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Ratır- und Volterrecht;
Staats—- und Staatentedt,
und
—Sta ats kunſt,
bar geftelle _
| von |
Karl Heinrich Ludwig Poͤlitz,
ordentlichen Lehrer der Staatswiffenfchaften. an ber Univerftät
u Leipzig.
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.
—
Leipzig, 1823
J. € Hinrichsſche Buchhandlung.
Rrr
Die —
Staatswiſſenſchaften
im Lite unfrer Zeit,
bargeftellce
von
Karl Heinrich Ludwig Pöälitz,
orbentlihem Lehrer des Staatsmiffenfchaften * ber Univerfität.
iu Leipzig.
Erfer THeit:
bad Natur: und Voͤlkerkecht, das Staats⸗ und Staatenrecht,
i - und die Staatskunft.
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— ou 70 meuum Kupıov, use elsufepın
2 Kor. 3, 17.
Leipzig, 1828.
3. € Hinrichsſche Buchhandlung.
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Seiner Königlihen Hoheit:
| | vem
Prinzen
Friedrich Auguſt
Herzoge von Sachſen xc. w.
| in tieffier Ehrfurcht
| -, | gewidmet
| BE 2.
“von dem Verfaſſer.
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8*
2
Borred os
Wenn es mir Anfangs von’ ber einen Seite bedenk⸗
lich fchien, in einer fo mächtig bewegten Zeit, wie bie
unfere ift, mit einem neuen und fich als volkftändig
anfündigenden Syſteme der Staatswiffenfihaften im
Publicum zu erſcheinen; fo durfte ich doch au) von
- der andern Seite nicht vergeflen,, Daß das vor einigen
Jahren mir anvertraute Lehramt der Staatswiſſen⸗
fhaften mich berechtigte und verpflichtete, wie auf dem .
tehrftuhle, fo auch vor ben Zeitgenoſſen, über diefe
Wiſſenſchaften öffentlich zufprechen. Dazu famen noch
zwei individuelle Gründe. Denn hatte ich mich nicht
geſcheut, in der Napoleonifchen Zeit meine Anfichten
tiber einige Staatswiffenfchaften in meiner (im Jahre
1808 erfchienenen) „Staatslehre‘ öffentlich aufs
zufteflen; warum fbilte ich es jegt? Zugleich bin ich
. mir aber auch bewußt, und ich glaube es feit dreißig
Sabren in allen meinen philoſophiſchen, gefhichtlichen
und polieifhen Schriften bewieſen zu haben, daß ich —
abgefehen yon ihren übrigen Mängeln — nie zu einer
herrſchenden Parthei gehört, fondern eine fefte Neu«
tralität im Kampfe ber philofophifchen Syſteme
und der politifchen Partheien zu behaupten geſucht
habe. Ohne Synfretift oder Eklektiker zu ſeyn, habe
viii Vorrede.
ich, mit gleicher Unpartheilichkeit, die Schriften von
Maͤnnern geleſen und ‚wo es ·noͤthig ſchien, angeführt
und benutzt, die in ihren politiſchen Anſichten voͤllig
von einander abweichen; denn, nach meiner unwan⸗
delbaren Ueberzeugung, liegt die Wa hrheit, in den
meiſten Faͤllen, in der Mitte zwiſchen beiden Ertre-
men. Daher glaube ich auch, daß, bei allem Mei-
wungsfampfe, ber weber an fih, noch nad) feinen
verfchiebenen Geſtalten, Farben und Schattirungen,
in einem fehr bewegten Zeitalter befremden darf, die
fämpfenden Denker, ſobald ihnen Wahrheit und
Recht das Höchfte und Heiligfte find, wornach fie.
ſtreben, oft nicht fo weit von einander entferne ftehen,
als fie ſelbſt ig. der Wärme des Kampfes meinen.
Nur die,: welche gegen das heilige Recht und gegen
das Licht der Wahrheit, das von oben ſtammt, mit
blinder Leidenſchaftlichkeit wirben, und die Menſchheit
wicht zu eingm unendlichen — wiewohl langſamen —
Fortſchritte im Guten, ſondern zur Unwiſſenheit,
Roheit und zum Ruͤckſchritte beſtimmt halten; nur bie,
welche an die. Stelle der Vernunft und ihrer einfachen
.„». 000 :,
gion, Kunft und alles Gute und Große der Menſch—
beit in den ſchaͤumenden Schmelztiegel eines Iheo-
phraſtus Paracelfüs, Smwedenborg und Jagob Böhme
gebracht wird; nur dig — fo. wenig ich fie auch in
ihren feligen Träumen ftören, oder. um ihre Genüffe
beneiben mag-— werden ſich nie mit meinen Hrunds
fügen ausführen! Ä
Vorrede . 1x
Aus dem Standpuncte ber Neutralitaͤt in
Beziehuung auf den herrſchenden Meinungskampf in
den politiſchen Syſtemen wuͤnſchte ich alſo, bei dem
nachſtehenden Werke, von denkenden Maͤnnern beur⸗
theilt zu werben. Es ſoll die Aufgabe loͤſen, die ge»
fammten Staatswiffenfihaften, eheils wie ich mir den
ganzen Kreis derfelben, theils das Verhaͤltniß ber
einzelnen Staatswiflenfehaften gegen einander denke,
nad) ihrem innern Zufammenhange zu einer beftimme
ten Weberfiche über diefelben zu vereinigen, und
zwar wie Diefe Wiffenfchaften, nach ihrem neueften
Anbaue und auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Bil⸗
dung und Reife erfcheinen‘, und wie fie eben fo für
den afademifchen Vortrag, wie für, das eigene Stu⸗
dium gebildeter Zeitgengffen dargeftellt werden müflen.
Ob ich nun gleich, nad) acht und zwanzigjaͤhri⸗
ger Beichäftigimg mit diefen Wiffenfchaften und nach
dem oft wiederhohlten Vortrage der meiften derfelben,
befonbers aber nach den mehrmaligen Vorträgen ber
Encyklopaͤdie der politiſchen Wiſſenſchaf⸗
ten, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß die
Staatswiſſenſchaften in ihrem Zuſammenhange
ganz anders, neben den uͤbrigen abgeſchloſſenen
wiſſenſchaftlichen Kreiſen (z. B. der philoſophiſchen,
der mathematiſchen, dee geſchichtlichen, der juridiſchen
Wiſſenſchaften u. ſ. w.), erſcheinen, als wenn
man ſie von einander trennt und nur einzelne derfel-
‚ ben entweder im Lehrvortrage oder In befonbdern Wer⸗
ken behandelt; fo erwarte ich doch keinesweges, ‚daß
bie ausgezeichnetſten Männer vom Sache auf teutſchem
4
x. Vorrede. |
Boden Wwohin ich namentlich v. Jakob, 108,’Ray,
Sartorius, Graf Soden u.'a. zähle);:'milt
mir ber die in der Einleitung‘ verſuchte Auffteltung,
Bezeichnung und Eineheilung der zwölf Staatswiſ⸗
ſenſchaften völlig einderftanden ſeyn merden. Ich
“rechne daher eben fo auf ihre Machjiche, wie auf ihre
Zurechtweifung und Belehrung, wuͤnſche aber dabei,
daß fie mich zunaͤchſt im Sinne und Geiſte meines |
Syſtems pruͤfen und widerlegen moͤgen, weil ich
baſſelbe in den vier. Theilen, aus welchen das: Werk
beſtehen ſoll, gleichmaͤßig feſtgehalten habe. Jeder ein»
zelne Theil wird naͤmlich drei Staatswiſſenſchaften
uͤmſchließen. So wie dieſer er ſte Theil das Natur⸗
and Voͤlkerrecht, das Staats- und Staatenrecht,
und die Staatskunſt enthaͤlt; —ſo fall im zweiten
die Volkswirthſchaft ‚ die Staatswirthſchaft mit der.
Finanzwiſſenſchaft, und die Polizeiwiſſenſchaft, —
im dritten die Geſchichte des europaͤiſchen Staaten⸗
ſyſtems aus dem Standpuncte der Politik, die Staa«
tenkunde (doc) nur im allgemeinſten Umriſſe) ‚und
das öffentliche europälfhe Stautsreht, — und im
. vierten das practifche europäifche Völkerrecht, bie
| Diplomatie’ und. die Staatspraxis dargeftellt werben,
Die Berechnung des. ganzen Werfes auf unge-
führe 4 Alphabere zeigt, daß Feine: der „einzelnen
"Staatswiffenfchaften im vollen Umfange des. Syſtems
(mie ungefähr v. Jafd-b die Finanzwiſſenſchaft,
Heeren bie Geſchichte des europaͤiſchen Staaten;
ſyſtems, Häffel ‘die Statiſtik, und Kluͤber das
practifhe europäifche Völkerrecht durchfuͤhrten,) bes
— ⸗—8
Borrede. X)
handelt werden kann; wohl aber foil jebe wichtige
Sthre, welche in bie. einzelnen. Staatswiflenfihaften:
gebört, nach einer logiſch geordneten unb beutlichen
Begriffsbegeihnung vorgetragen, das Ganze jeder
Miffenfchaft nad) feinem innern notbwendigen Zuſam⸗
menhange verbunden, jede einzelne Staatswiffenfchaft
auf den Stanbpunct, den fie gegenwärtig nad)
ihrem Anbaue erreicht hat, geftelle, überall die wich»
tägere Literasur beigebracht, und die Darſtel⸗
kung felbft, nad der finliftifhen Form, fo
gehalten werben, daß nicht blos Männer vom Fache
und Studirende das. Werk in die Hand nehmen, fon«
dern - auch Gefchäftsmänmer und gebildete Leſer das
durch für das Intereſſe an diefen Wiflenfchaften ge⸗
wonnen werben. Eine folche Behandlung und Dar«
ftellung der Staatswiſſenſchaften beabfichtigte Ih, als
ich fie auf vem Titel als eine Darftellung im Lichte
unfrer Zeit bezeichnete: Ich fühle recht gut, wie
weit ich Hinter meiner Idee in der Ausführung zuruͤck⸗
‚geblitben bin; allein in magnis rebus et voluisse
sat est!
Aus dem aufgeftellten Beflchtspunete adiht 6 |
denn als unmittelbare Zolge, daß überall der neuer
ſten Unterfüchungen und Anfichten in den einzelnen
Staactswiſſenſchaften gevacht werden mußte. Wo
diefe "Anfichten mit den meinigen zufammenftimmten,
nahm ich fie in den Tert auf; wo ich fie puüfte, ober
zur Erläuterung und zur Bemweisführung beibruchte,
ſtehen fie in den Noten. Wer meiner frühen flaats-
wiſſenſchaftlichen Schriften fich erinnert, wird Anden,
xii Vorrede.
ve, ob ich mir gleich in den‘ «lgemeitſten fies. |
serhtlichen Grundſaͤtzen ( 3. B. in ber Lehre vom
| Staatsgrundvertrage , von der Theilung der Gewal⸗
ten u. a.) gleich geblieben din, doch in dieſem Werke
alles durchaus neugearbeitet und nenugeſtaltet erſcheint,
= and au fo erſcheinen mußte, weil In neuerer Zeit im
feinem Rreife wiffenfehaftlicher Forſchungen die Ver⸗
änderungen fo bedeutend und fo durchgreifend gemwefen
find, als. in dem Kreife der Staatswiffenfchaften,
Dazu Haben nicht nur die erſchuͤtterndſten und folgen-⸗
teichiten. Borgänge im europäifthen .Staatenfufteme,
fondern auch die angeſtrengten Forſchungen und neuer⸗
lich erſchienenen gediegenen Werke ausgezeichneter
Sehrtiſtſteller im Kreiſe dieſer Wiſſenſchaſten mitge⸗
wirkt. Iſt Hoch erſt ſeit 1805 durch von Jakob
und. Graf Soden die Volkswirthſchaft als eine
felbſtſtaͤndige, von der. Staatswirthſchaft getrennte,
Wiſſenſchaft behandelt, und eben fo erft in. den letzten
Jahren die Diplomatie flreng von der Diploma
tik, das practifche europaͤiſche Wölkervecht feit den
Säriften des verewigten von Martens genau von
dem phitoſophiſchen Voͤlkerrechte gefondert, das phi⸗
ſwoſophiſche Criminalrecht zu einer ganz neuen
Geſtalt ausgeprägt, und bie Poligeiwiffe nfchaft
in einem Sichte dargeftellt worden, wie fie in den
Schriften des v. Juſti, Röffigs u. a. nicht er⸗
ſcheint! Namentlich ſoll in dieſem Werke auch der
Verſuch gemacht werben, das oͤffentliche euro
paͤiſche Staatsrecht und die Diplomatie,
‚die bisher noch nicht wiſſenſchaftlich durchgebildet
Borrede . . xiii
waren, ‚geihmäßig, wie die andern Staatswiſſen⸗
ſchaften, in fpftematifcher Haltung darzustellen. -
In dem vorliegenden erften Theile wird bie
von mie (mit wenigen andern) im Naturrechte
verfuchte gleichmäßige Ableitung ber Nehts- und .
der Pflichtenlehre aus einer gemeinfchaftlihen Quelle
nicht auf allgemeine Zuftimmung rechnen dürfen; ich
wuͤnſche aber auch dabei nur, daß man mir — ab⸗
geſehen von den Prämiflen — die Folgerichtigkeit
in der Durchführung zugeftehe. Gleiches Schiefal
befürchte ich von der Behandlung des philofophi«
fohgn Criminalrechts; doch glaube ih — unge-
achtet der Kurze der Darſtellung — nichts ohne.
Gründe beigebracht zu haben,. Die Staatsfunft
MPolitik) endlich erfcheint hier in einer ganz neuen,
mir eigenthuͤmlichen, Geftalt, völlig abweichend von
allen mir befannten Syftemen und Compendien der-
‚felben. Daß fie einer neuen Geſtaltung be
darfte; darüber werden alle Männer vom Fache
mit mir einverftanden feyn. Ob aber ich theilweife
den rechten Weg fand; darüber wünfche ich vorz uͤ g⸗
hich Auskunft und Belehrung Wenigſtens erfuche
ih die Männer, welche diefen erſten Theil wiflen-
ſchaftlich prüfen, befonders der Staatsfunft ihre Auf
merkſamkeit zu ſchenken. Durch diefe nöflig neue
Geſtaltung der Politik ift zugleich ber erſte Theil in
der DBogenzahl etwas ftärfer geworden, als ich An⸗ u
fangs wünfchte und beabfichtigte; Dagegen werden die
fülgenden Theile. verhälenigmaßig im Umfange 1and-
her werden. | |
4
xiv Vorrede.
Was die Literatur betrifft; ſo kam es, bei
der angegebenen Beſtimmung dieſes Werkes, nicht
darauf an, Maſſen zu haͤufen, obgleich auch nichts
Wichtigeres uͤbergangen werden durfte. Ich kann
verſichern, daß ich, mit wenigen Ausnahmen, die
. angeführten Schriften ſelbſt beſitze, und namentlich
"beim Maturrehte und der Politif viele hundert
‚Schriften nicht angeführt habe, die ſich darüber in
meiner Bücherfammlung befinden. So ſchwer es ift,
Bei der Aufnahme der Literatur die fo fehr abmeichen-
den Erwartungen und Anfihten der Einzelnen zu
befriedigen, und fo leicht es der Kritik fälle „ irgend
ein übergangenes Buch), das für den Einzelnen zu-
fällige Wichtigkeit hat, nachjutragen; fo habe ich
doch — alle diefe Schwierigkeiten berückfichtigend —
mich nicht entfchließen fünnen, die Literatur, wie
_ Andere thun, ganz mwegzulaffen, und lieber, meine
ich, ftehe ein Buch zu viel da, als eins zu wenig!
Da diefes Werk mit dem Verſuche einer fy«
ftematifh durchgeführten Geſammtuͤber—
fine über alle Staatswiffenfchaften im
Lichte unfrer Zeit feinem bis jetzt erfchienenen
oder angefündigten ähnlichen Werke in den Weg
tritt; fo wuͤnſche ich innig, daß daffelbe, bis es durch
ein befleres verdrängt wird, richtige und zeitgemäße
Begriffe über die gefammten Staatswiffenfchaften in
einem weiten Kreiſe verbreiten helfen möge, weshalb
in demſelben — nad) dem Vorgange geachteter Män-
ner in andern Wiffenfchaften — die Verbindung der
Beftimmung eines Handbuches und eines afademi-
‘
Vorreede. xv
ſchen Lehrbuches verſucht worden iſt. Denn daß
die Staatsr iſſenſchaften endlich auch in Teutſchland
in ihre lang verfannten Rechte allmählig eintreten,
und daß erleuchtete Regierungen das dringende Ber
dürfniß fühlen, Fünftige Staatsmänner und Diplo⸗
maten, und-alle die, welche ſich den einzelnen Zwei⸗
gen der Staatsverwaltung widmen, eben fo forgfäls
eig für diefe hochwichtige Beſtimmung auf den Uni⸗
verfitäten vorbereiten zu laffen, bat die Begründung
felbftftändiger Bacultäten der Staatswiffenfchaften -
auf. den Univerfitäten Tübingen und Würzburg,
fo wie das, was fchon längft dafür in Heidelberg
geſchah, und die auf den öftreichifchen Univerficäten
ſchon feie mehrern Jahrzehenden beftehende Vorfchrife
gelehrt, daß namentlich Finanzwiſſenſchaft und Pos
lizeiwiſſenſchaft von den Studirenden der Nechte ge-
hört und belegt werden müffen. Eine ähnliche Verord-
nung iſt im Sabre 1822 im Königreihe Hannover
erfchienen, wornach alle, welche ver Beamtenlaufbahn -
fi) widmen, außer den juridifchen Studien, auch die
ſtaatswiſſenſchaftlichen, bei ihren Gefuchen,, belegen
muͤſſen. — Nur dann, wenn man ſich überzeugt haben
wird, daß für den fünftigen inneren und äußern
Staatsdienft eine eben fo beftimmte, ſorgfaͤltige
und umfchließende Vorbereitung nöthig ift, wie für Die
Betreibung ber Kaufmannfthaft, und für die Fünftige
Uebernahme eines Amtes in der Kirche, in der Schule,
oder in, der Gerechtigfeitspflege ; nur dann, wenn man
fich überzeugte haben wird, daß unzähligen Verirrun-
gen Fraftvoller , aufftrebender Juͤnglinge am ficherften
xVI. Vorrede.
durch Mittheilung deutlicher und richtiger
Begriffe uͤber den Staat, uͤber ſeine Beſtimmung,
uͤber ſeine Anſtalten und Berürfniffe i in den akademi—
fhen Vorleſungen, vorgebeugt werden kann; nur
dann werden auch die Staatswiflenfchaften auf unfern
Hauptſchulen, neben den andern abgefchloffenen Krei-
. Ten pofltiver Difelplinen,, als gleihberedtigt
und gleihgewchtee erfcheinen, und ihr mwiffen-
ſchaftlicher und gruͤndli cher Anbau wird, ſchon nach
dem erften. Jahrzehend, einen wohlthoͤtigen Einfluß
auf das ganze Staarsleben außern! Ich kann daher
diefes Vorwort. gewiß nicht zweckmaͤßiger fehließen,
als mit einer Stelle des geiftvollen Buchholz (in
f neuen Monatsfhrife für Teutſchland,
1822, Auguſtheft, S.493.): ‚Wäre das, wor⸗
nach das. Jahrhundert firebt — Die Staats wiſ—
ſenſchaft — bereits in einer ſolchen Vollftändig-
feit vorhanden, Daß die Organifationsprincipe über
alle Zweifel erhoben. daftänden; fo würde darin,
wenn in irgend etwas, das fouverainfte Öegen-
mittel gegen alle Ummälzungen gegeben
feyn. Leider liege dieſe Wiffenfchaft noch in der Wiege.
Und da ihr Werth von denen, die fid) Staatsmänner
nennen, .in der Regel am meiften verfannt wird; fo
iſt es niche wahrſcheinlich, daß fie in kurzer Zeit die
Wichtigkeit erhalte, die ihr gebüpre Wir
lange fie aber auch noch verfannt werden möge; ber:
vorarbeiten' wird fie fich, meil fie, wenn uns nicht
alles täufche, das Kind des Jahrhunderts iſt, d. h.
diejenige Geburt, zu welcher in allen Zweigen menfch:
licher Erkenntniß alles vorbereitet Mr alles, droͤngttr
Leipzig, am 14. Febr. 1823.
RN vᷣ li it; Zi
Ullgemeine. Ein! eitung in die gefammten
Staatswiffenfchaften.
| "a. Begriff der. Staatswiffenfcaften. 0.0.
2. Zufammenhang. der „Swatswiſſenſchaften unge
= Weberficht über die. g gefammten Sarnen
’ x
.
ſich.
3. Eintheitand ber Sradtäwitenfänften. ...
A. Fortſetzung. ...
ſchaften...
6. Verſchiedenheit der Staatswiſſenſchaften von: den
7. Die Vorbereitungs: und Halfswiſſenſchaſten wu .
8. Literatur der encyklopaͤdiſchen Behandlung der .
. fogenannten Kameralwiſſenſchaften. .
den Staatswiflenfhaften. .: .
Staatswiſſenſchaſten. a er a SP RER
L
. Natur» und Bölterrege
‚ Einleitung.
1. Vorbereitende Begriffe. . .
2. Begriff und Zwed der philoſophifchen Rechislehre.
3. Ableitung des Begriffes des Rechts aus der ur⸗
u
KR
.:33
34
fpröngtichen Betegmäßigtek des wenſu chen F
Weſens. 0 ® 0 . 0: 0
A. Das practifche Idial.
"5. Die beiden Haupttheile des prastifchen ocais, Ä
das Ideal der P ige und Res Deine, ..
35
36
39
xviii J > alt.
[4
Seite
6. ‚Solgerungen aus dem Umerfäide zwiſchen Recht
und Pflicht. .. 39
7. Hoͤchſter Grundſatz der philofophifchen Rechtes
j lehre.. 46
8. Umfang, und Eintheilung der Phitofophifgen
en Rechtslehre. .. 48
I 9. Fortſetzung. — Rechtslehre im weitern Sinne. 50
ur 10. Die philofophifche Rechtslehre nach ihrer Stel
| fung zu den gefammten Staatswiffenfchaften
und zu den pofitiven Rechten. . . '51
41, Biffenfhaftlicher Standpunct für die Phtlofor
:phifche Rechtsiefre, . . . 65
12. Umriß der Geſchichte des Naturrehte nad eins
4» zelnen Schulen. 0 2 erere et et 57
A) Das Naturreht, ; ober ber philoſophi⸗ ..
. ſchen Rechtslehre er ſt er Theil.
13. Begriff des Naturkechtäs.. 2 ei 9.68
14» Urrecht der Menſchheit 70
a) Reines Naturrrecht.
45. Nomenclatur der urfprünglichen Hehe ur. 71
16. : 13) Das Recht auf Äußere Freiheit. ...:.-. 72
17. 2) Das .Necht.auf äußere Gleichheit. . . .. 72
18. 3) Das Reiht auf Freiheit der Sprade, der! .
LE. . Preffe.und des Gewiſſens. . . 74
19. 4) Das Recht auf perfönlihe Würde und
Ä guten Namen. . . 0.2.2... 76
820. 5) Das NReht auf Eigenthum. .. . 977
21. 6) Das Recht auf Öffentliche Siäerheit, . 78
22. 7) Das Recht auf Abſchließung und Haltung
der Verträge. . - - 79.
33. Bedingungen ber Galtigkeit der" Verträge. go
‚24... .Meals. und Verbalverträge; unbedingte und _
j : bedingte, ftillichweigende Verträge. . _ 83
25 .. une Aufhebung der Verträge. 84
6. Mon der Billigkeit und dem Nothrechte. 85
tb Angewandtes Naturrecht.
978 Begriff und Umfang deſſelben... 87
28. Nomenclatur der wichtigſten Verträge . .. 88
- >
29.
31.
32
33.
34
35.
36.
37:
38:
39;
40.
rs
Inhalti.
1) Der Geſellſchaftsvertrag uͤberhaupt. ..
2) Der eheliche Vertrag...
3) Das aus demſelben hervorgehende Ael-
ternrecht. 0 0 0 0 0 “ . .
4) Der Dienfivertrag .. ..
5) Der Arbeits» und Miethsvertrag. ..
6) Der Schentungss, Zanfa: u und Kaufs
vertrag. . .
7) Der Leih⸗, Darlehns und Pfandver⸗
trag..
8) Der Aufbewahrungs s und: Bevollmächtis
gungsvertrag. Die Bürgfchaft. - -
-9)-Der Vertrag auf.den Fall-des Todes. .
10) Der Verfaffungss und Regierungevertrag
der Geſellſchaft. .. ..
11) Der kirchliche Verfaſſungsvertrag.
12) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht..
Anhang. Bon den Rechten der Wahnfinnigen.
BH) Das philofophifhe Völkerrecht,
oder der Philoſophiſchen Nechtölchre
zwehter Theil.
42. Webergang vom Naturrechte zum Volkerrechte.
43: Zweck des Nebeneinanderbeftehens der Völker.
4. Das Urrecht im Voͤlkerrechhtee.
45.
46.
47.
48:
49
50.
51.
52.
53.
64.
66.
Folgerungen daraus. > 2 2 2 0 ee.
Schluß diefer Folgerungen. . :
Urfprüngliche und erworbene Rechte der Völker,
Romenclatur der urſpruͤnglichen Rechte
der Voͤlker...
1) Das Recht der individuellen Breifelt ei eines
jeden Volt. . - .
2) Die rehtlihe Gleichheit der Wilker. .
3) Die geginfeitige Deffentlichkeit, (Mabtieität) .‘
der Voͤlker. 4
4) Der Eredit der Volker. 27.
5) Der rechtliche Eigenthums⸗ und Gebiets
beſitz der Voͤlker.. oo.
6) Die Außere Sicherheit der Bälle. .
7) Das Recht der wertrase zwiſchen den ein⸗
zelnen Voͤlkern. 6* 49 0 . ® « |
XELX
Seite
!
2. Vorbereitende Begriffe... -
xx | Sn h al t.
8) Das Recht der Vertretung des einen Voi⸗
kes bei den andern, oder das Geſand⸗
tenrecht. oo. 00 eh 1.0 10 0%,»
87. Das. Weltbutgerrecht. ee...
II.
Staats- und Staatentecht.
Einleitung.
2. Forfesung.. -« . . . .
3. Begriff und Zweck des Staates. “oe .
4. Erweiterung des Staatszweckes.. .
5: Begriff und Theile des Staatsrechts. .
6. Verhältniß des Staatsrechts zu den ander
.oı ee 0 0
Staatswiffenfhaften. . .
7. Begriff und Inhalt des Siaatenrechts.
8. Literatur des Staatsrechtes.. . .
A) Das reine Staatsrecht.
9. Inhalt umd Theile des reinen Staatsrechts..
10. a) Lehre von den Urverträgen des Staates.
11. . .Der Bereinigungsvertrag. - 0 0 0. >»
12. ‚Der Verfaffungsvertrag 0 0. .
13. Der Unterwerfungsvertrag. -
14. Unterfhied der bürgerlihen und aͤfentlichen
(politiſchen) Freiheit. .
15. b) Lehre von den einzelnen Thelten der hoch⸗
ſten Gewalt im Staate.. oe.
16. Die geſetzgebende Gewalt.. . »
17. Die vollgiehende Gewalt. . . »
18. ©) Lehre von der rechtlichen Form der Ders
| faffung. und Regierung des Staates.
19. Die allgemeinen Vernunftbedingungen fuͤr
jede rechtliche Verfaſſung....⸗
20. Exrwerbung des Stantöbürgerrechts. . -
g1. Auswanderungstedt. .. so 0.»
22. Verluſt des Ötaatsbürgerrenits, 0.0.
23. . . Naturalifirung der Sremden. . » - «
“0 De oe 0 40
Seite
134
136
Sefelfcaften im Staat. . - - - .
Die Stellvertreter des Volkes..
snba It
‚ Verfchiedenheit ber Seaatsöhrger und des
ren KEintheilung. -. . .
Eintheilung des Stäarsgebiets. ...
Rechtliche Form der gefesgebenden
Sewalt im Staat - 6
Rechtliche Form der vollziehenben
Gewalt im Btaate. oo 0, 2 2 0.
Der Regent, ale Souverain. . .
Fortſetzung. Majeftätsrechte des Regene
tel. . .. 0 0.
Pflichten des Regenten. ..
Rechte und Pflichten der Unterthanen.
Die richterliche Gewalt. ee 0 oo. oo
Sortfegung. . . .
ee .$%
Die vier. Haupttheile der Staatsverwals
tung . .o 0. . 0907 8 08 2 0 oo
. Die Staatsämter. .
Rechtliche Form der Kirche im State,
Fortſetzung..
Fortſetzung. Verhältnig der Kirche jum
Stante.. - . .
Rechtüche Form der Verdeſſerung der
a) Die fußjective Strafrecht,
| theorte.
ı) Die Wiedervergeltungstheos
vie. 0 ⸗ W 0 0
Verfaffung. - 2 000 en en RA
B) Das philoſophiſche Strafrecht.
. Der rechtlich geftaltete Swang. . 247
. Begriff und Theile des phitofophifgen Strafe va
rechts.. 250
. Literatur der wiffenfchaftlichen Behandlung des
ebitofoppifäen Strafrehtd.. . . 253
a) Lehre von der redtlichen Geſtaltung des
Zwanges und der Strafe im Staate. 256
Fortſetzung.. 259
Ueberſicht uͤber die wichtigften Strafecäis
tbeorieen. . . » . . . 261
xxii J nbh alt.
9. 9:07 Wräfung berſelben. ..
Va * R Die Beſſerungstheorie..
u Pruͤfung derfelden. . ..
u EB) Die objective Strafrechtstheos
v rn tie.
52. 2.2.3) Die Abfchrecdtungstheorie.
53. Pruͤfung derfeldben. . .
Bu... . 2) Die Präventionstheorte, '.
Hrafuns derſelben.4
55.
56. Kügemeines Ergebnit oo...
57”. b) eehre von. der rechtlichen. Anwendung des °
Ä Zwanges und der Strafe im’ Staate,
(Die fubjectivsobjective Straf
ı . techtstheorie.) .
58. ‚ Serafwürdigteit und Strafbarteit der
, . That. o a o 0) .'
:59 - . Bann die Zurechnung wegfallt. ...
6% * 2°) Die Lehre von den Rechtsver⸗
letzungen im Staate.
Eintheilung der ſtrafbaren Handlun⸗
ı gen in Verbrechen und Vergehen.
62. ° Die Vergehen. . 0 0:0 00°
62... Die Verbrechen. . s . |
63. AH) Die Lehre von den Strafen” im
. . Staate. 8. 4—0— a 2 .e «d
6% Fortſetzung. oo. ...
65. "Das Begnadigungsredit. .-
66. ) Ausübung des Strafrechts im
Staate. 0 . er Te
© Das philofophiſche Staatenredht.
67. Begriff, Umfang und Inhalt deffelden. . .
68. a) Darftellung der allgemeinen Grundfäge für
das rechtliche Mebeneinanderbes
ftehen aller Staaten des Erdbodens.
69. —E zwiſchen den Staaten...
70. Verbindung zwiſchen den Staaten...
71. b) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung des
Zwanges zwiſchen den Staaten nach
vorhergegangenen Rechtsverletzungen.
310
Inhalt. xzım-
. Seite
79, wofufungen des Zwanges zwifchen den -..
Staaten: Retorfi lonen, Repreſſalien,
Krieg. 264 . 73 ..e. 0 84 311
73. Der rechtliche Krieg. oe. 0. 313
AA Bundesgenoſſen im Krige . . . . 313
75... Recht der. Neutralität... = co 0 0. 317
76. Der eehtlihe Sriede. 2 0 0 0 0. 37
I ı ı wi
Die Staatskunſt Reit)
" Einleitung. m
1. Dorbdereitende Begriffe. . . 320
2. Begriff und Umfang der Staatetunft eo 0. 329
3. Zweck und Theile der Staatskunft. , . 396
4. Verhältniß ‚der. Staatskunſt zu den übrigen” ”
Staatswiffenfhaften. > 2.2.10 0. 328
6. Literatur der Staatöfunfl.. 0 0 0 0 +. 333
A) Lehre von dem Innern Staatsleben. *8
6. Inhalt und Umfang des erfor Theilee dr ° ©
Staatstunf. . » 340
7. Die Cultur des Volkes, als erſte Bedin⸗
gung des innern Stantslebend. .. 344
:8e . „Die politifhe Muͤndigkeit als Folge de
| Cultur. .. .. 344
9. b) Der Organismus des Staates.
: ‚Begriff der Organifation Überhaupt. - . 346
10. ‚Anwendung des Begriffs der Organifation .
aufden Staat. © 2 eo, ee. . 348
a1. . Fortſetzung... 350
12. "Die deftandtheile der Staatsorganifation. 362 ,
15. Die ſogenannte gefchichtliche Unterlage der
on Staatsorganiſation. . . 356
14. UUeber das Verhältniß des Rechts und der
Gluͤckſeligkeit gegen einander in der Orga⸗
. ‚ .„ nifation.des Staates. . .
15. e) Die Verfaffung des Staates, ale
erſter Beſtandtheil der Organiſation
derſelben. 2 0 0 0. 361
XV. Vorrede.
durch Mittheilung deutlicher und richtiger
. Begriffe über ben Staat, über feine Beftimmung,
über feine Anftakten und Behürfniffe in den afaden-
fhen :MWorkefungen, vorgebeugt werben Fanny nur
dann werben auch die Staatswiffenfchaften auf unfern -
Hauptſchulen, neben den andern abgefchloffenen Krei-
‚ Ten pofitiver Difehplinen,, als gleichberechtigt
und gleichgenchtet erſcheinen, und ihr wiſſen⸗
ſchaftlicher und gruͤndlich er Anbau wird, ſchon nach
dem erſten⸗ Jahrzehend, einen wohltpärigen. Einfluß
auf das ganze Smaatsieben. äußern! Ich kann Daher
dieſes Vorwort. gewiß nicht zweckmaͤßiger ſchließen,
als mit einer Stelle des geiſtvollen Buchholz (in
ſ. neuen Monatsſchrift für Teutſchland,
1822, Auguſtheft, S. 493.): „Waͤre das, wor⸗
nach das Kabrhundere ſtrebt — die Staatswif
ſenſchaft — bereits in einer foldden Vollftandig-
feit vorhanden, daß bie Organifationsprincipe über
alle Zweifel erhoben baftänden; fo würde darin,
wenn in irgend etwas, das fouverainfte Gegen
mittel gegen alle Ummwälzungen gegeben
feyn. Leider liegt diefe Wiſſenſchaft noch in der Wiege,
Und da ihr. Werth von’benen, die ſich Staatsmaͤnner
nennen, .in ber Regel am meiften verfannt wird; fü
iſt es nicht wahrſcheinlich, daß fie in kurzer Zeit die
Wichtigkeit erhalte, die ihr gebuͤhrt. Wie
lange fie. aber auch noch) verfannt werden möge) her:
vorarbeiten‘ wird fie fich, weil fie, wenn ung nicht
- alles täufcht, das Kind des Jahrhunderes iſt, d. h.
diejenige Geburt, zu welcher in allen Zweigen menſch⸗
licher Erkenutniß alles vorbereitet SB: allen. tmängt. Y
Leipzig ‚am 14 geh. 1823: 771
dena 3:
Bl star
Ullgemeine. Einleitung g in de geſammten
Staatswiſſenſchaften.
"a. Begriff der. Staatswiffenfchaften -. »
2. Zufammenhang, ber ‚Stmatswiffenidaften. untge
ſich.
3. Eincheitung sed Sradtämifenfnften. en
A. Fortfeßung. .- »- .
= Ueberſicht Aber die. geſammten Sauter.
ſch chaften. 0 0
6. Verſchiedenheit der Staatewiſſen ſchaften ven den
- fogenannten Rameralwiffenihaften. ...,
7, Die Vorbereitungs: und Stifomiffenfafn gu
den Staatswiffenfchaften. .:
8. Literatur der erfcyklopädifchen - Behandlung der
Staatswiſſenſchaften. . 02 1 00 0 0.4 .o.
\ ‘ . . ‚ 5%
% | J.
Nature und Bölterrege, 2
‚ Einleitung.
1. Vorbereitende Begriffe. . .
2. Begriff und Zwed der phllofophifgen Reqrelehre. |
ı Pe
3. Ableitung des Begriffes des Rechts aus der ur⸗
u fpröngtichen Befegmäßigtek des menfhlihen .
Weſens. 2 —* ⸗ — 0 0 — 0
4. Das practifche Idial.
5. Die beiden Haupttheile des practiſchen voea, on
das Ideal der P icht und des Beau. .o
Selte
4
Q Porn
xviii Inhalt.
1
6. Solgerungen aus dem Unterſchiede zwiſchen Recht
und Pflicht. ..
7. ae Srundfaß der philoſcphiſchen Rechtes
lehre..
8. Umfang. und ‚Eintheilung der Phitsfophifgen
Rechtslehre. ..
9. Fortfeßung. — Rechtslehre im weitern Sinne.
10. Die philoſophiſche Rechtslehre nach ihrer Stel⸗
lung zu den geſammten Staatswiſſenſchaften
und zu den poſitiven Rechten. . .
a1. Biffenfhaftlicher Standpunct für die Pötlofor
phifche Rechtslefte., . . .
12. umriß der Geſchichte des Naturrehte nad eins
ı, zelnen Schulm. 2 2 0 0 ee lee
A) Das Naturrecht, oder der hnoſophi
ſchen Rechtslehre erftei Theil.
13. Begriff des Naturtechts u... ee:
14 urrecht der Menſchheit..
2) Reines Naturrrecht. |
45. Nomenclatur der urfpränglichen Rechte. 8*
16. : 1) Bas Recht auf aͤußere Freiheit..
17. - 2) Das Recht. auf äußere Sleichheit.. . .
18. 3) Das Heiht auf Freiheit der Sprade, der: .
Le
Preſſe und des Gewiſſens. . .
19. 4) Das Recht auf perfönlihe Würde und
guten Namen. . . Fe
20. 5) Das Recht auf Eigenthum. ..
21. 6) Das Recht auf öffentliche Sicherheit. u
22. 7) Das Recht auf Abſchließung und Haltung
der Verträge. . »
27. Bedingungen ber Galtigkeit der Verträge.
‚24. .Reals und Verbalverträge; unbedingte und
. bedingte, ſtillſchweigende Verträge. .
25. Beränderung, und Aufhebung der Verträge,
26. Ron der Billigkeit und dem Nothrechte,
b Angewandtes Raturrecht.
278 Begriff und Umfang deſſelben. 2. .
28. Nomenclatur der wichtigften Verträge .
20.
50.
zi.
32.
. 35
I
35.
36.
37:
58:
39:
40.
4Al.
Inhalt.
1) Der Gefellſchaftsvertrag überhaupt, uw
2) Der ehelihe Vertrag. . -
3) Das aus demfelben hervorgehende Jel
ternrecht. . — 604 3 eo.»
A) Der Dienfivertrag. . ..
5) Der Arbeits⸗ und Miethsvertrag. ..
6) Der Schentungss,. Taufe und Kauf
vertrag. .
7) Der Leih⸗, Darlehne s "and Pfandvers
trag. -
8) Der Aufbewahrungss und- „Bevollmächtis
gungsversrag. Die Shrofchaft ..
-9)-Der Vertrag auf.den Fall-des ‚Todes. .
10): Der Verfaffungs: und Reglerungevertras
der Geſellſchaft... ...
11) Der kirchliche Verfaſſungsvertrag.
10) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht.
Anhang. Von den Rechten der Wahnſinnigen.
. B) Das phileſophiſche Völkerrecht,
oder der pbilofophifhen Rechtslehre
zweiter Theil.
42. Uebergang vom Naturrechte zum Volkerrechte.
43: Zweck des Mebeneinanderbeftehens der Völker.
44 Das Urrecht im Volkerrecheee. 0°
45. Folgerungen daraus. > 2 2 0.» ..
46. Schluß diefer Folgerungen. . «
47. Urfprüngliche und erworbene Rechte dee bite
48: Nomenclatur der urſpruͤnglichen Rechte
49.
50.
51.
52.
53.
54-
‚58.
der Voͤlker. ..
2) Das Recht der {ndividneen Freiheit eines
jeden Volke. . . .
2) Die rechtlihe Steihheit der Wilken. . .
HD Die geöinfeitige Oeffentlichteit OPalicitän .
der Volker.
4) Der Credit der Völker. „ .
5) Der vechtliche Eigenthums⸗ und Sesias
befiß der Voͤlker.. ..
6) Die äußere Sicherheit ber wäte. . .
7) Das Recht der Verträge zwiſchen den ein⸗
zelnen Woͤltkern.⸗
a &,n bh al ..
Seite
6. 8) Du Recht der Vertretung des einen Vol⸗
| tes bei den andern, oder, das Geſand⸗
\ tenredt. ..,.. Yo. 00.0 08, vo '134 \
er. Das. Bettärgensi, „en ne 136
v
IL,
. Staats. und: Seagtentecht.
etnteitung |
2. Borbereitende Begriffe. oo 0 0 0 0 0. 136
.3 Forſetzung. 00 0 40 140
3. Begriff und Zwed des Staates. een. 144
4. Erweiterung des Staatszweded. : . . . 146
6. Begriff und Theile des Staatsrehts. . . . 148
‚6. Verhaͤltniß des Staatsrechts zu den andern , -
Staatswiffenfhaften. . .. . . 149
7. Begriff und Inhalt des Siaatenrechts. . 18532
8. Literatur des Staatsrechtes. 4453
A) Das reine Staatsrecht.
9. Inhalt umd Theile des reinen Staatsrehts. „- 161
10. 38) Lehre von den Urverträgen des Staates. - 163
21... .Dpr Bereinigungsvertrag. - “0. +. 168
12. . Der Verfaffungsvertrag. . 0 0... 169
13. . Den Unterwerfungsvertrag. .. - 169
14. Unterfchied det Bürgerlichen und Öfenticgen |
Cpolitifhen) Freiheit. . 173
15 b) Lehre von den einzelnen hellen der hoͤch⸗ |
fien Gewalt im Staate . 2» 0 «+ 177
36 . . Die gefeßgebende Gewilt. „. . . . . 180
17. . Die vollgiehende Gewalt. . . » 185
18. ©) Lehre von der red,stichen Form der Bere >.
| faffung. und Regierung des Staates. 185
19% . . Die allgemeinen-Vernunftbedingungen FÜR .. _;
jede vechtliche Werfalung . . .. 186
20. . Erwerbung.des Staatébuͤrgerrechts. + .189
82. . . Auswanderumgsteht. . . so... 390
22. Gerluſt des: Sraatsbürgerrehts, . - - 39°
935. . . Naturalifirung der Zremden. . » + + 19°
“ t.
>
3 Verſchiedenheit der —R und de⸗
ren Eintheilung. = + ...
25. Geſellſchaſten im Stante. . ...0.
26, Eintheilung des Staatsgebiets. 0...
27. Rechtliche Form der geſetzgebenden
Sewalt im Staate. . 2 0.“
88 - Die Stellvertreter des Volle. - . .
29. Rechtliche Form der vollziehenden
W Gewalt im Dtaate..
50. : Der Regent, als Souverain. . - »
31, : + Fortfegung. Majeftätsrechte des Regen⸗
ten... . 0er 0000 6 .d
2. Pflichten des Negenten. ..
33. Rechte und Pflichten der uͤnterthanen..
34. Die richterliche GBewalt.
35. Fortſetzung..
36. Die vier. aupithrile der Staatsverwals
j . tung . 0 .e 0 ... 0
37. Die Staatsämter. .⸗
38. Rechtliche Form der Kira im Staate.
39. Fortſetzung..
40. Fortſetzung. Verhättniß der Kirche vum
., Btaate. . . .
ki, Rechtliche Form der Verbefferung "der
Werfafung. > - 2 20 00.2.
B) Das philefophifhe Strafrecht.
42. Der rechtlich geflaltete Zwang.
“ “
43. vegriſ und Theile des phtofopfifgen Strafı
chts.
4% —8 der wiffenfchaftlichen "Behandlung. de
hliofophifgen Strafrechts. . »
45. a) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung "des
Zwanges und der Strafe im Staate.
46. ° Fortſetzung.
47. Ueberſicht über die wihiigſten Siriitdis
theorien.....
&) Die fubjective Etrafrechts
theorie.
48. 1) Die Wiedervergeltungstheo⸗
rie. 0 0 “ ® o '
xxii E u alt.
a B Seite
9. ** Pe derfeißen. .. 265°
PP — 9 Die Befferungstheorte. . 268
1 u Drüfung derfelben. „ . .269
. ® Die objective Strafrechtätheos
© oo. on tie. 0
58 ...2.. Die Abſchreckungsthesrie. 271
53. . Prüfung derfelben. . . 272
54. . 2) Die Praͤventionstheorie.. 275
55. Hrafuns derſelben.. 278°
56. Allgemeines Ergesniß, eo. 000. 0. 279
57. b) Lehre von. der vechtlichen. Anwendung des
. Zwanges und der Strafe im Staate,
(Die ubjestiorobjestine Straf
N
i . tedhtstheorie.) . 282
58 Stnafwaͤrdigkeit und Strafbarteit "der
: That. e . 0 0 ‚985
59.. Bann die Zurechnung wegiallt. .. 288
6o0.a4) Die Lehre von den Rechtsver
letzungen im Staate.
Eintheilung der ſtrafbaren Handlun
3 gen in Verbrechen und Vergehen.‘ 289
62. Die Vergehen. Fe —64 291
62. u Die Verbriehen. . 5 252
63. 45) Die Lehre von den Strafen” im
. .. Staate. . 40 «u —0 % .. «A 294
64. Fortfegung . .. 0. «296
65. "Das Begnadigungsredht, .. 298
66. ) Ausübung des Strafrechts im
Staate. « . . 0. ‘ 4 300
6) Das philofophifche Staatenredt.
67. Begriff, Umfang und inhalt deffelben. ." . 301
68. a) Darftellung der allgemeinen Grundſaͤtze für
das rehtlihe Mebeneinanderbe _
ftehen aller Staaten des Erdbodens. 304
69. ° Verträge zwifhen den Staaten. . .„ « 306
70. Verbindung zwifchen den Staafen. . . 308
71. b) Lehre von der rechtlichen Seftaltung, des
Zwanges zwiſchen den Staaten nach
vorhergegangenen Rechtsverletzungen. 810
3 nhalt. xxiu
Site
72. Aftafungen des Zwanges zwiſchen den -,
Staaten: Retorſionen, Repreſſalien,
Krieg. 20 ‘ie ..+. ® | f 211
73. . Der. rechtliche Krieg. ee ee. 313
7. ‚Bundesgenoffen im Kriege. -.. . . 313
75. Recht der. Neutralität... o 0 0 337
26 . Der eechtliche Friede. 0 0 0. 37
— ———
— m e or
Die Staatstunſt (Ben.
- Einleitung. 8 in
1. Vorbereitende Begriffe. . . e + 320
2. Begriff und Umfang der Staaretunft 0 . 329
5. Zweck und Theile der Staatskunft. , . -» 396
4. Verhaͤltniß ‚der, Staatskunſt zu den übrigen u
‚Staatswiffenfhaften.. - 2.0 0 + 328
5. Literatur der Staatökunfl.. » 0 0 0 . 333
A) Lehre von dem innern Staatsleben. **
6. Inhalt und Umfang des erſten Theiles de
Staatskunſt. . . 540
7. Die Cuitur des Volkes, als erſte Bedin⸗ In
gung ‚des nnern Staatslebend. . - - 43
:& , „Die politifhe Muͤndigkeit als Zotse der
ultur. + 344
9. ” De Organismus des "Staates.
2 ‚ Begriff der Örganifation überhaupt. . . 346
10. , ‚Anwendung des Begriffs der Organiſation
auf.den Staat. . 2 2,0 0 0 0. 5348
11. , ‚Zortfeßung. .. 350
12. Die Beftandthejle der Staatsorganifation. 362
13, : ‚Die fogenannte gefchichtliche Unterlage der
Staatsorganiſation. .. 356
14 ‚ Ueber das Verhältniß des Rechts und der F
Gluͤckſeligkeit gegen einander in ber Orga .
7, „ Mfation-des Staated. - . ©: 369
15. e) Die Verfaffung des Staates, "ale
erſter Beſtandtheil der Organiſation
derſelben. 3661
— — — —
“ ® » ®
' Ueber idte den Volksverrretern ver⸗
Inhalt
un Seite |
Dfe deblichen Stände im'Stänte. 365
Verſqhiedenheit der Verfaſſungen
nach polttiſchen Ruͤckſtchten
1) Ye eehung: auf ihte Ent· 57
tthun 371
2)‘ ir Beylehang aufiher tmern T.
.. Beimmungn. "m. ..376
. ertfeßung. - -
Ueber das Verhältniß wiſchen der
geſetzgebenden und vollziehenden
Sewalt, und über den Gruudſatz der
Ernennung der Boltsugriveter. ., 376
Fortſetzung.
Uebrr die Vertheilung bee: Sutovet·
treter in Kammern. % 39°
Beſchluß. le ST
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und Pftichten. "Va: Abe.
‚ Ueber. Freiheit der Preſſe.408
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‘
weiter Beſtandtheil ‘det vrga⸗ .
niſation deſſelben. fi... 48
* Sortfegung. » | oc 4ig
Allgemeine "Einitearten der Regie "
rungsformen. - Ai
Ueber die monardifchen and: eepußlis J
kaniſchen Reglerungeſormen übe ·
haupt.. . .. 423
Die monardifhe Hegierungsform.
- 0) Die unbefchränfte und ber |
·ſchraͤnkte. .. tt 42
Fortfegung. Be
P) Die Badts und erbliche
"Monardie - . 428 .
Die republikaniſche Kegierungeform. 435
a) Die Demokratie . . . + 440
PB) Die Artftotratie . .’. . AM
Anhang. “” Ä
Die Theokratie. — Der Bundes⸗
ſtaat und Staatenbund. . . 446
.I% "5 alt N Kr
33, Ergebniffe der Sefhichte und Staat -
. funft über bie verfchiedenen Regie ' _
j rungsformen.. 00.07 4
54 »Y Die®erwaltung des Staates, als
dritter mwerentticher Beftandcheiß - ..
"der Organifation deffelden. .. +. 451
35. Haupttheile der Vermaltung, :. . 463
36. : + ++: Die: beiden Hauptſyſteme in der
Staatsverwaltung. vr 000. 455
37. : * + PBortfegung . 457
38. Aligemeine Srundfäße "für die Ber Lu.
000» Waltung- . 460
3% - Die hoͤchſten Behötden der Stantse En
verwaltung. . . 46
40%. - + + + 4) Die eingelnen Miniferien. .: 467.
He: 2) Der Staaterath. . . - 47a
42. 3) Die Generalconteolle: .. dd 46
43. Weber die Verantwortlichkeit der hoch
ſten Staatsbehorden. . :-. 478
44. a) Die Gerechtigkeitspfleg e, >
als erſter Haupttheit ber Otaatsverwal⸗
tung. 0 % 6 ® ® ® e ‘ 481
45. Sortfegung.. .. 488
46. . b) Die Polizei, ate eier Haupt⸗
theit der Staatöverwaltung.. . . 458
A...) Das Finanzwaeſen, als dritter
Haupttheit der Ötaatsverwaltung.. . 504,
48. d) Das Kriegsweſen, als vierter ,
_ Haupttheil der Staatöverwaltung. . 511
49. ‘ Fortſetzung. ..„-”.—00e. 0 518
50. Fortſetzung.. 518
51. ©) Die in der —8 Verfaſſung, Regierung
und Verwaltung des Volkes ‚gemeinfchafts
lich enthaltenen Bedingungen der recht»
lihen Bortbildung des innern
Staatslebens (Lehre von den Reformen
im Staate). . . 529
502. Die Reformen im Innern Stantsiehen. 531
53. ortſetzung. 3532
54. Ueber Revolutionen... 536
5: Weber Reaction in politiſcher Hinficht. 540
’ [
axvı Inhalt. ö
1.0 Seite
B) zehre von dem äußern Staatsleben.
ur: Ueberſicht der Bedingungen und Verhaltniſe des
außern Staatslebens...2 2 546
57. —D der Grundſaͤtze der Staatskunſt
37. für. die Bechfelwitkung und Ber
di 0 „bindung dei ‚einzelnen Staates mit .
4 allen übrigen neben ihm Reftehenden .
m. ‚Staaten,
un» F . .Das "Staatsiägerefie. erne 548
58. . Eintheilung: der, Staaten nach ihrem
Ben politifchen Gewichte. one 552
59. sinn Politiſches Gleichgewicht. ee. 555
‚ Verträge, Buͤndniſſe. „Garantien.
3. Gefandte. 558
.Die, politiſche Unterhandlungskunſt. 559
Darftellung der. Orundfäße der "Staats .
. tu unfe für die Anwendungen des Zwan .
.908 „zwifchen:.ben Staaten nad, anges
£ ı Qrobtenioder erfolgten MNechtsvetlegungen. 561
ae 2.5
vw ’
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63. ., Der Krieg aus dem Standpuncte der
en. Stantstunfl.. . . 563
| Das Eroberung recht aus dem Standı oo
rn panete der Staatskunſt....665
55 . . .Der Völkerfriede aus: dem Stande |
. an. punste der Staatskunſt.... 567
i yet mern. \
j) n *
⸗
I Allgemeine Einleitung
| in die
seh ammten Staatswiſſenſ chaften.
a Se
Begriff der Staatswiffenfhaften, |
E⸗ gibt einen Kreis von Wiſſenſchaften, welche
man — zum Unterſchiede von allen andern wiſſen-
ſchaftlichen Gebieten — die Staatswiſſenſchaf⸗
ten nennt. Das Eigenthuͤmliche derſelben beſteht
darin, daß die Idee des Staates in jeder
dieſer Wiſſenſchaften den. Grundbegriff der
ſelben bildet, und die Verſchieden heit der
einzelnen Staatswiſſenſchaften, nach ihrem ſelbſt⸗
ſtaͤndigen Charakter und nach ihrer gegenſeitigen
Grenzbeſtimmung, zunaͤchſt auf der Art und
Weiſe beruht, wie der Grundbegriff des Staa»
fes in.dem Mittelpuncte ber wiffenfchaftlichen Dar⸗
ftellung nach gewiſſen mefentlichen Beftimmungen er«
fheint, durch welche die eine Staarswiffenfchaft, in
Hinſicht auf ihre Begründimg, auf ihre Eintheilung, .
auf ihten Umfang und auf ihre foftemarifche Durch»
führung, fi). von jeder andern Staatswiffenfchaft.
unterfhelde 2 aten vn |
\ L ) 1
2 Arllgemeine Einteitung .
2.
Zuſammenhang der Staatswiſſenſchaften
unter ſich.
Recht. und Wohlfahrt fü find die beiden höch-
fien Bedingungen alles Staatslebens ; denn in dem
Staate find vernünftig + finnliche Weſen vermittelſt
des Staatsvertrages zu einer Geſellſchaft zuſammen⸗
getreten, durch welche der Endzweck der Menſchheit --
Sittlichkeit und Gluͤckſeligkeit in Harmonie — theils
von dem einzelnen Menſchen, theils von der gan⸗
gen Rechtsgefellfchaft, fo wie nach) außen in ber _
Wechſelwirkung mit andeen Völkern und Staaten,
erreiche werden foll. . So wie aber die geiffige Natur
des Menfchen höher ſteht, als die ſinnliche; fo ſteht
auch) unter den beiden Grundbebin ungen. des Staatt⸗
lebens das Recht hoͤher, als die Bohifährt, und: nie
darf der Wohlfahrt wegen Bas Recht verlegt vder
hintangeſetzt werden. Denn die Herrſchaft des
Rechts auf dem ganzen Erdboden iſt das
‚Seal, welchem theils jede einzelne bürgerliche: Ge⸗
fellfchaft, theils die Gefammtheit aller auf'deni -
Eroboden nebeh einander ‚beftehenden Völfse ung
Staaten zugebildet werden fol, Diefes Ideal muß
daher auch der. legte und höchfte Maasftab feyn fir
alles, was in den Staatswiffenfchaften entweder als
zu verwirklichen gefordert‘, oder als bereits vorhan⸗
. den dargeftelle und nach jenem Maasftabe geprüft
werden foll,
J 4 on —
Eintheitung der Staatswiffenfhaften.,
Sind Recht 'und Wohlfahrt die beiden hoͤchſten
Bedingungen alles Staatslebens; ſo folgt darqus⸗ |
.
in bie 'gefammiten Stantswiffenfihaften, 3
daß alles zu dem Kreife- ber Staatswiffenfchaften
gehört, was uns lehrt, theils wie biefe beiden
hoͤchſten Bedingungen des Staatslebens verwirfliche
werden follen und koͤnnen; theils wie fie in
den vormals beftandenen und noch beftehenden Staa⸗
sen vermirflicht worden find und verwirfliht wer
den; — ober auch wie und wedurch dieſe Bedin-
gungen verfehlt und nicht verwirklicht worden find,
. Der Kreis der Staatswiffenfchaften wird daher,
nad) feiner allgemeinften Eintheilung, theils philo-
fopbifche, theils geſchichtliche Staatswiflen-
fchaften umfchließen, wovon die erften lehren, wie,
nad) den ewig gültigen Forderungen ber Vernunft,
Recht und Wohlfahrt vermwirflicht werden follen und
» tönnen, und die zweiten durch Tharfachen nach-
weifen, ob und wie Recht und Wohlfahrt in den vor-
mals beftandenen und noch beftehenden Staaten ver-
wirflicht werden, oder nicht. (So gehören entfchieden
bas Staats» und Staatenrecht zu den philo«
fophifhen, Dagegen die Geſchichte des. euro-
päifhen Staatenfyftems, die Statiftif
u. a. zu den gefchichtlihen Staatswiffenfchaften.)
A J
Fortſetzung.
Allein man reicht mit dieſer allgemeinſten Ein-
theilung der Staatsmwiffenfchaften in philofophifche
und gefchicheliche niche aus; theils weil in den
Kreis verfelben zwei MWiffenfchaften gezogen werden
müffen,. in deren Mittelpuncte zwar der Grund-
begriff des Staates nicht vorherrfcht, ohne welche
aber die eigentlichen Staatswiflenfchaften ihrer legten
Begründung ermangeln: das Natur und Voͤl⸗
2 ” ’ '
-
4... Üigemeine Einleitung
kerrecht, und die Volkswirthſchaft (National.
öfonomie); theils weil gewiſſe Staatswiffenfchaf-
ten nur durch die Verbindung von philoſo—
pbifhen Grundfägen mit geſchichtlichen
Thatſach en ihre fuftematifche Geftaltung und Hal-
tung gewinnen fünnen, wie z.B. die Staatsfunf
(Polieif), die Staatswirtäfhaft und Finanz
wiſlſſenſchaft, fo wie die Polizeiwiſſenſchaft.
Wenn.man, wie es die Vernunft verlange, das
fogenannte Nature und Völferrecht von dem
Staats» und Staatenredhte forgfältig un-
terfcheidet; fo enthält das erftere, nad dem in
ihm aufgeführten Ideale, Die Darftellung. eines
rechtlichen Vereins noch ohne Ruͤckſicht auf das
Leben im Staate, doch fo, daß jenes Ideal des
Natur» und Volkerrechts der hoͤchſte Maasſtab
fuͤr die wiſſenſchaftliche Begruͤndung und Durd)-
führung des Staats- und Staatenrechts enthält,
. Die ſyſtematiſche Darſtellung beider Wiffen-
[haften in diefem Werfe mag diefes bier ausge⸗
fprochene Verhältniß derfelben gegen einander be—
weiſen. — Daffelbe gilt von dem Verhältniffe
der Volfswirthbfhaft zur Staatswirth-
fhaft, inwiefern die erfte den ganzen Umfang
der Quellen, Bedingungen, Beſtandtheile und
Wirkungen des Volfsvermögens, noch unabhän-
gig von dem Einfluffe des Sebens und der Re-
gierung im Staate darauf, entwidelt. —
Daß man aber mit der allgemeinften Einthei⸗
lung der Staatswiſſenſchaften in philoſophiſche und
geſchichtliche nicht ausreiche, ſondern auch (im
guten Sinne,) gemiſchte annehmen müffe, in
. welchen die aus der Vernunft für die Verwirk⸗
lichung des Staatszwedes ſtammenden Grundſaͤtze
in die gefammten Staatswiffenfhafen. 5
an Thatfachen der Gefchichte gehalten unb durch
biefe erläutert und verfinnlicht werben, erhellt aus
der Politik oder Staatsfunft, fo wie aus
der Staatswirthfchaft, der Finanzwiſ—
fenfhaft und Polizeiwiffenfhaft. Denn
wenn aud) aus reiner Vernunft hervorgeht, baß
fein Staat ohne Regenten gebacht werden fann;
fo kann doch bie Frage: welches die befte Regie—
rungsform fey, nur mit Rücficht auf die Geſchichte
— und alfo nicht im Staatsrechte , fondern in der
‚ Staatsfunft — entfchieden werden. Eben fo ver-
langt die Vernunft im Staatsrechte, daß eine
Bolfsvertretung überhaupt beſtehe. Ob aber viefe
in einer oder in zwei Kammern zufammentreten
folle; darüber kann blos die Politik entfcheiden. —
Daffelbe gilt von der Staatswirthſchaft. Die
Vernunft verlangt, daß jeder Staatsbürger nur
von feinem reinen Einkommen befteuert werde;
die Gefchichte aber weifet nad), ob und wie dies
. am beften, durch directe ober indirecte Steuern,
gefchehen Ffonne? Gleihmäßig fann über die
Zwedmäßigfeit oder Unzweckmaͤßigkeit der ‘Bes
fteuerung im Einzelnen, fo wie über die Güte
oder Vermwerflichfeit der einzelnen Polizelanftalten
u. f. w. nur nad) dem Zeugnifle der Erfahrung
und Gefchichte entfchieden werben. — Daraus
geht als Ergebniß hervor: daß man die Staats-
wiffenfchaften weder blos als philofophifche, noch
blog als gefhichtlihe Wiffenfchaften varftellen
fönne; daß es war reinpbilofophifce
‚Staatswiffenfhaften gebe (Natur⸗ und Voͤlker⸗
reht, Staats» und Staatenreht, Volkswirth⸗
fhaft),. und eben fo auh reingeſchichtliche
(Gefchichte des europäifchen Staatenfoftems, Sta-
4
j
6 . Mägomeine Einleitung
aſtit, practiſches europai aiſches Voͤlkerrecht, Dbl⸗
matie u. ſ.w.) daß aber auch einzelne Staats:
- wiffenfchaften gleihmäßig auf philofophifcher
und gefchichtlicher " Unterlage beruhen, mie die
Staatskunſt, die. Staatswirchfchaft ‚ die Finanz⸗
und die e Poligenffenfänft |
5.
nederſiche Aber die gefammten Staats.
2 wiſſenſchafton.
"Zu dem Kreife der Staatswiſſenſchaften gehören:
1) Das Natur- und Völkerrecht, oder
die fogenannte philoſophiſche Rechtslehte im
. engern Sinne des Wortes. Sie enthaͤlt die wiflen-
fhaftliche Darftellung des Ideals der Herrſchaft des
Rechts auf dem ganzen Erdboden, fo daß in dem Na⸗
turrechte-der einzelne-Menfch nach dem Umfange
. feiner gefammten Rechte und rechtlichen Verbältniffe
gefchildert wird, wie diefelben -in der Matur bes
Menfchen überhaupt urfprünglich begründet find und .
aus dem Ideale des Nechts mit Nothwendigkeit herz
vorgehen, worauf indem philoſophiſchen Voͤl—
terre he die. Bedingungen entwickelt werden, unter
welchen theils in ber Mitte des einzelnen Volkes,
theils: in dev Verbindung und Wechfelmirfung meh-
“ rerer und aller neben einander beftehenden Nechtsge-
ſellſchaften oder Völker , bie Herrfchaft des Rechts
auf, dem ganzen Erdboden verwirklicht werden foll.
»: 9) Das Stadts- und Staatenrecht.
Wenn 'der Staat, deſſen Begriff aus der Erfah-
tung ſtamnit, ‚bie Beſtimmung hat, die Herrſchaft
deß ĩRechts in "Der vertragsmaͤßtg begruͤndeten buͤr⸗
gerlihen Geſcuſchaft, welche gleichmaͤßig ſitt lich⸗
in die gefammfen Staatswiſſenſchaften. 7
muͤndige und unmuͤnditge Weſen in ſich faßt, zu
verwirklichen; fo kann dies nur unter der Bedin⸗
gung eines rechtlich geftalteten Zwanges gefcheben, '
Das Staatsrecht enthält daher die wiſſenſchaft⸗
liche Darftellung der Herrſchaft des Rechts inner»
hatb der bürgerlichen Gefellihaft, unter der Bedin⸗
gung des rechtlich geftalteten Zwanges.. — Weil
aber auf dem Erdboben eine Mehrheit von bürger-
lichen Gefellfchaften, Die wir Staaten nennen, neben
einander beſteht; fo fchließe fi das Sta atenrecht
an das Staatsrecht als unmittelbare Folge beffelben
an, und entwickelt wiflenfchaftlich die Grundfäge für
das rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten des
Erdbodens, unter der Bebingung des zwiſchen ihnen,
rechttich geftalteten Zwanges nach vorbergegangenen
Rechtsverletzungen. |
3) Die Staatsfunft (Politif). Jeder
Staat wird, als ein organifches Ganzes, in feiner
Ankündigung wahrgenommen nad) feinem Innern
und außern Leben, und nach) dem Zufammenhange
swifchen beiden. Die Staatsfunft enthält daher
die wiſſenſchaftliche Darftellung des Zuſammenhan⸗
ges zwifchen dem Innern und äußern Staatsleben,
nad den Grundfägen bes Rechts und der Klug⸗
heit. Sie flüge ſich ruͤckwaͤrts auf das im philo-
ſophiſchen Staassrechte aufgeftellte Ideal des voll-
fommenen Staates, verbindet aber, in ihrer wiffen-
ſchaftlichen Durchführung, mit dem hoͤchſten Zwecke
des Rechts ben Zweck der Wohlfahrt, fowohl der
Individuen, als der ganzen Gefellfchaft, und ent.
lebe aus der Gefhichte der Vergangenheit und.
Gegenwart die anmwenbbarften und treffendften DBe-
lege für die theoretiſch ausgefprochenen Grundſaͤtze
des Rechts und ber Klugheit. Sie ift dashalb eine
8. Ülgemeine Einleitung
gemifchte (d. h. eine aus phifofophlfchen Grund⸗
fägen und aus gefchichtlichen Thatfachen gleihmäßig
gebildete) Staatswiflenfhaft. Wollte mar fie blos
‚auf Regeln, entlehnt aus der Erfahrung und Ges
ſchichte, zurückführen; fo wuͤrde .fie nicht bios ber«
jenigen feften Unterlage. ermangeln , die zunächft auf
Grundfägen der Vernunft ‚beruht; fie wuͤrde auch)
nicht ohne innere Widerfprüche bleiben, ‘weil man
aus der Geſchichte nicht felten Belege für die einan«
der entgegengefegteften politifchen Anfichten und Bea
Bauptungen aufftellen kann. Sollte aber die Staat»
funft, welche dem wirflichen Leben der Völfer
und Stäaten angehört, einzig aus reiner Vernunft
abgeleitet werden, obne dabei die Stimme ber Ge-
ſchichte zu hören; fo würde fie zum troderien Gerippe
. abgezogener Begriffe werden, ohne Anwendbarkeit
. Auf die kraftvolle Ankündigung des Staates als einer
lebensvollen Organifation, ‚und ohne Benußung der
großen. Wahrheiten, welche die Geſchichte in einem
Zeitraume von mehrern Jahrtauſenden darbietet. Es
muß daher in der: Staatsfunft das Zeugniß der
Gefchichte mit. den Forderungen ber Vernunft an
das innere und äußere Leben des Staates verbunden
werden, Ä
4) Die Volkswirthſchaft. (National
öfonomie). Kein Staat fann ohne ein Wolf ger
dacht werden, ‘das zur Gefellfchaft im Staatsleben
rehtlich verbunden iſt. Der Begriff des Volkes
geht daher dem Begriffe bes Staates voran, Die
Vernunft denkt fih alfo 1) ein Volksleben,
geftügt auf den rechtlichen. Verkehr aller zur Ger
fellfchaft verbundenen Individuen, fo wie auf ihr
gemeinfames - Streben nad) Wohlfahrt und Gluͤck⸗
r
“ feligkeie, und 2) ein aus der rechtlichen Thaͤtigkeit
in die gefammten. Staatswiſſenſchaften. 9
und dem regen Streben nach Wohlfahrt hervorge⸗
gangenes Volksvermoͤgen, unabhängig non dem
wirklichen Leben im Staate und unabhaͤngig von
dem Einfluffe. der Regierung im Staate auf bie
Anfündigung des Wolfslebens und auf die Erſtre⸗
bung bes, Volfsvermögens., — Nach dieſem hoͤch⸗
ften Standpuncte für die Ankündigung und Ents
widelung, des : Volfslebens enthält die Volks⸗
wirehfhäfe (oder Nationalöfonomie) bie
wiffenfchaftliche Darftellung theils der- Quellen, Ben
dingungen, Beftandtheile und Wirkungen des Wohl⸗
ftandes und des Vermögens eines Volkes, theils der
wirkſamſten Mittel, durch welche jene Quellen, Bes
dingungen und Beitandtheile des gefammten Volks⸗
vermoͤgens am zweckmaͤßigſten und ficherften für die
Begründung, Beförderung, Erhaltung und Vers
mehrung der Wohlfahrt der gnoivibuen und des gan«
zen Volkes benugt werden koͤnnen. Es wird daher
in der Volkswirthſchaft Die äußere Thätigfeie der In⸗
dividuen und der Gefammtheit des Volfes nad) ihrer
völligen Freiheit und Selbftftändigfeit, unabhängig
von jedem Einfluffe des Staatslebens und der Regie⸗
rung im Staate auf diefe Thätigkeit, im Innern Zu⸗
fammenhange. entwidele, und auf biefe Weile das
Iebensvolle Ganze eines, durch die ihm einwohnende
phnfifhe und geiftige Kraft ſich forfbildenden und zur
möglichft hoͤchſten Wohlfahrt gelangender, Volkes
vermittelt, . Bei diefer Unabhängigkeit der Volfs«
wirthſchaft von allen Ruͤckſichten auf die Einrich-
tungen und Verhältniffe im Staatsleben, behauptet
fie diefelbe wiſſenſchaftliche und idealifche Stellung
zur Staatswirthfchaft, wie das Natur» und Voͤlker⸗
recht. zum :Staats=. und Staatenrehte. Sie ift
gleichſam eine Metaphyſik der Staatswirthſchaft,
10 «u... ‚Allgetneine Einleitung
welche das raus der Erfaßeung und Geſchichte in ber
Staatswirihſchaft Stammende auf die höchften in der
Vernunft enthaltenen: Bedingungen bes Valkswohl⸗
ſtandes zuruͤckgefuͤhrt, und diefe zum ſyſtematiſchen
Zaſammenhange vereiniget.
5) . Die Staatswirthſchaft und Fi—
nanzwif ſenſchaft. Geſtuͤtzt auf die wiſſenſchaft⸗
liche Durchfuͤhrung der Volkswirthſchaft, muͤſſen in
der. Staatswirthſchaft zunaͤchſt die beiden wich⸗
tigen Aufgaben befriedigend geloͤſet werden: 1) wie
das Staatsvermoͤgen, oder das, was der Staat fuͤr
fein Beſtehen und feine Erhaltung jährlich bedarf,
aus dem Wolfsvermögen gebildet und verwendet
werde, ind 2) ob überhaupt, und melden recht
lihen und mwohlthätigen Eindug die Regierung im
Staate auf die Seitung der freien Volksthaͤtigkeit
und des Molfsvermögens haben fann und darf.
Durch die ‚erfchöpfende Beantwortung diefer Auf
gaben - enthält zugleich die Staatswirthfhaft den
hoͤchſten Maasftab für die in der Finanzwiffenfchaft
aufzüftellenden fehren. Die Finanzwiſſenſchaft
ift nämlich der Inbegriff der Grundfäge des Rechts
und der Klugheit, nad) welchen die anerfannten Be-
dürfniffe des Staates für die ununterbrochene Erreis
. Hung des Staatszwedes, im Allgemeinen und im
inzelnen, gedeckt und befriedigt werden follen, mit-
in im engern Sinne die erfchöpfende und in fi ich zu⸗
fammenhaͤngende Darſtellung ſaͤmmtlicher Einnahmen
und Ausgaben des Staates.
6) Die Polizeiwiſſenſchaft. Sie ent- |
hait die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſaͤtze, nach
welchen eheils die öffentliche Sicherheit und de
nung im Staate vor möglicher Verlegung bewahrt,
⸗
—
in die gefammten Staatswiſſenſchaften. 44
und die geſchehene Verlegung ſogleich erfannt und
möglichit ausgeglichen, theils die Kultur und Wopt«
fahrt der Staatsbürger nach ihrem ganzen Umfange
begründet, befördert, erhalten und erhöht werden kann
und fol. Es zerfällt daher, nad) dieſer Anficht, die
Polizeiwiſſenſchaft in die beiden Haupttheile: in die
Sicherheits. und Ordnungspolizei, und in
die Kultur. und Wohlfahrtspoligei. (Es
ift von einigen $ehrern ber Polizeiwiffenfchaft- nicht
ohne Grund erinnert worden, daß, nad) dem anges
gebenen Standpuncte, zwei beinahe fremdartige Theile
in derfelben Wiffenfchaft zu Einem Ganzen vereiniget
würden; allein bis / jetzt hat theils die Meheheit der
Theoretifer in der Polizeiiffenfchaft fire diefe Ver⸗
bindung entſchieden, theils findet fie fih auch in der
Staatspraris mehrerer civilifirter Staaten. Es
ſcheint daher nicht rathfam, aus beiden Theilen zwei
verfcehiedene und felbftftandige Staatswiffenfchaften
zu bilden, weil wenigftens fo viel ausgemacht bleibt,
daß das, was unter dem Abfchnitte der Kultur⸗
und Wohlfahrtspolizei abgehandelt wird,
weder in dem Kreife der gefammten Staatswiſſen⸗
fhaften übergangen, noch einer von ben übrigen
Staatswiffenfchaften mit befferm Erfolge, als der
Dolizeimiffenfchaft, eingelegt werben kann. Es bleibe
daher fein anderer Ausweg hibrig, als entweder
bie Lehre von den Anftalten des Staates für die Kul-
tur und Wohlfahrt feiner Bürger mit der Polizel«
wiffenfchaft zu verbinden, oder fie zu einer befondern,
Staatswiffenfchaft zu erheben, mas für die, welche
das Letztere vorziehen, in ber folgenden Darftellung
ver Polizeiwiffenfchaft Dadurch erleichtert worden ift,
daß die Lehre von: den Anftalten für Die Kultur und
Wohlfahrt der Staatsbürger einen, von der Sicher⸗
42 9 Altgemeine Einleitung
heits und Ordnungspolizel getrennten und ſelbſtſt ͤn-
bdigen, Abſchnitt bildet.) |
: 7) Die Geſchichte des europäifchen
Stagatenſyſtems .ays dem Standpuncte
der, Politik, Unter, einem. Staatenfpfleme
verftehen wir die bleibende Verbindung und Wechfel-
wirfung, mehrerer felbftftändiger, d. h. politifch glel-
cher und. von. einander unabhängiger Staaten und
Meiche, als nothwendige Folge der gleichmäßigen
geiſtigen, religiöfen und bürgerlichen Entwidelung,
Bildung und Reife Dee Völker, .melche zu diefen
Staaten und Reihen gehören. Unter dem euros
päifhen Staatenfofteme denken wir daher die Ver⸗
bindung und Wechfelwirfung aller einander an Civi-
liſation und Selbſtſtaͤndigkeit ähnlichen oder Doc) ver-
wondten europäifchen Staaten und Reiche, mit Ein-
ſchluß der aus den Kolonieen der Europäer in Ame⸗
xika hervorgegangenen felbftftändigen Saaten. Die
Entftehung derjenigen Verbindung und Wechfelmir-
ng der europäifchen Völker und Reiche, welche man
ein Staatenſyſtem zu nennen berechtigt ift, fallt aber
n die Zeit der Entdeckung von Amerika, fo daß eine
Gefhichte bes europäifchen Staatenfyftems .erft von
Diefer Zeit an gedacht werden Ffann. Aus dem
Standpuncte der Politik wird diefe Gefchichte
gefaßt, fobald- bei ver Darftellung des europäifchen
Staatenfyftems die Entwidelung des innern und
Außern $ebens der einzelnen Staaten und. Reiche
berüdfichtige, und der Zufammenhang biefes Innern
und Außern Lebens bei der Gefammtanfündigung der
. einzelnen Staaten und Reiche in der Mitte des eurer
päifchen Staatenfuftems vergegenwärtige wird, —
Die Gefhichte des europäifhen Staaten
ſyſtemszaus dem Standpuncte. Ker Poli
in die gefammten Staatswiſſenſchaften. 13
if, wefentlih verſchieden von ber allgemeinen Ge⸗
fhichte, wie von der europäifchen Staatengefchichte,
enthält daher bie pragmatifche Darftellung des politi-
ſchen (innern und äußern) febens der Geſammtheit ber
europäifchen Staaten und Reiche, mit Einfchluß der
aus europäifchen Kolonieen hervorgegangenen ameri»
fanifchen Staaten, feit dem Ende des funfzehnten
Sahrhunderts bis auf unfre Zeit, nach ihrer gegen-
feitigen völferrechtlihen Verbindung und Wechfel-
wirfung. |
8) Die Staatenfunde (Statifiif), -Wenn
die Gefchichte aus dem Stanbpuncte der Politif die
Ankündigung und Geftaltung Der untergegangenen
wie der beftehenden Völker, Staaten und Reiche, na
ber Wechfelwirfung ihres Innern und äußern Lebens,
im Kreife der Vergangenheit darftelle; fo. iſt
bagegen die Staatenfunde die Wiffenfchaft,
weiche die politifche Geftaltung (den Organismus‘)
der gefammten Staaten und Reiche des. Erbbobens,
zunächft aber des europäifchen Staatenfyftems mit
Einfluß der aus europäifchen Kolonieen bervorge
gangenen felbftftändigen amerifanifchen Staaten,
nah der Ankündigung ihres innern und dußern
Lebens und nad) der Wechſelwirkung beider auf
einander, im Kreife der Gegenwart {di
der. — Die befondere Staatenfunde
jebes einzelnen Staates und Reiches zerfällt daher
in zwei Haupftheile: in Die Darftellung des innern
und bes äußern Lebens deſſelben im Kreife der
Gegenwart. .
9) Das oͤffentliche Staatsreht. Im
Gegenfage des Privatrechts der einzelnen Voͤlker,
Staaten und Reiche, verftehen wir unter dem öffent
Sn
lihen Staatsrechte derfelben im Allgemei-
N
y .
L
!
oo.
’
N: ‚Allgemeine Einleitung.
nen bie eigenthümlihen, gegenwärtig gültigen
‚Grundgefege, auf welchen ihr politifches Dafeyn
rechtlich berubt, im Befondern aber die in ge
ſchriebenen Urkunden enthaltenen Verfaffungen einer
großen Zahl europäifcher und amerifanifcher Staaten
‚der. neuern Zeit, als Die gegenwärtigen rechtlichen
:Grundbedingungen ihres.innern politifchen Lebens.
(Diefe Staatswiffenfchaft ift, im Ganzen genommen,
noch nicht vorhanden, fondern erft neu zu begründen.
Das Bedürfniß derfelben fühlte Iheod. Schmalz,
und ſprach es aus in feinem „Plane zu Vorle—
fungen über allgemeines pofitives eurg-
paifhes Staatsreht” Berl, 1815. 8 —
Theilweife, aber unzureichend, berückfichtigte man die
hierher gehörenden Gegenftände bisher in der Sta-
tiſtik unter der Rubrif: Verfaffung.)
10) Das practifhe europäifhe Voͤl—
kerrech t. Dieſe Staatswiſſenſchaft — welche man
auch minder richtig das poſitive europaͤiſche Voͤlker⸗
recht nennt, weil fie auf feinem Codey pofitiver Gefege,
wie das Privatrecht der einzelnen Staaten undReiche,
oder auch wie das (unter N. 9 aufgeführte) öffentliche
Staatsrecht beruht — iſt wefentlic von dem philo-
fophifchen Wölferrechte verfhieden, und enthält bie
fuftematifche Darftellung der zwifchen den gefitteten
und chriftlichen europäifchen Völkern und Reihen — _
mir Einfhluß der aus europaifchen Kolonieen hervor⸗
gegängenen amerifanifchen Staaten — beſtehenden
rechtlichen und politifchen Grundfäge und Formen in
KHinficht ihres äußern gegenfeitigen Verkehrs. (Das
Herfommen nennt diefe Wiffenfchaft noch immer das
europäifche Völkerrecht, obgleich feit der Selbft-
- fländigfeie Der. nordamerifanifchen Freiftaaten, welche
mit Europa’ auf gleiche rechtliche und politifche Be⸗
in die gfammten Staatswiſſenſchaften. 18
dingungen in Verkehr und Wechſelwirkung getreten
find, ſtatt dieſer beſchraͤnkenden Bezeichnung, bie
allgemeinere des practiſchen Voͤlkerrechts
überhaupt zur wiſſenſchaftliche Geltung erhoben wer⸗
den follte.) . |
| 4141) Die Diplomatie. Diefe im Werben
begriffene und noch in feinem befondern Werke fufte-
matifch Durchgebildete Staasswiffenfchaft muß zuerft
genau von der Diplomatif, einer Hülfswiffenfchaft
der Gefchichte, unterfchieden (vergl. $. 7.), und dann
in ihr felbft die Wiffenfhaft vonder Kunft ge
trennt werden. Die Diplomatie als Wiffenfhaft
enthält ben Umfang der Kenntniffe, welche zur poli-
tifch -Diplomatifchen Unterhandlung mit auswärtigen
Staaten gefordert werden, und als Kunft bezeichnet
fie Die, auf die Grundlage jener Kenntniffe erworbene,
Sertigfeit, mit auswärtigen Staaten zu unterhandeln.
Ob nun glei, dieſe Kunft, als folche, nicht gelehrt
werben kann, fondern von den Individuen erworben
werben muß; fo fann doch der Umfang theoretifcher
Kenntniffe, welche die Unterhandlungsfunft voraus-
fest, wiſſenſchaftlich Dargeftellt und ausgeführt, fo
wie bie von den Diplomaten älterer unb neuerer Zeit
geübte Kunft durch Beiſpiele belegt und verfinnlicht
werben. Immer aber ſetzt fie, ſowohl theoretifch als
practifch, eine vertraute Befanntfchaft mit den vor
beraufgeführten Staatswiffenfchaften, befonders mit
der Staatsfunft, mit der Gefchichte des europäifchen
Staatenfyftems, mit der Staatenfunde, mit dem
öffentlihen Staatsrechte, und mit dem practifhen
europäifehen Voͤlkerrechte voraus,
- 42) Die Staatspraris, Obgleich.die bloße
Routine Beinen Gefchäfts- und Staatsmann zu ſei⸗
nem Wirkungsfreife gehörig vorbereiten kann; fo
20 | Allgemeine ‚Einleitung
Verfhiedenbeit der Stahtswiffenfhaf:
ten von den fogenannten Kameralmiffen-
fhaften.
Wenn der Begriff des Staates in der Grundbe-
Fimmung (und Definition) der Wiffenfchaft über die
Aufnahme derfelben in die Reihe der Staatswiffen-
{haften entſcheidet; fo würde es eben fo fehlerhaft
feyn, wenn man, nach älterer Sitte, die gefammten
Staatswiffenfchaften blos als einen Anhang zu den
fogenannten Kameralwiflenfchaften betrachten, ober ,
wenn man, nad) einer andern Anſicht, die Kameral-
toiffenfchaften felbft in den Kreis der Staatswiffen- Ä
[haften aufnehmen wollte. Beide müffen, nad)
. dem in neuerer Zeit begonnenen umfchließendern An-
baue der Staatswiffenfchaften, fortan forgf altig
von einander gefihieden werden, fo mie
- man bereits auf mehreren Hochfchulen, geleitet von
einem richtigen Zacte, neben den feüperbeftandenen
gehrftühlen der Kameralwiffenfehaften ‚ eigene und
felbftftändige Lehrftühle der Staatswiffenfchaften er»
- richtet hat. |
I Der weſentliche und unterſcheidende Charakter
der Kameralwiſſenſchaften von den Staatswiſſenſchaf⸗
ten beruht aber darauf, daß die Rameralmwiffen-
fhaften diemwiffenfhaftlihe Darftellung
des gefammten Gebiets der materiel-
len Thäatigfeit der einzelnen Staatsbürs .
ger umfchließen. Nach dieſem Gefichtspuncte wer-
ben die Kameralwiſſenſchaften in. drei Haupabthei=
lungen behandelt:
Din dertandwirchfhaftsfunde (Dekor
nomie im weitern Sinne). Dieſe faßt in ſich:
in bie geſammten Staatswiſſenſchaften. 21
a) die Feldwirthſchaft, mit der Wiehzucht,
dem Garten» und Wiefenbaue;
b) die Forſtwiſſenſchaft;
c) die Bergbaufunde.
- 2) indeeGewerbsfunde (Technologie), ober
in der wiffenfchaftlichen Darftellung der auf Erfah⸗
rung beruhenden zwedmäßigften Verarbeitung ber
Naturerzeugniſſe durch den menfchlichen Fleiß, ver-
mittelft der Theilung der Arbeit. Sie zerfällt, je
nachdem das Erzeugniß des menſchlichen Fleißes
entweder durch Hände und Mafchinen, oder durch
Teuer und Hammer hervorgebracht wird,
a) in das Manufacturwefen, und
b) in das Fabrikweſen.
3) in der Handelsfunde, nah den mannig-
faltigen Gegenftänden und Ziveigen des Hanbels
(in= und ausländifcher Handel; Sand» und See-
handel, Groß- und Detzilhandel; Speditions⸗
Tranſito⸗-Handel u. ſ. w.).
Es kann nicht verkannt werden, daß bei der
wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Volks⸗ und Staats-
wirthſchaft, fo wie der Finanzwiſſenſchaft, eine all⸗
gemeine Kennfniß der Kameralmwiffenfchaften vor:
ausgefeßt werden muß, und daß — da entfchieden .-
die Kameralwiſſenſchaften eine bedeutende Stelle in
der Reihe der vorbereitenden und Huͤlfswiſ—
fenfchaften zu. den Stuatswiffenfihaften behaup⸗
ten — es ſehr zweckmaͤßig iſt, wenn wenigſtens eine
encyklopaͤdiſche Ueberſicht über das Gebiet der Kame-
talwiffenfchaften ver Erlernung ber Staatswiffen-
fhaften vorausgeht.
2%. Algemeine Einleitung
Fuͤr dieſen Zweck der Vorbereltung auf bie
_ Gtaatswiffenfejaften eignen fih — mit Uebergehung
‚ ber ältern in die Literatur der Kameralwiffen-
fhaften gehörenven Werte — befonders folgende
Schriften:
Br. Bened. Weber, Einleitung in das Studium der
Kameralwiffenfchaften. ste Aufl. Berl. 1819. 8.
"(Dod werden von dem Berf. die meiften eigents
lichen Staatswiffenfchaften in das Gebiet der
Kameralwiffenfhaften gezogen.)
Seo. Fr. v. Lamprecht, Entwurf einer Encyllos
pädie und Methodologie der Kameralwiſſenſchaf⸗
ten. Halle, 1785. 8. (enthält: Defonomie, Bergs
bau, Technologie, Handelstunde, Haushaltung und
Staatsiehre, d. i. Polizei und Finanz.)
Er. Ludw. Walther, VBerfuh eines Syftems ber
» SKameralwiffenfchaften. 4 Theile. Gießen, 1793 ff.
8. N. A. 1806; (TH. ı Landwirthfchaft; Th. 2
Forſtwiſſenſchaft; Ih. 3 Technologie; Ih. 4 Pos
litik.)
Theod. Schmalz, Encyklopädie der Kameralwiſſen⸗
ſchaften. Köxigsb. 1797. 8. N. A. 1819. (In
diefr N. %. bat Thär die Landwirthſchaft,
Hartig die Sorftwiffenfhaft, Roſenſtiel die
Bergbautunde, und Hermöpädt die Technos
logie revidirt.)
K. Ch. G. Sturm, Grundlinien einer Encyklopaͤdie
der Kameraiwiſſenſchaften. Jena, 1807. g. (Land⸗
wirthſchaft, Technologie, —E Polizei
und Finanz.)
Fr. Karl Fulda, Grundſaͤtze der oͤkonomiſch⸗politi⸗
ſchen oder Kameralwiſſenſchaften. Tuͤb. 1816. 8.
N. A. 1819. (Privatoͤkonomie, Nationaloͤkonomie,
Staatsoͤkonomie.)
Die einzelnen Kameralwiſſenſchaften ſind von
ausgezeichneten Maͤnnern trefflich angebaut worden:
die Sandwirchfgaft von Bedmann,
°
®
in die geſammten Staatswiſſenſchaften. 23
Thar (Einl. zur Kenntniß der engl, Landwirth⸗
(haft, 4 Th. Hannov. 1806. 8.) und Burger
(Zehrb. der Landwirthfhaft, 2 Th. Wien, 1819 u.
21.8); — die Forſt wiſſenſchaft von
—Burgsdorf, Hartig, Behftein, Cotta und
Pfeil; — die Bergbauftunde von Wer
ner, Trebra, Eharpentier, Freiesleben,
Lampadius, Mods; — de Technologie
von Beckmann, Hermbfläde, Poppe; —
die Hand, elstu nde von Buͤſch (eheoretifhe
practifche Darftellung der Handlung, 2 Th. N. A
Hamb. 1799. 8.), Beckmann, Leuchs, und
Sonnleit 8 n ° r Eehrbuch d der Handelswiſſenſchaft,
Wien, 1819. 8.)
>
7.
Die Vorbereitungs- und Huͤlfswiſſen—
(haften zu den Staatswiſſenſchaften..
Will man den Kreis der vorbereitenden
(propäbeutifchen ) und Hulfsmwiffenfhaften in
Beziehung auf die Staatswiffenfhaften nicht abficht-
lich erweitern; fo fönnen, im engern Sinne, nur
diejenigen dahin gerechnet werden, welche entweder
Grundſaͤtze und Lehren enthalten, Vie in den einzelnen .
Staatswiffenfhaften aus andern Difciplinen als
Prämiffen vorausgefegt werden, oder die zur nähern
Entwickelung, Erflärung und Verfinnlichung der in
den Staatswiflenfchaften enthaltenen Grundfäge und
Unterfuchungen dienen. Aus dieſem Standpuncte
können blos folgende als Worbereitungs- und
Hulfswiffenfhaften ver Staatswiſſenſchaften
aufgeführt werden:
4) Die Rameralwiffenfhaften, nament:
⸗
lich als Vorbereitungskenntniſſe fuͤr Voikswirthſchaft.
Staatswirchſchaft und Kin
24 _ * gemeine Einleitung
(Weber ihren Begriff ‚ ihre Asgrenyung und
ihre Verhältniß zu den Staatswiffenfchaften
‘ ‘ ‘
2) Die fogenannte politiſche Geographie,
- oder die wiffenfchaftliche Darftellung der phnfifhen
und politifchen Werhältniffe der einzelnen Staaten
und Reiche des Erdbodens aus dem Stanbpuncte
bes örtlihen Nebeneinanderfenns und ber
örtlichen Aufeinanderfolge: ber Gegenftände -
(um fie dadurch weſentlich von der Statiftif zu
unterfcheiden, und gegen dieſe feharf zu begrenzen, —
“worüber der dritte Theil biefes Werkes zu ver
gleichen ift).
Als vorzuͤgliches Handbuch der politifchen Geo⸗
graphie (obgleich in daffelbe zu viel aus der Sta⸗
tiſtik aufgenommen worden iſt) verdient genannt zu.
werden; Chſtn. Gtfr. Dan. Steins Dandı
buch der Geographie und Statiffit nad
den neueften Anfichten. 3 Theile. Ate verm.
und verb. Auflage, Lpz. 1819 u. 20. =.
As vollftändiges Syftem der neueften Läns
derkunde, das, nach feiner Beendigung, den veraltes
» ten Bäfhing völlig erfeßen wird, gehört hierher .
das: vollſtaͤndige Handbuch der neueften
Erdbefhreibung von Gaſpari, KHaffel,
Cannabich und Gutsmuths. Von dieſem
Werke find bis jest in 4 Abtheilungen 15
Bände erfhienen, wovon die 3 erften Abtheiluns
gen in 11 Bänden Europa, und die 4te Abtheis
. Iung in 4 Bänden Afien (meiftens von Haffel
ee Dargeftellt Haben. Die drei übrigen Erds
theile ( fritka von leere behandelt) find noch
zuruͤck.
3) Die allgemeine Geſchichte aus.dem
Standpuncte der Politif. Die allgemeine
(oder Welt⸗) Geſchichte theilt man am zweckmaͤßigſten
I
in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 25
in vier Haupttheile: 1) die Gefchichte ber Welke
bes Alterthums, . welche mit ber Stiftung ber
älteften Staaten beginnt und herabreicht bis zum
Untergange des römifchen Weftreihes (476 nad) -
Eprifti Geburt); 2) die Gefchichte des Mittels
alters, von ber Auflöfung bes römifchen Weft-
reiches bis zur Entdeckung des vierten Erbtheiles
(von 476 — 1492 n. C.); 3) die der neuern
Zeit, von ber Entdeckung bes vierten Erbrheils
bis zur frangöfifhen Revolution (von 1492 —
1789); und 4) bie der neueften Zeit von ber
frangöfifchen Revolution bis auf unfre Tage, — Für
die Behandlung und Darftellung ber allgemeinen Ge⸗
fhichte find feit den legten Jahrhunderten mehrere
Standpuncte feftgehalten worden. „Seit der Kirchen⸗
verbefferuung herrfchte lange die eheologifhe An«
fiht vor, befonders nad) dem fogenannten vier Mo»
narchieenſyſteme, das ſich auf eine mißverftandene
Stelle im Propheten Daniel gründete. Dann folgte
im zweiten Viertheile des achtzehnten Jahrhunderts
die philologifche Anſicht, wo geachtete Philolos
gen die Geſchichte, beſonders die alte, als Hülfs-
mittel zu dem Studium der Flaffifchen Schriftfteller
bes Alterthums behandelten, wie gleichzeitig bie
Publiciſten Die Geſchichte der Teutſchen als Hulfs-
mittel Des teutfchen Reiches zunaͤchſt als Kaifer-
und Neichshiftorie vortrugen, ohne das im Vor:
dergrunde der Ereigniſſe ftehende teutfhe Wolf
einer höhern Berudfichtigung zu würdigen. — Nur
eeft mit Schlözer begann die Behandlung ber
Gefchichte aus dem Standpuncte ver Politik, worin
ihm Spittler, oh. Müller, Heeren, Wach—
ler, Saalfeld, Rotteck, Luden u. a. folgten,
Die Gefchichte, aus Diefem Standpuncte darge⸗
22
Allgemeine Einleitung
Fuͤr dieſen Zweck der Vorbereltung auf die
Staatswiſſenſchaften eignen ſich — mit Uebergehung
der ältern in die Literatur der Kameralwiſſen⸗
fchaften gehörenden Werte — beſonders folgende
Schriften:
ge. Bened. Weber, Einleitung in das Studium der
Kameralwiſſenſchaften. ste Aufl. Berl. 1819. 8.
(Doch werden von dem Verf. die meiften eigents
lichen Staatswiffenfchaften in das Gebiet der
SKameralwiffenfchaften gezogen.)
Seo. Fr. v. Lamprecht, Entwurf einer Encyflos
pädie und Methodologie der Kameralwiffenfchafs
ten. Halle, 1785. 8. (enthält: Dekonomie, Berg»
bau, Technologie, Handelstunde, Haushaltung und
Staatsiehre, d. i. Polizei und Finanz.)
Fr. Ludw. Walther, Berfuh eines Syſtems ber
Kameralwiffenfchaften. 4 Theile. Gießen, 1793 ff.
8. N. A. 1806, (TH. ı Landwirthfchaft; Th. a
Serkwiftenfhaft; Th. 3 Technologie; Th. 4 Pos
ie.)
abend. Schmal +, Encyklopaͤdie der Kameralwiſſen⸗
ſchaften. Koͤrigsb. 1797. 8. N. A. 1819. (In
dieſer NM. %. bat Thaͤr die Landwirthſchaft,
Hartig die Sorftwiffenfhaft, Roſenſtiel die
Bergbaukunde, und Hermbflädt die Technos
N revidirt.)
K. Ch. G. Sturm, Grundlinien einer ‚Encptlopäbie
der Kameralwiffenfcaften. Jena, 1807. 8. (Lands
wirchfchaft, Technologie, Handelskunde, Polizei
und Finanz.)
Er. Karl Fulda, Grundfäge der dfonomifch » politis
fhen oder Kameralwiffenfchaften. Tüb. 1816. 8.
N. A. 1819. (Privatoͤkonomie, Nationaloͤkonomie,
Staatsoͤkonomie.)
Die einzelnen Kameralwiſſenſchaften ſind von
ausgezeichneten Maͤnnern trefflich angebaut worden:
die Sandwirchfäiaft von Bedmann,
6
in die gefammten Staarswiffenfihaften. 23
Thar (Einl. zur Kenntniß der engl, Lanbwirths
(haft, 4 Th. Hannov. 1806. 8.) und Burger
(Lehrb. der Landwirthſchaft, 2 Th. Wien, 1819 u.
21.8); — die Forſt wiſſenſchaft von
—Burgsdorf, Hartig, Bechſtein, Cotta und
Pfeil; — die Bergbanktunde von Wer
ner, Trebra, Eharpentier, Freiesleben,
Lampadius, Mobs; — dieTehnologie
von Seemann, Hermbfäbdt, Poppe; —
die Hand. elstu nde von Buͤſch Cepeoretfäe
practifche Darftellung I der Handlung, 2 Th. N. A
Hamb. 1799. 8.), Beckmann, Leuds, und
Sonnleithn : r Eehrbuch d der Handelswiſſenſchaft,
Wien, 1819. 8. )
7.
Die Vorbereitungs- und Huͤlfswiſſen—
ſchaften zu den Staatswiſſenſchaften.
Will man den Kreis der vorbereitenden
(oropaͤdeutiſchen) und Hülfswiſſenſchaften in
Beziehung auf die Staatswiffenfchaften nicht abficht-
lich erweitern; fo fünnen, im engern Sinne, nur
diejenigen dahin gerechnet werden, welche ent w eder
Grundſaͤtze und Lehren enthalten, die in den einzelnen .
Staatswiffenfchaften aus andern Difciplinen als
Prämiffen vorausgefegt werden, oder die zur nähern
Entwidelung, Erklärung und Verfinnlichung der in
‚den Staatswiflenfchaften enthaltenen Grundfäge und
Unterfuchungen dienen. Aus biefem Standpuncte
koͤnnen blos folgende als WVorbereifungs- und
Hülfswiffenfhaften ver Staatswiſſenſchaften
aufgefuͤhrt werden:
) Die Kameralwiſſenſchaften, nament—⸗
lich als Vorbereitungskenntniſſe fuͤr Voikowirthſchaft,
Staetswirchſchaft und Finanzwiſſenſcheſt:
⸗
24 _ Algemeine Einleitung
Ueber ihren Begriff ‚ ihre Abgrenung und
(br Verhaͤltniß zu den Staatswiffenfchaften
+ ‘ +
2) Die fogenannte politifhe Geographie,
- oder die wiffenfchaftlihe Darftellung der phyſiſchen
und politifhen Verhältniffe der einzelnen Staaten
und Reiche des Erdbodens aus dem Standpuncte
bes örtlihen Nebeneinanderfenns und der
örtlichen Aufeinanderfolge. ber Gegenflände -
(um fie dadurd) mwefentlih von der Statiftif zu
unterfcheiden,, und gegen diefe feharf zu begrenzen, —
“ worüber der dritte Theil biefes Werkes zu ver
gleichen iſt).
Als vorzuͤgliches Handbuch der’politifchen Geo⸗
sraphie (obgleich in daffelde zu viel aus der Sta⸗
tiftie aufgenommen worden tft) verdient genannt zu.
werden; Chſtn. Gtfr. Dan. Steins hands
bud der Geographie und Statiſtik nad
den neuefien Anfihten. 3 Thetle. Ate verm.
und verb. Auflage, Lpz. 1819 u. 20. =.
As vollfändiges Syftem der neueften Läns
derfunde, das, nach feiner Beendigung, den veraltes
; ten Büfhing völlig erfegen wird, gehört hierher .
das: volltändige Handbuch der neueften
Erdbefhreibung von Gaſpari, Haffel,
Cannabich und Gutsmuths. Von dieſem
Werke find bis jetzt in 4 Abtheilungen 15
- Bände erfhienen, wovon die 3 erften Abtheiluns
gen in 11 Bänden Europa, und die 4te Abtheis
. lung in 4 Bänden Afien (meiftens von Haffel
ital) Dargeftelle Haben. Die drei übrigen Erds
theile ( frita von Ukert behandelt) find noch
zuruͤck.
3) Die allgemeine Geſchichte aus.dem
Standpuncte der Politik. Die allgemeine
(oder Welt) Gefchichte eheile man am zweckmaͤßigſten
N
in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 25
in vier Haupttheile: 1) die Gefchichte ber Welt
bes Alterthums, . welche mit ber Stiftung ber
älteften Staaten beginnt und herabreicht bis zum
Untergange des römifchen Weftreiches (476 nad) -
Eprifti Geburt); 2) die Gefchichte des Mittel-
alters, von der Auflöfung des römifchen Weſt⸗
‚reiches bis zur Entdedung bes vierten Erbtheiles
(son 476 — 1492 n. C.); 3) bie der neuern
Zeit, von der Entdedung des vierten Erdtheils
bis zur franzöfifhen Revolution (von 1492 —
1789); und 4) die der neueften Zeit von ber
franzöfifchen Revolution bis auf unfre Tage. — Für
die Behandlung und Darftellung der allgemeinen Ge⸗
ſchichte find feit den legten Jahrhunderten mehrere
Standpuncte feftgehalten worden. Seit der Kirchen- -
verbefferung berrfchte fange die theologifhe An⸗
fiht vor, befonders nad) bem fogenannten vier Mo⸗
narchieenfpfteme, das fid) auf eine mißverftandene
Stelle im Propheten Daniel gründete. Dann folgte
im zweiten Viertheile des achtzehnten Jahrhunderts
die philologiſche Anficht, wo geachtete Philolo«
gen die Gefchichte, -befonders die alte, als Huͤlfs⸗
mittel zu dem Stubiun der Flaffifchen Schriftiteller
des Altertbums behandelten, wie gleichzeitig bie
Publiciſten die Gefchichte der Teutfchen als: Hulfs-
mittel des teutfchen Reiches zunächft als Kaifer-
und Meichshiftorie vortrugen, ohne das im Vor⸗
dergrunde der Ereigniffe ftehende teurfhe Wolf
einer böhern Berüdfichtigung zu würdigen. — Nur
erft mit Schlözer begann die Behandlung der
Gefchichte aus dem Standpuncte der Politik, worin
ihm Spittler, Job. Müller, Heeren, Wach—
ler, Saalfeld, Rotteck, Luden u.a. folgten.
Die Gefchichte, aus die ſem Standpuncte Darges
26 Allgemeine Einleitung
ſtellt, vergegenwärtigt nich allein den Innern und
nothwendigen Zufammenhang der “Begebenheiten,
nach welchem fie fih gegenfeitig als Urſache
und Wirfung verhalten (bie pragmatifhe
Methode), fondern auch die Ankündigung des in-
nern und äußern Lebens der erlofchenen oder noch
beitehenden Reiche und Staaten, inwiefern nämlich
(nad), ven Grundfägen der Staatsfunft) das in-
nere Leben der Voͤlker und Staaten zunaͤchſt von
beren Kultur, Religion, Verfaffung, Verwaltung
“und Gitten abhängt, und das Außere Leben der⸗
felben, oder ihre Verbindung und Wechſelwirkung
mit andern gleichzeitigen Voͤlkern und: Staaten, fo
- wie überhaupt ihre Fräftige oder ſchwache Stellung
in der. Mitte eine eigentlichen Staatenfyftems, zu⸗
nächft bedingt wird von der Kraft ihres innern
Lebens. — Ob nun gleich die Geſchichte des
europäifhen Staatenfyfiems aus dem
Standpuncte der Politif vom Jahre 1492
an ($. 5. N. 7.) eine felbftftändige Staatswiffen-
[haft bildet, und in die Reihe derfelben gehört; fo
. wird Do), durch Die Behandlung der Altern und.
neuern Gefhichte aus dem Standpuncte der Po-
litik, die richtige Würdigung der Gefchichte ber
neuern und neueften Zeit, ıwo die Verbindung und
Wechſelwirkung der europäifchen Staaten und Reiche
allmählig die aͤußere Geftalt eines Staaten»
fyftems gewann‘, zweckmaͤßig vorbereitet und
unterſtuͤtzt. Esift daher, für das Studium
der Staatswiffenfhaften, die Behandlung
ber allgemeinen Gefchichte aus dem Standpuncte
ber Politif der fonft gewöhnlichen annaliftifchen
(chronologiſchen), ober ethnographifchen, oder ſyn⸗
hroniftifhen Methode vorzuziehen, weil nur bei
| in die gefammten Staatswiffenfchaften. 27
jener Behandlung bie allgemeine Gefchichte als eine
Vorbereitungs-» und Huülfswiffenfchaft der Staats»
wiffenfchaften gedacht werden kann.
4) Die Diplomatif ober Urfundenlehre.
Diefe Wiflenfchaft, welche zunächft in den Kreis
der geſchichtlichen Wiffenfchaften gehört, bat
die Beflimmung, die gefhichtlichen Urkunden lefen,
verfteheg und benutzen, fo wie die Echtheit berfel-
ben beurtheilen zw lehren. inwiefern nun eine
Menge von Urfunden aus den Zeiten des Mittel»
alters zur Begründung und Bewahrung der Rechte
der einzelnen Staaten und ihrer Regentenhäufer
gehören ; infofern hat die Diplomatif für den Staats»
und Geſchaͤftsmann, nächft der Kenntniß der allges
meinen Gefchichte , unter ben übrigen gefchichtlichen
MWiffenfchaften einen vorzüglichen Werth, Der
Name Diplomatifer bezeichnete deshalb auch,
bis er von; der fpätern und angemeflenern Benen⸗
nung Diplomat verbränge ward, Diejenigen
Staats» und Gefchäftsmänner, welche aus eigner
gründlicher Kenntniß der Urfunden die rechtlichen
und politifhen Verhältniffe ihres Staates nicht nur
überfchauten, fondern die legtern auch, nad) jener
erworbenen Kenntnig, im In⸗ und Auslande bei
jedem eintretenden ftreitigen Falle leiteten. — Ob
nun gleich durch die völlige Umbilbung bes innern
Staatslebens der meiften europäifchen Staaten feit
30 Jahren, fo wie durch die ‚völlig veränderte
Grundlage der Staatskunſt in den Außern Ver⸗
hältniflen, die Diplomatik, unbefchadet ihres
wiffenfchaftlihen MWerthes, für den Staats» und,
Gefhäftsmann entbehrlicher und minder wichtig ger
worden iſt, als vormals, und dagegen die Diplo
'
28 Allgemeine Einleitung
matte zu einer ſelbſtſtaͤndigen — wenm gleich no
richt völlig burchgebildeten — Gtaatswiflenfchaft
fih) erhoben Hat; fo muß doch noch: immer die
Diplomatif in den Kreis der Hälfsmiffenfchaften
zu den Staatsmwiffenfchaften gezogen werden, weil die.
‚inden Archiven aufbewahrten Urfunden der Staa⸗
ten und Reiche nicht felten, theils wegen der in meh⸗
vern Staaten fortdauernden Sehnsverhältniffe im In⸗
nern, theils ‚wegen ftreitiger NRechte mit dem Aus⸗
fande , nachgeſchlagen und nad) ihrem Inhalte aus=
gemittelt werden muͤſſen. Wenigftens bedarf in unfrer:
Zeit jeder nur etwas bedeutende Staat einiger
Männer, welche dieſer Wiſſuſcheſt in der Naͤhe der
Archive gewachſen ſind.
Gebildet ward aber die Di lomatit ‚als ge
ſchichtliche Wiffenfchaft, feie der Mitte des fieben-
zehnten Jahrhunderts durch die Damals beginnenden
Territorialprogeffe, befonders in Hinfiht auf die
ſeit dem eilften Jahrhunderte zahlreich verfertigten
falſchen Urkunden, auf welche, namentlich Kloͤ⸗
ſter und geiſtliche Körperfchaften , große Beſitzungen,
Rechte und Anſpruͤche gruͤndeten. Dahin gehoͤrte
beſonders Conrings censura diplomatis, quod
a Ludovicu Imperatore fert acceptum coenobium
Lindaviense. Helmst. 1672. 4. Doch war Pape
broch, ein Sefuit zu Antwerpen, der Erfte, wel
cher 1675 die Grundfäge der Kegeln zur Prüfung
der Urkunden wiffenfchaftlich zu ordnen verfuchte,
. Durd) die Strenge feiner Grundfäge fand fich ‘aber
befonders der Benedictinerorden beeinträchtigt, aus
deffen Mitte oh. Mabillon das gelehrte Werki
de re diplomatica, libri 6, Lutet. Paris. 1681.
Fol. fchrieb, welchem 1704 ein Ergänzungss
An bie gefammten Stautswiffenfihaften. 29
band folgte. — Mad) diefer refflichen Begrün- -
dung der neuen Wiflenfchaft ward fie bald in den
Kreis der afademifchen Vorträge aufgenommen, und
von Staatsmaͤnnern geachtet. Als Folge diefer
Achtung entftand Das berühmte Chronicon
Gottwicense, von welchem aber nur Ein Theil
zu Tegernfee (1732. Fol.) erfchien, in welchem der
Unterfchied zwifchen den innern und äußern Kenn-
zeichen ber alten Urfunden genauer feftgehalten ward._
Bald darauf erfchien, als Muſterbuch, und ganz in
Kupfer geftohen Walthers Lexicon diploma-
ticum. Götting. 1745. Sol. — Die ſyſtemati—
fhe Haltung der Wiffenfchaft erhöhten die beiden
Benedictiner Touftain und Taffin (feit 1750),
in einem Werfe von 6 Quartbanden mit 100 Ku⸗
pfern, welches J. Chſtph. Adelung unter dem
Titel: neues Lehrgebäude der Diplomatif
(9 Theile, Erfurt, 1759 ff. 4.) auf teutfchen Bo⸗
den verpflanzte. — Gleichzeitig wirkten für das
Stwium dee Diplomatif: Heumann in f
commentariis de re diplomatica regum et im-
peratorum germanicorum, Norimb. 1745. 4 —
Eckhardt in f. introductio in rem diplomaticam,
praecipue germanicam, Ed. 292, Jen. 1753, 4 —
Baringinf, clavis diplomatica, Hanov. N. Ed.
1754. 4+ — Joachim in ſ. (trocknen) Ein
leitung zur feutfchen Diplomatif, 2te Aufl.
Halle, 1754 8. — Gregor Gruber in ſ. Lehr⸗
buche einer allgemeinen Diplomatif, vor
züglich für Deftreih und Teutſchland. 2 Ch. Wien,
1783. 8. — J. Chſtph. Gatterer, ſchon im
Jahre 1765 durch ſeine elementa artis diploma-
ticae, wovon aber nur Ein Quartband zu Göttin«
gen erſchien, und fpäter durch feinen Abriß der
’
30 .. Allgemeine Einleitung
Diplomatik, Gött. 1798. 8., "und durch feine
practifche Diplvmatif, nebit 15 Kupfertafeln.
Goͤtt. 1799. 8. — Mit "vielen neuern Anſichten
bereicherte die Biſſenſchaft Schoͤnemann, in ſ.
Lehrbuche der allgemeinen, beſonders
aͤltern Diplomatik, 2 Th Hamb. 1801. $.,
welchem fein Coder für die practifche Diplo—
matif, 2 Ih. Götting. 1800. 8. vorausgegangen
war. — Zum Gebrauhe für Archivare find
befonders geeignet: le Moine und Datteney,
practiſche Anweifung zur Diplomatif und zu einer
“guten Einrichtung der Archive. Aus dem Franzoͤſ.
Nuͤrnb. 1776. 4. und Karl’ Sr. Bernd. Zinker⸗
nagel, Handbuch für angehende Archivare. Noͤrd⸗
lingen, 1800. 4.
8
Siteratur ber encyklopaͤdiſchen Be⸗
handlung der Staatswiſſenſchaften.
Da bei jeder einzelnen Staatswiſſenſchaft die
wi chtĩgere Literatur derſelben mitgetheilt wird;
ſo gehoͤrt an das Ende der Einleitung, welche eine
kurze Ueberſicht uͤber das geſammte Gebiet der
Staatswiſſenſchaften — wie daſſelbe in dieſem
Werke dargeſtellt wird — enthalten ſollte, nur noch
die Angabe der Schriften, in welchen die Staats⸗
wiſſenſchaften (freilich je nachdem die Verfaſſer
mehrere oder wenigere dahin rechneten) encyklopaͤ⸗
diſch, und zwar mit Ausſchluß der Kameralwiſſen⸗
ſchaften, aufgeſtellt wurden.
Karl Gtlo. Roͤſſig, Entwurf einer Encyklopaͤ⸗
die und Methodologie der geſammten Staatswiſſen⸗
ſchaften und ihrer Huͤlſsdiſciplinen. Leipz. 1797. 8 -
in bie gefammten Stagtswiffenfchaften, 31
(Bet vieler Berfolitering der einzelnen hieher gehd⸗
venden Wiſſenſchaften in mande Untertheile, bat
auch der Verf. zu viele poſitive Rechte beruͤck⸗
fihtigt,, 3. B. das teutfhe Staatsreht, und yum
Theile die Kameralwiffenfchaften, 3. ®. Technologie,
Bergbau u. ſ. w.)
Joh. Karı Wild. Roͤsling, die Wiſſenſchaft
von dem einzig richtigen Staatszwede; als Grund⸗
lage und Einleitung zu allen theoretifhen und
practifhen Staatswiffenfchaften. Erlang. 1811. 8.
(mit mehr Fleiß als Geiſt.)
Alter. Lips, die Staatswiffenfchaftsichre, oder
Encyklopaͤdie und Merhodologie der Staatswiſſen⸗
fhaft. Erl. u. Lpz. 1813. 8. (Der Verf. nimmt als
Staatswiffenfhaften an: Juſtiz, Poltzei, Nationale
wirthſchaft, Nationalerziehung, Staatsconftitutiongs
wiſſenſchaft, Finanz.) — Eine kleine Schrift von
34 Seiten war dieſer vorausgegangen: Darſtellung
eines vollſtaͤndigen, aus der Natur der Menſchheit
und des Denkens geſchoͤpften Syſtems des Staats
und feiner Wiſſenſchaft. Münden, 1812. 8. (ent
behrlich geworden durch die oben genannte fpätere
Scırift.), j
v. Jakob, Einleitung in das Studium ber
Staatswiffenfhaften. Halle, 1819. 8. (Der Verf.
verbreitet ſich zunaͤchſt über Politit, Nationaloͤko⸗
nomie, Polizeiwiffenfhaft und Finanzwiſſenſchaft.)
Freih. v. Kronburg, Encyklopädie und Mes '
thodofogie der practifhen Staatslehre nah den
neueften Anfichten der Berühmteften Schriftfteller
dargeftellt und ergänzt. Dresden, 1821. 8. (meis
fiens Compilation.) ’
* *
Wilh. Butte, Generaltabelle der Staatswiſſen⸗
ſchaft und der Landeswiſſenſchaft. Landsh. 1808.
Fol. — Dazu gehoͤrt: Entwurf ſeines ſyſtemati⸗
ſchen Lehrkurſus auf der Grundlage feiner Generals
tabelle. Landsh. 1808. 8. (So viel ſich gegen des
Verf. Elafification und Benennung der Staats—
wiffenfchaften einmwenden ließe; fo hat er doch den
hohen Werth derfelben hervorgehoben, und bie
32 Acllg. Einleit. in die gefammten Staatsw.
Selbſtſtaͤndigkeit des Kreiſes aller Gegenftände,
welche: dahin gehören, bemerkbar gemacht.) Spaͤ⸗
ter erfhien von ihm folgendes. Werk: Ueber das
organifirende Princip im Staate, ır Theil. Berl.
1822. 8. (Sin diefem befinde fh S. 127 ff. auch
eine Eintheilung der Staatswiffenfhaften, welche
vor der in der Seneraltabelle enthaltenen den Vor⸗
zug verdient.) |
* * *
Zuden materiellen Encyclopäbdieen ber Staats
wiffenfchaften kann auch gerehnet werden: —
Die Staatskunſt; oder vollftändiga und gruͤnd⸗
liche Anleitung zu Bildung Eluger Regenten, geſchick⸗
ter Staatsmänner und rehtfchaffener Bürger. Aus
dem Franzöf. des Herrn von Real, uͤberſ. von
Joh. Phil. Schulin. 6 Theile. Frankf. u. Leipz.
1762 — 67. 8. (Th. ı u. 2 enthalten einen allgem.
Grundriß der Staatstunft, größtentheils gefchichts
liche Darftellung der Verfaſſung älterer und neuerer
Staaten; Th.3 das Naturreht; Ih. 4 das Staates
recht; ch. 5 das Voͤlkerrecht; 2. 6 die Politik.)
+
Nakturs und Voͤlkerrecht.
Einleitung -
— æ—
1.
»Vorbereitende Begriffe - '
J.de ſelbſtſtaͤndige Wiſſenſchaft unterſcheidet ſich
dadurch von allen andern Gebieten der wiſſenſchaft⸗
lichen (d. h. der ſyſtematiſchen, in ſich zuſammen⸗
haͤngenden) Erkenntniß, daß ihr ein eigenthuͤmlicher
Begriff und Zweck zukommt, und von dieſem
eigenthuͤmlichen Begriffe und Zwecke theils der Um⸗
fang der ganzen Wiſſenſchaft, theils ihre innere
ſyſtematiſche Anordnung, und Haltung, theils
ihre Verſchiedenheit von allen andern, befonders
von den verwandten Wiflenfchaften,, theils der höhere
oder ‚hiebere Standpunct, aus welchem ber
Anbau der Wiffenfchaft in verfchiedenen Zeiten ver«
fuht worden ift, mit Nothwendigkeit abhängt.
Gilt dies von allen felbftftändigen Wiſſenſchaften;
fo muß es auch von der. philofophifhen Rechts—
lehre gelten. Die Einleitung in diefelbe ift daher.
®
34 Natur» und Voͤlkerrecht.
bazu beſtimmt, den eigenthiimlichen Begriff und
Zweck dieſer Wiſſenſchaft auszumitteln , und jene
Solgerungen daraus, abzuleiten,
—
2.
Begriff und Zmed ver philofopbifhen
Rechtslehre.
⸗
Der Begriff des Rechts, ſo wie der lette Grund
deſſelben, kann nicht aus der aͤußern ſinnlichen Welt,
nicht aus dem Kreiſe der Erfahrung und Geſchichte,
und geben fo wenig aus einem pofitiven, d. h. aus
einem zu einer gewiffen Zeit und für die Bebürfniffe
eines gewiflen Volkes gegebenen (mithin blos ge—
fhichelich erfennbaren und geltenden) Rechte der
Hindus, oder der Hebräer, der Griechen, der Nömer,
der Langobarden, oder der römifchen Bifchöffe ftam-
men. Was ewig als Recht fir den Menfchen gelten
und zugleich den höchften Maasitab für Die Ausmitte-
lung der Vollfommenheit oder Unvollkommenheit jedes
pofitiven Rechts des Alterthums oder der neuern Zeit
enthalten foll, muß über alle Gefchichte und über jede
pofitive Gefeßgebung binausreichen, und in der ur⸗
fprünglichen Gefegmäßigfeit des menfchlichen Geiftes
begründet feyn, wenn anders das Recht alle We-
fen unfrer Gattung ohne Ausnahme, wenn es alle
Völker und alle Zeiten umfchließen, wenn ber
Urbegriff des Rechts auf alles, was in ber Erfahrung
und Gefchichte als Recht ſich anfündigt, als höchfter
Maasftab angewandt, uͤberhaupt wenn der Zweck
aller äußern gefellfchaftlichen Verbindung zwifchen
Wefen unfrer Gattung, das erhabene deal
der Herrfhaft des Rechts auf dem ganzen
Erdboden, allmäplig verwirklicht werden foll,
| Natur⸗ und Völkerrecht. 85
3, |
Ableitung des Begriffes des Rechts aus
der urfprünglihen Gefegmäßigfeit des
menſchlichen Weſens.
Die urſpruͤngliche Geſetzmaͤßigkeit des menfch-
lihen Wefens beruht auf den drei unmittelbaren That-
fahen: des Daſeyns, des Verſchiedenſeyns von allen
andern Dingen (der ndividualieäe) ‚ und der Per:
fönlichfeit und Freiheit. Diefe unmittelbaren
Thatfacherr find in. einem Urfelbftgefühle verbürgt,
welches wir das Bemwußtfeyn nennen," und dieſes
Bewußtſeyn iſt das einzige Bleibende und Unver:
anderliche in unferm Wefen, über welches wir mit
unfrer Erfenntniß nicht hinaus koͤnnen, und in wels
hem jeder einzelne Zuftand als mittelbare That⸗
fahe, deren wir uns bemußt werden, von ung wahr⸗
genommen wird. Ob nun gleid) dag Bewußtſeyn
nach ſeinem letzten uͤberſinnlichen Grunde auf ſeiner
völligen Unerflärbarfeit beruht; fo unterfcheiden wir -
dorf) in demſelben zwei Hauptgattungen menfchlicher
Zuftände: die Zuftände Des Seyns und des Han«
delns. Das menfchliche Seyn fündige fih naͤm⸗
ih unmittelbar im Bewußtſeyn an als die innigfte
und unauflöslichite Verbindung einer finnlihen und
einer geiftigen Natur. zu dem Ganzen Einer Perfon.
Es ift daher die Aufgabe der theoretiſchen Pfilo-
ſophie, den Menfchen nad) dem, was er ift, nad)
der Gefammtheit und dem gegenfeitigen Verbältniffe
aller in der urfprünglichen Gefegmäßigfeit feines We—
fens enthaltenen Vermögen und Kräfte darzuftellen.
Mit. dem Kreife des menfchlihen Seyns ftehe
aber der Kreis des menfihlihen Handelns, oder
der äußern Ankündigung der menfhlichen Tpäcigfeit,
. | 3
30 Natur⸗ und Völkerrecht.
In Angemeſſenheit zu einer vorausgegangenen Innern
Gefinnung und Triebfeder bei jeder einzelnen Hand⸗
fung, in der genaueften Verbindung ; denn jede äußere
Thaͤtigkeit feßt einen von dem handelnden Weſen ge-
dachten Zweck voraus, der durch die aͤußere Thaͤtig⸗
keit erreicht werden foil. Die wiffenfchaftlihe Dar-
ftellung der Gefammtheit aller i innern Triebfedern und
Zwecke menfchlicher Handlungen, fo wie der‘ aus, die:
fen Triebfedern entfpringenden Handlungen i in Ange»
meffenbeit zu den beabfichtigten Zwecken, ft daher die
Aufgabe der pra etif hen. Phuͤoſophie. — Es kann
aber nur ein freies Weſen der innern Triebfebern,
nach welchen es handelt, des Zwedes, welchen es
beabfichtige, und der Handlungen ſich bewußt werden,
welche es in Angemeſſenheit zu dieſen Triebfedern
vollbringt. Ob nun gleich die theoretiſche Philoſophie
in der Metaphyſik die Freiheit des Willens als die
urſpruͤngliche Selbſtbeſtimmung des Menſchen bei ſei⸗
nen Handlungen, mithin als das hoͤchſte practifche
Vermögen vernünftig. finnlicher Mefen und als den
unterfheidenden Charafter der Menfchheit von allen
andern Gefchöpfen aufftellt; fo ift es doch zunaͤchſt die
practiſche Philoſophie, welche der Freiheit in der un⸗
bedingt gebietenden Gefeggebung der Vernunft das
unermeßliche Ziel vorhält,; nad) welchem fie ftreben,
und das ſie verwirklichen foll,
4.
Das practifhe Ideal.
. Die Vernunft fenne nämlich feine höhere Idee,
als die Idee des Sittlich-Guten, d. h. die
Ausübung des Guten um des Guten felbft
willen, ohne irgend eine Nüdficht auf die daraus
Natur » und Völferreh. 37
hervorgehenden Folgen. Dieſe dee des Sittlich—
Guten ift unabhängig von. allen Naturgefegen, weil
fie aus dem innern Heiligthume des menfchlichen Gei-
fies und aus der reinften Thaͤtigkeit feines höchften
Vermögens, der Vernunft, hervorgehet. Sie ftelle
den Endzmerf des menfchlihen Dafeyns auf, weil
alle andere Zwecke unter demfelben enthalten find, und
fih auf dieſen hoͤchſten und leßten Zweck beziehen.
Diefe dee foll aber nicht blos als Erfenntniß in dem
Borftellungsvermögen des Menfchen enthalten feyn,
fondern zugleih das höchfte Ideal für alle feine
Handlungen vermitteln, inmwiefern- das “deal der
Sitrlihfeit, als ein aus der Vernunftidee des Sitt-
lih- Guten ftammendes, wegen feiner Unermeßlich—
feit aber in dem irdifchen Leben nie völlig zu verwirf:
fihendes Urbild, der würdigfte und höchfte Gegen-
fand aller Beftrebungen bes freien Willens werden,
und die unbedingt (d. h. ohne Ausnahme und Ein-
ſchraͤnkung) gebotene Annäherung an diefes deal die
große Aufgabe für alle vernünftig - finnliche Wefen,
fo mie der Inbegriff der gefammten Zwecke ihrer Thä-
tigkeit, in allen Zeiträumen ihres Dafeyns feyn und
bleiben fol, |
| 5, w
Die beiden Haupteheile des practifchen
deals, das deal der Pfliht und des
Rechts. >
Das Seal der Sittlichkeit, welches durch den
freien Willen des Menfchen verwirklicht werden foll,
zerfällt, nach der urfprünglich gefegmäßigen Einrich⸗
tung unfers Wefens, in das Ideal für deninnern, -
und in das Ideal für den äußern freien Wirfungss
*
88 Natur» und Völkerrecht.
freis. Denn well jede im Kreife menfchlicher Thätig-
feit erfcheinende außere freie Handlung in genauefter
Angemeffenheit zu einer innern Triebfeder erfolgt,
weshalb ihre Güte oder Verwerflichkeit nur nach der
Güte oder Verwerflichfeit dieſer innern Triebfeber
beurtheilt und dem Handelnden (fubjectiv im Gewiflen,
objectiv im Urtheile der Menfchen) zugerechnet
‚ werden kann; fo ift auch nur diejenige äußere Hands
lung dem Ideale der Sittlichfeit, angemeffen,, welche
aus einer innern veinfittlichen Triebfeder hervorgeht;
oder nach) der philofophifchen Kunſtſprache: die Lega=
litaͤt der Handlung, die aͤußere erfennbare Wahr:
nehmung ihrer Angemeflenheit zu dem Sittengefege,
foll die unmittelbare Folge dee Moralitär verfelben
ſeyn. Das Ideal für deninnern freien Wirkungs⸗
. £reis umfdhließt daher bie rein fittlihe Güte der
Triebfeder der menſchlichen Handlungen, oder bie
unbedingte Verbindlichkeit zu einer Thaͤtigkeit für
fittlihe Zwede; das “deal für den äußern freien
Wirfungskreis hingegen die völlige Angemeffenheit
der äußern freien Handlung zur innern fittlichen Güte
- ‚ber Teiebfeder, oder die Verwirklichung fittlicher
Zwede in der Verbindung und Wechfelmirfung mit
Weſen unfrer Art. Jenes Ideal ift das Ideal ber
Pflicht, diefes das Ideal des Rechts. Denn
unter Pflicht verftehen mir .die fubjective Verbind⸗
lichkeit zu freien Handlungen, welche dem Sittenge-
fege angemefjen find, und bezeichnen diefe Verbind-
lichkeit mit dem Ausdrude des Sollens;z unter
Recht verftehen wir aber die in unferm äußern Wir-
fungsfreife enthaltene Möglichkeit, ſittliche Zwecke zu
. erreihen, und in der Wechfelwirfung mit Andern
geltend zu machen. Wir bezeichnen diefe äußere Mög-
lichkeit der Erreichung fittlicher Zwecke mit dem Aus⸗
Natur » und Voͤlterrecht. 39
drucke des Duͤrfens. (Es darf geſchehen.) *) Das
Recht beſteht daher in dem, was nach ſittlichen
Zwecken moͤglich ift »e); fo daß in dem Syſteme
der gefammten practifchen Philofophie, nach dieſer
Begriffsbeftimmung , unter dem Rechte die durch die
Freiheit des Willens begrünbete und verbürgte Mög-
lichfeit der Anfünbigung und WBerwirflichung des
Eittlid) - Guten in der Gemeinfchaft und Wechfelwir-
fung vernünftig - finnlicher Wefen nach ihrem aͤußern
Wirkungskreiſe verſtanden wird.
Es ſtammen alſo beide Ideale, der Pflicht und
des Rechts, gleihmäßig und urfprünglich aus dem
Ideale der Sittlichkeit, fo wie dieſes Ideal aus der
böchften Vernunftide:, ber Idee des Sittlic) » Guten,
Beide Ideale ſtehen unter ſich in notwendiger und
unzertrennlicher Verbindung, und eben fo die bei-
den Wiflenfchaften der practifchen Philofophie: die
Pflihten- und die Rechtslehre.
6.
Solgerungen aus dem Unterfhiede zwi—
fhen Recht und Pflicht.
Aus diefer Begriffsbeftimmung folgt:
1) daß das Recht, mie die Pfliht, aus
dem Sittengefege ſtammt, und alles, was
=) Sn der phyſiſchen Welt fieht dem Dürfen das Koͤn⸗
nen als phyſiſche Möglichkeit, und dem Sollen
Fr Muͤſſen als phnfifche Nothwendigteit gegen
**) —X iſt an ſich viel (z. B. daß ich dem Nach⸗
bar das Haus anzunde); recht aber nur das, was.
nad festigen Zwecken mögli if.
L
40 Notur⸗ mb Voͤlkerrecht.
gegen das Sittengeſetz verſtoͤßt, nie Recht ſeyn und
werben kann, mithin Pflicht und Recht gleih.mäßig
auf die Freiheit ſich gruͤnden, und jede aͤußere Hand⸗
tung ein. Wiederſchein der innern Freiheit iſt *);
2) daß, da es fuͤr die Freiheit einen innern
and aͤußern freien Wirkungskreis gibt, der außere
freie Wirfungsfreis zunächft durch den innern be
dinge (d. h. duch das Vergegenwaͤrtigen eines
.Zweckes beftimmt) wird;
3) daß das Recht von der Pflicht zunächft durch
die äußere Ankündigung **) ſich unterfcheidet, waͤh⸗
rend die Pflicht zunächft die innere Angemeffenheit der
Triebfeder zu dem Sittengefege enthält, obgleich auch
Knaus
ED“
=) Die Freiheit it zwar an fih ein Noumenon,
und gehört zur Überfinnlihen (tranfcendentalen —
nicht tranfcendenten) Welt in uns; für die Rechtes
fphäre ift aber die Freiheit ein Phänomenon, ein
in wirklichen Handlungen Erfcheinendes und Ers
kennbares.
#6) Das Recht iſt, wie die Pflicht, gleichmäßig in dem
Innern Weſen des Menfchen, d. h. in feiner Vers.
nunft (die nur Eine und diefelbe ift) und in feiner
Sittlichleit begruͤndet; dies erhellt ſchon daraus,
weil das Recht das nach fittlihen Zweden-
Mögliche umfhließt, während die Pflihe das
‚nah fittlihen Zwecken Nothwendige ge
bietet: Allein jede Aeußerung eines Rechts, es fey
die Ankündigung und-das behaupten des eigenen
echte, oder die Anerkennung Der Rechte Andrer,
verlangt durchaus einen dußern freien Wirkungss
freis, d. h. einen Kreis, worin eine — in Ange
meffenheit zu einer Innern Triebfeder erfolgende —
. Handlung wahrgenommen wird und ‚werden kann,
alfo eine Verbindung, Gemeinfhaft und Wechſel⸗
wirkung mit Weſen unfrer Art. |
Natur « und Voͤlkerrecht. 4
die einzelnen Pflichten, bei ihrer Ausübung, in äußern
Anfündigungen als Handlungen wahrgenommen
werden; '
4) daß die Anfündigung und Verwirklichung
des Rechts nur in der Verbindung und Wech—
felwirfung vernünftig =finnlicher Wefen möglich,
mithin der Kreis der Pflichten weiter ift, als ber
Kreis der Rechte, weil den Rechten nur diejeni«-
gen Pflichten entfprehen, die blos in ber Ver—
bindung mit Andern verwirklicht werden koͤnnen,
während der Kreis der Pflichten auch die Verpflich-
tungen gegen ſich felbft, gegen Gott, und fogar gegen
die thieriſche Schöpfung umſchließt; fo wie die Pflich-
ten gleichmäßig für den völlig ifolirt, wie für den
in der Geſellſchaft lebenden Menfchen gelten;
5) daß alfo der Kreis der Rechte fo groß if,
als der Kreis aller Verhältniffe, welche in der dußern
‘
erbindung freier Wefen eintreten koͤnnen;
6) Daß aber, ungeachtet der innigen Verwandt⸗
[haft zwifchen den Pflichten und Rechten, der Kreis
ber Pflichten, felbft in Hinſicht der Pflihten
gegen Andere, meiter ift, als ver Kreis der Rechte,
- weil von den Pflichten gegen Andere nur dviePflich-
ten ber Gerechtigkeit (officia perfecta), nicht
aber die Pflichten der Güte (oflicia imper-
fecıa) in der äußern Verbindung und Wechfelmirfung
freier Wefen erwartet und gefordert werden Fönnen *).
Dbgleich nach ihrer Abftammung und Ableitung aus
*) Man Hat auch die Rechte, wie die Pflichten, in
volltlommene und unvolltommene eintheis
len wollen; allein unvolltommene Rechte find
nicht denkbar. |
[
a2 Matur»- und Voͤlkerrecht.
. Einer und berfelben Vernunft und aus Einer und ber-
ſelben Freiheit, mithin nach ihrem fietlichen Werthe und
nachider fubjeceiven Verpflichtung des handelnden Wes
feng zu denfelben, beide, die Pflichten der Gerechtigkeit _
und der Güte, in gleichem Range ftehen; fo unter«
fcheiden fich beide doch, theils nach ihrem Inhalte,
Inwiefern das Recht das nach fittlichen Gefegen Mög
liche, die Pflicht das nach fittlichen Gefegen Not h⸗
wendige fordert; theils nad) ihrem Wirfungs«-
Freife, mo das Recht durchaus das Zufammenleben
‚ (die Eoeriftenz) mit andern ſittlichen Wefen verlangt,
während die Pfliht auch das von der menfchlichen
Gefellfchaft getrennte Individuum verbindet; theils
nad) ihrer Ausdehnung, wo (wie gezeigt ward)
der Kreis der Pflichten ungleich meiter ift, als ber
Kreis der Rechte; theils nad) ihrer Triebfeder,
inwiefern zwar — nach) dem Ideale der Sittlichfeie
gedaht — mie bei der Pfliht, ſo auch beim Rechte,
nur und einzig die reinfiteliche Triebfeder
der gleichmäßige Grund allerRechte und Pflichten feyn
foll, (und dies auch in dem auf ein deal gegründe-
ten Naturrechte nicht anders gelehrt werden kann,)
inder Wirflichfeit aber (welche wiffenfchaftlich -
in dem Staatsrechte beruͤckſichtigt wird) zu der inneren
Triebfeder noch eine außere (d.i. der Zwang) hin-
zufommt, welche für alle diejenigen Mitglieder des bür-
gerlihen Vereins von Wichtigkeit ift und bleibt, die
weder aus reiner innerer Triebfeder Die Rechte Andrer
anerfennen noch nach derfelben ihre eignen Nechte im
äußern freien Wirfungsfreife geltend machen. Allein
weil für alle beffere Menfchen, welche ftreng ber
Vernunft angemeffen handeln, diefe außereTrieb-
feder Des Zwanges binmwegfällt und durchaus auf -
ihre Willensbeftimmung feinen Einfluß behauptet; fo
Natur « und Völkerrecht. 43
darf fie aud) nicht im Ideal des Naturrechts mit der
reinen innern Triebfeder des Handelns auf
gleiche Linie geſtellt werden; ſie wird vielmehr ins
Staats recht aufgenommen, weil überhaupt nur
im Staate der Zwang, mit Ausfchließung der Selbft-
hülfe, recht ich geſtaltet ift.
Sp genau auch wiſſenſchaftlich zwiſchen Pflich⸗
ten⸗ und Rechtslehre unterſchieden werden muß;
ſo habe ich doch, ſeit ich uͤber das Naturrecht
ſchrieb, die urſpruͤngliche Identitaͤt bei—
der in der practiſchen Vernunft und in der Frei⸗
heit des Willens feftgehalten, und beide wiſſen⸗
fhaftlih nach einem Ide ale dargeftellt. Denn
fo wenig irgend ein Menſch das hohe “deal der
Pflichtenlehre erreicht, nad) welchem jebe einzelne
Handlung blos und einzig aus der innern
reinen Triebfeder hervorgehen foll; fo wenig
wird auch von der einzelnen bürgerlichen Geſell⸗
fchaft das Ideal der philofophifchen Rechtslehre,
die unbedingte Herrfhaft des Rechts
aufdem ganzen Erdboden erreicht. Diefer
Gegenſatz der Wirklichkeit gegen das Ideal hebt
aber das “deal felbft nicht auf. Zwar find alle
. Diejenigen Schwaͤrmer, welche das “deal in der
wirflihen Welt durchfegen wollen; allein nie wird.
es ſich die Vernunft verfümmern laffen, in ihrer
Idee das Höchfte auszubilden, mas der legte Maas
- ftab der Beurtbeilung für alles Wirflihe, und
das Ziel bleibt, dem alles Vorhandene allmäh-
Lig zugeführt werden fol. Deshalb erfcheint bei
mir das Naturrecht eben fo ivealifch Durchgeführt,
wie die Pflichtenlehre, und erft im Staats»
rechte behauptet der Zwang die ihm in
der äußern Rechtsgeſellſchaft, wie fie in
>
4A Natur⸗ und Völkerrecht.
der Wirklichkeit erfcheine, gebuͤhrende
- Stelle Man vergleiche meine frühern Auffäge:
das Naturrecht, als deal aller Rechtswiffenfchaf-
“ten in ‚den neuen Beiträgen zur Fritifchen Philof.
von Grohmann und Poͤlitz, (Berl. 1798.)
Th. 1, ©. 223 ff. — Ueber das deal der
Rechtslehre, in meinen Fragmenten zur Philof.
des Lebens (Chemnitz, 1802), ©.170 fi., und _
ebendafelbft (S.189 ff. u. S. 223 ff.) Die aus dem
Standpuncte diefes deals aufgeftellten Grundfäge
des Maturrechts und Völferrehts. — Damals,
in dem Zeitpuncte der Wiedergeburt der philofophi-
fhen NRechtslehre durch die Männer, welche dem
kritiſchen Syſteme folgten, erflärte fih Reinhold
in ſ. Recenfion von Kants Schrift: zum ewi-
gen Frieden, auf gleiche Weife (wenn gleich
Kant felbft in f. fpäter erfchienenen meta phyſi—
fhen Anfangsgründender Rechtslehre,
ben ältern, feit Gundling vorberrfchenden, Anfich-
ten folgend, den Zwang ins Naturrecht wieder
aufnahm). Reinhold fagt-von jener Schrift:
‚Ungeachtet der ganze Entwurf von lauter auf
Sittlichkeit gegründeten Verhältniffen. einzelner
- Menfchen und unabhängiger Völker handelt; fo
ift doch in demfelben nicht die Rebe vom
Rechte zu zwingen, und man kann daber
- ‚von dem, feinen Gegenftand zu erfchöpfen gewohn⸗
ten, Verfaſſer vermuthen, daß er den Zwang
fuͤr einen unweſentlichen fremden Zus
fag des Natur- und Völferrehts an-
fiehe, der nur als ungemwiffes pby-
fifhes Huͤlfsmittel gegen die bösartige
Meigung, feine Verbindlichkeit nicht zu erfüllen,
. verſucht wird. Setzt man die feltene Pflicht zu
Natur⸗ unb Voͤlkerreche. J 45.
zwingen bei Seite; fo kann das Recht zu
zwingen blos dem zukommen, der ausdruͤcklich
Dazu bevollmächtigt ift, und es deutet baflelbe
‚ allezeit auf ein ung leiches Verhaͤltniß, in
welches die Menſchen, ohne ihre Perſoͤnlichkeit
aufzuheben, nur im Staate gerathen koͤnnen,
wo das Hherhaupt Auftrag bekommt, die uns
geftörte Ausübung der einzelnen Rechte zu er⸗
zwingen, wo alfo der Berechtigte nur das Recht,
und der Staat nur den modum coercendi hat.“
— Faſt auf dieſelbe Weiſe aͤußerte ſich der Rec.
von Tieftrunks Grundriß der Sitten
Lehre, inden Marb. Annalen 1805, Beil.
zu N.20, ©.417: „Es kann ber guten Sach⸗
nicht förderlich feyn, wenn man.die Rechtslehre,
von der Moral mühfam fcheidet; fie follten in der
Theorie und Praris verbunden bleiben. Der mo⸗
ralifche Begriff ift der primitive, das Princip
des Rechtsbegriffes; denn diefes ſtammt aus
der Vernunft und ihre Producte find moraliſch.
Es bleibt gewiß für Staaten fomohl, als für jedes
Individuum die michtigfte Aufgabe: innere und
aͤußere Geſetzgebung in begluͤckende Harmonie zu
bringen. Das aͤußere Recht ſtreitet keinesweges
mit moraliſchen Beſtimmungsgruͤnden; vielmehr
gewinnt es durch dieſelben Kraft, Staͤrke und
Adel.“ — In der damaligen erften Zeit des
Einfluffes der kritiſchen Philofophie auf die philo-
ſophiſche Rechtslehre gründeten Mehrere das Rechts⸗
princip auf die Moral uͤberhaupt; ſo Schmalz,
Jakob, Schaumann, Abicht u. a. auf die
Pflicht de Berechtigten felbft, und Heydenreich
und Hoffbauer auf die Pflicht Andre. Won
dieſen trennten fi aber Kant, Fichte, Seuer-:
6 Hatur- und Volterxecht.
bach u. a., welche zwar Rechts» und Pflichtenlehre
als integrirende Theile der practiſchen Philoſophie
uͤberhaupt aufſtellten, allein zwiſchen Legalitaͤt und
Moralitaͤt eine ſcharfe Grenzlinie zogen. Viele
der folgenden Schriftſteller des Naturrechts ſchloſ⸗
ſen ſich mehr oder weniger an dieſe an, bis Schulze
(in feinem Leitfaden) und Bouterwek (inf,
Lehrbuche der philof. Wiffenfhaften Th,
.. 2) wieder zu der in der Vernunft felbft begründeten
Identitaͤt der Rechts- und Pflichtenlehre, zurüds
. tehrten. — Faft auf gleiche Weiſe erflärt fich
- Krug darüber (Bande der Philof, Th. 2,
S. 118 — 121. te Aufl.).
Diefer Ercurs war bier deshalb nöthig , weil
unter denen, welche in neuerer Zeit das Naturrecht
- aus dem philofophifchen (nicht juriftifchen,) Stand-
. puncte darftellen, nur die zwei Hauptanfichten
vorherrſchen fünnen: entweder Identitaͤt der
Rechts- und Pflichtenlehre, oder ftrenge Son
. berung beider ,. obgleich beide zur practifchen Phi⸗
lofopbie gehörig. Bon der größten Wichtigkeit ift
aber die Sefthaltung der einen oder der andern An⸗
. fihe im Staats: und Strafrehte, meil
. davon die Begründung der Lehre vom Zwange
- abhängt, und z. B. bei Feuerbach und allen,
bie ihm folgen ‚ die fogenannte Abſchreck ungs—
theorie im- Strafrechte eine nothwendige Folge
feiner Grundanficht vom Niurrechte iſt.
7.
Hoͤchſter Orundfas der pbiloſophiſchen
Rechtslehre.
Das Ideal des Rechts, das zugleich mit
dem Ideale der Pflicht aus dem Ideale der Sutlich
Natur» unb Voͤlkerrecht. 47
feit hervorgehet, verlangt von dem Menfhen, daß
er das nad fittlihen Zwecken Mögliche in
feinem äußern freien Wirfungsfreife, d.h.
in der Verbindung und Wechfelmirfung mit andern
Weſen feiner - Gattung, verwirflide. Dem
Ideale des Rechts kann daher nur ein folder Verein
freier Wefen entfprechen, in welchem die äußere Srei-
heit des Einzelnen mit der äußern Freiheit aller an⸗
bern fittlihen Wefen im Gleichgewichte ſtehet,
wo alfo die äußere Freiheit des Einzelnen (die Sphäre
feiner Rechte) vereinbar ift mit der Freiheit aller An-
dern, und nur burch die äußere Freiheit aller mit ihm
zur Gefellfchaft vereinigten Wefen befchränft wird,
Der hoͤchſte Grundfag der pbilofophifchen] Rechts-
lehre ift Daher: Befördere das vollendete Gleichgewicht
zwifchen deinem außern freien MWirfungsfreife und
dem äußern freien. Wirfungsfreife aller mit dir zur
Gefellfchaft vereinigten Wefen; oder: Du darfft jedes
in den Anlagen, Vermögen und Kräften deines
‚Wefens enthaltenes und begründetes Recht geltend
machen, durch deflen Verwirklichung du fein Recht
irgend eines vernünffig » finnlichen Wefens hinderft
ober verletzeſt. Gleihmäßig dürfen alle mit dir zur
Geſellſchaft verbundene fittlihe Wefen in ihrem
. äußern freien Wirkungsfreife fammtliche in den An-
lagen, Vermögen und Kräften ihrer. Natur enthals
tene und begründete Mechte geltend machen, burd)
deren Verwirklichung feines deiner Rechte beeinträch-
tige und verlegt wird. Da nun diefem -bachften
Rechtsgrundſatze für alle Wefen unfter Gattung,
wegen der urfprünglichen.Gleichheit der fittlichen Ge=-
feggebung der Vernunft, gleiche Gültigkeit zu—
kommt; fo wird auch durch dieſen Grundfag das
Ideal der Herrfchaft des Rechts auf der ganzen Erbe
43 Natur-⸗ und Voͤlkerrecht.
zum Ideale der philoſophiſchen Rechtslehre erhoben
und als ſolches ausgeſprochen. Demnach iſt die phi⸗
loſophiſche Rechtslehre die Wiffenfhaft, welche
lehrt: wie innerhalb des aͤußern freien
MWirfungsfreifes, in der Gemeinſchaft
und Wechſelwirkung vernuͤnftig⸗ſinnli—
cher Weſen, das Ideal der Herrſchaft des
Rechts auf der Erde verwirklicht werben
kann und foll, |
8.
Umfang und Eintheilung der philoſophi—
[hen Rechtslehre.
Die philofophifche Rechtslehre behauptet, nach
dem ihr eigenthümlichen Grundbegriffe des Rechts,
und nad) dem ihr ausfchließend zufommenden Zivedde
und Ideale der Herrſchaft des Rechts auf dem
Erdboden, den Rang und die Wuͤrde einer ſelbſt⸗
ſtaͤndigen Wiſſenſchaft. Ihr Werth braucht nicht
erwieſen zu werden; denn er ſteht und faͤllt mit der
Vernunft ſelbſt, aus deren Heiligthume jener Begriff:
und Diefer Zweck ſtammt. Herabwuͤrdigung würde.
es feyn, fie nad) ihrem Mugen empfehlen zu wollen,
Ihre Nothwendigfeit aber beruht auf der that-
ſachlichen Wechſelwirkung , in welcher die Menſchen
feit ihrem Eintritte ins Leben gegen einander ſtehen;.
eine Wechfelwirfung, die nicht dem Zufalle überlaffen
bleiben darf, fondern durch die Vernunft geordnet,
und in der Wiffenfchaft nach ihrem innern noth-
wendigen Zufammendange dargeftellt werden muß.:
| Ihr Umfang endlid wird mwilfenfchaftlih durch:
zwei Theile erfchöpft: durch das fogenannte Na⸗
turrecht, und durch das. Volkerrecht. J
1
Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 77)
Die philoſophiſche Rechtslehre entwickelt nämlich
in dem Naturrechte (auch philoſophiſches
Privatrecht, im Gegenſatze des öffentlihen
Rechts, genannt; weil ks den einzelnen. Men-
ſchen nach dem Kreife feiner gefommten Rechte ſchil⸗
dert,) alle einzefne, in der Natur des Menfchen
enthaltene und aus dem Ideale des Rechts hervor.
gebende, Rechte und rechtliche Verhältniffe des ver»
nünftig « finnlichen. Weſens in -feinem äußern: freien
Wirkungsfreife, — und in dem Voͤlkerrechtidie
Bedingungen ‚ unser welchen ſowohl in des Mitte: des
‚einzelnen Volfes, als in der Verbindung und Wed)-
felwirfung mehrerer. und aller neben- einander be⸗
ftehenden Völker, die Herrfchaft des Rechts auf dem
ganzen Erdboden verwirklicht werden fol.
Durch diefe beiden Theile wird bie philofoppifche
Rechtslehre im engern Sinne erſchoͤpft, weil ſie die
Geſammtheit aller Rechte der Individuen und der ein⸗
zelnen vertragsmaͤßig begründeten Rechtsgeſellſchaft,
die wir Volk nennen, eben ſo, wie die Rechte aller
auf dem Erbbuben nebeh einander beſtehenden Völker -
— ohne Rüdficht auf ben aus der- Erfahrung ftam-
menden Begriff es: Staates, — aus dem Ideale des
Rechts unmittelbar ableitet und lůckenlos durchfuͤhrt.
Die feit- Jahrhunderten gewoͤhnliche Benen⸗
nung: Maturrecht, iſt beizubehalten, ſobald man
darunter nicht eine auf Naturgeſetze gegründete,
ober den. blos ſinnlich⸗thieriſthen Naturzuſtand ent·
wickelnde, Wiffenfchaft, ſondern diejenige ſyſte⸗
matiſche Darftellung verftcht ‚„ voedhe fih auf
bie urfpränglihe Geſetzmäßigkeit der
menſchlichen Natur gründet, und, in Anges
:meſſenheit zu dem Grundcharafter der Menſchheit,
. ein Kdeal gefellfehaftlicher Verbindung: und Wech⸗
L | 4
so Matur⸗ und VWoͤlkerrecht.
ſelwirkung freier Weſen aufſteſlt, wie daſſelbe aus
der Unermeßlichkeit der geſammten Anlagen,
:: . Vermoͤgen und Kräfte des Menſchen hervorgehet,
‚wenn gleich dieſes deal Höher liegt, als. bie
bürgerliche Geſellſchaft, und in feinem legten
zꝛ Puncte — wie jedes Ideal — nie erreicht wer-
den fann. (Faſt daffelbe fagt Bauer in ſ. Leh r⸗
-, buche des Naturredts ©. 17: „Der Na-
turſtand'iſt der Inbegriff aller ber Rechtsverhaͤlt⸗
niffe, welde dem Menfchen ohne Voraus
.. fegung des Staates zufommen. Man venft
‚fi bei dieſem Begriffe den Menfchen, wie er
außer dem Staate unter der Herrfchaft ber. Ber
x. nunft feyn follte.”) Ä
0.
Bortfegung
, Rechtslehre im weitern Sinne
m weitern Sinne kann aber auch) Das phi-
tofophifhe Staats- (jus publicum universale)
und Staatenrecht (jus civitatum) zur philofe-
phifchen Rechtslehre gezogen werden. Denn obgleich
der Begriff des Staates, als einer bürgerlichen
Geſellſchaft, blos aus der Erfahrung flammt und
nicht. aus reiner Vernunft hervorgehet; fo kann body
ber Zweck des Staates, fo wie der Inhalt und
Umfang des Staats» und Staatenrechts nur durch
die Anwendung ber unwandelbaren und aus der Ver:
nunft felbit ftammenden Grunbfäge des Natur- und
Mölferrechts auf baflelbe wiſſenſchaftlich begruͤndet
umd erfchöpfend burchgeführe werben, weil theils
der ganze. Umfang der Bedingungen, unter welchen
\ f , 1 ‚
Natur» und Voͤlkerrecht. 51
das Recht innerhalb des bürgerlichen Vereins zur
Herrfhaft erhoben werden foll (der Vereinigungs-,
Verfaflungs- und Unterwerfungsvertrag, durch welche
die Theilung der Gemwalten im Staate, fo wie bie
Verfoffung des Ganzen und mit derfelben Die Rechte
und Pflichten des Regenten und ber Unterthanen be-
ſtimmt werden), theils die rechtliche Geſtaltung bes
Zwanges im Staate nach angedrohten, verfuchten
oder vollzogenen Nechtsverlegungen, nur aus ben
wiffenfchaftlih durchgeführten Grundſaͤtzen bes Natur-
rechts, — fo wie im Umfange des Staatenrechts,
das rechtliche Nebeneinanderbeftehen und die rechtliche
MWechfelwirfung der einzelnen Staaten auf einander,
mit dem ziwifchen ben Staaten eintretenden rechtlichen
Zange, nur aus ben fuftematifch entwicelten Grund⸗
fügen bes Völferrechts befriedigend abgeleitet werden
fann. Ks bilden daher das Natur- und Völkerrecht
die wiffenfchaftliche Unterlage des Staats» und Staa-
tenrechts , und je nachdem jene philofophifch oder niche
philofophifc begründet und durchgeführt werden, muß
“ auch der wiflenfchaftliche Charakter des Staats: und
Staatenrechts ſich geftalten,
| 10.
Die philoſophiſche Rechtslehre nah ihrer
Stellung zu ben gefammten Staatswif- -
fenfhaften, und zu den pofitiven Rechten,
Allein nicht blos auf die wiffenfchaftliche Be-
geünbung und Durchführung des Staats - und Staa-
tenrechts behauptet der Geift, in welchem das Natur:
und Wölferrecht behandelt wird, einen wefentlichen
Einfluß; die Wirfungen der philofophifchen oder
‚nicht philofophifchen, der vernunftgemäßen ober myſti⸗
52 Natur⸗ und Völlerreht,
(hen Behandlung des Natur⸗ und Voͤlkerrechts ver-
. breiten fi) zugleid über das gefammte Ge.
biet der Staatswiffenfhaften,. und felbft
über die Bearbeitung der pofitiven Rechtswiſſen⸗
fhaften. Denn in allen einzelnen philofophifhen
Staatswiflenfchaften ift Die Herrfchaft des Rechts der
hoͤchſte Zweck und Standpunct, aus welchem der Geift
der Wiffenfhaft gefaßt und beurtheilt werden muß,
weil jede Rüdficht auf Wohlfahrt und Gluͤckſeligkeit,
und jede Maasregel der Klugheit durch den Begriff
‚des ewig heiligen Nechts bedingt bleibe. Gleich—
mäßig muß in den gefhichtlichen Staatswiffen-
ſchaften die wiffenfchaftlihe Würdigung der einzelnen
gefchichtlichen Ereigniffe, fo wie ber Gefammtheit der-
felben nad) ihrem Einfluffe auf ven einzelnen Staat
ober auf Das ganze europäifche Staatenfyftem, ruͤck⸗
wärts auf die ewig gültigen Grundfäße des Staats⸗
und Staatenrechts ſich ſtuͤtzen. Dadurch ift denn ber
Zufammenbang des Staatsrehts mit den übrigen
Staatswiffenfchaften , mit der Staatsfunft (Politif),
mit der Volkswirthſchaft, Staatswirthfchaft und
FSinanzroiffenfchaft, mit der Polizeimiffenfchaft, mit
der Gefchichte des europäifchen Staatenfyftems, mit
ber Staatenfunde (Statiftif), mit dem öffentlichen
Staatsrechte, mit dem practifchen europäifchen Wöl-
ferrechte, mit der Diplomatie, und mit der Staats»
-prayis (der Sehre von den Staatsgefchäften) er
wiefen. | 2
Daffelbe gilt aber auch von dem Verhaͤltniſſe
des Natur- und WVölferrehts, fo wie des Staats⸗
und Staatenrechts, zu allen pofitiven Rechts—
wilſenſchaften. Jedes pofitive Recht ift namlich
zu einer gewiffen Zeit, für ein beftimmtes Wolf, und.
unter gemwiflen zeitgemäßen und örtlichen Verhältniffen
‚’
%
Natur» und Voͤlkerrecht. 53
bekannt gemacht worden und in Guͤltigkeit getreten.
Es gehört daher der allgemeinen Rechtsge—
ſchichte an, die Völker und Staaten, welche pofi-
tive Geſetze erhielten, fo wie die Zeitpuncte, und bie
zeitgemäßen und örtlichen Verhältniffe, mit allen
ihren Veraͤnderungen und Verzweigungen, nachzu⸗
weiſen, wo jene Rechte. ins Leben traten, ober wo fie
als poſitive Formen untergingen; die philoſophiſche
Rechtslehre hingegen enthaͤlt in ſich den letzten und
hoͤchſten Maasſtab fuͤr die Pruͤfung und Beſtimmung
des innern vernunftgemäßen Werthes eines
jeden pofitiven, entweder erlofchenen, ober noch be>
fiehenden, Rechts, fo wie die philofophifche Neli-
gionslehre den hoͤchſten Maasftab für die Beurthei⸗
lung aller pofitiven Religionen in fi) trägt. Se mehr
Vebereinflimmung mit den ewigen und unveränder-
lichen Gefegen der Vernunft in einer pofitiven Gefeg-
gebung angetroffen wird deſto höher fteigt ihr inne=
rer Werth. Je mehr philofophifcher, d. h. innerer
und nothwendiger Zufammenhang zwifchen den ein»
zelnen Grundfägen und Lehren eines pofitiven Rechts
fih findet; deſto größer ift deffen wiffenfhaft-
licher Gehalt. Je mehr aber Entfremdung und
MWiderfpruch zwifchen dem Maturrechte und irgend
einem pofitiven Rechte angetroffen wird; deſto tiefer
fteht der Werth des pofitiven Nechts; — und’ je we-
niger philofophifche Begründung, Ordnung, Hal:
tung, nothwendige Folge und Gleihmäßigfeit ber
Theile in dem wiffenfchaftlichen Baue eines pofitiven
Rechts fichtbar wird; defto geringer ift deſſen wiſſen—
fhaftlicher Gehalte So lange alfo die Vernunft das
hoͤchſte Vermoͤgen im Menfchen bleibt; fo lange wird
au) in ihr der Maasftab für alles Pofitive und in
ber Wirklichkeit Beſtandene und Beſtehende enthal-
®
4 Matur- und Vöikerrecht.
ten’ fenn *). Doch bedarf es einer völlig ausge
‚bildeten und durd) vielfadhe Uebung gereiften
Vernunft, um fi zu biefer Höhe, ohne Verirrung
und Auctoritätsglauben , zu erheben. Deshalb find
auch in allen Zeitaltern bie philofopbifchen Forſcher
des Rechts ungleich feltener, als bie pofitiven Rechts⸗
gelehrten gewefen, "obgleich durd) jene die gefammte
Rechtswiſſenſchaft vorwärts geführte und zu ihrer
hoͤhern Reife gebracht worden ift.
So gewiß das aus der Vernunft ſtammende
Recht höher fteht, als das pofitive; fo darf doch
nicht verfanne werden, daß auch der Rechts⸗
pbilofoph aus der Kenntniß ber pofiti-
ven Rechte (z. B. des mofaifchen, des athenien-
fifhen, des römifchen, des canonifchen,, bes eng-
lifchen,, des neufsangöfifchen, des preußifchen Sand»
vechts 2c.) über die. örtlichen und Zeitbedürfniffe
der Völker und Staaten, fo wie über das
in der Wirklichkeit Anwendbare unb
Ausführbare reihe Belehrung fhöpfen
fanın. — Allein für die willenfchaftlihe Be-
handlung bes Naturrechts ſelbſt bleibt der philofo-
phifche Weg ber einzig zweckmaͤßige; theils weil
dadurch ein Standpunct ausgemittelt wird, ber
über allem pofitiven Nechte ftehet, und nad
welchem jebes . pofitive Recht beurtheilt werden
muß; theils weil nur dadurch ber philofophifche
- Geift geweckt werben kann, um felbft zu forfchen,
*) Bauer inf. Lehrb. des Naturr. fag ©. ı4 f:
„das Naturreht kann durch keine pofitiven Geſetze
aufgehoben werden, indem feine Willtühr das, was
unrecht iſt, für recht erklaͤren kann.“
—
Raturı und Wolkerreche. 63
und zu allen Gebleten des poſitiven Reches ein ſelbſt⸗
fraͤndiges philoſophiſches Urtheil mie zu bringen.
Eine Philoſophie des poſitiven Rechts
iſt etwas ganz anders, als das Naturrecht. Sie
enthaͤlt die ſyſtematiſche Darſtellung der Ergebniſſe,
welche aus der Pruͤfung der Rechtmaͤßigkeit und
Zweckmaͤßigkeit irgend eines poſitiven Rechts her⸗
vorgehen, und wozu das Naturrecht den hoͤchſten
Maasftab darbiete. (So enthalten z. B. Mi⸗
haelis mofaifhes Recht, Montesquieu’s
und Silangieri’s bekannte Werke Philoſo⸗
phieen bes pofitiven Rechts.) Ä
u 11. u
Wiffenfhaftliher Standpunct für bie
x pbilofophifhe Rechtslehre. er
Wenn die fuftematifh durchgeführte Ableitung:
ber philofophifchen Rechtslehre aus ber Vernunft, fo
wie die Begründung der gefammten Staatswiflen-
fihaften durch diefelbe, und eben fo bas ausgefprochene.
Verhaͤltniß aller einzelnen pofitiven Rechtswiſſenſchaf⸗
ten zu dem Maturrechte wahr und richtig ift; fo iſt
dadurch zugleich wiffenfhaftlich entſchieden, daß das
Natur » und Voͤlkerrecht nicht in die Reihe der
pofitiven, ſondern in den Kreis der phi—
lofophifhen Wiffenfhaften, und zugleich
an bie Spiße der gefammten Staatswife
fenfchaften gehört, weil es in feinem Zwede, in
feinen Grundfägen und in feinen Lehren den legten
und höchften Maasftab für alle von ihm abhängende
Staatswiflenfhaften und für alle in verfhiedenen
Zeitaltern und unter den verfchiebenften Voͤlkern ent-
le pofitive Gefeggebungen und Rechtsbuͤcher
en . . N... 2. .
* v
36 J Rt und Bitterrahr
"Doch mcht immer u bie philoͤſophiſche Rechts
= * aus dieſem einzig richtigen Standpuncte gefaßt
und dargeſtellt worden; denn aus’ ber‘ Ueberſicht
über die Geſchichte dieſer Wiſſenſchaft ($. 12.) er⸗
hellt, daß es zunaͤchſt zwei Hauptformen der
wiffenfcehaftlichen Behandlung des Naturrechts gab
und zum Theile noch gibt, von welchen die eine von
dem in ber Wirklichkeit beſtehenden Rechte, beſonders
von dem roͤmiſchen, ausgeht, und über daſſelbe zu
philoſophiſchen verſucht (mo denn das pofitive Recht
das Erſte, und die fogenannte Philofophie Darüber
das Zweite ift); die andere über von allem in der |
Gefchichte und Erfahrung beftandenen und beftehenden
Sl given Rechte abfieht, zu ‘den höchften und legten
Anden alles Rechts in der urfptünglichen. Geſetz⸗ |
—— menſchlichen Geiſtes, und alſo in ſei⸗
ner Vernunft ſich erhebt, und alles wirkliche und
poſitive Recht als ellmählig und in Angemeſſenheit
zur den jedesmaligen: befondern und örtlichen Bedürf-
niſſen gewifler Voͤlker und Reiche entftanden, betrach⸗
tet, weshalb. jedes pofitive Recht, ſobald man deſſen
u inner Gehalt und. wiffenfchaftlichen Werth beſtimmen
will, unter die felbftftändige, aus der Vernunft une.
| mittelbav abgeleitete, von allen befondern ‚und oͤrt⸗
lichen Verhaͤltniſſen unabhaͤngige, an ˖ſich hüchft.ein«
fache, und uͤber alle poſitive Formen erhabene philo⸗
ſophiſche Rechtslehre gebracht werden muß.
Dieſe zmei: Hauptklaſſen in der Bepandfung des
Naturrechts cheilen ſich aber wieder in mehrere
Untergattungenund Arten, inwiefern. namlich
bie er ſt e Klaſſe bald mehr, baid weniger philoſophi⸗
ſchen Geiſt und Tact zu ihrer ſogenannten Philoſophie
des poſitiven Rechts mitbrachte, und die zweite
bald von dem goͤttlichen Urſprunge des Natyrrechtg
Kine. inb Bölteapk! | zn
ig dem Decalogus (Oldenborp, Selben’n, 6),
bald von der urſpruͤnglichen Beflimmng bes Menfchen
zur Gefellfchaftlichfeie (Bufend.orf), bald von ver
Annahme, eines mehr oder weniger finnfic) dargeſtell⸗
teh ſogenannten Naturzuftandes (Hobbes, Rouſ⸗
feau u. a.), „bald von der ſcharfen Sonderung des:
Rechts von:der: Pflichtenlehre (Thomafius u. a.),
batd von ſogenannten Maturtrieben, ober von ber.
Pflicht der Selbfterhaltung und ber Selbſtbegluͤckung,
wie mehrere Eklektiker und Eudämoniften,
‚bald von der. Identitaͤt des Rechts und der Pflicht,
bald von der fivengen Trennung beider, 'bald ſogar
von der Naturphilofophie und dem aus bet«-
ſelben ſtammenden Myfticismus ausging. |
12.
Umriß der Gefhihte des Naturrehts. .
* nad einzelnen Schulen
Nach ihrer fuftematifchen Geftalt gehört zwar
die philofophifhe-Nechtsiehre in die Reihe der jün-
gern Wiſſenſchaften; allein fie ward fchneller, als
viele andere, zu einer vollfommenen Form ausgeprägt.
Denn obgleich die Ideen von Recht und Pflihe, von
perfonlicher Freiheit, Eigenthum, Gefeßgebung und
bürgerlicher Verfaſſung bereits von den Philvfophen
des Alterthums im Einzelnen entwidele, die Bes
griffe eines Vertrages zwifhen dem Re
genten und dem Volke ſchon feit der. Gefeßge-
bung auf Sinai in dem theofratifchen Staate der
Hebräer, fo wie bei der Einführung des Chriften«
thums als Stiftung eines neuen Bundes: (Ver
trages) zwifchen Soft und den Menfchen in religiöfer -
und politischer. Hinficht fefigehalten und, bei der Vers
58 Batur« und Viiterreche.
- _ breitung bes Chriſtenthums über Das jängere Europa,
auch. auf die Sicherftellung der rechtlichen Verhaͤlt⸗
niſſe im Staatsleben (3.3. in ber den Regenten:
Teutſchlands vorgelegten Wahlcapitulation, in den
päctis conventis der Könige Polens, in ben Wahl-
acten der Könige Ungarns, Böhmens, Schwedens,
, Dänemarfs u. a.) übergetragen wurben; fo erhielten
dieſe Grundſaͤtze und Sehren doch erft im 16ten Jahr«
hunderte, theils durch Die neue Geftaltung des euros
paifchen Staatenfyftems, theils durch die weitere Ver⸗
breitung der Kirchenverbefferung, die erften allgemein«
ften Grundlagen einer felbftftändigen wiffenfhaftlichen
Form *), indem fie damals mit dem Decalogus unb
der Sittenlehre des Chriſtenthums in Verbindung ge⸗
bracht wurden *°).
*) Vergl. Arn. Herrm. Ludw. Heeren, über bie
Entſtehung, die Ausbildung und den practiſchen Eins
ſfluß der politifhen Theorieen und die Erhaltung des
monarchifhen Principe in dem neuern Europa;
zuerſt in ſ. Ei. hiſtoriſchen Schriften, dann _
mit Sortfeg. in f. hiſtoriſchen Werten (Gött.
1891. 8.) Th. 1, ©. 365 ff.
“*) Jo. Oldendorp (Prof. zu Marburg), isagoge
sou elementaria introductio juris naturae, gentium
et civilis, Col. 3559. 8. (Er definirte das Natur⸗
geht: „‚est voluntas Dei per sanam rationem
cognita et deinde in Decalogo promulgata.*
Nicol. Hemming (zu Kopenhagen), de lege
naturae apodictica methodus, Viteb. 3564. 8. (Das
Buch if nicht paginirt, es kann alfo die Seitenzahl
nicht angegeben werden von folgender Stelle, welche
die damalige Anſicht der phil. Rechtslehre deutlich
ausfpricht: „ Haeco naturae lex variis nominibus
(quae ad ejus vim intelligendan faciunt) a Phi-
losophis appellatur. Ciceıo ogm voesat, nuns ja8
Natur⸗ und Walkerrecht. | 5
Allein der ˖ eigentlihe Begründer ber wiſſen⸗
ſchaftlichen Geſtalt des Volkerrechts (weniger des
Naturrechts) ward Hugo Grotius 9), als er am
Ende des erften Viertheils des 17ten Jahrhunderts
die Grundfäge für das rechtliche Nebeneinanderbeftehen
der Völker des Erdbodens (zunächft aber mehr in
geſchichtlich pofitiver, als in rheinphilofophi«
fcher Hinſicht, zu einer foftematifchen Form erhob,
naturse, propterea quod humanis mentibus
naturaliter impressa sit; nuno jus gentium,
guia omnibus hominibus late per orbem sparsis,.
eadem est. Nam non ut oratio, its ratio apud
bomines variet: Nuno jus divinum, eo quod
Deus hujus legis sit autor; quam ob causam
Paulus etism naturse legem vocat veritatem et
jus Dei; interdum jus aeternum, idque ea de
causa, quod ejus norma sit oonstans et perpetua,
de qua re idem auctor in orstione pro Milone in
hunc modum loquitur: Est enim haec (inquit)
non scripta, sed nata lex, quam non didicimus,
sccepimus, legimus; verum ex natura ipsa arrie
puimus, hausimus, expressimus, ad quam non
docti, sed facti, non instituti, sed imbuti sumus,**
Jo. Seldenus, de jure nsturae et gentium
juxta disciplinam Ebrasorum. Lond. 1640. 8.
Valent, Alberti, eompendium juris naturae
orthodoxae theologise conformatum, Lips. 1676.
8. (lehrte, daß der Stand der Unſchuld und des
göttl. Ebenbildes Grundlage des Maturrechts fey.)
Geo. Beyer, delineatio juris divini, naturalis
et positivi universalis. Lips. 3726. 4.
*) Hugo Grotius, de jure belli et pacis libri 8,
Parisiis, 1625. Fol. (erfhien in vielen Ausgaben
und Weberfegungen;. wurde häufig commentirt ıc.
Vergl. Geift des Grotius, von Gtlo. Aug. Tittel.
Zuͤrich, 1789. 8.) J
-' WWiaatur⸗ und Voͤlkerrecht.
gen Zoglingen feiner Schule Vertheidiger gefunden
hat; ſo wandte doch, bereits bald nach Gundling,
Blafey*) geſchichtliche Beiſpiele auf die von ihm
aufgeftellten Grundfäge an, und kurz darauf beftimmte
der philofophifche Forfcher Chriftian AB ol ff *°%) dem
ſtehen, welche das Naturrecht zunähft als Aggregat
des pofitiven Rechts anbaueten dder noch anbauen:
Seo. Nicl. Brehm, Über das Wefen des Nature
rechts, als eine Achte juriftifhe Grundwiſſenſchaft
betrachtet. Freyb. 1789. 8.
Seo. Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, als einer
Philoſophie des pofitiven Rechts. Berl. 1798. 8. —
„gte fehr veränderte Ausgabe. Berl. 1819. 8.
,,Xheod. Mar. Zahariäd (in Marburg), philoſo⸗
“ phirche Rechtslehre, oder ır Theil des Lehtbuchs
eines eiviliſtiſchen Curſus. Epz. 1810. 8. — Philos
n. : fophifhe Rechtslehre, oder Maturreht und Staats
5 lehre. Brest. 1820. 8.
Theod. Marezolt, Lehrbuch‘ des Naturrechts.
Gießen, 1819. 8.
2. A. Warnkoͤnig, Verſuch einer Begruͤndung
des Rechts durch eine Vernunftidee. Bonn, 1819.
8. (Er geht von Naturgefegen, nicht von Ge⸗
fegen der Freiheit, aus, und lehrt: „das Recht
.fey, feiner Natur nah, einem beftfändigen
Wechſel unterworfen.‘)
*) Adam Br. Glafey, Vernunft» und Volterrecht.
Frkf. u. Lpz. 1723. 4. 3te Aufl. 1746. (In dieſer
Aufl, ließ er das Voͤlkerrecht hinweg, und gab es |
1753 befonders heraus.)
‚ .##) Christ. de Wolff, jus naturae, methodo scien-
tifica pertractetum. 9 Tom. Hal. 1740 — 49. 4.
(Th. 1-7 jus neturae; Th. 8 jus civitatum; Th.g
jus gentium.) Ejusdem institutiones juris natu-
rae et gentium. Hal. 1750. 8. Teutfh: Grund»
fäße des Naturs und Voͤlkerrechts. Kalle, 1754.
8 — Den Srundfägen Wolffs folgten .mehr oder
Natur» und Woͤlkerrecht. 64
Menſch in Hinſicht feiner Rechte durch Zwang
geltend machen darf. Zunaͤchſt in dieſer Anſicht
folgte ihm Gundling *), ein Mann, ohne phi—
loſophiſchen Geiſt, aber von gruͤndlichen geſchichtlichen
und poſitiven juridiſchen Kenntniſſen, der, nebft ſei⸗
nen Anhaͤngern, theils durch die ſtrenge Aufnahme
des in dem poſitiven Rechte poſitiv ausgeſpro—
'henen Zwanges in die Grundlehren des Natur» und
Staactsrechts, (ohne Doc den Begriff des Zwanges
und mit ihm das darauf nenipenbe Sraſtehe philo⸗
ſophiſch zu ergruͤnden,) theils durch die Einmiſchung
vieler blos dem poſitiven und namentlich dem roͤmi⸗
ſchen Rechte angehoͤrenden Saͤtze und Meinungen in
die philoſophiſche Rechtslehre, die letztere zwur bei
den Machthabern der Gewalt und bei den poſitiven
Juriſten beliebter machte, vorzuͤglich aber auch den
hoͤhern philoſophiſchen Standpunet, welchen die phi⸗
loſophiſche Rechtslehre bereits durch Pufendorf erreicht
hatte, wieder herabſetzte und verdunkelte.
„Ob nun gleich dieſe einſeitige, und den philo—⸗
ſophiſchen Charakter der Wiſſenſchaft völlig vernich⸗
tende, ſogenannte juriſtiſche Behandlung
des Naturrechts, welche von Gundling und fei-
nen Nachfolgern ausging, ſelbſt bis jetzt noch nicht
ganz verſchwunden iſt, da fie in Hugo **) und eini⸗
\ .
#) Nic. Hieron, Gundling, jus naturae et gentium.
Hal. 1714. 8. Ed. 3tia 1746. — ‚Edit. noviss.
1769. (Ihm folgte .unter den Spätern befonders
I. Stfe. Sammer, der über Sundlings Compen⸗
dBium lad. Sammet's Vorlefungen über das ges
fammte Naturreht gab Fr. Gtlo. Born Lpj. 1799.
8. heraus.) - Kun ve
I). Es mögen hier fogleich. diejenigen aus den Meuern
ur
ee
«
‚ Miner. und Voltenrecht.
entzogen zu werben‘, fo. wie, feit:bern: legten. Jahr⸗
gehend des achtzehnten Jahrhunderts, Die neue Ge⸗
ſtaltung des Innern Volfslebens in mehreren weft: und
‚fübeutopäifchen Heichen: und Staaten. auch). auf die
veränderte wiffenfchaftliche Form ber „phitofopbifcheh Ä
Rechtslehre nicht ohne Einfluß blieb. — Doch
mehr noch, als dieſe aͤußern — wirkte bie
Werbreitung bes kritiſchen Syoſtein⸗ in: ber
-gefammten Philoſophie auf die völlige. Umbildung
el. Naturrechts mais ein 2), wenn. 1. shell, ‚in
Mi r-
4,% ® Pi
6 1} ‘ u q
*5 Roc bevor Rank "His die Rechleſchie heurbeuen,
“wandten Männer, 'die feinem Syſteme folgten,
daſſelbe aufs Naturrecht an: net
Si. Sufelamd,. Verſuch ade den Srundfek
. bes Naturrccts, Leipz · 1785-8. re. Lehrfäge des
W KWitureehig uub deg damit —— Wiſſen ſchaſ⸗
ten: Sena, 1790. 4* 1798:
J. Chſtn. Stit. 8 98 wifenfchafttiches
u Naturrecht. Halle,. 1792., 8. —- BVerſuch eines
u neuen Syſtems dei natürl. Rechts. ‚il €, 1796. 8.
Kl Leond, Rein dotd, Ehrentertung © es Naturs
xechts; im teutfchen Merkur, 1791. '&t. 1. —
") + Einnge‘ Bemerkungen Aber "die in Kants Rediblehẽe
aufgeſtellten Vegriffe von der Freihen 678- Willens,
BE: vermifchten Schriften, Th.2, S. 361 ff. —
phorismen “Über das aͤußere Recht uͤberhäupt, und
insbeſondere das Staatsrecht. Ebend. &::401 ff.
Theod. Sch mal y,:das Recht der Naturꝛ Koͤnigsb.
790. 8. ate Aufl: in ZEIT Konigsb: 2795. 8. —
Handb. ‚der Nechtsphilgfopgie. Halle, 1807. 8. —
Jus naturale. Berol. 1812. 8.
GH Ehſtph. Hoffbaner, Maturrecht, aus dem
, Begriffe: des: Xechts entwickelt. Halle, 1793. 8. Zte
Aufl. 1814. — Unterfuhungen.übes dieswichsigften
Begenſtaͤnde des. Naturrechte. Galle; 1798; 8.
_ Karl Heine. Heydenreic,. Syſtem:des Haturs
2. techn kritiſchen Principien.:a Th. Lpʒ. 1794 f. 8.
Kae.’ und Woltarrech 63
Hinſicht ber Begrimbung: ber Wifenfhaft, balb unter
den Nachfolgeen Kants die weſentliche Trennung ſi it:
- Rail Ladw. DEEFHRE,, Woißerehunäeh zu einem
: » populären Matnrecihte, Koͤnigsb. 1795. 8.
Karl Chſtn. Erh. amt, Grundeiß des Mas
turrechts. Jena, 1795:
Ludw. Heinr. 3 phiioſ. Neqhtslehre, oder
Naturrecht. EL 796° 8 8. N. A. 1802. — Aus⸗
zu daraus, 1796
3 Heine. —** kurze Doattelung des Natur⸗
und Voͤlkerrechts. Bayreuth, 1795. 9.
Imman. Kant, neronboliße nfengsgrünbe
der Reqtslehre. Königeb. 1797: 8. N. A. 1798.
S, Gteli. Ficht e, Grundlage des Naturrechts
‚nach Srundfägen: der Biffenfpaftsichre: 2 Th. Jena,
1796 f. 8
Pant Sf. Anl. Feuerbah, Kritit des natuͤr⸗
lichen Rechts. Altona, 1796. 8.
-&% Heine. :Tiefteunß, ohllel. Uncerſuchungen
Über das Private und aͤffentliche Recht, zut Er⸗
lauterung und Bluteheilun⸗ der metaphyſ. Bade,
gründe bir" NRe guckehre von Kam.” a1Tp alle,
1997. 8.
— ine Siephaät, Srundärich ‘der Rechts⸗
wiffenfchaft oder des ſogenannten Natuttechts. Erl.
oo. . ent
Ti
’
7 \ |
Te Belarr Gros, Lehtb! ‚der philof. Rechts⸗
pigenfgaft oder de⸗ Naturredhts: Tub! 1802.98. —
‚Ste ganz umgeatb. Aufl. 1815. Hte'Xufl. 1822,
' Ray Bendanid, Verfach einer Rechtolehte.
Bat 1802. °8.:
Jakob ie, ꝓhilofophiſche Keireichte ind Kris
Rt aller pofitiven Sefeßgebung:’ Yend, 180348.
KarlSal⸗ Bayasid, ‚rufahädgränfe des khiloſ. =
Privatrects. ‚ 22 18a.
10: BS. Gebhr· Ehrent. Kar 1@ränbeigenn? Natur.
rechts. Halle, 1808. 8.
TÜRE Dauer, Lehrbuch des Beturtigihi Wirt.
1808. 8. — 2te Aufl. 1816. -:
I *
66 Nocur⸗ und Voͤlterrecht.
har ward, wach welcher der elne Theil ‚wie ſchon von
Thamaſius und ſeiner Schuſe geſchehen war, bie
gs: —6 Oreſch ſyſtematiſche Entwickelung der
rundbegriffe and Grundprincipien des gefammten
unse Deivatschts;des, Staatsrechts und des Voͤlkerrechts.
Heidelb. 1810. 8. —Naturrecht. Tuͤb. 1829, 8.
‚Sen KHenriei,: Ideen’ zu einer wiſſenſchaftlichen
‚ Begründung. der. Rechtslehre. 2, Th. Hanunover,
1810. 8. N. 1. 1822, Lenthaͤlt; 1) Verſuch
. einer Geſch. des Rechtsbegriffes von den. fruͤheſten
Zeiten bis. Pufeßdorf; 2) fyſtemaciſche Darkellung
e.. ber. ‚bigherigen ‚Deduction Yes, geinen Rechts; 3)
Verfuch ‘einer. eigenen Debuction des reinen Rechts.)
22: -. Karl Theod. Welcker, dig, letzten Grunde von
nr Recht, Staat. und Strafe, philoſophiſch und nach
den Gefegen der merkwuͤrdigſten Volter ‚recheghifto:
fe: ur entwidgelt. -Sixßen ,„1813%.8
Stio. Ernft. Spulze, ‚Reisfaden ., der Entwicke⸗
n.. lung. der: phil. Principien deg brgerlichen und pein⸗
1. lichen Rechts. Goͤtt. 18134 83.
3. Vuh. Ansn Krug, -philafoph. Re diolehre (au
s x. 1 .[._ Syſtems der pract. Philoſ.) Koͤnigsb.
1817. 8. — Schon früher: Aphorismen, zur. Phi⸗
mE des Rechts. ırı Yandı Senn, 1800, 8. —
9 Naturrechtliche Abhandlungen: Ep;. 1813. 8.
% Nepom. Borft, über das —8 und
sr deffen Usberejnſtimmung mit der Moral im Diäten
— ‚DVernunftgefege. Nuͤrnb. 1818. 8:
Fr. Koͤppen, Rechtslehre nach, platoniſchen Wrund⸗
ſͤten. Lpz. 1849. 8. (Familienrecht; bürgerliches
Redt; Öffentliches Recht; Wölkersecht.)
j23C. AEſchen mayer, Brormolcecht. 2%. Sun
u Tuͤb. mA u. 20. 8.
ni, St; Bouterwek, Lehrbuch der philoſoyhiſchen
—— sr Theil, 2te Aufl. 1820... :@ (bes
erh Boarırde ©. —J und ©: 9
— Sinn Bed, kehrhug des Naturrechts.
ena 4 1820. 8 — · t
Natur⸗ und Voͤꝛkerrecht. 67
Rechtslehre von der Pflichtenlehre ab«
fonderte, und in berfelben darftellte, was in
dem Außern Mechtsfreife erziwingbar. ift, ‘der andere
‚Theil aber fie mit Der Pflichtenlehre aus
Einer gemeinfamen Quelle ableitet. Bei
ben vielen geiftvollen und feharffinnigen Forfchern
auf beiden Seiten. fonnte es nicht: .befremden, daß
mehrere derfelben, ungeachtet der wefentlichen Ver⸗
fhiedendeit dee Grundanfichten, einander doch mehr
oder. weniger. fich näherten, und daß die Wiſſen⸗
fchaft felbft im Ganzen durch den vielfeitigern. und
reichern Anbau gemann. Doch müflen von den Den
fern, welche zunächft vom kritiſchen Syſteme aus«
gingen, wenn fie. glei) von den Lehren und Anfichten
feines Stifters ſich wefentlich entfernten, bie Natur:
philofophben und Myftifer °) der ‚neueften
Zeit beim Anbau der philofophifhen Rechtslehre
unferfchieden werden. -
*) Schelling, neue Deduction des Naturrechts; im
. philoſ. Journale von Fichte und Niethamm'er,
+ 1796 , Heft 4, S. 278 ff. Fortſ. 1797 im Arten Hefte,
- Son. Thanner, Verfuh einer wiſſenſchaftlichen
" MDürftellung des Naturrechts. Landsh. 1801. 8: -
‚oh: Baptift Nibler, der Staat aug'bem Bes
griffe des Univerfums entwicelt. Landeh. 1803. 8.
Trorler, philoſi Nectstehre der Natur und des
Geſetzes, mit Ruͤckſicht auf Die Irrlehren der Libera⸗
"lität und Legitimität. Züri, 1820. 9:
Geo. Wild. Fr. Hegel, Grundlinien der Phi⸗
Iofophie des Rechts. Berl. 1321. 83. — |
% .
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‚Zur LiteraersGefhichte der philoſophiſchen
ı Rechtsiehre: |
. 3» Franc. Buddei historia juris naturalis, Hal... -
1695. 8. —W
5 *
J
66 Natur⸗ und Voͤlkerrecht.
har ward, nach welcher der eine Theil, wie ſchon von
Thomaſius und feiner Schufe. geſcheben war; Die
us. sgeonh. Drei, fpflematifhe Eusmidelung der
& rundbegriffe and Grundprincipien des gefammten
unzr Detvatsehis, des, Stantsrehte und des Voͤlkerrechts.
Heidelb. 1810. 8. — Naturrecht. Tuͤb. 1822, 8.
Geo. Henrtei, Ideen zu einer wiſſenſchaftlichen
‚ Begründung .. der. Kehtsiehre,. 2, Th. Hannover,
1810. & NM. A. 1822. ( enthält; ı) Verſuch
einer Geſch. des Rechtsbegriffes von den. früheften
Zeiten bis. Pufendorf; 2) fyſtemaiiſche Darſtellung
der bigherigen Deduction dee reinen Rechts; 3)
„Verſuch einer. eigenen Dedustion des reinen Kate 5‘
a. :.. art CTheod. Welcker, dig, letzten Gruͤnde von
Recht, Stmat.und Strafe, philoſophiſch und: nach
“den Geſetzen der merkwuͤrdigſten Volter jrechtshiſto.
ich entwigelt, -Sixfen ,.1B13% 8.
Gtlo. Ernft Syutge, ‚Leitfaden. der Entwide .
": lung der phil. Drincipien, des buͤrgerlichen und pein⸗
lichen Rewtts. Goͤtt. 1813, 8.
sr Wilh. Trat, Krug, bucſoph. Redtolehre (au
. Th. 12.1. Syſtems ‚der pract, Philoſ.) Koͤnigsb.
1817. 8. — Schon früher: Aphorismen zur Phi⸗
a, tefophie Den: Rechts. ır: Yandı Siena, 1800, 8. —
13) Matursechtiiche Abhandlungen; -pj. 2813. 8:-.
J. Nepom. Borft, über das Naturrecht und
en, Bellen Ugbereinftimmmung mit der, Meral im hoͤchſten
— MWernunftgeſest. Nuͤrnb. 1818. 8.
r. Koͤppen, Rechtslehre nach platonifchen Weund⸗
füeen. Lpz. 1849. 8. (Familienrtecht; bürgerliches
Rechts Öffentliches Rede: Voͤlkerrect.)
j.2C. A Eſchen mayer, Normalrecht. Th. Stun.
u. Tüb. 1519 u. 20. 8.
Ya Fr. Bouterwek, Lehrbuch der phklofophifden
"Biffenfdaften, gr Theil. ste Aufl. 1820... or (bes
a Vorrede ©. W—IX und ©: 169 —
3 Saga Sigism. Betr Sehrbug .& des Naturreqts.
Sena,' 1820. 8. . ont
| 1
Natur» und. Votterrecht. 67
Rechtslehre von der Pflichtenlehre ab«
fonderte, und in berfelben darſtellte, was in
dem äußern Mechtsfreife erzwingbar. ift, der andere
‚Theil aber fie mit Der Pflihtenlehre aus
Einer gemeinfanren Quelle ableitet Bei
den vielen geiftvollen und ſcharfſinnigen Forſchern
auf beiden Seiten. konnte e8 nicht .befremden, daß
mehrere derfelben, ungeachtet der wefentlichen Ver⸗
ſchiedenheit der Grundanfichten, einander doch mehr
ader weniger. fi) näherten, und daß die Wiſſen⸗
ſchaft ſelbſt im Ganzen burch den vieffeitigern: und
reichern Anbau gemann. Doch müffen von ben Den⸗
fern, welche zunächft vom, kritiſchen Syſteme aus«
gingen, wenn fie. glei) von den Lehren und Anfichten
feines Stifters ſich wefentlich entfernten, die Naturs
philofophen und Myſtiker °) der ‚neueften
Zeit beim Anbau der philoſophiſchen Rechtslehre
unferfchieden werden, -
*) Schelling, neue Deduction des Natukrechts; im
philoſ. Journale von Fichte und Niethamm'er,
1796, Heft 4, © 278 ff. Fortſ. 1797 im Zteh Hefte,
- Sun. Thanner, Verfuc einer wiffenfdaftligen .
* Darftellung des Naturrechts. Landsh. 1801. 8: -
Ioh. Baptiſt Nibler, der Staat auf'dem Des
- griffe des Univerfums entwicelt.' Landeh. 180%. 8.
Trorler, philof: NRechtstehre der Natur und des
Sefeges, mit Ruͤckſicht auf Die Irriehren der Liberas
'tieät und Legitimitat. Züri, 1820. 8.
Geo. With. Fr. Hegel, Grundlinien der Phi⸗
lofophie des Rechts. Berl. 1821. 8. _ |
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; Zur Literar⸗Geſchichte der philoſophiſchen
. Rechtslehre. on
. Frauc. Buddei historia juris.“ naturalis. Hal, .
1695. 8. DE Bun
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ua
—X
68 Ratır- . und Viterehe
A) Das Naturrecht,
oder der vblloſebhiſchen Rechtslehre erſter A
'r
43.
Begriff des Natu rrechts.
Das Naturrecht iſt die ſyſtematiſche Darſtellung
aller aus der Idee der Herrſchaft des Rechts hervor⸗
gehenden urſpruͤnglichen und erworbenen Rechte und
zechtlichen. Verhaͤltniſſe ſittlicher Weſen in. ihrem
aͤußern freien Wirkungskreiſe. Das reine (ober
abfo lute) Naturrecht ſtellt die urſprüͤuglichen,
Jac. Fr. Ludovich, delineatio historiae juris di-
- I yini, naturalis et ‚positivi® universalis, Hal,
ı701. 4
Paulo plenior historia juris naturalis, in usum
- ,„ Auditorii Thomasiani. Hal. 1719. 4.
Adam Fr. Glafey, vollſtaͤndige Geſchichte des Rechts
der Vernunft. Lpz. 1739. 4. N. A. in a Th.
Frankf. 1746.
hrist, Fr. Geo, Meister, bibliotheca jur na-
turae et gentium. 3 Part. Gött. 1749 X 8.
" Geo, Chr. Gebauer, nova ‚juris naturalis istoria,
A, Edidit Klevesahl. : Wetzlar. 1774. 8
Dietr. Heinr. Ludw. Freih. v. Ompteda, Literatur
des geſammten ſowohl natuͤrlichen als pofitiven
Voͤtkerrechts. a Thy Regensb. 1785. 8. — Dr
dritte Theil (auch mit dem bef. Titel: : neue
Literatur des Voͤlkerrechts feit dem Jahre 1784)
von Karl Alb. v. RKampk. Berl. 1817. 8.
Car. Hear. Lud. Pölitz, de 'mutationibus, quas
systema juris naturae ac gentiqm a Grotii
temporibus hucusque expertum fuerit, Viteb,
1805. 4
Natur . und Voͤlkerrecht. | 69.
aus der vernünftig» finnlichen Natur des Menfchen
unmittelbar bervorgehenden, Rechte jedes einzelnen
fittlihen Wefens auf; das angewandte (ober
hypothetiſche) Naturrecht hingegen entwickelt bie
erworbenen Rechte des Menſcheu, und zeigt die
Art und Weiſe, wie in der aͤußern Rechtsgeſellſchaft
Rechte auf Perſonen und Sachen durch Verträge er-
worben werben, woraus das perfönliche und das
Sachen» (ober das dingliche) Recht entfpringt,
Alle aus der Natur des Menfchen felbft hervor⸗
gehende Rechte nennen wir urfprünglide
Rechte; hingegen diegenigen Rechte, welche wir.
nur durch freie Uebereinſtimmung mit andern We⸗
fen unfrer Are, mithin durch Vertrag, auf
Perfonen und Sachen außer ung erwerben, wer-
ben erworbene Rechte genannt, Daraus. er-
heilt, daß die erworbenen Rechte die urfprünglichen
voraugfegen, und daß alſo Das angewandte
Naturrecht, welches die erworbenen Rechte. im
Einzelnen entwidelt, auf das reine Maturrecht
fih gründe. Weil aber theils die Rechte .auf die
Perfon eines Andern, theils die Nechte auf Sachen
in einer abgefchloffenen Rechtsgefellfchaft, mo feine
herrenlofen Dinge gedacht werden koͤnnen, nad)
den Forderungen der Vernunft, nur.durch’die freie
Vebereinftimmung: zweier oder mehrerer. fittlicher
Weſen erworben werben dürfen; fo folgt daraus, _
daß jede Erwerbung von Rechten auf Perfonen und
Saden, nad) den Grundfägen der Vernunft, auf
Vertrag beruht, und alfo Das angewandte
Naturreht die Hauptgattungen Derje
nigen Verträge enthält, durch welche Rechte
auf Perfonen und Sachen erworben werden.
2 gacur. und Voͤlkerrecht.
. A 16. .
4) Das Recht auf äußere Sreipeis
Die äußere Freiheit befteht in der unbefchränf.
ten Selbftitändigkeit und Unabhängigkeit des Außern
freien Wirfungsfreifes von jedem andern Wefen uns .
rer. Gattung, . Sie ift die nothwendige und unerläß«
iche Bedingung, daß der Menfch alle feine ghnfifcheni
und geiftigen Vermögen und Kräfte, nad) ihrer natur⸗
gemäßen Beftimmung und nad) den von ihm: fi) vor«
gehaltenen Zweden gebrauche, 'befonders aber. daß er
ech feine Handlungen dem Endzwede feines Das
eyns möglichft ſich nähere, und alles in Hinficht auf
eine eigene Sittlichfeit und Glücfeligfeit, fo wie in
Hinfiht auf die Sittlichfeit und Glücfeligfeit der mit
ihm zur Gefellfchaft vereinigten Wefen feiner Gattung
vollbringe, was das Ideal der Sittlichfeit von jedem
freien. Weſen verlange, —. Denn gur, wer perfönm
Uuich frei ift, ſteht Im Beſitze und Gebrauche aller der
Nittel, durch weiche bie menfchliche Beftimmung im
weiten: Kreiſe fümmtlicher ‚Rechte. und Pflichten auf -
Erden erreicht werden foll und darf. Die Vernunft
erflärt daher: bie Sklaverei und Leibeigenfchaft, nad)
allen ihren: Formen und Abftufungen, für widerrecht-
- Hi, weil durch fie Die Grundbedingung alles Rechts,
der äußere freie Wirfungsfreis „aufgehoben wird,
2). Das Recht auf Außere Gleichheit.
„ ..Die unbedingte Forderung des Sittengefeges
, und bie allgemeine ultigfeit deſſelben für alle Wefen
unfrer Gattung It die urfprüngliche natürliche. Gleich»
beit aller dieſer Weſen als Grundbedingung mis Noth⸗
Natur» und Voͤlkerrecht. 73
wendigkeit voraus; denn ein gemeinſames durch die
Vernunft gebotenes Ziel kann fuͤr Alle nur unter der
Vorausſetzung der urſpruͤnglichen Gleichheit Aller gel⸗
ten. Dieſe natuͤrliche Gleichheit beruht aber darauf,
daß dieſelben phyſiſchen und geiſtigen Anlagen, Vers
moͤgen und Kraͤfte in allen Weſen unſrer Gattung zu
dem Charakter der Perſoͤnlichkeit urfprünglich verbuns
den, und dadurch alle vernuͤnftig⸗ſinnliche Weſen zu
einem und demfelben Endzwede ihres Dafeyns, fo
wie zur Gleichheit des äußern Rechts in ihrer gegen-,
feitigen Verbindung, berufen find, — Allein biefe
urfprüngliche Gleichheit ift weder eine Gleichheit des
Grades der Stärfe, mit welchem die einzelnen phyſi⸗
ſchen und geiftigen Kräfte bei den menfchlichen Indi⸗
viduen ſich anfündigen; noch Gleichheit der Richtung,
der Thaͤtigkeit diefer Kräfte auf einerlei Befchaftigung
im Leben (wodurch die fraurigfte Einformigfeit in das
gefellfchaftliche Leben fommen würde) ; noch Gleichheit
bes Eigenthums , weil Jeder in einem rechtlichen Zu⸗
ſtande nur das und nur. fo viel befigen kann, als er
ſich rechtmäßig erwirbt. Sie befteht vielmehr darin,
daß jeder Menfch in dem andern ein. Wefen mit vollig
gleihen Rechten anerkennt, und ihn nie als bloßes
Mittel für feine Zwede, fondern als Selbftzwed bes
handelt; "daß jeder in der Gefellfchaft,, ohne Nückficht
auf Geburt, Abfammung oder Stand, nad) feiner
phyſiſchen und geiftigen Brauchbarfeit und nad) ſei⸗
nem fittlichen Werthe für Die Zwecke des Ganzen an«
geftellt wird; daß diefelben Gefege, über welche die
Geſellſchaft fich vereiniget hat, gleichmäßig für Alle,
fo wie fänmtliche öffentliche Laften und Beſchwerden
in der Gefellfchaft ebenfalls für Alle ohne Ausnahme
und Einfhränfung gelten; daß endlich die Geſammt⸗
heit der Individuen in der Gefellfhaft durch freiges
74 Natur» und Völkerrecht:
« wählte Abgeordnete, en Hinficht ihrer allgemeinen
Kechte fo wie ihrer befondern Beduͤrfniſſe, bei der
Regierung vertreten wird. |
. (Wir find, nach der Religion, gleih vor
. Goe£e, und follten nicht vor dem irbifchen Gefege
gleich feyn?)
18.
3) Das Recht auf Freiheit der Sprache,
der Preſſe und des Gewiſſens.
Weſen, mit Vernunft und Freiheit ausgeſtattet,
und nad) ihren vervollfommnungsfähigen Anlagen
und Vermögen zu einem grenzenlofen Fortfchritte in
der Erfenntniß der Wahrheit und in der Ausübung
des Guten beftimmt, befigen,, nach) jenen Vermögen
‚und nad) dieſer Beftimmung ihrer Natur, das urs
fprünglihe Recht, durch Sprache und Schrift ihre
Meinungen, Grundfäße und Ueberzeugungen ber gan-
zen übrigen Geſeliſchaft mittheilen, und ſie der freien
Pruͤfung derſelben unterwerfen zu dürfen. Die Frei⸗
beit der Sprade, der Preſſe und des Gewiſſens, in⸗
wiefern jenes urfprüngliche Recht aud) auf die Grund»
füge für das rechtliche Beftehen und die Wohlfahrt der
ganzen Gefellfchaft, fo wie auf die religiöfen Anfichten
und Ueberzeugungen fich bezieht , ift Daher die wefent-
lihe “Bedingung der geiftigen, befonders aber ber
ſittlichen Fortbildung des Individuums und des gan⸗
zen menfchlichen Gefchlechts, und ein unveräußerliches
Recht, deffen Grenzen und rechtliche Be
(hränfungen nur nach der Verlegung An⸗
drer durch Sprache und Preffe, d. h. durch
Verlaumdungen, unermwiefene Defhuligungen und
Natur» und Voͤlkerrecht. 75
Beichimpfungen gegen Individuen und Regierungen,
fo wie durch Angriffe auf die fittlichen Grundpfeiler
aller Religionen und aller beftehenden Nechtsgefell:
fhaften, beſtimmt merden fünnen. Denn aus dem
Grundbegriffe des Gleichgewichts der Rechte im
äußern freien Wirfungskreife geht nothwendig hervor,
‚ daß wie jede Rechtsverlegung überhaupt, fo auch die
Verletzung der Rechte Andrer durch Sprache und
Preſſe, in jeder feftbegründeten Rechtsgefellfchaft
durch Gefese näher beftimme und durch Strafen ges
ahndet werden müfle.
Eine unbedingte Preßfreiheit, nach welcher
Die durch Die Preffe geſchehenen Rechtsverlegungen
ungeahndet bleiben follen, während in jeder zweck⸗
mäßig geftalteten und feftbegründeten Rechtsgeſell⸗
ſchaft feine Verlegung felbft des Fleinften Rechts
ungeftraft bleiben darf, wenn anders die Rede von
einem Gleichgewichte des Rechts feyn foll, ift
durchaus gegen die Vernunft, und alſo
ſelbſt widerrechelih. — Allein daraus folgt eben»
- falls mit Beftimmtbeit: 1) daß nur anerfannte
Rechtsverletzungen durch Sprache und Preſſe der
Ahndung unterworfen werden fönnen, und 2)
Daß, meil das Maturrecht das Ideal einer voll»
kommenen Rechtsgefellfhaft aufftellt, das in der
Wirklichkeit nirgends angetroffen wird, die nähern
Beftimmungen, wie Nechtsverlegungen durch
- Sprache und Preffe geahndet werden müffen, nad) .
ihrer rechtlichen Seite dem Staatsrechte, und -
nach ihrer politifchen Seite der Staatsfunft
angehören, 2
76 | Natur - und Volterrecht.
19. |
a Das Recht auf perſoͤnliche Würde und
guten Namen.
Die perfönliche Würde des Individuums beruft
auf der Angemeffeiheit aller feiner Handlungen und
aller feiner Ankündigungen in der Rechtsgefellfchaft,
deren Mitglied er ift, zu dem Sittengefege, mithin
auf feiner von Allen anerkannten Annäherung an das
Ideal der Sittlichkeit. Diefe perfönliche Würde aller.
ihrer Individuen ift aber die wichtigfte Stüge_ber
Kechtsgefellfhaft, weil nur derjenige Verein dauer-
haft feyn kann, der auf gegenfeitiger perfönlicher Ach⸗
tung beruht. — "Da nun der Name das Wort,
. oder dag finnlihe Merkmal ift, wodurch wir die ne |
dividualitaͤt der mit ung zur Nechtsgefellfchaft vrrbun⸗
denen Wefen bezeichnen, und damit den "Begriff ihres-
firtlihen Werthes oder Unwerthes, fo wie ihrer
Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit für die Gefells
fchaft, und überhaupt den Begriff ihrer gefammten
aͤußern Anfündigung verbinden (man vergegenmwärtige
fi) nur die Namen von Sofrates, Attila, Luther,
Napoleon u. a.); fo fann es feinem Sndivibuum
gleichgültig. ſeyn, welche Eigenfchaften die öffentliche
Meinung diefem Namen beilegt, weil fein Einfluß
auf die Gefellfchaft, feine Ehre in derfelben, das
Zutrauen, das Andere zu ihm haben follen, und der
Theil feiner Zufriedenheit und Ruhe, der von der
‚Meinung und dem Urtheile Andrer über ihn abhängt,
ganz dadurch beftimme wird, — Wenn aber ber
Menſch das Recht auf perfönliche Würde und guten
Namen durch) die unbedingte Angemeffenheit feiner
aàußern Thätigfeit zu ber innern Güte feiner Geſin—
nung fich erwirbt; fo kann er auch fordern, daß jeder
Natur⸗ und Völkerrecht. 77
{hm dieſe Ehre erweife, bis feine Handlungen das
- Gegentheil bezeugen. Diefes Recht auf Ehre und
guten Namen gilt zugleich für alle Abweſende aus
der, Gefellfchaft, und felbft für die Erhaltung und
Rettung des guten Namens ber Verftorbene n.
20. J
5) Das Recht auf Eigenthum.
Wir nennen alle Gegenſtaͤnde der Naturwelt,
die nicht Perſoͤnlichkeit beſitzen, Sachen, weil fe
ber Vernunft und Freiheit ermangeln. Sie ſtehen in
einem gewiffen Preife, und Fönnen durch Schenfung,
Abtretung, Taufe) und Verkauf erworben werden.
Deshalb find fie nie Zwede felbft, fondern nur Mit
tel zu Sweden. . Dies gilt ‚eben ſowohl von den-ein-
zelnen Theilen der Oberfläche des Erdbodens, wie von
den Erzeugniffen und Thieren deffelben ; nur mit der
rechtlichen. Einfihränfung, daB wir uns blos in den
Befig von folhen Sachen fegen dürfen, die entweder
noch Keinem gehören (res nullius), ober die ung der -
freie Wille eines Andern auf rechtmäßige Weife, d. i.
durch Vertrag „ überlößt. . Die rechtmäßige Erwer⸗
bung eines aͤußern Gegenftandes, welche mit ber
äußern Freiheit aller andern vernünftigen Weſen ver-
einbar ift, Heiße Befignehmung, und die durch
die rechtliche Befignehmung erworbenen äußern Ben
genftände nennen wir unfer Eigentbum
Leder Eigenthuͤmer einer Sache hat aber das
Recht des: ausfhließenden Beſitzes und der
erkennbaren Bezeihnung derfelben als feines
Eigenthums; doch fann es auch ein Gefammteigen«
thum für mehrere gemeinfchaftliche Befiger einer und:
derſelben Seqhe geben, welches aber nur durch Ver⸗
78 Natur⸗ und Voͤlberrecht.
trag erworben und nach ſeinen rechclichen Verhaͤlt⸗
niſſen zwiſchen den Miteigenthuͤmern feſtgeſetzt werden
kann. — ben fo gehoͤrt der Zumachs (accessio)
bes Eigenthums, Der. entweder durch die Natur ober
durh Einſicht, Fleiß und Kunſt bewirkte wird , dem
Befiger des Eigenthums, ‚fobald durch diefen Zu-
wachs fein Recht eines Dritten beinträchtige wird. —
Durch Ve rlafſung kann aber auch ein freies Weſen
auf ein erworbenes Recht verzichten, wodurch, wenn es
ein Gegenſtand des Eigenthums war, dieſer zur her⸗
renloſen Sache wird. ‚Dingegen kann die zufällige
Unterlaffung ber Ausübung eines Rechts nicht als
Verzichtleiftung auf ein erworbenes Recht, und eben
fo wenig der unrechtlihe Gebrauch eines Gegenſtan
des als ein Rechtstitel der Erwerbung angeſehen wer⸗
den, weil es nach dem Vernunftrechte keime Ber
j ab rung gibt,
(Verjährung fann,. weil es nüglich iſt, eine
‚Zeit über den Befisftand zu veffimmen, nur im
‚‚pohltiven Rechte: vorkommen.)
EP
6) Das Recht auf sffentlige Sicerpein
Jede beſtehende Geſellſchaft von Menſchen
nimmt einen Theil des Erdbodens ein, über welchen,
fs. ſich mit ihrem Gigenthume und ihren Wohnungen
ausbreitet. In dem Umkreiſe diefes der Gefellfchaft
rechtlich zugehörenden Gebietes foll die größte öffent:
liche Sicherheit herrſchen. Diefe Sicherheit betriffe
aber: theils bie Perfonen felbft, ihr. eben, ihre. Frei⸗
heit, und die Unverlegiheit ihres Körpers, theils alle,
ihnen. } ingehörenbe Sachen, fie mögen in unbewag-
lichem ‚oder beweglichem Eigenthume beftehen, In
U
Natur⸗ und Wöolkerrecht. e9
dem Zeſellſchaftlichen Vereine Des Naturrechts if. die
geiſtige und ſittliche Reife, ſo wie die Rechtlichkeit
aller Mitglieder deſſelben der ;gewiflefte Buͤrge der
öffentlihen Sicherheit, weil dieſe Nechtlichkeit, und
Reife felbft. Die Uebereifungen wab Unvorfichtgfeiten
möglichft verhuͤtet, (durch welche .niche ſelten, auch
ohne pöfe Abfi ihn, bie oſfentunhe Scherheit gefatn
bet wird.
·27
31
un
22: ’
| 7) Das Recht auf Abfliehung und Set
tung der Verträge
Sao gewiß, nach dem Urrechte der Perſonüch⸗
keit, jedes ſittliche Weſen frei uͤber die Anmwenbung
feiner Kräfte: und feines Eigenthums verfügen fans,
fobald dadurch Der äußere freie Wirkungskreis keineß
Andern beeinträchtigt wird; fo gewiß fteht ihm; auch
das Mecht zu, durch freie gegenfeitige Uebereinfunft
mit andern. Weſen feiner Art, vermittelſt eines Per⸗
ſprechens und eines Gegenverſprechens, den Kreis
ſeiner perſonlichen und dinglichen Rechte. entweder zu
erweitern, oder zu befhränfen. Die äußere
Handlung, wodurd) dies gerhieht, nennen wir Ber-
trag, indem :berfelbe auf einer gegenfeitigen
Willenserklärung berubt, in welcher von dem
einen Theile ein Verſprechen, d.h. die Erflä-
rung gegeben wird, zu einer gewiflen ‚Seiftung verbun⸗
ben zu feyn, und.von dem andern Theile die An⸗
nahme, d. 5. die Erflärung erfolgt, daß men. die)
von dem Andern beftimmte Leiſtung zu fordern beredhr:
ige ſeyn molle. :Durch.beides. wird der Vertrag:
vollendet; der Vertrag beruht Daher auf einem aͤnge⸗
nommenen Verſprechen. Die beiden contrabisenhen,
80 Notur⸗ und Voͤlkerreche.
Delle, der Promittent und der Promiſſar,
heißen die Paciscenten.
Vertraͤge darf aber jedes ſietliche Weſen ſchlie
ßen, weil es zu den urſpruͤnglichen Rechten des
Sieuſchen gehoͤrt, daß er ſeinen aͤußern unabhaͤngigen
Wirkungskreis Andern eben ſo gut eröffnen, als ver⸗
fliegen darf. Der Menſch erweitert feinen
äußern Wirkungsfreis, wenn er durch Vertrag Rechts
auf die geiftigen oder phufifchen Kräfte, oder auf
Sachen (auf Theile des bisherigen Eigenthums) An⸗
drer erwirbt; er beſchraͤnkt hingegen feinen aͤußern
Wirkungekreis, wenn .er durch Vertrag Andern -ein
Recht auf ſeine heiſtigen oder phyſiſchen Kraͤfte, oder
auf Theile ſeines Eigenthums zugeſteht. Denn ſelbſt
ſeine Perſonlichkeit darf der Menſch (z.B. im Dienſt⸗
vertrage) einer fremden Beſtimmung unterwerfen,
nur nicht mit Verlegung oder. Dernichtung des Und
rechts der Perſoͤnlichkeit.
So lange übrigens bie Annahme bes Ver
ſprechens von dem andern. Theile nicht erfolge. iſt7 J—
kann das Verſprechen widerrufen — und zueückgenom—
wien werden. J “
u y * Fr \ —
Beh figungen der Gültigkeit der Ber
‘ eräge
Icher Vertrag iſt rechtlich und gultige
1) ſobald ſein Gegenſtand an ſich moͤglich iſt;
Cunguͤltig iſt er, ſobald der Gegenſtand Durch menſch⸗
liche Kraͤfte nicht ausgeführte werden fann — ad
impossibilia nen obligatur —; doch. muß in Die=
fen. Falle die Unmöglichkeit nachgewieſen, und wenig«
ſtens: das, was moͤglich iſt, geleiſtet werden;) -:
⸗
Nature ind Völker, B1
2) ſebald durch ihn fein Zweck der Vernunft
und namentlich: nicht. · das Gittengefeg verletzt wird
(ad turpia nemo obligatur — fein. Vertrag kaun
einen Bater zur Kaſtration feiner Kinder verpflichten);
3) fobald die contrabivenben Theile dabei das
völlige Bewußtſeyn ihrer Vernunft und Freiheit hat⸗
ten (ohne Berauſchung, Wahnſinn ac); .
4) ſobald bie contrahirenden Theile qusbcd
ich und beftimme ihre Einwilligung erflärten; -;
5) :fobald. die durch den Vertrag yucermerbehs
den Rechte blos perfönliche und Dingliche Rechte, und
nicht bie ganze ober theilweiſe Aufhebung eines tr
ſpruͤnglichen Rechts .betenfen. (z. B. Verpflichtung zur
Seibeigenfchaft, ober zur muhamedaniſchen Religion
gegen bie Gerviffensfeeifeit. x)...
6) fobald von dem einen contrabieenben fee
babei fein abſichtlicher Betrug geübt wart; :
.....7) fobald ber. eine contrehirende Theil nicht
"über den ‚Gegenftand des Vertrages in. einem völlig
unvermeidlichen Irrthume ſich befand;
8) fobald nicht: durch phyſiſche Gewalt, oder
Ueberliſtung, die Einwilligung des einen ennfraßiren,
den Theiles erzwungen ward; |
9) fobald nicht die Rechte eines. Dritten, ohne
Vorwiſſen und Einwilligung deſſelben, durch einen
abgeſchloſſenen Vertrag beſchraͤnkt und verletzt werden.
Geht aber der Andere den Vertrag ein unter einer
angebrohten Gefahr, bie er beftimmt erfannte, ober
unter Verhältniffen,, die er fich Deutlich vergegenmwär-
tigte; fo ift er fietlich verpflichtet, .den Vertrag zu
erfüllen. Selbft die Unfunde deffen, was der Pro⸗
mittent zu leiſten hat, entbindet denfelben keinesweges
von feiner durch den Vertrag übernommenen Ver⸗
pichtung; eben fo wenig engzehe dieſe Unfunde dem
82 Natur. und Volkevrecht.
andern Theile das Recht, auf de Erfüllung des Ver⸗
trages zu dringen, weil bei einem’ vernünftigen Weſen
vorausgeſetzt wird, daß es, bei dem Eingehen des
Vertrages, die Natur und Befchaffengeit der über,
nommenen Verpflichtung eingefeher und erfannt habe.
-» „ Da aber der. Vertrag auf: die.freie Mebertcagung
eines perfönkichen Rechts, oder. einer Sache an ginen
Andern, mithin’ auf Die Webergabe oder Abfretung
von ber einen, und:auf die Annahme: von der autech
Seite ſich ugruͤndet; fo folgt, daß durch die freiwil⸗
dige Verlaffung von der eifien Seite ein Anderer an
ſich eben ſo wenig ein Recht: erhaͤlt, die verlaffeme -
Sache zu ſeinern Eigenthume: zu - machen, wie durch
Ye: einſeitige Werzichtleiftung. des einen Theils auf
irgend einen Gegenſtand, ohne bie rechtliche Uebep-
nähme deffelden-von dem andern Theile. Doc) ſteht
jedem das Recht: zu, die Sachen, die zu feinem: Eigeu-
Fenthume gehoͤren, oder auch gewiſſe perſonliche Rechte
Chur nicht feine: Perfönlichkeit Teföft,) dem Andeen
zum Austaufche anzubieten, dafür einen. Preis ferk-
zuſetzen, und ſie um dieſen Preis wegzugeben, fo wie
auch bieſen Preis ganz. zu erlaſſen, and bie Sache zu
verſchenken.
Alle aus Vertraͤgen harvorgehende Pf lichten
und alle durch Vertrag erworbene Rechte find: kie ine
... „ unbebingten, ſondern nur bedingte: Sflich
‘tert und Diechte,
ui j one J .5 9%,
Real- und Berbal- Verträge: unbedingte
und ‚bedingte, Fittfhweigende Verträge
“ Belteht: Ver Vertrag in der’ wirklichen Leiſtung
des Gegenftandes ſelbſt, mithin in einer Thatſache;
Natur - und Voͤlkerrecht. 83
fo heiße er ein KRealvertrag. Dagegen beruht der
Derbalvertrag auf der wörtlichen Zuficherung ber
verfragsmäßiigen Kiſtung.
Die Vertraͤge find entweder unbedingte oder
bedingte , inwiefern bei den unbedingten auf feinen
eintretenden denkbaren Fall in ber gegenfeitigen Ueber
einfunft Rücdfiche genommen, bei den bedingten aber
der Eintritt gewiffer, künftiger Umſtaͤnde im Voraus
beruͤckſichtigt wird.
Unter einem ſtiliſchwe igen den Vertrage
endlich verſteht man einen ſolchen, wo uͤber einen per⸗
ſonlichen oder dinglichen Gegenftanb, der in. der. Wirk⸗
lichkeit befteht, „Leine bafondere Uebereinkunft zwifchen
zweien oder mehreren. Perfonen abgefchloffen wochen
ift,, fein Theil aber dem Gegenflande bes ſtillſchwei⸗
genden Vertrages teiderfpredjen hat, ſo daß bürch die
Fortdauer bes Verhaͤltniſſes und bie gegenfeitige An⸗
erfennung deffelben ein wirklich pofitiver Charakter
des Vertrages fich gebifdet hat *). (Dahin gehört
das rechtliche Verhäftuig zwifchen Aeltern und Kin
been;.. zwiſchen dem Regenten und dem: Volke, wo
fein fchriftliches Srundgefeß ihre gegenfeitigen Rechte
und Pflichten beſtimmt; umd darauf beruht, im pra=
ctifchen europäifchen Volkerrechte die Wölkerfiste und
das Herfommen in der Verbindung und Wechfelwir«
fung ber civilifirten und hhyiſtüichen europdiſchen Voͤl⸗
ker, Staaten und Mich. ).
*) Zu den ſtiuſchweigenden Verträgen dann nicht ge
rechnet werden, wenn.z. B. der eine. für den andern
deffen Amtegefhäfte betreiben wollte ohne deffen
Buflimmung, "Nur ein beſtehendes Efactifches) Vers
haͤltniß kann als Grundlage eines ſtiuſcawelgenden
Vertrages gedacht werden. : ⸗
* * r
84 . Natur» und Bölferrecht.
Ein Nebenvertra g (pactam aöcessorium)
ift ein Vertrag, der zu den Beflimmungen eines . :
- vordusgegangenen Vertrages etwas hinzuſetzt, und
biefe Beſtimmungen entweder unter‘ gewiflen | Ber
hältniffen erweitert oder befchränft,
25.
Veränderung und Aufbebung der Ber
träge,
Beränbert und aufgehoben werben abbeſchtoſſene
Verträge:
1) durch jeden neuen Vertrag, der: (päter
über benfelben Gegenftand von denfelben contrahiten.
den Theilen eingegangen wird; _
| 2) durch Erlaffung, wenn der eine- Theil
ſelbſt fein durch den Vertrag ermorbenes Recht ganz
oder theilweife aufgibt; “
3) durch gegenfeitige Neue, wenn beide
contrahirende Theile ihr Werfprechen zuͤrucknehmen,
und egenfeitig von der feftgefegten geiftung fe: ent:
inden;
| 4) durh Vergleich, wenn ein aus einent
Vertrage ftreitiges Recht durch freiwillige Ueberein⸗
Eunft beider Theile, ohne richterliche Entſcheidung,
beendigt wird; |
5) durch CSeffion, wenn der eine Pacifcant,;
mit Genehmigung des Andern, feine Rechte oder feine.
a anenen Verpflichtungen einem Dritten über»
trägt;
69 durch Affignation, wenn der eine Pa⸗
eiſcent einen Dritten, ohne deſſen vorhergegangene
Einwilligung, auf ein Reche anweiſet, das e ihm durch
Vertrag zuftehet;
Natur +. und Woiterrecht. 85
6 durch Delegation, wenn ber eine Paciſ⸗
cent einen Dritten, mit deſſen voͤlliger Zuſtimmung,
zur Uebernahme und Behauptung eines ihm vertrags⸗
| mäßig zuftehenben Rechtes anweiſet.
® 20.
Von der Billigkeit und vom Nothrechte.
Alle urfprüngliche und erworbene Rechte find,
ihrer Natur und ihrer Form nad), allgemein und ge»
wiß; nur bei der Unterordnung einzelner Fälle unter
das ewige Rechtsgeſetz kann bisweilen ein Zweifel oder.
“auch ein Sehler entftehen. Eine wirkliche Eoflifion
zwifchen zwei Rechten gibt es fo wenig, als eine wirf-
liche Eoflifion zwifchen zwei Pflichten, weil da, wo eine
Colliſion ſcheinbar einzutreten feheint, das höhere
Recht, wie die höhere Pflicht, im Gegenfage des nie⸗
dern , von ber Vernunft febft beftimmt ausgefprochen
wird.
Unter bie zweifelhaften Rechte hat man das
Recht auf Billigkeit und das Nothrecht ge⸗
bracht. Mit mehr Witz, als Wahrheit, hat man
das erſte ein Recht ohne Zwang, und das este einen
Zwang ohne Recht genannt. Es fann aber fein
Recht auf Billigfeit geben, weil der Begriff
der Billigkeit zunaͤchſt in die Pflichten= und nicht
in die Rechtslehre gehört, und. fidy lediglich auf bie
Pflichten der Güte, nie auf die Pflichten der Gerech⸗
tigkeit bezieht. Die Billigkeit %), als Pflicht gedacht,
*) Vergl. Hufelands Lehrfäge des Naturredts x.
©. 59. (ste Aufl.) — Durchaus den Gegenftand
nicht rfchöpfend ift die Monographie: Karl Gthe.
Brofe, über Recht und Villigteit im Augemeinen.
Sött. 1891. 8.
han 2
86 Nature und Voͤlkerrecht.
beſteht naͤmlich in der Anerkennung der unvollkomm⸗
nen Rechte Andrer, und in der freiwilligen Befchraͤn⸗
kung ſeiner eignen vollkommnen Rechte durch jene
Anerkennung. (Wenn ich z. B. einem, der in Ver⸗
legenheit wegen der Zinſen eines erborgten Capitals
iſt, dieſe ganz erlaffe, oder Aufſchub bewillige.) Sie
kann daher blos als Gewiſſens ſache geuͤbt, und
nie von dem Andern erwartet und verlangt, geſchweige
im buͤrgerlichen Leben durch Zwang bewirkt werden.
Unter dem ſogenannten Nothrechte (casus
extremae necessitatis) verſtehen einige Naturrechts-
lehrer Die Befugniß, in dem Nothfalle einer drin»
genden Lebensgefahr fich felbft zu erhalten durch Ver—⸗
legung der Rechte eines Andern, der fein Unrecht
getban hat. - (Dahin gehört der von Manchen mit
Vorliebe ausgemahlte Fall, wo zwei Perfonen Schiff:
bruch erlitten haben, auf Einem Brete fißen, und fid)
überjeugen,, daß nur Einer auf diefem Brete ſich ret-
ten fann. Darf er den Andern in die Wellen ftoßen?).
Weil aber das Urrecht der Perfönlichkeit, nad) mel-
chem nie ein anderes Wefen von uns als bloßes Mit-
tel für feine Zivecke behandelt werden darf, durch Feine
fheinbare Collifion der Rechte aufgehoben wird; weil
ferner feine Noth, als ein phnfifches Uebel, fo maͤch⸗
tig wirfen fann, daß durch fie der Gebraud) der Ber:
nunft völlig vernichtet und der Menſch mit dem Thiere
auf gleiche Linie der bloßen finnlichen Selbfterhaltung
geftelle wird; fo folge, daß das fogenannte Nothrecht
ber fieelichen Gefeßgebung der Vernunft widerftreitet,
weil die Vernunft feinen Zuftand des Menfchen den-
fen fann, wo er entbunden wäre von der ewigen Guͤl⸗
tigfeit des Sittengefeßes *). (Der Menfch muß eher
*) €8 gehört zu den‘ fonderbaren Erſcheinungen in der
Natur und Wölferredhe. 87
verhungern, ‚al Resten; und das Sprücmerti Moth
kennt fein Gebot, kann weder durch die Pflichten⸗,
noch durch die Kechtsiehre entſchuldiget, —*
begruͤndet werden.) u
27 Ä
b) Angewandtes Naturreht“
Begriff und Umfang Veffelben.
Das angewandte Maturrecht enthalt bie wif«
fenfchaftliche Darftellung der erworbenen Rechte des
Menfchen, welche, je nachdem fie entweder Perfonen
oder Sachen betreffen, perfönlide oder vingliche
Rechte heißen. Weil aber in’einer, auf das, Ideal des
Rechts gegründeten, gefellfchaftlihen Verbindung per-
ſoͤnliche und dingliche Rechte blos durch gegenfeitige
freie Webereinfunft, und alfo nur durch Vertrag
erworben werden fönnen; ; fo enthält Das angewandte
Naturrecht zunächft die wiffenfchaftliche Darftellung
der einzelnen HDauptgattungen umd Arten
von Verträgen, und der aus dieſen Verträgen
hervorgehenden rechtlichen Verhaͤltniſſe zwiſchen freien
Weſen.
Es iſt nicht moͤglich, jeden einzelnen denkbaren
‚Vertrag i in die Wiſſenſchaft aufzunehmen. Allein
Wiſſenſchaft, daß uͤbet das Mothrecht ſelbbſt die ſcharf⸗
ſinnigſten und folgerichtigſten Denker unter den Nach⸗
folgern Kants, welche übrigens von rein ſittlichen
Grundſaͤtzen ausgehen, getheilter Meinung find. So
3.8. während Heydenreich ganz gegen das Noth⸗
recht fich ausfpricht, lehrt Eros: „der Menfch fey
in der Noth -entbunden von dem Dearegefene"; 9 I
und ſo viele Andere.
88 Natur⸗ und Bolkerrecht.
die ſyſtematiſche Darſtellung der Vertraͤge muß we⸗
nigſtens diejenigen Hauptgattungen und Arten von
Vertraͤgen entwideln, unter welche ver einzelne
Vertrag ſogleich gebracht werden kann.
28.
Nomenchatur der wichtigſten Verträge
Die wichtigften einzelnen Verträge, durch welche
gegenfeitig perfonliche Rechte ober Sadıen erworben
werben, find: | |
© 4) der Geſellſchaftsvertrag überhaupt;
2) der ebeliche Vertrag;
3) das daraus hervorgehende Aelternrecht;
4) ber Dienftvertrag;
-. DDie Vertraͤge 2 — 4 bilden das föge»
nannte Samilienrehe)- 0,
: 5) dee Arbeits - und Mierhsvertrag;
6) der Schenfungs-, Taufch- und Räufoer
trag;
7) der Leih⸗, Darlehns- und Pfandvertrag;
8) der Aufbewahrungs = und Bevollmädtis
| gungsvertrag, mit Einfchluß der Bürg-
haft;
9) der Vertrag auf den Fall des Todes; --
10) der Verfaffungs- und Regierungsvertrag
der Geſellſchaft;
41) der kirchliche Verfaffungsvertrag (!ehre
von dem natürlichen Kirchenrechte);
- 12) daB allgemeine Geſellſchaftsrecht.
An die Darftellung diefer Verträge wird bie Lehre
von den Rechten der re in der ẽ Geſelſchaft
angeſchloſſen.
Ratur⸗ und Völkerrecht. S2
⸗
F EL. ra .
41) Der Gefellfhaftsvertrag überhaupt
Der Gefellfhaftsvertrag überhaupt ift von dem
urfprünglichen Zufammenleben der Menfchen
im natürlichen Zuftande dadurch verfchieden, daß
nad) demfelben mehrere (wenigſtens aber zwei) Per-
fonen ſich gegenfeitig verfprechen, einen be ſtimmten
Zwed gemeinfchaftlich zu befördern und zu vermwirf«
lihen. So mannigfaltig verfhieden dieſe Zwecke
feyn fönnen; fo mannigfaltig fönnen auch die Deshalb
abgefchloffenen Verträge und die auf diefen Ver-
trägen beruhenden Gefellfhaften ſeyn. Im All
gemeinen gibt e8 aber für die Beurtheilung bes
Zweckes einer Gefellfhaft nur zwei Grundfäge:
1) diefer Zweck ‘darf nicht gegen das Sitten»
8geſetz ſeyn; |
2) und darf nicht Die Rechte eines Dritten
‚(nicht zur Geſellſchaft Gehörenden) bes
ſchraͤnken oder verlegen. |
Jede nad) diefen Grundfägen zu einem befon-
bern Zwecke wereinigte Gefellfchaft muß, als foldhe,
wegen der Rechtlichkeit und Einheit ihres Zweckes,
ats eine moralifche und juridifche Perfon (nad)
“ ihrem innern, dem Sittengefege entſprechenden, We⸗
fen, und nach ihrer Außern felbftftändigen Ankuͤndi⸗
gung) anerfannt werben, welcher fämmtliche Rechte
der Perfönlichfeit in ihrem ganzen Umfange zufom«
men. Die Form der Gefellfchaft aber, über welche
ſich die vertragsmäßig verbundenen Individuen, in
"Beziehung auf ihren eigenthümlichen Zweck, vereinis
gen, beißt: die Berfaffung derfelben.
Nach diefen Grundbegriffen über den Geſell⸗
Iſchaftsvertrag überhaupt .muß eben fo bie
90 ‚Natur: und Wolberrecht.
Rechtlichkeit des Ehevertrags, des Dienftvertrags
. und des Staatsvertrags — wie bie einer Tanz⸗
gefellfchaft, eines Moͤnchordens, einer Raͤuber⸗
bande u. ſ. w. beurtheilt werden.
Für das Staatsrecht kommt zu dieſer natur⸗
rechtlichen Lehre bie wefentliche Beſtimmung hin⸗
zus daß innerhalb des Staates nur diejenige
Sefellichaft als rechtlich beftehend gedacht werden
kann, deren Zwed der Regierung des Staates
befannt, und deren Verfaffung, aus dieſem
Zwecke hervorgehend, von der Regierung anerfannt |
und beſtaͤtigt worden iſt.
30.
2) Der eheliche Vertrag.
Die Ehe iſt ein freier (weder erzwungner, noch
burch Lift bewirkter) Vertrag zweier Perfonen beider-
- bei: Gefchlechts zur gemeinfchaftlihen und mit dem
Sittengefege übereinfimmenden Befriedigung des
Gefchlechtstriebes. Soll der eheliche Vertrag diefem
Begriffe entſprechen; fo verlangt er von beiden Theis
len einen gemwiffen bereits erreichten Grad von
geiftiger und fiteliher Reife, und ein Forte.
fhreiten in derfelben, um dem Endzwede des menfch-
lichen Dafeyns fid) gemeinfchaftlich zu nähern, weil
die Erreichung Diefes ‚Endzwedes in ber Ehe nicht
gehindert, ſondern befoͤrdert und erleichtert werden
ſoll, und weil beide Theile, wegen der gemeinſchaft⸗
lichen Annaͤherung an denfelben, fich gegenfeitig achten,
fo wie wegen der dadurch gewonnenen perfönlichen
Vorzüge fich lieben follen. — Der eheliche Vertrag
verlangt ferner einen gefunden, für den Zweck der
Fortpflanzung völlig entwickelten und aaeaehildeten,
4
Nature und Woͤlkerrecht. 91
unb durch feine vorhergegangerien Ausſchweifungen
gefhwächten, Körper, fo wie ein angemneflenes
Verbältniß in den Lebensjahren beider zur
ehelichen Geſellſchaft fi) vereinigenden Perfonen. Er
verlangt weiter, daß in der Ehe, als einer freien
Gefellfchaft, feine Herrſchaft des einen, und Peine
Unterordnung des andern Theiles ftatt finde. Er ver-
wirft zugleich jede außerehelihe Befriedis
Yung des Gefchlechtstriebes als gegen das Sittenge-
ſetz, gegen die Rechte des Ehegatten, und gegen bie
demfelben gelobte ausfchließliche Treue. Er macht
aber auch die Ernährung und forgfältige Er-
ziehbung der erzeugten Kinder bis zur erteich-
ten Mündigfeit zur heiligen Pflicht beider Gatten,
weil von der koͤrperlichen, geiftigen und fittlichen Bil-
dung berfelben das Beftehen und die Vereblung des
heranwachſenden Menfchengefchlechts abhängt. Er ift
enblidy ein Vertrag auf Lebenszeit, fobald nicht
der eine Theil durch) ſelbſt verſchuldete, oder vor
der Ehe verfhwiegene, unheilbare förperlihe Webel
in phnfifcher Hinficht völlig unfähig zur ehelichen Ge⸗
meinfchaft und zur Befriedigung des Gefchlechtstrie-
bes geworden ift, oder durch den böfen Willen des
einen Gatten die Sicherheit und Das Leben des andern
gefährdet, oder durch Ehebruch der ehelihe Vertrag
vernichtet, oder durch ein Verbrechen in der Geſell⸗
ſchaft das Recht des äußern freien Wirfungsfreifes in
derfelben verloren wird. intretende unerwartete
Unglüdsfälle aber , ſelbſt wenn fie die Befriedigung
des Gefchlehtstriebes unmoͤglich machen follten, be-
rechtigen den andern Gatten nit zur Auflöfung
der Ehe; vielmehr kann in folhen Fällen das kuͤnf⸗
tige Verhaͤltniß von beiden Gatten nur nach den
Pflichten der Billigkeit und Güte beſtimmt werden.
” Natur⸗ und Volkerrecht.
.Verbindungen zweier Perfonen beiderlei Ge⸗
"Hehe, durch welche entweder ber Zweck der
Sefchlechtsgemeinfchaft durchaus nicht erfülle wer⸗
- den kann (wie z. B. durch die Kaſtratene he und
durch die Ehe zwiſchen Perfonen von ganz unglei⸗
%
chem Lebensalter), oder wo die Verbindung des
-, Gefchlechtstriebes nur auf eine gewifle Zeit (wie
im Concubinate) und nicht für Die ganze Dauer
des Lebens beftehen foll, oder wodurch die Gleichheit
des Rechts zwifchen den Verbundenen aufgehoben
„wird 5. B. in der Ehe zur finfen Hand),
koͤnnen wohl, nach pofitiven Gefegen, im Staatsleben _
. verftattet und geduldet werden, nicht aber im Wer»
nunftrechte den heiligen Namen der Ehe führen.
. In Hinfiht der Blutsverwandefchaft aber
erklärt Die Vernunft fich nur zunächft gegen die Che
u zwifchen Aeltern, Kindern und Gefchwiftern; die
: enfferntern Vermandtfchaftsgrabe enthalten keinen
- WVerftoß gegen das Sittengefes und das Recht;
doch Fünnen fie aus phyfifhen und politi«
ſchen Gründen die Beruͤckſichtigung der pofifiven
Gefeggebung verdienen,
2. Naturgefhichte und Vernunft fprechen gleich ſtark |
für die einfahe Ehe (Monogamie), mit Aus-
fhluß der Vielweiberei und Vielmännerei, Selbſt
in ber Ehe verlangt die Vernunft eine gemäßigte
, Befriedigung des Gefchlechtstriebes; denn bie
Ehe ift fein Sreipeitsbrief für bie milder, Yus«
bruͤche thieriſcher Sinnlichkeit, Die Vernunft ſagt
zugleich, daß die völlig ungetheilte und innigfte
Liebe nur Eine Perfon des andern Geſchlechts zu
erregen und zu erhalten vermag; fo wie bie älter»
Nliche Zärtlichkeit und die zweckmaͤßige Erziehung
der Kinder, von welcher die Fortbildung der menſch⸗
Natur. und Voͤlkerrecht. 93
lichen Geſellſchaft abhängt, im Allgemeinen -nur
der einfachen Ehe angehört. Die Gefchhichte end»
Lich lehrt, daß alle polygamifche Völker in. Hinfiche
auf ihre Kultur und Verfäffung [eaber ſanken, als
Die, bei welchen die einfache Ehe beſtand; daß
mit der Vielweiberei gewöhnlich eine entehrende
Behandlung und Herabmürbigung des weiblichen
Geſchlechts verbunden iſt, und daß ſelbſt die Freu⸗
den der Geſelligkeit nur da am reinſten genoſſen wer⸗
den, wo beide Geſchlechter gleiche Rechte beſitzen.
(Man vgl. die im trefflichen Geiſte geſchriebene
Schrift von Chſtn. Wilh. Hufeland: über bie
Gteichzahl der Geſchlechter. Berl. 1820. 8..und
halte dagegen bie grobfinnliche Anficht i in Zuge’ 8
Naturrechte. )
3. Im häuslichen Leben findet an fih feine Sb er⸗
herrſchaft ſtatt; es ſollen vielmehr die Geſchaͤfte
des häuslichen Lebens unter beide Gatten verhält
nißmäßig gleich vertheilt -feyn, doch fo, daß die
Gattin, wegen ber mit der Schwangerfchaft. und
mit der Wartung und-Pflege ber Kinder verbuns
denen Beſchwerden, das Recht Hat, zu verlangen,
daß der Mann fie ernähre.
4, Ale einzelne Beftimmungen über das Vermögen
und Eigenthum der Gatten, es beftehe in liegen-
den Gründen, oder im Gelde u. ſ. w., gehören bem
pofitiven echte an. = )
5. Ehebruch iſt, im weitern Sinne, jet Ber
gehungs⸗ ober Unterlaſſungshandlung, weiche dem
Vertrage widerſpricht, uͤber welchen die Ehegatten
ſich vereiniget Haben; im engern Sinne aber der
Beifhlaf mit einer Perfon des andern Gefchlechts
währenh der Dauer des -chelichen Vertrags: Go
gewiß ber beleidigte Batte das Recht bat, den:
—
94 Natur⸗ und Voͤlkerrecht.
—Ehebruch des Gatten durch Zwang zu verhindern;
ſo gewiß wird and) Durch den Ehebruch der eheliche
Wertrag ‚aufgelöfet,, und es haͤngt blos von dem
illen des in feinen Rechten gefränften Gatten ab,
2 er dennoch die Ehe nicht aufgehoben wiſenn will,
31.
| 2. Das aus dem ehelichen Vererage ger
| 9 vorgehende Aelternrecht.
Zwiſchen Aeltern und Kindern beſteht kein be⸗
fonderer Vertrag, wohl, aber ein rechtliches Ver-
haͤltniß, das unmittelbar aug dem ehelichen Vertrage
beugongehet. : Denn Kinder haben, als Wefen, die
mit dem Vermögen der Vernunft unp Freiheit. aus⸗
geſtattet, in der menſchlichen Geſellſchaft erſcheinen,
das ſpruͤngliche Recht auf die Ernaͤhrung, Be—
ſchuͤtzung, Erziehung und Bildung von den Aeltern,
bis fie im Stande find, ſich ſelbſt zu erhalten, und
fetbftftändige Mitglieder der Nechrsgefellfchaft zu wer-
den. Die Erziehung foll daher ihren Körper vor Ver-
legung bewahren, und. die Entwidelung ihrer. finn-
lichen und geiftigen Anlagen für die Geſammtheit ber
Zwecke derſelben fortführen bis zum Zeitalter der phy«
ſiſchen und ſittlichen Mündigfeit.
.. Die eltern baben dafür Das Recht auf den
Gehorſam der Kinder, ſo lange ſie die Stelle der
noch unmuͤndigen und nicht zur Selbſtthaͤtigkeit ge⸗
reiften Vernunft der Kinder vertreten; allein fein
Recht auf ihre Dankbarkeit, weil diefe zwar Pflicht
won Seiten der Kinder ft, zu welcher ein fittliches
Wefen. durch die innere Güte feiner Gefinnung be-
fimmt werden foll, die: aber nicht als Recht verlange. .
werben kann.
Mate und Möllereeht. 9
‚Da ferner Kinder Per ſonen, d. h. Weſen
mit Vernunft und Freiheit ſind; ſo duͤrfen ſie nie als
Sache, oder als das Eigenthum der Aeltern ange
ſehen werben, das fie durch irgend einen Vertrag ver⸗
äußern und Andern ‚überlaflen. koͤnnen, ob es gleich
den Aeltern zuſteht, zweckmäßige beffernde
Strafen in Beziehung auf Die ſich verirrenden Kräfte
ihrer Kinder feftzufegen unb zu vollziehen. — ... Yu
demfelben Urrechte der Perfonlichkeit. Folgt zugleich,
daß Aeltern von verfchiedenem firchlichen DBefenuwife
fein Necht haben, in ihrem Ehevertrage über bie
fünftige religiöfe Ueberzeugung und uͤber das kirchliche
Bekenntniß der Kinder im Voraus zu entſcheiden.
Eben fo wenig haͤngt es von der Willkuͤhr der Aeltern
ab, welche Ergiehung: und Riühtung fie Den Kindern
in Hinficht eines, Fünftigen üffentfichen Berufs erthei⸗
Jen wollen; vielmehr muͤſſen ſie uͤherhaupt die in den⸗
ſelben ſhlunnnernden Anlagen zu entwiceln und dieſe
Entwickelung weiſe zu befoͤrdern ſachen, damit die
eigene Neigung des Kindes, ſo wie deſſen Ueber⸗
zeugung in reifern Jahren., dieeai Beſchaͤftigung
im öffentlichen Leben erwähle, ‚welche feinen förper-
lichen und: geifligen Kräften ‚und feiner beftimmt an-
‚gefündigten Richtung in Begiehung quf äußere Thä
tigfeit entſpricht. In diefer wichtigen Angelegenheit
koͤnnen Aeltern bios Die rathenden Freunde ihrer Kin-
der feyn., und find, als ſolche, verpflichtet, denfelben
mit Unpartheitichkeit die Rechte und Pflichten ‚ fo wie
nie vortheilhaften Seiten und die Saften und Schwie-
eigfeiten jebes öffentlichen Berufes. zu ſchildern, zu
welchem pie Kinder Talente und Meigung zeigen... .
Kinder werben endlich, ‚ohne vorbergegangene
Aufkuͤndigung, ber bisherigen Abhängigkeit von ihren
Aeltern und ihrer Familie enthunden, ſobald ihre
\
6 Natur» und Völkerrecht.
Vernunft zur Muͤndigkeit, d. b. zu der Selbftftän- -
digkeit gelangt ift, daß fie theils ven individnellen
Zweck ihres Sebens durch eigne Thaͤtigkeit verwirk⸗
lichen, theils nad) ihrer Förperlichen Reife in die ehe-
lichen Verhältniffe eintreten, und durch ihre erlangte
Brauchbarfeit und: Fertigfeit in irgend einem recht—
lichen Gefchäfte und Berufe eine. Familie‘ ernähren
Eoͤnnen, wodurch zugleich alle Diejenigen Verhaͤlt.
‚niffe: aufhören, welche. aus dem Aelternrechte ent
fpringen,
a
I 4) Der Dienſtvertrag. |
Naͤchſt dem ehelichen Vertrage und dem Xeltern-
og
rechte gehört auch der Vertrag zwiſchen Herrn und '
"Diener zum ſogenannten Familien rechte. Dieſer
Vertrag ſchließt, ſchon nach dem Grundbegriffe eines
Vertrages, alle Verhaͤltniſſe der Sklaverei, der Leib⸗
eigenfchaft,. der Eigenhörigfeit und "des Dienftzwan-
ges von fich aus, und darf den Diener nicht der Mög-
lichkeit berauben, die. Bedingungen des menfchlichen
Dafeyns zu erfüllen, d. h. in feiner fittlichen Ausbil
dung- fortzufchreiten und Gluͤckſeligkeit zu genießen.
Selbft wenn der Diener freiwillig (entweder aus Un⸗
funde der Größe bes Gutes, uber aus Dankbarkeit in
einzelnen Fällen) diefer Rechte fich begeben. wollte;,
darf es der Herr nicht annehmen, weil er dadurch. ein
vernünftiges Wefen, das die Größe feines. Opfers
aus Unwiſſenheit oder im Augenblicke der Ueberra⸗
fhung des Gefühls nicht zu berechnen weiß, abhalten
wide, für Die Zufunft den Zwecken feines Daſeyns
fih) zu nähern. Der Vertrag zwifchen Herrn und Die:
ner beruht aber von Seiten bes Herrn aufber
Matızı und Wölferrehi 9
Bereltwilligkeit, einem Weſen feiner Gattung bie
Erreihung der Zwecke feines irdiſchen Dafeyns,
gegen gewifle von demfelben zu leiftende Dienfte, zu
erleichtern, und von Seiten des Dieners auf der
freiwilligen Werzichtleiftung auf einzelne im Ders
trage beftimmte Verhaͤltniſſe feines äußern freien
Wirfungsfreifes während einer im Vertrage feftge-
feßten Zeit, um für gewiſſe feftgefegte Dienftleiftun-
gen in Beziehung auf die dringendften Beduͤrfniſſe
des Lebens gefichert zu fenn. Von Seiten des Herrn
darf Daher nichts verlangt, und von Seiten des Die
ners nichts übernommen oder gethan werden, was
mit den urfprünglichen Rechten bee Menfchheit unver-
einbar ift, ober was außerhalb ber Bedingungen bes
abgefchloffenen Wertrages liegt. | |
Bu 33.
5) Der Arbeits und Mierhsvertrag,.
- Der Arbeitsvertrag ift dem Dienftvertrage
in einzelnen Verhaͤltniſſen ähnlich, nur daß der, wel» -
her blos fürden Andern vertragsmäßig arbeitet, nicht
in den Kreis des Samilienlebens und Familienrechts
gehört. In dem Arbeitsvertrage verfpricht der Pro⸗
mittent bem Promiſſar, gewifle Kräfte des Körpers
ober bes Geiftes zu einem von dem Promiffae be-
flimme bezeichneten Zwede zu verwenden, wogegen
diefer eine ebenfalls im Vertrage genau beſtimmte
Entfhädigung leifte. Der Promiffar befommt da-
durch das Recht, die Arbeit fo zu fordern, wie fie
der Vertrag feftfege, und der Promittent die bafür
ausgemittelte Entſchaͤdigung.
Durch den Miechsvertrag wird das Net
entiweber auf den Oebrauch einer or ‚ wer auf
L !
/
98 | Matur und Witarvch
die Leiſtung gewifler Dienfte erworben‘ , wofur cine
Vergeltung, zwifchen beiden contrahirenden Theilen
feftgefegt wird. Bei ber Miethe von Sachen: heißt
biefe Vergeltung: der Miethszins (locarium); bei
dem Miethsvertrage zur Seiftung gewiffer Dienfte:
‚ber Miethslohn (merces). Die Miethe berech-
tige aber nur zu dem Gebrauche der Sache, wofür
fie gemietßet iſt; auch trägt der Miether nie. den
‚Schaden, melchen die gemiethete Sache aus natuͤr⸗
Jichen Urfachen oder durch Zufall erleidet; doch muß
er den Mierhszins entrichten, felbft wenn er-.die ge
wiegen © Seche nice gebraucht haben ſolte. |
. ” . .. ‘ . Ed . 1
Ev Be
6 Der Schenkungen Zaufch⸗ und Kaufe
vertrag.
Die Schenfung befteht i in der unentgelblichen
Uebertragung ‘einer Sache an einen Andern , drin
die · Annahme derfelben- einwillige.: " In tem "Shen
kungsvertrage wird daher eine Leiſtung nerfprochen,
und ber Gegenftand.derfelben dem Andern übergeben,
ohne daß der Promittent von dem Promiflar, ‚außer
Der Annahme des Gegenſtandes, eine Gegenleiftung
fich bedingt; Der Promistent-darf aber. Die Schen⸗
kung nicht einſeitig aus Reue, oder wegen veraͤnder⸗
sen, Verhaͤltniſſe widerrufen; denn ſelbſt den Wider⸗
uf: wegen. Unbanfbarfeit, ober, bei Der Größe des
‚ Gutes, megen des Schadens , den der Schenfende
durch die Weggabe des Gegenfiandes erleiden. biefte;
iſt nach dem, Vernunftrechte ungültig.
Der Tauſchvertrag beruht auf: ber Zufage
eigen gegenfeitigen Veräußerung der. Pacifcen-
Wir, wid auf dem: exfolaten. Austauſche ber: Ongen-
Natur - und Voͤlkerrecht. 99
ſtaͤnde des Vertrage, wodurch der eine Paciſcent das
Eigenthum eines Gegenſtandes von dem andern Pa⸗
cifcenten,, gegen das ihm überlaffene Eigenchum eines
andern Gegenſtandes, erwirbt.
Der Kaufvertrag uͤberlaͤßt das Eigenthum
einer gewiſſen werthvollen Sache an einen Andern fuͤr
eine Summe (den Kaufpreis), uͤber welche ſich beide
Theile vereinigt Haben. Durch Erlegung bes: Kaufe
preifes geht das Eigenthum der erfauften. Sache von
dem bisherigen Beſitzer auf den Andern über , weil
diefe Erlegung die Bebingung der zeitlichen Erwer⸗
bung ift; auch übernimmt: der Käufer die Gefahr der
Beſchaͤdigung ober bes Untergangs ‚der Sache durch
Zufall von dem Augendlicke an, wo er Eigenthuͤmer
wird. ze
Ä . 35. BE ee
7) Der Leih⸗ Dartepner und d Pfandoen |
trag.
Der Leihvertr ag beruht auf ber Uebrefaffung
einer ung zugehörenben Sache zum G.ebrauche Fe
Verbrauche) an einen Andern, entweder auf eine
beftinmmte Zeit, zu einem beftimmten Zwetle, und
unter gemiflen Bedingungen ‚ oder ohne: biefelbeni
Sm erftern Falle träge ber Empfänger nur bie Sorge
und die Koften für die Erhaltung des: Gegenſtandes;
für den zufälligen Schaden aber an demſeiben it er _
nicht verantwortlich (casım sentit domdnas). Dies
fer Vertrag heißt precarium, wenn nichts "in His
fehung der Dauer beſtimmt worden tft, weshalb bee
Verleiher des Gegenſtandts ihn zu jeder Zeit (ſelbſt
noch wor beendigtem Gebäude? der: 2 Seche) wind
snfar:dann.. .. Baer
7 *
400 Natur- und Voͤlkerrecht.
Ban dem Seihvertrage iſt der Darlehns ver⸗
trag dadurch verſchieden, daß in dem letztern eine
zum Ver brauche (d. i. zur Confumtion) geeignete
und beftimmte Sache dem Andern unter der Bedin⸗
gung eigenthümlich überlaffen wird, daß derfelbe eine
‚andere von gleicher Befhaffe nheit zurüd zu
erftatten verfprihe. Im engern Sinne heißt, nach
dieſem Vertrage, der, welcher die Sache übergibt,
der Gläubiger, und der Empfänger der Schuld⸗
ner, fobald für die Zeit zwiſchen dem Gebrauche und
der Zu ng eine gewiffe Geldfumme, ober
Gegenftand, als Entſchaͤbigung
eßt worden ift. Doc kann
es ohne Zinſen.
Mi te fteht es dem Darleiher
fe —9 8 ch feftzufegen, als es feine
afensfo-
Vo ſihaft d der Schuldner fie eingeht.
\ erermafitiven Gefegen aber befteht ein be»
ſtimmter Zinsfuß , über welchen hinaus die will:
führliche Zinserhöhung Wucher heißt und der
richterlichen Ahndung unterliegt.
Der Pfandvertrag beſteht in dem Rechte,
welches ber Schuldner feinem Gläubiger überträgt,
dm Falle der Nichtleiftung einer eingegangenen Vers
hindlichkeit, durch Zurüdbehaltung oder Veräußerung
eines ans: Werthe ‚gleichen Gegenftandes, d. i. des
Pf andes, „für diefe Nichtleiftung fich zu entſchaͤdi⸗
gen.: Wird das Pfand dem Gläubiger übergeben;
fo. iſt dies: der .Pfandvertrag im’ engern Sinne.
Wird das Pfand dem Gläubiger nur verſchrleben;
fo heißt die Nerpfändung Hypothek, Das Pfand«
recht. beruht daher im Allgemeinen auf einer. iu
Voraus. gelsifteen Sicherheit wegen. der. Erfül-
bung einer duch Vertrag feftgefegten Beſtimmung;
\
. Natur und Völkerrecht, 101
doch beredhtige.bie Uebernahme bes Pfandes zu feinem
Gebrauche deffelben , fobald dieſer Gebrauch im Ver⸗
ttage nicht befonders ausgemittelt worben ift,
2 36.
maͤchtigungspertrag. — Die Buͤrgſchaft.
Der Aufbewahrungs⸗ (auch Niederlegungs⸗)
Vertrag beruht auf dem, einem Andern uͤbertragenen,
Rechte, eine Sache aufzubewahren, und in dem Ver⸗
ſprechen des Andern, für dieſe uͤbertragene Sache zu
haften, und, wenn der Verluſt derſelben durch ſeine
Schuld entſteht, Schadenerſatz zu leiſten. Die bei⸗
den contrahirenden Theile heißen der deponens und
der depositarius. Iſt eine beſtimmte Zeit der Auf⸗
bewahrung feſtgeſetzt; ſo darf der Depoſitarius die
Sache vor dem Ablaͤufe dieſer Zeit nicht zuruͤckgeben,
wenn ihm dieſelbe auch laͤſtig werden ſollte; eben ſo
darf fie der Deponent nicht früher zuruͤck verlangen:
Pur phnfifche Ohnmoͤglichkeit, fie länger aufzube⸗
wahren, oder die rechtliche Aufhebung des Vertrags,
fann den Depofitar Davon entbinden. — Der Des
pofitar befommt aber durch die übernommene Aufbe⸗
wahrung eben fo wenig das Recht, die deponirke
Sache zu gebraudhen, fobald dies im Vertrage ihm
nicht ausdrücklich zugeftanden worden ift, als er an
fih für die Aufbewahrung eine Entſchaͤdigung for
deren kann, wenn-biefe nicht gleichfalls durch vorher⸗
gegangene Vebereinfunft feftgefegt ward. |
Sn dem Bevollmädhtigungspertrage
übernimmt der Bevoflmächtigte (mandatarius) bie
Führung eines Gefchäfts an der Stelle des Bevoll⸗
mächtigenden (mandans), und wird dadurch ber
102 Matur⸗ und WVoͤlkerrecht.
Stellvertreter deffelben. Doch muß der Bevoligh
tigende feine Vollmacht mit Beſtimmtheit geben,
weil der Bevollmaͤchtigte verpflichtet ift, das. über“
nommene Gefchäft der Vollmacht gemäß zu führen,
und felbft für die vernachlaͤſſigte Erfüllung beffelben
Entſchadigung zu leiften, Defonders wenn der Mach-
theil aus der Ueberfihreitung der Grenzen der erhalte»
nen Vollmacht: entfpringt. "Dägegen fteht aber aud)
dem Bevollmächtigten das Recht zu. die Anerfannung
. und Beitätigung feiner Handlung: mach vollbrachtem
Geſchaͤfte von.dem Bevolimachtigeuben zu, verlangen:
Sat übrigens der Bevollmaͤchtigte eine ihn bee
dingt ertheilte Vollmacht überfhritsen ; ſo iſt ver
Bevollmaͤchtigende ‚nicht verpflichtet bie eingegang⸗
nen Bedingungen zu beſtaͤtigen. Endlich darf Her
Bevollmaͤchtigte die erhaltene Vollmacht, ohne: aus⸗
druͤckliche Einwilligung des Beyollmächtigenben r auf
. keinen Dritten übertragen. *
Durch Gutſagung und Verbuͤrgung kann
ein Dritter an dem Vertrage Andrer Antheil erhalten,
und gewiſſe ihn bindende Verpflichtungen uͤberneh⸗
men, entweder um dem Verſprechen des einen Theils
wiehr Nachdrusf zu geben, oder ym die Sicherheit der
geiftung in Kinficht der Bedingungen des Vertrags
überhaupt zu garantiren. Die Verpflichtung des
Bürgen erlifcht aber mit der Vollendung des Ver»
frags; dagegen tritt Die Leiſtung bes Bürgen ein ,- for
bald ber Vertrag nicht zur rechten Zeit und unter ben
feftgefegten Bedingungen erfuͤllt wird⸗
37. Ban
0) Der Vertrag auf den Fall des Toben,
Wenn gleich die Teſtamente, nach ihrem Weſen
und nach ibrer Sm, ausſchließend um. poſitiven
‘
—
U
%
—
Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 103
Rechte angehören, und ein Teftansene im eivlliſtiſchen
Sinne dem Nasurrechte fremd iſt; fo folgt doch ſchon
aus dem urſpruͤnglichen Rechte auf erworbenes Eigen⸗
thum, fo wie aus dem Rechte bes Vertrags uͤber⸗
daß: jeber. Xheilnehmer ber Rechtsgeſellſchaft
über fein Eigenthum auch auf den Fall des To—
de 8 verfügen, und eben fo, wie es einen Schenfungs:
vertrag unter Sebenden gibt, fein Eigenthum gleich-
falls .einem Andern im DBoraus auf den. Fall des.
Todes vertragamäßig- enfweber ganz ober. theilmeife
beftimmen kann, ohne daß die Kechtsgefellfchaft,
deren Mitglieb er iſt, berechtigt wäre, das durch fei-
nen Tod erledigte Eigenthum für Geerenios. zu erklaͤ⸗
ren, und der willkuͤhrlichen Ergreifung.eines Dritten
zu uͤberlaſſen. Der "Segenflanb dieſes Vertrages
umſchließt daher den rechtlichen Naſchla ß oeines Ver⸗
ſtorbenen, und der in Kraft dieſes Pertrages eintre⸗
tende Befiger bes Rachlaſſes heißt der Erbe;
Sobald aber Fein ſolcher Vertrag vorhanden ift,
kann rin natürlihesErbfolgerscht, nach Ver⸗
nunftgrundſaͤtzen, nur aus bem natürlichen Fami:
liearechte nach dee Gemeinſchaftlichkeit des
Eigenthums zwiſchen Familiengliedern abgeleitet
werden, und nur fo weit reihen, als das Familien⸗
recht ‚reicht. : Das natuͤrliche Erbfeigerecht kann da⸗
ber nur zwiſchen Perſonen, die durch die Bande der
Natur oder eine? fermlichen Wertrage zum haͤuslichen
und ehelichen Leben vereinigt ſind, alſo zwiſchen Gat⸗
ten, Aeltern, "Rindern: und Gefchiiftenin nachdem '
Vernunftrechte gedacht. werben, weilizrbifchen diefen
die gegenfeitige MWerpflichtung der Ernährung und.
Unterftügung,, und Das Recht des gemeinfshaftlichen Ä
- Eigenthums und Befiges ſtatt findet. .— Entfern-⸗
tere Werwandte, wo dieſe beiden Verhaͤltniſſe weg: ;
104 Motu) und Volberveche
fallen, koͤnnen nur, wie jebe Andere Perſon, darch
einen foͤrmlichen Vertrag auf den Fall des Todes, a
Erben beftimmt: werben.
Krug (Hankb. der Phil. 79.2, ©; 145 f.
2te Aufl.) erklaͤrt fe gleichfalls fuͤr den n.Exbe
vertra .
38.
10) Der Berfaffungei und Re terungs
‘vertrag der Geſellſcha t.
Wenn uͤberhaupt jede Verbindung von Men⸗
ſchen zu einem beſtimmten Zwecke nur durch Vertrag
eine rechtliche Form, d. i. eine Verfaffung (6. 29.
und dadurch erſt den Charakter einer abgeſchl oſſenen
Geſellſchaft erhält; fo kann auch die rechtbliche
Form der geſellſchaftlichen Verbindung
eines ganzen Volkes nur unter der Bedingung
eines Verfaſſungsvertra ges gedacht werden.
Denn die Vernunft denkt unter einem Volke die
Maſſe von Individuen, die fuͤr die Verwirklichung
des Zweckes ver Herrſchaft des Rechts durch
einen freien Vertrag zu Einer Rechtsgeſellſchaft ver⸗
bunden ſind. — In dem Verfaſſungsvertrage vere
einigt ſich aber der Geſammtwille des Volkes theils
über den Zweck der Verbindung, theils über: die
aus der Eigenthümlichkeit und den befondern Ver⸗
hältniffen jedes einzelnen Molfes hervorgehenden-
Mittel, diefen Zwed zu erreihen. Es müflen da⸗
ber, bevor nad) den Grunbfägen der Staatskunſt
(Politik) die be fondern Verhältnifle des einzelnen,
in ber Erfahrung erfcheinenden, Wolfes bei der Auf⸗
ftellung der Verfaſſung deſſelben beruͤckſichtigt wer⸗
ben können, im Naturrechte bie van ber Wernuuft
Natur» und WBöllerranht. 408 |
unnachlaͤßlich gebotenen allgemeinen Grunten
lagen jedesrechtlichen Vereins (welche alſe
auch die Grundlagen der rechtlichen Verfaſſung eines:
jeden Volkes bilden), in ihrer Einfachheit ausgeſpron
chen werben. Diefe Grundlagen befteben :aberin:
den ($.15 ff.) aufgeftelleen urfprünglichen Rech⸗
ten des Menfchen, welche in der Verfaſſung,: als
einem burd) den Gefammtwillen abgefchlofferten Wer⸗
trage, unter der Form von Öefegen — als Vor⸗
ſchriften für den Willen aller durch ben Vertrag ver⸗
bundenen Individuen — erſcheinen. So verſchie⸗
den daher auch im Einzelnen bie Beſtimmungen in.
der Verfaffung eines gegebenen. Volkes, nad) 'ört-
lichen und geſchichtlichen Verhaͤltniſſen ), ſeyn
*) Das NRaturrecht behandelt den Werfaffengsuertang,
in. abstracto; das Staatsrecht denfelben mit
Hinflcht auf den, das Beſtehen der Rechtsgeſellſchaft
ſichernden, rochtlich geſtalteten Zwang; die Staat se
kunmnſt aber: mit Bezichung auf aͤrt lich e nud ger
ſchichtliche Verhaͤltniſſe. Welche Verfagung.z. ©.
für Dortugal, Norwegen u. ſ. w. — inwie⸗
fern dieſe als gegebene d. h. als wirklich exriſtirende
Staaten erſcheinen — die beſte ſey; kann'n ich t nurch
dem Naturrechte und nah dem Staatsrechte ent⸗
fhieden werden. Das Naturrecdt verlangt blos,
daß die im $. aufgeſtelten Grundlagen einer jeden
rehtlihen Verfaſſung in den Werfaffungen Portus
gals, Norwegens nm. f.w. nicht fehlen,. und das
Staatsrecht fiellt diefe Grundlagen, auf den
Ball möglicher WBerledung,; "unter die Garantie
des rechtlich geflalteten Zwanges. Was: aber im
sefhihriiher Hinſicht (d. h. aus den ſeit Jahr⸗
hunderten beſtehenden redtlihen und gefeglichen
Eormen des Sffenttihen Staats ebens in-Pors
tugal, Norwegen u. a.) mit jenen allgemeinen nas
turrechtlichen Grundlagen einer jeden rechtlichen Ver⸗
‘
106 Natur⸗ und Woͤlkerrecht.
sen; ſo verlange die Vernunft doch als allgemeine
lan einer jeden Verfäflung: die perfönliche.
Freiheit, mit emiger ‚Vernichtung aller Sklaverei
und ‚keibeigenfchaft (und da, wo ſie geſchichtlich
noch. befteden, mit rechtlicher Ausgleichung
der. aus dem Lehnsſyſteme hervorgegungenen perfün«.
lichen und dinglichen Verhoͤltniſſe); ; Die aͤußere Gleich⸗
heit vor dem Geſetze in Hinſicht aller in der Geſellſchaft
geltend zu machenden Rechte und aller in: derſelben
zu uͤbernehmenden Pſtichten, befonbers in Betreff der:
öffentlichen Leiſtungen (doch-opne Aufhebung der ge⸗
ſchichtlich begründeten perfönlichen :Standesver-.
bältnifle):; die. Freiheit ber Sprache, der Preſſe und‘
bes. Gewiſſens (doch ohne irgend eine baburch ge⸗
fhehene Rechtsverlegung ungeahndet zu laffen); die
perfönliche Ehre aller Individuen des Wolfes; die
rechtliche Ermwerbung des Eigenthums; bie indivi⸗
duelle und. allgemeine Sicherheit, und die unver⸗
bruͤchliche Guͤltigkeit aller. Verträge, ‘welche. Die zur
Geſellſchaft verbundenen: Individuen auf rechtliche
Beife gegenfeitig abfhliegen, -
Da’ aber diefe' Höchften Güter bes Lebens, ohne
weiche keine Herrſchaf f bes Riechts gebenkbar if, theils
©
‘ e
——— BEE —
ſaſſung verbunden werden, ſtehen bleiben und den
Uebergang aus der alten Zeit in die neue vermit⸗
.. teln, mas ferner aus oͤrt lich en Ruͤckſichten und aus
: , allgemein in Portugal, Norwegen ꝛc. gefühlten: Bes
därfniffen in die Verfaſſung ‚aufgenommen, werden
fol; das kann blos durch. die auf einen. gegebenen.
Staat angewandten Grundfaͤtze der: Stoatskunſt ents
ſchieden werden. — Mur duch die Verwechslung
.. dieſer Beſtimmungen konnten dBie-ungehauern Miß⸗
verſtandniſfe hei und mac dee Bildung neuer Vers
. . fnffungpn fait 3aSahrenmmnlehen,. :.; ....-
’ %
Natur . und Voͤlkerrecht. 407
nach ihrem ganzen Umfangs, tbeils für alle Zeiten.
in ber Geſellſchaft gefichert werden ſollen, weil eben,.
nad) der Bernunft, an die Stelle des Geſammt—
willensder Maffe, die moralifhe und, Juri
difhe Einheit des Ganzen treten foll; fo pers...
langt auch die Vernunft, daß das Wolf, wel *
als Maſſe, ſeine Rechte ohne Anarchie nicht augüben.”
fann und berf, ‚ fogleich in dem Verfoffungsyertrage
bie Anwendung und Seitung der Gefammt-
mache der ganzen Geſellſchaft einem Oberhaupte, dem
Regenten, fo wie die fortdauernde Bewahrung
und Behauptung ber. Rechte bes. Volkes einer. be-
ftimmten Zahl aus feiner Mitte fyeige
wählter Stellvertreter übertrage, ſo daß,
mit dem Kintritte Der rechtlichen Verfaffung, ing
öffentliche Leben, die Anfündigung der Gefammt-
macht des Volkes durch das Volk felbft für immer
aufhört, dem Regenten aber ausfchließend bie
vollziehende Gewalt, und gemeinſchaftlich
mit den Stellvertretern des Wolfs (nad) gewiſſen in
der-Berfgflung genau gezogenen Grenzen) die ge fe tz⸗
gebende Gewalt zukommt, fo wie die richterliche
Gewalt, durch welche jede einzelne ftreitige Handlung
der Mitglieder der Rechtsgeſellſchaft unter die be»
ftehenden Gefege gebracht und. nach benfelben beur⸗
theilt wird, von einem unabhängigen richterlichen
Perſonale geübs werden mufk -
Mach biefen, aus dem Urrechte ber Menſchheit
ſelbſt abgeleiteten, Grundlagen gehoͤrt die Lehre von
der rechtlichen VPegruͤndung einer Verfaffung,, ‚und
yon. der in Darfelben ausgefprochuen Theitung (nicht
Trennung) der höchften Gewalt in die gefeßgebende,
wollzicehende und richterliche, ‚in has Naturrecht, wor
Bun) zusleich der Verfoffungsperting den Regie
[4
108 Nat - und Völkerrecht: "
Fingsvertrag in fich einſchließt, weil keine:
vechtliche und bleibende Geſtaltung eines Volkes ohne
Regierung gedacht werden fant. Das Verhaͤltniß
aber‘, das Iwiſchen dem Regenten und den Regierten
vertragsinaͤßig beſteht, iſt das Verhaͤltniß zweier
fittlicher Petſonen, welche. 3 egenf eitig Pflichten
unb Reöhte gegen einander haben, -
Das Nähere über die rechrliihe: Bildung der!
- Betfaffung unter der: gefeglichen Begrünung des
Zwanges, fo wie uͤber bie gegenfeltigen Rechte und:
Mſlichten bes Regenten:und der Unterthanen, wird-
im Staatsrechte-entwidel. Dagegen gehört
bie Erörterung bet drdge: 0b bei einem gegebenen
: Wolke die Regiering einer einzigen Perſon, ober!
Linet Mehrzahf von Individuen, ob erbfich ober!
wechſelnd, ob lebenslaͤnglich oder auf eine bes
" fimmte Reihe von Jahren, fo wie unter welchen:
Titeln und äußern’ Formen Übertragen werden fol,
‚ber Staatsfunft an, weil biefe- durchgehende‘
»vie Erfahrungen der Geſchichte und das bei:
jedem gegebenen Volke bis: jest rechtlich Der
ſtehende berüchſ chtigt.
39.
1 Der firhlide Berfaffungsvertrag.
Keine vertragsmäßig verbundene Geſellſchaft
von Menfchen kann ohne öffentliche Religtensübung
gedacht werden, weil jedem vernünftigen Weſen bie
Beziehung auf "das Ueberſinnliche und Ewige on
in und mit feiner geiftigen Natur gegeben iſt. N
dem Verfaflungsvertrage, welcher die —5
rechtliche Grundlage des Vereins einer beſtimmten
Maffe von Individuen zu einem Volte bildet, muß
⸗
⸗
Natur· und Voͤlkerrecht. 109
daher in jeder Rechtsgeſellſchaft vernuͤnftiger Weſen
ein Vertrag beſtehen, durch welchen dieſelben zum
gemeinſchaftlichen oͤffentlichen Bekenntniſſe ihrer reli⸗
gioͤſen Ueberzeugung, zur Befeſtigung, Belebung und
Fortbildung in derſelbeu, fo wie zur gemeinſchaftlichen
Verehrung Gottes vermittelft eines äußern Kultus
fi) vereinigen. Naͤchſt diefen wefentlihen Bes"
flimmungen des firchlihen Werfaffungsvertrags foll
derfelbe zugleich die Zeit, den Dre, die Formen und
die außern Symbole biefer Verehrung enthalten , fo
wie die Bedingungen, unter welchen bie Leitung bes
öffentlichen religiöfen Unterrichts und Kultus gewiflen
Individuen übertragen wird, welche burch zweck⸗
mäßige wiflenfchaftliche Vorbereitung und practifche
Uebung eben fo, wie durch die Sitelichfeit ihrer Ge⸗
finnung und ihres Wandels, am melften dazu geeignet
find, die innere und äußere Geftaltung einer Kirche
nach ihrer Verfaſſung, nach ihrer Verwaltung
und nad) ihrem Kultus aufrecht zu erhalten, zu
leiten und zeitgemäß fortzubilden.. Denn der Zwed
der kirchlichen Verbindung beruht, weil fie fittliche
und zur grenzenlofen Bervollfommnung beftimmte
Weſen umfchließt, auf der fittlich -religiöfen Fortbil⸗
bung aller vertragsmäßig zufammengetretenen Indi⸗
viduen, fheils in Hinficht der Begründung und Bewah⸗
rung der durch freie Selbftthätigfeit erreichten Leber
zeugung von ben Gegenftänden bes religiöſen Glau⸗
bens , theils in Hinficht der öffentlichen Anfundigung
bes religiöfen $ebens durch fittli gute — auf die
großen Ideen der ſittlichen Freiheit, ber. fittlichen
Weltordnung, der Unfterblichkeit und des Dafenns
Gottes gegründete — Handlungen. Die Kirche,
im naturrechtlihen Sinne, ift daher eine Gefellfchaft
von Menſchen, die fich zum öffentlichen Bekenntniſſe
110 Natur⸗ und Voͤlterrecht.
wid zur Ausübung der Religion vermittelſt eines
gemeänfihaftlicher äußern Goftesdienftes vertrags⸗
moaͤßig verbunden haben. | Ä
12) Das allgemeine Gefellfhaftsrehe
Das allgemeine Gefellfchaftsrecht umſchließt
theils das Verhaͤltniß des Individuums zu der gan⸗
"gern Mechtsgefellfehaft, mit welcher daffelbe: durch
Wertrag verbunden iſt; theils das Verhältniß dieſer
Sefellfchaft zum Individuum; theils das Verhält
nift. der einzelnen vertragsmaͤßig begründeten Rechts⸗
geſollſchaft zu andern: Rechtsgefellfchaften, die neben
berfelben auf dem Erdboden beftehen, oder des einen
Volkes zu den andern Völkern.
. Das Verhältniß des Individuums
zue Gefellfhafe beruht darauf: daß es feinen
perfünlichen Zwed jedesmal in den innigften Zufam-
menbang. mit den Zwecken der ganzen Gefellfchaft
bringe; daß es dieſen Zweck blos duch rechtliche
Mierel zu verroirflichen ſuche; daß es alle öffentliche
Beſchwerden und Laften- ber ganzen Gefellfchaft eben
ſo gemeinfchaftlic trage, wie es an allen Vortheilen
der Gefellfchaft rechtmäßigen Antheil nimmt; und
daß es, wenn es. das Beſtehen und die Wohlfahrt
- ‚des Ganzen verlangt, bereit fey, feine individuelle
— Wohlfahrt dem Zwecke des Ganzen willig aufjuopfern.
Das Verhältniß der Gefellfchafe zu
dem Individuum berube darauf: daß fein Mit
glied der Gefeltfchaft blos als Mittel, fondern in jedem
eingeliien Falle als: Selbſtzweck behandelt werde;
daß der äußere freie Wirfungsfreis. des Individuums
nie. befchränfe werde ‚ als entweder mit deſſen eigner
‚Hatar « ind: Bölferredit. 414
Zuſtimmung, ſobald es das Beſtchen und bie Wohl⸗
ſahrt des Ganzen verlangt, oder ſobald durch die
Sandlungen bes Jndividunnis Die. Rechte Anderer be⸗
droht und verletzt werden; und daß Die ganze Ge
ſellſchaft durch alle ihre öffentlichen: und gemeinfchaft-
lichen Anftalten und Einrichtimgen , fo wie durch bie
zeitgemäße: Fortbildung derfelben, ven ununterbroche-
nen Fortſchritt aller zur Gefeiſchaft verbundenen
Individuen zur groͤßern Wohlfahrt und zur bößern
geiftigen Thaͤtigkeit beförbere.
Das Verhaltniß ber einzelnen ver⸗
tragsmäßig. begründeten Rechtsgeſell⸗
ſchaft zw andern vertragsmäßig abge
ſchloſſenen Rechts veretnen, ‘ober bes ;einen
Volkes zu den andern, welche mit und.neben ihm
auf dem Erdboden beftehen, beruht auf der Ueben
tragung des Gleichgewichts: bes: Außeen freien Wir
kungskreiſes innerhalb der einzelnen. Rechtsgefellfchaft
auf die Verbindung und Wechfelwirfung aller ueben
einander beſtehenden Völker, damit das Recht, mie
es auf einem beſtimmten Thelie des Erdbodens inner⸗
halb bes. einzelnen Volkes herrſchen ſoll, auch ‚auf
dem ganzen Erdboden herrſche, und im ganzen Reiche
ſittlicher Weſen, nach ihrer äußern Ankuͤndigung
nichts herrſche, als das Recht. So entſteht dur
die Erweiterung des Naturrechts auf die ganze
Menſchheit das philoſophiſche Voͤlkerrecht.
41.
Anhang
Bon den Rechten der Wahnfinnigen. .
In jeder groͤßern Geſellſchaft freier Weſen wer⸗
den Snbioiduen getroffen, welche wabnfinnig d.h.
MB Natur⸗ un Woͤlkerrecht.
anf eine gewiſſe Zeit oder fuͤr immer des Gebrauchs
ihrer Vernunft und ihres freien Willens beraubt find,
In Beziehung auf. diefe unglücklichen Wefen unfrer
Gattung — über.deren Selbfiverfchulbung ihres Zu⸗
Standes ‚ber äußern Rechtsgeſellſchaft Fein Urtheil zu-
"eh: — verlange Die Vernunft, daß, meil fie durd)
ihren Einerite und durch ihre Aufnahme in die Gefell-
ſchaft nach der Gefammeheit ihrer. urfprünglichen und
erroorbenen Rechte anerfannt worben find, fie auch
während ber Zeit ihres Wahnfinns nad) biefem
. Mansftabe behandelt werben müflen. Zunaͤchſt fteht
aber. dem Oberhaupte. der. Familie, zu welcher fie
gehören, ober wenn fie in öffentliche Anftalten auf
genvmmen worden find, ben Vorſtehern berfelben bie
Pflicht zu, über ihre Perfonen und ihre Rechte zu
wachen, damit. theils ihre individuelle Sicherheit,
ihr Eigenthum, ihr guter Name, und ihre abger
ſchloſſenen Verträge nicht beeinträchtige oder verlegt,
cheils die Unglüdlichen ſelbſt mit mäglichfter Umficht
und ‚Schonung behandelt werben, um fie entweber
wieder zur Genefung zu bringen, oder Doch zu ver⸗
huͤten, daß fie im Zuſtande des Wahnfinns nicht
fi) felbft und ben..übrigen Mitgliedern ber Rechto⸗
gefeltfchaft gefährlich werden. 0.
Natur⸗ und Voͤlterrecht. 413--
B) Das philoſophiſche Voͤlkerrecht,
oder der philoſophiſchen Rechtslehre zweiter Theil.
42.
Uebergang vom Narurrechte zum Voͤlker—
rechte. |
Wenn das Naturrecht, als ber erfle Theil ber
philofophifchen Rechtsiehre, das deal darftellt, wie
das Recht in dem äußern freien Wirfungsfreife der
vertragsmäßig zu einer Gefellfehaft verbundenen In⸗
dividuen zur Herrfchaft gelangen fann und foll, und
beshalb aus dem, jebem Individuum zuftehenden,
Urrechte der Perfönlichkeit deffen urfprüngliche Mechte,
fo wie die gefammten Bedingungen alles vechtlichen
Zufammenlebens in der Ehe, in ber Familie, in der
öffentlichen Verbindung eines ganzen Volkes, und in
der Kirche entwickelt; fo umſchließt das philoſophi—
ſche Völkerrecht, als der zweite Theil der phi-
lofophifchen Nechtsiehre, das Ideal der Herr-
ſchaft des Rechts auf dem ganzen Erbbo-
den, nad) der Verbindung und Wechfelmirfung ber
auf der Erde neben einander beftehenden größern oder
kleinern in fi) vertragsmäßig abgefchloffenen recht.
lichen Vereine, die wir Völker nennen. Denn ab-
‚gefeben von ber großen Verſchiedenheit der in ber
Wirklichkeit beftehenden Völker, theils nad) ihrer .
phyſiſchen Beſchaffenheit; theils nach den Einfläffen
des Klima, des "Bodens, der Befchäftigungen, der
Religionen, der Verfaflungen und Regierungen auf
die Entwidelung und Ausbildung berfelben ; theils
nach den mannigfaltigen Stufen der geiftigen, kuͤnſt⸗
I. OR
%
I . J
*
—
114 Natur» und Voͤlkerrecht.
leriſchen und fittlichen Kultur, auf welchen fie ſtehen,
gibt es doch, nad) der Vernunft, ein gemeinfames
Band für fie alle in ihrer äußern Werbindung und
Mechfelwirfung: das ewig gültige und heilige
Recht.
Wie aber innerhalb dieſer gegenſeitigen Verbin⸗
dung und Wechſelwirkung aller Voͤlker des Erdbodens
das Recht zur Herrfchaft gelangen foll, lehrt das phi-
loſophiſche Völkerrecht. So entfteht, durch die Er-
weiterung ber ehren bes Naturrechts auf die ganze, -
in mannigfaltig verfchiebene Völfer getheilte, Menfch-
heit die Wiffenfchaft des Voͤlkerrechts. Allein fo wie
das Naturrecht weſentlich verfchieden von dem Staats»
rechte, und, als idealifcher Maasftab für alle Rechts⸗
verhältniffe, weit erhaben ift über alle in der Wirk:
lichkeit beftehende pofitive Rechte, Gefeggebungen und
Verfaſſungen; eben fo ift auch das philofophifche Voͤl⸗
ferrecht von dem Staatenrechte, mit dem in dem»
felben die gegenfeitigen Rechte der Staaten fchüßen-
‚ ben und ahndenden Zwange, und von dem practi—⸗
[hen europäifchen Voͤlkerrechte in wiffen-
ſchaftlicher Hinficht wefentlich verfchieden, ob es gleich
für die Begründung beider, fo wie für alle darin auf«
geftellte Grundfäge und Lehren, den höchften Maas-
ftab enthält. Das philofophifche Völkerrecht
ift daher die wiffenfhaftlihe Datftellung
des Ideals der Herrfhaft des Rechts auf
dem ganzen Erdboden in der Verbindung
und Wechfelmwirfung aller neben einander
beftebenden Voͤlker.
Das philofophifche .Wölferrecht, welches, wie
das Maturrehf, auf ein Ideal fich gründet, das
in der Wirflichfeit nie ganz erreicht werden fann,
fhließe, wegen biefes Ideals, den Zwang in
⸗
Natur» und Voͤlkerrecht. 1135
dem Verfehre der einzelnen Völker von fih aus, .
weil diefer ein fremdartiger Beſtandtheil in
der idealifch gedachten Wechfelwirfung der Völker
iſt. Allein das Staatenrecht fann fo wenig, wie
das Staatsrecht, des rechtlich begründeten Zwan⸗
ges entbehren, weil er im wirklichen Verkehre
der Staaten die Bedingung ift, daß die Herrfchaft
des Rechts erhalten, und das verlegte Recht geahn-
Det werde. |
Eben fo genau muß das philofophifche Voͤlker⸗
reht von dem practifhen europäifchen
Voͤlkerrechte unterfchieden werden, welchces
jenes vorausfegt und auf baffelbe ſich gruͤndet.
Denn das practiſche europaͤiſche Voͤlkerrecht (wie
es im vierten Theile dieſer Staatswiſſenfchaften
ſyſtematiſch dargeſtellt werden wird,) beruht zu⸗
naͤchſt auf den zwiſchen den einzelnen Voͤlkern und
Staaten abgeſchloſſenen und Beſtehenden Vertraͤ⸗
gen, ſo wie auf der Voͤlkerſitte, dem Herkommen
und der Analogie. —
In Hinſicht des geſchichtlichen Anbaues
Des Voͤlkerrechts muß erinnert werden, daß die
Altern Bearbeiter deffelben von Hugo Grotius
an bis auf Barrel und Mofer, durchaus fein
reinpbilofophifches Voͤlkerrecht, fondern ein
gemifchtes aufftellten, worin zwar die Zuruͤck⸗
führung Der aufgeftellten Lehren auf Berhunftgrund:
fäße nicht zu verfennen ift, wo aber doch die Ent⸗
wicelung des inderWirklichkeit Beſtehen⸗
den vorherrſchte, fo daß die dahin gehörenden Werke
in der Literatur des practiſchen europaͤiſchen Voͤl⸗
Ferrechts aufgeführt werden ſollen. Erft feit den-
Schriften von Guͤnther, Martens und andern
über das practifche europäifche Voͤlkerrecht wat:
8 u
l
| 146 Natur⸗ und Voͤlkerrecht.
das letztere in wiſſenſchaftlicher Hinſicht ſorgfaͤltig
von dem philoſophiſchen Voͤlkerrechte geſchieden;
fo wie dann auch die philoſophiſchen Schriftſteller
uͤber das Naturrecht, beſonders ſeit der Verbrei⸗
tung des kritiſchen Syſtems, das philoſophi—
ſche Voͤlkerrecht, nach ſeinem Zuſammenhange
mit dem Naturrechte, ſogleich in Verbindung mit
demſelben behandelten, und alles von dem philoſo⸗
-phifhen Voͤlkerrechte ausfchloffen, was blos in
._ den Kreis des prackifchen europäifchen Voͤlker—
rechts, als einer felbfiftändigen Wiffenfchaft,
gehört. |
43. t.
Zweck des Nebeneinanderbeſtehens der
Voͤlker.
Wenn das einzelne Volk, nach der Vernunft,
aus einer Mehrzahl von Individuen beſteht ($. 38.
und 49.), welche, zur Verwirklichung des gemein-
f&haftlihen Zweckes der Herrfchaft des Rechts, durch
einen freien Vertrag zu Einer Gefellfhaft ſich ver-
bunden haben; fo denkt fi) die Vernunft die Voͤl⸗
fer als abgefchloffene gefellfchaftliche Vereine fittlicher
Weſen, die nad) dem Gefege der aͤußern Freiheit
rechtlich neben einander beftehen, bie ihre
rechtlichen Verhaͤltniſſe gegenfeitig anerfennen, und
diefelben einander, durch Die ftrengrechtliche Grund:
lage ihres mechfelfeitigen Verkehrs, gewährleiften
(garantiren). Die Vernunft denkt ſich namlich unter .
dem menfchlichen Gefchlechte das ganze unermeßliche
Reich firelicher Wefen auf dem Erdboden, getheile in
eine große Anzahl einzelner Völker, deren allge -
meiner Verkehr unmittelbar auf der Vernunftidee
‘
,
Natur» und WVoͤlkerrecht. 117
der unbebingten Berrfchaft des Rechts beruht; deren
beſondere Rechtsverhaͤltniſſe gegen einander aber
durch einzelne Verträge feflgefegt werben,
boch fo, daß alle befondere Bedingungen biefer Ver⸗
träge (wie alles Befondere dem Allgemeinen unterge-
orbnet ift,) ebenfalls dem legten und hoͤchſten Zwecke
der Herrfchaft des Rechts auf den Erbboben unter-
geordnet find, weil diefer Zweck in der {bee ber.
Menfchheit felbft enthalten ift, und weil durch deſſen
Verwirklichung alle Völker des Erdbodens zur An⸗
näherung an das Ziel der Menfchheit raftlos fort⸗
fchreiten und. unter fi) zu einem unauflöslichen Gan⸗
zen verbunden werden follen. Denn derfelbe End⸗
zwed ber Sittlichkeit, welcher Pflicht und Recht un⸗
zertrennlid in ſich faßt und melden die Vernunft
dem Individuum als die große. Aufgabe feines Da-
feyns vorhält, gilt auch, unter erweiterten Beziehuns
gen, für bie öffentlihe Ankündigung jedes
einzelnen Volkes, und, in feiner höchften Stei-
gerung, felbft für die ganze Menfchheit, in-
wiefern dieſe aus‘ der Gefammtheit aller auf dem
Erdboden neben einander beftehenden Völker gebilder ,
wird, |
44,
Das Urreht im Voͤlkerrechte. —
Enthält das philofophifche Voͤlkerrecht — nach
feiner miffenfchaftlihen Werfchiedenheit von dem
Staatenrechte und dem practifchen europäifchen Voͤl⸗
Ferrehte — in ſich die Erweiterung der Lehren unb
Grunbfäge des Naturrechts auf die ganze Menfchheit;
fo muß auch nach) demfelben Maasftabe, nach welchem
am Eingange bes Naturrechts das Recht der Perfön-
«x
. 418 Natur s und Volterrecht.
hehteie als Heracht des Indididuums ſtand,
aus- welchem ‚bie. urſpruͤnglichen Rechte unmittelbar
und. die erworbenen Rechte mittelbar hervorgingen,
im: philoſophiſchen Voͤlkerrechte ein Urrecht als
Grundlage des ganzen, Volkerrechts aufgeſtellt werden,
aus pelchem alle einzelne urfp. ruͤngliche und er⸗
worbene Rechte der Voͤlker mit Nochwendigkeie
bernoraehen. EL
So wie nun'das Recht der Perfonlichkeit das Ur⸗
rache Im Naturrechte iſt; fo iſt die Selbftftändig-
keit und: Yategrität: ber Völker das Urrecht
m Voͤlkerrechte. ‘Denn jedes. Volk bilder, als ein
näch feiner Verfaſſung vertragsmaͤßig abgefchloffenes
Ganzes ($. 38:7, nach der Vernunft die Einheit
einer moralifhen und juridifhen Perfon,
in welcher alle Individuen des Volkes’ eben fo als die
einzelnen Theile des Ganzen nah ihrem Verhälti
riffe zudem Ganzen beſtehen, wie die einzelnen
Glieder einer Organiſation. Die Selbſtſtaͤnd ig
keit eines Volkes beruht aber darauf, '
a) daß, ihm ein Gebiet als Eigenthum zu⸗
kommt, von welchem weder ein Theil einem andern
Volke gehört, noch auf irgend einen Theil deflelben
ein anderes Wolf einen rechtlichen Anſpruch hat;
b) daß feine Bevoͤlkerung, nad) den In—
dividuen und nach ihrer Gefammtheit, völlig uns ⸗
. abhängig. ift von jedem: andern Volte und deſſen
Regierung;
c) daß einem ſolchen unabhaͤngigen Volke, zum
Unterſchiede von allen andern Voͤlkern, ein eigen-
thuͤmlicher Name, eine eigenthümliche Verfaf
fung und eine eigenthimliche Regierung zu:
| kommt.
Nature und Woͤlkerrecht. 419
Naͤchſt der Selbſtſtaͤndigkelt ift die Integrität
bie zweite Bedingung des Urrechts eines jeden Vol⸗
kes, und diefe Integrität beruht auf der Unverleg-
barkeit feiner Bevölkerung , feines Gebiets, das es
rechtmäßig befigt, feiner Verfaſſung, durch deren
einzelne .Beftimmungen es fi) .von jebem. andern
Volke unterſcheidet, und feiner Regierung, deren Ober-
haupt blos diefem, und feinem andern Wolfe angehört.
Ob nun gleich, nad) der Gefchichte, die Ver—
legung ber Integrität eines Volkes. mit Rettung fei-
ner Selbftftändigfeit (3.3. bei Durchgeführten Theis -
lungen von Sändern und Reichen), nie aber ber
Untergang feiner Selbftftändigfeit mit Beibehaltung
feiner Integrität gedenfbar iſt; fo verlangt doch die
Vernunft unnachlaßlich die Anerfennung und das
Beſtehen beider im Urrechte der Voͤlker weſentlich
verbundenen Beſtandtheile: der Selbftftändigfeit und
Integritaͤt. Dierehtlihe Fortdauer feiner
Selbſtſtändigkeitund Integrität, d. h. die
Unverletztheit aller feiner Mitglieder und deren unauf⸗
lösliche Einheit in der Gefammtheit des unter einem
eigenthümlichen Namen ſich anfündigenden Volkes,
‚ die Heiligkeit feines Beſizthums, und die Bewah⸗
rung feiner befondern Verfaſſung und Regierung
gegen jeden fremden Angriff, ift daher ver hoͤchſte
und legte Zwed.eines Volkes; ein Zweck, der
um feinen Preis aufgegeben werden darf, und ber
durch alle Mittel des Rechts und ber Klugheit srhal-
ten und gefichert werden muß. Ä
45. _
Solgerungen daraus.
\
Aus diefem: Urrechte der Selbftftändigkeit und
Integritaͤt der Völker folge mit Nothwendigkeit:
*
⸗
120 | Natur⸗ und Voͤlkerrecht.
a): daß jedes Volf Zweck an fich if, und.
nie Mittel für andere Völker;
:b) daß jedem Volfe das Recht zuſteht J. fi
nen ihm. eigenthümlichen — in deffen Verfaſſung
beftimmt ausgefprochenen — Zweck durd) alle
Mittelzu verwirFlicen, welche ihren Grund
- in der Verfaffung haben, von der Regierung des.
Volkes als die zweckmaͤßigſten anerfannt, und
- durch welche die Rechte anderer Völfer
nicht bedroht oder verlegt werden; und
c) daß jeder Angriff eines auswärtigen "Volkes
auf die Selbftftändigfeit und Integritaͤt eines an-
dern Volkes, nad) der Vernunft widerrechtlich
iſt weil die Vernunft keinen Fall kennt, wo irgend
ein Volk berechtigt waͤre, ein anderes Wolf als
Mittel für feine Zwecke zu behandeln, indem mit
bem Verlufte der Selbftftändigfeit und Integritaͤt
felbft des (dem “Befisthume und der Bevölferung
nach) kleinſten rechtlich geſtalteten Volkes das all -
gemeine Band des Rechts zwiſchen allen Voͤlkern
zerriffen, die Derrfchaft des Rechts auf dem Erb»
boden gehindert und. zerftört, "und der Zweck der-
Vorſehung ſelbſt bei der eigenthümlichen freien
Entwidelung des menfchlichen Gefchlechts unter den
Taufenden, oder unter den Millionen ſittlicher Wes
- fen vernichtet werden würde, welche zu dem Um⸗
fange eines Volkes gehoͤren.
Mas der Mord (die perſoͤnliche Vernichtung) des
Individuums in der einzelnen Rechtsgeſellſchaft ift;
das iſt die Zerſtoͤrung der Selbſtſtaͤndigkeit eines Vol⸗
fes in dem Voͤlkerſyſteme, aus welchem die ganze
Menſchheit beſteht.
- (Das philofophiſche Voͤlkerrecht kann
von dieſen unmittelbar aus der Vernunft her⸗
Natur⸗ und Völkerrecht. 121
vorgehenden Grumbfägen nicht abweichen. Im
: Staatenredhte wird. aber gelehrt ,. in welchen |
Fällen und bis wie weit der Zwang (als Retor⸗
fion, Reprejfalie oder Krieg) zwiſchen den einzels.
nen Staaten rechtlich fey; fo wie das practifche
seuntopäifhe Volkerrecht theils geſchicht⸗
lich nachmweifer, wann und wie einzelne Staaten
- entmeber blos in die innern Angelegenbeiten andrer
ſich eingemiſcht, oder Deren Sntegrität durch Thei⸗
lungen vermindert, oder ſogar, durch voͤllige Auf⸗
loͤſung eines beſtehenden Staates, deſſen Selbft«.
ſtaͤndigkeit vernichtet haben; theils die poſitiven
Vertraͤge auffuͤhrt, nach welchen die Einmiſchung
in die innern Angelegenheiten andrer Staaten er⸗
folgte; theils in politiſcher Hinſicht die fuͤr eine
ſolche Einmiſchung aufgeſtellten Maasregeln des
Rechts und der: Klugheit nach dem im $. sub b
enthaltenen Maasftabe prüft, ob und bis wie weit
nämlich von einem Volke die Rechte Andrer, vor
“ der Einmifchung derfelben, bedroht ober verlegt wor:
den find. — Daraus erhellt, daß die Beaͤntwor⸗
- tung der böchft fchwierigen Frage über die wirf- .
. Kiche (fartifche) Einmifchung eines Staates in bie
- Innern Angelegenheiten eines andern vom philofo-
phiſchen Völferrechte, als blos gefchichelih und
politiſch, ausgefchloffen werden muß, und zunaͤchſt
dem practifchen europäifchen Wölkerrechte angehört,
das aber, nad) feinen legten rechtlichen Gründen,
auf dem philofophifchen Völkerrechte beruht. )
| 46.
Schluß diefer Folgerungen
Es bleibe übrigens gebenfbar, theils, daß, bei
bem fteigenden Anwachfe ver Menfchenzahl eines Vol⸗
—
122 Date: und Voͤlterrecht.
kes, ein Theil dieſer Bevoͤlkerung, nach gegenſeitiger
Auſhebung des bisher beſtandenen Vertrages, ſelbſt⸗
ſtaͤndig zu einem beſondern Volke zuſammentrete, oder
aus eigenem Antriebe auswandere und auf einem noch
unangebauten Boden als. felbftftändiges Wolf durch
freien Vertrag , fo wie durch eigenthümliche Berfaf-
fung und Regierung, fich bilde; cheils, daß ein
felbftfiändiges Volk, durch). freie Uebereinftimmung
feiner Mitglieder, es zweckmaßig finde, und es oͤffent⸗
lich erklaͤre, mit einem andern Volke, weiches daſſelbe
aufnehmen will, fuͤr immer ſich zu verbinden, und
durch dieſe Verbindung mit demſelben zu Einem
Ganzen, unter: einer gemeinfchaftlichen Verfaſſung
und Regierung, zu verſchmelzen.
| 47.
Urſprunglich und erworbene Rechte der
Voͤlker.
So wie im Naturrecht die Rechte der Indivi⸗
duen. in urſpruͤngliche und erworbene Rechte zerfallen;
ſo auch i im Voͤlkerrechte die Rechte der einzelnen Voͤl⸗
ker in urſpruͤngliche und erworbene. Zu den
urſpruͤnglichen gehören alle aus dem Begriffe ber
Selbftftändigfeie und Integrität mit Nothwendigkeit
bernorgehenbe Rechte, welche, auch ohne förmliche
zwifchen den Völkern abgefchloffene Werträge, von
der Vernunft als die Grundbedingungen der gegen»
feitigen ' Verbindung und des rechtlihen Verkehrs
zwifchen allen Völkern unnachlaßlich gefordert wer⸗
den, deren gegenfeitige Anerkennung alfo in der Wech-
felwirfung der Voͤlker auf ſtillſchweigendem
Vertrage ($. 24.) beruf. Dagegen werben unter
Den.erworbenen Rechten der Völker alle Diejenigen
Aakrer und Völkerrecht, 423
verſtanden, )meiche: aus bein zwiſchen ben Mölfern ab⸗
geſchloſſenen einzelnen Vertraͤgen entſpringen. Dieſe
erworbenen Rechte koͤnnen daher ſo vielfach und ver⸗
ſchieden ſeyn, als die Gegenſtaͤnde der Verträge ſelbſt
zwifchen den Völkern mannigfaltig und verſchieden
ſind, und müflen wiſſenſchaftlich/ nach ber Arhnlichkeit
dar Berträge in: Maturrechte beurtheilt und, behandelt
werden.
Weil abge ale durch gegenfeitigen Vertrag er-
worbene (wirfliche und pofitive) Rechte zwifchen
den Völkern (3.8. Bündniffe, Handelsverträge,
Schiffahrtsverträge, Friedensfchlüffe 2c.) als Ge-
genftände der Erfahrung und Gefdichte |
erfcheinen, und, als ſolche, zu dem peactifchen euro⸗
päifchen Wölkerrechte gehören; fo werden im philoſo⸗
phifchen Völferrechte , das unabhängig von der Ge-
fihichte auf reiner Vernunft beruht, zunachft nur die
urſpruͤnglichen (aus bem Urrechte des Voͤlker⸗
rechts hervorgehenden) Rechte aller Völker aufgeftellt,
welche aufwärts auf dem Urrechte der Selbftftän-
digfeit und Sntegeität beruhen, und abwärts (für
das practiſche europaifche Voͤlkerrecht) die Grundlage
aller erworbenen Rechte bilden, inwiefern fie in ſich
ben Maasftab enthalten, nad) welchem ſaͤmmtliche zwi»
ſchen Völfern und Staaten wirflich abgefchloffene
und beftehende Verträge in Hinficht ihrer Nechtlichkeit
und Gültigkeit beurtheilt werben muͤſſen.
"48.
Nomenclatut der deiprängfichen Rechte
der Voͤlker.
Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind:
4) die individuelle Freiheit eines jeden Volkes;
2) die rechtliche Gleichheit deſſelben mit-anbern ;
Au 0
124, Nitas- und Volkerroche.
3) die ‚gegeheiüige Oeffencicheeit: Publicieäty
4 ben pres der Völker;
2.5) der rechtliche Eigenrgums. und Gebietsbeſitz
J der Voͤlker; |
6) bie äußere Sicherheit der. Voͤlker; —
7) das Recht der Verträge zwiſchen den einzel
nen Voͤlkern;
S8) das Recht der Vertretung des einen Voltes
bei dem andern, oder das Geſandten⸗
recht.. J
40.
1) Das Recht der individuellen Freiheit
eines jeden Volkes,
- Die unbefchränfte Freiheit und Unabhängigfeie
bes einen Volkes von dem andern ift die erfte Bedin⸗
‚ gung und die Grundlage ihres rechtlichen Nebenein⸗
anderbeſtehens, ihrer Fortſchritte in allen einzelnen
Zweigen der ſinnlichen, techniſchen, geiſtigen und
fittlichen Kultur, und der Erweiterung, Vermehrung
und Vervollkominnung der Mittel, durch welche jene
Fortſchritte bewirkt werden konnen Kein Volk darf
alſo das andere überfallen, das rechtliche Daſeyn, uber
die Selbſtſtaͤndigkeit deſſelben auflöfen, und Theile
deſſelben, oder aud) das Ganze felbft, wider deflen
Willen ſich einverleiben, ſo wie die in ihm lebenden
Individuen zur Kuechefchaft und Sflaverei bringen.
Wie bei den Individuen die Knechtſchaft und
Seibeigenfchaft mit der perfönlichen Selbftfländig-
feit unvereinbar if, die geiftige Entwicelung und
jeden Fortſchritt in der Kenntniß und Sietlichfeit
lähme (man denke an die Wirkungen der Unter:
Natur⸗ und Voͤlterrecht. 125
song der Voͤlker, z. B. ber alten Griechen durch
die Römer, der Neugriechen duch die Türken,
und an die Folgen des Negerhandels); ; fo auch bei
- den Voͤlkern.
50.
2) Die rehelihe Gleichheit der Voͤlker.
“ Die Gleichheit eines Volkes mit dem andern
befteht nicht darin, daß jebes Wolf eine gleiche Maſſe
von Quadratmeilen auf dem Erdboden befige, oder
eine gleiche Zahl der Bevölkerung in fich fafle, oder
diefelben Erzeugniffe der Natur, des Gewerbsfleißes
und ber Kunft hervorbringe, oder auf gleicher Stufe
der geiftigen Bildung und Keife mit andern ſtehe; fie
beruht: vielmehr darauf, daß alle Wölfer ohne Yus-
nahme durch die Vernunft zur Verwirklichung des
Rechts berufen, und, nad) biefem Endzwecke des
öffentlichen Volkslebens, in ihrem äußern freien Wir⸗
fungsfreife, zur voͤ (ig gleihmäßigengegen-
feitigen Behandlung, fo wie zur gegenfeitigen
unbedingten Anerfennung ihrer Selbftftändigfeie und
Integritaͤt verpflichtet und berechtigt find. Diefes.
Recht der Gleichheit ver Völker ſchließt daher in fich:
daß fein Wolf nad) einem Uebergewichte über das
andere firebe; daß fein nach feiner Bevölkerung
zahlreicheres und mächtigeres Wolf das minder zahl-
reiche und minder mächtige druͤcke oder beeinträchtige;
feines fich in die inneren und äußern Berhältniffe bes '
andern mifche, bafern nicht feine anerfannten Rechte
bedroht find, und überhaupt feine Forderung an ein
anderes Voli ſich erlaube, die mit den Rechten freier
und ſelbſtſtaͤndiger Völker unvereinbar iſt. Nur
durch dieſe rechtliche Geeichbeit der Voͤlker kann zwi⸗
nr“
v
x —
16. Batır- und Wolterrecht.
ſchen thnen ein Gieichgewicht der fietlichen
und phyſiſchen Mache hervorgebracht werden,
das eine ungleich feftere Grundlage ihres gegenfeitigen
Verkehrs bildet, als das in der Wirklichkeit beftehenbe
(und in dem practifchen europäifchen Voͤlkerrecht nad)
feinen Grundlagen darzuftellende) fogenannte pol itie
. fe Gleichgewicht.
bir -
3; Die gegenfeitige Deffentlichkeit (Pu⸗
blicitaͤt) der Voͤlker.
Sollen Voͤlker unter rechtlichen Verhältniffen .
neben einander beftehen, und die wechfelfeitigen Ver-
bindungen des Handels und des übrigen Verkehrs
durch ihr gegenfeitiges Zutrauen begründet, erleich⸗
tert und geſichert werden; ſo muß jedes Volk wiſſen,
wie es mit dem andern daran iſt. Dies kann aber
nur durch gegenſeitige Oeffentlichkeit bewirkt werden.
Diefe Oeffentlichkeit beruht the il s auf dem urſpruͤng⸗
lichen Rechte der Freiheit der Rede und der Preſſe
(6. 18.), doch mit rechtlicher Ahndung jedes durch
den Mißbrauch derſelben verletzten Rechts; theils
auf den allen andern Voͤlkern bekannten Bedingungen
- feines äußern Verkehrs, welche nie verheimlicht,, ſon⸗
dern offen und beftimm ausgefprohen, aus Grund
ſatz feftgehalten, und nur unter höchftdringenden‘
Verhäleniffen verändert werben dürfen. “Bei Diefer
Oeffentlichkeit gewinnt jedes andere Volk die Ueber⸗
zeugung, daß es in dem Verkehre mit einem Volke,
deſſen oͤffentliche Ankundigung auf dem Grundſatze
der Oeffentlichkeit beruht, nie gefaͤhrdet werden koͤnne,
daß vielmehr ihre Wechſelwirkung beiden vortheil⸗
haſt ſeyn muͤſſe. Aus dieſem Rechte der gegenfeiti-
Natur⸗ und Völkerrecht. 137:
- gen Deffentlichfeie folgt von felbft, daß es ben Indi⸗
- viduen eines jeden Volfes rechtlich frei ſtehe, die in-
nern unb äußern Verhaͤltniſſe der andern Völker
öffentlich Durch Rebe und Schrift zu beurteilen und
zu prüfen, doch innerhalb der Grenzen, welche bereits
im Naturrechte für das Recht der Freiheit der Rede
und der Prefle aufgeftelle wurden. Sobald diefe
Grenzen überfchritten werben; ſobald hat auch die
Megierung des beleidigten Wolfes das Recht, Genug»
thuung von der Regierung besjenigen Wolfes zu ver⸗
langen, von deſſen Mitte der Mißbrauch der Preſſe
ausging.
52.
4) Der Kredit der Völker.
Was der gute Name für das Individuum iſt;
Das ift der Kredit für ein Wolf, Gebilder wird die⸗
fer Kredit eines Volkes durch die öffentliche Meis
nung aller andern Völker über die erreichte Kultur
deffelben, und über die Art und Weife, mie bei einem
Wolfe das innere und äußere eben deffelben, for -
wohl einzeln, als nah der Wechfelmirfung
beider auf einander, fi) ankuͤndigen, wodurch zugleich
deffen eigenthümliche Stellung und Geltung in dem
gefammten Völferfnfteme vermittelt wird. — Jedes
Volk Hat aber das urfprüngliche Recht, zu verlangen,
daß fein Kredit öffentlich von dem andern anerfannt
und. ihr gegenfeitiger Verkehr. darnach eingerichtet
werde. Diefer Kredit bes einzelnen Volkes beruht
4) nah dem innern Seben deflfelben: eheils auf
den. Fortſchritten oder Ruͤckſchritten der finnlihen,
technifchen ‚ geiftigen und firtlihen Kultur der großen
Mehrzahl ber Individuen bes Volkes; theils auf
—
as
128 Natur⸗ und Voͤlkerrecht.
der Rechtlichkeit, Güte und zeitgemaͤßen Geſtältung
ſeiner Verfaſſung und Regierung; theils auf der
Einfachheit, Zweckmaͤßigkeit und Feſtigkeit ſeiner
Verwaltung, in Hinſicht der Gerechtigkeitspflege, der
Polizei für die oͤffentliche Ordnung, Sicherheit, Woht-
fahre und Kultur, der Vertheidigungsanftalten, und
der Finanzen , befonders nad) der verfaffungsmäßigen
Beftimmung, gleichmäßigen Vertheilung, zweckmaͤßi⸗
gen Erhebung und zur öffentlihen Kunde gebrachten
Verwendung der allgemeinen Abgaben von dem
Volksvermoͤgen für Die Zwede des Ganzen; — und
2) nah dem äußern Leben, oder in Hinficht der
Wechfelmirfung mit allen andern Völkern, theils
auf der Kechtlichfeit Der angenommenen Grundſaͤtze
fir den Verkehr mit dem Auslande überhaupt; theils
auf der Gemwiffenhaftigfeie und Treue in der Erfüllung -
der mit andern Völfern eingegangenen Verträge;
theils auf ber Kraft und Stärke in der Behaupfung
feiner mit andern abgefchloffenen befondern Buͤnd⸗
53. Ä
5) Der redtlihe Eigentbums- und Ge
| ‚biersbefig der Voͤlker.
Jedes Wolf hat das Recht auf die Behauptung .
feines Sefammtgebiets und des auf demfelben enthal⸗
- tenen und rechtlich erworbenen Eigenchums aller feis
ner Mitglieder. Zum Eigenthume eines Volkes ges .
hören aber fein. Boden, feine Slüffe, feine Wälder
und Berge, feine unmittelbaren und mittelbaren Er-
zeugniffe, fein natürlicher und erworbener Reichthum,
feine Kolonieen u. ſ.w. Daraus folgt von felbft, daß :
jedes Volk auch bei allen andern neben ihm beftehen-
Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 129
den Voͤlkern den rechtlichen Beſitz ihres Geſammtge⸗
bietes und des geſammten Privateigenthums ihrer
Bewohner anerkennen muͤſſe, weil davon das Urrecht
der Voͤlker, ihre Selbſtſtaͤndigkeit und Integritaͤt,
abhängt, ohne welche feine Herrſchaft des Reches auf
dem Erdboden gebenkbar ift. Dabei fteht jedem Wolke
das Recht zu, Fremde, welche den Berfaffungsver-
trag anerkennen, in feiner Mitte aufzunehmen , feine
Grenzen zu befeftigen, und in ber inneren Befchaffen»
heit feines Gebiets Veränderungen (Anlegung von
Kanälen, Straßen, Abgaben, Polizeianftalten :c.)
vorzunehmen, ohne deshalb andere Voͤlker darüber
zu befragen. Zugleich hat jedes Volf das Recht,
von einem andern Wolfe auf rechtliche Weife, d. h.
durch freien Vertrag, Ländergebiet und Eigenthum
zu erwerben, fo wie unter Individuen Eigenthum
und Befiß Durch Vertrag: erworben wird,
Nicht minder fommt jedem Wolfe das Recht zu,
Kolonieen in Erdftrihen zu begründen, bie
entweber noch unbewohnt find, oder mo dag zu bes
ſetzende Gebiet von den Eigenthümern rechtlich erwor⸗
ben wird, oder wo die Sandfchaft bereits zu dem Ge⸗
biete des Volkes. gehörte, bisher aber noch nicht an⸗
gebauet worden war. Mach diefen Verhältniffen ges
ftattet fich auch Die Verbindung und die Abhängigkeit
der Kolonie vom Mutterlande. Denn Binder Fein
* feierliher und beftimmter Vertrag die Kolonie an dag
Mutterland; hat das legtere Fein Recht auf das im
Beſitz genommene Gebiet, und hat es um die Bes
gründung der Kolonie feine Verdienſte ſich erworben:
fo tritt Die neue Pflanzung ſogleich als ein unabhäns
giges und felbftftändiges Volk in die Reihe der übris
gen Völker. Ä ==
Was enblih die Freiheit der Meere und
I. 9
\
dSp- Maar. und Volkerrecht.
Da: Recht De Eigentums über diefelben
betrifft; fo kann nur derjenige Theil-eines Meeres als
dnas Eigenthum eines Volkes augeſehen werden, wel-
cher deſſen Kuͤſten berührt, und zwar bis in bie Ent-
feenung , ‚welche noͤthig ift „dieſe Küften zu fichern,
und das freie Ein: und Auslaufen der Flotten zu be⸗
fördern: Dagegen iſt jede. Herrſchaft über ein danzes
Meer oder ſogar über den Ocean mit ber urfprüng-
lichen rechtlichen Gleichheit ver Voͤlker und mit der
yon der Vernunft gebotenen allgemeinen Freiheit des
Handels. nicht zu vereinigen; denn ein Meer koͤnnte
nur dann als das Eigenthum Eines Volfes (und
als fogenanntes mare clausum in der Sprache. des
practifchen Völferrechts ) betrachtet werben, wenn
fämmtliche an-den Ufern deffelben liegende Laͤnder
zu dem Gebiete dieſes Volfes gehörten.
34
DE Die äußere Sicherheit der Völker
nu Jedes Volk wird von der Vernunft als der
Garant ver Selbftftändigfeis,: Unabhängigfeit und -
Integritaͤt jedes andern Volkes gedacht, und auf Dier
fer. durch die Vernunft, gebotenen Garantie beruht
bie äußere Sicherheit der Voͤlker. Allein dieſe
GSicherheit. im aͤußern Volksverkehre ſetzt die Sicher:
heit im in nern Volksleben infofern voraus, inwie⸗
feen fein in’ feinem Innern veraltetes, oder nach feiner
Verfaſſung und Verwaltung fehlerhaft geftalteres ,
und in: feiner Entwidelung und Reife ftillftehendes
Volk irgend einem andern Volke die Gewähr fire def
fen dußere Sicherheit leiften kann. Im inneren. Volfs-
ieben wird aber die, die äußere Sicherheit.der Völker .
bedingende, Sichecheit erkannt: theils an ber. Ein-
Natur s und Völkerrecht, 131
heit und Feftigfeit, welche in dem durch die Verfaf-
fung beftimmten Verhältniffe der gefeggebenden , voll-
ziehenden ‘und richterlichen Gewalt gegen’ einander,
und in.allen Beziehungen ber Regierung zu dem Volke
und deffen Vertretern, fo wie des Volfes und feiner
Vertreter zu der Regierung fih anfündigt; theils
im Einzelnen an dem Borhandenfeyn aller der Be-
dingungen. und Anftälten zur Sicherheit für das Leben,
die perfönliche Freiheit, das Eigentum, für ‚den
gegenfeitigen Verkehr und für Die Bequemlichkeit und
den Genuß des Sebens aller Einheimifchen, fo wie
aller Sremden, welche auf längere oder fürzere Zeit
in der Mitte des Volfes verweilen. — Diefe Sicher:
hei im innern Bolfsleben ift zugleich die weſentliche
edingung und der zuverläffigfte Bürge der äußern.
. » Sicherheit der andern Voͤlker. Denn diefe beruht
im Allgemein auf der, von dem Örundfage der Gleich»
heit der Rechte abhängenden, äußern Stellung
des einen Volkes gegen alle andere, befonders aber
auf der Treue und Gewiffenhaftigfeit, womit bie
zwiſchen denfelben abgefhloffenen Verbindungen und
Verträge erflille werden, wodurch namentlich Die nach
ber Bevoͤlkerungszahl ſchwaͤchern Wölfer mit denje—
nigen ftärfern für ihre Sicherheit zufammentreten,
deren Verfaffung, Regierung und öffentliche Anfün-
digung im Verfehre mir andern Völfern es verbürge,
- daß fie jeden öffentlichen oder geheimen Angriff auf
die Selbftftändigfeit, Pen und Verfaflung an:
drer Völker für unrechelih und unter ihrer Würde
betrachten, und bei ſolchen Angriffen die mit ihnen
verbündeten Völker kraftvoll unterftügen werben.
Dazu kommt, daß je einfacher und rechelicher bie
dußern Verbindungen der Voͤlker find, auch ihre
äußere Sichetheit weit weniger gefährdet iſt, als
F 9 Le
122 Satur. und Voͤlkerrecht.
ein Theil dieſer Bevoͤlkerung, nach gegenſeitiger
— des bisher beſtandenen Vertrages, ſelbſt⸗
ſtaͤndig zu einem beſondern Volke zuſammentrete, oder
aus eigenem Antriebe auswandere und auf einem noch
unangebauten Boden als ſelbſtſtaͤndiges Volk durch
freien Vertrag, ſo wie durch eigenthuͤmliche Verfaſ⸗
ſung und Regierung, ſich bilde; theils, daß ein
ſelbſtſtaͤndiges Volk, durch freie Uebereinftimmung
feiner Mitglieder, es zweckmaͤßig finde, und es oͤffent⸗
lich. erfläre, mit. einem andern Volke, welches daſſelbe
aufnehmen will, für immer fid) zu verbinden, und
durch Diele Verbindung mit demfelben zu Einem
Ganzen, unter: einer gemeinſchaftlichen Verfaſſung
und Regierung, zu verſchmelzen.
| | 47. |
efpringtice und erworbene Räte der
‚Bölfer. |
So mie im Naturrecht die Rechte der Indivi—
duen in urſpruͤngliche und erworbene Rechte zerfallen;
ſo auch i im Voͤlkerrechte die Rechte der einzelnen Voͤl⸗
fer in urfprüngliche und erworbene. Zu ben
urfprünglichen gehören alle aus dem ‘Begriffe der
Selbftftändigfeit und Integrität mit Nothwendigkeit
bervorgehende Nechte, welche, auch ohne förmliche
zwifchen den Völkern abgefchloffene Verträge, von
der Vernunft als die Grundbedingungen der gegen»
feitigen Verbindung und bes rechtlichen Verkehrs -
zwifchen allen Völkern unnachlaßlich gefordert wers
den, beren gegenfeitige Anerfennung alfo in der Wech-
felmirfung der Volker auf ſtillſchweigendem
Vertrage ($. 24.) berube Dagegen werden unter
Den. erworbenen Rechten der Völker alle diejenigen
Raser und Valkerrech. 123
verſtanden, welche aus bein zwiſchen ben Voͤlkern ab⸗
geſchloſſenen einzelnen Vertraͤgen entſpringen. Dieſe
erworbenen Rechte koͤnnen daher ſo vielfach und ver⸗
ſchieden ſeyn, als die Gegenſtaͤnde der Vertraͤge ſelbſt
zwiſchen den Voͤlkern mannigfaltig und verſchieden
ſind, und muͤſſen wiſſenſchaftlich nach der Aehnlichkeit
dar Vertr ihe den Matyrrechte beurtheilt und behandelt
werden.
Weil aber alle durch gegenſeitigen Vertrag er⸗
worbene (wirkliche und poſitive) Rechte zwiſchen
den Voͤlkern (z. B. Buͤndniſſe, Handelsvertraͤge,
Schiffahrtsvertraͤge, Sriedensfchlüffe x.) ale Ge—
genftände der Erfahrung und Geſchichte
erfcheinen, und, als folche, zu dem practiſchen euro⸗
paͤiſchen Volkerecht⸗ gehören; fo werden im pbilofo«.
phifchen Voͤlkerrechte, Das unabhängig von der Ges
ſchichte ‚auf reiner Vernunft beruft, zunachft nur bie
suefprünglichen (aus dem Urrechte des Voͤlker⸗
vechts hervorgehenden) Rechte allee Voͤlker aufgeftellt,
welche aufwärts auf dem Urrechte Der Selbftftän-
digkeit und Integrität beruhen, und abwärts (für
Das practiſche europäifche Völkerrecht) die Grundlage
aller erworbenen Rechte bilden, inwiefern fie in ſich
den Maasftab enthalten, nach welchem fammtliche zwi⸗
fhen Völfern und Staaten wirklich abgefchloffene
und beftehende Verträge in Hinficht ihrer Rechtlichfeit
un Gültigkeit beurtheilt werden müffen.
48:
Nomenclatut der Sraͤnglichen Rechte
der Voͤlker.
Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind:
4) die individuelle Freiheit eines jeden Volkes;
2) die rechtliche Gleichheit deſſelben mit-anbern ;
—
134, | Datur - und Maͤlkerpecht.
äufieen Mgrfehrs. (ip auf gch felbfk zerichlegts. de:
mehr es durch laͤſtige Beſtimmungen, durch druͤcken⸗
des Eingreifen in den Polkerhandel, durch ſelbſtſuͤch⸗
tige Sperrung feines Gronzen, durch erhöhte Abgaben:
und Zölle für Einfuhr und Durchfuhr, das Ausland
fi entfremdge. und. gegen ſich erbittert; deſto be⸗
ſchraͤnkter wird feine Verbindung mit andern: Bär;
fern; deſto einſeitiger allmaͤhlig der Gang feiner Eye:
widelung und Ausbildung; und deſto mehr. werden:
die Quellen feines eignen Wehlfiaudes, befnmders
durch den geftörten freien und_fihnellen Umlauf‘ bes:
Geldes, vermindert. - Je größer und hedeutender
hingegen die Verbindungen der Völker werden; ja‘
meiter ein. Volk feine Natur.» und Kunfterzeugnifle: -
außerhalb feiner Grenzen felbft verführt, und andere,
Dagegen. eintaufche und zuruͤckbringt; je mehr es bie.
Eigenthümfichkeiten der verfchiedenen Volker in deren:
‚Heimath kennen lernt; deſto mannigfaltiger werden:
auch die Berührungspuncte der. Voͤlker, und deſto
höher fleigt hei. ihnen die Wrbergeugung " von. ihrer,
gegenfeitigen. Unantbehrlichkeit zum, hoͤhern Wohl⸗
ſtande und zur reifenden Vollkommenheit Aller.
| “ Pe |
. —— 56.
8) Das Recht der Vertretung des einen
Volkes bei den andern, oder das Ges
" | fandtent eh t.
Jedes Volt iſt berechtigt, von ben andern Vol⸗
kern eine: forchauernde Gewaͤhrleiſtung und Sicher⸗
ſtellung ſeiner Solbſtſtaͤndigkeit und, Integrität, und: _
ihres gegenſeitigen⸗rechtlichen Verkehrs zu verlangens
Zugleich ift jedes Volß.nerpflichter, dieſelbe Gewoͤbr⸗
leiftung auch den. andern Volkern Iktentlich: zugeben.
ie und Volteriach AR
Auf jenes Necht üb auf diefe gegerferige Pflicht
grüner fih das’ Geſandtenrecht, inwiefern die
Gefandten die Mittelsperſonen zweier oder mehrerer
Völker in allen eintretenden Faͤllen find ‚' wo uͤber! die
rechtlichen Werhäftniffe vieſer Wölfe üͤberhaupt / und
mamentlich über Vertkaͤge und Buͤndruſſee, Aber bie‘
Arigelegenheiten des Hanbels, ſo wie Irdereihgetretäne
Colliſtonen und Miverftändniffe entweder zwiſchen
gewiſſen Individuen zweter Voͤlker, oder zwiſchen den
Shteteffen der Voͤlker felbft bald entfchieden ‘werden
Der Gefandte aber, beffen Rechtk Und Pitch:
tm auf bei Grundſaͤtzen des Bevollmaͤchtigringsver⸗
trages beruhen, und der ein ganfed Volk im Aus⸗
lande vertritt, fo mie er in deffen Namen — nad) der
ihm von feinem Regenten erfheilten Anmweifung (In—⸗
firuetion) — fpuicht-und unterhbanbeliift perfön-
lich unverleglich, nachdem er, als Vertreter feines
Volkes, im Auslande in Ainfiche uffeinBeglaus
bigungsſchreiben (Erebitiv) und feine uͤberreichte
Voͤllin ach t entweder zur Ausführung eines bie ſo n⸗
dern Geſchaͤfts, oder zur-alligemeiner Vertretung!
ſeines Volkes gnerkannt worden iſt; ſo wie die Re⸗
gluͤrung!ſeines: Woikes alle diejerigen Handlumgen defki
ſelden anerkennen und beſtaͤtigen (ratiffeiren) midß,'
Wehe unmittblbaredutz der ihm ertheilben Annseifing:
und Wollmacht Hefbrgeeri_ un, 2m
U Weeſtoͤßt der Gefandte aber gegen DIe-Mechte'
Desjenigen Volkes, bei welchem er fh aufhält;
(6 kann, wegen ſeiner Unverletzlichkeit, piefer-Verftoß_
nicht perfönlich! alt" ihm. stahnder werden; döch"fahn-
——
nd
das’ in ſeinen Rechten beleidigte Volk auf d
riickberufung dringe a N
CME näher, aus der Geſchichtẽ uilb Wörker-:
—
136, Mature und Mölkerrecht,
..fitte entſpringende, Verhaͤltniſſe der Geſandten
„gehören. dem pra ctiſchen europäifchen Voͤl⸗
kerrechte an, und werden im vierten Theile
dieſes Werkes behandelt.) | Be
FR (Bon ‚Retorfionen, Repreſſalien,
„Krieg und rieben Fann nicht im philofen
xhiſchen Wölferrechte, das auf einem Ideale ber.
ruht, gehandelt. werden, fondern im Staatenrechte,;
„neldes:, geſtützt auf bie dem Staatsrechte .eigen«,
„„.fhümliche Lehre vom rechtlich geftalteten Zwange,
Die Anwendung des rechtlichen Zwanges zwifchen.
* und Staaten, nach den verſchiedenen
ormen der Retorſionen, Repreſſalien und des
’
Krieges, in fi aufnimmt.)
57. en
..::Da8 Weltbürgerreht. id
‚ Wenn, nach den bisher aufgeftellteen Grund«.
faßen, jedes einzelne. Volk in allen ihm eigenthuͤm⸗
lichen innern Einrichtungen und Anftalten, fo wie
in allen feinen Beziehungen zum Auslande, die Ver-;
wirflihung der Herrfhaft des Rechts als den End»,
zweck feiner-gefammten öffentlichen Anfündigung fefts.
hält; , fo.erfcheint es vor der Vernunft und vor allen,
—28 geſtalteten Voͤlkern als ein dem Ideale der
Menſchheit ſelbſt entgegenſtrebender Verein freier
und, nad) der Mehrheit feiner Mitglieder, ſittlich—
mäündiger Weſen.
. Sobald daher die dee. ber Herrfchaft des.
Rechts ‚auf alle auf dem Erdboden neben einander.
beftehende Wölfen, theils nach der feften Geftaltung .
ihres innern Lebens, theils nach ihrer Äußern. Vers,
bindung mit andern Voͤlkern übergetragen wird; ſo⸗
| Metır- und. WBoelkerrecht. 137:
bald denke ſech nich die Berumufe bie g efamım te,
Menfchheit;in.der Idee, als, ngreinige zu Einem
großen Bunbe des Rechts. Durch dieſe Steigerung:
veredelt fih das Voͤlkerrecht gun Welch ürgere;
rechte, noch welchem jeden menfhliche Indipiduum
nicht blos nach feiner nachften :Steflung zu; feinen:
einzelnen Wolfe, fondern zugleid aus dem uner-
meßlichen Standpuncte feines Verhältniffes zur gan⸗
zen Menfchheit ſich betrachtet, und an der Fortbil«
dung der Menſchheit, als Gattung, zu dem gren-
zenlofen Ziele ihrer Erziehung auf der Erde durch Die
ewige Weltregierung., nad) feiner ganzen Thaͤtigkeit
Antheil nimmt. Die Menfchheit felbft wird dadurch),
in der dee, ein großes — durch die unauflösliche
Verbindung der Pflicht und des Rechts — unzer-
trennlich vereinigtes und feft in ſich zufammenhän-
gende Ganzes, deſſen Theile die einzelnen Voͤlker
ilden.
Aus diefer höchften Idee der Vernunft für die
ganze auf dem Erdboden lebende Menfchheit gehe
aber das “deal des ewigen Friedeng hervor,
welches die Philofophen- auf die unbedingte Gefeßge-
bung der fittlihen Vernunft, und auf die Verwirk⸗
lihung der Sittlichfeie in den einander gleichgeord⸗
neten Kreifen der Pflicht und des Rechts gründen,
die Dichter hingegen unter den Bildern des goldenen
MWeltalters fhildern. So weit nun auch diefes “deal
noch von der Wirklichkeit entferne feyn mag; fo ift
doc), bei der Vervollfommnungsfähigfeit der menſch⸗
lihen Natur, bei der gefegmäßigen Entwidelung .
der unermeßlichen in der Menfchheit enthaltenen
Kräfte, und bei ben unaufhaltbaren Fortfchritten
bes Volfslebens zur geiftigen Münbigfeit, befonders
aber zur-fittlichen,, die allmählige Annäherung
—
1, un te 4 |
| — “
4140: Staats» und Staatenrecht.
nem Inhalte und Umfange, in dem Natur⸗ und Voͤl⸗
kerrechte dargeſtellt wird.
Betrachten wir aber das menſchliche Geſchlecht
in der Wirklichkeit nach feinem Verhaͤltniſſe zu
jener unbedingten Forderung ber Vernunft; fo dringt
fid) uns die Wahrnehmungides großen Abftandes der
Wirklichfeit von dem Ideale der. unbedingten Herr⸗
ſchoftr des Rechts, aufs - „pen, Das menfchliche,
ſchlecht nach feiner "Anfiindigutig im Kreife det. Er‘
fahrung, bilder feinen Verein von Wefen, die ſaͤmmt⸗
ich zur Selbftehätigfeit und Selbftftändigfeit der
Vernunft und zur Ausübung bes, Guten um feiner
ſelbſt willen, mithin zur ſittlichen Miündigteie
gelangt waren. Das menſchliche Geſchlecht im Kreiſe
der Erfahrung bildet vielmehr eine gemiſchte Ge⸗
ſellſchaft von fieelih-mündigen uud: ſitt lich⸗
unmündigen Weſen. Die letztern etſcheinen aber
theils als phyſiſch Unmuͤndige, wozu alle ins
irdiſche Leben eintretende Wefen unfrer Gartung gehoͤ⸗
‚ ren; welche während ber. Zeiträume der Kindheit und
Yugend: zur fitelichen Muͤndigkeit erzogen werden: fols-
leu; theils als fieelich Unmünbige, die, —
zu den Jahren der phyſiſchen Reife gelangt, denn
bald wegen fehlerhafter. Erziehung , bald wegen geiſti⸗
ger Schwäche, bald wegen aufmwogenber Leidenſchaf⸗
ten, bald wegen angenommener Berborbenheit und:
Bosheit, eben fo die Herrſchaft des Rechts: in: der:
ganzen Gefellfchaft, . wie die Rechte ver Citgelnen,;
durch ihre Handlungen bedrohen und. verligen, 8
2.
f: ortefegung.
Es muß daher, im Öegenfage des Stakuefkanpes,
in herjenigen Außern Verbindung der. Menfchen, die:
Staats - und. Staatenrecht. 441
‚wie inder Erfahrung wahrnehmen, und bie wir
den Staat, oder die bürgerliche Geſellſchaft
‚nennen, eine Anftalt beftehen und rechtlich geftaltet
feyn , nach welcher, um die Herrfchaft des Rechts für
‚immer zu fichern, der finnlichen Macht des fittlich-
unmündigen und verborbenen Willens ein Gegen
gewicht entgegengeftellt wird, durch welches jedes
rechtswidrige Wollen und Handeln erkannt, bebroßt,
geahndet, und dadurch der allgemeine Zweck des
Staates aufrecht erhalten wird. — Damit alſo die
Herrfchaft des Rechts nie auf die Dauer gefährdet
‚und erfchüttert werde, fondern jede Verletzung der—
felben auf den Verletzenden felbft zurüdfalle, . und
jedes rechfwidrige Wollen fich felbft vernichte, beſteht
in der bürgerlichen Gefellfchaft ein rechtlich ge-
ftaltetes Gegengewicht gegen die entweber nur
beabfichtigte, oder wirklich erfolgte Verlegung des
. Nechts, und diefes Gegengewicht ift der Zwang,
- der — aus dieſem Verhältniffe betrachtet. — nicht
feiner. felbft wegen, fondern wegen der
Herrſchaft desNechesinnerhalbdves Staus
tes vorhanden ijt; der nicht felbft Zweck iſt, fondern
blos Mittel zum Zwede; ver alfo, nad) feiner Ans
fündigung und Wirfung, aus dem Zwecke des Stans
tes abgeleitet werden und dieſem Zwecke entfprechen;
der aber auch deshalb völlig rechtlich geftaltee feyn,
nad) allen denfbaren Rechtsverlegungen im Voraus
berechnet und alle eingetretene Rechsverlegungen mit
unveränberlicher durch das Strafgefeg. ausgefproches
ner Strenge, ohne Anfehen der Perfon, an den
Individuen abnden muß, welche die Herrfchaft des
Rechts verhindert und geftört haben.
: So entfteht, geftust auf die im Ideale des Na⸗
turrechts. gebotene unbedingte Herrfchaft bes Rechts,
J
440 Staats» und Staatenrecht.
nem Inhalte und Umfange, in dem Natur⸗ und Voͤl⸗
kerrechte dargeſtellt wird.
Betrachten wir aber das menſchliche Geſchlecht
in der Wirklichkeit nach ſeinem Verhaͤltniſſe zu
jener unbedingten Forderung der Vernunft; ſo dringt
ſich uns die Wahrnehmung ſdes großen Abſtandes der
FREE FR dem Ideale der — Herr⸗
fbes. Re fa - Denn, das menſchli
Br nach Meinen‘ nkuͤndigurig im Kreiſe der
tung, bilder feinen Berein von Wefen, die (immt:
lich zur Selbſtthaͤtigkeit und Selbſtſtaͤndigkeit der
Vernunft und zur Ausͤbyng bes, — um ſeiner
ſelbſt willen, mithin zur —— uͤndigkeit
gelangt waren. Das menſchliche Geſchlecht im Kreiſe
der Erfahrung bildet vielmehr eine gemiſchte Ge⸗
ſellſchaft von fietlih-mündigen uud fietlid)-
unmündigen Weſen. ‚Die letztern etſcheinen aber
theils als phyſiſch Unmündige, wozu alle ins“
irdifche Leben eintretende Wefen unfrer Garrung gehoͤ⸗
ren, welche während ber. Zeiträume der Kindheit und!
Jugend zur ſittlichen Muͤndigkeit erzogen werden ſol⸗
len; theils als fieelich Unmündige, ie, obgleich
zu den Jahren ber phyſiſchen Reife gelangt, bennedy)
— * wegen fehlerhafter Erziehung, bald wegen geiſti⸗
ger Schwäche, bald wegen. aufwogender Leidenſchaf⸗
ten, bald wegen angenommener Verdorbenheit und:
Bosheit, eben fo bie Herrſchaft des Rechts in ber:
ganzen Gefellfchaft, wie bie Rechte ber Eitgelnen,
durch ihre Handlungen bedrohen und. verlagen. u
2. | Re |
Forefegung..
Es muß daher, im Gegenfage des ——
in derjenigen aͤußern Verbindung der Menſchen, die
Staats - und Staatenrecht. 444
‚wie Inder Erfahrung wahrnehmen, und bie wir
den Staat, oder die bürgerliche Gefellfhaft
‚nennen, eine Anſtalt beftehen und rechtlich geſtaltet
ſeyn, nach) welcher, um bie Herrfchaft des Rechts für
‚immer zu fihern, der finnlichen Macht des fittlich-
unmündigen und verdorbenen Willens ein Gegen-
gewicht entgegengeftellt wird, durch welches jebes
rechtswidrige Wollen und Handeln erfannt , bebroßt,
geahndet, und Dadurch der allgemeine Zweck des
Staates aufrecht erhalten wird. — Damit alſo die
Herrfchaft des Rechts nie auf die Dauer gefährdet
‚und erfchüttert werde, fondern jede Verlegung ber=
ſelben auf den Verletzenden felbft zurüdfalle, und
jebes rechtwidrige Wollen ſich felbft vernichte, beſteht
in der bürgerlichen Gefellfhaft ein restlich ges
ftaltetes Gegengewicht gegen die entweder nur
beabficheigte, oder wirklich erfolgte Verletzung des
Rechts, und diefes Gegengewicht ift ver Zwang,
der — aus diefem Verhältniffe betrachtet — nicht
feiner felbft wegen, fondern wegen der
Herrſchaft des Rechts innerhalb des Staa—
tes vorhanden iſt; der nicht ſelbſt Zweck iſt, ſondern
blos Mittel zum Zwecke; der alſo, nad) feiner An⸗
fündigung und Wirfung, aus dem Zwecke des Stans
tes abgeleitet werden und diefem Zwecke entfprechen,
der aber auch deshalb völlig rechtlich geftaltet feyn,
nach allen denfbaren Rechtsverlegungen im Voraus
berechnee und alle eingetretene Rechsverlegungen mit
unveränderlicher durch das Strafgeſetz ausgefprochen
ner Strenge, ohne Anfehen der Perfon, an den
Individuen ahnden muß, welche die Herrfchaft bes
Rechts verhindert und geftört haben.
.Y So entfteht, geftugt auf die im Ideale des Na⸗
turrechts gebotene unbedingee Herrfchaft des Rechts,
+44 Staata⸗und Staatenrecht.
—Begriff Und Zweck des Staates
Wir verſtehen, nach dieſen vorbereitenden Be⸗
griffen, unter dem Sta ate diejenige vertragsmäßig
geftiftete Gefellfchaft freier Wefen, in welcher bie
‚Herrfchaft des Rechts unter ber Bebingung des recht
‚lich geftalteten Zwanges begruͤndet, erhalten und ges
ſichert wird. |
Der Zwei bes Staates iſt daher: die unbe—
dingte Herrſchaft des Rechts unter der
Bedingung des rechtlich geſtalteten Zwan—
ges zu verwirklichen. Das deal der Herr⸗
ſchaft des Rechts, wie es im Naturrechte entwickelt
‚wird, bleibt im Staatsrechte daffelbe ; .nur daß die
Verwirklichung diefes höchften, von der Vernunft
gebotenen, Zweckes jeber vertragsmäßig begründeten .
Gefefifchaft freier Wefen, wegen der Miſchung fittlic)-
- mündiger und fittlich » unmündiger Individuen, unter
bie Bedingung des ‚rechtlich geftalteten Zwandes ge⸗
bracht wird.
Aus dieſem Zwecke des Staates folgt von ſelbſt:
daß, nad) ber Vernunft, nur das Leben
‚im Staateeinenredhtlihen Zuftand bil-
det, und jeder Zuftand bes Menfchen außerhalb
des Staates ein re helofer Zuftand ift (modurd)
der fogenannte, in ber Metapolitik nicht felten
ſehr verfchiedenartig gefchilderte, Natu eftand ®)
von ſelbſt ausgeſchloſſen wird); ;
. Sehr wahr ſagt Reindetb in fe Aphorismen
über das äußere Recht Überhaupt und
insbefondere das Staatsredt, inf. Aus
wahl verm. Schriften (Jena, 1797.) Th. 2,
. „Staats und Staatenrecht. 145
2) daß der Staat, wegen ber erfahrungsmaͤßi⸗
gen-immerwährenden Fortdauer und Fortpflanzung
des menſchlichen Geſchlechts auf der Erde, eine
ewige Geſellſchaft bildet, weil, ſo lange das
menſchliche Geſchlecht auf dem Erdboden befteht,
für die einzelnen Theile beffelben, die wir Bölfer
nennen, nur im Staate ein ‚rechtlicher Zuftand
denkbar ift, obgleich die einzelnen Formen im in»
nern und außern Staatsleben, unter den Einflüffen
der Zeitverhältniffe und der Sortfchritte des menſch⸗
lichen Geſchlechts in allen Verzweigungen der ſinn⸗
lichen, geiſtigen und ſittlichen Kultur, ſich bedeu⸗
tend verändern koͤnnen *);
3) daß weder die bloße aͤußere Sicher—
beit, noch die Beförderung der allgemei-
nen Glüdfeligfeit, als Zweck des Staates.
ausreichen ; weil die Sicherheit der Rechte zwar
eine wefentlihe, aber nicht die hoͤch ſte Bes
Dingung des Staatslebens ift, und weil die Gluͤck⸗
feligfeit, die blog den Imed des finnlichen
Theiles der menfchlichen Natur ausmacht, weder
der höchfte Zweck des Menfchen,, noch der hoͤchſte
Zweck des Staates ſeyn, und überhaupt, als ein
Gegenftand der Erfahrung ‚, nur nad) ganz indivi-
duellen Bebürfniffen und’ Verpältniffen erſtreht
und genoſſen werden kann;
—
S. 4073 „Der Zuſtand der Perſon, in welchem
iede ihr Recht von ihrem phnfifhen Vermögen ab»
hängen laffen muß, .der fogenannte Naturfiand,
it ein widerrechtlicher Zuſtand.“
*) Der Staat hat nice die Beſtimmung, wie Einige
wollten, fich ſelbſt entbehrlich zu machen.
I. N 0 0...
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146 Staats- und Staatenrecht.
4) daß zur Errichtung und zum Beſtehen eines
Staates zwei weſentliche Beſtandtheile, nach der
Vernunft, gehören: Land und Volk, d.h. ein
Theil der Erde (ein Gebiet, Territorium), wel-
her dem darauf in einer abgefchloffenen Rechts⸗
gefellfehaft lebenden Wolke als Eigenthum zu-
ſteht; und eine Zahl von Menfchen, welche zu
. einem felbftftändigen Volke auf dieſem Theile des
Erdbodens rechtlich fich vereiniget haben,
| 4.
Erweiterung des Staatszweds.
Allein die Wefen, welche im Staate zum Buͤr⸗
gerthume fich vereinen, bringen in diefe Rechtsge-
sellfhaft nicht nur die Geſammtheit ihrer finnlid) -
vernünftigen Anlagen, Vermögen und Kräfte mit,
ſondern auch den allgemeinen Endzweck des menfch-.
lichen Dafeyns: die Verwirflihung der Sittlich⸗
feit und Wohlfahrt ininnigfter Harmonie,
Es darf mithin der Zweck des Staates dem Endzwede
der Menfchheie nicht entgegen wirken; vielmehr muß
der Zweck des Staates, nad) feiner Eigenthuͤmlichkeit
— das Gleihgewicht zwifchen der äußern Freiheit ,
Aller zu vermitteln — die Verwirklichung des End:
zwecks der Menfchheit erleichtern und befördern. Dies.
gefchieht aber dadurch, daß, weil der Endzweck der
Menfchheit nur durch Außere freie Handlun
gen,in Angemeffenheit zu der innern reinen fitelichen
Triebfeder der Handlung, verwirklicht werden kann,
der Zweck des Staates das Gleichgewicht des Außern
freien Wirfungsfreifes aller Staatsbürger begründet,
aufrecht erhält und ſichert. Iſt alfo gleich der Zweck
bes Staates nicht ein und berfelbe mie dem Endzwecke
Staats: und Staatenrecht. 147
‚ber Menfchheit; fo hängt er doch theils von diefem
ab, inwiefern ver Menfch früher ift, als der
Bürger, und der Menſch nie in den Staat treten
wuͤrde und, nad) der Vernunft, treten bürfte, wenn
“er den Endzwed der Menfchheit felbft im Staate auf
geben müßte, oder nur einfeitig und zufällig erreichen.
koͤnnte; theils ift fir die außere Thätigfeit vernuͤnf⸗
tig=finnlicher Wefen in Hinficht auf die Annäherung
an den Endzweck der Menfchheit Feine Anftalt
angemeffener und enffprechender, als der
Staat, fobald der Zweck deffelben nicht in die bloße
Sicherung der Rechte, oder in die Beförderung ber
individuellen Vollkommenheit und Glüdfeligfeit, fon-
dern in die unbedingte Herrfchaft des Nechts, in das
Gleichgewicht der Außern Freiheit aller Bürger, ge—
fegt wird. In diefem Sinne fann man daher von '
einee Erziehung des Menſchengeſchlechts
durch den Staat reden; nicht als ob es die un⸗
mittelbare Aufgabe des Staates ware, bie in ihm
zu Einem Ganzen vereinigten Bürger im Einzelnen
für den Endzweck der Menfchheit zu erziehen, fondern
weil der eigenthümliche Zweck des Staates die Ent»
wicfelung und Ausbildung des Menfhenthums,
neben der Erreichung des Bürgerthums, nicht nur
nicht hindert, fondern Durch eine Menge von Anftalten,
die in feiner Miete für Bildung, Wohlfahrt und Gluͤck⸗
feligfeitsgenuß beftehen, unterftugt und befördert.
Es fann alfo, in die ſer Beziehung, der Zweck des
Staates in die freiefte Annäherung aller fei-
ner Bürger an den End;wed der Menſch—
beit unter der unbedingten Herrfchaft,des
Rechts gefegt werben. .
( Hierher. gehört die geiftuolle Schrift von Karl
Sal. za. hariä: über die Erziehung des
10 *
Zu
£
l
148 Staats- und Staatenrecht.
Menfhengefhlehts durch den Staat.
Leipz. 1802. 8., und. eine Stelle aus Krugs
Handb. der Phil Th. 2. (MA) ©. 182 f:
„der nächte und unmittelbare Zwed bes
- Staates ift die. Verwirklichung der Rechtsidee
felbft, durch Stiftung des Bürgerthums als einer -
Drdnung der Dinge, in welcher die practifche Gül-
tigkeit jener Idee öffentlich anerfannt und gehand- -
habt. wird, Weil aber. die Glieder einer folchen
Rechtsgeſellſchaft finnlich - vernünftige Wefen find,
deren: jedes in feinem eigenthümlichen. Freiheits-
freife nad) Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit
ſtrebt; ſo muß der Staat in dem Gefammtfreife
feiner-Wirffamfeit nach demfelben Ziele ftreben.
Der entfernte und mittelbare Zwed des
Staates ift daher die Erhaltung des finn-
lich⸗vernuͤnftigen Lebens aller Einzelnen
‚in feiner Kraft und Fülle unter ber Herr
[haft des Rechesgefeges.‘) -
Li 5,
Begriff und Theile des Staatsrechts. |
Das philofophifche Staatsrecht (jus,
publicum universale — jus civitatis‘) entfteßt als
Wiffenfchaft, fobald die Grundfäge. der Vernunft ,
für Die Vermieklichung der unbedingten Herrſchaft
des Rechts in der Mitte eines Volkes, unter der
"Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges, ſyſte⸗
matiſch dargeſtellt und erſchoͤpfend durchgefuͤhrt wer⸗
den. Das philofophifche Staatsrecht iſt daher die
ſyſtematiſche Darftellung der Grundſätze,
nah mwelden bie unbedingte Herrfihaft
des Rechts, oder das Gleichgewicht zwifchen ber
—
Staats »- und Staatenrecht. 149
aͤußern Freiheit aller zur buͤrgerlichen Geſellſchaft ver⸗
einigten Weſen, unter der Bedingung des
recht lich geſtalteten Zwanges innerhalb
des Staates begründet, erhalten und ge
fihert wird, fo daß zugleich , durch die Verwirk⸗
lichung diefes Iivedes des Staates, die Annäherung
aller einzelnen Staatsbürger an den Endzweck ber
Menſchheit felbft vermittelt und befördert werben
kann und foll.
Durch die Feftfegung dieſes Begriffs wird zu⸗
gleich die Eintheilung des Staatsrechts in ſeine
einzelnen wiſſenſchaftlichen Theile ausgeſprochen.
Denn aus jenem Begriffe des Staatsrechts als Wiſ⸗
fenfhaft gehen unmittelbar die beiden Untertheile
deffelben hervor:
4) Darftellung aller Bedingungen fuͤr die Ge⸗
ſtaltung des Staates, als einer buͤrgerlichen Geſell⸗
ſchaft, in welcher der Zweck der unbedingten Herr⸗
ſchaft des Nechts verwirklicht werden full (das
reine Staatsredr);
2) Darftellung der Bedingungen des rechtlich
geſtalteten Zwanges im Staate (allgemeines —
oder pbilofophifces Strafrede).
6.
Verpältniß des Staatsrehts zu den an
bern Staatswiffenfhaften..
Nah feinem Verhältniffe zu den andern
Staatswiffenfchaften fügt fich das Staatsrecht ruͤck⸗
wärts auf das Naturrecht, deſſen Jdeal der unbes
dingten Herrſchaft des Rechts, wie es qus der ewigen
und unveraͤnderlichen Gefeßgebung der Vernunft ber»
vorgeht, im Staatsrechte der Wirflichfeit um einen
Schritt näher. gerückt wird, weil der Begriff des
150 Staats» und Staatenrecht.
‚Staates aus der Erfahrung ſtammt, mithin jenes
Ideal im Staatsrechte angewands wird auf Die Ges -
fammtzahl der Individuen eines Volkes, wie fie, nach
der erfahrungsmäßigen Anfündigung, aus einer
Mifhung von fittlich - mündigen und fittlid) - uns
mündigen Wefen beftehen. OP nun alfo gleich) das
allgemeine Staatsrecht infofern eine philofophis.
ſche Wiffenfchaft bildet, inwiefern feine Grundfaͤtze
aus der Vernunft hervorgehen, und fein Staat in.,
der Wirflichfeit, fo wie fein pofitives Staatsrecht
ben Forderungen ganz entfpricht, welche Das Staates -
recht aufftellt; fo fteht. doch das philofophifche Staats⸗
recht ver Wirflihfeitnäher, als das reinidea-
lifhe_Naturreht, weil es cheils die Menfchen
nimmt, wie fie fich als ſittlich⸗muͤndige und als ſittlich⸗
unmüuͤndige Wefen anfündigen, und weil esnamentlid)
in Beziehung auf die äußere Anfündigung ver legtern
den rechtlich geftalteten Zwang wiffenfchartlich begrün-
det; theil s weil es, nach Diefer feiner Annäherung an
die Wirklichkeit, zugleich in fich den wiffenfchaft-.
lihen Maasftab für die Vollfommenbeit
oder Unvollfommenbheit jedes pofitiven
öffentlihen und Privat-Rechts enthält, das
entweder bei erlofchenen Völfern und Reichen beftand,
oder noch in der Mitte vorhandener Staaten und Voͤl⸗
fer befteht. — Aus diefem Verhältniffe der Abhaͤn⸗
gigfeit des -Staatsrechts von dem Maturrechte ergibt
fich . zugleith, daß — bei Folgerichtigfeit des fyfte-
matifchen Denfers — jebesmal das Staatsrecht fo
erfcheinen'muß, wie fih das Naturrecht wiſſenſchaft⸗
lich anfündigt *), 0 ne
*) Wird z. B. in dem Naturrechte geläugnet, daß jede
rechtliche Gefellfchaft unter freien Weſen auf Vertrag
Staats: und Staatenrecht. Ä 154 Ä
Bur Staatsfunft (Polidf) wich’ nber das
Verhaitniß des Staatsrechts darauf beruhen, daß,
wenn im Staatsrechte ausſchließend das, mas recht
iſt, aufgeſtellt wird, ohne dabei die Sehren der. Ge⸗
ſchichte und Erfahrung „ und hie aus benfelben abges-
leiteten Regeln der Klugheit zu berüdfichtigen , Die
Staarsfunft die Forderungen der Vernunft mit
den Ausfagen der Gefhichteverbinder, und neben
wen Forderungen des Rechts die Regeln ber. Erfah:
rung und Klugheit — doc) jebesmal unter der Be⸗
Dingung ihrer Rechtlichkeit — für die Verwirklichung
des Staatszweckes aufftelle, wo alfo der aus der finn-
- tichen Natur des Menfchen bervorgehende Zweck der
Gtirdfeligkeit und Wohlfahrt der Indivi⸗
duen und des Ganzen gleihmaßig, mit dem Zwecke
des Rechts, beruͤckſichtigt und feftgehalten wird.
Ein ähnliches Verhaͤltniß bezeichnet die wiffen-
fchaftlihe Stellung des Staatsrehts zu der Volks⸗
undStaatswirthfchaft. Der ewig gültige Zweck
der Herrſchaft des Rechts, welchen das Staatsrecht
nach allen auf die Wirklichfeie anwendbaren Grund⸗
ſaͤtzen aufſtellt, kann und darf in ber Volks- und
Staatswirthfchaft nicht gebeugt oder befchranft wer«
den, Allein wenn diefer Zwed in der Bolfswirch-
fhaft auf alle Quellen, Bedingungen und Anfün-
digungen des Woltemofiftandes und "Solfsnermögene
beruft; fo tann auch im Staatereqht⸗ nicht von
einem Gefelfhaftsnertrage die Rede ſeyn. Stuͤtzt
- man das Naturrecht auf den veralteten, blos nega
tiven, Grundſatz: neminem Jaede, gder: suum
euique tribus u. f. w.; fo wird auch der Staat
in einem folchen Staatsrechte blos eine Sicherheits⸗
‚anftalt mit willkährlicher Anwendung (ohne
rechtliche Geſtaltung) des Zwanges ſeyn. nn
Sn
252° Staats« und Stantenredy.
bezogen wirdʒ fs erfeheint er in: ber Staatswirtk- |
{haft nad feiner Anwendung auf die Ausmittelung
und Dedung des Staatsbebarfs. aus dem Volksver⸗
maoͤgen, und nach dem rechtlichen Einfluffe ber Re⸗
gierung im Staate auf die Leitung des Volkslebens
und Volksvermoͤgens.
Zur bie gefhichtlichen Staatswiſſenſchaften
endlich (Geſchichte des europaifhen Staa—
kenſyſtems, öffentliches Staatsrecht,
practiſches eurobaiſches Voͤlkerrecht, Di—
plomatie uf. w.) bleibt der im Staatsrechte auf⸗
geftellte Zweck der Herrfchaft des Rechts, ſo wie die
Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges in der
Mitte der in der Wirklichkeit beftandenen und noch
befiehenden Staaten, der höchfte Maasftab für die
Wirdigung und Beurteilung aller Ankündigungen
‚bes inneren und aͤ äuße en Staatslebens.
—
J 7.
Begriff und Inhalt des Staatenteches
Da, nach der Vernunft, der Zweck Dis Staates
unter der "Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges
| überhaupt, und ohne Einfchränfung‘, für alte auf dem
Erdboden neben einander beftehende bürgerliche
Gefellfhaften, die wir Staaten nennen „gilt;
fo entftehe auch das Staatenredht, oder die wiſ—
ſenſchaftliche Darfellung . der allgemei«
nen Örundfäße des rehtlihen Nebenein—
ünderbeftebens aller Staaten des Eudbo-
bens,unterderBedingung des zwiſchen ih—
nen rechtlich geftalteten Zwanges nach vor—
hergegangenen Rechtsverletzungen, eben
ſo durch die. Erweiterung des Stanssrechts auf alle
⸗
a. und XRXRX 153
neben einander beſtehende blirgerliche Geſellſchaften
wie das Voͤlkerrecht durch die Erweiterung des
turrechts auf die in der Vernunftidee neben einander
beftehenden Völker geBildee wird, .
unten Be. 0; 20.
| Siteratur des Staatsrechts.
Bei der Aufführung ber hierher gehörigen Schrife
ten muß bemerft werden ‚ daß theils bas Staats:
recht von Vielen fogleih in Verbindung mit dem
“ NMaturrehte behandelt worden Ift, deren Werfe
bei ber Literatur des Maturrehts bereits (vergl.
$. 13. des Maturrechts) aufgeführt wurden, und
bier nicht wiederhohle werden; theils daß eine
. bedeutende. Zahl — befonders älterer Schriftftel-
lee — Staats recht und Staatsfunft bei ihren
Unterfichungen nicht genau von einander ges
fhieden, . und ee ‚ welche zunaͤchſt der
Staatefunft angehören (3. B. über die verfchiedenen
Kegierungsformen, über die einzelnen Zweige ber
Berwaltäng:sc.), fogleich ins Staatsrecht gezogen
“ Haben. Die Schriften dieſer leßfern, wiewohl fie.
auch der Staatsfunft angehören, werden, weil fie
nur einmal aufgeführt werden fönnen, ſogleich
unter der Literatur des Staatsrechts genannt, nach
demſelben Maasſtabe, wie beim Naturrechte diejeni-
gen Schriften aufgenommen wurden, welche Natur-
und Sraatsredt gemeinſchaftlich behandeln.
* * %*
—. gr. Bautl, Sedanten von dem Begriffe und
2. ben Grenzen ber Staatéekenntniß. Halle, 1750. 4.
. . oh. Tobi - Wagner, Entwurf einer Staates
Sihliorhet Seth u " 172% 8.
154 Staats- und Staatenrecht,
Peterſen (unter dem Damen: Io. Wilh. Dias.
eidus), Literatur der. Staatslehre.. Erſte Abtheil.
Sitrasb. 1798- 8- (ward nicht fortgefeßt.)
” *
*
Plato, de. republica, s; de "and, bt x.
(Teutfh: Plato's Republit, v. Ir. Karl Wolf.
2. Th. Altona, 1799. 8. — aud von Stfr. Fähfe,
2 Th. Lpʒ. 1800. 8.) — Politicus, s, de regno. —
‚ De legibus, #.’ de legum institutione, libri XII.
. (Car. Morgenstern, de Platonis republica
commentationes tres, Hal. 1794. 8.)
u : Aristoteles, politicorum s. de republica li-
‚ — bri VIII (nit vollkändig erhalten); mit. lat. Ueber
„2. feßung, Einleitung und Verbefferungen herausgeg.
von Herm. Conring. Helmftädt, 1656. 4
(Teutſch, von Garve, herausgeg, mit Anmeik.
und Abhandlungen von Fälleborn. Th. Bresl.
1799 u, 1802.98: — Ariſtoteles Politik und
Sragment der Oekonomik, aus dem Gries
hifhen überfegt und ‚mit Anmerkungen und einer
Analyfe des Textes verfehen von J. Geo. Schlofe
fer. 3 Th. Lübe u. Lpz. 1798. 8.)
Cicero,'de legibus libri 11]. (Teutfd mit
Okrit. Einleitung und Anmerkungen von Fr. Huͤlſe⸗
mann. $p..1782. 8.) — Bon Eicero’s ſechs
Büchern de republica haben fih nur einige, minder
bedeutende, Bruchſtuͤcke erhalten.
*
* gr
Nic. Machiavelli, il principe. In Venezia,
1515. 4; latine, cum animadvers. politicis Herm,
. Conringii. Helmst, 1660. 4. N. E. 1686. —
C(CTeutſch, mit Anmerk. und Zufägen von Rebe
— berg. Hannover, 1800. 8. — auch von F. N
Baur, Rudolſtadt, 1805. 8.)
Die wichtigſten Gegenſchriften find:
(Friedriche — noch als Kronprinz, Vf. des)
Antimachiavel, ou essai de Critique sur le prince
de Machiavel, "pahlie par Voltaire, a Goett. 1741.
8 (Teutfd, Goͤtt. 1741. 8) -
.
>
Staats⸗ und Saaatenrecht. 150%.
Lubw. Heine: Jakob, Antimachiabelt oder
über! die Grenzen des buͤrgerlichen Gehorſamag Zus
erſt Halle, 1794. 8. anonym; dann dte Aufl.
1796 mit des: Bis. Namen :: .
- Thofl. Motus, de optimn: Teipubligne ntatu,
deque..nove inaula. Utopia, . Erfhien zuerſt 1517.
. Col. 16055. 8. (übeshuupt in vielen Auflagen.) Gran
zoͤſiſch, à ‚Paris 1731. Teure, FIrkf. und ED.
17 53.
——— Langnet), Vindiciae cdntrot turan-
nos, 8 de principis in populum, populique, in
principem Jegitima potestate; Stephano ] unio
Bruto, Celta, auctore. Soloduri, 1569.
Jo. Bod. imus, de repüblica ſibri VI. (Erſchien
zuerft framzöſiſch, 15765 — von ihm feibft aber
verbeffert u. vermehrt, lateinifxh) Paris. 2584. 4.
Just. Lipsius, politicorfum s. civilis doctrinae
lbri VI. Lugd. Bat. 1590. 8. Antw. 1596. 8 —
Teutſch, Amberg, 1599
Melch, v. Dffe,. ‚ prudentia regnativa,; d. i. ein
nügliches Bedenken, ein Regiment fowohl in Krieges
als Friedenszeiten decht zu beſtellen, zu verbeſſern
und zu erhalten. 1555 beſchrieben. — Die ' beſte
Ausgabe unter dem Titel: D. M. v. Offa Teſta⸗
ment gegen Herzog Auguſto Churfurſten von Sachſen.
Halle, 1717. 4.
Jo. Casus, sphaera eiyitatis, B. politicorum
libri g. Fraänöf. 1589 4 '
Jo. Mariana, de rege et regis institutione
libri 3, ad Philippum III. —* retzem. Ed. 2.
1. 1611: Be
Chstph. Besold, opus politicum. Ed. nova
reipublicae naturam et" constitutionem, ejusque
in omnibus partibus gubernationem libellis ı@
absolvens. Argent. 1641. 4. erfchten zuetfl 1614.
Henning, ‚Arnisabds( de republica, s. lectio-
‘nes politicae, ]. 2.' Franck. 1618. 4.
Jo. Loccenius, de ordiuanda republica, li-
ber 4. Amstel: 1637.. 182.
Thead. . Graswinkel, de jure majdstatis.
Hagao, MAL 4. rei. PR
»
\
156
» %
Staats'- und Staatenrecht.
8
Rob. Filmer, Patriarcha, or the natural
on power of kings; ſteht in ſeinen political ‚discoui-
ses, Liond, 262. .:
Thom. Hobbas, de eive;..ift der dritfe Abe
2 ſchnitt in ſ. elementis pbilosophicis. ‚Paris. 1642.
4. — Weiter ausgeführt in f. ‚Leristhan, s. de
materia, forma. et potestate civitatis. (Erſchien
. zuerft engliſch, zu London, 1651. Bol. — Latels
nifch) Amst. 1668. 4. (Die lat. Ueberſetzung foll
nicht vom Hobbes ſeyn.) Teutſch,2 2. Dale,
1794 f. 8.
Dagegen:
Paul Joh. Anfelm. $ euerbad, Antihobbes,
oder über die Grenzen der hoͤchſten Gewalt. ır Th.
. Erf. 1798. 8:
(Bu hhel,) Antileviathan, oder über das
+; Verhältniß der Moral zum äußern Rechte und zur
Politik. Goͤtt. 1807: 8.
‘ Herm. Conring, de civili prudentia. Helmst.
1662. 4. — Propolitica, s, brevis introductio in
eivilem philosophiam. Helmst. 1663.
Ulr. Huber, de jure civitatis libri 3. Franc.
1672. 4. — Ed, nov. c. commentar. Chr. Tho-
masiiet N. Lynkeri, cura J. Ch, Fischeri,
Francf. et Lips. 1752. 4.
Casp. Ziegler, de juribus majestatis, Vit,
2692. 4. (nahm wiele willkuͤhrliche Geſetze auf.)
ud, God. Kn ich en, opus politicum, libri 3. j
Francf. 1682. Fol.
„Algernoon Sidney, on government, Lond.
1608. Fol, —. Neue:und verm. Aufl. 1763.
—A in 4 Theilen. Von Samſon, —
8. — Teutfch, in 2 Theilen, mit Anmerk.
1755.
‚und Abhandlungen pon Chr. Dan. Erhard. Lpz.
1793. 8. — Ein Aus zu g daraus von Ludw. Heinr.
-Satob- Erf. 1795. 8.
tiqus;_in deffen opp: posth; und in der Berten'
Bened. de Spinoza, tractatus theologico-poli-
von Paulus herausgegeben, ÜB..1. :..: 0,
—
\-
Staats» und Staatenrecht. 457
John Locke, two treatises of government.
Lond, 1690. 5 — Teutſch, Jena, 1716: 8.
| * * * —X
Die erſte Trennung des Rechtlichen von dem Po⸗
litiſchen verſuchte:
J. Nic. Hertius, paedie juris public univer-.
'salig. Gielsae, 1694. 4. Diss '
- Just, Henning Böhmer, introductio in jus
publicum universale. Hal. 1709. 8. Ed 4ta. 1773.
Ephraim Gerhard, Einleitung zur Staatslehre.
Sena, 17113. — N. A. 1716.
Franc, Schmier, jurisprudentia publica uni-
versalis, Salisb.. 17002. Fol.
- God, Erna. Fritsch, jus publicum universale.
Jense, 1734. ß
Sofeph Sr. Laguemacd, allgemeines gefellfhafts
liche⸗ Recht, nebſt der Politik. Berl. 1745. 8
Chr. L. B. de Wolff, de imperio publico,
; jure civitatis, in quo omne jus publicum uni-
versele demonstratur et verioris politicae incon-
cussa fundamenta ponuntur. Hal. 1748. 4. (aud
der. fiebente Theil f. jus naturee — „Finis
civitatis sunt vitae sufliciontia, tranquillitas et
securitas.*)
J. Jacq. Rousseau, discours sur l’origine et
les fondemens de linegalite parmi les hommes,
Amst..1ı755. Teutſch, Berl. 1756. & — Du
contrat social, ou principes du droit politique, *
Amst. 1768. 18. Teutſch, von Shramm —.
Düffeld. 1800. 87 — Eine andere Uesberfegung,
anonym, Frkf. am M. ‚800. 8. |
—CG6GHhume's und Rouffeau’s Abhandlungen
über den Urvertrag, nebft einem Anhange über die
Leib hefſt, von G. Merkel. 2 Th. Leipzig,
179/°:8 u
v. Rent, bie Staatstunf; aus dem Franz.
von F. Phil. Schulin. 6 Th. Frankf. u. Leipz.
1762 ff..8. (Der vierte Theil enthält das öffent
x use Recht. 1766.
. 3. Chefin. Foͤr ſter, Einleitung in die Staats⸗
458
Staats⸗ und Staacenrecht.
“ lehre, nach den Grundſaͤtzen des Gem’: von Mons
.. sesquien. Halle, 1765. 8.
Herm. Fr. Kahbrel, jus publicum universale,
Gielsae, 1765. 8.
Car. Ant. de Martini, 'positiones de jure
civitatis. Vindob. 1768. 8. Ed. 8. 1773. — All
gemeines. Recht der Staaten.. Wien, 1797. 8.
Heinr. Gtfr. Scheidemantel, das Staats⸗
recht nah der Vernunft und den Sitten der vor
nehmften Voͤlker betrachtet. 3 Thle. Jena, 1770 —
73. 8: — Das allgemeine Staatsreht und nad
der Negierungsform. Siena, 1775. 8.
v. Juſti, Natur und Wefen der Staaten, als
die Quelle der Regierungswiffenfchaften und Geſetze,
beransgeg. v..Scheidemantel. Mitau, 1771. g.
Pet. Miller, Orundfäge eines Stähenden
hriftlihen Staates. Ep. 1775. 8.
Heinr. Home, Unterfuhung über bie, moralifchen:
Geſetze der Geſellſchaft. A. d. Engl. Lpz. 1778. 8-
J. F. L. Schrodt, systema juris publici uni-
versalis. Bamb. 1780. 8. (erfchien zuerft 1763 gu
Prag in 4 als Difputation ‚des Grafen Karl von
| Kauntg.)
ev. $r. v. Lampredt, Verfuh eines voll -
ftändigen Syſtems der Staatsiehre. ır Th. Berl.
178}. B-
Syſtem der bürgerlichen Geſellſchaft, oder natuͤr⸗
liche Grundſaͤtze der Sittenlehre und Staatskunſt.
2 Th. Aus dem Franzoͤſ. Brest. 1788. 8.
(EU D. v. Eggers), Verſuch eines ee
matiſchen Kehrbuhs des natürlihen Staatsvechts.
Altona, 1790. 8. — Institutiones juris civitatis
publici et gentium universalis. Hafn, 1796. & .
(Das erfte Werk erfhten anonym; das zweite mit
des. Vfs. Namen.) oo.
Ang. Ludw. Schloͤzer, allgemeine RStaatsrecht
und Staatsverfaffungsiehre. Goͤtt. 1793. 8.
Freih. v. Mofer und Schlözer über die oberſte
Gewalt im Staate, mit Anmerkungen eines Uns
partheiifhen. Meißen, 1794. 8. — Etwas vom
Staatsvertrage. Ein Nachtrag zu der Schrift:
Staats⸗ und Staatenrecht. 159
Mofer u. Schloͤzer ꝛc. Meißen, 1795. 8. — Ueber
das A in Veziehung auf ben ©taat.
Meißen, 1795. 8»
Kari 3. Wedekind, kurze ſyſtematiſche Darftels
lung -des allgemeinen —2* Frkf. und ep.
1794. 8.
Bom Staate und den wefentlichen Rechten, der
hoͤchſten Gewalt. Goͤtt. 1794. 8.
K. Heinr. Heydenreich, Grundſaͤtze des natuͤr⸗
lichen Staatsrechts und feiner Anwendung. 2 Thle.
Lpz. 1795. 8. — Weber die Heiligkeit des Staates
und die Moralität der Revolutionen. Lpz. 1794. 8.
Theod. Schmalz, narürlihes Staatsreht (iſt
der are Th. f. Rechte der Natur). N. A. Lonigeb.
1795. 8.
J. C. € Rüdiger, Anfangsgruͤnde der allger
meinen Staatsiehre. Kalle, 1795: 8.
Chiin. Dan. Voß, Handbuch der allgemeinen
Staarswiffenfhaft nah Schloͤzers Grundriſſe. 4 Thle.
(Das Staatsrecht wird im erften Theile behans
deit.) Lpz. 1796 ff. 8
J. Chſtph. Soffbauer, allgemeines Staates
recht. ar Th. Halle, 1797. 8.
Heine. Benfen, Verſuch eines foftemat. Grund⸗
riſſes der reinen und angewandten Staatslehre. 3
Theile. Erl. 1798 ff. 8. — Bon der zweiten verm.
und verb. Auflage gab der Vf. nur nody Th. ı, vor
‚ feinem Tee, unter dem Titel heraus: Syſtem der
telnen und angewandten Staatsiehre. Erl. 1804. 8.
8. Theod. Gutjahr, populäre Darftellung des
Staatsrehts. %pj. 1801. 8.
Wild. Jof. Behr, Syſtem der allgemeinen Staates
lehre. ıv Th. Bamb. u. Würzb. 1804. 8. — Neuer
Abriß der Deaatswiſſenſchaftelehre. Bamb. u. Wuͤrz⸗
burg, 1816. 8.
Sof. Mic. Vince. Burkhard t, Urgeſetze des
Staates und ſeiner norhwenbigen Majeftätsrechte.
ır Th. in 2 Hälften. Erl, 1806 f. 8
Der Staat in der dee, und die Gültigkeit des
Geſebes in demſelben. Hof, 1806. 8. CEgeht von
2
+
160
Stanis » und Staatenrecht.
Schellingiſcher Philoſophie aus, wie her Bei der Lit. |
des Naturrechts angeführte Niblern,).
J. P. 2. Reisler, natürliches Staatsrecht.
Frankf. a. M., 1806. 8.
Karl Ludw. v. Haller, über die Nothwendigkeit
einer andern oberſten Begruͤndung des allgemeinen
Staatsrechts. Bern, 1807. 8. — Reſtauration der
Staatswiſſenſchaft. Theile. Winterthur, 196 - —
1820. 8.
Gegen dieſes Werk:
Wilh. Traug. Krug, die Siaatswiſſenſchaft im
Reſtaurationsprojeſſe. Lpz. 1817. 8.
K. Heinr. Ludw. Politz, die Staatslehre.
2 Theile. Lpz. 1808. 8.
J. Jac. Wagner, der Staat. Wuͤrzb. 1815. 8.
S. Craig, Grundzuͤge der Politik. Aus dem
Eng. v. Hegewifch. 3 Th. Lpz. 1816. 8.
Sul. Schmelzing,. Srundlinien der Phyſio⸗
logie des‘ Staates, oder die fogenannte Staats⸗
wiffenihant und Politik. Nuͤrnb. 1817. 8.
Müller, von der Nothwendigkeit einer.
eheotosifhen Grundlage der gefammten Staatss
wiffenfhaften, und der Staatswirthſchaft insbe⸗
ſondere. Lpz. 1819. 8.
Karl Sal. Zahariä, Vierzig Buͤcher vom
Staate. 2 Th. Stuttg. u. Tüb. 1820. 8. (bis jet
nuͤr 20 Bücher.)
Sr. Ancilton, über die Sadatswiſſenſchaft.
Berl. 1820. g.
IJ. Gtli. Fichte, die Otaatslehte, oder uͤber
das Verhaͤltniß des Urſtaats zum Vernunſtreiche.
Berl. 1820. 8. (Schon früher Hatte er in den
„Srundzügen_des gegenwärtigen .Zetts
alters” Berl. 1806. 8 ©. Zı2 ff. die Idee
und das Materiale des abſoluten Staates auf⸗
geſtellt.)
Staacs und Staatenrecht. 461
A) Das reine Staatsrecht.
re
Inhalt und Theile des teinen Staats
0 M vehes. \
- Die Vernunft. ann ben Menfchen in der Wirk⸗
Lichfeit nicht anders denfen, als im Staate (nicht
im: fogenannten Naturſtande), weil ber Staat bie
einzig rehtlidhe Bedingung ift, dem Ideale
ber Herrſchaft des Rechts fich zu nähern,
‚Daraus folgt, thei-ls daß Das Leben im Staate,
von welchem durch die Aufhebung des Naturftandes
alle Selbſthuͤlfe ausgefchloflen wird, der einzige recht-
liche Zuftand für die Behauptung der perfonlichen
und dinglihen Rechte ift; theils, daß durch den
Zweck des Staates der Endzwed der Menfchheit felbft
nicht nur nicht gehindert, fondern befördert und unter«
flüge werden foll (9.2 — 4), weil nur auf die Be⸗
dingung, biefem. Endzwecke ununterbrochen fich zu
nähern, ber Menſch in’ die im Staate nothwendige
Befchränfung gewiſſer einzelner Rechte, mit voller -
Zuftimmung feiner Vernunft, einwilligen kann. Niche
alfo blos Äußere Sicherheit, nicht blos: individuelle
‚ober allgemeine Gluͤckſeligkeit, und eben fo wenig blos
ber leidende Gehorfam von Millionen fitelicher, zum
grenzenlofen Sortfchreiten von Gott beftimmter, We⸗
fen, fondern die gefeslich begründete, und
vermittelft des rechtlich geftalteten Zwan-
ges für immer gefidherte, Freiheit aller _
Staatsbürger Durch eine vertragsmäßig
gebitdereöffentlihbe Macht, welche die all—
mäßlige Annäherung atler Mitglieder ber
bürgerlihen Gefellfhaft anden Endzweck
1. | 11 \
162. - Staats» und Staatenreche.
ihres heſammten menfchlichen Daſeyns
durch die Verwirklichung der Herrfchaft
des Rechts innerhalb des Staates als die
hoͤchſte Aufgabe ihrer Thätigfeit betrad-
tet, ift das Ziel, welchem der Staat in allen feinen
Einrichtungen und Anftalten zuftreben ſoll. — Das
Staatsrecht muß daher, als Wiſſenſchaft, die Mit
ee l’aufftellen, wodurch. der Zweck des Staates, bie
“allgemeine Herrfchaft des Rechts, vernunftgemäß
‚erreicht. werden fann. Da aber der Staat feine leb-
lofe Maſchine, kein bloßer Naturorganis—
m
‚mus. mit Ausfhluß der Gefege der Vernunft und.
Freiheit, feine Aufbewahrungs: und Zuctanftale für
ehierifche Gefchöpfe,, fondern ein Verein freier Wefen
ift; fo muß auch allen Mitteln, welche zur Ver⸗
wirflichung des Staatszwedis im Staatsredte aufs
geftellt werden, ver Begriff zum Grunde liegen, daß -
die bürgerliche Gefellfehaft ein freies, lebensvolles,
ein in allen feinen Theilen innigft sufammenhängen-
des, und, nad) dem Örundcharafter der Menfchheit,
ein zur höheren Vollkommenheit beſtimmtes und ders _
selben ſich näherndes Ganzes bilde. Daraus ergibt
fih , Daß unter der rechtlihen Form des Staas
tes nur der gefammte Umfang aller der Mittel und
Bedingungen verftanden werben kann, durch welche
ber Staat als ein in allen feinen Theilen rechtlich
geftaltetes, lebensvolles und fortfchreitendes Ganzes
erfcheint, und alg ſolches in der Wirlicheeit wahr:
genommen wird,
—
Aus dieſem Standpuncte gefaßt, gehören zu den
Bedingungen der rechtlichen. Form bes Staates.
a) die Urvertraͤge, auf welchen ber Staat
‚als Recherseſelſſchaft beruht;
+
Staats» und Staatenrecht. 163
b) bie Höhfte Gewalt im Staate nad
ihren einzelnen Theilen;
c) die aus ben Urverträgen und ber Theilung
der höchften Gewalt hervorgebende rechtliche Form
der Berfaffung und Regierung des Staates.
10.
a) Lehre von den Urverträgen bes Staates.
Die Vernunft kann nur biejenige bürgerliche
Gefellfchaft als rechtmäßig anerfennen, welche auf
Vertrag beruht, weil (Naturr. $. 22.) Fein Ver⸗
bältniß in dem äußern freien Wirfungsfreife fittlicher
Wefen, und namentlich feine Beichränfung oder Er-
weiterung diefes Kreifes, anders, als durch freie
Zuftimmung und Bereinigung der contrahirenden
Theile, gedacht werden kann.
Unter den Urvertraͤgen des Staates,
mögen dieſelben nun bei der Entſtehung der Rechts⸗
geſellſchaft förmlich abgeſchloſſen worden ſeyn, oder
nach der Natur ſtillſchweigender Verträge (Na
turr. $. 24.) gelten, werden daher diejenigen verftan«
den, durch welche der Staat als Kechtsgefellfchaft
begründet, und deflen Form vernunftgemäß wird,
fo daß vermittelft. dieſer Urverträge Die Staatsbürger
ſich vereinigen über den Zweck des Staates, uͤber
die Mittel zur Erreichung Diefes Zweckes, und über
die Arc und Weife, mie diefe Mittel theile jur
Erreihung, theils zur bleibenden Sicherftellung des
Stautszwedes angewandt werben follen. Diefe Ur-
‚verträge "find: der Bereinigungs-, der Ver-
faffungs- und der Unterwerfungs vertrag.
Sie zufammen bilden den Staatsgrundvers
trag, inwiefern nur in ber Wiſſenſchaft, nicht bei
11 “ |
46% - Staats» und Staatenrerht.
ber geſchlchtlichen Entſtehung des Staates, zwiſchen
den Begriffen beſtimmt unterſchieden wird, welche
jeden dieſer drei einzelnen Verträge begründen.
.
⸗
Ob gleich Grotius, Locke, Kant und die
ausgezeichnetſten Forſcher alter und ‚neuer. ‚Zeit
— felbft Hobbes und Rouffenu, nur beide
nach ganz verfchiedenen' Anſichten — das Wefen
des bürgerlichen Vereins auf eine vertragsmäßi
Begründung zurüdführen, und fogar ehatf —9*
liche vertragsmaͤßige Begruͤndungen der Rechts⸗
Lverhaͤltniſſe innerhalb des Staates in der Geſchichte
vieler Reiche und Staaten der alten, mittlern und
neuern Zeit (bei, den Hebräern, beider Wahl Pi⸗
pins, Hugo Capets, in. den Waplcapitulationen
ber Könige Teutſchlands, Polens u. f. w.) unver⸗
kennbar vorliegen; ſo haben doch Einige in neuern
Zeiten die Lehre vom Staatsgrundvertrage beſtritten
und ſie ſelbſt als bedenklich und gefaͤhrlich darge⸗
ſtellt. Allein der Urvertrag des Staates
iſt, nach der Idee der Vernunft, keine Ueberein⸗
kunft in der Zeit abgeſchloſſen, ſondern das ewige,
aus der Vernunft mit Rothiwendigkeit hervor⸗ |
- gehende, Rechtsgeſetz, das jedem Vereine, mit
‚ ‚hin auch dem hoͤch ſten und wichtigften, dem
bürgerlichen, feine recheliche Unterlage gibe,
- und die gefammten Rechte und Pflichten derer bes
ſtimmt, die innerhalb des Vereins leben. Indem
der Staatsgrunbvertrag , in diefem Sinne ,- alle
Volksgewalt und alle Willkühr ausfchließe, gruͤnder
er das buͤrgerliche Verhaͤltniß auf das feſte und un⸗
veraͤnderliche Geſetz der Sittlichkeit, und
gewaͤhrt dadurch beiden, den Regenten und ben
Völkern, eine Garantie, die, entfprungen aus
ber fi telichen Natur des Menſchen ‚, auf einem
I)
Staats »- und Staatenrecht. 165
ungerflörbaren Grunde beruht, mie welchen bie
Rechtstitel der Eroberung, der phufifchen Gewalt,
: der Willführ -u. ſ. w. weber nad) ihrem innern
Werthe, noch nad) ihrem äußern Gewichte vergli⸗
hen werden koͤnnen. Denn fo wie mit der dee
dieſes Vertrages von Seiten des Regenten aller
Deſpotis mus unvereinbar ift; fo ift diefer Ver⸗
trag gleichmäßig auch von Seiten der Völfer die
ſtaͤrkſte Schutzwehr gegen Anarchie, weil er
aus denſelben Gründen, nach welchen er den
feidenden Gehorfam im Reiche fittliher Wefen ver:
wirft, jeden Widerftand gegen die verfragsmäßig
beftehende — mithin rechtlich geftaltete — Staats»
gewalt als widerreihtlid verdammt, und für im⸗
mer ausfchliegt. — Uebrigens tft diefer Staats-
griindvertrag, eben weil er auf einer ewigen Idee
der Vernunft berubt, ein ewiger Vertrag ‚und
der Staat eine ewige Gefellfchaft ($. 3.), fo daß
man nur aus Mißverftand meinen fann, derfelbe
fen willführlich-gefchloffen, und fönne willfüßrlich
aufgehoben werben. Denn weil er nicht erft in der
Zeit abgefchloffen zu werden braucht, fondern auf
der Idee der Menſchheit ſelbſt — d. h. auf der Idee
des, in dem aͤußern freien Wirkungskreiſe aller
geſellſchaftlich verbundenen ſittlichen Weſen be⸗
ſtehenden, Gleichgewicht der Rechte — beruht,
iſt er unveraͤnderlich, ewig und uͤber jede Willkuͤhr
der Regenten, wie der Voͤlker erhoben.
Die Mißverſtaͤndniſſe uͤber den Grundvertrag
des Staates, welche ſelbſt Forſcher, wie Koͤppen,
Ancillon u.a. bewogen, die Annahme deſſel⸗
ben zu verwerfen, koͤnnen, bei ſolchen Männern,
ihren Grund nicht in der "Abneigung gegen eine
fitelihe und deshalb ewige Örundlage:
/
166 . Staats und Staatenrecht.
der bürgersihen Gefellfchaft, fondern nur
in der Berwechfelung des geſchichtlichen Urs
(prunges ber Staaten mit der vernunft-
gemäßen Geftaltung derſelben haben.
Denn. allerdings zeige die Gefchichte der alten und
neuen Zeit, Daß unzählige Staaten nicht durch
Vertrag, ſondern durch zufälliges Zufammentres .
ten einzelner Samilien und Stämme, durch Erobe- .
rung, duch Unterwerfung u. ſ. w. entftanden find,
‚obgleich Yon der andern Seite feine fleine. Zahl
von gefthichtlichen Thatfachen beigebracht werben
kann, daß Staaten fid) durch einen abgefchloffenen
Grundvertrag bildeten (3. B., in neuerer Zeit: der
Sreiftaat der Niederlande durch den Utrechter Ver⸗
trag von 1579; der nordamerifanifche Staat durch
den Vertrag von 1776 u. w.). Allein im pbi-
lofopbifchen Staatsrechte, das auf: ewigen -
been der Vernunft beruht, kommt es nicht darauf
an, ob etwas gefchichtlich Beſtehendes und erfah⸗
rungsmäßig Vorhandenes nah VBernunftideen
entftanden fey, föndern darauf, daß alles, was
‚in. bemfelben gelehrt wird, feinen le 6 ten
Grund inder Vernunft babe, der Würde
ſittlicher Wefen angemeffen fey, und in
der Wiſſenſchaft vollftändig durchgeführt, in ſich
sufammenhängend,, und den Gegenftand völlig er-
fchöpfend erfheine, ‚Der Lehrer bes philofophifchen
Staatsrechts will nicht Die Entftehung der einzel-
nen Staaten in der wirfliden Welt er
flären; dies ift die Aufgabe des Hiftorifers;
vielmehr will er aus Grundfägen der Vernunft
beftimmen, welches die einzig rechtliche Form des
Staates fey, weil die Vernunft allen Zufall, alle
phyſiſche Ueberwaͤltigung, und allen leidenben Ge⸗
Staats» und Staatenrecht. 467;
. Borfam von eimer bürgerlichen Gefellſchaft aus.”
fließt, in welcher das Recht herrſchen foll.
Deshalb gruͤndet die Vernunft den Staat auf
: Vertrag, weil bios bei der Annahme eines
Ä Staatsgrundvertrages die ſammtlichen ein—
zelnen Verträge im bürgerlichen Vereine als
rechthich begründete, und für ewige Zeiten
. gefichert erfcheinen können. (So meint es quch
Reinhold in ſ. Auswahl vermiſchter
Schriften, Th. 2, S.408: „Die Begrün-
dung Des Staates durch das Rechtsgeſetz läßt ſich
nur unter der Idee eines allgemeinen Willens, der
die Möglichkeit eines rechtlichen Zwanges zur Ver.
theidigung der Rechte eines Jeden zum Gegenſtande
bat, — und unter ber “dee des urſpruͤng⸗
lihen Vertrages denken, ber einerfeits aus
dem Enefohluffe Aller, die Freiheit eines eben
durch die Macht Aller auf die. Vertraͤglichkeit mit
ber Freiheit eines Jeden einzufchränfen, anbret-
feits aus dem Entfchluffe eines Jeden, alles zu
thun und zu laflen, was zur Wirklichkeit und
Wirkfamkeit Diefer Anftalt nothwendig iſt, befteht;
— Ein für jeden mwirflih und äußerlich gelten.
der Vertrag ift nur durch den Staat und im
Staate möglih, Der urfprünglihe Vertrag ift
baher durch Vernunft ſchlechthin nothwen-
dig, folglich zwar durch eine bloße, ‚aber pra«
etifch nothmwendige Id ee aufgeſtellt.““
v. Haller nimmt in feiner KReftauration
der Staatswiffenfhaft eine Theorie Des ges _
ſellſchaftlichen Zuſtandes an, nad) welcher Die Herr⸗
ſchaft uͤber die Menſchen von dem goͤttlichen Willen
abgeleitet, die Gelangung aber zur Herrſchaft
und Die Ke htmäßigfeit derfelben erfannt wirb
468 Staus und Stiaatenrecht.
an ber. nachelichen Ueberdegengpht ve Mucto —
Von ſelbſt folgt ‘aus dein“ zweiten: Grundbegriffe
dieſer Theorie, daß, wo blos phyſiſche Macht den
Staat begrünbet, das ſittl ich e Verhoͤltniß (ſelbſt
das religioͤſe) ausgefchloffen" wird;“ baß, wenn bie
Bemaͤchtigung ber Gewalt über die Dechemäßfgkeie
derſelben entfcheider, Attila, Dſchingiskan,
Zamerlan, Crommell und Robespierre
legitime Regenten waren; und dab - — mach fiten-
ger Folgerichtigkeit — wenn der Stadt, die Ge⸗
ſammtheit der Geſellſchaft ‚ride anf Vertrag
beruht, es bios eine Sache der Willfühe und der
Eonvenleng. it, ob und wie lange ein *
J pertrag (z. B. der Ehe, des Eigenthums u. F w.)
in dem Staate beſtehen ſoll?
*
11. EEE
Der Vereinigungsvertrag. Br
Der Vereinigungsvertrag iſt ber erſte Be⸗
ſtan dtheil des Staatsgrundvertrages. Durch den⸗
ſelben wird der Zweck des Staates als Grundlage
der gemeinſchaftlichen buͤrgerlichen Verbindung oͤffent⸗
lich ausgeſprochen und unwiderruflich feſtgeſetzt; denn
die ſittlichen Weſen, die zu einer Rechtsgeſellſchaft
ſich verbinden, vereinigen ſich uͤber die Herrſchaft des
Rechts vermitielft des vertragsmaͤßig begruͤndeten und
für immer geſicherten Gleichgewichts der äußern Ftei⸗
heit Aller, Dies aber ift der hoͤchſte Zwei des
Staates. Alle Mitglieder des Wereins , mithin :alle
Bürger des Staates, geben, vermittelft dieſes Ver⸗
trages, einander gegenfeitig das Verfprehen, daß
die Freiheit ihres ‚äußern Wirfungsfreifes vor afler
- Berlegung burch die Freiheit Andrer geſichert ſeyn Toll.
Pr |
[2
Sans. und Staatenrecht. 46%
Fa u led Tu nnd en J v2
Der. Verfaſſungsvertrag. F
4
Der: "Berfafltägsvertrag iſt der- weite Ber.
| Randepeil bes Staatsgrumdvertfäges, Er beftimmf‘
Die Mittelund Bedingungen; durch wekche der
allgemeine Zweit des Staates innerßalb’ der buͤrger⸗
lichen Gefeltfchaft'erreicht werden. ſofl Die Geſamnit⸗
heit idieſer Mittet und Bedingungen zur Verwirk
lihung des Staatszweckes heißt die Verfaſſu ni
(Eonftitution) des Staates. Die Verfaſſung des:
Staates umſchließt daher den geſammten Umfang der!
Grundbeſtimmungen, vermittelft: welcher die Herv⸗
fhaft des Rechts innerhalb des Staates begründet
werben und beſtehen foll, damit der Staat als At
örganifches, in allen feinen Theilen innigft zufam-
menhängendes, Ganzes erſcheine. Deshalb "heißen:
auch alle Gefeße, ‚welche entweber in der Verfaſſung
felbft ausdruͤcklich ausgeſprochen nd, oder aus den
Beftimmungen derfelben mit Rorhwendigkeit hervor⸗
gehen, organiſche Geſetze (z. B. Eintheilung des
Staatsgebietes , Vertretung des Volkes in einer oder
zwei Kammern u. f. w.), im Gegenſatze gegen bie
aus den organifchen Geſetzen dbgeleiteten Gefege
(3. 3. über" Nofljährigfeit, tiber Eigenthumser-
werb ꝛc.), welche die ins Einzelne des Privatlebens
eingreifenden Beftimmungen für bie Aufrechthaltung
der Herrſchaft des Rechts umſchließen.
13.
Der Unterherfürisebertrag, . |
Allein weder durch die Wereinigung der Ges
ſammth it der Staatsbuͤrger uͤber den Zweck des
V
. a‘
, \
®
470 Staats » und Staatenrecht.
Staates, noch durch die Aufftellung ber Mittel und
Bedingungen, Durd) welche jener Zweck erreicht wer⸗
den foll, find jener Zweck und diefe Mittel für ewige
Zeiten gefichert, wenn nicht in dem Unterwerfungs⸗
verfrage, als, dem dritten Beſtandtheile des
Staatögrundvertrages, die Art und Weife näher:
beftimmet. wird, wie innerhalb des Staates ber Zweck
deſſelben durch die in dem Verfaſſungsvertrage ent-⸗
baltenen Mittel erreicht und für immer ‚gefichert wer-
den Fann und foll. Dies fann blos dadurch geſchehen,
baß die. Geſammtmacht des Staates, doch. nur
für die Aufrechthaltung des Staatszweckes und für:
Die Anwendung des rechrlich geftalteren Zwanges, wie
beide in der Verfaffung :nach allen ihren Beziehun⸗
‚gen beftimme find, dem Oberhaupte des Staates
übertragen werden, wodurch theils alle Staatsbürger
auf die Selbfthülfe. für immer verzichten, theils der
verfaffungsmäßigen Anwendung der Geſammtmacht
des Staates durch den Regenten unbedingt fich unter>
werfen. In diefem Sinne beruht der Unterwerfungs«
vertrag auf der freiwilligen Anerfennung aller
Staatsbürger der im Staate rehtlih bes
gründeten und mit unwiderſtehlicher
Macht bekleideten höhften Gewalt, welde
dem Oberhaupte des Staates für immer übertragen
wird. Diefe Anerfennung der höchiten Gewalt im
Staate wird aber von der Vernunft, fogleih in
in ihrer Idee des Staatsgrundvertrages, von allen
Staatsbürgern mit derfelben Nothwendigkeit ver-
langt, mit welcher fie die Herrfchaft des Rechts als
den hoͤchſten Zweck des Staates, und die Verfaflung
deffelben als den vertragsmäßig feftgefesten Umfang
aller rechtlichen Mittel und Bedingungen für Die Vers
wirklichung des Stagtszweckes aufftellt,
—
\
— Staats und Staatenrecht. 171
Daraus folgt:
4) Urſpruͤnglich ruht die Gef ammtmacht des
Staates — nach allen koͤrperlichen und geiſtigen
Kraͤften, fo wie nad) dem Eigenthume und Ver⸗
moͤgen der Individuen, und nach allen Eigenſchaf⸗
ten, Erzeugniſſen, Geſchopfen und Reichthuͤmern
des Grunbes und Bodens — indem Volke
(doc) ift es irrig, diefe Gefammemadht in ihrem
urfprünglihen Zuftande „Souveraine-
eat’ zu nennen, weil diefer aus der Gefchichte
und Erfahrung ſtammende Begriff erft aus den
pofitiven Staatsverhältniffen auf das philoſo—
phifhe Staatsrecht übergetragen worden ift, und
in diefem blos in der Lehre vonder Anfün-
digung der Regentengewalt vorkommen
fann ).
2) Von dem Augenblicke an, wo ber Staat entſteht,
kann dieſe Geſammtmacht nice mehr vondem
Volke (fo wenig wie die Selbftpülfe von dem
Individuum) geübt werden; denn der Staat ent-
fteht rechtlich, nach Vernunftideen, nur durch
den Grundvertrag, und Diefer Grundvertrag
fehließt, als Dritten wefentlihen Beftandtheil,
die Uebertragung der Geſammtmacht des Volkes
auf den Negenten in fi) ein.
3) Bon dem Augenblide der Entftehung des Staa-
- tes an ift die Anwendung der. Geſammtmacht def
‚ felben nur durch den Regenten rechtlich;
jede Heußerung der Volfsfraft gegen den Willen
des Regenten ift ſchlechthin widerrechtlich.
4)-Der Regent aber , der felbft ein fittliches Wefen
ift und welchem fittliche Wefen — blos für die Ver-
wirflihung des Staatszweckes — ſich unterworfen
4,2 Steats- und Staatenrecht.
haben , darf die Gefammtfraft des Staates, nur
: für den in der Verfaſſüng beftimme aufgeſtellten
Zweck des Staates und in Beziehung auf die in
derfelben Verfaflung enthaltenen Mittel und. Be-
:" dingungen .für die Verwirklichung dieſes Zweckes
‚ anwenden, fobalb diefe Anwendung . rechtlich
, (d, h. dem ewigen Rechtsgefege der Vernunft, und
. ber unerfchütterlihen Heiligfeit des Staatsgrund-
vertrages angemeffen) feyn fol. Denn das Ver-
haͤltniß des Regenten zu der Geſammtheit des Vol⸗
kes beruht auf einem Vertrage, in welchem beide
contrahirende Theile. gegenf: eitig Rechte und
Pflichten uͤbernehmen.
(Nach dieſer Darſtellung wird eben fo der. uns
beſtimmte und fo oft gemißbrauchte Begriff der
_ Volfsfouverainetät, mit Einfhluß der
Rouſſeau'ſchen Lehre, "dag die Regentenwuͤrde
blos ein Staats amt ſey, beſeitigt, wie, von der
andern Seite, in dieſer Darfteflung die höchite
Gewalt im Staate als eine fittliche Kraft, bes
ſtimme für die Leitung fietlicher Wefen, und Lecht.
lich begruͤndet durch die einzig rechtliche Form
der Verbindung unter fittlihen Wefen — durch
Vertrag — erfcheint. Höher fann zugleich das
Staatsoberhaupt‘ nicht geftelle werben, als daß fich
ihm freiwillig die Gefammtheit aller fietlichen Wer.
fen im Volfe unterwirft, und ihm für immer —
Nunter der einzigen Bedingung der rechtlichen
Handhabung — die: Anwendung und Leitung
.. der Gefammtmacht des Volfes und. Staates über-
trägt.)
Staats : und Stcaatenrecht. | 47 3
, 14, "
Unterfchied der bürgerlihen und polifis
| fhen (öffentlihen) Freiheit.
Die Vernunft, wie fie im Naturrechte bie
äußere Rechtsgefellfchaft-aufftelle, betrachtet alle Wex -
fen ber menfchlicherr Gattung als firelih-mündig,..
wie Diefe nach den Gefegen der Vernunft feyn follen;
und im Lichte des deals der Sittlichkeit erfcheinen.
Deshalb kann auch im Maturrechte weder von einem
Unterfchiede zwiſchen ſittlich⸗ mündigen und fittlich-
unmündigen Wefen, noch von einem Unterfchiede zwi⸗
fchen bürgerlicher und politifcher Freiheit die Rede
feyn; die individuelle und öffentliche Freiheit ift viels
mehr im Naturrechte identifch, und Der Zwang
würde ein fremdartiger Beftandtheil in einer Rechtes
‚gefellfchaft feyn, melche unbedingt und ohne Aus⸗
nahme dem Ideale des Rechts entgegenſtrebt.
Allein anders verhält ſich dies im Staats
rechte. Indem ſchon der Begriff des Staates aus
. ber Erfahrung ſtammt; fo fündigen fich aud) die Men-
ſchen ($. 1.2.) in der Wirklichkeit als ſittlich—
muͤndige und als fittlih-unmündigean, und
der Staatsvertrag wird deshalb geſchloſſen, daß
die ſittlich⸗ muͤndigen Mitglieder der bürgerlichen Ges
ſellſchaft für immer — gegen den fehlerhaften oder.
verdorbenen Willen ber fittlich - unmündigen Mitglie⸗
der — in Hinfihe der beabfichtigten Herrfchaft des
Rechts gefichere find, weshalb auch der Zmanıg in:
bem Staate als Das vechtlich geftaltete Mittel erfcheint,
die fittlich - unmündigen Mefen bei der Verirrung
ihrer Freiheit im aͤußern Wirkungsfreife zu bedrohen,
zu beſchraͤnken und zu beitrafen.
Ob nun gleich vor ihrer fehlerhaften und R
u 174 Staats » und Staatenrecht.
artigen Anfündigung im Außern Kreife der bürger-
lichen Verbältniffe die fittlih »unmündigen Wefen,
nad) der Vernunftidee der Geſammtheit des Volkes,
als; rechtlich gefinnte und rechtlich handelnde Wefen
gedacht werden müffen (quilibet praesumitur bonus,
donec probetur contrarium); fo tritt Doch fogleich
nach jener fehlerhaften und bösartigen Anfündigung
der fittlih -unmündigen Wefen nicht nur der that:
fachlich (faceifch) erwiefene Unter ſchied zwifchen fite-
lid -mündigen und ſittlich-⸗ unmündigen Wefen , fon-
bern auch die eigenthbumlihe Stellung des
Staates gegen bie fittlich -unmündigen Wefen ein.
Zwar behalten bie fittlih-unmündigen Wefen
im Staate, fie mögen nun (wie die Unerwachfenen)
im unverfhuldeten, oder (wie die Verdorbenen)
im verſchuldeten Zuftande der bürgerlichen Un—
mündigfeit ſich befinden, alle urfprüngliche, aus
dem Urrechte der Perfönlichfeit (Maturr. $. 14.) her
vorgehende individuelle, Nechte, denn der Charakter
der Menfchbeie ift an fich, unvertilgbar ( character
indelebilis); allein in Hinſicht des öffenelihen
Gebrauches diefer Rechte (d. h. in Hinficht der foges
nannten politifchen Freiheit) tritt das Verbält-
riß ein, daß. nur die fittlih » mündigen im
Beſitze und im Gebrauche der potitifchen
Sreibeitfteben, d.h. an ber Seitung der Staats⸗
geſchaͤfte Antheil nehmen dürfen. Mur fie ftehen
im Beſitze richtiger Kenntniffe über das Wefen und
die innern-Verhältniffe der bürgerlichen Gefellfchaft;
nur fie Haben fich, durch geiftige und fittliche Kraft
und Muͤndigkeit, zur Selbftftändigfeit des’ Urtheils
und der That erhoben, nur fie vermögen die Bedürfe
niffe des Staates richtig aufzufaffen und nach dem ih⸗
nen zugewiefenen Theile (als Volksvertreter, oder als
' /
Sraats- und Staatenrecht. 175
Staatsbeamte) zu leiten, und nur ihrer Fann das
Staatsoberhaupt fich bedienen, um den allgemeinen
Zweck des Staates, fo wie Die daraus bervorgehenden
untergeordneten Zwece, zu verwirklichen. Die Haupt⸗
aufgabe im Staate bleibt daher: daß nur die ſittlich⸗
münbigen im vollen unverfiimmerten Genuffe der öf- -
fentlihen (politifchen) Freiheit, alle Staats- .
bürger aber im Genuffe der bürgerlichen Freiheit
ftehen, fobald nicht ihr verborbener Wille es nörhig
macht, daß der im Staate rechtlich geftaltete Zwang
fie auch der bürgerlichen Freiheit auf längere oder fürs
jere Zeit beraube,
Abgerechnet von dem darin verſteckten deſpoti⸗
ſchen Sinne, hatte im Allgemeinen Napoleon
fehr recht, wenn er ſprach: „es muß alles für
das Volk, nichts durch das Volk gefchehen.
Weder die Mafle, als Mafle, noch) aus der Maſſe
des Volfes die fitrlic)- unmündigen ditrfen Das oͤffent⸗
liche Staatsleben leiten. Deshalb muͤſſen in repraͤ⸗
fentativen Staaten die fogenannten Urverfamm-
lungen, an welchen ſittlich⸗ muͤndige und fittlich-
- unmündige ohne Unterfchied Antheil nehmen, eben
fo zur Volkswillkuͤhr und Anarchie führen, wie
: eine von oben anbefohlene oder doch bevormunbete
Wahl der Wolfsvertreter von ber andern Seite das
ganze repräfentative Syſtem in eine leere Ceremo-
nie verwandelt. Die Mitte zwifhenden Er-
tremen führt zum Ziele; der Staat veraltet
und ſinkt eben fo durch Deſpotie, wie durch Anar-
hie; denn in beiden fteht das ſittliche Verhaͤltniß
des Oberhaupts und der Regierten ohne alle Ge⸗
waͤhr! —
Mit den im $. aufgeſtellten Sägen ſtimmt zu⸗
| fammen, was das Journal des debats im Vebre |
176 Stats» und Staatenrecht.
: 4822 (wahrſcheinlich als Reglerungsgrundſaͤtze bes
- Minifterialpräfidenten des Grafen Vil lele), aus⸗
ſprach: „Wir wollen die bürgerliche, Die res
* ligiöfe, bie Gewerbefreiheit für Alle
and SGede, wie fie das Gefes für Alle gleich.
mäßig beftimme hat; wie wollen feine Privilegien,
als folche, die von.der. Staatsverfaffung ausgehen,
und zu welchen ein jeder durch Verdienft und Ta-
lent gelangen Ffann. Wir wollen. als conffitutionelfe
. und unverleßbare Sarantieen der bürgerlichen reis
beit bie Geſchwornengerichte in allen Pro»
zeffen, wo der Einzelne gegen die gefellfchaftliche
Gewalt anzufämpfen bat; wir wollen die Pre-
freiheit, theils um allen Handlungen der Staats⸗
behörden und allen Beſchwerden, welche diefe
. Handlungen veranlaflen Eonnen ; Deffentlichfeit zu
.. geben, theils um die Volksintereſſen und die öffent-
. lihen Angelegenheiten zu berathen; wir wollen .,
- Gemeindeeinrihfungen, nad) Maasgabe
der. Dertlichfeie verſchieden organifirt, aber ſaͤmmt⸗
lich dazu beftimme, daß diebürgerliche Frei—
beit aufrechterhalten werde, die Mafje des
. WBolfes bei der Eehaltune der Ordnung ‚ihr In⸗
terefle finde, und DBerbeflerungen in der Verwal⸗
:..fung angeregt und zu Stande gebracht werden,
- worüber die Bureaus der Centralverwaltung nur
das Recht der Kontrolle haben dürfen. — Wir
‚wollen aber die politifche Freiheie niche für
Alle und Jede, fondern nur für diejenigen
‚ Klaffen, denen die Staatsverfaffung. das- Recht
gibt, Antheil daran zu nehmen. Die politiſche
Freiheit ift die Theilnahme an.der fou-
. verainen Gemwalf, an: der feitung der
+, Staatsgefhäfte. Nicht alle und jebe befigen
Staars- und Staatenrecht. 177
die erforderliche Unabhaͤngigkeit, die erforderlichen
Eigenfhaften, Tugenden, Beiftesfräfte und Ta-
lente, um einen felbft nur befchränften Theil diefer
Gewalt. auszuüben. Daher muß die Conſtitution
einen Kreis zeichnen, der die Maffe des Volkes
von einer ausgefuchten Zahl- Staatsbürger, Die
materielle Nation von der politiſchen
Nation, frenne Diefem Kerne muß die
politifhe Freiheit allerübrigenanver-
traut werden. Die (franzöfifche) Churte ver:
theilt dieſe politifchen Rechte unter die Pairs,
die Depufirten und die Wahlhetren. Allen
übrigen Staatsbürgern hat fie nur das Recht ein-
geraumf, ihre Meinungen, felbft die politifchen,
doch bei Vermeidung ber Strafgefege, befannt zu
machen. Dieſes Recht ift eine Urt von gut⸗
achtender (confultativer) Stimme in Sathen der
Politik, wogegen die Pairs, die Deputirten und
die Wahlherren berathende (deliberative) Stim⸗
men haben. — Bei biefer Concentration ber
politifchen Freiheit gewinnt das Ganze; denn fie
wird von jerien aufgeflärten und unabhängigen
Männern mit mehr Weisheit und Geſchicklichkeit
gehandhabt, und ift auch weit ſtaͤrker und maͤch⸗
tiger, als wenn ſie in kleine Abſchnitte getheit
wird.“
15.
by Lehren von den einzelnen rheilen der
hoͤchſten Gewalt im Staate.
Der Staat beruht, nach der Idee der Vernunft, |
auf einem Grundvertrage , welcher als einzelne Theile
den Bereinigungs, ben Berfaffunge: und
-
478 Staats» und Staatenreche.
den Unterwerfungsvertrag umſchließt. Auf
gleiche Weiſe verhält es fi mit der hoͤch ſten Ge-
walt im Staat, Sie kann, nach der Idee ber
Vernunft, nur Eine feyn; allein jede Idee läßt
ſich in,ipre einzelnen Beftandtheile auflöfen und nach
ihren Merkmalen zergliedern. Die höchfte Gewalt
. ‚im Staate ift feine blinde und mechanifche Kraft;
denn fie gebietet zwar über die phyfifchen Kräfte
aller Staatsbürger, diefe Kräfte aber find Kräfte
organifirter Gefchöpfe , mithin wirffam nad)
organifchen — nicht mechaniſchen — Gefegen, und
wirffam für die Erftrebung eines. gewiflen Zweckes.
Die hoͤchſte Gewalt im Staate gebietet zugleich über
die gefammten geiftigen und fittlichen Kräfte
aller Staatsbürger, und deshalb muß von ihr alle
Laune und alle Willführ, als den fittlichen Zwecken
geradezu entgegen, ausgefchloffen werben. Die höchfte
Gewalt im Staate ift endlich, ihrem Wefen und ihrer
Anfündigung nad), frei und ſelbſtſtaͤndig; allein ihre
Wirkſamkeit, als die Wirkſamkeit einer vereinig-
ten phnfifchen, geiftigen und fittlichen
Kraft, it an die Vermwirflihung des
Staatszwedes gebunden.
So wie daherder Geſammtwille aller Staats-
buͤrger zufammentrifft in’ der Beſtimmung ber recht⸗
‚lichen Form des Staates vermittelft des Urvertrags
nad), feinen drei wefentlichen Beſtandtheilen; fo wird
auch Vie Geſa mmtmacht des Ganzen, doch nur für
die Aufrechthaltung und Behauptung des Staats:
zweckes, unauflöslich vereinigt und dem Ober-
haupte des Staates übertragen, ber nad) feiner Per-
fönlichkeit als Repräfentant derfelben erfcheint. Allein
die Höchfte Gewalt wirb im Begriffe unter fie
Ben nad) ihren beiden wefentlichen theilen als
—
Staats» und Staatenrecht. 179
gefeggebende und vollziehende Gewalt-°),
Daraus. folgt,. ‚daß die Vernunft zwar im Staate
eine Theilung ber hoͤchſten Gewalt, nie aber eine
Trennung diefer Theile gutheißenfann, Getheile
denke fi) die Vernunft die höchfte Gewalt, nicht
als ob die fichebare Ankündigung (Repräfenta-
tion) derfelben im. Staatsoberhaupte eine Theilimg
derſelben zuließe, oder als ob die vollziehende
Gewalt noch einen andern Mittelpunct haben koͤnnte,
als in dem Staatsoberhaupte; wohl aber infofern,
inwiefern zur gefeßgebenden Gewalt die Vereini«
gung der gefammten Intelligenz und der gefammten
fietlichen Kraft im Staate erfordert wird; denn alt
weife ift nur Einer, und deſſen Allweisheit und All»
gerechtigfeit liege nicht im Bereiche der Sterblihen!
Die Theilung befteht daher in der Unterfcheidung
und erfahrungsmäßigen Wahrnehmung der in Einem
Ganzen aufs innigfte verbundenen einzelnen Beftand»
theile; die Trennung hingegen in der völligen Ab-
fonderung diefer Beftandtheile von einander und in
ihrer Entgegenfesung. Kein Staat wird auf '
die Dauer beftehen, ober in fih zur Eintracht fom-
men, wo bie gefeßgebende Gewalt auf ber Tren-
nung und Entgegenfegung des Regenten und
ver Volfsvertreter beruht; die Theilung ber gefeg-
*) Die richterliche Gewalt gehört, nach ihrer Eigen’
thuͤmlichkeit und Selbſtſtaͤndigkeit, zur Verwal
tung im Staate, und kann daher nicht als Theil,
fondern nur als Ausfluß der hoͤchſten Gewalt be
trachtet, mithin auch mit der gefeßgebenden und
vollgiehenden Gewalt niht auf gleide Linie
geſtellt werden. Es gibt Leine trias politice,
wiewohl fie von vielen Britten, Branzofen und
Teutſchen, felbf von Kant behaupter worden iſt.
- 12* |
180 Etaats» und Staatenredt.
gebenden Gewalt aber zwifchen dem Negenten und
den Volfsvertretern wird die Vereinigung der Ge-
fammtintelligenz und der gefammten ſittlichen Kraft
au Einem Ganzen bemirfen.
16.
Die gefeggebende Gewalt.
Die gefesgebende Gewalt bat im Allge⸗
meinen bie Beftimmung, feftzufegen, mas, nad) dem
-Mereinigungsvertrage, mit dem Zwede des Staates
übereinftimmt; was, nad) dem Werfaffungsvertrage,
der eigenthümlichen Berfaflung des Staates entfpricht,
was mithin Recht ift im Staate, wie Rechte ermor-
ben, behauptet und geltend gemacht werden, und mie,
nad) dem Unterwerfungsvertrage, der Zwang im gan⸗
zen Umfange des Staates eechelich geftaltee feyn und
rechtlich angewandt werden ſoll. Es muͤſſen daher
in der Verfaſſung die wefentlichen Beitandtheile der
organifhen Gefeggebung im Staate enthalten
feyn; fo daß Die gefeggebende Gewalt aus dieſen
Beftandrheilen nicht nur die einzelnen organifchen
Gefege für die im öffentlichen Staatsleben vorkom⸗
menden Fälle feſtſetzt (z. B. das Detail des jährlichen
Budgets aus den allgemeinen, in der Verfaffung ent
haltenen, Beſtimmungen über das Budget), fondern
aud), geflügt auf die organifchen Geſetze, aus den»
felben die einzelnen Vorfchriften des bürgerlichen und,
Strafgefegbuches ableitet. Denn die rechtliche Form
des Staates verlangt, daß die Verfaffung nur die
allgemeinften vertragsmäßigen Bedingungen zur
- Vermirflihung des Staatszwedes, und in denfelben
die Grundlage der ganzen organifchen Gefeßgebung,
fo wie wieder die Geſammtheit der organifchen Gefege
Staats: und Staatenrecht. 181
\
die rechtliche Grundlage des beftehenden bürgerlichen
und Strafgefegbuches in ſich enthalte.
Ob nun gleich alle organifche und alle aus
denfelben abgeleitete Gefege im Staate nur im
Namen der höchften Gewalt befannt gemacht und im
Auftrage derfelben vollzogen werden können; fo wird
doch zur Berathungbiefer Gefege die Berüd:
fichtigung der gefammten Intelligenz und
der gefammten ſittlichen Kraft im Staate
"erfordert. So groß aber auch der Umfang diefer In⸗
tefligenz und diefer fittlichen Kraft in dem Regenten
und feinen ihn zunächft umgebenden Staatsbeamten
feyn mag; fo kann ihnen doch, da fie Menfchen find
und bleiben, nicht die gefammee Intelligenz und
die gefammte fittliche Kraft beimohnen, welche im
Staate getroffen wird *). Allein diefe Intelligenz
und biefe fittliche Kraft kann im Staate nicht bei den
ſittlich unmuͤndigen, fondern nur im Kreife der fitt-
lich⸗ mündigen Bürger ($. 14.) gefucht werden; des⸗
halb Fönnen aud) die Wertreter der Geſammt⸗
heit des Volkes nur aus der Mitte der fittlich-
muͤndigen Staatsbürger hervorgehen. Der Antheil
diefer Vertreter des Volkes an der böchften Gewalt
kann aber nur auf die gefeggebende, nie auf
die vollziehende Gewalt ſich beziehen; er darf ferner
nie auf eine Trennung der böchften Gewalt,
fondern nur auf eine Theilung derſelben, welche die
innigfte Bereinigung zur Verwirklichung des Staats⸗
*) Schr wahr fast Fr. Jacobs in f. vermifchten
"Schriften Tb. 1 (Gotha, 1823, ©. XVIII.):
„Es ift kein Monarch, der fich nicht, wenn er will,
. alles Seiftes bemächtigen könnte, der fich in feinem
. Bersihe findet.” . .. u
182 Staats « und Staatenrecht.
zweckes beabſichtigt, berechnet ſeyn; er muß endlich,
nach ſeinen Grundzigen, in der Verfaffung mit Des
ſtimmtheit erfannt werden.
Am zweckmaͤßigſten ſcheint es zu ſeyn, daß die
ſogenannte Initiative (das Recht des erften Vor⸗
ſchlags, der Veranlaſſung und Anregung) der Seſetze
beiden, dem Staatsoberhaupte und den Volksver⸗
tretern, gleichmäßig zuftehe, doch fb, daß wenn
der Gefegesvorfchlag von dem Staatsoberhaupte aus⸗
geht, den Wolfsvertretern die freie Annahme ober
Verwerfung deſſelben, dagegen wenn der Gefeges-
vorfchlag von den Volfsvertretern herrührt, gleichfalls
Die freie Annahme oder Verwerfung defielben bem
Stautsoberpaupte zufomme ). — Wenigftens muß
”) So tft es in der, durch eine Praris von Jahrhun⸗
derten bewährten, brittiſchen Verfaſſung. —
Mit dem, was im $ aufgeftelle iſt, ſtimmt im Als”
gemeinen das überein, was fr. ®u hol; (Mar
ginalien zu der Scrift: Anfiht der ſtaͤndiſchen
Verfaffung der preußifhen Monarchie, Verl, 1822, .
.16.) mit gewohntem Scharflinne als Boſtimmung
der Volksvertreter aufftellt: „Fuͤrſt und Volk gehören
für einander; * und indem beide den Staat,
d. h. die geordnete Sefellfchaft,, Bilden, kommt alles
darauf an, daß die -Autorität des Erſtern in_dem
willigen Sehorfame der letztern immer Aufmuntes
- rung und Stütze finde. — Wie dies bewirken?
Es gibe für diefen Zweck nur Ein Mittel, welches
darin beſteht, daß man Anitalten trifft, die Har⸗
monie zwiſchen Fuͤrſt und Volk vorzuͤglich dadurch
zu ſichern, daß beide ſich immer gegenwärtig blei⸗
ben. Und wie dies einleiten? Durh ein Neprä
fentativfyfkem, in deffen Kraft derjenige
Theil des Volkes, deffen Urtheil allein
Berädfihrigung verdient, dem Färften ime
mer vergegenwärtigt wird; etumat als Zeuge fele
Staats- und Staatenrecht. 183
in demjenigen Zweige der Gefeggebung, welcher Die
perfönliche Freiheit, das Eigenthum und befonders
die Befteuerung der Staatsbürger betrifft, ben
Volksvertretern nicht bios das Recht ber Mitbera⸗
thung und. bee Bewilligung, ſondern hauptſaͤchlich
bei dem letztern Gegenſtande, das Recht der Mit⸗
wirkung, ſo wie, nach Ausmittelung des Budgets,
das Kecht.des Antheils an der Vertheilung der
bewilligten Steuern und Abgaben auf die einzelnen
Kreiſe und Ortſchaften, an der Erhebung und
Verwendung derſelben, und an der Controlle
über diefe Erhebung und Verwendung zuſtehen.
17.
Die vollziehende Gewalt.
Die Wirkſamkeit der vollziehenden Gewalt im
Staate beſteht in der Bekanntmachung, Ausfuͤhrung
und Werwirflihung der in der Staatsverfaſſung bes
gründeten, und durch die gefeßgebende Gewalt im
Einzelnen ausgefprochenen rechtlichen Beftimmungen,
Der fichtbare Repräfentant derfelben ift das Staats⸗
oberhaupt. Unter demſelben gehoͤren aber zur voll⸗
ziehenden Gewalt alle Staatsaͤmter, ſelbſt die der
richterlichen Gewalt, mit alleiniger Ausnahme der
eigentlichen Stellvertreter des Volkes, fo lange beren
Hohe Würde verfaflungsmäßig dauert. “Die voll»
giehende Gewalt umfchließt daher alle einzelne Zweige
ner Öffentlichen Handlungen; zwei tens als Ratte .
geber in zweifelhaften Faͤllen; drittens als
> bülfe, fo oft es darauf ankommt, neue Maasregein
“zu nehmen, deren Nothwendigkeit oder Güte’ nicht
fogleich einleuchtet.‘
⸗
134 Seaats⸗ und Staatenrecht.
und Theile ber aichterlichen, polizerlichen, ſtaatswirth⸗
ſchaftlichen (finanziellen) und Friegerifchen Verwal⸗
tung. Sie wagt darüber, daß in feinem einjol⸗
nen Fall⸗ von der Verfaſſung Ind von den Entſchei⸗
dungen der geſetzgebenden Gewalt abgewichen, und-
nie die Herrſchaft des Rechts im Umfange des Sta;
t68 beeintraͤchtiget ober gefährdet. werde. Für alle,
biefe Zwecke gebietes, die volliehende Gewalt uͤber Dig,
Gefammtmacht. des Staates, und Über die Anwendung.
und- feitung des rechtlich geftalteten Zwanges. Alp
‚ einzelne Verordnungen und. Verfügungen der voll⸗
ziehenden Gewalt geſchehen im Namen des Staats⸗
oberhaupts.
Das rechtliche Verhaͤltniß des Staatsoberhaup⸗
tes zu der Geſammtheit der Staatsbürger beruht
auf den’ Beftimmungen des Verfaffungs - und Un-
si:terwerfungsverfrages. - Nun kann zwar ;” nad)
p:den Ausfagen der Gefchichte, der Wirfungskeris
deſſelben, nad) jenen Beftimmungen „in einzel⸗
nen Staaten mehr erweitert, in andern (3. B.
„in Großbritannien) mehr beſchraͤnkt erſcheinen,
. ohne daß der. Zweck des Staates felbft dadurch ver
„: hindert-würde ; allein, nach, bem Zeugniffe der Er=
fahrung, führt. Die Ausfchließung des Negenten von
ber Initiative der Gefege zu einer Schwäche der
: Öffentlichen Macht, welche die Dehnung und Sicher-
heit des Ganzen gefährdet, fo wie unaufhaltbar zue
Tre nnung (nicht Theilung) der hoͤchſten Gewalt,
in welcher Regent und Volksvertreter als einander
entgegengeſetzte und entgegen wirkende Kräfte er:
feinen. Be
„. In einem auf Vertrag beruhenden Staate hängt
„übrigens die Rechtlichkeit der Regentengewalt ab
von dem geleifteten Eide des Regenten auf bie
L
> —E 7
—
..
BE 77
Smats + und Staatenrecht. 485
WVWerfaſſung, und von der Huldi gu ng bes Volkes
; vermittelt feiner. Vertreter, in Angemeſſenheit zu
dem von dem Negenten geleifteten Eide. —
| — 18. —— v
6) Lehre von der rechtlichen Form ber Vers
° faffung und Regierung des Staates, "
Eine Staatsverfaffung, welche den Forderungen,
der Vernunft entfprechen foll, muß den allgemeinen
Zweck des Staates in Beziehung auf ein gegebenes
(d. h. auf ein in der Wirklichkeit vorhandenes) Volk,
nad) dem, ganzen, Umfange der Bedürfniffe und Vers
haͤitniſſe dieſes Volfes, verwirflichen und ficher ftellen.
Meil aber jedes Wolf nad) feiner Individualität, nach
dem Boden, den e8 bewohnt, nad) dem erreichten
Grade der Kultur feiner Bürger‘, und nad) den be⸗
reits früher in feiner Mitte beftandenen rechtlichen
Verbältniffen, von allen andern Völkern weſentlich
verſchieden ift; fo muß auch die Verfaffung eines jeden
Volkes im Einzelnen ganz nach diefen befondern
PVerbältniffen feiner Individualität, und nad) den
zeitgemäßen Bedingungen feines innern und Aus
ern organifchen Lebens fich geftalten. Es merden.
daher, im Kreife der Erfahrung, bie Verfaflungen
der einzelnen Völfer und Staaten in vielfachen Bes
ziehungen weſentlich von einander verfchieden feyn,
weshalb das philofophifche Staatsrecht in der Lehre
von der Verfaflung nur die allgemeinften und
mothwendigften Bedingungen des recht—
lihen organifchen Lebens eines Staates
aufftellen kann, ohne über die einzelnen und nähern
Beftimmungen veflelben eine Entfcheidung fi) anzu:
maßen. — Im Allgemeinen verlangt aber die
186 Staats» und Staatenrecht,
Vernunft, daß jede Staatsverfaffung diejenigen Mit⸗
sel und Bedingungen umfchließe, durch welche der
Zweck alles Staatslebens: die Herrf haft des
Rechts an ſich, dauerhaft begründee und gefi ichert
wird, mobei fie es nicht blos gutheißt, ſondern ſogar
verlangt, daß: die einzelnen Beftimmungen dev,
ins. toirfliche Staatsleben eintretenden Verfaffungen
durchgehends nach der Eigenthümlichfeit des Volkes
und nad) der von demfelben erreichten Stufe der gei-
fligen und fietlichen Kultur, fo wie nad) ber, von,
diefer Kultur abbängenden, erreichten Stufe der bürs
gerlichen und politifchen Mündigfeit ver Mehr
zahl feiner Mitglieder fich richten muffen.
4% |
Die e allgemeinen Vernunftbedingungen
‚für jede rehtlihe Verfaffung..
Qu den alfgemeinften und nothwendigflen Bes
dingungen des rechtlichen organifchen $ebens eines
Staates, melde baher die Grundlage einer jeden
Verfaſſuag bilden muͤſſen, die dem Ideale der Herr⸗
ſchaft des Rechts entſprechen ſoll, gehoͤren folgende:
1) Die Verfaſſung muß beruhen auf dem
Urrechte der Perſoͤnlichkeit (Naturr. $. 14); fie
muß‘ alfo die aus demſelben entſpringenden ur⸗
fprünglihen (Naturr. $. 16 — 22) Rechte: das
Hecht auf perfönliche Freiheit, auf Außere Gleich-
; beit, auf Sreiheit dee Sprache, ber Prefle und
des Gewiffens, auf guten Namen, auf Eigenthum,
auf öffentliche Sicherheit und auf Abſchließung der
Vertraͤge, entweder als foͤrmlich ausgeſprochene
Grundgefege des Staates in ſich aufnehmen, oder
X
Staats » unb Staatenrecht. . 4187
doch ſullſchweigend ſolche vorausfegen und aner-
: fennen *).
2) Sie muß die Bedingungen auffteflen, unter
welchen das Staatsbürgerrehe erworben und
- behauptet wird, und wodurch es verloren geht.
3) Sie muß die geographifche Einthei—
- fung des ganzen Staatsgebietes in Kreife und
| Bezirke, nad) einem richtigen ftatiftifchen Grund⸗
faße in Hinfiche auf den Flaͤchenraum und auf die
Geſammtbevoͤlkerung , fo wie mit ſteter Beruͤckſich⸗
tigung der verſchiedenen Zweige der öffentlichen
Verwaltung, aufſtellen.
4) Sie muß das Verhaͤltniß der beiden Theile .
der höchften Gewalt, der gefeggebenben und.
vollziehbenden, gegen einander , nad) dem Um-
fange und Grenzen ihrer Wirkſamkeie darſtellen;
namentlich muß fie die Beſtimmung und den Um⸗
fang der Wirffamfeit der gefeggebenden Ge-
walt nad) dem Antbeile bezeichnen, welchen \ge-
meinfchaftlich der Regent und die Vertreter
bes Volkes an derfelben haben follen, '
5) Sie muß ſowohl die Beftimmung und ben
Umfang der Wirffamfeit der Wolfsvertreter
in Hinſicht auf Gefeggebung und Befteuerung, als
die Art und Weiſe der Volksvertretung felbit (ob
: in Einer oder in zweien Kammern; ob nad) Stän-
" den, oder aus ber Geſammtheit des Volkes gewählt;
fo wie die beftimmte Gefammtzahl der Volksver⸗
ereter , die Form ihrer Wahl, bie Zeit und Dauer
“ihrer Sufammenberufung ‚ die Form ihrer bfeiben-
* Da dieſe Ausführung der urſpruͤnglichen Rear.
des Menfchen bereits im Naturrechte ($. 16°— 22.)
geſchehen If; fo wird fie Hier nicht wieberholt. .
j
fi .
. 188. Staats- und Staatenrecht.
ben uud temporellen · Ausſchuͤſſe), und die Grund⸗
zuͤge der, der Volksvertretung zum Grunde liegen⸗
den, Gemeindeordnung aufftellen,
. 6) Sie muß den Umfang und die Wirkfamkeit
der vollziehenden Gewalt, theils nach der Heiz
ligkeit und Unverlegbarkfeit der Perfon des Kegen-
„ten, theils nad) der Verantwortlichkeit aller Staats-
beamten in Hinſicht der ihnen übertragenen einzel-
.. nen Zweige der Verwaltung in ber. Gerechtigkeits⸗
..pflege, in der Polizei, im Finanz» und im Kriegs-
wefen genau entwideln,
7) Sie muß, geftügt auf ein ber Verfaſſung
voͤllig angemeſſenes und von den Volksvertretern
gepruͤftes buͤrgerliches und Strafgefegbud,
‚und auf ein, mit dem Geifte beider übereinftimmen-
des, Geſetzbuch fuͤr das gerichtliche Ver—
f abren, die Beftimmung, den Umfang und bie
Formen der Wirffamfeit der richterlichen Ges
walt nad den einzelnen Behörden derfelben genau
„ verzeichnen, fo wie die völlige Unabhängigfeit des
richterlichen Standes in Hinfiht feiner Aus»
fprüche. von irgend einem KEinfluffe der gefeß-
gebenben oder vollziehenden Gewalt. auf denfelben,
ausfprechen. \
95 ) Sie muß, in Beziehung auf bie einzelnen
Zweige der Verwaltung, die völlige Tren«
nung der Gerechtigkeitspflege von der Polizei und
der Finanzverwaltung, fo wie der beiden legtern
von einander, in Hinfiht aufdas bei Die
fen Theilen der Verwaltung angeftellte
Perfonale, feftfegen; den, Umfang und die
‚Grenzen der Polizei, bie Art und Weiſe ver
Steuererhebung, fo wie die allgemeinften
Ä Grundfäge für die Vertheidigung des Staates ver»
Staats» und Staatenredr. 189
mittelft der aus ber Geſammtheit bes Volkes aus-
zubebenden bewaffneten Macht verzeichnen.
9) Sie muß über das rehtlihe Verhaͤlt⸗
niß der Kirhe zum Staate überhaupt, fo
wie über die Rechte und die rechtliche Stel-
(ung der verfchiedenen kirchlichen Ge-
fellfhaften im Staate gegen einander,
einen allgemeinen feften Maasftab aufftellen.
10) Sie muß endlich den Begriff und die Be⸗
Dingungen ihrer zeitgemäßen Fortbildung, Ergän-
zung und Veraͤnderung, in Angemeffenheit des
Fortſchreitens des Volkes zu einer höheren geiftigen,
fieelichen und polisifchen Reife und Muͤndigkeit, in
fich felbft enthalten.
’
| 20. |
. Erwerbung bes Staatsbürgerredes.
Der Anfpruch auf das Staatsbürgerrecht wird
erworben durch die Geburt von Staatsbürgern und
durch die Erreichung des im bürgerlihen Rechte
gefeglich ausgefprochenen ‚Sebensalters der phyfifchen
Muͤndigkeit; fo wie das Staatsbürgerrede
. feld ft durch den Antheil an den öffentlichen Leiftungen
für die Zwecke des Staates und dur) die förmliche
Anftellung im Staatsdienftee — Die Kinder,
welche von Staatsbürgern gebohren werben , gehören
zwar durch ftillfehweigenden Vertrag zu den Mitglie-
bern des Staates, dürfen aber das volle Staats-
bürgerrecht nisht eher anfprechen „ als big fie, im Zeit«
alter der erreichten Mündigfeie, nad) ihren finnlichen
und geiftigen Kräften für den -Zwed des Staates wir⸗
fen, und die in dem Staatsgrundvertrage enthaltenen
Seiftungen übernehmen fönnen, Bis dahin gilt das im
190 Staats » und Staatenrecht.
Naturrechte aufgeftellte Helternrecht (Naturr. $. 31).
Der Staat hat aber das Recht und die Pflicht „ für
ihre zweckmaͤßige Erziehung zu Menfchen und zu Bürz
gern zu forgen, weil ihm nicht blos daran liegen darf,
daß er als bürgerliche Gefellfchaft in feiner Volkszahl
fortbeftehe, fondern daß auch das Fünftige Geſchlecht
‚für den allgemeinen Endzweck der Menſchheit, fo wie '
für den befondern Zweck des Staates erzogen und zur
hoͤhern Reife fortgeführt werde. Doc) folge Daraus
keinesweges, daß die Kinder ein Eigenthum bes
Staates feyen, weil das Eigenthumsrecht des Staa:
tes nur über Sad, nie über Perfonen ſich eefteeden
ann.
21.
Auswanderungsredt.
Das Recht, den Staat zu verlaffen (jus emi-
grandi), ftebt jedem Staatsbürger zu, fobalderfih
| überzeugt Hat, daß er nicht länger innerhalb des Staa-
tes den Endzweck des menfchlichen Dafeyns überhaupt,
und die ihm als Bürger obliegenden befondern Ver⸗
bindlichkeiten erfuͤllen koͤnne; doch darf er, weil er
mit dem Staate durch Vertrag verbunden iſt, den⸗
ſelben nicht eigenmaͤchtig oder heimlich, ſondern nur
nach gehoͤriger Anzeige an ſeine vorgeſetzten Behoͤrden
verlaſſen. — Sobald aber der Staatsbuͤrger ſeinen
Vertrag mit dem Staate bis dahin gewiſſenhaft er⸗
füllte, und er den Staat nicht aus. böfen und gefähr-
lichen Abfichten gegen denfelben verläßt, oder um den
ihm obliegenden bürgerlichen Seiftungen (Abgaben,
Kriegsdienſt u. ſ. w.) ſich zu entziehen; oder auch um
einer bereits uͤber ihn verhaͤngten Strafe zu entgehen; °
ſo bat ber Staat fein Recht, demſelben die Auswan⸗
Staats» und Staatenrecht. 191
derung zu verweigern, ober von deſſen fahrenden
Eigentum und Vermögen eine Nachiteuer (Abzugs-
geld) zu verlangen,
t
22. |
Verluft des Staatsbuͤrgerrechts.
Yeber die Urfachen, durch welche das Staats»
bürgerrecht verloren gebt, muß theils die Verfaſſung
im Allgemeinen, theils das bürgerliche und Strafge-
fegbuch im Befondern entfcheiden. Im Allgemeinen
geht es verloren durch fürmliche Auswanderung , fo
wie durch Miederlaffung und Annahme von Aemtern
im Auslande; im DBefondern durch richterliche Ver-
urtheilung zu peinlichen Strafen. Denn nie anders,
als durch richterlichen Ausſpruch in Angemeſſenheit
zu einem begangenen Verbrechen, und durd) Belegung. ..
mit einer entehrenden Strafe, darf das Staatsbürger»
recht im Einzelnen rechtlich entzogen werben.
Die einftweilige Sufpenfion bes Staats-
bürgerrechts wird in jedem Staate durch das bür-
gerliche und Strafgeſetzbuch beftimmt, und fann in
beſondern Fällen felbft von Grundſaͤtzen der Staats»
kunſt abhängig feyn. Diefandesvermeifung
- Bingegen, als bürgerliche Strafe, darf nie nad) den .
Grunbfägen des Staatsrechts ausgefprochen wer-
den, weil fein Staat dem andern feine verbächtigen
und gefährlichen Bürger zuſchicken darf. Doch
koͤnnen bisweilen politifche Ruͤckſichten die Landes⸗
vermweifung entfchuldigen, worüber die Staatsfunft
entfcheide. Dagegen fann die Verbannung
von Verbrechern in entfernte, demfelben Staate
zugehörende, Kolonieen (3. DB. nad) Botanybay),
mit Ausſchluß von den Rechten eines Staatsbür-
\ N
192 Staats- und Staatenrecht.
gers, durch das’ Geſetz nad) Grundſaͤtzen des
Staatsrechts beſtimmt werden. |
23. '
Maturalifirung der Fremden,
Was die Aufnahme von Fremden und bie Er-
theilung des Bürgerrechts an diefelben betrifft; fo
‚muß die Verfaffung des Staates im Allgemeinen fefts
ſetzen, unter welchen Bedingungen und bis wie weit
‚Ausländer zu naturaglifiren find. So menig dabei auf
die Verfchiedenheit der kirchlichen Bekenntniffe gefehen
werden darf; fo nöthig ift es doch, daß feiner das
Staatsbürgerreche erlange, der entweber einen andern
‚Staat als Schuldiger verlaffen, oder doch feinen
Verpflichtungen gegen denfelben nicht völlige Genuͤge
geleiftee hat, oder ber dur) feine Aufnahme den wohl-
erworbenen Rechten der vorhandenen Staätsbürger
Eintrag thun würde. Befonders muß bei ber Aufs
nahme von Fremden in Maffe die größte Vorfiche
aͤngewandt, und genau berücfichtige werden, ob man
Diefen Fremden den völligen Umfang, aller Bürgers
rechte (3.8. felbft zu Staatsdienften gelangen zu fön-
nen), und vielleicht fogar mit gewiffen mefentlichen
Vortheilen bei ihrer Einwanderung verbunden, oder
nur die unmittelbar perfönlichen Staatsbiirgerrechte
(Befreiung von Seibeigenfchaft u. f. m.) zugefteht.
Die Staatsfunft hat dabei zu berückfichti-
gen, ob die. Ausländer unzufriedene Emigranten,
oder fleißige Koloniften find; ob der einheimifche
Staat, der fie aufnehmen will, nur ſchwach, oder
bereits übervölfere iftz ob Glaubenszwang und
kirchlicher Berfolgungsgeift, oder politifcher Seften-
geift fie vertreibt; ob fie arm, oder mit Vermögen
7 Baar und Gmarenrchs 193 |
die Aufnahme wünfchen ; es man durch ihre Auf⸗
nahme vielleicht mit dem’ Scaate via, ben fie
. welaſſen u fi 10» oo A
—J— | 24. 1
Ver ſhiede nheit der Staatsbaͤrger, und
nr beben Eintheilung.
Obgleich. ‚abe, Staatsbürger, in f ormeiler PR
Gehe, d. h. nach den urfprünglichen, aus dem Urrechtco
ber: Perſonlichkeit hervorgehenden Rechten, einander
gleich find, fo wie fie alle in ‚ihrem außern Ruhte-
Eyeifg den Zweck des Staates befördern fellen:und koͤnn
nen; fo wird doch dadurch ihre Verſchiedenheit und:
Ungteichheit in-materietler Hinſicht nicht aufge
hoben. - Diefemaferielle Ungleichheit berußt aber auf
ber- Verfchiedenpeit ‚der phnfifcheh Kraͤfte, der geiſti⸗
gen Talente, der erlangten Kenntniſſe, der gewoͤhl⸗
ten Berufsarten, des ererbten oder erworbenen Eigen-
thums und Reihtgums, und der dem Staate in deſſem
Aemtern bereits geleifteten, oder. noch zu leiftenden-
Dienfte; überhaupt auf dem Unterſchiede der. phy⸗
ſiſchen und ſittlichen Nuͤndigkeit und Un:
munbigfeit. A
Pon fo graßer Wichtigkeit alfo auch der Glurde
befig des Bodenß im Staate, fa wie, bei ber Erblich
keit des rechtlich erworbenen .Eigenehums,, jebes. mitt.
bem-Orundbefige verbundene Recht var der Vernunft‘
guͤltig iſt; fo kann doch weder von Djefem Grundbeſitze,
noch von der bloßen verſchiedenartigen Anfündigung:
der geiſtigen Talente und Kraͤfte die Eintheilung der.
Staatsbuͤrger in einzelne Klaſſen ober Staͤnde ab
haͤngig gemacht werden. Es bedingt die Vernunft
vielmehr dieſe Eintheilung der Staatsbürger: theils
. LI ‚43 -
18: Ecaats- und Geaatenrecht.
nach ihrer yerfäntihen Selbſtſtaͤndigkéit,
nad) welcher die Thaͤtigkeit der Individuen zumachft
von ihren eigenen Rechten und Kräften, und wicht
von der Willfühe Andrer abhängt; theils nach ihrer
geiftigen und ſittlichen Mündigfeit, nad
welcher blos bie durch ihee Einfichten. und Kenntnifle
Brauchbaren, und die nach ihrer firtlichen Ankuͤndi⸗
. gung Bewaͤhrten zur unmittelbaren und unbes
ränften Theilnahme an allen Rechten der politis -
hen (öffentlichen) Freiheit ($. 14.) zugelaflen wer⸗
den. — Aus diefem .Gefihtspuncte ergibt ſich
teils der allgemeine Unterſchied zwifchen paffiven
und activen Staatsbürgern *), theils die Ein-
teilung der Staatsbürger in bie einzelnen Stände
Der Regent, als foldher, kann nicht in den Kreis
der Stände des Wolfes gezogen werden, weil von
ihm, bei der Ernennung zu Staatsämtern, die Ente -
fheidung über die geiftige und ſittliche Muͤndigkeit
alter Staatsbürger ausgeht. Zu den hoͤhern Staͤn⸗
ben werden aber diejenigen Staatsbürger gerechnet,
welche entweder bei der "verfaffungsmäßigen Ver⸗
fammlung der Stellvertreter des Volkes als Mits
glieder -derfelben erfcheinen, ‚oder welche: bei
den gefammten einzelnen. Zweigen der Regierung
und Verwaltung als eigentliche vorgefegte
Staatsbeamte und Behörden angeſtellt, und
alfo blos dem Regenten und den Vertretern des Wol⸗
fes verantwortlich find. Zu den mittlern Ständen
hingegen gehören alle in abhängigen Verhaͤltniſſen,
d. h. mic Verantwortlichfeit gegen ihre umittelbaren'
I
*) Mit richtigem Tacte hat fhon Kant in f. meta.
phyſ. Anf. der Rechtslehre &. 166 f. die
fen wichtigen Unterfchied. *
N
.-
v
Staats» unb Staatemrecht. 4195
VWorgeſetzten angeſtellte, Staatsbeamte; vann alle,
nicht im Staatsdienſte angeſtellte, perfäntich uns
abhaͤngige, Grundeigenthuͤmer, Gelehrte, Kuͤnſt⸗
Ler, Kaufleute, welche durch ihre Thaͤtigkeit das
inner. Leben des. Staates, und namentlich das gei⸗
ſtige Leben ‚fordern und vwervollfommnen. Wenn in
der Mitte der hoͤhern Ständezunächft die erhaltende
Keaft des‘ Staates wirft; "fo bewährt ſich im Kreife
der mittlern Stande zunächft Die bewegende
Kraft deſſelben. — Zu den niedern Ständen
endlich werben diejenigen gerechnet, welche in per»
fönliher ober dinglicher Abhängigfeit zu den
hoͤhern und mittlern Ständen, entweder Durch’ per»
fönliche Dienftleiftungen,, ober durch Betreibung des
Feldbaues, der Gewerbe u. ſ. m. ſtehen.
25
Gefellfhaften im Staare.
..: Kine Geſellſchaft im Staate ift die Vereinte
gung einer Mehrzahl von Staatsbürgern zur Ver⸗
wirklichung eines befondern Zweckes. Diefer
give foll aber rechtlich feyn; d.h. er darfdem -
Zwede dis Etaates. überhaupt nicht widerfprechen,
und durch denfelben dürfen feine Rechte irgend eınes
Staatsbürgers beeinträchtiger werben. Zugleich muß
diefer Zweck (Naturr. $. 29.) der Regierung des
Staates bekannt und von derfelben anerfannt ſeyn,
damit die für Die Verwirklichung dieſes Zweckes ver-
einigee Gefellfchaft von der Megierung dabei geſchuͤtzt
werde, — Sobald aber eine Geſellſchaft im Staate
entweder ihren Zweck vor der Regierung verheimlicht,
oder einen unwahren Zweck berfelden anzeige, dder
ihren beſondern Zweck durch Mittel zu befdedern und
| 13
IM
190 Stoaais und Staatenrecht.
zu erreichen: ſucht, welche dem allgeme inen Seaealts
orde und den Rechten einzelner Staatsbürger: wider⸗
ſtreiten, .ober fobald die Geſellſchaft der oberften. Auf⸗
ſicht der Regierung ſich entziehen will; ſobald bilder
eine. fotche Geſeliſchaft einen Staat im State,
| un muß von ben Regierung aufgegeben werben. :
2 > Br
Einteilung des Stantsgebiersi of
Die zweckmaͤßige geographifche Eincheilung des
Staategebiets in Provinzen, Bezirke u. f no. hängt
ab von einem ftariftifchen Grundfäße,, : welcher
theils auf der ‘Beurtheilung des gefamrüten$ boͤ⸗
‚henraums, nad) ſeinen Naturgrenzen der Gebitgs⸗
reihen und Flußgebiete, und nach ſeiner Fruchtbarkeit,
theils auf dem innern Verhaͤltniſſe der Geſammt⸗
bevoͤlkerumg in Hinſicht ouf die Vertheilung und
Ausbreitung derſelben auf jenem Flache nraume · be⸗
xuht. Dean:durch die Eintheilung des Gebiets und
der Sefammtbevölferung des Staates nach dieſem
Grundſatze wird. theils Die Ausmittelung der: Artzahl
ber zu, wählenden Vertreter Des Volkes, fo wie die
Form ihrer Wahl, theils die gleichmäßige Verthei⸗
(ung der einzelnen Berwaltungsbehörhen ‚(der Gerech⸗
sigfeitepflege, der Polizei, der Finanzen und ber
friegerifchen Mache) in die Provinzen des Staates,
theils die zweckmaͤßige Erhebung der Steuern und
. Abgaben, theils die gerechte Aushebung: ber: indie
friegerifche Macht aufzuneßmenden Vaterlandsver⸗
theidiger erleichtet.
(Bei der Feſthaltung dieſes ſtatiſtiſchen Grund⸗
...faßes., fo weit er naͤmlich nach örtlichen Verhaͤlt⸗
—5 ſeſtgehalten werden kann, werden die Pro⸗
Staata · und Staatenrecht 197
vinzen Pleiner Staaten ungefähr 100,000 —
: 200,000 Einwohner umfchließen, während die
J ‚Bevölkerungszahl ber Provinzen eines großen Reis
. ‚ches bis auf eine halbe Million Menfchen und.
daruber fteigen fann. —— Nach bemfelben Maas-
ſtabe werden ſich die Gerichtshoͤfe mit ihren ver⸗
ſchiedenen Inſtanzen, und die Polizei⸗ und Finanze:
- bebörden orönen laffen; fo wie für bie bewaffnete:
Macht des Staates von einer Million Bevoͤl⸗
kerung höchftens 10,000 Mann aufgebaten werden
koͤnnen.) ur
“ftı:.
97.
Regetie Som der gefeggebinden 9“
walt im: Staate
‚Die Vernunft denkt fich unter der gefeßgebenden |
Gewalt; im Staate die rechtlich geftaltete und auf fefter:
Grundlage rubende Anfündigung des allgemeinen.
Willens in Hinfihe aller aufzuftellenden Mittel für.
die. Verwirklichung Des Staatszweifes. In einer,
den Forderungen der Vernunft entfprechenden, Staats⸗
verfaffung beruht aber ($. 16.) Die gefeßgebende Ge⸗
walt gemeinfhaftlich auf dem Regenten und den,
Vertretern des Volkes, fo daß beiden die füge-
nannte Initiative, db. h. der erſte Antrag und
Vorfchlag zu einem Gefege zufteht, worauf jedesmal:
ber. andere Theil, von welchem ber Vorſchlag nie
ausging, den Gefegentmurf entweder unbebingt, oder
mit Beſchraͤnkung annehmen, oder auch ganz verwerfen
kann. Denn fteht den Vertretern des Volkes allein
die Initiative der Gefege zu; fo wird der Regent —
obgleich im ausſchließenden Beſitze der vollziehenden
Gewalt — doch eines wefentlichen Antheils an der
N
j 198 | Staats ⸗ und Sind
hoͤch ten Gewalt beraubt‘ ), unb er in feiner‘ sn.
famfeit und in ‚feiner Würde durch den Willen der
Volksvertreter gehemmt. Steht aber dem Regenten
ausfchließend die Initiative der Gefege zu; fo. kann er
theils mit den Bedürfniffen und Wünfchen des Vol⸗
"Bes nicht auf dem rechtlichen, verfaffüngs-
‚mäßigen Wege — durch das Hrgan der Vertre⸗
ter des Volkes — befannt werden, theils werden bie
Vertreter des Volkes bei dem Volke ſelbſt niche die noͤ⸗
thige Achtung und das fefte Zutrauen befigen,, fobald .
. ihre Rechte blos auf die Bewilligung ber Anträge des
Regenten befchränft find. Nur wenn die gefeßge-
bende Gewalt gleichmäßig vertheilt ift zwifchen dem
Megenten und den Vertretern: des Volkes, wirb die.
geſammte Intelligenz im Staate Antheil
haben an der Gefeggebung, und — weil beide Theil⸗
nehmer an der gefeßgebenden Gewalt zu einander im
Gleichgewichte fliehen — die Gefeggebung eben
‘fo der rechtliche Ausdruck des Willens des Regenten,
. wie der öffentlihen Meinung feyn. -
Auf diefe Weife wird bewirkt werben, mas die
Vernunft verlangt, daß blos folche Gefeße gegeben
und zu einem Gef eb u ch e verbunden werden, wel⸗
che — geſtuͤtzt auf die in der Verfaſſung vertrags⸗
mäßig feſtgeſetzten Grundlagen des gefammten ( Staats⸗
lebens — für alle Staatsbuͤrger eine gleiche verbin⸗
dende Kraft haben, und wodurch, mie Rüuüͤckſicht auf
- das Maas der individuellen phyſiſchen, pecuniairen
und geiftigen Kraft, feinem mehr aufgelegt wird, als -
—
*) wie z. B. in der erſten franzofiſchen Conſtitution nom
—3 1791; in der dritten franzoͤſiſchen Conſtitu⸗
tion vom .S. 1795; in der fpanifchen Eonftitntion
vom J. 1812, und in ber xportugieſiſchen Conſtitu⸗
tion vom J. 1822.
⸗
Staats: und Staatenreche. 499.
- „dem andern. Ob nun gleich, im Allgemeinen, bie
Geſetze Einfchränfungen der perfonlichen reis
beit find (fo wie der ‘Begriff bes Rechts felbft die
gegenfeitige vertragsmäßige Befchränfung der außern
Freiheit in ſich einfchließe); fo find fie doch Feine Bes
einerächtigungen.der bürgerlichen Freiheit, weil
die Gefege nicht durch die Willführ‘, ſondern von des
vechtniäßigen gefeggebenden Gewalt gegeben werben,
weit fie unnachlaßliche Mittel und Bedingungen für:
die Verwirklichung des Stansszwee@find,, und weil
fie alle Staatsbürger auf. gleiche Weiſobeſchraͤnken.
Es werden daher die Geſetze von N ſittlich⸗
Mindigen Staatsbürgegn freiwillig angenommen,
weil ihre Vernunft fürtdas DBeftehen und -die Forte
Bauer des bürgerlichen Vereins feine wirkſamern Mite
fel auffinden fann, als bie mit gemeinfhaftlicher Zus
fimmung des Regenten und der Volfsvertreter gegen
benen Geſetze. Deshalb ift auch der Gehorſam,
welchen die Staatsbürger den Gefegen leiften, ein
freiwilliger, der nur von den. fittlich »- unmuͤndigen
Staatsbürgern durch Zwang bewirft werden muß,
So wird zugleich die Einfchränfung der individuellen
Breiheit Ducch das Geſetz nicht bios eine Wirfung ber
eignen Freiheit ver Staatsbürger, fondern auch, ver-
mittelft der Angemeffenheit der Gefege zu dem hoͤch⸗
ſten Zwecke des Staats, die Grundlage der alle
gemeinen Eintracht und Ordnung in ber
bürgerlichen Geſellſchaft, weil alle Staatsbürger vor
dem Geſetze gleich find, und über fie alle nichts herrſcht,
als das Geſetz; denn nur durch das Gefes kann bie
Herrſchaft des Nechts begruͤndet, gefichert und erhal⸗
tern werden, — Der hoͤchſte Standpunet für bie
Geſetzgebung im Staate ift daher der: daß bie Außers
Freiheit der Staatsbürger nie Gefeglofigfeit, und bas
\
⁊
N
200 Staaus und Swatch,
wörgefehrichene :Gefug ‚nie ein Auslaß her Willkohe
werde; daß.vielmehr: Die. Gefeggehäng bie buͤrgerliche
Freiheit ficher.ftelle, und die buͤrgerliche Freiheit ſelbſt
als der Grund der unverbruͤchlichſten Befolgung der,
Geſetze im; Staate erſcheine. Die. .bürgerdiihe
Sreipeit.durd.das Gefeg. ift. mithin die große.
Aufgabe her. Geſetzgebung im. Stagte.
Aus dieſem Standpuncte gefaßt, werden wusleich
alle Geſetze des Staates einander.gleich in Hinſicht
der recht lien, fo verfchieden fie- au in,
i H eyn fonnen, weil dieſe
\ War niabafti A haltniffen abhängt, in
welchen ie (N > I als Perfonen zu
Perfonen! — ku den Sachen fiehens...:
Segiehing Kan rechtliche Form .der
Befannr RAM oh bcise ‚ welche unmittelbar.
von dem Stamnliskeripte ausgeht, . und in deſſen
Ramen geſchieht, iſt es nöthig, daß die Verfafler,
(Eoneipienten) der von dem Regenter und den Volks⸗
vertretern gemeinfchaftlich befchlaffenen Gefege dieſel-⸗
ben verftänblich, beftimnit, unzweideutig, ben ‚Ges
genftand erſchoͤpfend, in der Sandesfprache mit Vers
wieidung jedes fremden Ausdruckes, und die einzelnen
Gefege im inner Zufammenfange mit ſich felbft ab«
falten. .
Man; unterſcheidet endlich zwiſchen organi⸗
ſichen und abgeleiteten. Geſetzen, inwiefern die
er ftern:ausfchließend Diejenigen Beſtimmungen ent⸗
halten, welche unmittelbar auf die Staatsverfaflung
und Staatswerwaltung ſich beziehen, und in allen
einzelnen · Vorſchriften auf den Staatsvertrag. ſich
Rügen; die zweiten aber die Rechtsbeſtimmungen
für“ die einzelnen Fälle des Privatlebens der Staats» .
Bürger auffieften, ‚welchen wieder die organifchen Ges
Siaalae u. aatunecht. 24
fege jur naͤchſten Unterlage bieten. — Deshalb
fonnen, in einem auf vertragsmaͤßiger Verfafſung
rühenden Staate, die organi fchenGefege nur durch
hie gemeinſchaftliche Uebereinkunft des Regenten und
der Volksvertreter gegeben werben, bagegen dien a b⸗
geleiteten Geſetze von Denfenigen’eingelnen Dehör-
den ber Regierung und der Verwaltung — buch’ jödes-
mal im Namen und mit Vorwiſfen des Staatsober⸗
hauptes — aͤusgehen, welchen die rechtliche Beſtim—
mung und Enefcheidung der einzelnen Gegenftände des
Privatlebens ber, Staatsbürger zukommt.
Montesquien, de P’esprit des .loix. 4. Tom.
Amst. 1748. (viele Ausgaben.) Teutfch In A4.,Thels
len; Altenb. 1782. 8. — Zweite Ueberfeßung mit
Anmert. von 4. ®. Hauswalb. 3 Th. Goͤrlitz,
1804. 8 .
Als neueſier; in einzeinen Ruͤckſichten reichi aus⸗
zgeſtatteter, Commentar zu dieſem Werte gehoͤrt
(mit einem von dem Ueberfeßer gewählten Titel); ,
Sraf Difure de Tracy, Charafterzeihnung, .
: der Politik aller Staaten der Erde. Kritiſcher Coms
Ä mentar Kber: Montesquien’s Geiſt der Geſetze. Ueber
... feßt;ynd ghoſſirt von Morſtadi. a Theile. Heldelbe |
1820 fx 8.
Gaetano. Filangieri, la scienza della legie-
lazioue. ‚9 T. Nap., et Venetia, 1783 394. Be —
Teutfh in 8 Theilen v. Link. Anfpah, 1784 f-
8. — z3te Aufl. der .erften Theile, 1808.
Ifaak Sfelln, Verſuch über ‚die „Sefegsehung.
aſel, 1759. 8.
v. -Mabip, über die Miſetgebung oder ‚über / di
Srundfäße der, Geſetze. 2 Th. Aus dem —
Nürnb, 1779. 8-
Heint. Home, Unterfuchung über die moraüſchen
Geſetze der Sefellfhaft. Aus d. Engl. Lpz. 1773.82
3. Geo. Schioffer, ‚Briefe Aber die Sc
gebung. 2 gehe grkf. ‚789 Ärb- : ai
20 Staau und Saat
wörgefahrichene Gefetz nle ein Austaß Der Wällkoͤhr
werde; daß vielmehr bie. Gegetzgebung bie buͤrgerlichs
Freiheit ficher.ftelle, und die-bürgeglishe Freiheit: ſelbſt
als der Grund der unverbruͤchlichſten Befolgung der,
Geſetze im, Staate erſcheine. Die bürgerliche
Freiheitedurch das Gefeg. iſt mithin bie rohe
Aufgabe der Geſetzgebung im, Staate,
.Aus dieſem Standpuncte gefaßt, werden zugleich;
alle Gefege des Staates einander.gleic in hinſicht
der rechtlichen ARZNL fo verfchieden ſie auch in,
ie kon Kamen, weil dieſe
Ser
E Kai wi
Derannk GI "RL Geſttze, — unmittelbar
Waußte ua, und in deſſen
Namen arfchieht, ift es nöthig „daß die Verfaſſer,
(Eoneipienten) der von Dem Regenten und den Volfs«.
wertretern gemeinfchaftlich befchlaffenen Gefege biefels,
ben verſtaͤndlich, beſtimmt, unzrogideutig, ben. Ges
genftand erſchoͤpfend, in der Sandesfprache mit Vers
meidung jedes fremden Ausdruckes, und die einzelnen
Geſctze im innern Zuſammenhange mit ſich ſelbſt ab⸗
faflen.
*. Man. unterſcheidet endlich zwiſchen org an i⸗
ſichen und abgeleiteten. Geſetzen, inwiefern bie
er ſter nausſchließend Diejenigen Beſtimmungen ent
halten, welche unmittelbar auf die Staatsverfaſſung
und Staotswerwaltung ſich beziehen, und in allen
— Vorſchriften auf den Staatsvertrag ſich
Rügen; die zweiten aber die Rechtsbeſtimmungen
für: die einzelnen Fälle des Privatlebens der Staats-
bürger aufftellen, welchen wieder die organifchen Ge⸗
Staats· u Graatanndi . 201
jene sur naͤchſten Unterlage dienen. — Deshalb
koͤnnen, in einem auf vertragsmaͤßiger Verfafſung
ruhenden Staate, die organifchen&efege nur durch
die gemeinſchaftliche Uebereinkunft des Regenten und
der Volksvertreter gegeben werben, dagegen die, a b⸗
geleiteten Gefege von Denfenigenseingeinen Behör-
den ber Regierung und der Verwaltung — buch’jädes-
mal im Namen und mit Vorwiſfen des Staatsober⸗
hauptes — ausgeben, welchen Die rechtliche Beſtim⸗
mung und Entſcheibung der einzelnen Gegenſtaͤnde des
Privatlebens ‚der. Staatsbirger zukommt.
Montesquien, de V’esprit des loix. 4. Tom.
Amst. 1748. (viele Ausgaben.) Teutfch In 4 Theis
len; Altenb. 1782. 8. — Zweite Meberfegung mit
Anmert. von A. ®. Hauswald. 3 Th. Goͤrlitz,
180% 8.
As neueſter; in einzelnen Raͤckſichten reichi aus⸗
. ‚geftatterer, ‚Kommentar zu diefem Werte -gehöre
. (mit einem von dem Ueberſeher gewählten Titel);
"Graf De ſtutt de Tracy, Charafterzeihnung.
der Politik aller Staaten der Erde. Kritifher. Coms
' mentar Über: Montesquieu’s Geiſt der Geſetze. Ueber
ſetzt. vnd gloſſirt von Worſtadi. 2 Theile, Heldelbe
1820 fx &.: .
Gaetano. Filangieri, Ja scienza della legis-
lazioue. 9 T. Nap. et Venetia, 1783 sqy. —
Teutfäh In 5 Theiten v. Einf, Anfpah, 1784 ff-
8. — Z3te Aufl. der .erften Theile, 1808.
Sfaat Iſelin, Verſuch uͤber die GBeſetsebung.
Ball, 1759. 8.
v..Mabiy. über die Sefeggebung. oder aber / die
Grundſaͤtze der, Geſetze. 2 Th. Aus dem Franzi,
Nürnb, 1779. 8.
u Keint. Dome, Unterſuchung uͤber die morauſchen
Geſetze der Geſellſchaſt. Aus d. Engl. Lpz. 1978. Ki
I. Beo. Schlioffer, ‚Briefe Aber bie- Be
gebung. 2 > Belle Frkf. i7ao KB. Br
.
’
202° 2 Graats- hub Gtaatenrecht.
3. Seine. Tieftrune, über Otaatekunſt und
‚ Gefeßgebung. Berl. 1791. 8.
Theod. Gtli. v. —328 uͤber Geſetzgebung und
Staatenwohl. Berl. 1804. 8.
I. Adam Durst Theorie der Geſetzgebung. Mei⸗
ßen, 1802.
Jac. Sum. Beck, Srundfäge ber. Gefepgehung,
3. 18
art ER Sadhariä, die Wiſſenſchaft der Ge⸗
febgebung. Als Einfeitung zu einem allgemeinen
u Geſebbuche. Lp;. 806.8 |
Sqnaubert,“ Auch der Regent it an bie von
ihm gegebenen Geſetze gebunden. Aus dem Latein.
mir Anmerk. und Zufägen von Eman. Ir. Hag e⸗
meifter. Roſtocku. Lpz. 1795. 8.
28.
Die Stellvertreter des Volkes.
Die Stellvertreter des Volkes, welchen ein in
der Verfaffung des Staates beftimmt ausgefprochener
Antheil an der gefeßgebenden Gewalt zufteht, dürfen
nicht von der Regierung ernannt, fie müffen vielmehr
. von dem Volke ſelbſt gewählt werden, und dieſe
Wahl muß von dem Zutrauen und der Achtung ihrer
Mitbürger abhängen. Zu Stellvertretern des Volkes
Dürfen aber weber fittlich-unmünbdige gewählt werben,
noch darf die Wahl durd die Theilnabme der fittlich-
unmündigen gefchehen. . Nur fittlih-mündige
duͤrfen, nach der Vernunft, das Recht der Wahl
and der Waͤhlbarkeit haben, ‚weil nur dieſen,
nächft der bürgerlichen Freiheit, auch die öffentliche
(politiſche) Freiheit ($. 14.) zufommt. Mie koͤnnte
ein Staat (hlimmer. berathen werben, als wenn deſſen
fietlich - unmündige Bürger wäßlen birfeen, und ge⸗
wahlt werben koͤnnten.
Staats· und Staatenrecht. 203,
ame nun dieſem Grunbübel der ſtellvertreten ⸗
den Verfaſſung des Staates moͤglich ſt vorgebeugt
werde, darf die Wahl der Volksvertreter nicht in fo⸗
genannten Urverſammlungen des Volkes geſchehen,
nicht deni Zufalle, nicht der Leidenſchaft, nicht der
Beſtechung, ind eben fo wenig der bevormundenden
Einmifhüng der verwaltenden Behörden überlaffen,
wohl aber foll fie unter die Oberaufficht rechtlicher
- Staatsmänner geftellt werden. Es muß daher, für
Biefen hochwichtigen Zweck, Die Verfaſſung felbft theils
den Grundfag für die im Staate beftehende Volks⸗
vertretung überhaupt, theils die Angabe der Gefammt-
zahl der Volksvertreter nach dem Maasftabe des Flaͤ⸗
chenraums und der Bevölferungsmafle ($.26.), theils
die Beflimmungen für die Wählbarkeit derfelben, für
die Form der Wahlen felbft, und für Die Formen des
Zufammentretens , nicht minder für die Formen der
Verhandlungen der Volfsvertreter, für die Zeit und
Dauer ihrer Verfammlung , und für die in der Zwi⸗
ſchenzeit ver Verſammlungen beftehenden Ausfchüfle,
ſo wie für die jeder guten Wolfsvertretung zum Grunde’
liegenden Gemeinde» und Kreisordnung, ın ſich ent⸗
halten, |
| Es raͤßt fich aber , nady der Vernunft, ein dop⸗
pelter Grundſatz für die rechtliche Geftaltung der
Bolfsvertretung im Staate aufftellen, fo daß mach
dem einen die beftimmte Gefammtzahl der Volfs-
Vertreter, ohne Ruͤckſicht auf irgend einen Stand und
Beruf im Staate, ganz frei nad) dem Zutrauen
gewählt wird, welches die Individuen, auf welche
bie Wahl fälle, bei ihren Mirbürgern ſich erworben
haben; nach) Dem andern aber die verfchiedenen
Stände und Berufsarten im Staate gleihmäßig -
beruͤckſichtiget werden, damit nicht, durch den Zufall
206. Staus. und. Seaatenrecht.
ber Mahl, gewiſſe ſelbſtſtaͤndige Zweige der menſch⸗
lichen Zhaͤtigkeit im Staate entweder ganz von ber
Vertretung ausgefchloffen,, oder gegen andere zu un⸗
verhaͤltnißmaͤßig hervorgehoben werden. — Mird
Diefer zweite Grundſatz der Volksvertretung (der ftäns
diſche) feſtgehalten; ſo ſcheint es am zweckmaͤßigſten
zu ſeyn, die Geſammtzahl der Volksvertreter gleich.
mwaßig zu vertheilen:. 1) nach dem großen Grund«
befiße; 2) nach den ſtaͤdtiſchen Gewerben in Manu«.
facturen, Fabrifen und. im Handel; 3) nach der
geiftigen Thaͤtigkeit im Gebiete der Wiffenfchaft und,
Kunft, und 4) nad.dem Stande der Sandbewohner.
Selbft Staatsdiener, fobald fie das Zufrauen ihrer
- Mitbürger zur freien Wahl beruft, .. Eonnen in die.
Reihe der Volfsvertreter ‚gehören; nur mäffen theils
die, welche im perfönlichen Dienfte des Regenten
Reben, theils diejenigen Höchften Staatsbeamten,
welche, von ihrem Standpuncte aus, die einzelnen
Hauptzweige der. Staatsverwaltung leiten und die
Aemter in denfelben befegen, fchon deshalb von der.
Wahl zur Volfsvertretung ausgefchloffen werden, weil
ihnen, nach ihrer Stellung, dag Recht zufteht, den
Berfammlungen ver Volksvertreter, doch ohne Theil
nahme an der Abftimmung ,. beizumohnen. — End»
li) verfteht es fich von ſelbſt, daß alle, melche nicht
im Beſitze der individuellen Selbftftändigfeit, und ber
öffentlichen (politifchen) Freiheit ($. 14.) ſtehen, d. h.
alle phyſiſch Unmuͤndige, alle Dienftboten ‚ alle für
Tagelohn Arbeitende, alle. Berforgte, alle in Unter«
fuchung befindliche, und alle in peinlichen Fallen Be⸗
ftrafte,. von der: Wahl zur Volksvertretung ausge⸗
ſchloſſen werden muͤſſen.
Die Vertreter des Volkes find aber, nad) der
Eröffnung ihrer: Verſanjmlung, nicht, mehr die Res
Staats « und SEeaatenbeche 265
ten ihres Ortes, ihrer Provinz, ober ihets
Befonbern Standes, fondern — für die Dauer ihres
Beifammenfeyns — die unabhängigen, felbft
ftändigen,unverleglichen, und für ihre.amts»
mäßig’ geäußerten Meinungen und rechtlich abgegebe⸗
sen Stimmen unveranswortlichen, Vertreter
des. geſammten Volke 83 denn, als ſolche, ſollernſie
blos und einzig bie Begründung „Srhaltung und
Sicherftellung der Rechte und der möglichften Wohl⸗
fahrt des ganzen Volfes.beabfichtigen, in deffen Namen
und durch deſſen Wahl fie ſprechen und bandeln —
em dd,
*) Obgleth bie Frage nach dem narckfann, be
moltratifhen oder drifteftotifhen Printip
einer Staatsverfaffung zunähft politifchrift,:innd
alfo der-Staatstunft angehörtz fo kann doch
feine politifhe Aufgabe ohne eine vedht,lich,e-Unters
lage: gedacht werden., und, bi.efe gehört dem" &taatss
.rrechte an. Mag alig. auch erit weiter ungern-in. der
Staatskunſt das in der Geſchichte der erlofhenen
- and nod- beitehenden - Etagen vorliegende Verhaͤlt⸗
niß der Monarchieen, Demokratieen und Aeiſtokra⸗
tieen gegen einander ausgemittelt werden koͤnnen;
ſo erhellt doch aus den aufgeſtellten fEnatsredts
..kiden Grundfägen: daß nur da, wo die Zeſehẽ
‚ gebende Gewalt ausfhließend in den Händen
- der Volksvertreter (wie gi Oo.‘ it der (panifchen. Con⸗
ſtitution der Cortes vom J. ı8ı2) ruht, und der
Megent bios an der Spike der vollziehenden Gewalt
ſteht, ohne irgend einen Antheil an der gefeßgebens
den Madyt , von dem Vorberrfchen des Bemofras
ttfhen Principe in der Verfaffung die Dede feyn
fann; das arifkofrartifche. Prinrip Bingegen da
vorwaltet, wo entweder — bei dem Beftehen zweier
Kammern — die fogmannte Pairstammer den
Ausfhlag dei den Geſetzen (namentlich in Dinficht
der Befteuerungsgefeße) gibt, oder:wo — im: Fall
daß nur Eine.Kammer: ftatt. finder — die Stimme
J
304. Staats⸗ und Seaatenvecht.
der Wahl, gewiſſe ſelbſtſaͤndige Zweige ber menſch⸗
lichen Thaͤtigkeit im Staate entweder ganz von der
Vertretung ausgeſchloſſen, oder gegen andere zu un⸗
verhaͤltnißmaͤßig hervoergehoben werden. — Wird
dieſer zweite Grundſatz der Volksvertretung (der ſt aͤ n⸗
diſche) feſtgehalten; ſo ſcheint es am zweckmaͤßigſten
zu ſeyn, die Geſammtzahl der Volksvertreter gleich⸗
maͤßig zu vertheilen: 1) ‚nach. dem großen Grund⸗
beſitze; 2) nach den ſtaͤdtiſchen Gewerben in Manu⸗
facturen, Fabriken und. im Handel; 3) mach ˖der
geiſtigen Thaͤtigkeit im Gebiete der. Wiflenfchaft :und, -
Kunft, und 4) nadh.dem Stande ber Landbewohner.
Selbft Staatsdiener, fobald fie das Zutrauen ihrer
Mitbuͤrger zur freien Wahl beruft, .. Eonnen- in Die,
Reihe der Volfsvertreter gehören, nur muͤſſen theils
die, welche im perfonlichen Dienſte des Regenten
ſtehen, theils diejenigen höchften Staatsbeamten, °
welche, von ihrem Standpuncte aus, die..einzelnen
Hauptzroeige der. Staatsverwaltung leiten und bie:
Aemter in denfelben befegen, ſchon deshalb von der.
Wahl zur Volfsvertretung ausgefchloflen werden, weil
ihnen, ‚nach ihrer Stellung, dag Recht zufteht, den. _
Verſammlungen der Wolfsvertreter, doc) ohne Theil⸗
nahme an-der Abftimmung , beizumohnen.. — End»
lich verfteht es fich von ſelbſt, daß alle, melche nicht.
im Befige der individyellen Selbftftändigfeit und der
öffentlichen (politifchen) Freiheit ($. 44.) ſtehen, d. h.
alle phyſiſch Unmuͤndige, alle Dienftboten, alle für
Tagelohn Arbeitende,. alle. Verſorgte, alle in Unters
ſuchung befindliche, und. alle in peinlichen Fällen Be—
ftrafte,. von der Wahl zur Volksvertrecung ausges
Schloflen werden müffen. nn
- Die Vertreter des Polkes find aber, nach der
Eröffnung ihrer: Verſammlung, nicht mehr bie Res,
Btaats «:und Kitantenscihe, 205
praͤſentanten Ihres Ortes ;; chrer Provinz ebar.ifen
beſondern Standes, ſondern — fuͤr die Dauer ihres
Beiſammenfeyns — die unabhängigen, febbft
Kändigen,unverleglichen,. und fuͤr ihre amts⸗
maͤßig gekußorten Meinungen und rechtlich abgegebe⸗
sen Seimmen unver anbworklich en, Wertreter
des. geſammten Volkes; denn, als ſolche, ſolleri ſoe
blos. und ·einzig: die Begrundung, Grhaltung und
Sicherſtellung der Rechte und der möglichften Weohl⸗
fahrt des gangen Volkes beabſichtigen, in deſſen Namen
und durch: defſen Wahl fie ſprechen und handeln "im
. 52 ..
*) Obgleich die Frage nad dem monarhffhen, de
motratifhen oda drifstrotifhen Printis
einer Staatsverfaffung zunädhft politifehsift,;;nnh
alfo der Dtraatgkumſt angehoͤrtz fo kann doch
feine politiſche Aufgabe ohne eine rechteliſch e Unter⸗
lage: gedacht werden,, und Die fe gehört dem Staats⸗
‚rechte: an... Mag alfg.aub erit weiter untzen in der
Staatskunſt das in der Gefhichte der, erlofchenen
and no“ beftehenden- Braagen vorliegende Verhält⸗
niß der Monardieen, Demofragieen und Atiſtokra⸗
tieen gegen einander ausgemittelt werden fönnen;
fo erhellt doch aus deh -aufgeftellten fEaatsrects
.skiden Grundſaͤtzen: def mır da, wo die, Arfchr
‚ gebende Gewalt ausfhliehend in den Händen
+ der Volksvertreter (wie £ Bu ih der ſpaniſchen Con⸗
ftitution der Cortes vom J. 1310) ruht, und der
Regent bios an der Spitze der.vollziehenden Gewalt
ſteht, ohne irgend einen Antheil an der gefeßgebens
den Macht, von dem Borberrfihen des bemoöfras
. tifhen Principe in der Werfaffung die Dede: feyn
rann; das ariftofratifche.Prinrip Hingegen da
Yorwaltet, wo entweder — bei dem Beftehen zweier
Kammern: — die fogmannte Pairskammer den
Ausſchiaäg bei den Geſetzen (namentlih in Hinſicht
der Beſteuerungsgeſetze) gibt, oder:wo — im: Fall
daß nur Eine Kammer ſtatt findet — die Brlmme
J
206 Staat. wi Scaatinreche.
In Hinſicht der. Thaͤtigkeit derſelben muß die Ver⸗
faſſung genau beſtimmen, welcher Antheil ihnen,
in Verbindung und Wechſelwirkung mit dem Regen⸗
ten, an der geſetzgebenden Gewalt zuſteht, und bis
wie weit die Verantwortlichkeit der verwaltenben De
hoͤrden von dem Urtheile der Volksvertrecer abhängt;
beſonders wenn das Recht derſelben eintritt, *
Staatsbeamte in Anklageſtand zu ſetzen. Haupt⸗
ſaͤchlich muß aber in der Verfaſſung beſtimmt ſeyn,
auf welche Weiſe die Steuern und Abgaben, welche
zum Beftehen des Staates erfordert werben , von ben
Volksvertretern bewilligt, unter bie Provinzen des
Staates vertheilt, -und nad) ihrer Verwendung für
die feftgefeßten Ziede von den Bolfsvertretern con⸗
trollirt werden ſollen.
Wilh. Tgt. Krug, das Reprafentativſyſtem.
£pj}. 1816. 8. J |
Sebald Brendel, die Gefhichte, das Wefen
und der Werth der Nartonalrepräfentatton. a Thle.
Bamb. 1817. 8.
Kart v. Rotteck, Been at über Landſande. Karls⸗
ruhe, 1819. 8. _
90, | |
Rechtliche Form der vollziehenden Gewalt.
So wie durch die Verfaſſung des Staates die
der Grundbeſitzer und der erblichen Staͤnde jedesmal
die Stimme des gelehrten und des gewerbtreibenden
Standes in Hinſicht der Geſetzgebung überwiegt;
das monarchiſche Princip aber ba herrſche, wo
dem Negenten gemeinſchaftlich mit den Volks⸗
vertresern die Initiative der Geſetze, ausfhlie
- Bend aber die vollgiehende Gewalt zukeht. — Aus
den aufgeftellten Srundfägen erhellt, daß nur das
monarchiſche Princip in diefem Sinne dem ohilo⸗
ſephiſchen Staaterechte entforict.
veihtliche Form ber gefeßgebenden Gewalt beffimme
wird; fo muß. fie audy den Umfang-und die Wirkſam⸗
feit der vollziehenden Gewalt, nad) ihrer recht⸗
lichen Ankuͤdigung, beſtimmen. Ber “Begriff der
volljiehenben. Gewalt ſchließt aber in ſich ein: ch eis
Die Rechte und ‚Pflichten des Regenten; theils bie
Rechte und Pflichten der Unterthanen, beide nad)
ihrem in der Werfaffung feflgefegten gegenfeitigen
Verhaͤltniſſe; cheils alle für die vier verfchießenen
‚ Daupttheile der Verwaltung (der Gerechtigkeitspflege,
der Polizei, der Finanzen und des Militairs) nöthi«
gen höchiten Staatsämter,, mit deren Mittel- und
Unterbehörden. Denn durch die vollsiehende Gewalt
foll der von der Vernunft aufgeftellte hoͤchſte Zweck
des Staates — die allgemeine und unbedingte Herr⸗
(daft des Rechts — in firengfter Angemeflenheit zu
der jedem Staate eigenthümlihen Berfaffung und
Geſetzgebung, in allen befondern Verhaäͤltniſſen
des innern unb Außern Staatsiebens verwirktiche,
und dadurch der Staat felbft zu einem in fi) harmo⸗
nifch verbundenen , und-zu dem allgemeinen Ziele der.
Menfhheit ununterbrochen fortfchreitenden Ganzen
erhoben werben. Die vollzichende Gewalt gebietet
daher über die rechtlichen und wirffamften Mit-
tel und Bedingungen, durch welche die Verfaſſung
des Staates nach allen ihren einzelnen Gegenſtaͤnden,
und die Gefeggebung nah allen ihren einzelnen.
Theilen und Vorſchriften vollzogen ‚werden kann
und ſoll. j oo
In der lLehre vön der vollziehenden Gewalt wird"
alfo zuerft vom Kegenten, dann von ben Un⸗
terthbanen, und darauf von den einzelnen Haupt⸗
theilen ber. BWerwaltung gebanbelt.
N
‘ 2349 Staats e und Staatenrecht.
nd fein Eigentum behandeln ‚ fordern Aur in
Faͤllen, wo es der allgemeine - ‚Staatszweit: arfard
dert (z. B. für ‚Seftungen, Hochſtraßen, Damme
u. ſ. w, gegen hinreichende Entſchaͤdigung des Be⸗
theiligten, in Anſpruch nehmen; darf;
2) in dem Rechte der Zheraafſicht (jus
supremae inspectionis), nad) welchem dem Re⸗
| genten feine günftige und Feine ‚nachtheilige Aeuße⸗
rung und Erſcheinung im innern, wie imaͤußern
Staatsleben, nach ihrem Verhaͤltniſſe zur Ver⸗
faſſung und zu dem hoͤchſten Zwecke des Staates,
. entgehen darf;
3) in dem Rechte der Geſetzgebung im
engern Sinne (potestas rectoria), nad) wel⸗
chem der Regent in Geſetzen, Verordnungen
und Befehlen die Mittel und Bedingungen in
einzelnen Fällen feſtſetzt, durch welche die Beſtim⸗
mungen der Berfaffung und der organifchen Geſetz⸗
2, gebung im Staate verwirfliche werden follen; -
- a
&) in der oberrichterlihen Gewalt
“ Cyuftiggoßeir), nad) welcher die fämmtlichen, Ger
richtshoͤfe von dem Regenten errichtet, und eröffnef,
» von ihm in Hinfiche. ihres. Perfonals befegt, und
- alle Urtheile derſelben — unbeſchadet der ölfigen
Unabhängigkeit und Unabfegbarfeit der ernannten
Richter — in feinem Namen, doch in ſtrenger
+ Angemeffenbeit zu bem bürgerlichen und Strafges
. feßbuche, und nad) der vom Regenten ausgegan-
.
.
s
genen Gerichtsordnung, geſprochen und bekannt
gemacht werden;
5) in der Polizeih oheit, nach welcher alle
Behörden und Anftalten cheile für die- öffentliche
HOrdnung: und: Sicherheit, theils für Die Kultur
und Woplfaprt im Schace, mit Einſchluß des
Staats’ und Staatenrecht. 211
geſammten Erziehungsweſens, von ihm angeordnet,
: in ihrem Innern geſtaltet, und in feinem Namen
verwaltet werden;
6) in der Finanzhoheit, nach welcher die
u. Bildung des Staatsvermoͤgens aus dem Volksver⸗
mögen und Die Verwaltung deffelben, fo wie die
Anwendung aller von den Volfsvertretern bewillig-
- ten Steuern’ und Abgaben, in Angemeſſenheit zu
den dadurch zu deckenden Bedürfniffen, von dent
Megenten ausgeßt;
" 7) in der Militairhoheit, nad welcher
die Aushebung und Bewaffnung der Buͤrger zum
“öffentlichen Dienfte innerhalb des Staats, und
für die Vertheidigung des Staates im Kriege, ſo
wie Die ganze innere Öeftaltung des Heeres und der
Flotte vom Regenten abhängt, und in feinem Na—
‚ men gefhieht;
8) inder Oberhoheit uͤber die Kirchen
Kes Staates, nad) welcher der Regent das ein⸗
zige Oberhaupt "aller: Kirchen im Staate ift (jus
episcopale), und ihm die Beſchuͤtzung und Auf—
rechthaltung der vertragsmaͤßig begründeten kirch—
lichen Verfaſſung und Verwaltung (jus ad vocatiae
ecclesiasticae), fo wie die Leitung des Verhält-
niſſes der äußern Angemeſſenheit der Kirche zum,
Staate (jus reformandi) zuſteht;
9) in der oberſten Leitung der ausmwäts
- tigen Angelegenheiten, fo daß die Beftim-
mung und Cntfcheidung aller Verhaltniffe des
. Staates zum Auslande, die Abſchließung aller
Verträge und Bänbniffe mit demſelben, Die Kriegs:
erklaͤrungen und Friedensfhlüffe, fo wie die Era
2 nennung der Gefandten, Eommiffarien und Depus
14 * |
Li
212 Staats» und Staatenrecht. u
tationen für alle dieſe Zwecke, einzig von ihm ab»
hängen, | 2
‘ , 31.
Fortſetzung. Majeftätsrehte des Re
- genten,
Dem Regenten kommt, inwiefern er Souverain,
d. h. Repraͤſentant der geſammten Selbſtſtaͤndigkeit
und Unabhaͤngigkeit des Volkes und Staates iſt, und
inwiefern ſaͤmmtliche Rechte der Souverainetaͤt von
ihm und in feinem Namen im In- und Auslande
geübt werden, die Majeftät zu, unter welcher die
äußere finnlihe Anfündigung der höd-
fien:perfonlihen Würde im Staate verftan»
den wird. Es find daher alle Rechte der Majeftär
perfönliche Rechte; fie gründen fih aber auf bie '
($. 30.) aufgeftellten Souverainetätsrechte,
Nach den Rechten der Majeftät ift der Negent:
4) unverleglid, eine Perfon ift heilig,
und verfinnlicht (repräfentirt) eine Würde, Die auf
Erden feine höhere uber fi), und nur die der Regens
ten anderer Voͤlker und Staaten als ſich völlig gleich
erfennt. jede Beleidigung diefer Würde ift Mas
jeftäatsverbrechen, und jeder beabſichtigte oder
vollführte Angriff auf die. Perfon des Regenten H-0 dh»
verrath..
.
2) unmwiderftehlich; denn er gebieter,, für
die Vermirflihung des Staatszweckes und der Vers
faffung, über die gefammte Macht des Staates und
über alle Kräfte der Staatsbürger ;
3) unverantwortlich, weil das Volf im
Unterwerfungsvertrage, unter der Bedingung der Feit-
N
I 07
4
Staats» und Staatenrecht. , 213
haltung der Verfaſſung, dem Regenten ſich unbedingt
unterworfen hat, und weil in einem auf vertragsmaͤ⸗
ßiger Berfaffung ruhenden Staate nicht ber Regent,
fondern nur die von ihm angeftellten Staatsbeamten
für alle Verlegungen der Verfaſſung dem Regenten
und den Steflvertretern des Volkes verantwortlid)
find , indem der Regent, auf feinem hoͤchſten Stand⸗
punete, fein Unrecht begeben fann, und alfo jeder
Regierungsmißgriff, jede Verlegung der Verfdilung
und der organifchen Gefesgebung blos von der fehlers
haften Berathung und eigenmächtigen Willführ ber
Staatsbeamten in feiner Nähe ausgeht. Der Regent,
welchem alle im Staate verantwortlich find, kann nicht
felbft verantwortlich feyn; er, der höchfte Richter im
Staate, in deſſen Namen gerichtet wird, fann nice
ſelbſt gerichtet werden,
32.
Pflihten des Regenten.
* So groß die Rechte des Regenten, nad) ber ihm
zuftehenden Souverainetät und Majeftät ($. 30. 31.)
find ; fo groß find auch feine Pflichten, weil Rechte
und Pflichten fich gegenfeitig bedingen, weil beide auf
dem zwifchen dem Regenten und dem Volke abges
ſchloſſenen Unterwerfungsvertrage gleichmäßig bes
ruhen, und weil der Regent — unbefchadet der Hei⸗
ligkeit und Majeſtaͤt ſeiner Perſon — doch als Menfch
ein ſittliches Wefen bleibt, das in feinem In⸗
nern die ſittliche Gefeßgebung nicht verfennen kann,
nad) welcher er feine Abhängigfeit von Gott,
dem höchften fittlichen Gefeggeber und Richter, wahr:
nimmt. Diefes individuelle Bewußtſeyn feiner Ab⸗
bangigeeit von dem Urweſen aller Sittlichkeit, und
\
-
214 Saas. und Staatenrecht.
die aus ſeinem Vertrage mit dem Volke hervorgehen.
den Verhaͤltniſſe, legen ihm folgende Pflichten auf:
4) Aufrechthaltung der Verfaffung
nad) allen ihren einzelnen Bedingungen, und nament»
lich Aufrechthaltung der perfonlichen Freiheit und
Sicherheit, der Gleichheit aller Staatsbürger vor
dem Giſetze, der Freiheit der Preſſe und des kirch—
lichen Glaubens , und der Heiligkeit des rechtlich er⸗
worbenen cigenihums.
2) Behandlung des Staates als eines
lebensvollen, für ſittliche Zwecke errich—
teten und fittliche Geſchoͤpfe umſchließen—
den, Ganzen, und nicht als einer Maſchine.
3) Durchgaͤngige Anſtellung der Wuͤr—⸗
bigften zu allen Staatsämtern, nach zweckmaͤßiger
und ftrenger Prüfung ihrer Kenntniffe, und nad
ſorgfaͤltiger Ausmittelung ihrer fittlichen Mündigfeit:
-
überhaupt nad) dem Maasftabe ihrer perfonlichen
Tugenden und bereite erworbenen bürgerlichen Wer:
dienfte,
J 4) Beauptung alter Rechte der volle
ziehenden Gewalt, ohne je durch Eingriff in den
Gang der Gercchtigfeitspflege , oder durch geheime
"Polizei, oder durch eigenmächtige Auflegung, Erbes
bung und ‚willführliche Verwendung der zu beftimm= _
‚ten Zwedın bewilligten Steuern und Abgaben, oder
durch den Gebrauch des Kriegerftandes für andere
Zwecke, als für die innere Sicherheit und die Ver:
theidigung des Staates nach außen, oder durch unter:
laffene Befanntmahung und Vollziehung der von
der gefeßgebenden Gewalt befchloflenen Geſetze, oder
endlich durch nachtheilige Verbindungen und Unter»
bandlungen mit dem Auslande, den Endzweck alles
Steus- und Staatenrecht 315
Staats lebens, die Berwirklichung der Herrſchaft des
Rechts und der Woblfapre ber seſamuren Staqts⸗
bürger , zu hindern.
Thom. Rorarius, Rürftenfpiegel. Mit Vorrede
von Spangenberg. s. 1. 1566. 8
Geo. Tauterbed, Dtegenzenbuß. Wittenberg,
68 Bl
Casp. Ziegler, de jutibus majestaticis. Viteb,
1710. 4.
Franz Rud. Edler v. Sroffing, der Souverain,
oder die erfien Haupts und Grundfäge einer monare
chiſchen Regierung. Wien, 1780. 8.
J. Jac. Engel, der Fuͤrſtenſpiegel. Ca der
dritte Band ſ. Schriften.) Berl. ı802. 8.
dr. Ancillon, äber Souverainegät und Staats⸗
verfaſſungen. Berl, 1815. 8.
. Tat. Krug, die Füriten und die Voͤlker in
Iren gegenfeitigen Forderungen dargeſtellt. Leipzig,
1816. 8.
Fried rich 2 nennt theils im Antimacchia⸗
. vel, theils im Leben feines Öroßvaters (in
Der histpire de l’Academie de Berlin, Année
. 1748. p. 392), tbeils in fe (im hohen Alter ges
- fhriebenen) Abhandlung: Verſuch uͤber die Re⸗
gierungsformen und über die Pflichten
der Regenten (inf. hinter. Werfen Th.6,
S. 41 ff.) den Regenten den erfien Dienerdes
”
Staates, fo daß er (in den erften Abhandlungen
längit vor "Kouffeau 8 conırat socıal ) die Regen⸗
tenwuͤrde als ein Amt betrachtete, das aus einem
Vertrage entſpringt. Obgleich dieſe Anſicht
nicht die richtige zu ſeyn ſcheint, da ſie die
Regentenwuͤrde allen andern Staatsämtern glei
ſtellt, deren Ernennung, Wirkungskreis und
„.önfere Macht hoch einzig vom dem Regenten aug-
2116 : Staats» und Staatenrecht.
geht und abhaͤngt; fo fann doch nicht gelaͤngnet
‘ ‚werden, daß ſie auf einer ſittlichen Unterlage
beruft, und in ben Schriften eines europätfchen
. Souverains des achtzehnten Jahrhunderts nicht
ohne Wirkung bleiben Fonnte. . Sa Friedrich?
. war fo feft von biefer Meberzeugung durchdrungen,
daß ſich jener Ausdruck in der leßtgenannten Ab⸗
handl. (hint. Werfe Th. 6) zweimal findet:
©. 47 „Man präge ſich feit ein, daß die Erhal-
tung der Geſetze Die einzige Urfache war, welche
die Menfchen vermochte, ſich Oberberren zu geben;
=» denn dies ift der wahre Urfprung der Souveraine-
tät. Diefe Obrigkeit war der erfte Diener des
Staates.’ — und S,64: „Damit der Regent
feine Pflichten nie aus den Augen laffe, muß er
ſich oft erinnern, daß er ein Menſch iſt, wie der
Geringfte feiner Unterthanen. Er ift nichts,
als der erfte Diener des Staates, und
bat die Verpflichtung, mit aller Rechtſchaffen⸗
heit, Weisheit und Uneigennüsgigfeit zu verfahren,
‚ als wenn er jeden Augenblid feinen
Miebürgern über feine Staatsvermals
tung Rechenſchaft ablegen follte. Folg—
lich ift er ſtrafwuͤrdig, wenn er das Geld feines -
Volkes, welches durch die Auflagen einfommt, in
Aufwand , in Pomp und zu Ausſchweifungen ver⸗
ſchwendet ꝛc.“
| 33. |
Rechte und Pfliheen der Unterthanen.
Bei der gemiffenhaften Erfüllung der vertrags«
mäßigen Pflichten des Regenten find Die Staatsbürger.
zu unbedingtem Gehorſame gegen benfelben
‚ Staats» und Staatenreche. 217
verpflichtet, wie fie dieſen Gehorſam uͤberhaupt in
dem Unterwerfungsvertrage gelobt und perſonlich in
dem Buͤrger⸗ oder Amtseide geleiſtet haben. Dieſer
Gehorſam iſt unbedingt, inwiefern 1) nur der
Regent aus feinem hoͤchſten Standpuncte völlig ſicher
beureheilen kann, welche rechtliche Mittel zur Er-
reihung und Behauptung des Staatszweckes und ber
gemeinſchaftlich beſchwornen Werfaffung zugleich die
wirffamften find; Inwiefern 2) jede Verweigerung
des Gehorfans in Hinficht diefer Mittel die Sicher:
heit, Ordnung und Freiheit des innern Staatslebens
unaufhaltbar ftören würde; und inwiefern 3) der
Staatsbürger, Durch den Untermwerfungsvertrag, ver⸗
pflichtee ift, felbft Die Befchränfung und Aufopferung '
feiner individuellen Rechte und Wohlfahrt gutzuhei⸗
sen, fobald auf feine andere Weife der Zweck des
Ganzen erreicht oder erhalten werden fann., Doch
darf Das beeinträchtigee Individuum in dein legten .
Salle feine Vorftellungen und Befchwerden auf dem
rechtlichen Wege an die vorgefeßten Behörben, und,
wenn es von diefen zurückgewiefen wird, an die Per-
fon des Regenten felbft gelangen laffen, weil es denk⸗
bar ift, daß jene Behörden irren Pönnen, und weil
In vielen Fällen eine minder druͤckende Ausgleihung
des beeinträchtigten Rechts möglich bleibe.
Allein diefer unbedingte Gehorfam ift fein Leis
dender Gehorfam, Der-unbedingte Gehorfam: ift
ein freiwilliger, d. h. ein aus der fittlichen Gefeßge-
bung und aus der Ueberzeugung der Gehorchenden von
der Mechtlichkeit des beabfichtigten Zweckes hervor:
gehender , fo wie auf feierlichen Vertrage berubender
Gehorfam; er mwiderfpricht “alfo weder der- fittlichen
Natur des Menfchen, noch der Natur eines rechtlich
abgefchloffenen Vertrages. Der leidende Gehor-
N
mn
Kt
\
A
218. Staats. und Staatenrecht,
ſam hingegen beruht von ber ‚Seite des Befehlenden
nicht auf: Vertrag (nicht auf einem fittlichen Verhält-
niffe), fondern auf bloßer Willführ und Saune, und
von Seiten des Gehorchenden nicht auf freier Zuſtim⸗
mung zu einem vertragsmäßig feftgefegten Zwecke,
fondern auf blinder Unterwerfung unter die Willführ,
ohne die VBergegenmwärtigung irgend eines Zweckes und
ohne die Möglichkeit, bei diefer Unterwerfung unter
die bloße Willführ, Die Würde eines fittlichen Weſens
behaupten zu fonnen. Deshalb ift der leidende
Gehorfam unfittlich und unrechtlich zugleich; er fann
nie von Wefen unfrer Art gefordert, fondern böchftens
im Thierreiche gehandhabt werden. ’
So gewiß alfo aud) Die Staatsbürger, als Un-
tertbanen, zum unbedingten Gehorſame verpflich-
tet find; fo wenig find fie es, nach Rechts - und Pflich—
tenlehre, und nad) den Grundfägen der Religion,
zum leidenden Gehorſame. Zu dem legtern wuͤr⸗
den fie aber nur auf zweifache Weife genöthige wer-
den fonnen: 1) entweder nach der Eroberung des
Staates durch einen Fremden, welcher, ohne einen
rechtlichen Unterwerfungsvertrag mit den DBefiegten
und ohne einen vechslichen Abtretungsvertrag mit dem
bisherigen Oberhaupte derfelben abzufchließen, bie
Befiegten dem bloßen Zwange der Willkuͤhr
unterwerfen wollte; 2) oder wenn der verfragsmäßig
an der Spiße. ftehende Regent geradehin und
eigenmaächtig die VBerfaffungdes Staates,
deren Aufrechthaltung er beſchworen hat, felbft um⸗
ftürgen, und: durch Gefege und Befehle, welche ven
Grundbeftimmungen der Verfaffung völlig zumider
wären (3. B. durch das willführliche Ausfchreiben
unerfchwinglicher Abgaben; oder durch den Befehl
an profeftantifche Chriſten, Katholiken zu werden,
Staats . und Staatenrecht. 219
u. a.), die Wuͤrde ſi etliche: Weien. in feinen Untere |
thanen zerftören und ihnen den Genuß aller Rechte
-
und aller ‚Bedingungen irdiſcher Wohlfahrt entziehen
wollte.
In dem erſten Falle, wo ein fremder Eroberer,
ohne durch einen Abtretungs » und Unterwerfungsvers
trag zum Negieren berechtigt zu ſeyn, blos das Joch
des Treibers und den Zwang der Willküpr. gegen das :
befiegte Volk anwendete, würde baffelbe zum Zwange
gegen den Eroberer, fo lange diefer Zuftand
bauerte, berechtigt bleiben, d. b. es würde das
er haben , in jedem günftigen Augenblide dag
oh der Willführ abzumwerfen, und wieder in die
ehemaligen rechtlichen VBerhältniffe, wie vor ber.
„Eroberung, zurüczufehren (wie z. B. die Ruſſen
4477 nad) Abſchuͤttelung des mongoliſchen Joches,
und die Schweden im J. 1523, als fie ſich unter
Guſtav Wafa von Daͤnemark trennten); oder, wenn
dieſes nicht moͤglich waͤre (wie z. B. bei den aus
dem Exil zuruͤckkehrenden Juden), eine neue recht—
liche Verfaſſung und Geſtaltung vertragsmäßig ‚fic) |
zu geben.
> An dem zweiten Falle aber, wenn der recht⸗
mäßige Regent felbft die Verfaffung des Staates
eigenmädhtig und völlig umſtuͤrzen wollte, fann
nicht der Geſammtheit des Volkes, fondern nur deſſen
rechtmäßigen Stellvertretern, wegen ihrer gleichmä=
Kigen Theilnahme an der gefrögebenben Gewalt, Das
Recht zuftehen, den Megenten an die chatſachliche
(nicht etwa blos befürchtete) Verlegung der Berfaf-
fung und an die Folgen derfelben zu erinnern, fo wie
im äußerften Falle, — dafern, aller. Vorftellungen
und Befchwerden ungeachtet, die Verlegung der Ver-
faffung fortdauerte, und wenn die Verfaffung auf
C
220 | Staats: und Staatenrecht.
Feine andere rechtliche Weife gerettet. werben
fönnte, — bemfelben den Gehorfam aufzufündigen,
und den zwifchen dem Regenten und dem Volke be«
fteßenden Vertrag als aufgelöfee zu betrachten. Diefes
Aeußerfte könnte aber nur dann unternommen
‚werden, wenn theils die Würde ber fittlichen Natur
in den Regierten, fo wie ihr Recht auf Wohlfahrt und
Gluͤckſeligkeit, theils bie Selbſtſtaͤndigkeit und Unab⸗
haͤngigkeit bes Staates im innern und aͤußern Staats«
leben nicht anders gerettet werden koͤnnte. Doch folge
Ä ſelbſt aus dieſer Aufkuͤndigung des Gehorſams nichts
‚weiter, als daß der bisherige Regent aufhoͤrte, Regent
zu feyn, und nad) der Auflöfung des Vertrages ins
Privatleben einträte; in feinem" Falle aber
das. Recht, den Negenten wegen feiner Regentenhand⸗
lungen zur Verantwortung zu ziehen, oder gar zu be= -
ſtrafen, weil er während der Zeit feiner Megierung
perfönlich unverleglich und heilig, und für alle feine,
Megentenhandlungen unverantwortlid) ift.
So felten auh, namentlich unter hriftlichen
Völkern, die gefhihrliche Erſcheinung gewefen
ift, daß Regenten entfegt, oder gar, mie in Eng⸗
land Karl 1 und in Frankreich ludwig 16,
hingerichtet worden ſind; ſo darf doch im philoſo—
phiſchen Staatsrechte die Pruͤfung dieſes Gegen⸗
ſtandes nicht übergangen werden, Denn aus dem
Obengeſagten erhellt an ſich die Unrechtlichfeit und
Schändlichfeit des. Betragens gegen den ungluͤck⸗
lichen Karl 1 und Ludwig 146, ein Betragen,
vor welchem nicht blos gewarnt, fondern das aud)
durch DVernunftgründe nach feiner Abſcheulichkeit
entwicelt werden muß, weil einmal Thatfachen
dieſer Are nicht aus der Geſchichte vereilge werden. -
koͤnnen. — In Hinfihe der Entfeßung eines
Staats» und Staatenrecht. 221..
Regenten ift, in ber neueften Geſchichte chriſt⸗
licher Voͤlker, die Thronentſetzung Guſtavs 4
von Schweden im Jahre 1809 das wichtigſte
Beiſpiel, indem dieſer Schritt, durch die Aner⸗
kennung ſeines Nachfolgers von allen europaͤiſchen
Maͤchten, ſelbſt von dieſen gutgeheißen ward; denn
die Entſetzungen Selims 3 und Mu fapha’ 8
4 find außerchriftliche Ereigniffe. — In der
Theorie des Stuatsrechts mar das fogenannte jus .
resistentiae von jeher einer der ſchwierigſten Puncte,
befonders weil die Gefhichte alter, mittlerer und
neuefter Zeit diefe Aufgabe oft fe br r gewa Itfam
geloͤſet hat. Man denfe an die Gefchichte der ifrae«
litiſchen Könige, der perfifchen Kaifer, der Impe⸗
"ratoren in Rem und Byzanz; an bie Thronent-
ſetzung des legten Merovingers im J. 7525 an’die
- , Thronentfegung des legten Karolingers im J. 987;
Ehriftians 2 von Danemarf uff — Es ift
wahr, Hobbes, Grasmwinfel, unb mehrere,
namendlich Sr. eng (inder Berl, Monatsfdr.
1793, Dec. ©. 542 ff.) , felbft Kant in gewiſſer
Hinfiht (met. Anfangsgründe der Rechts—
‚ lehre S. 174), lehren nicht blog den unbebingten,
fondern felbft den leidenden Gehorfam; allein von
der andern Geite müffen auch. Männer wie
Friedrich 2 in der angezogenen Stelle (Note .
zu $. 32), v. Feuerbach (Anti-Hobbes S.
92ff.), v. Jakob (indem Antimacchiavel),
v. Schloͤzer (in dem allg Staatsredte )
——— — —
*) Shyiäzer fagt daſelbſt: „Es gibt fein crimen Ine-
sag majestatis in der Bedeutung der Nerone. Es
. gibt keine obedientia passiva im Ötuartifchen Vers
ſtande. Dieſe Lehre hat die Stuarte einen der ſchoͤn⸗
222 Staats- und Staatenrecht.
S. 195 f), Hagemeifter (in f. Zufägen zur -
Veberfegung von Schnaubert: Auch der
Regent ꝛc.), Heydenreih (in fi Staars-
. rechte *), Th 2, ©. 20), Rüdiger (inf
| Lehrbegrifft de Vernunftsrehts und
der Öefesgebung, ©.252 ff), Voß (Hand:
buch der allgem. Staatswiffenfhaft,
Th. 1,S. 513 f2),v. Eggers (Verfucheines
fyſtem. Lehrbuchs des nat. Staatsr. ©.
219) 9), Krug (Rechtslehre, od. Spft.d.
pract. Phil. Ih. 1, Ag und deffen
Handb. der Phil. N. A. Th.2, S.201 f.) *00),
ſten Throne der Welt gekoſtet. Dem zufolge gibt
ı 66 ein jus reaistentise gegen Ufurpatoren und Tys
vannen; wiewohlnur im Salle hoher Evis
den.“ |
*) Heydenreich am a. O. „Wenn der Oberherr
ſich durdy den Bruch des Vertrages, durch Anariffe
auf die Geſellſchaft und ihre Verfaffung als Feind
geist; fo hat die Geſellſchaft gegen ihn das: Recht
‚ des Beleidigten in feiner Unendlichkeit.“
**) Eggers fagt ©. 221: „Das äuferfte Mittel,
"welches die-Unterthanen wider den Negenten haben,
ift die Abſetzung deffelben. Denn wenn gleich der
Regent die Majeftät eigenthämlich beſitzt; fo find
die Bürger dennoch befugt, ihm diefes, ſobald es
es zuverlaͤſſig iſt, daß er ſeine Pflichten nicht ers
füllt, zu nehmen, wenn fein anderes Mittel zur .
Erhaltung des Staates vorhanden iſt.“
“er, Krug a. a. O. „Der Widerftand kann zuerft
negativ feyn, und befteht dann blos in der Der:
weigerung des Gehorfams. Er fann aber auch
pofittv, oder ein wirklicher Aufftand werden. Wie
weit jedesmal ein folher Widerftand' gehen dürfe,
laͤßt fih im Allgemeinen gar nicht beſtimmen, fon:
Staats» und Staatenrecht 223
“und viele andere über vieſen Gegenſtand verglichen
werden. (.Benj. Erhard, ber das Recht’ eines
z Volkes zu einer Revoludion. Ze , 1795" 69 |
' 34: 09 F
| ti richterliche Gewalt un
Wenn das Recht im Staate zur Herrſchaft'ge⸗
langen, und jede Selbfthülfe von det bürgerlichen .
Geſellſchaft ausgeſchloſſen -werden ſoll, weil in der:
felben an bie Stelle der Selbfthülfe der rechtlich ge
ftaltete Zivang tritt; fo muß in derfelben eine Grmalt
beſtehen, welche darüber wacht, daß jedem Büͤrger
das twiederfahre, was in dem einzelnen Falle Recht
iſt. Diefe Gewalt ift die richterlihe. "Sie if -
ein Theil der vollziebenden Gewalt, und,
nach ihrer Thätigkeit, an die vorausgehend?
gefeggebende Gewalt gebunden; denn fie hat
die Beſtimmung, die einzelnen Kechtsftreitigkeiten in
der bürgerlichen Gefellfchaft den vorhandenen organi⸗
ſchen oder abgeleiteten Geſetzen unferzustdnen, und den
vorliegenden oder ftreitigen Fall in Angemeffenheit zu
den beſtehenden buͤrgerlichen oder peinlichen Geſetzen
zu entſcheiden. Die richterliche Gewalt kann daher, ſo
groß und einflußreich auch ihr Wirkungskreis iſt, mit
der geſetzgebenden und vollziehenden Ge—
dern kommt auf die Dringlichkeit der Umſtaͤnde an,
und muß dem Gewiſſen Überlaffen werden. — ' ©&o’
viel aber iſt Mar; daß es eben fo ungereimt ; ale -
ungerecht wäre, wenn. die zum Widerfiande gends-
thigten. Unterthanen ihren Negenten zur Verantwor⸗
tung ziehen, beftrafen, ‚oder gar hinrichten wollten. ,
Denn fie find nicht deffen Richter, und haben keine,
Straufgewalt über in.
—
224 ı _ Staats und Staatenrecht.
walt nicht auf gleiche Höhe geſtellt werden,
weil fie-nach ihren Entſcheidungen von der erſten ab⸗
hängt, und nad) ihrer Wirffamfeit ein Theil der zweiten
iſt. Denn obgleidy der richterliche Ausfprud ganz
dem Ermeffen des Richters, ohne irgend einen äußern
Einfluß auf Denfelben, überlaffen hleiben muß; fo ge-
fchieht doch' derſelbe im Namen deb'Regenten,
in welchem alle Gefege im Staate, als. unveränderliche
Vorſchriften des. Gefammtwillens , befannt gemachg
und vollzogen werden. Die Wirffamfeit des. Rich;
ters in Beziehung auf die vorhandene Gefeggebung
ift. aber zunächfi an die grammatifche Exklaͤ—
rung des Gefeßes, nach den Worten deſſelben ynd
nach deren Zufammenhange ‚und, wo dieſe nicht aus⸗
reicht, an Die logiſche Erklaͤrung, oder an die
Ableitung des Urtheilsſpruches aus der. Ahficht des,
efeggebers (dein Grunde des Gefeges) gebunden.
‚Damit ift zugleich die Grenze feiner Wirffamfeie bes '
ſtimmt. Denn wenn er den beftehenden Geſetzen
feine indivjduelle Anfiche und Deutung unterlegt;
ſo überfchreitee er feinen Beruf., Daraus geht frei-
lich. mit. Nothwendigkeit hervor, da der Richter um _
fo beftimmter und ficherer den einzelnen Gall unter
has beftehende Geſetz bringen Fann ‚je deutlicher und
beftimmter das Gefes felbft lautet, je mehr innerer
Zuſammenhang in den einzelnen Theilen der Gefeg-
. N
⸗
gebung beſteht, und je genauer das vorhandene buͤr⸗
gerliche und Strafgeſetzbuch den, Beduͤrfniſſen eines
in feiner geiſtigen Bildung und ſittlichen Reife fort
geſchrittenen Volkes entſpricht. — Wo zweifelhafte
Faͤlle eintreten, ober wo irgend eine Thatſache im
Staatsleben durch fein vorhandenes Geſetz vorgeſehen
worden iſt; da ſollte nie der Richter, nach eigenem
Ermeſſen oder nach ber Aehnlichkeit (Analogie),
Staats und Staatenrecht. 9235
ſondern die im Staate beſtehende Geſetzeommiſſion
entſcheiden.
BE 35
Bortfegung.
Naͤchſt dem bürgerlichen und Strafgefegbuche
im Staate, fegt aber auch die Wirffamkeit der rich
terlichen Gewalt ein Geſetzbuch für die recht—
liche und zeitgemäße Form ber Gerechtig—
feitspflege, fo wie die fefte Begründung der ver-
fhiedenen Gerichtshöfe, nach den einzelnen In⸗
ftanzen der Ober-, Mittel» und Unterbehörden, und
die Beftimmung aller der Fälle voraus, die für dieſe
einzelnen Gerichtehöfe gehören. Gleichmäßig muß
für die gerichelichen Anwaͤlde (Advocaten) eine
forgfaltig berechnete Ordnung beftehen, und über die»
ſelbe von der vollziehenden Gewalt gehalten werben.
Soll übrigens die richterliche Gewalt ihrer hohen
Beltimmung im Staate entfprechen ; fo muß Das ge»
fammte Perfonale derfelben, zwar vom Regenten er»
nannt und in deffen Namen erfennend, in Hinficht feis
ner Wirffamfeit aber völlig felbfiftändig und
unabhängig feyn, fo daß daffelbe einzig an die
Gefegbücher für die bürgerlichen und peinlichen Fälle
und für die Gerichtsform gebunden, nie aber von bem
Willen irgend einer verwaltenden Behörde, von einem
Kabinersbefehle, von einem Winfe. von oben, ‚ober
von einem andern Außern (vielleicht gar auswärtigen)
Einfluffe abhängig, und der einzelne Richter nur in
dem einzigen Falle in Anflageftand zu verfegen, und
des Amtes verluftig. zu erflären ift, wenn er bie .
. Würde feines Amtes verlegt, und das Recht auf
irgend eine Weife gebeugt hat, —
1. | 15
226 Staats» und Staatenrecht.
Eben fo muß das Perfonale ber Richter von allen
übrigen Zweigen ber gefeßgebenden und vollziehenden
Gewalt verfchieden ſeyn; theils weil das Richteramt
an ſich die volle Kraft eines menſchlichen Geiſtes ver-
langt; theils weil die übrigen Zweige der Verwal⸗
kung ‚ namentlich die Polizei und die Finanzen, nad)
ihrer Wirkfamfeit unvereinbar. find mit dem eigen- .
thuͤmlichen Gefchäftsfreife bes Richters. Nicht min⸗
der verlangt. das Richteramt eine collegialifche,
und Feine bureauartige Einrichtung, fo daß
felbft der Vorſtand einer richterlichen Behörde auf.
das Urtheil und die Anficht der einzelnen Mitglieder
des Gerichts feinen perfönlichen Einfluß ausüben darf.
Sobald endlich der richterliche Ausſpruch, nad)
Stoff und Form, den beftehenben Gefegbüchern völlig
angemeflen ift; fobald darf derfelbe auch — ben fel-
tenen all der Ausübung des Begnadigungsrechts
- ausgenommen — nie verändert, d.h. weder gemil-
dert noch gefchärft, noch ganz aufgehoben oder un-
vollzogen gelafien werden. Nicht minder muß jebem
Staatsbürger das Recht zuſtehen, Die Ureheilsfprüche
der richterlichen Gewalt in eignen, oder fremden An»
gelegenheiten zur Oeffentlichkeit zu bringen; theils
weil Die Handhabung ber Gerechtigkeit eine öffentliche
Thatfache im äußern freien: Wiefungskreife iſt; theils
weil Dadurch das Gewicht und der Einfluß ehrmwürdis
ger Gerichtshoͤfe auf das öffentliche Staatsleben nicht
vermindert ‚, fondern gefteigers werden muß.
36.
Die vier Mauptepeite der Staatsvermal-
fu n 9
& wie es nicht ein. Gegenftand bes Staats-
rechts, fondern der Staatskunſt ift, ‚die einzelnen
Staats. und Staatenrecht. ‚227
Regierungsformen unter ſich zu vergleichen (5.3.
die monacchifche, demokratiſche, ariftofratifcheu.f.w.),
wie fie nach dem Zeugniffe der Gefchichte beftanden °
haben und noch beftehen, obgleid) die rechtliche Form
der Verfaffung des Staates — als Grundlage
aller Staatsregierung — auf Gtundfägen der Ver-
nunft beruht; fo gehört ah das Einzelne der
vier Hauptzweige der Staatsvermwalfung .
junächft in den Kreis der Staatsfunft‘(3. B. nad)
den einzelnen Minifterien, den verfchiedenen Behoͤr⸗
den u. ſ. w.), und nur die Haupteintheilung ber
Staatsverwaltung felbft, fo wie das allgemeine
Berhältniß ihrer Theile gegen einander,
in das Gebiet des Staatsrechts.
‚Die Verwaltung des Staates umfchließt aber
vier einzelne Theile: die Gerechtigkeitspflege,
die Polizei, die Finanzen und die bewaffnete
Macht. In Beziehung auf diefelben ſtellt die Ver⸗
nunft drei rechtliche Grundbedingungen auf: |
4) daß die zweckmaͤßige Geftaltung der Vers
waltung von der rechtlichen Form der Ver.
faffung abhängt, weil eine Verwaltung, ohne
Begründung in der Verfaffung, nur Einzelnheiten,
nicht aber eine innere Einheit und Vollendung des
Staatsorganismus barbieten kann; denn alle Theile
ber Verwaltung find unter fich einander gleih, und
gehen nihteiner ausdem andern, fondern fie
allegemeinfhaftlih und gleihmäßig (für
Bebürfnifle der bürgerlichen Geſellſchaft, Die einan⸗
des an Wichtigfeit gleich ftehen ,) aus den Grund⸗
beftimmungen der Verfaffung hervor ;
| ‚2 daß, nach ihrem Perfonate, die vier
Haupttheile der Verwaltung ftreng von einander.
getrennt werden, und namentlichdie Gerechtig⸗
1
⸗
228 . Staats- und Staatenrecht.
keitspflege von der Polizel , fo wie die Finangverwal
tung von der Polizei und Geredhtigfeitspflege ; theils
zur ‚Verhütung der mannigfaltigen Mißbraͤuche bei
der Ausübung einer doppelten, ‚von einander vers
ſchiedenen, Gewalt; theils weil jeder befondere Zweig
det Verwaltung eine eigenthümliche Vorbereitung und
längere Webung erfordert, wenn die höhern: Zwede
des Staates durch ihn erreicht werden follen; -
3) daß ſaͤmmtliche, in den vier Hauptzweigen
der Verwaltung von dem Regenten ernannte und an⸗
geftellte Beamte, in dem vertragsmäßig begründeten
Staate, , zunächft in allen Beziehungen dem Regen
‚ten, fo wieden Stellvertretern des Volfes nad) dem
ihnen Fark Sa zuftehenden Antheile an der
‚gefeggebenden Gewalt, für die Art und Weiſe ihrer,
Bermaltung vera ntwortlic find,
Es ift alfo Gegenftand der Staatsfunft, mit
Hinſicht auf die örtlichen und volfsthümlichen Ber
dürfniffe und Verhältniffe, im Einzelnen zu bes
ſtimmen, wie viele Minifterien, als hoͤchſte
. Endpuncte aller Staatsvermaltung, mit ihren Uns
terbehörden, — wie der Staatsrath, als hoͤchſte
berathende Behoͤrde, nach ſeiner Eintheilung. in
Sectionen, — mie viele Gerichtshöfe, wie viele
Polizei- und Finanzbehörden einzurichten, und wie
die Friegerifchen Kräfte des Staates anzuorbnen,
zu vertheilen und zu leiten find,
. Necker, von der volziehenden Gewalt in aro⸗
‚sen Staaten. Nach d. Franz. (von Peg). 2 Thle.
Nuͤrnb. und Lpz. 1793. 8. |
37.
Die Staatsämten
. Die Vernunft denkt unter einem Staat 8 a mte
Staats- und Staatenrecht. 229
den nothmwenbigen, von dem Regenten nad) feinem
Umfange, nad) feiner Macht und nad) feiner Würde
genau beftimmten Birfungsfreis eines, für irgend
einen befondern Zwed des Staates angefteflten, In⸗
dividuums. Die Uebertragung des Amtes von,
Seiten des Regenten ober in deffen Namen, und die
Webernahme beffelben von Seiten des Angeftellten
vermirtelft des Dienfteides, bildet den Ameise
oder Dienftvertrag, weil fr ſittliche Wefen eine
fortdauernde Berechtigung und Verpflichtung nur auf
Vertrag beruhen fann.
Nach. dem gewöhnlichen Maafe der koͤrperlichen
und geiftigen Kräfte eines Individuums, nach ber
Art und Weife der zweckmaͤßigen Vorbereitung zum
Eintritte in den Dienſt des Staates, und nach dem
ſtaatswirthſchaftlichen Grundſatze der Theilung der
Arbeit, verlangt jeder beſondere Zweck des Staates
(3.3. die Ausübung der Gerechtigkeitspflege, das
Erzicehungswefen, die Erhebung der Steuern und
Abgaben u. f. m.) einen abgefchloffenen Kreis von
Individuen, die für Die Verwirklichung dieſes Zweckes
ernannt und angeftellt werden. Es muß aber jedes:
einzelne Staatsamt nothwenbig feyn, weil das
Gefeg der Sparfamfeit, theils in Hinfich auf die
Bewirtdfhaftung der geiftigen Kräfte im Staate,
theils in Beziehung auf die für das Staatsamt aus⸗
zumittelnde Beſoldung, alle überfluffige und
entbehrliche Stellen ausfchließt. Wie weit übris
gens der Umfang der Wirffamfeit bes einzelnen
Staatsamtes reichen, welche Rechte und Verpflich⸗
tungen alfo mit bemfelben verbunden, welhe Macht
‚ Ihm zugetheilt und welche Stellen der ürbe und des
Ranges unter den Ständen des Staates bie einzelnen
Staatsämter ($. 14.) einnehmen follen, fann blos
230 Graats- und Staatenrecht,
der Megent aus feinem Standpuncte an ber Spige
ber Gefammtverwaltung beſtimmen; denn von ihm
geht jede Einführung in die Kreife des Gefchäfts-
lebens, alle Macht und alle Würde aus,
& unbefchränft aber ber Negent in diefer-
Hinficht malten barf; fo ift er doch, als Oberhaupt
einer fittlich-rechtlichen Ordnung der Dinge, verpflich⸗
tet, nur die Wuͤrdigſten, ohne irgend ein. An-
ſehen der Perſon, zu den erledigten Staatsaͤmtern zu
ernennen. Dieſe Wuͤrdigkeit wird zunaͤchſt an der
ſittlichen Muͤndigkeit der anzuſtellenden Indi⸗
viduen, und dann an der, durch ſtrenge Pruͤfung
bewaͤhrten, geiſtigen Kraft und Bildung zur
Uebernahme des eben erledigten Staatsamtes erkannt.
Denn ſo gewiß ein hoher Grad von Kenntniß und
Bildung den Abgang ſittlicher Reife nicht zu erſetzen
vermag; ſo verlangt doch die Gerechtigkeit, daß der
Regent, außer der entſchiedenen Siccichkeit des An⸗
zuſtellenden, auch deſſen Faͤhigkeit, Kenntniß und
geiſtige Bildung beruͤckſichtige, weil nur die Ver—
einigung beider Bedingungen in Einem In⸗
dividuum den Ausfchlag bei deſſen Anftellung geben
fann. Nicht alfo Geburt, nicht Empfehlung, nicht
- Hoffnung, daß fich die fehlenden Eigenfchaften noch
finden werben (nad) dem leidigen Sprüchworte: Wen
Gott ein Amt gibt, dem gibt er aud) Verftand),
gefhmeige Beſtechung, ſondern perſoͤnliche Wuͤrdig⸗
keit und Faͤhigkeit eignen zum Eintritte und zum
Aufruͤcken im Staatsdienſte. Dieſes Aufruͤcken aber
zu hoͤhern Aemtern in dem einmal angewieſenen Wir⸗
kungskreiſe iſt eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen den
Staat, ber nur bei dem Aufruͤcken bewährter, ſach—
Eundiger und vielfach, geubter Männer gewinnen kann,
und gegen die Individuen, welche in untergeordne⸗
Eroats- und Staaten. 231
ten und beſchraͤnkten Verhaͤltniſſen ihre Kräfte ent-
wickelten und übten, und dadurch würdig wurden
zur. Hebernahme höherer Aemter in demfelben Wir: .
Fungstreife. Doc nie darf der Staat fetbft.bei dem
Sefthalten bes Syſtems bes Aufrüdens leiden ‚ weil,
ſobald das erledigte Staatsamt ein höheres Maas
von Kräften erfordert, als fid) bei dem zunächftftehen-
den Individuum findet, die Wohlfahrt des Ganzen
den Wünfchen und übrigen Verdienſten bes Indivi⸗
duums vorgeht; nur darf in ſolchen Fällen nie die
Partheilichfeit und Willführ, fondern der fefte Blick
auf den Zweck des Staates felbft entfcheiben.
‚An ſich betrachtet, muß jedes Staatsamt auf fe
benszeit ertheilewerben, und fann nur durch Dienfts
unfreue, nad) rehtliher Entfheidung, ver
loren geben. Als Ausnahmen davon gelten Aemter,
deren Gefchäfte nur auf eine gewiffe Zeit im Voraus
beſchraͤnkt find (Commiffarien, Deputirte. u, a.), fo
wie die ehrenvollen Entlaffungen, mit Penfionen ver⸗
bunden, wenn Staatsdiener in geiftigee oder. förper«
licher Hinfiche unfähig werden, den ihnen angewiefe-
nen Wirfungsfreis fernerhin auszufüllen. Entlaflun-
gen blos wegen verlorner Gunft des Regenten koͤnnen
wohl in Hof dienſten (wie in allen perſoͤnlichen
Dienſten), nicht aber inSta atsdienften ſtatt finden,
wo blos die Gerecdhtigfeit, nicht, wie in Privatver⸗
haͤltniſſen, die perfonliche Zuneigung ober Abneigung
| ‚entfcheibet
Jedes Staatsamt muß feine beſtimmt bezeich⸗
nende Benennung (ſeinen Titel) haben, und mit
derſelben muß der buͤrgerliche Rang deſſen verbunden
ſeyn, der das Amt bekleidet. So wenig ſolche Aem⸗
ter und Titel vererben koͤnnen; fo wenig dürfen auch
gewiſſe Titel, als bloße leere Worte und Laute,
- , ”
f . * F
Tran
*
2322 Staats- und Steatenrecht.
mit andern Aemtern verbunden werben, deren Wir⸗
fungsfreis außerhalb jenes Titels liegt. Denn für -
die gerechte Anerfennung und Auszeichnung des wah⸗
ven perfönlichen Berdienftes gebietet der Regent über
zu viele Mittel, als daß es der Ertheilung eines in⸗
haltsloſen Titels bedürfte; weshalb auch bie Ver⸗
dienſtorden im Staate nur fparfam und ndch dem .
Grundſatze der ſtrengſten Gerechtigkeit ertheilt werden
duͤrfen.
Der Rang der Staatsbeamten muß nach dem
Grade und der Stufe ihrer Wirkfamfeit, und mit -
fchonender Ruͤckſicht auf das Dienftalter ber beamteten
Individuen gefchehen. Mie darf dabei ein einzelner
Zweig der Staatsverwaltung (3. DB. der Dienft in
der bewaffneten Macht) der allgemeine Maasftab der
Rangorbnung im Staatsbdienfte werden; denn für den
Gefammetzwed des Staates find alle Theile der Ver:
waltung gleich wichtig, einflußreich und unentbehrlich.
Jedes Staatsamt fchließe zugleich Die Verant⸗
wortlichkeit des Individuums in fi) ein, welches
daffelbe bekleidet. Pur der Regent ift unverantwort-
lich, weil ihm alle verantwortlich find; und naͤchſt ihm
find blos die Stellvertreter des Volkes, während der
Zeit ihrer öffentlichen BWirkfamkeit (doch nicht
fuͤr die Handlungen ihres Privatlebens ) unverant-
wortlih.
Jeder Staatsbeamte muß übrigens feine Beſol⸗
bung vom Staate erhalten, und mit dieſer Beſol⸗
dung auf dem jährlichen Budget ſtehen. Dieſe Bes
foldung muß der Würde und der Wirkſamkeit des
Staatsamtes, fo wie den örtlichen Lebensverhältniffen
des Beamten „angemeſſen feyri, und mit dem Auf
ruͤcken in höhere Stellen erhöhee werden. Nie muß
ein Staatsbeamter nöthig haben, durch Mebenarbeiten
‚Steass- und Staatenrecht. | 233
den nötigen sebensbedärf zu decken. Wer fuͤr den
Staat lebt, und demfelben die ganze Kraft feines
Sebens ‚widmen fol, muß auch von dem Staate für
diefen Aufwand feiner Kraft verhältnißmäßig
(d. h. ohne Verſchwendung und ohne Kargheit) ent-
ſchaͤdigt werben. Deshalb find alle mit Aemtern
verbundene Sporteln verwerflid; wohl aber fann
ein Theil der Amtsbefoldung ‚ je nachdem es Die Ver⸗
hältnifle rathfam machen, in Naturalien beftehen,
Aemter ohne Befoldung folleen in feinem recht-
lich geftalteten Staate beftehen ; ſelbſt Staatsbeamte
"auf Wartegeld gefest, Fonnen nur zu den feltenen-
Ausnahmen gehören, über melche nicht das Staats:
recht, fondern die Staatskunft in einzelnen Faͤllen
entfcheider. '
„Endlich Darf weder die Jugend ein Hinderniß,
noch das Alter ein Beftimmungsgrund (ratio mise-
ricordiae) zur Anftellung im Staatsdienfte werden,
fotald, nad) Vernunftgrundfägen, die pe efön liche
Würdigfeit und Faͤhigkeit den einzigen gerec)-
ten Maasftab für die Anftellung, enthält.
Nach den innern Verhältniffen und Abſtufungen
des Staatsdienſtes, muß eine Unterordnung
der in niedern Aemtern ihre Laufbahn beginnenden
unter Die Höherſtehenden und Vorgeſetzten
ſtatt finden, ohne welche der innere Zuſammenhang
in dem Geſchaͤftsgange fehlen wuͤrde. Allein dieſe
nothwendige Unterordnung darf keinen perſoͤnlichen
Druck der Untergeordneten, und keine ee
Ueberfpannung ihrer Kräfte in fich einfchließen. Be⸗
ſonders darf fie, wo Die einzelnen Zweige der Staats«
verwaltung Eollegien übertragen find, nie das
“ freie Abſtimmungsrecht der Näthe und. Mitglieder
der Eollegien durch den Cinſiuß des Vorſtandes
-
0
234. Staats--und Staatenrecht.
| befehränfen, weil Fein Defpotismus bem Staats-
dienfte nachtheiliger ift, als wenn die Vorftände
der Eoflegien es vergeffen, daß fie nur primi inter
. päres find, und daß zwar die Leitung des Gefchäfte- -
ganges, die Vertheilung ber Arbeiten u. fe w. —
der Drdnung des Ganzen wegen — nie aber die
Entſcheidung der gemeinfchaftlich zu berathenden
und nach der anebrbeit der Stimmen zu beendigen-
den Gegenftande — von ihrem individuellen Er-
meſſen abhängt.
v. Seuffert, von dem Verhältniffe des Staa⸗
tes und der Diener des Staates gegen einander im _
rechtlichen und politifhen Verſtande. Wuͤrzb. 1793. 8.
Franz. Arn. von der Becke, von Staatsämtern
und Staatsdienern. Heilbronn, 1797. 8.
Nic. Thaddäus Gönner, der Staatsdienft ans
dem Gefichtspuncte des Rechts und der Nationale
öfonomie betrachtet. Landsh. 1808. 8.
38.
Rehtlihe Form der Kirde im Staate,
Das rechtliche Verhaͤltniß der Kirche im.
Staate und zu dem Staate beruht cheils auf dem
fitelich »veligiofen VBebürfniffe jedes Wefens unfrer
Art, über die Gegenftände der religiöfen Erfenntniß
und des religiofen Glaubens zu einer feften Ueberzeu⸗
gung zu gelangen, und dieſe Heberzeugung durch Theil⸗
nahme an einem öffentlichen Gottesdienſte ( Cultus )
‚zu befennen, theils auf dem daraus fließenden Rechte
jedes Staatsbürgers, mit allen denjenigen, welche
diefelbe Ueberzeugung erlangt und’ zu demfelben Got⸗
tesdienfte fich vereinigee haben, zu einer äußern Ge-
fellichaft zufammenzutreten, die man, zum Unterſchiede
von jeder andern Geſellſchaft, vie Firchliche nennt
(Maturr..$. 39.). Der Inbegriff aller aus dem kirch⸗
R
Staats» und Staateunrecht. 235
lichen Sefellfchaftsnertrage hervorgehenden Rechte und
Pflichten heiße das natuͤrliche Kirchenrecht,
im Gegenfage des pofitiven Kirchenrechts, das aus
dem befondern Gefellfchaftsvertrage jeder einzelnen im
Staate beftehenden Kirche entfpringe. Denn obgleich,
nach der Vernunft, der allgemeine Zwei ber
Kirche ift, die innere religiöfe Gefinnung und Ueber⸗
zeugung durch einen Außern Cultus darzuftellen,
und vermittelft der Firchlichen Gefellfehaft den Ends
zweck der Menfchheit felbft bei allen Mitglie-
‚bern des firchlichen Gefellfchaftsvertrages zu beför-
dern; fo ift doch, bei der großen Verfchiedenheit der
Richtung , Bildung und Beftrebung des menfchlichen-
Geiftes in religiöfer Hinficht überhaupt, bei dem
bedeutenden Einfluffe der Erziehung, des Unterrichts
und des Beifpiels in Beziehung auf religiöfe Lehren
und Grundfäße und auf den äußern Eultus, fo wie
nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, in jedem Staate
eine Mehrzahl von Kirchen vorhanden, von
welchen jede, außer dem allgemeinen Zwede der Kirche: .
überhaupt, ihren befonderen Zweck, nad) ihrem
befondern kirchlichen Gefellfchaftsvertrage , feithäle.
Jede Kirche im Staate befteht daher aus einer Geſell⸗
ſchaft, die ſich fur das Bekenntniß und fuͤr die Aus-—
übung ihres religiofen Glaubens, zu einer für dieſen
befondern Zweck berechneten eigenthümtichen Verfaſ⸗
ſung und Verwaltung, durch einen beſondern Vertrag
rechtlich gebildet hat. Die Kirche unterſcheidet ſich
aber dadurch von allen übrigen beſondern Gefellfchaf-
. ten im Staate, daß ihr Zweck nicht zunächft ein außer
rer und bürgerlicher „ fondern ein fietlid) » religiöfer,
‚und zwar, aus dem Gefichtspimtete des Endzwecks der
Menfchheit betrachtee, der hoͤch ſte ift, der von ver⸗
nünftig=finnlichen Wefen beobfichtiget werden fann.
‘
236 ° Staats- und Staatenrecht.
14
39.
Fortſetzung.
So wie aber der Grundvertrag des Staates,
dem Begriffe nach, in drei einzelne Vertraͤge auf.
gelöfet werden, fann; fo auch der Gefellfchaftsvertrag
der Kirche, inwiefern namlich der firhlihe Ver—
einigungsvertrag ben fittlidy -religiöfen Zweck
ausfpricht, zu deſſen Verwirklichung die Mitglieder
Der: firchlichen Gefellfchaft zufammentreten, fo. wie.
der firhliheVerfaffungsvertrag die Sehren,
den Cultus und Die Kirchenordnung (Difeiplin), als
die wirffamften Bedingungen enthält, durch
welche jener Zweck, vermittelft eines äußern gemein
fhaftlichen Gottesdienftes erreicht werden foll, und
der kirchliche Untermerfungsvertrag die °
Art und Weife bezeichnet, wie innerhalb der Kirche
durch. gemahlte Worfteher und Auffeher of Fi
Synoden, Eonfiftorien ‚ Presbyterien u. a.) theils
der sehrbegeif, theils der Cultus, eheils die Kirchen-
‚ordnung in der Mitte aller Theilnehmer der Kirche
gehandhabt und aufrecht erhalten werden fol.
Ob nun gleich der Grundvertrag ber Kirche dieſe
drei einzelnen Vertraͤge in ſich einſchließt; ſo kann
doch, weil die religioͤſe Ueberzeugung an ſich und die
Theilnahme an einer-Kirhe Sadhe des Gewiſ—
fens ift, Fein fieeliches Wefen gezwungen wer-
den, zu diefer oder jener Kirche zu treten, oder, da-
fern es diefelbe verlaflen will, bei denfelben zu behar-
ren. So wie 'im rechtlich geſtalteten Staate das
Recht der Auswanderung ſtatt findet; ſo muß auch⸗
jedem Mitgliede einer kirchlichen Geſellſchaft, nach
dem unveraͤußerlichen Rechte ber Glaubens - und Ge⸗
Staats. und Staatenrecht. 237
wiſſensfreiheie, das Recht zuſtehen, den Vertrag
aufzufündigen, burch. weldhen es bisher zur Geſell⸗
fchaft gehörte, und diefelbe zu verlaffen. Da ferner
jede Kirche eine ſittlich-freie Gefellfchaft iſt; fo
darf es nicht den tehrern und Vorftehern der Kirche
verftattet feyn, eigenmädhtig — ohne Zuftim-
mung der vertragsmäßig verbundenen Gefellfhaft —
die Verfaffung der Kirche nad) Lehre, Eultus
und Kirchenordnung zu verändern. Da endlich
der Eirchliche Unterwerfungsvertrag zwar die Aufrecht⸗
‚haltung ber vertragsmäßig beftehenden Kirchenord⸗
nung verlangt, aber alle äußere Gewalt und allen
bürgerlichen Zwang von ſich ausſchließt; fo kann
wohl, nad) Grundfaßsen der Vernunft, die Aus—
* fheidung einzelner unwuͤrdiger Mitglieder aus einer
kirchlichen Gefellfchaft verfüge werden , allein die ent»
ehrende Behandlung oder förperliche Zuchtigung ber
einzelnen Mitglieder (z. B. durch Kirchenbußen, durch
firchliche Verbaftungen, Inquiſition u. few.) nicht
in dem Umfange der kirchlichen Difeiplin enthalten
feyn-
So wie endlich die rechtliche Forın der Staates.
verfaffung darauf beruht, daß, zugleid mit dem
Oberhaupte bes Staates, den firtlih-mündigen Stell»
vertretern des Volkes ein beftimmter Antheil an-ber
-gefeggebenden Gewalt, hingegen dem Staatsober-
haupte einzig und ausfchließend die vollziehende Ge⸗
walt zufteht; fo wird auch die innere rechtliche Form
einer Kirche zunächft darauf beruhen, daß den ge»
wählten Vertretern der ganzen Kirchengemeinde, zu⸗
gleich mit den geiftlichen Vorftehern der Kirche, ein
Antheil an der gefeggebenden Gewalt in der Kirche
in Beziehung auf Lehre, Cultus und Kirchenordnung
zukommt, den geiftlichen Vorſtehern der Kirche aber
—
—1
238 Staats. « und Staatenrecht.
ausfchließend das Recht der vollzichenden Genal über»
fragen ift. |
oo. | ‚40.
Bor tfegung. Verhaͤleniß der Kirche zum
Staate.
Weil übrigens die Kirche zunaͤchſt das innere gei-
ftige, nicht das außere bürgerliche leben betrifft, und
deshalb, nad) ihrem Zwecke, eine ethifche, niche eine
juridifche Gefellfchaft, bilder: weil ferner in der buͤr⸗
gerlichen Gefellfchaft nur Ein höchfter Wille gedacht |
werben. fann, welchem alles in dem Staate gefeglic)
und verfragsmäßig untergeordnet-ift; weil aus Dem-
felben Grunde, nur ber mit der höchften Gewalt be-
kleidete Regent ſaͤmmtliche einzelne im Staate bes
ftehende Gefeltfchaften bei ihren Rechten und bei ihrer
Verfaſſung fchirgen, und über alle die Oberaufficht
. führen fann; weil endlich, nad) der Verfchiedenheie
ber religiöfen Ueberzeugung, in jeden Staate meh-
rere Kirchen mit fehr von einander abweichenden
Dogmen, Symbolen und äußern: Formen des Cultus
neben einander beftehen Fonnen, und wirflich
beftehen,, welche fammtlich eines gleihen Schußes
und einer gleichen Dberaufficht von der Regierung
bebürfen, damit fie einander nicht anfeinden, auch
einander nicht blos dulden, fondern als rechtlid) ab»
gefchloffene Ganze. fic) gegenfeitig anerfennen , achten
und nie in ihren Zwecken und Rechten beeinträchtigen ;
fö folge daraus, daß die Kirche unter, und weder
über, noch, als gleichgeorbnete Gefellfehaft, neben
dem Staate ſteht; daß fie innerhalb des Staates,
wie jede andere Sefellfchaft, ihren rechslichen Wir-
kungskreis behauptet; daß ihr Zweck und ihre recht⸗
—
| Staats, und Staatenredht. 239
liche Geftaltung dem Oberhaupte bes Staates bekannt
und von demfelben anerfannt und beftätige feyn muß;
daß die ganze außere Wirffamfeit und Difeiplinar«
gemalt der Kirche über ihre Mitglieder ein Ausfluß
der höchften gefeggebenden und vollziehenden Gewalt
im Staate, und von Diefer der Kirche rechtlich über-
tragen worden ift, und daß jebes Mitglied der gefeg-
gebenden und vollziehenden Gewalt der Kirche, als
folches,. dem Regenten den Huldigungseid zu leiften
verpflichtet ift.
Dieſes, nad) Vernunftgefegen einzig rechtliche
Verhaͤltniß der Kirche zu dem Staate wird mit dem
(etwas uneigentlichen) Ausdrude des Territorials
ſyſtems bezeichner; wogegen das Epiffopal- oder
bierarhifche Syftem den Staat der Gewalt der
Kirche und den Zwed des Staates dem Zwecke der
Kirche unterordnet, und das Collegialfyftem,
nach welchem beide, Staat und Kirche, zwei von
einander völlig unabhängige Grfellfchaften bilden fol
len, weber dem Zwecke des Staates, noch dem Zwede
ber Kirche entfpricht, und beide in einen anardyifchen
Zuftand verwandelt. Daraus folgt, daß blos das
Zerritorialfyftem die einzig rechtliche St flung
ber Kirche zum Staate vermittelt. Denn, nad) dem⸗
ſelben, ift zwar die Kirche, alsanßere Gefellfchaft,
dem Ötaate untergeordnet, nicht aber nach ihrem
fietlich »religiofen Zwede, deflen Annahme und Feſt—⸗
haltung Gewiſſensſa he ift und bleibe; Die Kirche
bilder in bem Staate, eben wegen dieſes hohen Zweckes,
die vorzüglichfte beſondere Geſellſchaft; fie hänge
zwar, nach dem Rechte der Oberboheit und Oberauf⸗
fiht, das dem Regenten als Souverainetaͤtsrecht
($. 30.) unbedingt zuiteht, von ber Seitung des Re⸗
genten, und durchaus von feinem aus waͤr⸗
-
240 Staats. und Staatenrecht.
tigen firhlihen Oberhaupte ab, weil dem
Regenten ihr Zweck, ihre Verfaffung, ihre Verwal⸗
tung, ihr Cultus und ihre Kirchenordnung vollftändig
befannt feyn und von- ihm garantirt.feyn müflen, Doch
fo, daß der,Regent in der Verfaflung und Verwaltung
der Kirche nie eigenmädhtig, ohne Zuziehung und Zu⸗
flimmung derer etwas verändern ober verlaffen darf,
welchen die befondere gefeßgebende und vollziehende
- Gewalt in der Kirche vertragsmäßig zufomme; fie ſteht
endlid zwar, weil fie ſich nicht felbft ſchuͤtzen kann,
unter dem Schuge des Staates, Doch fo, daß der bür-
gerlihe Zwang von Seiten Des Regenten nur dann .
auf die Kirche und deren Mitglieder angewandt wer⸗
ben darf, wenn es entweder gefchieht, um die. Kirche
‚in der Veberfchreitung ihres vertragsmäßigen Wir⸗
kungskreiſes zu hindern; oder wenn die Kirche ſelbſt
den buͤrgerlichen Zwang, nach der in ihr beſtehenden
Kirchenordnung, gegen einzelne ihrer Mitglieder
rechtlich aufrufen muß; oder wenn der Staat einzu⸗
ſchreiten genöthige wird, bafern ſich mehrere neben
einander im Staate beftehende Kirchen feindfelig be-
handeln, und in den anerfannten Rechtsverhaͤltniſſen
ihrer Verfaffung und Verwaltung beeinträchtigen
ſollten.
Sao wie aber dem Staate das Recht zuſteht, die
Streitigkeiten der einzelnen in ſeiner Mitte beſtehenden
Kirchen durch hoͤchſte Entſcheidung auszugleichen, und
ihre völlig gleichmäßigen aͤußern Verhält-
niffe aufrecht. zu erhalten; fo kommt ihm aud) das
Recht der Einfchreitung zu, mern im Innern einer
Kirche der Geift derſelben wöllig in Sittenlofigfeit
auserten, den Zweck des. Staates bedrohen, . und
unverfennbar die Auflöfung her von dem Staate
gewährleifteren Verfaſſung und Verwaltung ber
Staats: und Staatenrecht. 24
befondern Kirche herbeiführen ſollte. Nicht minder hat
der Staat das Recht, denjenigen Mitgliedern einer
Kirche, welche nach ihrer Ueberzeugung nicht länger
"Mitglieder derfelben feyn wollen, ‘den rechtlichen Aus»
tritt aus derfelben, ohne irgend einenMachtheil
anihrenbürgerlihen Rechten, zu verftatten,
zugleich aber alle abfichtliche Profelptenmacherei zu vers
hindern, und alle firdhlidhe geheime Secten
aufjuhrben, welche dem Zwecke des Staatrs und der
‚rechtlich anerfannten Kirchen dadurch entgegen arbeis
ten, daß fie burch verborgen gehaltene und widerrecht⸗
fiche Mittel ihre weitere Verbreitung im Stillen brförs
bern wollen. — Eben fo darf der Regent das Ver-
mögen der Kirchen fir die Zwecke des Etaatrs, doch
‚blos in gleihem Verbaltniffe, wie das Vermögen
alter übrigen Staatsbürger und fammrlicher ſi Ibftftän-
digen Gefillfehaften im Staate, und nach dem einzig
rechtlichen Grundſatze des reinen Ertrages,mit
. Abgaben belegen, nie aber da, mo das Vermögen der
Kirchen feinen reinen Ertrag gewährt, fondern zuihrem
eignen Fortbeftehen wifintlich erfordert wird. Endlich
ſteht dem Regenten das Recht (jus reformandı) zu,
nach demfelben Grundfaße, nach welchem die Werfaf-
fung des Staates felbft ($. 41.) einer fortſchreitenden
Verbeſſerung und Vervollkommnung fähig ift, aud)
die vertragsmäßig anerfannten Mitglieder der gefoßges
bbenden und vollziehenden Grwalt in der Kirche: zu ver-
- anlaffen , entweder ihre Berfaflung und Verwaltung
“oder auch ihren Cultus und ihre äußere Ordnung, nad)
„ben allgemein anerfannten Bedürfniffen einer Verbefn
ſerung derfelben, zweckmaͤßig abzuaͤndern und neu zu
geſtalten >).
2— Sn unferin Zeitatter, wo daß 4 Hirngefrin des ſohe⸗
16
J \
⸗
248 Staats- und Staatenrecht.
u
und zugleich als eine Verlegung der Urvertrage des
Staates angefehen werden.
Weil aber im Staate die Bedrohung und Ver:
legung der Rechte von Seiten der fittlich - unmün-
digen Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft unver-
meidlih ift; fo muß in derfelben der Zwang, als
nothwendige Bedingung der Aufrechthaltung der Herr:
haft. des Rechts, rechtlich geftaltet werden.
Allein der Zwang erhält im Staate nur dadurch
eine rechtliche Form, daß er zum allgemeinen Ges.
feße der ganzen Geſellſchaft erhoben, und
inihbrem Namen vollzogen wird, fo daß jedes
Individuum des Staates, felbft das, welches den
. Zwang erfährt, den Zwang als rechtlich anerfennt,
und die Vollziedung deffelben der im Staate beftehen-
den vollziehenden Gewalt‘, wie jeder andere
Zweig der Staatsverwaltung, rechtlich uͤbertragen ift.
Denn nur dadurch wird der Zwang rehrlich ges _
ftaltee, daß er-für jede einzelne Rechtsverlegung in
einem Geſetze beſtimmt ausgefprochen ift, und daß
die vollziehende Gewalt denfelben nad) der ihr zu:
ftehenden unmiderfzgfichen Mache des gefammten
Rachtsvereins anwendet.
Weil aber bei ſittlichen Weſen vr. 63
Werkzeug iſt, wodurch die freien Handiung. „m.
bracht werden, welche Die Rechte Andrer beeinträchr. |
gen; fo muß auch der Zwang nad) feiner Ankuͤndi⸗
gung in einer ſinnlichen Macht, in einem finn-
lihen Gegengewichte ——— Rechte An⸗
drer bedrohende oder verletzende Individuum beſtehen.
Dadurch gleicht der Zwang der unaufhaltbaren Noth⸗
wendigkeit, nach welcher die Naturkraͤfte wirken, ohne
doch eine bloße finnliche Macht zu fenn, welche
[4
N " \ 2 \
Btoest« und Staatenrecht. 43
Sam, de Pufendorf, trectstäs de habitu re-
‚Nigionis ‚christianae ad vitam civilem. Cum com-
mentario Jo. Pauli Kreasii. Jen, 712. 8.
BRened. Spinoza,. tactstus thrulogice- politi-
‚sus. Teut 9: Ueber heilige Schrift Judenthum,
Rechte der hoͤchſten Gewalt in geiftlishew Dingen,
und FSreiheu uendiloſophiren. BGora, 2787. ö-
— Gen
Sr: Rud. Vestfing, die Kirche und der Stunt,
. ihre, beiderſelilger PAltajt,, Macht und Grenlge.. Ber⸗
in, 178% 8°
- -Theodi Schialj, has Rasärliche alrcentecht.
—8 — 05 —.
ne Hart Sal. ahärtd), die” Einheit ‚des Otaa⸗
es und der Kikdre.! (Leim) 1797. 8.
89th, Verfuh über die Berpäunigt vr Stans
ee 17 zur Religion‘ und Kirche. Bern, 1758: 8.
ü Verſuch eines natärlichen Kirhentehts, aile der
° 7: Matur des Begriffs der Kirche entwickelt. Berlin,
. nr 1799. 8. ,
Brundfäge der Heligtonspblitif' im richtigen Ders
u häteniffe mit dem Staate. Verl: 1800. g
Heine: Stephaut, über dik abfolute Einheit
der Kirche und des Staates: Watzb. 1802, 8.
«
N
" Rrafen ; (08 nrther. — Wollen die erfie auer
am erften angreifen :c. Worauf turher aus Vers
nunft und Schrift nachweiſet, dag nicht die‘ Kirche:
über dem Staate, fondern der Staat' aͤt'er der
Kirche ſey. — Mögen dies die Pfroteſtanten
beherzigen, welche ihrer freien’ Kirche ein’ hietärchis
ſches Syſtem wieder: aufbringen möchten, das die
aufgeklärten Fürften des ı6ten Jahrhunderts überall
‚€ der proteftantifhen ‚Ehriftenheit aufhoben. —
bon Raifı onfantim fagte zu den Gei en
23 feier Zei —— vita ——— L. IV; ee
„Vos quidem TITTEN TE infra ecclesism sunt,
episcopi estis. Ego vero in is, pre extra
char epibtopus.a Dion R— — ——
MC] 3; Pr.) 12 VOPSEHE —7
16 * |
244
Staats und Staatenrecht.
Sp. Chſtoh. Greiling, Hieropolis. Ein Vers
ſuch uͤber das wechſelſeitige Verhaͤltniß des Staates
und der Kirche. Magdeb. 1302. 8. — Sendſchrei⸗
ben an die Synoden ber preußiſchen Monarchie über
die eichlicen Angelegenheiten des Tages. Haͤlberſt.
1818. 8.
Krititk des natärlichen airchentechts. Germenien.
(Mannh.) 1812. 8. -
Son. Schuderoff, Grundzüge zur evangeliſch⸗
proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung und zum ‚evangelis
= fehen Kirchenrechte. Leipz. 1817. 8. — Uever den
innerlich norhmendigen Zufammenhang der Staats⸗
und KRirhenverfaffung. Ronneb. 1818. 8.
Stanz v. Spaun, über die Srundverhältniffe
des Stantes zur Kirche und jur romiſchen Curie.
Münden, 1818. 8.
Sımon Köfler, Grundanfiht von Eaat und
Kirche und ihrem gegenſeitigen Verhaäͤltniſſe nach
Vernunft und Schrift. Inſpruck u. Muͤnchen, 2821.
8. (nur wegen ihrer völligen Unbedeutenheit wird,
warnungsweiſe, diefer Schrift hier gedaht.)-
W, 5. Hufnagel, über zeitgemäje Begrändung
der geiftiihen Macht und ihr Verhaͤltniß zu der
weltlichen. Frkf. am.M. 1821. 8. ut
* ..
14 4 0 nen
Wilh. Abrah. Teller, Balentinian 1, oder Uns
terredungen eines Monarchen mit feinem Thronfols
ger über die Religionsfreiheit der Unterihanen. 2te
Aufl. Berl. 1791. 8.
£pj- 1822. 8. — 2te Aufl, in: demf. Jahre. —
—
Heinr. Gtli. Tıfchtener, Proteſtantismus und
Katholicismus aus dem Standpuncte der Politik.
I) . s
4
41.
Retlige Foem der Berserferunn, ‚der
Verfa | fung:
Menn gleich das Recht,on ſich ſelbſt unsgrän.
ei und ewig gültig, fü wie bie Herrfihafe‘ des.
Staats⸗ und Staatenrecht. 145
Rechts aufdem Erdboden das “deal des bürgerlichen
Vereins bleibt; fo verändern fih doch, theils nach
dem vervollfommnungsfähigen Charafter der menſch⸗
lichen Natur, theils unter den mannigfaltigen Ver⸗
haͤltniſſen des Zeitgeiftes und.der Wechfelmirfung der.
Völfer. und Staaten auf einander, im Laufe ber
Jahrhunderke der Geift, die Cultur, die Beftrebuns
‚gen, die Sitten, und mit ihnen die Bebürfniffe ber.
"einzelnen Voͤlker. Weil aber fein Stififtand in der,
fietlihen Welt getroffen wird; fo find dieſe Veraͤn⸗
derungen im innern Leben der Volker entweder Forts
ſchritte, oder Ruͤckſchritte. Die Volker und Staaten
des Erdbodens entwideln fih-nämlich entweder durch
ihre innere Kraft zu einer hohern Bluthe und Reife,
oder fie veralten, und geben, fobald fie in Hinſicht *
ihrer Verfaffung und Verwaltung ſich übenlebt haben,
ihremi politifchen Tode entgegen. .
Dies legte zu verhüten, muß in jeber. Verfafe
fung, welche irgend einem Wolfe in einem gegebenen
Zeitraume vollig angemeflen ift, und Daher für diefen
Zeitabfchnitt die freie, frlbitthatige und eigenthuͤm⸗
liche Entwickelung, fo wie den lebendigen Fortſchritt
diefes Volkes zum Beſſern befördert, zugleich der
Grundſatz ihrer eignen Vervollkommnung, Fortbils
dung und Ergänzung enthalten feyn; d.h. es muß,
weil jede Verfaſſung ein Werf von Menfhen und
für Menſchen ift, in derfelben die rechtliche. Weife
im Voraus beftimme feyn, nach welcher der Regent
und die Stellvertreter des Volkes im gemeinfchafte
lichen. Einverftändniffe den gefuͤhlten Mängeln der
Verfaſſung entweder durch ergänzende organiſche Ge⸗
ſetze nachhelfen, oder zu einem vollig neuen Grunde
vertrage fi) vereinigen. — . Dies legte ift aber da
nicht nöthig, wo die Verfaſſung wirklich das Ewig⸗
a, 0
246 Staats» und Suaienrechi
gültige für jede bürgerliche Geſellſchaft, bie Reche
auf perſoͤnliche Freiheit, auf Gleichheit vor dem Ge⸗
ſetze, auf Freiheit der Preffi e und des Gewiſſens, auf
- Sicherheit‘ der Perfonen und des Eigenthums, auf.
die Guͤltigkeit aller rechtlich abgefchloffenen Verträge;
fd wie das rechtliche gegenfeitige Verhaͤltniß der ge⸗
ſetzgebenden und-vollzgiehenden Gewalt beftimmt aus«
gefprochen hat, weil dann nichts Wefentlides
der Verfaffung, fondern blos die in derfelben
enthaltene organifche Gefeggebung für, die Stellver-
tretung des Volkes nad) ihren einzelnen jeitgemäßen
Beſtimmungen, und für die vier einzelnen Zweige
der Verwaltung veralten, und der Verbeflerung und.
Ergänzung bebfirftig "werben kann, — Durd) eine
ſolche, in der Verfaſſung felbft angebeutete, Vervoll⸗
fominnung: ind Ergänzung derfelben, als eines Men-
fchenwerfes, wird aber :theils das Meralten ber
Staaatsform: und der nolitifche Untergang des Vol⸗
fes , theils der gefährliche Verſuch einer Revolution
‚durch eine vom Volke felbft eigenmächtig unternom-
mene Derjüngung ber Grundbedingungen feines ins
nern Lebens verhuͤtet. Denn fo wenig je der einzelne:
Menfch auf Erden das Ziel ber Vollendung erreicht,
fo wenig auch der einzelne Staat; und je. mehr eine
Verfaffung den Verhaͤltniſſen einer beſtimmten Zeit
und den Beduͤrfniſſen eines gegebenen Volkes in dies
ſem Zeitraume entſpricht, deſto mehr wird, im Ab⸗
laufe der Zeit und. unter weſentlich veränderten Bes
bürfniffen deſſelben Volkes, die Nothwendigkeit einer
Veraͤnderung und Umbildung der einzelnen Beſtim⸗
mungen ber. Verfaffung gefühlt werden.
Staats- und Staatenredht. - 247
B) Das philoſophiſche Strafrecht. or
“ 42. -
Der rechtlich' geftaltete Zwang.
Wenn die Herrfchaft des Rechts, d. h. das
Gleichgewicht der äußern Freiheit alter vertragsmäßig
vereinigten Wefen in Der bürgerlichen Gefellfchaft
der Zweck des Staates iſt; fo geht daraus ale noth⸗
wendiges Ergebniß hervor, daß kein Menſch die
aͤußere Freiheit ſeiner Mitmenſchen wider deren eignen
Willen einſchraͤnken darf, und daß jeder. berechtigt
ift, der beabfichtigten Einſchraͤnkung feines außern
. freien Wirfungsfreifes durch Andere Zwang ent.
gegen zu fegen; denn Zwang, im weiteften
Sinne des Wortes, ift Die Anwendung phyſie
[her Kräfte gegen ein finnlich-vernüunftie
ges Weſen. |
| Die Anwendung dieſer äußern Gewalt des Eins
zelnen gegen den Einzelnen, oder die Selbfthülfe,
würde aber. alle Verwirklichung ber Herrfchaft des
Rechts aufyeben, weil der Umfors und bie Grenze
"ihrer Anwendung im a,gerburgerlihen (im
fogenannten Narr: ) Zuftande blos dem Zufalle
= und der mie br überlaffen bliebe, wenn nicht Die
Bira-, %® Staates vermittelft der drei Urverträge
* Gebrauches der Selbſthülfe ſich begaͤben, wodurch
die Aufrechthaltung des Rechts uͤberhaupt, ſo wie die
Ausgleichung der ſtreitig gewordenen Rechte der Eins
zelnen, der ganzen Staatsgeſellſchaft uͤbertragen und
von dieſer gewährleiftee wird. Es muß daher jede
- Anwendung der Selbftzülfe im Staate als ein Zus
züc:reten in den Naturzuftand — mithin in den Zu
tandberburgerlichen Rechtsloſigkeit, —
2
u Werkzeug ift, wodurch Die freien Handlun
-
248 Staats» und Staatenrecht.
/
|
und zugleich als eine Verlegung ber Urverträge des
Staates angefehen werden,
Weil aber im Staate die Bedrohung und Ver:
letzung der Rechte von Seiten der ſittlich-unmuͤn—⸗
digen Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft unver⸗
meidlich tft; fo muß in derfelben der Zwang, als
nothwendige Bedingung der Aufrechehaltung der Herr:
haft. des Rechts, rechtlich geftaltee werden.
Allein der Zwang erhält im Staate nur dadurch
eine rechtliche Form, daß er zum allgemeinen ®e
feße der ganzen Gefellfhaft erhoben, und
inibrem Namen vollzogen wird, fo daß jedes
Individuum des Staates, felbft Das, welches den
_ Zwang erfährt, den Zwang als rechrlich anerkennt,
und die Vollziedung deffelben der im Staate heftehen-
den vollgiehenden Gewalt‘, wie jeder. andere
Zweig der Staatsverwaltung, rechtlich uͤbertragen ift.
Denn nur dadurch) wird der Zwang rehrlich ges.
ftaltee, daßer-für jede einzelne Nechtsverlegung in _
einem Geftge beftimme ausgefprochen ift, und daß
‚ die vollziehende Gewalt denfelben nad) der ihr zus
stehenden unmiderprgu Macht des gefammten
Rachtsvereins anwendet.
Weil aber bei ſittlichen Weſen
tper Dag
Tr.
" , c . . 4) ſl⸗
bracht werden, welche die Rechte Andrer beeinträchn.
gen; fo muß auch der Zwang nad) feiner Anfündis
gung in einer finnlihen Macht, in einem finn-
lichen Gegengewichte —— Rechte An⸗
drer bedrohende oder verletzende Individuum beſtehen.
Dadurch gleicht der Zwang der unaufhaltbaren Noth⸗
wendigkeit, nach welcher die Naturkraͤfte wirken, ohne
doch eine bloße ſinnliche Macht zu ſeyn, welche
/
J
Staats⸗ und Staatenrecht. 249.
— abgefehen von der firtlihen Freiheit — nad)
Maturgefegen, die guten und bofen Individuen ohne
Ruͤckſicht auf ihre ſittliche Schuld oder Unſchuld trifft.
Da ferner der Zwang im Stuate, nad) feiner recht⸗
lichen Begründung und Seftaltung (dorm), aufdie
Verfaffung Des Staates fih ftügen, und, in,
einem befondern Theile ber Öefeßgebürg,
. gleihmäßig. mit der Gefeßgebung für das buͤrger⸗
liche Recht, durchgeführt feyn muß; fo ſchließt deſſen,
Anwendung alle Partheilichfeit und alle Leibenſchaft
der Selbſthuͤlfe von ſich aus. Er iſt vielmehr!
das unentbehrliche und wirffame Mittel *) für die
Erpaltung der Herrfhaft des Rechts im.
Staate; mithin nie felbft Zweck, fondern blos
Bedingung und Mittel, daß jener Zweck nicht ver⸗
legt, ober der verlegte Zoeck wieder hergeſtellt werde;
er trifft nie die ſittlich —muündigen im,
Staate, weil er dann ſelbſt ein Werkzeug der Un-
| gerechtigfeit und der Willführ werben würde, fondern
blos die fittlich-unmündigen deshalb und info
weit fie den allgemeinen Zwed des Staates bedroht.
ober verlegt haben.
.
—
*) Sant Cmet. Anfangegr. der Rehtsießrn,:
S. 196.) nennt das allgemeine Strafgefeh einen ’
tategorifhen Imperativ, wodurd es .mit dem
Sittengeſetze auf gleiche Linie geftellt werden würde.
Dagegen erinnert Krug (Handb. d. Phil. Th. 9,
®. 165. N. A.) fehr wahr, daß es nur ein hypo⸗
therifcher Imperativ feyn könne, weil die Strafe
ein Uebel bleibe, das nicht ſchlechthin zugefügt
werden darf, fondern nur unter der Voraus
fe&ung, daß ein Unrecht geſchehen if, wodurch
die rechtlich + fittliche Drdnung. geſtoͤrt ward.
’
250° Staats und Staatenredt.
nn 43,
Bestiff und geladen pOHofopbifgen
rafrechts.
Der rechelich geſtaltete Zwang im Staate darf
aber nicht mit der Strafe an fid verwechſelt
werden; denn der Begriff des Zwanges, als ein
weiterer Begriff , ſchließt zwar den Begriff der
Strafe in fi) ein, weil jede Strafe Zwang, nicht
aber jeder Zwang Strafe ift, indem die Staatsbürger
zu vielen in dem Unterwerfungsvertrage übernommenen
| Leiſtungen gezwungen werden koͤnnen (z. B. zur Ent⸗
richtung der bewilligten Steuern und Abgaben, zum
Kriegsdienfte), ohne deshalb Strafe zu vermirfen ,
oder geſtraft zu werden.
Da uͤbrigens die hoͤchſte Gewalt im Staate,
nach ihrer Theilung, in die geſetzgebende und voll:
ziehende zerfällt; fo beftimmt die gefeggebenbe,
was Nechtsverlegung, was Zwang, was Strafe ift,
die vollziehende aber übe den Zwang. Es wird
daher der Zwang, fo wie derjenige Theil deffelben,
welcher Etrafe heißt, im Namen des Negenten, als
bes Dberhaupts der vollziehenden Gewalt, angewandt -
und ausgeubt; allein die vollziehende Gewalt, welche
gleihmaßig bie Gercchtigfeitspflege, die Polizei,
das Sinanz- und das Militairmefen im Staate leitet, .
umfchließt weit mehr in ſich, als die blos wingende, |
und Diefe wieder mehr als die ftrafende Gewalt.
Es gibt alfo, nach diefen Vorbegriffen, ein
natürliches (richtiger: ein philofophifches)
Strafrecht, fihon deshalb, weil im außerbürger-
lichen Zuftande ein urfprüngliches Recht der Abwehr
und Ahndung der bevorftehenden oder erlittenen Rechts.
verlegung angenommen werben muß, nod) mehr aber,
Etaats- und Staatenrecht. 251
weil, nach der unnachlaͤßlichen Forderung der Ver⸗
nunft an die bürgerliche Gefellfchaft, die Herrfchafe
bes Nechts zu verwirklichen, fein Staat — wegen
der Mifchung der firtlich » unmündigen mit den fittlich⸗
mündigen in der Maffe feiner Mitglieder — ohne
den rechtlich geftalteten Zwang und die rechtlich geftals
‚tete Strafe gedacht werden fann.
| ‚Das philofophifche Strafrecht ift Daher die wif:.
fenfhaftlide Darftellung der rechtlichen
Geftaltung und Anwendung des Zwanges,
und namentlich der Strafe, im Staate,
als des nochmendigen und wirffamften
Mittels für die Erhaltung des bedroßten
und für die Wiederherftellung bes verleg-
ten Staatszweckes: der unbedingten Herr
[haft des Rechts. Mac) diefem Grundbegriffe '
zerfällt das philofophifche Strafrecht: |
- a) in die Lehre von der rechtlichen Geftaltung
bes Zwanges, und namentlich der Strafe, im
Staate, womit die Weberficht über die wich—
tigften Strafrehtstheorieen ‚verbunden
wird; und | .
‚ b). in die Lehre von der rechtlichen Anwen⸗
dung des Zwanges und ber Strafe im Staate,
welche im Einzelnen a) die Lehre von den Rechts—
verlesgungen im Staate, B) die Lehre von den
durch das Geſetz angedrohten Strafen, und ,)
die Lehre von der Ausübung des Stkafrechts
im Staate, oder von ben allgemeinften Formen
des gerichtlichen Verfahrens in den einzelnen Straf⸗
fällen, umſchließt. |
Dieſes Strafrecht ift durch die Vernunft
ſelbſt begründer, weil die Vernunft, wenn fie den
Zweck der Herrfchaft des Rechts in der bürgerlichen
/ .
. _ |
RB“. —
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‚
262 Scaats und Staatenrecht.
Geſellſchaft aufſtellt, auch das rechtlich geſtaltete
Mittel, den Zwang und die Strafe, feſtſetzen
muß, wodurch jener Zweck verwirklicht, erhalten und
gefichert wird. Diefes Strafrecht heißt dag nat uͤr⸗
liche Strafrecht, inwiefern es — nicht etwa aus der
äußern Natur, oder aus einem vor- und außer-buͤr⸗
gerlichen Maturzuftande — fondern aus der Natur -
des Menfchen felbft, aus feiner ausgebildeten und. ge=
reiften Vernunft hervorgeht. Es ift aber auch zus -
- gleich der Höchfte und legte Maasitab für alles
pofitive Strafreht; weil das legte nur infomweit
zweckmaͤßig feyn Fann, als es der Vernunft entfpricht,
und in Willführ übergeht, fo wie des innern Zuſam⸗
menhanges ermangelt, fobald es mit der Vernunft
nicht vereiniget werden fann. Denn fo wie der Staat”
felbft, nach) den Forderungen der Vernunft, die einzig
rechtliche Anftale für ſittliche Wefen ift, den End»
zweck der Menfchheit, und den Zweck des Gleichge-
wichts der Außern Freiheit Allee zu verwirflichen; fo
ift,auch der Zwang, und die in denfelben eingefchloffene =
bürgerliche Strafe, das einzige rechtliche Mittel, jenen
Zweck des Staates in der Mitte aller fietlich - unmuͤn⸗
digen Bürger zu erhalten und zu fihern. Und wie
das philofopbifche Staatsrecht, nad) feiner unmittels
baren Abftammung aus der Bernunft, ‚höher fteht,
. als jedes’ in der Erfahrung und Geſchichte vorhandene
oͤffentliche Staatsrecht; fo ſteht auch das aus der Ver—
nunft hervorgehende Strafrecht hoͤher, als das, wel⸗
ches in den pofitiven Formen ber Wirflichteit ung ent-
gegentritt.
Sraats- und Staatenrecht. 253
44. U
Literatur der wiſſenſchaftlichen Behand—⸗
lung. des phileſophiſchen Straftedts.'
Bei der Angabe der wichtigern Schriften, welche
das philoſophiſche Strafrecht behandelt haben, koͤnnen
weder die Syſteme und Compendien bes Natur—
rechts (Naturt. $. 12.), noch die Syſteme und Com⸗
pendien des Staatsrechts (06. 8.) wiederhohlt wer:
den, wo des Strafrechts entweder ausführlich, oder
nur kurz, Erwähnung geſchieht. — Eben fo wenig
gehören die Werfe Hieher, welche blos das pofi-
tive Strafrecht behandelt haben; dagegen Bürfen
diejenigen Schriften nicht‘ ganz uͤbergangen werden,
deren. Verfaſſer zwar zunächſt das pofitive Straf:
echt darftellen, Eingangsweiſe aber die phitoſo— ,
phiſche Begründung’ veflelben verſuchten. Denn
es verdient der ehrenvollften Beachtung, daß unter -
allen pofitiven Rechtswiffenfchaften bis jı gt Feine mehr,
als das Strafrecht, fiit ungefähr 30 Jahren, von -
ausgezeichneten Männern:augebaut. worden ift, welche
philoſophiſchen Geiſt mitpofitiver Rechts—
kunde verbanden, wohin bifonders Stübel,
Kleinſchrod, Feuerbach, Grolmann, Titt—
mann, Henke, u. a. gehoͤren.
Regner Engelhard (Heſſ. Kriegsrath),Ver⸗
ſuch eines allgemeinen peinl. Nechts aus den Grund⸗
fügen der Weltwetsheit und befonders des Rechts
der Natur hergeleitet. ref. u. Lpz. 1756. 8. (Dies
war der erfte Verſuch einer felbftnändigen philos
fopfifhen Bearbeitung. des Strafrechts, nach
— Botffifdem Syſteme; — als exfter Verſuch Dies
fer. Art nech immer mit Achtung zu nennen, Wenn
gleſch durch beſſere Werke laͤngſt erſetzt.)
" Bieegcaria', dei delitti e delle pene. Napol.
1763. Mehtmals Aberſetzt (z. B. von Dommeh.
Staats: und Staatenrecht.
Die beſte Ueberfegung: Mardefe Beccaria’s Abs
bandlungen über Verbrechen und Strafen, von neuem
- aus dem tal. Überfegt mit Noten und Abhandlurs
““
gen von J. Adam Bergk. 2 Thle. Lpze 1798. :8.
v. Valazé, uͤber die Strafgeſetze, oder Ent⸗
warf zu einem allgem. Strafcoder. Aus dem Franz.
mit Anmerk: und: Zufäßen v. Rarl Adolph Täfa r.
&py. 1786. 8.
: Dane Ernit p. GSlobig und J. Sen Hufen,
.,.: Abhandlung von der Eriminalgefeggebung; eine ges
. Peönte Preisſchrift. Zurich, 1783. 8. — Bier Zus
5 gaben dazu. Aitenb. 1785: 8.
Karl Ferd. Hommel, philof. Gedanken über das
Criminalrecht. Aus. der. -Hommelfchen Handſchrift,
. als ein Beitrag zu dem Hommelſchen Beccaria her
aufgegeben v. 8. .Gtlo. Röffig. ‚Bert. 178.4 8.
Fr. Jul. Heinr. Graf von Soͤden, Geiſt der
\
: —* Geſetzgebung. 4 Theile. Deflau, 1782. 8.
. A. 1792.
Paſtoret, Betrachtungen uͤber die Strafgefetze:
Aus dem Franzoͤſ. herausgegeben und mit einem ers
laͤuternden u. berichtigenden Commentar, auch cinis
gen Anmerkungen verjehen v. Chfin. Dan. Erhard. |
2 Theile. Lpz. 1792. 8.
Chſtoh. Karl Stuͤbel, Syſtem des allgemeinen
. -peinligen Rechts. 2 Th. 9p}. 1795. 8 — Grund⸗
füge zu der Vorlefung über den allgemeinen
Theil des teutichen u. churfächfifchen Criminalrechts.
Wittenb. s. a.8.
% Heinr. Abicht, die Lehre von Belohnung u.
Strafe, in ihrer Anwendung auf die.bürgerl. Vers
geltungsgerechtigkeit Überhaupt, und auf die Krimis
nalgefeßgebung insbefondere. 2 Theile. Erlangen,
1796 f. 8.
Sallus Aloys Kleinfhrod, ſyſtematiſche Ent⸗
wickelung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten
des peinlichen Rechts. 3 Theile. Erl. 1794. 8. 2te
.. Aufl. 1799.’ Zte Aufl. Erlangen, 1805,
Maul Jo. Anſelm Feuerbad, Reviſton der
Gruͤndſaͤtze und Grundbegriffe des poſitiven pein⸗
lichen Rechts. 5 Theile. Erfurt, 1799 und Chemnitz
Staats. und Staatenredit. 257
niſſe von Zwangsrechten und Zwangs
pflichten ſtehen % |
Der Zwang Fimbigt fich aber an: m
4) als Prävention, d. h. als Recht des
Kuporfommens oder der Siherftellung (jus
praeventionis) gegen eine angedrohte Rechtsver⸗
legung,, inwiefern die Prävention in dem Rechte bes
fe he, den. Drobenden in feiner Freiheit.fo zu hefchrän
en, daß die gedrohte Verlegung ihren Anfang. niche'
nehmen kann. (Die Drohung bewirkt, imap. nicht
die. Gewißheit, wohl aber die Wahrſcheinlich—
| keit der Verlegung; doch. gibt ſchon die Drohung,
das Recht, den angedrohten Anfang der Nechtever
lebung zu verhindern.)
2). als Vertheidigung, ober * das
| Hecht, durch Zwang eine angefangene Medhtsver«
legung an ihrer völligen Ausführung zu hindern.
Dies.:ift Das fogenannte Mehr der. Rochwehr
(jus defensionis, inculpata tutela), weiches recht⸗
(ih nur fo lange dauern barf, als der Angreifender
in ben Kreis unſrer Rechte einzubringen verſucht, und:
auch nur fo weit reichen darf, als nörhig it, den:
Augriff auf unfre Rechte abzuhalten unb zuruͤck zu
weiſen;
3) als Wieder her ſte llu ng bes verletz⸗
ten Reqchts (jus restitutichis in integrum) , wo,
%
*) Dadurch wird der 2 mang gegen Ehiere yon:
. dem . philofophifhen Strafrechte ausgefchlofien. —:.
Eben fo wenig kann es einen Zwang in Binficht der
Pflfichten der Güte (officia imperfecta) geben; nur
"den Pflichten der Gerechtigkeit (oficia perfecte)
entſprechen Zwangsrechte. J
J. 17
258 Staats⸗ und Etaatenredht.
nach volibiacter Rechtsverlegung, der Rechtsver⸗
leßende ducc) den Zwang genöthigt wird, entweber
vollfommene Genugthuung, oder doch Schaben-.
erfag zu leiften,, fobald das verlegte Recht nur durch
einen Begenftand von ähnlichem Werthe ausgeglichen
werden kann.
Diefe dreiArten des Zwanges werden von
dere Vernunft dem Menfchen urfprünglich (d. h.
nad) der urfprünglihen Einrichtung feiner Natur,
noch) vor feinem Eintritte ins Staatsleben) zuerfannt, -
weil fie fid) auf die, von der Vernunft unbedingt ge=
forderte, Aufrechthaltung des Gleichgewichts der
Rechte in dem äußern freien Wirfungsfreife. der ver⸗
tragsmäßig verbundenen fittlihen Wefen gründen.
So wie nun der Menfch bei feinem Eintritte in
der Staat die urſpruͤnglichen Rechte feiner Natur in
die bürgerliche Gefellfchaft mitbringt, und fie, in
berfelben,, durch den Staatsgrundvertrag ficher ſtellt;
fo bleibt bon. auch das Recht zu zwingen in ber
bürgerlichen Gefellfhaft, da er in. berfelben weder
rechtlos, noch) wehr » und ſchutzlos werden darf; Allein:
weil der Staat als Rechtsgeſellſchaft durchaus nicht
beſtehen koͤnnte, wenn in demſelben das Individuim
die drei aufgeftellten Arten Des. Zwanges felbft ause.
üben wollte; fo wird das Zwangsrecht des
Individuums, beim Eintritte in den Staat und
bei der Annahme bes Staatsgrundvertrages, auf die:
ganze Rechtsgeſellſchaft uͤbergetragen,
den einzigen Fall der unmittelbaren Noth—
wehr gegen einen widerrechtlichen Angriff in den ſele“
tenen DBerhältniffen ausgenommen, wo ber Staat
> niche felbft Die Abwehr dieſes Angriffe bewirken fann
(z. B. wenn Diebe einfteigen, Morbbrenner Feuer
anlegen, Räuber den Wagen auf der Straße anfallen:
—2
Creme und Eaeicacehn DBsy
vellen). Doch gelten für. biefen-Zall He beiden auf⸗
geelten Bedingungen bes Rechts ber Nothwehr. u
- 46.
Bortfegens
Der Zwang im Staate muß; „ ‚nach ven drei —*
wickelten Begriffen, theils als Praͤvention, als
Strafandrohung, bei angedrohter und
Rechtsverlehung, theits als Vercheidigung bei einges
tretener und begonnener Rechtswerlegung, theite;,
nad) vollbrachter Rechtsverlehung, als Wiederein«
ſetzung ‚des Beleidigten in den vorigen Rechtszuſtand⸗
ober, dafern dies nicht möglich iſt, als. Erfag für *
erlittenen Schaden ſich ankuͤndigen. |
Allein dadurch wird das Weſen der rechtlicheh
Geſtaltung des Zwanges im Staate noch nicht erfchupfe,,
weil die Strafe im buͤrgerlichen Vereine nicht.blas:
. aus der Bedrohung und Werlegung. des
Rechtes der Individuen, fondern zugleich:
aus der Bedrohung und Werlegung: bes,
Zmedes der ganzen bürgertihen.Gefesl:
[haft abgeleiteewerden muß... Weil nämlich;
durch eine mit Fpeibgit vollbrachte Bechtsverlegüng t im
Staats nie bias: das Individuum in. feinen Rechten
berinträchtigt,, ‚fondern auch der Zmmd.ber ganzen)
Hechtegefellfchaft felbft — die Hertſchaft des Rechts:
— bedroht oder verlegt wird; fa muß dee Zweck der.
Strafe, außer ber rechtlichen Ahndung des verlege ;
ten Rechts, zugleich die Herftellung’ und:
Sicherung der badrohten oder erfhuttems
ten Herrſchaft des Rechts im Staate ſelbſtä
umſchließen. Der Zwed der Strafe im Staate kana
daher nur aus dem Bwede bes Staates ab:
‚47*
23600 Sraats⸗ und Staatenrecht.
geleitet worden, well der Zwang iur! Staate' El os
als. Mierel zu dieſem Zwecke ſich verhaͤlt, und nur
aus dieſem Geſichtspuncte — daß er ein rechtliches
Mittel zu einem rechtlichen Zwecke iſt — richtig und
. erfhöpfend aufgefaßs, und ya fine Abhängigkeit
von dem allgemeinen Staatszwecke bargeftellt werden
Ami: Nach diofen Beſtimmungen feßt die Vernunft
den Zweck beb&trafe ini Staate in die ve HEHE
Herfteliungder HerifchafrdesN eheziscav
ves verbegten Gleichgew chts der außirk
Freiheit. durch: Ahndung des verlegen Rechts an:
dem Verbtecher, vermittelt eines bemfelben zugefüg::
ten finmiichen. Uebels. Der Zweck Ber Straͤfe! iſt alſo
weberiblos Praͤwontidnnoch Wiederherſtellung. des⸗
verlegten Rechtszuſtatzdes und Erſatz , obgleich. dieſe
: Bieeddernicht. ausgefihhloffen , ſondern in dem hoͤchſten
Ziecke · der Strafe: als: einzelne · Beſtandtheile aufge⸗
nommen werden. Dar Zweck der Strafe beftehfiaber"
auch weder zunaͤchſt in der Abſchreckung durch Ans
ng..einer: Straft vermittelft eines Strafgeſches
noch zunaͤchſt in bhr ſittlichen Wiedẽrvergeltung Dir
begarigeiie Handlung, noch zundhftän'der Beffening
Dis Varbrechers. ee an . 233 nr
1 Soll uͤbrigens die Strafe! int Staate vechttich⸗
geſdaltet ſeyn; ſoimuß fie auch/ i n einem Strafgie
fotze be ſtemmraus gee ſproo che ni⸗ fund umalle
Witlkuhr Des: Richters zů verhindeentsc-inuesfkafl
dieſes Straͤfgeſetzes an: dem Werbeechẽr :ootfjoden-
worden.Doch iſt nicht das vorhandene Strafgeſeg⸗
de Recht sgrund der Strafe) weit ſonſt alle ſtraß
bare Handlungen, die nicht mit einem Strafgeſetze⸗
bilent ſind, ‚A: Staate ungefteafs Meiben: nürten? !
Vielinehr iſt bie: Verlegung. DeiiHerrfhafeu
doen Rechts im Staate, ds des hoͤchſten Zweckes?
|
7“
Staats- und Staatenrecht. 16t
der bürgerlichen Gefellfchaft, durch eine ſtrafbarr
Handlung der Grund, weshalb Strafgefege als
Mittel im Staate beſtehen ‚ jenen hoͤchſten Zweek
zu erhalten und zu ſichern, und weshalb das einzelne
—88* auf den beſondern Fall angewandt wird.
Das vorhandene Strafgeſetz hat daher die Beftim-
mung, theils für den, der die Rechte Andrer vers
fegen will, im Voraus das Uebel zu bezeichnen, Das.
ihm als Strafe für Die Rechtsverkegung unnachläßlich,
wiewohl in ftrenger Angemeflenheit zu der vollbrachten
That, zuerfanne wird, theils für den Richter den
unveränberlichen rechtlichen Maasſtab zu ‚enthalten,
nach) welchem er die ſtrafbare That beurtheilen und. mit
einem firmlichen Uebel belegen fol. Der allgemeine
Rechtasgrund der Stoafe, nach der Vernunft, ift
alfo weder zunachft.die Verlegung eines Strafgefeges,
noch zunächft die frafbate Handlung felbft, fondern
der verlegte: / Zweck· des Staates durch die ſtrafbare
Handlung; denn nuv:aus. Diefem Rechtsgrunde —
der auf dein unerſchuͤtterlichen Zwecke des Staates
FAR: beruht — kann fih das Strafreht des
Staates nachweiſen laſſen, und das, mas die Vers
nunfe als rechtlichen Zwang zwifchen wen Individuen
anerkennt, zu: einem. allgemeinen rechtlichen Straf
‚gefege | im Staate erhoben werden.
are
ueberltat über Die pichtlaſten Strafi
u rechtstheoricen. |
Bei folgerichtiger philoſophiſcher Forfihung-n muß
die Begründung. des phllofophifchen:Sitrafrechte, von
bee Begründung des Natur » und Staatsredjts über«
haupt abhängen: Wird in der Vegruͤndung des Ra;
v
"20 Slaacts⸗ und Staatenrecht.
geleitet worden, ‚well der Zwand inr Slaate' See
als. Mirrelizudiefeti Zwecke fih verhält; und im
aus dieſem Gefichtspuncte — daß er ein recheliches
Mittel zu einem rechtlichen Zwecke ift — richtig und
. erfhöpfend aufgefaßs, und Rach feine Abbängigfeit
von bem allgemeinen Staatszmede. dargeftellt werben
Pami: Nach diofen Beſtimmim̃gen ſetzt die Vernunft
den Zweck vebr&trafe im Staate It'die ve HENHL
Harfleliangider Herrfhaft dee Ne hrsiscay
ves verbegten Sleihgewihrs veräußert
Freiheit. durch. Ahndung des verlegen Rechts an:
dem Verbiecher, vermittelſt eines demſelben zugefüg:
ten finadichen. Uebels. Der Zweck ber Sträfe'ift'atfe:
weberi;blgs: Praͤventidn nnoch Wiederherſtellung. des⸗
verlegten Rechtszufſtatzdes und Erfaß , obgleich. dieſe
Zwecke nicht ausgefchloffen,, ſondern in dein höchften
Zivecke · der Strafe: als einzelne -Beftandrhäite aufge⸗
nommen werden. Der Zweck der Strafe beſtehtiabern
auch weder zunuͤchſt in: der Abſchreckung durch Ans
drohung ainer: Stwaft vermittelft eines Strafgeſches
noch zunaͤchſt in dhr ſittlichen Wiedörvergeltung Dir“
begangeiten Handlung, noch zunähftän'der Beſſerung⸗
des Verbrechers.. Ra mu ine ** ht
on ‚EI Abrhgend: die Strafe? im Staate vechktich⸗
geſdaltet ſeyn "(st muß: fie auch i n einem Strafe
fotze be ſtemmt aus ge ſproo che ni fund um'alle
Willführ Des: Richters jü verhindern = Inue:iafl®
dieſes. Straͤfgeſetzes an: dem Verbrecher wollzegen
worden.Doch iſt wicht das vorhandeite Strafgeſetz⸗
der Kehtsgrund der Strafe) weil ſonſt alle Mean
bare ‚Haridlungen , die nicht Ale:etnem Strafgeſetze⸗
bileht find, Art: Staate ungefteafs Heiben nicen? !
Birtinehr: iſt die Verlegung deri fer efthafes
don Rechts: im Staate, aas des hoͤchſten Zweckes
A
r
Staat» und Staatenrecht. 26
Ber bürgerlichen Gefellfchaft, durch eine flrafbare
Handlung der Grund, weshalb Steafgefege als
Mittel im Staate beftehen, jenen: hoͤchſten Zweck
zu erhalten und zu ſichern, und weshalb das einzelne
Strafgefeg auf den befondern Fall angewandt wird.
Das vorhandene Strafgefeg hat daher die Beftim- _
mung, theils für den, der die Rechte Andrer ver-
tegen will, im Voraus das Uebel zu bezeichnen, das
ihm als Strafe für die Nechtsverlegung unnachläßlich, ‚
wiewohl in ftrenger Angemeffenheit zu der vollbrachten
That, zuerkannt wird; theils für den Richter den
unveränberlichen rechtlichen Maasſtab zu enthalten,
nach welchem er die ſtrafbare That beurtheilen und mit
einem ſinnlichen Uebel belegen ſoll. Der allgemeine
Nechtsgrundder Stoafe, nach der Vernunft, iſt
alſo weder zunaͤchſt dis Verlegung eines Strafgeſetzes,
nbch zunaͤchſt· die ftrafbare Handlung ſelbſt, ſondern
der verlegte. · Zweck bes. Staates duvch bie ſtrafbare
Handlung; denn nur aus dieße m Rechtsgrunde —
der auf dem unerſchuͤtterlichen Zwecke des Staates
beruht — kann ſich das Strafrecht Des
Staates nachweiſen laſſen, und das, was die Vers
nunft als rechtlichen: Zwang zmwifchen ven Individuen
anerkennt, zu einem. allgemeinen: rechtlichen Strafe
‚gefege im Staate erhoben werben,
47. u
Ueberfiär über die pichtlaſten Straf
u rechtstheorieen.
Bei folgerichtiger philoſophiſcher Forſchungen muß
die Begruͤndung des: philoſophiſchen⸗Strafrechts von
bee Begründung des Natur⸗ und Staacsrechts uͤber⸗
baupt- abboͤngen. Wird: in der Vegruͤndung des Na⸗
— . }
'
202 | Staats- und Staatenrecht.
eur⸗ und Stoatsreched von der fittlichen Gefeggebung |
der Vernunft und von dem nothwendigen innern
Zufammenbange zwifchen Pflicht und Recht ausge:
gangen; fo muß auch das philofopbifche Strafe
recht fih rückwärts auf die Freiheit im Men .
ſchen, als ben legten Grund jeder erfcheinenden
firafbaren Handlung, fügen, und verlangen, baß zur.
Beitimmung der Strafe — fo weit es möglich iſt —
der Zuſammenhang der Freiheit des Willens mit der
vollbrachten That ausgemittelt, und die Strafe n ad
diefem Verhaͤltniſſe ausgefprochen und vollzo⸗
gen werde. — Wird aber das Natur» und Staats-
recht blos als die wiflenfchaftlidhe Darftellung von
Zwangsrechten überhaupt behandelt, fo daß man
zwar, bei der rechtlichen Geſtaltung des äußern Wirs
fungsfreifes, bie innere Breiheit nicht ablängnet, fie
aber, als ein unerforfhbares Noumenon,
auf fich beruhen läßt, und fich einzig an die im
äußern Wirkungstreife erfennbare Freiheit
(als Phänomenon) halt; fo wirh au), bei ber.
Begründung bes Strafrechts im Geiſte jener Anficht,
nur zunächft bie That (nicht Die innere Geſinnung,
welche derfelben vprausging,) beruͤckſichtigt, und diefe
unter das vorhandene Strafgefeg gebracht oerden,
Abgeſehen davon, daß in neuerer Zeit die letztere
Anſicht die herr ſchende geworben ift, kann nicht
verkannt werden, daß fie zugleich die bequemere
und leichtere .ift fiir die Entfsheidung über Wer-
brechen und für den Gerichtsbrauch; aud) darf nicht
geläugnet werben, daß bie erftere, wenn fie völlig
folgerecht angewandt werben foll, niche ausreiche für
- den Zweck des Staates, als einer äußern Rechtsge⸗
-fellfchaft, und für den ans jenem Zwecke nothwendig
beinongehenhen Bmd ber Strafe. Man kann, um
Staats - und Staatenrecht. 263
“einer kurzen Bezeichnung ſich zu bedienen, die”
Theorie, welche der erftern Anfiche folger, und zu-
nächft das Subject des Verbrechers beruͤckſichtigt,
die fubjective Strafrechtstheorie, die aber, welche
auf die zweite Anfiche fich flüge, und zunaͤchſt an
die firafbare Handlung, an das Object, ſich haͤlt,
die objective Strafrechtstheorie, hingegen die,
welche beide Anſichten in ber. wifjenfchaftlichen
Darftellung des Strafrehts verbindet (und welche .
bier befolgt wird), die fubjectiv-objecrive Theos
rie nennen, weil fie zwar zunächft von der innern
Freiheit des WVerbrechers ausgeht, und darnach die’
Strafwuͤrdigkeit des Verbrechers beftimmt, zu⸗
gleich aber, geftüst auf diefe Strafwuͤrdigkeit, über
die Strafbarfeit der Handlung in Angemeffenbeit
zu den beftehenden Strafgefegen entfcheiber.
Ob nun gleich eheils die fubjective, theils die
objective Strafrechtstheorie in vielfachen einzelnen
Schattirungen, bald mit wefentlichen, bald mit un«
wefentlichen Abweichungen, von einzelnen denfenden
Männern dargeftelle worden ift; fo laffen ſich doch
beide unter zwei Hauptanfichten im Allgemeinen
bringen, wornach j
a) bie fubjective Strafrechtstheorie
entweder 1) als Wiedervergeltungss
oder 2) als Befferungstheorie, und
4) die objective Strafredhtstheorie
entweder 1) ale Abſchreckungs⸗
ober 2) als Präventionstheorie
erfcheint. Indem philofophifchen Strafrechte können
aber dieſe Theorieen nur im allgemeinften Ums
riffe (möglichft treu mit den Worten ihrer Urheber)
bargeftelle, und mit einer kur zen Prüfung der
u —
IN VW
® ‘
264 Staats» und Staatenrecht.
aufgeftellten Lehren verbunden werden. Die völlige
Durchführung derfelben im Einzelnen gehört zu—
naͤchſt ins Gebiet und an den Eingang ber poſ iti—
ven Strafrechtswiſſenſchaft.
4) Die fubjective Strafrechtstheorie.
48.
4) Die Wiedervergeltungstheorie.
. Das Strafrecht ift Das Recht des Befehlshabers -
gegen den Untermwürfigen, ibn wegen eines Verbre⸗
chens mit einem Schmerze zu belegen. Die richt er⸗
liche Strafe fann aber nur deshalb wider den Ver-⸗
brecher verhängt werden, weil er verbrocen hat.
Strafe erleidet daher das Individuum, nicht weil
08 die Strafe, fondern weil es eine ftraf-
bare Handlung gemwollthat. Das Strafgefeß
‚ift ein Fategorifcher Smperativ; denn wenn Die Ge—⸗
rechtigfeit untergeht, fo bat es feinen Werth mehr, ,
daß Menfchen auf Erden beben. Die Strafe wirb
alſo nicht verhängt wegen der Sicherheit der bürger-
lichen Gefellfchaft, nicht wegen Des Wohles des Vers
brechers felbft, noch wegen eines andern Örundes,
‚ fondern einzig deshalb, weil fie die nochwen,
dige, durch die Gerechtigkeit gebotene,
Folge des Verbrechens if. Die öffentliche
Gerechtigfeit kann aber für die Art und den Grad
der Beftrafung feinen andern Grundfag aufftellen,
* als den Grundfag der Gleichheit, im Stande des
Zungleins an der Wage der Gerechtigkeit; alſo:
Was fuͤr unverſchuldete Uebel du einem Andern im
Volke zufuͤgeſt; das thuſt du dir ſelbſt an. Beſchimpfſt
du ihn; ſo beſchimpfſt du dich ſelbſt. Beſtiehlſt du
Staats» und Staatenredt. 263
ihn; fo befttehlft du dich ſelbſt. Schlägft du ihn; fa
ſchlaͤgſt du dich. ſelbſt. Toͤdteſt du ihn; fo toͤdteſt du Dich
felbft. Nur das Wiedervergeltungsrehe (jus
talionis), aber wohl zu verftehen, vor denSchran-
fen des Gerichts, nicht in dem Privarurtheile,
kann die Qualitaͤt und Quantität der Strafe beftimnft
angeben ; alle andere find hin und ber fhwan-
fend, uud fönnen, andrer ſich einmifchender Ruͤck⸗
fihten wegen, feine Angemeff enbeit mit dem Spruche
der reinen und firengen Gerechtigkeit enthalten... Die.
Gleichheit der Strafen, die allein nach dem firengen.
Ä Wiedervergeltungsrechte moͤglich ift, offenbaret ſich
aber daran, daß nur dadurch im Verhaͤltniſſe
zuderinnern Bösartigfeit der Verbrecher
die Strafe ausgeſprochen wird.
S. Kant, in den met. Anfangsgr. der
Rechtslehre, ©.195 ff. Schon Jakob
ſtellte in ſ. pbilof. Rechtslehre den Sag auf:
„Daß die Strafe moralifche Vergeltung ſey.“ —
Un Kant fchloffen fih an: J. Heine, Tieftrunf,.
in den philoſ. Unterfuhungen über das
. private und oͤffentliche Rechte, 2 Th. Halle,
. 1797. 8; Bergk (mit einigen Abweichungen)
in der Philoſ. des peinl. Rechts, und 3a
chariaͤ in den Anfangsgründen des Cri-
minalrehes. — Selbft Boutermwef nimmt
eine modificirte Wiedervergeltungstheorie an.
409. .
Prüfung derfelben.
Die Wiedervergeltungsthe rie behauptet das
große Verdienſt, daß ſie auf die Freiheit des Men:
ſchen, auf die innere eicbfcher der ſtrafbaren. Hand⸗
266 Staass- und Staacenrecht.
fung ſich gruͤndet, und darnach den Grad der Schuld, |
und die Art und Weiſe der Strafe beftimmt; daß fie
alfo von der reinen DBernunftidee der Gerechtigteit
ausgeht, und jedem ganz das zutheilen will, was
feine Thaten verdienen. Sie erhebt dadurch ben
Staat zu der Beftimmung, bie fistliche Ordnung auf
Erden darzuftellen, welche im Weltganzen, unter ber
Seitung der höchften. Gerechtigkeit Gottes, als volle
fommene Ausgleihung zwifhen Verdienft und Be⸗
lohnung, und zwifchen Verſchuldung und Strafe i in
der Idee angenommen wird.
Allein in ihrer Anwendung und Ausfuͤh—
rung im Staate muß die Wiedervergeltungstheorie
hinter der “bee ber Vernunft zuruͤckbleiben. Schon
an fi) fann das Strafgefeg nicht als fategori«
ſcher, d. h. unbedingt geltender , Imperativ, wie das
Sittengefeg, gebacht werben, weil Zwang und Strafe
nur Mittel zum Zwede des Staates, nicht Zweck
felbſt find. Das Strafgefeg ift daher nur ein bes
dingter (hypothetiſcher) Imperativ, der blog Dann
eintritt, wenn eine Verlegung bes Staatszweckes vor⸗
ausgegangen iſt. Was aber bie fittlihe Wieberver-
geltung felbft beerifft ; fo kann allerdings ohne diefelbe,
db. h. ohne bie unbedingt angemeffene Yusgleihung
des DVerdienftes mit ber Belohnung und der Ver⸗
fhuldung mit der Strafe, die firtlihe Weltord-
nung nie gedadır werden; nur Daß die Verwirk⸗
4
lihung diefer großen {dee auf Erden und von end»
lihen Wefen nicht möglich ift. Sie bleibe das Werk
‚der Allwiſſenheit, der Allgerechtigfeit und Allmacht
Gottes. Doch geht aus der Wiedervergeltungstheorie.
ſo viel für bie philofophifche Begründung des Straf
rechts im Staate hervor, daß die ganze Geftaltung
des Staates, in Beʒiehung auf die Herrſchaft des
. Staats» und Seaatenreche. 207
Rechts, von ber Art ſeyn ſoll, daß bie ſinnlich⸗ ver⸗
nuͤnftigen Weſen, welche im Staate leben, durch
den Staat, nach deſſen Zwecke und nach den in ſeiner
Mitte vorhandenen Bedingungen fuͤr die Erreichung
dieſes Zweckes, zur ſittlichen Münbigfeitge - .
führe, und in allen ihren Verbältniffen — mithin
aud) in den von ihnen vollbrachten Nechtsverlegungen,
— als fireliche Wefen, und zwar nad) der that⸗
fachlichen Ankündigung ihrer firtlihen Muͤndigkeit
oder Unmuͤndigkeit, behandelt werden. a
Ob nun gleich zunaͤchſt die Äußere rechtswidrige
That als firafbar ſich anfündige, und unter das
Strafgefeg gebracht werden muß; fd foll doch, fo weit
es zu erforfchen möglich iſt, diefe That auf die ihr
vorausgehende innere Gefinnung und Triebfeber zu⸗
ruͤckgefuͤhrt, und nad) diefem Maasftabe die Art und
der Grad der Strafe beftimme werden; denn felbft die
Stimme bes Gemwiffens in dem Merbrecher
bürgt für dieſen Zufammenhang zwifchen der unfitt-
lichen Gefinnung und der fleafbaren That. Kann
übrigens die Strafe nicht in der Zufügung eines völ-
lig gleichen Uebels beftehen; fo muß, nach diefer
Theorie, an die Stelle derfelben ein ber Art und der
Größe nad) möglichft gleiches Uebel treten; nur
daß freilich Die fe Zutheilung der Strafe die genauefte
Erforfehung der Empfänglichfeit des ftrafbaren Indi-
- vibuums für die verfchiedenen Arten des Schmerzes
vorausfegt, weil, ohne diefe Erforfchung, die Gleich⸗
heit zmifchen ber über den Verbrecher zu verhängen-
den Strafe und dem Uebel, das er Andern zugefügt
bat, nicht möglich ift, und doch auf diefer Gleichheit
der Grundcharafter der Theorie. felbft beruht. —
- Sollen endlich die Strafen dem begangenen Verbre⸗
den völlig gleich. kommen; fo müßten auch anf un⸗
A
268 Staatsr. und Staatenrecht,
menſchliche Wabercher unmenſchliche Strofen: a
werden. m
50. |
2) Die Defferungstgeotie.
Die Beflerungstheorie entfprang theils aus der
völlig gerechten Rüge der Härte der altern: pofitiven-
Criminalgeſetze; theils aus religiöüfen Gründen;
theils aus der Wahrnehmung der wirklichen Beſſe—⸗
rung einzelner Verbrecher. Thatſachlich. ward fie
verfucht in der milden Gefeßgebung Leopolds 2 in
Toſkana, mo namentlich die Todesftrafe ganz. aufges
boben ward, und in den nordamerifanifchen Freiſtaa⸗
ten; doch bar man in den legtern fpäter die Ueberzeu⸗
| gung gewonnen, daß. man mit der Beflerungstheorie
in ber Wirklichkeit nicht ausreicht.
Dbgleich die Befferungstheorie, nad) ihrer Dez |
gründung und nad) ihrer Durchführung fehr verſchie⸗
ben geftalter werden kann; fo ift doch der allgemeine
Grundfaß, von welchem. fie ausgeht, der, daß jebeg
finnligh vernünftige Wefen, welches ein Verbrechen
begangen bat, diefes Verbrechens ungeachtet ein Weſen
iſt, das, nach dem vervollkommnungsfaͤhigen Charaf-
ter feiner Natur, der firtlihen Beflerung, d. h. der
völligen Veränderung und Umbildung der unlau«
tern Triebfeder fähig bleibt, aus welcher die ftrafbare
That hervorging. Es müffe daher auch. die Strafe
“von der Arc feyn, daß fie entweder biefe Beſſerung
felbft berbeiführe und bewirfe, ober daß doch bie
Beflerung als der Maasftab . zur Beſtimmung. der
Dauer der Strafe gebraucht werde, weil eine Strafe,
welche hinreicht , den Verbrecher zu beffern, auch als
der Innern Schul beflelben . vallfommen.-augemeflen
Aa
Staats. und Enaititahẽ 266
zw bettachten ey und zugleich die gefärmlte
gefellſchaft vor Weich: —— ee * ibi⸗
duums ſicher teile, Dieſe Theorie verlangt el
man alles erttferne? was zur Begehung Emeg’
chens verfeiten fahkt, daß man den dayır vertice
daß man an der Woglfagrr des Busch Mir
äufricherge® Inter eſſe nehme; "hnd‘ (Hk zli- uͤberdenge⸗
füche, daß die Uebel, welche! ihm "zugefügt werben⸗
bios eine iihäßroendbäre Folge feirtes Ber en FAR?
i As Saupefärift gehbrt hieher; j X zer mobil
Erf. Spangenberg, "über | „fe EN
bürgerliche Befferung” der dibtcher. mitt ageR
‘ Pönttehrteriäfkeme, als deheirijigen JUIRMTEH AU
‚jeder. Strafe. Frkin ind. vom Kugtifgen.des WMüscodk
Landsh abau. "8 Bon Een)
“ u⸗
Der gweck bin
bracht MRechtsverletzung, nf. genaı:, 55*—
dem Zwetke der. Züchtigung in. Hinſuha · der Cr yefing:
phyſiſch ⸗ unimmndiger Wefenn während ken: Zeituders
Kinnheitzund, Dngend;;weil tri efedZmad sat ig,
bie. Diffetinng: in „Ach einfihliehb, nGe tin ann
Zwecke der ·rechtlichen bu De
(3: B. mennichi Einer ber auſcht hat mind; aufge
Straße Honder anfängt) nntaſchiedem erden Mei
bie letztern Seine. eigenlicheni Meditsverlegungen ir
ſich begreifen,, nuhrihre Beftnafungtiie Beflennghens
Verirrten nicht nunsniche hindern, Ben fogar: [127
leichtern und befördern foll: ur? u; zintin:, is mi nd
Die Strafe im Staate aber, welche wegen ange
broßter, oder vollbrachter Keesoelegung ausgeſpro⸗
70 J Staats und Staatenrecht.
den unb wird, kann an fi bie Befferung
des Verbrechers nie berüdfichtigen; nur ba, bei Zus
eheilung von Strafen auf geringere Verbrechen (5.2.
bei Befängniß- oder Zuchthausftrafe) die Beſſerung
niche geradezu gehindert und unmöglich gemacht wird.
Denn das verlegte Recht des Individuums, fo. wie
die geſtoͤrte Herrſchaft des Rechts im ganzen Staats⸗
verejne, kann nur durch die Abbuͤßung der rechtlichen
Strafe, welche auf das Verbrechen geſetzt iſt, ansge-
glihen und dadurch die Herrfchaft des. Rechts von
deyfm gefichert werben. — Selbſt wenn die Beſſe⸗
rungstheorie blos auf die Dauer der Strafe bezo⸗
gen: werben follte,. würde dadurch theils fehr off der
Maasſtab der: ftrengen Gerechtigfeit ‚verlegt werben: - '
(wenn z. B. eine, Strafe, die geſetzlich zehn Jahre
‚dauern follte, der Beſſerung wegen auf fünf Sabre
vermindert würde), theils bie Beurtheilung, ob der
Verbrecher wirklich burch die bereits. abgebüßte Straf:
zeit gebeffert worden fey und ihm die.übrige Dauer ber
Strafe erlaſſen werden Fünne, geoßen Schwierigkeiten
amterliegen; und ber Heuchler nicht. feiten bie Richrerd
tauſchen. Deshalb verlangt es die Gerechtigkeit, daß: _
die zuerkanute Steafe ganz in Angemeffenpekt:
zu dem Verbrechen ubgebüßt werbe , obgleid) die.
Strafanſtalten im Staare von ber Beicheffenhein
ſeyn feflen, daß der aufbewahrte Verbrecher nicht noch; _
verdorbenet in denſelben und für die. Zeit feiner Ent:
lafſung dem Staate nach. gefährlicher werde, als zu⸗
vor; daß aber auch eben: fo wenig fein Scidfab in-
der Strafanftalt in. dem Grabe milde und günftig
fen; daß er deshalb neue Verbrechen begeht, um. wie-
der in diefe Anftalt zu kommen. Ä 0.
.
’ [3
Staats- und Staatenrecht. 278
4) Die objectine Strafrechtstheorle.
52,
4) Die Abfchredungstheorie
Die bürgerlihe Strafe ift ein vom Staate
wegen einer begangenen Rechtsverlegung zugefügtes,
durch ein Strafgefeg vorher angebrohteg Uebel. . Die
bürgerliche Strafe muß aber einen rechtlichen Grund
haben, und dieſer beruht auf dem Rechte der Sicher»
ftellung des Staates, Allein diefe kann nur erreicht
werden, wenn der Staat durch pfohologifhen
Zwang verhindert, Verbrechen. zu begeben: und
diefe Verhinderung wird erfolgen, wenn jeber Pür⸗
ger überzeugt ift, daß auf die Mechtsverlegung zin
größeres Uebel erfolgt, als das finnliche Beduͤrfniß
-und die “Begierde geoß war, eine Nechtsverlegung zu
begehen. Dieſe Ueberzeugung fann aber nur daburd)
bewirfe werden, daß die Verfnüpfung des Uebels mit
dem Verbrechen dur ein Geſetz angedroht
wird. Der Zwed des Strafgefeges iſt demnach
Abfhredung, der Grund der Zufügung ber Steafe-
aber die. Verwirklichung: des. Strafgeſetzes, Es if}
alfo der Zwed der bürgerlichen Strafe weder Be
rung, ned) Vergeltung, noch: Die Abſchreckung Ande⸗
ver durch bie Vollziehung ber Strafe. Daraus folgt,
daß die bürgerliche Strafe nur aus und nad einem.
Strafgefege verhängt werden, und daß der: Staet
"blos Rechtswerlegungen, als folche, ſtrafen kann; daß
die bürgerliche Strafe verfihieden ift von. der Rache,
die ohne einen rechtlihen Grund ausgeübt wird; daß
aber auch, beider Beſtimmung ver Strafbarkfeit
eines Handlung, nie der. fubjective Grund
ber Freiheit bes Hanbeinden berückſichtigt
r
972 . Staafs= und Staatenrecht.
werben Darf, weil die Freiheit für Das. äu-.
Bere Recht als nicht vorhanden betrachtet
werden muß, fondern blos der objective Grund
der Strafbarfeit,- der auf der Thatfache berubt,
welche, unter dem Gefege enthalten ift. Daraus er: .
gibt ſich der Doppelte Grundſatz: Jede Strafe ift nur
inſoferir gerecht, als ſie dazu dient, bie Gefahr fir
den: rechtlichen Zuffand bes Staates - abzuwenden;
ande Je größer die Gefähr für den rechtlichen Zu-
fand iſt; defto' größer iſt die äußere Strafbarkeit.
Der Begruͤnder biefer Theorie ift Feuerbach,
welchen, mit einzelnen Abweichungen ‚fehr viele
der:neuern Strafrechtslehrer folgen. Vgl. die da-
hin gehoͤrenden Schriften $. 44., und’ befonders
KCThibauts geiſtvolle Kritik dieſer Theorie.
Fa 2
EEE FOR 33.
—— 2 .2 mein s
lei. Pruͤ fu ng derſe [ben.-
15 Mach der Vernunft ift allerdings jede bürger-
liche Strafe ein vom- Staate wegen einer begangenen
Rechtsverletzung zugefügtes Uebel; allein zum Wefen:
der Strafe-felbft. gehoͤrt es nicht, daß ſie durch ein
Geſetz. angebroht werde." Denn obgleich" für jedes
Verbrechen im Staate in dem Gefeßbuche des Straf:
rechts ein Strafgefeß:da ſeyn foll, und namentlich fein.
pofltives Strafrecht ohne ein vorhandenes Straf
gefeg gedacht werden kann; ſo geht doch an ſich der
Begriff und das Wefen ber Strafe nicht. aus dem:
Gefetze, ſondern aus-der Vernunft hervor, d. h. aus:
der nothwendigen Verfnüpfung eines finntichen Lebels
mit einer ftrafbaren Handlung nad) der ewigen Idee :
der -Serechtigkeit. Denn follte die Swafe.nur auf:
das vorhandene Strafgefetz fih gründen; fo würbe?
LG
®
Steats⸗ und Staatenrecht. 273*
jedes Verbrechen im Staate unbeſtraft bleiben muͤſſen,
das nicht durch ein Geſetz mit Strafe belegt waͤre; ja
es wuͤrde eine. ſtrafbare Handlung gar, nicht ein Ver:
brechen genannt werben koͤnnen, die:riicht als ſolche
durch "Androhung einer Strafe bezeichnet: wäre. Nach
der Abfchrefungscheorie:gibt.es alfo. kein Werbrechen
‚an ſich, fondern, nur diejenige Handlung ift Verbre—
‚chen, welche der Gefeggeber mit, Strafe bedroht. Dies
wurde aber, folgerichtig durchgeführt, den druͤckendſten
Defpotismus befördern: (j. B. wenn in irgend einem
Strafgefegbuche die. Ausübung des Cultus der Pro-
teftanten mit dem Feuertode — man denfe an Huß,
an die Berbammungsbulle Luthers — belegt würde)!
— Wenn ferner. au) aus dem Zwecke bes Staates
und der Strafe nathmendig hervorgebet, daß Rechts⸗
verlegungen verhitet werden follen;. ſo ift doch Der
Grundſatz der Abſchreckung duch pfychologiſchen
Zwang mit der Vernunftidee der Gerechtigkeit unver:
einbar; denn nad) diefem Grundfage wird nicht aus
dem Verhaͤltniſſe der ftrafbaren Handlung zur ewigen
Idee der Gerechtigkeit die Strafe abgeleitet, fondern
aus ginem angedrohten finnlichen Uebel, das
mit dee Begehung ber: Handlung verbunden wird, um
dadurch die rechtswibrige Begierde zu unterdruͤcken. —
Da weiter die Menſchen in pfyhologifher Hin-
ſicht unendlich verſchieden find, und, nach der
Erfahrung, die barteften Strafen die Vollbringung
der Verbrechen oft nicht verhüsen , ja ſelbſt Die Zahl
berfelben nicht. veemistdern koͤnnen; fo muß entweber,
nad) der Verfchiedenheit der Judivibuen ‚;anf;ein-und
daffelbe Verbrechen eine fchärfere und eine gelindere
Strafe 'gefegt, oder dem Richter die pfychologifche
Beurtheilung und Entſcheidung inberlaffen, oder uͤber⸗
haupt, ver Sicherftellung des Staates wegen, jedesmal
L 18
‘
274 Saan ⸗ und Seaatenrecht.
zu den haͤrteſte n Strafen gefchritten werben; ober es
müßten alle diejenigen ungeftraft bleiben, bei deren
Gleichguͤltigkeit gegen die angedrohten ſtrengſten Straf⸗
übel der Zweck der Abſchreckung durch die Strafe nicht
erreicht würde. Die beabſichtigte Abſchreckung Andrer
aber durch die Strafe, wennder Verbrecher ſelbſt
dadurch nicht abgeſchreckt werden koͤnnte,
wuͤrde den Staat in den Fall bringen, einen Menſchen
als Mittel zu gebrauchen (ſelbſt zu verbrauchen),
um den vorgeſetzten Zweck bei andern Staatsbuͤrgern
zu erreichen, fo wie überhaupt die fortdauernde Noth⸗
wenbigfeit der Anwendung der Strafen den Beweis
enthält, daß ber eigentliche Zweck der Abfchredung
tim Ganzen nie erreicht wird. — , Da endlich
die Abſchreckungstheorie auf die innere Freiheit des
Handelnden und auf die Triebfeder, bie ihn bei dem
Verbrechen leitete, gar nicht Ruͤckſicht nimmt, fondern
blos an die Thatfache und an den Thatbeftand des
Verbrechens fih Hält; fo erleichtert fie zwar dadurch
von der einen Seite die Entfheidung der Strafe,
verftößt aber von der andern gegen das Vorhanden⸗
ſeyn der ſittlichen Freiheit im Menſchen; beruͤckſichtigt
ausſchließend das ſinnliche, mithin das niedere
Beſtrebungsvermoͤgen im Menfchen ‚, ohne das ver-
nünftige, ober höhere, in Anfchlag zu bringen; ver
hindert die Yusmittelung ber oft fo fehr verfhie-
denen fubjectiven Grade der Strafmür
digfeit, und der Zurechnung, und ſieht ſich gend-
thigt, in den meiften Fällen bie ſtrengſten und haͤrteſten
Srafen anzuwenden.
on
u!
u -
- Staats» und Staatenrecht. 2
54.
2) Die. Praͤventionstheorie.
Die Praͤventionstheorie beruht auf folgenden
Saͤtzen:
Aller rechtliche Zwang gegen Andere wird da⸗
durch begruͤndet, daß derjenige, gegen welchen er
ſtatt finden ſoll, ein Hinderniß ver allgemeinen gefetz⸗
lichen Freiheit geworden iſt; ſo wie der Zweck, zu
welchem der Zwang ausgeuͤbt wird, durchaus nur
dahin gehet, daß dieſes Hinderniß entfernt werde.
Soll daher die Strafe als ein rechtliches Zwangs⸗
mittel erfcheinen; fo muß fie dadurch rechtlich begruͤn⸗
det feyn, daß der, gegen welchen: fie ſtatt finden poll,
ein Hinderniß ber allgemeinen Freiheit geworden it;
fie muß den Strafbaren treffen, weil er fie Dadurch
verfchulder hat, daß er, unter diefen Umftänben, nicht
zu einer Gefellfchaft freier Wefen paßt; fie muß aber
auch zugleich nur Den Zweck haben, daß jenes Hinder-
niß der Freiheit aufgehoben, und der vollfommene
Rechtszuſtand wieder hergeftelle werde. Die Strafe
nun, die weder blos Nothwehr, noch Entfehädigung
feyn darf, fann, wenn fie nicht aus der Reihe der
rechtlichen Zwangsmittel ausgeftrichen werben foll, nur
unter dem Zwange zur Prävention begriffen
feyn, und Prävention als ihren rechtlichen
Zweck erkennen. Hierdurch wird keinesweges be⸗
hauptet, daß jedes Praͤventionsmittel den Namen
Strafe verdiene, ſondern nur, daß jede Strafe,
infofern fie alß ein rechrliches Zwangsmittel betrachtet
werden foll, eine Art der Prävention ſeyn muͤſſe. Soll
‚aber ein Präventionsmittel den Namen Strafe ver-
dienen; fo muß 1) die recheliche Strafe ein finnliches
Uebel ſeyn, welches dem Menfchen darum zugefügt
18*
x
—
d
276 ‚Staats: und Staatenrecht.
wird, weil er Daffelbe rechtlich verdient
hat; und fo fann.fie 2) feinen andern Zweck haben,
als fünftige angedrohteRechtsverlegungeg
zu verhbüten. Denn das Beſtehen bes rechtlichen
Zuftandes unter den Menfchen erfordert ein ſtetes Be⸗
ſtimmtſeyn ihres Willens für das Nechtsgefeg, ohne
Doch dabei die innere Triebfeder dieſes Wil—
lens zu beruͤckſichtigen. Da alſo der rechtliche
Zuſtand nicht blos durch wirkliche Rechtsverletzungen
aufgehoben wird, ſondern auch zwiſchen denen nicht
beſteht, welche, ohne im gegenwaͤrtigen Augenblicke
einander zu verletzen, doch nicht geſtimmt ſind, jeder
Rechtsverletzung in Zukunft ſich zu enthalten; fo kann
der rechtliche Zwang keinesweges auf Wiederherſtellung
der Integritaͤt der verlegten Rechte und auf Schaden⸗
- erfaß beſchraͤnkt ſeyn, ſondern es muß auch in An⸗
ſehung deſſen, welcher durch das Verbrechen einen
Maͤngel der noͤthigen Willensbeſtimmung bewieſen
bat und alſo gefahrdrohend für die Zukunft erſcheint,
durch ein die ſinnliche Luſt zum Verbrechen uͤber⸗
wiegendes Strafuͤbel die Gefahr fuͤr die Zukunft
aufgehoben, es muß pravenirt. werdee.
Der rechtliche Zweck der Strafe muß mithin
auf die Zukunft berechnet ſeyn, und in der Ent-
fernung eines bevorftehenden Schadens beſtehen.
Ihr Rehtsgrundeift Die gefchehene Drohung einge
Rechtsverlegung, und Die dadurch begründete Gefahr;
fie erifft demnach) den Strafbaren, weil er Gefahr
droht; fie trifft ihn zu dem Ende, Damit er nicht
- ferner Gefahr dro
e. Diefer Zweck fann aber erreiche
werden entweder duch Unmöglihmahung ber
Ausführung der Drohung, oder aud) in vielen Fllen
durch Abſchreckung. Rechtliche Strafe ift alfo
ein finnliches Uebel, welches Dem, eine Gefahr drohen⸗
4
\
Staats: und Staatenrecht— 277
den, Subjecte zur Entfernung einer gedrohten Gefahr
entweder durch Abſchreckung deſſelben, oder durch
Unmoͤglichmachung der Drohung zugefuͤgt wird. —
.. Nach diefer Theorie fordert daher das Rechtsgeſetz,
‚als ein ewiges und practifches Gefeg für den Willen,
durchaus eine rechtliche Willensbeftimmung des Ins
dividuums, und nur der- Mangel diefer rechtlichen
MWillensbeftimmung berechtigt zu dem Präventiond« _
zwange, deflen Grund in der Gegenwart, deſſen
Zweck in der Zufunft leg. Ä |
Der Begründer diefer Theorie ift v. Grols
mann in f, $.44. aufgeführten Werfen. In
feiberer De lehrte Stübel (in f. 1795 erfhie:
nenen Syfteme ꝛc.) im Ganzen baffelbe. Unter
: den übrigen Strafrechtstehrern befennt fih Tit t⸗
mann zu dieſer Theorie, hauptſaͤchlich in ſ.
Grundlinien der Strafrechtswiſſen—
ſchaft, mit wenigen Abweichungen. In einzelnen
Theilen der Darſtellung iſt er noch deutlicher, als
Grolmann. Eine Stelle, welche Tittmanns
Anſicht dieſer Theorie beſonders bezeichnet, gehoͤrt
hieher: „Strafe heißt dasjenige ſinnliche Uebel,
welches dem Urheber einer Störung des Freiheits-⸗
gebiets,, nach Worfchrift des Nechtsgefeges, zuge:
füge wird, Die Strafe ift niht Zweck an ſich,
ſondern nur Mittel zu einem Zwecke; denn
‚Strafe zuzufügen, ift dem Menfchen blos zu
feiner Sicherheit erlaubt. Er darf alfo nicht
ſtrafen, weil es gerecht ift (2), daß jeber leide,
was feine Thaten werth find, ſondern nur, damit
er ſich ſichere gegen zufünftige Handlungen
derſelben Arc. Der Zweck ber Strafe ift daher,
ihre Zufügung unnöthig zu machen, zu bewirken,
- daß die Fälle ihrer Anwendung gar nicht eintreten,
278 7 Staats» und Staatenrecht.
oder, was einerleiift, Sicherheit bes Sreiheitsgebie«
tes gegen fremde Eingriffe ſich zu verfchaffen. Dies
fann aber gefchehen, indem der Drohende entweber
von der Ausführung ber Drohung abgefhredt, -
oder dazu außer Stand gefegt wird.’
M 55.
Prüfung derfelben,
Es gehört zu den Vorzügen der Präventions«
theorie , daß fie auf das Nechesgefeg, als ein in
ber Vernunft enthaltenes ewiges und practifches Ge⸗
ſetz, ſich gruͤndet, ob fie gleich Die innere Trieb-
feder der freien Handlung nicht beruͤckſichtigt; daß fie
die Strafe blos als Mittel zum Rechtszwecke aus
ſpricht, zwifhen Verbrechen und Vergehen genau.
unterfcheidee, und überhaupt durd) eine große Milde,
ſowohl in den Grundfägen, als in deren Anwendung,
ſich anfündige. u
| Allein im Geifte diefer Theorie wird die begangene
' Rechtsverlegung gar nicht beftraft, fobald der Ver-
brecher niche für die Zukunft mit erneuerter Rechts⸗
‚verleßung droht; es würden alfo, nad} derfelben, viele
Rechtsverlegungen ungeftraft bleiben; dagegen wuͤr⸗
den manche Individuen geftraft, und hart geftraft
werden miffen, wenn man aus ihren begangenen
Handlungen entweder einen gegründeten, oder auch
einen zu übereilten Schluß für- ihe Betragen in der
Zukunft machte. Auch bleibe es für den Nichter in
den meiften Ballen unmöglich, das Wefen des Ver:
brechers fo tief zu erforfchen, um — ohne doch die
innere Triebfeder der Handlung zu berüdjichtigen —
über den Mangel feiner rechtlichen Willensbeftimmung
zu entſcheiden, obgleich eben nur dieſer Mangel zu
*
Staats. und Staatenrecht. 279
dem m Peäventlonszwange berechtigen foll, — . Außen.
dem iſt es eine Forderung der Vernunft, die an fich
nicht zurücfgewiefen werben faun, daß in einem,
Staate, wo das Recht zur Herrfchaft gelangen foll,
keine erfannte Rechtsverletzung ungeftraft bleiben
darf , felbft wenn der Verbrecher feine neue Rechts⸗
verlegung befürchten läßt; daß ferner die aus einer
begangenen Rechtsverlegung durch Schlüffe auszue
mittelnde Gefahr Fünftiger Rechtsverlegungen an
ſich feinen rechtlichen Grund zu einer Strafe
geben kann, weil die Strafe nur aufdievollbradte -
That fich beziehen darf; und daß die Erforfehung des
Mangels einer rechtlichen Willensbeftimmung,, wel»
cher allein zum Präventionszwange berechtigen ſoll,
bei vielen taufend ſittlich⸗ unmuͤndigen im Staate ſehr
fhwierig und unficher bleibt, wenn ‚nicht, eben bei
der Charafterlofigfeit der großen Menge, ber Präven-
tionszwang fehr häufig eintreten fol. — Ueberhaupt
darf in einem rechtlich geſtalteten Staate nie der
Zukunft megen, fondern wegen der in der Ver⸗
gangenheit vollbrachten That, und zwar nad) der. dabei
erkennbaren Verfhuldung bes Werbrechers geftraft
werben. —. Endlich kann nicht verfannt werden,
daß, durch die Aufnahme der Abſchreckung in die
Alternative.der Beftrafung, die Praventionstheerie
theilweiſe in der Ausführung, wenn gleich nicht
nad) ihrer Begründung, der Abſchreckungstheorie ſich
bedeutend nähert, und uͤberhaupt für die folgerich⸗
tige Anwendung bie allerfchwierigfte feyn dürfte.
Allgemeines Ergebniß,
Außer diefen vier Haupttheorieen fönnten noch
einige eigeuthümliche Anfichten Nhaeffinniger Männer.
—
280 Staats- und Staatenrecht.
felbftftändig aufgeführt werden, die aber im Ganzen,
‚ mehr oder weniger, mit einer der bargeftellten zuſam⸗
mentreffen. ' ©o- leitete Hufeland den Grund bes
Steafrehts aus dem allgemeinen Bürgerver--
frage, Fichte aus einem befondern Abbuͤßungs⸗
vertrage ab, durch welchen Alle Allen verfprechen,
fie um ihrer Vergehen willen nicht vom Staate auszus
fohließen , fondern ihnen zu verftatten, diefe Strafe-
auf andere Weife abzubüßen. — So ftellte Thibaut
(in fe Kritif der Feuerbachiſchen Theorie):
die Strafe als eine bloße Maasregel der North bar,
indem er darauf verzichtet, das Strafrecht auf einer
rechtlichen Grundlage aufzuführen. — So entmwicdelte
Schulze (in ſ. Leitfaden ıc.) aus dem Sittenge⸗
fege die allgemieine Verpflichtung der Menſchen, im
Staate zu leben; und dus: dem Rechte des Staates,
zu eriftiren, die Befugniß, gegen widerrechtliche An⸗
griffe einzelner Menfchen hund andrer Staaten ale:
moraliſche Perfon ſich zu fhügen und ’zu- erhalten,
weil jeder rechtlich beftehenden Perfon das-Selbits;
erbaltungsrecht zufommt. Da nun die Ver—
leßung von Zmangspflichten, welche man Verbrechen
nennt, nicht nur eine Kraͤnkung irgend eines Berech⸗
tigten enthält, fondern auch außerdem noch eine Ge⸗
fahr für das Fortbeftehen des Staates veranlaßt, in
welchem das Verbrechen verübt wird; fo muß dem
gefährdeten Staats, als einer moralifchen Perfon,'
das Recht zuftehen, dem Verbrecher Uebel zuzüfligen,
. welche von der Entſchaͤdigung des durch das Verbre-
chen Verlegten verfchieden find, und den Zweck haben,
die Gefahr für die moralifhe Perfon des
Staates äbzumenden. — Dieſe Lehre, welcher
Martin (in feinem Lehrbuche ꝛc. ©. 25 ff.) ſich
anfchließe, fo wie auh Henke (in ſ. Lehrbuche
‘
°
Staats : und Staatenrecht. 281
ber Strafrehsswiffenfhaft S. 19) °) fi
gegen bie völlige Ausſchließung der Freiheit aus dem
Strafrechte erflärt, führe nothwendig zu einer fu be J
jec tiv-⸗obje etiv en Strafrechtstheorie. Denn bei’
einer Strafrechtstheorie, die befriedigen ſoll, reicht
weber bios die Rüdfiht auf die Sittlichkeit und
dieinnere Triebfeder bes Verbrechers aus,
(weil die That ſelbſt in dem aͤußern freien Bi
*) Schr wahr fagt Henke: „Die früher von den Ans ”
hängerm der kritiſchen Philofophie verſuchte Trens
nung Des Rechts von der Moral ward dur‘.
Fichte vollender. Die Strafrehtswiffenfchaft follte-
nun nah den Örundfägen des in Frankreich herr⸗
fhenden geifts und feelenlofen Materinlismus (nar
mentlih im Systeme de la nature, T. ı, p. 225)°
umgeftaltet werden. — Da das für fi felbft bes:
f ſtehende Rechtsgefeg nicht den Willen und die Ges.
ſinnung in Anſpruch nimmt, fondern nur die äußern
Handlungen beruͤckſichtigt; ſo kann der Zweck der
Strafe kein anderer ſeyn, als Furchterweckung und
Abſchreckung von Rechtsverletzungen. Weil aber die
Erreichung dieſes Zweckes bei freien: Wefen, die
ſich ja gegen die Drohung verfhließen können, und
feibft den Schmerz der zugefügten Strafe zu übers
winden vermögen, durhaus nicht zu verbürgen iſt;
: fo wird der MWenfh von-allem enttleidet,
wasihn über Bas Thier erhebt; es wind
die Freiheit ausdem Triminalrehtevers .
bannt, weil Freiheit, als etwas Inneres, Moras
liſches, Metaphyſiſches für die von der Moral
getrennte Nehtsiehre ohne alle Bedeu
tung If. — Durd den Berfuh, die Freiheit
‚aus dem Criminalrechte zu verbannen, (der freilich
nie gelingen fann, weil mit - der Freiheit die
Möglichkeit der Zurehnung und der Veftrafung aufs
gehoben wird,) hat in Ziutſchland vorzuͤglich Fener⸗
baq Epoche gemacht.“
\
32. Staats» und Staatenredht.
kungskreiſe -gefchiehe,) noch die bloße Ruͤckſicht auf
die That, weil der Verbrecher fein Thier ift, das
. dem Inftincte folge, fondern nach innern Trieb«
federn handele. Hält man ſich lediglid an die
erſte Nücdfihe und behält blos. das Subject
bes Verbrechers im Auge; fo wird im Strafe
rechte entweder eine ibealifche Nachbildung ber” fitt-
lichen Weltordnung verſucht, welche in der Wirklich
keit nie völlig zu erreichen möglich iſt, ober die beab⸗
ſichtigte Beſſerung des verbrecheriſchen Subjects ver⸗
ruͤckt den vernunftgemaͤßen Charakter der Strafe und
fuͤhrt zuletzt zur Strafloſigkeit. Hält man ſich aber
— ausſchließend an die zweite Ruͤckſicht und behaͤlt
blos das Object, die verbrecheriſche That, im
Auge; fo fehle die eigentlihe Zurehnung, d. h.
das Verhältniß der innern Gefinnung zur Handlung,
und der Rechtsgrund der Strafe, die Straf⸗
‚ würbdigfeit bes Verbrechers wird in eine bloße
äußere Strafbarkeit, in die Unterordnung der
That unter ein vorhandenes Strafgeſetz, verwandelt.
Eine befriedigende Strafrechtstheorie muß daher b eide
Rü kſichten verbinde n.
57.
b) Lehre von der rechtlichen Anwendung j
des Zwanges.und der Strafe im Staate.
(Die fubjectiv-objective Strafrechtstheorie.)
| Jede Rechtsverletzung, als eine in dem aͤußern
freien Wirkungskreiſe erſcheinende That, ſetzt in den
Thaͤter ein Uebergewicht des fnalihen Bes
ftrebungsvermögens über das vernünftige vor⸗
aus, weil aus dem vernünftigen Beftrebungsver-
mögen, weiches unter der fittlichen Gefeggebung der
—8
—
Staats und Staatenrecht. 283
Vernunft ſteht, Feine pflicht und rechtswidrige Hand⸗
lung hervorgehen fann. Da aber in dem Menfchen.
die finnliche Natur mit der vernünftigen aufs innigfte..
verbunden ift, und er, nad) feiner Freiheit, den:
Endzweck der Sitelichfeie, welher gemeinfhaft-
Lich den Kreis der Pflichten und der Rechte umfchließt,
nicht nur vermwirflichen foll, fondern auch vermirf-
lichen fann; da ferner der Staat, als eine vertragss
mäßig begründete Gefeltfchaft finnlich » vernünftiger
Weſen für die Aufrechthaltung des Gleihgewichts in
ihrem äußern freien Wirfungsfreife, Die einzige recht«
liche Bedingung ift, durch welche der von der Ver—⸗
nunft unnachläßlich gebotene Endzwed der Menfchheit
in der MWechfelwirfung aller zu einem Ganzen ver-
einigten finnlich » vernünftigen Wefen erreicht werden.
kann; fo folgt, daß jede Rechtsverletzung nicht blos
eine Störung ber bürgerlichen, fondern zugleih
eine Störung der fittlihen Drdnung iſt;
denn ber Staatsbürger hört in feinem Verhaͤltniſſe
des Sebens auf, Menfch zu feyn, und unter der ſitt⸗
lichen Gefeggebung ber Vernunft zu ftehen.
Eine Strafe fann daher, nad) Vernunftges
fegen, nur dann rechtlich ſeyn, wenn fie die noth⸗
wendige Folge einer Handlung iſt, welhe aus der
Freiheit des Handelnden hervorging, und alfo dem
felben zugerechnet werden fann. Denn obgleich
die innere Triebfeder des Handelnden , welche-ihn zur
widerreihtlichen That beftimmte, nicht in jedem ein»
zelnen Falle mit völliger Sicherheit zu beftimmen,
und bisweilen gar nicht nad) ihren legten fubjectinen
Gründen zu erforfchen ift; fo wird doch bei jeder von
Menfchen vollbrachten und in ihrem äußern Wir:
fungsfreife erfcheinenden Handlung die innere Freis
heit des Willens vorausgefegt, weil nur bei Annahme
—4
N
‘
284 Staats» und Staatenrecht.
der innern Freiheit (d. h. des Vermoͤgens, etwas
thun zu fonnen bei der Möglichkeit des Gegentheils,)
die Zurehuung ber Handlung, mithin auch die
Beftrafung berfelben möglich ift. — Eine Straf:
rechtstheorie, welche der Ruͤckſicht auf / die innere Frei-
beit des Menfchen fich. völlig begibt, ift daher nicht
auf den Menſchen nach den doppelten Anlagen feiner
Natur, fondern blos auf den Menfchen, als lebendes
hier berechnet, auf weldhes man nur durch An-
drohung und Vollziehung finnlicher Uebel wirfen will,
‚ohne dabei der in ihm enthaltenen vernünftigen Mas
tur zu gedenken. Ä
Sehr wahr fagt Schulze (in ſ. Leitfaden ıc.
'©. 364.) „Bei den meiften Verbrechern, welche
der Eriminaljuftiz in die Hände fallen, war dag
Verbrechen, wegen welches fie von diefer beftraft
werden, ein unvermeidlicher Erfolg desjenigen Ge-
müthszuftandes, in welchem es befchloffen und
ausgeführt ward. Gleichwohl wicd ihnen das Ver-
drehen mie Recht zugerechnet, weil es
eirie Folge der Unterlaffung deffen ift,
was früher von denfelben hätte gerhban
werden follen, damit .jener Gemuͤths—
zuftand nichf eingetreten mare; und wie
viele Mifferhaten würden unterblieben feyn, wenn,
bei dem erften Gedanfen daran, die Schaͤndlich⸗
keit derfelben erwogen, und ber ſich Dagegen noch
regende Abfchen belebt und verftärft worden wäre,
Dies war aber vermöge der Herrfchaft, welche der
in feinem Innern nicht zerrüttete Menſch über fein
Denken, ober über die Aufmerffamfeit und beren
Richtung auf einen Begenftand auszuüben vermag,
‘eben fo gut moͤglich, als wie das Vorftellen der
angenehmen Folgen, die eine Uebelthat verfpricht.”’
+
Staats» und Staatenrecht. 285
58. >
Strafwärbigteie und Strafsarteit der
That.
Die Zurehnung der vollbrachten That —
ſowohl im Bewußtſeyn des Verbrechers ſelbſt, ais
durch den Ausſpruch des Richters, — ſetzt aber,
neben der dem Verbrecher einwohnenden ſittlichen
Vernunft, bie ſich im Gefühle als Gewiſ ſen
anfündige, in der bürgerlichen Gefellfchaft ein
vorhandenes Geſetz voraus, durch welches die
vollbrachte That als Kechtsverlegung ausge⸗
ſprochen wird, Denn obgleich die ſittliche Straf:
würdigfeit einer rechtswidrigen Handlung zunächft
von der innern Triebfeder abhängt, welche die Rechts»
verlegu ng Per, und von der. Verlegung des
ewigen Vernunftgeſetzes der Gerechtigkeit durch die
Handlung, felbft wenn biefe in der bürgerlichen Ge⸗
ſellſchaft nicht als Rechtsverletzung in einem beſtimm⸗
ten Geſetze ausgeſprochen und mit der dadurch ver
wirkten Strafe belegt waͤre; ſo erhaͤlt doch die Rechts⸗
verletzung ihren aͤußern Charatter ber Strafbar⸗
keit in der buͤrgerlichen Geſellſchaft nur durch das
Strafgeſetz, welches den Begriff der ſtrafbaren Hand⸗
‚bang ſogleich mit der dadurch, verwirkten Strafe ver-
bindet... Daraus folgt, daß die fubjective Straf:
wuͤrdigkait das erfte, die bürgerlihe Straf:
barfeic aber, als abhängige Folge von der Straf-
. würdigfeit, das zweite ift. Es folge wieder, daß
alle Handlungen, wo die Zurechnung, d. h. die Zu⸗
ruͤckfuͤhrung auf Die innere Freiheit -des Handelnden
-wegfälle, von den eigentlichen Werbrechen, und vonden
"Strafen ‚ welche auf Verbrechen gefegt find, ausge
fchloffen werden muͤſſen. Es folge endlich, daß, bei
t
Iss Stoaats- und Staatenrecht.
der Zurechnung der Verbrechen, der Grad der innern
: Strafwuͤrdigkeit, und alſo auch ber. :bürgerlichen
Strafbarkeit, zunaͤchſt davon abhängt, ob die Rechts⸗
nerlegung abſichtlich, mit deutlichem Bewußtſeyn
AIhrer Rechtswidrigkeit und Strafwuͤrdigkeit, und mit
"der Kenntniß des buͤrgerlichen Strafgeſetzes, oder ob
ſie, zwar durch die Schuld und Fahrlaͤſſigkeit,
"aber ohne die Abſicht des Handelnden erfolge. In
‚dem erften Falle heißt fie: dolus *), in dem zweiten:
"culpa. Von der Eulpa muß aber die blos zufällige
Verletzung der Rechte eines Andern unterfchieden
werden, weil die Culpa durchaus die Fahrläffigkeit,
wenigftens die Unbefonnenbeit des Handelnden bei
Rechtsverletzungen, fo wie die von ihm zu erwartende
Bekanntſchaft mit dem Strafgefege **) einfchließe,
welches die von ihm vollbrachte Nechtsverlegung be-
zeichnet. — Durch die Zurükführung der rechts»
widrigen Handlung auf die innere Freiheit ver-
mittelſt der Zurechnung, wird alfo die Strafmwür-
digfeit nah Vernunftgefegen — (dern.
Wuͤrdigkeit und Unmwürdigfeit bezeichnet jedesmal ein
ſittliches Verhältniß,) — durd) die Lntetordmung
:#) Gönner, Revifion des Begriffs .und der Eintheis
lungen des Dolus. Landsh. 18310. 838. u
#4, Sehe wahr bemerkt Henke im Lehrbudhe,&.60.
in Betreff der vermeidlichen Unwiffenheit
(ignorantia vincibilis) entweder des Strafgefehes,
oder der Folgen, die aus einer gewiffen Handlung
oder Unterlaſſung nach Maturgefegen gewoͤhnlich hers
vorgehen, daß die Vermeidlichkeit oder Unvermeid⸗
lichkeit der Unwiſſenheit nicht in abstzacto, fondenn
in jedem einzelnen Falle nur nad, der. Verfchiedens
beit der Verhättniffe und nah den individuellen
"Kräften des Subjects beſtimmt werden Tann.
Staats· und Stihl. E87
der rechtswidrigen Handlung aber, als eine Außere
Erfcheinung; unter das im Staate:brftehenyr Straf:
gefeß, ihre bürgerlihe Strafbarfeit ent
fchieden. Deshalb ift die Ausmittelung des Ab fiche
lichen, oder bes Fahrlaͤſſigen, oder des Jun.
fälligen bei der Ausübung der firafbaren Hänblinig |
das erfte und wichtigfte Gefchäft, bevor. die Unterord-
nung derfelben unter ein beſtehendes Strafgeſetz er⸗
folgen fann, worauf, bei den abſichtlichen flrafbg-
ren Handlungen das Maas und die Größe der Schuld
nad) dem erfennbaren Grade ber individuellen Bil
dung, und nach dem Grabe ber fittlihen Verdorben⸗
heit und Bösartigfeit, fo wie nad) den äußern Ver⸗
haltniffen des Reizes und ber Veranlaffung auf das
finnliche Beftrebungsvermögen des Handelndeh, und
fodann,, nad) diefer rechtlichen Ausmittelung der Groͤfie
der Schuld, das Maas und der Umfang der Strafe,
d, h. die Anwendung des vorhandenen bürgerlichen "
Strafgefeges auf den vorhandenen einzelnen Gall,
beftimme wird. | a
Da übrigens an einer der Zurechnung "fähigen
Ihat Mehrere Antheil Haben Fünnen; fo müffen bie.
Gehülfen und Theilnehmer des Verbrechens ge».
nau von dem Urheber (dem urfahlihen Grun-
be, daß ein Verbrechen begangen ward ,) unterfchie-
den werden. Zwar ift auch ihre Theilnahme der Zu⸗
rehnung fähig; allein ihre Strafwuͤrdigkeit
und Strafbarfeit muß darnach beftimmt werden,
baß die Theilnehmer gewöhnlich weniger gefährliche
Menſchen find, als der irheber, daß fie alſo ohne feine
Aufregung fehwerlich zur Thellnahme ſich entſchlofſen
haben würden, und daß daher auch bei ihren ein ges
singerer Grad ber Verſchulbung angetroffen’ wird.
>» Bergl. Henke's Lehrbuch S. 44-50,"
ds
2 — Etcan. und Staatensechl, .
oo 49. urn
Bann die Zurechnung pegfaiut
Nach der Ableitung der Strafwuͤrdigkeit einer
‚Sa ndiung aus der Verlegung des ewigen Vernunft
gefeßes der · Gebechtigkeit durch diefelbe, und der Ver:
..egung: des, aus diefem Bernunftgefege. ftammenden,,
— Zoeces des Staates, duͤrfen daher in der
Strafgeſetzgebung des Staates. nur Diejenigen Hand⸗
‚lungen. ‚als -Rechtsverlegungen aufgeführt und als
firafbar ausgefprochen werden , welche der Zurechnung
— der. Zurüudführung auf die innere Freiheit des’
Handelnden — fähig find. Es mirffen. daher alle
Handlungen, wo dieſe Zurehnung wegfällt,
‚von den eigentlichen Verbrechen, und von ben Strafen,
welche auf Verbrechen gefeßt find, ausgefchloflen wer»
‚ben. .Dabin gehören diejenigen Handlungen, welche
"begangen: werden: 1) von Minderjährige n, fo
‚lange als die Vernunft und das Gewiflen bei. ihnen
noch nicht zum deutlichen Bewußtſeyn von Recht und
Unrecht gelangt if (obgleich ‚es mit großen Schwie-
rigfeiten verbunden bleibt, ein gemwifles -Sebensalter
fuͤr die beginnende Zurechnungsfähigfeic feſtzuſetzen);
2) von Taub- und Stummgebohrnen, welche
keinen Unterricht erhalten haben (wiewohl über ſolche
Individuen mit großer Vorſicht geurtheilt werden
muß); 3) von kin diſchgewordenen Greiſen,
von Bloͤdſinnigen, Wahnfinnigen und Ra—⸗
ſenden, von Nachtwandlern und von völlig
‚Betäubten und Besrunfenen,.fobald die leg-
tern es. ohne ihre Schuld find; 4) von ſolchen,
welche durch entſchiedene Gewalt zu einer
ſtrafharen Handlung gezwungen wurden ; "und 5) von
ſolchen, die ſich im hoͤch ſten Grade einer entfhul- |
‘
N N
Staats⸗ und Staatenrecht. I 289
Digungs- und rechtfertigungsfähigen Lei—
denfchaft befinden. _ Der legte Fall kann zwar nie
ganz von der Zurechnuug entbinden, weil der Menfch
durch feine Freiheit die Affecten und Seidenfchaften be-
fiegen full; es entfpringt aber aus einem gerechten.
Affecte (3.8. bei offener ehrenrührigen Befchuldigung,
beim Antreffen des Gatten im Ehebruche u. f. w.) ein
Milderungsgrund'der Strafmürdigfeie und alfo
auch der Strafbarkeit der Handlungs
60.
im Staate
#) Die Sehre von den Kechtsverlegungen
Eintheilung der frafbaren Handlungen in
Verbrechen und Vergehen, Ä
Wenn bei der Eintheilung der ftrafbaren Hand. _
lungen in fubjectiver Hinficht zunächft unterfchies
den werden muß, ob fie abfichtlich oder zufällig be=
gangen werben; fo muß bei der Eintheilung derfelben
in objectiner Hinſicht, d. h. nad) ihrer Anfündi-
gung im Außern freien Wirfungsfreife, von dem,
das ganze Gebiete. des Staatsrechts beftimmenden,
—
Grundſaͤtze der Zwangspflichten (oflicia per-
fecta) ausgegangen werden, weil nur dieſen Rechte
entfprechen. Denn. blos das kann, im Gegenfage der
Vergehen (delictum), in der Nechtsgefellfchaft als
Verbrechen (crimen) erfcheinen, und als folches
im Strafgefege ausgeprägt werden, was ein ans '
erfanntes Zwangsrecht verlegt, dies fey run _
entweder das öffentliche Hecht. des Staates felbft,
oder die urfprünglichen und. erworbenen Rechte der
‚ einzelnen Staasbürger. Dagegen nennen wir alle
I. 19
-
—
"U Staats - und Staatenreit.
diejenigen, Handlungen Vergehen, welche, , nad)
einer innern fehlerhaften oder unſittlichen Triebfeder ‚
gegen die Ordnung, Shidlichfeit, Site
lichkeit und Wohlfahrt im Staate verfloßen,
fobald durd, fie feine wirklichen Rechte
verlegt werden. Die Vergehen ftehen daher, aus
diefem in der Bernunftgefeggebung über Die Zwangs⸗
‚rechte enthaltenen Grunde, nicht unter ver Straf-
gefesgebung, fondern unter. der Polizei«
gefesgebung, meil nur Rechtsverlegungen , nicht
aber Verftöße gegen Ordnung, Schielichfeit, Sitt-
lichfeit und Wohlfahrt, in dag Strafrecht und in
das Strafgefegbud Des Staates gehören *).
‚Die Verbrechen nennt man Staatsverbre-
hen, wenn fie das öffentliche Recht die Verfaflung,
Regierung und Verwaltung im Staate verlegen,
und bürgerliche (oder Privat-) Verbrechen,
wenn fie die urfprünglichen oder erworbenen Rechte der
einzelnen Staatsbürger beeinträchtigen. Das Eigen:
thümliche der ftrafbaren Handlungen aber; oder der
Inbegriff aller derjenigen Umftände, welche zu dem
Begriffe derfelben gehören, heißt ber ⁊ ha tb eſtand
“(corpus delicti).
Chſtph. Karl Stuͤbel, über den chatbeſtand der
Verbrechen. Wittenb. 1805. 8. -
*) Es gehoͤrt beſonders Tittmann und Grolmann,
den Lehrern der Praͤventionstheorie, das Verdienſt,
‚Daß fie zwiſchen Verbrechen und Vergehen genau
unterfhieden,, und was die Rigoriften des Strafs
rechts ohne zureichenden Vernunftgrund in den Bes
reich deffelben zogen, von demfelben trennten. Alle, .
welhe im Staatsrechte Moral und Nechrsiehre nicht
auf ewig von einander trennen, und zwifchen offi-
ciis perfectis und imperfectis. genau unterfheiden,
möffen ihnen darin folgen,
/
e
.
Staats: und Staatenreche, 394
61.
Die Vergeben.
Obgleich die Vergehen an fich, nach dem auf
geftellten Unterfchiebe derfelben von den Verbrechen,
nicht in den Umfang des Strafrechts gehören; 10 ift
es doch noͤthig, Die Gattungen derfelben anzuführen,
theils um fie flreng von den Verbrechen zu unter» '
fcheiden, theils weil fie fogleich den Charafter der
Verbrechen annehmen, fobald wirflihe Rechte
durch fie bedroht oder verlegt werden.
Zu den Vergehen , welche zunächft unter der Po-
lizeigeſetzgebung ftehen ‚, gehören:
a) Handlungen, durch welche die Ord nung
und Ruhe im Staate geftört wird, ob fie gleich nicht
‚in der Abfiche begangen werden, Die Berfaflung zu
erfchüttern,, oder gegen bie Obrigkeit fih aufzulehnen
(DB ein Auflauf, Tumult, Lärm, Störung
öffentlicher Feierlichkeiten u. ſ. w.); ,
. b) Handlungen ‚ durch welche der Haus-
friede gebrochen wird (Zanfereien, Schlägereien
innerhalb der Wohnungen ıc.); |
c) Handlungen, durch welche dem Staate
bieftfähige Bürger entzogen werden (5.8.
der Selbftmord; die Selbftverftiimmelung, um fich.
3. B. dem Soldatendienfte zu entziehen; Die Auswan⸗
derung ohne gehörige Anzeige an die Behörden);
Ä d) Handlungen, durdy welche die phyſiſche
Wohlfahrt der Staatsbürger gehindert wird (3.8.
der Bör- und Aufkauf; die Hazardfpiele ıc.);
Ä e) Handlungen, durch welche die Sittlich—
- feit und die Sitten ber Staatsbürger gefährdet
werden (3. DB. alle zwecfwibrige Beftiedigungen des
19"
gs
/ 2‘
292° , Staats- und Staatenrecht.
Befkttnichs, Schwängerung, Hurerei, Eon.
eubinat, Vielweiberei, Kuppeleiu.f.w. — Moth-.
zucht ift "aber ein Verbre hen, und fein Vergehen,
weil ein vernünftiges Wefen, wider Deffen Wil-
fen, gezwungen, mithin deffen vollfommenes Recht
verlegt wird;)
f) Handlungen, durch welche öffentliche
Anſtabten im Staate verlegt werden (z. B. Be⸗
ſchaͤdigungen der Meilenſaͤulen und Alleen, Abreißen
öffentlicher Anſchlaͤge, Beleidigung der. Schilbwach
een 2);
8) Handlungen, durch welche den im Staate
beftehenden Kirchen die gebührende äußere Achtung
“entzogen wird (z. B. Gotteslaͤſterung, na ech
des Ritus einzelner Kirchen, Sectenftiftung u. f. w.)
L
| 62.
Die Verbreden.
Die Verbrechen find freie Handlungen, wodurch
j Zwangsrechte im Staate verletzt werden. Sie ſind
entweder offentliche und alſo Staatsverbre-
‚hen, oder Privatverbrechen ($. 60.).
a) Staatsverbreden find Handlungen,
durch welche abſichtlich und unmittelbar die Rechte des
. Staates, als einer moraliſchen Perſon, bedroht oder
. verlegt werden, und zwar fü, daß entrweder das politie
ſche Dafeyn des Staates, feine Selbftftändigfeit, Un-
abhängigfeit und eigenthumliche Verfaffung dadurch)
bedroht und vernichtet, ober die Verwirflihung bes
Staatszweckes in den öffentlichen Anftalten und Ein-
richtungen der bürgerlichen Geſellſchaft gehindert und
erſchuͤttert wird.
—
Staats⸗ und Staatenrecht. 293
Das Verbrechen, wodurch das Dafeymder
Staates, feine Seibfiftändigfeit, Unabhängigfeit
und: Verfaſſung bedroht oder vernichtet wird, heißt
Hochverrath (perduellio). Der Hochverrarh
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn,
das Dafeyn und die rechtliche Verfaffung des Staa-
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden
fol. Er heißt Revolution, fobald die Abfiche
der Hanbelnden bie rechtswidrige Vernichfung der
beftehenden Verfaſſung und der -Grundgefege des.
Staates betrifft. . Er heißt Landesverrath, for
bald die Handelnden unter Mitwirkung eines aus⸗
waͤrtigen feindlichen Staates das Daſeyn und die
Verfaſſung des vaterlaͤndiſchen Staates erſchuͤttern;
oder vernichten wollen. Er heißt Majeftäatsver-
brechen”) (crimen laesae majestatis), fobald Die
Abſicht der Handelnden gegen Die gebeiligee. Perſon
des Regenten gerichtet iſt.
Zu den Verbrechen, wodurch die Verwirk.
lichung des Staats zweckes in den öffentlichen
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht,
gehindert und erfchitetert wird, gehören alle Berbres
Ken gegen die gefeggebende Gewalt (Berhins
derung der Bekanntwerdung ber Geſetze, abficheliches .
Verweigern der Befolgung der Gefeße u. a.); die
Verbrechen gegen die vollziehende Gewalt
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung-
ber vorgefegten Behörden in Dienftfachen , Raſſen-
x) Karl Aug. Scott, aber das Verbrechen der belei⸗!
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung.
Tuͤb. 1797. 8.
Hellmuth) Winter, das Meajeftätsverbrechen.-
Berl. 1815. 8 '
-
0 Staats: und Staatenrecht.
‚Diejenigen, Handlungen Vergehen, welche, nad)
einer innern fehlerhaften oder unfittlichen Teiebfeder ‚
gegen die Ordnung, Schicklichkeit, Sitt—
lichkeit und Wohlfahrt im Staate verſtoßen,
fobald durd, fie Feine wirklichen Rechte
verlegt werden. Die Vergehen ftehen Daher, aus
diefem in der Vernunftgefeggebung über die Zwangs⸗
‚rechte enthaltenen Örunde, nicht unter der Straͤf⸗
gefeßgebung, fondern unter. der Polizei«
gefesgebung, meil nur KRechtsverlegungen , nicht
aber Verftöße gegen Ordnung „ Schidlihfeit, Sitt-
lichkeit und Wohlfahrt, indas Strafrecht und in
Das Strafgefegbuh des Staates gehören ®),
Die Verbrechen nennt man Staatsverbre-
hen, wenn fie das öffentliche Recht, die Verfaſſung,
Regierung und Verwaltung im. Staate verlegen,
und bürgerliche (oder Privat-) Verbrechen,
wenn fie die urfprünglichen oder erworbenen Rechte der
einzelnen Staatsbürger beeinträchtigen. Das Eigen-
thümliche der ftrafbaren Handlungen aber; oder der
Inbegriff aller derjenigen Umſtaͤnde, welche zu dem
Begriffe derfelben gehören, heißt ber £ ha tb eſtand
(corpus delicti).
Chſtph. Karl Stuͤbel, uͤber den chatbeſtand der
Verbrechen. Wittenb. 1805. 8. |
*) Es gehört befonders Tittmann und Grolmann,
den Lehrern der Präventionstheorie, das Verdienft,
‚daß fie zwiſchen Verbrehen und Vergehen genau
unterfchieden, und was die NRigoriften des Strafs
rechts ohne zureichenden DVernunftgrund in den Bes
reich deffelben zogen, von demfelben trennten. Alle,
welche im Staatsrehte Moral und Nechtsiehre nicht
auf ewig von einander trennen, und zwifchen offi-
ciis perfectis und imperfectis. genau unterfheiden,
möffen ihnen Darin folgen,
Staats⸗ und Staatenrecht. 293
Das Verbrechen , wodurch das Dafenn der
Staates, feine Selbftftändigfeie, Unabhaͤngigkeit
und Verfaſſung bedrohe oder vernichtet wird, heißt
Hochverrath (perduellin). Der Hochverrath
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn:
das Dafeyn und die rechtliche Verfaflung des Staa»
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden
fol. Er Heiße Revolution, fobald die Abſicht
der Handelnden die rechtswidrige Vernichtung der
beftehenden Verfaſſung und der Grundgefege des
Staates betrifft. Er heißt Sandesverrath, fo
bald die Handelnden unter Mitwirfung eines aus
waͤrtigen feindlihen Staates das Daſeyn und die’
Verfaſſung des vaterländifchen Staates erfchuttern‘
oder vernichten wollen. Er heiße Majeftätsver-
brechen”) (crimen laesae miajestatis), fobald die
Abfiht der Handelnden gegen bie geheiligee Perfon
des, Regenten gerichtet ift.
Zu den Verbrehen, wodurch die Verwirk⸗
lihung des Staatszmwedes in den öffentlichen
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht,
gehindert und erſchuͤttert wird, gehören alle Verbre⸗
chen gegen die geſetzgebende Gewalt (Verhin⸗
derung der Bekanntwerdung der Gefeße, abfichtliches.
Verweigern der DBefolgung der Geſetze u. a.); die
Verbrechen gegen die vollziehbende Gewalt
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung
der vorgefegten Behörden in Dienftfahen, Kaſſen⸗
*) Karl Aug. Schott, Über das Verbrehen der belei⸗
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung.
Tauͤb. 1797. 8.
Hellmuth Winter, das Majeſtaͤtsverbrechen.
Berl. 1815. 8.
/ 2
202° , Staats. und Gtaatenredht.
GSefchlechtstriebes, Schwängerung, Hurerei, Con-
cubinat, Vielweiberei, Kuppeleiu.f.w. — Noth-.
zucht ift aber ein Verbrechen, und fein Vergehen,
weil ein vernünftiges Wefen, wider deſſen Wil-
fen, gezwungen, mithin deffen vollfommenes Recht
verlegt wird;)
f) Handlungen, durch welche öffentliche
Anftatten im Staate verlegt werden (3. B. Be—
ſchaͤdigungen der Meilenfäulen und Alleen, Abreißen
öffentliher Anfchläge, Beleidigung der- Schildwach-
ten ꝛc.); U
rL 8) Handlungen, durch welche den im Staate
- beftehenden Kirchen die gebührende äußere Achtung
entzogen wird (z. B. Gottesläfterung, Verſpottung
des Ritus.einzelner Kirchen, Sectenftiftung u. ſ. w.)
X
| 62.
Die Verbrechen.
Die Verbrechen find freie Handlungen, wodurch
Zwangsrechte im Staate verlegt werden. Sie find
entweder Öffentliche und alfo Staatsverbre-
‚hen, oder Privarverbrechen ($. 60.)
a) Staatsverbredhen find Handlungen,
durch welche abſichtlich und unmittelbar Die Rechte bes
. Staates, als einer moralifchen Perfon, bedroht oder
. verleßt werden, und zwar fo, daß entweder das politi-
ſche Dafeyn des Staates, feine Selbftftändigfeit, Un-
abbängigfeit und eigenthümliche Verfaſſung dadurd)
bedroht und vernichtet, oder die Verwirklichung des
Staatszwedes in den öffentlichen Anftalten und Ein-
richtungen der bürgerlichen Gefellfihaft gehindert und
erſchuͤttert wird. /
m
Staats- und Staatenrecht. 293
Das Verbrechen, wodurch das Daſeym des—
Staates, feine Seibfiftändigfeie, Unabhaͤngigkeit
und Verfaſſung bedroht oder vernichtet wird, heiße
Hochverrath (perdnuellio). Der Hochverrach
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn;
das Dafeyn und die rechtliche Verfaffung des Staa-
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden.
fol. Er heißt Revolution, fobald die Abſicht
der Handelnden die rechtswidrige Vernichtung der
beftehenden Verfaffung. und der -Grundgefege des
Staates betrifft. . Er heißt Sandesverrath, for
bald die Handelnden unter Mitwirfung eines aus
mwärtigen feindlichen Staates das Dafeyn und die‘
Verfaſſung des vaterländifchen Staates erfchüttern:
oder vernichten wollen. Er heißt Majeftatsver-
brechen”) (crimen laesae majestatis), fobald Die
Abſicht der Handelnden gegen bie geheiligte. Perſon
des Regenten gerichtet iſt.
Zu den Verbrechen, wodurch die Verwirk—
lichung des Staats zweckes in den öffentlichen
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht,
gehindert und erfchüttere wird, gehören alle Berbres
chen gegen die geſetzgebende Gewalt (Verhin—⸗
derung der Bekanntwerdung ber Geſetze, abſichtliches.
Verweigern der Befolgung der Geſche u. a.); die
Verbrechen gegen die vollziehende Gewalt
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung
der vorgefegten Behörden in Dienftfachen , Raſſen⸗
x) Kari Aug. Scott, über das Verbrechen der beiei⸗!
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung.
Tuͤb. 1797. 8.
Hellmuth Winter, das Majeſtaͤtsverbrechen.
Berl. 1315. 8.
294 Staass » und Staatenrecht.
veruntreuung, Münzverfälfchung „Beſtechung u. a);
die Verbrechen gegen die richter liche Gewalt (Un-
gehorfam gegen richterliche Ausfprüche, unrechtmäßige
Selbſthuͤlfe, Verhinderung /der Ausübung der Straf⸗
gerechtigfeit ꝛc.).
b) Die Privatverbrehen find folche freie
« Handlungen, durch welche Die anerfannten urfprüng«
un
lihen und erworbenen Rechte der einzelnen Staats-
buͤrger bedroht oder verlegt werden. Dahin gehören.
die Verbrechen gegen das Leben und die Gefund-
heit (Verwundungen, Verſtuͤmmelungen Andrer,
Nothzucht, Ausſetzen der Kinder, Menſchenraub,
Brandftiftung ‚ Zodefchlag, Mord u. a.); gegen die
perfönliche Freiheit und Sicherheit; gegen
das Eigenthum (Betrug, Diebftahl nad) feinen:
verfchiedenen Gattungen und Arten, Raub ꝛc.); gegen.
die Ehre (Injurien, Verlaͤumdungen, Pasquille.
u. a.); gegen die mit Andern abgefhloffenen Ver⸗
träge (Ehebruch ꝛc.); und gegen die Geiftes-
fräfte *) der Staatsbürger, durch welche der Ver⸗
ftand zerruͤttet, oder bie Entwidelung der geiftigen
Anlagen aufgehalten wird (durch Opiate, langfam
wirfende Gifte, durch fehledhte Behandlung der Kin⸗
ber, fibeignen, Sflaven u. a.).
63. |
8) Die Lehre von den Strafen im Staate
Jede Strafe beftebt in einem finnlichen Uebel,
welches dem Verbrecher, in ftrenger Angemeffenbeit
zu der innern Strafwürbigfeit und der durch) bas Se
*) Car. Aug. Tittmann, de delictis i in vides mentis
humanae commissis. Lips. 1795. 4
}
nn
‘
Staats» und Staatenrecht. 295
ſetz ausgeſprochenen Strafbarkeit der von ihm began-
genen Rechtsverletzung, nach richterlichem Ausſpruche
zugefügt und im Namen des Staates an ihm voll⸗
zogen wird. Daraus ergeben ſich die vier Haupt⸗
grundſaͤtze für alle Strafen im Staate: |
4) die Strafe. muß von dem Verbrecher durch
eine freie Handlung verſchuldet feyn; (Straf
wuͤrdigkeit)
9) die Strafe muß den Verbrecher als unmit-
telbare und nothwendige Folge ber frei voll.
brachten Rechtsverlegung, und deshalb, meil er
die Herrfchaft des Rechts im Staate verlegte, und '
fo weit treffen, als er das Necht verlegte, (Ge⸗
rechtigkeit und Rothwendigkeit der Strafe)
Durd) die Strafe foll alfo, die verlegte Fi
{haft des Rechts im Einzelnen und im Öan-
zen bergeftellt, und weder blos wegen der Wieder»
vergeltung, noch wegen der Beflerung, weder blos
wegen der Abfhrefung, noch wegen der Präven-
tion vor fünftigen Verbrechen, weder blos wegen
der Selbfterhaltung, noch wegen der Sicherheit des
Staates geftraft werden.
3) der rihterlihe Ausfpruch der Strafe, und
bie Strafe felbft nach dieſem Ausſpruche, muß inAn-
gemeſſenheit zu einem beftimmten Straf.
geſetze erfolgen; (Strafbarfeit)
4) die Strafe muß zweckmaͤßig, und alfo
weder willführlih, noch graufam feyn.
Jede willführliche Strafe, felbft In Er⸗
‚ mangelung eines das begangene Verbrechen be—
zeichnenden Steafgefeges, ift an ſich Ungerechtig«
keit; und jede Öraufamfeit in der Strafe
G ». Staubbefen J Tortur, Verſtümmeluns,
-
296 Ä Staats- und Staatenrecht.
Kneipen mit Zangen, Saͤcken, Raͤdern, Verbren⸗
nen, Viertheilen, mit Pferden Zerreißen, Aus»
ftehen der Yugen ‚, Wbfchneiden der Zunge, der
. Ohren, der Finger; Auffchligen der Nafe, } ift
unter der Würde der ftrafenden Gerechtigkeit, FR
die, wenn auch der Verbrecher unter die Menfch-
heit fi) erniedrigt Kate, niche in der Beſtrafung
zu ihm herunter finfen und dadurch uns
menſchlich werden darf. Der ärgfte Verbrecher
muß noch als Menfch behandelt werden. |
Eine völlig unrichtige Anficht ift es, daß durch
die Strafen Andre vom Verbreden abge-
ſchreckt, und deshalb die Strafen zuer
. Fannt werden follen. Allerdings follen die Stra⸗
fen warnend feyn in ihrem Erfolge; allein dies
ift nicht ber Rechtsgrund derfelben. Uebrigens
find nie durch Hinrichtungen oder Gefängniffe die
Sitten und der Geiſt eines tiefgefunkenen Volkes
gebeſſert worden.
64. en
Sortfegung u
Nach diefen Grundfägen beftehen die rechtlichen
Strafen des Staates: Ä
1) inder Todesftrafe, ober in der völligen
finnlihen Vernichtung des Berb: :echers (durchs Ent⸗
haupten, Erhenfen, oder Erſchießen), auf Hoc»
verrath ‚ auf eigentliches Majeſtaͤtsverbrechen gegen
die Perfon des Megenten, auf abſichtlichen Mord,
Giftmiſchung, Straßenraub mit Gefaͤhrdung des
gebens , und auf Brandftiftung (mit Ausnahme der
Fälle bei der Brandftiftung, wo — wie z. B, beim
weiblichen Geſchlechte in der Periode der Geſchlechts.
—
x
} . ,
Staats» und Staatenrecht, 297
entwickelung — ein pſych ol gif her Mülderungss,
grund eintritt). *) Bei den Todesftrafen at das.
pbilofophifche Strafrecht nur ihre Nehtmäßigfeie
nachzumeifen; ihre Nothwendigkeit wegen: der Ab-
ſchreckung, ihre Zweckmaͤßigkeit, ihre Nüglichfeit, find.
zunaͤchſt politiſche, nicht ſtaatsrechtliche Gruͤnde
fuͤr dieſelben.
| 2) in lebenslänglicher Entziehuns
der aͤußern Freiheit;
3) in lebenslaͤnglichem Verluſte des
Buͤrgerrechts;
4) in Ehrloſi gtei tserklaͤrung (welche
auch mit den beiden vorigen Strafen verbunden wer-
den kann, im Ganzen aber mit ber größten Vorſicht,
x) Seit Beccaria iſt vie gegen die Rechtmaͤßigkeit
der Todesſtrafen von Sonnenfels, Hommel,
Barkhauſen u. a. gelehrtund geſchrieben wors
ben. Eine Ueberſtcht der Stimmen für und wider
gibe Bergk in f. Zufäßen zu der Weherfeßung
des Beccarta im zweiten Theile. — Die
Aufung der Todesftrafen ift eben fo widerrecht⸗
lich, wie die Eriaffung derfelben in den oben
aufgeſtellten Fällen. Die VBerfhärfung derfeiben
(Je B. daß andere Verbrecher vorher hingerichtet
werden, durchs Abhauen ber Hand, durchs Schlei⸗
fen zum Richtplatze) darf nicht mit Grauſamkeit
verbunden ſeyn. Vermoͤgensconfiscation,
mit dem Ausſpruche der Todesſtrafe verbunden, iſt
Haͤrte gegen die Familie des Verbrechers, nicht—
gegen den Verbrecher ſelbſt. — Im Staatsrechte
gilt überhaupt in Betreff der Todesftrafen nur das
Recht; von den rationibus misericordiae, und von
einem {Advocatus diaboli kann in ihm nicht die
Rede feyn. — Mebrigens nehmen Kant, Fichte,
Heydenreih, Feuerbad, Denke, Saulze
u. a. bie Rechtmaßigkeln der Todesſtrafen an.
\ s
RL | m ‚ .
ei
298 Staats» und Staatenrecht.
und mie Beruͤckſchelgung der bei einem Wolfe herr⸗
fhenden Begriffe über Ehre zuerfannt werden muß) ;
| 53) in .lebenslänglicher Deportation in
andere Erdtheile, mo der Staat Kolonieen befigt, oder
werm ein Staat, der Kolonien befigt, die Verbrecher
andrer Staaten "Vertragsmäßig übernimmt (die Lan⸗
besvermweifung aber iſt widerrechtlic) gegen an⸗
dere Staaten); Ä
6) in Entziehung der äußern Freiheit auf ge⸗
wiſſe Jahre oder Monate (durch Feftungspaft,
Zuchthaus ıc.);
77) in Verurtheilung zum Brandmarfen
oder zum Pranger, oder zum Anſchlagen des
Namensanden Galgen in einzelnen ungewoͤhn⸗
‚lichen Hallen ; ;
8): in Verurtheilung zu Strafarbeiten,
ohne, oder mit Förperlicher Zuͤchtigung;
9) in Verurtheilung zu bloßer förperlis-
her Zuͤchtigung; |
10) in Ehrenftrafen (öffentlicher Verweis,
mit oder ohne Befanntmachung; Abbitte ; Widerruf: ;
Ehrenerflarung; Relegation ꝛc.); womit die Ehr⸗
tofigfeitserflärung nicht verwechfele werden darf;
41) in Geldftrafen, melde eigentlich nie
auf Verbrechen, fondern nur a uf Vergehen (in
polizeilicher Hinfiche) erkannt werden follten.
Ernft Ferdin. Klein, über außerordentliche Stras
fen wegen unvollftändigen Beweifes und über Sichers
heitsanftalten. Berl. 1805. 8.
65:
Das Begnadigungsreht,
Das Begnadigungsrecht ift Das Recht, einem
Verbrecher die rechtlich verwirfte und rechtlich zuer-
\
⁊
Staats und Staatenrecht. 209
kannte ‚Strafe entweder zum Theile ober gamy.
zu erlaffen. Diefes Recht kann im: Staate nur
dem Negenten, bem Oberhaupte ber vollziehenden
Gewalt zufteßen, in deſſen Namen jedes Strafuetheil.
gefprochen und vollzogen wird. - Doc darf der Mes
gent das Begnadigungsrecht, ala völlige, ‘oder als
theilweife Entbindung von der verwirkten Strafe, in
Hinfihe auf die Verbrechen nicht üben, welche
Staatsbürger gegen Stagrsbheger begangen haben,
weil bier Straflofigfeit tu Ungerechtigkeit gegen den
Beleidigten übergehen würde; höchftens fann. er in,
diefen Fällen das Begnadigungsrecht nur vermittelft
ber Verwandlung ber zuerfannten härteen Strafe in
eine milbere anwenden (befonders wo noch nach ver!
altesen pofitiven Strafgefegen gefprochen wird).
Wohl aber fteht dem Megenten das Begnadigungs⸗
recht zu in Hinficht der öffentlichen Verbrechen gegen;
ben Staat, und befonders gegen feine eigene Ne
fon, weil er in dem erftern alle. aus feinem hoͤch⸗
ften Stanbpuncte am fiherfen beurtheilen kann, in⸗
wiefern ber Berbrecher dem Staate felbft theils bereits
gefährlich wor, theils für die Zukunft gefährlich wer-
den Eann, indem der Regent nur bei der entfchiedenen
Unſchaͤdlichkeit des Verbrechers für bie Geſammtcheit
des Staates in ber Zufunfe das. Begnadigungsreht
ausüben darf, und weil er in dem zweiten Falle
nad) demfelben Rechte verführt, nad) welchem jedes;
beleidigte Individum auf die ihm zuerfannte Genug⸗
ehuung und Entfehädigung. für eine erlittene Rechts»
verlegung verzichten fann. — Da übrigens jedes,
felbft das hefte Criminalgeſetzbuch für einzelne Fälle
den gemwiffenhaften Richter ohne beftimmte Auskunft
laflen kann; fo muß es dem Richter in den Fällen, :
wo entweder das Eriminalgefegbuch nicht ausreicht,
F
| D Kants gr
*
300 Staats· und Staaterrecht.
t
oben wo. befondere - Verhaͤltniſſe in Hinficht ‚auf dag:
Subject des Verbrechers eintreten, frei ſtehen, nach.
ausgefpröchenem Urtheile das ſtrafwuͤrdige Indivi«.
Daum der Begnadigung des Negenten zu empfeblen.
«. _ ‚Dan. Clasen, de jure aggratiandi. Magdeb..
‚2600. 4
-s. Ant, Balth. ‚Walther, de principe ex justis
“ Salısis delinquentes aggratiante, Vratisl, et t Lips.
740% 4
er ts im Staate.
kangepeils * —
haͤngendes, erſch A
a ſich zufanımen-
meflenes, und allen Staatsbürgernbefann-
tes, Strafgeſetzbuch; ; theils die ausreichende Zahl,
zwectmäßige i innere Geftaltung, und vöflige Unabhän-
gigfejt der Gerichtshöfe von allen Einflüffen der volls.
ziebenden Gewalt; theils Richter, welche bei der
Zuerfennung der Strafe nach dem Gefeße nichts nach
Willkuͤhr deuten, und. fich zur Erforfehung der. Wahr-
beit in Hinficht auf den Verbrecher blos rechtlicher
Mittel bedienen; theils einen. weder übereilten,
nech zu langfamen Gang des gerichtlichen Verfahrens,
welches entweber öffentlich, oder geheim feyn kann;
eheils die unmittelbare, und ohne Auffchub auf die
+ rechtliche: Beendigung des: gerichtlichen Verfahrens
folgende, öffentliche Vollziehung der zuerkannten
Strafe im Namen und unter-forgfältiger Seitung ber
volfziehenden Gewalt im Staate,
ine Verjährung des Verbrechens, d. h.
bdie Aufbebuns der Strafe, als der rechtlichen Solge
s im Staate ver⸗
r erreichten Stufe.
— — — — — a En IIII
Staats» und Staatenrecht. 301
eines begangenen Verbrechens durch den bloßen
Ablauf einer gewiſſen Zeit, kann nicht nad) phi⸗
lofophifchen, wohl aber nad) pofitiven Gefegen er-
folgen, und in einzelnen Fällen fogar rathſam ſeyn.
Denn theils ergibt fi daraus, daß der Ber
brecher diefelbe That in einer Reihe von Jahren
nicht wiederholte, daß er wenigſtens für: j
Staate nid mehr gefährlich fen; theils laflen-
fih), bei einer vor mehrern Jahren begangenen
That, die wefenelichen Umftände und Entfchei-
Dungsgründe über Strafmürdigfeit und Strafbar-
feit niche mehr vollftänbig und befriedigend aus⸗
| mitteln.
*
C) Das philoſophiſche Staatenrecht.
67. |
Begriff, Umfang und Inhalt deſſel ben.
So wie das Recht in jedem einzelnen Staate
herrſchen ſoll; ſo ſoll es auch in der gegenſeitigen Ver⸗
bindung und Wechſelwirkung aller neben einander be⸗
ſtehenden Staaten unbedingt gelten, und dadurch zur
allgemeinen Herrſchaft auf dem ganzen Erdboden ge⸗
langen. Das Staatenrecht, welches dieſes lehrt,
gruͤndet ſich daher auf das philoſophiſche
Voͤlkerrecht, und verhält ſich zu demſelben, wie,
das philoſophiſche Staatsrecht zu dem Naturrechte,
inwiefern naͤmlich, abgeſehen von allen in der Wirk⸗
lichkeit. eintretenden Verhaͤltniſſen zwifchen ben ein-
zelnen Staaten, das philoſophiſche Voͤlkerrecht die
Grundzüge des Ideals aufftellt, unter welchen das
F
- 302° Stat uhb Staatenrecht.
Hecht in dem gegenfeltigen Verkehre aller Voͤlker zur
‘unbedingten Herrfchaft auf dem Erdboden gelangen
fol. Es dürfen daher im Staatenrechte die im phi-
loſophiſchen Wölferrechte aufgeftellten und wiffenfchaft:
lich durchgeführten Bedingungen: der Herrfchaft des
Rechts in der Wechfelwirfung der neben .einander be-
ſtehenden Völker nicht im Kinzelnen wiederhohlt,
fonbern nur als die Grundlage bes Staa⸗
tenrechts genannt, und mit dem Eigenthuͤmli⸗
hen des Staatenrehts, mitderredhtlidhen Be-
geündungdes Zwanges zwiſchen den Staas
ten in Verbindung gebracht werden.
Das philofophifche Völkerrecht ftelle namlich für
die Verwirklichung des deals der unbedingten Herr-
fchaft des Rechts auf dem Erdboden ein Urrecht
auf: das Recht auf Selbfiftändigfeie und
Integrität (Matter. $. 44.), nad) welchem jedes
Volk, fo wie das Individuum, ein von allen andern
Völkern verfchiedenes vechtliches, und, nad) feiner
Gefammtzahl, nad) feinem ihm jugehörenden Gebiete,
und nad) feiner ihm eigenthuͤmlichen Verfaffung, ein
in ſich abgefchloflenes Ganzes bildet. Aus biefem
Urrechte des Völferrechts gingen (Naturr. $. 49 —
56.) als urfprüngliche Rechte der Völker her:
por: bie individuelle Freiheit eines jeden Volkes; die
rechtliche Gleichheit aller Völker; bie gegenfeitige |
Deffentlichfeit (Publicität) , der Kredit, der rechtliche
Eigenthums⸗ und‘ Gebietsbefiß, die äußere Sicherheit
‚ ber Völfer, das Recht. der Verträge zwiſchen denſel⸗
ben, und das Recht der Vertretung des einen Volkes
bei den andern durch Geſandte.
Das philoſophiſche Staatenrecht erkennt
dieſe Grundbedingungen des rechtlichen Nebeneinan⸗
derbeſtehens der einzelnen Voͤlker an, und nimmt ſie
Staats» und Staatenrecht. 303
in fih auf, ftelle.aber ihre Verwirklichung, ,
Erhaltung und Behauptung unter die An-
wendung des rechtlich geftalteten Zwan—
ges, weil das philofophifche Staatenrecht, Durch dieſe
ihm eigenthümliche Gewaͤhrleiſtung der Herrfchaft des
Rechts vermittelft des in der Wechfelmirfung aller
Staaten rechtlich geftalteten Zwanges, fich eben fo
von dem Völferrechte unterfcheinet, wie das philofo-
phifche Staatsrecht von dem Naturrechte durch die
ihm eigenthuͤmliche Lehre von der rechtlichen Geftal-
fung des Ziwanges in der Mitte des einzelnen Staates.
Das philoſophiſche Staatenrecht ſteht daher nicht im
Gegenfage und Widerfpruche zu dem philofophifchen
Voͤlkerrechte, welches auf ein Ideal ſich gründet, das
allerdings nie völlig verwirklicht werden fann; es
enthält vielmehr theils die Anwendung der
Grundſaͤtze des Völferrechts auf die in der Wirflich-
feit neben einander beftehenden Staaten, theils
die Erweiterung diefer Grundfäge auf die burch
die äußere Anfündigung der Staaten in ihrer Wed)»
felwirfung hinzukommenden eigenthümlichen Verhaͤlt⸗
niffe, befonders in Hinfiht auf die Anwendung des
Zwanges gegen einander. Das pbilofopbifhe -
Staatenrecht ift daher ($.7.) die wiſſenſchaft—
liche Darftellung der allgemeinen Grund—
fäge für. das rechtliche Nebeneinanderbe-
fteben aller StaatendesErbdbodens, unter
der Bedingung Des zwifchen ihnen red
lich geftalteten Zwanges nach vorberge-
gangenen Rechtsverlegungen Es zerfällt
nad) diefem Begriffe: Ä
a) in die Darftellung der allgemeinen Grund»
füge für das rechtliche Nebeneinanderbe-
ſtehen aller Staaten des Erbbodens , und
304 | Staats» und Staatenrecht.
» b) In'die Sehre von ber rechtlichen Geftaltung
des Zwanges zwifchen den Staaten nad) vorher-
gegangenen Nechtsverlegungen.
(Es gibt feine befondere Literatur bes
Staatenrechts, weil theils die Altern Schriftfteller
des Völferrechts das philofophifche und das
practifche europäifche MVölferrecht vermifch-
ten (welche erft in neueren Zeiten ftreng wiffenfchaft-
lich von einander gefchieden wurden), fheils felbft
die neuern Schrer des Natur- und Staatsredhts
das Wölfer- und Staatenrehe*) für
identifch nahmen, und es auf Diefe Weife in
ihren Syftemen und Compendien behandelten.) -
. 68.
. a) Darftellung der -allgemeinen Grund-
füge für das rehrlihe Mebeneinander-
befteben aller Staaten des Erdbodens,
Iſt das Staatenrecht, in wiffenfhaftlicher Hin-
ſicht, ein auf die in der Wirklichkeit neben einander
beftehenden Staaten angewandtes philofophifches Voͤl⸗
kerrecht ($. 67.); fü ergibe fi) aus der Anwendung |
bes DVölferrechts auf das Staatenreht, daß jedem
\Staate, als einer in fi zue Einheit verbundenen und
*) So fagt felöft Kant Cind. met. Anfangsgr. der
Mechtslehre ©. 215.): „das Recht der Staaten -
im Verhaͤltniſſe zu einander, welches nicht ganz
rihtig das Völkerrecht genannt wird, ſon⸗
- dern vielmehrdas Staatenredt (jus publi-
.cuam civitatum) heißen follte, ift das, was wir
unter dem Namen des Völkerrechts zu betrachten
haben.“ _
Gtaatsı und Staacenrecht. 4086
‚abgefhlofienen Geſollſchaft, Selbſtſtaͤndigkeit
und Integritaͤt, nad feinem Gebiete, nad
feinee Bevölferung und nah feiner Verfaſ—
fung, zukommt, weil diefe drei Gegenftände den
‚Begriff des Urrechts jedes für ſich beſtehenden Stag-
tes erfchöpfen. Es ergibt ſich ferner daraus, daß
jedem Staate individuelle Freiheit zufommt,
‚und fein andrer Staat Die Bürger deffelben als von
fih abhängig betrachten, oder ſich einverleiben, oder
‚gar in Knechtſchaft und Sklaverei abführen darf; es
folgt weiter, daß alle felbftftändige Staaten einan-
der völlig gleich find, weil nur nad) der Gefchichte
und Staatsfunft, nicht nach der Vernunft, ein Un⸗
- gerfchied zwiſchen mächtigen und mindermächtigen,
fouverainen und halbfouverainen, und zwifchen Staa⸗
ten des erſten, zweiten, dritten und vierten politifchen
Ranges ſtatt finder. Gleichmäßig folgt aus der An«
wendung bes Völferrechts auf das Staatenrecht, Daß
fein auswärtiger Staatindie innere Ber
faffung desandern fih miſchen darf, außer
in dem einzigen, durch den Zwang der Prävention
"und Mothroehr gerechtfertigten, Falle, wenn deſſen
* eigene Selbftftändigfeie, Integrität und Verfaſſung
dadukrſech wirklich bedroht und gefährdet wäre (3. B.
im Zuftande allgemeiner Anarchie ; wo alle rechtliche
Formen in demſelben zerftört wären; oder wenn der
ausgebrochene Bürgerkrieg die Grenzen der Nachbar⸗
LEE er ze 5
dem andern Staate nur duch rechtliche Verträge
I. , 20
306 Giaare . und Sasse
Gebiet und Eigenthum erwerben darf; daß,
in Hinſicht feiner innern und aͤußern Verhaͤltniſſe,
jeder Staat vermittelſt der Deffentlihfeit
wiffen müffe, wie er mit dem andern daran ift; daß
fein Staat die Sicherheit des andern bebrohen,
- oder ven öffentlihen Kredit deffelben verdächtig
machen und untergraben dürfe; daß jeder Staat das
Recht habe, Fremde in feine Mitte aufzunehmen
und zu naturalifiren, und Kolonieen. anzulegen;
daß zwiſchen den Staaten ‚ wie zwifchen ven Indivi⸗
duen, durch frei eingegangene und rechtlich abge-
ſchloſſene Verträge gegenfeitig öffentliche und be
ſondere Rechte erworben und vertauſcht werden duͤr⸗
fen; fo wie, daß durch die Geſandten die recht⸗
lichen Verhandlungen uͤber alle Gegenſtaͤnde des in⸗
nern und aͤußern Staatslebens zwiſchen zweien ober
mehrern Staaten geleitet, und ſchon burd) die An«
wefenbeit der Gefandten in der Mitte des andern
Staates die friedlichen und freundfchaftlichen Ver⸗
haͤltniſſe zwiſchen beiden öffentlich vergegenmärtige
werden. — Aus diefem Standpuncte betrachter
erfcheint die ganze Menfchbeit in der Wirklichkeit,
nach ihren einzelnen Staaten, als ein, allgemeiner
rechtlicher Verein zur Begründung und Erhaltung
des Sleichgewichts der Rechte auf dem Erb»
boden.
Verträge zwiſchen den Staaten,
Wenn alle rechtliche Verbindung zwiſchen ſitt⸗
lichen Wefen auf Vertrag beruht; fo fann aud) die
Werbindung und Wechſelwirkung ber Staaten nur
durch: Verträge eine rechtliche Form erhalten.
Staats» und. Staatenredht. 307
aber überhaupt, noch ohne nähere Werbindung,
Staatenredhflih nebeneinander beftehen, |
d. 5. daß fie, ohne förmlich abgefchloffenen Wer»
trag, einander nad) ihrer Selbftftändigfeit und In-
tegrität, nach ihrer eigenfhümlichen Verfaffung und.
nach ihrem Gebietsbefiß anerfennen, kann blos unter
der Annahme eines ftillf hweigenden DVertrages
Maturr. $. 24.) von der Bernunft gedacht werden.
So wie nämlich im rechtlichen Verfehre der Indivi⸗
duen vieles auf ſtillſchweigendem Vertrage beruht,
und die rechtliche Geftaltung des einzelnen Staates
zur Einheit im Innern und nad) außen da, wo fein
förmlicher Grundvertrag abgefchloffen worden ift, von
ber Vernunft auf einen ſtillſchweigenden Vertrag zu-
ruͤckgefuͤhrt wird (6. 10.); fo muß auch das rechtliche
Beftehen der einzelnen Staaten neben einander, nach
welchem fie aus dem rohen Naturzuftände neben eins-
ander ‚grafender Nomadenhorden beraustreten und '
auf die ununterbrochene gegenfeitige Anfeindung (bel-
Jum omnium. contra omnes) in Hinficht auf Ges
bietsbefiß und Eigenthum verzichten, auf die Annahme
eines fillfehweigenden Vertrages hinfirhren.
- Dies erhellt daraus, daß, nad) der Voͤlkerſitte, jeder
Staat den andern fhon an fi — bevor er noch
irgend einen befondern Vertrag mit ihm abſchließt —
für ſelbſtſtaͤndig, für rechtlich geſtaltet, und für recht⸗
“ mäßig einheimifch auf feinem Gebiete hält, weil affe
einzelne, allmählig zmwifchen ihnen abgefchloffene, Ver⸗
träge jenen ſtillſchweigenden Grundverttag voraus.
eßen. u ar
ſet Unter dieſer rechtlichen Vorausſetzung erhalten
alle zwiſchen den Voͤlkern ud: Staaten abgaſthloſſene
Schenkungs⸗, Dauſch⸗, Kauf, Leih⸗, Darlehns,,
Pfand» und’ Vevöllmächrigurigenerträge (Natur,
| | | 20
a \ — * a
! ‚Jh
d J
308 ESStaats⸗ und Staatenrecht.
6. 55.), fo wie die Gutſagung und Verbuͤrgung bes
"einen Staates für den andern, namentlich aber die _
Bündniffe im engern Sinne, ihre rechtliche
Gültigkeit, nach allen den im Völferrechte dafür
($. 55.) aufgeftellten Bedingungen ihrer immerwäh-
‚renden oder nur auf gewiſſe Zeit befchränften Dauer.
Selbft der Nachtheil, welcher für den: einen
‚Staat aus der Erfüllung der Bedingungen des Ver-
trages bervorgehet, bietet feinen Grund dar, den⸗
ſelben nicht zu erfüllen. . Nur wenn diefe Erfüllung
den Untergang bes Staatesunvermeiblidh
und entfchieden nad) ſich zöge, kann, nad) der
Vernunft und nad) Dem Urrechte der Selbftftändig-
feit, diefe Erfüllung verweigert werben, |
Bon einem Nechte der Verjährung-unter
den einzelnen Staaten weiß das philofophifche
Staatenrecht um fo weniger, weil daſſelbe fogar
im practifchen europäifchen Voͤlkerrechte beftritten
wird, .
' 70
Verbindung zwifhen den Staaten.
Da aber, bei der Verbreitung des menfchlichen.
Geſchlechts über dem ganzen Erdboden, die lebhaftefte
und bleibenöfte Werbindung zunachft nur zwifchen
Nachbarſtaaten, oder doch zwifchen den Staaten eines
und deſſelben Erdtheils befteht; fo wird auch unter
mehrern berfelben, nach der Verwandtſchaft ihrer
. Eultur , Gefittung, Verfaffung und Religion, nad
der Aehnlichkeit ihrer öffenelichen und befondern Ver⸗
hältniffe, ‚und nach vem Maasftabe ihrer nad) außen
geltend zu machenden und zu behauptenden Nechte,
einenähere Verbindung, d.h. ein Staatenbund
ı
RF
Staats⸗ und Staatenrecht. 309 |
beftehen, welcher auf einem rechtlichen , entweber für
immer‘, oder für eine gewiſſe Zeit abgefchloffenen ,: |
Vertrage beruht zur Yufrechthaltung aller ihrer öffente -
lichen und befondern Rechte, und zur ‚gemeinfchaft«
‚lichen "Beförderung und: Unterftügung ihrer innern
- und äußern Verhältniffe ‚ fo wie im Falle einer Be
eiriträchtigung biefer. Rechte. und eines feindfeligen:
äußern Angriffs, zur gemeinfchaftlichen Vertheidi⸗
gung ihrer Rechte, ihrer Selbſtſtaͤndigkeit, ihrer
Verfaſſung und ihtes Gebiets gegen einen gemein⸗
ſchaftlichen Feind.
Fuͤr die eigentliche Staats kunſt geht aus
bieſer rechtlichen und vertragsmaͤßigen Verbindung
mehrerer Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Zwecke
det gegenſeitigen Erhaltung und Vertheidigung das
. fogenannte Syſtem des politiſchen Gleichge—
wiſch ts hervor, für welches das philoſophiſche Staa-
tenrecht nur die Grundbedingungen des allgemeinen
vechtlichen Gleichgewichts zwiſchen allen neben ein⸗
ander beſtehenden Staaten aufſtellt.
So gewiß übrigens jedem ſelbſtſtaͤndigen Staate
das Recht zuſteht, in ſeinem Innern Veraͤnderungen
in feiner Verfaſſung und Verwaltung. vorzunehmen,
Feſtungen anzulegen, ſich zu ruͤſten, Truppen auszu⸗
Beben, Schiffe bauen und auslaufen zu laſſen, un®
Zoͤlle feſtzuſetzen, ohne deshalb mit andern Staaten
„Ruͤckſprache zu nehmen (fobald nicht politiſche
Gründe diefe Ruͤckſprache rathſam machen); fo gewiß
Hänge es auch von jedem andern Staate ab, ob er
Diefe. Veränderungen im Innern eines. Staates, na⸗
mentlich die Umbildung in der Verfaſſung und Ver
waltung, anerfennen oder gan gemährleiften
oil, Mur folgt aus der Verweigerung diefer Aner-
kennung von ſelbſt , beß das früßere freundſchaftliche
310 Staats» unb Staatenrecht.
Verhaͤltniß zwiſchen beiden Staaten aufgehoben wird,
und daß die daraus entſpringende Entfremdung bei-
der leicht zu Mißverſtaͤndniſſen, Spannungen und
felbft zum Kriege fuͤhren kann.
7711.
b) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung
des Zwanges zwiſchen den Staaten nad)
‚vorbergeg angenen Rechtsverletzungen.
Der Zuſtand des Friedens beſteht zwiſchen den
einzelnen Staaten, ſo lange ihre Selbſtſtaͤndigkeit,
Integritaͤt, Verfaſſung und Wohlfahrt von keinem
andern Staate bedroht oder verlegt wird... Sobald:
aber jene Bedrohung oder Verlegung erfolgt, hat der
bedrohte oder beeinträchtigte Staat das Recht zum
Zw ange, als des von der Vernunft gutgeheißenen
rechtlichen Mittels, entweder ber drohenden Rechts⸗
- verlegung durch Prävention zuvorzukommen, ober
die begonnene Rechtsverletzung durch Not hweher aufı
zuhalten und in ihrer Vollendung zu hindern, oder die
noflbrachte Rechtsverlegung durh Wiedervergeß
£ung derfelben auszugleichen, welche —5 — Staa⸗
ten und Staaten nur in der Wiederherſtellung des
vorigen Beſitzſtandes und in Entſchaͤdigung fir den
gehabten Verluſt beftehen fann. Denn blos vom
Zwange, nicht von Strafe, fann zwifchen gleich
ſelbſtſtaͤndigen Staaten die Rede feon, weil die Strafe
jebesmal theils die. Werzichrleiftung der Individuen
auf eigene Auwendung des Zmanges, theils Die Leber
tragung Des Zwanges bei eingetretenen Rechtsvexr⸗
letzungen asf- ein anerkanntes Oberhaupt, theils Die
Ausuͤbung der Strafe in Nemen einer ganzen Rechte
weeſeſlſchafe uch ben Resenteen derfelben vorausſetzt.
Staats⸗ und Staasenrecht. Sıt
De nun die einzelnen Staaten, fobald fie, für Die
Ausgleichung ihrer Nechtsftreitigfeiten, nicht durch
freiwillige Mebereinfunft einen dritten Staat als
Vermittler, oder als gemeinfhaftlihen
Schiedsrihter wählen, feinem höhern Staaten.
gerichtshofe unterworfen find; ‚fo kann auch) ee |
felbftftandigen Staaten ein Straf- oder Rach e⸗
Erieg nie nach Vernunftgrundfägen ſtatt finden.
—
72. .. ;
Abftufungen des Zwanges zwifchen den
Staaten: KRetorfionen, Repreffalien,
Krieg 0
. Der rechtliche Zwang zwifchen dest Staacen hat
aber eine dreifache Abftufung: bie Raserfionen,
die Repreffalien, und ben Krieg. m. Mefdr-
fionen treten, als Eriwiederungen ein; fobakb-ein .
Staat die unvollfommenen Rechte gegen den -
andern Staat verlegt hat und bie Genugthuung dafür
‚verweigert, Repreffalien aber, ſobald ein Staat
die, vollfommenen (oder Zwangs-) Rechte des
anbern durch feine Verfügungen beeinträchtigt Ant,
und Genugthuung dafür verfagt; der Rrkeg endlich
erfolge, fobald wegen der angedrohten, oder begon⸗
nenen, oder verlegten Verlegung von wefentlicken
Zwangsrechten durch Unterhandlumgen Feine racht⸗
liche und befriedigende Ausgleichung ausgemittelt wer⸗
ben kann. en er
‚ Die Entwidelung der Sehre van, Ahahorfüonen,
—Repreſſalien und Krieg nah dan eingel⸗
nen, in der MWirflichfeie und Gefchichte vorliee
genden, Verhaͤltniſſen gehöre zunaͤchſt ins pra«
etifhe europäifhe Voͤlkerrecht. Mur
212. Sam. Shötiwecit.
„Am Allgemeinen werden dieſe Begriffe im .
Staaten rechte behandelt. — Retorfionen
. teten ein, ..wenn ber eine Staat etwas verfügt,
"was zwar gegen die Geſetzer der allgemeinen Ge
* — rechtinfeht und Billigkeit, und gegen die Voͤlker⸗
sv @iete; nicht/ aber gegen ein. anerfanntes Zwangsrecht
Verſtoͤßt, 3 Bo. wenn ein Staat verordnet, daß
kein Geruͤd eine Wolle, kein Wein ing Aue⸗
land, oder nur gegen einen beträchtlichen Grenzzoll
verführt werden foll, ‚und nun der Nachbarftaat
ein aͤhnliches Verbot ber Ausfuhr des Schlacht⸗
viehes, oder gewiſſer Naturerzeugniſſe erlaͤßt, oder
“die Ausfuhr mit einem gleihhoben Zolle belegt.
Eben fo berechtigen neuangelegte, Mauthen an den
’: Grenzen, Verbote von Manufactur» und Fabrik.
‚erzeugen ; Veſchraͤntung der Reiſefreiheit;,, der
- Mefifreiheitun, ſ. wi; ju Retorſionen. Dagegen
: beziehen ſich Nepreffalien auf Die Erwieberung
: vonwerlegten Fwangsrechten zwifchen den'Staaten.
:Daßin gehöre vie Beleidigung der: Gefandten; die
»: Kerabfegung:: der Zinſen oder ſelbſt des Capital⸗
einer im Auslande gemachten Schuld; die Wer
weigerung der Bezahlung folcher Zinſen; die Auf
nahme von fremden Landesverraͤthern, die Verhaf⸗
“tung fremder ſchuldloſer Reiſenden (wie Napoleon
mit ben’ Britten that) u. ſ. w. Bei Retorſionen
‚und: Kepreflalien find übrigens die Bürger. des
* "Staates, welche durch Anwendung biefer Maas-
"regeln in ihren Rechten beeintraͤchtigt werden, zur
Enefhäigung:" won N ber * Regierung ihres Staates
" berecheige?
"mn.
r - “ “ ® . 2
⁊ a 1 8 ⸗ J IR EEE
on Dr tod gang
Staats: und Staatenrecht 313,
a 783. EEE Ze 5
Der rechtliche Krieg.
Die Vernunft kennt uͤberhaupt nur einen einzi⸗
gen Rechtsgrund: zum Kriege, fobald naͤmlich weder—
Unterhandlungen, noch Metorfionen und. Repreflalieng |
noch) die vermittelnde Dazwifchenkunft der Regierung
andrer- Staaten hinreihen, die Zurüsfnahme feind⸗
licher Maasregeln, oder eine gerechte Genugthuung
für erlittene Rechtsverlegungen von dem beleidigenpen,
Staate zu erhalten. "Alle andere Bevanlaffungen zur
Anfündigung des Krieges liegen außerhalb des Kreis,
fes des Rechts, und. gehören ausfchließend ins Ge⸗
biet der Staatskunſt.
Nur alſo der Vertheidigungskrieg wegen
verletzter Rechte, für welche die Ausgleichung ver⸗
weigert wird, ‚nicht der Angriffs- oder Eroberungs-
frieg ift rechtlich vor der Vernunft; doch Farin, im
Falle des Praͤventionszwanges, der erfte Angriff feibft
von dem Staate gefihehen , ‘der blos feine bedrohten
oder verlegten Rechte vertheidigt. Die Vernunft vers
ſteht Daher unter dein Kriege den einem andern Staate
förmlidangetündigtenZuftänd deszmam
ges, der ſo lange planmaͤßig und mie Anwendung aller
rechtlichen Zwangsmittel fortgefegt wird, bis entweder
die angedrohte Mechtsverlegung zuruͤckgewieſen und an
Shrer Ausführung verhindert, ober: der beleidigte Theil
in feine verlegten Rechte wiebenhergeftellt und ihm bie
Genugthuung zu heil geworden dft, deren Verwei⸗
derung den Krieg veranlaßte, fo wie der Erfag für -
Ste Koften: des ‚Krieges , ſobald ‚ber beleidigte Theil
hiche auf Diefefben verzichten Damit muß aber für
die Zukunft eine Gewaͤhrleiſtung verbunden fern, daß
314 Stun. unb Suatareht.
der beleldigende Staat nicht wieder die See des
andern bedrohen oder verletzen werde.
Die Herſtellung der Herrſchaft des oͤffentlichen
Rechts zwiſchen zweien oder mehrern Staaten, theils
vermittelſt der Ausgleichung der ſtreitigen Rechtsver«
haͤltniſſe, theils vermittelft der Hinreichenden Genug⸗
xthuung für die erlittene "Beleidigung, theils vermit⸗
Ä telſt einer befriedigenden Gewaͤhrleiſtung für die kuͤnf⸗
tige Sicherheit des beleidigten Theils, find alſo Die
don der Vernunft gutgeheißenen Zweck und Bedin⸗
gungen, auf welche der Kriegszuſtand zwiſchen den
Staaten beendigt und der Friede abgeſchloſſen werden
fol. Weil aber der Krieg ein rechtlicher Zuſtand
‚des Zwanges und bes Kampfes der Staaten iſt, wo
diefe als moralifche Perfonen. einander gegen über
ftehen; fo verlangt auch die Vernunft, daß der Krieg
nur durch rechtliche Mittel und mit erlaubten
Waffen, nie gegen Privatperfonen und gegen das
Privateigentfum ber Bürger. geführt, und nie ein
dritter friedliher Staat gegen feinen Willen in. den
Kampf zweier Staaten verflochten werde.
Aus dieſen rechtlichen Grundſaͤtzen folgt zugleich
von ſelbſt, daß der Sieger burch den Sieg nur das
Recht erhält, fich aller unter der $eitung der beſiegten
Regierung ſtehenden Kraͤfte zur Sortfegung des Krige
968 zu verfühern, und: daß er, bis zum Frieden, im
dem befiegten Staats, nach allen Hoheitsrechten in
Beziehung auf die drei Werwaltungszweige der Per
lizei, der Finanzen und des Militeirs, an Die Stelle
der Regierung deflefben tritt; doch wir. Ausnahme der
Gerechtigkeicspflege, weil dieſe einen an ſich ſelbſtſtaͤw
vdigen und unabhängigen. Charakter behauptet, und
phne daß fir von Enger aus bax Süefegung. Des he
⸗
Staate‘ und d Stooteneit. | 415
legken Staates ein Eigenthumsrecht auf denſelben
hervorgeht, weil dieſes Eigenthumsrecht ſelbſt dem
beſiegten Kegenten nicht zuftebt, fo wie auch der Sie-
‚ ger nichts in der Verfaffung des befiegten Staates
verändern, ober deſſen Unterthanen zu feinem Dienfte,
und zur Vebernahme einer Verpflichtung gegen ihren
sechtmäßigen Regenten nöthigen kann.
Was vom Kriege überhaupt, und namentlich
vom Landkriege gilt, muß, nad) ber Vernunft,
auch vom Seefriege gelten. Die in der Wirf-
lichkeit beftehenden Verfchiedenbeiten beider gehös
ren bem practifchen europäifgen Wölfen
rechte an,
Heinr. Stil. <ılöirner, über den Krieg; ein
Pbitoferbitser A Verſuch. Lpz. 1815. 8.
’ 74. .
Bundesgenofſen im Kriege.
Sobald an dem Kriege zweier Staaten noch an-
dere Staaten Theil nehmen; ; fobald muß dabei zwifchen
eigentlid verbünbeten und blos & Ifstleis
ft enden Mächten unterfhieden werben. Der Bund
zweier ober mehrerer Mächte zur Eröffnung eines Krie⸗
ges beruht auf einem Vertrage, abgeſchloſſen für die
gemeinfchaftliche Fuͤhrung Des Krieges, ‚wegen’ erlif>
tener gleicher Beleidigungen und Kechtsverlegungen,
- wo alfo theils der Rechtsgrund, theils der Zweck
des Krieges ihnen gemeinfchaftlich if, Die Verbun-
Denen gelten, als ſolche, für Eine Macht, und alle
NPlane zur Führung des Krieges, alle während: des
Krieges erlittene. Verluſte oder exfämspfie MWarcheile,
ſoo wie die Unterhandlungen uud Vedingungen des
.
\.
316 Staats. und Scaatenrecht.
Friedens ftehen Ihnen nach gleichen Verhaͤltniſſen zu:.
Denn nur indrei Fällen kann, nach dem Vernunft⸗
rechte, der eine verbündete Staut vbne feinen Bun⸗
desgenoffen durch einen befonbern (Separat) Srieden
mit dem Feinde aus dem
Krieges von den übernommenen Verpflichtungen ent“
bindet; ‚oder wenn der Bundesgenoffe feine vertrags-
mäßig eingegangenen DBerbindlichfeiten nicht erfüllt,
und mithin an feinem Theile thatſachlich den Vertrag
bricht; oder wenn der eine Staat allein von dem
Zeinde überwältigt worden ift., und er auf feine an»
dere Weife feine Selbfiftändigfeit und Integritaͤt, den
gehen Zwed aller Staaten, erhalten und retten
ann:
Von biefer Verbindung zweier oder mehrerer
Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Kriege iſt der
blos huͤlfsle iſten de Bundesgenoſſe verſchieden,
welcher, , vermöge eines frühern Buͤndniſſes mit
einem anbern. Staate, zur: Unterflügung beffelben
bei der Eröffnung eines Krieges verpflichtet iſt, ohne
Doch mit dem verbundenen Staate gleiche Belei—
digung und Verletzung ſeiner Rechte und
alſo gleichen Zweck bes Krieges zu theilen, weshalb
er auch nicht mit ſeiner ganzen Macht als beleidigter
Staat, ſondern bios unter den früher vertragsmäßig |
feftgefegten Bedingungen der Hülfe in.einem eintre«
senden ‚möglichen Halle, an dem Rampe Fell
nimmt,
"Die Subſidienzahlung, fire de let
Aichen Theilnahme am Kriege, kennt nur die
Staacstunſt nicht das Staatenseht, nt
1 —*
riege heraustreten: wenn
ihn entweder der Bundesgenoffe felbft im Laufe bes’
‚Staats » und Staatenrecht. 317
. ' u
75.
Recht der Neutralität.
Aus dem Begriffe der Selbftftändigfeit und
| Unahhängigfeie der Staaten geht von felbft hervor,
daß es jedem Staafe, bei einem. beginnenden Kriege,
frei ftehen muß, ob er daran "Theil nehmen, oder
neutral bleiben will, fobald ihn nicht frühere Buͤnd⸗
niſſe zur Theilnahme verpflichten , oder felbft erlittene,
Beleidigungen ihn Dazu berechtigen, Aus dem Rechte
der Neutralitaͤt folgt aber, daß der neutrale Staat
feine gefammten ‚bisherigen Verhältniffe gegen die
friegführenden Mächte beibehält, und von benfelben
weder in feinen öffentlichen Kechten, noch in den Pri»
vatrechten feiner Bürger, befonders in Hinficht auf
die Freiheit des Handelsverfehrs, befchränft werben
darf, daß er aber auch nicht den einen friegführenden
Staat zum Nachtheile des andern „offen ober geheim,
mit Kriegsbebürfnifien unterſtuͤtze, ober ihn überhaupt
‚auf irgend eine Weife begünftige. Zugleich ergibt fich
aus dem Nechte der Neutralität, daß der neutrale
Staat, nach vorhergegangener Bekanntmachung gegen
beide friegführende Theile, feine Neutralität bewaff-
‚net behaupten, feine Grenzen befegen und vertheidi-
gen, und jede Betretung oder Verlegung feines Ge⸗
biets von einer der ‚Friegführenden Mächte duch eine
Kriegeerfiärung an diefelbe ahnden darf
76.
Der rechtliche Friede.
Der Friedensſchluß hat die Beſtimmung,
ben Krieg rechtlich zu beendigen. Soll dies ge .
fchehen; fo muß der in feinen Rechten verlegte Staat
’ .
338. Etaats- und Stagtenrecht.
durch die Bedingungen des Friedens eheild Wieder-
berftellung des vor dem Kriege beftandenen Rechts-
. zuftandes,. theils Genugthuung für die Verlegung
feiner Rechte ‚ tbeils Entſchaͤdigung für die Koften
‚des Krieges, Dafern diefe nicht.gegenfeitig aufgehoben‘
werden, ch eils beftimmte Gemwährleiftung feiner
kuͤnftigen Sicherheit vor ähnlichen Rechtsverlegungen
erhalten. Jeder Friede, der nicht eine befriedi-
gende Ausföhnung der kriegfuͤhrenden Theile, und
eine. völlige Ausgleichung ihrer Rechtsftreitigkeiten
enthält, würde nur den Stoff zu einem neuen Kriege _
Darbieten. Es ift daher Pflicht für den Sieger, die
* Bedingungen des Friedens nach den Geundfäßgen
der Gerehtigfeic und Maͤßigung, und niche
nach den vorübergehenden. Erfolgen einzelner gluͤck⸗
“ ticher Ersigniffe, aufzuſtellen, weil nicht blos das
Recht, ſondern felbft die Kingbeit verlangt, Daß der :
befiegte Staat nie durch überfpannte Forderungen
für die Zufunft in einen unverföhnlichen Feind ver>
wandelt, fo wie.bas Mißtrauen und die Eiferfuht -
ber andern neutralen Staaten gereizt werde; aud) daß
der befiegte Theil den Frieden mit Raͤckſicht auf die
innern und äußern Verhaͤltniſſe feines Staates ſchlie⸗
gen und halten könne. Denn nad) der Vernunft ift
jeder Friedensvertrag ungerecht, welcher den befiegten
Staat entweder feiner Selbftftändigfeit und feiner
eigenthümlichen Verfaffung, ober doch feiner Inte⸗
gritaͤt beraubt, oder ihn in fortdauernde Abhaͤngigkeit
nach den innern und aͤußern Verhaͤltniſſen zu dem
Sieger ſtellt, oder ihn gar in der Reihe der beſtehen⸗
den Staaten "vernichten will,
Der erfte Antrag jum Frieden fann aber vom
befiegten, oder vom fiegenden Theile, oder von einem
Bundergenoffert beider Theile , oder von einem neu⸗
Staats» und Staatenreche. | 319
tralen Staate gefchehen. Durch Vermittelu ng
ober Bürgfchaft des Friedens fonnen auch an«.
dere Staaten an einem Friedensſchluſſe Theil neh-
men, Die Gültigfeit des Friedens endlich beruht auf
‚ber Unterfehrift und Beftätigung deſſelben von den
Regenten ber friegführenden Staaten.
Eman. Kant, zum ewigen $rieden. Königs.
1795. 8. | |
dr. v. Gens, über den ewigen Frieden; inf.
biftor. Journ. 1800, Dec. S. 7ıı ff.
Karl Sal. Zacharia, Janus. Lpj. 190. 8.
320
Pe ı EEE
Die Staatstun ei).
Einieitung
iR
- 4.
VBorbereitende Begriffe
Disteih unter allen Benennungen der einzelnen
Staatswiffenfchaften der Name der Politif dee
älteite iſt; fo ift doch. bereits feit Jahrtauſenden
weder in der Wiſſenſchaft, noch in der Praxis, ein
und derſelbe Begriff damit "verbunden morden. Bald |
ward er weiter, bald enger gebraucht; und fo auch noch
“in unfrer Zeit, Denn wenn Einige unter der Dos
litif den ganzen Umfang fämmtlicher Staatskennt⸗
niffe verftehen, und diefem Begriffe eben fo das,
Staatsreht, wie die Staatsflugheit, eben fo die
Volfs-» und Staatswirthfchaft, wie die Finanz und
Polizeiwiſſenſchaft unterordnen; fo betrachten dage⸗
gen Andere die Politif blos als einen Anhang des
Staatsrechts, und gründen fie auf bloße Rechts⸗
grundſaͤtze, während wieder Andere fie nur als
Klu ghri tslehre behandeln, wobei das Recht keine
Stimme haben duͤrfe. Manche glauben, es ſey hin⸗
reichend, die Policit zu einer wiſſenſchaftlichen Form
Staatskunſt. | 321
zu erheben, wenn fie diefelbe als das Ganze gewiffer
abſtracter Lehrſatze über Staat, Staatsorganismus,
Verfaffung und Verwaltung im Geiſi⸗ eines pbilofor
phifhen Modeſyſtems darftellen, ohne irgend eine
Ruͤckſicht auf Das in der. Wirflichfeie beftehende und
ausführbare zu nehmen; andere hingegen verfporten
alle Abftraction und alles, was aus der Vernunft für,
das wirfliche Staatsleben hervorgehen muß, und ver⸗
wandeln die Wiffenfchaft in ein unzufammenhängen«
des Aggregat von einzelnen “Beifpielen, Thatfachen
und Säßen, welche in den Kreifen der Gefchichte und
Erfahrung vorliegen. Allein fo wenig von der einen
Seite blos die rei Abftraction in das Gebiet der
Politik gehört; fo wenig reicht auch von der andern
Seite die bloße Erfahrung und Gefchichte aus, das
wiflenfchaftliche Gebäude der Politik feft zu begrün-
den und gleichmäßig durchzuführen.
Abgeſehen von diefen Mißgriffen in älterer und
neuerer Zeit, fcheint e8 in der Thut nur zwei Wege
zu ‚geben, welche zu einer -wiffenfchaftlichen Begrün«
"dung und Durchbildung der Politif führen koͤnnen;
entweder fie wird als die Gefammehelt aller
- practifhen Staatsfenntniffe dargeftellt, und
Dadurch die felbftftändige Geftaltung und wiffenfchaft-
liche Durchführung der Staatswirthſchaft, der Finanz⸗
und Polizeiwiſſenſchaft, ja ſelbſt des practiſchen euros
päifchen Völferrechts und der Diplomatie, für über
flüflig und entbehrlich erflärt, weil fie — nad jener
Anſicht — alles Wichtige biefer Wiſſenſchaften in
ihre Mitte auſnimmt; oder fie tritt in Die Kreiſe der
übrigen Staatsmiffenfihaften mit einem eigens,
thbümliden Begriffe und feldftftändigen
Charafter ein, fo daß fie zwar in vielen Lehren
und Anfichten mehreren andern Staatswiſſenſchaften
I 21
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⁊
322 Staatskunſt.
bedeutend ſich nähert, doch aber nach Ihrem beſtimm⸗
ten Begriffe und na) ihrem dadurch ſcharf begrenzten
- Umfange, das eigentliche-Gebiet der übrigen felbft-
ſtaͤndigen Staatswiſſenſchafren keinesweges beeintraͤch⸗
tigt. Nach dieſer zweiten Anſicht wird ihre ſyſte⸗
matiſche Darſtellung hier verſucht.
2,
Begriff und Umfang der Staatsfunft.
Die Staatsfunft (Politif) ift die wiffen-
fhaftliche Darftellung des Zufammenhan-
ges zwifhen dem inneren und äußern
Staatsleben, nah den Örundfägen des
‚Rechts und der Klugheit. So wie namlid
bei jeder irdifchen Organifation das innere und, das
äußere Seben derfelben, verfchieden von einander, auf
gefaßt werden fünnen, obgleich beide in ihrem Zus
fammenhange eben das Wefen der Organifation und
die erfennbare Anfündigung derfelben vermitteln; fo
auch bei dem Staate. Jeder Staat kann und muf
nämlich, als ein politifches Ganzes, in einer zwei: _
fahen Hinficht betrachte werden; nach feinem
innern *) und nad) feinem äußern Leben, und
*) Selbſt der Fuͤrſt von Metternich unterfchied
zwifchen dem innern und äußern Ötaateleben
in f. Schreiben vom 7. Febr. 1818 an den oͤſtreichi⸗
fhen. Sefandten in der Schweiz, wo es beißt:
„Nach den fürdterlihen Stürmen, welche Europas
erichärtere hatten, und wodurdh nicht nur Die
gegenfeitigen Raatsrehtlihen Verhälk
niffe feiner einyelnen Staaten nach und
nah zu einem Chaos umgeftaltet,, fondern auch die
wefentlihen Pfeiler des innern politis
fhen Lebens, Recht und Billigkeit, aus ihrem
Grunde gehoben worden waren‘ u. f. w, — ,
Staatskunſt. 333
wach ber- Wechfelmirkung beiber auf einander,
Die aus einem Zufammenhange zwifchen beiden
hervorgeht, durch weichen die. erfennbare Ankuͤn⸗
digung und Wahrnehmung ſowohl des innern -als
des Außern Sebens vermittele wird. So wie nun, in
der Regel, bei allen irdifchen Drganifationen das
innere geben derfelben die Grundbedingung des
äußern, nnd diefes äußere Leben eine Wirkung und
Solge des innern bleibe; fo auch im Staatslehen.
Das innere Seben eines Staates wird ‚aber
zunaͤchſt erfannt an der Eultur feiner Bürger, an
feinem Organismus und Verfaffung, Re
gierung und Bermaltung, und an' den, in
dem eigenthümlihen Charakter des Volkes, * wie
In der Verfaſſung, Regierung und Verwaltung
enthaltenen, Bedingungen der rechtlichen
Fortbildung des Innern Staatslebens,
weil alles, was lebt, nie ftillftehen fann, fondern
entweder fortfehreite oder ruͤckwaͤrts gebt,
Das äußere Leben eines Staates hingegen wird
erkannt an der Art und Weiſe, wie derſelbe mit an⸗
dern neben ihm beftehenden Staaten in Wechſelwir⸗
kung und Verbindung ſteht, und wie er, im Falle
eintretender Rechtsverletzungen, den Zwang gegen die⸗
ſelben anwendet.
Bei dieſer Anſiche der Staatskunſt, als
einer ſelbſtſtaͤndigen Wiſſenſchaft, wird als
lerdings das im philofophifchen Staats» und Staaten-
rechte aufgeftellte deal der unbebingten Herrſchaft des
Rechts in jedem einzelnen Staate, fo wie in der Wech⸗
felwirfung der gefammten neben einander beftehenden
Staaten, vorausgeſetzt; allein durhgehends verbin:
Hetdie Stantsfunft theil s in ihren Grundlehren
mit dem’ been Zwecke des Rechts ven Zweck ber
21°
324 Staatskunſt.
Wohlfahrt, forscht der Individuen , als ber gan⸗
zen GSefellfhaft; theils ftelle fie, für bie möglichfte
Verwirklichung dieſer beiden Zweck des Rechts und
der Wohlfahrt, die wirkſamſten Mittel auf,
wodurch die Vorſchriften der Klugheit (denn die
„ Klugheit befteht in ber Kenntniß und Wahl der wirf-
famften Mittel zur Erreichung eines gewiſſen
Zweckes), in die Mitte der Staatsfunft aufgenommen
werden. Diefe Vorfchriften der Klugheit ftammen |
‘aber , als folhe, nicht aus der Vernunft, wie bie
‚heiligen Gefege bes Rechts, fondern aus der Er⸗
fabrung; es müffen daher durchgehende in der
Staatsfunft die anwendbarften und treffendſten Be⸗
lege aus der Gefhichte der Vergangenheit
und Gegenwart entlehne und mitgetheilt werden, .
um bie Anwendung - der. wirffamften Mittel: für die
Erhaltung, Bewahrung und Erhöhung des Zufam-
menbanges zwifchen dem innern und äußern Staats⸗
leben zu verfinnlihen und zu beweiſen. In dieſer
Hinſicht Fonnte man auch die Staatsfunft als die
Wiffenfchaft bezeichnen, wie das deal des Staa»
tes in der Wirklichkeit nach den Grundfägen des Rechts
und der Klugheit verwirklicht werden foll, obgleich in
dieſer Begriffsbezeichnung die beiden Hauptgegenſtaͤnde
des innern und aͤußern Staatslebens nicht mit
Beſtimmtheit hervortreten.
Allein fo entſchieden die aus der Geſchichte ger
fchöpften Lehren und Belege in das Gebiet, und felbft
zum eigentlichen Weſen der Staatsfunft gehören : fo
fann doch das Werhältniß zwifhen ben
Grundfägen des Rechts und den Regeln.
der Klugheit innerhalb der Staatsfunft nur nad)
dem Maasftabe feftgefege werden, daß die Grundfäge
des Rechts, hervorgehend aus dem Weſen der Ver⸗
—
Staatskunſt. 325
nunft, ewig und unveränberlich, die Regeln der Klug⸗
heit hingegen, welche aber den Grundſaͤtzen des Rechts
nie widerftreiten dürfen, aus der Erfahrung und
Geſchichte abgeleitet, und durch die Eigenthuͤm⸗
lihfeie jedes einzelnen Staates, fo wie
Durch die befondern örtlihen Verhaͤltniſſe deffelben,
theils nach feinem innern Leben, theilg nad). feiner
Wechfelwirfung mit andern Staaten, und durd) feine
jedesmaligen Zeitbedürfniffe bedingt find *).
Sao fannz. 3. nie im Staatsrechte, wohl aber:
muß in der Staatsfunft der Einfluß des Klima,
- des Bodeus, der Lebensmweife, der DVerfaflung,
Regierung und Religion auf die Entwidelung der
Völker gewürdigt, — die Eigenehümlichfeit und
Derfchiedenheit der Staatöverfaffungen mit Einer
Kammer oder mit zwei Kammern angegeben, —
in der Lehre van der Gerechtigfeitspflege von Frie⸗
*), Ganz übereinfiimmend mit diefer Anficht fagt Fr.
v. Gentz in feinem biftor. Journale, 1800,
Febr. ©. 115 ff.: „Die Zwecke der Gefelifchaft lafs
fen ih fämmtlid auf zwei Hauptzwecke zurüdfühs
ren: Gewährleiftung für das Recht der Bürger;
Erhaltung und - Beförderung -der gemeinfchaftlichen
Wohlfahrt. Sin einer reinen Theorie der Staates
. wiffenfhaft ift der letzte diefer beiden Hauptzwecke
dem erften untergeordnet; und in dem reinen Ideale
‚ eines Staates gibt es fogar Beinen andern Ends
zweck, als diefen; denn eine Verfaffung, welche die
abfolute Sicherheit aller Rechte verbürgte — würde,
vr ohne alles; weitere Zuthun, auch die Verfaffang der
.:chöchften gemenſchaftlichen Wohlfahrt fern. Was,
aber in der vollendeten Sphäre des deals nur.
„Mittel iſt, feige .in der Unvolllommenheit des
wirklichen Lebens zum Range eines erfien Zweckes
' hinauf.“ en , : a = ‘
v
N
‚320 Staatskunſt
densrichtern, Schwurgerichten u. ſ. w. gehandelt
werden, wel alle dieſe Gegenſtaͤnde nur nach den
tnaen. der Geſchichte näher erortert werden
onuen .
\ 3
wet und teile ven Staatstunfl
Aus dem aufgeftelften eigenthümlichen Begriffe
der Staatsfunft geht zugleich ihr fetbftftändiger Zw e f
mit Nothwendigkeit hervor. Ihr Zweck ift namlich:
bie Verwirklichung desZufammenhanges
zwifchen dem innern und äußern Staats
leben nad) den Örundfägen.bes Rechts und der Klug⸗
heit; Recht und Wohlfahrt follen, in unauflös-
lichem Bereine, fowohl innerhalb Des Staates, als
in feiner Anfündigung nad) außen, durch die wirf-
ſamſten Mittel begründer, erhalten und für immer
gefichert, und dadurch follder Staat als ein leben:
voller, in ſich ebgefchloffener und vollendeter, zu⸗
gleich aber auch als ein, durch die Fülle: feines innern
Sebeng zu immer höherer Kraft und Vollkommenheit
ſich ausbildender, Organismus dargeftelle werden,
Doch nicht vblos der Zweck, auch die Theile
ber Staatskunſt ergeben ſich aus jenem Grundbegriffe
der Wiffenfhaft; denn nach bemfelben ‚jerfälle bie
Staatskunſt:
4) in die Lehre von dem Innern Staats—
leben, und
2) in die Lehre von dem äußern Staatsleben,
nad) allen zu beiden gehoͤrenden weſentlichen einzelnen
" Bedingungen,
Wenn einige ältere und ſeldſt neuere Schriffftel-
ter der Politik in der wiffenfchaftlichen Darſtellung
Staatskunſt. 327
derſelben, zu er ſt von den auswärtigen An-
gelegenheiten, und ſod ann von ben innern han—
delten; ſo kounte ihnen dabei das nothwendige in»
nere Verhaͤltniß zwifchen beiden. nicht eingeleuchtet
haben. Jedesmal iſt das innere Etaatsleben bie
Grundbedingung des äußern. Denn. wenn gleid)
die Ruͤckwirkung deraͤußern Verhaͤltnifſe
eines Staates auf.das Innere durchaus
nicht abgeläugnet werben full, eine Ruͤckwirkung,
welche ‚ nad) den Ausfagen der Gefchichte, oft
über. alle Erwartung guͤnſtig, oft aber auch bei»
fpiellos nachtheilig fih ankuͤndigt; fo würde
doch felbft diefe Ruͤckwirkung von außen nah
Innen gewiß durchgehende einen ganz andern
Charakter behauptet haben, wenn niht vorher
die Anfündigung und Richtung nad) außen Dur
das innere Staatsleben bedingt gemwefen
märe. Mur ausder Ordnung, Seftigkejtund Gleich:
mäßigfeie in ihrer innern Geftaltung laßt es fich
erflären, warum, nach dem Zeugniſſe der Gefchichte,
nicht. felten ſcheinbar minder wichtige Staaten in
entſcheidenden Augenblicken nach außen eine Kraft
entwickelten, die man ihnen vorher nicht zugetraut
haͤtte, und die nicht nur für ihr eigenes politiſches
Schickſal, fondern auch fiir andere Staaten den
Ausfchlag gab, Durch dieſe Kraft des innern
Lebens widerſtanden in der Welt des Alterthums
die griechiſchen Freiſtaaten dem Weltſturme
der perſiſchen Kaiſer; fie unterlagen aber den
Croberungen der Römer, als diefe Bluͤthe und
Kraft ihres innern Sebens erfchüttert und vernichtet
- worden war. Unterſtuͤtzt von diefer inneren fe
- bensfraft feines durch die Kirchenverbeflerung zur
religiös» politifchen Freiheit gebrachten Staates,
328 Staatskunſt.
noͤthigte (1552) Moritz von Sachſen ben Kai-
fer Karl 5 zur öffentlichen Anerkennung der kirch—
lichen Freiheit der Proteſtanten. Dieſelbe innere
Kraft war es, wodurch die Schweizer im 14ten,
und bie Niederländer im 16ten Jahrhunderte
ihre Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhängigkeit erkaͤmpf⸗
ten und behaupteten; und vermittelft der Wieder⸗
geburt des innern Staatslebens wurden in Bran-
bdenburg der große Churfürft, und noch mehr
‚ fein Urenfel Friedrich 2, die Begründer einer
neuen Ordnung der Dinge, — Dagegen zeigte
- Spanien feit Philipp 2, wie tief ein mächtiger,
noch kurz vorher nad) dem Prineipat in Europa
ſtrebender, Staat finfen fann, wenn deffenin-
nere gebensfraft enemifht worden ift;
gleiches fündigte Frankreich an unter Ludwig 15
nach Fleury’s Tode, und bdaffelbe gilt von dem
Innern Staatsleben des osmanifchen Reiches!
N 4.
Verhältniß der Staatsfunft zu den übrie
gen Staatswiffenfhaften
Behandelt man die Staatsfunft, wie Einige
thun ($.1.), als die Gefammtheit der practiſchen
Staatsfenntniffe; fo ift fie dann das Ergebniß
aller Staatswiffenfhaften jufammen, '
ohne ‘daß fie — abgefehen von der in ihr verfuchten
Zufammendrängung der wichtigften ftaatswif-
fenfchaftlihen Gegenftände — einen eigenthumlichen
und felbftftändigen Charakter in der Reihe der übri-
gen Staatswiffenfchaften behauptet. Wird aber die
Staatsfunft aus dem ($. 2.) aufgeftefften Begriffe und
Standpuncte, als die wiffenfhaftlihe Dar«
Staatsfunft. 229.
ftellung bes Zufammenhanges zwiſchen
dem innern und äußern Staatsleben-naf .
den Örundfägen des Rechts und der Klug⸗
beit aufgefaßt; fo komme ihr nicht nur ein ſelbſt⸗
ſtaͤndiger wiſſeuſchaftucher baratte und ein
eigenthuͤmlicher Zweck ($. 3.) zu; es läßt ſich auch
ihre Stellung in dem Kreiſe der geſammten Staats⸗
wiflenfchaften und ihr Ver haͤltniß zu den uͤbri⸗
gen Staatswiffenfhaften beſtimmt und ſicher
ausmitteln. |
Sie ift namlich, in der Reihe der übrigen
Staatswiflenfhaften, weder eine reinphilofophifche,
noch eine eeingefchichtliche Staatswiſſenſchaft (Ein
leie. $.3. und 5.), fondern eine gemifchte, d. h.
eine aus philoſophiſchen Grundſaͤtzen und aus gefchicht-
lihen Thatfahen gleihmäßgig gebildete Wiſ—
fenfhaft. Denn nur aus philofophifchen Gtund-
fügen fann, auf den aus der Erfahrung ftammenden
Begriff bes Staates die Lehre von dem Unterfchiede
zwifchen dem innern und dem äußern Staatsleben,
von der Wechfelmirfung zwifchen beiden, und von der
Herrfchaft des Rechts, als der wefentlichen Unterlage
beider, des innern und des äußern Staatslebens, ab»
geleitet werden; allein aus der Erfahrung und
Geſchichte gehen die Beiſpiele zur Verſinnlichung
dieſer Ankuͤndigung und Wechſelwirkung des innern
und aͤußern Staatslebens hervor, und nur die Ger
fhichte bietet die Regeln der Klugheit dar, nad)
welchen jedesmal die wirffamften Mittel für die
Zwecke des innern und äußern Staatslebens ange-
wande werben dürfen und follen. — Der mwiffenfchaft-
liche Charafter der Staatsfunft ift daher fchon Dadurch ‘
von dem Charakter der meiften übrigen Staatswiflen-
[haften verfchieden,, daß dieſe Wiſſenſchaft, ihrem
| recht aufitelle, auch in der Staatsfunft, gelten; nur
330 Staatskunſt.
urſp runge nach , eine gemiſchre Wiſſenſchaft ,
0 Mad ihrer Stellung zu Den übrigen
Stantswiffenfhaften fegt aber die Staatsfunft '
Das Staatsrecht voraus; denn eine Staatsfunft,
welche nicht auf die Herrfchaft des Rechts fich gründet,
graͤbt fich ihr eigenes Grab, Die Klugheit, bie das
Roche verſchmaͤht, der alfo (nad) der Moral der Je⸗
fuiten) jedes Mittel zum Zwede gilt, kann -
nur auf eine kurze Dauer befteben; ein unwiderleg⸗
barer Zeuge von 6000 Sahren , die Gefchichte,
verfündigt in dem Sinfen und dem Untergange mäch-
tiger Reiche, wohin die Klugheit ohne Recht führe,
Es muß daher das, was das Staats- und Staaten» -
daß es, nad) dem eigenthümlichen Charaffer diefer
MWiffenfhaft, jedesmal in Beziehung auf die befon«
dern Verbältniffe jedes einzelnen Volkes und Staa»
tes aufgeftelle und angewandt wird. So gibt z. B.
die Staatsfunft in Hinficht auf die im Staatsrechte
enthaltenen Sehren von der Staatsverfaffung, Negie-
rung und Verwaltung den erläuternden und verfinn-
lihenden Commentar zu diefen Sehren, und erweitert
namentlid) bie Lehre von der Verwaltung, nad) deren
einzelnen Theilen, zu ihrem ganzen wiflenfchaftlichen .
Umfange, weil fie bamit die aus der Geſchichte ftam-
menden und durch die Erfahrung. bewahrten Lehren
verbindet. Weil aber das Staats» und Staatenrecht
felbft rückwärts auf Das Natur » und Voͤlkerrecht fich
ftügt; fo dient das legtere aud) der Staatsfunft —
vermittelft des Staats» und Staatenrehts — zur
allgemeinften Unterlage und zum legten Entfcheidungs-
grunde in zweifelhaften Fallen.
Gegen die Volks wirthſchaft, Staats
+
N
Stastsfunfl, 331
wirtbfhaft, —— und: Pollzeimfffen
{haft ftehet die Staatskunſt in demjthigen Wen ölte
ne, daß fie deshalb — meil ihr die wiffenfchaft-
liche "Darftellung der gefammten Staatsver
waltung: eigenthuͤmlich ‚und zausfehlisgenn ; 3yger
hört mehrere der wichtigſten Engebniffe.
der drei letzten Wiſſen ſchaften (von welchen die Staats ·
wirthſchaft auf die Volkswirthfchaft ſich gruͤndet) in
-fida ufnehmen muß, weil eben dieſe Wiſſenſchaf⸗
ten zwei Hauptzweige Der Verwaltung — das Fi⸗
nanzweſen und die Polizei — nach ihrer. ſyſtemati⸗
ſchen Begruͤndung Haitung und Durchführung be⸗
andeln.
Selbſt den geſ Hihrlihen Staatswiſſenſchaf⸗
ven (der Gefchichte.des europaͤiſchen Staatenſyſtems
aus dem Standpuncte der Politik, der Staatenfunde,
dem öffentlichen Staatsrechte, dem practifchen euro«
päifchen Voͤlkerrechte und ber Diplomatie) ift die
Staatsfunft.naheverwand.t, meil alle in ihr ent-
haltene Regeln der Klugheit: auf‘ die Thatfachen der
Gefchichte fih ftüßen, und fie ihre Grundfäge und
Lehren eben durch) Beifpiee alıs der Gefhichte am
lebendigften verfinnliht und’ am einleuchtendften
nachmeifet... Wenn ‚aber von den gefhichtlihen
Staatswiffenfchaften die Staatenfunde und das
öffentliche Staatsreht, fo wie bie Gefchichte des
europäifchen Staatenfoftems, hauptfächlich die Be⸗
lege für die Lehren über Die Geſtaltung des innern
Staatslebens darbieten; fo Dienen die in dem practis
fehen europäifchen Wölferrechte und in ber Diplomatie
iſſenſchaftlich geordneten Stoffe, zum Theile. aud)
iele Thatfahen aus der Gefchichte ‘des europäifchen
Staatenſyſtems, zunächft zur Erläuterung der Lehren
über die Geſtaltung des äußern GStaatslebens und
32° Staatskunſt.
über 2 Behfinisting der Staaten’ gegen einan⸗
der 2).
«to oo. ‘,. . “ [3 ‘
” Se meinen wieberhohiten Vortraͤgen über bie gefamms
sen Staatswiffenfhaften habe ich nur bei des-einzis
—gen Poltrit Äber die Stelle geſchwankt, wohin
‚fie in der Reihe und Aufeinanderfolge der Staates
wiſſenſchaften gehört. Denn ob id gleih den vers
dienten Männern mich nicht anfchließen kann, welche
— ſie — indem 'ſie das Wort Politik in dem weis
....xteften Sinne nehmen — gleidfam als die Quint⸗
- eflenz aller Staatslenntniffe behandeln, und in fie
eben fo das Staatsrecht, wie die Volkswirthſchaft,
Die Polizei: und Sinanzwiffenfchaft, das Völkerrecht
und die Diplomatie aufnehmen (was für mich im⸗
» mer einige Aehnlichkeit mit einem Macbethiſchen
Hexenbreie gehabt hat); fo habe ich fie doc im.
doͤffentlichen Worträgen — nad meiner Anfiht und -
Behandlung derfelben, die ich im $.2. aufftellte, —
gewöhnlidy erft auf Die Vorträge der Volkes
wirchfhaft, Staarswirthfhaft, Finanz
und Polizeiwiſſenſchaft folgen laffen,
‚ weil fie allerdings aus diefer fuftematifhen Darſtel⸗
lung zweier SHauptverwaltungszmweige im Staate
mehrere Reſultate entlehnen muß, deren Wahrs
heit noch beſtimmter fi ankündigt, wenn fie bereits
in der wiffenfchaftlihden Deduetion, melde in die
Staatswirchfehaft, Finanz: und Polizeiisiffenfchaft
gehört, befriedigend durchgeführt worden find. Allein
immer bleiben dies nur zwei wefentliche Theile der
Verwaltung, während die beiden andern, Die Gerech⸗
tigkeitspflege und das Kriegswefen, aus
f&hließend ihre Stelle in der Staatskunft behaup⸗
ten, Wollte man endli ganz confequent feyn; fo
‚müßte deshalb, weil aud aug den gefhidts
Ligen Staatswiffenfchafeen unzählige erläuternde,
Thatſachen und Beiſpiele in die Staatskunſt gezogen
werden koͤnnen, der ſyſtematiſche Vortrag der Staats⸗
kunſt gar an den. Schluß der gefammten
-
\ Staatskunſt. 333
5. PD
Literatur der Staatskunſt.
Nach der bereits bei der Literatur des Staats⸗
rechts (Staatsr..$.8.) aufgeſtellten Bemerkung, mark
teils in der Welt des Alterthums, theils feit der
Wiederherſtellung der Wiffenfchaften im Abendlande
bisherab aufden Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts, von den ftaatswiffenfchaftlichen
Scriftftelleen zwifhen Staatsreht und
Staatsfunft durchaus nicht ſtreng unter
ſchie den; ja viele Schriftfteller des 18ten und 19ten
Jahrhunderts gefallen fi) noch immer in der bunt⸗
artigen Mifhung beider Wiffenfchaften. — Es bür-
fen daher hier die im Staatsrechte ($.8.) angeführten
Werke von Plato, Ariftoreles, Cicero, Mac
Hiavell, Morus (Utopia), Bodin, Lipfius,
(philoſophiſchen und gefhihtlihen) Staatswifs
fenfchaften gebraht werden. Doc a potiori At
denominatio. Zunädft, und in dem Hauptgrundſatze
der unbedingten Herrfhaft des Rechts,
ſtuͤtzt ſich die Staatskunſt aufdas Staatsredt;
die wichtigſten Lehren des Staatsrechts, die von
der Verfaſſung, Regierung und Verwal⸗
tung, werden, nach ihrer theoretiſchen Begruͤndung,
in der Staatskunſt aus dem Staactsrechte entlehnt
und nur weiter fortgeführt und erläutert; felbft das
äuß.ere Staatsleben findet die Grundlage feiner
rechtlichen Seftaltung im Staätenrehte; dieſe Rück
fihten — und der dadurch für.die Zubdrer ev
leihterte Vortrag der Staatskunſt unmits
telbar nah dem Staatsrechte — gaben bei
mir zulege den Ausſchlag dafür, der Staatskunſt
ihre Stelle fogleih nach deren Staatsrechte anı
zuweiſen. Doc ‚dies alles. salvo meliori. judicio !
334 Sigatskunß.
v. Oſſa, Caſus, Beſold, Hobbes, Conring,
Sidney; Spinoza, gode, v. Real, Rouf
feau,Sampredt, Rüdiger, DBenfen, Craig,
de Tracy, v. Haller u. a. nicht wiederhoit werden,
obgleich diejenigen, welche die Staatskunſt beſon⸗
ders, und völlig ohne Verbindung mit dem Staats⸗
rechte behandeln, derſelben gebenfen muͤſſen. |
Im Allgemeinen: '
Wild. Tot. Krug, was ift Holt, und was foQ
fie feyn? in den’ Kreuze umd Queerzuͤgen auf
den Speppen, der. Staatstunft und Wiffenfchaft. (ept
1818. 8.) ©. 3 ff.
Lüder, — — der Statiſtik und Politik, nebſt
einer Begründung der politifhen Philofophie. Str.
1812. 8. (non ©. 113 an.)
Eine kurze Beurtheitung d. ältern Schriften über
Politit finder fib in Jac. Aug. Frankenſteins
Vorrede zu Gundlings Difcours über Politit.
(Fekf. u. Lpz. 1733. 4) S. q ff.
Gar. Dan. Henr. Rau, primae lineae bistoriae
politices s. civilis.doctrinae. Erl, 1816. 8.
*
*
%*
Chriſt. Garve, Abhandlung über die Verbindung
der Moral mit der Politik, oder einige Betradhtuns
gen über die Frage, inwiefern es möglich fey, die
. Moral des Privatlebens bei der Regierung der
. Staaten zu beobadten. Bresl. 1788. 8.
& A. von Derg, VBerfuh über das Verhältniß
der Moral zur Politik. 23h. Heilbronn, 1790 f. 8.
Adam Fergufon, ausführlihe Darftellung der
. Gründe der Moral und Politik. Aus dem Engl. v.
8.8. Schreiter. ır Th. Züri, 1796. 8. (blieb
ohne Fortfegung.)
(Der Anti:Leviarhan von Buchholz —'
Stantsr. 9. 8. — nr auch hieher.)
*
Scheda regia. Regentent achtein bes hochloͤblichen
vömifhen Kaiſers Justiniani primi. In 78 apho-
-
Staatskunſt. 335
rismos oder Regeln abgefaßt, welde ihm geſtellt
bat Agapetus. Aus dem Griechiſchen durch Mart.
Moller. Sörlig, 1605. 8.
Barth. Keckoermann, systema .disciplinae -
politicae. Hanov. 1607. 8.
Phil. Honoriua, praxis prudentiae politicae.
Franc. ı610. 4
‚Wolfg.Heider, pbilosophiae politicae systema.
Jen. 16928. 4.
Hieron. Cardani arcana politica 4. de pru-
dentia civili, L,ugd. Bat, 1635. ı6.
J. Buridani quaestiones in octo libros poli-
ticorum Aristotelis. Oxon. 16,0. 4
J. Micraelii regia politica scientia. Stettini,
1654. 18.
Chstn. Schütz, compendium politices. Dres-
dae, 1655. 18.
Jo. Althusii politica, methodioe digesto. Her-
born. 1655. 8.
J. Tob. Geisler de statu politico secundum
praecepta Taciti formato. Anıst. 1656. 12.
Geo. Schonborneri politicorum libri 7.
Amst. 1660. ı2.
Chstn. Liebenthal, collegium politicum,
Gielsae ,' 1662. g.
Marc, Zuerii Boxhornii institutiones poli-
ticae. Amst. 1663. 12.
Jo. Fr. Horn, politicorum pars architectonica
de civitate. Utrecht. 1663. ı9. N. E. Franc.
1672. 8.
Casp. Seioppii paedia politices, et Gabrielis
Naudaei bibliographia politica. N. Ed. cura
- Conringii. Helmst. 1663. 4.
Jo. Loccenii syntagma politicum, in quo
continentur epistolae politicae Sallustii et Cicero-
nis, illius de republica ordinanda, hujus de pro-
vincia recte administranda. Fr. et Lips. 3673. 8.
Lud. Kannengielser, theses politicae, Ser- .
vestae, 1674: 4
Balth. Cell rii politica succincta, ex Ari-
stotele potissimum eruta. N. E. Jen. 1674. 8.
‘
836
Staatskunſt.
J. Henr. Boecler, institutiones politicae.
Argent. 1974. 8. N. E. 1688. 8. .
Veit Ludw. v. Seckendorf, teutfcher Fürften
ſtaat.˖ 3 Th. Frkf. am Main, 1678. 8 — Dep
fen Ehriftenftaat. Lyz. 1686. 8. : x
Sam. Pufendorf, politica inculpata, Londini
Scanorum, 1679. 12,
.J. Chstph. Becmann, meditationes politioze,
Fr. ad Viad. 1679. 8.
Hieron. Frachetta, feftgefehter Printzen⸗ oder
Regenten⸗Staat' (gegen den Macchiavell). Frankf.
1681. 8.
J. Fr. Reinhard, theatrum prudentiae ele-
gentioris ex Justi Liipsii Jibris politicorum
erectum, cum praefatione Üonr, Sam. Schurz-
-fleischii, Vit. 1708, 4
Vollkommene Politica, worinnen gezeigt wird, wie
der status ecclesissticus, politicus und oecononi-
cus chriftlich , kluͤglich und profitabel einzurichten ſey.
Freyb. 1704. 12.
Jacq. Benig. Bossnet, politique tirte des pro-
pres paroles de l’£criture sainte a Mouseigneur le
Daupbin. Ouvrage posthume. 2 T. aBrux. 1710. 8.
J. Sar. Lehmann, kurze, doch gründliche Anleis
tung, die allgemeine u. Staatsklugheit gruͤndlich zu
erlernen und leicht zu practiciren. Jena, 1714. 8.
Sul. Bernd. v. Nohr, Einleitung zur Staatss
klugheit. Lpz. 1718. 8. -
J. Adolph. Hoffmann, observationum poli-
ticarum s.‘de republica libri X. Utrecht. 1719. 8.
Andr. Rüdiger, Klugheit zu leben und zu herrs
fhen. Lpz. 172=. 8.
I Geo. NReukirch, von der Siaatslehre.
Braunſchw. 1731. 8.
Nic. Hieron. Gundling, Diſcours uͤber die
Politik, ehemals aus deſſen eigenem Munde von
fleißigen Zuhörern in die Feder gefaſſet, und nuns
mehro dem Publico mitgetheilt. Nebft Vorrede von
Sranfenftein. Frkf. u. Lpz. 1733. 4. — Defs
fen Einteitung zur wahren Staatsklugheit. Frto.
und Lpz. 1751. 4.
Staatskunſt. oo 335
Ouvrage de politique par PAbbé deSt.Pisrre,
«8 Tom. Rotterd. ı737. 8. j
Chſtn. Thomafius, rue Entwurf der politis
ſchen Kiugheit. Lpz. 1744.
matt. affe, die abe Staatsklugheit. Leipj.
— n. v. Wolff, vernänftige Bedanken von dem
gefeliaftlicen Leben der Menfchen und Infonderpeit
dem gemeinen Weſen. N. A. Halle, 1756. 8. —
(Er gab in diefer Schrift den Umriß feiner Yolieit, Ä
. welden er, bei längerem Leben ‚- als Sortfegung. fets
nes größern lateinifhen Werkes weiter ausgeführt
' haben wuͤrde.)
Y
*
IM. v. Loen, Entwurf einer Staatskunſt.
Ste Aufl. 1751.
Dav. Hume ® olitienl discourses, Ed.2. Edinb.
1753. — Franzoͤſiſch, 1754. — Teutſch, von
Chr. Aug. Fiſcher. Königeb. 1799. 8.
Philosophiae, civilis: s. Politicae partes 4, tan-
quam continuatio systematis pbilosopbici Ghr. de
"Wolff, auctore Mich, Christ, Hanovio. 4 Tom,
Hal. 1756. 4 |
„tr |
Baron de Bielefeld, institutions politiques,
ST. ala Haye, 1760. 8 — Teutſch (von Gott⸗
ſched und Schwabe): Lehrbegriff der Staatskunſt.
a Ih. Brest. und Lpz. 1760. 8. - are Aufl. 1764.
(der erſte ertväglihe Verſuch einer eigentlichen Pos
litik; in der Theorie nah Wolffiſchem Syfteme, in
der Prazis auf vielfeltige Welt: und Menſchenkennt⸗
niß gegruͤndet.)
Gtfr. Achenwall, die Staatsklugheit nach ihren
exſten Gtundfaͤtzen. Goͤtt. 1761. 8. 4te Aufl. 2779.
uUiſt das erſte brauchbare Compendium der Politik, zus
naͤchſt nach Grundſaͤtzen des Eudaͤmonismus.)
J. G. v. Lilienfeld), neues Otoatsget aude
im 3 Büchern. £pj. 1767. 4
LS Real, dir Staatsfunft, aus dem gran. —
ı,, Dayon enthält der Tohfte Thell die Staats⸗
elusheit. (Frkf. und Epi- 1767. 8.)
22
® \
U
338
Eatitanſt
Die wahrhafte Staatskunſt für eine Perſon vom
Stande. Aus dem Franz. v. Benign. Pfeuffer.
St. md $pj. 1767. 8.
. Lud. Schlözer, systema politices. Gott,
—8* 8. (Ein ſehr geiſtreicher Umriß. Noch im⸗
mer ſind feigende Saͤtze nicht überfläffig: „Consti-
tuitur civitas, ut administretur, Ergo optima
constitutio est, quae optimam administratio-
tionem ex se gigoit.“ — „Optima admini«
stratio est, quae fini civitstis est convenien-
tissima.— „Barbarae civitates sunt, une ci vĩ-
bus nihil praestant, praeter securitatem 4 interno
et externo hoste; reliquas cultas vocamus. *)
La politique naturelle, ou discours sui les
vreis principes du gouvernement, Par un ancien "
Magistrat. 2 T. Loondres, 1773. 8.
Cäfareon (Graf Keyferling), Grundfäge
der Staatsklugheit. Mitau, 1772. 8. |
Ludw. v. Beaufobre, allgemeine Einleitung in
die Kenntniß der Politit, der Finanz: und Hands
Aungswiffenfchaft. Aus ei drang. v. Franz Ulr.
Albaum. Riga, 1773.
Joſeph v. Son onfels, politifche Abhand⸗
lungen. Wien, 1777. g.
(Pfeiffer), Grundriß der wahren und falſchen
Staatskunſt. 2 Th. Berl. 1778 f. 8
#
Wiüh. Payley, Grundfäge der oral und Dos
Visit; überf. v. Garve. 2 Th. Lpz. 1787. 8.
Handbuch für den Staatsmann, oder Analyſe der
vorzuͤglichſten franzdfifhen und ausländifchen Werte
über Politik, Gefeßgebung, Finanzen, Polizei,
Aderbau, Handlung, Naturs und Staatsrecht. Aus
dem Franz. der Herren Eondorcet, Peyfo-nel,
Chapelier u.f.m 2 Th. Zuͤrich, 1791. 8.
Vorlefungen über die wictigften Segenftände der
Moralpolitil. s. 1. 1795. 8.
(Ernf de Wedig), über die politifche Siaets
kunſt. 2 Th. Halle, 1795. 8.
Commentar über die natuͤrliche Politik, oder aber
das Berk: la politiquo naturello. a Theile. Ger⸗
manien, 1795 f. 8.
Staatskunſt. 339
Emanuel Steyes, politiſche Spriften. Aus dem
Franz. (von Ufteri.) 2 Th. s. 1. 1796. 8.
Ehfin. Dan. Voß, Handbuch der allgem. Staates
wiſſenſchaft. ter Theil — Politit. — 2p}.
1797. &
Ludw. Keine. Nordmann, über innere und
äußere Staatstunft, Seldumlauf, Kandel, Erwerb
und Abgaben. N. A. Magdeb. 1798. 8.
Karl Heine. v. Seibt, Klugheitsichre, practifch
abgehandelt. 2 Th. Prag, 1799. 8.
Nic. Vogt, Syſtem des Slcihgewichts und der
Gerechtigkeit. 2 Th. ref. 1802. 8.
Sof. Müller, Grundriß der Staatsklugheits⸗
lehre. Landsh. 1803. 8.
Kari Gtlo. Roͤſſig, Lehr⸗ und Handbuch der
Politit. Lpz. 1805. 8.
.Jac. Wagner, Grundriß der Staats wiſſen⸗
ſchaft und Politik. Lpz. 1805. 8.
$. Joſua Stutzmann, Syſtem der Politik und
des Handels von Europa. Nuͤrnb. 1806. 8. -
(Er. Buchholz), Theorie der politifhen Welt.
Hamb. 1807. 8 — Darftellung eines neuen Gras
a onagefeges für die moralifhe Welt. Berlin,
.1802. -
Bun, Hof. Behr, Syſtem der angewandten alls
gemeinen Staatslehre, oder der Staatskunſt. 3 Th.
Frkf. am Main, 1810. 8. (Auch gehört fein 9.8.
des Staatsrechts angeführter: neuer Abriß d. Staates
wiffenfchaftsichre. Bamb. u. Würzb. 1816. 8. theils
weife hieher.)
Heiner. Luden, Handbuch der Staatsweisheit oder
der Politik. ır Th. Jena, 1811. 8. (Die Sorte
ſetzung ift nicht erfchienen.)
v. Haller, politifhe Religlon, oder biblifche
Lehre von den Staaten. Winterthur, 1811. 8.
Joh. Neumann, Principien der Politit. Ein
Fragment. Dorpat, 1814. 8.
G. Freih. v. Seckendorff, Grundzuͤge der
philoſophiſchen Politik. Lpz. u. Alt. 1817. 8
Fr. Köppen, Politik, nad platoniſchen Veund⸗
ſaͤtzen, mit Anwendung auf unfere Zeit. Lpz. 1818. 8.
22*
AN —
340 Staatskunſt.
Ber, Constant, collection complete des
Ouvrages, publies sur le gouvernement represen-
tstif et Ja constitution actuelle de la France,
formant une espece de gpurs de politique
constitutionelle, 8 Part. Paris, 1818— 20. 8.
(Die meiften Abhandiungen in diefer Sammlung
beziehen fh auf Frankreich, auf die Wahlen .der
Sjahre 1817 und 18, auf die Sigungen der Kam⸗
. mern; allgemeinern polttifhen Inhalts. find zus
naͤchſt im erffen und zweiten Theile: reflexions
sur les constitutions et les garanties, avec une
esquisse du constitution; und im dritten Theile:
observstions sur la liberte de la presse.)
Sjofeph Bincens Burkardt, Staatswiffenfchaftss
lehre, mit Rüdficht auf die gegenwärtige Zeit. Lpz.
‚3821. &
Fr. Saalfeld, Grundriß zu Borlefungen über
Politik. Gott. 1821. 8.
8. Servalis,, Beine Mittheilungen aus dem
flaarswiffenfhaftlihen Gebiete. 2 Th. Lpz. 1822. 8.
C. 5 v. Schmidt:Phifeldek, die Politik
madı den Srundjägen der heiligen Allianz. Kopenh.
1882. 8.
A) Lehre von dem innern Staatsleben.
6.
Inhalt und Umfang des erften Theiles
der Staatsfunft. |
Die wiffenfhaftlihe Darftellung der geſamm⸗
ten Bedingungen und Anfündigungen des inneren
Staatslebens bildet den erften Theil der Staats»
kunſt. Zu diefen Bedingungen und Ankündigungen
gehören aber .
Stastsfunf. 341
a) bie Cultur des Volkes, das in dem Staate
zu einem felbftfländigen bürgerlichen Ganzen vers
bunden ift; .
b) der Organismus des Staates nad) den
beiden hoͤchſten Grundfägen des Rechts und bee
Wohlfahrt des Volfes, in fi) ſchließend
ae) die Verfaſſung,
ß) die Regierung,
y) die Verwaltung; |
‘c) die in der Eultur, DVerfaflung, Regierung
und Verwaltung des Volkes gemeinfhaftlih
enthaltenen Bedingungen ber rechtlichen Sort-
bildung bes innern Staatslebens (Lehre von den
Reformen im Staate).
7.
e) Die Cultur des Volfes, als erfte Be»
dingung des innern Staatslebens.
Jedes Volk vereinigt in fih, wie das Inbivis
duum, eine Geſammtheit von finnlichen und geiftigen
Anlagen, Vermögen und Kräften. jedes Wolf
entwickelt und bildet, wie das Individuum , dieſe
finnlihen und geiftigen Anlagen, Vermoͤgen und
Kräfte unter dem vielfeitigften Einflufle äußerer und
innerer Verhältniffe aus. Jedes Wolf erhält, wie
das Individuum, durch diefe ihm völlig eigenthuͤm⸗
liche Entwickelung und Ausbildung, einen felbftitan«
digen , baffelbe von jedem andern Wolfe unterfcheis
denden, Charafter, welchen man rad) feiner aͤußern
Ankündigung mit dem Ausdrude der V oLfsthüms
lichk eit bezeichnet, während wir die jebesmal er⸗
reichte Stufe der Entwidelung und Ausbildung bee
geſammten finnlichen und geiftigen Anlagen, Ver⸗
342 Staatskunſt
mögen und Kräfte eines Individuums und Volkes
beffen Eultur nennen. Denn unter ber Cultur
denfen wir uns theils bie eigenthümliche Art und
Weife der Entwidelung und Ausbildung, theils
ben erreichten Grad dieſer Entwidelung und Ausbil
dung bei finnlich - vernünftigen Werfen.
Auf die Eultur ber Fndividuen und der Voͤlker
wirfen aber fehr verfchiedenartige innere und äußere
Verhaͤltniſſe ein. Denn nicht nur, daß in jedem
MWefen unfrer Art die individuelle Verbin
dung ber finnlichen und geiftigen Anlagen und Ver-
mögen zu Einem Ganzen fo wundervoll und räthfel-
haft ift, daß fie zum Theile in dem unerforſchlichen
Geheimniffe der Erzeugung eines menfchlichen Wefens
fich verliert; es wirfen auch von außen her die geo-
graphifche Sage des Wohnortes, die Milde oder
Rauheit bes Klima‘, die Fruchtbarkeit oder Unfrucht⸗
barfeit des ‚Bodens, die Abftammung eines Volkes
von diefer oder jener Merfchenrace (nad) der Vers
fehiedenheit der caucafifchen ,:.malayifchen,, mongoli=
ſchen, athiopifchen und amerifanifchen Stämme) , bie
Verfchiedenheit der Urfprachen, die Verfchiedenheit
der Sebensmweifen (3. B. bei nomadiſchen oder ader»
bauenben , bei gemwerbsfleißigen und handeltreibenden,
bei friedfichen ‚oder friegerifchen Völkern), der Ver⸗
faflungen und der Regierungen, der Religionen , des
bürgerlichen Zuftandes in Hinfiche auf Freiheit ober
Unterdruͤckung, fo wie die Verfchiedenbeit des haͤus⸗
lichen und öffentlichen Lebens, und der davon abs
hängenden Erziehung und Ankündigung der Sitten,
fo mächtig auf Individuen und Voͤlker ein, daß ihre
Entwickelung und Ausbildung, mwenigftens nad) einem
großen Theile, auf diefen innern und aͤußern Be⸗
dingungen beruht.
Staatskunſt. 343
Nach der, aus dieſen Bedingungen hervorgehen⸗
den, Ankuͤndigung der Cultur ſelbſt laͤßt
ſich zwiſchen der ſinnlichen, techniſchen, gei—
ſtigen, kuͤnſtleriſchen, ſittlich-religiöſen
und buͤrgerlichen Cultur ‚genau unterſcheiden,
obgleich damit nicht gelaͤugnet wird, daß nicht
mehrere Zweige und Schattirungen der Cultur
gleihmäßig bei einem und demſelben Indivi⸗
duum und bei einem und Demfelben Wolfe getroffen
werben fönnen. Die finnliche Eultur bezieht ſich
aber zunächft auf die Entwidelung, Bildung und
Anwendung der finnlichen Anlagen und Kräfte in
Hinſicht auf den Anbau des Bodens, ‚und auf glles,
was zunächft zur Erhaltung und Friſtung bes phyſi⸗
fehen Lebens gehört. Dagegen zeigt fih bie techn i⸗
ſche Eultur hauptfächlich in der Betreibung ber Ge⸗
werbe, nah) Manufacturen und Fabriken. Die geis
ige Eultur, zunaͤchſt als Wirfung der freieften und
gleichmäßigften Entwickelung und Ausbildung bes
Vorftellungsvermögens betrachtet, verfündige ſich in
der Kraft des Verftandes und der Vernunft im An⸗
baue und in der Fortbildung der Wiſſenſchaften. Die
Füngftlerifche Eultur, als Folge der Entwickelung
einer reich von der Natur ausgeftatteten Einbildungs-
kraft und eines tief und vielfeitig bewegten Gefuͤhls⸗
vermögens, bezeichnet ihre Thätigfeit hauptfächlich
“in den Kreifen der ſchoͤnen Künfte Die ſittlich
religiöfe Eultur bewährt fi) in der Reinheit der
Sitten, dem treuen Wiederfcheine der innern Sitelich
keit, und in der, von der Sitelichfeit unzertrennlichen,
Heiligkeit, Würde und Kraft der religiöfen Ueberzeu⸗
‚gung und des, auf biefer Weberzeugung beruhenden,
äußern Lebens. Die bürgerliche Eultur endlich
ift die Wirkung und Folge, und gleichfam die Krone
\
*
344 | Staatskunſt.
von dieſem allem. Sie zeige ſich In der regen
Theilnapme an aflen Angelegenheiten des Staatsle⸗
beng, und zwar, wie dieſe Theilnahme nicht etwa
aus Neugier, oder einfeitig aufgeregter Leidenſchaft,
ober gar aus Abneigung gegen bie beftehenbe Ordnung
und Regierung im Staate, fondern wie fie aus ber
erreichten hohen Stufe der individuellen Cultur bui
den einzelnen Staatsbürgern, unb aus der auf dieſer
Eultur beruhenden geläuterten Vaterlandsliebe der⸗
felben hervorgeht,
8.
Die politiſche Muͤndigkeit, als Folge der
Cultur.
Sao wie durch die Geſammtwirkung aller einzel-
nen Ankuͤndigungen der Cultur ($. 7.) das hervorge⸗
bracht wird, was man Volksthuͤmlichkeit und
Volfscharafter nennt, weil jebem felbftftändi-
gen Volke gewiffe eigenthuͤmliche Bedingungen der
Eultur (nad) Boden, Elima, Abftammung, Schid-
falen u. f. w.) zufommen, die aufdiefe Weife bei
andern Völkern nicht getroffen werden, und die
eben, in ihren Folgen und Wirkungen, das Unter-
feheidende des Charafters des einen Volfes von jedem
andern vermitteln; fo ift auch die politifhe Mün-
digfeit der Volker, und die Art und der Grad -
derfelben, eine nothwendige Folge ihrer Cultur. Denn
dieſer, von der Erziehung entlehnte, Begriff der po-
litiſchen Muͤndigkeit fchließe die Entwidelung des
ſinnlichen Zuſtaudes eines Volfes zu einem feft
begründeten und geficherten Wohlftande, das unauf⸗
haltſame Fortfchreiten in der geiftigen Bildung,
und das Verlangen nac) der unbebingten Herr»
(haft des Rechts im Innern und. äußern Staats«
—
Staatskunſt. “345
leben in fich ein. Wo biefe Bedingungen fehlen; me
Feldbau, Gemerbsfleiß und Handel noch fo tief in
ihrer Entwidelung ſtehen, und noch fo wenig in ein-
ander eingreifen, daß nicht durch fie gemeinfchaft«
lich der Wohlſtand der untern und mittlern Volks⸗
klaſſen ficher begründet ift; wo nicht durch Entwicke⸗
lung bes Verftandes und der Vernunft die Thätigfeie
der geiftigen Kräfte verhältnißmäßig bei dem
ganzen Volke, befonbers vermittelt der Jugender⸗
ziehung, geweckt, die geiftige Schlaffheit, die Unwiſ⸗
ſenheit und der Aberglaube befeitige, und in den höhern
Ständen das milde Sicht der Wiffenfchaften und dee
Künfte zur weitern Verbreitung gebracht worben ift;
wo enblich nicht, bei ben gefteigerten und verebelten
Bedürfniffen des finnlichen und geiftigen Lebens, das
Verlangen nach einer feften Unterlage des ganzen bür«
gerlichen Lebens vermittelft einer Verfaffungsurfunde,
und das Bedürfniß nad) einem zeitgemäßen und volfe=-
thümlichen Geſetzbuche, fo wie nad) einer feften und
gleichmaßig geftalteten Gerechtigfeitspflege, nacheiner,
Ordnung, Sicherheit, Wohlfahrt und Eultur auf -
rechthaltenden, Polizei, und nad) einer gerechten und
zwedmäßigen Vertheilung und Erhebung ber. öffent
lihen Abgaben, fühlbar werben; da ift noch feine
polieifche Muͤndigkeit bes Volfes anzunehmen. Doch
ſelbſt dieſe politifhe Muͤndigkeit wird nie
gleihmäßig über einganzes Volffid ver-
breiten (Staatsr. $. 14.); immer wird verhältniß-
mäßig nur Die Minderzahl des Volkes, und felbft _
diefe gewoͤhnlich nur in den höhern Ständen, zu dem
Grabe ver. Cultur und Reife fid) erheben, daß man
ihr, nach) dem erreichten Grade der Mündigfeit, An-
theil an ber Leitung der öffentlihen Volks⸗ und
Staatsangelegenheiten zugeftchen kann. "Allein ein
*
N an Tan
31 Staatskunſt.
äroßer Untetſchieb beruht darauf, ob die Organiſation
eines Staates, und namentlich die Regierung, das
allmaͤhlige Miündigwerben bes Volkes — in Hinficht
ber Entwidelung aller in ihm enthaltenen Bedingun⸗
gen der finnlichen, geiftigen, fittlichen und buͤrger⸗
lihen Cultur — erleichtert und befördert, oder ab⸗
fihtlich hindert; denn fo viel tritt als unläugbare
Thatfache der Geſchichte hervor, daß nur bie Voͤlker,
welche im Allgemeinen der politifhen Mündig«
feit entgegen geben, wohlhabend, reich, tätig, Eräfe
‚ tig, gebilber, gefittet und für Die vaterländifche Vers
faflung und Regierung begeiftert find.
Man halte England, Sachſen und Preu«
Ben gegen andere Staaten, und überzeuge fi ih,
daß der allmählige Fortſchriti zur politiſchen Muͤn⸗
digkeit zugleich den Wohlſtand, die Kraft, die
* Bildung, die Gefittung und die Anhänglichkeit ber
Voͤlker an ihre Fürften vermittelt. — Weiter ent-
wickelte ich biefen Gegenftand, in Beziehung auf
Sachſen, in einem afademifchen Wortrage zur Ge»
daͤchtnißfeier des Regierungsjubiläums des Königs:
„Das fahfifhe Wolf, als ein während
der funfzigjäßrigen Regierung feines
Königs mündig gemordenes Volk Leipz.
1818. 8.
0.
b) Der Organismus bes Staates,
Begriffder Organifation überhaupt.
Der Ausdrud der Drganifation, des Or
ganifirens und des Organismus ift von Na-
turgegenftänden auf den Staat übergetragen, und oft
ſehr willführlich gedeutet und angewandt worden. es
=
Staatskunft. 347
kommt daher darauf an, einen beutfihen und
‚beftimmten Begriff darüber aufzuftellen. “
Unter dem. Mechanismus, im Gegenfaße
der Organifation , verftehen wir die bewegende Kraft
der Körper, infofern fie durch die Verbindung und
den Zufammenhang ihrer Theile zu einem Außerlichen
(außer ihnen felbft liegenden) Zwede paflend einge-
richtet find. Organifation hingegen nennen wir _
die Einrichtung eines Maturgegenftandes,, ng jeder
Theil ſich als Mittel (als Werkzeug und Organ),
und zugleich als Zweck zu allen uͤbrigen ver—
haͤlt; durch alle uͤbrige und fuͤr alle uͤbrige da iſt; wo
jeder Theil den andern wechſelſeitig hervorbringt, un«
terſtuͤtzt und erhält, | |
Ein organifirter Naturgegenftand ift alfo ber,
in welchem alles Zweck, und gegenfeitig auch Mits
tel iſt. Nichts ift in ihm umfonft, zwecklos, oder
dem blinden Naturmechanismus zuzufchreiben; alles
in ihm entfteht und geftaltee fih nach einer ihm
einwohnenden unerflärbaren bildenden Kraft,
So wie aber Entftehung durch Anhäufung von
außen Charafter der blos phyſiſchen Körper ift; ſo
ift Entwicdelung zu einem vollendeten Ganzen, vers
möge einer vigenthümlichen einwohnenden Kraft,
wefentlihes Merkmal der organifirten Körper,
Ohne Annahme einer folchen einwohnenden, von innen
nach außen wirfenden, Kraft ift feine Organifation
begreiflih. Daher fonımt der Materie auch nur, ins
fofern fie organifirt ift, der Charakter eines Zweckes
zu, und ihre Form ift der finnliche Ausdruck — die
äußere Wahrnehmung und Ankündigung — diefes
Zwedes. Weil aber jeder einzelrie Zweck bedingt ift
durch einen höchften und legten Zweck, welcher End:
-
348 Staatskunſt.
ned heißt; fo muß fich auch die Form jeber einzel⸗
nen Organifation auf den Endzweck aller. Organifatio«
nen überhaupt zurüdführen laſſen. In dem Reiche
der Natur. nennen wir, wegen diefer urfprünglichen
- Einrichtung ihres Mefens, Pflanzen, Thiere
und menſchliche Körper Drganifationen.
Bol. Kants Kritik der Urtheilskraft, S. 293 ff.
10.
| Xnmendung bes Begriffs der Organiſa—
tion auf. den Staat.
Wird der Begriff der Organiſation auf den
Staat bezogen und angewandt; fo verfteht man unter
berörganifation des Staates diejenige äußere
Ankündigung und Wahrnehmung deffelben, nach wel:
her alle feine einzelnen Theile zugleich als Zweck
und als Mittel erfcheinen,, wo alfo jeber Theil,
zwar um feiner felbft willen, zugleich aber‘ auch um
der andern willen ba ift, und die andern wechfelfeitig
bervorbringt, unterftügt und erhalt; wo nichts ums
ſonſt, nichts zwecklos, nichts blos aus einem blinden
Mechanismus (wornach Maf hinen bewegt werden)
abzuleiten iſt; wo vielmehr alles in Angemeſſen—
heit zu einer einwohnenden bildenden
Kraft erfolgt, durch welche Das Aeußere der Erfcheis
nung zu einem vollendeten Ganzen fich entwidelt,
und die Form dieſes Ganzen einem von der Vernunft
gedachten Zwecke völlig entfpricht, fo wie der Zweck
der einzelnen Staatsform aus dem allgemeinen End»
zwecke des ganzen Staatsvereins mit Nothwendig⸗
keit hervorgehen muß.
Alles Organiſiren im Staate beziehe ſich da⸗
Staatskunſt. | 349-
her, nad) dieſem Grundbegriffe, darauf: daß der -
Geift des Volfes, das im Staate lebt, einen Koͤr⸗
per — (eine Hülle, eine äußere Form) — befomme,
der ihm eben fo angemeſſen ift, wie der von Gott fo
herrlich ausgeftattete und zweckmaͤßig eingerichtete
Körper der Anfündigung und Wirkfamkeit ber menfch-
lihen Seele, und der namentlich ihrer gefeßmüäßigen
Entwickelung, ihrer Fortbildung und ihrer Reife ent⸗
fpricht. Dies ift Die poſitive Seite des Organiſi⸗
rens: Vergegenmwärtigung des höchften Zweckes bes
Staates bei der Veranftaltung und Hervorbringung.
aller der Mittel, als mwefentlicher Bedingungen,
dieſen Zweck zu erreichen. Dagegen befteht die nega=: -
tive Seite des Organifirens in der Entfernnng und
Befeitigung aller Hinderniffe der freien Ankuͤndigung
und gefegmäßigen Entwicdelung der gefammten Kräfte‘
des Staates für den Zweck beffelben, bei der Anwen
dung aller wirffamen Mittel für Die Erreichung dieſes
Zweckes.
Der Staat, als Organismus betrachtet,
wird daher als ein lebensvolles, Eräftiges Ganzes
erſcheinen, in welchem niche nur alle Theile um
ihrer felbft willen, fondern auch um des Ganzen willen
da find; mo alle Theile fo geordnet und in einem ſo
regelmäßigen Derhältniffe ſich anfündigen, daß fie:
gegenfeitig als Zwed und zugleich als Mittel
fi) verhalten; wo endlich die ganze Thätigkeit der
einzelnen Theile von Der einwohnenden bilden-
den Kraftdes menfhlihen Geiſtes abhängt,
welcher — weiſe von der Regierung des Staates ges
leitee — bei feinem felbftftändigen Forefchreiten in
der Cultur nicht nur die mannigfaltigen einzelnen
Zwecke im Staate ſich vergegenwärtigt, fondern aud)
feine geſammte Thärigfeit in Beziehung auf dieſe ein»
350 u Staatskunſt.
zelnen Zwece zuruͤckfuͤhrt auf den Endzwes des
Staates ſelbſt
11.
Bortfegung
Das Organiſi ren im Staate darf daher zunaͤchſt
nur in der Nachhuͤlfe und Unterſtuͤtzung der
menſchlichen Anlagen und Vermoͤgen beſtehen, welche,
in Angemeſſenheit zu der ihnen einwohnenden bilden⸗
ben Wraft von felbft nach Entwidelung und Reife —
wie die Blume nach) der Sonne — ftreben, damit
diefe Vermögen ſich nicht vom Ziele vericren ,‚ und
dadurch ftörend auf den Staat einwirken. Das Orga⸗
niſiren im Staate ſchließt alfo das Bevormunden
ber Thaͤtigkeit menſchlicher Kraͤfte von ſich
aus, und uͤberlaͤßt ihnen in der Welt der Freiheit einen
ähnlichen Spielraum, wie Gott den irdiſchen Organi-
fationen in der Welt der Natur, weil hier, wie bort,
bie fcheinbaren Widerſpruͤche, fo wie bie "wirklichen
Irrthuͤmer und‘ Unvollfommenpeiten fich) wieder aus»
gleicdyen in der Harmonie bes Ganzen.
Es gibt mithin Beinen größern politifchen Miß—⸗
griff, als das Zu oft und Zu viel Organiſiren,
welches, nach einmal geordneter Geftaltung des in-
nern Staatslebens, im ununterbrochenen Verändern
(nicht immer Verbeffern) einzelner Theile der Staats-
verfaflung, Staatsregierung und Staatsverwaltung
ſich anfündige, wodurch der Charafter der Stätigfeit,
deffen jede. Organifation zu ihrem Gedeihen -und. zu
ihrer Reife bedarf, unaufhaltbar verloren geht. —
Inwiefern .aber Das Organifiren im Staate das
Vorhandenſeyn after in. der Geſammtheit der Staats⸗
bürger vorhandenen menſchlichen Anlagen, Vermögen,
Staacskunſt. 351
und Kraͤfte vorausſetzt; inſofern iſt das Organiſiren
durch die Cultur dieſer Kräfte weſentlich be—
dingt, d. h. die Organiſation des Staates muß jedes-
mal dem erreichten Grade der Cultur — namentlich
ber geiſtigen, ſittlichen und bürgerlichen — der gro»
Gen Mehrheit der Staatsbürger entfprechen, und darin
wird fie, als die äußere Grundform des Staates, der
lebensvollen Thätigfeit aller im Staate wirffamen
Kräfte den freieften Spielraum gewähren. Bleibt
hingegen die Drganifation des Staates hinter ber
erreichten Stufe ber Eultur des Volkes zurück, und
ftehe der. Geift des Volfes höher, als die Organifa-
tion des Staates, in welchem es lebt; da wird der forf-
firebende Geift des Volkes durch Die Organifation des
Staates fich beengt fühlen, und Volkskraft und Staats-
organifation werden im Widerfpruche erfcheinen,
Die große Aufgabe für die, welche das Organi⸗
firen im Staate zu leiten haben, bleibt daher: die
Drganifotion.des Staates in völliger
Vebereinftimmung mit ber erreichten
Stufe der Eultur des Volkes zu erhal
ten, und diefe Organifation mit dem an-
er£.annt.en (nichtblosfcheinbaren oder einfeitigen)
Sortfhreiten des Volfes zu höhern Stu-
fen der Eultur ins Ebenmaas und Gleich⸗—
gewicht zu bringen. Die Grundlage und
erfte Bedingung bei der Organifation eines
Staates ift mithin die Eultur des Volkes,
d.h. 1) die jedem einzelnen Volke eigenthuͤmliche
Entwidelung und Ausbildung der Gefammtheit feiner:
Anlagen und Kräfte in finnlicher, geiſtiger, ſittlicher
und bürgerlicher Hinficht, wodurch es ſich von jedern
onbern Volke unterſcheidet, und 2) der in einem gegeber
en Zeitrqume erreichte Brad diefer Entwickelung
332 Staatskunſt.
und Ausbildung nach der großen Mehrzahl der Indi⸗
viduen des Volkes. | |
Daraus folgt von felbft, daß, wo bie Cultur
des Volkes vorwärts fehreitet, die Organifation des
Staates berfelben nothwendig folgen muß; daß, mo
man die Cultur des Volkes zurüchäle, laͤhmt und
unterdrückt, die Organifation bes Staates unaufhalt⸗
bar finfen muß; daß mit dem Stillftande und Ruͤck⸗
wärtsfchreiten der Wölfer in der Eultur die Orgeni-
fation .des Staates rettungslos veraltet; und daß
nur da, mo vormwärtsftrebende Volkskraft und verals
tete Staatsorganifation im fehreienden Gegenfage
ſtehen, nach) dem Zeugniffe der Gefchichte, diejenigen
gewaltfamen Erfchütterungen des innern Volkslebens
eingetreten find, welche in ber Gefchichte Revolu-
tionen beißen. Zu -
12.
Die Beftandrdeite der Staatsorganifas
So wie wir an der Pflanzenorganifation Wur«
zel, Stamm und Krone, an der menſchlichen Orga⸗
nifation Rumpf, Herz und Gehirn, und in der Ors
ganifation jedes Sonnenſyſtems die Sonne im Mittels
puntte deffelben von den Planeten und Trabanten
unterfcheiden; fo unterfcheiden wir auch als die drei
wefentlihen Beſtandtheile der Stantsorganifation:
die Berfaffung, die Regierung und die Ver
waltung Was der Firftern im Mittelpuncte eines
Sonnenfuftems, das Herz im menfchliden Körper
iſt; das ift die Verfaffung *) im Mittel
*) Benzenberg fagt: „Sobald 3000 Menſchen auf
der Quadrarmeile wohnen; fobald Aberali Landſtra⸗
/
I
Staatskunſt. 333
pui ee bes Städte 6 Bon för : geht bie ganze
Kräfte und Haltung des in nern Staatsiebens, und,
vermittelſt deſſelben, auch des äußern: Siaals leben⸗
dus; und durch fie mirffen die wefentlichen Bedingungen
für- die‘ Regierung inid' Verwaltung befttrumf: werden;
Sie muß bafer ganz auf die: Hogent e üm k fe t
und- auf ben erreichten Grad der Eu ft r des Vol⸗
kes Rh gründen, zu deſſen Organifation fieals erſter
Bieeſtanbtheil gehoͤrt.“ kuͤndigt fich die Ver⸗
faffung des Staates als die reife Frucht des- ganzen
bisherigen (gefhichtlichen) Wolfslebens an ‚- und er=
feheint völlig angemeſſen theils dem Vernunftzwecke
des Staates überhaupt (ber unbedingten Heẽrſchaft
des’ Rechts), theils den in der.erreichten Cultun bes -
Volkes deuütlich vorliegenden Bebürfniffen beffeiben.
Sie iſt der Mittelpunct der Drganifation des
Staates, weil die Regterung und Verwaltung.
veffelben, nad) ihren einzelnen Beftimmirngen , von
ihr ausgehen, und namentlich jede Vermalning ‚die
nicht Ihren Stüßpunet in der Berfaffung 'hat, nur
als vereinzelter Theil, nie als ein in ſich zufaitmens- Ä
hängenbes Ganzes: erfcheinen kann. — : Daraus geht!
zugleich hetvor, "daß der⸗ Begriff ber Org änifoͤ⸗
—
tion bes Staates weiter iſt, als der Begriff der
Verfaſſung und der Verwaltung, und baß es fehler⸗
bafe bleibt, wenn man unter Staatsorgantfätion ent⸗
* ‘
. . ? .. “
[ar Zur un % 4
: Gen, Poften und Kanäle heltehen, und das Geld
x eine große Uebermacht erreiche hat; bilder fih- eine
Öffentlihe Meinung, die_fo ſtark iſt, daß man ihr.
‚ den Einfluß nit verfagen kann, den fie, ale
‚‚Staatsktraft, auf den Haushalt des Staates _
, „ausüben will. Diefen gefeßglich beftimmen, heißt:
eine Berfaffung machen.“
23
weber bios.;hie Verfoffung , oder was noch Hüyfiger
geſchieht, nur die Staatsvermaltung verftehen, il
Wir ‚nennen daher einen Staat, immelhem
Verfaffung,, Regierung und Verwaltung
Ein unauflösliches Ganzes -bilden, organitirt,
und. entlehnen von der ſichtharen Natur diefen bild,
lichen Außdruck, inwiefern, in dem Staate, als
Einem nah den:Örundfägen des Rechte
und. ber, Wohlfahrt geftalteren. Ganpenz
- fammtliche einzelne Beſtimmungen (nad) den buͤrger⸗
lichen, Straf⸗, Polizei-, Finanz» und. Militairge⸗
fegen) aus einem einzigen. Pringip. hervorgehen, ‚allg
einzelne Wirkungen auf einen legten Zweck derechnet
find , und alle einzelne Theile in einer folhen:lebens=;
vollen- (sicht mechanifchen und mafchinenprtigen }:
354 | Staatskunſt.
22
Wechſelpirkung ſtehen, daß ſie ſich gegenfeifig wie,
Zweck und. Mittel, mie Urſache 47 Wirfung ‚vers,
‚ halten,. und, daß in der, Affenglihen Ankuͤndin
gung des Staates ‚(in feiner Erſcheinung als:
eganismus), fowohl in ‚feinem inner als.in-feis,
nem äu ß.er.ntehen, berfelbe nicht blos als ein.felbffr,
ftändiges, von allen andern Staaten verfchiedenegund-
unabhängiges, „Ganzes, als eine nach Gebiet und,
Volk unauflögliche Einheit, ſondern auch als ein. —r,
nad), feingr völlig, zeitgemäßen Berfaflung, Regierung»
und Verwaltung — ſich felbft erhaltenhes, in allen
ſeinen Theilen harmoniſch verbundenes, uͤnd durch
ſich ſelbſt zu immer hoͤherer Vollkommenheit fortſchrei⸗
tendes (dem Vernunftzwecke des Rechts und - der
Wohlfahrt. fich . grenzenlos annäherndes) Ganzes,
. wahrgenommen wird. DE DE
Aus diefen Grundfägen ergibt ſich zugleich‘, daß
— nach dem äffgemeihen, im Staatenrechté aufge»
ſtellten, Zwede der unbedingten Herrfchaft des, Rechte
u | A
Un x
*
N
Gunst, 0.355
m; Dem ganzen Erdboden — vur: der enige at,
in bern Spiteme ber neben einander boſtehenden Staa⸗
ten , als ein felbftfländiges und unabhängiges Ganzes
I ankirndigenundvonanhiernals ſolches
anerkannt werden kann, der rehtli érga⸗
niſirt iſt nach Verfaſſung, Regierung und Verwal⸗
tung. Denn ſo wie ein Staat, in welchem der Buͤr⸗
gerktieg und die Anarchie die eecheliche Organiſation
zertruͤmmert hat, ſich ſelbſt in der Wechfelmirkung |
anderer Staaten nicht weiter rechtlich ankuͤndaͤgen
kann; ſo ſind auch die andern rechtlich organiſirten
Staaten weder berechtigt, noch verpflichtet, “einen.
ſolchen An, feiner, Auflöfung kaͤmpfen den Staat als eiij
rechtliches Ganzes anzuerfennen, 'big,niche feine‘
Or anifation , nad) Verfaſſung ‚Megierling und Vers‘
waltung ‚einen neuen. felbftftändigen und feften er |
rafter "erhalten bat,
J ‚Ob, aber andere Staaten, in Beʒieh ung auf einen.
ſolchen innerlid) völlig beforganiften tagt, durch
Unterbandlungen und Vermittelung auf
deſſen neue zmeckgemaͤße Organiſation einwirken oder,
' dig zu, deſſen neuen Organiſation, glle weitere Verbine
dung mit ihm abbredhen, ober an heflen Grenzen, 3 zur
Vergütung der Verbreitung feiner Deforganifation.
in. pie Nachbarſtagten, eine beobachtenhe Stellung,
behaupten oder das Wageſtuͤck ber kriegeriſchen Ein»
miſchung in. beffen, innere Verhaͤltniſſe unternehmen:
wollen, kann nur nach, örtlichen Ruͤckſichten und.
mit unbefangener Dergegenwärtigung ähnlicher in
ber Gef Hide vorliegender Ereigniſe entſchieden
werden
rl wer 6, geeen zu DR Blütsorgen,
. sifattgnälchpe, Baht ‚1896. 8.
A. Kury, ei einer "Enmieiiang dit Grund⸗
23*
336° Staatskunſi⸗
Miſade, nach wilden die Zweckmaͤßigkeit des Stäaté⸗-
-nrorganismus in douſtitutionellen Monarchieen zu be⸗
en a 6 kann, 2821. 8... „ nel
. F te, über, das organiſirende Princip
"im Staat Sp. Seifin,, 1822. s 9 5
\ 13. . -
Die fogenanntegefhihrlihe Unterlage,”),
pur on. OÖ fgatsorganifarion.. e
Wenn has philofopgifhe Staatsrecht im Ailge⸗·
einen und,auefhließend den Forderungen der Werz'
nunft folgend, ohne Ruͤckſicht auf das, mw
war und if, Das Kehl bes vollfofnmenen Sta
verzeichnet; ſo muß die Staatskunft, welche'dai
Veal der Vernunft in den Kreiſen des wirelihen‘
Staatsiebens ins Daſeyn rufen, "hh das bereits’
Beftebende dem. Ideale allmaͤhlig zubilden ſoll,
durchaus don dem Vorbanbenen aüsgeßen,
und biefes als dechtliche Ümtertdge’jeder "Merz:
ättyeräng' und: Verbeſſerung in: der’ Staatsorganifke"
tion’ anerfennen. Denn jedes Vol, bas auf einer
Beftimmten Stufe der Cultur wahrgenommen wird,‘
hat eine Vergan genheit, aus welcher defferi Ge⸗
genwart hervorging; jeder Staat, ber einer zeitge⸗
mäßen Organiſation bedarf, hat eine Gefhihte,'
in’ welcher die fruͤhern Formen und Geftalten feiner
Verfaſſung, Regierung und Verwaltung enthalten’
find. Mögen dieſe aud), für den eingetretenen Augen-⸗
Eu rn le .. on 4 vo
*) Gr. Buchholz, über den hiſtoriſchen Standpunct
bei dem Serteflangtmertgs.in f. Iournat für Teutfche
VE fand, 47," Juny, Gr 2zt ff. (zunachſt gegen
ScHloffers.geihigrtihe Dedurtion in f. Schrift:
“mändifipe Werfafung.) =" ' “
Staatskunſt. | 337
blick der Gegenwart, noch fo unvollfommen. und ver⸗
ı ‚defferungsbebürftig erſcheinen; fo waren ſie doch
ne: längere Zeit hindurch bie - angemeflene und
nochwendige Bedingung des Innern Staats⸗
‚ bebens ©. e a “
2 "Die Staatsfunft würde daher unaufhaltbar von
ißrem höchften Zwecke bei der neuen Geftaltung bes
Ännern Staatslebens — von der Begründung, Be⸗
mwahrung und, Erhaltung der unbedingten Herrfchaft
des Rechts und ber Wohlfahrt eines Volkes — ſich
entfernen, wenn fie Die neue Geftaltung bes innern
Wolfslebens in eine völlige Umſtuͤrzung alles
Beftehenden fegen, und den Staat. als ep
vollig- neu entftehendes Ganzes, ohne alle Ruͤck⸗
ſicht auf deffen Vergangenheit, organifiteh
wollen Wo man -diefes verfuchte, mußten noth⸗
wendig die furchtbarften innern Zerrütfungen in Hin:
ſicht auf yerfönlihe Freiheit, auf Eigentum, auf
enfliche Sicherheit, auf beftehende Verträge, und
auf die vorhandenen Formen der-Regierung und Vers
maltung eintreten. Denn, wenn gleich, nad) dem
Zeugniſſe der. Geſchichte, einige Wölker aus bem
furchtbaren Kampfe "einer folchen ‚innen Zerftörung
mit treuer Haltung hervorgingen; ‘fo. belegt es doch
auch diefelbe Gefchichte-in andern: Beifpielen, daß
folhe innere Kämpfe fehr oft: mit bem völligen Unter:
gange der Staaten: endigen ‚deren Organismus vers
altet iſſt.— En EEE ER
=. Sebe Organffation, weldhe in der Wirklich-
Leit den Bedürfniffen .eines.gegebenen Staates ent
fprechen ſoll, muß daher an feine Vergangen-
heit angefnüpft werden , und’ aus feiner ge
ſchichtlichen: Unterlage hervorgehen; bs h. es.
foll das, was dem gegenwärtigen Stanbpuncte
358 Staatskunſt.
|
‚und Grade ver. Cultur des Volkes, welches den Staat
bewohnt, angemeflen ift, an die Stelle deflen treten,
was — unter frübern Eulturverhälmiffen und: dama⸗
ligen Beitbebürfniffen: — in Hinſicht auf Verfaffung,
Regierung und Verwaltung bis jegt als "Bedingung
feines innern Staatslebens beitand:-- So wird auf
Dem Wege allmäßliger jeitgemäßer: und wohlthatiger
Reformen das.weit ficherer-bewirft. werden, was
auf dem Wege der Revolution, wo nicht zum völligen
Abgrunde, doch zur völligen und blutigen Ummälzung
des innern Staatslebens führet.
Allein für diefe zeitgemäße, auf die Grund»
lage der Gefhidhte eines Volkes umd
Staatesgebaute, Organifation deffelben bleiben
bie unmandelbaren Grundfäge des Staatsrechts der
legte Maasftab der Rech tlichkeit des Organiſirens,
ſo wie die zwar wandelbaren, aber mit Beſtimmtheit
ſich ankuͤndigenden, Zeitbebürfniffe der feftzuhaltende
Maasftab der Klugpeit beim Oganifiren der
Staaten.
Es wird hinreichen, dies im Allgemeinen duch
‚einige Beifpiele zu verfinnlihen. Sklaverei
und Leibeigenfchaft find unvereinbar mit den
-- ewigen. Grundſaͤtzen bes Staatsredhts; fie fönnen
daher in feiner Staatsorganifation beibehalten wer⸗
den, vwelche auf Recht und Wohlfahrt gebaut ſeyn
ſeyn ſoll. Wohl aber kann und muß der Erbadel,
der auf rechtlichen Erwerb in der Vergangenheit
ſich flüge, in jeder zeitgemäßen Staatsorganiſation
beibehalten werben; nur daß daraus feine unmit-
tel bare Berechtigung zum eigentlihen Staats⸗
dienſte folge. — Jede directe Befteuerung im State
muß, bei einer neuen Organiſation, nach dem
Staatskunſt. „357
HIRE der Gegenwart, noch fo unvollkommen und ver⸗
beſſerungsbeduͤrftig erſcheinen; ſo waren ſie doch
ine längere Zeit hindurch die angemeſſene -umb
nochwendige Bedingung des: innerh. Staats
‚ bebuns ©. UWU— N
"Die Staassfunft würde daher unaufhaltbar von
Ihrem höchften Zwecke bei der neuen Geſtaltung bes
innern Staatslebens‘ — von der Begründung, Be⸗
"wahrung und, Erhaltung der uübedingten Herrſchaft
des Rechts und der Wohlfahrt eines Bolfes — ſih
entfernen, wenn fie die neue Geſtaltung bes innern
VPolkslebens in eine völlige Umſtuͤrzung alles
| Sefeben den fegen, und den Staat. als Pi
polig: neu entfiehendes Ganzes, ohne alle Rü-
ſicht auf deffen Vergangenheit, erganifitek
wollte. Wo may dieſes verfuchte, mußten north
wendig die furchrbarften innern Zerrüttungen in Hin»
fiht auf perſoͤnliche Freiheit, ‚auf Eigenthum, auf
sfentlihe Sicherheit, auf beftehende Verträge, und
‚auf die vorhandenen Formen der-Regierung und Vers
waltung eintreten: Denn, wenn gleih, nad) dem
Zeugniſſe :der, Gefthichte,, ‚einige WVolker aus dem
fuschtbaren Kampfe einer. folchen -innern Zerſtoͤrung
mit treuer "Haltung Berworgimgens fo. belegt: es doch
auch diefelbe Gefchichte:-in andern: Butfpieten, daß
ſpelcho innere Kämpfe ſehr oft mit. bem völligen Unter:
Yange der Staaten: endigen, deren’ Organismus ver
altet ift. - nt, Bee BE Gr
2:*Jede Organſſation, welche in; der Wirklich
keit den Bedhrfniffen .eines.gegebenen Staates ent
ſprechen fell; muß daher an ſeine Wergangen⸗
heitt angeknipft werden, "und! aus feiner ge⸗
ſchich tli chenu Unterlage hervorgehen; deh. es,
ſoll das, was dem gegenwaͤrtigenStandpuncte
3zsö0ESEraatskunſt.
fat: Salus publica suprema lex esto, muß- daher
wohl verſtanden, und, wenn er zunaͤchſt die Wohl⸗
fahrt der Staatsbürger beruͤckſichtigen ſoll, mie gro⸗
Ger Vorficht angewandt werben. ‘Denn der Staat
ſoll zwar, in feiner Organifation, nad) Verfaſſung,
Regierung und Verwaltung, 1) alles entfernen
und befeitigen,. was: die Wohlfahrt und Gläd-
ſeligkeit feiner Staatsbürger. nindern und: zerftören
tönnte, und 2) Gefege geben und Anſtalten
gründen, welche die Wohlfahrt der Staatsbürger
befördern (morüber theils die Staats wirthſchaft,
teils. die Cultur⸗ und Wehlfahrtspolizei
das Nähere enthält); aflein 1) ee vermag, bei aller
feiner Macht, die Glückfeligkeit der Staatsbürger
nicht zu bewirken, gefchmeige zu erzwingen, wenn
dieſe nicht felbft Die dafür dargebotenen Mittel ergrei-
. fen, und 2) darf er auch, nad) der Vernunft, den
Zweck der Wohlfahrt und ber Gluͤckſeligkeit (wie die
Eudaͤmoniſten thaten, welche ihre Politik auf den
Grundſatz der. Gluͤckſeligkeit bauten,) nicht als ben
hoͤchſten Zweck des Staates: aufftelfen, weil die un-
bedingte Herrfchaft des Rechts der erfte Zwed des
bürgerlichen. Vereins bleibe, welchem die Wohlfahrt
ber Staatsbürger infofern als zweiter Zwed beige
ordnerift, inwiefern Das Streben nach Gluͤckfeligkeit
und der-Genuß und Die Vermehrung derfelben ‚mit
Dem unbedingten Zwecke des Rechts vereiniget werden
kann. — Nach diefer Anficht wird alfo die Wohl-
. fahrt der Staatsbürger. feinesweges von der Organi⸗
fation, des Staates ausgefchloflen; fie fann aber aud)
in den drei wefentlichen Beftandtheilen der Staats-
organifation, in der Werfaffung, Regierung und Ver
waltung, ‚nicht geboten , fondern nur berudfichtigt,
und alles, was dieſelbe hemmen wirbe, muß aus der
: Staatakunſt. 361
Reihe der Maasregeln des Staates ausgeſchloſſen
werden ꝰ JJ)JJ. me
&
— 15.
sy Die Verfaffung des Staates, als. erſter
‚“Becſtandtheil der Organifation daffelben:
Es gehoͤrt dem philoſophiſchen Staatsrechte an,
aus Grundſaͤtzen der Vernunft die Begruͤndung des
Staates aus einem Ürvertrage**), und aus die—
*) In demfelben Sinne fage Er: v. Gentz (hiſtor.
3Ioöournal, 1800, Febr. &; 116 f.): „Nur algus .
. oft wird die Rangordnung der gefellfhaftlichen Zwecke
verkehrt, der unbeflimmte, feiner Natur nah unber
flimmte, Begriff des allgemeinen Wohls anf die
hochſte Stelle erhoben, und taufend willfährlicen
Maximen, bie diefer Begriff in, die Sefellfhaft eins _
führe, die oderfte Bebingung fetbft, die Unverletzlich⸗
keit des Rechts aufgeopfert. So lange man ſich aber
vor dieſer gefaͤhrlichen Verirrung bewahrt ; ſo lange
man nur den Maximen ber Wohlfahrt nicht den
oberſten Plag, oder gar die ausſchließende Herrſchaft
einraͤumt; fo lange, iſt es erlaubt, und im practiſchen
Raͤſonnement fogar nothwendig, den Geſichtspunct
der Wohlfahrt abgeſondert von dem Geſichtspuncte
der Rechte zu behandeln, und jede geſellſchaftliche
Einrichtung mit’ einem doppelten Maasſtabe zu
»meſſen.“ a8
⸗*) Fr. v. Gentz (hiſtor. Journal, 1799, Nov.
8.298 ff.) ſagt: „Sollten auch alle Staaten, die
je exiſtirt haben, ihre. Entfichung dem Zufalle oder
der Gewalt werdantens fo verliert der höhere, Titel,
- da8 Recht, dennoch feine Anſpruͤche auf fie nicht.
Es iſt keine willkuͤhrliche Hypotheſe, fandern ein
GSebot der Vernunft, ihren rechtlichen Urſprung
i „3, praͤſumiren ynd. gleichſamzu, pojtulivenz. ynd es
364 Staatskunſt. —
| Sreipeit. (welches: in: der Berfaflung Großbritan⸗
niens durch die ſogenannte Habeas- Corpus» Acte
‚ausgefprochen. it), mit Abfchaffung ber Leibeigen⸗
haft”), Sklaverei, Eigenhörigkeit, und der unge
zneflenen ı und gemeflenen Frohnen “) A lebtete
—
* —2** ia ſ. hintetlofſ Berten, SB. 8
S. 60.): „Es gibt in den meiſten Staaten. Eurp
, pens Provinzen, wo die Bauern dem Acker ange⸗
- hören, und Knechte ihrer Edellcure find. Dies iſt
unter den Zuftänden unftreitig der. ungluͤcklichſte, und
der, wogegen die Menſchheit am meiſten ſich empoͤrtt.
Gewiß iſt kein Menſch gebohren, um der Sklave
ſeines Gleichen zu ſeyn. Man verabſcheut mit Recht
‚, einen ſolchen Mißbrauch. “
| J
**) Friedrich 2 (dintert. Beste, Th. :6, ©. 49):
„Das alte Lehnsſyſtem, welches ‚vor einigen Jahr
Hunderten in Europa beinahe allgemein war, hatte
feinen Grund in den Eroßerungen der Barbaren.
Der: Minifter. $eeih. v. Stein ſchrieb in feinem
: Sirculare an bie:.oberften Behoͤrden ber preußi⸗
76 Monarchie, als er das Miniſterium niederlegte;
7Der letzte Reſt der Sklaverei, die Erbunterthaͤnig⸗
eit, iſt vernichtet, und der unerſchuͤtterlicht
Pfeiler jedes Throns, der Wilfe freiet
‚Meniheny-if "gegründet. :. Die, Städte Rud; für
. "min dig erflärn — Sobald das Recht, die Hanud⸗
ur ;Aungen eines Mitunterchang. zu beftimmen und *
”. "Telten, Mmit einem Grundſtücke ererbt oder erka
werden kann, verliert die hoͤchſte Gewalt ihre Würde,
und:iin gekraͤnkten Unterart wird die Anhaͤnglichkeit
an den Sraat,gefhwärht. Nur der König ſey Herr,
Ind: fein Recht Hderanr'der aus, dem erres jedesmal
u. übämräge: Die Aufhebung ber Patrimonmial⸗
serihssbnteit if bereits .eindekeitnt. —
5 * Beſtimmte Dienfke, die der Beſitzar des
si” einen: Grundſtuͤckes dem’ Befiger: des andern :deiftet,
find: an: ſich zwar kein Uebel, —8*— perfimtihe Frei⸗
r
Staatskunſt. 363
en Entſchadigung der Berechtigten); das’ Merht?
af Fleichheit var dem Gffege; mit Aufhebung’
aller inzelnen · Bevorrechtungen; Das Recht der reis!
heit des Gewtffens, anerkannt in den gleichmäßl⸗
gen Rechten aller im’ Staatl beſtehenden Ritcyem
(Staarsreiht $: 38 40); bie oed maͤßige gEug tie]
Pr fihe Einthiektunig des @tadfägebteks näch van?
aasftabe der Geſammtbevoltxrung und der -in-Ben!
einzelnen Wrödinzeh" dnzusrbhätiden Vernalsängsbe:’
hörbeh -Staätii;-$: 36.) "und die ufitellung“der!
Bedingungen, unter welcheit"das-Sraatsbürgerreche'
erworben wird, oder verloren geht (Staatsr. $i 20 4
23.).- Da: mit’ dein letzten Gegenstände die ſtaats⸗
rechtlſche Lehre von den verſchiedenen Ständen im!
Staate in’genauefter Verbindung fteht; fo gehört eb⸗
der Staatsfunft ausfchließend an die Grundſaͤtze des
Rechts und ber'-Klugheit über das Verpälmik ber’
erblichen Stände, oder des: Aders, zu den Abri⸗s
gen aufzuſtellen. . , ae Ba A Be BEE Ze 52 —57
. 16. R W ST ADD
Die erbliden Stände im Staate _
ESco viel auch. im Allgemeinen gegen das Dofyu,*
,
26
1» heit dabei: ſtatt findet. Dieſe Dienſte führen; aber
. eine gewifle. Abhängigkeit und willtührlihe Behand⸗
, ‚Jung der Dienenden mit ſich, bie dem Nationalgeifte
. naditheilig iſt. Der Staat braucht nur die. M;d gs
lichkeit derſelben (ſo wie er auch die Gemeinheits⸗
theilungen befördert) geſetzlich feftzuftellen,, fo daß ein.
jeder Ansgleihung unter beftimmten Bedingungen
verlangen fann. Dies wird hinteihen, um bei dem
" Sortfäritte des Volkes die Dienftpfilhfigen
au veranlaffen, von jener Befugniß Gebrauch: zu
. machen. “6 | —* | oe. . "
I
304 Staaseunfl.e. -
. Sreiheit. (welches in: der Berfaffung Großbritan⸗
niens durch die fogenannte Habeas- Corpus» Ace
ausgeſprochen it), mit Abſchaffung ber Leibeigen⸗
ſchaftee), Sklaverei, Eigenhörigfeit, und:der unge-
effenen und gemeffenen Frohnen **) (doch legtete
” .. ,
! 1 6.
N Sriedrich 2 (inf. hinterlafſ. Werken, Th. ,
S. 60.): „Es gibt in den meiſten Staaten. Eurpy
.pens Provinzen, wo die Bauern dem Acker ange
“ hören, und Knedte ihrer Edellcure find. Dies tft
unter dilen Zuftänden unftreitig der ungläcfichfte, nnd
den, wogegen die Menſchheit am meiften fih empoͤrtt.
Gewiß iſt Bein Menſch sebohren, um der Sklave
.. feines Gleichen zu feyn. Man verabfchene mis Recht
.., einen folden Mißbrauch.“ Bu J | y
*8) Friedrich a (hinterl. Werke, IH. 6,:©. 49):
„Das alte Lehnsfyftem, welches vor einigen Jahıs .
° handerten in Europa beinahe allgemein war, hatte
feinen Srund in den Eroberungen der Barbaren.” —
:5::'Der: Minifter. Feeih. ve Stein ſchrieb in feinem
..„„&lrculare an bie. oberften Behörden. der preußß
Shen Monarchie, als er. das Minifterium niederlegte
„Der legte Reſt der Sklaverei, die Erbunterthänigs
reit, iſt vernichtet, und der unerfhürterfige
: Mfeiler jedes Throns, der Wile freier
. Menfchenzrif gegründet. :. Die, Städte ſind für
min dig erfiärn — Cobakt.dns ect, dig:Mande
3: Iunsen eines Mitunterthans zu beftimmen und *
iten, mit einem Grundſtücke ererbt oder erkau
werden kann, verliert die hoͤchſte Gewalt ihre Wuͤrde,
ndim gekraͤnkten Unterthan wird die Anhaͤnglichkeit
an den Staat. geſchwaͤtht. Nur der König ſey Herr,
und' ſein Recht Kderamr'der aus, dem ernes jedesmal
93° Abirtrügt. Die Aufhebung der Patrimonmial⸗
mesgerihssdafteitift Hereitd,eindeteitat. —
2, 0m Weftimmte Dienfte, die.der Bellgar des
3.i: einen: Grundſtuͤckes dem: Befiger: des andern :deifter,
ſind: an ſich zwar. kein Uebel, ſobaid perfimtihe Frei⸗
[> ZU
⁊*
v
Staatsfunft. 365
ee Entſchaͤdigung ber Berechtigten); das Recht
auf Gleichheit vordem Gefege; mie Aufhebung
aller inzelnen · Bevorrechtungen; Das Recht ber Frei⸗
heit des Gemwtffens, anerkarmit in den gleichmaͤßi⸗
gen Nechten aller Im Staard beſtehendeil Kürchen
(Staatsrecht . 38 40); dia ʒwedmaͤßige gEug ei!
—— — he Lung des Staãtstzebrels nach nein?
aasſtabe der Gefammtbevoölterungz und der in dene
einzelnen Provinzen. AnzuördnehidenVerwaltungsbe⸗
hörbeh Staãtsr⸗ g 36.), und die Aufſte llung ·der
Bedingüinden, unter welcher das Sraatsbürgerrecht'
erwotben wird, der verloren geht (Staatsr. $; 204.
gen aufzuftelen. ,
23.). -- Da: mit" dein letzten: Gegenftände die ſtaats⸗
rechtikche Lehre von den verfehiedenen Ständen im!
Staate in’genauefter Verbindung fteht; fo gehört ea’
der Staatsfunft ausfchliegend an „die Grundfäge'beg’
Rechts und der‘ Klugheit über das Verhaͤltaißder⸗
erblich en Staͤnde, oder des Abels, zu den Ubriet
ee Era W1
16. SE EEE Bee 77
Die erblihen Stände im Stante _
. "So-viel’aud:im: Allgemeinen gegen das. Dofpya *
x heit dabei ſtatt finder. Diele Dienfte führen ;.aber
. eine gewiſſe Abhängigkeit und willtährlihe Behend⸗
— lung der Dienenden mit fi, bie dem Nationalgeifte
nachtheilig iſt. Der Staat braucht nur die. M,ö gr
lichkeit der ſelben (ſo wie er auch die Gemeinheits⸗
theilungen befördert) geſetzlich feſtzuſtellen, ſo daß ein
ijeder Ausgleichung unter beſtimmten Bedingungen
verlangen kann. Dies wird hinreichen, um bei dem
Sortſchritte des Volkes die Dienſtpfllchtigen
zu veranlaſſen, von jener Befugniß Gebrauch zu
N f |
machen.“
360, Staacskunſt.
eines er b ich en Standes (des Adels) und gegen bie,
ſiaatsbuͤrgerlichen Porrechte deſſelben, beſonders in,
neuern Zeiten, geſchrieben, und ſelhſt im Sturme der
franzoͤſiſchen Revolution beides mit einem Machtſtreiche
aufgehoben worden ift; fo, beftätige es Doch. die Ge⸗
ſchichte, daß in gflen gefitteten Reichen und Staaten
Des. Alterchums. und der neuern Zeit — nur unter,
verfhiebengreigen Formen und: Geftalten —.ein Par
tricigt, ein Ade], ein erblicher Stand getcoffen
ward. . So wie nun-überhaupt i im Staate jeder recht⸗
liche. Befig -und-:jedeg ‚rechtliche Eigenthum gefichere
und heilig feyn muß; fo auch ber. rechtliche Beſitz
eines ererbten Namens: und eines ererbten Cigen-
thums. Nach Grundſaͤtzen des Rechts muß daher
die, erbliche perſoͤnliche Würde, fo wie. das Grund—
ejgenthum mit ‚den darauf ruhenden Rechten ; im.
Staate gewiſſenhaft anerfannt werden *); auch) iſt es
med, aͤßig (wenn: gleich nicht an fi) nothiwendig),
daß in Staaten, wo ein Erbadel befteht, derſelbe in.
einer eigenen Kammer **) burd) geroäßlte Mitglieder
aus ſeiner Mitte vertreten werde.
*) Sr. v. Seng :(difor. Journal, 1800, San.
S. 18.) fagt: „Zwiſchen dem erblihen Beſitze einer
Wuͤrde und dem. erblichen Befike eines Grundſtuͤckes
IR’ keine Spar eines rechtlihen Unterfchiedes zu fins
“ den. Ohne ber einzigen wahrhaft s widerrechtlidhen
Ungleichheit die Thore zu öffnen, darf man übers
| Haupt nie von einem Eigenthume fpreden, das mehr
‘oder weniger Eigenehum, als ein anderes, wäre.”
“) So meint e8 auch v. Jakob (Ein. in d. Stud.
dere Staatswiſſenſchaften, ©. 208 f.) „ Mo. ein Erbs
..adel-worhanden ;ift, und wo derfelbe erhalten werden
‚fol s.da muß er eine eigene Kammer. bilden, um vers
* bindern zu innen, daß ihm feine Vorzüge nicht ges
Stastml: 467
. „An. eben: foy wenig, barf in der Staatglunſt
überfehen werden, daß der Adel nicht indje Mitte
zwiſchen bey Surfte n. und Die. übrigen ‚Staasshürger,
ſich fielen darf, ‚weil, außer der geheiligten Perſen
bes Regenten,jebeg. andere Judividuum im Sagt,
angleid & tantsbürger und Unterthan äfl,
und, weil gußpr ben pesfonkichen Borzügen gings;
sehlichen Standes, — ah, die Befaͤhigung zy
Hofängern. A ibeſondere flaatseahtlihe °
Vorzüge defjelben (z. B. ausihliegende Bereihligung:
zu.geagiflen Staatsäntern,, - Ausnahmen: von den
um State beftebenden hürgeslichen.und Strafgefegem
mp) Ungerechtigkeiten gegen bie übrigen. Staates,
bürger ſeyn wuͤrden. int Bed
; Da übrigens. bie Rechte und Vorzüge bes, Adelg
auf einer geſchichtlichen Unterfage beruhen; fo lehrt
auch dieſelbe Geſchichte, in Hinſicht des ‚ans dem.
Lehntzſyſteine ¶ hervorgegangenyn neu eurqpaͤiſchen
Adels, daß demſelben — bis zup, Zeit der Entdeckung
des Schießpulvers und der Einfüprung der ſtehenden
Sgere.,— die ausfchließende Verpflichtung,
zum Kriegßdienſte, und deshalb bie Be—
freiung von andern Leiſtungen an ben Staat, nament-
lich von den — in den Zeiten des Mittelalters an ſich
„ ® > e N .
— — ur 48. . 1 +7 . 7. \ a
⸗
‚nommen “werden. Aber eben .fd neehwendig. ift in
.,. einem..folhen Lande eine "Kammer der Gemeinen,
‚wenn. der Ergadel nice die Macht Haben foll,: die
‚Gemeinen 39: ungerdräjfen, ‚und .alle. Laſten auf fie
zu wälzen.. Soll .aher. eine, Adels⸗ und Gemeinen⸗
fammgz ‚neben einander. befichen; .fo muͤſſen die. Pris
‚, Pilegien Des Adels fo gemäßigt feyn,. daß ſie weder dem
.. Vermögen oder. Erwerbe der übrigen Volfsflafen bins
derlich fallen, noch die, Selangung zu hoͤhern Wuͤr⸗
den und Ehrenſtellen Ihnen unmöglich machen.“
x
.
.. —
er
368 ‚ Staatsfunft; |
0
fahr imbebeutenden — bhaten. Abgaben Jufäm!-Dar-
ddr ergiße ſich für’ die Staarsfunft‘;’ daß: fie den
mie-fölgen Befreiungen bevorrechteteh Stand nur
gegen 'Entfhädigung' daftirı®Y zur gleich⸗
mEßtg EH Beffeiteriiig An Ginſiche aülen Feisp et
und Beibehaltenen Abgaben: im Stagte ziehen duͤrfe,
daßi aber beĩ Steuern and Abgaben, welche erſt die
deueſt eu Beduͤrfniſſe bes Staates herbeigefuͤhrt
haben der! ältere Rechtstikel der Befreiung,“ oder
der Entſchaͤbigung dafuͤr, von felbſt wegfuͤllt.
3.Endlich hat bee Adel in den juͤngern europaiſchen
Reichen nie den Eharakter der Kaſten (d. h. vollig
gefch loöfſener Staͤnde), wie in mehrern Reichen
des Alterthums, und noch jetzt in Indien und China,
cngenommen, wodurch ſeine Stellung gegen die uͤbri⸗
gen Stände im Staate weniger druͤckend und Eiferſucht
erregend geworden iſt. "Allein eine hoͤchſt ſchwierige
Frage der Staatskunſt bildet es: ob die (ſeit der Ein⸗
führung des Briefadels geſtelgerte) Vermehrung
des Erbadels rathſam ſey, wenn gleich das Recht der
Ertheilung des Adels von Seiten bes Regenten un⸗
beſtreitbar it; und ob- nicht vielmehr die, in Groß⸗
x f
se Yogare . . . ®
’. a to . LP Ep ’ -—;
ge LE ee Be SEE .: a
*) Fr. v. Seng (hiſt. Journ, 1800, Jan. ©. 35.):-
. Die Reafprivilegien .Cbei den Abgaben, bei dem
a Gätrerbefi Ge, bei der Theilnahme an affgemeinen
Landeslfaſten u. f. w.) repräfentiren Gerechtſame, bie
2 in frühere Verfaſſungen, zuweilen In ein graͤues Als
*, terthum hinauf ſteigen, oder ſie beruhen auf Vers
"prägen. Es waͤre wuͤnſchenswerth, daß eine weiſe
Geſetzgebung nah’ und nach alle’ Privilegien dieſer
Art dufrehtmäßigen und gerechten Wegen
aufheben Finnte; Jo fange fie aber vorhanden
Send, darf man nicdye vergeflen, daB fle, unter die
Rechte schöten. ";
—
N
j J Staatskunſt. 369
\
britannien thatſachlich beſtehende „Beſch ran neu ng.
des Geburtsadels auf die erfigebohrnen
Söhne adliher Familien *) felbft der Würde,
dem Glanze und dem bürgerlihen Wohlftande der
nachgebohrnen Soͤhne folder Familien hoͤchſt vor⸗
theilhaft ſeyn wuͤrde, weil mit der Verarmung des
Adels die demſelben durch eine ſorgfaͤltige Erziehung
zu Theil gewordene Verfeinerung der äußern Sitten
‚und des Geſchmacks allmäplig fich vermindern muß. —
. Die Errichtung großer Majorate aber da , wo f ie
| *) Dies ift der Vorfhlag von Krug (die Furſten und
die Voͤlker in ihren gegenſeitigen Forderungen dar⸗
geſtellt, Leipz. 1816. 8. ©. 58 ff.), womit er einen
zweiten verbindet: „Anerkennung des Verdienſt⸗
adels in jedem durch perfönliche Eigenfchaften und
dem Staate geleiftete Dienfte ausgezeichneten Staats:
buͤrger.“ — Sollte aber diefer zweite Vorſchlag in
" Staaten nöthig feyn, wor — wie ſchon in mehrern
gefhieht — jeder nur nah innerm Ben
dDienfte zu -den eigentlihen Staatsaͤm⸗
tern gelangt? Iſt nicht fchon diefes Selangen-
zu höhern Staatsämtern Anerkennung des wahr
ven Verdienftes? Warum fol noch damit’ der per:
fönliche (nicht forterbende) Adel verbunden wer
. den, da ohnedies in gem gut organifirten Staate
der bärgerlihe Rang von der Stellung
jedes einzelnen "Staatsamtes zu Sem
3wede des Ganzen abhängen muf, und nie
ein bloßer Titel ohne Amt, fo wie wieder von
‚ der andern Seite fein wichtiges Amt ohne einen,
die Würde deffeiben finnlich bezeichnenden, Titel
und Rang, gegeben werden darf! — &o fagt
Sriedridh 2 Chinterl. Werte, Th. 6, ©. 66.):
„Um ‘zu verhindern, daß die Nationalfiteen, nicht
verderbt \werden, muß der Fuͤrſt unaufhoͤrlich aufs
merkſam ſeyn, nur das perſoͤnliche Verdienſt
auszuzeichnen.“ =
J. 24
370 Staatskunſt.
nicht ſchon beſtehen, iſt eine Ungerecheigkeit gegen die
nachgebohrnen Söhne adlicher Familien, und in volfs-
wirebfchaftlicher Hinficht verwerflich. 2
Unterfuhungen über den Geburtsadel und bie
Möglichkeit feiner Fortdauer im neungehnten Jahr⸗
hundert. Ron dem Verf. des neuen Leviachan
(Saabeti Berl. 1807. 8.
17.
Verſchiedenheit der Verfaſſungen nah
politifhen Rüdfidhten —
4) in Beziehung auf ihre Entftebung.
Jede Verfaffung ift an fih ein Örundver-
trag *), der über alle wefentliche Bedingungen des
innern Staatslebeng zwifchen dem Regenten und dem
WVolke abgefchlofien wird. Es folgt daraus von felbft,
; ‚daß zwifchen beiden ein fiteliches Verhältniß ange:
nommen, d. h. der Kreis der Rechte und Pflichten
des Megenten, jo wie der Kreis der Rechte und Pflich⸗
ten des Volkes, in der Verfaſſung feſtgeſetzt wird *).
*) Er. v. Gens (hiſt. Jouen. 1800, Jan. S. 19 ff.):
„Eine jede Verfaſſung, deren Rechtmäßigkeit aud
‚nur praͤſumirt werden kann, d. h. eine jede, die
nicht der Srundbedingung. des gefelk
fhaftlihen Vertrages widerfpridt, if
an und für fich gerecht. Gerechtigkeit ift das eigents
liche. Wefen einer Staatsverfaffung. Gerechtigkeit
ift ihre Beſtinmung und ihr Zwed; die Form iſt
nichts, als ein Mittel. Auch die fehlerhaftefte aller
Conſtitutionen hat die Praͤſumtion fuͤr ſich, daß ſie
das Recht beabſichte.“
0) Es darf an dıefem Drte die Aeußerung Friedrichs so,
der. in den meiflen feiner Länder mit unumfchränfter
Mat regierte, über die Verfaffung des Far—⸗
Kenthums Neufhatel nit übergangen wen
»-
Staatskunſt. 374
Befragen wir aber die Gefchichte über die Ent⸗
ſtehung der Verfaffnngen; fo ſtellt fie für Die Staats⸗
kunſt folgende Ergebniſſe auf: Ä
- 4) die Verfaflung wird entioeber gegeben von
dem Regenten als ein Xusfluß feiner Regenten⸗
gewalt (fogenannte octroyirte Verfaffungen —
dahin gehört die conftitutionelle Charte Ludwigs 18
vom Jahre 418145 die bayrifche und babenfche Ver⸗
faffung vom Kapre 1818; die Verfaſſung, welche
Kaifer Alerander *) dem Königreihe Polen im
J. 1815 gab); ;
den, welde ſich in einem Brief an Voltaire vom’
20. Op. ı771. (bint. Werke, Th.9, ©. 325 ff.)
finde: „Die Eonventionen, auf welde das
dortige Volk feine Freiheit und feine Privile⸗
gien gründet, find mir ehrwärdig, und id
fliege meine Macht in dle Örenyen ein,
die es ſelbſt beſtimmt Hat, als es fih mei
nem Haufe unterwarf.” Wären dem erhabenen
Bürften diefe Tonventionen nicht „ehrwuͤrdig“ ger
weien; fo würden die 40,000 Bewohner des Fürs
ſtenthums bdiefelben nicht haben verchetdigen können
gegen den König, befonders in einer Zeit, wo in
den meiften europäifchen Staaten die Formen uns
beſchraͤnkter Monarchieen beftanden,
Als der Kaifer am 27. Apr. 1318 den Reichetag des
Königreiches Polen zu Warſchau erdffnete, fagte er
in feiner Rede: , Repräfensannen des Köwigreiches
Polen! Eure Hoffnungen und meine Wauͤnſche wer
"den erfüllt. Das Volk, zu deſſen Mepräfentanten
Ihr berufen ſeyd, erfreut ſich enblich eines volk s⸗
thamlichen Dafeyns,. verbirgt. durch Einrich⸗
‚tungen, welche die Zeit reifte :und heiligge. der
weiſet Euern Zeitgenofen, daf die Isbarnien
— Snfbeutioneuu Berenreuf Immer :gebels
. ligte Brundfäge man: mit den umſärzen⸗
den Lehren, welche in unfern „zogen die,
24*
!
\
| 372 Staatskunſt.
2) oder fie wird, als ein Grundgeſetz, von dem
Regenten de n Stellvertretern des Volfes
vorge legt, und von biefen, nach gefchehener
Prüfung: ibrer einzelnen. Beftlimmungen, ange-
nommen (ſo z. B. die Weimarifche Verfaſſung ‚die
Verfaſſung Des Königreichs der Niederlande u.a.) ;
3) oder fie wird gemeinfhaftlich von. dem
Regenten und. den Stellvertretern des Volkes b e=
rather und angenommen (fo z. B. die Verfaffung -
des Königreihes Norwegen, des Königreiches
MWirtemberg *), des Großherzogthums Heſ—
fen);
4) oder fie wird. ausfchließend von den Stell-.
vertretern des Volkes entworfen,. und
dem Regenten zur Annahme vorgelegt (fo % B.
die Verfaſſung Schwede, ns vom J. 1809; Die
Verfaſſung der fpanifchen Cortes vom J. 18205
die Perfaſſung. der p or tugi e fi i ſ He en ı Eortes; vom
Ä "2 1822).
. gefeltfgaftlige Ordnung mitt einer fürd
terlihenKataftrophe bedrohten, zu vers
zau Wehfeln- fuhrt, kein gefährtides Blend⸗
wert find, fondern daß fie, mit Redlichkett ins
Werk'geſetzt "und vor‘allem mit reiner Abfiht nad
einem erhaltenden und für. Die Menſchheit nüßlichen
Ziele geleitet, ‚Ads volllommen mit der Drdnung ver
tragen, und "in Gemeinſchaft mit diefer die ‚Wahre
Woͤhlfahrt der. Völker bewirken.”
R) es lteß am 13. Jul, 1819 der König von Wirtem
Berg den Ständen durch den Minifter von der Lühe
Rerklaͤren: „Sein Herz Außere no immer den Wunſch,
daB Wirtembergs neue Verfaſſung aus einem
freien und freudigen Einverftändniffe des
Wolfes mit feinem Regenten hervorgehen
mg.
*
Staatskunſt. 473
‚Da die geſchichtliche Unterlage: mehrerer,
DVerfaflungen in die Zeiten bes Mitselalters zurüde; _
reiht; da ferner die mannigfaltig verfäjjebenen oͤpt⸗
lichen Verhaͤltniſſe, ja ſelbſt augenblicklich eingerres,
tene Beduͤrfniſſe, bei. der Ent ſte hung der. Verfaf,
ſungen night felten Den Aus ſchlag gaben; da endlich,
die. Völker und Staaten in Hinfiche der rechtlichen-
Geſtaltung ihres innern Lebens fehr von einander ver=,
ſchieden find ; fo kann an fich feine Diefer Verfaſſun⸗
gen der andern vorgezogen werden. . Die Stgatskunſt,
haftet dabei blos an drei Puncten: bie Entftehung
der Werfaffung gefchehe auf rechrlichem Wege; fie
werde vom Regenten und Wolfe, als gültiger Gründ-
vertrag, freiwillig und rechtlich angeriomnfen ;
fie. entfpreche den vorhandenen Bedürfniffen
eines‘ Volkes und Staates für die nee Geftaltung
feinds Tünern Lebens. — Allein, ſobald die Staats»
kunſt' die in diefer Hinſicht vorliegenden geſchicht⸗
lichen Thatſachen berückſichtigt; ſobald finder fie,
daß gewoͤhnlich die von den Volfsvertretern en: toorfe:
nen und dem Regenten blos zur Annahme vörgelegten
Verfaffungen die Rechte des legtern, namentlich ſei-
nen Ancheil an der geſebsebenden Gewalt KL zu: ſehr
Eu .
*) ge. v. ‚Gens chin. Sourn. 1800, Gebr. ®. 187):
„Jede Eonftitution, welche der Regterung feinen
Wwefentlichen Antheil bei der Geſetzgebung' einräumt,
ift fehon im Augenblicke ihre Entflehung dan Unter⸗
gange gewidmet; jede Sonftitution, im welcher die
. Reglerung weientii bei der Geſetzgebung concudrirt,
gehoͤrt in die Klaſſe der ausfuͤhrbaren. Sie kann
in tauſend Nebenſtimmungen ihrer DOrganlfarion den
Keim der Zerſtoͤrung enthalten; aber. es iſt kein
fundamenteller Widerſpruch in ihren Grundlagen u
. vorhanden.” _
374 Staatskunſt.
beſchraͤnken, deshalb an organiſchen Fehlern
leiden, und ſelten dauerhaft ſind; daß die ſoge⸗
nannten oetroyirten Verfaſſungen gewöhnlich bie
meiſte innere Einheit ihrer Theile haben, wenn fie
gleich nicht auf dem Wege des Vertrages entflunden
find; und daß bie von dem Regenten ben Volksver⸗
tretern vorgelegten und von Diefen geprüften und ans
genommenen , ober gemeinſchaftlich von beiden ent⸗
worfenen Verfaſſungen dem flaatsredhtlichen Begriffe
eines Grundvertrages am meiften entiprechen.
(Fr. v. Gens (bift. Sournal, 1799, Nov. ©.
287.f.): „Sobald von a die Rede
ift, darf Feine Verfaffung verworfen werden, bie
dem gefellfchaftlihen Wertrage nicht widerſpricht.
Pur die, in welcher die Gefeslofigfeit Princip
wäre, verdiente unrechtmäßig zu heißen“ — und
©. 310.: „Die große Aufgabe, einem Staate
durch feine Verfaflung einen hohen Grab von
Sicherheit gegen Willkuͤhr und ſchlechte Gefege zu
verleihen, fann nur durch Die Weisheit, vielleicht
nur durch Die Weisheis einiger Wenigen
gelöfet werben. ‘‘)
Unter den vielen, in nenefter Zeit erfchlenenen,
©Egriften über Berfaffung dürften folgende bie
wichtigern fern:
Wild, Agt. Krug, über Staatswerfaffung und
Otaatsverwaltung. Känigsb. 1806. 8. |
Benj. de Conſtant, Beratungen über Con⸗
ſtitutionen, äber die Vertheilung der Gewalten und
die Särgfhaften in einer vonfitutionellen Monar⸗
hie. Aus dem Franz. v. 3. 3. Stolz. Bremen,
1314. 3. .
(Miniſter v. Wangenheim), die Idee der
Staatsverfaſſung, in ihrer Anwendung auf Wirtem⸗
bergs alte Landesverfaffung, und den Entwurf gu
‚deren Erneuerung. ref. am Main, 1815. 8. —
Derſelbe, über die Trennung der Volksvertre⸗
tung in zwei Abthellungen. Frankf. 1816. 8.
Herm. Wild. Ernft v. Keyferlingt, uͤber Repräs
fentätion u. Repräfentativverfaffungen. Goͤtt. 1815.8.
2 enzenberg, über Verfaſſung. Dortmund,
3810. 8.
Jac. Sigism. Bed, von den Kormen der Staates
verfaffung. (3 Programme.) Noftod, 1816 f. 4.
Ueber Verfaffungsvertrag , Verfaffungsformen und
die Wirkſamkeit ſtaͤndiſcher Verſammlungen. Wiese
baden, 1817. 8.
Ehfin. Er. Schloſſer, fländifhe Verfaſſung,
ihr Begriff, ihre Bedingung. Frkf. a. M. 1817. 8.
Heinr. Eberh. Gtlo. Paulus, phitofophifche
Beurtheilung der von Wangenheimiſchen Idee der
. Staatsverfaffung und einiger verwandten Schriften.
Heidelb. 1817. 8. .
C. % Zum: Bdah, Ideen über Necht, Staat,
Staatsgewalt, Staatsverfaffung ‚und Volksvertre⸗
tung , mit befonderer Beziehung der feßtern auf bie
preußifhen Rheinprovingen. 2 Th. Köln, 1817. 8.
Zul, Schmelzing, einige Betrachtungen über
den Begriff und die Wirkſamkeit der Landfände,
nad den Principien des allgemeinen und natuͤrlichen
Staatsrechts. Rudolf. 1818. 8.
Megent und Voll. Oder weiche Conftitution mu
der preußifhe Staat haben? Berl. 19:8. 8... .
(9. Sagern), Politie, oder der Staaten Be
faffungen. Stuttg. 1819. 8.
Worauf beruht die Nüglichkeit einer Nationale
repräfentation; in Buchholz, Journal für Teutſhe
land, 1815, Febr. ©. 185. ff. — Noch einige Ser
. danken über NRepräfentattvverfaffung und deren Ein?
führung. Ebend. 1819. Sept. ©. 85 ff. — Schiäfe
fel zum Verfaſſungswerke; Ebend. 1892, Januar
Arn. Mallinckrodt, über Verfaffung; in Voß
. Zeiten, Suly, 1819. on
Krug, über die Einführung neuer Verfaſſungen;
m der Minerva, 1802, Auguft, ©. 292 ff: - :
376 Staatskunſt.
18.
9) in Berietung auf ihre Innern Setim
mungen.
Nach ihren innern Beſtimmungen ſind die Ver⸗
faſſungen verſchieden:
„ay nach dem in ihnen ausgeſprochenen rechtlichen
Verbaͤltniſſe zwiſchen der gefeßgeben-
‚den und vollziehenden Gewalt;
_ b) nad) dem Grundfage der Ernennung ber
Volksvertreter ‚ ob aus der numeriſchen Ge—
| fammtpeit des Volfes, oder nah Ständen;
ce) nad) der Verteilung der Volksvertreter in
eine oder in zwei Kammern; und _
* d) nach den in der Verfaffung ausdrüdlich feſt⸗
. gefeßten Rechten. und Pflichten der Volksver⸗
freter,
* 19.
Sortfegung
Heber das verfaffungsmäßige Verhaͤltniß
zwiſchendergeſetzgebenden und vollziehen—
den Gewalt, und über den Grundſatzder
KTrnenaung der Volksvertreter. J
Das Verhaͤltniß zwiſchen der gefeg-
gebenben und vollziebenden Gewalt ift in
einigen Verfaffungen fo beftimmt, daß entweder
bie Volksvertreter allein. die. gefeßgebende Gewalt
_ üben, und der Regent, ala Oberhaupt der vollziehen»
ben Gewalt, ganz von dem Antheile an der Gefegs
* gebung qusgefchloffen ift (3. B. in der fpanifdjen und
portugieſiſchen Verfaffung); qder baß ber. Regent
“-
Staatvkunſt. 477,
ausſchließend die Initiative der Geſetze übt, und ber:
Voiksvertretern blos die Annahme oder Verwerfung
der. vom Regenten ausgehenden Geſetze zuſteht; od.er-
daß beide gemeinſchaftlich die Initiative ber:
Gefege üben (wie in der brittifchen Verfaſſung).
arte erfte Form des Werhältniffes enefchieden.
die fehlerhaftefte und verberblichfte iſt; fo ſcheint
bie: dritte Form (Staatsr. $. 27.) eben fo. ben.
Srundfägen der Vernunft, wie ben Bedürfniffen ber
Völker am meiſten zu entfprechen,
Die Ernennung der Volksvertreter
(Staaser. $. 28.) kann entweder nach der numerifchen.
Befammtheit des Volkes, oder nad) Ständen gefchehen.
Man nennt gewöhnlich die erite Form, wo in der
Verfaſſung blos die Geſammtzahl der zw wählen«
den Volksvertreter und die Wahlart berfelben an⸗
gegeben ift, die Wahl aber lediglich dem Zutrauen.
der Wähler zu ben zu Ermwählenden, ohne Ruͤckſicht
quf befondere Stände und befondere bürgerliche Ver⸗
hältniffe, überlaffen bleibt, das repräfentative,
hingegen bie zweite Korm das ffändifche Syſtem,
wo nad) den verfchiedenen Ständen und Berufsarten
die Zahl derer in der Verfaſſung beſtimmt wird,
welche aus jedem einzelnen Stande in dem Kreife der.
Volfsvengreter erfcheinen fol. Das erſte Syſtem iſt
im Ganzen nur da angenommen worden, wo im
Sturme einer Revolution alle aus dem Lehnsſyſteme
bervorgegangene Unterſchiede der Stände. völlig vers
nichtet wurden.
Das zwe eite Syſtem e) , deffen geſchichetiche
0 Ueber den unterſchied von Landſtandſchaft und Natlonal⸗
repraͤſentation; in Buchholz Journ. für Teuiſch⸗
land, 1815, Jun, ©. 303 fi;
( »
'
378 Staatskunſt. |
Unterlage In die erften Zeiten der Gefittung der aus
dem Lehnsſyſteme hervorgegangenen Staatsformen
zuruͤckreicht, brachte Anfangs nur die Inhaber ber
hoͤchſten geiftlichen Würden und die adlichen
Grundeigenthuͤmer, in der Folge auch die Ver⸗
treter der Staͤdte, und nur in Schweden bereits in
dem zweiten Viertheile des ſechszehnten Jahrhunderts
Cunter Guſtav Waſa) ſelbſt die Vertreter des
Bauernſtandes in die Naͤhe des Regenten. Da
im Ablaufe der Jahrhunderte manche Formen dieſes
.
Syſtems — nicht aber Die rechtlichen Unterlagen des .
Ehſtems felbft — theils mit den wefentlihen Ver⸗
änderungen im Lehnsſyſteme, theils mit den Fort⸗
fHritten der Eultur aller Stände im Volke und mit
der Verbreitung bes Wohlſtandes über die verſchie⸗
denften Klaffen der Staatsbürger, veraltet waren;
fo find auch in den meiften neuen ſtaͤndiſchen Ver-
faffungen die Unvollfommenpeiten in den frübern For⸗
men ber ftändifchen Wertretung befeitige worden.
Außer in ver ſchwediſchen Verfaffung wird aber
in feiner neugegebenen der geiftliche Stand ®) be⸗
fonders vertreten. An die Stelle der blos adlichen
Repräfentanten ift die Wertretung des größern
Grundbefiges überhaupt gefommen. In der
Reihe der ſtädtiſchen Abgeordneten hat wan allen
- "gebildeten Mitgliedern des Bürgerftandes den Ein
—
Eine beſondere Vertretung bes geiftlihen Standes
verlangten neuerlih: Herm. Eberh. Gtlo. Paulus,
in f. allgemeinen Srundfägen über das DVertreten der
Kirche bei Staͤndeverſammlungen, mit befonderer Bes
jiehung auf Wirtemberg. Heidelb. 1816. 8. — und
noch flärker: Ion. Schuderoff, über den innerlich
nothwendigen Zufammenhang ber Staats s und Kir⸗
henverfaffung. Ronneb. ı818. 8.
Staarstunfi Ä Ä 379
tritt eröffner, und in mehrern anbern ſtaͤnbiſchen Ver⸗
faſſungen iſt der Bauernſtand zu einer beſondern
Vertretung aus ſeiner eigenen Mitte gelangt, weil
er im Ganzen andere Intereſſen geltend zu machen
hat, als der größere Grundbeſitzer. So hat: man
das Mangelhafte der veralteten ftändifchen Vertretung
verbeffert und gemildert, und dach zugleich die durch»
greifenden Veränderungen und de Schwie-
rigfeiten vermieden, welche mit dem erften
Syſteme, befonders in Hinfiht der Wahlfor '
men, unvermeidlic) verbunden find, —
Allein über die. neue Geſtaltung ber ftändi-
fhen Verfaffung felbft flimmen weder die, als.
Thatſachen der neueften Zeitgefchichte vorliegenden,
Verfaſſungen, noch die Theoretiker ber Staats«
kunſt überein. Die beiden Hauptanfi chten ber le tz⸗
tern ſind:
‚ a) Es muß zwiſchen dem unbeweglichen
und beweglichen Eigenthume im Staate unter-
ſchieden und beides vertreten werden. Mit dem
erften ift das Erhaltungsprincip im Staate
verbunden, und durch daffelbe wird das Beharrliche
im Staate repräfentirt; mit dem legten ift das
Demwegungs- und DVervollfommnungs-
princip im Staate gegeben, und durd) das be⸗
wegliche Eigenthum wird das Sortfchreitende , das
Veränderliche im Staate repräfentirt. Die erſte
Klaſſe von Staatsbuͤrgern, welcher das unbeweg⸗
liche Grundeigenthum, namentlich auf dem Sande,
zugehört, bildet in der politifchen Welt eine Kraft
der Trägheit, weiche die Staaten in ihrer "Bahn
feſthaͤlt. Dagegen ertheilt das bewegliche Eigen-
thum feinen Befigern weniger Vorliebe für das -
Alte, weniger Anbänglichfeie an das Beftehende,
N
IN f
—— — —— I
330 | Staarstunf, FB
mehr Neigung zu neuen Combinationen zu Ver⸗
änderungen aller Art. Dahin gehören zunaͤchſt die
:: @Gemgerb» und Handeltreibenden „ und die Künftler. :
me Die würden rücfchreiten, wenn fie nicht. be=
.ſtaͤndig forefchrieten *). [Mit Folgerichtigkeit gehe
„daraus die Eintheilung, diefer beiden Haupeftände
im Staate in zwei Kammern hervor.) ..
.b) Nicht das Eigentum im Staate, fo wichtig.
auch daſſelbe und. namentlich die Eintheiung bef-
felben in das unbewegliche und bewegliche ift, fon -
dern die erreichte. Cultur der Staatsbürger, und
die verfiebenartige Antünbigung dies
’
* Am erfhöpfendften. und geiſtvollſten hat dieſes Syſtem
aufgeftelt und durchgeführte Fr. Ancillon in f.
Schrift: Aber die Staatswiffenfhaft, Verl. 1820. 8.
S. 98 ff. ; nur dürften in der ausführlichen Deduetion -
dieſes Syſtems zwei Saͤtze nicht bewieſen werden
koͤnnen: „daß diejenigen, die kein Eigenthum beſitzen,
eigentlich Fremdlinge im Lande wären, und als
Reiſende betrachtet werden könnten,” und „daß der
MWehrs und Lehrs Stand feine eigentlihen
Staͤnde wären, weshalb auch beide nicht zur befondern
WVertretung fiheigneten.” Allerdings kann der Wehrs
ftand, nach feiner wefentlichen Grundlage des uns
bedingten Schorfams und der ftrengen
Subordination, nicht füglih als befonderer
Stand indie Reihe der zu vertretenden Stände
aufgenommen werden, obgleih einzelne Mitglies
der dDeffelben, befonders wenn fie Srundeigenthbum
befißen , in die Reihe der Grundeigenthuͤmer eintres
ten können; warum follen aber die felbittiändigen .
und unabhängigen Mirglicder des gelehrs
ten Standes nicht eben fo gut, wie Handwerker,
Kaufleute: und Künftler,, zur Vertretung fi) eignen ?
Iſt das Leben in der Idee nicht fo viel im Staate
werth, als das Leben auf dem Komptoir ?
- Staatsfunft, 381
ſer Cultur, entſcheidet über die Kraft und Bluͤ⸗
the, fo wie über Den Fortſchritt des innern Staats⸗
lebens. Nur da wird diefer-Fortfchrite fühtbar , mo
. alle Hauptzweige der Eultur vorhanden :find,
und mit ſich im Gleichgewichte fteben.:
Diefes Gleichgewicht hängt aber ab von der gleich«
mäßigen Vertretung jener Hauptjmeige der
Euttur, fo daß fein Theil des innern Staatslebens
vor dem andern mehr oder weniger begünftigt er:
ſcheint. Die Eultur zerfälle zunachft in zwei Haupt- .
gattungen: in die finnliche und in die geiſtige.
Zur erften werden hauptfählich die phyfifchen
Kräfte des Menfchen, zur zweiten die geiftigen
erfordert. Die erfte zeige fih in dem Anbaue
. des Bodens nahdem größern und Fleinern
Grundbefiße; die zweite in dem Anbaue der
Gemwerbe,.des Handels, der Kunft und
Wiſſenſchaft. Daraus ergeben fich die vier
Klaffen, welche — wenn alle Hauptintereffen. im
Staate gleichmäßig vertreten werden follen, — ver⸗
freten werden müflen: 1) das größere Grund«-
eigentbum; 2) das Fleinere Grundeigenthum
(des Bauernftandes); 3) die ſtaͤdtiſchen Ge-
werbe (Manufacturen, Fabrifen, Handel); 4) die
." Sntelligenz im Staate fin den Kreiſen der
- Wiffenfchaft und Kunft), In die Reiben der leß-
ten gehören zugleich) die Mitglieder des geiftlichen
Standes und die Erzieher. — So gewiß nun
auch unter den Grundeigenthümern wiffenfchaftlich
gebildete Männer, und unter den Handelsleuten
und Gelehrten fich einzelne Grundbefiger . finden
werden, weil diefe vier Hauptberufsarten in gefitte-
ten Staaten in der Praris weit inniger. unter- fi)
verbunden find,.als in der Theorie; fo feheint Doch,
882°
Staatskunſt. U
für die gleichmaͤßige Vertretung aller Haupt⸗
intereſſen im Staate, eine gleichmaͤßige An-
- zahl von Stellvertreteen aus jedem dieſer Stande .
zur Verteetung des gefammten Volkes berufen wer-
ben zu muflen. (Staatsr. $. 28.) *)
’
*) Diefer Anfiche folgt beſonders Krug in ſ. Schrift:
das Repraͤſentativſyſtem, Leipz. 1816. 8. Er. nenne
Die Arc der Vertretung im epräfentativfpfteme die
mathbemarifche, die im ftändilhen Syſteme bie
dynamiſche. Die erfte beruht, nad ihm, auf dem
ſtat iſti ſchen Princip der Seelenzabl, und
beftimme daher arichmerifh das Verhältnig der Stells
vertreter zum Wolle; die zweite bingegen auf dem
polisifhen. Princip der Gewichtigkeit,
und beitimme daher das Verhältniß der Stellvertreter
zum Volle nad dem politifchen Werthe und Nange
gewiffer Klaffen von Staatsbürgern. Er geftehe
(S. 45 ff.) der legtern den Vorzug für alle teustche
Bundesflaaten zu; nur daß er für die Aufnahme dee
Bauernftandes, für die Erweiterung des Rit—⸗
terftande 6 durch die Ausdehnung der Vertretung
auf alle Beflger von Rittergütern, und in Hinſicht
der Geiſtlichkeit fih folgendermaßen erklärt:
„Die Geiſtlichkeit bildete ſonſt einen befondern Stand,
theild wegen . ihres Grundeigenthums, theils aber
und vorzgäglich als Nepräfenrant der höhern
Sntelligenz, weil fie ausſchließlich im Beſitze der
Wiffenfhaft und Kunft war. Die Geiftlicykeir hat
aber im Laufe der Zeiten ihr Srundeigenthum größtens
theils verloren, befonders in proteitantifchen Ländern,
und Wiſſenſchaft und Kunft iſt auch den Yaien in
ſolchem Maaße zu Theil, geworden, daß Viele ders
feiben in, diefer Hinſicht nicht nur eben fo, fondern
noch mehr gebildet find, als die Geiſtlichkeit ſelbſt.
Sie kann alſo nicht mehr als ausſchließliche Repräs
fentation der hödern Intelligenz gelten, und muß ſich
daher in politiſcher Hinſicht an Ricjenisen anſchließen,
Staatskunft. I 383
Was die in der Verfaſſung feftzufegende © e-
ſammtzahl der Volksvertreter betrifft; fo ift im
Allgemeinen der Mittelweg zwifchen dem Zuviel
und dem Zuwenig ber angemeffenfte, Eine Veberzapl
von Volksvertretern dehnt bie Verhandlungen und
Abftimmungen in die Sänge und ‘Breite; eine zu Fleine
Zahl kann leicht in ihren Anfichten und Ausſpruͤchen
einfeitig werben. Dazu fommt, daß, bei der Zeft-
fegung der Geſammtzahl der Volksvertreter, die Ge -
fammtzahl der ‘Bevölkerung des Staates berüdfichtige |
"werden muß, indem bei großen Staaten nicht der⸗
felbe mathematiſche Grundſatz, wie bei den mitt
lern und fleinen angewandt werden darf. Denn
wenn 5. DB. bei einem Staate von zwei Millionen
Menfhen die Gefammtzahl der Volksvertreter am
zwedmäßigften auf Hundert (25 aus jedem Stari-
de) feftzufegen ſeyn dürfte, während ein Staat von
nur 200,000 Menfchen Sefammtbevölferung wenig»
ſtens 30 Vertreter bedürfte; fo würde derfelbe Maas»
ftab, auf Reiche von 30 — 50 Mill, Menfthen ange-
wandte, eine zwechwidrige Ueberzahl von Volksver⸗
tretern geben,
Wenn übrigens örtlihe Rüdfichten für die Wahl
der Wolfsvertreter in einzelnen neuen Verfaſſungen
zu dem Grundfage geführt haben, Daß man aus der
welche mit ihr jegt den Beſitz der Höhern Güter
des Lebens theilen. Diefer Stand wird folglich
nicht bios die Seiftlihen, fondern alle Gelehrte,
wozu auch die wiflenichaftlich gebildeten Küänftler
gehören, umfchließen mäflen. Die Theilnahme der
Gelehrten: an der Volksvertretung ift aber an fih
nothwendig, damit man bei den Berathungen über
. SGeld und Sur nie das höhere Irtereſſe der Willens
haft und Kun aus ben Augen verliere.“
'@ zV, |
v-
BA. Staatskunft.
Reihe der Grunbbefiger und der Gewerb⸗ und Han-
deitreibenden nur ſolche wählen dürfe, welche zu den
-Höcftbefteuerten gehören; fo bat Diefe Be—
flimmung meber-einen ‚rechtlichen, noch einer zurei=
‚chenden politifchen Grund. Denn nad) der Vernunft
find alle fitelich » muͤndige Staatsbürger (Staatsr,
$.14.) gleich berechtigt zurpolitifchen Freiheit und
alfo auch zur Wolfsvertretung, und nad) der Staats-
kunſt ift es wenigftens zweifelhaft, ob die Enteichtung
‘von 100 Franken mehr an jährlihen Steuern ein
größeres Intereſſe an den heiligen Angelegenheiten des
Vaterlandes, und eine größere individuelle Fähigkeit
und Tauglichfeit zur Wolfsvertrerung begründe. *)
*) Zwar in, unmittelbarer Beziehung auf Preußen, zus
gleich aber nah allgemeinen Grundſaͤtzen, erklärte ſich
der Minifter v. Stein, bei der Niederlegung feines
Minifteriumg, in einem Circulare vom 24.Nov. 1808
an alle obere Staatsbehörden über eine allgemeine
Mationalrepräfentation. „Heilig war mir
und bleibe uns das Recht und die Gewalt unfere
„Könige. Damit aber diefes Recht und diefe unums
fchränfte Sewalt das Gute wirken kann, was in ihre
liegt, fhien es mir nothwendig, der hoͤchſten Gewalt
ein Mittel zu geben, wodurch fie die Wuͤnſche des
Volkes kennen Sernen, und ihren Beftimmungen Leben
geben kann. Wenn dem Volke alle Theilnahme an °
den Operationen des Staates entzogen wird;. wenn
man ihm fogar die Verwaltung feiner Communalans
-gelegenheiten entzieht, kommt es bald dahin, bie
Regierung theils gleihgälttg, cheils in einzelnen Faͤl⸗
len in Oppefition mit fih gu "betrachten. Daher
der Widerftreit, oder wenigſtens Mangel an gutem
Willen bei Aufopferung für die Exiſtenz des Staa⸗
tes. — Mein Plan war: jeder active Staats
büärger, er befige 100 Hufen oder Eine,
er treide Eandwirchfhaft, Fabrication
Staatskunſt. 385
Auf gleiche Weiſe muß die Staatskunſt uͤber die
Nothwendigkeit der Errichtung von Provinzial
ftänden *), vor der Bildung allgemeiner Reichsftän«
de,.entfcheiden. Da, mo bereits; Provinzialftände ſeit
Jahrhunderten beftehen,. fpricht- der Grundfag der.
Rechtmäßigkeit und der gefhichelichen Begründung für
ſie; nur müffen fie, nad) ihrer Stellung zu den Reiches
\
ftänden, beftimmt und. zweckmaͤßig organifirt werben.
Da, wo ein Staat, als Ganzes, aus vielen einzel»
nen, der Cultur und frübern Berfaffuhg nad) ® r
ungleichartigen, Theilen und Provinzen erwachſen
die vielleicht noch uͤberdies durch geographiſche Lage,
Clima und aͤußere Verhaͤltniſſe ſehr verſchiedenartige
Intereſſen haben, ſcheinen Recht und Klugheit die Er⸗
richtung von Provinzialſtaͤnden dringend zu verlangen.
Da aber, wo entweder die Kleinheit des Staates faft
gar feine getheilten Provinzialintereffen hervortreten
läßt, oder wo in großen Staaten Provinzialftände nie
beftanden haben, oder ſchon feit Jahrhunderten unter
gegangen find, ſcheint — bei einer bereits ins öffent»
liche Leben getretenen allgemeinen Nepräfenta-
tion — die Begründing neuer Provinzialftände nicht
zu den politifchen Bedürfniffen zu gehören.
Eine der fihwierigften Aufgaben ber Staats-
kunſt bleibt das Wahlgefeg, welches die Grund-
bedingungen für die Wählenden und Wählba-
ven aufftelle **); doch ift diefe Aufgabe in Staaten
oder Handel; er babe ein büärgerlihes
‚Gewerbe, oder fey durch geifige Bande,
‚an den Staat geknüpft, habe ein Rede
jur Repräfentation.” | oo |
* Buchholz, über Provinzialftände, in f. Journale für
Teutfhland, 1819, Ort. S. 220 ff. -
re) Biel Treffendes über die Wahlform hat v. Rotteck
J. | U 25
x
= Ä
m“ . P} .
iR . x
— ı — — — _
IR Staatskunſt.
mit ſtaͤndiſcher Vertretung weniger ſchwierig, als
in denen, wo die Zahl der Vertreter aus der Geſammt-⸗
' maffe der Staatsbürger gewählt wird. Im Ganzen
muͤſſen laͤndliche und oͤrtliche Ruͤckſichten Dabei
vorwalten; doc läßt fith im Allgemeinen feft-
en
ie a) daß das Wahlgefeg' durch eine vorausgehende
zweckmaͤßige Gem einde- und Kreis-Berfaf-
fung *), als practiſche Vorſchule eines öffent
in f. Pr über Landflände, (Katlsr. 1819. 8.)
«7
*) ©o ift es in Bayern und Wirtemberg gefchehen.
“ Bon uglant ſagt Ancillon (äber die Staats—
wiflenfhaft, &. 92): „An England find die Gemeins
dens und Municipalverfaffungen, inden Städten der
innige Berband der Corporationen, ıhre Rechte, ihre
repräfentativen Formen, und das mit dir Mannigs
faltigfeit diefer gefeßmäßigen Vereine fo innig vermebte
Mannigfältige des Gemeinrechts, das eigentliche
Princip des Semeinftnne und Staatsle—
bens. Dieſes if der wahre Schluͤſſel zum Raͤthſel
der Dauer und der Feftigkeit des brittifchen Reiches,
troß feiner Gebrechen, die aus der Ungleichheit des
Vermögens, des Ganges der Sewerbecuftur, und der
äußerften Spannung aller‘ Federn entitehen. Allein
. dieſe herrlichen Einrichtungen bilden eine frfie und in
einander greifende Sradation der Intereſſen und ber
Aeußerungen der politifhen Betriebſamkeit; bilden
Schulen der Öffentlihen Thätigkeit und des Gemeins
ſinnes, in welden und durch welche man fid allmaͤh⸗
lig vom Vefondern zum Allgerneinen erhebt; Bilden
Peine geichloffene Gänze, die, weit entfernt die Kraft
bes großen Geſammtganzen zu ſchwaͤchen oder zu bres
chen, ihm zu Srüßpuncten und Mahrungequellen dies
nen. — Vergl. Stumpf darüber, daß das Ges
meindewefen der Verfaffung vorausschen mäfle, | in
der All. Zeit. 1818, N. 354.
N
Staatskunſt. 387
lichen und ſtellvertretenden Geſammtweſens, ſehr
erleichtert wird (ſobald nämlich die einzelne Ge-
meinde durch Gemeindeabgeordnete, der Verein
den Gemeinden durch Amtsdeputirte,, und Die Pro-
vinz durch Landraͤthe vertreten wird). Denn bie
Gemeinde ift der Uebergang, wodurch' die Familie
fi zum Staate erweitert, - und umgekehrt, die
Staatsverfaffung in das häusliche eben der Buͤr⸗
ger einbringt; |
b) daß die gleichmäßige Vertretung aller we»
fenelichen Intereſſen im Staate wichtiger iſt,
als eine zu fehr ins Einzelneund Kleinliche
getriebene Beftimmung der Wahlfähigfeit und der
Wahlart, befonders nad) ver Abhängigkeit der
Wahlfaͤhigkeit von einer hohen Befteiterungsgitofe
c) daß das Wahlgefes von der einen Seite alle
Unmtriebe der policifchen Gluͤcksritter verhindere,
auf der andern aber die Freiheit der Bewerbung
und der Wahl nicht laͤhme °),
| d) daß das Wahlgeſetz feinen Volksvertreter
vor zurückgelegtem dreißigften Sebensjahre und nie '
auf Lebenszeit (ſondern höchftens auf 5 — 6 Jahre)
zu wählen verftatte, fb wie die Volksvertreter nach
gewiſſen Serien austreten müffen, damit nie mehr
ass höchftens ein Drittheibder ganzen Wer
ſammlung aus Neugewaͤhlten beſtehe. Doch muß
jeder austretende Volksvertreter von neuem gewaͤhlt
. werden koͤnnen; |
) daß bie Regierung zwar im Ganzen das
MWahlgefchäft, im Geifte der Berfaffung, leite und
unter Aufſicht behalte, nie aber ſelbſt fich einmiſche
*) Aneillon &.g1.
25 *
IR Staatskunſt.
mit ſtaͤndiſcher Vertretung weniger ſchwierig, als
in denen, wo die Zahl der Vertreter aus der Geſammt⸗
maſſe der Staatsbuͤrger gewaͤhlt wird. Im Ganzen
muͤſſen laͤndliche und oͤrtliche Ruͤckſichten dabei
vorwalten; doch laͤßt ſich im Allgemeinen feſt⸗
etzen:
Me a) daß das Wahlgefeg durch eine vorausgehende
zweckmaͤßige Gemeinde: und Kreis⸗Verfaſ—
A ung *), als practifche Vorſchule eines öffent
in 1 oem über Lanbdflände, (Karlsr. 1819. 8.)
7
*) © iſt es in Bayern und Wirtemberg gefchehen.
- Bon England fage Ancillon (über die Staats
wiffenihaft, S. g2): „An England find die Gemeins
dens und Municipalverfaflungen, in den Städten der
innige Verband der Corporationen, ihre Rechte, ihre
repräfentativen $ormen, und das mit der Wannigs
faltigkeit dieſer gefegmägigen Vereine fo innig vermebte
Mannigfaltige des Gemeinrechts, das eigentliche
Mrincip des emeinftnns und Staatsle—
bens. Diefes if der wahre Schluͤſſel zum Rärhfel
der Dauer und der Feftigkeit des brittifhen Reiches,
trog feiner Gebrechen, die aus der Ungleichheit des
Vermögens, des Ganges der Gewerbecultur, und der
äußerften Spannung aller Federn entitehen. Allein
. dieſe herrfihen Einrichtungen bilden eine feſte und in
einander greifende Gradation der Intereſſen und der
Aeußerungen der politiſchen Betriebſamkeit; bilden
Schulen der dffentlihen Thätigkeit und des Gcmeins
finnes, in welchen und durch welche man ſich allmähs
fig vom Beſondern zum Allgemeinen erhebt; Bilden
kleine geichloffene Gänze, die, weit entfernt die Kraft
des großen Geſammtganzen zu ſchwaͤchen oder zu bres
chen, ihm zu Stüßpuncten und Mahrungsqucllen dies
nen.’ — Vergl. Stumpf darüber, day das Ges
meindewefen der Berfaffung vorausgehen mäfle, in
der All. Zeit. 1818, N. 354.
\
Ancilion &. gr.
N
Staatskunſt. , 387
lichen unb fteffvertretenden Geſammtweſens ‚ fehr
erleichtert wird (fobald nämlich die einzelne Ge-
meinde dureh Gemeindeabgeordnete, der Verein
der Gemeinden durch Amtsdeputirte,, und die Pro»
vinz durch Landraͤthe vertreten wird). Denn die
Gemeinde ift der Uebergang, wodurch' die Familie
fi zum Staate erweitert, - und umgekehrt, die
Staatsverfajfung in das Häusliche eben der Buͤr⸗
ger einbringt;
b) daß die gleichmäßige Vertretung aller we⸗
ſentlichen Intereſſen im Staate wichtiger iſt,
als eine zu ſehr ins Etnzelne und Kleinliche
getriebene Beſtimmung der Wahlfaͤhigkeit und der
Wahlart, beſonders nach der Abhaͤngigkeit der
Wahlfaͤhigkeit von einer hohen Beſteuerungsquote;
c) daß das Wahlgeſetz von der einen Seite alle
- Umitriebe ‚der politifchen Gluͤcksritter verBindere,
auf der andern aber die Freiheit. der Bewerbung
und der Wahl nicht laͤhme *),
d) daß das Wahlgefes feinen Volksvertreter
vor zurückgelegtem breißigften tebensjahre und nie '
auf Sebenszeit (fondern höchftens auf 5 —6 Jahre)
zu wählen verftatte, fb wie die Volksvertreter nach
gewiſſen Gerien austreten müffen, damit nie mehr
als hoͤchſtens ein Drittheibder ganzen Ver
:: fammlung aus Neugewaͤhlten beftehe, Doch muß
jeder austretende Volksvertreter von neuem gewaͤhlt
. werden Pönnen;
e) daß. die Megierurig zwar im Ganzen das
Waghige ſchafe, im Geifte der Berfaffung, leite und
unter Aufſicht behalte „nie aber ſelbſt fich einmiſehe
25 *
\ 388 0 Stantstunft
und’ euſcheeite, ‚ außer im Falle ber Verlehung der
verfaſſungsmaͤßigen Formen.
Der letzte weſentliche Punct bleibt, daß die
durch rechtliche Wahl ernannten Voksvertreter, nach
ihrer. Zuſammentretung, nichtmehr als bloße Ver⸗
treter ihres beſondern Standes, oder ihrer Provinz
und ihres Wohnorts, ſondern als. die Sefammt-
vertreter des ganzen Volkes ſich betrachten,
deſſen allgemeine Intereſſen wahrnehmen, ohne doch
die beſondern Intereſſen daruͤber zu vernachläffigen,
und daß fie nie eine Fleinliche, individuelle oder örtliche
Ruͤckſicht durchführen, fondern vorurtheilsfrei und lei-
‚ benfchaftlos das gemeinfame Vaterland bei jeder Be⸗
rathſchlagung und bei jeder Abſtimmung im Auge und
im Herzen behalten.
Eine folche Volksvertretung würde ihre Beſtim⸗
mung ganz verkennen, wenn fie ſich als eine verfaſ⸗
ſungsmaͤßig gebildete Sppofitio n.gegen die Re—
gierung betrachtete. Denn wenn es gleich einzelne
‘ Begenftände geben. fann, worüber die Volksvertreter
andere Anfichten haben, , als die Regierung; fo-ift
doch die fürmliche Oppofition gegen die Regierung nur
das legte Mittel der Volfsvertreter, in dem eingis
gen Falle, wenn die Regierung etioas entfihieden
Ungerechtes, oder Die Wohlfahrt. des Staa-
tes nothwendig Zerſtoͤrendes, beharrlich ver-
langte, und durch feine Gegenvorfteflungen davon ab⸗
zubringen. wäre. Mach ihrer gerfaflungsmäßigen
Beftimmung foll vielmehr durch die Vdlksvertretung
die Geſammtintelligenz im Staate in. ber
" Nähe des Thrones .verfammelt, die Eintracht. und
das Einverftändniß zwifchen Regierung und Wolf
dadurch öffentlich erneuert, beftätige und verfinnliche,
die bürgerliche und poliifhe Freiheit für Die Zukunft
4
/
Staatskunſt. 389
geſichert, durch Die vielſeitigſte Beratung der Geſetze
der Einfeisigfeitberfelben vorgebeugt, ſo wie jedes wahr⸗
haft gegründete Beduͤrfniß des Volkes zur Sprache ges
bracht werben *2). Deshalb iſt es dringend nörkig;
daß die Miniſter des Regenten bri.allen? Berathungen
ver ſtaͤndiſchen Berfammlung anweſend find, um
Aufſchluß und Belehrung zu geben; wur bei der Ab⸗
fimmung von den Ständen wuͤrde die Gegenwart der
often und hoͤchſten Raͤthe des Regenten niche ‚feited
Bas — Urtheil hindern. — ©
Ob endlich die Stellvertreter Wesı Wolken ſaͤhr
—* oder nur ee dem Abläufe gewiffer
——
\
- — /
Bi |
* —* ©: xxii hebondera ke Su 86.2. „es
wäre ein fehr. befgränfter, kleinliſcher umd,- Faller
Seſichtspunci, wenn man in einer Moparhie die
epräfentativen Fötthen, welche den Theo umqehen,
— zu ſeinem Gfanze mie zu ſeinen Feſtſhkeit bei⸗
2; . gragen, nur als Hemmketten' dev. Regieiaug: betracht
7208 wollte. Mie füllen nicht: eine 2todte Ochranke
3. abgeben;, die Im. Nothfalle der Te Bupchbrechenden
Sy, Macht Widerjtand Feiften ann, fondern die Fraft
.. der fen eitark Macı ver ehren, ‚und
in rer ein Lebeneprineipe ſedii.n Ms ſolge
tiitgewähren: ſich immer gut berechneir Beprälenzutine
x #7 Bormen. . Diendringen die gegierung / m das Wolf
„im: enge Berührung , und begründen ndgr vermehren
‚ ihr wechſelſeitiges utrauen. Sie öffnen. den Talen⸗
sen unnd dem‘ GSemeinſiune eine geſetzmaͤßrge ‚Bahn,
md bilden eine wahre Pftanzſchule?! ih-Avdtäper bie
——— die herrlichſten Werkzeuge zorfinden.; : CB
j> tigen. im öffentlichen: Sehen künftige Stangmaͤnnet.
un Bevor die Verwaltung ihnen öbergebe u wird, hat
man die Zeit und, die Mittel Geht dieſelben
beobachten zu beurthrifen,; zu ecbroben; "hy ehe
I Bier erſten Aemter ſerleiden find ſie dem Volke vor⸗
thoilhaft van. Zr ce io
\
Er
\
—B EStaatskunſt.
und einſchreite, außer im Falle der Verlezung der
verfaſſungsmaͤßigen Formen. |
Dreer legte wefentlihe Punce bleibe, daß die
durch rechtliche Wahl ernannten Vofsvertreter, nad)
ihrer Zufammentretung,, nihPmehr als bloße Ver⸗
treter ihres befondern Standes, oder ihrer Provinz
und ihres Wohnorts, ſondern als. die Geſammt—
vertreter des ganzen Volkes ſich betrachten,
deſſen allgemeine Intereſſen wahrnehmen, ohne doch
die befondern Intereſſen darüber zu vernachläffigen,
und daß fie nie eine Fleinliche, individuelle oder oͤrttiche
Ruͤckſicht durchführen, ſondern vorurtheilsfrei und lei-
denſchaftlos das gemeinfame Vaterland bei jeder Be⸗
rathſchlagung und bei jeder Abftimmung im Auge und
im Herzen behalten, F
Eine ſolche Volksvertretung wuͤrde ihre Beſtim⸗
mung ganz verkennen, wenn ſie ſich als eine verfaſ⸗
ſungsmaͤßig gebildete Oppoſition gegen Die Re-
gierung betrachtete. Denn wenn es gleich einzelne
Gegenſtaͤnde geben. kann, woruͤber die Volfsvertreter
andere Anfichten haben, als die Regierung; fo-ift
doch die formliche Oppofition gegen die Regierung nur
das legte Mittel der Volksvertreter, in dem einz i⸗
gen Falle, wenn die Regierung etwas entfhieden
Ungerechteg, oder Die Wohlfahrt des Staa
tesnothmendig.Zerftörendes, beharrlich ver-
langte, und durch feine Gegenvorftellungen davon ab⸗
zubringen. wäre. Mad) ihrer werfaflungsmäßigen
Beſtimmung fol vielmehr durch die Wdlfsvertretung
die Gefammtintelligenzim Staate in.der
Naͤhe des Thrones verfammelt, die Eintracht. und
das Einverftändniß zwifchen Regierung und Wolf
dadurch, öffentlich erneuert, beftätigt und verfinnlicht,
die bürgerliche und politifche Freiheit für Die Zukunft
⸗
Staatskunſt. 389
geſichert, durch die vielſeitigſte Beratung‘ der Gefege
der Einfeicigfeit herfelben vorgebeugt, ſo wie ſedes wahr⸗
haft gegründete Beduͤrfniß des Volkes zur Sprache ges
bracht werben ?). Deshalb iſt es dringend nörkig;
daß die Miniſter des Regenten bei, allen? Berathungen
der ſtaͤndiſchen Verſammlung ammefend: find, um
Aufſchluß und. Belehrung zu geben; nur bei der Ab;
ſtimmung von ben Ständen wuͤrde die Gegenwart dev
erſten und hoͤchſten: Raͤthe des Regenten niche fſelten
das freie Urteil hindern. — ©.
Ob endlich die Stellvertreter Bes: Wolkes führe
—* ‚ober ade dem Abläufe: gewiſſen
* Kneillon, ©. xXxii R efonders, aber ©; 86. 2. „x
mare ein ſehr befränfter, kleinlicher ud, -Falfcheg
-Befiptspunct, , wenn man in einee Mo ipparshie. die
epräfentativen ‚Sötmen, welche ‚den "Theo umqehen,
u zu feinem’ Slanze mie zu“ ſetner Bertläfeit bei⸗
25 . ragen, nur als Senimkerter dev. Regieiang betrach
ee tes ‚wollte. ' ie ſföllen nicht: pine?rodse Oqhranke
J abgeben- die im, Nothfalle der etwa, durchbrechenden
Ay Macht Widerſtand iſten kann, Ionbern, bie. Fraff
der‘ sffen tt Mad. ver mehren ‚und
* — tin-tebenisprineip ed; His Flak
RU Bewaͤhren fi’ ‚Immer :gut "berelhnkte”: Bepräfenzutine
er Bormen. Oienhringen bie. Megierung md das Wolf
in enge Berührung und begründen oder vermehren
ihr wechſelſeitiges Zutrauen. Sie öffnen. den Talen⸗
fen und dem’ SGemeinſinne "eine 'gefeamäfiige ‚Bahn,
md bilden eine wahre Pftanzſchule?“ A: werher die
3% MRggteruing die . herriihften Werkzeuge zorfindee.: ; EB
j>. irtien im Öffentlichen: Sehen künftige -Qrayamänner.
Tu Hevor bie Verwaltung ihnen ouoͤberge en wird, hat
man die Zeit und die Mittel gehabt, "Hiefelben E
beobachten, zu brurchrilen, zu erhroßem; hm che fle
die erſten Aemter bekleiden, find ſie dem’ Volke vor⸗
u... 2b betaunt.“ 1 En
—
Er
392° Staatskunſt.
Fortſetung;*
über bie Vertheilung der Bolksverereter
in Kammern.
Zub ‚den wicheigften und ſchoierigſten Kufgcben:
weihe die Staatskunſt zu käfen: hat, gehört:die-Ens
ſcheidung der Frage: ob die Volksvertréter in
Einer oder in zwei Kammern fid verfam-
. meln folten? eine Frage, die in neuerer Zeit:nicht
ohne Leidenſchaftlichkeit, und) was noch fhlimmer
iſt, niche immer mit befriebigenber Gruͤndlichkeit von
beiden Teilen, die barüber ſtritten, beantwortet wor⸗
ben ft. FE nun
So ' viel gilt als rhiloſophiſch— rgefchichtliche
Prämiffe: 1) daß es:on fi ‚nice. gegen dien
BZweck des Staates und gegen: Ben Zmed der. Volks⸗
veetretung verftößt, wenn alle Bolksrserfieter zu Cine
Berfanunlumg vereinigt. werden; 2) daß namentlich
In fleinern Staaten (5. B. mit einer Beröltenäig,
welche 500,000. Menfchen: nicht überfieigt, }. od
Kammern überflüffig. ſeyn warrhen;!und 3) daßin
Staaten, wo ein Senat, als Reichscollegium, *
beftimmten Rechten beftebt, eine erfte Kammer we⸗
ne als 18; kiftfolches bleibendes I—
erſte Kammer erſetzendes — ‚Collegium. fehlt
Allein, außer, andern minder, ausreichenden
Gründen ‚spricht: für:die sefräliche Begründung einer
erften. Kammer :-
Ida Recht — er namglich in Sigeten,
mo.ein.erblicher Stand jn dem ‚Adel befteht, die⸗
far. auch helonders und fe bfkitandie, doch. in Verbin⸗
dung imit. eiter rerhaltuttzmaßign Ae zabl gleich gro⸗
\
Staatstunf. 393
‚Ser Ormbbefiger (menn dieſe auch zufällig nicht den
perſoͤnlichen Adel befüßen), vertreten werben muͤſſe;
Ä 2) die Gefhichte — welche theils in dem
Verhaͤltniſſe dee Patricier und Plebejer in Roms
beſſern Zeiten ein ähnliches Verhaͤltniß aufftelle, theils
in der Berfaflung Großbritanniens und: Nordamgri«
kas, teils:in Dem (freilich noch jungen) Dafenn der ‘
Bairsfammer. in. Sranfreich Die Zweckmaͤßigkeit und
Muüglichkeit zweier neben einander beſtehende Kam⸗
mern beſtaͤtigt. W
Zwar muß, bei tieferer Bekanntſchaft mit der
Geſchichte, zugeſtanden werden, daß in eigentlichen .
Sreiſtaaten zwei Kammern ſeyn muͤſſen, weil
. in Freiſtaaten die Staatsverwaltung von ber Staat
verfaffung nad) einem andern: Standpunete, als” in
monacchifchen Staaten, getrennt iſt, und’ dag zu voll⸗
ziehende Gefeg von zwei über daſſelbe einverfianbenen
Behoͤrden ausgehen muß, wenn anders dem republi«
kaniſchen Deſpotismus geſteuert werden: ſoll. Dies
beweiſet Moni; mo man den Senat als das Oberhaus,
und das Volkimit feinen Tribunen als das Unferhaus
Setrachten muß; und. daffelbe bemeifen die einzelnen
nordamerikaniſchen Freiſtaaten, bie ſaͤmmtlich mit
alleiniger Ausnahme von Vermont — ‚zwei. Kam⸗
mern haben. ::R(Hein. was:;iu- Freiſtaaten Beduͤrfnif
mach dem Zeugniſſe der Geſchichte, iſt, dürfte. nicht
geradezu auch in Monarchigen, und namentlich in
erblichen. Menarchieen, weſentlichas Erforderniß
ſeyn, weil hier das Bleibende und Feſte in dem
erblichen Monarchen und : in, feinem weſentlichen
Antheile on; der. Gefeßgebung: enthalten iſt. Doh
wo Recht-⸗, und Geſchichte, die beiden Haupf-
quellen aller. Stansskunft, gleichmoßig fuͤr eing ppo⸗
Aitiſche Aufgabe füh: erkloͤren; ua kann, namentlich
—
— N j |
394 | Staatskunſt.
In’ geoßetn Stadten mid einer Bevdikerung ven
‚mehrern-Millionen, : befonders aber in:ben gror
Gen Reichen, mit einer -Beoölkarung, welche 10Mill.
Menfchen überfteigt.,. — kein Zmeifel. über ihre
Zweckmaͤßigkeit und Mublichkoit vorwalten. Dazu
forum, daß die Beſchichte in neuern Zeiten gezeigt
hat, daß in Frankre ich die Verfaffung wem: Jahre
4791 mit Einer Kammer unbaltbari mar, und daß
die neueſten Verfaffungen Spaniens md Por
tugals mit Einer Kammer weder die Guͤhrungen
im Innern gehoben , noch Das Ausland beruhigt ha-
den, befonders. auch deshalb, weil die geſchichtlich
vorliagenden Vetrfaſſungen mit Einer Kammer die
koͤnigliche Macht in Hinſicht: auf die Geſetzgebung blos
auf ein. ſuſſendirendes · Veto beſchraͤnben, was aber
an fih keine nothwendige Bedingung einer
‚Staatsverfaffung mit Einer Kummer ift, wie bies
z. B. die Weimsrifche Berfaflung: nad ihren eine
deinen Beſtimnungen bewriſet.
Alein ſobald «inmalidie Frage, ob. zwei Sam
aien in einem :Spaare:ibeftehen Plien, chatſachlich
entſchieden iſtz ſobald muß auch die Staatsfunft des
'gegenfettige VBerhäseniß beider Kammern ger
gen- einander feſtſetzen. In Hinſicht der Organdr
— beider Kammern gehoͤren in die zweite
MKummer die freigewählten Stallpercreter ber.brai
Stande: der fläbtifchen Gewerbe, der Pfleger ber
Wiſſenſchaft und der Kunſt, und des Landmannes;
‘im die e rſt Kammer: hingegen eheils bie Bene des
rrdierenden KHaufeg ‚ı.theils. eine beſtimmte Anzahl
Lrbilich er ¶Grumbeſthzer, eheils eine gewiſſe Anzabl
mie lebenslaͤnglicher Theilmahme::anüber. erſten
Kammer. vom Regenten ernanncer Pairs aus m
weltlichen und geiflichen ‚Eroßen des: Reiches...
Staatskunft/ ↄus
deef, nach der Saſammtzahl ihrer Glirder, bie ceſt⸗
Kammer verdältnißmäßig nie fo zahlreich fen,
als die zweite, -.;
In Hinſicht der Stellung beider Kammern
gegen einaater ſelbſt und gegen den Regenten, muͤß
Der Antheil beider Kammern an. ber Gefeßgebung
buicch die Verfaſſung beftimmt bejeichuet werden, ſo
daß es am rathſamiſten fcheint, wenn bie von. ‚da
zweiten Kammer ausgehenden Borfchläge zu Geſeten
zuvor won der serien Kammer angennmmen ober vere
worfen, oder geprüft und veraͤndert werben, bevot
fie. zur Kenntniß des Regenten fonımen, und wieber
die von der enften Hammer gemarhten Antraͤge zu
Gefegen zuvor auf gleiche Weife ver zweiten Kammer
vorgekgt werben, bevor ber Regent über deren An⸗
nahme oder Werwerfung entſcheidet; boch fo, DAB —
wie es Grundzug ber ‚geoßbritannifchen Verfaſſung
iſt — das Budget zumachft Angelegenheit ‚der
gweiten Kammer bleibe:. :&ehat aber der Geſetzes⸗
worfchlag von Dem Megenten aus; fo muß die Ber
faſſung · beſtimmen, welche. Morſchlaͤge zunächiil.ider
erſten Kammer, und welche zun aͤch ſt der zweiten
Kammer vorgelegt werden ſollen.
Nun kann es zwar geſchehen, daß durch die
Werhandlangen zweier Kammern über einen Ge⸗
ſetzesvorſehlag die Entſcheidung ſelbſt etwas verzoͤgert
wird; allein. man fann auch erwarten, daß durch die
weimaug⸗ voͤllig unabhaͤngige Verhandlung darüber
Der Gegenſtand von allen Seiten erwogen, und mit
moͤglichſter Umſicht und Reife des Urtheils uber ihn
entfchieden wird.
Der Charakter und bie Beftimmung der Volks⸗
vertreter in der zweiten Kammer, fo wie ihre Stel-
lung gegen das. Wolf, aus defien Mitte fie genäpk
396 Staetstunſt
wurden, verlangt, daß alle Verhandlungen vr
zweiten Kammer öffentlich find, ‚außer wenn dev
Wille des Regenten, in einzelnen Fällen, eine geheis
ine Berathſchlagung uͤber irgend einen wichtigen Ge °
genftand ausdruͤcklich verlangt. Eben fo liegt in den
Berathſchlagungen ber erften Kammer an fich fein
Grund, weshalb. ihre Sigungen geheim. feyn muͤſ⸗
fen, wenn gleich die Praris in den weiſten Staaten
dafür entfchieden hat. Wenigftens mäffen ihre Be:
ſchluͤſſe zur öffentlichen Kunde gelangen, wenn gleich
bei ihren Verhandlungen bie Zubörer ausgefejloffen;
und die Protocofe ihrer Verhandlungen, nicht wie
bei der zweiten Kammer, vollftänbig zur Deffent-
lichteit gelangen ſollten 5.
Bei wichtigen Berathungen, namentlich uͤber
das Budget, dürfte, — ſobald zwiſchen beiden Kam⸗
mern ein weſentlicher Wider ſpruch ſtatt faͤnde, —
thei 18 eine Vereinigung beider Kammern zur Yus-
glekhung der verſchiedenen Anſichten, theils ein
Sammeln der Stimmenmehrheit in heiden Kammern
hemeinſchaftlich, ber er sechelichfhe ‚und ’ goreämäßigfte
Ausweg /ſeyn. —
u 4 Inte j
Nach dieſer Entwickelang der politiſchen Lehte
von der Bildung z wei er Kammern: md von ihrem
gegenfeitigen Verhaͤltniſſe, duͤrfen die uͤbrigen Gruͤnde
"in
“
*) Sr. Suchotz. Söflen bie Verhandlungen einer Mar
tionalrepräfentation Öffentlich feyn, gder nicht? in. f.
Journale für Teutfhland, 1815, Apr. ©. 513 ff.
tift im Ganzen dafür.)
+) Namentlich iſt diefer Ausweg in der VBirtember
gifhen Verfaſſung vom 25. Sept. 1819: $. 177.
und $. 181. gefeplid, vorgeſchrieben.
Staatsfunft. 497
‚für ober wider zwei Kammern nur kurz beruͤhrt
werden. So hat man die Nothwendigkeit zweier
“ Kammern deshalb behauptet, weil die erfte Kam
mer das Erhaltungsprincip, die zweite das
DBewegungs-. und Vervollkommnungs—
prineip im Staate vertrete; — und weil es nöthig
fen, Daß dem in der zweiten Kammer vorberrfchenden
demofratifhen Princip in dem ariftofratis«
chen Princip der erfien Kammer ein Gegenge-
wicht gegen über geftellt were, oder, was daſſelbe
fagt, daß die Wahlrepräfentation des Volkes des
Gegengewichts In der Geburtsreprafentation beduͤrfe.
Allein dagegen läßt fi) erwiedern, daß in der Wirk:
Nlichkeit des öffentlichen. Wolfslebens die Sonderung
des Erhaltungs⸗ und des Vervolltommnungsprineips
nicht fo ſcharf, wie in der Theorie, hervortrete, um
Das eine und das andere zum Örundeharafter ber
erſten und der zweiten Kammer zu erheben. ‚Denn
warum follten nicht auch Individuen mit der feften
Richtung auf das Erhaltungsprincip in der zweiten
Kammer, und Individuen mit dem fihtbaren Stre⸗
ben nad) dem Vervollfommnungsprincip in der erſten
Kammer angetroffen werden koͤnnen? — Eben fo
mag wohl in einigen Reichen, befonbers in foldyen,
weiche erft vor furzem aus dem Sturme einer Revo⸗
lution und.aus der Erinnerung an beftandene republi=
kaniſche Bormen hervorgegangen find, ber Gegenfag _
bes demofratifhen und ariftofrarifhen
Princips in der öffentlichen Anfündigung nicht abges
läugnet werben; allein man würde gegen die Gefchichte
verfioßen, wenn man z. B. von dem Parlamente
Großbritanniens geradezu behaupten wollte, daß in
ber. Pairsfammer das ariftofratifhe, und in der
Kammer ber Gemeinen das demokratiſche Princip den
4
308 0. Staatskunſt.
vorherreſchenden Charakter bildete. Dies wird
ſchon durch die zweckmaͤßige Stellung bes brittifchen
Adels gegen das Volk verhindert. Uebrigens bleibt,
bei jener Borausfegung, immer noch.die Srageübrig,
ob — dafern wirklich ein. abfoluter Gegenfag
in dev Richtung beider Kammern irgendwo ſtatt fäns
de — die Wohlfahrt des Ganzen durd) eine ſo ge⸗
ftaltete Volfswertretung in zweien Kammern gu grreb
chen möglid) wäre, und ob dann nicht nothwendig zu⸗
letzt diefelbe ‚geraltfame Auflöfung der beftehenden
Trennung, wie zwifchen dem Rache ber Fuͤnfhundert
"und dem Rathe ber Alten in der dritten Verfaflung
Sranfreihs, erfolgen würde? — Warum: fuchen
doch überhaupt die Theoretifer. zwifchen beiden Kam⸗
‚mern Gegenfäße,-da nur durch ihr gemeinfchaft-
liches Wirfen zu Einem Zwede, zu. bem allgemeinen
Zwecke des Staates, welchem beide Kammern anges
hören, die Harmonie des Ganzen, und die höhere
Kraft des innern Volkslebens vermittelt werden farm!
Oder, angenommen, daß wirflic die erfle Kammer
bios erblihe Stanbesinsereffen beabfichtigte., und. die
Allgemeinen. Intereſſen des ganzen Staates vernach
laͤſſigte; wuͤrden dann wohl die Millionen. ihrer Mit⸗
bürger , denen jene Richtung der erften Kammer nicht
unbekannt bleiben fönnte, mit Zutrauen und Achtung
auf fie blicken und fich fir ihre .Abfichten und Be⸗
‚ fihlüffe erklären?
Noch willkuͤhrlicher fcheine Die Annahme derer
zu ſeyn, welche behaupten, daß in einer vepräfentatis
ven Verfaffung Regierung. und Volk als im Ge-
genfage gedacht werden müßten, und daß es folglich‘
- eines dritten vwermittelnden Etwas (einer
Dairsfammer ) bedürfe, um beide in ihren
Schranfen. und in ihren rechten Bahnen zu er«
Staatskunſt. | 309
halten. Denn wenn’ wirklich iegendwo ein: Staat
wäre, in welchem Regierung und Volk im Gegenfage .
ftänden; würde ba eine Patrsfammer es vermögen,
diefen Gegenfaß aufzuheben? Soll fie etwa-gegen die:
Regierung tm erforderlichen alle ſich erflären? —
Und ſteht nicht in jedem zweckmaͤßig organifirten
Staate die Regierung K#ber beiden Kammern ? Ge⸗
hören etwa die Mitglieder ber erften Kammer weni:
ger zu dem Volfe, wie die der zweiten? Gtehen fle
über dem Geſetze? — Gerade, wenn eine Pairs-
fammer ſich zwi ſchen den Regenten und das Volk
ftellen wollte, wuͤrde fie den thatfachlichen Beweis
ihrer Gefährlichfeit führen; denn nur da, wo der Re⸗
gent und: die Wolfsvertreter in allen großen und
entfcheidenden Angelegenheiten übereinftimmen,
wird das Recht im Staate berrfchen, und! das im
Staate lebende Volk die möglichft hoͤchſte Cultur er-
reichen und die möglichft größte Wohlfahrt genießen.
Für Eine allgemeine Wolfsvertretung haben
ſich neuerlich erflärt: v. Rottee, Ideen über
Landſtaͤnde ꝛc. S. 64 ff. — Votum eines freien
teutſchen Mannes gegen Errichtung eines Oberhau-
ſes; in &uden’s Memefis, 8B. 4St. S. 552 ff.
— Bon ben Seen, welche ben verfchiebenen Ab⸗
theilungen ber Nationalvepräfentation i in Kammern
zum Grunde gelegt werden koͤnnen; in Buchholz
Journal für Teutfchland, 1815, Mai, ©. 122 fi,
wo vorzüglich gefehichelich durchgeführt wird, wie
wenig die Nachahmung Der zwei Kammern im brits
tifchen Parlamente für andere Staaten ſich eigne.
— v. Aretin, inf. Abhandlungen über wichtige
Gegenſtaͤnde der Staatsverfaſſung und Staatsver⸗
waltung. Muͤnchen, 1816. 8. (in der dritten
Abhandlung von der Nationalrepraͤſentation.) —
. 400 Staatskunft,
Heinr. Eberh. Gtlo. Paulus, philoſophiſche Be⸗
nen, S.6 DE Berf
urtheilung der von Wangenheimifchen „Idee
der Staatsverfaffung.” Heidelb. 1817. 8 —
Auch Krug, in fe Repräfentativfpfteme,
©. 60 ff. erfläre fih) gegen die Nachahmung des
brittifchen Parlaments in diefer Hinſicht. — Nach⸗
'theile des Zweikammerſyſtems, im Oppo⸗
fitionsblatte, 1819, N. 208— 210 und Ebend.
1819, Beilage N. 62.
Für zwei Kammern erklären fih: (v. Wans-
genheim) in der dee der Staatsyerfaffung; —
Benj. be Conftant (der Eoneipient der Zufag-
acte vom 22, zu der vierten franzöf.
Verfaffung) ; sesrdchkiihgen über Conftitutio«
n: Negentunb
4 MN mir Modificationen.) —
vor der Wichtigkeit der politifchen
ſondere vonder Wichtigkeit der
Volk; ©.
Buchholz
Zormen,
Xheilung des
ſ. Journale für Te 71815, Nov. ©.384 ff.
— Derfelbe, noch einige Gedanken’ über Res
präfentativverfaffungen und deren Einführung;
in f. Journale, für Teutſchland, 1819, Sept,
85 ff. und Fortfegung, Oct. ©. 206 fi. —
Derfelbe, über die angeblichen Nachteile des .
Ztveifammerfoftens ; Ebend. 1819, Det. ©. 228 ff.
— Für zwei Kammern, ober, in Ermangelung
der erften Kammer, für einen Senat, erklärt ſich
der Vf. der Abhandlung: ein Wort über die Con-
ftieutionen großer Staaten; in den europ. Annalen, .
41818, St. 8, S. 192 ff. — Eben fo ſtimmt
für zwei Kammern der anonyme Vf. der Schrift:
Einige entferntere Gründe für ſtaͤndiſche Verfaſ⸗
fung. Leipz. 1815. 8. — Aud Fr. v. Raumer .
ments zwei Kammern; in
|
Staatskunſt. 401
(Hermes, St XII, ©. 358.ff.) gehört hieher:
„Es ift ein Hauptirrthum unfrer Zage, ftänbifche
. und tepräfentative DVerfaffungen unbedingt ent
gegen zu fegen; eine Hauptaufgabe, diefe Ele-
mente zweckmäßig zu verbinden Jede
ſtaͤndiſche Verfaſſung, welche blos auf nerfünlichen
und Erbeechten beruht, läßt das Volk gleichgültig
zur Seite, oder reizt es fogar zur Feindſchaft gegen
das Beſtehende; jede repräfentative Verfaffung,
die Nichts iſt, als ein Diviſionsexempel in die
Volksmenge, entbehrt aller organiſchen Gliederung,
ſetzt unnatuͤrlich das Verſchiedenartigſte gleich, und
. gewährt, wie die Erfahrung gezeigt hat, nicht die
mindefte (?) Sicherheit, daß irgend ein großes
Intereſſe der Nation (Religion, Wiſſenſchaft,
Aderbau, Gewerbe u. f. m.) angemeffen und von
Sachverſtaͤndigen vertreten. werde. Es ift lächer:
lich, in unfern Tagen zu behaupten, der Adel fey
überall ein väterlicher Beſchuͤtzer und Vertreter
feiner Bauern; es ift unverzeihlich, wenn Die Leib—
eigenfchaft und Sklaverei felbft mit chriftlichen-.
Medensarten empfohlen wird; aber es ift andrer
Seits nicht minder thoͤricht, dem Sacktraͤger und
dem größten Grundbefiger gleichviel politifche An-
rechte anznweifen, aus Abneigung gegen den Erb-
adel fich Dem Geldadel der Juden und Lieferanten.
willig Preis zu geben, und die geiftlichen ‚Angeles
genheiten durch Officiere anordnen zu laſſen. Per:
fönliche Anrechte und Wahlrechte, ftändifche Glie-
ber und Repräfentanten koͤnnen nicht blos, foridern
fie fallen. und müffen mit einander verbunden
werden; das Eine oder das Andere mit unbeding»
ten Anrechten hingeftellt, muß Stuͤckwerk bleiben
und nachtheilig werden. — Kin Reichstag in ber
I. 26 |
*
0) N
. 402 Staatsfunft,
Hauptſtadt eines großen Neiches, der Reichsver-
maltung gegen über tretend, genügt feinesweges,
um aud) die niedern Kreiſe in Das gehörige Leben zu
rufen. So wie die Schöppen neben dem ‚Schul-
zen, die Stadtverordneten neben dem Magiftrate
fteben; fo laflen fi) heilfom Kreisftände und
tanbftände organifiren. Aus Previnzial-
ftänden muß der Reichstag erwachfen, Damit ben
Gliedern das Haupt nicht fehle ; Reichstage hingegen
in einem großen Reiche, ohne landfchaftliche
und Gemeindeeinrihtungen, gleichen
einem Haupfe, das auf ſchwachen, oder gar feinen
Füßen ſteht. — In Frankreich ſcheut man mit
Recht demofratifhe Wahlformen, wobei blos die
Köpfe gezählt werden; tadelt aber mit gleichem
Rechte ariftofratifche, welche allen Nachdruck
auf die Thaler legen, und von 30 Millionen :
nur 100,000 Menſchen ausfondern.”
21.
Beſchluß
über die den Volksvertretern verfaf-
‚fungsmäßig beizulegenden Rechte und
j Pfflichten.
So bedeutend auch die Beſtimmungen vieler
neuern Verfaſſungen in Hinſicht der den Volksver⸗
tretern beizulegenden Rechte und Pflichten von einan⸗
der abweichen, weil einige derſelben den Kreis dieſer
Rechte und Pflichten bios auf die Bewilligung
der vom Regenten den Ständen vorgelegten Steuern
"und Abgaben befehränfen, andere dagegen die ges
feßgebende Gemalt ausfhließenb den Volks⸗
Staatskunſt. | 403
‚verteetern beilegen; fo fcheinen doch die Vernunft und
die Ausſagen der Geſchichte einen zweckmaͤßigen
Mittelweg zwiſchen jenen beiden Ertremen für die
Staatsfunft zu vermitteln,
Nach Vernunft und Gefchichte dürfte der Um⸗
fang der Rechte und Pflichten ber Bolfsvertreter fol-
gender feyn:
1) Zuſtimmung zu allen im Staate
feftzufeßgenden directen und indirecten
Steuern, mit ben Rechte der Aufſicht über die
Verwendung biefer Steuern zu dem bezeichneten
Zmwede, und — mo möglid — auch, mit dem
"Antheile an der Vertheilung diefer Steuern ayf -
die einzelnen Provinzen, Bezirfe und Gemeinden ;
2) Das Petitionsrecht (das felbft in auto⸗
kratiſchen Staaten feinem Unterthan verfümmert
wird), theils in Hinficht der von den Volfsvertre-
teen felbft ausgehenden, theils in Hinficht der ihrer
Verwendung und Unterftügung anvertrauten Bitten
von Individuen und von einzelnen Geſillſchaften im
Staate bei dem Regenten;
3) Antheil an der Geſetzgebung, fo
daß entweder den Wolfsvertretern gleich maͤ⸗
Big #) mit der Regierung (nach) oben ‚aufgeflellten
#% Dafür ertlärt ſich auh Krug, in f. Repräfentatips
ſyſteme, ©. 73 ff. und faft auf diefelbe Weiſe v.
Rotteck, in ſ. Ideen über Landftände, ©. oı f.,
nur daß diefer die Höchftwichtige Frage nach der Inj⸗
tiative der Geſetze ganz übergeht, und daß aegen
feine Meinung : „bei einem Volke, in deffen Mitte
politiſche Einfiche und politifche Tugend hauſen,
"mag den Ständen das Recht der Gefekaebung uns
ber@räntt estheitt werden,“ theils das aus der
26 *
404 Staatskunſt.
Grundſaͤtzen) die Initiative ber Geſetze, oder,
wenn der Regierung ausſchließend die Initiative der
Geſetze zukommt, den Volksvertretern das Recht der
Pruͤfung und Annahme ber vorgefehlagenen Gefege
zuſteht, bevor fie Geſetzes kpaft erhalten und im
Namen des Regenten als geltende Gefege be-
fannt gemacht werden koͤnnen. Nur gegen die aus-
fehließende Initiative der Gefege auf Seiten ber
Molfsvertreter, mit einem blos fufpendirenden Veto
des Regenten, erflären ſich gleich ftarf Die Vernunft
und Gefchichte. — Wo aber der Regierung das aus-
fließende Rechte der nitiative zufommt, muß, we⸗
nigſtens den Volksvertretern das Recht der Y nträge,
Morfhläge und Wünfche durch die Verfaffung
gefichert ſeyn, weil jede Vertretung zwecklos ift, durch
welche nicht die Bedürfniffe, Beſchwerden, Hoffe
nungen und Wünfche, des Volkes zur Kenntniß der
Megierung, vermittelft bes einzigen rechtlichen Organs
des Wolfes in feinen Vertretern, gelangen koͤnnen.
Befonders müffen alle neue hürcerliche und. Straf:
rechtsgefeßbücher,, „fo wie die Geſetzbuͤcher für das
“gerichtliche Verfahren und für den Handel, und bie
eigentlichen organifchen (in das öffentliche Staats»
. leben eingreifenden) Geſetze den Ständen zur Prüfung
"vorgelegte werden, weil fie, nach ihrer Stellung zu
dem Volfe, am ficherften beurtheilen koͤnnen, ob und
bis wie weit die von ber Regierung vorgefchlagenen
Gefege dem Grade der Eultur und Mündigfeit, und
den Bedürfniffen der einzelnen Stände und Klaffen
des Volkes entſprechen;
Vernunft hervorgehende Souverainetaͤtsrecht des Re⸗
genten, theils die Thatſachen der neueſten Geſchichte
in mehrern Reichen ſtreiten.
Staatskunſt. 405
4) das Recht der Beſchwerdekührung
und Anklage in Hinſicht aller wahrgenommenen
Mißhraͤuche der rihterlihen und poltziehen
Den Gewalt, obgleich an der Wirkſamkeit beider den
Voikovertretern nicht der entfernteſte Antheil aatom-
men darf;
5) das Recht der Mittheilung bes von
dem Regenten.mitdem Auslande abgefhlofs
fenen und die Angelegenheiten des ‚öffentlichen
Staatslebens (z. B. den Handel, die Schiffahrt ꝛc.)
betreffenden Vertraͤge;
6) das Recht der DeffentlicFeitipren
Verband lungen, -sheils in Betreff der Drffen®
lichkeit ihrer Berfommlungen, theils im “Betreff dev
öffenelihen Bekanntmachung ihrer Beſchluͤſſe (dafern
nicht da, wo zwei Kammern beſtehen, bis Sigungen
ber e sie n Kammer: verfafluungsmäßig; geheim Fo
follen ); |
7) das Recht der perfönlichen Unverlef-
tigfeie *) waͤhrend der Zeit ihrer affeutlichen? Wirk⸗
Sefferfon, der vormalige gräfbeit dev norbbmen
ritanifcher Breiftasten,, fage deshalb: „In einem
eonftitutionellsmonarcifchen Staase find der Fürft
und die ihm gegen :über ſtehenden Repraͤſentanten
heilig und unverletzlich, in einem republikaniſchen die
Mitglieder der geſetzgebenden Verfammiung. Diefe
‚». Heiligkeit und Unverleglichkeit -befisht „darin, daß
0, Die Depofltars, der geſetzgeben den Gewalt, als ſolche,
2 für ihre Handlungen ſchlechterdings ngeraniwortlich
3, And, und, da fie nicht. WaLer„.fondegh Aber dem
Geſetze ſtehen. Die Perſon des Für AB. als die
perfonificiete Idee der Einheit des ‚Stanges,, bleibt
unter allen. Umfänden unantaftbar. -..Daffelbe gilt.
‚ von der Unserletzlichkeit der Repräfentanten-
vera mmiuns, als der verſinnlichten Idee der
406 Staatskunſt
ſamkelt (außer indem Falle der thatſachlichen Ueber⸗
flihrung eines Verbrechens), und der Unveramt⸗
wortlichkeit für alle ihre wetfoffungsmaßigen Aus
träge und: Beſchluͤſſe.
In Hinſicht des Antbeils der Volksvertreter an
- bem oberhoheitlihen Rechte, Krieg anzufündt
gen und Frieden zu ſch ließen, ſcheint die britti-
ſtche Verfaſſung ven zweckmaͤßigſten Ausweg gefunden
gu haben, nad) welcher dem Regenten das Recht des
Krieges und Friedens ausfchließend zufteht, Dagegen.
bie Bewilligung ber Summen zur Führung
bes Krieges allein von dem Parlamente abhängt.
Dadurch wird die, in vielen ‚Fällen felbft für _bas
Wohl des Wolfes nicht rathſame, Bekanntwerdung
der Eröffnung eines Krieges vor der Erklaͤrung bef-
felben vermieden, zugleich aber auch) von dem Volke
Aur derjenige Keieg kraͤftig uncterſtuͤtzt, fuͤr welchen
die oͤffentliche Meinung ſich erklaͤrt.
In geſchichtlicher Hinſicht darf nicht vergeſſen
‘werden, welche Grundſaͤtze auf dem Wiener Con⸗
greſſe (man vergl, J. Ludw. Kluͤber's Ueberſicht
. uͤber die diplomatiſchen Verhandlungen des Wiener
- Congtefles, 3 Abtheilungen, Frkf. am M. 1816.
8 8.201 ff) von Deftreih und Preußen
. Über die den. Ständen der teutſchen Staaten in
— — —
Atigiemelnheit des Stahtes. Nur tritt hier
der Fall ein, daß einzelne Mitglleßer der Verſamm⸗
lung, weiche ſich eines: Vetbreihens ſchuldig machen,
'allerdigge unter das Geſetz geftellt und zur Werants
j wortung üczogen werden koͤnnen, weil durch Bes
„gedera tined Verbrechens das eingeine Mitglied von
. e Serfaitilung fi) losſagt, und deffen Beſtra⸗
“ Br t! als Verleßzung ber Verfammlung bemacptet
u werdin ans’
{
Staatsfunft, | 407
der neuen Verfaſſung Teutfchlande zu ertheilenden
Rechte aufgeftellt wurden. “ Schon in dem erften
von Preußen vorgelegten Entwinfe einer teutfchen
Bundesverfaffung ward auf die Feftfegung eines
Minimum der Rechte der Landſtaͤnde gedrungen,
und diefes Minimum in den beftimmten Ancheil
ander Geſetzgebung, indie Bewilligung
dertandesabgaben, und in die Vertretung
der DVerfaffung bei dem Landesherrn und dem
. Bunde gefegt. Zugleid warb vorgeſchlagen, die
Stände aus erblihen und gewählten zu bil«
den. Dieſes Minimum wiederhohlte Preußen am
46. Det. 1814 in den, im Einverftändnifle mit
Oeſtreich und Hannover, entworfenen zwoͤlf Arti⸗
keln mit dem Zuſatze: „daß ‚ außer diefem Minis
mum, der Bundesvertrag es den Buͤndesfürſten
überlaffen folle , ihren fandftanden nicht nur ein
Mehreres zu. bemilligen, fondern auch denfelben
eine Einrichtung zu geben, welche der Landesart,
beim Charafter der Einwohner , und dem Herfom-
men gemäß ſey.“ Endlich beftimmte, am 10. Febr.
- 4815, Preußen das Minimum von Rechten. ges
nauer, welches allen teutſchen Sandftänden, —
unabhängig von der Verfchiedenheit landftändifcher
Verfaflungen in den einzelnen Sändern, — zukom⸗
- -.men und namentlich beftehen folltes 1) in dem
. Rechte ber Mitberathung bei Ertheilung
neuer, allgemeiner, die perfonlichen und Eigen»
ehumsrechte der Staatsbürger betreffenden, Ger
feße; 2) in dem.Rechte der Bewilligung
bei Einführung neuer Steuern, oder bei Er-
hoͤhung der fchon vorhandenen; 3) in dem Rechte
der Beſchwerdefuͤhru ngüberMißbräude
oder Mängel in der Sandesverwaleung,
408 Staatskunſt.
worauf ihnen die Regierung die noͤthige Erklaͤrung
barüber nicht verweigern duͤrfe; und 4) in dem.
Rechte der Schützung und Vertretung
ber eingeführten Verfaſſung bei dem Sandesheren
und bei dem ‘Bunde. |
| a?
Ueber Freiheit der Preffe.
Die Freiheit: des Wortes und der Schrift ift,
an ſich betrachtet, eine unmittelbare Folge der Frei—
beit des Gedanfens, und diefe ift begründet in der
urfprünglichen Freiheit des menfchlichen Geiftes über»
haupt, fo wie zunachft in der fittlichen Freiheit. Man
follte meinen, wenn Gott dem Menfchen die fittliche
u Freiheit und die freie Sprache, bei dem vorausge-
fehenen unvermeidlichen Mifbrauche beider, dennoch
mittheilte; fo müßte auch die Größe beider Güter die
denfbaren und die wirflich eintretenden Mißbräuche
derfelden aufwiegen; und nach derfelben Solgerung,
‚müßten auch die Vortheile dev Preßheit für die ganze
bürgerliche Gefellfhaft die Mißbrauche derfelben auf-
wiegen. Diefe Anfiht wird noch infofern von ber
Geſchichte beftätige, inmiefern’die Staaten mit
großer Preßfreiheit — 3. B. Großbritannien, Preu⸗
Gen unter Friedrich 2, Dänemark und Nordamerifa —
in der geiftigen Entwickelung und Eultur, und, durch)
beide, in allen Theilen des innern Wohlftandes uns
aufhaltbar fortfchritten; fo wie die Gefchichte gleich-
mäßig ausfagt, daß durch Freiheit der Preffe nod)
fein Reich bedroht und geftürze, wohl aber mander
Staat, wenn dem ängftlihen Preßzwange zulegt Die
Erbitterung der Gemüther_und diefer Erbitterung der
endliche Ausbruch langverhaltener Affecten folgte,
EN
Staatskunſt. ” . 409
durch Preßzwang in feinen Stnem GGewaltſam er⸗
ſchuͤttert ward *).
2 Friebrich 2 (hinterl. Werke, Th.e6, ©. 63 Pr ſchrieb
im Jahre 1781, als Greis von 69 FJehren: : „Wenn
man bis zu dem Urſprunge der Geſeliſchaft hinaufe
ſteigt; fo iſt es einleuchtend genug, daß der Ne
gent ſchlechterdinge kein Recht über die
— Meinungen der Öärger bet. Müßte man
nicht wahnfinnig ſeyn, wenn man ſich vors
. ſtellen wollte, daß Menſchen gu einem ihres Sleichen,
x. gefage hätten: Wir erheben dich über ung, weil wie
gern Sklaven ſeyn wollen, und mir geben dir bie
Macht, unſere Sedanten nah deiner Wilke -
‘ kühr zu leiten. Sie haben vielmehr gefage: Wir .
beduͤrfen deiner, um bie Grfege aufrecht zu halten,
denen wie gehorhen wollen, um weile regiert zu wers
den , und uns zu. vertheidigen. Uebrigens fordern
wir von dir Achtung für unfere Freiheit. Dies ift
das Berlangen der Völker, wogegen feine Einwendung
ſtatt finden kann; und dieſe Toleranz iſt ſelbſt ſo
vortheilhaft für die Geſellſchaft, wo fie eingeführt
it, daß fie das Gluͤck des Staates bewirkt.” —
. Wenn Friedrih 2 diefen Gegenftand aus. dem Stand⸗
puncte des Rechts faßte; fo nahm ihn Sr. v. Gentz
aus dem Standpuncte der Politik, in feiner Schrift
an Friedrich Wilhelm 3 bei deffen Throms
befteigung (Berl. 1797. 8.)-- „Bon allem, was
Feſſeln ſcheut, kann nichts fo wenig fie ertragen, ale
der. Gedanke des Menfhen. Der Druck, der diefen
— cttrifft, iſt nicht blos ſchaͤdlich weil er das Gute ver—
hindert, foudern and, weil er unmittelbar das Boͤſe
befoͤrbert. Was, obne..alle Roͤckſicht auf andere
Strände, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebictet,
ausſchließend und peremtorifh verdammt,
ift der wefentlihe Umſtand, daß es, feiner- Natur
nach, nicht aufrecht erhalten werden fann, Wenn
_ neben einem jeden ſolchen Gelege nicht sin ‚wahres
Inquiſttionstribnnal wacht; fo if es in unfern Tagen
-
—
.
410 | Staatskunſt.
* **
Allein bei ber. Webertragung des urſpruͤnglichen
Rechts der Freiheit der Sprache und der Meſſe auf
—9
unmdalich, ihm. Anſehn gu verſchaffen. Die Leich⸗
tigkelt, Ideen ins Publicum zu bringen, iſt fo groß,
daß jede Maasrezel, die fie beſchraͤnken will, vor ihr
zum Geſpoötte wird. Wenn aber Geſetze dieſer
Art auch nicht wirken; fo koͤnnen fie doch erbittern,
— und das ifk eben’ dad Verderbliche, daß fie ers
bittern, ohne zu fhrecden. ie reizen gerade
diejenigen, gegen welde fie gerichtet find, zu einem
Mideritande, der nicht immer nur glüclich bleibt,
fondgen am Ende ſogar rähmlich wird. . Die arms
feligften Producte, denen ihr innerer Gehalte nicht
ein Leben von zwei Stunden fihern würde, drängen
fih in den Umlauf, weil eine Art von Much mit
three Kervorbringung verknüpft zu feyn fheint. Die _
nuͤchternſten Scribensten fangen an, für Helle Köpfe
zu selten, und die feilften erheben fih zu Märtys
rern der Wahrheit. Taufend bösartige Inſec⸗
ten, die Ein Sonnenfirahl der Wahrheit und des
Genies verfheuht hätte, fchleichen ſich jetzt, Begins
Zu ige von der Finſterniß, die man ihnen gefliffentlich-
fhuf, an die unbewahrten. Gemüther des Volkes,
und feßen ihr Gift — ale wäre es eine verbotene
Koſtbarkeit — bis auf den legten Tropfen ab. Das
einzige Gegengift, — die Probucte ber: beffern
Schriftſteller, — verliert feine Kraft, weil der Ununs
‚terfichtete nur allzuleicht den, welcher von Schranken
ſpticht, mit dem-verwecdhlelt‘, weicher die ungerechten
gut heiße. Micht alfo, weil der Staat, oder bie
.. Menſchheit, - dabei Intereffirt wäre, oh. in biefem,
don Büchern. umflucheten, Zeitalter taufend Schriften
- Mehr oder weniger das Licht. erblicken, fondern weil
Em. Majeftär zu groß find, um einen fruchtloſen,
und eben deshalb‘ fhädtichen Kampf mit kleinen Geg—
nern zu kaͤmpfen; datum ſey Preßfreiheit
Basunwandelbare Princip Ihrer Regie:
» rung Bir geſetzwidrige Thaten, Für. Schriften,
EStoaatskunſt. 411
Die Geſellſchaft, welche Im Staate lebt, verlange ſchon
an ſich die Vernunft (Naturr. $. 18.) ‚ noch abges
fehen von der Klugheit, daß jebe Bedrohung und
Verlegung des Rechts Andrer duch Mißbrauch der
Preſſe eben ſo geahndet werden muͤſſe, wie jede andere
Rechtsverletzung, d. h. nach dem wahrnehmbaren
Grade der ſubjectiven Strafwuͤrdigkeit und ber:
ebjectiven Strafbarkeit. Die /letzte kann aber
nur durch ein beſtimmtes Prefgefes bezeichnet und
ausgefprochen werden. Die Recht lichkeit dieſes
Preßgeſetzes, ‚und die Nothwendigkeit deſſelben
in einer bürgerlichen Geſellſchaft, wo ſittlich-⸗ muͤndige
und fittlic) » unmündige ndividuen neben einanber
leben und wirken, ift daher über jeden Zweifel erha-
den. Defto ſchwieriger iſt die Aufgabe der Staats-
kunſt, ein völlig zweckmäßiges und erſchoͤ—
pfendes Preßgeſetz aufzuſtellen, weil die angeb⸗ |
lihen und bie wirflichen Preßvergehen, nach
ihrer Ankündigung burd) Wort und Schrift und
nad) ihrer Wirff amfeie im Staate, in vielfacher
Hinſicht mit andern Rechtsverlegungen nicht verglichen
werden fönnen.
Ales, was Vernunft, Erfahrung und
Seſchichte darüber as recht lich, nuglih und -
Ausführbar aufftellen Eönnen, ſcheint auf folgen ·
die den Charakter folher Thaten anziehen, muͤſſe
jeder verantwortlich, ſtreng verantworts
ih ſeyn; aber die bloße Meinung finde Beine .
andern Widerfacher, als die entgegennefeßte, und,
wenn fle irrig dt, die Wahrheit. Mie kann dies
Syſtem einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereis
tenz nie har es einem feldyen geſchadet. Wo es vers
detblich ward; da war die Zerſtͤruns ſchon vorher⸗
grgangen.“
410 | Staatskunſt.
Allein bei ver Uebertragung! bes urſpruͤnglichen
Rechts der Freiheit der Sprache und der Preſſe auf
unmoͤglich, ihm Anſehn zu verſchaffen. Die Leich⸗
tigkeit, Ideen ins Publicum zu ‚Bringen, iſt fo groß,
daß jede Maasſsregel, die fie beſchraͤnken will, vor ihr
zum Geſpoötte wird. Wenn aber Geſetze dieſer
Art auch nicht wirken; fo koͤnnen fie doch erbittern,
— und das ift eben: das Verderbliche, daß fie ers
bitteren, ohne zu fhreden. Sie reisen gerade
diejenigen, gegen welde fie gerichter find, zu einem
MWideritande, dee nicht immer nur glücklich bleibt,
fondgen am Ende fogar ruͤhmlich wird... Die arms
feligften Producte, denen ihr innerer Gehalt nice
ein Leben von zwei Stunden fihern würde, drängen
fih in den Umlauf, weil eine Art von Much mit
“ihrer Kervorbringung verknuͤpft zu feyn fheint. Die _
nücdhternften Scribensen fangen an, für helle Köpfe
zu gelten, und die feilften erheben fih zu Märty
rern der Wahrheit. Taufend bösartige Inſec—
ten, die Ein Sonnenftsahl der Wahrheit und des
Genles verſcheucht bärte, fchleichen fih jetzt, Begins
'- 'Rige von der $infterniß, die man ihnen gefliffentlich-
(Huf, an die unbewahrten. Gemuͤther des Volkes,
und feßen ihe Gift — als wäre es eine verbotene
Koſtbarkeit — bis auf den legten Tropfen ab. Das
—eiinzige Gegengift, — die Probducte ber beffern
Schriftſteller, — verliert feine Kraft, weil der Ununs
‚terichtete nur allzuleicht den, welcher von Schranten
ſpticht, mit dem verwechſelt, welcher die ungerechten
gut heiße. Micht alfo, weil der Staat, oder die
- Menfchheit, ‚dabei intereſſirt wäre, ob. in dieſem,
on Büchern umflutheten, Zeitalter taufend Schriften
"Mehr oder weniger das Licht. erbliden,. fondern weil
Erw. Majeftät zu groß find, um einen fruchtloſen,
und eben deshalb‘ [hädtichen Kampf mit Beinen Geg—
nern zu kaͤmpfen; datum ſey Preßfreiheit
" Bas unwandelbare Princip Ihrer Regie:
"rung. Gür gefegmidrige Thareh, für. Bchriften,
—EStaatskunſt⸗ 411
die Geſellſchaft, welche im Staate lebt, verlange ſchon
an ſich die Vernunft (Naturr. $. 18.) ‚, nöd) abge».
fehen von der Klugheit, daß jede Bebrohung und
Verlegung des Rechts Andrer durch Mißbrauch der
Preſſe eben fo geahndet werben müffe, wie jede andere
Rechtsverletzung, d. h. nad) dem wahrnehmbaren
Grade der fubjectiven Strafwuͤrdigkeit und ber:
objectiven Strafbarkeit. Die legte. kann aber
nur durch ein beſtimmtes Preßgofes bezeichnet und
ausgefprochen werden. Die Rede lichfeit dieſes
Preßgeſetzes, und die Nothwendigkeit deſſelben
in einer bürgerlichen Geſellſchaft, wo ſittlich- muͤndige
und. fitlich » unmündige Individuen. neben einanber
leben und wirken, ift daher über jeden Zweifel erha-
‚den. Defto ſchwieriger iſt die Aufgabe der Staats⸗
kunſt, ein völlig zweckmäßiges und erſch oͤ—
pfendes Preßgeſetz aufzuſtellen, weil die angeb-
lichen und die wirklichen Preßvergehen, nach
ihrer Ankuͤndigung durch Wort und Schrift und
nad Ya Wirkſamkeit im Staate, in vielfacher
Hinſicht mit andern Rechtsverlegungen richt verglichen
werden fönnen.
Ales, was Vernunft, Erfahrung und Ä
Befhicite darüber als recht id, nüglidh und .
Husf uͤhrbar aufſtellen koͤnnen, ſcheint auf folgen⸗
die den Charakter ſolcher Thaten anziehen, muͤſſe
jeder verantwortlich, ſtreng verantwort—
kih ſeyn; aber die bloße Meinung finde feine .
andern Widerfacher, als die entgegengeſetzte, und,
menn' fle irrig ft, die Wahrheit. Mie kann dirs
Syſtem einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereis
cten; nie hates einem feldyen geſchadet. Wo es vers
detblich ward; da war Die Zerſtͤrung soon vorher⸗
grtzakgen.
\N
'
42. Staatsfunft,
den zwei Puncten ®) zu beruhen: 1) encwedet man
ſucht alle Mißbraͤuche und Vergehen der Preſſe durch
Praͤvention zu verhuͤten; 2) oder man verſtattet
jebem Staatsbürger Das Recht der freien Preſſe, be-
Fein aber duch ein Prefgefes, was Prefver- |
gehen find, und wie fie beftraft werben foflen.
Der Zweck der Prävention wird durch die Cen-
fur zu erreichen gefucht, durch ein polizeiliches In⸗
flitut, wornach der Staat, vermittelft der ernannten
Senforen, eine Art von Bormundfchafe über die
gefammte geiftige Thätigfeit im Staate ansuͤbt. Soll
Diefes Spftem folgerichtig durchgeführt werden; fo
darf 1) im Stante Feine Zeile obne Cenfur
gedrudt werden, und ‚,2) für. die cenfirten
Schriften iſt nicht mehr ber Schriftſteller, fondern
der Cenfor verantwortlid, Wie ſchwierig
⸗
dieſes Syſtem in ſeiner Ausführung iſt, erhellt
ſchon daraus, weil — ſeit der Einführung der Cen⸗
für in Europa — noch fein,. Die Pflichten und
echte des Cenſors erfhöpfendes, Cenfurgefeg
erſchienen ift, und deshalb dem eigenen Ermeflen —
nicht felten der. individuellen Anfiht —- der Cenforen
‚gewöhnlich fehr viel überlaffen bleibe. _
Dagegen beruht das. zweite Syſtem, das von
‚einer ftellvertretenden Verfaffung und von dem darin
beſtimmten Antheile der fittlich - mündigen. Staats-
- ‚bürger an der öffentlichen, Freiheit Faum getrennt wer:
den⸗ kann *®), auf der, in, der " Rerfaflung ‚asgefpro
u‘
5 Bra. B —8& in f.: gournale aeutſhlend, 1322.
Mär, ©
7) Der Fuͤrſt Takleyrand erklärte -in -feiner in ber
Mairskammer Frankreichs gehaltenen Nede (f. Buchs
. holz, Teutfchlan®, 1821, . ©ept.): „Ohne Prebs
Staatsfunft. Ä 413
chenen Preßfreiheit, womit aber. ein Preßge
feg über die Preßvergeben und deren Beftrafung
freiheit gibt es feine vepräfentative Regierung; eine
Regierung, welche fih-z3u lange der Preßfreiheit wis
derfegt, ftelle fi Gefahren blos. Heute zu Tage iſt
es nicht leicht, lange ſchwarz für weiß zu verkaufen.
Sch kenne jemand, der mehr Verftand hat, ale Vol⸗
taire; mehr Verſtand, als Buonaparte; mehr Vers
ftand, als die Weltpiloten, und mehr Verſtand, ale
alle Minifter, die waren, find ud ſeyn werden,
naͤmlich: die allgemeine Meinung.” — Der
nordameritanifhe Praͤſident Befferfon fagte am
4 März 1801 in feiner Antritesredes ‚Verbreitung
von Lichte und Kenntniffen, Anklage jedes Mißbrauchs
vor dem Berichte der Öffentlihen Meinung, Freiheit
der Sottesverehrungen, Freiheit der Preſſe, perlöns
lihe Freiheit unter Sewährleiitung des Habeas s Cors
pus, und Gerechtigkeitspflege durch unpartheiiſch ges
wählte Sefhmworne; — das find die hellen Sterne,
welhe ung glädlih durch die finitern Stärme der
Revolution und unſerer Wicderherfti lung geleitet haben,
Der Aufitellung diefer Srundgefege haben unfere Ge—
Ichrten ihre Nachtwachen geweiht gehabt; für Ihre
Vertheidigung vergoflen unfre Helden ihr Blut; fie
follen unfer politifd;es Credo bleiben, der. Tert unfere
börgerlihen Unterrichts, der Prafftein des Sinnes
derer, denen wir unſer Zutrauen ſchenken.“ — Sin
gleihem Sinne erklärte ih Camille⸗Jordan im
der Deputirtenfammer Franfreihs (Allg. Zrit. 1817,
N. 360.): „Gebieteriſch erheifhen Vernunft und Freis
heit die Aufitelung von Geſchwornen für Preßvers
sehen; fie brauchen nicht Gelehrte, nicht tiefe Polis
tiker zu ſeyn; gefunder Menfhenverftand reicht. hin,
zu enticheiden, ob eine Schrift eine Verlaͤumdung
oder Beleidigung gegen Bürger, einen Aufruf zur Ems
pörung gegen die gefeßmäßige Macht enthält, Die
Schriften wurden ja gedrudt, um Eindruck auf
das Publicum zu machen; folglih koͤnnen unabs
>
° \ \
aa Staatskunſt.
u nothwendig Verbänden werben muß. Nur als vor-
uͤbergehende — und eigentlich mit dieſem Syſteme
haͤngige Männer, aus dem Publieum genommen,
am beften beurteilen, welchen Eindruc fie gemacht
Haben. Sollten die Geſchwornen aber aud einen
Schriftſteller losfprechen, den die Vernunft verurtheilt;
fo tönnten die Journale bald an ihm Gerechtigkeit
üben. Hieruͤber haben alle freie Völker nur Eine
Meinung. * — In demfelben Seife fprah Bignon
(Ebend. N. 362.): „Es herrſcht darüber nur Eine
Stimme, daß es keine Preßfreiheit ohne Geſchwor⸗
nengerichte, ‚um über ihren Mißbrauch zu entfcheiden,
und ohne Unabhängigkeit der Sjournale ‚gebe; odne
diefe beiden Bedingungen ift Preffreiheit eine Chi⸗
märe. Die Polizeigerichte ſind Bierbei
verwerflih; — nicht wegen ihres Ranges in ber
gerihtlihen Hierarchie, fondern weil Richter, deren
Beruf es ift, Aber die Schändlichkeiten und Verirrun⸗
gen der entarteten Menſchheit zu richten, ſich nicht
fogleih in die nöthige Stimmung verfesen können,
um über das Maas zu entſcheiden, weldes beherzte
Vertheidiger der Volksrechte nicht Überfchreiten ſollen;
weil Richter, denen die Pflihe- e8 zur Gewohnheit
gemacht hat, ven Schuldigen herauszufinden,
gar leichte einem Schriftiteller Meinungen und Abfichs
ten in feinen Schriften aufdecfen werden, an die er
nie gedacht hat, fo wie, nur im einem andern Sinne,
die Commentasoren in ihrem Lieblingsautor Schoͤn⸗
heiten finden, welche diefem nie in den Sinn kamen;
endlih meil permanente Richter nidht unads
hängig ſind, und zu fehr die Gewohnheit haben,
nad fruͤhern Fällen zu entfheiden. Alle dieſe Nach⸗
theile fallen bei Geſchwornen hinweg; frei von Vor—⸗
urthrilen, ohne Ruͤckſicht auf früher gefällte Urcheile,
entfcheiden fie über die Schuld eines Schriftftellers
‚nad dem Eindrucke, den fein Werk auf ihren aefuns
ben, unbefangenen Verſtand gemacht har. — Selbſt
fuͤr die Miniſter ſind freie Journale eine Wohlthat;
Staatskunſt. | 415
unvereinbare — Maasregel wird in einigen Staaten,
mit der Preßfreiheit und dem Preßgeſetze auch noch
- fie hindern ſie, ihre Gewalt zu mißbrauchen.“ —
Sogar Napoleon, der im Jahre 1814 erklaͤrte, daß
ihn „die liberalen Ideen” geſtuürzt haͤtten, nahm,
- während der Zeit der hundert Tage, in die Zufatz⸗
artitet zur vierten Verfaſſung Frankreichs (am 22.
‚Apr. 1815) im Art. 64 folgende Beſtimmung auf:
„Jeder Bürger hat das Recht, feine Gedanken, wenn
er. fie unterzeichnet, zu drucken und befannt zu machen
ohne einige vorhergegangene Cenſur, mit
Vorbehalt geſetzlicher Verantwortlichkeit nach der Bes
kanntmachung durch Urtheilder Geſchwornen,
wenn auch eine bloße correctionelle Strafe ſtatt haben
ſollte.“ — Einige Jahre fpdter (1819) erklärte ber
"damalige franzdfifhe Minifter de Serre: „Alle Vers
folgungen gegen Schriftfteller haben ihren Zweck nicht
erreicht, und die Negierung ſieht fib in diefer Lage
gendehige, das Uebel bei der Wurzel anzu
greifen, und einem freimäthigen Volke das Recht,
über, die öffentligen Handlungen der dffentlihen Mans
ner die Wahrheit zu jagen, und das Sefagte zu beweis
fen, zuräcd-zu geben. Ohne freie Dreffe kann
die Verantwortlichkeit der Regierungss
agenten gar nicht begründet werden; denn
wie fchwierig ift es für den Privarmann, Beamte
ohne Autorifation der Regierung vor Bericht zu flels
len. Auch unter der Parferlihen Regierung waren die
Beamten verantwortlih. Da aber ber legale Beweis
fo ſchwer zu führen iſt, und die Preffe nice
frei war; fo wurden faft nie Klagen über Bes
drüädungen der Beamten laut.” — Damit kann
verglihen werden die. Rede des Repräfentanten Do
tsrenye (am 25. Sept. 1816) in der zweiten Kams
mer der Seneralftaaten des Königreiches ber Nieders
lande (Allgem. Zeit. 1816, N. 302 f.), und
Karl v. Rottecks Rede über die Preßfreiheit in der
Badenfhen Ständevertammlung (Oppoſitionsbl.
416 Staatskunft,
die Cenfur, namentlich für Tagesblätter, Zeitun-
gen und Flugſchriften, verbunden, obgleih auch
diefe Schriften an fich unter bem Preßgefege ftehen;
geroiffermaßen um dem Eindrude vorzubeugen, der
vermittelſt folcher Blätter auf die große Maſſe des
I
1820, Beil. 71) — Gleiches ſpricht v. Jakob
(Einf. in dag Studium der Staatewiffen
haften, Kalle, ı819. 8. ©. 213.) aus: „Sof
eine Conftitution ihre Vollkommenheit erreichen ; fo
muß Preßfreiheit neben ihr die Regel feyn. Ver⸗
mittelft derfelben können allein die Sachen von allen
Seren beleudtet, und alle Stimmen, aud die,
welche nicht in den Volfeverfammlungen oder vor der
Regierung erfcheinen dürfen, vernommen werden. Das
durch wird nah und nah ein Öffentlideg Ur
theil, eine Öffentliche Volksſtimme gebildet, die ends
Iih fo ſtark wird, daß fomohl die Stände, als der
Monarch ferdit, darauf Ruͤckſicht nehmen möäflen,
wenn fie gereht und wahr if. Auch if nur
dieſe bleibend. Die particulären Meinungen der
Demagogen verbalen, und bleiben in einem
Staate, der nah gerechten Srundfägen
regiert wird, ohne politifhen Einfluß;
aber das Gute, das die Probe der Zeit aushält, ers
hält durch die Oeffentlichkeit eine Stärke, gegen die
aud der Mächtigfte nicht handeln darf, ohne fich der
größten Gefahr und mindeftens der allgemeinen Vers
achtung auszuſetzen.“ — Fr. Buchholz (Iburnal
für Teutſchland, 1815, Th. ı, ©. 5423.)2 „Wo von
Deffentligkeit der Verhandlungen die Rede it; da
muß auh von Preßfreiheit die Nete feyn, ins
dem dieſe zuleßt nichts anders ift, als der Ausdrud
von jener. Bol. deffen Aufſatz über Preß—
freiheit (in demf. Sjournale, 1816, Ih. 2, ©.
537 ff.)e „Wo die Freiheit der Preſſe fih nicht in
Kraft der Berfaffung gleihfam von ſelbſt beſchraͤnkt;
da muß etwas feyn (Tenfuranfkalt), wodurch
diefes bewirkt werde.”
Staatskunſt. 417
Volkes in der Zwiſchenzeit hervorgebracht werden
koͤnnte, bevor das Preßgeſetz auf den Mißbrauch der
Preßfreiheit anzuwenden möglich wäre,
Inm Allgemeinen dürfte alſo Der Grundſatz der
Staatskunſt gelten: In allen Staaten, wo die Ein⸗
richtungen fehlen , welche den Chargkter der Deffent»
lichkeit tragen (Verfaſſung als Grundvertrag, ‚öffent
lihe Verſammlungen der Volksvertreter‘, öffentliche
Gerechtigkeitspflege u.f. mw.) , ift die Cenfur und ein
‚ beftimmtes Cenfurgefeg der Preßfreiheit vorzu⸗
ziehen; dagegen in allen Staaten, wo das innere
Staatsleben zur Deffentlichfeit gelangt ift, die Preß-
“freiheit mit einem beftimmten Preßgefege den
Vorzug vor der Cenſur verdient. Uebrigens folgt aus
dem Dafeyn der Cenſur nicht fhon an fich die
Beſchraͤnkung und Laͤhmung der, gejftigen Mittheis
lung; denn die Gefchichte kennt Staaten, wo, unter
geitung der Cenſur, die Prefle freier fich bewege, als
wo die Preßfreiheit in der Verfaflung ausgefprochen
ift. Eben fo wenig folge, daß in Staaten mit Preß-
freiheit und Preßgeſetz der Geift ſich freier ausfprechen
koͤnne, als in Staaten mit Cenfur, ‚weil in folchen
Staaten alles auf die Anwendung und Hand
babung des Prefgefeges anfommt Die
freieſte, ficherfteand unpartheifchfte Anwenbung beffels
ben wird aber nicht von befoldeten Richtern
geſchehen, fie mögen aus Polizei = oder Juſtizbehoͤrden
ernannt werden; vielmehr find da, mo Preßfreiheit
und Preßgeſetz rechtlich beftehen, Sefhmornens
gerichte unumgänglich nöthig, wo Geſchworne, ang
Gleichen gebildet, das Unſchul dig oder Schuldig
über die angebliche: Verlegung der Preßfreiheit aus⸗
fprechen, und, nach dem Ausſpruchedes: Schuldig
von ben Geſchwornen, bie Unterordaung des Preßver⸗
J. 27
248 , Staatsfunft,
gehens unter das vorhandene Preßgeſetz, und die Ent-
ſcheidung über die Größe des Vergebens und die Art
feiner Beftrafung erfolg.
M. C. F. W. Graͤvell, drei Briefe über Pre
freiheit. und Volksgeiſt. Berl. 1815. 8.
Krug, Entwurf jur teutfhen, und Darftellung
der englifhen Gefeßgebung über die Preßfreiheit.
Leipz. 1818. 8.
Ludw. Hoffmann, Eenfur und Preßfreiheit,
hiſtoriſch⸗ philoſophiſch bearbeitet. 2 Theile. Berl.
1819. 8. (Der erfte Theil auch mit dem befondern
Titel: Geſchichte der Büchercenfur.)
Nühlev. Lilienftern, Studien. Zug Driens
tirung über die Angelegenheiten der Preſſe. 2 Abthl.
Hamb. 18020. g.
Heinr. Zſchokke, Referat Über ein neu aufzu⸗
ftellendes Geſetz gegen die Prefivergehen; in f.
Ueberlieferungen, 1820, April.
Wilh. v. Schü, Teutfchlande Preßgefeh. Landes
hut, 1821. 8.
23.
8) Die Regierung des Staates, als zweiter
Beſtandtheil der Organiſation deſſelben
Es iſt eine der folgenreichſten Begriffsverwechs⸗
lungen in der Staatskunſt, wenn man nicht ſtreng
zwiſchen Verfaſſung und Regierung des Staates un
terfcheider. Zwar iſt in einem auf einer Verfaſſungs⸗
jirfünde, als Örundvertrage, beruhenden Staate die
Korm derXegierung nothwendig in der Vers
faffung beftimme (d. h. fie ift entweder die Wer
faflung eines monacchifchen oder eines republifanifchen
Staates; fie fpricht entweder die Wahl oder die Erb»
lichkeit der Regentenwuͤrde aus; ſie verzeichnet ben
Kreis der Rechte und Pflichten des Regenten, deſſen
l
Staatsfunft. | 419 5,
Civilliſte u. ſ. w.); allein ‚nach dem Berhäftniffe bei⸗ | ,
der, der Verfaflung und der Regierung, zur Organi«
fation des Staates, bezieht fich die Regierung, ſchon
dem Worte nach, ausfchließend auf die Perfon
des Kegentem Es muß daher, im Begriffe, ſehr
genau zwiſchen der Verfaffungsform und der Regie.
rungsform des Staates unterfchieden werden, weil
zunaͤchſt mit der legten die Form der Verwaltung
. des Staates, als dritter Beſtandtheil feiner Organi—
fation, zufammenbängt, indem der Regent — er möge
übrigens nad) feinen Rechten als unbeſchraͤnkt oder
beſchraͤukt erfcheinen, — in jedem Staate als das |
Dberhaupt dergefammten Staatsverwak
tung gedacht wird. Ä
. Unterfcheideet man daher genau zwiſchen der Ver⸗
faſſung und Regierung; fo kann nicht von einer der‘
mokratiſchen, ariftofrarifihen, menarchifchen ıc. Ver⸗
faffungsform, wohl aber von einer demofradifchen,
monarchiſchen u. a. Regierungsform gehandelt
werden, J
24.
Fortſetzung. Be
. Die wichtige Frage aber nad) der vollkommenſten
Regierungsform kann nicht aus reiner Vernunft
Monſt müßte fie dem Scuabsrechte angehbren), fon
dern nur mie Raͤckſicht auf die Ergebniſſe
der Geſchichte, mithin nie unbedingt (abfolue),
fondern nur bedingt und beziehungsweife (relatio),
d. h. mie Ruͤckſicht auf ein gegebienes Wolf und
nad) örtlichen und ländlichen Werhältnäflen beantwor -
tet werden. : Deshalb gehoͤrt denn audh die Lehre von
der zwechmäßigfien Relgiekumgsfotsh nicht dem
0 a 7 A
—
4
420 . ‚Staatsfunft. A
" |
Stnatsrechte, fondern der Staatsfunft an. Denn
fo wenig Perfien zu Den Zeiten des Darius Hyftafpis
fiir eine republifanifche Regierungsform fich geeignet
haben würde; eben fo wenig würde Athen im Zeit-
alter des Miltiades, Simon oder Perifles_ eine per:
ſiſche Serailregierung ertragen haben. Go wenig
Syrien unter ben Seleueiden, Aegypten unter
den Lagiden für eine demofratifche oder ariftofratifche
Kegierungsform geftaltet war; fo wenig auch Kar
thago in Hannibals Tagen und Rom in dem -Zeic-
‚alter der Scipionen für eine ftreng monarchifche Res
gierungsform. Daſſelbe gilt gleichmäßig non den
neuern und neueften Zeiten, Die Gefchichte. kennt
feinen Erbfönig der Schweiz, und keinen fandammann
der Osmanen zu Stambul; fie kann ſich zu Wafhing-
ton feine erbliche Regentendynaftie, und in Stockhom
feinen Präfidenten eines ſchwediſchen Freiftaates den⸗
ten. Selbft nad) dem Zeugniffe der Gefchichte gehen-
veraltete Regierungsformen .eher unter, als daß fie in
andere entgegengefeßte verwandelt würden. Mit dem
Darius Codomannus erlofch die regierende Kaiſer⸗
dynaftie über Perfien, und: Aitperfien ging unter in
den Eroberungen des macedonifchen Alerander. Sy⸗
vien und Aegypten wurden, nach Vernichtung ihrer
erblihen Regensenhäufer, Provinzen Roms. "Wene-
big, mäcdjtiger und größer „.als viele andere gleichzei-
tige oberitalienifche Staaten, ging unter als Republif,
ohne in monarchifche-Regierungsforn verwandelt zu
werben. - Polen, dem Namen nach Republif, "mit
einem Könige an der Spige, verſchwand, in der drit⸗
ten Theilung, aus der Reihe der europäifchen Reiche.
-. Ale ‚viefe Zeugniffe und. Belege aus der Ge
- dichte beftätigen es, daß die Kegierungsform
der. einzelnen Staaten eben fo, wie ihre Verfaſſung,
Staatskunſt. 44221
auf geſchichtlicher Unterlage beruht, d. h. aus fruͤhern
oͤrtlichen und laͤndlichen Verhaͤltniſſen mit einer in—
nern Nothwendigkeit hervorgeht, und ſich hier und
dort ſehr verſchiedenartig geſtaltet.
Sriedrih 2, Verſuch über die Regiernngefor⸗
men; imf. hinterl. Werken, Th. 6, ©. 45 ff.
Comte de Hertzberg, discours sur Ja forme
des gouvernemens, et quelle en est la meilleure.
Berl. 1784. 8. Teutfch, Berl. 1784 -
J. T. Plant, publiciftifche Ueberficht aller Re⸗
gierungsarten ſammtuichen Staaten und Voͤlker auf
der Welt. Lpz. 1788. Fol.
Joſias thor Straten, fuftematifche Abhandlun;
von den Regierungsformen Äberhaupt u. der uneinge:
fhräntten Monarchie insbeſondere. Flensb. 1760. 8.
25.
Alisemeine Claſſification der Regie—
rungsformen.
Nach den Thatſachen der Geſchichte gibt es mo⸗
narchiſche und republikaniſche, gewählte,
und erbliche, einfache und zuſammenge—
ſetzte *).Regierungsfarmen, Sie alle find..an ſich
rechtlich nach der Vernunft, wenn fie auf rechtlichem
Wege begründet und von dem Volke anerkannt
find, zu deifen Leitung fie beftehen; fie alle fonnen -
— — ⸗
H Kant (zum ewigen Frieden, S. 25.) nimmt nur
drei Sormender Beherrſchung an, „wo näms
lich entweder nur Einer, oder Einige unter fich
verbunden, oder Alle zufammen, welche die bürgers
liche Sefelichaft ausmaden, die Herrfchergewalt bes
ſitzen (Autokratie, Arifkofratie und Demos
fratie, Bürftengewalt, Adelsgewalt und Voltsge⸗
walt ).“
422 Staatsfunft.
zweckmaͤßig feyn, fobald fie der erreichten Stufe
ber Cultur und der politifhen Freiheit des Volkes,
Das unter ihnen fteht, angemeffen ſind, und durch fie
bie beiden höchften Zwed alles Staatslebens — die
Herrfchaft des Rechts und. die Wohlfahrt der Indivi⸗
‚ buen und des Öanzen — verwirflicht werden. Sie
alle fonnen aber auch, unter eintretenden Verhält-
niffen, Nachtheile und Mißbräuche für die bürger-
liche Gefellfhaft berbeifuhren , befonders wenn fie von
dem Zwecke ihrer urfprünglichen "Begrundung ſich ent⸗
fernen, und Die dem Regenten zukommende recht—⸗
maͤßige Gewalt in Willkuͤhr ausartet.
Wild. Traug. Krug, über die Eintheilung der
Staatsformen in die monardifche, ariftoßratifhe u.
demofratifche; in f. Schrift: Aber Staatsverfaffung
und Srantovermaltung. Königsb. 1806. 8.
A. L. Heeren, uͤber den Charakter der des⸗
potiſchen Berfaffung und dev Staatsverfaßs
fungen überhaupt; in fi Ideen über Polis
tik ıc. (ate Aufl.) ©. 978 ff.
oo Ä 26. .
Weber die monardifhen und republifa-
nifhen Regierungsformen überhaupt,
Obgleich im woͤrt lichen Sinne jeder Staat
eine Republif feyn, d.h. die allgemeine Wopffahre
in feiner Mitte verwirklichen foll, und, nad) diefer
MWortbedeutung, nur der Defporismus, oder die Will
führherrfchaft, dem Republikanismus gegen über
fiehen würde, in welchem die Regierung auf bes
flimmten Gefegen fir die Herrfchaft des Rechts und
die Wohlfahrt. des Ganzen beruht; fo weicht Doch die
sefhichtliche Bedeutung und Geltung der republi=
Fanifchen Regierungsform von der wörtlichen Bezeich⸗
Staatskuuſt. 423
nung ab, und man verſteht, in geſchichtlicher
Hinſicht, unter Republifen diejenigen Staaten, deren.
Regent nicht, wie in der Monarchie, Eine phnfi-
ſche Perfon, fondern eine.moralifche (muftifche)
Perſon ift, welcher die Souverainetät nicht als
perfönlihe Würde, fondern als übertrage-
nes Staatsamt zufommt. Denn darauf feheint
zunaͤchſt der weſentliche Unterfchied zwifchen der mo-
narchifchen und der republifanifchen Regierungsform zu
beruhen, daß in der erften — ‚wie es das Staatsredht
beftimme ausfpricht (Staatsr. F. 30. und 31.) — der -
Regent lebenslänglich mit der Souverainetät
befleidet und nach den ihm zufommenden Majeſtaͤts⸗
rechten heilig und unverleglih, unwider—
ftehlich und unverantworelich ift, während in
der republifanifhen Staatsform die Megentenwürde
nur als ein übertragenes Staats amt erfcheint, um
gewöhnlich einer Mehrzahl von Individuen
(einem Collegium, einem Bolljiehungsrathe), fo
wie an fi) weder lebenslänglich, noch mit Unverant-
wortlichfeit zuſteht. Widerfinnig und ungefchichtlich
“ aber ift es, die Republifen, im Gegenfage der Mo»
narchieen, Sreiftaaten zu nennen, weil das, was
das Wefen eines Freiftaates bildet — die rechtliche
Anerfennung der bürgerlichen Freiheit aller
Staatsbürger und der politifhen Freiheit aller
ſittfich⸗ mündigen (Staatsr. 6. 14.) — in Monar⸗
chieen eben fo ausführbar ift und, nach der Gefchichte,
verwirklicht wird, wie in Republiken. |
7 Staatsfunft, ‘
27.
Die monardifge Regierungsform.
#) die unbefchränfte und beſchraͤnkte.
Der Monarchie liegt die großartige Idee zum
Grunde, einen Einzigen fo mächtig zu machen, daß er,
wo möglich), gar nicht in die Verfuchung gerathen fann,
die ihm anvertraute Gewalt zu mißbrauchen, Die |
bürgerliche Gefellfchaft bedarf naͤmlich in ihrer Fort⸗
dauer eins Schwerpuncts, ben fie nur in der
monarchifchen Regierungsform finden kann. .Diefe
Regierungsform erfcheint aber nach der Gefchichte, ent⸗
weder als unbefhräanfte oder als befchränfte,
entweder als Wahl- oder als erbliche Monarchie.
Nach der unbefhränften Regierungsform
ift der Regent durch fein Staatsgrundgefeg in Hin-
fiht der Ausübung feiner Souverainetätsrechte be—
fchränfe; er ift nicht blos das Oberhaupt der voll
ziehenden Gemalt; ihm ſteht nicht blos ein weſent⸗
licher Antheil an der gefeßgebenden Gewalt zu; er ift
vielmehr der. einzige und höchfte Gefesgeber im
Staate, und vollzieht zugleich Die von ihm gegebe-
nen Gefeße; er vereinige daher in fich, im unbefchränfs
teften Sinne und völlig gleihmäßig, die gefeßge-
bende und vollziehende Gewalt, und ift für
alle feine Regentenhandlungen blos Gott und feis
nem Gewiſſen verantwortlid). |
Ob nun gleich, nach dem Zeugniffe der Gefchichte,
diefe Vereinigung des höchften Willens mit ver hoͤch⸗
ſten Mache in Einer phyſiſchen Perfon bei einzelnen
Megenten und in einzelnen Staaten und Reichen die
Fraftigften Wirfungen für das innere und äußere
Staatsleben vermittelt, und die Tharfraft ausgezeich-
Staatsfunft. | 425
neter Regenten Ihr Wolf und Reich niche felten mäch-
tig emporgehoben, und einer fehnellen Entwickelung und
Reife zugeführt, fo wie die Namen folcher ungewoͤhn⸗
lichen Individuen an der Spige der. Staaten für alle
Zeiträume in der Gefchichte verewigt haty fo beftärige
doc gleichfalls die Gefhichte, daß, wie überhaupt
- die Erfcheinung großer und ausgezeichneter Menfchen
auf der Erde, fo aud) die Erfcheinung großer Regen
ten zu den Seltenheiten gehört; daß felbft dieſe unge-
wöhnlichen Regenten an der Spiße der Völfer und
Staaten nicht immer mohlthätige Erfcheinungen
gewefen find, weil das Vebermaas der ihnen einwoh⸗
nenden Kraft fie nicht felten zu. Handlungen der Will
“ führe im In- und Auslande hinriß, und daß übers.
haupt die unbefchranfte Gewalt — weil der Regent,
feiner erhabenen Stellung ungeachtet, ein Menfch,
mit menfchlichen Irrthuͤmern, Schwachheiten und Leis
denfchaften bleibe, — ſehr leicht in unbegrenzte Will:
führ ausarten, den Staat in feinem Vorwaͤrtsſchrei⸗
ten aufhalten, und alle Kraft des inneren Staatslebens
durch Defpotismus und Gefeglofigfeit niederdrüden
und zerftören fann. Dabei darf nicht vergeflen wer:
ben, daß der unbefchränfte Regent — felbft bei der
hoͤchſten geiftigen Kraft — nit alles, nad) den
mannigfaltigen Theilen ber. gefeßgebenden und“ voll»
ziehenden Gewalt, die er in fich vereinigt, allein voll»
bringen fann, daß er alfo, nad) feiner *Berathung
und nad) feinen Beſchluͤſſen, von Männern abhängt,
die in ihren Anfichten und Grundfägen, fo wie in
ihren Zwecken und individuellen Eigenfchaften oft ſehr
von einander abweichen, und die vielleicht nicht immer
mit völlig reinem Willen und mit feltener Geiftesbil«
dung Das im Auge behalten, was in jedem einzelnen
Zeitraume und in jedem gegebenen alle. dem Zwecke
70T Staatstunft. '
bes Bangen und der erreichten Stufe bes Innern
Staatslebens angemeffen if. — Eben fo zeigt bie
Geſchichte, daß nirgends leichter, als in unbefchränf-
ten Monarchieen ‚ bald der Priefterftand, bald ein
', hoher Rath, bald eine Leibwache eine fo große Macht
ſich anmaßte, daß der Regent dadurch in feiner Kraft
befchränfter ward, als es je in einer fogenannten be»
ſchraͤnkten Monarchie gefhehen fann. — .
In Gegenſatze der unbefchränften Regierungs-
form ift Der Regent in der befhränften. Monarchie
entweder durch gewifle pofitive Reichsgrundgefege, .
auf welche er beim Regierungsantritte den Eid leifter,
oder durch eine formliche Verfaflung, ‚als Staats»
grundvertrag, und daher in Hinficht feines Willeng
Durch gewiſſe Bedingungen gebunden, die er, in der
Verfaſſung entweder felbft als rechtliche Unterlagen
feiner Stellung gegen das Volk, das er regiert, ge⸗
geben fin den octroyirsen Verfaſſungen), oder als
bereits beftehende rechtliche Unterlage vertragsmäßig
anerkannt hat, wo er alfo feinen perfönlichen Wil-
‚ len nie zum allgemeinen Willen erheben kann, fon
dern bie Ausübung feinee Souverainetätsredhte
(Staatsr. $. 30.) in Verbindung mit den vertrags-
mäßig übernommenen Regentenp flihten bringen
muß.
Ob nun gleich die bef chraͤnkte Monarchie, in⸗
wiefern fie auf einem gegenfeitigen ſittl ich en Ver—
haͤltniſſe zwiſchen dem Regenten und den Regierten
beruht, und alſo beiden gewiſſe beſtimmte Rechte,
unter der Vorausſetzung ber Erfüllung gewiſſer be-
ſtimmter Pflichten, zugeſteht, dem im Staats⸗
rechte aufgeſtellten Ideale einer vollfommenen Ver-
faffungs - und Regierungsform am meiften entfpriche ;
fo kann doch auch fie von Unvollkommheiten nicht frei
!
Staatskunſt. 427
geſprochen werden, wenn dieſe gleich nicht ſo fuͤhlbar
ſind, wie bei der unbeſchraͤnkten Regierungsform. Die
Unvollkommenheiten der beſchraͤnkten Monarchie tre⸗
ten, nach dem Zeugniſſe der Geſchichte, am meiſten
hervor, wenn es den Staͤnden, oder den Großen eines
Reiches zukam, mit dem gewaͤhlten oder erblichen
Regenten, bei deſſen Regierungsantritte, eine foͤr m⸗
liche Capitulation (wie z. B. im ehemaligen
teutſchen Reiche, in Polen u. ſ. w.) abzuſchließen, die
entweder an ſich die Regentenrechte ſehr verengte, oder
deren Grundlage aus Zeiten und Verhaͤltniſſen ber-
ruͤhrte, welche längft verfchwunden und alfo veraltee
waren, oder deren Beſtimmungen von eiferftichrigen
Großen bei jedem Regierungsmwechfel verändert und
gefteigert wurden, Allein felbft bei einer als Grund⸗
vertrag beftehenden Verfaſſung kann die befchräanfte
Monarchie zu .wefentlihen Unvollfommenbeiten füh-
ren, fobald die Verfaffung dem Regenten allen An-
theil an der gefeßgebenden Gewalt verweigert, und
ihn blos an die Spige der vollziehenden Macht.
ftelle, befonders wenn fid) die Stände, als. gefeg-
gebende Verfammlung, als Inhaber der fogenannten
Wolksfouverainetät betrachten. Je größer, unter
dieſem Verhältniffe, für den Regenten und feine
Kathgeber der Reiz wird, die ihm gezogenen engen
Schranken zu überfchreiten ; defto leichter ift der Ueber—
gang von der zu fehr befchränften monarchifchen Re—
gierungsform entweder zur unbefchränften Willführ
des Megenten, oder zum Wibderftande der Stände
und Großen gegen feine gebeiligte Perfon, oder zur
Peft der Staaten, zum Bürgerfriege.
+28 Staatsfunft.
28.
Fortſetzung.
ß) die Wahl- und erbliche Monarchie.
Die monarchiſche Regierungsform erſcheint ent⸗
weder als Wahlmonarchie, oder als erbliche
Monarchie.
Wenn es, an ſich betrachtet, ſcheinen koͤnnte,
. als ob die Wahlmonarcjie den großen Vorzug vor |
ber erblichen behauptete, daß in ihr überhaupt der
Verdienteſte, Ausgezeichnerfte und Wür-
digſte zur Regierung gelangte, ohne dabei die Re—
gierung eines Staates an das Schickſal eines regie—
renden Haufes und an den Zufall der Geburt zu knuͤ⸗
pfen; fo find doch fhon uͤberhaupt mit diefer Re—
gierungsform bie Schwierigfeiten verfnüpft, daß
genau in einem Örundgefege beftimmt feyn muß:
wer gewählt werden koͤnne, wer wählen folle und
dürfe ‚ wie die Wahl einzurichten und auszuführen
ſey, und mie ein Zwiſ henreich vermieden werden
Fonne, oder wie es in einem Zmwifchenreiche zu halten '
ſey. Außer diefen urfprünglich mit der Wahlmonar-
hie verbundenen Schwierigfeiten treten, nad) der
Gefhichte, gewoͤhnlich folgende Unvollfommenpeiten
bei derfelben ein: daß die Wahl felten ohne Einfluß
bes Partheigeiftes, ber Leidenfchaftlichfeit und ber
Beftechungen, ja vielleicht gar mit geheimer oder offe-
ner Einmiſchung des Auslandes, geſchieht; Daß Des-
halb der germählte Regent — - befonbers wenn die Wahl
auf einen Ausländer fällt — nicht immer der Aus
gezeichnetfte, mit den gefammeen innern Verhaͤltniſſen
des Staates nicht gehoͤrig bekannt, und in ſeiner
Macht durch die zu ſehr beſchraͤnkt iſt , welchen das
Staatskunſt. 49
Recht der Wahl zuſteht; daß der gewaͤhlte Monarch
ſelten mit der Theilnahme der Regierung ſich unter-
ziehen und mit der Kraft den Zweck des Ganzen be⸗
foͤrdern wird, welche bei dem erblichen Regenten von
der perſoͤnlichen Ruͤckſicht auf ſein Haus und auf ſeine
Nachfolger ausgehen, und daß gewoͤhnlich mit jedem
Kegentenwechfel auch die Grundfäge ſich verändern
werden , welche der Regent in Hinficht auf die Leitung
des innern und äußern Staatslebens befolgt. —
Im Gegenfage der Wahlmonarchie beruht die
Erbmonarchie darauf, daß die Regentenwuͤrde,
nach dem Tode des Negenten, auf feinen rechtmäßigen
Erben übergeht. Als Grundbedingung der Erbmo-
narchie muß daher feftgefeßt werden: 1) daß ber
Staat nicht, wie ein Familienbefiß, unter ſaͤmmt⸗
liche vorhandene Erben des Megenten getheilt
werden fann, fondern daß die Megentenwürde bes
rechtlich organifirten Ganzen , nad) deffen Selbitftän-
digfeit und Integrität, nur aufEinen Erben über- .
‚geben darf; 2) die rehtlihe Erbfolge *) (wer,
und inwelder Drönung, zur Regierung aus der
*) Schiöger bemerkt Cin f. allgem. Staater. S. 139.)
fehe wahr: „Eine. vollftändige: Succeffionsordnung
muß unzmweideutig beflimmen, ob beide Geſchlechter
folgen ; ob die Folge secundum lineas oder gradus
geſchehe; welche von den ©eitenverwaridten den:
andern vorgehen. Sie muß ferner feftfegen: das
Alter des Erben, wann er die Regierung antreten
dürfe; die Bormundfhaft während feiner Mins
derjährigkeit, oder folcher Zufälle, die ihn zum
Regieren untauglih madhen; welche phyſiſche Ge
brechen ihn von der. Erbfolge ausſchließen; endlich
ein Austunftsmittel, um Exbfolgekriege zu
vermeiden, ’ j ll
430 Staatsfunft.
Nachkommenſchaft des Regenten berechtigt iſt), und
3) die rechtliche Erbfolgefähigkeit (theils
nach einer beſtimmten Zeit der Volljaͤhrigkeit,
sheils mit der Aufſtellung der Regierungsordnung bei
ber rechtlichen. Erbfolge eines Minderjährigen,
xheils mit der Ausfchliegung aller geiftig Unfäpi-
gen zur Regierung), Denn fo gewiß, nad) dem
Zeugnäffe der Gefchichte, das Unglüd vieler Staaten
in vorigen Zeiten von ben unfeligen Theilungen der
fänder abgehangen hat, bis endlih das Erftge-
burtsreche afllmählig diefen Theilungen Maas und
Ziel fegte; fo gewiß muß auch die rechtliche Erb-
folge klar und deutlich beftimme feyn, um affen
Spaltungen über Das. Recht zur Thronfolge vorzubeu⸗
gen, und eben ſo ſorgfaͤltig muß im Voraus der Fall
derechnet ſeyn, daß entweder ein Minderjaͤhriger den
Thron beſteigen, oder ein Bloͤdſinniger der Naͤchſt⸗
berechtigte zur Regierung ſeyn koͤnnte. |
MNach Befeitigung die ſer Schwierigkeiten .be-
hauptet aber die ech liche Regierungsform folgende
wefentliche Vorzuͤge: daß die rechtlich beſtimmte Thron⸗
erbfolge alle bei der Thronerledigung in Wahlreichen
eintretende Reibungen theils zwiſchen den Thronbewer⸗
bern, theils zwiſchen den zum Waͤhlen Berechtigten von
ſich ausſchließt; daß gegen einen Erbkoͤnig im Innern
des Staates nie ſolche politiſche Partheien ſich bilden,
wie es in Wahlreichen haͤufig geſchieht; duß das ne
terefie eines Erbfönigs mit dem Intereſſe des Staa⸗
tes, in der Regel, aufs innigſte verſchmilzt, weil es,
außer feiner: Pflicht, auch in feinem perfönlichen In⸗
tereſſe liegt, ein cultivirtes, reiches, gluͤckliches und
maͤchtiges Bolt feinen Nachfolgern” zu hinterlaffen;
daß in ‘der Erbmonarchie die Grundſaͤtze der Regie—
rung und Verwaltung weit ſeltener, als in Wahlrei⸗
Scunstun. | 431
hen, der Veränderung ‚und dem Wechſel uncerwerfen
ſind; daß, wegen dieſer beſtehenden Grundſaͤtze, mit
der Einheit und Feſtigkeit in der Regierung, auch
Milde und Schonung der geſammten bürgerlichen und
häuslichen Verhältniffe, namentlich in Hiuficht! ber
‚Dolizei-. und Finanzmaasregein.,.. verbunden. werben
kann; daß felbft,, bei der Feſtigkeit dieſer Grundſaͤtze,
bie Stellung des Staates gegen das Ausland einen
feiten Charafter erhält; daß alfo die befihranfte
erblihe. Monarchie, bei ben: wenigſten Unvoll⸗
fommenbeisen, Die meiften Vorzüge und Vortheile fuͤr
den ganzen Staat in ſich vereiniget.
In dieſem Sinne muß das monarchifche
Princip (ein Ausdruck der. modernen Staats⸗
funft) gefaßt werben. -Es beruht naͤmlich darauf,
daß — ohne die in der Wirflichfeie beſtehenden
Republiken nach_ihrem Dafeyn , nach, ihrem Soelbit-
ſtauͤndigkeit und nad) ihrer eigenehimicheh- Regie⸗
rungsform zu gefaͤhrden, — 1) kein monacdhifcher
Staat, durch innere Umeriebe, in eine Republif
verwandelt, 2) feine rechtlich begründete Macht des
Regenten, weder in unbefchränften.noc in bes
ſchraͤnkten Monarchieen, verändert oder geſchmaͤlert
werde, 3) vielmehr alle nöthig gewordene Umbil⸗
dungen in der innern Organifation ber Staaten, fie
" mögen nun bie Verfaffung, Regierung oder Vers
waltung derfelben betreffen, entweder unmittelbar
von dem Negenten (als Act der Souverainetät) aus⸗
gehen, oder, auf den Vorfhlag der Stände , von
demfelben angenommen und gutgeheißen werben. —
In biefem Sinne hängt der 'neuerli mehrmals
ausgefptochene: Grundſatz der Stabilität mit
dem monardjifchen Princip genau zuſammen.
Denn die Stabilität will, daß Das Beftebenbe,
430 Staatsfunft.
Nachkommenſchaft des Negenten berechrigt ift), unt
3) die rehtlihe Erbfolgefäpigfeie (theils
nach einer beſtimmten Zeit der Volljaͤhrigkeit,
cheils mit.der Aufitellung ber Negierungsordnung bei
der rechtlichen Erbfolge eines Minderjährigen,
eheils mit ber Ausſchließung aller geiftig Unfähi-
gen zur Regierung). Denn fo gewiß, nach dem
Zeugniffe der Gefchichte, Das Unglüd vieler Staaten
in vorigen Zeiten von den unfeligen Theilungen.ber
Laͤnder abgehangen hat, bis endlid das Erftge-
burtsreche aflmählig diefen Theilungen Maas und
Ziel feßte; fo gewiß muß auch die rechtliche Erb-
folge flar und deutlich beftimmt feyn, um allen
Spaltungen über Das. Recht zur Thronfolge vorzubeu-
gen, und eben fo ſorgfaͤltig muß im Voraus der Fall
berechnet ſeyn, daß entweder ein Minderjähriger den
Thron befteigen, oder ein Blödfinniger der Mächft-
berechtigte zur Regierung ſeyn koͤnnte.
Mach Befeitigung diefer Schwierigfeiten be⸗
hauptet aber Die erbliche Regierungsform folgende
weſentliche Vorzüge: daß die rechtlich beſtimmte Thron-
erbfolge alle bei der Thronerledigung in Wahlreichen
‚eintretende Reibungen theils zwifchen den Thronbeiver:
bern, theils zwiſchen den zum Wählen Berechtigten von
ſich ausſchließt; daß gegen einen Erbfönig im Innern
‚ des Staates nie ſolche politifche Partheien fich bilden,
mie es in Wahlreichen häufig gefchieht; Daß das In—
tereffe eines Erbfönigs mit dem ntereffe des Staa⸗
tes, in der Regel, aufs innigfte verſchmilzt, weil es,
außer feiner. Pflicht, auch in feinem perfbnlichen In—
tereffe liege, ein cultivirees, reiches, gluͤckliches und
maͤchtiges Volk feinen Nachfolgern zu hinterlaſſen;
daß .in der Erbmonardjie die Grundfäge der Regie—
rung und Verwaltung weit feltener, als in Wahlrei-
Staatskunſt. | 431
chen, der Veränderung ‚und dem Wechſel unterworfen
iind; daß, wegen biefer beftehenden Grundfäge, mit
der Einheit und Feftigfeit. in der Negierung, auch
- Milde und Schonung der gefammeen. bürgerlichen und
häuslichen Verhältniffe, namentlich. in Hiuſicht! der
Polizei=. und Finanzmansregeln ; ‚nerbunden. werden
kann; daß ſelbſt, bei der Feſtigkeit dieſer Grundſaͤtze,
die Stellung des Staates gegen das Ausland einen
feiten Charafter erhält; daß alfo die befihranfte
erbliche Monarchie, bei ben: menigften Unvoll⸗
fommenbeisen, die meiften Vorzüge und Vortheile fuͤr
den ganzen Staat in ſich vereiniget.
In dieſem Sinne muß das monarchifche
Princip (ein Ausdruck der modernen Staats⸗
kunſt) gefaßt werden. Es beruht naͤmlich darauf,
daß — ohne die in der Wirklichkeit beſtehe nden
Republiken nach ihrem Dafenn , nach, ihrem Salbſt⸗
ſtuͤndigkeit und nad) ihrer eigenehümlicheh- Regie
rungsform zu‘ ‚gefährden, - 4) fein monarchifcher
Staat, durd) innere Umtriebe, in eine Republif
verwanbelt, 2).feine rechtlich begründete Macht des
Megenten, weder in unbefchranften.nod in bes
ſchraͤnkten Monarchieen, verändert oder gefchnälent
werde, 3) vielmehr alle nöthig gewordene Umbil-
dungen in der innern Organifation der Staaten, fie
moͤgen nun die Verfaffung, Regierung oder Ver⸗
waltung derfelben betreffen, entweder unmittelbar
von dem Negenten (als Act der Eouverainetäf) aus⸗
gehen, oder, auf den Vorſchlag der Stände, von
' demfelben angenommen und gutgeheißen werden. —
In biefem Sinne hängt der neuerlich mehrmals
ausgefprochene: Grundſatz der Stabilität mit
dem monardifchen Princip genau zuſammen.
Denn die Stabilität will , daß das s Beſtehen nbe,
\
432 EStoaacskunſt.
namentlich der rechtliche Territorialbeſitz der Staa. |
ten und bie. rechtlich begründete Regentenmacht,
in statu quo bleibe, und daß, nach diefer
Stabilität, die innern Erfhütterungen bes Staats:
. lebens und bie damit nothwendig zuſammenhaͤn⸗
gende Erſchuͤtterung der Throme:-verhütet werden.
Nie wird aber ein gefhichtsfundiger Staatsmann
biefer Stabilität den Mebenibegriff unterlegen, daß
durch fie alle nöthige Reformen: in der Verfaflung
und Verwaltnng ausgefchloffen würden ;-nur follen
dieſe nüche von unten genommen, fondern von
. ben gegeben. werden.
Ausartungen-der monarchifchen Regierungsform
find aber Die Ufurpation, die Tyrannei und
der Defpotismus. — Ufurpator ift nam:
2... ih der, welcher die Negierung unrechtmaͤßig, we⸗
Der durch Wahl, noch durch Erbrecht, noch durch
zefoͤrmlichen Vertrag ; fondern durch. Eigenmacht
(entweder durch Eroberung, oder: durch gewaltfame
3 -, Berbrängung bes bisherigen verhtmäßigen Negen-
. . een) errungen bate); Tytann hingegen iſt der,
Ueber die wichtige Brose; ob ein rechtmäßiger Regent
das widerrufen könne, was der vorhergehende Ufurs
pator eingerichtet hat, entfcheider Bufendorf (de
jure naturae et gentium, 1. 8. cap. 12.): daß auch
der Nachfolger eines Mfurpators” verpflichtet ſey,
deſſen Sandlungen’ anzuerfennen. S:ceidemans
:- tel (das allgem. Staatsrecht Überhaupt, ©. 371 f.)
. fuͤgt die.wichtige Einſchraͤnkung hinzu: daß Pufen»
- . derfs Satz nur gelten könne, wenn der Ufurpator
im Befise feiner Regierung im: In⸗ und Auss
. Jande rehtmäßig anerfannt worden ifl.
War er dies nicht; fo war er blos Raͤuber, und
.. dann müffe die Kiugdeit. Aber jene Frage ent⸗
ſcheiden.
2 -
X *
| Staatdkunſt. 00483
| welcher bie höchfte Gewalt gögen die beſtehenden, J
"und son ihm anerfannten und beſchwornen, Staats»
grundgefege nach bloßer Willführ verwaltet; und .
Defpöt der, unter welchem. den: Mitgliebern des
"Staates weber Der Befis ihrer Menfchenrechte (der
perfoͤnlichen Freiheit, des Eigenthums ic.) noch)
ihrer Buͤrgerrechte (z. B. wie in den afrikaniſchen
Raubſtaaten) geſichert iſt. — Wenn alfo der Uſur⸗
pator, abgeſehen von der Unrechtlichkeit der Er⸗
werbung der hoͤchſten Gewalt, dennoch als Regent
durch einzelne gute Eigenſchaften ſich auszeichnen
ann, und nicht fhon qua usurpator auch hrann
oder Defpot ſeyn muß; fo fest. die Tyrannei
jedesmal im Staate beftehende Grundgefege vor⸗
aus, welche durch die Willführ des Regenten ver«
‚lege werden; fo wie der Defpot nur in einer un«
* beſchraͤnkten monardifchen Regierungsform (öder
auch in einer Republik, doch mit Aufhebung ihres
Grundcharakters,) gedenkbar iſt, wo der Regent,
an ſich durch kein Grundgeſetz gebunden, ſtatt der
ihm von Gott und feinem Gewiſſen gebotenen Ges
rechtigkeit, blos der Willführ in feinen Befchlüffen
und Handlungen folge, — Es würde aber bie
folgenreichſte Begriffsverwirrung ſeyn, wenn man
den Antofrator (den Regenten einer unbefchränf:
ten Monarchie) an ſich mie dem Defpoten verwech-
fein wollte. ° Denn unter der Regierung des Autos
krators befteht der volle Genuß aller Menſchenrechte;
und nur Die oͤffentlichen (buͤrgerlichen) Rechte wer⸗
den in der unbeſchraͤnkten Monarchie dadurch bes
fchränft, Daß der Autokrakor in ſich die geſetzgebende
‚ und. volljiehende Gewalt ungetheilt vereiniget.
Was den — durch Talleyrand im Sabre. 1814
der. europaͤiſchen Etaats kunſt eingelegten — - Bes
L . 1 28 oo.
N
— — —
— — —
a}
434 | Startstunß. .
griff der Legitimitaͤt anlangt; ſo erhaͤlt er feine
olitiſche und geſchichtliche Bedeutung, nur im
Begenſatze des Begriffs eines Uſurpa⸗
tors, und einer Revolution. Der Begriff
‚der Legitimitaͤt ſetzt eine rechtlich beſtehende erb-
liche Regierungsform voraus, fo daß: Die Legiti⸗
mität.auf der in einer Erbmonardhie rechtlich bes
‚gründeten Thronerbfolge, nad) einer angenommenen
feſten Succeflionsordnung,, beruht. Es kann da=
ber in einer. Wahlmonardhie fo wenig, wie in einer
Ä Republif , die Rede von der Legitimitaͤt der Regie⸗
rung, in Diefem mobernen Sinne des Wortes, feyn.
Wenn nun ein Ufurpator die in einer Erbimmardjie
zur. Thronfolge berechtigte Dynaſtie von der Regie⸗
rung verdraͤngt, oder durch eine Revolution die
regierende -Dyuaftie entfernt wirb; fo find folche
Thatfachen dee Gefchichte Die gewaltfamen Verftöße
gegen den. Grundfag ber Legitimität *). —
“) So alt der Grundfag einer gefegmäßtgen (lege
timen) Regierung an ſich iſt; fo neu find doch manche,
dem modernen Begriffe der Legttimitaͤt unters
gelegte, Bedeutungen: und Erklärungen. Die Ges
ſchichte warnt davor, diefe Bedeutungen nicht zu
weit auszudehnen; dehn Cum nur einiger Beiſpiele
zu gedenken) Pißpin, der Begründer der carolingi⸗
fhen Dynaflie, war 88, der (752) den letzten Mes
rovinger, und Hugo Ca pet, der (987) den legten
Carotingee vom Erbthrone Frankreichs verbränste;,
auch hat man in Großbritannien, feit der Throns
befteigung Wilhelms des Draniers (1689), der
Legitimität der. verdraͤngten Stuartiſchen Dynaſtie
beſtimmt widerſprochen. Folgt man der urſpruͤng⸗
lichen Bedeutung des Begriffes der Legitimitaͤt; ſo
kann in demſelben keine unmittelbare Ab⸗
‚leitung der. Regentergewalt von Gott,
%
\ Staatskunſt. | 435
Eine Abart ber monarchiſchen Reglerungsform
ſind die ſogenannten Patrimonialreiche,
ſondern bios die rechtlihhe Thronfolge in
—
cdcestit, quod cum illo simul justa ao
einer Erbmonarchie gefunden werden, und
dies feine in rechtlicher und politifher
Hinſicht auszureihen. Vgl. Krug, über beftehende
Gewalt und Geſetzmaͤßigkeit in faatsrechtlicher Bes _
deutung; zuerf in Ad. v!Müller?’s Staatsan⸗
zeigen, 1816, St. 3, ©. 203 ff.; „dann wieder
abgedruckt in fe Kreugs und Queerzügen ıc.
S.:37 ff. — In Hinfiht auf die Etymologie des
Wortes gehört die Stelle des Livius hieher (histor,
1, 48.3, wo er, ‚als Tarquin feinen Schwiegervater
Servius Tullius entthronte, von dem legten (der
nicht im Glanze des Thrones, gebohren war,) aus—⸗
druͤcſlich fagt: oeterum id quoque ad aloriam ac»
egitima
regna ceciderunt, während er (ibid. c. 49:) dem
Tarquin (einem gebohrnen Prinzen) ,, male quae-
rendi regni exemplum ** beilegt. Einer andern
Etymologie folgte v. Lamerh. in der franzdfiichen
Deputirtentammer (Allg. Zeit. ıg22, N. ıg., ©. 74.),
wenn er. erklärte: „Legitim komme her von legi inti-
mus, dem Gefege anhängend. Kinder nenne man
legitim, wenn das Geſetz ihre Geburt anerfenne.
Der Pflichttheil heiße Jegitima, weil das Geſetz
ihn den Kindern zuſpreche. Leagitim beziehe ſich
immer nur auf Erbfolge, auf Nachfolge; und
in ſolcher Hinſicht erkenne er die Legitimität einer
Dpnaftie zur Mahfolge auf einem Throne. Wolle
man aber unter Legitimität ein göttliches Recht vers
fiehen , dem zufolge Bas Volt Eigenthum der Sous
verains fey; fo wäre bies ein Verbrechen an der
Nation.” — Auf aͤhnliche Weile ſprach der Freis
herr v. Sagen in der Darmftädstiher Ständes
verſammliang (Aa. Beil. 1830, N. 316, ©. 1264.):
Bu bin: Tory und Royaliſt, ganz fo, wie es die
Achte oranifche Parthei verfteht. Hein allerdings
28
x
436
Staatskunſt.
(erbeigenthuͤmliche Reiche, gewoͤhnlich durch
Eroberung unterworfen, wo der Regent ſich als den
Eigenthiümer des ganzen Staates nach) Sand
und feuten, und dieſe als ein Samiliengut be
trachtet,) in welchen der Regent feinen Nach—
folger ernennt, entweder einen von feinen Er⸗
ben ohne Rüdficht auf. ein Erfigeburtsreche (fo nach
den Hausperträgen das Haus Wied), oder wenn
er will jeden Fremde n. (Su dieſem Sinne
finde ich in dem Ausſpruche des Weiſen: winori
discrimine sumi principem, quam quaeri — weit
mehr fuͤr mich Ueberzeugendes, als in allen Empfeh—
lungen der Legitimitaͤt. Dieſe Legitimitaͤt in den
stoßen Staaten hat zur verſtaͤndigſten Interpreta⸗
tion den Satz: daß die Nation, die ihrem Fuͤrſten
mit Treue nnd Liebe anhaͤngt, ihr⸗ innere Ruhe
am ſicherſten bewahrt, und ſich ſtark genug gegen
außen fuͤhlt.“ — Mod ſtehe die Antwort des jetzi⸗
gen Rönigsvon Schweden an diefer Stelle, die
er dem Vicomte Pinon gab, der ihn zur Unters
zeihnung zu dem Denkmale für Malesherbes , den
Wertheidiger Ludwigs 16, mit den Worten einlud:
„Der große Grundſatz der Legitimität, dieſer Grunds
faß, anf welchem das Gluͤck und die Wohlfahrt der
Voͤlker beruht, ift neuerdings von ganz Europa ans
erfannt. worden u. ſ. w,“ worauf der König zwar
unterzeichnete, in feiner Antwort aber bemerkte:
„dan die wahre Kegitimität aus dem einmäthig aus
geiprohenen Volkswillen hervorgehe.“ (Allg. Zeit.
1819, N. 284, ©. 1133.) —:- Zwei fdjarflinnige
Abhandlungen von Buchholz gehören hieher:
‚Ueber die Erblichkeit der Throne inden
Staaten Europa's“ (inf. Journale f, Teutfchs
fand, 1815, Th. ı, 8.46 ff) — und „Weber
Souverainerät, Recht maßigkeit und ua
umſchraͤnktheit.“ (Ebend. 1816, 1, © .
56 ff.)
Erüäcdtun® 447
4
%
Ei dns NEE Karls Soon Spanien; auch!
"fenbfüchtigte äs.iehte Peter 4; der biefes Recht
ſchon in dem Begriffe ‚einer unbeſchraͤnkten Monar”
Athie ſuchte. Man vergl. Schtözersiniftor; Untere!
rhurg über Rußkınds Reichsgrundgefetze. Gotha,
4777. 8.)
. Ce. Ach. Beck, de jure regni ‚patrimonialie. |
$ 4 Diss, ‘Jen 17r2. 4. (habe ich nicht geſehen.)
Si SER a Weyhe; ‚problema'. regiuin s.-explicatie
" ";:disceptationia; pohlfcae: utrius regni' cönditio mer
5; Jöpr.siky Ülipemp,;eui rex.;nascatuır, ‚an.ejus” cui
„el tur ? BFrancf. 1616. 8. a a RE
> Srany Zav. Edlefvon eupater; Vorzüge
men Wen. 1790. 3 -
Ki. .Jad. Rau, de inonaschia, pptima imperii faruin..;
+
s
”
*8F
tr monarchiſchen vor den übrigen Begierungsfors
Hung s Bapı ıa8Re be: 4 u a „nn .. w on
ya
⁊*
| Ta ern ee gargereigare” * re ana 7 RG ar
Sn. HE FLIMETWI- BT Ei yes De sl "le
ad B.. S Pa €.,. Grundsiß..ber.. Fuͤrſtenkunſt, .
u. wornach ei Regent ſich groß. und feine Unterthanen ,
glaͤcktich machen koͤnne. Frankenberg an der Warte,
15 8 — . . Er; r
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ech . . Im» Haar...» in Pe > FOREN 3*
sn u... ‘ Ya, 12126 * — — ri R tn ‘ N \
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J Mr [4 . dies v ‘ ’ “
.. „at £ I —X 9 |} q r b- . ‘
Win Haüpegeghnftand der hoͤhern Staatsfanft
ur Enrfiht der Regterungsform iſt die Prinzener⸗
zkehung; denn micht ſelten find Bie Werhäleniffe des
Sehens und. der Umgebungen der Höfe. yon der Art,
daß fie nachebeilig: auf die phyfiſche, geiftige und
fetide Entwickelung der kuͤnftigen Regenten einwir⸗
Ei Iſttes aber irgendwo dringend nöthig, daß der
oxper vor jedem ſchwoͤchenden und verweichlichenden
“7 »
4
indrucke bewahrt, und der Geift fruhneitig zur Klare
beit der Begriffe überhaupt, zur ununterbrochen Thäs-
rin; zur ſtrengſten Sittlichkeit Und Mechelichkeit,
und zur Charafterfefigfeit: — ohne Laune, Eigen
/
448 Setaauoluſt.
, Bo. .ı. 4 ”
N . e) Die D emokratle. BEE { "
Das Weſen der Demofratie befteht.darin,
baß die Rechte der Souverainetaͤt der. Geſammtheit
bes Volkes zukommen, und von derſelben geltend ge⸗
macht und ausgeübt werden. "In der ſogenannten
reinen Demofratie würde daher feine Angelegenheit
des Öffentlichen Staatslebeis ohne Borwiffen” und
Zuftimmung bes gefammten fouverainen Volfes vers
handelt und entfchieden werden fonnen, und. diefe
Entſcheidung würde von der Mehrheit ber Stim-
men (104 gegen 100) abhängen. — Allein fo wie
es ſchon numeriſch feine reine Demoftatie'geben
kann *), theils weil alle Perfonen unter 16 Jahren’
(nah Suͤßmilch 328: 1000), die feines Stimm⸗
rechts fäßig find, theils ‘alle Individuen des weib-
lichen Geſchlechts (die volle‘ Hälfte von’ denübrig ge
bllebenen 772, — 386 ) abgerechnet werben müflen;
‚fo ift ſelbſt diejenige Demofratie in der Wirklichkeit
“nicht ausführbar , wo alle volljährige Individuen
des männlichen Gefchlechts das Stimmrecht führen
ſollen; eg müßte denn eine ſolche Regietungsforin ſich
Dlos auf eine einzige Stadt oder Gegend,
mit fehr befchränfter DBevölferungsjahl, beziehen.
Nie hat e8 einen großen Staat als reine Demofras
tie gegeben. Deshalb erfcheinen auch bie in der Ge⸗
ſchichte vorhandenen demofratifchen Regierungsfortten
gewoͤhnlich ala befhränfee Demofratieen‘ „mo die
dem ganzen Volke zuftehende Souverainetät ‘von ges
wiſſen Repraͤſentanten geübt, und die Regierung
* Schloͤzers allgem. Staatsrecht, ©. 124 ff.
\
= Staatskunſt/ u FT
feistt ‚Tabs. ein vom Wolke aufgeniffe girkt, mu:
mit shieheeen:..oder wenigern KEinfchränkuhgen:
überteagenes Staatsamt, fo wie misver Were
antwärtlihfeis für bie vollbeachten. Regierungs⸗
bandiungen entweder dem ganzen Volke, oder ven
Repraͤſentanten), geführt wird. — :Sollaber bie
Demofratie rechtlich geftaltet ſeyn; fo muß beffünmei "
werben, wer als Mitglied zur fouverainen Volks⸗
verſannnlimg gehört, : under welchen Formen die
Be zufammentritt und Die Rechte ber Son⸗
verainetaͤt uͤbt, auf weiche Art und nach welcher:
Stimmenzaͤhlung ein Beſchluß von der Verſammlung
gefaßt wird, und wie Die gefaßten Beſchluͤſſe und: Ge⸗
ſetze angewandt und ausgefuͤhrt werben ſollen. Moth-
wendig muß Daher in einer. Demokratie durch Grund⸗
geſetze beſtimmt werden, wer zu den activen (zw den:
öffentlichen Staatsangelegenheiten berechtigten) Buͤr⸗
gern gehoͤre; wer das Volk zu den Urverſammlungen
beruft; wie die geſetzgebende und vollziehende Gewalt
getrennt, und nad) welchen Bedingungen theils alle
Staatsbeamte verantwortlich fen, tbeils Die wech⸗
felndent Mitglieder der Regierung erfegt werden ſollen.
(So wird z. B. der Präfident:der nortamerifanifhen
Freiſtaaten jedesmal auf 4 Jahre gewählt, iſt aber
wieder, wählbar; dagegen beſtand in. Frankreich,
während. der. Dauer der dritten Verfaſſung, von
4795 4 4799, das Regierungsperſonale aus 5
‚Directoren‘, von welchen jährlich Einer austrat; und '
wieder anders entſchied die vierte: Verfaffung Frank⸗
reichs [1799} Über Die Rechte des erften Konfuls und die
feinen: zwei Collegen u. ſ. w.) Die beſchraͤnkte (oder
re per ͤ ſerntat ive) Demokratie unter ſcheidet ſich aber
dadurch monj · der Ariſtokvatie, daß die Poibs vertretot
Fein bofondeves Standesintedeſſe geltend mathen koͤn⸗
N
AR Staatskunſt.
nen, ſondern nur das allgemeine Jutrreſſe bes
—* ſelbſt; daß alſo die Repraͤſentanten nicht im
Charakter von Bevollmächtigten, ſondern im Charak⸗
ter von Stellvertretern handeln; daß ſie durch Wahl
ernannt werden, und daß Die Zah der Wolfsvertreter
nicht nach Ständen, fondern nach ber Geſammtzahl
des Volles ſtatiſtiſch feſtgeſetzt wird, J
Die Demokratie, ſo oft ſie auch, ale ben ur⸗
ſpruͤnglichen Menfchenrechten am meiften entfprecheub,
empfohlen worden ift, gehört doch zu ben unvollkom⸗
menſten Regierungsformen, befonders die ‚reine
Demofratie , weil, bei dem Stimmrechte alfer muͤndi⸗
gen männlichen Staatsbürger, die Mehrheit felten ben
zweckmaͤßigſten Entſchluß faſſen wird; weil fer⸗
ner in der reinen Demokratie der Ueberredungskunſt
einzelner Demagogen, ſo wie der Partheiſucht und
ſelbſt der Beſtechlichkeit cin weiter Spielraum geoͤffnet
iſt; weil, beider Veraͤnderlichkeit der öffentlichen Mei⸗
nung, gewöhnlich bie Stätigfeit in den Bolfsbe-
ſchluͤffen fehlt, und weil in denſelben — bei allem
Anſcheine von Volksherrſchaft — ſehr leicht der
Deſpotismus eines Einzigen Wurzel faſſen kann.
Selbſt die beſchraͤnkte Demokratie hängt in Hin⸗
ſicht der Volksvertreter zu fehr von dem Zufalle der
Wahlen.ab, fobald nicht eine erſte Kammer. die zu
lebhaften Aeußerungen und Beſchluͤſſe der Kammer
der Volksvertreter mit Weisheit und Umſicht zu maͤßi⸗
gen verſteht; und namentlich fehle es in ihr ber Re⸗
gierung nicht felten an Staͤtigkeit, theils weil: das
Perſonale derfelben nad) Ablaufe einer gemiflen Zeit
fich verändert, theils weil die Macht bevfelben eben
fo duch die feharfgesogenen, Grenzen zwiſchen ber ge
jeggebenben: und vollziehenden Gewalt, mie durch) die
—
| Staatsfunft; .- st
ſelbſt, als ein vom Volke auf gewiffezete, und:
mit mehrdrn. oder wenigern Kinfchränfungen:
übereragenes Staatsamt, fo wie mit der Ver⸗
antwortlichkeit für Die vollbrachten Regierungs⸗
handlungen (entweder dem ganzen Volke, oder deſſen
Repräfentanten)‘, geführt wird. — Soll aber bie
Demofratie rechtlich geftaltet feyn ;. fo muß beffimme:
werden, wer als Mitglied zur fouverainen Volks-
verfammtüng gehört, unter welchen Formen bie
Verſammlung zufammentritt. und dieRechte ber Sou⸗
verainerät. übt, auf mwelhe Art und nach welcer:
Stimmenzählung ein Beſchluß von der Verfammlung
gefaßt wird, und wie Die gefaßten Befchlüffe und Ge⸗
feße angewandte und ausgeführt. werden ſollen. Noth⸗
wendig muß daher in einer Demofratie durch Grund
geſetze beftimmt werden, wer zu den activen (zu den.
öffentlichen Staatsangelegeneiten berechtigten) Bürs -
. gern gehoͤrt; wer das Volf zu den Urverfammlungen
beruft; wie die gefeßgebende und vollziehende Gewalt
getrennt, und nad) welchen Bedingungen theils alle
Staatsbeamte verantwortlich fenn, theils Die wech⸗
feinden Mitglieder ver Regierung erfegt werden ſollen.
(So wird 5. B. der Präfident.der norbamerifanifchen
Freiftaaten jedesmal auf 4 Jahre gewählt, ift aber
wieder wählbar; Dagegen beſtand in Frankreich,
während. der. Dauer der. dritten Verfaffung, von
1795. 1799, das Negierungsperfonale aus 5
Directoren, von welchen jährlich Einer austrat; und '
wieder :anders entſchied Die vierte: Berfaffung Frank⸗
reichs [1799} über Die Nechtedes erften Conſuls und bie
feiner: zwei Kollegen u. ſ. w.) Die befhrändte (oder
repräfentative) Demokratie unterfcheidzr ſich aber
dadurd)won.der Ariſtokvatie, daß die Volksvertretot
fein befonderes Standesinteveſſe geltend mathen koͤn⸗
Ar Staatskunſt.
nen, ſondern nur das allgemeine Intereſſe bes
Balken felbft; daß alfo die Reprafentanten nicht im
Charafter von Bevollniächtigten, fonbern im Charak⸗
ter von Stellvertretern handeln; daß fie durch Wahl
ernannt werden, und baf die Zahl der Wulfsvertreter
nicht nach Ständen, ſondern nach der ( itzahl
des Volkes ſtati Bir ch feftgefege wird,
Die Demokratie, fo oft fie au, als ben ur«
ſpruͤnglichen Menfchenrechten am meiften enefprecheud,
empfohlen worden ift, gehört doc) zu den unvollkom⸗
menften Regierungsformen, befonders die reiste
Demokratie , weil, bei vem Stimmrechte aller muͤndi⸗
gen männlichen Staatsbürger, Die Mehrheit felten den
zweckmaͤßigſten Entſchluß fallen wird; weil fer-
ner in der reinen Demofratie ber Heberrebungsfunft
einzelner Demagogen, fo mie der Partheifucht und
felbft ver Beftechlichfeit cin weiter Spielraum geöffner
iſt; weil, beider Veraͤnderlichkeit der öffentlichen Mei
nung, gervöhnlich die Stätigfeit in den: Bolfsbe-
fhlüffen fehle, und weil in denfelben — bei allem
UAnfcheine von Volksherrſchaft — ſehr leichte der
Defporismus eines Einzigen Wurzel faffen "kann.
Selbft die befhräanfte Demokratie hängt in Hin-
ſicht der Volksvertreter zu fehr von dem Zufalle der
Wahlen ab, fobald nicht eine erfte Kammer. die zu
lebhaften Aeuferungen und Befchluffe der Kammer
der Volksvertreter mit Weisheit und Umfiche zu mäßi-
gen verfieht; und namentlid) fehle es in ihr der Re-
gierung nicht felten an Staͤtigkeit, theils weil: das
Perfonale derfelben nad) Ablaufe einer gemifien Zeit
fi) ‚verändert, sheils weil die Macht berfelben eben
fo durch Die fcharfgegogenen Grenzen zwifchen ber ge
feßgebenven und vollziehenden Gewalt „ nie durch die
—
“ Stu . 445
faͤhigkeit und das Wahlrecht (welche beide gu
wöhnlich fehr beſchruͤnkt find) und über Die Dauer der
Amtsführung,' gewählt; in der zweiten aber befinden
dich gemwiffe Familien entweder. durd) ‚Geburt;
. oder Reichthum, oder Durch Eroberung im auafihlige-
ßenden Beſttze der. in der Regierung ‚beftehenden ein:
‚zelnen Stellen, wo-die patriciſche Geburt, und die
Erreichung eines gewiſſen Lebensalters (bisweilen mis
‚einigen Nebenbeftimmungen über Befiß eines Grund:
eigenthums, über die Erfigeburt in den patricifchen
Gefchlechtern u. ſ. m.) den Eintritt in das Regie—
rungscollegium entfcheidet. | on
Wenn nun aud), imGegenfaße der Demokratie;
der Ariftofratie mehr innere Haltung, und mehr Ein-
. beit und Feftigfeit in ihren Befchlüffen zufomme, fo
daß namentlich in der Erbariftofratie gewiſſe Regie—
zungsgrundfäße ungerändert von .einem. regierenden -
Gefchlechte auf dag nachfolgende forterben; fo ift Doch
auch, nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, Fein Staat
dem Veralten feiner Formen, und dem Zuruͤckbleiben
hinter den lebendigen Fortfchritten des Zeitalter
(DBenedig, Bern u. a.) fo fehr ausgefeßt, als bie
Hriftofratie; in feinem wird die Härte des Druckes,
der von einigen wentgen Familien mit der ftrengften
Folgerichtigfeit und oft mit abfichtlicher Anwendung
und Steigerung der beftehenden Formen gegen aus4
gezeichnete Individuen (Hannibal in Karthago) auss -
geht, empfindlicher gefühlt, als in der. Ariftofratie;
und während in der Erbmonarchie das Intereſſe des
Regenten mit' dem Intereſſe des Volkes gewoͤhnlich
in Eins verſchmilzt, erfcheinen in der Erbariſtokratie
Das Intereſſe Der regierenden Familien und des Bol
kes im Schneidenden Öegenfage, weil: diefe Samilien
ibre Macht, ihnen: Reichthum. nad. ihren Einfluß nur
446 | GStaatskunſt.
auf Koſten ber Geſammtheit des Votkes erweitern
und en koͤnnen. Se leichter in einer Ariſto⸗
fratie die Formen des öffentlichen Staatslebens ver⸗
fteinern, und je leichter in ben Arifofratieen bas
Volk in feinblicher Stellung gegen die herrſchenden
Familien ſteht; defto leichter Fann entweder ein
Defpot in denfelben, mit fcheinbarer Beibehaltung der
ariftofratifchen Formen, an bie Spige des Ganzen
treten (Sulla, Cäfar), oder defto ſchneller ſtuͤrzt,
. bei irgend einem Andrange von außen, die veraltete
Staatsform der Ariftofratie ( Niederlande, Bern ,)
und nicht felten mit ihr der Staat, felbft (Venedig)
° gufammen. .
32. |
| 4 n h an 9». BE "
Die Theofratie Der Bundesflant und
Staatenbund, ä
| Zu den feltenen gefchichelichen Erfcheinungen in
Hinfiche der Negierungsform gehören: Die Theokr a⸗
tie, der Bundesſtaat und der Staatenbund.
+ Die Theofratie beruht auf der Annahme,
daß Gott felbft, dem alle endliche Wefen zu unbes
dingtem Gehorfame verpflichter find, das unficht«
bare Oberhaupt eines irdiſchen Staates fey, deflen
Megentenftelle aber von einem endlihen Wefen
vertreten werde, Allein wenn gleich, wohlverftan-
' den, alle irbifhe Macht und Gewalt auf Sort zurück
führe und von ihm ausgeht *); fo hat doch die Ges
») Die im Mittelalter aufgefommene Sormel: Dei gratia,
zuerft von den majoribus domus des Franfenreiches
“gebraucht, war urfpränglih eine Gormel der Des
muth, mie Ansdruf einer unmittelbar won Gott
Staatstunf, 447
fehichte gezeigt, daß alle theofratifche Regterungsfor-
men eigentlich auf der Herrfchaft einer Priefter-
ariftofratie beruhten, mit einem geiftlihen
Dberhaupte aus ihrer Mitte an der Spige; daß
eine ſolche Regierungsform urfprünglich nur bei
Völkern, während bes Zeitraunms der Kindheit ihrer
Eultur und politifchen Bildung, angetroffen wird,
und mit dem Fortfchreiten in der Eultur und in den
Bedingungen bes öffentlichen Staatslebens gewoͤhn⸗
lich in die monardifche Negierungsform (bisweilen
mit Beibehaltung eines einflußreichen Priefterftandes
in der Naͤhe des Regenten) übergeht (z. B. im alten
. Yegypten). ‘
Recherches sur P’origine du despotisme oriental
' et des superstitions, s. 1. 1762. 18.
Der polisifhe Charakter eines Bundes ſta a⸗
tes beruht darauf, daß er aus miehrern einzelnen,
an fich felbftftändigen, von einander unabhängen und
nad) der Geftaltung ihres innern Staatslebens fehr
verfchieden eingerichteten, Theilen befteht, die aber
theils für die Leitung ber allgemeinen innern
Ungelegenheiten des ganzen Zund:sftaates, theils
für die Behauptung ihrer Stellung gegen das
Ausland und für alle Unterhandlungen mit dem⸗
abgeleiteten Gewalt, — fo wis fih der Papſt den
servum servorum nannte. — Vergl. Schloͤzers
Staatsr. ©. 119 ff. „Sehr begreiflid würde der
Schorfam des Menfhen gegen ein höheres Weſen,
gar gegen die Gottheit felbft, ſeyn; dieſe menge
ſich aber nicht mehr unmittelbar in das menſchliche
Herrſcherweſen, und es geihehen Beine Wunder mehr.
— Minos, Lycurg, Numa und Mahomed
befahlen nichts, als was ihnen Jupiter, Apoll, bie
&geria oder ein Engel eins und angesehen. haste.“
felben, “eine gemeinſchaftliche hoͤch ſte Regie-
rung anerkennen, welcher in dieſen beiden Be—
ziehungen die Regierungen der einzelnen Theile unter⸗
geordnet find. 3 Während alfo. jede einzelne Provinz
ſich ſelbſt regiert: und verwaltet, fteht der Regierung
des Ganzen das. Recht. des Krieges, bes Friedens,
der allgemeinen Steuern, ber Mimze, der Ernen-
nung der Staatsbeamten, der gemieinfchaftlichen Hee-
resmacht, der Anlegung der Poften, tanbftraßen oder
„öffentlichen Anftalten, und der Annahme und Erneg-
nung ber Gefandten u. (So bie Schweiz,
Nordamerifa und vormals die Niederlande)
Dagegen Fündigt fih ein Staatenbund als
eine voͤlkerrechtliche Berbindung, ohne ges
- meinfchaftliches Regierungsoberhaupt,; an, in: wel-
‚Hem alle einzelne Theile, nach der Geftaltung ihres
innern $ebens, als ‚felbftftändige und voneinander un-
‚abhängige Staaten nach allen Söuveraindtätsrechten,
und, in Hinſicht auf Verfaffung, Regierung und Ver-
waltung ,‚ nad) Grundfägen und Formen weſentlich
von einahder verſchieden erſcheinen, die beshalb in
Hinſicht auf die Innern. Berhältniffe nur für den
‚gemeinfchaftlichen Anee ‘der Aufrechthaltung, der ins
nern Ordnung, Sicherheit und Ruhe, in. Hinficht
aber auf die äußern Verhaͤltniſſe zu "gemeinfchaft-
‚licher Vertheidigung und Behaupfung aller ihrer durch
‚ ‚Vertrag feſtgeſetzten Kechte gegen irgend einen geinde
‚lichen Angriff aufs innigftg vereinigt find, (je B. ber
teutfhbe Staatenbund). - \
:Joach. Erdin. Schmidt, Diss. de eivitatie ori-
F civitatumquie systemate, exemplo reipublicae
stavorum illustratis. Jen. 1745. 4.
„"Ern Carol, Wieland, de systemüäte eivita-
tun; in R- „opatwen scndem, Fascic: 1. Ghomnit.
17908 I 22 * ..0% 0. 230 gl: x
-
Staatskunſft. 47
ſchichte gezeigt, daß alle theokratiſche Regierungsfor⸗
men eigentlich auf der Herrſchaft einer Priefter-
ariſtokratie beruhten, mit einem geiſtlichen
Dberhaupte aus ihrer Mitte an der Spitze; daß
eine ſolche Regierungsform urfprünglich nur bei
Völkern, während des Zeitraums der Kindheit ihrer
Cultur und politifchhen Bildung, angetroffen wird,
und mit dem Fortfchreiten in der Eultur und in den
Bedingungen bes öffentlihen Staatslebens gewoͤhn⸗
lich in die monardifche NRegierungsform (bisweilen
mit Beibehaltung eines einflußreichen Priefterftandes
in der Mahe des Regenten) übergeht (z. B. im alten
. Yegypten). j
Recherches sur l’origine du despotisme oriental
‘ et des superstitions, s. ]. 2762. 18.
Der politifche Charakter eines Bundes ſta a⸗
tes beruht darauf, daß er aus mehrern einzelnen,
an fich felbftftändigen, von einander unabhängen und
nach der Geftaltung ihres innern Staatslebens fehr
verfchieden eingerichteten, Iheilen beftehe, die aber -
theils für die feitung der allgemeinen innern
Ungelegenheiten des ganzen Zund:sftaates, theils
für die Behauptung ihrer Stellung gegen das
Ausland und für alle Unterhanblungen mit den
abgeleiteten Gewalt, — fo wie fih der Papſt den
servum servorum nannte. — Vergl. Schloͤzers
Staatsr. ©. 119 ff. „Sehr begreiflih würde der
Schorfam des Menfhen gegen ein höheres Weſen,
gar gegen die Gottheit felbft, ſeyn; biefe menge
ſich aber nicht mehr unmittelbar in das menſchliche
Herrſcherweſen, und es gefhehen eine Wunder mehr.
— Minos, Lycurg, Numa und Mahomed
befahlen nichts, als was ihnen Jupiter, Apoll, die
Egeria oder ein Engel eins und angegeben. hatte.”
40° Staastinfl: \
mehr zur republifanifchen‘, "als zut monarchifchen —
Hingegen die gefitteten’und cultinitten Staa
ten der. neuern.und neueften Zeit mehr zur mo⸗
narchifchen,, als zur repubtiteniſchen Regierungsform
ſich Binneigen; Fi
Ä H daß in neuern Zeiten. die Fepublifanifche
Reglerungsform nur da ſich ‚behaupten Farin, Yo
die Staaten aus Kolonieen erwachfen. und. zur
Selbftftändigfeit gelangt find (wie 3.2. in Amerika);
während in Staaten , wo das monarchiſche Deine
auf einer feften geſchichtlichen Unterlage beruht 43. B.
in England und in Frankreich), die republifänifche
Regierungsform blos eine vorlbergeenbe Erfheinung
bildete;
5) daß namentlich der politifche Charakter der
neueften Zeit in Europa das ‚Auflöfen . der bis
zum Ende des 18ten Jahrhunderts im europaͤiſchen
Staatenſyſtemme beſtandenen republikaniſchen. Regie⸗
rungsformen (z. B. in den Niederlanden, und in
$ueca) ; ja; zum Theile-die Auflöfung der. Kepublifen
felbft. (Benpdig, Genua, Ragufa) herbeiführte *)5.
6) duß aber, nach dent Zeugniſſe der Geſchichte;
beſonders der drei letzten Jahrhunderte, beide Re⸗
gierungsformen gleichzeitig neben einander in
einzelnen Staaten deſſelben. Erbtheils beſtehen koͤnnen
und beſtanden haben, ohne das allgemeine politiſche
Gleichgewicht zu ſtoͤren, und: ſalbſt ohne bie Verbin⸗
Bug. monarchiſther und republifaniſcher Su⸗un zu
gemeinſchaftuchen Ziwecken zu hindern/
— — —
5) Br. Baskets, abee dns. s Berfgwinden der Repu⸗
bliken aus: der Reihe der surppäifchen Sragten: im
f. Sournal für Teutſchland igi5, 2 126 3
Staatskunſt. BE A
men“ daß5rkut den Fortſchricken dord Wolter und
Staaten in bet Cuttur uͤberhaupt, und namontlich in
der Entwidelung ind neuen Geftaltung des öffent:
tig en Seaktslebens; in vielen;Staaten und Reihen
ie "unbefihtänfren: monarchiſchen Regierungsformen
2* in beſch pä nete Ubergingen (in Gropbri-
tannien, : Frankreich ,:Schneben ,. Normegen, Nu—
detiand⸗ Spanien, Portugal u. RER ..
ar :9) daß dire rb lich e Monarchie vor ber Wehl⸗
ini, und beſonders vor den ſogenannten Pactri⸗
(mentälreichen } ‚einen ehtfchledenen Vorzug. behauptet ;
772 9 Daß ianter ben vepublifantfcyen Regie
ungsformen die reine Demokratien zur Anarchie ;: je
unbedingte Ariſtokratie zum Stillſtande des: potteffchen
Lebens firhet:;- And nie die be pra ſent ati ve Demo⸗
kratie da beftegeh: kaun, wo fid (wie 3:D. In vorma⸗
det Kolonicen) aus det geſchichtlichen Unterlag es
gängen Staakserganis mus hervaugeht ĩ s . T
0) daß endlich die ſogenangten The⸗ kra⸗
een und Priefterftaaten nur eihzelne umd
fettene geſchichtliche Erfcheinüngen find, die gewoͤhrn⸗
U — bei dem’ Fortfchreiten. ver Bötfet in dev. Eul⸗
die Lo Sin le monarchiſche Reglerungsform Ibei den
An nn im preußifchen Drderleftgatende.) ich auf:
ſo wie Au Aus. ganz andern geſchichtlichen
——a GStuͤnden der Bundes ft& atilımd
Ver Stadtenbund blos aus‘ganz.Örelichen undigek-
gemaßen ————— pounchen Dafeyn gelan.
gen können. Eu ale?
2 u, foren N 5 25 214
get
“ De Re rwa tung, b. es EHRE als daß
„ser Beſiandcheil ber Organiſation, baflelbepe.;
= Die Verwultußgiſt heeſencce ach, bes Seas
Mr. Ktantstund.
arganketıms:,. Busch" welchen alle Hauptbeftimmungen
‚der Verfaflung und; alle aus demſalben mit Nothwen⸗
digkeit hervoxgehende Folgerungen „. wermittelft. Der
:beftehenden Regierung , ins öffentliche Staats
bebien treten; und in Dem fchben. ach alsen
wu beſeſtigt werden. Die Verwaltung, muß
-Böher, in der. Berfaffung begeuͤndet und.: jeher
Hauptgegenftand her Wermaltung in einem vegan;
Phan Mörfege des Staates außgeſprochen ſeyn; allein
die Verwäirklichung aller-einzelnen Theile und -
: Gegenftänbe ber. Berwaltung- hängt zunaͤchſt / und
sinwittelbor. don der Regierung ad, melche des⸗
- «halb auch, in der Lehre von dem Gtagfsorganismuug,
un der Mit te ftcht zwiſchen: Berfaflung und Ver⸗
waltung. Es darf mithin in der Verpaltung nichts
gaſchehen, ahne das-Vorwiſſeen und den
Willendes Regentenz es muß alles, was bie
Verwaltung betrifft, ‚in feinem Nam en geſchehen
-umd ausgefertigt werden; auch muß der Drganis-
mus der Verwaltung, obgleich geſtuͤtzt auf-hie
in der Werfeffüng: enthaltenen Gruͤndzuͤge, im Gan⸗
- zen wie im Einzeinem, von dem Ermeſſen bes Regen
‚sen; als des Oberhaupts der nollziehenden Ge
walt im Stagte, abhaͤngen. Sei,
. me So wie aber-in allem, ;mas.hie. Staaesfun «if
feellt, die Grundſaͤtze bes Rechts und hie: Regeln der
‚Rhugheit. aufa innigſte verbunden; merben, mſſen; ſo
‚anthe in der Fehre von der BBerwalsung.des Staates
Denn nur ſehr wenige und einfache Grundſaͤtze hell
die Vernunft, als rechtliche Bedingungen. für die
innere und äußere Geftaltung der einzelnen Zweige
und Theileꝰ der: · Verwaltung diuf) "Die: nielſten Vbr⸗
fchriften: fire ve zwockmaͤßlge Anbrdnung der Verwal⸗
Aug flamımen auschen Erfahrung uUnd Gefthirhte, und
Staatskunſt. u 41
my daB; ;. mie den Fortſchritten Der Volker und
Staaten in der Euktur überhaupt, und namentlih.in
der Entwidelung und neuen Geftaltung des öffent:
Tihen Stautslebens, in vielen-Staaten und Reichen
die unbeſchraͤnkten monarchiſchen Regierungsformen
allmählig in beſch' Z nkte übergingen (in Großbri⸗
tannien, Frankreich, Schweden, Norwegen, Nie⸗
derland⸗ Spanien, Portugal u. a.) - :
59 daß die-erblihe Monarchie vor der Bag.
nibnardie, und befonders vor den ſogenannten Pacri⸗
montälreichen } j.einen ehtfchiedenen Vorzug. behauptet ;
77 9) daß inter den vepublifanifchen Regie-
rungsformen die reine Demofratie:zur Anarchie ,: die
unbedingte Ariftofratie zum Stillftande des: polickichen
Lebens führe, Und ntie'die Fepräfentative Demo⸗
kratie da befteheh. kann, wo fie! (wie z. B. In vorma-
Tiger Kolonicen) aus der geſchichtlichen Unterlage des
ganzen Stadtserganlsmus: Gedvangehegi ns 5
40) daß endlich die ſogenantten Theofra-
efeen und Priefterftaaten nur eihzelne md
ſettene geſchichtliche Erſcheinungen find, Die. gemößn-
lich — bei dem’ Sertfchreiten der Bälle i in der Cul⸗
fir "in die moriacchifche Regterumgsform (bei ven
Bebräemn, im preußifchen Ordensſtaate x.) ſich auf⸗
ſo wie — Kur Aus ganz andern geſchichtlichen
8* poliſſchen Stunden —— der Bundes ſta a und
Ver Staatenbund blos aus ganz ortlichen und:zeit-
geriägen Berpäteniffen‘ sum poieifchen Daſeyn getan.
gen Fönnen. 2
gr. 2
34. u
ee) Die Nerwaltung, bes Slaatea aldi
„ter Beſtandtheil der Organifation; beflelben, > ;
Die Verwultung! iſt derjenige Theil des Staate-
29°
42 Staatskunſt.
rgantenm durch welchen alle Hauptbeftimmungen
ber Verfaſſung und. alle aus demfelben-mit Nothwen⸗
digkeit hervorgehende Folgerungen, zn. vermittelſt der
beſtehenden Regierung; ins öffentliche Staacs⸗
deben exeten; und in demfekben arhalsen
irrd befeitigt werden Die. Berwaltung. muß
daher in der. WVerfaffung begr N ndet. und.: jeder
Hauptgegenftand der Bermaltung in einem vegan»
:Fihe.n.Gefege des Staates auggefprochen, feyn; allein
‚die. VWerwirklihung aller. ‚einzelnen Theile und -
-Gegenftände der Verwaltung. hängt :zunächft: und
unmittelbar. don der Regierung ab, melche des-
- halb auch, Än.der Lehre von dem. Stagtsorganisug,
in der Miste ftehr zroifhen:WVerfaflung und Mer-
waltung. Es darf mithin in. der Verwaltung nichts
gefhehen,. Ahne das Vorwiſſſen und,; den
Billen. np Regentenz es muß alles, was hie
Verwaltung besrifft,-;in feinem, Namen gefhehen
-und -ausgefertige werben; auch.muß der Organis
mus der Verwaltung, obgleich geſtuͤtzt auf⸗ hie
in der Verfaſſung enshaltenen Gruͤndzuͤge, im Gan⸗
zen wie im Einzelnen;, von dem Ermeſſen des Regap-
‚ten, als des Oberhaupts der vollziebenden Ge
walt i im State, abhängen. --
. mr So wie aber. in allem, was die Stantstunft.auf
‚fee ‚ die Grundfäße des Rechts und die Negeln. der
-Biugbeit aufa innigſte verbunden. werben, müffen ;. Kr)
Anch in- Der Fehre von der. Berwalsung.bes Staates
Denn nur fehr wenige und einfache Grundfäge; fteikt
die Vernunft, als rechtliche Bedingungen für bie
innere und äußere Geftaltung der einzelnen Zeige
und" Theite: der Verwaltung aufs die melften Voͤr⸗
fhriften:firdte zweckmaͤhlgẽ Anordnung der Verwal:
Aug: ſtammen aus der Erfahrung: und. Gefthishte, und
Stantsfunik, | 453
felof.diefe: allgemeinen Ergebüsffe:den:Sefihfichen
wären; bei: ber:: Orgauiſation: der Verwaltung am
jrdem gegebenen. Staate, gauyinadı deſſen beſom«,
ern: und ört li chen Verhaͤltnifſen habı Beduͤrßo
niſſen berüdfihrige werden P)Y. CR. Ad 2ısinm. > )
32 Fr u Fo sünnense 0. BR 762 4 aut ein
—XR FR Des De 83": rue TUCH OBER IERLHRN
G st 3 =) ig AD
äuptt ee dern ‚Berk {
gi pergeite — ——
—* Verweicung bs. Stonterpinmirfein.fie pp
den Regensten ‚' als Dem Dberhaupterder: wulllzi
Gewalt ‚ausgeht, ; umfhliche heile: Biere
Behörden: der. Verwaltung; .eh:eils:itieisokem
einzelnen Theile ver Verwiadtu ng felbſtnach
ihrem Innern nothwendigen Organismms ‚arbie rem
sehtigteitsgflegejnbieidadi peiyı beein see
zen⸗ und Bee me pn
re Welkichen:tie Separstenft:fiigoht) in Hinfich®,
auf. bie: Otganiſatlon der hoͤchſten VNerwaltuugsbehuͤral
bar, abs: auch: in Hinſicht: her: jipecknaßigen Meſtil
tung der vier einzelnen Theile der Staatcherwalnurgei
zunoͤchſt. den oͤrtlichen und Bee pen Sntereflen
tlg, an), Teii⸗
te gegen PER. 0 Ge⸗
Saar teya,, Beni! gi: Ohr ir seinen DStaate mie
„200,009 Menſchen Pey * eben ſo eis
"Mini A "wären, Ye Im Jette "Enaatd
Bi Eidwohnenn oder went nt rim
8 — beſondern —
* In nmnen] uote ;(. * Kan: mans He
on.: 6 ehe ER ] m
er. * n
gu: und x Kain, 56,
IE ohne din a in einem &tdafe-von rule "it 1.
Qi ——* kaymahinım: voerfadtet. * nö
456 Staatcunſt
ligen Amwachfest der meiſten veurepaiſchen Mitten
nach dem Erwerbe und der Berkinbng: ningelgenvor-
muls ſelbſtſtaͤndiger Kinder und Nropinzeng und auf
den rechtlichen: · Bedingungendieſern: Erwerbnurgbe⸗
ſteht darin, daß jede: Proying des Staates ſhra beſon⸗
dere annore Geſtaltungo mit zeigenen Behüchem ;:rinfcht
ſolten nelt:ainer eigenthuͤmlichen Menfaſſung mah heſon⸗
dern Geſetzem:behaͤlt, aſa; haß jede drinzelne Provanz
gewiſſermaßen ein in ſich abgeſchloſſenes Ganzes bil-
ber, dasımon:den, übrigen Thoilem deſſelben faates
tefendi verſchieden ft, ‚und wodurch die Gefammt⸗
perwalhuhg des ganzen Seanebd nur als das Aggregat
sieh At ee
Dagegen: berubg daß. ‚Senssa ty kepp.i der
Berdalamguaf einer gemeinſamen Verfaflung, we
Ph offen B’Aufigeibifferr gerrettnfchafeliähenOrärdgefe gen -
ante ei ehe eingen'des — daßnach
—— nn GBegenſtaͤnde det, B attung
nach ‚allgemeinen Beyishungenkde Dr. had sn Zus
ſammenhangoraller -ftiger: ‚sderiader. Paligeir) oder
aller Finanz» Behörden im ganzen Staate unter fi)
vertheilt und. angeordnet,,\and ruͤckwaͤrts ion gewiflen
hoͤchſten Behörden für; jedan, ein
Zweig der age u Het rt Fe ne |
Wenn auch das Provinzialfpftem in der Ver-
— nirhtebe Jahrhunderte hindurch· ausveichen
nnd fſeldſt zweckmaͤßig ſeyij kvnmtriz·rſo vermachte:cen
doch nicht; bei: den geſteigerten Bedaͤrfniſſen: dermei⸗
ſten Sacchen, boi der llmahligiubenalt zur Herrſchaſt
gekommenen Idee von der) nochwerdigen Giem hait
des: E:twares ; und: beiden Vorgarige: moͤchtiger
Staaten in Sinficht der: Anhahme des Centralſyſtema
ſich im Ganzen laͤnger zu behaupten. Selbſt da, wo
mean-in ·den einzelnen Proviazen bie auscfuuheen Zei
Staatstunſt. 455 .
5 Gnifpundte our; vorzüglich, geſchweige die befte
7 feyey! menn ſich gleich denken laͤßt, daß, abge⸗
:ſehen don ber ihr. mangelnden Begründung und
bei dem Abgange alles innern Zufammenhanges;
* N Dröonung, Gewiſſenhaftigkeit und Beruͤck⸗
t:bfichtigung. der örtlichen und Zeitz Werhältniffe im
*Einzelnen vermittelft einer gut organificfen Wer⸗
i welcung. manches geleiſtet werden kdnneli: .. ;
arl Fr. v. Wiebeking, Vorfdläge zur Ein⸗
er: “eldtufig einer Staatsverwaltung im Allgemeinen und
ae Verwaltungszweige ins befondere. Münd. 1815. 8
—* (SFreih. v. Malchus), Darſtellung. des Drga
nismus der Innern Staatsverwaltung und der Fors
, men für die Gefhäftsbehandlung in derſeiben.
7° Veiliigen. Deidelberg, 1880. 8. — Der ſelbe (und
2. une ſeinem Nattien) der Organismus der. Behdre⸗
2.2 den’für die Gtaatsparmattung, 2’Bände. (der ar fit
—* inge, det. zweite in 4. Formulare ‚enthaltend )r
* Atideib .ıg21, -
ur Karl Fr. With. Seräder, Sofern‘ der’ im
=, ũern Staatsverwaltung und der Gefekpslitiß, she
PB - unbeenbigt). Sein. 1818 — 20. 8. |
Ä 36.
Si Gelben Hanpitifeme in ber Orc
IR „ verwaltung.
Geſchicht⸗ und Staaskunſt ſtellen für bie: e Ber.
— namentlihgrößerer Staaten, nur zwei
wofprunglich weſentlich von einander verfchiedene,
Haupitſyſteme auf:.das.der Provinztalyen
waltung und das der Centralverwaltung 9).
Das Eyſtem der. Provinzialverwaltung,
Serußend auf dem gefchichtlichen Grunde des allmaͤh⸗
Be, «Mel us, der Organismus d. Behoͤrden ic. ©. 5 ff
ur
’
458 | Staatsbunſt⸗
tele lenng: Fazer: zevnannie Blntsbes
x örden (Kteisgimmprleunt , Amtsehauptieute Land⸗
et) are Spitze ſtehen, bach: ſo, daß
ihnen freigewaͤhlte Magiſtratsperſonen aus derPto-
vinz mit berathender Stimme zugeordnet find ; die
Centralverwaltung:gber ausſchließend in den
Händen von Staqgsbeamten zußt ;nwelde der Re⸗
gent senennt, die aber nach den in der Verfaſſung
e.tönthaltenent Beſtimmüngen⸗ außevi va Nigenten,
Fed den Vettretern Due rier⸗ vrvautwortlich · fiud·
2 Bei dieſem Syſteine beruht Tod Spädkalbin: Wer⸗
eng‘ surf! auf dev: cl in
4 ser. il Mess. D SER WEHREN F
35 4 J— urn 5 22 .115 Ba Su ER 3]
1:2 geshäft. grordneter wäh, alen bei. ter all: am
nwir@eratgdienge ‚nedrzei Zeitz, Hafendets wig, ſorijener
Semeindeverfaffung,, die höhere hie ibn
‚der. einzelnen ‚Mugielpafitäten ſich entfalten Ronnte
“un —34 — His jetzt beruht hie: Strtedd yrietfhen
Baer ou die sone Batth enden
12] Ideserfaffungt; taßeln dad Mitt Ale ItER' DR Das
— Haar in AN — F nicht
wein dae Sher Aafkır. geltän ‚Eönnen,
Mm "ine sie Tenkeilverne —— A * Ders
BITFRTN ng der eihyeinen Miniſrendepartemenise —
in 88 Airen Han Hy 6 Mir bir fahren Daran,
tirol) Alena amaiınd en rim ung * per⸗
0 allen ar deß Ar Mao van — AH,
a7. Ad sren. Spibe der rz We Kandın ee N ve
te mfeig MERAN, vaft, a ER ebene
“RBD Berkthung- Chei der Ohnmachtd e Eh —
1 erdbie höͤhede Controué fehıse, ſo Aß vſt idil Ce n⸗
tralvermwaltung diefe Luͤcken nicht auszugleichen
vermochte, — Es gehört teut ſchen Staaten (z. B.
ieiayern, Wirtemterg.u, as’ dasn Nertdenft,
riwgepe Mängel gefuͤhtt und rjegn zui haben doauch in
IB den. fh; neuerlich eine Bemeindeordaung zur
un: a betder Rammeinıgelommendzinn)S:
N ı 1 utle 2 E73 1: mm * Aindid
* Aus wir —— *
sie. SON) €. ur. auf aipſe
Weiſe bare de Stangen. n aſlen⸗ i n ze aA⸗ n
Theilen amſchleßt, Ind die Kraͤfte Ser zu Gem
di Zwecke da Anſcxuch mn —ERXI
aburch das eomtemnerſoaie in Gate nanhne.
a a een Een n e
ſGoͤftzgumg verginfacht werden Fam
in Pazmlanı ielp er mnktssnaaanelchnbiei —5 |
use benfshaftlichen Sueszeilen ann Dahlifi
. wabrnimmt ijnd qefriedigt, mie beſanberen in
Bsp: aa 5 — —— —
zs „sung, —52 Toy Wehe ner (ia
—— Die: Mar eeltung ir tgate —* PR
sahen, nach blas Anne am axtieg che⸗
—trieden Dexben Wenn ·hei per:sellegimhifirhe n
1 NBehand hass Ans Verwalcung allen Mitgliedaguider
Behr che ich maͤ Biaıas, Auh ſtiem d nttg s⸗
recht zukommt, und der Bias Ram Ber eberde
blos primus inter pares ift, der die Angelegenheis
sen vorträgt, leitet, und bei — der Stim⸗
Amen den Arsfldg gibt; CE Dahdf ine ra
für zwei gilt); fo —— 9 Din ie Ver⸗
XX Figenh * Hit: Macglieder
EL» —8* — — Kalt Dasiphrenae)
e Machtmollı
des Ganzen erfeint,, ‚ ver aus eigne
alte und eng |
458 Staatskunſt.
ialver walvung hlagegon ernannte Siautsbe-
Hörden ¶ Kreishauptleuse, Amtshauptieute,; Land⸗
ö väthe u. ſ. w.) ander Spitze ſtehen, doch: ſo, daß
ihnen freigewaͤhlte Magiſtratsperſonen aus der Pro⸗
vinz mit berathender Stimme zugeordnet ſind; die
Centralverwaltungaber ausſchließend in den
Händen von Sfaasbeginten ruht welche ber Re⸗
gent ernennt, die aber, nach den in der Verfaſſung
“ :enthaltenen Beitimmungen ;:anßer vem:Deßenten,
ch den Vertretern des Welkus vevantwortlich find:
Bei dieſem Syſteine beruhe !die Starke der · Ver-
Waltung zuer ſt auf einer zweckmaͤßig :geſtalteten
: gefhäft. georbneter war, als bei geht. dee
sr Mbtaatsdiener nayexen Zeit, bafanders wie, bei jener
Semeindeverfaffung,, die höhere Ölüche uhß Kraft
j einen ‚Munieipalitäten fi entfaltän gonnte.
“er bis jeht berinht Dir" GStarke dei Heitlifchen
Berwaltungeforn auf bor Sort beftchenden;@umdind
beuerfafjung:; ‚allein bad: Mittslg Li ED Dia: Pro⸗
vingtalverfaffung ‚reiht in Großbritannien, - nicht
wen Die. Operifig. ‚nicht ‚dafike. gelten ‚Körinen,
ie Eenträlderwaltgng geher Auf ih“ dee Were
SB Nıren Biand sek neuere Werfaiingen daran,
Bit emeind euarwaltiung ganlich ver⸗
iseflen war, Bad, der Baovinlahmermalsung,
Deren. Öpiße dey, Dr Fl fand... zwar nicht. die
. — und Schneilttaft, adpk die eigentliche
FO Beräthung, Cbei der ntitiade Ber-Ptäfwiukräche)
nF 2m die höhere Conrkolie fehlse, fg Daß vin idie Cen⸗
tralvermwaltung diefe Läden nicht auszugleichen
vermochte. — Es gehört teut ſchen Staaten (5.8.
Bhzern, Wirtemkerg u. a5 dası Verhienft,
Mofel Mängel gefühtsi und orſetzt zu: habenyrand in
Baden iſt neuerlich eine Gemeindeordaung zur
e Detathung beldır Rammern: gefommend: ıcn. I
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au Dad nicht merfanne werden, ‚dafı,. mähnenb bie
Merfaſſung als rin.unogränperliches Ganzes erfcheint,
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angen Friehenszeit bie Vermehrung der hei einzelnen
Mmyaltungszweigen angeftellten.. Beamten; wöthig
wachen kann; eben-fo-Fönnen auch, nach dem. Willen
des Regenten und nach dem Ermeſſen feiner Miniſten,
walhe an der Spitze der gefammten Verwaltung
ſtehenz, weſentliche Veraͤnderjngen in dem Organis⸗
art dee Verwaltung porgenommen werben. Deshalb
‚A. Schwer, in .ber, Stantsfunft allgemeine
Snundfäge für die Verwaltung aufzuftellen. Diefe
Auuften:fih aber doch auf folgende zuruͤckfuͤhren laſſen:
7. 43 Die. Berwaltung behanpte. dan Charakger. ds
choͤch ſen Einfachheit, bewirkt. durch ——
Ha. herechnete unde ausgemittelte Ineinandergreifen
roller einzelnen Theile berlelbrn. 2
=. 9) So viele Hauptzwe ige der Verwaitung
weſentlich won; einander verſchieden find; fo
irle Hauytarten. won. Anſtalten muͤſſen auch für pie
Geſchaͤftsfuͤhrung beſtahen. —
2332 Mean sigzelnen. Zweig der Verwaltung
Purfen nur fovie la Behor hen und ſo viele Ber
amut en baſtehen, elf, nach dan. topographiſchen,
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. .. ber Organismus: der Behoͤrden ıc. im Hermes, Gt,
XV, ©. 193: ‚Rein Staat, der wirklich dei
...,. Namen eines Staates verdient, kann ohne Berfah
3 ang fe de Verfiaſſung-iſt aber die
Richtſchnur der Verwaltung, und bdiefe
die Ausfährung-den.erffern.”
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460 Staxistunftr
pl nur: nach eigenem Gatdlinken Bier her
Be Bechörderuhr ihten Rath befragt‘, ohne: fh: an
3röhmfetben beisee: Eutſcheidung zu binden’; oder din
= Stintmrecht’ eine Raͤthe anzuerfeninen,? ' Füe die
werke des Staates hat die colte gia liſche De
£ = teebting ber Breriwältinig mehr Sicherhett, Um⸗
fährt, aber a: ncher Langſamteit und. Wieite;
> Pingegen idiorbaur oauar tig e Behandlung Andhe
age und Kraft, ran Vaß iſte auch leicht / zur Ein,
— 5 Oberflaͤchtichkeit und Willkaͤhr flihrt.
Deeholb ſchemem beide ·Verwaltungsformen · we r⸗
nibsndien werben:zu muͤſſen, ſo Haß nämentlich dei
allen Gegenſtoͤnden Ber: Gerech olgkedespfreg e
| mple‘ bureduartige Werwaltung, Wölligiausg er
ſchlofſfen bleibe, Bei: einzel-nen:-Aiseigen-ber
PURE aber vis bibenuartige Gefchäftsfüßrting
der Vorzug vor der callegialiſchen vetiang, boi-ber
+ Bindnpwer waltung in der Berashung:der
Gegenſtaͤnde die collegialiſche Betreibung,nbei
Wer Ausfuͤ hrun g berfelden-ublR die burecurartige
Anwendbar ſcheint, und. endlich = ind: Pefler Be⸗
gruͤndung! des Militatefyftemsim Staatdi—
dieſes in der Berathung gleichfalls der collegiali⸗
ſchen Einrichtung ‚Zin’der Ausfühtäng 8 ber: buccau⸗
artigen Leicung bedarf, ..
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.. Brnser. .. > „.
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Üligeneine, &runfäge ‚fie die Bermal
ir" u. zung. —*— J in Bam he:
Bahn eine Shransbetwalsung sh T Berfoffung
Ihe feſten Unterläge: erdrangelr, und jedevinat die
Verwaltung or ber Denfaffung. abpängigrit: 5 fo
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vzl Veral ven —* der ————— Por PN At us,
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Sof dach, nicht erkannt erben, daß, woͤhnend die
Merfaſſung als ein unvfraͤnderliches Ganzes erſcheint,
6 Bermalkung, pam: vielen, örtlichen: und, Zeisbebärf-
niffen abhängig, mithin im Einzelnen manchen Ver
‚Auberungen untenmorfen: bleibt. So wie 3. ber
beheusenbe Anwachs ber Palksvermehrung inzeiner
langes Friedenszeit Die Permehrung der bei pinzelnen
Mearmaltyugszweigen. ‚nngeftellten.. Beamten. hoͤthig
en kanyız; eben.fo Fönnen auch, nach dem Wiüllen
des Regenten und nach dem Ermeſſen feiner Minften,
walihe an: der Spige..der gefammten Verwaltung
ftehen;,; wefentliche Veraͤnderjngen in dem Organis⸗
ap der Barwaltung porgenommen werden. Deshalb
.Afl68. Schwer, in der, Stantsfunft allgemeine
—
Enundfäge für die Verwaltung aufzuſtellen. Dieſe
cuͤrften ſich aber hoch. anf folgende znchstführen laſſen:
u 43 Die. Verwaltung behaupte. den Charakger. de
chaͤch ſen Einfachheit, bewirkt. durch ——
Sig. berechnete:unde ausgemittelte Ineinandergreifen
(oder einzelnes: Theile berielben, TE urn
9) So;viele.Hauptzweige ber Verwaltung
weſentlich von einander verſchieden find; fo
pirle Baupyarsen. von. Anftälten ‚müffen auch für pie
Meſchaͤftsfuͤhrung beſtahen. ——
SP MR Than gigzelnen Zweig ber, Verwaltung
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mt en. baſtehen, als, : noch den, topographiſchen,
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... ber Organismus: der Behoͤrden ıc. im Hermes, Gt,
XV, 8. 123: „Rein "Staat, der wirklich den
..... Namen eines Staates verdient, kann ohne Berfaf
> fang ea die Verfaffung:in aber die
Richtſchnur der Verwaltung, und bdiefe
die Ausfährung-der.erffiern.! vo.
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warben ſcheint, doch bunch. bie Spopteln. aus dem
Volksvermoͤgen, und. zwar. auf einem weit willkuͤhr⸗
lichern Wege, als vermittelft.des von den Volfsver-
tern. angenommenen und geprüften Budgets, ayf-
getrieben pird. —D —— J
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Die hoͤchſten Behörden der Staats ver—⸗
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‚ Unter ven hoͤchſten Behörden: ber ‚Staatsver-
waltung werden diejenigen Mittelpuncte der Ver-
waltung perftanden,,.a;n welche alle Angelegenheiten
ber Verwaltung aus dem ganzen, Umfange des .Staa-
tes gelangen, und in welchen dieſe Angelegenheiten
forgfältig berathen, .entfghieden, ‚fe wie den -
untergeorbiiefen Behoͤrden zur, Ausfuͤhrun g.mite
gecheile werden. rer
„Der Regent, als das Dberhanpe aller voll-
GE IE 5 Bu ze
und Willen. des Regenten, von einem einfeitigen oder
oberflächlichen. Vortrage ‚der Gegenſtaͤnde ausgehen
. Staatsfunft, ' \ | 405
könnte; fo muß das Verhältniß dieſes befondern Ka⸗
binets gegen die eigentlichen Minifterien nach feften
Grenzlinien beftimmt, und auch die Form des
Gefchäftsganges bei Demfelben allgemein befannt feyn,
weil das Materielle des Vortrags im Kabinette,
feiner Natur nach, felten zur Publicität gelangen kann.
Denn wenn entfchieden da, wo ein foldhes Kabinet be⸗
ſteht, die Seitung der auswärtigen Angelegenheiten,
das Gefandtenwefen, die Familienverhältniffe des
Regenten zu auswärtigen Dynaftieen, die Standes-
erhöhungen, die Ordensverleihungen, die Begnadi-
gungen, überhaupt fänmtliche Hof- und Gnaden-
fohen, zum Gefchäftsfreife deffelben gehören; fo
würde es doch bedenklich feyn, wenn durch Kabi⸗
netsbefehle in ben Gang und die Entfcheidungen
der Gerechtigfeitspflege und der Finanzverwaltung
eingegriffen, oder eine geheime Polizei angeord:
net werden follte, nn '
Die mwefentlihen Höhften Behörden der Ver.
waltung find:
. 4) die einzelnen Minifterien, doc fo,
daß die Minifter felbft, für die Gefammtangelegen-
heiten des Staates und für die Bewirfung der Eiü-
heit in den ihnen anvertrauten Hauptzweigen der.
Verwaltung, ein Conſeil (einen geheimen Rath)
unter dem Vorfige des Regenten, oder eines dazu von
ihm ernannten Präfidenten (Staatsfanzlers) bilden.
2) der Staatsrarh, bald als eine bera-
thende, bald auch als eine entſcheidende Be—
te⸗ geftiftet, nach: feinen Individuen in fo viele
ectionen getheile, als Hauptzweige ber Verwal⸗
tung in einem gegebenen Staate felbftftändig organifire
find, und hauptfächlic) dazu beftimmt, alle Gefegesvor>
J. 30
%
1)
466 Staatskunft.
fchläge (melche entweder den Wolfsvertretern vorge
legt, oder im Staate befannt gemacht werden follen),
reiflih zu überlegen und zu bearbeitin. Wo ein
Staatsrath mit die ſer Beſtimmung und mit diefer
Stellung zu den übrigen Vermaltungsbehörden bes
fteht, ift einge befondere fogenannte Gefeg-
RK: smmmiffi on überflüffig.
3) die Generalcontrolle®), als diejenige
Behörde, welche über Die Beobachtung und Bewah—
rung der Verfaffung und der Grundgefege des Staa-
tes, über die gleichmäßige Vermwirflichung des ganzen
Berwaltungsfoftems , und über afle in dem. innern
Staatsleben mwahrgenommene Unvollkommenheiten ,
Luͤcken und Mängel zn wachen, namentlich aber bie
Sinanzvermwaltung der frengften Auffihe zu
unterwerfen hat:
Neben diefen höchften Behörden ift in allen
autofratifhen Staaten, und in verfaffungs-
mäßigen Staaten, mo die Volksvertreter nicht
in zwei Kammern zerfallen, ein Senat”),
mit felbftftandigem Geſchaͤftskreiſe , erforderlich
[—— mem
H Wenn Einige, namentlich v. Malchus (am angef.
Drte ©. 59.), eine Öberrehnnngstammer
unter die hoͤchſten ſelbſtſtaͤndigen Verwaltungsber
hörden aufnehmen; fo fcheint doc das, was dies
⸗
ſelbe zu einer der Höchften Behörden erheben fönnte,
‚da, wo eine Seneralconttolle beſteht, die ſer anzu⸗
gehören, und das, was ihr in finangieller Jin
ficht egenthüntic ift , unter der Leitung des Finanz⸗
miniftertums ſtehen gu müffen. Mo dies aber der
Fall iſt; da kann die Oberrechnungsfammer mit. den
u genannten hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden nicht auf
gleicher Linie ſtehen.
*xx) Rußland hat einen machtigen und einflußreichen &es
nat in ber Hauptſtadt als hoͤchſte Behoͤrde des
Staatsfunft.: 467
40.
1) Die einzelnen Miniſterien.
Nach der Grundlehre der Staatskunſt, daß das
Leben eines jeden Staates in das innere und aͤußere
zerfalle,, gibt es eigentlih nur zwei Minifterien:
das für Die innern, und das für Die ausmwärti-
gen Angelegenheiten. Allein, wenn auch) die Kräfte .
Eines Staatsmannes bazu hinreichen, Die oberfte
geitung aller zum Kreife der auswärtigen Ange
Reiches; doch ward im Jahre 1810 neben ihm ein
Reichsrath (Eonfeil) errichtet, der in die vier
. Abtheilungen der Geſetzgebung, der Gerechtigkeits⸗
pflege, des Kriegswefens, und der innern Angeles .
genheiten überhaupt (Aderbau, Fabriken, Handel,
Finanzen, Schulwefen uud Medicinalangplegenheis
ten) zerfällt. — Frankreich hatte von 1799 —
1814, nad den Vorfchriften der vierten Verfaſſung,
-einen fogenannten Erhaltungsfenat, deſſen
verfaffungsmäßige Beftimmung von hoher Wichtig⸗
keit war, weil ihm zufand, aus dem Nationale
verzeihniffe die Mitglieder des gefeßgebenden Körs
pers, des Tribunars, des Conſulats, die Kaffationss
ridyter und die Rechnungscommiffarien zu ernennen;
alle Verhandlungen, die ihm als verfaffungswidrig
von der Regierung oder vom Tribunate angezeigt
wurden, zu beftätigen, odet gu vernichten, und die
Verfaffung ſelbſt durch organiſche Senatuscoufulta
zu ergänzen und zu verändern. Ob er nun gleich
in fpäterer Zeit zunaͤchſt ein Werkzeug des kaifers
Tihen Willens war; fo war doch feine politifche
Stellung und Macht dadurch fehr gefihert, daß alle
Senatorftellen leben slaͤnglich ertheilt wurden,
und fein Senator abfeßbar war. — Seit der
Einführung der conftitutionellen Charte (ıgı4) in
Srantreich find die meiften Functionen des &enats
Auf die Dairstammer Übergegangen.
| | 30 *
%
466 Staatsfunft.
fchläge (welche entweder den Molksvertretern vorge-
legt, oder im Staate befannt gemacht werden follen),
raͤfich zu uͤberlegen und zu bearbeitrn. Wo ein
Staatsrath mit die ſer Beſtimmung und mit dieſer
Stellung zu den ‚übrigen Verwaltungsbehoͤrden be
fteht, ift eine befondere fogenannte Gefeg-
commiffion überflüffig.
3) die Generalcontrolle), als diejenige
Behörde, welche uͤber die Beobachtung und Bewah—⸗
rung der Verfaſſung und der Grundgeſetze des Staa—
tes , über die gleichmäßige Verwirklichung bes ganzen
Bermwaltungsfuftems , und über alle in dem. innern
Staatsleben Wahrgenommene "Unvollfommenpeiten ,
Süden und Mängel zn wachen, namentlid) aber bie
Sinanzvermwaltung der frengften Aufſicht zu
unterwerfen bat:
Neben diefen höchften Behörden ift in allen
autofratifhen Staaten, und in verfaffungs-
mäßigen Staaten, mo die Wolfsvertreter nicht
in zwei Kammern zerfallen, ein Senat”),
mit felbftftändigem Gefehäftsfreife, erforderlich.
en
” Wenn Einige, namentlich v. Malchus (am angef.
Drte ©. 59.), eine Öberrehnnngstammer
unter die böchften ſelbſtſtaͤndigen Verwaltungsbe⸗
hoͤrden aufnehmen; fo ſcheint doch das, was dies
2 ſelbe zu einer der hoͤchſten Behoͤrden erheben koͤnnte,
da, wo eine Generalcontrolle beſteht, die ſer anzy⸗
gehören, und das, was ihr in finangielter Din:
ſicht — iſt, unter der Leitung des Finanzs
miniſteriums fiehen zu muͤffen. Wo dies aber der
Fall iftz da kann die Oberrechnungskammer mit den
J genaunten hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden nicht auf
gleicher Linie ſtehen.
**) Rußland hat einen maͤchtigen und einflußreichen © es
nat in der Hauptſtadt his hoͤchſte Behoͤrde des
+’
Staatsfunft.. 467
— J 40.
1) Die einzelnen Miniſterien. |
Nach der Örundlehre der Staatsfunft, daß das
Leben eines jeden Staates indasinnereund dußere_
zerfallt,, gibt es eigentlih nur zwei Minifterien:
das für.die innern, und das für die auswärti-
gen Angelegenheiten. Allein, wenn auch die Kräfte
Eines Staatsmannes dazu hinreichen, die oberfte
feitung aller zum Kreife der auswärtigen Anges -
Y
Reiches; doch warb im Jahre 1810 neben ihm ein
Reichsrath (Eonfeil) errichtet, der in.die vier
. Abtheilungen der Gefeßgebung, der Gerechtigkeits—⸗
pflege, des Kriegswefens, und der innern Angele⸗
gönheiten überhaupt (Aderbau, Fabriken, Handel,
Finanzen, Sculwefen uud Medicinalangplegenheis
gen) zerfällt. — Frankreich hatte von 1799 —
1814, nad den Vorfchriften der vierten Verfaffung,
-einen fogenannten Erhaltungsfenat, deffen
verfaffungsmäßige Beſtimmung von hoher Wichtig⸗
tete war, weil ihm zuftand, aus dem National⸗
verzeichniffe. die Mitglieder des gefeßgebenden Körs
pers, des Tribunass, des Conſulats, die Caſſations⸗
richter und die Rechnungscommiſſarien zu ernennen; '
alle Verhandlungen, die ihm als verfaffungswibdrig
von der Regierung oder vom Tribunate angezeigt
murden, zu beftätigen, oder zu vernichten, und die
Verfaſſung ſelbſt durch organiihe Senatuscouſulta
zu ergaͤnzen und zu veraͤndern. Ob er nun gleich
in ſpaͤterer Zeit zunaͤchſt ein Werkzeug des kaiſer⸗
lichen Willens war; ſo war doch ſeine politiſche
Stellung und Macht dadurch ſehr geſichert, daß alle
Senatorſtellen leben slaͤnglich ertheilt wurden,
und kein Senator abſetzbar war. — Seit der
Einführung der conſtitutionellen Charte Cıgı4) in
Srantreich find die meiften Kunctionen des Senats
auf die. Pairskammer Übergegangen.
| 30 *
\ . ,
468 - Staatsfunft,
legenheiten gehörenden Gegenftänbe zu führen; fo ift
e8 doch bei jedem Staate, deflen Gefammtbevölferung
über eine halbe Million fteige, niht mehr mög»
ih, — und felbft da, wo die Bevölkerung nicht
einmal diefe Zahl erreicht, nicht rathſam, — da
‚ ein Einziger alle die verfchiedenen Hauptzweige, welche
zum Minifterium des Innern gehören, und welche
die ganze Wirffamfeit, Geftaltung und Fortbildung
des innern Bolfslebens umfchließen, mit gleicher Sach⸗
fenntniß, Kraft und Thaͤtigkeit leite. Deshalb zer⸗
falle die Leitung des Innern in den größern Staa-
ten gewöhnlich in folgende einzelne Minifteria:
4) das Miniflerium bes Innern, im
engern Sinne des Wortes. Ihm gehört die Auf:
rechthaltung der Verfaſſung des Staates nad) ihrem
ganzen Umfange und nad) allen ihren einzelnen Be⸗
- flimmungen; die Zeitung aller Mittheilungen jwifchen
dem Regenten und den Volfsvertretern; die Verän-
derungen in der geographifchen und flatiftifchen Ein»
theilung des Staates nad) feinen Provinzen und Bes
zirfen; die Oberaufficht über das gefammte Staats-
eigenthum, und über afle für die Verwaltung im
Innern angeftellte Behörden; die Beftimmung und
zeitgemäße Derbefferung der innern Geftaltung afler
diefer Behörden und ihres Gefchäftsfreifes; die Be—
wahrung aller Oberhoheitsrechte des Regenten im Um-
fange des Staates; die Oberauffiche über den Sand»
und Bergbau, über die Forften, über die Gewerbe
(Manufacturen und Sabrifen), uber den’ Handel,
(über das fatiftifhe Bureau), über Kunftftraßen,
Kanäle u. ſ. w.
(Wenn in mittleern und fleinern Staaten nicht
befondere Minifterien der Polizei und des Eul-
!
Staatskunſt. 469
tu ⸗ lvieleicht ſelbſt des Hanbels ] beftehen , gehoͤ⸗
ren auch die Gegenftände Diefer Minifterien zum
- Reffort des Minifters des Innern.) oo.
Be 2) das Minifterium für die Gerechtig
keitspflege. Von dem Juſtizminiſter hängt ab
die Einrichtung und Vertheilung der Gerichte, die
Ernennung und Beſoldung aller Beamten und die
Ausmittelung und Verwendung aller Fonds fuͤr die
Gerechtigkeitspflege, die Bewahrung der Rechte ſeines
Departements gegen die Eingriffe andrer Staatsge⸗
walten (z. B. durch Kabinetsbefehle in Juſtizſachen,
durch Errichtung: außerordentlicher Gerichtshoͤfe),
und die Oberaufſicht uͤber die Anwendung des buͤrger⸗
lichen und Strafgeſetzbuches, des Handelsrechts und
‘Des Geſetzbuches für das gerichtliche. Verfahren, ſo
wie die Oberaufficht über die Gerichtshöfe aller In⸗
ftanzen, über ſaͤmmtliche Richter, über die Colliſio.
nen unter den einzelnen Gerichtshöfen, "über afle
Rechtsanwaͤlde u.f. mw. Selbſt bei der. Ausübung
des Begnadigungsrechts von dem Megenten muß er
zuvor gehört werden. — Allein nie darf der Juſtizmi⸗
nifter in die Ausfprüche der Gerichtshöfe und in den
Gang bes gerichtlichen Verfahrens eigenmächtig ſich
einmifhen, nie die Selbftftändigfeit und Unabhäns
gigfeit des richterlichen Anſehens entweder felbft be⸗
ſchraͤnken oder befchränfen laflen, oder gar die Rich⸗
ter, welche dem Gefege und. ihrer Ueberzeugung folg-
ten, beeinträchtigen und zuruͤckſetzen. Durchdrungen
vonder Heiligkeit und Unabhängigkeit der Gerechtig⸗
feitspflege, muß der uftizminifter felbft das erfte
und entfcheidende Beifpiel der ftrengften Anerfennung -
diefer Heiligkeit und Unabhängigkeit geben. Denn
wenn die bürgerliche Zreipeit und das Recht auf der
\
50 Staatskunſt.
Unverhruͤchlehkeit der Befolgung der Gefetze Berüße;
ſo darf der Höchfte Staatsbeamte in dieſem Fache nie
von der Entſcheidung der @efege difpenfiren, oder in
biefer Entſcheidung willkuͤhrlich aͤndern.
3) das Miniſterium der Polizei. Dem
Polizeiminiſter — ſobald die Polizei nicht als Unter:
theil des Minifteriums des Innern betrachtet wird —
ſieht die Oberaufſicht und Leitung aller Behörden und
Beamten zu, durch welche die öffeneliche Ord—
nung und Sicherheit gehandhabt, und die Cul⸗
tur und Wohlfahrt aller Mitglieder des Staates
befördert wird. Ihm gehört. daher — doch mit Ver:
meidung der, nach allen Grundfäßen des Staats-
vechts und der Staatskunft verwerflihen, geheimen
Polizei — vie Aufrechthaltung der perfonlichen Frei
beit, die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung,
bie Aufſicht über die Fremden, über Gefangen⸗, Zucht⸗
Arbeits⸗ und Krankenhaͤuſer, über die Anſtalten fire
Waiſen, Taubftumme, Blinde u. a., über Das ge-
fammte Medicinafroefen, über die Tfeater, Die Volks—
vergnuͤgungen u. ſ. w.
A) das Miniferium bes Cultus. Die⸗
fem ſteht da, wo es ſelbſtſtaͤndig organifirt und
weder mit dem Minifterium des Innern noch mit dem
ber Polizei verbunden ift, zumächft zu die oberfte Leis
“ tung des Kirchen-, Schul» und Erziehungsmefens,
die Anfteflung aller zu diefen Fächern berufenen Be:
. amten, die Oberaufficht über das diefen Anftalten
zukommende Eigenthum, und über afle milde Stiftun-
. gen, fo mie über die Akademieen, gelehrten Gefellfchafs
ten, Kunftanftatten, über den Buchhandel, über die
Druckereien, über bie Prefle (deren Freiheit und
deren Vergehen), über die erfjeinenden Schriften
/
Staarokuuſt. | 4,1
fm: (Doc) fönnen bie leßtgenannten Angelegen-
heiten auch mit bem Minifterium her Polizei, hin-
- gegen die Leitung des Medicinalwefens kann mit dei
Minifterium des Eultus verbunden werden.) —
5) das Minifterium der Flnanzen. Sp
wie dem Finanzminiſter die Oberauflicht über Die Ver⸗
waltung der Domainen und Regalien Buftedt; fo hängt
auch vor ihm ab die Entwerfung des ‘Budgets (Des
Jahresbedarfs des Staates); und in conſtſtutionellen
Staasen.die Verhandlung darüber mit den. Volksvet⸗
tretern, fo wie, nad) der Prüfung und Bewilligung
‚des Budgets, das Ausſchreiben, die Vertheilung und
Die Erhebung der directen und indirecten Steuern,
die Anftellung, Seitung und Oberauffiht aller im
Binanzfache arbeitenden Beamten und Behörden, und
mie Verwendung der eingegangenen Syminen. na
den; perfaflungsmäßig beſtimmten Bedürfniffen d
Staates: Eben.fo führt er, fobald fuͤr dieſe Zweige
Der Verwaltung ‚nicht felbftftändige Oberhehoͤrden bes
dhaben, die Oberaufſicht über den Fenelichen Schaßz,
Über die Banken, uͤber die Schulden ‚des Staates,
über den Amortifationsfonds, und über die Penftonen. .
12: HB): das Minifterium für. das Kriegs⸗
weign Don dem -Minifter des Krieggwefens ‚geht
Die Anwendung der perfaffungsmäßigen Felkimmur
sen. ans über die Yushebung her zur waffneten |
Mache berufenen Mannfchaft, über die Bildüng,
Diſciplin und Bewegung des ftehenden Heeres, nad)
‚feinen-, verfchiedenen Theilen, nach Reſerve, Sand:
mehr u. ſ. w., über die Vertheilung der bewaffneten
‚Macht im Inlande nad) den Standquartieren, ‚über
das Aufruͤcken im Dienfte, bie Leitung des General:
Mabes., die Verpflegung des Heeres, die Sorge für
472 Staatskunſt.
die Feſtungen des Landes, die Aufſicht uͤber die Pul-
‚verbereitung, über die Zeughäufer und Magazine,
und über die Penfionen verabfchiebeter Krieger. Da-
zu fommt, bei einem ausbrechenden Kriege, die oberfte
teitung aller Bewegungen, allen. Verpflegung und
Ergänzung des Heeres nad) feinen einzelnen Abrhei-
dungen. on .
7) Sobald “der Staat eine befondere Marine
und Kolonieen befigt; fobald ift auch ein befon-
deres Minifterium ber Marine und der
Kolonteen. nöthig, weil deſſen Gefchäftskreis,
megen feiner Eigenthuͤmlichkeit, mit- feinem andern
Minifterium vereinigee werden kann. Zu ihm gehört
die. Aufficht über die Bildung, Ausrüftung,, Beman-
nung, Difeiplin und Bewegung der Flotten z. über
Die Aushebung der Matrofen, über die Vorbereitung
‚ber Marineofficiere, und ihr Aufruͤcken im Dienfte;
und frber die Häfen, Sengbäufer ab Magazine'der
Marine. Gleich wichtig iſt die Leitung ber politiſchen
Berhälenife der’ Kolonieen zum Mutterlande, und
die Oberaufficht uͤber die innere Verfaſſung und Ver⸗
waltung der Kolonieen. BEE Er
+, INGE dem Miniſterium des Innern ſteht
aber fogleih, nad) feiner hohen Wichtigkeit, das Mi-
‚nifterium der auswärtigen. Angelegenpel-
ten. Denn dieſem Miniftertum iſt nicht, blos: die
‘Verbindung, ‚Gefhäftsführung und Unterhandlutig
mit allen beim einheimifchen Staate angefteflten frem⸗
den Gefandten, fordern aud) die Leitung aller mit dem
Auslande beſtehenden und anzufnüpfenden Verhaͤltniſſe
durch die, demſelben Minifterium untergeordneten,
‚Sefanbten und diplomatifchen Agenten bei ausmärti«
gen Regierungen überlaffen. Es ift der Mittelpunct
Staatstunſt. 473
aller, aus der tiefſten · Kenntniß der Gaſchichte, Der
Staatskunde und des Öffentlichen Staatsrechts her⸗
vorgehenden, Stantsweisheit:und Staatsklugheit, um
die Rechte und dieWohlfahrt des einheimiſchen Staa⸗
tes in jeder einzelnen Beziehung zum Auslande, und
nach ſeiner ganzen Stellung: im europaͤiſchen Staaten⸗
ſyſteme wahrzumchmen, fo,wie, durch die Verbindung
. and: Wechſeiwarkung, bei inlaͤndiſchen Scaates mit
den anders, die innere Kraft und vat aͤußere ;pokjtifche -
Gewicht deſſelben zu erhalten und. möglichft zu ſteigern.
I. Nach drtlichen und ländlichen Berhältriffen inuß
„ beftimmt werben, ob’ im Staate ein beſonderes
Minſterium für die Hausund Hoheitsfachen
ben Regenctein beſtehen ſoll.“ Allerdings bleibt
eß nicht ohne Einfluß aufs Ganze, ob die Hau s⸗
"angelegenheiten bed'Regenten dem Minſter
x des Iunern, ober der auswaͤrtigen Yitgelegenheiten
°" Jugethelte fd! ob Begnadigungen, Difpenfdtio-
nen, Standiserhoͤhungen,Ordensverleihungen u.
"Sn. vom Minifter des Innern abhängen wob das
Münzweſen unter dem Finanzminiſter ſteht Y; u.a.
— + Veberdasdräafipiunm im Minifterrathe Bann
die Staatskunſt ‘im’ Allgemeinen - nichesfeſt⸗
u \ en. ' Denn ob ein Kanzler mit hoher Mache
über allen Mitiftern ſtehen, oder ob einer der
Miniſter lentideder nach perfoͤnlicher Kraft, bder
nad) dem Dienſtalter) bleibender Praͤſident des
STE TT Don . Ka en
9) Der Rec. der Schrift von v. Dalhus:im Her
mes, St. XVII, &, 133. erinnert: „Hat das
Zinanzmintfterium die Muͤnze zu beforgen ;. fo wird
man leicht Wefahr laufen, daf der Geift.der Fiſca⸗
litaͤt auch dabei nah einem Gewinne fircbe, der
der Natur eines Hoheitsrechts widerfpridjt.”‘
I u BE |
4
22
474 Staatskunſt.
Miniſterraths ſeyn ſollez daruͤber miflentheils Die
individuellen Eigenſchaſten des Regenten, cheils Die
bbleibenden, ober außerordentlichen) Beduͤrfniſſe
des Staates, theils Die gennueften Ruͤckſichten auf
die gefammien innern und auswärtigen. Angelegen⸗
: :Helgew des Staates entſcheiden. Mur warnt. bie
Beſchichte vor der Wilmacht;der. ſogenaunten Prie⸗
müerminiſter (Richelieu, Mazarin,Alberoni,
Gore, weil durch fie Die Wirkſamkeit Der
tr ibrigen Miniſter an der-Spige ihrer Departements
theils mittelbar zu
.20
Wilh. Tgt. Krug, uͤber Einrichtung der oberſten
Staatsbehoͤrden; in ſ. Kreuzs und Queerzuͤ⸗
m gen. S. 178: > BE N
| 2) Der Staatsrath. :
“Bon ben ‚geheimen Rathscollegiis, welche zu
Staatstunſt. 473
allen Zeiten und in allen gefitteren Staaten für die
Berathung des Regenten über die wichtigften Staats⸗
angelegenheiten beftanden, ift ber Organismus eines
Staatsrathes, im Sinne der Staatsfunft bes
“ neunzehnten Jahrhunderts, wefenttich verſchieden. Zu⸗
nacht ſcheint er ein Beduͤrfniß für Staaten mit neuen
Verfaflungen zu feyn,; befonders. wenn die Initiative
ber Gefege dem Regenten ausfihließend, zuſteht, weil
dann die den Staͤnden vorzulegenden Gefegesentmiiofe
im Voraus mit großer Sorgfalt Bearbeiter und eoller
gialifch geprüft werden müflen, Allein auch ba, mo.
Sefegesvorfkhläge von den Volfsvertretern ausgegen
Dürfen, muß die Prüfung derfelben, und Die Bera⸗
chung des Regenten über beren Annapme oder. Vers
werfung, dem Staatsrathe zuſtehen. Die innere
Geſtaltung des Staattzraths wird aber am zweckmaͤ⸗
ßigſten ſeyn, wenn er, nach feinem Perfonale und nach
feiner Wirkſamkeit, für die einzelnen Gegenſtaͤnde it
Sectionen-getheilt, und ganz unabhängig
vonden Miniftern ift, indem feine Selbfikändigy
keit erfordert wird, umin allen den Fällen, wowon ben
Miniftern gefehlt werden dürfte, ein freimütbiges,
Burch Feine Ruͤckſicht gebundenes Urtheil zu fällen.
Wo Hingegender Staatsrarh blos aus der Geſammt ı
heit: der: Minifter, höchftens mit einigen "beigefügten
außerorbentlichen Mitgliedern, beſteht; da hat er nicht
Die angegebene Beſtimmung ſondern nur die Auf⸗
gabe der Einheit zwiſchen den einzelnen Minifte-
. rien zu ‚bewirfen. Der Staatsrath, wo er in der
erften Beziehung befteht, erſcheint entweder blos als
berathende, oder auch als entſcheidende Ober⸗
behoͤrde.
Als beräthende Behoͤrde gehen cheils von
ihm alle neue Geſetze aus, die in Angemeſſenheit
—
8
⸗
476 Staatskunſt.
zu er beſtehenden Verfaſſung in feiner Mitte bear-
beitet und geprüft werden; theils fteht ihm das Recht
der authentifhen Erflärung ber vorbande-
nen Gefege zu; theils muß er fein Gutachten
ertheilen über alle in der Verwaltung vorzunehmende
MWeränderungen oder einzuführende neue Einrichtun-
gen; theils die Verordnungen entwerfen, weldye das
Eigentum, die perfönliche Freiheit, überhaupt die
sohlerworbenen Rechte der Staatsbürger betreffen.
Außerdem ift in einzelnen Staaten feine Beſtimmung
auch. auf Die Berathung mit den. Ständeverfamm-
kungen , auf die. Prüfung des Budgets u. a, erweitert,
fo wie er überhaupt den Regenten in jedem Falle
berathen muß, wo dieſer es verlangt.
»2 Wo zugleich der Staatsrathb als entſchei—
dende Behörde wirft, ift ihm theils die Entſchei—
dung über innere Gegenſtaͤnde der Verwaltung (über
Eollifionen zwifchen verfchiedenen Minifterien und
beren Behörden, über die Unterfuchung des Berragens
einzelner Staatsbeamten u. ſ. m.) übertragen; theils
erfcheint er als richterliche Behörde in ſtreitigen
Verwaltungsangelegenheiten, deren Entfcheidung nicht
durch gewöhnliche Gerichte gefehehen kann; theils
ats Recursbehörde in den Fällen, wo Staats»
bürger oder Beamte durch Minifterialverfügungen in
Ihren Rechten fi) gefränft halten, - |
2.9 Malchus, der Organismus der Behörden ꝛc.
©. 50 ff.
Murhards politifhe Annalen, Jahrg. ıg21,
. St. 13, ©. 65 ff.
| 42. Ä
3) Die Seneralcontrolle °
, Wo eine Generalcontrofle, als eine der höchften
Staatskunſt. 477
Staactsbehoͤrden beſteht, hat fie bie Beſtimmung,
theils uͤber die Beobachtung und Erhaltung der,
Verfaſſung und der Grundgeſetze des Staates, uͤber
die gleichmäßige Verwirklichung des ganzen Verwal⸗
tungsſyſtems, und über alle im innern Staatsieben
ſich anfündigende Unvollfommenheiten und Mängel
- zu wachen, theils und zunächft die Finanz⸗- und
Kaffenverwaltung zu controlliren., Der Zweck der
Staatscontrolle ift daher befonders darauf gerichtet,
daß die Staatseinnahme überall mit Umſicht;
Sorgfalt und Treue verwaltet, und zur rechten Zeit
erhoben, die Ausgabe auf das Nothwendige be=
fhränft, die im Budget gefeglich beftätigten Sum-
men nie überfchritten, und nie für andere Gegen»
ftände, als wofuͤr fie bewilligt find, verwendet, und
alle Kaffen von den Beamten in der ftrengften
Ordnung gehalten werden. Dei biefer Beftimmung
ver Generalcontrolle folge von felbft, daß fie, nach
ihrer Stellung im Staatsorganismus, von allen
Departementsminiftern unabhängig feyn
muß, und biefen die Verpflichtung obliegt, alle Ab⸗
änderungen in den einzelnen Zweigen der Verwaltung,
befonders inwiefern fie auf Einnahme oder Ausgabe,
auf Vermehrung oder Verminderung bes Etats fi .
beziehen, der Generalcontrolle mitzuteilen, fo wie.
die Generalcontrolle berechtigt ift, von allen einzelnen
höchften und untergeordneten Behörden diejenigen
Aufflärungen zu verlangen, und im Staate — nal
ihrer felbftftändigen Stellung — diejenigen Verfuͤ⸗
gungen zu treffen, welche zur wefentlichen Erfüls
lung ihrer Beftimmung erfordert werden,
v. Malchus, am angegef. Orte, ©. 56 ff. (wo
auch, da bis jest blos in Preußen eine Gene
valcontrolle in diefem Umfange durch die Kabinets⸗
-
478. Staatskunſt.
ordre vom 3. Nov. 1817 beſteht, die nähern
Beſtimmungen derfelben in diefer Monardie voll
ſtaͤndig entwickelt werden.)
Fr. Buchholz, Iſt eine oberfte controllirende
Behörde für den Staat nothwendig? und welches
kann der Zweck einer folden Behörde feyn? inf.
Journal für Teutfhland, 1818, Dt. ©.
230 ff.
'
43.
Ueber bie Berantmwortlichfeit der bochſten
Staatsbehoͤrden.
In einem Staate, deſſen innerer Organismus
auf einer Verfaſſungsurkunbe beruht, iſt der Regent
heilig, unverletzlich und unverantwortlid; da⸗
gegen iſt, nach den Ergebniſſen der Geſchichte, in
allen ſeit 30 Jahren ins oͤffentliche Staatsleben ein-
getretenen Verfaflungen, fo wie thbaffadhlich in der
beiteifcehen, die. Berantwortlichfeie der höchften
Staatsbehörden ausgefprochen. In mehreren Staaten
iſt, durch befondere Gefege, diefe Verantwortlich—
keit genauer beſtimmt worden, was um fo nöthiget
iſt, Damit eines Theiles nie der Willkuͤhr der ſtaͤndi⸗
ſchen Kammern eine ungegruͤndete und leidenſchaftliche
Anklage der hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden uͤberlaſſen
bleibe, und andern Theiles auch nie von dieſen hoͤch—
ften Behörden die ihnen anvertraute Macht zum Ver:
derbhen des Staates gemißbraucht werbe.
Wenn in den einzelnen , verfaffungsmäßigen
Staaten die Art und Weife diefer Werantwortlichkeit
ſehr verfchieden beſtimmt worden ift; fo fann auch
die Staatskunſt nur im Allgemeinen dieſe Ver—
antwortlichkeit, als weſentliche Bedingung, ausſpre⸗
(hen ‚Die Verwaltung i in genauefter Verbindung mit .
re .
Staatskunſt, | #9
ber Verfaffung zu erhalten ; und dabei erinnern, daß
indem beshalb zu erlaffenden Gefege jedem willkühr-
lihen und launenhaften Angriffe von Seiten ber ftän»
difhen: Kammern auf bie höchften Staatsbeamten
nahdrädlich vorgebeugt werde. 5
An ſich betrachter wird der fttlichguee, der tet:
° fihe und feines Faches mähfige Mann ‚der feine-
Amtspflicht erfüllt, und das Bewußtſeyn diefer Pflicht⸗
erfüllung in ſich träge, nie fi fheuen, verant-
wortlich zu feyn, er ftehe hoch oder niedrig im Dienfte
des Staates. Dazu fommen die Ergebniffe ver Ges
ſchichte, eheils daß in unbefchränften Monarchieen
‚die Pinifter ‚ obgleich ohne Verantwortlichfeit, ge⸗
woͤhnlich durch die Willfuhr des Regenten weit Häufi-
ger wechſeln, unb nad) ihrer Entlaffung perſonlich
weit härter dehanbelt worden find, als in conſtitutio-⸗
nellen Staaten (wozu, außer Eonfantinopel, auch
ehriftliche Staaten älterer und neuerer Zeit ſehr 'ernft-
hafte Beiſpiele liefern); theils daß in befchränften -
Monardhieen verantwortliihe Minifter,.welche
den Geift ihrer Zeit und ihres Volks verftanden, lei
teten und zum Theile beherrfchten (3. B. Lord ChHa-
tham, William. Pitt u. a.), die öffentliche Mei—
nung und Achtung, ja die Bewunderung Des ganzen
Europa für fich hatten, daß Niemand daran dachte,
ſolche ausgezeichnete Männer zur Verantwortung zu
‚ziehen; daß fie ihre Abfichten durch ihr perfönliches
Gewicht weit ficherer erreichten, ‚als anderwärts.durd)
Kabinetsbefehle, und daß felbft der Regent, dafern
er einem ſolchen Miniſter perfönlich nice geneigt
feyn follte, ihn doch nicht eneläßt, weil er durch die
‚öffentliche: Meinung der Welt gehalten ı wird. Denn
gewiß, ein verantwortlicher Minifter, der bie
öffentliche Meinung: feines Voltes und des. iibrigen
B \
⸗
480 Staatskunſt. |
- gebildeten Euroͤpa für fih hat, der allgemein geach—
tet, bewundert und geliebt ift, kann kein gewöhnlicher
Mann feyn! . | u |
Abasv. Fritsoh, minister peccans, Jen. 1674. 8
J. Rey, de la responsabilitö des Agens du pou-
voir d’spres nos loix actuelles. a Paris, 1818. 8.
(Er weifet nad), daß, nad) dem Staatsrechte Frank:
reihs, die weſentlichſten Puncte der miniſteriellen
Verantwortlichkeit folgende find: Verrath; Toncuf
ſion; Dienfinachläfjigkeit; verabfäumte Handhabung
der Verfaffung ; ungefhäßte perfoͤnliche Freiheit der
’ Staatsbürger; Beſchraͤnkung der politifchen Rechte
der Bürger; Toalition mehrerer Staatsbeamten wis
der Bürger, die unterdrädt werden follen; Ver⸗
fagung der richterlichen oder adminiftrativen Unter⸗
fuhung für den, -welcher ſolche zu feiner Rechtfer⸗
tigung verlangt ; Ausſchreitung in Amtsbefugniſſen;
Geſchenknahme für Amtsgefchäfte; Unsreue in einer
Dienſtpflicht und Verlegung des Pofigefermniffes)—
Courvoiſier's Bericht im Namen einer Commifs
fion über den Gefeßesentwurf wegen der minifte
riellen Verantwortlichkeit, in Beziehung
auf die Charte Ludwigs 18, f. in der Allg. Zeit.
1819, N. 99. —
Vergl. Friedrihs 2 hinterl. Werke, Th. 6,
S. 51 ff., wo er ſich über das Schickſal der Stans
ten erflärt, deren Fürften die Regierung ihren Mis
“ niftern überlaffen; wobei nicht überfehen werden
darf, daß der König dieſe Abhandlung feinem hoch⸗
verdienten Minifter v. Hertzberg zufandte, deffen
Antwortfhreiben an den König (vom 27. Jan.
1781) dem Auffaße des Königs daſelbſt vorgedrude
v. Jakob (in f. Eint. in das Studium der
©taatswiffenfhaften, ©. 217 f.) fagt: „Die Staates
- weisheit raͤth, fehr vorfichtig und behutfam mit Ein
rihtung neuer Ständeverfaffungen zu Werke zu
"gehen; einftweilen aber da, wo nod feine gute
Conſtitution im Gange ift, fo zu regieren, als ob
die defte vorhanden wäre,. um: dadurch die Einfühs
tung derſelben vworzubereitens -.Infonderheit - 4.) ‚die
"Landescollegia fo zu orgähtfiren, daß ber
Monarh von ihnen ſtets ein unpartheiiſches und
=... fachlundiges Gutachten Aber alle Staatsangelegens
beiten gewarteh- kann; 2) auch das Wolf in Eon
., porationen aller Art einzutfreilen, und din
“fen dag Recht zu geben, daf fie über jede öffentliche
Staats kunſt. | 481 |
"+" Angelegenheit, die zugleich auf ſte Beziehung hat, .
ihre Urtheit, fo wie alte ihre Winfche, vor: den
„..,nzhrog dringen koͤnnen; 3) die Publicitaͤt über
Tales gu vetrfiarten, "was im Staate geſchieht
und geſchehen ſoll, ſofern es nur nicht ſeinem —8—
. nad geheim bleiben muß; 4) die Miniſter, fo
"wie alle’ Staatsbeamte, ‚gegen jeden für.ihr
Verfahren gegen ihn verantwortlich zu madyen;
ms. Hjedem.Sndividuum und jeder Corpos
ugerlen ggg Redt der Anklage wegen der
Verlegung der Geſetze zu verflatten, wos
2 vbei ausdruͤcklich Beſtimmt werden muß, daß Beru⸗
en dung auf Befehl des Manarchen den Diener nie
von der Schuld befreit, wenn er nicht bewejſen
. „Sana, daß dieſer Befehl gefeglih ‚war.
an ser \ FR Keuo ne '
ar
lt . — ..
a . “ . 44.
A) Die Gerechtigkeitspflege, als erſter
7° Haupttheil-der Staatsverwaltung.
RT , 0 3
3
öffentlichen -Anftalten für die, Anwendung der recht—⸗
Staatsyerwaltung zur Staatsfunft gehört, die fteig,
Ruͤckſicht auf die Wohlfahrt der einzelnen Staatsbuͤr-
fezt aus dem Staatsrechte (Staatsr. $.34. und 35.J.
> F ) 6
fi re Die Gerechtigfeitsoflege iſt | der: Inbegriff affer
s
482 Stoaatskunſt.
die rechtlich organiſirte richter liche Gewalt vor-
aus, welche zwar an die ihr vorausgehende gefeßge-
bende Gewalt gebunden ift, und mit der gefeßgeben-
den und vollziehenden Gewalt nicht auf gleich Hohe
Linie der politifhen Hierarchie geftelle werben kann,
welche aber, nad ihrer Wirffamfeit, völlig felbft«
Banbie und unabhangig feyn muß. -
Im Allgemeinen beruht die Gerechtigkeitspflege
auf vier großen Grundfägen :
’ 1) Vor dem Gefege find alle Staats-
buͤrger gleich;
2) fein Staatsbürger darf feinem
“ natürlihden Richter entzogen werden;
3)derrihterlihe Ausfprud iftfireng
: anbdie vorhandenen Geſetz buͤcher gebun-
: Den; _
4) der rihferlihe Stand ift, Tünerhatb
feiner durch das Geſetz beſtimmten Grenzen, felbft-
ftändig, und von jedem andern Theile der Staats»
. verwaltung unabhängig. : (Das Prädicat.der
Unverantwortlichkeit kann ihm nur in dem
Sinne beigelegt werden, als jede höchfte und
hohe Berwaltungsbehörde nicht zur Berantwortung
gezogen werben konn, fobald fie innerhalb der von
- den Geſetzen beftimmten Örenzen bleibt.)
Der erfte diefer vier Grundfäge ſchließt an fih
jeden privilegirten Gerichtsftand,, und jede Ausübung,
einer befondern Gerichtsbarkeit von einzelnen bevors
rechteten Staatsbürgern aus. Alle, aus Schonung.
gegen früher beftandene Verhältniffe, . beibehaltene
Einrichtungen diefer Arc fönnen von der Staatsfunft
wur geduldet, nie gerechtfertigt werden, und bebütfen
r
“
Stoaatskunſt. . 483
einer allmähligen Zuruͤckfuͤhrung auf die einzig
rechtlichen Unterlagen der Gerechtigkeitspflege *),
Der jweite- diefer Grundfäge verlangt, daß
nur die rechtlich organifieten, Gerichtshoͤfe, nie aber
für befendere Fälle und gewiſſe Individuen außeror-
*) Die Patrimontalgerihtsbarkeit, weiche da,
wo fie noch beſteht, theils aufs firengfie vom Staate
eontroflirt,, theils in ihren Gebrechen (3. DB. bes
häufigen Entfpringenlaffens der Gefangenen, ber
Uebertrsibung der Sporteln u. a.) unerbittlich bes
handelt, theils nach ihrer freiwilligen Weberlaffung
an den Staat (wie 3. B. häufig in der preußifchen
[4
Monarihte gefhicht) möglihft erleichtert werden .
muß, — iſt eine Folge des Lehnsſyſtems nnd des
Leibeigenthums, und dasjenige grundherrliche Recht,
nach weihem der ErbsLehns und Gerichtsherr feis
nen Unterthbanen durd einen vom Staate genehs
migten Nechteverftändigen (Serichtsverwalter) Net -
ſprechen, und in peinlichen‘ Fällen den Verbrecher
in -erfiet Behörde verurtheilen faffen kann. Die
Vortheile der Patrimonialgerichtsbarkeit berehen +) _
in den Gerichtéfporteln; 2) in den Laudemiaigefällen
(Lehnswaare), einer zehn Procent betragenden Abs
"gäbe vom Werthe des Gutes bei einer Beſitzveraͤn⸗
derung durch Verkauf oder Vererbung; 3) in den
Zaͤhlgeldern, ein Procene vom Kaufſchillivg; 4) im
Uuens oder Angerrechte, nach welchem alle neuans
gebaute, Erdſtecke im Dorfe und in der Dorfflur,
deren Eigenthum von Andern nicht erwieſen iſt,
dem Gutsheren gehoͤren. — Die Patrimontalges
richtsbarkeit ift aber, ſobald Die Juſtizverwal⸗
. tung afs ein Ausftluß der Souveratnetät
betrachten wird, nach kaatsrechtlichen Begriffen uns
en Vergl. die gegen die Patrimonialgerichts⸗
arkeit gerfärtete Schrift: Meer Die NMothwens -
Digfeig und Einrichtung einer collegias
ginliſchen und öffentiihen Rechtspflege.
Lelpzig, 1819. & u
| | 31"
ASt Staatsfunft.
dentli gebildete Gerichtsſtellen ( Prevotalgerichte,,
Militaircommiſſionen), über jeden einzelnen Fafl ent-
fcheiden, und daß jeher Staatsbürger die Behoͤrden
im Voraus kennt, deren Ausfpruche er unterworfen iſt.
Der dritte diefer Grundfüße kann nur dann
in feinem ganzen Umfange verwirflicht werden, wenn
alle Geſetz bücher. des Staates (zunächft das bür-
gerliche, das Strafgefegbuch,das Handels»
veht, und das Gefegbudh fur Das gericht.
liche Verfahren) dem erreichten Grade der Eultur
des Volkes , der Verfaffung des Staates, der eigen-
ehümlichen Negierungsform deffelben, und der,auf
der Verfaffung beruhenden Verwaltung, des Ganzen
völig angemeffen find. Deraltete, lüdenvolle,
in verfchiedenen Zeitaltern ungleichartig und unzu-
fammenhängend in ſich erganzte, Geſetzbuͤcher find
.eine Geifel für das innere Staatsleben, und bieten
‚die nachtheiligfte und folgenreichfle Veranlaffung dar,
daß die Gerichtshöfe in ihren Urtheilen und Entſchei—
dungen willführlih von den beftehenden (unbrauch-
baren) Gefegen fich entfernen. Deshalb haben auch
mehrere der wichtigften Staaten (Frankreich, Deft-
reich, Preußen u.a.) neue Gefegbücher erhalten, und
bei andern werden fie vorbereitet. ‘Denn eben darin,
daß, nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, die Eultur
der Völfer und Staaten unfrer Zeit im Ganzen
ungleich höher fteht, als die Cultur der hochgefeiere-
ften Volker und Staaten des Alterthums, wo immer
nur Einzelne weit über ihr Wolf und ihre Zeit
bervorragten; eben darin befteht der entfhiedene
Beruf unfrer Zeit für eine neue, in fid
jufammenbängende, und die gefteigerten
Bedürfniffe der gereiften Voͤlker befrie-
digende, GÖefesgebung. Dazu kommt, baß
L
Staatstunfl. 485
erſt die neueſte Zeit zu der Idee einer Philofepbie.
Der Geſetzgebung fich erhob , die aber. noch nicht
vollſtaͤndig verwirklicht worden if, weil die Theorie
der Gefeggebung zuvor zu einer wiffenfhaft-
kiher Form ausgeprägt werben muß, ehe fie den
Maasſtab fuͤr alle in der Wirklichkeit beſtehende
oͤffentliche und Priyatgefege eben fo enthalten
. Bann.,‚wie Das Natur» und Staatsrecht den Maas-
ſtab fir. alles poſitive Recht. Denn nach der Geſchichte
beſtanden Jahrtauſende hindurch poſitive Geſetze, be«
vor man ‘über biefelben philoſophirte *) Soll aber
*y Di⸗ griechiſchen Philoſophen gingen bei der Phi⸗ |
:" fofophie über Gefeßgebung von: einem fehr befchränts
ter Standpunste aus, weil fie weder die Rechte
der Menfchheit, noch den Begriff der in jedem vers
nünftig : finnlidyen Wefen enthaltenen Würde beruͤck⸗
ſichtigten. Sie betrachteten den Staat zunaͤchſt ‚als
eine: Familie, wo fi alles nad .dam Ermefien des
Hausvaters richten. muß. Selbſt Plate folgt’ in
dem Werte von der Republik der Hauptanfidt,
2 daß dur die Einrichtungen des Staates die Bitten
: veredelt werden follen, womit feine Scheift von
. den Sefegen übereinkimmt, nur daß dabei die
Indwiduen immer. als Werkzeuge betrachtet werden,
welche des Ganzen wegen da find, Die Zrags
- mente der Potitit des Ariſtoteles beziehen fi
zunaͤchſt auf die oͤffentliche, nicht auf die Privat⸗
gefetzgebung. Die Roͤmer endlich, ſo vollſtaͤndig
Nr auch ihre Geſetzgebung befonders. in Hinſicht des
ECErvilrechts iſt, harten feinen Dann in ihrer Mitte,
dev ſich zu einer Philofophie der Geſetzgebung, zu
einer Wiſſenſchaft der pofitiven Sefepe erhoben hätte;
>. denn.Kirero.tin dem Werte von den Geſetzen
J folgt ganz der Anſicht der Griechen, die er auf die
»Seſetze der roͤmiſchen Republik anwandte. (Vgl.
daruber v. Jakobs Einl. in d. Studium der Staats⸗
u... wiffenſchaften, S. 243 ff.) Erſt durch Montes⸗
486 ESltoaatskunſt.
‘
eine pofitive (d. h. eine von einer fouverainen Mache
gegebene und auf einen beftimmten Staat berechnete)
(EEE
quieu, Filangieri, Sac. Sigism. Bed, 3a
hariäu.a. (vgl. Staatsr. $. 27.) iſt das Bedärf
niß einer Dhilofophe_der Geſetzgebung ans
geregt, und theilweife befriedigt worden. — Wer
nicht unbeilbar an der blindeften Bewunderung des:
Alterthums darnieder liegt, weiß, daß die Völker
unferer Zeit — durch das Ehriftenthum, durd viele
pofitive rechtlihe Formen, durch die allgemein vers
breitete Buchdruckerei, durch die großen Fortfchritte
in allen Wiffenfhaften, durch den Welthandel, und
dur die genauefte Wechſelwirkung unter den eins
zelnen Theilen des europäifchen Staatenſyſtems forts
gebilder, — in Hinficht aller einzelnen Bedingungen
menſchlicher Eultur unendlich höher ftehen, als bie
Völker des Alterthums, und daß deshalb auch die
Geſetzbuͤcher der alten Reihe und Staaten nur
Aggregate aus verfchiedenen Zeitaltern, und feine
innere organifhe Einheit enthalten. Deshalb ließ
fih auch die Verirrung eines geiftreihen Mannes,
der unfrer:Zeit den Beruf für Geſetzgebung abſprach
(v. Savigny, vom Derufe unferer Zeit für Geſetz⸗
gebung und Rechtswiſſenſchaft. Heidelb. 1815. 8.),
nur aus feiner Vorliebe für das Zeitalter des Theo⸗
dofius und Juſtinian erklären. — Ganz anders
urtheilte darüber ein Mann, der gleichfalls fein
‚ Stimmrecht über das römifhe Reche hinreichend
beurfunder dat: A. 3. J. Thibaut, aber die
Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts
für Teutſchland. Heidelb. 1814. 8. „Das canıs
nifhe Redt, fo weit es nicht auf die katholiſche
Kirchenverfaffung , fondern auf andere bürgerliche
Einrichtungen gehet, ift nicht des Nennens
werth; ein Haufe dunkler, verftüämmelter, unvolls
ftändiger Bekimmungen, zum Theile durch fchlechte
Anfichten der alten Ausleger des römifchen Rechts
veranfaßt, und fo deſpotiſch tn Auſehung des Eins
Steatstunii« 487
Geſetzgebung als rechtlich begründet, in fich zuſam⸗
menhängend und Das ganze Leben im Staate erfchd« _
e
vor
..
‘
.
D
Auffes der geiſtlichen Macht ayf. weltliche Angelegene _
heiten, daß kein weifer, Regent ſich ganz denfelben.
fügen kann. Die legte und hauptfädlichte Reqhtan
quelle Bleibt daher das roͤmiſche Geſetzbuſch,
alfo das Werk einer uns fehr ungleihen .
fremden Mation, aus der Periode doK
tteffien Verfalls derfelben, die Spurgin,
dDiefes Verfalls auf jeder Seite an fi
tragend. Man muß gany in leidenfhaftliger
Einfetrigteit befangen feyn, wenn man die Teutſchen
wegen der Annahme diefes mißrarhenen Werkes gluͤck⸗
‚ Itch preiſet, und deffen fernere Beibehaltung im Ernte
anempfiehlt. Die ganze CompHatton. tft zu dunkel,
za flüchtig gearbeitet, und der mahre Schläffel dazu:
wird uns ewig fehlen; denn wir befißen nicht die
: eömifhen Voiksideen, welche den Nämern
unendlich vieles Leicht - verftändlich machen mußten.
Was aber vor allem dem roͤmiſchen Rechte entgegen
ſteht, ift Die innere Schlechtigkeit feiner
meiſten Beſtimmungen, befonders in Beziehung
- auf Tentfhland. — Der Bürger wird immer darauf
beftehen Dürfen, daß er. nicht für den Juriſten ges
2 Schaffen ift, fo wentg als für die Lehrer der- This
rurgie, um an: fi lebendigen: Leibes anstomifche
WVerſuche anfelfen zu laſſen. Alle eure Gelehr⸗
‘.
.t 0.
Y
⸗.
Le
. 9,
ſamkeit, alle.eure Bartanten und Eonjecturen ,. alles .
‚dies bat dee friedliche Sicherheit nes Bürgers taus
fendfältig geſtoͤrt, und nur den Anmwälden die Tafhen
: gefüllt. Man vergleiche nur die Ammwälde in’ Eng
land, wo man durch römifche Mitekthümer und Das
ttanten wenig. geängftigt- wire, mit’ unfern beiobten
Rechtsſreunden. Dort ift alles Leben und Triiche
Eigenehhmtichkeis,, während bei une in: den wmeiften
Ländern alles auf hoͤlzerne Füße geſtellt iſt. — Für
‚Wohlredenheit., für Gewandtheit int Angreifer und
Vertheidigen, für Ausblldumg bed Talente, einer
rs Staatsfunft,
pfend erfchienen ; fo muß fie, nach ihren legten Grün«
den, auf die ewigen Geſetze der Vernunft
(auf das Naturrecht) fich ftüßen ; fie muß Recht und
MWohlfahre als die beiden höchften Bedingungen
aller Geſetze fefthalten; fie muß im ber Verf affung
Den ‚Staates die einfachen Grundfäge des öffent-
lichen Rechts, nad) Bürgertum, Ständen’ des
Wolkg, Regenten, Volfsvertretern und ſaͤmmtlichen
Verwaltungsformen aufſtellen, und dann im Prr.is
vatrechte, in ſtrengſter Angemeſſenheit :zum
Rechtsſache gleich vom Anfange an den beſten Wurf
zu geben; für die Kunſt, Geſchaͤfte vorſichtig eins
zurichten; für dialektiſche Schärfe und Schnellkraft;
für dies Alles kann bei der gelehrten Ueber
57. füllung nichts Genuͤgendes geſchehen.“ — Gegen
9. Savigny's Anſicht erklärte fh auch Arn. Mal
linckrodt, in dem Auffage: über den Beruf uns
3: ferer. Zeit zur Geſetzgebung, in .der Nemefis,
"41,8. 4. St. ©. 499 ffe — Geiftvoll behandelte
“ :diefen Gegenſtand Fr. Buchholz, Über den Werth
pt: dep buͤrgerlichen Geſetzbuͤcher neuerer Zeit, in f.
0 Journale Teutſchland, 1817, Th. 1, ©. 215 ff. —
"7 E86 ſey bier enlaubt, an das Urtheil eines Mannes
sg erinnern, der nocd feine Ahrung von der Frage
bee den Bebuf-und dag Beduͤrfniß unferer Zeit
r für neue Gefeßbücher hatte. Acheuwall fagt in
2.5 Staatsklugheit (4te Aufl. Goͤtt. 1779. &
®&,68): „Es kann zur offenbaren: Ungerechtigkeit
ausſchlagen, eim fremdes Gaſetzbuch neben dem eins
heimiſchen, "oder auch miti-deffen: Aufhebung „ eins
— zufuͤhren. Und noch unſchicklicher iſt es, mehrere
fremdeGeſetzbuͤcher zugleich neben- den einheimiſchen
* Werordnungen und Gewohnheiten gelten zu laffen.
"88 iſt alsdann weit zurrägliher, ein
etgenesneues Geſetzbuſch, allenfalls mit
a: Züziehung -ausländifchenr: Seſesbther,
2112 v.et fartigen zulaſſen. .
—
Staatsfunft. 489
Ä sffentlichen: ‚Kate; damit kein ine zwiſchen
beiden entſtehe, ale ei inzelne Gefeße für das bürgar«
liche Leben, für die Verbrechen und. Vergehen ur hs
vollſtaͤndig entwickeln, womit Die Öefepgebung für dag
gerichtliche Verfahren und den: Progeß tn der gern
Ren Verbindung. ſteht.
. Der vierte Grundſatz endlich, "welchen: ‚Sie .
Selbfiffändigfeit und Unabhaͤngigkeit des
vichterlichenStandes, innerhalb der Grenzen ‚feines
Urtheile nach ihrer fieengften Angemeffenheit zu dey
beftehenden Gefegen, ausfpricht, ift durchaus erforder⸗ |
lich, wenn das Recht ohne Menfchenfurdt, mit maͤnn⸗
licher Würde und Freimütbigfeit, und ohne Einmis
{hung höherer Behörden — felbft Des an der Spige
der Gerechtigkeitspflege ſtehenden Juſtizminiſters —
geſprochen werden ſoll. Denn da der einſichtsvollſte
Richter Menſch bleibe; jo kann ein Wink, eine Weis
fung, eine Drohung, oder auch eine ihm zur ſchnellen
Beförderung gemachte Ausſicht von oben, nicht felten
auf fein richterliches Urtheil mehr Einfluß haben „als
er felbft meint. . Darum verlangt es die Würde des
Staates und die, Heiligkeit des Rechts, daß das Richt
teramt ſelbſiſtändis und d unabhaͤngig je. Bra
4. u " J
s—ortfetzung— 3
Soll aber die Gerechtigkeitspflege ihren Charat⸗ |
ter.der Selbftftändigfeit und Unabhängigkeit behaup⸗
ten; fo mus fie aud) — außer den bereits ($ 44.)
aufgeftellten Bedingungen — von der Polizei
‚und der Sinanzverwaltungi in jeder Beziehung
vollig getrennt, feyn. Denn jeber Hauptzweig der .
Verwaltung verlangt eine eigne: geinbliche Borberei- ⸗
=
490 Staatskunſt.
tung auf: das kunftig zu ahernchmende Amt; und
nimmt, bei dem Eintritte.in daſſelbe, Die ganze Keaft:
eines Mannes: in Anſpruch. Dazu kommt, daß die.
Gerechtigkeitspflege nach ihrem großen Geſchaͤfts⸗
kreiſe, fo weit von den. Eigenthuͤmlichkeiten der Poli⸗
zei- und der Finanzverwaltung abliegt, daß, ohne
Nachcheil fuͤr das Ganze und ohne einfeitige Ueber-
tragung des befondern Charakters ber einen Verwal-
kung auf die andere, bie Verbindung derfelben in
Einem Individuum faft nicht gedacht werden kann.
"Sb nun gleich die Einrichtung des inneren Orga⸗
nismus der Gerechtigkeitspflege , theils in Hinfiche
ber verfchiedenen richterlichen nftanzen: und Behoͤr⸗
den, theils in Hinfiche des gerichtlichen Verfahrens,
— ſo wie die Verfaffung des Staates felbft — mit
der naͤchſten Vergangenheit des Staates zufammen-
hängen, und alfo auf einer gefhichtlichen Unterlage
beruhen, zugleich aber auch den erreichten Grad der
Cultur des Volks, das im Staate lebt, zunaͤchſt be-
ruͤckſichtigen und mit den einzelnen Beſtimmungen
. der Verfaſſung i in genauefter Verbindung ftehen muß;
ſo läße ſich Doch im Allgemeinen, nad) den Zeug
niſſen der Geſchichte, namentlich in Beziehung. auf
Großbritannien ‚ Sranfreich und einige andere Staa⸗
ten mit ftellvertretenden Verfaſſungen, für die Staats⸗
kunſt feftfegen: daß Die auffteigende Drdnung der Be⸗
hoͤrden für die Gerechtigfeitspflege durch Friedens»
richter, Bezirksgerichte, Appellations—
ge richte und durch ein Caſſationsgericht, fo
wie die Einfuͤhrung der Geſchwornengerichte,
namentlich für die Enefcheidung der Preßvergehen und
fin die Ausmittelung des Schuldig oder Unfchuldig bei
"peinlichen. Anlagen , in Verbindung mit der Einfüß-
tung ber Oeffentlichkeit bes gerichtlichen Werfah-
+
Stoasstunfe 4
rens und der mündlichen Verhandlung, bas Weſen
einer Gerechtigkeitspflege erſchoͤpfe, die mit einer neu-⸗
eingefuͤhrten ſtellvertretenden Verfaſſung in genqueſter
Verbindung ſteht. Wo aber, wegen der ſchonenden
Ruͤckſicht auf die beſtehenden Verhaͤltniſſe, der bis⸗
herige Gang der Gerechtigkeitspflege nicht durchgrei⸗
fend verändert-werden kann und ſoll; da dürfte doch
wenigſtens Die Einführung von Friedensrichtern,
von Geſchwornengerichten und des mind
lichen Verfahrens zunaͤchſt in ſtrafrechtlichen
Faͤllen, den Fortſchritten der Voͤlker und den Fort—
ſchritten der Geſetzgebung und der Gerechtigkeitspflege
angemeſſen ſeyn, womit nythmendig auch eine. neue
Organiſation des Advocatenſtandes, und..Die
Voruͤbung ber Fünftigen Mitglieder deffelben ‚in per
mündlihen. Beredfamfeit nothwendig in Vers
Bindung fteßen müßte *, _. en
Nuur in einem voflfländigen Spfteme der Staats»
kunſt Eönnen Die im $. zur Sprache gebrachten Ges ,
genftände,, worüber die Meinungen noch fehr ge-
theilt find, erſchoͤpfend nach ihrem Für und Wider _
: behandelt werden. . Hier kann nur angedeufet mer⸗
;. den, Daß Die Sriedensgerichte in Großbritan—
rien und Frankreich als fehr heilfame Anftalten,
weitlaͤufige Proceffe zu. verhüten, laͤngſt ſich bes
waͤhrt haben. — In Staaten mit flellvertretender * _
Verfaſſung wird der Caffationshof als der
- Schlußftein in dem Organismus der Juftizbehör-
— — d
x
*) F. W. B. v. Ramdohr, über die Organiſation des
Advocatenſtandes in monarchiſchen Staaten. Han⸗
nover, 1801. 8. — Karl Sal. Zaharid, Ans.
léirung“ zur gerichtlichen Beredſamkeit. Heidelb.
1810, 8. : , tn " run
ed
492 Staatsfunft.
' den, und als die Bedingung einer wirffich gur-
und gleihförmig im wahren Geifte des Gefeges
: wirkenden Rechtspflege betrachtet. Seine Beftim-
mung iſt die Erhaltung ber Unverlegbarfeit der
Geſetze, fo wohl in der Form und Materie, als in
ber geordneten Competenz ber Gerichte. Er ent-
—ſcheidet daher nicht über Tharfachen; er fegt unter
“den Partheien die ftreitenden Rechte und Verbind-
lichkeiten nicht feſt; dies thun die Inſtanzgerichte,
an welche, nach der Caffation eines Urtheils, Die
Sache zur andermeitigen Entfcheidung gewiefen
wird. Er caffirt blos Urtbeile, welche gegen
"das Elare Geſetz verftoßen, oder daffelbe offenbar
- unrichtig auslegen oder anivenden, und macht feine
Entſcheidung oͤffentlich bekannt.
In Beziehung auf die Geſchwornengerichte
und die Oeffentlichkeit der Rechtspflege
“if es bemerkenswerth, daß mehrere Denker fuͤr
beide zugleich, als zwei weſentlich zuſammen⸗
häangende Theile — andre hingegen für die Deffent-
ichkeit, allein gegen die Geſchwornengerichte —
"und wieder andere fuͤr das Geſchwornengerichti in
peinlichen und die Preßvergehen betreffenden, ni ich t
aber in buͤrgerlichen Faͤllen ſich erklaͤren; ſo wie
wieder einige fuͤr die Beibehaltung der Geſchwor⸗
nengerichte da, wo fie bereits eingeführt find, ftim-
‘men, und nur der Einführung derfelben da, wo fie
mnoch "nicht beſtehen, abgeneigs find. — Geſchicht
lich gewiß iſt es, daß da, wo die Geſchwornenge—
richte beſtehen, die öffentliche Meinung für. fie
ſpricht; allein vor Einführung derfelben,, "wo fie
» noch fehlen, verdienen allerdings eine gengue Be—
eielfichtigung: 4) der Grad der Cultur eines Vol-
kes und der Volfscharafter 2 2) die Defpaffenpeit
— — — — -— — — — .m — X | — — — — —
Staatskunſt. 493
des im Staate geltenden Safgefegbudet, ‚and
3) die poliifchen und bürgerlichen Verhältniffe
des Landes. Dies HEFT. A.Mittermaier’s
Anſicht in feiner Schrift: die öffentliche mündliche
Strafrechtspflege und das Gefchtwornengeriche, in
Dergleihung mit dem.teutfchen Strafverfahren,
Landsh. 1819. 8. S. 46 ff. — Unter den vielen
Ä Schriften fuͤr die Oeffentlichkeit des Verfahrens
und fuͤr das Geſchwornengericht zeichnet ſich durch
Tiefe der philoſophiſchen Forſchung, geſchichtliche
Ergruͤndung der Vergangenheit, durch politiſchen
Tact und Ernſt und Sreimüchigkeit der Darftellung
aus: das Gutachten der (preußifchen ) Im—⸗
mediat-Juſtiz-Commiſſion über das
Geſchwornengericht. Berl, s.a. (1818.) Sol.
(vergl, mit Welfers Rec: in den Heidelb. Jahrb.
1818, St. 50. — 52. und mit M. C. F. W. Graͤ⸗
vells Prüfung der Gutachten, der fon. preuß. Im⸗
mediat-Juſtiz⸗-Commiſſion am Rheine über bie
- dortigen Suftizeinrichtungen. 2 Thle. $pz. 1819.) —
.. Unter. den Gegnern des Geſchwornengerichts, und
zum Theile auch des muͤndlichen Verfahrens, iſt
der ſcharfſinnigſte: Anſelm v. Feuerbach, Be-
trachtungen über Das Geſchwornengericht, Landsh.
41813. 8. womit deſſen rklaͤrung über feine ans
geblich geänderte Weberzeugung in Anfehung der
Gefhwornengerichte, Erl. 1819. 8. fo wie deſſen
neuefte (etwas breitgehaltene) Schrift: Betrachtun-
gen über bie Deffentlichkeit und Muͤndlichkeit der
Öerechtigkeitspflege, Gießen, 1821. 8., mit dies
fem Werfe aber nothwendig Mittermaier’ 8
- Prüfung deffelben in den Heidelb. Jahrb.
1822, Febr. verglichen werden muß. Sehr
wahr bemerke Mittermaier: „die Deffentlich-
49. Staatskunſt. J
lichkeit iſt nicht wegen des PDublicums
allein da. Dies ift bie untergeordnete
Ruͤckſicht. Der Angeflagte hat ein Ur
recht, die Zeugen zu ſehen und zu hören.
Die wahre Deffentlichkeit befteht eben darin, daß
das erfennende Gericht den Totaleindrud der gan»
zen Verhandlungen erhält, und daß nur auf die
vor dem Gerichte abgelegten Ausfagen das Urtheil
‚gebaut wird. — Die Deffentlichfeit des Werfah-
rens verlangt organifche Gefeßgebung; fie ift mit
einer Verfaſſung unverträglich,,. in welcher die
Juſtiz noch nicht von ber übrigen Verwaltung ge-
trennt if. Eine halbe Oeffentlichkeit ift aber
ſchlechter, als gar feine, weil fie das Volk taͤuſcht.“
— Feuerbach iſt in feinem Werke nicht für die.
Oeffentlichkeit der Worunterfuhung; nur nah
. gefchloffenem, urkundlich beglaubigtem Beweisver-
fahren foll der Angeflagte feinen Richtern gegen
über geftellt, und hier auf den Grund der geführten
u Hauptunterfuchung öffentlich angeflagt und ver
theidige werden. — Dagegen erinnert Mit
termaier: ‚Ein foldhes Schlußverbör : wäre
"dann bloße Förmlichfeit. Auch beim Vorver⸗
“ fahren foll Deffentlichfeie fenn; denn ber Ange-
ſchuldigte ift, wenn er verhaftet wird, der nöthi-
gen Ruhe des Geiftes beraubt, von ver Berathung
der Rechtsgelehrten abgeſchnitten, den Haͤnden
eines im Ameseifer leicht ercedirenden Beamten
Preis gegeben, ben Folgen der geiftigen Folter;
ach kommt darin bie Aufnahme von Beweifen
| welche fpäter benugt werden. Es wäre daher
2 das’ franzöftfche Gefeg. vom 9. Oet. 1789 anzu=
wenden, nad; welchen jeber Buͤrger ven dem
Augenblick an, wo er verheftet wird, das Reqhe
— “a - —. 0.» -.
‘
. m — 11 Ir m SE
un wü-
| Staatskunſt. | 495
Bat, ſich Vertheidiger zu wählen, welche frei mit
ihm fid unterhalten dürfen ;. der Vertheidiger darf
bei allen Zeugenverhören zugegen feyn, und dem
Richter am Ende die nöthigen Bemerkungen ma-
hen.’ Doch mobificirt Mittermaier dies ſelbſt
CHeivelb. Jahrb. 1822, Sept. ©. 874.) dahin,
„Daß bei allen verwidelten Sachen der:münd»
“ "lichen Verhandlungen ein ſchriftlich es Bo r⸗
verfahren vorausgehen müffe, weil es
fonft den erftern an einer Grundlage fehlt.” —
. Die Schrift v. Hazzi's über die Standpunrte
ber .bayrifhen Verfaſſungsurkunde von 1818.
. München, 1819. 8. hatte gerüge, daß die neue
bayrifche Verfaffung nirgends der Einführung der
oͤffentlichen Gerechrigfeitspflege und des Geſchwor⸗
nengerichts gedenke. Diefem Uetheile tra: R.Sah
Zahariä, in f. Peufung der Hazzi'ſchen
.. Schrift (Heidelb. Jahrb. 1819, Mai, ©. 449 fe)
mif der Erflärumg cei, daß er beide Einrichtungen
‚mit dem Geifte einer Verfaſſung, welche Abgeord⸗
‚ nete des Volkes zur Theilnahme an der Öefeßge-
bung berufe,, für fo mefentlich verbunden halte,
daß er eine Verfaffung diefer Art‘, wenn ihr jene
E 2
“Einrichtungen fehlen, nur als ein GeBäube betrach⸗
..gen. fonne, welches in feinen weſentlichſten Theile
noch unvollendet ſey. Als Gewährsmänner dafür
dürfe man nur die Britten anführen. Doch
bemerft Zahariä fehr richtig, daß man, Bevor
man zur Aufnahme der Gefchwornengerichte fchreite,.
‚ ‚vor allen Dingen mit der in England beftehen-
2
den Verfaſſung dieſes Gerichts, (nicht blos
mit der franzöſiſchen Jury,) beſonders
mit dem Geſchwornengerichte für bürgerliche
" Rechtsſachen ſich bekannt machen muͤſſe. Zacha⸗
490 Staatskunſt.
. Fir: ift feiner Anficht von.dem mündlichen Verfah-
u _.+*
“
44
. weſentlichſten Triebfedern der.
⸗
L
u
>
ren und den Geſchwornengerichten aud) in ſ. wich—
‚tigen . Beurtheilung ber Schriften über Fonks
- Proceß - (Heidelb. Jahrb. Erganzungspeft
„822.). treu geblieben. — Wie aber der. brittis
ſche Minifter Fox die Geſchwornengerichte betrach«
tete, erhellt aus feiner Erklärung: „Moͤchten
‚ meine $andsleute nie vergeffen, daß die belden
Erpalcung buͤrger⸗
licher und politiſcher Freiheit in der Stellver⸗
tretung derMation durchdas Mediumder
Kammer der Gemeinen, und in der Stell-
‚ vertretung der richteriichen Macht des
Volkes durch die Geſchwornen beſtehen.“
Aus der Maſſe von Schriften über die Gerechtig⸗
keitspflege koͤnnen in ber Staatskunſt, wo dieſer Ge—
nftand blos als einer ber vier Zweige der Verwal⸗
ung betrachtet wird, nur die wichrigern neuern auf
geführe werden:
% - 4
J. Ern. a Globig, censura ic: !icialis Euro-
pae liberae, praesertim Germaniae, novis legum
ezemplis illustrata. 2 Tom. Lips. ı1820.5q..8,
Karl Srolmann, Theorie des gerichtlichen Ver⸗
— fabrens in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Gießen,
ı800. 8.
Ernſt Wild. v. Reibnitz, Verſuch über das
"Speal einer Gerichtsordnung. Berl. 1815. 8.
Han. Rudhart, über die Verwaltung der Juſtiz
durch die adminiftrativen Behörden. Würzb.. 1817.
8.. (iſt gegen Gönner und diejenigen gerichtet,
welhe den Grundfag aufftellen, daß alle Sadyen,
bei welhen die Staateverwaltung intereffitt ſey,
der Cognition der gerichtlihen Behörden entzogen,
und den abminiftrativen zugetheitt werden muͤſſen.)
Paul Bigand, neues Joſt ematiſches Handbuch
Sept. ©. 381 ff.)
Staatskunſt. - 497
- für die Friedensrichter des Königreiches Weſtphalen.
Goͤtt. 1813. 8. |
EEE Zu
Richard Pbillips, on the powers and.duties
of Juries, end on the criminal laws of England,
Ed. 2. London, 1813. 8. (zunähft für das brit⸗
tifhe Geſchwornengericht. — Vergl. Gött. Anz.
1815, ©t. 193.)
Cottu, de l’administration de la justice cri- '
minelle en Angleterre et de l’esprit. du gouverne-
ment anglais. Paris, ı820. 8. J n
C. J. v. Sparre⸗Wangenheim, Aber Ges
ſchwornengerichte und das Verfahren in peinlichen
Sachen. Leipz. 1819. 8. (gegen)
Theod. Joh. Joſeph Lenzen, Handbuch für die
, Sefhwornen bei den Kriminalgerichten ober Affifens
böfen. Köln, 1821. 8.
(Vergl. 3ſchokke's Weberlieferungen, 1851, |
ee zu |
3.9. Brewer, über das Öffentliche Verfahren
dor Serie. Köln, 1818. 8. (unaͤchſt gegen euer
bad.)
€. v. Dalwigt, Auch ein Wort über die Aus
wendbarkeit der mündlichen äffentlihen Rechtspflege
bei bürgerlichen Rechtsſachen in Teutfchland. Frkf.
am M. 1818. 8.
Bender, über das muͤndliche und Öffentliche Ver⸗
‚ fahren in Eriminalfahen. Kaflel, 1821. 8.
E. W. H. v. Drais, Geſchichte der Badifchen
Gerichtshoͤfe neuerer Zeit. Mannh. 1821. 8. (gegen)
Weberfiht des mündlich » Öffentlichen Verfahrens in
Eivils und Ertminalfahen. Mit befonderer Hinſicht
auf den bayrifchen Mheinkreis. Non einem Juſtiz⸗
beamten daſelbſt. Frankenthal u. Mannh. 1821. 8.
Die öffentliche mündliche Rechtspflege im bayriſchen
Nheinkreife. Frkf. am M. 1822. g.
Hieher gehört auch die Abhandlung und Prüfung '
medrerer en: über die Oeffentlichteit
2 32
%
498 Staatskunſt.
x .
und Mandlichkeit der Rechtspflege, von
nämlidh über das Sefhwornengeridht in
Eriminalfadhen; im Hermes XI, ©. ı ff
. und über bie Deffentligteit und Münds
lichkeit der GerechtigkeitspflegeinCivii—
fagen; Hermes XIV, ©. 135 ff.
46.
b) Die Polizei, als zweiter Haupttheil der
| Staatsverwaltung.
Waͤhrend in allen gefitteten Staaten Polizeian⸗
ſtalten und Polizeibehoͤrden beſtehen, und die neuere
und neueſte Seit fogar das politifche Ungeheuer der
geheimen Polizei (des Seitenftücs zur Inquiſi⸗
tion) erlebte, ſtreiten noch die Theoretiker uͤber den
Begriff, den Inhalt und den Umfang der Polizei.
Dieſer wiſſenſchaftliche Streit trifft aber weniger die
Gegenſtaͤnde ſelbſt, als die Entſcheidung der Frage:
ob gewiſſe Gegenſtaͤnde zur Polizei, oder zu einem an⸗
dern Zweige der Staatsverwaltung gezogen werden
ſollen. Dies iſt namentlich der Fall mit allem, was
zur ſogenannten Cultur- und Wohlfahrtspolizei ge-
rechnet wird. Meil aber. die Nothwendigkeit Der
| wiffenfchaftlichen Behandlung diefer Gegenftände an
ſich, fo wie Die Aufnahme derfelben in den Kreis ber
Staatswiffenfchaften entfchieden, und nr der Streit
über die Stelle derfelben im Kreife ber leßtern noch
nicht beendigt iſt; fo werden-fie hier zu dem Gebiete
der Polizei gezogen, wenn gleich nicht geläugnet
werden fann, daß die — nad) diefem Standpuncte
aufzuftellenden — zwei Haupttheite der Polizei
in Hinficht der Verwirklichung ihrer" Zwecke im in-
nern Staatsleben, weder an fih im nothwendigen
Zuſammenhange ftehen, noch von einem und bemfelben
Perſonale ausgeführt werden koͤnnen.
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I
.
Staatsfunft. BE 499
⸗⸗
Wenn nämlich die Verwirklichung des Rechts
und der Wohlfahrt im Umfange des Staates die
hoͤchſte Aufgabe für die Staatskunſt bleibe; fo ergibe
fih fchon aus dem Urfprunge beider Begriffe, daß
nur das Recht durch Zwang erhalten und gefichert
tur nah, Zwangsrechte find, daß aber die Wohl—
fahrt der Staatsbürger wohl auf vielfache Weife
befördert und unterftüßt, nicht aber erzmungen werden
kann. Wenn daher die Polizei in die beiden Haupt
theile
a) der Ordnungs= und Sicherheits- —
mithin der, Zwangse Polizei, und
b) der Eultur-und Wohlfahrts- Polizei
zerfällt; fo erhellt, daß zwar die erfte dem Grundbe-
griffe des Rechts, und die zweite dem Grundbegriffe
ber Wohlfahrt der Staatsbürger entſpricht; daß
aber, in Hinficht ihrer Verwirklichung im Staats»
leben, beide von wefentlich verfhiedenen Be—
börden ausgehen müffen, fo daß auch in vielen.
Staaten nur das, was zur Zwangspolizei gehört,
dem eigentlihen Polizeiminifterium und
deffen Behörden untergeordnet ift, hingegen das, was
die Kultur» und Wohlfahrespolizei umfchließt, zum
Minifterium des Cultus gerechnet wird.
Die Zmangspolizei, zunächft beftimme für
die Erhaltung der Ordnung und Sicherheit im Staate,
‚ muß Daher zuerft_bie wifprünglichen und erworbenen
Rechte aller einzelnen Staatsbürger überhaupt ficher
ftellen; fie muß ferner die beſondern Verhältniffe um:
ſchließen, unter welchen das innere Staatsleben ber
Bürger ſich anfündige (z. B. Stabt- und Dorf-Po-
lizei; öffentliche und Hauspolizei 2c.) ; fie muß endlich
| . 32 *
‚werden fann,, weil alle Rechte im Staate, ihrer. Na-
n
AN
500 \ Staatsfunft.
das rechtliche Beſtehen des Staates felbft, als eines
felbftftändigen Organismus, nach feiner Verfaffung,
Negierung und Verwaltung, fihern. — In allen
diefen Beziehungen tritt, fobald irgend ein Recht der
Individuen oder des Ganzen bedroht oder verlegt
wird, der Zwang ein; nur da in ber Wiffenfchaft
die Grenzlinie der Anwendung des Zwanges zwifchen
der Juftiz und der Polizei genau gezogen werden muß,
weil allerdings diefe beiden Zweige der ‚Verwaltung
in —5* jener Gegenftände nicht felten in nahe
in ber en de
die Culewp- und | fahr! de zur —æE
So werig dieAurvuͤbung der Pflichten der Güte im
gefellfhaftlichen geben durch Zwang bewirkt werden
darf, wenn gleich der ſittlich⸗ gute Menfch der Erfül-
lung derfelben ſich nicht entzieht; fo wenig darf auch
der Staat das, was zur Eultur- und Wohl-
fahrtspolizei gehört, buch Zwang bewirken wol-
len, wenn gleich in jedem gut organifieten Staate
die Anftalten dafür niche fehlen dürfen, und eben bie
höhere Vollkommenheit diefer Anftalten zugleich die
höhere Stufe der Eultur des Staates felbft, und bie
Bluͤthe des innern Staatslebens aller ſeiner Buͤrger
ankuͤndigt und verbuͤrgt. Es gehoͤren aber zu den
Gegenſtaͤnden der Cultur-⸗ und Wohlfahrtspolizei die
Bevoͤlkerung; das Armenweſen; die Landwirthſchaft,
das Gewerbsweſen und der Handel; die Aufklaͤrung
überhaupt; das Religions» ‚und Kirchenweſen; das
Erziefungs- und Schulweſen; die Aufficht über die
Staatskunſt. 501
Sitten, und die Sorge fuͤr den Genuß, das Ver⸗
gnuͤgen und die Bequemlichkeit der Staatsbuͤrger.
Wird die Polizei nach dieſen beiden Hauptbe⸗
ſtimmungen aufgefaßt, und, als Gegenſtand der Ver⸗
waltung, auf das innere Staassleben nad) ihren ein-
zelnen Gegenſtaͤnden bezogen; fo kann weder ihre
Nochwendigfeie, noch ihre Wohlthätigkeit
bezweifelt werden. Daffelbe gilt von ihrer Selb ſt⸗
ſtaͤndigkeit, als befonderen Haupttheil der
Staatsverwaltung; denn weder durch die Uebertra⸗
gung der Zwangspolizei an die im Staate vorhande⸗
nen Juſtizbehoͤrben, noch durch die Aufnahme der
Cultur⸗ und Wohlfahrtspolizei in die Staatswirth⸗
ſchaft, wuͤrde der wichtige Zweck der Polizei im innern
Staatsleben erfuͤllt werden, weil ſchon an ſich die
Verbindung der Yuftiz.und Polizei in allen gut orga⸗
nifirten Staaten als höchft fehlerhaft anerfanne und
befeitigt worden ift, und weil für die wichtigen Gegen--
fänbe der Eultur» und Wohlfahrtspolizei, felbft nad)
ihrer wiſſenſchaftlichen Aufnahme in die Staats⸗
wirthſchaft, doch eigene Behoͤrden — verſchieden
von den übrigen ftaatswirchfchaftlichen Behörden —
vorhanden feyn müßten. — Nur für das politifche
Ungeheuer bei geheimer Polizei gibt es weder
in der Zwangs⸗, noch in der Eultur« und, Wohlfahers-
polizei eine Stelle.
. Die Größe und die Beduͤrfniſſe des Staates
muͤſſen aber über die ahl, über. das innere gegen-
feitige Verhältniß, und über die Verthei—
kungder einzelnen Polizeibehördenimgan .
zen Umfange des Staates entfcheiden. Wo der Ges
bietsumfang und die Bevölferungsmaffe eines großen
Reiches überhaupt eine bedeutende Anzahl der Ver⸗
waltungebehorden erfordert; da muß auch die So
302 Ä Staatskunſt.
der Polizeibehoͤrden mit der Geſammtzahl der uͤbrigen
Verwaltungsbehoͤrden im Ebenmaaße ſtehen; eben fo
wird in großen. Reichen die $eitung des Kirchen—
‚und bes Erziehungsmwefens, ja felbft die oberfte
Seitung Des Gemwerbsfleißes und des Handels,
befondern felbftftändigen Behörden übergeben werben
müffen. In Eleinern Staaten hingegen farm wohl
das Minifterium der Polizei, und felbft Das Miniſte⸗
rium des Eultus, nad) allen feinen obern, mittlern
und untern Behörden, mit dem Minifterium des
Innern, — allein nie mit dem Minifterium der '
Juſtiz, vereiniget werben. |
In Hinfiche der öffentlichen Anfündigung wird
namentlich die Zwangspolizei anders in conſtit u—
tivnellen, als in unbefhränften und in
deſpotiſchen Staaten erfcheinen. Denn wenn fie
in den legtern nur von dem Willen des Beherrſchers
und der hoͤchſten Werwaltungsbehörden abhängt, fo
daß fie mwillführliche Verhaftungen, Einferferungen
ohne Verhör, Hausfuchungen ohne gegründeten Ver-
dacht, eigenmächtige Beſtrafungen, ohne den Ver⸗
brecher der Juſtiz zu übergeben, und ähnliche Ein-
geiffe indie Privatficherheit — für deren Erhaltung fie
Doch befteht — fich erlauben kann, muß fie in confti«-
tutionellen Staaten innerhalb der Grenzen ihrer
Wirkſamkeit fiir Ordnung und Sicherheit bleiben , die
ihr in der Verfaffung und in der Verantwortlichfeit
der Polizeibehörden gegen den Megenten und die Volks⸗
verfreter gezogen find. Denn fo wie überhauptin con»
ftitutionellen Staaten die öffentliche Meinung
über die Verftöße gegen Ordnung und Sicherheit oft
nahdrüdlicher, als die Zwangspolizei, entfcheidet;
fo hat auch die Polizei, aus demfelben Grunde, in
eonftirutionellen Staaten wenig zu thun, weil fie nie
'
Staatskunſt. 503
willkuͤhrlich und eigenmiächtig verfahee barf, und weil
ſie in der oͤffentlichen Meinung die wirkſamſte Zuſtim⸗
mung und Unterſtuͤtzung bei allen ihren rechtlichen
Maasregeln findet. — So wie endlich, nach dem
Zeugniſſe der Geſchichte, Diejenigen Staaten, wo ſtete
and harte Strafen noͤthig find, gewoͤhnlich auf tie⸗
fen Stufen der Cultur und der Geſitcungſtehen;
ſo auch diejenigen Staaten, wo die Zwangspolizei un⸗
unterbrochen ins Öffeneliche und Privatleben eingreift,
und eingreifen muß.. Dagegen merden diejenigen
Staaten auf höhern Stufen der Bildung, des Fort.
ſchritts und der politifchen Mündigkeit erfcheinen, mp
weber das Strafrecht, nod) die Zwangspolizei in caft-
loſer Thaͤtigkeit find. -
. In Besiehung auf die Errichtung der Polizei»
behörden wird der Staat bedeutende Kräfte und Sum;
men da erſparen, wo zweckmaͤßige Gemeinde und
Städteordnungen mit auffehenden und verwal«
tenden Individuen und Behörden dus der Mitte
ber &emeinden, und wo Friedensrichter
beſtehen. Denn fo wie mit bem forgfältig örganifirten
und felbftftändig begruͤndeten Gemeindewefen die, um⸗
fihtigfte Leitung der Gemeinbeangelegenheiten, die
fiherfte Entwickelung der bürgerlichen ‚Sveiheit, und
die innigſte Anhänglichfeie an die Regierung und das
Vaterland" zufammenhängtz fo werden aud) dadurch
viele aufſehende, bemachende und controllirenbe: Polis
zeibehoͤrden erſpart, und deſto leichter koͤnnen dann,
auf einem ſolchen feſten Grunde, die uͤbrigen Polizei,
behörden (Präfecte -und Unterpräfeote, — Kreis
bauptieute und Amtshauptleute, — Polizeibirectionen,
if — tanbräfhe u. a.) ihrem Geſchaͤftskreiſe Genuͤge
eiſten.
Da im m ymeitn Theile dieſes Werks die Dolt
304 | Staatskunſt.
zeiwiſſenfchaft, nach ihrem wiſſenſchaftlichen
Charakter und nach ihrem ganzen Umfange, fo wie
mit vollſtaͤndiger Literatur ausgeſtattet, dargeſtellt
wird; fo, konnte hier nur Das aufgenommen wer⸗
den, mas. ber Polizei, als felbftfländigem, unb
: ben übrigen Theilen der, Merwaltung gleichgeorb-
netem Zweige ber Berwaltuag zukommt.
47.
&) Das Finanzweſen, als dritter Haupttheil der
— Staatsverwaltung. Ä
Wenn vormals die Domainen unb Regalien ber
Megenten ausreichten,, ven Aufwand des Hofes und
die. Bedürfnifle des Staates zu decken; fo warb ſchon
im ausgehenden Mittelalter für außerordentliche
Beduͤrfniſſe bes Staates Die Bewilligung von Steuern
noͤthig, weiche Anfangs nur vonden Prätaten (dem geift-
lichen Großen) und der Ritterfhaft, und bald darauf
auch mit Zuziehung der Städte geſchah, weil, nament⸗
lich nad) altgermanifcher Verfaffung, der Teutfche nur
die felbft bewilligten Steuern entrichtete. Als
num in der Folge die früher für einzelne Fälle (Krie⸗
ge, Schulden xc.) bewilligten Steuern allmählig in
ſtehende Abgaben werwanbelt, in’ ihren Summen
geſteigert, und. mit andern neu hinzufonımenden ver⸗
mehrt wurden; da mußte auch Die Verwaltung biefer
Steuere verwicelter und mannigfaltiger,, und in den
meiften Staaten von ber Verwaltung der Domainen
und Regalien des Regenten getrennt werden, Mod)
bedeutender wirkte das ausgehende fiebenzehnte und
. das ganze achtzehnte Jahrhundert auf die Finanzver⸗
waltung der europäifchen Staaten ein, feit die überall
eingefuͤhrten ftehenden Heere die jährlichen Be⸗
Scaatskuuſt. 305.
burhaigſe der Staaten mächtig ſteigerten; und * nr
ohne Ausnahme in ben eueopälfchen
Staaten ‚vor anbenen Schulden bie Stone. Per
Abgaben : vermehrten, ohne gerabe: die drivgenbſten
Beduͤrfniſſe der Staaten zu beſeitigen. |
Dieſe Verhaͤltniſſe im wirklichen Staateleben
blieben nicht ‚ohne Ruͤckwirkung aufdie Theo⸗
vie, Wenn fruͤher das Aggregat ber Kameralwiſſen⸗
ſchaften (Landwirthſchaft, Viehzucht, Bergbau, Forſt⸗
kunde, Gewerbskunde und SHandelsfunde) nothbürfiig.
für den fünftigen Kameralbeamten (hießen doch die
fuͤrſtlichen Verwaltungsbehoͤrden damals Kammern):
quggereicht hatte, wozu im achtzehnten Jahrhunderte
gewöhnlich ein empirifcher Zufag über die in ber Wirfn
lichkeit beftehenben Steuern und Abgaben , unter dem. '
Namen Sinenzwiffenfchaft, als Anhang zu den Kamen -
ralwiſſenſchaften, zum, Theile verfege mit etwas Polis
zeiwiffenfchaft, hinzukam; fo fühlte man doch bald, bei,
ben Zortfchritten Deg Innern Staatsiebens, gleichzeitig
mit der Vermehrung der. Stagtsbebürfniffe unb ber.
Staatsſchulden, daß man nicht nur Die Finanzwiſ⸗
ſenſchaft felbftftändig behandeln, ſondern ihr auch
in der Staatswirthſchaft eine wiſſenſchaftliche
Begründung vorausſchicken müßte. Allein auch die
Staatswirthfchaft, welche nur zu dem Hoͤhern, nit.
zu dem Höchften im Volfsleben fich erhob, indem
* nur die Beduͤrfniſſe des Staates und die finanzielle
Stellung ber Regierung zu den Staatsbürgern wiflen-
ſchaftlich ordnete, nicht aber auf die legten Quellen
und Bedingungen des Volkswohlſtandes und Wollt
vermögens felbft, — beide unabhängig von allem
Einfluffe des Staates und deſſen Regierung auf die⸗
ſelben — zuruͤckging, erhielt am Anfange des neun»
zehnten Jahrhunderte in der Bolfswiregf haft
!
506 Staatskunſt.
(Nationaloͤkonomie) Ihre wiſſenſchaftliche Unterlage
und philoſophiſche Begründung, fo daß, durch dieſen
mächtigen Fortſchritt der Wiſſenſchaft, auch auf die
Finanzverwaltung ein neues Licht fiel, und die Ab⸗
haͤngigkeit der Staatswirthſchaft von der Volkswirth⸗
ſchaft, ſo wie wieder die Abhaͤngigkeit der Finanzwiſſen⸗
ſchaft von ber Staatswirrhfchaft entſchieden werd 9).
Diefe neue Geſtaltung der Wiſſenſchaft, gleich-
"zeitig mit der Begründung fteflvertretender Verfaſſun⸗
gen in vielen eurepäifchen. unb teutſchen Staaten,
btieb auf die WBermaltung der Staaten nicht ohne
wefentlihen Einfluß Man fragte nun zuerft nach
den Quellen und Bedingungen des Volks vermögeng,
‚und nach dem reinen Ertrage der Arbeit der ein-
zelnen Staatsbürger, um, nad) dieſem einzigen recht⸗
lihen und den Wohlſtand des Ganzen aufrecht hal-
tenden Grundſatze, die Beſtandtheile bes Staats-
vermögens überfchauen, und gleichmäßig aus dem
. reinen Ertrage des Volfsvermögeng die Jahresbebürf-
niſſe des Staates (im Budget) ordnen, prüfen, ver⸗
theilen und von der Geſammtheit der Stäatsbürger
erheben. zu koͤnnen, fo daß, nach diefem Geſichts⸗
puncte, die Staatswirtbfchaft, auf Die Grundlage
der Volkswirthſchaft geftüge, die Art und Weiſe be-
flimmt, wie das Staatsbebürfniß aus dem- Volfs-
vermögen aufgebracht und gedeckt werden, und wel-
hen Einfluß die Regierung im Staate auf die
*) Sm zweiten Theile. biefes Werks wird, in ſyſte⸗
matifcher Folge und mit Beibringung- der: wichtigern
Literatur, diefes Merhältnig der Wolkswirthfchaft,
der Staatswirthſchaft und der Finanzmwiffenfcaft
gegen einander, in der felbftländigen Dar
ſtellung diefer Staatswiſſenſchaften entwicelt werden.
j Staatskunſt. J 507
feitung der Quellen und Bedingungen bes Volksver⸗
mögens, fo wie auf die Geſammtthaͤtigkelt vr Staatss
‚bürger behaupten kann und darf, worauf dann: Die
Finanzwiſſenſchaft im Einzelnen die Lehre von der
Bermaltung der Domainen und Regalien, von den
Directen und indirecten Steuern, von der Erhebung |
derfelben , von dem Kaffenwefen, und von der Con⸗
trolle uber Die gefammte Finanzverwaltung aufftellt.
Entſchieden bedurften alle Staaten Europa's,
die unbeſchraͤnkten wie die beſchraͤnkten Monarchieen
die demokratiſch wie Die ariſtokratiſch geſtalteten Re⸗
publifen, ohne Ausnahme, im Anfange des neun⸗
zehnten Jahrhunderts, einer völlig neien Einrichtung
des Finanzwefens; dies verfündigten die halben
und ganzen Staatsbanferotte; dies die Subfis
dien und die gezwungenen und freiwilligen Ans
leihen im In- und Auslande ; dies Die Vermehrung
der Staatsfhulden; dies die bis zum Extreme
vermehrten Abgaben und Steuern; dies bie her⸗
abgefesten Zinfen von den Staatsfihulden; dies
die errichteten Amortifationsfonds; dies bie
eingeführten Controllen uͤber das ganze Finanz«
und Kaſſenweſen; dies die Vereinfachung des
ganzen Staatshaushalts in einzelnen Reichen und
Staaten, fo wie die vielfach verfuchten Kataſter
und Landesvermeffungen, um menigftens die
Grundfteuer nach rechrlichen und gleichmäßigen
Grundſaͤtzen auszumitteln. |
Ob nun gleich zwifchen Staaten mit und ohne
ſtellvertretende Verfaſſung, in Hinfiht auf die Def;
fentlichfeie der Verhandlungen über die Jahres:
beduͤrfniſſe des Staates und über deſſen Schulden - -
weſen, ein weſentlicher Unterſchied ſtatt finden muß,
weil in den erſtern Das Budget den Volksvertretern
\
308° Staatskunſt.
mn
in den Kammern zur Prüfung und Buftimmung vor⸗
gelegt, und von dieſen die Beſteuerung des ganzen
Voneb, im Namen deſſelben, bewilligt, ſo wie von
penfalben gewöhnlich auch die Vertheilung der
bewilligeen Steuern im Einzelnen geleitet, und bie
Berwendung derfelben für die aufgeftellten Zwecke
contsollire wird; fo gibt es doch auch gewifle al lge⸗
meine: Sreundfä abe, welche als Maasitab. einer
rechtlichen und bie Wohlfahrt bes Ganzen nicht beein-
traͤchtigenden Finanzverwaltung, in der Lehre von
ber Staatsverwaltung überhaupt, aufgeftellt werben
koͤnnen. Diefe find: .
Alle Staatsbürger müffen, im Verhältniffe zu
dem reinen Ertrage ihres Einfommens, gleich
mäßig zu den ſaͤmmtlichen Bedürfniffen des Staates
beitragen, weil fie alle gleichmäßig den Schuß deſſel⸗
‚ben genießen. In Hinſicht der bis dahin Beyorrech-
geten muß ein rechtliches und billiges Abfom-
men getroffen ‚werden, weil wohlerworbene. Rechte
(die nicht gegen bie urfprünglichen Menfchenrechte
fteeiten, wie z. B. Sklaverei und Leibeigenſchaft) in
gefitteten Staaten, felbft bei Umbildung der Verfaſ⸗
fung, nie ohne freitoillige Verzichtleiftung darauf)
-.erlöfhen, wohl aber, auf ‘Antrag ber Regierung,
gegen Entfhadigung verändert (modificirt)
werden koͤnnen.
Der reine Ertrag der geſammten bürgerlichen
Thärigfeit (es fey im Anbaue des Bodens, oder der
Gewerbe, oder des Handels, ober der Wiffenfchaft
und Kunft), und. des baaren Capitals, — ausge⸗
mittelt nad) Grundſaͤtzen der Volks⸗ und Staatswirth⸗
ſchaft, — iſt der einzig rechtliche Maasſtab der
veielung
Das Hoͤchſte, was der Staat für feine Jahres—
Staatsfunft. | 509
beduͤrfniſſe vom reinen Erteage in Anſpruch nehmen |
darf, wenn er. nicht die Quellen’ und Bedingungen des
Volkswohlſtandes allmählig zerftören will, iſt ein
Fuͤnftheil (wo moͤglich nur ein Achttheil) des
reinen, Ertragäs.
Die Wirthſchaft des Staates wuͤrde am beſten
verwaltet werden, wenn in ihr, wie in der Wirth⸗
ſchaft des Privatmannes, bie Ausgabe nad ber
Einnahme beftimmt werden koͤnnte. Allein bei
den gefteigerten Bebürfniffen der Staaten, bei ben
Schulden und den Zinfen von denfelben, und bei fo -
vielen außerorbentlihen Ausgaben im Staatsleben,
muß fih die Einnahme (das Erheben des reinen
Ertrags vom Volfsvermögen) nach der Ausgabe
(nad) den entfchiedenen Bebütfniffen bes Staates)
richten; d. h. es müffen fo viele Summen aufgebracht
werben ,. als zur Befriedigung der im Budget aufges
ftellten dringend noͤthigen, und von den Volfsver-
tretern anerfannten und gufgeheißenen, jährlichen
Staatsausgaben erforderlich find.
. Die Angaben im Budget müflen die einzel-
nen Gegenftände des Staatsbedarfs (Eivillifte, Zin«
fen der Staatsſchuld, Amortifationsfonds, Penfio-
nen, Etats aller einzelnen Minifterien, mit den ihnen
anzumeifenben Reſervefonds u. ſ. m.) beftimmt auf
führen; fie müffen zugleid) durch die den Wolfsver-
- ‚tretern vorgelegten Rechnungen ber vorigen Jahre
beglaubigt feyn; die neuen Sorderungen an die
Stände aber müflen durch hinreichende Gründe moti-
virt werden.
In aflen conftitutionellen Staaten, wo Do- |
mainen beftehen, muß der Ertrag derfelben, fo wie
die Berechnung des Ertrags der Regalien, zuerft
beim Budget in Anfchlag kommen. Die uͤbrigen An⸗
510 Ä Staatskunſt.
ſaͤtze des Budgets muͤſſen durch dir eete und indi—
recte Steuern (nach einem zwiſchen beiden in ber
Finanzwiſſenſchaft theoretiſch aufgeſtellten, und auf
die beſtehenden Verhaͤltniſſe jedes einzelnen Staates
mit Vorſicht angewandten Maasſtabe), bis zur Er⸗
reichung der im Budget beſtimmten Geſammtſumme,
aufgebracht werden.
Alle von den Volksvertretern bewilligte Steuern
muͤſſen auf die einzelnen Kreiſe und Provinzen, ſo wie
in dieſen auf die einzelnen Ortſchaften, Gemeinden und
Individuen, am beſten durch die Volksvertreter ſelbſt,
gleichmaͤßig vertheilt, auf die für die Staats—
buͤrger ſchonendſte und bequemſte Weiſe erhoben,
ſo wie nach dem im Budget angegebenen Bedarf, und
fuͤr keinen andern Zweck, verwendet werden, woruͤber
den Volksvertretern das Recht der Einſicht ber Red)-
nungen zufteht.
Die Ueberficht über. das innere Verhaͤltniß der
Staatseinnahmen und Staatsausgaben gegen einan-
ber muß durch das forgfältig geführte Kaſſenweſen
möglich gemacht und erleichtert, fo wie die Oberauf-
fiht über die gefammte Finanzverwaltung von der
Generalcontrolte ($. 42.) geleitet und durchge⸗
führt werden *),
*) Mas hier. ale weſentliche Bedingung einer zweckmaͤ⸗
ßigen Finanz ver wa (tung aufgeſtellt wird, iſt zwar
das Reſultat der ſyſtematiſchen Darfellung der Fi⸗
nanzmwiffenfchaft, das aber in der Stantstunft nicht
ganz übergangen werden fann, weil beide
Wiſſenſchaften, obgleich nahe verwandt, doch felbft:
ſtaͤndig neben einander beftehen, und weder im eig:
nen Studium, noch im Lehrvoriroge immer vetbun⸗
den werden.
N
Staatzkunſt 511
Das Kriegswefen, als vierter Haupttheit
| der Staatsverwaltung. Ä
| Wenn auch die philoſophiſche Reechtslehre i im phi⸗
loſophiſchen Voͤlkerrechte (Maturr. $. 57.) das Ideal
des ewigen Friedens aufſtellt und die Bedingun⸗
gen zur Herbeifuͤhrung dieſes vollendeten rechtlichen Zu⸗
ftandes der gefammten Menfchheie entwickelt; fo wird
doch ein folcher Zeitpunct des ewigen Friedens in der
Wirflihfeit nie eintreten. Das Höchfte, was.
erreicht werden. fann, ift Verminderung der
Kriege, theils durch Vermeidung aller Angriffs⸗
kriege, weil (Staatsr. $. 73.) nur der Vertheidi—
g ungsfrieg ‚ um bedrohte oder vertegte Nechte zu
ſchuͤtzen, rechtlich iſt; the il s durch allmahligen Leber»
gang der ſogenannten Militairſtaaten in rechtliche
buͤrgerliche Vereine, weil allen Militair ſtaaten ein
eroberungsluſtiger Charakter eigen iſt, der das
politiſche Daſeyn und die Sicherheit der Nachbar⸗
ſtaaten ununterbrochen bedroht; theils durch allge—
meine Verminderung der ſtehenden Heere, wobei die
Mächte vom erften politifchen Range den Anfang
machen müflen, welchen die Staaten vom zweiten,
dritten und. vierten politifchen Range von felbft nach⸗
folgen werden, weil dieſe zunaͤchſt nur wegen der möge -
lichen Bedrohung. ihrer Seldftftändigfeit ‚von ben
Mächten bes erften politifchen Ranges, und gewiß
nur felten aus kleinlicher Nahafmungsfucht , geößere
Heeresmaſſen halten, als mit ihrer Bevoͤlkerung
und mit ihren Finanzen vereinbar if. Wäre übri-
gens ein allgemeines Bolfstribunal in der Wirf-
lichkeit benfbar, von. welchem die Streitigkeiten der
einzelnen Staaten entſchieben, und deſſen Entſchei⸗
\
512 Staatskunit, >
bangen als gültig anerfanne würden; fo würbe Diefes
der Idee des ewigen Friedens am meiften ſich nähern,
Allein fo lange in ber Wechfelwirfung der Staa-
ten noch eigentliche Angriffsfriege ſtatt finden (ver-
ſchieden von dem rechtlichen Vertheidigungskriege, in
welchem, nach dem Rechte der Prävention, der erfte An-
griff auch von dem fich vertheidigenden Staategefchehen
kann); fo lange noch Militairftaaten beftehen, und fein
VWoͤlkertribunal die ftreitigen Intereſſen einzelner Staa-
ten mit dem Nachdrude entfcheidet, daß die gefammte
Staatenverbindung demjenigen Staate den Krieg er-
klaͤrt, welcher den rechtlichen Ausfpruch jenes Tribu⸗
nals nicht anerkennt; fo larige muß auch in der Miete
jedes Staates eine feinen Berhältniffen und politifchen
Kräften angemeffene bewaffnete Macht beftehen,
und diefe als ein befonderer Hauptzweig ber Staats»
verwaltung in fih zufammenhängend organifirt ſeyn,
und: nad) allen einzelnen Iheilen gleichmäßig geleitet
werden, ‚ j
49,
50 ertfegung.
Das Verhaͤltniß der bewaffneten Mache eines
Staates zu feinen politiſchen Kräften‘ wird aber be=
ſtimmt - 1) durch die Ruͤckſicht auf ſeine Bevöl-
kerung, und 2) durch die Ruͤckſicht auf ſeine
Finanzen. Denn ſowohl das ewig heilige Recht, als
die auf die Grundſaͤtze der individuellen und allge⸗
meinen Wohlfahrt der Staatsbuͤrger geſtuͤtzte Staats⸗
kunſt, verwerfen als unrechtlich und unzweckmaͤßig den
„Verk auf der Inlaͤnder zum Kriegsdienſte ans Aus⸗
land, und erklaͤren ſelbſt die Errichtung und Unter⸗
haltung eines Heeres fuͤr fremde Subfidien für
nn > U 1 vn — — - u — — —
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— — — — — —i — — — on —
Staatskunſt. 613
doͤchſt bedenklich, und nur in einzelnen — ſehr fel- .
tenen — Fällen, nad) Anfichten ber Staatsflugheit, zu
entfchuldigen: Denn Staatsreht und Staatstunft,
‚ ftimmen. nur darin überein, daß die phyſiſchen Kräfte
der männlichen Bevölkerung des Staates aufgeboten
werden müflen theils für die Aufrechthaltung ber
Selbſtſtaͤndigkeit und Integritaͤt deſſelben, eheils für
die Vertheidigung und Wiederherftellung feiner von
außen bedrohten ober verlegten Rechte, Zwifchen beis
den Zweden muß aber genau unterfchieben werden;
‚ denn der erfte, wo die Selbftftändigfeit und Inte⸗
grität des Staates bedroht ift, erfordert Die moͤglichſt
größte Anftrengung aller Kräfte, um jenen böchften. -
Zwed des Staatslebens zu bewahren und zu fihern 5
Dagegen ber zweite Zweck, die Vertheidigung der bes
drohten oder verlegten Rechte, in ben meiften Fällen
. mit einem geringern Aufwande von Kräften und Mit⸗
teln erreicht werden fann, und in diefen Fällen: ge
woͤhnlich auc) die Verbindung mehrerer Staaten zur
gemeinfchaftlichen Führung eines Krieges ftatt findet, -
Weaenn alſo die Kämpfe der zweiten Art die Res
gel, und bie der erften Art die Ausnahme von ber
Kegel bilden; fo muß auch die bewaffnete Mache im
Staase zunächft nad) der Regel, und nicht nad) der
Ausnahme von berfelben, geftaltet werden Was .
die Mafle der bewaffneten Mache im Staate betrifft; -
ſo iſt in gefitteten Staaten, wo feine Nomadenhorden
angetroffen werden, Ein. Procent (von 1 Million Bes
voͤlkerung 10,000 Mann) das Höchfte, was für die
bewaffnete Mache (fie heiße ftehendes Heer, ober
Miliz, oder Landwehr, oder Matiönalgarde) im Gan-
zen aufgebofen. werben darf, fobald das von der Nas
tur feftgehaltene Verhaͤltniß zwifchen beiden Gefchlech:
tern, das gleichfalls auf Naturgeſetzen beruhende Ver»
zn ‘
514 Staatsfunft.
haͤltniß der Entwidelung der phufifchen Kraft im Ju⸗
gendalter, und: das aus Grundfägen des Rechts und
ber Staatsfunft hervorgehende Verhältniß der einzel«
nen Stände und ‘Berufsarten im Staate gegen einan-
ber, nicht, zum unmiederherftellbaren Nachtheile des
Ganzen, erfchüttert und verlegt werben foll. Denn,
felbft abgefehen von der gewöhnlichen Ehelofigfeit der
. meiften Mitglieder der bewaffneten Macht. im Staate,
darf die Regierung des Staates nicht vergeflen, daß
die Natur in der verhbältnißmäaßigen Gleihzapl
beider Geſchlechter ihre Abfichten für die Fortpflanzung
der menfchlichen Gattung beftimmt andeutete, und daß
die Hintertreibung biefer Abfichten nicht ohne Folgen
für die Bevoͤlkerung, und felbft für die Sittlichfeit
der Völker, bleiben kann, fo wie die zu frühzeitige
Berufung zum Kriegsdienfte (vor zurücdgelegtent
zwanzigſten Lebensjahre) die Entwickelung und Reife
der förperlichen Kräfte bei :den meiften Individuen
(Einzelne gelten nicht als. Regel) , befonders in den
Nordländern Europa’s verhindert und zerftört, und
daß, weil der Krieger im Staate nicht erwirbt,
fondernnur verzehrt, felbft nad) Grundfägen der
Volfswirthfchaft, zwifchen der bewaffneten Macht und
den übrigen erwerbenden Ständen im Staate-ein rich⸗
tiges Berhältniß ausgemittelt werden muß. Mit Ruͤck⸗
‚ fiht aufdie Bevölferungim Staate gilt alfo
der Örundfaß: daß zur bewaffneten Macht (fie heiße
ftehendes Heer, oder. Landwehr u. ſ. w.) nur Einer vom
Hundert der Gefammpbevölferung (mithin von der
Gefammtzahl männlicher Individuen im Staate
Einer von fünfzig), und zwar erft nach zuruͤckgeleg⸗
tem jwanzigften Lebensjahre berufen, und durch diefe
Berufung feiner ber wefentlichen Zwede der bürger-
lichen Thätigfeit, der Landbau, ber Gewerbsfleiß,
Staatskunſt. 51
ber Handel, die Wiſſenſchaft une die Kunſt ‚beein
traͤchtigt werde. nat 77.
Mit dieſer erſten Ruͤckſicht ſteht die zweite in
genauer Verbindung; denn bie ‚bewaffnete Mache.
muß vom Stoate unterhalten werben, deflen in-
nete und aͤußere Sicherheit ſie vertheidigen foll. Bei
der Steigerung des Preifes affer Lebensbedüuͤrfniſſe
mußten daher auch die Summen für die. Unterhaltung
der bewaffneten Macht erhöht und geſteigert werden,
und deshalb ift in dem “Budget. der meiften Staaten
die Summe für die bewaffnete Macht die ftärffte
unter allen, und der Etat des Kriegsminifters‘, der,
welcher die Etats aller übrigen Minifterien bedeutend
.überfteigt, und fogar bisweilen der Hälfte der ge-
fammten Jahresbedurfniſſe des Staates ſich nähert.
Da nun in-vielen Staaten felbft in Friedenszeiten die
nothwendige Unterhaltung des vorhandenen ftehenden
Heeres das jährliche Einkommen derfelbgn überftieg
und fie in Schulden flürjte , welche in Kriegsjahren,
und befonders bei den unglücklichen Wendungen bes
Kampfes, außerordentlich vermehrt wurden; fo durfte
e8 nicht befremden, wenn namentlich in neuern Zei⸗
ten, wo bie auf ältern Fuß organifirten ſtehenden
Heere im Augenblide der Entſcheidung nichtmehr den
Erwartungen der Regenten und der Voͤlker entfpra-
hen, viele Stimmen laut gegen bie ftehendeh Heere
fihh erhoben *). Denn allerdings läßt es fich ge-
Si
* Eine ftarte Stimme gegen bie ſtehenden Heere ers
hob der Freih. v. Steigentefh in f. Auffage:
über ſtehende Heere und Landesbewaff
nungen, in der Minerva, 1807, Bent. ©,
85 ff.; allein die ſtaͤrkſten Stimmen gegen’ die
Rebenden Heere erfchallen im Parlamente ber Brit⸗
516 Staatskunſt.
ſchichtlich nachweiſen, daß, obgleich feit der Erſin-
dung des Schießpulvers und ſeit der dadurch bewirkten
ten, weil man in England von jeher ein großes
ſtehendes Heer als gefährlich für ‚die bürgerliche
Vreiheit betrachtete. So erklärte (um nur der
neueften Verhandlungen über diefen Segenftand zu
gedenken) Tiernep (am 13. Febr. 1816) dem Mir
nifter Caſtlereagh ins Geſicht: „er werde volle Sichers
Heit des Friedens nur dann fehen, wenn die Eivils
macht aller Regierungen Europa’s die Oberhand über
ihre Heere gewonnen hätte, und wenn die Bürger
lichen Srundfäge Herr der militärifchen geworden wäs
ren (Allg. Zeit. 1816, N.62.).” Lord Grenville
(vgl. N. 67.) fprach in demfelden Sinne: „Ward
-der lebte Kampf für die Sache der Menſchheit und
den Frieden gefämpft; warum beeilen fih denn nicht
die europäifchen Mächte, die ſtehenden Keere, diefe
größten. Feinde des Friedens und der
menfhlihen Slädfeligkeit, zu vermindern?
Dann würden fie den Beinamen der Wohlthäter,
der Heilande des Wienfchengefchlechts verdienen.
StehendeHeerehabendie groößten Neide
geſtürzt. So fiel Rom, nachdem der militaͤriſche
Geiſt die Stimme der Freiheit erftidkt hatte. So
fiel Frankreich „unter Ludwig 14, und unter Bonas
parte, nachdem beidemale Ber -Kriegsgeift die
Berfaffung, denn vor Ludwig 14 hatte Franke
reich eine, zu Boden getreten. hatte.‘
Brougham nannte den Militärgeift eine „tranks
- bafte Stimmung der Nationen; Lord Folkſtone
‚ erflärte (Allg. Zeit. N. 78.) „den Geift der (mili⸗
taͤriſchen) Suborbination für unverträglich mit dem
Geiſte der Freiheit ;”. und Grant berednete (N. 89.),
daß, „als Pitt im Jahre 17902 feinen Briedensfuß
aufftellte,, die ſtehenden Meere von ganz Europa nicht
viel über 500,000 Mann betragen hätten, jetzt aber
1,500,000 Dann bleibend unter den. Waffen ftänden.
- Wir möflen, fuhr er fort, durch ganz Europa das
Gefühl Iehendig machen, daß der Bürger fich ſelbſt
-
Staatskunſt. BE 317
völligen Veränderung bes Kriegswefens die Sicher⸗
heit der Staaten im Innern und nach außen, mit der
Schutz und Sicherheit ſeyn, und Gewicht genug Im
Staate haben mäfle, um den Militärgeift nieder zu
ziehen, und zur geziemenden Ergebenheis gegen die
bärgerlihe Wacht zu bringen.’
Bevor nod der lehte Weltkampf über ganz Europa
ſich ausbreitete, ftellte Kant (zum ewigen Frieden,
S. 8 f.), unter den Präliminarartiteln zum ewigen
Frieden unter den Staaten, den Sag auf: „Stehende
Heere follen mit der Zeit ganz aufhören; denn fie
: bedrohen andere Staaten unaufhoͤriich mit Krieg,
duch die Bereitfchaft, immer dazu geräftet zu er.
⸗
ſcheinen, und reizen dieſe an, ſich einander in der
Menge der Serüfteten, die Leite Grenzen kennt, zu.
übertreffen. Ganz anders iſt ed mit den freiwils
ligen pertiodifh vorgenommenen Lebuns
‚gen der Staatsbürger in Waffen bewandt,
fih und ihr Waterland dureh "Angriffe
non außen zu ſichern.“ — Was fih gegen
die fiehenden Heere und für die Landesbewaffnung
aufftellen laͤßt, entwickelte Karl v. Rotteck in f.
.i. Schrift; über ſtehende Heere und Matios
nalmiliz. Freyburg, 1816. 8. — Gegen feine
Vorſchlaͤge in Hinfiht der Nationalmiliz erhob ſich
aber: 2. A. F. v. Liedenftein, in der Schrift:
"über fehende Heere und Landwehr, mit,
befonderer Ruckſicht auf die teutfhen
Staaten. Karlsruhe, 1817. g., od er gleich dem
v. Rotteck in der Geſchichte der ſtehenden Heere
Beiftimmte. — Als Vertheidiger der ſtehenden Heere,
und zwar fo groß als möglich, und aus dem
Kerne des Volles zuſammengeſetzt, kuͤndigte fih an:
W. 2. Leißtng (ſyſtematiſche Darftellung zu einer
„neuen Kriegslehre, nach dem jeßigen Zeitgetfte und
aus dem wirflichen: Kriege gefolgert. ate Ausg. Berl.
1817. 8.). Seine Behauptungen prüfte und wider
tegte Krug In dem Auffage: Militaͤr iſche Po
Tiraß, in f. politifhen Kreuze und Queerzuͤgen.
x
\
>48 " Staatskunſt.
Aufhebung des Fauſtrechts und der Selbſthülfe, zu—
genommen hat, doch auch die Steuern und Abgaben
wegen der aufgeſtellten Heere bedeutend ſich verviel-
faltigt haben, befonders als die früher, nach) Beendis
gung der Kriege, entlaffenen Heerestheile, feit den
Zeiten des Dreißigjährigen Krieges faft überall im
europäifchen Staatenfnfteme in einen ftebenden
Kriegerftänd verwandelt, und die Maffen deſſel⸗
ben, hauptſaͤchlich im Laufe des achtzehhten Jahr⸗
hunderts, theils wegen der ſtets erneuerten Kriege,
theils wegen der Nachahmungsſucht, zum Theile auch
wegen der Eiferſucht der Maͤchte des verſchiedenſten
polititiſchen Ranges auf einander, ohne feſte Ruͤck—
ſicht auf die finanziellen Kraͤfte der Staaten ins
Unglaubliche geſteigert wurden.
ii rSortfegung .
Nach allem, was Geſchichte und Staatskunſt
—
8.24 ff. — Daß man bei.den Vorwürfen gegen bie
ſtehenden Heere und in den Vorfchlägen zu ihrer vd
ligen Abfchaffung neuerlich. oft zu weit gegangen
- fey, fuchte der anonyme Verf. der „Betrahtuns
geu über die verfhiedenen Foörmen der
bewaffneten Macht” Leipz. und Alten. 1817.
8. durchzuführen. — Einen .befonnenen Mittelweg
- zwifchen den. beiden entgegengefeßten Anſichten —
mit. fefter Beruͤckſichtigung der gegenwärtig beftehen»
den. politifhen Berhältniffe in Europa und der
Stellung des teutihen Staatenbundes in der Mitte
des europaiſchen Staatenfuftiems — hielt der Ger
neral Karl v. Sershorff feh inf. „Bemers
tungen, veranlaßt durch von Lindenau’s Auf
fa in dem. Oppofitiondblatte: iſt eine Bundes
armee nothwendig?”“. Dresden, 2819. 8.
>
Staatskunſt. 339
über bie. bewaffnete Mache im Stgate ausſagen, ſcheint
Solgenbes das Ergebniß zu ſeyn: |
. Die bewaffnete Macht im Staate ift nicht ihrer
| ſelbſi wegen da, ſondern zur Vertheidigung und Er⸗
haltung des Staates, und zur Sicherſtellung aller
Zwecke des innern und aͤußern Volkslebens; ſie iſt
alſo nur Mittel zum Zwecke, nie Zwec ſelbſi.
Deshalb darf die bewaffnete Macht nie irgend
einen, vor ihr vorhandenen, Zweck des Staates
beeinträchtigen oder hindern; es full vielmehr Die Ver⸗
wirklichung aller Zwecke des-Staates in Hinfiht auf
perfönliche Freiheit und Eigenthum, auf pänfifche und
geiftige Kraftentwidelung im Aderbaue, - Gcwerbs.
fliiße und Handel, in der Wiflenfchaft und Kunft,
infofern durch fie erleichtert werden, inwiefern, Dur)
bie Mebertragung der Sorge für die innere und Außere
Sicherheit auf bie bemaffnete Macht, alle übrige
Staatsbürger dieſer Sorge entbunden und in ihrer
reinbürgerlichen Thätigfeit nicht geftore werden.
Wegen dieſer Sicherftellung ihrer gefammten Tha-
tigkeit, und wegen der auf die bewaffnete Macht über-
getragenen allgemeinen Verpflichtung aller
Staatsbürger, Die Sicherheit des Staates zu erhalten -
und im Nothfalle zu vertheidigen, muß die bewaffnete
Macht aus den von den Volfsvertretern dafür bewils
ligten Beiträgen pon dem gefammten Volksvermoͤgen
zweckmaͤßig, d.h. nicht blog nothdürftig oder Fümmer-
lich, fondern hinreichend und: angemeffen. unterhalten
werden,
Weil aber die bewaffnete. Macht nur als wirk⸗
fames und unentbehrliches Mittel für die Geſammt—
zwede des Staates, nicht als Zweck felbft, im Staate
vorhanden ift; fo muß auch die Errichtung derfelben
im genaueften Berbältniffe sur Geſammt⸗
EN F
520° Staatskunft.
4
bevoͤlkerung und. zu den finanziellen Kräfs
ten des Staates ſtehen. Ä
Nach dieſem Maasſtabe muß die bewaffnete
Macht fo Flein ſeyn, als für die (nach oͤrtlichen und
landfchaftlichen KRüdfihten fehr verfchiedenen) Bebürf-
niffe des Staates ausreiht. Das Höchite derfelben
darf Einer vom Hundert der. Öefammtbevölferung
ſeyn, weil diefer ftatiftifche Maasftab zugleich auch in
Finanz ieller Hinſicht nach den Kraͤften des Volks⸗
vermoͤgens — doch bei aͤrmern Staaten gewoͤhnlich
nicht ohne große Laſten — durchgeführt werben kann.
So wie örtliche Verhältniffe (z. B. bie Sage
neben’ oder in der Mitte zwiſchen großen und zugleich
kriegeriſchen Staaten, oder die inſulariſche Lage an⸗
drer Staaten u. ſ. w.) uͤber die Groͤße und uͤber die
Art der Zuſammenſetz ung der bewaffneten
Macht überhaupt entfcheiben;; fo enefcheiden fie auch)
— zugleich aber auch mie Rückficht auf den gefammten
Volfsgeift und auf die innern Verhältniffe der ein-
zelnen Zweige der bürgerlichen Thätigfeit gegen ein-
ander — über Die Anwendung entweder ber freiwil⸗
ligen Stellung zum Kriegsdienfte, oder über bie
Recrufirung, ober über bie Confeription,—
ſo wie über die Einteilung der bewaffneten Mache in
ftehendes Heer und Referve, in Landwehr
oder Nationalgarden AR), in Land ſt urm
u. ſe w.
Sm Allgemeinen (denn das Einzelne geſtal⸗
cet ſich in jedem Staate anders) iſt die Aufbringung
der noͤthigen Zahl für die bewaffnete Macht durch
Sreimwillige jeder andern vorzuziehen, ‘Diefer zu-
nächft ſcheint die (nach politifch » ftatiftifhen Grund⸗
fügen und ohne Willführ und Beſtechung geleitete)
Recrutirung, mit einem Dienſthandgelde auf
⸗
|
. Staatskunſt. u . 521
ungefäß ſechs Jahre (doch mit Ausſchluß aller Aus⸗
laͤnder) und gewiſſenhafter Haltung der Capitula⸗
tionszeit, zu folgen, und die in neuerer Zeit (theils
wegen ihrer Wohlfeilheit, theils wegen des bei ihr
am leichteſten anwendbaren Zwanges) ſo beliebte
Conſeription ben legten Platz einzunehmen. Denn
abgeſehen davon, daß bei ihr die heranreifende maͤnn⸗
liche Jugend nach den Lebensjahren in Klaſſen, nach
Art der Holzſchlaͤge, eingetheilt und ſelbſt nicht
immer die phyſiſche Reife mit vollendetem zwan⸗
zigften Lebensjahre abgemartet, fordern der noch un:
entwickelte und unreife Süngling zum Dienfte gezwun⸗
gen wird, wirft fie auch unaufhaltbar nachtheilig und
zerfiörend ein auf. alle eigentliche und weſentliche
Zwecke des innern Staatslebens, auf Landbau, Ges
werbsfleiß, Handel, Wiffenfhaft und Kunſt. Denn.
jeber diefer Kreife bürgerlicher Thärigfeit verlangt eine- _
mehrjährige forgfältige Vorbereitung, und eine fort-
gefegte ununterbrochene Hebung, wenn in ihnen niche
oberflächliche Stümper , fondern Männer, die ihres
Faches mit Lebe und ſelbſt mit Begeifterung pflegen,
und die demfelben völlig gewachſen find, biefe
böchften Zwecke des bürgerlichen Lebens verwirklichen
und zue möglichiten Vollendung fortführen follen. Un⸗
verkennbar greift aber das Conſcriptionsſyſtem in diefe
Vorbereitung, Webung und Fortbildung böchft will:
führlic) und nachtheilig ein. Es ſcheint daher auch
zunächft nur entweder für Nomadenhorden, wo
noch feine bürgerliche Thaͤtigkeit ſtatt findet und das
geben von hunderttaufend Menfchen, wegen bes bal-
digſten Nachwuchſes, wenig in Anſchlag fommt, ober
für Militärftaaten, deren höchfter Zweck auf
kuͤhnen Eroberungen berußt, zu taugen, —' für die
bürgerlid entwidelten und gefitteten
⸗
522- - Staatskunſt.
Staaten aber nur In dem einzigen Falle durch—
greifend anwendbar zu fen, wenn bie Selöftftändig-
feit und Integrität des. Staates.durch "einen auswaͤr⸗
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueften Zeiten haben
es gezeigt, was Woͤlker, :die bis dahin blos den frieb-
lichen‘ Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Entſcheidung für
das Vaterland leiſteten und bemirften * *),
» Nah der, in neuern Zeiten geroßhntichen und faſt
uͤbertriebenen, Lobpreiſung der -Landwehren, des
Landfturmes u. ſ. w. lenken jeßt Mehrere ‚mit Bes
fonnenheit wieder ein, und überzeugen fih, daß
ein verhäftnigmäßiges: ſtehen des Heer, wo mögs
lich aus Freiwilligen angeworben, vor den
Milizen die großen Vorzüge hat, dad feine Ers
gänzung in bie bürgerliche Thaͤtigkeit nicht fo
—**8 eingreift, wie das Conſcriptionsſyſtem,
und daß bei demſelben mehr Diſciplin gehalten
werden kann, als in den Reihen derer, welche aus
den Kreiſen des buͤrgetlichen Lebens mit dem ganzen
Gefühle. der bürgerlichen Freiheit herausgeriffen: wers
‚den. Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer
Krieger wird, der gezwungen dienen muß,
der nur auf einig e Jahre Berufen wird, und
dann. zum vorigen (halb verlernten) bürgerlichen
Berufe zurückehren darf. Deshulb gilt noch immer
der Grundſatz des Marfchalle von Sadıfen: kleine
und gutdifciplinirte Heere find den gro
Ben Maffen vorzuziehen. Dringt aber der
Feind ins eigene Land ein; dann wird jeder, der
fürs Vaterland fühle, auch ohne in der Conſcrip⸗
tionsiifte zu fliehen, ſich hewaffnen und für das
Ganze ſiegen oder ferben, — Gleiche An⸗
in enthält das wichtige Wert: über die Mis
tirärdtonomte im Frieden und Kriege, und
ihr Wechſelverhaͤltniß zu den Operationen. ır Theil.
Prrsburs "820... 4. (Vergl. Goͤtt. Anz. ıges,
—
Staatsfunit, | 323
ou Grundlasen der — Dad im |
Staate muͤſſen. daher die Stämme; eines jtehenr
hen Heereg-Eleiben, außer einer verhältnißmä igen
Mannfhaft an. Fußvolk und Meiterei, ‚befonderg
beftehend- „aus ‚einem forgfältig ‚worbereiteten Corps
von Officieren.und Untevofficieren, aus
den Ingenieur-und Arrilleripcorps, ‚welche
längere Vorbereitung und ‚Mebyug, als bie: übrigen
Zrunpenmaſſen, bebinſen⸗n und sus einem aus den
2
er
N. 207.) Der Verf. thette die ‚gangbaren‘ Milieir⸗
ſyſtemne ein in 1) recrutirte ſtehende Heere,
miliiariſch die beſten, aber koͤſtbar; doch: mhlfe
- auch. .bei. den: eonferibirten Heeren nicht blos Aup
baare: Geld, fondern das ganze Volksvermoͤgen bes
rüstfichtigt werden ; e)in confcribirte tehendge
Heere, in intellectueller Hinſicht etwas beſſer, als
'die ſtehenden, aber vielen. Maͤngeln unserworfin;
.. 13) bwconfertbirte mietundwehr verbum
dene Deere; — Der Berf. muß befonders über
das Berpflegungsfykem der Heere gelefen
werden. - Das gut geordnete Magazinfpftem
ift dem Requifitionsfyfteme weit vorzuziehen;
denn das letztere entfremdet die Völker dem Kam⸗
pfe; iſt an ſich ungerecht. und ohne gleichmaͤßige
Vertheilung; führt zum Naube und zur Infubors
" dination, und verfhwendet eine Maſſe von Lebens
u Landsh. -ıgı2. 8.
mitteln, ‚die weit beffer hätte gebraucht werden föns
nen. — Zwei frühere treffliche Schriften von Sr.
Ribbentrop duͤrfen hier nicht uͤbergangen wer⸗
"den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher
Kriegsheeren. Werl; 1816. 8. und deſſen
Archiv für.die Verwaltung des. Haus
halts beiden te senden
Berl. 1818. 8. — Etwis zu weitfchweifig tft folgendes
Werk: J. Paul Hark, vollſtandiges Handbuch der
Krlegspoli zeiwiſſenſchaft u. Militaͤrbkondmie. ‚3 Thle.
2
eo
‘
522. Staatskunſt.
Staaten aber nur in dem einzigen Falle durch—
greifend anwendbar zu feyn, wenn bie Selbſtſtandig⸗
keit und Integritaͤt des Staates durch "einen auswaͤr⸗
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueſten Zeiten haben
es gezeigt, was Voͤlker,: die bis dahin blos den fried⸗
lichen Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Eneſcheidung für
das Vaterland leiſteten und bewirften * ”),
— —
*) Nach der, in neuern Zeiten geroöhntichen und fa
. übertriebenen, Lobpreifung der -Landwehren, des
Landſturmes u. f. w. lenken jegt Mehrere ‚mit Bes
ſonnenheit wieder ein, und überzeugen fih, daß
ein verhäftnigmäßiges ſtehen des Heer, wo mög»
üb aus Freiwilligen. angeworben, vor den
—Milizen die großen Vorzüge bat, daß feine Er⸗
gaͤnzung in die bürgerlihe Thaͤtigkeit nicht fo
hemmend eingreift, wie das Conſcriptionsſyſtem,
und daß bei demfelden mehr Diſeiplin gehalten
werden kann, als in den Reihen derer, welche aus
‚den Kreifen des bürgerlichen Lebens mit dem ganzen
.: Gefühle.der bürgerlichen Freiheit herausgeriſſen. wer⸗
den, Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer
Krieger wird, der gezwungen dienen muß,
der nur auf einige Jahre berufen wird, und
dann zum vorigen Chalb verlernten) hürgerlichen
Berufe zurückehren darf. Deshalb gilt noch immer
der Grundſatz des Marfchalls von Sadıfen: kleine
und gutdifciplinirte Deere find den gro
Gen Maffen vorzuziehen. Dringt aber-der
> Seind ins eigene Land ein; dann wird jeder, der
fürs Vaterland fühle, aud ohne in der ‚Conferips
tionslifte zu fliehen, ſich bewaffnen. und für das
"Ganze fiegen- oder erben. — Gleiche Ane
ſichten enthält das wichtige Werk: über die Mis
tirärdtonomie im Frieden und Kriege, und
ihr Wechſelverhaͤltniß zu den Operationen. ır Theil.
Perersbutg , "820... 4 (Vergl. Goͤtt. Anz. 1880,
—
Staatstunit, | 2
Die Grundlagen der Semaffneen Mache. im
Staa⸗ müflen. daher Die Staͤ mmme eines ftehenr
den Heeres Eleiben, außer einer verhältmißmägigen
Mannſchaft an: Fußvolk und Meiterei, befonderg
befiehend- ‚aus einem forgfältig verbereiteten Corps
von Dfficieren und Unterofficieren, aus
den Ingenieur» und Artilleriecorps, ‚welche
längere Vorbereitung -und ‚Hebung, als bie, übrigen
zrunpenmaflan, beduͤrfen„n und aus einem, aus, D den
.’
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N. 207.) De Verf. thetlt die hangbaren lieh
fſyſtemne einin 1) recrutirte ſtehende Derek,
' militärtfch - die beſten, aber koſtbar; doch mülle
auch. bei den: conferibirten Herren nicht blos Ans
baare Geld, ſondern das, ganze Volksvermögen Par
rückfichtigt werben ; e)in conferibirte: ftebendg
Deere, in intellectueller Hinſicht etwas beſſer, als
'die ſtehenden, aber vielen Maͤngeln unterworſen;
. 13) im ednſcribirte mitieaudwehr verbun⸗
dene Heere. — Der Verf. muß beſonders über
das Verpflegungsſyſten der Heere geleſen
werden. Daß gut geordnete Magazinfyftem
ift dem Requifitionsfpfleme weit vorzuziehen;
denn dad 'leßfere entfremdet die Völker dem Kam⸗
—pſe; iſt an fi ungerecht. nnd ohne gleichmaͤßige
Vertheilung; führt zum Naube und zur Inſubor⸗
. Dinatfon, ‚und verfhwendet eiue Maſſe von Lebens⸗
Landsh. ‚81a. 8
mitteln, die weit beffer' hätte gebraucht werden koͤn⸗
nen. — _ Zwei frühere treffliche Schriften von $r.
Ribbentrop dürfen bier nicht-- übergangen wers
den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher
Kriegsheeren. Berl. 1816. 8: und. deſſen
Archiv fuͤr die Verwaltung des Haus—⸗
halte beideneuropäifgen eng
Berl. 1813. 8. — Etwas zu weitſchweifig tft folgendes
Werts J. Paͤul Hark, vollfändiges Handbuch der
Krtegspoli zeimiſſenſchaft u. Militaͤrbkonomie. s’Thle.
ur
-
522- Staatskunſt.
Staaten aber nur in dem einzigen Falle durch⸗
greifend anwendbar zu fern, wenn bie Selbſtſtandig⸗
keit und. Integritaͤt des Staates. burch einen auswaͤr⸗
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueſten Zeiten haben
es gezeigt, was Voͤlker, die bis dahin blos den fried⸗
fichen Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Entſcheidung für
das wweterland leiſteten und bewirkten *
—
Nach der, in neuern Zeiten aewdhnlichen und faſt
übertriebenen, Lobpreiſung der Landwehren, des
Landſturmes u. ſ. w. lenken jetzt Mehrere ‚mit Bes
ſonnenheit wieder ein, und überzeugen ſich, daß
ein verhältnißmäßiges ſtehen des Heer, wo mögs
lich aus Freiwilligen angeworben, vor den
Milizen die großen Vorzüge bat, daß feine Er⸗
gänzung in die bürgerlihe Thaͤtigkeit nicht fo
hemmend eingreift, wie das Konfcriptiongfpftem,
und daß bei demfelden mehr Difctplin gehalten
werden kann, als in-den Reihen dorer, weldhe aus
‚den Kreifen des härgerlichen Lebens mit dem ganzen
: Gefühle. der bürgerlichen Freiheit herausgeriffen: wer⸗
‚den, Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer
Krieger wird, der gezwurgen dienen muß,
der nur auf einig e Jahre berufen wird, und
dann zum vorigen (halb verlexuten) bürgerlichen
Berufe zuruͤckkehren darf. Des halb gilt noch immer
der Grundſatz des Marſchalls von Sachſen: kleine
und gutdiſciplinirte Deere find den gro—
ßen Maſſen vorzuziehen. Dringt aber der
—KFeind ins eigene Land ein; dann wird jeder, Der
fuͤrs Vaterland fühle, auch ohne: in der Konfcrips
tionsiifte zu fliehen, ſich hewaffnen und für das
"Ganze ftegen oder erben. — leide Ans
ſichten enthält das wichtige Werk: über die Ms
tirärötonomte im Frieden und Kriege, und
ihr Wechfelverhätmiß- zu den Operationen. ır Theil.
Perercbutg "920. 4 (Berg. Gott. Anz. ıges,
—
Staatsfunft, | 523
Di: ‚Grundlagen der Semafineen Made. in |
Staate mäflen. Daher Die St.a.mıaa eines ſteh eur
den Deereg blaeiben, außer einer verhältnifmd igen
Mannfhaft an. Zußvolf und Meiferei, ‚befonderg
beftchend- ‚aus «einem forgfältig vorbereiteten Corps
von Dfficieren. und Unterofficieren, aus
den Ingenieur- und Arrilleripcorps, welche
längere Vorbereitung und Hebung, als die. übrigen
Trunpenmaflen, bedürfen, und aus einem, us, D ben
.
— *
17
N 207.) Der Verf. thetlt die hangbaren⸗ mitucur⸗
fyſteine ein in 1) recrutirte ſtehende herr,
militaͤriſch die beſten, aber koſtbarz doch moaſſe
auch bei den: conſeribirten Heeren nicht blos dat
baare Geld, ſondern das ganze Volksvermoͤgen bez
rüctfichtige werben ; o)inconferibirte Fedendg
Heere, in intellectuellee Hinſicht etwas beſſer, als
'die ſtehenden, äber vielen. Maͤngeln unserworfen:
.. 15) jwconfertbirte miotcnd wehe verbun⸗
dene Heeres — Der Verf. muß befonders über
das Berpflegungsipkem. der Heere gelefen
werden. Das gut geordnete Magazinfpftem
ift dem Requifitionsfyfeme weit vorzuziehen;
denn dad letztere entfremder die Völker dem Kam⸗
- .pfe; if an fid ungerecht. und vhne gleichmaͤßbige
WVertheilung; führt zum Raube und zur Infubors
dination, und verfchwender eine Maſſe von Lebenss
mitteln; die weit beſſer hätte gebraucht werden koͤn⸗
nen. — Zwei frühere treffliche Schriften von Fr.
Ribbentrop dürfen bier nicht übergangen wers
“den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher
Kriegsheeren. Berl, 1816. 8: und deffen
Arhiv für. die Verwaltung des. Haus
halte beiden ———
Berl. 1313. 3. — Etwas zu weitſchweifig iſt folgendes
Werki J. Paul Har (,vollſtaͤndiges Handbuch der
Artegepokizeiiniffenfapnft. u. Micitardtondmie. aan.
Landsh. idis. 8.
+
524 Staatskunſt.
geiftwollften und gebilderſten Dfflcieren bes ganzen Hee-
res gewählten Generalſt a be. Neben dieſen fey aber
das ſtehende Heer in Friedenszeiten fo vermindert,
als es die Geſammtzwecke des Staates, ober einge⸗
gangene völkerrechrliche Verbindlichkeiten (wie z. B.
im teutfehen Staatenbunbe) verftatten. Das Maxi⸗
mum der bewaffneten Macht fey 10,000 Mann auf
eine Million Bevölkerung ; möge nun diefe bewaffnete
Macht, nad) richtiger und um ſichts voller Wür-
digung der Verhälmiffe eines gegebenen Staates, in
ftehendes Heer, oder Miliz, oder in beides zugleich
eingetheilt feyn. Mur vergefle man nie über der be-
abſichtigten Sicherftellung des Staates durch die be-
waffnete Macht diejenigen Zwecke, wofür der
‚Staat zunächft begruͤndet ward: Herrſchaft des
Rechts, Wohlfahrt der Individuen und des Ganzen,
und ununterbrochene.. Sortbilbung desjenigen Theiles
Der Menfchheit, der. in dem gegebenen Staate lebt,
zur allgemeinen Beftimmung unfers Gefchlechts. Die
Verpflichtung zum Eintritte in die bewaffnete Mache
fey zwar an fih) allgemein vom 21 — 2äften Le⸗
bensjahre; doch. vergefle die Regierung nie, daß der
Sohn des Landmanns, , teils wegen feiner Erziehung
und phufifhen Kraft, theils wegen feines fünftigen
Berufs, der nicht fo leicht verlernt werben kann, ſich
mehr zum Krieger eignet, als der für die Giemerbe,
für Die Kaufmannfchaft, für die Wiſſenſchaft und
Kunft vorbereitete and gebildete Jungling. Pie ver«
geffe die Regierung, daß das frifehe Leben und Die
ortbildung ‚der Staaten, fo wie ber. Wohlftand und
ver Reichthum des Volkes, nicht von dem Exercir⸗
plage, fondern von ber forgfältigen. und gleichmäßigen
Entisidelung, Bildung und Reife aller phnfifchen und
geiftigen Kräfte abhängt, deren Capital man fo wes
⸗
‘
\ \
J
- Scaatskunſt. 525
nig, als moͤglich, ſchwaͤchen und vermindern muß.
Soll aber doch ˖das Syſtem der Conſcription gelten;
ſo muß eine aus Mitgliedern mehrerer Behoͤrden
(nicht blos aus Officieren, Actuarien und Regiments»
chirurgen) zufammengefegte Commiffion gewiffen-
daft über die phufifche Tauglichkeit und über die
ürgerliche Entbehrlichkeit der Auszuheben-
den entfcheiden; es muß nie die Stellung eines Ver:
freters gehindert, und nie das Auffteigen des gebildes _
ten und fich auszeichnenden Juͤnglings zum OÖfficiere
erſchwert werden. - Nur dadurch Fann das Conferip-
tionsfoftem in feiner furchtbaren Schwere für das
innere Staatsleben gemildert werben. =
Der Dienft felbft aber fey einfach, leicht, ohne
Pedanterei und Kleinlichfeitsfrämerei; die Behand-
lung wuͤrdevoll und edel. An förperlihe Strafe
werde nicht gedacht. Wer diefe wirklich verdient,
werde aus der ehrenvollen Reihe der Vertheidiger des
Vaterlandes für immer ausgefthloffen. Das Auf:
rücken gefchehe nad) Kenntniß und Werdienft, Und,
wo moͤglich, nach der Entfcheidung der öffentlichen
Stimme von der dienſtthuenden Mannfchaft felbft.
Was der Krieger erhalten ſoll, ‚erhalte er nicht nad)
der Angabe des Minderfordernden, fondern nad) zeit-
gemäßen und beftimmten Anfägen; er werde, durch
Beurlaubung, dem Nahrungsftande, fo oft und fo
viel es möglich ift, zurückgegeben. Er vergeffe nie,
daß er mit dem gefammten Bürgerftande die große.
Samilie Eines und deflelben Staates bilder, und
finde es nicht unter feinem unmittelbaren Berufe, bei
‚ öffentlichen Arbeiten des Staates, gegen befondere
Entſchaͤdigung, zugezogen zu werden, beſonders aber
die innere Sicherheit ver Straßen, der Poften, der
Wälder u. ſ. w. aufrecht zu halten, Nie werde die
’
‘
J
526 a Statskunſt.
bewaffnete Mache ein Mittel des Zwanges fuͤr unbe⸗
ſcholtene Buͤrger in der Hand der Willkuͤhr. Durch
Aunſtalten, in feiner Mitte errichtet, werde er fortges
bildet für feine -eigenthümliche Beftimmung und für
bie allgemeinen Zwecke ber buͤrgerlichen Gefellfchaft,
Damit-er nicht hinter den übrigen raftlos fortfchreiten-
den Ständen derfelben zurückbleibe. Dabei beftehe
in der Mitte des Heeres ber ftrengfie unbedingte Ge⸗
horſam; denn, abgefehen von ihren Urfachen und
Solgen, find die Militärrevolutionen inner-
halb der Staaten, an fi) betrachtet, eine Er⸗
ſcheinung, welcye zum Untergange Des Bangen führen
muß (denn nicht umfonft hat die Gefchichte die Thaten
der römifchen Prätorianer , der Garden zu Bagdad
und Cairo u. a. aufbehalten). — Zwiſchen Sinien-
truppen und Landwehr, wo beide nicht: verfchmolzen
find, werde fein Eiferfucht erregender Unterfchied ge=
naͤhrt. Der Feldherr an der Spige Des Ganzen
ſey der geiftvollfte, der erfahrenfbe , Der muthigfte und '
der umfichtevofkfte Mann des ganzen Heeres; denn
ein folcher wird nie vergeflen, baß er Menfchen, und
nicht Mafchinen, leitet; ein folder wird nie aus
Mangel an Einfihe, oder aus Keckheit, auch nur
Einen Mann aufopfern; er wird aber durch Die Mafle,
über die er gebietee und die ihm wegen feiner über-
wiegenden geiftigen und fittlichen Kigenfchaften unbe-
Dinge vertraut, im Augenblicke der Entfcheidung viel
bewirken.
In Friedenszeiten ſtehe der Krieger , die unmits
telbaren Militärvergehen abgerechnet , unter bürger-
lichen Gefegen und bürgerlichen Richtern, weil alle
Militargerichte nicht uͤber Militärangelsgenheiten hin⸗
aus entſcheiden duͤrfen; Feine bewaffnete Macht duͤrfe
| berathſchlagen, und fich den übrigen: Pflichten ber
Staatskunſt. 527
Staatsbuͤrger entziehen; wohl aber kann die Regie-
rung, befonbers wenn ſie das ſtehende Heer bedeu—
tend vermindert, die Mebungen junger Männer im
Gebrauche der Waffen im Fruͤhjahre und Herbſte,
doch ohne Beeinträchtigung der bürgerlichen Berufs:
arten, veranftalten, um and) der förperlichen Uebung "
und Gewandtheit des Volkes fuͤr den Fall der Noth
im Voraus ſich zu verſichern.
Eine der ſchwierigſten Fragen der Staatskunſt
bleibt: ob das Heer den Eid auf die Ver—
faſſung zu leiſten habe? woruͤber in neuern
Zeiten fuͤr und wider bedeutende Stimmen
ſich erhoben haben. Einen Erfahrungsbeweis
dafuͤr liefern die Heere Frankreichs, welche den
Eid leiſteten. Was zunaͤchſt für dieſen Eid zu
ſprechen ſcheint, iſt, daß ‚, mo eine Verfaſſung
befteht, jeder Eingebohrne, fhon bevor er zur
Fahne ſchwoͤrt, der Verfaffung Anerfennung und
Geborfam gelobt Bat. Davon wird er, beim Ein-
teitte in die bewaffnete Macht, nicht entbunden;
vielmehr beſteht dieſe zunaͤchſt als Mittel für die
Geſammtzwecke des Staates. Wo alfo jeder zum
Milirärdienfte berufene Inlaͤnder, bereits vor
feinem Eintritte in dieſelben, ber Verfaflung des
Staates verpflichtet iftz da bedarf es Feines befon-
dern Eides auf diefelbe. Allein Ausländer,
welche in die bewaffnete Macht. (befonders als
Dfficiere) eintreten, -Eönnen nur durch. den Eid
“ auf die Verfaffung Mitglieder und Bürger
. bes Staates werben. Denn fo wenig in verfaflungs-
mäßigen Staaten Der Fall eintreten kann, das
Militär als Gegenfag und Feind der Verfaf-
fung zu gebrauchen; fo gewiß dürfen doc) auch die
Krieger nie von den allgemeinen Verpflichtungen
I
%
530 Staatsfunft.
bildung des Innern Staatslebens, inwiefern ver-
voſlkommnungsfaͤhige Wefen innerhalb des Staates
zu Einem Öanzen verbunden find, und inwiefern
jeder rechtliche Forefchrite des innern Staatslebeng
ausgeben muß von der Verfaffung, Regierung und
Verwaltung, oder von dem Organismus bes Staates.
| Der unendliche Geift, den wir in der Sprache
des Staubes Gott nennen, fenfte allen vernünftig-
‚finnlihen Wefen das Streben nach) Aehnlichfeie mit
ihm und nad) Annäherung an ihn, mithin das Stre-
ben nach) grenzenlofem Sortfchritte ein. Die Philofo-
phie nenne diefen Grundcharafter der Menfchheit, als
Gattung , Die Vervollfommnungsfähigfeit
der menfchlihen Natur, Sie liegt in jedem Indi—⸗
viduum unfrer Gattung, mithin in der ganzen Menfch-
beit. Sie tft in der urfprünglichen Gefegmäßig-
keit unfers Wefens begründet, mithin unvertilgbar.
Sie fteht mit der. Freiheit des Willens in der in-
nigften Verbindung, weil nur durch Freiheit entiwe-
- der der Fortſchritt zum Beffern, mozu mir
beftimmt find, oder der Ruͤckſchritt zum Schlech—
tern erfolgt; denn in der fitrlichen Welt gibt es
Fein Drittes — entweder Fortſchritt, ‚oder
Ruͤckſchritt.
Was aber fuͤr das Individuum als unveraͤnder⸗
liches Geſetz der ewigen Weltordnung gilt, muß auch
für die Voͤlker des Erdbodens, als rechtlich geftal-
tete Ganze fittlicher Wefen, und für die Staaten
gelten, in welchen die Volfer leben. Sie find zum
Sortfhreiten in der Eultur, d.h. in allen
wefentlichen Bedingungen eines menfchlichen Dafeyns
beftimmt, und alle Völker, welche in diefen Be—
dingungen — in der Cultur des Bodens, des Ge-
werbsfleißes, des Handels, der Wiflenfhaft und
Staarskunft, | 5 29
Friedrich 2, in dem Verſuche uͤber die Begie
— in ſ. nachgel. Werken, Th. 6,
5 ff.
5 Bären d9 or m, Betrachtungen über die Krieger
kunſt, über ihre Fortſchritte, ihre Widerfprüce und
ihre Zuverläffigkeit. 4Bde. s. 1. (Leipzig) 1797 ff. 8.
— F. von der Deden, Betrachtungen über das
Verhaͤltniß des Kriegsftandes zu dem Zwede der
Staaten. Hannover, 1800. 8. (Vgl. damit Goͤtt.
An}. 1800, N. 168.)
Ueber die Nachtheile der Militärfiaaten und der
ftehenden Heere; f. ac. Sigism. Bes Grund⸗
ſaͤtze der Geſetzgebung, S. 250 ff.
Aug. Wilh. v. Leipziger, Idee einer ſtehenden
Armee im Geiſte der Zeit. Berl. 1808. 8.
\ Der Krieg. Für. wahre Krieger. Leipz. 1815. 8.
Ruühl von Lilienſtern, die teutfche Volks
bewaffnung, in einer Sammlung der darüber in
fämmtlihen teutfhen Staaten‘ ergangenen Verord⸗
nungen. Berl. 1815. 8.
Schmitſon, die Wehr⸗ und Sqirmanſtat.
Leipz. 1816. Fol.
(Zylander?), die Heerbilduns · Minden,
= 1820. 8.
7
o) Die in der Eultur, Berfaffung, Kegien .
rung und, Verwaltung des Volfes ge
meinfhaftlic enthaltenen Bedingun—
gen der rechtlichen Fortbildung des
innern Staatslebens (Lehre von den Refor⸗
men im Staate).
Zu den ($.6.) aufgeitellten drei wefentlichen Bes
dingungen des inneren Staatslebens gehört, nächft der
Eultur des Volfes, und nähft dem -Organis-
mus des Staates (berubend auf Berfaflung, Regie:
rung und Verwaltung), auch die rechtliche Sorte
34
530 Staatskunſt.
bildung des Innern Staatslebens, inwiefern ver-
voſlkommnungsfaͤhige Wefen innerhalb des Staates
zu Einem Ganzen verbunden find, und inwiefern
jeder rechtliche Fortfcheitt des innern Staatslebens
ausgehen muß von der Verfaffung, Regierung und
Verwaltung, oder von dem Organismus bes Staates.
Der unendliche Geift, den wir in der Sprache
-des Staubes Gott nennen, ſenkte allen vernünftig:
‚finnlihen Wefen das Streben nad) Aehnlichkeit mit
ihm und nad) Annäherung an ihn, mithin das Stre-
ben nad) grenzenloſem Fortfchritte ein. Die Philofo-
phie nenne diefen Örundcharafter der Menfchbeit, als
Gattung , die Vervollfommnungsfäahigfeit
der menfchlihen Natur, Sie liegt in jedem Indi—⸗
viduum unfrer Öattung, mithin in der ganzen Menfch-
beit. Sie tft in der urfprünglichen Gefegmäßig-
keit unfers Wefens begründet, mithin unvertilgbar.
Sie ftehe mit der Freiheit des Willens in der in-
nigften Verbindung, weil nur durch Freiheit entwe-
- der der Fortſchritt zum Beffern, wozu wir
beftimmt find, oder der Ruͤckſchritt zum Schlech—
tern erfolgt; denn in. der ſittlichen Welt gibt es
fein Drittes — entweder Fortſchritt, ober
Ruͤckſchritt. J
Was aber fir das Individuum als unveränder-
liches Gefeg der ewigen Weltordnung gilt, muß auch
für die Wölfer des Erdbodens, als rechtlich geftal:
tete Ganze fittlicher Wefen, und für die Staaten
gelten, in welchen die Völfer leben. Sie find zum
Tortfhreiten in der Eyltur, d.h. in allen
wefentlichen Bedingungen eines menfchlichen Dafeyns
beftimme, und alle Völker, welche in diefen Bes
dingungen — in ber Cultur des Bodens, des Ges
mwerbsfleißes, des Handels, der Wiffenfhaft und
Staatskunſt. 431
Kunſt — raſtlos fottſchritten, erſcheinen, nach dem
Zeugniſſe der Geſchichte, als kraͤftige, lebensvolle
Ganze, deren innerer Organismus nach Verfaſſung,
Regierung und Verwaltung in ſich gleichmaͤßig ge⸗
ſtaltet war, und die — nach der Kraft und Staͤrke
dieſes Organismus — jeden drohenden Sturm von
außen zuruͤckwieſen oder baͤndigten.
„Drer Fortſchritt des innern Volfs- und Staats-
lebens beruht daher zuerft auf dem Fortſchritte der
Eultur des Volkes, und dann auf den von biefer
Cultur abhängenden zweckmaͤßigen Organismus des
Staates nach Verfaflung, Regierung und Verwal»
tung. Wo alfo ver Fortſchritt eines Volles in
ben aufgeftellten Bedingungen ber Eultur unverfenn>
bar wahrgenommen wird; da müffen auch die For⸗
men feiner Organifation, d. h. feine Verfaß
fang, -Negierung und. Berwaltung,. gleih mäßig
fortgebilder werden — d.h. es. müͤſſen Refor⸗
men eintreten —; oder fie veralten unaufhaltbart
” ’ 52. .
Die Reformen im innern Staatsleben
‚Unter den Reformen im innern :Staatsleben
werben, nach diefen Vorderfügen, bie allmähligen
Fortbildungen, Werediungen und Nachhülfen. in ver
Berfaffung, Regierung und Verwaltung eines. Staa
tes verfianden, melche ihren legten Grund in dem
Fortſchritten des Volkes nach allen wefentlichen Bedin⸗
gungen feiner Eultur haben. Nothwendig find
dDiefe Reformen, fobald gemiffe Unvollkommenheiten
in den Formen der Verfaſſung, Regierung und
Varwaltung fo. beſtimme hervortreten‘, daß, bie .er-
hoͤhten geiſtigen Beduͤrfniſſe des Volkes und die zu
. 34"
’
⸗
\
532 | Staatsfunft.
einem feften Charafter ausgebildere (nicht.
von einzelnen Tonangebern einfeitig .aufgeftellte )
öffentlihe Meinung mit diefen veralteten For⸗
‚men im entfehiedenen "Gegenfage erfcheinen; will:
kuͤhr lich ſind fie, fobald Fein anerfanntes Beduͤrfniß
‚in der Eultur des Volkes und fein gegründetes und
allgemeines Urtheil in der öffentlichen Meinung die⸗
felben verlangt. |
Diie Reformen im Staate dürfen aber nicht
vom Volke, als Maffe, fondern nur v,on der gefeß-
gebenden und vollziehenden Gewalt, als
der vereinten höchften Macht im Staate, ausgeben.
Daraus folgt, tbeils daß alle Reformen, von
unten bemwirft und Durchgefege, eigenmächtig und
widerrehtlich find; theils .daß in autofratifchen
Staaten, wo bie gefeßgebende und vollziehende Ge⸗
walt in der Perfon des Regenten vereinigt find, nur
von diefem die. Reformen ausgehen koͤnnen; theils
daß in Staaten, wo der Regent und Die Stellvertreter
des Volkes einen gemeinfchaftlichen rechtlichen Theil
an der gefeßgebenden Gewalt haben, den Stellver-
tretern des Volkes ein Stimmredht an den Refor⸗
men infofeen zuftehen muß, inmiefern fie entweder”
diefelben ‘bei dem Negenten in Vorfchlag und Anres
gung bringen koͤnnen, ober die von dem Regenten
vorgefhlagenen und beabfichtigeen Reformen zu prü-
fen und mit dem Eulturzuftande des Volkes, fo wie
mit deflen anerfannten Bebürfniffen, zu vergleichen
berechtigt ſind. ——
53.
| Sortfegung
Ob nun gleich die Staatskunſt nicht im Einzel⸗
nen für.einen gegebenen (d. h. geſchichtlich vorhande⸗
/
Staatskunſt. | 533
. nen) Staat den Zeitpunct, mo Reformen nöthig ge
worden find, und die Art und Weife, wie fie ins
innere Staatsleben eintreten follen, anzugeben ver⸗
mag; fo Fann fie doch, ‚geftügt auf Erfahrung und
Geſchichte, einige allgemeine Örundfäge bes-
halb aufitellen : u
Reformen werden Bedürfniß, fobald durch den
Sauf der Begebenheiten und durch die Veränderung
der Verhältniffe gemwiffe Formen des innern Staats⸗
lebens fo veraltee find, daß fie entweder von felbft
theilweife oder ganz verfchmander , oder daß ihre fort-
‚dauernde Beibehaltung mit einem allgemeinen Ge:
fühle des Druckes vderfelben verbunden ift, und die
gegründete und unpartheiifche öffentliche Mei—
nung für deren Abfchaffung fich erklärt.
Erfennt die hoͤchſte Gewalt in folchen entfchei-
henden Augenbliden des innern Staatslebens das
Bebürfniß der Reformen an; fo erfolgen fie natur-
gemäß (mie nämlich) in der Natur au die Stelle
eines veralteten und abgeftorbenen Theileg ein neuer
und lebensvoller tritt), allmählig (in unvermerf-
ten Vebergängen aus dem Bisherigen in das Neue),
und. ohne innere Erfchütterug (weil nur das
Veraltete, nicht: auch zugleich das Brauchbare und
Bewährte, umgebildet wird). (So frat vor 300
Fahren in den proteftantifchen Staaten die Kirchen
verbefferung, geftüge auf die Idee der religiofen
und kirchlichen Freiheit, ohne Gewalt, ohne Blut
und ohne innere Erfchütterung des Staates ing öffent:
liche Leben überall ein, mo fie Durch Feine Reaction ge-
hindert ward.) | |
Die Reformen im innern Staatsleben koͤnnen
aber theils die gegenfeitige Ausgleichung der allge
534 . Staatsfunft.
meinen Bedingungen der Eultur des Volkes, theils
den Organismus des Staates betreffen.
Im innern Staatsleben werden nämlich) durch
Reformen die allgemeinen Bedingungen der
Eultur des Volkes ausgeglihen, wenn z. B.
Sflaverei und Seibrigenfchaft da aufgehoben werden,
wo fie noch beftehen; wenn der Landbau, nach allen
feinen Zweigen, von lähmenden, aus der Vorzeit
flammenden, Feſſein befreit, wenn der Gewerbs—
fleiß in Hinficht des Zunft: und Innungsweſens
verbeflert, Die Freiheit des Handels ausgefprochen,
das Reich ber Wiffenfhaft als’ ein Reich der
geiftigen Freiheit betrachtet und behandelt, und der
Kreis der Kuͤnſte dem Kreiſe des toirPlichen Lebens,
zur Veredlung und Verſchoͤnerung deſſelben, ange-
nähert wird. Unvermerkt und allmählig verſchwinden
fodann in allen diefen Grundbedingungen der menſch⸗
lichen Eultur die bis dahin lähmenden und mit dem
Fortſchritte des Wolfes veralteten Berhältriffe.
Im innern Staatsleben kann aber auch der
Organismus des Staates felbft durd Refor-
men zeitgemäß fortgeführt und zu neuer Kraft erhos
"ben werden. Dies gefchieht 1) in Betreff der Ver⸗
faffung, wenn 5. B. da, wo noch feine gefchriebene
Verfaſſung beftand, durch eine gegebene Berfaffungs-
urfunde das gefammte.innere Staatsleben auf eine
fefte vechrliche Unterlage zurücgeführe, ober eine be—
- reits beftehende Verfaſſung, nach den eingetretenen
und anerkannten Beduͤrfniſſen, in einzelnen Theilen
veraͤndert wird (z. B. wenn ſtatt Einer Nationalver⸗
ſammlung zwei Kammern eingefuͤhrt werden u. ſ. w.);
2) in Betreff der Regierung, wenn eine unbe—
ſchraͤnkte Regierungsform in eine verfaffungsmaͤßig
beſchroͤnkte, oder eine bis dahin beſchraͤnkte in eine
Staatsfunft. 335
x unbefchränfte (mie ;. 3, in Dänemark im Jahre
1660), oder eine Wahmonarie in eine erbliche
(wie z. B. Ungarn im J. 1687), oder eine erbliche
in eine Wahlmonarchie (mie z. B. Polen feit dem.
3. 1572) übergeht; und 3) in Betreff ver Verwal—⸗
tung, wenn entweder in der Organifation und gegen-
feitigen Stellung der höchften Verwaltungsbehoͤrden
(der Minifterien, des Staatsrathes u, ſ. w.), oder
in der. Geſtaltung der vier Hauptzweige der Verwal⸗
tung (der Gerechtigkeitspflege, der Polizei, der Fi-
nanzen und der bemaffneten Macht) völlig Durchgreie
fende, ober nur theilmeife Veränderungen erfolgen. —
Je gewoͤhnlicher in neuerer Zeit die Veraͤnderungen in
der Verwaltung geweſen ſind; deſto mehr iſt bei den⸗
ſelben weiſe Schonung des Veſtehenden und Beruͤck⸗
ſichtigung anerkannter Beduͤrfniſſe feſtzuhalten,
weil, bei den Fortſchritten der Voͤlker in der Cultur,
die ununterbrochenen und nicht als dringend noͤthig
erkannten Veraͤnderungen in der Verwaltung mehr
Unzufriedenheit, als Zuſtimmung erregt haben. Denn,
ungeachtet der von Mehrern behaupteten unruhigen
Beweglichkeit der Voͤlker, liegt doch in dem Kern
eines jeden Volkes (von— welchem Individuen
genau unterſchieden werden muͤſſen), ein Princip
der Staͤtigkeit, auf welchem die eigentliche,
Kraftäußerung des innern Staatslebens
berußt, und welches eben fo die veralteten Formen.
von fi & ftößt, wie es die unvorbereifeten und nicht
as - anerfannten Bebürfniffen Hervorgehendeh ibm”
aufgedrungenen neuen Formen entweder mit Gleich»
güͤltigkeit behandelt, ober mißbilligend erträgt und,
jöbald es kann, zuruͤckweifet.
Einen Reichthum von trefflichen nolitiſchen An⸗
fichten und Grundſaͤtzen enthält Ancillon’« Abs
“
536 Staatskunſt.
Handlung : über die Zeichen der Zeit tn Sin
fiht politifher. Reformen (in f. Schrift;
über die Staatsmiffenichaft, "Berl. 18230.
8.) beſonders S. XV — Xxxxii
54.
Ueber Revolutionen.
Nach dieſen ($.52. und 53. ) aufgeftellten Grund⸗
ſaͤtzen iſt es nicht möglich, Reformen mit Revolutionen
zu verwechſeln. Die Reformen gehen von der recht⸗
mäßigen Gewalt im Staate aus, und haben die Fort⸗
bildung, Verjüngung und Befeftigung des innern
Staatslebens zum Zwede; durch Nevolutionen hin-
gegen wird die eechtmäßige Gewalt im Staate ent
weder erfchüttert, oder gewaltſam umgeftürzt. Die
Reformen Enüpfen das'nöthig germordene Beſſere und
Neue an das Weraltete an, bas bisher beſtand, fie
haben alfo eine geſchichtlich⸗ Unterlage; die Kevolu-
tionen vernichten gewöhnlich die ganze bisherige Grund»
lage des innern Staatslebens. Die Reformen wirken
‚ mohlthätig auf die Fortfchritte der Eultur der Völker,
und auf die cheilmeife Umbildung des Staatsor-
ganismus ein, weil. fie mit Umfiche berathen und
ausgeführt werden; im Sturme der Revolutionen hin»
gegen werden nicht felten wefentliche Bedingungen der
Cultur unwieberbringlich zerftört und brauchbare und
\ unbrauchbare Beſtandtheile des Staatsorganismus
mit Einem Schlage vernichtet, weil die meiſten Re—
volutionen die Geſ ammtheit der bürgerlichen Ver⸗
haͤltniſſe erſchuͤttern. J
So wenig nun, nach dieſer weſentlichen Verſchie⸗
denheit beider, Reformen und Revolutionen mit ein⸗
ander zu verwechſeln ſind; ſo feſt ſteht doch auch der
Erfahrungsgrundfag: daß den me ifte n, wo nicht
Scaatstunſ 337
allen, Kevolutionen durd jeitgemäße Rei
Formen hätte vorgebeugt werden fönnen, be⸗
ſonders inwiefern unter denſelben eine gewaltſame
Umbildung der bisherigen Grundlage des
innefn Staatslebens und des geſammten
Staatsorganismus, nah Werfaflung, Res
. gierung und Verwaltung, ‚ verftanden wird, womit,
als unmittelbare Folge, in. ben meiften Fällen eine
völlige Veränderung und Ummwandelung
der äußern Verbältniffe des Staates,nadh.
‚feiner Wechſelwirkung mit andern Staaten, in noth⸗ |
wendigem Zufammenhange ſteht. —
x Allein es, darf nicht «überfehen werden, daß in.
ber. Geſchichte der Ausdruck Revolution, außer,
der angegebenen, auch in mehrfacher Bedeutung ges
braucht wird. So redet. fie von Revolutionen,-
wenn durch fühne Eroberer die beftehende Ordnuug
der Dinge in einzelnen Reichen oder Erdtheilen völlig,
veraͤndert ward (z. B. bei der Bildung des perfifchen
Kaiſerreiches, welchem alle bis dahin in Mittel - und
Vorderafien , und in Aegypten beftehende felbftftan-
dige Reiche und Staaten einverleibt wurden; bei der
Begründung der macedonifchen Welcherrfchaft durch
Alerander; ‚bei dem Untergange des römifchen Weft-
reiches in Folge der Stürme der Wölfermanderung ;
bei den Eroberungen und Zerftorungen der Dſchingis⸗
fane, Tamerlane, Babur u. a.); — ferner von
Thronrevolutionen, wenn, ohne weſentliche
Umgeftaltung des innern Staatslebens, bald durch
die Geiftlichfeit und den Adel, bald durch Mitwir-
fung des Volkes, entweder nur Ein Regent, oder eine
ganze NRegentendynaftie der Herrfhaft in einem Staate
beraubt ward (3.3. als in Sranfreich die Merovinger
den Sarolingern, „ bie Carolinger ben Capetingern,
339°. Staatsfunft.
in England die Stuarte dem Oranier und dem Haufe
Braunſchweig, in Portugal die fpanifchen Könige
dem Haufe Braganza, in Schweden die dänifchen-
Könige der Dynaftie Wafa weichen mußten , oder wie
Chriftian 2 von Dänemarf, Guftav 4 von Schwe-
den, Selim 3 vom Throne verdrängt, und Napoleon
vom Senate Sranfreichs entfeße ward u..a.); — weis
tee von Revolufionen, wenn vormalige Provin-
zen oder Kolonieen vom Mutterlande ſich losriffen und
ihre Unabhängigkeit und Selbfiftändigfeie erfämpften
(3. B. die Schweizer feit 1308, die Niederländer ſeit
1579, die Nordamerifaner feit 1776, und neuerlid)
Hayti, Columbia, Merifo, Peru, Ebili, Brafilien,
u. a.); — und endlich von Kevolufionen, wenn
die ganze bisherige Unterlage der Verfaflung, Regie⸗
rung und Verwaltung umgewandelt ward (wie z. DB.
bei der Aufhebuug des Lehnsweſens in Frankreich am
4. Aug. 1789; bei den darauf folgenden Revolutio⸗
nen in Batavien, Ligurien, Eisalpinien, — und in
fpäterer Zeit in. Spanien, Portugal, Neapel und .
Piemont).
So widerrechtlich, nad den Grundfägen
des Staatsrechts, eine Revolution- ift, weil fie die
rechtliche und verfragsmäßig beftehende Grundlage
des innern Staatslebens gewaltfam erfchürtert,
und fo unzweckmänßig, nad den Ausfagen der
Staatsfünft, die meiften Revolutionen erfcheinen, weil
fie nicht felten das innere Staatsleben zerftören, ſtatt
es zu verjüngen, gewöhnlich in lang dauernde Bürger:
friege, bei dern gegenfeitigen Ankampfe der entgegen=
gefegtenPartheien und Sactionen ®), übergehen,
*) Zwifhen Partheien und Factionen muß, im
engern Sinne, fo unterfhieden werden, daß fid)
⸗
—
Staatsfunft. ‚339.
"und in den meiften Fällen auch Das ganze bisherige:
Verhältniß des Staates zum Auslande, nicht oßme:
nachtheilige Ruͤckwirkung auf deflen i innern Woblſtand
und auf deſſen Verbindung nach außen, veraͤndern; ſo
darf doch auch das Zeugniß der Geſchichte nicht übers
gangen werben, daß weder jemals unter einem aus⸗
gezeichneten Regenten. eine Revolution im Innern des
Staates erfolgte (z. B. unter Karl dem Großen, un-
ter Heinrich 4 von Frankreich, unter Wilhelm dem
Oranier und Georg 1 von England, unter Friedrich 2
von Preußen u.a.), der durch feine perfönlichen Eigen»
ſchaften das Ganze des Staates gleichmäßig umfchloß
und leitete, noch, daß irgendwo eine Revolution
eintrat, 100 Regent und Volk einverftanden waren,
wo weife Reformen im ganzen Staatsorganismus den
FSortfchritten der Eultur des Volkes entgegenkamen,
wo namentlich die verfchiedenen Stände im Volke
gleihmäßig behandelt wurden, wo feine drüdenden
- Saften in Hinficht der Steuern und Abgaben, feine
unerſchwinglichen Schulden, keine Finanzdeficits und
feine willführlichen Eingriffe in bie Gerechtigfeits-
pflege beftanden. Denn Ordnung und Ruhe, Eultur
und Wohlftand, Treue und Anhänglichfeit an den
Regenten und an die Verfaflung fündigen ſich , nach
den Ausfogen ber Gefchichte, überall im inneren
Staatsleben an, mo Verfaffung, Regierung und
Bermaltung — geftügt auf die von oben ausgehen»
Partheien bilden, wo verfchtebenartige Grunds
fäge einander fi) fcharf gegen über ſtellen ( Whigss
und Torys in-England, Muͤtzen und Hüte in Schwer
‚ den), Sactionen-aber, wo gegenfeitige Gewalt
Handlungen erfolgen. — erst, Fr. Buchholz,
über politifhe Partheien, in f. Journale
für Teutſchland, 1816, Band 4 ©. 112 ff.
5410 J Staatskunſt.
den Reformen — ein gleichmaͤßiges und harmo⸗
niſches Ganzes bilden.
Ein Mann, der weder nach ſeiner Geburt,
noch nach dem Orte, wo er nachſtehende Worte
fprach , zu den Revolutionairen gehören kann , ford
Aberdeen, gab im brittifhen Dberhaufe
folgende Erflärung: „Der Grund aller Revolutio-
nen neuerer Zeit liegt, mas aud) die Diener des
Defpotismus Flügeln und heucheln mögen, in der
vorfäglichen Beleidigung der heiligen Rechte des
Volfes, Iſt dann die Wuth ausgebrochen; fo
benuge allerdings der Eigennutz dieſe ſchrecklichen
Waffen, um ſich auf den Trümmern des umge-
flürzten Staatsgebaudes einen Thron zu. errichten.
Rechtliches Benehmen, rehtlihe Regen-
tenhaltenjedesPVolfim Zaume, Sie find
es ſich felbft Khuldig ‚, daß fie dem Volfe nicht zu
viel auflegen, daß fie feinen Beſchwerden abzuhel«
fen fuchen, und nicht alles hinter dem Schleier des
| Staatsgeheimniffes verbergen.‘
(Aſcher), Ideen zur natürlichen. Geſchichte der
politiſchen Revolutionen. s. J. 1802. g.
Ueber den Geiſt des Zeitalters und die Gewalt
der oͤffentlichen Meinung. s. 1. 1797. 8.
Fr. Buchholz, über Staatsummälzungen und
Berfaffungsurtunden, in f. Sjournaf für Teutſch⸗
land, 1817. Band g., S. 47 ff.
Heinr. GEtli. Tzfirn er, die Gefahr einer
teutſchen Revolution ‚beleuchtet, Leipzig, 1822. 8.
N. A. 1823.
55.
- Weber Reactionen in politifher Hinfihe
Ob das menſchliche Geſchlecht, nad) dem feche-
taufendjährigen Zeugen . ber allgemeinen Geſchichte,
“ Staatskunſt. 541
zum Beffern fortſch reite, oder, nach einigen ge⸗
machten Fortſchritten, wieder ruͤckwaͤrts gehe (denn
ein Stillftand zmoifchen Vorwärts und Ruͤckwaͤrts
ift nur ſcheinbar, und in der Geifterwelt-fo wenig vor« - - :
banden, wie in der Natur), ift nicht ohne Schwie«
rigkeit zu entſcheiden, befonders wenn der befchränfte
DBli Dabei auf einzelnen Reichen und Staaten‘, und
auf einzelnen Zeiträumen haftet; denn unfer Geflecht,
im Ganzen und Großen gefaßt, dürfte doch in
intellectueller, bürgerlidher, religiöfer
und ſittlicher Hinfihe im 19ten chriftlichen Jahr⸗
hunderte höber ftehen, als die Welt des Alterthuums
im: gefeierten Zeitalter des Perifles, der. Antonine,
des Ulpians, des Al, Mamum, „Karls des Großen
und Karls Des fünften! Daß aber, nad) den ſechs⸗
taufendjährigen dorderungen der Vernunft, des aͤlte⸗
flen Bürgen des Göttlichen im Menſchen, unfer gan«
zes Gefchlecht, wie Das Individuum, ni ht ruͤckwaͤrts,
ſondern vorwärts ſchreiten folle, hat felbft der
bodenlofefte Myfticismus und die fühnfte Diplomatie \
nicht wegläugnen fönnen! Denn fo lange. Paulus
Recht behält, daß wir göttliden Geſchlechts
find, ift die Bewährung diefes göttlichen Urfprungs
und die Annäherung an den unendlichen Geift nue
durch Fortſchritt zum Beſſern moͤglich.
Zu dieſem Fortſchritte gehoͤrt aber weſentlich
auch der zum Beſſern fortſchreitende Organismus des
Staates, vermittelſt zeitgemaͤßer Reformen ($. 52.
und 53.), weil nur.das Seben im Staate der
einzig. rechtliche aͤußere Zuſtand fuͤr Weſen unſrer Art
iſt, und der Staat, aus dieſem Standpuncte be-
trachter, nicht bios als Rechtsanſtalt, ſondetn auch
als Entwidelungs- und Sortbildungsanftat.d des in
542 | Staatskunſt.
jedem Staate lebenden befondern Theiles der Menfch-
heie (Staatsr. $. 4.) erfcheint,
Wo daher diefer Fortſchritt gehindert und aufge⸗
halten, und das ‚bereits ins oͤffentliche Voͤlkerleben
eingetretene Beſſere abfichtlich im freien Entwickeln
zerſtoͤrt, abgeſchafft und vernichtet wird; da muß noth⸗
wendig Ruͤckſchruͤtt eintreten. Man nennt aber die
ſes abfihelihe Hindern des Fortſchritts
des Beſſern im öffentlihen Volks- und
Staatsleben, und das Barnidhten deffel-
ben, um an beffen Stelle das beveits
Veraltete und Untergegangene zu feßen:
Reaction, und verfteht unter dem Reactions—
ſy ſteme das planmäßige und behareliche, gewöhnlich
gewaltſame Anwenden und Durchführen aller bee
Maasregeln, wodurd das ing’ öffentliche Volker⸗ und
Staatsleben bereits eingetvetene Beſſere zerſtoͤrt, und
das von dieſem Beſſern Verdrängte nach feinem gan
gen Umfange (und oft in einer noch erweiterten Bes
ziehung) wieder hergeftelle werden ſoll.
Dieſes Reaetionsfyften ift, nach dem Zeugniffe
ber Gefchichte, fo alt, als die Verſuche des menſch⸗
lichen Geſchlechts im Beſſern fortzuſchreiten. Nach
bdieſem Keactionsfofteme follte die Gefeßgebung des
Moſes bereicts -in der arabifhen Wuͤſte durch eine
meuterifche Horde vernichtet werden; nach demfelben
mußte Sofrates den Giftbecher leeren; nach dem
ſelben fiel Das Haupt bes Kohannes; nach dem⸗
ſelben blutete der goͤttliche Stifter des Chri⸗
ſtenthums auf Golgatha; nach demſelben wurden
ſeine Apoſtel die Maͤrtyrer des neuen, uͤber die
Menfchheit aufgegangenen, Lichtes; nad demſelben
ſtarben Tauſende, wahrend der Chriſtenverfolgungen,
eines gewaltſamen Todes; nach demſelben wurden die
Staatskunſt. 543
Waldenſer, bei welchen: zuerft die Morgenröthe
des gereinigten Chriſtenthums bammerfe, verfolgt; .
nach demfelben erlitt Huß den Seuertod, und Luther
ftarb im päpftlichen Banne und in der Reichsacht.
Fuͤr diefes Syſtem wirfte die Snquifition in
‚vielen europäifchen Reichen, feit die erften hellen Ge-
danken im dreizehnten Jahrhunderte die dunkle Nacht
‚bes Mittelalters erleuchteten, und feit 1540 ber
Kefuiterorden, nachdem die Kirchenverbeflerung
die große Idee der religiöfen und Firchlichen Freiheit
ins öffentliche Leben der Wölfer und Reiche des Nor-
dens von Europa eingeführt und befeftige harte. Als
‚Opfer diefes Syſtems fanfen Hunderttaufende, wäh-
rend des breißigjahrigen Krieges ins Grab, bis end-
lich der weftphälifche Friede, über Die Grundfäge, der
tamormain und Carafa fiegtel — .
Allein, wenn auch dag Reactionsſyſtem in. rer
ligiöfer und kirchlicher Beziehung an fich der
Staatsfunft nicht fremd iſt, weil die Ideen der Firch-
lihen Freiheit feit den Zeiten des Huflitenfrieges bis’
zum Abfchluffe des weftphälifchen Friedens die Mit
telpuncte der damaligen europäifchen Staatskunft,
bildeten; fo wird doch in der Politif neuerer Zeit
der Begriff des Reactionsſyſtems zunachft bezogen auf
Die Kämpfe gegen die weitere Verbreitung der Idee
ber bürgerlichen und polieifchen Freiheit im öffentlichen.
Volks⸗ und Staatsleben, und auf das planmäßige Be⸗
ftreben,, ven allmähligen Fortfchriet und die Reformen
im innern Staatsleben gemwaltfam aufzuhalten, und
ſtatt der bereits eingetretenen neuen Formen bie vor⸗
mals beftandenen herjuftellen. Doch follen, den Be—⸗
griff, der Keactian im weitern Sinne genommen, bie
abfihtlichen Beftrebungen, an bie Stelle der Auf
flärung wo möglich wieder Die Dunkelheit des Mittel⸗
544 - Staatskunft.
alters, an die Stelle‘ einer gefunden iind gereinigten
Philoſophie die Nebelhüllen des Myſticismus, an bie
Stelle der Religion, die Gott im Geiſte und in ber
Wahrheit anbetet, ven Glauben an Menfcheriautorität
und die Beobachtung finnlofer äußerer Gebräude
zu fegen, von biefem Begriffe nicht gerade ausgeſchloſ⸗
ſen werden.
Dagegen erhellt aus der angegebenen Begriffs:
beftimmung von felbft, daß nicht das Reaction: hei⸗
fen könne, wo man von Seiten der höchften Gewalt
entweber ein Wolf für. Reformen noch nicht reif
findet, oder wo man, aus Furcht, zu weit gehen
zu: möffen, ſelbſt den Anfang dieſer Reformen ver:
meibet und in die Gerne verfchiebe. Allerdings mag
in diefem Falle manches noch ftehen bleiben und
fortdauern, was im: Staatsorganismus bereits ver»
alter iſt und fich überlebt hat; allerdings mag, in fol-
chem Falle, dieſes Veraltete mit dem Bortfchreiten
des Volkes in allen Hauptzweigen der Cultur, und
‚mit dem regen öffentlicyen geben, fo wie mit der politi« .
ſchen Verjüngung benachbarter Staaten und Reiche
vermittelft zeitgemäßer,, von oben ausgehender Refor⸗
men im ſtarken Gegenfase erfcheinen ; allein Reaction
fann es nicht ‚genannt werden, weil die Reaction
jedesmal etwas ſchon vorhandenes Beſſeres, an die
‚Stelle eines untergegangenen und abgefchafften Ver⸗
alteten, im öffentlichen- Völker» und Staatsleben
voraüsfegt, und, nach ben Ausſagen der Gefchichte,
die forffchreitenden Voͤlker und Staaten weit leid
ter die Beibehaltung und fhonende Be
bandlung veralteter Sormen erfragen, in
welchen nicht felten bereits im Stillen unmerflich be-
deutende DBeränderungen von felbft erfolgt find, als
die planmäßige, und gewöhnlich nicht- ohne geiden-
et
Staatskunſt. | — 543
ſchaftlichkeit durchgefuͤhrte Abſchaffung und Zerſtoͤrung
der ins Öffentliche Leben uͤbergegangenen Verbeſſerun⸗
gen. Denn’mag dieſe Abſchaffung und Zerſtoͤrung
entweder eine bereits angenommene neue Verfaſſung,
aber eine veränderte Regierungsform, ober. die Umge⸗
ſtaltung der Hauptgegenftände der Verwaltung — die
Serechtigfeitspflege, die Polizei, das Finanzidefen,
oder die Organifation-der bewaffneten Macht — be⸗
treffen; fo greift doch thatſachlich die Herftellung des
Vormalsbeſtandenen fo tief in alle Werhältniffe des
öffentlichen Staatslebens und: felbft bes häuslichen
bürgerlichen gebens eih, daß Taufende dadurd) nicht
blos in ihrer Ueberzeugung, fondern auch im ihren
wohlerworbeten Rechten, in ihrem rechtmäßigen Be-
ſitzthume und in ihrem Wohlftande für immer geftöre
und gefaͤhrdet werden. Nothwendig müffen daher,’
mit der Anwendung des Reactionsſyſtems, Unzufries
denheit und Gährungen, nicht felten Parrheifämpfe,
und felbft mwiderrechtliche und leidenfchaftlihe Auf:
wallungen und Anftrebungen bes gereisten Volfsgei-
ſtes zuſammenhaͤngen, die, weil fie nur. Durch gervalt«
fame Mittel befchwichtige werden fünnen, nicht felten
die Unzufriedenheit und Erbitterung fleigern, welche :
um fo gefährlicher für die Zufunft wird, je mehr fie .
— geſchreckt durch die Gewalt — in die Werborgen-
heit ſich zuruͤckzieht.
Ie ſtaͤrker aber die Geſchichte in unzähligen Bei:
fpielen die mit der Anwendung des. Neactiönefnftens
verbundenen bedenflihen Folgen vergegenmärfigr,
die entweder fogleich in aufmogenden innern Stür-
men, oder in einer allmähligen Entfräftung
- des ganzen-innern Staatslebens „.und in dem unauf-
haltbaren Sinken des ganzen Staatsorganismus fic)
anfündigen; deilo wichtiger wird es für Die Staats:
J. 35
” \
546 | Staatsfunft. .
kunſt, mit Ruhe und. Befonnenkelt den erreichen
Culturgrad des einzelnen Volkes und Staates zu er-
forfchen, das in anerfannten Bebürfniffen angedeusete
Beflere durch allmählige und vorfichtig geleitete Ne
“formen einzuführen , und jede Reaction zu vermeiden,
weil, fo weit Die Gefchichte reiche, noch nie bei einem
Bolke des Alterthums und der neuern Zeit, durch die
Anwendung des Reactionsfpflems, der innere Zuftand
deffelben verbeſſert, die äußere Ankuͤndigung deffelber
verftärft, und der Fortſchritt des Ganzen in der Cul⸗
tur und im allgemeinen Wohlſtande kewirft, vielmehr
dadurch nicht felten der ungeregelte gemaltfame An-
fampf gegen dag Reactionsſyſtem berbeigeführg, und
das gefammte innere Staatsleben nach: allen feinen
Bedingungen auf Jahrhunderte hin’ erſchuͤttert, oder
ſogar dem voͤlligen Untergange preis gegeben. wor⸗
den iſt.
Benj. Constant, des reactions poltigunn
Paris, An V. &
Wiih. Tat. Krug, über die ehefgängige Bewe⸗
gung —8 Zeitalters; in ſ. Kreuz⸗ und. Queen
zuͤgen, ©. 218 ff. —
B) Lehre von dem aͤußern Staatsleben.
ZZ 66.
Ueberſicht der Bedingungen und Ver—
—bdaͤltniſſe des aͤußern Staatslebens.
| Wenn die Staatskunft, als Wiſſenſchaft, die
Darſtellung des Zufammenhanges zwifchen. dem in
nern und äußern Staatsleben nad) den Grund»
fügen des Rechts und der Kingheit enthält; fo-muß
N
Staarstunfl. I 547
fie, naͤchſt der Entwickelung ber gefammten- Bedin⸗
gungen und Verhaͤltniſſe des innern Staatslebens,
“ aud) die Lehre von den Bedingungen und Ber
hältniffen des außern Staatslebens
wmfchließen, und zwar nach der Abhängigfeit, in
welcher bei. jedem zweckmaͤßig organifirten Staate,
das aͤuß ere Staatsleben von dem innern erſcheint.
Die Lehre von dem außern Staats leben zerfalle
aber in zwei Teile: |
4) in bie Darſtellung der Geundfäge der |
Steacskuaſt fuͤr die Wechſelwirkung und Verbin⸗
dung bes einzelnen Staates mit allen ubrigen neben
ihm beſtehenden Staaten; udd
9) in die Darſtellung der Grundſaͤtze ver Staats⸗ |
u kunſt für die Antvendurg des Zwanges nad) ange»
drohten oder erfolgten Rechtsverletzungen.
Sobald die Staatsfunft als Wiffenfchaf für
ſich, ohne Anſchließung derfelben an das Natur-
. und. Völferreht und an das Staats» und Staa⸗
tenrecht, behandelt wird, muß in bie Lehre don dem
außern Staatsleben vieles aufgehommen werden,
was in diefem Werke bereits im pbilofophiſchen
—Voͤlkerrechte, beſonders aber im Staaten
rechte (Staassr. $. 67.— 76.) aufgeftellt worden
ift. Dahin gehört zuerft die deutliche Wergegen- -
wärtigung aller aus der Vernunft unmittelbar her -
vorgehenden Bedirigungen (Naturr. $. 43. - 57.)
der urſpruͤnglichen Rechte aller Voͤlker; fo:
dann die Entwickelung der Grundſaͤtze von det
rechtlichen Wechſelwirkung und Vorbindung
des einzelnen Staates mit allen uͤbrigen neben ihm
beſtehenden Stwaten;, nach ber gegenfeitigen An-
. erkennung ihrer —— und Riegelcac⸗
35 |
7
548 Staatskunſt.
nach den zwiſchen ihnen beſtehenden oder abzuſchlie⸗
ßenden Vertraͤgen, und nad) den Grundlagen ihrer
gegenſeitigen Verbindungen zu gemeinfchaftlichen
e: Zwecken; fo wie die Darſtellung der Grundſaͤtze
für die rechtliche Anwendung des Zwanges zwi⸗
ſchen den Staaten. — Da nun in der, auf das
vorausgegangene Staatsrecht geftüsten, Staats»
$unft:.dies-micht. wiederhoblt, und eben fo. wenig
dag zwiſchen den einzelnen euröpäifchen Staas
ten in der Wirklichkeit beſtehende Verhaͤltniß aus
„ber. ſelbſtſtuüͤndigen Wiſſenſchaft Des
practiſchen europäifhen. Voͤlkerrecht s
in die Staatskunſt gezogen werden darf; ſo folgt,
daß die Staatskunſt — in der Mitte zwiſchen dem
philoſophiſchen Staatenrechte und dem. practiſchen
europaͤiſchen Voͤlkerrechte — bei ber Lehre von dem
Gußern Staatsleben, mit den im Staatenrechte
“ aufgefteflten Grundfägen des Rechts die aus ber
- Gefhichte hervorgehenden Regeln ber Weisheit
- und Klugheit für die Wechſelwirkung der neben
einander beftehenden Staaten verbinden muß, ohne
in das Einzelne der Gefchichte der zum europäifchen
"-Staatenfofteme gehörenden: Reihe und Staaten
ſelbſt einzugehen, weil Dies dem practifchen euro»
- päifchen Voͤlkerrechte überlaffen bleibt. E
. 2 57 V
a) Darftellung der Grundſäaͤtze der Staats—
funft für die Wechſelwirkung und. Ver—
bindung des einzelnen Staates mit-.allen
übrigen neben ihm beſtehenden Staaten.
Das Staatsintereffe.
Geſtuͤtzt auf die allgemeinen Grundfäße fir das
rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten des
Staaietuaſt. 39
Erdbodens GStaatsr. 9. 68.), muß die Stantskunſt
acht das Staatsintereffeiks einjelnen Sinai
tes bei ſeiner Wechſelwirkung und Verbindung: mie
atidern Staaten beruͤckſichtigen. So: wie der einzelne)
Menſch, außer feiner allgemeinen Beſtimmung zur
HUREN und zum Rechte ; Seinen befsausen‘ Zwech
ſaines Ardifchen lebens (als Brunbbefiger, akt Bewerb«
betreibender, als’ Kaufmann, als. Gelehrter ;ı alsi
Kinftler u: ſ. mw.) zu verwirklichen ſtrebt; ſo giht "es:
auch fur: jeden einzelnen Staat, außer der: Erfuͤllung
der allgemeinen Rechtsbedingungen gegen andere Stans
ten, ein befonderes&taatsinrecoffe, Das aus
feinen geographiſchen Sage, als Binnen «oder Küftens
float‘, “Als Satferbauenider;:oder als gewerbereibender
eg: Harbelsftaät; ſodann ::aus. feinen Mimsatifcyent
Beehaͤliniſſen, aus den: urſpruͤnglichen Roichthuͤmerm
feines: Bodens, aus' der Groͤße fehler: Bepöfferung,}
aus Bev:zrreichten: Stufe der Unter feinen Brunner,
süß‘. feiner Ahr. eigentgümlichen: Verfaffung;' Regie⸗
türg und Verwaltung, aus fohher öffentlichen. Ankuͤn
digg: als Sand.» oder als Seemacht sdersalg ‚beides
zugteich, aus der Ruͤckſicht auf feinerammitttlbnren om.
entweder ſtaͤrkern vder ſchwaͤchern +3.Nahbürn , und
mis der deutlichen Wergegentbartittungriſeiner Scellung
gegen das Jeſammte⸗Sitdatenſyſtem eines: Erbeheild
hervorgehet. So wenig in allen Birfen Beziehungen
bas heilige Recht an ſich verletzt Werden durf,d weil
dieſe Verlegung — wie bein doem Individuum dã⸗
Verlezuͤng des ewig heiligen Giniengeßges iv nid
ungenhndet⸗ bleibt; fo gehen doch auch; uus’biefen be)
| finder Werhaͤltniffen eines: Siaatos grwiſſe Nuͤckſich
ten der Staatskunſt hervor, ‚die: Aohnie durch ihre
Anwendung das Recht in der Wechſelvirkung mit
andeen: Staaten zu beugen vchuis Nachtheil. für
—
548 Seaatskunſt.
nach ben zwiſchen ihnen beſtehenden ober abzuſchlie⸗
ßenden Verträgen, und nad) den Grundlagen ihrer
gegenſeitigen Verbindungen zu gemeinfchaftlichen
2: Zwecken; fo wie die Darftellung der Grundfäge
+ für die rechtliche Anwendung des Zwanges zwi⸗
x fen den Staaten. — Da nun‘in der, auf das
vorausgegangene Staatsrecht geftüsten, Staats
kunſt. dies wicht, wiederhohlt, und eben fo. wenig
dag zwifchen den einzelnen euröpäifchen Staa
ten in der Wirklichkeit beſtehende Verhaͤltniß aus
ber. ſelbſtſtündigen Wiſſenfchaft des
J practiſchen europäifhen. Voͤlkerréchts
in die Staatskunſt gezogen werden darf; ſo folgt,
daß die Staatskunſt — in. der Mit te zwiſchen dem
philoſophiſchen Staatenrechte und dem practiſchen
europaͤiſchen Völferrechte — bei der Lehre von dem
‚äußern Staatsleben, mit ben im Staatenrechte
“ aufgefteflten Grundfägen des Rechts die aus ber
Geſchichte hervorgehenden Regeln der Weisheit
und Klugheit fuͤr die Wechſelwirkung der neben
einander beſtehenden Staaten verbinden muß, ohne
in das Einzelne der Gefchichte der zum europaifchen
- Staatenfofteme gehörenden‘ Reihe und Staaten
ſelbſt einzugehen, weil dies dem practifchen euro:
päifchen Volkerrechte uͤberlaſſen bleibt. 2
57.
59 Darſtellung der Grundſaͤtze der Staats
funft für die Wechſelwirkung und Brr
bindung des einzelnen Staates mit alben
übrigen neben ihm beſtehenden Staaten
Das Staatsintereffe.
Geftügt auf’ die allgemeinen Grundfäge fire das
vegelihe Nebeneinanderbeſtehen aller Staaten des
——
Rt
auch
Smaisfunft.' | | 549
zunaͤchſt das Staatsintereffees eimelhen Sa
tes bei ſeiner Wechſelwirkung und Verbindung‘ mit)
atidern Staaten beruͤckſichtigen. So: wie der einzelne)
MEN, außer feiner ’allgemeinen "Beftimmung :zum
SHE und zum Mechte ; Seinen Defsutstn. Zwech
finesihdifchenTebens (als Brunbbefiger, ala Bewerkr,
betreibender, als‘ Kaufmann, als Gelehrter .ı alsi
nee ui fe we) zu verwirklichen ſtrebt; ſo giht es
für:jeden einzelnen Staat, außer der: Erfuͤllumg
der allgemeinen Rechtsbedingungen gegen audere Stans
sen‘, ein befonderesSraatsinseroffe, Das aus
feiner geographiſchen Lage; als Binnen = sder Küften«
Erbbodens (Staater.: $..68.),; muß die Staatskunſt
ſtaat; als Tatferbauenider: oder als gewebbereibender
aeg Handelsſtaat, ſodann aus feinen: Elimatiſchen
Berhauͤltniſſen, aus den urſpruͤnglichen NReichthmern
feines Bodens, ans’ dek’&röße- ſeier; Bepöfferung;}
aus Ver:zreeichten: Stufe der Cute feiner @Brroehner)
aus ſeitier ihm. eigerithuͤmlichen Verfaſſung Naegie⸗
dung ik Wevaktung , aus. feiner öffentlichen. Aufn
diqung! als fand: oder als Seemacht oder als ‚beides
zugteich aus der Ruͤckſicht auf felneammitetihnreni sm.
enrweder ſtaͤrkern ober. ſchwaͤchern +! Nahbirn, und
mis ·der(deutlichen Wirgegentiärrtgung'feiner Stellung
—* das Jeſammre Staatenſyſtem Teines: Erbebeild
ervorehet. So wenig in affew dieſen Wiegiehungen
Bas. heiltge-Rebs an ſich ‚veregeöberbeni dhrf ‚Tweid
Biefe Werlgung"—— wie. beitdam “Yrdyieituium bis
Verledung des ewig Heiligen Binengfiges in aid
ungenhndet bleibt; fü: gehen doch auchi une Diefen be3
finder Werhaͤltniffen eines: Sidatos gewiſſe Nuͤckſich
ten der Staatskunſte hervor, ‚die: A ohnr durch: ihre
Anwendung das Recht in der Wechſelwirkung mit
andeen: Staͤaten zu beugen si vhils Nachtheil fie
—
552 Staatskunſt.
Weil aber, nach dem Zeugniffe der Geſchichte,
nicht ſelten einzelne Staaten ihre Verhaͤltniſſe gegen
andere blos nach dem Maasſtabe des eignen Vortheils,
und nicht mit Ruͤckſicht auf die ewigen Forderungen
der Gerechtigkeit beſtimmen; ſo iſt es eine Vorſchrift
ber. Staatskunſt, daß man den eignen Staat theils
im Innern , theils nad) feiner. ußern Steflung (in
Hinſicht auf Grenzen, Befeſtigungen, Vertheilung
ber Vertheidigungsmittel, und Belebung eines echten
Volksgeiſtes) ſo organiſire, daß keinem auswaͤrtigen
Staate ſo leicht die Luſt anwandle, den einheimiſchen
Staat anzugreifen, oder auch nur einzelne Rechte
deſſelben zu verletzen; daß vielmehr der auswaͤrtige
Staat das Beduͤrfniß fuͤhle, mit dem einheimiſchen
Staate in freundſchaftliche Verbindung zu treten, und
fein beſonderes Staatsintereſſe mit dem unfrigen moͤg⸗
lichſt auszugleichen und zu vereinigen.
38.
Eintheitung der Mic na Iftem pol
Ian tiſchen Gewichte. |
Das philofo phifche Sta ats recht, gefig
* die Vernunftidee der Gleichheit aller ſelbſtſtaͤn⸗
Ligen: und unabhängigen Staaten, kennt feine Ein
cheilung derfelben nad) ‚ihren politifihen- Gewihte
Dagegen ftellt das practifheeuropäifche Voͤl⸗
terrecht, als eine geſchichtlich⸗politiſche Wiſſenſchaft,
mit unmittelbarer Ruͤckſicht auf das europaͤiſche Staa⸗
tenſyſtem, die europaͤiſchen Reiche. und Staaten teile
nach ihrer politifhen Würde (als Kaiferehämer,
Königreiche; Großherzogthuͤmer ucf. wi), t he i la noch
ihrem politiſchen Gewichte (z. B. ——
Rußland, Großbritannien, Frankreich, Preußen al⸗
Staatskunſt. 554
dem einheimifehen. Staate, für ihre eigne Sicherheit
und. die Erhöhung ihrer Wohlfahrt am meiften zu ers
warten haben. Die AebnlichEeit des erreichten Gras
deg der Cultur zweier Wölfer, die Aehntichfeit ihres
inneren Organismus nad) Verfaflung, Negierung und
Verwaltung, bie Aehnlichfeit ihrer innern Bedürfs
niffe.nach den Haupfgegenftänden ihrer Befchäftigung, -
und Die Aehnlichkeit ihrer Verhältniffe gegen andere
Mächte, von welchen beide entweder zu hoffen oder zu
fürchten haben, wird (als eine Art von Wahlver⸗
wandtſchaft), bei Beruͤckſichtigung der genannten vier
Hauptbedingungen, weit mehr uͤber die natuͤrliche
und feſte Freundf haft zwiſchen den "einzelnen
Völfern und Staaten entfcheiden , als die Verwandt⸗
fchaft Der Negentenhäufer in monarchifchen Staaten,
oder Das augenblickliche Zufammentreffen der politifchen
Abſichten zweier Staaten in Beziehung aufs Ausland
(j. B. bei einem Eroberungsfriege, bei der Mißbillis
gung gewiffer innerer Einrichtungen in einem auge
wärfigen. Staate u. ſ. w.). Es gehört Daher. der ice
Blick und ber durch lange Hebung: und Umſicht bes
waͤhrte Tact bes Diplomaten dazu, Die ausmwärtis
gen Verbindungen mit beftimmeet Vergegenwaͤrti⸗
gung aller Grundbedingungen des innern Volfsa
kebens anzufnüpfen und zu leiten. Dabei gilt abeß
als Regel der Staatsfunft, daß man felbft Diejenigew
Staaten, mit welchen man in feiner unmittelbare®.
Verbindung (dei Nachbarſchaft, oder der Verträge}
ſteht, fie mögen mächtig. oder minder maͤchtig ſeynn
le durch Anmaßungen, oder ungegründete Anfpruche,
ober: befremdende Forderungen reize und ſich entfremdez
fondern — außer der allgemeinen Gerechtigkeit +
auch mit Wuͤrde, Achtung und d Anſtand gegen. alte
Siaaten ſich betrage — ER
552 Staatskunſt.
Weil aber, nach dem Zeugniffe der Geſchichte,
nicht felten einzelne Staaten ihre: Verhaͤltniſſe gegen
andere blos nach) dem Maasſtabe bes eignen Vortheils,
und nicht mie Ruͤckſicht auf die ewigen Forderungen
ber Gerechtigfeit beftimmen; fo iſt es eine Borfhrift
ber. Staatsfunft, daß man den eignen Staat theils
im Innern , theils nad) feiner Außern Stellung (in
Hinſicht auf Grenzen, Befeftigungen, Vertheilung
der Vertheidigungsmittel, und ‘Belebung eines echten
Volksgeiſtes) fo organifire, daß feinem auswaͤrtigen
Staate fo leicht die Luft anwanbdle , ben einheimifcyen
Staat anzugreifen, oder auch nur einzelne Nechte
beffelben zu verlegen; daß vielmehr der ausmärtige
Staat das Beduͤrfniß fühle, mit. bem einheimifchen
Staate in freundfchaftliche Verbindung zu trefeh, und
fein befonberes Staatsintereffe mic dem unfrigen mög«
rt auszugleichen und zu vereinigen,
58 - .. "
Fintheifung ber Migte na Ihrem pol
tiſchen Gewichte.
Das phtlofo phifche Sta ats recht, heſtihe
* die Vernunftidee der Gleichheit aller ſelbſtſtaͤn⸗
Ligen: und unabhängigen Staaten, kennt feine Ein⸗
sheilung derfelben nad) .ihrem politifihen Gewichte
Dagegen ftellt das praxtifche europätfche Bil
terre ht, als eine geſchichtlich⸗politiſche Wiſſenſchaft,
mit unmittelbarer Ruͤckſicht aquf das europaͤiſche Staw
tenſyſtem, die europaͤiſchen Reiche und Staaten theils
nach ihrer politiſchen Würde (ale Kaifertpämer,
Koͤnigreiche, Großherzogthuͤmer uoſ. wi), t he i bam
ihrem politiſchen Gewichte (z. Bi Oaſtreich,
Rußland, Großbritannien, Frankreich, Preußen aß
Staatsännfe: , 334
Machte Dede vſtem politiſchen Nauges), tb ii nech
ihrer S otwer antıetiär, vden nachrehrer. Abhaͤngige
Seit. von Mdernz2 B. Die jomſchen Jufeln „demFrei⸗
wat Eraganım. fa) aufs; 2 ren chin AR
M : Delteatstun fl; Diesgkeichfem wifchen dem
Stactsrechte zundı term prantifchetteutiträifcen Wölfen
he ã n deor Mit te ftchrhrweii fie , nach der⸗Ides
den. Herrfchäft des. Nichts ‚-gatzıadten Scuaccreche
fech anfchläefty nach allen aus des? Gefchichte ramundnel
den. Thatfachen und Regeln dar: Klugheit aber enpthe
firactum des practifehen Völkerdedhta fit, ai zwiit
Sa fe. ter AligemeinemAnd;näht:blan ufe das
surspäifche Staatenſyſtem) gilt, nichts nern ned Faatid
ſchen Verſchiedeuheit ber: politiſchin Würde und van
ganz oden halbe füuuerainen Staalen; allein die Gr
wickelung der Begriffe vom poliĩ ei ych e nyAGewd chtog
und dem · davonic abhaͤngendeno pro lit ifchen Marn gie
der Stanten iſt ein Gogenſtund derr Staatskunſt,
Denn dva' die Reiche und Stacken des Erbhehaid
m Hinſicht auf Bevolkerungsza Hl: ufbihde
che n r aum⸗ nach dem Zeugtliſſa ker Geſchichte zifehn
verſchieden find; ſo muß ss anch eine, atf dier Era
führung und: Gaſchichtegeſtutzer Eintr peitu ug bed
Keiche und Stadien: nach Diefet-ihrekianferun.nfüne
bigund id der Wiechſelwirkungemit andern geben. Ob!
nun gleich die: Groͤße des Slätheittanms bei’ Hei
Würvigiing der. interh Stnitsfräfte und der. äuberif
Ankuͤndigung der: einzelnen: Staaten Dürchäufiniche
verscchläflige-werdendarf;s:fe iſt doch die Gefamiıts
zahl der Bewölkerung -liwegen: der in ähr
suhenden:. phufifchen,,. ihtelfectileften: und mörslifehtn
Kraft — der Hauptmaasftab bei der Beſtinimumg
des politifchen Gewichts der Staaten. Mac) diefem
Maasitabe gibt es aber Staaten vom erften, zwe's
/
554 Staatskunſt.
sen, DBetttennnb vierten politiſchen Mange.“ Zu
dem Etanten. vom erften politiſchen Range gehören
die, deren Gefammtbenötferung. über: 10: Millionen
Menſchen umfchließt; zu den. Staaten von zweiten
pobitifchen. Nange;;; deren Gefummebeodlderung zwi⸗
fhen 3-10 Mill; Menſchen beträgt; zur den Staa⸗
. erukom dritten pbliifchen Range, deren Geſammt⸗
—— zwiſchen 4-4 Rillionen Menfchen ent-
hält; much zu den Staaten vom vierten politifchen
Hänge; deren Gefammebevölferung . unter einer
—* Menfthen: ſtehht.
So gewiß dieſer Maasſtab für die. Scaatskunſt
—— inen giltz ſo koͤnnen doch beſondere
Verhaͤltniſſe (welche aber nur in der Wirklich—
krit eintreten), Veraͤnderungen im Einzelnen
darin bewirken. Es koͤunen z. B. Maͤchte mie einer
Bevoͤlkerung von mehr: als 40 Mill. Menſchen, durch
völlige: Zerruͤttuug oder. Veraltzng ihres in nern
Staatslebens (z. Bi Spanien nach. Philipps 2 Tode),
eder: auch: nach furchtbar verwüftenben Kriegen, hady
threm politiſchen Gewichte nicht mehr zu:den Mic
teri des erſten Ranges gehoͤren; dagegen koͤnnen Mächte
des zw eiten und dritten politiſchen Ranges, ent⸗
weder nur voruͤbergehend oder bleibend, <zu einem
hoͤhern ·politifchen Gewichte gelangen (# DB: Chur
fahfen: unter Moris,. Schweden unter Guſtav
u Adolph; Preußen feit Friedrich‘ 2 u. a.); fo.dag in
der Wirklichkeit — bei der mächtigen Bewegung. und
Ankündigung den Staatskruͤfte im Innern und nad
außen jene allgemeine Eintheilung ber. Möchte
fetten: während eis langen Zeitewimes. wweraͤndert
gebtichen iſt· F 5 *
8 FRE ,
ve JI
mo wi un U / > — vu „m
⁊
— —
— — .— — — — —
u Seaatslunſt. 553
BEER 7 SE EZ
Yotkeifits Gleichgewicht. Be,
= Damit. aber in ber Wechfelvirkung und_-Seeb
‚kung der einzelnen Mächte und Staaten gegen einander
nie bie. Herrſchaft des Rechts beeinträchtigt, nie ven
den Mächten: des erſten politischen Ranges ein druͤcken⸗
des und die. Selbſtſtaͤndigkeit und. Unabhängigkeit pen
Mäihte des zweiten, dritten und;vidrten Ranges Aa
drohendes Uererewich verſucht und durchgaführt, und
jeder Verſuch giner nach dieſem Uebergewichte ircbew
den Macht zur Gefaͤhrdung det andern ſogleich erkannt
und zuruͤckgewieſen werde, ſoll uncer allen in’gegenfeis I
tigen Wechfeluninfung befindlichen Staaten dan Bed
eifche Gleichgewicht beſtehen. Daſſelbe gründet -
ſich, der Ideemach, auf die von. der Vernunſt gr
botene unbedingte Hertſchaft des Rochts ufiinm:gam
zen Erdboden (Naturr. $. 57,), welche ſich im Glei ch
gewichte der Rechte .aller'neben einanden
beſtehenden. Staaten (Scaatsr. §. 68.) mbar:
digen ſoil. Allein Geſchichte und Erfahrung heſtaͤtigen
es, daß in der wirklichen Welt Vieſes Oleichgewicht
der · Rechte nicht durch Vernunftideen, ſondern duch
dpie Verwirklichung des ſogenanntan polir
tiſchen Oleichgewichts. hervorgebracht werden
muß. Dus politiſche Gleichgewicht *) beruht
daher auf ber, aus ber tiefſten und -umfichtigften Kar
forfhung aber Bedingungen. und Unkimbigungen:$
Innern und äußern Staatstebens. fümmtlicher: mit «ine
ander in Wechſelwirkung ſtehenden Reiche und Stach
ten bervatachenden, Stel. lung. und. Berkinhäng
Cem. 1° 5.
* (BE Be n), Fragmente. aus ber meueſten Te
. des —— in Quropa. Petersb. 1806, £&
{
656 | Sraatskunſt.
der einzelnen Mäaht«&gegen einander, durch
welche — für den Bed day Begründung, Erhaltung
und Sicherftellung des Rechts und der Wohlfahrt
Alter — heils jeder Verſuch einer Haupomacht nach
einer: Weitherrichaft,; vder: doch nach einem Ueberge⸗
wichte über: andere Reiche und Staaten, ſogleich er⸗
kannt und zuruͤckgewieſen, bheils in. dem Verkehre
md der Wechſelwirkung aller Maͤchte und "Staaten
des erſten, zweiten5: drictime und. vierten Bolltilchen
Ranges die woͤllige · Gleichheit der politiſchen Rechtr,
durch Bin Heiligfeit: des gegenwaͤrtigen Beſitzſtandes
und der Voͤllervertraͤge im innern und aͤußernStaͤats⸗
leben Atler, aufreche athalten witd.n Dieſes politiſche
Gleichgewicht iſt daher nicht blos phyſtſcher, es iſt auch
nbrad iſch er Naturz es wirket nichtblos Durch die
phyfiſchen Kräfte ver Riefe eſtaaten; ſondern anch durch
ie intellt ecuellen und ſitillchen: Kraͤfte der Voͤlker und
Staaten uͤbebhauptes wirkt durch die Marht der bffent⸗
tichen Meinung, welche jede Ungerechtigkeit, Gewalt⸗
that vnd Hinter liſt Inder Wechſelwiebung des Staaten
mißbiſſigt ses zeigt vnbliche bei feiner Ausfuͤhrung / wie
wiechtig Jelbſt/ Die: Staaten des dritten und wierten po⸗
ciſchen: Ranges: ar; der politiſchens Wagſchale Andy
eHeit s:näch:. dene Ausſchlage/ wolchen· hi WBo trẽci
zur —— politiſcheru Gleichgewichts hibt
theits( nach ihrem oft nicht gehörig: · gewuͤrdegten On
fanımsänbichte: in den Micte tpuncte: dieſes Syſtems
Bir aber buch Buͤndniſſe und Verträgk uberhaupt;
und namentlich mit etihen Mächten, Diefas politi⸗
ſche Bleichgeeicht fuͤr ve Bewahrung une? Küfreche
haltung ider Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhkugigkeit Des
einzelnen Staates zu bewirken und zu erhalten,
pin befonkers., bei. qigem· drohenden Uebergewichte her
- Biefenmächte ,: das. :Dergengiemichs den :Madır zu
De EEE Zr 8
ins penstifche. europäifhe Voͤlkerrecht. — : Doc:
ſelbſt die Idee des. politiſchen Gleichgewichts, fo
wie die Verwirklichung derſelben ſeit drei
Jahrhunderten in der Mitte des europaͤiſchen Stag⸗
tenſyſtems 'iſt in älterer und neuerer Zeit von Bier
len beſtritten worden. So wie es nun an ſich Uns
ſinn [& h.gegen die Vernunffh) iſt, die Idee deſſel⸗
ben wegläugnen, zu wollen ſo iſt auch Die Geſchichte,
Nnamentlich der drei legten Jahrhunderte, ſehr reich
an Beiſpielen, wo dieſes Gleichgewicht in der Wirk⸗
lichkeit feſtgehalten, und das verletzte hergeſtellt
ward. Ohne in der Staatskunſt weiter in dieſen
Gegenſtand eingehen zu koͤnnen (welcher; nach der:
practiſchen Ausfuͤhrung, theils der Geſchicht des·
⸗ nn
353 Staacskunſt.
suropälfhen Staatenſyſtems, theils dem practifchen
europaͤiſchen Voͤlkerrechte angehoͤrt), darf man blos
- an bie Perhinderung des fpanifchen Principats im
; ‚töten Jahrhunderte, des franzſiſchen unter Ludwig
44, an die dem ſpaniſchen, Öftweichifchen und bay
riſchen Erpfolgefriege zum Grunde liegenden poli-
iſchen Ideen, an den Sturz von Mapolsons Welt
. berefihaft, und. an ähnliche Erſcheinungen erinnern,
„um fich zu überzeugen, daß wenn gleich Die Idee des
politiſchen Gleichgewichts nicht in ihrer abftracten
Vollkommenheit verwirklicht ward, man doch durch
die Grundſaͤtze der hoͤhern Politik dem beabfichtigten
- Ze nad, feinen Hauptbeffimmungen er-
reichte, ja daß felbft die europaͤiſchen Mächte auf
deur Wiener Congreſſe die Wieberherftellung des
durch Napoleons Uebermacht geftürzten vormaligen
„. politifchen Gleichgewichts beabfichtigten. und Dies
offentlich verfünbigten,
2241
» 2*8
60. |
Verträge Bündniffe Garantieen. Ge—
ſandte.
Fir die Begruͤndung, das Beſtehen und die
Vervollkommnung bes guten Vernehmens und des
gemeinſchaftlich vortheilhaften Verkehrs zwiſchen den
einzelnen Staaten: werden Verträge abgefchlof-
- fen. (Nature. 9. 57. und Staatsr. $. 69.), wo⸗
durch beide Theile gewiffe Rechte gegen einander
anstaufchen und ſichern. Durch Buͤndniſſe
(Staatsr; $. 70.) vereinigen fie ſich, nach Feſtſetzung
der Dazu von beiden contrahirenden Theilen anzuwen⸗
denden Mittel, zur Verwirklichung eines beſtimmten
Aweckes der entweder auf die Verbefferung und
— —⸗ — — — —ñ i — u — — —f — — .-
Satin, N 359 |
Sicherſtelong des junern Welkslebens, oder auf Den
theidigung nach außen im Falle bebroßter ober verlegs -
ser Rechte, ober auf beides:zugleich gerichtet iſt. Dig
Gewährleiftungen (Garantien). Fönnen entweber
einfeitig. oder gegenfeiig fen, jenachbemventweben
ein mächtiger. Seat bem mimdermächtigen ,. der ihm
ſich augeſchloſſen bat, feine Selbſtſtaͤndigkeit und In⸗
tegrität und Die Dauer feines innern Organismus nad) |
Verfaflung, Regierung und Verwaltung garantirt,
oder zwei dem polisifhen Gewichte nad) gleichſtehende
Staaten einander gegenfeitig biefe. hörhften Beringuns
gen alles. Staats lebens gewährleiften. : Die: Gefan.d«
een endlich (Nature. $. 57.) find die rechtlichen und,
öffentlich anerfannten Vertreter bes einen Wolfen bei
dem ander, deren Anweſenheit die Fortdauer bes
guten Vernehmens zwiſchen zweien Staaten verbuͤrgt,
und durch welche die gegenſeitigen aͤußern Vaxhaͤlt⸗
niſſe und Beziehungen: beider Staaten aufrecht erhal
ten und fortgebildet werden.
‚Alles, was indem Verkehre der wirklichen Staa.
ten- nach. den verichiedenen Gattungen und For⸗
men ber Verträge und Buͤndniſſe vorkommt,
fo wie die durch Vertraͤge oder Voͤlkerſitte feftgefeg-,
ten Rechte, Verhaͤltniſſe vnd Rangabftufuagen der,
Geſa ubten gehoͤren nicht ber. Staatskunſi, ſon⸗
. been dem praatiſchen europäifhen Völker
rechte an, und werden in dieſem wife,
aufseſtellt. | ey
Die politiſche Unteranblungstun-.
Wenn. die einzig haktbare und, in ihren; Golan
wohlchätige Politit nach außen in ber Kanſt ber:
860 Smarsfunft. En
. Wehe, die Sicyerheit‘, die Wohlſahrs umb:das In⸗
tereſſe Des elgenene Staates dadurch zu:befördern, zu
ethalten und zu sehöhen, daß man ·gegen ⸗die Intereſ⸗
Ten anderer: Staaten-nicht-verftößt , ſondern fie gegen-
fetcig verknipft :foräft: die politiſche Unterhandlungs⸗
kanſi veſtimmt, "tete große Aufgabe zu loͤſen. ‚Sie
wird dibs ·am gewiſſeſten feiften;, wenn fie. die Staats⸗
kunſt nie von ihrer einzig ſichern Unterlage — von
ver Moral ont, weil nur aus?dieſer die Voͤl⸗
derrech de und Voͤtterpflich te n!.(jebes Volk als
rine moraliſche Jadividu alitaͤt betrachtet)entſpringen,
Id weil: ini der Wechſelwirkung der Staaten die ge⸗
Henſeitigen Rechte und Pflichten, wie ſie entweder aus
ber Merninft unmittelbar oder aus den: beftehenden
Skeaatsvertraͤgen hervorgehen, noch nie ohne folgen⸗
reiche Ahndung vernachlaͤſſ igt und verlegt worden find.
Zugleich muͤſſen Die zum‘ Unterhandetn beftimmten
Audividuen, machſt dem anerfannten ‚Charafter
ſtrenger Rechtlichkeit, zugleich die oͤffentliche Meinung
din Are und Auslande Fü: fh: haben ‚ daß fie, nad)
der Billfeitigfeis ihrer geſchichtlichen, ſtatiſtiſchen und
politiſchen Kenntniſſe, und nad) der Gewandtheit in
ihrem Betragen gegen auswaͤrtige Regenten und Mi⸗
miſter; das ihnen anvertraute Staatsintereſſe moͤg⸗
ich wahrnehmen, beom: Auslande ‚bein Unterhan⸗
deln nicht geraͤuſcht und uͤberliſtet werden, und die
Üngutegenheit-zwe-Bufriebenheit beider Staaten be-
endigen. Hauptfählich wird die politiſche. Unkerhand⸗
lungskunſt darin ihre Staͤrke zeigen, eingetretene
Mißverſtaͤndniſſe und Spanunngen zwiſchen zweien
Stonten; fo; auszugleigen, daß die Spennuns nicht
in völlige Abbrechung der friedlichen Verhältniffe, in
Abberufuug dergegenſeitigen Geſandten', und in den
Aucbruch eines Krieges uͤbergeht. FE
ai | Staatsfunft. 561 -
Die Lehre der politiſchen Untẽrhandlungskunſt
gehoͤrt zunaͤchſt der Diplomatie (im vierten
Theile dieſes Werks) an, wo auch die dahin
gehoͤrende Literatur mitgetheilt wird.
62. |
b) Darftellungder Grundfäge der Staats
Lunft fürdie Anwendungdes Zwanges zwi—
fhen den Staaten nad angedrohbten oder
erfolgten Rechtsverletzungen.
Der Zwang zwiſchen hen Staaten tritt ein,
um entweder einer angedrohten Rechtsverlegung zu⸗
vorzufommen (Prävention), oder eine begon⸗
nene, durch Mochwehr, in der Fortfegung und
2 Vollendung zu hindern, oder die rechtliche Wieder:
vergeltung für die vollbrachte Rechtsverletzung zu
bemwirfen. Mach feinen Abjtufungen erfcheint der
Zwang zwiſchen den Staaten als Retorfionen,
‚als Repreffalien, und als Krieg, — Da,
nach) der Vernunft, jeder rechtliche Krieg nur‘ als |
Vertheidigungs-, nicht als Angriffs», ge -
ſchweige als bloßer Eroberungsfrieg erfeheinen
darf; fo follen auch Die Mittel bei der Führung
deffelben, theils in Hinſicht Der zu ergreifenden Maas»
regeln überhaupt, theils in Hinficht der Waffenarten,
in Hinfiche der Behandlung der ruhigen Einwohner
bes Landes und ihres Eigenthums, in Hinficht des
Betragens gegen die Gefangenen, in Hinficht der
gemachten Beute, der Capitulationen, Waffenſtill⸗
ſtaͤnde und Verträge mit dem Feinde, fo wie in Hin-
. fihe der Behandlung des durch den Sieg befegten
Sandes, und bes abzufchließenden Friedens, zunaͤchſt
und durcgepends rechelich ſeyn; zugleich aber follen
562 Staatsfunft,
fie, nad) den aus der Gefchichte hervorgehenden Re—
geln der Staatsflugheit, mit fteter Beruͤckſichtigung der
Verhaͤltniſſe der im Kriege begriffenen Voͤlker und $än-
der, nad) der phnfifchen und geiftigen Kraft dverfelben,
und nad) ihren Verbindungen mit andern auswärti-
gen Staaten, angewandt werden. Der Zweck des
Krieges ift aber erreicht, fobald der beleidigte Staat
nicht nur zur MWiederherftellung feiner verlegten
Rechte, fondern auch zum Erfage für die aufge
wandten Kriegsfoften, und zur fihern Gemährlei:
ftung feiner Selbftftändigfeit und aller feiner bisher
bedrohten und gefährdeten Rechte für die Zukunft,
vermittelſt des Friedens und der damit verbundenen
Garantieen , gelangt.
Die rechtliche Seite aller zum Zwange gwi-
fhen den einzelnen Staaten gehörenden Gegen:
ftänpe, mit Einfchluß der Lehre von den Bundes»
genoffen, von den Rechten der Neutralität, und
‚vom rechtlichen Frieden, ift im Staatsredte
G. 71. — 76. vollftandig dargeſtellt; das aber, was
nah Vertrag, Voͤlkerſitte und Herkommen bar:
uͤber im europaͤiſchen Staatenſyſteme beſteht, oder
doch wenigſtens groͤßtentheils anerkannt und
befolgt wird, gehört ins practiſche euro—
paͤiſche Voͤlkerrecht. — Allein fobald bie
Staatsfunft, von dieſen beiden Wiſſenſchaften
‚getrennt behandelt wird, muß, des Zufammen:
hanges wegen, vieles, was zunächft in die Kreife
derfelben gehört, aud) in der Staatsfunft aufge:
ftelle und durchgeführt werden.
. | Staatskunſt. | 563
63.
Der Kries aus dem Standpuncte ber
Staatskunſt.
Wenn der Krieg, nach ber Vernunft, als ein
Rechtsſtreit im Großen, als ein Prozeß
zwifhen Staaten, bie feinen Richter über fich
anerfennen, betrachtet werden muß *), und zwar als
ein Kechtsfkreit, der zunächfi wegen des Frie
dens, d.h. wegen der rechtlichen Ausgleichung ftreis
righewordener Rechte, gefuͤhrt werden ſoll; fo. darf -
doc) nie vergeffen werben, daß in ihm nicht felten der’
Zufall, undnide das Mechtentfcheidet, woraus
für die Staatsfunft als Regel hervorgeht: daß man,
wegen ‘der Linficherheit des Erfolges, nur langfam
und ſchwer zur Eröffnung eines Krieges fchreite, und
in, demfelben nicht zu viel auf einzelne, auf voruber
hehende gluͤckliche Ereigniſſe rechne, deren Folgen oft
in Kurzem durch andere ganz unerwartete Vorgaͤnge
(durch Veraͤnderung des Kriegsgluͤcks, durch das
Aufſtehen eines ganzen bedrohten Volkes, durch das
Auftreten neuer, bisher neutraler, ‚Mächte auf dem .
Kriegefhauplage, und durch ähnliche Verhaͤltniſſe)
vollig verändert werben koͤnnen. Zugleich darf ſich
die Staatskunſt nicht durch die irrige Meinung täu-
fhen laflen, als ob der Krieg den Wohlftand und die
‚wahre Kraft und Stärfe der Staaten beförbere.
Denn mögen immer, wie in jedem großen Unglüde,
auch durch den Krieg ungewöhnliche Kräfte geweckt
und in Thaͤtigkeit gefege werden; fo führt, wie jeder
Ueberreiz, diefe Ueberſpannung allmählig "zur Ab⸗
ſpannung , ſelbſt in den Staaten der Sieger. |
*) Krug Kreuz⸗ und Queerzuͤge, S. 66.
| 36*
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564 Staatsfunft.
: So fchmer das durch den Krieg zerftörte Capi-
tal des Sandbaues, des Gewerbsfleißes und des Han
bels wieder erfegt werden kann; fo fhmer, und nod
ſchwerer (um im Bilde zu bleiben) das zerftörte Capis
tal der menfchlichen Kraft. Entvoͤlkerung der Staa
ten überhaupt, Zerftörung eines großen Theiles des
beranreifenden männlichen Gefchlehts in der Zeit |
feiner ſchoͤnſten Blüthe und Kraft, dadurch auf Jahr⸗
zehende hin bemwirfte Ungleichmäßigfeit zwiſchen bei-
ben Gefchlechtern,, gehäufte Schulden auf Privatper-
ſonen, einzelne Derter und ganze Reiche, nicht felten
Verwuͤſtungen ganzer Landſtriche, regellofe Einquar-
tierungen und ftürmifche Durchzuͤge, Plünderungen,
Brand, anſteckende verheerende Seuchen, Nieder—⸗
druͤckung der geiftigen Kraft, Verhinderung der zweck⸗
mäßigen Jugendbildung, Enrfittlihung und Verwil⸗
"derung von Taufenden; — das find faft jedesmal
die Folgen der Kriege. Wie Fönnten diefe das Marf
der Völfer erfchiitternden Uebel durch die zufälligen
und vorübergehenden einzelnen Vortheile des Krieges
aufgewogen werben , befonders: da die Gefchichte zeigt,
daß die im Kriege allerdings erhöhte Production und
Eonfumtion nicht bleibend feyn fann, und beide, fi
gleich nach dem Frieden, durch die plögliche Ver
minderung des Abfages auf die gefteigerte Thaͤtigkeit
im Sandbaue und Gewerbsweſen laͤhmend einmwirfen!
In allen diefen Beziehungen bleibt der Krieg das
größte Wagſtuͤck der Staatsfunftz denn nid!
umſoöonſt ftehen die furchtbaren Folgen des dreißigjah-
rigen und des ftebenjährigen Krieges in den Jahr:
büchern der Gefchichte Teutſchlands, und die Schul⸗
denlaft 'Sranfreihs und Großbritanniens in den
Budgets beider Neiche feit dem- Jahre 1815 9%
ſchrieben! —
0
Staatskunſt. 565
64.
Das Eroberungsregt aus dem Stande
punete ber Staatskunſt.
Das ſogenannte Eroberungsrecht beſteht, nach
der Staatskunſt, in den Befugniſſen, roelche ber
Sieg in Beziehung auf ein erobertes Sand gewährt,
* Mac) Grundfägen des Rechts und. der Klugheit kann
die Eroberung eines Landes weder zur Vertilgung,
noch zur Unterjochung feiner friedlichen Bewohner,
noch zur Umbildung ſeiner Verfaſſung, noch zum
Aufdringen eines andern Regenten, noch zur Einver⸗
leibung des eroberten Landes in den Staat des Sies
gers berechtigen. Mur barbarifche Horden führten
Vertilgungskriege, oder verurtheilen die Bürger des.
befiegten Landes zur Sklaverei und Leibeigenſchaft;
nur uͤbermuͤthige Sieger, die an keinen Wechſel des
Gluͤcks und an kein Urrecht der Selbſtſtaͤndigkeit der
Staaten glaubten, ſtuͤrzten die rechtmaͤßige Verfaſ-
ſung derſelben, ſehten neue Herrſcher auf die erfchüt- -
terten Throne, oder vernichteten die Selbftftänbigfeit
und Antegrität ber Völker. — Allein durch die
Eroberung eines Landes tritt der Sieger, in dem
vonihm beſetzten Gebiete, nad) allen Hoheit:
rechten und in den zwei Hauptverwaltungszweigen der
Finanzen und der bewaffneten Macht an die Stelle
bes befiegten und abwefenden Regenten. Der Sieger
fann, bis zum Frieden, in dem befiegten Staate
alles perfönlichen Eigenthums und aller Einfünfte des
Regenten ſich Bemächtigen; er Fann alle zur Führung
eines’ Krieges - vorhandene Vorraͤthe zerftören oder
wegführen, damit fie nicht gegen ihn gebraucht wer⸗
ven; er kann alle Staatsfaffen für ſich verwalten
laſſen, die vorhandene bewaffnete Macht entwaffnen,
506 Staatskunſt.
und als Gefangene behandeln; er kann ſogar Kriegs:
feuern oder Contributionen ausfchreiben, und die
Bedürfniffe feiner Heere von den Staatsbuͤrgern des
befiegten Sandes aufbringen laffen; aud) darf er jedes
rechtliche Mittel anwenden, das eroberte Sand, bis zur .
Ausgleihung des großen Meihesftreites im Frieden,
zu behaupten. Er fann deshalb Behörben in feinem
Mamen errichten, und diefen bie Behörden bes befieg-
ten Gegners unterorbnen; nie darf er aber die legten
eigenmächtig ihres Eides der Treue gegen den recht
mäßigen Regenten entbinden, wenn fie ihm gleich
geloben müflen, während feiner Herrfchaft feirien Be:
feblen zu gebordhen. — Sim Frieden fann der Sie⸗
ger den Erfaß der Kriegsfoften von dem befiegten
Staate fordern, und bafür unterpfändlich, bis zur
Entrichtung, gewiſſe Gebiefstheile, oder auch fefte
Plaͤtze, als Gemährleiftung der Erfüllung des einge-
gangenen Friedens, behalten. Ob er aber auch den
Sieg zur völligen Abtretung eines eroberten Länder:
theils benugen, und alfo die Integritaͤt des befiegeen
‚Staates verlegen dürfe; darüber Haben Staatsrecht
und Staatskunſt feine Stimme, wenn gleich bie
Geſchichte und das. practifche europaifche Völkerrecht
nicht arm an folchen Bedingungen find. |
With, Tot. Krug, über das Eroberungsrecht;
ſ. Kreuz⸗ und Queerzuͤgen, S. 64 ff.
J. F. Meermann, von dem Rechte der Er⸗
oberang nah dem Staats⸗ und Voͤlkerrechte. Erf.
1774. 8.
Rechtliche Bemerkungen aber das Recht der Er⸗
oberung und Erwerbung im Kriege, mit Ruͤckſicht
auf die neueſten Zeitereigniffe s. 1. 1815. 8. (Nach
dem Verf. gibt es blos zwei Gründe, welche eine
Eroberung rechtfertigen: Sicherftellung ‚und
Schadloshaltung Die Erwerbung eines
Sinasstunft : 567
‘
eroberten Staates aber geſchieht 6108 Sure einen
Vertrag. mit demfelben. I
a. 65.
Der Bölkerfriede aus dem Standpuncte
der Staatsfunft.
Der Wölkerfriede, oder die völferrechtliche Ge-
ftaltung der Wechſe lwirkung und des Verkehrs zwi⸗
ſchen den einzelnen Staaten, iſt fein Traum der Ein-
bildungsfraft, fondern eine große: Idee der Vernunft .
(Naturr. $. 57; ; Staatsr. $.776.), wenn gleich die
Gefchichte weder die Verwirklichung des ewigen Frie-
dens, noch auch die baldige Annäherung an Diefes
hohe "Ziel verfündige. — Denn jener Völferfriede
wäre nur auf dreifache Weiſe zu erreichen: entweder
durch eine Univer ſalmonarchie (das Grab aller
Selbftftändigfeit der einzelnen, befonders der mitt-
lern 'und Fleinern Staaten); oder durch völlige
Abſonderung (Iſolirung) aller einzelnen
Staaten von einander (fchon durch Die Natur
für immer gehindert); oder durch eine freiwillige
Mebereinfunft aller Staaten und ihrer
Negierungen, ihre Nechtsftreite durch ein hoͤchſtes
Voͤlkertribunal, mit Verzichtleiftung auf alle
Selbfthülfe und Gewalt, entweder als Austrägal-
inftanz , „oder nach Mehrheit der Stimmen der beim
Voͤlkertribunale ſtimmberechtigten Mächte, entfcheiden
zu laffen. So groß diefe Idee ift,, mit welcher Die
Kriege von dem Erdboden verſchwaͤnden, weil dann
blos noch ein Krieg gegen den Staat gedenfbar
wäre, welcher den Ausfpruc des Völfertribunals .
nicht anerfennen wollte; fo ftreitet Doc) die Erfahrung
gegen ihre Werwirflihung Denn theils werben .
I. Ä | 37
568 EStaatskunſt. J *
ſelbſtſtaͤndige Maͤchte andern Gleichberechtigten nie
ein ſchiedsrichterliches Urtheil uͤber ihre Intereſſen
und ſtreitigen Rechte zugeſtehen; theils wuͤrde, bei den
raͤthſelhaften Gewinden menſchlicher Staatskunſt,
der Fall immer noch gedenkbar bleiben, daß ſelbſt
der Ausſpruch der Mehrheit der Stimmen eines Voͤl⸗
fertribunals entweder geradezu ungerecht, oder doch
den mefentlichen Intereſſen eines Volkes und Staa-
tes zumider feyn koͤnnte. Deshalb bleibe — unben
fhadet der erhabenen Wernunftidee des ewigen
Sriedens — das nach Grundſaͤtzen des Rechts
und der Staatsflugheit begründete und forgfältig er-
baltene politifhe Gleichgewicht das hoͤchſte
Ziel der Staatsfunft für die Wechfelmirfung und den
gegenfeitigen Verkehr der neben einander beftehenden
Staaten. a |
Fr. v. Gentz, über den ewigen Frieden; in f.
bift. Sournal, ıg00, Dec. ©. 711 ff.
Anfelm v. Feuerbach, die Weltherrfchaft, das
Stab der Menfchheit. Nuͤrnb. 1814. 8.
Ende des erften Teiles.
Leipjig, gedruckt mit Hoͤhmſchen Schriften.
Be⸗
Berihtigungen
Außer einigen minder wichtigen Druckfehlern ver
Deffere man: |
©. 62 3. 7 vn. 8 Tom. (hatt 9). T.ı=6 jus naturae;
«7 jus civitatis; T. 8 jus gentium.
©. 156 3.16 v. 9. Buchholz.
©. 165 3. 9 v. u. Gleichgewicht s.
©. 208 3.15 v. u. Souvera inetaͤt.
©. 256 muß nachgetragen werden: Eduard Henke, Handbud
des Eriminalrehts und der Criminalpolitik. ır Spl.
Berl. 1823. 8
© 323 8.1290 l. n ach Verfaſſung Ch. und).
u ———
ed ee — J Mn. Ai 7 -— De A rn De A ee
Siterarifhe Anzeige
Unlaugbar erweckt der Skandinaviſche Norden durch feine, bald
erhabene, bald fchöne und lieblihe Natur, durch feine, Fraft:
und geifivollen Bewohner, denen in Genügfamfeit und Zufries
denheit, in alter Einfalt und Lauterkeit der Sitten, noch immer
ein filled und gluͤckliches Leben dahinflieft, wie durch feine weis
fen Berfaffungen ein fehr allgemeines Intereſſe; ein Intereffe,
welches durch die gefchichtliche Wichtigkeit dieſer Länder in dltes
ger und neuerer Seit noch erhöhet wird. Je mehr ed nun an
Schriften fehlt, welche über den wahren und neueflen Zuftand
der vereinigten Koͤmgreiche Schweden und Norwegen, wie des
Großherzogthums Finnland, volfiändige und zuverläffige Aufs
chlüffe geben, je feltener umfaffende Werke diefer Art ſelbſt
n jenen Nordifhen Ländern find; um fo mehr balt fich die
unterzeichnete Buchhandlung berechtiget, ein in ihrem Werlage
erfcheinendes Werk, welches durch Die Berbältnifle des Verfaſ⸗
ſers, wie durch innere Einrichtung fih eignen dürfte, für die
neuefte Länders, Voͤlker⸗ und Staatenkunde. des Schwedifchen,
Norwegiſchen, Lappifchen und Sinnifhen Nordens ein Quellen;
wer? zu werden, zur Förderung, durch geneigte Unterzeichnung
in empfehlen. Es führt folgenden Titel: .
\ vn et 8-28
IT
Schweden, Norwegen, Lappland, Finn
land und ngermannland
in den Jahren 1817, 1818 und 1820
von
Friedrich Wilhelm v. Schubert,
der Theoiogie Doctor und Profeſſor an der Königl. Breußifchen Univerfität
au Greifswald.
In drei Bänden in gr. 8. Mit Titeltupfern und einer
| Charte. - |
.. Das Gange zerfällt in 36 Kapitel. Der Druck wird auf
choͤnes weißes Druckpapier, in gr. 8. beforgt. Die Stärke der
ände kann noch nicht mit Genauigkeit befinmt werden ; doc
fol der Preis des Alphabers für. die Gubferibenten nur auf
ı Thlr. Conv. Münze gefiellt werden. Der Ladenpreis wird
mindeſtens um die Hälfte erhöht feyn. ‘
. Leipzig, im Januar 1823... | |
I. € Hinrichs ſche Buchhandlung.
4
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b105 _ Dun 092 3b I ve |
1
Zu | |
KEN R
ln —W Let.
, Stanford University Libraries
| Stanford, California
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