz und gar dem Ausspruche 
eines anerkannten Uebersetzers isländischer Poesie und 
Prosa an, welcher dahin lautet: ^An dem Ausdrucke mehr 
als unumgänglich nöthig ist, bessern und modernisieren zu 
wollen, hiesse demselben einen guten Theil seiner so reiz- 
vollen Eigenart nehmen."^ Demgemäss bin ich auch von 
dem Wortlaute des Originales nur da abgewichen, wo die 
syntaktischen Verschiedenheiten der isländischen und deut- 
schen Sprache einen engeren Anschluss beider nicht er- 
möglichten; namentlich konnte die abgerissene, sogenannte 
parataktische Satzverbindungsart mit der daraus resultieren- 
den Interpunktionsweise, ferner die dem Isländischen eigen- 
thümliche, überaus häufige Anwendung des historischen 
Präsens in der deutschen Uebersetzung nicht sklavisch nach- 
geahmt werden, weil diese dann undeutsch erscheinen müsste. 
Wo ich ausserdem — übrigens in nur wenigen Fällen — 
von der wörtlichen Verdeutschung abzugehen gezwungen 
war, habe ich durch sinngetreue Umschreibung dem Ori- 
ginale so nahe als möglich zu kommen gesucht und meist 
in der Anmerkung die wörtliche Uebersetzung beigefügt, 
sowie zum Verständnisse des Sinnes nothwendige Ein- 
schaltungen in ( ) gesetzt.^ 

Bezüglich derOrthographieder isländischenEigen- 
namen (Orts- und Personennamen) habe ich nach reiflicher 
Ueberlegung gegen die von den meisten meiner Vorgänger 
in Anwendung gebrachte danisierende oder verdeutschende 
Schreibweise entschieden Front gemacht und dieselben in 



^ Jos. Cal. Poestion in seiner bereits angeführten vorzüglichen 
Uebersetzung der „Fridthjofs Saga*', Einleitung Seite XIV. 

^ Nur die eingeklammerten Sätze auf Seite 41, 56 und 58 gehören 
als solche dem Originale an. 



der unveränderten Originalform auch in der lieber- 
Setzung beibehalten, mit der einzigen Ausnahme, dass die 
Runel^(torn) der Gleichmässigkeit der Schrift halber durch Th 
wiedergegeben wurde, (während d in dieser Form unver- 
ändert blieb). Zur Rechtfertigung dieses Vorganges dürfte 
wohl schon der Hinweis auf die gewichtigste Autorität eines 
Eonrad Maurer genügen, der bei allen in seinen zahlreichen 
Werken übersetzten Stellen isländischer Sagas, sowie in 
seinen „isländischen Volkssagen der Gegenwart" dasselbe 
Verfahren beobachtet hat;^ ausserdem aber ergibt sich das 
Ungereimte einer theilweisen oder gänzlichen Verdeutschung 
isländischer Ortsnamen jedem Kundigen bald von selbst. 
Uebersetze ich z. B. die geographische Bezeichnung „ Jökuls- 
dalr" mit „Jökulsthal", so ist nur der zweite Theil des 
Oompositums übersetzt und ich erhalte so ein halb isländi- 
sches, halb deutsches Wort; wird nun aber auch der erste 
Theil, somit das Ganze folgerichtig mit „Gletscherthar' 
wiedergegeben, so geht die geographische Species als solche 
gänzlich verloren, es bleibt der Gattungsbegriff zurück, mit 
welchem der Leser auf der Landkarte absolut nichts anzu- 
fangen weiss. ^ — Auch zu der sonst beliebten Danisierung 
oder Germanisierung der isländischen Personennamen 
habe ich mich nicht entschliessen können, da mir dieselbe stets 
als eine ungerechtfertigte Willkür erschienen ist, gerade so, 
als wenn man z. B. englische oder französische Wörter durch- 

^ Maurer behält aach }) und d unverändert bei und bildet den 
Genitiv auf isländische Weise — z. B. Thorleifs, was ich unterlassen 
habe, da wir ja im Deutschen das Fremdwort fast stets nach unserer Weise 
declinieren. Wir sagen z. B. Juno*s Tempel, nicht Junonis u. s. w. 

^ Sehr richtig hat Oskar Brenner a. a. O. Seite 210 bemerkt: „Die 
Ortsnamen hätte man nicht ändern sollen, sie haben ja nicht den Ort 
zu beschreiben, sondern zu bestimmen. Der Leser weiss mit „Wasserthar*, 
„Langflussthal" . . . nichts anzufangen" u. s. w. 



— XI — 

aus nach deutscher Art aussprechen wollte. Ich schreibe 
daher ^der Jökulsdalr" u. s. w. und gebe lieber in der 
Anmerkung eine Worterklärung; ferner heisst es bei mir 
Eyvindr Bjamason^ nicht Eyvind Bjameson etc. 

Sachliche Erklärungen sind in den „Erläute- 
rungen" gegeben, aufweiche ich besonderen Fleiss verwendet 
und daher zu hoffen wage, dass man nichts Wesentliches in 
denselben vermissen werde. Manchem wird darin vielleicht 
des Guten zuviel erscheinen. Dagegen erlaube ich mir zu 
bemerken, dass es mein Bestreben war, das innere und 
äussere Leben des isländischen Freistaates damaliger Zeit, 
soweit nur die vorliegende Saga Gelegenheit hiezu bot, nach 
allen Richtungen zur Anschauuilg zu bringen, um das Interesse 
für das nordische „Land der Wunder und Sagen" nach 
Möglichkeit zu fördern; deshalb trug ich auch kein Be- 
denken, bei sich ergebendem Anlasse, die Zustände der 
Gegenwart zum Vergleiche heranzuziehen. Die mir zugäng- 
lichen Quellen und sonstige Hilfsmittel — leider waren es 
nicht alle! — aus welchen ich schöpfte, habe ich stets vom 
Texte getrennt angeführt, um dem Leser, dem die Mittel 
zu weiterer Belehrung erwünscht sind, dieselben an diß Hand 
zu geben ~ zum Theile auch, um mich selbst zu recht- 
fertigen. 

Die „kurze Einführung in die isländische Saga- 
literatur", welche den ersten Abschnitt vorliegenden Büch- 
leins bildet, hat nur den Zweck, dem mit der Sagaliteratur 
völlig unbekannten Leser die nothwendigste Bekanntschaft 
mit derselben zu vermitteln und versucht daher, in Kürze 
die Eigenart dieser merkwürdigen Literaturgattung zu 
charakterisieren; selbstverständlich kann dieselbe weder auf 
strenge Wissenschaftlichkeit, noch auf — auch nur theilweise 
— Vollständigkeit des Mitgetheilten, sondern einzig und 
allein auf Richtigkeit der gemachten Angaben nach den 



— xn — 

neuen Forschungen hierüber den Anspruch erheben. Die 
„Einleitung'' in die Saga selbst möchte nur dasjenige vor- 
angeschickt wissen; was zur Orientierung über dieselbe im 
ganzen für weitere Ejreise erforderlich schien. 

Noch erübrigt mir anzuführen^ dass ich die beiden mir 
zugänglichen dänischen Uebersetzungen der Saga, 
sowohl die sehr wörtliche Westergaard's, als auch die 
freiere F. W. Horn's (siehe unten Seite 28, 29) sorgfältig 
mit dem Originale verglichen habe und beiden manches, 
sehr vieles aber den höchst belehrenden Anmerkungen des 
neuesten norwegischen Herausgebers der Saga, Sommer- 
feit (siehe Seite 28) zur Berichtigung meiner Uebersetzung 
zu danken habe; ich bemerke dies besonders zu meiner 
Rechtfertigung den Fachgelehrten gegenüber^ falls meine 
kleine Arbeit, welche durchaus nicht für solche ge- 
schriebea ist, von einem derselben der Beachtung gewürdigt 
werden sollte. Dem bekannten isländischen Dichter und 
Gelehrten, Herrn Professor Steingrimur Thorsteinsson 
in Reykjavik, bin ich ebenfalls zu grossem Danke verpflichtet 
für seine ebenso bereitwillige als ausAihrliche Beantwortung 
mehreu^r auf meine Arbeit bezüglichen Anfragen. Ferner 
gereicht es mir zur besonderen Freude, meinem sehr ver- 
ehrten Freunde Herrn Josef Calasanz Poestion, dem 
gewiegten Kenner des skandinavischen und classischen Alter- 
thumes, dem bekannten neuesten Uebersetzer der „Frid- 
thjofs Saga*' und Autor vieler anderer trefflichen Werke, der 
mir aus dem reichen Schatze seines Wissens und seiner 
Bibliothek eine Fülle von Anregung und Belehrung in 
liebenswürdigster Bereitwilligkeit zukommen liess^ an dieser 
Stelle meinen wärmsten Dank hiefür auszusprechen und 
ihm diesen bescheidenen Erstlingsversuch widmen zu 
dürfen. Schliesslich gebührt auch der geehrten Verlags- 
handlung mein aufrichtiger Dank für die geschmackvolle 



— xm — 

Ausstattung des Werkchens. — Möge mein Büchlein eine 
wohlwollende Aufnahme beim literaturfreundlichen Publicum 
und eine nachsichtige Beurtheilung seitens der berufenen 
Kritik finden und dazu beitragen^ das Interesse für die 
herrlichen Geistesschöpfungen der uns stammverwandten 
Kordlandsbewohner zu erhöhen^ worin ich meinen schönsten 
Lohn für die nur aus Liebe und Begeisterung für das 
skandinavische Alterthum unternommene Arbeit finden würde. 

Wien, im Februar 1883. 

Dr. H. Lenk. 



Kurze Einführung 



in die 



isländische Sagaliteratur. 



Hrafokell. 



Einige Bemerkungen über die Sprache, in welcher uns 
die Sagaliteratur überliefert wurde, sowie über deren Heimat> 
mögen zunächst gestattet sein. 

Diese Sprache heisst die isländische, genauer alt- 
isländische, auch altnorwegische oder altnordische (islän- 
disch „dönsk tunga" oder „norroen tunga", ^norroent mil"; 
dänisch „det oldnorske" oder „oldnordiske Sprog", schwe- 
disch „det fornskandinaviska spräket"). Dieselbe gehört zu 
den germanischen Sprachen und bildet mit der dänischen, 
norwegischen, schwedischen und färöerischen Sprache 
die besondere Abtheilung der nordgermanischen oder skandi- 
navischen (auch „nordischen") Sprachen, welchen das Hoch- 
und Niederdeutsche,Holländisch-Vlämische undEng- 
lische als südgermanische oder deutsche Sprachen gegen- 
über stehen; das ausgestorbene Qothische bildete eine 
dritte, ostgermanische Abtheilung. Skandinavier, Deut- 
sche (Germanen im engeren Sinne des Wortes) und Gothen 
sind nach den Ergebnissen der Sprachvergleichung die drei 
Hauptäste des grossen germanischen Völker- und Sprachen- 
stammes, der von Asien her in Europa einwandernd sich 
wahrscheinlich zuletzt, vielleicht im ersten Jahrhundert n. Chr., 
auch in den skandinavischen Ländern (Schweden, Norwegen, 
Dänemark) angesiedelt hat.^ 



1 P. A. Manch, Det norske Folks Historie. F0rste Deel, 1. Bind. 
Christiania 1862. Octav. pag. 6, 7. — K. v. Keyser, Nordmaandenes Videnska- 
belighed og Literatur i Middelalderen (Efterl. Skrifter) 1. Band. Chri- 
stiania 1866. Octav. Seite 28. 

1* 



— 4 - 

Sowie mit allen germanischen überhaupt zeigen die skan- 
dinavischen Sprachen sich natürlich besonders untereinander 
nahe verwandt. Diese Verwandtschaft war in früherer Zeit 
eine noch weit innigere, als heutzutage. Auf Grund der 
erhaltenen Sprachdenkmäler sowie anderweitiger ausdrück- 
licher historischer Zeugnisse müssen wir sogar als gewiss 
annehmen, dass einst im ganzen skandinavischen Norden 
nur eine nordgermanische Sprache geherrscht hatte; 
dieselbe bezeichnet man gewöhnlich als ur- oder gemein- 
nordische, auch urskandinavische Sprache. Diese sprach- 
liche Einheit mag vom Beginn der Niederlassung der Ger- 
manen in Skandinavien bis zum Ende des 8. Jahrhunderts 
n. Chr. sicher angedauert haben. Von da ab, also etwa seit 
Anfang des 9. Jahrhunderts^, spaltete sich die bisher ein- 
heitliche urskandinavische oder urnordische Sprache in zwei 
Hauptformen: Das Westnordische (VSTestskandinavische) 
oder Altnorwegische und das Dstnordische (Ostskan- 
dinavische) oder Alt-Dänisch-Schwedische. Aus letzterem 
entwickelten sich im Laufe des Mittelalters die neuere (gegen- 
wärtige) dänische und schwedische Sprache; das Altnorwegi- 
sche hingegen wurde infolge der späteren Vereinigung Nor- 
wegens mit Dänemark (seit 1380, bis 1814) allmählich von 
dem Dänischen verdrängt (welches seither bis heute die 
Sprache der gebildeten Classe Norwegens geblieben ist) und 
hat sich nur im Munde des Landvolkes, vielfach abgeschwächt 
und in zahlreiche Dialekte gespalten (als sogenanntes ,,Lands- 
maar', d. h. Landessprache) bis jetzt erhalten.^ Doch fand 
die altnorwegische Sprache fern von dem Mutterlande eine 
neue Heimat, und zwar auf Island, woselbst sie ihre höchste 
Ausbildung erreichte, weshalb denn auch mit Recht die 



* E. Rosselet's Artikel ^^Isländische Sprache" in Ersch und Qniber's 
Encyklopädie. II. Section. 31. Band. Leipzig 1855. Qaart. Seite 314^— 
Vergl. auch J. C. Poestion, Einleitung in das Studium des Altnordischen 
Theil 1. Hagen 1882. Octav. Seite 1 flF. — Der Ansicht von Theodor 
Möbius, dass die Spaltung der gemeinsamen Grundsprache ,)Wohl kaum 
vor dem 10. oder 11. Jahrhundert'* (Ueber die altnordische Sprache, 
Seite 12) stattgefunden, kann ich nicht beipflichten. 

^ Marius Nygaard, Kortfattet Fremstilling af det norske Lands- 
maals Grammatik. Bergen 1867. Octav. Indledning, Seite 5, 6. 



— 5 — 

Bezeichnung „isländische Sprache'' (islenzk tunga) später 
(seit dem 16. Jahrhundert) für dieselbe aufkam. * Damit sind 
wir zur Stätte der isländischen Sagaliteratur gelangt. 
Island, die Jahrtausende öde gelegene Insel im Norden 
Europas (von deren geographischer Beschaflfenheit noch 
weiter unten die Rede sein wird) wurde in der zweiten 
Hälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr., zwischen den Jahren 
860 bis 870 von norwegischen Seefahrern (Wikingern) ent- 
deckt. Zwar sollen schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts 
n. Chr. Männer keltischer Abkunft auf der fernen Insel 
sich vorübergehend angesiedelt haben, jedoch beginnt erst 
mit der norwegischen Entdeckung die eigentliche Geschichte 
des Landes. Naddodr wird als der erste Norweger genannt, 
welcher Island betrat und der Insel, durch einen starken 
Schneefall veranlasst, den Namen Snseland, d. i. Schneeland 
gab, ungefähr um 860 n. Chr. Ein anderer Norweger, 
Flöki Vilgerdarson, gab der Insel von dem vielen Treib- 
eise, mit welchem er einen Meerbusen derselben angefüllt 
fand, den Namen, welchen dieselbe bis zum heutigen Tage 
trägt, nämlich Island, d. h. Eisland. Wieder ein Norweger, 
Ing61fr Arnason, ein angesehener Mann war es, der im 
Jahre 874 die erste bleibende Ansiedlung auf Island gründete 
und zwar merkwürdiger Weise gerade an derselben Stelle, 
an welcher die jetzige Hauptstadt des Landes, Reykjavik 2, 
sich befindet. Seither wurde die Insel in den Jahren 874 bis 
934 durch massenhafte Einwanderung von Norwegen her 
bevölkert. Die isländischen Quellen bezeichnen diese Ansied- 
lungen als ^Landnahme" (isländisch landnäm) und die ganze 
Periode derselben als „Landnahmezeit" (landnämatid). Ver- 
anlassung hiezu war das Auftreten des Königes Harald r 
des Haarschönen (Haraldr hinn härfagri, regierte 860 bis 
933 n. Chr.) in Norwegen. Dieser machte in siegreichen 
Kämpfen der Herrschaft der zahlreichen „Gau- und Volk- 



^ Vergl. zu dem bisher Gesagten: Theodor Möbius, Ueber die alt- 
nordische Sprache. Halle 1872. Octav. Ferner: M. Nygaard, Oldnorsk 
Grammatik etc. Bergen 1871. Octav. Indledning, Seite 5, 6. 

2 D. h. ,,Rauchbacht'*, so genannt wegen der in ihrer Nähe rauchen- 
den oder dampfenden Quellen; jetzt ein Städtchen von nahezu 3000 Einw. 



landskönige" (h^radskonungar, fylkiskonungar)^ in welche 
Norwegen bis dahin getheilt war, ein Ende und schwang 
sich zum ersten ÄlIeinheiTscher dieses Landes empor. Die 
damit unzufriedenen Häuptlinge und auch die höheren 
Schichten der bäuerlichen Bevölkerung Norwegens wanderten 
nun massenhaft nach dem eben erst entdeckten fernen 
Eilande aus.^ ^Stolze, thatkräftige Naturen — die Blüthe 
Norwegens — waren es, die sich hier niederliessen, Ab- 
kömmlinge der edelsten Geschlechter, verwachsen mit dem 
Boden, verwandt mit den Göttern. Sie brachten die ganze 
Bildung, den ganzen Schatz des skandinavischen Volks- 
stammes — denn es gab schon Bildung und Literatur — mit 
herüber, und abgeschieden, getrennt von dem Lande, nach 
dem sie mit Sehnsucht hinüber blickten, hegten und pflegten 
sie sorgsam diese Erinnerungen, dieses schönste Erbtheil, 
das ihnen vom Vaterlande zugefallen." Sie gründeten auf 
Island einen Freistaat, der in der ganzen Geschichte in 
seiner Art einzig erscheint und bis zum Jahre 1263 bestand. 
In diesem Jahre wurde Island von Norwegen unterworfen 
und kam mit demselben im Jahre 1380 an Dänemark, bei 
welchem Staate die Insel auch nach Abtrennung Norwegens 
im Jahre 1814 bis heute verblieben ist. 

So kam die altnorwegische Sprache mit den 
Ansiedlern nach Island und auch nach den Faröern 
(oder Färöern, d. h. Schafinseln, isländisch „Faer eyjar", 
dänisch „Faar jßTer"); denn auch dorthin zogen die nor- 
wegischen Unzufriedenen. Während aber die alte Sprache 
sich auf dieser Inselgruppe unter dem späteren Einflüsse 
des Dänischen (die Inseln kamen ebenfalls im Jahre 1380 
an Dänemark) zu einem etwas abweichenden Dialekte ent- 
wickelte, hat sie sich auf Island seit mehr als 1000 Jahren 
fast unverändert^ bis auf den heutigen Tag erhalten: die 



^ Vergl. über die ältere Geschichte Islands das ansgezeichnete 
Buch von Konrad Maurer: Island von seiner ersten Entdeckung bis zum 
Untergange des Freistaates. München 1874. Oetav. Seite 2 bis 3 und 19 bis 34. 

^ Die unbedeutenden Veränderungen, welche die isländische Sprache 
durchgemacht, verzeichnet Theodor Möbius in seinem bereits angeführten 
Buche „Ueber die altnordische Sprache^', Seite 34 bis 35. Vergl. auch 



— 7 — 

Sprache der Edda^ der „nordischen Bibel" ist in allem 
Wesentlichen noch gegenwärtig die Sprache Islands. * Island 
ist mithin auf merkwürdige Weise das einzige europäische 
Landy welches seine erste oder Ursprache bis heutzutage 
erhalten hat'^. Dass sich die Sprache auf Island so erhielt, 
verdankt sie zunächst der isolierten Lage der Insel; dann 
aber der höchst merkwürdigen^ eigenthümlichen und reich- 
haltigen Literatur, welche uns in der isländischen respective 
altnorwegischen Sprache überliefert wurde; endlich dem 
gesegneten Umstände, d^ss die seit dem Jahre 1000 erfolgte 
Bekehrung Islands zum Christenthume, seinem national- 
literarischen Leben keinen Eintrag that. Island war ein viel 
zu armes Land, als dass es fremde Geistliche anlocken 
konnte; seine Priester waren und blieben Eingeborene, die 
fern von dem zerstörenden Fanatismus ihrer Berufsgenossen 
in den deutschen Landen hier selbst die alten Ueberliefe- 
rungen zu bewahren halfen, die Landessprache in Ehren 
hielten, ja durch die im Auslände erlernte Schreibekunst 
erst recht die Begründer der isländischen Literatur wurden. 
Die Isländer hatten nämlich (wie alle Skandinavier und 
auch die alten Deutschen) ursprünglich eigenthümliche Buch- 
stabenzeichen, die sogenannten Runen (isländisch rünar 
oder runir, f. pl.), von welchen es zwei Alphabete gab: 
die älteren, längeren, und die kürzeren, jüngeren ; beide 
wurden bei Inschriften angewendet und entweder in Stein 
gehauen oder auf Holz und Metall geritzt. Mit der Ein- 
führung des Christenthumes wurde diese schwerfällige und 



William H. Carpenter, Grundriss der neuisländischen Grammatik. 
Leipzig 1881. Octav. Vorwort. 

^ Gastav Georg Winkler, Island. Seine Bewohner, Landesbildung 
und vulcanische Natur. Braunschweig 1861. Octav. Seite 1. Derselbe Ver- 
fasser schildert den Eindruck, den die isländische Sprache auf ihn beim 
Anhören gemacht, folgendermassen : „Was mir an diesen Isländern so gar 
fremd vorkam, war ihre Sprache. Aus tiefer Kehle gesprochen, mit den 
oft sich wiederholenden Endsilben ar, ir, um, klingt sie so alterthümlich 
ernst, als ob sie ans dem Munde von Bewohnern des Untersberges oder 
Kyffhäuser käme.'' (A. a. O. Seite 143.) 

^ Karl Wilhelm!, Island, Hvitramannaland, Grönland und Vinland 
oder der Normänner Leben auf Island und Grönland etc. Heidelberg 1842. 
Octav. Seite 6, Anmerkung^ 



— 8 — 

unzureichende Schriftart von der lateinischen Buch- 
stabenschrift abgelöst; dieselbe wurde durch Mönche von 
England herübergebracht und angenommen, jedoch so, dass 
zwei eigenthümliche Lautzeichen dem isländischen (lateini- 
schen) Alphabete bis heute geblieben sind: die Rune I' 
(t^orn), entsprechend dem englischen th in „thing" und der 
Buchstabe ä (ed), mit dem Laute des englischen th in 
„father'', aus dem Angelsächsischen herstammend.^ So war 
nun mit der neuen Schrift ein geeignetes Mittel zum graphi- 
schen Ausdrucke der bereits hochentwickelten Sprache 
gegeben und damit die Hauptbedingung zur Fixierung der 
Literatur, welche auf Island fast ausschliesslich in der 
heimischen, nicht — wie im ganzen übrigen Europa zu 
damaliger Zeit — in der lateinischen Sprache aufgezeichnet 
wurde. So kam es, dass die gesammte altnordische (alt- 
skandinavische) Literatur ihren Hauptsitz auf Island fand 
und dort ihre höchste Blüthe erreichte; sie ist wesentlich 
isländische Literatur, da die anderen skandinavischen 
Länder erst in der neueren Zeit zu einer selbständigen 
nationalliterarischen Entfaltung gelangten. Daher rührt denn 
auch mit Becht die Bezeichnung der isländischen Sprache 
als ^altnordische^' schlechthin, da uns weitaus die meisten 
altnordischen Geistesschöpfungen, der grösste Theil der 
Literatur des skandinavischen Nordens im Mittelalter, in der 
isländischen Sprache erhalten sind.^ Die poetische altnordi- 
sche Literatur umfasst die Edda- und Skaldendichtung; zur 
prosaischen gehören die Gesetzes- und Sagaschreibung. 
Nur die letztere und zugleich bedeutendste Schöpfung 
der isländischen Literatur soll uns hier beschäftigen. 

^ ]) wird in vorliegender Saga-Uebersetzung stets durch Th wieder- 
gegeben. — Vergl. C. Rosenberg, Trsek af Livet paa Island i Fristats- 
Tiden. Kjobenhavn 1871. Octav. Seite 212. — G. Lund, Den oldnordiske 
Literatur. En kort Udsigt. Kjobenhavn 1873. Octav. Seite 3, Anmerkung. 

^ Nur in diesem Sinne ist die Bezeichnung „altnordisch*' für 
„isländisch'* richtig. Lange Zeit war aber die Ansicht herrschend, dass 
die isländische Sprache die ursprünglich ganz Skandinavien gemeinsame, 
umordische oder urskandinavische Sprache darstelle und deshalb »alt- 
nordische" Sprache heissen müsse, während sie doch nur die spätere, 
westnordische Gestalt jener Ursprache bildet, vergl. oben Seite 4 und 6. 



— 9 — 

Island ist die Heimat der Saga, dieses eigenartigsten 
und unvergänglichsten Denkmales seines Geistes, welches in 
seiner specifisch- isländischen Individualität keinem scheinbar 
ähnlichen Literatur-Erzeugnisse anderer Culturvölker an die 
Seite gestellt werden kann. Heinrich Rückert hat treffend 
bemerkt^ dass die altnordische Poesie uns fremdartig gegen- 
über stehe, da sie ein in ihrer Eigenheit abgeschlossenes 
Gebiet darstelle; die isländische Prosa, die Sagaschreibung 
hingegen dürfe unsere höchste Theilnahme beanspruchen, 
da sie durch äussere und innere Fülle, durch das frische 
Leben und ihre plastische Darstellung alle gleichzeitigen 
mittelalterlichen Geschichtschreiber übertreffe; sie ist nach 
seinen Worten „ein Phänomen ohne gleichen in ihrer Zeit, 
sowohl was den Gehalt als was die Form betrifft'*. 

Die Isländer nannten jede Erzählung schlechthin 
Saga; nicht blos die mythisch -poetische^ sondern auch die 
factisch historische. „Saga heisst daher jedes prosaisch 
erzählende Buch, jedes allgemein historische Werk, jede 
dürre chronikalische Aufzeichnung, jede Orts- und Familien- 
Geschichte, jede Lebensbeschreibung eines Skalden, Häupt- 
lings, Priesters u. s. w., ebensowohl als die mythische Ge- 
schichte der Volsungen, Ynglinger u. a. Islands ganze 
historische Literatur im weiteren Sinne ist mithin nur eine 
einzige fortlaufende und unendliche Saga".^ — Vergegen- 
wärtigen wir uns nun die Verhältnisse, unter welchen 
sich auf Island die Sagaschreibung entwickelte 
oder vielmehr entwickeln musste. 

Zunächst war es die geographische Lage der Insel, 
welche wesentlich dazu beitrug, ihre Bewohner zu einem 
erzählenden Volke zu machen. „Durch das weite Weltmeer 
von aller thätigen Theilnahme von den Weltbegebenheiten 
abgeschlossen, ohne Streitigkeiten mit den Nachbarstaaten 
und ohne Gefahr von einem auswärtigen Angriffe waren die 

1 In dem Aufsatze „das deutsche Publicum und die altüordische 
Literatur'', enthalten in seinen „kleineren Schriften, ausgewählt und 
herausgegeben von Amelie Sehr und Alexander Beifferscheid^'. Theil 1. 
Weimar 1877. Octav. Seite 116 flF. 

^ C. F. Koppen, Literar. Einleitung in dienord. Mythologie. Seite 105. 



— 10 — 

isländischen Ansiedler ganz und gar sich selbst ihren Er- 
innerungen und ihren häuslichen, politischen und gesell- 
schaftlichen Verhältnissen überlassen. Ihre Insel bildete 
gleichsam eine Welt für sich.'' ^ Begreiflich ist es daher^ dass 
sie einerseits das Andenken an die Thaten der Väter sorg- 
fältig bewahrten, die Sagen der Vorzeit in Ehren hielten, 
andererseits aber auch die Gegenwart ihre Aufmerksamkeit 
in vollem Masse in Anspruch nahm. Es war eine natürliche 
Folge des abgesonderten und einförmigen Lebens auf Island, 
dass man sich während der Versammlungen zu Gericht, bei 
den Gelagen und Spielen begierig nach Neuigkeiten er- 
kundigte. Was da in Umlauf kam, wurde festgehalten, 
theils in Form der Erzählung, theils in der des Liedes; so 
wurde es an den langen Winterabenden oder wenn sonst 
Gelegenheit sich darbot, von Geschlecht zu Geschlecht weiter 
überliefert. Aber nicht blos die Vorfälle auf Island selbst 
waren Gegenstand des Interesses, sondern auch Nachrichten 
aus fremden Ländern waren höchst willkommen. Da die 
Isländer vermöge des allen germanischen Nordbewohnern 
eigenthümlichen Wandertriebes im 9., 10. und 11. Jahr- 
hundert n. Chr. ausgedehnte und abenteuerliche Fahrten 
(Wikingszüge) von ihrer Insel aus unternahmen, kamen sie 
als Handelsleute, Hofmannen, Skalden (Dichter-Sänger), Wi- 
kinger (Seeräuber) und Wäringer oder Waräger (Söldner 
im Dienste des byzantinischen Kaisers) weit in der damals 
bekannten Welt herum und erzählten nach ihrer Rückkehr 
ihren eifrig lauschenden Landsleuten alles Gesehene und 
Erlebte, was ebenfalls dem Gedächtnisse eingeprägt und 
weiter verbreitet wurde. Vieles, wovon wir sonst nichts 
wüssten, wurde auf diese Weise der Nachwelt aufbewahrt. 
Diese mündlich fortgepflanzten Erzählungen waren die liebste 
Unterhaltung der Isländer. — Jahrhunderte vergingen, 
ehe die so mündlich umlaufenden Sagas (denn so 
heissen sowohl die mündlichen als schriftlichen Ueberliefe- 



^ Anders Magnus Strinnholm, Wikingszüge, Staatsverfassung und 
Sitten der alten Skandinavier. Aus dem Schwedischen von C. A. Frisch. 
Band 1. Hambnrg 1839. Octav. Seite 211. 



— 11 — 

rangen) endlich schriftlich fixi er t wurden. Denn 
die mündliche Saga, welche mit den Begebenheiten ent- 
stand und mündlich fortgepflanzt wurde, kann erst vollen- 
det und abgerundet werden, wenn die Begebenheiten nicht 
blos abgeschlossen, sondern auch für das Bewusstsein klar 
und dem parteiischen und einseitigen Urtheil der Gegen- 
wart entrückt waren, also erst in der kommenden Genera- 
tion. Die eigentlich isländische Sagazeit, d. h. jene 
Zeit, deren Begebenheiten vorwiegend den Stoff für die 
geschriebenen isländischen Sagas abgaben^ nämlich die 
Jahre 874 bis 1030 n. Chr., lässt sich in drei Abschnitte 
gliedern: Der erste umfasst die Jahre 874 bis 930 (eigent- 
lich 934), d. h. jene Sagas (wozu auch die vorliegende 
gehört), welche ungefähr mit der „Landnahmezeit" ab- 
schliessen; den zweiten Abschnitt bilden die Jahre 930 bis 
990, also die Sagas, welche mit dem 10. Jahrhundert endigen; 
der dritte Abschnitt umfasst die Jahre 990 bis 1030 und 
gab den Stoff zu den grossartigsten und umfangreichsten 
Sagas.^ Die schriftliche Aufzeichnung der mündlich 
fortgepflanzten Saga kann also kaum vor Ablauf eines 
halben Jahrhunderts nach Schluss der oben angegebenen 
Sagazeit (1030) mit der Behandlung der ältesten Stoffe be- 
gonnen haben, also nicht vor 1100.*^ In der That ist auch 
vor dem 12, Jahrhundert keine Saga niedergeschrieben 
worden. Die Sagaschreibung begann im ersten Viertel 
des 12. Jahrhunderts^ mit Ari's Islendingabök (s. unten 

1 Yergl. zur Entstehung und Entwicklung der isländischen Saga- 
schreibung: Peter Erasmns Müller, üeber den Ursprung und Verfall der 
isländischen Historiographie etc. Aus dem Dänischen übersetzt von 
L. C. Sander. Kopenhagen 1813. Octav. Ferner: C. Rosenberg, Nord- 
boernes Aandsliv fra Oldtiden til vore Dage. 2. Band. KJ0benhavn 1880. 
Octav. Seite 176 ff. und Seite 196. — R. Keyser, Nordmsendenes Viden- 
skabelighed og Literatur 1 Middelalderen. Efterladte Skrifter. 1. Band. 
Cfaristiania 1866. Octav. Seite 343 ff. — N. M. Petersen, Bidrag til den 
oldnordiske Literaturs Historie (Annaler for nordisk Oldkyndighed og 
Historie) Kjobenhavn 1861. Octav. Seite 184 ff. — G. Lund, Den old- 
nordiske Literatur etc. Seite 44 ff. 

^ G. Lund, Den oldnordiske Literatur. Seite 46. 

> Rosenberg, Nordboernes Aandsliv. 2. Band. Seite 193; Lund, 
a. a. O. Seite 46. 



— 12 — 

Seite 13), erreichte ihr goldenes Zeitalter in den 
Jahren 1220 bis 1260^ und fand ihren Äbschluss gegen 
Ende des 14. Jahrhunderts. 

Fast alle Sagas sind uns anonym tiberliefert 
und es ist nicht mehr festzustellen, wer ihre Aufzeichner 
gewesen; ^doch darf man annehmen, dass es in den meisten 
Fällen gelehrte, d. h. lateinisch gebildete Männer oder selbst 
Geistliche von Fach waren'*. '^ Die Anonymität der meisten 
Sagas erklärt sich leicht aus dem Umstände, dass ihre Haupt- 
grundlage die allgemein bekannte mündliche Ueberlieferung 
war: es konnte dem Sagaschreiber, der eigentlich nur der 
letzte Erzähler war, nicht einfallen, unter seine dem Stoffe 
nach allgemein bekannte Aufschreibung seinen Namen 
zu setzen. 3 Nur diejenigen Sagas, welche Geschichts- 
werke in unserem Sinne des Wortes sind, tragen in der 
Regel den Namen ihres Verfassers, da in diesem Falle 
nicht blos die mündlichen üeberlieferungen schlechthin nieder- 
geschrieben, sondern mündliche und schriftliche Quellen mit 
kritischem Sinne zusammengetragen wurden; doch sind dieser 
Sagas nur sehr wenige. — Wie aus allem Gesagten hervor- 
geht, entspricht das isländische Wort „saga*' (Mehrzahl 
„sögur") keineswegs dem deutschen Ausdrucke „Sage". 
Während diese von vorneherein keinen Anspruch auf Glaub- 
würdigkeit des Mitgetheilten erhebt, bezeichnet die 
isländische Saga eine Erzählung schlechthin, ohne 
Rücksicht darauf, ob deren Inhalt ein historisch bezeugter, 
ein mythischer oder ein romantischer sei. Demgemäss unter- 
scheiden wir die isländischen Sagas nach dem Inhalte in 
historische, mythische und romantische Sagas. ^ 



^ Gudbrandur Vigfusson in der Einleitang zu den von ihm und 
Theodor Möbiuä herausgegeb. „Fornsögur". Leipzig 1860. Octav. Seite VIII. 

^ Bernhard Döring, Bemerkungen über den Stil und Typus der 
isländischen Saga. (Programm des Nicolaigymnasiums.) Leipzig 1877. 
Quart. Seite 14. 

3 N. M. Petersen, Bidrag til den oldnordiske Literaturs Historie, 
in den „Annaler*' etc. Seite 201. — G. Lund, a. a. O, Seite 47. 

^ Yergl. zur folgenden Eintheilung: Koppen, Literarische Ein- 
leitung etc. Seite 116. Petersen, Bidrag etc. Seite 204 £f. und die treff- 
liche Uebersicbt bei G. Lund, a. a. O. Seite 48 ff. 



— 13 — 

Die historischen Sagas sind der Aufzeichnung nach 
die ältesten; sie behandeln entweder nur die Geschichte 
Islands oder auch die der übrigen skandinavischen Länder, 
besonders Dänemarks und Norwegens, wogegen von Schweden 
nur gelegentlich die Bede ist; daher die weitere Eintheilung 
derselben in „Islendinga sögur" (Geschichten der Isländer) 
und ^Fornmanna sögur" (Geschichten der nordischen Vor- 
fahren). Die ersteren, die eigentlich isländischen Sagas, 
zerfallen dann wieder in solche, welche die Geschichte der 
ganzen Insel behandeln;^ dann in jene, welche die Erlebnisse 
eines besonderen Geschlechtes, oder auch eines einzelnen 
Häuptlings, Skalden, Priesters — aber stets in Beziehung 
zu seinem Geschlechte — darstellen (daher Geschlechts- 
sagas); endlich in Einzelbiographien hervorragender geist- 



^ Dieser sind nur wenige. Da sie aber als historische Quellen für 
die Geschichte Islands im grossen Ganzen von besonderer Wichtigkeit 
sind, mögen sie im Folgenden kurz aufgeführt werden. Zunächst das 
nlsl&nderbnch" des Priesters Ari des Weisen (Islendingabök Ära 
prests fröda), mit welchem die isländische Sagasohreibung um 1120 bis 
1130 beginnt; es enthält eine kurze Aufzeichnung über die Besiedlung 
Islands und dessen älteste Geschichte bis zum Tode des Bischofes Gissurr, 
f 1118. Dann das ^Landnahme buch*' (die Landnämab6k*' oder blos 
^Landnäma*'), eine ausführliche Darstellung der Besiedlung Islands mit 
einem Verzeichnisse der einwandernden Colonisten (landnämamenn) und 
deren Geschlecht; in seiner Art bewunderungswürdig und einzig dastehend 
enthält dieses Buch ungefähr 3000 Personen- und 1400 Ortsnamen und 
wurde „zu verschiedenen Zeiten von mehreren Verfassern in seiner 
jetzigen Form zusammengestellt". Ferner die Kristnisaga, d. i. Ge- 
schichte der Bekehrung Islands zum Christenthume, die Jahre 980 bis 
1120 behandelnd, ebenfalls von dem weisen Ari verfasst. Endlich die 
Sturlungasaga, auch Islendinga saga hin mikla, d.h. die grosse 
Isländersaga (noch später „B16mstr", d. h. Blüthe genannt, um ihre Vor- 
trefflichkeit anzudeuten), die grösste aller isländischen Sagas, das umfang- 
reichste Werk der gesammten altisländischen Literatur, aus dem 14. Jahr- 
hundert stammend; sie behandelt die Geschichte des isländischen Frei- 
staates in den Jahren 1120 bis 1284, also bis zu Ende desselben (1263) 
und noch zwei Decennien darüber, und hat ihren Namen von dem 
Geschlechte der Sturlunge, das in dieser Periode das hervorragendste auf 
Island war; der Verfasser ist Sturla Thördarson. (Vergl. Lund, Den 
oldnordiske Literatur, Seite 64 bis 65.) Die Geschichte der von Island 
aas besiedelten Orkney-Inseln (Orkneylngasaga) und der Färöer (Fserey- 
inga saga) werden gewöhnlich auch hieher gerechnet. 



— 14 — 

lieber und weltlieher Männer (Biskupa sögur u. a.). — Die 
^Fornmanna sögur" sind Geschichtswerke in unserem Sinne 
des Wortes und erzählen vorzugsweise die ältere Geschichte 
Norwegens, besonders ausführlich die der Könige Olafr I. 
Tryggvason's (995 bis 1000) und Ölafr II. des Heiligen 
(1016 bis 1030). Die Krone derselben und der isländischen 
Geschichtschreibung überhaupt sind Snorri Sturluson's 
(erschlagen 1241) ^Noregs konunga sögur", d. h. Geschichten 
der Könige Norwegens, gewöhnlich nach den Anfangsworten 
einer der Handschriften (kringla heimsins, d. h. der Erd- 
kreis) Heimskringla genannt; sie behandelt die Geschichte 
Norwegens bis zum Jahre 1177.^ 

Die mythisch-heroischen Sagas sind „nichts anders 
als die prosaisch gehaltene Tradition, welche direct aus der 
Auflösung heidnischer Volkslieder hervorging"; sie behandeln 
auf Grund alter Lieder die einheimischen (skandinavischen) 
Mythen- und Sagenstoflfe. Man sollte daher glauben, dass 
sie aus dem ersten Zeiträume der isländischen Sagaschrei- 
bung stammen; dem ist aber nicht so. Wenn auch dem 
Stoffe nach die ältesten, sind sie doch in der Aufzeichnung, 
in welcher wir sie besitzen, weit jünger als die historischen 
Sagas und meist im 13. und 14. Jahrhundert nieder- 
geschrieben; doch lässt sich bei den meisten eine ältere, 
für uns verloren gegangene Bearbeitung mit Grund voraus- 
setzen, ja bei einigen nachweisen.^ Diese Sagas liefen zuletzt 

1 la der Vorrede der Heimskringla findet sich jene wichtige Stelle, 
wodurch der Priester Ari mit dem Beinamen „der Weise" (Ari hinn frödi) 
als Vater der isländischen Sagaschreibung bezeichnet wird: „Priester 
Ari der Weise Thorgilsson schrieb zuerst unter den Menschen hier zu 
Lande (auf Island) in norränischer (d. h. altnorwegischer) Bede Wissen- 
schaft, beides alte und neue'\ (Nach der Uebersetzung von Wächter. 
1. Band. Leipzig 1835. Octav. Seite 7.) — Auch soll Ari der erste ge- 
wesen sein, welcher die lateinische Buchstabenschrift an Stelle der ßanen 
in Anwendung brachte. (Lnnd, Den oldnordiske Literatur. Seite 45, An- 
merkung.) 

^ Vergl. C. F. Koppen, Literarische Einleitung etc. Seite 106 bis 
107. — Zu den mythisch- heroischen Sagas gehört u. a. die berühmte 
Völsunga saga, auch Sigurdar saga Fafnisbana, d. h. Saga von Sigurdr 
dem Fafnistödter (Drachentödter) ; ferner die Vilkina- oder Niflunga- 
saga, auch Saga Thidriks konungs af Bern, d. h. Saga von Dietrich, 



— 15 — 

in die Volksmärchea aus^ welche nocU heutzutage im Munde 
des isländischen Volkes leben. ^ 

Die romantischen Sagas sind Uebersetzungen oder 
Bearbeitungen der im ganzen Mittelalter beliebten bretoni- 
sehen^ französischen und deutschen Ritterrom an e^ die in- 
folge Berührung Islands mit den südlichen Ländern — eine 
Wirkung der Einführung des Christenthumes — seit dem 
13. Jahrhundert auch auf der fernen Insel Eingang fanden 
(Riddara sögur). Was in Deutschland^ Frankreich, England, 
Spanien und Belgien von Carl dem Grossen, Artus und der 
Tafelrunde, vom heiligen Gral u. s. w. gesungen oder ge- 
schrieben ward, das haben auch die Isländer gesammelt, 
übersetzt oder nacherzählt. Die Uebersetzer, respective 
Bearbeiter waren meist Geistliche, die des Studiums wegen in 
südliche Länder zogen und deren Sprachen erlernten; mehrere 
dieser Uebersetzungen oder Bearbeitungen wurden auch nicht 
auf Island, sondern in Norwegen abgefasst und zwar im Auf- 
trage norwegischer Könige oder Häuptlinge. — Auch die 
Bearbeitungen biblischer Stoffe sowie aus der alten 
Geschichte gehören hieher. Zuletzt — im 14. Jahrhundert — 
kam noch die Heiligenlegende (Heilagra manna sögur, 
Postola sögur).^ — Alle isländischen Sagas, mit Ausnahme der 



König von Bern (Verona), dem ostgothischen Könige Theodorich (493 bis 
526). Beide Sagas (letztere wird übrigens manchmal zu den romantischen 
Sagas gerechnet, da sie hauptsächlich auf Grund niederdeutscher Sagen 
in Norwegen aufgezeichnet wurde) wurden im 13. Jahrhundert auf- 
geschrieben und bilden mit den eddischen Heldenliedern und dem 
deutschen Nibelungenliede ein Ganzes. 

^ Konrad Maurer, Isländische Yolkssagen der Gegenwart. Leip- 
zig 1860. Oetav. J6n Arnason, Islenzkar })j6dsögur og »fintyri. Leip- 
zig 1862 bis 1864, Oetav. 2 Bände. 

^ Die grosse Anzahl der erhaltenen isländischen Sagas ist ersichtlich 
aus dem Werke des dänischen Bischofes Peter Erasmus Müller: Saga- 
bibliothek med Anmserkninger og indledende Afhandlinger. Kj0benhaynl817 
bis 1828. Oetav. 3 Bände. (1. Band auch deutsch v. K. Lachmann. Berlin 1816- 
Oetav.) Bezüglich der Ausgaben vergl. Theodor Möbius, Catalogus lib- 
rorum islandicorum etc. Lipsiae 1856. Oetav. Ferner desselben »Ver- 
zeichniss der auf dem Gebiete der altnordischen (altnorwegischen und 
altisländischen) Sprache und Literatur von 1856 bis 1879 erschienenen 
Schriften.*' Leipzig 1880. Oetav. 



— 16 — 

zuletzt angeführten Verflachungen, weisen in ihrer ganzen 
Darstellungsart mehr oder weniger gewisse typische 
Merkmale auf, welche für ihre Individualität charakteri- 
stisch sind und von denen etwa folgende als die bezeich- 
nendsten hervorgehoben werden können: Vermeidung jeder 
nicht zur Sache gehörigen Einleitung, so dass wir so schnell 
als möglich in medias res geführt werden; ergreifende Ein- 
fachheit, Prägnanz, Frische undUnmittelbarkeit der 
Darstellung, obschon meist Begebenheiten einer entfernten 
Vergangenheit erzählt werden; beinahe gänzliches Zurück- 
treten des mit wenigen Ausnahmen unbekannten Saga- 
schreibers, welcher den von ihm geschilderten Ereignissen 
und Persönlichkeiten in leidenschaftsloser Ruhe gegenüber 
stehend erscheint; gründliche Auseinandersetzung der genea- 
logischen und chronologischen Verhältnisse (erstere wirken 
oft hemmend auf den Fluss der Erzählung) nebst Anführung 
von Gewährsmännern zur Beglaubigung des Mitgetheilten ; 
häufige Gesprächsscenen mit ausführlichen DiaJogen der 
handelnden Personen, fast immer im historischen Präsens, 
wodurch die epische Darstellung einen wohlthuenden Ueber- 
gang zur dramatischen erhält; endlich g-e wisse stereotype 
Ausdrucksweisen, besonders am Anfange, Schlüsse und 
bei Uebergängen in der Erzählung, die uns umsomehr auf- 
fallen müssen, als die isländische Sprache über einen ganz 
ausserordentlichen Wortreich thum zu verfügen hat. Noch 
verdient auch bemerkt zu werden, dass die meisten Sagas 
zur Bekräftigung des Inhaltes Skaldenverse enthalten; 
entweder wird, wenn man von einer Person der Saga erzählt, 
dass sie bei einer gewissen Gelegenheit ein Gedicht gemacht, 
dieses in der Regel vollständig mitgetheilt, oder es werden 
auch manchmal solche Verse eingelegt, welche nicht von 
Personen der Saga verfasst sind, aber auf dieselben öder 
Begebenheiten der Saga gedichtet wurden.^ 

* Vergl. hiezu: N. M. Petersen, Bidrag etc. in den „Annaler", Seite 288 
bis 290, Q. Lund, Den oldnordiske Literatur, Seite 47. Frederik Winkel 
Hörn, Geschichte der Literatur des skandinavischen Nordens von den ältesten 
Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1880. Octav. Seite 48. — Nicht un- 
erwähnt darf bleiben, dass die neuere Forschung die typische Gestalt der 
isländischen Sage zum Theile durch irisch-keltischen Einfluss erklärt. 



— 17 — 

Die Handschriften, in welchen uns die Sagas — 
und aach die übrige altisländische Literatur — überliefert 
wurde, sind ausschliesslich auf Island oder (zum geringen 
Theil) in Norwegen geschrieben und theils Pergament-, theils 
Papierhandschriften. Die ersteren gehören dem 12. bis 16. 
Jahrhundert an, die Papierhandschriften reichen vom 15. Jahr- 
hundert bis auf unsere Tage herab. Die Schrift ist durch- 
gehends die lateinische und stimmt im allgemeinen mit dem 
Charakter der lateinischen Schrift des ausgehenden Mittel- 
alters überein. Die grössten Sammlungen altisländi- 
scher Handschriften befinden sich in den öfi^entlichen Bib- 
liotheken zu Kopenhagen (daselbst die grossartige ^Arna- 
magnaeanische Sammlung", nach ihrem Gründer, dem Isländer 
Ami Magnussen, t 1730, so genannt), Stockholm, Upsala 
und Christiania. Das meiste derselben ist bereits — theil- 
weise wiederholt — durch den Druck veröffentlicht worden.^ 

Nach diesen ganz allgemeinen Bemerkungen über die 
isländischen Sagas versuchen wir noch eine bündige Charak- 
teristik derjenigen interessantesten, wichtigsten und zahl- 
reichsten Gattung zu geben, welcher die von uns übersetzte 
angehört, nämlich der oben genannten Geschlechtssagas 
(isländisch „^ttasögur", dänisch ^Slsegtssagaer''). Der grösste 
Kenner aller Sagas, der Däne Peter Erasmus Müller, be- 
zeichnet die isländischen Geschlechtssagas mit Recht als die 
„einzigen rein historischen Denkmäler eines heroischen Zeit- 
alters, welche uns die Weltgeschichte erhalten hat.''^ 

Das Wesentliche dieser Geschlechtssagas, was 
sie von der historischen Literatur anderer Völker von vorne- 
herein unterscheidet, besteht darin, dass sie nicht Geschichte 
in grossen Zügen vorführen, sondern in detaillirter, theil- 
weise poetisch ausgeschmückter Darstellung die Geschicke 
der seit des norwegischen Königs Haraldr des Haarschönen 
Alleinherrschaft (vergl. oben Seite 5, 6) nach Island aus- 
gewanderten vornehmen skandinavischen, meist norwegischen 
Geschlechter erzählen ; und zwar von der ersten Besiedlung 



1 Th. Möbius, lieber die altnordische Sprache, Seite 38 bis 39. 
' Sagabibliothek (dänische Ausgabe). 1. Band. Seite 11. 

Hrftfiikell. 2 



— 18 - 

der Insel im Jahre 874 bis gegen die Mitte des 11. Jahr- 
hunderts (1030), welche Periode wir als eigentlich isländische 
Sagazeit bezeichnet haben. Selten wird bei diesen Erzäh- 
lungen der Schauplatz eingehender geschildert und gar nie 
der Wichtigkeit einer Begebenheit in politischer Beziehung 
gedacht; sondern die handelnden Personen sind für die Saga 
das Wichtigste: deren Charaktere; Gesichtszüge, Waffen, 
Gewänder u. dergl. werden genau beschrieben. Dann der 
Kreis der Begebenheiten, in welchem die Helden sich be- 
wegen; derselbe wird lebhaft anschaulich, bis zu den kleinsten 
Einzelheiten geschildert. Die Menge der Attribute, welche 
von einer Person der Saga aufgeführt wurden, richtet sich 
nach der Stellung, welche dieselbe in der Saga einnimmt. 
Die Hauptpersonen, die Helden der Saga, treten vor allen 
hervor; von den übrigen erhalten wir nur eine ungefähre 
Vorstellung. Aber auch bei den Helden der Erzählung werden 
nicht gleichmässig alle körperlichen und geistigen Eigen- 
schaften aufgezählt: nur das Charakteristische wird betont. 
^ So werden schöne Menschen nicht näher beschrieben, wohl 
aber Abweichungen von dem Regelmässigen hervorgehoben, 
dasjenige, was beim ersten Anblicke am meisten auffällt."^ 
Der Ton der Sagas ist meist ruhig, ernst, erhaben 
und würdig; die Erzählung schreitet rasch vorwärts, alles 
Nebensächliche und Selbstverständliche überspringend. Im 
Vordergrunde der Darstellung stehen Reibereien mit Feinden 
und Processstreitigkeiten auf den Thingen (Volksversamm- 
lungen). Die selbstbewussten, empfindlichen, reizbaren und 
rachesüchtigen Naturen, die uns in diesen Sagas entgegen 
treten, fanden bei der Abgelegenheit ihres Landes keine 
Ableitung ihrer Leidenschaften nach aussen hin; so mussten 
sie die Waffen wider einander kehren. Daher kommt es, 
dass die Sagaschreiber die Kämpfe mit den Waffen oder bei 
Gericht mit besonderer Vorliebe behandelten und hiebei ihre 
literarische Kunst am meisten entfalteten. Die übrigen Arbeiten 

^ Riebard Heinzel, Beschreibung der isländischen Saga, in den 
^Sitzungsberichten der phllos. - histor. Glasse der kaiserl. Akademie der 
Wissenschaften". 97. Band. Jahrgang 1880. Heft 4 bis 6. Wien 188t. 
Octav. Seite 189. 



— 19 — 

im Hause, auf der Wiese, im Felde und Busche u. s. w. 
werden nur beiläufig erwähnt, ebenso die wichtigeren Ereig- 
nisse der Geschichte des isländischen Freistaates. Gegen 
Ende der Saga nimmt die Kürze der Darstellung 
auffallend zu, so dass es beinahe den Eindruck macht, 
als ob der Verfasser bereits des Schreibens müde geworden 
wäre. Den Abschluss bilden gewöhnlich genealogische Auf- 
zählungen, Angaben über die Nachkommenschaft einer hervor- 
ragenden Person und ihre Verbindung mit anderen Ge- 
schlechtern. ^ 

Es erhellt aus allem Mitgetheilten, dass die isländischen 
Geschlechtssagas durch die wertvollen Beiträge, welche sie 
uns für die altnordische Geschichte, besonders Islands und 
Norwegens liefern, von hoher Wichtigkeit sind; allein das 
hauptsächlichste Interesse, das sie uns darbieten, ist doch 
mehr allgemein culturgeschichtlicher und ästhetischer Art. 
„In klaren, dramatisch anschaulichen Zügen führen sie uns 
eine Menge farbenreicher Bilder von Leben und Sitten, von 
eigenthümlichen, grossartig angelegten Menschennaturen vor, 
welche oft mit überraschend feinem psychischem Gefühle 
und mit dem sichersten Sinn für das Charakteristische ge- 
schildert werden. Es ist hier oft schwer zu bestimmen, wo 
die Grenze zwischen Geschichte und Dichtung liegt; denn 
wenn es auch über jeden Zweifel erhaben ist, dass allen 
diesen Schilderungen wirkliche Begebenheiten zu Grunde 
liegen und zwar nicht blos im grossen Ganzen, sondern 
auch bei dem überwiegenden Theile der Einzelheiten, so ist 
es doch unverkennbar, dass auch die Poesie ihren Antheil 
daran hat.''^ In der Hauptsache sind diese Sagas wahrheits- 

^ B. Döring, Bemerknngeu über Stil and Typus der isländischen 
Saga. Seite 3 bis 4 und 37. — Die Geschlechtssagas werden gewöhnlich 
nach dem Schauplatze, auf welchem die erzählten Begebenheiten vor- 
fielen, in Sagas des Stld-, West-, Nord- und Ostviertels der Insel Island 
unterschieden. Eine vortreffliche Uebersicht derselben nach dieser Ein- 
theilung gibt N. M. Petersen im „Bidrag" etc. (in den „Annaler^'). 
Seite 267 ff. Ferner: G. Lund, Den oldnordiske Literatur, Seite 55 ff. F. W. 
Hörn, Geschichte der Literatur des skandinavischen Nordens, Seite 47 ff. 

^ F. W. Hörn, Geschichte d. Literatur der skandinavischen Nordens, 
Seite 46. 

9* 



— 20 — 

getreu und zuverlässig, in Einzelheiten aber zeigen sie — 
die einen mehr, die andern weniger — eine Vereinigung der 
Geschichte mit episch -dramatischer Dichtkunst^ und der 
grosse dänische Literarhistoriker Niels Mathias Petersen 
hat sie darum nicht mit Unrecht mit Goethe's „Wahrheit 
und Dichtung" verglichen.^ Jedenfalls beziehen sich die Ab- 
weichungen von der Wirklichkeit, welche sich die Saga- 
schreiber erlauben, weniger auf die geschilderten Begeben- 
heiten und Personen, als vielmehr auf das Verhältnis des 
Verfassers oder Lesers zu denselben. „Die Saga gibt uns 
vollständigere und deutlichere Bilder des Menschenlebens, 
als es die Wirklichkeit zu geben vermag. 

Wir können keines Menschen Schicksal vom Anfang 
bis zum Ende mit unseren Sinnen begleiten, möchten es 
aber wohl, wenn die Persönlichkeit oder Beschaffenheit 
seines Lebens — von dem wir Bruchstücke gesehen, uns 
interessieren. Die Saga verschafft den Anschein einer solchen 
über die Wirklichkeit hinausgehenden Erfahrung bis zu 
einem gewissen Grade." ^ 

Mit dem Uebergange Islands an Norwegen im Jahre 1263 
und mit der Einführung des neuen Gesetzbuches, der J6ns- 
bök (1280) — welche mit späteren Ergänzungen theilweise 
noch heute in Kraft ist — hatte gegen Schluss des 13. Jahr- 
hunderts die Selbstregierung der Isländer ein Ende gefunden. 
Die Folge davon war, dass die Theilnahme an den öffent- 
lichen Angelegenheiten und der Gemeinsinn schwanden, die 
Gesänge der Skalden verstummten und die Sagaschreibung, 
ihrer einheimischen Quellen beraubt, sich von da an fremden 
Stoffen zuwandte. Mit dem 15. Jahrhundert trat^ ein beinahe 
völliger Stillstand im geistigen Leben der Isländer ein. An die 
Stelle neuen Schaffens trat Abschreiben und Bearbeiten des 



^ Bidrag etc. in den „Annaler", Seite 221. 

^ R. Heinzel a. a. O. (Seite 18) Seite 303. Yergl. dazu die tre£flichen 
Bemerkungen N. M. Petersen^s a. a. O. Seite 219 bis 222. G. Lund, Den 
oldnordiske Literatur, Seite 64 und N. M. Petersen's vorzügliche Abhand- 
lung ,,0m Sagaernes Pälidelighed*' im 4. Bande seiner ,,Hi8toriske For- 
teellinger om Islsendernes Faerd" etc. 2. Udg. KJ0benhavn 1868. Octav. 
Seite 265 ff. 

3 Vergl. O. Brenner, Altnord. Handbuch. Leipzig 1882. Seite 12. 



— 21 — 

Alten, man träumte sich am liebsten in die bessere Vergangen- 
heit zurtlck, als deren unvergängliche Denkmäler die alten 
Sagas geblieben waren ; fortwährend wurden dieselben gelesen 
und abgeschrieben, und so erklärt es sich, dass die alte islän- 
dische Sprache in ihren Formen erstarrte und ohne inneres 
Leben auch keine äussere Entwicklung erfuhr. Erst mit der 
Reformation und der Einführung der Buchdruckerkunst auf 
der Insel im 16. Jahrhundert begann ein neues Leben auf 
Island; die Reformation brachte neue Stoffe und neue Kraft 
und mit ihr beginnt die Epoche der neuisländigchen 
Sprache und Literatur, die natürlich hier nicht weiter an- 
gedeutet werden kann. Nur eines Productes derselben soll 
hier noch gedacht werdcL'. einer merkwürdigen Erscheinung, 
die vir schon sei' uem 15. Jahrhundert (und bis herab in 
das 18. Jahrhundert) beobachten können: dass nämlich eine 
grosse ZM neuisländischer Dichter eine ^Art Repetition mit 
der Sagaliteratur'' vornahm, indem sie sowohl einheimische 
Geschlechts- als auch romantische Sagas in Verse, sogenannte 
Rimas (isländisch rimur) umsetzten. Diese Rimas wurden 
nach bestimmten Mustern abgefasst: sie begannen mit einem 
einleitenden Gesänge als allgemeinen Ausdruck von Liebes- 
gefühlen, und daran schloss sicli oie strophische Wiedergabe 
des alten Sagastoffes in einei Reihe von Gesängen, deren 
jeder sein besonderes Versmass hatte. Die Strophen waren 
meist vierzeilig und durch Buchstaben- sowie Endreime 
miteinander verbunden; ihr Stil zeigte grosse Schwerfällig- 
keit und eine Fülle von bildlichen Umschreibungen, uie 
entweder der alten Skaldenpoesie geradezu entnommen oder 
ihr doch nachgebildet waren. Nur ein kleiner Theil dieser 
Rimas erschien im Drucke; die meisten cursierten nur hand- 
schriftlich und wurden seltener für sich allein, sondern vor- 
wiegend in Begleitung einer einförmigen Melodie — auch 
zum Tanze — vorgetragen, woran die Isländer bis in die 
neueste Zeit herab grossen Gefallen fanden. Dessenungeachtet 
sind aber die alten Sagas bis auf den heutigen 
Tag die liebste Leetüre der Isländer geblieben.^ Jahr 

1 Vergl. C. A. de Fonblanque, Five weeks in Iceland. London 1880. 
Octay. Seite 115: »They (the Icelanders) are passionately devoted to 



— 22 - 

für Jahr lauschen die Isländer an den langen Winterabenden 
der Stimmen ihrer ruhmvollen Vergangenheit, die ihnen aus 
den laut gelesenen Sagas in ungeschwächter Kraft und Fülle 
entgegen tönen; niemals werden sie dieser Erinnerungen 
müde, obschon sie häufig mit ihrem Inhalte derartig vertraut 
sind; dass sie die kleinsten Einzelheiten und die oft höchst 
verwickelten genealogischen Verhältnisse der wichtigsten 
Sagas auswendig wissen. Arme Leute, die sonst keinen Unter- 
halt finden, verschaflFen sich denselben als herumziehende 
Vorleser der alten Sagas. Das erste Buch, welches den 
isländischen Knaben zum Lesen gegeben wird, ist eine alte 
Saga, z. B. die Volsunga, Hervarar und Fridthjöfs Saga, 
wodurch der nationale Sinn des Isländers von Jugend auf 
geweckt und gefördert wird wie kaum in irgend einem 
zweiten Lande. Die Sagas werden auch gewiss für alle 
Zeiten das herrlichste, unvergänglichste Denkmal des isländi- 
schen Volksgeistes bleiben, wie dies niemand schöner und 
tiefsinniger als C. F. Koppen in der von uns als Motto aus- 
gehobenen Stelle seines classischen Buches ausgedrückt hat. 



their own beautiful Sagas". — Ueber das zuletzt Gesagte vergl. Klaehn 
Island (Geschichte) in Ersch und Gruber's Encyklopädie, 2. Section, 
31. Band. Leipzig 1855. Quart. Seite 237. Rosselet, Isländische Sprache. 
Ebendaselbst) Seite 314. 



Einleitung in die Saga 



von 



Hrafnkell Freysgodl. 



£ine der interessantesten altisländischen Ge- 
schlechtssagas ist die Saga von Hrafnkell Freysgodi, 
die sich bei ihrem vorwiegend einzelbiographischen Inhalte 
beinahe einer ausgesprochenen Lebensbeschreibung nähert. 
Diese Saga ist zwar nicht in der classischen Reinheit und 
dem „unvergleichlichen Mustervortrage", welcher die Njils- 
und Egilssaga so sehr auszeichnen, geschrieben, aber jeden- 
falls in einem echt historischen, vortrefflich erzählenden 
Stile. Der gänzliche Mangel an Versen, dem Schmucke der 
meisten Sagas, wird reichlich aufgewogen durch den ungemein 
kräftigen und charakteristischen Dialog, welcher in dieser 
Saga mit ausserordentlicher Wahrheit hervortritt, und dürfte 
namentlich das achte Capitel derselben in dieser Beziehung 
seinesgleichen suchen. Unsere Saga hätte es längst ver- 
dient, auch ausserhalb dem engeren Kreise der Fach- 
gelehrten bekannt zu werden, da sie ein ebenso interessantes 
als charakteristisches Zeitbild altnordischen Lebens auf Island 
in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts n. Chr. entrollt. 
Im Bahmen einer spannenden, stetig fortschreitenden Er- 
zählung lernen wir viele und wichtige Züge des damaligen 
Lebens auf der fernen Insel kennen. Besonders über den 
Vorgang bei den Thingversammlungen in der ältesten Zeit, 
über Götterverehrung und Aberglauben, über Wesen und 
Bereich der Godengewalt enthält unsere Saga wichtige Nach- 
richten, wodurch sie zunächst als historische Quelle ihren 
besonderen Rang einnimmt. Aber auch abgesehen hievon, 
ist das ästhetische Interesse, welches uns diese Saga gewährt, 
kein geringes. 



--26 - 

Vortrefflich gezeichnete, scharf ausgeprägte 
Menschennaturen treten uns da gegenüber. Vor 
allen der Held der Saga, Hrafnkell mit dem Beinamen 
„Freysgodi"^; ein durchaus kräftiger und energischer 
Charakter echt nordischen Schlages, dessen männliche Tüch- 
tigkeit, Tapferkeit und Entschlossenheit uns Achtung ab- 
nöthigen, wenn wir ihn auch von Uebermuth und Bücksichts- 
losigkeit nicht freisprechen können, da er im Bewusstsein 
seines Wertes niemand als seinesgleichen erkennen, keinem 
für zugefügte Unbill Erstattung gönnen will. Nicht so sein 
würdiger Gegner Sdmr. An Thatkraft jedenfalls jenem nach- 
stehend, muthet er uns doch durch sein milderes, zugäng- 
licheres Naturell, durch die edlen Regungen seines viel 
weicheren Gemüthes sofort sympathisch an. Ergreifend ist 
seine rührende Anhänglichkeit an seinen greisen Oheim 
Thorbjörn und seine hingebende, aufopfernde Bereitwillig- 
keit, jenem unterdrückten Verwandten sein Recht zu ver- 
schaffen: Züge, welche mit unnachahmlicher Einfachheit in 
unserer Saga geschildert werden. Dass Hrafnkell schliesslich 
doch die Oberhand behält, erklärt sich eben aus seiner 
Sämr überragenden Thatkraft und Entschlossenheit, die in 
jenen rauhen Zeiten den Sieg davon tragen mussten. — 
Sämr's Bruder Ey vindr, der nur episodisch auftritt, ist ein 
herrliches Bild des echten nordischen Recken des Mittel- 
alters, dem das Leben nichts gilt, wenn die Ehre auch nur 
scheinbar auf dem Spiele steht. — Sämr's wackere Genossen, 
Thorkell und Thorgeirr, erscheinen ebenfalls als wahre, 
ganze Männer, deren treue und ausdauernde Freundschaft 
unsere Bewunderung verdient. — Wir hoffen, dass die 
Leetüre der Saga unsere vorläufigen Andeutungen recht* 
fertigen werde. 

Der Inhalt der Erzählung im Ganzen erscheint 
durchwegs glaubwürdig.^ Abgesehen von den fast unwill- 



^ d. h. Gode (= Priester), des altgermanischen Gottes Frey r, siehe 
Capitel 2 unserer Uebersetznng. — Die übrigen hier erwähnten Namen 
finden im Verlaafe der Erzählang ihre Erklärung. 

^ P. E. Müller, Sagabibliothek, 1. Band (der dänischen Ausgabe), 
Seite 108: „Sagaen sjnes aldeles paalidelig**. Vergl. auch Eonrad Maturer, 



— 27 — 

kürlichen kleinen Veränderungen, denen jede durch münd- 
liche Tradition lange fortgepflanzte Erzählung beinahe noth- 
wendig unterworfen ist, dürfte sich in dieser Saga vielleicht 
gar nichts finden, was als poetische Ausschmückung des 
historisch Ueberlieferten sicher zu erkennen wäre. Diese 
Saga entbehrt sogar der gewöhnlichen, in weit zurück- 
liegende Zeiten sich erstreckenden Geschlechtsregister voll- 
kommen, enthält aber dafür eigenthümliche und seltene Züge 
von dem ältesten Leben auf Island (vergl. oben Seite 25), 
wozu besonders die Mittheilung über die Verehrung des 
Gottes Freyr, dem der Hengst Freyfaxi geweiht wurde, 
gehört. Mehrere von den in der Saga genannten Persönlich- 
keiten werden auch anderwärts erwähnt.^ 

Die erzählten Begebenheiten haben sich nach den 
in der Saga selbst gegebenen Anhaltspunkten (Capitel 1) 
im Beginn des 10. Jahrhunderts, n. Chr. zugetragen und zwar 
in der letzten Zeit des Königs Haraldr des Haarschönen 



Beiträge zur Rechtsgeschichte des germanischen Nordens. 1. Heft. 
München 1852. Octav. (Auch mit dem Titel: Die Entstehung des isländi- 
schen Staates und seiner Verfassung.) Seite 126 : ^die äusserst verlässige 
Hrafnkels-Saga»\ 

^ So Hrafnkell in der Landndmabök (Islendinga sögur, 
Kaupman«ahöfn 1829. Octav. I. pag. 189 bis 190, 213, 249; ferner in 
den „Islendinga sögur^'. Kjobenhavn 1843. Octav. I. pag. 245) und im 
Brandkrossa ]}dttr (Vapnafirdinga saga etc. besorget og oversat af 
^. Thordarson, udgivet af det nordiske Literatur • Samfund. Kj0ben- 
havn 1846. Octav. Seite 57). Die abweichenden Angaben des letzteren 
können nicht in Betracht kommen, da derselbe historisch unsicher ist. 
Dagegen muss es bei der sonstigen Verlässlichkeit der Landn^mabök 
a.uffallen, dass in derselben Thaten von HrafnkelPs Vater (in der Saga 
Hallfredr, in der Landndmabök Hrafn genannt) auf den Sohn, nämlich 
Hrafnkell selbst, übertragen werden, sowie auch sein Wohnort abweichend 
^on der Saga angegeben wird. Die Vergleichung der äusserst kurzen 
Notiz in der Landnämab6k mit der ausführlichen Darstellung in der 
^aga lässt wohl keinen Zweifel übrig, letzterer den Vorrang einzuräumen. 
(Vergl. hierüber: P. G. Thorsen und K. Gislason in der „Fortale" zu 
ihrer ersten Ausgabe der Hrafnkelssaga. Kjobenhavn 1839. Octav. Seite 8 
bis 12.) — Sonst findet sich noch Thorm<5(tr Thjöstarsson, der in 
<ier Saga (Capitel 8) nur vorübergehend erwähnt wird, in der Land- 
nämabök aufgeführt. Von Hrafnkeirs Nachkommen erzählt die 
Vapnafirdinga- und Droplaugarsonasaga. 



— 28 — 

(regierte 863 bis 933) von Norwegen (vergl. oben Seite 5, 6) 
und zu Anfang der Regierung seines zweiten Nachfolgers 
Häkon I. Actalsteinsföstri; der von 938 bis 963 in 
Norwegen herrschte^: also ungefähr zwischen den Jahren 
925 bis 945 n. Chr. Die Aufzeichnung der Saga dürfte 
ungefähr gleichzeitig mit jener der NjÄls- und Egilssaga um 
die Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgt sein.^ 

Die Saga ist uns in zahlreichen Handschriiten^ 
erhalten, auf deren Grund bis jetzt drei gedruckte Auf- 
gaben derselben erschienen sindj^ dieselbe wurde bereits 
viermal in's Dänische übersetzt"' und erscheint nun 
zum erstenmale im deutschen Gewände. 



^ Andr. Faye, Geschichte von Norwegen. Leipzig 1851. Octav. Seite 26. 

^ P. E. Müller, Sagabibliothek. 1. Band (der dänischeu Aasgabe), 
Seite 108. Kar] L. Sommerfell in der „Indiedning" seiner Ausgabe 
unserer Saga. Kristiania 1879. Octkv. Seite 6. 

3 Das Nähere fiber die Beschaffenheit der Handschriften und deren 
Verhältnis untereinander enthält die „Fortale** Thorsen's und Gislason's 
zu ihrer ersten Ausgabe unserer Saga. Seite 16 ff. 

* Die erste gedruckte Ausgabe erschien 1839 unter dem Titel: 
Sagan af Hrafnkeli Freysgoda. üdgiven af P. G. Thorsen og Konr^dr 
Gfslason. Kj0benhayn 1839. Octav. Die zvreite Ausgabe erschien als 
erster Band der ,,Nordiske Oldskrifter** mit dem Titel: Sagan af Hrafn- 
keli Freysgoda, anden Udgave, besorget ved K. Gfslason og oversat af 
N. L. Westergaard. Kj0benhayn 1847. Octav. Die dritte, neueste Aus- 
gabe ist eii> Wiederabdruck ler vorigen, jedoch mit einer Capitel- 
eintheilung, einer orientierenden Einleitung und vortrefflichen Anmerkungen 
in norwegischer Sprache (zum Schulgebrauche) versehen und fährt %ien 
Titel: Sagan af Hrafnkeli Freysgoda, med forklarende Anmserkninger 
udgiven til Skolebrug af Karl L. Sommerfeit. Kristiania 1879. Octav. — 
Einen ziemlich ausführlichen liihaltsau^zug in dänischer Sprache 
gibt P. E. Müller in seiner „Sagabibliothek", 1. Band, Seite 103 bis 108; 
ferner C. Rosenberg in seinen „Trsek af Livet paa Island i Fristats- 
Tiden**. KJ0benhavn 1871. Octav. Seite 38 bis 48. Eine kurze Inhaltsangabe 
gibt P. E. Kristian Kälund in seinem „Bidrag til en historisk topografisk 
Beskrivelse af Island". IL 2. Kjobenhavn 1882. Octav. Seite 218— 221, 232 n. a. 
Schwedisch erzählt Hans Olof Hildebrand in seinem „Lifvet pälsland ander 
sagotiden**, Stockholm 1867. Octav. Seite 72 bis 76 den wesentlichen Inhalt ; 
deutsch ganz kurz Konrad Maurer, Beiträge etc. 1. Heft, Seite 126bi8l28. 

^ Die erste dänischeU ebersetzung erschien im Jahrgang 1818 
der dänischen Monatsschrift „Minerva**, Augustheft, pag. 97 bis 140; die 
zweite in der Jngendschrift „Danebroge**, 1841; die dritte von N. L. 



— 29 — 

Fragen wir endlich nach dem Schauplatze der in 
der Saga erzählten Begebenheiten, so ist derselbe im 
östlichen Viertel der Insel Island zu suchen. Die ganze 
Insel ist gleich Norwegen vielfach vom Meere ausgefurcht. 
Auf allen Seiten, mit Ausnahme eines Theiles der Südküste, 
schneidet ein Meerbusen (isländisch Qördr, daher dänisch 
Fjord) nach dem anderen tief in das Land hinein und hat 
gewissermassen noch am Festlande seine Fortsetzung in den 
ebenso zahlreichen Thälern, durch welche die vom Innern 
des Landes herabströmenden Flüsse (isländisch är, sing. 
i, fem.) ihren Ausfluss zum Meere finden. Nur diese, an der 
Küste sich erweitenden Thäler, sowie das Gelände der Meer- 
busen und die Küstenstriche selbst machen den eigentlich 
bewohnbaren Theil von Island aus. Das ganze Innere der 
Insel ist eine öde Hochebene, theils flach und wüstenartig, 
mit unermesslichen Strecken von vulcanischem Sande (sandar) 
und erstarrter Lava bedeckt, hie und da von einigen spär- 
lich bewachsenen Stellen unterbrochen; theils von unge* 
heueren Gletschern (jöklar, sing, jökull), Vulcanen und 
anderen Bergen erfüllt. Unter den Gletschern ist der kolos- 
sale Elofa- oder VatnajökulP, welcher den ganzen süd- 
östlichen Theil der Insel ausfüllt (150 Quadratmeilen be- 
deckend), der ausgedehnteste von allen. Die grössten 
isländischen Ströme verdanken ihm ihren Ursprung, so auch 
die beiden mächtigen Wasseradern, die er gegen Nordwesten 
entsendet. Dieselben fliessen zuerst nahezu parallel, nähern 
sich dann einander mehr und mehr und ergiessen sich 
zuletzt in geringem Abstände in die breite Bucht H^rads- 
fl6i (an der Ostküste der Insel). Der östliche dieser Flüsse 
führt den Namen Lagarflj 6t (auch Jökulsä Lagarfljöt) und 
durchströmt in seinem oberen Laufe den Fljötsdalr (d. h. 
das Flussthal), um sich weiter unten zu einem Landsee, 
dem eigentlichen Lagarfljöt, von fast unmerklicher Strömung 

Westergaard aU Beigabe zur bereits (Seite 28) angeführten Ausgabe des 
Originaltextes von 1847; die vierte in dem Buche von F. W. Hörn: 
BiUeder af Livet paa Island. Ej0benhavn 1871. Octav. pag. 91 bis 121. 
^ Spr. Klowa- und Watna. — Der Name bedeutet ^I^lüfte-** und 
»Wasser*^-Qlet8cher. 



— 30 — 

zu erweitern; dessen Umgebung heisst das Fljötsdals- 
h^raä (d. h. die Flussthallandscfaaft); welches von einigen 
für die ^schönste und beste Landschaft in Island'^ gehalten 
wird. ^Der Boden ist sehr fruchtbar, hat angenehme Gras- 
felder, die mit kleinen Birkenwäldern abwechseln, worin an 
einigen Orten Bäume befindlich sind, die man zum Bauholz 
bequem findet. Die Einwohner haben einen nicht sehr weiten 
Weg nach dem oiffenbaren See (Lagarfljöt), wo sie sich hin 
begeben, um Dorsch, Eishaie und andere Fische zu fangen, 
weiter hinauf im Lande gibt es auch einige fischreiche Seen 
und Bäche. Alles dies zusammengenommen gibt dem Fljöts- 
dalsh^rad wahre Vorzüge vor anderen Gegenden in Island."' 
— Der westliche jener beiden Flüsse heisst die Jökulsä 
ä brü (d. h. der Gletscherfluss mit Brücke) und bewässert 
den Jökulsdalr (d. h. das Gletscherthal); über dieselbe 
führte lange Zeit die einzige Brücke auf Island, daher der 
Beiname „d brü" (wörtlich: an der Brücke). Die Jökidsä 
& brü ist der reissendste aller isländischen Ströme; von 
steilen Felswänden eingeklemmt stürzt sie in jähem Falle 
herab und erweitert sich erst im flachen Lande nahe bei 
ihrer Mündung, nachdem sie nicht weniger als 38 Neben- 
flüsse während ihres ganzen Laufes aufgenommen. Der von 
ihr durchströmte Jökulsdalr sowie der Fljötsdalr bilden die 
längsten Thäler auf Island. Von dem Jökulsdalr zweigt sich 
in südöstlicher Richtung ein Seitenthal ab, welches nach 
dem Helden unserer Saga noch heute den Namen Hrafn- 
kelsdalr führt.2 



^ Eggert Olafsen, Seine und Bjarne Povelsea's Reise durch Island etc. 
1. Band. Kopenhagen 1774. Quart. Seite 69, 70. — Zu bemerken ist, 
dass man sich unter den ,fkleinen Birkenwäldern" nur ein zumeist 
1 bis 2, in Ausnahmsfällen 5 bis 6 Meter hohes Birkengebüsch vor- 
stellen muss. (Maurer, Island etc.. Seite 6.) 

^ Yergl. zu dem zuletzt Gesagten: })orvaldur Thoroddsen, Lysing 
Islands. Kaupmannahöfn 1881. Octav. Seite 8, 16, 22, 45. Ferner Karl 
J. Sommerfeit in der ^Indledning** seiner Ausgabe unserer Saga (oben 
Seite 28). Hiezu die Karte von Island in K. M. Petersen^s „Historiske 
Fortsellinger om IslaBndernes Fserd" etc. Anden Udgave. 4. Band. 
Kj0benhayn 1868, Octav, und in C. J. L. Lönnberg*s „Fornnordiska 
sagor". 1. Band. Norrköping 1870. Octav. 



Die Saga von Hrafnkell Freysgodi. 

(Sagan af Hrafnkeli Freysgoda.) 



Ans dem Alt-Isländischen zum erstenmale in*s Deutsche übersetzt. 



Die grösseren Ziffern im Texte besiehen sich aaf die Erläuterungen am 

Schlüsse. — 

Der Uebersetsung liegt die neueste Ausgabe der Saga 
von K. L. Sommerfelt zu Grunde, siehe oben Seite 28, Anmerkung ^ 



1. Capitel. 

Es war in den Tagen des Königs Haraldr des Haar- 
schönen 1) — des Sohnes Hälfdann des Schwarzen, des Sohnes 
Guäröär des Jagdkönigs, des Sohnes Hälfdann des Freigebigen 
und Kostkargen, des Sohnes Eysteinn Fret's, des Sohnes 
Olafr Zimmermannes, des Schwedenkönigs — dass ein Mann 
namens Hallfredr auf seinem Schiffe nach Island (und zwar) 
nach dem Breiädalr2) kam; dieser liegt südlich von dem 
Fljötsdalshärad. Auf seinem Schiffe war (auch) seine Frau 
und sein Sohn, welcher HrafnkelP hiess; dieser war damals 
fünfzehn Jahre ^ alt, hoffnungsvoll und tüchtig. Hallfredr 
siedelte sich an 3). Im Winter (darauf) starb (ihm) eine aus- 
ländische Magd, welche Arnthnidr hiess; und deshalb heisst 
diese Stelle seither Arnthriidarstadir.^ Aber im (folgenden) 
Frühjahre verlegte Hallfredr seinen Wohnsitz nordwärts 
über die Heide 4) und Hess sich dort nieder, wo es Geit- 



1 Dieser Name bedeutet „Rabenkessel*'; kell, abgekürzt fßr ketill 
(Kessel) findet sich häufig bei isländischen Eigennamen, z. B. Tborkell 
u. s. w. Vergl. übrigens hiezu Erläuterung 58. 

^ WMIlfch: „fünfzehn Winter^*. Anstatt nach Tagen und Jahren 
zählte man im alten Norden nach Nächten und Wintern. Näheres siehe 
Erläuterung 20. 

3 Wörtlich: „zu Arnthrüdarstadir*' d. h. Stätte der ArnthrMr. Die 
isländischen Ortsnamen erscheinen in den Sagas öfters mit solchen 
Präpositionen verbanden, die im Deutschen nicht gut übersetzbar sind. 
Die Ortsnamen sind sehr einfach und wiederholen sich häufig. Sehr viele 
heissen stadir (Stätte), andere hölar (Hügel), vik (Bucht), z.B.: Reykja- 
vik (Rauchbucht, vergl. oben Seite 5 Anmerkung); in manchen ist der 
Name des ersten Ansiedlers erhalten, wie z. B. Hrafnkelsdalr. 

Hnfokell. 8 



— 34 — 

dalr^ heisst. Und in einer Nacht träumte 5) ihm; dass ein 
Mann zu ihm kam und sagte: „Da liegst du Hallfredr! 
und sehr unbesonnen; begib dich weg (von hier)^ und west- 
wärts über den Lagarfljöt; dort ist dein Glück vollständig". 
Darnach erwachte er und schlug seine Wohnstätte jenseits 
der Rangä auf der Landzunge 6) an der Stelle auf, welche 
seither Hallfredarstaäir heisst, und wohnte dort bis zu seinem 
Alter. Es blieben ihm aber (in seiner vorigen Behausung) 
eine Ziege und ein Bock zurück; und denselben Tag, an 
welchem Hallfredr weggezogen war, stürzte eine Bergscholle 
auf seine (vorige) Wohnung und beide Thiere gingen dabei 
zu Grunde. 3 Deshalb heisst diese Stelle seither Geitdalr. 

S. Capitel. 

Hrafnkell machte es sich zur Gepflogenheit, im Sommer 
über die Heide?) zu reiten. Damals war der Jökulsdalr* 
(bis) zur Brücke 8) hinauf ganz bewohnt. Hrafnkell ritt (nun) 
längs dem Flj6tsdalsh6rad aufwärts und sah, dass sich vom 
Jökulsdalr hinauf ein unbewohntes Thal hinzog; dies schien 
ihm zur Besiedlung geeigneter als die anderen Thäler, welche 
er zuvor gesehen hatte. Als er nach Hause kam, bat er 
seinen Vater um Theilung des Vermögens und sagte ihm; 
dass er sich dort^ einen Hof bauen wolle. Dies gewährte 
ihm sein Vater, und er erbaute sich in jenem Thale seinen 
Hof und nannte ihn Adalböl.^ Er heiratete (hierauf) Odd- 
björg, die Tochter Skjaldiilfr's aus dem Laxärdalr9); sie 
bekamen zwei Söhne, der ältere hiess Thörir, der jüngere 
Asbjörn. Als aber Hrafnkell das Land zu Adalböl (in Besitz) 
genommen hatte, da veranstaltete er ein grosses Opfer; er 
Hess einen grossen Tempel erbauen 10). Hrafnkell liebte 

1 Wörtlich: „In Geitdalr", d. h, im Ziegenthal. 

2 Wörtlich: „Führe du deine Wohntmg weg (von hier)". 

3 Ebendasselbe Naturereignis erzählt die Landnämab(Sk IV. 3. 

* Vergl. hiezu oben Seite 29 bis 30. Dalr, entsprechend dem deutschen 
„Thal"ist im Isl&ndischen männl. Geschlechtes, daher „derJökulsdalr"a. s.w. 

^ d. h, in jenem unbewohnten Thale, später Hrafnkelsdalr genannt. 
Siehe auch Erläuterung 16. 

* Bedeutet so viel als „Hauptwohnung". 



— 35 - 

keinen Gott mehr als Freyrll) und ihm gab er von allen 
seinen besten Kostbarkeiten die Hälfte. Er besiedelte das 
ganze Thal und gab den Männern Land, wollte aber doch 
deren Obermann sein und eignete sich die Godenwürdel2) 
über dieselben an. Infolge dessen wurde sein Name ver- 
längert^ und er der Freysgode genannt. Hrafnkell war ein 
überaus rücksichtsloser, aber sehr tüchtiger Mann. Er unter- 
warf sich (auch) die Männer des Jökulsdalr zu Thing- 
männern 13). 

Er war nachgiebig und sanft mit seinen Leuten, aber 
rauh und hart gegen die Männer des Jökulsdalr; und die- 
selben erlangten von ihm keine Billigkeit. Er stand oftmals 
in Zweikämpfen 14), büsste aber keinen Mann mit Geld; 
denn keiner bekam von ihm irgend welche Bussgelder 15), 
was immer Hrafnkell ihm angethan haben mochte. 

Das Fljotsdalsh^rad ist schwierig zu passieren, sehr 
steinig und sumpfig; dennoch ritten Vater und Sohn 2 häufig 
zu einander, denn gutes Einvernehmen herrschte zwischen 
beiden.^ Hallfredr dünkte dieser^ Weg beschwerlich und er 
suchte sich (deshalb) einen Pfad oberhalb der Berge, welche 
sich im Flj6tsdalsh^rad erheben; er bekam da einen trocke- 
neren, aber längeren Weg und dieser heisst Hallfredargata. ^ 
Denselben passieren (aber) nur die, welche imFlj6tsdalsh^rad 
am meisten (orts-)kundig sind. 

3. Capitel. 

Ein Mann hiess Bjarni und wohnte auf dem Hofe 16), 
welcher Laugarhüs ^ hiess; dieser lag im Hrafnkelsdalr. 



^ d. h. er erhielt einen Beinamen. 

2 Nämlich Hallfredr und Hrafnkell. 

3 Wörtlich: „denn gut war es in der Verwandtschaft derselben". 

* d. h. bisher von ihm eingeschlagene Weg. 

* d. h. Weg des Hallfredr: gata = Weg, Strasse (schwedisch ebenso, 
dänisch „Oade^*), ist das deutsche „Gasse" und wird häufig in Zusammen- 
setzungen gebraucht. 

^ d. h. „Badehaus", so genannt wegen der daselbst befindlichen 
warmen Quellen, welche den Umwohnern als Bad (= laug, fem.) dienten; 
dieselben sind noch heute ergiebig. 

8* 



-- 3« -^ 

Bjarni war verheiratet und hatte von seiner Frau zwei 
Söhne; dereine hiess Sämr^, der andere Eyvindr* — (beide) 
schöne und vielversprechende Männer. Ejvindr war bei 
seinem Vater zu Hause, Sämr aber war verheiratet und 
wohnte weiter nördlich im Thale auf dem Hofe, welcher 
Leikskälar^ hiess, und besass viel Gut. SÄmr war ein sehr 
ehrgeiziger und gesetzeskundiger Mann; Eyvindr aber wurde 
Handelsmann, fuhr nach Norwegen und war den Winter 
über dort. Von da reiste er weiter in (andere) Länder und 
nahm Aufenthalt in Mikligardr 17), gewann hier grosses 
Ansehen beim griechischen Kaiser^ und verweilte daselbst 
einige Zeit. 

Hrafnkell hatte in seinem Eigenthum ein Kleinod, 
welches ihm besser als (jedes) andere schien. Dies war ein 
Hengst von brauner Farbe, mit einem schwarzen Streifen 
längs dem Rücken herunter, welchen er Freyfaxi nannte. 
Er gab^ denselben seinem Freunde Freyr zur Hälfte. Zu 
diesem Hengste hatte er so grosse Neigung, dass er das Ge- 
lübde that, er wolle den Mann tödten^ welcher ohne seinen 
Willen auf ihm reiten würde. 



CapiteL 

Thorbjörn hiess ein Mann; er war Bjarni's Bruder und 
wohnte im Hrafnkelsdalr auf dem Hofe, welcher HöU '^ heisst, 
gegenüber Adalböl, östlich von (diesem). Thorbjörn hatte 
wenig Vermögen, aber eine grosse Kinderschaar. Sein ältester 
Sohn hiess Einarr; er war gross und sehr tüchtig. Es war 
in einem Frühlinge, dass Thorbjörn zu Einarr sagte, er möge 



^ Ein seltener Name, offenbar finnischer Abkunft. 

^ Ein sehr häufiger, auch noch heute in Norwegen Torkommender 
Name. 

3 Bedeutet ,, Spielhütten'* oder auch ,, Kampf hallen'*. 

^ Damals regierte ConstantinV. Porphyrogennetos, 911 bis 969 n. Chr. 

^ d. h. weihte. 

^ Wörtlich : „er wolle (eigentlich „soUte*') dem Manne zum Tode werden*'. 

^ Bedeutet „Hügel** und ist auch ein in Norwegen noch heute sehr 
gebräuchlicher Ortsname. 



— 37 — 

sich einen Dienst suchen: ^denn ich bedarf nicht mehr 
Arbeitskraft, als diese Leute, welche hier sind, (zu leisten) 
vermögen; übrigens wird es dir leicht werden, zu einem 
Dienste (zu kommen), denn du bist ein sehr tüchtiger Mann. 
Nicht Mangel an Liebe veranlasst diese (meine) Aufforderung 
an dich, des Weges zu ziehen; denn du bist mir von meinen 
Kindern das nützlichste. Vielmehr bewirkt dies mein Mangel 
an Vermögen und meine Dürftigkeit, und (der Umstand, 
dass) meine anderen Kinder (erst) arbeitstüchtig werden; 
dir wird es (daher) leichter sein, zu einem Dienste (zu 
gelangen), als ihnen^'.^ Einarr antwortete: „Allzu spät hast 
du mir darüber gesprochen; denn nun haben sich (bereits) 
alle die Dienste verschafft, welche die besten sind; und mir 
scheint es doch nicht gut, nur den Ausschuss davon zu 
erhalten" \ 

Darauf bestieg Einarr sein Pferd und ritt nach Adalb61. 
Hrafnkell sass in der Stube 18); er grüsste Einarr freund- 
lich und heiter. Einarr bat um Dienst bei Hrafnkell. Dieser 
erwiderte: „Warum bittest du so spät darum? Denn dich 
würde ich zuerst genommen haben. Aber nun habe ich (schon) 
alle meine Leute gedungen, ausgenommen bei der einzigen 
Arbeit, welche du nicht verrichten wollen wirst". Einarr 
fragte, welche diese wäre. Hrafnkell antwortete, dass er 
noch keinen Mann zur Hütung des Kleinviehes 19) auf- 
genommen hätte, und äusserte sich, dass er eines tüchtigen 
hiezu bedürfe. Einarr sagte, er kümmere sich nicht darum, 
ob, was er verrichte, dieses oder jenes wäre; und äusserte, 
dass er auf zwei Halbjahre 20) Unterhalt haben wolle. „Ich 
bestimme dir gleich die Bedingungen", sagte Hrafnkell; „du 
sollst fünfzig Schafe heimwärts in die Sennhütte treiben und 
alles Sommerbrennholz nach Hause schaffen; dies sollst du 
für zweier Halbjahre Unterhalt verrichten. Aber einen Punkt 
will ich doch (noch) mit dir festsetzen, wie mit meinen 



1 Der plötzliche, unvermittelte Uebergang der indirecten Bede in 
die directe, sowie umgekehrt gehört auch zu den (oben Seite 16) er- 
wähnten Eigenthümlichkeiten des Sagastiles. 

^ d. h. nur jene Dienste zu erhalten, welche die anderen ver- 
schmäht haben. 



— 38 — 

anderen Hirten. Freyfaxi geht mit seiner Stutenschaar21) im 
Thale herum; ihm sollst du Winter und Sommer Obsorge 
widmen. Aber in einem Punkte gebe ich dir Warnung: ich 
will; dass du dem Hengste niemals auf den fiücken kommst, 
wie gross dir auch die Noth wendigkeit hiezu erscheine;' 
denn ich habe hoch und theuer gelob t^ dass ich dem 
Manne Tod bringen würde,^ der auf ihm ritte. Dem Hengste 
folgen zwölf Stuten; welche auch immer derselben du zum 
Gebrauche für dich haben willst, (sei es) bei Tag oder 
Nacht,^ die sollen dir zu Gebote stehen. Thue nun, wie ich 
dir gesagt, denn es ist ein altes Sprichwort: „7,der trägt 
keine Schuld, welcher den anderen warnt"". Nun weisst du, 
was ich festgesetzt habe'^ 

Einarr erwiderte, er würde nicht so versessen sein, 
auf dem Hengste zu reiten, welcher ihm verwehrt wäre, da 
doch andere Bosse zum Ritte (vorhanden) wären. 



\ 



5. CapiteL 

Einarr ritt nun nach Hause, um seine Kleider (zu holen) 
und schaffte (dieselben) zum Hofe nach Adalb61. Darnach 
zog man vom Hrafnkelsdalr weg in die Sennhütte, ^ dorthin, 
wo es Grjotteigssennhütte heisst. Einarr ging es ganz gut 
im Sommer, so dass ihm nie ein Schaf verloren ging, gerade 
bis zur Mitte des Sommers; da aber geriethen ihm in einer 
Nacht nahebei dreissig Schafe^ in Verlust. Einarr suchte 
auf allen Weideplätzen und fand (dieselben) nicht; beinahe 
eine Woche fehlten ihm die Thiere.^ 

Es war eines Morgens, dass Einarr zeitig ausging, da 
es mit dem dicken Nebel von Süden und mit der Feuchtig- 



^ Wörtlich: , „wie grosse Noth wendigkeit dir auch dazu sei". 

2 Wörtlich: „dass ich dem Manne zum Tode werden würde". 

3 Im Originale: „bei Nacht oder Tag". 

* Wörtlich: „Darnach wurde vom Hrafnkelsdalr weg in die Senn- 
hütte gezogen". — Grjötteigr bedeutet „Steinfeld", 

^ Fünfzig hatte er im Ganzen, vergl. oben Seite 37. 

ö Wörtlich: „Ihm war das Vieh beinahe eine Woche mangelnd". 



— 39 - 

keit nachgelassen hatte. Er nimmt den Stab in seine Hand^ 
den Pferdezaum und die Satteldecke. Er geht über die Grjöt- 
teigsä, welche vorn an der Sennhütte fliesst, und dort auf 
der Sandbank lag das Vieh, welches abends daheim ge- 
wesen war. Er trieb dasselbe heimwärts zur Sennhütte und 
ging, jenes zu suchen, welches vorhin abgängig war. Da 
erblickt er die Zuchtrosse vorne auf der Sandbank und 
kommt auf den Gedanken, sich ein Pferd zum Ritte zu 
nehmen; es war ihm klar,^ dass er schneller vorwärts 
kommen würde, wenn er ritte, als (wenn er) ginge. Als er 
zu den Kossen kam, jagte er nach denselben und diese, 
welche nie gewohnt waren, vor einem Manne davonzulaufen,^ 
waren nun scheu — Freyfaxi allein ausgenommen; dieser 
war 80 ruhig, als wenn er eingegraben wäre. Einarr be- 
merkt, dass der Morgen vergeht und denkt, dass Hrafnkell 
nicht wissen würde, wenn er auch auf dem Hengste ritte. 
Nun ergreift er denselben, legt ihm den Zaum an, breitet 
die Satteldecke unter sich demselben auf den Rücken und 
reitet längs dem GrjötärgiP aufwärts, so weiter bis zu den 
Gletschern und westwärts längs dem (einen) Gletscher dorthin, 
wo die Jökulsä (äbrü)^ herabstürzt; dann mit dem Flusse 
abwärts bis zur Reykjasennhütte. Er fragte alle Schafhirten 
bei den Sennhütten, ob keiner dieses (ihm abgängige) Vieh 
gesehen hätte, aber man antwortete, keiner habe es gesehen. 
Einarr ritt Freyfaxi ununterbrochen von Tagesanbruch bis zur 
Vesperzeit; ^ der Hengst trug ihn schnell vorwärts und weit 
umher, denn er war sehr feurig, Einarr kam es da in den 
Sinn, das es für ihn Zeit wäre, erst das Vieh heimwärts 



1 Wörtlich: „es schien (ihm) zu wissen". 

2 So übersetze ich nach Cleasby - Vigfüsson's Icelandic-English 
dictionnarj, pag. 189 und Fritzner's Ordbog over det gamle nordiske 
Sprog pag. 191 (ganga undan = entschlüpfen) diese Stelle. F. W. Horn's 
Uebersetzung (a. a. O. Seite 97): „da de aldrig havde vseret vante, til 
at basre nogen", d. h. „da sie nie gewohnt gewesen waren, jemand 
zu tragen'*, ist hier offenbar unrichtig. 

3 d. h. die Kluft (gil, n.), durch welche die Grjötd (= Steinfluss) 
herabstürzt. 

■ 

* Vergl. oben „Einleitung" Seite 29 bis 30. 
^ Vergl. Erläuterung 25. 



— 40 — 

zu treiben^ welches zur Stelle war,^ wenn er auch jenes 
(verlorene) nicht iUnde. Er ritt nun ostwärts über die Höhen 
in den Hra&kelsdalr. Als er aber herab zurGrjötteigr kommt, 
hört er ein Blöken von Schafen längs der Bergkluft dort, 
wo er früher vorbeigeritten war; er wendet sich dahin und 
sieht dreissig Schafe sich entgegen rennen, dasselbe (Vieh), 
welches ihm nun eine Woche gefehlt hatte, und er trieb 
es heimwärts mit dem (übrigen) Vieh. Freyfaxi war ganz 
triefend von Schweiss, so dass er von jedem Haare tropfte; 
er war stark mit Schlamm bespritzt und überaus erschöpft; 
er wälzt sich zwölf Male herum und stösst darauf ein lautes 
Wiehern aus; hernach rennt er im gewaltigen Laufe abwärts 
längs der Viehwege.^ Einarr wendet sich nach ihm und will 
vor den Hengst kommen, ihn packen und zu den Rossen 
zurückführen; aber er war nun so scheu, dass Einarr ihm 
nirgends in die Nähe kam. Der Hengst rennt das Thal 
entlang herab und macht nicht (eher) Halt, bis er heim 
nach Adalböl kommt. Da sass Hrafnkell bei Tische, und 
als der Hengst vor die Thüre kommt, wiehert er laut. 
Hrafnkell sagte zu einer Magd, welche drinnen bei Tische 
aufwartete, dass sie zur Thüre gehen solle; „denn ein Ross 
wieherte und dies schien mir dem Gewieher Freyfaxi's 
gleich zu sein". Die Magd geht zur Thüre und sieht Frey- 
faxi sehr übel zugerichtet. Sie sagt Hrafnkell, dass Frey- 
faxi draussen vor der Thüre wäre und sehr hergenommen 
(aussähe). „Was wird der Bursche wollen, da er heim 
gekommen ist?" sagt Hrafnkell, „Gutes wird dies nicht 
bedeuten". Damach ging er hinaus, erblickte Freyfaxi und 
sprach zu ihm: „Schimpflich erscheint mir, dass du auf 
die Weise mitgenommen bist, mein Pflegekind! aber du 



1 Zur Vesperzeit wurde das Vieh zur Sennhütte getrieben, um 
gemolken zu werden. S. Gudbrand Vigfüsson and F. York Powell: An 

Icelandic prose reader etc. Oxford 1879. Octav. Seite 369. Vergl. auch 
unsere Erläuterung 19. 

^ d. h. die mit Steinwällen eingehegten Wege, auf welchen das 

Vieh Bur und von der Weide getrieben wurde. Vergl. Erläute- 
rung 19. 



— 41 — 

hattest deinen Witz daheim,^ da du mich (davon) unter- 
richtetest; dies soll gerächt werden, gehe du nun zu deiner 
Schaar". Der Hengst ging sogleich durch das Thal hinauf 
zu seiner Schaar. 

Hrafhkell ging abends in sein Bett und schlief die^ 
(ganze) Nacht. Aber am Morgen lässt er sich ein Pferd 
bringen, (ihm) den Sattel auflegen und reitet hinauf zur 
Sennhütte; er reitet in blauen Kleidern,^ hatte eine Axt in 
der Hand, aber nicht mehr Waffen.^ Da hatte Einarr ebeii 
das Vieh in die Umhegung ^ getrieben; er lag auf dem Stein- 
walle um dieselbe und zählte das Vieh; aber die Mägde 
waren beim Melken.^ Sie grüssten Hrafnkell. Dieser fragte, 
wie es ihnen ginge? Einarr antwortete: ^Schlimm ist's mir 
ergangen, denn dreissig Schafe waren mir beinahe eine Woche 
abgängig; aber jetzt sind sie gefunden". Hrafnkell sagte, 
dass er nicht von solchem spreche; „aber hat sich nichts 
Schlimmeres ereignet? (Es hatte sich nicht so oft, als zu 
erwarten gewesen, zugetragen, dass ein Verlust von Vieh 
vorgefallen.) Hast du nicht etwa gestern Freyfaxi geritten?" 
Einarr antwortete, er könne dies ganz und gar nicht leug- 
nen. „Weshalb rittest du dieses Boss, welches dir verboten 
war, da doch deren genug da waren, welche dir (zur Be- 
nützung) zugestanden wurden? Doch würde ich dir wegen 
einer Uebertretung verziehen haben, wenn ich nicht so hoch 
und theuer gelobt^ hätte; hast du doch ehrlich eingestanden". 
Aber in dem Glauben, dass den Männern Betrübnis wider- 
führe, die ein feierliches Gelübde auf sich beruhen lassen, 
sprang Hrafnkell vom Pferde und versetzte Einarr einen 



^ Ein sprichwörtlicher Ausdruck, mit dem Sinne: du hast ver- 
ständig gehandelt. 

2 Vergl. Erläuterung 49. 

3 Vergl. Erläuterung 89. 

* Worin das Vieh zum Melken gesammelt wurde; dieselbe umgab 
ein Steinwall. 

^ Gudbrandur Vigfüsson bemerkt zu dieser Stelle, dass hier eine 
durchaus „^zacte** Schilderung einer ländlichen Scene gegeben werde, 
wie sie jahraus jahrein auf Island vorkomme, ebenso wie früher die 
Schilderung des Pferdefanges. (Icelandic prose reader, pag. 366.) 

^ Vergl. oben Seite 36. 



X 



— 42 — 

tödtlichen Hieb. Darauf ritt er mit so verrichteter Sache 
heim nach Aäalb61 und verlcündete ^ diese Neuigkeit. Nachher 
Hess er einen anderen Mann zum Kleinvieh in die Senn- 
hütte gehen. Einarr's Leichnam aber iiess er westwärts von 
der Sennhütte auf die Bergterrasse bringen und errichtete dort 
eine Warte bei seinem Grabhügel 24). Diese wurde Einarr's- 
Warte genannt und darnach wird auf der Sennhütte die 
Vesperzeit gehalten 25). 

6. Capitel. 

Thorbjörn erfuhr drüben auf H611 den Todtschlag seines 
Sohnes Einarr. Er war mit dieser Nachricht übel zufrieden. 
Nun besteigt er sein Pferd, reitet hinüber nach Adalböl und 
fordert Busse von Hrafnkell für seines Sohnes Todtschlag 26). 
Hrafnkell erwidert, er habe mehr Männer erschlagen, als 
diesen einen; ^es ist dir nicht unbekannt, dass ich keinen 
Mann mit Geld büssen will und die Leute sich doch hinein- 
finden müssen; aber doch will ich zugestehen, ^ dass diese 
meine That mir von schlimmerer Art scheint, (als) die 
(anderen) Todtschläge, welche ich (bisher) verübt habe. Du 
bist lange Zeit mein Nachbar gewesen und hast mir sehr 
behagt und wir beide einander; keine andere Kleinigkeit 
würde zwischen mir und Einarr aufgekommen sein, wenn er 
(nur) nicht auf dem (verbotenen) Hengste geritten wäre. 
Aber wir werden es nun bereuen, dass wir allzu geschwätzig 
waren ;^ und seltener würden wir dies bereuen, worüber wir 
zu wenig, als zu viel sagten. Ich will nun aber zeigen, dass 
mir diese meine That schlechter scheint, als die anderen, 
welche ich begangen habe. Ich will deine Wirtschaft im 
Sommer mit Melkvieh versorgen und mit Schlachtfleisch im 
Herbste; so will ich jedes Halbjahr an dir thun, so lange 



1 Da er mit vollem Rechte den Todtschlag verübt zu haben 
glaubte; vergl. Erläuterung 29. 

^ Diese beiden Stellen sind wörtlich nicht zu übersetzen und ich 
habe daher im Anschlüsse an die beiden jüngsten dänischen Ueber- 
setzungen das Original sinngetreu wiedergegeben. 

3 d.h. unüberlegt jenes verhängnisvolle Gelübde ausgesprochen haben. 



— 43 — 

du (deine eigene) Haushaltung führen willst. Deine (übrigen) 
Söhne und Töchter werden wir beide mit meiner Unter- 
stützung aussteuern und letztere so stellen, dass sie gute 
Heiraten machen können. Und alles, wovon du weisst, dass 
es in meinem Hause ist und (dessen) du von hier bedarfst, 
sollst du mir sagen und nicht bezüglich eines Gegenstandes 
von hier, welchen du zu haben benöthigest, Mangel aus- 
gesetzt zu sein. Du sollst (deinen Hof) bewohnen, so lange 
es dir angenehm erscheint; aber komme zu mir, wenn du 
(dessen) überdrüssig bist: ich werde dann fiir dich sorgen 
bis zu deinem Sterbetage und wir sollen (unter diesen Be- 
dingungen) verglichen sein. Ich will hoffen, dass die meisten 
sagen werden, dieser Mann* sei theuer genug (gebüsst)" 27). 
„Ich nehme diese Bedingungen nicht an'', erwiderte Thor- 
björn. „Welche willst du dann?" fragt Hrafnkell. Da spricht 
Thorbjörn: „Ich will, dass wir zur Entscheidung zwischen 
uns beiden Männer heranziehen". Hrafnkell entgegnet: „Da 
dünkst du dich meinesgleichen und darauf hin werden wir 
keinen Vergleich eingehen". ^ 

Da ritt Thorbjörn fort, herab durch den Hrafnkelsdalr. 
Er kam. nach Laugarhüs, suchte seinen Bruder Bjarni^ auf 
und sagte ihm diese Neuigkeit; er bat ihn, dass er irgend 
welchen Antheil an dieser Sache nehmen möge. Bjarni 
erwiderte, dass er nicht mit einem Manne seinesgleichen 
(zu thun) habe, „da es Hrafnkell gilt; aber selbst, wenn wir 
über viel Geld verfügen, können wir uns nicht mit Hrafn- 
kell in Streit einlassen; und es ist wahr, was gesagt wird: 
„„der ist weise, welcher sich (selbst) kennt"". 

Hrafnkell hat die Processstreitigkeiten vieler unter- 
drückt, die mehr Mark in den Beinen haben, als wir;^ du 
scheinst mir dich unverständig gezeigt zu haben, da du so 



* Der erschlagene Einarr. 

^ Der stolze und mächtige Gode Hrafnkell weigert sich, den ein- 
fachen und dürftigen Landwirt (büandi, böndi, vergl. Erläuterung 16) 
als seinesgleichen anzuerkennen. 

3 Vergl. ohen Capitel 3. 

^ Eigentlich: „welche mehr Bein in der Hand gehabt haben", d. h. 
welche fester im Sattel sassen. 



— 44 — 

gute Bedingungen ausgeschlagen; ich will mir hier nichts 
zu schaffen machen''. Thorbjörn sagte nun manche be- 
schämende Worte zu seinem Bruder Bjarni und äusserte 
(zuletzt), desto weniger Tüchtigkeit sei in ihm, je mehr es 
etwas gälte. Darauf ritt er fort und beide Brüder schieden 
(auf diese Weise) mit wenig Freundlichkeit. Thorbjörn machte 
nicht eher Halt, bis er herab nach Leikskälar kam; dort 
pochte er an der Thür, und man öffnete.^ Thorbjöm bat, 
dass Sdmr heraus komme. Sämr grüsste 28) seinen Ver- 
wandten^ freundlich und lud ihn ein, da zu bleiben. Thor- 
björn nahm dies ziemlich zögernd an. Simr sieht die Betrüb- 
nis bei Thorbjörn und fragt um die Ursache; dieser erzählt 
ihm den Todtschlag seines Sohnes Einarr. „Das ist keine 
grosse Neuigkeit", sagt Simr, „dass Hrafnkell Männer er- 
schlägt". Thorbjörn fragt, ob Sämr ihm irgend eine Hilfe 
leisten wolle. „Dieser Vorfall ist der Art (sagt er), dass, 
obschon der (erschlagene) Mann mir am nächsten ist, der 
Todtschlag doch (auch) euch nicht fern trifft". „Hast du 
wohl von Hrafnkell Busse zu erhalten gesucht?" fragt Sämr. 
Thorbjörn erzählt alles aufrichtig, wie es sich zwischen ihm 
und Hrafnkell zugetragen hatte. „Nicht bin ich vorher gewahr 
geworden", sagt Sämr, „dass Hrafnkell einem derartig an- 
geboten hätte, wie dir. Nun will ich mit dir hinauf nach 
Aäalböl reiten und lass' uns glimpflich gegen Hrafnkell 
vorgehen und erfahren, ob er dieselben Anerbietungen auf- 
recht halten will; auf die eine oder andere Weise wird er 
sich als braver Mann zeigen".^ „Dies beides ist (der Fall)", 
sagt Thorbjörn, „(nämlich), dass Hrafnkell nun nicht (mehr) 
wollen wird, wie auch mir jetzt sein Anerbieten^ nicht mehr 
zusagt, als da ich von dannen ritt". Sämr sagt: „Schwierig 
halte ich es, in Rechtssachen mit Hrafnkell zu streiten". 
Thorbjöm erwidert: „Deshalb wird nichts * aus euct 



^ Wörtlich: „da wurde zur Thür gegangen*\ 

^ d. i. Oheim, vergl. oben Capitel 3 und 4. 

^ Eigentlich: „auf irgend eine Weise wird er sich wohl auf führ eu". 

* Im Originale nur „das*' (]>at), d. h. dies. 

^ Wörtlich: „Deshalb wird keine Erhebung von . . ." 



— 45 — 

jungen Männern^ weil euch alles in den Augen wächst ;^ 
ieh glaube, dass kein Mann gleich grosse Stümper zu Ver- 
wandten hat, wie ich; es scheint mir mit solchen Männern, 
wie du bist, übel gefahren, da du dich gesetzeskundig dünkst 
und auf Bagatellsachen ^ versessen bist, an dieser Rechts- 
sache aber, welche so klar ist, nicht theilnehmen willst; 
dies wird für dich beschämend werden, wie billig ist, weil 
du der Streitsüchtigste in unserem Geschlechte bist. Ich 
sehe nun, was die Sache ^ bedeutet". Sämr entgegnet: „Was 
hast du davon,^ wenn ich auch an dieser Angelegenheit 
theilnehme und wir dann beide unterliegen?''^ Thorbjörn 
antwortet: 7,Ein grosser Trost ist es mir doch, wenn du dich 
der Sache annimmst; komme es, wozu es woUe*'.^ Sämr 
sagt: „Unwillig gehe ich dazu; mehr thue ich es wegen der 
Verwandtschaft mit dir; aber wissen sollst du, dass es mir dort, 
wo du (angelangt) bist, nichts zu taugen scheint".'^ Nun reichte 
Sämr die Hand hin und nahm Antheil an Thorbjöm's Sache. 

^. Capitel^ 

Sämr Hess sich nun ein Pferd bringen und ritt aufwärts 
durch das Thal bis zum nächsten Hofe und verkündete 29) 
den Todtschlag; er brachte Männer gegen Hrafnkell zu- 
sammen. Hrafnkell erfuhr dies und es schien ihm lächerlich, 
dass Sämr eine Rechtssache gegen ihn übernommen habe. 
Darüber verging dieser Sommer und der nächste Winter. 
Aber im Frühjahre, als es zu den Vorladungstagen 30) ge- 
kommen war, ritt Sämr von Hause weg hinauf nach Aäalböl 
und lud Hrafnkell wegen Einarr's Todtschlag vor. Darauf 
ritt er durch's Thal herab, rief (die Nachbar-Geschworenen) 



^ d. h. weil ihr so viel Bedenklichkeiten bei allem habt. 
^ Im Originale: «Kleinigkeiten** (smdflakar). 
3 Nämlich deine Streitsucht. 

^ Wörtlich: „Welchem Oute (Yortheile) bist da dann näher als znvor*'. 
^ Wörtlich: „fortgejagt werden'*. 
^ Wörtlich: „Werde es zu dem, was es kann**. 
"^ d. h. do scheinst mir nichts wert zu sein, da du es so weit 
kommen liessest. 



— 46 — 

auf, sich zum Thingritte zu rüsten und wartete dann ruhig 
ab^ bis die Männer sich zum Thinge 31) bereit machen. 
Hrafnkell sandte nun (auch) herab in den Jökulsdalr und 
rief die Männer ^ auf. Er bekam siebenzig Mann aus seinem 
Godenbezirke32). Mit dieser Schaar ritt33) er ostwärts über 
das Fljötsdalshörad; an dem Ende des Sees (Lagarfijot) 
vorbei und quer über den Bergrücken bis zumSkridudalr34), 
dann aufwärts durch denselben und südwärts auf der Oxar- 
heidi^zum BeruQördr 35), und den geraden Thingmännerweg 
bis Sida36). Südwärts vom Flj6tsdalr sind siebenzig Tagreisen 
zur Thingebene 37). 

Aber nachdem Hrafnkell aus dem Fljötsdalsh^rad fort- 
geritten war, sammelte Sämr Männer um sich; er bekam 
meist „einschichtige" 38) Leute zum Ritte mit sich und die, 
welche er zusammengerufen hatte; diesen Männern ver- 
schaffte er Waffen, Kleider und Lebensmittel. 

Sdmr schlug einen anderen Weg aus dem Thale ein. 
Er ritt nordwärts bis zur Brücke, ^ dann über dieselbe, und 
von da über die Mödrudalsheidi; (er und seine Männer) 
blieben eine Nacht im Mödrudalr39). Von da ritten sie zur 
Herdibreidstunga 40), dann weiter oberhalb der Bläi^ö'l^O» 
von da in den Kr6ksdalr42) und so südwärts nach Sandr43). 
Sie kamen herab in die Saudafell44) und von da zur Thing- 
ebene; und da war Hrafnkell (noch) nicht angekommen. Es 
ging für ihn langsamer, weil er einen längeren Weg hatte. 

Sdmr überhängte die Thingbude 45) für seine Männer 
nicht nahe dort, wo die Bewohner der östlichen Meerbusen^ 
es gewohnt waren; aber etwas später kam Hrafnkell zum 
Thinge und er überhängte seine Bude so, wie er es gewohnt 
war.^ Er erfuhr, dass Sämr auf dem Thinge sei; dies schien 
ihm lächerlich. 

Dieses Thing war sehr zahlreich 46) besucht. Es waren 
da die meisten Goden anwesend, welche sich auf Island 



^ Seine Thingmänuer, die ihm zur Gefolge-Leistung verpflichtet waren. 

2 d. h. „Ochsenheide". 

3 lieber die Jökulsa A brü. 

* d. h. des Ostviertels von Island, wo Simr's Heimat war. 
^ Hier mussten zwei Sätze zusammengezogen werden. 



— 47 — 

befanden. Sämr besuchte dieselben sämmtlich und bat um 
Schutz und Beistand für sich. Aber alle antworteten auf 
eine und dieselbe Weise, dass keiner^ an Sämr so viel Gutes 
zu thun habe, dass er sich in Streit mit dem Coden Hrafn- 
kell einlassen und so seine Ehre aufs Spiel setzen wolle. 
Sie sagten auch dies, dass es den meisten, welche Thing- 
streitigkeiten 47) mit Hrafnkell gehabt, auf eine und dieselbe 
Weise ergangen sei, indem er alle Männer von den Process- 
' Streitigkeiten, die sie mit ihm gehabt, davongejagt hätte. 
Sdmr ging zu seiner Thingbude zurück und beiden Ver- 
wandten ^ war es übel zu Muthe und sie fürchteten, dass 
ihre Sache so enden würde, dass sie nichts als Scham und 
Kränkung davontragen würden; und so grosse Bekümmer- 
nis hatten beide, dass sie weder Schlaf noch Speise genossen. 
Denn alle Goden entzogen ihnen ihren Beistand — sogar 
die, von welchen sie (bestimmt) erwarteten, dass sie ihnen 
Hilfe leisten würden. 

8, CapiteL 

Es war eines Morgens früh, dass der alte Thorbjörn er- 
wachte. Er weckte Sdmr und bat ihn aufzustehen: „Ich 
kann nicht schlafen" (sagte er). Sämr stand auf und fuhr 
in sein Gewand. Sie gehen aus und herab zur Oxarä, unter- 
halb der Brücke 48). Dort waschen sie sich. Thorbjörn 
sprach zu Sämr: „Mein Rath ist, dass du unsere Pferde 
holen lassest und wir uns zur Heimreise anschicken; es ist 
nun offenbar, dass uns nichts anderes als Ehrenkränkung 
zu theil wird". Sämr antwortet: „Das ist gut,^ nachdem du 
nichts anders als mit Hrafnkell streiten und die Bedin- 
gungen nicht annehmen wolltest, welche mancher an- 
genommen haben würde, der für seinen Blutsverwandten 
Busse zu fordern hatte; du warfst mir heftig Mangel an 
Muth vor und allen jenen, welche in dieser Sache nicht 
mit dir vorgehen wollten; nun werde ich aber nie eher 



1 Von den anwesenden Qoden. 

2 Sämr und Thorbjörn, der natürlich mit ersterem auf dem Thinge war. 

3 Dass es so kommt. 



— 48 — 

davon lassen, als (bis) es mir ganz hoffnungslos ^ erscheint, dass 
ich etwas aasrichten könne". Da wird Thorbjöm so sehr 
gerührt;^ dass er weint. 

Da sehen sie westlich von dem Flusse; ein Stück unter- 
halb (der Stelle), wo sie sassen, dass fünf Männer zusammen 
aus einer Bude gingen. Der war ein grosser Mann, aber 
nicht stark gebaut, welcher ihnen voran ging^ — in einem 
laubgrünen Rock 49), und er hatte ein prächtiges Schwert 
in der Hand; ein Mann von regelmässigen Gesichtszügen, 
rothwangig, von angenehmem Aeusseren, hellbraunem und 
sehr dichtem Haare 50). Der Mann war leicht erkennbar, 
denn er hatte eine lichte Locke in seinem Haare auf der 
linken Seite. 

Sämr sagte (zu Thorbjörn): „Stehen wir auf und 
gehen wir westlich über den Fluss, diesen Männern ent- 
gegen". Sie gingen nun längs dem Flusse abwärts und 
der Mann, welcher voran ging, grüsste sie zuerst und 
fragte, wer sie wären; und sie sagten es ihm. Sämr fragte 
diesen Mann um seinen Namen; er nannte sich Thor- 
kell und sagte, er sei der Sohn des Thjöstarr. Sämr fragte 
woher er stammte oder wo er seine Heimat hätte? Er ant- 
wortete, dass er von Geschlecht und Herkunft ein Bewohner 
der westlichen Meerbusen ^ sei und seine Heimat am Thorska- 
^ördröl) habe. Sämr spricht: „Bist du ein Gode?" Er 
antwortet, dies sei weit entfernt. „Bist du ein Bonde?'* 52) 
fragt Sämr. Er erwidert, dies sei er nicht. „Was fftr ein 
Mann bist zu denn?" fragt Sämr. Er antwortet: „Ich bin ein 
„einschichtiger' '5 3) Mann und kam im vorigen Sommer heim; 
sieben Jahre bin ich auswärts gewesen und bis Mikligardr 
gelangt; ich bin vom Gefolge des griechischen Kaisers 54). 
Aber jetzt halte ich mich bei meinem Bruder auf, welcher 
Thorgeirr heisst". „Ist er Gode?" fragt Sämr. Thorkell 
antwortet: „Gewiss ist er das — über den Thorskafjördr 
und weiter über die westlichen Meerbusen*'. „Ist er hier 



^ Wörtlich: „Gegen die Hoffnung gekommen**. 
^ Wörtlich: „Da greift es Thorbjörn so viel an, dass . ." 
3 WörtUch: „welcher ror ihnen war nnd als erster ging". 
* Yestfirzkr. 



— 49 — 

auf dem Thinge?" fragte Sämr. „Gewiss ist er hier", er- 
widert Thorkell. „Mit wie viel Männern ist er (gekommen)?" 
fragt Sämr ; „mit siebenzig 55) Männern", antwortet Thor- 
kell. „Seid ihr mehrere Brüder?'* fragt Sämr. „Es ist (noch) 
ein dritter", sagt Thorkell. „Wer ist der?'* fragt Sdmr. „Er 
heisst Thormödr", antwortet Thorkell, „und wohnt in Gardar 
auf Alptanes 56); er hat Thördis 57), die Tochter Thörölfr's 58), 
des Sohnes Skallagrimr's von Borg 59) (zur Gattin)." „Willst 
du uns beiden Hilfe leisten?" fragt Sämr. „Wessen bedürft 
ihr?* sagt Thorkell. „Der Hilfe und Stärke der Goden", 
sagt Sämr, „denn wir haben eine Rechtssache mit dem Goden 
Hrafnkell auszufechten wegen des Todtschlages Einarr*s, des 
Sohnes Thorbjörn's; und wir könnten bei deinem Beistande 
mit der Förderung unserer Angelegenheit zufrieden sein". 
Thorkell erwidert: „So ist es, wie ich sagte — ich bin 
kein Gode*'. „Warum bist du so zurückgesetzt worden?** 
sagt Simr, „da du doch eines Goden Sohn bist, wie deine 
anderen Brüder?** Thorkell antwortet: „Ich sagte nicht, 
dass ich die Godenwürde nicht hätte; aber ieh übergab 60) 
meine herrschaftliche Gewalt in die Hände meines Bruders 
Thorgeirr, bevor ich auszog; seither habe ich sie nicht 
zurückgenommen, denn sie scheint mir wohl angebracht, 
so lange er (sie) behält. Gehet ihr beide zu ihm, bittet ihn 
um Beistand; er ist energischen Sinnes, ein edler und in 
jeder Beziehung sehr tüchtiger, junger und ehrliebender 
Mann; solche Männer sind am meisten versprechend, euch 
Hilfe zu gewähren**. Sämr sagt: „Von ihm werden wir nichts 
erlangen, wenn nicht du mit uns im Bunde bist**. Thorkell 
erwidert: „Dies will ich geloben, lieber mit als gegen 
euch zu sein, weil mir unabweisliche Nothwendigkeit dazu 
scheint, für einen (erschlagenen) nahe verwandten Mann eine 
gerichtliche Verfolgung vorzunehmen. Begebt euch nun hin 
zu seiner Thingbude und gehet hinein in dieselbe; die 
Männer liegen (noch) im Schlafe. Ihr werdet sehen, dass 
innen, quer in der Bude, zwei Betten^ stehen; von dem 

^ Eigentlich: „Ledersäcke" (hüdföt, sing, hüdfat), welche auf der 
Reise als Betten gebraucht wurden, vergl. K. Weinhold, Altnord. Leben, 
Seite 234. 

HrafakeU- 4 



- 50 — 

einen stand ich auf^ in dem andern ruht mein Bruder Thor- 
geirr. Er hat ein grosses Geschwür auf dem Fusse gehabt, 
seitdem er zum Thing kam, und da hat er in der Nacht 
wenig geschlafen; aber nun sprang die Beule ^ in der Nacht 
auf und das Eiter ist heraus, und nun hat er seither ge- 
schlafen und hält den rechten Fuss ausserhalb der Bettdecke 
vorne auf dem Fussbrette 61), wegen allzu grosser Hitze, 
die (noch) dem Fusse anhaftet.^ Der alte Mann^ soll voran 
und hinein in die Bude gehen; er scheint mir sowohl in 
seinem Gesichte, als durch sein Alter sehr geschwächt 
Wenn du, Mann!" sagt Thorkell (zu Thorbjörn), „zum Bette 
kommst, sollst du stark wackeln und auf das Fussbrett hin- 
fallen; greife dann nach der Zehe, welche eingebunden ist, 
ziehe selbe zu dir, und schaue, wie der Mann sich (dabei) 
benimmt". Sämr spricht: „Dein Rath ist gewiss wohlgemeint,^ 
aber dies scheint mir nicht rathsam''. Thorkell entgegnet: 
„Eines von beiden raüsst ihr thun: (entweder) das befolgen, 
wozu ich euch rathe, oder nicht Rath bei mir holen". Sdmr 
erwidert und sagt: „So soll geschehen, wie er^ den Rath 
gibt". Thorkell sagt, dass er später kommen würde, „denn 
ich warte auf meine Männer". 

9, Capitel. 

Und nun gingen Sämr und Thorbjörn und kamen in 
die Thingbude; es schliefen da alle Männer. Sie sahen bald, 
wo Thorgeirr lag. Der alte Thorbjörn ging voran und 
wackelte stark ; als er zum Bette kam, fiel er auf das Fuss- 
brett, griff nach der Zehe, welche krank war, und zog sie 
zu sich; Thorgeirr aber erwachte hiedurch, sprang im Bette 
auf und fragte, wer da so stürmisch komme, dass er auf 
die Füsse von Männern stosse, die vorhin krank waren. 



1 Wörtlich: „der Fuss" (fötrinn). 

^ Wörtlich: „welche im Fasse ist*\ 

3 Thorbjörn. 

^ Wörtlich: „Ein Heilsames Rathender wirst du ans beiden ge- 



wiss sein*'. 



^ Simr spricht hier zu Thorbjörn. 



- 51 — 

Aber weder Thorbjörn noch Sämr wagten ein Wort* Da 
eilte Thorkell in die Bude und sprach zu seinem Bruder 
Thorgeirr: „Sei deshalb nicht so hastig und nicht zornig, 
Bruder! denn es wird dir nicht schaden; aber manchem 
fällt es schlechter aus, als er will, und manchem geschieht 
es, dass er nicht auf alles gleich gut aufpassen kann, wenn 
ihm vieles am Herzen liegt. Aber dies ist zu entschuldigen, 
Bruder! dass dein Fuss verwundet ist, da eine sehr schmerz- 
hafte Stelle 2 daran gewesen; du wirst dies am meisten an dir 
selbst empfinden.^ Nun kann es (aber) auch sein, dass diesem 
alten Manne der Tod seines Sohnes nicht weniger schmerz- 
lich ist, er aber keine Busse bekommt — und selbst alles 
entbehrt; er wird dies am besten an sich selbst erkennen. 
Es ist aber zu erwarten, dass ein Mann, welcher Schweres 
am Herzen hat, nicht auf alles wohl aüfpa8st'\ Thorgeirr 
antwortete: „Ich dachte nicht, dass er mir dies vorhalten 
könnte; denn ich erschlug seinen Sohn nicht und er kann 
daher nicht an mir dies rächen". „Nicht wollte er an dir 
dies rächen'*, sagte Thorkell, „aber er griff dich härter an, 
als er wollte und btisste für sein schwaches Gesicht; jedoch 
erwartete er sich Hilfe von dir. Nun ist es Heldenart, einem 
alten und bedürftigen Manne beizustehen; es ist für ihn eine 
Nothwendigkeit und keine Begehrlichkeit, wenn er für seinen 
(erschlagenen) Sohn eine gerichtliche Verfolgung vornimmt; 
aber nun entziehen alle Goden diesen Männern ihren Bei- 
stand und zeigen darin eine sehr unmännliche Gesinnung". 
Thorgeirr sprach : „Ueber wen haben diese Männer zu klagen?" 
Thorkell erwiderte: „Der Gode Hrafnkell hat den Sohn 
Thorbjörn's schuldlos erschlagen. Er begeht eine Unthat 
nach der andern, will aber keinem Manne hiefür Busse 
leisten". Thorgeirr sprach: „Mir wird es so gehen, wie den 
andern, indem ich nicht weiss, ob ich diesen Männern so viel 
Gutes zu thun habe, dass ich mich in Streitigkeiten mit 
Hrafnkell einlassen wollte. Es scheint mir, dass er jeden 
Sommer mit den Männern, welche eine Rechtssache mit 

^ Dies ist der Sinn dieser wörtlich nicht übersetzharen Stelle. 

2 Wörtlich: „ein grosser Schaden'\ 

3 Wörtlich: „erkennen". 

4* 



— SU — 

ihm auszufecbten haben^ auf die Weise verfahrt, dass die 
meisten wenig oder gar keine Ehre aufheben^ ehe es zum 
Ende geht, und ich sehe es auf eine Weise allen ergehen; 
ich denke, dass deshalb die meisten Männer dazu unlustig 
sind, wenn sie nicht die Nothwendigkeit zwingt". 

Thorkell antwortet: „Es kann sein, dass, wenn ich 
Gode wäre, es mir so ginge und schlimm dünkte, mit Hrafn- 
kell zu streiten; aber (wie ich jetzt bin) scheint es mir 
nicht so, denn mich dünkte es am würdigsten, mit dem (zu 
thun) zu haben, durch welchen alle vorher unterdrückt 
wurden; auch schiene mir, dass mein oder des Goden 
Ansehen, der Hrafnkell einen Schimpf anzuthun vermöchte, 
um vieles wachsen, aber um nichts gemindert würde, selbst 
wenn es auch mir^ so wie den anderen erginge, denn „„dies 
kann mir (ohne Schande zustossen), was über manchen^ 
kommf ', und „„der, welcher wagt, gewinnt immer"".^ „Ich 
sehe", sagt Thorgeirr, „wie es mit dir bewandt ist,* dass 
du diesen Männern helfen willst. Ich werde nun meine 
Godenwürde und herrschaftliche Gewalt* in deine Hände 
übergeben, und behalte du das, was ich vorher besessen 
habe; aber darnach® sollen wir beide Gleichheit^ haben und 
hilf du (nun) denen, welchen du willst".® „Mir scheint", sagt 
Thorkell, „dass unsere Godenwürde am besten bestellt 
würde, wenn du sie so lange als möglich (allein) behieltest; 



^ Oder dem betreffenden Goden. 

^ d. h. über viele. 

^ Zwei altisländische Sprichwörter. 

* Wörtlich: ^Wie es dir gegeben ist". 

^ „godord mitt ok mannaforräd", eigentlich gleichbedentende Ans- 
drücke (vergl. Erläuterung 12), hier aber jedenfalls so zu verstehen, 
dass „godord" sich vorwiegend auf die priesterlichen Functionen und 
Yorsteherschaft des Tempels bezieht, „mannaforräd*' dagegen die welt- 
liche, herrschaftliche Gewalt des Goden ausdrückt. 

^ Nachdem die Sache mit Hrafnkell abgethan sein wird. 

"^ d. h. die Godenwürde gemeinschaftlich. 

8 Thorgeirr will mit Hrafnkell nichts zu thun haben und daher 
seinem Bruder Thorkell die Godenwürde abtreten, damit dieser als Gode 
gegen Hrafnkell auftrete; wenn dies vollbracht, dann wollen beide 
Brüder wieder gemeinschaftlich die Godenwürde besitzen. 



— 53 — 

ich gönne es keinem so gern als dir, sie inne zu haben, 
denn du hast manche Vorzüge an Tüchtigkeit vor uns allen 
Brüdern; aber ich bin unentschlossen, was ich im Augen- 
blicke aus mir machen soll. Du weisst, Bruder! dass ich 
mich bei wenigem betheiligt habe, seit ich nach Island (zu- 
rück) kam; aber ich sehe jetzt, was meine Bathschläge 
gelten; nun habe ich gesprochen, was ich für diesmal will. 
Kann sein, das Thorkell mit der Locke 62) (einmal) dorthin 
kommt, wo seine Worte mehr geschätzt werden". 

Thorgeirr erwidert: „Ich sehe nun, wie es sich ver- 
hält, Bruder! dass du unzufrieden bist; aber ich kann dies 
nicht hinnehmen und (so) werden wir beide diesen Männern 
helfen, wie es auch gehe, wenn du willst". 

Thorkell spricht: „Ich bitte nur um das, was nach 
meinem Gutdünken geschehen solT'.^ 

„Wozu halten sich diese Männer geeignet", sagtThorgeirr, 
„so dass ihrer Sache Förderung (zu theil) werde?" ^ ^^Es ist so, 
wie ich heute sagte", erwidert Sämr, „dass wir der Hilfe von 
Goden bedürfen, aber die Processführung habe ich unter mir". 
Thorgeirr sagt, dass ihm dann gut zu helfen sei; „und nun 
gilt es, den Process so richtig 63) als möglich einzuleiten. 
Aber mir scheint, Thorkell will, dass ihr ihn besucht, bevor 
die richterlichen Entscheidungen (auf dem Thinge) beginnen.^ 
Eines von beiden werdet ihr für eure Bemühungen erlangen: 
entweder einigen Trost, oder Demüthigung — aber mehr als 
zuvor — sowie Betrübnis und Verdruss. Gehet nun heim^ 
und seid heiter; denn ihr werdet nöthig haben, dass ihr den 
Muth eine Zeit lang aufrecht erhaltet, wenn ihr mit Hrafnkell 



^ Wörtlich: „Ich bitte um dies Einzige, von welchem mir besser 
scheint, dass es zugestanden werde". 

^ d. h. was können diese Männer selbst thun, um ihrerseits ihre 
Sache zu fördern. 

3 So ist der Ausdruck „dömar fara üt** hier zu verstehen, nicht 
wie Th. Möbius im „altnordischen Glossar^* Seite 90 angibt: „die Richter 
verlassen ihren Sitz, um ihre Entscheidung zu verkündigen". Vergl. die 
treffliche Abhandlung N. M. Petersen*s: „Om den islandske Rettergang 
ifölge Njala*' im 4. Bande seiner „Historiske FortsBllinger etc". Anden 
Udgave. KJ0benhavn 1868. Octav. Seite 270 ff. und Seite 284. 

* d. h. in eure Thingbude. 



— 54 - 

streiten sollt; saget aber keinem Manne^ dass wir euch Bei- 
stand verheissen haben''. Nun gingen Simr und Thorbjörn 
heim zu ihrer Thingbude und waren guten Muthes. Alle 
Männer wunderten sich darüber, wie sie so schnell ihren 
Sinn geändert hatten/ da sie doch so niedergeschlagen waren^ 
als sie von Hause fortzogen. 

lO. Capitel. 

Nun warteten beide ab, bis die richterlichen Ent- 
scheidungen beginnen 64). Da rief Sämr seine Männer auf 
und ging zum Gesetzesfelsen 65); dort war der Sitz des 
Gerichtes.^ Sämr ging nun kühn zu demselben. Er hob 
sofort mit dem Aufrufen von Zeugen 66) an und verfocht 
seinen Process gegen Hrafnkell den Goden nach den richtigen 
Landesgesetzen ohne Formfehler 67) und mit tüchtiger Sach- 
waltung. Zuerst kamen die Söhne Thjostarr's mit einer 
grossen Schaar Männer zum Thinge; alle Leute vom West- 
lande leisteten ihnen Beistand und es zeigte sich, dass diese 
Brüder beliebte Männer waren. Sämr verfocht seine Sache 
bei Gericht bis dahin, das Hrafnkell (von ihm) zur Recht- 
fertigung aufgefordert wurde, ausser es wäre ein Mann zur 
Stelle, der in richtiger, gesetzmässiger Weise den gesetz- 
lichen Einspruch für ihn erheben wolle 68). 

Grosser Beifall wurde Sämr's Rede 69) (zu theil) und 
man fragte, ob niemand den gesetzlichen Einspruch für 
Hrafnkell vorbringen wolle, Männer liefen zu HrafnkelPs 
Thingbude und sagten ihm, wie die Dinge stünden.^ Er 
brach schnell auf, rief seine Leute zusammen und ging zum 
Gerichte; er dachte, dass dort^ wenig Schutz wehr vorhanden 
wäre;^ er hatte im Sinne, es den kleinen Leuten zu ver- 
leiden, gegen ihn einen Process zu unternehmen; er beab- 

^ Wörtlich: n^iQ so schnell eine Sinnesänderung begonnen hatte". 

2 Wörtlich : „Dort war das Gericht gesetzt". 

3 Sinngetreu übersetzt, wörtlich nicht wiederzugeben. 
* Auf Seite der Gegenpartei. 

^ Da S^mr kein so glänzend bewaffnetes und gerüstetes Gefolfi^e 
mitbringen konnte, wie der Gode Hrafnkell. 



— 65 — 

sichtigte, das Gericht vor Sämr auseinander zu sprengen 
und ihn (mit Hohn und Spott) von dem Processe zu jagen. 
Aber dazu war jetzt keine Gelegenheit. Eine solche Menschen- 
menge stand da vor, dass Hrafnkell nirgends näher kam; 
und er wurde mit grosser Gewaltthätigkeit hinweg ge- 
drängt 70), so dass er die Rede derjenigen, welche ihn 
anklagten, nicht hören konnte; deshalb war es ihm schwierig, 
den gesetzlichen Einspruch für sich anzubringen. S&mr aber 
ftthrte den Process durchaus gesetzmässig, bis Hrafnkell auf 
diesem Thinge gänzlich geächtet 71) wurde. Hrafnkell eilte 
sogleich zu seiner Bude, liess seine Pferde bringen und ritt 
vom Thinge weg; er war mit dem Ausgange seines Processes 
übel zufrieden, denn niemals vorher hatte er solches (erlebt). 
Er ritt ostwärts über die Lyngdalsheidi 72) und weiter nach 
Sida, und hielt nicht eher an, als bis er nach dem Hrafn- 
kelsdalr kam; (dort) liess er sich in Adalbol nieder und 
that, als wenn nichts geschehen wäre. Aber Sämr blieb am 
Thinge zurück und ging sehr stolz (einher). Vielen Männern 
schien es recht, dass es dahin gekommen war, dass Hrafn- 
kell eine Niederlage erlitten hatte, und sie erinnerten sich 
nun, wie er vielen Unbilligkeit bewiesen habe. 

11. Capitel. 

Sämr wartete, bis das Thing geschlossen wurde. Die 
Männer rüsteten sich da zur Heimreise. Sämr dankte den 
Brüdern für ihren Beistand, aber Thorgeirr fragte ihn 
lächelnd, wie er zufrieden wäre. Er äusserte, sehr zufrieden 
zu sein. Thorgeirr sprach: ^Dünkst du dich nun (deinem Ziele) 
etwas näher als zuvor?" Sämr erwiderte: ^Hrafnkell scheint 
mir eine grosse Schmach erlitten zu haben, deren er sich 
lange erinnern wird; und dies ist vielem Gelde gleichwertig". 
Thorgeirr sprach: „Der Mann ist nicht gänzlich geächtet, 
so lange das Executiongericht 73) nicht vollzogen ist, und 
es ist nothwendig, dass dies auf seinem Wohnsitze ge- 
schehe; dies wird vierzehn Tage ^ nach Wiederaufnahme 



1 Im Origiual: „Nächte^*, vergl. oben Seite 33 AnmerkuDg 2. 



— 56 — 

der Waffen 74) erfolgen". (Aber dies heisst Wiederaufnahme 
der Waffen, wenn alles Volk vom Thinge wegreitet.) „Ich 
vermuthe aber", sagte Thorgeirr, „dass Hrafnkell nach Hause 
gekommen sein wird und auf Adalböl zu bleiben beab- 
sichtigt; ich meine, dass er euch zum Trotze die Goden- 
gewalt behalten wird. Und du wirst dir vornehmen, heim- 
zureiten und dich in deiner Wohnung (ruhig) niederzulassen, 
wenn du, im besten Falle, (überhaupt) dahin kommst. Ich 
denke, dass du so guten Glauben von deiner Sache hast, 
dass du Hrafnkell einen Waldgänger 75) nennst; aber ich 
bin der Ansicht, dass er den anderen Männern ebensolchen 
Schrecken einjagen wird, wie zuvor, nur dass du noch tiefer 
zum Falle kommen wirst". „Darum kümmere ich mich 
niemals", sagte Sämr. „Du bist ein wackerer Mann", sprach 
Thorgeirr, „und ich glaube, dass mein Bruder Thorkell dir 
nicht am halben Wege entschlüpfen wird.^ Er wird dir nun 
helfen, bis es zwischen dir und Hrafnkell zum Abschlüsse 
kommt und du dann ruhig leben kannst. Es wird euch nun 
scheinen, dass wir zunächst verpflichtet seien, dir zu folgen^ 
da wir bisher am meisten (mit dir) uns eingelassen haben. 
Wir werden dir nun für diesmal das Geleite bis zu den 
östlichen Meerbusen geben ; weisst du einen Weg zu den- 
selben, der kein (bestimmter) Thingweg 76) ist?" Sämr sagte, 
er würde denselben Weg reiten, welchen er von Osten her 
eingeschlagen, und war darüber^ froh. Thorgeirr wählte 
seine Leute aus und liess sich vierzig Mann folgen. Sämr 
hatte auch vierzig Mann. Diese Schaar war mit Waffen und 
Pferden wohl ausgerüstet. 

Darauf reiten sie alle denselben Weg, bis sie bei Tages- 
anbruch in den Jökulsdalr kommen; sie reiten auf der 
Brücke über den Fluss,^ und dies war an demselben 
Morgen, an welchem das Executionsgericht auszuführen war. 
Da fragt Thorgeirr, wie sie am ehesten unversehens (nach 
Adalböl) kommen könnten. Sämr antwortet, hiefür wisse er 



^ Wörtlich: „mir scheint, dass Thorkell, mein Bruder, nicht am 
Ende schmal an dir thun werde". 

^ Nämlich üher den zugesagten weiteren Beistand der Brüder. 
3 Die Jökulsä, i brü. 



— 57 — 

Rath. Er biegt sogleich vom Wege ab und (zieht) den Berg- 
rücken hinauf und dann längs demselben zwischen dem 
Hrafnkels- und Jökulsdalr, bis sie unterhalb der Erhebung 
kommen^ worunter der Hof zu Adalböl steht. Dort zogen 
sich mit Gras bewachsene Vertiefungen die Heide aufwärts, 
aber ein jäher Abhang thalabwärts; unterhalb desselben 
stand der Hof. Da steigt Sämr vom Pferde und spricht: 
„Lassen wir unsere Pferde ledig und zwanzig Mann auf die- 
selben Acht haben; aber wir (übrigen) sechzig Mann stürmen 
auf den Hof los und ich glaube, dass wenige Männer auf 
den Beinen sein werden^'. Sie thaten nun so und (jene Ver- 
tiefungen) dort heissen seither Hrossageilar.^ Nun ging es 
rasch auf den Hof los. Aufstehzeit 77) war eben vorüber ;2 
die Leute waren (aber noch) nicht aufgestanden. Sie sprengten 
die Thür mit einem Balken und stürmten hinein. Hrafnkell 
lag in seinem Bette; sie ergriffen ihn und alle seine Haus- 
genossen, welche waffenfähig waren. Frauen und Kinder 
wurden in ein (anderes) Gebäude getrieben. In dem Gras- 
garten 78) stand ein Aussenbau 79);^ von diesem hin zur Saal- 
wand ^ war eine Kleiderstange ^ angebracht; dorthin brachten 
sie Hrafnkell und seine Männer. Er bot viel Busse für sich 
und seine Männer. Als dies aber nichts half, bat er um das 
Leben seiner Männer; „denn (sprach er) sie haben euch 
nichts gethan, worüber ihr klagen könnt. ^ Mir ist es keine 
Schande, wenn ihr mich tödtet, ich werde darüber kein Wort 
verlieren; aber gegen Misshandlungen verwahre ich mich, 
darin liegtauch für euch keine Ehre". Thorkell antwortete : 
^Wir haben es erfahren, dass du wenig glimpflich gegen 
deine Feinde gewesen bist, und es ist nun recht, dass du 
dies heute an dir selbst erkennest". Da ergriffen sie Hrafn- 
kell und seine Männer und banden ihre Hände rückwärts 



1 d. h. „Pferdeklttfte". 
^ Es war ungefähr 6 Uhr früh. 

3 d. i. eine Vorrathskammer für Esswaren and sonstigen Hausbedarf. 
^ d. h. bis zur Wand des Hauptgebäudes eines isländischen Hofes, 
des Saales oder der grossen Halle, vergl. Erläuterung 16. 

^ Zum Aufhängen der Kleider, um dieselben zu trocknen. 

^ Wörtlich : „denn sie haben nichts zu Streitigkeiten gegen euch gethan'\ 



— 58 — 

zusammen. Hierauf erbrachen sie den Aussenbau und zogen 
die Seile von den Haken herunter; dann nehmen sie ihre 
Messer und stechen Löcher in die Kniekehlen der Gefesselten, 
ziehen hiedurch die Seile, werfen diese über die Stange und 
binden dergestalt acht zusammen 80). Da sprach Thorgeirr: 
„So bist du nun, Hrafnkell! in die Lage gekommen, welche 
du verdient hast; und es mochte dir wohl unwahrscheinlich 
geschienen haben, dass du solche Schmach von einem Manne 
erleiden solltest, wie dir jetzt (zu theil) geworden ist. Aber 
was willst du. Thorkell! jetzt thun? Hier bei Hrafnkell 
sitzen und ihn und die Seinigen bewachen, oder dich mit 
Sämr auf Pfeilschussweite vom Hofe entfernen und auf 
einem steinigen Hügel, wo weder Acker noch Wiese ist, das 
Executionsgericht81) vollziehen?" (Dies sollte zu der Zeit 
geschehen, wenn die Sonne gerade im Süden stünde.) Thor- 
kell antwortete: „Ich will hier bei Hrafnkell sitzen; dies 
scheint mir weniger beschwerlich". 

Da entfernten sich Thorgeirr und Sämr und vollzogen 
das Executionsgericht. Darauf gingen sie zurück und nahmen 
Hrafnkell und seine Männer (von der Stange) herab und 
legten sie auf dem Grasplatze nieder; ihre Augen waren mit 
Blut unterlaufen. Da sagte Thorgeirr zu Sämr, dass er mit 
Hrafnkell so verfahren sollte, wie er wollte; „denn nun 
scheint es nicht schwierig, mit ihm (fertig zu werden)^'. 
Sämr sprach darauf: „Zwei Fälle bestimme ich dir, Hrafn- 
kell! Der eine, dass du mit jenen Männern, weicheich fest- 
setze, vom Hofe gehen und getödtet werden sollst; da du 
aber eine grosse Kinderschaar zu versorgen hast, so will 
ich dir vergönnen, dass du (vorher) für dieselben Sorge 
tragest. Wenn du aber* dein Leben behalten willgit, da 
ziehe weg von Adalbdl mit allen deinen Leuten und behalte 
nur das Eigenthum, welches ich dir zutheile und dies wird 
sehr wenig sein; aber ich werde diese Wohnstätte (in Besitz) 
nehmen und die ganze Godengewalt; niemals sollen weder 
du noch deine Erben darauf Anspruch erheben; nirgends 
sollst du (mir) näher sein, als im Osten des Fljötsdalsh^rad; 



^ Dies ist der andere Fall. 



— So- 
und nun musst du Handschlag mit mir wechseln, wenn du 
diese Bedingungen annehmen willst''. Hrafnkell erwiderte: 
„Manchem würde ein rascher Tod besser scheinen als solche 
Misshandlungen; aber mir wird es geschehen wie vielen 
anderen, dass ich das Leben wählen werde, wenn dies noch 
freisteht;^ ich thue dies am meisten meinen Söhnen zu Liebe, 
denn armselig wird ihr Fortkommen sein, wenn ich (ihnen) 
weg sterbe". Da wurde Hrafnkell losgemacht und tibergab 
Sämr seine Godengewalt. Sämr wies Hrafnkell so viel 
Eigenthum zu, als er für gut fand, und dies war sehr 
wenig. Seinen Spiess behielt Hrafnkell bei sich, aber sonst 
keine Waffen 82). Denselben Tag zogen er und alle seine 
Leute von Adalbol weg. Thorkell äusserte da zum Sämr: 
„Ich begreife nicht, warum du so thust; du wirst es am 
meisten selbst bereuen, dass du Hrafnkell das Leben 
schenkst". Sämr sagte, dies werde so sein. 



IS. CapiteL 

Hrafnkell verlegte nun seinen Wohnsitz ostwärts über 
das Flj6tsdalsh^rad, quer über den Fljotsdalr, im Osten vom 
Lagarfljöt. Am oberen Ende des Landsees 2 stand ein kleiner 
Hof, welcher Lokhylla hiess. Dieses Grundstück kaufte 
Hrafnkell auf Borg; denn sein Geld betrug nicht mehr als 
er zum Hausgeräthe bedurfte.^ — Die Leute sprachen viel 
davon,^ wie sein Uebermuth niedergebeugt wurde; und mancher 
gedachte des alten Sprichwortes: „Die Lebzeit des Ueber- 
muthes ist kurz".^ 

Hrafnkell's Grundbesitz^ war ein dichtes Waldland und 
von weiter Erstreckung, aber mit Gebäuden schlecht be- 
stellt; und aus diesem Grunde kaufte er das Landstück um 



' Wörtlich : „Wenn die Wahl ist". 

^ Lagarfljöt. 

^ Wörtlich: „als er zum Hausgeräthe zu haben benöthigte". 

•* Genauer: „Die Leute machten ein grosses Gerede davon". 

^ Entsprechend dem deutschen „Hoffart kommt vor dem Falle". 

^ Im Original nur: „dies" (J)etta). 



\ 



— 60 — 

geringen Preis. Aber er scheute keine Muhe^ und lichtete 
den Wald — denn er war dicht 83) — und baute einen an- 
sehnlichen Hof auf^ welcher seither Hrafnkelsstadir heisst. 
Eben seither wurde diese Stelle ein guter Hof genannt. 
Hier wohnte Hrafnkell mit vielem Ungemach im ersten 
Jahre. ^ Grosse Ausbeute hatte er an Fischen 84). Er ging 
selbst eifrig zu Werke^ während der Hof im Bau (begrifiFen) 
war. Im Winter des ersten Jahres züchtete er ein Kalb und 
ein Zicklein; er pflegte dieselben gut^ so dass fast alles, 
wobei Gefahr lief; am Leben blieb; man konnte beinahe 
sagen, dass zwei Köpfe auf jedem Thiere waren.^ In dem- 
selben Sommer fiel ein grosser Fischfang im Lagarflj6t^ vor. 
Hiedurch erhielten die Leute in dem Fljötsdalsh^rad einen 
Zuschuss zur Haushaltung^ und dies wiederholte sich jeden 
Sommer. 

13. Capitel. 

Sämr richtete (sich) nach Hrafnkell's Abzug den Hof 
zu Aäalböl ein; darnach veranstaltete er ein prächtiges Gast- 
mahl 85^ und lud dazu alle, welche HrafnkelFs Thingmänner 
gewesen waren. Er erbot sich, ihr Gode an Hrafnkell's 
Stelle zu sein; die Männer sagten hiezu ja, dachten aber 
doch verschieden darüber 86). Die Söhne Thj6starr*s riethen 
Sämr, dass er milde, freigebig und hilfreich gegen seine 
Männer und zum Schutze für jeden, der dessen bedürfte, 
bereit sein sollte; „und (sagten sie) diese da sind nicht 
Männer, wenn sie dir nicht gehörig Beistand leisten, so oft 
du desselben bedarfst. Wir rathen dir aber dies deshalb; 
weil wir wollen, dass es dir ganz gut gehe, denn du scheinst 
uns ein wackerer Mann; nimm dich nun wohl in Acht und 
sei aufmerksam auf dich, denn schwierig ist es^ sich vor 
den Schlechten zu bewahren''. — Die Brüder liessen (hierauf) 



> Wörtlich: „Hrafnkell sah nicht viel auf Kosien'\ 
2 Eigentlich: „Halbjahr^ 

^ Eine dem Originale eigenthümliche Ausdrucksweise, um die 
schnelle Vermehrung der Thiere zu bezeichnen. 

* Derselbe war (und ist noch) sehr fischreich. 



— 61 — 

nach Freyfaxi und seiner Schaar senden und sagten^ sie 
wollten diese Thiere sehen, von welchen so grosses Gerede 
ginge. Da wurden die Rosse heim gebracht. Die Brüder 
betrachteten dieselben. Thorgeirr sprach: „Diese Pferde 
scheinen mir zum Hofe nothwendig; mein Rath ist; dass sie 
so viel, als sie können, zum Nutzen der Leute arbeiten 
sollen, bis sie infolge Alters nicht länger leben können; 
aber dieser Hengst scheint mir nicht besser als andere Pferde, 
eher um so viel schlechter, als vieles Unheil durch ihn ver- 
ursacht worden ist. Ich will nicht, dass (noch) mehr Todlf 
schlage durch ihn veranlasst werden, als schon seinetwegen 
geschehen sind; es wird daher billig sein, dass der ihn (in 
Empfang) nehme, dem er gehört".^ Sie fiihren nun den 
Hengst zum Thale herab. Eine schroffe Felswand erhebt 
sich unten beim Flusse, aber unter derselben eine tiefe 
Höhlung;^ dorthin führen sie den Hengst, die Felswand 
hinauf. Darauf^ ziehen die Brüder einen Sack über des 
Hengstes Kopf, binden einen Stein an seinen Hals, nehmen 
sodann lange Stangen, stossen den Hengst hinunter und 
tödten ihn so.^ Hier heisst es seither Freyfaxahamarr.^ Dort 
oberhalb stand der Tempel, welchen Hrafnkell (dem Gotte 
Freyr) errichtet hatte. Thorkell ging dahin,® Hess alle Götter- 
bilder entkleiden,' darauf im Tempel Feuer anlegen und 
alles zusammen verbrennen 87). 

Nun rüsten sich die Gäste zur Abreise. Sämr wählt für 
die beiden Brüder kostbare Geschenke 88) aus, sie geloben 
sich gegenseitig unverbrüchliche Freundschaft und scheiden 
als sehr gute Freunde. Die Brüder reiten den geraden Weg 
westwärts zu den Meerbusen und kommen mit Ehren zum 
Thorska^ördr heim. 



^ Wörtlich: „der ihn hat", nämlich der Gott Freyr, dem er von 
Hrafnkell geweiht worden war; vergl. oben Capitel 3 am Schlüsse. 
^ d. h. eine Vertiefung im Flnssbette. 

^ Eingeschobene Uebergangspartikel, die nicht im Originale steht. 
* Hier mnsste von der Satzstellnng des Originales abgegangen werden 
5 d. h. Freyfaxi's Klippe. 
^ Wörtlich: „wollte dahin kommen". 
^ Vergl. Erläuterung 10. 



— 62 — 

Sämr bereitete Thorbjörn eine Niederlassung zu Leik- 
skälar; dort sollte er wohnen. Sämr's Gattin^ aber zog mit 
ihm zum Haushalte nach Actalböl und er wohnte dort eine 
Zeit (lang). 

14. CapiteL 

Hrafnkell erfuhr ostwärts im Fljötsdalr, dass die Söhne 
Thjöstarr's Freyfaxi getödtet und seinen Tempel verbrannt 
Ratten. Da sprach er: „Ich halte es für Thorheit, an einen 
Gott zu glauben", und fügte hinzu, dass er von jetzt an nie 
mehr an einen Gott glauben werde; und daran hielt er 
seither fest, (so) dass er nie mehr opferte 89). Hrafnkell sass 
zu Hrafnkelsstadir und brachte Geld zusammen. Er gewann 
grosses Ansehen in dem Fljütsdalsh(5rad; jeder wollte so 
sitzen und stehen, wie er wollte 90). In dieser Zeit kamen 
die meisten Schiffe von Norwegen nach Island; die Männer 
nahmen in den Tagen HrafnkelFs am meisten Land in dem 
FljcStsdalsh^rad (in Besitz). Keiner (aber) konnte sich in Ruhe 
und Frieden ansiedeln, ohne dass er Hrafnkell um Erlaub- 
nis bat; da mussten auch alle ihm ihren Beistand geloben 
und er versprach ihnen seinen Schutz. Er unterwarft sich 
(so) alles Land östlich vom Lagarfljöt91). Dieser Goden- 
bezirk wurde schnell um vieles grösser und volkreicher, 
als der, den er früher innegehabt hatte; er erstreckte sich 
aufwärts über den Skridudair und ganz hinauf längs dem 
Lagarfljöt. 

Eine Veränderung war jetzt in HrafnkelFs Gemüthsart 
vorgegangen. Der Mann war viel beliebter, als zuvor: er 
hatte dieselbe Sinnesart in Hinsicht auf Bereitwilligkeit und 
Gastfreiheit, aber er war ein weit mehr gefügiger und um- 
gänglicher Mann, als vorher, in allem. Oft trafen sich Sämr 
und Hrafnkell bei Zusammenkünften, erwähnten aber nie 
ihres Zwischenfalles. So ging es sechs Jahre hindurch 



^ Ihr Name wird nirgends genannt. 

^ d. h. er brachte das Land östlich vom Lagarfljöt in Abhängig- 
keit von sich, indem sich dessen Bewohner ihm, als ihrem Goden, unter- 
ordneten. 



-- 63 — 

Simr war bei seinen Thingmännern beliebt, denn er 
war leicht zugänglich, friedliebend und billig in seinen 
Entscheidungen, und erinnerte sich dessen, was die Brüder 
ihm gerathen hatten. Er war (auch) ein sehr prunkliebender 
Mann. 

15. Capitel. 

Es wird erzählt (92), dass ein Schiff vom Meere in den 
Reydar^ördr 93) kam und der Steuermann war Eyvindr 
Bjarnason;^ er war sieben Jahre auswärts 94) gewesen. 
Eyvindr hatte sehr viel an Ttlchtigkeit gewonnen und war 
ein überaus wackerer Mann geworden. Es wurden ihm sofoi't 
(nach seiner Ankunft) die Begebenheiten^ welche sich er- 
eignet hatten, mitgetheilt; aber er Hess darüber wenig merken, 
(denn) er war ein zurückhaltender Mann. Sobald Sämr 
Eyvindr's Ankunft^ erfährt, reitet er zum Schiffe^ hin; es 
findet nun ein sehr freudiges Wiedersehen der (beiden) 
Brüder statt. Sämr lädt seinen Bruder zu sich nach Westen 
ein; Eyvindr nimmt dies wohl auf, bittet aber Sämr, vorher 
nach Hause zu reiten und Pferde zu senden, um seine 
Waaren fortzuschaffen.'* Er zieht sein Schiff an den Strand 
und macht es fest. Sämr thut nun so,^ reitet nach Hause 
und lässt die Pferde zu Eyvindr treiben; und als dieser 
seinen Waarenvorrath 95) aufgepackt hat, beginnt er seinen 
Ritt nach dem Hrafnkelsdalr und reitet längs dem Reydar- 
5ördr aufwärts. Es waren fünf (Männer) zusammen; der 
sechste war Eyvindr's Leibbursche, von Herkunft ein Isländer, 
mit ihm verwandt. Diesen Jungen hatte Eyvindr aus seiner 
Dürftigkeit gezogen, mit sich in das Ausland genommen 
und ihn gleich sich selbst gehalten; diese That Eyvindr's 
war bekannt geworden, und es war die Meinung bei allen 
Leuten, dass wenige seinesgleichen wären. Sie ritten die 

1 d. h. Sohn des Bjarni, siehe oben Capitel 3, also Samr's Bruder. 
Vergl. Erläuterung 58. 

^ Im Original nur: „dies" (})etta). 

^ D. h. zum Strande. 

* Wörtlich: „seinen Waaren entgegen" {& m6ii varningi hans). 

^ Wie sein Bruder gewünscht. 



— 64 -^ 

Th6rsdalsheidi aufwärts und triebea sechzehnbeladeneHengste 
vor sich. 

Es waren da zwei Hausleute ^ Sämr's und drei Handels- 
leute;^ alle waren in bunten Gewändern und ritten mit 
glänzenden Schilden 96) einher. Sie ritten quer über den 
Skridudalr und über Hals 97), hinüber zum Fljötsdalr bis 
dahin, wo es Bulungarvellir ^ heisst, dann herab auf die 
Sandbank der Gilsä^; diese fliesst von Osten her zum Lagar- 
fljöt zwischen Hallorms- und Hrafnkelsstadir. Dann ritten 
sie längs dem Lagarfljöt aufwärts, unterhalb der flachen 
Strecke bei Hrafnkelsstactir und so um das Ende des Land- 
sees ^ herum und über(setzten) die Jökulsä 98) bei Skdlavad. 
Es war gerade zwischen Aufstehens- und Frühstückszeit.^ 
Eine Magd war (eben) beim Wasser und wusch ihre Lein- 
wand 99); sie sieht die Männer reiten'', packt ihre Leinwand 
zusammen, läuft zum Hause (HrafnkelFs), wirft die Lein- 
wand bei einem Holzhaufen nieder und stürzt hinein. Hrafn- 
kell war (noch) nicht aufgestanden, die Hausleute ^ selbst 
lagen in der Stube, die Arbeitsleute aber waren zu ihrer Be- 
schäftigung gegangen; es war um die Zeit der Heuernte 100). 
Die Magd nahm, als sie hineinkam, das Wort: „Das ist am 
meisten wahr, was ein altes Sprichwort sagt: „„Jeder wird 
so elend, wie er altert" ''; das Ansehen, welches zeitig er- 
worben wurde, wird gering, wenn man später die Hände 
schimpflich in den Schoss legt^ und nicht den Muth dazu 
hat, sein Recht irgend einmal zu verfolgen; und solches ist 
ein grosses Wunder bei dem Manne, welcher tapfer gewesen 
ist. Auf andere Weise ist es mit dem Leben derjenigen 
(bewandt), welche bei ihren Vätern aufwachsen, und sie 



^ d. b. freie, in Lohn genommene Dienstleate, yergl. Erläuterung 15. 

2 Nebst Eyvindr's Barschen. 

3 d. h. „Brennholzebene". 



^ d. h. «Klaftfluss 



»» 



^ Lagarfljöt. 

^ d. i. nngefahr 9 Uhr morgens. Siehe Erlänterang 25. 

~ Wörtlich: „sie sieht den Ritt der Männer". 

^ Nämlich Hrafnkell, seine Frau und Söhne. 

^ Wörtlich: „wenn man später mit Schande nachlässt". 



- 66 — 

scheinen euch von keinem Wert im Verhältnisse zu euch; 
aber sobald sie erwachsen sind, reisen sie von einem Lande 
zum anderen und erscheinen dort von grösster Bedeutung, 
wo sie hinkommen; dann kehren sie nach Hause zurück 
und dünken sich angesehener als die Goden. Eyvindr Bjar- 
nason ritt hieher ttber den Fluss bei Skälavad mit einem 
so glänzenden Schilde, dass es weithin davon leuchtet; er 
ist ein so tüchtiger Mann, dass an ihm Rache (zu nehmen) 
wäre 101)". 

So lässt die Magd ihrem Eifer Lauf. Hrafnkell erhebt 
sich und erwidert ihr: „Kann sein, dass du manches wahr 
genug sagst — nicht deshalb, weil dich Gutes hiezu bewegt; 
nun ist billig, dass du etwas zu thun bekommst.^ Eile schnell 
südwärts nach Vidivellir 102) zu den Söhnen Hallsteinn's, 
Sighvatr und Snorri; bitte sie, mit den Männern, welche 
dort waffenfähig sind, schnell zu mir zu kommen". Eine 
andere Magd sendet er hinaus nach Hrölfsstadir zu den 
Söhnen Hrölfr's, Thördr und Halli und denen, welche dort 
waffenfähig waren; diese wie jene waren treffliche Männer 
und durchaus tüchtig. Hrafnkell sandte auch nach seinen 
Knechten. Alle zusammen beliefen sich auf achtzehn. Sie 
bewaffaeten sich mannhaft und ritten dann über den Fluss,^ 
wie jene ^ zuvor. 

16. CapiteL 

Eyvindr mit den Seinigen war nun die Heide * herauf- 
gekommen. Er ritt (westwärts) bis er mitten auf die Heide 
gelangte. Hier heisst es Bessagötur.^ Da ist ein Moor ohne 
Rasendecke und ist (so beschaffen), wie wenn man im 
blossen Schlamme weiter ritte; und man sank stets bis zum 
Knie, oder zur Mitte des Schenkels, zeitweilig bis zum 



^ Wörtlich: ,,dass dir die Arbeit vermehrt werde'\ 

2 d. i. die Jökulsä-Lagarfljöt. 

3 Nämlich Eyvindr mit seinen Begleitern. 

4 NXmlich die Fljötsdalsheidi. 

5 götur pl. von gata, bedeutet: Wege, vergl. oben Seite 36, An- 
merkung 5. 

Hrafokell' 5 



/ 



— 66 — 

Bauch; aber weiter unten ist es so hart wie Steingrund 103). 
Im Westen davon liegt ein grosses Lavafeld 104), und als 
sie auf dasselbe gelangen, schaut Eyvindr's Bursche rück- 
wärts und sagt zu ihm: ,, Männer reiten da auf uns loS; 
nicht weniger als achtzehn; ein grosser Mann in einem 
blauen Gewände sitzt zu Pferde und scheint mir dem Qoden 
Hrafnkell ähnlich, obwohl ich diesen nun lange nicht ge- 
sehen habe". Eyvindr erwidert: ,,Was wird das uns angehen? 
Ich weiss keinen Grund zur Furcht vor dem Ritte Hrafn- 
kell's; ich habe nichts gegen ihn unternommen. Er wird 
einen Auftrag haben, westwärts im Thale seine Freunde zu 
treffen". Der Bursche entgegnet: „Es will mir nicht aus dem 
Sinne,* dass er dich (doch) gerne treffen wollen würde". 
„Ich weiss nicht", sagt Eyvindr, „dass zwischen Hrafnkell 
und meinem Bruder Sämr etwas vorgefallen wäre, seitdem 
sie sich verglichen haben". Der Bursche erwidert: „Ich 
wollte, dass du westwärts in's Thal rittest, dort wirst du 
in Sicherheit sein; ich kenne HrafnkelFs Sinnesart, dass er 
uns nichts anthun wird, wenn er dir nicht nahe kommt; 
alles ist geborgen, wenn nur du es bist; es ist dann kein 
Thier in der Schlinge 105), und dies ist gut, was immer aus 
uns werde". 

Eyvindr sagte, er werde nicht schnell davon reiten; 
„denn ich weiss nicht, wer diese sind; manchem Manne 
müsste dies lächerlich scheinen, wenn ich davon liefe, ohne 
näher hin zu sehen' '.^ 

Sie reiten nun westwärts vom Lavafeld. Da liegt vor 
ihnen ein zweiter Sumpf, welcher Oxam^^rr^ heisst; dieser 
ist sehr dicht mit Gras bewachsen; da ist weicher Schlamm, 
so dass er beinahe ungangbar ist. Darum legte der alte 
Hallfredr jenen oberen Weg an, obgleich derselbe länger 
war."* Eyvindr reitet westwärts in den Sumpf; die Pferde 



^ Dem Sinne nach wiedergegeben, da eine wörtliche Uebersetznng 
hier unmöglich ist. 

2 Wörtlich: „bei allem Ungeprüften" (at öllu üreyndu), d. h. ohne 
mich vorher zu überzeugen, ob wirklich Gefahr ist. 

3 d. h. „Ochsensumpf". 

* Vergl. oben Capitel 2 am Schlüsse. 



- 67 — 

sanken vor den Reitern tief hinein;^ sie verzögerten sich da 
sehr. Hrafnkell und seine Leute ^ kamen schnell hintendrein, 
da sie ohne Gepäck ritten; nun nehmen (auch) sie ihren 
Weg durch den Sumpf. Eyvindr mit den Seinen war schon 
aus dem Sumpf herausgekommen: da erblicken sie Hrafn- 
kell und seine beiden Söhne. Die Männer bitten Ey vindr, von 
dannen zu reiten: „Nun sind alle gefährlichen Stellen passiert;^ 
du wirst Adalböl erreichen, während der Sumpf inzwischen 
liegt".^ Eyvindr entgegnet: „Ich werde nicht vor den 
Männern fliehen, welchen ich kein Unrecht zugefügt habe". 
Dann reiten sie den Bergrücken hinauf. Dort erheben sich 
kleine Hügel 106). Am Fusse eines derselben ist eine Torf- 
scholle, mit Hafer 107) bewachsen, von den Winden ganz 
ausgefegt, mit steilem Abfalle nach allen Seiten. Eyvindr 
reitet zu derselben, steigt dort vom Pferde und erwartet die 
Feinde. Dabei sagt er: „Nun werden wir gleich ihren Auf- 
trag kennen". Darauf geht er mit seinen Leuten die Torf- 
scholle aufwärts und sie lösen einige Steine los 108). 

Hrafnkell bog vom Wege ab und südwärts zur Torf- 
scholle; er sprach kein Wort mit Eyvindr, sondern schritt 
sofort zum Angriffe. Eyvindr wehrte sich tüchtig und mann- 
haft. Sein Bursche hielt sich nicht kraftvoll genug zum 
Kampfe, sprang darum zu Pferde^ und ritt westwärts über 
den Bergrücken nach Adalböl und erzählte Sämr, was vor 
sich ginge. Sämr brach sogleich auf und sandte nach 
Männern; es sammelten sich im ganzen zwanzig; diese 
Schaar war wohl gerüstet. Sämr ritt ostwärts auf der Heide 
bis dahin, wo sich der Kampfplatz befand. Da war es 
(bereits) zur Entscheidung gekommen: Eyvindr und alle 
seine Männer waren gefallen, Hrafnkell ritt von seinen 
Kampfthaten weg nach Osten. ^ 



^ Im Original unpersönlich construirt. 
^ Im Original nur: »jene^* (hina). 
3 Wörtlich: „hinweg" (af). 

^ d. h. während die Gegner noch im Sumpfe stecken. 
^ Wörtlich: „nahm seinen Hengst". 

^ Hier mnsste von der Satzfolge des Originales abgegangen 
werden. 

5* 



— 68 — 

Das erste, was Sämr that, war, dass er untersuchte, ob 
noch Leben in seinem Bruder wäre;^ aber die Blutthat^ war 
wirklich geschehen — alle fänf (Männer) zusammen waren 
des Lebens beraubt. Doch waren auch von HrafnkelFs 
Leuten zwölf Mann gefallen, die sechs (übrigen) aber davon 
geritten. Sämr hielt nur kurze Rast; er und seine Männer 
setzen sogleich (Hrafhkell) nach. Dieser reitet mit den 
Seinen (so schnell) als sie können davon; doch haben sie 
ermüdete Pferde. Da sprach Sämr: ^ Nahen können wir 
ihnen, denn ihre Pferde sind erschöpft, während wir alle 
(noch) feurig haben; und es wird auf dem Sprunge stehen, 
ob wir sie erreichen, oder nicht, bevor sie von der Heide 
wegkommen". Da war Hrafnkell ostwärts über die Oxam^rr 
gekommen. Nun reiten beide (Gegner) bis Sämr zum Rande 
der Heide kommt; da sieht er, dass Hrafnkell herab zu den 
Hügeln gekommen war; er ei^kennt, das Hrafnkell in das 
Fljötsdalsh^rad herab entwischen wird. Da sprach er: „Hier 
werden wir umwenden, denn Hrafnkell wird es (nun) leicht 
sein, Männer zu sammeln'\ Sämr kehrt nun mit so ver- 
richteter Sache zurück; er kommt zur Stelle wo Eyvindr 
lag, greift zu und wirft einen Hügel über seinen und 
seiner Genossen Leichname auf 109). Dort heisst es nun 
Eyvindartorfa,^ EyvindarJ^öU'* und Eyvindardalr.^ 

1^. CapiteL 

Sämr reitet dann mit allen Waaren (seines Bruders) 
heim nach Adalböl. Sobald er dort ankommt, sendet er 
nach seinen Thingmännern, dass sie am Morgen vor der 
Frühstückszeit zu ihm kommen sollten; er beabsichtigt 
ostwärts über die Heide (zu ziehen);^ wS®^® ®^ dabei, wie 



^ Wörtlich: „Sämr that zuerst das, dass er nach Leben bei seinem 
Bruder suchte". 

^ Im Original nur: „das" (])at). 
3 d. h. „Eyvindr's Scholle''. 
* „Eyvindr's Felsen". 
5 „Eyvindr's Thal". 
^ Gegen Hrafnkell. 



— 69 - 

es wolle" (sagt er). Abends ging Sdmr zu Bette und da 
waren (bereits) viele Männer gekommen. 

Hrafiikell war (auch) heim geritten und hatte seine 
Neuigkeiten erzählt.^ Er verzehrte sein Mahl 110) und sammelte 
nachher Männer um sich, so dass er siebzig Mann bekam; und 
mit dieser Schaar reitet er westwärts über die Heide, kommt 
unerwartet nach Adalb61, packt Sämr im Bett und zieht ihn 
heraus. Dann sprach er: ,,Nun bist du, Sämr! in die Lage 
gekommen, welche dir vor einer Weile unwahrscheinlich 
dünken mochte: dass nämlich ich Gewalt über dein Leben 
habe.^ Ich werde nun kein härterer Mann gegen dich sein, 
als du gegen mich warst. Ich will dir zwei Fälle (zur Wahl) 
vorlegen: (der eine ist), dass du getödtet werden sollst, 
der andere, dass ich allein zwischen uns beiden richten und 
entscheiden soll". Sämr erwiderte, er wähle lieber zu leben, 
jedoch meine er, dass beide Fälle hart wären. Hrafnkell 
sagte, er glaube dies gern; „denn wir haben dir (noch) das 
(Letztvorgefallene) heimzuzahlen und ich würde zur Hälfte 
besser mit dir verfahren, wenn du dessen würdig wärest. 
Du sollst von Adalböl weg und herab nach Leikskälar ziehen 
und dich dort in deiner Wohnung niederlassen; du sollst nur 
das Eigenthum mit dir nehmen, welches Eyvindr besessen 
hat; nicht mehr von hier in deinem Besitze behalten, als du 
hieher gebracht hast — dies alles sollst du (mit dir) fort- 
nehmen. Ich werde meine Godenwürde wieder übernehmen, 
ebenso den Hof und Grundbesitz; ich sehe, dass meinem 
Besitzthume ein grosser Zuwachs (zu theil) geworden ist, 
aber du sollst davon keinen Nutzen ziehen. Für deinen 
Bruder Eyvindr soll keine Busse fällig werden, weil du auf 
schmachvolle Weise für deinen erschlagenen^ Verwandten* 
Einarr die gerichtliche Verfolgung (an mir) vornahmst; und 
ihr habt für diesen hinreichend Busse (bekommen), nach- 
dem du sechs Jahre meine Godengewalt und mein Besitz - 



^ Im Original das Imperfectum. 

^ Vergl. hier und im Folgenden die ganz ähnliche Ausdrucksweise 
oben Seite 58. 

3 Eigentlich: „früheren''. 
* d. i. Vetter. 



* 



-^ 70 - ^ 

thum innegehabt hast; auch scheint mir die Tödtung | 
Eyvindr's und seiner Männer nicht mehr wert als die an % 
mir und meinen Männern (verübte) Misshandlung.* Du ver- 
triebst mich aus meinem Bezirke^^ aber ich lasse es mir 
gefallen^ dass du in Leikskälar wohnest; und du wirst es gut 
haben/ wenn du nicht zu deinem (eigenen) Schaden über- 
müthig bist. Mein Untermann sollst du sein so lange wir 
beide leben. Und dessen kannst du gewiss sein, dass du 
desto schlechter fahren wirst, je mehr wir Schlimmes mit 
einander zu thun haben". 

Sämr zog nun mit seinen Leuten herab nach Leikskälar 
und Hess sich daselbst in seiner Wohnung nieder. Hrafnkell 
vertheilte zu Adalb61 die Arbeit unter seine Leute; seinen 
Sohn Th6rir siedelte er in Hrafnkelsstadir an; er (selbst) 
hatte nun die Godenwürde über die ganze Gegend.^ Asbjörn 
blieb bei seinem Vater; denn er war der jüngere. 

18. CapiteL 

Sämr sass diesen Winter auf Leikskälar. Er war still 
und theilnahmslos ; manche fanden, dass er mit seinem Lose 
wenig zufrieden war. Aber gegen Sommer,^ als die Tage 
länger 111) wurden, zog er mit einem Manne und drei 
Pferden über die Brücke 112), von dort über die Mödrudals- 
deidi, dann mit einem Fahrzeuge über die Jökulsä (ä Col- 
lum) 113) (und) weiter zum M^vatnll4); von da über die 
Fljötsheidi und das Lj6savatnsskardll5), und machte nicht 
eher Halt, als bis er westwärts zum Thorskai^ördr 116) kam; 
dort wurde er freundlich aufgenommen. Da war Thorkell 
eben (wieder) von einer Beise zurückgekommen; er war 

^ Eine für die damaligen Anschauungen von Rache und Ver- 
geltung höchst hezeichnende Stelle. 

^ Wörtlich: „Du machtest mich (zu) einem aus dem Bezirke Ver- 
triebenen**. 

3 Wörtlich: „es wird dir taugen'*. 

^ Also das frühere and spätere godord vereinigt. 

^ Wörtlich: „aber um das Jahr", d. h. zur Jahreszeit, da die Tage 
länger wurden, nämlich gegen Sommer; „vetr** bedeutet zunächst „Winter", 
dann das Jahr überhaupt. 



— 71 — 

vier Jahre auswärts gewesen. Simr blieb dort eine Woche 
(bei den Brüdern) und ruhte sich aus; darnach erzählte er 
ihnen seine (neuerlichen) Händel mit Hrafnkell und bat die 
Brüder um Beistand und Unterstützung wie vorher. 

Diesmal ^ gab Thorgeirr für sich und seine Brüder Ant- 
wort (und) sagtC; er wolle sich fern halten:^ ^Ein langer 
Weg ist zwischen uns. Wir glaubten dir alles wohl geordnet 
zu haben, bevor wir auseinander gingen, so dass dir leicht 
gewesen wäre, alles zu erhalten. Damach ist es (aber) 
gekommen, wie ich, als du Hrafnkell das Leben schenktest, 
voraussah: dass du dies am meisten bereuen würdest; wir 
legten dir nahe,^ dass du Hrafnkell das Leben nehmen 
solltest, aber du (allein) wolltest entscheiden. Nun ist offenbar, 
welcher Unterschied an Witz zwischen euch beiden statt- 
gefunden hat: er liess dich im Frieden wohnen und ging 
zuerst darauf los, den Mann bei Seite zu schaffen, der ihm 
ein tüchtigerer als du zu sein schien.^ Wir können nicht 
dieses dein Missgeschick uns zum Schaden gereichen lassen. 
Auch haben wir nicht so grosse Lust, mit Hrafnkell zu 
streiten, dass wir uns dazu verstehen, unsere Ehre öfters 
aufs Spiel zu setzen. Aber wir wollen dir anbieten, mit 
deiner ganzen Verwandtschaft hieher unter unseren Schutz 
(zu kommen), wenn dir das Leben hier weniger demüthigend 
erscheint, als in HrafnkelFs Nähe". 

SAmr erwiderte, dazu verstehe er sich nicht, sondern 
er wolle nach Hause zurück, und bat (die Brüder), die 
Rosse mit ihm zu tauschen; dies stand gleich zu Gebote. 
Die Brüder wollten Sdmr kostbare Geschenke geben; aber 
er wollte nichts annehmen und sagte, sie wären in ihrer 
Denkungsweise kleinlich. 

Mit so verrichteter Sache ritt Sämr heim nach Leik- 
skälar und wohnte dort bis zu seinem Alter; er brachte es. 



1 Mit Bezug auf das erste Zusammentreffen der Brüder mit S&mr 
(vergl. oben Seite 48 ff.), wobei Thorkell sich Sämr's angenommen und 
ihn seinem Bruder Thorgeirr empfohlen hatte. 

2 Wörtlich: „er sitze ausserhalb". 

3 Wörtlich: „wir machten dir Lust dazu". 
* Eyvindr. 



— 72 — 

so lange er lebte, zu keiner Erhebung gegen Hrafnkell. Aber 
Hrafnkell sass in seinem Wohnsitze und behauptete sein An- 
sehen . Er starb an einer Krankheit ^ und sein Grabhügel liegt im 
Hrafnkelsdalr, ausserhalb von Adalböl; grosse Schätze wurden 
ihm in's Grab gelegt, seine ganze Waffenrüstung und sein 
guter Spiess 117). — Seine Söhne übernahmen die Goden- 
gewalt; Thörir wohnte zu Hrafnkelsstadir, Asbjörn aber zu 
Adalb61; beide hatten die Godenwürde gemeinschaftlich und 
erschienen als angesehene Männer. — und hiemit endet die 
Saga von Hrafnkell 118). 

1 Wörtlich: „er wurde an einer Krankheit sterbend'^ Dies galt als 
eine nnrühmliche Art, sein Leben zu beschliessen. 



Erläuterungen. 



Die benützten Werke werden nur bei ihrer erstmaligen Anführung mit 
dem vollständigen Titel verzeichnet, im Folgenden stets entsprechend 

abgekürzt. 



.* i. 



1) lieber die Genealogie Haraldr's des HaarschÖnen berichtet 
übereinstimmend und kurz die Islendingabök des Priesters Ari des 
Weisen (herausgegeben von Theodor Möbius, Leipzig 1869, Oetav) 
im Prologe; ausführlich Snorri Sturluson's Heimskringla (übersetzt 
und erläutert von Ferdinand Wächter, Leipzig 1835 bis 1836. 
Octav. 2 Bände), Ynglinga saga, Capitel 46 und fiP. 

Ueber Haraldr selbst ist die ^Saga Haraldr's des Haar- 
schönen" (Haralds saga ens härfagra, in Snorri^s Heimskringla) 
die ausführlichste Quelle. (Yergl. unsere ^Einführung" oben 
Seite 5, 6, sowie P. A. Munch, Det norske Folks Historie, 
1. Theil. 1. Band. Seite 459 bis 612; Andr. Faye, Geschichte 
von Norwegen, Seite 19 ff.) 

2) Breiddalr (d. i. Breitthal) liegt an der Ostküste der Insel 
Island zu beiden Seiten der Breiddalsvik (Breitthalsbucht) und ist 
durch die grosse, breite, sehr wiesenreiche Thalsohle, welche fast ^ 
zwei geographische Meilen beträgt, besonders aber durch die 
äusserst grotesken Felsengestalten merkwürdig, mit welchen er 
rings umgeben ist. Diese Bergkuppen erscheinen, so oft man seine 
Stellung verändert, auch in verschiedener Gestalt; zuweilen gleichen 
sie den Giebeln der Häuser, Schlösser u. s. w. ; aber der vor- 
herrschende Anblick, den sie bieten, ist der von hohen Thürmen 
und Spitzen. 

3) Dieses Ansiedeln bestand in Besitzergreifung eines noch 
unbebauten (d. h. von keinem der bisherigen Ansiedler besetzten) 
Landstückes auf Island kraft des freien Occupationsrechtes. Man 
nannte dies „Landnahme" (landndm), die Ansiedler hiessen „Land- 
nahme-Männer" (landnämamenn) und die ganze Periode, während 
welcher in dieser Weise die Besiedlung Islands erfolgte, wird als 
^Landnahme- Zeit" (landnämatid) bezeichnet, nämlich die Jahre 
874 bis 934. (Vergl, oben Seite 5.) Die Namen der ersten 
Besiedler Islands in der „Landnahmezeit" sind in dem „Land- 
nahme-Buche^' (Landnämabok, vergl. oben Seite 13) aufgeführt. 
In der ersten Zeit wurden sehr ausgedehnte Strecken des Landes 



— 76 ~ 

auf Island von den Einwanderern in Besitz genommen; später 
wurde das zu occupierende Terrain auf ein gewisses Mass beschränkt, 
indem, wie es heisst, auf König Haraldr des Haarschönen Rath 
festgesetzt ward, dass niemand mehr Land in Besitz nehmen 
dürfe, als er in bestimmt vorgeschriebener Weise binnen eines 
einzigen Tages mit Feuer überfahren könne. Die Besitznahme wslt 
nämlich mit einer religiösen Feierlichkeit und zwar mit der 
Weihung des Grundstückes durch Feuer verbunden. Diese geschah 
in der Weise, dass man dasselbe entweder mit einer Reihe bren- 
nender Holzstösse einfasste oder mit brennender Fackel um das 
Grundstück herumritt, oder endlich einen brennenden Pfeil über 
die betreffende Stelle schoss. Das Feuer trug, wie das Wasser 
nach heidnischem Glauben eine reinigende und heiligende Kraft 
in sich. War diese Feierlichkeit beendet, so wurde zur Errichtung 
der nöthigen Wohn- und Wirtschaftsgebäude, zur Umzäunung des 
Hofraumes geschritten; angesehene Einwanderer pflegten auch 
ihren eigenen Tempel (isländisch hof) zu errichten, wozu mancher 
gleich von Norwegen her die Hauptsäulen mitgebracht hatte. Dies 
sind die oft erwähnten Hochsitzpfeiler (öndvegissülur), welche 
den Hochsitz des Hausvaters in der norwegischen Heimat um- 
gaben; dieselben waren ausgeschnitzt, gingen oben in die Form 
eines Gottes, besonders Th6rr*s aus und galten für ein Heiligthum. 
Wenn der vornehme Auswanderer eine fremde, noch unbewohnte 
Küste erreichte, warf er diese Pfeiler unter Anrufung Th6rr*s in's 
Meer, und wo sie landeten, dort siedelte er sich an. Uebrigens 
ging es hiebei nicht immer friedlich ab, denn man konnte sich 
auch ein Stück Landes durch Zweikampf (isländisch hölmganga, 
daher Holmgang), welcher als Gottesurtheil galt, erringen; man 
Hess nämlich dem derzeitigen Besitzer die Wahl zwischen Ab- 
tretung seines Grundstückes oder Zweikampf.^ 

4) Unter ^Heide*' (isländisch heidi) versteht man auf Island 
langgestreckte Hochebenen, mit Kies- oder Sandboden; fast ohne 
Vegetation, sind sie nur hie und da von Sümpfen, Grasflecken 
oder vereinzelten Felskuppen unterbrochen und gewähren einen 
trostlosen Anblick. Ein bekannter Beisender äussert sich hierüber 
folgendermassen : ^Wer noch nicht selbst in Island gereist ist, der 
kann sich von der Beschaffenheit einer solchen Heidi keine Vor- 
stellung machen. Plateaus sind zwar sonst keine seltenen Landes- 



^ Vergl. Konrad Maurer, Beiträge zur Rechtsgeschichte des germani- 
schen Nordens, 1. Heft, Seite 44 ff. ; derselbe : Island etc. Seite 36 bis 39 ; 
Karl Weinhold, Altnordisches Leben. Berlin 1856. Octav. Seite 214; 
A. M. Strinnholm, Wikingszüge etc. 2. Band Seite 17 bis 21; Carl Wil- 
helmi, Island etc. Seite 22, 36 ; Heinr. Leo, Einiges über das Leben und 
die Lebensbedingungen auf Island in der Zeit des Heidenthumes, in 
Raumer's „historischem Taschenbuche**, 6. Band, Seite 409 bis 422. — Die 
Hauptquellen sind hier die Eyrbyggja saga und die Landnimab^k. 



— 77 — 

formen, aber von solcher Oberfläche, solcher Spärlichkeit der 
Vegetation, solcher Einsamkeit, Einförmigkeit und Ausdehnung in 
nächster Nähe ewigen Eises, sind sie nur Island eigen'\ ^ 

5) Es war im nordischen Heiden thume herrschender Glaube, 
dass vermittelst Ahnungen, Träume und Zeichen mancherlei Art 
dem Menschen durch seine Schutzgeister (isländisch fylgjur, f. pl. 
daher „Fylgien") der Wille der hohen Götter und zwar warnend, 
rathend, strafend, belohnend oder weissagend verkündet werde. 
Daher rührte das grosse Vertrauen, welches man auf die Träume 
setzte, indem man in denselben Winke von oben zu erkennen glaubte. 
Die isländischen Sagas sind überreich an Zügen, welche beweisen, 
wie tief eingewurzelt der Glaube an Träume damals war. ^ Jedes 
wichtige Ereignis wurde immer von grossen bedeutungsvollen 
Träumen vorher verkündigt.'* 2 

6) Unter „Landzunge** wird hier das Landstück zwischen den 
Mündungen des Lagarfijöt und der Jökulsä d brü (vergl. Erläu- 
terung 8) verstanden. Die Kangä ist ein Nebenfluss des Lagar- 
fljot. Der Ausdruck „Zunge" (tunga) ist sehr häufig bei isländi- 
schen Ortsnamen (vergl. Erläuterung 40). 

7) Hier ist wie früher (vergl. Erläuterung 4) die Heide 
gemeint, welche den Jökulsdalr vom Fljötsdalr scheidet und daher 
Fljötadalsheidi heisst. Dieselbe erstreckt sich von der Masse 
des Klofa- oder Vatnajökull (siehe oben Seite 29) aus in nord- 
östlicher Richtung zwischen den Thälern der Jöknlsd ä brti (vergl. 
Erläuterung 8) und des Lagarfijöt und endet an der Mündung 
dieser Flussthäler mit der sogenannten Tunga (vergl. Erläuterung 6). 
Auf dem Plateau dieser Heide und in der Nähe ihres südlichen 
Endes steht die berühmte eisbedeckte und isolirte Trachjtglocke 
des Suse feil, (d. i. Schneeberg), 3679 Pariser Fuss über dem 
Meere, zwei geographische Meilen von dem nördlichen Bande des 
KlofajökuU entfemt.3 

8) Da auf Island bis heute aller Verkehr fast nur zu Pferde 
stattfindet, indem man auch die Flüsse zu Rosse durchschwimmt, 
so ist eine Brücke dort eine Seltenheit. Die hier erwähnte Brücke 
(isländisch brü) über die Jökulsd (ä brü) war lange Zeit die 
einzige auf Island und der Fluss, über welchen sie führte, wurde 
dadurch von anderen gleichnamigen Flüssen unterschieden: daher 
Jökulsä d brü zum Unterschiede von Jökulsä d FjöUum oder i 
Axarfirdi, Jökulsä i Loni, Jökulsd ä Breidnmerkursandi und Jö- 
kulsd d Sölheimasandi.'^ Wägen gibt es auch heute nicht und die 



1 G. G. Winkler, Island etc. Seite 60. 
^ Strinnholm^ Wikingszüge etc. 2. Band, Seite 234 ff. 
3 Elaehn, Island (Geographie) in Ersch und Gruber's Encyklopädie. 
2. Section, 31. Theil. Leipzig 1856. Quart. Seite 146. 

^ Jioryaldur Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 42 bis 45. 



— 78 — 

Wege bestehen nur aus Geleisen, welche durch die Pferde aus- 
getreten sind. — Die Jökulsä ä brü (vergl. oben Seite SO) hat 
z aletzt eine Breite von 20 bis 30 Ellen und ist trotz ihrer hohen 
Ufer schon mehrmals und unter grossen Verheerungen ausgetreten, 
besonders im Jahre 1625^ wobei auch die alte Brücke zerstört 
und später neu hergestellt wurde. ^ Die jetzige Holzbrücke ist 
ebenfalls schon verfallen ^und ist die Rede davon, sie neu za 
erbauen". 

9) Der Laxärdalr (d. i. das Laxdrthal) wird von der Lazä 
durchströmt, welche der nordwestliche Abfluss des grossen Land- 
sees Mj^vatn (siehe Erläuterung 114) ist; sie nimmt die Reykja- 
dalsd auf und mündet in den SkjdlfandaQördr an der Nordost- 
küste Islands. 

10) Vergl. Erläuterungen 3 am Schlüsse. — Die Tempel 
(isländisch hof), welche in den Sagas häufig erwähnt werden, 
waren oft sehr gross, von hohen Staketen oder einer Umfriedung 
von aussen umgeben. Der Tempel selbst bildete ein hölzernes, 
viereckiges Gebäude, dessen Inneres in zwei Räume zerfiel: erstens 
ein Langhaus oder eine grosse Halle als Vorsaal, zweitens ein 
kleinerer kirchenchoralähnlicher Raum, das eigentliche Tempel- 
heiligthum. In diesem befand sich der Altar von Stein oder Holz 
mit dem heiligen Ringe, auf welchen alle feierlichen Eide abge- 
legt wurden.^ Hinter dem Altare und mitten vor demselben standen 
die vornehmsten Götter auf Erhöhungen, oder sie sassen in einem 
Hochsitze und zu beiden Seiten derselben auf niedrigeren Sitzen 
die übrige Götterschar in einem Halbkreise um den Altar: alle 
in Bildsäulen von kolossaler oder gewöhnlicher Grösse, oft mit 
köstlichen Gewändern bekleidet und reich mit Silber und Gold 
geschmückt. Das Langhaus war für das versammelte Volk bestimmt 
und nach Art des Hauptgemaches (skäli, siehe Erläuterung 16) 
der isländischen Höfe eingerichtet: den Langwänden entlang waren 
Sitze angebracht, in der Mitte beider Reihen je ein Hochsitz für 
die Vornehmsten; den des Tempelbesitzers umgaben die Hoch- 
sitzpfeiler.3 

1 Siehe die Abbildung eines Flussüberganges auf Island in dem 
Buche des schwedischen Reisenden C. W. Paijkull: £n sommar pa 
Island, reseskildring. Stockholm 1866. Octav. Seite 210. Vergl. hiezu 
auch: Henrik Helms, Island und die Isländer (in dessen „Die Eiswelt 
und der hohe Norden etc." Leipzig 1874. Octav) Seite 12, 16 bis 18; 
C. A. de Fonblanqne, Five weeks in Iceland, Seite 116; Theodor Glie- 
mann, Geographische Beschreibung von Island. Altona 1824. Octav. 
Seite .32 bis 33. 

^ Dieser Ring wurde in das Blut des geschlachteten Opferthieres 
getaucht und der Schwörende nahm ihn sodann in die Hand und sprach 
die Eidesformel: „So wahr mir helfe Freyr, Njördr und der allmächtige 
Abc (Th<5rr)". 

3 Vergl. Erläuterung 3 am Schlüsse und Gudbrandur Vigf&Sion's 
Icelandic prose reader, Seite 339 und 556 (öndugissiilur). 



— 79 — 

Niemand durfte mit den Waffen in der Hand einen Tempel 
betreten, Räuber oder Mörder durften nicht einmal in dessen 
Nähe gesehen werden: so heilig galten die Wohnungen der 
Götter. 

Der tägliche Gottesdienst bestand darin, dass der be- 
treffende Gode (siehe Erläuterung 12) sich in das Innere des 
Tempels begab, daselbst auf die Knie fiel, sodann gegen Himmel 
sah, das Haupt entblösste und betete. Für die Göttinnen hatte 
man eigene Priesterinnen, die Gydjen (isländisch gydjar oder hof- 
gydjar, sing, gydja). Der Opferact (isländisch bl6t n. von 
blöta, opfern) wurde ebenfalls vom Goden geleitet. Zu Opfer- 
thieren wurden vornehmlich Pferde, dann auch Ochsen, Stiere und 
Schweine verwendet. Das Opferthier wurde festlich geschmückt 
an den Altar geführt und vor allem Volke von dem Goden ge- 
tödtet. Derselbe fing dann das Blut in einer grossen kupfernen 
Opferblutschale (isländisch hlautbolli) auf, tauchte in diese den 
heiligen Opferquast (einen Zweig, isländisch hlautteinn) und be- 
sprengte 80 die Sitze der Götter und die Wände des Tempels, 
sowie das versammelte Volk. Hierauf fand in dem Langhause die 
Opfermahlzeit statt, wozu das Fleisch des Opferthieres verwendet 
wurde. Mitten in der Halle brannte am Boden ein Feuer, auf 
dasselbe wurde ein Kessel gesetzt und darin das Opferfleisch 
gekocht — nie gebraten; der Gode weihte es und alle genossen 
davon gemeinsam. 

An diese Opfermahlzeit schloss sich das Trinken ^zu 
Ehren der Götter", besonders Odinn's, Njördr's und Freyr*s, oder 
auch 2SU Ehren ausgezeichneter, dahingeschiedener Anverwandter, 
welches letztere man ^ Minnetrinken'' nannte. Noch sei erwähnt, 
dass in ausserordentlichen Fällen Menschen (Sklaven, Uebelthäter) 
geopfert wurden. 

Ausser diesen bei gewissen Gelegenheiten abgehaltenen Opfern 
feierten die heidnischen Isländer jährlich vier grosse Opfer- 
feste: das Winteropfer zu Anfang des Winters, d. h. Ende 
October oder Anfang November; das J61- oder Julfest am 
21. oder 22. December; das Siegesopfer bei Beginn des 
Sommers, am 21. April; endlich das Mittsommerfest^ am 
21. Juni. Das Winteropfer wurde zu Ehren des Gottes Freyr 
(vergl. Erläuterung 11) abgehalten und fand hiebei ein grosses 
Schlachten von Pferden, Ochsen und Schafen statt. Das Julfest 
(entsprechend unserem Weihnachtsfeste) zur Feier der Winter- 
sonnenwende war das Hauptfest und dauerte drei Tage; es wurden 
hiebei besonders Schweine geopfert. Beim Siegesopfer flehte man 
besonders um die Sicherheit vor (inneren) Feinden und um Sieg 
Über dieselben. 

Das Mittsommerfest war dem guten Gotte Baldr, dem besten 
und schönsten Lichtgotte, gewidmet. Ausserdem wurde jedes 



^ _ 80 — 

wichtige Familienereignis (Geburten, Hochzeiten, Begräbnisse) 
mit Festen und Gelagen begangen.^ 

11) Freyr ist nach der nordischen Mythologie der Sohn des 
Äsen (guten Gottes) Njördr und seiner Gattin Skadi, der 
Tochter des Riesen Thjassi (Pjassi). Seine Schwester ist Frey ja. 
Er ist sehr schön von Ansehen, hat gelbes fliegendes Haar und 
blaue Augen und ist sehr mächtig und gut. Nach der prosaischen 
Edda (Gylfagiuning Cap. 24, übersetzt von Karl Simrock) ist 
Freyr ^der trefflichste unter den Äsen. Er herrscht über Regen 
und Sonnenschein und das Wachsthum der Erde und ihn soll 
man anrufen um Fruchtbarkeit und Frieden*'. Freyr's Gattin ist 
Gerdr (Gerda) , die Tochter des Riesen G:^mir, für welche er 
sein Schwert hergab; sein Diener heisst Skirnir. Freyr ist auch 
der Besitzer des Schiffes Skidbladnir, das immerdar günstigen 
Wind hat und ebensowohl über Land als über Meer segeln kann; 
ferner des Ebers Gullinbursti. — Auf Island wurde Freyr ganz 
besonders verehrt, ebenso wie sein Vater Njördr, und hatte zahl- 
reiche Tempel. Ihm wurden besonders Pferde zugeeignet und das 
Winteropfer ward ihm zu Ehren abgehalten (vergl. Erläuterung 10). 
Freyr, Njördr und Thörr (I>6rr) waren die drei Hauptgötter 
der heidnischen Isländer. Letzterer als Gott des Donners, dessen 
Hauptcharakter in der unüberwindlichen Kraft bestand, die er mit 
seinem alles vernichtenden Hammer (Mjölnir) ausübte^ war und 
blieb der Hauptgott nicht blos der heidnischen Isländer, sondern 
der alten Skandinavier überhaupt, dessen Name ein Bestandtheii 
der meisten Personennamen bildete: Thördlfr, Thörölfr, Thorarr, 
Thörarinn, Thöroddr, Thorkell (für Thorketill), Thorgeirr, Thor- 
leifr, Thorsteinn, Thorvaldr u. s. w. von Männern; Thörarna, 
Thörhalla, Thörhildr, Thördis, Thorbjörg, Thorveig u. s. w. von 
Frauen. 2 

12) Der Ausdruck ^Gode" (isländisch godi, auch hofgodi, 
godordsmadr, fyrirmadr, yfirmadr oder höfdingi schlechthin) be- 
zeichnet zunächst einen Priester; das Wort gleitet sich ab von 

1 Yergl. von den Quellen: Snorri Sturlason^s Heimskrin^la, u. zw. 
H^konar saga hins göda Capitel 16; Olafs saga hins helga Capitel 116, 123 ; 
Landnämab6k IV, 7; Eyrbyggja saga Capitel 4. Von den Hilfsmitteln: 
Strinnholm, Wikingszüge etc. Band 2. Seite 26, 31 bis 36; Wilhelm!, 
Island etc. Seite 60 bis 63; Heinrich Leo in Raumer^s Taschenbuch 
Band 6, Seite 440 ffg; Ad. Holtzmann, Deutsche Mythologie etc. Leip- 
zig 1874. Octav. Seite 224; Chr. Dorph, Grundriss der nordischen Mytho- 
logie. Aus dem Dänischen von Eugen Liebich. Neuwied 1882. Octav. 
Seite 61 bis 66. 

^ K. Simrock, Deutsche Mythologie, dritte Auflage. Bonn 1869. 
Octav. Seite 314 ffg.; Holtzmann, Deutsche Mythologie. Seite 109, 111; 
Wilhelmi, Island etc. Seite 60, 34 bis 36; Maurer, Island etc. Seite 60; 
Dorph, Grundriss der nordischen Mythologie. Seite 39 bis 40. — Die 
schöne Mythe von Freyr^s Werbung um Gerdr erzählt die poetische Edda 
(Skirnisför) uud die prosaische (Gylfagiuning Capitel 37). 



— 81 — 

(isländiach) goct oder gud, d. h. Gott und entspricht insoweit voll- 
kommen dem gothischen gudja, womit Wulfila cspeug übersetzt". 
(K. Maurer.) 

Der isländische Gode war zunächst religiöser oder Tempel- 
vorstand seines Bezirkes, dann aber auch dessen weltlicher Häupt- 
ling mit ausgedehnter herrschaftlicher Gewalt. Er hatte in seinem 
Bezirke (godord, riki, oder auch Pinghd, fingmannasveit, h^rad) 
vor allem den Tempel zu erhalten und den Opferdienst zu voll- 
ziehen, sodann aber lag ihm zunächst die Leitung des Gerichts- 
wesens bei den alljährlichen Volksversammlungen (Thingen, 
isländisch J^ing, vergl. Erläuterung 31) ob. Den zu seinem Bezirke 
gehörigen ^Untermännern'* oder „Thingmännem*' (undirmenn, 
Pingmenn) ist er Schutz und Unterstützung schuldig, hat unter 
denselben Ruhe und Frieden zu erhalten, Handel und Wandel zu 
beaufsichtigen, streitende Parteien (nöthigenfalls selbst mit Gewalt) 
zu versöhnen und sich überhaupt um alle sonstigen wichtigeren 
Angelegenheiten seiner Untergebenen zu kümmern. Zur besseren 
Erfüllung aller dieser ihm obliegenden Verpflichtungen unternimmt 
der Gode häufig Rundreisen in seinem Bezirke, um dabei dessen 
Verhältnisse zu erforschen und zu ordnen; auch hält er zeitweilig 
Versammlungen seiner Thingraänner unter seinem Vorsitze ab 
(die h^radsl^ing). Den Fremden gegenüber hat er das Recht, 
ankommende SchiflPe zuerst besuchen zu dürfen, um wichtige 
Nachrichten aus erster Hand zu empfangen; auch steht ihm zu^ 
von den mitgebrachten Waaren sich selbst Beliebiges auszuwählen. 

Die Thingmänner sind ihrem Goden zu entsprechender 
Unterwürfigkeit verpflichtet, müssen ihm einen Tempelzoll, Dienst 
und Zuzug leisten, ihn während seiner Reisen beherbergen und 
bewirten und sich auf seinen Ruf bei den Ritten zu den Volks- 
versammlungen (Thingen) ihm anschliessen. 

Die Entstehung der isländischen Godenwürde ist 
(nach K. Maurer) folgendermassen zu erklären: Da keine organi- 
sierten Verbände, sondern „beliebig zusammengelaufene Haufen'* 
während der ,, Landnahmezeit*' (vergl. Erläuterung 3) in Island 
einwanderten, so fehlte dort anfänglich jede staatliche Gewalt und 
müssen wir uns Island in der ersten Zeit seiner Besiedlung in 
einem vollkommen staatenlosen Zustande denken. Als sich nun 
mit der fortgesetzten Einwanderung das Bedürfnis nach einer 
anordnenden Gewalt herausstellte, war es der Besitz von Tempeln, 
worin dieselbe ihren Stützpunkt fand. Wie bereits bemerkt (vergl. 
Erläuterung 3) brachten angesehenere Einwanderer ihre Tempel- 
Hauptsäulen gleich von Norwegen mit und erbauten sich auf 
dem in Besitz genommenen Landstücke ein eigenes Gotteshaus; 
kleinere Leute konnten dies nicht thun und schlössen sich daher 
freiwillig diesem oder jenem der vornehmeren Ansiedler an. Durch 
solche freie Uebereinktinfte bildeten sich Tempelgemeinden; der 

HrafokeU. g 



— 82 — 

Tempelbesitzer war das Oberhaupt einer solchen und seiner 
Leitung des Opferdienstes unterwarfen sich die Gemeindeglieder 
und bestritten die Kosten zum Unterhalte des Tempels durch 
eine Beisteuer^ den oben erwähnten Tempelzoll. ^Da nun nach 
altgermanischem Brauche die Staatsgewalt auch das Oberpriester- 
thum in sich schloss, war nichts natürlicher, als dass sich hier 
(auf Island), wo das letztere bereits vorhanden, die weltliche 
Gewalt aber noch ausständig war, diese an jenes anschloss oder 
aus jenem herausentwickelte"; mit anderen Worten: die Vor- 
steherschaft des Tempels vereinigte hiemit allmählich die richter- 
liche, administrative und, soweit auf Island davon die Rede sein 
konnte, auch die militärische Gewalt, was alles zusammen- 
genommen die isländische Godenwürde (godord sowie der Bezirk, 
oder riki^ mannaforräd) repräsentiert. 

Da die isländische Godenwürde ihren Schwerpunkt im 
Tempel, den der Gode besitzt, findet, so erklärt sich daraus ihr 
eigenthümlicher realer Charakter: sie konnte mit dem 
Tempel vererbt, verschenkt, verkauft^ vertauscht oder selbst 
unter mehrere Besitzer getheilt werden, ganz so wie jedes andere 
Vermögensstück. Auch war der Bezirk eines Goden territorial 
durchaus nicht abgeschlossen und die Anzahl der zu demselben 
gehörigen Thingmänner in keiner Weise festgesetzt: es konnte 
sich jedermann an jeden beliebigen Goden anschliessen und jedem 
Thingmann stand es allzeit frei, das Band mit seinem Goden nach 
Gutdünken zu lösen, d. h. aus dem Thingverbande auszutreten. 
Auch konnten die Thingmänner ihren Wohnort beliebig wechseln, 
ohne deshalb aus ihrem bisherigen Godenbezirke ausscheiden zu 
müssen; thatsächlich jedoch sassen sie gerne in dichten Haufen 
beisammen. — Die Anzahl der Godenherrschaften (Godorde), 
welche unter einander in keiner Verbindung standen, wurde erst 
in der Zeit nach den Ereignissen, die in unserer Saga erzählt 
werden, auf 39 festgestellt,^ nämlich im Jahre 965 (vergl. £r- 
läuterung 31). 

13) Wie wir aus der Landnämabok (IV. 2) wissen, hatte im 
Jökulsdalr schon vorher ein Tempel bestanden und war demnach 
jedenfalls auch eine Godenherrschaft hier gegründet worden; es 
musste mithin diese Ausdehnung der Herrschaft Hrafnkeirs über 
den Jökulsdalr durch gewaltsame Unterdrückung von dessen Be- 
wohnern erfolgen. 2 



* Vergl. K. Maurer, Zur Urgeschichte der Godenwürde, in der 
^Zeitschrift für deutsche Philologie^* etc. Band 4, Seite 125 ff. Derselbe: 
Beiträge zur Rechtsgeschichte des germanischen Nordens. Heft 1. Seite 
82 ff., und „Island von seiner ersten Entdeckung*^ etc. Seite 39 ffg. 
Siehe auch unsere Erläuterung 31. 

^ K. Maurer, Beiträge etc. Seite 127. 



— 83 — 

14) Der stolze Kriegersinn der freien islfindischen Männer 
jener Zeit ertrug nicht den leisesten Hohn oder Spott ungesühnt; 
für ihre Ehre ebenso empfindlich wie für die Freiheit, opferten 
sie für jene alles auf. Derjenige, welcher einen andern beleidigte, 
wurde von diesem gefordert, auf ehrliche Weise mit den Waffen 
seine Worte zu beweisen. Auch geschah es nicht selten, dass der 
Beleidiger selbst sich erbot, im Zweikampfe seine Aussage zu 
bewahrheiten. Es gab zwei Arten des Zweikampfes: einyigi, 
welcher ohne feste Raumbeschränkung nach Belieben und Ver- 
mögen der Kämpfenden stattfand, und hölmganga, für welche 
der Platz, auf dem sich die Kämpfer schlugen, entweder durch 
eine Einfriedung von Steinen oder auf folgende genauere Weise 
abgemessen wurde: Ein Stück Zeug (feldr) ward auf dem Boden 
ausgebreitet, fünf Ellen lang, dessen Enden durch Schlingen an 
Pflöcke geheftet wurden unter einer vorgeschriebenen Förmlich- 
keit, ^ indem man zwischen den Beinen durchsah, das Ohrläppchen 
fasste und einen Spruch sprach."^ 

Um das Zeug herum ging ein drei Fuss breiter Raum, 
welchen vier Haselstangen als heilige Grenzen umhegten. In dieses 
umhaselte Feld (völlr hasladr) traten die Kämpfer, begleitet von 
ihren nächsten Freunden und Beiständen. Gegenseitig wurden die 
Waffen geprüft und vom Forderer die Holmgangsgesetze her- 
gesagt: jeder Kämpfer soll drei Schilde haben und, wenn diese 
verhauen, sich mit dem Schwerte allein wehren; wer mit beiden 
Füssen von dem Zeuge heruntertritt, wird flüchtig betrachtet und 
Nidin^ (d. h. Schurke, vergl. unten) gescholten; wer am meisten 
verwundet wird, hat sein Leben (gewöhnlich mit drei Mark Silber) 
zu lösen. Auch die Gleichheit der Waffen sowie die Länge der 
Holmgangsschwerter verlangte und bestimmte das Holmgangsgesetz. 

Den ersten Hieb fährte der Geforderte und darauf folgte in 
regelmässiger Weise ein grosser gewaltiger Hieb nach dem andern; 
die Zahl der Hiebe war zuweilen bestimmt. Jeder Kämpfende 
hatte einen Mann hinter sich, der ihm den Schild hielt und die 
Hiebe aufzufangen suchte. Bisweilen gingen am ersten Tage beide 
Kämpfer unüberwunden hervor; da wurde der Kampf den folgen- 
den Tag fortgesetzt. Gewöhnlich galt der Kampf als entschieden, 
wenn einer der Gegner so verwundet war, dass sein Blut herab- 
floss; es traten da die Begleiter (Secundanten) dazwischen, 
erinnerten an das Holmgangsgesetz und erklärten den Zweikampf 
für beendet. Der Verwundete löste dann sein Leben auf die 
früher angegebene Weise. Doch wurde dieser Vorgang nicht 
immer eingehalten, denn zwischen harten und erbitterten Gegnern 
endete der Zweikampf nur mit dem Tode des einen. Der Sieger 



* Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 299. Vergl. auch Qiutbr. 
Vigfiisson im „Icelandic prose reader", Seite 871 bis 372. 

6* 



— 84 — 

schlug zum Dankopfer einem Stier den Kopf ab. Die Stätte des 
Holmganges auf Island war gewöhnlich eine kleine Insel (hölm) 
in der Öxarä (vergl. Erläuterung 37). 

Keine grössere Schande konnte sich ein Nordländer jener 
Zeit zuziehen, als wenn er — mochte er Herausforderer oder 
Geforderter sein — sich zu einem verabredeten Zweikampfe nicbt 
einfand. Einem solchen wurde damals auf Island eine Nidstan^e 
(nidstöng) errichtet, das Zeichen des höchsten, zauberkräftigen 
Hasses: auf eine Stange, deren Spitze in einen geschnitzten 
Menschenkopf auslief und die mit den gehörigen ^Neidruneii** 
(vergl. Seite 7) beritzt war, ward ein Pferdekopf gesteckt, dessen 
gähnender Rachen nach der Heimat des vom Zweikampfe weg- 
gebliebenen Gegners gerichtet war. Dabei sprach man eine feier- 
liche Verfluchung dieses der Schande preisgegebenen Mannes 
aus. ^ Auch kam es vor, dass eine ganze Stute auf einen Pfahl 
gesteckt und mit dem Kopfe gegen die Wohnung des Nicting 
gewendet oder demselben ein Spottbild zur immerwährenden 
Schande aufgerichtet wurde. — Wenige Jahre nach Annahme des 
Christenthums auf Island im Jahre 1000 (vergl. oben Seite 7) 
wurde der Zweikampf gesetzlich abgeschafft.^ 

15) Es ist eine alte germanische Sitte gewesen, begangenes 
Unrecht durch Geld zu sühnen, d. h. Buss- oder Sühnegeld oder 
schlechthin ^ Busse" (isländisch bot, pl. boetr) zu zahlen. 7, Die 
Busse bestand in dem Opfer eines Theiles seines Vermögens, 
welches der Schuldige darbringen musste, sei es, dass er sich 
freiwillig dazu verstand, weil er die Rechtmässigkeit erkannte^ 
und um noch grösseren Rechtsnachtheilen zu entgehen, oder sich 
dazu durch das Recht, den darauf gegründeten Spruch und 
eventuell durch rechtlichen Zwang genöthigt sah." Derjenige, 
welcher einen freien Mann erschlagen hatte, musste auf Island 
damals eine Busse von wenigstens einem Hundert Silbers, ja 
selbst ein Doppeltes, Drei- und Vier-Doppeltes, nämlich 2, 6, 8 
Hundert Silbers an dessen Verwandte zahlen. (Vergl. Erläuterung 26.) 
Das Hundert Silbers betrug ursprünglich 120 Unzen gemünzten 
Silbers, später schwankte der Wert infolge des sinkenden Gehaltes 
der Münzen. Das Geld wurde damals nicht gezählt, sondern gewogen 
und die Waage war daher bei allen Zahlungen unumgänglich nöthig.^ 

1 Siehe die Egils saga, Capitel 60. 

2 Verg^l. über den altnordischen Zweikampf von den Quellen: Die 
Kormakssaga, Capitel 4, 10; die Gunnlaugs Ormstungu saga. Capitel 11 ; 
die Egilssaga, Capitel 60, 67; von den Hilfswerken: Strinnholm, Wikings - 
Züge etc. Band 2, Seite 138 bis 143; Weinhold, Altnordisches Lebe«. 
Seite 297 bis 300; Maurer, Island etc. Seite 60, 61; Lönnberg, An- 
merkungen zu seinen „Fornnordiska sagor'\ Band 1, Seite 98; Petersen's 
treflFliche Abhandlung „Om nid", im 4. Bande seiner „Historiske For- 
tsellinger" etc. Seite 380 ffg. 

3 Näheres über diesen noch nicht genügend erforschten Gegenstand 
siehe bei E. Wilda, Geschichte des deutschen Strafrechtes. Halle 1842. 



— 85 — 

16) Hof (isländisch boer, nicht zu verwechsein mit isländisch 
„bof für das deutsche „Tempel") ist die deutsche Bezeichnung 
für den Complez der Wohn- und Wirtschaftsgebäude des freien 
isländischen Grundbesitzers und Landwirtes (isländisch „büandi" 
oder „bondi", d. h. „Wohnender", dänisch und schwedisch „bonde'\ 
welchem der deutsche Ausdruck „Bauer'^ nur unvollkommen ent- 
spricht). Diese Höfe lagen — und liegen noch heutzutage — 
weit zerstreut umher und es bildete daher ein jeder derselben in 
allen wesentlichen Beziehungen ein wirtschaftliches Ganzes von 
eigenthümlicher Beschaffenheit für sich Bei dem gänzlichen Mangel 
an dem anderwärts üblichen Baumateriale (Bauholz, Lehm, Kalk) 
und bei dem Umstände, dass nur die Vermögenden Zimmerholz 
von Norwegen her beziehen konnten, mussten die Wohn- und 
Wirtschaftsgebäude zumeist aus abwechselnd übereinander gelegten 
Rasenstreifen und Rollsteinen aufgeführt werden, worüber als 
Bedachung Sparrwerk mit übergelegten Rasenscheiben gefügt wurde; 
dieses Dach lag auf den Wänden leicht auf, ging tief hinab und 
lief nicht spitz, sondern abgestumpft oben zu. Kleinere Häuser 
hatten keine Zwischenwände, grössere wurden durch die Doppel- 
reihe von Tragebalken, die zum Dache hinanstiegen, dreifach 
gegliedert. — Bei dieser Art zu bauen konnten nicht leicht mehr- 
stöckige Gebäude hergestellt werden, sondern man errichtete lieber 
für jede der benöth igten Baulichkeiten ein eigenes Gebäude 
(isländisch hüs), so dass auf grösseren Höfen mitunter 30 bis 40 
solcher Bauten nebeneinander zu stehen kamen. Dieselben lagen 
in grösserer oder geringerer Entfernung in dem Grasgarten 
(isländisch tun), welcher den ganzen Hof gewöhnlich umgab und 
mit einer Umzäumung abgeschlossen war; sie zerfielen in die 
Wohngebäude (heimahüs) und in die Aussengebäade (ütihüs, 
ütibiir). Folgende vier werden zunächst als die wichtigsten hervor- 
gehoben: Das Feuerhaus (isländisch eldhüs oder eldahüs, heut- 
zutage die Küche); die Vorrathskammer (bür) für die Speise- 
vorräthe; die Stube (stofa), ein weiteres Hauptgelass, namentlich 
als Wohnzimmer für die Frauen dienend; endlich der Saal oder 
die Halle (skäli, höll), eigentlich nur ein stattlicheres Feuerhaus 
für grössere Gelage, wofür man sich bei geringerer Feierlichkeit 
des gewöhnlichen Feuerhauses bediente. Zu beiden Seiten dieses 
Hauptgebäudes befanden sich Thüren, u. zw. auf der einen Seite 
die Männerthür, auf der anderen die Weiberthür; auf letzterer 
.Seite war auch eine querüberlaufende Erhöhung, die Querbank 
(l^verpallr) angebracht, als Sitzplätze für die Weiber. Den Lang- 
seiten entlang reihten sich Bänke aneinander und in der Mitte 
dieser beiden Bankreihen stand je ein Hochsitz (öndvegi), von 

Octav. Band 1, Seite 314 ff., Wilh. Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, 
Band 2. Göttingen 1828. Octav. Seite 646 ff.; Wilhelmi, Island etc. 
Seite 38; Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 118 bis 122. 



— 86 — 

denen der auf der Nordseite des Saales als der vornehmere, der 
auf der Südseite als der geringere galt; jener war der Platz des 
Hausherrn,^ dieser wurde dem vornehmsten Gaste angewiesen. Zu 
beiden Seiten des Hausherrn sassen dessen Angehörige, ebenso 
auf der anderen Seite das Grefolge des Gastes. Je näher der 
Thür, desto geringer galt der Platz. An den Langwänden endlieb 
waren allenfalls auch Betten angebracht, hin und wieder in ver- 
schliessbaren Rasten.^ 

An diese vier wesentlichen Baulichkeiten schlössen sich nach 
der Grösse des Hofes andere an; so eine kleinere Stube (litla 
stofa) neben der grösseren, eine Kammer (skemma), ein eigenes 
Schlafgemach (svefnhüs, svefnskemma), ein Gastzimmer (ge- 
stahüs), eine Badstube (badstofa) und seit Annahme des Christen- 
thums im Jahre 1000 auch eine Kirche oder Kapelle u. 8. -w. 
Bemerkenswert ist, das man damals auf Island die Aborte 
(heimilishüs, nädahüs oder auch salerni, kamarr) entfernt von 
den Wohnhäusern auf kleinen Pfeilern mit Stufen zu denselben 
anbrachte, während man sie heutzutage ^als unnöthigen Luxus" 
meist ganz weglässt.^ 

Weiter von den Wohnhäusern abstehend befanden sich 
Stallungen für Pferde, Ochsen, Kühe, Schafe, Lämmer, Schweine; 
ein eingehegter Platz für den Heuvorrath (heygardr), die 
Schmiede (smidja); in der Nähe des Meeres auch wohl eine 
Schiffhütte (naust) und eine Halle zum Trocknen der Fiscbe 
(hjallr) u. dergl. m. Ein Quell oder Quellbach (brunnr, brunn- 
loekr), wo möglich auch eine heisse Quelle (laug), endlich je 
nach Umständen sogar ein kleiner Gemüsegarten (laukgardr) 



^ K. Maurer (Beiträge etc., Seite 46, Anmerkung) und Weinhold 
(Altnordisches Leben, Seite 221) lassen den Hochsitz des Hausherrn in 
der Halle von den Hochsitzpfeilern (öndvegissülar) umgeben sein, wogegen 
Gudbrandur Vigfüsson im „Icelaudic prose reader" Seite 339 ausdrück- 
lich bemerkt, dass dieselben nur auf den Hochsitz des Tempelbesitzers 
im Langhause zu beziehen sind, welche Auffassung jedenfalls die richtigere 
ist. Vergl. auch Erläuterungen 3 und 10. 

^ Siehe den Grundriss einer altisländischen Halle in C. Boseuherg^ä 
„Trsek af Livet paa Island" etc. Seite 94 und bei Gudbr. Vigfiisson 
a. a. O. Seite 370, 371. 

3 G. G. Winkler (Island etc. Seite 137) schreibt hierüber: ^Mau 
findet in keiner isländischen Wohnung den unaussprechlichen Ort. Ich 
traf einen einzigen Bauernhof im Noidlande, dessen Besitzer zwar nicht 
infolge des Sinnes für Schicklichkeit und Reinlichkeit, aber doch als 
rationeller Landwirt eine solche Anstalt errichtet hatte. Anfangs sucht 
man darnach, ja mau fragt auch, besonders wenn die ersten Quartiere 
Pfarrhäuser sind. Auf die Frage wird man einfach vor die Hausthür 
gewiesen, wo man selbst die Recognoscierung beginnen mag, einen 
bestimmten Platz aber nicht finden wird. Man kann den Standpunkt nach 
Belieben aussuchen, wie das auch der Herr Pfarrer und seine Angehörigen 
so zu machen pflegen." — Dass es in Alt-Island hierin besser war, siehe 
Laxdsela saga, Capitel 47, Eyrbyggja saga, Capitel 26. 



— er- 
lagen noch innerhalb des Grasgartens oder doch in dessen Nähe, 
die Zubehör des Hofes vervoUständigend. — Ganz abgelegen vom 
Hofe waren endlich die Wiesen und Weidenschaften mit oder 
ohne Sennhütten (sei), die Hochweiden für das Galtvieh (Pferde, 
Ochsen, Hammel, nicht milchende Schafe, vergl. Erlftuterang 19), 
die Waldungen, Torfstiche, Vogelberge, Jagdgründe, Fischerei- 
plätze. 80 bildete denn sowohl der isländische Hof an und für 
sich als auch die zu demselben gehörigen Besitzungen und Nutz- 
ungen ein aus zahlreichen, weitschichtig ausgebreiteten Bestand- 
theilen zusammengesetztes Ganzes.^ 

Ueber die innere Einrichtung der Wohngebäude möge 
noch Folgendes angeführt werden: Der Fussboden war nur aus 
Erde festgestampft und entweder mit Stroh oder Binsen bestreut. 
Die Wände, für gewöhnlich kahl, wurden bei festlichen Gelegen- 
heiten mit dunkelblauen Teppichen geschmückt, welche bei 
Reicheren oft aus köstlichem Stoffe mit eingestickten Schilde- 
rungen aus der heimischen Geschichte oder Sage (später aus der 
heiligen Schrift) bestanden. Aehnlich wurden die Bänke und 
Sitze bedeckt. Die Tische waren aus einem Gestelle und einer 
beweglichen Platte zusammengesetzt und wurden erst bei jedes- 
maligem Gebrauche aufgestellt und mit Tüchern belegt. Das übrige 
Hausgeräthe bestand in einigen Stühlen, die gern mit Schnitzerei 
verziert waren, sowie in verschiedenartigen Kisten zum Auf- 
bewahren der Kleidungsstücke, Kostbarkeiten, des Geldes u. s. w. 
(Ueber das isländische Bett damaliger Zeit siehe Erläuterung 61.) — 
Zur Beheizung und Beleuchtung wurde Feuer auf dem Herd- 
steine im Feuerhause oder auf den Steinen, welche die Halle 
entlang sich befanden, angemacht; längs dieser ^Langfeuer^* oder 
am Herde sassen des Abends die Männer und plauderten. Ein 
Ofen ist noch heute auf Island selten zu finden. Als Beheizungs- 
materialien mussten bei der Holzarmut der Insel neben Torf 
auch Mist, Schilf und Fischgräten dienen, so wie heutigen Tages. 
Schornsteine und Dachböden waren unbekannt. Statt der ersteren 
dienten Oeffnungen im Dache zum Durchlassen des Rauches; die- 
selben konnten mit einem Rahmen geschlossen werden, worin 
eine durchsichtige Haut ausgespannt war, wie dies noch jetzt 
theilweise der Fall ist. Ebensolche Oeffuungen waren an den 
Langwänden der Häuser als Fenster angebracht und konnten 
gleichfalls mit einem Rahmen von derselben Beschaffenheit oder 
auch mit einem beweglichen Brette verschlossen werden. 

Die häuslichen und wirtschaftlichen Arbeiten waren 
auf einem altisländischen Hofe in der Weise vertheilt, dass die 
Hausfrau die Leitung der Geschäfte, welche den inneren Dienst 
des Hauses betrafen, führte; war der Besitzer des Hofes unver- 

^ Vergl. besonders K. Maurer, Island etc., Seite 433 bis 436. 



— 88 — 

heiratet, so geschah dies entweder von seiner Mutter oder einer 
eigenen Wirtschafterin (hüstyra). Ausserhalb des Hauses hatte 
der Mann — eventuell hatten seine Söhne — die Oberaufsicht 
über die Bewirtschaftung; Vater und Söhne verrichteten auch 
selbst gewisse weniger anstrengende Arbeiten. Die gröberen und 
anstrengenderen Arbeiten wurden theils von freien, in Lohn ge- 
nommenen Dienstleuten (Hausleuten, isländisch heimamenn, hus- 
karlar), theils von unfreien Knechten (Praelar) verrichtet. Diese 
letzteren waren entweder, u. zw. grösstentheils von den ,, Land- 
nahme -Männern^' (vergl. Erläuterung 3) gleich bei ihrer Ueber- 
fahrt aus Norwegen mitgebracht worden, oder sie wurden auf den 
Wikingszügen (siehe Erläuterung 17) theils erbeutet, theils gekauft; 
ihre Behandlung war eine schlechte, sie wurden tief verachtet 
und es galt für einen freien Mann als ärgste Schande, von einem 
unfreien Knechte erschlagen zu werden. Ungestraft konnte der 
Herr seinen eigenen Knecht erschlagen; erschlug er aber einen 
fremden, so musste er Busse zahlen, lieber die Anzahl der freien 
Dienstleute und der unfreien Knechte, oder den Gesammtstand 
des Gesindes auf einem altisländischen Hofe, lassen sich keine 
bestimmten Angaben machen, da hierin grosse Verschiedenheit 
waltete. Von dem Isländer Gudmundr dem Mächtigen erzählt die 
Ljosvetninga saga (Capitel 5), dass er 100 Hausleute im Ganzen 
besass. (Weiteres siehe Erläuterung 19 und 100.) 

Es war in der Tbat keine leichte Arbeit, den aus so zahl- 
reichen und weitschichtig ausgebreiteten Bestandtheilen zusammen- 
gesetzten Hof sammt den dazu gehörigen Besitzungen und Nutz- 
ungen zu bewirtschaften und zu beaufsichtigen, zumal da auch 
die Handwerksarbeiten, welche für den Hof und dessen Bewohner 
nöthig wurden, meistens durch diese selbst geliefert, sowie allen- 
falls erforderliche Ankäufe von fremden Waaren durch deren 
eigene Handelsreisen besorgt werden mussten. Bedenkt man ferner, 
wie sehr das öffentliche Leben, vor allem der Besuch der Thing- 
versammlungen (siehe Erläuterung 31), die Durchführung von 
Processen an denselben u. s. w. die Thätigkeit nicht nur eines 
Goden, sondern eines grösseren isländischen Grundbesitzers über- 
haupt in Anspruch nahm, so wird man begreifen, dass während 
des kurzen nordischen Sommers, in welchen sich die grosse Masse 
der wirtschaftlichen (siehe Erläuterung 100) sowohl als der öffent- 
lichen Geschäfte zusammendrängte, die Aufgabe eines einiger- 
massen besser gestellten Isländers eine sehr bewegte, mannig- 
faltige und anstrengende war. Dafür brachte allerdings der Winter 
Ruhe und Entschädigung in den wochenlangen Gastereien (veizlor) 
und Spielen, zu welchen oft viel Volks aus weiter Entfernung 
zusammenströmte. 

Noch sei bemerkt, dass eine Anzahl von wenigstens 20 is- 
ländischen Höfen einen Geraeindebezirk (hreppr, m.) bildete, 



— 89 — 

dessen Angehörige (hreppsmenn, sing, hreppsmadr) aus ihrer Mitte 
fünf der begabtesten und würdigsten zu Gemeindevorstehern 
(hreppstjorar) erwählten, welche gewissermassen die Censoren des 
Gemeindebezirkes waren, indem sie die öffentliche Sittlichkeit 
beaufsichtigen und die Sorge für die Armen übernehmen mussten. 
Zehn Gemeindebezirke bildeten im allgemeinen einen Godenbezirk 
(godord). 

Die Zertheilung der einzelnen Räumlichkeiten in 
abgesonderte kleine Gebäude hat sich bis heute auf 
Island erhalten; doch zeigen die jetzigen isländischen Höfe 
ein weit ärmlicheres Ansehen, als die eben beschriebenen zur 
Zeit des mittelalterlichen Freistaates. So wohnen u. a. die heutigen 
Isländer in demselben Raum des Hauses, in welchem ihre Vor- 
fahren ihre Badstube (badstofa) gehabt hatten und sind alle ihre 
Räumlichkeiten überhaupt jetzt weit beschränkter als früher — 
die beiden Städte Reykjavik und Akureyri (Akreyri) natürlich 
ausgenommen. Ein neuerer Reisender schreibt hierüber: y^Ein 
isländischer Bauernhof gleicht von rückwärts einer Gruppe kleiner 
dachförmiger Hügel, die ungleich hoch sind und enge beisammen 
stehen. Die Kanten, die Firste laufen einige parallel, andere in 
verschiedenen Winkeln zu einander. So sehen sie alle aus, die 
schlechtesten, wie die besten. Die letzteren verrathen sich nur 
durch einige höhere Firste . . . Das Ganze der isländischen Woh- 
nungen, auch der ärmeren^ besteht in der Regel aus den fünf 
Räumen, welche wir uns gerade besehen haben, nämlich der 
Wohnstube, Küche, Vorrathskammer, Fahrnisshütte und Schmiede. 
Zu diesen kommt manchmal noch eine weitere Kammer, worin in 
bunt bemalten Truhen Luxussachen, Festkleider, Geschirre und 
anderes wertvolleres Zeug aufbewahrt werden, und welche nöthigen- 
falls auch als Gastzimmer dient. In Pfarrhäusern ist diese zugleich 
Studierstube. Uebrigens theilt mancher Pfarrer mit seiner Familie 
und den Dienstboten dieselbe Badstoba. 

Alle Räume sind neben-, nicht übereinander angebracht, 
welcher Umstand hauptsächlich diesen Wohnungen ihre Eigen- 
tbümlichkeit gibt. So viele Gemächer, eben so viele durch breite 
Mauern gesonderte Häuser oder Hütten. Drei oder vier stehen 
nach vorn in einer geraden Linie. Davon ist immer eine die 
Schmiede und eine andere die Fahrnisshütte. Küche und Vorraths- 
kammer liegen überall rückwärts. Im Südlande befindet sich die 
Badstoba meist vorn in der Mitte. Manchmal ist sie eigentliche 
Dachstube über der Kammer mit den wertvollen Sachen. Wohl- 
habende Bauern im Südlande haben zur Aufbewahrung letzterer 
und, um die Gäste zu beherbergen, ein freistehendes Bretterhaus 
errichtet. Im Kordlande ist die Badstoba immer im hintersten 
Hause. Ueberall stehen Wohnstube, Küche, Vorrathskammer und 
Fremdenstube durch einen Gang mitsammen in Verbindung^ 



— 90 — 

während die anderen Räume nur durch gemeinsame Mauern 
zusammenhängen. Nach solchem Plane sind, unbedeutende Ab- 
weichungen ausgenommen, alle Wohnungen auf der Insel gebaut . . . 
Von Baumaterial bietet die Insel selbst nur Steine, diese freilieb 
im Ueberfluss. Man verwendet zu Mauern am liebsten, wenn man 
ihn haben kann, einen hellgrauen Trapp, der in schönen Platten 
bricht. Viele bestehen aus allen Sorten von Trapp, Tuff und 
Lavastücken. Diese Mauern sind nicht viel mehr als eine lose 
Aufhäufung von Steinen, denn die Basen, welche lagen weise 
inzwischen liegen, füllen wohl die hohlen Räume aus und ver- 
hindern ihr Auseinanderfallen, aber sie verbinden nicht. Im Nord- 
lande gibt es auch Mauern, die nur aus Rasenstücken bestehen. 
Kalk, um Mörtel zu bereiten, fehlt in Island gänzlich. Holz wird 
bei den Wohnungen der ärmeren Classe so viel als möglich 
gespart, denn es muss weither über das Meer geführt, an der 
Küste gekauft und von dort mühsam auf Pferden in*8 Land 
hinein geschleppt werden. Bretterböden haben daher in der Regel 
nur die Wohnstuben. Die als Wände dienenden Steinrasenwälle 
müssen um so dicker sein, als die Holzbekleidung dünner ist, 
indem sonst letztere nicht im Stande wäre, den nothwendigen 
Schutz gegen das rauhe Klima zu gewähren. Eine Folge des 
Rasenbaues ist, dass alle Wohnungen sehr feucht sind und die 
Holzfütterung sehr bald zu Grunde geht. Alle fünfundzwanzig 
Jahre muss die Auskleidung erneuert werden, da sie bis dabin 
gänzlich verfault."^ 

17) Mikligardr (wörtlich ^grosser Wall", dänisch Miklegaard, 
schwedisch: Miklagard) ist die altnordische Bezeichnung für Con- 
stantinopel (Byzanz). Fahrten in fremde Länder waren bei 
den alten Skandinaviern von höchster Wichtigkeit. Man sah in 
denselben das beste Mittel zur Ausbildung des Jünglings, zur 
üebuDg der Kräfte und zur Erwerbung von Welt- und Menschen- 



1 Wiukler, Island etc., Seite 98 und 108 bis HO. Vergl. ferner: 
Helms, Island und die Isländer (in „Die Eiswelt und der hohe Norden". 
Leipzigr 1874. Oetav.) Seite 104 ff. Maurer, Island etc., Seite 4.33 bis 437; 
Desselben Bemerkungen über das heutige Island in der „Germania", 
Jahrgang 14 (1869), Seite 101; Weinhold, Altnordisches Leben Seite 216 
bis 236 ; Petersen, Om Indretningen af de Gamles Boliger im 4. Bande 
seiner „Historiöke Fortsellinger'* Seite 373 bis 380; Kr. Kälnnd, Fami- 
lielivet pä Island i den f0rste Sagaperiode etc., in den „Aarboger for 
nordisk Oldkyndighed og Literatur" etc. 1870. Kj0benhavn. Octav. Seite 
317, 363 ff.; B. Keyser, Nordmsendenes private Liv i Oldtiden im 2. Bande, 
Abtheilung 2 seiner „Efterladte Skrifter*'. Christiania 1867. Octav. 
pag. 38 bis 54. 

Lönnberg, Fornuordiska sagor, Band 1. Anmerkimg Seite 38; 
Wilhelmi, Island etc., Seite 21, 22; H. Leo in Baumerts historischem 
Taschenbuch, Band 6, Seite 449 bis 463; Klaehn, Island (Geschichte) in 
Ersch und Gruber's Encjklopädie, 2. Section. Band 31. Leipzig 1855. 
Quart. Seite 211 bis 222. 



— 91 — 

kenntnis. Schon in der poetischen £dda wird gesagt (Hävamdl 
Str. 18, übersetzt von Adolf Holtzmann): 

^Der allein weiss, welcher weit reist 
Und hat viel umfahren, 
Welchen Sinnes jeder Mensch ist." 
Ein altes isländisches Sprichwort sagt: ,,Dumm ist das zu 
Hause erzogene Kind'* (heimskr er heimalit barn). Wenn die 
Söhne nicht selbst auf die Fahrt wollten, wurden eie von den 
Vätern dazu getrieben.^ Hatte ein Sohn das 15., 18. oder 20. 
Lebensjahr erreicht, so wies ihn der Vater hinaus auf das Meer, 
um sich selbst Besitzthümer und künftigen Unterhalt zu ver- 
schaffen und sich durch eigene Mannhaftigkeit durch die Welt zu 
helfen; denn nicht jeder konnte blos durch das väterliche Erbe 
Hausvater werden. Diese Anschauungen und Verhältnisse; der 
Drang, fremde Völker, deren Sitten und Fertigkeiten kenuen zu 
lernen und daneben durch mannhafte Thaten sich selbst Ehre und 
Ruhm einzulegen, aber auch Güter und Vermögen zu erwerben: 
führten zu den grossen Raubfahrten (Wikingszügen, von 
isländisch viking f., d. i. ^eine mit Plünderung der Küsten ver- 
bundene Seefahrt", daher: vikingr, pl. vikingar m., Seekämpfer, 
Räuber), zu Handelsreisen und zur Dienstnahme bei ausländischen 
Fürsten. Einen oder den andern dieser Wege oder auch ab- 
wechselnd alle drei schlugen die skandinavischen Jünglinge da- 
maliger Zeit ein, um die Welt kennen zu lernen und sich nach 
ihrer Itückkehr in die Heimat, an Bildung, Ansehen und Vermögen 
gefördert, auf ihrem erkauften oder ererbten Hofe niederzulassen. 
Die gewöhnliche Dau^r des Aufenthaltes im Auslände war drei 
Jahre. Wer auszog, kaufte sich ein Schiff zur Hälfte oder be- 
zahlte einen gewissen Preis für die Ueberfahrt; zum Theile unter- 
nahmen aber die jungen Isländer die Handelsreisen auch auf 
eigenen Schiffen. Die Production der Insel an Fleisch-, Woll-, 
Fisch- und Fettwaaren, welche in gewöhnlichen Jahren weitaus 
den eigenen Bedarf überstieg, ermöglichte eine sehr beträchtliche 
Ausfuhr von solchen Artikeln; doch wurde der auswärtige Handel 
gar nicht gewerbsmässig und nur vorübergehend betrieben, und 
an einen eigenen Kaufmannsstand ist hiebei nicht zu denken. 

Den oben erwähnten Aufenthalt Eyvindr^s in Mikli- 
gardr betreffend, haben wir seit dem 10. Jahrhundert n. Chr. 
die ersten sicheren Nachrichten, dass die alten Skandinavier als 
Söldner in die Dienste der oströmischen (byzantinischen, griechi- 
schen) Kaiser traten. Sie führten als solche den Namen Wäringer 
oder Waräger (auch Waranger, Warenger, Wariager, griechisch 
Bapayyot; von isländisch yssringjar^ d.i. „Eids verbundene**, sing. 



^ VatnsdsBla saga (herausgegeben von Gudbr. Vigfüsson in den 
„Fornsögur*'), Gapitel 2. Seite 4. 



— 92 — 

vaeringi). Den byzantinischen Kaisern schienen diese kraftvollen 
Söhne des Nordens höchst geeignet, eine sichere und feste Leib- 
wache im unruhigen und wankenden Leben des griechischen 
Reiches zu bilden, und so schaarten sich diese „YerbÜBdeten" 
um den griechischen Herrscherthron fast drei Jahrhunderte lang, 
durch steten Zuzug aus dem Norden ergänzt. Die Eingebornen 
und die übrigen Söldner beneideten und hassten sie gründlich ; 
man nannte sie spöttisch die Kleinode des Kaisers, da dieser sie 
nach Möglichkeit schonte. Dieses Reislaufen der Skandinavier im 
byzantinischen Solde währte bis zum 13. Jahrhundert.^ 

18) Vergl. Erläuterung 16. 

19) Unter dem „Kleinvieh" sind die Schafe gemeint. — Die 
Schafzucht spielte schon in der ältesten Zeit eine Hauptrolle 
in der isländischen Viehwirtschaft. Ein altes isländisches 
Sprichwort sagt: „Sveltr saudlaust bü'*, d. i. Hunger leidet die 
Wohnung ohne Schafe.^ 

Das isländische Schaf zeichnet sich durch seinen kurzen, 
dicken Schwanz, seine steifen Ohren und meist auch durch seine 
Hörner aus; es nützt sowohl durch Fleisch und Wolle, als auch 
durch seine Milch. Jene wird nicht geschoren, sondern nach dem 
Abfallen gesammeljfc; diese wird theils frisch genossen, theils zu 
Butter und Käse verarbeitet oder zu einer dicken Speise ein- 
gekocht. (Vergl. Erläuterung 110.) 

Da Island Getreide, Hülsenfrüchte und so mancherlei andere 
Nahrungsmittel so gut wie gar nicht produciert, so ist die Insel 
wesentlich auf den Betrieb der Fischerei undViehzucht beschränkt. 
Die isländische Zucht der Ochsen, Kühe, Ziegen, Schweine, Pferde, 
Schafe, sowie des zahmen Geflügels (Hühner, Gänse) und der 
Hunde wurde in der alten Zeit wesentlich so betrieben, wie heut- 
zutage, nur dass man früher ungleich grösseren Fleiss und mehr 
Sorgfalt darauf verwendete, als dies gegenwärtig der Fall ist. 
Man hatte hiezu bestimmte, zum Theile auch der regelmässigen 
Heugewinnung dienende Ländereien: Den Grasgarten (tiin, 
vergl. Erläuterung 16)^ in dessen Mitte der Hof zu liegen pflegte; 
vor allem für die Heugewinnung bestimmt und daher besonders 
gepflegt, so dass nur einige Stücke Vieh, hauptsächlich Schweine, 



1 Strinnholm, Wikingszüge etc.. Band 1, Seite 298 flf.; Weinhold, 
Altnordisches Leben, Seite 106; Petersen, Om Vikinger, im 4. Bande 
seiner „Historiske Fortsellinger'' Seite 366 ff.; Kälund, Familielivet pä 
Island etc., Seite 288 bis 290; Hildebrand, Lifvet pa Island i sagotiden, 
Seite 46 ff.; Oskar Montelius, Sveriges hednatid sammt medeltid, fOrra 
skedet etc. Stockholm 1877. Octav. Seite 264 bis 288 (Theil 1 der 
Sveriges historia'* etc.); Maurer, Island etc., Seite 426 ff. — Vergl. auch 
Oehlenschläger's schönes Trauerspiel: Die Wäringer in Constantinopel. 

^ Güdmundr Jönsson, Safn af islenzkum ordskvidum etc. Kaup- 
mannahöfn 1830. Seite 325. 



— 93 — 

auf demselben grasen durften; dann die entfernt gelegenen 
Wiesen (engjar) für die Kühe und Milchschafe; endlich die Hoch- 
weiden (afr^ttir) für das Galtvieh. Die letzteren waren aus- 
gedehnte Liegenschaften im gebirgigen Inneren der Insel und 
wurden von einer grösseren Anzahl Bauern gemeinsam, jedoch 
iD sehr beschränkter Weise, benutzt, da sie nur sehr spärliche 
Nahrung für das Vieh boten. Hier weideten Pferde, Ochsen, 
Hammeln und nicht milchende Schafe, durch besondere Marken 
(einkunnir) für ihre Besitzer erkenntlich, den ganzen Sommer ohne 
jede Aufsicht herum, bis sie im Winter in die Hürden oder in 
die zum Hofe gehörigen Stallungen getrieben wurden. 

Dieser Abtrieb wurde wohl schon in der alten Zeit so wie 
heutzutage auf folgende Weise besorgt: ^Unter der Leitung des 
Gemeindevorstehers oder auch eines eigens zu solchem Behufe 
gewählten Bergkönigs zieht die jugendliche Mannschaft ganzer 
grosser Bezirke, jeder Mann von einem tüchtigen Schafhunde 
begleitet, nach dem Sammelplatze. Hier wird Musterung gehalten, 
und je nach Bedarf theilt der Bergkönig seine Leute in kleinere 
Haufen, denen er eigene Führer vorsetzt; jedem Haufen wird sein 
Ausgangspunkt, die Richtung des Ganges und der Ort, wo für 
die Nacht das Zelt aufgeschlagen ist, bezeichnet. Nun beginnt, sei 
es zu Fuss oder zu Pferde, eine Art von Kesseltrieb, indem man 
von obenher die Thiere zu umstellen und nun durch allmäliges 
Schliessen des Kreises abwärts in die Thäler zu treiben sucht; 
an einem bestimmten Punkte werden sie dann gesammelt und von 
denen, die an der Bergbegehung selbst keinen Antheil nahmen, 
in Empfang und Hut genommen, um dann nach Ausweis 
ihrer Marken unter die einzelnen Eigenthümer vertheilt zu 
werden."* 

Auf den Hochweiden durfte kein Heu gemäht und keine 
Sennhütte (sei) errichtet werden. Sennhütten befanden sich aber 
auf den erwähnten entfernteren Wiesen (engjar). Dahin wurden 
alle Milchkühe und Milchschafe im Sommer getrieben und die 
Sennhütten meist von Weibern bezogen, denen man zum Hüten 
des Viehes Männer zugesellte. Auf den Weiden um die Sennhütten 
herum grasten tagsüber die Thiere, bis sie allabendlich in die 
Hürden getrieben und von den Mägden gemolken wurden, wobei 
man* auch den Vorrath von Butter und Käse für den Winter 
sammelte. — Unter den Hirten nahm der Schafhirt (smalamadr), 
obwohl gering angesehen, doch eine wichtigere Stellung ein, da 
einmal die ihm anvertrauten Thiere von grossem Werte waren 
(s. o.) und er auch oft in der Lage war, bei allfälligen unver- 
mutheten Angriffen seinem Herrn als Vorposten zu dienen. Des- 
halb wurde nur ein treuer und zuverlässiger Mann als Schafhirt 



1 Maurer in der „Germania", Band 14 (1869), Seite 105. 



— 94 — 

angestellt und konnte als solcher in gewissen Fällen sogar eine 
selbständigere Stellung einnehmen als die übrigen Hirten.^ 

20) Der isländische Kalender kennt nur zwei Jahreszeiten, 
nämlich: Winter (vetr) und Sommer (sumar); das Jahr zerfällt 
demgemäss nur in zwei Halbjahre (missari, misseri) zu je sechs 
Monaten. Noch heute gelten dem isländischen Bauer der 14. October 
als Winteranfang, der 14. April als Sommeranfang; die Mitte des 
Winters fiel also in den Monat Januar^ die Mitte des Sommers in 
den Monat Juli. Mit welchem Monate in der heidnischen Zeit der 
Jahreswechsel auf Island begann, ist ungewiss, wahrscheinlich mit 
October. Ursprünglich wurde jeder Monat zu 30 Tagen gerechnet, 
mit vier Schalttagen (eigentlich ,, Schaltnächten'*, isländisch au- 
kanaetr), welche dem dritten Sommermonate beigefügt wurden. 
Diese Zeitrechnung, welche mit dem wirklichen Jahreslaufe nicht 
stimmte, wurde durch den julianischen Kalender verdrängt, welcher 
mit der Einführung des Christenthums nach Island kam, sich 
jedoch nur mit gewissen Modificationen behaupten konnte.^ 

21) Die Pferdezucht war seit jeher eine Lebensfrage für 
die Isländer (vergl. oben Erklärung 8) und die Beschaffenheit 
ihres Landes hat dieselben von selbst zu einem Beitervolke ge- 
macht. Das isländische Pferd ist, wie sein Herr, norwegischer 
Abkunft, mehr klein als gross, aber sehr wohlgebaut und im 
Winter mit langem und dichtem Pelze versehen. Es entwickelt 
sich langsam^ ist aber sehr auädauernd, noch im 36. Jahre brauchbar, 
und durchschreitet mit seinem Reiter oder mit Gepäck beladen 
sicheren Trittes die holperigsten und gefährlichsten Pfade, durch- 
schwimmt die reissendsten Ströme und weiss selbst in den Sümpfen 
und Mooren diejenigen Stellen zu finden, wo das Wurzelgewebe 
der Sumpfpflanzen die einzige zum Uebergange taugliche Stelle 
bildet. Bei Tag und bei Nacht, bei Frost, Nebel, Schnee und in der 
gefahrvollsten Lage kann sich der isländische Reiter seinem Pferde 
ruhig anvertrauen; daher der hoho Wert, welcher guten Pferden 
beigelegt wurde und sogar zum Aberglauben führte. Man glaubte, 
dass ein gutes Pferd der Witterung kundig sei und namentlich 
Stürme voraussehe; man Hess sich von demselben den Platz 
weisen, wo man sich niederlassen wollte; man benannte Pferde 
häufig nach einem Gotte, dem man sie weihte, meistens nach Freyr 
(vergl. Erläuterung 11). Von besonders guten Pferden wird ans 
berichtet, dass sie den Winter oder auch das ganze Jahr hindurch 



^ Maurer, Island etc. Seite 393 ff. ; Weinhold, Altnordisches Leben, 
Seite 30 ffg.; Kälund, Familielivet pä Island etc., Seite 363; Maurer in 
der „Germania"' Band 14 (1869), Seite 101. 

^ Ari, Islendingabök, herausgegeben von Th. Möbius, Capitel 4; 
Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 375 bis 379; Maurer in der 
„Germania**, Band 14 (1869), Seite 107; Lönnberg, Fornnordiska sagor, 
Band 1. Anmerkung Seite 96. 



— 96 — 

mit dem besten Grase oder selbst mit Köraerfrüchtea gefüttert 
wurden.^ — Gross war auch die Zahl der Pferde auf ansehnlicheren 
Höfen; von einem reichen Bauern, Blundketill, wird erzählt, dass 
er in einem strengen Winter 160 Pferde heimtreiben Hess. „Keinen 
Schritt thut der Bauer aus dem Hause anders als zu Pferde, und 
die grösste Ehre, die er einem Gaste anzuthun weiss, besteht 
darin, dass er ihm sein bestes Pferd zum Reiten leiht; tüchtige 
Bereiter, wenn auch je nach eigenem Systeme, findet man aller- 
wärts, unter den Bauern nicht nur, sondern auch unter den 
Pfarrern, Aerzten und politischen Beamten; das Spazierenreiten 
gilt als ein Vergnügen für sich, und auch das Wettreiten (kapp- 
reid) ist noch immer an der Tagesordnung, wobei nicht übersehen 
werden darf, dass in einem Berglande ohne Strassen und durch 
Wässer ohne Brücken das Reiten einen ganz andern Reiz als in 
unseren cultivierten Gegenden für jeden hat, dem der Sinn noch 
einigermassen nach Abenteuern steht^\^ 

22) Die isländische Sprache zeichnet sich durch einen ganz 
besonderen Reichthum an Sprichwörtern vor vielleicht allen 
übrigen Cultursprachen aus. Sprichwörter standen seit jeher in 
hoher Achtung auf Island, da man sie als Erbgut von den Vor- 
vätern hochschätzte und in fhnen als Erzeugnissen des Witzes 
und Scharfsinnes einen geeigneten Stoff zum Nachdenken erblickte. 
Viele derselben sind uralten, nordischen Ursprunges; andere von 
Süden her eingedrungen. Schon in der poetischen Edda (den 
Hävamäl) finden sich viele^ ebenso fast in allen Sagas. Gewöhn- 
lich werden sie eingeleitet durch: „Das ist ein altes Wort" (forn- 
kvedit ord er), „das ist ein wahres Wort'' (l^at er satt at segja); 
„so kommt es, wie gesagt wird'* (kemr Pslt at ]^vi sem mselt er); 
„wahr ist, was gesagt wird" (er Pat satt sem maslt er) u. s. w.^ 

23) Kalte dicke Nebel (Poka) sind auf Island besonders 
häufige Erscheinungen. Dieselben bedecken bisweilen blos die 
oberen Theile der Berge, während es unten klar ist, und bisweilen 
findet das Entgegengesetzte statt. Der Nebel ist immer am stärksten 
mit den Seewinden, mit den Landwinden dagegen selten und 
unbedeutend. Wenn die letzteren wehen, hat man häufig klares 
Wetter an der Küste, während man etwas weiter hinaus in die 
See in dickem Nebel eingehüllt ist.'^ 



1 Ljösvetninga saga, Capitel 7; ]>orskfirdinga saga, Capital 9. 

2 Maurer in der „Germania*' Band 14 (1869;, Seite 107. Vergl. auch 
Winkler, Island etc., Seite 148; Klaehn, Island (Geogr.) bei Ersch und 
Gruber, Band 31., Seite 210; Maurer, Island etc. Seite 395 bis 398. 

^ Gudm. Jönsson, Safn af i^lenzkum ordskvidum etc. Fortale 
Seite 4 ff.; Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 325; Döring, Be- 
merkangen über Stil und Typus der isländischen Saga, Seite 40; Gudbr. 
Vigfüsson im „Icelandic prose reader", Seite 432 bis 433. 

^ Gliemann, Geographische Beschreibung von Island, Seite 14. 



- 96 — 

24) Die einfachste Art des Begrabens auf Island in der 
heidnischen Zeit war, den Leichnam mit Erde oder Steinen za 
beschütten oder unter einer Erd- und Geröllbank zu verscharren. 
Ein erschlagener Mann wurde sofort auf diese Weise bestattet. 
Die hier erwähnte Warte war ein aus Steinen gebildeter Hänfen 
als Merkzeichen, wie solche auf Höhen und wüsten Plätzen in 
Island sehr häufig vorkommen, um dem Wanderer als Wegweiser 
zu dienen. — Eine zweite Art der Bestattung, welche in den Sagas 
häufig erwähnt wird, ist die Beisetzung in grossen Grabkammern 
in Hügeln. Dem Todten wurde ein förmliches Haus gebaut; man 
nahm Balken und zimmerte eine Kammer, um welche sich zu- 
nächst eine Steinlage und der Erdhügel schloss, den zu oberst 
eine Steinschichte bedeckte. Nur ausnahmsweise wurde der Hügel 
aus Ziegeln oder Steinen aufgemauert oder gewölbt.^ 

25) Man rechnete, dass man auf der Sennhütte Vesperzeit 
hat, wenn die Sonne gerade über Einarr's Warte steht. Die heid- 
nischen Isländer berechneten die Tageszeit nach der Stellung 
der Sonne über gewisse Punkte in dem umgebenden Horizonte. 
Der Tag zerfiel in folgende Abschnitte: Aufstehzeit (rismäl), 
ungefähr um 6 Uhr morgens; Morgenzeit (dagmäl), ungefähr 
um 9 Uhr; Mittagszeit (middagr) um 12 Uhr; Nachmittags- 
zeit (nön, vergl. englisch noon), um 3Uhr; Vesperzeit (midaptann), 
um 6 Uhr abends.^ 

26) Vergl. Erläuterung 14. — Nach dem isländischen Rechte 
der Blutklage verfolgt der nächste Bluts- oder Anverwandte den 
Todtschlag, der an seinem Angehörigen begangen wurde und hat 
Anspruch auf die Todtschlagsbusse (vigsboetr). Ausserdem be- 
theiligte sich aber auch die ganze Verwandtschaft des Erschlagenen 
an der Verfolgung des Thäters und hat ihrerseits Anspruch auf 
das Wergeid (nidgjöld), d. h. Bussgeld für den ihr angehörigen 
Erschlagenen, welches die gesammte Anverwandtschaft des Todt- 
schlügers zu entrichten hat. Doch wurde dieses in der älteren 
Zeit nicht gern gegeben und angenommen, da mit der Blutklage 
das Recht der Blutrache verbunden war, woran die ganze beider- 
seitige Verwandtschaft activ wie passiv betheiligt erscheint. Denn 
^dort, wo die Ehre des Lebens höchstes Ziel, Freiheit und 
Selbständigkeit sein theuerstes Kleinod ist, dort wird die Bache 
zur ersten Forderung des Lebens an den Mann. Sowie fremde 
Gewalt oder List einen Eingriff gethan hat in seine Macht oder 
in sein Eigenthum, muss er sofort Sühne für den erlittenen Schaden 



1 Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 488, 490; Kälund, Familie- 
livet pä Island etc., Seite 367 ff. 

2 Somraerfeit's Anmerkung zu seiner Ausgabe unserer Saga, Seite 17; 
Lönnberg, Fornnordiska sagor, Band 1. Anmerkung Seite 102 ; Gudbr. Vig- 
fiisson im „Icelandic prose reader", Seite 340; Weinhold, Altnordisches 
Leben, Seite 372 ff. 



— 97 — 

Bnchen, und diese findet er, indem er Wiedervergeltung übt und 
ßache nimmt." ^ Wer auf Achtung Anspruch machen wollte, durfte 
die Blutrache nicht versäumen, sondern musste dieselbe voll- 
strecken, indem der für ehrlos galt, welcher den Tod eines nahen 
Verwandten ungerftcht Hess und Söhne es für unziemlich erach- 
teten, den Erbschmaus nach ihres erschlagenen Vaters Tode ab- 
zuhalten, ehe die Blutrache für ihn vollzogen war.^ Nur mit Blut 
konnte ein Mord gesühnt werden, für welchen Geldbussen nicht 
gegeben oder nicht genommen wurden, und nicht selten kam es 
infolgedessen zu einer andauernden Schlächterei zwischen den 
Familien des Mörders und des Gemordeten, wobei nicht bloss 
offene Gewalt, sondern auch heimliche Ueberfölle und Brandlegung 
an der Tagesordnung waren. ^ Sollte dem ein Ende gemacht werden, 
so musste ein Waffenstillstand eingegangen werden, um sich über 
die Vergleichsbedingungen einigen zu können; derselbe musste 
nach gesetzlich genau vorgeschriebenen, feierlichen und umständ- 
lichen Formen begehrt und gewährt werden und konnten dabei 
auch nur einzelne Verwandte Frieden schliessen, während die 
übrigen die Fehde fortdauern Hessen. Den Abschluss des endlichen 
Friedens besiegelte ein feierlich abzuschwörender Eid, wofür sowohl 
die isländischen Rechtsbücher als auch die Sagas verschiedene 
Formulare enthalten.^ • 

Schliesslich muss noch hervorgehoben werden, dass es zur 
offenen, hochsiunigen Denkuügsart jener Zeit gehörte, dass der- 
jenige, welcher einen anderen erschlagen hatte, den Todtschlag 
selbst kundzumachen verpflichtet war, widrigenfalls seine That als 
schimpflich und entehrend angesehen wurde. Der Thäter sollte 
von der Stätte seiner That weg sich zum nächsten Hofe begeben 
und dort sein Werk verkünden, sofern dort nicht jemand von 
den nächsten Verwandten des Erschlagenen wohnte; war dies der 
Fall, so konnte er an diesem Hofe vorüber gehen und den Weg 
zum nächsten einschlagen. Fand er auch dort Verwandte des 
Todten vor, so konnte er zum dritten Hofe reiten, sollte aber dort 
den Mord in jedem Falle bekannt machen.^ 



^ Lefolii in der Einleitung zu seiner dänischen Wiedergabe der 
Njäls:8aga, deutsch von Olaassen, Leipzig 1878. Octav. Seite 3. 

^ V&tnsdsela saga, herausgegeben von Gudbr. Vigfiisson in den „Forn- 
sögur," Capitel 22, Seite 35 bis 38. 

3 Ein Beispiel n. a. in der Njäls saga, her. Eaapmannahöfn 1875. 
Octav. Capitel 129, Seite 259 ff. 

^ Ein solches Formular (aus der Heidarviga saga) in deutscher 
Uebersetzung siehe bei Strinnholm, Wikingszüge etc., Band 2, Seite 72 
bis 73. Vergl. auch ebendaselbst Seite 66; iferner: Wilhelmi, Island etc., 
Seite 37 bis 38; Maurer, Island etc., Seite 368 bis 370; Petersen, Om 
den islandske Rettergang im 4. Bande seiner „Historiske Fortsellinger*', 
Seite 277; Hildebrand, Lifvet p& Island under sagotiden, Seite 101. 

B Strinnholm a. a. O« 

HnfkikeU. 7 



— 98 — 

27} Der grösste Sagakenaer P. E. Müller macht zu vor- 
liegender Stelle die Bemerkaag: ^Dieses Anerbieten Hrafnkeirs 
war an und für sich mehr als die grösste Mannesbusse, aber es 
war Ehrensache die Busse für seinen erschlagenen Verwandten 
nur in der gesetzlichen Form anzunehmen.**^ 

28) Vor einem Hause angekommen, darf man dasselbe nach 
alter Sitte, auf welche noch heutzutage strenge gehalten wird, 
nicht betreten, bevor der Eigenthümer oder einer seiner Söhne 
herausgekommen ist. Die heutigen Isländer begrüssen einander 
mit den Worten: ^Sei gesegnet*' (komdu ssbII, vertu ssell), und darauf 
folgt Kuss und Umarmung. Titel kennt man nur bei einzelnen 
Beamten; in der Regel wird jeder nur mit dem Vornamen an- 
geredet, dem man bei der Ansprache des Pfarrers das Wort sira 
oder s^ra (Herr) vorsetzt, z. B. sira Jon u. s. w. Auch ein Fremder, 
den man auf Island fast überall höchst zuvorkommend behandelt 
wird, wenn man ihn liebgewonnen, auf einheimische Weise begrüsst, 
d. h. geküsst, ^was ihm manchen hübschen Kuss einbringen kann, 
zumal auch die Sitte gilt, dass man sich wiederholt, zwei- bis drei- 
mal, umarmt und küsst und die isländischen Küsse sind keine leereo 
Ceremonien, sie werden mit Wärme und Nachdruck gegeben*'.^ 

29) und 30) Der Anfang eines altisländischen Processes wurde 
damit gemacht, dass der denselben veranlassende Vorfall, die 
gesetzes widrige That in der Nachbarschaft bekannt gemacht wurde; 
dies nannte man lysing, d. i. Verkündigung. Der Nachbarn, welche 
bei Gericht als Zeugen (^Nachbargeschworne", kvidmenn) fungieren, 
müssen entweder fünf oder neun sein, je nach der Beschaffenheit 
der Sache, in welcher sie aussagen sollen. Sie sind von dem- 
jenigen zu berufen, der ihrer bedarf und tragen nur den Charakter 
eines Beweismittels; keineswegs haben sie selbst Recht zu sprechen. 
Konnten diese ^ Nachbargeschworenen*' nicht an Ort und Stelle 
selbst zusammenberufen werden, so erfolgte ihre Aufrufung am 
Thinge selbst (Pingakvöd).^ — Sollte dann die Klage vor das 
Allthing (siehe nächste Erläuterung) gebracht werden, so musste 
drei bis vier Wochen vor dessen Beginn die gerichtliche Vor- 
ladung (stefha, daher stefnudagar, Vorladungstage) erfolgen, u. zw. 
in der Wohnung des Angeklagten, in seiner oder mindestens seiner 
Hausgenossen Gegenwart. Die Vorladung musste enthalten: den 
'Namen des Vorgeladenen, seine bürgerliche oder staatliche Stellung, 
seine Wohnung, seines Vaters Namen, den Grund der Vorladung, 



^ Sagabibliothek (dän. Ausg.), Band 1, Seite 105, Anmerkung. 

^ Winkler, Island etc., Seite 142 bis 143; Helms, Island und die 
Isländer, Seite 121 bis 122. Vergl. auch George Aragon, Les cotes dTslande 
etc. in der „Revue des deox mondes**, 46. Ann6e, 3"" periode, tome II"* 
(1876), Seite 766. 

3 Maurer, Island, Seite 374, 382 bis 383; Petersen, Om den islandske 
Rettergang, im 4. Bande der nHistoriske Fortsellinger**, Seite 283. 



— 99 — 

die dem Vorgeladenen zukommende Strafe, endlich Ort und Zeit 
der von ihm verübten Missethat.^ 

31) Thing (isländisch Ping, dänisch Thing, schwedisch ting) 
ist das alte skandinavische Wort für Zusammenkunft, gerichtliche 
Versammlung. Die ältesten Thingversammlungen auf Island sind 
die Zusammenkünfte der Thingleute eines Goden, unter dessen 
Vorsitz (die h^radsPing, vergl. Erläuterung 12), wobei die Rechts- 
pflege geübt wurde. Nahe beim Tempel des Godenbezirkes war 
nämlich ein länglicher Kreis von zwölf Steinen, welche mit einem 
weiteren Steinkreise oder Gehege umgeben waren; dies war die 
Gerichtsstätte. ^ Da sich die h^radsPing bei ihrer loealen Begren- 
zung, namentlich in Fällen, wo über Angehörige verschiedener 
Godenbezirke Recht zu sprechen war, bald als unzulänglich er- 
wiesen, so machte sich das Bedürfnis nach einer für die ganze 
Insel gemeinsamen Rechtsordnung immer mehr geltend. Zu diesem 
Behufe wurde — wahrscheinlich infolge Uebereinkommens der 
mächtigsten Goden — ein angesehener, aus Norwegen herüber- 
gekommener Mann, Ulfljötry beauftragt, ein für ganz Island 
gütiges Landrecht auszuarbeiten. Im Jahre 930 ^ wurde auch das 
erste isländischeLandrecht nach.seinem Verfasser Ulf Ij 6t slög 
(auch allsherjar log) benannt, veröffentlicht und dadurch zum 
erstenmale ein isländischer Gesammtstaat begründet. Das 
Wichtigste dieser neuen Gesetzgebung war die Einrichtung einer 
allgemeinen Landesversammlung (des Allthing, isländisch 
alPing) als oberstes Gericht und gesetzgebende Versammlung für 
die ganze Inisel. Die richterliche und gesetzgebende Thätigkeit 
war hiebei einem Ausschusse (der lögrötta) übertragen, über 
deren Zusammensetzung wir in der ältesten Zeit nicht genau 
unterrichtet sind und nur so viel als gewiss annehmen dürfen, dass 
den Goden darin eine Hauptrolle zukam. Gleichzeitig mit dem 
Allthing wurde . ein neues, ebenfalls auf das ganze Land bezüg- 
liches Amt eingeführt: das des Gesetzessprechers (lögsögu- 
madr, manchmal auch lögmadr). Derselbe war von jedem Antheil 
an der vollziehenden Gewalt vollständig ausgeschlossen, hatte 
aber den Vorsitz beim Allthing zu führen, Rechtsgutachten an 
deren .Bedürftige zu ertheilen und regelmässige Vorträge über das 
geltende Landrecht am Allthinge zu halten, von welcher letzteren 
Obliegenheit (der lögsaga) er auch seinen Namen führte. Sein Amt 
wurde durch Wahl auf drei Jahre verliehen, jedoch konnte er 
wieder gewählt werden.* 



1 Njälssaga (ed. Kaupmannahöfn 1875. Ootav). Capitel 22, Seite 43. 
Vergl. Petersen, Om den islandske Rettergang etc., Seite 281. 

2 Wilbelmi, Island, Seite 34. Für h6r^d;s]>ing kommt auch manchmal 
der Ausdruck fundr, mannafundr, mannamöt vor. 

3 Nach Ari, Islendingabök (ed. Möbius), Capltel 2, Seite 17. 

^ Maurer, Beiträge etc., Heft 1, S. 162 bis 158 ; Island etc., Seite 52 bis 53. 

7» 



— 100 — 

Der Ort, an welchem das isländische Allthing anter freiem 
Himmel abgehalten wurde, hiess Thingvöllr (PingvöUr, d. h. 
Thingebene, jetzt Thingyellir) und lag im Südwesttheile der Insel 
an der Oxarä, nahe bei deren Mündung in den Thingvallayatn 
(Thingebenesee).^ Eine in der Thingebene befindliche Anhöhe war 
der Sitz der lögr^tta, diente dem Gesetzessprecher sowohl zu 
seinen Bechtsvorträgen, als auch den öffentlichen Verkündigungen, 
und würde deshalb Gesetzes felsen (lögberg) genannt.^ Näheres 
siehe Erläuterung 37. 

Das Allthing sollte ursprünglich mit Beginn der zehnten 
Sommerwoche an einem Donnerstage (Pörsdagr) seinen Anfang 
nehmen. Seit dem Jahre 999 aber wurde dieser Termin um eine 
volle Woche hinausgeschoben; die Versammlung begann mit dem 
Donnerstage der eilften Sommerwoche, zwischen dem 18. und 
24. Juni, und dauerte 14 Tage hindurch.^ — Soweit war die 
isländische Thingverfassung zur Zeit der in unserer Saga erzählten 
Begebenheiten entwickelt. 

Die weitere Fortbildung gehört elfter späteren Periode an, 
mag aber des Zusammenhanges wegen hier kurz dargestellt werden. 
Um das Jahr 965^ erhielt Island eine geordnete Bezirks- 
verfassung. Die ganze Insel wurde nach der Himmelsrichtung 
in vier Viertel (i^ördungar) getheilt. Dieselben hiessen: Nord- 
lendinga (auch Eyfirdinga), Sunnlendinga (auch Bangaeinga), Vest- 
firdinga (auch Breidfirdinga) und Austfirdinga Qordxingr.^ Jedes 
Viertel zerfiel in drei Thingkreise (Pingsöknir) und jeder 
Thingkreis wieder in drei Godenbezirke (godord) mit je einem 
Haupttempel (höfudhof); nur den Bewohnern des Nordviertels 
(Nordlendinga Qördiingr) wurde ausnahmsweise ein vierter Thing- 
kreis bewilligt, so dass es somit auf der ganzen Insel 13 Thing- 
kreise und 39 Godenbezirke gab. — Der Thingkreis hatte sein 
eigenes Frühlingsthing (värPing), d. h. eine Thingversammlung, 
welche im Frühjahr gehalten wurde und daher ihren Namen hatte; 
jedes Landesviertel sollte auch sein eigenes Viertelsthing (Qördüngs- 
Ping) haben, doch scheinen diese Thinge nie recht in Aufnahme 
gekommen zu sein.^ 

Die Frühlingsthinge sollten nicht kürzer als vier Tage 
und nicht länger als eine Woche andauern, nicht vor dem 7. Mai 
beginnen und nicht nach dem 27. desselben Monates schliessen; 



1 Munch, Det norske Folks Historie, Deel 1, Bind 1, Seite 667; 
Kosenberg, Trcek af Livet paa Island etc., Seite 62 bis 66 mit einer vor- 
trefflichen Kartenskizze der Thingebene. 

^ Maurer, Island etc., Seite 177. 

3 Maurer, Beiträge etc., I, Seite 148; desselben: Island, Seite 160. 

*> Manrer, Island, Seite 64. 

^ Maurer, Island, Seite 156. 

8 Maurer, Beiträge I, Seite 169. 



— 101 - 

die Eröffiiang sollte stets an einem Samstage stattfinden.^ Jeder 
der drei zu einem Thingkreise gehörigen Goden (samPingisgodi) 
ernannte zu den Frühlingsthingen 12 Richter, so dass hiebei eine 
Anzahl von 36 Richtern ein einziges Gericht bildete, unter gemein- 
samer Leitung aller drei Goden, welche nicht selbst zu Gericht 
Sassen. Die richterliche Thätigkeit war für die Frühlingsthinge die 
Hauptsache und die gesetzgeberische Thätigkeit wurde an diesen 
nur insoweit geübt, als dieselben innerhalb gewisser Grenzen ihre 
eigene Thingordnung zu modificieren befugt waren. Für die Be- 
kanntmachungen, Aufforderungen u. s. w. diente hier (wie am All- 
thinge der Gesetzesfelsen) der Thinghügel (Pingbrekka).^ — Neben 
den Frühlingsthingen finden wir auch seit dem Jahre 965 Herbst- 
thinge (leid, haust^ing) auf Island eingeführt. Dieselben wurden 
mindestens 14 Tage nach dem Schlüsse des Allthings, entweder 
in der zweiten Hälfte des Juli oder in der ersten Hälfte des 
August von den drei Goden eines jeden Thingkreises auf der 
Stätte der Frühlingsthinge abgehalten und hatten den Zweck, jenen 
Leuten, welche das Allthing nicht besucht hatten, von allen 
wichtigen Angelegenheiten, die daselbst verhandelt oder ent- 
schieden wurden, Nachricht zu geben; auf denselben wurde weder 
gerichtliche noch gesetzgeberische Thätigkeit geübt und die Ver- 
sammlungen dauerten auch nur ein bis zwei Tage.^ 

Schliesslich wurde am Alltbinge selbst eine durchgreifende 
Veränderung durchgeführt, indem man dieses bisher einheitliche 
Obergericht, den vier Landesvierteln entsprechend, in vier ab- 
gesonderte Gerichte (fjördungsdömar) zerlegte und die mit 
demselben bisher zusammenfallende gesetzgebende Versammlung 
(lögr^tta), bei welcher eine derartige Spaltung der Natur der Sache 
nach unmöglich war, von demselben abtrennte, so dass der Name 
lögr^tta sich fortan — seit dem Jahre 965 — nur auf die gesetz- 
geberische Thätigkeit bezieht.*^ In der lögretta haben,: wie wir von 
jetzt an genau wissen, vor allem die Goden Platz; dieselbe bestand, 
abgesehen von dem Gesetzessprecher (und den später hinzu- 
kommenden beiden Laudcsbischöfeu) aus 144 Mitgliedern und 
wurde auf folgende Weise zusammenberufen und auf drei hinter- 
einander stehenden Bankreihen vertheilt: Da das Nordviertel^ 
welches vier Thingkreise hatte, um nichts vor den drei übrigen 
Vierteln voraus sein sollte, andererseits aber auch keinem Goden 



^ Maurer, Beiträge I, Seite 162, Island, Seite 161. 

2 Maurer, Island, Seite 179. 

3 Wilhelmi, Island, Seite 44; Maurer, Beiträge I, Seite 173, Island, 
Seite 161, 180. Hauptquelle für das Obige ist die Grägäs, ])ing8kapa ]>ättr, 
Capitel 20 bis 85, herausgegeben von Vilh. Finsen, Kj0benhavn 1852. 
Octay. Seite 38 bis 143 (der beigefügten dänischen Ueberäet/.iin<j^ 
Seite 37 bis 142). 

^ Maurer, Beiträge I, Seite 163; derselbe, Island, Seite 55 bis 56. 



— 102 — 

der Sitz in der Versammlung verweigert werden konnte, so wurden 
von den neuen Goden jedes anderen Viertels drei Ersatzmänner, 
je einer aus jedem Thingkreise, gewählt, so dass zu den sämmt- 
lichen 39 Goden noch neun Ersatzmänner hinzukamen, im ganzen 
48 Personen, welche auf der Mittelhank (Godenhank) Platz nahmen; 
jede dieser 48 Personen erwählte wieder zwei Beisitzer aus ihren 
Thingleuten, mithin 96 Beisitzer und im ganzen 144 Mitglieder der 
lögr^tta. Die Beisitzer sassen auf der Vorder- und Hinterhank und 
hatten nur eine berathende Stimme, da die beschliessende 
Gewalt ausschliesslich den auf der Mittelbank sitzenden Goden 
und deren Ersatzmännern zukam. — Die Gesammtzahl der Richter 
in den vier Viertelsgerichten (fjordüngsdömar) betrug ebenfalls 144; 
jeder Gode ernannte in jedem Gerichte je einen, im ganzen also 
vier Bichter; nur die Goden des Nordviertels ernannten ausnahms- 
weise statt je vier, je drei Bichter, so dass jedes Viertelsgericbt 
aus 36 Richtern bestand, deren Gesammtzahl also 144 betrag.^ 
Diese Richter sassen von der lögr^tta getrennt und nicht am 
lögberg selbst. Konnten sie sich über ein zu fällendes Urtheil nicht 
einigen, so kam es zu einer Gerichtsspaltung (v^fdng), welche 
seit dem Jahre 1004 durch das von dem weisen Isländer Njäll, 
dem gesetzeskundigsten Manne seiner Zeit, veranlasste und ein- 
geführte fünfte Gericht (fimtardömr), ebenfalls aus 36 Richtern 
bestehend^ seine Erledigung fand. Der Sitz dieses Gerichtes fiel mit 
dem der lögr^tta zusammen und seine Competenz „scheint sich 
anfangs auf die Fälle einer Gerichtsspaltung (v^fängsmdl) in den 
Viertelsgerichten, einer Klage wegen falschen Zeugnisses, falschen 
Wahrspruches oder falscher Versicherung auf Ehrenwort (Pegn- 
skaparlagning) im Viertelsgerichte, dann wegen Bestechung in diesem 
Gerichte mitwirkender Personen, endlich einer Klage wegen einer 
Thingstörung (PingsafglÖpnn) beschränkt zu haben, welche die 
formelle oder doch materielle unverfälschte Erledigung der be- 
treffenden Sache im Viertelsgerichte unmöglich gemacht hatte, 
wogegen später auch noch die Klagen wegen widerrechtlicher 
Aufnahme oder Unterstützung von Aechtern, dann flüchtigen Sklaven, 
Schuldknechten und dienstpflichtigen Priestern demselben zu- 
gewiesen wurden. "2 Zur Besetzung dieses fünften Gerichtes wurden 
neue Godenherrschaften geschaffen, welche jedoch ganz ausserhalb 
der Thingkreise standen und an der Landesregierung keinen 
weiteren Antheil nahmen, ausser soweit ihnen ein solcher bei der 
Besetzung des fünften Gerichts eingeräumt war. Dieselbe geschah 
in der Weise, dass zunächst jeder Inhaber einer Godenherrschaft 
alter Ordnung einen Richter ernannte, jedoch so^ dass von den 

1 Maurer, Beiträge etc., I, Seite 176 bis 178; desselben, Island, 
Seite 66, 62, 172, 174. 

^ Maurer, Island etc., Seite 176. 



— 103 — 

zwölf Goden des Nordhindes znsammen deren auch nicht mehr 
als nenn besteilt wnrden, wozu dann noch weitere 12 Richter 
kamen, welche von den Inhabern der neuen Godenherrschaften 
gemeinsam zu benennen waren, je drei aus jedem Viertel; von 
diesen 48 Männern hatte dann aber, ehe es zum Spruche in jeder 
einzelnen Sache kam, jede Partei sechs zu recusieren, so dass 
auch in diesem Gerichte die gewöhnliche Zahl von 36 Richtern 
das Urtheil fand.^ Wenige Jahre später (1006? vergl. Erläuterung 14) 
wurde auch die gesetzliche Abschaffung des Zweikampfes auf 
Island ausgesprochen, da derselbe mit jener Verbesserung des 
Gerichtswesens in der That entbehrlieh geworden war.^ 

Auf diese Weise fand die vollkommen aristokratische Ver- 
fassung des isländischen Freistaates ihren Abschluss und die seit 
dem Jahre 1000 erfolgte Bekehrung des Landes zum Christen- 
thume konnte hierin keine Aenderung veranlassen. Nähere Einzel- 
heiten hierüber werden bei sich ergebender Gelegenheit noch im 
Folgenden zur Sprache gelangen; hier sei noch ein Blick auf die 
heutigen politischen Verhältnisse der Insel gestattet. 

Nach der vollständigen Unterwerfung Islands unter Norwegen 
im Jahre 1264 (später unter Dänemark, siehe oben Seite 6) 
hörte das Amt des Gesetzessprechers auf ;^ das Allthing aber blieb 
bestehen bis zum Jahre 1800, in welchem dessen Aufhebung 
erfolgte.^ Die alten Gemeindebezirke (hreppar, vergl. Erläuterung 16) 
mit ihren Gemeindevorstehern (hreppstjörar) sind ' bis heute ge- 
blieben;^ an die Stelle der Thingkreise traten aber die Syssel 
(syslur), an die der Goden die Sysselmänner (sjslumenn), für die 
Viertel kam der Ausdruck Aemter (ömt, umdaBmi) auf.^ Zwei 
derselben, das nördliche und östliche, wurden zu einem Amte ver- 
einigt, so dass heutzutage die ganze Insel in drei Aemter, 
18 Syssel und 171 Gemeindebezirke (hreppar) zerfallt. Doch 
sind gegenwärtig nur zwei Amtmänner (amtmenn) auf Island: der 
eine für das Süd- und Westamt (su^urumdaBmi^ og vesturumdsBmid) 
in Reykjavik, der andere für das vereinigte Nord- und Ostamt 
(nordur- og austurumdsemid) in Akureyri. An der Spitze der ge- 
sammten Verwaltung steht der Landeshauptmann (landshöfdingi, 
früher ^ Stiftsamtmann*') in Reykjavik; unter ihm stehen die Amt- 
männer^ unter diesen die Sysselmänner, unter letzteren die Gemeinde- 
vorsteher. Das im Jahre 1800 aufgehobene Allthing wurde im 
Jahre 1843, jedoch nur mit berathender Stimme wiederhergestellt, 



^ Maurer, Island, Seite 176. 

^ Maurer, Island, Seite 61. Vergl. zu dem Ganzen auch: Dahlmann, 
Geschichte von Dänemark, Band 2. Hamburg 1841. Oetav. Seite 180bi8 264. 

3 Rosenberg, Trsek af Livet paa Island, Seite 241. 

4 Maurer, Beiträge I, Seite 148. 
^ Maurer, Island» Seite 807. 

Dahlmann, a. a. O. Seite 292. 



— 104 — 

erhielt aber durch das YerfassungsgeBetz vom 4. Januar 1874 
seine neue Organisierung und theilt seither mit der dänischen 
Krone die gesetzgebende Gewalt. Das heutige Allthing besteht 
aus 30 vom Volke gewählten und sechs vom dänischen Könige 
ernannten Mitgliedern und theilt sich in zwei Kammern, in deren 
oberer die sechs ernannten und sechs gewählte Mitglieder sitzen, 
während die übrigen 24 Mitglieder die untere Kammer bilden. 
Die Versammlungen werden alle zwei Jahre in Beykjavik in einem 
neu errichteten Gebäude gehalten und die Mitglieder nur für drei 
Thinge (6 Jahre) gewählt, respective ernannt. Für das Gerichts- 
wesen sind als Richter erster Instanz die 18 Sysselmänner bestellt, 
welche zugleich Bechtsschreiber und Steuereinnehmer u. s. w. 
sind; als zweite Instanz besteht in Reykjavik unter dem Vorsitze 
des Landeshauptmanns ein Landesobergericht (landsyfirr^tturin) aus 
drei Mitgliedern, von welchem wieder an das höchste Gericht 
(hsBstir^ttur) in Kopenhagen (isländisch Kaupmannahöfn) appelliert 
werden hann. In kirchlicher Beziehung bildet die ganze Insel jetzt 
ein lutherisches Bisthum; der Bischof (biskup) residiert in Reykja- 
vik und unter ihm stehen die Pröpste (pröfastar) und die Pfarrer 
(prestar). Das ganze Land zerfällt gegenwärtig in 20 Propsteien 
(profastsdaBmi) und 141 Pfarreien (prestakall) ; im Jahre 1877 
zählte man 299 Kirchen (kirkjur) auf der ganzen Insel. Militär 
und Polizei sind auf Island nicht vorhanden. ^ — So hat denn der 
grösste Kenner Islands vollkommen Recht, wenn er sagt, dass das 
höchste Mass individueller Freiheit, dessen man überhaupt ge- 
messen kann, auf Island zu finden ist. Ein Landeshauptmann und 
zwei Amtmänner, drei Mitglieder des Landesobergerichtes, 18 Syssel- 
männer und ein Landvogt (landfogeti), der zugleich Stadt vogt über 
Reykjavik ist, bilden die ganze politische Beamtenhierarchie für 
das 1867 Quadratmeilen grosse Land mit einer Einwohnerzahl 
von 72.440 Köpfen.2 

32) Vergl. Erläuterung 12. 

33) Die Thingfahrt wurde allgemein zu Pferde unternommen 
und sie wird darum ohne weiteres geradezu als Thingritt (Ping- 
reid) bezeichnet. Man liebte es in grosser Gesellschaft zu reiten 
und zumal pflegten sich die Angehörigen (Thingleute) eines jeden 
Goden auf dem Thingritte an ihren Häuptling zu halten, so dass 
dieser nach Umständen mit einem Gefolge von 60 bis 70 Mann 
auftreten konnte. Die Goden ritten gewöhnlich im festlichsten 
Gewände und herrlichen Waffenschmucke und erachteten es für 
eine Ehre^ die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen und 
Bewunderung zu erregen.^ 

^ ]>oryaldar Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 87 bis 91. 

2 Nach der Zählung vom l.October 1880. Vergl. })orvaldur Thoroddsen 
a. a. O. Seite 2, 66, und Maurer in der „Gernaania", Band 14 (1869), Seite 103. 

3 K. Maurer, Island, Seite 163; Wilhelmi, Island, Seite 55. 



— 105 — 

84) Skridudalr ist ein breiter Thal weg, im Osten des 
Flj6tsdalBh^.rac[ in nordwestlicher Richtung hinziehend; er wird von 
der Grimsä durchströmt, welche in den Lagarfljdt mündet. 

35) Der BerufjÖrdr liegt an der Ostküste der Insel Island. 

36) Sida ist ein Landstrich auf Islands Südseite. Längs der 
Südküste führte der allgemeine Thing weg zur Stätte des All- 
things. Die Wege, welche man von jeder einzelnen Gegend zum 
Allthinge einschlug, pflegten dabei ein .für allemal bestimmt zu 
sein, daher der Ausdruck „Thingweg" (l^ingmannaleid, almanna- 
vegr), und es stellte sich dabei für die einzelnen Tagreisen ein 
gewisses Normalmass (dagleid) fest. Noch heutzutage pflegt man 
auf Island nach Pingmannaleidir zu rechnen, welche jedoch kein 
gleichmässig feststehendes Längenmass sind, sondern je nach Be- 
schaffenheit des Weges, der Belegenheit der Bastplätze, Nacht- 
stationen u. s. w. von Fall zu Fall eigens berechnet werden.^ 

37) Die Thingebene, deren Lage bereits oben (Erläuterung 31) 
kurz bezeichnet wurde, verdient als Schauplatz der wichtigsten 
Begebenheiten des isländischen Freistaats noch des näheren be- 
schrieben zu werden. Von dem nördlichen Ende des grössten 
Landsees auf Island, des Thingvallavatn (Thingebenesees) erstreckt 
sich eine breite Thalsenke gegen den längst ausgebrannten Vulcan 
Skjaldbreidr. In alten Zeiten, lang vor der Entdeckung des Landes, 
bat dieser Vulcan ungeheuere Lavaströme entsendet, welche sich 
südwärts bis zum Meere ergossen und so die Thalsenke nördlich 
vom Thingebenesee ausgefüllt haben. Von dieser sich schwach 
neigenden Lavafläche ist ein grosses Stück, von der Breite einer 
Meile, hinaus gegen den See eingesunken, indem das darunter 
befindliche Erdreich infolge unterirdischer Erschütterungen nach- 
gegeben hat. Dabei entstanden eine Menge Spalten in der Lava 
in der Richtung von Nordosten gegen Südwesten, vor allen die 
zwei ungeheueren Spalten, welche zunächst miteinander parallel 
laufend in der Länge von über eine Meile .di^ Linien bezeichnen, 
wo sich die sinkende Lava von der übrigen Masse losgebrochen 
hat. Die westliche dieser Spalten heisst die Almannagja (d. h. 
Aller Männer Kluft), die östliche die Hrafnagjä (d. h. Raben- 
kluft); die westliche Wand der ersteren und die östliche der 
letzteren sind überaus hoch und steil. Die Almannagjd ist von 
der Kante der westlichen lothrechten Wand bis hinunter zum 
Boden 140' tief und ungefähr ebenso breit. Ein wenig nordwärts, 
dort wo die Kluft beginnt, während die steile Westwand derselben 
sich noch ein Stück gegen Norden fortsetzt, stürzt die Oxara 
(d. h. Aztfluss, weil ein Mann darin seine Axt verlor, als er ein 
Loch in das Eis des Flusses schlagen sollte) in einem schönen 
Wasserfall über den Abhang herab und durchströmt in südlicher 



1 Maurer, Island, Seite 164. 



- 106 — 

Richtung den westlichen Theil der gesunkenen LavaASche, nämlich 
die Thingebene (Pingyöllr); bis sie in den 8ee mündet. Nur auf 
einer Stelle konnte man von Westen her in die Almannagji 
herunter kommen, u. zw. auf einem sehr steilen, trepp enförmigen 
Fusssteige. Um von der Kluft herauf zur Thingebene zu gelangen, 
folgt man ihrem Boden gegen Norden, bis er gerade dicht an der 
Oxarä aufhört; hier führte ein enger und steiler Fussweg den 
Röcken abwärts, welchen die östliche Wand der Kluft beim Ein- 
sinken der Lavafläche gebildet hat. Der Weg von der Thingebene 
zur Almannagjd herab war also ein Pass, der leicht vertheidigt 
werden konnte. Die Thingebene selbst erhob sich schwach gegen 
Norden und Osten und war mit Gras und Gestrüpp bewachsen. 
Ihr Hauptpunkt war der bereits erwähnte Gesetzesfelsen (lögberg), 
von dem, sowie von der gegenwärtigen Beschaffenheit der Thing- 
ebene, noch im Folgenden die Rede sein wird.^ 

38) Innerhalb der Gesammtheit der freien isländischen Männer 
damaliger Zeit trat der Unterschied zwischen dem freien Grund- 
besitzer und selbständigen Landwirte (büandi, böndi, deutsch 
ungefähr ^ Bauer") einerseits und dem ^einschichtigen/' d. h. 
besitzlosenManne (einhleypingr) andererseits am meisten hervor. 
Letzterer ist ein Mann, der keinen eigenen Hausstand hat und 
daher gezwungen ist, in einem fremden Haushalte Schutz und 
Unterkunft zu suchen, weshalb er auch als ^ Dienstmann*' (grid- 
mactr) bezeichnet wird; in der Regel musste er nämlich bei dem 
Bauern, welcher ihm Domicil gewährte, auch wirklich als dienender 
Genosse seinen Aufenthalt nehmen. Solche ^einschichtige** Leute 
durften nur im Nothfalle und selbst dann nur in geringer Zahl 
als „Nachbargeschworene*^ (vergl. Erläuterung 29, 30) verwendet 
werden. — Hier möge noch bemerkt werden, dass sich auf 
Island keine Spur eines Adels findet. Allerdings ragten die 
Goden über alle anderen Volksangehörigen hervor, aber ihre hohe 
Stellung, welche ihnen der Besitz der politischen Gewalt ver- 
schaffte, zeigte stets ihre Begründung auf ein Staatsamt voll- 
ständig gewahrt und Hess deren Angehörige jedenfalls ganz un- 
berührt. In Wehrgeld und Busse wurden weder die Goden noch 
ihre Angehörigen irgendwie bevorzugt. Auch die Abstammung von 
berühmten alten Geschlechtern, auf welche die Isländer so viel 
hielten, begründete keinerlei rechtliche Bevorzugung, sondern nur 



^ Rosenberg, Trsek af Livet paa Island, Seite 62 bis 64, woher wir 
obige Beschreibung in treuer Uebersetzung aus demDänischen entnommen. 
Vergl. ferner: Paijknll, £n sommar pa Island, Seite 261 bis 265; Winkler, 
Island, Seite 175 bis 183; Hildebrand, Lifvet pä Island under sagotiden, 
Seite 84; De Fonblanqne, Fiye weeks in Iceland, Seite 56 bis 68; J)or- 
valdur Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 94. — Das neuisländisebe 
Hauptwerk von Signrdr Gudmundsson: Al])ingisstadur hinn fomi vidÖzarA, 
Eaupmannahöfn 1878, war mir leider nicht zugänglich. 



— 107 — 

ein höheres Mass thatsftchlicher Achtung und so konnte sich auf 
Island weder ein Verdienst-, noch ein Gehurtsadel heraushilden.^ 

39) Mödrudalr ist ein hochliegendes, isoliertes Gebirgsthal 
im Westen des Jökulsdalr. 

40) Der Name Herdibreidstunga bedeutet ^Zunge des 
Herdibreidr'', d. h. des Vulcans mit breiten Schultern. Derselbe 
steigt 5290' über das Meer empor und ist einer der höchsten 
unter den gemessenen Bergen von Island. Sein Krater, von dessen 
Gestalt sein Name herrührt, ist deutlich vom Hofe Grimstadir aus, 
der sechs geographische Meilen nordöstlich davon gelegen ist, 
sichtbar; der Berg selbst dient den Bewohnern jenes Hofes zum 
Tagmesser (vergl. £rläuterung 25). ^ Der bei isländischen Orts- 
namen ziemlich häufig vorkommende Ausdruck ^tunga'' (unser 
deutsches ^ Zunge*') bedeutet zunächst^ wie bei uns, eine Land- 
zunge, die sich in das Meer hinaus erstreckt; dann aber ein Stück 
Land, welches zwei zusammenfliessende Wasseradern scheidet. 

41) BläfjöU bedeutet „blaue Berge"; dieselben liegen im 
Südosten des zweitgrössten isländischen Sees Myvatn (vergl. Er- 
läuterung 114). 

42) Kröksdalr heisst ein Theil jenes Thaies, welches von 
dem gegen Norden fliessenden bedeutenden Gletscherstrome Skjalf- 
andafljot, der in den Meerbusen Skjalfandafloi mündet, bewässert 
wird; die Fortsetzung dieses Thaies gegen Norden heisst Bardardair. 

43) Sehr häufig kommen auf Island Gegenden vor, welche 
mit vulcanischem Gerolle, Schutt, sandartig zerbröckelten älteren 
Gesteinen und jüngeren vulcanischen Auswürflingen aller Art, wie 
Schlacken und Asche^ überdeckt sind; dieselben werden „sandr*' 
genannt. Hier ist ohne Zweifel Sprengisandr gemeint, eine 
grosse, wüste, über 2000' sich erhebende Strecke, zwischen dem 
Hofs- und Vatnajökull, im Inneren von Island, über welche der 
Weg vom Nord- zum Südlande geht.^ 

44) Saudafell bedeutet „Schafhüger*; dieselben befinden 
sich auf der Südseite der Thorsä, eines bedeutenden Flusses im 
südlichen Theile Islands, welcher sich mit der Tungnad vereinigt. 

45) Da das All t hing, wie alle isländischen Volksversamm- 
lungen, unter freiem Himmel gehalten wurde und längere Zeit 
(vierzehn Tage, vergl. oben Erläuterung 31) dauerte, so musste 
man sich für die Zeit des Aufenthaltes daselbst sozusagen häuslich 
einrichten. Die für die Pferde der Thingmänner nöthige Weide 
pflegte eine benachbarte Almende zu liefern; für Unterkunft unter 



1 Maarer, Island, Seite 147, 152, 153. 

3 Siehe die Abbildung bei Paijkull, £n sommar pä Island, Seite 229. 

3 Paijkull a. a. O., Seite 238. Vergl. auch Lock, The home of the 
Eddas, Seite 263 bis 281, woselbst die Beschreibung einer im Jahre 1876 
durch Sprengisandr unternommenen Reise gegeben wird. 



— 108 — 

Dach muBBten die Thingleute durch Errichtung von eigenen Thing- 
buden (büdir) Belbst Borgen. Zu dicBem Zwecke wurden zwei 
Langwände und zwei giebelförmig gestaltete Querwände aufgeführt, 
zumeist aus wechselnden Ijagen von Rasen und Steinen, wozu man 
das nöthige Material gleich an Ort und Stelle nahm; diese vier 
Wände bildeten ein längliches Viereck ohne alle Bedachung, dessen 
Eingang wie bei anderen Wohnungen in einer der beiden Giebel- 
wände sich befand. Nur für die Zeit, da das Thing versammelt 
war, erhielt dieses Viereck eine vorübergehende Bedachung, sei 
es nun aus grober Leinwand oder aus einheimischem Wollenstoffe 
(vadEmdl, vergl. Erläuterung 49); vornehmere Männer verhängten 
auch wohl mit solchem Stoffe die innere Seite der Budenwände, 
und dieses wie jenes hiess ^tjalda büdir sinar" (seine Buden 
behängen), während für das Herabnehmen der Decken am Schlüsse 
der Thingzeit der Ausdruck ^bregda tjöldum sinum" (d. i. seine 
Vorhänge wegziehen) gebraucht wurde. Der Bau und Unterhalt der 
Thingbuden war lediglich Sache ihrer Eigenthümer und dieselben 
hatten auch das zur Bezeltung und inneren Einrichtung jener 
Nöthige zum Thinge selbst mitzubringen. An der Thingstätte 
des Frühlings- und Herbstthinges durfte jeder Thingmann sich 
seine Bude bauen; am Allthinge scheinen jedoch vorwiegend die 
Goden ihre Buden gehabt zu haben, und dieselben waren be- 
rechtigt zu fordern, dass ihre Thingleute sich an ihre Bude hielten, 
während umgekehrt auch die Thingleute gesetzlichen Anspruch auf 
Aufnahme in der Bude ihres Goden hatten, wenn sie nur einen 
bestimmten Beitrag zu deren Bedachung leisteten. Schon am 
Frühlingsthinge war ein Gode unter Umständen in der Lage, bis 
zu 80 Männern in seiner Bude Unterkunft zu verschaffen; am 
Allthinge nahmen die Buden der mächtigeren Goden noch grössere 
Verhältnisse an. Regelmässig vererbten sich die Buden mit den 
Godenherrschaften, und nach den Geschlechtern, in deren Hand 
sie waren, wurden sie auch regelmässig benannt; so sprach man 
von einer Vestfirdingabüd, Mödruvelliugabüd, Ljosvetuingäbiid 
u. s. w.^ — Auf diese Weise wurde bis zum Jahre 1690 das 
Allthing abgehalten; in diesem Jahre errichtete man ein einfaches 
Gebäude aus Lava, in welchem man bis zum Jahre 1800 (vergl. 
Erläuterung 31) Recht sprach. 2 

Die Thingbuden lagen zu beiden Seiten der Oxarä (vergl. 
Erläuterung 37) und Grundsteine davon sind noch heutzutage 
sichtbar.^ Es sind rechteckige, mauerartige Erhöhungen aus Rasen, 



1 Maurer, Island, Seite 165; Wilhelmi, Island, Seite 44, 46; Petersen, 
Gm den islandske Rettergang, im 4. Bande der „Historiske Fortseil inger", 
Seite 271. 

2 Wilhelmi, Island, Seite 70. 

3 Rosenberg, Trsek af Livet paa Island etc., Seite 64. 



— lOd — 

auf grünem Wiesenplane errichtet, die sieb bis jetzt erbalten 
baben. Einige bandert Schritte von der Tbingstätte entfernt stebt 
ein „nicbt sehr wohl bestelltes*' Pfarrbaas und eine Bretterkirche ; 
der nächste Hof liegt eine Stunde weit weg. ^Webmuth ergreift 
den Wanderer, wenn er in das einst so belebte und nun so ver- 
ödete Thal tritt . . . Ringsumher sieht man nichts als rothe Gebirge, 
eine Ebene, auf der einige elende Gesträuche wachsen, einen 
grossen See und an den Ufern desselben das so bescheidene 
Kircblein von Thingvalla."^ 

46) Die isländischen Thingversammlungen sind als 
wahre Volksversammlungen zu betrachten, zu deren Besuche jeder- 
mann berechtigt war, dem nicht die Befugnis hiezu wegen irgend 
eines Verbrechens entzogen wurde. Verpflichtet zum Erscheinen 
waren natürlich die obrigkeitlichen Personen, die Goden und der 
Gesetzessprecher. Es gereichte zum Schimpfe, nicht zum Alltbinge 
zu reisen und alle ausgezeichneten Männer der Insel fanden sich 
jährlich auf demselben zusammen. Die Goden setzten eine Ehre 
darein, durch die Zahl ihrer Thingleute zu imponieren. (Vergl. 
Erläuterung 33.) 2 

47) Oft genug ist in den isländischen Sagas von Thing- 
streitigkeiten (Pingdeilur, Pingdeiidir, Pingadeildir) die Rede, 
d. h. von grossartigen Streitigkeiten, welche, sei es nun über 
Fragen des öffentlichen oder Privatinteresses, am Thinge aus- 
gefochten wurden, und bei angesehenen Goden sind derartige Vor- 
kommnisse so gewöhnlich, dass es geradezu hervorgehoben wird, 
wenn einer derselben sich ausnahmsweise von derartigen Conflicten 
fernhielt. Handelt es sich um eine Rechtssache, so stösst oft genug 
bereits die Ladung (vergl. Erläuterung 29) des Gegners auf Wider- 
stand. Man sucht darum dieselbe zu einer Zeit vorzunehmen, da 
der Gegner vom Hause abwesend ist, oder verkleidet oder endlich 
mit einem möglichst zahlreichen bewaffneten Gefolge, wobei es 
schon bei dieser Gelegenheit zu heftigen Kämpfen kommen kann. 
Es galt schon als ein grosses Zugeständnis, wenn ein angesehener 
Mann erklärte, die in unanstössiger Weise vorzunehmende Ladung 
eines seiner Angehörigen ruhig geschehen lassen zu wollen. Kam 
dann die Thingzeit heran, so suchte man gern dem Gegner den 
Zutritt zur Thingstätte mit Gewalt streitig zu machen und es 
kam vor, dass eine schwächere Partei infolgedessen gezwungen 
war, die mühseligsten Pfade durch das wüste Innere der Insel 
einzuschlagen, um zum Allthinge zu gelangen. War nun aber der 
Gegner glücklich dabin gelangt, so konnte noch versucht werden, 



1 Wilhelmi, Island, Seite 71; PaijkuU, a. a. O. Seite 296 mit einer 
Abbildung des Kirchleins ^ von Thingvalla; Winkler, Island Seite 181; 
)>orv. Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 94. 

2 Maarer, Island, Seite 162; Wilhelmi, Island, Seite 56. 



— 110 — 

demselben den Zutritt zum Gerichte zu yeraperren, und, wenn 
dies nicht gelang, schliesslich das Gericht mit Gewalt zu sprengen 
(hleypa upp dominum), wogegen weder die gesetzlich vorgesehene 
Verlegung des Gerichts an einen sicheren Ort, noch auch die 
gleichfalls vorgesehene Bestellung von Gerichtsschützern (d6m- 
vördslumenn) genügenden Schutz bot.^ 

48) Damals führte auch über die Özarä eine Brücke, welche 
heutzutage nicht mehr vorhanden ist.^ 

49) Die alten Isländer legten bei weitem mehr Wert auf 
Anstand und Keinlichkeit ihrer Kleidung, als dies heutzutage 
nach den Berichten der Beisenden der Fall ist. Sie liebten im 
allgemeinen glänzende Farben, aber sie nahmen auch Rücksicht 
auf grössere Feinheit der Zeuge und bessere Form im Schnitte. 
Am häufigsten bestand die Kleidung der Männer aus grobem 
Wollzeuge (vadmdl), das in jedem Hause selbst gewoben wurde 
und sogar an Geldesstatt diente. Grau und schwarz war die 
gewöhnliche Farbe der Werktagkleidung; auch grün und weiss 
wird als Farbe schlechter Gewänder erwähnt. Blau, roth, roth- 
braun und einfach braun trug man an besseren Stoffen. Die Männer 
gebrauchten enge Beinkleider und hohe Schuhe mit Riemen, um 
sie festzubinden; sie hatten lange Westen und ebensolche Jacken, 
oben enge, aber an den Seiten weit. Die Oberkleidung bildeten 
sehr weite lange Mäntel (möttull), welche bis zu den Füssen herab 
reichten; um die Mitte wurde ein Gürtel (belti) gespannt, an 
welchem eine Kette mit einem Messer hing. Die Kopfbedeckung 
war ein Hut oder eine Mütze. ^ 

Heutzutage haben die isländischen Männer ihre National- 
tracht bereits abgelegt und sich als Kopfbedeckung die moderne, 
aber in ihrem Lande bei dem vielen Reiten in Wind und Wetter 
unpraktischeste Form des hohen schwarzen Cylinders erwählt und 
es macht einen komischen Eindruck, Prediger, Beamte und Bauern 
auf diese Weise einherreiten zu sehen. Im übrigen ist schwarz 
die jetzige Nationalfarbe, und ^wenn man auf der Insel an's Land 
steigt, wähnt man beim ersten Anblicke, die ganze Bevölkerung 
trauere.'* 

Wolle ist der Hauptbestandtheil der heutigen Kleidung, selbst 
der Hemden, und nur einige Stadtbewohner tragen dieselben von 
Leinen. — Beim weiblichen Geschlechte hat sich indes die alte 
Nationaltracht noch erhalten, welche sehr schön und sehr kost- 
bar ist."* 



1 Maurer, Island, Seite 181 his 183. 

^ ]>orv. Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 94. 

3 Strinnholm, Wikingszüge etc., Band 2, Seite 359; Weinhold, Alt- 
nordisches Lehen, Seite 159 ff. 

^ Winkler, Island, Seite 143, 144; Helms, Island und die Isländer, 
Seite 124, 127 his 129; Paijkull, a. a. Q. Seite 36 fiP. 



— 111 — 

50} Beiches and schönes Haar war bei allen Skandi- 
naviern eine Zierde sowohl für den Mann, als für das Weib, und 
seine Haare sowie den Bart reinigte und kämmte der Mann mit 
aller Sorgfalt. Zur männlichen Schönheit rechnete man auch einen 
hohen Wuchs, dicke und breite Schultern^ wohlgebildete, pro- 
portionierte Glieder, helle, lebhafte Augen und klare Hautfarbe.^ 

Die heutigen Isländer sind nach den Schilderungen der 
üeisenden kein gerade schöner Menschenschlag, aber von robuster 
Constitution, wohlgebaut und wohlgewachsen; selten trifft man 
schiefe oder verwachsene Individuen unter ihnen. In der Physio- 
gnomie ähneln sie den Schweden und Norwegern, haben meist 
blondes Haar und blaue Augen, doch auch schwarzes Haar mit 
blauen Augen, wogegen ein braunes oder gar schwarzes Augen- 
paar eine Seltenheit auf Island ist. Die Männer sind in der Regel 
nicht schön, aber man trifft oft was wir prächtige Gesichter nennen, 
unter ihnen: Gesichter voll Charakter und Geist. Die Frauen hin- 
gegen sind durchschnittlich hübsche Erscheinungen.^ 

51) Der Thorskafjördr ist ein kleiner Arm des mächtigen 
Breidifjördr, welcher in das nordwestliche Island tief einschneidet. 

52) Vergl. Erläuterung 16 und 38. 

53) Vergl. Erläuterung 38. 

54) Vergl. Erläuterung 17 am Schlüsse. 

55) Vergl. Erläuterung 33. 

56) Alp taue 8 ist ein« kleine Halbinsel oder vielmehr Land- 
zange zwischen dem Skerjafjördr und Hafnafjördr, welche zwei 
kleinere Arme des grossen Faxafjördr (auch Faxaflöi, Faxaöss), 
auf der Westseite von Island, bilden. 

57) Die Angabe, dass Thormödr mit Thordis, der Tochter 
Thorölfr Skallagrimsson's vermalt sei, beruht unzweifelhaft auf 
einem Irrthume unserer Saga, da hievon in der Egilssaga an 
gehöriger Stelle keine Erwähnung gethan wird, an ein Versehen 
aber hiebe! nicht zu denken ist, da die Genealogien in den Sagas 
in der Kegel sehr eingehend behandelt werden.^ Ueberdies heisst 
es in der Landnämabök (Partr 1, Capitel 14, herausgegeben 
in den ^Islendinga sögur," Vol. 1, Seite 40, Kaupmannahöfn 1829, 
Octav), dass Thormödr mit Thuridr, der Tochter des Thorleifr, 
vermalt worden sei. 

58) Thorölfr Skallagrimsson ist der Bruder Egill Skalla- 
grimsBon^s, des Helden der Egilssaga. Die Bezeichnung „Sohn des . . ." 
(son) oder ^Tochter des . .*' (döttir) bot sich bei den isländischen 



^ Strinnholm, Wikingszüge, Band 2. Seite 359. 

2 Helms, a a. O. Seite 110; De Fonblanque, Five weeks in Iceland, 
Seite 114. 

3 Thorsen und Gislason in der „Fortale'^ ihrer Ausgabe der Hrafn- 
kels saga (Kjobenhavn 1839, Octav), Seite 11. 



— 113 — 

(und altskandinavischen) Namen von selbst als Zuname, da eigent- 
liche Familiennamen damals nicht vorkamen; so finden wir hier 
den Zusatz „Skallagrimsson", d. h. Sohn des Skallagrimr, und 
^Pdrölfsdöttir*', d. h. Tochter des Thörölfr. Das neugeborene Kind 
bekam einen entweder einfachen oder zusammengesetzten Namen 
und unterzog sich gleichzeitig einer Art von heidnischer Taufe, 
indem es mit Wasser besprengt wurde, aber ohne Gegenwart eines 
Priesters. Nur ausnahmsweise ward der Sohn nach der Mutter 
benannt, wenn der Vater frühzeitig gestorben war.^ Ausser diesen 
Benennungen nach den Eltern kam es häufig vor, dem Manne 
irgend einen Beinamen zu geben, sei es nun nach einer inneren 
oder äusseren Eigenthümlichkeit — selten schmeichelnd — oder 
nach dieser oder jener Begebenheit oder komischen Situation in 
seinem Leben. — Selbst heutzutage sind sehr wenige 
Familiennamen auf Island zu finden; das neugeborene Kind 
bekommt nur einen Taufnamen und wird durch den Beisatz ^Sohn 
des . .*' oder ^Tochter des . ." von anderen gleichnamigen Personen 
unterschieden, z. B. J6n Jönsson, Olöf Björnsdöttir u. s. w. Man 
pflegt auch den Aufenthaltsort dem Namen anzufügen, z. B.: 
P^tr & Rejkjahlid, Ami d Skördum u. s. w. Beide Benennungs- 
weisen kommen auch in Norwegen und Schweden bei der Land- 
bevölkerung vor, z. B.: BjÖrnstjerne BjÖrnson, Synnöve Solbakken 
d. i. Synnöve vom Sonnenhügel u. s. w.^ 

59) Borg wurde zuerst von Egill's Vater, Skallagrimr^ be- 
siedelt; es lag auf der Nordseite des BorgarQördr^ eines Armes 
des Faxai^Ördr an der Westküste von Island. 

60) Vergl. Erläuterung 12 am Schlüsse. 

61) Das isländische Bett (saBng, sseing) besteht aus einer 
Bettstelle (stokkr), die lang und breit war und zwei Schlafgenossen 
fassen konnte. Hier hinein kommt zuerst Stroh, dann ein Tuch 
von grobem Wollenzeuge (vadmäl) oder Linnen, und darauf 
kommen erst die eigentlichen Bettstücke (ssBngklsßdi) : Polster 
(bolstrar) und Decken (dklsedi). Erstere waren häufig mit Federn 
gefüllt, letztere bestanden oft aus Fellen, häufig auch aus Tüchern. 
Vor der Bettstatt stand ein Fussbrett (fötbord, auch fötabrik, 
fötaQöll).3 

62) Der Ausdruck ^mit der Locke" bezeichnet seinen Bei- 
namen, vergl. Erläuterung 58. 

63) Bei dem altisländischen Rechtsgange waren eine Menge 
Formalitäten zu beobachten und deren Versäumnis oder Ueber- 



^ Vergl. LaxdsBla saga, Oapitel 57. 

2 Weinhold, Altnordisches Leben Seite 277, 278; Kälund, Familie- 
livet pä Island etc., Seite 277 bis 278; Lock, The home of the Eddas, 
Seite 182 bis 183. 

3 Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 288 bis 284. 



- 113 — 

tretang war hinreichend^ um einen ganzen Process aufzuhalten 
oder ungiltig zu erklftren. Mit diesen Formalitäten waren aber 
nur einzelne gesetzeskundige Mftnner vertraut und nur diese waren 
im Stande, jene in gehöriger Weise zu beobachten. Die grosse 
Masse war in dieser Beziehung ganz in die Hände der rechts- 
kundigen Männer gegeben, da der einzelne Mann weder die Ge- 
bräuche kannte^ noch in seinem Interesse einzuhalten vermochte.^ 

64) Die richterlichen Entscheidungen begannen, sobald 
die von den Goden ernannten Richter herausgeführt wurden und 
die ihnen bestimmten Plätze am Gesetzesfelsen (lögberg) ein- 
nahmen; ihre Gesammtheit bildete die lögr^tta. Leider sind wir 
aber über die Art und Weise der Zusammensetzung dieses auch 
gesetzgebenden Ausschusses am Allthinge in dieser Zeit (930 bis 
965 n. Chr.) „völlig im Dunkeln"; vergl. Erläuterung 31.2 

65) Der Gesetz es felsen (lögberg) ist der Mittelpunkt des 
Allthinges, der Sitz der von den Goden ernannten Richter (der 
lögr^tta) und der amtliche Platz des Gesetzessprechers. Von hier 
aus wurden die Bechtsvorträge des letzteren der Regel nach ge- 
halten und auch die übrigen ihm obliegenden Verkündigungen 
erlassen; von hier aus richteten aber auch diejenigen Privatleute^ 
welche irgend etwas an die Thingversammlung vorzubringen hatten, 
ihre Worte an diese, nachdem sie zuvor vom Gesetzessprecher 
die Erlaubnis, den Ort zu betreten, und allenfalls auch Belehrung 
über die einzuhaltenden Förmlichkeiten sich erbeten hatten. Die 
verschiedenartigsten Bekanntmachungen, Aufforderungen, Anfragen 
konnten am Gesetzesfelsen erlassen und gestellt werden: u. a. 
muss hier das Domicil und die Thingzugehörigkeit angezeigt 
werden, welche jemand wählt; hier erfolgt die Bekanntgabe der 
Rechtssachen, welche entweder sofort oder am nächsten Allthinge 
erledigt werden sollen; hier erkundigt man sich um das Domicil 
und die Thingzugehörigkeit von Personen, bezüglich deren man 
ein rechtliches Interesse hat, solche zu kennen. Auch Ladungen, 
dann Berufungen von Zeugen und Geschworenen werden unter 
Umständen hier vorgenommen, die Namen von Aechtern oder 
Land es verwiesenen bekannt gegeben, Schiedsprüche verkündet, 
Executionsgerichte angesagt, gefundenes Gut wird declariert, aber 
auch eine Herausforderung zum Zweikampfe oder eine Einladung 
zu einem grossartigen Gastmahle hier erlassen u. dergl. m.^ 

Der Gesetzesfelsen war kein Berg im gewöhnlichen Sinne des 
Wortes, sondern eine hervorspringende Lavamasse, welche durch 
Risse in der Lava scharf von der übrigen Thingebene geschieden 



1 Petersen, Om den islandske Bettergang, im 4. Bande der„Histor. 
Fortflßllinger,'* Seite 287. 

2 Maurer, Beiträge etc., I., Seite 149 bis 162. 

3 Maurer, Island, Seite 177 bis 178. 

Htftftikell. 8 



— 114 — 

war und eine natürliche Festang bildete (vergl. Erläaternng 37). 
Zwei von den Spalten, welche die Lavaebene durch ihre Senkung 
eingerissen hat, laufen nämlich gegen Norden zusammen und 
treffen sich fast gegen Südosten. Nur ein schmaler Rücken ver- 
bindet gewissermassen als Brücke den Gesetzesfelsen mit dem 
übrigen Lavafelde. Dies ist der einzige Weg, auf welchem man 
zum Gesetzesfelsen gelangen kann; denn die Spalten sind mehrere 
Klafter breit und sehr tief, mit steilen Seitenwänden. 

Es war ein grossartiger Anblick, den man zur Zeit des 
Allthings vom Gesetzesfelsen aus genoss. Ueber die schwarzen 
Klüfte, welche denselben umgaben und über die gras- und busch- 
reichen Flächen des Lavafeldes sah man gegen Westen und Osten 
die beiden Höhen und schwarzen Felswände der beiden grossen 
Klüfte (Almannagjd und Hrafnagj4, vergl. Erläuterung 37), hinter 
welchen die fernen, grauen Bergrücken sich erhoben; fern gegen 
Norden ragte der schneebedeckte Scheitel des Vulcans Skjald- 
breidr (d. i. des breiten Schildes) empor, und gegen Westen und 
Süden schweifte der Blick die Thingebene hinaus, wo sich die 
Ozarä einbog, wo die Buden der Thingleute lagen, bis dorthin, 
wo die breite und blanke Fläche des Sees den Gesichtskreis 
abschloss. Heutzutage ist alles still und leer an dem Orte, .wo 
einst die Geschicke der Insel entschieden wurden und an welchen 
sich die meisten historischen Erinnerungen knüpfen.^ 

66) Vergl. oben Erläuterung 30. — Der Process vor Ge- 
richt wurde von dem Kläger begonnen; derselbe legte zuerst 
den Sachverhalt dar und führte Zeugen vor, um durch selbe 
zu beweisen, dass er jenen sowohl zu Hause bei den ^Nachbar- 
Geschworenen'* als auch hier am Gesetzesfelsen bekannt gemacht 
hatte. Hie durch erhielten die Richter den Beweis, dass von Seiten 
des Klägers auf gesetzmässige Weise vorgegangen worden; die 
Zeugenführung musste das dem altisländischen Rechtsgange mangelnde 
Protokoll ersetzen.^ 

67) Vergl. Erläuterung 63. 

68) Nachdem der Ankläger seinen Vortrag beendet, führte 
er seine Zeugen aus der Heimat (die ^Nachbar-Geschworenen") 
herbei, forderte den Gegner auf, dieselben zu untersuchen and, 
wenn er es vermöchte, zu verwerfen, dann ihr Zeugnis anzuhören 
und schliesslich sich selbst zu verantworten. ^ 

69) Im gemeinen Leben und bei den häufigen Rechtsstreitig- 
keiten auf Island in der Zeit des Freistaates kam es nicht bloss 
auf Kenntnis der einzelnen gesetzlichen Bestimmungen^ sondern 



^ Rosenberg, Trsek af Livet paa Island, Seite 64 bis 66; Thoroddsen, 
L:fsing Islands, Seite 95; Winkler, Island, Seite 182. 

^ Petersen, Om den islandske Rettergaug, a. a. O. Seite 286. 
' Petersen, a. a. O. Seite 285. 



— 115 — 

auch auf die Fähigkeit an, das Recht eindringlich geltend zu 
machen. Nicht bloss gesetzeskundig, auch beredt musste der Mann 
sein, welcher seiner Sache den Sieg verschaffen wollte. Wenn daher 
auch die alten Isländer vor allem Kürze und Inhaltsreich thum im 
Ausdrucke liebten und diese Bedeweise in den Sagas als gewöhnliche 
erscheint, so ging ihnen doch der Sinn für wohlgebaute, längere 
Reden durchaus nicht ab und sie zollten einer solchen gerne Beifall.^ 

70) VergL Erläuterung 47 am Schlüsse. 

71) Das Urtheil am Thinge wurde nach Stimmen- 
mehrheit der Richter gefällt. Die A echt ung (Friedlosigkeit oder 
Landflüchtigkeit) zerfiel in zwei Grade: die geringere und die 
grössere. Erstere war eine Verbannung des Schuldigen von ge- 
wissen Gegenden des Landes und auf eine gewisse Zeit (gewöhn- 
lich drei Jahre) und ein so Geächteter musste für sein Leben ein 
Lösegeld zahlen, oder seine Freunde thaten dies für ihn; er 
selbst hiess fjörbaugsmadr (d. h. ein zur „Lebensbusse" Ver- 
urtheilter). Die grössere Friedlosigkeit (wie im vorliegenden Falle) 
hiess ^Waldgang" (sköggängr) und der hiezu Verurtheilte ^Wald- 
ganger^' (skoggdngsmadr, skogarmadr), weil er seines Vermögens 
verlustig, seine Person selbst vogelfrei erklärt und er so gezwungen 
wurde^ sich in die Wälder, Wüsten oder andere verlassene Stätten 
der Insel zu flüchten. — Diese Strafe wurde für Mord und Todt- 
schlag verhängt. (Näheres siehe Erläuterung 75). 

72) Von dem Ostrande des Sogdalr auf der Bergebene nach 
Nordosten fort durchschneidet man die grosse Ljngdalsheidi 
und gewahrt in derselben eine Anzahl rother, vulcanischer Kegel. 

73) VergL Erläuterung 81. 

74) Der Ausdruck väpnatak, d. i. Waffenaufnahme, 
bezieht sich auf das Wiederaufnehmen der Waffen am Schlüsse 
der Thingzeit, da dieselben während des Thinges abgelegt werden 
mussten, und bezeichnet daher auch Abschluss der Thingzeit über- 
haupt. Die rechtsförmige Feststellung des Anfanges und Schlusses 
der Thingzeit hatte in mehrfacher Hinsicht eine sehr erhebliche 
Bedeutung. Einerseits nämlich durften diejenigen Personen, welche 
das Recht überhaupt als Thingbesucher betrachtete, das Thing bei 
Strafe der Landesverweisung nicht vor seinem legalen Schlüsse 
verlassen, während andererseits auch demjenigen bestimmte Rechts- 
nachtheile drohten, welcher, zum Erscheinen am Thinge ver- 
pflichtet, zur Zeit seines legalen Anfanges noch nicht zur Stelle 
war. Sodann aber wurde durch feierliche Hegung des Thinges 
einerseits und durch dessen feierliehe Aufsagung andererseits auch 
die Zeit begrenzt, für welche der besondere Thingfriede (die 
Pinghelgi) zu gelten hatte. Dieser Thingfriede begründete für alle 



1 Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 408 ff. ; Strinnbolm, Wikings- 
zdge, Band 2, Seite 169. 

8» 



— 116 — 

Thingleute einen erhöhten Rechtsschutz, indem die Basse für 
Körperverletzungen u. dergl. m. auf das Doppelte stieg, anstatt 
der blossen Landesverweisung gleich der Waldgang als Folge einer 
That eintrat und im Falle eines Todtschlages das auf den Kopf dee 
Thäters gesetzte Geld verdreifacht wurde. Während der Dauer des 
Thingfriedens durften ferner friedlose Leute an der Thingstätte und 
vielleicht selbst auf eine Pfeilschussweite von ihrer Grenze weg sich 
nicht blicken lassen.^ (Yergl. auch 71 und oben Erläuterung 10.) 

Das 10. Capitel unserer Saga bildet eine Hauptquelle 
für die Kenntnis der isländischen Thingverfassung in den Jahren 930 
bis 965. Vieles von dem^ was hier nur angedeutet ist, könnte 
nach den späteren Quellen leicht ausgeführt werden, wenn es 
zulässig wäre, dieselben für die Verhältnisse der ältesten Zeit zu 
benutzen. Die Hauptquellen für die spätere, ausgebildetere islän- 
dische Thingverfassung sind: die Njäla (Njdls saga), und das im 
Jahre 1117 zum erstenmale aufgezeichnete altisländische Gesetz- 
buch Grdgäs (d. h. die Graugans), welchem allerdings die von 
Ulfljötr im Jahre 930 eingeführten Gesetze und Gerich tsgebräuche 
zugrunde liegen (vergl. Erläuterung 31). Auf Grund der Njdlssaga 
verfasste der grosse dänische Literarhistoriker und Sprachforscher 
Niels Mathias Petersen seine ausgezeichnete und höchst lehrreiche 
Abhandlung ;,0m den islandske Rettergang ifolge Njäla", im vierten 
Bande seiner „Historiske Fortaellinger'* etc., Seite 270 ff., welche 
aber für die Zeit, in welche die Ereignisse unserer Saga fallen^ 
nur mit Auswahl benutzt werden kann. — Ein sehr lebendiges und 
anschauliches Bild des späteren isländischen Thinglebens mit seinen 
Einzelheiten in der christlichen Zeit enthält das schwedische 
Buch Hildebrand*s : Lifvet pa Island under sagotiden, Seite 84 ff. 

76) Vergl. Erläuterung 71. Einen Waldgänger durfte jeder- 
mann tödten, niemand aber ihm Speise geben, niemand ihn be- 
herbergen oder sonst irgendwie helfen. Wer einem Waldgänger, 
Gelegenheit verschaffte, von der Insel zu entkommen, wurde eben- 
falls strafbar erklärt. Nur ein Mittel gab es für den Waldgänger, 
sich zu retten, nämlich: andere Waldgäuger zu tödten. Tödtete er 
einen, so konnte er zwar nicht beherbergt, wohl aber ausser 
Landes gebracht werden; tödtete er einen zweiten, so wurde er 
ijörbaugsmadr (vergl. Erläuterung 71), und die Tödtung eines 
dritten verschaffte ihm seine volle Freiheit wieder. — Das inter- 
essanteste Bild eines isländischen Waldgängerlebens entrollt uns die 
Gretfissaga, d. h. die Geschichte des isländischen Nationalhelden 
Grettir Asmundarson des Starken, welche allerdings von märchen- 
haften Zusätzen nicht frei ist.^ 



1 Maurer, Island, Seite 168 bis 169. 

2 Petersen, Gm den islandske Rettergang, a. a. O. Seite 289 bis 290; 
Wilda, Geschichte des deutschen Strafrechtes, Band 1, Seite 289 bis 290. 



— 117 — 

76) Vergl. Erläuterang 36. 

77) Vergl. Erläuterung 25. 
78), 79) Vergl. Erläuterung 16. 

80) Die ersten Herausgeber unserer Saga, Thorsen und Gis- 
lason, bemerken über diesen barbarischen Racheact, dass weder 
vorher noch später Aehnliches auf Island vorgekommen sei (For- 
tale). Vergl. übrigens Erläuterung 26. 

81) Hier ist darauf hinzuweisen, dass es im altisländischen 
Freistaate keine ausübende (executive) Macht gab; weder 
der Gesetzessprecher noch die Goden hatten Executionsorgane zu 
ihrer Verfügung. Es war Sache des Klägers, ein am Allthinge 
gefälltes Urtheil in's Werk zu sefczen. Dies sehen wir an dem nun 
an Hrafnkell zu vollziehenden Executionsge richte (f^ränsdömr), 
welches vierzehn Tage nach Beendigung des Thinges, an welchem 
der Angeklagte friedlos erklärt worden, beim Wohnsitze desselben 
abzuhalten war. Aus der (allerdings später aufgezeichneten) Grdgäs 
(Erläuterung 74) erfahren wir (ed. Vilh. Finsen, Rjobenhavn 1852, 
Octav, Band 1, Capitel 48, Seite 83 ff.), dass derjenige, welcher 
die Vertheilung von Geld und Gut des Geächteten bewirkt hatte, 
den Goden des Bezirks hiezu auffordern musste, und diesem auf 
sein Aufgebot die dem Hofe des Friedlosen Benachbarten zu 
folgen hatten; aus denselben wurden zwölf Richter gewählt und 
dieselben nahmen ihren Sitz ausserhalb des Hofes auf einem 
Steinhügel, wo weder Acker noch Wiese war, doch nicht weiter 
als einen Pfeilschuss vom Hofe entfernt und nach der Seite, wo 
des Angeklagten Wohnung lag, wenn sich da ein geigneter Platz 
vorfand. Es sollte das Gericht so früh am Morgen beginnen, dass 
es um Mittag zu Ende sein konnte, und mussten alle, welche an 
den Verurtheilten Forderungen hatten, diese hier anbringen, damit 
sie sogleich geprüft und berichtigt werden konnten. Reichte das 
vorgefundene Vermögen nicht hin, so wurden von den verschie- 
denen Forderungen verhältnismässige Abzüge gemacht; blieb 
dagegen ein Vermögenstheil übrig, so wurde er zwischen dem, 
welcher die Friedloserklärung hatte aussprechen lassen und zwischen 
den zwölf Richtern getheilt und sollte von den Theilhabern zu- 
nächst zur Verpflegung der Armen, besonders der Unmündigen, 
verwendet werden.^ 

82) Wie in Deutschland während des Mittelalters, bildete 
auch auf Island und im übrigen Skandinavien damals Spiess und 
Schild die Grundlage der Bewaffnung zum Schutz und Trutz; 
als drittes tritt die Axt oder das Schwert dazu. Helm und 
Panzer gehören sowie in Deutschland zur reicheren Ausrüstung, 



^ Wilda, Geschichte des deutschen Strafrechtes, Band 1, Seite 288 
bis 289; Maurer, Island Seite 195 bis 196; Kosenberg, Trsek af Livet 
paa Island, Seite 67 bis 59. 



— 118 — 

Bogen und Pfeil, obschon eine uralte Waffe, wurden vorzugs- 
weise vom Jäger, seltener vom Krieger angewendet. Vergl. auch 
Erläuterung 96. ^ 

83) Hier sowie an manchen anderen Stellen isländischer 
Sagas ist die Bede von einem Walde auf Island. Dass derselbe 
in der ältesten Zeit ausgedehnter und von üppigerem Wüchse 
gewesen als heutzutage, wo man eigentlich nur Gestrüppe auf der 
Insel findet, ist zweifellos; doch konnte derselbe niemals Bau- 
oder Zimmerholz liefern, welches (wie bereits bemerkt, vergl. Er- 
läuterung 16) aus Norwegen geholt werden musste^ sondern nur 
Brennholz u. a. Der Charakter des isländischen Waldes im ganzen 
hat in historischer Zeit keine Umwandlung erfahren. ^ 

84) Neben der Viehzucht (vergl. Erläuterung 19) bildete die 
Fischerei sammt dem daran sich schliessenden Seehunds fange 
einen zweiten, kaum minder ergiebigeren Nahrungszweig der Isländer. 
Die grossen Fischzeiten zumal, möge es sich um Dorsch-, 
Häring- oder Haifischfang handeln, versammeln regelmässig ganze 
Scharen Volks aus dem inneren Lande sowohl, als auch von der 
Küste an den ergiebigeren Fisch ereiplätzen. Aber nicht bloss im 
salzigen, auch im Süsswasser lohnt sich der Fischfang auf Island 
reichlich. Die isländischen Flüsse und Bäche wimmeln von den 
edelsten Forellenarten. Der echte Lachs, welcher nur noch in 
einigen Gebirgsflüssen Europas getroffen wird, ist auf Island in 
grösster Menge verbanden. Doch ist es noch nicht gar lange her, 
dass die Isländer die Süsswasserfischerei systematisch zu treiben 
anfangen. Heutzutage wandern bereits Hunderte von Centnem 
geräucherten oder eingesottenen Lachses nach England an die 
Tafeln der reichen Lords. ^ 

85) Die alten Skandinavier sassen und tranken 
gern mit Gästen und Freunden. Zu Gastmählern lud man 
seine Verwandten und Freunde zusammen, wenn ein Erbbier ge- 
trunken, eine Hochzeit gefeiert werden sollte, oder wenn eine 
andere Gelegenheit Veranlassung bot, dass man sich mit den 
Männern der Gegend freuen wollte. Vermögende Bauern und Goden 
legten gern ihre Freigebigkeit und ihren Reichthum durch grosse 
und prächtige Gastmähler an den Tag, um dabei Ruhm und An- 
sehen zu gewinnen, und es gehörte zur alten, noch heute geübten 
nordischen Gastfreundschaft, seine Gäste auf das trefflichste zu 
bewirten. Das Beste, was das Haus an Fleisch und Fischen zu 
bieten vermochte, sowie wohlgebrautes Bier der stärksten Art 
wurde den Gästen zur Verfügung gestellt. Man sah da in der 



* Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 190 ft. 
^ Maurer, Island, Seite 13 bis 16. 

3 Maurer, Island, Seite 7; Winkler, Island, Seite 130; Thoroddsen, 
L^sing Islands, Seite 59. 



— 119 — 

groBsen Halle eines isläDdischen Hofe« mitunter gegen tausend 
Gäste versammelt und das Gelage währte oft mehrere Tage. (Vergl. 
auch Erläuterungen 10 und 16.)^ 

86) Obwohl eine Godenherrschaft (godord) völlig frei ver- 
erblich und veräusserlich, wie jedes andere Vermögensstück war 
(vergl. Erläuterung 12), so lag doch in der Freiheit des Aus- 
scheidens aus dem godord, wenn nur eine hinreichende grosse 
Anzahl von Thingleuten gegen den neu eintretenden Goden ent- 
schieden Abneigung zeigte, geradezu ein Mittel, demselben die 
Uebernahme der Goden würde unmöglich zu machen. Von diesem 
Gesichtspunkte ans gewinnt es demnach eine materielle Bedeutung, 
wenn ein neu eintretender Gode die Thingleute in offener Ver- 
sammlung befragt, ob sie sich auch ihm als solche anschliessen 
wollen oder nicht. ^ 

87) Diese Stelle unserer Saga, sowie eine weiter unten folgende, 
weist deutlich auf eine bereits begonnene innere Zersetzung 
des nordischen Götterglaubens hin, wie wir denn auch von 
einzelnen nordischen Helden wissen, dass sie alle Götter leug- 
neten und nur an ihre eigene Stärke glaubten. ^In zahlreichen 
Träumen, Ahnungen, Gesichten und Weissagungen sprach sich 
die Unruhe, welche das Volk ergriffen hatte und dessen banges 
Vorgefühl von dem nahen Zusammenbrechen der alten Götterwelt 
ganz unverkennbar aus.''^ 

88) Nach altnordischer Sitte wurden den Gästen 
beim Abschiede Geschenke verehrt, u. zw. oft ansehnliche 
und kostbare zur Vergeltung für die Beschwerlichkeiten der Reise 
und als Andenken an die Höflichkeit und Gastfreundschaft, die 
sie genossen hatten. Diese Geschenke bestanden entweder in 
seidenen, mit Gold gestickten Kleidern oder schönen Rossen, aus- 
gezeichneten Waffenstücken, Trinkhörnern, Ringen und anderen 
Kleinodien.^ 

89) Vergl. Erläuterung 87. 

90) Diese Stelle (vildi svä hverr sitja ok standa, sem bann 
vildi), welche auch K. Maurer (Beiträge I, Seite 65, Anmerkung^) 
so übersetzt hat, bedeutet wohl soviel als: jeder bot alles auf, 
um mit Hrafnkell auf gutem Fusse zu stehen. 

91) Vorliegende Stelle unserer Saga ist von besonderem 
culturhis torischen Interesse, da wir durch dieselbe Einblick in die 
Entstehung einer Godenherrschaft gewinnen und das Verhältnis 
zwischen dem Goden und seinen Thingleuten kennen lernen. Merk- 
würdig dabei ist, dass Hrafnkell, der zwar erklärt hat: ^ich halte 



1 Strinnholm, Wikingszüge, Band 2, Seite 338 bis 342. 

2 Maurer, Beiträge etc., I, Seite 107 bis 109. 

3 Maurer, Island, Seite 73. Vergl. auch J. C. Poestion, Das Tyrfiiigs- 
schwert etc. Seite 109 ff. 

* Strinnholm, Wikingszüge, Bd. 2, Seite 342; Wilhelmi, Island Seite 58. 



— 120 — 

es für eine Thorheit, an .einen Gott zu glauben/* und der weiters 
kein Opfer darbringen will, dennoch im Stande war, ein neues 
godord zu gründen, dessen Hauptmittelpunkt gerade der Tempel 
sein sollte. Wir sehen daraus, dass es nicht allein die religiösen 
Functionen sind, auf welchen die Godenwürde ruht, wie sich denn 
diese auch in der christlichen Zeit behauptet hat, nachdem jene 
längst beseitigt waren. ^ 

92) Sämr legte viel Gewicht darauf, prächtig gekleidet 
und glänzend gerüstet zu erscheinen, worauf man im alten 
Norden überhaupt viel hielt. Angesehene Männer gingen bei feier- 
lichen Gelegenheiten gern in Röcken von Scharlach, mit feinstem 
Pelzwerke gefüttert und mit Gold- und Silberhaken zusammen- 
gehalten, bisweilen auch an den Händen mit goldenen Zieraten 
geschmückt. Man trug auch silberne Gürtel und Görtelgeschmeide 
und grosse, dicke Goldringe um den Arm und das Handgelenk. 
Die Egilssaga erzählt, dass der Isländer Egill Skallagrimsson (vergl. 
oben Erläuterung 58) von seinem Verwandten Arinbjörn in Nor- 
wegen einen bis auf die Füsse hinab reichenden, mit Gold ge- 
stickten, seidenen Ueberrock, von oben bis unten mit goldenen 
Knöpfen besetzt, zum Geschenk erhalten habe. 

In der Gunnlaugs saga Ormstungu (Geschichte von dem 
Skalden Gunnlaug mit dem Beinamen Schlangenzunge) lesen wir 
(Capitel 7), dass der genannte Skalde ^als Sangeslohn einen 
Scharlachmantel, verbrämt mit dem besten Pelze, bis in den Zipfel 
hinunter mit Borte besetzt" (übersetzt von Kölbing) bekam. ^ 

93) Der Reydarfjördr liegt an der Ostküste Islands, gerade 
östlich vom Lagarfljöt. 

94) Vergl. Capitel 3 und Erläuterung 17. 

95) Die Artikel, welche man auf Island von dem Aus- 
lande her bezog, waren hauptsächlich: Bauholz (aus Norwegen)^ 
Mehl, Tuch und Leinwand, verarbeitetes und rohes Eisen, Kupfer, 
Waffen, Theer und allenfalls auch Wein nebst Wachs. Isländi- 
sche Ausfuhrartikel hingegen waren: Wolle, Wollenzeuge, 
Schafvliesse, Lammfelle, Fleisch und Talg, Häute und Pelzwerk 
(zumal Fuchs- und Katzenbälge), Käse, Butter, Thran und Fische, 
Schwefel. 3 „Man kann sich denken,'* schreibt Weinhold (Altnordi- 
sches Leben, Seite 113), „welches Leben die Ankunft eines jeden 
Schiffes am isländischen Strande erweckte! War es ein fremdes 
Schiff, das ankam, so begann an seiner Brücke bald ein Markt. 
Der Gode des Bezirkes stieg herab zur Küste, traf alle Anord- 
nungen und bestimmte die Preise der Waaren ; keiner wagte vorher 
zu kaufen. Die Waaren wurden den Winter über in ein eigenes 



^ Vergl. Maurer, Beiträge I, Seite 127, Anmerkung 4 und unsere 
Erläuterung 87. 

2 Vergl. Strinnholra, Wikingszüge, Band 2, Seite 356 bis 357. 

3 Maurer, Island, Seite 433. 



— 121 — 

« 

Gebäude des Godenhofes geschafft und des sonstigen Gehöftes, 
in dem sie Winteraufenthalt hatten." 

96) Die nordischen Schilde waren damals durchgehends 
lang und dicht. Noch im 11. Jahrhunderte reichte dem Beiter der 
Schild, über dessen ObeiTand er blickte , tief über die Steig- 
bügel hinab. 

Die Schilde bestanden aus einem Buthengeflecht, das mit 
Thierhaut bezogen und mit bunten Farben bestrichen war; man 
liebte hiebei namentlich roth und weiss. • Der weisse Schild hatte 
im besonderen die Bedeutung eines Friedenszeichens: den weissen 
Schild im Kampfe aufheben, hiess den Gegner um Waffenruhe 
bitten. Dagegen ist der rothe Schild das Anzeichen des Krieges.^ 

97) Hals heisst der Bergrücken zwischen dem Skridudalr 
und Fljotsdalr. 

98) Hier ist die Jökulsd gemeint, welche sonst nur als 
Lagarflöt bezeichnet erscheint und den oft erwähnten Landsee 
bildet (yergl. oben Seite 29). Sie ist also wohl zu unterscheiden 
von der Jökulsä ä brii, welche den Jökulsdalr bewässert (vergl. 
Erläuterung 8). 

99) Uralt ist die Leinwand bei den Germanen, und ihre 
Bereitung war hier frfih so ausgezeichnet, dass d^e Bömer sie 
zu rühmen sich herbeiliessen. Von Frauen gewebt, war sie haupt- 
sächlich Frauentracht. Mit einem Leintuche ward bei der heid- 
nischen Weihe des Ehebündnisses die nordische Braut verhüllt 
und das Spinnen des Flachses wurde als echt weibliche Beschäfti- 
gung sogar den göttlichen Schlachtenjungfrauen (Walkyren) in 
ihren friedlichen Stunden zugetheilt. Leinwand (isländisch l^rept) 
stand auf Island in dreimal höherem Preise als Wollenzeug (vacC- 
mdl), aus dem Grunde, weil der Flachs hier sowohl wie grössten- 
theils in Norwegen, hauptsächlich aus England eingeführt werden 
musste.^ 

100) Für die wichtigsten landwirtschaftlichen Ar- 
beiten waren auf Island regelmässig wiederkehrende Zeiten 
bestimmt, auf welche sogar die Rechtsbücher Rücksicht nahmen. 
Zuerst kam die Frühjahrsarbeit (värönn), welche bis zum 
Ablaufe des ersten Sommermonates währte und worunter wohl 
das Ausführen und Breiten des Mistes, das Bewässern der Wiesen, 
das Ausbrechen und Sammeln von Steinen zum Bauen oder 
Bessern der Gebäude, Zäune, Wege u. dergl. m. zu verstehen 
ist. Darauf folgte zwei Monate lang die Arbeit der Einzäu- 
nungen (löggardsönn) ; den vierten und fünften Sommermonat 
nahm die Heu arbeit (heyönn) in Anspruch, welche in die zweite 
Hälfte des Juli und in die erste Hälfte des August zu fallen pflegte; 



1 Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 207 bis 208. 

2 Weinhold, a. a. O. Seite 160. 



— 122 — 

im letzten Sommermonate aber kam nochmals die Zaunarbeit zum 
Zuge. Die Heugewinnung bildete für die ausländische Landwirt- 
schaft eine Hauptarbeit, denn alle Feldwirtschaft beruhte auf ihr 
und die Heuernte war die eigentliche Arbeitszeit der gemieteten 
Dienstleute. Man hatte bestimmte, der regelmässigen Heugewinnung 
dienende Ländereien und unterschied dabei zwischen dem oft 
sehr ausgedehnten Grasgarten (tun), in dessen Mitte der Hof za 
liegen pflegte und den entfernt gelegenen Wiesen (engjar, yergl. 
Erläuterung 19). Das tun wurde besonders sorgfältig gepflegt und 
mit Dänger (tiä) aufgebessert; das auf ihm gewachsene Heu (täda) 
wurde darum dem auf dem entfernteren Wiesen gewonnenen als 
das bessere entgegengesetzt, die Heugewinnung auf dem tun stand 
an der Spitze der ganzen Heuarbeit. War das Gras völlig reif 
zum Schnitte, dann zog alles hinaus in's Heu; der Vater, die 
Hausfrau, Rinder, Tagwerker, Knechte und Mägde fassten rüstig 
an. Die Männer hauen, die Mägde wenden das gehauene Heu, 
sondern das feuchte Heu ab und schichten mit den anderen von 
dem dürren die grossen Haufen auf, welche bis vier Klafter Dicke 
und Höhe aufgebaut und mit einem Zaune von Torf und Holz 
geschützt wurden (heygardr, vergl. Erläuterung 16). Nach Bedürfnis 
wurde hievon Heu in die Scheunen geholt. Was man bald heim- 
führen wollte, band man in Bündel und schaffte dieselben mittelst 
Pferden, denen man sie paarweise auflud, nach Hause. War die 
Heugewinnung missrathen, so mussten die isländischen Thiere mit 
Fischen vorlieb nehmen. 

Die angeführten Mittheilungen haben natürlich in 
allem Wesentlichen auch noch für die Gegenwart ihre 
Richtigkeit. Konrad Maurer erzählt, dass heutzutage auf Island 
sich eine besondere Festlichkeit an die Heuernte knüpfe, indem 
nach Beendigung derselben den Mähern neben ihrer ordentlichen 
Kost noch ein besonderes Extragericht von bestimmter, her- 
gebrachter Beschaffenheit verabreicht werden müsse. ^ 

101) Die Misshandlung, welche Hrafnkell durch Sämr er- 
litten hatte, war eine so schwere und schimpfliche, dass sie nur 
durch Blutrache gesühnt werden konnte. Man erblickte nämlich 
in der Tödt}ing (oder fast tödtlichen Misshandlung) eines männ- 
lichen Familiengliedes einen Verlust an Kraft und Ansehen, der 
dem ganzen Geschlechte zugefügt wurde; derselbe konnte also 
nur auf die Weise gesühnt werden, dass man der Familie des 
Thäters einen gleichen Verlust beibrachte. Konnte man den Thäter 
selbst nicht erreichen, so galt sein nächster, wenn auch völlig 
schuldloser Bluts- oder Seitenverwandter als Aequivalent für die 



1 Maurer, Island, Seite 402 bis 403; derselbe in der „Germania , 
Jahrgang 14 (1869), Seite 103, 106; Weinhold, Altnordisches Leben, 
Seite 58, 59; Winkler, Island, Seite 118 bis 119. 



— 123 — 

angefügte Schmach oder den erlittenen Verlast, und je ange- 
sehener und tüchtiger d erseihe war, desto vollständiger wurde durch 
dessen Tödtung dem Verlangen nach Rache Genüge geleistet. Ja, 
es kam vor, dass man den eigentlichen Thftter ganz absichtlich 
unangetastet Hess, wenn er kein besonderes Ansehen in seinem 
Geschlechte genoss; man wandte sich dann lieber gleich gegen 
den Angesehensten und Tüchtigsten seines Geschlechtes und führte 
an diesem den Bacheact aus. ^ 

102) Vidivellir (d.h. Waldebene) war der nächste Nachbar- 
hof von Hrafnkelsstadir. 

103) Aller Boden auf Island ist mehr oder weniger mit 
Wasser getränkt und weite Strecken sind wahre Sümpfe (myrar, 
sing, myrr, myri fem.), besonders die flachen Abdachungen von 
Hügeln und die ebenen Gründe in den Flussthälern. Es ist dies 
kein Wunder in einem Lande, wo es so viel regnet und infolge 
dessen die von den Gebirgen aufgenommenen Wässer an deren 
Fnsse in so vielen Quellen wiedergegeben werden, und wo niemand 
daran deckt, auch in dieser Beziehung der Natur nur im geringsten 
Gewalt anzuthun. Winkler schreibt: ^^Um die Passage durch einen 
Sumpf zu finden, ist ein landeskundiger Führer am allernoth- 
wendigsten, denn am Myri endet alle Spur eines Weges, wie an 
einem Flusse. Es führt auch eine Furt hindurch, die gesucht 
werden muss. Bei manchen Sümpfen sollen, wie man mir sagte, 
gewisse Pflanzenarten erkennen lassen, wo sie zu passieren mög- 
lich und wo nicht. Es ist immer eine höchst unbehagliche Lage, 
man reitet wie auf Gummi elasticum, der Boden schwankt auf und 
nieder unter dem Fusstritt des Pferdes. Das Pferd versinkt mit 
den Hinterfüssen und indem es sich anstrengt, wieder frei zu 
werden, geht es ihm vorn ebenso. Dabei wird es unruhig und 
der Reiter muss sich beeilen, dessen Rücken frei zu machen, um 
seine eigenen Füsse vor dessen Schlägen in Sicherheit zu bringen." 
(Island, Seite 71.) 

104) Lavafelder (isländisch hraun, nach jetziger Aussprache 
hröin zu sprechen) sind auf Island häufig vorkommende Passagen. 
Der Ritt durch ein solches Lavafeld ist eine höchst mühselige, 
langweilige Arbeit. ^^Wie eine Schale liegt die einst flüssige Masse 
nun auf den Boden gedeckt, keineswegs dessen Gestalt nach- 
ahmend, sondern eine unübersehbare Abwechslung von Buckeln, 
Löchern^ Klüften, Rinnen, Spitzen und Zacken.'*^ 

105) Dieser sprichwörtliche Ausdruck bedeutet soviel als: 
es ist dann kein Fang gemacht, sie haben nichts für ihre Mühe. 

106) Ueber den niedrigen Bergrücken (hdls), welcher den 
Aufgang vom Sumpfe bildete, ragten einige Felskuppen hervor. 



1 Wilda, Geschichte des deutschen Strafrechtes, Band 1, Seite 169 ff. 

2 Winkler, Island, Seite 64. 



— 124 — 

107) Torf kommt in gewissen Gegenden auf Island masseii' 
haft vor, während andere seiner völlig entbehren. — Unter dem 
^Hafer*' ist hier eine eigene Art, Sandhafer (arundo arenaria) 
gemeint, welche auf Island auf dürren Stellen, mitten im Sande, 
wild wächst, und dessen Korn gedörrt und zu Mehl gemahlen 
wird, um dann sowohl zur Nahrung der Menschen als zum Futter 
des Viehes zu dienen. 

108) Mit losgebrochenen Steinen pflegte man sich gegen 
nachrückende Feinde zu vertheidigen. 

109) Vergl. Erläuterung 24. 

110) Damals wurden auf Island für gewöhnlich zwei Haupt- 
mahlzeiten gehalten: das Tagmahl oder der Morgenimbiss 
(dagverdr), ungefähr um 9 Uhr vormittags, in der christlichen 
Zeit nach der Messe; und das Abendmahl (ndttvercTr) ungefähr 
um 9 Uhr abends, kurz bevor man zu Bette ging. Vor und nach 
dem Essen wusch man der alten und guten Sitte gemäss seine 
Hände; bei Gastereien wurde das Waschwasser in eigenen Hand- 
becken mit Tüchern herumgereicht. 

Die Lebensmittel der Isländer bestehen in Fleisch, 
hauptsächlich Schaffleisch, dann Vogelwild, frisch gekochten oder 
getrockneten Fischen, Eiern der wilden Vögel und Milchspeisen, 
aus Schaf- und Kuhmilch bereitet. Mit Brot geht man sparsam 
um, weil alles Getreide eingeführt werden muss. Das isländische 
Brot ähnelt dem Osterbrote der Juden und dem schwedischen 
Knäkkebröd. Der ärmere Isländer geniesst statt des Brotes ge- 
trockneten Fisch, den er mit dicker Butter bestreicht, wenn er 
sie haben kann, wo nicht, mit einem Gemische von Talg und 
Thran. Gewürze und Salz werden wenig gebraucht, hingegen sind 
fette Speisen überaus beliebt. Ein eigenthümlich isländisches Ge- 
richt ist das Skyr. Es wird von Schafmilch in der Weise bereitet, 
dass man diese einkocht, darauf ein wenig abkühlen lässt und 
nun mit Hilfe von Lab gerinnen macht; die Molken werden ab* 
geseiht und der Rückstand (skyr) mit frischer Sahne oder Milch 
und mit Zucker genossen. Im Sommer bereitet man davon seinen 
Vorrath für den ganzen Winter. Je älter diese Speise und saurer, 
desto gesünder gilt sie. Skyr und Kaffee sind jetzt die häufigsten 
Gerichte, womit Gäste bewirtet werden. 

Heutzutage speist man auf der ganzen Insel morgens um 
7 Uhr, nachmittags um 2 Uhr und abends um 9 Uhr. Im Winter 
geniesst man morgens und abends gewöhnlich einen in Milch und 
Fleischbrühe gekochten Brei aus Grütze oder Mehl, zu dem man 
gern isländisches Moos gibt; mittags speist man Fleisch (der 
angeführten Art), in dessen Brühe gewöhnlich auch Mehl gerührt 
wird, oder Fische. Im Sommer wird in der Regel gar nicht warm 
gespeist, sondern hauptsächlich Skyr genossen. — Das gewöhn- 
liche Getränk besteht in süsser oder saurer Milch, doch hat 



— 125 — 

auch der Kaffee- und Branntweingenuss in neaerer Zeit zu- 
genommen. In den Zeiten des Freistaates wurde viel Bier (öl) 
getrunken«^ 

111) Im südlichen Theile Islands dauert der längste Tag 
zwanzig, der kürzeste vier Stunden; im nördlichen Theile des 
Landes geht die Sonne am längsten Tage gar nicht unter, und 
dieser längste Tag, sowie die längste Nacht im Winter dauert auf 
den nördlichsten Punkten Islands eine volle Woche. Die kalte 
Jahreszeit pflegt nicht eher als im Novemher oder December zu 
beginnen und dauert dann bis April, in dessen zweite Hälfte der 
Anfang des Sommers fällt. Während desselben herrscht von Juni 
bis September ein mildes Klima, welches während dieser Jahres- 
zeit angenehmer ist als das von Grossbritannien mit seiner er- 
kältenden Feuchtigkeit; in diesen Monaten ist fast gar keine Nacht, 
sondern es ist immer hell, vorzüglich im Nordlande. ^ 

112) Es ist die Brücke über die Jökulsä d brü gemeint, 
vergl. Erläuterung 8. 

113) Diese Jökulsä ist die Jökulsd ä. Fjöllum und mit 
der vorigen, sowie mit der Jökulsä-Lagarfljöt nicht zu verwechseln. 
Sie entspringt ebenfalls am VatnajökuU (vergl. oben Seite 29), 
aber westwärts von der Jökulsä ä brü, wendet sich gegen Norden 
und mündet in den Axarfjördr an der Nordküste, daher auch 
Jökulsä i Axarfirdi genannt. Sie ist eine der beträchtlichsten 
Wasseradern der Insel, 25 Meilen lang, nimmt eine Menge von 
Nebenflüssen und Seitenbächen auf und fliesst grösstentheils durch 
unbebaute und wüste Landstriche. Der Dettifoss, den sie bildet, 
ist der grösste Wasserfall Islands.^ 

114) Der Myvatn (d. i. Mückensee) liegt westlich von der 
Jökulsd i Axarflrcti und hat seinen Namen von der ungeheueren 
Menge Mücken, welche an seinen Ufern schwärmen; er ist der 
merkwürdigste aller isländischen Seen. Er liegt in einer hässlichen 
schwarzen Gegend, deren Einsamkeit nur durch die ungeheuere 
Menge Wasservögel unterbrochen wird, die im See ihren Auf- 
enthaltsort haben, und hat ungefähr 1 ^j^ Meilen in seiner grössten 
Ausdehnung und 4 bis 5 Meilen im Umkreise, viele Baien 
und 34 theils grössere, theils kleinere Inseln, die aus Lava 
bestehen und deren grösste den Namen Mikley (d. h. grosse Insel) 



^ Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 144, 160; Strinnholm, 
Wikingszüge, Band 2, Seite 335; Helms, Island und die Isländer, a. a. O. 
Seite 131 bis 133; Winkler, Island, Seite 120 bis 121; Klsehn, Island 
(Geogr.), bei Ersch und Gruber, a. a. O. Seite 207 ; Lock, The home of 
the Eddas, Seite 193. 

^ Helms, Island und der Isländer, Seite 60; Gliemann, Geogr. Be- 
schreibung von Island, Seite 16; Maurer in der „Germania*^ Jahrgang 14 
(1869), Seite 107. 

3 Thoroddsen, L^sing Islands, Seite 46; Lock, The home of the 
Eddas, Seite 32 bis 33. 



— 126 — 

führt. Der Boden des Sees besteht aus schwanser Lava, aus welcher 
an vielen Orten warme Quellen hervorsprudeln, welche fiberall 
Dampfsäulen über die Oberfläche bilden; die Tiefe beträgt gewöhn- 
lich 15 Fnss, an einigen Stellen auch 24 Fuss. Die Gewässer 
dieses forellenreichen Sees fliessen durch die Laxd in den Skjalf- 
andaQördr.^ 

115) Ljösavatnsskard (d. h. Lichtwasserscharte) ist ein 
weites, fruchtbares Querthal, an dessen Ostende der schöne, grosse, 
forellenreiche See Ljösavatn gelegen ist. 

116) Vergl. Erläuterung 51. 

117) Wenn der Grabhügel fertig aufgeworfen war, so wurde 
durch die gelassene Oeffnung der Todte in voller Kleidung, mit 
seinen Waffen und anderen Beigaben hineingelegt, ein frommer 
Abschiedswunsch ihm zugerufen und dann der Hügel geschlossen. 
Was dem Verstorbenen an Schmuck und Hausgeräth lieb gewesen 
war, bekam er zu sich.^ 

118) Der Schlusssatz lautet wörtlich: ^Und hier hört es 
auf, von Hrafnkell zu sagen" (d. h. zu erzählen). Im Originale: 
^Ok lykr h^r frd Hrafnkeli at segja". Dies ist die typisch 
wiederkehrende Weise, mit welcher die meisten Sagas 
schliessen. (Vergl. oben Seite 16.) 



^ Thoroddseu, a. a. O. Seite 46; Gliemann, Geogr. ßeschreibang 
von Island, Seite 39. 

2 Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 493; Kalund, Familielivet 
etc., Seite 369. 



Beilage. 



Ueber die Heiraten und das eheliche Leben auf Island 

in der heidnischen Zeit. 



(Im Anschlüsse an Capitel 2 der Hrafnkels saga.) 



^icht das Weib selbst hat nach altnordischer An- 
schauung über sein Geschick zu verfügen, sondern der 
Vertreter des Hauses, dem es angehört. Die Ehe wurde 
mit dem Auge des Verstandes betrachtet als eine bürgerliche Ein- 
richtung, welche die Gründung und wohlgeordnete Führung des 
Hauswesens zu ihrem Zwecke hat; die Liebe war darum zur Ehe 
nicht unbedingt nothwendig. und kam in der That vor der Ver- 
lobung selten vor. Eine gegenseitige Neigung in langem Verkehr 
ohne Werbung brachte sogar in schlechten Ruf. 

Das Haupt der altnordischen Familie ist der Vater und mithin 
er derjenige, welcher über seine Tochter verfügt. Stirbt der Vater, 
so übernimmt der älteste Sohn die Mnndschaft über die noch un- 
verheirateten Schwestern. 

Hatte ein freier isländischer Jüngling aus ehrbarem Geschlechte 
im Sinne, sich um die Tochter eines anderen Geschlechtes zu 
bewerben, so nahm er in der Regel einen Fürsprecher in der 
Person seines Vaters oder eines älteren Verwandten oder Freundes 
mit und ritt, von diesem und einer Schar Genossen begleitet, 
zum Hofe, wo das Mädchen wohnte. Dort nimmt der Fürsprecher 
das Wort und redet zum Vater der zur Braut Begehrten ungeföhr 
also: „Mein Sohn (oder mein Freund) will um Deine Tochter bitten. 
Du kennst sein Geschlecht, sein Vermögen, den Einfluss seiner 
Verwandten und Freunde.*' Nach diesen einleitenden Worten beginnt 
die Besprechung über Brautkauf und Mitgift, und hat man sich 
hierüber beiderseits geeinigt, so steht der bevorstehenden Ver- 
lobung nichts mehr im Wege. — Auf Fürsprecher und Begleiter des 
Werbers ward so sehr gesehen, dass es als Hohn betrachtet wurde, 
wenn der Jüngling allein kam; nur sehr angesehene Männer wagten 
es, ohne Fürsprecher um ein Mädchen anzuhalten.^ 

War die Werbung gut aufgenommen, so mussten sich beide 
Theile zunächst über den Brautkauf (isländisch mundr, festingaf^) 
einigen. Der Brautkauf bedeutete die Ablösung der Braut von 



^ Siehe besonders die Gnnnlaugs saga Ormstungu, Capitel 5. 

Hrafokell. 9 



— 130 — 

der angeborenen Mundschaft (ihres Vaters oder Bruders) und 
erwarb die Braut zum rechten Eigenthume des Bräutigams; sie ist 
also ein Rechts-, kein Personenkauf. Der geringste „Mundschatz", 
den ein Brautwerber hiefür zahlen konnte, war eine Mark, und 
Kinder einer Frau, die um geringeren Preis erkauft worden, galten 
nicht für erbfähig. — Damit jedoch auch die Braut nicht ganz 
leer ihr neues Heim beträte, bestimmten ihr die Angehörigen 
ausser der Ausstattung an Kleidern und Hausgeräth noch eine 
eigene Mitgift (isländisch heimgjöf, heimanmundr) an Geld und 
Gut, und die Sagas erzählen oft genug von liegenden Gütern, die 
reiche Mädchen ihren Männern zubrachten. Von dieser Mitgift 
hatte jedoch der Mann nur die Nutzniessung und darum kein Ver- 
fügungsrecht darüber. Nach kinderlosen Ehen fiel dieselbe daher 
an's Haus der Frau zurück; waren aber Kinder vorhanden, so 
erbten dieselben von der. Mutter und damit ging deren Vermögen 
auf das Geschlecht des Vaters über. 

Hatten sich nun der Verlober und die Angehörigen der Braut 
mit dem Fürsprecher und Freier über alles Erforderliche geeinigt, 
so wurde ein Tag für die feierliche Verlobung bestimmt. Bei 
derselben mussten die nächsten Verwandten beider Theile oder 
wenigstens bestimmte Zeugen zugegen sein. Dieselben schlössen um 
das Paar einen Kreis. Hierauf richtete der Verlober an den Mann, 
dann an das Mädchen die Frage, ob sie einander zur Ehe wollten; 
nach erfolgter Bejahung übergab er unter einer sinnbildlichen 
Handlung, wie es scheint durch Ueberreichung von Schwert und 
Schild, die Mundschaft über sein Mündel dem Bräutigam. Dieser 
steckte unter einem Spruche an den Finger der ihm Verlobten 
seinen Hing und empfing dagegen den ihrigen. Hierauf umarmten 
und küssten sich beide und bezeugten dadurch öffentlich die rechte 
Verlobung. Die isländische Braut hiess festarkona; war sie 
aber ohne Förmlichkeiten einfach zugesagt, so hiess sie heitkona. 

Ehehindernisse gab es eigentlich keine. Bedingung 
war nur, dass Braut und Bräutigam einander ebenbürtig, beide aus 
dem Stande der Freien waren; zwischen Freien und Unfreien war 
eine Ehe unmöglich und in ältester Zeit sogar der Tod darauf 
gesetzt. Ursprünglich scheint auch die Geschwisterehe zulässig 
gewesen zu sein. 

War die Verlobung einmal abgeschlossen, so durfte 
sie nicht mehr gebrochen werden, und musste nach längstens 
zwölf Monaten die Heimführung der Braut, die Hochzeit, erfolgen. 
Verhinderungen Und Verzögerungen zwischen Verlobung und Hoch- 
zeit werden im späteren christlichen Gesetzbuche Islands, in der 
Grdgds, einzeln und genau besprochen und für jeden Fall die 
entsprechenden Bussen und Strafen aufgezählt. So fest aber auch 
die Verlobung Braut und Bräutigam miteinander verband, so war 
doch jede geschlechtliche Annäherung der Verlobten strenge unter- 



— 131 — 

sagt und für ein vorzeitiges Beiwohnen empfing der Verlober 
Busse. In den Sagas lesen wir öfter von dem keuschen Bei- 
sammenschlafen zweier Verlobten: der Bräutigam legt ein 
blosses Sehwert zwischen sich und seine Braut und so ruhen sie wie 
Bruder und Schwester nebeneinander. So erzählt schon die Edda 
das Beisammenliegen Sigurdr*s mit Brynhildr. 

Die gewöhnliche Zeit fär die Heimführung der Braut war 
der Mitsommer oder der Spätherbst. Der isländische Ausdruck für 
unser ^Hochzeit" ist „Braut lauf* (brücthlaup, gifting^ kvänfäng), 
von dem Zuge oder Laufe mit der Braut zum Hofe des Bräuti- 
gams. Das Trinken spielte bei einer altisländischen Hoch- 
zeit eine Hauptrolle, weshalb seine Hochzeit halten ausgedrückt 
wurde durch „Brautlauf trinken'' (drekka brüdhlaup) und die 
Hochzeit auch kurzweg „Bewirtung'* (veizla) oder „Heiratsbier'' 
(festaröl) hiess. 

Die Hochzeit selbst wurde folgendermassen gehalten. An 
dem hie für festgesetzten Tage, su dem die Verwandten beider 
Theile imnd andere gute Freunde oft in grosser Menge geladen 
wurden, zog der Bräutigam mit seiner Genossenschaft zum Hofe 
der Braut. Dort harrte er in einem Gemache oder in der grossen 
Halle seiner Verlobten, die ganz in Linnen gehüllt, das Gesicht 
tief verschleiert, am Gewände die häuslichen Schüssel, zu ihm 
geleitet wurde. Nun wurde ihr Leib mit dem Thörr geweihten 
Hammer berährt und dadurch die Ehe gefestigt^ dann leerte das 
Paar einen Becher zusammen und nun begann das Trinken, zu- 
nächst für Thörr, den Schützer der Ehe, dann für Odinn und die 
übrigen Götter. Bei Anbruch der Nacht brachte man das junge 
Paar in die Brautkammer; dort bestiegen sie vor Zeugen ein Bett 
und bedeckten sich mit einer Decke, wodurch die Ehe als rechts- 
giltig abgeschlossen galt. 

Fand — was seltener vorkam — die Hochzeit im Hause des 
Mannes statt, so Hess derselbe durch seine Freunde die Braut 
abholen und hatten dann im weiteren die gleichen Gebräuche statt. 
Nach altem Gebrauche machte der junge Ehemann seiner 
Neuvermählten am Morgen nach der Brautnacht ein Geschenk : die 
Morgengabe, auch Bankgabe oder Linnengeld genannt (isländisch 
morgingjöf, bekkargjöf, linf^), weil sie anfänglich aus Gewändern 
oder Hausrath bestand, wogegen später auch Grundbesitz gegeben 
wurde. 

Das Verhältnis beider Ehegatten war so beschaffen, 
dass der Mann Herr im Hause ist und die Frau ganz in seiner 
Gewalt steht; in der ältesten Zeit konnte er über ihren Leib und ihr 
Leben verfügen. Dessenungeachtet genossen die isländischen Frauen 
einer grossen Selbständigkeit; die isländische Hausfrau leitete das 
ganze innere Hauswesen unabhängig (vergl, Erläuterung 16). Sie 
galt als ein nothwendiger Bestandtheil des Hauses und übte in 

9* 



— 132 — 

diesem Bewusstsein ihre Pflicht mit stolzer Treue, wofür ihr die 
ungetheilteste Achtung und Liebe ihrer Angehörigen gezollt wurde. 
Ihre Stellung als Frau war demnach von ihrer früheren als Mäd- 
chen, in welcher sie willenlos über sich verfügen lassen musste, 
wesentlich verschieden. Die Sagas enthalten auch Beispiele heroi- 
scher Liebe und Aufopferung der Weiber für ihre Männer und 
zeigen überhaupt, dass die altisländischen Ehen in der Mehrzahl 
zu loben waren. ^Von dem modernen Glücke, dass der Mann im 
Kaffee- oder Bierhause und das Weib auf Promenaden oder gar 
in der Kneipe herumläuft, während die Kinder bei einem Gesinde, 
das solcher Herrschafc wert ist, verkommen, wusste man in diesen 
Zeiten nichts.'^ 

Freilich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Kebsen 
Wirtschaft, die Beischläferinnen (frillar) dem heidnischen 
Island nicht unbekannt waren, und dass sogar Vielweiberei vor- 
kam, indem mehrere Ehen in voller Bechtskraft nebeneinander 
bestehen konnten. Doch wurde selbst hiebei im allgemeinen eine weit 
strengere Zucht geübt als heutzutage und ein liederliches Zusammen- 
leben zu blosser sinnlicher Lust fand eigentlich nicht statt. ^ 



^ Vergl. zu dem Ganzen: Weinhold, Altnordisches Leben, Seite 239 ff.; 
derselbe. Die deutseben Frauen im Mittelalter. 2. Auflage, Band 1, Wien 
1882, Octav, Seite 316 ff.; Kalund, Familielivet pä Island etc., a. a. O. 
Seite 296 ff. 



IC. k. Hofbnchdrnckflrel Carl Fromme In Wicr 



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