Skip to main content

Full text of "Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7books. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 


+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 


Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 




















% f} . 
‘ . “ v Pe “ .* 
. "7 ” 
% . 
. 7 . 
r - -- 
1) “ . 
° -» 
L 
RL 
J N,» . 
. 
EI IT D> 2.52 tn 2.0 \ 
N N “a u ‘ 
Bibliothek S - . 
| 





der & - 


— —ILGCõ“æd Regierung 


zu Stralsund. ds 


. 4 
. .„." _ — — 
— 2 De Ku ZW)nD- SED Zoe umD TenD NE Sind Zee ER A) 
- NPD ee ED er er a N OD RE EN Or —— 
’ 
‘ — 
2 » - - 
. 
. . - 
‘ 
. 
| ’ 
s 
Le“ 
‘ 
- n 
ı 
y 
’ 
je 
— 
X 
‘ 
7 
[1 
- 
. 
> 
- . 
- 
1 





Rn} 





. 
. 
2 
ur 
. 


BL 





! _ — 
. 
. B B 
. .f - ' ⸗ 
v 
f - 
fi ' ‘ 
‘ ' ” S _ 
. . * 
= 
1 “ ' 
R v x .. 
. J 7 
, J 
⸗ J— 
ax D * . x 
. / 
* pr 
— 
* 
- x - 
N t . y \ s 
* \ _ .._ J .. 
* 
- [ . . - \ 
- - I 
, ® \ '. 
. — » J ” 
. R t \ , . v 
* r 
P2 
' N . ‚ 
+. . 
r 2 
’ D {N . 
eo . 
‘ - 
“ n 
2 D 
j - - 
m 
D 
’ Fr - . 
« ” B 
- “ 
. ' . . 
\ 
‚ 
[2 Y ” 
' 
’ F . 
J 
\ 
‘ - 
P 
, - 
“ ‘ 
\ 
£ 5 
. No 
* . 
‘ 
‘ 
‘ - 
% 
” * 
R » \ . . \ 
— 
* 
R 
- 
J 1 [3 
N . . 
“ . | 
oo. . . x | 
» 
t . - 
’ ‘ 
, \ 
\ . 
. ⸗ 
24 
22 . 
\ . 
1 . 
x 
. \ , - 
Lj 
— 
- ' . — ‘ 
? . 
N - 5 | 
[4 pP - \ ’ 
. . “ Ds s 
\ ⸗ 
4 ‘ » . 
‘ 
2 
» . = \ r 





® Li 
. 
} t 
" ” 
. 
J ." - 
. n 
» a ‘ 
pr D 
} . . . 
- 
4 
. . . x 
. 
m; 4 
. . ’ 
. . 
& 
» > * 
.. . 
. 
2. 
⁊ 
.. 


[2 


Ratır- und Volterrecht; 


Staats—- und Staatentedt, 


und 


—Sta ats kunſt, 
bar geftelle _ 
| von | 
Karl Heinrich Ludwig Poͤlitz, 
ordentlichen Lehrer der Staatswiffenfchaften. an ber Univerftät 


u Leipzig. 


s \ * 
. 
— 


Leipzig, 1823 
J. € Hinrichsſche Buchhandlung. 


Rrr 
Die — 


Staatswiſſenſchaften 
im Lite unfrer Zeit, 


bargeftellce 
von 


Karl Heinrich Ludwig Pöälitz, 


orbentlihem Lehrer des Staatsmiffenfchaften * ber Univerfität. 
iu Leipzig. 





Erfer THeit: 
bad Natur: und Voͤlkerkecht, das Staats⸗ und Staatenrecht, 
i - und die Staatskunft. 


. 





— ou 70 meuum Kupıov, use elsufepın 
2 Kor. 3, 17. 





Leipzig, 1828. 
3. € Hinrichsſche Buchhandlung. 





eu kn 


er 


[2 


u en 


. ee  .n u 





tı 


Seiner Königlihen Hoheit: 
| | vem 
Prinzen 


Friedrich Auguſt 


Herzoge von Sachſen xc. w. 


| in tieffier Ehrfurcht 
| -, | gewidmet 


| BE 2. 
“von dem Verfaſſer. 





% 


8* 





2 





Borred os 





Wenn es mir Anfangs von’ ber einen Seite bedenk⸗ 
lich fchien, in einer fo mächtig bewegten Zeit, wie bie 
unfere ift, mit einem neuen und fich als volkftändig 
anfündigenden Syſteme der Staatswiffenfihaften im 
Publicum zu erſcheinen; fo durfte ich doch au) von 


- der andern Seite nicht vergeflen,, Daß das vor einigen 


Jahren mir anvertraute Lehramt der Staatswiſſen⸗ 
fhaften mich berechtigte und verpflichtete, wie auf dem . 
tehrftuhle, fo auch vor ben Zeitgenoſſen, über diefe 
Wiſſenſchaften öffentlich zufprechen. Dazu famen noch 
zwei individuelle Gründe. Denn hatte ich mich nicht 
geſcheut, in der Napoleonifchen Zeit meine Anfichten 
tiber einige Staatswiffenfchaften in meiner (im Jahre 
1808 erfchienenen) „Staatslehre‘ öffentlich aufs 
zufteflen; warum fbilte ich es jegt? Zugleich bin ich 


. mir aber auch bewußt, und ich glaube es feit dreißig 


Sabren in allen meinen philoſophiſchen, gefhichtlichen 


und polieifhen Schriften bewieſen zu haben, daß ich — 


abgefehen yon ihren übrigen Mängeln — nie zu einer 
herrſchenden Parthei gehört, fondern eine fefte Neu« 
tralität im Kampfe ber philofophifchen Syſteme 
und der politifchen Partheien zu behaupten geſucht 
habe. Ohne Synfretift oder Eklektiker zu ſeyn, habe 


viii Vorrede. 


ich, mit gleicher Unpartheilichkeit, die Schriften von 
Maͤnnern geleſen und ‚wo es ·noͤthig ſchien, angeführt 
und benutzt, die in ihren politiſchen Anſichten voͤllig 
von einander abweichen; denn, nach meiner unwan⸗ 


delbaren Ueberzeugung, liegt die Wa hrheit, in den 


meiſten Faͤllen, in der Mitte zwiſchen beiden Ertre- 
men. Daher glaube ich auch, daß, bei allem Mei- 
wungsfampfe, ber weber an fih, noch nad) feinen 
verfchiebenen Geſtalten, Farben und Schattirungen, 
in einem fehr bewegten Zeitalter befremden darf, die 
fämpfenden Denker, ſobald ihnen Wahrheit und 
Recht das Höchfte und Heiligfte find, wornach fie. 
ſtreben, oft nicht fo weit von einander entferne ftehen, 
als fie ſelbſt ig. der Wärme des Kampfes meinen. 
Nur die,: welche gegen das heilige Recht und gegen 
das Licht der Wahrheit, das von oben ſtammt, mit 
blinder Leidenſchaftlichkeit wirben, und die Menſchheit 
wicht zu eingm unendlichen — wiewohl langſamen — 
Fortſchritte im Guten, ſondern zur Unwiſſenheit, 


Roheit und zum Ruͤckſchritte beſtimmt halten; nur bie, 


welche an die. Stelle der Vernunft und ihrer einfachen 


.„». 000 :, 


gion, Kunft und alles Gute und Große der Menſch— 
beit in den ſchaͤumenden Schmelztiegel eines Iheo- 
phraſtus Paracelfüs, Smwedenborg und Jagob Böhme 
gebracht wird; nur dig — fo. wenig ich fie auch in 
ihren feligen Träumen ftören, oder. um ihre Genüffe 
beneiben mag-— werden ſich nie mit meinen Hrunds 
fügen ausführen! Ä 





Vorrede . 1x 


Aus dem Standpuncte ber Neutralitaͤt in 
Beziehuung auf den herrſchenden Meinungskampf in 
den politiſchen Syſtemen wuͤnſchte ich alſo, bei dem 


nachſtehenden Werke, von denkenden Maͤnnern beur⸗ 


theilt zu werben. Es ſoll die Aufgabe loͤſen, die ge» 
fammten Staatswiffenfihaften, eheils wie ich mir den 
ganzen Kreis derfelben, theils das Verhaͤltniß ber 
einzelnen Staatswiflenfehaften gegen einander denke, 
nad) ihrem innern Zufammenhange zu einer beftimme 
ten Weberfiche über diefelben zu vereinigen, und 
zwar wie Diefe Wiffenfchaften, nach ihrem neueften 
Anbaue und auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Bil⸗ 
dung und Reife erfcheinen‘, und wie fie eben fo für 
den afademifchen Vortrag, wie für, das eigene Stu⸗ 
dium gebildeter Zeitgengffen dargeftellt werden müflen. 

Ob ich nun gleich, nad) acht und zwanzigjaͤhri⸗ 
ger Beichäftigimg mit diefen Wiffenfchaften und nach 
dem oft wiederhohlten Vortrage der meiften derfelben, 
befonbers aber nach den mehrmaligen Vorträgen ber 


Encyklopaͤdie der politiſchen Wiſſenſchaf⸗ 


ten, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß die 
Staatswiſſenſchaften in ihrem Zuſammenhange 
ganz anders, neben den uͤbrigen abgeſchloſſenen 
wiſſenſchaftlichen Kreiſen (z. B. der philoſophiſchen, 
der mathematiſchen, dee geſchichtlichen, der juridiſchen 
Wiſſenſchaften u. ſ. w.), erſcheinen, als wenn 
man ſie von einander trennt und nur einzelne derfel- 
‚ ben entweder im Lehrvortrage oder In befonbdern Wer⸗ 
ken behandelt; fo erwarte ich doch keinesweges, ‚daß 
bie ausgezeichnetſten Männer vom Sache auf teutſchem 


4 


x. Vorrede. | 
Boden Wwohin ich namentlich v. Jakob, 108,’Ray, 
Sartorius, Graf Soden u.'a. zähle);:'milt 

mir ber die in der Einleitung‘ verſuchte Auffteltung, 
Bezeichnung und Eineheilung der zwölf Staatswiſ⸗ 
ſenſchaften völlig einderftanden ſeyn merden. Ich 


“rechne daher eben fo auf ihre Machjiche, wie auf ihre 


Zurechtweifung und Belehrung, wuͤnſche aber dabei, 


daß fie mich zunaͤchſt im Sinne und Geiſte meines | 


Syſtems pruͤfen und widerlegen moͤgen, weil ich 
baſſelbe in den vier. Theilen, aus welchen das: Werk 
beſtehen ſoll, gleichmaͤßig feſtgehalten habe. Jeder ein» 
zelne Theil wird naͤmlich drei Staatswiſſenſchaften 
uͤmſchließen. So wie dieſer er ſte Theil das Natur⸗ 


and Voͤlkerrecht, das Staats- und Staatenrecht, 


und die Staatskunſt enthaͤlt; —ſo fall im zweiten 
die Volkswirthſchaft ‚ die Staatswirthſchaft mit der. 
Finanzwiſſenſchaft, und die Polizeiwiſſenſchaft, — 
im dritten die Geſchichte des europaͤiſchen Staaten⸗ 
ſyſtems aus dem Standpuncte der Politik, die Staa« 
tenkunde (doc) nur im allgemeinſten Umriſſe) ‚und 
das öffentliche europälfhe Stautsreht, — und im 
. vierten das practifche europäifche Völkerrecht, bie 
| Diplomatie’ und. die Staatspraxis dargeftellt werben, 
Die Berechnung des. ganzen Werfes auf unge- 
führe 4 Alphabere zeigt, daß Feine: der „einzelnen 
"Staatswiffenfchaften im vollen Umfange des. Syſtems 
(mie ungefähr v. Jafd-b die Finanzwiſſenſchaft, 
Heeren bie Geſchichte des europaͤiſchen Staaten; 
ſyſtems, Häffel ‘die Statiſtik, und Kluͤber das 
practifhe europäifche Völkerrecht durchfuͤhrten,) bes 





— ⸗—8 


Borrede. X) 


handelt werden kann; wohl aber foil jebe wichtige 


 Sthre, welche in bie. einzelnen. Staatswiflenfihaften: 


gebört, nach einer logiſch geordneten unb beutlichen 
Begriffsbegeihnung vorgetragen, das Ganze jeder 
Miffenfchaft nad) feinem innern notbwendigen Zuſam⸗ 
menhange verbunden, jede einzelne Staatswiffenfchaft 
auf den Stanbpunct, den fie gegenwärtig nad) 
ihrem Anbaue erreicht hat, geftelle, überall die wich» 
tägere Literasur beigebracht, und die Darſtel⸗ 
kung felbft, nad der finliftifhen Form, fo 
gehalten werben, daß nicht blos Männer vom Fache 


und Studirende das. Werk in die Hand nehmen, fon« 


dern - auch Gefchäftsmänmer und gebildete Leſer das 
durch für das Intereſſe an diefen Wiflenfchaften ge⸗ 
wonnen werben. Eine folche Behandlung und Dar« 
ftellung der Staatswiſſenſchaften beabfichtigte Ih, als 
ich fie auf vem Titel als eine Darftellung im Lichte 
unfrer Zeit bezeichnete: Ich fühle recht gut, wie 
weit ich Hinter meiner Idee in der Ausführung zuruͤck⸗ 
‚geblitben bin; allein in magnis rebus et voluisse 
sat est! 

Aus dem aufgeftellten Beflchtspunete adiht 6 | 
denn als unmittelbare Zolge, daß überall der neuer 
ſten Unterfüchungen und Anfichten in den einzelnen 
Staactswiſſenſchaften gevacht werden mußte. Wo 
diefe "Anfichten mit den meinigen zufammenftimmten, 
nahm ich fie in den Tert auf; wo ich fie puüfte, ober 
zur Erläuterung und zur Bemweisführung beibruchte, 
ſtehen fie in den Noten. Wer meiner frühen flaats- 
wiſſenſchaftlichen Schriften fich erinnert, wird Anden, 





xii Vorrede. 


ve, ob ich mir gleich in den‘ «lgemeitſten fies. | 
serhtlichen Grundſaͤtzen ( 3. B. in ber Lehre vom 


| Staatsgrundvertrage , von der Theilung der Gewal⸗ 


ten u. a.) gleich geblieben din, doch in dieſem Werke 
alles durchaus neugearbeitet und nenugeſtaltet erſcheint, 


= and au fo erſcheinen mußte, weil In neuerer Zeit im 


feinem Rreife wiffenfehaftlicher Forſchungen die Ver⸗ 
änderungen fo bedeutend und fo durchgreifend gemwefen 
find, als. in dem Kreife der Staatswiffenfchaften, 
Dazu Haben nicht nur die erſchuͤtterndſten und folgen-⸗ 
teichiten. Borgänge im europäifthen .Staatenfufteme, 
fondern auch die angeſtrengten Forſchungen und neuer⸗ 
lich erſchienenen gediegenen Werke ausgezeichneter 
Sehrtiſtſteller im Kreiſe dieſer Wiſſenſchaſten mitge⸗ 


wirkt. Iſt Hoch erſt ſeit 1805 durch von Jakob 


und. Graf Soden die Volkswirthſchaft als eine 


felbſtſtaͤndige, von der. Staatswirthſchaft getrennte, 
Wiſſenſchaft behandelt, und eben fo erft in. den letzten 
Jahren die Diplomatie flreng von der Diploma 


tik, das practifche europaͤiſche Wölkervecht feit den 
Säriften des verewigten von Martens genau von 


dem phitoſophiſchen Voͤlkerrechte gefondert, das phi⸗ 


ſwoſophiſche Criminalrecht zu einer ganz neuen 
Geſtalt ausgeprägt, und bie Poligeiwiffe nfchaft 
in einem Sichte dargeftellt worden, wie fie in den 


Schriften des v. Juſti, Röffigs u. a. nicht er⸗ 


ſcheint! Namentlich ſoll in dieſem Werke auch der 
Verſuch gemacht werben, das oͤffentliche euro 


paͤiſche Staatsrecht und die Diplomatie, 
‚die bisher noch nicht wiſſenſchaftlich durchgebildet 


Borrede . . xiii 


waren, ‚geihmäßig, wie die andern Staatswiſſen⸗ 
ſchaften, in fpftematifcher Haltung darzustellen. - 

In dem vorliegenden erften Theile wird bie 
von mie (mit wenigen andern) im Naturrechte 
verfuchte gleichmäßige Ableitung ber Nehts- und . 
der Pflichtenlehre aus einer gemeinfchaftlihen Quelle 
nicht auf allgemeine Zuftimmung rechnen dürfen; ich 
wuͤnſche aber auch dabei nur, daß man mir — ab⸗ 
geſehen von den Prämiflen — die Folgerichtigkeit 
in der Durchführung zugeftehe. Gleiches Schiefal 
befürchte ich von der Behandlung des philofophi« 
fohgn Criminalrechts; doch glaube ih — unge- 
achtet der Kurze der Darſtellung — nichts ohne. 
Gründe beigebracht zu haben,. Die Staatsfunft 
MPolitik) endlich erfcheint hier in einer ganz neuen, 
mir eigenthuͤmlichen, Geftalt, völlig abweichend von 
allen mir befannten Syftemen und Compendien der- 
‚felben. Daß fie einer neuen Geſtaltung be 
darfte; darüber werden alle Männer vom Fache 
mit mir einverftanden feyn. Ob aber ich theilweife 
den rechten Weg fand; darüber wünfche ich vorz uͤ g⸗ 
hich Auskunft und Belehrung Wenigſtens erfuche 
ih die Männer, welche diefen erſten Theil wiflen- 
ſchaftlich prüfen, befonders der Staatsfunft ihre Auf 
merkſamkeit zu ſchenken. Durch diefe nöflig neue 
Geſtaltung der Politik ift zugleich ber erſte Theil in 


der DBogenzahl etwas ftärfer geworden, als ich An⸗ u 


fangs wünfchte und beabfichtigte; Dagegen werden die 
fülgenden Theile. verhälenigmaßig im Umfange 1and- 
her werden. | | 


4 


xiv Vorrede. 


Was die Literatur betrifft; ſo kam es, bei 
der angegebenen Beſtimmung dieſes Werkes, nicht 
darauf an, Maſſen zu haͤufen, obgleich auch nichts 
Wichtigeres uͤbergangen werden durfte. Ich kann 
verſichern, daß ich, mit wenigen Ausnahmen, die 


. angeführten Schriften ſelbſt beſitze, und namentlich 


"beim Maturrehte und der Politif viele hundert 
‚Schriften nicht angeführt habe, die ſich darüber in 


meiner Bücherfammlung befinden. So ſchwer es ift, 
Bei der Aufnahme der Literatur die fo fehr abmeichen- 
den Erwartungen und Anfihten der Einzelnen zu 


befriedigen, und fo leicht es der Kritik fälle „ irgend 


ein übergangenes Buch), das für den Einzelnen zu- 
fällige Wichtigkeit hat, nachjutragen; fo habe ich 


doch — alle diefe Schwierigkeiten berückfichtigend — 


mich nicht entfchließen fünnen, die Literatur, wie 
_ Andere thun, ganz mwegzulaffen, und lieber, meine 


ich, ftehe ein Buch zu viel da, als eins zu wenig! 


Da diefes Werk mit dem Verſuche einer fy« 
ftematifh durchgeführten Geſammtuͤber— 
fine über alle Staatswiffenfchaften im 
Lichte unfrer Zeit feinem bis jetzt erfchienenen 
oder angefündigten ähnlichen Werke in den Weg 
tritt; fo wuͤnſche ich innig, daß daffelbe, bis es durch 
ein befleres verdrängt wird, richtige und zeitgemäße 
Begriffe über die gefammten Staatswiffenfchaften in 
einem weiten Kreiſe verbreiten helfen möge, weshalb 
in demſelben — nad) dem Vorgange geachteter Män- 
ner in andern Wiffenfchaften — die Verbindung der 
Beftimmung eines Handbuches und eines afademi- 


‘ 
Vorreede. xv 


ſchen Lehrbuches verſucht worden iſt. Denn daß 
die Staatsr iſſenſchaften endlich auch in Teutſchland 
in ihre lang verfannten Rechte allmählig eintreten, 
und daß erleuchtete Regierungen das dringende Ber 
dürfniß fühlen, Fünftige Staatsmänner und Diplo⸗ 
maten, und-alle die, welche ſich den einzelnen Zwei⸗ 
gen der Staatsverwaltung widmen, eben fo forgfäls 
eig für diefe hochwichtige Beſtimmung auf den Uni⸗ 
verfitäten vorbereiten zu laffen, bat die Begründung 
felbftftändiger Bacultäten der Staatswiffenfchaften - 
auf. den Univerfitäten Tübingen und Würzburg, 
fo wie das, was fchon längft dafür in Heidelberg 
geſchah, und die auf den öftreichifchen Univerficäten 
ſchon feie mehrern Jahrzehenden beftehende Vorfchrife 
gelehrt, daß namentlich Finanzwiſſenſchaft und Pos 
lizeiwiſſenſchaft von den Studirenden der Nechte ge- 
hört und belegt werden müffen. Eine ähnliche Verord- 
nung iſt im Sabre 1822 im Königreihe Hannover 
erfchienen, wornach alle, welche ver Beamtenlaufbahn - 
fi) widmen, außer den juridifchen Studien, auch die 
ſtaatswiſſenſchaftlichen, bei ihren Gefuchen,, belegen 
muͤſſen. — Nur dann, wenn man ſich überzeugt haben 
wird, daß für den fünftigen inneren und äußern 
Staatsdienft eine eben fo beftimmte, ſorgfaͤltige 
und umfchließende Vorbereitung nöthig ift, wie für Die 
Betreibung ber Kaufmannfthaft, und für die Fünftige 
Uebernahme eines Amtes in der Kirche, in der Schule, 
oder in, der Gerechtigfeitspflege ; nur dann, wenn man 
fich überzeugte haben wird, daß unzähligen Verirrun- 
gen Fraftvoller , aufftrebender Juͤnglinge am ficherften 


xVI. Vorrede. 


durch Mittheilung deutlicher und richtiger 
Begriffe uͤber den Staat, uͤber ſeine Beſtimmung, 
uͤber ſeine Anſtalten und Berürfniffe i in den akademi— 
fhen Vorleſungen, vorgebeugt werden kann; nur 
dann werden auch die Staatswiflenfchaften auf unfern 
Hauptſchulen, neben den andern abgefchloffenen Krei- 
. Ten pofltiver Difelplinen,, als gleihberedtigt 
und gleihgewchtee erfcheinen, und ihr mwiffen- 
ſchaftlicher und gruͤndli cher Anbau wird, ſchon nach 
dem erften. Jahrzehend, einen wohlthoͤtigen Einfluß 
auf das ganze Staarsleben außern! Ich kann daher 
diefes Vorwort. gewiß nicht zweckmaͤßiger fehließen, 
als mit einer Stelle des geiftvollen Buchholz (in 
f neuen Monatsfhrife für Teutſchland, 

1822, Auguſtheft, S.493.): ‚Wäre das, wor⸗ 
nach das. Jahrhundert firebt — Die Staats wiſ— 
ſenſchaft — bereits in einer ſolchen Vollftändig- 
feit vorhanden, Daß die Organifationsprincipe über 


alle Zweifel erhoben. daftänden; fo würde darin, 


wenn in irgend etwas, das fouverainfte Öegen- 
mittel gegen alle Ummälzungen gegeben 
feyn. Leider liege dieſe Wiffenfchaft noch in der Wiege. 
Und da ihr Werth von denen, die fid) Staatsmänner 
nennen, .in der Regel am meiften verfannt wird; fo 
iſt es niche wahrſcheinlich, daß fie in kurzer Zeit die 
Wichtigkeit erhalte, die ihr gebüpre Wir 
lange fie aber auch noch verfannt werden möge; ber: 
vorarbeiten' wird fie fich, meil fie, wenn uns nicht 
alles täufche, das Kind des Jahrhunderts iſt, d. h. 
diejenige Geburt, zu welcher in allen Zweigen menfch: 
licher Erkenntniß alles vorbereitet Mr alles, droͤngttr 


Leipzig, am 14. Febr. 1823. 
RN vᷣ li it; Zi 





Ullgemeine. Ein! eitung in die gefammten 
Staatswiffenfchaften. 


| "a. Begriff der. Staatswiffenfcaften. 0.0. 
2. Zufammenhang. der „Swatswiſſenſchaften unge 


= Weberficht über die. g gefammten Sarnen 


’ x 
. 


ſich. 
3. Eintheitand ber Sradtäwitenfänften. ... 
A. Fortſetzung. ... 


ſchaften... 


6. Verſchiedenheit der Staatswiſſenſchaften von: den 


7. Die Vorbereitungs: und Halfswiſſenſchaſten wu . 
8. Literatur der encyklopaͤdiſchen Behandlung der . 


. fogenannten Kameralwiſſenſchaften. . 
den Staatswiflenfhaften. .: . 


Staatswiſſenſchaſten. a er a SP RER 





L 
. Natur» und Bölterrege 
‚ Einleitung. 


1. Vorbereitende Begriffe. . . 
2. Begriff und Zwed der philoſophifchen Rechislehre. 


3. Ableitung des Begriffes des Rechts aus der ur⸗ 


u 


KR 


.:33 


34 


fpröngtichen Betegmäßigtek des wenſu chen F 


Weſens. 0 ® 0 . 0: 0 


A. Das practifche Idial. 


"5. Die beiden Haupttheile des prastifchen ocais, Ä 


das Ideal der P ige und Res Deine, .. 


35 
36 


39 


xviii J > alt. 


[4 


Seite 
6. ‚Solgerungen aus dem Umerfäide zwiſchen Recht 
und Pflicht. .. 39 
7. Hoͤchſter Grundſatz der philofophifchen Rechtes 
j lehre.. 46 
8. Umfang, und Eintheilung der Phitofophifgen 
en Rechtslehre. .. 48 
I 9. Fortſetzung. — Rechtslehre im weitern Sinne. 50 
ur 10. Die philofophifche Rechtslehre nach ihrer Stel 
| fung zu den gefammten Staatswiffenfchaften 
und zu den pofitiven Rechten. . . '51 
41, Biffenfhaftlicher Standpunct für die Phtlofor 
:phifche Rechtsiefre, . . . 65 


12. Umriß der Geſchichte des Naturrehte nad eins 
4» zelnen Schulen. 0 2 erere et et 57 


A) Das Naturreht, ; ober ber philoſophi⸗ .. 
. ſchen Rechtslehre er ſt er Theil. 


13. Begriff des Naturkechtäs.. 2 ei 9.68 
14» Urrecht der Menſchheit 70 


a) Reines Naturrrecht. 


45. Nomenclatur der urfprünglichen Hehe ur. 71 
16. : 13) Das Recht auf Äußere Freiheit. ...:.-. 72 
17. 2) Das .Necht.auf äußere Gleichheit. . . .. 72 
18. 3) Das Reiht auf Freiheit der Sprade, der! . 
LE. . Preffe.und des Gewiſſens. . . 74 
19. 4) Das Recht auf perfönlihe Würde und 
Ä guten Namen. . . 0.2.2... 76 
820. 5) Das NReht auf Eigenthum. .. . 977 
21. 6) Das Recht auf Öffentliche Siäerheit, . 78 
22. 7) Das Recht auf Abſchließung und Haltung 
der Verträge. . - - 79. 
33. Bedingungen ber Galtigkeit der" Verträge. go 
‚24... .Meals. und Verbalverträge; unbedingte und _ 
j : bedingte, ftillichweigende Verträge. . _ 83 
25 .. une Aufhebung der Verträge. 84 
6. Mon der Billigkeit und dem Nothrechte. 85 


tb Angewandtes Naturrecht. 
978 Begriff und Umfang deſſelben... 87 
28. Nomenclatur der wichtigſten Verträge . .. 88 


- > 





29. 


31. 
32 
33. 
34 


35. 


36. 


37: 
38: 


39; 
40. 
rs 


Inhalti. 


1) Der Geſellſchaftsvertrag uͤberhaupt. .. 
2) Der eheliche Vertrag... 
3) Das aus demſelben hervorgehende Ael- 
ternrecht. 0 0 0 0 0 “ . . 
4) Der Dienfivertrag .. .. 
5) Der Arbeits» und Miethsvertrag. .. 
6) Der Schentungss, Zanfa: u und Kaufs 
vertrag. . . 
7) Der Leih⸗, Darlehns und Pfandver⸗ 
trag.. 


8) Der Aufbewahrungs s und: Bevollmächtis 


gungsvertrag. Die Bürgfchaft. - - 
-9)-Der Vertrag auf.den Fall-des Todes. . 
10) Der Verfaffungss und Regierungevertrag 
der Geſellſchaft. .. .. 
11) Der kirchliche Verfaſſungsvertrag. 
12) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht.. 
Anhang. Bon den Rechten der Wahnfinnigen. 


BH) Das philofophifhe Völkerrecht, 
oder der Philoſophiſchen Nechtölchre 
zwehter Theil. 


42. Webergang vom Naturrechte zum Volkerrechte. 
43: Zweck des Nebeneinanderbeftehens der Völker. 
4. Das Urrecht im Voͤlkerrechhtee. 


45. 
46. 
47. 
48: 


49 


50. 
51. 


52. 
53. 


64. 
66. 


Folgerungen daraus. > 2 2 2 0 ee. 


Schluß diefer Folgerungen. . : 


Urfprüngliche und erworbene Rechte der Völker, 
Romenclatur der urſpruͤnglichen Rechte 


der Voͤlker... 

1) Das Recht der individuellen Breifelt ei eines 
jeden Volt. . - . 

2) Die rehtlihe Gleichheit der Wilker. . 


3) Die geginfeitige Deffentlichkeit, (Mabtieität) .‘ 


der Voͤlker. 4 
4) Der Eredit der Volker. 27. 
5) Der rechtliche Eigenthums⸗ und Gebiets 
beſitz der Voͤlker.. oo. 
6) Die Außere Sicherheit der Bälle. . 
7) Das Recht der wertrase zwiſchen den ein⸗ 


zelnen Voͤlkern. 6* 49 0 . ® « | 


XELX 


Seite 





! 


2. Vorbereitende Begriffe... - 


xx | Sn h al t. 


8) Das Recht der Vertretung des einen Voi⸗ 
kes bei den andern, oder das Geſand⸗ 

tenrecht. oo. 00 eh 1.0 10 0%,» 

87. Das. Weltbutgerrecht. ee... 


II. 
Staats- und Staatentecht. 


Einleitung. 


2. Forfesung.. -« . . . . 
3. Begriff und Zweck des Staates. “oe . 
4. Erweiterung des Staatszweckes.. . 
5: Begriff und Theile des Staatsrechts. . 
6. Verhältniß des Staatsrechts zu den ander 


.oı ee 0 0 


Staatswiffenfhaften. . . 

7. Begriff und Inhalt des Siaatenrechts. 

8. Literatur des Staatsrechtes.. . . 
A) Das reine Staatsrecht. 


9. Inhalt umd Theile des reinen Staatsrechts.. 
10. a) Lehre von den Urverträgen des Staates. 


11. . .Der Bereinigungsvertrag. - 0 0 0. >» 
12. ‚Der Verfaffungsvertrag 0 0. . 
13. Der Unterwerfungsvertrag. - 


14. Unterfhied der bürgerlihen und aͤfentlichen 


(politiſchen) Freiheit. . 
15. b) Lehre von den einzelnen Thelten der hoch⸗ 
ſten Gewalt im Staate.. oe. 


16. Die geſetzgebende Gewalt.. . » 


17. Die vollgiehende Gewalt. . . » 
18. ©) Lehre von der rechtlichen Form der Ders 
| faffung. und Regierung des Staates. 


19. Die allgemeinen Vernunftbedingungen fuͤr 

jede rechtliche Verfaſſung....⸗ 
20. Exrwerbung des Stantöbürgerrechts. . - 
g1. Auswanderungstedt. .. so 0.» 
22. Verluſt des Ötaatsbürgerrenits, 0.0. 
23. . . Naturalifirung der Sremden. . » - « 


“0 De oe 0 40 


Seite 


134 
136 


Sefelfcaften im Staat. . - - - . 


Die Stellvertreter des Volkes.. 


snba It 


‚ Verfchiedenheit ber Seaatsöhrger und des 


ren KEintheilung. -. . . 
Eintheilung des Stäarsgebiets. ... 
Rechtliche Form der gefesgebenden 
Sewalt im Staat - 6 


Rechtliche Form der vollziehenben 
Gewalt im Btaate. oo 0, 2 2 0. 


Der Regent, ale Souverain. . . 
Fortſetzung. Majeftätsrechte des Regene 


tel. . .. 0 0. 
Pflichten des Regenten. .. 
Rechte und Pflichten der Unterthanen. 
Die richterliche Gewalt. ee 0 oo. oo 
Sortfegung. . . . 


ee .$% 


Die vier. Haupttheile der Staatsverwals 


tung . .o 0. . 0907 8 08 2 0 oo 


. Die Staatsämter. . 


Rechtliche Form der Kirche im State, 

Fortſetzung.. 

Fortſetzung. Verhältnig der Kirche jum 
Stante.. - . . 


Rechtüche Form der Verdeſſerung der 


a) Die fußjective Strafrecht, 
| theorte. 


ı) Die Wiedervergeltungstheos 


vie. 0 ⸗ W 0 0 


Verfaffung. - 2 000 en en RA 

B) Das philoſophiſche Strafrecht. 
. Der rechtlich geftaltete Swang. . 247 
. Begriff und Theile des phitofophifgen Strafe va 
rechts.. 250 

. Literatur der wiffenfchaftlichen Behandlung des 
ebitofoppifäen Strafrehtd.. . . 253 

a) Lehre von der redtlichen Geſtaltung des 
Zwanges und der Strafe im Staate. 256 
Fortſetzung.. 259 
Ueberſicht uͤber die wichtigften Strafecäis 
tbeorieen. . . » . . . 261 


xxii J nbh alt. 


9. 9:07 Wräfung berſelben. .. 
Va * R Die Beſſerungstheorie.. 
u Pruͤfung derfelden. . .. 
u EB) Die objective Strafrechtstheos 
v rn tie. 

52. 2.2.3) Die Abfchrecdtungstheorie. 

53. Pruͤfung derfeldben. . . 

Bu... . 2) Die Präventionstheorte, '. 
Hrafuns derſelben.4 


55. 
56. Kügemeines Ergebnit oo... 


57”. b) eehre von. der rechtlichen. Anwendung des ° 
Ä Zwanges und der Strafe im’ Staate, 


(Die fubjectivsobjective Straf 


ı . techtstheorie.) . 
58. ‚ Serafwürdigteit und Strafbarteit der 
, . That. o a o 0) .' 
:59 - . Bann die Zurechnung wegfallt. ... 
6% * 2°) Die Lehre von den Rechtsver⸗ 
letzungen im Staate. 
Eintheilung der ſtrafbaren Handlun⸗ 
ı gen in Verbrechen und Vergehen. 
62. ° Die Vergehen. . 0 0:0 00° 
62... Die Verbrechen. . s . | 
63. AH) Die Lehre von den Strafen” im 
. . Staate. 8. 4—0— a 2 .e «d 
6% Fortſetzung. oo. ... 
65. "Das Begnadigungsredit. .- 
66. ) Ausübung des Strafrechts im 
Staate. 0 . er Te 
© Das philofophiſche Staatenredht. 
67. Begriff, Umfang und Inhalt deffelden. . . 
68. a) Darftellung der allgemeinen Grundfäge für 
das rechtliche Mebeneinanderbes 
ftehen aller Staaten des Erdbodens. 
69. —E zwiſchen den Staaten... 
70. Verbindung zwiſchen den Staaten... 
71. b) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung des 
Zwanges zwiſchen den Staaten nach 
vorhergegangenen Rechtsverletzungen. 


310 


Inhalt. xzım- 


. Seite 
79, wofufungen des Zwanges zwifchen den -.. 
Staaten: Retorfi lonen, Repreſſalien, 


Krieg. 264 . 73 ..e. 0 84 311 

73. Der rechtliche Krieg. oe. 0. 313 
AA Bundesgenoſſen im Krige . . . . 313 
75... Recht der. Neutralität... = co 0 0. 317 
76. Der eehtlihe Sriede. 2 0 0 0 0. 37 
I ı ı wi 


Die Staatskunſt Reit) 
" Einleitung. m 
1. Dorbdereitende Begriffe. . . 320 


2. Begriff und Umfang der Staatetunft eo 0. 329 
3. Zweck und Theile der Staatskunft. , . 396 
4. Verhältniß ‚der. Staatskunſt zu den übrigen” ” 

Staatswiffenfhaften. > 2.2.10 0. 328 
6. Literatur der Staatöfunfl.. 0 0 0 0 +. 333 


A) Lehre von dem Innern Staatsleben. *8 


6. Inhalt und Umfang des erfor Theilee dr ° © 
Staatstunf. . » 340 
7. Die Cultur des Volkes, als erſte Bedin⸗ 
gung des innern Stantslebend. .. 344 
:8e . „Die politifhe Muͤndigkeit als Folge de 
| Cultur. .. .. 344 


9. b) Der Organismus des Staates. 

: ‚Begriff der Organifation Überhaupt. - . 346 

10. ‚Anwendung des Begriffs der Organifation . 
aufden Staat. © 2 eo, ee. . 348 


a1. . Fortſetzung... 350 
12. "Die deftandtheile der Staatsorganifation. 362 , 
15. Die ſogenannte gefchichtliche Unterlage der 
on Staatsorganiſation. . . 356 
14. UUeber das Verhältniß des Rechts und der 


Gluͤckſeligkeit gegen einander in der Orga⸗ 
. ‚ .„ nifation.des Staates. . . 

15. e) Die Verfaffung des Staates, ale 
erſter Beſtandtheil der Organiſation 
derſelben. 2 0 0 0. 361 


XV. Vorrede. 


durch Mittheilung deutlicher und richtiger 
. Begriffe über ben Staat, über feine Beftimmung, 
über feine Anftakten und Behürfniffe in den afaden- 
fhen :MWorkefungen, vorgebeugt werben Fanny nur 
dann werben auch die Staatswiffenfchaften auf unfern - 
Hauptſchulen, neben den andern abgefchloffenen Krei- 
‚ Ten pofitiver Difehplinen,, als gleichberechtigt 
und gleichgenchtet erſcheinen, und ihr wiſſen⸗ 
ſchaftlicher und gruͤndlich er Anbau wird, ſchon nach 
dem erſten⸗ Jahrzehend, einen wohltpärigen. Einfluß 
auf das ganze Smaatsieben. äußern! Ich kann Daher 
dieſes Vorwort. gewiß nicht zweckmaͤßiger ſchließen, 
als mit einer Stelle des geiſtvollen Buchholz (in 
ſ. neuen Monatsſchrift für Teutſchland, 
1822, Auguſtheft, S. 493.): „Waͤre das, wor⸗ 
nach das Kabrhundere ſtrebt — die Staatswif 
ſenſchaft — bereits in einer foldden Vollftandig- 
feit vorhanden, daß bie Organifationsprincipe über 
alle Zweifel erhoben baftänden; fo würde darin, 
wenn in irgend etwas, das fouverainfte Gegen 
mittel gegen alle Ummwälzungen gegeben 
feyn. Leider liegt diefe Wiſſenſchaft noch in der Wiege, 
Und da ihr. Werth von’benen, die ſich Staatsmaͤnner 
nennen, .in ber Regel am meiften verfannt wird; fü 
iſt es nicht wahrſcheinlich, daß fie in kurzer Zeit die 
Wichtigkeit erhalte, die ihr gebuͤhrt. Wie 
lange fie. aber auch noch) verfannt werden möge) her: 
vorarbeiten‘ wird fie fich, weil fie, wenn ung nicht 
- alles täufcht, das Kind des Jahrhunderes iſt, d. h. 
diejenige Geburt, zu welcher in allen Zweigen menſch⸗ 
licher Erkenutniß alles vorbereitet SB: allen. tmängt. Y 
Leipzig ‚am 14 geh. 1823: 771 


dena 3: 


Bl star 


Ullgemeine. Einleitung g in de geſammten 
Staatswiſſenſchaften. 
"a. Begriff der. Staatswiffenfchaften -. » 
2. Zufammenhang, ber ‚Stmatswiffenidaften. untge 
ſich. 
3. Eincheitung sed Sradtämifenfnften. en 
A. Fortfeßung. .- »- . 


= Ueberſicht Aber die. geſammten Sauter. 


ſch chaften. 0 0 


6. Verſchiedenheit der Staatewiſſen ſchaften ven den 


- fogenannten Rameralwiffenihaften. ..., 


7, Die Vorbereitungs: und Stifomiffenfafn gu 


den Staatswiffenfchaften. .: 


8. Literatur der erfcyklopädifchen - Behandlung der 


Staatswiſſenſchaften. . 02 1 00 0 0.4 .o. 


\ ‘ . . ‚ 5% 





% | J. 
Nature und Bölterrege, 2 


‚ Einleitung. 
1. Vorbereitende Begriffe. . . 


2. Begriff und Zwed der phllofophifgen Reqrelehre. | 


ı Pe 


3. Ableitung des Begriffes des Rechts aus der ur⸗ 
u fpröngtichen Befegmäßigtek des menfhlihen . 


Weſens. 2 —* ⸗ — 0 0 — 0 
4. Das practifche Idial. 


5. Die beiden Haupttheile des practiſchen voea, on 


das Ideal der P icht und des Beau. .o 


Selte 


4 


Q Porn 


xviii Inhalt. 


1 


6. Solgerungen aus dem Unterſchiede zwiſchen Recht 
und Pflicht. .. 
7. ae Srundfaß der philoſcphiſchen Rechtes 
lehre.. 
8. Umfang. und ‚Eintheilung der Phitsfophifgen 
Rechtslehre. .. 
9. Fortfeßung. — Rechtslehre im weitern Sinne. 
10. Die philoſophiſche Rechtslehre nach ihrer Stel⸗ 
lung zu den geſammten Staatswiſſenſchaften 
und zu den poſitiven Rechten. . . 
a1. Biffenfhaftlicher Standpunct für die Pötlofor 
phifche Rechtslefte., . . . 
12. umriß der Geſchichte des Naturrehte nad eins 


ı, zelnen Schulm. 2 2 0 0 ee lee 
A) Das Naturrecht, oder der hnoſophi 


ſchen Rechtslehre erftei Theil. 


13. Begriff des Naturtechts u... ee: 


14 urrecht der Menſchheit.. 
2) Reines Naturrrecht. | 


45. Nomenclatur der urfpränglichen Rechte. 8* 
16. : 1) Bas Recht auf aͤußere Freiheit.. 


17. - 2) Das Recht. auf äußere Sleichheit.. . . 


18. 3) Das Heiht auf Freiheit der Sprade, der: . 
Le 


Preſſe und des Gewiſſens. . . 
19. 4) Das Recht auf perfönlihe Würde und 

guten Namen. . . Fe 
20. 5) Das Recht auf Eigenthum. .. 


21. 6) Das Recht auf öffentliche Sicherheit. u 


22. 7) Das Recht auf Abſchließung und Haltung 
der Verträge. . » 

27. Bedingungen ber Galtigkeit der Verträge. 

‚24. .Reals und Verbalverträge; unbedingte und 


. bedingte, ſtillſchweigende Verträge. . 


25. Beränderung, und Aufhebung der Verträge, 
26. Ron der Billigkeit und dem Nothrechte, 


b Angewandtes Raturrecht. 


278 Begriff und Umfang deſſelben. 2. . 
28. Nomenclatur der wichtigften Verträge . 


20. 
50. 
zi. 


32. 
. 35 


I 


35. 
36. 


37: 
58: 


39: 
40. 
4Al. 


Inhalt. 


1) Der Gefellſchaftsvertrag überhaupt, uw 

2) Der ehelihe Vertrag. . - 

3) Das aus demfelben hervorgehende Jel 
ternrecht. . — 604 3 eo.» 

A) Der Dienfivertrag. . .. 

5) Der Arbeits⸗ und Miethsvertrag. .. 

6) Der Schentungss,. Taufe und Kauf 
vertrag. . 

7) Der Leih⸗, Darlehne s "and Pfandvers 
trag. - 


8) Der Aufbewahrungss und- „Bevollmächtis 


gungsversrag. Die Shrofchaft .. 
-9)-Der Vertrag auf.den Fall-des ‚Todes. . 
10): Der Verfaffungs: und Reglerungevertras 

der Geſellſchaft... ... 
11) Der kirchliche Verfaſſungsvertrag. 
10) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht. 


Anhang. Von den Rechten der Wahnſinnigen. 


. B) Das phileſophiſche Völkerrecht, 


oder der pbilofophifhen Rechtslehre 


zweiter Theil. 


42. Uebergang vom Naturrechte zum Volkerrechte. 
43: Zweck des Mebeneinanderbeftehens der Völker. 
44 Das Urrecht im Volkerrecheee. 0° 
45. Folgerungen daraus. > 2 2 0.» .. 
46. Schluß diefer Folgerungen. . « 

47. Urfprüngliche und erworbene Rechte dee bite 
48: Nomenclatur der urſpruͤnglichen Rechte 


49. 


50. 
51. 


52. 
53. 


54- 
‚58. 


der Voͤlker. .. 
2) Das Recht der {ndividneen Freiheit eines 

jeden Volke. . . . 
2) Die rechtlihe Steihheit der Wilken. . . 


HD Die geöinfeitige Oeffentlichteit OPalicitän . 


der Volker. 
4) Der Credit der Völker. „ . 
5) Der vechtliche Eigenthums⸗ und Sesias 
befiß der Voͤlker.. .. 
6) Die äußere Sicherheit ber wäte. . . 


7) Das Recht der Verträge zwiſchen den ein⸗ 


zelnen Woͤltkern.⸗ 


a &,n bh al .. 


Seite 

6. 8) Du Recht der Vertretung des einen Vol⸗ 
| tes bei den andern, oder, das Geſand⸗ 

\ tenredt. ..,.. Yo. 00.0 08, vo '134 \ 

er. Das. Bettärgensi, „en ne 136 





v 


IL, 


. Staats. und: Seagtentecht. 
etnteitung | 
2. Borbereitende Begriffe. oo 0 0 0 0 0. 136 
.3 Forſetzung. 00 0 40 140 
3. Begriff und Zwed des Staates. een. 144 
4. Erweiterung des Staatszweded. : . . . 146 
6. Begriff und Theile des Staatsrehts. . . . 148 
‚6. Verhaͤltniß des Staatsrechts zu den andern , - 
Staatswiffenfhaften. . .. . . 149 
7. Begriff und Inhalt des Siaatenrechts. . 18532 
8. Literatur des Staatsrechtes. 4453 


A) Das reine Staatsrecht. 


9. Inhalt umd Theile des reinen Staatsrehts. „- 161 
10. 38) Lehre von den Urverträgen des Staates. - 163 


21... .Dpr Bereinigungsvertrag. - “0. +. 168 
12. . Der Verfaffungsvertrag. . 0 0... 169 
13. . Den Unterwerfungsvertrag. .. - 169 
14. Unterfchied det Bürgerlichen und Öfenticgen | 


Cpolitifhen) Freiheit. . 173 

15 b) Lehre von den einzelnen hellen der hoͤch⸗ | 
fien Gewalt im Staate . 2» 0 «+ 177 

36 . . Die gefeßgebende Gewilt. „. . . . . 180 
17. . Die vollgiehende Gewalt. . . » 185 
18. ©) Lehre von der red,stichen Form der Bere >. 
| faffung. und Regierung des Staates. 185 
19% . . Die allgemeinen-Vernunftbedingungen FÜR .. _; 
jede vechtliche Werfalung . . .. 186 


20. . Erwerbung.des Staatébuͤrgerrechts. + .189 
82. . . Auswanderumgsteht. . . so... 390 
22. Gerluſt des: Sraatsbürgerrehts, . - - 39° 
935. . . Naturalifirung der Zremden. . » + + 19° 


“ t. 


> 


3 Verſchiedenheit der —R und de⸗ 
ren Eintheilung. = + ... 
25. Geſellſchaſten im Stante. . ...0. 
26, Eintheilung des Staatsgebiets. 0... 
27. Rechtliche Form der geſetzgebenden 
Sewalt im Staate. . 2 0.“ 
88 - Die Stellvertreter des Volle. - . . 
29. Rechtliche Form der vollziehenden 
W Gewalt im Dtaate.. 
50. : Der Regent, als Souverain. . - » 
31, : + Fortfegung. Majeftätsrechte des Regen⸗ 
ten... . 0er 0000 6 .d 
2. Pflichten des Negenten. .. 
33. Rechte und Pflichten der uͤnterthanen.. 


34. Die richterliche GBewalt. 

35. Fortſetzung.. 

36. Die vier. aupithrile der Staatsverwals 

j . tung . 0 .e 0 ... 0 

37. Die Staatsämter. .⸗ 

38. Rechtliche Form der Kira im Staate. 

39. Fortſetzung.. 

40. Fortſetzung. Verhättniß der Kirche vum 

 ., Btaate. . . . 

ki, Rechtliche Form der Verbefferung "der 

Werfafung. > - 2 20 00.2. 


B) Das philefophifhe Strafrecht. 
42. Der rechtlich geflaltete Zwang. 


“ “ 


43. vegriſ und Theile des phtofopfifgen Strafı 


chts. 
4% —8 der wiffenfchaftlichen "Behandlung. de 
hliofophifgen Strafrechts. . » 
45. a) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung "des 
Zwanges und der Strafe im Staate. 
46. ° Fortſetzung. 
47. Ueberſicht über die wihiigſten Siriitdis 
theorien..... 
&) Die fubjective Etrafrechts 
theorie. 
48. 1) Die Wiedervergeltungstheo⸗ 


rie. 0 0 “ ® o ' 


xxii E u alt. 


a B Seite 
9. ** Pe derfeißen. .. 265° 
PP — 9 Die Befferungstheorte. . 268 
1 u Drüfung derfelben. „ . .269 
. ® Die objective Strafrechtätheos 
© oo. on tie. 0 
58 ...2.. Die Abſchreckungsthesrie. 271 
53. . Prüfung derfelben. . . 272 
54. . 2) Die Praͤventionstheorie.. 275 


55. Hrafuns derſelben.. 278° 
56. Allgemeines Ergesniß, eo. 000. 0. 279 

57. b) Lehre von. der vechtlichen. Anwendung des 

. Zwanges und der Strafe im Staate, 
(Die ubjestiorobjestine Straf 


N 


i . tedhtstheorie.) . 282 
58 Stnafwaͤrdigkeit und Strafbarteit "der 
: That. e . 0 0 ‚985 


59.. Bann die Zurechnung wegiallt. .. 288 
6o0.a4) Die Lehre von den Rechtsver 
letzungen im Staate. 
Eintheilung der ſtrafbaren Handlun 
3 gen in Verbrechen und Vergehen.‘ 289 
62. Die Vergehen. Fe —64 291 


62. u Die Verbriehen. . 5 252 
63. 45) Die Lehre von den Strafen” im 

. .. Staate. . 40 «u —0 % .. «A 294 
64. Fortfegung . .. 0. «296 
65. "Das Begnadigungsredht, .. 298 
66. ) Ausübung des Strafrechts im 


Staate. « . . 0. ‘ 4 300 


6) Das philofophifche Staatenredt. 


67. Begriff, Umfang und inhalt deffelben. ." . 301 
68. a) Darftellung der allgemeinen Grundſaͤtze für 
das rehtlihe Mebeneinanderbe _ 
ftehen aller Staaten des Erdbodens. 304 
69. ° Verträge zwifhen den Staaten. . .„ « 306 
70. Verbindung zwifchen den Staafen. . . 308 
71. b) Lehre von der rechtlichen Seftaltung, des 
Zwanges zwiſchen den Staaten nach 
vorhergegangenen Rechtsverletzungen. 810 





3 nhalt. xxiu 


Site 
72. Aftafungen des Zwanges zwiſchen den -, 
Staaten: Retorſionen, Repreſſalien, 


Krieg. 20 ‘ie ..+. ® | f 211 
73. . Der. rechtliche Krieg. ee ee. 313 
7.  ‚Bundesgenoffen im Kriege. -.. . . 313 
75. Recht der. Neutralität... o 0 0 337 
26 . Der eechtliche Friede. 0 0 0. 37 
— ——— 
— m e or 
Die Staatstunſt (Ben. 
- Einleitung. 8 in 
1. Vorbereitende Begriffe. . . e + 320 


2. Begriff und Umfang der Staaretunft 0 . 329 
5. Zweck und Theile der Staatskunft. , . -» 396 
4. Verhaͤltniß ‚der, Staatskunſt zu den übrigen u 

‚Staatswiffenfhaften.. - 2.0 0 + 328 
5. Literatur der Staatökunfl.. » 0 0 0 . 333 


A) Lehre von dem innern Staatsleben. ** 


6. Inhalt und Umfang des erſten Theiles de 
Staatskunſt. . . 540 
7. Die Cuitur des Volkes, als erſte Bedin⸗ In 
gung ‚des nnern Staatslebend. . - - 43 
:& , „Die politifhe Muͤndigkeit als Zotse der 
ultur. + 344 
9. ” De Organismus des "Staates. 
2 ‚ Begriff der Örganifation überhaupt. . . 346 
10. , ‚Anwendung des Begriffs der Organiſation 
auf.den Staat. . 2 2,0 0 0 0. 5348 
11. , ‚Zortfeßung. .. 350 
12. Die Beftandthejle der Staatsorganifation. 362 
13, : ‚Die fogenannte gefchichtliche Unterlage der 
Staatsorganiſation. .. 356 
14 ‚ Ueber das Verhältniß des Rechts und der F 
Gluͤckſeligkeit gegen einander in ber Orga . 
7, „ Mfation-des Staated. - . ©: 369 
15. e) Die Verfaffung des Staates, "ale 


erſter Beſtandtheil der Organiſation 
derſelben. 3661 


— — — — 


“ ® » ® 


' Ueber idte den Volksverrretern ver⸗ 


Inhalt 

un Seite | 

Dfe deblichen Stände im'Stänte. 365 
Verſqhiedenheit der Verfaſſungen 


nach polttiſchen Ruͤckſtchten 
1) Ye eehung: auf ihte Ent· 57 


tthun 371 
2)‘ ir Beylehang aufiher tmern T. 

.. Beimmungn. "m. ..376 

.  ertfeßung. - - 

Ueber das Verhältniß wiſchen der 
geſetzgebenden und vollziehenden 
Sewalt, und über den Gruudſatz der 
Ernennung der Boltsugriveter. ., 376 
Fortſetzung. 

Uebrr die Vertheilung bee: Sutovet· 
treter in Kammern. % 39° 

Beſchluß. le ST 


. 
% 
6 


gi 


{ 
—2* 


faſſungsmaͤßig betzulegeliden Rechte 
und Pftichten. "Va: Abe. 
‚ Ueber. Freiheit der Preſſe.408 


w ' Die Regierung des Staates, ale 


#0: 
Fr 
. 


‘ 


weiter Beſtandtheil ‘det vrga⸗ . 
niſation deſſelben. fi... 48 


* Sortfegung. » | oc 4ig 
Allgemeine "Einitearten der Regie " 
rungsformen. - Ai 


Ueber die monardifchen and: eepußlis J 
kaniſchen Reglerungeſormen übe · 
haupt.. . .. 423 


Die monardifhe Hegierungsform. 


- 0) Die unbefchränfte und ber | 
·ſchraͤnkte. .. tt 42 


Fortfegung. Be 
P) Die Badts und erbliche 
"Monardie - . 428 . 


Die republikaniſche Kegierungeform. 435 
a) Die Demokratie . . . + 440 
PB) Die Artftotratie . .’. . AM 
Anhang. “” Ä 

Die Theokratie. — Der Bundes⸗ 

ſtaat und Staatenbund. . . 446 





.I% "5 alt N Kr 


33, Ergebniffe der Sefhichte und Staat - 

. funft über bie verfchiedenen Regie ' _ 

j rungsformen.. 00.07 4 
54 »Y Die®erwaltung des Staates, als 

dritter mwerentticher Beftandcheiß - .. 

"der Organifation deffelden. .. +. 451 


35. Haupttheile der Vermaltung, :. . 463 
36. : + ++: Die: beiden Hauptſyſteme in der 
Staatsverwaltung. vr 000. 455 
37. : * + PBortfegung . 457 
38. Aligemeine Srundfäße "für die Ber Lu. 
000» Waltung- . 460 
3% - Die hoͤchſten Behötden der Stantse En 
verwaltung. . . 46 
40%. - + + + 4) Die eingelnen Miniferien. .: 467. 
He: 2) Der Staaterath. . . - 47a 
42. 3) Die Generalconteolle: .. dd 46 
43. Weber die Verantwortlichkeit der hoch 
ſten Staatsbehorden. . :-. 478 
44. a) Die Gerechtigkeitspfleg e, > 
als erſter Haupttheit ber Otaatsverwal⸗ 
tung. 0 % 6 ® ® ® e ‘ 481 
45. Sortfegung.. .. 488 
46. . b) Die Polizei, ate eier Haupt⸗ 


theit der Staatöverwaltung.. . . 458 
A...) Das Finanzwaeſen, als dritter 
Haupttheit der Ötaatsverwaltung.. . 504, 


48. d) Das Kriegsweſen, als vierter , 
_ Haupttheil der Staatöverwaltung. . 511 

49. ‘ Fortſetzung. ..„-”.—00e. 0 518 
50. Fortſetzung.. 518 


51. ©) Die in der —8 Verfaſſung, Regierung 
und Verwaltung des Volkes ‚gemeinfchafts 
lich enthaltenen Bedingungen der recht» 
lihen Bortbildung des innern 
Staatslebens (Lehre von den Reformen 


im Staate). . . 529 
502. Die Reformen im Innern Stantsiehen. 531 
53. ortſetzung. 3532 
54. Ueber Revolutionen... 536 


5: Weber Reaction in politiſcher Hinficht. 540 


’ [ 


axvı Inhalt. ö 


1.0 Seite 
B) zehre von dem äußern Staatsleben. 


ur: Ueberſicht der Bedingungen und Verhaltniſe des 
außern Staatslebens...2 2 546 
57. —D der Grundſaͤtze der Staatskunſt 
37. für. die Bechfelwitkung und Ber 
di 0 „bindung dei ‚einzelnen Staates mit . 
4 allen übrigen neben ihm Reftehenden . 
m. ‚Staaten, 


un» F . .Das "Staatsiägerefie. erne 548 
58. . Eintheilung: der, Staaten nach ihrem 
Ben politifchen Gewichte. one 552 


59. sinn Politiſches Gleichgewicht. ee. 555 
‚ Verträge, Buͤndniſſe. „Garantien. 
3. Gefandte. 558 
.Die, politiſche Unterhandlungskunſt. 559 
Darftellung der. Orundfäße der "Staats . 
. tu unfe für die Anwendungen des Zwan . 
.908 „zwifchen:.ben Staaten nad, anges 
£ ı Qrobtenioder erfolgten MNechtsvetlegungen. 561 


ae 2.5 

vw ’ 

.* * 

”. . .. 

k . , 
u" + [ “ 


”. “ 
‘ 
_ x; 


63. ., Der Krieg aus dem Standpuncte der 
en. Stantstunfl.. . . 563 
| Das Eroberung recht aus dem Standı oo 
rn panete der Staatskunſt....665 
55 . . .Der Völkerfriede aus: dem Stande | 
. an. punste der Staatskunſt.... 567 
i yet mern. \ 
j) n * 


⸗ 


I Allgemeine Einleitung 
| in die 


seh ammten Staatswiſſenſ chaften. 


a Se 
Begriff der Staatswiffenfhaften, | 


E⸗ gibt einen Kreis von Wiſſenſchaften, welche 
man — zum Unterſchiede von allen andern wiſſen- 
ſchaftlichen Gebieten — die Staatswiſſenſchaf⸗ 
ten nennt. Das Eigenthuͤmliche derſelben beſteht 
darin, daß die Idee des Staates in jeder 
dieſer Wiſſenſchaften den. Grundbegriff der 
ſelben bildet, und die Verſchieden heit der 
einzelnen Staatswiſſenſchaften, nach ihrem ſelbſt⸗ 
ſtaͤndigen Charakter und nach ihrer gegenſeitigen 
Grenzbeſtimmung, zunaͤchſt auf der Art und 
Weiſe beruht, wie der Grundbegriff des Staa» 
fes in.dem Mittelpuncte ber wiffenfchaftlichen Dar⸗ 
ftellung nach gewiſſen mefentlichen Beftimmungen er« 
fheint, durch welche die eine Staarswiffenfchaft, in 
Hinſicht auf ihre Begründimg, auf ihre Eintheilung, . 
auf ihten Umfang und auf ihre foftemarifche Durch» 
führung, fi). von jeder andern Staatswiffenfchaft. 
unterfhelde 2 aten vn | 

\ L ) 1 


2 Arllgemeine Einteitung . 
2. 

Zuſammenhang der Staatswiſſenſchaften 

unter ſich. 


Recht. und Wohlfahrt fü find die beiden höch- 
fien Bedingungen alles Staatslebens ; denn in dem 
Staate find vernünftig + finnliche Weſen vermittelſt 
des Staatsvertrages zu einer Geſellſchaft zuſammen⸗ 
getreten, durch welche der Endzweck der Menſchheit -- 
Sittlichkeit und Gluͤckſeligkeit in Harmonie — theils 
von dem einzelnen Menſchen, theils von der gan⸗ 
gen Rechtsgefellfchaft, fo wie nach) außen in ber _ 
Wechſelwirkung mit andeen Völkern und Staaten, 
erreiche werden foll. . So wie aber die geiffige Natur 
des Menfchen höher ſteht, als die ſinnliche; fo ſteht 
auch) unter den beiden Grundbebin ungen. des Staatt⸗ 
lebens das Recht hoͤher, als die Bohifährt, und: nie 
darf der Wohlfahrt wegen Bas Recht verlegt vder 
hintangeſetzt werden. Denn die Herrſchaft des 
Rechts auf dem ganzen Erdboden iſt das 

‚Seal, welchem theils jede einzelne bürgerliche: Ge⸗ 
fellfchaft, theils die Gefammtheit aller auf'deni - 
Eroboden nebeh einander ‚beftehenden Völfse ung 
Staaten zugebildet werden fol, Diefes Ideal muß 
daher auch der. legte und höchfte Maasftab feyn fir 
alles, was in den Staatswiffenfchaften entweder als 
zu verwirklichen gefordert‘, oder als bereits vorhan⸗ 
. den dargeftelle und nach jenem Maasftabe geprüft 

werden foll, 


J 4 on — 
Eintheitung der Staatswiffenfhaften., 


Sind Recht 'und Wohlfahrt die beiden hoͤchſten 
Bedingungen alles Staatslebens; ſo folgt darqus⸗ | 








. 


in bie 'gefammiten Stantswiffenfihaften, 3 


daß alles zu dem Kreife- ber Staatswiffenfchaften 
gehört, was uns lehrt, theils wie biefe beiden 
hoͤchſten Bedingungen des Staatslebens verwirfliche 
werden follen und koͤnnen; theils wie fie in 
den vormals beftandenen und noch beftehenden Staa⸗ 
sen vermirflicht worden find und verwirfliht wer 
den; — ober auch wie und wedurch dieſe Bedin- 
gungen verfehlt und nicht verwirklicht worden find, 
. Der Kreis der Staatswiffenfchaften wird daher, 
nad) feiner allgemeinften Eintheilung, theils philo- 
fopbifche, theils geſchichtliche Staatswiflen- 
fchaften umfchließen, wovon die erften lehren, wie, 
nad) den ewig gültigen Forderungen ber Vernunft, 
Recht und Wohlfahrt vermwirflicht werden follen und 
» tönnen, und die zweiten durch Tharfachen nach- 
weifen, ob und wie Recht und Wohlfahrt in den vor- 
mals beftandenen und noch beftehenden Staaten ver- 
wirflicht werden, oder nicht. (So gehören entfchieden 
bas Staats» und Staatenrecht zu den philo« 
fophifhen, Dagegen die Geſchichte des. euro- 
päifhen Staatenfyftems, die Statiftif 
u. a. zu den gefchichtlihen Staatswiffenfchaften.) 


A J 
Fortſetzung. 


Allein man reicht mit dieſer allgemeinſten Ein- 
theilung der Staatsmwiffenfchaften in philofophifche 
und gefchicheliche niche aus; theils weil in den 
Kreis verfelben zwei MWiffenfchaften gezogen werden 
müffen,. in deren Mittelpuncte zwar der Grund- 
begriff des Staates nicht vorherrfcht, ohne welche 
aber die eigentlichen Staatswiflenfchaften ihrer legten 
Begründung ermangeln: das Natur und Voͤl⸗ 

2 ” ’ ' 


- 


4... Üigemeine Einleitung 


kerrecht, und die Volkswirthſchaft (National. 
öfonomie); theils weil gewiſſe Staatswiffenfchaf- 
ten nur durch die Verbindung von philoſo— 
pbifhen Grundfägen mit geſchichtlichen 
Thatſach en ihre fuftematifche Geftaltung und Hal- 
tung gewinnen fünnen, wie z.B. die Staatsfunf 
(Polieif), die Staatswirtäfhaft und Finanz 
wiſlſſenſchaft, fo wie die Polizeiwiſſenſchaft. 

Wenn.man, wie es die Vernunft verlange, das 

fogenannte Nature und Völferrecht von dem 
Staats» und Staatenredhte forgfältig un- 
terfcheidet; fo enthält das erftere, nad dem in 
ihm aufgeführten Ideale, Die Darftellung. eines 
rechtlichen Vereins noch ohne Ruͤckſicht auf das 
Leben im Staate, doch fo, daß jenes Ideal des 
Natur» und Volkerrechts der hoͤchſte Maasſtab 
fuͤr die wiſſenſchaftliche Begruͤndung und Durd)- 
führung des Staats- und Staatenrechts enthält, 
. Die ſyſtematiſche Darſtellung beider Wiffen- 
[haften in diefem Werfe mag diefes bier ausge⸗ 
fprochene Verhältniß derfelben gegen einander be— 
weiſen. — Daffelbe gilt von dem Verhältniffe 
der Volfswirthbfhaft zur Staatswirth- 
fhaft, inwiefern die erfte den ganzen Umfang 
der Quellen, Bedingungen, Beſtandtheile und 
Wirkungen des Volfsvermögens, noch unabhän- 
gig von dem Einfluffe des Sebens und der Re- 
gierung im Staate darauf, entwidelt. — 

Daß man aber mit der allgemeinften Einthei⸗ 
lung der Staatswiſſenſchaften in philoſophiſche und 
geſchichtliche nicht ausreiche, ſondern auch (im 
guten Sinne,) gemiſchte annehmen müffe, in 

. welchen die aus der Vernunft für die Verwirk⸗ 
lichung des Staatszwedes ſtammenden Grundſaͤtze 





in die gefammten Staatswiffenfhafen. 5 
an Thatfachen der Gefchichte gehalten unb durch 


biefe erläutert und verfinnlicht werben, erhellt aus 
der Politik oder Staatsfunft, fo wie aus 
der Staatswirthfchaft, der Finanzwiſ— 
fenfhaft und Polizeiwiffenfhaft. Denn 
wenn aud) aus reiner Vernunft hervorgeht, baß 
fein Staat ohne Regenten gebacht werden fann; 
fo kann doch bie Frage: welches die befte Regie— 
rungsform fey, nur mit Rücficht auf die Geſchichte 
— und alfo nicht im Staatsrechte , fondern in der 
‚ Staatsfunft — entfchieden werden. Eben fo ver- 
langt die Vernunft im Staatsrechte, daß eine 
Bolfsvertretung überhaupt beſtehe. Ob aber viefe 
in einer oder in zwei Kammern zufammentreten 
folle; darüber kann blos die Politik entfcheiden. — 
Daffelbe gilt von der Staatswirthſchaft. Die 
Vernunft verlangt, daß jeder Staatsbürger nur 
von feinem reinen Einkommen befteuert werde; 
die Gefchichte aber weifet nad), ob und wie dies 
. am beften, durch directe ober indirecte Steuern, 
gefchehen Ffonne? Gleihmäßig fann über die 
Zwedmäßigfeit oder Unzweckmaͤßigkeit der ‘Bes 
fteuerung im Einzelnen, fo wie über die Güte 
oder Vermwerflichfeit der einzelnen Polizelanftalten 
u. f. w. nur nad) dem Zeugnifle der Erfahrung 
und Gefchichte entfchieden werben. — Daraus 
geht als Ergebniß hervor: daß man die Staats- 
wiffenfchaften weder blos als philofophifche, noch 
blog als gefhichtlihe Wiffenfchaften varftellen 
fönne; daß es war reinpbilofophifce 
‚Staatswiffenfhaften gebe (Natur⸗ und Voͤlker⸗ 
reht, Staats» und Staatenreht, Volkswirth⸗ 
fhaft),. und eben fo auh reingeſchichtliche 
(Gefchichte des europäifchen Staatenfoftems, Sta- 


4 


j 


6 . Mägomeine Einleitung 
aſtit, practiſches europai aiſches Voͤlkerrecht, Dbl⸗ 


matie u. ſ.w.) daß aber auch einzelne Staats: 
- wiffenfchaften gleihmäßig auf philofophifcher 
und gefchichtlicher " Unterlage beruhen, mie die 
Staatskunſt, die. Staatswirchfchaft ‚ die Finanz⸗ 


und die e Poligenffenfänft | 


5. 
nederſiche Aber die gefammten Staats. 
2 wiſſenſchafton. 


"Zu dem Kreife der Staatswiſſenſchaften gehören: 


1) Das Natur- und Völkerrecht, oder 
die fogenannte philoſophiſche Rechtslehte im 
. engern Sinne des Wortes. Sie enthaͤlt die wiflen- 
fhaftliche Darftellung des Ideals der Herrſchaft des 
Rechts auf dem ganzen Erdboden, fo daß in dem Na⸗ 
turrechte-der einzelne-Menfch nach dem Umfange 
. feiner gefammten Rechte und rechtlichen Verbältniffe 
gefchildert wird, wie diefelben -in der Matur bes 
Menfchen überhaupt urfprünglich begründet find und . 
aus dem Ideale des Nechts mit Nothwendigkeit herz 
vorgehen, worauf indem philoſophiſchen Voͤl— 
terre he die. Bedingungen entwickelt werden, unter 
welchen theils in ber Mitte des einzelnen Volkes, 
theils: in dev Verbindung und Wechfelmirfung meh- 
“  rerer und aller neben einander beftehenden Nechtsge- 
ſellſchaften oder Völker , bie Herrfchaft des Rechts 
auf, dem ganzen Erdboden verwirklicht werden foll. 
»: 9) Das Stadts- und Staatenrecht. 
Wenn 'der Staat, deſſen Begriff aus der Erfah- 
tung ſtamnit, ‚bie Beſtimmung hat, die Herrſchaft 
deß ĩRechts in "Der vertragsmaͤßtg begruͤndeten buͤr⸗ 
gerlihen Geſcuſchaft, welche gleichmaͤßig ſitt lich⸗ 











in die gefammfen Staatswiſſenſchaften. 7 


muͤndige und unmuͤnditge Weſen in ſich faßt, zu 
verwirklichen; fo kann dies nur unter der Bedin⸗ 
gung eines rechtlich geftalteten Zwanges gefcheben, ' 
Das Staatsrecht enthält daher die wiſſenſchaft⸗ 
liche Darftellung der Herrſchaft des Rechts inner» 
hatb der bürgerlichen Gefellihaft, unter der Bedin⸗ 
gung des rechtlich geftalteten Zwanges.. — Weil 
aber auf dem Erdboben eine Mehrheit von bürger- 
lichen Gefellfchaften, Die wir Staaten nennen, neben 
einander beſteht; fo fchließe fi das Sta atenrecht 
an das Staatsrecht als unmittelbare Folge beffelben 
an, und entwickelt wiflenfchaftlich die Grundfäge für 
das rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten des 
Erdbodens, unter der Bebingung des zwiſchen ihnen, 
rechttich geftalteten Zwanges nach vorbergegangenen 
Rechtsverletzungen. | 

3) Die Staatsfunft (Politif). Jeder 
Staat wird, als ein organifches Ganzes, in feiner 
Ankündigung wahrgenommen nad) feinem Innern 
und außern Leben, und nach) dem Zufammenhange 
swifchen beiden. Die Staatsfunft enthält daher 
die wiſſenſchaftliche Darftellung des Zuſammenhan⸗ 
ges zwifchen dem Innern und äußern Staatsleben, 
nad den Grundfägen bes Rechts und der Klug⸗ 
heit. Sie flüge ſich ruͤckwaͤrts auf das im philo- 
ſophiſchen Staassrechte aufgeftellte Ideal des voll- 
fommenen Staates, verbindet aber, in ihrer wiffen- 
ſchaftlichen Durchführung, mit dem hoͤchſten Zwecke 
des Rechts ben Zweck der Wohlfahrt, fowohl der 
Individuen, als der ganzen Gefellfchaft, und ent. 
lebe aus der Gefhichte der Vergangenheit und. 
Gegenwart die anmwenbbarften und treffendften DBe- 
lege für die theoretiſch ausgefprochenen Grundſaͤtze 
des Rechts und ber Klugheit. Sie ift dashalb eine 


8. Ülgemeine Einleitung 


gemifchte (d. h. eine aus phifofophlfchen Grund⸗ 
fägen und aus gefchichtlichen Thatfachen gleihmäßig 
gebildete) Staatswiflenfhaft. Wollte mar fie blos 
‚auf Regeln, entlehnt aus der Erfahrung und Ges 
ſchichte, zurückführen; fo wuͤrde .fie nicht bios ber« 
jenigen feften Unterlage. ermangeln , die zunächft auf 
Grundfägen der Vernunft ‚beruht; fie wuͤrde auch) 
nicht ohne innere Widerfprüche bleiben, ‘weil man 
aus der Geſchichte nicht felten Belege für die einan« 
der entgegengefegteften politifchen Anfichten und Bea 
Bauptungen aufftellen kann. Sollte aber die Staat» 
funft, welche dem wirflichen Leben der Völfer 
und Stäaten angehört, einzig aus reiner Vernunft 
abgeleitet werden, obne dabei die Stimme ber Ge- 
ſchichte zu hören; fo würde fie zum troderien Gerippe 
. abgezogener Begriffe werden, ohne Anwendbarkeit 
. Auf die kraftvolle Ankündigung des Staates als einer 

lebensvollen Organifation, ‚und ohne Benußung der 
großen. Wahrheiten, welche die Geſchichte in einem 
Zeitraume von mehrern Jahrtauſenden darbietet. Es 
muß daher in der: Staatsfunft das Zeugniß der 
Gefchichte mit. den Forderungen ber Vernunft an 
das innere und äußere Leben des Staates verbunden 
werden, Ä 
4) Die Volkswirthſchaft. (National 
öfonomie). Kein Staat fann ohne ein Wolf ger 
dacht werden, ‘das zur Gefellfchaft im Staatsleben 
rehtlich verbunden iſt. Der Begriff des Volkes 
geht daher dem Begriffe bes Staates voran, Die 
Vernunft denkt fih alfo 1) ein Volksleben, 
geftügt auf den rechtlichen. Verkehr aller zur Ger 
fellfchaft verbundenen Individuen, fo wie auf ihr 
gemeinfames - Streben nad) Wohlfahrt und Gluͤck⸗ 


r 


“ feligkeie, und 2) ein aus der rechtlichen Thaͤtigkeit 


in die gefammten. Staatswiſſenſchaften. 9 


und dem regen Streben nach Wohlfahrt hervorge⸗ 
gangenes Volksvermoͤgen, unabhängig non dem 
wirklichen Leben im Staate und unabhaͤngig von 
dem Einfluffe. der Regierung im Staate auf bie 
Anfündigung des Wolfslebens und auf die Erſtre⸗ 
bung bes, Volfsvermögens., — Nach dieſem hoͤch⸗ 
ften Standpuncte für die Ankündigung und Ents 
widelung, des : Volfslebens enthält die Volks⸗ 
wirehfhäfe (oder Nationalöfonomie) bie 
wiffenfchaftliche Darftellung theils der- Quellen, Ben 
dingungen, Beftandtheile und Wirkungen des Wohl⸗ 
ftandes und des Vermögens eines Volkes, theils der 
wirkſamſten Mittel, durch welche jene Quellen, Bes 
dingungen und Beitandtheile des gefammten Volks⸗ 
vermoͤgens am zweckmaͤßigſten und ficherften für die 
Begründung, Beförderung, Erhaltung und Vers 
mehrung der Wohlfahrt der gnoivibuen und des gan« 
zen Volkes benugt werden koͤnnen. Es wird daher 
in der Volkswirthſchaft Die äußere Thätigfeie der In⸗ 
dividuen und der Gefammtheit des Volfes nad) ihrer 
völligen Freiheit und Selbftftändigfeit, unabhängig 
von jedem Einfluffe des Staatslebens und der Regie⸗ 
rung im Staate auf diefe Thätigkeit, im Innern Zu⸗ 
fammenhange. entwidele, und auf biefe Weile das 
Iebensvolle Ganze eines, durch die ihm einwohnende 
phnfifhe und geiftige Kraft ſich forfbildenden und zur 
möglichft hoͤchſten Wohlfahrt gelangender, Volkes 
vermittelt, . Bei diefer Unabhängigkeit der Volfs« 
wirthſchaft von allen Ruͤckſichten auf die Einrich- 
tungen und Verhältniffe im Staatsleben, behauptet 
fie diefelbe wiſſenſchaftliche und idealifche Stellung 
zur Staatswirthfchaft, wie das Natur» und Voͤlker⸗ 
recht. zum :Staats=. und Staatenrehte. Sie ift 
gleichſam eine Metaphyſik der Staatswirthſchaft, 


10 «u... ‚Allgetneine Einleitung 


welche das raus der Erfaßeung und Geſchichte in ber 
Staatswirihſchaft Stammende auf die höchften in der 
Vernunft enthaltenen: Bedingungen bes Valkswohl⸗ 
ſtandes zuruͤckgefuͤhrt, und diefe zum ſyſtematiſchen 
Zaſammenhange vereiniget. 


5) . Die Staatswirthſchaft und Fi— 

nanzwif ſenſchaft. Geſtuͤtzt auf die wiſſenſchaft⸗ 
liche Durchfuͤhrung der Volkswirthſchaft, muͤſſen in 
der. Staatswirthſchaft zunaͤchſt die beiden wich⸗ 
tigen Aufgaben befriedigend geloͤſet werden: 1) wie 
das Staatsvermoͤgen, oder das, was der Staat fuͤr 
fein Beſtehen und feine Erhaltung jährlich bedarf, 
aus dem Wolfsvermögen gebildet und verwendet 
werde, ind 2) ob überhaupt, und melden recht 
lihen und mwohlthätigen Eindug die Regierung im 
Staate auf die Seitung der freien Volksthaͤtigkeit 
und des Molfsvermögens haben fann und darf. 
Durch die ‚erfchöpfende Beantwortung diefer Auf 


gaben - enthält zugleich die Staatswirthfhaft den 


hoͤchſten Maasftab für die in der Finanzwiffenfchaft 
aufzüftellenden fehren. Die Finanzwiſſenſchaft 
ift nämlich der Inbegriff der Grundfäge des Rechts 
und der Klugheit, nad) welchen die anerfannten Be- 
dürfniffe des Staates für die ununterbrochene Erreis 
. Hung des Staatszwedes, im Allgemeinen und im 

inzelnen, gedeckt und befriedigt werden follen, mit- 

in im engern Sinne die erfchöpfende und in fi ich zu⸗ 
fammenhaͤngende Darſtellung ſaͤmmtlicher Einnahmen 
und Ausgaben des Staates. 


6) Die Polizeiwiſſenſchaft. Sie ent- | 


hait die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſaͤtze, nach 


welchen eheils die öffentliche Sicherheit und de 


nung im Staate vor möglicher Verlegung bewahrt, 


⸗ 





— 


in die gefammten Staatswiſſenſchaften. 44 


und die geſchehene Verlegung ſogleich erfannt und 
möglichit ausgeglichen, theils die Kultur und Wopt« 
fahrt der Staatsbürger nach ihrem ganzen Umfange 
begründet, befördert, erhalten und erhöht werden kann 
und fol. Es zerfällt daher, nad) dieſer Anficht, die 
Polizeiwiſſenſchaft in die beiden Haupttheile: in die 
Sicherheits. und Ordnungspolizei, und in 
die Kultur. und Wohlfahrtspoligei. (Es 
ift von einigen $ehrern ber Polizeiwiffenfchaft- nicht 
ohne Grund erinnert worden, daß, nad) dem anges 
gebenen Standpuncte, zwei beinahe fremdartige Theile 
in derfelben Wiffenfchaft zu Einem Ganzen vereiniget 
würden; allein bis / jetzt hat theils die Meheheit der 
Theoretifer in der Polizeiiffenfchaft fire diefe Ver⸗ 
bindung entſchieden, theils findet fie fih auch in der 
Staatspraris mehrerer civilifirter Staaten. Es 
ſcheint daher nicht rathfam, aus beiden Theilen zwei 
verfcehiedene und felbftftandige Staatswiffenfchaften 
zu bilden, weil wenigftens fo viel ausgemacht bleibt, 
daß das, was unter dem Abfchnitte der Kultur⸗ 
und Wohlfahrtspolizei abgehandelt wird, 
weder in dem Kreife der gefammten Staatswiſſen⸗ 
fhaften übergangen, noch einer von ben übrigen 
Staatswiffenfchaften mit befferm Erfolge, als der 
Dolizeimiffenfchaft, eingelegt werben kann. Es bleibe 
daher fein anderer Ausweg hibrig, als entweder 
bie Lehre von den Anftalten des Staates für die Kul- 
tur und Wohlfahrt feiner Bürger mit der Polizel« 
wiffenfchaft zu verbinden, oder fie zu einer befondern, 
Staatswiffenfchaft zu erheben, mas für die, welche 
das Letztere vorziehen, in ber folgenden Darftellung 
ver Polizeiwiffenfchaft Dadurch erleichtert worden ift, 
daß die Lehre von: den Anftalten für Die Kultur und 
Wohlfahrt der Staatsbürger einen, von der Sicher⸗ 


42 9 Altgemeine Einleitung 


heits und Ordnungspolizel getrennten und ſelbſtſt ͤn- 
bdigen, Abſchnitt bildet.) | 
: 7) Die Geſchichte des europäifchen 
Stagatenſyſtems .ays dem Standpuncte 
der, Politik, Unter, einem. Staatenfpfleme 
verftehen wir die bleibende Verbindung und Wechfel- 
wirfung, mehrerer felbftftändiger, d. h. politifch glel- 
cher und. von. einander unabhängiger Staaten und 
Meiche, als nothwendige Folge der gleichmäßigen 
geiſtigen, religiöfen und bürgerlichen Entwidelung, 
Bildung und Reife Dee Völker, .melche zu diefen 
Staaten und Reihen gehören. Unter dem euros 
päifhen Staatenfofteme denken wir daher die Ver⸗ 
bindung und Wechfelwirfung aller einander an Civi- 
liſation und Selbſtſtaͤndigkeit ähnlichen oder Doc) ver- 
wondten europäifchen Staaten und Reiche, mit Ein- 
ſchluß der aus den Kolonieen der Europäer in Ame⸗ 
xika hervorgegangenen felbftftändigen Saaten. Die 
Entftehung derjenigen Verbindung und Wechfelmir- 
ng der europäifchen Völker und Reiche, welche man 

ein Staatenſyſtem zu nennen berechtigt ift, fallt aber 
n die Zeit der Entdeckung von Amerika, fo daß eine 
Gefhichte bes europäifchen Staatenfyftems .erft von 
Diefer Zeit an gedacht werden Ffann. Aus dem 
Standpuncte der Politik wird diefe Gefchichte 
gefaßt, fobald- bei ver Darftellung des europäifchen 
Staatenfyftems die Entwidelung des innern und 
Außern $ebens der einzelnen Staaten und. Reiche 
berüdfichtige, und der Zufammenhang biefes Innern 
und Außern Lebens bei der Gefammtanfündigung der 





. einzelnen Staaten und Reiche in der Mitte des eurer 


päifchen Staatenfuftems vergegenwärtige wird, — 
Die Gefhichte des europäifhen Staaten 
ſyſtemszaus dem Standpuncte. Ker Poli 


in die gefammten Staatswiſſenſchaften. 13 


if, wefentlih verſchieden von ber allgemeinen Ge⸗ 
fhichte, wie von der europäifchen Staatengefchichte, 
enthält daher bie pragmatifche Darftellung des politi- 
ſchen (innern und äußern) febens der Geſammtheit ber 
europäifchen Staaten und Reiche, mit Einfchluß der 
aus europäifchen Kolonieen hervorgegangenen ameri» 
fanifchen Staaten, feit dem Ende des funfzehnten 
Sahrhunderts bis auf unfre Zeit, nach ihrer gegen- 
feitigen völferrechtlihen Verbindung und Wechfel- 
wirfung. | 
8) Die Staatenfunde (Statifiif), -Wenn 
die Gefchichte aus dem Stanbpuncte der Politif die 
Ankündigung und Geftaltung Der untergegangenen 
wie der beftehenden Völker, Staaten und Reiche, na 
ber Wechfelwirfung ihres Innern und äußern Lebens, 
im Kreife der Vergangenheit darftelle; fo. iſt 
bagegen die Staatenfunde die Wiffenfchaft, 
weiche die politifche Geftaltung (den Organismus‘) 
der gefammten Staaten und Reiche des. Erbbobens, 
zunächft aber des europäifchen Staatenfyftems mit 
Einfluß der aus europäifchen Kolonieen bervorge 
gangenen felbftftändigen amerifanifchen Staaten, 
nah der Ankündigung ihres innern und dußern 


Lebens und nad) der Wechſelwirkung beider auf 
einander, im Kreife der Gegenwart {di 


der. — Die befondere Staatenfunde 
jebes einzelnen Staates und Reiches zerfällt daher 
in zwei Haupftheile: in Die Darftellung des innern 
und bes äußern Lebens deſſelben im Kreife der 
Gegenwart. . 

9) Das oͤffentliche Staatsreht. Im 
Gegenfage des Privatrechts der einzelnen Voͤlker, 
Staaten und Reiche, verftehen wir unter dem öffent 


Sn 


lihen Staatsrechte derfelben im Allgemei- 


N 


y . 
L 


! 
oo. 
’ 


N: ‚Allgemeine Einleitung. 


nen bie eigenthümlihen, gegenwärtig gültigen 
‚Grundgefege, auf welchen ihr politifches Dafeyn 
rechtlich berubt, im Befondern aber die in ge 
ſchriebenen Urkunden enthaltenen Verfaffungen einer 
großen Zahl europäifcher und amerifanifcher Staaten 
‚der. neuern Zeit, als Die gegenwärtigen rechtlichen 
:Grundbedingungen ihres.innern politifchen Lebens. 
(Diefe Staatswiffenfchaft ift, im Ganzen genommen, 
noch nicht vorhanden, fondern erft neu zu begründen. 


Das Bedürfniß derfelben fühlte Iheod. Schmalz, 
und ſprach es aus in feinem „Plane zu Vorle— 
fungen über allgemeines pofitives eurg- 


paifhes Staatsreht” Berl, 1815. 8 — 


Theilweife, aber unzureichend, berückfichtigte man die 
hierher gehörenden Gegenftände bisher in der Sta- 
tiſtik unter der Rubrif: Verfaffung.) 

10) Das practifhe europäifhe Voͤl— 


kerrech t. Dieſe Staatswiſſenſchaft — welche man 


auch minder richtig das poſitive europaͤiſche Voͤlker⸗ 
recht nennt, weil fie auf feinem Codey pofitiver Gefege, 
wie das Privatrecht der einzelnen Staaten undReiche, 
oder auch wie das (unter N. 9 aufgeführte) öffentliche 
Staatsrecht beruht — iſt wefentlic von dem philo- 
fophifchen Wölferrechte verfhieden, und enthält bie 
fuftematifche Darftellung der zwifchen den gefitteten 
und chriftlichen europäifchen Völkern und Reihen — _ 
mir Einfhluß der aus europaifchen Kolonieen hervor⸗ 
gegängenen amerifanifchen Staaten — beſtehenden 
rechtlichen und politifchen Grundfäge und Formen in 
KHinficht ihres äußern gegenfeitigen Verkehrs. (Das 
Herfommen nennt diefe Wiffenfchaft noch immer das 
europäifche Völkerrecht, obgleich feit der Selbft- 


- fländigfeie Der. nordamerifanifchen Freiftaaten, welche 


mit Europa’ auf gleiche rechtliche und politifche Be⸗ 





in die gfammten Staatswiſſenſchaften. 18 


dingungen in Verkehr und Wechſelwirkung getreten 
find, ſtatt dieſer beſchraͤnkenden Bezeichnung, bie 
allgemeinere des practiſchen Voͤlkerrechts 
überhaupt zur wiſſenſchaftliche Geltung erhoben wer⸗ 
den follte.) . | 
| 4141) Die Diplomatie. Diefe im Werben 
begriffene und noch in feinem befondern Werke fufte- 
matifch Durchgebildete Staasswiffenfchaft muß zuerft 
genau von der Diplomatif, einer Hülfswiffenfchaft 
der Gefchichte, unterfchieden (vergl. $. 7.), und dann 
in ihr felbft die Wiffenfhaft vonder Kunft ge 
trennt werden. Die Diplomatie als Wiffenfhaft 
enthält ben Umfang der Kenntniffe, welche zur poli- 
tifch -Diplomatifchen Unterhandlung mit auswärtigen 
Staaten gefordert werden, und als Kunft bezeichnet 
fie Die, auf die Grundlage jener Kenntniffe erworbene, 
Sertigfeit, mit auswärtigen Staaten zu unterhandeln. 
Ob nun glei, dieſe Kunft, als folche, nicht gelehrt 
werben kann, fondern von den Individuen erworben 
werben muß; fo fann doch der Umfang theoretifcher 
Kenntniffe, welche die Unterhandlungsfunft voraus- 
fest, wiſſenſchaftlich Dargeftellt und ausgeführt, fo 
wie bie von den Diplomaten älterer unb neuerer Zeit 
geübte Kunft durch Beiſpiele belegt und verfinnlicht 
werben. Immer aber ſetzt fie, ſowohl theoretifch als 
practifch, eine vertraute Befanntfchaft mit den vor 
beraufgeführten Staatswiffenfchaften, befonders mit 
der Staatsfunft, mit der Gefchichte des europäifchen 
Staatenfyftems, mit der Staatenfunde, mit dem 
öffentlihen Staatsrechte, und mit dem practifhen 
europäifehen Voͤlkerrechte voraus, 
- 42) Die Staatspraris, Obgleich.die bloße 
Routine Beinen Gefchäfts- und Staatsmann zu ſei⸗ 
nem Wirkungsfreife gehörig vorbereiten kann; fo 


20 | Allgemeine ‚Einleitung 
Verfhiedenbeit der Stahtswiffenfhaf: 
ten von den fogenannten Kameralmiffen- 


fhaften. 


Wenn der Begriff des Staates in der Grundbe- 
Fimmung (und Definition) der Wiffenfchaft über die 
Aufnahme derfelben in die Reihe der Staatswiffen- 
{haften entſcheidet; fo würde es eben fo fehlerhaft 
feyn, wenn man, nach älterer Sitte, die gefammten 
Staatswiffenfchaften blos als einen Anhang zu den 
fogenannten Kameralwiflenfchaften betrachten, ober , 
wenn man, nad) einer andern Anſicht, die Kameral- 
toiffenfchaften felbft in den Kreis der Staatswiffen- Ä 
[haften aufnehmen wollte. Beide müffen, nad) 
. dem in neuerer Zeit begonnenen umfchließendern An- 
baue der Staatswiffenfchaften, fortan forgf altig 
von einander gefihieden werden, fo mie 
- man bereits auf mehreren Hochfchulen, geleitet von 
einem richtigen Zacte, neben den feüperbeftandenen 
gehrftühlen der Kameralwiffenfehaften ‚ eigene und 
felbftftändige Lehrftühle der Staatswiffenfchaften er» 
- richtet hat. | 
I Der weſentliche und unterſcheidende Charakter 
der Kameralwiſſenſchaften von den Staatswiſſenſchaf⸗ 
ten beruht aber darauf, daß die Rameralmwiffen- 
fhaften diemwiffenfhaftlihe Darftellung 
des gefammten Gebiets der materiel- 
len Thäatigfeit der einzelnen Staatsbürs . 
ger umfchließen. Nach dieſem Gefichtspuncte wer- 
ben die Kameralwiſſenſchaften in. drei Haupabthei= 
lungen behandelt: 
Din dertandwirchfhaftsfunde (Dekor 
nomie im weitern Sinne). Dieſe faßt in ſich: 


in bie geſammten Staatswiſſenſchaften. 21 


a) die Feldwirthſchaft, mit der Wiehzucht, 
dem Garten» und Wiefenbaue; 


b) die Forſtwiſſenſchaft; 
c) die Bergbaufunde. 


- 2) indeeGewerbsfunde (Technologie), ober 
in der wiffenfchaftlichen Darftellung der auf Erfah⸗ 
rung beruhenden zwedmäßigften Verarbeitung ber 
Naturerzeugniſſe durch den menfchlichen Fleiß, ver- 
mittelft der Theilung der Arbeit. Sie zerfällt, je 
nachdem das Erzeugniß des menſchlichen Fleißes 
entweder durch Hände und Mafchinen, oder durch 
Teuer und Hammer hervorgebracht wird, 


a) in das Manufacturwefen, und 
b) in das Fabrikweſen. 


3) in der Handelsfunde, nah den mannig- 
faltigen Gegenftänden und Ziveigen des Hanbels 
(in= und ausländifcher Handel; Sand» und See- 
handel, Groß- und Detzilhandel; Speditions⸗ 

Tranſito⸗-Handel u. ſ. w.). 


Es kann nicht verkannt werden, daß bei der 
wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Volks⸗ und Staats- 
wirthſchaft, fo wie der Finanzwiſſenſchaft, eine all⸗ 
gemeine Kennfniß der Kameralmwiffenfchaften vor: 


ausgefeßt werden muß, und daß — da entfchieden .- 


die Kameralwiſſenſchaften eine bedeutende Stelle in 
der Reihe der vorbereitenden und Huͤlfswiſ— 
fenfchaften zu. den Stuatswiffenfihaften behaup⸗ 
ten — es ſehr zweckmaͤßig iſt, wenn wenigſtens eine 
encyklopaͤdiſche Ueberſicht über das Gebiet der Kame- 
talwiffenfchaften ver Erlernung ber Staatswiffen- 


fhaften vorausgeht. 


2%. Algemeine Einleitung 


Fuͤr dieſen Zweck der Vorbereltung auf bie 

_ Gtaatswiffenfejaften eignen fih — mit Uebergehung 

‚ ber ältern in die Literatur der Kameralwiffen- 

fhaften gehörenven Werte —  befonders folgende 
Schriften: 


Br. Bened. Weber, Einleitung in das Studium der 
Kameralwiffenfchaften. ste Aufl. Berl. 1819. 8. 
"(Dod werden von dem Berf. die meiften eigents 

lichen Staatswiffenfchaften in das Gebiet der 
Kameralwiffenfhaften gezogen.) 


Seo. Fr. v. Lamprecht, Entwurf einer Encyllos 
pädie und Methodologie der Kameralwiſſenſchaf⸗ 
ten. Halle, 1785. 8. (enthält: Defonomie, Bergs 
bau, Technologie, Handelstunde, Haushaltung und 
Staatsiehre, d. i. Polizei und Finanz.) 

Er. Ludw. Walther, VBerfuh eines Syftems ber 

» SKameralwiffenfchaften. 4 Theile. Gießen, 1793 ff. 
8. N. A. 1806; (TH. ı Landwirthfchaft; Th. 2 
Forſtwiſſenſchaft; Ih. 3 Technologie; Ih. 4 Pos 
litik.) 

Theod. Schmalz, Encyklopädie der Kameralwiſſen⸗ 
ſchaften. Köxigsb. 1797. 8. N. A. 1819. (In 
diefr N. %. bat Thär die Landwirthſchaft, 
Hartig die Sorftwiffenfhaft, Roſenſtiel die 
Bergbautunde, und Hermöpädt die Technos 
logie revidirt.) 

K. Ch. G. Sturm, Grundlinien einer Encyklopaͤdie 
der Kameraiwiſſenſchaften. Jena, 1807. g. (Land⸗ 
wirthſchaft, Technologie, —E Polizei 
und Finanz.) 

Fr. Karl Fulda, Grundſaͤtze der oͤkonomiſch⸗politi⸗ 
ſchen oder Kameralwiſſenſchaften. Tuͤb. 1816. 8. 
N. A. 1819. (Privatoͤkonomie, Nationaloͤkonomie, 
Staatsoͤkonomie.) 


Die einzelnen Kameralwiſſenſchaften ſind von 
ausgezeichneten Maͤnnern trefflich angebaut worden: 
die Sandwirchfgaft von Bedmann, 


° 





® 





in die geſammten Staatswiſſenſchaften. 23 


Thar (Einl. zur Kenntniß der engl, Landwirth⸗ 
(haft, 4 Th. Hannov. 1806. 8.) und Burger 
(Zehrb. der Landwirthfhaft, 2 Th. Wien, 1819 u. 
21.8); — die Forſt wiſſenſchaft von 
—Burgsdorf, Hartig, Behftein, Cotta und 
Pfeil; — die Bergbauftunde von Wer 
ner, Trebra, Eharpentier, Freiesleben, 
Lampadius, Mods; — de Technologie 
von Beckmann, Hermbfläde, Poppe; — 


die Hand, elstu nde von Buͤſch (eheoretifhe 


practifche Darftellung der Handlung, 2 Th. N. A 
Hamb. 1799. 8.), Beckmann, Leuchs, und 
Sonnleit 8 n ° r Eehrbuch d der Handelswiſſenſchaft, 
Wien, 1819. 8.) 


> 


7. 
Die Vorbereitungs- und Huͤlfswiſſen— 
(haften zu den Staatswiſſenſchaften.. 


Will man den Kreis der vorbereitenden 
(propäbeutifchen ) und Hulfsmwiffenfhaften in 
Beziehung auf die Staatswiffenfhaften nicht abficht- 
lich erweitern; fo fönnen, im engern Sinne, nur 
diejenigen dahin gerechnet werden, welche entweder 


Grundſaͤtze und Lehren enthalten, Vie in den einzelnen . 


Staatswiffenfhaften aus andern Difciplinen als 
Prämiffen vorausgefegt werden, oder die zur nähern 
Entwickelung, Erflärung und Verfinnlichung der in 
den Staatswiflenfchaften enthaltenen Grundfäge und 
Unterfuchungen dienen. Aus dieſem Standpuncte 
können blos folgende als Worbereitungs- und 
Hulfswiffenfhaften ver Staatswiſſenſchaften 


aufgeführt werden: 
4) Die Rameralwiffenfhaften, nament: 


⸗ 


lich als Vorbereitungskenntniſſe fuͤr Voikswirthſchaft. 


Staatswirchſchaft und Kin 





24 _ * gemeine Einleitung 


(Weber ihren Begriff ‚ ihre Asgrenyung und 
ihre Verhältniß zu den Staatswiffenfchaften 


‘ ‘ ‘ 


2) Die fogenannte politiſche Geographie, 
- oder die wiffenfchaftliche Darftellung der phnfifhen 
und politifchen Werhältniffe der einzelnen Staaten 
und Reiche des Erdbodens aus dem Stanbpuncte 
bes örtlihen Nebeneinanderfenns und ber 
örtlichen Aufeinanderfolge: ber Gegenftände - 
(um fie dadurch weſentlich von der Statiftif zu 
unterfcheiden, und gegen dieſe feharf zu begrenzen, — 
“worüber der dritte Theil biefes Werkes zu ver 
gleichen ift). 


Als vorzuͤgliches Handbuch der politifchen Geo⸗ 
graphie (obgleich in daffelbe zu viel aus der Sta⸗ 
tiſtik aufgenommen worden iſt) verdient genannt zu. 
werden; Chſtn. Gtfr. Dan. Steins Dandı 
buch der Geographie und Statiffit nad 
den neueften Anfichten. 3 Theile. Ate verm. 
und verb. Auflage, Lpz. 1819 u. 20. =. 

As vollftändiges Syftem der neueften Läns 
derkunde, das, nach feiner Beendigung, den veraltes 

» ten Bäfhing völlig erfeßen wird, gehört hierher . 
das: vollſtaͤndige Handbuch der neueften 

Erdbefhreibung von Gaſpari, KHaffel, 

Cannabich und Gutsmuths. Von dieſem 

Werke find bis jest in 4 Abtheilungen 15 

Bände erfhienen, wovon die 3 erften Abtheiluns 

gen in 11 Bänden Europa, und die 4te Abtheis 
. Iung in 4 Bänden Afien (meiftens von Haffel 

ee Dargeftellt Haben. Die drei übrigen Erds 
theile ( fritka von leere behandelt) find noch 
zuruͤck. 


3) Die allgemeine Geſchichte aus.dem 
Standpuncte der Politif. Die allgemeine 
(oder Welt⸗) Geſchichte theilt man am zweckmaͤßigſten 


I 


in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 25 


in vier Haupttheile: 1) die Gefchichte ber Welke 
bes Alterthums, . welche mit ber Stiftung ber 
älteften Staaten beginnt und herabreicht bis zum 
Untergange des römifchen Weftreihes (476 nad) - 
Eprifti Geburt); 2) die Gefchichte des Mittels 
alters, von ber Auflöfung bes römifchen Weft- 
reiches bis zur Entdeckung des vierten Erbtheiles 
(von 476 — 1492 n. C.); 3) die der neuern 
Zeit, von ber Entdeckung bes vierten Erbrheils 
bis zur frangöfifhen Revolution (von 1492 — 
1789); und 4) bie der neueften Zeit von ber 
frangöfifchen Revolution bis auf unfre Tage, — Für 
die Behandlung und Darftellung ber allgemeinen Ge⸗ 
fhichte find feit den legten Jahrhunderten mehrere 
Standpuncte feftgehalten worden. „Seit der Kirchen⸗ 
verbefferuung herrfchte lange die eheologifhe An« 
fiht vor, befonders nad) dem fogenannten vier Mo» 
narchieenſyſteme, das ſich auf eine mißverftandene 
Stelle im Propheten Daniel gründete. Dann folgte 
im zweiten Viertheile des achtzehnten Jahrhunderts 
die philologifche Anſicht, wo geachtete Philolos 
gen die Geſchichte, beſonders die alte, als Hülfs- 
mittel zu dem Studium der Flaffifchen Schriftfteller 
bes Alterthums behandelten, wie gleichzeitig bie 
Publiciſten Die Geſchichte der Teutſchen als Hulfs- 
mittel Des teutfchen Reiches zunaͤchſt als Kaifer- 
und Neichshiftorie vortrugen, ohne das im Vor: 
dergrunde der Ereigniſſe ftehende teutfhe Wolf 
einer höhern Berudfichtigung zu würdigen. — Nur 
eeft mit Schlözer begann die Behandlung ber 
Gefchichte aus dem Standpuncte ver Politik, worin 
ihm Spittler, oh. Müller, Heeren, Wach— 
ler, Saalfeld, Rotteck, Luden u. a. folgten, 
Die Gefchichte, aus Diefem Standpuncte darge⸗ 


22 


Allgemeine Einleitung 


Fuͤr dieſen Zweck der Vorbereltung auf die 


Staatswiſſenſchaften eignen ſich — mit Uebergehung 
der ältern in die Literatur der Kameralwiſſen⸗ 
fchaften gehörenden Werte — beſonders folgende 
Schriften: 


ge. Bened. Weber, Einleitung in das Studium der 


Kameralwiſſenſchaften. ste Aufl. Berl. 1819. 8. 
(Doch werden von dem Verf. die meiften eigents 


lichen Staatswiffenfchaften in das Gebiet der 


SKameralwiffenfchaften gezogen.) 


Seo. Fr. v. Lamprecht, Entwurf einer Encyflos 


pädie und Methodologie der Kameralwiffenfchafs 
ten. Halle, 1785. 8. (enthält: Dekonomie, Berg» 
bau, Technologie, Handelstunde, Haushaltung und 
Staatsiehre, d. i. Polizei und Finanz.) 


Fr. Ludw. Walther, Berfuh eines Syſtems ber 


Kameralwiffenfchaften. 4 Theile. Gießen, 1793 ff. 

8. N. A. 1806, (TH. ı Landwirthfchaft; Th. a 

Serkwiftenfhaft; Th. 3 Technologie; Th. 4 Pos 
ie.) 


abend. Schmal +, Encyklopaͤdie der Kameralwiſſen⸗ 


ſchaften. Koͤrigsb. 1797. 8. N. A. 1819. (In 
dieſer NM. %. bat Thaͤr die Landwirthſchaft, 
Hartig die Sorftwiffenfhaft, Roſenſtiel die 
Bergbaukunde, und Hermbflädt die Technos 
N revidirt.) 


K. Ch. G. Sturm, Grundlinien einer ‚Encptlopäbie 


der Kameralwiffenfcaften. Jena, 1807. 8. (Lands 
wirchfchaft, Technologie, Handelskunde, Polizei 
und Finanz.) 


Er. Karl Fulda, Grundfäge der dfonomifch » politis 


fhen oder Kameralwiffenfchaften. Tüb. 1816. 8. 
N. A. 1819. (Privatoͤkonomie, Nationaloͤkonomie, 
Staatsoͤkonomie.) 


Die einzelnen Kameralwiſſenſchaften ſind von 
ausgezeichneten Maͤnnern trefflich angebaut worden: 
die Sandwirchfäiaft von Bedmann, 


6 


in die gefammten Staarswiffenfihaften. 23 


Thar (Einl. zur Kenntniß der engl, Lanbwirths 
(haft, 4 Th. Hannov. 1806. 8.) und Burger 
(Lehrb. der Landwirthſchaft, 2 Th. Wien, 1819 u. 
21.8); — die Forſt wiſſenſchaft von 
—Burgsdorf, Hartig, Bechſtein, Cotta und 
Pfeil; — die Bergbanktunde von Wer 
ner, Trebra, Eharpentier, Freiesleben, 
Lampadius, Mobs; — dieTehnologie 
von Seemann, Hermbfäbdt, Poppe; — 


die Hand. elstu nde von Buͤſch Cepeoretfäe 


practifche Darftellung I der Handlung, 2 Th. N. A 
Hamb. 1799. 8.), Beckmann, Leuds, und 
Sonnleithn : r Eehrbuch d der Handelswiſſenſchaft, 
Wien, 1819. 8. ) 


7. 
Die Vorbereitungs- und Huͤlfswiſſen— 
ſchaften zu den Staatswiſſenſchaften. 


Will man den Kreis der vorbereitenden 
(oropaͤdeutiſchen) und Hülfswiſſenſchaften in 
Beziehung auf die Staatswiffenfchaften nicht abficht- 
lich erweitern; fo fünnen, im engern Sinne, nur 
diejenigen dahin gerechnet werden, welche ent w eder 


Grundſaͤtze und Lehren enthalten, die in den einzelnen . 


Staatswiffenfchaften aus andern Difciplinen als 
Prämiffen vorausgefegt werden, oder die zur nähern 
Entwidelung, Erklärung und Verfinnlichung der in 
‚den Staatswiflenfchaften enthaltenen Grundfäge und 
Unterfuchungen dienen. Aus biefem Standpuncte 
koͤnnen blos folgende als WVorbereifungs- und 
Hülfswiffenfhaften ver Staatswiſſenſchaften 


aufgefuͤhrt werden: 

) Die Kameralwiſſenſchaften, nament—⸗ 
lich als Vorbereitungskenntniſſe fuͤr Voikowirthſchaft, 
Staetswirchſchaft und Finanzwiſſenſcheſt: 


⸗ 


24 _ Algemeine Einleitung 


Ueber ihren Begriff ‚ ihre Abgrenung und 
(br Verhaͤltniß zu den Staatswiffenfchaften 


+ ‘ + 


2) Die fogenannte politifhe Geographie, 
- oder die wiffenfchaftlihe Darftellung der phyſiſchen 
und politifhen Verhältniffe der einzelnen Staaten 
und Reiche des Erdbodens aus dem Standpuncte 
bes örtlihen Nebeneinanderfenns und der 
örtlichen Aufeinanderfolge. ber Gegenflände - 
(um fie dadurd) mwefentlih von der Statiftif zu 

unterfcheiden,, und gegen diefe feharf zu begrenzen, — 
“ worüber der dritte Theil biefes Werkes zu ver 
gleichen iſt). 


Als vorzuͤgliches Handbuch der’politifchen Geo⸗ 
sraphie (obgleich in daffelde zu viel aus der Sta⸗ 
tiftie aufgenommen worden tft) verdient genannt zu. 
werden; Chſtn. Gtfr. Dan. Steins hands 
bud der Geographie und Statiſtik nad 
den neuefien Anfihten. 3 Thetle. Ate verm. 
und verb. Auflage, Lpz. 1819 u. 20. =. 

As vollfändiges Syftem der neueften Läns 
derfunde, das, nach feiner Beendigung, den veraltes 

; ten Büfhing völlig erfegen wird, gehört hierher . 
das: volltändige Handbuch der neueften 
Erdbefhreibung von Gaſpari, Haffel, 
Cannabich und Gutsmuths. Von dieſem 
Werke find bis jetzt in 4 Abtheilungen 15 
- Bände erfhienen, wovon die 3 erften Abtheiluns 
gen in 11 Bänden Europa, und die 4te Abtheis 
. lung in 4 Bänden Afien (meiftens von Haffel 
ital) Dargeftelle Haben. Die drei übrigen Erds 
theile ( frita von Ukert behandelt) find noch 
zuruͤck. 


3) Die allgemeine Geſchichte aus.dem 
Standpuncte der Politik. Die allgemeine 
(oder Welt) Gefchichte eheile man am zweckmaͤßigſten 


N 








in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 25 


in vier Haupttheile: 1) die Gefchichte ber Welt 
bes Alterthums, . welche mit ber Stiftung ber 
älteften Staaten beginnt und herabreicht bis zum 
Untergange des römifchen Weftreiches (476 nad) - 
Eprifti Geburt); 2) die Gefchichte des Mittel- 
alters, von der Auflöfung des römifchen Weſt⸗ 
‚reiches bis zur Entdedung bes vierten Erbtheiles 
(son 476 — 1492 n. C.); 3) bie der neuern 
Zeit, von der Entdedung des vierten Erdtheils 
bis zur franzöfifhen Revolution (von 1492 — 
1789); und 4) die der neueften Zeit von ber 
franzöfifchen Revolution bis auf unfre Tage. — Für 
die Behandlung und Darftellung der allgemeinen Ge⸗ 
ſchichte find feit den legten Jahrhunderten mehrere 
Standpuncte feftgehalten worden. Seit der Kirchen- - 
verbefferung berrfchte fange die theologifhe An⸗ 
fiht vor, befonders nad) bem fogenannten vier Mo⸗ 
narchieenfpfteme, das fid) auf eine mißverftandene 
Stelle im Propheten Daniel gründete. Dann folgte 
im zweiten Viertheile des achtzehnten Jahrhunderts 
die philologiſche Anficht, wo geachtete Philolo« 
gen die Gefchichte, -befonders die alte, als Huͤlfs⸗ 
mittel zu dem Stubiun der Flaffifchen Schriftiteller 
des Altertbums behandelten, wie gleichzeitig bie 
Publiciſten die Gefchichte der Teutfchen als: Hulfs- 
mittel des teutfchen Reiches zunächft als Kaifer- 
und Meichshiftorie vortrugen, ohne das im Vor⸗ 
dergrunde der Ereigniffe ftehende teurfhe Wolf 
einer böhern Berüdfichtigung zu würdigen. — Nur 
erft mit Schlözer begann die Behandlung der 
Gefchichte aus dem Standpuncte der Politik, worin 
ihm Spittler, Job. Müller, Heeren, Wach— 
ler, Saalfeld, Rotteck, Luden u.a. folgten. 
Die Gefchichte, aus die ſem Standpuncte Darges 


26 Allgemeine Einleitung 


ſtellt, vergegenwärtigt nich allein den Innern und 
nothwendigen Zufammenhang der “Begebenheiten, 

nach welchem fie fih gegenfeitig als Urſache 
und Wirfung verhalten (bie pragmatifhe 
Methode), fondern auch die Ankündigung des in- 
nern und äußern Lebens der erlofchenen oder noch 
beitehenden Reiche und Staaten, inwiefern nämlich 
(nad), ven Grundfägen der Staatsfunft) das in- 
nere Leben der Voͤlker und Staaten zunaͤchſt von 
beren Kultur, Religion, Verfaffung, Verwaltung 
“und Gitten abhängt, und das Außere Leben der⸗ 
felben, oder ihre Verbindung und Wechſelwirkung 
mit andern gleichzeitigen Voͤlkern und: Staaten, fo 
- wie überhaupt ihre Fräftige oder ſchwache Stellung 
in der. Mitte eine eigentlichen Staatenfyftems, zu⸗ 
nächft bedingt wird von der Kraft ihres innern 
Lebens. — Ob nun gleich die Geſchichte des 
europäifhen Staatenfyfiems aus dem 
Standpuncte der Politif vom Jahre 1492 
an ($. 5. N. 7.) eine felbftftändige Staatswiffen- 
[haft bildet, und in die Reihe derfelben gehört; fo 
. wird Do), durch Die Behandlung der Altern und. 
neuern Gefhichte aus dem Standpuncte der Po- 
litik, die richtige Würdigung der Gefchichte ber 
neuern und neueften Zeit, ıwo die Verbindung und 
Wechſelwirkung der europäifchen Staaten und Reiche 
allmählig die aͤußere Geftalt eines Staaten» 
fyftems gewann‘, zweckmaͤßig vorbereitet und 
unterſtuͤtzt. Esift daher, für das Studium 
der Staatswiffenfhaften, die Behandlung 
ber allgemeinen Gefchichte aus dem Standpuncte 
ber Politif der fonft gewöhnlichen annaliftifchen 
(chronologiſchen), ober ethnographifchen, oder ſyn⸗ 
hroniftifhen Methode vorzuziehen, weil nur bei 


| in die gefammten Staatswiffenfchaften. 27 


jener Behandlung bie allgemeine Gefchichte als eine 
Vorbereitungs-» und Huülfswiffenfchaft der Staats» 
wiffenfchaften gedacht werden kann. 


4) Die Diplomatif ober Urfundenlehre. 
Diefe Wiflenfchaft, welche zunächft in den Kreis 
der geſchichtlichen Wiffenfchaften gehört, bat 
die Beflimmung, die gefhichtlichen Urkunden lefen, 
verfteheg und benutzen, fo wie die Echtheit berfel- 
ben beurtheilen zw lehren. inwiefern nun eine 
Menge von Urfunden aus den Zeiten des Mittel» 
alters zur Begründung und Bewahrung der Rechte 
der einzelnen Staaten und ihrer Regentenhäufer 
gehören ; infofern hat die Diplomatif für den Staats» 
und Geſchaͤftsmann, nächft der Kenntniß der allges 
meinen Gefchichte , unter ben übrigen gefchichtlichen 
MWiffenfchaften einen vorzüglichen Werth, Der 
Name Diplomatifer bezeichnete deshalb auch, 
bis er von; der fpätern und angemeflenern Benen⸗ 
nung Diplomat verbränge ward, Diejenigen 
Staats» und Gefchäftsmänner, welche aus eigner 
gründlicher Kenntniß der Urfunden die rechtlichen 
und politifhen Verhältniffe ihres Staates nicht nur 
überfchauten, fondern die legtern auch, nad) jener 
erworbenen Kenntnig, im In⸗ und Auslande bei 
jedem eintretenden ftreitigen Falle leiteten. — Ob 
nun gleich durch die völlige Umbilbung bes innern 
Staatslebens der meiften europäifchen Staaten feit 
30 Jahren, fo wie durch die ‚völlig veränderte 
Grundlage der Staatskunſt in den Außern Ver⸗ 
hältniflen, die Diplomatik, unbefchadet ihres 
wiffenfchaftlihen MWerthes, für den Staats» und, 
Gefhäftsmann entbehrlicher und minder wichtig ger 
worden iſt, als vormals, und dagegen die Diplo 


' 


28 Allgemeine Einleitung 


matte zu einer ſelbſtſtaͤndigen — wenm gleich no 


richt völlig burchgebildeten — Gtaatswiflenfchaft 
fih) erhoben Hat; fo muß doch noch: immer die 
Diplomatif in den Kreis der Hälfsmiffenfchaften 


zu den Staatsmwiffenfchaften gezogen werden, weil die. 


‚inden Archiven aufbewahrten Urfunden der Staa⸗ 
ten und Reiche nicht felten, theils wegen der in meh⸗ 
vern Staaten fortdauernden Sehnsverhältniffe im In⸗ 


nern, theils ‚wegen ftreitiger NRechte mit dem Aus⸗ 
fande , nachgeſchlagen und nad) ihrem Inhalte aus= 
gemittelt werden muͤſſen. Wenigftens bedarf in unfrer: 


Zeit jeder nur etwas bedeutende Staat einiger 


Männer, welche dieſer Wiſſuſcheſt in der Naͤhe der 


Archive gewachſen ſind. 


Gebildet ward aber die Di lomatit ‚als ge 
ſchichtliche Wiffenfchaft, feie der Mitte des fieben- 


zehnten Jahrhunderts durch die Damals beginnenden 
Territorialprogeffe, befonders in Hinfiht auf die 


ſeit dem eilften Jahrhunderte zahlreich verfertigten 


falſchen Urkunden, auf welche, namentlich Kloͤ⸗ 
ſter und geiſtliche Körperfchaften , große Beſitzungen, 
Rechte und Anſpruͤche gruͤndeten. Dahin gehoͤrte 
beſonders Conrings censura diplomatis, quod 
a Ludovicu Imperatore fert acceptum coenobium 
Lindaviense. Helmst. 1672. 4. Doch war Pape 
broch, ein Sefuit zu Antwerpen, der Erfte, wel 
cher 1675 die Grundfäge der Kegeln zur Prüfung 
der Urkunden wiffenfchaftlich zu ordnen verfuchte, 
. Durd) die Strenge feiner Grundfäge fand fich ‘aber 
befonders der Benedictinerorden beeinträchtigt, aus 


deffen Mitte oh. Mabillon das gelehrte Werki 
de re diplomatica, libri 6, Lutet. Paris. 1681. 


Fol. fchrieb, welchem 1704 ein Ergänzungss 


An bie gefammten Stautswiffenfihaften. 29 


band folgte. — Mad) diefer refflichen Begrün- - 


dung der neuen Wiflenfchaft ward fie bald in den 
Kreis der afademifchen Vorträge aufgenommen, und 
von Staatsmaͤnnern geachtet. Als Folge diefer 
Achtung entftand Das berühmte Chronicon 
Gottwicense, von welchem aber nur Ein Theil 
zu Tegernfee (1732. Fol.) erfchien, in welchem der 
Unterfchied zwifchen den innern und äußern Kenn- 


zeichen ber alten Urfunden genauer feftgehalten ward._ 


Bald darauf erfchien, als Muſterbuch, und ganz in 
Kupfer geftohen Walthers Lexicon diploma- 
ticum. Götting. 1745. Sol. — Die ſyſtemati— 
fhe Haltung der Wiffenfchaft erhöhten die beiden 
Benedictiner Touftain und Taffin (feit 1750), 
in einem Werfe von 6 Quartbanden mit 100 Ku⸗ 
pfern, welches J. Chſtph. Adelung unter dem 
Titel: neues Lehrgebäude der Diplomatif 
(9 Theile, Erfurt, 1759 ff. 4.) auf teutfchen Bo⸗ 
den verpflanzte. — Gleichzeitig wirkten für das 
Stwium dee Diplomatif: Heumann in f 
commentariis de re diplomatica regum et im- 
peratorum germanicorum, Norimb. 1745. 4 — 
Eckhardt in f. introductio in rem diplomaticam, 
praecipue germanicam, Ed. 292, Jen. 1753, 4 — 
Baringinf, clavis diplomatica, Hanov. N. Ed. 
1754. 4+ — Joachim in ſ. (trocknen) Ein 
leitung zur feutfchen Diplomatif, 2te Aufl. 
Halle, 1754 8. — Gregor Gruber in ſ. Lehr⸗ 
buche einer allgemeinen Diplomatif, vor 
züglich für Deftreih und Teutſchland. 2 Ch. Wien, 
1783. 8. — J. Chſtph. Gatterer, ſchon im 
Jahre 1765 durch ſeine elementa artis diploma- 
ticae, wovon aber nur Ein Quartband zu Göttin« 
gen erſchien, und fpäter durch feinen Abriß der 


’ 





30 .. Allgemeine Einleitung 


Diplomatik, Gött. 1798. 8., "und durch feine 
practifche Diplvmatif, nebit 15 Kupfertafeln. 
Goͤtt. 1799. 8. — Mit "vielen neuern Anſichten 
bereicherte die Biſſenſchaft Schoͤnemann, in ſ. 
Lehrbuche der allgemeinen, beſonders 
aͤltern Diplomatik, 2 Th Hamb. 1801. $., 
welchem fein Coder für die practifche Diplo— 
matif, 2 Ih. Götting. 1800. 8. vorausgegangen 
war. — Zum Gebrauhe für Archivare find 
befonders geeignet: le Moine und Datteney, 
practiſche Anweifung zur Diplomatif und zu einer 

“guten Einrichtung der Archive. Aus dem Franzoͤſ. 
Nuͤrnb. 1776. 4. und Karl’ Sr. Bernd. Zinker⸗ 
nagel, Handbuch für angehende Archivare. Noͤrd⸗ 
lingen, 1800. 4. 


8 


Siteratur ber encyklopaͤdiſchen Be⸗ 
handlung der Staatswiſſenſchaften. 


Da bei jeder einzelnen Staatswiſſenſchaft die 
wi chtĩgere Literatur derſelben mitgetheilt wird; 
ſo gehoͤrt an das Ende der Einleitung, welche eine 
kurze Ueberſicht uͤber das geſammte Gebiet der 
Staatswiſſenſchaften — wie daſſelbe in dieſem 
Werke dargeſtellt wird — enthalten ſollte, nur noch 
die Angabe der Schriften, in welchen die Staats⸗ 
wiſſenſchaften (freilich je nachdem die Verfaſſer 
mehrere oder wenigere dahin rechneten) encyklopaͤ⸗ 
diſch, und zwar mit Ausſchluß der Kameralwiſſen⸗ 
ſchaften, aufgeſtellt wurden. 

Karl Gtlo. Roͤſſig, Entwurf einer Encyklopaͤ⸗ 
die und Methodologie der geſammten Staatswiſſen⸗ 
ſchaften und ihrer Huͤlſsdiſciplinen. Leipz. 1797. 8 - 


in bie gefammten Stagtswiffenfchaften, 31 


(Bet vieler Berfolitering der einzelnen hieher gehd⸗ 
venden Wiſſenſchaften in mande Untertheile, bat 
auch der Verf. zu viele poſitive Rechte beruͤck⸗ 
fihtigt,, 3. B. das teutfhe Staatsreht, und yum 
Theile die Kameralwiffenfchaften, 3. ®. Technologie, 
Bergbau u. ſ. w.) 

Joh. Karı Wild. Roͤsling, die Wiſſenſchaft 
von dem einzig richtigen Staatszwede; als Grund⸗ 
lage und Einleitung zu allen theoretifhen und 
practifhen Staatswiffenfchaften. Erlang. 1811. 8. 
(mit mehr Fleiß als Geiſt.) 

Alter. Lips, die Staatswiffenfchaftsichre, oder 
Encyklopaͤdie und Merhodologie der Staatswiſſen⸗ 
fhaft. Erl. u. Lpz. 1813. 8. (Der Verf. nimmt als 
Staatswiffenfhaften an: Juſtiz, Poltzei, Nationale 
wirthſchaft, Nationalerziehung, Staatsconftitutiongs 
wiſſenſchaft, Finanz.) — Eine kleine Schrift von 
34 Seiten war dieſer vorausgegangen: Darſtellung 
eines vollſtaͤndigen, aus der Natur der Menſchheit 
und des Denkens geſchoͤpften Syſtems des Staats 
und feiner Wiſſenſchaft. Münden, 1812. 8. (ent 
behrlich geworden durch die oben genannte fpätere 
Scırift.), j 

v. Jakob, Einleitung in das Studium ber 
Staatswiffenfhaften. Halle, 1819. 8. (Der Verf. 
verbreitet ſich zunaͤchſt über Politit, Nationaloͤko⸗ 
nomie, Polizeiwiffenfhaft und Finanzwiſſenſchaft.) 

Freih. v. Kronburg, Encyklopädie und Mes ' 
thodofogie der practifhen Staatslehre nah den 
neueften Anfichten der Berühmteften Schriftfteller 
dargeftellt und ergänzt. Dresden, 1821. 8. (meis 
fiens Compilation.) ’ 


* * 

Wilh. Butte, Generaltabelle der Staatswiſſen⸗ 
ſchaft und der Landeswiſſenſchaft. Landsh. 1808. 
Fol. — Dazu gehoͤrt: Entwurf ſeines ſyſtemati⸗ 
ſchen Lehrkurſus auf der Grundlage feiner Generals 
tabelle. Landsh. 1808. 8. (So viel ſich gegen des 
Verf. Elafification und Benennung der Staats— 
wiffenfchaften einmwenden ließe; fo hat er doch den 
hohen Werth derfelben hervorgehoben, und bie 


32 Acllg. Einleit. in die gefammten Staatsw. 


Selbſtſtaͤndigkeit des Kreiſes aller Gegenftände, 
welche: dahin gehören, bemerkbar gemacht.) Spaͤ⸗ 
ter erfhien von ihm folgendes. Werk: Ueber das 
organifirende Princip im Staate, ır Theil. Berl. 
1822. 8. (Sin diefem befinde fh S. 127 ff. auch 
eine Eintheilung der Staatswiffenfhaften, welche 
vor der in der Seneraltabelle enthaltenen den Vor⸗ 
zug verdient.) | 


* * * 


Zuden materiellen Encyclopäbdieen ber Staats 


wiffenfchaften kann auch gerehnet werden: — 
Die Staatskunſt; oder vollftändiga und gruͤnd⸗ 
liche Anleitung zu Bildung Eluger Regenten, geſchick⸗ 
ter Staatsmänner und rehtfchaffener Bürger. Aus 
dem Franzöf. des Herrn von Real, uͤberſ. von 
Joh. Phil. Schulin. 6 Theile. Frankf. u. Leipz. 
1762 — 67. 8. (Th. ı u. 2 enthalten einen allgem. 
Grundriß der Staatstunft, größtentheils gefchichts 
liche Darftellung der Verfaſſung älterer und neuerer 
Staaten; Th.3 das Naturreht; Ih. 4 das Staates 
recht; ch. 5 das Voͤlkerrecht; 2. 6 die Politik.) 


+ 





Nakturs und Voͤlkerrecht. 
Einleitung - 


— æ— 


1. 
»Vorbereitende Begriffe - ' 


J.de ſelbſtſtaͤndige Wiſſenſchaft unterſcheidet ſich 
dadurch von allen andern Gebieten der wiſſenſchaft⸗ 
lichen (d. h. der ſyſtematiſchen, in ſich zuſammen⸗ 
haͤngenden) Erkenntniß, daß ihr ein eigenthuͤmlicher 
Begriff und Zweck zukommt, und von dieſem 
eigenthuͤmlichen Begriffe und Zwecke theils der Um⸗ 
fang der ganzen Wiſſenſchaft, theils ihre innere 
ſyſtematiſche Anordnung, und Haltung, theils 
ihre Verſchiedenheit von allen andern, befonders 
von den verwandten Wiflenfchaften,, theils der höhere 
oder ‚hiebere Standpunct, aus welchem ber 
Anbau der Wiffenfchaft in verfchiedenen Zeiten ver« 
fuht worden ift, mit Nothwendigkeit abhängt. 
Gilt dies von allen felbftftändigen Wiſſenſchaften; 
fo muß es auch von der. philofophifhen Rechts— 
lehre gelten. Die Einleitung in diefelbe ift daher. 


® 


34 Natur» und Voͤlkerrecht. 


bazu beſtimmt, den eigenthiimlichen Begriff und 
Zweck dieſer Wiſſenſchaft auszumitteln , und jene 
Solgerungen daraus, abzuleiten, 


— 


2. 


Begriff und Zmed ver philofopbifhen 
Rechtslehre. 


⸗ 


Der Begriff des Rechts, ſo wie der lette Grund 
deſſelben, kann nicht aus der aͤußern ſinnlichen Welt, 
nicht aus dem Kreiſe der Erfahrung und Geſchichte, 
und geben fo wenig aus einem pofitiven, d. h. aus 
einem zu einer gewiffen Zeit und für die Bebürfniffe 
eines gewiflen Volkes gegebenen (mithin blos ge— 
fhichelich erfennbaren und geltenden) Rechte der 
Hindus, oder der Hebräer, der Griechen, der Nömer, 
der Langobarden, oder der römifchen Bifchöffe ftam- 
men. Was ewig als Recht fir den Menfchen gelten 
und zugleich den höchften Maasitab für Die Ausmitte- 
lung der Vollfommenheit oder Unvollkommenheit jedes 
pofitiven Rechts des Alterthums oder der neuern Zeit 
enthalten foll, muß über alle Gefchichte und über jede 
pofitive Gefeßgebung binausreichen, und in der ur⸗ 
fprünglichen Gefegmäßigfeit des menfchlichen Geiftes 
begründet feyn, wenn anders das Recht alle We- 
fen unfrer Gattung ohne Ausnahme, wenn es alle 
Völker und alle Zeiten umfchließen, wenn ber 
Urbegriff des Rechts auf alles, was in ber Erfahrung 
und Gefchichte als Recht ſich anfündigt, als höchfter 
Maasftab angewandt, uͤberhaupt wenn der Zweck 
aller äußern gefellfchaftlichen Verbindung zwifchen 
Wefen unfrer Gattung, das erhabene deal 
der Herrfhaft des Rechts auf dem ganzen 
Erdboden, allmäplig verwirklicht werden foll, 


| Natur⸗ und Völkerrecht. 85 


3, | 

Ableitung des Begriffes des Rechts aus 

der urfprünglihen Gefegmäßigfeit des 
menſchlichen Weſens. 


Die urſpruͤngliche Geſetzmaͤßigkeit des menfch- 
lihen Wefens beruht auf den drei unmittelbaren That- 
fahen: des Daſeyns, des Verſchiedenſeyns von allen 
andern Dingen (der ndividualieäe) ‚ und der Per: 
fönlichfeit und Freiheit. Diefe unmittelbaren 
Thatfacherr find in. einem Urfelbftgefühle verbürgt, 
welches wir das Bemwußtfeyn nennen," und dieſes 
Bewußtſeyn iſt das einzige Bleibende und Unver: 
anderliche in unferm Wefen, über welches wir mit 
unfrer Erfenntniß nicht hinaus koͤnnen, und in wels 
hem jeder einzelne Zuftand als mittelbare That⸗ 
fahe, deren wir uns bemußt werden, von ung wahr⸗ 
genommen wird. Ob nun gleid) dag Bewußtſeyn 
nach ſeinem letzten uͤberſinnlichen Grunde auf ſeiner 
völligen Unerflärbarfeit beruht; fo unterfcheiden wir - 
dorf) in demſelben zwei Hauptgattungen menfchlicher 
Zuftände: die Zuftände Des Seyns und des Han« 
delns. Das menfchliche Seyn fündige fih naͤm⸗ 
ih unmittelbar im Bewußtſeyn an als die innigfte 
und unauflöslichite Verbindung einer finnlihen und 
einer geiftigen Natur. zu dem Ganzen Einer Perfon. 
Es ift daher die Aufgabe der theoretiſchen Pfilo- 
ſophie, den Menfchen nad) dem, was er ift, nad) 
der Gefammtheit und dem gegenfeitigen Verbältniffe 
aller in der urfprünglichen Gefegmäßigfeit feines We— 
fens enthaltenen Vermögen und Kräfte darzuftellen. 

Mit. dem Kreife des menfchlihen Seyns ftehe 
aber der Kreis des menfihlihen Handelns, oder 
der äußern Ankündigung der menfhlichen Tpäcigfeit, 

. | 3 





30 Natur⸗ und Völkerrecht. 


In Angemeſſenheit zu einer vorausgegangenen Innern 
Gefinnung und Triebfeder bei jeder einzelnen Hand⸗ 
fung, in der genaueften Verbindung ; denn jede äußere 
Thaͤtigkeit feßt einen von dem handelnden Weſen ge- 
dachten Zweck voraus, der durch die aͤußere Thaͤtig⸗ 
keit erreicht werden foil. Die wiffenfchaftlihe Dar- 
ftellung der Gefammtheit aller i innern Triebfedern und 
Zwecke menfchlicher Handlungen, fo wie der‘ aus, die: 
fen Triebfedern  entfpringenden Handlungen i in Ange» 
meffenbeit zu den beabfichtigten Zwecken, ft daher die 
Aufgabe der pra etif hen. Phuͤoſophie. — Es kann 
aber nur ein freies Weſen der innern Triebfebern, 
nach welchen es handelt, des Zwedes, welchen es 
beabfichtige, und der Handlungen ſich bewußt werden, 
welche es in Angemeſſenheit zu dieſen Triebfedern 
vollbringt. Ob nun gleich die theoretiſche Philoſophie 
in der Metaphyſik die Freiheit des Willens als die 
urſpruͤngliche Selbſtbeſtimmung des Menſchen bei ſei⸗ 
nen Handlungen, mithin als das hoͤchſte practifche 
Vermögen vernünftig. finnlicher Mefen und als den 
unterfheidenden Charafter der Menfchheit von allen 
andern Gefchöpfen aufftellt; fo ift es doch zunaͤchſt die 
practiſche Philoſophie, welche der Freiheit in der un⸗ 
bedingt gebietenden Gefeggebung der Vernunft das 
unermeßliche Ziel vorhält,; nad) welchem fie ftreben, 
und das ſie verwirklichen foll, 


4. 
Das practifhe Ideal. 


. Die Vernunft fenne nämlich feine höhere Idee, 
als die Idee des Sittlich-Guten, d. h. die 
Ausübung des Guten um des Guten felbft 
willen, ohne irgend eine Nüdficht auf die daraus 


Natur » und Völferreh. 37 


hervorgehenden Folgen. Dieſe dee des Sittlich— 
Guten ift unabhängig von. allen Naturgefegen, weil 
fie aus dem innern Heiligthume des menfchlichen Gei- 
fies und aus der reinften Thaͤtigkeit feines höchften 
Vermögens, der Vernunft, hervorgehet. Sie ftelle 
den Endzmerf des menfchlihen Dafeyns auf, weil 
alle andere Zwecke unter demfelben enthalten find, und 
fih auf dieſen hoͤchſten und leßten Zweck beziehen. 
Diefe dee foll aber nicht blos als Erfenntniß in dem 
Borftellungsvermögen des Menfchen enthalten feyn, 
fondern zugleih das höchfte Ideal für alle feine 
Handlungen vermitteln, inmwiefern- das “deal der 
Sitrlihfeit, als ein aus der Vernunftidee des Sitt- 
lih- Guten ftammendes, wegen feiner Unermeßlich— 
feit aber in dem irdifchen Leben nie völlig zu verwirf: 
fihendes Urbild, der würdigfte und höchfte Gegen- 
fand aller Beftrebungen bes freien Willens werden, 
und die unbedingt (d. h. ohne Ausnahme und Ein- 
ſchraͤnkung) gebotene Annäherung an diefes deal die 
große Aufgabe für alle vernünftig - finnliche Wefen, 
fo mie der Inbegriff der gefammten Zwecke ihrer Thä- 
tigkeit, in allen Zeiträumen ihres Dafeyns feyn und 
bleiben fol, | 


| 5, w 
Die beiden Haupteheile des practifchen 
deals, das deal der Pfliht und des 
Rechts. > 


Das Seal der Sittlichkeit, welches durch den 
freien Willen des Menfchen verwirklicht werden foll, 
zerfällt, nach der urfprünglich gefegmäßigen Einrich⸗ 
tung unfers Wefens, in das Ideal für deninnern, - 
und in das Ideal für den äußern freien Wirfungss 


* 


88 Natur» und Völkerrecht. 


freis. Denn well jede im Kreife menfchlicher Thätig- 
feit erfcheinende außere freie Handlung in genauefter 
Angemeffenheit zu einer innern Triebfeder erfolgt, 
weshalb ihre Güte oder Verwerflichkeit nur nach der 
Güte oder Verwerflichfeit dieſer innern Triebfeber 
beurtheilt und dem Handelnden (fubjectiv im Gewiflen, 
objectiv im Urtheile der Menfchen) zugerechnet 
‚ werden kann; fo ift auch nur diejenige äußere Hands 
lung dem Ideale der Sittlichfeit, angemeffen,, welche 
aus einer innern veinfittlichen Triebfeder hervorgeht; 
oder nach) der philofophifchen Kunſtſprache: die Lega= 
litaͤt der Handlung, die aͤußere erfennbare Wahr: 
nehmung ihrer Angemeflenheit zu dem Sittengefege, 
foll die unmittelbare Folge dee Moralitär verfelben 

ſeyn. Das Ideal für deninnern freien Wirkungs⸗ 
. £reis umfdhließt daher bie rein fittlihe Güte der 
Triebfeder der menſchlichen Handlungen, oder bie 
unbedingte Verbindlichkeit zu einer Thaͤtigkeit für 
fittlihe Zwede; das “deal für den äußern freien 
Wirfungskreis hingegen die völlige Angemeffenheit 
der äußern freien Handlung zur innern fittlichen Güte 
- ‚ber Teiebfeder, oder die Verwirklichung fittlicher 
Zwede in der Verbindung und Wechfelmirfung mit 
Weſen unfrer Art. Jenes Ideal ift das Ideal ber 
Pflicht, diefes das Ideal des Rechts. Denn 
unter Pflicht verftehen mir .die fubjective Verbind⸗ 
lichkeit zu freien Handlungen, welche dem Sittenge- 
fege angemefjen find, und bezeichnen diefe Verbind- 
lichkeit mit dem Ausdrude des Sollens;z unter 
Recht verftehen wir aber die in unferm äußern Wir- 
fungsfreife enthaltene Möglichkeit, ſittliche Zwecke zu 
. erreihen, und in der Wechfelwirfung mit Andern 
geltend zu machen. Wir bezeichnen diefe äußere Mög- 
lichkeit der Erreichung fittlicher Zwecke mit dem Aus⸗ 


Natur » und Voͤlterrecht. 39 


drucke des Duͤrfens. (Es darf geſchehen.) *) Das 
Recht beſteht daher in dem, was nach ſittlichen 
Zwecken moͤglich ift »e); fo daß in dem Syſteme 
der gefammten practifchen Philofophie, nach dieſer 
Begriffsbeftimmung , unter dem Rechte die durch die 
Freiheit des Willens begrünbete und verbürgte Mög- 
lichfeit der Anfünbigung und WBerwirflichung des 
Eittlid) - Guten in der Gemeinfchaft und Wechfelwir- 
fung vernünftig - finnlicher Wefen nach ihrem aͤußern 
Wirkungskreiſe verſtanden wird. 

Es ſtammen alſo beide Ideale, der Pflicht und 
des Rechts, gleihmäßig und urfprünglich aus dem 
Ideale der Sittlichkeit, fo wie dieſes Ideal aus der 
böchften Vernunftide:, ber Idee des Sittlic) » Guten, 
Beide Ideale ſtehen unter ſich in notwendiger und 
unzertrennlicher Verbindung, und eben fo die bei- 
den Wiflenfchaften der practifchen Philofophie: die 
Pflihten- und die Rechtslehre. 


6. 


Solgerungen aus dem Unterfhiede zwi— 
fhen Recht und Pflicht. 


Aus diefer Begriffsbeftimmung folgt: 
1) daß das Recht, mie die Pfliht, aus 
dem Sittengefege ſtammt, und alles, was 


=) Sn der phyſiſchen Welt fieht dem Dürfen das Koͤn⸗ 
nen als phyſiſche Möglichkeit, und dem Sollen 
Fr Muͤſſen als phnfifche Nothwendigteit gegen 


**) —X iſt an ſich viel (z. B. daß ich dem Nach⸗ 
bar das Haus anzunde); recht aber nur das, was. 
nad festigen Zwecken mögli if. 





L 


40 Notur⸗ mb Voͤlkerrecht. 


gegen das Sittengeſetz verſtoͤßt, nie Recht ſeyn und 


werben kann, mithin Pflicht und Recht gleih.mäßig 
auf die Freiheit ſich gruͤnden, und jede aͤußere Hand⸗ 


tung ein. Wiederſchein der innern Freiheit iſt *); 
2) daß, da es fuͤr die Freiheit einen innern 
and aͤußern freien Wirkungskreis gibt, der außere 


freie Wirfungsfreis zunächft durch den innern be 


dinge (d. h. duch das Vergegenwaͤrtigen eines 


.Zweckes beftimmt) wird; 


3) daß das Recht von der Pflicht zunächft durch 
die äußere Ankündigung **) ſich unterfcheidet, waͤh⸗ 
rend die Pflicht zunächft die innere Angemeffenheit der 
Triebfeder zu dem Sittengefege enthält, obgleich auch 





Knaus 
ED“ 


=) Die Freiheit it zwar an fih ein Noumenon, 
und gehört zur Überfinnlihen (tranfcendentalen — 
nicht tranfcendenten) Welt in uns; für die Rechtes 
fphäre ift aber die Freiheit ein Phänomenon, ein 


in wirklichen Handlungen Erfcheinendes und Ers 
kennbares. 


#6) Das Recht iſt, wie die Pflicht, gleichmäßig in dem 
Innern Weſen des Menfchen, d. h. in feiner Vers. 


nunft (die nur Eine und diefelbe ift) und in feiner 
Sittlichleit begruͤndet; dies erhellt ſchon daraus, 


weil das Recht das nach fittlihen Zweden- 


Mögliche umfhließt, während die Pflihe das 

‚nah fittlihen Zwecken Nothwendige ge 
bietet: Allein jede Aeußerung eines Rechts, es fey 
die Ankündigung und-das behaupten des eigenen 
echte, oder die Anerkennung Der Rechte Andrer, 
verlangt durchaus einen dußern freien Wirkungss 
freis, d. h. einen Kreis, worin eine — in Ange 
meffenheit zu einer Innern Triebfeder erfolgende — 

. Handlung wahrgenommen wird und ‚werden kann, 
alfo eine Verbindung, Gemeinfhaft und Wechſel⸗ 
wirkung mit Weſen unfrer Art. | 


Natur « und Voͤlkerrecht. 4 


die einzelnen Pflichten, bei ihrer Ausübung, in äußern 
Anfündigungen als Handlungen wahrgenommen 
werden; ' 

4) daß die Anfündigung und Verwirklichung 
des Rechts nur in der Verbindung und Wech— 
felwirfung vernünftig =finnlicher Wefen möglich, 
mithin der Kreis der Pflichten weiter ift, als ber 
Kreis der Rechte, weil den Rechten nur diejeni«- 
gen Pflichten entfprehen, die blos in ber Ver— 
bindung mit Andern verwirklicht werden koͤnnen, 
während der Kreis der Pflichten auch die Verpflich- 
tungen gegen ſich felbft, gegen Gott, und fogar gegen 
die thieriſche Schöpfung umſchließt; fo wie die Pflich- 
ten gleichmäßig für den völlig ifolirt, wie für den 
in der Geſellſchaft lebenden Menfchen gelten; 

5) daß alfo der Kreis der Rechte fo groß if, 
als der Kreis aller Verhältniffe, welche in der dußern 


‘ 


erbindung freier Wefen eintreten koͤnnen; 


6) Daß aber, ungeachtet der innigen Verwandt⸗ 

[haft zwifchen den Pflichten und Rechten, der Kreis 
ber Pflichten, felbft in Hinſicht der Pflihten 
gegen Andere, meiter ift, als ver Kreis der Rechte, 
- weil von den Pflichten gegen Andere nur dviePflich- 
ten ber Gerechtigkeit (officia perfecta), nicht 
aber die Pflichten der Güte (oflicia imper- 
fecıa) in der äußern Verbindung und Wechfelmirfung 
freier Wefen erwartet und gefordert werden Fönnen *). 
Dbgleich nach ihrer Abftammung und Ableitung aus 


*) Man Hat auch die Rechte, wie die Pflichten, in 


volltlommene und unvolltommene eintheis 
len wollen; allein unvolltommene Rechte find 
nicht denkbar. | 


[ 


a2 Matur»- und Voͤlkerrecht. 


. Einer und berfelben Vernunft und aus Einer und ber- 

ſelben Freiheit, mithin nach ihrem fietlichen Werthe und 
nachider fubjeceiven Verpflichtung des handelnden Wes 
feng zu denfelben, beide, die Pflichten der Gerechtigkeit _ 
und der Güte, in gleichem Range ftehen; fo unter« 
fcheiden fich beide doch, theils nach ihrem Inhalte, 
Inwiefern das Recht das nach fittlichen Gefegen Mög 
liche, die Pflicht das nach fittlichen Gefegen Not h⸗ 
wendige fordert; theils nad) ihrem Wirfungs«- 
Freife, mo das Recht durchaus das Zufammenleben 
‚ (die Eoeriftenz) mit andern ſittlichen Wefen verlangt, 
während die Pfliht auch das von der menfchlichen 
Gefellfchaft getrennte Individuum verbindet; theils 
nad) ihrer Ausdehnung, wo (wie gezeigt ward) 
der Kreis der Pflichten ungleich meiter ift, als ber 
Kreis der Rechte; theils nad) ihrer Triebfeder, 
inwiefern zwar — nach) dem Ideale der Sittlichfeie 
gedaht — mie bei der Pfliht, ſo auch beim Rechte, 
nur und einzig die reinfiteliche Triebfeder 
der gleichmäßige Grund allerRechte und Pflichten feyn 
foll, (und dies auch in dem auf ein deal gegründe- 
ten Naturrechte nicht anders gelehrt werden kann,) 
inder Wirflichfeit aber (welche wiffenfchaftlich - 
in dem Staatsrechte beruͤckſichtigt wird) zu der inneren 
Triebfeder noch eine außere (d.i. der Zwang) hin- 
zufommt, welche für alle diejenigen Mitglieder des bür- 
gerlihen Vereins von Wichtigkeit ift und bleibt, die 
weder aus reiner innerer Triebfeder Die Rechte Andrer 
anerfennen noch nach derfelben ihre eignen Nechte im 
äußern freien Wirfungsfreife geltend machen. Allein 
weil für alle beffere Menfchen, welche ftreng ber 
Vernunft angemeffen handeln, diefe außereTrieb- 
feder Des Zwanges binmwegfällt und durchaus auf - 
ihre Willensbeftimmung feinen Einfluß behauptet; fo 





Natur « und Völkerrecht. 43 


darf fie aud) nicht im Ideal des Naturrechts mit der 


reinen innern Triebfeder des Handelns auf 
gleiche Linie geſtellt werden; ſie wird vielmehr ins 


Staats recht aufgenommen, weil überhaupt nur 
im Staate der Zwang, mit Ausfchließung der Selbft- 
hülfe, recht ich geſtaltet ift. 

Sp genau auch wiſſenſchaftlich zwiſchen Pflich⸗ 
ten⸗ und Rechtslehre unterſchieden werden muß; 
ſo habe ich doch, ſeit ich uͤber das Naturrecht 
ſchrieb, die urſpruͤngliche Identitaͤt bei— 
der in der practiſchen Vernunft und in der Frei⸗ 
heit des Willens feftgehalten, und beide wiſſen⸗ 
fhaftlih nach einem Ide ale dargeftellt. Denn 
fo wenig irgend ein Menſch das hohe “deal der 
Pflichtenlehre erreicht, nad) welchem jebe einzelne 
Handlung blos und einzig aus der innern 
reinen Triebfeder hervorgehen foll; fo wenig 
wird auch von der einzelnen bürgerlichen Geſell⸗ 
fchaft das Ideal der philofophifchen Rechtslehre, 
die unbedingte Herrfhaft des Rechts 
aufdem ganzen Erdboden erreicht. Diefer 
Gegenſatz der Wirklichkeit gegen das Ideal hebt 
aber das “deal felbft nicht auf. Zwar find alle 

. Diejenigen Schwaͤrmer, welche das “deal in der 


wirflihen Welt durchfegen wollen; allein nie wird. 


es ſich die Vernunft verfümmern laffen, in ihrer 
Idee das Höchfte auszubilden, mas der legte Maas 
- ftab der Beurtbeilung für alles Wirflihe, und 
das Ziel bleibt, dem alles Vorhandene allmäh- 
Lig zugeführt werden fol. Deshalb erfcheint bei 


mir das Naturrecht eben fo ivealifch Durchgeführt, 


wie die Pflichtenlehre, und erft im Staats» 


rechte behauptet der Zwang die ihm in 


der äußern Rechtsgeſellſchaft, wie fie in 


> 








4A Natur⸗ und Völkerrecht. 


der Wirklichkeit erfcheine, gebuͤhrende 
 - Stelle Man vergleiche meine frühern Auffäge: 
das Naturrecht, als deal aller Rechtswiffenfchaf- 
“ten in ‚den neuen Beiträgen zur Fritifchen Philof. 
von Grohmann und Poͤlitz, (Berl. 1798.) 


Th. 1, ©. 223 ff. — Ueber das deal der 


Rechtslehre, in meinen Fragmenten zur Philof. 


des Lebens (Chemnitz, 1802), ©.170 fi., und _ 
ebendafelbft (S.189 ff. u. S. 223 ff.) Die aus dem 
Standpuncte diefes deals aufgeftellten Grundfäge 
des Maturrechts und Völferrehts. — Damals, 
in dem Zeitpuncte der Wiedergeburt der philofophi- 
fhen NRechtslehre durch die Männer, welche dem 
kritiſchen Syſteme folgten, erflärte fih Reinhold 
in ſ. Recenfion von Kants Schrift: zum ewi- 


gen Frieden, auf gleiche Weife (wenn gleich 


Kant felbft in f. fpäter erfchienenen meta phyſi— 
fhen Anfangsgründender Rechtslehre, 
ben ältern, feit Gundling vorberrfchenden, Anfich- 
ten folgend, den Zwang ins Naturrecht wieder 
aufnahm). Reinhold fagt-von jener Schrift: 
‚Ungeachtet der ganze Entwurf von lauter auf 
Sittlichkeit gegründeten Verhältniffen. einzelner 


- Menfchen und unabhängiger Völker handelt; fo 


ift doch in demfelben nicht die Rebe vom 
Rechte zu zwingen, und man kann daber 


- ‚von dem, feinen Gegenftand zu erfchöpfen gewohn⸗ 


ten, Verfaſſer vermuthen, daß er den Zwang 
fuͤr einen unweſentlichen fremden Zus 


fag des Natur- und Völferrehts an- 
fiehe, der nur als ungemwiffes pby- 
fifhes Huͤlfsmittel gegen die bösartige 
Meigung, feine Verbindlichkeit nicht zu erfüllen, 


. verſucht wird. Setzt man die feltene Pflicht zu 


Natur⸗ unb Voͤlkerreche. J 45. 


zwingen bei Seite; fo kann das Recht zu 
zwingen blos dem zukommen, der ausdruͤcklich 
Dazu bevollmächtigt ift, und es deutet baflelbe 
‚ allezeit auf ein ung leiches Verhaͤltniß, in 
welches die Menſchen, ohne ihre Perſoͤnlichkeit 
aufzuheben, nur im Staate gerathen koͤnnen, 
wo das Hherhaupt Auftrag bekommt, die uns 
geftörte Ausübung der einzelnen Rechte zu er⸗ 
zwingen, wo alfo der Berechtigte nur das Recht, 
und der Staat nur den modum coercendi hat.“ 
— Faſt auf dieſelbe Weiſe aͤußerte ſich der Rec. 
von Tieftrunks Grundriß der Sitten 
Lehre, inden Marb. Annalen 1805, Beil. 
zu N.20, ©.417: „Es kann ber guten Sach⸗ 
nicht förderlich feyn, wenn man.die Rechtslehre, 
von der Moral mühfam fcheidet; fie follten in der 
Theorie und Praris verbunden bleiben. Der mo⸗ 
ralifche Begriff ift der primitive, das Princip 
des Rechtsbegriffes; denn diefes ſtammt aus 
der Vernunft und ihre Producte find moraliſch. 
Es bleibt gewiß für Staaten fomohl, als für jedes 
Individuum die michtigfte Aufgabe: innere und 
aͤußere Geſetzgebung in begluͤckende Harmonie zu 
bringen. Das aͤußere Recht ſtreitet keinesweges 
mit moraliſchen Beſtimmungsgruͤnden; vielmehr 
gewinnt es durch dieſelben Kraft, Staͤrke und 
Adel.“ — In der damaligen erften Zeit des 
Einfluffes der kritiſchen Philofophie auf die philo- 
ſophiſche Rechtslehre gründeten Mehrere das Rechts⸗ 
princip auf die Moral uͤberhaupt; ſo Schmalz, 
Jakob, Schaumann, Abicht u. a. auf die 
Pflicht de Berechtigten felbft, und Heydenreich 
und Hoffbauer auf die Pflicht Andre. Won 
dieſen trennten fi aber Kant, Fichte, Seuer-: 





6 Hatur- und Volterxecht. 


bach u. a., welche zwar Rechts» und Pflichtenlehre 
als integrirende Theile der practiſchen Philoſophie 
uͤberhaupt aufſtellten, allein zwiſchen Legalitaͤt und 
Moralitaͤt eine ſcharfe Grenzlinie zogen. Viele 
der folgenden Schriftſteller des Naturrechts ſchloſ⸗ 
ſen ſich mehr oder weniger an dieſe an, bis Schulze 
(in feinem Leitfaden) und Bouterwek (inf, 
Lehrbuche der philof. Wiffenfhaften Th, 
.. 2) wieder zu der in der Vernunft felbft begründeten 
Identitaͤt der Rechts- und Pflichtenlehre, zurüds 
. tehrten. — Faft auf gleiche Weiſe erflärt fich 
- Krug darüber (Bande der Philof, Th. 2, 
S. 118 — 121. te Aufl.). 
Diefer Ercurs war bier deshalb nöthig , weil 
unter denen, welche in neuerer Zeit das Naturrecht 
- aus dem philofophifchen (nicht juriftifchen,) Stand- 
. puncte darftellen, nur die zwei Hauptanfichten 
vorherrſchen fünnen: entweder Identitaͤt der 
Rechts- und Pflichtenlehre, oder ftrenge Son 
. berung beider ,. obgleich beide zur practifchen Phi⸗ 
lofopbie gehörig. Bon der größten Wichtigkeit ift 
aber die Sefthaltung der einen oder der andern An⸗ 
. fihe im Staats: und Strafrehte, meil 
. davon die Begründung der Lehre vom Zwange 
- abhängt, und z. B. bei Feuerbach und allen, 
bie ihm folgen ‚ die fogenannte Abſchreck ungs— 
theorie im- Strafrechte eine nothwendige Folge 
feiner Grundanficht vom Niurrechte iſt. 


7. 
Hoͤchſter Orundfas der pbiloſophiſchen 
Rechtslehre. 


Das Ideal des Rechts, das zugleich mit 
dem Ideale der Pflicht aus dem Ideale der Sutlich 


Natur» unb Voͤlkerrecht. 47 


feit hervorgehet, verlangt von dem Menfhen, daß 
er das nad fittlihen Zwecken Mögliche in 
feinem äußern freien Wirfungsfreife, d.h. 
in der Verbindung und Wechfelmirfung mit andern 
Weſen feiner - Gattung, verwirflide. Dem 
Ideale des Rechts kann daher nur ein folder Verein 
freier Wefen entfprechen, in welchem die äußere Srei- 
heit des Einzelnen mit der äußern Freiheit aller an⸗ 


bern fittlihen Wefen im Gleichgewichte ſtehet, 


wo alfo die äußere Freiheit des Einzelnen (die Sphäre 
feiner Rechte) vereinbar ift mit der Freiheit aller An- 
dern, und nur burch die äußere Freiheit aller mit ihm 
zur Gefellfchaft vereinigten Wefen befchränft wird, 
Der hoͤchſte Grundfag der pbilofophifchen] Rechts- 
lehre ift Daher: Befördere das vollendete Gleichgewicht 
zwifchen deinem außern freien MWirfungsfreife und 
dem äußern freien. Wirfungsfreife aller mit dir zur 
Gefellfchaft vereinigten Wefen; oder: Du darfft jedes 
in den Anlagen, Vermögen und Kräften deines 
‚Wefens enthaltenes und begründetes Recht geltend 
machen, durch deflen Verwirklichung du fein Recht 
irgend eines vernünffig » finnlichen Wefens hinderft 
ober verletzeſt. Gleihmäßig dürfen alle mit dir zur 
Geſellſchaft verbundene fittlihe Wefen in ihrem 
. äußern freien Wirkungsfreife fammtliche in den An- 
lagen, Vermögen und Kräften ihrer. Natur enthals 
tene und begründete Mechte geltend machen, burd) 
deren Verwirklichung feines deiner Rechte beeinträch- 
tige und verlegt wird. Da nun diefem -bachften 
Rechtsgrundſatze für alle Wefen unfter Gattung, 


wegen der urfprünglichen.Gleichheit der fittlichen Ge=- 


feggebung der Vernunft, gleiche Gültigkeit zu— 
kommt; fo wird auch durch dieſen Grundfag das 
Ideal der Herrfchaft des Rechts auf der ganzen Erbe 


43 Natur-⸗ und Voͤlkerrecht. 


zum Ideale der philoſophiſchen Rechtslehre erhoben 
und als ſolches ausgeſprochen. Demnach iſt die phi⸗ 
loſophiſche Rechtslehre die Wiffenfhaft, welche 
lehrt: wie innerhalb des aͤußern freien 
MWirfungsfreifes, in der Gemeinſchaft 
und Wechſelwirkung vernuͤnftig⸗ſinnli— 
cher Weſen, das Ideal der Herrſchaft des 
Rechts auf der Erde verwirklicht werben 
kann und foll, | 


8. 


Umfang und Eintheilung der philoſophi— 
[hen Rechtslehre. 


Die philofophifche Rechtslehre behauptet, nach 
dem ihr eigenthümlichen Grundbegriffe des Rechts, 
und nad) dem ihr ausfchließend zufommenden Zivedde 
und Ideale der Herrſchaft des Rechts auf dem 
Erdboden, den Rang und die Wuͤrde einer ſelbſt⸗ 
ſtaͤndigen Wiſſenſchaft. Ihr Werth braucht nicht 
erwieſen zu werden; denn er ſteht und faͤllt mit der 
Vernunft ſelbſt, aus deren Heiligthume jener Begriff: 
und Diefer Zweck ſtammt. Herabwuͤrdigung würde. 
es feyn, fie nad) ihrem Mugen empfehlen zu wollen, 
Ihre Nothwendigfeit aber beruht auf der that- 
ſachlichen Wechſelwirkung , in welcher die Menſchen 
feit ihrem Eintritte ins Leben gegen einander ſtehen;. 
eine Wechfelwirfung, die nicht dem Zufalle überlaffen 
bleiben darf, fondern durch die Vernunft geordnet, 
und in der Wiffenfchaft nach ihrem innern noth- 
wendigen Zufammendange dargeftellt werden muß.: 


| Ihr Umfang endlid wird mwilfenfchaftlih durch: 


zwei Theile erfchöpft: durch das fogenannte Na⸗ 
turrecht, und durch das. Volkerrecht. J 


1 





Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 77) 

Die philoſophiſche Rechtslehre entwickelt nämlich 
in dem Naturrechte (auch philoſophiſches 
Privatrecht, im Gegenſatze des öffentlihen 
Rechts, genannt; weil ks den einzelnen. Men- 
ſchen nach dem Kreife feiner gefommten Rechte ſchil⸗ 
dert,) alle einzefne, in der Natur des Menfchen 
enthaltene und aus dem Ideale des Rechts hervor. 
gebende, Rechte und rechtliche Verhältniffe des ver» 
nünftig « finnlichen. Weſens in -feinem äußern: freien 
Wirkungsfreife, — und in dem Voͤlkerrechtidie 
Bedingungen ‚ unser welchen ſowohl in des Mitte: des 
‚einzelnen Volfes, als in der Verbindung und Wed)- 
felwirfung mehrerer. und aller neben- einander be⸗ 
ftehenden Völker, die Herrfchaft des Rechts auf dem 
ganzen Erdboden verwirklicht werden fol. 

Durch diefe beiden Theile wird bie philofoppifche 
Rechtslehre im engern Sinne erſchoͤpft, weil ſie die 
Geſammtheit aller Rechte der Individuen und der ein⸗ 
zelnen vertragsmaͤßig begründeten Rechtsgeſellſchaft, 
die wir Volk nennen, eben ſo, wie die Rechte aller 
auf dem Erbbuben nebeh einander beſtehenden Völker - 
— ohne Rüdficht auf ben aus der- Erfahrung ftam- 
menden Begriff es: Staates, — aus dem Ideale des 
Rechts unmittelbar ableitet und lůckenlos durchfuͤhrt. 

Die feit- Jahrhunderten gewoͤhnliche Benen⸗ 

nung: Maturrecht, iſt beizubehalten, ſobald man 
darunter nicht eine auf Naturgeſetze gegründete, 
ober den. blos ſinnlich⸗thieriſthen Naturzuſtand ent· 
wickelnde, Wiffenfchaft, ſondern diejenige ſyſte⸗ 
matiſche Darftellung verftcht ‚„ voedhe fih auf 
bie urfpränglihe Geſetzmäßigkeit der 
menſchlichen Natur gründet, und, in Anges 
:meſſenheit zu dem Grundcharafter der Menſchheit, 
. ein Kdeal gefellfehaftlicher Verbindung: und Wech⸗ 
L | 4 


so Matur⸗ und VWoͤlkerrecht. 
ſelwirkung freier Weſen aufſteſlt, wie daſſelbe aus 
der Unermeßlichkeit der geſammten Anlagen, 
:: . Vermoͤgen und Kräfte des Menſchen hervorgehet, 

‚wenn gleich dieſes deal Höher liegt, als. bie 

bürgerliche Geſellſchaft, und in feinem legten 
zꝛ Puncte — wie jedes Ideal — nie erreicht wer- 
den fann. (Faſt daffelbe fagt Bauer in ſ. Leh r⸗ 
-, buche des Naturredts ©. 17: „Der Na- 
turſtand'iſt der Inbegriff aller ber Rechtsverhaͤlt⸗ 

niffe, welde dem Menfchen ohne Voraus 
.. fegung des Staates zufommen. Man venft 
‚fi bei dieſem Begriffe den Menfchen, wie er 
außer dem Staate unter der Herrfchaft ber. Ber 
x. nunft feyn follte.”) Ä 


0. 
Bortfegung 

, Rechtslehre im weitern Sinne 
m weitern Sinne kann aber auch) Das phi- 
tofophifhe Staats- (jus publicum universale) 
und Staatenrecht (jus civitatum) zur philofe- 
phifchen Rechtslehre gezogen werden. Denn obgleich 
der Begriff des Staates, als einer bürgerlichen 
Geſellſchaft, blos aus der Erfahrung flammt und 
nicht. aus reiner Vernunft hervorgehet; fo kann body 
ber Zweck des Staates, fo wie der Inhalt und 
Umfang des Staats» und Staatenrechts nur durch 
die Anwendung ber unwandelbaren und aus der Ver: 
nunft felbit ftammenden Grunbfäge des Natur- und 
Mölferrechts auf baflelbe wiſſenſchaftlich begruͤndet 
umd erfchöpfend burchgeführe werben, weil theils 
der ganze. Umfang der Bedingungen, unter welchen 

\ f , 1 ‚ 


Natur» und Voͤlkerrecht. 51 


das Recht innerhalb des bürgerlichen Vereins zur 
Herrfhaft erhoben werden foll (der Vereinigungs-, 
Verfaflungs- und Unterwerfungsvertrag, durch welche 
die Theilung der Gemwalten im Staate, fo wie bie 
Verfoffung des Ganzen und mit derfelben Die Rechte 
und Pflichten des Regenten und ber Unterthanen be- 
ſtimmt werden), theils die rechtliche Geſtaltung bes 
Zwanges im Staate nach angedrohten, verfuchten 
oder vollzogenen Nechtsverlegungen, nur aus ben 
wiffenfchaftlih durchgeführten Grundſaͤtzen bes Natur- 
rechts, — fo wie im Umfange des Staatenrechts, 
das rechtliche Nebeneinanderbeftehen und die rechtliche 
MWechfelwirfung der einzelnen Staaten auf einander, 
mit dem ziwifchen ben Staaten eintretenden rechtlichen 
Zange, nur aus ben fuftematifch entwicelten Grund⸗ 
fügen bes Völferrechts befriedigend abgeleitet werden 
fann. Ks bilden daher das Natur- und Völkerrecht 
die wiffenfchaftliche Unterlage des Staats» und Staa- 
tenrechts , und je nachdem jene philofophifch oder niche 
philofophifc begründet und durchgeführt werden, muß 
“ auch der wiflenfchaftliche Charakter des Staats: und 
Staatenrechts ſich geftalten, 


| 10. 
Die philoſophiſche Rechtslehre nah ihrer 
Stellung zu ben gefammten Staatswif- - 
fenfhaften, und zu den pofitiven Rechten, 


Allein nicht blos auf die wiffenfchaftliche Be- 
geünbung und Durchführung des Staats - und Staa- 
tenrechts behauptet der Geift, in welchem das Natur: 
und Wölferrecht behandelt wird, einen wefentlichen 
Einfluß; die Wirfungen der philofophifchen oder 
‚nicht philofophifchen, der vernunftgemäßen ober myſti⸗ 





52 Natur⸗ und Völlerreht, 
(hen Behandlung des Natur⸗ und Voͤlkerrechts ver- 
. breiten fi) zugleid über das gefammte Ge. 
biet der Staatswiffenfhaften,. und felbft 
über die Bearbeitung der pofitiven Rechtswiſſen⸗ 
fhaften. Denn in allen einzelnen philofophifhen 
Staatswiflenfchaften ift Die Herrfchaft des Rechts der 
hoͤchſte Zweck und Standpunct, aus welchem der Geift 
der Wiffenfhaft gefaßt und beurtheilt werden muß, 
weil jede Rüdficht auf Wohlfahrt und Gluͤckſeligkeit, 
und jede Maasregel der Klugheit durch den Begriff 
‚des ewig heiligen Nechts bedingt bleibe. Gleich— 
mäßig muß in den gefhichtlichen Staatswiffen- 
ſchaften die wiffenfchaftlihe Würdigung der einzelnen 
gefchichtlichen Ereigniffe, fo wie ber Gefammtheit der- 
felben nad) ihrem Einfluffe auf ven einzelnen Staat 
ober auf Das ganze europäifche Staatenfyftem, ruͤck⸗ 
wärts auf die ewig gültigen Grundfäße des Staats⸗ 
und Staatenrechts ſich ſtuͤtzen. Dadurch ift denn ber 
Zufammenbang des Staatsrehts mit den übrigen 
Staatswiffenfchaften , mit der Staatsfunft (Politif), 
mit der Volkswirthſchaft, Staatswirthfchaft und 
FSinanzroiffenfchaft, mit der Polizeimiffenfchaft, mit 
der Gefchichte des europäifchen Staatenfyftems, mit 
ber Staatenfunde (Statiftif), mit dem öffentlichen 
Staatsrechte, mit dem practifchen europäifchen Wöl- 
ferrechte, mit der Diplomatie, und mit der Staats» 
-prayis (der Sehre von den Staatsgefchäften) er 
wiefen. | 2 
Daffelbe gilt aber auch von dem Verhaͤltniſſe 
des Natur- und WVölferrehts, fo wie des Staats⸗ 
und Staatenrechts, zu allen pofitiven Rechts— 
wilſenſchaften. Jedes pofitive Recht ift namlich 
zu einer gewiffen Zeit, für ein beftimmtes Wolf, und. 
unter gemwiflen zeitgemäßen und örtlichen Verhältniffen 


‚’ 


% 


Natur» und Voͤlkerrecht. 53 


bekannt gemacht worden und in Guͤltigkeit getreten. 
Es gehört daher der allgemeinen Rechtsge— 
ſchichte an, die Völker und Staaten, welche pofi- 
tive Geſetze erhielten, fo wie die Zeitpuncte, und bie 
zeitgemäßen und örtlichen Verhältniffe, mit allen 
ihren Veraͤnderungen und Verzweigungen, nachzu⸗ 
weiſen, wo jene Rechte. ins Leben traten, ober wo fie 
als poſitive Formen untergingen; die philoſophiſche 
Rechtslehre hingegen enthaͤlt in ſich den letzten und 
hoͤchſten Maasſtab fuͤr die Pruͤfung und Beſtimmung 
des innern vernunftgemäßen Werthes eines 
jeden pofitiven, entweder erlofchenen, ober noch be> 
fiehenden, Rechts, fo wie die philofophifche Neli- 
gionslehre den hoͤchſten Maasftab für die Beurthei⸗ 
lung aller pofitiven Religionen in fi) trägt. Se mehr 
Vebereinflimmung mit den ewigen und unveränder- 
lichen Gefegen der Vernunft in einer pofitiven Gefeg- 
gebung angetroffen wird deſto höher fteigt ihr inne= 
rer Werth. Je mehr philofophifcher, d. h. innerer 
und nothwendiger Zufammenhang zwifchen den ein» 
zelnen Grundfägen und Lehren eines pofitiven Rechts 
fih findet; deſto größer ift deffen wiffenfhaft- 
licher Gehalt. Je mehr aber Entfremdung und 
MWiderfpruch zwifchen dem Maturrechte und irgend 
einem pofitiven Rechte angetroffen wird; deſto tiefer 
fteht der Werth des pofitiven Nechts; — und’ je we- 
niger philofophifche Begründung, Ordnung, Hal: 
tung, nothwendige Folge und Gleihmäßigfeit ber 
Theile in dem wiffenfchaftlichen Baue eines pofitiven 
Rechts fichtbar wird; defto geringer ift deſſen wiſſen— 
fhaftlicher Gehalte So lange alfo die Vernunft das 
hoͤchſte Vermoͤgen im Menfchen bleibt; fo lange wird 
au) in ihr der Maasftab für alles Pofitive und in 
ber Wirklichkeit Beſtandene und Beſtehende enthal- 


® 


4 Matur- und Vöikerrecht. 


ten’ fenn *). Doch bedarf es einer völlig ausge 
‚bildeten und durd) vielfadhe Uebung gereiften 
Vernunft, um fi zu biefer Höhe, ohne Verirrung 
und Auctoritätsglauben , zu erheben. Deshalb find 


auch in allen Zeitaltern bie philofopbifchen Forſcher 


des Rechts ungleich feltener, als bie pofitiven Rechts⸗ 
gelehrten gewefen, "obgleich durd) jene die gefammte 
Rechtswiſſenſchaft vorwärts geführte und zu ihrer 
hoͤhern Reife gebracht worden ift. 


So gewiß das aus der Vernunft ſtammende 
Recht höher fteht, als das pofitive; fo darf doch 


nicht verfanne werden, daß auch der Rechts⸗ 


pbilofoph aus der Kenntniß ber pofiti- 
ven Rechte (z. B. des mofaifchen, des athenien- 
fifhen, des römifchen, des canonifchen,, bes eng- 
lifchen,, des neufsangöfifchen, des preußifchen Sand» 
vechts 2c.) über die. örtlichen und Zeitbedürfniffe 
der Völker und Staaten, fo wie über das 
in der Wirklichkeit Anwendbare unb 
Ausführbare reihe Belehrung fhöpfen 
fanın. — Allein für die willenfchaftlihe Be- 
handlung bes Naturrechts ſelbſt bleibt der philofo- 
phifche Weg ber einzig zweckmaͤßige; theils weil 
dadurch ein Standpunct ausgemittelt wird, ber 
über allem pofitiven Nechte ftehet, und nad 
welchem jebes . pofitive Recht beurtheilt werden 
muß; theils weil nur dadurch ber philofophifche 
- Geift geweckt werben kann, um felbft zu forfchen, 


*) Bauer inf. Lehrb. des Naturr. fag ©. ı4 f: 
„das Naturreht kann durch keine pofitiven Geſetze 
aufgehoben werden, indem feine Willtühr das, was 
unrecht iſt, für recht erklaͤren kann.“ 


— 


Raturı und Wolkerreche. 63 


und zu allen Gebleten des poſitiven Reches ein ſelbſt⸗ 
fraͤndiges philoſophiſches Urtheil mie zu bringen. 
Eine Philoſophie des poſitiven Rechts 
iſt etwas ganz anders, als das Naturrecht. Sie 
enthaͤlt die ſyſtematiſche Darſtellung der Ergebniſſe, 
welche aus der Pruͤfung der Rechtmaͤßigkeit und 
Zweckmaͤßigkeit irgend eines poſitiven Rechts her⸗ 
vorgehen, und wozu das Naturrecht den hoͤchſten 
Maasftab darbiete. (So enthalten z. B. Mi⸗ 
haelis mofaifhes Recht, Montesquieu’s 
und Silangieri’s bekannte Werke Philoſo⸗ 
phieen bes pofitiven Rechts.) Ä 


u 11. u 

Wiffenfhaftliher Standpunct für bie 
x pbilofophifhe Rechtslehre. er 

Wenn die fuftematifh durchgeführte Ableitung: 
ber philofophifchen Rechtslehre aus ber Vernunft, fo 
wie die Begründung der gefammten Staatswiflen- 
fihaften durch diefelbe, und eben fo bas ausgefprochene. 
Verhaͤltniß aller einzelnen pofitiven Rechtswiſſenſchaf⸗ 
ten zu dem Maturrechte wahr und richtig ift; fo iſt 
dadurch zugleich wiffenfhaftlich entſchieden, daß das 
Natur » und Voͤlkerrecht nicht in die Reihe der 
pofitiven, ſondern in den Kreis der phi— 
lofophifhen Wiffenfhaften, und zugleich 
an bie Spiße der gefammten Staatswife 
fenfchaften gehört, weil es in feinem Zwede, in 
feinen Grundfägen und in feinen Lehren den legten 
und höchften Maasftab für alle von ihm abhängende 
Staatswiflenfhaften und für alle in verfhiedenen 
Zeitaltern und unter den verfchiebenften Voͤlkern ent- 
le pofitive Gefeggebungen und Rechtsbuͤcher 
en . . N... 2. . 


* v 


36 J Rt und Bitterrahr 
"Doch mcht immer u bie philoͤſophiſche Rechts 


= * aus dieſem einzig richtigen Standpuncte gefaßt 


und dargeſtellt worden; denn aus’ ber‘ Ueberſicht 
über die Geſchichte dieſer Wiſſenſchaft ($. 12.) er⸗ 
hellt, daß es zunaͤchſt zwei Hauptformen der 
wiffenfcehaftlichen Behandlung des Naturrechts gab 
und zum Theile noch gibt, von welchen die eine von 
dem in ber Wirklichkeit beſtehenden Rechte, beſonders 
von dem roͤmiſchen, ausgeht, und über daſſelbe zu 
philoſophiſchen verſucht (mo denn das pofitive Recht 
das Erſte, und die fogenannte Philofophie Darüber 


das Zweite ift); die andere über von allem in der | 


Gefchichte und Erfahrung beftandenen und beftehenden 
Sl given Rechte abfieht, zu ‘den höchften und legten 

Anden alles Rechts in der urfptünglichen. Geſetz⸗ | 
—— menſchlichen Geiſtes, und alſo in ſei⸗ 
ner Vernunft ſich erhebt, und alles wirkliche und 
poſitive Recht als ellmählig und in Angemeſſenheit 


zur den jedesmaligen: befondern und örtlichen Bedürf- 


niſſen gewifler Voͤlker und Reiche entftanden, betrach⸗ 
tet, weshalb. jedes pofitive Recht, ſobald man deſſen 


u inner Gehalt und. wiffenfchaftlichen Werth beſtimmen 


will, unter die felbftftändige, aus der Vernunft une. 
| mittelbav abgeleitete, von allen befondern ‚und oͤrt⸗ 
lichen Verhaͤltniſſen unabhaͤngige, an ˖ſich hüchft.ein« 
fache, und uͤber alle poſitive Formen erhabene philo⸗ 
ſophiſche Rechtslehre gebracht werden muß. 
Dieſe zmei: Hauptklaſſen in der Bepandfung des 
Naturrechts cheilen ſich aber wieder in mehrere 
Untergattungenund Arten, inwiefern. namlich 
bie er ſt e Klaſſe bald mehr, baid weniger philoſophi⸗ 
ſchen Geiſt und Tact zu ihrer ſogenannten Philoſophie 
des poſitiven Rechts mitbrachte, und die zweite 
bald von dem goͤttlichen Urſprunge des Natyrrechtg 





Kine. inb Bölteapk! | zn 


ig dem Decalogus (Oldenborp, Selben’n, 6), 
bald von der urſpruͤnglichen Beflimmng bes Menfchen 
zur Gefellfchaftlichfeie (Bufend.orf), bald von ver 

Annahme, eines mehr oder weniger finnfic) dargeſtell⸗ 
teh ſogenannten Naturzuftandes (Hobbes, Rouſ⸗ 
feau u. a.), „bald von der ſcharfen Sonderung des: 
Rechts von:der: Pflichtenlehre (Thomafius u. a.), 

batd von ſogenannten Maturtrieben, ober von ber. 
Pflicht der Selbfterhaltung und ber Selbſtbegluͤckung, 

wie mehrere Eklektiker und Eudämoniften, 

‚bald von der. Identitaͤt des Rechts und der Pflicht, 

bald von der fivengen Trennung beider, 'bald ſogar 
von der Naturphilofophie und dem aus bet«- 
ſelben ſtammenden Myfticismus ausging. | 


12. 


Umriß der Gefhihte des Naturrehts. . 
* nad einzelnen Schulen 


Nach ihrer fuftematifchen Geftalt gehört zwar 
die philofophifhe-Nechtsiehre in die Reihe der jün- 
gern Wiſſenſchaften; allein fie ward fchneller, als 
viele andere, zu einer vollfommenen Form ausgeprägt. 
Denn obgleich die Ideen von Recht und Pflihe, von 
perfonlicher Freiheit, Eigenthum, Gefeßgebung und 
bürgerlicher Verfaſſung bereits von den Philvfophen 
des Alterthums im Einzelnen entwidele, die Bes 
griffe eines Vertrages zwifhen dem Re 
genten und dem Volke ſchon feit der. Gefeßge- 
bung auf Sinai in dem theofratifchen Staate der 
Hebräer, fo wie bei der Einführung des Chriften« 
thums als Stiftung eines neuen Bundes: (Ver 
trages) zwifchen Soft und den Menfchen in religiöfer - 
und politischer. Hinficht fefigehalten und, bei der Vers 


58  Batur« und Viiterreche. 


- _ breitung bes Chriſtenthums über Das jängere Europa, 
auch. auf die Sicherftellung der rechtlichen Verhaͤlt⸗ 
niſſe im Staatsleben (3.3. in ber den Regenten: 
Teutſchlands vorgelegten Wahlcapitulation, in den 
päctis conventis der Könige Polens, in ben Wahl- 
acten der Könige Ungarns, Böhmens, Schwedens, 
, Dänemarfs u. a.) übergetragen wurben; fo erhielten 
dieſe Grundſaͤtze und Sehren doch erft im 16ten Jahr« 
hunderte, theils durch Die neue Geftaltung des euros 
paifchen Staatenfyftems, theils durch die weitere Ver⸗ 
breitung der Kirchenverbefferung, die erften allgemein« 
ften Grundlagen einer felbftftändigen wiffenfhaftlichen 
Form *), indem fie damals mit dem Decalogus unb 
der Sittenlehre des Chriſtenthums in Verbindung ge⸗ 
bracht wurden *°). 





*) Vergl. Arn. Herrm. Ludw. Heeren, über bie 

Entſtehung, die Ausbildung und den practiſchen Eins 

ſfluß der politifhen Theorieen und die Erhaltung des 

monarchifhen Principe in dem neuern Europa; 

zuerſt in ſ. Ei. hiſtoriſchen Schriften, dann _ 

mit Sortfeg. in f. hiſtoriſchen Werten (Gött. 
1891. 8.) Th. 1, ©. 365 ff. 

“*) Jo. Oldendorp (Prof. zu Marburg), isagoge 
sou elementaria introductio juris naturae, gentium 
et civilis, Col. 3559. 8. (Er definirte das Natur⸗ 
geht: „‚est voluntas Dei per sanam rationem 
cognita et deinde in Decalogo promulgata.* 

Nicol. Hemming (zu Kopenhagen), de lege 
naturae apodictica methodus, Viteb. 3564. 8. (Das 
Buch if nicht paginirt, es kann alfo die Seitenzahl 

nicht angegeben werden von folgender Stelle, welche 
die damalige Anſicht der phil. Rechtslehre deutlich 
ausfpricht: „ Haeco naturae lex variis nominibus 
(quae ad ejus vim intelligendan faciunt) a Phi- 
losophis appellatur. Ciceıo ogm voesat, nuns ja8 


Natur⸗ und Walkerrecht. | 5 


Allein der ˖ eigentlihe Begründer ber wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Geſtalt des Volkerrechts (weniger des 
Naturrechts) ward Hugo Grotius 9), als er am 
Ende des erften Viertheils des 17ten Jahrhunderts 
die Grundfäge für das rechtliche Nebeneinanderbeftehen 
der Völker des Erdbodens (zunächft aber mehr in 
geſchichtlich pofitiver, als in rheinphilofophi« 
fcher Hinſicht, zu einer foftematifchen Form erhob, 





naturse, propterea quod humanis mentibus 
naturaliter impressa sit; nuno jus gentium, 
guia omnibus hominibus late per orbem sparsis,. 
 eadem est. Nam non ut oratio, its ratio apud 

bomines variet: Nuno jus divinum, eo quod 
Deus hujus legis sit autor; quam ob causam 
Paulus etism naturse legem vocat veritatem et 
jus Dei; interdum jus aeternum, idque ea de 
causa, quod ejus norma sit oonstans et perpetua, 
de qua re idem auctor in orstione pro Milone in 
hunc modum loquitur: Est enim haec (inquit) 
non scripta, sed nata lex, quam non didicimus, 
sccepimus, legimus; verum ex natura ipsa arrie 
puimus, hausimus, expressimus, ad quam non 
docti, sed facti, non instituti, sed imbuti sumus,** 

Jo. Seldenus, de jure nsturae et gentium 
juxta disciplinam Ebrasorum. Lond. 1640. 8. 

Valent, Alberti, eompendium juris naturae 
orthodoxae theologise conformatum, Lips. 1676. 
8. (lehrte, daß der Stand der Unſchuld und des 
göttl. Ebenbildes Grundlage des Maturrechts fey.) 

Geo. Beyer, delineatio juris divini, naturalis 
et positivi universalis. Lips. 3726. 4. 

*) Hugo Grotius, de jure belli et pacis libri 8, 
Parisiis, 1625. Fol. (erfhien in vielen Ausgaben 
und Weberfegungen;. wurde häufig commentirt ıc. 

Vergl. Geift des Grotius, von Gtlo. Aug. Tittel. 
Zuͤrich, 1789. 8.) J 


-' WWiaatur⸗ und Voͤlkerrecht. 


gen Zoglingen feiner Schule Vertheidiger gefunden 
hat; ſo wandte doch, bereits bald nach Gundling, 
Blafey*) geſchichtliche Beiſpiele auf die von ihm 
aufgeftellten Grundfäge an, und kurz darauf beftimmte 
der philofophifche Forfcher Chriftian AB ol ff *°%) dem 


ſtehen, welche das Naturrecht zunähft als Aggregat 
des pofitiven Rechts anbaueten dder noch anbauen: 
Seo. Nicl. Brehm, Über das Wefen des Nature 
rechts, als eine Achte juriftifhe Grundwiſſenſchaft 
betrachtet. Freyb. 1789. 8. 
Seo. Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, als einer 
Philoſophie des pofitiven Rechts. Berl. 1798. 8. — 
„gte fehr veränderte Ausgabe. Berl. 1819. 8. 
,,Xheod. Mar. Zahariäd (in Marburg), philoſo⸗ 
“  phirche Rechtslehre, oder ır Theil des Lehtbuchs 
eines eiviliſtiſchen Curſus. Epz. 1810. 8. — Philos 
n. : fophifhe Rechtslehre, oder Maturreht und Staats 
5 lehre. Brest. 1820. 8. 
Theod. Marezolt, Lehrbuch‘ des Naturrechts. 
Gießen, 1819. 8. 
2. A. Warnkoͤnig, Verſuch einer Begruͤndung 
des Rechts durch eine Vernunftidee. Bonn, 1819. 
8. (Er geht von Naturgefegen, nicht von Ge⸗ 
fegen der Freiheit, aus, und lehrt: „das Recht 
.fey, feiner Natur nah, einem beftfändigen 
Wechſel unterworfen.‘) 


*) Adam Br. Glafey, Vernunft» und Volterrecht. 
Frkf. u. Lpz. 1723. 4. 3te Aufl. 1746. (In dieſer 


Aufl, ließ er das Voͤlkerrecht hinweg, und gab es | 


1753 befonders heraus.) 

‚ .##) Christ. de Wolff, jus naturae, methodo scien- 
tifica pertractetum. 9 Tom. Hal. 1740 — 49. 4. 
(Th. 1-7 jus neturae; Th. 8 jus civitatum; Th.g 
jus gentium.) Ejusdem institutiones juris natu- 
rae et gentium. Hal. 1750. 8. Teutfh: Grund» 
fäße des Naturs und Voͤlkerrechts. Kalle, 1754. 
8 — Den Srundfägen Wolffs folgten .mehr oder 


Natur» und Woͤlkerrecht. 64 


Menſch in Hinſicht feiner Rechte durch Zwang 
geltend machen darf. Zunaͤchſt in dieſer Anſicht 
folgte ihm Gundling *), ein Mann, ohne phi— 
loſophiſchen Geiſt, aber von gruͤndlichen geſchichtlichen 
und poſitiven juridiſchen Kenntniſſen, der, nebft ſei⸗ 
nen Anhaͤngern, theils durch die ſtrenge Aufnahme 
des in dem poſitiven Rechte poſitiv ausgeſpro— 
'henen Zwanges in die Grundlehren des Natur» und 
Staactsrechts, (ohne Doc den Begriff des Zwanges 
und mit ihm das darauf nenipenbe Sraſtehe philo⸗ 
ſophiſch zu ergruͤnden,) theils durch die Einmiſchung 
vieler blos dem poſitiven und namentlich dem roͤmi⸗ 
ſchen Rechte angehoͤrenden Saͤtze und Meinungen in 
die philoſophiſche Rechtslehre, die letztere zwur bei 
den Machthabern der Gewalt und bei den poſitiven 
Juriſten beliebter machte, vorzuͤglich aber auch den 
hoͤhern philoſophiſchen Standpunet, welchen die phi⸗ 
loſophiſche Rechtslehre bereits durch Pufendorf erreicht 
hatte, wieder herabſetzte und verdunkelte. 
„Ob nun gleich dieſe einſeitige, und den philo—⸗ 
ſophiſchen Charakter der Wiſſenſchaft völlig vernich⸗ 
tende, ſogenannte juriſtiſche Behandlung 
des Naturrechts, welche von Gundling und fei- 
nen Nachfolgern ausging, ſelbſt bis jetzt noch nicht 
ganz verſchwunden iſt, da fie in Hugo **) und eini⸗ 


\ . 


#) Nic. Hieron, Gundling, jus naturae et gentium. 
Hal. 1714. 8. Ed. 3tia 1746. — ‚Edit. noviss. 
1769. (Ihm folgte .unter den Spätern befonders 
I. Stfe. Sammer, der über Sundlings Compen⸗ 
dBium lad. Sammet's Vorlefungen über das ges 
fammte Naturreht gab Fr. Gtlo. Born Lpj. 1799. 

8. heraus.) - Kun ve 

I). Es mögen hier fogleich. diejenigen aus den Meuern 


ur 


ee 
« 


‚ Miner. und Voltenrecht. 


entzogen zu werben‘, fo. wie, feit:bern: legten. Jahr⸗ 
gehend des achtzehnten Jahrhunderts, Die neue Ge⸗ 
ſtaltung des Innern Volfslebens in mehreren weft: und 
‚fübeutopäifchen Heichen: und Staaten. auch). auf die 
veränderte wiffenfchaftliche Form ber „phitofopbifcheh Ä 
Rechtslehre nicht ohne Einfluß blieb. — Doch 
mehr noch, als dieſe aͤußern — wirkte bie 
Werbreitung bes kritiſchen Syoſtein⸗ in: ber 
-gefammten Philoſophie auf die völlige. Umbildung 

el. Naturrechts mais ein 2), wenn. 1. shell, ‚in 
Mi r- 


4,% ® Pi 
6 1} ‘ u q 


*5 Roc bevor Rank "His die Rechleſchie heurbeuen, 
“wandten Männer, 'die feinem Syſteme folgten, 
daſſelbe aufs Naturrecht an: net 
Si. Sufelamd,. Verſuch ade den Srundfek 
. bes Naturrccts, Leipz · 1785-8. re. Lehrfäge des 
W KWitureehig uub deg damit —— Wiſſen ſchaſ⸗ 
ten: Sena, 1790. 4* 1798: 
J. Chſtn. Stit. 8 98 wifenfchafttiches 
u Naturrecht. Halle,. 1792., 8. —- BVerſuch eines 
u neuen Syſtems dei natürl. Rechts. ‚il €, 1796. 8. 
Kl Leond, Rein dotd, Ehrentertung © es Naturs 
xechts; im teutfchen Merkur, 1791. '&t. 1. — 
") + Einnge‘ Bemerkungen Aber "die in Kants Rediblehẽe 
aufgeſtellten Vegriffe von der Freihen 678- Willens, 
BE: vermifchten Schriften, Th.2, S. 361 ff. — 
phorismen “Über das aͤußere Recht uͤberhäupt, und 
insbeſondere das Staatsrecht. Ebend. &::401 ff. 
Theod. Sch mal y,:das Recht der Naturꝛ Koͤnigsb. 
790. 8. ate Aufl: in ZEIT Konigsb: 2795. 8. — 
Handb. ‚der Nechtsphilgfopgie. Halle, 1807. 8. — 
Jus naturale. Berol. 1812. 8. 
GH Ehſtph. Hoffbaner, Maturrecht, aus dem 
, Begriffe: des: Xechts entwickelt. Halle, 1793. 8. Zte 
Aufl. 1814. — Unterfuhungen.übes dieswichsigften 
Begenſtaͤnde des. Naturrechte. Galle; 1798; 8. 
_ Karl Heine. Heydenreic,. Syſtem:des Haturs 
2. techn kritiſchen Principien.:a Th. Lpʒ. 1794 f. 8. 





Kae.’ und Woltarrech 63 


Hinſicht ber Begrimbung: ber Wifenfhaft, balb unter 
den Nachfolgeen Kants die weſentliche Trennung ſi it: 


- Rail Ladw. DEEFHRE,, Woißerehunäeh zu einem 

: » populären Matnrecihte, Koͤnigsb. 1795. 8. 
Karl Chſtn. Erh. amt, Grundeiß des Mas 

turrechts. Jena, 1795: 

Ludw. Heinr. 3 phiioſ. Neqhtslehre, oder 
Naturrecht. EL 796° 8 8. N. A. 1802. — Aus⸗ 
zu daraus, 1796 

3 Heine. —** kurze Doattelung des Natur⸗ 
und Voͤlkerrechts. Bayreuth, 1795. 9. 

Imman. Kant, neronboliße nfengsgrünbe 
der Reqtslehre. Königeb. 1797: 8. N. A. 1798. 

S, Gteli. Ficht e, Grundlage des Naturrechts 
‚nach Srundfägen: der Biffenfpaftsichre: 2 Th. Jena, 


1796 f. 8 
Pant Sf. Anl. Feuerbah, Kritit des natuͤr⸗ 
lichen Rechts. Altona, 1796. 8. 
-&% Heine. :Tiefteunß, ohllel. Uncerſuchungen 
Über das Private und aͤffentliche Recht, zut Er⸗ 
lauterung und Bluteheilun⸗ der metaphyſ. Bade, 
gründe bir" NRe guckehre von Kam.” a1Tp alle, 


1997. 8. 
— ine Siephaät, Srundärich ‘der Rechts⸗ 
wiffenfchaft oder des ſogenannten Natuttechts. Erl. 


oo. . ent 


Ti 
’ 


7 \ | 
Te Belarr Gros, Lehtb! ‚der philof. Rechts⸗ 
pigenfgaft oder de⸗ Naturredhts: Tub! 1802.98. — 
‚Ste ganz umgeatb. Aufl. 1815. Hte'Xufl. 1822, 
' Ray Bendanid, Verfach einer Rechtolehte. 
Bat 1802. °8.: 
Jakob ie, ꝓhilofophiſche Keireichte ind Kris 
Rt aller pofitiven Sefeßgebung:’ Yend, 180348. 


KarlSal⸗ Bayasid, ‚rufahädgränfe des khiloſ. = 


 Privatrects. ‚ 22 18a. 

10: BS. Gebhr· Ehrent. Kar 1@ränbeigenn? Natur. 
rechts. Halle, 1808. 8. 

TÜRE Dauer, Lehrbuch des Beturtigihi Wirt. 
1808. 8. — 2te Aufl. 1816. -: 

I * 


66 Nocur⸗ und Voͤlterrecht. 


har ward, wach welcher der elne Theil ‚wie ſchon von 
Thamaſius und ſeiner Schuſe geſchehen war, bie 


gs: —6 Oreſch ſyſtematiſche Entwickelung der 
rundbegriffe and Grundprincipien des gefammten 
unse Deivatschts;des, Staatsrechts und des Voͤlkerrechts. 
Heidelb. 1810. 8. —Naturrecht. Tuͤb. 1829, 8. 
‚Sen KHenriei,: Ideen’ zu einer wiſſenſchaftlichen 
‚ Begründung. der. Rechtslehre. 2, Th. Hanunover, 
1810. 8. N. 1. 1822, Lenthaͤlt; 1) Verſuch 
. einer Geſch. des Rechtsbegriffes von den. fruͤheſten 
Zeiten bis. Pufeßdorf; 2) fyſtemaciſche Darkellung 
e.. ber. ‚bigherigen ‚Deduction Yes, geinen Rechts; 3) 
Verfuch ‘einer. eigenen Debuction des reinen Rechts.) 
22: -. Karl Theod. Welcker, dig, letzten Grunde von 
nr Recht, Staat. und Strafe, philoſophiſch und nach 
den Gefegen der merkwuͤrdigſten Volter ‚recheghifto: 
fe: ur entwidgelt. -Sixßen ,„1813%.8 
Stio. Ernft. Spulze, ‚Reisfaden ., der Entwicke⸗ 
n.. lung. der: phil. Principien deg brgerlichen und pein⸗ 
1. lichen Rechts. Goͤtt. 18134 83. 
3. Vuh. Ansn Krug, -philafoph. Re diolehre (au 
s x. 1 .[._ Syſtems der pract. Philoſ.) Koͤnigsb. 
1817. 8. — Schon früher: Aphorismen, zur. Phi⸗ 
mE des Rechts. ırı Yandı Senn, 1800, 8. — 
9 Naturrechtliche Abhandlungen: Ep;. 1813. 8. 
% Nepom. Borft, über das —8 und 
sr deffen Usberejnſtimmung mit der Moral im Diäten 
— ‚DVernunftgefege. Nuͤrnb. 1818. 8: 

Fr. Koͤppen, Rechtslehre nach, platoniſchen Wrund⸗ 
ſͤten. Lpz. 1849. 8. (Familienrecht; bürgerliches 
Redt; Öffentliches Recht; Wölkersecht.) 

j23C. AEſchen mayer, Brormolcecht. 2%. Sun 
u Tuͤb. mA u. 20. 8. 
ni, St; Bouterwek, Lehrbuch der philoſoyhiſchen 
—— sr Theil, 2te Aufl. 1820... :@ (bes 
erh Boarırde ©. —J und ©: 9 


— Sinn Bed, kehrhug des Naturrechts. 


ena 4 1820. 8 — · t 


Natur⸗ und Voͤꝛkerrecht. 67 


Rechtslehre von der Pflichtenlehre ab« 
fonderte, und in berfelben darftellte, was in 
dem Außern Mechtsfreife erziwingbar. ift, ‘der andere 
‚Theil aber fie mit Der Pflichtenlehre aus 
Einer gemeinfamen Quelle ableitet. Bei 
ben vielen geiftvollen und feharffinnigen Forfchern 
auf beiden Seiten. fonnte es nicht: .befremden, daß 
mehrere derfelben, ungeachtet der wefentlichen Ver⸗ 
fhiedendeit dee Grundanfichten, einander doch mehr 
oder. weniger. fich näherten, und daß die Wiſſen⸗ 
fchaft felbft im Ganzen durch den vielfeitigern. und 
reichern Anbau gemann. Doch müflen von den Den 
fern, welche zunächft vom kritiſchen Syſteme aus« 
gingen, wenn fie. glei) von den Lehren und Anfichten 
feines Stifters ſich wefentlich entfernten, bie Natur: 
philofophben und Myftifer °) der ‚neueften 
Zeit beim Anbau der philofophifhen Rechtslehre 
unferfchieden werden. - 





*) Schelling, neue Deduction des Naturrechts; im 
. philoſ. Journale von Fichte und Niethamm'er, 
+ 1796 , Heft 4, S. 278 ff. Fortſ. 1797 im Arten Hefte, 
- Son. Thanner, Verfuh einer wiſſenſchaftlichen 
" MDürftellung des Naturrechts. Landsh. 1801. 8: - 
‚oh: Baptift Nibler, der Staat aug'bem Bes 
griffe des Univerfums entwicelt. Landeh. 1803. 8. 
Trorler, philoſi Nectstehre der Natur und des 
Geſetzes, mit Ruͤckſicht auf Die Irrlehren der Libera⸗ 
"lität und Legitimität. Züri, 1820. 9: 
Geo. Wild. Fr. Hegel, Grundlinien der Phi⸗ 
Iofophie des Rechts. Berl. 1321. 83. — | 
% . 
er u * Ä 
‚Zur LiteraersGefhichte der philoſophiſchen 
ı Rechtsiehre: | 
. 3» Franc. Buddei historia juris naturalis, Hal... - 
1695. 8. —W 
5 * 


J 


66 Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


har ward, nach welcher der eine Theil, wie ſchon von 
Thomaſius und feiner Schufe. geſcheben war; Die 


us. sgeonh. Drei, fpflematifhe Eusmidelung der 
& rundbegriffe and Grundprincipien des gefammten 

unzr Detvatsehis, des, Stantsrehte und des Voͤlkerrechts. 
Heidelb. 1810. 8. — Naturrecht. Tuͤb. 1822, 8. 

Geo. Henrtei, Ideen zu einer wiſſenſchaftlichen 

‚ Begründung .. der. Kehtsiehre,. 2, Th. Hannover, 
1810. & NM. A. 1822. ( enthält; ı) Verſuch 
einer Geſch. des Rechtsbegriffes von den. früheften 
Zeiten bis. Pufendorf; 2) fyſtemaiiſche Darſtellung 

der bigherigen Deduction dee reinen Rechts; 3) 
„Verſuch einer. eigenen Dedustion des reinen Kate 5‘ 

a. :.. art CTheod. Welcker, dig, letzten Gruͤnde von 

Recht, Stmat.und Strafe, philoſophiſch und: nach 

“den Geſetzen der merkwuͤrdigſten Volter jrechtshiſto. 
ich entwigelt, -Sixfen ,.1B13% 8. 

Gtlo. Ernft Syutge, ‚Leitfaden. der Entwide . 
": lung der phil. Drincipien, des buͤrgerlichen und pein⸗ 

lichen Rewtts. Goͤtt. 1813, 8. 

sr Wilh. Trat, Krug, bucſoph. Redtolehre (au 

. Th. 12.1. Syſtems ‚der pract, Philoſ.) Koͤnigsb. 
1817. 8. — Schon früher: Aphorismen zur Phi⸗ 

a, tefophie Den: Rechts. ır: Yandı Siena, 1800, 8. — 

13) Matursechtiiche Abhandlungen; -pj. 2813. 8:-. 

J. Nepom. Borft, über das Naturrecht und 
en, Bellen Ugbereinftimmmung mit der, Meral im hoͤchſten 
— MWernunftgeſest. Nuͤrnb. 1818. 8. 

r. Koͤppen, Rechtslehre nach platonifchen Weund⸗ 
füeen. Lpz. 1849. 8. (Familienrtecht; bürgerliches 
Rechts Öffentliches Rede: Voͤlkerrect.) 

j.2C. A Eſchen mayer, Normalrecht. Th. Stun. 

u. Tüb. 1519 u. 20. 8. 

Ya Fr. Bouterwek, Lehrbuch der phklofophifden 
"Biffenfdaften, gr Theil. ste Aufl. 1820... or (bes 
a Vorrede ©. W—IX und ©: 169 — 

3 Saga Sigism. Betr Sehrbug .& des Naturreqts. 
Sena,' 1820. 8. . ont 

| 1 


Natur» und. Votterrecht. 67 


Rechtslehre von der Pflichtenlehre ab« 
fonderte, und in berfelben darſtellte, was in 
dem äußern Mechtsfreife erzwingbar. ift, der andere 
‚Theil aber fie mit Der Pflihtenlehre aus 
Einer gemeinfanren Quelle ableitet Bei 
den vielen geiftvollen und ſcharfſinnigen Forſchern 
auf beiden Seiten. konnte e8 nicht .befremden, daß 
mehrere derfelben, ungeachtet der wefentlichen Ver⸗ 
ſchiedenheit der Grundanfichten, einander doch mehr 
ader weniger. fi) näherten, und daß die Wiſſen⸗ 
ſchaft ſelbſt im Ganzen burch den vieffeitigern: und 
reichern Anbau gemann. Doch müffen von ben Den⸗ 
fern, welche zunächft vom, kritiſchen Syſteme aus« 
gingen, wenn fie. glei) von den Lehren und Anfichten 
feines Stifters ſich wefentlich entfernten, die Naturs 
philofophen und Myſtiker °) der ‚neueften 
Zeit beim Anbau der philoſophiſchen Rechtslehre 


unferfchieden werden, - 





*) Schelling, neue Deduction des Natukrechts; im 
philoſ. Journale von Fichte und Niethamm'er, 
1796, Heft 4, © 278 ff. Fortſ. 1797 im Zteh Hefte, 
- Sun. Thanner, Verfuc einer wiffenfdaftligen . 
* Darftellung des Naturrechts. Landsh. 1801. 8: - 
Ioh. Baptiſt Nibler, der Staat auf'dem Des 
- griffe des Univerfums entwicelt.' Landeh. 180%. 8. 
Trorler, philof: NRechtstehre der Natur und des 
Sefeges, mit Ruͤckſicht auf Die Irriehren der Liberas 
'tieät und Legitimitat. Züri, 1820. 8. 
Geo. With. Fr. Hegel, Grundlinien der Phi⸗ 
lofophie des Rechts. Berl. 1821. 8. _ | 
u Pe 2 u 
; Zur Literar⸗Geſchichte der philoſophiſchen 
. Rechtslehre. on 
. Frauc. Buddei historia juris.“ naturalis. Hal, . 
1695. 8. DE Bun 
5% 


ua 


—X 


68 Ratır- . und Viterehe 


A) Das Naturrecht, 
oder der vblloſebhiſchen Rechtslehre erſter A 


'r 





43. 
Begriff des Natu rrechts. 


Das Naturrecht iſt die ſyſtematiſche Darſtellung 
aller aus der Idee der Herrſchaft des Rechts hervor⸗ 
gehenden urſpruͤnglichen und erworbenen Rechte und 
zechtlichen. Verhaͤltniſſe ſittlicher Weſen in. ihrem 
aͤußern freien Wirkungskreiſe. Das reine (ober 

abfo lute) Naturrecht ſtellt die urſprüͤuglichen, 


Jac. Fr. Ludovich, delineatio historiae juris di- 
- I yini, naturalis et ‚positivi® universalis, Hal, 
ı701. 4 
Paulo plenior historia juris naturalis, in usum 
- ,„ Auditorii Thomasiani. Hal. 1719. 4. 
Adam Fr. Glafey, vollſtaͤndige Geſchichte des Rechts 
der Vernunft. Lpz. 1739. 4. N. A. in a Th. 
Frankf. 1746. 
hrist, Fr. Geo, Meister, bibliotheca jur na- 
turae et gentium. 3 Part. Gött. 1749 X 8. 
" Geo, Chr. Gebauer, nova ‚juris naturalis istoria, 
A, Edidit Klevesahl. : Wetzlar. 1774. 8 
Dietr. Heinr. Ludw. Freih. v. Ompteda, Literatur 
des geſammten ſowohl natuͤrlichen als pofitiven 
Voͤtkerrechts. a Thy Regensb. 1785. 8. — Dr 
dritte Theil (auch mit dem bef. Titel: : neue 
Literatur des Voͤlkerrechts feit dem Jahre 1784) 
von Karl Alb. v. RKampk. Berl. 1817. 8. 
Car. Hear. Lud. Pölitz, de 'mutationibus, quas 
systema juris naturae ac gentiqm a Grotii 
temporibus hucusque expertum fuerit, Viteb, 
1805. 4 


Natur . und Voͤlkerrecht. | 69. 


aus der vernünftig» finnlichen Natur des Menfchen 
unmittelbar bervorgehenden, Rechte jedes einzelnen 
fittlihen Wefens auf; das angewandte (ober 
hypothetiſche) Naturrecht hingegen entwickelt bie 
erworbenen Rechte des Menſcheu, und zeigt die 
Art und Weiſe, wie in der aͤußern Rechtsgeſellſchaft 
Rechte auf Perſonen und Sachen durch Verträge er- 
worben werben, woraus das perfönliche und das 
Sachen» (ober das dingliche) Recht entfpringt, 


Alle aus der Natur des Menfchen felbft hervor⸗ 
gehende Rechte nennen wir urfprünglide 
Rechte; hingegen diegenigen Rechte, welche wir. 
nur durch freie Uebereinſtimmung mit andern We⸗ 
fen unfrer Are, mithin durch Vertrag, auf 
Perfonen und Sachen außer ung erwerben, wer- 
ben erworbene Rechte genannt, Daraus. er- 
heilt, daß die erworbenen Rechte die urfprünglichen 
voraugfegen, und daß alſo Das angewandte 
Naturrecht, welches die erworbenen Rechte. im 
Einzelnen entwidelt, auf das reine Maturrecht 
fih gründe. Weil aber theils die Rechte .auf die 
Perfon eines Andern, theils die Nechte auf Sachen 
in einer abgefchloffenen Rechtsgefellfchaft, mo feine 
herrenlofen Dinge gedacht werden koͤnnen, nad) 
den Forderungen der Vernunft, nur.durch’die freie 
Vebereinftimmung: zweier oder mehrerer. fittlicher 
Weſen erworben werben dürfen; fo folgt daraus, _ 
daß jede Erwerbung von Rechten auf Perfonen und 
Saden, nad) den Grundfägen der Vernunft, auf 
Vertrag beruht, und alfo Das angewandte 
Naturreht die Hauptgattungen Derje 
nigen Verträge enthält, durch welche Rechte 
auf Perfonen und Sachen erworben werden. 


2 gacur. und Voͤlkerrecht. 


. A 16. . 
4) Das Recht auf äußere Sreipeis 
Die äußere Freiheit befteht in der unbefchränf. 
ten Selbftitändigkeit und Unabhängigkeit des Außern 
freien Wirfungsfreifes von jedem andern Wefen uns . 
rer. Gattung, . Sie ift die nothwendige und unerläß« 
iche Bedingung, daß der Menfch alle feine ghnfifcheni 
und geiftigen Vermögen und Kräfte, nad) ihrer natur⸗ 
gemäßen Beftimmung und nad) den von ihm: fi) vor« 
gehaltenen Zweden gebrauche, 'befonders aber. daß er 
ech feine Handlungen dem Endzwede feines Das 
eyns möglichft ſich nähere, und alles in Hinficht auf 
eine eigene Sittlichfeit und Glücfeligfeit, fo wie in 
Hinfiht auf die Sittlichfeit und Glücfeligfeit der mit 
ihm zur Gefellfchaft vereinigten Wefen feiner Gattung 
vollbringe, was das Ideal der Sittlichfeit von jedem 
freien. Weſen verlange, —. Denn gur, wer perfönm 
Uuich frei ift, ſteht Im Beſitze und Gebrauche aller der 
Nittel, durch weiche bie menfchliche Beftimmung im 
weiten: Kreiſe fümmtlicher ‚Rechte. und Pflichten auf - 
Erden erreicht werden foll und darf. Die Vernunft 
erflärt daher: bie Sklaverei und Leibeigenfchaft, nad) 
allen ihren: Formen und Abftufungen, für widerrecht- 
- Hi, weil durch fie Die Grundbedingung alles Rechts, 

der äußere freie Wirfungsfreis „aufgehoben wird, 

2). Das Recht auf Außere Gleichheit. 

„ ..Die unbedingte Forderung des Sittengefeges 


, und bie allgemeine ultigfeit deſſelben für alle Wefen 


unfrer Gattung It die urfprüngliche natürliche. Gleich» 
beit aller dieſer Weſen als Grundbedingung mis Noth⸗ 


Natur» und Voͤlkerrecht. 73 


wendigkeit voraus; denn ein gemeinſames durch die 
Vernunft gebotenes Ziel kann fuͤr Alle nur unter der 
Vorausſetzung der urſpruͤnglichen Gleichheit Aller gel⸗ 
ten. Dieſe natuͤrliche Gleichheit beruht aber darauf, 
daß dieſelben phyſiſchen und geiſtigen Anlagen, Vers 
moͤgen und Kraͤfte in allen Weſen unſrer Gattung zu 
dem Charakter der Perſoͤnlichkeit urfprünglich verbuns 
den, und dadurch alle vernuͤnftig⸗ſinnliche Weſen zu 
einem und demfelben Endzwede ihres Dafeyns, fo 
wie zur Gleichheit des äußern Rechts in ihrer gegen-, 
feitigen Verbindung, berufen find, — Allein biefe 
urfprüngliche Gleichheit ift weder eine Gleichheit des 
Grades der Stärfe, mit welchem die einzelnen phyſi⸗ 
ſchen und geiftigen Kräfte bei den menfchlichen Indi⸗ 
viduen ſich anfündigen; noch Gleichheit der Richtung, 
der Thaͤtigkeit diefer Kräfte auf einerlei Befchaftigung 
im Leben (wodurch die fraurigfte Einformigfeit in das 
gefellfchaftliche Leben fommen würde) ; noch Gleichheit 
bes Eigenthums , weil Jeder in einem rechtlichen Zu⸗ 
ſtande nur das und nur. fo viel befigen kann, als er 
ſich rechtmäßig erwirbt. Sie befteht vielmehr darin, 
daß jeder Menfch in dem andern ein. Wefen mit vollig 
gleihen Rechten anerkennt, und ihn nie als bloßes 
Mittel für feine Zwede, fondern als Selbftzwed bes 
handelt; "daß jeder in der Gefellfchaft,, ohne Nückficht 
auf Geburt, Abfammung oder Stand, nad) feiner 
phyſiſchen und geiftigen Brauchbarfeit und nad) ſei⸗ 
nem fittlichen Werthe für Die Zwecke des Ganzen an« 
geftellt wird; daß diefelben Gefege, über welche die 
Geſellſchaft fich vereiniget hat, gleichmäßig für Alle, 
fo wie fänmtliche öffentliche Laften und Beſchwerden 
in der Gefellfchaft ebenfalls für Alle ohne Ausnahme 
und Einfhränfung gelten; daß endlich die Geſammt⸗ 
heit der Individuen in der Gefellfhaft durch freiges 


74 Natur» und Völkerrecht: 


« wählte Abgeordnete, en Hinficht ihrer allgemeinen 
Kechte fo wie ihrer befondern Beduͤrfniſſe, bei der 
Regierung vertreten wird. | 

. (Wir find, nach der Religion, gleih vor 
. Goe£e, und follten nicht vor dem irbifchen Gefege 
gleich feyn?) 


18. 


3) Das Recht auf Freiheit der Sprache, 
der Preſſe und des Gewiſſens. 


Weſen, mit Vernunft und Freiheit ausgeſtattet, 
und nad) ihren vervollfommnungsfähigen Anlagen 
und Vermögen zu einem grenzenlofen Fortfchritte in 
der Erfenntniß der Wahrheit und in der Ausübung 
des Guten beftimmt, befigen,, nach) jenen Vermögen 
‚und nad) dieſer Beftimmung ihrer Natur, das urs 
fprünglihe Recht, durch Sprache und Schrift ihre 
Meinungen, Grundfäße und Ueberzeugungen ber gan- 
zen übrigen Geſeliſchaft mittheilen, und ſie der freien 
Pruͤfung derſelben unterwerfen zu dürfen. Die Frei⸗ 
beit der Sprade, der Preſſe und des Gewiſſens, in⸗ 
wiefern jenes urfprüngliche Recht aud) auf die Grund» 
füge für das rechtliche Beftehen und die Wohlfahrt der 
ganzen Gefellfchaft, fo wie auf die religiöfen Anfichten 
und Ueberzeugungen fich bezieht , ift Daher die wefent- 
lihe “Bedingung der geiftigen, befonders aber ber 
ſittlichen Fortbildung des Individuums und des gan⸗ 
zen menfchlichen Gefchlechts, und ein unveräußerliches 
Recht, deffen Grenzen und rechtliche Be 
(hränfungen nur nach der Verlegung An⸗ 
drer durch Sprache und Preffe, d. h. durch 
Verlaumdungen, unermwiefene Defhuligungen und 


Natur» und Voͤlkerrecht. 75 


Beichimpfungen gegen Individuen und Regierungen, 
fo wie durch Angriffe auf die fittlichen Grundpfeiler 
aller Religionen und aller beftehenden Nechtsgefell: 
fhaften, beſtimmt merden fünnen. Denn aus dem 
Grundbegriffe des Gleichgewichts der Rechte im 
äußern freien Wirfungskreife geht nothwendig hervor, 
‚ daß wie jede Rechtsverlegung überhaupt, fo auch die 
Verletzung der Rechte Andrer durch Sprache und 
Preſſe, in jeder feftbegründeten Rechtsgefellfchaft 
durch Gefese näher beftimme und durch Strafen ges 
ahndet werden müfle. 


Eine unbedingte Preßfreiheit, nach welcher 
Die durch Die Preffe geſchehenen Rechtsverlegungen 
ungeahndet bleiben follen, während in jeder zweck⸗ 
mäßig geftalteten und feftbegründeten Rechtsgeſell⸗ 
ſchaft feine Verlegung felbft des Fleinften Rechts 
ungeftraft bleiben darf, wenn anders die Rede von 
einem Gleichgewichte des Rechts feyn foll, ift 
durchaus gegen die Vernunft, und alſo 
ſelbſt widerrechelih. — Allein daraus folgt eben» 
- falls mit Beftimmtbeit: 1) daß nur anerfannte 
Rechtsverletzungen durch Sprache und Preſſe der 
Ahndung unterworfen werden fönnen, und 2) 
Daß, meil das Maturrecht das Ideal einer voll» 
kommenen Rechtsgefellfhaft aufftellt, das in der 
Wirklichkeit nirgends angetroffen wird, die nähern 
Beftimmungen, wie Nechtsverlegungen durch 
- Sprache und Preffe geahndet werden müffen, nad) . 
ihrer rechtlichen Seite dem Staatsrechte, und - 
nach ihrer politifchen Seite der Staatsfunft 
angehören, 2 


76 | Natur - und Volterrecht. 


19. | 
a Das Recht auf perſoͤnliche Würde und 
guten Namen. 


Die perfönliche Würde des Individuums beruft 
auf der Angemeffeiheit aller feiner Handlungen und 
aller feiner Ankündigungen in der Rechtsgefellfchaft, 

deren Mitglied er ift, zu dem Sittengefege, mithin 
auf feiner von Allen anerkannten Annäherung an das 

Ideal der Sittlichkeit. Diefe perfönliche Würde aller. 
ihrer Individuen ift aber die wichtigfte Stüge_ber 
Kechtsgefellfhaft, weil nur derjenige Verein dauer- 
haft feyn kann, der auf gegenfeitiger perfönlicher Ach⸗ 
tung beruht. — "Da nun der Name das Wort, 
. oder dag finnlihe Merkmal ift, wodurch wir die ne | 
dividualitaͤt der mit ung zur Nechtsgefellfchaft vrrbun⸗ 
denen Wefen bezeichnen, und damit den "Begriff ihres- 
firtlihen Werthes oder Unwerthes, fo wie ihrer 
Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit für die Gefells 
fchaft, und überhaupt den Begriff ihrer gefammten 
aͤußern Anfündigung verbinden (man vergegenmwärtige 
fi) nur die Namen von Sofrates, Attila, Luther, 
Napoleon u. a.); fo fann es feinem Sndivibuum 
gleichgültig. ſeyn, welche Eigenfchaften die öffentliche 
Meinung diefem Namen beilegt, weil fein Einfluß 
auf die Gefellfchaft, feine Ehre in derfelben, das 
Zutrauen, das Andere zu ihm haben follen, und der 
Theil feiner Zufriedenheit und Ruhe, der von der 
‚Meinung und dem Urtheile Andrer über ihn abhängt, 
ganz dadurch beftimme wird, — Wenn aber ber 
Menſch das Recht auf perfönliche Würde und guten 
Namen durch) die unbedingte Angemeffenheit feiner 
aàußern Thätigfeit zu ber innern Güte feiner Geſin— 
nung fich erwirbt; fo kann er auch fordern, daß jeder 


Natur⸗ und Völkerrecht. 77 


{hm dieſe Ehre erweife, bis feine Handlungen das 
- Gegentheil bezeugen. Diefes Recht auf Ehre und 
guten Namen gilt zugleich für alle Abweſende aus 
der, Gefellfchaft, und felbft für die Erhaltung und 
Rettung des guten Namens ber Verftorbene n. 


20. J 
5) Das Recht auf Eigenthum. 


Wir nennen alle Gegenſtaͤnde der Naturwelt, 
die nicht Perſoͤnlichkeit beſitzen, Sachen, weil fe 
ber Vernunft und Freiheit ermangeln. Sie ſtehen in 
einem gewiffen Preife, und Fönnen durch Schenfung, 
Abtretung, Taufe) und Verkauf erworben werden. 
Deshalb find fie nie Zwede felbft, fondern nur Mit 
tel zu Sweden. . Dies gilt ‚eben ſowohl von den-ein- 
zelnen Theilen der Oberfläche des Erdbodens, wie von 
den Erzeugniffen und Thieren deffelben ; nur mit der 

rechtlichen. Einfihränfung, daB wir uns blos in den 
Befig von folhen Sachen fegen dürfen, die entweder 
noch Keinem gehören (res nullius), ober die ung der - 
freie Wille eines Andern auf rechtmäßige Weife, d. i. 
durch Vertrag „ überlößt. . Die rechtmäßige Erwer⸗ 
bung eines aͤußern Gegenftandes, welche mit ber 
äußern Freiheit aller andern vernünftigen Weſen ver- 
einbar ift, Heiße Befignehmung, und die durch 
die rechtliche Befignehmung erworbenen äußern Ben 
genftände nennen wir unfer Eigentbum 

Leder Eigenthuͤmer einer Sache hat aber das 
Recht des: ausfhließenden Beſitzes und der 
erkennbaren Bezeihnung derfelben als feines 
Eigenthums; doch fann es auch ein Gefammteigen« 
thum für mehrere gemeinfchaftliche Befiger einer und: 
derſelben Seqhe geben, welches aber nur durch Ver⸗ 


78 Natur⸗ und Voͤlberrecht. 
trag erworben und nach ſeinen rechclichen Verhaͤlt⸗ 
niſſen zwiſchen den Miteigenthuͤmern feſtgeſetzt werden 
kann. — ben fo gehoͤrt der Zumachs (accessio) 
bes Eigenthums, Der. entweder durch die Natur ober 
durh Einſicht, Fleiß und Kunſt bewirkte wird , dem 
Befiger des Eigenthums, ‚fobald durch diefen Zu- 
wachs fein Recht eines Dritten beinträchtige wird. — 
Durch Ve rlafſung kann aber auch ein freies Weſen 
auf ein erworbenes Recht verzichten, wodurch, wenn es 
ein Gegenſtand des Eigenthums war, dieſer zur her⸗ 
renloſen Sache wird. ‚Dingegen kann die zufällige 
Unterlaffung ber Ausübung eines Rechts nicht als 
Verzichtleiftung auf ein erworbenes Recht, und eben 
fo wenig der unrechtlihe Gebrauch eines Gegenſtan 
des als ein Rechtstitel der Erwerbung angeſehen wer⸗ 
den, weil es nach dem Vernunftrechte keime Ber 
j ab rung gibt, 
(Verjährung fann,. weil es nüglich iſt, eine 
‚Zeit über den Befisftand zu veffimmen, nur im 
‚‚pohltiven Rechte: vorkommen.) 


EP 
6) Das Recht auf sffentlige Sicerpein 


Jede beſtehende Geſellſchaft von Menſchen 
nimmt einen Theil des Erdbodens ein, über welchen, 
fs. ſich mit ihrem Gigenthume und ihren Wohnungen 
ausbreitet. In dem Umkreiſe diefes der Gefellfchaft 
rechtlich zugehörenden Gebietes foll die größte öffent: 
liche Sicherheit herrſchen. Diefe Sicherheit betriffe 
aber: theils bie Perfonen felbft, ihr. eben, ihre. Frei⸗ 
heit, und die Unverlegiheit ihres Körpers, theils alle, 
ihnen. } ingehörenbe Sachen, fie mögen in unbewag- 
lichem ‚oder beweglichem Eigenthume beftehen, In 


U 


Natur⸗ und Wöolkerrecht. e9 


dem Zeſellſchaftlichen Vereine Des Naturrechts if. die 
geiſtige und ſittliche Reife, ſo wie die Rechtlichkeit 
aller Mitglieder deſſelben der ;gewiflefte Buͤrge der 
öffentlihen Sicherheit, weil dieſe Nechtlichkeit, und 
Reife felbft. Die Uebereifungen wab Unvorfichtgfeiten 
möglichft verhuͤtet, (durch welche .niche ſelten, auch 
ohne pöfe Abfi ihn, bie oſfentunhe Scherheit gefatn 
bet wird. 


·27 
31 


un 

22: ’ 
| 7) Das Recht auf Abfliehung und Set 
tung der Verträge 


Sao gewiß, nach dem Urrechte der Perſonüch⸗ 
keit, jedes ſittliche Weſen frei uͤber die Anmwenbung 
feiner Kräfte: und feines Eigenthums verfügen fans, 
fobald dadurch Der äußere freie Wirkungskreis keineß 
Andern beeinträchtigt wird; fo gewiß fteht ihm; auch 
das Mecht zu, durch freie gegenfeitige Uebereinfunft 
mit andern. Weſen feiner Art, vermittelſt eines Per⸗ 
ſprechens und eines Gegenverſprechens, den Kreis 
ſeiner perſonlichen und dinglichen Rechte. entweder zu 
erweitern, oder zu befhränfen. Die äußere 
Handlung, wodurd) dies gerhieht, nennen wir Ber- 
trag, indem :berfelbe auf einer gegenfeitigen 
Willenserklärung berubt, in welcher von dem 
einen Theile ein Verſprechen, d.h. die Erflä- 
rung gegeben wird, zu einer gewiflen ‚Seiftung verbun⸗ 
ben zu feyn, und.von dem andern Theile die An⸗ 
nahme, d. 5. die Erflärung erfolgt, daß men. die) 
von dem Andern beftimmte Leiſtung zu fordern beredhr: 
ige ſeyn molle. :Durch.beides. wird der Vertrag: 
vollendet; der Vertrag beruht Daher auf einem aͤnge⸗ 
nommenen Verſprechen. Die beiden contrabisenhen, 


80 Notur⸗ und Voͤlkerreche. 


Delle, der Promittent und der Promiſſar, 
heißen die Paciscenten. 

Vertraͤge darf aber jedes ſietliche Weſen ſchlie 
ßen, weil es zu den urſpruͤnglichen Rechten des 
Sieuſchen gehoͤrt, daß er ſeinen aͤußern unabhaͤngigen 
Wirkungskreis Andern eben ſo gut eröffnen, als ver⸗ 

fliegen darf. Der Menſch erweitert feinen 
äußern Wirkungsfreis, wenn er durch Vertrag Rechts 
auf die geiftigen oder phufifchen Kräfte, oder auf 
Sachen (auf Theile des bisherigen Eigenthums) An⸗ 
drer erwirbt; er beſchraͤnkt hingegen feinen aͤußern 
Wirkungekreis, wenn .er durch Vertrag Andern -ein 
Recht auf ſeine heiſtigen oder phyſiſchen Kraͤfte, oder 
auf Theile ſeines Eigenthums zugeſteht. Denn ſelbſt 
ſeine Perſonlichkeit darf der Menſch (z.B. im Dienſt⸗ 
vertrage) einer fremden Beſtimmung unterwerfen, 
nur nicht mit Verlegung oder. Dernichtung des Und 

rechts der Perſoͤnlichkeit. 

So lange übrigens bie Annahme bes Ver 

ſprechens von dem andern. Theile nicht erfolge. iſt7 J— 
kann das Verſprechen widerrufen — und zueückgenom— 
wien werden. J “ 


u y * Fr \ — 
Beh figungen der Gültigkeit der Ber 
‘ eräge 


Icher Vertrag iſt rechtlich und gultige 

1) ſobald ſein Gegenſtand an ſich moͤglich iſt; 
Cunguͤltig iſt er, ſobald der Gegenſtand Durch menſch⸗ 
liche Kraͤfte nicht ausgeführte werden fann — ad 
impossibilia nen obligatur —; doch. muß in Die= 
fen. Falle die Unmöglichkeit nachgewieſen, und wenig« 
ſtens: das, was moͤglich iſt, geleiſtet werden;)  -: 


⸗ 


Nature ind Völker, B1 


2) ſebald durch ihn fein Zweck der Vernunft 
und namentlich: nicht. · das Gittengefeg verletzt wird 
(ad turpia nemo obligatur — fein. Vertrag kaun 
einen Bater zur Kaſtration feiner Kinder verpflichten); 

3) fobald die contrabivenben Theile dabei das 
völlige Bewußtſeyn ihrer Vernunft und Freiheit hat⸗ 
ten (ohne Berauſchung, Wahnſinn ac); . 

4) ſobald bie contrahirenden Theile qusbcd 
ich und beftimme ihre Einwilligung erflärten; -; 

5) :fobald. die durch den Vertrag yucermerbehs 
den Rechte blos perfönliche und Dingliche Rechte, und 
nicht bie ganze ober theilweiſe Aufhebung eines tr 
ſpruͤnglichen Rechts .betenfen. (z. B. Verpflichtung zur 
Seibeigenfchaft, ober zur muhamedaniſchen Religion 
gegen bie Gerviffensfeeifeit. x)... 

6) fobald von dem einen contrabieenben fee 
babei fein abſichtlicher Betrug geübt wart; : 
.....7) fobald ber. eine contrehirende Theil nicht 
"über den ‚Gegenftand des Vertrages in. einem völlig 
unvermeidlichen Irrthume ſich befand; 

8) fobald nicht: durch phyſiſche Gewalt, oder 
Ueberliſtung, die Einwilligung des einen ennfraßiren, 
den Theiles erzwungen ward; | 

9) fobald nicht die Rechte eines. Dritten, ohne 
Vorwiſſen und Einwilligung deſſelben, durch einen 
abgeſchloſſenen Vertrag beſchraͤnkt und verletzt werden. 

Geht aber der Andere den Vertrag ein unter einer 
angebrohten Gefahr, bie er beftimmt erfannte, ober 
unter Verhältniffen,, die er fich Deutlich vergegenmwär- 
tigte; fo ift er fietlich verpflichtet, .den Vertrag zu 
erfüllen. Selbft die Unfunde deffen, was der Pro⸗ 
mittent zu leiſten hat, entbindet denfelben keinesweges 
von feiner durch den Vertrag übernommenen Ver⸗ 
pichtung; eben fo wenig engzehe dieſe Unfunde dem 


82 Natur. und Volkevrecht. 


andern Theile das Recht, auf de Erfüllung des Ver⸗ 
trages zu dringen, weil bei einem’ vernünftigen Weſen 
vorausgeſetzt wird, daß es, bei dem Eingehen des 
Vertrages, die Natur und Befchaffengeit der über, 
nommenen Verpflichtung eingefeher und erfannt habe. 
-» „ Da aber der. Vertrag auf: die.freie Mebertcagung 
eines perfönkichen Rechts, oder. einer Sache an ginen 
Andern, mithin’ auf Die Webergabe oder Abfretung 
von ber einen, und:auf die Annahme: von der autech 
Seite ſich ugruͤndet; fo folgt, daß durch die freiwil⸗ 
dige Verlaffung von der eifien Seite ein Anderer an 
ſich eben ſo wenig ein Recht: erhaͤlt, die verlaffeme - 
Sache zu ſeinern Eigenthume: zu - machen, wie durch 
Ye: einſeitige Werzichtleiftung. des einen Theils auf 
irgend einen Gegenſtand, ohne bie rechtliche Uebep- 
nähme deffelden-von dem andern Theile. Doc) ſteht 
jedem das Recht: zu, die Sachen, die zu feinem: Eigeu- 
Fenthume gehoͤren, oder auch gewiſſe perſonliche Rechte 
Chur nicht feine: Perfönlichkeit Teföft,) dem Andeen 
zum Austaufche anzubieten, dafür einen. Preis ferk- 
zuſetzen, und ſie um dieſen Preis wegzugeben, fo wie 
auch bieſen Preis ganz. zu erlaſſen, and bie Sache zu 
verſchenken. 

Alle aus Vertraͤgen harvorgehende Pf lichten 
und alle durch Vertrag erworbene Rechte find: kie ine 
... „ unbebingten, ſondern nur bedingte: Sflich 

‘tert und Diechte, 


ui j one J .5 9%, 
Real- und Berbal- Verträge: unbedingte 
und ‚bedingte, Fittfhweigende Verträge 


“  Belteht: Ver Vertrag in der’ wirklichen Leiſtung 
des Gegenftandes ſelbſt, mithin in einer Thatſache; 


Natur - und Voͤlkerrecht. 83 


fo heiße er ein KRealvertrag. Dagegen beruht der 
Derbalvertrag auf der wörtlichen Zuficherung ber 
verfragsmäßiigen Kiſtung. 

Die Vertraͤge find entweder unbedingte oder 
bedingte , inwiefern bei den unbedingten auf feinen 
eintretenden denkbaren Fall in ber gegenfeitigen Ueber 
einfunft Rücdfiche genommen, bei den bedingten aber 
der Eintritt gewiffer, künftiger Umſtaͤnde im Voraus 
beruͤckſichtigt wird. 

Unter einem ſtiliſchwe igen den Vertrage 
endlich verſteht man einen ſolchen, wo uͤber einen per⸗ 
ſonlichen oder dinglichen Gegenftanb, der in. der. Wirk⸗ 
lichkeit befteht, „Leine bafondere Uebereinkunft zwifchen 
zweien oder mehreren. Perfonen abgefchloffen wochen 
ift,, fein Theil aber dem Gegenflande bes ſtillſchwei⸗ 
genden Vertrages teiderfpredjen hat, ſo daß bürch die 
Fortdauer bes Verhaͤltniſſes und bie gegenfeitige An⸗ 
erfennung deffelben ein wirklich pofitiver Charakter 
des Vertrages fich gebifdet hat *). (Dahin gehört 
das rechtliche Verhäftuig zwifchen Aeltern und Kin 
been;.. zwiſchen dem Regenten und dem: Volke, wo 
fein fchriftliches Srundgefeß ihre gegenfeitigen Rechte 
und Pflichten beſtimmt; umd darauf beruht, im pra= 
ctifchen europäifchen Volkerrechte die Wölkerfiste und 
das Herfommen in der Verbindung und Wechfelwir« 
fung ber civilifirten und hhyiſtüichen europdiſchen Voͤl⸗ 
ker, Staaten und Mich. ). 





*) Zu den ſtiuſchweigenden Verträgen dann nicht ge 
rechnet werden, wenn.z. B. der eine. für den andern 
deffen Amtegefhäfte betreiben wollte ohne deffen 
Buflimmung, "Nur ein beſtehendes Efactifches) Vers 

haͤltniß kann als Grundlage eines ſtiuſcawelgenden 
Vertrages gedacht werden. : ⸗ 
* * r 





84 . Natur» und Bölferrecht. 


Ein Nebenvertra g (pactam aöcessorium) 


ift ein Vertrag, der zu den Beflimmungen eines . : 


- vordusgegangenen Vertrages etwas hinzuſetzt, und 
biefe Beſtimmungen entweder unter‘ gewiflen | Ber 
hältniffen erweitert oder befchränft, 


25. 


Veränderung und Aufbebung der Ber 
träge, 


Beränbert und aufgehoben werben abbeſchtoſſene 


Verträge: 


1) durch jeden neuen Vertrag, der: (päter 
über benfelben Gegenftand von denfelben contrahiten. 
den Theilen eingegangen wird; _ 

| 2) durch Erlaffung, wenn der eine- Theil 
ſelbſt fein durch den Vertrag ermorbenes Recht ganz 
oder theilweife aufgibt; “ 

3) durch gegenfeitige Neue, wenn beide 
contrahirende Theile ihr Werfprechen zuͤrucknehmen, 
und egenfeitig von der feftgefegten geiftung fe: ent: 

inden; 
| 4) durh Vergleich, wenn ein aus einent 
Vertrage ftreitiges Recht durch freiwillige Ueberein⸗ 
Eunft beider Theile, ohne richterliche Entſcheidung, 
beendigt wird; | 

5) durch CSeffion, wenn der eine Pacifcant,; 
mit Genehmigung des Andern, feine Rechte oder feine. 
a anenen Verpflichtungen einem Dritten über» 
trägt; 

69 durch Affignation, wenn der eine Pa⸗ 
eiſcent einen Dritten, ohne deſſen vorhergegangene 
Einwilligung, auf ein Reche anweiſet, das e ihm durch 
Vertrag zuftehet; 





Natur +. und Woiterrecht. 85 


6 durch Delegation, wenn ber eine Paciſ⸗ 
cent einen Dritten, mit deſſen voͤlliger Zuſtimmung, 
zur Uebernahme und Behauptung eines ihm vertrags⸗ 
| mäßig zuftehenben Rechtes anweiſet. 


® 20. 
Von der Billigkeit und vom Nothrechte. 


Alle urfprüngliche und erworbene Rechte find, 
ihrer Natur und ihrer Form nad), allgemein und ge» 
wiß; nur bei der Unterordnung einzelner Fälle unter 
das ewige Rechtsgeſetz kann bisweilen ein Zweifel oder. 
“auch ein Sehler entftehen. Eine wirkliche Eoflifion 
zwifchen zwei Rechten gibt es fo wenig, als eine wirf- 
liche Eoflifion zwifchen zwei Pflichten, weil da, wo eine 
Colliſion ſcheinbar einzutreten feheint, das höhere 
Recht, wie die höhere Pflicht, im Gegenfage des nie⸗ 
dern , von ber Vernunft febft beftimmt ausgefprochen 
wird. 

Unter bie zweifelhaften Rechte hat man das 
Recht auf Billigkeit und das Nothrecht ge⸗ 
bracht. Mit mehr Witz, als Wahrheit, hat man 
das erſte ein Recht ohne Zwang, und das este einen 
Zwang ohne Recht genannt. Es fann aber fein 
Recht auf Billigfeit geben, weil der Begriff 
der Billigkeit zunaͤchſt in die Pflichten= und nicht 
in die Rechtslehre gehört, und. fidy lediglich auf bie 
Pflichten der Güte, nie auf die Pflichten der Gerech⸗ 
tigkeit bezieht. Die Billigkeit %), als Pflicht gedacht, 


*) Vergl. Hufelands Lehrfäge des Naturredts x. 
©. 59. (ste Aufl.) — Durchaus den Gegenftand 
nicht rfchöpfend ift die Monographie: Karl Gthe. 
Brofe, über Recht und Villigteit im Augemeinen. 
Sött. 1891. 8. 


han 2 





86 Nature und Voͤlkerrecht. 


beſteht naͤmlich in der Anerkennung der unvollkomm⸗ 


nen Rechte Andrer, und in der freiwilligen Befchraͤn⸗ 


kung ſeiner eignen vollkommnen Rechte durch jene 


Anerkennung. (Wenn ich z. B. einem, der in Ver⸗ 
legenheit wegen der Zinſen eines erborgten Capitals 
iſt, dieſe ganz erlaffe, oder Aufſchub bewillige.) Sie 
kann daher blos als Gewiſſens ſache geuͤbt, und 
nie von dem Andern erwartet und verlangt, geſchweige 
im buͤrgerlichen Leben durch Zwang bewirkt werden. 
Unter dem ſogenannten Nothrechte (casus 
extremae necessitatis) verſtehen einige Naturrechts- 
lehrer Die Befugniß, in dem Nothfalle einer drin» 
genden Lebensgefahr fich felbft zu erhalten durch Ver—⸗ 
legung der Rechte eines Andern, der fein Unrecht 
getban hat. - (Dahin gehört der von Manchen mit 
Vorliebe ausgemahlte Fall, wo zwei Perfonen Schiff: 
bruch erlitten haben, auf Einem Brete fißen, und fid) 
überjeugen,, daß nur Einer auf diefem Brete ſich ret- 
ten fann. Darf er den Andern in die Wellen ftoßen?). 
Weil aber das Urrecht der Perfönlichkeit, nad) mel- 
chem nie ein anderes Wefen von uns als bloßes Mit- 
tel für feine Zivecke behandelt werden darf, durch Feine 
fheinbare Collifion der Rechte aufgehoben wird; weil 
ferner feine Noth, als ein phnfifches Uebel, fo maͤch⸗ 
tig wirfen fann, daß durch fie der Gebraud) der Ber: 


nunft völlig vernichtet und der Menſch mit dem Thiere 


auf gleiche Linie der bloßen finnlichen Selbfterhaltung 
geftelle wird; fo folge, daß das fogenannte Nothrecht 
ber fieelichen Gefeßgebung der Vernunft widerftreitet, 
weil die Vernunft feinen Zuftand des Menfchen den- 
fen fann, wo er entbunden wäre von der ewigen Guͤl⸗ 
tigfeit des Sittengefeßes *). (Der Menfch muß eher 








*) €8 gehört zu den‘ fonderbaren Erſcheinungen in der 





Natur und Wölferredhe. 87 


verhungern, ‚al Resten; und das Sprücmerti Moth 
kennt fein Gebot, kann weder durch die Pflichten⸗, 
noch durch die Kechtsiehre entſchuldiget, —* 
begruͤndet werden.) u 


27 Ä 
b) Angewandtes Naturreht“ 
Begriff und Umfang Veffelben. 


Das angewandte Maturrecht enthalt bie wif« 
fenfchaftliche Darftellung der erworbenen Rechte des 
Menfchen, welche, je nachdem fie entweder Perfonen 
oder Sachen betreffen, perfönlide oder vingliche 
Rechte heißen. Weil aber in’einer, auf das, Ideal des 
Rechts gegründeten, gefellfchaftlihen Verbindung per- 
ſoͤnliche und dingliche Rechte blos durch gegenfeitige 
freie Webereinfunft, und alfo nur durch Vertrag 
erworben werden fönnen; ; fo enthält Das angewandte 
Naturrecht zunächft die wiffenfchaftliche Darftellung 
der einzelnen HDauptgattungen umd Arten 
von Verträgen, und der aus dieſen Verträgen 
hervorgehenden rechtlichen Verhaͤltniſſe zwiſchen freien 
Weſen. 

Es iſt nicht moͤglich, jeden einzelnen denkbaren 

‚Vertrag i in die Wiſſenſchaft aufzunehmen. Allein 


Wiſſenſchaft, daß uͤbet das Mothrecht ſelbbſt die ſcharf⸗ 
ſinnigſten und folgerichtigſten Denker unter den Nach⸗ 
folgern Kants, welche übrigens von rein ſittlichen 
Grundſaͤtzen ausgehen, getheilter Meinung find. So 

3.8. während Heydenreich ganz gegen das Noth⸗ 
recht fich ausfpricht, lehrt Eros: „der Menfch fey 
in der Noth -entbunden von dem Dearegefene"; 9 I 
und ſo viele Andere. 


88 Natur⸗ und Bolkerrecht. 


die ſyſtematiſche Darſtellung der Vertraͤge muß we⸗ 
nigſtens diejenigen Hauptgattungen und Arten von 
Vertraͤgen entwideln, unter welche ver einzelne 
Vertrag ſogleich gebracht werden kann. 


28. 
Nomenchatur der wichtigſten Verträge 


Die wichtigften einzelnen Verträge, durch welche 
gegenfeitig perfonliche Rechte ober Sadıen erworben 
werben, find: | | 
© 4) der Geſellſchaftsvertrag überhaupt; 

2) der ebeliche Vertrag; 
3) das daraus hervorgehende Aelternrecht; 
4) ber Dienftvertrag; 
-. DDie Vertraͤge 2 — 4 bilden das föge» 
nannte Samilienrehe)- 0, 

: 5) dee Arbeits - und Mierhsvertrag; 

6) der Schenfungs-, Taufch- und Räufoer 

trag; 

7) der Leih⸗, Darlehns- und Pfandvertrag; 
8) der Aufbewahrungs = und Bevollmädtis 
| gungsvertrag, mit Einfchluß der Bürg- 

haft; 
9) der Vertrag auf den Fall des Todes; -- 
10) der Verfaffungs- und Regierungsvertrag 
der Geſellſchaft; 
41) der kirchliche Verfaffungsvertrag (!ehre 
von dem natürlichen Kirchenrechte); 

- 12) daB allgemeine Geſellſchaftsrecht. 

An die Darftellung diefer Verträge wird bie Lehre 
von den Rechten der re in der ẽ Geſelſchaft 
angeſchloſſen. 


Ratur⸗ und Völkerrecht. S2 


⸗ 


F EL. ra . 
41) Der Gefellfhaftsvertrag überhaupt 
Der Gefellfhaftsvertrag überhaupt ift von dem 
urfprünglichen Zufammenleben der Menfchen 
im natürlichen Zuftande dadurch verfchieden, daß 
nad) demfelben mehrere (wenigſtens aber zwei) Per- 
fonen ſich gegenfeitig verfprechen, einen be ſtimmten 
Zwed gemeinfchaftlich zu befördern und zu vermwirf« 
lihen. So mannigfaltig verfhieden dieſe Zwecke 
feyn fönnen; fo mannigfaltig fönnen auch die Deshalb 
abgefchloffenen Verträge und die auf diefen Ver- 
trägen beruhenden Gefellfhaften ſeyn. Im All 
gemeinen gibt e8 aber für die Beurtheilung bes 
Zweckes einer Gefellfhaft nur zwei Grundfäge: 
1) diefer Zweck ‘darf nicht gegen das Sitten» 
8geſetz ſeyn; | 
2) und darf nicht Die Rechte eines Dritten 
‚(nicht zur Geſellſchaft Gehörenden) bes 
ſchraͤnken oder verlegen. | 
Jede nad) diefen Grundfägen zu einem befon- 
bern Zwecke wereinigte Gefellfchaft muß, als foldhe, 
wegen der Rechtlichkeit und Einheit ihres Zweckes, 
ats eine moralifche und juridifche Perfon (nad) 
“ ihrem innern, dem Sittengefege entſprechenden, We⸗ 
fen, und nach ihrer Außern felbftftändigen Ankuͤndi⸗ 
gung) anerfannt werben, welcher fämmtliche Rechte 
der Perfönlichfeit in ihrem ganzen Umfange zufom« 
men. Die Form der Gefellfchaft aber, über welche 
ſich die vertragsmäßig verbundenen Individuen, in 
"Beziehung auf ihren eigenthümlichen Zweck, vereinis 
gen, beißt: die Berfaffung derfelben. 
Nach diefen Grundbegriffen über den Geſell⸗ 
Iſchaftsvertrag überhaupt .muß eben fo bie 


90 ‚Natur: und Wolberrecht. 


Rechtlichkeit des Ehevertrags, des Dienftvertrags 

. und des Staatsvertrags — wie bie einer Tanz⸗ 

gefellfchaft, eines Moͤnchordens, einer Raͤuber⸗ 
bande u. ſ. w. beurtheilt werden. 

Für das Staatsrecht kommt zu dieſer natur⸗ 

rechtlichen Lehre bie wefentliche Beſtimmung hin⸗ 

zus daß innerhalb des Staates nur diejenige 


Sefellichaft als rechtlich beftehend gedacht werden 


kann, deren Zwed der Regierung des Staates 
befannt, und deren Verfaffung, aus dieſem 


Zwecke hervorgehend, von der Regierung anerfannt | 


und beſtaͤtigt worden iſt. 


30. 
2) Der eheliche Vertrag. 


Die Ehe iſt ein freier (weder erzwungner, noch 


burch Lift bewirkter) Vertrag zweier Perfonen beider- 

- bei: Gefchlechts zur gemeinfchaftlihen und mit dem 
Sittengefege übereinfimmenden Befriedigung des 
Gefchlechtstriebes. Soll der eheliche Vertrag diefem 
Begriffe entſprechen; fo verlangt er von beiden Theis 
len einen gemwiffen bereits erreichten Grad von 


geiftiger und fiteliher Reife, und ein Forte. 


fhreiten in derfelben, um dem Endzwede des menfch- 
lichen Dafeyns fid) gemeinfchaftlich zu nähern, weil 
die Erreichung Diefes ‚Endzwedes in ber Ehe nicht 
gehindert, ſondern befoͤrdert und erleichtert werden 
ſoll, und weil beide Theile, wegen der gemeinſchaft⸗ 
lichen Annaͤherung an denfelben, fich gegenfeitig achten, 
fo wie wegen der dadurch gewonnenen perfönlichen 
Vorzüge fich lieben follen. — Der eheliche Vertrag 
verlangt ferner einen gefunden, für den Zweck der 
Fortpflanzung völlig entwickelten und aaeaehildeten, 


4 


Nature und Woͤlkerrecht. 91 


unb durch feine vorhergegangerien Ausſchweifungen 
gefhwächten, Körper, fo wie ein angemneflenes 
Verbältniß in den Lebensjahren beider zur 
ehelichen Geſellſchaft fi) vereinigenden Perfonen. Er 
verlangt weiter, daß in der Ehe, als einer freien 
Gefellfchaft, feine Herrſchaft des einen, und Peine 
Unterordnung des andern Theiles ftatt finde. Er ver- 
wirft zugleich jede außerehelihe Befriedis 
Yung des Gefchlechtstriebes als gegen das Sittenge- 
ſetz, gegen die Rechte des Ehegatten, und gegen bie 
demfelben gelobte ausfchließliche Treue. Er macht 
aber auch die Ernährung und forgfältige Er- 
ziehbung der erzeugten Kinder bis zur erteich- 
ten Mündigfeit zur heiligen Pflicht beider Gatten, 
weil von der koͤrperlichen, geiftigen und fittlichen Bil- 
dung berfelben das Beftehen und die Vereblung des 
heranwachſenden Menfchengefchlechts abhängt. Er ift 
enblidy ein Vertrag auf Lebenszeit, fobald nicht 
der eine Theil durch) ſelbſt verſchuldete, oder vor 
der Ehe verfhwiegene, unheilbare förperlihe Webel 
in phnfifcher Hinficht völlig unfähig zur ehelichen Ge⸗ 
meinfchaft und zur Befriedigung des Gefchlechtstrie- 
bes geworden ift, oder durch den böfen Willen des 
einen Gatten die Sicherheit und Das Leben des andern 
gefährdet, oder durch Ehebruch der ehelihe Vertrag 
vernichtet, oder durch ein Verbrechen in der Geſell⸗ 
ſchaft das Recht des äußern freien Wirfungsfreifes in 
derfelben verloren wird. intretende unerwartete 
Unglüdsfälle aber , ſelbſt wenn fie die Befriedigung 
des Gefchlehtstriebes unmoͤglich machen follten, be- 
rechtigen den andern Gatten nit zur Auflöfung 
der Ehe; vielmehr kann in folhen Fällen das kuͤnf⸗ 
tige Verhaͤltniß von beiden Gatten nur nach den 
Pflichten der Billigkeit und Güte beſtimmt werden. 


” Natur⸗ und Volkerrecht. 


.Verbindungen zweier Perfonen beiderlei Ge⸗ 
"Hehe, durch welche entweder ber Zweck der 


Sefchlechtsgemeinfchaft durchaus nicht erfülle wer⸗ 
- den kann (wie z. B. durch die Kaſtratene he und 
durch die Ehe zwiſchen Perfonen von ganz unglei⸗ 


% 


chem Lebensalter), oder wo die Verbindung des 


-, Gefchlechtstriebes nur auf eine gewifle Zeit (wie 


im Concubinate) und nicht für Die ganze Dauer 


des Lebens beftehen foll, oder wodurch die Gleichheit 
des Rechts zwifchen den Verbundenen aufgehoben 


„wird 5. B. in der Ehe zur finfen Hand), 
koͤnnen wohl, nach pofitiven Gefegen, im Staatsleben _ 
. verftattet und geduldet werden, nicht aber im Wer» 


nunftrechte den heiligen Namen der Ehe führen. 


. In Hinfiht der Blutsverwandefchaft aber 


erklärt Die Vernunft fich nur zunächft gegen die Che 


u zwifchen Aeltern, Kindern und Gefchwiftern; die 


: enfferntern Vermandtfchaftsgrabe enthalten keinen 
- WVerftoß gegen das Sittengefes und das Recht; 


doch Fünnen fie aus phyfifhen und politi« 


ſchen Gründen die Beruͤckſichtigung der pofifiven 


Gefeggebung verdienen, 


2. Naturgefhichte und Vernunft fprechen gleich ſtark | 


für die einfahe Ehe (Monogamie), mit Aus- 
fhluß der Vielweiberei und Vielmännerei, Selbſt 
in ber Ehe verlangt die Vernunft eine gemäßigte 


, Befriedigung des Gefchlechtstriebes; denn bie 


Ehe ift fein Sreipeitsbrief für bie milder, Yus« 
bruͤche thieriſcher Sinnlichkeit, Die Vernunft ſagt 
zugleich, daß die völlig ungetheilte und innigfte 


Liebe nur Eine Perfon des andern Geſchlechts zu 


erregen und zu erhalten vermag; fo wie bie älter» 


Nliche Zärtlichkeit und die zweckmaͤßige Erziehung 


der Kinder, von welcher die Fortbildung der menſch⸗ 


Natur. und Voͤlkerrecht. 93 


lichen Geſellſchaft abhängt, im Allgemeinen -nur 
der einfachen Ehe angehört. Die Gefchhichte end» 

Lich lehrt, daß alle polygamifche Völker in. Hinfiche 
auf ihre Kultur und Verfäffung [eaber ſanken, als 
Die, bei welchen die einfache Ehe beſtand; daß 
mit der Vielweiberei gewöhnlich eine entehrende 
Behandlung und Herabmürbigung des weiblichen 
Geſchlechts verbunden iſt, und daß ſelbſt die Freu⸗ 
den der Geſelligkeit nur da am reinſten genoſſen wer⸗ 
den, wo beide Geſchlechter gleiche Rechte beſitzen. 
(Man vgl. die im trefflichen Geiſte geſchriebene 
Schrift von Chſtn. Wilh. Hufeland: über bie 
Gteichzahl der Geſchlechter. Berl. 1820. 8..und 
halte dagegen bie grobfinnliche Anficht i in Zuge’ 8 
Naturrechte. ) 

3. Im häuslichen Leben findet an fih feine Sb er⸗ 
herrſchaft ſtatt; es ſollen vielmehr die Geſchaͤfte 
des häuslichen Lebens unter beide Gatten verhält 
nißmäßig gleich vertheilt -feyn, doch fo, daß die 
Gattin, wegen ber mit der Schwangerfchaft. und 
mit der Wartung und-Pflege ber Kinder verbuns 
denen Beſchwerden, das Recht Hat, zu verlangen, 
daß der Mann fie ernähre. 

4, Ale einzelne Beftimmungen über das Vermögen 
und Eigenthum der Gatten, es beftehe in liegen- 
den Gründen, oder im Gelde u. ſ. w., gehören bem 

pofitiven echte an. = ) 

5. Ehebruch iſt, im weitern Sinne, jet Ber 
gehungs⸗ ober Unterlaſſungshandlung, weiche dem 
Vertrage widerſpricht, uͤber welchen die Ehegatten 
ſich vereiniget Haben; im engern Sinne aber der 
Beifhlaf mit einer Perfon des andern Gefchlechts 
währenh der Dauer des -chelichen Vertrags: Go 
gewiß ber beleidigte Batte das Recht bat, den: 


— 


94 Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


—Ehebruch des Gatten durch Zwang zu verhindern; 
ſo gewiß wird and) Durch den Ehebruch der eheliche 
 Wertrag ‚aufgelöfet,, und es haͤngt blos von dem 

illen des in feinen Rechten gefränften Gatten ab, 

2 er dennoch die Ehe nicht aufgehoben wiſenn will, 


31. 


| 2. Das aus dem ehelichen Vererage ger 


| 9 vorgehende Aelternrecht. 
Zwiſchen Aeltern und Kindern beſteht kein be⸗ 
fonderer Vertrag, wohl, aber ein rechtliches Ver- 
haͤltniß, das unmittelbar aug dem ehelichen Vertrage 
beugongehet. : Denn Kinder haben, als Wefen, die 
mit dem Vermögen der Vernunft unp Freiheit. aus⸗ 
geſtattet, in der menſchlichen Geſellſchaft erſcheinen, 
das ſpruͤngliche Recht auf die Ernaͤhrung, Be— 
ſchuͤtzung, Erziehung und Bildung von den Aeltern, 


bis fie im Stande find, ſich ſelbſt zu erhalten, und 


fetbftftändige Mitglieder der Nechrsgefellfchaft zu wer- 
den. Die Erziehung foll daher ihren Körper vor Ver- 
legung bewahren, und. die Entwidelung ihrer. finn- 
lichen und geiftigen Anlagen für die Geſammtheit ber 
Zwecke derſelben fortführen bis zum Zeitalter der phy« 


ſiſchen und ſittlichen Mündigfeit. 


.. Die eltern baben dafür Das Recht auf den 
Gehorſam der Kinder, ſo lange ſie die Stelle der 
noch unmuͤndigen und nicht zur Selbſtthaͤtigkeit ge⸗ 
reiften Vernunft der Kinder vertreten; allein fein 
Recht auf ihre Dankbarkeit, weil diefe zwar Pflicht 
won Seiten der Kinder ft, zu welcher ein fittliches 
Wefen. durch die innere Güte feiner Gefinnung be- 
fimmt werden foll, die: aber nicht als Recht verlange. . 
werben kann. 


Mate und Möllereeht. 9 


‚Da ferner Kinder Per ſonen, d. h. Weſen 
mit Vernunft und Freiheit ſind; ſo duͤrfen ſie nie als 
Sache, oder als das Eigenthum der Aeltern ange 
ſehen werben, das fie durch irgend einen Vertrag ver⸗ 
äußern und Andern ‚überlaflen. koͤnnen, ob es gleich 
den Aeltern zuſteht, zweckmäßige beffernde 
Strafen in Beziehung auf Die ſich verirrenden Kräfte 
ihrer Kinder feftzufegen unb zu vollziehen. — ... Yu 
demfelben Urrechte der Perfonlichkeit. Folgt zugleich, 
daß Aeltern von verfchiedenem firchlichen DBefenuwife 
fein Necht haben, in ihrem Ehevertrage über bie 
fünftige religiöfe Ueberzeugung und uͤber das kirchliche 
Bekenntniß der Kinder im Voraus zu entſcheiden. 
Eben fo wenig haͤngt es von der Willkuͤhr der Aeltern 
ab, welche Ergiehung: und Riühtung fie Den Kindern 
in Hinficht eines, Fünftigen üffentfichen Berufs erthei⸗ 
Jen wollen; vielmehr muͤſſen ſie uͤherhaupt die in den⸗ 
ſelben ſhlunnnernden Anlagen zu entwiceln und dieſe 
Entwickelung weiſe zu befoͤrdern ſachen, damit die 
eigene Neigung des Kindes, ſo wie deſſen Ueber⸗ 
zeugung in reifern Jahren., dieeai Beſchaͤftigung 
im öffentlichen Leben erwähle, ‚welche feinen förper- 
lichen und: geifligen Kräften ‚und feiner beftimmt an- 
‚gefündigten Richtung in Begiehung quf äußere Thä 
tigfeit entſpricht. In diefer wichtigen Angelegenheit 
koͤnnen Aeltern bios Die rathenden Freunde ihrer Kin- 
der feyn., und find, als ſolche, verpflichtet, denfelben 
mit Unpartheitichkeit die Rechte und Pflichten ‚ fo wie 
nie vortheilhaften Seiten und die Saften und Schwie- 
eigfeiten jebes öffentlichen Berufes. zu ſchildern, zu 
welchem pie Kinder Talente und Meigung zeigen... . 

Kinder werben endlich, ‚ohne vorbergegangene 
Aufkuͤndigung, ber bisherigen Abhängigkeit von ihren 
Aeltern und ihrer Familie enthunden, ſobald ihre 


\ 


6 Natur» und Völkerrecht. 


Vernunft zur Muͤndigkeit, d. b. zu der Selbftftän- - 


digkeit gelangt ift, daß fie theils ven individnellen 
Zweck ihres Sebens durch eigne Thaͤtigkeit verwirk⸗ 
lichen, theils nad) ihrer Förperlichen Reife in die ehe- 
lichen Verhältniffe eintreten, und durch ihre erlangte 
Brauchbarfeit und: Fertigfeit in irgend einem recht— 


lichen Gefchäfte und Berufe eine. Familie‘ ernähren 
Eoͤnnen, wodurch zugleich alle Diejenigen Verhaͤlt. 
‚niffe: aufhören, welche. aus dem Aelternrechte ent 


fpringen, 

a 
I 4) Der Dienſtvertrag. | 
Naͤchſt dem ehelichen Vertrage und dem Xeltern- 


og 


rechte gehört auch der Vertrag zwiſchen Herrn und ' 
"Diener zum ſogenannten Familien rechte. Dieſer 
Vertrag ſchließt, ſchon nach dem Grundbegriffe eines 


Vertrages, alle Verhaͤltniſſe der Sklaverei, der Leib⸗ 
eigenfchaft,. der Eigenhörigfeit und "des Dienftzwan- 
ges von fich aus, und darf den Diener nicht der Mög- 
lichkeit berauben, die. Bedingungen des menfchlichen 


Dafeyns zu erfüllen, d. h. in feiner fittlichen Ausbil 


dung- fortzufchreiten und Gluͤckſeligkeit zu genießen. 
Selbft wenn der Diener freiwillig (entweder aus Un⸗ 


funde der Größe bes Gutes, uber aus Dankbarkeit in 


einzelnen Fällen) diefer Rechte fich begeben. wollte;, 


darf es der Herr nicht annehmen, weil er dadurch. ein 


vernünftiges Wefen, das die Größe feines. Opfers 
aus Unwiſſenheit oder im Augenblicke der Ueberra⸗ 
fhung des Gefühls nicht zu berechnen weiß, abhalten 


wide, für Die Zufunft den Zwecken feines Daſeyns 


fih) zu nähern. Der Vertrag zwifchen Herrn und Die: 
ner beruht aber von Seiten bes Herrn aufber 


Matızı und Wölferrehi 9 


Bereltwilligkeit, einem Weſen feiner Gattung bie 
Erreihung der Zwecke feines irdiſchen Dafeyns, 
gegen gewifle von demfelben zu leiftende Dienfte, zu 
erleichtern, und von Seiten des Dieners auf der 
freiwilligen Werzichtleiftung auf einzelne im Ders 
trage beftimmte Verhaͤltniſſe feines äußern freien 
Wirfungsfreifes während einer im Vertrage feftge- 
feßten Zeit, um für gewiſſe feftgefegte Dienftleiftun- 
gen in Beziehung auf die dringendften Beduͤrfniſſe 
des Lebens gefichert zu fenn. Von Seiten des Herrn 
darf Daher nichts verlangt, und von Seiten des Die 
ners nichts übernommen oder gethan werden, was 
mit den urfprünglichen Rechten bee Menfchheit unver- 
einbar ift, ober was außerhalb ber Bedingungen bes 
abgefchloffenen Wertrages liegt. | | 


Bu 33. 
5) Der Arbeits und Mierhsvertrag,. 


- Der Arbeitsvertrag ift dem Dienftvertrage 
in einzelnen Verhaͤltniſſen ähnlich, nur daß der, wel» - 
her blos fürden Andern vertragsmäßig arbeitet, nicht 
in den Kreis des Samilienlebens und Familienrechts 
gehört. In dem Arbeitsvertrage verfpricht der Pro⸗ 
mittent bem Promiſſar, gewifle Kräfte des Körpers 
ober bes Geiftes zu einem von dem Promiffae be- 
flimme bezeichneten Zwede zu verwenden, wogegen 
diefer eine ebenfalls im Vertrage genau beſtimmte 
Entfhädigung leifte. Der Promiffar befommt da- 
durch das Recht, die Arbeit fo zu fordern, wie fie 
der Vertrag feftfege, und der Promittent die bafür 
ausgemittelte Entſchaͤdigung. 

Durch den Miechsvertrag wird das Net 
entiweber auf den Oebrauch einer or ‚ wer auf 

L ! 


/ 


98 | Matur und Witarvch 
die Leiſtung gewifler Dienfte erworben‘ , wofur cine 


Vergeltung, zwifchen beiden contrahirenden Theilen 


feftgefegt wird. Bei ber Miethe von Sachen: heißt 
biefe Vergeltung: der Miethszins (locarium); bei 
dem Miethsvertrage zur Seiftung gewiffer Dienfte: 


‚ber Miethslohn (merces). Die Miethe berech- 


tige aber nur zu dem Gebrauche der Sache, wofür 
fie gemietßet iſt; auch trägt der Miether nie. den 


‚Schaden, melchen die gemiethete Sache aus natuͤr⸗ 


Jichen Urfachen oder durch Zufall erleidet; doch muß 
er den Mierhszins entrichten, felbft wenn er-.die ge 
wiegen © Seche nice gebraucht haben ſolte. | 

. ” . .. ‘ . Ed . 1 


Ev Be 


6 Der Schenkungen Zaufch⸗ und Kaufe 


vertrag. 


Die Schenfung befteht i in der unentgelblichen 


Uebertragung ‘einer Sache an einen Andern , drin 


die · Annahme derfelben- einwillige.: " In tem "Shen 


kungsvertrage wird daher eine Leiſtung nerfprochen, 
und ber Gegenftand.derfelben dem Andern übergeben, 
ohne daß der Promittent von dem Promiflar, ‚außer 
Der Annahme des Gegenſtandes, eine Gegenleiftung 
fich bedingt; Der Promistent-darf aber. Die Schen⸗ 
kung nicht einſeitig aus Reue, oder wegen veraͤnder⸗ 
sen, Verhaͤltniſſe widerrufen; denn ſelbſt den Wider⸗ 
uf: wegen. Unbanfbarfeit, ober, bei Der Größe des 


‚ Gutes, megen des Schadens , den der Schenfende 


durch die Weggabe des Gegenfiandes erleiden. biefte; 
iſt nach dem, Vernunftrechte ungültig. 
Der Tauſchvertrag beruht auf: ber Zufage 


eigen gegenfeitigen Veräußerung der. Pacifcen- 


Wir, wid auf dem: exfolaten. Austauſche ber: Ongen- 


Natur - und Voͤlkerrecht. 99 
ſtaͤnde des Vertrage, wodurch der eine Paciſcent das 
Eigenthum eines Gegenſtandes von dem andern Pa⸗ 
cifcenten,, gegen das ihm überlaffene Eigenchum eines 
andern Gegenſtandes, erwirbt. 

Der Kaufvertrag uͤberlaͤßt das Eigenthum 
einer gewiſſen werthvollen Sache an einen Andern fuͤr 
eine Summe (den Kaufpreis), uͤber welche ſich beide 
Theile vereinigt Haben. Durch Erlegung bes: Kaufe 
preifes geht das Eigenthum der erfauften. Sache von 
dem bisherigen Beſitzer auf den Andern über , weil 
diefe Erlegung die Bebingung der zeitlichen Erwer⸗ 
bung ift; auch übernimmt: der Käufer die Gefahr der 
Beſchaͤdigung ober bes Untergangs ‚der Sache durch 
Zufall von dem Augendlicke an, wo er Eigenthuͤmer 
wird. ze 

Ä . 35. BE ee 
7) Der Leih⸗ Dartepner und d Pfandoen | 
trag. 


Der Leihvertr ag beruht auf ber Uebrefaffung 
einer ung zugehörenben Sache zum G.ebrauche Fe 
Verbrauche) an einen Andern, entweder auf eine 
beftinmmte Zeit, zu einem beftimmten Zwetle, und 
unter gemiflen Bedingungen ‚ oder ohne: biefelbeni 
Sm erftern Falle träge ber Empfänger nur bie Sorge 
und die Koften für die Erhaltung des: Gegenſtandes; 
für den zufälligen Schaden aber an demſeiben it er _ 
nicht verantwortlich (casım sentit domdnas). Dies 
fer Vertrag heißt precarium, wenn nichts "in His 
fehung der Dauer beſtimmt worden tft, weshalb bee 
Verleiher des Gegenſtandts ihn zu jeder Zeit (ſelbſt 
noch wor beendigtem Gebäude? der: 2 Seche) wind 
snfar:dann.. .. Baer 

7 * 


400 Natur- und Voͤlkerrecht. 


Ban dem Seihvertrage iſt der Darlehns ver⸗ 
trag dadurch verſchieden, daß in dem letztern eine 
zum Ver brauche (d. i. zur Confumtion) geeignete 
und beftimmte Sache dem Andern unter der Bedin⸗ 
gung eigenthümlich überlaffen wird, daß derfelbe eine 
‚andere von gleicher Befhaffe nheit zurüd zu 
erftatten verfprihe. Im engern Sinne heißt, nach 
dieſem Vertrage, der, welcher die Sache übergibt, 
der Gläubiger, und der Empfänger der Schuld⸗ 
ner, fobald für die Zeit zwiſchen dem Gebrauche und 
der Zu ng eine gewiffe Geldfumme, ober 
Gegenftand, als Entſchaͤbigung 
eßt worden ift. Doc kann 










es ohne Zinſen. 
Mi te fteht es dem Darleiher 
fe —9 8 ch feftzufegen, als es feine 


afensfo- 
Vo ſihaft d der Schuldner fie eingeht. 
\ erermafitiven Gefegen aber befteht ein be» 
ſtimmter Zinsfuß , über welchen hinaus die will: 
führliche Zinserhöhung Wucher heißt und der 
richterlichen Ahndung unterliegt. 

Der Pfandvertrag beſteht in dem Rechte, 
welches ber Schuldner feinem Gläubiger überträgt, 
dm Falle der Nichtleiftung einer eingegangenen Vers 
hindlichkeit, durch Zurüdbehaltung oder Veräußerung 
eines ans: Werthe ‚gleichen Gegenftandes, d. i. des 
Pf andes, „für diefe Nichtleiftung fich zu entſchaͤdi⸗ 
gen.: Wird das Pfand dem Gläubiger übergeben; 
fo. iſt dies: der .Pfandvertrag im’ engern Sinne. 
Wird das Pfand dem Gläubiger nur verſchrleben; 
fo heißt die Nerpfändung Hypothek, Das Pfand« 
recht. beruht daher im Allgemeinen auf einer. iu 
Voraus. gelsifteen Sicherheit wegen. der. Erfül- 
bung einer duch Vertrag feftgefegten Beſtimmung; 


\ 


. Natur und Völkerrecht, 101 


doch beredhtige.bie Uebernahme bes Pfandes zu feinem 
Gebrauche deffelben , fobald dieſer Gebrauch im Ver⸗ 
ttage nicht befonders ausgemittelt worben ift, 
2 36. 


maͤchtigungspertrag. — Die Buͤrgſchaft. 


Der Aufbewahrungs⸗ (auch Niederlegungs⸗) 
Vertrag beruht auf dem, einem Andern uͤbertragenen, 
Rechte, eine Sache aufzubewahren, und in dem Ver⸗ 
ſprechen des Andern, für dieſe uͤbertragene Sache zu 
haften, und, wenn der Verluſt derſelben durch ſeine 
Schuld entſteht, Schadenerſatz zu leiſten. Die bei⸗ 
den contrahirenden Theile heißen der deponens und 
der depositarius. Iſt eine beſtimmte Zeit der Auf⸗ 
bewahrung feſtgeſetzt; ſo darf der Depoſitarius die 
Sache vor dem Ablaͤufe dieſer Zeit nicht zuruͤckgeben, 
wenn ihm dieſelbe auch laͤſtig werden ſollte; eben ſo 
darf fie der Deponent nicht früher zuruͤck verlangen: 
Pur phnfifche Ohnmoͤglichkeit, fie länger aufzube⸗ 
wahren, oder die rechtliche Aufhebung des Vertrags, 
fann den Depofitar Davon entbinden. — Der Des 
pofitar befommt aber durch die übernommene Aufbe⸗ 
wahrung eben fo wenig das Recht, die deponirke 
Sache zu gebraudhen, fobald dies im Vertrage ihm 
nicht ausdrücklich zugeftanden worden ift, als er an 
fih für die Aufbewahrung eine Entſchaͤdigung for 
deren kann, wenn-biefe nicht gleichfalls durch vorher⸗ 
gegangene Vebereinfunft feftgefegt ward. | 

Sn dem Bevollmädhtigungspertrage 
übernimmt der Bevoflmächtigte (mandatarius) bie 
Führung eines Gefchäfts an der Stelle des Bevoll⸗ 
mächtigenden (mandans), und wird dadurch ber 


102 Matur⸗ und WVoͤlkerrecht. 


Stellvertreter deffelben. Doch muß der Bevoligh 
tigende feine Vollmacht mit Beſtimmtheit geben, 
weil der Bevollmaͤchtigte verpflichtet ift, das. über“ 
nommene Gefchäft der Vollmacht gemäß zu führen, 
und felbft für die vernachlaͤſſigte Erfüllung beffelben 
Entſchadigung zu leiften, Defonders wenn der Mach- 
theil aus der Ueberfihreitung der Grenzen der erhalte» 
nen Vollmacht: entfpringt. "Dägegen fteht aber aud) 
dem Bevollmächtigten das Recht zu. die Anerfannung 
. und Beitätigung feiner Handlung: mach vollbrachtem 
Geſchaͤfte von.dem Bevolimachtigeuben zu, verlangen: 
Sat übrigens der Bevollmaͤchtigte eine ihn bee 
dingt ertheilte Vollmacht überfhritsen ; ſo iſt ver 
Bevollmaͤchtigende ‚nicht verpflichtet bie eingegang⸗ 
nen Bedingungen zu beſtaͤtigen. Endlich darf Her 
Bevollmaͤchtigte die erhaltene Vollmacht, ohne: aus⸗ 
druͤckliche Einwilligung des Beyollmächtigenben r auf 
. keinen Dritten übertragen. * 

Durch Gutſagung und Verbuͤrgung kann 
ein Dritter an dem Vertrage Andrer Antheil erhalten, 
und gewiſſe ihn bindende Verpflichtungen uͤberneh⸗ 
men, entweder um dem Verſprechen des einen Theils 
wiehr Nachdrusf zu geben, oder ym die Sicherheit der 
geiftung in Kinficht der Bedingungen des Vertrags 
überhaupt zu garantiren. Die Verpflichtung des 
Bürgen erlifcht aber mit der Vollendung des Ver» 
frags; dagegen tritt Die Leiſtung bes Bürgen ein ,- for 
bald ber Vertrag nicht zur rechten Zeit und unter ben 
feftgefegten Bedingungen erfuͤllt wird⸗ 


37. Ban 
0) Der Vertrag auf den Fall des Toben, 
Wenn gleich die Teſtamente, nach ihrem Weſen 
und nach ibrer Sm, ausſchließend um. poſitiven 


‘ 


— 


U 
% 


— 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 103 


Rechte angehören, und ein Teftansene im eivlliſtiſchen 
Sinne dem Nasurrechte fremd iſt; fo folgt doch ſchon 
aus dem urſpruͤnglichen Rechte auf erworbenes Eigen⸗ 
thum, fo wie aus dem Rechte bes Vertrags uͤber⸗ 
daß: jeber. Xheilnehmer ber Rechtsgeſellſchaft 
über fein Eigenthum auch auf den Fall des To— 
de 8 verfügen, und eben fo, wie es einen Schenfungs: 
vertrag unter Sebenden gibt, fein Eigenthum gleich- 
falls .einem Andern im DBoraus auf den. Fall des. 
Todes vertragamäßig- enfweber ganz ober. theilmeife 
beftimmen kann, ohne daß die Kechtsgefellfchaft, 
deren Mitglieb er iſt, berechtigt wäre, das durch fei- 
nen Tod erledigte Eigenthum für Geerenios. zu erklaͤ⸗ 
ren, und der willkuͤhrlichen Ergreifung.eines Dritten 
zu uͤberlaſſen. Der "Segenflanb dieſes Vertrages 
umſchließt daher den rechtlichen Naſchla ß oeines Ver⸗ 
ſtorbenen, und der in Kraft dieſes Pertrages eintre⸗ 
tende Befiger bes Rachlaſſes heißt der Erbe; 
Sobald aber Fein ſolcher Vertrag vorhanden ift, 
kann rin natürlihesErbfolgerscht, nach Ver⸗ 
nunftgrundſaͤtzen, nur aus bem natürlichen Fami: 
liearechte nach dee Gemeinſchaftlichkeit des 
Eigenthums zwiſchen Familiengliedern abgeleitet 
werden, und nur fo weit reihen, als das Familien⸗ 
recht ‚reicht. : Das natuͤrliche Erbfeigerecht kann da⸗ 
ber nur zwiſchen Perſonen, die durch die Bande der 
Natur oder eine? fermlichen Wertrage zum haͤuslichen 
und ehelichen Leben vereinigt ſind, alſo zwiſchen Gat⸗ 
ten, Aeltern, "Rindern: und Gefchiiftenin nachdem ' 
Vernunftrechte gedacht. werben, weilizrbifchen diefen 
die gegenfeitige MWerpflichtung der Ernährung und. 
Unterftügung,, und Das Recht des gemeinfshaftlichen Ä 
- Eigenthums und Befiges ſtatt findet. .— Entfern-⸗ 
tere Werwandte, wo dieſe beiden Verhaͤltniſſe weg: ; 


104 Motu) und Volberveche 


fallen, koͤnnen nur, wie jebe Andere Perſon, darch 
einen foͤrmlichen Vertrag auf den Fall des Todes, a 
Erben beftimmt: werben. 
Krug (Hankb. der Phil. 79.2, ©; 145 f. 
2te Aufl.) erklaͤrt fe gleichfalls fuͤr den n.Exbe 
vertra . 


38. 
10) Der Berfaffungei und Re terungs 
‘vertrag der Geſellſcha t. 


Wenn uͤberhaupt jede Verbindung von Men⸗ 
ſchen zu einem beſtimmten Zwecke nur durch Vertrag 
eine rechtliche Form, d. i. eine Verfaffung (6. 29. 
und dadurch erſt den Charakter einer abgeſchl oſſenen 
Geſellſchaft erhält; fo kann auch die rechtbliche 
Form der geſellſchaftlichen Verbindung 
eines ganzen Volkes nur unter der Bedingung 
eines Verfaſſungsvertra ges gedacht werden. 
Denn die Vernunft denkt unter einem Volke die 
Maſſe von Individuen, die fuͤr die Verwirklichung 
des Zweckes ver Herrſchaft des Rechts durch 
einen freien Vertrag zu Einer Rechtsgeſellſchaft ver⸗ 
bunden ſind. — In dem Verfaſſungsvertrage vere 
einigt ſich aber der Geſammtwille des Volkes theils 
über den Zweck der Verbindung, theils über: die 
aus der Eigenthümlichkeit und den befondern Ver⸗ 
hältniffen jedes einzelnen Molfes hervorgehenden- 
Mittel, diefen Zwed zu erreihen. Es müflen da⸗ 
ber, bevor nad) den Grunbfägen der Staatskunſt 
(Politik) die be fondern Verhältnifle des einzelnen, 
in ber Erfahrung erfcheinenden, Wolfes bei der Auf⸗ 
ftellung der Verfaſſung deſſelben beruͤckſichtigt wer⸗ 

ben können, im Naturrechte bie van ber Wernuuft 


Natur» und WBöllerranht. 408 | 


unnachlaͤßlich gebotenen allgemeinen Grunten 
lagen jedesrechtlichen Vereins (welche alſe 
auch die Grundlagen der rechtlichen Verfaſſung eines: 
jeden Volkes bilden), in ihrer Einfachheit ausgeſpron 
chen werben. Diefe Grundlagen befteben :aberin: 
den ($.15 ff.) aufgeftelleen urfprünglichen Rech⸗ 
ten des Menfchen, welche in der Verfaſſung,: als 
einem burd) den Gefammtwillen abgefchlofferten Wer⸗ 
trage, unter der Form von Öefegen — als Vor⸗ 
ſchriften für den Willen aller durch ben Vertrag ver⸗ 
bundenen Individuen — erſcheinen. So verſchie⸗ 
den daher auch im Einzelnen bie Beſtimmungen in. 
der Verfaffung eines gegebenen. Volkes, nad) 'ört- 
lichen und geſchichtlichen Verhaͤltniſſen ), ſeyn 


*) Das NRaturrecht behandelt den Werfaffengsuertang, 
in. abstracto; das Staatsrecht denfelben mit 
Hinflcht auf den, das Beſtehen der Rechtsgeſellſchaft 
ſichernden, rochtlich geſtalteten Zwang; die Staat se 
kunmnſt aber: mit Bezichung auf aͤrt lich e nud ger 
ſchichtliche Verhaͤltniſſe. Welche Verfagung.z. ©. 
für Dortugal, Norwegen u. ſ. w. — inwie⸗ 
fern dieſe als gegebene d. h. als wirklich exriſtirende 
Staaten erſcheinen — die beſte ſey; kann'n ich t nurch 
dem Naturrechte und nah dem Staatsrechte ent⸗ 
fhieden werden. Das Naturrecdt verlangt blos, 
daß die im $. aufgeſtelten Grundlagen einer jeden 
rehtlihen Verfaſſung in den Werfaffungen Portus 
gals, Norwegens nm. f.w. nicht fehlen,. und das 
Staatsrecht fiellt diefe Grundlagen, auf den 
Ball möglicher WBerledung,; "unter die Garantie 
des rechtlich geflalteten Zwanges. Was: aber im 
sefhihriiher Hinſicht (d. h. aus den ſeit Jahr⸗ 
hunderten beſtehenden redtlihen und gefeglichen 
Eormen des Sffenttihen Staats ebens in-Pors 

tugal, Norwegen u. a.) mit jenen allgemeinen nas 
turrechtlichen Grundlagen einer jeden rechtlichen Ver⸗ 


‘ 


106 Natur⸗ und Woͤlkerrecht. 


sen; ſo verlange die Vernunft doch als allgemeine 
lan einer jeden Verfäflung: die perfönliche. 
Freiheit, mit emiger ‚Vernichtung aller Sklaverei 
und ‚keibeigenfchaft (und da, wo ſie geſchichtlich 
noch. befteden, mit rechtlicher Ausgleichung 
der. aus dem Lehnsſyſteme hervorgegungenen perfün«. 
lichen und dinglichen Verhoͤltniſſe); ; Die aͤußere Gleich⸗ 
heit vor dem Geſetze in Hinſicht aller in der Geſellſchaft 
geltend zu machenden Rechte und aller in: derſelben 
zu uͤbernehmenden Pſtichten, befonbers in Betreff der: 
öffentlichen Leiſtungen (doch-opne Aufhebung der ge⸗ 
ſchichtlich begründeten perfönlichen :Standesver-. 
bältnifle):; die. Freiheit ber Sprache, der Preſſe und‘ 
bes. Gewiſſens (doch ohne irgend eine baburch ge⸗ 
fhehene Rechtsverlegung ungeahndet zu laffen); die 
perfönliche Ehre aller Individuen des Wolfes; die 
rechtliche Ermwerbung des Eigenthums; bie indivi⸗ 
duelle und. allgemeine Sicherheit, und die unver⸗ 
bruͤchliche Guͤltigkeit aller. Verträge, ‘welche. Die zur 
Geſellſchaft verbundenen: Individuen auf rechtliche 
Beife gegenfeitig abfhliegen, - 
Da’ aber diefe' Höchften Güter bes Lebens, ohne 
weiche keine Herrſchaf f bes Riechts gebenkbar if, theils 


© 


‘ e 
——— BEE — 


ſaſſung verbunden werden, ſtehen bleiben und den 

Uebergang aus der alten Zeit in die neue vermit⸗ 
.. teln, mas ferner aus oͤrt lich en Ruͤckſichten und aus 
: , allgemein in Portugal, Norwegen ꝛc. gefühlten: Bes 

därfniffen in die Verfaſſung ‚aufgenommen, werden 

fol; das kann blos durch. die auf einen. gegebenen. 

Staat angewandten Grundfaͤtze der: Stoatskunſt ents 

ſchieden werden. — Mur duch die Verwechslung 
.. dieſer Beſtimmungen konnten dBie-ungehauern Miß⸗ 
verſtandniſfe hei und mac dee Bildung neuer Vers 
. . fnffungpn fait 3aSahrenmmnlehen,. :.; ....- 


’ % 


Natur . und Voͤlkerrecht. 407 


nach ihrem ganzen Umfangs, tbeils für alle Zeiten. 
in ber Geſellſchaft gefichert werden ſollen, weil eben,. 
nad) der Bernunft, an die Stelle des Geſammt— 
willensder Maffe, die moralifhe und, Juri 
difhe Einheit des Ganzen treten foll; fo pers... 
langt auch die Vernunft, daß das Wolf, wel * 
als Maſſe, ſeine Rechte ohne Anarchie nicht augüben.” 
fann und berf, ‚ fogleich in dem Verfoffungsyertrage 
bie Anwendung und Seitung der Gefammt- 
mache der ganzen Geſellſchaft einem Oberhaupte, dem 
Regenten, fo wie die fortdauernde Bewahrung 
und Behauptung ber. Rechte bes. Volkes einer. be- 
ftimmten Zahl aus feiner Mitte fyeige 
wählter Stellvertreter übertrage, ſo daß, 
mit dem Kintritte Der rechtlichen Verfaffung, ing 
öffentliche Leben, die Anfündigung der Gefammt- 
macht des Volkes durch das Volk felbft für immer 
aufhört, dem Regenten aber ausfchließend bie 
vollziehende Gewalt, und gemeinſchaftlich 
mit den Stellvertretern des Wolfs (nad) gewiſſen in 
der-Berfgflung genau gezogenen Grenzen) die ge fe tz⸗ 

gebende Gewalt zukommt, fo wie die richterliche 
Gewalt, durch welche jede einzelne ftreitige Handlung 
der Mitglieder der Rechtsgeſellſchaft unter die be» 
ftehenden Gefege gebracht und. nach benfelben beur⸗ 
theilt wird, von einem unabhängigen richterlichen 
Perſonale geübs werden mufk - 

Mach biefen, aus dem Urrechte ber Menſchheit 
ſelbſt abgeleiteten, Grundlagen gehoͤrt die Lehre von 
der rechtlichen VPegruͤndung einer Verfaffung,, ‚und 
yon. der in Darfelben ausgefprochuen Theitung (nicht 
Trennung) der höchften Gewalt in die gefeßgebende, 
wollzicehende und richterliche, ‚in has Naturrecht, wor 
Bun) zusleich der Verfoffungsperting den Regie 


[4 


108 Nat - und Völkerrecht: " 


Fingsvertrag in fich einſchließt, weil keine: 
vechtliche und bleibende Geſtaltung eines Volkes ohne 
Regierung gedacht werden fant. Das Verhaͤltniß 
aber‘, das Iwiſchen dem Regenten und den Regierten 
vertragsinaͤßig beſteht, iſt das Verhaͤltniß zweier 
fittlicher Petſonen, welche. 3 egenf eitig Pflichten 
unb Reöhte gegen einander haben, - 
Das Nähere über die rechrliihe: Bildung der! 
- Betfaffung unter der: gefeglichen Begrünung des 
Zwanges, fo wie uͤber bie gegenfeltigen Rechte und: 
Mſlichten bes Regenten:und der Unterthanen, wird- 
im Staatsrechte-entwidel. Dagegen gehört 
bie Erörterung bet drdge: 0b bei einem gegebenen 
: Wolke die Regiering einer einzigen Perſon, ober! 
Linet Mehrzahf von Individuen, ob erbfich ober! 
wechſelnd, ob lebenslaͤnglich oder auf eine bes 
" fimmte Reihe von Jahren, fo wie unter welchen: 
Titeln und äußern’ Formen Übertragen werden fol, 
‚ber Staatsfunft an, weil biefe- durchgehende‘ 
»vie Erfahrungen der Geſchichte und das bei: 
jedem gegebenen Volke bis: jest rechtlich Der 
ſtehende berüchſ chtigt. 


39. 
1 Der firhlide Berfaffungsvertrag. 


Keine vertragsmäßig verbundene Geſellſchaft 
von Menfchen kann ohne öffentliche Religtensübung 
gedacht werden, weil jedem vernünftigen Weſen bie 
Beziehung auf "das Ueberſinnliche und Ewige on 
in und mit feiner geiftigen Natur gegeben iſt. N 
dem Verfaflungsvertrage, welcher die —5 
rechtliche Grundlage des Vereins einer beſtimmten 
Maffe von Individuen zu einem Volte bildet, muß 


⸗ 


⸗ 


Natur· und Voͤlkerrecht. 109 


daher in jeder Rechtsgeſellſchaft vernuͤnftiger Weſen 
ein Vertrag beſtehen, durch welchen dieſelben zum 
gemeinſchaftlichen oͤffentlichen Bekenntniſſe ihrer reli⸗ 
gioͤſen Ueberzeugung, zur Befeſtigung, Belebung und 
Fortbildung in derſelbeu, fo wie zur gemeinſchaftlichen 
Verehrung Gottes vermittelft eines äußern Kultus 
fi) vereinigen. Naͤchſt diefen wefentlihen Bes" 
flimmungen des firchlihen Werfaffungsvertrags foll 
derfelbe zugleich die Zeit, den Dre, die Formen und 
die außern Symbole biefer Verehrung enthalten , fo 
wie die Bedingungen, unter welchen bie Leitung bes 
öffentlichen religiöfen Unterrichts und Kultus gewiflen 
Individuen übertragen wird, welche burch zweck⸗ 
mäßige wiflenfchaftliche Vorbereitung und practifche 
Uebung eben fo, wie durch die Sitelichfeit ihrer Ge⸗ 
finnung und ihres Wandels, am melften dazu geeignet 
find, die innere und äußere Geftaltung einer Kirche 
nach ihrer Verfaſſung, nach ihrer Verwaltung 
und nad) ihrem Kultus aufrecht zu erhalten, zu 
leiten und zeitgemäß fortzubilden.. Denn der Zwed 
der kirchlichen Verbindung beruht, weil fie fittliche 
und zur grenzenlofen Bervollfommnung beftimmte 
Weſen umfchließt, auf der fittlich -religiöfen Fortbil⸗ 
bung aller vertragsmäßig zufammengetretenen Indi⸗ 
viduen, fheils in Hinficht der Begründung und Bewah⸗ 
rung der durch freie Selbftthätigfeit erreichten Leber 
zeugung von ben Gegenftänden bes religiöſen Glau⸗ 
bens , theils in Hinficht der öffentlichen Anfundigung 
bes religiöfen $ebens durch fittli gute — auf die 
großen Ideen der ſittlichen Freiheit, ber. fittlichen 
Weltordnung, der Unfterblichkeit und des Dafenns 
Gottes gegründete — Handlungen. Die Kirche, 
im naturrechtlihen Sinne, ift daher eine Gefellfchaft 
von Menſchen, die fich zum öffentlichen Bekenntniſſe 


110 Natur⸗ und Voͤlterrecht. 


wid zur Ausübung der Religion vermittelſt eines 
gemeänfihaftlicher äußern Goftesdienftes vertrags⸗ 
moaͤßig verbunden haben. | Ä 
12) Das allgemeine Gefellfhaftsrehe 

Das allgemeine Gefellfchaftsrecht umſchließt 
theils das Verhaͤltniß des Individuums zu der gan⸗ 
"gern Mechtsgefellfehaft, mit welcher daffelbe: durch 
Wertrag verbunden iſt; theils das Verhältniß dieſer 
Sefellfchaft zum Individuum; theils das Verhält 
nift. der einzelnen vertragsmaͤßig begründeten Rechts⸗ 
geſollſchaft zu andern: Rechtsgefellfchaften, die neben 
berfelben auf dem Erdboden beftehen, oder des einen 
Volkes zu den andern Völkern. 

. Das Verhältniß des Individuums 
zue Gefellfhafe beruht darauf: daß es feinen 
perfünlichen Zwed jedesmal in den innigften Zufam- 
menbang. mit den Zwecken der ganzen Gefellfchaft 
bringe; daß es dieſen Zweck blos duch rechtliche 
Mierel zu verroirflichen ſuche; daß es alle öffentliche 
Beſchwerden und Laften- ber ganzen Gefellfchaft eben 
ſo gemeinfchaftlic trage, wie es an allen Vortheilen 
der Gefellfchaft rechtmäßigen Antheil nimmt; und 
daß es, wenn es. das Beſtehen und die Wohlfahrt 
- ‚des Ganzen verlangt, bereit fey, feine individuelle 
— Wohlfahrt dem Zwecke des Ganzen willig aufjuopfern. 

Das Verhältniß der Gefellfchafe zu 
dem Individuum berube darauf: daß fein Mit 
glied der Gefeltfchaft blos als Mittel, fondern in jedem 
eingeliien Falle als: Selbſtzweck behandelt werde; 
daß der äußere freie Wirfungsfreis. des Individuums 
nie. befchränfe werde ‚ als entweder mit deſſen eigner 


‚Hatar « ind: Bölferredit. 414 


Zuſtimmung, ſobald es das Beſtchen und bie Wohl⸗ 
ſahrt des Ganzen verlangt, oder ſobald durch die 


Sandlungen bes Jndividunnis Die. Rechte Anderer be⸗ 
droht und verletzt werden; und daß Die ganze Ge 
ſellſchaft durch alle ihre öffentlichen: und gemeinfchaft- 
lichen Anftalten und Einrichtimgen , fo wie durch bie 
zeitgemäße: Fortbildung derfelben, ven ununterbroche- 
nen Fortſchritt aller zur Gefeiſchaft verbundenen 
Individuen zur groͤßern Wohlfahrt und zur bößern 
geiftigen Thaͤtigkeit beförbere. 

Das Verhaltniß ber einzelnen ver⸗ 
 tragsmäßig. begründeten Rechtsgeſell⸗ 
ſchaft zw andern vertragsmäßig abge 
ſchloſſenen Rechts veretnen, ‘ober bes ;einen 
Volkes zu den andern, welche mit und.neben ihm 
auf dem Erdboden beftehen, beruht auf der Ueben 
tragung des Gleichgewichts: bes: Außeen freien Wir 
kungskreiſes innerhalb der einzelnen. Rechtsgefellfchaft 
auf die Verbindung und Wechfelwirfung aller ueben 
einander beſtehenden Völker, damit das Recht, mie 
es auf einem beſtimmten Thelie des Erdbodens inner⸗ 
halb bes. einzelnen Volkes herrſchen ſoll, auch ‚auf 
dem ganzen Erdboden herrſche, und im ganzen Reiche 
ſittlicher Weſen, nach ihrer äußern Ankuͤndigung 
nichts herrſche, als das Recht. So entſteht dur 
die Erweiterung des Naturrechts auf die ganze 
Menſchheit das philoſophiſche Voͤlkerrecht. 


41. 
Anhang 
Bon den Rechten der Wahnfinnigen. . 


In jeder groͤßern Geſellſchaft freier Weſen wer⸗ 
den Snbioiduen getroffen, welche wabnfinnig d.h. 


MB Natur⸗ un Woͤlkerrecht. 


anf eine gewiſſe Zeit oder fuͤr immer des Gebrauchs 
ihrer Vernunft und ihres freien Willens beraubt find, 
In Beziehung auf. diefe unglücklichen Wefen unfrer 
Gattung — über.deren Selbfiverfchulbung ihres Zu⸗ 
Standes ‚ber äußern Rechtsgeſellſchaft Fein Urtheil zu- 
"eh: — verlange Die Vernunft, daß, meil fie durd) 
ihren Einerite und durch ihre Aufnahme in die Gefell- 
ſchaft nach der Gefammeheit ihrer. urfprünglichen und 
erroorbenen Rechte anerfannt worben find, fie auch 
während ber Zeit ihres Wahnfinns nad) biefem 
. Mansftabe behandelt werben müflen. Zunaͤchſt fteht 
aber. dem Oberhaupte. der. Familie, zu welcher fie 
gehören, ober wenn fie in öffentliche Anftalten auf 
genvmmen worden find, ben Vorſtehern berfelben bie 
Pflicht zu, über ihre Perfonen und ihre Rechte zu 
wachen, damit. theils ihre individuelle Sicherheit, 
ihr Eigenthum, ihr guter Name, und ihre abger 
ſchloſſenen Verträge nicht beeinträchtige oder verlegt, 
cheils die Unglüdlichen ſelbſt mit mäglichfter Umficht 
und ‚Schonung behandelt werben, um fie entweber 
wieder zur Genefung zu bringen, oder Doch zu ver⸗ 
huͤten, daß fie im Zuſtande des Wahnfinns nicht 
fi) felbft und ben..übrigen Mitgliedern ber Rechto⸗ 
gefeltfchaft gefährlich werden. 0. 


Natur⸗ und Voͤlterrecht. 413-- 


B) Das philoſophiſche Voͤlkerrecht, 
oder der philoſophiſchen Rechtslehre zweiter Theil. 





42. 
Uebergang vom Narurrechte zum Voͤlker— 
rechte. | 


Wenn das Naturrecht, als ber erfle Theil ber 
philofophifchen Rechtsiehre, das deal darftellt, wie 
das Recht in dem äußern freien Wirfungsfreife der 
vertragsmäßig zu einer Gefellfehaft verbundenen In⸗ 
dividuen zur Herrfchaft gelangen fann und foll, und 
beshalb aus dem, jebem Individuum zuftehenden, 
Urrechte der Perfönlichkeit deffen urfprüngliche Mechte, 
fo wie die gefammten Bedingungen alles vechtlichen 
Zufammenlebens in der Ehe, in ber Familie, in der 
öffentlichen Verbindung eines ganzen Volkes, und in 
der Kirche entwickelt; fo umſchließt das philoſophi— 
ſche Völkerrecht, als der zweite Theil der phi- 
lofophifchen Nechtsiehre, das Ideal der Herr- 
ſchaft des Rechts auf dem ganzen Erbbo- 
den, nad) der Verbindung und Wechfelmirfung ber 
auf der Erde neben einander beftehenden größern oder 
kleinern in fi) vertragsmäßig abgefchloffenen recht. 
lichen Vereine, die wir Völker nennen. Denn ab- 

‚gefeben von ber großen Verſchiedenheit der in ber 


Wirklichkeit beftehenden Völker, theils nad) ihrer . 


phyſiſchen Beſchaffenheit; theils nach den Einfläffen 

des Klima, des "Bodens, der Befchäftigungen, der 

Religionen, der Verfaflungen und Regierungen auf 

die Entwidelung und Ausbildung berfelben ; theils 

nach den mannigfaltigen Stufen der geiftigen, kuͤnſt⸗ 
I. OR 


% 
I . J 


* 


— 


114 Natur» und Voͤlkerrecht. 


leriſchen und fittlichen Kultur, auf welchen fie ſtehen, 
gibt es doch, nad) der Vernunft, ein gemeinfames 
Band für fie alle in ihrer äußern Werbindung und 
Mechfelwirfung: das ewig gültige und heilige 
Recht. 

Wie aber innerhalb dieſer gegenſeitigen Verbin⸗ 
dung und Wechſelwirkung aller Voͤlker des Erdbodens 
das Recht zur Herrfchaft gelangen foll, lehrt das phi- 
loſophiſche Völkerrecht. So entfteht, durch die Er- 
weiterung ber ehren bes Naturrechts auf die ganze, - 
in mannigfaltig verfchiebene Völfer getheilte, Menfch- 
heit die Wiffenfchaft des Voͤlkerrechts. Allein fo wie 
das Naturrecht weſentlich verfchieden von dem Staats» 
rechte, und, als idealifcher Maasftab für alle Rechts⸗ 
verhältniffe, weit erhaben ift über alle in der Wirk: 
lichkeit beftehende pofitive Rechte, Gefeggebungen und 
Verfaſſungen; eben fo ift auch das philofophifche Voͤl⸗ 
ferrecht von dem Staatenrechte, mit dem in dem» 
felben die gegenfeitigen Rechte der Staaten fchüßen- 
‚ ben und ahndenden Zwange, und von dem practi—⸗ 
[hen europäifchen Voͤlkerrechte in wiffen- 


ſchaftlicher Hinficht wefentlich verfchieden, ob es gleich 


für die Begründung beider, fo wie für alle darin auf« 
geftellte Grundfäge und Lehren, den höchften Maas- 
ftab enthält. Das philofophifche Völkerrecht 
ift daher die wiffenfhaftlihe Datftellung 
des Ideals der Herrfhaft des Rechts auf 
dem ganzen Erdboden in der Verbindung 
und Wechfelmwirfung aller neben einander 
beftebenden Voͤlker. 
Das philofophifche .Wölferrecht, welches, wie 
das Maturrehf, auf ein Ideal fich gründet, das 
in der Wirflichfeit nie ganz erreicht werden fann, 
fhließe, wegen biefes Ideals, den Zwang in 


⸗ 


Natur» und Voͤlkerrecht. 1135 


dem Verfehre der einzelnen Völker von fih aus, . 
weil diefer ein fremdartiger Beſtandtheil in 
der idealifch gedachten Wechfelwirfung der Völker 
iſt. Allein das Staatenrecht fann fo wenig, wie 
das Staatsrecht, des rechtlich begründeten Zwan⸗ 
ges entbehren, weil er im wirklichen Verkehre 
der Staaten die Bedingung ift, daß die Herrfchaft 
des Rechts erhalten, und das verlegte Recht geahn- 
Det werde. | 

Eben fo genau muß das philofophifche Voͤlker⸗ 
reht von dem practifhen europäifchen 
Voͤlkerrechte unterfchieden werden, welchces 
jenes vorausfegt und auf baffelbe ſich gruͤndet. 
Denn das practiſche europaͤiſche Voͤlkerrecht (wie 
es im vierten Theile dieſer Staatswiſſenfchaften 
ſyſtematiſch dargeſtellt werden wird,) beruht zu⸗ 
naͤchſt auf den zwiſchen den einzelnen Voͤlkern und 
Staaten abgeſchloſſenen und Beſtehenden Vertraͤ⸗ 
gen, ſo wie auf der Voͤlkerſitte, dem Herkommen 
und der Analogie. — 

In Hinſicht des geſchichtlichen Anbaues 
Des Voͤlkerrechts muß erinnert werden, daß die 
Altern Bearbeiter deffelben von Hugo Grotius 
an bis auf Barrel und Mofer, durchaus fein 
reinpbilofophifches Voͤlkerrecht, fondern ein 
gemifchtes aufftellten, worin zwar die Zuruͤck⸗ 
führung Der aufgeftellten Lehren auf Berhunftgrund: 
fäße nicht zu verfennen ift, wo aber doch die Ent⸗ 
wicelung des inderWirklichkeit Beſtehen⸗ 
den vorherrſchte, fo daß die dahin gehörenden Werke 
in der Literatur des practiſchen europaͤiſchen Voͤl⸗ 
Ferrechts aufgeführt werden ſollen. Erft feit den- 
Schriften von Guͤnther, Martens und andern 
über das practifche europäifche Voͤlkerrecht wat: 

8 u 


l 


| 146 Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


das letztere in wiſſenſchaftlicher Hinſicht ſorgfaͤltig 
von dem philoſophiſchen Voͤlkerrechte geſchieden; 
fo wie dann auch die philoſophiſchen Schriftſteller 
uͤber das Naturrecht, beſonders ſeit der Verbrei⸗ 
tung des kritiſchen Syſtems, das philoſophi— 
ſche Voͤlkerrecht, nach ſeinem Zuſammenhange 
mit dem Naturrechte, ſogleich in Verbindung mit 
demſelben behandelten, und alles von dem philoſo⸗ 
-phifhen Voͤlkerrechte ausfchloffen, was blos in 
._ den Kreis des prackifchen europäifchen Voͤlker— 
rechts, als einer felbfiftändigen Wiffenfchaft, 
gehört. | 


43. t. 
Zweck des Nebeneinanderbeſtehens der 
Voͤlker. 


Wenn das einzelne Volk, nach der Vernunft, 
aus einer Mehrzahl von Individuen beſteht ($. 38. 
und 49.), welche, zur Verwirklichung des gemein- 
f&haftlihen Zweckes der Herrfchaft des Rechts, durch 
einen freien Vertrag zu Einer Gefellfhaft ſich ver- 
bunden haben; fo denkt fi) die Vernunft die Voͤl⸗ 
fer als abgefchloffene gefellfchaftliche Vereine fittlicher 
Weſen, die nad) dem Gefege der aͤußern Freiheit 
rechtlich neben einander beftehen, bie ihre 
rechtlichen Verhaͤltniſſe gegenfeitig anerfennen, und 

diefelben einander, durch Die ftrengrechtliche Grund: 
lage ihres mechfelfeitigen Verkehrs, gewährleiften 
(garantiren). Die Vernunft denkt ſich namlich unter . 
dem menfchlichen Gefchlechte das ganze unermeßliche 
Reich firelicher Wefen auf dem Erdboden, getheile in 
eine große Anzahl einzelner Völker, deren allge - 
meiner Verkehr unmittelbar auf der Vernunftidee 


‘ 


, 


Natur» und WVoͤlkerrecht. 117 
der unbebingten Berrfchaft des Rechts beruht; deren 
beſondere Rechtsverhaͤltniſſe gegen einander aber 
durch einzelne Verträge feflgefegt werben, 
boch fo, daß alle befondere Bedingungen biefer Ver⸗ 
träge (wie alles Befondere dem Allgemeinen unterge- 
orbnet ift,) ebenfalls dem legten und hoͤchſten Zwecke 
der Herrfchaft des Rechts auf den Erbboben unter- 
geordnet find, weil diefer Zweck in der {bee ber. 
Menfchheit felbft enthalten ift, und weil durch deſſen 
Verwirklichung alle Völker des Erdbodens zur An⸗ 
näherung an das Ziel der Menfchheit raftlos fort⸗ 
fchreiten und. unter fi) zu einem unauflöslichen Gan⸗ 
zen verbunden werden follen. Denn derfelbe End⸗ 
zwed ber Sittlichkeit, welcher Pflicht und Recht un⸗ 
zertrennlid in ſich faßt und melden die Vernunft 
dem Individuum als die große. Aufgabe feines Da- 
feyns vorhält, gilt auch, unter erweiterten Beziehuns 
gen, für bie öffentlihe Ankündigung jedes 
einzelnen Volkes, und, in feiner höchften Stei- 
gerung, felbft für die ganze Menfchheit, in- 
wiefern dieſe aus‘ der Gefammtheit aller auf dem 
Erdboden neben einander beftehenden Völker gebilder , 
wird, | 
44, 
Das Urreht im Voͤlkerrechte. — 

Enthält das philofophifche Voͤlkerrecht — nach 
feiner miffenfchaftlihen Werfchiedenheit von dem 
Staatenrechte und dem practifchen europäifchen Voͤl⸗ 
Ferrehte — in ſich die Erweiterung der Lehren unb 
Grunbfäge des Naturrechts auf die ganze Menfchheit; 
fo muß auch nach) demfelben Maasftabe, nach welchem 
am Eingange bes Naturrechts das Recht der Perfön- 


«x 


. 418 Natur s und Volterrecht. 


hehteie als Heracht des Indididuums ſtand, 
aus- welchem ‚bie. urſpruͤnglichen Rechte unmittelbar 
und. die erworbenen Rechte mittelbar hervorgingen, 
im: philoſophiſchen Voͤlkerrechte ein Urrecht als 
Grundlage des ganzen, Volkerrechts aufgeſtellt werden, 
aus pelchem alle einzelne urfp. ruͤngliche und er⸗ 
worbene Rechte der Voͤlker mit Nochwendigkeie 
bernoraehen. EL 

So wie nun'das Recht der Perfonlichkeit das Ur⸗ 
rache Im Naturrechte iſt; fo iſt die Selbftftändig- 
keit und: Yategrität: ber Völker das Urrecht 
m Voͤlkerrechte. ‘Denn jedes. Volk bilder, als ein 
näch feiner Verfaſſung vertragsmaͤßig abgefchloffenes 
Ganzes ($. 38:7, nach der Vernunft die Einheit 
einer moralifhen und juridifhen Perfon, 
in welcher alle Individuen des Volkes’ eben fo als die 
einzelnen Theile des Ganzen nah ihrem Verhälti 
riffe zudem Ganzen beſtehen, wie die einzelnen 
Glieder einer Organiſation. Die Selbſtſtaͤnd ig 
keit eines Volkes beruht aber darauf, ' 


a) daß, ihm ein Gebiet als Eigenthum zu⸗ 
kommt, von welchem weder ein Theil einem andern 
Volke gehört, noch auf irgend einen Theil deflelben 
ein anderes Wolf einen rechtlichen Anſpruch hat; 
b) daß feine Bevoͤlkerung, nad) den In— 
dividuen und nach ihrer Gefammtheit, völlig uns ⸗ 
. abhängig. ift von jedem: andern Volte und deſſen 
Regierung; 
c) daß einem ſolchen unabhaͤngigen Volke, zum 
Unterſchiede von allen andern Voͤlkern, ein eigen- 
thuͤmlicher Name, eine eigenthümliche Verfaf 
fung und eine eigenthimliche Regierung zu: 
| kommt. 


Nature und Woͤlkerrecht. 419 


Naͤchſt der Selbſtſtaͤndigkelt ift die Integrität 
bie zweite Bedingung des Urrechts eines jeden Vol⸗ 
kes, und diefe Integrität beruht auf der Unverleg- 
barkeit feiner Bevölkerung , feines Gebiets, das es 
rechtmäßig befigt, feiner Verfaſſung, durch deren 


einzelne .Beftimmungen es fi) .von jebem. andern 


Volke unterſcheidet, und feiner Regierung, deren Ober- 
haupt blos diefem, und feinem andern Wolfe angehört. 

Ob nun gleich, nad) der Gefchichte, die Ver— 
legung ber Integrität eines Volkes. mit Rettung fei- 


ner Selbftftändigfeit (3.3. bei Durchgeführten Theis - 


lungen von Sändern und Reichen), nie aber ber 
Untergang feiner Selbftftändigfeit mit Beibehaltung 
feiner Integrität gedenfbar iſt; fo verlangt doch die 
Vernunft unnachlaßlich die Anerfennung und das 
Beſtehen beider im Urrechte der Voͤlker weſentlich 
verbundenen Beſtandtheile: der Selbftftändigfeit und 
Integritaͤt. Dierehtlihe Fortdauer feiner 
Selbſtſtändigkeitund Integrität, d. h. die 
Unverletztheit aller feiner Mitglieder und deren unauf⸗ 
lösliche Einheit in der Gefammtheit des unter einem 
eigenthümlichen Namen ſich anfündigenden Volkes, 
‚ die Heiligkeit feines Beſizthums, und die Bewah⸗ 
rung feiner befondern Verfaſſung und Regierung 
gegen jeden fremden Angriff, ift daher ver hoͤchſte 
und legte Zwed.eines Volkes; ein Zweck, der 
um feinen Preis aufgegeben werden darf, und ber 


durch alle Mittel des Rechts und ber Klugheit srhal- 


ten und gefichert werden muß. Ä 


45. _ 
Solgerungen daraus. 


\ 


Aus diefem: Urrechte der Selbftftändigkeit und 


Integritaͤt der Völker folge mit Nothwendigkeit: 


* 


⸗ 


120 | Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


a): daß jedes Volf Zweck an fich if, und. 
nie Mittel für andere Völker; 

:b) daß jedem Volfe das Recht zuſteht J. fi 
nen ihm. eigenthümlichen — in deffen Verfaſſung 
beftimmt ausgefprochenen — Zweck durd) alle 
Mittelzu verwirFlicen, welche ihren Grund 

- in der Verfaffung haben, von der Regierung des. 
Volkes als die zweckmaͤßigſten anerfannt, und 
- durch welche die Rechte anderer Völfer 
nicht bedroht oder verlegt werden; und 

c) daß jeder Angriff eines auswärtigen "Volkes 
auf die Selbftftändigfeit und Integritaͤt eines an- 
dern Volkes, nad) der Vernunft widerrechtlich 
iſt weil die Vernunft keinen Fall kennt, wo irgend 

ein Volk berechtigt waͤre, ein anderes Wolf als 
Mittel für feine Zwecke zu behandeln, indem mit 
bem Verlufte der Selbftftändigfeit und Integritaͤt 
felbft des (dem “Befisthume und der Bevölferung 
nach) kleinſten rechtlich geſtalteten Volkes das all - 
gemeine Band des Rechts zwiſchen allen Voͤlkern 
zerriffen, die Derrfchaft des Rechts auf dem Erb» 
boden gehindert und. zerftört, "und der Zweck der- 
Vorſehung ſelbſt bei der eigenthümlichen freien 
Entwidelung des menfchlichen Gefchlechts unter den 
Taufenden, oder unter den Millionen ſittlicher Wes 
- fen vernichtet werden würde, welche zu dem Um⸗ 
fange eines Volkes gehoͤren. 

Mas der Mord (die perſoͤnliche Vernichtung) des 
Individuums in der einzelnen Rechtsgeſellſchaft ift; 
das iſt die Zerſtoͤrung der Selbſtſtaͤndigkeit eines Vol⸗ 
 fes in dem Voͤlkerſyſteme, aus welchem die ganze 
Menſchheit beſteht. 

- (Das philofophiſche Voͤlkerrecht kann 
von dieſen unmittelbar aus der Vernunft her⸗ 


Natur⸗ und Völkerrecht. 121 


vorgehenden Grumbfägen nicht abweichen. Im 
: Staatenredhte wird. aber gelehrt ,. in welchen | 
Fällen und bis wie weit der Zwang (als Retor⸗ 
fion, Reprejfalie oder Krieg) zwiſchen den einzels. 
nen Staaten rechtlich fey; fo wie das practifche 
seuntopäifhe Volkerrecht theils geſchicht⸗ 
lich nachmweifer, wann und wie einzelne Staaten 
- entmeber blos in die innern Angelegenbeiten andrer 
ſich eingemiſcht, oder Deren Sntegrität durch Thei⸗ 
lungen vermindert, oder ſogar, durch voͤllige Auf⸗ 
loͤſung eines beſtehenden Staates, deſſen Selbft«. 
ſtaͤndigkeit vernichtet haben; theils die poſitiven 
Vertraͤge auffuͤhrt, nach welchen die Einmiſchung 
in die innern Angelegenheiten andrer Staaten er⸗ 
folgte; theils in politiſcher Hinſicht die fuͤr eine 
ſolche Einmiſchung aufgeſtellten Maasregeln des 
Rechts und der: Klugheit nach dem im $. sub b 
enthaltenen Maasftabe prüft, ob und bis wie weit 
nämlich von einem Volke die Rechte Andrer, vor 
“ der Einmifchung derfelben, bedroht ober verlegt wor: 
den find. — Daraus erhellt, daß die Beaͤntwor⸗ 
- tung der böchft fchwierigen Frage über die wirf- . 
. Kiche (fartifche) Einmifchung eines Staates in bie 
- Innern Angelegenheiten eines andern vom philofo- 
phiſchen Völferrechte, als blos gefchichelih und 
politiſch, ausgefchloffen werden muß, und zunaͤchſt 
dem practifchen europäifchen Wölkerrechte angehört, 
das aber, nad) feinen legten rechtlichen Gründen, 

auf dem philofophifchen Völkerrechte beruht. ) 

| 46. 
Schluß diefer Folgerungen 

Es bleibe übrigens gebenfbar, theils, daß, bei 
bem fteigenden Anwachfe ver Menfchenzahl eines Vol⸗ 


— 


122 Date: und Voͤlterrecht. 


kes, ein Theil dieſer Bevoͤlkerung, nach gegenſeitiger 
Auſhebung des bisher beſtandenen Vertrages, ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig zu einem beſondern Volke zuſammentrete, oder 
aus eigenem Antriebe auswandere und auf einem noch 


unangebauten Boden als. felbftftändiges Wolf durch 
freien Vertrag , fo wie durch eigenthümliche Berfaf- 


fung und Regierung, fich bilde; cheils, daß ein 
felbftfiändiges Volk, durch). freie Uebereinftimmung 
feiner Mitglieder, es zweckmaßig finde, und es oͤffent⸗ 
lich erklaͤre, mit einem andern Volke, weiches daſſelbe 
aufnehmen will, fuͤr immer ſich zu verbinden, und 
durch dieſe Verbindung mit demſelben zu Einem 
Ganzen, unter: einer gemeinfchaftlichen Verfaſſung 
und Regierung, zu verſchmelzen. 
| 47. 
Urſprunglich und erworbene Rechte der 
Voͤlker. 


So wie im Naturrecht die Rechte der Indivi⸗ 
duen. in urſpruͤngliche und erworbene Rechte zerfallen; 
ſo auch i im Voͤlkerrechte die Rechte der einzelnen Voͤl⸗ 
ker in urſpruͤngliche und erworbene. Zu den 
urſpruͤnglichen gehören alle aus dem Begriffe ber 
Selbftftändigfeie und Integrität mit Nothwendigkeit 
bernorgehenbe Rechte, welche, auch ohne förmliche 
zwifchen den Völkern abgefchloffene Werträge, von 
der Vernunft als die Grundbedingungen der gegen» 


feitigen ' Verbindung und des rechtlihen Verkehrs 


zwifchen allen Völkern unnachlaßlich gefordert wer⸗ 
den, deren gegenfeitige Anerkennung alfo in der Wech- 

felwirfung der Voͤlker auf ſtillſchweigendem 
Vertrage ($. 24.) beruf. Dagegen werben unter 


Den.erworbenen Rechten der Völker alle Diejenigen 


Aakrer und Völkerrecht, 423 


verſtanden, )meiche: aus bein zwiſchen ben Mölfern ab⸗ 
geſchloſſenen einzelnen Vertraͤgen entſpringen. Dieſe 
erworbenen Rechte koͤnnen daher ſo vielfach und ver⸗ 
ſchieden ſeyn, als die Gegenſtaͤnde der Verträge ſelbſt 
zwifchen den Völkern mannigfaltig und verſchieden 
ſind, und müflen wiſſenſchaftlich/ nach ber Arhnlichkeit 
dar Berträge in: Maturrechte beurtheilt und, behandelt 
werden. 

Weil abge ale durch gegenfeitigen Vertrag er- 
worbene (wirfliche und pofitive) Rechte zwifchen 
den Völkern (3.8. Bündniffe, Handelsverträge, 
Schiffahrtsverträge, Friedensfchlüffe 2c.) als Ge- 
genftände der Erfahrung und Gefdichte | 
erfcheinen, und, als ſolche, zu dem peactifchen euro⸗ 
päifchen Wölkerrechte gehören; fo werden im philoſo⸗ 
phifchen Völferrechte , das unabhängig von der Ge- 
fihichte auf reiner Vernunft beruht, zunachft nur die 
urſpruͤnglichen (aus bem Urrechte des Voͤlker⸗ 
rechts hervorgehenden) Rechte aller Völker aufgeftellt, 
welche aufwärts auf dem Urrechte der Selbftftän- 
digfeit und Sntegeität beruhen, und abwärts (für 
das practiſche europaifche Voͤlkerrecht) die Grundlage 
aller erworbenen Rechte bilden, inwiefern fie in ſich 
ben Maasftab enthalten, nad) welchem ſaͤmmtliche zwi» 
ſchen Völfern und Staaten wirflich abgefchloffene 
und beftehende Verträge in Hinficht ihrer Nechtlichkeit 
und Gültigkeit beurtheilt werben muͤſſen. 


"48. 
Nomenclatut der deiprängfichen Rechte 
der Voͤlker. 


Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind: 
4) die individuelle Freiheit eines jeden Volkes; 
2) die rechtliche Gleichheit deſſelben mit-anbern ; 


Au 0 








124,  Nitas- und Volkerroche. 
3) die ‚gegeheiüige Oeffencicheeit: Publicieäty 


4 ben pres der Völker; 
2.5) der rechtliche Eigenrgums. und Gebietsbeſitz 
J der Voͤlker; | 
6) bie äußere Sicherheit der. Voͤlker; — 
7) das Recht der Verträge zwiſchen den einzel 
nen Voͤlkern; 
S8) das Recht der Vertretung des einen Voltes 
bei dem andern, oder das Geſandten⸗ 
recht.. J 


40. 


1) Das Recht der individuellen Freiheit 
eines jeden Volkes, 


- Die unbefchränfte Freiheit und Unabhängigfeie 
bes einen Volkes von dem andern ift die erfte Bedin⸗ 
‚ gung und die Grundlage ihres rechtlichen Nebenein⸗ 
anderbeſtehens, ihrer Fortſchritte in allen einzelnen 
Zweigen der ſinnlichen, techniſchen, geiſtigen und 
fittlichen Kultur, und der Erweiterung, Vermehrung 
und Vervollkominnung der Mittel, durch welche jene 
Fortſchritte bewirkt werden konnen Kein Volk darf 
alſo das andere überfallen, das rechtliche Daſeyn, uber 
die Selbſtſtaͤndigkeit deſſelben auflöfen, und Theile 
deſſelben, oder aud) das Ganze felbft, wider deflen 
Willen ſich einverleiben, ſo wie die in ihm lebenden 
Individuen zur Kuechefchaft und Sflaverei bringen. 

Wie bei den Individuen die Knechtſchaft und 
Seibeigenfchaft mit der perfönlichen Selbftfländig- 
feit unvereinbar if, die geiftige Entwicelung und 
jeden Fortſchritt in der Kenntniß und Sietlichfeit 
lähme (man denke an die Wirkungen der Unter: 


Natur⸗ und Voͤlterrecht. 125 
song der Voͤlker, z. B. ber alten Griechen durch 


die Römer, der Neugriechen duch die Türken, 


und an die Folgen des Negerhandels); ; fo auch bei 
- den Voͤlkern. 


50. 


2) Die rehelihe Gleichheit der Voͤlker. 


“ Die Gleichheit eines Volkes mit dem andern 


befteht nicht darin, daß jebes Wolf eine gleiche Maſſe 


von Quadratmeilen auf dem Erdboden befige, oder 
eine gleiche Zahl der Bevölkerung in fich fafle, oder 
diefelben Erzeugniffe der Natur, des Gewerbsfleißes 


und ber Kunft hervorbringe, oder auf gleicher Stufe 


der geiftigen Bildung und Keife mit andern ſtehe; fie 
beruht: vielmehr darauf, daß alle Wölfer ohne Yus- 
nahme durch die Vernunft zur Verwirklichung des 
Rechts berufen, und, nad) biefem Endzwecke des 


öffentlichen Volkslebens, in ihrem äußern freien Wir⸗ 


fungsfreife, zur voͤ (ig gleihmäßigengegen- 
feitigen Behandlung, fo wie zur gegenfeitigen 
unbedingten Anerfennung ihrer Selbftftändigfeie und 


Integritaͤt verpflichtet und berechtigt find. Diefes. 


Recht der Gleichheit ver Völker ſchließt daher in fich: 
daß fein Wolf nad) einem Uebergewichte über das 
andere firebe; daß fein nach feiner Bevölkerung 
zahlreicheres und mächtigeres Wolf das minder zahl- 


reiche und minder mächtige druͤcke oder beeinträchtige; 
feines fich in die inneren und äußern Berhältniffe bes ' 


andern mifche, bafern nicht feine anerfannten Rechte 


bedroht find, und überhaupt feine Forderung an ein 
anderes Voli ſich erlaube, die mit den Rechten freier 


und ſelbſtſtaͤndiger Völker unvereinbar iſt. Nur 
durch dieſe rechtliche Geeichbeit der Voͤlker kann zwi⸗ 


nr“ 








v 


x — 


16. Batır- und Wolterrecht. 


ſchen thnen ein Gieichgewicht der fietlichen 
und phyſiſchen Mache hervorgebracht werden, 

das eine ungleich feftere Grundlage ihres gegenfeitigen 
Verkehrs bildet, als das in der Wirklichkeit beftehenbe 
(und in dem practifchen europäifchen Voͤlkerrecht nad) 
feinen Grundlagen darzuftellende) fogenannte pol itie 


. fe Gleichgewicht. 


bir - 


3; Die gegenfeitige Deffentlichkeit (Pu⸗ 
blicitaͤt) der Voͤlker. 


Sollen Voͤlker unter rechtlichen Verhältniffen . 
neben einander beftehen, und die wechfelfeitigen Ver- 
bindungen des Handels und des übrigen Verkehrs 
durch ihr gegenfeitiges Zutrauen begründet, erleich⸗ 
tert und geſichert werden; ſo muß jedes Volk wiſſen, 
wie es mit dem andern daran iſt. Dies kann aber 
nur durch gegenſeitige Oeffentlichkeit bewirkt werden. 
Diefe Oeffentlichkeit beruht the il s auf dem urſpruͤng⸗ 
lichen Rechte der Freiheit der Rede und der Preſſe 
(6. 18.), doch mit rechtlicher Ahndung jedes durch 
den Mißbrauch derſelben verletzten Rechts; theils 
auf den allen andern Voͤlkern bekannten Bedingungen 
- feines äußern Verkehrs, welche nie verheimlicht,, ſon⸗ 
dern offen und beftimm ausgefprohen, aus Grund 
ſatz feftgehalten, und nur unter höchftdringenden‘ 
Verhäleniffen verändert werben dürfen. “Bei Diefer 
Oeffentlichkeit gewinnt jedes andere Volk die Ueber⸗ 
zeugung, daß es in dem Verkehre mit einem Volke, 
deſſen oͤffentliche Ankundigung auf dem Grundſatze 
der Oeffentlichkeit beruht, nie gefaͤhrdet werden koͤnne, 
daß vielmehr ihre Wechſelwirkung beiden vortheil⸗ 
haſt ſeyn muͤſſe. Aus dieſem Rechte der gegenfeiti- 





Natur⸗ und Völkerrecht. 137: 


- gen Deffentlichfeie folgt von felbft, daß es ben Indi⸗ 
- viduen eines jeden Volfes rechtlich frei ſtehe, die in- 
nern unb äußern Verhaͤltniſſe der andern Völker 
öffentlich Durch Rebe und Schrift zu beurteilen und 
zu prüfen, doch innerhalb der Grenzen, welche bereits 
im Naturrechte für das Recht der Freiheit der Rede 
und der Prefle aufgeftelle wurden. Sobald diefe 
Grenzen überfchritten werben; ſobald hat auch die 
Megierung des beleidigten Wolfes das Recht, Genug» 
thuung von der Regierung besjenigen Wolfes zu ver⸗ 
langen, von deſſen Mitte der Mißbrauch der Preſſe 
ausging. 


52. 
4) Der Kredit der Völker. 


Was der gute Name für das Individuum iſt; 
Das ift der Kredit für ein Wolf, Gebilder wird die⸗ 
fer Kredit eines Volkes durch die öffentliche Meis 
nung aller andern Völker über die erreichte Kultur 
deffelben, und über die Art und Weife, mie bei einem 
Wolfe das innere und äußere eben deffelben, for - 
wohl einzeln, als nah der Wechfelmirfung 
beider auf einander, fi) ankuͤndigen, wodurch zugleich 
deffen eigenthümliche Stellung und Geltung in dem 
gefammten Völferfnfteme vermittelt wird. — Jedes 
Volk Hat aber das urfprüngliche Recht, zu verlangen, 
daß fein Kredit öffentlich von dem andern anerfannt 
und. ihr gegenfeitiger Verkehr. darnach eingerichtet 
werde. Diefer Kredit bes einzelnen Volkes beruht 
4) nah dem innern Seben deflfelben: eheils auf 
den. Fortſchritten oder Ruͤckſchritten der finnlihen, 
technifchen ‚ geiftigen und firtlihen Kultur der großen 
Mehrzahl ber Individuen bes Volkes; theils auf 


— 


as 


128 Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


der Rechtlichkeit, Güte und zeitgemaͤßen Geſtältung 


ſeiner Verfaſſung und Regierung; theils auf der 
Einfachheit, Zweckmaͤßigkeit und Feſtigkeit ſeiner 
Verwaltung, in Hinſicht der Gerechtigkeitspflege, der 
Polizei für die oͤffentliche Ordnung, Sicherheit, Woht- 
fahre und Kultur, der Vertheidigungsanftalten, und 
der Finanzen , befonders nad) der verfaffungsmäßigen 
Beftimmung, gleichmäßigen Vertheilung, zweckmaͤßi⸗ 
gen Erhebung und zur öffentlihen Kunde gebrachten 
Verwendung der allgemeinen Abgaben von dem 
Volksvermoͤgen für Die Zwede des Ganzen; — und 
2) nah dem äußern Leben, oder in Hinficht der 
Wechfelmirfung mit allen andern Völkern, theils 
auf der Kechtlichfeit Der angenommenen Grundſaͤtze 
fir den Verkehr mit dem Auslande überhaupt; theils 


auf der Gemwiffenhaftigfeie und Treue in der Erfüllung - 


der mit andern Völfern eingegangenen Verträge; 
theils auf ber Kraft und Stärke in der Behaupfung 


feiner mit andern abgefchloffenen befondern Buͤnd⸗ 


53. Ä 
5) Der redtlihe Eigentbums- und Ge 
| ‚biersbefig der Voͤlker. 


Jedes Wolf hat das Recht auf die Behauptung . 


feines Sefammtgebiets und des auf demfelben enthal⸗ 


- tenen und rechtlich erworbenen Eigenchums aller feis 
ner Mitglieder. Zum Eigenthume eines Volkes ges . 
hören aber fein. Boden, feine Slüffe, feine Wälder 


und Berge, feine unmittelbaren und mittelbaren Er- 
zeugniffe, fein natürlicher und erworbener Reichthum, 


feine Kolonieen u. ſ.w. Daraus folgt von felbft, daß : 
jedes Volk auch bei allen andern neben ihm beftehen- 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 129 


den Voͤlkern den rechtlichen Beſitz ihres Geſammtge⸗ 
bietes und des geſammten Privateigenthums ihrer 
Bewohner anerkennen muͤſſe, weil davon das Urrecht 
der Voͤlker, ihre Selbſtſtaͤndigkeit und Integritaͤt, 
abhängt, ohne welche feine Herrſchaft des Reches auf 
dem Erdboden gebenkbar ift. Dabei fteht jedem Wolke 
das Recht zu, Fremde, welche den Berfaffungsver- 
trag anerkennen, in feiner Mitte aufzunehmen , feine 
Grenzen zu befeftigen, und in ber inneren Befchaffen» 
heit feines Gebiets Veränderungen (Anlegung von 
Kanälen, Straßen, Abgaben, Polizeianftalten :c.) 
vorzunehmen, ohne deshalb andere Voͤlker darüber 
zu befragen. Zugleich hat jedes Volf das Recht, 
von einem andern Wolfe auf rechtliche Weife, d. h. 
durch freien Vertrag, Ländergebiet und Eigenthum 
zu erwerben, fo wie unter Individuen Eigenthum 
und Befiß Durch Vertrag: erworben wird, 

Nicht minder fommt jedem Wolfe das Recht zu, 
Kolonieen in Erdftrihen zu begründen, bie 
entweber noch unbewohnt find, oder mo dag zu bes 
ſetzende Gebiet von den Eigenthümern rechtlich erwor⸗ 
ben wird, oder wo die Sandfchaft bereits zu dem Ge⸗ 
biete des Volkes. gehörte, bisher aber noch nicht an⸗ 
gebauet worden war. Mach diefen Verhältniffen ges 
ftattet fich auch Die Verbindung und die Abhängigkeit 
der Kolonie vom Mutterlande. Denn Binder Fein 
* feierliher und beftimmter Vertrag die Kolonie an dag 
Mutterland; hat das legtere Fein Recht auf das im 
Beſitz genommene Gebiet, und hat es um die Bes 
gründung der Kolonie feine Verdienſte ſich erworben: 
fo tritt Die neue Pflanzung ſogleich als ein unabhäns 
giges und felbftftändiges Volk in die Reihe der übris 
gen Völker. Ä == 
Was enblih die Freiheit der Meere und 

I. 9 








\ 


dSp- Maar. und Volkerrecht. 


Da: Recht De Eigentums über diefelben 

betrifft; fo kann nur derjenige Theil-eines Meeres als 
dnas Eigenthum eines Volkes augeſehen werden, wel- 
cher deſſen Kuͤſten berührt, und zwar bis in bie Ent- 
feenung , ‚welche noͤthig ift „dieſe Küften zu fichern, 
und das freie Ein: und Auslaufen der Flotten zu be⸗ 
fördern: Dagegen iſt jede. Herrſchaft über ein danzes 
Meer oder ſogar über den Ocean mit ber urfprüng- 
lichen rechtlichen Gleichheit ver Voͤlker und mit der 
yon der Vernunft gebotenen allgemeinen Freiheit des 
Handels. nicht zu vereinigen; denn ein Meer koͤnnte 
nur dann als das Eigenthum Eines Volfes (und 
als fogenanntes mare clausum in der Sprache. des 
practifchen Völferrechts ) betrachtet werben, wenn 
fämmtliche an-den Ufern deffelben liegende Laͤnder 
zu dem Gebiete dieſes Volfes gehörten. 


34 
DE Die äußere Sicherheit der Völker 


nu Jedes Volk wird von der Vernunft als der 
Garant ver Selbftftändigfeis,: Unabhängigfeit und - 
Integritaͤt jedes andern Volkes gedacht, und auf Dier 
fer. durch die Vernunft, gebotenen Garantie beruht 
bie äußere Sicherheit der Voͤlker. Allein dieſe 
GSicherheit. im aͤußern Volksverkehre ſetzt die Sicher: 
heit im in nern Volksleben infofern voraus, inwie⸗ 
feen fein in’ feinem Innern veraltetes, oder nach feiner 
Verfaſſung und Verwaltung fehlerhaft geftalteres , 

und in: feiner Entwidelung und Reife ftillftehendes 
Volk irgend einem andern Volke die Gewähr fire def 
fen dußere Sicherheit leiften kann. Im inneren. Volfs- 
ieben wird aber die, die äußere Sicherheit.der Völker . 
bedingende, Sichecheit erkannt: theils an ber. Ein- 


Natur s und Völkerrecht, 131 


heit und Feftigfeit, welche in dem durch die Verfaf- 
fung beftimmten Verhältniffe der gefeggebenden , voll- 
ziehenden ‘und richterlichen Gewalt gegen’ einander, 
und in.allen Beziehungen ber Regierung zu dem Volke 
und deffen Vertretern, fo wie des Volfes und feiner 
Vertreter zu der Regierung fih anfündigt; theils 
im Einzelnen an dem Borhandenfeyn aller der Be- 
dingungen. und Anftälten zur Sicherheit für das Leben, 
die perfönliche Freiheit, das Eigentum, für ‚den 
gegenfeitigen Verkehr und für Die Bequemlichkeit und 
den Genuß des Sebens aller Einheimifchen, fo wie 
aller Sremden, welche auf längere oder fürzere Zeit 
in der Mitte des Volfes verweilen. — Diefe Sicher: 
hei im innern Bolfsleben ift zugleich die weſentliche 

edingung und der zuverläffigfte Bürge der äußern. 


. » Sicherheit der andern Voͤlker. Denn diefe beruht 


im Allgemein auf der, von dem Örundfage der Gleich» 
heit der Rechte abhängenden, äußern Stellung 
des einen Volkes gegen alle andere, befonders aber 
auf der Treue und Gewiffenhaftigfeit, womit bie 
zwiſchen denfelben abgefhloffenen Verbindungen und 
Verträge erflille werden, wodurch namentlich Die nach 
ber Bevoͤlkerungszahl ſchwaͤchern Wölfer mit denje— 
nigen ftärfern für ihre Sicherheit zufammentreten, 
deren Verfaffung, Regierung und öffentliche Anfün- 
digung im Verfehre mir andern Völfern es verbürge, 
- daß fie jeden öffentlichen oder geheimen Angriff auf 
die Selbftftändigfeit, Pen und Verfaflung an: 
drer Völker für unrechelih und unter ihrer Würde 
betrachten, und bei ſolchen Angriffen die mit ihnen 
verbündeten Völker kraftvoll unterftügen werben. 
Dazu kommt, daß je einfacher und rechelicher bie 
dußern Verbindungen der Voͤlker find, auch ihre 
äußere Sichetheit weit weniger gefährdet iſt, als 
F 9 Le 





122 Satur. und Voͤlkerrecht. 


ein Theil dieſer Bevoͤlkerung, nach gegenſeitiger 
— des bisher beſtandenen Vertrages, ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig zu einem beſondern Volke zuſammentrete, oder 
aus eigenem Antriebe auswandere und auf einem noch 
unangebauten Boden als ſelbſtſtaͤndiges Volk durch 
freien Vertrag, ſo wie durch eigenthuͤmliche Verfaſ⸗ 
ſung und Regierung, ſich bilde; theils, daß ein 
ſelbſtſtaͤndiges Volk, durch freie Uebereinftimmung 
feiner Mitglieder, es zweckmaͤßig finde, und es oͤffent⸗ 
lich. erfläre, mit. einem andern Volke, welches daſſelbe 
aufnehmen will, für immer fid) zu verbinden, und 
durch Diele Verbindung mit demfelben zu Einem 
Ganzen, unter: einer gemeinſchaftlichen Verfaſſung 
und Regierung, zu verſchmelzen. 


| | 47. | 
efpringtice und erworbene Räte der 
‚Bölfer. | 


So mie im Naturrecht die Rechte der Indivi— 
duen in urſpruͤngliche und erworbene Rechte zerfallen; 
ſo auch i im Voͤlkerrechte die Rechte der einzelnen Voͤl⸗ 
fer in urfprüngliche und erworbene. Zu ben 
urfprünglichen gehören alle aus dem ‘Begriffe der 
Selbftftändigfeit und Integrität mit Nothwendigkeit 
bervorgehende Nechte, welche, auch ohne förmliche 
zwifchen den Völkern abgefchloffene Verträge, von 
der Vernunft als die Grundbedingungen der gegen» 
feitigen Verbindung und bes rechtlichen Verkehrs - 
zwifchen allen Völkern unnachlaßlich gefordert wers 
den, beren gegenfeitige Anerfennung alfo in der Wech- 

felmirfung der Volker auf ſtillſchweigendem 
Vertrage ($. 24.) berube Dagegen werden unter 
Den. erworbenen Rechten der Völker alle diejenigen 


Raser und Valkerrech. 123 


verſtanden, welche aus bein zwiſchen ben Voͤlkern ab⸗ 
geſchloſſenen einzelnen Vertraͤgen entſpringen. Dieſe 
erworbenen Rechte koͤnnen daher ſo vielfach und ver⸗ 
ſchieden ſeyn, als die Gegenſtaͤnde der Vertraͤge ſelbſt 
zwiſchen den Voͤlkern mannigfaltig und verſchieden 
ſind, und muͤſſen wiſſenſchaftlich nach der Aehnlichkeit 
dar Vertr ihe den Matyrrechte beurtheilt und behandelt 
werden. 

Weil aber alle durch gegenſeitigen Vertrag er⸗ 
worbene (wirkliche und poſitive) Rechte zwiſchen 
den Voͤlkern (z. B. Buͤndniſſe, Handelsvertraͤge, 
Schiffahrtsvertraͤge, Sriedensfchlüffe x.) ale Ge— 
genftände der Erfahrung und Geſchichte 
erfcheinen, und, als folche, zu dem practiſchen euro⸗ 
paͤiſchen Volkerecht⸗ gehören; fo werden im pbilofo«. 
phifchen Voͤlkerrechte, Das unabhängig von der Ges 
ſchichte ‚auf reiner Vernunft beruft, zunachft nur bie 
suefprünglichen (aus dem Urrechte des Voͤlker⸗ 
vechts hervorgehenden) Rechte allee Voͤlker aufgeftellt, 
welche aufwärts auf dem Urrechte Der Selbftftän- 
digkeit und Integrität beruhen, und abwärts (für 
Das practiſche europäifche Völkerrecht) die Grundlage 
aller erworbenen Rechte bilden, inwiefern fie in ſich 
den Maasftab enthalten, nach welchem fammtliche zwi⸗ 
fhen Völfern und Staaten wirklich abgefchloffene 
und beftehende Verträge in Hinficht ihrer Rechtlichfeit 
un Gültigkeit beurtheilt werden müffen. 


48: 
Nomenclatut der Sraͤnglichen Rechte 
der Voͤlker. 


Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind: 
4) die individuelle Freiheit eines jeden Volkes; 
2) die rechtliche Gleichheit deſſelben mit-anbern ; 


— 


134, | Datur - und Maͤlkerpecht. 


äufieen Mgrfehrs. (ip auf gch felbfk zerichlegts. de: 


mehr es durch laͤſtige Beſtimmungen, durch druͤcken⸗ 


des Eingreifen in den Polkerhandel, durch ſelbſtſuͤch⸗ 
tige Sperrung feines Gronzen, durch erhöhte Abgaben: 


und Zölle für Einfuhr und Durchfuhr, das Ausland 


fi entfremdge. und. gegen ſich erbittert; deſto be⸗ 
ſchraͤnkter wird feine Verbindung mit andern: Bär; 
fern; deſto einſeitiger allmaͤhlig der Gang feiner Eye: 
widelung und Ausbildung; und deſto mehr. werden: 
die Quellen feines eignen Wehlfiaudes, befnmders 
durch den geftörten freien und_fihnellen Umlauf‘ bes: 
Geldes, vermindert. - Je größer und hedeutender 
hingegen die Verbindungen der Völker werden; ja‘ 


meiter ein. Volk feine Natur.» und Kunfterzeugnifle: - 
außerhalb feiner Grenzen felbft verführt, und andere, 


Dagegen. eintaufche und zuruͤckbringt; je mehr es bie. 
Eigenthümfichkeiten der verfchiedenen Volker in deren: 


‚Heimath kennen lernt; deſto mannigfaltiger werden: 


auch die Berührungspuncte der. Voͤlker, und deſto 
höher fleigt hei. ihnen die Wrbergeugung " von. ihrer, 
gegenfeitigen. Unantbehrlichkeit zum, hoͤhern Wohl⸗ 
ſtande und zur reifenden Vollkommenheit Aller. 


| “ Pe | 


. —— 56. 
8) Das Recht der Vertretung des einen 
Volkes bei den andern, oder das Ges 
" | fandtent eh t. 


Jedes Volt iſt berechtigt, von ben andern Vol⸗ 


kern eine: forchauernde Gewaͤhrleiſtung und Sicher⸗ 
ſtellung ſeiner Solbſtſtaͤndigkeit und, Integrität, und: _ 


ihres gegenſeitigen⸗rechtlichen Verkehrs zu verlangens 
Zugleich ift jedes Volß.nerpflichter, dieſelbe Gewoͤbr⸗ 
leiftung auch den. andern Volkern Iktentlich: zugeben. 


ie und Volteriach AR 


Auf jenes Necht üb auf diefe gegerferige Pflicht 
grüner fih das’ Geſandtenrecht, inwiefern die 
Gefandten die Mittelsperſonen zweier oder mehrerer 
Völker in allen eintretenden Faͤllen find ‚' wo uͤber! die 
rechtlichen Werhäftniffe vieſer Wölfe üͤberhaupt / und 


mamentlich über Vertkaͤge und Buͤndruſſee, Aber bie‘ 


Arigelegenheiten des Hanbels, ſo wie Irdereihgetretäne 
Colliſtonen und Miverftändniffe entweder zwiſchen 
gewiſſen Individuen zweter Voͤlker, oder zwiſchen den 
Shteteffen der Voͤlker felbft bald entfchieden ‘werden 
Der Gefandte aber, beffen Rechtk Und Pitch: 
tm auf bei Grundſaͤtzen des Bevollmaͤchtigringsver⸗ 
trages beruhen, und der ein ganfed Volk im Aus⸗ 


lande vertritt, fo mie er in deffen Namen — nad) der 


ihm von feinem Regenten erfheilten Anmweifung (In—⸗ 

firuetion) — fpuicht-und unterhbanbeliift perfön- 

lich unverleglich, nachdem er, als Vertreter feines 
Volkes, im Auslande in Ainfiche uffeinBeglaus 
bigungsſchreiben (Erebitiv) und feine uͤberreichte 
Voͤllin ach t entweder zur Ausführung eines bie ſo n⸗ 
dern Geſchaͤfts, oder zur-alligemeiner Vertretung! 
ſeines Volkes gnerkannt worden iſt; ſo wie die Re⸗ 
gluͤrung!ſeines: Woikes alle diejerigen Handlumgen defki 
ſelden anerkennen und beſtaͤtigen (ratiffeiren) midß,' 
Wehe unmittblbaredutz der ihm ertheilben Annseifing: 
und Wollmacht Hefbrgeeri_ un, 2m 
U Weeſtoͤßt der Gefandte aber gegen DIe-Mechte' 
Desjenigen Volkes, bei welchem er fh aufhält; 
(6 kann, wegen ſeiner Unverletzlichkeit, piefer-Verftoß_ 
nicht perfönlich! alt" ihm. stahnder werden; döch"fahn- 
—— 
nd 


das’ in ſeinen Rechten beleidigte Volk auf d 
riickberufung dringe a N 
CME näher, aus der Geſchichtẽ uilb Wörker-: 


— 


136, Mature und Mölkerrecht, 


..fitte entſpringende, Verhaͤltniſſe der Geſandten 
„gehören. dem pra ctiſchen europäifchen Voͤl⸗ 
kerrechte an, und werden im vierten Theile 
dieſes Werkes behandelt.) | Be 
FR (Bon ‚Retorfionen, Repreſſalien, 
„Krieg und rieben Fann nicht im philofen 
xhiſchen Wölferrechte, das auf einem Ideale ber. 
ruht, gehandelt. werden, fondern im Staatenrechte,; 
„neldes:, geſtützt auf bie dem Staatsrechte .eigen«, 
„„.fhümliche Lehre vom rechtlich geftalteten Zwange, 
Die Anwendung des rechtlichen Zwanges zwifchen. 
* und Staaten, nach den verſchiedenen 
ormen der Retorſionen, Repreſſalien und des 


’ 


Krieges, in fi aufnimmt.) 


57. en 
..::Da8 Weltbürgerreht. id 


‚ Wenn, nach den bisher aufgeftellteen Grund«. 
faßen, jedes einzelne. Volk in allen ihm eigenthuͤm⸗ 
lichen innern Einrichtungen und Anftalten, fo wie 
in allen feinen Beziehungen zum Auslande, die Ver-; 
wirflihung der Herrfhaft des Rechts als den End», 
zweck feiner-gefammten öffentlichen Anfündigung fefts. 
hält; , fo.erfcheint es vor der Vernunft und vor allen, 
—28 geſtalteten Voͤlkern als ein dem Ideale der 
Menſchheit ſelbſt entgegenſtrebender Verein freier 
und, nad) der Mehrheit feiner Mitglieder, ſittlich— 
mäündiger Weſen. 

. Sobald daher die dee. ber Herrfchaft des. 
Rechts ‚auf alle auf dem Erdboden neben einander. 
beftehende Wölfen, theils nach der feften Geftaltung . 
ihres innern Lebens, theils nach ihrer Äußern. Vers, 
bindung mit andern Voͤlkern übergetragen wird; ſo⸗ 


| Metır- und. WBoelkerrecht. 137: 


bald denke ſech nich die Berumufe bie g efamım te, 
Menfchheit;in.der Idee, als, ngreinige zu Einem 
großen Bunbe des Rechts. Durch dieſe Steigerung: 
veredelt fih das Voͤlkerrecht gun Welch ürgere; 
rechte, noch welchem jeden menfhliche Indipiduum 
nicht blos nach feiner nachften :Steflung zu; feinen: 
einzelnen Wolfe, fondern zugleid aus dem uner- 
meßlichen Standpuncte feines Verhältniffes zur gan⸗ 
zen Menfchheit ſich betrachtet, und an der Fortbil« 
dung der Menſchheit, als Gattung, zu dem gren- 
zenlofen Ziele ihrer Erziehung auf der Erde durch Die 
ewige Weltregierung., nad) feiner ganzen Thaͤtigkeit 
Antheil nimmt. Die Menfchheit felbft wird dadurch), 
in der dee, ein großes — durch die unauflösliche 
Verbindung der Pflicht und des Rechts — unzer- 
trennlich vereinigtes und feft in ſich zufammenhän- 
gende Ganzes, deſſen Theile die einzelnen Voͤlker 
ilden. 

Aus diefer höchften Idee der Vernunft für die 
ganze auf dem Erdboden lebende Menfchheit gehe 
aber das “deal des ewigen Friedeng hervor, 
welches die Philofophen- auf die unbedingte Gefeßge- 
bung der fittlihen Vernunft, und auf die Verwirk⸗ 
lihung der Sittlichfeie in den einander gleichgeord⸗ 
neten Kreifen der Pflicht und des Rechts gründen, 
die Dichter hingegen unter den Bildern des goldenen 
MWeltalters fhildern. So weit nun auch diefes “deal 
noch von der Wirklichkeit entferne feyn mag; fo ift 
doc), bei der Vervollfommnungsfähigfeit der menſch⸗ 
lihen Natur, bei der gefegmäßigen Entwidelung . 
der unermeßlichen in der Menfchheit enthaltenen 
Kräfte, und bei ben unaufhaltbaren Fortfchritten 
bes Volfslebens zur geiftigen Münbigfeit, befonders 
aber zur-fittlichen,, die allmählige Annäherung 


— 


1, un te 4 | 
| — “ 


4140: Staats» und Staatenrecht. 


nem Inhalte und Umfange, in dem Natur⸗ und Voͤl⸗ 
kerrechte dargeſtellt wird. 
Betrachten wir aber das menſchliche Geſchlecht 
in der Wirklichkeit nach feinem Verhaͤltniſſe zu 
jener unbedingten Forderung ber Vernunft; fo dringt 
fid) uns die Wahrnehmungides großen Abftandes der 
Wirklichfeit von dem Ideale der. unbedingten Herr⸗ 
ſchoftr des Rechts, aufs - „pen, Das menfchliche, 
ſchlecht nach feiner "Anfiindigutig im Kreife det. Er‘ 
fahrung, bilder feinen Verein von Wefen, die ſaͤmmt⸗ 
ich zur Selbftehätigfeit und Selbftftändigfeit der 
Vernunft und zur Ausübung bes, Guten um feiner 
ſelbſt willen, mithin zur ſittlichen Miündigteie 
gelangt waren. Das menſchliche Geſchlecht im Kreiſe 
der Erfahrung bildet vielmehr eine gemiſchte Ge⸗ 
ſellſchaft von fieelih-mündigen uud: ſitt lich⸗ 
unmündigen Weſen. Die letztern etſcheinen aber 
theils als phyſiſch Unmuͤndige, wozu alle ins 
irdiſche Leben eintretende Wefen unfrer Gartung gehoͤ⸗ 
‚ ren; welche während ber. Zeiträume der Kindheit und 
Yugend: zur fitelichen Muͤndigkeit erzogen werden: fols- 
leu; theils als fieelich Unmünbige, die, — 
zu den Jahren der phyſiſchen Reife gelangt, denn 
bald wegen fehlerhafter. Erziehung , bald wegen geiſti⸗ 
ger Schwäche, bald wegen aufmwogenber Leidenſchaf⸗ 
ten, bald wegen angenommener Berborbenheit und: 
Bosheit, eben fo die Herrſchaft des Rechts: in: der: 
ganzen Gefellfchaft, . wie die Rechte ver Citgelnen,; 
durch ihre Handlungen bedrohen und. verligen, 8 


2. 
f: ortefegung. 
Es muß daher, im Öegenfage des Stakuefkanpes, 
in herjenigen Außern Verbindung der. Menfchen, die: 


Staats - und. Staatenrecht. 441 


‚wie inder Erfahrung wahrnehmen, und bie wir 
den Staat, oder die bürgerliche Geſellſchaft 
‚nennen, eine Anftalt beftehen und rechtlich geftaltet 
feyn , nach welcher, um die Herrfchaft des Rechts für 
‚immer zu fichern, der finnlichen Macht des fittlich- 
unmündigen und verborbenen Willens ein Gegen 
gewicht entgegengeftellt wird, durch welches jedes 
rechtswidrige Wollen und Handeln erkannt, bebroßt, 
geahndet, und dadurch der allgemeine Zweck des 
Staates aufrecht erhalten wird. — Damit alſo die 
Herrfchaft des Rechts nie auf die Dauer gefährdet 
‚und erfchüttert werde, fondern jede Verletzung der— 
felben auf den Verletzenden felbft zurüdfalle, . und 
jedes rechfwidrige Wollen fich felbft vernichte, beſteht 
in der bürgerlichen Gefellfchaft ein rechtlich ge- 
ftaltetes Gegengewicht gegen die entweber nur 
beabfichtigte, oder wirklich erfolgte Verlegung des 
. Nechts, und diefes Gegengewicht ift der Zwang, 
- der — aus dieſem Verhältniffe betrachtet. — nicht 
feiner. felbft wegen, fondern wegen der 
Herrſchaft desNechesinnerhalbdves Staus 
tes vorhanden ijt; der nicht felbft Zweck iſt, fondern 
blos Mittel zum Zwede; ver alfo, nad) feiner Ans 
fündigung und Wirfung, aus dem Zwecke des Stans 
tes abgeleitet werden und dieſem Zwecke entfprechen; 
der aber auch deshalb völlig rechtlich geftaltee feyn, 
nad) allen denfbaren Rechtsverlegungen im Voraus 
berechnet und alle eingetretene Rechsverlegungen mit 
unveränberlicher durch das Strafgefeg. ausgefproches 
ner Strenge, ohne Anfehen der Perfon, an den 
Individuen abnden muß, welche die Herrfchaft des 
Rechts verhindert und geftört haben. 
: So entfteht, geftust auf die im Ideale des Na⸗ 
turrechts. gebotene unbedingte Herrfchaft bes Rechts, 


J 


440 Staats» und Staatenrecht. 


nem Inhalte und Umfange, in dem Natur⸗ und Voͤl⸗ 
kerrechte dargeſtellt wird. 


Betrachten wir aber das menſchliche Geſchlecht 


in der Wirklichkeit nach ſeinem Verhaͤltniſſe zu 
jener unbedingten Forderung der Vernunft; ſo dringt 
ſich uns die Wahrnehmung ſdes großen Abſtandes der 
FREE FR dem Ideale der — Herr⸗ 
fbes. Re fa - Denn, das menſchli 

Br nach Meinen‘ nkuͤndigurig im Kreiſe der 

tung, bilder feinen Berein von Wefen, die (immt: 
lich zur Selbſtthaͤtigkeit und Selbſtſtaͤndigkeit der 


Vernunft und zur Ausͤbyng bes, — um ſeiner 


ſelbſt willen, mithin zur —— uͤndigkeit 
gelangt waren. Das menſchliche Geſchlecht im Kreiſe 


der Erfahrung bildet vielmehr eine gemiſchte Ge⸗ 


ſellſchaft von fietlih-mündigen uud fietlid)- 
unmündigen Weſen. ‚Die letztern etſcheinen aber 
theils als phyſiſch Unmündige, wozu alle ins“ 
irdifche Leben eintretende Wefen unfrer Garrung gehoͤ⸗ 
ren, welche während ber. Zeiträume der Kindheit und! 
Jugend zur ſittlichen Muͤndigkeit erzogen werden ſol⸗ 
len; theils als fieelich Unmündige, ie, obgleich 
zu den Jahren ber phyſiſchen Reife gelangt, bennedy) 
— * wegen fehlerhafter Erziehung, bald wegen geiſti⸗ 
ger Schwäche, bald wegen. aufwogender Leidenſchaf⸗ 
ten, bald wegen angenommener Verdorbenheit und: 
Bosheit, eben fo bie Herrſchaft des Rechts in ber: 
ganzen Gefellfchaft, wie bie Rechte ber Eitgelnen, 
durch ihre Handlungen bedrohen und. verlagen. u 


2. | Re | 
Forefegung.. 
Es muß daher, im Gegenfage des —— 

in derjenigen aͤußern Verbindung der Menſchen, die 


Staats - und Staatenrecht. 444 


‚wie Inder Erfahrung wahrnehmen, und bie wir 
den Staat, oder die bürgerliche Gefellfhaft 
‚nennen, eine Anſtalt beftehen und rechtlich geſtaltet 
ſeyn, nach) welcher, um bie Herrfchaft des Rechts für 
‚immer zu fihern, der finnlichen Macht des fittlich- 
unmündigen und verdorbenen Willens ein Gegen- 
gewicht entgegengeftellt wird, durch welches jebes 
rechtswidrige Wollen und Handeln erfannt , bebroßt, 
geahndet, und Dadurch der allgemeine Zweck des 
Staates aufrecht erhalten wird. — Damit alſo die 
Herrfchaft des Rechts nie auf die Dauer gefährdet 
‚und erfchüttert werde, fondern jede Verlegung ber= 
ſelben auf den Verletzenden felbft zurüdfalle, und 
jebes rechtwidrige Wollen ſich felbft vernichte, beſteht 
in der bürgerlichen Gefellfhaft ein restlich ges 
ftaltetes Gegengewicht gegen die entweder nur 
beabficheigte, oder wirklich erfolgte Verletzung des 
Rechts, und diefes Gegengewicht ift ver Zwang, 
der — aus diefem Verhältniffe betrachtet — nicht 
feiner felbft wegen, fondern wegen der 
Herrſchaft des Rechts innerhalb des Staa— 
tes vorhanden iſt; der nicht ſelbſt Zweck iſt, ſondern 
blos Mittel zum Zwecke; der alſo, nad) feiner An⸗ 
fündigung und Wirfung, aus dem Zwecke des Stans 
tes abgeleitet werden und diefem Zwecke entfprechen, 
der aber auch deshalb völlig rechtlich geftaltet feyn, 
nach allen denfbaren Rechtsverlegungen im Voraus 
berechnee und alle eingetretene Rechsverlegungen mit 
unveränderlicher durch das Strafgeſetz ausgefprochen 
ner Strenge, ohne Anfehen der Perfon, an den 
Individuen ahnden muß, welche die Herrfchaft bes 
Rechts verhindert und geftört haben. 

.Y So entfteht, geftugt auf die im Ideale des Na⸗ 
turrechts gebotene unbedingee Herrfchaft des Rechts, 


+44 Staata⸗und Staatenrecht. 


—Begriff Und Zweck des Staates 


Wir verſtehen, nach dieſen vorbereitenden Be⸗ 
griffen, unter dem Sta ate diejenige vertragsmäßig 
geftiftete Gefellfchaft freier Wefen, in welcher bie 
‚Herrfchaft des Rechts unter ber Bebingung des recht 
‚lich geftalteten Zwanges begruͤndet, erhalten und ges 
ſichert wird. | 
Der Zwei bes Staates iſt daher: die unbe— 
dingte Herrſchaft des Rechts unter der 
Bedingung des rechtlich geſtalteten Zwan— 
ges zu verwirklichen. Das deal der Herr⸗ 
ſchaft des Rechts, wie es im Naturrechte entwickelt 
‚wird, bleibt im Staatsrechte daffelbe ; .nur daß die 
Verwirklichung diefes höchften, von der Vernunft 
gebotenen, Zweckes jeber vertragsmäßig begründeten . 
Gefefifchaft freier Wefen, wegen der Miſchung fittlic)- 
- mündiger und fittlich » unmündiger Individuen, unter 
bie Bedingung des ‚rechtlich geftalteten Zwandes ge⸗ 
bracht wird. 

Aus dieſem Zwecke des Staates folgt von ſelbſt: 

daß, nad) ber Vernunft, nur das Leben 
‚im Staateeinenredhtlihen Zuftand bil- 
det, und jeder Zuftand bes Menfchen außerhalb 
des Staates ein re helofer Zuftand ift (modurd) 
der fogenannte, in ber Metapolitik nicht felten 
ſehr verfchiedenartig gefchilderte, Natu eftand ®) 
von ſelbſt ausgeſchloſſen wird); ; 


. Sehr wahr ſagt Reindetb in fe Aphorismen 
über das äußere Recht Überhaupt und 
insbefondere das Staatsredt, inf. Aus 
wahl verm. Schriften (Jena, 1797.) Th. 2, 





. „Staats und Staatenrecht. 145 


2) daß der Staat, wegen ber erfahrungsmaͤßi⸗ 
gen-immerwährenden Fortdauer und Fortpflanzung 
des menſchlichen Geſchlechts auf der Erde, eine 
ewige Geſellſchaft bildet, weil, ſo lange das 
menſchliche Geſchlecht auf dem Erdboden befteht, 
für die einzelnen Theile beffelben, die wir Bölfer 

nennen, nur im Staate ein ‚rechtlicher Zuftand 
denkbar ift, obgleich die einzelnen Formen im in» 
nern und außern Staatsleben, unter den Einflüffen 
der Zeitverhältniffe und der Sortfchritte des menſch⸗ 

lichen Geſchlechts in allen Verzweigungen der ſinn⸗ 
lichen, geiſtigen und ſittlichen Kultur, ſich bedeu⸗ 
tend verändern koͤnnen *); 


3) daß weder die bloße aͤußere Sicher— 
beit, noch die Beförderung der allgemei- 
nen Glüdfeligfeit, als Zweck des Staates. 
ausreichen ; weil die Sicherheit der Rechte zwar 
eine wefentlihe, aber nicht die hoͤch ſte Bes 
Dingung des Staatslebens ift, und weil die Gluͤck⸗ 
feligfeit, die blog den Imed des finnlichen 
Theiles der menfchlichen Natur ausmacht, weder 
der höchfte Zweck des Menfchen,, noch der hoͤchſte 
Zweck des Staates ſeyn, und überhaupt, als ein 
Gegenftand der Erfahrung ‚, nur nad) ganz indivi- 
duellen Bebürfniffen und’ Verpältniffen erſtreht 

und genoſſen werden kann; 


— 


S. 4073 „Der Zuſtand der Perſon, in welchem 
iede ihr Recht von ihrem phnfifhen Vermögen ab» 
hängen laffen muß, .der fogenannte Naturfiand, 
it ein widerrechtlicher Zuſtand.“ 


*) Der Staat hat nice die Beſtimmung, wie Einige 
wollten, fich ſelbſt entbehrlich zu machen. 
I. N 0 0... 


“ I“ u 
{ u 
. un " 
. , 
. — — — \. 








146 Staats- und Staatenrecht. 


4) daß zur Errichtung und zum Beſtehen eines 
Staates zwei weſentliche Beſtandtheile, nach der 
Vernunft, gehören: Land und Volk, d.h. ein 
Theil der Erde (ein Gebiet, Territorium), wel- 
her dem darauf in einer abgefchloffenen Rechts⸗ 
gefellfehaft lebenden Wolke als Eigenthum zu- 
ſteht; und eine Zahl von Menfchen, welche zu 
. einem felbftftändigen Volke auf dieſem Theile des 

Erdbodens rechtlich fich vereiniget haben, 


| 4. 
Erweiterung des Staatszweds. 


Allein die Wefen, welche im Staate zum Buͤr⸗ 
gerthume fich vereinen, bringen in diefe Rechtsge- 
sellfhaft nicht nur die Geſammtheit ihrer finnlid) - 
vernünftigen Anlagen, Vermögen und Kräfte mit, 
ſondern auch den allgemeinen Endzweck des menfch-. 
lichen Dafeyns: die Verwirflihung der Sittlich⸗ 
feit und Wohlfahrt ininnigfter Harmonie, 
Es darf mithin der Zweck des Staates dem Endzwede 
der Menfchheie nicht entgegen wirken; vielmehr muß 
der Zweck des Staates, nad) feiner Eigenthuͤmlichkeit 
— das Gleihgewicht zwifchen der äußern Freiheit , 
Aller zu vermitteln — die Verwirklichung des End: 
zwecks der Menfchheit erleichtern und befördern. Dies. 
gefchieht aber dadurch, daß, weil der Endzweck der 
Menfchheit nur durch Außere freie Handlun 
gen,in Angemeffenheit zu der innern reinen fitelichen 
Triebfeder der Handlung, verwirklicht werden kann, 
der Zweck des Staates das Gleichgewicht des Außern 
freien Wirfungsfreifes aller Staatsbürger begründet, 
aufrecht erhält und ſichert. Iſt alfo gleich der Zweck 
bes Staates nicht ein und berfelbe mie dem Endzwecke 











Staats: und Staatenrecht. 147 


‚ber Menfchheit; fo hängt er doch theils von diefem 
ab, inwiefern ver Menfch früher ift, als der 
Bürger, und der Menſch nie in den Staat treten 
wuͤrde und, nad) der Vernunft, treten bürfte, wenn 
“er den Endzwed der Menfchheit felbft im Staate auf 
geben müßte, oder nur einfeitig und zufällig erreichen. 
koͤnnte; theils ift fir die außere Thätigfeit vernuͤnf⸗ 
tig=finnlicher Wefen in Hinficht auf die Annäherung 
an den Endzweck der Menfchheit Feine Anftalt 
angemeffener und enffprechender, als der 
Staat, fobald der Zweck deffelben nicht in die bloße 
Sicherung der Rechte, oder in die Beförderung ber 
individuellen Vollkommenheit und Glüdfeligfeit, fon- 
dern in die unbedingte Herrfchaft des Nechts, in das 
Gleichgewicht der Außern Freiheit aller Bürger, ge— 
fegt wird. In diefem Sinne fann man daher von ' 
einee Erziehung des Menſchengeſchlechts 
durch den Staat reden; nicht als ob es die un⸗ 
mittelbare Aufgabe des Staates ware, bie in ihm 
zu Einem Ganzen vereinigten Bürger im Einzelnen 
für den Endzweck der Menfchheit zu erziehen, fondern 
weil der eigenthümliche Zweck des Staates die Ent» 
wicfelung und Ausbildung des Menfhenthums, 
neben der Erreichung des Bürgerthums, nicht nur 
nicht hindert, fondern Durch eine Menge von Anftalten, 
die in feiner Miete für Bildung, Wohlfahrt und Gluͤck⸗ 
feligfeitsgenuß beftehen, unterftugt und befördert. 
Es fann alfo, in die ſer Beziehung, der Zweck des 
Staates in die freiefte Annäherung aller fei- 
ner Bürger an den End;wed der Menſch— 
beit unter der unbedingten Herrfchaft,des 
Rechts gefegt werben. . 
( Hierher. gehört die geiftuolle Schrift von Karl 
Sal. za. hariä: über die Erziehung des 
10 * 


Zu 





£ 


l 


148 Staats- und Staatenrecht. 
Menfhengefhlehts durch den Staat. 
Leipz. 1802. 8., und. eine Stelle aus Krugs 
Handb. der Phil Th. 2. (MA) ©. 182 f: 
„der nächte und unmittelbare Zwed bes 

- Staates ift die. Verwirklichung der  Rechtsidee 
felbft, durch Stiftung des Bürgerthums als einer - 
Drdnung der Dinge, in welcher die practifche Gül- 
tigkeit jener Idee öffentlich anerfannt und gehand- - 
habt. wird, Weil aber. die Glieder einer folchen 

Rechtsgeſellſchaft finnlich - vernünftige Wefen find, 
deren: jedes in feinem eigenthümlichen. Freiheits- 
freife nad) Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit 
ſtrebt; ſo muß der Staat in dem Gefammtfreife 
feiner-Wirffamfeit nach demfelben Ziele ftreben. 
Der entfernte und mittelbare Zwed des 
Staates ift daher die Erhaltung des finn- 

lich⸗vernuͤnftigen Lebens aller Einzelnen 

‚in feiner Kraft und Fülle unter ber Herr 
[haft des Rechesgefeges.‘) - 


Li 5, 
Begriff und Theile des Staatsrechts. | 
Das philofophifche Staatsrecht (jus, 


publicum universale — jus civitatis‘) entfteßt als 
Wiffenfchaft, fobald die Grundfäge. der Vernunft , 
für Die Vermieklichung der unbedingten Herrſchaft 
des Rechts in der Mitte eines Volkes, unter der 
"Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges, ſyſte⸗ 
matiſch dargeſtellt und erſchoͤpfend durchgefuͤhrt wer⸗ 
den. Das philofophifche Staatsrecht iſt daher die 
ſyſtematiſche Darftellung der Grundſätze, 
nah mwelden bie unbedingte Herrfihaft 
des Rechts, oder das Gleichgewicht zwifchen ber 


— 


Staats »- und Staatenrecht. 149 


aͤußern Freiheit aller zur buͤrgerlichen Geſellſchaft ver⸗ 
einigten Weſen, unter der Bedingung des 
recht lich geſtalteten Zwanges innerhalb 
des Staates begründet, erhalten und ge 
fihert wird, fo daß zugleich , durch die Verwirk⸗ 
lichung diefes Iivedes des Staates, die Annäherung 
aller einzelnen Staatsbürger an den Endzweck ber 
Menſchheit felbft vermittelt und befördert werben 
kann und foll. 

Durch die Feftfegung dieſes Begriffs wird zu⸗ 
gleich die Eintheilung des Staatsrechts in ſeine 
einzelnen wiſſenſchaftlichen Theile ausgeſprochen. 
Denn aus jenem Begriffe des Staatsrechts als Wiſ⸗ 
fenfhaft gehen unmittelbar die beiden Untertheile 
deffelben hervor: 

4) Darftellung aller Bedingungen fuͤr die Ge⸗ 
ſtaltung des Staates, als einer buͤrgerlichen Geſell⸗ 
ſchaft, in welcher der Zweck der unbedingten Herr⸗ 
ſchaft des Nechts verwirklicht werden full (das 
reine Staatsredr); 

2) Darftellung der Bedingungen des rechtlich 

geſtalteten Zwanges im Staate (allgemeines — 
oder pbilofophifces Strafrede). 


6. 
Verpältniß des Staatsrehts zu den an 
bern Staatswiffenfhaften.. 


Nah feinem Verhältniffe zu den andern 
Staatswiffenfchaften fügt fich das Staatsrecht ruͤck⸗ 
wärts auf das Naturrecht, deſſen Jdeal der unbes 
dingten Herrſchaft des Rechts, wie es qus der ewigen 
und unveraͤnderlichen Gefeßgebung der Vernunft ber» 
vorgeht, im Staatsrechte der Wirflichfeit um einen 
Schritt näher. gerückt wird, weil der Begriff des 


150 Staats» und Staatenrecht. 


‚Staates aus der Erfahrung ſtammt, mithin jenes 
Ideal im Staatsrechte angewands wird auf Die Ges - 
fammtzahl der Individuen eines Volkes, wie fie, nach 
der erfahrungsmäßigen Anfündigung, aus einer 
Mifhung von fittlich - mündigen und fittlid) - uns 
mündigen Wefen beftehen. OP nun alfo gleich) das 
allgemeine Staatsrecht infofern eine philofophis. 
ſche Wiffenfchaft bildet, inwiefern feine Grundfaͤtze 
aus der Vernunft hervorgehen, und fein Staat in., 
der Wirflichfeit, fo wie fein pofitives Staatsrecht 
ben Forderungen ganz entfpricht, welche Das Staates - 
recht aufftellt; fo fteht. doch das philofophifche Staats⸗ 
recht ver Wirflihfeitnäher, als das reinidea- 
lifhe_Naturreht, weil es cheils die Menfchen 
nimmt, wie fie fich als ſittlich⸗muͤndige und als ſittlich⸗ 
unmüuͤndige Wefen anfündigen, und weil esnamentlid) 
in Beziehung auf die äußere Anfündigung ver legtern 
den rechtlich geftalteten Zwang wiffenfchartlich begrün- 
det; theil s weil es, nach Diefer feiner Annäherung an 
die Wirklichkeit, zugleich in fich den wiffenfchaft-. 
lihen Maasftab für die Vollfommenbeit 
oder Unvollfommenbheit jedes pofitiven 
öffentlihen und Privat-Rechts enthält, das 
entweder bei erlofchenen Völfern und Reichen beftand, 
oder noch in der Mitte vorhandener Staaten und Voͤl⸗ 
fer befteht. — Aus diefem Verhältniffe der Abhaͤn⸗ 
gigfeit des -Staatsrechts von dem Maturrechte ergibt 
fich . zugleith, daß — bei Folgerichtigfeit des fyfte- 
matifchen Denfers — jebesmal das Staatsrecht fo 
erfcheinen'muß, wie fih das Naturrecht wiſſenſchaft⸗ 
lich anfündigt *), 0 ne 
*) Wird z. B. in dem Naturrechte geläugnet, daß jede 

rechtliche Gefellfchaft unter freien Weſen auf Vertrag 





Staats: und Staatenrecht. Ä 154 Ä 


Bur Staatsfunft (Polidf) wich’ nber das 
Verhaitniß des Staatsrechts darauf beruhen, daß, 
wenn im Staatsrechte ausſchließend das, mas recht 
iſt, aufgeſtellt wird, ohne dabei die Sehren der. Ge⸗ 
ſchichte und Erfahrung „ und hie aus benfelben abges- 
leiteten Regeln der Klugheit zu berüdfichtigen , Die 
Staarsfunft die Forderungen der Vernunft mit 
den Ausfagen der Gefhichteverbinder, und neben 
wen Forderungen des Rechts die Regeln ber. Erfah: 
rung und Klugheit — doc) jebesmal unter der Be⸗ 
Dingung ihrer Rechtlichkeit — für die Verwirklichung 
des Staatszweckes aufftelle, wo alfo der aus der finn- 


- tichen Natur des Menfchen bervorgehende Zweck der 


Gtirdfeligkeit und Wohlfahrt der Indivi⸗ 
duen und des Ganzen gleihmaßig, mit dem Zwecke 
des Rechts, beruͤckſichtigt und feftgehalten wird. 

Ein ähnliches Verhaͤltniß bezeichnet die wiffen- 
fchaftlihe Stellung des Staatsrehts zu der Volks⸗ 
undStaatswirthfchaft. Der ewig gültige Zweck 
der Herrſchaft des Rechts, welchen das Staatsrecht 
nach allen auf die Wirklichfeie anwendbaren Grund⸗ 
ſaͤtzen aufſtellt, kann und darf in ber Volks- und 
Staatswirthfchaft nicht gebeugt oder befchranft wer« 
den, Allein wenn diefer Zwed in der Bolfswirch- 
fhaft auf alle Quellen, Bedingungen und Anfün- 


digungen des Woltemofiftandes und "Solfsnermögene 


beruft; fo tann auch im Staatereqht⸗ nicht von 
einem Gefelfhaftsnertrage die Rede ſeyn. Stuͤtzt 
- man das Naturrecht auf den veralteten, blos nega 
tiven, Grundſatz: neminem Jaede, gder: suum 
euique tribus u. f. w.; fo wird auch der Staat 
in einem folchen Staatsrechte blos eine Sicherheits⸗ 
‚anftalt mit willkährlicher Anwendung (ohne 
rechtliche Geſtaltung) des Zwanges ſeyn. nn 


Sn 


252°  Staats« und Stantenredy. 


bezogen wirdʒ fs erfeheint er in: ber Staatswirtk- | 
{haft nad feiner Anwendung auf die Ausmittelung 
und Dedung des Staatsbebarfs. aus dem Volksver⸗ 


maoͤgen, und nach dem rechtlichen Einfluffe ber Re⸗ 


gierung im Staate auf die Leitung des Volkslebens 
und Volksvermoͤgens. 

Zur bie gefhichtlichen Staatswiſſenſchaften 
endlich (Geſchichte des europaifhen Staa— 
kenſyſtems, öffentliches Staatsrecht, 

practiſches eurobaiſches Voͤlkerrecht, Di— 
plomatie uf. w.) bleibt der im Staatsrechte auf⸗ 
geftellte Zweck der Herrfchaft des Rechts, ſo wie die 
Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges in der 
Mitte der in der Wirklichkeit beftandenen und noch 
befiehenden Staaten, der höchfte Maasftab für die 
Wirdigung und Beurteilung aller Ankündigungen 
‚bes inneren und aͤ äuße en Staatslebens. 


— 


J 7. 
Begriff und Inhalt des Staatenteches 


Da, nach der Vernunft, der Zweck Dis Staates 
unter der "Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges 
| überhaupt, und ohne Einfchränfung‘, für alte auf dem 
Erdboden neben einander beftehende bürgerliche 
Gefellfhaften, die wir Staaten nennen „gilt; 
fo entftehe auch das Staatenredht, oder die wiſ— 
ſenſchaftliche Darfellung . der allgemei« 
nen Örundfäße des rehtlihen Nebenein— 
ünderbeftebens aller Staaten des Eudbo- 
bens,unterderBedingung des zwiſchen ih— 
nen rechtlich geftalteten Zwanges nach vor— 
hergegangenen Rechtsverletzungen, eben 
ſo durch die. Erweiterung des Stanssrechts auf alle 





⸗ 


a. und XRXRX 153 


neben einander beſtehende blirgerliche Geſellſchaften 
wie das Voͤlkerrecht durch die Erweiterung des 
turrechts auf die in der Vernunftidee neben einander 
beftehenden Völker geBildee wird, . 
unten Be. 0; 20. 
| Siteratur des Staatsrechts. 
Bei der Aufführung ber hierher gehörigen Schrife 
ten muß bemerft werden ‚ daß theils bas Staats: 
recht von Vielen fogleih in Verbindung mit dem 
“ NMaturrehte behandelt worden Ift, deren Werfe 
bei ber Literatur des Maturrehts bereits (vergl. 
$. 13. des Maturrechts) aufgeführt wurden, und 
bier nicht wiederhohle werden; theils daß eine 
. bedeutende. Zahl — befonders älterer Schriftftel- 
lee — Staats recht und Staatsfunft bei ihren 
Unterfichungen nicht genau von einander ges 
fhieden, . und ee ‚ welche zunaͤchſt der 
Staatefunft angehören (3. B. über die verfchiedenen 
Kegierungsformen, über die einzelnen Zweige ber 
Berwaltäng:sc.), fogleich ins Staatsrecht gezogen 
“ Haben. Die Schriften dieſer leßfern, wiewohl fie. 
auch der Staatsfunft angehören, werden, weil fie 
nur einmal aufgeführt werden fönnen, ſogleich 
unter der Literatur des Staatsrechts genannt, nach 
demſelben Maasſtabe, wie beim Naturrechte diejeni- 
gen Schriften aufgenommen wurden, welche Natur- 
und Sraatsredt gemeinſchaftlich behandeln. 


* * %* 


—. gr. Bautl, Sedanten von dem Begriffe und 
2. ben Grenzen ber Staatéekenntniß. Halle, 1750. 4. 

. . oh. Tobi - Wagner, Entwurf einer Staates 
Sihliorhet Seth u " 172% 8. 





154 Staats- und Staatenrecht, 


Peterſen (unter dem Damen: Io. Wilh. Dias. 
eidus), Literatur der. Staatslehre.. Erſte Abtheil. 
Sitrasb. 1798- 8- (ward nicht fortgefeßt.) 

” * 
* 

Plato, de. republica, s; de "and, bt x. 

(Teutfh: Plato's Republit, v. Ir. Karl Wolf. 
2. Th. Altona, 1799. 8. — aud von Stfr. Fähfe, 
2 Th. Lpʒ. 1800. 8.) — Politicus, s, de regno. — 
‚ De legibus, #.’ de legum institutione, libri XII. 
. (Car. Morgenstern, de Platonis republica 
commentationes tres, Hal. 1794. 8.) 
u : Aristoteles, politicorum s. de republica li- 
‚  — bri VIII (nit vollkändig erhalten); mit. lat. Ueber 
„2. feßung, Einleitung und Verbefferungen herausgeg. 
von Herm. Conring. Helmftädt, 1656. 4 
(Teutſch, von Garve, herausgeg, mit Anmeik. 
und Abhandlungen von Fälleborn. Th. Bresl. 
1799 u, 1802.98: — Ariſtoteles Politik und 
Sragment der Oekonomik, aus dem Gries 
hifhen überfegt und ‚mit Anmerkungen und einer 
Analyfe des Textes verfehen von J. Geo. Schlofe 
fer. 3 Th. Lübe u. Lpz. 1798. 8.) 

Cicero,'de legibus libri 11]. (Teutfd mit 
Okrit. Einleitung und Anmerkungen von Fr. Huͤlſe⸗ 
mann. $p..1782. 8.) — Bon Eicero’s ſechs 

Büchern de republica haben fih nur einige, minder 

bedeutende, Bruchſtuͤcke erhalten. 


* 
* gr 


Nic. Machiavelli, il principe. In Venezia, 
1515. 4; latine, cum animadvers. politicis Herm, 
. Conringii. Helmst, 1660. 4. N. E. 1686. — 
C(CTeutſch, mit Anmerk. und Zufägen von Rebe 
— berg. Hannover, 1800. 8. — auch von F. N 
Baur, Rudolſtadt, 1805. 8.) 


Die wichtigſten Gegenſchriften find: 
(Friedriche — noch als Kronprinz, Vf. des) 
Antimachiavel, ou essai de Critique sur le prince 
de Machiavel, "pahlie par Voltaire, a Goett. 1741. 


8 (Teutfd, Goͤtt. 1741. 8) - 


. 


> 


Staats⸗ und Saaatenrecht. 150%. 


Lubw. Heine: Jakob, Antimachiabelt oder 

über! die Grenzen des buͤrgerlichen Gehorſamag Zus 

erſt Halle, 1794. 8. anonym; dann dte Aufl. 

1796 mit des: Bis. Namen :: . 

- Thofl. Motus, de optimn: Teipubligne ntatu, 
deque..nove inaula. Utopia, . Erfhien zuerſt 1517. 


. Col. 16055. 8. (übeshuupt in vielen Auflagen.) Gran 


zoͤſiſch, à ‚Paris 1731. Teure, FIrkf. und ED. 
17 53. 

——— Langnet), Vindiciae cdntrot turan- 
nos, 8 de principis in populum, populique, in 
principem Jegitima potestate; Stephano ] unio 
Bruto, Celta, auctore. Soloduri, 1569. 


Jo. Bod. imus, de repüblica ſibri VI. (Erſchien 


zuerft framzöſiſch, 15765 — von ihm feibft aber 
verbeffert u. vermehrt, lateinifxh) Paris. 2584. 4. 
Just. Lipsius, politicorfum s. civilis doctrinae 
lbri VI. Lugd. Bat. 1590. 8. Antw. 1596. 8 — 
Teutſch, Amberg, 1599 
Melch, v. Dffe,. ‚ prudentia regnativa,; d. i. ein 
nügliches Bedenken, ein Regiment fowohl in Krieges 


als Friedenszeiten decht zu beſtellen, zu verbeſſern 


und zu erhalten. 1555 beſchrieben. — Die ' beſte 
Ausgabe unter dem Titel: D. M. v. Offa Teſta⸗ 
ment gegen Herzog Auguſto Churfurſten von Sachſen. 
Halle, 1717. 4. 

Jo. Casus, sphaera eiyitatis, B. politicorum 
libri g. Fraänöf. 1589 4 ' 

Jo. Mariana, de rege et regis institutione 
libri 3, ad Philippum III. —* retzem. Ed. 2. 
1. 1611: Be 
Chstph. Besold, opus politicum. Ed. nova 
reipublicae naturam et" constitutionem, ejusque 
in omnibus partibus gubernationem libellis ı@ 
absolvens. Argent. 1641. 4. erfchten zuetfl 1614. 

Henning, ‚Arnisabds( de republica, s. lectio- 


‘nes politicae, ]. 2.' Franck. 1618. 4. 


Jo. Loccenius, de ordiuanda republica, li- 
ber 4. Amstel: 1637.. 182. 

Thead. . Graswinkel, de jure majdstatis. 
Hagao, MAL 4. rei. PR 


» 


\ 


156 


» % 


Staats'- und Staatenrecht. 


8 


Rob. Filmer, Patriarcha, or the natural 


on power of kings; ſteht in ſeinen political ‚discoui- 


ses, Liond, 262. .: 


Thom. Hobbas, de eive;..ift der dritfe Abe 


2 ſchnitt in ſ. elementis pbilosophicis. ‚Paris. 1642. 
4. — Weiter ausgeführt in f. ‚Leristhan, s. de 


materia, forma. et potestate civitatis. (Erſchien 


. zuerft engliſch, zu London, 1651. Bol. — Latels 


nifch) Amst. 1668. 4. (Die lat. Ueberſetzung foll 
nicht vom Hobbes ſeyn.) Teutſch,2 2. Dale, 
1794 f. 8. 


Dagegen: 


Paul Joh. Anfelm. $ euerbad, Antihobbes, 
oder über die Grenzen der hoͤchſten Gewalt. ır Th. 


. Erf. 1798. 8: 


(Bu hhel,) Antileviathan, oder über das 


+; Verhältniß der Moral zum äußern Rechte und zur 


Politik. Goͤtt. 1807: 8. 
‘ Herm. Conring, de civili prudentia. Helmst. 


1662. 4. — Propolitica, s, brevis introductio in 


eivilem philosophiam. Helmst. 1663. 
Ulr. Huber, de jure civitatis libri 3. Franc. 


1672. 4. — Ed, nov. c. commentar. Chr. Tho- 


masiiet N. Lynkeri, cura J. Ch, Fischeri, 


Francf. et Lips. 1752. 4. 
Casp. Ziegler, de juribus majestatis, Vit, 


2692. 4. (nahm wiele willkuͤhrliche Geſetze auf.) 


ud, God. Kn ich en, opus politicum, libri 3. j 


Francf. 1682. Fol. 

„Algernoon Sidney, on government, Lond. 
1608. Fol, —. Neue:und verm. Aufl. 1763. 
—A in 4 Theilen. Von Samſon, — 

8. — Teutfch, in 2 Theilen, mit Anmerk. 


1755. 
‚und Abhandlungen pon Chr. Dan. Erhard. Lpz. 


1793. 8. — Ein Aus zu g daraus von Ludw. Heinr. 


-Satob- Erf. 1795. 8. 


 tiqus;_in deffen opp: posth; und in der Berten' 


Bened. de Spinoza, tractatus theologico-poli- 


von Paulus herausgegeben, ÜB..1. :..: 0, 


— 


\- 


Staats» und Staatenrecht. 457 


John Locke, two treatises of government. 
Lond, 1690. 5 — Teutſch, Jena, 1716: 8. 

| * * * —X 

Die erſte Trennung des Rechtlichen von dem Po⸗ 
litiſchen verſuchte: 

J. Nic. Hertius, paedie juris public univer-. 
'salig. Gielsae, 1694. 4. Diss ' 

- Just, Henning Böhmer, introductio in jus 
publicum universale. Hal. 1709. 8. Ed 4ta. 1773. 

Ephraim Gerhard, Einleitung zur Staatslehre. 
Sena, 17113. — N. A. 1716. 

Franc, Schmier, jurisprudentia publica uni- 
versalis, Salisb.. 17002. Fol. 

- God, Erna. Fritsch, jus publicum universale. 
Jense, 1734. ß 

Sofeph Sr. Laguemacd, allgemeines gefellfhafts 
liche⸗ Recht, nebſt der Politik. Berl. 1745. 8 

Chr. L. B. de Wolff, de imperio publico, 

; jure civitatis, in quo omne jus publicum uni- 
versele demonstratur et verioris politicae incon- 
cussa fundamenta ponuntur. Hal. 1748. 4. (aud 
der. fiebente Theil f. jus naturee — „Finis 
civitatis sunt vitae sufliciontia, tranquillitas et 
securitas.*) 

J. Jacq. Rousseau, discours sur l’origine et 
les fondemens de linegalite parmi les hommes, 
Amst..1ı755. Teutſch, Berl. 1756. & — Du 
contrat social, ou principes du droit politique, * 
Amst. 1768. 18. Teutſch, von Shramm —. 
Düffeld. 1800. 87 — Eine andere Uesberfegung, 
anonym, Frkf. am M. ‚800. 8. | 
—CG6GHhume's und Rouffeau’s Abhandlungen 

über den Urvertrag, nebft einem Anhange über die 

Leib hefſt, von G. Merkel. 2 Th. Leipzig, 

179/°:8 u 
v. Rent, bie Staatstunf; aus dem Franz. 
von F. Phil. Schulin. 6 Th. Frankf. u. Leipz. 
1762 ff..8. (Der vierte Theil enthält das öffent 

x use Recht. 1766. 
. 3. Chefin. Foͤr ſter, Einleitung in die Staats⸗ 


458 


Staats⸗ und Staacenrecht. 


“ lehre, nach den Grundſaͤtzen des Gem’: von Mons 
.. sesquien. Halle, 1765. 8. 


Herm. Fr. Kahbrel, jus publicum universale, 
Gielsae, 1765. 8. 

Car. Ant. de Martini, 'positiones de jure 
civitatis. Vindob. 1768. 8. Ed. 8. 1773. — All 
gemeines. Recht der Staaten.. Wien, 1797. 8. 

Heinr. Gtfr. Scheidemantel, das Staats⸗ 
recht nah der Vernunft und den Sitten der vor 
nehmften Voͤlker betrachtet. 3 Thle. Jena, 1770 — 
73. 8: — Das allgemeine Staatsreht und nad 
der Negierungsform. Siena, 1775. 8. 

v. Juſti, Natur und Wefen der Staaten, als 
die Quelle der Regierungswiffenfchaften und Geſetze, 
beransgeg. v..Scheidemantel. Mitau, 1771. g. 

Pet. Miller, Orundfäge eines Stähenden 
hriftlihen Staates. Ep. 1775. 8. 

Heinr. Home, Unterfuhung über bie, moralifchen: 
Geſetze der Geſellſchaft. A. d. Engl. Lpz. 1778. 8- 

J. F. L. Schrodt, systema juris publici uni- 
versalis. Bamb. 1780. 8. (erfchien zuerft 1763 gu 


Prag in 4 als Difputation ‚des Grafen Karl von 
| Kauntg.) 


ev. $r. v. Lampredt, Verfuh eines voll - 
ftändigen Syſtems der Staatsiehre. ır Th. Berl. 
178}. B- 
Syſtem der bürgerlichen Geſellſchaft, oder natuͤr⸗ 
liche Grundſaͤtze der Sittenlehre und Staatskunſt. 


2 Th. Aus dem Franzoͤſ. Brest. 1788. 8. 


(EU D. v. Eggers), Verſuch eines ee 
matiſchen Kehrbuhs des natürlihen Staatsvechts. 
Altona, 1790. 8. — Institutiones juris civitatis 
publici et gentium universalis. Hafn, 1796. & . 
(Das erfte Werk erfhten anonym; das zweite mit 
des. Vfs. Namen.) oo. 

Ang. Ludw. Schloͤzer, allgemeine RStaatsrecht 
und Staatsverfaffungsiehre. Goͤtt. 1793. 8. 

Freih. v. Mofer und Schlözer über die oberſte 


Gewalt im Staate, mit Anmerkungen eines Uns 


partheiifhen. Meißen, 1794. 8. — Etwas vom 


Staatsvertrage. Ein Nachtrag zu der Schrift: 








Staats⸗ und Staatenrecht. 159 


Mofer u. Schloͤzer ꝛc. Meißen, 1795. 8. — Ueber 
das A in Veziehung auf ben ©taat. 
Meißen, 1795. 8» 

Kari 3. Wedekind, kurze ſyſtematiſche Darftels 
lung -des allgemeinen —2* Frkf. und ep. 
1794. 8. 

Bom Staate und den wefentlichen Rechten, der 
hoͤchſten Gewalt. Goͤtt. 1794. 8. 

K. Heinr. Heydenreich, Grundſaͤtze des natuͤr⸗ 
lichen Staatsrechts und feiner Anwendung. 2 Thle. 
Lpz. 1795. 8. — Weber die Heiligkeit des Staates 
und die Moralität der Revolutionen. Lpz. 1794. 8. 

Theod. Schmalz, narürlihes Staatsreht (iſt 
der are Th. f. Rechte der Natur). N. A. Lonigeb. 
1795. 8. 

J. C. € Rüdiger, Anfangsgruͤnde der allger 
meinen Staatsiehre. Kalle, 1795: 8. 

Chiin. Dan. Voß, Handbuch der allgemeinen 
Staarswiffenfhaft nah Schloͤzers Grundriſſe. 4 Thle. 
(Das Staatsrecht wird im erften Theile behans 
deit.) Lpz. 1796 ff. 8 

J. Chſtph. Soffbauer, allgemeines Staates 
recht. ar Th. Halle, 1797. 8. 

Heine. Benfen, Verſuch eines foftemat. Grund⸗ 
riſſes der reinen und angewandten Staatslehre. 3 
Theile. Erl. 1798 ff. 8. — Bon der zweiten verm. 
und verb. Auflage gab der Vf. nur nody Th. ı, vor 
‚ feinem Tee, unter dem Titel heraus: Syſtem der 
telnen und angewandten Staatsiehre. Erl. 1804. 8. 

8. Theod. Gutjahr, populäre Darftellung des 
Staatsrehts. %pj. 1801. 8. 

Wild. Jof. Behr, Syſtem der allgemeinen Staates 
lehre. ıv Th. Bamb. u. Würzb. 1804. 8. — Neuer 
Abriß der Deaatswiſſenſchaftelehre. Bamb. u. Wuͤrz⸗ 
burg, 1816. 8. 

Sof. Mic. Vince. Burkhard t, Urgeſetze des 
Staates und ſeiner norhwenbigen Majeftätsrechte. 
ır Th. in 2 Hälften. Erl, 1806 f. 8 

Der Staat in der dee, und die Gültigkeit des 
Geſebes in demſelben. Hof, 1806. 8. CEgeht von 


2 


+ 


160 


Stanis » und Staatenrecht. 


Schellingiſcher Philoſophie aus, wie her Bei der Lit. | 


des Naturrechts angeführte Niblern,). 

J. P. 2. Reisler, natürliches Staatsrecht. 
Frankf. a. M., 1806. 8. 

Karl Ludw. v. Haller, über die Nothwendigkeit 
einer andern oberſten Begruͤndung des allgemeinen 
Staatsrechts. Bern, 1807. 8. — Reſtauration der 
Staatswiſſenſchaft. Theile. Winterthur, 196 - — 
1820. 8. 


Gegen dieſes Werk: 


Wilh. Traug. Krug, die Siaatswiſſenſchaft im 

Reſtaurationsprojeſſe. Lpz. 1817. 8. 

K. Heinr. Ludw. Politz, die Staatslehre. 
2 Theile. Lpz. 1808. 8. 

J. Jac. Wagner, der Staat. Wuͤrzb. 1815. 8. 

S. Craig, Grundzuͤge der Politik. Aus dem 
Eng. v. Hegewifch. 3 Th. Lpz. 1816. 8. 

Sul. Schmelzing,. Srundlinien der Phyſio⸗ 
logie des‘ Staates, oder die fogenannte Staats⸗ 
wiffenihant und Politik. Nuͤrnb. 1817. 8. 

Müller, von der Nothwendigkeit einer. 
eheotosifhen Grundlage der gefammten Staatss 
wiffenfhaften, und der Staatswirthſchaft insbe⸗ 
ſondere. Lpz. 1819. 8. 

Karl Sal. Zahariä, Vierzig Buͤcher vom 
Staate. 2 Th. Stuttg. u. Tüb. 1820. 8. (bis jet 
nuͤr 20 Bücher.) 

Sr. Ancilton, über die Sadatswiſſenſchaft. 


Berl. 1820. g. 


IJ. Gtli. Fichte, die Otaatslehte, oder uͤber 
das Verhaͤltniß des Urſtaats zum Vernunſtreiche. 
Berl. 1820. 8. (Schon früher Hatte er in den 
„Srundzügen_des gegenwärtigen .Zetts 
alters” Berl. 1806. 8 ©. Zı2 ff. die Idee 
und das Materiale des abſoluten Staates auf⸗ 


geſtellt.) 





Staacs und Staatenrecht. 461 
A) Das reine Staatsrecht. 


re 
Inhalt und Theile des teinen Staats 
0 M vehes. \ 
- Die Vernunft. ann ben Menfchen in der Wirk⸗ 
Lichfeit nicht anders denfen, als im Staate (nicht 
im: fogenannten Naturſtande), weil ber Staat bie 
einzig rehtlidhe Bedingung ift, dem Ideale 
ber Herrſchaft des Rechts fich zu nähern, 

‚Daraus folgt, thei-ls daß Das Leben im Staate, 
von welchem durch die Aufhebung des Naturftandes 
alle Selbſthuͤlfe ausgefchloflen wird, der einzige recht- 
liche Zuftand für die Behauptung der perfonlichen 
und dinglihen Rechte ift; theils, daß durch den 
Zweck des Staates der Endzwed der Menfchheit felbft 
nicht nur nicht gehindert, fondern befördert und unter« 
flüge werden foll (9.2 — 4), weil nur auf die Be⸗ 
dingung, biefem. Endzwecke ununterbrochen fich zu 
nähern, ber Menſch in’ die im Staate nothwendige 
Befchränfung gewiſſer einzelner Rechte, mit voller - 
Zuftimmung feiner Vernunft, einwilligen kann. Niche 
alfo blos Äußere Sicherheit, nicht blos: individuelle 

‚ober allgemeine Gluͤckſeligkeit, und eben fo wenig blos 
ber leidende Gehorfam von Millionen fitelicher, zum 
grenzenlofen Sortfchreiten von Gott beftimmter, We⸗ 
fen, fondern die gefeslich begründete, und 
vermittelft des rechtlich geftalteten Zwan- 
ges für immer gefidherte, Freiheit aller _ 
Staatsbürger Durch eine vertragsmäßig 
gebitdereöffentlihbe Macht, welche die all— 
mäßlige Annäherung atler Mitglieder ber 
bürgerlihen Gefellfhaft anden Endzweck 

1. | 11 \ 





162. - Staats» und Staatenreche. 


ihres heſammten menfchlichen Daſeyns 
durch die Verwirklichung der Herrfchaft 
des Rechts innerhalb des Staates als die 
hoͤchſte Aufgabe ihrer Thätigfeit betrad- 
tet, ift das Ziel, welchem der Staat in allen feinen 
Einrichtungen und Anftalten zuftreben ſoll. — Das 
Staatsrecht muß daher, als Wiſſenſchaft, die Mit 
ee l’aufftellen, wodurch. der Zweck des Staates, bie 
“allgemeine Herrfchaft des Rechts, vernunftgemäß 
‚erreicht. werden fann. Da aber der Staat feine leb- 
lofe Maſchine, kein bloßer Naturorganis— 


m 


‚mus. mit Ausfhluß der Gefege der Vernunft und. 
Freiheit, feine Aufbewahrungs: und Zuctanftale für 


ehierifche Gefchöpfe,, fondern ein Verein freier Wefen 


ift; fo muß auch allen Mitteln, welche zur Ver⸗ 


wirflichung des Staatszwedis im Staatsredte aufs 


geftellt werden, ver Begriff zum Grunde liegen, daß - 


die bürgerliche Gefellfehaft ein freies, lebensvolles, 


ein in allen feinen Theilen innigft sufammenhängen- 
des, und, nad) dem Örundcharafter der Menfchheit, 


ein zur höheren Vollkommenheit beſtimmtes und ders _ 


selben ſich näherndes Ganzes bilde. Daraus ergibt 
fih , Daß unter der rechtlihen Form des Staas 
tes nur der gefammte Umfang aller der Mittel und 
Bedingungen verftanden werben kann, durch welche 
ber Staat als ein in allen feinen Theilen rechtlich 
geftaltetes, lebensvolles und fortfchreitendes Ganzes 
erfcheint, und alg ſolches in der Wirlicheeit wahr: 
genommen wird, 


— 


Aus dieſem Standpuncte gefaßt, gehören zu den 


Bedingungen der rechtlichen. Form bes Staates. 


a) die Urvertraͤge, auf welchen ber Staat 
‚als Recherseſelſſchaft beruht; 


+ 


Staats» und Staatenrecht. 163 


b) bie Höhfte Gewalt im Staate nad 
ihren einzelnen Theilen; 
c) die aus ben Urverträgen und ber Theilung 
der höchften Gewalt hervorgebende rechtliche Form 
der Berfaffung und Regierung des Staates. 


10. 
a) Lehre von den Urverträgen bes Staates. 


Die Vernunft kann nur biejenige bürgerliche 
Gefellfchaft als rechtmäßig anerfennen, welche auf 
Vertrag beruht, weil (Naturr. $. 22.) Fein Ver⸗ 
bältniß in dem äußern freien Wirfungsfreife fittlicher 
Wefen, und namentlich feine Beichränfung oder Er- 
weiterung diefes Kreifes, anders, als durch freie 
Zuftimmung und Bereinigung der contrahirenden 
Theile, gedacht werden kann. 

Unter den Urvertraͤgen des Staates, 
mögen dieſelben nun bei der Entſtehung der Rechts⸗ 
geſellſchaft förmlich abgeſchloſſen worden ſeyn, oder 
nach der Natur ſtillſchweigender Verträge (Na 
turr. $. 24.) gelten, werden daher diejenigen verftan« 


den, durch welche der Staat als Kechtsgefellfchaft 


begründet, und deflen Form vernunftgemäß wird, 
fo daß vermittelft. dieſer Urverträge Die Staatsbürger 
ſich vereinigen über den Zweck des Staates, uͤber 
die Mittel zur Erreichung Diefes Zweckes, und über 
die Arc und Weife, mie diefe Mittel theile jur 
Erreihung, theils zur bleibenden Sicherftellung des 
Stautszwedes angewandt werben follen. Diefe Ur- 
‚verträge "find: der Bereinigungs-, der Ver- 
faffungs- und der Unterwerfungs vertrag. 
Sie zufammen bilden den Staatsgrundvers 
trag, inwiefern nur in ber Wiſſenſchaft, nicht bei 
11 “ | 


46% - Staats» und Staatenrerht. 


ber geſchlchtlichen Entſtehung des Staates, zwiſchen 


den Begriffen beſtimmt unterſchieden wird, welche 


jeden dieſer drei einzelnen Verträge begründen. 


. 
⸗ 


Ob gleich Grotius, Locke, Kant und die 
ausgezeichnetſten Forſcher alter und ‚neuer. ‚Zeit 
— felbft Hobbes und Rouffenu, nur beide 
nach ganz verfchiedenen' Anſichten — das Wefen 
des bürgerlichen Vereins auf eine vertragsmäßi 
Begründung zurüdführen, und fogar ehatf —9* 
liche vertragsmaͤßige Begruͤndungen der Rechts⸗ 
Lverhaͤltniſſe innerhalb des Staates in der Geſchichte 
vieler Reiche und Staaten der alten, mittlern und 
neuern Zeit (bei, den Hebräern, beider Wahl Pi⸗ 
pins, Hugo Capets, in. den Waplcapitulationen 
ber Könige Teutſchlands, Polens u. f. w.) unver⸗ 
kennbar vorliegen; ſo haben doch Einige in neuern 
Zeiten die Lehre vom Staatsgrundvertrage beſtritten 
und ſie ſelbſt als bedenklich und gefaͤhrlich darge⸗ 
ſtellt. Allein der Urvertrag des Staates 
iſt, nach der Idee der Vernunft, keine Ueberein⸗ 
kunft in der Zeit abgeſchloſſen, ſondern das ewige, 
aus der Vernunft mit Rothiwendigkeit hervor⸗ | 
- gehende, Rechtsgeſetz, das jedem Vereine, mit 
‚ ‚hin auch dem hoͤch ſten und wichtigften, dem 


bürgerlichen, feine recheliche Unterlage gibe, 
- und die gefammten Rechte und Pflichten derer bes 


ſtimmt, die innerhalb des Vereins leben. Indem 


der Staatsgrunbvertrag , in diefem Sinne ,- alle 
Volksgewalt und alle Willkühr ausfchließe, gruͤnder 


er das buͤrgerliche Verhaͤltniß auf das feſte und un⸗ 


veraͤnderliche Geſetz der Sittlichkeit, und 


gewaͤhrt dadurch beiden, den Regenten und ben 
Völkern, eine Garantie, die, entfprungen aus 
ber fi telichen Natur des Menſchen ‚, auf einem 


I) 


Staats »- und Staatenrecht. 165 


ungerflörbaren Grunde beruht, mie welchen bie 
Rechtstitel der Eroberung, der phufifchen Gewalt, 
: der Willführ -u. ſ. w. weber nad) ihrem innern 
Werthe, noch nad) ihrem äußern Gewichte vergli⸗ 
hen werden koͤnnen. Denn fo wie mit der dee 
dieſes Vertrages von Seiten des Regenten aller 
Deſpotis mus unvereinbar ift; fo ift diefer Ver⸗ 
trag gleichmäßig auch von Seiten der Völfer die 
ſtaͤrkſte Schutzwehr gegen Anarchie, weil er 
aus denſelben Gründen, nach welchen er den 
feidenden Gehorfam im Reiche fittliher Wefen ver: 
wirft, jeden Widerftand gegen die verfragsmäßig 
beftehende — mithin rechtlich geftaltete — Staats» 
gewalt als widerreihtlid verdammt, und für im⸗ 
mer ausfchliegt. — Uebrigens tft diefer Staats- 
griindvertrag, eben weil er auf einer ewigen Idee 
der Vernunft berubt, ein ewiger Vertrag ‚und 
der Staat eine ewige Gefellfchaft ($. 3.), fo daß 
man nur aus Mißverftand meinen fann, derfelbe 
fen willführlich-gefchloffen, und fönne willfüßrlich 
aufgehoben werben. Denn weil er nicht erft in der 
Zeit abgefchloffen zu werden braucht, fondern auf 
der Idee der Menſchheit ſelbſt — d. h. auf der Idee 
des, in dem aͤußern freien Wirkungskreiſe aller 
geſellſchaftlich verbundenen ſittlichen Weſen be⸗ 
ſtehenden, Gleichgewicht der Rechte — beruht, 
iſt er unveraͤnderlich, ewig und uͤber jede Willkuͤhr 
der Regenten, wie der Voͤlker erhoben. 

Die Mißverſtaͤndniſſe uͤber den Grundvertrag 
des Staates, welche ſelbſt Forſcher, wie Koͤppen, 
Ancillon u.a. bewogen, die Annahme deſſel⸗ 
ben zu verwerfen, koͤnnen, bei ſolchen Männern, 
ihren Grund nicht in der "Abneigung gegen eine 
fitelihe und deshalb ewige Örundlage: 


/ 


166 . Staats und Staatenrecht. 


der bürgersihen Gefellfchaft, fondern nur 
in der Berwechfelung des geſchichtlichen Urs 
(prunges ber Staaten mit der vernunft- 
gemäßen Geftaltung derſelben haben. 
Denn. allerdings zeige die Gefchichte der alten und 
neuen Zeit, Daß unzählige Staaten nicht durch 
Vertrag, ſondern durch zufälliges Zufammentres . 
ten einzelner Samilien und Stämme, durch Erobe- . 
rung, duch Unterwerfung u. ſ. w. entftanden find, 
‚obgleich Yon der andern Seite feine fleine. Zahl 
von gefthichtlichen Thatfachen beigebracht werben 
kann, daß Staaten fid) durch einen abgefchloffenen 
Grundvertrag bildeten (3. B., in neuerer Zeit: der 
Sreiftaat der Niederlande durch den Utrechter Ver⸗ 
trag von 1579; der nordamerifanifche Staat durch 
den Vertrag von 1776 u. w.). Allein im pbi- 
lofopbifchen Staatsrechte, das auf: ewigen - 
been der Vernunft beruht, kommt es nicht darauf 
an, ob etwas gefchichtlich Beſtehendes und erfah⸗ 
rungsmäßig Vorhandenes nah VBernunftideen 
entftanden fey, föndern darauf, daß alles, was 
‚in. bemfelben gelehrt wird, feinen le 6 ten 
Grund inder Vernunft babe, der Würde 
ſittlicher Wefen angemeffen fey, und in 
der Wiſſenſchaft vollftändig durchgeführt, in ſich 
sufammenhängend,, und den Gegenftand völlig er- 
fchöpfend erfheine, ‚Der Lehrer bes philofophifchen 
Staatsrechts will nicht Die Entftehung der einzel- 
nen Staaten in der wirfliden Welt er 
flären; dies ift die Aufgabe des Hiftorifers; 
vielmehr will er aus Grundfägen der Vernunft 
beftimmen, welches die einzig rechtliche Form des 
Staates fey, weil die Vernunft allen Zufall, alle 
phyſiſche Ueberwaͤltigung, und allen leidenben Ge⸗ 











Staats» und Staatenrecht. 467; 


. Borfam von eimer bürgerlichen Gefellſchaft aus.” 
fließt, in welcher das Recht herrſchen foll. 
Deshalb gruͤndet die Vernunft den Staat auf 
: Vertrag, weil bios bei der Annahme eines 
Ä Staatsgrundvertrages die ſammtlichen ein— 
zelnen Verträge im bürgerlichen Vereine als 
rechthich begründete, und für ewige Zeiten 
. gefichert erfcheinen können. (So meint es quch 
Reinhold in ſ. Auswahl vermiſchter 
Schriften, Th. 2, S.408: „Die Begrün- 
dung Des Staates durch das Rechtsgeſetz läßt ſich 
nur unter der Idee eines allgemeinen Willens, der 
die Möglichkeit eines rechtlichen Zwanges zur Ver. 
theidigung der Rechte eines Jeden zum Gegenſtande 
bat, — und unter ber “dee des urſpruͤng⸗ 
lihen Vertrages denken, ber einerfeits aus 
dem Enefohluffe Aller, die Freiheit eines eben 
durch die Macht Aller auf die. Vertraͤglichkeit mit 
ber Freiheit eines Jeden einzufchränfen, anbret- 
feits aus dem Entfchluffe eines Jeden, alles zu 
thun und zu laflen, was zur Wirklichkeit und 
Wirkfamkeit Diefer Anftalt nothwendig iſt, befteht; 
— Ein für jeden mwirflih und äußerlich gelten. 
der Vertrag ift nur durch den Staat und im 
Staate möglih, Der urfprünglihe Vertrag ift 
baher durch Vernunft ſchlechthin nothwen- 
dig, folglich zwar durch eine bloße, ‚aber pra« 
etifch nothmwendige Id ee aufgeſtellt.““ 

v. Haller nimmt in feiner KReftauration 
der Staatswiffenfhaft eine Theorie Des ges _ 
ſellſchaftlichen Zuſtandes an, nad) welcher Die Herr⸗ 
ſchaft uͤber die Menſchen von dem goͤttlichen Willen 
abgeleitet, die Gelangung aber zur Herrſchaft 
und Die Ke htmäßigfeit derfelben erfannt wirb 


468 Staus und Stiaatenrecht. 


an ber. nachelichen Ueberdegengpht ve Mucto — 
Von ſelbſt folgt ‘aus dein“ zweiten: Grundbegriffe 
dieſer Theorie, daß, wo blos phyſiſche Macht den 
Staat begrünbet, das ſittl ich e Verhoͤltniß (ſelbſt 
das religioͤſe) ausgefchloffen" wird;“ baß, wenn bie 
Bemaͤchtigung ber Gewalt über die Dechemäßfgkeie 
derſelben entfcheider, Attila, Dſchingiskan, 
Zamerlan, Crommell und Robespierre 
legitime Regenten waren; und dab - — mach fiten- 
ger Folgerichtigkeit — wenn der Stadt, die Ge⸗ 
ſammtheit der Geſellſchaft ‚ride anf Vertrag 
beruht, es bios eine Sache der Willfühe und der 
Eonvenleng. it, ob und wie lange ein * 
J pertrag (z. B. der Ehe, des Eigenthums u. F w.) 
in dem Staate beſtehen ſoll? 


* 


11. EEE 
Der Vereinigungsvertrag. Br 


Der Vereinigungsvertrag iſt ber erſte Be⸗ 
ſtan dtheil des Staatsgrundvertrages. Durch den⸗ 
ſelben wird der Zweck des Staates als Grundlage 
der gemeinſchaftlichen buͤrgerlichen Verbindung oͤffent⸗ 
lich ausgeſprochen und unwiderruflich feſtgeſetzt; denn 
die ſittlichen Weſen, die zu einer Rechtsgeſellſchaft 
ſich verbinden, vereinigen ſich uͤber die Herrſchaft des 
Rechts vermitielft des vertragsmaͤßig begruͤndeten und 
für immer geſicherten Gleichgewichts der äußern Ftei⸗ 


heit Aller, Dies aber ift der hoͤchſte Zwei des 


Staates. Alle Mitglieder des Wereins , mithin :alle 
Bürger des Staates, geben, vermittelft dieſes Ver⸗ 
trages, einander gegenfeitig das Verfprehen, daß 
die Freiheit ihres ‚äußern Wirfungsfreifes vor afler 
- Berlegung burch die Freiheit Andrer geſichert ſeyn Toll. 





Pr | 


[2 


Sans. und Staatenrecht. 46% 
Fa u led Tu nnd en J v2 
Der. Verfaſſungsvertrag. F 


4 
Der: "Berfafltägsvertrag iſt der- weite Ber. 
| Randepeil bes Staatsgrumdvertfäges, Er beftimmf‘ 
Die Mittelund Bedingungen; durch wekche der 
allgemeine Zweit des Staates innerßalb’ der buͤrger⸗ 
lichen Gefeltfchaft'erreicht werden. ſofl Die Geſamnit⸗ 
heit idieſer Mittet und Bedingungen zur Verwirk 
lihung des Staatszweckes heißt die Verfaſſu ni 
(Eonftitution) des Staates. Die Verfaſſung des: 
Staates umſchließt daher den geſammten Umfang der! 
Grundbeſtimmungen, vermittelft: welcher die Herv⸗ 
fhaft des Rechts innerhalb des Staates begründet 
werben und beſtehen foll, damit der Staat als At 
örganifches, in allen feinen Theilen innigft zufam- 
menhängendes, Ganzes erſcheine. Deshalb "heißen: 
auch alle Gefeße, ‚welche entweber in der Verfaſſung 
felbft ausdruͤcklich ausgeſprochen nd, oder aus den 
Beftimmungen derfelben mit Rorhwendigkeit hervor⸗ 
gehen, organiſche Geſetze (z. B. Eintheilung des 
Staatsgebietes , Vertretung des Volkes in einer oder 
zwei Kammern u. f. w.), im Gegenſatze gegen bie 
aus den organifchen Geſetzen dbgeleiteten Gefege 
(3. 3. über" Nofljährigfeit, tiber Eigenthumser- 
werb ꝛc.), welche die ins Einzelne des Privatlebens 
eingreifenden Beftimmungen für bie Aufrechthaltung 
der Herrſchaft des Rechts umſchließen. 


13. 

Der Unterherfürisebertrag, . | 
Allein weder durch die Wereinigung der Ges 
ſammth it der Staatsbuͤrger uͤber den Zweck des 


V 


. a‘ 
, \ 
® 


470 Staats » und Staatenrecht. 


Staates, noch durch die Aufftellung ber Mittel und 
Bedingungen, Durd) welche jener Zweck erreicht wer⸗ 
den foll, find jener Zweck und diefe Mittel für ewige 
Zeiten gefichert, wenn nicht in dem Unterwerfungs⸗ 


verfrage, als, dem dritten Beſtandtheile des 


Staatögrundvertrages, die Art und Weife näher: 
beftimmet. wird, wie innerhalb des Staates ber Zweck 


deſſelben durch die in dem Verfaſſungsvertrage ent-⸗ 


baltenen Mittel erreicht und für immer ‚gefichert wer- 
den Fann und foll. Dies fann blos dadurch geſchehen, 
baß die. Geſammtmacht des Staates, doch. nur 
für die Aufrechthaltung des Staatszweckes und für: 
Die Anwendung des rechrlich geftalteren Zwanges, wie 
beide in der Verfaffung :nach allen ihren Beziehun⸗ 


‚gen beftimme find, dem Oberhaupte des Staates 
übertragen werden, wodurch theils alle Staatsbürger 


auf die Selbfthülfe. für immer verzichten, theils der 
 verfaffungsmäßigen Anwendung der Geſammtmacht 
des Staates durch den Regenten unbedingt fich unter> 
werfen. In diefem Sinne beruht der Unterwerfungs« 
vertrag auf der freiwilligen Anerfennung aller 
Staatsbürger der im Staate rehtlih bes 


gründeten und mit unwiderſtehlicher 


Macht bekleideten höhften Gewalt, welde 
dem Oberhaupte des Staates für immer übertragen 
wird. Diefe Anerfennung der höchiten Gewalt im 
Staate wird aber von der Vernunft, fogleih in 
in ihrer Idee des Staatsgrundvertrages, von allen 
Staatsbürgern mit derfelben Nothwendigkeit ver- 
langt, mit welcher fie die Herrfchaft des Rechts als 
den hoͤchſten Zweck des Staates, und die Verfaflung 
deffelben als den vertragsmäßig feftgefesten Umfang 
aller rechtlichen Mittel und Bedingungen für Die Vers 
wirklichung des Stagtszweckes aufftellt, 


— 


\ 





— Staats und Staatenrecht. 171 


Daraus folgt: 


4) Urſpruͤnglich ruht die Gef ammtmacht des 
Staates — nach allen koͤrperlichen und geiſtigen 
Kraͤften, fo wie nad) dem Eigenthume und Ver⸗ 

moͤgen der Individuen, und nach allen Eigenſchaf⸗ 
ten, Erzeugniſſen, Geſchopfen und Reichthuͤmern 
des Grunbes und Bodens — indem Volke 
(doc) ift es irrig, diefe Gefammemadht in ihrem 
urfprünglihen Zuftande „Souveraine- 
eat’ zu nennen, weil diefer aus der Gefchichte 
und Erfahrung ſtammende Begriff erft aus den 
pofitiven Staatsverhältniffen auf das philoſo— 
phifhe Staatsrecht übergetragen worden ift, und 
in diefem blos in der Lehre vonder Anfün- 
digung der Regentengewalt vorkommen 
fann ). 

2) Von dem Augenblicke an, wo ber Staat entſteht, 

kann dieſe Geſammtmacht nice mehr vondem 
Volke (fo wenig wie die Selbftpülfe von dem 

Individuum) geübt werden; denn der Staat ent- 
fteht rechtlich, nach Vernunftideen, nur durch 
den Grundvertrag, und Diefer Grundvertrag 
fehließt, als Dritten wefentlihen Beftandtheil, 
die Uebertragung der Geſammtmacht des Volkes 
auf den Negenten in fi) ein. 


3) Bon dem Augenblide der Entftehung des Staa- 
- tes an ift die Anwendung der. Geſammtmacht def 
‚ felben nur durch den Regenten rechtlich; 
jede Heußerung der Volfsfraft gegen den Willen 
des Regenten ift ſchlechthin widerrechtlich. 
4)-Der Regent aber , der felbft ein fittliches Wefen 
ift und welchem fittliche Wefen — blos für die Ver- 
wirflihung des Staatszweckes — ſich unterworfen 


4,2 Steats- und Staatenrecht. 


haben , darf die Gefammtfraft des Staates, nur 
: für den in der Verfaſſüng beftimme aufgeſtellten 
Zweck des Staates und in Beziehung auf die in 

derfelben Verfaflung enthaltenen Mittel und. Be- 
:" dingungen .für die Verwirklichung dieſes Zweckes 
‚ anwenden, fobalb diefe Anwendung . rechtlich 
, (d, h. dem ewigen Rechtsgefege der Vernunft, und 
. ber unerfchütterlihen Heiligfeit des Staatsgrund- 
vertrages angemeffen) feyn fol. Denn das Ver- 
haͤltniß des Regenten zu der Geſammtheit des Vol⸗ 
kes beruht auf einem Vertrage, in welchem beide 
contrahirende Theile. gegenf: eitig Rechte und 

Pflichten uͤbernehmen. 


(Nach dieſer Darſtellung wird eben fo der. uns 
beſtimmte und fo oft gemißbrauchte Begriff der 
_ Volfsfouverainetät, mit Einfhluß der 
Rouſſeau'ſchen Lehre, "dag die Regentenwuͤrde 

blos ein Staats amt ſey, beſeitigt, wie, von der 
andern Seite, in dieſer Darfteflung die höchite 
Gewalt im Staate als eine fittliche Kraft, bes 
ſtimme für die Leitung fietlicher Wefen, und Lecht. 
lich begruͤndet durch die einzig rechtliche Form 
der Verbindung unter fittlihen Wefen — durch 
Vertrag — erfcheint. Höher fann zugleich das 
Staatsoberhaupt‘ nicht geftelle werben, als daß fich 
ihm freiwillig die Gefammtheit aller fietlichen Wer. 
fen im Volfe unterwirft, und ihm für immer — 
Nunter der einzigen Bedingung der rechtlichen 
Handhabung — die: Anwendung und Leitung 
.. der Gefammtmacht des Volfes und. Staates über- 
trägt.) 


Staats : und Stcaatenrecht. | 47 3 
, 14, " 
Unterfchied der bürgerlihen und polifis 

| fhen (öffentlihen) Freiheit. 


Die Vernunft, wie fie im Naturrechte bie 


äußere Rechtsgefellfchaft-aufftelle, betrachtet alle Wex - 
fen ber menfchlicherr Gattung als firelih-mündig,.. 


wie Diefe nach den Gefegen der Vernunft feyn follen; 
und im Lichte des deals der Sittlichkeit erfcheinen. 
Deshalb kann auch im Maturrechte weder von einem 


Unterfchiede zwiſchen ſittlich⸗ mündigen und fittlich- 


unmündigen Wefen, noch von einem Unterfchiede zwi⸗ 
fchen bürgerlicher und politifcher Freiheit die Rede 
feyn; die individuelle und öffentliche Freiheit ift viels 
mehr im Naturrechte identifch, und Der Zwang 
würde ein fremdartiger Beftandtheil in einer Rechtes 
‚gefellfchaft feyn, melche unbedingt und ohne Aus⸗ 
nahme dem Ideale des Rechts entgegenſtrebt. 

Allein anders verhält ſich dies im Staats 
rechte. Indem ſchon der Begriff des Staates aus 
. ber Erfahrung ſtammt; fo fündigen fich aud) die Men- 
ſchen ($. 1.2.) in der Wirklichkeit als ſittlich— 
muͤndige und als fittlih-unmündigean, und 
der Staatsvertrag wird deshalb geſchloſſen, daß 


die ſittlich⸗ muͤndigen Mitglieder der bürgerlichen Ges 
ſellſchaft für immer — gegen den fehlerhaften oder. 


verdorbenen Willen ber fittlich - unmündigen Mitglie⸗ 
der — in Hinfihe der beabfichtigten Herrfchaft des 


Rechts gefichere find, weshalb auch der Zmanıg in: 


bem Staate als Das vechtlich geftaltete Mittel erfcheint, 
die fittlich - unmündigen Mefen bei der Verirrung 


ihrer Freiheit im aͤußern Wirkungsfreife zu bedrohen, 


zu beſchraͤnken und zu beitrafen. 


Ob nun gleich vor ihrer fehlerhaften und R 


u 174 Staats » und Staatenrecht. 


artigen Anfündigung im Außern Kreife der bürger- 
lichen Verbältniffe die fittlih »unmündigen Wefen, 
nad) der Vernunftidee der Geſammtheit des Volkes, 
als; rechtlich gefinnte und rechtlich handelnde Wefen 
gedacht werden müffen (quilibet praesumitur bonus, 
donec probetur contrarium); fo tritt Doch fogleich 
nach jener fehlerhaften und bösartigen Anfündigung 
der fittlih -unmündigen Wefen nicht nur der that: 
fachlich (faceifch) erwiefene Unter ſchied zwifchen fite- 
lid -mündigen und ſittlich-⸗ unmündigen Wefen , fon- 
bern auch die eigenthbumlihe Stellung des 
Staates gegen bie fittlich -unmündigen Wefen ein. 

Zwar behalten bie fittlih-unmündigen Wefen 
im Staate, fie mögen nun (wie die Unerwachfenen) 
im unverfhuldeten, oder (wie die Verdorbenen) 
im verſchuldeten Zuftande der bürgerlichen Un— 
mündigfeit ſich befinden, alle urfprüngliche, aus 
dem Urrechte der Perfönlichfeit (Maturr. $. 14.) her 
vorgehende individuelle, Nechte, denn der Charakter 
der Menfchbeie ift an fich, unvertilgbar ( character 
indelebilis); allein in Hinſicht des öffenelihen 
Gebrauches diefer Rechte (d. h. in Hinficht der foges 
nannten politifchen Freiheit) tritt das Verbält- 
riß ein, daß. nur die fittlih » mündigen im 
Beſitze und im Gebrauche der potitifchen 
Sreibeitfteben, d.h. an ber Seitung der Staats⸗ 


geſchaͤfte Antheil nehmen dürfen. Mur fie ftehen 
im Beſitze richtiger Kenntniffe über das Wefen und 


die innern-Verhältniffe der bürgerlichen Gefellfchaft; 
nur fie Haben fich, durch geiftige und fittliche Kraft 
und Muͤndigkeit, zur Selbftftändigfeit des’ Urtheils 
und der That erhoben, nur fie vermögen die Bedürfe 
niffe des Staates richtig aufzufaffen und nach dem ih⸗ 
nen zugewiefenen Theile (als Volksvertreter, oder als 


' / 
Sraats- und Staatenrecht. 175 


Staatsbeamte) zu leiten, und nur ihrer Fann das 
Staatsoberhaupt fich bedienen, um den allgemeinen 
Zweck des Staates, fo wie Die daraus bervorgehenden 
untergeordneten Zwece, zu verwirklichen. Die Haupt⸗ 
aufgabe im Staate bleibt daher: daß nur die ſittlich⸗ 
münbigen im vollen unverfiimmerten Genuffe der öf- - 
fentlihen (politifchen) Freiheit, alle Staats- . 
bürger aber im Genuffe der bürgerlichen Freiheit 
ftehen, fobald nicht ihr verborbener Wille es nörhig 


macht, daß der im Staate rechtlich geftaltete Zwang 


fie auch der bürgerlichen Freiheit auf längere oder fürs 
jere Zeit beraube, 

Abgerechnet von dem darin verſteckten deſpoti⸗ 
ſchen Sinne, hatte im Allgemeinen Napoleon 
fehr recht, wenn er ſprach: „es muß alles für 
das Volk, nichts durch das Volk gefchehen. 
Weder die Mafle, als Mafle, noch) aus der Maſſe 
des Volfes die fitrlic)- unmündigen ditrfen Das oͤffent⸗ 
liche Staatsleben leiten. Deshalb muͤſſen in repraͤ⸗ 
fentativen Staaten die fogenannten Urverfamm- 
lungen, an welchen ſittlich⸗ muͤndige und fittlich- 

- unmündige ohne Unterfchied Antheil nehmen, eben 
fo zur Volkswillkuͤhr und Anarchie führen, wie 
: eine von oben anbefohlene oder doch bevormunbete 
Wahl der Wolfsvertreter von ber andern Seite das 
ganze repräfentative Syſtem in eine leere Ceremo- 
nie verwandelt. Die Mitte zwifhenden Er- 
tremen führt zum Ziele; der Staat veraltet 
und ſinkt eben fo durch Deſpotie, wie durch Anar- 
hie; denn in beiden fteht das ſittliche Verhaͤltniß 
des Oberhaupts und der Regierten ohne alle Ge⸗ 
waͤhr! — 
Mit den im $. aufgeſtellten Sägen ſtimmt zu⸗ 
| fammen, was das Journal des debats im Vebre | 


176 Stats» und Staatenrecht. 


: 4822 (wahrſcheinlich als Reglerungsgrundſaͤtze bes 
- Minifterialpräfidenten des Grafen Vil lele), aus⸗ 
ſprach: „Wir wollen die bürgerliche, Die res 
* ligiöfe, bie Gewerbefreiheit für Alle 
and SGede, wie fie das Gefes für Alle gleich. 
mäßig beftimme hat; wie wollen feine Privilegien, 
als folche, die von.der. Staatsverfaffung ausgehen, 
und zu welchen ein jeder durch Verdienft und Ta- 
lent gelangen Ffann. Wir wollen. als conffitutionelfe 
. und unverleßbare Sarantieen der bürgerlichen reis 
beit bie Geſchwornengerichte in allen Pro» 
zeffen, wo der Einzelne gegen die gefellfchaftliche 
Gewalt anzufämpfen bat; wir wollen die Pre- 
freiheit, theils um allen Handlungen der Staats⸗ 
behörden und allen Beſchwerden, welche diefe 
. Handlungen veranlaflen Eonnen ; Deffentlichfeit zu 
.. geben, theils um die Volksintereſſen und die öffent- 
. lihen Angelegenheiten zu berathen; wir wollen ., 
- Gemeindeeinrihfungen, nad) Maasgabe 
der. Dertlichfeie verſchieden organifirt, aber ſaͤmmt⸗ 
lich dazu beftimme, daß diebürgerliche Frei— 
beit aufrechterhalten werde, die Mafje des 
. WBolfes bei der Eehaltune der Ordnung ‚ihr In⸗ 
terefle finde, und DBerbeflerungen in der Verwal⸗ 
:..fung angeregt und zu Stande gebracht werden, 
- worüber die Bureaus der Centralverwaltung nur 
das Recht der Kontrolle haben dürfen. — Wir 
‚wollen aber die politifche Freiheie niche für 
Alle und Jede, fondern nur für diejenigen 
‚ Klaffen, denen die Staatsverfaffung. das- Recht 
gibt, Antheil daran zu nehmen. Die politiſche 
Freiheit ift die Theilnahme an.der fou- 
. verainen Gemwalf, an: der feitung der 
+, Staatsgefhäfte. Nicht alle und jebe befigen 





Staars- und Staatenrecht. 177 


die erforderliche Unabhaͤngigkeit, die erforderlichen 
Eigenfhaften, Tugenden, Beiftesfräfte und Ta- 
lente, um einen felbft nur befchränften Theil diefer 
Gewalt. auszuüben. Daher muß die Conſtitution 
einen Kreis zeichnen, der die Maffe des Volkes 
von einer ausgefuchten Zahl- Staatsbürger, Die 
materielle Nation von der politiſchen 
Nation, frenne Diefem Kerne muß die 
politifhe Freiheit allerübrigenanver- 
traut werden. Die (franzöfifche) Churte ver: 
theilt dieſe politifchen Rechte unter die Pairs, 
die Depufirten und die Wahlhetren. Allen 
übrigen Staatsbürgern hat fie nur das Recht ein- 
geraumf, ihre Meinungen, felbft die politifchen, 
doch bei Vermeidung ber Strafgefege, befannt zu 
machen. Dieſes Recht ift eine Urt von gut⸗ 
achtender (confultativer) Stimme in Sathen der 
Politik, wogegen die Pairs, die Deputirten und 
die Wahlherren berathende (deliberative) Stim⸗ 
men haben. — Bei biefer Concentration ber 
politifchen Freiheit gewinnt das Ganze; denn fie 
wird von jerien aufgeflärten und unabhängigen 
Männern mit mehr Weisheit und Geſchicklichkeit 
gehandhabt, und ift auch weit ſtaͤrker und maͤch⸗ 
tiger, als wenn ſie in kleine Abſchnitte getheit 
wird.“ 


15. 
by Lehren von den einzelnen rheilen der 
hoͤchſten Gewalt im Staate. 


Der Staat beruht, nach der Idee der Vernunft, | 
auf einem Grundvertrage , welcher als einzelne Theile 
den Bereinigungs, ben Berfaffunge: und 


- 





478 Staats» und Staatenreche. 


den Unterwerfungsvertrag umſchließt. Auf 
gleiche Weiſe verhält es fi mit der hoͤch ſten Ge- 
walt im Staat, Sie kann, nach der Idee ber 
Vernunft, nur Eine feyn; allein jede Idee läßt 
ſich in,ipre einzelnen Beftandtheile auflöfen und nach 
ihren Merkmalen zergliedern. Die höchfte Gewalt 


. ‚im Staate ift feine blinde und mechanifche Kraft; 


denn fie gebietet zwar über die phyfifchen Kräfte 
aller Staatsbürger, diefe Kräfte aber find Kräfte 
organifirter Gefchöpfe , mithin wirffam nad) 
organifchen — nicht mechaniſchen — Gefegen, und 
wirffam für die Erftrebung eines. gewiflen Zweckes. 
Die hoͤchſte Gewalt im Staate gebietet zugleich über 
die gefammten geiftigen und fittlichen Kräfte 
aller Staatsbürger, und deshalb muß von ihr alle 
Laune und alle Willführ, als den fittlichen Zwecken 
geradezu entgegen, ausgefchloffen werben. Die höchfte 
Gewalt im Staate ift endlich, ihrem Wefen und ihrer 
Anfündigung nad), frei und ſelbſtſtaͤndig; allein ihre 
Wirkſamkeit, als die Wirkſamkeit einer vereinig- 
ten phnfifchen, geiftigen und fittlichen 
Kraft, it an die Vermwirflihung des 
Staatszwedes gebunden. 

So wie daherder Geſammtwille aller Staats- 
buͤrger zufammentrifft in’ der Beſtimmung ber recht⸗ 
‚lichen Form des Staates vermittelft des Urvertrags 
nad), feinen drei wefentlichen Beſtandtheilen; fo wird 
auch Vie Geſa mmtmacht des Ganzen, doch nur für 
die Aufrechthaltung und Behauptung des Staats: 
zweckes, unauflöslich vereinigt und dem Ober- 
haupte des Staates übertragen, ber nad) feiner Per- 

fönlichkeit als Repräfentant derfelben erfcheint. Allein 
die Höchfte Gewalt wirb im Begriffe unter fie 
Ben nad) ihren beiden wefentlichen theilen als 


— 


Staats» und Staatenrecht. 179 


gefeggebende und vollziehende Gewalt-°), 
Daraus. folgt,. ‚daß die Vernunft zwar im Staate 
eine Theilung ber hoͤchſten Gewalt, nie aber eine 
Trennung diefer Theile gutheißenfann, Getheile 
denke fi) die Vernunft die höchfte Gewalt, nicht 
als ob die fichebare Ankündigung (Repräfenta- 
tion) derfelben im. Staatsoberhaupte eine Theilimg 
derſelben zuließe, oder als ob die vollziehende 
Gewalt noch einen andern Mittelpunct haben koͤnnte, 
als in dem Staatsoberhaupte; wohl aber infofern, 
inwiefern zur gefeßgebenden Gewalt die Vereini« 
gung der gefammten Intelligenz und der gefammten 
fietlichen Kraft im Staate erfordert wird; denn alt 
weife ift nur Einer, und deſſen Allweisheit und All» 
gerechtigfeit liege nicht im Bereiche der Sterblihen! 
Die Theilung befteht daher in der Unterfcheidung 
und erfahrungsmäßigen Wahrnehmung der in Einem 
Ganzen aufs innigfte verbundenen einzelnen Beftand» 
theile; die Trennung hingegen in der völligen Ab- 
fonderung diefer Beftandtheile von einander und in 
ihrer Entgegenfesung. Kein Staat wird auf ' 
die Dauer beftehen, ober in fih zur Eintracht fom- 

men, wo bie gefeßgebende Gewalt auf ber Tren- 

nung und Entgegenfegung des Regenten und 

ver Volfsvertreter beruht; die Theilung ber gefeg- 





*) Die richterliche Gewalt gehört, nach ihrer Eigen’ 
thuͤmlichkeit und Selbſtſtaͤndigkeit, zur Verwal 
tung im Staate, und kann daher nicht als Theil, 
fondern nur als Ausfluß der hoͤchſten Gewalt be 
trachtet, mithin auch mit der gefeßgebenden und 
vollgiehenden Gewalt niht auf gleide Linie 
geſtellt werden. Es gibt Leine trias politice, 
wiewohl fie von vielen Britten, Branzofen und 

Teutſchen, felbf von Kant behaupter worden iſt. 
- 12* | 


180 Etaats» und Staatenredt. 


gebenden Gewalt aber zwifchen dem Negenten und 
den Volfsvertretern wird die Vereinigung der Ge- 
fammtintelligenz und der gefammten ſittlichen Kraft 
au Einem Ganzen bemirfen. 


16. 
Die gefeggebende Gewalt. 


Die gefesgebende Gewalt bat im Allge⸗ 
meinen bie Beftimmung, feftzufegen, mas, nad) dem 
-Mereinigungsvertrage, mit dem Zwede des Staates 
übereinftimmt; was, nad) dem Werfaffungsvertrage, 
der eigenthümlichen Berfaflung des Staates entfpricht, 
was mithin Recht ift im Staate, wie Rechte ermor- 
ben, behauptet und geltend gemacht werden, und mie, 
nad) dem Unterwerfungsvertrage, der Zwang im gan⸗ 
zen Umfange des Staates eechelich geftaltee feyn und 
rechtlich angewandt werden ſoll. Es muͤſſen daher 
in der Verfaſſung die wefentlichen Beitandtheile der 
organifhen Gefeggebung im Staate enthalten 
feyn; fo daß Die gefeggebende Gewalt aus dieſen 
Beftandrheilen nicht nur die einzelnen organifchen 
Gefege für die im öffentlichen Staatsleben vorkom⸗ 
menden Fälle feſtſetzt (z. B. das Detail des jährlichen 
Budgets aus den allgemeinen, in der Verfaffung ent 
haltenen, Beſtimmungen über das Budget), fondern 
aud), geflügt auf die organifchen Geſetze, aus den» 
felben die einzelnen Vorfchriften des bürgerlichen und, 
Strafgefegbuches ableitet. Denn die rechtliche Form 
des Staates verlangt, daß die Verfaffung nur die 
allgemeinften vertragsmäßigen Bedingungen zur 
- Vermirflihung des Staatszwedes, und in denfelben 
die Grundlage der ganzen organifchen Gefeßgebung, 
fo wie wieder die Geſammtheit der organifchen Gefege 





Staats: und Staatenrecht. 181 


\ 
die rechtliche Grundlage des beftehenden bürgerlichen 
und Strafgefegbuches in ſich enthalte. 

Ob nun gleich alle organifche und alle aus 
denfelben abgeleitete Gefege im Staate nur im 
Namen der höchften Gewalt befannt gemacht und im 
Auftrage derfelben vollzogen werden können; fo wird 
doch zur Berathungbiefer Gefege die Berüd: 
fichtigung der gefammten Intelligenz und 
der gefammten ſittlichen Kraft im Staate 
"erfordert. So groß aber auch der Umfang diefer In⸗ 
tefligenz und diefer fittlichen Kraft in dem Regenten 
und feinen ihn zunächft umgebenden Staatsbeamten 
feyn mag; fo kann ihnen doch, da fie Menfchen find 
und bleiben, nicht die gefammee Intelligenz und 
die gefammte fittliche Kraft beimohnen, welche im 
Staate getroffen wird *). Allein diefe Intelligenz 
und biefe fittliche Kraft kann im Staate nicht bei den 
ſittlich unmuͤndigen, fondern nur im Kreife der fitt- 
lich⸗ mündigen Bürger ($. 14.) gefucht werden; des⸗ 
halb Fönnen aud) die Wertreter der Geſammt⸗ 
heit des Volkes nur aus der Mitte der fittlich- 
muͤndigen Staatsbürger hervorgehen. Der Antheil 
diefer Vertreter des Volkes an der böchften Gewalt 
kann aber nur auf die gefeggebende, nie auf 
die vollziehende Gewalt ſich beziehen; er darf ferner 
nie auf eine Trennung der böchften Gewalt, 
fondern nur auf eine Theilung derſelben, welche die 
innigfte Bereinigung zur Verwirklichung des Staats⸗ 


*) Schr wahr fast Fr. Jacobs in f. vermifchten 
"Schriften Tb. 1 (Gotha, 1823, ©. XVIII.): 
„Es ift kein Monarch, der fich nicht, wenn er will, 
. alles Seiftes bemächtigen könnte, der fich in feinem 
. Bersihe findet.” . .. u 


182 Staats « und Staatenrecht. 


zweckes beabſichtigt, berechnet ſeyn; er muß endlich, 
nach ſeinen Grundzigen, in der Verfaffung mit Des 
ſtimmtheit erfannt werden. 

Am zweckmaͤßigſten ſcheint es zu ſeyn, daß die 
ſogenannte Initiative (das Recht des erften Vor⸗ 
ſchlags, der Veranlaſſung und Anregung) der Seſetze 
beiden, dem Staatsoberhaupte und den Volksver⸗ 
tretern, gleichmäßig zuftehe, doch fb, daß wenn 
der Gefegesvorfchlag von dem Staatsoberhaupte aus⸗ 
geht, den Wolfsvertretern die freie Annahme ober 
Verwerfung deſſelben, dagegen wenn der Gefeges- 
vorfchlag von den Volfsvertretern herrührt, gleichfalls 
Die freie Annahme oder Verwerfung defielben bem 
Stautsoberpaupte zufomme ). — Wenigftens muß 


”) So tft es in der, durch eine Praris von Jahrhun⸗ 
derten bewährten, brittiſchen Verfaſſung. — 
Mit dem, was im $ aufgeftelle iſt, ſtimmt im Als” 
gemeinen das überein, was fr. ®u hol; (Mar 
ginalien zu der Scrift: Anfiht der ſtaͤndiſchen 
Verfaffung der preußifhen Monarchie, Verl, 1822, . 

.16.) mit gewohntem Scharflinne als Boſtimmung 
der Volksvertreter aufftellt: „Fuͤrſt und Volk gehören 
für einander; * und indem beide den Staat, 
d. h. die geordnete Sefellfchaft,, Bilden, kommt alles 
darauf an, daß die -Autorität des Erſtern in_dem 
willigen Sehorfame der letztern immer Aufmuntes 

- rung und Stütze finde. — Wie dies bewirken? 
Es gibe für diefen Zweck nur Ein Mittel, welches 
darin beſteht, daß man Anitalten trifft, die Har⸗ 
monie zwiſchen Fuͤrſt und Volk vorzuͤglich dadurch 
zu ſichern, daß beide ſich immer gegenwärtig blei⸗ 
ben. Und wie dies einleiten? Durh ein Neprä 
fentativfyfkem, in deffen Kraft derjenige 
Theil des Volkes, deffen Urtheil allein 
Berädfihrigung verdient, dem Färften ime 
mer vergegenwärtigt wird; etumat als Zeuge fele 





Staats- und Staatenrecht. 183 


in demjenigen Zweige der Gefeggebung, welcher Die 

perfönliche Freiheit, das Eigenthum und befonders 
die Befteuerung der Staatsbürger betrifft, ben 
Volksvertretern nicht bios das Recht ber Mitbera⸗ 
thung und. bee Bewilligung, ſondern hauptſaͤchlich 
bei dem letztern Gegenſtande, das Recht der Mit⸗ 
wirkung, ſo wie, nach Ausmittelung des Budgets, 
das Kecht.des Antheils an der Vertheilung der 
bewilligten Steuern und Abgaben auf die einzelnen 
Kreiſe und Ortſchaften, an der Erhebung und 
Verwendung derſelben, und an der Controlle 
über diefe Erhebung und Verwendung zuſtehen. 


17. 
Die vollziehende Gewalt. 


Die Wirkſamkeit der vollziehenden Gewalt im 
Staate beſteht in der Bekanntmachung, Ausfuͤhrung 
und Werwirflihung der in der Staatsverfaſſung bes 
gründeten, und durch die gefeßgebende Gewalt im 
Einzelnen ausgefprochenen rechtlichen Beftimmungen, 
Der fichtbare Repräfentant derfelben ift das Staats⸗ 
oberhaupt. Unter demſelben gehoͤren aber zur voll⸗ 
ziehenden Gewalt alle Staatsaͤmter, ſelbſt die der 
richterlichen Gewalt, mit alleiniger Ausnahme der 
eigentlichen Stellvertreter des Volkes, fo lange beren 
Hohe Würde verfaflungsmäßig dauert. “Die voll» 
giehende Gewalt umfchließt daher alle einzelne Zweige 





ner Öffentlichen Handlungen; zwei tens als Ratte . 


geber in zweifelhaften Faͤllen; drittens als 

> bülfe, fo oft es darauf ankommt, neue Maasregein 
“zu nehmen, deren Nothwendigkeit oder Güte’ nicht 
fogleich einleuchtet.‘ 


⸗ 


134 Seaats⸗ und Staatenrecht. 


und Theile ber aichterlichen, polizerlichen, ſtaatswirth⸗ 

ſchaftlichen (finanziellen) und Friegerifchen Verwal⸗ 
tung. Sie wagt darüber, daß in feinem einjol⸗ 
nen Fall⸗ von der Verfaſſung Ind von den Entſchei⸗ 
dungen der geſetzgebenden Gewalt abgewichen, und- 
nie die Herrſchaft des Rechts im Umfange des Sta; 
t68 beeintraͤchtiget ober gefährdet. werde. Für alle, 
biefe Zwecke gebietes, die volliehende Gewalt uͤber Dig, 
Gefammtmacht. des Staates, und Über die Anwendung. 
und- feitung des rechtlich geftalteten Zwanges. Alp 
‚ einzelne Verordnungen und. Verfügungen der voll⸗ 
ziehenden Gewalt geſchehen im Namen des Staats⸗ 
oberhaupts. 

Das rechtliche Verhaͤltniß des Staatsoberhaup⸗ 
tes zu der Geſammtheit der Staatsbürger beruht 
auf den’ Beftimmungen des Verfaffungs - und Un- 

si:terwerfungsverfrages. - Nun kann zwar ;” nad) 
p:den Ausfagen der Gefchichte, der Wirfungskeris 
deſſelben, nad) jenen Beftimmungen „in einzel⸗ 
nen Staaten mehr erweitert, in andern (3. B. 
„in Großbritannien) mehr beſchraͤnkt erſcheinen, 
. ohne daß der. Zweck des Staates felbft dadurch ver 
„: hindert-würde ; allein, nach, bem Zeugniffe der Er= 
fahrung, führt. Die Ausfchließung des Negenten von 
ber Initiative der Gefege zu einer Schwäche der 
: Öffentlichen Macht, welche die Dehnung und Sicher- 
heit des Ganzen gefährdet, fo wie unaufhaltbar zue 
Tre nnung (nicht Theilung) der hoͤchſten Gewalt, 
in welcher Regent und Volksvertreter als einander 
entgegengeſetzte und entgegen wirkende Kräfte er: 
feinen. Be 
„. In einem auf Vertrag beruhenden Staate hängt 
„übrigens die Rechtlichkeit der Regentengewalt ab 
von dem geleifteten Eide des Regenten auf bie 


L 


> —E 7 
— 


.. 
BE 77 


Smats + und Staatenrecht. 485 


WVWerfaſſung, und von der Huldi gu ng bes Volkes 
; vermittelt feiner. Vertreter, in Angemeſſenheit zu 
dem von dem Negenten geleifteten Eide. — 
| — 18. —— v 
6) Lehre von der rechtlichen Form ber Vers 
° faffung und Regierung des Staates, " 


Eine Staatsverfaffung, welche den Forderungen, 
der Vernunft entfprechen foll, muß den allgemeinen 
Zweck des Staates in Beziehung auf ein gegebenes 
(d. h. auf ein in der Wirklichkeit vorhandenes) Volk, 
nad) dem, ganzen, Umfange der Bedürfniffe und Vers 
haͤitniſſe dieſes Volfes, verwirflichen und ficher ftellen. 
Meil aber jedes Wolf nad) feiner Individualität, nach 
dem Boden, den e8 bewohnt, nad) dem erreichten 
Grade der Kultur feiner Bürger‘, und nad) den be⸗ 
reits früher in feiner Mitte beftandenen rechtlichen 
Verbältniffen, von allen andern Völkern weſentlich 

verſchieden ift; fo muß auch die Verfaffung eines jeden 
Volkes im Einzelnen ganz nach diefen befondern 
PVerbältniffen feiner Individualität, und nad) den 
zeitgemäßen Bedingungen feines innern und Aus 
ern organifchen Lebens fich geftalten. Es merden. 
daher, im Kreife der Erfahrung, bie Verfaflungen 
der einzelnen Völfer und Staaten in vielfachen Bes 
ziehungen weſentlich von einander verfchieden feyn, 
weshalb das philofophifche Staatsrecht in der Lehre 
von der Verfaflung nur die allgemeinften und 
mothwendigften Bedingungen des recht— 
lihen organifchen Lebens eines Staates 
aufftellen kann, ohne über die einzelnen und nähern 
Beftimmungen veflelben eine Entfcheidung fi) anzu: 
maßen. — Im Allgemeinen verlangt aber die 


186 Staats» und Staatenrecht, 


Vernunft, daß jede Staatsverfaffung diejenigen Mit⸗ 
sel und Bedingungen umfchließe, durch welche der 
Zweck alles Staatslebens: die Herrf haft des 
Rechts an ſich, dauerhaft begründee und gefi ichert 
wird, mobei fie es nicht blos gutheißt, ſondern ſogar 
verlangt, daß: die einzelnen Beftimmungen dev, 
ins. toirfliche Staatsleben eintretenden Verfaffungen 
durchgehends nach der Eigenthümlichfeit des Volkes 
und nad) der von demfelben erreichten Stufe der gei- 
fligen und fietlichen Kultur, fo wie nad) ber, von, 
diefer Kultur abbängenden, erreichten Stufe der bürs 
gerlichen und politifchen Mündigfeit ver Mehr 
zahl feiner Mitglieder fich richten muffen. 


4% | 
Die e allgemeinen Vernunftbedingungen 
‚für jede rehtlihe Verfaffung.. 


Qu den alfgemeinften und nothwendigflen Bes 
dingungen des rechtlichen organifchen $ebens eines 
Staates, melde baher die Grundlage einer jeden 
Verfaſſuag bilden muͤſſen, die dem Ideale der Herr⸗ 
ſchaft des Rechts entſprechen ſoll, gehoͤren folgende: 


1) Die Verfaſſung muß beruhen auf dem 
Urrechte der Perſoͤnlichkeit (Naturr. $. 14); fie 
muß‘ alfo die aus demſelben entſpringenden ur⸗ 
fprünglihen (Naturr. $. 16 — 22) Rechte: das 
Hecht auf perfönliche Freiheit, auf Außere Gleich- 

; beit, auf Sreiheit dee Sprache, ber Prefle und 
des Gewiffens, auf guten Namen, auf Eigenthum, 
auf öffentliche Sicherheit und auf Abſchließung der 
Vertraͤge, entweder als foͤrmlich ausgeſprochene 
Grundgefege des Staates in ſich aufnehmen, oder 


X 


Staats » unb Staatenrecht. . 4187 


doch ſullſchweigend ſolche vorausfegen und aner- 
: fennen *). 

2) Sie muß die Bedingungen auffteflen, unter 
welchen das Staatsbürgerrehe erworben und 
- behauptet wird, und wodurch es verloren geht. 

3) Sie muß die geographifche Einthei— 
- fung des ganzen Staatsgebietes in Kreife und 
| Bezirke, nad) einem richtigen ftatiftifchen Grund⸗ 
faße in Hinfiche auf den Flaͤchenraum und auf die 
Geſammtbevoͤlkerung , fo wie mit ſteter Beruͤckſich⸗ 
tigung der verſchiedenen Zweige der öffentlichen 
Verwaltung, aufſtellen. 
4) Sie muß das Verhaͤltniß der beiden Theile . 
der höchften Gewalt, der gefeggebenben und. 
vollziehbenden, gegen einander , nad) dem Um- 
fange und Grenzen ihrer Wirkſamkeie darſtellen; 
namentlich muß fie die Beſtimmung und den Um⸗ 
fang der Wirffamfeit der gefeggebenden Ge- 
walt nad) dem Antbeile bezeichnen, welchen \ge- 
meinfchaftlich der Regent und die Vertreter 
bes Volkes an derfelben haben follen, ' 
5) Sie muß ſowohl die Beftimmung und ben 
Umfang der Wirffamfeit der Wolfsvertreter 
in Hinſicht auf Gefeggebung und Befteuerung, als 
die Art und Weiſe der Volksvertretung felbit (ob 
: in Einer oder in zweien Kammern; ob nad) Stän- 
" den, oder aus ber Geſammtheit des Volkes gewählt; 
fo wie die beftimmte Gefammtzahl der Volksver⸗ 
ereter , die Form ihrer Wahl, bie Zeit und Dauer 
“ihrer Sufammenberufung ‚ die Form ihrer bfeiben- 


* Da dieſe Ausführung der urſpruͤnglichen Rear. 
des Menfchen bereits im Naturrechte ($. 16°— 22.) 
geſchehen If; fo wird fie Hier nicht wieberholt. . 


j 
fi . 





. 188. Staats- und Staatenrecht. 


ben uud temporellen · Ausſchuͤſſe), und die Grund⸗ 
zuͤge der, der Volksvertretung zum Grunde liegen⸗ 
den, Gemeindeordnung aufftellen, 
. 6) Sie muß den Umfang und die Wirkfamkeit 
der vollziehenden Gewalt, theils nach der Heiz 
ligkeit und Unverlegbarkfeit der Perfon des Kegen- 
„ten, theils nad) der Verantwortlichkeit aller Staats- 
beamten in Hinſicht der ihnen übertragenen einzel- 
.. nen Zweige der Verwaltung in ber. Gerechtigkeits⸗ 
..pflege, in der Polizei, im Finanz» und im Kriegs- 
wefen genau entwideln, 
7) Sie muß, geftügt auf ein ber Verfaſſung 
voͤllig angemeſſenes und von den Volksvertretern 
gepruͤftes buͤrgerliches und Strafgefegbud, 
‚und auf ein, mit dem Geifte beider übereinftimmen- 
des, Geſetzbuch fuͤr das gerichtliche Ver— 
f abren, die Beftimmung, den Umfang und bie 
Formen der Wirffamfeit der richterlichen Ges 
walt nad den einzelnen Behörden derfelben genau 
„ verzeichnen, fo wie die völlige Unabhängigfeit des 
richterlichen Standes in Hinfiht feiner Aus» 
fprüche. von irgend einem KEinfluffe der gefeß- 
gebenben oder vollziehenden Gewalt. auf denfelben, 
ausfprechen. \ 
95 ) Sie muß, in Beziehung auf bie einzelnen 
Zweige der Verwaltung, die völlige Tren« 
nung der Gerechtigkeitspflege von der Polizei und 
der Finanzverwaltung, fo wie der beiden legtern 
von einander, in Hinfiht aufdas bei Die 
fen Theilen der Verwaltung angeftellte 
Perfonale, feftfegen; den, Umfang und die 
‚Grenzen der Polizei, bie Art und Weiſe ver 
Steuererhebung, fo wie die allgemeinften 
Ä Grundfäge für die Vertheidigung des Staates ver» 














Staats» und Staatenredr. 189 


mittelft der aus ber Geſammtheit bes Volkes aus- 
zubebenden bewaffneten Macht verzeichnen. 

9) Sie muß über das rehtlihe Verhaͤlt⸗ 
niß der Kirhe zum Staate überhaupt, fo 
wie über die Rechte und die rechtliche Stel- 
(ung der verfchiedenen kirchlichen Ge- 
fellfhaften im Staate gegen einander, 
einen allgemeinen feften Maasftab aufftellen. 

10) Sie muß endlich den Begriff und die Be⸗ 
Dingungen ihrer zeitgemäßen Fortbildung, Ergän- 
zung und Veraͤnderung, in Angemeffenheit des 
Fortſchreitens des Volkes zu einer höheren geiftigen, 
fieelichen und polisifchen Reife und Muͤndigkeit, in 
fich felbft enthalten. 


’ 


| 20. | 
. Erwerbung bes Staatsbürgerredes. 


Der Anfpruch auf das Staatsbürgerrecht wird 
erworben durch die Geburt von Staatsbürgern und 
durch die Erreichung des im bürgerlihen Rechte 
gefeglich ausgefprochenen ‚Sebensalters der phyfifchen 
Muͤndigkeit; fo wie das Staatsbürgerrede 
. feld ft durch den Antheil an den öffentlichen Leiftungen 
für die Zwecke des Staates und dur) die förmliche 
Anftellung im Staatsdienftee — Die Kinder, 
welche von Staatsbürgern gebohren werben , gehören 
zwar durch ftillfehweigenden Vertrag zu den Mitglie- 
bern des Staates, dürfen aber das volle Staats- 
bürgerrecht nisht eher anfprechen „ als big fie, im Zeit« 
alter der erreichten Mündigfeie, nad) ihren finnlichen 
und geiftigen Kräften für den -Zwed des Staates wir⸗ 
fen, und die in dem Staatsgrundvertrage enthaltenen 
Seiftungen übernehmen fönnen, Bis dahin gilt das im 





190 Staats » und Staatenrecht. 


Naturrechte aufgeftellte Helternrecht (Naturr. $. 31). 
Der Staat hat aber das Recht und die Pflicht „ für 

ihre zweckmaͤßige Erziehung zu Menfchen und zu Bürz 
gern zu forgen, weil ihm nicht blos daran liegen darf, 
daß er als bürgerliche Gefellfchaft in feiner Volkszahl 
fortbeftehe, fondern daß auch das Fünftige Geſchlecht 
‚für den allgemeinen Endzweck der Menſchheit, fo wie ' 
für den befondern Zweck des Staates erzogen und zur 
hoͤhern Reife fortgeführt werde. Doc) folge Daraus 
keinesweges, daß die Kinder ein Eigenthum bes 

Staates feyen, weil das Eigenthumsrecht des Staa: 

tes nur über Sad, nie über Perfonen ſich eefteeden 
ann. 

21. 
Auswanderungsredt. 
Das Recht, den Staat zu verlaffen (jus emi- 


grandi), ftebt jedem Staatsbürger zu, fobalderfih 


| überzeugt Hat, daß er nicht länger innerhalb des Staa- 
tes den Endzweck des menfchlichen Dafeyns überhaupt, 
und die ihm als Bürger obliegenden befondern Ver⸗ 
bindlichkeiten erfuͤllen koͤnne; doch darf er, weil er 
mit dem Staate durch Vertrag verbunden iſt, den⸗ 
ſelben nicht eigenmaͤchtig oder heimlich, ſondern nur 
nach gehoͤriger Anzeige an ſeine vorgeſetzten Behoͤrden 
verlaſſen. — Sobald aber der Staatsbuͤrger ſeinen 
Vertrag mit dem Staate bis dahin gewiſſenhaft er⸗ 
füllte, und er den Staat nicht aus. böfen und gefähr- 
lichen Abfichten gegen denfelben verläßt, oder um den 
ihm obliegenden bürgerlichen Seiftungen (Abgaben, 
Kriegsdienſt u. ſ. w.) ſich zu entziehen; oder auch um 
einer bereits uͤber ihn verhaͤngten Strafe zu entgehen; ° 
ſo bat ber Staat fein Recht, demſelben die Auswan⸗ 


Staats» und Staatenrecht. 191 


derung zu verweigern, ober von deſſen fahrenden 
Eigentum und Vermögen eine Nachiteuer (Abzugs- 
geld) zu verlangen, 


t 


22. | 
Verluft des Staatsbuͤrgerrechts. 


Yeber die Urfachen, durch welche das Staats» 
bürgerrecht verloren gebt, muß theils die Verfaſſung 
im Allgemeinen, theils das bürgerliche und Strafge- 
fegbuch im Befondern entfcheiden. Im Allgemeinen 
geht es verloren durch fürmliche Auswanderung , fo 
wie durch Miederlaffung und Annahme von Aemtern 
im Auslande; im DBefondern durch richterliche Ver- 
urtheilung zu peinlichen Strafen. Denn nie anders, 
als durch richterlichen Ausſpruch in Angemeſſenheit 
zu einem begangenen Verbrechen, und durd) Belegung. .. 
mit einer entehrenden Strafe, darf das Staatsbürger» 
recht im Einzelnen rechtlich entzogen werben. 

Die einftweilige Sufpenfion bes Staats- 

bürgerrechts wird in jedem Staate durch das bür- 
gerliche und Strafgeſetzbuch beftimmt, und fann in 
beſondern Fällen felbft von Grundſaͤtzen der Staats» 
kunſt abhängig feyn. Diefandesvermeifung 

-  Bingegen, als bürgerliche Strafe, darf nie nad) den . 
Grunbfägen des Staatsrechts ausgefprochen wer- 
den, weil fein Staat dem andern feine verbächtigen 
und gefährlichen Bürger zuſchicken darf. Doch 
koͤnnen bisweilen politifche Ruͤckſichten die Landes⸗ 
vermweifung entfchuldigen, worüber die Staatsfunft 
entfcheide. Dagegen fann die Verbannung 
von Verbrechern in entfernte, demfelben Staate 
zugehörende, Kolonieen (3. DB. nad) Botanybay), 
mit Ausſchluß von den Rechten eines Staatsbür- 


\ N 


192 Staats- und Staatenrecht. 


gers, durch das’ Geſetz nad) Grundſaͤtzen des 

Staatsrechts beſtimmt werden. | 
23. ' 

Maturalifirung der Fremden, 


Was die Aufnahme von Fremden und bie Er- 
theilung des Bürgerrechts an diefelben betrifft; fo 
‚muß die Verfaffung des Staates im Allgemeinen fefts 
ſetzen, unter welchen Bedingungen und bis wie weit 
‚Ausländer zu naturaglifiren find. So menig dabei auf 
die Verfchiedenheit der kirchlichen Bekenntniffe gefehen 
werden darf; fo nöthig ift es doch, daß feiner das 
Staatsbürgerreche erlange, der entweber einen andern 
‚Staat als Schuldiger verlaffen, oder doch feinen 
Verpflichtungen gegen denfelben nicht völlige Genuͤge 
geleiftee hat, oder ber dur) feine Aufnahme den wohl- 
erworbenen Rechten der vorhandenen Staätsbürger 
Eintrag thun würde. Befonders muß bei ber Aufs 
nahme von Fremden in Maffe die größte Vorfiche 
aͤngewandt, und genau berücfichtige werden, ob man 
Diefen Fremden den völligen Umfang, aller Bürgers 
rechte (3.8. felbft zu Staatsdienften gelangen zu fön- 
nen), und vielleicht fogar mit gewiffen mefentlichen 
Vortheilen bei ihrer Einwanderung verbunden, oder 
nur die unmittelbar perfönlichen Staatsbiirgerrechte 
(Befreiung von Seibeigenfchaft u. f. m.) zugefteht. 

Die Staatsfunft hat dabei zu berückfichti- 
gen, ob die. Ausländer unzufriedene Emigranten, 
oder fleißige Koloniften find; ob der einheimifche 
Staat, der fie aufnehmen will, nur ſchwach, oder 

bereits übervölfere iftz ob Glaubenszwang und 
kirchlicher Berfolgungsgeift, oder politifcher Seften- 
geift fie vertreibt; ob fie arm, oder mit Vermögen 


7 Baar und Gmarenrchs 193 | 


die Aufnahme wünfchen ; es man durch ihre Auf⸗ 
nahme vielleicht mit dem’ Scaate via, ben fie 
. welaſſen u fi 10» oo A 
—J— | 24. 1 
Ver ſhiede nheit der Staatsbaͤrger, und 

nr beben Eintheilung. 


Obgleich. ‚abe, Staatsbürger, in f ormeiler PR 
Gehe, d. h. nach den urfprünglichen, aus dem Urrechtco 
ber: Perſonlichkeit hervorgehenden Rechten, einander 
gleich find, fo wie fie alle in ‚ihrem außern Ruhte- 
Eyeifg den Zweck des Staates befördern fellen:und koͤnn 
nen; fo wird doch dadurch ihre Verſchiedenheit und: 
Ungteichheit in-materietler Hinſicht nicht aufge 
hoben. - Diefemaferielle Ungleichheit berußt aber auf 
ber- Verfchiedenpeit ‚der phnfifcheh Kraͤfte, der geiſti⸗ 
gen Talente, der erlangten Kenntniſſe, der gewoͤhl⸗ 
ten Berufsarten, des ererbten oder erworbenen Eigen- 
thums und Reihtgums, und der dem Staate in deſſem 
Aemtern bereits geleifteten, oder. noch zu leiftenden- 
Dienfte; überhaupt auf dem Unterſchiede der. phy⸗ 
ſiſchen und ſittlichen Nuͤndigkeit und Un: 
munbigfeit. A 
Pon fo graßer Wichtigkeit alfo auch der Glurde 
befig des Bodenß im Staate, fa wie, bei ber Erblich 
keit des rechtlich erworbenen .Eigenehums,, jebes. mitt. 
bem-Orundbefige verbundene Recht var der Vernunft‘ 
guͤltig iſt; fo kann doch weder von Djefem Grundbeſitze, 
noch von der bloßen verſchiedenartigen Anfündigung: 
der geiſtigen Talente und Kraͤfte die Eintheilung der. 
Staatsbuͤrger in einzelne Klaſſen ober Staͤnde ab 
haͤngig gemacht werden. Es bedingt die Vernunft 
vielmehr dieſe Eintheilung der Staatsbürger: theils 
. LI ‚43 - 


18: Ecaats- und Geaatenrecht. 
nach ihrer yerfäntihen Selbſtſtaͤndigkéit, 


nad) welcher die Thaͤtigkeit der Individuen zumachft 
von ihren eigenen Rechten und Kräften, und wicht 


von der Willfühe Andrer abhängt; theils nach ihrer 


geiftigen und ſittlichen Mündigfeit, nad 
welcher blos bie durch ihee Einfichten. und Kenntnifle 
Brauchbaren, und die nach ihrer firtlichen Ankuͤndi⸗ 
. gung Bewaͤhrten zur unmittelbaren und unbes 
ränften Theilnahme an allen Rechten der politis - 
hen (öffentlichen) Freiheit ($. 14.) zugelaflen wer⸗ 
den. — Aus diefem .Gefihtspuncte ergibt ſich 
teils der allgemeine Unterſchied zwifchen paffiven 
und activen Staatsbürgern *), theils die Ein- 
teilung der Staatsbürger in bie einzelnen Stände 
Der Regent, als foldher, kann nicht in den Kreis 
der Stände des Wolfes gezogen werden, weil von 
ihm, bei der Ernennung zu Staatsämtern, die Ente - 
fheidung über die geiftige und ſittliche Muͤndigkeit 
alter Staatsbürger ausgeht. Zu den hoͤhern Staͤn⸗ 
ben werden aber diejenigen Staatsbürger gerechnet, 
welche entweder bei der "verfaffungsmäßigen Ver⸗ 
fammlung der Stellvertreter des Volkes als Mits 
glieder -derfelben erfcheinen, ‚oder welche: bei 
den gefammten einzelnen. Zweigen der Regierung 
und Verwaltung als eigentliche vorgefegte 
Staatsbeamte und Behörden angeſtellt, und 
alfo blos dem Regenten und den Vertretern des Wol⸗ 
fes verantwortlich find. Zu den mittlern Ständen 
hingegen gehören alle in abhängigen Verhaͤltniſſen, 
d. h. mic Verantwortlichfeit gegen ihre umittelbaren' 


I 





*) Mit richtigem Tacte hat fhon Kant in f. meta. 
phyſ. Anf. der Rechtslehre &. 166 f. die 
fen wichtigen Unterfchied. * 


N 





.- 
v 


Staats» unb Staatemrecht. 4195 


VWorgeſetzten angeſtellte, Staatsbeamte; vann alle, 
nicht im Staatsdienſte angeſtellte, perfäntich uns 
abhaͤngige, Grundeigenthuͤmer, Gelehrte, Kuͤnſt⸗ 
Ler, Kaufleute, welche durch ihre Thaͤtigkeit das 
inner. Leben des. Staates, und namentlich das gei⸗ 
ſtige Leben ‚fordern und vwervollfommnen. Wenn in 
der Mitte der hoͤhern Ständezunächft die erhaltende 
Keaft des‘ Staates wirft; "fo bewährt ſich im Kreife 
der mittlern Stande zunächft Die bewegende 
Kraft deſſelben. — Zu den niedern Ständen 
endlich werben diejenigen gerechnet, welche in per» 
fönliher ober dinglicher Abhängigfeit zu den 
hoͤhern und mittlern Ständen, entweder Durch’ per» 
fönliche Dienftleiftungen,, ober durch Betreibung des 
Feldbaues, der Gewerbe u. ſ. m. ſtehen. 


25 
Gefellfhaften im Staare. 


..: Kine Geſellſchaft im Staate ift die Vereinte 
gung einer Mehrzahl von Staatsbürgern zur Ver⸗ 
wirklichung eines befondern Zweckes. Diefer 
give foll aber rechtlich feyn; d.h. er darfdem - 
Zwede dis Etaates. überhaupt nicht widerfprechen, 
und durch denfelben dürfen feine Rechte irgend eınes 
Staatsbürgers beeinträchtiger werben. Zugleich muß 
diefer Zweck (Naturr. $. 29.) der Regierung des 
Staates bekannt und von derfelben anerfannt ſeyn, 
damit die für Die Verwirklichung dieſes Zweckes ver- 
einigee Gefellfchaft von der Megierung dabei geſchuͤtzt 
werde, — Sobald aber eine Geſellſchaft im Staate 
entweder ihren Zweck vor der Regierung verheimlicht, 
oder einen unwahren Zweck berfelden anzeige, dder 
ihren beſondern Zweck durch Mittel zu befdedern und 

| 13 


IM 


190 Stoaais und Staatenrecht. 


zu erreichen: ſucht, welche dem allgeme inen Seaealts 


orde und den Rechten einzelner Staatsbürger: wider⸗ 


ſtreiten, .ober fobald die Geſellſchaft der oberften. Auf⸗ 
ſicht der Regierung ſich entziehen will; ſobald bilder 


eine. fotche Geſeliſchaft einen Staat im State, 
| un muß von ben Regierung aufgegeben werben. : 


2 > Br 
Einteilung des Stantsgebiersi of 


Die zweckmaͤßige geographifche Eincheilung des 
Staategebiets in Provinzen, Bezirke u. f no. hängt 
ab von einem ftariftifchen Grundfäße,, : welcher 
theils auf der ‘Beurtheilung des gefamrüten$ boͤ⸗ 


‚henraums, nad) ſeinen Naturgrenzen der Gebitgs⸗ 


reihen und Flußgebiete, und nach ſeiner Fruchtbarkeit, 
theils auf dem innern Verhaͤltniſſe der Geſammt⸗ 


bevoͤlkerumg in Hinſicht ouf die Vertheilung und 


Ausbreitung derſelben auf jenem Flache nraume · be⸗ 
xuht. Dean:durch die Eintheilung des Gebiets und 
der Sefammtbevölferung des Staates nach dieſem 
Grundſatze wird. theils Die Ausmittelung der: Artzahl 
ber zu, wählenden Vertreter Des Volkes, fo wie die 


Form ihrer Wahl, theils die gleichmäßige Verthei⸗ 


(ung der einzelnen Berwaltungsbehörhen ‚(der Gerech⸗ 
sigfeitepflege, der Polizei, der Finanzen und ber 
friegerifchen Mache) in die Provinzen des Staates, 
theils die zweckmaͤßige Erhebung der Steuern und 


. Abgaben, theils die gerechte Aushebung: ber: indie 
 friegerifche Macht aufzuneßmenden Vaterlandsver⸗ 


theidiger erleichtet. 
(Bei der Feſthaltung dieſes ſtatiſtiſchen Grund⸗ 
...faßes., fo weit er naͤmlich nach örtlichen Verhaͤlt⸗ 
—5 ſeſtgehalten werden kann, werden die Pro⸗ 


Staata · und Staatenrecht 197 


vinzen Pleiner Staaten ungefähr 100,000 — 
: 200,000 Einwohner umfchließen, während die 
J ‚Bevölkerungszahl ber Provinzen eines großen Reis 
. ‚ches bis auf eine halbe Million Menfchen und. 
daruber fteigen fann. —— Nach bemfelben Maas- 
ſtabe werden ſich die Gerichtshoͤfe mit ihren ver⸗ 
ſchiedenen Inſtanzen, und die Polizei⸗ und Finanze: 
- bebörden orönen laffen; fo wie für bie bewaffnete: 
Macht des Staates von einer Million Bevoͤl⸗ 
kerung höchftens 10,000 Mann aufgebaten werden 
koͤnnen.) ur 
“ftı:. 
97. 
Regetie Som der gefeggebinden 9“ 
walt im: Staate 


‚Die Vernunft denkt fich unter der gefeßgebenden | 
Gewalt; im Staate die rechtlich geftaltete und auf fefter: 
Grundlage rubende Anfündigung des allgemeinen. 
Willens in Hinfihe aller aufzuftellenden Mittel für. 
die. Verwirklichung Des Staatszweifes. In einer, 
den Forderungen der Vernunft entfprechenden, Staats⸗ 
verfaffung beruht aber ($. 16.) Die gefeßgebende Ge⸗ 
walt gemeinfhaftlich auf dem Regenten und den, 
Vertretern des Volkes, fo daß beiden die füge- 
nannte Initiative, db. h. der erſte Antrag und 
Vorfchlag zu einem Gefege zufteht, worauf jedesmal: 
ber. andere Theil, von welchem ber Vorſchlag nie 
ausging, den Gefegentmurf entweder unbebingt, oder 
mit Beſchraͤnkung annehmen, oder auch ganz verwerfen 
kann. Denn fteht den Vertretern des Volkes allein 
die Initiative der Gefege zu; fo wird der Regent — 
obgleich im ausſchließenden Beſitze der vollziehenden 
Gewalt — doch eines wefentlichen Antheils an der 


N 


j 198 | Staats ⸗ und Sind 


hoͤch ten Gewalt beraubt‘ ), unb er in feiner‘ sn. 


famfeit und in ‚feiner Würde durch den Willen der 
Volksvertreter gehemmt. Steht aber dem Regenten 
ausfchließend die Initiative der Gefege zu; fo. kann er 


theils mit den Bedürfniffen und Wünfchen des Vol⸗ 
"Bes nicht auf dem rechtlichen, verfaffüngs- 
‚mäßigen Wege — durch das Hrgan der Vertre⸗ 
ter des Volkes — befannt werden, theils werden bie 
Vertreter des Volkes bei dem Volke ſelbſt niche die noͤ⸗ 
thige Achtung und das fefte Zutrauen befigen,, fobald . 
. ihre Rechte blos auf die Bewilligung ber Anträge des 
Regenten befchränft find. Nur wenn die gefeßge- 


bende Gewalt gleichmäßig vertheilt ift zwifchen dem 


Megenten und den Vertretern: des Volkes, wirb die. 


geſammte Intelligenz im Staate Antheil 


haben an der Gefeggebung, und — weil beide Theil⸗ 
nehmer an der gefeßgebenden Gewalt zu einander im 


Gleichgewichte fliehen — die Gefeggebung eben 


‘fo der rechtliche Ausdruck des Willens des Regenten, 


. wie der öffentlihen Meinung feyn. - 


Auf diefe Weife wird bewirkt werben, mas die 


Vernunft verlangt, daß blos folche Gefeße gegeben 
und zu einem Gef eb u ch e verbunden werden, wel⸗ 
che — geſtuͤtzt auf die in der Verfaſſung vertrags⸗ 
mäßig feſtgeſetzten Grundlagen des gefammten ( Staats⸗ 


lebens — für alle Staatsbuͤrger eine gleiche verbin⸗ 


dende Kraft haben, und wodurch, mie Rüuüͤckſicht auf 


- das Maas der individuellen phyſiſchen, pecuniairen 
und geiftigen Kraft, feinem mehr aufgelegt wird, als - 


— 





*) wie z. B. in der erſten franzofiſchen Conſtitution nom 


—3 1791; in der dritten franzoͤſiſchen Conſtitu⸗ 
tion vom .S. 1795; in der fpanifchen Eonftitntion 
vom J. 1812, und in ber xportugieſiſchen Conſtitu⸗ 
tion vom J. 1822. 


⸗ 








Staats: und Staatenreche. 499. 


- „dem andern. Ob nun gleich, im Allgemeinen, bie 
Geſetze Einfchränfungen der perfonlichen reis 
beit find (fo wie der ‘Begriff bes Rechts felbft die 
gegenfeitige vertragsmäßige Befchränfung der außern 
Freiheit in ſich einfchließe); fo find fie doch Feine Bes 
einerächtigungen.der bürgerlichen Freiheit, weil 
die Gefege nicht durch die Willführ‘, ſondern von des 
vechtniäßigen gefeggebenden Gewalt gegeben werben, 
weit fie unnachlaßliche Mittel und Bedingungen für: 
die Verwirklichung des Stansszwee@find,, und weil 
fie alle Staatsbürger auf. gleiche Weiſobeſchraͤnken. 
Es werden daher die Geſetze von N ſittlich⸗ 
Mindigen Staatsbürgegn freiwillig angenommen, 
weil ihre Vernunft fürtdas DBeftehen und -die Forte 
Bauer des bürgerlichen Vereins feine wirkſamern Mite 
fel auffinden fann, als bie mit gemeinfhaftlicher Zus 
fimmung des Regenten und der Volfsvertreter gegen 
benen Geſetze. Deshalb ift auch der Gehorſam, 
welchen die Staatsbürger den Gefegen leiften, ein 
freiwilliger, der nur von den. fittlich »- unmuͤndigen 
Staatsbürgern durch Zwang bewirft werden muß, 
So wird zugleich die Einfchränfung der individuellen 
Breiheit Ducch das Geſetz nicht bios eine Wirfung ber 
eignen Freiheit ver Staatsbürger, fondern auch, ver- 


mittelft der Angemeffenheit der Gefege zu dem hoͤch⸗ 


ſten Zwecke des Staats, die Grundlage der alle 
gemeinen Eintracht und Ordnung in ber 
bürgerlichen Geſellſchaft, weil alle Staatsbürger vor 
dem Geſetze gleich find, und über fie alle nichts herrſcht, 
als das Geſetz; denn nur durch das Gefes kann bie 
Herrſchaft des Nechts begruͤndet, gefichert und erhal⸗ 
tern werden, — Der hoͤchſte Standpunet für bie 
Geſetzgebung im Staate ift daher der: daß bie Außers 
Freiheit der Staatsbürger nie Gefeglofigfeit, und bas 


\ 


⁊ 
N 


200 Staaus und Swatch, 


wörgefehrichene :Gefug ‚nie ein Auslaß her Willkohe 
werde; daß.vielmehr: Die. Gefeggehäng bie buͤrgerliche 
Freiheit ficher.ftelle, und die buͤrgerliche Freiheit ſelbſt 
als der Grund der unverbruͤchlichſten Befolgung der, 
Geſetze im; Staate erſcheine. Die. .bürgerdiihe 
Sreipeit.durd.das Gefeg. ift. mithin die große. 
Aufgabe her. Geſetzgebung im. Stagte. 
Aus dieſem Standpuncte gefaßt, werden wusleich 
alle Geſetze des Staates einander.gleich in Hinſicht 
der recht lien, fo verfchieden fie- au in, 
i H eyn fonnen, weil dieſe 
\ War niabafti A haltniffen abhängt, in 
welchen ie (N > I als Perfonen zu 
Perfonen! — ku den Sachen fiehens...: 
Segiehing Kan rechtliche Form .der 
Befannr RAM oh bcise ‚ welche unmittelbar. 
von dem Stamnliskeripte ausgeht, . und in deſſen 
Ramen geſchieht, iſt es nöthig, daß die Verfafler, 
(Eoneipienten) der von dem Regenter und den Volks⸗ 
vertretern gemeinfchaftlich befchlaffenen Gefege dieſel-⸗ 
ben verftänblich, beftimnit, unzweideutig, ben ‚Ges 
genftand erſchoͤpfend, in der Sandesfprache mit Vers 
wieidung jedes fremden Ausdruckes, und die einzelnen 
Gefege im inner Zufammenfange mit ſich felbft ab« 
falten. . 
Man; unterſcheidet endlich zwiſchen organi⸗ 
ſichen und abgeleiteten. Geſetzen, inwiefern die 
er ftern:ausfchließend Diejenigen Beſtimmungen ent⸗ 
halten, welche unmittelbar auf die Staatsverfaflung 
und Staatswerwaltung ſich beziehen, und in allen 
einzelnen · Vorſchriften auf den Staatsvertrag. ſich 
Rügen; die zweiten aber die Rechtsbeſtimmungen 
für“ die einzelnen Fälle des Privatlebens der Staats» . 
Bürger auffieften, ‚welchen wieder die organifchen Ges 














Siaalae u. aatunecht. 24 


fege jur naͤchſten Unterlage bieten. — Deshalb 
fonnen, in einem auf vertragsmaͤßiger Verfafſung 
rühenden Staate, die organi fchenGefege nur durch 
hie gemeinſchaftliche Uebereinkunft des Regenten und 
der Volksvertreter gegeben werben, bagegen dien a b⸗ 
geleiteten Geſetze von Denfenigen’eingelnen Dehör- 
den ber Regierung und der Verwaltung — buch’ jödes- 
mal im Namen und mit Vorwiſfen des Staatsober⸗ 


hauptes — aͤusgehen, welchen die rechtliche Beſtim— 
mung und Enefcheidung der einzelnen Gegenftände des 
Privatlebens ber, Staatsbürger zukommt. 


Montesquien, de P’esprit des .loix. 4. Tom. 
Amst. 1748. (viele Ausgaben.) Teutfch In A4.,Thels 
len; Altenb. 1782. 8. — Zweite Ueberfeßung mit 
Anmert. von 4. ®. Hauswalb. 3 Th. Goͤrlitz, 
1804. 8 . 

Als neueſier; in einzeinen Ruͤckſichten reichi aus⸗ 
zgeſtatteter, Commentar zu dieſem Werte gehoͤrt 
(mit einem von dem Ueberfeßer gewählten Titel); , 

Sraf Difure de Tracy, Charafterzeihnung, . 
: der Politik aller Staaten der Erde. Kritiſcher Coms 

Ä mentar Kber: Montesquien’s Geiſt der Geſetze. Ueber 
... feßt;ynd ghoſſirt von Morſtadi. a Theile. Heldelbe | 
1820 fx 8. 

Gaetano. Filangieri, la scienza della legie- 
lazioue. ‚9 T. Nap., et Venetia, 1783 394. Be — 
Teutfh in 8 Theilen v. Link. Anfpah, 1784 f- 
8. — z3te Aufl. der .erften Theile, 1808. 

Ifaak Sfelln, Verſuch über ‚die „Sefegsehung. 

aſel, 1759. 8. 

v. -Mabip, über die Miſetgebung oder ‚über / di 
Srundfäße der, Geſetze. 2 Th. Aus dem — 
Nürnb, 1779. 8- 

Heint. Home, Unterfuchung über die moraüſchen 
Geſetze der Sefellfhaft. Aus d. Engl. Lpz. 1773.82 
3. Geo. Schioffer, ‚Briefe Aber die Sc 
gebung. 2 gehe grkf. ‚789 Ärb- : ai 





20 Staau und Saat 


wörgefahrichene Gefetz nle ein Austaß Der Wällkoͤhr 
werde; daß vielmehr bie. Gegetzgebung bie buͤrgerlichs 
Freiheit ficher.ftelle, und die-bürgeglishe Freiheit: ſelbſt 
als der Grund der unverbruͤchlichſten Befolgung der, 
Geſetze im, Staate erſcheine. Die bürgerliche 
Freiheitedurch das Gefeg. iſt mithin bie rohe 
Aufgabe der Geſetzgebung im, Staate, 
.Aus dieſem Standpuncte gefaßt, werden zugleich; 
alle Gefege des Staates einander.gleic in hinſicht 
der rechtlichen ARZNL fo verfchieden ſie auch in, 
ie kon Kamen, weil dieſe 








Ser 

E Kai wi 
Derannk GI "RL Geſttze, — unmittelbar 
Waußte ua, und in deſſen 

Namen arfchieht, ift es nöthig „daß die Verfaſſer, 
(Eoneipienten) der von Dem Regenten und den Volfs«. 

wertretern gemeinfchaftlich befchlaffenen Gefege biefels, 

ben verſtaͤndlich, beſtimmt, unzrogideutig, ben. Ges 

genftand erſchoͤpfend, in der Sandesfprache mit Vers 

meidung jedes fremden Ausdruckes, und die einzelnen 
Geſctze im innern Zuſammenhange mit ſich ſelbſt ab⸗ 


faflen. 
*. Man. unterſcheidet endlich zwiſchen org an i⸗ 
ſichen und abgeleiteten. Geſetzen, inwiefern bie 
er ſter nausſchließend Diejenigen Beſtimmungen ent 
halten, welche unmittelbar auf die Staatsverfaſſung 
und Staotswerwaltung ſich beziehen, und in allen 
— Vorſchriften auf den Staatsvertrag ſich 
Rügen; die zweiten aber die Rechtsbeſtimmungen 
für: die einzelnen Fälle des Privatlebens der Staats- 
bürger aufftellen, welchen wieder die organifchen Ge⸗ 


Staats· u Graatanndi . 201 


jene sur naͤchſten Unterlage dienen. — Deshalb 
koͤnnen, in einem auf vertragsmaͤßiger Verfafſung 
ruhenden Staate, die organifchen&efege nur durch 
die gemeinſchaftliche Uebereinkunft des Regenten und 
der Volksvertreter gegeben werben, dagegen die, a b⸗ 
geleiteten Gefege von Denfenigenseingeinen Behör- 
den ber Regierung und der Verwaltung — buch’jädes- 
mal im Namen und mit Vorwiſfen des Staatsober⸗ 
hauptes — ausgeben, welchen Die rechtliche Beſtim⸗ 
mung und Entſcheibung der einzelnen Gegenſtaͤnde des 
Privatlebens ‚der. Staatsbirger zukommt. 


Montesquien, de V’esprit des loix. 4. Tom. 
Amst. 1748. (viele Ausgaben.) Teutfch In 4 Theis 
len; Altenb. 1782. 8. — Zweite Meberfegung mit 
Anmert. von A. ®. Hauswald. 3 Th. Goͤrlitz, 
180% 8. 

As neueſter; in einzelnen Raͤckſichten reichi aus⸗ 

. ‚geftatterer, ‚Kommentar zu diefem Werte -gehöre 
. (mit einem von dem Ueberſeher gewählten Titel); 

"Graf De ſtutt de Tracy, Charafterzeihnung. 

der Politik aller Staaten der Erde. Kritifher. Coms 

' mentar Über: Montesquieu’s Geiſt der Geſetze. Ueber 
ſetzt. vnd gloſſirt von Worſtadi. 2 Theile, Heldelbe 
1820 fx &.: . 

Gaetano. Filangieri, Ja scienza della legis- 
lazioue. 9 T. Nap. et Venetia, 1783 sqy.  — 
Teutfäh In 5 Theiten v. Einf, Anfpah, 1784 ff- 
8. — Z3te Aufl. der .erften Theile, 1808. 

Sfaat Iſelin, Verſuch uͤber die GBeſetsebung. 
Ball, 1759. 8. 

v..Mabiy. über die Sefeggebung. oder aber / die 
Grundſaͤtze der, Geſetze. 2 Th. Aus dem Franzi, 
Nürnb, 1779. 8. 

u Keint. Dome, Unterſuchung uͤber die morauſchen 

Geſetze der Geſellſchaſt. Aus d. Engl. Lpz. 1978. Ki 

I. Beo. Schlioffer, ‚Briefe Aber bie- Be 
gebung. 2 > Belle Frkf. i7ao KB. Br 


. 
’ 


202° 2 Graats- hub Gtaatenrecht. 


3. Seine. Tieftrune, über Otaatekunſt und 
‚ Gefeßgebung. Berl. 1791. 8. 

Theod. Gtli. v. —328 uͤber Geſetzgebung und 
Staatenwohl. Berl. 1804. 8. 

I. Adam Durst Theorie der Geſetzgebung. Mei⸗ 


ßen, 1802. 
Jac. Sum. Beck, Srundfäge ber. Gefepgehung, 
3. 18 
art ER Sadhariä, die Wiſſenſchaft der Ge⸗ 
febgebung. Als Einfeitung zu einem allgemeinen 
u Geſebbuche. Lp;. 806.8 | 


Sqnaubert,“ Auch der Regent it an bie von 
ihm gegebenen Geſetze gebunden. Aus dem Latein. 
mir Anmerk. und Zufägen von Eman. Ir. Hag e⸗ 
meifter. Roſtocku. Lpz. 1795. 8. 


28. 
Die Stellvertreter des Volkes. 
Die Stellvertreter des Volkes, welchen ein in 
der Verfaffung des Staates beftimmt ausgefprochener 
Antheil an der gefeßgebenden Gewalt zufteht, dürfen 
nicht von der Regierung ernannt, fie müffen vielmehr 
. von dem Volke ſelbſt gewählt werden, und dieſe 
Wahl muß von dem Zutrauen und der Achtung ihrer 


Mitbürger abhängen. Zu Stellvertretern des Volkes 
Dürfen aber weber fittlich-unmünbdige gewählt werben, 


noch darf die Wahl durd die Theilnabme der fittlich- 


unmündigen gefchehen. . Nur fittlih-mündige 
duͤrfen, nach der Vernunft, das Recht der Wahl 
and der Waͤhlbarkeit haben, ‚weil nur dieſen, 
nächft der bürgerlichen Freiheit, auch die öffentliche 
(politiſche) Freiheit ($. 14.) zufommt. Mie koͤnnte 
ein Staat (hlimmer. berathen werben, als wenn deſſen 
fietlich - unmündige Bürger wäßlen birfeen, und ge⸗ 
wahlt werben koͤnnten. 














Staats· und Staatenrecht. 203, 


ame nun dieſem Grunbübel der ſtellvertreten ⸗ 
den Verfaſſung des Staates moͤglich ſt vorgebeugt 
werde, darf die Wahl der Volksvertreter nicht in fo⸗ 
genannten Urverſammlungen des Volkes geſchehen, 
nicht deni Zufalle, nicht der Leidenſchaft, nicht der 
Beſtechung, ind eben fo wenig der bevormundenden 
Einmifhüng der verwaltenden Behörden überlaffen, 
wohl aber foll fie unter die Oberaufficht rechtlicher 
- Staatsmänner geftellt werden. Es muß daher, für 
Biefen hochwichtigen Zweck, Die Verfaſſung felbft theils 
den Grundfag für die im Staate beftehende Volks⸗ 
vertretung überhaupt, theils die Angabe der Gefammt- 
zahl der Volksvertreter nach dem Maasftabe des Flaͤ⸗ 
chenraums und der Bevölferungsmafle ($.26.), theils 
die Beflimmungen für die Wählbarkeit derfelben, für 
die Form der Wahlen felbft, und für Die Formen des 
Zufammentretens , nicht minder für die Formen der 
Verhandlungen der Volfsvertreter, für die Zeit und 
Dauer ihrer Verfammlung , und für die in der Zwi⸗ 
ſchenzeit ver Verſammlungen beftehenden Ausfchüfle, 
ſo wie für die jeder guten Wolfsvertretung zum Grunde’ 
liegenden Gemeinde» und Kreisordnung, ın ſich ent⸗ 
halten, | 
| Es raͤßt fich aber , nady der Vernunft, ein dop⸗ 
pelter Grundſatz für die rechtliche Geftaltung der 
Bolfsvertretung im Staate aufftellen, fo daß mach 
dem einen die beftimmte Gefammtzahl der Volfs- 
Vertreter, ohne Ruͤckſicht auf irgend einen Stand und 
Beruf im Staate, ganz frei nad) dem Zutrauen 
gewählt wird, welches die Individuen, auf welche 
bie Wahl fälle, bei ihren Mirbürgern ſich erworben 
haben; nach) Dem andern aber die verfchiedenen 
Stände und Berufsarten im Staate gleihmäßig - 
beruͤckſichtiget werden, damit nicht, durch den Zufall 


206. Staus. und. Seaatenrecht. 


ber Mahl, gewiſſe ſelbſtſtaͤndige Zweige der menſch⸗ 
lichen Zhaͤtigkeit im Staate entweder ganz von ber 


Vertretung ausgefchloffen,, oder gegen andere zu un⸗ 


verhaͤltnißmaͤßig hervorgehoben werden. — Mird 
Diefer zweite Grundſatz der Volksvertretung (der ftäns 
diſche) feſtgehalten; ſo ſcheint es am zweckmaͤßigſten 


zu ſeyn, die Geſammtzahl der Volksvertreter gleich. 


mwaßig zu vertheilen:. 1) nach dem großen Grund« 


befiße; 2) nach den ſtaͤdtiſchen Gewerben in Manu«. 


facturen, Fabrifen und. im Handel; 3) nach der 


geiftigen Thaͤtigkeit im Gebiete der Wiffenfchaft und, 


Kunft, und 4) nad.dem Stande der Sandbewohner. 


Selbft Staatsdiener, fobald fie das Zufrauen ihrer 


- Mitbürger zur freien Wahl beruft, .. Eonnen in die. 


Reihe der Volfsvertreter ‚gehören; nur mäffen theils 
die, welche im perfönlichen Dienfte des Regenten 
Reben, theils diejenigen Höchften Staatsbeamten, 


welche, von ihrem Standpuncte aus, die einzelnen 


Hauptzweige der. Staatsverwaltung leiten und die 


Aemter in denfelben befegen, fchon deshalb von der. 


Wahl zur Volfsvertretung ausgefchloffen werden, weil 
ihnen, nach ihrer Stellung, dag Recht zufteht, den 


Berfammlungen ver Volksvertreter, doch ohne Theil 


nahme an der Abftimmung ,. beizumohnen. — End» 
li) verfteht es fich von ſelbſt, daß alle, melche nicht 
im Beſitze der individuellen Selbftftändigfeit, und ber 
öffentlichen (politifchen) Freiheit ($. 14.) ſtehen, d. h. 
alle phyſiſch Unmuͤndige, alle Dienftboten ‚ alle für 


Tagelohn Arbeitende, alle. Berforgte, alle in Unter« 


fuchung befindliche, und alle in peinlichen Fallen Be⸗ 
ftrafte,. von der: Wahl zur Volksvertretung ausge⸗ 
ſchloſſen werden muͤſſen. 

Die Vertreter des Volkes find aber, nad) der 
Eröffnung ihrer: Verſanjmlung, nicht, mehr die Res 


Staats « und SEeaatenbeche 265 


ten ihres Ortes, ihrer Provinz, ober ihets 
Befonbern Standes, fondern — für die Dauer ihres 
Beifammenfeyns — die unabhängigen, felbft 
ftändigen,unverleglichen, und für ihre.amts» 
mäßig’ geäußerten Meinungen und rechtlich abgegebe⸗ 
sen Stimmen unveranswortlichen, Vertreter 
des. geſammten Volke 83 denn, als ſolche, ſollernſie 
blos und einzig bie Begründung „Srhaltung und 
Sicherftellung der Rechte und der möglichften Wohl⸗ 
fahrt des ganzen Volfes.beabfichtigen, in deffen Namen 
und durch deſſen Wahl fie ſprechen und bandeln — 


em dd, 


*) Obgleth bie Frage nach dem narckfann, be 
moltratifhen oder drifteftotifhen Printip 
einer Staatsverfaffung zunähft politifchrift,:innd 
alfo der-Staatstunft angehörtz fo kann doch 
feine politifhe Aufgabe ohne eine vedht,lich,e-Unters 
lage: gedacht werden., und, bi.efe gehört dem" &taatss 

.rrechte an. Mag alig. auch erit weiter ungern-in. der 
Staatskunſt das in der Geſchichte der erlofhenen 

- and nod- beitehenden - Etagen vorliegende Verhaͤlt⸗ 
niß der Monarchieen, Demokratieen und Aeiſtokra⸗ 
tieen gegen einander ausgemittelt werden koͤnnen; 
ſo erhellt doch aus den aufgeſtellten fEnatsredts 

..kiden Grundfägen: daß nur da, wo die Zeſehẽ 

‚ gebende Gewalt ausfhließend in den Händen 
- der Volksvertreter (wie gi Oo.‘ it der (panifchen. Con⸗ 
ſtitution der Cortes vom J. ı8ı2) ruht, und der 
Megent bios an der Spike der vollziehenden Gewalt 
ſteht, ohne irgend einen Antheil an der gefeßgebens 
den Madyt , von dem Vorberrfchen des Bemofras 
ttfhen Principe in der Verfaffung die Dede feyn 
fann; das arifkofrartifche. Prinrip Bingegen da 
vorwaltet, wo entweder — bei dem Beftehen zweier 
Kammern — die fogmannte Pairstammer den 
Ausfhlag dei den Geſetzen (namentlich in Dinficht 
der Befteuerungsgefeße) gibt, oder:wo — im: Fall 
daß nur Eine.Kammer: ftatt. finder — die Stimme 





J 


304. Staats⸗ und Seaatenvecht. 


der Wahl, gewiſſe ſelbſtſaͤndige Zweige ber menſch⸗ 
lichen Thaͤtigkeit im Staate entweder ganz von der 
Vertretung ausgeſchloſſen, oder gegen andere zu un⸗ 
verhaͤltnißmaͤßig hervoergehoben werden. — Wird 
dieſer zweite Grundſatz der Volksvertretung (der ſt aͤ n⸗ 
diſche) feſtgehalten; ſo ſcheint es am zweckmaͤßigſten 
zu ſeyn, die Geſammtzahl der Volksvertreter gleich⸗ 
maͤßig zu vertheilen: 1) ‚nach. dem großen Grund⸗ 
beſitze; 2) nach den ſtaͤdtiſchen Gewerben in Manu⸗ 
facturen, Fabriken und. im Handel; 3) mach ˖der 
geiſtigen Thaͤtigkeit im Gebiete der. Wiflenfchaft :und, - 
Kunft, und 4) nadh.dem Stande ber Landbewohner. 
Selbft Staatsdiener, fobald fie das Zutrauen ihrer 
Mitbuͤrger zur freien Wahl beruft, .. Eonnen- in Die, 
Reihe der Volfsvertreter gehören, nur muͤſſen theils 
die, welche im perfonlichen Dienſte des Regenten 
ſtehen, theils diejenigen höchften Staatsbeamten, ° 
welche, von ihrem Standpuncte aus, die..einzelnen 
Hauptzroeige der. Staatsverwaltung leiten und bie: 
Aemter in denfelben befegen, ſchon deshalb von der. 
Wahl zur Volfsvertretung ausgefchloflen werden, weil 
ihnen, ‚nach ihrer Stellung, dag Recht zufteht, den. _ 
Verſammlungen der Wolfsvertreter, doc) ohne Theil⸗ 
nahme an-der Abftimmung , beizumohnen.. — End» 
lich verfteht es fich von ſelbſt, daß alle, melche nicht. 
im Befige der individyellen Selbftftändigfeit und der 
öffentlichen (politifchen) Freiheit ($. 44.) ſtehen, d. h. 
alle phyſiſch Unmuͤndige, alle Dienftboten, alle für 
Tagelohn Arbeitende,. alle. Verſorgte, alle in Unters 
ſuchung befindliche, und. alle in peinlichen Fällen Be— 
ftrafte,. von der Wahl zur Volksvertrecung ausges 
Schloflen werden müffen. nn 
- Die Vertreter des Polkes find aber, nach der 
Eröffnung ihrer: Verſammlung, nicht mehr bie Res, 





Btaats «:und Kitantenscihe, 205 


praͤſentanten Ihres Ortes ;; chrer Provinz ebar.ifen 
beſondern Standes, ſondern — fuͤr die Dauer ihres 





Beiſammenfeyns — die unabhängigen, febbft 


Kändigen,unverleglichen,. und fuͤr ihre amts⸗ 
maͤßig gekußorten Meinungen und rechtlich abgegebe⸗ 
sen Seimmen unver anbworklich en, Wertreter 
des. geſammten Volkes; denn, als ſolche, ſolleri ſoe 
blos. und ·einzig: die Begrundung, Grhaltung und 
Sicherſtellung der Rechte und der möglichften Weohl⸗ 
fahrt des gangen Volkes beabſichtigen, in deſſen Namen 
und durch: defſen Wahl fie ſprechen und handeln "im 





. 52 .. 
*) Obgleich die Frage nad dem monarhffhen, de 
motratifhen oda drifstrotifhen Printis 
einer Staatsverfaffung zunädhft politifehsift,;;nnh 
alfo der Dtraatgkumſt angehoͤrtz fo kann doch 
feine politiſche Aufgabe ohne eine rechteliſch e Unter⸗ 
lage: gedacht werden,, und Die fe gehört dem Staats⸗ 
‚rechte: an... Mag alfg.aub erit weiter untzen in der 
Staatskunſt das in der Gefhichte der, erlofchenen 
and no“ beftehenden- Braagen vorliegende Verhält⸗ 
niß der Monardieen, Demofragieen und Atiſtokra⸗ 
tieen gegen einander ausgemittelt werden fönnen; 

fo erhellt doch aus deh -aufgeftellten fEaatsrects 
.skiden Grundſaͤtzen: def mır da, wo die, Arfchr 
‚ gebende Gewalt ausfhliehend in den Händen 
+ der Volksvertreter (wie £ Bu ih der ſpaniſchen Con⸗ 
ftitution der Cortes vom J. 1310) ruht, und der 
Regent bios an der Spitze der.vollziehenden Gewalt 
ſteht, ohne irgend einen Antheil an der gefeßgebens 
den Macht, von dem Borberrfihen des bemoöfras 

. tifhen Principe in der Werfaffung die Dede: feyn 
rann; das ariftofratifche.Prinrip Hingegen da 
Yorwaltet, wo entweder — bei dem Beftehen zweier 
Kammern: — die fogmannte Pairskammer den 
Ausſchiaäg bei den Geſetzen (namentlih in Hinſicht 
der Beſteuerungsgeſetze) gibt, oder:wo — im: Fall 
daß nur Eine Kammer ſtatt findet — die Brlmme 


J 


206 Staat. wi Scaatinreche. 


In Hinſicht der. Thaͤtigkeit derſelben muß die Ver⸗ 
faſſung genau beſtimmen, welcher Antheil ihnen, 
in Verbindung und Wechſelwirkung mit dem Regen⸗ 
ten, an der geſetzgebenden Gewalt zuſteht, und bis 
wie weit die Verantwortlichkeit der verwaltenben De 
hoͤrden von dem Urtheile der Volksvertrecer abhängt; 

beſonders wenn das Recht derſelben eintritt, * 
Staatsbeamte in Anklageſtand zu ſetzen. Haupt⸗ 
ſaͤchlich muß aber in der Verfaſſung beſtimmt ſeyn, 
auf welche Weiſe die Steuern und Abgaben, welche 
zum Beftehen des Staates erfordert werben , von ben 
Volksvertretern bewilligt, unter bie Provinzen des 
Staates vertheilt, -und nad) ihrer Verwendung für 
die feftgefeßten Ziede von den Bolfsvertretern con⸗ 
trollirt werden ſollen. 

Wilh. Tgt. Krug, das Reprafentativſyſtem. 
£pj}. 1816. 8. J | 
Sebald Brendel, die Gefhichte, das Wefen 
und der Werth der Nartonalrepräfentatton. a Thle. 
Bamb. 1817. 8. 
Kart v. Rotteck, Been at über Landſande. Karls⸗ 
ruhe, 1819. 8. _ 
90, | | 
Rechtliche Form der vollziehenden Gewalt. 


So wie durch die Verfaſſung des Staates die 


der Grundbeſitzer und der erblichen Staͤnde jedesmal 
die Stimme des gelehrten und des gewerbtreibenden 
Standes in Hinſicht der Geſetzgebung überwiegt; 
das monarchiſche Princip aber ba herrſche, wo 
dem Negenten gemeinſchaftlich mit den Volks⸗ 
vertresern die Initiative der Geſetze, ausfhlie 

- Bend aber die vollgiehende Gewalt zukeht. — Aus 
den aufgeftellten Srundfägen erhellt, daß nur das 
monarchiſche Princip in diefem Sinne dem ohilo⸗ 
ſephiſchen Staaterechte entforict. 








veihtliche Form ber gefeßgebenden Gewalt beffimme 
wird; fo muß. fie audy den Umfang-und die Wirkſam⸗ 
feit der vollziehenden Gewalt, nad) ihrer recht⸗ 
lichen Ankuͤdigung, beſtimmen. Ber “Begriff der 
volljiehenben. Gewalt ſchließt aber in ſich ein: ch eis 
Die Rechte und ‚Pflichten des Regenten; theils bie 
Rechte und Pflichten der Unterthanen, beide nad) 
ihrem in der Werfaffung feflgefegten gegenfeitigen 
Verhaͤltniſſe; cheils alle für die vier verfchießenen 
‚ Daupttheile der Verwaltung (der Gerechtigkeitspflege, 
der Polizei, der Finanzen und des Militairs) nöthi« 
gen höchiten Staatsämter,, mit deren Mittel- und 
Unterbehörden. Denn durch die vollsiehende Gewalt 
foll der von der Vernunft aufgeftellte hoͤchſte Zweck 
des Staates — die allgemeine und unbedingte Herr⸗ 
(daft des Rechts — in firengfter Angemeflenheit zu 
der jedem Staate eigenthümlihen Berfaffung und 
Geſetzgebung, in allen befondern Verhaäͤltniſſen 
des innern unb Außern Staatsiebens verwirktiche, 
und dadurch der Staat felbft zu einem in fi) harmo⸗ 
nifch verbundenen , und-zu dem allgemeinen Ziele der. 
Menfhheit ununterbrochen fortfchreitenden Ganzen 
erhoben werben. Die vollzichende Gewalt gebietet 
daher über die rechtlichen und wirffamften Mit- 
tel und Bedingungen, durch welche die Verfaſſung 
des Staates nach allen ihren einzelnen Gegenſtaͤnden, 
und die Gefeggebung nah allen ihren einzelnen. 
Theilen und Vorſchriften vollzogen ‚werden kann 
und ſoll. j oo 
In der lLehre vön der vollziehenden Gewalt wird" 
alfo zuerft vom Kegenten, dann von ben Un⸗ 
terthbanen, und darauf von den einzelnen Haupt⸗ 
theilen ber. BWerwaltung gebanbelt. 


N 


‘ 2349 Staats e und Staatenrecht. 


nd fein Eigentum behandeln ‚ fordern Aur in 


Faͤllen, wo es der allgemeine - ‚Staatszweit: arfard 
dert (z. B. für ‚Seftungen, Hochſtraßen, Damme 


u. ſ. w, gegen hinreichende Entſchaͤdigung des Be⸗ 


theiligten, in Anſpruch nehmen; darf; 


2) in dem Rechte der Zheraafſicht (jus 
supremae inspectionis), nad) welchem dem Re⸗ 


| genten feine günftige und Feine ‚nachtheilige Aeuße⸗ 


rung und Erſcheinung im innern, wie imaͤußern 
Staatsleben, nach ihrem Verhaͤltniſſe zur Ver⸗ 
faſſung und zu dem hoͤchſten Zwecke des Staates, 


. entgehen darf; 


3) in dem Rechte der Geſetzgebung im 


engern Sinne (potestas rectoria), nad) wel⸗ 
chem der Regent in Geſetzen, Verordnungen 


und Befehlen die Mittel und Bedingungen in 


einzelnen Fällen feſtſetzt, durch welche die Beſtim⸗ 


mungen der Berfaffung und der organifchen Geſetz⸗ 


2, gebung im Staate verwirfliche werden follen; - 


- a 


&) in der oberrichterlihen Gewalt 


“ Cyuftiggoßeir), nad) welcher die fämmtlichen, Ger 
richtshoͤfe von dem Regenten errichtet, und eröffnef, 
» von ihm in Hinfiche. ihres. Perfonals befegt, und 
- alle Urtheile derſelben — unbeſchadet der ölfigen 
Unabhängigkeit und Unabfegbarfeit der ernannten 
Richter — in feinem Namen, doch in ſtrenger 

+ Angemeffenbeit zu bem bürgerlichen und Strafges 
. feßbuche, und nad) der vom Regenten ausgegan- 


. 
. 
s 


genen Gerichtsordnung, geſprochen und bekannt 
gemacht werden; 


5) in der Polizeih oheit, nach welcher alle 


Behörden und Anftalten cheile für die- öffentliche 
HOrdnung: und: Sicherheit, theils für Die Kultur 


und Woplfaprt im Schace, mit Einſchluß des 





Staats’ und Staatenrecht. 211 


geſammten Erziehungsweſens, von ihm angeordnet, 
: in ihrem Innern geſtaltet, und in feinem Namen 
verwaltet werden; 
6) in der Finanzhoheit, nach welcher die 

u. Bildung des Staatsvermoͤgens aus dem Volksver⸗ 

mögen und Die Verwaltung deffelben, fo wie die 
Anwendung aller von den Volfsvertretern bewillig- 
- ten Steuern’ und Abgaben, in Angemeſſenheit zu 
den dadurch zu deckenden Bedürfniffen, von dent 

Megenten ausgeßt; 
" 7) in der Militairhoheit, nad welcher 
die Aushebung und Bewaffnung der Buͤrger zum 
“öffentlichen Dienfte innerhalb des Staats, und 
für die Vertheidigung des Staates im Kriege, ſo 
wie Die ganze innere Öeftaltung des Heeres und der 
Flotte vom Regenten abhängt, und in feinem Na— 
‚ men gefhieht; 
8) inder Oberhoheit uͤber die Kirchen 
Kes Staates, nad) welcher der Regent das ein⸗ 
zige Oberhaupt "aller: Kirchen im Staate ift (jus 
episcopale), und ihm die Beſchuͤtzung und Auf— 
rechthaltung der vertragsmaͤßig begründeten kirch— 
lichen Verfaſſung und Verwaltung (jus ad vocatiae 
ecclesiasticae), fo wie die Leitung des Verhält- 
niſſes der äußern Angemeſſenheit der Kirche zum, 
Staate (jus reformandi) zuſteht; 


9) in der oberſten Leitung der ausmwäts 
- tigen Angelegenheiten, fo daß die Beftim- 
mung und Cntfcheidung aller Verhaltniffe des 
. Staates zum Auslande, die Abſchließung aller 
Verträge und Bänbniffe mit demſelben, Die Kriegs: 
erklaͤrungen und Friedensfhlüffe, fo wie die Era 
2 nennung der Gefandten, Eommiffarien und Depus 
14 * | 





Li 


212 Staats» und Staatenrecht. u 


tationen für alle dieſe Zwecke, einzig von ihm ab» 

hängen, | 2 

‘ , 31. 

Fortſetzung. Majeftätsrehte des Re 
- genten, 


Dem Regenten kommt, inwiefern er Souverain, 
d. h. Repraͤſentant der geſammten Selbſtſtaͤndigkeit 


und Unabhaͤngigkeit des Volkes und Staates iſt, und 


inwiefern ſaͤmmtliche Rechte der Souverainetaͤt von 


ihm und in feinem Namen im In- und Auslande 


geübt werden, die Majeftät zu, unter welcher die 
äußere finnlihe Anfündigung der höd- 
fien:perfonlihen Würde im Staate verftan» 
den wird. Es find daher alle Rechte der Majeftär 


perfönliche Rechte; fie gründen fih aber auf bie ' 


($. 30.) aufgeftellten Souverainetätsrechte, 


Nach den Rechten der Majeftät ift der Negent: 


4) unverleglid, eine Perfon ift heilig, 
und verfinnlicht (repräfentirt) eine Würde, Die auf 


Erden feine höhere uber fi), und nur die der Regens 


ten anderer Voͤlker und Staaten als ſich völlig gleich 
erfennt. jede Beleidigung diefer Würde ift Mas 
jeftäatsverbrechen, und jeder beabſichtigte oder 
vollführte Angriff auf die. Perfon des Regenten H-0 dh» 
verrath.. 


. 


2) unmwiderftehlich; denn er gebieter,, für 


die Vermirflihung des Staatszweckes und der Vers 
faffung, über die gefammte Macht des Staates und 
über alle Kräfte der Staatsbürger ; 

3) unverantwortlich, weil das Volf im 
Unterwerfungsvertrage, unter der Bedingung der Feit- 


N 


I 07 


4 
Staats» und Staatenrecht. , 213 


haltung der Verfaſſung, dem Regenten ſich unbedingt 
unterworfen hat, und weil in einem auf vertragsmaͤ⸗ 
ßiger Berfaffung ruhenden Staate nicht ber Regent, 
fondern nur die von ihm angeftellten Staatsbeamten 
für alle Verlegungen der Verfaſſung dem Regenten 
und den Steflvertretern des Volkes verantwortlid) 
find , indem der Regent, auf feinem hoͤchſten Stand⸗ 
punete, fein Unrecht begeben fann, und alfo jeder 
Regierungsmißgriff, jede Verlegung der Verfdilung 
und der organifchen Gefesgebung blos von der fehlers 
haften Berathung und eigenmächtigen Willführ ber 
Staatsbeamten in feiner Nähe ausgeht. Der Regent, 
welchem alle im Staate verantwortlich find, kann nicht 
felbft verantwortlich feyn; er, der höchfte Richter im 
Staate, in deſſen Namen gerichtet wird, fann nice 
ſelbſt gerichtet werden, 


32. 
Pflihten des Regenten. 


* So groß die Rechte des Regenten, nad) ber ihm 
zuftehenden Souverainetät und Majeftät ($. 30. 31.) 
find ; fo groß find auch feine Pflichten, weil Rechte 
und Pflichten fich gegenfeitig bedingen, weil beide auf 
dem zwifchen dem Regenten und dem Volke abges 
ſchloſſenen Unterwerfungsvertrage gleichmäßig bes 
ruhen, und weil der Regent — unbefchadet der Hei⸗ 
ligkeit und Majeſtaͤt ſeiner Perſon — doch als Menfch 
ein ſittliches Wefen bleibt, das in feinem In⸗ 
nern die ſittliche Gefeßgebung nicht verfennen kann, 
nad) welcher er feine Abhängigfeit von Gott, 
dem höchften fittlichen Gefeggeber und Richter, wahr: 
nimmt. Diefes individuelle Bewußtſeyn feiner Ab⸗ 

bangigeeit von dem Urweſen aller Sittlichkeit, und 


\ 


- 


214 Saas. und Staatenrecht. 


die aus ſeinem Vertrage mit dem Volke hervorgehen. 
den Verhaͤltniſſe, legen ihm folgende Pflichten auf: 


4) Aufrechthaltung der Verfaffung 


nad) allen ihren einzelnen Bedingungen, und nament» 


lich Aufrechthaltung der perfonlichen Freiheit und 
Sicherheit, der Gleichheit aller Staatsbürger vor 
dem Giſetze, der Freiheit der Preſſe und des kirch— 


lichen Glaubens , und der Heiligkeit des rechtlich er⸗ 


worbenen cigenihums. 

2) Behandlung des Staates als eines 
lebensvollen, für ſittliche Zwecke errich— 
teten und fittliche Geſchoͤpfe umſchließen— 


den, Ganzen, und nicht als einer Maſchine. 


3) Durchgaͤngige Anſtellung der Wuͤr—⸗ 
bigften zu allen Staatsämtern, nach zweckmaͤßiger 


und ftrenger Prüfung ihrer Kenntniffe, und nad 


ſorgfaͤltiger Ausmittelung ihrer fittlichen Mündigfeit: 


- 


überhaupt nad) dem Maasftabe ihrer perfonlichen 
Tugenden und bereite erworbenen bürgerlichen Wer: 
dienfte, 


J 4) Beauptung alter Rechte der volle 


ziehenden Gewalt, ohne je durch Eingriff in den 
Gang der Gercchtigfeitspflege , oder durch geheime 


"Polizei, oder durch eigenmächtige Auflegung, Erbes 


bung und ‚willführliche Verwendung der zu beftimm= _ 


‚ten Zwedın bewilligten Steuern und Abgaben, oder 


durch den Gebrauch des Kriegerftandes für andere 
Zwecke, als für die innere Sicherheit und die Ver: 
theidigung des Staates nach außen, oder durch unter: 
laffene Befanntmahung und Vollziehung der von 
der gefeßgebenden Gewalt befchloflenen Geſetze, oder 
endlich durch nachtheilige Verbindungen und Unter» 
bandlungen mit dem Auslande, den Endzweck alles 


Steus- und Staatenrecht 315 


Staats lebens, die Berwirklichung der Herrſchaft des 
Rechts und der Woblfapre ber seſamuren Staqts⸗ 
bürger , zu hindern. 


Thom. Rorarius, Rürftenfpiegel. Mit Vorrede 


von Spangenberg. s. 1. 1566. 8 
Geo. Tauterbed, Dtegenzenbuß. Wittenberg, 


68 Bl 


Casp. Ziegler, de jutibus majestaticis. Viteb, 
1710. 4. 
Franz Rud. Edler v. Sroffing, der Souverain, 
oder die erfien Haupts und Grundfäge einer monare 
chiſchen Regierung. Wien, 1780. 8. 

J. Jac. Engel, der Fuͤrſtenſpiegel. Ca der 
dritte Band ſ. Schriften.) Berl. ı802. 8. 

dr. Ancillon, äber Souverainegät und Staats⸗ 


verfaſſungen. Berl, 1815. 8. 


. Tat. Krug, die Füriten und die Voͤlker in 
Iren gegenfeitigen Forderungen dargeſtellt. Leipzig, 
1816. 8. 


Fried rich 2 nennt theils im Antimacchia⸗ 


. vel, theils im Leben feines Öroßvaters (in 


Der histpire de l’Academie de Berlin, Année 


. 1748. p. 392), tbeils in fe (im hohen Alter ges 


- fhriebenen) Abhandlung: Verſuch uͤber die Re⸗ 


gierungsformen und über die Pflichten 
der Regenten (inf. hinter. Werfen Th.6, 


S. 41 ff.) den Regenten den erfien Dienerdes 


” 


Staates, fo daß er (in den erften Abhandlungen 
längit vor "Kouffeau 8 conırat socıal ) die Regen⸗ 
tenwuͤrde als ein Amt betrachtete, das aus einem 
Vertrage entſpringt. Obgleich dieſe Anſicht 
nicht die richtige zu ſeyn ſcheint, da ſie die 
Regentenwuͤrde allen andern Staatsämtern glei 


ſtellt, deren Ernennung, Wirkungskreis und 


„.önfere Macht hoch einzig vom dem Regenten aug- 


2116 : Staats» und Staatenrecht. 


geht und abhaͤngt; fo fann doch nicht gelaͤngnet 

‘ ‚werden, daß ſie auf einer ſittlichen Unterlage 
beruft, und in ben Schriften eines europätfchen 

. Souverains des achtzehnten Jahrhunderts nicht 
ohne Wirkung bleiben Fonnte. . Sa Friedrich? 

. war fo feft von biefer Meberzeugung durchdrungen, 
daß ſich jener Ausdruck in der leßtgenannten Ab⸗ 
handl. (hint. Werfe Th. 6) zweimal findet: 
©. 47 „Man präge ſich feit ein, daß die Erhal- 
tung der Geſetze Die einzige Urfache war, welche 
die Menfchen vermochte, ſich Oberberren zu geben; 

=» denn dies ift der wahre Urfprung der Souveraine- 
tät. Diefe Obrigkeit war der erfte Diener des 

Staates.’ — und S,64: „Damit der Regent 
feine Pflichten nie aus den Augen laffe, muß er 

ſich oft erinnern, daß er ein Menſch iſt, wie der 
Geringfte feiner Unterthanen. Er ift nichts, 
als der erfte Diener des Staates, und 
bat die Verpflichtung, mit aller Rechtſchaffen⸗ 
heit, Weisheit und Uneigennüsgigfeit zu verfahren, 

‚ als wenn er jeden Augenblid feinen 
Miebürgern über feine Staatsvermals 
tung Rechenſchaft ablegen follte. Folg— 
lich ift er ſtrafwuͤrdig, wenn er das Geld feines - 

Volkes, welches durch die Auflagen einfommt, in 
Aufwand , in Pomp und zu Ausſchweifungen ver⸗ 

ſchwendet ꝛc.“ 


| 33. | 
Rechte und Pfliheen der Unterthanen. 
Bei der gemiffenhaften Erfüllung der vertrags« 


mäßigen Pflichten des Regenten find Die Staatsbürger. 
zu unbedingtem Gehorſame gegen benfelben 





‚ Staats» und Staatenreche. 217 


verpflichtet, wie fie dieſen Gehorſam uͤberhaupt in 
dem Unterwerfungsvertrage gelobt und perſonlich in 
dem Buͤrger⸗ oder Amtseide geleiſtet haben. Dieſer 
Gehorſam iſt unbedingt, inwiefern 1) nur der 
Regent aus feinem hoͤchſten Standpuncte völlig ſicher 
beureheilen kann, welche rechtliche Mittel zur Er- 
reihung und Behauptung des Staatszweckes und ber 
gemeinſchaftlich beſchwornen Werfaffung zugleich die 
wirffamften find; Inwiefern 2) jede Verweigerung 
des Gehorfans in Hinficht diefer Mittel die Sicher: 
heit, Ordnung und Freiheit des innern Staatslebens 
unaufhaltbar ftören würde; und inwiefern 3) der 
Staatsbürger, Durch den Untermwerfungsvertrag, ver⸗ 
pflichtee ift, felbft Die Befchränfung und Aufopferung ' 
feiner individuellen Rechte und Wohlfahrt gutzuhei⸗ 
sen, fobald auf feine andere Weife der Zweck des 
Ganzen erreicht oder erhalten werden fann., Doch 
darf Das beeinträchtigee Individuum in dein legten . 
Salle feine Vorftellungen und Befchwerden auf dem 
rechtlichen Wege an die vorgefeßten Behörben, und, 
wenn es von diefen zurückgewiefen wird, an die Per- 
fon des Regenten felbft gelangen laffen, weil es denk⸗ 
bar ift, daß jene Behörden irren Pönnen, und weil 
In vielen Fällen eine minder druͤckende Ausgleihung 
des beeinträchtigten Rechts möglich bleibe. 
Allein diefer unbedingte Gehorfam ift fein Leis 
dender Gehorfam, Der-unbedingte Gehorfam: ift 
ein freiwilliger, d. h. ein aus der fittlichen Gefeßge- 
bung und aus der Ueberzeugung der Gehorchenden von 
der Mechtlichkeit des beabfichtigten Zweckes hervor: 
gehender , fo wie auf feierlichen Vertrage berubender 
Gehorfam; er mwiderfpricht “alfo weder der- fittlichen 
Natur des Menfchen, noch der Natur eines rechtlich 
abgefchloffenen Vertrages. Der leidende Gehor- 


N 





mn 
Kt 


\ 


A 


218. Staats. und Staatenrecht, 


ſam hingegen beruht von ber ‚Seite des Befehlenden 
nicht auf: Vertrag (nicht auf einem fittlichen Verhält- 
niffe), fondern auf bloßer Willführ und Saune, und 
von Seiten des Gehorchenden nicht auf freier Zuſtim⸗ 
mung zu einem vertragsmäßig feftgefegten Zwecke, 
fondern auf blinder Unterwerfung unter die Willführ, 
ohne die VBergegenmwärtigung irgend eines Zweckes und 
ohne die Möglichkeit, bei diefer Unterwerfung unter 
die bloße Willführ, Die Würde eines fittlichen Weſens 
behaupten zu fonnen. Deshalb ift der leidende 
Gehorfam unfittlich und unrechtlich zugleich; er fann 
nie von Wefen unfrer Art gefordert, fondern böchftens 
im Thierreiche gehandhabt werden. ’ 
So gewiß alfo aud) Die Staatsbürger, als Un- 
tertbanen, zum unbedingten Gehorſame verpflich- 


tet find; fo wenig find fie es, nach Rechts - und Pflich— 


tenlehre, und nad) den Grundfägen der Religion, 
zum leidenden Gehorſame. Zu dem legtern wuͤr⸗ 
den fie aber nur auf zweifache Weife genöthige wer- 
den fonnen: 1) entweder nach der Eroberung des 
Staates durch einen Fremden, welcher, ohne einen 


rechtlichen Unterwerfungsvertrag mit den DBefiegten 
und ohne einen vechslichen Abtretungsvertrag mit dem 


bisherigen Oberhaupte derfelben abzufchließen, bie 
Befiegten dem bloßen Zwange der Willkuͤhr 


unterwerfen wollte; 2) oder wenn der verfragsmäßig 


an der Spiße. ftehende Regent geradehin und 


eigenmaächtig die VBerfaffungdes Staates, 


deren Aufrechthaltung er beſchworen hat, felbft um⸗ 
ftürgen, und: durch Gefege und Befehle, welche ven 
Grundbeftimmungen der Verfaffung völlig zumider 
wären (3. B. durch das willführliche Ausfchreiben 
unerfchwinglicher Abgaben; oder durch den Befehl 
an profeftantifche Chriſten, Katholiken zu werden, 











Staats . und Staatenrecht. 219 


u. a.), die Wuͤrde ſi etliche: Weien. in feinen Untere | 


thanen zerftören und ihnen den Genuß aller Rechte 


- 


und aller ‚Bedingungen irdiſcher Wohlfahrt entziehen 
wollte. 

In dem erſten Falle, wo ein fremder Eroberer, 
ohne durch einen Abtretungs » und Unterwerfungsvers 
trag zum Negieren berechtigt zu ſeyn, blos das Joch 
des Treibers und den Zwang der Willküpr. gegen das : 
befiegte Volk anwendete, würde baffelbe zum Zwange 
gegen den Eroberer, fo lange diefer Zuftand 
bauerte, berechtigt bleiben, d. b. es würde das 
er haben , in jedem günftigen Augenblide dag 

oh der Willführ abzumwerfen, und wieder in die 
ehemaligen rechtlichen VBerhältniffe, wie vor ber. 


„Eroberung, zurüczufehren (wie z. B. die Ruſſen 


4477 nad) Abſchuͤttelung des mongoliſchen Joches, 
und die Schweden im J. 1523, als fie ſich unter 
Guſtav Wafa von Daͤnemark trennten); oder, wenn 
dieſes nicht moͤglich waͤre (wie z. B. bei den aus 
dem Exil zuruͤckkehrenden Juden), eine neue recht— 


liche Verfaſſung und Geſtaltung vertragsmäßig ‚fic) | 


zu geben. 

> An dem zweiten Falle aber, wenn der recht⸗ 
mäßige Regent felbft die Verfaffung des Staates 
eigenmädhtig und völlig umſtuͤrzen wollte, fann 
nicht der Geſammtheit des Volkes, fondern nur deſſen 
rechtmäßigen Stellvertretern, wegen ihrer gleichmä= 
Kigen Theilnahme an der gefrögebenben Gewalt, Das 
Recht zuftehen, den Megenten an die chatſachliche 
(nicht etwa blos befürchtete) Verlegung der Berfaf- 
fung und an die Folgen derfelben zu erinnern, fo wie 
im äußerften Falle, — dafern, aller. Vorftellungen 
und Befchwerden ungeachtet, die Verlegung der Ver- 
faffung fortdauerte, und wenn die Verfaffung auf 


C 





220 | Staats: und Staatenrecht. 


Feine andere rechtliche Weife gerettet. werben 
fönnte, — bemfelben den Gehorfam aufzufündigen, 
und den zwifchen dem Regenten und dem Volke be« 
fteßenden Vertrag als aufgelöfee zu betrachten. Diefes 
Aeußerfte könnte aber nur dann unternommen 
‚werden, wenn theils die Würde ber fittlichen Natur 
in den Regierten, fo wie ihr Recht auf Wohlfahrt und 
Gluͤckſeligkeit, theils bie Selbſtſtaͤndigkeit und Unab⸗ 
haͤngigkeit bes Staates im innern und aͤußern Staats« 
leben nicht anders gerettet werden koͤnnte. Doch folge 
Ä ſelbſt aus dieſer Aufkuͤndigung des Gehorſams nichts 


‚weiter, als daß der bisherige Regent aufhoͤrte, Regent 


zu feyn, und nad) der Auflöfung des Vertrages ins 
Privatleben einträte; in feinem" Falle aber 
das. Recht, den Negenten wegen feiner Regentenhand⸗ 
lungen zur Verantwortung zu ziehen, oder gar zu be= - 
ſtrafen, weil er während der Zeit feiner Megierung 
perfönlich unverleglich und heilig, und für alle feine, 
Megentenhandlungen unverantwortlid) ift. 

So felten auh, namentlich unter hriftlichen 
Völkern, die gefhihrliche Erſcheinung gewefen 
ift, daß Regenten entfegt, oder gar, mie in Eng⸗ 

land Karl 1 und in Frankreich ludwig 16, 
hingerichtet worden ſind; ſo darf doch im philoſo— 
phiſchen Staatsrechte die Pruͤfung dieſes Gegen⸗ 
ſtandes nicht übergangen werden, Denn aus dem 
Obengeſagten erhellt an ſich die Unrechtlichfeit und 
Schändlichfeit des. Betragens gegen den ungluͤck⸗ 
lichen Karl 1 und Ludwig 146, ein Betragen, 
vor welchem nicht blos gewarnt, fondern das aud) 
durch DVernunftgründe nach feiner Abſcheulichkeit 
entwicelt werden muß, weil einmal Thatfachen 
dieſer Are nicht aus der Geſchichte vereilge werden. - 
koͤnnen. — In Hinfihe der Entfeßung eines 





Staats» und Staatenrecht. 221.. 


Regenten ift, in ber neueften Geſchichte chriſt⸗ 
licher Voͤlker, die Thronentſetzung Guſtavs 4 
von Schweden im Jahre 1809 das wichtigſte 
Beiſpiel, indem dieſer Schritt, durch die Aner⸗ 
kennung ſeines Nachfolgers von allen europaͤiſchen 
Maͤchten, ſelbſt von dieſen gutgeheißen ward; denn 
die Entſetzungen Selims 3 und Mu fapha’ 8 
4 find außerchriftliche Ereigniffe. — In der 


Theorie des Stuatsrechts mar das fogenannte jus . 


resistentiae von jeher einer der ſchwierigſten Puncte, 
befonders weil die Gefhichte alter, mittlerer und 
neuefter Zeit diefe Aufgabe oft fe br r gewa Itfam 
geloͤſet hat. Man denfe an die Gefchichte der ifrae« 
litiſchen Könige, der perfifchen Kaifer, der Impe⸗ 
"ratoren in Rem und Byzanz; an bie Thronent- 
ſetzung des legten Merovingers im J. 7525 an’die 
- , Thronentfegung des legten Karolingers im J. 987; 
Ehriftians 2 von Danemarf uff — Es ift 
wahr, Hobbes, Grasmwinfel, unb mehrere, 
namendlich Sr. eng (inder Berl, Monatsfdr. 
1793, Dec. ©. 542 ff.) , felbft Kant in gewiſſer 
Hinfiht (met. Anfangsgründe der Rechts— 
‚ lehre S. 174), lehren nicht blog den unbebingten, 
fondern felbft den leidenden Gehorfam; allein von 
der andern Geite müffen auch. Männer wie 
Friedrich 2 in der angezogenen Stelle (Note . 
zu $. 32), v. Feuerbach (Anti-Hobbes S. 
92ff.), v. Jakob (indem Antimacchiavel), 
v. Schloͤzer (in dem allg Staatsredte ) 


——— — — 


*) Shyiäzer fagt daſelbſt: „Es gibt fein crimen Ine- 
sag majestatis in der Bedeutung der Nerone. Es 
. gibt keine obedientia passiva im Ötuartifchen Vers 
ſtande. Dieſe Lehre hat die Stuarte einen der ſchoͤn⸗ 


222 Staats- und Staatenrecht. 


S. 195 f), Hagemeifter (in f. Zufägen zur - 
Veberfegung von Schnaubert: Auch der 
Regent ꝛc.), Heydenreih (in fi Staars- 

. rechte *), Th 2, ©. 20), Rüdiger (inf 

| Lehrbegrifft de Vernunftsrehts und 

der Öefesgebung, ©.252 ff), Voß (Hand: 
buch der allgem. Staatswiffenfhaft, 

Th. 1,S. 513 f2),v. Eggers (Verfucheines 

fyſtem. Lehrbuchs des nat. Staatsr. ©. 

219) 9), Krug (Rechtslehre, od. Spft.d. 
pract. Phil. Ih. 1, Ag und deffen 
Handb. der Phil. N. A. Th.2, S.201 f.) *00), 


ſten Throne der Welt gekoſtet. Dem zufolge gibt 
ı 66 ein jus reaistentise gegen Ufurpatoren und Tys 
vannen; wiewohlnur im Salle hoher Evis 
den.“ | 
*) Heydenreich am a. O. „Wenn der Oberherr 
ſich durdy den Bruch des Vertrages, durch Anariffe 
auf die Geſellſchaft und ihre Verfaffung als Feind 
geist; fo hat die Geſellſchaft gegen ihn das: Recht 
‚ des Beleidigten in feiner Unendlichkeit.“ 


**) Eggers fagt ©. 221: „Das äuferfte Mittel, 
"welches die-Unterthanen wider den Negenten haben, 
ift die Abſetzung deffelben. Denn wenn gleich der 
Regent die Majeftät eigenthämlich beſitzt; fo find 
die Bürger dennoch befugt, ihm diefes, ſobald es 
es zuverlaͤſſig iſt, daß er ſeine Pflichten nicht ers 
füllt, zu nehmen, wenn fein anderes Mittel zur . 
Erhaltung des Staates vorhanden iſt.“ 


“er, Krug a. a. O. „Der Widerftand kann zuerft 
negativ feyn, und befteht dann blos in der Der: 
weigerung des Gehorfams. Er fann aber auch 
pofittv, oder ein wirklicher Aufftand werden. Wie 

weit jedesmal ein folher Widerftand' gehen dürfe, 

laͤßt fih im Allgemeinen gar nicht beſtimmen, fon: 


Staats» und Staatenrecht 223 


“und viele andere über vieſen Gegenſtand verglichen 
werden. (.Benj. Erhard, ber das Recht’ eines 
z Volkes zu einer Revoludion. Ze , 1795" 69 | 


' 34: 09 F 
| ti richterliche Gewalt un 


Wenn das Recht im Staate zur Herrſchaft'ge⸗ 
langen, und jede Selbfthülfe von det bürgerlichen . 
Geſellſchaft ausgeſchloſſen -werden ſoll, weil in der: 
felben an bie Stelle der Selbfthülfe der rechtlich ge 
ftaltete Zivang tritt; fo muß in derfelben eine Grmalt 
beſtehen, welche darüber wacht, daß jedem Büͤrger 
das twiederfahre, was in dem einzelnen Falle Recht 
iſt. Diefe Gewalt ift die richterlihe. "Sie if - 
ein Theil der vollziebenden Gewalt, und, 
nach ihrer Thätigkeit, an die vorausgehend? 
gefeggebende Gewalt gebunden; denn fie hat 
die Beſtimmung, die einzelnen Kechtsftreitigkeiten in 
der bürgerlichen Gefellfchaft den vorhandenen organi⸗ 
ſchen oder abgeleiteten Geſetzen unferzustdnen, und den 
vorliegenden oder ftreitigen Fall in Angemeffenheit zu 
den beſtehenden buͤrgerlichen oder peinlichen Geſetzen 
zu entſcheiden. Die richterliche Gewalt kann daher, ſo 
groß und einflußreich auch ihr Wirkungskreis iſt, mit 
der geſetzgebenden und vollziehenden Ge— 


dern kommt auf die Dringlichkeit der Umſtaͤnde an, 
und muß dem Gewiſſen Überlaffen werden. — ' ©&o’ 
viel aber iſt Mar; daß es eben fo ungereimt ; ale - 
ungerecht wäre, wenn. die zum Widerfiande gends- 
thigten. Unterthanen ihren Negenten zur Verantwor⸗ 
tung ziehen, beftrafen, ‚oder gar hinrichten wollten. , 
Denn fie find nicht deffen Richter, und haben keine, 
Straufgewalt über in. 


— 


224 ı _ Staats und Staatenrecht. 


walt nicht auf gleiche Höhe geſtellt werden, 
weil fie-nach ihren Entſcheidungen von der erſten ab⸗ 
hängt, und nad) ihrer Wirffamfeit ein Theil der zweiten 
iſt. Denn obgleidy der richterliche Ausfprud ganz 


dem Ermeffen des Richters, ohne irgend einen äußern 


Einfluß auf Denfelben, überlaffen hleiben muß; fo ge- 
fchieht doch' derſelbe im Namen deb'Regenten, 
in welchem alle Gefege im Staate, als. unveränderliche 
Vorſchriften des. Gefammtwillens , befannt gemachg 
und vollzogen werden. Die Wirffamfeit des. Rich; 
ters in Beziehung auf die vorhandene Gefeggebung 
ift. aber zunächfi an die grammatifche Exklaͤ— 
rung des Gefeßes, nach den Worten deſſelben ynd 
nach deren Zufammenhange ‚und, wo dieſe nicht aus⸗ 
reicht, an Die logiſche Erklaͤrung, oder an die 
Ableitung des Urtheilsſpruches aus der. Ahficht des, 
efeggebers (dein Grunde des Gefeges) gebunden. 


‚Damit ift zugleich die Grenze feiner Wirffamfeie bes ' 


ſtimmt. Denn wenn er den beftehenden Geſetzen 
feine indivjduelle Anfiche und Deutung unterlegt; 


ſo überfchreitee er feinen Beruf., Daraus geht frei- 


lich. mit. Nothwendigkeit hervor, da der Richter um _ 
fo beftimmter und ficherer den einzelnen Gall unter 
has beftehende Geſetz bringen Fann ‚je deutlicher und 
beftimmter das Gefes felbft lautet, je mehr innerer 


Zuſammenhang in den einzelnen Theilen der Gefeg- 


. N 


⸗ 


gebung beſteht, und je genauer das vorhandene buͤr⸗ 


gerliche und Strafgeſetzbuch den, Beduͤrfniſſen eines 
in feiner geiſtigen Bildung und ſittlichen Reife fort 


geſchrittenen Volkes entſpricht. — Wo zweifelhafte 
Faͤlle eintreten, ober wo irgend eine Thatſache im 
Staatsleben durch fein vorhandenes Geſetz vorgeſehen 


worden iſt; da ſollte nie der Richter, nach eigenem 


Ermeſſen oder nach ber Aehnlichkeit (Analogie), 


Staats und Staatenrecht. 9235 


ſondern die im Staate beſtehende Geſetzeommiſſion 
entſcheiden. 

BE 35 
 Bortfegung. 


Naͤchſt dem bürgerlichen und Strafgefegbuche 
im Staate, fegt aber auch die Wirffamkeit der rich 
terlichen Gewalt ein Geſetzbuch für die recht— 
liche und zeitgemäße Form ber Gerechtig— 
feitspflege, fo wie die fefte Begründung der ver- 
fhiedenen Gerichtshöfe, nach den einzelnen In⸗ 
ftanzen der Ober-, Mittel» und Unterbehörden, und 
die Beftimmung aller der Fälle voraus, die für dieſe 
einzelnen Gerichtehöfe gehören. Gleichmäßig muß 
für die gerichelichen Anwaͤlde (Advocaten) eine 
forgfaltig berechnete Ordnung beftehen, und über die» 
ſelbe von der vollziehenden Gewalt gehalten werben. 
Soll übrigens die richterliche Gewalt ihrer hohen 
Beltimmung im Staate entfprechen ; fo muß Das ge» 
fammte Perfonale derfelben, zwar vom Regenten er» 
nannt und in deffen Namen erfennend, in Hinficht feis 
ner Wirffamfeit aber völlig felbfiftändig und 
unabhängig feyn, fo daß daffelbe einzig an die 
Gefegbücher für die bürgerlichen und peinlichen Fälle 
und für die Gerichtsform gebunden, nie aber von bem 
Willen irgend einer verwaltenden Behörde, von einem 
Kabinersbefehle, von einem Winfe. von oben, ‚ober 
von einem andern Außern (vielleicht gar auswärtigen) 
Einfluffe abhängig, und der einzelne Richter nur in 
dem einzigen Falle in Anflageftand zu verfegen, und 
des Amtes verluftig. zu erflären ift, wenn er bie . 
. Würde feines Amtes verlegt, und das Recht auf 
irgend eine Weife gebeugt hat, — 
1. | 15 


226 Staats» und Staatenrecht. 


Eben fo muß das Perfonale ber Richter von allen 
übrigen Zweigen ber gefeßgebenden und vollziehenden 
Gewalt verfchieden ſeyn; theils weil das Richteramt 
an ſich die volle Kraft eines menſchlichen Geiſtes ver- 


langt; theils weil die übrigen Zweige der Verwal⸗ 


kung ‚ namentlich die Polizei und die Finanzen, nad) 


ihrer Wirkfamfeit unvereinbar. find mit dem eigen- . 


thuͤmlichen Gefchäftsfreife bes Richters. Nicht min⸗ 
der verlangt. das Richteramt eine collegialifche, 
und Feine bureauartige Einrichtung, fo daß 


felbft der Vorſtand einer richterlichen Behörde auf. 


das Urtheil und die Anficht der einzelnen Mitglieder 
des Gerichts feinen perfönlichen Einfluß ausüben darf. 

Sobald endlich der richterliche Ausſpruch, nad) 
Stoff und Form, den beftehenben Gefegbüchern völlig 
angemeflen ift; fobald darf derfelbe auch — ben fel- 
tenen all der Ausübung des Begnadigungsrechts 


- ausgenommen — nie verändert, d.h. weder gemil- 


dert noch gefchärft, noch ganz aufgehoben oder un- 
vollzogen gelafien werden. Nicht minder muß jebem 
Staatsbürger das Recht zuſtehen, Die Ureheilsfprüche 
der richterlichen Gewalt in eignen, oder fremden An» 
gelegenheiten zur Oeffentlichkeit zu bringen; theils 
weil Die Handhabung ber Gerechtigkeit eine öffentliche 
Thatfache im äußern freien: Wiefungskreife iſt; theils 
weil Dadurch das Gewicht und der Einfluß ehrmwürdis 
ger Gerichtshoͤfe auf das öffentliche Staatsleben nicht 
vermindert ‚, fondern gefteigers werden muß. 
36. 
Die vier Mauptepeite der Staatsvermal- 
fu n 9 


& wie es nicht ein. Gegenftand bes Staats- 
rechts, fondern der Staatskunſt ift, ‚die einzelnen 





Staats. und Staatenrecht. ‚227 


Regierungsformen unter ſich zu vergleichen (5.3. 
die monacchifche, demokratiſche, ariftofratifcheu.f.w.), 
wie fie nach dem Zeugniffe der Gefchichte beftanden ° 
haben und noch beftehen, obgleid) die rechtliche Form 
der Verfaffung des Staates — als Grundlage 
aller Staatsregierung — auf Gtundfägen der Ver- 
nunft beruht; fo gehört ah das Einzelne der 
vier Hauptzweige der Staatsvermwalfung . 
junächft in den Kreis der Staatsfunft‘(3. B. nad) 
den einzelnen Minifterien, den verfchiedenen Behoͤr⸗ 
den u. ſ. w.), und nur die Haupteintheilung ber 
Staatsverwaltung felbft, fo wie das allgemeine 
Berhältniß ihrer Theile gegen einander, 
in das Gebiet des Staatsrechts. 
‚Die Verwaltung des Staates umfchließt aber 
vier einzelne Theile: die Gerechtigkeitspflege, 
die Polizei, die Finanzen und die bewaffnete 
Macht. In Beziehung auf diefelben ſtellt die Ver⸗ 
nunft drei rechtliche Grundbedingungen auf: | 
4) daß die zweckmaͤßige Geftaltung der Vers 
waltung von der rechtlichen Form der Ver. 
faffung abhängt, weil eine Verwaltung, ohne 
Begründung in der Verfaffung, nur Einzelnheiten, 
nicht aber eine innere Einheit und Vollendung des 
Staatsorganismus barbieten kann; denn alle Theile 
ber Verwaltung find unter fich einander gleih, und 
gehen nihteiner ausdem andern, fondern fie 
allegemeinfhaftlih und gleihmäßig (für 
Bebürfnifle der bürgerlichen Geſellſchaft, Die einan⸗ 
des an Wichtigfeit gleich ftehen ,) aus den Grund⸗ 
beftimmungen der Verfaffung hervor ; 
| ‚2 daß, nach ihrem Perfonate, die vier 
Haupttheile der Verwaltung ftreng von einander. 
getrennt werden, und namentlichdie Gerechtig⸗ 
1 


⸗ 


228 . Staats- und Staatenrecht. 


keitspflege von der Polizel , fo wie die Finangverwal 
tung von der Polizei und Geredhtigfeitspflege ; theils 
zur ‚Verhütung der mannigfaltigen Mißbraͤuche bei 
der Ausübung einer doppelten, ‚von einander vers 
ſchiedenen, Gewalt; theils weil jeder befondere Zweig 
det Verwaltung eine eigenthümliche Vorbereitung und 
längere Webung erfordert, wenn die höhern: Zwede 
des Staates durch ihn erreicht werden follen; - 

3) daß ſaͤmmtliche, in den vier Hauptzweigen 
der Verwaltung von dem Regenten ernannte und an⸗ 
geftellte Beamte, in dem vertragsmäßig begründeten 

Staate, , zunächft in allen Beziehungen dem Regen 
‚ten, fo wieden Stellvertretern des Volfes nad) dem 
ihnen Fark Sa zuftehenden Antheile an der 
‚gefeggebenden Gewalt, für die Art und Weiſe ihrer, 
Bermaltung vera ntwortlic find, 

Es ift alfo Gegenftand der Staatsfunft, mit 
Hinſicht auf die örtlichen und volfsthümlichen Ber 
dürfniffe und Verhältniffe, im Einzelnen zu bes 

ſtimmen, wie viele Minifterien, als hoͤchſte 

. Endpuncte aller Staatsvermaltung, mit ihren Uns 
terbehörden, — wie der Staatsrath, als hoͤchſte 
berathende Behoͤrde, nach ſeiner Eintheilung. in 
Sectionen, — mie viele Gerichtshöfe, wie viele 
Polizei- und Finanzbehörden einzurichten, und wie 
die Friegerifchen Kräfte des Staates anzuorbnen, 

zu vertheilen und zu leiten find, 

. Necker, von der volziehenden Gewalt in aro⸗ 


‚sen Staaten. Nach d. Franz. (von Peg). 2 Thle. 
Nuͤrnb. und Lpz. 1793. 8. | 


37. 
Die Staatsämten 


. Die Vernunft denkt unter einem Staat 8 a mte 


Staats- und Staatenrecht. 229 


den nothmwenbigen, von dem Regenten nad) feinem 

Umfange, nad) feiner Macht und nad) feiner Würde 

genau beftimmten Birfungsfreis eines, für irgend 
einen befondern Zwed des Staates angefteflten, In⸗ 
dividuums. Die Uebertragung des Amtes von, 
Seiten des Regenten ober in deffen Namen, und die 

Webernahme beffelben von Seiten des Angeftellten 

vermirtelft des Dienfteides, bildet den Ameise 

oder Dienftvertrag, weil fr ſittliche Wefen eine 

fortdauernde Berechtigung und Verpflichtung nur auf 
Vertrag beruhen fann. 

Nach. dem gewöhnlichen Maafe der koͤrperlichen 
und geiftigen Kräfte eines Individuums, nach ber 
Art und Weife der zweckmaͤßigen Vorbereitung zum 
Eintritte in den Dienſt des Staates, und nach dem 
ſtaatswirthſchaftlichen Grundſatze der Theilung der 
Arbeit, verlangt jeder beſondere Zweck des Staates 
(3.3. die Ausübung der Gerechtigkeitspflege, das 
Erzicehungswefen, die Erhebung der Steuern und 
Abgaben u. f. m.) einen abgefchloffenen Kreis von 
Individuen, die für Die Verwirklichung dieſes Zweckes 
ernannt und angeftellt werden. Es muß aber jedes: 
einzelne Staatsamt nothwenbig feyn, weil das 
Gefeg der Sparfamfeit, theils in Hinfich auf die 
Bewirtdfhaftung der geiftigen Kräfte im Staate, 
theils in Beziehung auf die für das Staatsamt aus⸗ 
zumittelnde Beſoldung, alle überfluffige und 
entbehrliche Stellen ausfchließt. Wie weit übris 
gens der Umfang der Wirffamfeit bes einzelnen 
Staatsamtes reichen, welche Rechte und Verpflich⸗ 
tungen alfo mit bemfelben verbunden, welhe Macht 
‚ Ihm zugetheilt und welche Stellen der ürbe und des 
Ranges unter den Ständen des Staates bie einzelnen 
Staatsämter ($. 14.) einnehmen follen, fann blos 


230 Graats- und Staatenrecht, 


der Megent aus feinem Standpuncte an ber Spige 
ber Gefammtverwaltung beſtimmen; denn von ihm 
geht jede Einführung in die Kreife des Gefchäfts- 
lebens, alle Macht und alle Würde aus, 

& unbefchränft aber ber Negent in diefer- 
Hinficht malten barf; fo ift er doch, als Oberhaupt 
einer fittlich-rechtlichen Ordnung der Dinge, verpflich⸗ 
tet, nur die Wuͤrdigſten, ohne irgend ein. An- 
ſehen der Perſon, zu den erledigten Staatsaͤmtern zu 
ernennen. Dieſe Wuͤrdigkeit wird zunaͤchſt an der 
ſittlichen Muͤndigkeit der anzuſtellenden Indi⸗ 
viduen, und dann an der, durch ſtrenge Pruͤfung 
bewaͤhrten, geiſtigen Kraft und Bildung zur 
Uebernahme des eben erledigten Staatsamtes erkannt. 
Denn ſo gewiß ein hoher Grad von Kenntniß und 
Bildung den Abgang ſittlicher Reife nicht zu erſetzen 
vermag; ſo verlangt doch die Gerechtigkeit, daß der 
Regent, außer der entſchiedenen Siccichkeit des An⸗ 
zuſtellenden, auch deſſen Faͤhigkeit, Kenntniß und 
geiſtige Bildung beruͤckſichtige, weil nur die Ver— 
einigung beider Bedingungen in Einem In⸗ 
dividuum den Ausfchlag bei deſſen Anftellung geben 
fann. Nicht alfo Geburt, nicht Empfehlung, nicht 
- Hoffnung, daß fich die fehlenden Eigenfchaften noch 
finden werben (nad) dem leidigen Sprüchworte: Wen 
Gott ein Amt gibt, dem gibt er aud) Verftand), 
gefhmeige Beſtechung, ſondern perſoͤnliche Wuͤrdig⸗ 
keit und Faͤhigkeit eignen zum Eintritte und zum 
Aufruͤcken im Staatsdienſte. Dieſes Aufruͤcken aber 
zu hoͤhern Aemtern in dem einmal angewieſenen Wir⸗ 
kungskreiſe iſt eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen den 
Staat, ber nur bei dem Aufruͤcken bewährter, ſach— 
Eundiger und vielfach, geubter Männer gewinnen kann, 
und gegen die Individuen, welche in untergeordne⸗ 





Eroats- und Staaten. 231 


ten und beſchraͤnkten Verhaͤltniſſen ihre Kräfte ent- 
wickelten und übten, und dadurch würdig wurden 
zur. Hebernahme höherer Aemter in demfelben Wir: . 
Fungstreife. Doc nie darf der Staat fetbft.bei dem 
Sefthalten bes Syſtems bes Aufrüdens leiden ‚ weil, 
ſobald das erledigte Staatsamt ein höheres Maas 
von Kräften erfordert, als fid) bei dem zunächftftehen- 
den Individuum findet, die Wohlfahrt des Ganzen 
den Wünfchen und übrigen Verdienſten bes Indivi⸗ 
duums vorgeht; nur darf in ſolchen Fällen nie die 
Partheilichfeit und Willführ, fondern der fefte Blick 
auf den Zweck des Staates felbft entfcheiben. 

‚An ſich betrachtet, muß jedes Staatsamt auf fe 
benszeit ertheilewerben, und fann nur durch Dienfts 
unfreue, nad) rehtliher Entfheidung, ver 
loren geben. Als Ausnahmen davon gelten Aemter, 
deren Gefchäfte nur auf eine gewiffe Zeit im Voraus 
beſchraͤnkt find (Commiffarien, Deputirte. u, a.), fo 
wie die ehrenvollen Entlaffungen, mit Penfionen ver⸗ 
bunden, wenn Staatsdiener in geiftigee oder. förper« 
licher Hinfiche unfähig werden, den ihnen angewiefe- 
nen Wirfungsfreis fernerhin auszufüllen. Entlaflun- 
gen blos wegen verlorner Gunft des Regenten koͤnnen 
wohl in Hof dienſten (wie in allen perſoͤnlichen 
Dienſten), nicht aber inSta atsdienften ſtatt finden, 
wo blos die Gerecdhtigfeit, nicht, wie in Privatver⸗ 
haͤltniſſen, die perfonliche Zuneigung ober Abneigung 
| ‚entfcheibet 

Jedes Staatsamt muß feine beſtimmt bezeich⸗ 
nende Benennung (ſeinen Titel) haben, und mit 
derſelben muß der buͤrgerliche Rang deſſen verbunden 
ſeyn, der das Amt bekleidet. So wenig ſolche Aem⸗ 
ter und Titel vererben koͤnnen; fo wenig dürfen auch 
gewiſſe Titel, als bloße leere Worte und Laute, 


- , ” 
f . * F 


Tran 





* 


2322 Staats- und Steatenrecht. 


mit andern Aemtern verbunden werben, deren Wir⸗ 


fungsfreis außerhalb jenes Titels liegt. Denn für - 


die gerechte Anerfennung und Auszeichnung des wah⸗ 
ven perfönlichen Berdienftes gebietet der Regent über 
zu viele Mittel, als daß es der Ertheilung eines in⸗ 
haltsloſen Titels bedürfte; weshalb auch bie Ver⸗ 
dienſtorden im Staate nur fparfam und ndch dem . 

Grundſatze der ſtrengſten Gerechtigkeit ertheilt werden 
duͤrfen. 

Der Rang der Staatsbeamten muß nach dem 
Grade und der Stufe ihrer Wirkfamfeit, und mit - 
fchonender Ruͤckſicht auf das Dienftalter ber beamteten 
Individuen gefchehen. Mie darf dabei ein einzelner 
Zweig der Staatsverwaltung (3. DB. der Dienft in 
der bewaffneten Macht) der allgemeine Maasftab der 
Rangorbnung im Staatsbdienfte werden; denn für den 
Gefammetzwed des Staates find alle Theile der Ver: 
waltung gleich wichtig, einflußreich und unentbehrlich. 

Jedes Staatsamt fchließe zugleich Die Verant⸗ 
wortlichkeit des Individuums in fi) ein, welches 
daffelbe bekleidet. Pur der Regent ift unverantwort- 
lich, weil ihm alle verantwortlich find; und naͤchſt ihm 
find blos die Stellvertreter des Volkes, während der 
Zeit ihrer öffentlichen BWirkfamkeit (doch nicht 
fuͤr die Handlungen ihres Privatlebens ) unverant- 
wortlih. 

Jeder Staatsbeamte muß übrigens feine Beſol⸗ 
bung vom Staate erhalten, und mit dieſer Beſol⸗ 
dung auf dem jährlichen Budget ſtehen. Dieſe Bes 
foldung muß der Würde und der Wirkſamkeit des 
Staatsamtes, fo wie den örtlichen Lebensverhältniffen 
des Beamten „angemeſſen feyri, und mit dem Auf 
ruͤcken in höhere Stellen erhöhee werden. Nie muß 
ein Staatsbeamter nöthig haben, durch Mebenarbeiten 








‚Steass- und Staatenrecht. | 233 


den nötigen sebensbedärf zu decken. Wer fuͤr den 
Staat lebt, und demfelben die ganze Kraft feines 
Sebens ‚widmen fol, muß auch von dem Staate für 
diefen Aufwand feiner Kraft verhältnißmäßig 
(d. h. ohne Verſchwendung und ohne Kargheit) ent- 
ſchaͤdigt werben. Deshalb find alle mit Aemtern 
verbundene Sporteln verwerflid; wohl aber fann 
ein Theil der Amtsbefoldung ‚ je nachdem es Die Ver⸗ 
hältnifle rathfam machen, in Naturalien beftehen, 
Aemter ohne Befoldung folleen in feinem recht- 
lich geftalteten Staate beftehen ; ſelbſt Staatsbeamte 


"auf Wartegeld gefest, Fonnen nur zu den feltenen- 


Ausnahmen gehören, über melche nicht das Staats: 


recht, fondern die Staatskunft in einzelnen Faͤllen 


entfcheider. ' 

„Endlich Darf weder die Jugend ein Hinderniß, 
noch das Alter ein Beftimmungsgrund (ratio mise- 
ricordiae) zur Anftellung im Staatsdienfte werden, 
fotald, nad) Vernunftgrundfägen, die pe efön liche 
Würdigfeit und Faͤhigkeit den einzigen gerec)- 
ten Maasftab für die Anftellung, enthält. 

Nach den innern Verhältniffen und Abſtufungen 
des Staatsdienſtes, muß eine Unterordnung 
der in niedern Aemtern ihre Laufbahn beginnenden 
unter Die Höherſtehenden und Vorgeſetzten 
ſtatt finden, ohne welche der innere Zuſammenhang 
in dem Geſchaͤftsgange fehlen wuͤrde. Allein dieſe 


nothwendige Unterordnung darf keinen perſoͤnlichen 
Druck der Untergeordneten, und keine ee 
Ueberfpannung ihrer Kräfte in fich einfchließen. Be⸗ 


ſonders darf fie, wo Die einzelnen Zweige der Staats« 
verwaltung Eollegien übertragen find, nie das 
“ freie Abſtimmungsrecht der Näthe und. Mitglieder 
der Eollegien durch den Cinſiuß des Vorſtandes 


- 





0 


234. Staats--und Staatenrecht. 


| befehränfen, weil Fein Defpotismus bem Staats- 
dienfte nachtheiliger ift, als wenn die Vorftände 


der Eoflegien es vergeffen, daß fie nur primi inter 
. päres find, und daß zwar die Leitung des Gefchäfte- - 


ganges, die Vertheilung ber Arbeiten u. fe w. — 
der Drdnung des Ganzen wegen — nie aber die 
Entſcheidung der gemeinfchaftlich zu berathenden 
und nach der anebrbeit der Stimmen zu beendigen- 
den Gegenftande — von ihrem individuellen Er- 

meſſen abhängt. 
v. Seuffert, von dem Verhältniffe des Staa⸗ 


tes und der Diener des Staates gegen einander im _ 


rechtlichen und politifhen Verſtande. Wuͤrzb. 1793. 8. 
Franz. Arn. von der Becke, von Staatsämtern 
und Staatsdienern. Heilbronn, 1797. 8. 
Nic. Thaddäus Gönner, der Staatsdienft ans 


dem Gefichtspuncte des Rechts und der Nationale 


öfonomie betrachtet. Landsh. 1808. 8. 


38. 
Rehtlihe Form der Kirde im Staate, 


Das rechtliche Verhaͤltniß der Kirche im. 


Staate und zu dem Staate beruht cheils auf dem 


fitelich »veligiofen VBebürfniffe jedes Wefens unfrer 
Art, über die Gegenftände der religiöfen Erfenntniß 


und des religiofen Glaubens zu einer feften Ueberzeu⸗ 
gung zu gelangen, und dieſe Heberzeugung durch Theil⸗ 
nahme an einem öffentlichen Gottesdienſte ( Cultus ) 
‚zu befennen, theils auf dem daraus fließenden Rechte 
jedes Staatsbürgers, mit allen denjenigen, welche 
diefelbe Ueberzeugung erlangt und’ zu demfelben Got⸗ 


tesdienfte fich vereinigee haben, zu einer äußern Ge- 


fellichaft zufammenzutreten, die man, zum Unterſchiede 
von jeder andern Geſellſchaft, vie Firchliche nennt 
(Maturr..$. 39.). Der Inbegriff aller aus dem kirch⸗ 


R 








Staats» und Staateunrecht. 235 


lichen Sefellfchaftsnertrage hervorgehenden Rechte und 
Pflichten heiße das natuͤrliche Kirchenrecht, 

im Gegenfage des pofitiven Kirchenrechts, das aus 
dem befondern Gefellfchaftsvertrage jeder einzelnen im 
Staate beftehenden Kirche entfpringe. Denn obgleich, 
nach der Vernunft, der allgemeine Zwei ber 
Kirche ift, die innere religiöfe Gefinnung und Ueber⸗ 
zeugung durch einen Außern Cultus darzuftellen, 
und vermittelft der Firchlichen Gefellfehaft den Ends 
zweck der Menfchheit felbft bei allen Mitglie- 
‚bern des firchlichen Gefellfchaftsvertrages zu beför- 
dern; fo ift doch, bei der großen Verfchiedenheit der 
Richtung , Bildung und Beftrebung des menfchlichen- 
Geiftes in religiöfer Hinficht überhaupt, bei dem 
bedeutenden Einfluffe der Erziehung, des Unterrichts 
und des Beifpiels in Beziehung auf religiöfe Lehren 
und Grundfäße und auf den äußern Eultus, fo wie 
nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, in jedem Staate 
eine Mehrzahl von Kirchen vorhanden, von 
welchen jede, außer dem allgemeinen Zwede der Kirche: . 
überhaupt, ihren befonderen Zweck, nad) ihrem 
befondern kirchlichen Gefellfchaftsvertrage , feithäle. 
Jede Kirche im Staate befteht daher aus einer Geſell⸗ 
ſchaft, die ſich fur das Bekenntniß und fuͤr die Aus-— 
übung ihres religiofen Glaubens, zu einer für dieſen 
befondern Zweck berechneten eigenthümtichen Verfaſ⸗ 
ſung und Verwaltung, durch einen beſondern Vertrag 
rechtlich gebildet hat. Die Kirche unterſcheidet ſich 
aber dadurch von allen übrigen beſondern Gefellfchaf- 
. ten im Staate, daß ihr Zweck nicht zunächft ein außer 
rer und bürgerlicher „ fondern ein fietlid) » religiöfer, 
‚und zwar, aus dem Gefichtspimtete des Endzwecks der 
Menfchheit betrachtee, der hoͤch ſte ift, der von ver⸗ 
nünftig=finnlichen Wefen beobfichtiget werden fann. 


‘ 


236 ° Staats- und Staatenrecht. 


14 


39. 
Fortſetzung. 


So wie aber der Grundvertrag des Staates, 
dem Begriffe nach, in drei einzelne Vertraͤge auf. 
gelöfet werden, fann; fo auch der Gefellfchaftsvertrag 
der Kirche, inwiefern namlich der firhlihe Ver— 
einigungsvertrag ben fittlidy -religiöfen Zweck 
ausfpricht, zu deſſen Verwirklichung die Mitglieder 
Der: firchlichen Gefellfchaft zufammentreten, fo. wie. 
der firhliheVerfaffungsvertrag die Sehren, 
den Cultus und Die Kirchenordnung (Difeiplin), als 
die wirffamften Bedingungen enthält, durch 


welche jener Zweck, vermittelft eines äußern gemein 


fhaftlichen Gottesdienftes erreicht werden foll, und 
der kirchliche Untermerfungsvertrag die ° 
Art und Weife bezeichnet, wie innerhalb der Kirche 
durch. gemahlte Worfteher und Auffeher of Fi 
Synoden, Eonfiftorien ‚ Presbyterien u. a.) theils 
der sehrbegeif, theils der Cultus, eheils die Kirchen- 
‚ordnung in der Mitte aller Theilnehmer der Kirche 
gehandhabt und aufrecht erhalten werden fol. 


Ob nun gleich der Grundvertrag ber Kirche dieſe 
drei einzelnen Vertraͤge in ſich einſchließt; ſo kann 
doch, weil die religioͤſe Ueberzeugung an ſich und die 
Theilnahme an einer-Kirhe Sadhe des Gewiſ— 
fens ift, Fein fieeliches Wefen gezwungen wer- 
den, zu diefer oder jener Kirche zu treten, oder, da- 
fern es diefelbe verlaflen will, bei denfelben zu behar- 


ren. So wie 'im rechtlich geſtalteten Staate das 


Recht der Auswanderung ſtatt findet; ſo muß auch⸗ 
jedem Mitgliede einer kirchlichen Geſellſchaft, nach 
dem unveraͤußerlichen Rechte ber Glaubens - und Ge⸗ 





Staats. und Staatenrecht. 237 


wiſſensfreiheie, das Recht zuſtehen, den Vertrag 
aufzufündigen, burch. weldhen es bisher zur Geſell⸗ 
fchaft gehörte, und diefelbe zu verlaffen. Da ferner 
jede Kirche eine ſittlich-freie Gefellfchaft iſt; fo 
darf es nicht den tehrern und Vorftehern der Kirche 
verftattet feyn, eigenmädhtig — ohne Zuftim- 
mung der vertragsmäßig verbundenen Gefellfhaft — 
die Verfaffung der Kirche nad) Lehre, Eultus 
und Kirchenordnung zu verändern. Da endlich 
der Eirchliche Unterwerfungsvertrag zwar die Aufrecht⸗ 
‚haltung ber vertragsmäßig beftehenden Kirchenord⸗ 
nung verlangt, aber alle äußere Gewalt und allen 
bürgerlichen Zwang von ſich ausſchließt; fo kann 
wohl, nad) Grundfaßsen der Vernunft, die Aus— 
* fheidung einzelner unwuͤrdiger Mitglieder aus einer 
kirchlichen Gefellfchaft verfüge werden , allein die ent» 
ehrende Behandlung oder förperliche Zuchtigung ber 
einzelnen Mitglieder (z. B. durch Kirchenbußen, durch 


firchliche Verbaftungen, Inquiſition u. few.) nicht 
in dem Umfange der kirchlichen Difeiplin enthalten 


feyn- 


So wie endlich die rechtliche Forın der Staates. 


verfaffung darauf beruht, daß, zugleid mit dem 
Oberhaupte bes Staates, den firtlih-mündigen Stell» 
vertretern des Volkes ein beftimmter Antheil an-ber 
-gefeggebenden Gewalt, hingegen dem Staatsober- 
haupte einzig und ausfchließend die vollziehende Ge⸗ 


walt zufteht; fo wird auch die innere rechtliche Form 


einer Kirche zunächft darauf beruhen, daß den ge» 
wählten Vertretern der ganzen Kirchengemeinde, zu⸗ 
gleich mit den geiftlichen Vorftehern der Kirche, ein 
Antheil an der gefeggebenden Gewalt in der Kirche 
in Beziehung auf Lehre, Cultus und Kirchenordnung 


zukommt, den geiftlichen Vorſtehern der Kirche aber 


— 


—1 





238 Staats. « und Staatenrecht. 


ausfchließend das Recht der vollzichenden Genal über» 
fragen ift. | 
oo. | ‚40. 
Bor tfegung. Verhaͤleniß der Kirche zum 
Staate. 
Weil übrigens die Kirche zunaͤchſt das innere gei- 
ftige, nicht das außere bürgerliche leben betrifft, und 


deshalb, nad) ihrem Zwecke, eine ethifche, niche eine 
juridifche Gefellfchaft, bilder: weil ferner in der buͤr⸗ 


gerlichen Gefellfchaft nur Ein höchfter Wille gedacht | 


werben. fann, welchem alles in dem Staate gefeglic) 
und verfragsmäßig untergeordnet-ift; weil aus Dem- 
felben Grunde, nur ber mit der höchften Gewalt be- 


kleidete Regent ſaͤmmtliche einzelne im Staate bes 
ftehende Gefeltfchaften bei ihren Rechten und bei ihrer 


Verfaſſung fchirgen, und über alle die Oberaufficht 
. führen fann; weil endlich, nad) der Verfchiedenheie 
ber religiöfen Ueberzeugung, in jeden Staate meh- 
rere Kirchen mit fehr von einander abweichenden 
Dogmen, Symbolen und äußern: Formen des Cultus 
neben einander beftehen Fonnen, und wirflich 
beftehen,, welche fammtlich eines gleihen Schußes 
und einer gleichen Dberaufficht von der Regierung 
bebürfen, damit fie einander nicht anfeinden, auch 
einander nicht blos dulden, fondern als rechtlid) ab» 
gefchloffene Ganze. fic) gegenfeitig anerfennen , achten 
und nie in ihren Zwecken und Rechten beeinträchtigen ; 
fö folge daraus, daß die Kirche unter, und weder 


über, noch, als gleichgeorbnete Gefellfehaft, neben 


dem Staate ſteht; daß fie innerhalb des Staates, 
wie jede andere Sefellfchaft, ihren rechslichen Wir- 
kungskreis behauptet; daß ihr Zweck und ihre recht⸗ 


— 





| Staats, und Staatenredht. 239 


liche Geftaltung dem Oberhaupte bes Staates bekannt 
und von demfelben anerfannt und beftätige feyn muß; 
daß die ganze außere Wirffamfeit und Difeiplinar« 
gemalt der Kirche über ihre Mitglieder ein Ausfluß 
der höchften gefeggebenden und vollziehenden Gewalt 
im Staate, und von Diefer der Kirche rechtlich über- 
tragen worden ift, und daß jebes Mitglied der gefeg- 
gebenden und vollziehenden Gewalt der Kirche, als 
folches,. dem Regenten den Huldigungseid zu leiften 
verpflichtet ift. 

Dieſes, nad) Vernunftgefegen einzig rechtliche 
Verhaͤltniß der Kirche zu dem Staate wird mit dem 
(etwas uneigentlichen) Ausdrude des Territorials 
ſyſtems bezeichner; wogegen das Epiffopal- oder 
bierarhifche Syftem den Staat der Gewalt der 
Kirche und den Zwed des Staates dem Zwecke der 
Kirche unterordnet, und das Collegialfyftem, 
nach welchem beide, Staat und Kirche, zwei von 
einander völlig unabhängige Grfellfchaften bilden fol 
len, weber dem Zwecke des Staates, noch dem Zwede 
ber Kirche entfpricht, und beide in einen anardyifchen 
Zuftand verwandelt. Daraus folgt, daß blos das 
 Zerritorialfyftem die einzig rechtliche St flung 
ber Kirche zum Staate vermittelt. Denn, nad) dem⸗ 
ſelben, ift zwar die Kirche, alsanßere Gefellfchaft, 
dem Ötaate untergeordnet, nicht aber nach ihrem 
fietlich »religiofen Zwede, deflen Annahme und Feſt—⸗ 
haltung Gewiſſensſa he ift und bleibe; Die Kirche 
bilder in bem Staate, eben wegen dieſes hohen Zweckes, 
die vorzüglichfte beſondere Geſellſchaft; fie hänge 
zwar, nach dem Rechte der Oberboheit und Oberauf⸗ 
fiht, das dem Regenten als Souverainetaͤtsrecht 
($. 30.) unbedingt zuiteht, von ber Seitung des Re⸗ 
genten, und durchaus von feinem aus waͤr⸗ 








- 


240 Staats. und Staatenrecht. 


tigen firhlihen Oberhaupte ab, weil dem 
Regenten ihr Zweck, ihre Verfaffung, ihre Verwal⸗ 
tung, ihr Cultus und ihre Kirchenordnung vollftändig 
befannt feyn und von- ihm garantirt.feyn müflen, Doch 
fo, daß der,Regent in der Verfaflung und Verwaltung 
der Kirche nie eigenmädhtig, ohne Zuziehung und Zu⸗ 
flimmung derer etwas verändern ober verlaffen darf, 
welchen die befondere gefeßgebende und vollziehende 
- Gewalt in der Kirche vertragsmäßig zufomme; fie ſteht 
endlid zwar, weil fie ſich nicht felbft ſchuͤtzen kann, 
unter dem Schuge des Staates, Doch fo, daß der bür- 
gerlihe Zwang von Seiten Des Regenten nur dann . 
auf die Kirche und deren Mitglieder angewandt wer⸗ 
ben darf, wenn es entweder gefchieht, um die. Kirche 
‚in der Veberfchreitung ihres vertragsmäßigen Wir⸗ 
kungskreiſes zu hindern; oder wenn die Kirche ſelbſt 

den buͤrgerlichen Zwang, nach der in ihr beſtehenden 
Kirchenordnung, gegen einzelne ihrer Mitglieder 
rechtlich aufrufen muß; oder wenn der Staat einzu⸗ 

ſchreiten genöthige wird, bafern ſich mehrere neben 

einander im Staate beftehende Kirchen feindfelig be- 

handeln, und in den anerfannten Rechtsverhaͤltniſſen 
ihrer Verfaffung und Verwaltung beeinträchtigen 

ſollten. 
Sao wie aber dem Staate das Recht zuſteht, die 

Streitigkeiten der einzelnen in ſeiner Mitte beſtehenden 

Kirchen durch hoͤchſte Entſcheidung auszugleichen, und 

ihre völlig gleichmäßigen aͤußern Verhält- 
niffe aufrecht. zu erhalten; fo kommt ihm aud) das 
Recht der Einfchreitung zu, mern im Innern einer 
Kirche der Geift derſelben wöllig in Sittenlofigfeit 
auserten, den Zweck des. Staates bedrohen, . und 

unverfennbar die Auflöfung her von dem Staate 
 gewährleifteren Verfaſſung und Verwaltung ber 











Staats: und Staatenrecht. 24 


befondern Kirche herbeiführen ſollte. Nicht minder hat 
der Staat das Recht, denjenigen Mitgliedern einer 
Kirche, welche nach ihrer Ueberzeugung nicht länger 
"Mitglieder derfelben feyn wollen, ‘den rechtlichen Aus» 
tritt aus derfelben, ohne irgend einenMachtheil 
anihrenbürgerlihen Rechten, zu verftatten, 
zugleich aber alle abfichtliche Profelptenmacherei zu vers 
hindern, und alle firdhlidhe geheime Secten 
aufjuhrben, welche dem Zwecke des Staatrs und der 
‚rechtlich anerfannten Kirchen dadurch entgegen arbeis 
ten, daß fie burch verborgen gehaltene und widerrecht⸗ 
fiche Mittel ihre weitere Verbreitung im Stillen brförs 
bern wollen. — Eben fo darf der Regent das Ver- 
mögen der Kirchen fir die Zwecke des Etaatrs, doch 
‚blos in gleihem Verbaltniffe, wie das Vermögen 
alter übrigen Staatsbürger und fammrlicher ſi Ibftftän- 
digen Gefillfehaften im Staate, und nach dem einzig 
rechtlichen Grundſatze des reinen Ertrages,mit 
. Abgaben belegen, nie aber da, mo das Vermögen der 

Kirchen feinen reinen Ertrag gewährt, fondern zuihrem 

eignen Fortbeftehen wifintlich erfordert wird. Endlich 
ſteht dem Regenten das Recht (jus reformandı) zu, 
nach demfelben Grundfaße, nach welchem die Werfaf- 
fung des Staates felbft ($. 41.) einer fortſchreitenden 
Verbeſſerung und Vervollkommnung fähig ift, aud) 
die vertragsmäßig anerfannten Mitglieder der gefoßges 


bbenden und vollziehenden Grwalt in der Kirche: zu ver- 


- anlaffen , entweder ihre Berfaflung und Verwaltung 
“oder auch ihren Cultus und ihre äußere Ordnung, nad) 
„ben allgemein anerfannten Bedürfniffen einer Verbefn 
ſerung derfelben, zweckmaͤßig abzuaͤndern und neu zu 
geſtalten >). 





2— Sn unferin Zeitatter, wo daß 4 Hirngefrin des ſohe⸗ 
16 


J \ 








⸗ 


248 Staats- und Staatenrecht. 

u 
und zugleich als eine Verlegung der Urvertrage des 
Staates angefehen werden. 


Weil aber im Staate die Bedrohung und Ver: 
legung der Rechte von Seiten der fittlich - unmün- 
digen Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft unver- 
meidlih ift; fo muß in derfelben der Zwang, als 
nothwendige Bedingung der Aufrechthaltung der Herr: 
haft. des Rechts, rechtlich geftaltet werden. 
Allein der Zwang erhält im Staate nur dadurch 
eine rechtliche Form, daß er zum allgemeinen Ges. 
feße der ganzen Geſellſchaft erhoben, und 
inihbrem Namen vollzogen wird, fo daß jedes 
Individuum des Staates, felbft das, welches den 
. Zwang erfährt, den Zwang als rechtlich anerfennt, 

und die Vollziedung deffelben der im Staate beftehen- 

den vollziehenden Gewalt‘, wie jeder andere 
Zweig der Staatsverwaltung, rechtlich uͤbertragen ift. 
Denn nur dadurch wird der Zwang rehrlich ges _ 
ftaltee, daß er-für jede einzelne Rechtsverlegung in 
einem Geſetze beſtimmt ausgefprochen ift, und daß 
die vollziehende Gewalt denfelben nad) der ihr zu: 
ftehenden unmiderfzgfichen Mache des gefammten 
Rachtsvereins anwendet. 

Weil aber bei ſittlichen Weſen vr. 63 
Werkzeug iſt, wodurch die freien Handiung. „m. 
bracht werden, welche Die Rechte Andrer beeinträchr. | 
gen; fo muß auch der Zwang nad) feiner Ankuͤndi⸗ 
gung in einer ſinnlichen Macht, in einem finn- 
lihen Gegengewichte ——— Rechte An⸗ 
drer bedrohende oder verletzende Individuum beſtehen. 
Dadurch gleicht der Zwang der unaufhaltbaren Noth⸗ 
wendigkeit, nach welcher die Naturkraͤfte wirken, ohne 
doch eine bloße finnliche Macht zu fenn, welche 


[4 


N " \ 2 \ 
Btoest« und Staatenrecht. 43 


Sam, de Pufendorf, trectstäs de habitu re- 
‚Nigionis ‚christianae ad vitam civilem. Cum com- 
mentario Jo. Pauli Kreasii. Jen, 712. 8. 

BRened. Spinoza,. tactstus thrulogice- politi- 
‚sus. Teut 9: Ueber heilige Schrift Judenthum, 
Rechte der hoͤchſten Gewalt in geiftlishew Dingen, 

und FSreiheu uendiloſophiren. BGora, 2787. ö- 
— Gen 
Sr: Rud. Vestfing, die Kirche und der Stunt, 
. ihre, beiderſelilger PAltajt,, Macht und Grenlge.. Ber⸗ 
in, 178% 8° 
- -Theodi Schialj, has Rasärliche alrcentecht. 
—8 — 05 —. 
ne Hart Sal. ahärtd), die” Einheit ‚des Otaa⸗ 
es und der Kikdre.! (Leim) 1797. 8. 
89th, Verfuh über die Berpäunigt vr Stans 
ee 17 zur Religion‘ und Kirche. Bern, 1758: 8. 
ü Verſuch eines natärlichen Kirhentehts, aile der 
° 7: Matur des Begriffs der Kirche entwickelt. Berlin, 
. nr 1799. 8. , 
Brundfäge der Heligtonspblitif' im richtigen Ders 
u häteniffe mit dem Staate. Verl: 1800. g 
Heine: Stephaut, über dik abfolute Einheit 
der Kirche und des Staates: Watzb. 1802, 8. 


« 
N 


" Rrafen ; (08 nrther. — Wollen die erfie auer 
am erften angreifen :c. Worauf turher aus Vers 
nunft und Schrift nachweiſet, dag nicht die‘ Kirche: 
über dem Staate, fondern der Staat' aͤt'er der 
Kirche ſey. — Mögen dies die Pfroteſtanten 
beherzigen, welche ihrer freien’ Kirche ein’ hietärchis 
ſches Syſtem wieder: aufbringen möchten, das die 
aufgeklärten Fürften des ı6ten Jahrhunderts überall 

‚€ der proteftantifhen ‚Ehriftenheit aufhoben. — 
bon Raifı onfantim fagte zu den Gei en 

23 feier Zei —— vita ——— L. IV; ee 
„Vos quidem TITTEN TE infra ecclesism sunt, 
episcopi estis. Ego vero in is, pre extra 





char epibtopus.a Dion R— — —— 
MC] 3; Pr.) 12 VOPSEHE —7 
16 * | 





244 


Staats und Staatenrecht. 


Sp. Chſtoh. Greiling, Hieropolis. Ein Vers 
ſuch uͤber das wechſelſeitige Verhaͤltniß des Staates 
und der Kirche. Magdeb. 1302. 8. — Sendſchrei⸗ 
ben an die Synoden ber preußiſchen Monarchie über 
die eichlicen Angelegenheiten des Tages. Haͤlberſt. 
1818. 8. 

Krititk des natärlichen airchentechts. Germenien. 
(Mannh.) 1812. 8. - 

Son. Schuderoff, Grundzüge zur evangeliſch⸗ 
proteſtantiſchen Kirchenverfaſſung und zum ‚evangelis 


= fehen Kirchenrechte. Leipz. 1817. 8. — Uever den 


innerlich norhmendigen Zufammenhang der Staats⸗ 
und KRirhenverfaffung. Ronneb. 1818. 8. 
Stanz v. Spaun, über die Srundverhältniffe 


des Stantes zur Kirche und jur romiſchen Curie. 
Münden, 1818. 8. 


Sımon Köfler, Grundanfiht von Eaat und 
Kirche und ihrem gegenſeitigen Verhaäͤltniſſe nach 
Vernunft und Schrift. Inſpruck u. Muͤnchen, 2821. 


8. (nur wegen ihrer völligen Unbedeutenheit wird, 


warnungsweiſe, diefer Schrift hier gedaht.)- 
W, 5. Hufnagel, über zeitgemäje Begrändung 
der geiftiihen Macht und ihr Verhaͤltniß zu der 


weltlichen. Frkf. am.M. 1821. 8. ut 


* .. 
14 4 0 nen 
Wilh. Abrah. Teller, Balentinian 1, oder Uns 
terredungen eines Monarchen mit feinem Thronfols 
ger über die Religionsfreiheit der Unterihanen. 2te 


Aufl. Berl. 1791. 8. 


£pj- 1822. 8. — 2te Aufl, in: demf. Jahre. — 


— 


Heinr. Gtli. Tıfchtener, Proteſtantismus und 
Katholicismus aus dem Standpuncte der Politik. 


I) . s 
4 


41. 


Retlige Foem der Berserferunn, ‚der 


Verfa | fung: 
Menn gleich das Recht,on ſich ſelbſt unsgrän. 


ei und ewig gültig, fü wie bie Herrfihafe‘ des. 








Staats⸗ und Staatenrecht. 145 


Rechts aufdem Erdboden das “deal des bürgerlichen 
Vereins bleibt; fo verändern fih doch, theils nach 
dem vervollfommnungsfähigen Charafter der menſch⸗ 
lichen Natur, theils unter den mannigfaltigen Ver⸗ 
haͤltniſſen des Zeitgeiftes und.der Wechfelmirfung der. 
Völfer. und Staaten auf einander, im Laufe ber 
Jahrhunderke der Geift, die Cultur, die Beftrebuns 
‚gen, die Sitten, und mit ihnen die Bebürfniffe ber. 

"einzelnen Voͤlker. Weil aber fein Stififtand in der, 
fietlihen Welt getroffen wird; fo find dieſe Veraͤn⸗ 
derungen im innern Leben der Volker entweder Forts 
ſchritte, oder Ruͤckſchritte. Die Volker und Staaten 
des Erdbodens entwideln fih-nämlich entweder durch 
ihre innere Kraft zu einer hohern Bluthe und Reife, 
oder fie veralten, und geben, fobald fie in Hinſicht * 
ihrer Verfaffung und Verwaltung ſich übenlebt haben, 
ihremi politifchen Tode entgegen. . 

Dies legte zu verhüten, muß in jeber. Verfafe 
fung, welche irgend einem Wolfe in einem gegebenen 
Zeitraume vollig angemeflen ift, und Daher für diefen 
Zeitabfchnitt die freie, frlbitthatige und eigenthuͤm⸗ 
liche Entwickelung, fo wie den lebendigen Fortſchritt 
diefes Volkes zum Beſſern befördert, zugleich der 
Grundſatz ihrer eignen Vervollkommnung, Fortbils 
dung und Ergänzung enthalten feyn; d.h. es muß, 
weil jede Verfaſſung ein Werf von Menfhen und 
für Menſchen ift, in derfelben die rechtliche. Weife 
im Voraus beftimme feyn, nach welcher der Regent 
und die Stellvertreter des Volkes im gemeinfchafte 
lichen. Einverftändniffe den gefuͤhlten Mängeln der 
Verfaſſung entweder durch ergänzende organiſche Ge⸗ 
ſetze nachhelfen, oder zu einem vollig neuen Grunde 

vertrage fi) vereinigen. — . Dies legte ift aber da 
nicht nöthig, wo die Verfaſſung wirklich das Ewig⸗ 


a, 0 


246 Staats» und Suaienrechi 


gültige für jede bürgerliche Geſellſchaft, bie Reche 
auf perſoͤnliche Freiheit, auf Gleichheit vor dem Ge⸗ 
ſetze, auf Freiheit der Preffi e und des Gewiſſens, auf 


- Sicherheit‘ der Perfonen und des Eigenthums, auf. 


die Guͤltigkeit aller rechtlich abgefchloffenen Verträge; 
fd wie das rechtliche gegenfeitige Verhaͤltniß der ge⸗ 
ſetzgebenden und-vollzgiehenden Gewalt beftimmt aus« 
gefprochen hat, weil dann nichts Wefentlides 
der Verfaffung, fondern blos die in derfelben 
enthaltene organifche Gefeggebung für, die Stellver- 
tretung des Volkes nad) ihren einzelnen jeitgemäßen 


Beſtimmungen, und für die vier einzelnen Zweige 
der Verwaltung veralten, und der Verbeflerung und. 


Ergänzung bebfirftig "werben kann, — Durd) eine 
ſolche, in der Verfaſſung felbft angebeutete, Vervoll⸗ 
fominnung: ind Ergänzung derfelben, als eines Men- 
fchenwerfes, wird aber :theils das Meralten ber 
Staaatsform: und der nolitifche Untergang des Vol⸗ 
fes , theils der gefährliche Verſuch einer Revolution 


‚durch eine vom Volke felbft eigenmächtig unternom- 


mene Derjüngung ber Grundbedingungen feines ins 
nern Lebens verhuͤtet. Denn fo wenig je der einzelne: 
Menfch auf Erden das Ziel ber Vollendung erreicht, 

fo wenig auch der einzelne Staat; und je. mehr eine 
Verfaffung den Verhaͤltniſſen einer beſtimmten Zeit 


und den Beduͤrfniſſen eines gegebenen Volkes in dies 


ſem Zeitraume entſpricht, deſto mehr wird, im Ab⸗ 
laufe der Zeit und. unter weſentlich veränderten Bes 
bürfniffen deſſelben Volkes, die Nothwendigkeit einer 


Veraͤnderung und Umbildung der einzelnen Beſtim⸗ 


mungen ber. Verfaffung gefühlt werden. 











Staats- und Staatenredht. - 247 

B) Das philoſophiſche Strafrecht. or 
“ 42. - 

Der rechtlich' geftaltete Zwang. 


Wenn die Herrfchaft des Rechts, d. h. das 
Gleichgewicht der äußern Freiheit alter vertragsmäßig 
vereinigten Wefen in Der bürgerlichen Gefellfchaft 

der Zweck des Staates iſt; fo geht daraus ale noth⸗ 
wendiges Ergebniß hervor, daß kein Menſch die 
aͤußere Freiheit ſeiner Mitmenſchen wider deren eignen 
Willen einſchraͤnken darf, und daß jeder. berechtigt 
ift, der beabfichtigten Einſchraͤnkung feines außern 

. freien Wirfungsfreifes durch Andere Zwang ent. 
gegen zu fegen; denn Zwang, im weiteften 
Sinne des Wortes, ift Die Anwendung phyſie 
[her Kräfte gegen ein finnlich-vernüunftie 

ges Weſen. | 

| Die Anwendung dieſer äußern Gewalt des Eins 
zelnen gegen den Einzelnen, oder die Selbfthülfe, 
würde aber. alle Verwirklichung ber Herrfchaft des 
Rechts aufyeben, weil der Umfors und bie Grenze 

"ihrer Anwendung im a,gerburgerlihen (im 
fogenannten Narr: ) Zuftande blos dem Zufalle 

= und der mie br überlaffen bliebe, wenn nicht Die 

Bira-, %® Staates vermittelft der drei Urverträge 

* Gebrauches der Selbſthülfe ſich begaͤben, wodurch 

die Aufrechthaltung des Rechts uͤberhaupt, ſo wie die 

Ausgleichung der ſtreitig gewordenen Rechte der Eins 

zelnen, der ganzen Staatsgeſellſchaft uͤbertragen und 

von dieſer gewährleiftee wird. Es muß daher jede 

- Anwendung der Selbftzülfe im Staate als ein Zus 

züc:reten in den Naturzuftand — mithin in den Zu 

tandberburgerlichen Rechtsloſigkeit, — 





2 





u Werkzeug ift, wodurch Die freien Handlun 


- 


248 Staats» und Staatenrecht. 


/ 
| 


und zugleich als eine Verlegung ber Urverträge des 


Staates angefehen werden, 


Weil aber im Staate die Bedrohung und Ver: 
letzung der Rechte von Seiten der ſittlich-unmuͤn—⸗ 
digen Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft unver⸗ 
meidlich tft; fo muß in derfelben der Zwang, als 
nothwendige Bedingung der Aufrechehaltung der Herr: 
haft. des Rechts, rechtlich geftaltee werden. 
Allein der Zwang erhält im Staate nur dadurch 
eine rechtliche Form, daß er zum allgemeinen ®e 
feße der ganzen Gefellfhaft erhoben, und 


inibrem Namen vollzogen wird, fo daß jedes 


Individuum des Staates, felbft Das, welches den 
_ Zwang erfährt, den Zwang als rechrlich anerkennt, 
und die Vollziedung deffelben der im Staate heftehen- 


den vollgiehenden Gewalt‘, wie jeder. andere 


Zweig der Staatsverwaltung, rechtlich uͤbertragen ift. 


Denn nur dadurch) wird der Zwang rehrlich ges. 
ftaltee, daßer-für jede einzelne Nechtsverlegung in _ 
einem Geftge beftimme ausgefprochen ift, und daß 


‚ die vollziehende Gewalt denfelben nad) der ihr zus 
stehenden unmiderprgu Macht des gefammten 
Rachtsvereins anwendet. 


Weil aber bei ſittlichen Weſen 






tper Dag 


Tr. 


" , c . . 4) ſl⸗ 
bracht werden, welche die Rechte Andrer beeinträchn. 


gen; fo muß auch der Zwang nad) feiner Anfündis 


gung in einer finnlihen Macht, in einem finn- 
lichen Gegengewichte —— Rechte An⸗ 
drer bedrohende oder verletzende Individuum beſtehen. 
Dadurch gleicht der Zwang der unaufhaltbaren Noth⸗ 
wendigkeit, nach welcher die Naturkraͤfte wirken, ohne 
doch eine bloße ſinnliche Macht zu ſeyn, welche 


/ 


J 





Staats⸗ und Staatenrecht. 249. 


— abgefehen von der firtlihen Freiheit — nad) 
Maturgefegen, die guten und bofen Individuen ohne 
Ruͤckſicht auf ihre ſittliche Schuld oder Unſchuld trifft. 
Da ferner der Zwang im Stuate, nad) feiner recht⸗ 
lichen Begründung und Seftaltung (dorm), aufdie 
Verfaffung Des Staates fih ftügen, und, in, 
einem befondern Theile ber Öefeßgebürg, 
. gleihmäßig. mit der Gefeßgebung für das buͤrger⸗ 
liche Recht, durchgeführt feyn muß; fo ſchließt deſſen, 
Anwendung alle Partheilichfeit und alle Leibenſchaft 
der Selbſthuͤlfe von ſich aus. Er iſt vielmehr! 
das unentbehrliche und wirffame Mittel *) für die 
Erpaltung der Herrfhaft des Rechts im. 
Staate; mithin nie felbft Zweck, fondern blos 
Bedingung und Mittel, daß jener Zweck nicht ver⸗ 
legt, ober der verlegte Zoeck wieder hergeſtellt werde; 
er trifft nie die ſittlich —muündigen im, 
Staate, weil er dann ſelbſt ein Werkzeug der Un- 
| gerechtigfeit und der Willführ werben würde, fondern 

blos die fittlich-unmündigen deshalb und info 


weit fie den allgemeinen Zwed des Staates bedroht. 
ober verlegt haben. 


. 
— 





*) Sant Cmet. Anfangegr. der Rehtsießrn,: 
S. 196.) nennt das allgemeine Strafgefeh einen ’ 
tategorifhen Imperativ, wodurd es .mit dem 
Sittengeſetze auf gleiche Linie geftellt werden würde. 
Dagegen erinnert Krug (Handb. d. Phil. Th. 9, 
®. 165. N. A.) fehr wahr, daß es nur ein hypo⸗ 
therifcher Imperativ feyn könne, weil die Strafe 
ein Uebel bleibe, das nicht ſchlechthin zugefügt 
werden darf, fondern nur unter der Voraus 
fe&ung, daß ein Unrecht geſchehen if, wodurch 
die rechtlich + fittliche Drdnung. geſtoͤrt ward. 


’ 


250° Staats und Staatenredt. 


nn 43, 
Bestiff und geladen pOHofopbifgen 
rafrechts. 


Der rechelich geſtaltete Zwang im Staate darf 


aber nicht mit der Strafe an fid verwechſelt 


werden; denn der Begriff des Zwanges, als ein 


weiterer Begriff , ſchließt zwar den Begriff der 
Strafe in fi) ein, weil jede Strafe Zwang, nicht 


aber jeder Zwang Strafe ift, indem die Staatsbürger 
zu vielen in dem Unterwerfungsvertrage übernommenen 


| Leiſtungen gezwungen werden koͤnnen (z. B. zur Ent⸗ 


richtung der bewilligten Steuern und Abgaben, zum 
Kriegsdienfte), ohne deshalb Strafe zu vermirfen , 
oder geſtraft zu werden. 

Da uͤbrigens die hoͤchſte Gewalt im Staate, 
nach ihrer Theilung, in die geſetzgebende und voll: 
ziehende zerfällt; fo beftimmt die gefeggebenbe, 
was Nechtsverlegung, was Zwang, was Strafe ift, 
die vollziehende aber übe den Zwang. Es wird 
daher der Zwang, fo wie derjenige Theil deffelben, 
welcher Etrafe heißt, im Namen des Negenten, als 
bes Dberhaupts der vollziehenden Gewalt, angewandt - 
und ausgeubt; allein die vollziehende Gewalt, welche 
gleihmaßig bie Gercchtigfeitspflege, die Polizei, 
das Sinanz- und das Militairmefen im Staate leitet, . 
umfchließt weit mehr in ſich, als die blos wingende, | 
und Diefe wieder mehr als die ftrafende Gewalt. 

Es gibt alfo, nach diefen Vorbegriffen, ein 


natürliches (richtiger: ein philofophifches) 


Strafrecht, fihon deshalb, weil im außerbürger- 
lichen Zuftande ein urfprüngliches Recht der Abwehr 
und Ahndung der bevorftehenden oder erlittenen Rechts. 
verlegung angenommen werben muß, nod) mehr aber, 











Etaats- und Staatenrecht. 251 


weil, nach der unnachlaͤßlichen Forderung der Ver⸗ 
nunft an die bürgerliche Gefellfchaft, die Herrfchafe 
bes Nechts zu verwirklichen, fein Staat — wegen 
der Mifchung der firtlich » unmündigen mit den fittlich⸗ 
mündigen in der Maffe feiner Mitglieder — ohne 
den rechtlich geftalteten Zwang und die rechtlich geftals 
‚tete Strafe gedacht werden fann. 
| ‚Das philofophifche Strafrecht ift Daher die wif:. 
fenfhaftlide Darftellung der rechtlichen 
Geftaltung und Anwendung des Zwanges, 
und namentlich der Strafe, im Staate, 
als des nochmendigen und wirffamften 
Mittels für die Erhaltung des bedroßten 
und für die Wiederherftellung bes verleg- 
ten Staatszweckes: der unbedingten Herr 
[haft des Rechts. Mac) diefem Grundbegriffe ' 
zerfällt das philofophifche Strafrecht: | 
- a) in die Lehre von der rechtlichen Geftaltung 
bes Zwanges, und namentlich der Strafe, im 
Staate, womit die Weberficht über die wich— 
tigften Strafrehtstheorieen ‚verbunden 
wird; und | . 
‚ b). in die Lehre von der rechtlichen Anwen⸗ 
dung des Zwanges und ber Strafe im Staate, 
welche im Einzelnen a) die Lehre von den Rechts— 
verlesgungen im Staate, B) die Lehre von den 
durch das Geſetz angedrohten Strafen, und ,) 
die Lehre von der Ausübung des Stkafrechts 
im Staate, oder von ben allgemeinften Formen 
des gerichtlichen Verfahrens in den einzelnen Straf⸗ 
fällen, umſchließt. | 
Dieſes Strafrecht ift durch die Vernunft 
ſelbſt begründer, weil die Vernunft, wenn fie den 
Zweck der Herrfchaft des Rechts in der bürgerlichen 


/ . 
. _ | 
RB“. — 
' ni ' — — — — {N 


‚ 


262 Scaats und Staatenrecht. 


Geſellſchaft aufſtellt, auch das rechtlich geſtaltete 
Mittel, den Zwang und die Strafe, feſtſetzen 
muß, wodurch jener Zweck verwirklicht, erhalten und 
gefichert wird. Diefes Strafrecht heißt dag nat uͤr⸗ 
liche Strafrecht, inwiefern es — nicht etwa aus der 
äußern Natur, oder aus einem vor- und außer-buͤr⸗ 
gerlichen Maturzuftande — fondern aus der Natur - 
des Menfchen felbft, aus feiner ausgebildeten und. ge= 


reiften Vernunft hervorgeht. Es ift aber auch zus - 


- gleich der Höchfte und legte Maasitab für alles 
pofitive Strafreht; weil das legte nur infomweit 
zweckmaͤßig feyn Fann, als es der Vernunft entfpricht, 


und in Willführ übergeht, fo wie des innern Zuſam⸗ 


menhanges ermangelt, fobald es mit der Vernunft 
nicht vereiniget werden fann. Denn fo wie der Staat” 
felbft, nach) den Forderungen der Vernunft, die einzig 
rechtliche Anftale für ſittliche Wefen ift, den End» 
zweck der Menfchheit, und den Zweck des Gleichge- 
wichts der Außern Freiheit Allee zu verwirflichen; fo 


ift,auch der Zwang, und die in denfelben eingefchloffene = 


bürgerliche Strafe, das einzige rechtliche Mittel, jenen 
Zweck des Staates in der Mitte aller fietlich - unmuͤn⸗ 
digen Bürger zu erhalten und zu fihern. Und wie 
das philofopbifche Staatsrecht, nad) feiner unmittels 
baren Abftammung aus der Bernunft, ‚höher fteht, 
. als jedes’ in der Erfahrung und Geſchichte vorhandene 
oͤffentliche Staatsrecht; fo ſteht auch das aus der Ver— 
nunft hervorgehende Strafrecht hoͤher, als das, wel⸗ 
ches in den pofitiven Formen ber Wirflichteit ung ent- 
gegentritt. 





Sraats- und Staatenrecht. 253 


44. U 
Literatur der wiſſenſchaftlichen Behand—⸗ 
lung. des phileſophiſchen Straftedts.' 
Bei der Angabe der wichtigern Schriften, welche 
das philoſophiſche Strafrecht behandelt haben, koͤnnen 
weder die Syſteme und Compendien bes Natur— 
rechts (Naturt. $. 12.), noch die Syſteme und Com⸗ 
pendien des Staatsrechts (06. 8.) wiederhohlt wer: 
den, wo des Strafrechts entweder ausführlich, oder 
nur kurz, Erwähnung geſchieht. — Eben fo wenig 
gehören die Werfe Hieher, welche blos das pofi- 
tive Strafrecht behandelt haben; dagegen Bürfen 
diejenigen Schriften nicht‘ ganz uͤbergangen werden, 
deren. Verfaſſer zwar zunächſt das pofitive Straf: 
echt darftellen, Eingangsweiſe aber die phitoſo— , 
phiſche Begründung’ veflelben verſuchten. Denn 
es verdient der ehrenvollften Beachtung, daß unter - 
allen pofitiven Rechtswiffenfchaften bis jı gt Feine mehr, 
als das Strafrecht, fiit ungefähr 30 Jahren, von - 
ausgezeichneten Männern:augebaut. worden ift, welche 
philoſophiſchen Geiſt mitpofitiver Rechts— 
kunde verbanden, wohin bifonders Stübel, 
Kleinſchrod, Feuerbach, Grolmann, Titt— 
mann, Henke, u. a. gehoͤren. 
Regner Engelhard (Heſſ. Kriegsrath),Ver⸗ 
ſuch eines allgemeinen peinl. Nechts aus den Grund⸗ 


fügen der Weltwetsheit und befonders des Rechts 
der Natur hergeleitet. ref. u. Lpz. 1756. 8. (Dies 


war der erfte Verſuch einer felbftnändigen philos 


 fopfifhen Bearbeitung. des Strafrechts, nach 
— Botffifdem Syſteme; — als exfter Verſuch Dies 
fer. Art nech immer mit Achtung zu nennen, Wenn 
gleſch durch beſſere Werke laͤngſt erſetzt.) 
" Bieegcaria', dei delitti e delle pene. Napol. 
1763. Mehtmals Aberſetzt (z. B. von Dommeh. 


Staats: und Staatenrecht. 


Die beſte Ueberfegung: Mardefe Beccaria’s Abs 
bandlungen über Verbrechen und Strafen, von neuem 


- aus dem tal. Überfegt mit Noten und Abhandlurs 


““ 


gen von J. Adam Bergk. 2 Thle. Lpze 1798. :8. 
v. Valazé, uͤber die Strafgeſetze, oder Ent⸗ 
warf zu einem allgem. Strafcoder. Aus dem Franz. 


mit Anmerk: und: Zufäßen v. Rarl Adolph Täfa r. 


&py. 1786. 8. 
: Dane Ernit p. GSlobig und J. Sen Hufen, 


.,.: Abhandlung von der Eriminalgefeggebung; eine ges 
.  Peönte Preisſchrift. Zurich, 1783. 8. — Bier Zus 
5 gaben dazu. Aitenb. 1785: 8. 


Karl Ferd. Hommel, philof. Gedanken über das 


Criminalrecht. Aus. der. -Hommelfchen Handſchrift, 
. als ein Beitrag zu dem Hommelſchen Beccaria her 


aufgegeben v. 8. .Gtlo. Röffig. ‚Bert. 178.4 8. 
Fr. Jul. Heinr. Graf von Soͤden, Geiſt der 


\ 
: —* Geſetzgebung. 4 Theile. Deflau, 1782. 8. 


. A. 1792. 
Paſtoret, Betrachtungen uͤber die Strafgefetze: 
Aus dem Franzoͤſ. herausgegeben und mit einem ers 


laͤuternden u. berichtigenden Commentar, auch cinis 
gen Anmerkungen verjehen v. Chfin. Dan. Erhard. | 


2 Theile. Lpz. 1792. 8. 
Chſtoh. Karl Stuͤbel, Syſtem des allgemeinen 


. -peinligen Rechts. 2 Th. 9p}. 1795. 8 — Grund⸗ 


füge zu der Vorlefung über den allgemeinen 
Theil des teutichen u. churfächfifchen Criminalrechts. 


Wittenb. s. a.8. 


% Heinr. Abicht, die Lehre von Belohnung u. 
Strafe, in ihrer Anwendung auf die.bürgerl. Vers 
geltungsgerechtigkeit Überhaupt, und auf die Krimis 
nalgefeßgebung insbefondere. 2 Theile. Erlangen, 
1796 f. 8. 

Sallus Aloys Kleinfhrod, ſyſtematiſche Ent⸗ 


wickelung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten 


des peinlichen Rechts. 3 Theile. Erl. 1794. 8. 2te 


.. Aufl. 1799.’ Zte Aufl. Erlangen, 1805, 


Maul Jo. Anſelm Feuerbad, Reviſton der 
Gruͤndſaͤtze und Grundbegriffe des poſitiven pein⸗ 


lichen Rechts. 5 Theile. Erfurt, 1799 und Chemnitz 


Staats. und Staatenredit. 257 


niſſe von Zwangsrechten und Zwangs 
pflichten ſtehen % | 
Der Zwang Fimbigt fich aber an: m 

4) als Prävention, d. h. als Recht des 
Kuporfommens oder der Siherftellung (jus 
praeventionis) gegen eine angedrohte Rechtsver⸗ 
legung,, inwiefern die Prävention in dem Rechte bes 
fe he, den. Drobenden in feiner Freiheit.fo zu hefchrän 
en, daß die gedrohte Verlegung ihren Anfang. niche' 
nehmen kann. (Die Drohung bewirkt, imap. nicht 
die. Gewißheit, wohl aber die Wahrſcheinlich— 
| keit der Verlegung; doch. gibt ſchon die Drohung, 
das Recht, den angedrohten Anfang der Nechtever 
lebung zu verhindern.) 

2). als Vertheidigung, ober * das 
| Hecht, durch Zwang eine angefangene Medhtsver« 
legung an ihrer völligen Ausführung zu hindern. 
Dies.:ift Das fogenannte Mehr der. Rochwehr 
(jus defensionis, inculpata tutela), weiches recht⸗ 
(ih nur fo lange dauern barf, als der Angreifender 
in ben Kreis unſrer Rechte einzubringen verſucht, und: 
auch nur fo weit reichen darf, als nörhig it, den: 
Augriff auf unfre Rechte abzuhalten unb zuruͤck zu 

weiſen; 

3) als Wieder her ſte llu ng bes verletz⸗ 
ten Reqchts (jus restitutichis in integrum) , wo, 


% 





*) Dadurch wird der 2 mang gegen Ehiere yon: 
. dem . philofophifhen Strafrechte ausgefchlofien. —:. 
Eben fo wenig kann es einen Zwang in Binficht der 
Pflfichten der Güte (officia imperfecta) geben; nur 

"den Pflichten der Gerechtigkeit (oficia perfecte) 
entſprechen Zwangsrechte. J 
J. 17 





258 Staats⸗ und Etaatenredht. 


nach volibiacter Rechtsverlegung, der Rechtsver⸗ 
leßende ducc) den Zwang genöthigt wird, entweber 
vollfommene Genugthuung, oder doch Schaben-. 
erfag zu leiften,, fobald das verlegte Recht nur durch 
einen Begenftand von ähnlichem Werthe ausgeglichen 
werden kann. 

Diefe dreiArten des Zwanges werden von 
dere Vernunft dem Menfchen urfprünglich (d. h. 
nad) der urfprünglihen Einrichtung feiner Natur, 


noch) vor feinem Eintritte ins Staatsleben) zuerfannt, - 


weil fie fid) auf die, von der Vernunft unbedingt ge= 
forderte, Aufrechthaltung des Gleichgewichts der 
Rechte in dem äußern freien Wirfungsfreife. der ver⸗ 
tragsmäßig verbundenen fittlihen Wefen gründen. 
So wie nun der Menfch bei feinem Eintritte in 
der Staat die urſpruͤnglichen Rechte feiner Natur in 
die bürgerliche Gefellfchaft mitbringt, und fie, in 
berfelben,, durch den Staatsgrundvertrag ficher ſtellt; 
fo bleibt bon. auch das Recht zu zwingen in ber 
bürgerlichen Gefellfhaft, da er in. berfelben weder 


rechtlos, noch) wehr » und ſchutzlos werden darf; Allein: 


weil der Staat als Rechtsgeſellſchaft durchaus nicht 
beſtehen koͤnnte, wenn in demſelben das Individuim 
die drei aufgeftellten Arten Des. Zwanges felbft ause. 
üben wollte; fo wird das Zwangsrecht des 
Individuums, beim Eintritte in den Staat und 
bei der Annahme bes Staatsgrundvertrages, auf die: 
ganze Rechtsgeſellſchaft uͤbergetragen, 
den einzigen Fall der unmittelbaren Noth— 


wehr gegen einen widerrechtlichen Angriff in den ſele“ 


tenen DBerhältniffen ausgenommen, wo ber Staat 
> niche felbft Die Abwehr dieſes Angriffe bewirken fann 
(z. B. wenn Diebe einfteigen, Morbbrenner Feuer 
anlegen, Räuber den Wagen auf der Straße anfallen: 


—2 














Creme und Eaeicacehn DBsy 


vellen). Doch gelten für. biefen-Zall He beiden auf⸗ 
geelten Bedingungen bes Rechts ber Nothwehr. u 


- 46. 
Bortfegens 


Der Zwang im Staate muß; „ ‚nach ven drei —* 
wickelten Begriffen, theils als Praͤvention, als 
Strafandrohung, bei angedrohter und 
Rechtsverlehung, theits als Vercheidigung bei einges 
tretener und begonnener Rechtswerlegung, theite;, 
nad) vollbrachter Rechtsverlehung, als Wiederein« 
ſetzung ‚des Beleidigten in den vorigen Rechtszuſtand⸗ 
ober, dafern dies nicht möglich iſt, als. Erfag für * 
erlittenen Schaden ſich ankuͤndigen. | 

Allein dadurch wird das Weſen der rechtlicheh 
Geſtaltung des Zwanges im Staate noch nicht erfchupfe,, 

weil die Strafe im buͤrgerlichen Vereine nicht.blas: 
. aus der Bedrohung und Werlegung. des 
Rechtes der Individuen, fondern zugleich: 
aus der Bedrohung und Werlegung: bes, 
Zmedes der ganzen bürgertihen.Gefesl: 
[haft abgeleiteewerden muß... Weil nämlich; 
durch eine mit Fpeibgit vollbrachte Bechtsverlegüng t im 
Staats nie bias: das Individuum in. feinen Rechten 
berinträchtigt,, ‚fondern auch der Zmmd.ber ganzen) 
Hechtegefellfchaft felbft — die Hertſchaft des Rechts: 

— bedroht oder verlegt wird; fa muß dee Zweck der. 
Strafe, außer ber rechtlichen Ahndung des verlege ; 
ten Rechts, zugleich die Herftellung’ und: 
Sicherung der badrohten oder erfhuttems 
ten Herrſchaft des Rechts im Staate ſelbſtä 
umſchließen. Der Zwed der Strafe im Staate kana 

daher nur aus dem Bwede bes Staates ab: 

‚47* 


23600 Sraats⸗ und Staatenrecht. 


geleitet worden, well der Zwang iur! Staate' El os 

als. Mierel zu dieſem Zwecke ſich verhaͤlt, und nur 

aus dieſem Geſichtspuncte — daß er ein rechtliches 

Mittel zu einem rechtlichen Zwecke iſt — richtig und 
. erfhöpfend aufgefaßs, und ya fine Abhängigkeit 
von dem allgemeinen Staatszwecke bargeftellt werden 
Ami: Nach diofen Beſtimmungen feßt die Vernunft 
den Zweck beb&trafe ini Staate in die ve HEHE 
Herfteliungder HerifchafrdesN eheziscav 
ves verbegten Gleichgew chts der außirk 
Freiheit. durch: Ahndung des verlegen Rechts an: 
dem Verbtecher, vermittelt eines bemfelben zugefüg:: 
ten finmiichen. Uebels. Der Zweck Ber Straͤfe! iſt alſo 
weberiblos Praͤwontidnnoch Wiederherſtellung. des⸗ 
verlegten Rechtszuſtatzdes und Erſatz , obgleich. dieſe 


: Bieeddernicht. ausgefihhloffen , ſondern in dem hoͤchſten 


Ziecke · der Strafe: als: einzelne · Beſtandtheile aufge⸗ 


nommen werden. Dar Zweck der Strafe beftehfiaber" 


auch weder zunaͤchſt in der Abſchreckung durch Ans 

ng..einer: Straft vermittelft eines Strafgeſches 
noch zunaͤchſt in bhr ſittlichen Wiedẽrvergeltung Dir 
begarigeiie Handlung, noch zundhftän'der Beffening 
Dis Varbrechers. ee an . 233 nr 


1 Soll uͤbrigens die Strafe! int Staate vechttich⸗ 
geſdaltet ſeyn; ſoimuß fie auch/ i n einem Strafgie 
fotze be ſtemmraus gee ſproo che ni⸗ fund umalle 
Witlkuhr Des: Richters zů verhindeentsc-inuesfkafl 
dieſes Straͤfgeſetzes an: dem Werbeechẽr :ootfjoden- 
worden.Doch iſt nicht das vorhandene Strafgeſeg⸗ 
de Recht sgrund der Strafe) weit ſonſt alle ſtraß 
bare Handlungen, die nicht mit einem Strafgeſetze⸗ 
bilent ſind, ‚A: Staate ungefteafs Meiben: nürten? ! 
Vielinehr iſt bie: Verlegung. DeiiHerrfhafeu 
doen Rechts im Staate, ds des hoͤchſten Zweckes? 


| 


7“ 


Staats- und Staatenrecht.  16t 


der bürgerlichen Gefellfchaft, durch eine ſtrafbarr 
Handlung der Grund, weshalb Strafgefege als 
Mittel im Staate beſtehen ‚ jenen hoͤchſten Zweek 

zu erhalten und zu ſichern, und weshalb das einzelne 
—88* auf den beſondern Fall angewandt wird. 


Das vorhandene Strafgeſetz hat daher die Beftim- 


mung, theils für den, der die Rechte Andrer vers 
fegen will, im Voraus das Uebel zu bezeichnen, Das. 
ihm als Strafe für Die Rechtsverkegung unnachläßlich, 
wiewohl in ftrenger Angemeflenheit zu der vollbrachten 
That, zuerfanne wird, theils für den Richter den 
unveränberlichen rechtlichen Maasſtab zu ‚enthalten, 
nach) welchem er die ſtrafbare That beurtheilen und. mit 
einem firmlichen Uebel belegen fol. Der allgemeine 
Rechtasgrund der Stoafe, nach der Vernunft, ift 
alfo weder zunachft.die Verlegung eines Strafgefeges, 
noch zunächft die frafbate Handlung felbft, fondern 


der verlegte: / Zweck· des Staates durch die ſtrafbare 


Handlung; denn nuv:aus. Diefem Rechtsgrunde — 
der auf dein unerſchuͤtterlichen Zwecke des Staates 
FAR: beruht — kann fih das Strafreht des 
Staates nachweiſen laſſen, und das, mas die Vers 
nunfe als rechtlichen Zwang zwifchen wen Individuen 
anerkennt, zu: einem. allgemeinen rechtlichen Straf 
‚gefege | im Staate erhoben werden. 


are 


ueberltat über Die pichtlaſten Strafi 
u rechtstheoricen. | 


Bei folgerichtiger philoſophiſcher Forfihung-n muß 


die Begründung. des phllofophifchen:Sitrafrechte, von 
bee Begründung des Natur » und Staatsredjts über« 
haupt abhängen: Wird in der Vegruͤndung des Ra; 


v 


"20 Slaacts⸗ und Staatenrecht. 


geleitet worden, ‚well der Zwand inr Slaate' See 
als. Mirrelizudiefeti Zwecke fih verhält; und im 
aus dieſem Gefichtspuncte — daß er ein recheliches 
Mittel zu einem rechtlichen Zwecke ift — richtig und 
. erfhöpfend aufgefaßs, und Rach feine Abbängigfeit 
von bem allgemeinen Staatszmede. dargeftellt werben 
Pami: Nach diofen Beſtimmim̃gen ſetzt die Vernunft 
den Zweck vebr&trafe im Staate It'die ve HENHL 
Harfleliangider Herrfhaft dee Ne hrsiscay 
ves verbegten Sleihgewihrs veräußert 
Freiheit. durch. Ahndung des verlegen Rechts an: 
dem Verbiecher, vermittelſt eines demſelben zugefüg: 
ten finadichen. Uebels. Der Zweck ber Sträfe'ift'atfe: 
weberi;blgs: Praͤventidn nnoch Wiederherſtellung. des⸗ 
verlegten Rechtszufſtatzdes und Erfaß , obgleich. dieſe 
Zwecke nicht ausgefchloffen,, ſondern in dein höchften 
Zivecke · der Strafe: als einzelne -Beftandrhäite aufge⸗ 
nommen werden. Der Zweck der Strafe beſtehtiabern 
auch weder zunuͤchſt in: der Abſchreckung durch Ans 
drohung ainer: Stwaft vermittelft eines Strafgeſches 
noch zunaͤchſt in dhr ſittlichen Wiedörvergeltung Dir“ 
begangeiten Handlung, noch zunähftän'der Beſſerung⸗ 
des Verbrechers.. Ra mu ine ** ht 
on ‚EI Abrhgend: die Strafe? im Staate vechktich⸗ 
geſdaltet ſeyn "(st muß: fie auch i n einem Strafe 
fotze be ſtemmt aus ge ſproo che ni fund um'alle 
Willführ Des: Richters jü verhindern = Inue:iafl® 
dieſes. Straͤfgeſetzes an: dem Verbrecher wollzegen 
worden.Doch iſt wicht das vorhandeite Strafgeſetz⸗ 
der Kehtsgrund der Strafe) weil ſonſt alle Mean 
bare ‚Haridlungen , die nicht Ale:etnem Strafgeſetze⸗ 
bileht find, Art: Staate ungefteafs Heiben nicen? ! 
Birtinehr: iſt die Verlegung deri fer efthafes 
don Rechts: im Staate, aas des hoͤchſten Zweckes 


A 





r 


Staat» und Staatenrecht. 26 


Ber bürgerlichen Gefellfchaft, durch eine flrafbare 
Handlung der Grund, weshalb Steafgefege als 
Mittel im Staate beftehen, jenen: hoͤchſten Zweck 
zu erhalten und zu ſichern, und weshalb das einzelne 
Strafgefeg auf den befondern Fall angewandt wird. 


Das vorhandene Strafgefeg hat daher die Beftim- _ 


mung, theils für den, der die Rechte Andrer ver- 
tegen will, im Voraus das Uebel zu bezeichnen, das 
ihm als Strafe für die Nechtsverlegung unnachläßlich, ‚ 
wiewohl in ftrenger Angemeffenheit zu der vollbrachten 
That, zuerkannt wird; theils für den Richter den 
unveränberlichen rechtlichen Maasſtab zu enthalten, 
nach welchem er die ſtrafbare That beurtheilen und mit 
einem ſinnlichen Uebel belegen ſoll. Der allgemeine 
Nechtsgrundder Stoafe, nach der Vernunft, iſt 
alſo weder zunaͤchſt dis Verlegung eines Strafgeſetzes, 
nbch zunaͤchſt· die ftrafbare Handlung ſelbſt, ſondern 
der verlegte. · Zweck bes. Staates duvch bie ſtrafbare 
Handlung; denn nur aus dieße m Rechtsgrunde — 
der auf dem unerſchuͤtterlichen Zwecke des Staates 
beruht — kann ſich das Strafrecht Des 
Staates nachweiſen laſſen, und das, was die Vers 
nunft als rechtlichen: Zwang zmwifchen ven Individuen 
anerkennt, zu einem. allgemeinen: rechtlichen Strafe 
‚gefege im Staate erhoben werben, 


47. u 


Ueberfiär über die pichtlaſten Straf 
u rechtstheorieen. 


Bei folgerichtiger philoſophiſcher Forſchungen muß 


die Begruͤndung des: philoſophiſchen⸗Strafrechts von 
bee Begründung des Natur⸗ und Staacsrechts uͤber⸗ 
baupt- abboͤngen. Wird: in der Vegruͤndung des Na⸗ 


— . } 


' 
202 | Staats- und Staatenrecht. 


eur⸗ und Stoatsreched von der fittlichen Gefeggebung | 
der Vernunft und von dem nothwendigen innern 
Zufammenbange zwifchen Pflicht und Recht ausge: 
gangen; fo muß auch das philofopbifche Strafe 
recht fih rückwärts auf die Freiheit im Men . 
ſchen, als ben legten Grund jeder erfcheinenden 
firafbaren Handlung, fügen, und verlangen, baß zur. 
Beitimmung der Strafe — fo weit es möglich iſt — 
der Zuſammenhang der Freiheit des Willens mit der 
vollbrachten That ausgemittelt, und die Strafe n ad 
diefem Verhaͤltniſſe ausgefprochen und vollzo⸗ 
gen werde. — Wird aber das Natur» und Staats- 
recht blos als die wiflenfchaftlidhe Darftellung von 
Zwangsrechten überhaupt behandelt, fo daß man 
zwar, bei der rechtlichen Geſtaltung des äußern Wirs 
fungsfreifes, bie innere Breiheit nicht ablängnet, fie 
aber, als ein unerforfhbares Noumenon, 
auf fich beruhen läßt, und fich einzig an die im 
äußern Wirkungstreife erfennbare Freiheit 
(als Phänomenon) halt; fo wirh au), bei ber. 
Begründung bes Strafrechts im Geiſte jener Anficht, 
nur zunächft bie That (nicht Die innere Geſinnung, 
welche derfelben vprausging,) beruͤckſichtigt, und diefe 
unter das vorhandene Strafgefeg gebracht oerden, 

Abgeſehen davon, daß in neuerer Zeit die letztere 
Anſicht die herr ſchende geworben ift, kann nicht 
verkannt werden, daß fie zugleich die bequemere 
und leichtere .ift fiir die Entfsheidung über Wer- 
brechen und für den Gerichtsbrauch; aud) darf nicht 
geläugnet werben, daß bie erftere, wenn fie völlig 
folgerecht angewandt werben foll, niche ausreiche für 
- den Zweck des Staates, als einer äußern Rechtsge⸗ 
-fellfchaft, und für den ans jenem Zwecke nothwendig 
beinongehenhen Bmd ber Strafe. Man kann, um 








Staats - und Staatenrecht. 263 


“einer kurzen Bezeichnung ſich zu bedienen, die” 


Theorie, welche der erftern Anfiche folger, und zu- 
nächft das Subject des Verbrechers beruͤckſichtigt, 
die fubjective Strafrechtstheorie, die aber, welche 
auf die zweite Anfiche fich flüge, und zunaͤchſt an 
die firafbare Handlung, an das Object, ſich haͤlt, 
die objective Strafrechtstheorie, hingegen die, 
welche beide Anſichten in ber. wifjenfchaftlichen 
Darftellung des Strafrehts verbindet (und welche . 
bier befolgt wird), die fubjectiv-objecrive Theos 
rie nennen, weil fie zwar zunächft von der innern 
Freiheit des WVerbrechers ausgeht, und darnach die’ 
Strafwuͤrdigkeit des Verbrechers beftimmt, zu⸗ 
gleich aber, geftüst auf diefe Strafwuͤrdigkeit, über 
die Strafbarfeit der Handlung in Angemeffenbeit 
zu den beftehenden Strafgefegen entfcheiber. 

Ob nun gleich eheils die fubjective, theils die 
objective Strafrechtstheorie in vielfachen einzelnen 
Schattirungen, bald mit wefentlichen, bald mit un« 
wefentlichen Abweichungen, von einzelnen denfenden 
Männern dargeftelle worden ift; fo laffen ſich doch 
beide unter zwei Hauptanfichten im Allgemeinen 
bringen, wornach j 

a) bie fubjective Strafrechtstheorie 

entweder 1) als Wiedervergeltungss 
oder 2) als Befferungstheorie, und 
4) die objective Strafredhtstheorie 
entweder 1) ale Abſchreckungs⸗ 
ober 2) als Präventionstheorie 
erfcheint. Indem philofophifchen Strafrechte können 
aber dieſe Theorieen nur im allgemeinften Ums 
riffe (möglichft treu mit den Worten ihrer Urheber) 


bargeftelle, und mit einer kur zen Prüfung der 


u — 
IN VW 


® ‘ 


264 Staats» und Staatenrecht. 


aufgeftellten Lehren verbunden werden. Die völlige 
Durchführung derfelben im Einzelnen gehört zu— 
naͤchſt ins Gebiet und an den Eingang ber poſ iti— 

ven Strafrechtswiſſenſchaft. 


4) Die fubjective Strafrechtstheorie. 


48. 
4) Die Wiedervergeltungstheorie. 


. Das Strafrecht ift Das Recht des Befehlshabers - 
gegen den Untermwürfigen, ibn wegen eines Verbre⸗ 
chens mit einem Schmerze zu belegen. Die richt er⸗ 
liche Strafe fann aber nur deshalb wider den Ver-⸗ 
brecher verhängt werden, weil er verbrocen hat. 
Strafe erleidet daher das Individuum, nicht weil 
08 die Strafe, fondern weil es eine ftraf- 
bare Handlung gemwollthat. Das Strafgefeß 
‚ift ein Fategorifcher Smperativ; denn wenn Die Ge—⸗ 
rechtigfeit untergeht, fo bat es feinen Werth mehr, , 
daß Menfchen auf Erden beben. Die Strafe wirb 
alſo nicht verhängt wegen der Sicherheit der bürger- 
lichen Gefellfchaft, nicht wegen Des Wohles des Vers 
brechers felbft, noch wegen eines andern Örundes, 
‚ fondern einzig deshalb, weil fie die nochwen, 
dige, durch die Gerechtigkeit gebotene, 
Folge des Verbrechens if. Die öffentliche 
Gerechtigfeit kann aber für die Art und den Grad 
der Beftrafung feinen andern Grundfag aufftellen, 
* als den Grundfag der Gleichheit, im Stande des 
Zungleins an der Wage der Gerechtigkeit; alſo: 
Was fuͤr unverſchuldete Uebel du einem Andern im 
Volke zufuͤgeſt; das thuſt du dir ſelbſt an. Beſchimpfſt 
du ihn; ſo beſchimpfſt du dich ſelbſt. Beſtiehlſt du 











Staats» und Staatenredt. 263 


ihn; fo befttehlft du dich ſelbſt. Schlägft du ihn; fa 
ſchlaͤgſt du dich. ſelbſt. Toͤdteſt du ihn; fo toͤdteſt du Dich 
felbft. Nur das Wiedervergeltungsrehe (jus 
talionis), aber wohl zu verftehen, vor denSchran- 
fen des Gerichts, nicht in dem Privarurtheile, 
kann die Qualitaͤt und Quantität der Strafe beftimnft 
angeben ; alle andere find hin und ber fhwan- 
fend, uud fönnen, andrer ſich einmifchender Ruͤck⸗ 
fihten wegen, feine Angemeff enbeit mit dem Spruche 
der reinen und firengen Gerechtigkeit enthalten... Die. 
Gleichheit der Strafen, die allein nach dem firengen. 
Ä Wiedervergeltungsrechte moͤglich ift, offenbaret ſich 
aber daran, daß nur dadurch im Verhaͤltniſſe 
zuderinnern Bösartigfeit der Verbrecher 
die Strafe ausgeſprochen wird. 

S. Kant, in den met. Anfangsgr. der 
Rechtslehre, ©.195 ff. Schon Jakob 
ſtellte in ſ. pbilof. Rechtslehre den Sag auf: 
„Daß die Strafe moralifche Vergeltung ſey.“ — 
Un Kant fchloffen fih an: J. Heine, Tieftrunf,. 
in den philoſ. Unterfuhungen über das 

. private und oͤffentliche Rechte, 2 Th. Halle, 
. 1797. 8; Bergk (mit einigen Abweichungen) 
in der Philoſ. des peinl. Rechts, und 3a 
chariaͤ in den Anfangsgründen des Cri- 
minalrehes. — Selbft Boutermwef nimmt 
eine modificirte Wiedervergeltungstheorie an. 


409. . 
Prüfung derfelben. 


Die Wiedervergeltungsthe rie behauptet das 
große Verdienſt, daß ſie auf die Freiheit des Men: 
ſchen, auf die innere eicbfcher der ſtrafbaren. Hand⸗ 


266 Staass- und Staacenrecht. 


fung ſich gruͤndet, und darnach den Grad der Schuld, | 
und die Art und Weiſe der Strafe beftimmt; daß fie 
alfo von der reinen DBernunftidee der Gerechtigteit 


ausgeht, und jedem ganz das zutheilen will, was 


feine Thaten verdienen. Sie erhebt dadurch ben 
Staat zu der Beftimmung, bie fistliche Ordnung auf 
Erden darzuftellen, welche im Weltganzen, unter ber 
Seitung der höchften. Gerechtigkeit Gottes, als volle 
fommene Ausgleihung zwifhen Verdienft und Be⸗ 
lohnung, und zwifchen Verſchuldung und Strafe i in 
der Idee angenommen wird. 
Allein in ihrer Anwendung und Ausfuͤh— 
rung im Staate muß die Wiedervergeltungstheorie 


hinter der “bee ber Vernunft zuruͤckbleiben. Schon 


an fi) fann das Strafgefeg nicht als fategori« 


ſcher, d. h. unbedingt geltender , Imperativ, wie das 


Sittengefeg, gebacht werben, weil Zwang und Strafe 
nur Mittel zum Zwede des Staates, nicht Zweck 


felbſt find. Das Strafgefeg ift daher nur ein bes 


dingter (hypothetiſcher) Imperativ, der blog Dann 
eintritt, wenn eine Verlegung bes Staatszweckes vor⸗ 
ausgegangen iſt. Was aber bie fittlihe Wieberver- 
geltung felbft beerifft ; fo kann allerdings ohne diefelbe, 
db. h. ohne bie unbedingt angemeffene Yusgleihung 
des DVerdienftes mit ber Belohnung und der Ver⸗ 
fhuldung mit der Strafe, die firtlihe Weltord- 


nung nie gedadır werden; nur Daß die Verwirk⸗ 


4 


lihung diefer großen {dee auf Erden und von end» 
lihen Wefen nicht möglich ift. Sie bleibe das Werk 


‚der Allwiſſenheit, der Allgerechtigfeit und Allmacht 


Gottes. Doch geht aus der Wiedervergeltungstheorie. 


ſo viel für bie philofophifche Begründung des Straf 


rechts im Staate hervor, daß die ganze Geftaltung 
des Staates, in Beʒiehung auf die Herrſchaft des 











. Staats» und Seaatenreche. 207 


Rechts, von ber Art ſeyn ſoll, daß bie ſinnlich⸗ ver⸗ 
nuͤnftigen Weſen, welche im Staate leben, durch 
den Staat, nach deſſen Zwecke und nach den in ſeiner 
Mitte vorhandenen Bedingungen fuͤr die Erreichung 


dieſes Zweckes, zur ſittlichen Münbigfeitge - . 


führe, und in allen ihren Verbältniffen — mithin 
aud) in den von ihnen vollbrachten Nechtsverlegungen, 
— als fireliche Wefen, und zwar nad) der that⸗ 
fachlichen Ankündigung ihrer firtlihen Muͤndigkeit 
oder Unmuͤndigkeit, behandelt werden. a 

Ob nun gleich zunaͤchſt die Äußere rechtswidrige 


That als firafbar ſich anfündige, und unter das 


Strafgefeg gebracht werden muß; fd foll doch, fo weit 
es zu erforfchen möglich iſt, diefe That auf die ihr 
vorausgehende innere Gefinnung und Triebfeber zu⸗ 
ruͤckgefuͤhrt, und nad) diefem Maasftabe die Art und 
der Grad der Strafe beftimme werden; denn felbft die 
Stimme bes Gemwiffens in dem Merbrecher 
bürgt für dieſen Zufammenhang zwifchen der unfitt- 
lichen Gefinnung und der fleafbaren That. Kann 
übrigens die Strafe nicht in der Zufügung eines völ- 
lig gleichen Uebels beftehen; fo muß, nach diefer 
Theorie, an die Stelle derfelben ein ber Art und der 
Größe nad) möglichft gleiches Uebel treten; nur 
daß freilich Die fe Zutheilung der Strafe die genauefte 
Erforfehung der Empfänglichfeit des ftrafbaren Indi- 
- vibuums für die verfchiedenen Arten des Schmerzes 
vorausfegt, weil, ohne diefe Erforfchung, die Gleich⸗ 
heit zmifchen ber über den Verbrecher zu verhängen- 
den Strafe und dem Uebel, das er Andern zugefügt 
bat, nicht möglich ift, und doch auf diefer Gleichheit 
der Grundcharafter der Theorie. felbft beruht. — 
- Sollen endlich die Strafen dem begangenen Verbre⸗ 

den völlig gleich. kommen; fo müßten auch anf un⸗ 


A 


268 Staatsr. und Staatenrecht, 


menſchliche Wabercher unmenſchliche Strofen: a 
werden. m 


50. | 
2) Die Defferungstgeotie. 


Die Beflerungstheorie entfprang theils aus der 
völlig gerechten Rüge der Härte der altern: pofitiven- 
Criminalgeſetze; theils aus religiöüfen Gründen; 
theils aus der Wahrnehmung der wirklichen Beſſe—⸗ 
rung einzelner Verbrecher. Thatſachlich. ward fie 
verfucht in der milden Gefeßgebung Leopolds 2 in 
Toſkana, mo namentlich die Todesftrafe ganz. aufges 
boben ward, und in den nordamerifanifchen Freiſtaa⸗ 

ten; doch bar man in den legtern fpäter die Ueberzeu⸗ 
| gung gewonnen, daß. man mit der Beflerungstheorie 
in ber Wirklichkeit nicht ausreicht. 

Dbgleich die Befferungstheorie, nad) ihrer Dez | 
gründung und nad) ihrer Durchführung fehr verſchie⸗ 
ben geftalter werden kann; fo ift doch der allgemeine 
Grundfaß, von welchem. fie ausgeht, der, daß jebeg 
finnligh vernünftige Wefen, welches ein Verbrechen 
begangen bat, diefes Verbrechens ungeachtet ein Weſen 
iſt, das, nach dem vervollkommnungsfaͤhigen Charaf- 
ter feiner Natur, der firtlihen Beflerung, d. h. der 
völligen Veränderung und Umbildung der unlau« 
tern Triebfeder fähig bleibt, aus welcher die ftrafbare 
That hervorging. Es müffe daher auch. die Strafe 
“von der Arc feyn, daß fie entweder biefe Beſſerung 
felbft berbeiführe und bewirfe, ober daß doch bie 
Beflerung als der Maasftab . zur Beſtimmung. der 
Dauer der Strafe gebraucht werde, weil eine Strafe, 
welche hinreicht , den Verbrecher zu beffern, auch als 
der Innern Schul beflelben . vallfommen.-augemeflen 


Aa 











Staats. und Enaititahẽ 266 


zw bettachten ey und zugleich die gefärmlte 
gefellſchaft vor Weich: —— ee * ibi⸗ 
duums ſicher teile, Dieſe Theorie verlangt el 
man alles erttferne? was zur Begehung Emeg’ 
chens verfeiten fahkt, daß man den dayır vertice 
daß man an der Woglfagrr des Busch Mir 
äufricherge® Inter eſſe nehme; "hnd‘ (Hk zli- uͤberdenge⸗ 
füche, daß die Uebel, welche! ihm "zugefügt werben⸗ 
bios eine iihäßroendbäre Folge feirtes Ber en FAR? 
i As Saupefärift gehbrt hieher; j X zer mobil 
Erf. Spangenberg, "über | „fe EN 
bürgerliche Befferung” der dibtcher. mitt ageR 
‘ Pönttehrteriäfkeme, als deheirijigen JUIRMTEH AU 
‚jeder. Strafe. Frkin ind. vom Kugtifgen.des WMüscodk 
Landsh abau. "8 Bon Een) 


“ u⸗ 









Der gweck bin 
bracht MRechtsverletzung, nf. genaı:, 55*— 
dem Zwetke der. Züchtigung in. Hinſuha · der Cr yefing: 
phyſiſch ⸗ unimmndiger Wefenn während ken: Zeituders 
Kinnheitzund, Dngend;;weil tri efedZmad sat ig, 
bie. Diffetinng: in „Ach einfihliehb, nGe tin ann 

Zwecke der ·rechtlichen bu De 
(3: B. mennichi Einer ber auſcht hat mind; aufge 
Straße Honder anfängt) nntaſchiedem erden Mei 
bie letztern Seine. eigenlicheni Meditsverlegungen ir 
ſich begreifen,, nuhrihre Beftnafungtiie Beflennghens 
Verirrten nicht nunsniche hindern, Ben fogar: [127 
leichtern und befördern foll: ur? u; zintin:, is mi nd 

Die Strafe im Staate aber, welche wegen ange 
broßter, oder vollbrachter Keesoelegung ausgeſpro⸗ 


70 J Staats und Staatenrecht. 


den unb wird, kann an fi bie Befferung 
des Verbrechers nie berüdfichtigen; nur ba, bei Zus 
eheilung von Strafen auf geringere Verbrechen (5.2. 
bei Befängniß- oder Zuchthausftrafe) die Beſſerung 
niche geradezu gehindert und unmöglich gemacht wird. 
Denn das verlegte Recht des Individuums, fo. wie 
die geſtoͤrte Herrſchaft des Rechts im ganzen Staats⸗ 
verejne, kann nur durch die Abbuͤßung der rechtlichen 
Strafe, welche auf das Verbrechen geſetzt iſt, ansge- 
glihen und dadurch die Herrfchaft des. Rechts von 
deyfm gefichert werben. — Selbſt wenn die Beſſe⸗ 
rungstheorie blos auf die Dauer der Strafe bezo⸗ 
gen: werben follte,. würde dadurch theils fehr off der 
Maasſtab der: ftrengen Gerechtigfeit ‚verlegt werben: - ' 
(wenn z. B. eine, Strafe, die geſetzlich zehn Jahre 
‚dauern follte, der Beſſerung wegen auf fünf Sabre 


vermindert würde), theils bie Beurtheilung, ob der 


Verbrecher wirklich burch die bereits. abgebüßte Straf: 
zeit gebeffert worden fey und ihm die.übrige Dauer ber 
Strafe erlaſſen werden Fünne, geoßen Schwierigkeiten 
amterliegen; und ber Heuchler nicht. feiten bie Richrerd 
tauſchen. Deshalb verlangt es die Gerechtigkeit, daß: _ 
die zuerkanute Steafe ganz in Angemeffenpekt: 
zu dem Verbrechen ubgebüßt werbe , obgleid) die. 
Strafanſtalten im Staare von ber Beicheffenhein 
ſeyn feflen, daß der aufbewahrte Verbrecher nicht noch; _ 
verdorbenet in denſelben und für die. Zeit feiner Ent: 
lafſung dem Staate nach. gefährlicher werde, als zu⸗ 
vor; daß aber auch eben: fo wenig fein Scidfab in- 
der Strafanftalt in. dem Grabe milde und günftig 
fen; daß er deshalb neue Verbrechen begeht, um. wie- 
der in diefe Anftalt zu kommen. Ä 0. 


. 
’ [3 














Staats- und Staatenrecht. 278 
4) Die objectine Strafrechtstheorle. 


52, 
4) Die Abfchredungstheorie 


Die bürgerlihe Strafe ift ein vom Staate 
wegen einer begangenen Rechtsverlegung zugefügtes, 
durch ein Strafgefeg vorher angebrohteg Uebel. . Die 
bürgerliche Strafe muß aber einen rechtlichen Grund 
haben, und dieſer beruht auf dem Rechte der Sicher» 
ftellung des Staates, Allein diefe kann nur erreicht 
werden, wenn der Staat durch pfohologifhen 
Zwang verhindert, Verbrechen. zu begeben: und 
diefe Verhinderung wird erfolgen, wenn jeber Pür⸗ 
ger überzeugt ift, daß auf die Mechtsverlegung zin 
größeres Uebel erfolgt, als das finnliche Beduͤrfniß 
-und die “Begierde geoß war, eine Nechtsverlegung zu 
begehen. Dieſe Ueberzeugung fann aber nur daburd) 
bewirfe werden, daß die Verfnüpfung des Uebels mit 
dem Verbrechen dur ein Geſetz angedroht 
wird. Der Zwed des Strafgefeges iſt demnach 
Abfhredung, der Grund der Zufügung ber Steafe- 
aber die. Verwirklichung: des. Strafgeſetzes, Es if} 
alfo der Zwed der bürgerlichen Strafe weder Be 
rung, ned) Vergeltung, noch: Die Abſchreckung Ande⸗ 
ver durch bie Vollziehung ber Strafe. Daraus folgt, 
daß die bürgerliche Strafe nur aus und nad einem. 
Strafgefege verhängt werden, und daß der: Staet 
"blos Rechtswerlegungen, als folche, ſtrafen kann; daß 
die bürgerliche Strafe verfihieden ift von. der Rache, 
die ohne einen rechtlihen Grund ausgeübt wird; daß 
aber auch, beider Beſtimmung ver Strafbarkfeit 
eines Handlung, nie der. fubjective Grund 
ber Freiheit bes Hanbeinden berückſichtigt 


r 


972 . Staafs= und Staatenrecht. 


werben Darf, weil die Freiheit für Das. äu-. 
Bere Recht als nicht vorhanden betrachtet 
werden muß, fondern blos der objective Grund 
der Strafbarfeit,- der auf der Thatfache berubt, 
welche, unter dem Gefege enthalten ift. Daraus er: . 
gibt ſich der Doppelte Grundſatz: Jede Strafe ift nur 
inſoferir gerecht, als ſie dazu dient, bie Gefahr fir 
den: rechtlichen Zuffand bes Staates - abzuwenden; 
ande Je größer die Gefähr für den rechtlichen Zu- 
fand iſt; defto' größer iſt die äußere Strafbarkeit. 
Der Begruͤnder biefer Theorie ift Feuerbach, 
welchen, mit einzelnen Abweichungen ‚fehr viele 
der:neuern Strafrechtslehrer folgen. Vgl. die da- 
hin gehoͤrenden Schriften $. 44., und’ befonders 
KCThibauts geiſtvolle Kritik dieſer Theorie. 


Fa 2 


EEE FOR 33. 
—— 2 .2 mein s 
lei. Pruͤ fu ng derſe [ben.- 


15 Mach der Vernunft ift allerdings jede bürger- 
liche Strafe ein vom- Staate wegen einer begangenen 
Rechtsverletzung zugefügtes Uebel; allein zum Wefen: 
der Strafe-felbft. gehoͤrt es nicht, daß ſie durch ein 
Geſetz. angebroht werde." Denn obgleich" für jedes 
Verbrechen im Staate in dem Gefeßbuche des Straf: 
rechts ein Strafgefeß:da ſeyn foll, und namentlich fein. 
pofltives Strafrecht ohne ein vorhandenes Straf 
gefeg gedacht werden kann; ſo geht doch an ſich der 
Begriff und das Wefen ber Strafe nicht. aus dem: 
Gefetze, ſondern aus-der Vernunft hervor, d. h. aus: 
der nothwendigen Verfnüpfung eines finntichen Lebels 
mit einer ftrafbaren Handlung nad) der ewigen Idee : 
der -Serechtigkeit. Denn follte die Swafe.nur auf: 
das vorhandene Strafgefetz fih gründen; fo würbe? 


LG 
® 


Steats⸗ und Staatenrecht. 273* 


jedes Verbrechen im Staate unbeſtraft bleiben muͤſſen, 
das nicht durch ein Geſetz mit Strafe belegt waͤre; ja 
es wuͤrde eine. ſtrafbare Handlung gar, nicht ein Ver: 
brechen genannt werben koͤnnen, die:riicht als ſolche 
durch "Androhung einer Strafe bezeichnet: wäre. Nach 
der Abfchrefungscheorie:gibt.es alfo. kein Werbrechen 
‚an ſich, fondern, nur diejenige Handlung ift Verbre— 

‚chen, welche der Gefeggeber mit, Strafe bedroht. Dies 
wurde aber, folgerichtig durchgeführt, den druͤckendſten 
Defpotismus befördern: (j. B. wenn in irgend einem 
Strafgefegbuche die. Ausübung des Cultus der Pro- 
teftanten mit dem Feuertode — man denfe an Huß, 
an die Berbammungsbulle Luthers — belegt würde)! 
— Wenn ferner. au) aus dem Zwecke bes Staates 
und der Strafe nathmendig hervorgebet, daß Rechts⸗ 
verlegungen verhitet werden follen;. ſo ift doch Der 
Grundſatz der Abſchreckung duch pfychologiſchen 
Zwang mit der Vernunftidee der Gerechtigkeit unver: 
einbar; denn nad) diefem Grundfage wird nicht aus 
dem Verhaͤltniſſe der ftrafbaren Handlung zur ewigen 
Idee der Gerechtigkeit die Strafe abgeleitet, fondern 
aus ginem angedrohten finnlichen Uebel, das 
mit dee Begehung ber: Handlung verbunden wird, um 
dadurch die rechtswibrige Begierde zu unterdruͤcken. — 
Da weiter die Menſchen in pfyhologifher Hin- 
ſicht unendlich verſchieden find, und, nach der 
Erfahrung, die barteften Strafen die Vollbringung 
der Verbrechen oft nicht verhüsen , ja ſelbſt Die Zahl 
berfelben nicht. veemistdern koͤnnen; fo muß entweber, 
nad) der Verfchiedenheit der Judivibuen ‚;anf;ein-und 
daffelbe Verbrechen eine fchärfere und eine gelindere 
Strafe 'gefegt, oder dem Richter die pfychologifche 
Beurtheilung und Entſcheidung inberlaffen, oder uͤber⸗ 
haupt, ver Sicherftellung des Staates wegen, jedesmal 

L 18 


‘ 


274 Saan ⸗ und Seaatenrecht. 


zu den haͤrteſte n Strafen gefchritten werben; ober es 
müßten alle diejenigen ungeftraft bleiben, bei deren 
Gleichguͤltigkeit gegen die angedrohten ſtrengſten Straf⸗ 
übel der Zweck der Abſchreckung durch die Strafe nicht 
erreicht würde. Die beabſichtigte Abſchreckung Andrer 
aber durch die Strafe, wennder Verbrecher ſelbſt 
dadurch nicht abgeſchreckt werden koͤnnte, 
wuͤrde den Staat in den Fall bringen, einen Menſchen 
als Mittel zu gebrauchen (ſelbſt zu verbrauchen), 
um den vorgeſetzten Zweck bei andern Staatsbuͤrgern 
zu erreichen, fo wie überhaupt die fortdauernde Noth⸗ 
wenbigfeit der Anwendung der Strafen den Beweis 
enthält, daß ber eigentliche Zweck der Abfchredung 
tim Ganzen nie erreicht wird. — , Da endlich 
die Abſchreckungstheorie auf die innere Freiheit des 
Handelnden und auf die Triebfeder, bie ihn bei dem 
Verbrechen leitete, gar nicht Ruͤckſicht nimmt, fondern 
blos an die Thatfache und an den Thatbeftand des 
Verbrechens fih Hält; fo erleichtert fie zwar dadurch 
von der einen Seite die Entfheidung der Strafe, 
verftößt aber von der andern gegen das Vorhanden⸗ 
ſeyn der ſittlichen Freiheit im Menſchen; beruͤckſichtigt 
ausſchließend das ſinnliche, mithin das niedere 
Beſtrebungsvermoͤgen im Menfchen ‚, ohne das ver- 
nünftige, ober höhere, in Anfchlag zu bringen; ver 
hindert die Yusmittelung ber oft fo fehr verfhie- 
denen fubjectiven Grade der Strafmür 
digfeit, und der Zurechnung, und ſieht ſich gend- 
thigt, in den meiften Fällen bie ſtrengſten und haͤrteſten 
Srafen anzuwenden. 


on 





u! 
u - 


- Staats» und Staatenrecht. 2 


54. 
2) Die. Praͤventionstheorie. 


Die Praͤventionstheorie beruht auf folgenden 
Saͤtzen: 

Aller rechtliche Zwang gegen Andere wird da⸗ 

durch begruͤndet, daß derjenige, gegen welchen er 
ſtatt finden ſoll, ein Hinderniß ver allgemeinen gefetz⸗ 
lichen Freiheit geworden iſt; ſo wie der Zweck, zu 
welchem der Zwang ausgeuͤbt wird, durchaus nur 
dahin gehet, daß dieſes Hinderniß entfernt werde. 
Soll daher die Strafe als ein rechtliches Zwangs⸗ 
mittel erfcheinen; fo muß fie dadurch rechtlich begruͤn⸗ 
det feyn, daß der, gegen welchen: fie ſtatt finden poll, 
ein Hinderniß ber allgemeinen Freiheit geworden it; 
fie muß den Strafbaren treffen, weil er fie Dadurch 
verfchulder hat, daß er, unter diefen Umftänben, nicht 
zu einer Gefellfchaft freier Wefen paßt; fie muß aber 
auch zugleich nur Den Zweck haben, daß jenes Hinder- 
niß der Freiheit aufgehoben, und der vollfommene 
Rechtszuſtand wieder hergeftelle werde. Die Strafe 
nun, die weder blos Nothwehr, noch Entfehädigung 
feyn darf, fann, wenn fie nicht aus der Reihe der 
rechtlichen Zwangsmittel ausgeftrichen werben foll, nur 
unter dem Zwange zur Prävention begriffen 
feyn, und Prävention als ihren rechtlichen 
Zweck erkennen. Hierdurch wird keinesweges be⸗ 
hauptet, daß jedes Praͤventionsmittel den Namen 
Strafe verdiene, ſondern nur, daß jede Strafe, 
infofern fie alß ein rechrliches Zwangsmittel betrachtet 
werden foll, eine Art der Prävention ſeyn muͤſſe. Soll 
‚aber ein Präventionsmittel den Namen Strafe ver- 
dienen; fo muß 1) die recheliche Strafe ein finnliches 
Uebel ſeyn, welches dem Menfchen darum zugefügt 

18* 


x 


— 


d 


276 ‚Staats: und Staatenrecht. 


wird, weil er Daffelbe rechtlich verdient 


hat; und fo fann.fie 2) feinen andern Zweck haben, 


als fünftige angedrohteRechtsverlegungeg 
zu verhbüten. Denn das Beſtehen bes rechtlichen 
Zuftandes unter den Menfchen erfordert ein ſtetes Be⸗ 
ſtimmtſeyn ihres Willens für das Nechtsgefeg, ohne 
Doch dabei die innere Triebfeder dieſes Wil— 
lens zu beruͤckſichtigen. Da alſo der rechtliche 
Zuſtand nicht blos durch wirkliche Rechtsverletzungen 
aufgehoben wird, ſondern auch zwiſchen denen nicht 
beſteht, welche, ohne im gegenwaͤrtigen Augenblicke 
einander zu verletzen, doch nicht geſtimmt ſind, jeder 
Rechtsverletzung in Zukunft ſich zu enthalten; fo kann 


der rechtliche Zwang keinesweges auf Wiederherſtellung 


der Integritaͤt der verlegten Rechte und auf Schaden⸗ 


- erfaß beſchraͤnkt ſeyn, ſondern es muß auch in An⸗ 


ſehung deſſen, welcher durch das Verbrechen einen 


Maͤngel der noͤthigen Willensbeſtimmung bewieſen 


bat und alſo gefahrdrohend für die Zukunft erſcheint, 
durch ein die ſinnliche Luſt zum Verbrechen uͤber⸗ 
wiegendes Strafuͤbel die Gefahr fuͤr die Zukunft 
aufgehoben, es muß pravenirt. werdee. 
Der rechtliche Zweck der Strafe muß mithin 


auf die Zukunft berechnet ſeyn, und in der Ent- 


fernung eines bevorftehenden Schadens beſtehen. 
Ihr Rehtsgrundeift Die gefchehene Drohung einge 
Rechtsverlegung, und Die dadurch begründete Gefahr; 
fie erifft demnach) den Strafbaren, weil er Gefahr 


droht; fie trifft ihn zu dem Ende, Damit er nicht 
- ferner Gefahr dro 


e. Diefer Zweck fann aber erreiche 
werden entweder duch Unmöglihmahung ber 
Ausführung der Drohung, oder aud) in vielen Fllen 
durch Abſchreckung. Rechtliche Strafe ift alfo 
ein finnliches Uebel, welches Dem, eine Gefahr drohen⸗ 


4 














\ 


Staats: und Staatenrecht— 277 


den, Subjecte zur Entfernung einer gedrohten Gefahr 
entweder durch Abſchreckung deſſelben, oder durch 
Unmoͤglichmachung der Drohung zugefuͤgt wird. — 


.. Nach diefer Theorie fordert daher das Rechtsgeſetz, 


‚als ein ewiges und practifches Gefeg für den Willen, 
durchaus eine rechtliche Willensbeftimmung des Ins 
dividuums, und nur der- Mangel diefer rechtlichen 
MWillensbeftimmung berechtigt zu dem Präventiond« _ 
zwange, deflen Grund in der Gegenwart, deſſen 
Zweck in der Zufunft leg. Ä | 
Der Begründer diefer Theorie ift v. Grols 
mann in f, $.44. aufgeführten Werfen. In 
feiberer De lehrte Stübel (in f. 1795 erfhie: 
nenen Syfteme ꝛc.) im Ganzen baffelbe. Unter 
: den übrigen Strafrechtstehrern befennt fih Tit t⸗ 
mann zu dieſer Theorie, hauptſaͤchlich in ſ. 
Grundlinien der Strafrechtswiſſen— 
ſchaft, mit wenigen Abweichungen. In einzelnen 
Theilen der Darſtellung iſt er noch deutlicher, als 
Grolmann. Eine Stelle, welche Tittmanns 
Anſicht dieſer Theorie beſonders bezeichnet, gehoͤrt 
hieher: „Strafe heißt dasjenige ſinnliche Uebel, 
welches dem Urheber einer Störung des Freiheits-⸗ 
gebiets,, nach Worfchrift des Nechtsgefeges, zuge: 
füge wird, Die Strafe ift niht Zweck an ſich, 
ſondern nur Mittel zu einem Zwecke; denn 
‚Strafe zuzufügen, ift dem Menfchen blos zu 
feiner Sicherheit erlaubt. Er darf alfo nicht 
ſtrafen, weil es gerecht ift (2), daß jeber leide, 
was feine Thaten werth find, ſondern nur, damit 
er ſich ſichere gegen zufünftige Handlungen 
derſelben Arc. Der Zweck ber Strafe ift daher, 
ihre Zufügung unnöthig zu machen, zu bewirken, 
- daß die Fälle ihrer Anwendung gar nicht eintreten, 


278 7 Staats» und Staatenrecht. 


oder, was einerleiift, Sicherheit bes Sreiheitsgebie« 
tes gegen fremde Eingriffe ſich zu verfchaffen. Dies 
fann aber gefchehen, indem der Drohende entweber 
von der Ausführung ber Drohung abgefhredt, - 
oder dazu außer Stand gefegt wird.’ 


M 55. 
Prüfung derfelben, 


Es gehört zu den Vorzügen der Präventions« 
theorie , daß fie auf das Nechesgefeg, als ein in 
ber Vernunft enthaltenes ewiges und practifches Ge⸗ 
ſetz, ſich gruͤndet, ob fie gleich Die innere Trieb- 
feder der freien Handlung nicht beruͤckſichtigt; daß fie 
die Strafe blos als Mittel zum Rechtszwecke aus 
ſpricht, zwifhen Verbrechen und Vergehen genau. 
unterfcheidee, und überhaupt durd) eine große Milde, 
ſowohl in den Grundfägen, als in deren Anwendung, 
ſich anfündige. u 

| Allein im Geifte diefer Theorie wird die begangene 

' Rechtsverlegung gar nicht beftraft, fobald der Ver- 
brecher niche für die Zukunft mit erneuerter Rechts⸗ 
‚verleßung droht; es würden alfo, nad} derfelben, viele 
Rechtsverlegungen ungeftraft bleiben; dagegen wuͤr⸗ 
den manche Individuen geftraft, und hart geftraft 
werden miffen, wenn man aus ihren begangenen 
Handlungen entweder einen gegründeten, oder auch 
einen zu übereilten Schluß für- ihe Betragen in der 
Zukunft machte. Auch bleibe es für den Nichter in 
den meiften Ballen unmöglich, das Wefen des Ver: 
brechers fo tief zu erforfchen, um — ohne doch die 
innere Triebfeder der Handlung zu berüdjichtigen — 
über den Mangel feiner rechtlichen Willensbeftimmung 
zu entſcheiden, obgleich eben nur dieſer Mangel zu 


* 


Staats. und Staatenrecht. 279 


dem m Peäventlonszwange berechtigen foll, — . Außen. 
dem iſt es eine Forderung der Vernunft, die an fich 
nicht zurücfgewiefen werben faun, daß in einem, 
Staate, wo das Recht zur Herrfchaft gelangen foll, 
keine erfannte Rechtsverletzung ungeftraft bleiben 
darf , felbft wenn der Verbrecher feine neue Rechts⸗ 
verlegung befürchten läßt; daß ferner die aus einer 
begangenen Rechtsverlegung durch Schlüffe auszue 


mittelnde Gefahr Fünftiger Rechtsverlegungen an 


ſich feinen rechtlichen Grund zu einer Strafe 
geben kann, weil die Strafe nur aufdievollbradte - 
That fich beziehen darf; und daß die Erforfehung des 
Mangels einer rechtlichen Willensbeftimmung,, wel» 
cher allein zum Präventionszwange berechtigen ſoll, 
bei vielen taufend ſittlich⸗ unmuͤndigen im Staate ſehr 
fhwierig und unficher bleibt, wenn ‚nicht, eben bei 
der Charafterlofigfeit der großen Menge, ber Präven- 
tionszwang fehr häufig eintreten fol. — Ueberhaupt 
darf in einem rechtlich geſtalteten Staate nie der 
Zukunft megen, fondern wegen der in der Ver⸗ 
gangenheit vollbrachten That, und zwar nad) der. dabei 
erkennbaren Verfhuldung bes Werbrechers geftraft 
werben. —. Endlich kann nicht verfannt werden, 
daß, durch die Aufnahme der Abſchreckung in die 
Alternative.der Beftrafung, die Praventionstheerie 
theilweiſe in der Ausführung, wenn gleich nicht 
nad) ihrer Begründung, der Abſchreckungstheorie ſich 
bedeutend nähert, und uͤberhaupt für die folgerich⸗ 
tige Anwendung bie allerfchwierigfte feyn dürfte. 
Allgemeines Ergebniß, 


Außer diefen vier Haupttheorieen fönnten noch 
einige eigeuthümliche Anfichten Nhaeffinniger Männer. 


— 


280 Staats- und Staatenrecht. 


felbftftändig aufgeführt werden, die aber im Ganzen, 
‚ mehr oder weniger, mit einer der bargeftellten zuſam⸗ 
mentreffen. ' ©o- leitete Hufeland den Grund bes 
Steafrehts aus dem allgemeinen Bürgerver-- 
frage, Fichte aus einem befondern Abbuͤßungs⸗ 
vertrage ab, durch welchen Alle Allen verfprechen, 
fie um ihrer Vergehen willen nicht vom Staate auszus 
fohließen , fondern ihnen zu verftatten, diefe Strafe- 
auf andere Weife abzubüßen. — So ftellte Thibaut 
(in fe Kritif der Feuerbachiſchen Theorie): 
die Strafe als eine bloße Maasregel der North bar, 
indem er darauf verzichtet, das Strafrecht auf einer 
rechtlichen Grundlage aufzuführen. — So entmwicdelte 
Schulze (in ſ. Leitfaden ıc.) aus dem Sittenge⸗ 
fege die allgemieine Verpflichtung der Menſchen, im 
Staate zu leben; und dus: dem Rechte des Staates, 
zu eriftiren, die Befugniß, gegen widerrechtliche An⸗ 
griffe einzelner Menfchen hund andrer Staaten ale: 


moraliſche Perfon ſich zu fhügen und ’zu- erhalten, 


weil jeder rechtlich beftehenden Perfon das-Selbits; 
erbaltungsrecht zufommt. Da nun die Ver— 
leßung von Zmangspflichten, welche man Verbrechen 
nennt, nicht nur eine Kraͤnkung irgend eines Berech⸗ 
tigten enthält, fondern auch außerdem noch eine Ge⸗ 
fahr für das Fortbeftehen des Staates veranlaßt, in 
welchem das Verbrechen verübt wird; fo muß dem 
gefährdeten Staats, als einer moralifchen Perfon,' 
das Recht zuftehen, dem Verbrecher Uebel zuzüfligen, 
. welche von der Entſchaͤdigung des durch das Verbre- 
chen Verlegten verfchieden find, und den Zweck haben, 
die Gefahr für die moralifhe Perfon des 
Staates äbzumenden. — Dieſe Lehre, welcher 
Martin (in feinem Lehrbuche ꝛc. ©. 25 ff.) ſich 
anfchließe, fo wie auh Henke (in ſ. Lehrbuche 
‘ 














° 


Staats : und Staatenrecht. 281 


ber Strafrehsswiffenfhaft S. 19) °) fi 

gegen bie völlige Ausſchließung der Freiheit aus dem 
Strafrechte erflärt, führe nothwendig zu einer fu be J 
jec tiv-⸗obje etiv en Strafrechtstheorie. Denn bei’ 

einer Strafrechtstheorie, die befriedigen ſoll, reicht 
weber bios die Rüdfiht auf die Sittlichkeit und 
dieinnere Triebfeder bes Verbrechers aus, 
(weil die That ſelbſt in dem aͤußern freien Bi 


*) Schr wahr fagt Henke: „Die früher von den Ans ” 
hängerm der kritiſchen Philofophie verſuchte Trens 
nung Des Rechts von der Moral ward dur‘. 
Fichte vollender. Die Strafrehtswiffenfchaft follte- 
nun nah den Örundfägen des in Frankreich herr⸗ 
fhenden geifts und feelenlofen Materinlismus (nar 
mentlih im Systeme de la nature, T. ı, p. 225)° 

umgeftaltet werden. — Da das für fi felbft bes: 
f ſtehende Rechtsgefeg nicht den Willen und die Ges. 
ſinnung in Anſpruch nimmt, fondern nur die äußern 
Handlungen beruͤckſichtigt; ſo kann der Zweck der 
Strafe kein anderer ſeyn, als Furchterweckung und 
Abſchreckung von Rechtsverletzungen. Weil aber die 
Erreichung dieſes Zweckes bei freien: Wefen, die 
ſich ja gegen die Drohung verfhließen können, und 
feibft den Schmerz der zugefügten Strafe zu übers 
winden vermögen, durhaus nicht zu verbürgen iſt; 
: fo wird der MWenfh von-allem enttleidet, 
wasihn über Bas Thier erhebt; es wind 
die Freiheit ausdem Triminalrehtevers . 
bannt, weil Freiheit, als etwas Inneres, Moras 
liſches, Metaphyſiſches für die von der Moral 
getrennte Nehtsiehre ohne alle Bedeu 
tung If. — Durd den Berfuh, die Freiheit 
‚aus dem Criminalrechte zu verbannen, (der freilich 
nie gelingen fann, weil mit - der Freiheit die 
Möglichkeit der Zurehnung und der Veftrafung aufs 
gehoben wird,) hat in Ziutſchland vorzuͤglich Fener⸗ 
baq Epoche gemacht.“ 


\ 


32. Staats» und Staatenredht. 


kungskreiſe -gefchiehe,) noch die bloße Ruͤckſicht auf 
die That, weil der Verbrecher fein Thier ift, das 
. dem Inftincte folge, fondern nach innern Trieb« 
federn handele. Hält man ſich lediglid an die 
erſte Nücdfihe und behält blos. das Subject 
bes Verbrechers im Auge; fo wird im Strafe 
rechte entweder eine ibealifche Nachbildung ber” fitt- 
lichen Weltordnung verſucht, welche in der Wirklich 
keit nie völlig zu erreichen möglich iſt, ober die beab⸗ 
ſichtigte Beſſerung des verbrecheriſchen Subjects ver⸗ 
ruͤckt den vernunftgemaͤßen Charakter der Strafe und 
fuͤhrt zuletzt zur Strafloſigkeit. Hält man ſich aber 
— ausſchließend an die zweite Ruͤckſicht und behaͤlt 
blos das Object, die verbrecheriſche That, im 
Auge; fo fehle die eigentlihe Zurehnung, d. h. 
das Verhältniß der innern Gefinnung zur Handlung, 
und der Rechtsgrund der Strafe, die Straf⸗ 
‚ würbdigfeit bes Verbrechers wird in eine bloße 
äußere Strafbarkeit, in die Unterordnung der 
That unter ein vorhandenes Strafgeſetz, verwandelt. 
Eine befriedigende Strafrechtstheorie muß daher b eide 

Rü kſichten verbinde n. 


57. 
b) Lehre von der rechtlichen Anwendung j 
des Zwanges.und der Strafe im Staate. 
(Die fubjectiv-objective Strafrechtstheorie.) 


| Jede Rechtsverletzung, als eine in dem aͤußern 
freien Wirkungskreiſe erſcheinende That, ſetzt in den 
Thaͤter ein Uebergewicht des fnalihen Bes 
ftrebungsvermögens über das vernünftige vor⸗ 
aus, weil aus dem vernünftigen Beftrebungsver- 
mögen, weiches unter der fittlichen Gefeggebung der 

















—8 


— 


Staats und Staatenrecht. 283 


Vernunft ſteht, Feine pflicht und rechtswidrige Hand⸗ 
lung hervorgehen fann. Da aber in dem Menfchen. 
die finnliche Natur mit der vernünftigen aufs innigfte.. 
verbunden ift, und er, nad) feiner Freiheit, den: 
Endzweck der Sitelichfeie, welher gemeinfhaft- 
Lich den Kreis der Pflichten und der Rechte umfchließt, 
nicht nur vermwirflichen foll, fondern auch vermirf- 
lichen fann; da ferner der Staat, als eine vertragss 
mäßig begründete Gefeltfchaft finnlich » vernünftiger 
Weſen für die Aufrechthaltung des Gleihgewichts in 
ihrem äußern freien Wirfungsfreife, Die einzige recht« 
liche Bedingung ift, durch welche der von der Ver—⸗ 
nunft unnachläßlich gebotene Endzwed der Menfchheit 
in der MWechfelwirfung aller zu einem Ganzen ver- 
einigten finnlich » vernünftigen Wefen erreicht werden. 
kann; fo folgt, daß jede Rechtsverletzung nicht blos 


eine Störung ber bürgerlichen, fondern zugleih 


eine Störung der fittlihen Drdnung iſt; 


denn ber Staatsbürger hört in feinem Verhaͤltniſſe 


des Sebens auf, Menfch zu feyn, und unter der ſitt⸗ 
lichen Gefeggebung ber Vernunft zu ftehen. 

Eine Strafe fann daher, nad) Vernunftges 
fegen, nur dann rechtlich ſeyn, wenn fie die noth⸗ 
wendige Folge einer Handlung iſt, welhe aus der 
Freiheit des Handelnden hervorging, und alfo dem 
felben zugerechnet werden fann. Denn obgleich 
die innere Triebfeder des Handelnden , welche-ihn zur 
widerreihtlichen That beftimmte, nicht in jedem ein» 
zelnen Falle mit völliger Sicherheit zu beftimmen, 
und bisweilen gar nicht nad) ihren legten fubjectinen 
Gründen zu erforfchen ift; fo wird doch bei jeder von 
Menfchen vollbrachten und in ihrem äußern Wir: 
fungsfreife erfcheinenden Handlung die innere Freis 
heit des Willens vorausgefegt, weil nur bei Annahme 


—4 


N 


‘ 


284 Staats» und Staatenrecht. 


der innern Freiheit (d. h. des Vermoͤgens, etwas 
thun zu fonnen bei der Möglichkeit des Gegentheils,) 


die Zurehuung ber Handlung, mithin auch die 


Beftrafung berfelben möglich ift. — Eine Straf: 
rechtstheorie, welche der Ruͤckſicht auf / die innere Frei- 
beit des Menfchen fich. völlig begibt, ift daher nicht 
auf den Menſchen nach den doppelten Anlagen feiner 
Natur, fondern blos auf den Menfchen, als lebendes 
hier berechnet, auf weldhes man nur durch An- 
drohung und Vollziehung finnlicher Uebel wirfen will, 


‚ohne dabei der in ihm enthaltenen vernünftigen Mas 


tur zu gedenken. Ä 
Sehr wahr fagt Schulze (in ſ. Leitfaden ıc. 
'©. 364.) „Bei den meiften Verbrechern, welche 
der Eriminaljuftiz in die Hände fallen, war dag 
Verbrechen, wegen welches fie von diefer beftraft 
werden, ein unvermeidlicher Erfolg desjenigen Ge- 
müthszuftandes, in welchem es befchloffen und 
ausgeführt ward. Gleichwohl wicd ihnen das Ver- 
drehen mie Recht zugerechnet, weil es 
eirie Folge der Unterlaffung deffen ift, 
was früher von denfelben hätte gerhban 
werden follen, damit .jener Gemuͤths— 
zuftand nichf eingetreten mare; und wie 
viele Mifferhaten würden unterblieben feyn, wenn, 
bei dem erften Gedanfen daran, die Schaͤndlich⸗ 
keit derfelben erwogen, und ber ſich Dagegen noch 
regende Abfchen belebt und verftärft worden wäre, 


Dies war aber vermöge der Herrfchaft, welche der 


in feinem Innern nicht zerrüttete Menſch über fein 
Denken, ober über die Aufmerffamfeit und beren 
Richtung auf einen Begenftand auszuüben vermag, 
‘eben fo gut moͤglich, als wie das Vorftellen der 
angenehmen Folgen, die eine Uebelthat verfpricht.”’ 


+ 





Staats» und Staatenrecht. 285 


58. > 
Strafwärbigteie und Strafsarteit der 
That. 


Die Zurehnung der vollbrachten That — 
ſowohl im Bewußtſeyn des Verbrechers ſelbſt, ais 
durch den Ausſpruch des Richters, — ſetzt aber, 
neben der dem Verbrecher einwohnenden ſittlichen 
Vernunft, bie ſich im Gefühle als Gewiſ ſen 
anfündige, in der bürgerlichen Gefellfchaft ein 
vorhandenes Geſetz voraus, durch welches die 
vollbrachte That als Kechtsverlegung ausge⸗ 
ſprochen wird, Denn obgleich die ſittliche Straf: 
würdigfeit einer rechtswidrigen Handlung zunächft 
von der innern Triebfeder abhängt, welche die Rechts» 
verlegu ng Per, und von der. Verlegung des 
ewigen Vernunftgeſetzes der Gerechtigkeit durch die 
Handlung, felbft wenn biefe in der bürgerlichen Ge⸗ 
ſellſchaft nicht als Rechtsverletzung in einem beſtimm⸗ 
ten Geſetze ausgeſprochen und mit der dadurch ver 
wirkten Strafe belegt waͤre; ſo erhaͤlt doch die Rechts⸗ 
verletzung ihren aͤußern Charatter ber Strafbar⸗ 
keit in der buͤrgerlichen Geſellſchaft nur durch das 
Strafgeſetz, welches den Begriff der ſtrafbaren Hand⸗ 
‚bang ſogleich mit der dadurch, verwirkten Strafe ver- 
bindet... Daraus folgt, daß die fubjective Straf: 
wuͤrdigkait das erfte, die bürgerlihe Straf: 
barfeic aber, als abhängige Folge von der Straf- 
. würdigfeit, das zweite ift. Es folge wieder, daß 
alle Handlungen, wo die Zurechnung, d. h. die Zu⸗ 
ruͤckfuͤhrung auf Die innere Freiheit -des Handelnden 
-wegfälle, von den eigentlichen Werbrechen, und vonden 
"Strafen ‚ welche auf Verbrechen gefegt find, ausge 
fchloffen werden muͤſſen. Es folge endlich, daß, bei 


t 


Iss Stoaats- und Staatenrecht. 


der Zurechnung der Verbrechen, der Grad der innern 
: Strafwuͤrdigkeit, und alſo auch ber. :bürgerlichen 
Strafbarkeit, zunaͤchſt davon abhängt, ob die Rechts⸗ 
nerlegung abſichtlich, mit deutlichem Bewußtſeyn 
AIhrer Rechtswidrigkeit und Strafwuͤrdigkeit, und mit 
"der Kenntniß des buͤrgerlichen Strafgeſetzes, oder ob 
ſie, zwar durch die Schuld und Fahrlaͤſſigkeit, 
"aber ohne die Abſicht des Handelnden erfolge. In 
‚dem erften Falle heißt fie: dolus *), in dem zweiten: 
"culpa. Von der Eulpa muß aber die blos zufällige 
Verletzung der Rechte eines Andern unterfchieden 
werden, weil die Culpa durchaus die Fahrläffigkeit, 
wenigftens die Unbefonnenbeit des Handelnden bei 
Rechtsverletzungen, fo wie die von ihm zu erwartende 
Bekanntſchaft mit dem Strafgefege **) einfchließe, 
welches die von ihm vollbrachte Nechtsverlegung be- 
zeichnet. — Durch die Zurükführung der rechts» 
widrigen Handlung auf die innere Freiheit ver- 
mittelſt der Zurechnung, wird alfo die Strafmwür- 
digfeit nah Vernunftgefegen — (dern. 
Wuͤrdigkeit und Unmwürdigfeit bezeichnet jedesmal ein 
ſittliches Verhältniß,) — durd) die Lntetordmung 





:#) Gönner, Revifion des Begriffs .und der Eintheis 

lungen des Dolus. Landsh. 18310. 838. u 

#4, Sehe wahr bemerkt Henke im Lehrbudhe,&.60. 

in Betreff der vermeidlichen Unwiffenheit 

(ignorantia vincibilis) entweder des Strafgefehes, 

oder der Folgen, die aus einer gewiffen Handlung 

oder Unterlaſſung nach Maturgefegen gewoͤhnlich hers 

vorgehen, daß die Vermeidlichkeit oder Unvermeid⸗ 

lichkeit der Unwiſſenheit nicht in abstzacto, fondenn 

in jedem einzelnen Falle nur nad, der. Verfchiedens 

beit der Verhättniffe und nah den individuellen 
"Kräften des Subjects beſtimmt werden Tann. 








Staats· und Stihl. E87 


der rechtswidrigen Handlung aber, als eine Außere 
Erfcheinung; unter das im Staate:brftehenyr Straf: 
gefeß, ihre bürgerlihe Strafbarfeit ent 
fchieden. Deshalb ift die Ausmittelung des Ab fiche 
lichen, oder bes Fahrlaͤſſigen, oder des Jun. 
fälligen bei der Ausübung der firafbaren Hänblinig | 
das erfte und wichtigfte Gefchäft, bevor. die Unterord- 
nung derfelben unter ein beſtehendes Strafgeſetz er⸗ 
folgen fann, worauf, bei den abſichtlichen flrafbg- 
ren Handlungen das Maas und die Größe der Schuld 
nad) dem erfennbaren Grade ber individuellen Bil 
dung, und nach dem Grabe ber fittlihen Verdorben⸗ 
heit und Bösartigfeit, fo wie nad) den äußern Ver⸗ 
haltniffen des Reizes und ber Veranlaffung auf das 
finnliche Beftrebungsvermögen des Handelndeh, und 
fodann,, nad) diefer rechtlichen Ausmittelung der Groͤfie 
der Schuld, das Maas und der Umfang der Strafe, 
d, h. die Anwendung des vorhandenen bürgerlichen " 
Strafgefeges auf den vorhandenen einzelnen Gall, 
beftimme wird. | a 
Da übrigens an einer der Zurechnung "fähigen 
Ihat Mehrere Antheil Haben Fünnen; fo müffen bie. 
Gehülfen und Theilnehmer des Verbrechens ge». 
nau von dem Urheber (dem urfahlihen Grun- 
be, daß ein Verbrechen begangen ward ,) unterfchie- 
den werden. Zwar ift auch ihre Theilnahme der Zu⸗ 
rehnung fähig; allein ihre Strafwuͤrdigkeit 
und Strafbarfeit muß darnach beftimmt werden, 
baß die Theilnehmer gewöhnlich weniger gefährliche 
Menſchen find, als der irheber, daß fie alſo ohne feine 
Aufregung fehwerlich zur Thellnahme ſich entſchlofſen 
haben würden, und daß daher auch bei ihren ein ges 
singerer Grad ber Verſchulbung angetroffen’ wird. 
>» Bergl. Henke's Lehrbuch S. 44-50," 


ds 


2 — Etcan. und Staatensechl, . 


oo 49. urn 
Bann die Zurechnung pegfaiut 
Nach der Ableitung der Strafwuͤrdigkeit einer 


‚Sa ndiung aus der Verlegung des ewigen Vernunft 
gefeßes der · Gebechtigkeit durch diefelbe, und der Ver: 


..egung: des, aus diefem Bernunftgefege. ftammenden,, 


— Zoeces des Staates, duͤrfen daher in der 

Strafgeſetzgebung des Staates. nur Diejenigen Hand⸗ 
‚lungen. ‚als -Rechtsverlegungen aufgeführt und als 
firafbar ausgefprochen werden , welche der Zurechnung 
— der. Zurüudführung auf die innere Freiheit des’ 
Handelnden — fähig find. Es mirffen. daher alle 


Handlungen, wo dieſe Zurehnung wegfällt, 


‚von den eigentlichen Verbrechen, und von ben Strafen, 
welche auf Verbrechen gefeßt find, ausgefchloflen wer» 
‚ben. .Dabin gehören diejenigen Handlungen, welche 
"begangen: werden: 1) von Minderjährige n, fo 
‚lange als die Vernunft und das Gewiflen bei. ihnen 
noch nicht zum deutlichen Bewußtſeyn von Recht und 

Unrecht gelangt if (obgleich ‚es mit großen Schwie- 
rigfeiten verbunden bleibt, ein gemwifles -Sebensalter 
fuͤr die beginnende Zurechnungsfähigfeic feſtzuſetzen); 
2) von Taub- und Stummgebohrnen, welche 
keinen Unterricht erhalten haben (wiewohl über ſolche 
Individuen mit großer Vorſicht geurtheilt werden 
muß); 3) von kin diſchgewordenen Greiſen, 
von Bloͤdſinnigen, Wahnfinnigen und Ra—⸗ 
ſenden, von Nachtwandlern und von völlig 


‚Betäubten und Besrunfenen,.fobald die leg- 


tern es. ohne ihre Schuld find; 4) von ſolchen, 
welche durch entſchiedene Gewalt zu einer 
ſtrafharen Handlung gezwungen wurden ; "und 5) von 
ſolchen, die ſich im hoͤch ſten Grade einer entfhul- | 





‘ 


N N 


Staats⸗ und Staatenrecht. I 289 


Digungs- und rechtfertigungsfähigen Lei— 
denfchaft befinden. _ Der legte Fall kann zwar nie 
ganz von der Zurechnuug entbinden, weil der Menfch 
durch feine Freiheit die Affecten und Seidenfchaften be- 


fiegen full; es entfpringt aber aus einem gerechten. 


Affecte (3.8. bei offener ehrenrührigen Befchuldigung, 
beim Antreffen des Gatten im Ehebruche u. f. w.) ein 


Milderungsgrund'der Strafmürdigfeie und alfo 


auch der Strafbarkeit der Handlungs 
60. 


im Staate 


#) Die Sehre von den Kechtsverlegungen 


Eintheilung der frafbaren Handlungen in 
Verbrechen und Vergehen, Ä 


Wenn bei der Eintheilung der ftrafbaren Hand. _ 


lungen in fubjectiver Hinficht zunächft unterfchies 
den werden muß, ob fie abfichtlich oder zufällig be= 
gangen werben; fo muß bei der Eintheilung derfelben 
in objectiner Hinſicht, d. h. nad) ihrer Anfündi- 
gung im Außern freien Wirfungsfreife, von dem, 
das ganze Gebiete. des Staatsrechts beftimmenden, 


— 


Grundſaͤtze der Zwangspflichten (oflicia per- 


fecta) ausgegangen werden, weil nur dieſen Rechte 
entfprechen. Denn. blos das kann, im Gegenfage der 


Vergehen (delictum), in der Nechtsgefellfchaft als 


Verbrechen (crimen) erfcheinen, und als folches 


im Strafgefege ausgeprägt werden, was ein ans ' 


erfanntes Zwangsrecht verlegt, dies fey run _ 


entweder das öffentliche Hecht. des Staates felbft, 
oder die urfprünglichen und. erworbenen Rechte der 


‚ einzelnen Staasbürger. Dagegen nennen wir alle 


I. 19 


- 
— 


"U Staats - und Staatenreit. 


diejenigen, Handlungen Vergehen, welche, , nad) 
einer innern fehlerhaften oder unſittlichen Triebfeder ‚ 


gegen die Ordnung, Shidlichfeit, Site 


lichkeit und Wohlfahrt im Staate verfloßen, 


fobald durd, fie feine wirklichen Rechte 


verlegt werden. Die Vergehen ftehen daher, aus 
diefem in der Bernunftgefeggebung über Die Zwangs⸗ 


‚rechte enthaltenen Grunde, nicht unter ver Straf- 


gefesgebung, fondern unter. der Polizei« 
gefesgebung, meil nur Rechtsverlegungen , nicht 
aber Verftöße gegen Ordnung, Schielichfeit, Sitt- 
lichfeit und Wohlfahrt, in dag Strafrecht und in 
das Strafgefegbud Des Staates gehören *). 

‚Die Verbrechen nennt man Staatsverbre- 
hen, wenn fie das öffentliche Recht die Verfaflung, 
Regierung und Verwaltung im Staate verlegen, 
und bürgerliche (oder Privat-) Verbrechen, 
wenn fie die urfprünglichen oder erworbenen Rechte der 
einzelnen Staatsbürger beeinträchtigen. Das Eigen: 
thümliche der ftrafbaren Handlungen aber; oder der 
Inbegriff aller derjenigen Umftände, welche zu dem 


Begriffe derfelben gehören, heißt ber ⁊ ha tb eſtand 


“(corpus delicti). 


Chſtph. Karl Stuͤbel, über den chatbeſtand der 
Verbrechen. Wittenb. 1805. 8. - 


*) Es gehoͤrt beſonders Tittmann und Grolmann, 
den Lehrern der Praͤventionstheorie, das Verdienſt, 
‚Daß fie zwiſchen Verbrechen und Vergehen genau 
unterfhieden,, und was die Rigoriften des Strafs 
rechts ohne zureichenden Vernunftgrund in den Bes 
reich deffelben zogen, von demfelben trennten. Alle, . 
welhe im Staatsrechte Moral und Nechrsiehre nicht 
auf ewig von einander trennen, und zwifchen offi- 
ciis perfectis und imperfectis. genau unterfheiden, 
möffen ihnen darin folgen, 











/ 


e 
. 


Staats: und Staatenreche, 394 


61. 
Die Vergeben. 


Obgleich die Vergehen an fich, nach dem auf 
geftellten Unterfchiebe derfelben von den Verbrechen, 
nicht in den Umfang des Strafrechts gehören; 10 ift 
es doch noͤthig, Die Gattungen derfelben anzuführen, 
theils um fie flreng von den Verbrechen zu unter» ' 
fcheiden, theils weil fie fogleich den Charafter der 
Verbrechen annehmen, fobald wirflihe Rechte 
durch fie bedroht oder verlegt werden. 


Zu den Vergehen , welche zunächft unter der Po- 
lizeigeſetzgebung ftehen ‚, gehören: 

a) Handlungen, durch welche die Ord nung 
und Ruhe im Staate geftört wird, ob fie gleich nicht 
‚in der Abfiche begangen werden, Die Berfaflung zu 
erfchüttern,, oder gegen bie Obrigkeit fih aufzulehnen 
(DB ein Auflauf, Tumult, Lärm, Störung 
öffentlicher Feierlichkeiten u. ſ. w.); , 
. b) Handlungen ‚ durch welche der Haus- 
friede gebrochen wird (Zanfereien, Schlägereien 
innerhalb der Wohnungen ıc.); | 

c) Handlungen, durch welche dem Staate 
bieftfähige Bürger entzogen werden (5.8. 
der Selbftmord; die Selbftverftiimmelung, um fich. 
3. B. dem Soldatendienfte zu entziehen; Die Auswan⸗ 
derung ohne gehörige Anzeige an die Behörden); 

Ä d) Handlungen, durdy welche die phyſiſche 

Wohlfahrt der Staatsbürger gehindert wird (3.8. 

der Bör- und Aufkauf; die Hazardfpiele ıc.); 

Ä e) Handlungen, durch welche die Sittlich— 

- feit und die Sitten ber Staatsbürger gefährdet 

werden (3. DB. alle zwecfwibrige Beftiedigungen des 
19" 


gs 


/ 2‘ 


292° , Staats- und Staatenrecht. 


Befkttnichs, Schwängerung, Hurerei, Eon. 
eubinat, Vielweiberei, Kuppeleiu.f.w. — Moth-. 
zucht ift "aber ein Verbre hen, und fein Vergehen, 
weil ein vernünftiges Wefen, wider Deffen Wil- 
fen, gezwungen, mithin deffen vollfommenes Recht 
verlegt wird;) 

f) Handlungen, durch welche öffentliche 
Anſtabten im Staate verlegt werden (z. B. Be⸗ 
ſchaͤdigungen der Meilenſaͤulen und Alleen, Abreißen 
öffentlicher Anſchlaͤge, Beleidigung der. Schilbwach 
een 2); 
8) Handlungen, durch welche den im Staate 
beftehenden Kirchen die gebührende äußere Achtung 
“entzogen wird (z. B. Gotteslaͤſterung, na ech 

des Ritus einzelner Kirchen, Sectenftiftung u. f. w.) 
L 


| 62. 
Die Verbreden. 


Die Verbrechen find freie Handlungen, wodurch 

j Zwangsrechte im Staate verletzt werden. Sie ſind 
entweder offentliche und alſo Staatsverbre- 
‚hen, oder Privatverbrechen ($. 60.). 

a) Staatsverbreden find Handlungen, 
durch welche abſichtlich und unmittelbar die Rechte des 
. Staates, als einer moraliſchen Perſon, bedroht oder 

. verlegt werden, und zwar fü, daß entrweder das politie 


ſche Dafeyn des Staates, feine Selbftftändigfeit, Un- 


abhängigfeit und eigenthumliche Verfaffung dadurch) 
bedroht und vernichtet, ober die Verwirflihung bes 
Staatszweckes in den öffentlichen Anftalten und Ein- 
richtungen der bürgerlichen Geſellſchaft gehindert und 
erſchuͤttert wird. 


— 








Staats⸗ und Staatenrecht. 293 


Das Verbrechen, wodurch das Dafeymder 
Staates, feine Seibfiftändigfeit, Unabhängigfeit 
und: Verfaſſung bedroht oder vernichtet wird, heißt 
Hochverrath (perduellio). Der Hochverrarh 
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn, 
das Dafeyn und die rechtliche Verfaffung des Staa- 
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden 
fol. Er heißt Revolution, fobald die Abfiche 
der Hanbelnden bie rechtswidrige Vernichfung der 
beftehenden Verfaſſung und der -Grundgefege des. 
Staates betrifft. . Er heißt Landesverrath, for 
bald die Handelnden unter Mitwirkung eines aus⸗ 
waͤrtigen feindlichen Staates das Daſeyn und die 
Verfaſſung des vaterlaͤndiſchen Staates erſchuͤttern; 
oder vernichten wollen. Er heißt Majeftäatsver- 
brechen”) (crimen laesae majestatis), fobald Die 
Abſicht der Handelnden gegen Die gebeiligee. Perſon 
des Regenten gerichtet iſt. 

Zu den Verbrechen, wodurch die Verwirk. 
lichung des Staats zweckes in den öffentlichen 
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht, 
gehindert und erfchitetert wird, gehören alle Berbres 
Ken gegen die gefeggebende Gewalt (Berhins 
derung der Bekanntwerdung ber Geſetze, abficheliches . 
Verweigern der Befolgung der Gefeße u. a.); die 
Verbrechen gegen die vollziehende Gewalt 
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung- 
ber vorgefegten Behörden in Dienftfachen , Raſſen- 


x) Karl Aug. Scott, aber das Verbrechen der belei⸗! 
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung. 
Tuͤb. 1797. 8. 

Hellmuth) Winter, das Meajeftätsverbrechen.- 
Berl. 1815. 8 ' 


- 


0 Staats: und Staatenrecht. 


‚Diejenigen, Handlungen Vergehen, welche, nad) 


einer innern fehlerhaften oder unfittlichen Teiebfeder ‚ 


gegen die Ordnung, Schicklichkeit, Sitt— 


lichkeit und Wohlfahrt im Staate verſtoßen, 


fobald durd, fie Feine wirklichen Rechte 


verlegt werden. Die Vergehen ftehen Daher, aus 
diefem in der Vernunftgefeggebung über die Zwangs⸗ 


‚rechte enthaltenen Örunde, nicht unter der Straͤf⸗ 


gefeßgebung, fondern unter. der Polizei« 
gefesgebung, meil nur KRechtsverlegungen , nicht 
aber Verftöße gegen Ordnung „ Schidlihfeit, Sitt- 
lichkeit und Wohlfahrt, indas Strafrecht und in 
Das Strafgefegbuh des Staates gehören ®), 

Die Verbrechen nennt man Staatsverbre- 
hen, wenn fie das öffentliche Recht, die Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung im. Staate verlegen, 
und bürgerliche (oder Privat-) Verbrechen, 
wenn fie die urfprünglichen oder erworbenen Rechte der 
einzelnen Staatsbürger beeinträchtigen. Das Eigen- 
thümliche der ftrafbaren Handlungen aber; oder der 
Inbegriff aller derjenigen Umſtaͤnde, welche zu dem 
Begriffe derfelben gehören, heißt ber £ ha tb eſtand 


(corpus delicti). 


Chſtph. Karl Stuͤbel, uͤber den chatbeſtand der 
Verbrechen. Wittenb. 1805. 8. | 


*) Es gehört befonders Tittmann und Grolmann, 
den Lehrern der Präventionstheorie, das Verdienft, 
‚daß fie zwiſchen Verbrehen und Vergehen genau 
unterfchieden, und was die NRigoriften des Strafs 
rechts ohne zureichenden DVernunftgrund in den Bes 
reich deffelben zogen, von demfelben trennten. Alle, 
welche im Staatsrehte Moral und Nechtsiehre nicht 
auf ewig von einander trennen, und zwifchen offi- 
ciis perfectis und imperfectis. genau unterfheiden, 
möffen ihnen Darin folgen, 





Staats⸗ und Staatenrecht. 293 


Das Verbrechen , wodurch das Dafenn der 
Staates, feine Selbftftändigfeie, Unabhaͤngigkeit 
und Verfaſſung bedrohe oder vernichtet wird, heißt 
Hochverrath (perduellin). Der Hochverrath 
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn: 
das Dafeyn und die rechtliche Verfaflung des Staa» 
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden 
fol. Er Heiße Revolution, fobald die Abſicht 
der Handelnden die rechtswidrige Vernichtung der 
beftehenden Verfaſſung und der Grundgefege des 
Staates betrifft. Er heißt Sandesverrath, fo 
bald die Handelnden unter Mitwirfung eines aus 
waͤrtigen feindlihen Staates das Daſeyn und die’ 
Verfaſſung des vaterländifchen Staates erfchuttern‘ 
oder vernichten wollen. Er heiße Majeftätsver- 
brechen”) (crimen laesae miajestatis), fobald die 
Abfiht der Handelnden gegen bie geheiligee Perfon 
des, Regenten gerichtet ift. 

Zu den Verbrehen, wodurch die Verwirk⸗ 
lihung des Staatszmwedes in den öffentlichen 
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht, 
gehindert und erſchuͤttert wird, gehören alle Verbre⸗ 
chen gegen die geſetzgebende Gewalt (Verhin⸗ 
derung der Bekanntwerdung der Gefeße, abfichtliches. 
Verweigern der DBefolgung der Geſetze u. a.); die 
Verbrechen gegen die vollziehbende Gewalt 
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung 
der vorgefegten Behörden in Dienftfahen, Kaſſen⸗ 





*) Karl Aug. Schott, Über das Verbrehen der belei⸗ 
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung. 
Tauͤb. 1797. 8. 

Hellmuth Winter, das Majeſtaͤtsverbrechen. 
Berl. 1815. 8. 


/ 2 


202°  , Staats. und Gtaatenredht. 


GSefchlechtstriebes, Schwängerung, Hurerei, Con- 
cubinat, Vielweiberei, Kuppeleiu.f.w. — Noth-. 
zucht ift aber ein Verbrechen, und fein Vergehen, 
weil ein vernünftiges Wefen, wider deſſen Wil- 
fen, gezwungen, mithin deffen vollfommenes Recht 
verlegt wird;) 
f) Handlungen, durch welche öffentliche 
Anftatten im Staate verlegt werden (3. B. Be— 
ſchaͤdigungen der Meilenfäulen und Alleen, Abreißen 
öffentliher Anfchläge, Beleidigung der- Schildwach- 
ten ꝛc.); U 

rL 8) Handlungen, durch welche den im Staate 
- beftehenden Kirchen die gebührende äußere Achtung 
entzogen wird (z. B. Gottesläfterung, Verſpottung 
des Ritus.einzelner Kirchen, Sectenftiftung u. ſ. w.) 

X 


| 62. 
Die Verbrechen. 


Die Verbrechen find freie Handlungen, wodurch 

Zwangsrechte im Staate verlegt werden. Sie find 
entweder Öffentliche und alfo Staatsverbre- 

‚hen, oder Privarverbrechen ($. 60.) 

a) Staatsverbredhen find Handlungen, 
durch welche abſichtlich und unmittelbar Die Rechte bes 
. Staates, als einer moralifchen Perfon, bedroht oder 

. verleßt werden, und zwar fo, daß entweder das politi- 
ſche Dafeyn des Staates, feine Selbftftändigfeit, Un- 
abbängigfeit und eigenthümliche Verfaſſung dadurd) 
bedroht und vernichtet, oder die Verwirklichung des 
Staatszwedes in den öffentlichen Anftalten und Ein- 
richtungen der bürgerlichen Gefellfihaft gehindert und 
erſchuͤttert wird. / 


m 





Staats- und Staatenrecht. 293 
Das Verbrechen, wodurch das Daſeym des— 
Staates, feine Seibfiftändigfeie, Unabhaͤngigkeit 
und Verfaſſung bedroht oder vernichtet wird, heiße 
Hochverrath (perdnuellio). Der Hochverrach 
wird Rebellion (bellum civile) genannt, wenn; 
das Dafeyn und die rechtliche Verfaffung des Staa- 
tes durch Innern Krieg bedroht und vernichtet werden. 
fol. Er heißt Revolution, fobald die Abſicht 
der Handelnden die rechtswidrige Vernichtung der 
beftehenden Verfaffung. und der -Grundgefege des 
Staates betrifft. . Er heißt Sandesverrath, for 
bald die Handelnden unter Mitwirfung eines aus 
mwärtigen feindlichen Staates das Dafeyn und die‘ 
Verfaſſung des vaterländifchen Staates erfchüttern: 
oder vernichten wollen. Er heißt Majeftatsver- 
brechen”) (crimen laesae majestatis), fobald Die 
Abſicht der Handelnden gegen bie geheiligte. Perſon 
des Regenten gerichtet iſt. 
Zu den Verbrechen, wodurch die Verwirk— 
lichung des Staats zweckes in den öffentlichen 
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht, 
gehindert und erfchüttere wird, gehören alle Berbres 
chen gegen die geſetzgebende Gewalt (Verhin—⸗ 
derung der Bekanntwerdung ber Geſetze, abſichtliches. 
Verweigern der Befolgung der Geſche u. a.); die 
Verbrechen gegen die vollziehende Gewalt 
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung 
der vorgefegten Behörden in Dienftfachen , Raſſen⸗ 





x) Kari Aug. Scott, über das Verbrechen der beiei⸗! 
digten Majeſtaͤt aberhaupt und deſſen Beſtrafung. 
Tuͤb. 1797. 8. 

Hellmuth Winter, das Majeſtaͤtsverbrechen. 
Berl. 1315. 8. 


294 Staass » und Staatenrecht. 


veruntreuung, Münzverfälfchung „Beſtechung u. a); 
die Verbrechen gegen die richter liche Gewalt (Un- 
gehorfam gegen richterliche Ausfprüche, unrechtmäßige 


Selbſthuͤlfe, Verhinderung /der Ausübung der Straf⸗ 


gerechtigfeit ꝛc.). 
b) Die Privatverbrehen find folche freie 


« Handlungen, durch welche Die anerfannten urfprüng« 


un 


lihen und erworbenen Rechte der einzelnen Staats- 


buͤrger bedroht oder verlegt werden. Dahin gehören. 


die Verbrechen gegen das Leben und die Gefund- 
heit (Verwundungen, Verſtuͤmmelungen Andrer, 
Nothzucht, Ausſetzen der Kinder, Menſchenraub, 

Brandftiftung ‚ Zodefchlag, Mord u. a.); gegen die 
perfönliche Freiheit und Sicherheit; gegen 
das Eigenthum (Betrug, Diebftahl nad) feinen: 
verfchiedenen Gattungen und Arten, Raub ꝛc.); gegen. 
die Ehre (Injurien, Verlaͤumdungen, Pasquille. 


u. a.); gegen die mit Andern abgefhloffenen Ver⸗ 


träge (Ehebruch ꝛc.); und gegen die Geiftes- 
fräfte *) der Staatsbürger, durch welche der Ver⸗ 
ftand zerruͤttet, oder bie Entwidelung der geiftigen 
Anlagen aufgehalten wird (durch Opiate, langfam 
wirfende Gifte, durch fehledhte Behandlung der Kin⸗ 
ber, fibeignen, Sflaven u. a.). 


63. | 
8) Die Lehre von den Strafen im Staate 
Jede Strafe beftebt in einem finnlichen Uebel, 
welches dem Verbrecher, in ftrenger Angemeffenbeit 
zu der innern Strafwürbigfeit und der durch) bas Se 





*) Car. Aug. Tittmann, de delictis i in vides mentis 
humanae commissis. Lips. 1795. 4 


} 


nn 


‘ 


Staats» und Staatenrecht. 295 


ſetz ausgeſprochenen Strafbarkeit der von ihm began- 
genen Rechtsverletzung, nach richterlichem Ausſpruche 
zugefügt und im Namen des Staates an ihm voll⸗ 
zogen wird. Daraus ergeben ſich die vier Haupt⸗ 
grundſaͤtze für alle Strafen im Staate: | 

4) die Strafe. muß von dem Verbrecher durch 
eine freie Handlung verſchuldet feyn; (Straf 
wuͤrdigkeit) 

9) die Strafe muß den Verbrecher als unmit- 
telbare und nothwendige Folge ber frei voll. 
brachten Rechtsverlegung, und deshalb, meil er 
die Herrfchaft des Rechts im Staate verlegte, und ' 
fo weit treffen, als er das Necht verlegte, (Ge⸗ 
rechtigkeit und Rothwendigkeit der Strafe) 

Durd) die Strafe foll alfo, die verlegte Fi 
{haft des Rechts im Einzelnen und im Öan- 
zen bergeftellt, und weder blos wegen der Wieder» 
vergeltung, noch wegen der Beflerung, weder blos 
wegen der Abfhrefung, noch wegen der Präven- 
tion vor fünftigen Verbrechen, weder blos wegen 

der Selbfterhaltung, noch wegen der Sicherheit des 
Staates geftraft werden. 

3) der rihterlihe Ausfpruch der Strafe, und 

bie Strafe felbft nach dieſem Ausſpruche, muß inAn- 


gemeſſenheit zu einem beftimmten Straf. 
geſetze erfolgen; (Strafbarfeit) 


4) die Strafe muß zweckmaͤßig, und alfo 
weder willführlih, noch graufam feyn. 

Jede willführliche Strafe, felbft In Er⸗ 

‚ mangelung eines das begangene Verbrechen be— 

zeichnenden Steafgefeges, ift an ſich Ungerechtig« 

keit; und jede Öraufamfeit in der Strafe 

G ». Staubbefen J Tortur, Verſtümmeluns, 


- 


296 Ä Staats- und Staatenrecht. 


Kneipen mit Zangen, Saͤcken, Raͤdern, Verbren⸗ 
nen, Viertheilen, mit Pferden Zerreißen, Aus» 
ftehen der Yugen ‚, Wbfchneiden der Zunge, der 
. Ohren, der Finger; Auffchligen der Nafe, } ift 
unter der Würde der ftrafenden Gerechtigkeit, FR 
die, wenn auch der Verbrecher unter die Menfch- 
heit fi) erniedrigt Kate, niche in der Beſtrafung 
zu ihm herunter finfen und dadurch uns 
menſchlich werden darf. Der ärgfte Verbrecher 
muß noch als Menfch behandelt werden. | 
Eine völlig unrichtige Anficht ift es, daß durch 
die Strafen Andre vom Verbreden abge- 
ſchreckt, und deshalb die Strafen zuer 
. Fannt werden follen. Allerdings follen die Stra⸗ 
fen warnend feyn in ihrem Erfolge; allein dies 
ift nicht ber Rechtsgrund derfelben. Uebrigens 
find nie durch Hinrichtungen oder Gefängniffe die 
Sitten und der Geiſt eines tiefgefunkenen Volkes 
gebeſſert worden. 


64. en 
Sortfegung u 


Nach diefen Grundfägen beftehen die rechtlichen 
Strafen des Staates: Ä 
1) inder Todesftrafe, ober in der völligen 
finnlihen Vernichtung des Berb: :echers (durchs Ent⸗ 
haupten, Erhenfen, oder Erſchießen), auf Hoc» 
verrath ‚ auf eigentliches Majeſtaͤtsverbrechen gegen 
die Perfon des Megenten, auf abſichtlichen Mord, 
Giftmiſchung, Straßenraub mit Gefaͤhrdung des 
gebens , und auf Brandftiftung (mit Ausnahme der 
Fälle bei der Brandftiftung, wo — wie z. B, beim 
weiblichen Geſchlechte in der Periode der Geſchlechts. 


— 


x 


} . , 
Staats» und Staatenrecht, 297 


entwickelung — ein pſych ol gif her Mülderungss, 
grund eintritt). *) Bei den Todesftrafen at das. 
pbilofophifche Strafrecht nur ihre Nehtmäßigfeie 
nachzumeifen; ihre Nothwendigkeit wegen: der Ab- 
ſchreckung, ihre Zweckmaͤßigkeit, ihre Nüglichfeit, find. 
zunaͤchſt politiſche, nicht ſtaatsrechtliche Gruͤnde 
fuͤr dieſelben. 
| 2) in lebenslänglicher Entziehuns 
der aͤußern Freiheit; 

3) in lebenslaͤnglichem Verluſte des 
Buͤrgerrechts; 

4) in Ehrloſi gtei tserklaͤrung (welche 
auch mit den beiden vorigen Strafen verbunden wer- 
den kann, im Ganzen aber mit ber größten Vorſicht, 





x) Seit Beccaria iſt vie gegen die Rechtmaͤßigkeit 
der Todesſtrafen von Sonnenfels, Hommel, 
Barkhauſen u. a. gelehrtund geſchrieben wors 
ben. Eine Ueberſtcht der Stimmen für und wider 
gibe Bergk in f. Zufäßen zu der Weherfeßung 
des Beccarta im zweiten Theile. — Die 

Aufung der Todesftrafen ift eben fo widerrecht⸗ 
lich, wie die Eriaffung derfelben in den oben 
aufgeſtellten Fällen. Die VBerfhärfung derfeiben 
(Je B. daß andere Verbrecher vorher hingerichtet 
werden, durchs Abhauen ber Hand, durchs Schlei⸗ 
fen zum Richtplatze) darf nicht mit Grauſamkeit 
verbunden ſeyn. Vermoͤgensconfiscation, 
mit dem Ausſpruche der Todesſtrafe verbunden, iſt 
Haͤrte gegen die Familie des Verbrechers, nicht— 

gegen den Verbrecher ſelbſt. — Im Staatsrechte 
gilt überhaupt in Betreff der Todesftrafen nur das 
Recht; von den rationibus misericordiae, und von 
einem {Advocatus diaboli kann in ihm nicht die 
Rede feyn. — Mebrigens nehmen Kant, Fichte, 
Heydenreih, Feuerbad, Denke, Saulze 
u. a. bie Rechtmaßigkeln der Todesſtrafen an. 


\ s 
RL | m ‚ . 


ei 


298 Staats» und Staatenrecht. 


und mie Beruͤckſchelgung der bei einem Wolfe herr⸗ 
fhenden Begriffe über Ehre zuerfannt werden muß) ; 
| 53) in .lebenslänglicher Deportation in 
andere Erdtheile, mo der Staat Kolonieen befigt, oder 
werm ein Staat, der Kolonien befigt, die Verbrecher 
andrer Staaten "Vertragsmäßig übernimmt (die Lan⸗ 
besvermweifung aber iſt widerrechtlic) gegen an⸗ 
dere Staaten); Ä 
6) in Entziehung der äußern Freiheit auf ge⸗ 


wiſſe Jahre oder Monate (durch Feftungspaft, 


Zuchthaus ıc.); 

77) in Verurtheilung zum Brandmarfen 
oder zum Pranger, oder zum Anſchlagen des 
Namensanden Galgen in einzelnen ungewoͤhn⸗ 


‚lichen Hallen ; ; 


8): in Verurtheilung zu Strafarbeiten, 
ohne, oder mit Förperlicher Zuͤchtigung; 

9) in Verurtheilung zu bloßer förperlis- 
her Zuͤchtigung; | 

10) in Ehrenftrafen (öffentlicher Verweis, 
mit oder ohne Befanntmachung; Abbitte ; Widerruf: ; 
Ehrenerflarung; Relegation ꝛc.); womit die Ehr⸗ 
tofigfeitserflärung nicht verwechfele werden darf; 

41) in Geldftrafen, melde eigentlich nie 
auf Verbrechen, fondern nur a uf Vergehen (in 
polizeilicher Hinfiche) erkannt werden follten. 

Ernft Ferdin. Klein, über außerordentliche Stras 

fen wegen unvollftändigen Beweifes und über Sichers 
heitsanftalten. Berl. 1805. 8. 


65: 
Das Begnadigungsreht, 


Das Begnadigungsrecht ift Das Recht, einem 
Verbrecher die rechtlich verwirfte und rechtlich zuer- 


\ 


⁊ 


Staats und Staatenrecht. 209 


kannte ‚Strafe entweder zum Theile ober gamy. 
zu erlaffen. Diefes Recht kann im: Staate nur 
dem Negenten, bem Oberhaupte ber vollziehenden 
Gewalt zufteßen, in deſſen Namen jedes Strafuetheil. 
gefprochen und vollzogen wird. - Doc darf der Mes 
gent das Begnadigungsrecht, ala völlige, ‘oder als 
theilweife Entbindung von der verwirkten Strafe, in 
Hinfihe auf die Verbrechen nicht üben, welche 
Staatsbürger gegen Stagrsbheger begangen haben, 
weil bier Straflofigfeit tu Ungerechtigkeit gegen den 
Beleidigten übergehen würde; höchftens fann. er in, 
diefen Fällen das Begnadigungsrecht nur vermittelft 
ber Verwandlung ber zuerfannten härteen Strafe in 
eine milbere anwenden (befonders wo noch nach ver! 
altesen pofitiven Strafgefegen gefprochen wird). 
Wohl aber fteht dem Megenten das Begnadigungs⸗ 
recht zu in Hinficht der öffentlichen Verbrechen gegen; 
ben Staat, und befonders gegen feine eigene Ne 
fon, weil er in dem erftern alle. aus feinem hoͤch⸗ 
ften Stanbpuncte am fiherfen beurtheilen kann, in⸗ 
wiefern ber Berbrecher dem Staate felbft theils bereits 
gefährlich wor, theils für die Zukunft gefährlich wer- 
den Eann, indem der Regent nur bei der entfchiedenen 
Unſchaͤdlichkeit des Verbrechers für bie Geſammtcheit 
des Staates in ber Zufunfe das. Begnadigungsreht 
ausüben darf, und weil er in dem zweiten Falle 
nad) demfelben Rechte verführt, nad) welchem jedes; 
beleidigte Individum auf die ihm zuerfannte Genug⸗ 
ehuung und Entfehädigung. für eine erlittene Rechts» 
verlegung verzichten fann. — Da übrigens jedes, 
felbft das hefte Criminalgeſetzbuch für einzelne Fälle 
den gemwiffenhaften Richter ohne beftimmte Auskunft 
laflen kann; fo muß es dem Richter in den Fällen, : 
wo entweder das Eriminalgefegbuch nicht ausreicht, 


F 


| D Kants gr 


* 


300 Staats· und Staaterrecht. 


t 


oben wo. befondere - Verhaͤltniſſe in Hinficht ‚auf dag: 
Subject des Verbrechers eintreten, frei ſtehen, nach. 
ausgefpröchenem Urtheile das ſtrafwuͤrdige Indivi«. 


Daum der Begnadigung des Negenten zu empfeblen. 


«. _ ‚Dan. Clasen, de jure aggratiandi. Magdeb.. 


‚2600. 4 
-s. Ant, Balth. ‚Walther, de principe ex justis 
“ Salısis delinquentes aggratiante, Vratisl, et t Lips. 


740% 4 








er ts im Staate. 


kangepeils * — 
haͤngendes, erſch A 


a ſich zufanımen- 


meflenes, und allen Staatsbürgernbefann- 
tes, Strafgeſetzbuch; ; theils die ausreichende Zahl, 

zwectmäßige i innere Geftaltung, und vöflige Unabhän- 
gigfejt der Gerichtshöfe von allen Einflüffen der volls. 


ziebenden Gewalt; theils Richter, welche bei der 


Zuerfennung der Strafe nach dem Gefeße nichts nach 
Willkuͤhr deuten, und. fich zur Erforfehung der. Wahr- 


beit in Hinficht auf den Verbrecher blos rechtlicher 


Mittel bedienen; theils einen. weder übereilten, 


nech zu langfamen Gang des gerichtlichen Verfahrens, 
welches entweber öffentlich, oder geheim feyn kann; 


eheils die unmittelbare, und ohne Auffchub auf die 


+ rechtliche: Beendigung des: gerichtlichen Verfahrens 
folgende, öffentliche Vollziehung der zuerkannten 


Strafe im Namen und unter-forgfältiger Seitung ber 
volfziehenden Gewalt im Staate, 

ine Verjährung des Verbrechens, d. h. 

bdie Aufbebuns der Strafe, als der rechtlichen Solge 


s im Staate ver⸗ 


r erreichten Stufe. 


— — — — — a En IIII 





Staats» und Staatenrecht. 301 
eines begangenen Verbrechens durch den bloßen 
Ablauf einer gewiſſen Zeit, kann nicht nad) phi⸗ 
lofophifchen, wohl aber nad) pofitiven Gefegen er- 
folgen, und in einzelnen Fällen fogar rathſam ſeyn. 
Denn theils ergibt fi daraus, daß der Ber 
brecher diefelbe That in einer Reihe von Jahren 
nicht wiederholte, daß er wenigſtens für: j 
Staate nid mehr gefährlich fen; theils laflen- 
fih), bei einer vor mehrern Jahren begangenen 
That, die wefenelichen Umftände und Entfchei- 
Dungsgründe über Strafmürdigfeit und Strafbar- 


feit niche mehr vollftänbig und befriedigend aus⸗ 
| mitteln. 


* 


C) Das philoſophiſche Staatenrecht. 


67. | 
Begriff, Umfang und Inhalt deſſel ben. 


So wie das Recht in jedem einzelnen Staate 
herrſchen ſoll; ſo ſoll es auch in der gegenſeitigen Ver⸗ 
bindung und Wechſelwirkung aller neben einander be⸗ 
ſtehenden Staaten unbedingt gelten, und dadurch zur 
allgemeinen Herrſchaft auf dem ganzen Erdboden ge⸗ 
langen. Das Staatenrecht, welches dieſes lehrt, 
gruͤndet ſich daher auf das philoſophiſche 
Voͤlkerrecht, und verhält ſich zu demſelben, wie, 
das philoſophiſche Staatsrecht zu dem Naturrechte, 
inwiefern naͤmlich, abgeſehen von allen in der Wirk⸗ 
lichkeit. eintretenden Verhaͤltniſſen zwifchen ben ein- 
zelnen Staaten, das philoſophiſche Voͤlkerrecht die 
Grundzüge des Ideals aufftellt, unter welchen das 





F 


- 302° Stat uhb Staatenrecht. 


Hecht in dem gegenfeltigen Verkehre aller Voͤlker zur 
‘unbedingten Herrfchaft auf dem Erdboden gelangen 
fol. Es dürfen daher im Staatenrechte die im phi- 
loſophiſchen Wölferrechte aufgeftellten und wiffenfchaft: 
lich durchgeführten Bedingungen: der Herrfchaft des 
Rechts in der Wechfelwirfung der neben .einander be- 
ſtehenden Völker nicht im Kinzelnen wiederhohlt, 
fonbern nur als die Grundlage bes Staa⸗ 
tenrechts genannt, und mit dem Eigenthuͤmli⸗ 
hen des Staatenrehts, mitderredhtlidhen Be- 
geündungdes Zwanges zwiſchen den Staas 
ten in Verbindung gebracht werden. 

Das philofophifche Völkerrecht ftelle namlich für 
die Verwirklichung des deals der unbedingten Herr- 
fchaft des Rechts auf dem Erdboden ein Urrecht 
auf: das Recht auf Selbfiftändigfeie und 
Integrität (Matter. $. 44.), nad) welchem jedes 
Volk, fo wie das Individuum, ein von allen andern 
Völkern verfchiedenes vechtliches, und, nad) feiner 
Gefammtzahl, nad) feinem ihm jugehörenden Gebiete, 
und nad) feiner ihm eigenthuͤmlichen Verfaffung, ein 
in ſich abgefchloflenes Ganzes bildet. Aus biefem 
Urrechte des Völferrechts gingen (Naturr. $. 49 — 
56.) als urfprüngliche Rechte der Völker her: 
por: bie individuelle Freiheit eines jeden Volkes; die 
rechtliche Gleichheit aller Völker; bie gegenfeitige | 
Deffentlichfeit (Publicität) , der Kredit, der rechtliche 

Eigenthums⸗ und‘ Gebietsbefiß, die äußere Sicherheit 
‚ ber Völfer, das Recht. der Verträge zwiſchen denſel⸗ 
ben, und das Recht der Vertretung des einen Volkes 
bei den andern durch Geſandte. 

Das philoſophiſche Staatenrecht erkennt 
dieſe Grundbedingungen des rechtlichen Nebeneinan⸗ 
derbeſtehens der einzelnen Voͤlker an, und nimmt ſie 








Staats» und Staatenrecht. 303 


in fih auf, ftelle.aber ihre Verwirklichung, , 
Erhaltung und Behauptung unter die An- 
wendung des rechtlich geftalteten Zwan— 
ges, weil das philofophifche Staatenrecht, Durch dieſe 
ihm eigenthümliche Gewaͤhrleiſtung der Herrfchaft des 
Rechts vermittelft des in der Wechfelmirfung aller 
Staaten rechtlich geftalteten Zwanges, fich eben fo 
von dem Völferrechte unterfcheinet, wie das philofo- 
phifche Staatsrecht von dem Naturrechte durch die 
ihm eigenthuͤmliche Lehre von der rechtlichen Geftal- 
fung des Ziwanges in der Mitte des einzelnen Staates. 
Das philoſophiſche Staatenrecht ſteht daher nicht im 
Gegenfage und Widerfpruche zu dem philofophifchen 
Voͤlkerrechte, welches auf ein Ideal ſich gründet, das 
allerdings nie völlig verwirklicht werden fann; es 
enthält vielmehr theils die Anwendung der 
Grundſaͤtze des Völferrechts auf die in der Wirflich- 
feit neben einander beftehenden Staaten, theils 
die Erweiterung diefer Grundfäge auf die burch 
die äußere Anfündigung der Staaten in ihrer Wed)» 
felwirfung hinzukommenden eigenthümlichen Verhaͤlt⸗ 
niffe, befonders in Hinfiht auf die Anwendung des 
Zwanges gegen einander. Das pbilofopbifhe - 
Staatenrecht ift daher ($.7.) die wiſſenſchaft— 
liche Darftellung der allgemeinen Grund— 
fäge für. das rechtliche Nebeneinanderbe- 
fteben aller StaatendesErbdbodens, unter 
der Bedingung Des zwifchen ihnen red 
lich geftalteten Zwanges nach vorberge- 
gangenen Rechtsverlegungen Es zerfällt 
nad) diefem Begriffe: Ä 
a) in die Darftellung der allgemeinen Grund» 
füge für das rechtliche Nebeneinanderbe- 
ſtehen aller Staaten des Erbbodens , und 


304 | Staats» und Staatenrecht. 


»  b) In'die Sehre von ber rechtlichen Geftaltung 

des Zwanges zwifchen den Staaten nad) vorher- 
gegangenen Nechtsverlegungen. 

(Es gibt feine befondere Literatur bes 

Staatenrechts, weil theils die Altern Schriftfteller 
des Völferrechts das philofophifche und das 
practifche europäifche MVölferrecht vermifch- 
ten (welche erft in neueren Zeiten ftreng wiffenfchaft- 
lich von einander gefchieden wurden), fheils felbft 
die neuern Schrer des Natur- und Staatsredhts 
das Wölfer- und Staatenrehe*) für 
identifch nahmen, und es auf Diefe Weife in 
ihren Syftemen und Compendien behandelten.) - 


. 68. 
. a) Darftellung der -allgemeinen Grund- 
füge für das rehrlihe Mebeneinander- 
befteben aller Staaten des Erdbodens, 


Iſt das Staatenrecht, in wiffenfhaftlicher Hin- 
ſicht, ein auf die in der Wirklichkeit neben einander 
beftehenden Staaten angewandtes philofophifches Voͤl⸗ 
kerrecht ($. 67.); fü ergibe fi) aus der Anwendung | 
bes DVölferrechts auf das Staatenreht, daß jedem 
 \Staate, als einer in fi zue Einheit verbundenen und 


*) So fagt felöft Kant Cind. met. Anfangsgr. der 
Mechtslehre ©. 215.): „das Recht der Staaten - 
im Verhaͤltniſſe zu einander, welches nicht ganz 
rihtig das Völkerrecht genannt wird, ſon⸗ 
- dern vielmehrdas Staatenredt (jus publi- 
.cuam civitatum) heißen follte, ift das, was wir 
unter dem Namen des Völkerrechts zu betrachten 
haben.“ _ 





 Gtaatsı und Staacenrecht. 4086 


‚abgefhlofienen Geſollſchaft, Selbſtſtaͤndigkeit 
und Integritaͤt, nad feinem Gebiete, nad 
feinee Bevölferung und nah feiner Verfaſ— 
fung, zukommt, weil diefe drei Gegenftände den 
‚Begriff des Urrechts jedes für ſich beſtehenden Stag- 
tes erfchöpfen. Es ergibt ſich ferner daraus, daß 
jedem Staate individuelle Freiheit zufommt, 
‚und fein andrer Staat Die Bürger deffelben als von 
fih abhängig betrachten, oder ſich einverleiben, oder 
‚gar in Knechtſchaft und Sklaverei abführen darf; es 
folgt weiter, daß alle felbftftändige Staaten einan- 
der völlig gleich find, weil nur nad) der Gefchichte 
und Staatsfunft, nicht nach der Vernunft, ein Un⸗ 
- gerfchied zwiſchen mächtigen und mindermächtigen, 
fouverainen und halbfouverainen, und zwifchen Staa⸗ 
ten des erſten, zweiten, dritten und vierten politifchen 
Ranges ſtatt finder. Gleichmäßig folgt aus der An« 
wendung bes Völferrechts auf das Staatenrecht, Daß 
fein auswärtiger Staatindie innere Ber 
faffung desandern fih miſchen darf, außer 
in dem einzigen, durch den Zwang der Prävention 
"und Mothroehr gerechtfertigten, Falle, wenn deſſen 
* eigene Selbftftändigfeie, Integrität und Verfaſſung 
dadukrſech wirklich bedroht und gefährdet wäre (3. B. 

im Zuftande allgemeiner Anarchie ; wo alle rechtliche 
Formen in demſelben zerftört wären; oder wenn der 
ausgebrochene Bürgerkrieg die Grenzen der Nachbar⸗ 


LEE er ze 5 


dem andern Staate nur duch rechtliche Verträge 
I. , 20 


306 Giaare . und Sasse 


Gebiet und Eigenthum erwerben darf; daß, 
in Hinſicht feiner innern und aͤußern Verhaͤltniſſe, 
jeder Staat vermittelſt der Deffentlihfeit 
wiffen müffe, wie er mit dem andern daran ift; daß 
fein Staat die Sicherheit des andern bebrohen, 
- oder ven öffentlihen Kredit deffelben verdächtig 
machen und untergraben dürfe; daß jeder Staat das 
Recht habe, Fremde in feine Mitte aufzunehmen 
und zu naturalifiren, und Kolonieen. anzulegen; 
daß zwiſchen den Staaten ‚ wie zwifchen ven Indivi⸗ 
duen, durch frei eingegangene und rechtlich abge- 
ſchloſſene Verträge gegenfeitig öffentliche und be 
ſondere Rechte erworben und vertauſcht werden duͤr⸗ 
fen; fo wie, daß durch die Geſandten die recht⸗ 
lichen Verhandlungen uͤber alle Gegenſtaͤnde des in⸗ 
nern und aͤußern Staatslebens zwiſchen zweien ober 
mehrern Staaten geleitet, und ſchon burd) die An« 
wefenbeit der Gefandten in der Mitte des andern 
Staates die friedlichen und freundfchaftlichen Ver⸗ 
haͤltniſſe zwiſchen beiden öffentlich vergegenmärtige 
werden. — Aus diefem Standpuncte betrachter 
erfcheint die ganze Menfchbeit in der Wirklichkeit, 
nach ihren einzelnen Staaten, als ein, allgemeiner 
rechtlicher Verein zur Begründung und Erhaltung 
des Sleichgewichts der Rechte auf dem Erb» 
boden. 

Verträge zwiſchen den Staaten, 


Wenn alle rechtliche Verbindung zwiſchen ſitt⸗ 
lichen Wefen auf Vertrag beruht; fo fann aud) die 
Werbindung und Wechſelwirkung ber Staaten nur 
durch: Verträge eine rechtliche Form erhalten. 














Staats» und. Staatenredht. 307 


aber überhaupt, noch ohne nähere Werbindung, 
Staatenredhflih nebeneinander beftehen, | 
d. 5. daß fie, ohne förmlich abgefchloffenen Wer» 
trag, einander nad) ihrer Selbftftändigfeit und In- 
tegrität, nach ihrer eigenfhümlichen Verfaffung und. 
nach ihrem Gebietsbefiß anerfennen, kann blos unter 
der Annahme eines ftillf hweigenden DVertrages 
Maturr. $. 24.) von der Bernunft gedacht werden. 
So wie nämlich im rechtlichen Verfehre der Indivi⸗ 
duen vieles auf ſtillſchweigendem Vertrage beruht, 
und die rechtliche Geftaltung des einzelnen Staates 
zur Einheit im Innern und nad) außen da, wo fein 
förmlicher Grundvertrag abgefchloffen worden ift, von 
ber Vernunft auf einen ſtillſchweigenden Vertrag zu- 
ruͤckgefuͤhrt wird (6. 10.); fo muß auch das rechtliche 
Beftehen der einzelnen Staaten neben einander, nach 
welchem fie aus dem rohen Naturzuftände neben eins- 
ander ‚grafender Nomadenhorden beraustreten und ' 
auf die ununterbrochene gegenfeitige Anfeindung (bel- 
Jum omnium. contra omnes) in Hinficht auf Ges 
bietsbefiß und Eigenthum verzichten, auf die Annahme 
eines fillfehweigenden Vertrages hinfirhren. 
- Dies erhellt daraus, daß, nad) der Voͤlkerſitte, jeder 
Staat den andern fhon an fi — bevor er noch 
irgend einen befondern Vertrag mit ihm abſchließt — 
für ſelbſtſtaͤndig, für rechtlich geſtaltet, und für recht⸗ 
“ mäßig einheimifch auf feinem Gebiete hält, weil affe 
einzelne, allmählig zmwifchen ihnen abgefchloffene, Ver⸗ 
träge jenen ſtillſchweigenden Grundverttag voraus. 
eßen. u ar 
ſet Unter dieſer rechtlichen Vorausſetzung erhalten 
alle zwiſchen den Voͤlkern ud: Staaten abgaſthloſſene 
Schenkungs⸗, Dauſch⸗, Kauf, Leih⸗, Darlehns,, 
Pfand» und’ Vevöllmächrigurigenerträge (Natur, 

| | | 20 


a \ — * a 


! ‚Jh 
d J 


308 ESStaats⸗ und Staatenrecht. 


6. 55.), fo wie die Gutſagung und Verbuͤrgung bes 
"einen Staates für den andern, namentlich aber die _ 
Bündniffe im engern Sinne, ihre rechtliche 
Gültigkeit, nach allen den im Völferrechte dafür 
($. 55.) aufgeftellten Bedingungen ihrer immerwäh- 
‚renden oder nur auf gewiſſe Zeit befchränften Dauer. 
Selbft der Nachtheil, welcher für den: einen 
‚Staat aus der Erfüllung der Bedingungen des Ver- 
trages bervorgehet, bietet feinen Grund dar, den⸗ 
ſelben nicht zu erfüllen. . Nur wenn diefe Erfüllung 
den Untergang bes Staatesunvermeiblidh 
und entfchieden nad) ſich zöge, kann, nad) der 
Vernunft und nad) Dem Urrechte der Selbftftändig- 
feit, diefe Erfüllung verweigert werben, | 
Bon einem Nechte der Verjährung-unter 
den einzelnen Staaten weiß das philofophifche 
Staatenrecht um fo weniger, weil daſſelbe fogar 
im practifchen europäifchen Voͤlkerrechte beftritten 
wird, . 


' 70 
Verbindung zwifhen den Staaten. 


Da aber, bei der Verbreitung des menfchlichen. 
Geſchlechts über dem ganzen Erdboden, die lebhaftefte 
und bleibenöfte Werbindung zunachft nur zwifchen 
Nachbarſtaaten, oder doch zwifchen den Staaten eines 
und deſſelben Erdtheils befteht; fo wird auch unter 
mehrern berfelben, nach der Verwandtſchaft ihrer 
. Eultur , Gefittung, Verfaffung und Religion, nad 
der Aehnlichkeit ihrer öffenelichen und befondern Ver⸗ 
hältniffe, ‚und nach vem Maasftabe ihrer nad) außen 
geltend zu machenden und zu behauptenden Nechte, 
einenähere Verbindung, d.h. ein Staatenbund 


ı 











RF 


Staats⸗ und Staatenrecht. 309 | 


beftehen, welcher auf einem rechtlichen , entweber für 


immer‘, oder für eine gewiſſe Zeit abgefchloffenen ,: | 


Vertrage beruht zur Yufrechthaltung aller ihrer öffente - 
lichen und befondern Rechte, und zur ‚gemeinfchaft« 
‚lichen "Beförderung und: Unterftügung ihrer innern 
- und äußern Verhältniffe ‚ fo wie im Falle einer Be 
eiriträchtigung biefer. Rechte. und eines feindfeligen: 
äußern Angriffs, zur gemeinfchaftlichen Vertheidi⸗ 
gung ihrer Rechte, ihrer Selbſtſtaͤndigkeit, ihrer 
Verfaſſung und ihtes Gebiets gegen einen gemein⸗ 
ſchaftlichen Feind. 

Fuͤr die eigentliche Staats kunſt geht aus 
bieſer rechtlichen und vertragsmaͤßigen Verbindung 
mehrerer Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Zwecke 
det gegenſeitigen Erhaltung und Vertheidigung das 
. fogenannte Syſtem des politiſchen Gleichge— 
wiſch ts hervor, für welches das philoſophiſche Staa- 
tenrecht nur die Grundbedingungen des allgemeinen 
vechtlichen Gleichgewichts zwiſchen allen neben ein⸗ 
ander beſtehenden Staaten aufſtellt. 

So gewiß übrigens jedem ſelbſtſtaͤndigen Staate 
das Recht zuſteht, in ſeinem Innern Veraͤnderungen 
in feiner Verfaſſung und Verwaltung. vorzunehmen, 
Feſtungen anzulegen, ſich zu ruͤſten, Truppen auszu⸗ 
Beben, Schiffe bauen und auslaufen zu laſſen, un® 
Zoͤlle feſtzuſetzen, ohne deshalb mit andern Staaten 

„Ruͤckſprache zu nehmen (fobald nicht politiſche 
Gründe diefe Ruͤckſprache rathſam machen); fo gewiß 
Hänge es auch von jedem andern Staate ab, ob er 
Diefe. Veränderungen im Innern eines. Staates, na⸗ 
mentlich die Umbildung in der Verfaſſung und Ver 
waltung, anerfennen oder gan gemährleiften 
oil, Mur folgt aus der Verweigerung diefer Aner- 
kennung von ſelbſt , beß das früßere freundſchaftliche 





310 Staats» unb Staatenrecht. 


Verhaͤltniß zwiſchen beiden Staaten aufgehoben wird, 
und daß die daraus entſpringende Entfremdung bei- 
der leicht zu Mißverſtaͤndniſſen, Spannungen und 
felbft zum Kriege fuͤhren kann. 


7711. 


b) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung 
des Zwanges zwiſchen den Staaten nad) 
‚vorbergeg angenen Rechtsverletzungen. 


Der Zuſtand des Friedens beſteht zwiſchen den 
einzelnen Staaten, ſo lange ihre Selbſtſtaͤndigkeit, 
Integritaͤt, Verfaſſung und Wohlfahrt von keinem 
andern Staate bedroht oder verlegt wird... Sobald: 
aber jene Bedrohung oder Verlegung erfolgt, hat der 
bedrohte oder beeinträchtigte Staat das Recht zum 
Zw ange, als des von der Vernunft gutgeheißenen 
rechtlichen Mittels, entweder ber drohenden Rechts⸗ 
- verlegung durch Prävention zuvorzukommen, ober 
die begonnene Rechtsverletzung durch Not hweher aufı 

zuhalten und in ihrer Vollendung zu hindern, oder die 
noflbrachte Rechtsverlegung durh Wiedervergeß 
£ung derfelben auszugleichen, welche —5 — Staa⸗ 
ten und Staaten nur in der Wiederherſtellung des 
vorigen Beſitzſtandes und in Entſchaͤdigung fir den 
gehabten Verluſt beftehen fann. Denn blos vom 
Zwange, nicht von Strafe, fann zwifchen gleich 
ſelbſtſtaͤndigen Staaten die Rede feon, weil die Strafe 
jebesmal theils die. Werzichrleiftung der Individuen 
auf eigene Auwendung des Zmanges, theils Die Leber 
tragung Des Zwanges bei eingetretenen Rechtsvexr⸗ 
letzungen asf- ein anerkanntes Oberhaupt, theils Die 
Ausuͤbung der Strafe in Nemen einer ganzen Rechte 
weeſeſlſchafe uch ben Resenteen derfelben vorausſetzt. 











Staats⸗ und Staasenrecht. Sıt 


De nun die einzelnen Staaten, fobald fie, für Die 
Ausgleichung ihrer Nechtsftreitigfeiten, nicht durch 
freiwillige Mebereinfunft einen dritten Staat als 
Vermittler, oder als gemeinfhaftlihen 
Schiedsrihter wählen, feinem höhern Staaten. 
gerichtshofe unterworfen find; ‚fo kann auch) ee | 
felbftftandigen Staaten ein Straf- oder Rach e⸗ 
Erieg nie nach Vernunftgrundfägen ſtatt finden. 


— 


72. .. ; 

Abftufungen des Zwanges zwifchen den 

Staaten: KRetorfionen, Repreffalien, 
Krieg 0 


. Der rechtliche Zwang zwifchen dest Staacen hat 
aber eine dreifache Abftufung: bie Raserfionen, 
die Repreffalien, und ben Krieg. m. Mefdr- 
fionen treten, als Eriwiederungen ein; fobakb-ein . 
Staat die unvollfommenen Rechte gegen den - 
andern Staat verlegt hat und bie Genugthuung dafür 

‚verweigert, Repreffalien aber, ſobald ein Staat 
die, vollfommenen (oder Zwangs-) Rechte des 
anbern durch feine Verfügungen beeinträchtigt Ant, 
und Genugthuung dafür verfagt; der Rrkeg endlich 
erfolge, fobald wegen der angedrohten, oder begon⸗ 
nenen, oder verlegten Verlegung von wefentlicken 

Zwangsrechten durch Unterhandlumgen Feine racht⸗ 
liche und befriedigende Ausgleichung ausgemittelt wer⸗ 
ben kann. en er 

‚ Die Entwidelung der Sehre van, Ahahorfüonen, 
—Repreſſalien und Krieg nah dan eingel⸗ 
nen, in der MWirflichfeie und Gefchichte vorliee 
genden, Verhaͤltniſſen gehöre zunaͤchſt ins pra« 
etifhe europäifhe Voͤlkerrecht. Mur 


212. Sam. Shötiwecit. 


„Am Allgemeinen werden dieſe Begriffe im . 


Staaten rechte behandelt. — Retorfionen 
. teten ein, ..wenn ber eine Staat etwas verfügt, 
"was zwar gegen die Geſetzer der allgemeinen Ge 

* — rechtinfeht und Billigkeit, und gegen die Voͤlker⸗ 
sv @iete; nicht/ aber gegen ein. anerfanntes Zwangsrecht 

Verſtoͤßt, 3 Bo. wenn ein Staat verordnet, daß 
kein Geruͤd eine Wolle, kein Wein ing Aue⸗ 


land, oder nur gegen einen beträchtlichen Grenzzoll 


verführt werden foll, ‚und nun der Nachbarftaat 
ein aͤhnliches Verbot ber Ausfuhr des Schlacht⸗ 


viehes, oder gewiſſer Naturerzeugniſſe erlaͤßt, oder 


“die Ausfuhr mit einem gleihhoben Zolle belegt. 
Eben fo berechtigen neuangelegte, Mauthen an den 
’: Grenzen, Verbote von Manufactur» und Fabrik. 
‚erzeugen ; Veſchraͤntung der Reiſefreiheit;,, der 
- Mefifreiheitun, ſ. wi; ju Retorſionen. Dagegen 
: beziehen ſich Nepreffalien auf Die Erwieberung 
: vonwerlegten Fwangsrechten zwifchen den'Staaten. 
:Daßin gehöre vie Beleidigung der: Gefandten; die 


»: Kerabfegung:: der Zinſen oder ſelbſt des Capital⸗ 


einer im Auslande gemachten Schuld; die Wer 
weigerung der Bezahlung folcher Zinſen; die Auf 
nahme von fremden Landesverraͤthern, die Verhaf⸗ 
“tung fremder ſchuldloſer Reiſenden (wie Napoleon 
mit ben’ Britten that) u. ſ. w. Bei Retorſionen 
‚und: Kepreflalien find übrigens die Bürger. des 


* "Staates, welche durch Anwendung biefer Maas- 


"regeln in ihren Rechten beeintraͤchtigt werden, zur 
Enefhäigung:" won N ber * Regierung ihres Staates 
" berecheige? 


"mn. 
r - “ “ ® . 2 
⁊ a 1 8 ⸗ J IR EEE 


on Dr tod gang 





Staats: und Staatenrecht 313, 


a 783. EEE Ze 5 
Der rechtliche Krieg. 


Die Vernunft kennt uͤberhaupt nur einen einzi⸗ 
gen Rechtsgrund: zum Kriege, fobald naͤmlich weder— 
Unterhandlungen, noch Metorfionen und. Repreflalieng | 
noch) die vermittelnde Dazwifchenkunft der Regierung 
andrer- Staaten hinreihen, die Zurüsfnahme feind⸗ 
licher Maasregeln, oder eine gerechte Genugthuung 
für erlittene Rechtsverlegungen von dem beleidigenpen, 
Staate zu erhalten. "Alle andere Bevanlaffungen zur 
Anfündigung des Krieges liegen außerhalb des Kreis, 
fes des Rechts, und. gehören ausfchließend ins Ge⸗ 

biet der Staatskunſt. 


Nur alſo der Vertheidigungskrieg wegen 
verletzter Rechte, für welche die Ausgleichung ver⸗ 
weigert wird, ‚nicht der Angriffs- oder Eroberungs- 
frieg ift rechtlich vor der Vernunft; doch Farin, im 

Falle des Praͤventionszwanges, der erfte Angriff feibft 
von dem Staate gefihehen , ‘der blos feine bedrohten 

oder verlegten Rechte vertheidigt. Die Vernunft vers 
ſteht Daher unter dein Kriege den einem andern Staate 

förmlidangetündigtenZuftänd deszmam 
ges, der ſo lange planmaͤßig und mie Anwendung aller 
rechtlichen Zwangsmittel fortgefegt wird, bis entweder 
die angedrohte Mechtsverlegung zuruͤckgewieſen und an 
Shrer Ausführung verhindert, ober: der beleidigte Theil 
in feine verlegten Rechte wiebenhergeftellt und ihm bie 
Genugthuung zu heil geworden dft, deren Verwei⸗ 
derung den Krieg veranlaßte, fo wie der Erfag für - 
Ste Koften: des ‚Krieges , ſobald ‚ber beleidigte Theil 
hiche auf Diefefben verzichten Damit muß aber für 
die Zukunft eine Gewaͤhrleiſtung verbunden fern, daß 


314 Stun. unb Suatareht. 


der beleldigende Staat nicht wieder die See des 
andern bedrohen oder verletzen werde. 


Die Herſtellung der Herrſchaft des oͤffentlichen 
Rechts zwiſchen zweien oder mehrern Staaten, theils 
vermittelſt der Ausgleichung der ſtreitigen Rechtsver« 
haͤltniſſe, theils vermittelft der Hinreichenden Genug⸗ 

xthuung für die erlittene "Beleidigung, theils vermit⸗ 
Ä telſt einer befriedigenden Gewaͤhrleiſtung für die kuͤnf⸗ 
tige Sicherheit des beleidigten Theils, find alſo Die 
don der Vernunft gutgeheißenen Zweck und Bedin⸗ 
gungen, auf welche der Kriegszuſtand zwiſchen den 
Staaten beendigt und der Friede abgeſchloſſen werden 
fol. Weil aber der Krieg ein rechtlicher Zuſtand 
‚des Zwanges und bes Kampfes der Staaten iſt, wo 
diefe als moralifche Perfonen. einander gegen über 
ftehen; fo verlangt auch die Vernunft, daß der Krieg 
nur durch rechtliche Mittel und mit erlaubten 
Waffen, nie gegen Privatperfonen und gegen das 
Privateigentfum ber Bürger. geführt, und nie ein 
dritter friedliher Staat gegen feinen Willen in. den 
Kampf zweier Staaten verflochten werde. 


Aus dieſen rechtlichen Grundſaͤtzen folgt zugleich 
von ſelbſt, daß der Sieger burch den Sieg nur das 
Recht erhält, fich aller unter der $eitung der beſiegten 
Regierung ſtehenden Kraͤfte zur Sortfegung des Krige 
968 zu verfühern, und: daß er, bis zum Frieden, im 
dem befiegten Staats, nach allen Hoheitsrechten in 
Beziehung auf die drei Werwaltungszweige der Per 

lizei, der Finanzen und des Militeirs, an Die Stelle 
der Regierung deflefben tritt; doch wir. Ausnahme der 
Gerechtigkeicspflege, weil dieſe einen an ſich ſelbſtſtaͤw 
vdigen und unabhängigen. Charakter behauptet, und 
phne daß fir von Enger aus bax Süefegung. Des he 


⸗ 











Staate‘ und d Stooteneit. | 415 


legken Staates ein Eigenthumsrecht auf denſelben 
hervorgeht, weil dieſes Eigenthumsrecht ſelbſt dem 
beſiegten Kegenten nicht zuftebt, fo wie auch der Sie- 
‚ ger nichts in der Verfaffung des befiegten Staates 
verändern, ober deſſen Unterthanen zu feinem Dienfte, 
und zur Vebernahme einer Verpflichtung gegen ihren 
sechtmäßigen Regenten nöthigen kann. 


Was vom Kriege überhaupt, und namentlich 


vom Landkriege gilt, muß, nad) ber Vernunft, 
auch vom Seefriege gelten. Die in der Wirf- 


lichkeit beftehenden Verfchiedenbeiten beider gehös 


ren bem practifchen europäifgen Wölfen 
rechte an, 


Heinr. Stil. <ılöirner, über den Krieg; ein 


Pbitoferbitser A Verſuch. Lpz. 1815. 8. 


’ 74. . 
Bundesgenofſen im Kriege. 


Sobald an dem Kriege zweier Staaten noch an- 
dere Staaten Theil nehmen; ; fobald muß dabei zwifchen 
eigentlid verbünbeten und blos & Ifstleis 
ft enden Mächten unterfhieden werben. Der Bund 


zweier ober mehrerer Mächte zur Eröffnung eines Krie⸗ 


ges beruht auf einem Vertrage, abgeſchloſſen für die 
gemeinfchaftliche Fuͤhrung Des Krieges, ‚wegen’ erlif> 

tener gleicher Beleidigungen und Kechtsverlegungen, 
- wo alfo theils der Rechtsgrund, theils der Zweck 
des Krieges ihnen gemeinfchaftlich if, Die Verbun- 
Denen gelten, als ſolche, für Eine Macht, und alle 
NPlane zur Führung des Krieges, alle während: des 
Krieges erlittene. Verluſte oder exfämspfie MWarcheile, 


ſoo wie die Unterhandlungen uud Vedingungen des 


. 


\. 


316 Staats. und Scaatenrecht. 


Friedens ftehen Ihnen nach gleichen Verhaͤltniſſen zu:. 


Denn nur indrei Fällen kann, nach dem Vernunft⸗ 
rechte, der eine verbündete Staut vbne feinen Bun⸗ 
desgenoffen durch einen befonbern (Separat) Srieden 
mit dem Feinde aus dem 


Krieges von den übernommenen Verpflichtungen ent“ 
bindet; ‚oder wenn der Bundesgenoffe feine vertrags- 
mäßig eingegangenen DBerbindlichfeiten nicht erfüllt, 
und mithin an feinem Theile thatſachlich den Vertrag 
bricht; oder wenn der eine Staat allein von dem 
Zeinde überwältigt worden ift., und er auf feine an» 
dere Weife feine Selbfiftändigfeit und Integritaͤt, den 
gehen Zwed aller Staaten, erhalten und retten 
ann: 


Von biefer Verbindung zweier oder mehrerer 
Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Kriege iſt der 
blos huͤlfsle iſten de Bundesgenoſſe verſchieden, 
welcher, , vermöge eines frühern Buͤndniſſes mit 
einem anbern. Staate, zur: Unterflügung beffelben 
bei der Eröffnung eines Krieges verpflichtet iſt, ohne 
Doch mit dem verbundenen Staate gleiche Belei— 
digung und Verletzung ſeiner Rechte und 
alſo gleichen Zweck bes Krieges zu theilen, weshalb 
er auch nicht mit ſeiner ganzen Macht als beleidigter 


Staat, ſondern bios unter den früher vertragsmäßig | 


feftgefegten Bedingungen der Hülfe in.einem eintre« 
senden ‚möglichen Halle, an dem Rampe Fell 
nimmt, 


"Die Subſidienzahlung, fire de let 


Aichen Theilnahme am Kriege, kennt nur die 
Staacstunſt nicht das Staatenseht, nt 


1 —* 


riege heraustreten: wenn 
ihn entweder der Bundesgenoffe felbft im Laufe bes’ 











‚Staats » und Staatenrecht. 317 
. ' u 


75. 
Recht der Neutralität. 





Aus dem Begriffe der Selbftftändigfeit und 


| Unahhängigfeie der Staaten geht von felbft hervor, 
daß es jedem Staafe, bei einem. beginnenden Kriege, 

frei ftehen muß, ob er daran "Theil nehmen, oder 
neutral bleiben will, fobald ihn nicht frühere Buͤnd⸗ 
niſſe zur Theilnahme verpflichten , oder felbft erlittene, 
Beleidigungen ihn Dazu berechtigen, Aus dem Rechte 
der Neutralitaͤt folgt aber, daß der neutrale Staat 
feine gefammten ‚bisherigen Verhältniffe gegen die 
friegführenden Mächte beibehält, und von benfelben 
weder in feinen öffentlichen Kechten, noch in den Pri» 
vatrechten feiner Bürger, befonders in Hinficht auf 
die Freiheit des Handelsverfehrs, befchränft werben 
darf, daß er aber auch nicht den einen friegführenden 
Staat zum Nachtheile des andern „offen ober geheim, 
mit Kriegsbebürfnifien unterſtuͤtze, ober ihn überhaupt 
‚auf irgend eine Weife begünftige. Zugleich ergibt fich 
aus dem Nechte der Neutralität, daß der neutrale 
Staat, nach vorhergegangener Bekanntmachung gegen 
beide friegführende Theile, feine Neutralität bewaff- 
‚net behaupten, feine Grenzen befegen und vertheidi- 
gen, und jede Betretung oder Verlegung feines Ge⸗ 
biets von einer der ‚Friegführenden Mächte duch eine 
Kriegeerfiärung an diefelbe ahnden darf 


76. 
Der rechtliche Friede. 
Der Friedensſchluß hat die Beſtimmung, 


ben Krieg rechtlich zu beendigen. Soll dies ge . 
fchehen; fo muß der in feinen Rechten verlegte Staat 


’ . 
338. Etaats- und Stagtenrecht. 


durch die Bedingungen des Friedens eheild Wieder- 
berftellung des vor dem Kriege beftandenen Rechts- 
. zuftandes,. theils Genugthuung für die Verlegung 
feiner Rechte ‚ tbeils Entſchaͤdigung für die Koften 
‚des Krieges, Dafern diefe nicht.gegenfeitig aufgehoben‘ 
werden, ch eils beftimmte Gemwährleiftung feiner 
kuͤnftigen Sicherheit vor ähnlichen Rechtsverlegungen 
erhalten. Jeder Friede, der nicht eine befriedi- 
gende Ausföhnung der kriegfuͤhrenden Theile, und 
eine. völlige Ausgleichung ihrer Rechtsftreitigkeiten 
enthält, würde nur den Stoff zu einem neuen Kriege _ 
Darbieten. Es ift daher Pflicht für den Sieger, die 
* Bedingungen des Friedens nach den Geundfäßgen 
der Gerehtigfeic und Maͤßigung, und niche 
nach den vorübergehenden. Erfolgen einzelner gluͤck⸗ 
“ ticher Ersigniffe, aufzuſtellen, weil nicht blos das 
Recht, ſondern felbft die Kingbeit verlangt, Daß der : 
befiegte Staat nie durch überfpannte Forderungen 
für die Zufunft in einen unverföhnlichen Feind ver> 
wandelt, fo wie.bas Mißtrauen und die Eiferfuht - 
ber andern neutralen Staaten gereizt werde; aud) daß 
der befiegte Theil den Frieden mit Raͤckſicht auf die 
innern und äußern Verhaͤltniſſe feines Staates ſchlie⸗ 
gen und halten könne. Denn nad) der Vernunft ift 
jeder Friedensvertrag ungerecht, welcher den befiegten 
Staat entweder feiner Selbftftändigfeit und feiner 
eigenthümlichen Verfaffung, ober doch feiner Inte⸗ 
gritaͤt beraubt, oder ihn in fortdauernde Abhaͤngigkeit 
nach den innern und aͤußern Verhaͤltniſſen zu dem 
Sieger ſtellt, oder ihn gar in der Reihe der beſtehen⸗ 
den Staaten "vernichten will, 

Der erfte Antrag jum Frieden fann aber vom 
befiegten, oder vom fiegenden Theile, oder von einem 
Bundergenoffert beider Theile , oder von einem neu⸗ 


Staats» und Staatenreche. | 319 


tralen Staate gefchehen. Durch Vermittelu ng 
ober Bürgfchaft des Friedens fonnen auch an«. 
dere Staaten an einem Friedensſchluſſe Theil neh- 
men, Die Gültigfeit des Friedens endlich beruht auf 
‚ber Unterfehrift und Beftätigung deſſelben von den 
Regenten ber friegführenden Staaten. 

Eman. Kant, zum ewigen $rieden. Königs. 


1795. 8. | | 
dr. v. Gens, über den ewigen Frieden; inf. 
biftor. Journ. 1800, Dec. S. 7ıı ff. 
Karl Sal. Zacharia, Janus. Lpj. 190. 8. 





320 





Pe ı EEE 
Die Staatstun ei). 


Einieitung 


iR 


- 4. 
VBorbereitende Begriffe 


Disteih unter allen Benennungen der einzelnen 
Staatswiffenfchaften der Name der Politif dee 
älteite iſt; fo ift doch. bereits feit Jahrtauſenden 
weder in der Wiſſenſchaft, noch in der Praxis, ein 
und derſelbe Begriff damit "verbunden morden. Bald | 
ward er weiter, bald enger gebraucht; und fo auch noch 
“in unfrer Zeit, Denn wenn Einige unter der Dos 
litif den ganzen Umfang fämmtlicher Staatskennt⸗ 
niffe verftehen, und diefem Begriffe eben fo das, 
Staatsreht, wie die Staatsflugheit, eben fo die 
Volfs-» und Staatswirthfchaft, wie die Finanz und 
Polizeiwiſſenſchaft unterordnen; fo betrachten dage⸗ 
gen Andere die Politif blos als einen Anhang des 
Staatsrechts, und gründen fie auf bloße Rechts⸗ 
grundſaͤtze, während wieder Andere fie nur als 
Klu ghri tslehre behandeln, wobei das Recht keine 
Stimme haben duͤrfe. Manche glauben, es ſey hin⸗ 
reichend, die Policit zu einer wiſſenſchaftlichen Form 














Staatskunſt. | 321 


zu erheben, wenn fie diefelbe als das Ganze gewiffer 
abſtracter Lehrſatze über Staat, Staatsorganismus, 
Verfaffung und Verwaltung im Geiſi⸗ eines pbilofor 
phifhen Modeſyſtems darftellen, ohne irgend eine 
Ruͤckſicht auf Das in der. Wirflichfeie beftehende und 
ausführbare zu nehmen; andere hingegen verfporten 
alle Abftraction und alles, was aus der Vernunft für, 
das wirfliche Staatsleben hervorgehen muß, und ver⸗ 
wandeln die Wiffenfchaft in ein unzufammenhängen« 
des Aggregat von einzelnen “Beifpielen, Thatfachen 
und Säßen, welche in den Kreifen der Gefchichte und 
Erfahrung vorliegen. Allein fo wenig von der einen 
Seite blos die rei Abftraction in das Gebiet der 
Politik gehört; fo wenig reicht auch von der andern 
Seite die bloße Erfahrung und Gefchichte aus, das 
wiflenfchaftliche Gebäude der Politik feft zu begrün- 
den und gleichmäßig durchzuführen. 

Abgeſehen von diefen Mißgriffen in älterer und 
neuerer Zeit, fcheint e8 in der Thut nur zwei Wege 
zu ‚geben, welche zu einer -wiffenfchaftlichen Begrün« 
"dung und Durchbildung der Politif führen koͤnnen; 
entweder fie wird als die Gefammehelt aller 
- practifhen Staatsfenntniffe dargeftellt, und 

Dadurch die felbftftändige Geftaltung und wiffenfchaft- 
liche Durchführung der Staatswirthſchaft, der Finanz⸗ 
und Polizeiwiſſenſchaft, ja ſelbſt des practiſchen euros 
päifchen Völferrechts und der Diplomatie, für über 
flüflig und entbehrlich erflärt, weil fie — nad jener 
Anſicht — alles Wichtige biefer Wiſſenſchaften in 
ihre Mitte auſnimmt; oder fie tritt in Die Kreiſe der 
übrigen Staatsmiffenfihaften mit einem eigens, 
thbümliden Begriffe und feldftftändigen 
Charafter ein, fo daß fie zwar in vielen Lehren 
und Anfichten mehreren andern Staatswiſſenſchaften 
I 21 


% 
2 
J 
N 
r 1 % 
a 
—— — | 


⁊ 


322 Staatskunſt. 


bedeutend ſich nähert, doch aber nach Ihrem beſtimm⸗ 
ten Begriffe und na) ihrem dadurch ſcharf begrenzten 
- Umfange, das eigentliche-Gebiet der übrigen felbft- 
ſtaͤndigen Staatswiſſenſchafren keinesweges beeintraͤch⸗ 
tigt. Nach dieſer zweiten Anſicht wird ihre ſyſte⸗ 
matiſche Darſtellung hier verſucht. 


2, 
Begriff und Umfang der Staatsfunft. 


Die Staatsfunft (Politif) ift die wiffen- 
fhaftliche Darftellung des Zufammenhan- 
ges zwifhen dem inneren und äußern 
Staatsleben, nah den Örundfägen des 
‚Rechts und der Klugheit. So wie namlid 
bei jeder irdifchen Organifation das innere und, das 
äußere Seben derfelben, verfchieden von einander, auf 
gefaßt werden fünnen, obgleich beide in ihrem Zus 
fammenhange eben das Wefen der Organifation und 
die erfennbare Anfündigung derfelben vermitteln; fo 
auch bei dem Staate. Jeder Staat kann und muf 
nämlich, als ein politifches Ganzes, in einer zwei: _ 
fahen Hinficht betrachte werden; nach feinem 
innern *) und nad) feinem äußern Leben, und 


*) Selbſt der Fuͤrſt von Metternich unterfchied 
zwifchen dem innern und äußern Ötaateleben 
in f. Schreiben vom 7. Febr. 1818 an den oͤſtreichi⸗ 
fhen. Sefandten in der Schweiz, wo es beißt: 
„Nach den fürdterlihen Stürmen, welche Europas 
erichärtere hatten, und wodurdh nicht nur Die 
gegenfeitigen Raatsrehtlihen Verhälk 
niffe feiner einyelnen Staaten nach und 
nah zu einem Chaos umgeftaltet,, fondern auch die 
wefentlihen Pfeiler des innern politis 
fhen Lebens, Recht und Billigkeit, aus ihrem 
Grunde gehoben worden waren‘ u. f. w, — , 





Staatskunſt. 333 


wach ber- Wechfelmirkung beiber auf einander, 
Die aus einem Zufammenhange zwifchen beiden 
hervorgeht, durch weichen die. erfennbare Ankuͤn⸗ 
digung und Wahrnehmung ſowohl des innern -als 
des Außern Sebens vermittele wird. So wie nun, in 
der Regel, bei allen irdifchen Drganifationen das 
innere geben derfelben die Grundbedingung des 
äußern, nnd diefes äußere Leben eine Wirkung und 
Solge des innern bleibe; fo auch im Staatslehen. 

Das innere Seben eines Staates wird ‚aber 
zunaͤchſt erfannt an der Eultur feiner Bürger, an 
feinem Organismus und Verfaffung, Re 
gierung und Bermaltung, und an' den, in 
dem eigenthümlihen Charakter des Volkes, * wie 
In der Verfaſſung, Regierung und Verwaltung 
enthaltenen, Bedingungen der rechtlichen 
Fortbildung des Innern Staatslebens, 
weil alles, was lebt, nie ftillftehen fann, fondern 
entweder fortfehreite oder ruͤckwaͤrts gebt, 

Das äußere Leben eines Staates hingegen wird 
erkannt an der Art und Weiſe, wie derſelbe mit an⸗ 
dern neben ihm beftehenden Staaten in Wechſelwir⸗ 
kung und Verbindung ſteht, und wie er, im Falle 
eintretender Rechtsverletzungen, den Zwang gegen die⸗ 
ſelben anwendet. 

Bei dieſer Anſiche der Staatskunſt, als 
einer ſelbſtſtaͤndigen Wiſſenſchaft, wird als 
lerdings das im philofophifchen Staats» und Staaten- 
rechte aufgeftellte deal der unbebingten Herrſchaft des 
Rechts in jedem einzelnen Staate, fo wie in der Wech⸗ 
felwirfung der gefammten neben einander beftehenden 
Staaten, vorausgeſetzt; allein durhgehends verbin: 
Hetdie Stantsfunft theil s in ihren Grundlehren 
mit dem’ been Zwecke des Rechts ven Zweck ber 

21° 


324 Staatskunſt. 


Wohlfahrt, forscht der Individuen , als ber gan⸗ 
zen GSefellfhaft; theils ftelle fie, für bie möglichfte 
Verwirklichung dieſer beiden Zweck des Rechts und 
der Wohlfahrt, die wirkſamſten Mittel auf, 
wodurch die Vorſchriften der Klugheit (denn die 
„ Klugheit befteht in ber Kenntniß und Wahl der wirf- 
famften Mittel zur Erreichung eines gewiſſen 
Zweckes), in die Mitte der Staatsfunft aufgenommen 
werden. Diefe Vorfchriften der Klugheit ftammen | 
‘aber , als folhe, nicht aus der Vernunft, wie bie 
‚heiligen Gefege bes Rechts, fondern aus der Er⸗ 
fabrung; es müffen daher durchgehende in der 
Staatsfunft die anwendbarften und treffendſten Be⸗ 
lege aus der Gefhichte der Vergangenheit 
und Gegenwart entlehne und mitgetheilt werden, . 
um bie Anwendung - der. wirffamften Mittel: für die 
Erhaltung, Bewahrung und Erhöhung des Zufam- 
menbanges zwifchen dem innern und äußern Staats⸗ 
leben zu verfinnlihen und zu beweiſen. In dieſer 
Hinſicht Fonnte man auch die Staatsfunft als die 
Wiffenfchaft bezeichnen, wie das deal des Staa» 
tes in der Wirklichkeit nach den Grundfägen des Rechts 
und der Klugheit verwirklicht werden foll, obgleich in 
dieſer Begriffsbezeichnung die beiden Hauptgegenſtaͤnde 
des innern und aͤußern Staatslebens nicht mit 
Beſtimmtheit hervortreten. 
Allein fo entſchieden die aus der Geſchichte ger 
fchöpften Lehren und Belege in das Gebiet, und felbft 
zum eigentlichen Weſen der Staatsfunft gehören : fo 
fann doch das Werhältniß zwifhen ben 
Grundfägen des Rechts und den Regeln. 
der Klugheit innerhalb der Staatsfunft nur nad) 
dem Maasftabe feftgefege werden, daß die Grundfäge 
des Rechts, hervorgehend aus dem Weſen der Ver⸗ 


— 


Staatskunſt. 325 


nunft, ewig und unveränberlich, die Regeln der Klug⸗ 
heit hingegen, welche aber den Grundſaͤtzen des Rechts 
nie widerftreiten dürfen, aus der Erfahrung und 
Geſchichte abgeleitet, und durch die Eigenthuͤm⸗ 
lihfeie jedes einzelnen Staates, fo wie 
Durch die befondern örtlihen Verhaͤltniſſe deffelben, 
theils nach feinem innern Leben, theilg nad). feiner 
Wechfelwirfung mit andern Staaten, und durd) feine 
jedesmaligen Zeitbedürfniffe bedingt find *). 
Sao fannz. 3. nie im Staatsrechte, wohl aber: 
muß in der Staatsfunft der Einfluß des Klima, 
- des Bodeus, der Lebensmweife, der DVerfaflung, 
Regierung und Religion auf die Entwidelung der 
Völker gewürdigt, — die Eigenehümlichfeit und 
Derfchiedenheit der Staatöverfaffungen mit Einer 
Kammer oder mit zwei Kammern angegeben, — 
in der Lehre van der Gerechtigfeitspflege von Frie⸗ 


*), Ganz übereinfiimmend mit diefer Anficht fagt Fr. 
v. Gentz in feinem biftor. Journale, 1800, 
Febr. ©. 115 ff.: „Die Zwecke der Gefelifchaft lafs 
fen ih fämmtlid auf zwei Hauptzwecke zurüdfühs 
ren: Gewährleiftung für das Recht der Bürger; 
Erhaltung und - Beförderung -der gemeinfchaftlichen 
Wohlfahrt. Sin einer reinen Theorie der Staates 

. wiffenfhaft ift der letzte diefer beiden Hauptzwecke 
dem erften untergeordnet; und in dem reinen Ideale 

‚ eines Staates gibt es fogar Beinen andern Ends 
zweck, als diefen; denn eine Verfaffung, welche die 
abfolute Sicherheit aller Rechte verbürgte — würde, 

vr ohne alles; weitere Zuthun, auch die Verfaffang der 

.:chöchften gemenſchaftlichen Wohlfahrt fern. Was, 
aber in der vollendeten Sphäre des deals nur. 

„Mittel iſt, feige .in der Unvolllommenheit des 

wirklichen Lebens zum Range eines erfien Zweckes 

' hinauf.“ en , : a = ‘ 


v 


N 


‚320 Staatskunſt 


densrichtern, Schwurgerichten u. ſ. w. gehandelt 
werden, wel alle dieſe Gegenſtaͤnde nur nach den 

tnaen. der Geſchichte näher erortert werden 
onuen . 


\ 3 
wet und teile ven Staatstunfl 


Aus dem aufgeftelften eigenthümlichen Begriffe 
der Staatsfunft geht zugleich ihr fetbftftändiger Zw e f 
mit Nothwendigkeit hervor. Ihr Zweck ift namlich: 
bie Verwirklichung desZufammenhanges 
zwifchen dem innern und äußern Staats 
leben nad) den Örundfägen.bes Rechts und der Klug⸗ 
heit; Recht und Wohlfahrt follen, in unauflös- 
lichem Bereine, fowohl innerhalb Des Staates, als 
in feiner Anfündigung nad) außen, durch die wirf- 
ſamſten Mittel begründer, erhalten und für immer 
gefichert, und dadurch follder Staat als ein leben: 
voller, in ſich ebgefchloffener und vollendeter, zu⸗ 
gleich aber auch als ein, durch die Fülle: feines innern 
Sebeng zu immer höherer Kraft und Vollkommenheit 
ſich ausbildender, Organismus dargeftelle werden, 
Doch nicht vblos der Zweck, auch die Theile 
ber Staatskunſt ergeben ſich aus jenem Grundbegriffe 
der Wiffenfhaft; denn nach bemfelben ‚jerfälle bie 
Staatskunſt: 
4) in die Lehre von dem Innern Staats— 
leben, und 
2) in die Lehre von dem äußern Staatsleben, 
nad) allen zu beiden gehoͤrenden weſentlichen einzelnen 
" Bedingungen, 
Wenn einige ältere und ſeldſt neuere Schriffftel- 
ter der Politik in der wiffenfchaftlichen Darſtellung 











Staatskunſt. 327 


derſelben, zu er ſt von den auswärtigen An- 
gelegenheiten, und ſod ann von ben innern han— 
delten; ſo kounte ihnen dabei das nothwendige in» 
nere Verhaͤltniß zwifchen beiden. nicht eingeleuchtet 
haben. Jedesmal iſt das innere Etaatsleben bie 
Grundbedingung des äußern. Denn. wenn gleid) 
die Ruͤckwirkung deraͤußern Verhaͤltnifſe 
eines Staates auf.das Innere durchaus 
nicht abgeläugnet werben full, eine Ruͤckwirkung, 
welche ‚ nad) den Ausfagen der Gefchichte, oft 
über. alle Erwartung guͤnſtig, oft aber auch bei» 
fpiellos nachtheilig fih ankuͤndigt; fo würde 
doch felbft diefe Ruͤckwirkung von außen nah 
Innen gewiß durchgehende einen ganz andern 
Charakter behauptet haben, wenn niht vorher 
die Anfündigung und Richtung nad) außen Dur 
das innere Staatsleben bedingt gemwefen 
märe. Mur ausder Ordnung, Seftigkejtund Gleich: 
mäßigfeie in ihrer innern Geftaltung laßt es fich 
erflären, warum, nach dem Zeugniſſe der Gefchichte, 
nicht. felten ſcheinbar minder wichtige Staaten in 
entſcheidenden Augenblicken nach außen eine Kraft 
entwickelten, die man ihnen vorher nicht zugetraut 
haͤtte, und die nicht nur für ihr eigenes politiſches 
Schickſal, fondern auch fiir andere Staaten den 
Ausfchlag gab, Durch dieſe Kraft des innern 
Lebens widerſtanden in der Welt des Alterthums 
die griechiſchen Freiſtaaten dem Weltſturme 
der perſiſchen Kaiſer; fie unterlagen aber den 
Croberungen der Römer, als diefe Bluͤthe und 
Kraft ihres innern Sebens erfchüttert und vernichtet 
- worden war. Unterſtuͤtzt von diefer inneren fe 
- bensfraft feines durch die Kirchenverbeflerung zur 
religiös» politifchen Freiheit gebrachten Staates, 


328 Staatskunſt. 


noͤthigte (1552) Moritz von Sachſen ben Kai- 
fer Karl 5 zur öffentlichen Anerkennung der kirch— 
lichen Freiheit der Proteſtanten. Dieſelbe innere 
Kraft war es, wodurch die Schweizer im 14ten, 
und bie Niederländer im 16ten Jahrhunderte 
ihre Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhängigkeit erkaͤmpf⸗ 
ten und behaupteten; und vermittelft der Wieder⸗ 
geburt des innern Staatslebens wurden in Bran- 
bdenburg der große Churfürft, und noch mehr 
‚ fein Urenfel Friedrich 2, die Begründer einer 
neuen Ordnung der Dinge, — Dagegen zeigte 
- Spanien feit Philipp 2, wie tief ein mächtiger, 
noch kurz vorher nad) dem Prineipat in Europa 
ſtrebender, Staat finfen fann, wenn deffenin- 
nere gebensfraft enemifht worden ift; 
gleiches fündigte Frankreich an unter Ludwig 15 
nach Fleury’s Tode, und bdaffelbe gilt von dem 
Innern Staatsleben des osmanifchen Reiches! 


N 4. 
Verhältniß der Staatsfunft zu den übrie 
gen Staatswiffenfhaften 


Behandelt man die Staatsfunft, wie Einige 
thun ($.1.), als die Gefammtheit der practiſchen 
Staatsfenntniffe; fo ift fie dann das Ergebniß 
aller Staatswiffenfhaften jufammen, ' 
ohne ‘daß fie — abgefehen von der in ihr verfuchten 
Zufammendrängung der wichtigften ftaatswif- 
fenfchaftlihen Gegenftände — einen eigenthumlichen 
und felbftftändigen Charakter in der Reihe der übri- 
gen Staatswiffenfchaften behauptet. Wird aber die 
Staatsfunft aus dem ($. 2.) aufgeftefften Begriffe und 
Standpuncte, als die wiffenfhaftlihe Dar« 





Staatsfunft. 229. 


ftellung bes Zufammenhanges zwiſchen 
dem innern und äußern Staatsleben-naf . 
den Örundfägen des Rechts und der Klug⸗ 
beit aufgefaßt; fo komme ihr nicht nur ein ſelbſt⸗ 
ſtaͤndiger wiſſeuſchaftucher baratte und ein 
eigenthuͤmlicher Zweck ($. 3.) zu; es läßt ſich auch 
ihre Stellung in dem Kreiſe der geſammten Staats⸗ 
wiflenfchaften und ihr Ver haͤltniß zu den uͤbri⸗ 
gen Staatswiffenfhaften beſtimmt und ſicher 
ausmitteln. | 

Sie ift namlich, in der Reihe der übrigen 
Staatswiflenfhaften, weder eine reinphilofophifche, 
noch eine eeingefchichtliche Staatswiſſenſchaft (Ein 
leie. $.3. und 5.), fondern eine gemifchte, d. h. 
eine aus philoſophiſchen Grundſaͤtzen und aus gefchicht- 
lihen Thatfahen gleihmäßgig gebildete Wiſ— 
fenfhaft. Denn nur aus philofophifchen Gtund- 
fügen fann, auf den aus der Erfahrung ftammenden 
Begriff bes Staates die Lehre von dem Unterfchiede 
zwifchen dem innern und dem äußern Staatsleben, 
von der Wechfelmirfung zwifchen beiden, und von der 
Herrfchaft des Rechts, als der wefentlichen Unterlage 
beider, des innern und des äußern Staatslebens, ab» 
geleitet werden; allein aus der Erfahrung und 
Geſchichte gehen die Beiſpiele zur Verſinnlichung 
dieſer Ankuͤndigung und Wechſelwirkung des innern 
und aͤußern Staatslebens hervor, und nur die Ger 
fhichte bietet die Regeln der Klugheit dar, nad) 
welchen jedesmal die wirffamften Mittel für die 
Zwecke des innern und äußern Staatslebens ange- 
wande werben dürfen und follen. — Der mwiffenfchaft- 
liche Charafter der Staatsfunft ift daher fchon Dadurch ‘ 
von dem Charakter der meiften übrigen Staatswiflen- 
[haften verfchieden,, daß dieſe Wiſſenſchaft, ihrem 


| recht aufitelle, auch in der Staatsfunft, gelten; nur 








330 Staatskunſt. 


urſp runge nach , eine gemiſchre Wiſſenſchaft , 


0 Mad ihrer Stellung zu Den übrigen 
Stantswiffenfhaften fegt aber die Staatsfunft ' 
Das Staatsrecht voraus; denn eine Staatsfunft, 
welche nicht auf die Herrfchaft des Rechts fich gründet, 
graͤbt fich ihr eigenes Grab, Die Klugheit, bie das 
Roche verſchmaͤht, der alfo (nad) der Moral der Je⸗ 
fuiten) jedes Mittel zum Zwede gilt, kann - 
nur auf eine kurze Dauer befteben; ein unwiderleg⸗ 
barer Zeuge von 6000 Sahren , die Gefchichte, 
verfündigt in dem Sinfen und dem Untergange mäch- 
tiger Reiche, wohin die Klugheit ohne Recht führe, 
Es muß daher das, was das Staats- und Staaten» - 


daß es, nad) dem eigenthümlichen Charaffer diefer 
MWiffenfhaft, jedesmal in Beziehung auf die befon« 
dern Verbältniffe jedes einzelnen Volkes und Staa» 
tes aufgeftelle und angewandt wird. So gibt z. B. 
die Staatsfunft in Hinficht auf die im Staatsrechte 
enthaltenen Sehren von der Staatsverfaffung, Negie- 
rung und Verwaltung den erläuternden und verfinn- 
lihenden Commentar zu diefen Sehren, und erweitert 
namentlid) bie Lehre von der Verwaltung, nad) deren 
einzelnen Theilen, zu ihrem ganzen wiflenfchaftlichen . 
Umfange, weil fie bamit die aus der Geſchichte ftam- 
menden und durch die Erfahrung. bewahrten Lehren 
verbindet. Weil aber das Staats» und Staatenrecht 
felbft rückwärts auf Das Natur » und Voͤlkerrecht fich 
ftügt; fo dient das legtere aud) der Staatsfunft — 
vermittelft des Staats» und Staatenrehts — zur 
allgemeinften Unterlage und zum legten Entfcheidungs- 
grunde in zweifelhaften Fallen. 

Gegen die Volks wirthſchaft, Staats 





+ 




















N 


Stastsfunfl, 331 


wirtbfhaft, —— und: Pollzeimfffen 
{haft ftehet die Staatskunſt in demjthigen Wen ölte 
ne, daß fie deshalb — meil ihr die wiffenfchaft- 
liche "Darftellung der gefammten Staatsver 
waltung: eigenthuͤmlich ‚und zausfehlisgenn ; 3yger 
hört mehrere der wichtigſten Engebniffe. 
der drei letzten Wiſſen ſchaften (von welchen die Staats · 
wirthſchaft auf die Volkswirthfchaft ſich gruͤndet) in 
-fida ufnehmen muß, weil eben dieſe Wiſſenſchaf⸗ 
ten zwei Hauptzweige Der Verwaltung — das Fi⸗ 
nanzweſen und die Polizei — nach ihrer. ſyſtemati⸗ 
ſchen Begruͤndung Haitung und Durchführung be⸗ 
andeln. 
Selbſt den geſ Hihrlihen Staatswiſſenſchaf⸗ 
ven (der Gefchichte.des europaͤiſchen Staatenſyſtems 
aus dem Standpuncte der Politik, der Staatenfunde, 
dem öffentlichen Staatsrechte, dem practifchen euro« 
päifchen Voͤlkerrechte und ber Diplomatie) ift die 
Staatsfunft.naheverwand.t, meil alle in ihr ent- 
haltene Regeln der Klugheit: auf‘ die Thatfachen der 
Gefchichte fih ftüßen, und fie ihre Grundfäge und 
Lehren eben durch) Beifpiee alıs der Gefhichte am 
lebendigften verfinnliht und’ am einleuchtendften 
nachmeifet... Wenn ‚aber von den gefhichtlihen 
Staatswiffenfchaften die Staatenfunde und das 
öffentliche Staatsreht, fo wie bie Gefchichte des 
europäifchen Staatenfoftems, hauptfächlich die Be⸗ 
lege für die Lehren über Die Geſtaltung des innern 
Staatslebens darbieten; fo Dienen die in dem practis 
fehen europäifchen Wölferrechte und in ber Diplomatie 
iſſenſchaftlich geordneten Stoffe, zum Theile. aud) 
iele Thatfahen aus der Gefchichte ‘des europäifchen 
Staatenſyſtems, zunächft zur Erläuterung der Lehren 
über die Geſtaltung des äußern GStaatslebens und 


32° Staatskunſt. 


über 2 Behfinisting der Staaten’ gegen einan⸗ 
der 2). 


«to oo. ‘,. . “ [3 ‘ 





” Se meinen wieberhohiten Vortraͤgen über bie gefamms 
sen Staatswiffenfhaften habe ich nur bei des-einzis 
—gen Poltrit Äber die Stelle geſchwankt, wohin 
‚fie in der Reihe und Aufeinanderfolge der Staates 
wiſſenſchaften gehört. Denn ob id gleih den vers 
dienten Männern mich nicht anfchließen kann, welche 
— ſie — indem 'ſie das Wort Politik in dem weis 
....xteften Sinne nehmen — gleidfam als die Quint⸗ 
- eflenz aller Staatslenntniffe behandeln, und in fie 
eben fo das Staatsrecht, wie die Volkswirthſchaft, 
Die Polizei: und Sinanzwiffenfchaft, das Völkerrecht 
und die Diplomatie aufnehmen (was für mich im⸗ 
» mer einige Aehnlichkeit mit einem Macbethiſchen 
Hexenbreie gehabt hat); fo habe ich fie doc im. 
doͤffentlichen Worträgen — nad meiner Anfiht und - 
Behandlung derfelben, die ich im $.2. aufftellte, — 
gewöhnlidy erft auf Die Vorträge der Volkes 
wirchfhaft, Staarswirthfhaft, Finanz 
und Polizeiwiſſenſchaft folgen laffen, 
‚ weil fie allerdings aus diefer fuftematifhen Darſtel⸗ 
lung zweier SHauptverwaltungszmweige im Staate 
mehrere Reſultate entlehnen muß, deren Wahrs 
heit noch beſtimmter fi ankündigt, wenn fie bereits 
in der wiffenfchaftlihden Deduetion, melde in die 
Staatswirchfehaft, Finanz: und Polizeiisiffenfchaft 
gehört, befriedigend durchgeführt worden find. Allein 
immer bleiben dies nur zwei wefentliche Theile der 
Verwaltung, während die beiden andern, Die Gerech⸗ 
tigkeitspflege und das Kriegswefen, aus 
f&hließend ihre Stelle in der Staatskunft behaup⸗ 
ten, Wollte man endli ganz confequent feyn; fo 
‚müßte deshalb, weil aud aug den gefhidts 
Ligen Staatswiffenfchafeen unzählige erläuternde, 
Thatſachen und Beiſpiele in die Staatskunſt gezogen 
werden koͤnnen, der ſyſtematiſche Vortrag der Staats⸗ 
kunſt gar an den. Schluß der gefammten 


- 


\ Staatskunſt. 333 


5. PD 
Literatur der Staatskunſt. 


Nach der bereits bei der Literatur des Staats⸗ 
rechts (Staatsr..$.8.) aufgeſtellten Bemerkung, mark 
teils in der Welt des Alterthums, theils feit der 
Wiederherſtellung der Wiffenfchaften im Abendlande 
bisherab aufden Anfang des achtzehnten 


Jahrhunderts, von den ftaatswiffenfchaftlichen 


Scriftftelleen zwifhen Staatsreht und 
Staatsfunft durchaus nicht ſtreng unter 
ſchie den; ja viele Schriftfteller des 18ten und 19ten 
Jahrhunderts gefallen fi) noch immer in der bunt⸗ 
artigen Mifhung beider Wiffenfchaften. — Es bür- 
fen daher hier die im Staatsrechte ($.8.) angeführten 
Werke von Plato, Ariftoreles, Cicero, Mac 
Hiavell, Morus (Utopia), Bodin, Lipfius, 





(philoſophiſchen und gefhihtlihen) Staatswifs 
fenfchaften gebraht werden. Doc a potiori At 
denominatio. Zunädft, und in dem Hauptgrundſatze 
der unbedingten Herrfhaft des Rechts, 
ſtuͤtzt ſich die Staatskunſt aufdas Staatsredt; 
die wichtigſten Lehren des Staatsrechts, die von 
der Verfaſſung, Regierung und Verwal⸗ 
tung, werden, nach ihrer theoretiſchen Begruͤndung, 
in der Staatskunſt aus dem Staactsrechte entlehnt 
und nur weiter fortgeführt und erläutert; felbft das 
äuß.ere Staatsleben findet die Grundlage feiner 
rechtlichen Seftaltung im Staätenrehte; dieſe Rück 
fihten — und der dadurch für.die Zubdrer ev 
leihterte Vortrag der Staatskunſt unmits 
telbar nah dem Staatsrechte — gaben bei 
mir zulege den Ausſchlag dafür, der Staatskunſt 
ihre Stelle fogleih nach deren Staatsrechte anı 
zuweiſen. Doc ‚dies alles. salvo meliori. judicio ! 


334 Sigatskunß. 


v. Oſſa, Caſus, Beſold, Hobbes, Conring, 
Sidney; Spinoza, gode, v. Real, Rouf 
feau,Sampredt, Rüdiger, DBenfen, Craig, 
de Tracy, v. Haller u. a. nicht wiederhoit werden, 
obgleich diejenigen, welche die Staatskunſt beſon⸗ 
ders, und völlig ohne Verbindung mit dem Staats⸗ 
rechte behandeln, derſelben gebenfen muͤſſen. | 


Im Allgemeinen: ' 
Wild. Tot. Krug, was ift Holt, und was foQ 


fie feyn? in den’ Kreuze umd Queerzuͤgen auf 


den Speppen, der. Staatstunft und Wiffenfchaft. (ept 


1818. 8.) ©. 3 ff. 
Lüder, — — der Statiſtik und Politik, nebſt 


einer Begründung der politifhen Philofophie. Str. 


1812. 8. (non ©. 113 an.) 
Eine kurze Beurtheitung d. ältern Schriften über 
Politit finder fib in Jac. Aug. Frankenſteins 
Vorrede zu Gundlings Difcours über Politit. 
(Fekf. u. Lpz. 1733. 4) S. q ff. 
Gar. Dan. Henr. Rau, primae lineae bistoriae 
politices s. civilis.doctrinae. Erl, 1816. 8. 


* 
* 


%* 

Chriſt. Garve, Abhandlung über die Verbindung 
der Moral mit der Politik, oder einige Betradhtuns 
gen über die Frage, inwiefern es möglich fey, die 

. Moral des Privatlebens bei der Regierung der 
. Staaten zu beobadten. Bresl. 1788. 8. 

& A. von Derg, VBerfuh über das Verhältniß 
der Moral zur Politik. 23h. Heilbronn, 1790 f. 8. 

Adam Fergufon, ausführlihe Darftellung der 

. Gründe der Moral und Politik. Aus dem Engl. v. 
8.8. Schreiter. ır Th. Züri, 1796. 8. (blieb 
ohne Fortfegung.) 


(Der Anti:Leviarhan von Buchholz —' 


Stantsr. 9. 8. — nr auch hieher.) 
* 


Scheda regia. Regentent achtein bes hochloͤblichen 
vömifhen Kaiſers Justiniani primi. In 78 apho- 


- 








Staatskunſt. 335 


rismos oder Regeln abgefaßt, welde ihm geſtellt 
bat Agapetus. Aus dem Griechiſchen durch Mart. 
Moller. Sörlig, 1605. 8. 

Barth. Keckoermann, systema .disciplinae - 
politicae. Hanov. 1607. 8. 

Phil. Honoriua, praxis prudentiae politicae. 
Franc. ı610. 4 

‚Wolfg.Heider, pbilosophiae politicae systema. 
Jen. 16928. 4. 

Hieron. Cardani arcana politica 4. de pru- 
dentia civili, L,ugd. Bat, 1635. ı6. 

J. Buridani quaestiones in octo libros poli- 
ticorum Aristotelis. Oxon. 16,0. 4 

J. Micraelii regia politica scientia. Stettini, 
1654. 18. 

Chstn. Schütz, compendium politices. Dres- 
dae, 1655. 18. 

Jo. Althusii politica, methodioe digesto. Her- 
born. 1655. 8. 

J. Tob. Geisler de statu politico secundum 
praecepta Taciti formato. Anıst. 1656. 12. 

Geo. Schonborneri politicorum libri 7. 
Amst. 1660. ı2. 

Chstn. Liebenthal, collegium politicum, 
Gielsae ,' 1662. g. 

Marc, Zuerii Boxhornii institutiones poli- 
ticae. Amst. 1663. 12. 

Jo. Fr. Horn, politicorum pars architectonica 
de civitate. Utrecht. 1663. ı9. N. E. Franc. 
1672. 8. 

Casp. Seioppii paedia politices, et Gabrielis 
Naudaei bibliographia politica. N. Ed. cura 
- Conringii. Helmst. 1663. 4. 

Jo. Loccenii syntagma politicum, in quo 
continentur epistolae politicae Sallustii et Cicero- 
nis, illius de republica ordinanda, hujus de pro- 
vincia recte administranda. Fr. et Lips. 3673. 8. 

Lud. Kannengielser, theses politicae, Ser- . 
vestae, 1674: 4 

Balth. Cell rii politica succincta, ex Ari- 
stotele potissimum eruta. N. E. Jen. 1674. 8. 


‘ 


836 


Staatskunſt. 
J. Henr. Boecler, institutiones politicae. 


Argent. 1974. 8. N. E. 1688. 8. . 
Veit Ludw. v. Seckendorf, teutfcher Fürften 


ſtaat.˖ 3 Th. Frkf. am Main, 1678. 8 — Dep 


fen Ehriftenftaat. Lyz. 1686. 8. : x 

Sam. Pufendorf, politica inculpata, Londini 
Scanorum, 1679. 12, 

.J. Chstph. Becmann, meditationes politioze, 
Fr. ad Viad. 1679. 8. 

Hieron. Frachetta, feftgefehter Printzen⸗ oder 
Regenten⸗Staat' (gegen den Macchiavell). Frankf. 
1681. 8. 

J. Fr. Reinhard, theatrum prudentiae ele- 
gentioris ex Justi Liipsii Jibris politicorum 
erectum, cum praefatione Üonr, Sam. Schurz- 


-fleischii, Vit. 1708, 4 


Vollkommene Politica, worinnen gezeigt wird, wie 
der status ecclesissticus, politicus und oecononi- 
cus chriftlich , kluͤglich und profitabel einzurichten ſey. 
Freyb. 1704. 12. 

Jacq. Benig. Bossnet, politique tirte des pro- 
pres paroles de l’£criture sainte a Mouseigneur le 
Daupbin. Ouvrage posthume. 2 T. aBrux. 1710. 8. 

J. Sar. Lehmann, kurze, doch gründliche Anleis 
tung, die allgemeine u. Staatsklugheit gruͤndlich zu 
erlernen und leicht zu practiciren. Jena, 1714. 8. 

Sul. Bernd. v. Nohr, Einleitung zur Staatss 
klugheit. Lpz. 1718. 8. - 

J. Adolph. Hoffmann, observationum poli- 
ticarum s.‘de republica libri X. Utrecht. 1719. 8. 

Andr. Rüdiger, Klugheit zu leben und zu herrs 
fhen. Lpz. 172=. 8. 

I Geo. NReukirch, von der Siaatslehre. 
Braunſchw. 1731. 8. 

Nic. Hieron. Gundling, Diſcours uͤber die 
Politik, ehemals aus deſſen eigenem Munde von 
fleißigen Zuhörern in die Feder gefaſſet, und nuns 


mehro dem Publico mitgetheilt. Nebft Vorrede von 


Sranfenftein. Frkf. u. Lpz. 1733. 4. — Defs 


fen Einteitung zur wahren Staatsklugheit. Frto. 


und Lpz. 1751. 4. 





Staatskunſt. oo 335 


Ouvrage de politique par PAbbé deSt.Pisrre, 
«8 Tom. Rotterd. ı737. 8. j 
Chſtn. Thomafius, rue Entwurf der politis 


ſchen Kiugheit. Lpz. 1744. 
matt. affe, die abe Staatsklugheit. Leipj. 


— n. v. Wolff, vernänftige Bedanken von dem 
gefeliaftlicen Leben der Menfchen und Infonderpeit 
dem gemeinen Weſen. N. A. Halle, 1756. 8. — 
(Er gab in diefer Schrift den Umriß feiner Yolieit, Ä 


. welden er, bei längerem Leben ‚- als Sortfegung. fets 


nes größern lateinifhen Werkes weiter ausgeführt 


' haben wuͤrde.) 


Y 
* 


IM. v. Loen, Entwurf einer Staatskunſt. 


Ste Aufl. 1751. 


Dav. Hume ® olitienl discourses, Ed.2. Edinb. 
1753. — Franzoͤſiſch, 1754. — Teutſch, von 
Chr. Aug. Fiſcher. Königeb. 1799. 8. 

Philosophiae, civilis: s. Politicae partes 4, tan- 
quam continuatio systematis pbilosopbici Ghr. de 


"Wolff, auctore Mich, Christ, Hanovio. 4 Tom, 


Hal. 1756. 4 | 
„tr | 
Baron de Bielefeld, institutions politiques, 


ST. ala Haye, 1760. 8 — Teutſch (von Gott⸗ 
ſched und Schwabe): Lehrbegriff der Staatskunſt. 


a Ih. Brest. und Lpz. 1760. 8. - are Aufl. 1764. 
(der erſte ertväglihe Verſuch einer eigentlichen Pos 
litik; in der Theorie nah Wolffiſchem Syfteme, in 
der Prazis auf vielfeltige Welt: und Menſchenkennt⸗ 
niß gegruͤndet.) 

Gtfr. Achenwall, die Staatsklugheit nach ihren 
exſten Gtundfaͤtzen. Goͤtt. 1761. 8. 4te Aufl. 2779. 


uUiſt das erſte brauchbare Compendium der Politik, zus 


naͤchſt nach Grundſaͤtzen des Eudaͤmonismus.) 
J. G. v. Lilienfeld), neues Otoatsget aude 


im 3 Büchern. £pj. 1767. 4 


LS Real, dir Staatsfunft, aus dem gran. — 


ı,, Dayon enthält der Tohfte Thell die Staats⸗ 


elusheit. (Frkf. und Epi- 1767. 8.) 
22 


® \ 
U 


338 


Eatitanſt 


Die wahrhafte Staatskunſt für eine Perſon vom 
Stande. Aus dem Franz. v. Benign. Pfeuffer. 
St. md $pj. 1767. 8. 

. Lud. Schlözer, systema politices. Gott, 
—8* 8. (Ein ſehr geiſtreicher Umriß. Noch im⸗ 
mer ſind feigende Saͤtze nicht überfläffig: „Consti- 
tuitur civitas, ut administretur, Ergo optima 
constitutio est, quae optimam administratio- 
tionem ex se gigoit.“ — „Optima admini« 
stratio est, quae fini civitstis est convenien- 
tissima.— „Barbarae civitates sunt, une ci vĩ- 
bus nihil praestant, praeter securitatem 4 interno 
et externo hoste; reliquas cultas vocamus. *) 
La politique naturelle, ou discours sui les 
vreis principes du gouvernement, Par un ancien " 
Magistrat. 2 T. Loondres, 1773. 8. 

Cäfareon (Graf Keyferling), Grundfäge 

der Staatsklugheit. Mitau, 1772. 8. | 
Ludw. v. Beaufobre, allgemeine Einleitung in 
die Kenntniß der Politit, der Finanz: und Hands 


Aungswiffenfchaft. Aus ei drang. v. Franz Ulr. 


Albaum. Riga, 1773. 

Joſeph v. Son onfels, politifche Abhand⸗ 
lungen. Wien, 1777. g. 

(Pfeiffer), Grundriß der wahren und falſchen 


Staatskunſt. 2 Th. Berl. 1778 f. 8 


# 


Wiüh. Payley, Grundfäge der oral und Dos 
Visit; überf. v. Garve. 2 Th. Lpz. 1787. 8. 

Handbuch für den Staatsmann, oder Analyſe der 
vorzuͤglichſten franzdfifhen und ausländifchen Werte 
über Politik, Gefeßgebung, Finanzen, Polizei, 
Aderbau, Handlung, Naturs und Staatsrecht. Aus 
dem Franz. der Herren Eondorcet, Peyfo-nel, 
Chapelier u.f.m 2 Th. Zuͤrich, 1791. 8. 

Vorlefungen über die wictigften Segenftände der 
Moralpolitil. s. 1. 1795. 8. 

(Ernf de Wedig), über die politifche Siaets 
kunſt. 2 Th. Halle, 1795. 8. 

Commentar über die natuͤrliche Politik, oder aber 
das Berk: la politiquo naturello. a Theile. Ger⸗ 


manien, 1795 f. 8. 





Staatskunſt. 339 


Emanuel Steyes, politiſche Spriften. Aus dem 
Franz. (von Ufteri.) 2 Th. s. 1. 1796. 8. 

Ehfin. Dan. Voß, Handbuch der allgem. Staates 
wiſſenſchaft. ter Theil — Politit. — 2p}. 
1797. & 

Ludw. Keine. Nordmann, über innere und 
äußere Staatstunft, Seldumlauf, Kandel, Erwerb 
und Abgaben. N. A. Magdeb. 1798. 8. 

Karl Heine. v. Seibt, Klugheitsichre, practifch 
abgehandelt. 2 Th. Prag, 1799. 8. 

Nic. Vogt, Syſtem des Slcihgewichts und der 
Gerechtigkeit. 2 Th. ref. 1802. 8. 

Sof. Müller, Grundriß der Staatsklugheits⸗ 
lehre. Landsh. 1803. 8. 

Kari Gtlo. Roͤſſig, Lehr⸗ und Handbuch der 
Politit. Lpz. 1805. 8. 

.Jac. Wagner, Grundriß der Staats wiſſen⸗ 
ſchaft und Politik. Lpz. 1805. 8. 

$. Joſua Stutzmann, Syſtem der Politik und 
des Handels von Europa. Nuͤrnb. 1806. 8. - 

(Er. Buchholz), Theorie der politifhen Welt. 
Hamb. 1807. 8 — Darftellung eines neuen Gras 
a onagefeges für die moralifhe Welt. Berlin, 
.1802. - 

Bun, Hof. Behr, Syſtem der angewandten alls 
gemeinen Staatslehre, oder der Staatskunſt. 3 Th. 
Frkf. am Main, 1810. 8. (Auch gehört fein 9.8. 
des Staatsrechts angeführter: neuer Abriß d. Staates 
wiffenfchaftsichre. Bamb. u. Würzb. 1816. 8. theils 
weife hieher.) 

Heiner. Luden, Handbuch der Staatsweisheit oder 
der Politik. ır Th. Jena, 1811. 8. (Die Sorte 
ſetzung ift nicht erfchienen.) 

v. Haller, politifhe Religlon, oder biblifche 
Lehre von den Staaten. Winterthur, 1811. 8. 

Joh. Neumann, Principien der Politit. Ein 
Fragment. Dorpat, 1814. 8. 

G. Freih. v. Seckendorff, Grundzuͤge der 
philoſophiſchen Politik. Lpz. u. Alt. 1817. 8 

Fr. Köppen, Politik, nad platoniſchen Veund⸗ 
ſaͤtzen, mit Anwendung auf unfere Zeit. Lpz. 1818. 8. 

22* 


AN — 





340 Staatskunſt. 


Ber, Constant, collection complete des 
Ouvrages, publies sur le gouvernement represen- 
tstif et Ja constitution actuelle de la France, 
formant une espece de gpurs de politique 
constitutionelle, 8 Part. Paris, 1818— 20. 8. 
(Die meiften Abhandiungen in diefer Sammlung 
beziehen fh auf Frankreich, auf die Wahlen .der 
Sjahre 1817 und 18, auf die Sigungen der Kam⸗ 

. mern; allgemeinern polttifhen Inhalts. find zus 
naͤchſt im erffen und zweiten Theile: reflexions 
sur les constitutions et les garanties, avec une 
esquisse du constitution; und im dritten Theile: 
observstions sur la liberte de la presse.) 

Sjofeph Bincens Burkardt, Staatswiffenfchaftss 
lehre, mit Rüdficht auf die gegenwärtige Zeit. Lpz. 
‚3821. & 

Fr. Saalfeld, Grundriß zu Borlefungen über 
Politik. Gott. 1821. 8. 

8. Servalis,, Beine Mittheilungen aus dem 
flaarswiffenfhaftlihen Gebiete. 2 Th. Lpz. 1822. 8. 

C. 5 v. Schmidt:Phifeldek, die Politik 
madı den Srundjägen der heiligen Allianz. Kopenh. 

1882. 8. 


A) Lehre von dem innern Staatsleben. 


6. 


Inhalt und Umfang des erften Theiles 
der Staatsfunft. | 


Die wiffenfhaftlihe Darftellung der geſamm⸗ 
ten Bedingungen und Anfündigungen des inneren 
Staatslebens bildet den erften Theil der Staats» 
kunſt. Zu diefen Bedingungen und Ankündigungen 
gehören aber . 





Stastsfunf. 341 


a) bie Cultur des Volkes, das in dem Staate 
zu einem felbftfländigen bürgerlichen Ganzen vers 
bunden ift; . 

b) der Organismus des Staates nad) den 
beiden hoͤchſten Grundfägen des Rechts und bee 
Wohlfahrt des Volfes, in fi) ſchließend 

ae) die Verfaſſung, 
ß) die Regierung, 
y) die Verwaltung; | 

‘c) die in der Eultur, DVerfaflung, Regierung 
und Verwaltung des Volkes gemeinfhaftlih 
enthaltenen Bedingungen ber rechtlichen Sort- 
bildung bes innern Staatslebens (Lehre von den 
Reformen im Staate). 


7. 


e) Die Cultur des Volfes, als erfte Be» 
dingung des innern Staatslebens. 


Jedes Volk vereinigt in fih, wie das Inbivis 
duum, eine Geſammtheit von finnlichen und geiftigen 
Anlagen, Vermögen und Kräften. jedes Wolf 
entwickelt und bildet, wie das Individuum , dieſe 
finnlihen und geiftigen Anlagen, Vermoͤgen und 
Kräfte unter dem vielfeitigften Einflufle äußerer und 
innerer Verhältniffe aus. Jedes Wolf erhält, wie 
das Individuum, durch diefe ihm völlig eigenthuͤm⸗ 
liche Entwickelung und Ausbildung, einen felbftitan« 
digen , baffelbe von jedem andern Wolfe unterfcheis 
denden, Charafter, welchen man rad) feiner aͤußern 

Ankündigung mit dem Ausdrude der V oLfsthüms 
lichk eit bezeichnet, während wir die jebesmal er⸗ 
reichte Stufe der Entwidelung und Ausbildung bee 
geſammten finnlichen und geiftigen Anlagen, Ver⸗ 


342 Staatskunſt 


mögen und Kräfte eines Individuums und Volkes 
beffen Eultur nennen. Denn unter ber Cultur 
denfen wir uns theils bie eigenthümliche Art und 
Weife der Entwidelung und Ausbildung, theils 
ben erreichten Grad dieſer Entwidelung und Ausbil 
dung bei finnlich - vernünftigen Werfen. 

Auf die Eultur ber Fndividuen und der Voͤlker 
wirfen aber fehr verfchiedenartige innere und äußere 
Verhaͤltniſſe ein. Denn nicht nur, daß in jedem 
MWefen unfrer Art die individuelle Verbin 
dung ber finnlichen und geiftigen Anlagen und Ver- 
mögen zu Einem Ganzen fo wundervoll und räthfel- 
haft ift, daß fie zum Theile in dem unerforſchlichen 
Geheimniffe der Erzeugung eines menfchlichen Wefens 
fich verliert; es wirfen auch von außen her die geo- 
graphifche Sage des Wohnortes, die Milde oder 
Rauheit bes Klima‘, die Fruchtbarkeit oder Unfrucht⸗ 
barfeit des ‚Bodens, die Abftammung eines Volkes 
von diefer oder jener Merfchenrace (nad) der Vers 
fehiedenheit der caucafifchen ,:.malayifchen,, mongoli= 
ſchen, athiopifchen und amerifanifchen Stämme) , bie 
Verfchiedenheit der Urfprachen, die Verfchiedenheit 
der Sebensmweifen (3. B. bei nomadiſchen oder ader» 
bauenben , bei gemwerbsfleißigen und handeltreibenden, 
bei friedfichen ‚oder friegerifchen Völkern), der Ver⸗ 
faflungen und der Regierungen, der Religionen , des 
bürgerlichen Zuftandes in Hinfiche auf Freiheit ober 
Unterdruͤckung, fo wie die Verfchiedenbeit des haͤus⸗ 
lichen und öffentlichen Lebens, und der davon abs 
hängenden Erziehung und Ankündigung der Sitten, 
fo mächtig auf Individuen und Voͤlker ein, daß ihre 
Entwickelung und Ausbildung, mwenigftens nad) einem 
großen Theile, auf diefen innern und aͤußern Be⸗ 
dingungen beruht. 





Staatskunſt. 343 


Nach der, aus dieſen Bedingungen hervorgehen⸗ 
den, Ankuͤndigung der Cultur ſelbſt laͤßt 
ſich zwiſchen der ſinnlichen, techniſchen, gei— 
ſtigen, kuͤnſtleriſchen, ſittlich-religiöſen 
und buͤrgerlichen Cultur ‚genau unterſcheiden, 
obgleich damit nicht gelaͤugnet wird, daß nicht 
mehrere Zweige und Schattirungen der Cultur 
gleihmäßig bei einem und demſelben Indivi⸗ 
duum und bei einem und Demfelben Wolfe getroffen 
werben fönnen. Die finnliche Eultur bezieht ſich 
aber zunächft auf die Entwidelung, Bildung und 


Anwendung der finnlichen Anlagen und Kräfte in 


Hinſicht auf den Anbau des Bodens, ‚und auf glles, 
was zunächft zur Erhaltung und Friſtung bes phyſi⸗ 
fehen Lebens gehört. Dagegen zeigt fih bie techn i⸗ 
ſche Eultur hauptfächlich in der Betreibung ber Ge⸗ 
werbe, nah) Manufacturen und Fabriken. Die geis 
ige Eultur, zunaͤchſt als Wirfung der freieften und 
gleichmäßigften Entwickelung und Ausbildung bes 
Vorftellungsvermögens betrachtet, verfündige ſich in 
der Kraft des Verftandes und der Vernunft im An⸗ 
baue und in der Fortbildung der Wiſſenſchaften. Die 
Füngftlerifche Eultur, als Folge der Entwickelung 
einer reich von der Natur ausgeftatteten Einbildungs- 
kraft und eines tief und vielfeitig bewegten Gefuͤhls⸗ 
vermögens, bezeichnet ihre Thätigfeit hauptfächlich 
“in den Kreifen der ſchoͤnen Künfte Die ſittlich 
religiöfe Eultur bewährt fi) in der Reinheit der 
Sitten, dem treuen Wiederfcheine der innern Sitelich 
keit, und in der, von der Sitelichfeit unzertrennlichen, 
Heiligkeit, Würde und Kraft der religiöfen Ueberzeu⸗ 
‚gung und des, auf biefer Weberzeugung beruhenden, 


äußern Lebens. Die bürgerliche Eultur endlich 


ift die Wirkung und Folge, und gleichfam die Krone 


\ 


* 


344 | Staatskunſt. 


von dieſem allem. Sie zeige ſich In der regen 
Theilnapme an aflen Angelegenheiten des Staatsle⸗ 
beng, und zwar, wie dieſe Theilnahme nicht etwa 
aus Neugier, oder einfeitig aufgeregter Leidenſchaft, 
ober gar aus Abneigung gegen bie beftehenbe Ordnung 
und Regierung im Staate, fondern wie fie aus ber 
erreichten hohen Stufe der individuellen Cultur bui 
den einzelnen Staatsbürgern, unb aus der auf dieſer 
Eultur beruhenden geläuterten Vaterlandsliebe der⸗ 
felben hervorgeht, 


8. 
Die politiſche Muͤndigkeit, als Folge der 
Cultur. 
Sao wie durch die Geſammtwirkung aller einzel- 
nen Ankuͤndigungen der Cultur ($. 7.) das hervorge⸗ 


bracht wird, was man Volksthuͤmlichkeit und 


Volfscharafter nennt, weil jebem felbftftändi- 
gen Volke gewiffe eigenthuͤmliche Bedingungen der 
Eultur (nad) Boden, Elima, Abftammung, Schid- 
falen u. f. w.) zufommen, die aufdiefe Weife bei 


andern Völkern nicht getroffen werden, und die 


eben, in ihren Folgen und Wirkungen, das Unter- 
feheidende des Charafters des einen Volfes von jedem 
andern vermitteln; fo ift auch die politifhe Mün- 


digfeit der Volker, und die Art und der Grad - 


derfelben, eine nothwendige Folge ihrer Cultur. Denn 
dieſer, von der Erziehung entlehnte, Begriff der po- 
litiſchen Muͤndigkeit fchließe die Entwidelung des 
ſinnlichen Zuſtaudes eines Volfes zu einem feft 


begründeten und geficherten Wohlftande, das unauf⸗ 


haltſame Fortfchreiten in der geiftigen Bildung, 
und das Verlangen nac) der unbebingten Herr» 


(haft des Rechts im Innern und. äußern Staats« 


— 








Staatskunſt. “345 


leben in fich ein. Wo biefe Bedingungen fehlen; me 
Feldbau, Gemerbsfleiß und Handel noch fo tief in 
ihrer Entwidelung ſtehen, und noch fo wenig in ein- 
ander eingreifen, daß nicht durch fie gemeinfchaft« 
lich der Wohlſtand der untern und mittlern Volks⸗ 
klaſſen ficher begründet ift; wo nicht durch Entwicke⸗ 


lung bes Verftandes und der Vernunft die Thätigfeie 


der geiftigen Kräfte verhältnißmäßig bei dem 
ganzen Volke, befonbers vermittelt der Jugender⸗ 
ziehung, geweckt, die geiftige Schlaffheit, die Unwiſ⸗ 
ſenheit und der Aberglaube befeitige, und in den höhern 
Ständen das milde Sicht der Wiffenfchaften und dee 
Künfte zur weitern Verbreitung gebracht worben ift; 
wo enblich nicht, bei ben gefteigerten und verebelten 
Bedürfniffen des finnlichen und geiftigen Lebens, das 
Verlangen nach einer feften Unterlage des ganzen bür« 
gerlichen Lebens vermittelft einer Verfaffungsurfunde, 


und das Bedürfniß nad) einem zeitgemäßen und volfe=- 


thümlichen Geſetzbuche, fo wie nad) einer feften und 


gleichmaßig geftalteten Gerechtigfeitspflege, nacheiner, 
Ordnung, Sicherheit, Wohlfahrt und Eultur auf - 


rechthaltenden, Polizei, und nad) einer gerechten und 
zwedmäßigen Vertheilung und Erhebung ber. öffent 
lihen Abgaben, fühlbar werben; da ift noch feine 
polieifche Muͤndigkeit bes Volfes anzunehmen. Doch 
ſelbſt dieſe politifhe Muͤndigkeit wird nie 
gleihmäßig über einganzes Volffid ver- 
breiten (Staatsr. $. 14.); immer wird verhältniß- 


mäßig nur Die Minderzahl des Volkes, und felbft _ 


diefe gewoͤhnlich nur in den höhern Ständen, zu dem 


Grabe ver. Cultur und Reife fid) erheben, daß man 


ihr, nach) dem erreichten Grade der Mündigfeit, An- 
theil an ber Leitung der öffentlihen Volks⸗ und 
Staatsangelegenheiten zugeftchen kann. "Allein ein 


* 
N an Tan 


31 Staatskunſt. 


äroßer Untetſchieb beruht darauf, ob die Organiſation 
eines Staates, und namentlich die Regierung, das 
allmaͤhlige Miündigwerben bes Volkes — in Hinficht 
ber Entwidelung aller in ihm enthaltenen Bedingun⸗ 
gen der finnlichen, geiftigen, fittlichen und buͤrger⸗ 
lihen Cultur — erleichtert und befördert, oder ab⸗ 
fihtlich hindert; denn fo viel tritt als unläugbare 
Thatfache der Geſchichte hervor, daß nur bie Voͤlker, 
welche im Allgemeinen der politifhen Mündig« 
feit entgegen geben, wohlhabend, reich, tätig, Eräfe 
‚ tig, gebilber, gefittet und für Die vaterländifche Vers 
faflung und Regierung begeiftert find. 
Man halte England, Sachſen und Preu« 
Ben gegen andere Staaten, und überzeuge fi ih, 
daß der allmählige Fortſchriti zur politiſchen Muͤn⸗ 
digkeit zugleich den Wohlſtand, die Kraft, die 
* Bildung, die Gefittung und die Anhänglichkeit ber 
Voͤlker an ihre Fürften vermittelt. — Weiter ent- 
wickelte ich biefen Gegenftand, in Beziehung auf 
Sachſen, in einem afademifchen Wortrage zur Ge» 
daͤchtnißfeier des Regierungsjubiläums des Königs: 
„Das fahfifhe Wolf, als ein während 
der funfzigjäßrigen Regierung feines 
Königs mündig gemordenes Volk Leipz. 
1818. 8. 


0. 
b) Der Organismus bes Staates, 
Begriffder Organifation überhaupt. 


Der Ausdrud der Drganifation, des Or 
ganifirens und des Organismus ift von Na- 
turgegenftänden auf den Staat übergetragen, und oft 
ſehr willführlich gedeutet und angewandt worden. es 


= 





Staatskunft. 347 


kommt daher darauf an, einen beutfihen und 
‚beftimmten Begriff darüber aufzuftellen. “ 
Unter dem. Mechanismus, im Gegenfaße 
der Organifation , verftehen wir die bewegende Kraft 
der Körper, infofern fie durch die Verbindung und 
den Zufammenhang ihrer Theile zu einem Außerlichen 
(außer ihnen felbft liegenden) Zwede paflend einge- 


richtet find. Organifation hingegen nennen wir _ 


die Einrichtung eines Maturgegenftandes,, ng jeder 


Theil ſich als Mittel (als Werkzeug und Organ), 


und zugleich als Zweck zu allen uͤbrigen ver— 
haͤlt; durch alle uͤbrige und fuͤr alle uͤbrige da iſt; wo 
jeder Theil den andern wechſelſeitig hervorbringt, un« 
terſtuͤtzt und erhält, | | 


Ein organifirter Naturgegenftand ift alfo ber, 
in welchem alles Zweck, und gegenfeitig auch Mits 
tel iſt. Nichts ift in ihm umfonft, zwecklos, oder 
dem blinden Naturmechanismus zuzufchreiben; alles 
in ihm entfteht und geftaltee fih nach einer ihm 
einwohnenden unerflärbaren bildenden Kraft, 


So wie aber Entftehung durch Anhäufung von 
außen Charafter der blos phyſiſchen Körper ift; ſo 


ift Entwicdelung zu einem vollendeten Ganzen, vers 


möge einer vigenthümlichen einwohnenden Kraft, 


wefentlihes Merkmal der organifirten Körper, 
Ohne Annahme einer folchen einwohnenden, von innen 


nach außen wirfenden, Kraft ift feine Organifation 


begreiflih. Daher fonımt der Materie auch nur, ins 
fofern fie organifirt ift, der Charakter eines Zweckes 
zu, und ihre Form ift der finnliche Ausdruck — die 
äußere Wahrnehmung und Ankündigung — diefes 
Zwedes. Weil aber jeder einzelrie Zweck bedingt ift 
durch einen höchften und legten Zweck, welcher End: 


- 


348 Staatskunſt. 


ned heißt; fo muß fich auch die Form jeber einzel⸗ 
nen Organifation auf den Endzweck aller. Organifatio« 

nen überhaupt zurüdführen laſſen. In dem Reiche 
der Natur. nennen wir, wegen diefer urfprünglichen 
- Einrichtung ihres Mefens, Pflanzen, Thiere 
und menſchliche Körper Drganifationen. 


Bol. Kants Kritik der Urtheilskraft, S. 293 ff. 


10. 


| Xnmendung bes Begriffs der Organiſa— 
tion auf. den Staat. 


Wird der Begriff der Organiſation auf den 
Staat bezogen und angewandt; fo verfteht man unter 
berörganifation des Staates diejenige äußere 
Ankündigung und Wahrnehmung deffelben, nach wel: 
her alle feine einzelnen Theile zugleich als Zweck 
und als Mittel erfcheinen,, wo alfo jeber Theil, 
zwar um feiner felbft willen, zugleich aber‘ auch um 
der andern willen ba ift, und die andern wechfelfeitig 
bervorbringt, unterftügt und erhalt; wo nichts ums 
ſonſt, nichts zwecklos, nichts blos aus einem blinden 
Mechanismus (wornach Maf hinen bewegt werden) 
abzuleiten iſt; wo vielmehr alles in Angemeſſen— 
heit zu einer einwohnenden bildenden 
Kraft erfolgt, durch welche Das Aeußere der Erfcheis 
nung zu einem vollendeten Ganzen fich entwidelt, 
und die Form dieſes Ganzen einem von der Vernunft 
gedachten Zwecke völlig entfpricht, fo wie der Zweck 
der einzelnen Staatsform aus dem allgemeinen End» 


zwecke des ganzen Staatsvereins mit Nothwendig⸗ 


keit hervorgehen muß. 
Alles Organiſiren im Staate beziehe ſich da⸗ 





Staatskunſt. | 349- 


her, nad) dieſem Grundbegriffe, darauf: daß der - 
Geift des Volfes, das im Staate lebt, einen Koͤr⸗ 
per — (eine Hülle, eine äußere Form) — befomme, 
der ihm eben fo angemeſſen ift, wie der von Gott fo 
herrlich ausgeftattete und zweckmaͤßig eingerichtete 
Körper der Anfündigung und Wirkfamkeit ber menfch- 
lihen Seele, und der namentlich ihrer gefeßmüäßigen 
Entwickelung, ihrer Fortbildung und ihrer Reife ent⸗ 
fpricht. Dies ift Die poſitive Seite des Organiſi⸗ 
rens: Vergegenmwärtigung des höchften Zweckes bes 
Staates bei der Veranftaltung und Hervorbringung. 
aller der Mittel, als mwefentlicher Bedingungen, 
dieſen Zweck zu erreichen. Dagegen befteht die nega=: - 
tive Seite des Organifirens in der Entfernnng und 
Befeitigung aller Hinderniffe der freien Ankuͤndigung 
und gefegmäßigen Entwicdelung der gefammten Kräfte‘ 
des Staates für den Zweck beffelben, bei der Anwen 
dung aller wirffamen Mittel für Die Erreichung dieſes 
Zweckes. 

Der Staat, als Organismus betrachtet, 
wird daher als ein lebensvolles, Eräftiges Ganzes 
erſcheinen, in welchem niche nur alle Theile um 
ihrer felbft willen, fondern auch um des Ganzen willen 
da find; mo alle Theile fo geordnet und in einem ſo 
regelmäßigen Derhältniffe ſich anfündigen, daß fie: 
gegenfeitig als Zwed und zugleich als Mittel 
fi) verhalten; wo endlich die ganze Thätigkeit der 
einzelnen Theile von Der einwohnenden bilden- 
den Kraftdes menfhlihen Geiſtes abhängt, 
welcher — weiſe von der Regierung des Staates ges 
leitee — bei feinem felbftftändigen Forefchreiten in 
der Cultur nicht nur die mannigfaltigen einzelnen 
Zwecke im Staate ſich vergegenwärtigt, fondern aud) 
feine geſammte Thärigfeit in Beziehung auf dieſe ein» 


350 u Staatskunſt. 


zelnen Zwece zuruͤckfuͤhrt auf den Endzwes des 


Staates ſelbſt 


11. 
Bortfegung 


Das Organiſi ren im Staate darf daher zunaͤchſt 
nur in der Nachhuͤlfe und Unterſtuͤtzung der 
menſchlichen Anlagen und Vermoͤgen beſtehen, welche, 
in Angemeſſenheit zu der ihnen einwohnenden bilden⸗ 


ben Wraft von felbft nach Entwidelung und Reife — 


wie die Blume nach) der Sonne — ftreben, damit 
diefe Vermögen ſich nicht vom Ziele vericren ,‚ und 
dadurch ftörend auf den Staat einwirken. Das Orga⸗ 
niſiren im Staate ſchließt alfo das Bevormunden 
ber Thaͤtigkeit menſchlicher Kraͤfte von ſich 


aus, und uͤberlaͤßt ihnen in der Welt der Freiheit einen 


ähnlichen Spielraum, wie Gott den irdiſchen Organi- 
fationen in der Welt der Natur, weil hier, wie bort, 
bie fcheinbaren Widerſpruͤche, fo wie bie "wirklichen 
Irrthuͤmer und‘ Unvollfommenpeiten fich) wieder aus» 
gleicdyen in der Harmonie bes Ganzen. 

Es gibt mithin Beinen größern politifchen Miß—⸗ 
griff, als das Zu oft und Zu viel Organiſiren, 
welches, nach einmal geordneter Geftaltung des in- 
nern Staatslebens, im ununterbrochenen Verändern 
(nicht immer Verbeffern) einzelner Theile der Staats- 
verfaflung, Staatsregierung und Staatsverwaltung 
ſich anfündige, wodurch der Charafter der Stätigfeit, 
deffen jede. Organifation zu ihrem Gedeihen -und. zu 


ihrer Reife bedarf, unaufhaltbar verloren geht. — 


Inwiefern .aber Das Organifiren im Staate das 
Vorhandenſeyn after in. der Geſammtheit der Staats⸗ 
bürger vorhandenen menſchlichen Anlagen, Vermögen, 








Staacskunſt. 351 


und Kraͤfte vorausſetzt; inſofern iſt das Organiſiren 
durch die Cultur dieſer Kräfte weſentlich be— 
dingt, d. h. die Organiſation des Staates muß jedes- 
mal dem erreichten Grade der Cultur — namentlich 
ber geiſtigen, ſittlichen und bürgerlichen — der gro» 
Gen Mehrheit der Staatsbürger entfprechen, und darin 
wird fie, als die äußere Grundform des Staates, der 
lebensvollen Thätigfeit aller im Staate wirffamen 
Kräfte den freieften Spielraum gewähren. Bleibt 
hingegen die Drganifation des Staates hinter ber 
erreichten Stufe ber Eultur des Volkes zurück, und 
ftehe der. Geift des Volfes höher, als die Organifa- 
tion des Staates, in welchem es lebt; da wird der forf- 
firebende Geift des Volkes durch Die Organifation des 
Staates fich beengt fühlen, und Volkskraft und Staats- 
organifation werden im Widerfpruche erfcheinen, 

Die große Aufgabe für die, welche das Organi⸗ 
firen im Staate zu leiten haben, bleibt daher: die 
Drganifotion.des Staates in völliger 
Vebereinftimmung mit ber erreichten 
Stufe der Eultur des Volkes zu erhal 
ten, und diefe Organifation mit dem an- 
er£.annt.en (nichtblosfcheinbaren oder einfeitigen) 
Sortfhreiten des Volfes zu höhern Stu- 
fen der Eultur ins Ebenmaas und Gleich⸗— 
gewicht zu bringen. Die Grundlage und 
erfte Bedingung bei der Organifation eines 
Staates ift mithin die Eultur des Volkes, 
d.h. 1) die jedem einzelnen Volke eigenthuͤmliche 
Entwidelung und Ausbildung der Gefammtheit feiner: 
Anlagen und Kräfte in finnlicher, geiſtiger, ſittlicher 
und bürgerlicher Hinficht, wodurch es ſich von jedern 
onbern Volke unterſcheidet, und 2) der in einem gegeber 
en Zeitrqume erreichte Brad diefer Entwickelung 





332 Staatskunſt. 


und Ausbildung nach der großen Mehrzahl der Indi⸗ 
viduen des Volkes. | | 

Daraus folgt von felbft, daß, wo bie Cultur 
des Volkes vorwärts fehreitet, die Organifation des 
Staates berfelben nothwendig folgen muß; daß, mo 
man die Cultur des Volkes zurüchäle, laͤhmt und 
unterdrückt, die Organifation bes Staates unaufhalt⸗ 
bar finfen muß; daß mit dem Stillftande und Ruͤck⸗ 
wärtsfchreiten der Wölfer in der Eultur die Orgeni- 
fation .des Staates rettungslos veraltet; und daß 
nur da, mo vormwärtsftrebende Volkskraft und verals 
tete Staatsorganifation im fehreienden Gegenfage 
ſtehen, nach) dem Zeugniffe der Gefchichte, diejenigen 
gewaltfamen Erfchütterungen des innern Volkslebens 
eingetreten find, welche in ber Gefchichte Revolu- 
tionen beißen. Zu - 


12. 
Die Beftandrdeite der Staatsorganifas 


So wie wir an der Pflanzenorganifation Wur« 
zel, Stamm und Krone, an der menſchlichen Orga⸗ 
nifation Rumpf, Herz und Gehirn, und in der Ors 
ganifation jedes Sonnenſyſtems die Sonne im Mittels 
puntte deffelben von den Planeten und Trabanten 
unterfcheiden; fo unterfcheiden wir auch als die drei 
wefentlihen Beſtandtheile der Stantsorganifation: 
die Berfaffung, die Regierung und die Ver 
waltung Was der Firftern im Mittelpuncte eines 
Sonnenfuftems, das Herz im menfchliden Körper 
iſt; das ift die Verfaffung *) im Mittel 
*) Benzenberg fagt: „Sobald 3000 Menſchen auf 

der Quadrarmeile wohnen; fobald Aberali Landſtra⸗ 


/ 
I 


Staatskunſt. 333 


pui ee bes Städte 6 Bon för : geht bie ganze 
Kräfte und Haltung des in nern Staatsiebens, und, 


vermittelſt deſſelben, auch des äußern: Siaals leben⸗ 
dus; und durch fie mirffen die wefentlichen Bedingungen 
für- die‘ Regierung inid' Verwaltung befttrumf: werden; 
Sie muß bafer ganz auf die: Hogent e üm k fe t 
und- auf ben erreichten Grad der Eu ft r des Vol⸗ 
kes Rh gründen, zu deſſen Organifation fieals erſter 
Bieeſtanbtheil gehoͤrt.“ kuͤndigt fich die Ver⸗ 


faffung des Staates als die reife Frucht des- ganzen 


bisherigen (gefhichtlichen) Wolfslebens an ‚- und er= 
feheint völlig angemeſſen theils dem Vernunftzwecke 
des Staates überhaupt (ber unbedingten Heẽrſchaft 


des’ Rechts), theils den in der.erreichten Cultun bes - 


Volkes deuütlich vorliegenden Bebürfniffen beffeiben. 
Sie iſt der Mittelpunct der Drganifation des 


Staates, weil die Regterung und Verwaltung. 


veffelben, nad) ihren einzelnen Beftimmirngen , von 
ihr ausgehen, und namentlich jede Vermalning ‚die 
nicht Ihren Stüßpunet in der Berfaffung 'hat, nur 


als vereinzelter Theil, nie als ein in ſich zufaitmens- Ä 


hängenbes Ganzes: erfcheinen kann. — : Daraus geht! 
zugleich hetvor, "daß der⸗ Begriff ber Org änifoͤ⸗ 


— 


tion bes Staates weiter iſt, als der Begriff der 


Verfaſſung und der Verwaltung, und baß es fehler⸗ 
bafe bleibt, wenn man unter Staatsorgantfätion ent⸗ 


* ‘ 
. . ? .. “ 
[ar Zur un % 4 





: Gen, Poften und Kanäle heltehen, und das Geld 
x eine große Uebermacht erreiche hat; bilder fih- eine 


Öffentlihe Meinung, die_fo ſtark iſt, daß man ihr. 


‚ den Einfluß nit verfagen kann, den fie, ale 
‚‚Staatsktraft, auf den Haushalt des Staates _ 
, „ausüben will. Diefen gefeßglich beftimmen, heißt: 
eine Berfaffung machen.“ 
23 


weber bios.;hie Verfoffung , oder was noch Hüyfiger 
geſchieht, nur die Staatsvermaltung verftehen, il 

Wir ‚nennen daher einen Staat, immelhem 
Verfaffung,, Regierung und Verwaltung 
Ein unauflösliches Ganzes -bilden, organitirt, 
und. entlehnen von der ſichtharen Natur diefen bild, 
lichen Außdruck, inwiefern, in dem Staate, als 
Einem nah den:Örundfägen des Rechte 
und. ber, Wohlfahrt geftalteren. Ganpenz 
- fammtliche einzelne Beſtimmungen (nad) den buͤrger⸗ 
lichen, Straf⸗, Polizei-, Finanz» und. Militairge⸗ 
fegen) aus einem einzigen. Pringip. hervorgehen, ‚allg 
einzelne Wirkungen auf einen legten Zweck derechnet 
find , und alle einzelne Theile in einer folhen:lebens=; 
vollen- (sicht mechanifchen und mafchinenprtigen }: 


354 | Staatskunſt. 


22 


Wechſelpirkung ſtehen, daß ſie ſich gegenfeifig wie, 
Zweck und. Mittel, mie Urſache 47 Wirfung ‚vers, 
‚ halten,. und, daß in der, Affenglihen Ankuͤndin 
gung des Staates ‚(in feiner Erſcheinung als: 
eganismus), fowohl in ‚feinem inner als.in-feis, 
nem äu ß.er.ntehen, berfelbe nicht blos als ein.felbffr, 
ftändiges, von allen andern Staaten verfchiedenegund- 
unabhängiges, „Ganzes, als eine nach Gebiet und, 
Volk unauflögliche Einheit, ſondern auch als ein. —r, 
nad), feingr völlig, zeitgemäßen Berfaflung, Regierung» 
und Verwaltung — ſich felbft erhaltenhes, in allen 
ſeinen Theilen harmoniſch verbundenes, uͤnd durch 
ſich ſelbſt zu immer hoͤherer Vollkommenheit fortſchrei⸗ 
tendes (dem Vernunftzwecke des Rechts und - der 
Wohlfahrt. fich . grenzenlos annäherndes) Ganzes, 
. wahrgenommen wird. DE DE 
Aus diefen Grundfägen ergibt ſich zugleich‘, daß 
— nach dem äffgemeihen, im Staatenrechté aufge» 
ſtellten, Zwede der unbedingten Herrfchaft des, Rechte 
u | A 


Un x 


* 








N 


Gunst, 0.355 


m; Dem ganzen Erdboden — vur: der enige at, 
in bern Spiteme ber neben einander boſtehenden Staa⸗ 
ten , als ein felbftfländiges und unabhängiges Ganzes 
I ankirndigenundvonanhiernals ſolches 
anerkannt werden kann, der rehtli érga⸗ 
niſirt iſt nach Verfaſſung, Regierung und Verwal⸗ 
tung. Denn ſo wie ein Staat, in welchem der Buͤr⸗ 
gerktieg und die Anarchie die eecheliche Organiſation 
zertruͤmmert hat, ſich ſelbſt in der Wechfelmirkung | 
anderer Staaten nicht weiter rechtlich ankuͤndaͤgen 
kann; ſo ſind auch die andern rechtlich organiſirten 
Staaten weder berechtigt, noch verpflichtet, “einen. 
ſolchen An, feiner, Auflöfung kaͤmpfen den Staat als eiij 
rechtliches Ganzes anzuerfennen, 'big,niche feine‘ 
Or anifation , nad) Verfaſſung ‚Megierling und Vers‘ 
waltung ‚einen neuen. felbftftändigen und feften er | 
rafter "erhalten bat, 

J ‚Ob, aber andere Staaten, in Beʒieh ung auf einen. 
ſolchen innerlid) völlig beforganiften tagt, durch 
Unterbandlungen und Vermittelung auf 
deſſen neue zmeckgemaͤße Organiſation einwirken oder, 

' dig zu, deſſen neuen Organiſation, glle weitere Verbine 
dung mit ihm abbredhen, ober an heflen Grenzen, 3 zur 
Vergütung der Verbreitung feiner Deforganifation. 
in. pie Nachbarſtagten, eine beobachtenhe Stellung, 

behaupten oder das Wageſtuͤck ber kriegeriſchen Ein» 

miſchung in. beffen, innere Verhaͤltniſſe unternehmen: 

wollen, kann nur nach, örtlichen Ruͤckſichten und. 

mit unbefangener Dergegenwärtigung ähnlicher in 

ber Gef Hide vorliegender Ereigniſe entſchieden 
werden 

rl wer 6, geeen zu DR Blütsorgen, 

. sifattgnälchpe, Baht ‚1896. 8. 

A. Kury, ei einer "Enmieiiang dit Grund⸗ 
23* 





336° Staatskunſi⸗ 


Miſade, nach wilden die Zweckmaͤßigkeit des Stäaté⸗- 
-nrorganismus in douſtitutionellen Monarchieen zu be⸗ 
en a 6 kann, 2821. 8... „ nel 

. F te, über, das organiſirende Princip 
"im Staat Sp. Seifin,, 1822. s 9 5 

















\ 13. . - 
Die fogenanntegefhihrlihe Unterlage,”), 
pur on. OÖ fgatsorganifarion.. e 





Wenn has philofopgifhe Staatsrecht im Ailge⸗· 
einen und,auefhließend den Forderungen der Werz' 
nunft folgend, ohne Ruͤckſicht auf das, mw 
war und if, Das Kehl bes vollfofnmenen Sta 
verzeichnet; ſo muß die Staatskunft, welche'dai 
Veal der Vernunft in den Kreiſen des wirelihen‘ 
Staatsiebens ins Daſeyn rufen, "hh das bereits’ 
Beftebende dem. Ideale allmaͤhlig zubilden ſoll, 
durchaus don dem Vorbanbenen aüsgeßen, 
und biefes als dechtliche Ümtertdge’jeder "Merz: 
ättyeräng' und: Verbeſſerung in: der’ Staatsorganifke" 
tion’ anerfennen. Denn jedes Vol, bas auf einer 
Beftimmten Stufe der Cultur wahrgenommen wird,‘ 
hat eine Vergan genheit, aus welcher defferi Ge⸗ 
genwart hervorging; jeder Staat, ber einer zeitge⸗ 
mäßen Organiſation bedarf, hat eine Gefhihte,' 
in’ welcher die fruͤhern Formen und Geftalten feiner 
Verfaſſung, Regierung und Verwaltung enthalten’ 
find. Mögen dieſe aud), für den eingetretenen Augen-⸗ 









Eu rn le .. on 4 vo 
*) Gr. Buchholz, über den hiſtoriſchen Standpunct 
bei dem Serteflangtmertgs.in f. Iournat für Teutfche 
VE fand, 47," Juny, Gr 2zt ff. (zunachſt gegen 
ScHloffers.geihigrtihe Dedurtion in f. Schrift: 
“mändifipe Werfafung.) =" ' “ 








Staatskunſt. | 337 


blick der Gegenwart, noch fo unvollfommen. und ver⸗ 
ı ‚defferungsbebürftig erſcheinen; fo waren ſie doch 
ne: längere Zeit hindurch bie - angemeflene und 
nochwendige Bedingung des Innern Staats⸗ 
‚ bebens ©. e a “ 
2 "Die Staatsfunft würde daher unaufhaltbar von 
ißrem höchften Zwecke bei der neuen Geftaltung bes 
Ännern Staatslebens — von der Begründung, Be⸗ 
mwahrung und, Erhaltung der unbedingten Herrfchaft 
des Rechts und ber Wohlfahrt eines Volkes — ſich 
entfernen, wenn fie Die neue Geftaltung bes innern 
Wolfslebens in eine völlige Umſtuͤrzung alles 
Beftehenden fegen, und den Staat. als ep 
vollig- neu entftehendes Ganzes, ohne alle Ruͤck⸗ 
ſicht auf deffen Vergangenheit, organifiteh 
wollen Wo man -diefes verfuchte, mußten noth⸗ 
wendig die furchtbarften innern Zerrütfungen in Hin: 
ſicht auf yerfönlihe Freiheit, auf Eigentum, auf 
enfliche Sicherheit, auf beftehende Verträge, und 
auf die vorhandenen Formen der-Regierung und Vers 
maltung eintreten. Denn, wenn gleich, nad) dem 
Zeugniſſe der. Geſchichte, einige Wölker aus bem 
furchtbaren Kampfe "einer folchen ‚innen Zerftörung 
mit treuer Haltung hervorgingen; ‘fo. belegt es doch 
auch diefelbe Gefchichte-in andern: Beifpielen, daß 
folhe innere Kämpfe fehr oft: mit bem völligen Unter: 
gange der Staaten: endigen ‚deren Organismus vers 
altet iſſt.— En EEE ER 
=. Sebe Organffation, weldhe in der Wirklich- 
Leit den Bedürfniffen .eines.gegebenen Staates ent 
fprechen ſoll, muß daher an feine Vergangen- 
heit angefnüpft werden , und’ aus feiner ge 
ſchichtlichen: Unterlage hervorgehen; bs h. es. 
foll das, was dem gegenwärtigen Stanbpuncte 


358 Staatskunſt. 


| 


‚und Grade ver. Cultur des Volkes, welches den Staat 


bewohnt, angemeflen ift, an die Stelle deflen treten, 


was — unter frübern Eulturverhälmiffen und: dama⸗ 


ligen Beitbebürfniffen: — in Hinſicht auf Verfaffung, 
Regierung und Verwaltung bis jegt als "Bedingung 
feines innern Staatslebens beitand:-- So wird auf 
Dem Wege allmäßliger jeitgemäßer: und wohlthatiger 
Reformen das.weit ficherer-bewirft. werden, was 
auf dem Wege der Revolution, wo nicht zum völligen 
Abgrunde, doch zur völligen und blutigen Ummälzung 
des innern Staatslebens führet. 


Allein für diefe zeitgemäße, auf die Grund» 
lage der Gefhidhte eines Volkes umd 
Staatesgebaute, Organifation deffelben bleiben 


bie unmandelbaren Grundfäge des Staatsrechts der 


legte Maasftab der Rech tlichkeit des Organiſirens, 


ſo wie die zwar wandelbaren, aber mit Beſtimmtheit 
ſich ankuͤndigenden, Zeitbebürfniffe der feftzuhaltende 


Maasftab der Klugpeit beim Oganifiren der 
Staaten. 


Es wird hinreichen, dies im Allgemeinen duch 
‚einige Beifpiele zu verfinnlihen. Sklaverei 
und Leibeigenfchaft find unvereinbar mit den 
-- ewigen. Grundſaͤtzen bes Staatsredhts; fie fönnen 
daher in feiner Staatsorganifation beibehalten wer⸗ 
den, vwelche auf Recht und Wohlfahrt gebaut ſeyn 
ſeyn ſoll. Wohl aber kann und muß der Erbadel, 
der auf rechtlichen Erwerb in der Vergangenheit 
ſich flüge, in jeder zeitgemäßen Staatsorganiſation 
beibehalten werben; nur daß daraus feine unmit- 
tel bare Berechtigung zum eigentlihen Staats⸗ 
dienſte folge. — Jede directe Befteuerung im State 
muß, bei einer neuen Organiſation, nach dem 


Staatskunſt. „357 


HIRE der Gegenwart, noch fo unvollkommen und ver⸗ 
beſſerungsbeduͤrftig erſcheinen; ſo waren ſie doch 
ine längere Zeit hindurch die angemeſſene -umb 
nochwendige Bedingung des: innerh. Staats 
‚ bebuns ©. UWU— N 
"Die Staassfunft würde daher unaufhaltbar von 
Ihrem höchften Zwecke bei der neuen Geſtaltung bes 
innern Staatslebens‘ — von der Begründung, Be⸗ 
"wahrung und, Erhaltung der uübedingten Herrſchaft 
des Rechts und der Wohlfahrt eines Bolfes — ſih 
entfernen, wenn fie die neue Geſtaltung bes innern 
VPolkslebens in eine völlige Umſtuͤrzung alles 
| Sefeben den fegen, und den Staat. als Pi 
polig: neu entfiehendes Ganzes, ohne alle Rü- 
ſicht auf deffen Vergangenheit, erganifitek 
wollte. Wo may dieſes verfuchte, mußten north 
wendig die furchrbarften innern Zerrüttungen in Hin» 
fiht auf perſoͤnliche Freiheit, ‚auf Eigenthum, auf 
sfentlihe Sicherheit, auf beftehende Verträge, und 
‚auf die vorhandenen Formen der-Regierung und Vers 
waltung eintreten: Denn, wenn gleih, nad) dem 
Zeugniſſe :der, Gefthichte,, ‚einige WVolker aus dem 
fuschtbaren Kampfe einer. folchen -innern Zerſtoͤrung 
mit treuer "Haltung Berworgimgens fo. belegt: es doch 
auch diefelbe Gefchichte:-in andern: Butfpieten, daß 
ſpelcho innere Kämpfe ſehr oft mit. bem völligen Unter: 
Yange der Staaten: endigen, deren’ Organismus ver 
altet ift. - nt, Bee BE Gr 
2:*Jede Organſſation, welche in; der Wirklich 
keit den Bedhrfniffen .eines.gegebenen Staates ent 
ſprechen fell; muß daher an ſeine Wergangen⸗ 
heitt angeknipft werden, "und! aus feiner ge⸗ 
ſchich tli chenu Unterlage hervorgehen; deh. es, 
ſoll das, was dem gegenwaͤrtigenStandpuncte 


3zsö0ESEraatskunſt. 


fat: Salus publica suprema lex esto, muß- daher 
wohl verſtanden, und, wenn er zunaͤchſt die Wohl⸗ 
fahrt der Staatsbürger beruͤckſichtigen ſoll, mie gro⸗ 
Ger Vorficht angewandt werben. ‘Denn der Staat 
ſoll zwar, in feiner Organifation, nad) Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung, 1) alles entfernen 
und befeitigen,. was: die Wohlfahrt und Gläd- 
ſeligkeit feiner Staatsbürger. nindern und: zerftören 
tönnte, und 2) Gefege geben und Anſtalten 
gründen, welche die Wohlfahrt der Staatsbürger 
befördern (morüber theils die Staats wirthſchaft, 
teils. die Cultur⸗ und Wehlfahrtspolizei 
das Nähere enthält); aflein 1) ee vermag, bei aller 
feiner Macht, die Glückfeligkeit der Staatsbürger 
nicht zu bewirken, gefchmeige zu erzwingen, wenn 
dieſe nicht felbft Die dafür dargebotenen Mittel ergrei- 
. fen, und 2) darf er auch, nad) der Vernunft, den 
Zweck der Wohlfahrt und ber Gluͤckſeligkeit (wie die 
Eudaͤmoniſten thaten, welche ihre Politik auf den 
Grundſatz der. Gluͤckſeligkeit bauten,) nicht als ben 
hoͤchſten Zweck des Staates: aufftelfen, weil die un- 
bedingte Herrfchaft des Rechts der erfte Zwed des 
bürgerlichen. Vereins bleibe, welchem die Wohlfahrt 
ber Staatsbürger infofern als zweiter Zwed beige 
ordnerift, inwiefern Das Streben nach Gluͤckfeligkeit 
und der-Genuß und Die Vermehrung derfelben ‚mit 
Dem unbedingten Zwecke des Rechts vereiniget werden 
kann. — Nach diefer Anficht wird alfo die Wohl- 
. fahrt der Staatsbürger. feinesweges von der Organi⸗ 
fation, des Staates ausgefchloflen; fie fann aber aud) 
in den drei wefentlichen Beftandtheilen der Staats- 
organifation, in der Werfaffung, Regierung und Ver 
waltung, ‚nicht geboten , fondern nur berudfichtigt, 
und alles, was dieſelbe hemmen wirbe, muß aus der 





: Staatakunſt. 361 


Reihe der Maasregeln des Staates ausgeſchloſſen 
werden ꝰ JJ)JJ. me 


& 
— 15. 


sy Die Verfaffung des Staates, als. erſter 
‚“Becſtandtheil der Organifation daffelben: 
Es gehoͤrt dem philoſophiſchen Staatsrechte an, 


aus Grundſaͤtzen der Vernunft die Begruͤndung des 
Staates aus einem Ürvertrage**), und aus die— 





*) In demfelben Sinne fage Er: v. Gentz (hiſtor. 
3Ioöournal, 1800, Febr. &; 116 f.): „Nur algus . 
. oft wird die Rangordnung der gefellfhaftlichen Zwecke 
verkehrt, der unbeflimmte, feiner Natur nah unber 
flimmte, Begriff des allgemeinen Wohls anf die 
hochſte Stelle erhoben, und taufend willfährlicen 
Maximen, bie diefer Begriff in, die Sefellfhaft eins _ 
führe, die oderfte Bebingung fetbft, die Unverletzlich⸗ 
keit des Rechts aufgeopfert. So lange man ſich aber 
vor dieſer gefaͤhrlichen Verirrung bewahrt ; ſo lange 
man nur den Maximen ber Wohlfahrt nicht den 
oberſten Plag, oder gar die ausſchließende Herrſchaft 
einraͤumt; fo lange, iſt es erlaubt, und im practiſchen 
Raͤſonnement fogar nothwendig, den Geſichtspunct 
der Wohlfahrt abgeſondert von dem Geſichtspuncte 
der Rechte zu behandeln, und jede geſellſchaftliche 
Einrichtung mit’ einem doppelten Maasſtabe zu 
»meſſen.“ a8 


⸗*) Fr. v. Gentz (hiſtor. Journal, 1799, Nov. 
8.298 ff.) ſagt: „Sollten auch alle Staaten, die 

je exiſtirt haben, ihre. Entfichung dem Zufalle oder 

der Gewalt werdantens fo verliert der höhere, Titel, 

- da8 Recht, dennoch feine Anſpruͤche auf fie nicht. 
Es iſt keine willkuͤhrliche Hypotheſe, fandern ein 
GSebot der Vernunft, ihren rechtlichen Urſprung 
i „3, praͤſumiren ynd. gleichſamzu, pojtulivenz. ynd es 


364 Staatskunſt. — 


| Sreipeit. (welches: in: der Berfaflung Großbritan⸗ 
niens durch die ſogenannte Habeas- Corpus» Acte 
‚ausgefprochen. it), mit Abfchaffung ber Leibeigen⸗ 
haft”), Sklaverei, Eigenhörigkeit, und der unge 
zneflenen ı und gemeflenen Frohnen “) A lebtete 


— 





* —2** ia ſ. hintetlofſ Berten, SB. 8 
S. 60.): „Es gibt in den meiſten Staaten. Eurp 

, pens Provinzen, wo die Bauern dem Acker ange⸗ 
- hören, und Knechte ihrer Edellcure find. Dies iſt 
unter den Zuftänden unftreitig der. ungluͤcklichſte, und 
der, wogegen die Menſchheit am meiſten ſich empoͤrtt. 
Gewiß iſt kein Menſch gebohren, um der Sklave 
ſeines Gleichen zu ſeyn. Man verabſcheut mit Recht 

‚, einen ſolchen Mißbrauch. “ 


| J 
**) Friedrich 2 (dintert. Beste, Th. :6, ©. 49): 
„Das alte Lehnsſyſtem, welches ‚vor einigen Jahr 
Hunderten in Europa beinahe allgemein war, hatte 
feinen Grund in den Eroßerungen der Barbaren. 
Der: Minifter. $eeih. v. Stein ſchrieb in feinem 
: Sirculare an bie:.oberften Behoͤrden ber preußi⸗ 
76 Monarchie, als er das Miniſterium niederlegte; 
7Der letzte Reſt der Sklaverei, die Erbunterthaͤnig⸗ 
eit, iſt vernichtet, und der unerſchuͤtterlicht 
Pfeiler jedes Throns, der Wilfe freiet 
‚Meniheny-if "gegründet. :. Die, Städte Rud; für 
. "min dig erflärn — Sobald das Recht, die Hanud⸗ 
ur ;Aungen eines Mitunterchang. zu beftimmen und * 
”. "Telten, Mmit einem Grundſtücke ererbt oder erka 
werden kann, verliert die hoͤchſte Gewalt ihre Würde, 
und:iin gekraͤnkten Unterart wird die Anhaͤnglichkeit 
an den Sraat,gefhwärht. Nur der König ſey Herr, 
Ind: fein Recht Hderanr'der aus, dem erres jedesmal 
u. übämräge: Die Aufhebung ber Patrimonmial⸗ 
serihssbnteit if bereits .eindekeitnt. — 
5 * Beſtimmte Dienfke, die der Beſitzar des 
si” einen: Grundſtuͤckes dem’ Befiger: des andern :deiftet, 
find: an: ſich zwar kein Uebel, —8*— perfimtihe Frei⸗ 


r 











Staatskunſt. 363 


en Entſchadigung der Berechtigten); das’ Merht? 
af Fleichheit var dem Gffege; mit Aufhebung’ 
aller inzelnen · Bevorrechtungen; Das Recht der reis! 
heit des Gewtffens, anerkannt in den gleichmäßl⸗ 
gen Rechten aller im’ Staatl beſtehenden Ritcyem 
(Staarsreiht $: 38 40); bie oed maͤßige gEug tie] 
Pr fihe Einthiektunig des @tadfägebteks näch van? 
aasftabe der Geſammtbevoltxrung und der -in-Ben! 
einzelnen Wrödinzeh" dnzusrbhätiden Vernalsängsbe:’ 
hörbeh -Staätii;-$: 36.) "und die ufitellung“der! 
Bedingungen, unter welcheit"das-Sraatsbürgerreche' 
erworben wird, oder verloren geht (Staatsr. $i 20 4 
23.).- Da: mit’ dein letzten Gegenstände die ſtaats⸗ 
rechtlſche Lehre von den verſchiedenen Ständen im! 
Staate in’genauefter Verbindung fteht; fo gehört eb⸗ 
der Staatsfunft ausfchließend an die Grundſaͤtze des 
Rechts und ber'-Klugheit über das Verpälmik ber’ 
erblichen Stände, oder des: Aders, zu den Abri⸗s 
gen aufzuſtellen. . , ae Ba A Be BEE Ze 52 —57 


. 16. R W ST ADD 
Die erbliden Stände im Staate _ 


ESco viel auch. im Allgemeinen gegen das Dofyu,* 


, 
26 


1» heit dabei: ſtatt findet. Dieſe Dienſte führen; aber 
. eine gewifle. Abhängigkeit und willtührlihe Behand⸗ 
, ‚Jung der Dienenden mit ſich, bie dem Nationalgeifte 
. naditheilig iſt. Der Staat braucht nur die. M;d gs 
lichkeit derſelben (ſo wie er auch die Gemeinheits⸗ 
theilungen befördert) geſetzlich feftzuftellen,, fo daß ein. 
jeder Ansgleihung unter beftimmten Bedingungen 
verlangen fann. Dies wird hinteihen, um bei dem 
" Sortfäritte des Volkes die Dienftpfilhfigen 
au veranlaffen, von jener Befugniß Gebrauch: zu 
. machen. “6 | —* | oe. . " 


I 


304 Staaseunfl.e. - 


. Sreiheit. (welches in: der Berfaffung Großbritan⸗ 
niens durch die fogenannte Habeas- Corpus» Ace 
ausgeſprochen it), mit Abſchaffung ber Leibeigen⸗ 
ſchaftee), Sklaverei, Eigenhörigfeit, und:der unge- 
effenen und gemeffenen Frohnen **) (doch legtete 


” .. , 
! 1 6. 


N Sriedrich 2 (inf. hinterlafſ. Werken, Th. , 
S. 60.): „Es gibt in den meiſten Staaten. Eurpy 
.pens Provinzen, wo die Bauern dem Acker ange 
“ hören, und Knedte ihrer Edellcure find. Dies tft 
unter dilen Zuftänden unftreitig der ungläcfichfte, nnd 
den, wogegen die Menſchheit am meiften fih empoͤrtt. 
Gewiß iſt Bein Menſch sebohren, um der Sklave 
.. feines Gleichen zu feyn. Man verabfchene mis Recht 
.., einen folden Mißbrauch.“ Bu J | y 
*8) Friedrich a (hinterl. Werke, IH. 6,:©. 49): 
„Das alte Lehnsfyftem, welches vor einigen Jahıs . 
° handerten in Europa beinahe allgemein war, hatte 
feinen Srund in den Eroberungen der Barbaren.” — 
:5::'Der: Minifter. Feeih. ve Stein ſchrieb in feinem 
..„„&lrculare an bie. oberften Behörden. der preußß 
Shen Monarchie, als er. das Minifterium niederlegte 
„Der legte Reſt der Sklaverei, die Erbunterthänigs 
reit, iſt vernichtet, und der unerfhürterfige 
:  Mfeiler jedes Throns, der Wile freier 
.  Menfchenzrif gegründet. :. Die, Städte ſind für 
min dig erfiärn — Cobakt.dns ect, dig:Mande 
3: Iunsen eines Mitunterthans zu beftimmen und * 
iten, mit einem Grundſtücke ererbt oder erkau 
werden kann, verliert die hoͤchſte Gewalt ihre Wuͤrde, 
ndim gekraͤnkten Unterthan wird die Anhaͤnglichkeit 
an den Staat. geſchwaͤtht. Nur der König ſey Herr, 
und' ſein Recht Kderamr'der aus, dem ernes jedesmal 
93° Abirtrügt. Die Aufhebung der Patrimonmial⸗ 
mesgerihssdafteitift Hereitd,eindeteitat. — 
2, 0m Weftimmte Dienfte, die.der Bellgar des 
3.i: einen: Grundſtuͤckes dem: Befiger: des andern :deifter, 
ſind: an ſich zwar. kein Uebel, ſobaid perfimtihe Frei⸗ 





[> ZU 


⁊* 


v 











Staatsfunft. 365 


ee Entſchaͤdigung ber Berechtigten); das Recht 
auf Gleichheit vordem Gefege; mie Aufhebung 
aller inzelnen · Bevorrechtungen; Das Recht ber Frei⸗ 
heit des Gemwtffens, anerkarmit in den gleichmaͤßi⸗ 
gen Nechten aller Im Staard beſtehendeil Kürchen 
(Staatsrecht . 38 40); dia ʒwedmaͤßige gEug ei! 
—— — he Lung des Staãtstzebrels nach nein? 
aasſtabe der Gefammtbevoölterungz und der in dene 
einzelnen Provinzen. AnzuördnehidenVerwaltungsbe⸗ 
hörbeh Staãtsr⸗ g 36.), und die Aufſte llung ·der 
Bedingüinden, unter welcher das Sraatsbürgerrecht' 


erwotben wird, der verloren geht (Staatsr. $; 204. 


gen aufzuftelen. , 


23.). -- Da: mit" dein letzten: Gegenftände die ſtaats⸗ 
rechtikche Lehre von den verfehiedenen Ständen im! 
Staate in’genauefter Verbindung fteht; fo gehört ea’ 
der Staatsfunft ausfchliegend an „die Grundfäge'beg’ 
Rechts und der‘ Klugheit über das Verhaͤltaißder⸗ 
erblich en Staͤnde, oder des Abels, zu den Ubriet 
ee Era W1 

16. SE EEE Bee 77 

Die erblihen Stände im Stante _ 


. "So-viel’aud:im: Allgemeinen gegen das. Dofpya * 


x heit dabei ſtatt finder. Diele Dienfte führen ;.aber 
. eine gewiſſe Abhängigkeit und willtährlihe Behend⸗ 
— lung der Dienenden mit fi, bie dem Nationalgeifte 
nachtheilig iſt. Der Staat braucht nur die. M,ö gr 
lichkeit der ſelben (ſo wie er auch die Gemeinheits⸗ 
theilungen befördert) geſetzlich feſtzuſtellen, ſo daß ein 
ijeder Ausgleichung unter beſtimmten Bedingungen 
verlangen kann. Dies wird hinreichen, um bei dem 
Sortſchritte des Volkes die Dienſtpfllchtigen 
zu veranlaſſen, von jener Befugniß Gebrauch zu 


N f | 


machen.“ 


360, Staacskunſt. 


eines er b ich en Standes (des Adels) und gegen bie, 
ſiaatsbuͤrgerlichen Porrechte deſſelben, beſonders in, 
neuern Zeiten, geſchrieben, und ſelhſt im Sturme der 
franzoͤſiſchen Revolution beides mit einem Machtſtreiche 

aufgehoben worden ift; fo, beftätige es Doch. die Ge⸗ 

ſchichte, daß in gflen gefitteten Reichen und Staaten 

Des. Alterchums. und der neuern Zeit — nur unter, 

verfhiebengreigen Formen und: Geftalten —.ein Par 

tricigt, ein Ade], ein erblicher Stand getcoffen 

ward. . So wie nun-überhaupt i im Staate jeder recht⸗ 

liche. Befig -und-:jedeg ‚rechtliche Eigenthum gefichere 

und heilig feyn muß; fo auch ber. rechtliche Beſitz 

eines ererbten Namens: und eines ererbten Cigen- 

thums. Nach Grundſaͤtzen des Rechts muß daher 

die, erbliche perſoͤnliche Würde, fo wie. das Grund— 

ejgenthum mit ‚den darauf ruhenden Rechten ; im. 

Staate gewiſſenhaft anerfannt werden *); auch) iſt es 
med, aͤßig (wenn: gleich nicht an fi) nothiwendig), 

daß in Staaten, wo ein Erbadel befteht, derſelbe in. 

einer eigenen Kammer **) burd) geroäßlte Mitglieder 

aus ſeiner Mitte vertreten werde. 





*) Sr. v. Seng :(difor. Journal, 1800, San. 
S. 18.) fagt: „Zwiſchen dem erblihen Beſitze einer 
Wuͤrde und dem. erblichen Befike eines Grundſtuͤckes 

IR’ keine Spar eines rechtlihen Unterfchiedes zu fins 
“ den. Ohne ber einzigen wahrhaft s widerrechtlidhen 
Ungleichheit die Thore zu öffnen, darf man übers 

| Haupt nie von einem Eigenthume fpreden, das mehr 
‘oder weniger Eigenehum, als ein anderes, wäre.” 


“) So meint e8 auch v. Jakob (Ein. in d. Stud. 
dere Staatswiſſenſchaften, ©. 208 f.) „ Mo. ein Erbs 
..adel-worhanden ;ift, und wo derfelbe erhalten werden 
‚fol s.da muß er eine eigene Kammer. bilden, um vers 
* bindern zu innen, daß ihm feine Vorzüge nicht ges 


Stastml: 467 


. „An. eben: foy wenig, barf in der Staatglunſt 
überfehen werden, daß der Adel nicht indje Mitte 
zwiſchen bey Surfte n. und Die. übrigen ‚Staasshürger, 
ſich fielen darf, ‚weil, außer der geheiligten Perſen 
bes Regenten,jebeg. andere Judividuum im Sagt, 
angleid & tantsbürger und Unterthan äfl, 
und, weil gußpr ben pesfonkichen Borzügen gings; 
sehlichen Standes, — ah, die Befaͤhigung zy 
Hofängern. A ibeſondere flaatseahtlihe ° 
Vorzüge defjelben (z. B. ausihliegende Bereihligung: 
zu.geagiflen Staatsäntern,, - Ausnahmen: von den 
um State beftebenden hürgeslichen.und Strafgefegem 
mp) Ungerechtigkeiten gegen bie übrigen. Staates, 
bürger ſeyn wuͤrden. int Bed 

; Da übrigens. bie Rechte und Vorzüge bes, Adelg 
auf einer geſchichtlichen Unterfage beruhen; fo lehrt 
auch dieſelbe Geſchichte, in Hinſicht des ‚ans dem. 
Lehntzſyſteine ¶ hervorgegangenyn neu eurqpaͤiſchen 
Adels, daß demſelben — bis zup, Zeit der Entdeckung 
des Schießpulvers und der Einfüprung der ſtehenden 
Sgere.,— die ausfchließende Verpflichtung, 
zum Kriegßdienſte, und deshalb bie Be— 
freiung von andern Leiſtungen an ben Staat, nament- 
lich von den — in den Zeiten des Mittelalters an ſich 


„ ® > e N . 
— — ur 48. . 1 +7 . 7. \ a 
⸗ 


‚nommen “werden. Aber eben .fd neehwendig. ift in 
.,. einem..folhen Lande eine "Kammer der Gemeinen, 
‚wenn. der Ergadel nice die Macht Haben foll,: die 
‚Gemeinen 39: ungerdräjfen, ‚und .alle. Laſten auf fie 
zu wälzen.. Soll .aher. eine, Adels⸗ und Gemeinen⸗ 
fammgz ‚neben einander. befichen; .fo muͤſſen die. Pris 
‚, Pilegien Des Adels fo gemäßigt feyn,. daß ſie weder dem 
.. Vermögen oder. Erwerbe der übrigen Volfsflafen bins 
derlich fallen, noch die, Selangung zu hoͤhern Wuͤr⸗ 
den und Ehrenſtellen Ihnen unmöglich machen.“ 


x 


. 
.. — 


er 


368 ‚ Staatsfunft; | 
0 
fahr imbebeutenden — bhaten. Abgaben Jufäm!-Dar- 
ddr ergiße ſich für’ die Staarsfunft‘;’ daß: fie den 
mie-fölgen Befreiungen bevorrechteteh Stand nur 
gegen 'Entfhädigung' daftirı®Y zur gleich⸗ 
mEßtg EH Beffeiteriiig An Ginſiche aülen Feisp et 
und Beibehaltenen Abgaben: im Stagte ziehen duͤrfe, 
daßi aber beĩ Steuern and Abgaben, welche erſt die 
deueſt eu Beduͤrfniſſe bes Staates herbeigefuͤhrt 
haben der! ältere Rechtstikel der Befreiung,“ oder 
der Entſchaͤbigung dafuͤr, von felbſt wegfuͤllt. 
3.Endlich hat bee Adel in den juͤngern europaiſchen 
Reichen nie den Eharakter der Kaſten (d. h. vollig 
gefch loöfſener Staͤnde), wie in mehrern Reichen 
des Alterthums, und noch jetzt in Indien und China, 
cngenommen, wodurch ſeine Stellung gegen die uͤbri⸗ 
gen Stände im Staate weniger druͤckend und Eiferſucht 
erregend geworden iſt. "Allein eine hoͤchſt ſchwierige 
Frage der Staatskunſt bildet es: ob die (ſeit der Ein⸗ 
führung des Briefadels geſtelgerte) Vermehrung 
des Erbadels rathſam ſey, wenn gleich das Recht der 
Ertheilung des Adels von Seiten bes Regenten un⸗ 
beſtreitbar it; und ob- nicht vielmehr die, in Groß⸗ 





x f 
se Yogare . . . ® 
’. a to . LP Ep ’ -—; 


ge LE ee Be SEE .: a 
*) Fr. v. Seng (hiſt. Journ, 1800, Jan. ©. 35.):- 
. Die Reafprivilegien .Cbei den Abgaben, bei dem 
a Gätrerbefi Ge, bei der Theilnahme an affgemeinen 
Landeslfaſten u. f. w.) repräfentiren Gerechtſame, bie 
2 in frühere Verfaſſungen, zuweilen In ein graͤues Als 
*, terthum hinauf ſteigen, oder ſie beruhen auf Vers 
"prägen. Es waͤre wuͤnſchenswerth, daß eine weiſe 
Geſetzgebung nah’ und nach alle’ Privilegien dieſer 
Art dufrehtmäßigen und gerechten Wegen 
aufheben Finnte; Jo fange fie aber vorhanden 
Send, darf man nicdye vergeflen, daB fle, unter die 

Rechte schöten. "; 


— 











N 


j J Staatskunſt. 369 


\ 


britannien thatſachlich beſtehende „Beſch ran neu ng. 


des Geburtsadels auf die erfigebohrnen 
Söhne adliher Familien *) felbft der Würde, 
dem Glanze und dem bürgerlihen Wohlftande der 


nachgebohrnen Soͤhne folder Familien hoͤchſt vor⸗ 


theilhaft ſeyn wuͤrde, weil mit der Verarmung des 
Adels die demſelben durch eine ſorgfaͤltige Erziehung 
zu Theil gewordene Verfeinerung der äußern Sitten 
‚und des Geſchmacks allmäplig fich vermindern muß. — 
. Die Errichtung großer Majorate aber da , wo f ie 


| *) Dies ift der Vorfhlag von Krug (die Furſten und 


die Voͤlker in ihren gegenſeitigen Forderungen dar⸗ 
geſtellt, Leipz. 1816. 8. ©. 58 ff.), womit er einen 
zweiten verbindet: „Anerkennung des Verdienſt⸗ 
adels in jedem durch perfönliche Eigenfchaften und 
dem Staate geleiftete Dienfte ausgezeichneten Staats: 
buͤrger.“ — Sollte aber diefer zweite Vorſchlag in 
" Staaten nöthig feyn, wor — wie ſchon in mehrern 
gefhieht — jeder nur nah innerm Ben 
dDienfte zu -den eigentlihen Staatsaͤm⸗ 


tern gelangt? Iſt nicht fchon diefes Selangen- 


zu höhern Staatsämtern Anerkennung des wahr 
ven Verdienftes? Warum fol noch damit’ der per: 
fönliche (nicht forterbende) Adel verbunden wer 
. den, da ohnedies in gem gut organifirten Staate 
der bärgerlihe Rang von der Stellung 
jedes einzelnen "Staatsamtes zu Sem 
3wede des Ganzen abhängen muf, und nie 
ein bloßer Titel ohne Amt, fo wie wieder von 
‚ der andern Seite fein wichtiges Amt ohne einen, 
die Würde deffeiben finnlich bezeichnenden, Titel 
und Rang, gegeben werden darf! — &o fagt 
Sriedridh 2 Chinterl. Werte, Th. 6, ©. 66.): 
„Um ‘zu verhindern, daß die Nationalfiteen, nicht 
verderbt \werden, muß der Fuͤrſt unaufhoͤrlich aufs 
merkſam ſeyn, nur das perſoͤnliche Verdienſt 
auszuzeichnen.“ = 
J. 24 








370 Staatskunſt. 


nicht ſchon beſtehen, iſt eine Ungerecheigkeit gegen die 
nachgebohrnen Söhne adlicher Familien, und in volfs- 
wirebfchaftlicher Hinficht verwerflich. 2 
Unterfuhungen über den Geburtsadel und bie 
Möglichkeit feiner Fortdauer im neungehnten Jahr⸗ 
hundert. Ron dem Verf. des neuen Leviachan 
(Saabeti Berl. 1807. 8. 


17. 


Verſchiedenheit der Verfaſſungen nah 
politifhen Rüdfidhten — 


4) in Beziehung auf ihre Entftebung. 


Jede Verfaffung ift an fih ein Örundver- 
trag *), der über alle wefentliche Bedingungen des 
innern Staatslebeng zwifchen dem Regenten und dem 
WVolke abgefchlofien wird. Es folgt daraus von felbft, 
; ‚daß zwifchen beiden ein fiteliches Verhältniß ange: 
nommen, d. h. der Kreis der Rechte und Pflichten 
des Megenten, jo wie der Kreis der Rechte und Pflich⸗ 
ten des Volkes, in der Verfaſſung feſtgeſetzt wird *). 





*) Er. v. Gens (hiſt. Jouen. 1800, Jan. S. 19 ff.): 
„Eine jede Verfaſſung, deren Rechtmäßigkeit aud 
‚nur praͤſumirt werden kann, d. h. eine jede, die 
nicht der Srundbedingung. des gefelk 
fhaftlihen Vertrages widerfpridt, if 
an und für fich gerecht. Gerechtigkeit ift das eigents 
liche. Wefen einer Staatsverfaffung. Gerechtigkeit 
ift ihre Beſtinmung und ihr Zwed; die Form iſt 

nichts, als ein Mittel. Auch die fehlerhaftefte aller 
Conſtitutionen hat die Praͤſumtion fuͤr ſich, daß ſie 
das Recht beabſichte.“ 

0) Es darf an dıefem Drte die Aeußerung Friedrichs so, 
der. in den meiflen feiner Länder mit unumfchränfter 
Mat regierte, über die Verfaffung des Far—⸗ 
Kenthums Neufhatel nit übergangen wen 


»- 


Staatskunſt. 374 


Befragen wir aber die Gefchichte über die Ent⸗ 
ſtehung der Verfaffnngen; fo ſtellt fie für Die Staats⸗ 
kunſt folgende Ergebniſſe auf: Ä 

- 4) die Verfaflung wird entioeber gegeben von 
dem Regenten als ein Xusfluß feiner Regenten⸗ 
gewalt (fogenannte octroyirte Verfaffungen — 
dahin gehört die conftitutionelle Charte Ludwigs 18 
vom Jahre 418145 die bayrifche und babenfche Ver⸗ 
faffung vom Kapre 1818; die Verfaſſung, welche 
Kaifer Alerander *) dem Königreihe Polen im 
J. 1815 gab); ; 


den, welde ſich in einem Brief an Voltaire vom’ 
20. Op. ı771. (bint. Werke, Th.9, ©. 325 ff.) 
finde: „Die Eonventionen, auf welde das 
dortige Volk feine Freiheit und feine Privile⸗ 
gien gründet, find mir ehrwärdig, und id 
fliege meine Macht in dle Örenyen ein, 
die es ſelbſt beſtimmt Hat, als es fih mei 
nem Haufe unterwarf.” Wären dem erhabenen 
Bürften diefe Tonventionen nicht „ehrwuͤrdig“ ger 
weien; fo würden die 40,000 Bewohner des Fürs 
ſtenthums bdiefelben nicht haben verchetdigen können 
gegen den König, befonders in einer Zeit, wo in 
den meiften europäifchen Staaten die Formen uns 
beſchraͤnkter Monarchieen beftanden, 

Als der Kaifer am 27. Apr. 1318 den Reichetag des 
Königreiches Polen zu Warſchau erdffnete, fagte er 
in feiner Rede: , Repräfensannen des Köwigreiches 
Polen! Eure Hoffnungen und meine Wauͤnſche wer 

"den erfüllt. Das Volk, zu deſſen Mepräfentanten 
Ihr berufen ſeyd, erfreut ſich enblich eines volk s⸗ 
thamlichen Dafeyns,. verbirgt. durch Einrich⸗ 
‚tungen, welche die Zeit reifte :und heiligge. der 

weiſet Euern Zeitgenofen, daf die Isbarnien 

— Snfbeutioneuu Berenreuf Immer :gebels 

. ligte Brundfäge man: mit den umſärzen⸗ 
den Lehren, welche in unfern „zogen die, 

24* 


! 


\ 


| 372 Staatskunſt. 


2) oder fie wird, als ein Grundgeſetz, von dem 
Regenten de n Stellvertretern des Volfes 
vorge legt, und von biefen, nach gefchehener 
Prüfung: ibrer einzelnen. Beftlimmungen, ange- 
nommen (ſo z. B. die Weimarifche Verfaſſung ‚die 
Verfaſſung Des Königreichs der Niederlande u.a.) ; 

3) oder fie wird gemeinfhaftlich von. dem 
Regenten und. den Stellvertretern des Volkes b e= 
rather und angenommen (fo z. B. die Verfaffung - 
des Königreihes Norwegen, des Königreiches 
MWirtemberg *), des Großherzogthums Heſ— 
fen); 

4) oder fie wird. ausfchließend von den Stell-. 
vertretern des Volkes entworfen,. und 
dem Regenten zur Annahme vorgelegt (fo % B. 
die Verfaſſung Schwede, ns vom J. 1809; Die 
Verfaſſung der fpanifchen Cortes vom J. 18205 
die Perfaſſung. der p or tugi e fi i ſ He en ı Eortes; vom 


Ä "2 1822). 


. gefeltfgaftlige Ordnung mitt einer fürd 


terlihenKataftrophe bedrohten, zu vers 


zau Wehfeln- fuhrt, kein gefährtides Blend⸗ 


wert find, fondern daß fie, mit Redlichkett ins 
Werk'geſetzt "und vor‘allem mit reiner Abfiht nad 
einem erhaltenden und für. Die Menſchheit nüßlichen 
Ziele geleitet, ‚Ads volllommen mit der Drdnung ver 


tragen, und "in Gemeinſchaft mit diefer die ‚Wahre 


Woͤhlfahrt der. Völker bewirken.” 


R) es lteß am 13. Jul, 1819 der König von Wirtem 


Berg den Ständen durch den Minifter von der Lühe 
Rerklaͤren: „Sein Herz Außere no immer den Wunſch, 
daB Wirtembergs neue Verfaſſung aus einem 
freien und freudigen Einverftändniffe des 


Wolfes mit feinem Regenten hervorgehen 


mg. 


* 


Staatskunſt. 473 


‚Da die geſchichtliche Unterlage: mehrerer, 
DVerfaflungen in die Zeiten bes Mitselalters zurüde; _ 
reiht; da ferner die mannigfaltig verfäjjebenen oͤpt⸗ 
lichen Verhaͤltniſſe, ja ſelbſt augenblicklich eingerres, 
tene Beduͤrfniſſe, bei. der Ent ſte hung der. Verfaf, 
ſungen night felten Den Aus ſchlag gaben; da endlich, 
die. Völker und Staaten in Hinfiche der rechtlichen- 
Geſtaltung ihres innern Lebens fehr von einander ver=, 
ſchieden find ; fo kann an fich feine Diefer Verfaſſun⸗ 
gen der andern vorgezogen werden. . Die Stgatskunſt, 
haftet dabei blos an drei Puncten: bie Entftehung 
der Werfaffung gefchehe auf rechrlichem Wege; fie 
werde vom Regenten und Wolfe, als gültiger Gründ- 
vertrag, freiwillig und rechtlich angeriomnfen ; 
fie. entfpreche den vorhandenen Bedürfniffen 
eines‘ Volkes und Staates für die nee Geftaltung 
feinds Tünern Lebens. — Allein, ſobald die Staats» 
kunſt' die in diefer Hinſicht vorliegenden geſchicht⸗ 
lichen Thatſachen berückſichtigt; ſobald finder fie, 
daß gewoͤhnlich die von den Volfsvertretern en: toorfe: 
nen und dem Regenten blos zur Annahme vörgelegten 
Verfaffungen die Rechte des legtern, namentlich ſei- 
nen Ancheil an der geſebsebenden Gewalt KL zu: ſehr 


Eu . 


*) ge. v. ‚Gens chin. Sourn. 1800, Gebr. ®. 187): 
„Jede Eonftitution, welche der Regterung feinen 
Wwefentlichen Antheil bei der Geſetzgebung' einräumt, 
ift fehon im Augenblicke ihre Entflehung dan Unter⸗ 
gange gewidmet; jede Sonftitution, im welcher die 
. Reglerung weientii bei der Geſetzgebung concudrirt, 
gehoͤrt in die Klaſſe der ausfuͤhrbaren. Sie kann 
in tauſend Nebenſtimmungen ihrer DOrganlfarion den 
Keim der Zerſtoͤrung enthalten; aber. es iſt kein 
fundamenteller Widerſpruch in ihren Grundlagen u 
. vorhanden.” _ 


374 Staatskunſt. 


beſchraͤnken, deshalb an organiſchen Fehlern 
leiden, und ſelten dauerhaft ſind; daß die ſoge⸗ 
nannten oetroyirten Verfaſſungen gewöhnlich bie 
meiſte innere Einheit ihrer Theile haben, wenn fie 
gleich nicht auf dem Wege des Vertrages entflunden 
find; und daß bie von dem Regenten ben Volksver⸗ 
tretern vorgelegten und von Diefen geprüften und ans 
genommenen , ober gemeinſchaftlich von beiden ent⸗ 
worfenen Verfaſſungen dem flaatsredhtlichen Begriffe 
eines Grundvertrages am meiften entiprechen. 


(Fr. v. Gens (bift. Sournal, 1799, Nov. ©. 
287.f.): „Sobald von a die Rede 
ift, darf Feine Verfaffung verworfen werden, bie 
dem gefellfchaftlihen Wertrage nicht widerſpricht. 
Pur die, in welcher die Gefeslofigfeit Princip 
wäre, verdiente unrechtmäßig zu heißen“ — und 
©. 310.: „Die große Aufgabe, einem Staate 
durch feine Verfaflung einen hohen Grab von 
Sicherheit gegen Willkuͤhr und ſchlechte Gefege zu 
verleihen, fann nur durch Die Weisheit, vielleicht 
nur durch Die Weisheis einiger Wenigen 
gelöfet werben. ‘‘) 


Unter den vielen, in nenefter Zeit erfchlenenen, 
©Egriften über Berfaffung dürften folgende bie 
wichtigern fern: 
Wild, Agt. Krug, über Staatswerfaffung und 
Otaatsverwaltung. Känigsb. 1806. 8. | 
Benj. de Conſtant, Beratungen über Con⸗ 
ſtitutionen, äber die Vertheilung der Gewalten und 
die Särgfhaften in einer vonfitutionellen Monar⸗ 
hie. Aus dem Franz. v. 3. 3. Stolz. Bremen, 
1314. 3. . 
(Miniſter v. Wangenheim), die Idee der 
Staatsverfaſſung, in ihrer Anwendung auf Wirtem⸗ 








bergs alte Landesverfaffung, und den Entwurf gu 
‚deren Erneuerung. ref. am Main, 1815. 8. — 
Derſelbe, über die Trennung der Volksvertre⸗ 
tung in zwei Abthellungen. Frankf. 1816. 8. 
Herm. Wild. Ernft v. Keyferlingt, uͤber Repräs 
fentätion u. Repräfentativverfaffungen. Goͤtt. 1815.8. 
2 enzenberg, über Verfaſſung. Dortmund, 
3810. 8. 
Jac. Sigism. Bed, von den Kormen der Staates 
verfaffung. (3 Programme.) Noftod, 1816 f. 4. 
Ueber Verfaffungsvertrag , Verfaffungsformen und 
die Wirkſamkeit ſtaͤndiſcher Verſammlungen. Wiese 
baden, 1817. 8. 
Ehfin. Er. Schloſſer, fländifhe Verfaſſung, 
ihr Begriff, ihre Bedingung. Frkf. a. M. 1817. 8. 
Heinr. Eberh. Gtlo. Paulus, phitofophifche 
Beurtheilung der von Wangenheimiſchen Idee der 
. Staatsverfaffung und einiger verwandten Schriften. 
Heidelb. 1817. 8. . 
C. % Zum: Bdah, Ideen über Necht, Staat, 
Staatsgewalt, Staatsverfaffung ‚und Volksvertre⸗ 
tung , mit befonderer Beziehung der feßtern auf bie 
preußifhen Rheinprovingen. 2 Th. Köln, 1817. 8. 
Zul, Schmelzing, einige Betrachtungen über 
den Begriff und die Wirkſamkeit der Landfände, 
nad den Principien des allgemeinen und natuͤrlichen 
Staatsrechts. Rudolf. 1818. 8. 

Megent und Voll. Oder weiche Conftitution mu 
der preußifhe Staat haben? Berl. 19:8. 8... . 
(9. Sagern), Politie, oder der Staaten Be 

faffungen. Stuttg. 1819. 8. 
Worauf beruht die Nüglichkeit einer Nationale 
repräfentation; in Buchholz, Journal für Teutſhe 
land, 1815, Febr. ©. 185. ff. — Noch einige Ser 
. danken über NRepräfentattvverfaffung und deren Ein? 
führung. Ebend. 1819. Sept. ©. 85 ff. — Schiäfe 
fel zum Verfaſſungswerke; Ebend. 1892, Januar 
Arn. Mallinckrodt, über Verfaffung; in Voß 
. Zeiten, Suly, 1819. on 
Krug, über die Einführung neuer Verfaſſungen; 
m der Minerva, 1802, Auguft, ©. 292 ff: - : 


376 Staatskunſt. 


18. 
9) in Berietung auf ihre Innern Setim 
mungen. 


Nach ihren innern Beſtimmungen ſind die Ver⸗ 
faſſungen verſchieden: 

„ay nach dem in ihnen ausgeſprochenen rechtlichen 

Verbaͤltniſſe zwiſchen der gefeßgeben- 
‚den und vollziehenden Gewalt; 

_ b) nad) dem Grundfage der Ernennung ber 

Volksvertreter ‚ ob aus der numeriſchen Ge— 

| fammtpeit des Volfes, oder nah Ständen; 

ce) nad) der Verteilung der Volksvertreter in 

eine oder in zwei Kammern; und _ 
* d) nach den in der Verfaffung ausdrüdlich feſt⸗ 


. gefeßten Rechten. und Pflichten der Volksver⸗ 
freter, 


* 19. 
Sortfegung 


Heber das verfaffungsmäßige Verhaͤltniß 

zwiſchendergeſetzgebenden und vollziehen— 

den Gewalt, und über den Grundſatzder 
KTrnenaung der Volksvertreter. J 


Das Verhaͤltniß zwiſchen der gefeg- 
gebenben und vollziebenden Gewalt ift in 
einigen Verfaffungen fo beftimmt, daß entweder 
bie Volksvertreter allein. die. gefeßgebende Gewalt 
_ üben, und der Regent, ala Oberhaupt der vollziehen» 
ben Gewalt, ganz von dem Antheile an der Gefegs 
* gebung qusgefchloffen ift (3. B. in der fpanifdjen und 
portugieſiſchen Verfaffung); qder baß ber. Regent 


“- 








Staatvkunſt. 477, 


ausſchließend die Initiative der Geſetze übt, und ber: 
Voiksvertretern blos die Annahme oder Verwerfung 
der. vom Regenten ausgehenden Geſetze zuſteht; od.er- 


daß beide gemeinſchaftlich die Initiative ber: 


Gefege üben (wie in der brittifchen Verfaſſung). 
arte erfte Form des Werhältniffes enefchieden. 


die  fehlerhaftefte und verberblichfte iſt; fo ſcheint 


bie: dritte Form (Staatsr. $. 27.) eben fo. ben. 
Srundfägen der Vernunft, wie ben Bedürfniffen ber 
Völker am meiſten zu entfprechen, 

Die Ernennung der Volksvertreter 
(Staaser. $. 28.) kann entweder nach der numerifchen. 
Befammtheit des Volkes, oder nad) Ständen gefchehen. 
Man nennt gewöhnlich die erite Form, wo in der 
Verfaſſung blos die Geſammtzahl der zw wählen« 
den Volksvertreter und die Wahlart berfelben an⸗ 
gegeben ift, die Wahl aber lediglich dem Zutrauen. 
der Wähler zu ben zu Ermwählenden, ohne Ruͤckſicht 
quf befondere Stände und befondere bürgerliche Ver⸗ 
hältniffe, überlaffen bleibt, das repräfentative, 
hingegen bie zweite Korm das ffändifche Syſtem, 
wo nad) den verfchiedenen Ständen und Berufsarten 
die Zahl derer in der Verfaſſung beſtimmt wird, 
welche aus jedem einzelnen Stande in dem Kreife der. 
Volfsvengreter erfcheinen fol. Das erſte Syſtem iſt 





im Ganzen nur da angenommen worden, wo im 


Sturme einer Revolution alle aus dem Lehnsſyſteme 
bervorgegangene Unterſchiede der Stände. völlig vers 
nichtet wurden. 

Das zwe eite Syſtem e) , deffen geſchichetiche 


0 Ueber den unterſchied von Landſtandſchaft und Natlonal⸗ 


repraͤſentation; in Buchholz Journ. für Teuiſch⸗ 
land, 1815, Jun, ©. 303 fi; 


( » 


' 


378 Staatskunſt. | 


Unterlage In die erften Zeiten der Gefittung der aus 
dem Lehnsſyſteme hervorgegangenen Staatsformen 
zuruͤckreicht, brachte Anfangs nur die Inhaber ber 
hoͤchſten geiftlichen Würden und die adlichen 


Grundeigenthuͤmer, in der Folge auch die Ver⸗ 


treter der Staͤdte, und nur in Schweden bereits in 
dem zweiten Viertheile des ſechszehnten Jahrhunderts 
Cunter Guſtav Waſa) ſelbſt die Vertreter des 
Bauernſtandes in die Naͤhe des Regenten. Da 
im Ablaufe der Jahrhunderte manche Formen dieſes 


. 


Syſtems — nicht aber Die rechtlichen Unterlagen des . 


Ehſtems felbft — theils mit den wefentlihen Ver⸗ 
änderungen im Lehnsſyſteme, theils mit den Fort⸗ 
fHritten der Eultur aller Stände im Volke und mit 
der Verbreitung bes Wohlſtandes über die verſchie⸗ 
denften Klaffen der Staatsbürger, veraltet waren; 
fo find auch in den meiften neuen ſtaͤndiſchen Ver- 
faffungen die Unvollfommenpeiten in den frübern For⸗ 
men ber ftändifchen Wertretung befeitige worden. 
Außer in ver ſchwediſchen Verfaffung wird aber 


in feiner neugegebenen der geiftliche Stand ®) be⸗ 


fonders vertreten. An die Stelle der blos adlichen 
Repräfentanten ift die Wertretung des größern 
Grundbefiges überhaupt gefommen. In der 
Reihe der ſtädtiſchen Abgeordneten hat wan allen 
- "gebildeten Mitgliedern des Bürgerftandes den Ein 


— 


Eine beſondere Vertretung bes geiftlihen Standes 
verlangten neuerlih: Herm. Eberh. Gtlo. Paulus, 
in f. allgemeinen Srundfägen über das DVertreten der 
Kirche bei Staͤndeverſammlungen, mit befonderer Bes 
jiehung auf Wirtemberg. Heidelb. 1816. 8. — und 
noch flärker: Ion. Schuderoff, über den innerlich 

nothwendigen Zufammenhang ber Staats s und Kir⸗ 
henverfaffung. Ronneb. ı818. 8. 











Staarstunfi Ä Ä 379 


tritt eröffner, und in mehrern anbern ſtaͤnbiſchen Ver⸗ 

faſſungen iſt der Bauernſtand zu einer beſondern 
Vertretung aus ſeiner eigenen Mitte gelangt, weil 
er im Ganzen andere Intereſſen geltend zu machen 
hat, als der größere Grundbeſitzer. So hat: man 
das Mangelhafte der veralteten ftändifchen Vertretung 
verbeffert und gemildert, und dach zugleich die durch» 

greifenden Veränderungen und de Schwie- 
rigfeiten vermieden, welche mit dem erften 
Syſteme, befonders in Hinfiht der Wahlfor ' 
men, unvermeidlic) verbunden find, — 

Allein über die. neue Geſtaltung ber ftändi- 
fhen Verfaffung felbft flimmen weder die, als. 
Thatſachen der neueften Zeitgefchichte vorliegenden, 
Verfaſſungen, noch die Theoretiker ber Staats« 
kunſt überein. Die beiden Hauptanfi chten ber le tz⸗ 
tern ſind: 

‚ a) Es muß zwiſchen dem unbeweglichen 
und beweglichen Eigenthume im Staate unter- 
ſchieden und beides vertreten werden. Mit dem 
erften ift das Erhaltungsprincip im Staate 
verbunden, und durch daffelbe wird das Beharrliche 
im Staate repräfentirt; mit dem legten ift das 
Demwegungs- und DVervollfommnungs- 
princip im Staate gegeben, und durd) das be⸗ 
wegliche Eigenthum wird das Sortfchreitende , das 
Veränderliche im Staate repräfentirt. Die erſte 
Klaſſe von Staatsbuͤrgern, welcher das unbeweg⸗ 
liche Grundeigenthum, namentlich auf dem Sande, 
zugehört, bildet in der politifchen Welt eine Kraft 
der Trägheit, weiche die Staaten in ihrer "Bahn 
feſthaͤlt. Dagegen ertheilt das bewegliche Eigen- 
thum feinen Befigern weniger Vorliebe für das - 
Alte, weniger Anbänglichfeie an das Beftehende, 


N 
IN f 
—— — —— I 


330 | Staarstunf, FB 


mehr Neigung zu neuen Combinationen zu Ver⸗ 
änderungen aller Art. Dahin gehören zunaͤchſt die 
:: @Gemgerb» und Handeltreibenden „ und die Künftler. : 
me Die würden rücfchreiten, wenn fie nicht. be= 
.ſtaͤndig forefchrieten *). [Mit Folgerichtigkeit gehe 
„daraus die Eintheilung, diefer beiden Haupeftände 
im Staate in zwei Kammern hervor.)  .. 
.b) Nicht das Eigentum im Staate, fo wichtig. 
auch daſſelbe und. namentlich die Eintheiung bef- 
felben in das unbewegliche und bewegliche ift, fon - 
dern die erreichte. Cultur der Staatsbürger, und 
die verfiebenartige Antünbigung dies 


’ 





* Am erfhöpfendften. und geiſtvollſten hat dieſes Syſtem 
aufgeftelt und durchgeführte Fr. Ancillon in f. 
Schrift: Aber die Staatswiffenfhaft, Verl. 1820. 8. 
S. 98 ff. ; nur dürften in der ausführlichen Deduetion - 

dieſes Syſtems zwei Saͤtze nicht bewieſen werden 
koͤnnen: „daß diejenigen, die kein Eigenthum beſitzen, 
eigentlich Fremdlinge im Lande wären, und als 
Reiſende betrachtet werden könnten,” und „daß der 
MWehrs und Lehrs Stand feine eigentlihen 
Staͤnde wären, weshalb auch beide nicht zur befondern 
WVertretung fiheigneten.” Allerdings kann der Wehrs 
ftand, nach feiner wefentlichen Grundlage des uns 
bedingten Schorfams und der ftrengen 
Subordination, nicht füglih als befonderer 
Stand indie Reihe der zu vertretenden Stände 
aufgenommen werden, obgleih einzelne Mitglies 
der dDeffelben, befonders wenn fie Srundeigenthbum 
befißen , in die Reihe der Grundeigenthuͤmer eintres 
ten können; warum follen aber die felbittiändigen . 
und unabhängigen Mirglicder des gelehrs 
ten Standes nicht eben fo gut, wie Handwerker, 
Kaufleute: und Künftler,, zur Vertretung fi) eignen ? 
Iſt das Leben in der Idee nicht fo viel im Staate 
werth, als das Leben auf dem Komptoir ? 


- Staatsfunft, 381 


ſer Cultur, entſcheidet über die Kraft und Bluͤ⸗ 
the, fo wie über Den Fortſchritt des innern Staats⸗ 
lebens. Nur da wird diefer-Fortfchrite fühtbar , mo 
. alle Hauptzweige der Eultur vorhanden :find, 
und mit ſich im Gleichgewichte fteben.: 
Diefes Gleichgewicht hängt aber ab von der gleich« 
mäßigen Vertretung jener Hauptjmeige der 
Euttur, fo daß fein Theil des innern Staatslebens 
vor dem andern mehr oder weniger begünftigt er: 
ſcheint. Die Eultur zerfälle zunachft in zwei Haupt- . 
gattungen: in die finnliche und in die geiſtige. 
Zur erften werden hauptfählich die phyfifchen 
Kräfte des Menfchen, zur zweiten die geiftigen 
erfordert. Die erfte zeige fih in dem Anbaue 
. des Bodens nahdem größern und Fleinern 
Grundbefiße; die zweite in dem Anbaue der 
Gemwerbe,.des Handels, der Kunft und 
Wiſſenſchaft. Daraus ergeben fich die vier 
 Klaffen, welche — wenn alle Hauptintereffen. im 
Staate gleichmäßig vertreten werden follen, — ver⸗ 
freten werden müflen: 1) das größere Grund«- 
eigentbum; 2) das Fleinere Grundeigenthum 
(des Bauernftandes); 3) die ſtaͤdtiſchen Ge- 
werbe (Manufacturen, Fabrifen, Handel); 4) die 
." Sntelligenz im Staate fin den Kreiſen der 
- Wiffenfchaft und Kunft), In die Reiben der leß- 
ten gehören zugleich) die Mitglieder des geiftlichen 
Standes und die Erzieher. — So gewiß nun 
auch unter den Grundeigenthümern wiffenfchaftlich 
gebildete Männer, und unter den Handelsleuten 
und Gelehrten fich einzelne Grundbefiger . finden 
werden, weil diefe vier Hauptberufsarten in gefitte- 
ten Staaten in der Praris weit inniger. unter- fi) 
verbunden find,.als in der Theorie; fo feheint Doch, 





882° 


Staatskunſt. U 


für die gleichmaͤßige Vertretung aller Haupt⸗ 
intereſſen im Staate, eine gleichmaͤßige An- 

- zahl von Stellvertreteen aus jedem dieſer Stande . 
zur Verteetung des gefammten Volkes berufen wer- 
ben zu muflen. (Staatsr. $. 28.) *) 


’ 


*) Diefer Anfiche folgt beſonders Krug in ſ. Schrift: 


das Repraͤſentativſyſtem, Leipz. 1816. 8. Er. nenne 
Die Arc der Vertretung im epräfentativfpfteme die 
mathbemarifche, die im ftändilhen Syſteme bie 


dynamiſche. Die erfte beruht, nad ihm, auf dem 


ſtat iſti ſchen Princip der Seelenzabl, und 
beftimme daher arichmerifh das Verhältnig der Stells 
vertreter zum Wolle; die zweite bingegen auf dem 
polisifhen. Princip der Gewichtigkeit, 
und beitimme daher das Verhältniß der Stellvertreter 
zum Volle nad dem politifchen Werthe und Nange 
gewiffer Klaffen von Staatsbürgern. Er geftehe 
(S. 45 ff.) der legtern den Vorzug für alle teustche 
Bundesflaaten zu; nur daß er für die Aufnahme dee 
Bauernftandes, für die Erweiterung des Rit—⸗ 
terftande 6 durch die Ausdehnung der Vertretung 
auf alle Beflger von Rittergütern, und in Hinſicht 
der Geiſtlichkeit fih folgendermaßen erklärt: 
„Die Geiſtlichkeit bildete ſonſt einen befondern Stand, 
theild wegen . ihres Grundeigenthums, theils aber 
und vorzgäglich als Nepräfenrant der höhern 
Sntelligenz, weil fie ausſchließlich im Beſitze der 
Wiffenfhaft und Kunft war. Die Geiftlicykeir hat 
aber im Laufe der Zeiten ihr Srundeigenthum größtens 
theils verloren, befonders in proteitantifchen Ländern, 
und Wiſſenſchaft und Kunft iſt auch den Yaien in 
ſolchem Maaße zu Theil, geworden, daß Viele ders 
feiben in, diefer Hinſicht nicht nur eben fo, fondern 
noch mehr gebildet find, als die Geiſtlichkeit ſelbſt. 
Sie kann alſo nicht mehr als ausſchließliche Repräs 
fentation der hödern Intelligenz gelten, und muß ſich 
daher in politiſcher Hinſicht an Ricjenisen anſchließen, 











Staatskunft. I 383 


Was die in der Verfaſſung feftzufegende © e- 
ſammtzahl der Volksvertreter betrifft; fo ift im 
Allgemeinen der Mittelweg zwifchen dem Zuviel 
und dem Zuwenig ber angemeffenfte, Eine Veberzapl 
von Volksvertretern dehnt bie Verhandlungen und 
Abftimmungen in die Sänge und ‘Breite; eine zu Fleine 
Zahl kann leicht in ihren Anfichten und Ausſpruͤchen 
einfeitig werben. Dazu fommt, daß, bei der Zeft- 
fegung der Geſammtzahl der Volksvertreter, die Ge - 
fammtzahl der ‘Bevölkerung des Staates berüdfichtige | 
"werden muß, indem bei großen Staaten nicht der⸗ 
felbe mathematiſche Grundſatz, wie bei den mitt 
lern und fleinen angewandt werden darf. Denn 
wenn 5. DB. bei einem Staate von zwei Millionen 
Menfhen die Gefammtzahl der Volksvertreter am 
zwedmäßigften auf Hundert (25 aus jedem Stari- 
de) feftzufegen ſeyn dürfte, während ein Staat von 
nur 200,000 Menfchen Sefammtbevölferung wenig» 
ſtens 30 Vertreter bedürfte; fo würde derfelbe Maas» 
ftab, auf Reiche von 30 — 50 Mill, Menfthen ange- 
wandte, eine zwechwidrige Ueberzahl von Volksver⸗ 
tretern geben, 

Wenn übrigens örtlihe Rüdfichten für die Wahl 
der Wolfsvertreter in einzelnen neuen Verfaſſungen 
zu dem Grundfage geführt haben, Daß man aus der 


welche mit ihr jegt den Beſitz der Höhern Güter 
des Lebens theilen. Diefer Stand wird folglich 
nicht bios die Seiftlihen, fondern alle Gelehrte, 
wozu auch die wiflenichaftlich gebildeten Küänftler 
gehören, umfchließen mäflen. Die Theilnahme der 
Gelehrten: an der Volksvertretung ift aber an fih 
nothwendig, damit man bei den Berathungen über 
. SGeld und Sur nie das höhere Irtereſſe der Willens 
haft und Kun aus ben Augen verliere.“ 


'@ zV, | 


v- 


BA. Staatskunft. 


Reihe der Grunbbefiger und der Gewerb⸗ und Han- 
deitreibenden nur ſolche wählen dürfe, welche zu den 
-Höcftbefteuerten gehören; fo bat Diefe Be— 
flimmung meber-einen ‚rechtlichen, noch einer zurei= 
‚chenden politifchen Grund. Denn nad) der Vernunft 
find alle fitelich » muͤndige Staatsbürger (Staatsr, 
$.14.) gleich berechtigt zurpolitifchen Freiheit und 
alfo auch zur Wolfsvertretung, und nad) der Staats- 
kunſt ift es wenigftens zweifelhaft, ob die Enteichtung 
‘von 100 Franken mehr an jährlihen Steuern ein 
größeres Intereſſe an den heiligen Angelegenheiten des 
Vaterlandes, und eine größere individuelle Fähigkeit 
und Tauglichfeit zur Wolfsvertrerung begründe. *) 


*) Zwar in, unmittelbarer Beziehung auf Preußen, zus 
gleich aber nah allgemeinen Grundſaͤtzen, erklärte ſich 
der Minifter v. Stein, bei der Niederlegung feines 
Minifteriumg, in einem Circulare vom 24.Nov. 1808 
an alle obere Staatsbehörden über eine allgemeine 
Mationalrepräfentation. „Heilig war mir 
und bleibe uns das Recht und die Gewalt unfere 
„Könige. Damit aber diefes Recht und diefe unums 
fchränfte Sewalt das Gute wirken kann, was in ihre 
liegt, fhien es mir nothwendig, der hoͤchſten Gewalt 
ein Mittel zu geben, wodurch fie die Wuͤnſche des 
Volkes kennen Sernen, und ihren Beftimmungen Leben 
geben kann. Wenn dem Volke alle Theilnahme an ° 
den Operationen des Staates entzogen wird;. wenn 
man ihm fogar die Verwaltung feiner Communalans 
-gelegenheiten entzieht, kommt es bald dahin, bie 
Regierung theils gleihgälttg, cheils in einzelnen Faͤl⸗ 
len in Oppefition mit fih gu "betrachten. Daher 
der Widerftreit, oder wenigſtens Mangel an gutem 
Willen bei Aufopferung für die Exiſtenz des Staa⸗ 
tes. — Mein Plan war: jeder active Staats 
büärger, er befige 100 Hufen oder Eine, 
er treide Eandwirchfhaft, Fabrication 














Staatskunſt. 385 


Auf gleiche Weiſe muß die Staatskunſt uͤber die 
Nothwendigkeit der Errichtung von Provinzial 
ftänden *), vor der Bildung allgemeiner Reichsftän« 
de,.entfcheiden. Da, mo bereits; Provinzialftände ſeit 
Jahrhunderten beftehen,. fpricht- der Grundfag der. 
Rechtmäßigkeit und der gefhichelichen Begründung für 


ſie; nur müffen fie, nad) ihrer Stellung zu den Reiches 


\ 


ftänden, beftimmt und. zweckmaͤßig organifirt werben. 
Da, wo ein Staat, als Ganzes, aus vielen einzel» 
nen, der Cultur und frübern Berfaffuhg nad) ® r 
ungleichartigen, Theilen und Provinzen erwachſen 
die vielleicht noch uͤberdies durch geographiſche Lage, 
Clima und aͤußere Verhaͤltniſſe ſehr verſchiedenartige 
Intereſſen haben, ſcheinen Recht und Klugheit die Er⸗ 
richtung von Provinzialſtaͤnden dringend zu verlangen. 


Da aber, wo entweder die Kleinheit des Staates faft 


gar feine getheilten Provinzialintereffen hervortreten 
läßt, oder wo in großen Staaten Provinzialftände nie 
beftanden haben, oder ſchon feit Jahrhunderten unter 
gegangen find, ſcheint — bei einer bereits ins öffent» 
liche Leben getretenen allgemeinen Nepräfenta- 
tion — die Begründing neuer Provinzialftände nicht 


zu den politifchen Bedürfniffen zu gehören. 


Eine der fihwierigften Aufgaben ber Staats- 
kunſt bleibt das Wahlgefeg, welches die Grund- 
bedingungen für die Wählenden und Wählba- 
ven aufftelle **); doch ift diefe Aufgabe in Staaten 


oder Handel; er babe ein büärgerlihes 
‚Gewerbe, oder fey durch geifige Bande, 
‚an den Staat geknüpft, habe ein Rede 
jur Repräfentation.” | oo | 
* Buchholz, über Provinzialftände, in f. Journale für 
Teutfhland, 1819, Ort. S. 220 ff. - 


re) Biel Treffendes über die Wahlform hat v. Rotteck 
J. | U 25 


x 
= Ä 
m“ . P} . 
iR . x 
— ı — — — _ 





IR Staatskunſt. 


mit ſtaͤndiſcher Vertretung weniger ſchwierig, als 
in denen, wo die Zahl der Vertreter aus der Geſammt-⸗ 


' maffe der Staatsbürger gewählt wird. Im Ganzen 

muͤſſen laͤndliche und oͤrtliche Ruͤckſichten Dabei 

vorwalten; doc läßt fith im Allgemeinen feft- 
en 

ie a) daß das Wahlgefeg' durch eine vorausgehende 
zweckmaͤßige Gem einde- und Kreis-Berfaf- 
fung *), als practiſche Vorſchule eines öffent 





in f. Pr über Landflände, (Katlsr. 1819. 8.) 
«7 
*) ©o ift es in Bayern und Wirtemberg gefchehen. 
“ Bon uglant ſagt Ancillon (äber die Staats— 
wiflenfhaft, &. 92): „An England find die Gemeins 
dens und Municipalverfaffungen, inden Städten der 
innige Berband der Corporationen, ıhre Rechte, ihre 
repräfentativen Formen, und das mit dir Mannigs 
faltigfeit diefer gefeßmäßigen Vereine fo innig vermebte 
Mannigfältige des Gemeinrechts, das eigentliche 
Princip des Semeinftnne und Staatsle— 
bens. Dieſes if der wahre Schluͤſſel zum Raͤthſel 
der Dauer und der Feftigkeit des brittifchen Reiches, 
troß feiner Gebrechen, die aus der Ungleichheit des 
Vermögens, des Ganges der Sewerbecuftur, und der 
äußerften Spannung aller‘ Federn entitehen. Allein 
. dieſe herrlichen Einrichtungen bilden eine frfie und in 
einander greifende Sradation der Intereſſen und ber 
Aeußerungen der politifhen Betriebſamkeit; bilden 
Schulen der Öffentlihen Thätigkeit und des Gemeins 
ſinnes, in welden und durch welche man fid allmaͤh⸗ 
lig vom Vefondern zum Allgerneinen erhebt; Bilden 
Peine geichloffene Gänze, die, weit entfernt die Kraft 
bes großen Geſammtganzen zu ſchwaͤchen oder zu bres 
chen, ihm zu Srüßpuncten und Mahrungequellen dies 
nen. — Vergl. Stumpf darüber, daß das Ges 
meindewefen der Verfaffung vorausschen mäfle, | in 
der All. Zeit. 1818, N. 354. 











N 


Staatskunſt. 387 


lichen und ſtellvertretenden Geſammtweſens, ſehr 
erleichtert wird (ſobald nämlich die einzelne Ge- 
meinde durch Gemeindeabgeordnete, der Verein 
den Gemeinden durch Amtsdeputirte,, und Die Pro- 
vinz durch Landraͤthe vertreten wird). Denn bie 
Gemeinde ift der Uebergang, wodurch' die Familie 
fi zum Staate erweitert, - und umgekehrt, die 
Staatsverfaffung in das häusliche eben der Buͤr⸗ 
ger einbringt; | 
b) daß die gleichmäßige Vertretung aller we» 
fenelichen Intereſſen im Staate wichtiger iſt, 
als eine zu fehr ins Einzelneund Kleinliche 
getriebene Beftimmung der Wahlfähigfeit und der 
Wahlart, befonders nad) ver Abhängigkeit der 
Wahlfaͤhigkeit von einer hohen Befteiterungsgitofe 
c) daß das Wahlgefes von der einen Seite alle 
Unmtriebe der policifchen Gluͤcksritter verhindere, 
auf der andern aber die Freiheit der Bewerbung 
und der Wahl nicht laͤhme °), 
| d) daß das Wahlgeſetz feinen Volksvertreter 
vor zurückgelegtem dreißigften Sebensjahre und nie ' 
auf Lebenszeit (ſondern höchftens auf 5 — 6 Jahre) 
zu wählen verftatte, fb wie die Volksvertreter nach 
gewiſſen Serien austreten müffen, damit nie mehr 
ass höchftens ein Drittheibder ganzen Wer 
ſammlung aus Neugewaͤhlten beſtehe. Doch muß 
jeder austretende Volksvertreter von neuem gewaͤhlt 
. werden koͤnnen; | 
) daß bie Regierung zwar im Ganzen das 
MWahlgefchäft, im Geifte der Berfaffung, leite und 
unter Aufſicht behalte, nie aber ſelbſt fich einmiſche 





*) Aneillon &.g1. 
25 * 





IR Staatskunſt. 


mit ſtaͤndiſcher Vertretung weniger ſchwierig, als 
in denen, wo die Zahl der Vertreter aus der Geſammt⸗ 
maſſe der Staatsbuͤrger gewaͤhlt wird. Im Ganzen 
muͤſſen laͤndliche und oͤrtliche Ruͤckſichten dabei 
vorwalten; doch laͤßt ſich im Allgemeinen feſt⸗ 
etzen: 
Me a) daß das Wahlgefeg durch eine vorausgehende 
zweckmaͤßige Gemeinde: und Kreis⸗Verfaſ— 
A ung *), als practifche Vorſchule eines öffent 


in 1 oem über Lanbdflände, (Karlsr. 1819. 8.) 
7 
*) © iſt es in Bayern und Wirtemberg gefchehen. 
- Bon England fage Ancillon (über die Staats 
wiffenihaft, S. g2): „An England find die Gemeins 
dens und Municipalverfaflungen, in den Städten der 
innige Verband der Corporationen, ihre Rechte, ihre 
repräfentativen $ormen, und das mit der Wannigs 
faltigkeit dieſer gefegmägigen Vereine fo innig vermebte 
Mannigfaltige des Gemeinrechts, das eigentliche 
Mrincip des emeinftnns und Staatsle— 
bens. Diefes if der wahre Schluͤſſel zum Rärhfel 
der Dauer und der Feftigkeit des brittifhen Reiches, 
trog feiner Gebrechen, die aus der Ungleichheit des 
Vermögens, des Ganges der Gewerbecultur, und der 
äußerften Spannung aller Federn entitehen. Allein 
. dieſe herrfihen Einrichtungen bilden eine feſte und in 
einander greifende Gradation der Intereſſen und der 
Aeußerungen der politiſchen Betriebſamkeit; bilden 
Schulen der dffentlihen Thätigkeit und des Gcmeins 
finnes, in welchen und durch welche man ſich allmähs 
fig vom Beſondern zum Allgemeinen erhebt; Bilden 
kleine geichloffene Gänze, die, weit entfernt die Kraft 
des großen Geſammtganzen zu ſchwaͤchen oder zu bres 
chen, ihm zu Stüßpuncten und Mahrungsqucllen dies 
nen.’ — Vergl. Stumpf darüber, day das Ges 
meindewefen der Berfaffung vorausgehen mäfle, in 
der All. Zeit. 1818, N. 354. 


\ 


Ancilion &. gr. 


N 


Staatskunſt. , 387 


lichen unb fteffvertretenden Geſammtweſens ‚ fehr 


erleichtert wird (fobald nämlich die einzelne Ge- 
meinde dureh Gemeindeabgeordnete, der Verein 
der Gemeinden durch Amtsdeputirte,, und die Pro» 
vinz durch Landraͤthe vertreten wird). Denn die 
Gemeinde ift der Uebergang, wodurch' die Familie 
fi zum Staate erweitert, - und umgekehrt, die 
Staatsverfajfung in das Häusliche eben der Buͤr⸗ 
ger einbringt; 

b) daß die gleichmäßige Vertretung aller we⸗ 
ſentlichen Intereſſen im Staate wichtiger iſt, 
als eine zu ſehr ins Etnzelne und Kleinliche 


getriebene Beſtimmung der Wahlfaͤhigkeit und der 


Wahlart, beſonders nach der Abhaͤngigkeit der 
Wahlfaͤhigkeit von einer hohen Beſteuerungsquote; 
c) daß das Wahlgeſetz von der einen Seite alle 


- Umitriebe ‚der politifchen Gluͤcksritter verBindere, 


auf der andern aber die Freiheit. der Bewerbung 


und der Wahl nicht laͤhme *), 


d) daß das Wahlgefes feinen Volksvertreter 
vor zurückgelegtem breißigften tebensjahre und nie ' 
auf Sebenszeit (fondern höchftens auf 5 —6 Jahre) 


zu wählen verftatte, fb wie die Volksvertreter nach 

gewiſſen Gerien austreten müffen, damit nie mehr 
als hoͤchſtens ein Drittheibder ganzen Ver 
:: fammlung aus Neugewaͤhlten beftehe, Doch muß 
jeder austretende Volksvertreter von neuem gewaͤhlt 
. werden Pönnen; 


e) daß. die Megierurig zwar im Ganzen das 


Waghige ſchafe, im Geifte der Berfaffung, leite und 


unter Aufſicht behalte „nie aber ſelbſt fich einmiſehe 





25 * 


\ 388 0 Stantstunft 


und’ euſcheeite, ‚ außer im Falle ber Verlehung der 
verfaſſungsmaͤßigen Formen. 

Der letzte weſentliche Punct bleibt, daß die 
durch rechtliche Wahl ernannten Voksvertreter, nach 
ihrer. Zuſammentretung, nichtmehr als bloße Ver⸗ 
treter ihres beſondern Standes, oder ihrer Provinz 
und ihres Wohnorts, ſondern als. die Sefammt- 
vertreter des ganzen Volkes ſich betrachten, 
deſſen allgemeine Intereſſen wahrnehmen, ohne doch 
die beſondern Intereſſen daruͤber zu vernachläffigen, 
und daß fie nie eine Fleinliche, individuelle oder örtliche 

Ruͤckſicht durchführen, fondern vorurtheilsfrei und lei- 

‚ benfchaftlos das gemeinfame Vaterland bei jeder Be⸗ 
rathſchlagung und bei jeder Abſtimmung im Auge und 
im Herzen behalten. 

Eine folche Volksvertretung würde ihre Beſtim⸗ 
mung ganz verkennen, wenn fie ſich als eine verfaſ⸗ 
ſungsmaͤßig gebildete Sppofitio n.gegen die Re— 
gierung betrachtete. Denn wenn es gleich einzelne 

‘ Begenftände geben. fann, worüber die Volksvertreter 
andere Anfichten haben, , als die Regierung; fo-ift 
doch die fürmliche Oppofition gegen die Regierung nur 
das legte Mittel der Volfsvertreter, in dem eingis 
gen Falle, wenn die Regierung etioas entfihieden 
Ungerechtes, oder Die Wohlfahrt. des Staa- 
tes nothwendig Zerſtoͤrendes, beharrlich ver- 
langte, und durch feine Gegenvorfteflungen davon ab⸗ 
zubringen. wäre. Mach ihrer gerfaflungsmäßigen 
Beftimmung foll vielmehr durch die Vdlksvertretung 
die Geſammtintelligenz im Staate in. ber 

" Nähe des Thrones .verfammelt, die Eintracht. und 
das Einverftändniß zwifchen Regierung und Wolf 
dadurch öffentlich erneuert, beftätige und verfinnliche, 
die bürgerliche und poliifhe Freiheit für Die Zukunft 


4 
/ 











Staatskunſt. 389 


geſichert, durch Die vielſeitigſte Beratung der Geſetze 
der Einfeisigfeitberfelben vorgebeugt, ſo wie jedes wahr⸗ 
haft gegründete Beduͤrfniß des Volkes zur Sprache ges 
bracht werben *2). Deshalb iſt es dringend nörkig; 
daß die Miniſter des Regenten bri.allen? Berathungen 
ver ſtaͤndiſchen Berfammlung anweſend find, um 
Aufſchluß und Belehrung zu geben; wur bei der Ab⸗ 
fimmung von den Ständen wuͤrde die Gegenwart der 
often und hoͤchſten Raͤthe des Regenten niche ‚feited 
Bas — Urtheil hindern. — © 

Ob endlich die Stellvertreter Wesı Wolken ſaͤhr 
—* oder nur ee dem Abläufe gewiffer 


—— 


\ 
- — / 


Bi | 


* —* ©: xxii hebondera ke Su 86.2. „es 
wäre ein fehr. befgränfter, kleinliſcher umd,- Faller 
Seſichtspunci, wenn man in einer Moparhie die 
epräfentativen Fötthen, welche den Theo umqehen, 
— zu ſeinem Gfanze mie zu ſeinen Feſtſhkeit bei⸗ 
2; . gragen, nur als Hemmketten' dev. Regieiaug: betracht 
7208 wollte. Mie füllen nicht: eine 2todte Ochranke 
3.  abgeben;, die Im. Nothfalle der Te Bupchbrechenden 
Sy, Macht Widerjtand Feiften ann, fondern die Fraft 
.. der fen eitark Macı ver ehren, ‚und 
in rer ein Lebeneprineipe ſedii.n Ms ſolge 
tiitgewähren: ſich immer gut berechneir Beprälenzutine 
x #7 Bormen. . Diendringen die gegierung / m das Wolf 
„im: enge Berührung , und begründen ndgr vermehren 
‚ ihr wechſelſeitiges utrauen. Sie öffnen. den Talen⸗ 
sen unnd dem‘ GSemeinſiune eine geſetzmaͤßrge ‚Bahn, 
md bilden eine wahre Pftanzſchule?! ih-Avdtäper bie 
——— die herrlichſten Werkzeuge zorfinden.; : CB 
j> tigen. im öffentlichen: Sehen künftige Stangmaͤnnet. 
un Bevor die Verwaltung ihnen öbergebe u wird, hat 
man die Zeit und, die Mittel Geht dieſelben 
beobachten zu beurthrifen,; zu ecbroben; "hy ehe 
I Bier erſten Aemter ſerleiden find ſie dem Volke vor⸗ 


thoilhaft van. Zr ce io 





\ 


Er 


\ 


—B EStaatskunſt. 
und einſchreite, außer im Falle der Verlezung der 
verfaſſungsmaͤßigen Formen. | 
Dreer legte wefentlihe Punce bleibe, daß die 
durch rechtliche Wahl ernannten Vofsvertreter, nad) 
ihrer Zufammentretung,, nihPmehr als bloße Ver⸗ 
treter ihres befondern Standes, oder ihrer Provinz 
und ihres Wohnorts, ſondern als. die Geſammt— 
vertreter des ganzen Volkes ſich betrachten, 
deſſen allgemeine Intereſſen wahrnehmen, ohne doch 
die befondern Intereſſen darüber zu vernachläffigen, 
und daß fie nie eine Fleinliche, individuelle oder oͤrttiche 
Ruͤckſicht durchführen, ſondern vorurtheilsfrei und lei- 
denſchaftlos das gemeinfame Vaterland bei jeder Be⸗ 
rathſchlagung und bei jeder Abftimmung im Auge und 
im Herzen behalten, F 
Eine ſolche Volksvertretung wuͤrde ihre Beſtim⸗ 
mung ganz verkennen, wenn ſie ſich als eine verfaſ⸗ 
ſungsmaͤßig gebildete Oppoſition gegen Die Re- 
gierung betrachtete. Denn wenn es gleich einzelne 
Gegenſtaͤnde geben. kann, woruͤber die Volfsvertreter 
andere Anfichten haben, als die Regierung; fo-ift 
doch die formliche Oppofition gegen die Regierung nur 
das legte Mittel der Volksvertreter, in dem einz i⸗ 
gen Falle, wenn die Regierung etwas entfhieden 
Ungerechteg, oder Die Wohlfahrt des Staa 
tesnothmendig.Zerftörendes, beharrlich ver- 
langte, und durch feine Gegenvorftellungen davon ab⸗ 
zubringen. wäre. Mad) ihrer werfaflungsmäßigen 
Beſtimmung fol vielmehr durch die Wdlfsvertretung 
die Gefammtintelligenzim Staate in.der 
Naͤhe des Thrones verfammelt, die Eintracht. und 
das Einverftändniß zwifchen Regierung und Wolf 
dadurch, öffentlich erneuert, beftätigt und verfinnlicht, 
die bürgerliche und politifche Freiheit für Die Zukunft 


⸗ 


Staatskunſt. 389 


geſichert, durch die vielſeitigſte Beratung‘ der Gefege 
der Einfeicigfeit herfelben vorgebeugt, ſo wie ſedes wahr⸗ 
haft gegründete Beduͤrfniß des Volkes zur Sprache ges 
bracht werben ?). Deshalb iſt es dringend nörkig; 
daß die Miniſter des Regenten bei, allen? Berathungen 
der ſtaͤndiſchen Verſammlung ammefend: find, um 
Aufſchluß und. Belehrung zu geben; nur bei der Ab; 
ſtimmung von ben Ständen wuͤrde die Gegenwart dev 


erſten und hoͤchſten: Raͤthe des Regenten niche fſelten 
das freie Urteil hindern. — ©. 

Ob endlich die Stellvertreter Bes: Wolkes führe 
—* ‚ober ade dem Abläufe: gewiſſen 


* Kneillon, ©. xXxii R efonders, aber ©; 86. 2. „x 
mare ein ſehr befränfter, kleinlicher ud, -Falfcheg 
-Befiptspunct, , wenn man in einee Mo ipparshie. die 

epräfentativen ‚Sötmen, welche ‚den "Theo umqehen, 
u zu feinem’ Slanze mie zu“ ſetner Bertläfeit bei⸗ 

25 . ragen, nur als Senimkerter dev. Regieiang betrach 

ee tes ‚wollte. ' ie ſföllen nicht: pine?rodse Oqhranke 

J abgeben- die im, Nothfalle der etwa, durchbrechenden 

Ay Macht Widerſtand iſten kann, Ionbern, bie. Fraff 

der‘ sffen tt Mad. ver mehren ‚und 
* — tin-tebenisprineip ed; His Flak 
RU Bewaͤhren fi’ ‚Immer :gut "berelhnkte”: Bepräfenzutine 
er Bormen. Oienhringen bie. Megierung md das Wolf 
in enge Berührung und begründen oder vermehren 

ihr wechſelſeitiges Zutrauen. Sie öffnen. den Talen⸗ 
fen und dem’ SGemeinſinne "eine 'gefeamäfiige ‚Bahn, 
md bilden eine wahre Pftanzſchule?“ A: werher die 
3% MRggteruing die . herriihften Werkzeuge zorfindee.: ; EB 
j>. irtien im Öffentlichen: Sehen künftige -Qrayamänner. 
Tu Hevor bie Verwaltung ihnen ouoͤberge en wird, hat 
man die Zeit und die Mittel gehabt, "Hiefelben E 
beobachten, zu brurchrilen, zu erhroßem; hm che fle 

die erſten Aemter bekleiden, find ſie dem’ Volke vor⸗ 
u... 2b betaunt.“ 1 En 


— 


Er 


392° Staatskunſt. 


Fortſetung;* 


über bie Vertheilung der Bolksverereter 
in Kammern. 


Zub ‚den wicheigften und ſchoierigſten Kufgcben: 
weihe die Staatskunſt zu käfen: hat, gehört:die-Ens 
ſcheidung der Frage: ob die Volksvertréter in 
Einer oder in zwei Kammern fid verfam- 
. meln folten? eine Frage, die in neuerer Zeit:nicht 
ohne Leidenſchaftlichkeit, und) was noch fhlimmer 
iſt, niche immer mit befriebigenber Gruͤndlichkeit von 
beiden Teilen, die barüber ſtritten, beantwortet wor⸗ 
ben ft. FE nun 
So ' viel gilt als rhiloſophiſch— rgefchichtliche 
Prämiffe: 1) daß es:on fi ‚nice. gegen dien 
BZweck des Staates und gegen: Ben Zmed der. Volks⸗ 
veetretung verftößt, wenn alle Bolksrserfieter zu Cine 
Berfanunlumg vereinigt. werden; 2) daß namentlich 
In fleinern Staaten (5. B. mit einer Beröltenäig, 
welche 500,000. Menfchen: nicht überfieigt, }. od 
Kammern überflüffig. ſeyn warrhen;!und 3) daßin 
Staaten, wo ein Senat, als Reichscollegium, * 
beftimmten Rechten beftebt, eine erfte Kammer we⸗ 
ne als 18; kiftfolches bleibendes I— 

erſte Kammer erſetzendes — ‚Collegium. fehlt 

Allein, außer, andern minder, ausreichenden 
Gründen ‚spricht: für:die sefräliche Begründung einer 
erften. Kammer :- 

Ida Recht — er namglich in Sigeten, 
mo.ein.erblicher Stand jn dem ‚Adel befteht, die⸗ 
far. auch helonders und fe bfkitandie, doch. in Verbin⸗ 
dung imit. eiter rerhaltuttzmaßign Ae zabl gleich gro⸗ 


\ 





Staatstunf. 393 


‚Ser Ormbbefiger (menn dieſe auch zufällig nicht den 
perſoͤnlichen Adel befüßen), vertreten werben muͤſſe; 

Ä 2) die Gefhichte — welche theils in dem 
Verhaͤltniſſe dee Patricier und Plebejer in Roms 
beſſern Zeiten ein ähnliches Verhaͤltniß aufftelle, theils 
in der Berfaflung Großbritanniens und: Nordamgri« 
kas, teils:in Dem (freilich noch jungen) Dafenn der ‘ 
Bairsfammer. in. Sranfreich Die Zweckmaͤßigkeit und 
Muüglichkeit zweier neben einander beſtehende Kam⸗ 
mern beſtaͤtigt. W 
Zwar muß, bei tieferer Bekanntſchaft mit der 
Geſchichte, zugeſtanden werden, daß in eigentlichen . 
Sreiſtaaten zwei Kammern ſeyn muͤſſen, weil 

. in Freiſtaaten die Staatsverwaltung von ber Staat 
verfaffung nad) einem andern: Standpunete, als” in 
monacchifchen Staaten, getrennt iſt, und’ dag zu voll⸗ 
ziehende Gefeg von zwei über daſſelbe einverfianbenen 
Behoͤrden ausgehen muß, wenn anders dem republi« 
kaniſchen Deſpotismus geſteuert werden: ſoll. Dies 
beweiſet Moni; mo man den Senat als das Oberhaus, 
und das Volkimit feinen Tribunen als das Unferhaus 
Setrachten muß; und. daffelbe bemeifen die einzelnen 
nordamerikaniſchen Freiſtaaten, bie ſaͤmmtlich mit 
alleiniger Ausnahme von Vermont — ‚zwei. Kam⸗ 
mern haben. ::R(Hein. was:;iu- Freiſtaaten Beduͤrfnif 
mach dem Zeugniſſe der Geſchichte, iſt, dürfte. nicht 
geradezu auch in Monarchigen, und namentlich in 
erblichen. Menarchieen, weſentlichas Erforderniß 
ſeyn, weil hier das Bleibende und Feſte in dem 
erblichen Monarchen und : in, feinem weſentlichen 
Antheile on; der. Gefeßgebung: enthalten iſt. Doh 
wo Recht-⸗, und Geſchichte, die beiden Haupf- 
quellen aller. Stansskunft, gleichmoßig fuͤr eing ppo⸗ 
Aitiſche Aufgabe füh: erkloͤren; ua kann, namentlich 


— 
— N j | 





394 | Staatskunſt. 


In’ geoßetn Stadten mid einer Bevdikerung ven 
‚mehrern-Millionen, : befonders aber in:ben gror 
Gen Reichen, mit einer -Beoölkarung, welche 10Mill. 
Menfchen überfteigt.,. — kein Zmeifel. über ihre 
Zweckmaͤßigkeit und Mublichkoit vorwalten. Dazu 
forum, daß die Beſchichte in neuern Zeiten gezeigt 
hat, daß in Frankre ich die Verfaffung wem: Jahre 
4791 mit Einer Kammer unbaltbari mar, und daß 
die neueſten Verfaffungen Spaniens md Por 
tugals mit Einer Kammer weder die Guͤhrungen 
im Innern gehoben , noch Das Ausland beruhigt ha- 
den, befonders. auch deshalb, weil die geſchichtlich 
vorliagenden Vetrfaſſungen mit Einer Kammer die 
koͤnigliche Macht in Hinſicht: auf die Geſetzgebung blos 
auf ein. ſuſſendirendes · Veto beſchraͤnben, was aber 
an fih keine nothwendige Bedingung einer 
‚Staatsverfaffung mit Einer Kummer ift, wie bies 
z. B. die Weimsrifche Berfaflung: nad ihren eine 
deinen Beſtimnungen bewriſet. 

Alein ſobald «inmalidie Frage, ob. zwei Sam 
aien in einem :Spaare:ibeftehen Plien, chatſachlich 
entſchieden iſtz ſobald muß auch die Staatsfunft des 
'gegenfettige VBerhäseniß beider Kammern ger 

gen- einander feſtſetzen. In Hinſicht der Organdr 
— beider Kammern gehoͤren in die zweite 
MKummer die freigewählten Stallpercreter ber.brai 

Stande: der fläbtifchen Gewerbe, der Pfleger ber 
Wiſſenſchaft und der Kunſt, und des Landmannes; 
‘im die e rſt Kammer: hingegen eheils bie Bene des 
rrdierenden KHaufeg ‚ı.theils. eine beſtimmte Anzahl 
Lrbilich er ¶Grumbeſthzer, eheils eine gewiſſe Anzabl 
mie lebenslaͤnglicher Theilmahme::anüber. erſten 
Kammer. vom Regenten ernanncer Pairs aus m 
weltlichen und geiflichen ‚Eroßen des: Reiches... 











Staatskunft/ ↄus 


deef, nach der Saſammtzahl ihrer Glirder, bie ceſt⸗ 
Kammer verdältnißmäßig nie fo zahlreich fen, 
als die zweite, -.; 
In Hinſicht der Stellung beider Kammern 
gegen einaater ſelbſt und gegen den Regenten, muͤß 
Der Antheil beider Kammern an. ber Gefeßgebung 
buicch die Verfaſſung beftimmt bejeichuet werden, ſo 
daß es am rathſamiſten fcheint, wenn bie von. ‚da 
zweiten Kammer ausgehenden Borfchläge zu Geſeten 
zuvor won der serien Kammer angennmmen ober vere 

worfen, oder geprüft und veraͤndert werben, bevot 

fie. zur Kenntniß des Regenten fonımen, und wieber 
die von der enften Hammer gemarhten Antraͤge zu 
Gefegen zuvor auf gleiche Weife ver zweiten Kammer 
vorgekgt werben, bevor ber Regent über deren An⸗ 
nahme oder Werwerfung entſcheidet; boch fo, DAB — 
wie es Grundzug ber ‚geoßbritannifchen Verfaſſung 
iſt — das Budget zumachft Angelegenheit ‚der 
gweiten Kammer bleibe:. :&ehat aber der Geſetzes⸗ 
worfchlag von Dem Megenten aus; fo muß die Ber 
faſſung · beſtimmen, welche. Morſchlaͤge zunächiil.ider 
erſten Kammer, und welche zun aͤch ſt der zweiten 
Kammer vorgelegt werden ſollen. 

Nun kann es zwar geſchehen, daß durch die 
Werhandlangen zweier Kammern über einen Ge⸗ 
ſetzesvorſehlag die Entſcheidung ſelbſt etwas verzoͤgert 
wird; allein. man fann auch erwarten, daß durch die 
weimaug⸗ voͤllig unabhaͤngige Verhandlung darüber 
Der Gegenſtand von allen Seiten erwogen, und mit 
moͤglichſter Umſicht und Reife des Urtheils uber ihn 
entfchieden wird. 

Der Charakter und bie Beftimmung der Volks⸗ 
vertreter in der zweiten Kammer, fo wie ihre Stel- 
lung gegen das. Wolf, aus defien Mitte fie genäpk 


396 Staetstunſt 


wurden, verlangt, daß alle Verhandlungen vr 
zweiten Kammer öffentlich find, ‚außer wenn dev 
Wille des Regenten, in einzelnen Fällen, eine geheis 
ine Berathſchlagung uͤber irgend einen wichtigen Ge ° 
genftand ausdruͤcklich verlangt. Eben fo liegt in den 
Berathſchlagungen ber erften Kammer an fich fein 
Grund, weshalb. ihre Sigungen geheim. feyn muͤſ⸗ 
fen, wenn gleich die Praris in den weiſten Staaten 
dafür entfchieden hat. Wenigftens mäffen ihre Be: 
ſchluͤſſe zur öffentlichen Kunde gelangen, wenn gleich 
bei ihren Verhandlungen bie Zubörer ausgefejloffen; 
und die Protocofe ihrer Verhandlungen, nicht wie 
bei der zweiten Kammer, vollftänbig zur Deffent- 
lichteit gelangen ſollten 5. 
Bei wichtigen Berathungen, namentlich uͤber 
das Budget, dürfte, — ſobald zwiſchen beiden Kam⸗ 
mern ein weſentlicher Wider ſpruch ſtatt faͤnde, — 
thei 18 eine Vereinigung beider Kammern zur Yus- 
glekhung der verſchiedenen Anſichten, theils ein 
Sammeln der Stimmenmehrheit in heiden Kammern 
hemeinſchaftlich, ber er sechelichfhe ‚und ’ goreämäßigfte 
Ausweg /ſeyn. — 
u 4 Inte j 
Nach dieſer Entwickelang der politiſchen Lehte 
von der Bildung z wei er Kammern: md von ihrem 
gegenfeitigen Verhaͤltniſſe, duͤrfen die uͤbrigen Gruͤnde 


"in 


“ 


*) Sr. Suchotz. Söflen bie Verhandlungen einer Mar 
tionalrepräfentation Öffentlich feyn, gder nicht? in. f. 
Journale für Teutfhland, 1815, Apr. ©. 513 ff. 
tift im Ganzen dafür.) 

+) Namentlich iſt diefer Ausweg in der VBirtember 
gifhen Verfaſſung vom 25. Sept. 1819: $. 177. 
und $. 181. gefeplid, vorgeſchrieben. 





Staatsfunft. 497 


‚für ober wider zwei Kammern nur kurz beruͤhrt 
werden. So hat man die Nothwendigkeit zweier 
“ Kammern deshalb behauptet, weil die erfte Kam 
mer das Erhaltungsprincip, die zweite das 
DBewegungs-. und Vervollkommnungs— 
prineip im Staate vertrete; — und weil es nöthig 
fen, Daß dem in der zweiten Kammer vorberrfchenden 
demofratifhen Princip in dem ariftofratis« 
chen Princip der erfien Kammer ein Gegenge- 
wicht gegen über geftellt were, oder, was daſſelbe 
fagt, daß die Wahlrepräfentation des Volkes des 
Gegengewichts In der Geburtsreprafentation beduͤrfe. 
Allein dagegen läßt fi) erwiedern, daß in der Wirk: 
Nlichkeit des öffentlichen. Wolfslebens die Sonderung 
des Erhaltungs⸗ und des Vervolltommnungsprineips 
nicht fo ſcharf, wie in der Theorie, hervortrete, um 
Das eine und das andere zum Örundeharafter ber 
erſten und der zweiten Kammer zu erheben. ‚Denn 
warum follten nicht auch Individuen mit der feften 

Richtung auf das Erhaltungsprincip in der zweiten 
Kammer, und Individuen mit dem fihtbaren Stre⸗ 
ben nad) dem Vervollfommnungsprincip in der erſten 
Kammer angetroffen werden koͤnnen? — Eben fo 
mag wohl in einigen Reichen, befonbers in foldyen, 
weiche erft vor furzem aus dem Sturme einer Revo⸗ 
lution und.aus der Erinnerung an beftandene republi= 
kaniſche Bormen hervorgegangen find, ber Gegenfag _ 
bes demofratifhen und ariftofrarifhen 
Princips in der öffentlichen Anfündigung nicht abges 
läugnet werben; allein man würde gegen die Gefchichte 
verfioßen, wenn man z. B. von dem Parlamente 
Großbritanniens geradezu behaupten wollte, daß in 
ber. Pairsfammer das ariftofratifhe, und in der 
Kammer ber Gemeinen das demokratiſche Princip den 


4 


308 0. Staatskunſt. 


vorherreſchenden Charakter bildete. Dies wird 
ſchon durch die zweckmaͤßige Stellung bes brittifchen 
Adels gegen das Volk verhindert. Uebrigens bleibt, 
bei jener Borausfegung, immer noch.die Srageübrig, 
ob — dafern wirklich ein. abfoluter Gegenfag 
in dev Richtung beider Kammern irgendwo ſtatt fäns 
de — die Wohlfahrt des Ganzen durd) eine ſo ge⸗ 
ftaltete Volfswertretung in zweien Kammern gu grreb 
chen möglid) wäre, und ob dann nicht nothwendig zu⸗ 


letzt diefelbe ‚geraltfame Auflöfung der beftehenden 


Trennung, wie zwifchen dem Rache ber Fuͤnfhundert 


"und dem Rathe ber Alten in der dritten Verfaflung 


Sranfreihs, erfolgen würde? — Warum: fuchen 
doch überhaupt die Theoretifer. zwifchen beiden Kam⸗ 


‚mern Gegenfäße,-da nur durch ihr gemeinfchaft- 


liches Wirfen zu Einem Zwede, zu. bem allgemeinen 


Zwecke des Staates, welchem beide Kammern anges 


hören, die Harmonie des Ganzen, und die höhere 
Kraft des innern Volkslebens vermittelt werden farm! 


Oder, angenommen, daß wirflic die erfle Kammer 


bios erblihe Stanbesinsereffen beabfichtigte., und. die 
Allgemeinen. Intereſſen des ganzen Staates vernach 
laͤſſigte; wuͤrden dann wohl die Millionen. ihrer Mit⸗ 
bürger , denen jene Richtung der erften Kammer nicht 
unbekannt bleiben fönnte, mit Zutrauen und Achtung 


auf fie blicken und fich fir ihre .Abfichten und Be⸗ 


‚ fihlüffe erklären? 


Noch willkuͤhrlicher fcheine Die Annahme derer 
zu ſeyn, welche behaupten, daß in einer vepräfentatis 
ven Verfaffung Regierung. und Volk als im Ge- 
genfage gedacht werden müßten, und daß es folglich‘ 


- eines dritten vwermittelnden Etwas (einer 


Dairsfammer ) bedürfe, um beide in ihren 
Schranfen. und in ihren rechten Bahnen zu er« 











Staatskunſt. | 309 


halten. Denn wenn’ wirklich iegendwo ein: Staat 
wäre, in welchem Regierung und Volk im Gegenfage . 
ftänden; würde ba eine Patrsfammer es vermögen, 
diefen Gegenfaß aufzuheben? Soll fie etwa-gegen die: 
Regierung tm erforderlichen alle ſich erflären? — 
Und ſteht nicht in jedem zweckmaͤßig organifirten 
Staate die Regierung K#ber beiden Kammern ? Ge⸗ 
hören etwa die Mitglieder ber erften Kammer weni: 
ger zu dem Volfe, wie die der zweiten? Gtehen fle 
über dem Geſetze? — Gerade, wenn eine Pairs- 
fammer ſich zwi ſchen den Regenten und das Volk 
ftellen wollte, wuͤrde fie den thatfachlichen Beweis 
ihrer Gefährlichfeit führen; denn nur da, wo der Re⸗ 
gent und: die Wolfsvertreter in allen großen und 
entfcheidenden Angelegenheiten übereinftimmen, 
wird das Recht im Staate berrfchen, und! das im 
Staate lebende Volk die möglichft hoͤchſte Cultur er- 
reichen und die möglichft größte Wohlfahrt genießen. 
Für Eine allgemeine Wolfsvertretung haben 

ſich neuerlich erflärt: v. Rottee, Ideen über 
Landſtaͤnde ꝛc. S. 64 ff. — Votum eines freien 
teutſchen Mannes gegen Errichtung eines Oberhau- 
ſes; in &uden’s Memefis, 8B. 4St. S. 552 ff. 
— Bon ben Seen, welche ben verfchiebenen Ab⸗ 
theilungen ber Nationalvepräfentation i in Kammern 
zum Grunde gelegt werden koͤnnen; in Buchholz 
Journal für Teutfchland, 1815, Mai, ©. 122 fi, 
wo vorzüglich gefehichelich durchgeführt wird, wie 
wenig die Nachahmung Der zwei Kammern im brits 
tifchen Parlamente für andere Staaten ſich eigne. 
— v. Aretin, inf. Abhandlungen über wichtige 
Gegenſtaͤnde der Staatsverfaſſung und Staatsver⸗ 
waltung. Muͤnchen, 1816. 8. (in der dritten 
Abhandlung von der Nationalrepraͤſentation.) — 


. 400 Staatskunft, 


Heinr. Eberh. Gtlo. Paulus, philoſophiſche Be⸗ 


nen, S.6 DE Berf 


urtheilung der von Wangenheimifchen „Idee 
der Staatsverfaffung.” Heidelb. 1817. 8 — 
Auch Krug, in fe Repräfentativfpfteme, 
©. 60 ff. erfläre fih) gegen die Nachahmung des 
brittifchen Parlaments in diefer Hinſicht. — Nach⸗ 


'theile des Zweikammerſyſtems, im Oppo⸗ 


fitionsblatte, 1819, N. 208— 210 und Ebend. 
1819, Beilage N. 62. 

Für zwei Kammern erklären fih: (v. Wans- 
genheim) in der dee der Staatsyerfaffung; — 
Benj. be Conftant (der Eoneipient der Zufag- 
acte vom 22, zu der vierten franzöf. 
Verfaffung) ; sesrdchkiihgen über Conftitutio« 
n: Negentunb 
4 MN mir Modificationen.) — 

vor der Wichtigkeit der politifchen 
ſondere vonder Wichtigkeit der 











Volk; ©. 
Buchholz 
Zormen, 
Xheilung des 
ſ. Journale für Te 71815, Nov. ©.384 ff. 
— Derfelbe, noch einige Gedanken’ über Res 
präfentativverfaffungen und deren Einführung; 
in f. Journale, für Teutſchland, 1819, Sept, 
85 ff. und Fortfegung, Oct. ©. 206 fi. — 





Derfelbe, über die angeblichen Nachteile des . 


Ztveifammerfoftens ; Ebend. 1819, Det. ©. 228 ff. 
— Für zwei Kammern, ober, in Ermangelung 
der erften Kammer, für einen Senat, erklärt ſich 
der Vf. der Abhandlung: ein Wort über die Con- 


ftieutionen großer Staaten; in den europ. Annalen, . 


41818, St. 8, S. 192 ff. — Eben fo ſtimmt 
für zwei Kammern der anonyme Vf. der Schrift: 
Einige entferntere Gründe für ſtaͤndiſche Verfaſ⸗ 


fung. Leipz. 1815. 8. — Aud Fr. v. Raumer . 


ments zwei Kammern; in 


| 


Staatskunſt. 401 


(Hermes, St XII, ©. 358.ff.) gehört hieher: 
„Es ift ein Hauptirrthum unfrer Zage, ftänbifche 
. und tepräfentative DVerfaffungen unbedingt ent 
gegen zu fegen; eine Hauptaufgabe, diefe Ele- 
mente zweckmäßig zu verbinden Jede 
ſtaͤndiſche Verfaſſung, welche blos auf nerfünlichen 
und Erbeechten beruht, läßt das Volk gleichgültig 
zur Seite, oder reizt es fogar zur Feindſchaft gegen 
das Beſtehende; jede repräfentative Verfaffung, 
die Nichts iſt, als ein Diviſionsexempel in die 
Volksmenge, entbehrt aller organiſchen Gliederung, 
ſetzt unnatuͤrlich das Verſchiedenartigſte gleich, und 
. gewährt, wie die Erfahrung gezeigt hat, nicht die 
mindefte (?) Sicherheit, daß irgend ein großes 
Intereſſe der Nation (Religion, Wiſſenſchaft, 
Aderbau, Gewerbe u. f. m.) angemeffen und von 
Sachverſtaͤndigen vertreten. werde. Es ift lächer: 
lich, in unfern Tagen zu behaupten, der Adel fey 
überall ein väterlicher Beſchuͤtzer und Vertreter 
feiner Bauern; es ift unverzeihlich, wenn Die Leib— 
eigenfchaft und Sklaverei felbft mit chriftlichen-. 
Medensarten empfohlen wird; aber es ift andrer 
Seits nicht minder thoͤricht, dem Sacktraͤger und 
dem größten Grundbefiger gleichviel politifche An- 
rechte anznweifen, aus Abneigung gegen den Erb- 
adel fich Dem Geldadel der Juden und Lieferanten. 
willig Preis zu geben, und die geiftlichen ‚Angeles 
genheiten durch Officiere anordnen zu laſſen. Per: 
fönliche Anrechte und Wahlrechte, ftändifche Glie- 
ber und Repräfentanten koͤnnen nicht blos, foridern 
fie fallen. und müffen mit einander verbunden 
werden; das Eine oder das Andere mit unbeding» 
ten Anrechten hingeftellt, muß Stuͤckwerk bleiben 
und nachtheilig werden. — Kin Reichstag in ber 
I. 26 | 


* 


0) N 


. 402 Staatsfunft, 


Hauptſtadt eines großen Neiches, der Reichsver- 
maltung gegen über tretend, genügt feinesweges, 
um aud) die niedern Kreiſe in Das gehörige Leben zu 
rufen. So wie die Schöppen neben dem ‚Schul- 
zen, die Stadtverordneten neben dem Magiftrate 
fteben; fo laflen fi) heilfom Kreisftände und 
tanbftände organifiren. Aus Previnzial- 
ftänden muß der Reichstag erwachfen, Damit ben 
Gliedern das Haupt nicht fehle ; Reichstage hingegen 
in einem großen Reiche, ohne landfchaftliche 
und Gemeindeeinrihtungen, gleichen 
einem Haupfe, das auf ſchwachen, oder gar feinen 
Füßen ſteht. — In Frankreich ſcheut man mit 
Recht demofratifhe Wahlformen, wobei blos die 
Köpfe gezählt werden; tadelt aber mit gleichem 
Rechte ariftofratifche, welche allen Nachdruck 
auf die Thaler legen, und von 30 Millionen : 
nur 100,000 Menſchen ausfondern.” 


21. 
Beſchluß 


über die den Volksvertretern verfaf- 
‚fungsmäßig beizulegenden Rechte und 
j Pfflichten. 


So bedeutend auch die Beſtimmungen vieler 
neuern Verfaſſungen in Hinſicht der den Volksver⸗ 
tretern beizulegenden Rechte und Pflichten von einan⸗ 
der abweichen, weil einige derſelben den Kreis dieſer 
Rechte und Pflichten bios auf die Bewilligung 
der vom Regenten den Ständen vorgelegten Steuern 
"und Abgaben befehränfen, andere dagegen die ges 
feßgebende Gemalt ausfhließenb den Volks⸗ 





Staatskunſt. | 403 


‚verteetern beilegen; fo fcheinen doch die Vernunft und 
die Ausſagen der Geſchichte einen zweckmaͤßigen 
Mittelweg zwiſchen jenen beiden Ertremen für die 
Staatsfunft zu vermitteln, 


Nach Vernunft und Gefchichte dürfte der Um⸗ 
fang der Rechte und Pflichten ber Bolfsvertreter fol- 
gender feyn: 

1) Zuſtimmung zu allen im Staate 
feftzufeßgenden directen und indirecten 
Steuern, mit ben Rechte der Aufſicht über die 
Verwendung biefer Steuern zu dem bezeichneten 
Zmwede, und — mo möglid — auch, mit dem 
"Antheile an der Vertheilung diefer Steuern ayf - 
die einzelnen Provinzen, Bezirfe und Gemeinden ; 

2) Das Petitionsrecht (das felbft in auto⸗ 
kratiſchen Staaten feinem Unterthan verfümmert 
wird), theils in Hinficht der von den Volfsvertre- 
teen felbft ausgehenden, theils in Hinficht der ihrer 
Verwendung und Unterftügung anvertrauten Bitten 
von Individuen und von einzelnen Geſillſchaften im 
Staate bei dem Regenten; 
3) Antheil an der Geſetzgebung, fo 
daß entweder den Wolfsvertretern gleich maͤ⸗ 
Big #) mit der Regierung (nach) oben ‚aufgeflellten 


#% Dafür ertlärt ſich auh Krug, in f. Repräfentatips 
ſyſteme, ©. 73 ff. und faft auf diefelbe Weiſe v. 
Rotteck, in ſ. Ideen über Landftände, ©. oı f., 
nur daß diefer die Höchftwichtige Frage nach der Inj⸗ 
tiative der Geſetze ganz übergeht, und daß aegen 

feine Meinung : „bei einem Volke, in deffen Mitte 

politiſche Einfiche und politifche Tugend hauſen, 

"mag den Ständen das Recht der Gefekaebung uns 

ber@räntt estheitt werden,“ theils das aus der 
26 * 


404 Staatskunſt. 


Grundſaͤtzen) die Initiative ber Geſetze, oder, 
wenn der Regierung ausſchließend die Initiative der 
Geſetze zukommt, den Volksvertretern das Recht der 
Pruͤfung und Annahme ber vorgefehlagenen Gefege 
zuſteht, bevor fie Geſetzes kpaft erhalten und im 
Namen des Regenten als geltende Gefege be- 
fannt gemacht werden koͤnnen. Nur gegen die aus- 
fehließende Initiative der Gefege auf Seiten ber 
Molfsvertreter, mit einem blos fufpendirenden Veto 
des Regenten, erflären ſich gleich ftarf Die Vernunft 
und Gefchichte. — Wo aber der Regierung das aus- 
fließende Rechte der nitiative zufommt, muß, we⸗ 
nigſtens den Volksvertretern das Recht der Y nträge, 
Morfhläge und Wünfche durch die Verfaffung 
gefichert ſeyn, weil jede Vertretung zwecklos ift, durch 
welche nicht die Bedürfniffe, Beſchwerden, Hoffe 
nungen und Wünfche, des Volkes zur Kenntniß der 
Megierung, vermittelft bes einzigen rechtlichen Organs 
des Wolfes in feinen Vertretern, gelangen koͤnnen. 
Befonders müffen alle neue hürcerliche und. Straf: 
rechtsgefeßbücher,, „fo wie die Geſetzbuͤcher für das 
“gerichtliche Verfahren und für den Handel, und bie 
eigentlichen organifchen (in das öffentliche Staats» 
. leben eingreifenden) Geſetze den Ständen zur Prüfung 
"vorgelegte werden, weil fie, nach ihrer Stellung zu 
dem Volfe, am ficherften beurtheilen koͤnnen, ob und 
bis wie weit die von ber Regierung vorgefchlagenen 
Gefege dem Grade der Eultur und Mündigfeit, und 
den Bedürfniffen der einzelnen Stände und Klaffen 
des Volkes entſprechen; 


Vernunft hervorgehende Souverainetaͤtsrecht des Re⸗ 
genten, theils die Thatſachen der neueſten Geſchichte 
in mehrern Reichen ſtreiten. 





Staatskunſt. 405 


4) das Recht der Beſchwerdekührung 
und Anklage in Hinſicht aller wahrgenommenen 
Mißhraͤuche der rihterlihen und poltziehen 
Den Gewalt, obgleich an der Wirkſamkeit beider den 
Voikovertretern nicht der entfernteſte Antheil aatom- 
men darf; 

5) das Recht der Mittheilung bes von 
dem Regenten.mitdem Auslande abgefhlofs 
fenen und die Angelegenheiten des ‚öffentlichen 
Staatslebens (z. B. den Handel, die Schiffahrt ꝛc.) 
betreffenden Vertraͤge; 

6) das Recht der DeffentlicFeitipren 
Verband lungen, -sheils in Betreff der Drffen® 
lichkeit ihrer Berfommlungen, theils im “Betreff dev 
öffenelihen Bekanntmachung ihrer Beſchluͤſſe (dafern 
nicht da, wo zwei Kammern beſtehen, bis Sigungen 
ber e sie n Kammer: verfafluungsmäßig; geheim Fo 
follen ); | 
7) das Recht der perfönlichen Unverlef- 
tigfeie *) waͤhrend der Zeit ihrer affeutlichen? Wirk⸗ 


Sefferfon, der vormalige gräfbeit dev norbbmen 
ritanifcher Breiftasten,, fage deshalb: „In einem 
eonftitutionellsmonarcifchen Staase find der Fürft 

und die ihm gegen :über ſtehenden Repraͤſentanten 
heilig und unverletzlich, in einem republikaniſchen die 
Mitglieder der geſetzgebenden Verfammiung. Diefe 
‚». Heiligkeit und Unverleglichkeit -befisht „darin, daß 
0, Die Depofltars, der geſetzgeben den Gewalt, als ſolche, 
2 für ihre Handlungen ſchlechterdings ngeraniwortlich 
3, And, und, da fie nicht. WaLer„.fondegh Aber dem 
Geſetze ſtehen. Die Perſon des Für AB. als die 
perfonificiete Idee der Einheit des ‚Stanges,, bleibt 
unter allen. Umfänden unantaftbar. -..Daffelbe gilt. 
‚ von der Unserletzlichkeit der Repräfentanten- 
vera mmiuns, als der verſinnlichten Idee der 


406 Staatskunſt 


ſamkelt (außer indem Falle der thatſachlichen Ueber⸗ 
flihrung eines Verbrechens), und der Unveramt⸗ 
wortlichkeit für alle ihre wetfoffungsmaßigen Aus 
träge und: Beſchluͤſſe. 

In Hinſicht des Antbeils der Volksvertreter an 
- bem oberhoheitlihen Rechte, Krieg anzufündt 
gen und Frieden zu ſch ließen, ſcheint die britti- 
ſtche Verfaſſung ven zweckmaͤßigſten Ausweg gefunden 
gu haben, nad) welcher dem Regenten das Recht des 


Krieges und Friedens ausfchließend zufteht, Dagegen. 


bie Bewilligung ber Summen zur Führung 
bes Krieges allein von dem Parlamente abhängt. 
Dadurch wird die, in vielen ‚Fällen felbft für _bas 
Wohl des Wolfes nicht rathſame, Bekanntwerdung 
der Eröffnung eines Krieges vor der Erklaͤrung bef- 
felben vermieden, zugleich aber auch) von dem Volke 
Aur derjenige Keieg kraͤftig uncterſtuͤtzt, fuͤr welchen 
die oͤffentliche Meinung ſich erklaͤrt. 
In geſchichtlicher Hinſicht darf nicht vergeſſen 
‘werden, welche Grundſaͤtze auf dem Wiener Con⸗ 
greſſe (man vergl, J. Ludw. Kluͤber's Ueberſicht 
. uͤber die diplomatiſchen Verhandlungen des Wiener 
- Congtefles, 3 Abtheilungen, Frkf. am M. 1816. 
8 8.201 ff) von Deftreih und Preußen 
. Über die den. Ständen der teutſchen Staaten in 
— — — 
Atigiemelnheit des Stahtes. Nur tritt hier 
der Fall ein, daß einzelne Mitglleßer der Verſamm⸗ 
lung, weiche ſich eines: Vetbreihens ſchuldig machen, 
'allerdigge unter das Geſetz geftellt und zur Werants 
j wortung üczogen werden koͤnnen, weil durch Bes 
„gedera tined Verbrechens das eingeine Mitglied von 
. e Serfaitilung fi) losſagt, und deffen Beſtra⸗ 
“ Br t! als Verleßzung ber Verfammlung bemacptet 
u werdin ans’ 


{ 





Staatsfunft, | 407 


der neuen Verfaſſung Teutfchlande zu ertheilenden 
Rechte aufgeftellt wurden. “ Schon in dem erften 
von Preußen vorgelegten Entwinfe einer teutfchen 
Bundesverfaffung ward auf die Feftfegung eines 
Minimum der Rechte der Landſtaͤnde gedrungen, 
und diefes Minimum in den beftimmten Ancheil 
ander Geſetzgebung, indie Bewilligung 
dertandesabgaben, und in die Vertretung 
der DVerfaffung bei dem Landesherrn und dem 
. Bunde gefegt. Zugleid warb vorgeſchlagen, die 
Stände aus erblihen und gewählten zu bil« 
den. Dieſes Minimum wiederhohlte Preußen am 
46. Det. 1814 in den, im Einverftändnifle mit 
Oeſtreich und Hannover, entworfenen zwoͤlf Arti⸗ 
keln mit dem Zuſatze: „daß ‚ außer diefem Minis 
mum, der Bundesvertrag es den Buͤndesfürſten 
überlaffen folle , ihren fandftanden nicht nur ein 
Mehreres zu. bemilligen, fondern auch denfelben 
eine Einrichtung zu geben, welche der Landesart, 
beim Charafter der Einwohner , und dem Herfom- 
men gemäß ſey.“ Endlich beftimmte, am 10. Febr. 
- 4815, Preußen das Minimum von Rechten. ges 
nauer, welches allen teutſchen Sandftänden, — 
unabhängig von der Verfchiedenheit landftändifcher 
Verfaflungen in den einzelnen Sändern, — zukom⸗ 
- -.men und namentlich beftehen folltes 1) in dem 
. Rechte ber Mitberathung bei Ertheilung 
neuer, allgemeiner, die perfonlichen und Eigen» 
ehumsrechte der Staatsbürger betreffenden, Ger 
feße; 2) in dem.Rechte der Bewilligung 
bei Einführung neuer Steuern, oder bei Er- 
hoͤhung der fchon vorhandenen; 3) in dem Rechte 
der Beſchwerdefuͤhru ngüberMißbräude 
oder Mängel in der Sandesverwaleung, 


408 Staatskunſt. 


worauf ihnen die Regierung die noͤthige Erklaͤrung 
barüber nicht verweigern duͤrfe; und 4) in dem. 
Rechte der Schützung und Vertretung 
ber eingeführten Verfaſſung bei dem Sandesheren 
und bei dem ‘Bunde. | 


| a? 
Ueber Freiheit der Preffe. 
Die Freiheit: des Wortes und der Schrift ift, 


an ſich betrachtet, eine unmittelbare Folge der Frei— 
beit des Gedanfens, und diefe ift begründet in der 


urfprünglichen Freiheit des menfchlichen Geiftes über» 


haupt, fo wie zunachft in der fittlichen Freiheit. Man 
follte meinen, wenn Gott dem Menfchen die fittliche 


u Freiheit und die freie Sprache, bei dem vorausge- 


fehenen unvermeidlichen Mifbrauche beider, dennoch 
mittheilte; fo müßte auch die Größe beider Güter die 
denfbaren und die wirflich eintretenden Mißbräuche 
derfelden aufwiegen; und nach derfelben Solgerung, 
‚müßten auch die Vortheile dev Preßheit für die ganze 


bürgerliche Gefellfhaft die Mißbrauche derfelben auf- 


wiegen. Diefe Anfiht wird noch infofern von ber 


Geſchichte beftätige, inmiefern’die Staaten mit 


großer Preßfreiheit — 3. B. Großbritannien, Preu⸗ 
Gen unter Friedrich 2, Dänemark und Nordamerifa — 
in der geiftigen Entwickelung und Eultur, und, durch) 
beide, in allen Theilen des innern Wohlftandes uns 
aufhaltbar fortfchritten; fo wie die Gefchichte gleich- 


mäßig ausfagt, daß durch Freiheit der Preffe nod) 


fein Reich bedroht und geftürze, wohl aber mander 
Staat, wenn dem ängftlihen Preßzwange zulegt Die 
Erbitterung der Gemüther_und diefer Erbitterung der 


endliche Ausbruch langverhaltener Affecten folgte, 


EN 











Staatskunſt. ” . 409 
durch Preßzwang in feinen Stnem GGewaltſam er⸗ 
ſchuͤttert ward *). 


2 Friebrich 2 (hinterl. Werke, Th.e6, ©. 63 Pr ſchrieb 
im Jahre 1781, als Greis von 69 FJehren: : „Wenn 
man bis zu dem Urſprunge der Geſeliſchaft hinaufe 
ſteigt; fo iſt es einleuchtend genug, daß der Ne 
gent ſchlechterdinge kein Recht über die 

— Meinungen der Öärger bet. Müßte man 
nicht wahnfinnig ſeyn, wenn man ſich vors 
. ſtellen wollte, daß Menſchen gu einem ihres Sleichen, 
x. gefage hätten: Wir erheben dich über ung, weil wie 
gern Sklaven ſeyn wollen, und mir geben dir bie 


Macht, unſere Sedanten nah deiner Wilke - 


‘ kühr zu leiten. Sie haben vielmehr gefage: Wir . 
beduͤrfen deiner, um bie Grfege aufrecht zu halten, 
denen wie gehorhen wollen, um weile regiert zu wers 
den , und uns zu. vertheidigen. Uebrigens fordern 
wir von dir Achtung für unfere Freiheit. Dies ift 
das Berlangen der Völker, wogegen feine Einwendung 

ſtatt finden kann; und dieſe Toleranz iſt ſelbſt ſo 
vortheilhaft für die Geſellſchaft, wo fie eingeführt 
it, daß fie das Gluͤck des Staates bewirkt.” — 

. Wenn Friedrih 2 diefen Gegenftand aus. dem Stand⸗ 
puncte des Rechts faßte; fo nahm ihn Sr. v. Gentz 
aus dem Standpuncte der Politik, in feiner Schrift 

an Friedrich Wilhelm 3 bei deffen Throms 
befteigung (Berl. 1797. 8.)-- „Bon allem, was 

Feſſeln ſcheut, kann nichts fo wenig fie ertragen, ale 

der. Gedanke des Menfhen. Der Druck, der diefen 

— cttrifft, iſt nicht blos ſchaͤdlich weil er das Gute ver— 
hindert, foudern and, weil er unmittelbar das Boͤſe 

befoͤrbert. Was, obne..alle Roͤckſicht auf andere 
Strände, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebictet, 
ausſchließend und peremtorifh verdammt, 

ift der wefentlihe Umſtand, daß es, feiner- Natur 
nach, nicht aufrecht erhalten werden fann, Wenn 

_ neben einem jeden ſolchen Gelege nicht sin ‚wahres 
Inquiſttionstribnnal wacht; fo if es in unfern Tagen 


- 


— 
. 


410 | Staatskunſt. 


* ** 


Allein bei ber. Webertragung des urſpruͤnglichen 


Rechts der Freiheit der Sprache und der Meſſe auf 


—9 





unmdalich, ihm. Anſehn gu verſchaffen. Die Leich⸗ 
tigkelt, Ideen ins Publicum zu bringen, iſt fo groß, 
daß jede Maasrezel, die fie beſchraͤnken will, vor ihr 


zum Geſpoötte wird. Wenn aber Geſetze dieſer 


Art auch nicht wirken; fo koͤnnen fie doch erbittern, 
— und das ifk eben’ dad Verderbliche, daß fie ers 


bittern, ohne zu fhrecden. ie reizen gerade 


diejenigen, gegen welde fie gerichtet find, zu einem 
Mideritande, der nicht immer nur glüclich bleibt, 
fondgen am Ende ſogar rähmlich wird. . Die arms 
feligften Producte, denen ihr innerer Gehalte nicht 
ein Leben von zwei Stunden fihern würde, drängen 
fih in den Umlauf, weil eine Art von Much mit 


three Kervorbringung verknüpft zu feyn fheint. Die _ 


nuͤchternſten Scribensten fangen an, für Helle Köpfe 
zu selten, und die feilften erheben fih zu Märtys 
rern der Wahrheit. Taufend bösartige Inſec⸗ 
ten, die Ein Sonnenfirahl der Wahrheit und des 
Genies verfheuht hätte, fchleichen ſich jetzt, Begins 


Zu ige von der Finſterniß, die man ihnen gefliffentlich- 


fhuf, an die unbewahrten. Gemüther des Volkes, 
und feßen ihr Gift — ale wäre es eine verbotene 
Koſtbarkeit — bis auf den legten Tropfen ab. Das 


einzige Gegengift, — die Probucte ber: beffern 


Schriftſteller, — verliert feine Kraft, weil der Ununs 
‚terfichtete nur allzuleicht den, welcher von Schranken 
ſpticht, mit dem-verwecdhlelt‘, weicher die ungerechten 
gut heiße. Micht alfo, weil der Staat, oder bie 


.. Menſchheit, - dabei Intereffirt wäre, oh. in biefem, 


don Büchern. umflucheten, Zeitalter taufend Schriften 
- Mehr oder weniger das Licht. erblicken, fondern weil 


Em. Majeftär zu groß find, um einen fruchtloſen, 


und eben deshalb‘ fhädtichen Kampf mit kleinen Geg— 


nern zu kaͤmpfen; datum ſey Preßfreiheit 
Basunwandelbare Princip Ihrer Regie: 
» rung Bir geſetzwidrige Thaten, Für. Schriften, 

















EStoaatskunſt. 411 


Die Geſellſchaft, welche Im Staate lebt, verlange ſchon 
an ſich die Vernunft (Naturr. $. 18.) ‚ noch abges 
fehen von der Klugheit, daß jebe Bedrohung und 
Verlegung des Rechts Andrer duch Mißbrauch der 
Preſſe eben ſo geahndet werden muͤſſe, wie jede andere 
Rechtsverletzung, d. h. nach dem wahrnehmbaren 
Grade der ſubjectiven Strafwuͤrdigkeit und ber: 
ebjectiven Strafbarkeit. Die /letzte kann aber 
nur durch ein beſtimmtes Prefgefes bezeichnet und 
ausgefprochen werden. Die Recht lichkeit dieſes 
Preßgeſetzes, ‚und die Nothwendigkeit deſſelben 
in einer bürgerlichen Geſellſchaft, wo ſittlich-⸗ muͤndige 
und fittlic) » unmündige ndividuen neben einanber 
leben und wirken, ift daher über jeden Zweifel erha- 
den. Defto ſchwieriger iſt die Aufgabe der Staats- 
kunſt, ein völlig zweckmäßiges und erſchoͤ— 





pfendes Preßgeſetz aufzuſtellen, weil die angeb⸗ | 


lihen und bie wirflichen Preßvergehen, nach 
ihrer Ankündigung burd) Wort und Schrift und 
nad) ihrer Wirff amfeie im Staate, in vielfacher 
Hinſicht mit andern Rechtsverlegungen nicht verglichen 
werden fönnen. 
Ales, was Vernunft, Erfahrung und 
Seſchichte darüber as recht lich, nuglih und - 
Ausführbar aufftellen Eönnen, ſcheint auf folgen · 





die den Charakter folher Thaten anziehen, muͤſſe 
jeder verantwortlich, ſtreng verantworts 
ih ſeyn; aber die bloße Meinung finde Beine . 
andern Widerfacher, als die entgegennefeßte, und, 
wenn fle irrig dt, die Wahrheit. Mie kann dies 
Syſtem einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereis 

tenz nie har es einem feldyen geſchadet. Wo es vers 

detblich ward; da war die Zerſtͤruns ſchon vorher⸗ 
grgangen.“ 


410 | Staatskunſt. 


Allein bei ver Uebertragung! bes urſpruͤnglichen 
Rechts der Freiheit der Sprache und der Preſſe auf 





unmoͤglich, ihm Anſehn zu verſchaffen. Die Leich⸗ 
tigkeit, Ideen ins Publicum zu ‚Bringen, iſt fo groß, 
daß jede Maasſsregel, die fie beſchraͤnken will, vor ihr 
zum Geſpoötte wird. Wenn aber Geſetze dieſer 
Art auch nicht wirken; fo koͤnnen fie doch erbittern, 
— und das ift eben: das Verderbliche, daß fie ers 
bitteren, ohne zu fhreden. Sie reisen gerade 
diejenigen, gegen welde fie gerichter find, zu einem 
MWideritande, dee nicht immer nur glücklich bleibt, 
fondgen am Ende  fogar ruͤhmlich wird... Die arms 
feligften Producte, denen ihr innerer Gehalt nice 
ein Leben von zwei Stunden fihern würde, drängen 
fih in den Umlauf, weil eine Art von Much mit 
“ihrer Kervorbringung verknuͤpft zu feyn fheint. Die _ 
nücdhternften Scribensen fangen an, für helle Köpfe 
zu gelten, und die feilften erheben fih zu Märty 
rern der Wahrheit. Taufend bösartige Inſec— 
ten, die Ein Sonnenftsahl der Wahrheit und des 
Genles verſcheucht bärte, fchleichen fih jetzt, Begins 
'-  'Rige von der $infterniß, die man ihnen gefliffentlich- 
(Huf, an die unbewahrten. Gemuͤther des Volkes, 
und feßen ihe Gift — als wäre es eine verbotene 
Koſtbarkeit — bis auf den legten Tropfen ab. Das 
—eiinzige Gegengift, — die Probducte ber beffern 
Schriftſteller, — verliert feine Kraft, weil der Ununs 
‚terichtete nur allzuleicht den, welcher von Schranten 
ſpticht, mit dem verwechſelt, welcher die ungerechten 

gut heiße. Micht alfo, weil der Staat, oder die 

-  Menfchheit, ‚dabei intereſſirt wäre, ob. in dieſem, 
on Büchern umflutheten, Zeitalter taufend Schriften 
"Mehr oder weniger das Licht. erbliden,. fondern weil 
Erw. Majeftät zu groß find, um einen fruchtloſen, 
und eben deshalb‘ [hädtichen Kampf mit Beinen Geg— 
nern zu kaͤmpfen; datum ſey Preßfreiheit 
" Bas unwandelbare Princip Ihrer Regie: 
"rung. Gür gefegmidrige Thareh, für. Bchriften, 








—EStaatskunſt⸗ 411 


die Geſellſchaft, welche im Staate lebt, verlange ſchon 
an ſich die Vernunft (Naturr. $. 18.) ‚, nöd) abge». 
fehen von der Klugheit, daß jede Bebrohung und 
Verlegung des Rechts Andrer durch Mißbrauch der 
Preſſe eben fo geahndet werben müffe, wie jede andere 
Rechtsverletzung, d. h. nad) dem wahrnehmbaren 
Grade der fubjectiven Strafwuͤrdigkeit und ber: 
objectiven Strafbarkeit. Die legte. kann aber 
nur durch ein beſtimmtes Preßgofes bezeichnet und 
ausgefprochen werden. Die Rede lichfeit dieſes 
Preßgeſetzes, und die Nothwendigkeit deſſelben 
in einer bürgerlichen Geſellſchaft, wo ſittlich- muͤndige 
und. fitlich » unmündige Individuen. neben einanber 
leben und wirken, ift daher über jeden Zweifel erha- 
‚den. Defto ſchwieriger iſt die Aufgabe der Staats⸗ 
kunſt, ein völlig zweckmäßiges und erſch oͤ— 
pfendes Preßgeſetz aufzuſtellen, weil die angeb- 
lichen und die wirklichen Preßvergehen, nach 
ihrer Ankuͤndigung durch Wort und Schrift und 
nad Ya Wirkſamkeit im Staate, in vielfacher 
Hinſicht mit andern Rechtsverlegungen richt verglichen 
werden fönnen. 
Ales, was Vernunft, Erfahrung und Ä 
Befhicite darüber als recht id, nüglidh und . 
Husf uͤhrbar aufſtellen koͤnnen, ſcheint auf folgen⸗ 





die den Charakter ſolcher Thaten anziehen, muͤſſe 

jeder verantwortlich, ſtreng verantwort— 

kih ſeyn; aber die bloße Meinung finde feine . 

andern Widerfacher, als die entgegengeſetzte, und, 

menn' fle irrig ft, die Wahrheit. Mie kann dirs 

Syſtem einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereis 
cten; nie hates einem feldyen geſchadet. Wo es vers 
detblich ward; da war Die Zerſtͤrung soon vorher⸗ 
grtzakgen. 





\N 


' 


42. Staatsfunft, 

den zwei Puncten ®) zu beruhen: 1) encwedet man 
ſucht alle Mißbraͤuche und Vergehen der Preſſe durch 
Praͤvention zu verhuͤten; 2) oder man verſtattet 
jebem Staatsbürger Das Recht der freien Preſſe, be- 
Fein aber duch ein Prefgefes, was Prefver- | 


gehen find, und wie fie beftraft werben foflen. 


Der Zweck der Prävention wird durch die Cen- 
fur zu erreichen gefucht, durch ein polizeiliches In⸗ 
flitut, wornach der Staat, vermittelft der ernannten 
Senforen, eine Art von Bormundfchafe über die 
gefammte geiftige Thätigfeit im Staate ansuͤbt. Soll 
Diefes Spftem folgerichtig durchgeführt werden; fo 
darf 1) im Stante Feine Zeile obne Cenfur 
gedrudt werden, und ‚,2) für. die cenfirten 
Schriften iſt nicht mehr ber Schriftſteller, fondern 


der Cenfor verantwortlid, Wie ſchwierig 


⸗ 


dieſes Syſtem in ſeiner Ausführung iſt, erhellt 
ſchon daraus, weil — ſeit der Einführung der Cen⸗ 
für in Europa — noch fein,. Die Pflichten und 
echte des Cenſors erfhöpfendes, Cenfurgefeg 


erſchienen ift, und deshalb dem eigenen Ermeflen — 


nicht felten der. individuellen Anfiht —- der Cenforen 
‚gewöhnlich fehr viel überlaffen bleibe. _ 
Dagegen beruht das. zweite Syſtem, das von 


‚einer ftellvertretenden Verfaffung und von dem darin 


beſtimmten Antheile der fittlich - mündigen. Staats- 


- ‚bürger an der öffentlichen, Freiheit Faum getrennt wer: 


den⸗ kann *®), auf der, in, der " Rerfaflung ‚asgefpro 


u‘ 


5 Bra. B —8& in f.: gournale aeutſhlend, 1322. 


Mär, © 
7) Der Fuͤrſt Takleyrand erklärte -in -feiner in ber 
Mairskammer Frankreichs gehaltenen Nede (f. Buchs 


. holz, Teutfchlan®, 1821, . ©ept.): „Ohne Prebs 








Staatsfunft. Ä 413 


chenen Preßfreiheit, womit aber. ein Preßge 
feg über die Preßvergeben und deren Beftrafung 


freiheit gibt es feine vepräfentative Regierung; eine 
Regierung, welche fih-z3u lange der Preßfreiheit wis 
derfegt, ftelle fi Gefahren blos. Heute zu Tage iſt 
es nicht leicht, lange ſchwarz für weiß zu verkaufen. 
Sch kenne jemand, der mehr Verftand hat, ale Vol⸗ 
taire; mehr Verſtand, als Buonaparte; mehr Vers 
ftand, als die Weltpiloten, und mehr Verſtand, ale 
alle Minifter, die waren, find ud ſeyn werden, 
naͤmlich: die allgemeine Meinung.” — Der 
nordameritanifhe Praͤſident Befferfon fagte am 
4 März 1801 in feiner Antritesredes ‚Verbreitung 
von Lichte und Kenntniffen, Anklage jedes Mißbrauchs 
vor dem Berichte der Öffentlihen Meinung, Freiheit 
der Sottesverehrungen, Freiheit der Preſſe, perlöns 
lihe Freiheit unter Sewährleiitung des Habeas s Cors 
pus, und Gerechtigkeitspflege durch unpartheiiſch ges 
wählte Sefhmworne; — das find die hellen Sterne, 
welhe ung glädlih durch die finitern Stärme der 
Revolution und unſerer Wicderherfti lung geleitet haben, 
Der Aufitellung diefer Srundgefege haben unfere Ge— 
Ichrten ihre Nachtwachen geweiht gehabt; für Ihre 
Vertheidigung vergoflen unfre Helden ihr Blut; fie 
follen unfer politifd;es Credo bleiben, der. Tert unfere 
börgerlihen Unterrichts, der Prafftein des Sinnes 
derer, denen wir unſer Zutrauen ſchenken.“ — Sin 
gleihem Sinne erklärte ih Camille⸗Jordan im 
der Deputirtenfammer Franfreihs (Allg. Zrit. 1817, 
N. 360.): „Gebieteriſch erheifhen Vernunft und Freis 
heit die Aufitelung von Geſchwornen für Preßvers 
sehen; fie brauchen nicht Gelehrte, nicht tiefe Polis 
tiker zu ſeyn; gefunder Menfhenverftand reicht. hin, 
zu enticheiden, ob eine Schrift eine Verlaͤumdung 
oder Beleidigung gegen Bürger, einen Aufruf zur Ems 
pörung gegen die gefeßmäßige Macht enthält, Die 
Schriften wurden ja gedrudt, um Eindruck auf 
das Publicum zu machen; folglih koͤnnen unabs 


> 


° \ \ 


aa Staatskunſt. 


u nothwendig Verbänden werben muß. Nur als vor- 
uͤbergehende — und eigentlich mit dieſem Syſteme 


haͤngige Männer, aus dem Publieum genommen, 


am beften beurteilen, welchen Eindruc fie gemacht 


Haben. Sollten die Geſchwornen aber aud einen 


Schriftſteller losfprechen, den die Vernunft verurtheilt; 
fo tönnten die Journale bald an ihm Gerechtigkeit 
üben. Hieruͤber haben alle freie Völker nur Eine 


Meinung. * — In demfelben Seife fprah Bignon 


(Ebend. N. 362.): „Es herrſcht darüber nur Eine 
Stimme, daß es keine Preßfreiheit ohne Geſchwor⸗ 
nengerichte, ‚um über ihren Mißbrauch zu entfcheiden, 
und ohne Unabhängigkeit der Sjournale ‚gebe; odne 
diefe beiden Bedingungen ift Preffreiheit eine Chi⸗ 


märe. Die Polizeigerichte ſind Bierbei 
verwerflih; — nicht wegen ihres Ranges in ber 


gerihtlihen Hierarchie, fondern weil Richter, deren 
Beruf es ift, Aber die Schändlichkeiten und Verirrun⸗ 
gen der entarteten Menſchheit zu richten, ſich nicht 
fogleih in die nöthige Stimmung verfesen können, 
um über das Maas zu entſcheiden, weldes beherzte 
Vertheidiger der Volksrechte nicht Überfchreiten ſollen; 


weil Richter, denen die Pflihe- e8 zur Gewohnheit 


gemacht hat, ven Schuldigen herauszufinden, 
gar leichte einem Schriftiteller Meinungen und Abfichs 
ten in feinen Schriften aufdecfen werden, an die er 
nie gedacht hat, fo wie, nur im einem andern Sinne, 
die Commentasoren in ihrem Lieblingsautor Schoͤn⸗ 
heiten finden, welche diefem nie in den Sinn kamen; 
endlih meil permanente Richter nidht unads 
hängig ſind, und zu fehr die Gewohnheit haben, 
nad fruͤhern Fällen zu entfheiden. Alle dieſe Nach⸗ 
theile fallen bei Geſchwornen hinweg; frei von Vor—⸗ 
urthrilen, ohne Ruͤckſicht auf früher gefällte Urcheile, 
entfcheiden fie über die Schuld eines Schriftftellers 


‚nad dem Eindrucke, den fein Werk auf ihren aefuns 


ben, unbefangenen Verſtand gemacht har. — Selbſt 


fuͤr die Miniſter ſind freie Journale eine Wohlthat; 














Staatskunſt. | 415 


unvereinbare — Maasregel wird in einigen Staaten, 
mit der Preßfreiheit und dem Preßgeſetze auch noch 








- fie hindern ſie, ihre Gewalt zu mißbrauchen.“ — 
Sogar Napoleon, der im Jahre 1814 erklaͤrte, daß 
ihn „die liberalen Ideen” geſtuürzt haͤtten, nahm, 

- während der Zeit der hundert Tage, in die Zufatz⸗ 
artitet zur vierten Verfaſſung Frankreichs (am 22. 
‚Apr. 1815) im Art. 64 folgende Beſtimmung auf: 
„Jeder Bürger hat das Recht, feine Gedanken, wenn 
er. fie unterzeichnet, zu drucken und befannt zu machen 
ohne einige vorhergegangene Cenſur, mit 
Vorbehalt geſetzlicher Verantwortlichkeit nach der Bes 
kanntmachung durch Urtheilder Geſchwornen, 
wenn auch eine bloße correctionelle Strafe ſtatt haben 
ſollte.“ — Einige Jahre fpdter (1819) erklärte ber 
"damalige franzdfifhe Minifter de Serre: „Alle Vers 
folgungen gegen Schriftfteller haben ihren Zweck nicht 
erreicht, und die Negierung ſieht fib in diefer Lage 
gendehige, das Uebel bei der Wurzel anzu 
greifen, und einem freimäthigen Volke das Recht, 
über, die öffentligen Handlungen der dffentlihen Mans 
ner die Wahrheit zu jagen, und das Sefagte zu beweis 
fen, zuräcd-zu geben. Ohne freie Dreffe kann 
die Verantwortlichkeit der Regierungss 
agenten gar nicht begründet werden; denn 
wie fchwierig ift es für den Privarmann, Beamte 
ohne Autorifation der Regierung vor Bericht zu flels 
len. Auch unter der Parferlihen Regierung waren die 
Beamten verantwortlih. Da aber ber legale Beweis 
fo ſchwer zu führen iſt, und die Preffe nice 
frei war; fo wurden faft nie Klagen über Bes 
drüädungen der Beamten laut.” — Damit kann 
verglihen werden die. Rede des Repräfentanten Do 
tsrenye (am 25. Sept. 1816) in der zweiten Kams 
mer der Seneralftaaten des Königreiches ber Nieders 
lande (Allgem. Zeit. 1816, N. 302 f.), und 
Karl v. Rottecks Rede über die Preßfreiheit in der 
Badenfhen Ständevertammlung (Oppoſitionsbl. 


416 Staatskunft, 


die Cenfur, namentlich für Tagesblätter, Zeitun- 
gen und Flugſchriften, verbunden, obgleih auch 
diefe Schriften an fich unter bem Preßgefege ftehen; 
geroiffermaßen um dem Eindrude vorzubeugen, der 
vermittelſt folcher Blätter auf die große Maſſe des 


I 
1820, Beil. 71) — Gleiches ſpricht v. Jakob 
(Einf. in dag Studium der Staatewiffen 
haften, Kalle, ı819. 8. ©. 213.) aus: „Sof 
eine Conftitution ihre Vollkommenheit erreichen ; fo 
muß Preßfreiheit neben ihr die Regel feyn. Ver⸗ 
mittelft derfelben können allein die Sachen von allen 
Seren beleudtet, und alle Stimmen, aud die, 
welche nicht in den Volfeverfammlungen oder vor der 
Regierung erfcheinen dürfen, vernommen werden. Das 
durch wird nah und nah ein Öffentlideg Ur 
theil, eine Öffentliche Volksſtimme gebildet, die ends 
Iih fo ſtark wird, daß fomohl die Stände, als der 
Monarch ferdit, darauf Ruͤckſicht nehmen möäflen, 
wenn fie gereht und wahr if. Auch if nur 
dieſe bleibend. Die particulären Meinungen der 
Demagogen verbalen, und bleiben in einem 
Staate, der nah gerechten Srundfägen 
regiert wird, ohne politifhen Einfluß; 
aber das Gute, das die Probe der Zeit aushält, ers 
hält durch die Oeffentlichkeit eine Stärke, gegen die 
aud der Mächtigfte nicht handeln darf, ohne fich der 
größten Gefahr und mindeftens der allgemeinen Vers 
achtung auszuſetzen.“ — Fr. Buchholz (Iburnal 
für Teutſchland, 1815, Th. ı, ©. 5423.)2 „Wo von 
Deffentligkeit der Verhandlungen die Rede it; da 
muß auh von Preßfreiheit die Nete feyn, ins 
dem dieſe zuleßt nichts anders ift, als der Ausdrud 
von jener. Bol. deffen Aufſatz über Preß— 
freiheit (in demf. Sjournale, 1816, Ih. 2, ©. 
537 ff.)e „Wo die Freiheit der Preſſe fih nicht in 
Kraft der Berfaffung gleihfam von ſelbſt beſchraͤnkt; 
da muß etwas feyn (Tenfuranfkalt), wodurch 
diefes bewirkt werde.” 














Staatskunſt. 417 


Volkes in der Zwiſchenzeit hervorgebracht werden 
koͤnnte, bevor das Preßgeſetz auf den Mißbrauch der 
Preßfreiheit anzuwenden möglich wäre, 
Inm Allgemeinen dürfte alſo Der Grundſatz der 
Staatskunſt gelten: In allen Staaten, wo die Ein⸗ 
richtungen fehlen , welche den Chargkter der Deffent» 
lichkeit tragen (Verfaſſung als Grundvertrag, ‚öffent 
lihe Verſammlungen der Volksvertreter‘, öffentliche 
Gerechtigkeitspflege u.f. mw.) , ift die Cenfur und ein 
‚ beftimmtes Cenfurgefeg der Preßfreiheit vorzu⸗ 
ziehen; dagegen in allen Staaten, wo das innere 
Staatsleben zur Deffentlichfeit gelangt ift, die Preß- 
“freiheit mit einem beftimmten Preßgefege den 
Vorzug vor der Cenſur verdient. Uebrigens folgt aus 
dem Dafeyn der Cenſur nicht fhon an fich die 
Beſchraͤnkung und Laͤhmung der, gejftigen Mittheis 
lung; denn die Gefchichte kennt Staaten, wo, unter 
geitung der Cenſur, die Prefle freier fich bewege, als 
wo die Preßfreiheit in der Verfaflung ausgefprochen 
ift. Eben fo wenig folge, daß in Staaten mit Preß- 
freiheit und Preßgeſetz der Geift ſich freier ausfprechen 
koͤnne, als in Staaten mit Cenfur, ‚weil in folchen 
Staaten alles auf die Anwendung und Hand 
babung des Prefgefeges anfommt Die 
freieſte, ficherfteand unpartheifchfte Anwenbung beffels 
ben wird aber nicht von befoldeten Richtern 
geſchehen, fie mögen aus Polizei = oder Juſtizbehoͤrden 
ernannt werden; vielmehr find da, mo Preßfreiheit 
und Preßgeſetz rechtlich beftehen, Sefhmornens 
gerichte unumgänglich nöthig, wo Geſchworne, ang 
Gleichen gebildet, das Unſchul dig oder Schuldig 
über die angebliche: Verlegung der Preßfreiheit aus⸗ 
fprechen, und, nach dem Ausſpruchedes: Schuldig 
von ben Geſchwornen, bie Unterordaung des Preßver⸗ 
J. 27 


248 , Staatsfunft, 


gehens unter das vorhandene Preßgeſetz, und die Ent- 
ſcheidung über die Größe des Vergebens und die Art 
feiner Beftrafung erfolg. 

M. C. F. W. Graͤvell, drei Briefe über Pre 
freiheit. und Volksgeiſt. Berl. 1815. 8. 

Krug, Entwurf jur teutfhen, und Darftellung 
der englifhen Gefeßgebung über die Preßfreiheit. 
Leipz. 1818. 8. 

Ludw. Hoffmann, Eenfur und Preßfreiheit, 
hiſtoriſch⸗ philoſophiſch bearbeitet. 2 Theile. Berl. 
1819. 8. (Der erfte Theil auch mit dem befondern 
Titel: Geſchichte der Büchercenfur.) 

Nühlev. Lilienftern, Studien. Zug Driens 
tirung über die Angelegenheiten der Preſſe. 2 Abthl. 
Hamb. 18020. g. 

Heinr. Zſchokke, Referat Über ein neu aufzu⸗ 
ftellendes Geſetz gegen die Prefivergehen; in f. 
Ueberlieferungen, 1820, April. 

Wilh. v. Schü, Teutfchlande Preßgefeh. Landes 
hut, 1821. 8. 


23. 


8) Die Regierung des Staates, als zweiter 
Beſtandtheil der Organiſation deſſelben 


Es iſt eine der folgenreichſten Begriffsverwechs⸗ 
lungen in der Staatskunſt, wenn man nicht ſtreng 
zwiſchen Verfaſſung und Regierung des Staates un 
terfcheider. Zwar iſt in einem auf einer Verfaſſungs⸗ 
jirfünde, als Örundvertrage, beruhenden Staate die 
Korm derXegierung nothwendig in der Vers 
faffung beftimme (d. h. fie ift entweder die Wer 
faflung eines monacchifchen oder eines republifanifchen 
Staates; fie fpricht entweder die Wahl oder die Erb» 
lichkeit der Regentenwuͤrde aus; ſie verzeichnet ben 
Kreis der Rechte und Pflichten des Regenten, deſſen 


l 


Staatsfunft. | 419 5, 


Civilliſte u. ſ. w.); allein ‚nach dem Berhäftniffe bei⸗ | , 


der, der Verfaflung und der Regierung, zur Organi« 
fation des Staates, bezieht fich die Regierung, ſchon 
dem Worte nach, ausfchließend auf die Perfon 


des Kegentem Es muß daher, im Begriffe, ſehr 


genau zwiſchen der Verfaffungsform und der Regie. 
rungsform des Staates unterfchieden werden, weil 
zunaͤchſt mit der legten die Form der Verwaltung 
. des Staates, als dritter Beſtandtheil feiner Organi— 
fation, zufammenbängt, indem der Regent — er möge 
übrigens nad) feinen Rechten als unbeſchraͤnkt oder 


beſchraͤukt erfcheinen, — in jedem Staate als das | 


Dberhaupt dergefammten Staatsverwak 
tung gedacht wird. Ä 


. Unterfcheideet man daher genau zwiſchen der Ver⸗ 
faſſung und Regierung; fo kann nicht von einer der‘ 
mokratiſchen, ariftofrarifihen, menarchifchen ıc. Ver⸗ 


faffungsform, wohl aber von einer demofradifchen, 
monarchiſchen u. a. Regierungsform gehandelt 
werden, J 


24. 


Fortſetzung. Be 


. Die wichtige Frage aber nad) der vollkommenſten 
Regierungsform kann nicht aus reiner Vernunft 
Monſt müßte fie dem Scuabsrechte angehbren), fon 


dern nur mie Raͤckſicht auf die Ergebniſſe 


der Geſchichte, mithin nie unbedingt (abfolue), 


fondern nur bedingt und beziehungsweife (relatio), 


d. h. mie Ruͤckſicht auf ein gegebienes Wolf und 


nad) örtlichen und ländlichen Werhältnäflen beantwor - 


tet werden. : Deshalb gehoͤrt denn audh die Lehre von 
der zwechmäßigfien Relgiekumgsfotsh nicht dem 
0 a 7 A 


— 


4 


420 . ‚Staatsfunft. A 
" | 


Stnatsrechte, fondern der Staatsfunft an. Denn 
fo wenig Perfien zu Den Zeiten des Darius Hyftafpis 
fiir eine republifanifche Regierungsform fich geeignet 
haben würde; eben fo wenig würde Athen im Zeit- 
alter des Miltiades, Simon oder Perifles_ eine per: 
ſiſche Serailregierung ertragen haben. Go wenig 
Syrien unter ben Seleueiden, Aegypten unter 
den Lagiden für eine demofratifche oder ariftofratifche 
Kegierungsform geftaltet war; fo wenig auch Kar 
thago in Hannibals Tagen und Rom in dem -Zeic- 
‚alter der Scipionen für eine ftreng monarchifche Res 
gierungsform. Daſſelbe gilt gleichmäßig non den 
neuern und neueften Zeiten, Die Gefchichte. kennt 
feinen Erbfönig der Schweiz, und keinen fandammann 
der Osmanen zu Stambul; fie kann ſich zu Wafhing- 
ton feine erbliche Regentendynaftie, und in Stockhom 
feinen Präfidenten eines ſchwediſchen Freiftaates den⸗ 
ten. Selbft nad) dem Zeugniffe der Gefchichte gehen- 
veraltete Regierungsformen .eher unter, als daß fie in 
andere entgegengefeßte verwandelt würden. Mit dem 
Darius Codomannus erlofch die regierende Kaiſer⸗ 
dynaftie über Perfien, und: Aitperfien ging unter in 
den Eroberungen des macedonifchen Alerander. Sy⸗ 
vien und Aegypten wurden, nach Vernichtung ihrer 
erblihen Regensenhäufer, Provinzen Roms. "Wene- 
big, mäcdjtiger und größer „.als viele andere gleichzei- 
tige oberitalienifche Staaten, ging unter als Republif, 
ohne in monarchifche-Regierungsforn verwandelt zu 
werben. - Polen, dem Namen nach Republif, "mit 
einem Könige an der Spige, verſchwand, in der drit⸗ 
ten Theilung, aus der Reihe der europäifchen Reiche. 
-. Ale ‚viefe Zeugniffe und. Belege aus der Ge 


- dichte beftätigen es, daß die Kegierungsform 


der. einzelnen Staaten eben fo, wie ihre Verfaſſung, 





Staatskunſt. 44221 


auf geſchichtlicher Unterlage beruht, d. h. aus fruͤhern 
oͤrtlichen und laͤndlichen Verhaͤltniſſen mit einer in— 
nern Nothwendigkeit hervorgeht, und ſich hier und 
dort ſehr verſchiedenartig geſtaltet. 


Sriedrih 2, Verſuch über die Regiernngefor⸗ 
men; imf. hinterl. Werken, Th. 6, ©. 45 ff. 

Comte de Hertzberg, discours sur Ja forme 
des gouvernemens, et quelle en est la meilleure. 
Berl. 1784. 8. Teutfch, Berl. 1784 - 

J. T. Plant, publiciftifche Ueberficht aller Re⸗ 
gierungsarten ſammtuichen Staaten und Voͤlker auf 


der Welt. Lpz. 1788. Fol. 

Joſias thor Straten, fuftematifche Abhandlun; 
von den Regierungsformen Äberhaupt u. der uneinge: 
fhräntten Monarchie insbeſondere. Flensb. 1760. 8. 


25. 


Alisemeine Claſſification der Regie— 
rungsformen. 


Nach den Thatſachen der Geſchichte gibt es mo⸗ 
narchiſche und republikaniſche, gewählte, 
und erbliche, einfache und zuſammenge— 
ſetzte *).Regierungsfarmen, Sie alle find..an ſich 
rechtlich nach der Vernunft, wenn fie auf rechtlichem 
Wege begründet und von dem Volke anerkannt 
find, zu deifen Leitung fie beftehen; fie alle fonnen - 


— — ⸗ 


H Kant (zum ewigen Frieden, S. 25.) nimmt nur 
drei Sormender Beherrſchung an, „wo näms 
lich entweder nur Einer, oder Einige unter fich 
verbunden, oder Alle zufammen, welche die bürgers 
liche Sefelichaft ausmaden, die Herrfchergewalt bes 
ſitzen (Autokratie, Arifkofratie und Demos 
fratie, Bürftengewalt, Adelsgewalt und Voltsge⸗ 
walt ).“ 





422 Staatsfunft. 


zweckmaͤßig feyn, fobald fie der erreichten Stufe 
ber Cultur und der politifhen Freiheit des Volkes, 
Das unter ihnen fteht, angemeffen ſind, und durch fie 
bie beiden höchften Zwed alles Staatslebens — die 
Herrfchaft des Rechts und. die Wohlfahrt der Indivi⸗ 
‚ buen und des Öanzen — verwirflicht werden. Sie 
alle fonnen aber auch, unter eintretenden Verhält- 
niffen, Nachtheile und Mißbräuche für die bürger- 
liche Gefellfhaft berbeifuhren , befonders wenn fie von 
dem Zwecke ihrer urfprünglichen "Begrundung ſich ent⸗ 
fernen, und Die dem Regenten zukommende recht—⸗ 
maͤßige Gewalt in Willkuͤhr ausartet. 

Wild. Traug. Krug, über die Eintheilung der 
Staatsformen in die monardifche, ariftoßratifhe u. 
demofratifche; in f. Schrift: Aber Staatsverfaffung 
und Srantovermaltung. Königsb. 1806. 8. 

A. L. Heeren, uͤber den Charakter der des⸗ 
potiſchen Berfaffung und dev Staatsverfaßs 

fungen überhaupt; in fi Ideen über Polis 
tik ıc. (ate Aufl.) ©. 978 ff. 


oo Ä 26. . 
Weber die monardifhen und republifa- 
nifhen Regierungsformen überhaupt, 


Obgleich im woͤrt lichen Sinne jeder Staat 
eine Republif feyn, d.h. die allgemeine Wopffahre 
in feiner Mitte verwirklichen foll, und, nad) diefer 
MWortbedeutung, nur der Defporismus, oder die Will 
führherrfchaft, dem Republikanismus gegen über 
fiehen würde, in welchem die Regierung auf bes 
flimmten Gefegen fir die Herrfchaft des Rechts und 
die Wohlfahrt. des Ganzen beruht; fo weicht Doch die 
sefhichtliche Bedeutung und Geltung der republi= 
Fanifchen Regierungsform von der wörtlichen Bezeich⸗ 








Staatskuuſt. 423 


nung ab, und man verſteht, in geſchichtlicher 
Hinſicht, unter Republifen diejenigen Staaten, deren. 
Regent nicht, wie in der Monarchie, Eine phnfi- 
ſche Perfon, fondern eine.moralifche (muftifche) 
Perſon ift, welcher die Souverainetät nicht als 
perfönlihe Würde, fondern als übertrage- 
nes Staatsamt zufommt. Denn darauf feheint 
zunaͤchſt der weſentliche Unterfchied zwifchen der mo- 
narchifchen und der republifanifchen Regierungsform zu 
beruhen, daß in der erften — ‚wie es das Staatsredht 
beftimme ausfpricht (Staatsr. F. 30. und 31.) — der - 
Regent lebenslänglich mit der Souverainetät 
befleidet und nach den ihm zufommenden Majeſtaͤts⸗ 
rechten heilig und unverleglih, unwider— 
ftehlich und unverantworelich ift, während in 
der republifanifhen Staatsform die Megentenwürde 
nur als ein übertragenes Staats amt erfcheint, um 
gewöhnlich einer Mehrzahl von Individuen 
(einem Collegium, einem Bolljiehungsrathe), fo 
wie an fi) weder lebenslänglich, noch mit Unverant- 
wortlichfeit zuſteht. Widerfinnig und ungefchichtlich 
“ aber ift es, die Republifen, im Gegenfage der Mo» 
narchieen, Sreiftaaten zu nennen, weil das, was 
das Wefen eines Freiftaates bildet — die rechtliche 
Anerfennung der bürgerlichen Freiheit aller 
Staatsbürger und der politifhen Freiheit aller 
ſittfich⸗ mündigen (Staatsr. 6. 14.) — in Monar⸗ 
chieen eben fo ausführbar ift und, nach der Gefchichte, 
verwirklicht wird, wie in Republiken. | 


7 Staatsfunft, ‘ 


27. 
Die monardifge Regierungsform. 


#) die unbefchränfte und beſchraͤnkte. 


Der Monarchie liegt die großartige Idee zum 
Grunde, einen Einzigen fo mächtig zu machen, daß er, 
wo möglich), gar nicht in die Verfuchung gerathen fann, 
die ihm anvertraute Gewalt zu mißbrauchen, Die | 
bürgerliche Gefellfchaft bedarf naͤmlich in ihrer Fort⸗ 
dauer eins Schwerpuncts, ben fie nur in der 
monarchifchen Regierungsform finden kann. .Diefe 
Regierungsform erfcheint aber nach der Gefchichte, ent⸗ 
weder als unbefhräanfte oder als befchränfte, 
entweder als Wahl- oder als erbliche Monarchie. 

Nach der unbefhränften Regierungsform 
ift der Regent durch fein Staatsgrundgefeg in Hin- 
fiht der Ausübung feiner Souverainetätsrechte be— 
fchränfe; er ift nicht blos das Oberhaupt der voll 
ziehenden Gemalt; ihm ſteht nicht blos ein weſent⸗ 
licher Antheil an der gefeßgebenden Gewalt zu; er ift 
vielmehr der. einzige und höchfte Gefesgeber im 
Staate, und vollzieht zugleich Die von ihm gegebe- 
nen Gefeße; er vereinige daher in fich, im unbefchränfs 
teften Sinne und völlig gleihmäßig, die gefeßge- 
bende und vollziehende Gewalt, und ift für 
alle feine Regentenhandlungen blos Gott und feis 
nem Gewiſſen verantwortlid). | 

Ob nun gleich, nach dem Zeugniffe der Gefchichte, 
diefe Vereinigung des höchften Willens mit ver hoͤch⸗ 
ſten Mache in Einer phyſiſchen Perfon bei einzelnen 
Megenten und in einzelnen Staaten und Reichen die 
Fraftigften Wirfungen für das innere und äußere 
Staatsleben vermittelt, und die Tharfraft ausgezeich- 








Staatsfunft. | 425 


neter Regenten Ihr Wolf und Reich niche felten mäch- 
tig emporgehoben, und einer fehnellen Entwickelung und 
Reife zugeführt, fo wie die Namen folcher ungewoͤhn⸗ 
lichen Individuen an der Spige der. Staaten für alle 
Zeiträume in der Gefchichte verewigt haty fo beftärige 
doc gleichfalls die Gefhichte, daß, wie überhaupt 
- die Erfcheinung großer und ausgezeichneter Menfchen 
auf der Erde, fo aud) die Erfcheinung großer Regen 
ten zu den Seltenheiten gehört; daß felbft dieſe unge- 
wöhnlichen Regenten an der Spiße der Völfer und 
Staaten nicht immer mohlthätige Erfcheinungen 
gewefen find, weil das Vebermaas der ihnen einwoh⸗ 
nenden Kraft fie nicht felten zu. Handlungen der Will 
“ führe im In- und Auslande hinriß, und daß übers. 
haupt die unbefchranfte Gewalt — weil der Regent, 
feiner erhabenen Stellung ungeachtet, ein Menfch, 
mit menfchlichen Irrthuͤmern, Schwachheiten und Leis 
denfchaften bleibe, — ſehr leicht in unbegrenzte Will: 
führ ausarten, den Staat in feinem Vorwaͤrtsſchrei⸗ 
ten aufhalten, und alle Kraft des inneren Staatslebens 
durch Defpotismus und Gefeglofigfeit niederdrüden 
und zerftören fann. Dabei darf nicht vergeflen wer: 
ben, daß der unbefchränfte Regent — felbft bei der 
hoͤchſten geiftigen Kraft — nit alles, nad) den 
mannigfaltigen Theilen ber. gefeßgebenden und“ voll» 
ziehenden Gewalt, die er in fich vereinigt, allein voll» 
bringen fann, daß er alfo, nad) feiner *Berathung 
und nad) feinen Beſchluͤſſen, von Männern abhängt, 
die in ihren Anfichten und Grundfägen, fo wie in 
ihren Zwecken und individuellen Eigenfchaften oft ſehr 
von einander abweichen, und die vielleicht nicht immer 
mit völlig reinem Willen und mit feltener Geiftesbil« 
dung Das im Auge behalten, was in jedem einzelnen 
Zeitraume und in jedem gegebenen alle. dem Zwecke 


70T Staatstunft. ' 


bes Bangen und der erreichten Stufe bes Innern 
Staatslebens angemeffen if. — Eben fo zeigt bie 
Geſchichte, daß nirgends leichter, als in unbefchränf- 
ten Monarchieen ‚ bald der Priefterftand, bald ein 
', hoher Rath, bald eine Leibwache eine fo große Macht 
ſich anmaßte, daß der Regent dadurch in feiner Kraft 
befchränfter ward, als es je in einer fogenannten be» 
ſchraͤnkten Monarchie gefhehen fann. — . 

In Gegenſatze der unbefchränften Regierungs- 
form ift Der Regent in der befhränften. Monarchie 


entweder durch gewifle pofitive Reichsgrundgefege, . 


auf welche er beim Regierungsantritte den Eid leifter, 
oder durch eine formliche Verfaflung, ‚als Staats» 
grundvertrag, und daher in Hinficht feines Willeng 
Durch gewiſſe Bedingungen gebunden, die er, in der 
Verfaſſung entweder felbft als rechtliche Unterlagen 
feiner Stellung gegen das Volk, das er regiert, ge⸗ 
geben fin den octroyirsen Verfaſſungen), oder als 
bereits beftehende rechtliche Unterlage vertragsmäßig 
anerkannt hat, wo er alfo feinen perfönlichen Wil- 


‚ len nie zum allgemeinen Willen erheben kann, fon 
dern bie Ausübung feinee Souverainetätsredhte 


(Staatsr. $. 30.) in Verbindung mit den vertrags- 
mäßig übernommenen Regentenp flihten bringen 
muß. 

Ob nun gleich die bef chraͤnkte Monarchie, in⸗ 
wiefern fie auf einem gegenfeitigen ſittl ich en Ver— 
haͤltniſſe zwiſchen dem Regenten und den Regierten 
beruht, und alſo beiden gewiſſe beſtimmte Rechte, 
unter der Vorausſetzung ber Erfüllung gewiſſer be- 
ſtimmter Pflichten, zugeſteht, dem im Staats⸗ 
rechte aufgeſtellten Ideale einer vollfommenen Ver- 
faffungs - und Regierungsform am meiften entfpriche ; 
fo kann doch auch fie von Unvollkommheiten nicht frei 


! 








Staatskunſt. 427 


geſprochen werden, wenn dieſe gleich nicht ſo fuͤhlbar 

ſind, wie bei der unbeſchraͤnkten Regierungsform. Die 
Unvollkommenheiten der beſchraͤnkten Monarchie tre⸗ 
ten, nach dem Zeugniſſe der Geſchichte, am meiſten 
hervor, wenn es den Staͤnden, oder den Großen eines 
Reiches zukam, mit dem gewaͤhlten oder erblichen 
Regenten, bei deſſen Regierungsantritte, eine foͤr m⸗ 
liche Capitulation (wie z. B. im ehemaligen 
teutſchen Reiche, in Polen u. ſ. w.) abzuſchließen, die 
entweder an ſich die Regentenrechte ſehr verengte, oder 
deren Grundlage aus Zeiten und Verhaͤltniſſen ber- 
ruͤhrte, welche längft verfchwunden und alfo veraltee 
waren, oder deren Beſtimmungen von eiferftichrigen 
Großen bei jedem Regierungsmwechfel verändert und 
gefteigert wurden, Allein felbft bei einer als Grund⸗ 
vertrag beftehenden Verfaſſung kann die befchräanfte 
Monarchie zu .wefentlihen Unvollfommenbeiten füh- 
ren, fobald die Verfaffung dem Regenten allen An- 
theil an der gefeßgebenden Gewalt verweigert, und 
ihn blos an die Spige der vollziehenden Macht. 
ftelle, befonders wenn fid) die Stände, als. gefeg- 
gebende Verfammlung, als Inhaber der fogenannten 
Wolksfouverainetät betrachten. Je größer, unter 

dieſem Verhältniffe, für den Regenten und feine 
Kathgeber der Reiz wird, die ihm gezogenen engen 
Schranken zu überfchreiten ; defto leichter ift der Ueber— 
gang von der zu fehr befchränften monarchifchen Re— 
gierungsform entweder zur unbefchränften Willführ 
des Megenten, oder zum Wibderftande der Stände 
und Großen gegen feine gebeiligte Perfon, oder zur 
Peft der Staaten, zum Bürgerfriege. 


+28 Staatsfunft. 


28. 
Fortſetzung. 
ß) die Wahl- und erbliche Monarchie. 


Die monarchiſche Regierungsform erſcheint ent⸗ 
weder als Wahlmonarchie, oder als erbliche 
Monarchie. 

Wenn es, an ſich betrachtet, ſcheinen koͤnnte, 
. als ob die Wahlmonarcjie den großen Vorzug vor | 
ber erblichen behauptete, daß in ihr überhaupt der 
Verdienteſte, Ausgezeichnerfte und Wür- 
digſte zur Regierung gelangte, ohne dabei die Re— 
gierung eines Staates an das Schickſal eines regie— 
renden Haufes und an den Zufall der Geburt zu knuͤ⸗ 
pfen; fo find doch fhon uͤberhaupt mit diefer Re— 
gierungsform bie Schwierigfeiten verfnüpft, daß 
genau in einem Örundgefege beftimmt feyn muß: 
wer gewählt werden koͤnne, wer wählen folle und 
dürfe ‚ wie die Wahl einzurichten und auszuführen 
ſey, und mie ein Zwiſ henreich vermieden werden 
Fonne, oder wie es in einem Zmwifchenreiche zu halten ' 
ſey. Außer diefen urfprünglich mit der Wahlmonar- 
hie verbundenen Schwierigfeiten treten, nad) der 
Gefhichte, gewoͤhnlich folgende Unvollfommenpeiten 
bei derfelben ein: daß die Wahl felten ohne Einfluß 
bes Partheigeiftes, ber Leidenfchaftlichfeit und ber 
Beftechungen, ja vielleicht gar mit geheimer oder offe- 
ner Einmiſchung des Auslandes, geſchieht; Daß Des- 
halb der germählte Regent — - befonbers wenn die Wahl 
auf einen Ausländer fällt — nicht immer der Aus 
gezeichnetfte, mit den gefammeen innern Verhaͤltniſſen 
des Staates nicht gehoͤrig bekannt, und in ſeiner 
Macht durch die zu ſehr beſchraͤnkt iſt , welchen das 





Staatskunſt. 49 


Recht der Wahl zuſteht; daß der gewaͤhlte Monarch 
ſelten mit der Theilnahme der Regierung ſich unter- 
ziehen und mit der Kraft den Zweck des Ganzen be⸗ 
foͤrdern wird, welche bei dem erblichen Regenten von 
der perſoͤnlichen Ruͤckſicht auf ſein Haus und auf ſeine 
Nachfolger ausgehen, und daß gewoͤhnlich mit jedem 
Kegentenwechfel auch die Grundfäge ſich verändern 
werden , welche der Regent in Hinficht auf die Leitung 
des innern und äußern Staatslebens befolgt. — 

Im Gegenfage der Wahlmonarchie beruht die 
Erbmonarchie darauf, daß die Regentenwuͤrde, 
nach dem Tode des Negenten, auf feinen rechtmäßigen 
Erben übergeht. Als Grundbedingung der Erbmo- 
narchie muß daher feftgefeßt werden: 1) daß ber 
Staat nicht, wie ein Familienbefiß, unter ſaͤmmt⸗ 
liche vorhandene Erben des Megenten getheilt 
werden fann, fondern daß die Megentenwürde bes 
rechtlich organifirten Ganzen , nad) deffen Selbitftän- 
digfeit und Integrität, nur aufEinen Erben über- . 
‚geben darf; 2) die rehtlihe Erbfolge *) (wer, 
und inwelder Drönung, zur Regierung aus der 


*) Schiöger bemerkt Cin f. allgem. Staater. S. 139.) 
fehe wahr: „Eine. vollftändige: Succeffionsordnung 
muß unzmweideutig beflimmen, ob beide Geſchlechter 
folgen ; ob die Folge secundum lineas oder gradus 

geſchehe; welche von den ©eitenverwaridten den: 
andern vorgehen. Sie muß ferner feftfegen: das 
Alter des Erben, wann er die Regierung antreten 
dürfe; die Bormundfhaft während feiner Mins 
derjährigkeit, oder folcher Zufälle, die ihn zum 
Regieren untauglih madhen; welche phyſiſche Ge 
brechen ihn von der. Erbfolge ausſchließen; endlich 
ein Austunftsmittel, um Exbfolgekriege zu 
vermeiden, ’ j ll 


430 Staatsfunft. 


Nachkommenſchaft des Regenten berechtigt iſt), und 
3) die rechtliche Erbfolgefähigkeit (theils 
nach einer beſtimmten Zeit der Volljaͤhrigkeit, 
sheils mit der Aufſtellung der Regierungsordnung bei 
ber rechtlichen. Erbfolge eines Minderjährigen, 
xheils mit der Ausfchliegung aller geiftig Unfäpi- 
gen zur Regierung), Denn fo gewiß, nad) dem 
Zeugnäffe der Gefchichte, das Unglüd vieler Staaten 
in vorigen Zeiten von ben unfeligen Theilungen der 
fänder abgehangen hat, bis endlih das Erftge- 
burtsreche afllmählig diefen Theilungen Maas und 
Ziel fegte; fo gewiß muß auch die rechtliche Erb- 
folge klar und deutlich beftimme feyn, um affen 
Spaltungen über Das. Recht zur Thronfolge vorzubeu⸗ 
gen, und eben ſo ſorgfaͤltig muß im Voraus der Fall 
derechnet ſeyn, daß entweder ein Minderjaͤhriger den 
Thron beſteigen, oder ein Bloͤdſinniger der Naͤchſt⸗ 
berechtigte zur Regierung ſeyn koͤnnte. | 

MNach Befeitigung die ſer Schwierigkeiten .be- 
hauptet aber die ech liche Regierungsform folgende 
wefentliche Vorzuͤge: daß die rechtlich beſtimmte Thron⸗ 
erbfolge alle bei der Thronerledigung in Wahlreichen 
eintretende Reibungen theils zwiſchen den Thronbewer⸗ 
bern, theils zwiſchen den zum Waͤhlen Berechtigten von 
ſich ausſchließt; daß gegen einen Erbkoͤnig im Innern 
des Staates nie ſolche politiſche Partheien ſich bilden, 
wie es in Wahlreichen haͤufig geſchieht; duß das ne 
terefie eines Erbfönigs mit dem Intereſſe des Staa⸗ 
tes, in der Regel, aufs innigſte verſchmilzt, weil es, 
außer feiner: Pflicht, auch in feinem perfönlichen In⸗ 
tereſſe liegt, ein cultivirtes, reiches, gluͤckliches und 
maͤchtiges Bolt feinen Nachfolgern” zu hinterlaffen; 
daß in ‘der Erbmonarchie die Grundſaͤtze der Regie— 
rung und Verwaltung weit ſeltener, als in Wahlrei⸗ 





Scunstun. | 431 


hen, der Veränderung ‚und dem Wechſel uncerwerfen 
ſind; daß, wegen dieſer beſtehenden Grundſaͤtze, mit 
der Einheit und Feſtigkeit in der Regierung, auch 
Milde und Schonung der geſammten bürgerlichen und 
häuslichen Verhältniffe, namentlich in Hiuficht! ber 
‚Dolizei-. und Finanzmaasregein.,.. verbunden. werben 
kann; daß felbft,, bei der Feſtigkeit dieſer Grundſaͤtze, 
bie Stellung des Staates gegen das Ausland einen 
feiten Charafter erhält; daß alfo die befihranfte 
erblihe. Monarchie, bei ben: wenigſten Unvoll⸗ 
fommenbeisen, Die meiften Vorzüge und Vortheile fuͤr 
den ganzen Staat in ſich vereiniget. 

In dieſem Sinne muß das monarchifche 
Princip (ein Ausdruck der. modernen Staats⸗ 
funft) gefaßt werben. -Es beruht naͤmlich darauf, 
daß — ohne die in der Wirflichfeie beſtehenden 

Republiken nach_ihrem Dafeyn , nach, ihrem Soelbit- 
ſtauͤndigkeit und nad) ihrer eigenehimicheh- Regie⸗ 
rungsform zu gefaͤhrden, — 1) kein monacdhifcher 
Staat, durch innere Umeriebe, in eine Republif 
verwandelt, 2) feine rechtlich begründete Macht des 
Regenten, weder in unbefchränften.noc in bes 
ſchraͤnkten Monarchieen, verändert oder geſchmaͤlert 
werde, 3) vielmehr alle nöthig gewordene Umbil⸗ 
dungen in der innern Organifation ber Staaten, fie 
" mögen nun bie Verfaffung, Regierung oder Vers 
waltung derfelben betreffen, entweder unmittelbar 
von dem Negenten (als Act der Souverainetät) aus⸗ 
gehen, oder, auf den Vorfhlag der Stände , von 
demfelben angenommen und gutgeheißen werben. — 
In biefem Sinne hängt der 'neuerli mehrmals 
ausgefptochene: Grundſatz der Stabilität mit 
dem monardjifchen Princip genau zuſammen. 
Denn die Stabilität will, daß Das Beftebenbe, 


430 Staatsfunft. 


Nachkommenſchaft des Negenten berechrigt ift), unt 
3) die rehtlihe Erbfolgefäpigfeie (theils 
nach einer beſtimmten Zeit der Volljaͤhrigkeit, 
cheils mit.der Aufitellung ber Negierungsordnung bei 
der rechtlichen Erbfolge eines Minderjährigen, 
eheils mit ber Ausſchließung aller geiftig Unfähi- 
gen zur Regierung). Denn fo gewiß, nach dem 
Zeugniffe der Gefchichte, Das Unglüd vieler Staaten 
in vorigen Zeiten von den unfeligen Theilungen.ber 
Laͤnder abgehangen hat, bis endlid das Erftge- 
burtsreche aflmählig diefen Theilungen Maas und 
Ziel feßte; fo gewiß muß auch die rechtliche Erb- 
folge flar und deutlich beftimmt feyn, um allen 
Spaltungen über Das. Recht zur Thronfolge vorzubeu- 
gen, und eben fo ſorgfaͤltig muß im Voraus der Fall 
berechnet ſeyn, daß entweder ein Minderjähriger den 
Thron befteigen, oder ein Blödfinniger der Mächft- 
berechtigte zur Regierung ſeyn koͤnnte. 
Mach Befeitigung diefer Schwierigfeiten be⸗ 
hauptet aber Die erbliche Regierungsform folgende 
weſentliche Vorzüge: daß die rechtlich beſtimmte Thron- 
erbfolge alle bei der Thronerledigung in Wahlreichen 
‚eintretende Reibungen theils zwifchen den Thronbeiver: 
bern, theils zwiſchen den zum Wählen Berechtigten von 
ſich ausſchließt; daß gegen einen Erbfönig im Innern 
‚ des Staates nie ſolche politifche Partheien fich bilden, 
mie es in Wahlreichen häufig gefchieht; Daß das In— 
tereffe eines Erbfönigs mit dem ntereffe des Staa⸗ 
tes, in der Regel, aufs innigfte verſchmilzt, weil es, 
außer feiner. Pflicht, auch in feinem perfbnlichen In— 
tereffe liege, ein cultivirees, reiches, gluͤckliches und 
maͤchtiges Volk feinen Nachfolgern zu hinterlaſſen; 
daß .in der Erbmonardjie die Grundfäge der Regie— 
rung und Verwaltung weit feltener, als in Wahlrei- 











Staatskunſt. | 431 


chen, der Veränderung ‚und dem Wechſel unterworfen 
iind; daß, wegen biefer beftehenden Grundfäge, mit 
der Einheit und Feftigfeit. in der Negierung, auch 
- Milde und Schonung der gefammeen. bürgerlichen und 
häuslichen Verhältniffe, namentlich. in Hiuſicht! der 
Polizei=. und Finanzmansregeln ; ‚nerbunden. werden 
kann; daß ſelbſt, bei der Feſtigkeit dieſer Grundſaͤtze, 
die Stellung des Staates gegen das Ausland einen 
feiten Charafter erhält; daß alfo die befihranfte 
erbliche Monarchie, bei ben: menigften Unvoll⸗ 
fommenbeisen, die meiften Vorzüge und Vortheile fuͤr 
den ganzen Staat in ſich vereiniget. 

In dieſem Sinne muß das monarchifche 
Princip (ein Ausdruck der modernen Staats⸗ 
kunſt) gefaßt werden. Es beruht naͤmlich darauf, 

daß — ohne die in der Wirklichkeit beſtehe nden 
Republiken nach ihrem Dafenn , nach, ihrem Salbſt⸗ 
ſtuͤndigkeit und nad) ihrer eigenehümlicheh- Regie 
rungsform zu‘ ‚gefährden, - 4) fein monarchifcher 
Staat, durd) innere Umtriebe, in eine Republif 
verwanbelt, 2).feine rechtlich begründete Macht des 
Megenten, weder in unbefchranften.nod in bes 
ſchraͤnkten Monarchieen, verändert oder gefchnälent 
werde, 3) vielmehr alle nöthig gewordene Umbil- 
dungen in der innern Organifation der Staaten, fie 
moͤgen nun die Verfaffung, Regierung oder Ver⸗ 
waltung derfelben betreffen, entweder unmittelbar 
von dem Negenten (als Act der Eouverainetäf) aus⸗ 
gehen, oder, auf den Vorſchlag der Stände, von 
' demfelben angenommen und gutgeheißen werden. — 
In biefem Sinne hängt der neuerlich mehrmals 
ausgefprochene: Grundſatz der Stabilität mit 
dem monardifchen Princip genau zuſammen. 
Denn die Stabilität will , daß das s Beſtehen nbe, 


\ 


432 EStoaacskunſt. 
namentlich der rechtliche Territorialbeſitz der Staa. | 
ten und bie. rechtlich begründete Regentenmacht, 
in statu quo bleibe, und daß, nach diefer 
Stabilität, die innern Erfhütterungen bes Staats: 
. lebens und bie damit nothwendig zuſammenhaͤn⸗ 
gende Erſchuͤtterung der Throme:-verhütet werden. 
Nie wird aber ein gefhichtsfundiger Staatsmann 
biefer Stabilität den Mebenibegriff unterlegen, daß 
durch fie alle nöthige Reformen: in der Verfaflung 
und Verwaltnng ausgefchloffen würden ;-nur follen 
dieſe nüche von unten genommen, fondern von 
. ben gegeben. werden. 

Ausartungen-der monarchifchen Regierungsform 
find aber Die Ufurpation, die Tyrannei und 
der Defpotismus. — Ufurpator ift nam: 

2... ih der, welcher die Negierung unrechtmaͤßig, we⸗ 
Der durch Wahl, noch durch Erbrecht, noch durch 
zefoͤrmlichen Vertrag ; fondern durch. Eigenmacht 

(entweder durch Eroberung, oder: durch gewaltfame 
3 -, Berbrängung bes bisherigen verhtmäßigen Negen- 
. . een) errungen bate); Tytann hingegen iſt der, 





Ueber die wichtige Brose; ob ein rechtmäßiger Regent 
das widerrufen könne, was der vorhergehende Ufurs 
pator eingerichtet hat, entfcheider Bufendorf (de 
jure naturae et gentium, 1. 8. cap. 12.): daß auch 
der Nachfolger eines Mfurpators” verpflichtet ſey, 

deſſen Sandlungen’ anzuerfennen. S:ceidemans 

:- tel (das allgem. Staatsrecht Überhaupt, ©. 371 f.) 

. fuͤgt die.wichtige Einſchraͤnkung hinzu: daß Pufen» 

- . derfs Satz nur gelten könne, wenn der Ufurpator 

im Befise feiner Regierung im: In⸗ und Auss 

. Jande rehtmäßig anerfannt worden ifl. 

War er dies nicht; fo war er blos Raͤuber, und 

.. dann müffe die Kiugdeit. Aber jene Frage ent⸗ 

ſcheiden. 











2 - 


X * 


| Staatdkunſt. 00483 

| welcher bie höchfte Gewalt gögen die beſtehenden, J 
"und son ihm anerfannten und beſchwornen, Staats» 
grundgefege nach bloßer Willführ verwaltet; und . 


Defpöt der, unter welchem. den: Mitgliebern des 


"Staates weber Der Befis ihrer Menfchenrechte (der 


perfoͤnlichen Freiheit, des Eigenthums ic.) noch) 
ihrer Buͤrgerrechte (z. B. wie in den afrikaniſchen 


Raubſtaaten) geſichert iſt. — Wenn alfo der Uſur⸗ 
pator, abgeſehen von der Unrechtlichkeit der Er⸗ 
werbung der hoͤchſten Gewalt, dennoch als Regent 


durch einzelne gute Eigenſchaften ſich auszeichnen 


ann, und nicht fhon qua usurpator auch hrann 
oder Defpot ſeyn muß; fo fest. die Tyrannei 


jedesmal im Staate beftehende Grundgefege vor⸗ 
aus, welche durch die Willführ des Regenten ver« 
‚lege werden; fo wie der Defpot nur in einer un« 
* beſchraͤnkten monardifchen Regierungsform (öder 


auch in einer Republik, doch mit Aufhebung ihres 
Grundcharakters,) gedenkbar iſt, wo der Regent, 
an ſich durch kein Grundgeſetz gebunden, ſtatt der 


ihm von Gott und feinem Gewiſſen gebotenen Ges 
rechtigkeit, blos der Willführ in feinen Befchlüffen 
und Handlungen folge, — Es würde aber bie 
folgenreichſte Begriffsverwirrung ſeyn, wenn man 
den Antofrator (den Regenten einer unbefchränf: 


ten Monarchie) an ſich mie dem Defpoten verwech- 
fein wollte. ° Denn unter der Regierung des Autos 
krators befteht der volle Genuß aller Menſchenrechte; 


und nur Die oͤffentlichen (buͤrgerlichen) Rechte wer⸗ 
den in der unbeſchraͤnkten Monarchie dadurch bes 


fchränft, Daß der Autokrakor in ſich die geſetzgebende 


‚ und. volljiehende Gewalt ungetheilt vereiniget. 


Was den — durch Talleyrand im Sabre. 1814 


der. europaͤiſchen Etaats kunſt eingelegten — - Bes 
L . 1 28 oo. 


N 


— — — 
— — — 


a} 


434 | Startstunß. . 


griff der Legitimitaͤt anlangt; ſo erhaͤlt er feine 
olitiſche und geſchichtliche Bedeutung, nur im 
Begenſatze des Begriffs eines Uſurpa⸗ 
tors, und einer Revolution. Der Begriff 
‚der Legitimitaͤt ſetzt eine rechtlich beſtehende erb- 
liche Regierungsform voraus, fo daß: Die Legiti⸗ 
mität.auf der in einer Erbmonardhie rechtlich bes 


‚gründeten Thronerbfolge, nad) einer angenommenen 
feſten Succeflionsordnung,, beruht. Es kann da= 


ber in einer. Wahlmonardhie fo wenig, wie in einer 


Ä Republif , die Rede von der Legitimitaͤt der Regie⸗ 


rung, in Diefem mobernen Sinne des Wortes, feyn. 
Wenn nun ein Ufurpator die in einer Erbimmardjie 
zur. Thronfolge berechtigte Dynaſtie von der Regie⸗ 
rung verdraͤngt, oder durch eine Revolution die 


regierende -Dyuaftie entfernt wirb; fo find folche 


Thatfachen dee Gefchichte Die gewaltfamen Verftöße 
gegen den. Grundfag ber Legitimität *). — 





“) So alt der Grundfag einer gefegmäßtgen (lege 


timen) Regierung an ſich iſt; fo neu find doch manche, 
dem modernen Begriffe der Legttimitaͤt unters 


gelegte, Bedeutungen: und Erklärungen. Die Ges 
ſchichte warnt davor, diefe Bedeutungen nicht zu 


weit auszudehnen; dehn Cum nur einiger Beiſpiele 
zu gedenken) Pißpin, der Begründer der carolingi⸗ 
fhen Dynaflie, war 88, der (752) den letzten Mes 
rovinger, und Hugo Ca pet, der (987) den legten 
Carotingee vom Erbthrone Frankreichs verbränste;, 


auch hat man in Großbritannien, feit der Throns 


befteigung Wilhelms des Draniers (1689), der 
Legitimität der. verdraͤngten Stuartiſchen Dynaſtie 
beſtimmt widerſprochen. Folgt man der urſpruͤng⸗ 
lichen Bedeutung des Begriffes der Legitimitaͤt; ſo 
kann in demſelben keine unmittelbare Ab⸗ 
‚leitung der. Regentergewalt von Gott, 








% 


\ Staatskunſt. | 435 
Eine Abart ber monarchiſchen Reglerungsform 


ſind die ſogenannten Patrimonialreiche, 





ſondern bios die rechtlihhe Thronfolge in 


— 


cdcestit, quod cum illo simul justa ao 


einer Erbmonarchie gefunden werden, und 
dies feine in rechtlicher und politifher 
Hinſicht auszureihen. Vgl. Krug, über beftehende 
Gewalt und Geſetzmaͤßigkeit in faatsrechtlicher Bes _ 
deutung; zuerf in Ad. v!Müller?’s Staatsan⸗ 
zeigen, 1816, St. 3, ©. 203 ff.; „dann wieder 


abgedruckt in fe Kreugs und Queerzügen ıc. 


S.:37 ff. — In Hinfiht auf die Etymologie des 
Wortes gehört die Stelle des Livius hieher (histor, 
1, 48.3, wo er, ‚als Tarquin feinen Schwiegervater 
Servius Tullius entthronte, von dem legten (der 
nicht im Glanze des Thrones, gebohren war,) aus—⸗ 
druͤcſlich fagt: oeterum id quoque ad aloriam ac» 

egitima 
regna ceciderunt, während er (ibid. c. 49:) dem 
Tarquin (einem gebohrnen Prinzen) ,, male quae- 
rendi regni exemplum ** beilegt. Einer andern 
Etymologie folgte v. Lamerh. in der franzdfiichen 
Deputirtentammer (Allg. Zeit. ıg22, N. ıg., ©. 74.), 
wenn er. erklärte: „Legitim komme her von legi inti- 
mus, dem Gefege anhängend. Kinder nenne man 
legitim, wenn das Geſetz ihre Geburt anerfenne. 


Der Pflichttheil heiße Jegitima, weil das Geſetz 


ihn den Kindern zuſpreche. Leagitim beziehe ſich 


immer nur auf Erbfolge, auf Nachfolge; und 


in ſolcher Hinſicht erkenne er die Legitimität einer 
Dpnaftie zur Mahfolge auf einem Throne. Wolle 
man aber unter Legitimität ein göttliches Recht vers 
fiehen , dem zufolge Bas Volt Eigenthum der Sous 
verains fey; fo wäre bies ein Verbrechen an der 
Nation.” — Auf aͤhnliche Weile ſprach der Freis 
herr v. Sagen in der Darmftädstiher Ständes 


verſammliang (Aa. Beil. 1830, N. 316, ©. 1264.): 


Bu bin: Tory und Royaliſt, ganz fo, wie es die 


Achte oranifche Parthei verfteht. Hein allerdings 


28 


x 


436 


Staatskunſt. 


(erbeigenthuͤmliche Reiche, gewoͤhnlich durch 
Eroberung unterworfen, wo der Regent ſich als den 
Eigenthiümer des ganzen Staates nach) Sand 
und feuten, und dieſe als ein Samiliengut be 
trachtet,) in welchen der Regent feinen Nach— 
folger ernennt, entweder einen von feinen Er⸗ 
ben ohne Rüdficht auf. ein Erfigeburtsreche (fo nach 
den Hausperträgen das Haus Wied), oder wenn 
er will jeden Fremde n. (Su dieſem Sinne 





finde ich in dem Ausſpruche des Weiſen: winori 


discrimine sumi principem, quam quaeri — weit 
mehr fuͤr mich Ueberzeugendes, als in allen Empfeh— 
lungen der Legitimitaͤt. Dieſe Legitimitaͤt in den 


stoßen Staaten hat zur verſtaͤndigſten Interpreta⸗ 


tion den Satz: daß die Nation, die ihrem Fuͤrſten 
mit Treue nnd Liebe anhaͤngt, ihr⸗ innere Ruhe 
am ſicherſten bewahrt, und ſich ſtark genug gegen 
außen fuͤhlt.“ — Mod ſtehe die Antwort des jetzi⸗ 
gen Rönigsvon Schweden an diefer Stelle, die 
er dem Vicomte Pinon gab, der ihn zur Unters 
zeihnung zu dem Denkmale für Malesherbes , den 
Wertheidiger Ludwigs 16, mit den Worten einlud: 
„Der große Grundſatz der Legitimität, dieſer Grunds 
faß, anf welchem das Gluͤck und die Wohlfahrt der 
Voͤlker beruht, ift neuerdings von ganz Europa ans 
erfannt. worden u. ſ. w,“ worauf der König zwar 
unterzeichnete, in feiner Antwort aber bemerkte: 
„dan die wahre Kegitimität aus dem einmäthig aus 
geiprohenen Volkswillen hervorgehe.“ (Allg. Zeit. 
1819, N. 284, ©. 1133.) —:- Zwei fdjarflinnige 
Abhandlungen von Buchholz gehören hieher: 
‚Ueber die Erblichkeit der Throne inden 
Staaten Europa's“ (inf. Journale f, Teutfchs 


fand, 1815, Th. ı, 8.46 ff) — und „Weber 


Souverainerät, Recht maßigkeit und ua 


umſchraͤnktheit.“ (Ebend. 1816, 1, © . 


56 ff.) 


Erüäcdtun® 447 


4 


% 


Ei dns NEE Karls Soon Spanien; auch! 
"fenbfüchtigte äs.iehte Peter 4; der biefes Recht 


ſchon in dem Begriffe ‚einer unbeſchraͤnkten Monar” 


Athie ſuchte. Man vergl. Schtözersiniftor; Untere! 
rhurg über Rußkınds Reichsgrundgefetze. Gotha, 


4777. 8.) 


. Ce. Ach. Beck, de jure regni ‚patrimonialie. | 


$ 4 Diss, ‘Jen 17r2. 4. (habe ich nicht geſehen.) 
Si SER a Weyhe; ‚problema'. regiuin s.-explicatie 


" ";:disceptationia; pohlfcae: utrius regni' cönditio mer 


5; Jöpr.siky Ülipemp,;eui rex.;nascatuır, ‚an.ejus” cui 


„el tur ? BFrancf. 1616. 8. a a RE 
> Srany Zav. Edlefvon eupater; Vorzüge 


men Wen. 1790. 3 - 


Ki. .Jad. Rau, de inonaschia, pptima imperii faruin..; 


+ 
s 


” 


*8F 


tr monarchiſchen vor den übrigen Begierungsfors 


Hung s Bapı ıa8Re be: 4 u a „nn .. w on 
ya 


⁊* 


| Ta ern ee gargereigare” * re ana 7 RG ar 
Sn. HE FLIMETWI- BT Ei yes De sl "le 


ad B.. S Pa €.,. Grundsiß..ber.. Fuͤrſtenkunſt, . 
u. wornach ei Regent ſich groß. und feine Unterthanen , 
glaͤcktich machen koͤnne. Frankenberg an der Warte, 
15 8 — . . Er; r 


[2 
’ 
ech . . Im» Haar...» in Pe > FOREN 3* 
sn u... ‘ Ya, 12126 * — — ri R tn ‘ N \ 
y ‘ 


a 





J Mr [4 . dies v ‘ ’ “ 
.. „at £ I —X 9 |} q r b- . ‘ 


Win Haüpegeghnftand der hoͤhern Staatsfanft 


ur Enrfiht der Regterungsform iſt die Prinzener⸗ 
zkehung; denn micht ſelten find Bie Werhäleniffe des 
Sehens und. der Umgebungen der Höfe. yon der Art, 
daß fie nachebeilig: auf die phyfiſche, geiftige und 
fetide Entwickelung der kuͤnftigen Regenten einwir⸗ 
Ei Iſttes aber irgendwo dringend nöthig, daß der 

oxper vor jedem ſchwoͤchenden und verweichlichenden 


“7 » 


4 


indrucke bewahrt, und der Geift fruhneitig zur Klare 


beit der Begriffe überhaupt, zur ununterbrochen Thäs- 
rin; zur ſtrengſten Sittlichkeit Und Mechelichkeit, 
und zur Charafterfefigfeit: — ohne Laune, Eigen 


/ 





448 Setaauoluſt. 
, Bo. .ı. 4 ” 
N . e) Die D emokratle. BEE { " 


Das Weſen der Demofratie befteht.darin, 
baß die Rechte der Souverainetaͤt der. Geſammtheit 
bes Volkes zukommen, und von derſelben geltend ge⸗ 
macht und ausgeübt werden. "In der ſogenannten 
reinen Demofratie würde daher feine Angelegenheit 
des Öffentlichen Staatslebeis ohne Borwiffen” und 
Zuftimmung bes gefammten fouverainen Volfes vers 
handelt und entfchieden werden fonnen, und. diefe 
Entſcheidung würde von der Mehrheit ber Stim- 
men (104 gegen 100) abhängen. — Allein fo wie 
es ſchon numeriſch feine reine Demoftatie'geben 
kann *), theils weil alle Perfonen unter 16 Jahren’ 
(nah Suͤßmilch 328: 1000), die feines Stimm⸗ 
rechts fäßig find, theils ‘alle Individuen des weib- 
lichen Geſchlechts (die volle‘ Hälfte von’ denübrig ge 
bllebenen 772, — 386 ) abgerechnet werben müflen; 
‚fo ift ſelbſt diejenige Demofratie in der Wirklichkeit 
“nicht ausführbar , wo alle volljährige Individuen 
des männlichen Gefchlechts das Stimmrecht führen 
ſollen; eg müßte denn eine ſolche Regietungsforin ſich 
Dlos auf eine einzige Stadt oder Gegend, 
mit fehr befchränfter DBevölferungsjahl, beziehen. 
Nie hat e8 einen großen Staat als reine Demofras 
tie gegeben. Deshalb erfcheinen auch bie in der Ge⸗ 
ſchichte vorhandenen demofratifchen Regierungsfortten 
gewoͤhnlich ala befhränfee Demofratieen‘ „mo die 
dem ganzen Volke zuftehende Souverainetät ‘von ges 
wiſſen Repraͤſentanten geübt, und die Regierung 


* Schloͤzers allgem. Staatsrecht, ©. 124 ff. 


\ 


= Staatskunſt/ u FT 


feistt ‚Tabs. ein vom Wolke aufgeniffe girkt, mu: 

mit shieheeen:..oder wenigern KEinfchränkuhgen: 
überteagenes Staatsamt, fo wie misver Were 
antwärtlihfeis für bie vollbeachten. Regierungs⸗ 
bandiungen entweder dem ganzen Volke, oder ven 
Repraͤſentanten), geführt wird. — :Sollaber bie 
Demofratie rechtlich geftaltet ſeyn; fo muß beffünmei " 
werben, wer als Mitglied zur fouverainen Volks⸗ 

verſannnlimg gehört, : under welchen Formen die 
Be zufammentritt und Die Rechte ber Son⸗ 
verainetaͤt uͤbt, auf weiche Art und nach welcher: 
Stimmenzaͤhlung ein Beſchluß von der Verſammlung 
gefaßt wird, und wie Die gefaßten Beſchluͤſſe und: Ge⸗ 
ſetze angewandt und ausgefuͤhrt werben ſollen. Moth- 
wendig muß Daher in einer. Demokratie durch Grund⸗ 
geſetze beſtimmt werden, wer zu den activen (zw den: 
öffentlichen Staatsangelegenheiten berechtigten) Buͤr⸗ 

gern gehoͤre; wer das Volk zu den Urverſammlungen 
beruft; wie die geſetzgebende und vollziehende Gewalt 
getrennt, und nad) welchen Bedingungen theils alle 
Staatsbeamte verantwortlich fen, tbeils Die wech⸗ 
felndent Mitglieder der Regierung erfegt werden ſollen. 
(So wird z. B. der Präfident:der nortamerifanifhen 
Freiſtaaten jedesmal auf 4 Jahre gewählt, iſt aber 
wieder, wählbar; dagegen beſtand in. Frankreich, 
während. der. Dauer der dritten Verfaſſung, von 
4795 4 4799, das Regierungsperſonale aus 5 


‚Directoren‘, von welchen jährlich Einer austrat; und ' 


wieder anders entſchied die vierte: Verfaffung Frank⸗ 
reichs [1799} Über Die Rechte des erften Konfuls und die 
feinen: zwei Collegen u. ſ. w.) Die beſchraͤnkte (oder 
re per ͤ ſerntat ive) Demokratie unter ſcheidet ſich aber 
dadurch monj · der Ariſtokvatie, daß die Poibs vertretot 

Fein bofondeves Standesintedeſſe geltend mathen koͤn⸗ 


N 


AR Staatskunſt. 
nen, ſondern nur das allgemeine Jutrreſſe bes 

—* ſelbſt; daß alſo die Repraͤſentanten nicht im 
Charakter von Bevollmächtigten, ſondern im Charak⸗ 
ter von Stellvertretern handeln; daß ſie durch Wahl 
ernannt werden, und daß Die Zah der Wolfsvertreter 
nicht nach Ständen, fondern nach ber Geſammtzahl 
des Volles ſtatiſtiſch feſtgeſetzt wird, J 


Die Demokratie, ſo oft ſie auch, ale ben ur⸗ 
ſpruͤnglichen Menfchenrechten am meiften entfprecheub, 

empfohlen worden ift, gehört doch zu ben unvollkom⸗ 
menſten Regierungsformen, befonders die ‚reine 
Demofratie , weil, bei dem Stimmrechte alfer muͤndi⸗ 
gen männlichen Staatsbürger, die Mehrheit felten ben 
zweckmaͤßigſten Entſchluß faſſen wird; weil fer⸗ 
ner in der reinen Demokratie der Ueberredungskunſt 
einzelner Demagogen, ſo wie der Partheiſucht und 
ſelbſt der Beſtechlichkeit cin weiter Spielraum geoͤffnet 
iſt; weil, beider Veraͤnderlichkeit der öffentlichen Mei⸗ 
nung, gewöhnlich bie Stätigfeit in den Bolfsbe- 
ſchluͤffen fehlt, und weil in denſelben — bei allem 
Anſcheine von Volksherrſchaft — ſehr leicht der 
Deſpotismus eines Einzigen Wurzel faſſen kann. 
Selbſt die beſchraͤnkte Demokratie hängt in Hin⸗ 
ſicht der Volksvertreter zu fehr von dem Zufalle der 
Wahlen.ab, fobald nicht eine erſte Kammer. die zu 
lebhaften Aeußerungen und Beſchluͤſſe der Kammer 
der Volksvertreter mit Weisheit und Umſicht zu maͤßi⸗ 
gen verſteht; und namentlich fehle es in ihr ber Re⸗ 
gierung nicht felten an Staͤtigkeit, theils weil: das 


Perſonale derfelben nad) Ablaufe einer gemiflen Zeit 


fich verändert, theils weil die Macht bevfelben eben 
fo duch die feharfgesogenen, Grenzen zwiſchen ber ge 
jeggebenben: und vollziehenden Gewalt, mie durch) die 


— 











| Staatsfunft; .- st 


ſelbſt, als ein vom Volke auf gewiffezete, und: 

mit mehrdrn. oder wenigern Kinfchränfungen: 
übereragenes Staatsamt, fo wie mit der Ver⸗ 
antwortlichkeit für Die vollbrachten Regierungs⸗ 
handlungen (entweder dem ganzen Volke, oder deſſen 
Repräfentanten)‘, geführt wird. — Soll aber bie 
Demofratie rechtlich geftaltet feyn ;. fo muß beffimme: 
werden, wer als Mitglied zur fouverainen Volks- 

verfammtüng gehört, unter welchen Formen bie 
Verſammlung zufammentritt. und dieRechte ber Sou⸗ 
verainerät. übt, auf mwelhe Art und nach welcer: 
Stimmenzählung ein Beſchluß von der Verfammlung 
gefaßt wird, und wie Die gefaßten Befchlüffe und Ge⸗ 


feße angewandte und ausgeführt. werden ſollen. Noth⸗ 


wendig muß daher in einer Demofratie durch Grund 
geſetze beftimmt werden, wer zu den activen (zu den. 
öffentlichen Staatsangelegeneiten berechtigten) Bürs - 
. gern gehoͤrt; wer das Volf zu den Urverfammlungen 
beruft; wie die gefeßgebende und vollziehende Gewalt 
getrennt, und nad) welchen Bedingungen theils alle 
Staatsbeamte verantwortlich fenn, theils Die wech⸗ 
feinden Mitglieder ver Regierung erfegt werden ſollen. 
(So wird 5. B. der Präfident.der norbamerifanifchen 
Freiftaaten jedesmal auf 4 Jahre gewählt, ift aber 
wieder wählbar; Dagegen beſtand in Frankreich, 
während. der. Dauer der. dritten Verfaffung, von 
1795. 1799, das Negierungsperfonale aus 5 
Directoren, von welchen jährlich Einer austrat; und ' 
wieder :anders entſchied Die vierte: Berfaffung Frank⸗ 
reichs [1799} über Die Nechtedes erften Conſuls und bie 
feiner: zwei Kollegen u. ſ. w.) Die befhrändte (oder 
repräfentative) Demokratie unterfcheidzr ſich aber 
dadurd)won.der Ariſtokvatie, daß die Volksvertretot 
fein befonderes Standesinteveſſe geltend mathen koͤn⸗ 


Ar Staatskunſt. 


nen, ſondern nur das allgemeine Intereſſe bes 
Balken felbft; daß alfo die Reprafentanten nicht im 
Charafter von Bevollniächtigten, fonbern im Charak⸗ 
ter von Stellvertretern handeln; daß fie durch Wahl 
ernannt werden, und baf die Zahl der Wulfsvertreter 
nicht nach Ständen, ſondern nach der ( itzahl 
des Volkes ſtati Bir ch feftgefege wird, 


Die Demokratie, fo oft fie au, als ben ur« 
ſpruͤnglichen Menfchenrechten am meiften enefprecheud, 
empfohlen worden ift, gehört doc) zu den unvollkom⸗ 
menften Regierungsformen, befonders die reiste 
Demokratie , weil, bei vem Stimmrechte aller muͤndi⸗ 
gen männlichen Staatsbürger, Die Mehrheit felten den 
zweckmaͤßigſten Entſchluß fallen wird; weil fer- 
ner in der reinen Demofratie ber Heberrebungsfunft 
einzelner Demagogen, fo mie der Partheifucht und 
felbft ver Beftechlichfeit cin weiter Spielraum geöffner 
iſt; weil, beider Veraͤnderlichkeit der öffentlichen Mei 
nung, gervöhnlich die Stätigfeit in den: Bolfsbe- 
fhlüffen fehle, und weil in denfelben — bei allem 
UAnfcheine von Volksherrſchaft — ſehr leichte der 
Defporismus eines Einzigen Wurzel faffen "kann. 
Selbft die befhräanfte Demokratie hängt in Hin- 
ſicht der Volksvertreter zu fehr von dem Zufalle der 
Wahlen ab, fobald nicht eine erfte Kammer. die zu 
lebhaften Aeuferungen und Befchluffe der Kammer 
der Volksvertreter mit Weisheit und Umfiche zu mäßi- 
gen verfieht; und namentlid) fehle es in ihr der Re- 
gierung nicht felten an Staͤtigkeit, theils weil: das 
Perfonale derfelben nad) Ablaufe einer gemifien Zeit 
fi) ‚verändert, sheils weil die Macht berfelben eben 
fo durch Die fcharfgegogenen Grenzen zwifchen ber ge 
feßgebenven und vollziehenden Gewalt „ nie durch die 


— 


“ Stu . 445 


faͤhigkeit und das Wahlrecht (welche beide gu 
wöhnlich fehr beſchruͤnkt find) und über Die Dauer der 
Amtsführung,' gewählt; in der zweiten aber befinden 
dich gemwiffe Familien entweder. durd) ‚Geburt; 
. oder Reichthum, oder Durch Eroberung im auafihlige- 
ßenden Beſttze der. in der Regierung ‚beftehenden ein: 
‚zelnen Stellen, wo-die patriciſche Geburt, und die 
Erreichung eines gewiſſen Lebensalters (bisweilen mis 
‚einigen Nebenbeftimmungen über Befiß eines Grund: 
eigenthums, über die Erfigeburt in den patricifchen 
Gefchlechtern u. ſ. m.) den Eintritt in das Regie— 
rungscollegium entfcheidet. | on 
Wenn nun aud), imGegenfaße der Demokratie; 
der Ariftofratie mehr innere Haltung, und mehr Ein- 
. beit und Feftigfeit in ihren Befchlüffen zufomme, fo 
daß namentlich in der Erbariftofratie gewiſſe Regie— 
zungsgrundfäße ungerändert von .einem. regierenden - 
Gefchlechte auf dag nachfolgende forterben; fo ift Doch 
auch, nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, Fein Staat 
dem Veralten feiner Formen, und dem Zuruͤckbleiben 
hinter den lebendigen Fortfchritten des Zeitalter 
(DBenedig, Bern u. a.) fo fehr ausgefeßt, als bie 
Hriftofratie; in feinem wird die Härte des Druckes, 
der von einigen wentgen Familien mit der ftrengften 
Folgerichtigfeit und oft mit abfichtlicher Anwendung 
und Steigerung der beftehenden Formen gegen aus4 





gezeichnete Individuen (Hannibal in Karthago) auss - 


geht, empfindlicher gefühlt, als in der. Ariftofratie; 
und während in der Erbmonarchie das Intereſſe des 
Regenten mit' dem Intereſſe des Volkes gewoͤhnlich 


in Eins verſchmilzt, erfcheinen in der Erbariſtokratie 


Das Intereſſe Der regierenden Familien und des Bol 
kes im Schneidenden Öegenfage, weil: diefe Samilien 
ibre Macht, ihnen: Reichthum. nad. ihren Einfluß nur 


446 | GStaatskunſt. 


auf Koſten ber Geſammtheit des Votkes erweitern 
und en koͤnnen. Se leichter in einer Ariſto⸗ 


fratie die Formen des öffentlichen Staatslebens ver⸗ 
fteinern, und je leichter in ben Arifofratieen bas 
Volk in feinblicher Stellung gegen die herrſchenden 
Familien ſteht; defto leichter Fann entweder ein 
Defpot in denfelben, mit fcheinbarer Beibehaltung der 
ariftofratifchen Formen, an bie Spige des Ganzen 
treten (Sulla, Cäfar), oder defto ſchneller ſtuͤrzt, 


. bei irgend einem Andrange von außen, die veraltete 


Staatsform der Ariftofratie ( Niederlande, Bern ,) 
und nicht felten mit ihr der Staat, felbft (Venedig) 


° gufammen. . 


32. | 

| 4 n h an 9». BE " 
Die Theofratie Der Bundesflant und 
Staatenbund, ä 


| Zu den feltenen gefchichelichen Erfcheinungen in 


Hinfiche der Negierungsform gehören: Die Theokr a⸗ 


tie, der Bundesſtaat und der Staatenbund. 


+ Die Theofratie beruht auf der Annahme, 
daß Gott felbft, dem alle endliche Wefen zu unbes 
dingtem Gehorfame verpflichter find, das unficht« 
bare Oberhaupt eines irdiſchen Staates fey, deflen 
Megentenftelle aber von einem endlihen Wefen 
vertreten werde, Allein wenn gleich, wohlverftan- 


' den, alle irbifhe Macht und Gewalt auf Sort zurück 


führe und von ihm ausgeht *); fo hat doch die Ges 


») Die im Mittelalter aufgefommene Sormel: Dei gratia, 
zuerft von den majoribus domus des Franfenreiches 
“gebraucht, war urfpränglih eine Gormel der Des 
muth, mie Ansdruf einer unmittelbar won Gott 





Staatstunf, 447 


fehichte gezeigt, daß alle theofratifche Regterungsfor- 
men eigentlich auf der Herrfchaft einer Priefter- 
ariftofratie beruhten, mit einem geiftlihen 
Dberhaupte aus ihrer Mitte an der Spige; daß 
eine ſolche Regierungsform urfprünglich nur bei 
Völkern, während bes Zeitraunms der Kindheit ihrer 
Eultur und politifchen Bildung, angetroffen wird, 
und mit dem Fortfchreiten in der Eultur und in den 
Bedingungen bes öffentlichen Staatslebens gewoͤhn⸗ 
lich in die monardifche Negierungsform (bisweilen 
mit Beibehaltung eines einflußreichen Priefterftandes 
in der Naͤhe des Regenten) übergeht (z. B. im alten 
. Yegypten). ‘ 

Recherches sur P’origine du despotisme oriental 
' et des superstitions, s. 1. 1762. 18. 


Der polisifhe Charakter eines Bundes ſta a⸗ 
tes beruht darauf, daß er aus miehrern einzelnen, 
an fich felbftftändigen, von einander unabhängen und 
nad) der Geftaltung ihres innern Staatslebens fehr 
verfchieden eingerichteten, Theilen befteht, die aber 
theils für die Leitung ber allgemeinen innern 
Ungelegenheiten des ganzen Zund:sftaates, theils 
für die Behauptung ihrer Stellung gegen das 
Ausland und für alle Unterhandlungen mit dem⸗ 





abgeleiteten Gewalt, — fo wis fih der Papſt den 
servum servorum nannte. — Vergl. Schloͤzers 
Staatsr. ©. 119 ff. „Sehr begreiflid würde der 
Schorfam des Menfhen gegen ein höheres Weſen, 
gar gegen die Gottheit felbft, ſeyn; dieſe menge 
ſich aber nicht mehr unmittelbar in das menſchliche 
Herrſcherweſen, und es geihehen Beine Wunder mehr. 
— Minos, Lycurg, Numa und Mahomed 
befahlen nichts, als was ihnen Jupiter, Apoll, bie 
&geria oder ein Engel eins und angesehen. haste.“ 


felben, “eine gemeinſchaftliche hoͤch ſte Regie- 


rung anerkennen, welcher in dieſen beiden Be— 
ziehungen die Regierungen der einzelnen Theile unter⸗ 
geordnet find. 3 Während alfo. jede einzelne Provinz 
ſich ſelbſt regiert: und verwaltet, fteht der Regierung 
des Ganzen das. Recht. des Krieges, bes Friedens, 
der allgemeinen Steuern, ber Mimze, der Ernen- 
nung der Staatsbeamten, der gemieinfchaftlichen Hee- 
resmacht, der Anlegung der Poften, tanbftraßen oder 
„öffentlichen Anftalten, und der Annahme und Erneg- 
nung ber Gefandten u. (So bie Schweiz, 
Nordamerifa und vormals die Niederlande) 
Dagegen Fündigt fih ein Staatenbund als 
eine voͤlkerrechtliche Berbindung, ohne ges 
- meinfchaftliches Regierungsoberhaupt,; an, in: wel- 
‚Hem alle einzelne Theile, nach der Geftaltung ihres 
innern $ebens, als ‚felbftftändige und voneinander un- 
‚abhängige Staaten nach allen Söuveraindtätsrechten, 
und, in Hinſicht auf Verfaffung, Regierung und Ver- 
waltung ,‚ nad) Grundfägen und Formen weſentlich 
von einahder verſchieden erſcheinen, die beshalb in 
Hinſicht auf die Innern. Berhältniffe nur für den 
‚gemeinfchaftlichen Anee ‘der Aufrechthaltung, der ins 
nern Ordnung, Sicherheit und Ruhe, in. Hinficht 
aber auf die äußern Verhaͤltniſſe zu "gemeinfchaft- 
‚licher Vertheidigung und Behaupfung aller ihrer durch 
‚ ‚Vertrag feſtgeſetzten Kechte gegen irgend einen geinde 
‚lichen Angriff aufs innigftg vereinigt find, (je B. ber 
teutfhbe Staatenbund). - \ 
:Joach. Erdin. Schmidt, Diss. de eivitatie ori- 
F civitatumquie systemate, exemplo reipublicae 
stavorum illustratis. Jen. 1745. 4. 
„"Ern Carol, Wieland, de systemüäte eivita- 
tun; in R- „opatwen scndem, Fascic: 1. Ghomnit. 


17908 I 22 * ..0% 0. 230 gl: x 


- 








Staatskunſft. 47 


ſchichte gezeigt, daß alle theokratiſche Regierungsfor⸗ 
men eigentlich auf der Herrſchaft einer Priefter- 
ariſtokratie beruhten, mit einem geiſtlichen 
Dberhaupte aus ihrer Mitte an der Spitze; daß 
eine ſolche Regierungsform urfprünglich nur bei 
Völkern, während des Zeitraums der Kindheit ihrer 
Cultur und politifchhen Bildung, angetroffen wird, 
und mit dem Fortfchreiten in der Eultur und in den 
Bedingungen bes öffentlihen Staatslebens gewoͤhn⸗ 
lich in die monardifche NRegierungsform (bisweilen 
mit Beibehaltung eines einflußreichen Priefterftandes 
in der Mahe des Regenten) übergeht (z. B. im alten 
. Yegypten). j 
Recherches sur l’origine du despotisme oriental 
‘ et des superstitions, s. ]. 2762. 18. 


Der politifche Charakter eines Bundes ſta a⸗ 
tes beruht darauf, daß er aus mehrern einzelnen, 
an fich felbftftändigen, von einander unabhängen und 
nach der Geftaltung ihres innern Staatslebens fehr 
verfchieden eingerichteten, Iheilen beftehe, die aber - 
theils für die feitung der allgemeinen innern 
Ungelegenheiten des ganzen Zund:sftaates, theils 
für die Behauptung ihrer Stellung gegen das 
Ausland und für alle Unterhanblungen mit den 





abgeleiteten Gewalt, — fo wie fih der Papſt den 
servum servorum nannte. — Vergl. Schloͤzers 
Staatsr. ©. 119 ff. „Sehr begreiflih würde der 
Schorfam des Menfhen gegen ein höheres Weſen, 
gar gegen die Gottheit felbft, ſeyn; biefe menge 
ſich aber nicht mehr unmittelbar in das menſchliche 
Herrſcherweſen, und es gefhehen eine Wunder mehr. 
— Minos, Lycurg, Numa und Mahomed 
befahlen nichts, als was ihnen Jupiter, Apoll, die 
Egeria oder ein Engel eins und angegeben. hatte.” 


40° Staastinfl: \ 


mehr zur republifanifchen‘, "als zut monarchifchen — 
Hingegen die gefitteten’und cultinitten Staa 
ten der. neuern.und neueften Zeit mehr zur mo⸗ 
narchifchen,, als zur repubtiteniſchen Regierungsform 
ſich Binneigen; Fi 
Ä H daß in neuern Zeiten. die Fepublifanifche 
Reglerungsform nur da ſich ‚behaupten Farin, Yo 
die Staaten aus Kolonieen erwachfen. und. zur 
Selbftftändigfeit gelangt find (wie 3.2. in Amerika); 
während in Staaten , wo das monarchiſche Deine 
auf einer feften geſchichtlichen Unterlage beruht 43. B. 
in England und in Frankreich), die republifänifche 
Regierungsform blos eine vorlbergeenbe Erfheinung 
bildete; 
5) daß namentlich der politifche Charakter der 
neueften Zeit in Europa das ‚Auflöfen . der bis 
zum Ende des 18ten Jahrhunderts im europaͤiſchen 
Staatenſyſtemme beſtandenen republikaniſchen. Regie⸗ 
rungsformen (z. B. in den Niederlanden, und in 
$ueca) ; ja; zum Theile-die Auflöfung der. Kepublifen 
felbft. (Benpdig, Genua, Ragufa) herbeiführte *)5. 
6) duß aber, nach dent Zeugniſſe der Geſchichte; 
beſonders der drei letzten Jahrhunderte, beide Re⸗ 
gierungsformen gleichzeitig neben einander in 
einzelnen Staaten deſſelben. Erbtheils beſtehen koͤnnen 
und beſtanden haben, ohne das allgemeine politiſche 
Gleichgewicht zu ſtoͤren, und: ſalbſt ohne bie Verbin⸗ 
Bug. monarchiſther und republifaniſcher Su⸗un zu 
gemeinſchaftuchen Ziwecken zu hindern/ 





— — — 


5) Br. Baskets, abee dns. s Berfgwinden der Repu⸗ 
bliken aus: der Reihe der surppäifchen Sragten: im 
f. Sournal für Teutſchland igi5, 2 126 3 





Staatskunſt. BE A 


men“ daß5rkut den Fortſchricken dord Wolter und 


Staaten in bet Cuttur uͤberhaupt, und namontlich in 
der Entwidelung ind neuen Geftaltung des öffent: 
tig en Seaktslebens; in vielen;Staaten und Reihen 
ie "unbefihtänfren: monarchiſchen Regierungsformen 
2* in beſch pä nete Ubergingen (in Gropbri- 
tannien, : Frankreich ,:Schneben ,. Normegen, Nu— 
detiand⸗ Spanien, Portugal u. RER .. 
ar :9) daß dire rb lich e Monarchie vor ber Wehl⸗ 
ini, und beſonders vor den ſogenannten Pactri⸗ 
(mentälreichen } ‚einen ehtfchledenen Vorzug. behauptet ; 
772 9 Daß ianter ben vepublifantfcyen Regie 
ungsformen die reine Demokratien zur Anarchie ;: je 
unbedingte Ariſtokratie zum Stillſtande des: potteffchen 
Lebens firhet:;- And nie die be pra ſent ati ve Demo⸗ 
kratie da beftegeh: kaun, wo fid (wie 3:D. In vorma⸗ 
det Kolonicen) aus det geſchichtlichen Unterlag es 
gängen Staakserganis mus hervaugeht ĩ s . T 
0) daß endlich die ſogenangten The⸗ kra⸗ 
een und Priefterftaaten nur eihzelne umd 
fettene geſchichtliche Erfcheinüngen find, die gewoͤhrn⸗ 
U — bei dem’ Fortfchreiten. ver Bötfet in dev. Eul⸗ 
die Lo Sin le monarchiſche Reglerungsform Ibei den 
An nn im preußifchen Drderleftgatende.) ich auf: 
ſo wie Au Aus. ganz andern geſchichtlichen 
——a GStuͤnden der Bundes ft& atilımd 
Ver Stadtenbund blos aus‘ganz.Örelichen undigek- 
gemaßen ————— pounchen Dafeyn gelan. 
gen können. Eu ale? 
2 u, foren N 5 25 214 
get 
“ De Re rwa tung, b. es EHRE als daß 
„ser Beſiandcheil ber Organiſation, baflelbepe.; 


= Die Verwultußgiſt heeſencce ach, bes Seas 


Mr. Ktantstund. 
 arganketıms:,. Busch" welchen alle Hauptbeftimmungen 
‚der Verfaflung und; alle aus demſalben mit Nothwen⸗ 
digkeit hervoxgehende Folgerungen „. wermittelft. Der 
:beftehenden Regierung , ins öffentliche Staats 
bebien treten; und in Dem fchben. ach alsen 
wu beſeſtigt werden. Die Verwaltung, muß 
-Böher, in der. Berfaffung begeuͤndet und.: jeher 
Hauptgegenftand her Wermaltung in einem vegan; 
Phan Mörfege des Staates außgeſprochen ſeyn; allein 
die Verwäirklichung aller-einzelnen Theile und - 
: Gegenftänbe ber. Berwaltung- hängt zunaͤchſt / und 
sinwittelbor. don der Regierung ad, melche des⸗ 
- «halb auch, in der Lehre von dem Gtagfsorganismuug, 
un der Mit te ftcht zwiſchen: Berfaflung und Ver⸗ 
waltung. Es darf mithin in der Verpaltung nichts 
gaſchehen, ahne das-Vorwiſſeen und den 
Willendes Regentenz es muß alles, was bie 
Verwaltung betrifft, ‚in feinem Nam en geſchehen 
-umd ausgefertigt werden; auch muß der Drganis- 
mus der Verwaltung, obgleich geſtuͤtzt auf-hie 
in der Werfeffüng: enthaltenen Gruͤndzuͤge, im Gan⸗ 
- zen wie im Einzeinem, von dem Ermeſſen bes Regen 
‚sen; als des Oberhaupts der nollziehenden Ge 
walt im Stagte, abhaͤngen. Sei, 
. me So wie aber-in allem, ;mas.hie. Staaesfun «if 
feellt, die Grundſaͤtze bes Rechts und hie: Regeln der 
‚Rhugheit. aufa innigſte verbunden; merben, mſſen; ſo 
‚anthe in der Fehre von der BBerwalsung.des Staates 
Denn nur ſehr wenige und einfache Grundſaͤtze hell 
die Vernunft, als rechtliche Bedingungen. für die 
innere und äußere Geftaltung der einzelnen Zweige 
und Theileꝰ der: · Verwaltung diuf) "Die: nielſten Vbr⸗ 
fchriften: fire ve zwockmaͤßlge Anbrdnung der Verwal⸗ 
Aug flamımen auschen Erfahrung uUnd Gefthirhte, und 





Staatskunſt. u 41 


my daB; ;. mie den Fortſchritten Der Volker und 
Staaten in der Euktur überhaupt, und namentlih.in 
der Entwidelung und neuen Geftaltung des öffent: 
Tihen Stautslebens, in vielen-Staaten und Reichen 
die unbeſchraͤnkten monarchiſchen Regierungsformen 
allmählig in beſch' Z nkte übergingen (in Großbri⸗ 
tannien, Frankreich, Schweden, Norwegen, Nie⸗ 
derland⸗ Spanien, Portugal u. a.) - : 

59 daß die-erblihe Monarchie vor der Bag. 
nibnardie, und befonders vor den ſogenannten Pacri⸗ 
montälreichen } j.einen ehtfchiedenen Vorzug. behauptet ; 
77 9) daß inter den vepublifanifchen Regie- 
rungsformen die reine Demofratie:zur Anarchie ,: die 
unbedingte Ariftofratie zum Stillftande des: polickichen 
Lebens führe, Und ntie'die Fepräfentative Demo⸗ 
kratie da befteheh. kann, wo fie! (wie z. B. In vorma- 
Tiger Kolonicen) aus der geſchichtlichen Unterlage des 
ganzen Stadtserganlsmus: Gedvangehegi ns 5 

40) daß endlich die ſogenantten Theofra- 
efeen und Priefterftaaten nur eihzelne md 
ſettene geſchichtliche Erſcheinungen find, Die. gemößn- 
lich — bei dem’ Sertfchreiten der Bälle i in der Cul⸗ 
fir "in die moriacchifche Regterumgsform (bei ven 
Bebräemn, im preußifchen Ordensſtaate x.) ſich auf⸗ 

ſo wie — Kur Aus ganz andern geſchichtlichen 
8* poliſſchen Stunden —— der Bundes ſta a und 
Ver Staatenbund blos aus ganz ortlichen und:zeit- 
geriägen Berpäteniffen‘ sum poieifchen Daſeyn getan. 
gen Fönnen. 2 

gr. 2 
34. u 
ee) Die Nerwaltung, bes Slaatea aldi 
„ter Beſtandtheil der Organifation; beflelben, > ; 
Die Verwultung! iſt derjenige Theil des Staate- 
29° 


42 Staatskunſt. 


rgantenm durch welchen alle Hauptbeftimmungen 
ber Verfaſſung und. alle aus demfelben-mit Nothwen⸗ 
digkeit hervorgehende Folgerungen, zn. vermittelſt der 
beſtehenden Regierung; ins öffentliche Staacs⸗ 
deben exeten; und in demfekben arhalsen 
irrd befeitigt werden Die. Berwaltung. muß 
daher in der. WVerfaffung begr N ndet. und.: jeder 
Hauptgegenftand der Bermaltung in einem vegan» 
:Fihe.n.Gefege des Staates auggefprochen, feyn; allein 
‚die. VWerwirklihung aller. ‚einzelnen Theile und - 
-Gegenftände der Verwaltung. hängt :zunächft: und 
unmittelbar. don der Regierung ab, melche des- 
- halb auch, Än.der Lehre von dem. Stagtsorganisug, 
in der Miste ftehr zroifhen:WVerfaflung und Mer- 
waltung. Es darf mithin in. der Verwaltung nichts 
gefhehen,. Ahne das Vorwiſſſen und,; den 
Billen. np Regentenz es muß alles, was hie 
Verwaltung besrifft,-;in feinem, Namen gefhehen 
-und -ausgefertige werben; auch.muß der Organis 
mus der Verwaltung, obgleich geſtuͤtzt auf⸗ hie 
in der Verfaſſung enshaltenen Gruͤndzuͤge, im Gan⸗ 
zen wie im Einzelnen;, von dem Ermeſſen des Regap- 
‚ten, als des Oberhaupts der vollziebenden Ge 
walt i im State, abhängen.  -- 

. mr So wie aber. in allem, was die Stantstunft.auf 
‚fee ‚ die Grundfäße des Rechts und die Negeln. der 
-Biugbeit aufa innigſte verbunden. werben, müffen ;. Kr) 
Anch in- Der Fehre von der. Berwalsung.bes Staates 
Denn nur fehr wenige und einfache Grundfäge; fteikt 
die Vernunft, als rechtliche Bedingungen für bie 
innere und äußere Geftaltung der einzelnen Zeige 
und" Theite: der Verwaltung aufs die melften Voͤr⸗ 
fhriften:firdte zweckmaͤhlgẽ Anordnung der Verwal: 
Aug: ſtammen aus der Erfahrung: und. Gefthishte, und 


Stantsfunik, | 453 
felof.diefe: allgemeinen Ergebüsffe:den:Sefihfichen 
wären; bei: ber:: Orgauiſation: der Verwaltung am 
jrdem gegebenen. Staate, gauyinadı deſſen beſom«, 
ern: und ört li chen Verhaͤltnifſen habı Beduͤrßo 
niſſen berüdfihrige werden P)Y. CR. Ad 2ısinm. > ) 


32 Fr u Fo sünnense 0. BR 762 4 aut ein 
—XR FR Des De 83": rue TUCH OBER IERLHRN 
G st 3 =) ig AD 
äuptt ee dern ‚Berk { 

gi pergeite — —— 


—* Verweicung bs. Stonterpinmirfein.fie pp 
den Regensten ‚' als Dem Dberhaupterder: wulllzi 
Gewalt ‚ausgeht, ; umfhliche heile: Biere 
Behörden: der. Verwaltung; .eh:eils:itieisokem 
einzelnen Theile ver Verwiadtu ng felbſtnach 
ihrem Innern nothwendigen Organismms ‚arbie rem 
sehtigteitsgflegejnbieidadi peiyı beein see 
zen⸗ und Bee me pn 
re Welkichen:tie Separstenft:fiigoht) in Hinfich®, 
auf. bie: Otganiſatlon der hoͤchſten VNerwaltuugsbehuͤral 
bar, abs: auch: in Hinſicht: her: jipecknaßigen Meſtil 
tung der vier einzelnen Theile der Staatcherwalnurgei 
zunoͤchſt. den oͤrtlichen und Bee pen Sntereflen 


tlg, an), Teii⸗ 


te gegen PER. 0 Ge⸗ 
Saar teya,, Beni! gi: Ohr ir seinen DStaate mie 


„200,009 Menſchen Pey * eben ſo eis 
"Mini A "wären, Ye Im Jette "Enaatd 
Bi Eidwohnenn oder went nt rim 
8 — beſondern — 
* In nmnen] uote ;(. * Kan: mans He 
on.: 6 ehe ER ] m 
er. * n 
gu: und x Kain, 56, 
IE ohne din a in einem &tdafe-von rule "it 1. 


Qi ——* kaymahinım: voerfadtet. * nö 


456 Staatcunſt 


ligen Amwachfest der meiſten veurepaiſchen Mitten 
nach dem Erwerbe und der Berkinbng: ningelgenvor- 
muls ſelbſtſtaͤndiger Kinder und Nropinzeng und auf 
den rechtlichen: · Bedingungendieſern: Erwerbnurgbe⸗ 
ſteht darin, daß jede: Proying des Staates ſhra beſon⸗ 
dere annore Geſtaltungo mit zeigenen Behüchem ;:rinfcht 
ſolten nelt:ainer eigenthuͤmlichen Menfaſſung mah heſon⸗ 
dern Geſetzem:behaͤlt, aſa; haß jede drinzelne Provanz 
gewiſſermaßen ein in ſich abgeſchloſſenes Ganzes bil- 
ber, dasımon:den, übrigen Thoilem deſſelben faates 
tefendi verſchieden ft, ‚und wodurch die Gefammt⸗ 
perwalhuhg des ganzen Seanebd nur als das Aggregat 
sieh At ee 
Dagegen: berubg daß. ‚Senssa ty kepp.i der 
Berdalamguaf einer gemeinſamen Verfaflung, we 
Ph offen B’Aufigeibifferr gerrettnfchafeliähenOrärdgefe gen - 
ante ei ehe eingen'des — daßnach 
—— nn GBegenſtaͤnde det, B attung 
nach ‚allgemeinen Beyishungenkde Dr. had sn Zus 
ſammenhangoraller -ftiger: ‚sderiader. Paligeir) oder 
aller Finanz» Behörden im ganzen Staate unter fi) 
vertheilt und. angeordnet,,\and ruͤckwaͤrts ion gewiflen 
hoͤchſten Behörden für; jedan, ein 
Zweig der age u Het rt Fe ne | 
Wenn auch das Provinzialfpftem in der Ver- 
— nirhtebe Jahrhunderte hindurch· ausveichen 
nnd fſeldſt zweckmaͤßig ſeyij kvnmtriz·rſo vermachte:cen 
doch nicht; bei: den geſteigerten Bedaͤrfniſſen: dermei⸗ 
ſten Sacchen, boi der llmahligiubenalt zur Herrſchaſt 
gekommenen Idee von der) nochwerdigen Giem hait 
des: E:twares ; und: beiden Vorgarige: moͤchtiger 
Staaten in Sinficht der: Anhahme des Centralſyſtema 
ſich im Ganzen laͤnger zu behaupten. Selbſt da, wo 
mean-in ·den einzelnen Proviazen bie auscfuuheen Zei 


Staatstunſt. 455 . 


5 Gnifpundte our; vorzüglich, geſchweige die befte 
7  feyey! menn ſich gleich denken laͤßt, daß, abge⸗ 
:ſehen don ber ihr. mangelnden Begründung und 
bei dem Abgange alles innern Zufammenhanges; 
* N Dröonung, Gewiſſenhaftigkeit und Beruͤck⸗ 
t:bfichtigung. der örtlichen und Zeitz Werhältniffe im 
*Einzelnen vermittelft einer gut organificfen Wer⸗ 
i welcung. manches geleiſtet werden kdnneli: .. ; 
arl Fr. v. Wiebeking, Vorfdläge zur Ein⸗ 
er: “eldtufig einer Staatsverwaltung im Allgemeinen und 
ae Verwaltungszweige ins befondere. Münd. 1815. 8 
—* (SFreih. v. Malchus), Darſtellung. des Drga 
nismus der Innern Staatsverwaltung und der Fors 

, men für die Gefhäftsbehandlung in derſeiben. 
7° Veiliigen. Deidelberg, 1880. 8. — Der ſelbe (und 
2. une ſeinem Nattien) der Organismus der. Behdre⸗ 
2.2 den’für die Gtaatsparmattung, 2’Bände. (der ar fit 
—* inge, det. zweite in 4. Formulare ‚enthaltend )r 


* Atideib .ıg21, - 

ur Karl Fr. With. Seräder, Sofern‘ der’ im 
=, ũern Staatsverwaltung und der Gefekpslitiß, she 
PB - unbeenbigt). Sein. 1818 — 20. 8. | 


Ä 36. 


Si Gelben Hanpitifeme in ber Orc 
IR „ verwaltung. 


Geſchicht⸗ und Staaskunſt ſtellen für bie: e Ber. 
— namentlihgrößerer Staaten, nur zwei 
wofprunglich weſentlich von einander verfchiedene, 
Haupitſyſteme auf:.das.der Provinztalyen 
waltung und das der Centralverwaltung 9). 
Das Eyſtem der. Provinzialverwaltung, 


Serußend auf dem gefchichtlichen Grunde des allmaͤh⸗ 
Be, «Mel us, der Organismus d. Behoͤrden ic. ©. 5 ff 


ur 
’ 


458 | Staatsbunſt⸗ 


tele lenng: Fazer: zevnannie Blntsbes 
x örden (Kteisgimmprleunt , Amtsehauptieute Land⸗ 
et) are Spitze ſtehen, bach: ſo, daß 
ihnen freigewaͤhlte Magiſtratsperſonen aus derPto- 
vinz mit berathender Stimme zugeordnet find ; die 
Centralverwaltung:gber ausſchließend in den 
Händen von Staqgsbeamten zußt ;nwelde der Re⸗ 
gent senennt, die aber nach den in der Verfaſſung 
e.tönthaltenent Beſtimmüngen⸗ außevi va Nigenten, 
Fed den Vettretern Due rier⸗ vrvautwortlich · fiud· 
2 Bei dieſem Syſteine beruht Tod Spädkalbin: Wer⸗ 
eng‘ surf! auf dev: cl in 
4 ser. il Mess. D SER WEHREN F 
35 4 J— urn 5 22 .115 Ba Su ER 3] 
1:2 geshäft. grordneter wäh, alen bei. ter all: am 
nwir@eratgdienge ‚nedrzei Zeitz, Hafendets wig, ſorijener 
Semeindeverfaffung,, die höhere hie ibn 





‚der. einzelnen ‚Mugielpafitäten ſich entfalten Ronnte 
“un —34 — His jetzt beruht hie: Strtedd yrietfhen 
Baer ou die sone Batth enden 
12] Ideserfaffungt; taßeln dad Mitt Ale ItER' DR Das 
— Haar in AN — F nicht 
wein dae Sher Aafkır. geltän ‚Eönnen, 
Mm "ine sie Tenkeilverne —— A * Ders 
BITFRTN ng der eihyeinen Miniſrendepartemenise — 
in 88 Airen Han Hy 6 Mir bir fahren Daran, 
tirol) Alena amaiınd en rim ung * per⸗ 
0 allen ar deß Ar Mao van — AH, 
a7. Ad sren. Spibe der rz We Kandın ee N ve 
te mfeig MERAN, vaft, a ER ebene 
“RBD Berkthung- Chei der Ohnmachtd e Eh — 
1 erdbie höͤhede Controué fehıse, ſo Aß vſt idil Ce n⸗ 
tralvermwaltung diefe Luͤcken nicht auszugleichen 
vermochte, — Es gehört teut ſchen Staaten (z. B. 
ieiayern, Wirtemterg.u, as’ dasn Nertdenft, 
riwgepe Mängel gefuͤhtt und rjegn zui haben doauch in 
IB den. fh; neuerlich eine Bemeindeordaung zur 
un: a betder Rammeinıgelommendzinn)S: 


N ı 1 utle 2 E73 1: mm * Aindid 
* Aus wir —— * 
sie. SON) €. ur. auf aipſe 
Weiſe bare de Stangen. n aſlen⸗ i n ze aA⸗ n 
Theilen amſchleßt, Ind die Kraͤfte Ser zu Gem 
di Zwecke da Anſcxuch mn —ERXI 
aburch das eomtemnerſoaie in Gate nanhne. 
a a een Een n e 
ſGoͤftzgumg verginfacht werden Fam 


in Pazmlanı ielp er mnktssnaaanelchnbiei —5 | 


use benfshaftlichen Sueszeilen ann Dahlifi 
. wabrnimmt ijnd qefriedigt, mie beſanberen in 
Bsp: aa 5 — —— — 


zs „sung, —52 Toy Wehe ner (ia 
—— Die: Mar eeltung ir tgate —* PR 
sahen, nach blas Anne am axtieg che⸗ 
—trieden Dexben Wenn ·hei per:sellegimhifirhe n 
1 NBehand hass Ans Verwalcung allen Mitgliedaguider 
Behr che ich maͤ Biaıas, Auh ſtiem d nttg s⸗ 
recht zukommt, und der Bias Ram Ber eberde 
blos primus inter pares ift, der die Angelegenheis 
sen vorträgt, leitet, und bei — der Stim⸗ 
Amen den Arsfldg gibt; CE Dahdf ine ra 
für zwei gilt); fo —— 9 Din ie Ver⸗ 
XX Figenh * Hit: Macglieder 
EL» —8* — — Kalt Dasiphrenae) 
e Machtmollı 


des Ganzen erfeint,, ‚ ver aus eigne 


alte und eng | 





458 Staatskunſt. 


ialver walvung hlagegon ernannte Siautsbe- 
Hörden ¶ Kreishauptleuse, Amtshauptieute,; Land⸗ 
ö väthe u. ſ. w.) ander Spitze ſtehen, doch: ſo, daß 
ihnen freigewaͤhlte Magiſtratsperſonen aus der Pro⸗ 
vinz mit berathender Stimme zugeordnet ſind; die 
Centralverwaltungaber ausſchließend in den 
Händen von Sfaasbeginten ruht welche ber Re⸗ 
gent ernennt, die aber, nach den in der Verfaſſung 

“ :enthaltenen Beitimmungen ;:anßer vem:Deßenten, 
ch den Vertretern des Welkus vevantwortlich find: 
Bei dieſem Syſteine beruhe !die Starke der · Ver- 
Waltung zuer ſt auf einer zweckmaͤßig :geſtalteten 












: gefhäft. georbneter war, als bei geht. dee 
sr Mbtaatsdiener nayexen Zeit, bafanders wie, bei jener 
Semeindeverfaffung,, die höhere Ölüche uhß Kraft 

j einen ‚Munieipalitäten fi entfaltän gonnte. 
“er bis jeht berinht Dir" GStarke dei Heitlifchen 
Berwaltungeforn auf bor Sort  beftchenden;@umdind 
beuerfafjung:; ‚allein bad: Mittslg Li ED Dia: Pro⸗ 
vingtalverfaffung ‚reiht in Großbritannien, - nicht 
wen Die. Operifig. ‚nicht ‚dafike. gelten ‚Körinen, 
ie Eenträlderwaltgng geher Auf ih“ dee Were 


SB Nıren Biand sek neuere Werfaiingen daran, 
Bit emeind euarwaltiung ganlich ver⸗ 
iseflen war, Bad, der Baovinlahmermalsung, 
Deren. Öpiße dey, Dr Fl fand... zwar nicht. die 
. — und Schneilttaft, adpk die eigentliche 
FO Beräthung, Cbei der ntitiade Ber-Ptäfwiukräche) 
nF 2m die höhere Conrkolie fehlse, fg Daß vin idie Cen⸗ 
tralvermwaltung diefe Läden nicht auszugleichen 
vermochte. — Es gehört teut ſchen Staaten (5.8. 
Bhzern, Wirtemkerg u. a5 dası Verhienft, 
Mofel Mängel gefühtsi und orſetzt zu: habenyrand in 
Baden iſt neuerlich eine Gemeindeordaung zur 
e Detathung beldır Rammern: gefommend: ıcn. I 

























f ‘ 
0 
‚ 
R , 
e Ah 
‘ . .. oo... 


au Dad nicht merfanne werden, ‚dafı,. mähnenb bie 
Merfaſſung als rin.unogränperliches Ganzes erfcheint, 


-.... 


angen Friehenszeit bie Vermehrung der hei einzelnen 
Mmyaltungszweigen angeftellten.. Beamten; wöthig 
wachen kann; eben-fo-Fönnen auch, nach dem. Willen 
des Regenten und nach dem Ermeſſen feiner Miniſten, 
walhe an der Spitze der gefammten Verwaltung 
ſtehenz, weſentliche Veraͤnderjngen in dem Organis⸗ 


art dee Verwaltung porgenommen werben. Deshalb 
‚A. Schwer, in .ber, Stantsfunft allgemeine 


Snundfäge für die Verwaltung aufzuftellen. Diefe 


Auuften:fih aber doch auf folgende zuruͤckfuͤhren laſſen: 


7. 43 Die. Berwaltung behanpte. dan Charakger. ds 
choͤch ſen Einfachheit, bewirkt. durch —— 
Ha. herechnete unde ausgemittelte Ineinandergreifen 
roller einzelnen Theile berlelbrn. 2 


=. 9) So viele Hauptzwe ige der Verwaitung 


weſentlich won; einander verſchieden find; fo 
irle Hauytarten. won. Anſtalten muͤſſen auch für pie 

Geſchaͤftsfuͤhrung beſtahen. — 
2332 Mean sigzelnen. Zweig der Verwaltung 


Purfen nur fovie la Behor hen und ſo viele Ber 
amut en baſtehen, elf, nach dan. topographiſchen, 


i 
DE . y® 
.,_,.o.o od ’ + 





s 


. 


4 en Tu an 

. .. ber Organismus: der Behoͤrden ıc. im Hermes, Gt, 

XV, ©. 193: ‚Rein Staat, der wirklich dei 

...,. Namen eines Staates verdient, kann ohne Berfah 

3 ang fe de Verfiaſſung-iſt aber die 
Richtſchnur der Verwaltung, und bdiefe 
die Ausfährung-den.erffern.” 


“ 


\ 


. ’«“ 
.“ \ . 


460 Staxistunftr 


pl nur: nach eigenem Gatdlinken Bier her 
Be Bechörderuhr ihten Rath befragt‘, ohne: fh: an 
3röhmfetben beisee: Eutſcheidung zu binden’; oder din 
= Stintmrecht’ eine Raͤthe anzuerfeninen,? ' Füe die 
werke des Staates hat die colte gia liſche De 

£ = teebting ber Breriwältinig mehr Sicherhett, Um⸗ 
fährt, aber a: ncher Langſamteit und. Wieite; 
> Pingegen idiorbaur oauar tig e Behandlung Andhe 
age und Kraft, ran Vaß iſte auch leicht / zur Ein, 
— 5 Oberflaͤchtichkeit und Willkaͤhr flihrt. 
Deeholb ſchemem beide ·Verwaltungsformen · we r⸗ 
nibsndien werben:zu muͤſſen, ſo Haß nämentlich dei 
allen Gegenſtoͤnden Ber: Gerech olgkedespfreg e 
| mple‘ bureduartige Werwaltung, Wölligiausg er 
ſchlofſfen bleibe, Bei: einzel-nen:-Aiseigen-ber 
PURE aber vis bibenuartige Gefchäftsfüßrting 
der Vorzug vor der callegialiſchen vetiang, boi-ber 
+ Bindnpwer waltung in der Berashung:der 
Gegenſtaͤnde die collegialiſche Betreibung,nbei 
Wer Ausfuͤ hrun g berfelden-ublR die burecurartige 
Anwendbar ſcheint, und. endlich = ind: Pefler Be⸗ 
gruͤndung! des Militatefyftemsim Staatdi— 
dieſes in der Berathung gleichfalls der collegiali⸗ 
ſchen Einrichtung ‚Zin’der Ausfühtäng 8 ber: buccau⸗ 
artigen Leicung bedarf, .. 


⸗ 
.. Brnser. .. > „. 
L % —* pr Sn 


| 38. 
Üligeneine, &runfäge ‚fie die Bermal 
ir" u. zung. —*— J in Bam he: 


Bahn eine Shransbetwalsung sh T Berfoffung 
Ihe feſten Unterläge: erdrangelr, und jedevinat die 
Verwaltung or ber Denfaffung. abpängigrit: 5 fo 
. — 
vzl Veral ven —* der ————— Por PN At us, 


K 5 > va u [ur eur  r] — ur wer u zs 


— em u sa u rn — 
! 


⸗ 
13 
‘ 
| fund: ah 
Li 


Sof dach, nicht erkannt erben, daß, woͤhnend die 
Merfaſſung als ein unvfraͤnderliches Ganzes erſcheint, 


6 Bermalkung, pam: vielen, örtlichen: und, Zeisbebärf- 


niffen abhängig, mithin im Einzelnen manchen Ver 
‚Auberungen untenmorfen: bleibt. So wie 3. ber 
beheusenbe Anwachs ber Palksvermehrung inzeiner 
langes Friedenszeit Die Permehrung der bei pinzelnen 
Mearmaltyugszweigen. ‚nngeftellten.. Beamten. hoͤthig 

en kanyız; eben.fo Fönnen auch, nach dem Wiüllen 
des Regenten und nach dem Ermeſſen feiner Minften, 
walihe an: der Spige..der gefammten Verwaltung 
ftehen;,; wefentliche Veraͤnderjngen in dem Organis⸗ 


ap der Barwaltung porgenommen werden. Deshalb 
.Afl68. Schwer, in der, Stantsfunft allgemeine 


— 


Enundfäge für die Verwaltung aufzuſtellen. Dieſe 
cuͤrften ſich aber hoch. anf folgende znchstführen laſſen: 
u 43 Die. Verwaltung behaupte. den Charakger. de 
chaͤch ſen Einfachheit, bewirkt. durch —— 
Sig. berechnete:unde ausgemittelte Ineinandergreifen 
(oder einzelnes: Theile berielben, TE urn 
9) So;viele.Hauptzweige ber Verwaltung 
weſentlich von einander verſchieden find; fo 
pirle Baupyarsen. von. Anftälten ‚müffen auch für pie 
Meſchaͤftsfuͤhrung beſtahen. —— 
SP MR Than gigzelnen Zweig ber, Verwaltung 


hurfen-nur foviele Behörbenundfoviele Be 


mt en. baſtehen, als, : noch den, topographiſchen, 
— α Zu 5 I mu 
*v N li 47 J 
... ber Organismus: der Behoͤrden ıc. im Hermes, Gt, 
XV, 8. 123: „Rein "Staat, der wirklich den 
..... Namen eines Staates verdient, kann ohne Berfaf 
> fang ea die Verfaffung:in aber die 
Richtſchnur der Verwaltung, und bdiefe 
die Ausfährung-der.erffiern.! vo. 


\ 


* 


MA Sa \ 


warben ſcheint, doch bunch. bie Spopteln. aus dem 
Volksvermoͤgen, und. zwar. auf einem weit willkuͤhr⸗ 
lichern Wege, als vermittelft.des von den Volfsver- 
tern. angenommenen und geprüften Budgets, ayf- 
getrieben pird. —D —— J 
TRITT IRB LT .. Ba rar 
u 1.396 . in En. 
Die hoͤchſten Behörden der Staats ver—⸗ 
a .1.. "Wwahtung.: tn, 


J tkee 


Dura I jr €* 
“ ‚3! !ıv 


‚ Unter ven hoͤchſten Behörden: ber ‚Staatsver- 
waltung werden diejenigen Mittelpuncte der Ver- 
waltung perftanden,,.a;n welche alle Angelegenheiten 
ber Verwaltung aus dem ganzen, Umfange des .Staa- 
tes gelangen, und in welchen dieſe Angelegenheiten 
forgfältig berathen, .entfghieden, ‚fe wie den - 
untergeorbiiefen Behoͤrden zur, Ausfuͤhrun g.mite 
gecheile werden. rer 
„Der Regent, als das Dberhanpe aller voll- 


GE IE 5 Bu ze 


und Willen. des Regenten, von einem einfeitigen oder 


oberflächlichen. Vortrage ‚der Gegenſtaͤnde ausgehen 








. Staatsfunft, ' \ | 405 


könnte; fo muß das Verhältniß dieſes befondern Ka⸗ 
binets gegen die eigentlichen Minifterien nach feften 
Grenzlinien beftimmt, und auch die Form des 
Gefchäftsganges bei Demfelben allgemein befannt feyn, 
weil das Materielle des Vortrags im Kabinette, 
feiner Natur nach, felten zur Publicität gelangen kann. 
Denn wenn entfchieden da, wo ein foldhes Kabinet be⸗ 
ſteht, die Seitung der auswärtigen Angelegenheiten, 
das Gefandtenwefen, die Familienverhältniffe des 
Regenten zu auswärtigen Dynaftieen, die Standes- 
erhöhungen, die Ordensverleihungen, die Begnadi- 
gungen, überhaupt fänmtliche Hof- und Gnaden- 
fohen, zum Gefchäftsfreife deffelben gehören; fo 
würde es doch bedenklich feyn, wenn durch Kabi⸗ 
netsbefehle in ben Gang und die Entfcheidungen 
der Gerechtigfeitspflege und der Finanzverwaltung 
eingegriffen, oder eine geheime Polizei angeord: 
net werden follte, nn ' 


Die mwefentlihen Höhften Behörden der Ver. 
waltung find: 

. 4) die einzelnen Minifterien, doc fo, 
daß die Minifter felbft, für die Gefammtangelegen- 
heiten des Staates und für die Bewirfung der Eiü- 
heit in den ihnen anvertrauten Hauptzweigen der. 
Verwaltung, ein Conſeil (einen geheimen Rath) 
unter dem Vorfige des Regenten, oder eines dazu von 
ihm ernannten Präfidenten (Staatsfanzlers) bilden. 

2) der Staatsrarh, bald als eine bera- 
thende, bald auch als eine entſcheidende Be— 
te⸗ geftiftet, nach: feinen Individuen in fo viele 

ectionen getheile, als Hauptzweige ber Verwal⸗ 
tung in einem gegebenen Staate felbftftändig organifire 
find, und hauptfächlic) dazu beftimmt, alle Gefegesvor> 
J. 30 


% 


1) 


466 Staatskunft. 


fchläge (melche entweder den Wolfsvertretern vorge 
legt, oder im Staate befannt gemacht werden follen), 
reiflih zu überlegen und zu bearbeitin. Wo ein 
Staatsrath mit die ſer Beſtimmung und mit diefer 
Stellung zu den übrigen Vermaltungsbehörden bes 
fteht, ift einge befondere fogenannte Gefeg- 


RK: smmmiffi on überflüffig. 


3) die Generalcontrolle®), als diejenige 
Behörde, welche über Die Beobachtung und Bewah— 
rung der Verfaffung und der Grundgefege des Staa- 
tes, über die gleichmäßige Vermwirflichung des ganzen 
Berwaltungsfoftems , und über afle in dem. innern 
Staatsleben mwahrgenommene Unvollkommenheiten , 
Luͤcken und Mängel zn wachen, namentlich aber bie 
Sinanzvermwaltung der frengften Auffihe zu 
unterwerfen hat: 

Neben diefen höchften Behörden ift in allen 
autofratifhen Staaten, und in verfaffungs- 
mäßigen Staaten, mo die Volksvertreter nicht 
in zwei Kammern zerfallen, ein Senat”), 
mit felbftftandigem Geſchaͤftskreiſe , erforderlich 


[—— mem 


H Wenn Einige, namentlich v. Malchus (am angef. 
Drte ©. 59.), eine Öberrehnnngstammer 
unter die hoͤchſten ſelbſtſtaͤndigen Verwaltungsber 
hörden aufnehmen; fo fcheint doc das, was dies 


⸗ 


ſelbe zu einer der Höchften Behörden erheben fönnte, 


‚da, wo eine Seneralconttolle beſteht, die ſer anzu⸗ 
gehören, und das, was ihr in finangieller Jin 
ficht egenthüntic ift , unter der Leitung des Finanz⸗ 
miniftertums ſtehen gu müffen. Mo dies aber der 
Fall iſt; da kann die Oberrechnungsfammer mit. den 


u genannten hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden nicht auf 


gleicher Linie ſtehen. 


*xx) Rußland hat einen machtigen und einflußreichen &es 


nat in ber Hauptſtadt als hoͤchſte Behoͤrde des 











Staatsfunft.: 467 


40. 
1) Die einzelnen Miniſterien. 


Nach der Grundlehre der Staatskunſt, daß das 
Leben eines jeden Staates in das innere und aͤußere 
zerfalle,, gibt es eigentlih nur zwei Minifterien: 
das für Die innern, und das für Die ausmwärti- 
gen Angelegenheiten. Allein, wenn auch) die Kräfte . 
Eines Staatsmannes bazu hinreichen, Die oberfte 
geitung aller zum Kreife der auswärtigen Ange 


Reiches; doch ward im Jahre 1810 neben ihm ein 
Reichsrath (Eonfeil) errichtet, der in die vier 
. Abtheilungen der Geſetzgebung, der Gerechtigkeits⸗ 
pflege, des Kriegswefens, und der innern Angeles . 
genheiten überhaupt (Aderbau, Fabriken, Handel, 
Finanzen, Schulwefen uud Medicinalangplegenheis 
ten) zerfällt. — Frankreich hatte von 1799 — 
1814, nad den Vorfchriften der vierten Verfaſſung, 
-einen fogenannten Erhaltungsfenat, deſſen 
verfaffungsmäßige Beftimmung von hoher Wichtig⸗ 
keit war, weil ihm zufand, aus dem Nationale 
verzeihniffe die Mitglieder des gefeßgebenden Körs 
pers, des Tribunars, des Conſulats, die Kaffationss 
ridyter und die Rechnungscommiffarien zu ernennen; 
alle Verhandlungen, die ihm als verfaffungswidrig 
von der Regierung oder vom Tribunate angezeigt 
wurden, zu beftätigen, odet gu vernichten, und die 
Verfaffung ſelbſt durch organiſche Senatuscoufulta 
zu ergänzen und zu verändern. Ob er nun gleich 
in fpäterer Zeit zunaͤchſt ein Werkzeug des kaifers 
Tihen Willens war; fo war doch feine politifche 
Stellung und Macht dadurch fehr gefihert, daß alle 
Senatorftellen leben slaͤnglich ertheilt wurden, 
und fein Senator abfeßbar war. — Seit der 
Einführung der conftitutionellen Charte (ıgı4) in 
Srantreich find die meiften Functionen des &enats 
Auf die Dairstammer Übergegangen. 
| | 30 * 





% 


466 Staatsfunft. 


fchläge (welche entweder den Molksvertretern vorge- 

legt, oder im Staate befannt gemacht werden follen), 

raͤfich zu uͤberlegen und zu bearbeitrn. Wo ein 

Staatsrath mit die ſer Beſtimmung und mit dieſer 

Stellung zu den ‚übrigen Verwaltungsbehoͤrden be 

fteht, ift eine befondere fogenannte Gefeg- 
commiffion überflüffig. 

3) die Generalcontrolle), als diejenige 

Behörde, welche uͤber die Beobachtung und Bewah—⸗ 

rung der Verfaſſung und der Grundgeſetze des Staa— 

tes , über die gleichmäßige Verwirklichung bes ganzen 

Bermwaltungsfuftems , und über alle in dem. innern 

Staatsleben Wahrgenommene "Unvollfommenpeiten , 

Süden und Mängel zn wachen, namentlid) aber bie 

Sinanzvermwaltung der frengften Aufſicht zu 

unterwerfen bat: 

Neben diefen höchften Behörden ift in allen 
autofratifhen Staaten, und in verfaffungs- 
mäßigen Staaten, mo die Wolfsvertreter nicht 
in zwei Kammern zerfallen, ein Senat”), 
mit felbftftändigem Gefehäftsfreife, erforderlich. 


en 


” Wenn Einige, namentlich v. Malchus (am angef. 
Drte ©. 59.), eine Öberrehnnngstammer 
unter die böchften ſelbſtſtaͤndigen Verwaltungsbe⸗ 

hoͤrden aufnehmen; fo ſcheint doch das, was dies 

2 ſelbe zu einer der hoͤchſten Behoͤrden erheben koͤnnte, 

da, wo eine Generalcontrolle beſteht, die ſer anzy⸗ 
gehören, und das, was ihr in finangielter Din: 
ſicht — iſt, unter der Leitung des Finanzs 
miniſteriums fiehen zu muͤffen. Wo dies aber der 
Fall iftz da kann die Oberrechnungskammer mit den 

J genaunten hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden nicht auf 

gleicher Linie ſtehen. 

**) Rußland hat einen maͤchtigen und einflußreichen © es 

nat in der Hauptſtadt his hoͤchſte Behoͤrde des 


+’ 





Staatsfunft.. 467 


— J 40. 
1) Die einzelnen Miniſterien. | 


Nach der Örundlehre der Staatsfunft, daß das 
Leben eines jeden Staates indasinnereund dußere_ 
zerfallt,, gibt es eigentlih nur zwei Minifterien: 
das für.die innern, und das für die auswärti- 
gen Angelegenheiten. Allein, wenn auch die Kräfte 
Eines Staatsmannes dazu hinreichen, die oberfte 


feitung aller zum Kreife der auswärtigen Anges - 


Y 


Reiches; doch warb im Jahre 1810 neben ihm ein 
Reichsrath (Eonfeil) errichtet, der in.die vier 

. Abtheilungen der Gefeßgebung, der Gerechtigkeits—⸗ 
pflege, des Kriegswefens, und der innern Angele⸗ 
gönheiten überhaupt (Aderbau, Fabriken, Handel, 
Finanzen, Sculwefen uud Medicinalangplegenheis 
gen) zerfällt. — Frankreich hatte von 1799 — 
1814, nad den Vorfchriften der vierten Verfaffung, 
-einen fogenannten Erhaltungsfenat, deffen 
verfaffungsmäßige Beſtimmung von hoher Wichtig⸗ 
tete war, weil ihm zuftand, aus dem National⸗ 
verzeichniffe. die Mitglieder des gefeßgebenden Körs 
pers, des Tribunass, des Conſulats, die Caſſations⸗ 
richter und die Rechnungscommiſſarien zu ernennen; ' 
alle Verhandlungen, die ihm als verfaffungswibdrig 
von der Regierung oder vom Tribunate angezeigt 
murden, zu beftätigen, oder zu vernichten, und die 
Verfaſſung ſelbſt durch organiihe Senatuscouſulta 
zu ergaͤnzen und zu veraͤndern. Ob er nun gleich 
in ſpaͤterer Zeit zunaͤchſt ein Werkzeug des kaiſer⸗ 
lichen Willens war; ſo war doch ſeine politiſche 
Stellung und Macht dadurch ſehr geſichert, daß alle 
Senatorſtellen leben slaͤnglich ertheilt wurden, 
und kein Senator abſetzbar war. — Seit der 
Einführung der conſtitutionellen Charte Cıgı4) in 
Srantreich find die meiften Kunctionen des Senats 

auf die. Pairskammer Übergegangen. 

| 30 * 


\ . , 
468 - Staatsfunft, 


legenheiten gehörenden Gegenftänbe zu führen; fo ift 
e8 doch bei jedem Staate, deflen Gefammtbevölferung 
über eine halbe Million fteige, niht mehr mög» 
ih, — und felbft da, wo die Bevölkerung nicht 
einmal diefe Zahl erreicht, nicht rathſam, — da 


‚ ein Einziger alle die verfchiedenen Hauptzweige, welche 


zum Minifterium des Innern gehören, und welche 
die ganze Wirffamfeit, Geftaltung und Fortbildung 
des innern Bolfslebens umfchließen, mit gleicher Sach⸗ 
fenntniß, Kraft und Thaͤtigkeit leite. Deshalb zer⸗ 
falle die Leitung des Innern in den größern Staa- 
ten gewöhnlich in folgende einzelne Minifteria: 


4) das Miniflerium bes Innern, im 
engern Sinne des Wortes. Ihm gehört die Auf: 
rechthaltung der Verfaſſung des Staates nad) ihrem 
ganzen Umfange und nad) allen ihren einzelnen Be⸗ 


- flimmungen; die Zeitung aller Mittheilungen jwifchen 
dem Regenten und den Volfsvertretern; die Verän- 


derungen in der geographifchen und flatiftifchen Ein» 
theilung des Staates nad) feinen Provinzen und Bes 
zirfen; die Oberaufficht über das gefammte Staats- 
eigenthum, und über afle für die Verwaltung im 


Innern angeftellte Behörden; die Beftimmung und 


zeitgemäße Derbefferung der innern Geftaltung afler 
diefer Behörden und ihres Gefchäftsfreifes; die Be— 
wahrung aller Oberhoheitsrechte des Regenten im Um- 
fange des Staates; die Oberauffiche über den Sand» 
und Bergbau, über die Forften, über die Gewerbe 
(Manufacturen und Sabrifen), uber den’ Handel, 
(über das fatiftifhe Bureau), über Kunftftraßen, 
Kanäle u. ſ. w. 


(Wenn in mittleern und fleinern Staaten nicht 
befondere Minifterien der Polizei und des Eul- 


! 





Staatskunſt. 469 


tu ⸗ lvieleicht ſelbſt des Hanbels ] beftehen , gehoͤ⸗ 
ren auch die Gegenftände Diefer Minifterien zum 
- Reffort des Minifters des Innern.) oo. 


Be 2) das Minifterium für die Gerechtig 
keitspflege. Von dem Juſtizminiſter hängt ab 
die Einrichtung und Vertheilung der Gerichte, die 
Ernennung und Beſoldung aller Beamten und die 
Ausmittelung und Verwendung aller Fonds fuͤr die 
Gerechtigkeitspflege, die Bewahrung der Rechte ſeines 
Departements gegen die Eingriffe andrer Staatsge⸗ 
walten (z. B. durch Kabinetsbefehle in Juſtizſachen, 
durch Errichtung: außerordentlicher Gerichtshoͤfe), 
und die Oberaufſicht uͤber die Anwendung des buͤrger⸗ 
lichen und Strafgeſetzbuches, des Handelsrechts und 
‘Des Geſetzbuches für das gerichtliche. Verfahren, ſo 
wie die Oberaufficht über die Gerichtshöfe aller In⸗ 
ftanzen, über ſaͤmmtliche Richter, über die Colliſio. 
nen unter den einzelnen Gerichtshöfen, "über afle 
Rechtsanwaͤlde u.f. mw. Selbſt bei der. Ausübung 
des Begnadigungsrechts von dem Megenten muß er 
zuvor gehört werden. — Allein nie darf der Juſtizmi⸗ 
nifter in die Ausfprüche der Gerichtshöfe und in den 
Gang bes gerichtlichen Verfahrens eigenmächtig ſich 
einmifhen, nie die Selbftftändigfeit und Unabhäns 
gigfeit des richterlichen Anſehens entweder felbft be⸗ 
ſchraͤnken oder befchränfen laflen, oder gar die Rich⸗ 
ter, welche dem Gefege und. ihrer Ueberzeugung folg- 
ten, beeinträchtigen und zuruͤckſetzen. Durchdrungen 
vonder Heiligkeit und Unabhängigkeit der Gerechtig⸗ 
feitspflege, muß der uftizminifter felbft das erfte 
und entfcheidende Beifpiel der ftrengften Anerfennung - 
diefer Heiligkeit und Unabhängigkeit geben. Denn 
wenn die bürgerliche Zreipeit und das Recht auf der 


\ 


50 Staatskunſt. 


Unverhruͤchlehkeit der Befolgung der Gefetze Berüße; 


ſo darf der Höchfte Staatsbeamte in dieſem Fache nie 
von der Entſcheidung der @efege difpenfiren, oder in 
biefer Entſcheidung willkuͤhrlich aͤndern. 


3) das Miniſterium der Polizei. Dem 
Polizeiminiſter — ſobald die Polizei nicht als Unter: 
theil des Minifteriums des Innern betrachtet wird — 
ſieht die Oberaufſicht und Leitung aller Behörden und 
Beamten zu, durch welche die öffeneliche Ord— 
nung und Sicherheit gehandhabt, und die Cul⸗ 
tur und Wohlfahrt aller Mitglieder des Staates 
befördert wird. Ihm gehört. daher — doch mit Ver: 
meidung der, nach allen Grundfäßen des Staats- 
vechts und der Staatskunft verwerflihen, geheimen 
Polizei — vie Aufrechthaltung der perfonlichen Frei 
beit, die Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, 
bie Aufſicht über die Fremden, über Gefangen⸗, Zucht⸗ 
Arbeits⸗ und Krankenhaͤuſer, über die Anſtalten fire 
Waiſen, Taubftumme, Blinde u. a., über Das ge- 
fammte Medicinafroefen, über die  Tfeater, Die Volks— 
vergnuͤgungen u. ſ. w. 


A) das Miniferium bes Cultus. Die⸗ 
fem ſteht da, wo es ſelbſtſtaͤndig organifirt und 
weder mit dem Minifterium des Innern noch mit dem 
ber Polizei verbunden ift, zumächft zu die oberfte Leis 
“ tung des Kirchen-, Schul» und Erziehungsmefens, 
die Anfteflung aller zu diefen Fächern berufenen Be: 
. amten, die Oberaufficht über das diefen Anftalten 
zukommende Eigenthum, und über afle milde Stiftun- 
. gen, fo mie über die Akademieen, gelehrten Gefellfchafs 
ten, Kunftanftatten, über den Buchhandel, über die 
Druckereien, über bie Prefle (deren Freiheit und 
deren Vergehen), über die erfjeinenden Schriften 


/ 








Staarokuuſt. | 4,1 
fm: (Doc) fönnen bie leßtgenannten Angelegen- 
heiten auch mit bem Minifterium her Polizei, hin- 
- gegen die Leitung des Medicinalwefens kann mit dei 
Minifterium des Eultus verbunden werden.) — 


5) das Minifterium der Flnanzen. Sp 
wie dem Finanzminiſter die Oberauflicht über Die Ver⸗ 
waltung der Domainen und Regalien Buftedt; fo hängt 
auch vor ihm ab die Entwerfung des ‘Budgets (Des 
Jahresbedarfs des Staates); und in conſtſtutionellen 
Staasen.die Verhandlung darüber mit den. Volksvet⸗ 
tretern, fo wie, nad) der Prüfung und Bewilligung 
‚des Budgets, das Ausſchreiben, die Vertheilung und 

Die Erhebung der directen und indirecten Steuern, 
die Anftellung, Seitung und Oberauffiht aller im 
Binanzfache arbeitenden Beamten und Behörden, und 
mie Verwendung der eingegangenen Syminen. na 
den; perfaflungsmäßig beſtimmten Bedürfniffen d 
Staates: Eben.fo führt er, fobald fuͤr dieſe Zweige 
Der Verwaltung ‚nicht felbftftändige Oberhehoͤrden bes 
dhaben, die Oberaufſicht über den Fenelichen Schaßz, 
Über die Banken, uͤber die Schulden ‚des Staates, 
über den Amortifationsfonds, und über die Penftonen. . 


12: HB): das Minifterium für. das Kriegs⸗ 

weign Don dem -Minifter des Krieggwefens ‚geht 
Die Anwendung der perfaffungsmäßigen Felkimmur 
sen. ans über die Yushebung her zur waffneten | 
Mache berufenen Mannfchaft, über die Bildüng, 

Diſciplin und Bewegung des ftehenden Heeres, nad) 
‚feinen-, verfchiedenen Theilen, nach Reſerve, Sand: 
mehr u. ſ. w., über die Vertheilung der bewaffneten 
‚Macht im Inlande nad) den Standquartieren, ‚über 
das Aufruͤcken im Dienfte, bie Leitung des General: 
Mabes., die Verpflegung des Heeres, die Sorge für 








472 Staatskunſt. 


die Feſtungen des Landes, die Aufſicht uͤber die Pul- 
‚verbereitung, über die Zeughäufer und Magazine, 
und über die Penfionen verabfchiebeter Krieger. Da- 
zu fommt, bei einem ausbrechenden Kriege, die oberfte 
teitung aller Bewegungen, allen. Verpflegung und 
Ergänzung des Heeres nad) feinen einzelnen Abrhei- 
dungen. on . 


7) Sobald “der Staat eine befondere Marine 
und Kolonieen befigt; fobald ift auch ein befon- 
deres Minifterium ber Marine und der 
Kolonteen. nöthig, weil deſſen Gefchäftskreis, 
megen feiner Eigenthuͤmlichkeit, mit- feinem andern 
Minifterium vereinigee werden kann. Zu ihm gehört 
die. Aufficht über die Bildung, Ausrüftung,, Beman- 
nung, Difeiplin und Bewegung der Flotten z. über 
Die Aushebung der Matrofen, über die Vorbereitung 

‚ber Marineofficiere, und ihr Aufruͤcken im Dienfte; 
und frber die Häfen, Sengbäufer ab Magazine'der 
Marine. Gleich wichtig iſt die Leitung ber politiſchen 
Berhälenife der’ Kolonieen zum Mutterlande, und 
die Oberaufficht uͤber die innere Verfaſſung und Ver⸗ 
waltung der Kolonieen. BEE Er 
+, INGE dem Miniſterium des Innern ſteht 
aber fogleih, nad) feiner hohen Wichtigkeit, das Mi- 
‚nifterium der auswärtigen. Angelegenpel- 
ten. Denn dieſem Miniftertum iſt nicht, blos: die 
‘Verbindung, ‚Gefhäftsführung und Unterhandlutig 
mit allen beim einheimifchen Staate angefteflten frem⸗ 
den Gefandten, fordern aud) die Leitung aller mit dem 
Auslande beſtehenden und anzufnüpfenden Verhaͤltniſſe 
durch die, demſelben Minifterium untergeordneten, 
‚Sefanbten und diplomatifchen Agenten bei ausmärti« 
gen Regierungen überlaffen. Es ift der Mittelpunct 


Staatstunſt. 473 


aller, aus der tiefſten · Kenntniß der Gaſchichte, Der 
Staatskunde und des Öffentlichen Staatsrechts her⸗ 
vorgehenden, Stantsweisheit:und Staatsklugheit, um 
die Rechte und dieWohlfahrt des einheimiſchen Staa⸗ 
tes in jeder einzelnen Beziehung zum Auslande, und 
nach ſeiner ganzen Stellung: im europaͤiſchen Staaten⸗ 
ſyſteme wahrzumchmen, fo,wie, durch die Verbindung 
. and: Wechſeiwarkung, bei inlaͤndiſchen Scaates mit 
den anders, die innere Kraft und vat aͤußere ;pokjtifche - 
Gewicht deſſelben zu erhalten und. möglichft zu ſteigern. 
I. Nach drtlichen und ländlichen Berhältriffen inuß 
„ beftimmt werben, ob’ im Staate ein beſonderes 
Minſterium für die Hausund Hoheitsfachen 
ben Regenctein beſtehen ſoll.“ Allerdings bleibt 
eß nicht ohne Einfluß aufs Ganze, ob die Hau s⸗ 
"angelegenheiten bed'Regenten dem Minſter 
x des Iunern, ober der auswaͤrtigen Yitgelegenheiten 
°" Jugethelte fd! ob Begnadigungen, Difpenfdtio- 
nen, Standiserhoͤhungen,Ordensverleihungen u. 
"Sn. vom Minifter des Innern abhängen wob das 
Münzweſen unter dem Finanzminiſter ſteht Y; u.a. 
— + Veberdasdräafipiunm im Minifterrathe Bann 
die Staatskunſt ‘im’ Allgemeinen - nichesfeſt⸗ 
u \ en. ' Denn ob ein Kanzler mit hoher Mache 
über allen Mitiftern ſtehen, oder ob einer der 
Miniſter lentideder nach perfoͤnlicher Kraft, bder 
nad) dem Dienſtalter) bleibender Praͤſident des 
STE TT Don . Ka en 
9) Der Rec. der Schrift von v. Dalhus:im Her 
mes, St. XVII, &, 133. erinnert: „Hat das 
Zinanzmintfterium die Muͤnze zu beforgen ;. fo wird 
man leicht Wefahr laufen, daf der Geift.der Fiſca⸗ 
litaͤt auch dabei nah einem Gewinne fircbe, der 
der Natur eines Hoheitsrechts widerfpridjt.”‘ 


I u BE | 
4 


22 


474 Staatskunſt. 


Miniſterraths ſeyn ſollez daruͤber miflentheils Die 
individuellen Eigenſchaſten des Regenten, cheils Die 
bbleibenden, ober außerordentlichen) Beduͤrfniſſe 
des Staates, theils Die gennueften Ruͤckſichten auf 
die gefammien innern und auswärtigen. Angelegen⸗ 

: :Helgew des Staates entſcheiden. Mur warnt. bie 
Beſchichte vor der Wilmacht;der. ſogenaunten Prie⸗ 
müerminiſter (Richelieu, Mazarin,Alberoni, 
Gore, weil durch fie Die Wirkſamkeit Der 
tr ibrigen Miniſter an der-Spige ihrer Departements 


theils mittelbar zu 


.20 


Wilh. Tgt. Krug, uͤber Einrichtung der oberſten 
Staatsbehoͤrden; in ſ. Kreuzs und Queerzuͤ⸗ 
m gen. S. 178: > BE N 
| 2) Der Staatsrath. : 
“Bon ben ‚geheimen Rathscollegiis, welche zu 


Staatstunſt. 473 


allen Zeiten und in allen gefitteren Staaten für die 
Berathung des Regenten über die wichtigften Staats⸗ 
angelegenheiten beftanden, ift ber Organismus eines 
Staatsrathes, im Sinne der Staatsfunft bes 
“ neunzehnten Jahrhunderts, wefenttich verſchieden. Zu⸗ 
nacht ſcheint er ein Beduͤrfniß für Staaten mit neuen 
Verfaflungen zu feyn,; befonders. wenn die Initiative 
ber Gefege dem Regenten ausfihließend, zuſteht, weil 
dann die den Staͤnden vorzulegenden Gefegesentmiiofe 
im Voraus mit großer Sorgfalt Bearbeiter und eoller 
gialifch geprüft werden müflen, Allein auch ba, mo. 
Sefegesvorfkhläge von den Volfsvertretern ausgegen 
Dürfen, muß die Prüfung derfelben, und Die Bera⸗ 
chung des Regenten über beren Annapme oder. Vers 
werfung, dem Staatsrathe zuſtehen. Die innere 
Geſtaltung des Staattzraths wird aber am zweckmaͤ⸗ 
ßigſten ſeyn, wenn er, nach feinem Perfonale und nach 
feiner Wirkſamkeit, für die einzelnen Gegenſtaͤnde it 
Sectionen-getheilt, und ganz unabhängig 
vonden Miniftern ift, indem feine Selbfikändigy 
keit erfordert wird, umin allen den Fällen, wowon ben 
Miniftern gefehlt werden dürfte, ein freimütbiges, 


Burch Feine Ruͤckſicht gebundenes Urtheil zu fällen. 


Wo Hingegender Staatsrarh blos aus der Geſammt ı 


heit: der: Minifter, höchftens mit einigen "beigefügten 
außerorbentlichen Mitgliedern, beſteht; da hat er nicht 
Die angegebene Beſtimmung ſondern nur die Auf⸗ 
gabe der Einheit zwiſchen den einzelnen Minifte- 
. rien zu ‚bewirfen. Der Staatsrath, wo er in der 
erften Beziehung befteht, erſcheint entweder blos als 
berathende, oder auch als entſcheidende Ober⸗ 
behoͤrde. 
Als beräthende Behoͤrde gehen cheils von 
ihm alle neue Geſetze aus, die in Angemeſſenheit 


— 


8 


⸗ 


476 Staatskunſt. 


zu er beſtehenden Verfaſſung in feiner Mitte bear- 


beitet und geprüft werden; theils fteht ihm das Recht 
der authentifhen Erflärung ber vorbande- 
nen Gefege zu; theils muß er fein Gutachten 
ertheilen über alle in der Verwaltung vorzunehmende 
MWeränderungen oder einzuführende neue Einrichtun- 
gen; theils die Verordnungen entwerfen, weldye das 
Eigentum, die perfönliche Freiheit, überhaupt die 


sohlerworbenen Rechte der Staatsbürger betreffen. 


Außerdem ift in einzelnen Staaten feine Beſtimmung 
auch. auf Die Berathung mit den. Ständeverfamm- 
kungen , auf die. Prüfung des Budgets u. a, erweitert, 
fo wie er überhaupt den Regenten in jedem Falle 
berathen muß, wo dieſer es verlangt. 
»2 Wo zugleich der Staatsrathb als entſchei— 
dende Behörde wirft, ift ihm theils die Entſchei— 
dung über innere Gegenſtaͤnde der Verwaltung (über 
Eollifionen zwifchen verfchiedenen Minifterien und 
beren Behörden, über die Unterfuchung des Berragens 
einzelner Staatsbeamten u. ſ. m.) übertragen; theils 
erfcheint er als richterliche Behörde in ſtreitigen 
Verwaltungsangelegenheiten, deren Entfcheidung nicht 
durch gewöhnliche Gerichte gefehehen kann; theils 
ats Recursbehörde in den Fällen, wo Staats» 
bürger oder Beamte durch Minifterialverfügungen in 
Ihren Rechten fi) gefränft halten, - | 
2.9 Malchus, der Organismus der Behörden ꝛc. 
©. 50 ff. 
Murhards politifhe Annalen, Jahrg. ıg21, 


. St. 13, ©. 65 ff. 


| 42. Ä 
3) Die Seneralcontrolle ° 


, Wo eine Generalcontrofle, als eine der höchften 








Staatskunſt. 477 


Staactsbehoͤrden beſteht, hat fie bie Beſtimmung, 

theils uͤber die Beobachtung und Erhaltung der, 
Verfaſſung und der Grundgeſetze des Staates, uͤber 
die gleichmäßige Verwirklichung des ganzen Verwal⸗ 
tungsſyſtems, und über alle im innern Staatsieben 
ſich anfündigende Unvollfommenheiten und Mängel 
- zu wachen, theils und zunächft die Finanz⸗- und 
Kaffenverwaltung zu controlliren., Der Zweck der 
Staatscontrolle ift daher befonders darauf gerichtet, 
daß die Staatseinnahme überall mit Umſicht; 
Sorgfalt und Treue verwaltet, und zur rechten Zeit 
erhoben, die Ausgabe auf das Nothwendige be= 
fhränft, die im Budget gefeglich beftätigten Sum- 
men nie überfchritten, und nie für andere Gegen» 
ftände, als wofuͤr fie bewilligt find, verwendet, und 
alle Kaffen von den Beamten in der ftrengften 
Ordnung gehalten werden. Dei biefer Beftimmung 
ver Generalcontrolle folge von felbft, daß fie, nach 
ihrer Stellung im Staatsorganismus, von allen 
Departementsminiftern unabhängig feyn 
muß, und biefen die Verpflichtung obliegt, alle Ab⸗ 
änderungen in den einzelnen Zweigen der Verwaltung, 
befonders inwiefern fie auf Einnahme oder Ausgabe, 
auf Vermehrung oder Verminderung bes Etats fi . 
beziehen, der Generalcontrolle mitzuteilen, fo wie. 

die Generalcontrolle berechtigt ift, von allen einzelnen 
höchften und untergeordneten Behörden diejenigen 


Aufflärungen zu verlangen, und im Staate — nal 


ihrer felbftftändigen Stellung — diejenigen Verfuͤ⸗ 
gungen zu treffen, welche zur wefentlichen Erfüls 


lung ihrer Beftimmung erfordert werden, 


v. Malchus, am angegef. Orte, ©. 56 ff. (wo 
auch, da bis jest blos in Preußen eine Gene 
valcontrolle in diefem Umfange durch die Kabinets⸗ 


- 


478. Staatskunſt. 


ordre vom 3. Nov. 1817 beſteht, die nähern 
Beſtimmungen derfelben in diefer Monardie voll 
ſtaͤndig entwickelt werden.) 

Fr. Buchholz, Iſt eine oberfte controllirende 
Behörde für den Staat nothwendig? und welches 
kann der Zweck einer folden Behörde feyn? inf. 
Journal für Teutfhland, 1818, Dt. ©. 
230 ff. 

' 
43. 


Ueber bie Berantmwortlichfeit der bochſten 
Staatsbehoͤrden. 


In einem Staate, deſſen innerer Organismus 
auf einer Verfaſſungsurkunbe beruht, iſt der Regent 
heilig, unverletzlich und unverantwortlid; da⸗ 
gegen iſt, nach den Ergebniſſen der Geſchichte, in 
allen ſeit 30 Jahren ins oͤffentliche Staatsleben ein- 
getretenen Verfaflungen, fo wie thbaffadhlich in der 
beiteifcehen, die. Berantwortlichfeie der höchften 
Staatsbehörden ausgefprochen. In mehreren Staaten 
iſt, durch befondere Gefege, diefe Verantwortlich— 
keit genauer beſtimmt worden, was um fo nöthiget 
iſt, Damit eines Theiles nie der Willkuͤhr der ſtaͤndi⸗ 
ſchen Kammern eine ungegruͤndete und leidenſchaftliche 
Anklage der hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden uͤberlaſſen 
bleibe, und andern Theiles auch nie von dieſen hoͤch— 
ften Behörden die ihnen anvertraute Macht zum Ver: 
derbhen des Staates gemißbraucht werbe. 

Wenn in den einzelnen , verfaffungsmäßigen 
Staaten die Art und Weife diefer Werantwortlichkeit 
ſehr verfchieden beſtimmt worden ift; fo fann auch 
die Staatskunſt nur im Allgemeinen dieſe Ver— 
antwortlichkeit, als weſentliche Bedingung, ausſpre⸗ 
(hen ‚Die Verwaltung i in genauefter Verbindung mit . 


re . 


Staatskunſt, | #9 


ber Verfaffung zu erhalten ; und dabei erinnern, daß 
indem beshalb zu erlaffenden Gefege jedem willkühr- 


lihen und launenhaften Angriffe von Seiten ber ftän» 


difhen: Kammern auf bie höchften Staatsbeamten 
nahdrädlich vorgebeugt werde. 5 

An ſich betrachter wird der fttlichguee, der tet: 
° fihe und feines Faches mähfige Mann ‚der feine- 
Amtspflicht erfüllt, und das Bewußtſeyn diefer Pflicht⸗ 
erfüllung in ſich träge, nie fi fheuen, verant- 
wortlich zu feyn, er ftehe hoch oder niedrig im Dienfte 
des Staates. Dazu fommen die Ergebniffe ver Ges 
ſchichte, eheils daß in unbefchränften Monarchieen 
‚die Pinifter ‚ obgleich ohne Verantwortlichfeit, ge⸗ 
woͤhnlich durch die Willfuhr des Regenten weit Häufi- 
ger wechſeln, unb nad) ihrer Entlaffung perſonlich 
weit härter dehanbelt worden find, als in conſtitutio-⸗ 
nellen Staaten (wozu, außer Eonfantinopel, auch 
ehriftliche Staaten älterer und neuerer Zeit ſehr 'ernft- 
hafte Beiſpiele liefern); theils daß in befchränften - 
Monardhieen verantwortliihe Minifter,.welche 
den Geift ihrer Zeit und ihres Volks verftanden, lei 
teten und zum Theile beherrfchten (3. B. Lord ChHa- 
tham, William. Pitt u. a.), die öffentliche Mei— 
nung und Achtung, ja die Bewunderung Des ganzen 
Europa für fich hatten, daß Niemand daran dachte, 
ſolche ausgezeichnete Männer zur Verantwortung zu 


‚ziehen; daß fie ihre Abfichten durch ihr perfönliches 


Gewicht weit ficherer erreichten, ‚als anderwärts.durd) 
Kabinetsbefehle, und daß felbft der Regent, dafern 
er einem ſolchen Miniſter perfönlich nice geneigt 
feyn follte, ihn doch nicht eneläßt, weil er durch die 
‚öffentliche: Meinung der Welt gehalten ı wird. Denn 
gewiß, ein verantwortlicher Minifter, der bie 
öffentliche Meinung: feines Voltes und des. iibrigen 


B \ 
⸗ 


480 Staatskunſt. | 


- gebildeten Euroͤpa für fih hat, der allgemein geach— 
tet, bewundert und geliebt ift, kann kein gewöhnlicher 
Mann feyn! . | u | 

Abasv. Fritsoh, minister peccans, Jen. 1674. 8 

J. Rey, de la responsabilitö des Agens du pou- 
voir d’spres nos loix actuelles. a Paris, 1818. 8. 
(Er weifet nad), daß, nad) dem Staatsrechte Frank: 
reihs, die weſentlichſten Puncte der miniſteriellen 
Verantwortlichkeit folgende find: Verrath; Toncuf 
ſion; Dienfinachläfjigkeit; verabfäumte Handhabung 
der Verfaffung ; ungefhäßte perfoͤnliche Freiheit der 

’ Staatsbürger; Beſchraͤnkung der politifchen Rechte 

der Bürger; Toalition mehrerer Staatsbeamten wis 
der Bürger, die unterdrädt werden follen; Ver⸗ 
fagung der richterlichen oder adminiftrativen Unter⸗ 
fuhung für den, -welcher ſolche zu feiner Rechtfer⸗ 
tigung verlangt ; Ausſchreitung in Amtsbefugniſſen; 
Geſchenknahme für Amtsgefchäfte; Unsreue in einer 
Dienſtpflicht und Verlegung des Pofigefermniffes)— 
Courvoiſier's Bericht im Namen einer Commifs 
fion über den Gefeßesentwurf wegen der minifte 
riellen Verantwortlichkeit, in Beziehung 
auf die Charte Ludwigs 18, f. in der Allg. Zeit. 
1819, N. 99. — 
Vergl. Friedrihs 2 hinterl. Werke, Th. 6, 
S. 51 ff., wo er ſich über das Schickſal der Stans 
ten erflärt, deren Fürften die Regierung ihren Mis 
“ niftern überlaffen; wobei nicht überfehen werden 
darf, daß der König dieſe Abhandlung feinem hoch⸗ 
verdienten Minifter v. Hertzberg zufandte, deffen 
Antwortfhreiben an den König (vom 27. Jan. 
1781) dem Auffaße des Königs daſelbſt vorgedrude 


v. Jakob (in f. Eint. in das Studium der 
©taatswiffenfhaften, ©. 217 f.) fagt: „Die Staates 

- weisheit raͤth, fehr vorfichtig und behutfam mit Ein 
rihtung neuer Ständeverfaffungen zu Werke zu 
"gehen; einftweilen aber da, wo nod feine gute 
Conſtitution im Gange ift, fo zu regieren, als ob 
die defte vorhanden wäre,. um: dadurch die Einfühs 


tung derſelben vworzubereitens -.Infonderheit - 4.) ‚die 
"Landescollegia fo zu orgähtfiren, daß ber 
Monarh von ihnen ſtets ein unpartheiiſches und 

=... fachlundiges Gutachten Aber alle Staatsangelegens 
beiten gewarteh- kann; 2) auch das Wolf in Eon 
., porationen aller Art einzutfreilen, und din 
“fen dag Recht zu geben, daf fie über jede öffentliche 


Staats kunſt. | 481 | 


"+" Angelegenheit, die zugleich auf ſte Beziehung hat, . 


ihre Urtheit, fo wie alte ihre Winfche, vor: den 
„..,nzhrog dringen koͤnnen; 3) die Publicitaͤt über 
Tales gu vetrfiarten, "was im Staate geſchieht 
und geſchehen ſoll, ſofern es nur nicht ſeinem —8— 
. nad geheim bleiben muß; 4) die Miniſter, fo 
"wie alle’ Staatsbeamte, ‚gegen jeden für.ihr 
Verfahren gegen ihn verantwortlich zu madyen; 
ms. Hjedem.Sndividuum und jeder Corpos 
ugerlen ggg Redt der Anklage wegen der 
Verlegung der Geſetze zu verflatten, wos 
2 vbei ausdruͤcklich Beſtimmt werden muß, daß Beru⸗ 
en dung auf Befehl des Manarchen den Diener nie 
von der Schuld befreit, wenn er nicht bewejſen 

. „Sana, daß dieſer Befehl gefeglih ‚war. 

an ser \ FR Keuo ne ' 


ar 


lt . — .. 
a . “ . 44. 
A) Die Gerechtigkeitspflege, als erſter 
7° Haupttheil-der Staatsverwaltung. 
RT , 0 3 


3 


öffentlichen -Anftalten für die, Anwendung der recht—⸗ 


Staatsyerwaltung zur Staatsfunft gehört, die fteig, 
Ruͤckſicht auf die Wohlfahrt der einzelnen Staatsbuͤr- 
fezt aus dem Staatsrechte (Staatsr. $.34. und 35.J. 
> F ) 6 


fi re Die Gerechtigfeitsoflege iſt | der: Inbegriff affer 


s 


482 Stoaatskunſt. 


die rechtlich organiſirte richter liche Gewalt vor- 
aus, welche zwar an die ihr vorausgehende gefeßge- 
bende Gewalt gebunden ift, und mit der gefeßgeben- 
den und vollziehenden Gewalt nicht auf gleich Hohe 
Linie der politifhen Hierarchie geftelle werben kann, 
welche aber, nad ihrer Wirffamfeit, völlig felbft« 
Banbie und unabhangig feyn muß. - 


Im Allgemeinen beruht die Gerechtigkeitspflege 
auf vier großen Grundfägen : 
’ 1) Vor dem Gefege find alle Staats- 
buͤrger gleich; 

2) fein Staatsbürger darf feinem 

“ natürlihden Richter entzogen werden; 

3)derrihterlihe Ausfprud iftfireng 
: anbdie vorhandenen Geſetz buͤcher gebun- 
: Den; _ 

4) der rihferlihe Stand ift, Tünerhatb 
feiner durch das Geſetz beſtimmten Grenzen, felbft- 
ftändig, und von jedem andern Theile der Staats» 

. verwaltung unabhängig. : (Das Prädicat.der 
Unverantwortlichkeit kann ihm nur in dem 
Sinne beigelegt werden, als jede höchfte und 
hohe Berwaltungsbehörde nicht zur Berantwortung 
gezogen werben konn, fobald fie innerhalb der von 
- den Geſetzen beftimmten Örenzen bleibt.) 


Der erfte diefer vier Grundfäge ſchließt an fih 
jeden privilegirten Gerichtsftand,, und jede Ausübung, 
einer befondern Gerichtsbarkeit von einzelnen bevors 
rechteten Staatsbürgern aus. Alle, aus Schonung. 
gegen früher beftandene Verhältniffe, . beibehaltene 

Einrichtungen diefer Arc fönnen von der Staatsfunft 
wur geduldet, nie gerechtfertigt werden, und bebütfen 


r 


“ 


Stoaatskunſt. . 483 


einer allmähligen Zuruͤckfuͤhrung auf die einzig 


rechtlichen Unterlagen der Gerechtigkeitspflege *), 


Der jweite- diefer Grundfäge verlangt, daß 


nur die rechtlich organifieten, Gerichtshoͤfe, nie aber 
für befendere Fälle und gewiſſe Individuen außeror- 





*) Die Patrimontalgerihtsbarkeit, weiche da, 


wo fie noch beſteht, theils aufs firengfie vom Staate 
eontroflirt,, theils in ihren Gebrechen (3. DB. bes 
häufigen Entfpringenlaffens der Gefangenen, ber 
Uebertrsibung der Sporteln u. a.) unerbittlich bes 
handelt, theils nach ihrer freiwilligen Weberlaffung 
an den Staat (wie 3. B. häufig in der preußifchen 


[4 


Monarihte gefhicht) möglihft erleichtert werden . 


muß, — iſt eine Folge des Lehnsſyſtems nnd des 


Leibeigenthums, und dasjenige grundherrliche Recht, 


nach weihem der ErbsLehns und Gerichtsherr feis 
nen Unterthbanen durd einen vom Staate genehs 


migten Nechteverftändigen (Serichtsverwalter) Net - 


ſprechen, und in peinlichen‘ Fällen den Verbrecher 
in -erfiet Behörde verurtheilen faffen kann. Die 


Vortheile der Patrimonialgerichtsbarkeit berehen +) _ 


in den Gerichtéfporteln; 2) in den Laudemiaigefällen 
(Lehnswaare), einer zehn Procent betragenden Abs 
"gäbe vom Werthe des Gutes bei einer Beſitzveraͤn⸗ 
derung durch Verkauf oder Vererbung; 3) in den 
Zaͤhlgeldern, ein Procene vom Kaufſchillivg; 4) im 
Uuens oder Angerrechte, nach welchem alle neuans 
gebaute, Erdſtecke im Dorfe und in der Dorfflur, 
deren Eigenthum von Andern nicht erwieſen iſt, 
dem Gutsheren gehoͤren. — Die Patrimontalges 
richtsbarkeit ift aber, ſobald Die Juſtizverwal⸗ 


. tung afs ein Ausftluß der Souveratnetät 


betrachten wird, nach kaatsrechtlichen Begriffen uns 


en Vergl. die gegen die Patrimonialgerichts⸗ 


arkeit gerfärtete Schrift: Meer Die NMothwens - 


Digfeig und Einrichtung einer collegias 


ginliſchen und öffentiihen Rechtspflege. 


Lelpzig, 1819. & u 
| | 31" 


ASt Staatsfunft. 


dentli gebildete Gerichtsſtellen ( Prevotalgerichte,, 
Militaircommiſſionen), über jeden einzelnen Fafl ent- 
fcheiden, und daß jeher Staatsbürger die Behoͤrden 

im Voraus kennt, deren Ausfpruche er unterworfen iſt. 
Der dritte diefer Grundfüße kann nur dann 

in feinem ganzen Umfange verwirflicht werden, wenn 

alle Geſetz bücher. des Staates (zunächft das bür- 

gerliche, das Strafgefegbuch,das Handels» 

veht, und das Gefegbudh fur Das gericht. 

liche Verfahren) dem erreichten Grade der Eultur 

des Volkes , der Verfaffung des Staates, der eigen- 

ehümlichen Negierungsform deffelben, und der,auf 

der Verfaffung beruhenden Verwaltung, des Ganzen 

völig angemeffen find. Deraltete, lüdenvolle, 

in verfchiedenen Zeitaltern ungleichartig und unzu- 
fammenhängend in ſich erganzte, Geſetzbuͤcher find 

.eine Geifel für das innere Staatsleben, und bieten 
‚die nachtheiligfte und folgenreichfle Veranlaffung dar, 
daß die Gerichtshöfe in ihren Urtheilen und Entſchei— 

dungen willführlih von den beftehenden (unbrauch- 
baren) Gefegen fich entfernen. Deshalb haben auch 

mehrere der wichtigften Staaten (Frankreich, Deft- 

reich, Preußen u.a.) neue Gefegbücher erhalten, und 

bei andern werden fie vorbereitet. ‘Denn eben darin, 

daß, nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, die Eultur 

der Völfer und Staaten unfrer Zeit im Ganzen 
ungleich höher fteht, als die Cultur der hochgefeiere- 

ften Volker und Staaten des Alterthums, wo immer 
nur Einzelne weit über ihr Wolf und ihre Zeit 
bervorragten; eben darin befteht der entfhiedene 
Beruf unfrer Zeit für eine neue, in fid 
jufammenbängende, und die gefteigerten 
Bedürfniffe der gereiften Voͤlker befrie- 
digende, GÖefesgebung. Dazu kommt, baß 


L 








Staatstunfl. 485 


erſt die neueſte Zeit zu der Idee einer Philofepbie. 
Der Geſetzgebung fich erhob , die aber. noch nicht 
vollſtaͤndig verwirklicht worden if, weil die Theorie 
der Gefeggebung zuvor zu einer wiffenfhaft- 
kiher Form ausgeprägt werben muß, ehe fie den 
Maasſtab fuͤr alle in der Wirklichkeit beſtehende 
oͤffentliche und Priyatgefege eben fo enthalten 
. Bann.,‚wie Das Natur» und Staatsrecht den Maas- 

ſtab fir. alles poſitive Recht. Denn nach der Geſchichte 
beſtanden Jahrtauſende hindurch poſitive Geſetze, be« 
vor man ‘über biefelben philoſophirte *) Soll aber 


*y Di⸗ griechiſchen Philoſophen gingen bei der Phi⸗ | 
:" fofophie über Gefeßgebung von: einem fehr befchränts 
ter Standpunste aus, weil fie weder die Rechte 
der Menfchheit, noch den Begriff der in jedem vers 
nünftig : finnlidyen Wefen enthaltenen Würde beruͤck⸗ 
ſichtigten. Sie betrachteten den Staat zunaͤchſt ‚als 
eine: Familie, wo fi alles nad .dam Ermefien des 
Hausvaters richten. muß. Selbſt Plate folgt’ in 
dem Werte von der Republik der Hauptanfidt, 
2 daß dur die Einrichtungen des Staates die Bitten 
: veredelt werden follen, womit feine Scheift von 
. den Sefegen übereinkimmt, nur daß dabei die 
Indwiduen immer. als Werkzeuge betrachtet werden, 
welche des Ganzen wegen da find, Die Zrags 
- mente der Potitit des Ariſtoteles beziehen fi 
zunaͤchſt auf die oͤffentliche, nicht auf die Privat⸗ 
gefetzgebung. Die Roͤmer endlich, ſo vollſtaͤndig 
Nr auch ihre Geſetzgebung befonders. in Hinſicht des 
ECErvilrechts iſt, harten feinen Dann in ihrer Mitte, 
dev ſich zu einer Philofophie der Geſetzgebung, zu 
einer Wiſſenſchaft der pofitiven Sefepe erhoben hätte; 
>. denn.Kirero.tin dem Werte von den Geſetzen 
J folgt ganz der Anſicht der Griechen, die er auf die 
»Seſetze der roͤmiſchen Republik anwandte. (Vgl. 
daruber v. Jakobs Einl. in d. Studium der Staats⸗ 
u... wiffenſchaften, S. 243 ff.) Erſt durch Montes⸗ 


486 ESltoaatskunſt. 


‘ 


eine pofitive (d. h. eine von einer fouverainen Mache 
gegebene und auf einen beftimmten Staat berechnete) 


(EEE 





quieu, Filangieri, Sac. Sigism. Bed, 3a 
hariäu.a. (vgl. Staatsr. $. 27.) iſt das Bedärf 
niß einer Dhilofophe_der Geſetzgebung ans 
geregt, und theilweife befriedigt worden. — Wer 
nicht unbeilbar an der blindeften Bewunderung des: 
Alterthums darnieder liegt, weiß, daß die Völker 
unferer Zeit — durch das Ehriftenthum, durd viele 
pofitive rechtlihe Formen, durch die allgemein vers 
breitete Buchdruckerei, durch die großen Fortfchritte 
in allen Wiffenfhaften, durch den Welthandel, und 
dur die genauefte Wechſelwirkung unter den eins 
zelnen Theilen des europäifchen Staatenſyſtems forts 
gebilder, — in Hinficht aller einzelnen Bedingungen 
menſchlicher Eultur unendlich höher ftehen, als bie 
Völker des Alterthums, und daß deshalb auch die 
Geſetzbuͤcher der alten Reihe und Staaten nur 
Aggregate aus verfchiedenen Zeitaltern, und feine 
innere organifhe Einheit enthalten. Deshalb ließ 
fih auch die Verirrung eines geiftreihen Mannes, 
der unfrer:Zeit den Beruf für Geſetzgebung abſprach 
(v. Savigny, vom Derufe unferer Zeit für Geſetz⸗ 
gebung und Rechtswiſſenſchaft. Heidelb. 1815. 8.), 
nur aus feiner Vorliebe für das Zeitalter des Theo⸗ 
dofius und Juſtinian erklären. — Ganz anders 
urtheilte darüber ein Mann, der gleichfalls fein 
‚ Stimmrecht über das römifhe Reche hinreichend 
beurfunder dat: A. 3. J. Thibaut, aber die 
Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts 
für Teutſchland. Heidelb. 1814. 8. „Das canıs 
nifhe Redt, fo weit es nicht auf die katholiſche 
Kirchenverfaffung , fondern auf andere bürgerliche 
Einrichtungen gehet, ift nicht des Nennens 
werth; ein Haufe dunkler, verftüämmelter, unvolls 
ftändiger Bekimmungen, zum Theile durch fchlechte 
Anfichten der alten Ausleger des römifchen Rechts 
veranfaßt, und fo deſpotiſch tn Auſehung des Eins 


 Steatstunii« 487 


Geſetzgebung als rechtlich begründet, in fich zuſam⸗ 
menhängend und Das ganze Leben im Staate erfchd« _ 


e 


vor 
.. 


‘ 
. 
D 


Auffes der geiſtlichen Macht ayf. weltliche Angelegene _ 
heiten, daß kein weifer, Regent ſich ganz denfelben. 
fügen kann. Die legte und hauptfädlichte Reqhtan 
quelle Bleibt daher das roͤmiſche Geſetzbuſch, 

alfo das Werk einer uns fehr ungleihen . 
fremden Mation, aus der Periode doK 
tteffien Verfalls derfelben, die Spurgin, 
dDiefes Verfalls auf jeder Seite an fi 
tragend. Man muß gany in leidenfhaftliger 
Einfetrigteit befangen feyn, wenn man die Teutſchen 
wegen der Annahme diefes mißrarhenen Werkes gluͤck⸗ 


‚ Itch preiſet, und deffen fernere Beibehaltung im Ernte 


anempfiehlt. Die ganze CompHatton. tft zu dunkel, 
za flüchtig gearbeitet, und der mahre Schläffel dazu: 
wird uns ewig fehlen; denn wir befißen nicht die 


: eömifhen Voiksideen, welche den Nämern 
unendlich vieles Leicht - verftändlich machen mußten. 


Was aber vor allem dem roͤmiſchen Rechte entgegen 
ſteht, ift Die innere Schlechtigkeit feiner 
meiſten Beſtimmungen, befonders in Beziehung 


- auf Tentfhland. — Der Bürger wird immer darauf 


beftehen Dürfen, daß er. nicht für den Juriſten ges 


2 Schaffen ift, fo wentg als für die Lehrer der- This 


rurgie, um an: fi lebendigen: Leibes anstomifche 


WVerſuche anfelfen zu laſſen. Alle eure Gelehr⸗ 


‘. 
.t 0. 


Y 


⸗. 
Le 


. 9, 


ſamkeit, alle.eure Bartanten und Eonjecturen ,. alles . 
‚dies bat dee friedliche Sicherheit nes Bürgers taus 
fendfältig geſtoͤrt, und nur den Anmwälden die Tafhen 


: gefüllt. Man vergleiche nur die Ammwälde in’ Eng 
land, wo man durch römifche Mitekthümer und Das 


ttanten wenig. geängftigt- wire, mit’ unfern beiobten 


Rechtsſreunden. Dort ift alles Leben und Triiche 


Eigenehhmtichkeis,, während bei une in: den wmeiften 
Ländern alles auf hoͤlzerne Füße geſtellt iſt. — Für 
‚Wohlredenheit., für Gewandtheit int Angreifer und 
Vertheidigen, für Ausblldumg bed Talente, einer 


rs Staatsfunft, 


pfend erfchienen ; fo muß fie, nach ihren legten Grün« 
den, auf die ewigen Geſetze der Vernunft 
(auf das Naturrecht) fich ftüßen ; fie muß Recht und 
MWohlfahre als die beiden höchften Bedingungen 
aller Geſetze fefthalten; fie muß im ber Verf affung 
Den ‚Staates die einfachen Grundfäge des öffent- 
lichen Rechts, nad) Bürgertum, Ständen’ des 
Wolkg, Regenten, Volfsvertretern und ſaͤmmtlichen 
Verwaltungsformen aufſtellen, und dann im Prr.is 
vatrechte, in ſtrengſter Angemeſſenheit :zum 
Rechtsſache gleich vom Anfange an den beſten Wurf 
zu geben; für die Kunſt, Geſchaͤfte vorſichtig eins 
zurichten; für dialektiſche Schärfe und Schnellkraft; 
für dies Alles kann bei der gelehrten Ueber 
57. füllung nichts Genuͤgendes geſchehen.“ — Gegen 
9. Savigny's Anſicht erklärte fh auch Arn. Mal 
linckrodt, in dem Auffage: über den Beruf uns 
3: ferer. Zeit zur Geſetzgebung, in .der Nemefis, 
"41,8. 4. St. ©. 499 ffe — Geiftvoll behandelte 
“  :diefen Gegenſtand Fr. Buchholz, Über den Werth 
pt: dep buͤrgerlichen Geſetzbuͤcher neuerer Zeit, in f. 
0 Journale Teutſchland, 1817, Th. 1, ©. 215 ff. — 
"7 E86 ſey bier enlaubt, an das Urtheil eines Mannes 
sg erinnern, der nocd feine Ahrung von der Frage 
bee den Bebuf-und dag Beduͤrfniß unferer Zeit 
r für neue Gefeßbücher hatte. Acheuwall fagt in 
2.5 Staatsklugheit (4te Aufl. Goͤtt. 1779. & 
®&,68): „Es kann zur offenbaren: Ungerechtigkeit 
ausſchlagen, eim fremdes Gaſetzbuch neben dem eins 
heimiſchen, "oder auch miti-deffen: Aufhebung „ eins 
— zufuͤhren. Und noch unſchicklicher iſt es, mehrere 
fremdeGeſetzbuͤcher zugleich neben- den einheimiſchen 
*  Werordnungen und Gewohnheiten gelten zu laffen. 
"88 iſt alsdann weit zurrägliher, ein 
 etgenesneues Geſetzbuſch, allenfalls mit 
a: Züziehung -ausländifchenr: Seſesbther, 
2112 v.et fartigen zulaſſen. . 


— 


Staatsfunft. 489 


Ä sffentlichen: ‚Kate; damit kein ine zwiſchen 


beiden entſtehe, ale ei inzelne Gefeße für das bürgar« 
liche Leben, für die Verbrechen und. Vergehen ur hs 
vollſtaͤndig entwickeln, womit Die Öefepgebung für dag 
gerichtliche Verfahren und den: Progeß tn der gern 
Ren Verbindung. ſteht. 


. Der vierte Grundſatz endlich, "welchen: ‚Sie . 


Selbfiffändigfeit und Unabhaͤngigkeit des 


vichterlichenStandes, innerhalb der Grenzen ‚feines 


Urtheile nach ihrer fieengften Angemeffenheit zu dey 


beftehenden Gefegen, ausfpricht, ift durchaus erforder⸗ | 
lich, wenn das Recht ohne Menfchenfurdt, mit maͤnn⸗ 
licher Würde und Freimütbigfeit, und ohne Einmis 
{hung höherer Behörden — felbft Des an der Spige 
der Gerechtigkeitspflege ſtehenden Juſtizminiſters — 
geſprochen werden ſoll. Denn da der einſichtsvollſte 
Richter Menſch bleibe; jo kann ein Wink, eine Weis 
fung, eine Drohung, oder auch eine ihm zur ſchnellen 
Beförderung gemachte Ausſicht von oben, nicht felten 
auf fein richterliches Urtheil mehr Einfluß haben „als 
er felbft meint. . Darum verlangt es die Würde des 
Staates und die, Heiligkeit des Rechts, daß das Richt 
teramt ſelbſiſtändis und d unabhaͤngig je. Bra 


4. u " J 
s—ortfetzung— 3 
Soll aber die Gerechtigkeitspflege ihren Charat⸗ | 


ter.der Selbftftändigfeit und Unabhängigkeit behaup⸗ 


ten; fo mus fie aud) — außer den bereits ($ 44.) 
aufgeftellten Bedingungen — von der Polizei 


‚und der Sinanzverwaltungi in jeder Beziehung 


vollig getrennt, feyn. Denn jeber Hauptzweig der . 


Verwaltung verlangt eine eigne: geinbliche Borberei- ⸗ 


= 


490 Staatskunſt. 


tung auf: das kunftig zu ahernchmende Amt; und 
nimmt, bei dem Eintritte.in daſſelbe, Die ganze Keaft: 
eines Mannes: in Anſpruch. Dazu kommt, daß die. 
Gerechtigkeitspflege nach ihrem großen Geſchaͤfts⸗ 
kreiſe, fo weit von den. Eigenthuͤmlichkeiten der Poli⸗ 
zei- und der Finanzverwaltung abliegt, daß, ohne 
Nachcheil fuͤr das Ganze und ohne einfeitige Ueber- 
tragung des befondern Charakters ber einen Verwal- 
kung auf die andere, bie Verbindung derfelben in 
Einem Individuum faft nicht gedacht werden kann. 
"Sb nun gleich die Einrichtung des inneren Orga⸗ 
nismus der Gerechtigkeitspflege , theils in Hinfiche 
ber verfchiedenen richterlichen nftanzen: und Behoͤr⸗ 
den, theils in Hinfiche des gerichtlichen Verfahrens, 
— ſo wie die Verfaffung des Staates felbft — mit 
der naͤchſten Vergangenheit des Staates zufammen- 
hängen, und alfo auf einer gefhichtlichen Unterlage 


beruhen, zugleich aber auch den erreichten Grad der 


Cultur des Volks, das im Staate lebt, zunaͤchſt be- 


ruͤckſichtigen und mit den einzelnen Beſtimmungen 
. der Verfaſſung i in genauefter Verbindung ftehen muß; 


ſo läße ſich Doch im Allgemeinen, nad) den Zeug 


niſſen der Geſchichte, namentlich in Beziehung. auf 


Großbritannien ‚ Sranfreich und einige andere Staa⸗ 
ten mit ftellvertretenden Verfaſſungen, für die Staats⸗ 
kunſt feftfegen: daß Die auffteigende Drdnung der Be⸗ 
hoͤrden für die Gerechtigfeitspflege durch Friedens» 


richter, Bezirksgerichte, Appellations— 


ge richte und durch ein Caſſationsgericht, fo 
wie die Einfuͤhrung der Geſchwornengerichte, 

namentlich für die Enefcheidung der Preßvergehen und 
fin die Ausmittelung des Schuldig oder Unfchuldig bei 


"peinlichen. Anlagen , in Verbindung mit der Einfüß- 


tung ber Oeffentlichkeit bes gerichtlichen Werfah- 


+ 


Stoasstunfe 4 


rens und der mündlichen Verhandlung, bas Weſen 
einer Gerechtigkeitspflege erſchoͤpfe, die mit einer neu-⸗ 
eingefuͤhrten ſtellvertretenden Verfaſſung in genqueſter 
Verbindung ſteht. Wo aber, wegen der ſchonenden 
Ruͤckſicht auf die beſtehenden Verhaͤltniſſe, der bis⸗ 
herige Gang der Gerechtigkeitspflege nicht durchgrei⸗ 
fend verändert-werden kann und ſoll; da dürfte doch 
wenigſtens Die Einführung von Friedensrichtern, 
von Geſchwornengerichten und des mind 
lichen Verfahrens zunaͤchſt in ſtrafrechtlichen 
Faͤllen, den Fortſchritten der Voͤlker und den Fort— 
ſchritten der Geſetzgebung und der Gerechtigkeitspflege 
angemeſſen ſeyn, womit nythmendig auch eine. neue 
Organiſation des Advocatenſtandes, und..Die 
Voruͤbung ber Fünftigen Mitglieder deffelben ‚in per 
mündlihen. Beredfamfeit nothwendig in Vers 
Bindung fteßen müßte *, _. en 
Nuur in einem voflfländigen Spfteme der Staats» 
kunſt Eönnen Die im $. zur Sprache gebrachten Ges , 
genftände,, worüber die Meinungen noch fehr ge- 
theilt find, erſchoͤpfend nach ihrem Für und Wider _ 
: behandelt werden. . Hier kann nur angedeufet mer⸗ 
;. den, Daß Die Sriedensgerichte in Großbritan— 
rien und Frankreich als fehr heilfame Anftalten, 
weitlaͤufige Proceffe zu. verhüten, laͤngſt ſich bes 
waͤhrt haben. — In Staaten mit flellvertretender * _ 
Verfaſſung wird der Caffationshof als der 
- Schlußftein in dem Organismus der Juftizbehör- 





— — d 
x 


*) F. W. B. v. Ramdohr, über die Organiſation des 
Advocatenſtandes in monarchiſchen Staaten. Han⸗ 

nover, 1801. 8. — Karl Sal. Zaharid, Ans. 
léirung“ zur gerichtlichen Beredſamkeit. Heidelb. 

1810, 8. : , tn " run 


ed 


492 Staatsfunft. 


' den, und als die Bedingung einer wirffich gur- 
und gleihförmig im wahren Geifte des Gefeges 
: wirkenden Rechtspflege betrachtet. Seine Beftim- 
mung iſt die Erhaltung ber Unverlegbarfeit der 
Geſetze, fo wohl in der Form und Materie, als in 
ber geordneten Competenz ber Gerichte. Er ent- 
—ſcheidet daher nicht über Tharfachen; er fegt unter 
“den Partheien die ftreitenden Rechte und Verbind- 
lichkeiten nicht feſt; dies thun die Inſtanzgerichte, 
an welche, nach der Caffation eines Urtheils, Die 
Sache zur andermeitigen Entfcheidung gewiefen 
wird. Er caffirt blos Urtbeile, welche gegen 
"das Elare Geſetz verftoßen, oder daffelbe offenbar 
- unrichtig auslegen oder anivenden, und macht feine 
Entſcheidung oͤffentlich bekannt. 

In Beziehung auf die Geſchwornengerichte 
und die Oeffentlichkeit der Rechtspflege 
“if es bemerkenswerth, daß mehrere Denker fuͤr 
beide zugleich, als zwei weſentlich zuſammen⸗ 
häangende Theile — andre hingegen für die Deffent- 
ichkeit, allein gegen die Geſchwornengerichte — 
"und wieder andere fuͤr das Geſchwornengerichti in 
peinlichen und die Preßvergehen betreffenden, ni ich t 

aber in buͤrgerlichen Faͤllen ſich erklaͤren; ſo wie 
wieder einige fuͤr die Beibehaltung der Geſchwor⸗ 
nengerichte da, wo fie bereits eingeführt find, ftim- 
‘men, und nur der Einführung derfelben da, wo fie 
mnoch "nicht beſtehen, abgeneigs find. — Geſchicht 
lich gewiß iſt es, daß da, wo die Geſchwornenge— 
richte beſtehen, die öffentliche Meinung für. fie 
ſpricht; allein vor Einführung derfelben,, "wo fie 
» noch fehlen, verdienen allerdings eine gengue Be— 
 eielfichtigung: 4) der Grad der Cultur eines Vol- 
kes und der Volfscharafter 2 2) die Defpaffenpeit 


— — — — -— — — — .m — X | — — — — — 


Staatskunſt. 493 


des im Staate geltenden Safgefegbudet, ‚and 


3) die poliifchen und bürgerlichen Verhältniffe 
des Landes. Dies HEFT. A.Mittermaier’s 
Anſicht in feiner Schrift: die öffentliche mündliche 


Strafrechtspflege und das Gefchtwornengeriche, in 
Dergleihung mit dem.teutfchen Strafverfahren, 


Landsh. 1819. 8. S. 46 ff. — Unter den vielen 
Ä Schriften fuͤr die Oeffentlichkeit des Verfahrens 
und fuͤr das Geſchwornengericht zeichnet ſich durch 


Tiefe der philoſophiſchen Forſchung, geſchichtliche 
Ergruͤndung der Vergangenheit, durch politiſchen 


Tact und Ernſt und Sreimüchigkeit der Darftellung 


aus: das Gutachten der (preußifchen ) Im—⸗ 
mediat-Juſtiz-Commiſſion über das 
Geſchwornengericht. Berl, s.a. (1818.) Sol. 
(vergl, mit Welfers Rec: in den Heidelb. Jahrb. 
1818, St. 50. — 52. und mit M. C. F. W. Graͤ⸗ 
vells Prüfung der Gutachten, der fon. preuß. Im⸗ 


mediat-Juſtiz⸗-Commiſſion am Rheine über bie 
- dortigen Suftizeinrichtungen. 2 Thle. $pz. 1819.) — 
.. Unter. den Gegnern des Geſchwornengerichts, und 


zum Theile auch des muͤndlichen Verfahrens, iſt 
der ſcharfſinnigſte: Anſelm v. Feuerbach, Be- 
trachtungen über Das Geſchwornengericht, Landsh. 


41813. 8. womit deſſen rklaͤrung über feine ans 
geblich geänderte Weberzeugung in Anfehung der 


Gefhwornengerichte, Erl. 1819. 8. fo wie deſſen 
neuefte (etwas breitgehaltene) Schrift: Betrachtun- 
gen über bie Deffentlichkeit und Muͤndlichkeit der 
Öerechtigkeitspflege, Gießen, 1821. 8., mit dies 
fem Werfe aber nothwendig Mittermaier’ 8 


- Prüfung deffelben in den Heidelb. Jahrb. 


1822, Febr. verglichen werden muß. Sehr 
wahr bemerke Mittermaier: „die Deffentlich- 


49. Staatskunſt. J 


lichkeit iſt nicht wegen des PDublicums 
allein da. Dies ift bie untergeordnete 
Ruͤckſicht. Der Angeflagte hat ein Ur 
recht, die Zeugen zu ſehen und zu hören. 
Die wahre Deffentlichkeit befteht eben darin, daß 
das erfennende Gericht den Totaleindrud der gan» 
zen Verhandlungen erhält, und daß nur auf die 
vor dem Gerichte abgelegten Ausfagen das Urtheil 
‚gebaut wird. — Die Deffentlichfeit des Werfah- 
rens verlangt organifche Gefeßgebung; fie ift mit 
einer Verfaſſung unverträglich,,. in welcher die 
Juſtiz noch nicht von ber übrigen Verwaltung ge- 
trennt if. Eine halbe Oeffentlichkeit ift aber 
ſchlechter, als gar feine, weil fie das Volk taͤuſcht.“ 
— Feuerbach iſt in feinem Werke nicht für die. 
Oeffentlichkeit der Worunterfuhung; nur nah 
. gefchloffenem, urkundlich beglaubigtem Beweisver- 
fahren foll der Angeflagte feinen Richtern gegen 
über geftellt, und hier auf den Grund der geführten 
u Hauptunterfuchung öffentlich angeflagt und ver 
theidige werden. — Dagegen erinnert Mit 
termaier: ‚Ein foldhes Schlußverbör : wäre 
"dann bloße Förmlichfeit. Auch beim Vorver⸗ 
“ fahren foll Deffentlichfeie fenn; denn ber Ange- 
ſchuldigte ift, wenn er verhaftet wird, der nöthi- 
gen Ruhe des Geiftes beraubt, von ver Berathung 
der Rechtsgelehrten abgeſchnitten, den Haͤnden 
eines im Ameseifer leicht ercedirenden Beamten 
Preis gegeben, ben Folgen der geiftigen Folter; 
ach kommt darin bie Aufnahme von Beweifen 
| welche fpäter benugt werden. Es wäre daher 
2 das’ franzöftfche Gefeg. vom 9. Oet. 1789 anzu= 
wenden, nad; welchen jeber Buͤrger ven dem 
Augenblick an, wo er verheftet wird, das Reqhe 


— “a - —. 0.» -. 
‘ 


. m — 11 Ir m SE 


un wü- 


| Staatskunſt. | 495 


Bat, ſich Vertheidiger zu wählen, welche frei mit 
ihm fid unterhalten dürfen ;. der Vertheidiger darf 
bei allen Zeugenverhören zugegen feyn, und dem 


Richter am Ende die nöthigen Bemerkungen ma- 


hen.’ Doch mobificirt Mittermaier dies ſelbſt 


CHeivelb. Jahrb. 1822, Sept. ©. 874.) dahin, 


„Daß bei allen verwidelten Sachen der:münd» 


“ "lichen Verhandlungen ein ſchriftlich es Bo r⸗ 


verfahren vorausgehen müffe, weil es 
fonft den erftern an einer Grundlage fehlt.” — 


. Die Schrift v. Hazzi's über die Standpunrte 


ber .bayrifhen Verfaſſungsurkunde von 1818. 


. München, 1819. 8. hatte gerüge, daß die neue 


bayrifche Verfaffung nirgends der Einführung der 


oͤffentlichen Gerechrigfeitspflege und des Geſchwor⸗ 
nengerichts gedenke. Diefem Uetheile tra: R.Sah 


Zahariä, in f. Peufung der Hazzi'ſchen 


.. Schrift (Heidelb. Jahrb. 1819, Mai, ©. 449 fe) 


mif der Erflärumg cei, daß er beide Einrichtungen 
‚mit dem Geifte einer Verfaſſung, welche Abgeord⸗ 
‚ nete des Volkes zur Theilnahme an der Öefeßge- 


bung berufe,, für fo mefentlich verbunden halte, 


daß er eine Verfaffung diefer Art‘, wenn ihr jene 


E 2 


“Einrichtungen fehlen, nur als ein GeBäube betrach⸗ 


..gen. fonne, welches in feinen weſentlichſten Theile 


noch unvollendet ſey. Als Gewährsmänner dafür 
dürfe man nur die Britten anführen. Doch 
bemerft Zahariä fehr richtig, daß man, Bevor 


man zur Aufnahme der Gefchwornengerichte fchreite,. 


‚ ‚vor allen Dingen mit der in England beftehen- 


2 


den Verfaſſung dieſes Gerichts, (nicht blos 
mit der franzöſiſchen Jury,) beſonders 


mit dem Geſchwornengerichte für bürgerliche 


" Rechtsſachen ſich bekannt machen muͤſſe. Zacha⸗ 


490 Staatskunſt. 


. Fir: ift feiner Anficht von.dem mündlichen Verfah- 


u _.+* 
“ 


44 


. weſentlichſten Triebfedern der. 


⸗ 


L 


u 


> 


ren und den Geſchwornengerichten aud) in ſ. wich— 


‚tigen . Beurtheilung ber Schriften über Fonks 
- Proceß - (Heidelb. Jahrb. Erganzungspeft 
„822.). treu geblieben. — Wie aber der. brittis 
ſche Minifter Fox die Geſchwornengerichte betrach« 
tete, erhellt aus feiner Erklärung: „Moͤchten 
‚ meine $andsleute nie vergeffen, daß die belden 

Erpalcung buͤrger⸗ 
licher und politiſcher Freiheit in der Stellver⸗ 
tretung derMation durchdas Mediumder 
Kammer der Gemeinen, und in der Stell- 
‚ vertretung der richteriichen Macht des 
Volkes durch die Geſchwornen beſtehen.“ 


Aus der Maſſe von Schriften über die Gerechtig⸗ 


keitspflege koͤnnen in ber Staatskunſt, wo dieſer Ge— 
nftand blos als einer ber vier Zweige der Verwal⸗ 
ung betrachtet wird, nur die wichrigern neuern auf 
geführe werden: 


% - 4 


J. Ern. a Globig, censura ic:  !icialis Euro- 
pae liberae, praesertim Germaniae, novis legum 
ezemplis illustrata. 2 Tom. Lips. ı1820.5q..8, 

Karl Srolmann, Theorie des gerichtlichen Ver⸗ 


— fabrens in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten. Gießen, 


ı800. 8. 
Ernſt Wild. v. Reibnitz, Verſuch über das 
"Speal einer Gerichtsordnung. Berl. 1815. 8. 
Han. Rudhart, über die Verwaltung der Juſtiz 
durch die adminiftrativen Behörden. Würzb.. 1817. 
8.. (iſt gegen Gönner und diejenigen gerichtet, 
welhe den Grundfag aufftellen, daß alle Sadyen, 
bei welhen die Staateverwaltung intereffitt ſey, 
der Cognition der gerichtlihen Behörden entzogen, 
und den abminiftrativen zugetheitt werden muͤſſen.) 


Paul Bigand, neues Joſt ematiſches Handbuch 


Sept. ©. 381 ff.) 


Staatskunſt. - 497 


- für die Friedensrichter des Königreiches Weſtphalen. 


Goͤtt. 1813. 8. | 


EEE Zu 


Richard Pbillips, on the powers and.duties 
of Juries, end on the criminal laws of England, 


Ed. 2. London, 1813. 8. (zunähft für das brit⸗ 


tifhe Geſchwornengericht. — Vergl. Gött. Anz. 
1815, ©t. 193.) 

Cottu, de l’administration de la justice cri- ' 
minelle en Angleterre et de l’esprit. du gouverne- 
ment anglais. Paris, ı820. 8. J n 

C. J. v. Sparre⸗Wangenheim, Aber Ges 
ſchwornengerichte und das Verfahren in peinlichen 
Sachen. Leipz. 1819. 8. (gegen) 

Theod. Joh. Joſeph Lenzen, Handbuch für die 


, Sefhwornen bei den Kriminalgerichten ober Affifens 


böfen. Köln, 1821. 8. 

(Vergl. 3ſchokke's Weberlieferungen, 1851, | 
ee zu | 

3.9. Brewer, über das Öffentliche Verfahren 

dor Serie. Köln, 1818. 8. (unaͤchſt gegen euer 


bad.) 


€. v. Dalwigt, Auch ein Wort über die Aus 
wendbarkeit der mündlichen äffentlihen Rechtspflege 
bei bürgerlichen Rechtsſachen in Teutfchland. Frkf. 
am M. 1818. 8. 

Bender, über das muͤndliche und Öffentliche Ver⸗ 


‚ fahren in Eriminalfahen. Kaflel, 1821. 8. 


E. W. H. v. Drais, Geſchichte der Badifchen 
Gerichtshoͤfe neuerer Zeit. Mannh. 1821. 8. (gegen) 
Weberfiht des mündlich » Öffentlichen Verfahrens in 
Eivils und Ertminalfahen. Mit befonderer Hinſicht 
auf den bayrifchen Mheinkreis. Non einem Juſtiz⸗ 
beamten daſelbſt. Frankenthal u. Mannh. 1821. 8. 
Die öffentliche mündliche Rechtspflege im bayriſchen 
Nheinkreife. Frkf. am M. 1822. g. 
Hieher gehört auch die Abhandlung und Prüfung ' 


medrerer en: über die Oeffentlichteit 


2 32 


% 


498 Staatskunſt. 


x . 


und Mandlichkeit der Rechtspflege, von 
nämlidh über das Sefhwornengeridht in 
Eriminalfadhen; im Hermes XI, ©. ı ff 

. und über bie Deffentligteit und Münds 
lichkeit der GerechtigkeitspflegeinCivii— 
fagen; Hermes XIV, ©. 135 ff. 


46. 
b) Die Polizei, als zweiter Haupttheil der 
| Staatsverwaltung. 


Waͤhrend in allen gefitteten Staaten Polizeian⸗ 
ſtalten und Polizeibehoͤrden beſtehen, und die neuere 
und neueſte Seit fogar das politifche Ungeheuer der 
geheimen Polizei (des Seitenftücs zur Inquiſi⸗ 
tion) erlebte, ſtreiten noch die Theoretiker uͤber den 
Begriff, den Inhalt und den Umfang der Polizei. 
Dieſer wiſſenſchaftliche Streit trifft aber weniger die 
Gegenſtaͤnde ſelbſt, als die Entſcheidung der Frage: 
ob gewiſſe Gegenſtaͤnde zur Polizei, oder zu einem an⸗ 
dern Zweige der Staatsverwaltung gezogen werden 
ſollen. Dies iſt namentlich der Fall mit allem, was 
zur ſogenannten Cultur- und Wohlfahrtspolizei ge- 
rechnet wird. Meil aber. die Nothwendigkeit Der 
| wiffenfchaftlichen Behandlung diefer Gegenftände an 
ſich, fo wie Die Aufnahme derfelben in den Kreis ber 
Staatswiffenfchaften entfchieden, und nr der Streit 
über die Stelle derfelben im Kreife ber leßtern noch 
nicht beendigt iſt; fo werden-fie hier zu dem Gebiete 
der Polizei gezogen, wenn gleich nicht geläugnet 
werden fann, daß die — nad) diefem Standpuncte 
aufzuftellenden — zwei Haupttheite der Polizei 
in Hinficht der Verwirklichung ihrer" Zwecke im in- 
nern Staatsleben, weder an fih im nothwendigen 
Zuſammenhange ftehen, noch von einem und bemfelben 
Perſonale ausgeführt werden koͤnnen. 


" 


h 


„ee ®#»#i <> zZ, 2... 2. wr. 


J u ee Du id Rn BE ZU Se — wu .. — 12* 
I 
. 


Staatsfunft. BE 499 


⸗⸗ 


Wenn nämlich die Verwirklichung des Rechts 


und der Wohlfahrt im Umfange des Staates die 


hoͤchſte Aufgabe für die Staatskunſt bleibe; fo ergibe 
fih fchon aus dem Urfprunge beider Begriffe, daß 
nur das Recht durch Zwang erhalten und gefichert 


tur nah, Zwangsrechte find, daß aber die Wohl— 
fahrt der Staatsbürger wohl auf vielfache Weife 
befördert und unterftüßt, nicht aber erzmungen werden 


kann. Wenn daher die Polizei in die beiden Haupt 


theile 


a) der Ordnungs= und Sicherheits- — 


mithin der, Zwangse Polizei, und 


b) der Eultur-und Wohlfahrts- Polizei 


zerfällt; fo erhellt, daß zwar die erfte dem Grundbe- 


griffe des Rechts, und die zweite dem Grundbegriffe 


ber Wohlfahrt der Staatsbürger entſpricht; daß 
aber, in Hinficht ihrer Verwirklichung im Staats» 
leben, beide von wefentlich verfhiedenen Be— 


börden ausgehen müffen, fo daß auch in vielen. 


Staaten nur das, was zur Zwangspolizei gehört, 
dem eigentlihen Polizeiminifterium und 
deffen Behörden untergeordnet ift, hingegen das, was 
die Kultur» und Wohlfahrespolizei umfchließt, zum 
Minifterium des Cultus gerechnet wird. 

Die Zmangspolizei, zunächft beftimme für 


die Erhaltung der Ordnung und Sicherheit im Staate, 
‚ muß Daher zuerft_bie wifprünglichen und erworbenen 
Rechte aller einzelnen Staatsbürger überhaupt ficher 


ftellen; fie muß ferner die beſondern Verhältniffe um: 

ſchließen, unter welchen das innere Staatsleben ber 

Bürger ſich anfündige (z. B. Stabt- und Dorf-Po- 

lizei; öffentliche und Hauspolizei 2c.) ; fie muß endlich 
| . 32 * 


‚werden fann,, weil alle Rechte im Staate, ihrer. Na- 


n 


AN 


500 \ Staatsfunft. 


das rechtliche Beſtehen des Staates felbft, als eines 
felbftftändigen Organismus, nach feiner Verfaffung, 
Negierung und Verwaltung, fihern. — In allen 
diefen Beziehungen tritt, fobald irgend ein Recht der 
Individuen oder des Ganzen bedroht oder verlegt 
wird, der Zwang ein; nur da in ber Wiffenfchaft 
die Grenzlinie der Anwendung des Zwanges zwifchen 
der Juftiz und der Polizei genau gezogen werden muß, 
weil allerdings diefe beiden Zweige der ‚Verwaltung 
in —5* jener Gegenftände nicht felten in nahe 





in ber en de 
die Culewp- und | fahr! de zur —æE 
So werig dieAurvuͤbung der Pflichten der Güte im 
gefellfhaftlichen geben durch Zwang bewirkt werden 
darf, wenn gleich der ſittlich⸗ gute Menfch der Erfül- 
lung derfelben ſich nicht entzieht; fo wenig darf auch 
der Staat das, was zur Eultur- und Wohl- 
fahrtspolizei gehört, buch Zwang bewirken wol- 
len, wenn gleich in jedem gut organifieten Staate 
die Anftalten dafür niche fehlen dürfen, und eben bie 
höhere Vollkommenheit diefer Anftalten zugleich die 
höhere Stufe der Eultur des Staates felbft, und bie 
Bluͤthe des innern Staatslebens aller ſeiner Buͤrger 
ankuͤndigt und verbuͤrgt. Es gehoͤren aber zu den 


Gegenſtaͤnden der Cultur-⸗ und Wohlfahrtspolizei die 


Bevoͤlkerung; das Armenweſen; die Landwirthſchaft, 
das Gewerbsweſen und der Handel; die Aufklaͤrung 
überhaupt; das Religions» ‚und Kirchenweſen; das 
Erziefungs- und Schulweſen; die Aufficht über die 


Staatskunſt. 501 


Sitten, und die Sorge fuͤr den Genuß, das Ver⸗ 
gnuͤgen und die Bequemlichkeit der Staatsbuͤrger. 

Wird die Polizei nach dieſen beiden Hauptbe⸗ 
ſtimmungen aufgefaßt, und, als Gegenſtand der Ver⸗ 
waltung, auf das innere Staassleben nad) ihren ein- 
zelnen Gegenſtaͤnden bezogen; fo kann weder ihre 
Nochwendigfeie, noch ihre Wohlthätigkeit 
bezweifelt werden. Daffelbe gilt von ihrer Selb ſt⸗ 
ſtaͤndigkeit, als befonderen Haupttheil der 
Staatsverwaltung; denn weder durch die Uebertra⸗ 
gung der Zwangspolizei an die im Staate vorhande⸗ 
nen Juſtizbehoͤrben, noch durch die Aufnahme der 
Cultur⸗ und Wohlfahrtspolizei in die Staatswirth⸗ 
ſchaft, wuͤrde der wichtige Zweck der Polizei im innern 
Staatsleben erfuͤllt werden, weil ſchon an ſich die 
Verbindung der Yuftiz.und Polizei in allen gut orga⸗ 
nifirten Staaten als höchft fehlerhaft anerfanne und 
befeitigt worden ift, und weil für die wichtigen Gegen-- 
fänbe der Eultur» und Wohlfahrtspolizei, felbft nad) 
ihrer wiſſenſchaftlichen Aufnahme in die Staats⸗ 
wirthſchaft, doch eigene Behoͤrden — verſchieden 
von den übrigen ftaatswirchfchaftlichen Behörden — 
vorhanden feyn müßten. — Nur für das politifche 
Ungeheuer bei geheimer Polizei gibt es weder 
in der Zwangs⸗, noch in der Eultur« und, Wohlfahers- 
polizei eine Stelle. 

. Die Größe und die Beduͤrfniſſe des Staates 
muͤſſen aber über die ahl, über. das innere gegen- 
feitige Verhältniß, und über die Verthei— 
kungder einzelnen Polizeibehördenimgan . 
zen Umfange des Staates entfcheiden. Wo der Ges 
bietsumfang und die Bevölferungsmaffe eines großen 
Reiches überhaupt eine bedeutende Anzahl der Ver⸗ 
waltungebehorden erfordert; da muß auch die So 


302 Ä Staatskunſt. 


der Polizeibehoͤrden mit der Geſammtzahl der uͤbrigen 
Verwaltungsbehoͤrden im Ebenmaaße ſtehen; eben fo 
wird in großen. Reichen die $eitung des Kirchen— 
‚und bes Erziehungsmwefens, ja felbft die oberfte 
Seitung Des Gemwerbsfleißes und des Handels, 
befondern felbftftändigen Behörden übergeben werben 
müffen. In Eleinern Staaten hingegen farm wohl 
das Minifterium der Polizei, und felbft Das Miniſte⸗ 
rium des Eultus, nad) allen feinen obern, mittlern 
und untern Behörden, mit dem Minifterium des 
Innern, — allein nie mit dem Minifterium der ' 
Juſtiz, vereiniget werben. | 
In Hinfiche der öffentlichen Anfündigung wird 
namentlich die Zwangspolizei anders in conſtit u— 
tivnellen, als in unbefhränften und in 
deſpotiſchen Staaten erfcheinen. Denn wenn fie 
in den legtern nur von dem Willen des Beherrſchers 
und der hoͤchſten Werwaltungsbehörden abhängt, fo 
daß fie mwillführliche Verhaftungen, Einferferungen 
ohne Verhör, Hausfuchungen ohne gegründeten Ver- 
dacht, eigenmächtige Beſtrafungen, ohne den Ver⸗ 
brecher der Juſtiz zu übergeben, und ähnliche Ein- 
geiffe indie Privatficherheit — für deren Erhaltung fie 
Doch befteht — fich erlauben kann, muß fie in confti«- 
tutionellen Staaten innerhalb der Grenzen ihrer 
Wirkſamkeit fiir Ordnung und Sicherheit bleiben , die 
ihr in der Verfaffung und in der Verantwortlichfeit 
der Polizeibehörden gegen den Megenten und die Volks⸗ 
verfreter gezogen find. Denn fo wie überhauptin con» 
ftitutionellen Staaten die öffentliche Meinung 
über die Verftöße gegen Ordnung und Sicherheit oft 
nahdrüdlicher, als die Zwangspolizei, entfcheidet; 
fo hat auch die Polizei, aus demfelben Grunde, in 
eonftirutionellen Staaten wenig zu thun, weil fie nie 


' 





Staatskunſt. 503 


willkuͤhrlich und eigenmiächtig verfahee barf, und weil 


ſie in der oͤffentlichen Meinung die wirkſamſte Zuſtim⸗ 


mung und Unterſtuͤtzung bei allen ihren rechtlichen 
Maasregeln findet. — So wie endlich, nach dem 


Zeugniſſe der Geſchichte, Diejenigen Staaten, wo ſtete 
and harte Strafen noͤthig find, gewoͤhnlich auf tie⸗ 
fen Stufen der Cultur und der Geſitcungſtehen; 
ſo auch diejenigen Staaten, wo die Zwangspolizei un⸗ 
unterbrochen ins Öffeneliche und Privatleben eingreift, 


und eingreifen muß.. Dagegen merden diejenigen 


Staaten auf höhern Stufen der Bildung, des Fort. 
ſchritts und der politifchen Mündigkeit erfcheinen, mp 
weber das Strafrecht, nod) die Zwangspolizei in caft- 


loſer Thaͤtigkeit find. - 


. In Besiehung auf die Errichtung der Polizei» 
behörden wird der Staat bedeutende Kräfte und Sum; 
men da erſparen, wo zweckmaͤßige Gemeinde und 
Städteordnungen mit auffehenden und verwal« 
tenden Individuen und Behörden dus der Mitte 
ber &emeinden, und wo Friedensrichter 
beſtehen. Denn fo wie mit bem forgfältig örganifirten 
und felbftftändig begruͤndeten Gemeindewefen die, um⸗ 


fihtigfte Leitung der Gemeinbeangelegenheiten, die 


fiherfte Entwickelung der bürgerlichen ‚Sveiheit, und 
die innigſte Anhänglichfeie an die Regierung und das 
Vaterland" zufammenhängtz fo werden aud) dadurch 
viele aufſehende, bemachende und controllirenbe: Polis 
zeibehoͤrden erſpart, und deſto leichter koͤnnen dann, 
auf einem ſolchen feſten Grunde, die uͤbrigen Polizei, 
behörden (Präfecte -und Unterpräfeote, — Kreis 
bauptieute und Amtshauptleute, — Polizeibirectionen, 
if — tanbräfhe u. a.) ihrem Geſchaͤftskreiſe Genuͤge 
eiſten. 

Da im m ymeitn Theile dieſes Werks die Dolt 


304 | Staatskunſt. 


zeiwiſſenfchaft, nach ihrem wiſſenſchaftlichen 

Charakter und nach ihrem ganzen Umfange, fo wie 

mit vollſtaͤndiger Literatur ausgeſtattet, dargeſtellt 

wird; fo, konnte hier nur Das aufgenommen wer⸗ 

den, mas. ber Polizei, als felbftfländigem, unb 

: ben übrigen Theilen der, Merwaltung gleichgeorb- 
netem Zweige ber Berwaltuag zukommt. 

47. 


&) Das Finanzweſen, als dritter Haupttheil der 
— Staatsverwaltung. Ä 


Wenn vormals die Domainen unb Regalien ber 
Megenten ausreichten,, ven Aufwand des Hofes und 
die. Bedürfnifle des Staates zu decken; fo warb ſchon 
im ausgehenden Mittelalter für außerordentliche 
Beduͤrfniſſe bes Staates Die Bewilligung von Steuern 

noͤthig, weiche Anfangs nur vonden Prätaten (dem geift- 
lichen Großen) und der Ritterfhaft, und bald darauf 
auch mit Zuziehung der Städte geſchah, weil, nament⸗ 
lich nad) altgermanifcher Verfaffung, der Teutfche nur 
die felbft bewilligten Steuern entrichtete. Als 
num in der Folge die früher für einzelne Fälle (Krie⸗ 
ge, Schulden xc.) bewilligten Steuern allmählig in 
ſtehende Abgaben werwanbelt, in’ ihren Summen 
geſteigert, und. mit andern neu hinzufonımenden ver⸗ 
mehrt wurden; da mußte auch Die Verwaltung biefer 
Steuere verwicelter und mannigfaltiger,, und in den 
meiften Staaten von ber Verwaltung der Domainen 
und Regalien des Regenten getrennt werden, Mod) 
bedeutender wirkte das ausgehende fiebenzehnte und 
. das ganze achtzehnte Jahrhundert auf die Finanzver⸗ 
waltung der europäifchen Staaten ein, feit die überall 
eingefuͤhrten ftehenden Heere die jährlichen Be⸗ 


Scaatskuuſt. 305. 


burhaigſe der Staaten mächtig ſteigerten; und * nr 
ohne Ausnahme in ben eueopälfchen 
Staaten ‚vor anbenen Schulden bie Stone. Per 
Abgaben : vermehrten, ohne gerabe: die drivgenbſten 
Beduͤrfniſſe der Staaten zu beſeitigen. | 
Dieſe Verhaͤltniſſe im wirklichen Staateleben 
blieben nicht ‚ohne Ruͤckwirkung aufdie Theo⸗ 
vie, Wenn fruͤher das Aggregat ber Kameralwiſſen⸗ 
ſchaften (Landwirthſchaft, Viehzucht, Bergbau, Forſt⸗ 
kunde, Gewerbskunde und SHandelsfunde) nothbürfiig. 
für den fünftigen Kameralbeamten (hießen doch die 
fuͤrſtlichen Verwaltungsbehoͤrden damals Kammern): 
quggereicht hatte, wozu im achtzehnten Jahrhunderte 
gewöhnlich ein empirifcher Zufag über die in ber Wirfn 
lichkeit beftehenben Steuern und Abgaben , unter dem. ' 
Namen Sinenzwiffenfchaft, als Anhang zu den Kamen - 
ralwiſſenſchaften, zum, Theile verfege mit etwas Polis 
zeiwiffenfchaft, hinzukam; fo fühlte man doch bald, bei, 
ben Zortfchritten Deg Innern Staatsiebens, gleichzeitig 
mit der Vermehrung der. Stagtsbebürfniffe unb ber. 
Staatsſchulden, daß man nicht nur Die Finanzwiſ⸗ 
ſenſchaft felbftftändig behandeln, ſondern ihr auch 
in der Staatswirthſchaft eine wiſſenſchaftliche 
Begründung vorausſchicken müßte. Allein auch die 
Staatswirthfchaft, welche nur zu dem Hoͤhern, nit. 
zu dem Höchften im Volfsleben fich erhob, indem 
* nur die Beduͤrfniſſe des Staates und die finanzielle 
Stellung ber Regierung zu den Staatsbürgern wiflen- 
ſchaftlich ordnete, nicht aber auf die legten Quellen 
und Bedingungen des Volkswohlſtandes und Wollt 
vermögens felbft, — beide unabhängig von allem 
Einfluffe des Staates und deſſen Regierung auf die⸗ 
ſelben — zuruͤckging, erhielt am Anfange des neun» 
zehnten Jahrhunderte in der Bolfswiregf haft 


! 


506 Staatskunſt. 


(Nationaloͤkonomie) Ihre wiſſenſchaftliche Unterlage 
und philoſophiſche Begründung, fo daß, durch dieſen 
mächtigen Fortſchritt der Wiſſenſchaft, auch auf die 
Finanzverwaltung ein neues Licht fiel, und die Ab⸗ 
haͤngigkeit der Staatswirthſchaft von der Volkswirth⸗ 
ſchaft, ſo wie wieder die Abhaͤngigkeit der Finanzwiſſen⸗ 
ſchaft von ber Staatswirrhfchaft entſchieden werd 9). 
Diefe neue Geſtaltung der Wiſſenſchaft, gleich- 
"zeitig mit der Begründung fteflvertretender Verfaſſun⸗ 
gen in vielen eurepäifchen. unb teutſchen Staaten, 
btieb auf die WBermaltung der Staaten nicht ohne 
wefentlihen Einfluß Man fragte nun zuerft nach 
den Quellen und Bedingungen des Volks vermögeng, 
‚und nach dem reinen Ertrage der Arbeit der ein- 
zelnen Staatsbürger, um, nad) dieſem einzigen recht⸗ 
lihen und den Wohlſtand des Ganzen aufrecht hal- 
tenden Grundſatze, die Beſtandtheile bes Staats- 
vermögens überfchauen, und gleichmäßig aus dem 
. reinen Ertrage des Volfsvermögeng die Jahresbebürf- 
niſſe des Staates (im Budget) ordnen, prüfen, ver⸗ 
theilen und von der Geſammtheit der Stäatsbürger 
erheben. zu koͤnnen, fo daß, nach diefem Geſichts⸗ 
puncte, die Staatswirtbfchaft, auf Die Grundlage 
der Volkswirthſchaft geftüge, die Art und Weiſe be- 
flimmt, wie das Staatsbebürfniß aus dem- Volfs- 
vermögen aufgebracht und gedeckt werden, und wel- 
hen Einfluß die Regierung im Staate auf die 


*) Sm zweiten Theile. biefes Werks wird, in ſyſte⸗ 
matifcher Folge und mit Beibringung- der: wichtigern 
Literatur, diefes Merhältnig der Wolkswirthfchaft, 

der Staatswirthſchaft und der Finanzmwiffenfcaft 
gegen einander, in der felbftländigen Dar 
ſtellung diefer Staatswiſſenſchaften entwicelt werden. 





j Staatskunſt. J 507 


feitung der Quellen und Bedingungen bes Volksver⸗ 


mögens, fo wie auf die Geſammtthaͤtigkelt vr Staatss 


‚bürger behaupten kann und darf, worauf dann: Die 
Finanzwiſſenſchaft im Einzelnen die Lehre von der 
Bermaltung der Domainen und Regalien, von den 
Directen und indirecten Steuern, von der Erhebung | 
derfelben , von dem Kaffenwefen, und von der Con⸗ 
trolle uber Die gefammte Finanzverwaltung aufftellt. 
Entſchieden bedurften alle Staaten Europa's, 
die unbeſchraͤnkten wie die beſchraͤnkten Monarchieen 
die demokratiſch wie Die ariſtokratiſch geſtalteten Re⸗ 
publifen, ohne Ausnahme, im Anfange des neun⸗ 
zehnten Jahrhunderts, einer völlig neien Einrichtung 
des Finanzwefens; dies verfündigten die halben 
und ganzen Staatsbanferotte; dies die Subfis 
dien und die gezwungenen und freiwilligen Ans 
leihen im In- und Auslande ; dies Die Vermehrung 
der Staatsfhulden; dies die bis zum Extreme 
vermehrten Abgaben und Steuern; dies bie her⸗ 
abgefesten Zinfen von den Staatsfihulden; dies 
die errichteten Amortifationsfonds; dies bie 
eingeführten Controllen uͤber das ganze Finanz« 
und Kaſſenweſen; dies die Vereinfachung des 
ganzen Staatshaushalts in einzelnen Reichen und 
Staaten, fo wie die vielfach verfuchten Kataſter 
und Landesvermeffungen, um menigftens die 
Grundfteuer nach rechrlichen und gleichmäßigen 
Grundſaͤtzen auszumitteln. | 
Ob nun gleich zwifchen Staaten mit und ohne 
ſtellvertretende Verfaſſung, in Hinfiht auf die Def; 
fentlichfeie der Verhandlungen über die Jahres: 


beduͤrfniſſe des Staates und über deſſen Schulden - - 


weſen, ein weſentlicher Unterſchied ſtatt finden muß, 
weil in den erſtern Das Budget den Volksvertretern 


\ 


308° Staatskunſt. 


mn 


in den Kammern zur Prüfung und Buftimmung vor⸗ 
gelegt, und von dieſen die Beſteuerung des ganzen 
Voneb, im Namen deſſelben, bewilligt, ſo wie von 
penfalben gewöhnlich auch die Vertheilung der 
bewilligeen Steuern im Einzelnen geleitet, und bie 
Berwendung derfelben für die aufgeftellten Zwecke 
contsollire wird; fo gibt es doch auch gewifle al lge⸗ 
meine: Sreundfä abe, welche als Maasitab. einer 
rechtlichen und bie Wohlfahrt bes Ganzen nicht beein- 
traͤchtigenden Finanzverwaltung, in der Lehre von 
ber Staatsverwaltung überhaupt, aufgeftellt werben 

koͤnnen. Diefe find: . 
Alle Staatsbürger müffen, im Verhältniffe zu 


dem reinen Ertrage ihres Einfommens, gleich 


mäßig zu den ſaͤmmtlichen Bedürfniffen des Staates 
beitragen, weil fie alle gleichmäßig den Schuß deſſel⸗ 


‚ben genießen. In Hinſicht der bis dahin Beyorrech- 


geten muß ein rechtliches und billiges Abfom- 
men getroffen ‚werden, weil wohlerworbene. Rechte 


(die nicht gegen bie urfprünglichen Menfchenrechte 


fteeiten, wie z. B. Sklaverei und Leibeigenſchaft) in 
gefitteten Staaten, felbft bei Umbildung der Verfaſ⸗ 
fung, nie ohne freitoillige Verzichtleiftung darauf) 


-.erlöfhen, wohl aber, auf ‘Antrag ber Regierung, 


gegen Entfhadigung verändert (modificirt) 


werden koͤnnen. 


Der reine Ertrag der geſammten bürgerlichen 
Thärigfeit (es fey im Anbaue des Bodens, oder der 
Gewerbe, oder des Handels, ober der Wiffenfchaft 
und Kunft), und. des baaren Capitals, — ausge⸗ 
mittelt nad) Grundſaͤtzen der Volks⸗ und Staatswirth⸗ 
ſchaft, — iſt der einzig rechtliche Maasſtab der 
veielung 

Das Hoͤchſte, was der Staat für feine Jahres— 





Staatsfunft. | 509 


beduͤrfniſſe vom reinen Erteage in Anſpruch nehmen | 


darf, wenn er. nicht die Quellen’ und Bedingungen des 
Volkswohlſtandes allmählig zerftören will, iſt ein 
Fuͤnftheil (wo moͤglich nur ein Achttheil) des 
reinen, Ertragäs. 


Die Wirthſchaft des Staates wuͤrde am beſten 


verwaltet werden, wenn in ihr, wie in der Wirth⸗ 
ſchaft des Privatmannes, bie Ausgabe nad ber 


Einnahme beftimmt werden koͤnnte. Allein bei 


den gefteigerten Bebürfniffen der Staaten, bei ben 


Schulden und den Zinfen von denfelben, und bei fo - 
vielen außerorbentlihen Ausgaben im Staatsleben, 
muß fih die Einnahme (das Erheben des reinen 


Ertrags vom Volfsvermögen) nach der Ausgabe 
(nad) den entfchiedenen Bebütfniffen bes Staates) 
richten; d. h. es müffen fo viele Summen aufgebracht 
werben ,. als zur Befriedigung der im Budget aufges 
ftellten dringend noͤthigen, und von den Volfsver- 
tretern anerfannten und gufgeheißenen, jährlichen 
Staatsausgaben erforderlich find. 

. Die Angaben im Budget müflen die einzel- 
nen Gegenftände des Staatsbedarfs (Eivillifte, Zin« 
fen der Staatsſchuld, Amortifationsfonds, Penfio- 
nen, Etats aller einzelnen Minifterien, mit den ihnen 
anzumeifenben Reſervefonds u. ſ. m.) beftimmt auf 
führen; fie müffen zugleid) durch die den Wolfsver- 


- ‚tretern vorgelegten Rechnungen ber vorigen Jahre 


beglaubigt feyn; die neuen Sorderungen an die 


Stände aber müflen durch hinreichende Gründe moti- 


virt werden. 


In aflen conftitutionellen Staaten, wo Do- | 


mainen beftehen, muß der Ertrag derfelben, fo wie 
die Berechnung des Ertrags der Regalien, zuerft 


beim Budget in Anfchlag kommen. Die uͤbrigen An⸗ 


510 Ä Staatskunſt. 


ſaͤtze des Budgets muͤſſen durch dir eete und indi— 
recte Steuern (nach einem zwiſchen beiden in ber 
Finanzwiſſenſchaft theoretiſch aufgeſtellten, und auf 
die beſtehenden Verhaͤltniſſe jedes einzelnen Staates 
mit Vorſicht angewandten Maasſtabe), bis zur Er⸗ 
reichung der im Budget beſtimmten Geſammtſumme, 
aufgebracht werden. 


Alle von den Volksvertretern bewilligte Steuern 
muͤſſen auf die einzelnen Kreiſe und Provinzen, ſo wie 
in dieſen auf die einzelnen Ortſchaften, Gemeinden und 
Individuen, am beſten durch die Volksvertreter ſelbſt, 
gleichmaͤßig vertheilt, auf die für die Staats— 
buͤrger ſchonendſte und bequemſte Weiſe erhoben, 
ſo wie nach dem im Budget angegebenen Bedarf, und 
fuͤr keinen andern Zweck, verwendet werden, woruͤber 
den Volksvertretern das Recht der Einſicht ber Red)- 
nungen zufteht. 

Die Ueberficht über. das innere Verhaͤltniß der 
Staatseinnahmen und Staatsausgaben gegen einan- 
ber muß durch das forgfältig geführte Kaſſenweſen 
möglich gemacht und erleichtert, fo wie die Oberauf- 
fiht über die gefammte Finanzverwaltung von der 
Generalcontrolte ($. 42.) geleitet und durchge⸗ 
führt werden *), 





*) Mas hier. ale weſentliche Bedingung einer zweckmaͤ⸗ 
ßigen Finanz ver wa (tung aufgeſtellt wird, iſt zwar 
das Reſultat der ſyſtematiſchen Darfellung der Fi⸗ 
nanzmwiffenfchaft, das aber in der Stantstunft nicht 
ganz übergangen werden fann, weil beide 
Wiſſenſchaften, obgleich nahe verwandt, doch felbft: 
ſtaͤndig neben einander beftehen, und weder im eig: 
nen Studium, noch im Lehrvoriroge immer vetbun⸗ 
den werden. 


N 


Staatzkunſt 511 


Das Kriegswefen, als vierter Haupttheit 
| der Staatsverwaltung. Ä 


| Wenn auch die philoſophiſche Reechtslehre i im phi⸗ 
loſophiſchen Voͤlkerrechte (Maturr. $. 57.) das Ideal 

des ewigen Friedens aufſtellt und die Bedingun⸗ 
gen zur Herbeifuͤhrung dieſes vollendeten rechtlichen Zu⸗ 
ftandes der gefammten Menfchheie entwickelt; fo wird 
doch ein folcher Zeitpunct des ewigen Friedens in der 
Wirflihfeit nie eintreten. Das Höchfte, was. 
erreicht werden. fann, ift Verminderung der 
Kriege, theils durch Vermeidung aller Angriffs⸗ 
kriege, weil (Staatsr. $. 73.) nur der Vertheidi— 
g ungsfrieg ‚ um bedrohte oder vertegte Nechte zu 
ſchuͤtzen, rechtlich iſt; the il s durch allmahligen Leber» 
gang der ſogenannten Militairſtaaten in rechtliche 
buͤrgerliche Vereine, weil allen Militair ſtaaten ein 
eroberungsluſtiger Charakter eigen iſt, der das 
politiſche Daſeyn und die Sicherheit der Nachbar⸗ 
ſtaaten ununterbrochen bedroht; theils durch allge— 
meine Verminderung der ſtehenden Heere, wobei die 
Mächte vom erften politifchen Range den Anfang 
machen müflen, welchen die Staaten vom zweiten, 
dritten und. vierten politifchen Range von felbft nach⸗ 


folgen werden, weil dieſe zunaͤchſt nur wegen der möge - 


lichen Bedrohung. ihrer Seldftftändigfeit ‚von ben 
Mächten bes erften politifchen Ranges, und gewiß 
nur felten aus kleinlicher Nahafmungsfucht , geößere 
Heeresmaſſen halten, als mit ihrer Bevoͤlkerung 
und mit ihren Finanzen vereinbar if. Wäre übri- 
gens ein allgemeines Bolfstribunal in der Wirf- 
lichkeit benfbar, von. welchem die Streitigkeiten der 
einzelnen Staaten entſchieben, und deſſen Entſchei⸗ 


\ 


512 Staatskunit, > 


bangen als gültig anerfanne würden; fo würbe Diefes 
der Idee des ewigen Friedens am meiften ſich nähern, 

Allein fo lange in ber Wechfelwirfung der Staa- 
ten noch eigentliche Angriffsfriege ſtatt finden (ver- 
ſchieden von dem rechtlichen Vertheidigungskriege, in 
welchem, nach dem Rechte der Prävention, der erfte An- 
griff auch von dem fich vertheidigenden Staategefchehen 
kann); fo lange noch Militairftaaten beftehen, und fein 
VWoͤlkertribunal die ftreitigen Intereſſen einzelner Staa- 
ten mit dem Nachdrude entfcheidet, daß die gefammte 
Staatenverbindung demjenigen Staate den Krieg er- 
klaͤrt, welcher den rechtlichen Ausfpruch jenes Tribu⸗ 
nals nicht anerkennt; fo larige muß auch in der Miete 
jedes Staates eine feinen Berhältniffen und politifchen 


Kräften angemeffene bewaffnete Macht beftehen, 


und diefe als ein befonderer Hauptzweig ber Staats» 
verwaltung in fih zufammenhängend organifirt ſeyn, 
und: nad) allen einzelnen Iheilen gleichmäßig geleitet 
werden, ‚ j 


49, 


50 ertfegung. 


Das Verhaͤltniß der bewaffneten Mache eines 
Staates zu feinen politiſchen Kräften‘ wird aber be= 
ſtimmt - 1) durch die Ruͤckſicht auf ſeine Bevöl- 
kerung, und 2) durch die Ruͤckſicht auf ſeine 
Finanzen. Denn ſowohl das ewig heilige Recht, als 
die auf die Grundſaͤtze der individuellen und allge⸗ 
meinen Wohlfahrt der Staatsbuͤrger geſtuͤtzte Staats⸗ 
kunſt, verwerfen als unrechtlich und unzweckmaͤßig den 
„Verk auf der Inlaͤnder zum Kriegsdienſte ans Aus⸗ 
land, und erklaͤren ſelbſt die Errichtung und Unter⸗ 
haltung eines Heeres fuͤr fremde Subfidien für 





nn > U 1 vn — — - u — — — 


— 0 


— — u — wm — — 


— — — — — —i — — — on — 


Staatskunſt. 613 


doͤchſt bedenklich, und nur in einzelnen — ſehr fel- . 
tenen — Fällen, nad) Anfichten ber Staatsflugheit, zu 


entfchuldigen: Denn Staatsreht und Staatstunft, 


‚ ftimmen. nur darin überein, daß die phyſiſchen Kräfte 


der männlichen Bevölkerung des Staates aufgeboten 
werden müflen theils für die Aufrechthaltung ber 
Selbſtſtaͤndigkeit und Integritaͤt deſſelben, eheils für 
die Vertheidigung und Wiederherftellung feiner von 
außen bedrohten ober verlegten Rechte, Zwifchen beis 
den Zweden muß aber genau unterfchieben werden; 


‚ denn der erfte, wo die Selbftftändigfeit und Inte⸗ 


grität des Staates bedroht ift, erfordert Die moͤglichſt 
größte Anftrengung aller Kräfte, um jenen böchften. - 


Zwed des Staatslebens zu bewahren und zu fihern 5 


Dagegen ber zweite Zweck, die Vertheidigung der bes 


drohten oder verlegten Rechte, in ben meiften Fällen 
. mit einem geringern Aufwande von Kräften und Mit⸗ 


teln erreicht werden fann, und in diefen Fällen: ge 
woͤhnlich auc) die Verbindung mehrerer Staaten zur 
gemeinfchaftlichen Führung eines Krieges ftatt findet, - 
Weaenn alſo die Kämpfe der zweiten Art die Res 
gel, und bie der erften Art die Ausnahme von ber 
Kegel bilden; fo muß auch die bewaffnete Mache im 
Staase zunächft nad) der Regel, und nicht nad) der 
Ausnahme von berfelben, geftaltet werden Was . 
die Mafle der bewaffneten Mache im Staate betrifft; - 


ſo iſt in gefitteten Staaten, wo feine Nomadenhorden 


angetroffen werden, Ein. Procent (von 1 Million Bes 


voͤlkerung 10,000 Mann) das Höchfte, was für die 


bewaffnete Mache (fie heiße ftehendes Heer, ober 


Miliz, oder Landwehr, oder Matiönalgarde) im Gan- 


zen aufgebofen. werben darf, fobald das von der Nas 
tur feftgehaltene Verhaͤltniß zwifchen beiden Gefchlech: 
tern, das gleichfalls auf Naturgeſetzen beruhende Ver» 


zn ‘ 


514 Staatsfunft. 


haͤltniß der Entwidelung der phufifchen Kraft im Ju⸗ 
gendalter, und: das aus Grundfägen des Rechts und 
ber Staatsfunft hervorgehende Verhältniß der einzel« 
nen Stände und ‘Berufsarten im Staate gegen einan- 
ber, nicht, zum unmiederherftellbaren Nachtheile des 
Ganzen, erfchüttert und verlegt werben foll. Denn, 
felbft abgefehen von der gewöhnlichen Ehelofigfeit der 
. meiften Mitglieder der bewaffneten Macht. im Staate, 
darf die Regierung des Staates nicht vergeflen, daß 
die Natur in der verhbältnißmäaßigen Gleihzapl 
beider Geſchlechter ihre Abfichten für die Fortpflanzung 
der menfchlichen Gattung beftimmt andeutete, und daß 
die Hintertreibung biefer Abfichten nicht ohne Folgen 
für die Bevoͤlkerung, und felbft für die Sittlichfeit 
der Völker, bleiben kann, fo wie die zu frühzeitige 
Berufung zum Kriegsdienfte (vor zurücdgelegtent 
zwanzigſten Lebensjahre) die Entwickelung und Reife 
der förperlichen Kräfte bei :den meiften Individuen 
(Einzelne gelten nicht als. Regel) , befonders in den 
Nordländern Europa’s verhindert und zerftört, und 
daß, weil der Krieger im Staate nicht erwirbt, 
fondernnur verzehrt, felbft nad) Grundfägen der 
Volfswirthfchaft, zwifchen der bewaffneten Macht und 
den übrigen erwerbenden Ständen im Staate-ein rich⸗ 
tiges Berhältniß ausgemittelt werden muß. Mit Ruͤck⸗ 
‚ fiht aufdie Bevölferungim Staate gilt alfo 

der Örundfaß: daß zur bewaffneten Macht (fie heiße 
ftehendes Heer, oder. Landwehr u. ſ. w.) nur Einer vom 
Hundert der Gefammpbevölferung (mithin von der 
Gefammtzahl männlicher Individuen im Staate 
Einer von fünfzig), und zwar erft nach zuruͤckgeleg⸗ 
tem jwanzigften Lebensjahre berufen, und durch diefe 
Berufung feiner ber wefentlichen Zwede der bürger- 
lichen Thätigfeit, der Landbau, ber Gewerbsfleiß, 





Staatskunſt. 51 
ber Handel, die Wiſſenſchaft une die Kunſt ‚beein 
traͤchtigt werde. nat 77. 

Mit dieſer erſten Ruͤckſicht ſteht die zweite in 
genauer Verbindung; denn bie ‚bewaffnete Mache. 
muß vom Stoate unterhalten werben, deflen in- 
nete und aͤußere Sicherheit ſie vertheidigen foll. Bei 
der Steigerung des Preifes affer Lebensbedüuͤrfniſſe 
mußten daher auch die Summen für die. Unterhaltung 
der bewaffneten Macht erhöht und geſteigert werden, 
und deshalb ift in dem “Budget. der meiften Staaten 

die Summe für die bewaffnete Macht die ftärffte 
unter allen, und der Etat des Kriegsminifters‘, der, 
welcher die Etats aller übrigen Minifterien bedeutend 
.überfteigt, und fogar bisweilen der Hälfte der ge- 
fammten Jahresbedurfniſſe des Staates ſich nähert. 
Da nun in-vielen Staaten felbft in Friedenszeiten die 
nothwendige Unterhaltung des vorhandenen ftehenden 
Heeres das jährliche Einkommen derfelbgn überftieg 
und fie in Schulden flürjte , welche in Kriegsjahren, 
und befonders bei den unglücklichen Wendungen bes 
Kampfes, außerordentlich vermehrt wurden; fo durfte 
e8 nicht befremden, wenn namentlich in neuern Zei⸗ 
ten, wo bie auf ältern Fuß organifirten ſtehenden 
Heere im Augenblide der Entſcheidung nichtmehr den 
Erwartungen der Regenten und der Voͤlker entfpra- 
hen, viele Stimmen laut gegen bie ftehendeh Heere 
fihh erhoben *). Denn allerdings läßt es fich ge- 


Si 





* Eine ftarte Stimme gegen bie ſtehenden Heere ers 
hob der Freih. v. Steigentefh in f. Auffage: 
über ſtehende Heere und Landesbewaff 
nungen, in der Minerva, 1807, Bent. ©, 

85 ff.; allein die ſtaͤrkſten Stimmen gegen’ die 
Rebenden Heere erfchallen im Parlamente ber Brit⸗ 


516 Staatskunſt. 


ſchichtlich nachweiſen, daß, obgleich feit der Erſin- 
dung des Schießpulvers und ſeit der dadurch bewirkten 





ten, weil man in England von jeher ein großes 
ſtehendes Heer als gefährlich für ‚die bürgerliche 
Vreiheit betrachtete. So erklärte (um nur der 
neueften Verhandlungen über diefen Segenftand zu 
gedenken) Tiernep (am 13. Febr. 1816) dem Mir 
nifter Caſtlereagh ins Geſicht: „er werde volle Sichers 
Heit des Friedens nur dann fehen, wenn die Eivils 
macht aller Regierungen Europa’s die Oberhand über 
ihre Heere gewonnen hätte, und wenn die Bürger 
lichen Srundfäge Herr der militärifchen geworden wäs 
ren (Allg. Zeit. 1816, N.62.).” Lord Grenville 
(vgl. N. 67.) fprach in demfelden Sinne: „Ward 
-der lebte Kampf für die Sache der Menſchheit und 
den Frieden gefämpft; warum beeilen fih denn nicht 
die europäifchen Mächte, die ſtehenden Keere, diefe 
größten. Feinde des Friedens und der 
menfhlihen Slädfeligkeit, zu vermindern? 
Dann würden fie den Beinamen der Wohlthäter, 
der Heilande des Wienfchengefchlechts verdienen. 
StehendeHeerehabendie groößten Neide 
geſtürzt. So fiel Rom, nachdem der militaͤriſche 
Geiſt die Stimme der Freiheit erftidkt hatte. So 
fiel Frankreich „unter Ludwig 14, und unter Bonas 
parte, nachdem beidemale Ber -Kriegsgeift die 
Berfaffung, denn vor Ludwig 14 hatte Franke 
reich eine, zu Boden getreten. hatte.‘ 
Brougham nannte den Militärgeift eine „tranks 
- bafte Stimmung der Nationen; Lord Folkſtone 
‚ erflärte (Allg. Zeit. N. 78.) „den Geift der (mili⸗ 
taͤriſchen) Suborbination für unverträglich mit dem 
Geiſte der Freiheit ;”. und Grant berednete (N. 89.), 
daß, „als Pitt im Jahre 17902 feinen Briedensfuß 
aufftellte,, die ſtehenden Meere von ganz Europa nicht 
viel über 500,000 Mann betragen hätten, jetzt aber 
1,500,000 Dann bleibend unter den. Waffen ftänden. 
- Wir möflen, fuhr er fort, durch ganz Europa das 
Gefühl Iehendig machen, daß der Bürger fich ſelbſt 





- 


Staatskunſt. BE 317 


völligen Veränderung bes Kriegswefens die Sicher⸗ 
heit der Staaten im Innern und nach außen, mit der 


Schutz und Sicherheit ſeyn, und Gewicht genug Im 
Staate haben mäfle, um den Militärgeift nieder zu 
ziehen, und zur geziemenden Ergebenheis gegen die 


bärgerlihe Wacht zu bringen.’ 

Bevor nod der lehte Weltkampf über ganz Europa 
ſich ausbreitete, ftellte Kant (zum ewigen Frieden, 
S. 8 f.), unter den Präliminarartiteln zum ewigen 


Frieden unter den Staaten, den Sag auf: „Stehende 


Heere follen mit der Zeit ganz aufhören; denn fie 


: bedrohen andere Staaten unaufhoͤriich mit Krieg, 


duch die Bereitfchaft, immer dazu geräftet zu er. 


⸗ 


ſcheinen, und reizen dieſe an, ſich einander in der 
Menge der Serüfteten, die Leite Grenzen kennt, zu. 
übertreffen. Ganz anders iſt ed mit den freiwils 
ligen pertiodifh vorgenommenen Lebuns 


‚gen der Staatsbürger in Waffen bewandt, 


fih und ihr Waterland dureh "Angriffe 
non außen zu ſichern.“ — Was fih gegen 
die fiehenden Heere und für die Landesbewaffnung 
aufftellen laͤßt, entwickelte Karl v. Rotteck in f. 


.i. Schrift; über ſtehende Heere und Matios 


nalmiliz. Freyburg, 1816. 8. — Gegen feine 
Vorſchlaͤge in Hinfiht der Nationalmiliz erhob ſich 


aber: 2. A. F. v. Liedenftein, in der Schrift: 
"über fehende Heere und Landwehr, mit, 


befonderer Ruckſicht auf die teutfhen 


Staaten. Karlsruhe, 1817. g., od er gleich dem 
v. Rotteck in der Geſchichte der ſtehenden Heere 
Beiftimmte. — Als Vertheidiger der ſtehenden Heere, 
und zwar fo groß als möglich, und aus dem 
Kerne des Volles zuſammengeſetzt, kuͤndigte fih an: 
W. 2. Leißtng (ſyſtematiſche Darftellung zu einer 


„neuen Kriegslehre, nach dem jeßigen Zeitgetfte und 


aus dem wirflichen: Kriege gefolgert. ate Ausg. Berl. 
1817. 8.). Seine Behauptungen prüfte und wider 
tegte Krug In dem Auffage: Militaͤr iſche Po 


Tiraß, in f. politifhen Kreuze und Queerzuͤgen. 


x 


\ 
>48 " Staatskunſt. 


Aufhebung des Fauſtrechts und der Selbſthülfe, zu— 
genommen hat, doch auch die Steuern und Abgaben 
wegen der aufgeſtellten Heere bedeutend ſich verviel- 
faltigt haben, befonders als die früher, nach) Beendis 
gung der Kriege, entlaffenen Heerestheile, feit den 
Zeiten des Dreißigjährigen Krieges faft überall im 
europäifchen Staatenfnfteme in einen ftebenden 
Kriegerftänd verwandelt, und die Maffen deſſel⸗ 
ben, hauptſaͤchlich im Laufe des achtzehhten Jahr⸗ 
hunderts, theils wegen der ſtets erneuerten Kriege, 
theils wegen der Nachahmungsſucht, zum Theile auch 
wegen der Eiferſucht der Maͤchte des verſchiedenſten 
polititiſchen Ranges auf einander, ohne feſte Ruͤck— 
ſicht auf die finanziellen Kraͤfte der Staaten ins 
Unglaubliche geſteigert wurden. 


ii rSortfegung . 
Nach allem, was Geſchichte und Staatskunſt 


— 


8.24 ff. — Daß man bei.den Vorwürfen gegen bie 
ſtehenden Heere und in den Vorfchlägen zu ihrer vd 
ligen Abfchaffung neuerlich. oft zu weit gegangen 
- fey, fuchte der anonyme Verf. der „Betrahtuns 
geu über die verfhiedenen Foörmen der 
bewaffneten Macht” Leipz. und Alten. 1817. 
8. durchzuführen. — Einen .befonnenen Mittelweg 
- zwifchen den. beiden entgegengefeßten Anſichten — 
mit. fefter Beruͤckſichtigung der gegenwärtig beftehen» 
den. politifhen Berhältniffe in Europa und der 
Stellung des teutihen Staatenbundes in der Mitte 
des europaiſchen Staatenfuftiems — hielt der Ger 
neral Karl v. Sershorff feh inf. „Bemers 
tungen, veranlaßt durch von Lindenau’s Auf 
fa in dem. Oppofitiondblatte: iſt eine Bundes 
armee nothwendig?”“. Dresden, 2819. 8. 


> 


Staatskunſt. 339 


über bie. bewaffnete Mache im Stgate ausſagen, ſcheint 
Solgenbes das Ergebniß zu ſeyn: | 
. Die bewaffnete Macht im Staate ift nicht ihrer 


| ſelbſi wegen da, ſondern zur Vertheidigung und Er⸗ 


haltung des Staates, und zur Sicherſtellung aller 
Zwecke des innern und aͤußern Volkslebens; ſie iſt 


alſo nur Mittel zum Zwecke, nie Zwec ſelbſi. 


Deshalb darf die bewaffnete Macht nie irgend 
einen, vor ihr vorhandenen, Zweck des Staates 
beeinträchtigen oder hindern; es full vielmehr Die Ver⸗ 


wirklichung aller Zwecke des-Staates in Hinfiht auf 


perfönliche Freiheit und Eigenthum, auf pänfifche und 
geiftige Kraftentwidelung im Aderbaue, - Gcwerbs. 
fliiße und Handel, in der Wiflenfchaft und Kunft, 


infofern durch fie erleichtert werden, inwiefern, Dur) 


bie Mebertragung der Sorge für die innere und Außere 
Sicherheit auf bie bemaffnete Macht, alle übrige 
Staatsbürger dieſer Sorge entbunden und in ihrer 
reinbürgerlichen Thätigfeit nicht geftore werden. 

Wegen dieſer Sicherftellung ihrer gefammten Tha- 
tigkeit, und wegen der auf die bewaffnete Macht über- 
getragenen allgemeinen Verpflichtung aller 
Staatsbürger, Die Sicherheit des Staates zu erhalten - 
und im Nothfalle zu vertheidigen, muß die bewaffnete 
Macht aus den von den Volfsvertretern dafür bewils 
ligten Beiträgen pon dem gefammten Volksvermoͤgen 
zweckmaͤßig, d.h. nicht blog nothdürftig oder Fümmer- 
lich, fondern hinreichend und: angemeffen. unterhalten 
werden, 

Weil aber die bewaffnete. Macht nur als wirk⸗ 
fames und unentbehrliches Mittel für die Geſammt— 
zwede des Staates, nicht als Zweck felbft, im Staate 
vorhanden ift; fo muß auch die Errichtung derfelben 
im genaueften Berbältniffe sur Geſammt⸗ 


EN F 


520°  Staatskunft. 


4 


bevoͤlkerung und. zu den finanziellen Kräfs 
ten des Staates ſtehen. Ä 
Nach dieſem Maasſtabe muß die bewaffnete 
Macht fo Flein ſeyn, als für die (nach oͤrtlichen und 
landfchaftlichen KRüdfihten fehr verfchiedenen) Bebürf- 
niffe des Staates ausreiht. Das Höchite derfelben 
darf Einer vom Hundert der. Öefammtbevölferung 
ſeyn, weil diefer ftatiftifche Maasftab zugleich auch in 
Finanz ieller Hinſicht nach den Kraͤften des Volks⸗ 


vermoͤgens — doch bei aͤrmern Staaten gewoͤhnlich 


nicht ohne große Laſten — durchgeführt werben kann. 
So wie örtliche Verhältniffe (z. B. bie Sage 
neben’ oder in der Mitte zwiſchen großen und zugleich 
kriegeriſchen Staaten, oder die inſulariſche Lage an⸗ 
drer Staaten u. ſ. w.) uͤber die Groͤße und uͤber die 
Art der Zuſammenſetz ung der bewaffneten 
Macht überhaupt entfcheiben;; fo enefcheiden fie auch) 
— zugleich aber auch mie Rückficht auf den gefammten 
Volfsgeift und auf die innern Verhältniffe der ein- 
zelnen Zweige der bürgerlichen Thätigfeit gegen ein- 
ander — über Die Anwendung entweder ber freiwil⸗ 
ligen Stellung zum Kriegsdienfte, oder über bie 
Recrufirung, ober über bie Confeription,— 


ſo wie über die Einteilung der bewaffneten Mache in 
ftehendes Heer und Referve, in Landwehr 


oder Nationalgarden AR), in Land ſt urm 
u. ſe w. 

Sm Allgemeinen (denn das Einzelne geſtal⸗ 
cet ſich in jedem Staate anders) iſt die Aufbringung 


der noͤthigen Zahl für die bewaffnete Macht durch 


Sreimwillige jeder andern vorzuziehen, ‘Diefer zu- 
nächft ſcheint die (nach politifch » ftatiftifhen Grund⸗ 
fügen und ohne Willführ und Beſtechung geleitete) 
Recrutirung, mit einem Dienſthandgelde auf 


⸗ 








| 


. Staatskunſt. u . 521 


ungefäß ſechs Jahre (doch mit Ausſchluß aller Aus⸗ 
laͤnder) und gewiſſenhafter Haltung der Capitula⸗ 


tionszeit, zu folgen, und die in neuerer Zeit (theils 


wegen ihrer Wohlfeilheit, theils wegen des bei ihr 
am leichteſten anwendbaren Zwanges) ſo beliebte 
Conſeription ben legten Platz einzunehmen. Denn 
abgeſehen davon, daß bei ihr die heranreifende maͤnn⸗ 
liche Jugend nach den Lebensjahren in Klaſſen, nach 
Art der Holzſchlaͤge, eingetheilt und ſelbſt nicht 
immer die phyſiſche Reife mit vollendetem zwan⸗ 
zigften Lebensjahre abgemartet, fordern der noch un: 
entwickelte und unreife Süngling zum Dienfte gezwun⸗ 
gen wird, wirft fie auch unaufhaltbar nachtheilig und 
zerfiörend ein auf. alle eigentliche und weſentliche 
Zwecke des innern Staatslebens, auf Landbau, Ges 
werbsfleiß, Handel, Wiffenfhaft und Kunſt. Denn. 
jeber diefer Kreife bürgerlicher Thärigfeit verlangt eine- _ 
mehrjährige forgfältige Vorbereitung, und eine fort- 
gefegte ununterbrochene Hebung, wenn in ihnen niche 
oberflächliche Stümper , fondern Männer, die ihres 
Faches mit Lebe und ſelbſt mit Begeifterung pflegen, 
und die demfelben völlig gewachſen find, biefe 
böchften Zwecke des bürgerlichen Lebens verwirklichen 
und zue möglichiten Vollendung fortführen follen. Un⸗ 


verkennbar greift aber das Conſcriptionsſyſtem in diefe 
Vorbereitung, Webung und Fortbildung böchft will: 


führlic) und nachtheilig ein. Es ſcheint daher auch 
zunächft nur entweder für Nomadenhorden, wo 
noch feine bürgerliche Thaͤtigkeit ſtatt findet und das 
geben von hunderttaufend Menfchen, wegen bes bal- 


digſten Nachwuchſes, wenig in Anſchlag fommt, ober 


für Militärftaaten, deren höchfter Zweck auf 


kuͤhnen Eroberungen berußt, zu taugen, —' für die 
bürgerlid entwidelten und gefitteten 


⸗ 


522- - Staatskunſt. 


Staaten aber nur In dem einzigen Falle durch— 
greifend anwendbar zu fen, wenn bie Selöftftändig- 
feit und Integrität des. Staates.durch "einen auswaͤr⸗ 
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueften Zeiten haben 
es gezeigt, was Woͤlker, :die bis dahin blos den frieb- 
lichen‘ Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗ 
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Entſcheidung für 
das Vaterland leiſteten und bemirften * *), 


» Nah der, in neuern Zeiten geroßhntichen und faſt 
uͤbertriebenen, Lobpreiſung der -Landwehren, des 
Landfturmes u. ſ. w. lenken jeßt Mehrere ‚mit Bes 
fonnenheit wieder ein, und überzeugen fih, daß 

ein verhäftnigmäßiges: ſtehen des Heer, wo mögs 
lich aus Freiwilligen angeworben, vor den 
Milizen die großen Vorzüge hat, dad feine Ers 
gänzung in bie bürgerliche Thaͤtigkeit nicht fo 
—**8 eingreift, wie das Conſcriptionsſyſtem, 
und daß bei demſelben mehr Diſciplin gehalten 
werden kann, als in den Reihen derer, welche aus 
den Kreiſen des buͤrgetlichen Lebens mit dem ganzen 
Gefühle. der bürgerlichen Freiheit herausgeriffen: wers 
‚den. Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer 
Krieger wird, der gezwungen dienen muß, 
der nur auf einig e Jahre Berufen wird, und 
dann. zum vorigen (halb verlernten) bürgerlichen 
Berufe zurückehren darf. Deshulb gilt noch immer 
der Grundſatz des Marfchalle von Sadıfen: kleine 
und gutdifciplinirte Heere find den gro 
Ben Maffen vorzuziehen. Dringt aber der 

Feind ins eigene Land ein; dann wird jeder, der 
fürs Vaterland fühle, auch ohne in der Conſcrip⸗ 
tionsiifte zu fliehen, ſich hewaffnen und für das 
Ganze ſiegen oder ferben, — Gleiche An⸗ 
in enthält das wichtige Wert: über die Mis 
tirärdtonomte im Frieden und Kriege, und 
ihr Wechſelverhaͤltniß zu den Operationen. ır Theil. 

Prrsburs "820... 4. (Vergl. Goͤtt. Anz. ıges, 


— 





Staatsfunit, | 323 


ou Grundlasen der — Dad im | 


Staate muͤſſen. daher die Stämme; eines jtehenr 
hen Heereg-Eleiben, außer einer verhältnißmä igen 
Mannfhaft an. Fußvolk und Meiterei, ‚befonderg 
beftehend- „aus ‚einem forgfältig ‚worbereiteten Corps 
von Officieren.und Untevofficieren, aus 
den Ingenieur-und Arrilleripcorps, ‚welche 
längere Vorbereitung und ‚Mebyug, als bie: übrigen 
Zrunpenmaſſen, bebinſen⸗n und sus einem aus den 





2 
er 


N. 207.) Der Verf. thette die ‚gangbaren‘ Milieir⸗ 


ſyſtemne ein in 1) recrutirte ſtehende Heere, 
miliiariſch die beſten, aber koͤſtbar; doch: mhlfe 
- auch. .bei. den: eonferibirten Heeren nicht blos Aup 


baare: Geld, fondern das ganze Volksvermoͤgen bes 
rüstfichtigt werden ; e)in confcribirte tehendge 
Heere, in intellectueller Hinſicht etwas beſſer, als 


'die ſtehenden, aber vielen. Maͤngeln unserworfin; 


.. 13) bwconfertbirte mietundwehr verbum 


dene Deere; — Der Berf. muß befonders über 
das Berpflegungsfykem der Heere gelefen 
werden. - Das gut geordnete Magazinfpftem 
ift dem Requifitionsfyfteme weit vorzuziehen; 
denn das letztere entfremdet die Völker dem Kam⸗ 


pfe; iſt an ſich ungerecht. und ohne gleichmaͤßige 
Vertheilung; führt zum Naube und zur Infubors 


" dination, und verfhwendet eine Maſſe von Lebens 


u Landsh. -ıgı2. 8. 


mitteln, ‚die weit beffer hätte gebraucht werden föns 
nen. — Zwei frühere treffliche Schriften von Sr. 
Ribbentrop duͤrfen hier nicht uͤbergangen wer⸗ 


"den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher 
Kriegsheeren. Werl; 1816. 8. und deſſen 


Archiv für.die Verwaltung des. Haus 


halts beiden te senden 


Berl. 1818. 8. — Etwis zu weitfchweifig tft folgendes 


Werk: J. Paul Hark, vollſtandiges Handbuch der 


Krlegspoli zeiwiſſenſchaft u. Militaͤrbkondmie. ‚3 Thle. 


2 
eo 
‘ 


522. Staatskunſt. 


Staaten aber nur in dem einzigen Falle durch— 
greifend anwendbar zu feyn, wenn bie Selbſtſtandig⸗ 
keit und Integritaͤt des Staates durch "einen auswaͤr⸗ 
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueſten Zeiten haben 
es gezeigt, was Voͤlker,: die bis dahin blos den fried⸗ 
lichen Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗ 
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Eneſcheidung für 
das Vaterland leiſteten und bewirften * ”), 


— — 


*) Nach der, in neuern Zeiten geroöhntichen und fa 
. übertriebenen, Lobpreifung der -Landwehren, des 
Landſturmes u. f. w. lenken jegt Mehrere ‚mit Bes 
ſonnenheit wieder ein, und überzeugen fih, daß 
ein verhäftnigmäßiges ſtehen des Heer, wo mög» 
üb aus Freiwilligen. angeworben, vor den 
—Milizen die großen Vorzüge bat, daß feine Er⸗ 
gaͤnzung in die bürgerlihe Thaͤtigkeit nicht fo 
hemmend eingreift, wie das Conſcriptionsſyſtem, 
und daß bei demfelden mehr Diſeiplin gehalten 
werden kann, als in den Reihen derer, welche aus 
‚den Kreifen des bürgerlichen Lebens mit dem ganzen 

.:  Gefühle.der bürgerlichen Freiheit herausgeriſſen. wer⸗ 
den, Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer 
Krieger wird, der gezwungen dienen muß, 
der nur auf einige Jahre berufen wird, und 
dann zum vorigen Chalb verlernten) hürgerlichen 
Berufe zurückehren darf. Deshalb gilt noch immer 
der Grundſatz des Marfchalls von Sadıfen: kleine 
und gutdifciplinirte Deere find den gro 
Gen Maffen vorzuziehen. Dringt aber-der 
> Seind ins eigene Land ein; dann wird jeder, der 
fürs Vaterland fühle, aud ohne in der ‚Conferips 
tionslifte zu fliehen, ſich bewaffnen. und für das 
"Ganze fiegen- oder erben. — Gleiche Ane 
ſichten enthält das wichtige Werk: über die Mis 
tirärdtonomie im Frieden und Kriege, und 

ihr Wechſelverhaͤltniß zu den Operationen. ır Theil. 
Perersbutg , "820... 4 (Vergl. Goͤtt. Anz. 1880, 


— 





Staatstunit, | 2 


Die Grundlagen der Semaffneen Mache. im 


Staa⸗ müflen. daher Die Staͤ mmme eines ftehenr 
den Heeres Eleiben, außer einer verhältmißmägigen 
Mannſchaft an: Fußvolk und Meiterei, befonderg 
befiehend- ‚aus einem forgfältig verbereiteten Corps 
von Dfficieren und Unterofficieren, aus 
den Ingenieur» und Artilleriecorps, ‚welche 
längere Vorbereitung -und ‚Hebung, als bie, übrigen 
zrunpenmaflan, beduͤrfen„n und aus einem, aus, D den 





.’ 
ve 


N. 207.) De Verf. thetlt die hangbaren lieh 


fſyſtemne einin 1) recrutirte ſtehende Derek, 
' militärtfch - die beſten, aber koſtbar; doch mülle 


auch. bei den: conferibirten Herren nicht blos Ans 
baare Geld, ſondern das, ganze Volksvermögen Par 
rückfichtigt werben ; e)in conferibirte: ftebendg 
Deere, in intellectueller Hinſicht etwas beſſer, als 


'die ſtehenden, aber vielen Maͤngeln unterworſen; 


. 13) im ednſcribirte mitieaudwehr verbun⸗ 


dene Heere. — Der Verf. muß beſonders über 
das Verpflegungsſyſten der Heere geleſen 
werden. Daß gut geordnete Magazinfyftem 
ift dem Requifitionsfpfleme weit vorzuziehen; 
denn dad 'leßfere entfremdet die Völker dem Kam⸗ 


—pſe; iſt an fi ungerecht. nnd ohne gleichmaͤßige 


Vertheilung; führt zum Naube und zur Inſubor⸗ 


. Dinatfon, ‚und verfhwendet eiue Maſſe von Lebens⸗ 


Landsh. ‚81a. 8 


mitteln, die weit beffer' hätte gebraucht werden koͤn⸗ 
nen. — _ Zwei frühere treffliche Schriften von $r. 
Ribbentrop dürfen bier nicht-- übergangen wers 
den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher 
Kriegsheeren. Berl. 1816. 8: und. deſſen 
Archiv fuͤr die Verwaltung des Haus—⸗ 
halte beideneuropäifgen eng 
Berl. 1813. 8. — Etwas zu weitſchweifig tft folgendes 


Werts J. Paͤul Hark, vollfändiges Handbuch der 


Krtegspoli zeimiſſenſchaft u. Militaͤrbkonomie. s’Thle. 


ur 


- 


522- Staatskunſt. 


Staaten aber nur in dem einzigen Falle durch⸗ 
greifend anwendbar zu fern, wenn bie Selbſtſtandig⸗ 
keit und. Integritaͤt des Staates. burch einen auswaͤr⸗ 
tigen Angriff bedroht iſt. Die neueſten Zeiten haben 
es gezeigt, was Voͤlker, die bis dahin blos den fried⸗ 
fichen Beſchaͤftigungen des buͤrgerlichen Lebens ange⸗ 
hoͤrten, in ſolchen Augenblicken der Entſcheidung für 
das wweterland leiſteten und bewirkten * 


— 


Nach der, in neuern Zeiten aewdhnlichen und faſt 
übertriebenen, Lobpreiſung der Landwehren, des 
Landſturmes u. ſ. w. lenken jetzt Mehrere ‚mit Bes 

ſonnenheit wieder ein, und überzeugen ſich, daß 
ein verhältnißmäßiges ſtehen des Heer, wo mögs 
lich aus Freiwilligen angeworben, vor den 
Milizen die großen Vorzüge bat, daß feine Er⸗ 
gänzung in die bürgerlihe Thaͤtigkeit nicht fo 
hemmend eingreift, wie das Konfcriptiongfpftem, 
und daß bei demfelden mehr Difctplin gehalten 
werden kann, als in-den Reihen dorer, weldhe aus 
‚den Kreifen des härgerlichen Lebens mit dem ganzen 
: Gefühle. der bürgerlichen Freiheit herausgeriffen: wer⸗ 
‚den, Dazu kommt, daß. derjenige nie wahrer 
Krieger wird, der gezwurgen dienen muß, 
der nur auf einig e Jahre berufen wird, und 
dann zum vorigen (halb verlexuten) bürgerlichen 
Berufe zuruͤckkehren darf. Des halb gilt noch immer 
der Grundſatz des Marſchalls von Sachſen: kleine 
und gutdiſciplinirte Deere find den gro— 
ßen Maſſen vorzuziehen. Dringt aber der 

—KFeind ins eigene Land ein; dann wird jeder, Der 

fuͤrs Vaterland fühle, auch ohne: in der Konfcrips 
tionsiifte zu fliehen, ſich hewaffnen und für das 

"Ganze ftegen oder erben. — leide Ans 
ſichten enthält das wichtige Werk: über die Ms 
tirärötonomte im Frieden und Kriege, und 
ihr Wechfelverhätmiß- zu den Operationen. ır Theil. 
Perercbutg "920. 4 (Berg. Gott. Anz. ıges, 


— 





Staatsfunft, | 523 


Di: ‚Grundlagen der Semafineen Made. in | 


Staate mäflen. Daher Die St.a.mıaa eines ſteh eur 
den Deereg blaeiben, außer einer verhältnifmd igen 
Mannfhaft an. Zußvolf und Meiferei, ‚befonderg 
beftchend- ‚aus «einem forgfältig vorbereiteten Corps 
von Dfficieren. und Unterofficieren, aus 
den Ingenieur- und Arrilleripcorps, welche 
längere Vorbereitung und Hebung, als die. übrigen 
Trunpenmaflen, bedürfen, und aus einem, us, D ben 





. 
— * 


17 


N 207.) Der Verf. thetlt die hangbaren⸗ mitucur⸗ 


fyſteine ein in 1) recrutirte ſtehende herr, 
militaͤriſch die beſten, aber koſtbarz doch moaſſe 
auch bei den: conſeribirten Heeren nicht blos dat 


baare Geld, ſondern das ganze Volksvermoͤgen bez 
rüctfichtige werben ; o)inconferibirte Fedendg 
Heere, in intellectuellee Hinſicht etwas beſſer, als 


'die ſtehenden, äber vielen. Maͤngeln unserworfen: 


.. 15) jwconfertbirte miotcnd wehe verbun⸗ 


dene Heeres — Der Verf. muß befonders über 
das Berpflegungsipkem. der Heere gelefen 
werden. Das gut geordnete Magazinfpftem 
ift dem Requifitionsfyfeme weit vorzuziehen; 
denn dad letztere entfremder die Völker dem Kam⸗ 


- .pfe; if an fid ungerecht. und vhne gleichmaͤßbige 


WVertheilung; führt zum Raube und zur Infubors 


dination, und verfchwender eine Maſſe von Lebenss 
mitteln; die weit beſſer hätte gebraucht werden koͤn⸗ 
nen. — Zwei frühere treffliche Schriften von Fr. 
Ribbentrop dürfen bier nicht übergangen wers 


“den: Der Haushalt bei den europaͤiſcher 


Kriegsheeren. Berl, 1816. 8: und deffen 
Arhiv für. die Verwaltung des. Haus 
halte beiden ——— 
Berl. 1313. 3. — Etwas zu weitſchweifig iſt folgendes 


Werki J. Paul Har (,vollſtaͤndiges Handbuch der 
Artegepokizeiiniffenfapnft. u. Micitardtondmie. aan. 


Landsh. idis. 8. 


+ 


524 Staatskunſt. 


geiftwollften und gebilderſten Dfflcieren bes ganzen Hee- 


res gewählten Generalſt a be. Neben dieſen fey aber 
das ſtehende Heer in Friedenszeiten fo vermindert, 
als es die Geſammtzwecke des Staates, ober einge⸗ 
gangene völkerrechrliche Verbindlichkeiten (wie z. B. 
im teutfehen Staatenbunbe) verftatten. Das Maxi⸗ 
mum der bewaffneten Macht fey 10,000 Mann auf 
eine Million Bevölkerung ; möge nun diefe bewaffnete 
Macht, nad) richtiger und um ſichts voller Wür- 
digung der Verhälmiffe eines gegebenen Staates, in 
ftehendes Heer, oder Miliz, oder in beides zugleich 
eingetheilt feyn. Mur vergefle man nie über der be- 
abſichtigten Sicherftellung des Staates durch die be- 
waffnete Macht diejenigen Zwecke, wofür der 
‚Staat zunächft begruͤndet ward: Herrſchaft des 
Rechts, Wohlfahrt der Individuen und des Ganzen, 
und ununterbrochene.. Sortbilbung desjenigen Theiles 
Der Menfchheit, der. in dem gegebenen Staate lebt, 
zur allgemeinen Beftimmung unfers Gefchlechts. Die 
Verpflichtung zum Eintritte in die bewaffnete Mache 


fey zwar an fih) allgemein vom 21 — 2äften Le⸗ 


bensjahre; doch. vergefle die Regierung nie, daß der 
Sohn des Landmanns, , teils wegen feiner Erziehung 
und phufifhen Kraft, theils wegen feines fünftigen 
Berufs, der nicht fo leicht verlernt werben kann, ſich 
mehr zum Krieger eignet, als der für die Giemerbe, 
für Die Kaufmannfchaft, für die Wiſſenſchaft und 
Kunft vorbereitete and gebildete Jungling. Pie ver« 
geffe die Regierung, daß das frifehe Leben und Die 
ortbildung ‚der Staaten, fo wie ber. Wohlftand und 
ver Reichthum des Volkes, nicht von dem Exercir⸗ 
plage, fondern von ber forgfältigen. und gleichmäßigen 
Entisidelung, Bildung und Reife aller phnfifchen und 
geiftigen Kräfte abhängt, deren Capital man fo wes 


⸗ 
‘ 





\ \ 


J 


- Scaatskunſt. 525 
nig, als moͤglich, ſchwaͤchen und vermindern muß. 
Soll aber doch ˖das Syſtem der Conſcription gelten; 
ſo muß eine aus Mitgliedern mehrerer Behoͤrden 
(nicht blos aus Officieren, Actuarien und Regiments» 
chirurgen) zufammengefegte Commiffion gewiffen- 
daft über die phufifche Tauglichkeit und über die 
ürgerliche Entbehrlichkeit der Auszuheben- 
den entfcheiden; es muß nie die Stellung eines Ver: 
freters gehindert, und nie das Auffteigen des gebildes _ 
ten und fich auszeichnenden Juͤnglings zum OÖfficiere 
erſchwert werden. - Nur dadurch Fann das Conferip- 


tionsfoftem in feiner furchtbaren Schwere für das 


innere Staatsleben gemildert werben. = 
Der Dienft felbft aber fey einfach, leicht, ohne 
Pedanterei und Kleinlichfeitsfrämerei; die Behand- 
lung wuͤrdevoll und edel. An förperlihe Strafe 
werde nicht gedacht. Wer diefe wirklich verdient, 
werde aus der ehrenvollen Reihe der Vertheidiger des 
Vaterlandes für immer ausgefthloffen. Das Auf: 
rücken gefchehe nad) Kenntniß und Werdienft, Und, 
wo moͤglich, nach der Entfcheidung der öffentlichen 
Stimme von der dienſtthuenden Mannfchaft felbft. 
Was der Krieger erhalten ſoll, ‚erhalte er nicht nad) 
der Angabe des Minderfordernden, fondern nad) zeit- 
gemäßen und beftimmten Anfägen; er werde, durch 
Beurlaubung, dem Nahrungsftande, fo oft und fo 
viel es möglich ift, zurückgegeben. Er vergeffe nie, 
daß er mit dem gefammten Bürgerftande die große. 
Samilie Eines und deflelben Staates bilder, und 
finde es nicht unter feinem unmittelbaren Berufe, bei 
‚ öffentlichen Arbeiten des Staates, gegen befondere 
Entſchaͤdigung, zugezogen zu werden, beſonders aber 
die innere Sicherheit ver Straßen, der Poften, der 
Wälder u. ſ. w. aufrecht zu halten, Nie werde die 


’ 


‘ 
J 


526 a Statskunſt. 


bewaffnete Mache ein Mittel des Zwanges fuͤr unbe⸗ 
ſcholtene Buͤrger in der Hand der Willkuͤhr. Durch 
Aunſtalten, in feiner Mitte errichtet, werde er fortges 
bildet für feine -eigenthümliche Beftimmung und für 
bie allgemeinen Zwecke ber buͤrgerlichen Gefellfchaft, 
Damit-er nicht hinter den übrigen raftlos fortfchreiten- 
den Ständen derfelben zurückbleibe. Dabei beftehe 
in der Mitte des Heeres ber ftrengfie unbedingte Ge⸗ 
horſam; denn, abgefehen von ihren Urfachen und 
Solgen, find die Militärrevolutionen inner- 
halb der Staaten, an fi) betrachtet, eine Er⸗ 
ſcheinung, welcye zum Untergange Des Bangen führen 
muß (denn nicht umfonft hat die Gefchichte die Thaten 
der römifchen Prätorianer , der Garden zu Bagdad 
und Cairo u. a. aufbehalten). — Zwiſchen Sinien- 
truppen und Landwehr, wo beide nicht: verfchmolzen 
find, werde fein Eiferfucht erregender Unterfchied ge= 
naͤhrt. Der Feldherr an der Spige Des Ganzen 
ſey der geiftvollfte, der erfahrenfbe , Der muthigfte und ' 
der umfichtevofkfte Mann des ganzen Heeres; denn 
ein folcher wird nie vergeflen, baß er Menfchen, und 
nicht Mafchinen, leitet; ein folder wird nie aus 
Mangel an Einfihe, oder aus Keckheit, auch nur 
Einen Mann aufopfern; er wird aber durch Die Mafle, 
über die er gebietee und die ihm wegen feiner über- 
wiegenden geiftigen und fittlichen Kigenfchaften unbe- 
Dinge vertraut, im Augenblicke der Entfcheidung viel 
bewirken. 
In Friedenszeiten ſtehe der Krieger , die unmits 
telbaren Militärvergehen abgerechnet , unter bürger- 
lichen Gefegen und bürgerlichen Richtern, weil alle 
Militargerichte nicht uͤber Militärangelsgenheiten hin⸗ 
aus entſcheiden duͤrfen; Feine bewaffnete Macht duͤrfe 
| berathſchlagen, und fich den übrigen: Pflichten ber 











Staatskunſt. 527 


Staatsbuͤrger entziehen; wohl aber kann die Regie- 
rung, befonbers wenn ſie das ſtehende Heer bedeu— 
tend vermindert, die Mebungen junger Männer im 
Gebrauche der Waffen im Fruͤhjahre und Herbſte, 
doch ohne Beeinträchtigung der bürgerlichen Berufs: 
arten, veranftalten, um and) der förperlichen Uebung " 
und Gewandtheit des Volkes fuͤr den Fall der Noth 
im Voraus ſich zu verſichern. 

Eine der ſchwierigſten Fragen der Staatskunſt 


bleibt: ob das Heer den Eid auf die Ver— 
faſſung zu leiſten habe? woruͤber in neuern 


Zeiten fuͤr und wider bedeutende Stimmen 
ſich erhoben haben. Einen Erfahrungsbeweis 
dafuͤr liefern die Heere Frankreichs, welche den 
Eid leiſteten. Was zunaͤchſt für dieſen Eid zu 
ſprechen ſcheint, iſt, daß ‚, mo eine Verfaſſung 
befteht, jeder Eingebohrne, fhon bevor er zur 
Fahne ſchwoͤrt, der Verfaffung Anerfennung und 
Geborfam gelobt Bat. Davon wird er, beim Ein- 
teitte in die bewaffnete Macht, nicht entbunden; 
vielmehr beſteht dieſe zunaͤchſt als Mittel für die 
Geſammtzwecke des Staates. Wo alfo jeder zum 
Milirärdienfte berufene Inlaͤnder, bereits vor 
feinem Eintritte in dieſelben, ber Verfaflung des 
Staates verpflichtet iftz da bedarf es Feines befon- 
dern Eides auf diefelbe. Allein Ausländer, 
welche in die bewaffnete Macht. (befonders als 
Dfficiere) eintreten, -Eönnen nur durch. den Eid 
“ auf die Verfaffung Mitglieder und Bürger 
. bes Staates werben. Denn fo wenig in verfaflungs- 
mäßigen Staaten Der Fall eintreten kann, das 
Militär als Gegenfag und Feind der Verfaf- 
fung zu gebrauchen; fo gewiß dürfen doc) auch die 
Krieger nie von den allgemeinen Verpflichtungen 


I 


% 


530 Staatsfunft. 


bildung des Innern Staatslebens, inwiefern ver- 
voſlkommnungsfaͤhige Wefen innerhalb des Staates 
zu Einem Öanzen verbunden find, und inwiefern 
jeder rechtliche Forefchrite des innern Staatslebeng 
ausgeben muß von der Verfaffung, Regierung und 
Verwaltung, oder von dem Organismus bes Staates. 
| Der unendliche Geift, den wir in der Sprache 
des Staubes Gott nennen, fenfte allen vernünftig- 
‚finnlihen Wefen das Streben nach) Aehnlichfeie mit 
ihm und nad) Annäherung an ihn, mithin das Stre- 
ben nach) grenzenlofem Sortfchritte ein. Die Philofo- 
phie nenne diefen Grundcharafter der Menfchheit, als 
Gattung , Die Vervollfommnungsfähigfeit 
der menfchlihen Natur, Sie liegt in jedem Indi—⸗ 
viduum unfrer Gattung, mithin in der ganzen Menfch- 
beit. Sie tft in der urfprünglichen Gefegmäßig- 
keit unfers Wefens begründet, mithin unvertilgbar. 
Sie fteht mit der. Freiheit des Willens in der in- 
nigften Verbindung, weil nur durch Freiheit entiwe- 
- der der Fortſchritt zum Beffern, mozu mir 
beftimmt find, oder der Ruͤckſchritt zum Schlech— 
tern erfolgt; denn in der fitrlichen Welt gibt es 
Fein Drittes — entweder Fortſchritt, ‚oder 
Ruͤckſchritt. 

Was aber fuͤr das Individuum als unveraͤnder⸗ 
liches Geſetz der ewigen Weltordnung gilt, muß auch 
für die Voͤlker des Erdbodens, als rechtlich geftal- 
tete Ganze fittlicher Wefen, und für die Staaten 
gelten, in welchen die Volfer leben. Sie find zum 
Sortfhreiten in der Eultur, d.h. in allen 
wefentlichen Bedingungen eines menfchlichen Dafeyns 
beftimmt, und alle Völker, welche in diefen Be— 
dingungen — in der Cultur des Bodens, des Ge- 
werbsfleißes, des Handels, der Wiflenfhaft und 


Staarskunft, | 5 29 


Friedrich 2, in dem Verſuche uͤber die Begie 
— in ſ. nachgel. Werken, Th. 6, 


5 ff. 

5 Bären d9 or m, Betrachtungen über die Krieger 

kunſt, über ihre Fortſchritte, ihre Widerfprüce und 
ihre Zuverläffigkeit. 4Bde. s. 1. (Leipzig) 1797 ff. 8. 
— F. von der Deden, Betrachtungen über das 
Verhaͤltniß des Kriegsftandes zu dem Zwede der 
Staaten. Hannover, 1800. 8. (Vgl. damit Goͤtt. 
An}. 1800, N. 168.) 

Ueber die Nachtheile der Militärfiaaten und der 
ftehenden Heere; f. ac. Sigism. Bes Grund⸗ 
ſaͤtze der Geſetzgebung, S. 250 ff. 

Aug. Wilh. v. Leipziger, Idee einer ſtehenden 
Armee im Geiſte der Zeit. Berl. 1808. 8. 
\ Der Krieg. Für. wahre Krieger. Leipz. 1815. 8. 

Ruühl von Lilienſtern, die teutfche Volks 
bewaffnung, in einer Sammlung der darüber in 
fämmtlihen teutfhen Staaten‘ ergangenen Verord⸗ 

nungen. Berl. 1815. 8. 

Schmitſon, die Wehr⸗ und Sqirmanſtat. 
Leipz. 1816. Fol. 

(Zylander?), die Heerbilduns · Minden, 


= 1820. 8. 

7 
o) Die in der Eultur, Berfaffung, Kegien . 
rung und, Verwaltung des Volfes ge 
meinfhaftlic enthaltenen Bedingun— 
gen der rechtlichen Fortbildung des 


innern Staatslebens (Lehre von den Refor⸗ 
men im Staate). 


Zu den ($.6.) aufgeitellten drei wefentlichen Bes 
dingungen des inneren Staatslebens gehört, nächft der 
Eultur des Volfes, und nähft dem -Organis- 
mus des Staates (berubend auf Berfaflung, Regie: 
rung und Verwaltung), auch die rechtliche Sorte 

34 


530 Staatskunſt. 


bildung des Innern Staatslebens, inwiefern ver- 
voſlkommnungsfaͤhige Wefen innerhalb des Staates 
zu Einem Ganzen verbunden find, und inwiefern 
jeder rechtliche Fortfcheitt des innern Staatslebens 
ausgehen muß von der Verfaffung, Regierung und 
Verwaltung, oder von dem Organismus bes Staates. 
Der unendliche Geift, den wir in der Sprache 
-des Staubes Gott nennen, ſenkte allen vernünftig: 
‚finnlihen Wefen das Streben nad) Aehnlichkeit mit 
ihm und nad) Annäherung an ihn, mithin das Stre- 
ben nad) grenzenloſem Fortfchritte ein. Die Philofo- 
phie nenne diefen Örundcharafter der Menfchbeit, als 
Gattung , die Vervollfommnungsfäahigfeit 
der menfchlihen Natur, Sie liegt in jedem Indi—⸗ 
viduum unfrer Öattung, mithin in der ganzen Menfch- 
beit. Sie tft in der urfprünglichen Gefegmäßig- 
keit unfers Wefens begründet, mithin unvertilgbar. 
Sie ftehe mit der Freiheit des Willens in der in- 
nigften Verbindung, weil nur durch Freiheit entwe- 
- der der Fortſchritt zum Beffern, wozu wir 
beftimmt find, oder der Ruͤckſchritt zum Schlech— 
tern erfolgt; denn in. der ſittlichen Welt gibt es 
fein Drittes — entweder Fortſchritt, ober 
Ruͤckſchritt. J 
Was aber fir das Individuum als unveränder- 
liches Gefeg der ewigen Weltordnung gilt, muß auch 
für die Wölfer des Erdbodens, als rechtlich geftal: 
tete Ganze fittlicher Wefen, und für die Staaten 
gelten, in welchen die Völfer leben. Sie find zum 
Tortfhreiten in der Eyltur, d.h. in allen 
wefentlichen Bedingungen eines menfchlichen Dafeyns 
beftimme, und alle Völker, welche in diefen Bes 
dingungen — in ber Cultur des Bodens, des Ges 
mwerbsfleißes, des Handels, der Wiffenfhaft und 








Staatskunſt. 431 


Kunſt — raſtlos fottſchritten, erſcheinen, nach dem 


Zeugniſſe der Geſchichte, als kraͤftige, lebensvolle 
Ganze, deren innerer Organismus nach Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung in ſich gleichmaͤßig ge⸗ 
ſtaltet war, und die — nach der Kraft und Staͤrke 
dieſes Organismus — jeden drohenden Sturm von 
außen zuruͤckwieſen oder baͤndigten. 

„Drer Fortſchritt des innern Volfs- und Staats- 
lebens beruht daher zuerft auf dem Fortſchritte der 
Eultur des Volkes, und dann auf den von biefer 
Cultur abhängenden zweckmaͤßigen Organismus des 
Staates nach Verfaflung, Regierung und Verwal» 
tung. Wo alfo ver Fortſchritt eines Volles in 
ben aufgeftellten Bedingungen ber Eultur unverfenn> 
bar wahrgenommen wird; da müffen auch die For⸗ 
men feiner Organifation, d. h. feine Verfaß 
fang, -Negierung und. Berwaltung,. gleih mäßig 
fortgebilder werden — d.h. es. müͤſſen Refor⸗ 


men eintreten —; oder fie veralten unaufhaltbart 


” ’ 52. . 
Die Reformen im innern Staatsleben 


‚Unter den Reformen im innern :Staatsleben 


werben, nach diefen Vorderfügen, bie allmähligen 


Fortbildungen, Werediungen und Nachhülfen. in ver 


Berfaffung, Regierung und Verwaltung eines. Staa 
tes verfianden, melche ihren legten Grund in dem 
Fortſchritten des Volkes nach allen wefentlichen Bedin⸗ 
gungen feiner Eultur haben. Nothwendig find 
dDiefe Reformen, fobald gemiffe Unvollkommenheiten 
in den Formen der Verfaſſung, Regierung und 
Varwaltung fo. beſtimme hervortreten‘, daß, bie .er- 
hoͤhten geiſtigen Beduͤrfniſſe des Volkes und die zu 
. 34" 


’ 


⸗ 


\ 


532 | Staatsfunft. 


einem feften Charafter ausgebildere (nicht. 
von einzelnen Tonangebern einfeitig .aufgeftellte ) 
öffentlihe Meinung mit diefen veralteten For⸗ 
‚men im entfehiedenen "Gegenfage erfcheinen; will: 
kuͤhr lich ſind fie, fobald Fein anerfanntes Beduͤrfniß 
‚in der Eultur des Volkes und fein gegründetes und 
allgemeines Urtheil in der öffentlichen Meinung die⸗ 
felben verlangt. | 
Diie Reformen im Staate dürfen aber nicht 
vom Volke, als Maffe, fondern nur v,on der gefeß- 
gebenden und vollziehenden Gewalt, als 
der vereinten höchften Macht im Staate, ausgeben. 
Daraus folgt, tbeils daß alle Reformen, von 
unten bemwirft und Durchgefege, eigenmächtig und 
widerrehtlich find; theils .daß in autofratifchen 
Staaten, wo bie gefeßgebende und vollziehende Ge⸗ 
walt in der Perfon des Regenten vereinigt find, nur 
von diefem die. Reformen ausgehen koͤnnen; theils 
daß in Staaten, wo der Regent und Die Stellvertreter 
des Volkes einen gemeinfchaftlichen rechtlichen Theil 
an der gefeßgebenden Gewalt haben, den Stellver- 
tretern des Volkes ein Stimmredht an den Refor⸗ 
men infofeen zuftehen muß, inmiefern fie entweder” 
diefelben ‘bei dem Negenten in Vorfchlag und Anres 
gung bringen koͤnnen, ober die von dem Regenten 
vorgefhlagenen und beabfichtigeen Reformen zu prü- 
fen und mit dem Eulturzuftande des Volkes, fo wie 
mit deflen anerfannten Bebürfniffen, zu vergleichen 
berechtigt ſind. —— 
53. 
| Sortfegung 

Ob nun gleich die Staatskunſt nicht im Einzel⸗ 
nen für.einen gegebenen (d. h. geſchichtlich vorhande⸗ 


/ 





Staatskunſt. | 533 


. nen) Staat den Zeitpunct, mo Reformen nöthig ge 
worden find, und die Art und Weife, wie fie ins 
innere Staatsleben eintreten follen, anzugeben ver⸗ 
mag; fo Fann fie doch, ‚geftügt auf Erfahrung und 
Geſchichte, einige allgemeine Örundfäge bes- 
halb aufitellen : u 

Reformen werden Bedürfniß, fobald durch den 
Sauf der Begebenheiten und durch die Veränderung 
der Verhältniffe gemwiffe Formen des innern Staats⸗ 
lebens fo veraltee find, daß fie entweder von felbft 
theilweife oder ganz verfchmander , oder daß ihre fort- 
‚dauernde Beibehaltung mit einem allgemeinen Ge: 
fühle des Druckes vderfelben verbunden ift, und die 
gegründete und unpartheiifche öffentliche Mei— 
nung für deren Abfchaffung fich erklärt. 

Erfennt die hoͤchſte Gewalt in folchen entfchei- 
henden Augenbliden des innern Staatslebens das 
Bebürfniß der Reformen an; fo erfolgen fie natur- 
gemäß (mie nämlich) in der Natur au die Stelle 
eines veralteten und abgeftorbenen Theileg ein neuer 
und lebensvoller tritt), allmählig (in unvermerf- 
ten Vebergängen aus dem Bisherigen in das Neue), 
und. ohne innere Erfchütterug (weil nur das 
Veraltete, nicht: auch zugleich das Brauchbare und 
Bewährte, umgebildet wird). (So frat vor 300 
Fahren in den proteftantifchen Staaten die Kirchen 
verbefferung, geftüge auf die Idee der religiofen 
und kirchlichen Freiheit, ohne Gewalt, ohne Blut 
und ohne innere Erfchütterung des Staates ing öffent: 
liche Leben überall ein, mo fie Durch Feine Reaction ge- 
hindert ward.) | | 

Die Reformen im innern Staatsleben koͤnnen 
aber theils die gegenfeitige Ausgleichung der allge 


534 . Staatsfunft. 


meinen Bedingungen der Eultur des Volkes, theils 
den Organismus des Staates betreffen. 
Im innern Staatsleben werden nämlich) durch 


Reformen die allgemeinen Bedingungen der 


Eultur des Volkes ausgeglihen, wenn z. B. 

Sflaverei und Seibrigenfchaft da aufgehoben werden, 
wo fie noch beftehen; wenn der Landbau, nach allen 
feinen Zweigen, von lähmenden, aus der Vorzeit 
flammenden, Feſſein befreit, wenn der Gewerbs— 
fleiß in Hinficht des Zunft: und Innungsweſens 
verbeflert, Die Freiheit des Handels ausgefprochen, 

das Reich ber Wiffenfhaft als’ ein Reich der 
geiftigen Freiheit betrachtet und behandelt, und der 
Kreis der Kuͤnſte dem Kreiſe des toirPlichen Lebens, 

zur Veredlung und Verſchoͤnerung deſſelben, ange- 
nähert wird. Unvermerkt und allmählig verſchwinden 
fodann in allen diefen Grundbedingungen der menſch⸗ 

lichen Eultur die bis dahin lähmenden und mit dem 
Fortſchritte des Wolfes veralteten Berhältriffe. 

Im innern Staatsleben kann aber auch der 
Organismus des Staates felbft durd Refor- 
men zeitgemäß fortgeführt und zu neuer Kraft erhos 
"ben werden. Dies gefchieht 1) in Betreff der Ver⸗ 
faffung, wenn 5. B. da, wo noch feine gefchriebene 
Verfaſſung beftand, durch eine gegebene Berfaffungs- 
urfunde das gefammte.innere Staatsleben auf eine 
fefte vechrliche Unterlage zurücgeführe, ober eine be— 
- reits beftehende Verfaſſung, nach den eingetretenen 
und anerkannten Beduͤrfniſſen, in einzelnen Theilen 
veraͤndert wird (z. B. wenn ſtatt Einer Nationalver⸗ 
ſammlung zwei Kammern eingefuͤhrt werden u. ſ. w.); 
2) in Betreff der Regierung, wenn eine unbe— 
ſchraͤnkte Regierungsform in eine verfaffungsmaͤßig 
beſchroͤnkte, oder eine bis dahin beſchraͤnkte in eine 





Staatsfunft. 335 


x unbefchränfte (mie ;. 3, in Dänemark im Jahre 
1660), oder eine Wahmonarie in eine erbliche 
(wie z. B. Ungarn im J. 1687), oder eine erbliche 
in eine Wahlmonarchie (mie z. B. Polen feit dem. 
3. 1572) übergeht; und 3) in Betreff ver Verwal—⸗ 
tung, wenn entweder in der Organifation und gegen- 
feitigen Stellung der höchften Verwaltungsbehoͤrden 
(der Minifterien, des Staatsrathes u, ſ. w.), oder 
in der. Geſtaltung der vier Hauptzweige der Verwal⸗ 
tung (der Gerechtigkeitspflege, der Polizei, der Fi- 
nanzen und der bemaffneten Macht) völlig Durchgreie 
fende, ober nur theilmeife Veränderungen erfolgen. — 

Je gewoͤhnlicher in neuerer Zeit die Veraͤnderungen in 
der Verwaltung geweſen ſind; deſto mehr iſt bei den⸗ 
ſelben weiſe Schonung des Veſtehenden und Beruͤck⸗ 
ſichtigung anerkannter Beduͤrfniſſe feſtzuhalten, 
weil, bei den Fortſchritten der Voͤlker in der Cultur, 
die ununterbrochenen und nicht als dringend noͤthig 
erkannten Veraͤnderungen in der Verwaltung mehr 
Unzufriedenheit, als Zuſtimmung erregt haben. Denn, 
ungeachtet der von Mehrern behaupteten unruhigen 
Beweglichkeit der Voͤlker, liegt doch in dem Kern 
eines jeden Volkes (von— welchem Individuen 
genau unterſchieden werden muͤſſen), ein Princip 
der Staͤtigkeit, auf welchem die eigentliche, 
Kraftäußerung des innern Staatslebens 
berußt, und welches eben fo die veralteten Formen. 
von fi & ftößt, wie es die unvorbereifeten und nicht 
as - anerfannten Bebürfniffen Hervorgehendeh ibm” 
aufgedrungenen neuen Formen entweder mit Gleich» 
güͤltigkeit behandelt, ober mißbilligend erträgt und, 
jöbald es kann, zuruͤckweifet. 


Einen Reichthum von trefflichen nolitiſchen An⸗ 
fichten und Grundſaͤtzen enthält Ancillon’« Abs 


“ 


536 Staatskunſt. 


Handlung : über die Zeichen der Zeit tn Sin 

fiht politifher. Reformen (in f. Schrift; 

über die Staatsmiffenichaft, "Berl. 18230. 
8.) beſonders S. XV — Xxxxii 


54. 
Ueber Revolutionen. 


Nach dieſen ($.52. und 53. ) aufgeftellten Grund⸗ 
ſaͤtzen iſt es nicht möglich, Reformen mit Revolutionen 
zu verwechſeln. Die Reformen gehen von der recht⸗ 
mäßigen Gewalt im Staate aus, und haben die Fort⸗ 
bildung, Verjüngung und Befeftigung des innern 
Staatslebens zum Zwede; durch Nevolutionen hin- 
gegen wird die eechtmäßige Gewalt im Staate ent 
weder erfchüttert, oder gewaltſam umgeftürzt. Die 
Reformen Enüpfen das'nöthig germordene Beſſere und 
Neue an das Weraltete an, bas bisher beſtand, fie 
haben alfo eine geſchichtlich⸗ Unterlage; die Kevolu- 
tionen vernichten gewöhnlich die ganze bisherige Grund» 
lage des innern Staatslebens. Die Reformen wirken 
‚ mohlthätig auf die Fortfchritte der Eultur der Völker, 
und auf die cheilmeife Umbildung des Staatsor- 
ganismus ein, weil. fie mit Umfiche berathen und 
ausgeführt werden; im Sturme der Revolutionen hin» 
gegen werden nicht felten wefentliche Bedingungen der 
Cultur unwieberbringlich zerftört und brauchbare und 
\ unbrauchbare Beſtandtheile des Staatsorganismus 

mit Einem Schlage vernichtet, weil die meiſten Re— 
volutionen die Geſ ammtheit der bürgerlichen Ver⸗ 
haͤltniſſe erſchuͤttern. J 

So wenig nun, nach dieſer weſentlichen Verſchie⸗ 
denheit beider, Reformen und Revolutionen mit ein⸗ 
ander zu verwechſeln ſind; ſo feſt ſteht doch auch der 

Erfahrungsgrundfag: daß den me ifte n, wo nicht 


Scaatstunſ 337 
allen, Kevolutionen durd jeitgemäße Rei 
Formen hätte vorgebeugt werden fönnen, be⸗ 
ſonders inwiefern unter denſelben eine gewaltſame 
Umbildung der bisherigen Grundlage des 
innefn Staatslebens und des geſammten 
Staatsorganismus, nah Werfaflung, Res 


. gierung und Verwaltung, ‚ verftanden wird, womit, 


als unmittelbare Folge, in. ben meiften Fällen eine 
völlige Veränderung und Ummwandelung 
der äußern Verbältniffe des Staates,nadh. 


‚feiner Wechſelwirkung mit andern Staaten, in noth⸗ | 


wendigem Zufammenhange ſteht. — 

x Allein es, darf nicht «überfehen werden, daß in. 
ber. Geſchichte der Ausdruck Revolution, außer, 
der angegebenen, auch in mehrfacher Bedeutung ges 
braucht wird. So redet. fie von Revolutionen,- 
wenn durch fühne Eroberer die beftehende Ordnuug 
der Dinge in einzelnen Reichen oder Erdtheilen völlig, 


veraͤndert ward (z. B. bei der Bildung des perfifchen 
Kaiſerreiches, welchem alle bis dahin in Mittel - und 


Vorderafien , und in Aegypten beftehende felbftftan- 


dige Reiche und Staaten einverleibt wurden; bei der 
Begründung der macedonifchen Welcherrfchaft durch 


Alerander; ‚bei dem Untergange des römifchen Weft- 
reiches in Folge der Stürme der Wölfermanderung ; 
bei den Eroberungen und Zerftorungen der Dſchingis⸗ 
fane, Tamerlane, Babur u. a.); — ferner von 
Thronrevolutionen, wenn, ohne weſentliche 
Umgeftaltung des innern Staatslebens, bald durch 
die Geiftlichfeit und den Adel, bald durch Mitwir- 
fung des Volkes, entweder nur Ein Regent, oder eine 
ganze NRegentendynaftie der Herrfhaft in einem Staate 
beraubt ward (3.3. als in Sranfreich die Merovinger 
den Sarolingern, „ bie Carolinger ben Capetingern, 


339°. Staatsfunft. 


in England die Stuarte dem Oranier und dem Haufe 
Braunſchweig, in Portugal die fpanifchen Könige 
dem Haufe Braganza, in Schweden die dänifchen- 
Könige der Dynaftie Wafa weichen mußten , oder wie 
Chriftian 2 von Dänemarf, Guftav 4 von Schwe- 
den, Selim 3 vom Throne verdrängt, und Napoleon 
vom Senate Sranfreichs entfeße ward u..a.); — weis 
tee von Revolufionen, wenn vormalige Provin- 
zen oder Kolonieen vom Mutterlande ſich losriffen und 
ihre Unabhängigkeit und Selbfiftändigfeie erfämpften 
(3. B. die Schweizer feit 1308, die Niederländer ſeit 
1579, die Nordamerifaner feit 1776, und neuerlid) 
Hayti, Columbia, Merifo, Peru, Ebili, Brafilien, 
u. a.); — und endlich von Kevolufionen, wenn 
die ganze bisherige Unterlage der Verfaflung, Regie⸗ 
rung und Verwaltung umgewandelt ward (wie z. DB. 
bei der Aufhebuug des Lehnsweſens in Frankreich am 
4. Aug. 1789; bei den darauf folgenden Revolutio⸗ 
nen in Batavien, Ligurien, Eisalpinien, — und in 
 fpäterer Zeit in. Spanien, Portugal, Neapel und . 
Piemont). 
So widerrechtlich, nad den Grundfägen 
des Staatsrechts, eine Revolution- ift, weil fie die 
rechtliche und verfragsmäßig beftehende Grundlage 
des innern Staatslebens gewaltfam erfchürtert, 
und fo unzweckmänßig, nad den Ausfagen der 
Staatsfünft, die meiften Revolutionen erfcheinen, weil 
fie nicht felten das innere Staatsleben zerftören, ſtatt 
es zu verjüngen, gewöhnlich in lang dauernde Bürger: 
friege, bei dern gegenfeitigen Ankampfe der entgegen= 
gefegtenPartheien und Sactionen ®), übergehen, 


*) Zwifhen Partheien und Factionen muß, im 
engern Sinne, fo unterfhieden werden, daß fid) 


⸗ 


— 





Staatsfunft. ‚339. 


"und in den meiften Fällen auch Das ganze bisherige: 
Verhältniß des Staates zum Auslande, nicht oßme: 
nachtheilige Ruͤckwirkung auf deflen i innern Woblſtand 
und auf deſſen Verbindung nach außen, veraͤndern; ſo 
darf doch auch das Zeugniß der Geſchichte nicht übers 
gangen werben, daß weder jemals unter einem aus⸗ 
gezeichneten Regenten. eine Revolution im Innern des 
Staates erfolgte (z. B. unter Karl dem Großen, un- 
ter Heinrich 4 von Frankreich, unter Wilhelm dem 
Oranier und Georg 1 von England, unter Friedrich 2 
von Preußen u.a.), der durch feine perfönlichen Eigen» 
ſchaften das Ganze des Staates gleichmäßig umfchloß 
und leitete, noch, daß irgendwo eine Revolution 
eintrat, 100 Regent und Volk einverftanden waren, 
wo weife Reformen im ganzen Staatsorganismus den 
FSortfchritten der Eultur des Volkes entgegenkamen, 
wo namentlich die verfchiedenen Stände im Volke 
gleihmäßig behandelt wurden, wo feine drüdenden 
- Saften in Hinficht der Steuern und Abgaben, feine 
unerſchwinglichen Schulden, keine Finanzdeficits und 
feine willführlichen Eingriffe in bie Gerechtigfeits- 
pflege beftanden. Denn Ordnung und Ruhe, Eultur 
und Wohlftand, Treue und Anhänglichfeit an den 
Regenten und an die Verfaflung fündigen ſich , nach 
den Ausfogen ber Gefchichte, überall im inneren 
Staatsleben an, mo Verfaffung, Regierung und 
Bermaltung — geftügt auf die von oben ausgehen» 


Partheien bilden, wo verfchtebenartige Grunds 
fäge einander fi) fcharf gegen über ſtellen ( Whigss 
und Torys in-England, Muͤtzen und Hüte in Schwer 

‚ den), Sactionen-aber, wo gegenfeitige Gewalt 
Handlungen erfolgen. — erst, Fr. Buchholz, 
über politifhe Partheien, in f. Journale 
für Teutſchland, 1816, Band 4 ©. 112 ff. 


5410 J Staatskunſt. 


den Reformen — ein gleichmaͤßiges und harmo⸗ 
niſches Ganzes bilden. 

Ein Mann, der weder nach ſeiner Geburt, 
noch nach dem Orte, wo er nachſtehende Worte 
fprach , zu den Revolutionairen gehören kann , ford 
Aberdeen, gab im brittifhen Dberhaufe 
folgende Erflärung: „Der Grund aller Revolutio- 
nen neuerer Zeit liegt, mas aud) die Diener des 
Defpotismus Flügeln und heucheln mögen, in der 
vorfäglichen Beleidigung der heiligen Rechte des 
Volfes, Iſt dann die Wuth ausgebrochen; fo 
benuge allerdings der Eigennutz dieſe ſchrecklichen 
Waffen, um ſich auf den Trümmern des umge- 
flürzten Staatsgebaudes einen Thron zu. errichten. 
Rechtliches Benehmen, rehtlihe Regen- 
tenhaltenjedesPVolfim Zaume, Sie find 
es ſich felbft Khuldig ‚, daß fie dem Volfe nicht zu 
viel auflegen, daß fie feinen Beſchwerden abzuhel« 
fen fuchen, und nicht alles hinter dem Schleier des 

| Staatsgeheimniffes verbergen.‘ 

(Aſcher), Ideen zur natürlichen. Geſchichte der 

politiſchen Revolutionen. s. J. 1802. g. 

Ueber den Geiſt des Zeitalters und die Gewalt 
der oͤffentlichen Meinung. s. 1. 1797. 8. 

Fr. Buchholz, über Staatsummälzungen und 
Berfaffungsurtunden, in f. Sjournaf für Teutſch⸗ 
land, 1817. Band g., S. 47 ff. 

Heinr. GEtli. Tzfirn er, die Gefahr einer 
teutſchen Revolution ‚beleuchtet, Leipzig, 1822. 8. 
N. A. 1823. 


55. 
- Weber Reactionen in politifher Hinfihe 


Ob das menſchliche Geſchlecht, nad) dem feche- 
taufendjährigen Zeugen . ber allgemeinen Geſchichte, 





“ Staatskunſt. 541 


zum Beffern fortſch reite, oder, nach einigen ge⸗ 


machten Fortſchritten, wieder ruͤckwaͤrts gehe (denn 
ein Stillftand zmoifchen Vorwärts und Ruͤckwaͤrts 


ift nur ſcheinbar, und in der Geifterwelt-fo wenig vor« - - : 


banden, wie in der Natur), ift nicht ohne Schwie« 


rigkeit zu entſcheiden, befonders wenn der befchränfte 


DBli Dabei auf einzelnen Reichen und Staaten‘, und 
auf einzelnen Zeiträumen haftet; denn unfer Geflecht, 
im Ganzen und Großen gefaßt, dürfte doch in 
intellectueller, bürgerlidher, religiöfer 


und ſittlicher Hinfihe im 19ten chriftlichen Jahr⸗ 
hunderte höber ftehen, als die Welt des Alterthuums 


im: gefeierten Zeitalter des Perifles, der. Antonine, 
des Ulpians, des Al, Mamum, „Karls des Großen 
und Karls Des fünften! Daß aber, nad) den ſechs⸗ 
taufendjährigen dorderungen der Vernunft, des aͤlte⸗ 
flen Bürgen des Göttlichen im Menſchen, unfer gan« 
zes Gefchlecht, wie Das Individuum, ni ht ruͤckwaͤrts, 
ſondern vorwärts ſchreiten folle, hat felbft der 
bodenlofefte Myfticismus und die fühnfte Diplomatie \ 
nicht wegläugnen fönnen! Denn fo lange. Paulus 


Recht behält, daß wir göttliden Geſchlechts 


find, ift die Bewährung diefes göttlichen Urfprungs 
und die Annäherung an den unendlichen Geift nue 
durch Fortſchritt zum Beſſern moͤglich. 


Zu dieſem Fortſchritte gehoͤrt aber weſentlich 
auch der zum Beſſern fortſchreitende Organismus des 
Staates, vermittelſt zeitgemaͤßer Reformen ($. 52. 
und 53.), weil nur.das Seben im Staate der 
einzig. rechtliche aͤußere Zuſtand fuͤr Weſen unſrer Art 
iſt, und der Staat, aus dieſem Standpuncte be- 
trachter, nicht bios als Rechtsanſtalt, ſondetn auch 


als Entwidelungs- und Sortbildungsanftat.d des in 


542 | Staatskunſt. 


jedem Staate lebenden befondern Theiles der Menfch- 
heie (Staatsr. $. 4.) erfcheint, 

Wo daher diefer Fortſchritt gehindert und aufge⸗ 
halten, und das ‚bereits ins oͤffentliche Voͤlkerleben 
eingetretene Beſſere abfichtlich im freien Entwickeln 
zerſtoͤrt, abgeſchafft und vernichtet wird; da muß noth⸗ 
wendig Ruͤckſchruͤtt eintreten. Man nennt aber die 
ſes abfihelihe Hindern des Fortſchritts 
des Beſſern im öffentlihen Volks- und 
Staatsleben, und das Barnidhten deffel- 
ben, um an beffen Stelle das beveits 
Veraltete und Untergegangene zu feßen: 
Reaction, und verfteht unter dem Reactions— 
ſy ſteme das planmäßige und behareliche, gewöhnlich 
gewaltſame Anwenden und Durchführen aller bee 


Maasregeln, wodurd das ing’ öffentliche Volker⸗ und 


Staatsleben bereits eingetvetene Beſſere zerſtoͤrt, und 
das von dieſem Beſſern Verdrängte nach feinem gan 
gen Umfange (und oft in einer noch erweiterten Bes 
ziehung) wieder hergeftelle werden ſoll. 

Dieſes Reaetionsfyften ift, nach dem Zeugniffe 
ber Gefchichte, fo alt, als die Verſuche des menſch⸗ 
lichen Geſchlechts im Beſſern fortzuſchreiten. Nach 
bdieſem Keactionsfofteme follte die Gefeßgebung des 
Moſes bereicts -in der arabifhen Wuͤſte durch eine 
meuterifche Horde vernichtet werden; nach demfelben 
mußte Sofrates den Giftbecher leeren; nach dem 
ſelben fiel Das Haupt bes Kohannes; nach dem⸗ 
ſelben blutete der goͤttliche Stifter des Chri⸗ 
ſtenthums auf Golgatha; nach demſelben wurden 
ſeine Apoſtel die Maͤrtyrer des neuen, uͤber die 
Menfchheit aufgegangenen, Lichtes; nad demſelben 
ſtarben Tauſende, wahrend der Chriſtenverfolgungen, 
eines gewaltſamen Todes; nach demſelben wurden die 


Staatskunſt. 543 


Waldenſer, bei welchen: zuerft die Morgenröthe 
des gereinigten Chriſtenthums bammerfe, verfolgt; . 
nach demfelben erlitt Huß den Seuertod, und Luther 
ftarb im päpftlichen Banne und in der Reichsacht. 
Fuͤr diefes Syſtem wirfte die Snquifition in 
‚vielen europäifchen Reichen, feit die erften hellen Ge- 
danken im dreizehnten Jahrhunderte die dunkle Nacht 
‚bes Mittelalters erleuchteten, und feit 1540 ber 
Kefuiterorden, nachdem die Kirchenverbeflerung 
die große Idee der religiöfen und Firchlichen Freiheit 
ins öffentliche Leben der Wölfer und Reiche des Nor- 
dens von Europa eingeführt und befeftige harte. Als 
‚Opfer diefes Syſtems fanfen Hunderttaufende, wäh- 
rend des breißigjahrigen Krieges ins Grab, bis end- 
lich der weftphälifche Friede, über Die Grundfäge, der 
tamormain und Carafa fiegtel — . 

Allein, wenn auch dag Reactionsſyſtem in. rer 
ligiöfer und kirchlicher Beziehung an fich der 
Staatsfunft nicht fremd iſt, weil die Ideen der Firch- 
lihen Freiheit feit den Zeiten des Huflitenfrieges bis’ 
zum Abfchluffe des weftphälifchen Friedens die Mit 
telpuncte der damaligen europäifchen Staatskunft, 
bildeten; fo wird doch in der Politif neuerer Zeit 
der Begriff des Reactionsſyſtems zunachft bezogen auf 
Die Kämpfe gegen die weitere Verbreitung der Idee 
ber bürgerlichen und polieifchen Freiheit im öffentlichen. 
Volks⸗ und Staatsleben, und auf das planmäßige Be⸗ 
ftreben,, ven allmähligen Fortfchriet und die Reformen 
im innern Staatsleben gemwaltfam aufzuhalten, und 
ſtatt der bereits eingetretenen neuen Formen bie vor⸗ 
mals beftandenen herjuftellen. Doch follen, den Be—⸗ 
griff, der Keactian im weitern Sinne genommen, bie 
abfihtlichen Beftrebungen, an bie Stelle der Auf 

flärung wo möglich wieder Die Dunkelheit des Mittel⸗ 


544 - Staatskunft. 


alters, an die Stelle‘ einer gefunden iind gereinigten 
Philoſophie die Nebelhüllen des Myſticismus, an bie 
Stelle der Religion, die Gott im Geiſte und in ber 
Wahrheit anbetet, ven Glauben an Menfcheriautorität 
und die Beobachtung finnlofer äußerer Gebräude 
zu fegen, von biefem Begriffe nicht gerade ausgeſchloſ⸗ 
ſen werden. 

Dagegen erhellt aus der angegebenen Begriffs: 
beftimmung von felbft, daß nicht das Reaction: hei⸗ 
fen könne, wo man von Seiten der höchften Gewalt 
entweber ein Wolf für. Reformen noch nicht reif 
findet, oder wo man, aus Furcht, zu weit gehen 
zu: möffen, ſelbſt den Anfang dieſer Reformen ver: 
meibet und in die Gerne verfchiebe. Allerdings mag 
in diefem Falle manches noch ftehen bleiben und 
fortdauern, was im: Staatsorganismus bereits ver» 
alter iſt und fich überlebt hat; allerdings mag, in fol- 
chem Falle, dieſes Veraltete mit dem Bortfchreiten 
des Volkes in allen Hauptzweigen der Cultur, und 
‚mit dem regen öffentlicyen geben, fo wie mit der politi« . 
ſchen Verjüngung benachbarter Staaten und Reiche 
vermittelft zeitgemäßer,, von oben ausgehender Refor⸗ 
men im ſtarken Gegenfase erfcheinen ; allein Reaction 
fann es nicht ‚genannt werden, weil die Reaction 
jedesmal etwas ſchon vorhandenes Beſſeres, an die 
‚Stelle eines untergegangenen und abgefchafften Ver⸗ 
alteten, im öffentlichen- Völker» und Staatsleben 
voraüsfegt, und, nach ben Ausſagen der Gefchichte, 
die forffchreitenden Voͤlker und Staaten weit leid 
ter die Beibehaltung und fhonende Be 
bandlung veralteter Sormen erfragen, in 
welchen nicht felten bereits im Stillen unmerflich be- 

deutende DBeränderungen von felbft erfolgt find, als 
die planmäßige, und gewöhnlich nicht- ohne geiden- 


et 


Staatskunſt. | — 543 


ſchaftlichkeit durchgefuͤhrte Abſchaffung und Zerſtoͤrung 
der ins Öffentliche Leben uͤbergegangenen Verbeſſerun⸗ 
gen. Denn’mag dieſe Abſchaffung und Zerſtoͤrung 
entweder eine bereits angenommene neue Verfaſſung, 
aber eine veränderte Regierungsform, ober. die Umge⸗ 
ſtaltung der Hauptgegenftände der Verwaltung — die 
Serechtigfeitspflege, die Polizei, das Finanzidefen, 
oder die Organifation-der bewaffneten Macht — be⸗ 
treffen; fo greift doch thatſachlich die Herftellung des 
Vormalsbeſtandenen fo tief in alle Werhältniffe des 
öffentlichen Staatslebens und: felbft bes häuslichen 
bürgerlichen gebens eih, daß Taufende dadurd) nicht 
blos in ihrer Ueberzeugung, fondern auch im ihren 
wohlerworbeten Rechten, in ihrem rechtmäßigen Be- 
ſitzthume und in ihrem Wohlftande für immer geftöre 
und gefaͤhrdet werden. Nothwendig müffen daher,’ 
mit der Anwendung des Reactionsſyſtems, Unzufries 
denheit und Gährungen, nicht felten Parrheifämpfe, 
und felbft mwiderrechtliche und leidenfchaftlihe Auf: 
wallungen und Anftrebungen bes gereisten Volfsgei- 
ſtes zuſammenhaͤngen, die, weil fie nur. Durch gervalt« 
fame Mittel befchwichtige werden fünnen, nicht felten 
die Unzufriedenheit und Erbitterung fleigern, welche : 
um fo gefährlicher für die Zufunft wird, je mehr fie . 
— geſchreckt durch die Gewalt — in die Werborgen- 
heit ſich zuruͤckzieht. 
Ie ſtaͤrker aber die Geſchichte in unzähligen Bei: 
fpielen die mit der Anwendung des. Neactiönefnftens 
verbundenen bedenflihen Folgen vergegenmärfigr, 
die entweder fogleich in aufmogenden innern Stür- 
men, oder in einer allmähligen Entfräftung 
- des ganzen-innern Staatslebens „.und in dem unauf- 
haltbaren Sinken des ganzen Staatsorganismus fic) 
anfündigen; deilo wichtiger wird es für Die Staats: 
J. 35 


” \ 


546 | Staatsfunft. . 
kunſt, mit Ruhe und. Befonnenkelt den erreichen 
Culturgrad des einzelnen Volkes und Staates zu er- 
forfchen, das in anerfannten Bebürfniffen angedeusete 
Beflere durch allmählige und vorfichtig geleitete Ne 
“formen einzuführen , und jede Reaction zu vermeiden, 
weil, fo weit Die Gefchichte reiche, noch nie bei einem 
Bolke des Alterthums und der neuern Zeit, durch die 
Anwendung des Reactionsfpflems, der innere Zuftand 
deffelben verbeſſert, die äußere Ankuͤndigung deffelber 
verftärft, und der Fortſchritt des Ganzen in der Cul⸗ 
tur und im allgemeinen Wohlſtande kewirft, vielmehr 
dadurch nicht felten der ungeregelte gemaltfame An- 
fampf gegen dag Reactionsſyſtem berbeigeführg, und 
das gefammte innere Staatsleben nach: allen feinen 
Bedingungen auf Jahrhunderte hin’ erſchuͤttert, oder 
ſogar dem voͤlligen Untergange preis gegeben. wor⸗ 
den iſt. 
Benj. Constant, des reactions poltigunn 
Paris, An V. & 
Wiih. Tat. Krug, über die ehefgängige Bewe⸗ 
gung —8 Zeitalters; in ſ. Kreuz⸗ und. Queen 
zuͤgen, ©. 218 ff. — 


B) Lehre von dem aͤußern Staatsleben. 

ZZ 66. 
Ueberſicht der Bedingungen und Ver— 

—bdaͤltniſſe des aͤußern Staatslebens. 

| Wenn die Staatskunft, als Wiſſenſchaft, die 

Darſtellung des Zufammenhanges zwifchen. dem in 


nern und äußern Staatsleben nad) den Grund» 
fügen des Rechts und der Kingheit enthält; fo-muß 





N 


Staarstunfl. I 547 


fie, naͤchſt der Entwickelung ber gefammten- Bedin⸗ 
gungen und Verhaͤltniſſe des innern Staatslebens, 
“ aud) die Lehre von den Bedingungen und Ber 
hältniffen des außern Staatslebens 
wmfchließen, und zwar nach der Abhängigfeit, in 
welcher bei. jedem zweckmaͤßig organifirten Staate, 
das aͤuß ere Staatsleben von dem innern erſcheint. 


Die Lehre von dem außern Staats leben zerfalle 
aber in zwei Teile: | 
4) in bie Darſtellung der Geundfäge der | 
Steacskuaſt fuͤr die Wechſelwirkung und Verbin⸗ 
dung bes einzelnen Staates mit allen ubrigen neben 
ihm beſtehenden Staaten; udd 


9) in die Darſtellung der Grundſaͤtze ver Staats⸗ | 


u kunſt für die Antvendurg des Zwanges nad) ange» 
drohten oder erfolgten Rechtsverletzungen. 


Sobald die Staatsfunft als Wiffenfchaf für 
ſich, ohne Anſchließung derfelben an das Natur- 
. und. Völferreht und an das Staats» und Staa⸗ 
tenrecht, behandelt wird, muß in bie Lehre don dem 
 außern Staatsleben vieles aufgehommen werden, 
was in diefem Werke bereits im pbilofophiſchen 
—Voͤlkerrechte, beſonders aber im Staaten 
rechte (Staassr. $. 67.— 76.) aufgeftellt worden 
ift. Dahin gehört zuerft die deutliche Wergegen- - 
wärtigung aller aus der Vernunft unmittelbar her - 
vorgehenden Bedirigungen (Naturr. $. 43. - 57.) 


der urſpruͤnglichen Rechte aller Voͤlker; fo: 


dann die Entwickelung der Grundſaͤtze von det 
rechtlichen Wechſelwirkung und Vorbindung 
des einzelnen Staates mit allen uͤbrigen neben ihm 


beſtehenden Stwaten;, nach ber gegenfeitigen An- 
. erkennung ihrer —— und Riegelcac⸗ 
35 | 


7 


548 Staatskunſt. 


nach den zwiſchen ihnen beſtehenden oder abzuſchlie⸗ 
ßenden Vertraͤgen, und nad) den Grundlagen ihrer 
gegenſeitigen Verbindungen zu gemeinfchaftlichen 
e: Zwecken; fo wie die Darſtellung der Grundſaͤtze 
für die rechtliche Anwendung des Zwanges zwi⸗ 
ſchen den Staaten. — Da nun in der, auf das 
vorausgegangene Staatsrecht geftüsten, Staats» 
$unft:.dies-micht. wiederhoblt, und eben fo. wenig 
dag zwiſchen den einzelnen euröpäifchen Staas 
ten in der Wirklichkeit beſtehende Verhaͤltniß aus 
„ber. ſelbſtſtuüͤndigen Wiſſenſchaft Des 
practiſchen europäifhen. Voͤlkerrecht s 
in die Staatskunſt gezogen werden darf; ſo folgt, 
daß die Staatskunſt — in der Mitte zwiſchen dem 
philoſophiſchen Staatenrechte und dem. practiſchen 
europaͤiſchen Voͤlkerrechte — bei ber Lehre von dem 
Gußern Staatsleben, mit den im Staatenrechte 
“ aufgefteflten Grundfägen des Rechts die aus ber 
- Gefhichte hervorgehenden Regeln ber Weisheit 
- und Klugheit für die Wechſelwirkung der neben 
einander beftehenden Staaten verbinden muß, ohne 
in das Einzelne der Gefchichte der zum europäifchen 
"-Staatenfofteme gehörenden: Reihe und Staaten 
ſelbſt einzugehen, weil Dies dem practifchen euro» 
- päifchen Voͤlkerrechte überlaffen bleibt. E 


. 2 57 V 
a) Darftellung der Grundſäaͤtze der Staats— 
funft für die Wechſelwirkung und. Ver— 
bindung des einzelnen Staates mit-.allen 
übrigen neben ihm beſtehenden Staaten. 
Das Staatsintereffe. 


Geſtuͤtzt auf die allgemeinen Grundfäße fir das 
rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten des 





Staaietuaſt. 39 


Erdbodens GStaatsr. 9. 68.), muß die Stantskunſt 
acht das Staatsintereffeiks einjelnen Sinai 


tes bei ſeiner Wechſelwirkung und Verbindung: mie 


atidern Staaten beruͤckſichtigen. So: wie der einzelne) 
Menſch, außer feiner allgemeinen Beſtimmung zur 
HUREN und zum Rechte ; Seinen befsausen‘ Zwech 
ſaines Ardifchen lebens (als Brunbbefiger, akt Bewerb« 


betreibender, als’ Kaufmann, als. Gelehrter ;ı alsi 


Kinftler u: ſ. mw.) zu verwirklichen ſtrebt; ſo giht "es: 
auch fur: jeden einzelnen Staat, außer der: Erfuͤllung 
der allgemeinen Rechtsbedingungen gegen andere Stans 
ten, ein befonderes&taatsinrecoffe, Das aus 
feinen geographiſchen Sage, als Binnen «oder Küftens 
float‘, “Als Satferbauenider;:oder als gewerbereibender 
eg: Harbelsftaät; ſodann ::aus. feinen Mimsatifcyent 
Beehaͤliniſſen, aus den: urſpruͤnglichen Roichthuͤmerm 
feines: Bodens, aus' der Groͤße fehler: Bepöfferung,} 
aus Bev:zrreichten: Stufe der Unter feinen Brunner, 
süß‘. feiner Ahr. eigentgümlichen: Verfaffung;' Regie⸗ 
türg und Verwaltung, aus fohher öffentlichen. Ankuͤn 
digg: als Sand.» oder als Seemacht sdersalg ‚beides 


zugteich, aus der Ruͤckſicht auf feinerammitttlbnren om. 


entweder ſtaͤrkern vder ſchwaͤchern +3.Nahbürn , und 
mis der deutlichen Wergegentbartittungriſeiner Scellung 
gegen das Jeſammte⸗Sitdatenſyſtem eines: Erbeheild 
hervorgehet. So wenig in allen Birfen Beziehungen 
bas heilige Recht an ſich verletzt Werden durf,d weil 
dieſe Verlegung — wie bein doem Individuum dã⸗ 


Verlezuͤng des ewig heiligen Giniengeßges iv nid 


ungenhndet⸗ bleibt; fo gehen doch auch; uus’biefen be) 
| finder Werhaͤltniffen eines: Siaatos grwiſſe Nuͤckſich 
ten der Staatskunſt hervor, ‚die: Aohnie durch ihre 


Anwendung das Recht in der Wechſelvirkung mit 


andeen: Staaten zu beugen vchuis Nachtheil. für 


— 


548 Seaatskunſt. 


nach ben zwiſchen ihnen beſtehenden ober abzuſchlie⸗ 
ßenden Verträgen, und nad) den Grundlagen ihrer 
gegenſeitigen Verbindungen zu gemeinfchaftlichen 
2: Zwecken; fo wie die Darftellung der Grundfäge 
+ für die rechtliche Anwendung des Zwanges zwi⸗ 
x fen den Staaten. — Da nun‘in der, auf das 
vorausgegangene Staatsrecht geftüsten, Staats 
kunſt. dies wicht, wiederhohlt, und eben fo. wenig 
dag zwifchen den einzelnen euröpäifchen Staa 
ten in der Wirklichkeit beſtehende Verhaͤltniß aus 
ber. ſelbſtſtündigen Wiſſenfchaft des 
J practiſchen europäifhen. Voͤlkerréchts 
in die Staatskunſt gezogen werden darf; ſo folgt, 
daß die Staatskunſt — in. der Mit te zwiſchen dem 
philoſophiſchen Staatenrechte und dem practiſchen 
europaͤiſchen Völferrechte — bei der Lehre von dem 
‚äußern Staatsleben, mit ben im Staatenrechte 
“ aufgefteflten Grundfägen des Rechts die aus ber 
Geſchichte hervorgehenden Regeln der Weisheit 
und Klugheit fuͤr die Wechſelwirkung der neben 
einander beſtehenden Staaten verbinden muß, ohne 
in das Einzelne der Gefchichte der zum europaifchen 
- Staatenfofteme gehörenden‘ Reihe und Staaten 
ſelbſt einzugehen, weil dies dem practifchen euro: 
päifchen Volkerrechte uͤberlaſſen bleibt. 2 


57. 
59 Darſtellung der Grundſaͤtze der Staats 
funft für die Wechſelwirkung und Brr 
bindung des einzelnen Staates mit alben 
übrigen neben ihm beſtehenden Staaten 
Das Staatsintereffe. 


Geftügt auf’ die allgemeinen Grundfäge fire das 
vegelihe Nebeneinanderbeſtehen aller Staaten des 


—— 


Rt 
auch 


Smaisfunft.' | | 549 


zunaͤchſt das Staatsintereffees eimelhen Sa 


tes bei ſeiner Wechſelwirkung und Verbindung‘ mit) 


atidern Staaten beruͤckſichtigen. So: wie der einzelne) 
MEN, außer feiner ’allgemeinen "Beftimmung :zum 
SHE und zum Mechte ; Seinen Defsutstn. Zwech 
finesihdifchenTebens (als Brunbbefiger, ala Bewerkr, 
betreibender, als‘ Kaufmann, als Gelehrter .ı alsi 
nee ui fe we) zu verwirklichen ſtrebt; ſo giht es 

für:jeden einzelnen Staat, außer der: Erfuͤllumg 
der allgemeinen Rechtsbedingungen gegen audere Stans 
sen‘, ein befonderesSraatsinseroffe, Das aus 
feiner geographiſchen Lage; als Binnen = sder Küften« 


Erbbodens (Staater.: $..68.),; muß die Staatskunſt 


ſtaat; als Tatferbauenider: oder als gewebbereibender 


aeg Handelsſtaat, ſodann aus feinen: Elimatiſchen 
Berhauͤltniſſen, aus den urſpruͤnglichen NReichthmern 


feines Bodens, ans’ dek’&röße- ſeier; Bepöfferung;} 


aus Ver:zreeichten: Stufe der Cute feiner @Brroehner) 
aus ſeitier ihm. eigerithuͤmlichen Verfaſſung Naegie⸗ 
dung ik Wevaktung , aus. feiner öffentlichen. Aufn 


diqung! als fand: oder als Seemacht oder als ‚beides 


zugteich aus der Ruͤckſicht auf felneammitetihnreni sm. 


enrweder ſtaͤrkern ober. ſchwaͤchern +! Nahbirn, und 
mis ·der(deutlichen Wirgegentiärrtgung'feiner Stellung 
—* das Jeſammre Staatenſyſtem Teines: Erbebeild 





ervorehet. So wenig in affew dieſen Wiegiehungen 
Bas. heiltge-Rebs an ſich ‚veregeöberbeni dhrf ‚Tweid 


Biefe Werlgung"—— wie. beitdam “Yrdyieituium bis 


Verledung des ewig Heiligen Binengfiges in aid 


ungenhndet bleibt; fü: gehen doch auchi une Diefen be3 
finder Werhaͤltniffen eines: Sidatos gewiſſe Nuͤckſich 


ten der Staatskunſte hervor, ‚die: A ohnr durch: ihre 
Anwendung das Recht in der Wechſelwirkung mit 


andeen: Staͤaten zu beugen si vhils Nachtheil fie 


— 





552 Staatskunſt. 


Weil aber, nach dem Zeugniffe der Geſchichte, 
nicht ſelten einzelne Staaten ihre Verhaͤltniſſe gegen 
andere blos nach dem Maasſtabe des eignen Vortheils, 
und nicht mit Ruͤckſicht auf die ewigen Forderungen 
der Gerechtigkeit beſtimmen; ſo iſt es eine Vorſchrift 

ber. Staatskunſt, daß man den eignen Staat theils 
im Innern , theils nad) feiner. ußern Steflung (in 
Hinſicht auf Grenzen, Befeſtigungen, Vertheilung 
ber Vertheidigungsmittel, und Belebung eines echten 
Volksgeiſtes) ſo organiſire, daß keinem auswaͤrtigen 
Staate ſo leicht die Luſt anwandle, den einheimiſchen 
Staat anzugreifen, oder auch nur einzelne Rechte 
deſſelben zu verletzen; daß vielmehr der auswaͤrtige 
Staat das Beduͤrfniß fuͤhle, mit dem einheimiſchen 
Staate in freundſchaftliche Verbindung zu treten, und 
fein beſonderes Staatsintereſſe mit dem unfrigen moͤg⸗ 
lichſt auszugleichen und zu vereinigen. 


38. 
Eintheitung der Mic na Iftem pol 
Ian tiſchen Gewichte. | 


Das philofo phifche Sta ats recht, gefig 
* die Vernunftidee der Gleichheit aller ſelbſtſtaͤn⸗ 
Ligen: und unabhängigen Staaten, kennt feine Ein 
cheilung derfelben nad) ‚ihren politifihen- Gewihte 
Dagegen ftellt das practifheeuropäifche Voͤl⸗ 
terrecht, als eine geſchichtlich⸗politiſche Wiſſenſchaft, 
mit unmittelbarer Ruͤckſicht auf das europaͤiſche Staa⸗ 
tenſyſtem, die europaͤiſchen Reiche. und Staaten teile 
nach ihrer politifhen Würde (als Kaiferehämer, 
Königreiche; Großherzogthuͤmer ucf. wi), t he i la noch 
ihrem politiſchen Gewichte (z. B. —— 
Rußland, Großbritannien, Frankreich, Preußen al⸗ 


Staatskunſt. 554 


dem einheimifehen. Staate, für ihre eigne Sicherheit 
und. die Erhöhung ihrer Wohlfahrt am meiften zu ers 
warten haben. Die AebnlichEeit des erreichten Gras 
deg der Cultur zweier Wölfer, die Aehntichfeit ihres 
inneren Organismus nad) Verfaflung, Negierung und 
Verwaltung, bie Aehnlichfeit ihrer innern Bedürfs 
niffe.nach den Haupfgegenftänden ihrer Befchäftigung, - 
und Die Aehnlichkeit ihrer Verhältniffe gegen andere 
Mächte, von welchen beide entweder zu hoffen oder zu 
fürchten haben, wird (als eine Art von Wahlver⸗ 
wandtſchaft), bei Beruͤckſichtigung der genannten vier 
Hauptbedingungen, weit mehr uͤber die natuͤrliche 
und feſte Freundf haft zwiſchen den "einzelnen 
Völfern und Staaten entfcheiden , als die Verwandt⸗ 
fchaft Der Negentenhäufer in monarchifchen Staaten, 
oder Das augenblickliche Zufammentreffen der politifchen 
Abſichten zweier Staaten in Beziehung aufs Ausland 
(j. B. bei einem Eroberungsfriege, bei der Mißbillis 
gung gewiffer innerer Einrichtungen in einem auge 
wärfigen. Staate u. ſ. w.). Es gehört Daher. der ice 
Blick und ber durch lange Hebung: und Umſicht bes 
waͤhrte Tact bes Diplomaten dazu, Die ausmwärtis 
gen Verbindungen mit beftimmeet Vergegenwaͤrti⸗ 
gung aller Grundbedingungen des innern Volfsa 
kebens anzufnüpfen und zu leiten. Dabei gilt abeß 
als Regel der Staatsfunft, daß man felbft Diejenigew 
Staaten, mit welchen man in feiner unmittelbare®. 
Verbindung (dei Nachbarſchaft, oder der Verträge} 
ſteht, fie mögen mächtig. oder minder maͤchtig ſeynn 
le durch Anmaßungen, oder ungegründete Anfpruche, 
ober: befremdende Forderungen reize und ſich entfremdez 
fondern — außer der allgemeinen Gerechtigkeit + 
auch mit Wuͤrde, Achtung und d Anſtand gegen. alte 
Siaaten ſich betrage — ER 


552 Staatskunſt. 


Weil aber, nach dem Zeugniffe der Geſchichte, 
nicht felten einzelne Staaten ihre: Verhaͤltniſſe gegen 
andere blos nach) dem Maasſtabe bes eignen Vortheils, 
und nicht mie Ruͤckſicht auf die ewigen Forderungen 
ber Gerechtigfeit beftimmen; fo iſt es eine Borfhrift 
ber. Staatsfunft, daß man den eignen Staat theils 
im Innern , theils nad) feiner Außern Stellung (in 
Hinſicht auf Grenzen, Befeftigungen, Vertheilung 
der Vertheidigungsmittel, und ‘Belebung eines echten 
Volksgeiſtes) fo organifire, daß feinem auswaͤrtigen 
Staate fo leicht die Luft anwanbdle , ben einheimifcyen 
Staat anzugreifen, oder auch nur einzelne Nechte 
beffelben zu verlegen; daß vielmehr der ausmärtige 
Staat das Beduͤrfniß fühle, mit. bem einheimifchen 
Staate in freundfchaftliche Verbindung zu trefeh, und 
fein befonberes Staatsintereffe mic dem unfrigen mög« 
rt auszugleichen und zu vereinigen, 


58 - .. " 
Fintheifung ber Migte na Ihrem pol 
tiſchen Gewichte. 


Das phtlofo phifche Sta ats recht, heſtihe 
* die Vernunftidee der Gleichheit aller ſelbſtſtaͤn⸗ 
Ligen: und unabhängigen Staaten, kennt feine Ein⸗ 
sheilung derfelben nad) .ihrem politifihen Gewichte 
Dagegen ftellt das praxtifche europätfche Bil 
terre ht, als eine geſchichtlich⸗politiſche Wiſſenſchaft, 
mit unmittelbarer Ruͤckſicht aquf das europaͤiſche Staw 
tenſyſtem, die europaͤiſchen Reiche und Staaten theils 
nach ihrer politiſchen Würde (ale Kaifertpämer, 
Koͤnigreiche, Großherzogthuͤmer uoſ. wi), t he i bam 
ihrem politiſchen Gewichte (z. Bi Oaſtreich, 
Rußland, Großbritannien, Frankreich, Preußen aß 








 Staatsännfe: , 334 


Machte Dede vſtem politiſchen Nauges), tb ii nech 
ihrer S otwer antıetiär, vden nachrehrer. Abhaͤngige 
Seit. von Mdernz2 B. Die jomſchen Jufeln „demFrei⸗ 
wat Eraganım. fa) aufs; 2 ren chin AR 
M : Delteatstun fl; Diesgkeichfem wifchen dem 
Stactsrechte zundı term prantifchetteutiträifcen Wölfen 

he ã n deor Mit te ftchrhrweii fie , nach der⸗Ides 
den. Herrfchäft des. Nichts ‚-gatzıadten Scuaccreche 
fech anfchläefty nach allen aus des? Gefchichte ramundnel 
den. Thatfachen und Regeln dar: Klugheit aber enpthe 
firactum des practifehen Völkerdedhta fit, ai zwiit 
Sa fe. ter AligemeinemAnd;näht:blan ufe das 
surspäifche Staatenſyſtem) gilt, nichts nern ned Faatid 
ſchen Verſchiedeuheit ber: politiſchin Würde und van 
ganz oden halbe füuuerainen Staalen; allein die Gr 
wickelung der Begriffe vom poliĩ ei ych e nyAGewd chtog 
und dem · davonic abhaͤngendeno pro lit ifchen Marn gie 

der Stanten iſt ein Gogenſtund derr Staatskunſt, 
Denn dva' die Reiche und Stacken des Erbhehaid 
m Hinſicht auf Bevolkerungsza Hl: ufbihde 
che n r aum⸗ nach dem Zeugtliſſa ker Geſchichte zifehn 
verſchieden find; ſo muß ss anch eine, atf dier Era 
führung und: Gaſchichtegeſtutzer Eintr peitu ug bed 
Keiche und Stadien: nach Diefet-ihrekianferun.nfüne 
bigund id der Wiechſelwirkungemit andern geben. Ob! 
nun gleich die: Groͤße des Slätheittanms bei’ Hei 
Würvigiing der. interh Stnitsfräfte und der. äuberif 
Ankuͤndigung der: einzelnen: Staaten Dürchäufiniche 
verscchläflige-werdendarf;s:fe iſt doch die Gefamiıts 
zahl der Bewölkerung -liwegen: der in ähr 
suhenden:. phufifchen,,. ihtelfectileften: und mörslifehtn 
Kraft — der Hauptmaasftab bei der Beſtinimumg 
des politifchen Gewichts der Staaten. Mac) diefem 
Maasitabe gibt es aber Staaten vom erften, zwe's 


/ 


554 Staatskunſt. 


sen, DBetttennnb vierten politiſchen Mange.“ Zu 
dem Etanten. vom erften politiſchen Range gehören 
die, deren Gefammtbenötferung. über: 10: Millionen 
Menſchen umfchließt; zu den. Staaten von zweiten 
pobitifchen. Nange;;; deren Gefummebeodlderung zwi⸗ 
fhen 3-10 Mill; Menſchen beträgt; zur den Staa⸗ 
. erukom dritten pbliifchen Range, deren Geſammt⸗ 
—— zwiſchen 4-4 Rillionen Menfchen ent- 
hält; much zu den Staaten vom vierten politifchen 
Hänge; deren Gefammebevölferung . unter einer 
—* Menfthen: ſtehht. 

So gewiß dieſer Maasſtab für die. Scaatskunſt 
—— inen giltz ſo koͤnnen doch beſondere 
Verhaͤltniſſe (welche aber nur in der Wirklich— 
krit eintreten), Veraͤnderungen im Einzelnen 
darin bewirken. Es koͤunen z. B. Maͤchte mie einer 
Bevoͤlkerung von mehr: als 40 Mill. Menſchen, durch 
völlige: Zerruͤttuug oder. Veraltzng ihres in nern 
Staatslebens (z. Bi Spanien nach. Philipps 2 Tode), 
eder: auch: nach furchtbar verwüftenben Kriegen, hady 
threm politiſchen Gewichte nicht mehr zu:den Mic 
teri des erſten Ranges gehoͤren; dagegen koͤnnen Mächte 
des zw eiten und dritten politiſchen Ranges, ent⸗ 
weder nur voruͤbergehend oder bleibend, <zu einem 
hoͤhern ·politifchen Gewichte gelangen (# DB: Chur 
fahfen: unter Moris,. Schweden unter Guſtav 


u Adolph; Preußen feit Friedrich‘ 2 u. a.); fo.dag in 


der Wirklichkeit — bei der mächtigen Bewegung. und 
Ankündigung den Staatskruͤfte im Innern und nad 
außen jene allgemeine Eintheilung ber. Möchte 
fetten: während eis langen Zeitewimes. wweraͤndert 
gebtichen iſt· F 5 * 


8 FRE , 
ve JI 





mo wi un U / > — vu „m 
⁊ 


— — 


— — .— — — — — 


u Seaatslunſt. 553 


BEER 7 SE EZ 


Yotkeifits Gleichgewicht. Be, 


= Damit. aber in ber Wechfelvirkung und_-Seeb 
‚kung der einzelnen Mächte und Staaten gegen einander 
nie bie. Herrſchaft des Rechts beeinträchtigt, nie ven 
den Mächten: des erſten politischen Ranges ein druͤcken⸗ 
des und die. Selbſtſtaͤndigkeit und. Unabhängigkeit pen 
Mäihte des zweiten, dritten und;vidrten Ranges Aa 
drohendes Uererewich verſucht und durchgaführt, und 

jeder Verſuch giner nach dieſem Uebergewichte ircbew 
den Macht zur Gefaͤhrdung det andern ſogleich erkannt 


und zuruͤckgewieſen werde, ſoll uncer allen in’gegenfeis I 


tigen Wechfeluninfung befindlichen Staaten dan Bed 
eifche Gleichgewicht beſtehen. Daſſelbe gründet - 
ſich, der Ideemach, auf die von. der Vernunſt gr 
botene unbedingte Hertſchaft des Rochts ufiinm:gam 
zen Erdboden (Naturr. $. 57,), welche ſich im Glei ch 
gewichte der Rechte .aller'neben einanden 
beſtehenden. Staaten (Scaatsr. §. 68.) mbar: 
digen ſoil. Allein Geſchichte und Erfahrung heſtaͤtigen 
es, daß in der wirklichen Welt Vieſes Oleichgewicht 
der · Rechte nicht durch Vernunftideen, ſondern duch 
dpie Verwirklichung des ſogenanntan polir 
tiſchen Oleichgewichts. hervorgebracht werden 
muß. Dus politiſche Gleichgewicht *) beruht 
daher auf ber, aus ber tiefſten und -umfichtigften Kar 
forfhung aber Bedingungen. und Unkimbigungen:$ 
Innern und äußern Staatstebens. fümmtlicher: mit «ine 
ander in Wechſelwirkung ſtehenden Reiche und Stach 
ten bervatachenden, Stel. lung. und. Berkinhäng 
Cem. 1° 5. 
* (BE Be n), Fragmente. aus ber meueſten Te 
. des —— in Quropa. Petersb. 1806, £& 


{ 


656 | Sraatskunſt. 


der einzelnen Mäaht«&gegen einander, durch 
welche — für den Bed day Begründung, Erhaltung 
und Sicherftellung des Rechts und der Wohlfahrt 
Alter — heils jeder Verſuch einer Haupomacht nach 
einer: Weitherrichaft,; vder: doch nach einem Ueberge⸗ 
wichte über: andere Reiche und Staaten, ſogleich er⸗ 


kannt und zuruͤckgewieſen, bheils in. dem Verkehre 


md der Wechſelwirkung aller Maͤchte und "Staaten 
des erſten, zweiten5: drictime und. vierten Bolltilchen 
Ranges die woͤllige · Gleichheit der politiſchen Rechtr, 
durch Bin Heiligfeit: des gegenwaͤrtigen Beſitzſtandes 
und der Voͤllervertraͤge im innern und aͤußernStaͤats⸗ 
leben Atler, aufreche athalten witd.n Dieſes politiſche 
Gleichgewicht iſt daher nicht blos phyſtſcher, es iſt auch 
nbrad iſch er Naturz es wirket nichtblos Durch die 
phyfiſchen Kräfte ver Riefe eſtaaten; ſondern anch durch 
ie intellt ecuellen und ſitillchen: Kraͤfte der Voͤlker und 
Staaten uͤbebhauptes wirkt durch die Marht der bffent⸗ 
tichen Meinung, welche jede Ungerechtigkeit, Gewalt⸗ 
that vnd Hinter liſt Inder Wechſelwiebung des Staaten 
mißbiſſigt ses zeigt vnbliche bei feiner Ausfuͤhrung / wie 
wiechtig Jelbſt/ Die: Staaten des dritten und wierten po⸗ 
ciſchen: Ranges: ar; der politiſchens Wagſchale Andy 
eHeit s:näch:. dene Ausſchlage/ wolchen· hi WBo trẽci 
zur —— politiſcheru Gleichgewichts hibt 
theits( nach ihrem oft nicht gehörig: · gewuͤrdegten On 
fanımsänbichte: in den Micte tpuncte: dieſes Syſtems 
Bir aber buch Buͤndniſſe und Verträgk uberhaupt; 
und namentlich mit etihen Mächten, Diefas politi⸗ 
ſche Bleichgeeicht fuͤr ve Bewahrung une? Küfreche 
haltung ider Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhkugigkeit Des 
einzelnen Staates zu bewirken und zu erhalten, 
pin befonkers., bei. qigem· drohenden Uebergewichte her 


- Biefenmächte ,: das. :Dergengiemichs den :Madır zu 








De EEE Zr 8 


ins penstifche. europäifhe Voͤlkerrecht. — : Doc: 
ſelbſt die Idee des. politiſchen Gleichgewichts, fo 
wie die Verwirklichung derſelben ſeit drei 

Jahrhunderten in der Mitte des europaͤiſchen Stag⸗ 
tenſyſtems 'iſt in älterer und neuerer Zeit von Bier 
len beſtritten worden. So wie es nun an ſich Uns 
ſinn [& h.gegen die Vernunffh) iſt, die Idee deſſel⸗ 
ben wegläugnen, zu wollen ſo iſt auch Die Geſchichte, 
Nnamentlich der drei legten Jahrhunderte, ſehr reich 
an Beiſpielen, wo dieſes Gleichgewicht in der Wirk⸗ 
lichkeit feſtgehalten, und das verletzte hergeſtellt 
ward. Ohne in der Staatskunſt weiter in dieſen 
Gegenſtand eingehen zu koͤnnen (welcher; nach der: 

practiſchen Ausfuͤhrung, theils der Geſchicht des· 


⸗ nn 


353 Staacskunſt. 


suropälfhen Staatenſyſtems, theils dem practifchen 
europaͤiſchen Voͤlkerrechte angehoͤrt), darf man blos 
- an bie Perhinderung des fpanifchen Principats im 
; ‚töten Jahrhunderte, des franzſiſchen unter Ludwig 
44, an die dem ſpaniſchen, Öftweichifchen und bay 
riſchen Erpfolgefriege zum Grunde liegenden poli- 
iſchen Ideen, an den Sturz von Mapolsons Welt 
. berefihaft, und. an ähnliche Erſcheinungen erinnern, 
„um fich zu überzeugen, daß wenn gleich Die Idee des 
politiſchen Gleichgewichts nicht in ihrer abftracten 
Vollkommenheit verwirklicht ward, man doch durch 
die Grundſaͤtze der hoͤhern Politik dem beabfichtigten 
- Ze nad, feinen Hauptbeffimmungen er- 
reichte, ja daß felbft die europaͤiſchen Mächte auf 

deur Wiener Congreſſe die Wieberherftellung des 
durch Napoleons Uebermacht geftürzten vormaligen 
„. politifchen Gleichgewichts beabfichtigten. und Dies 
offentlich verfünbigten, 


2241 


» 2*8 


60. | 
Verträge Bündniffe Garantieen. Ge— 
ſandte. 

Fir die Begruͤndung, das Beſtehen und die 
Vervollkommnung bes guten Vernehmens und des 
gemeinſchaftlich vortheilhaften Verkehrs zwiſchen den 
einzelnen Staaten: werden Verträge abgefchlof- 
- fen. (Nature. 9. 57. und Staatsr. $. 69.), wo⸗ 
durch beide Theile gewiffe Rechte gegen einander 
anstaufchen und ſichern. Durch Buͤndniſſe 
(Staatsr; $. 70.) vereinigen fie ſich, nach Feſtſetzung 
der Dazu von beiden contrahirenden Theilen anzuwen⸗ 
denden Mittel, zur Verwirklichung eines beſtimmten 
Aweckes der entweder auf die Verbefferung und 


— —⸗ — — — —ñ i — u — — —f — — .- 


Satin, N 359 | 


Sicherſtelong des junern Welkslebens, oder auf Den 
theidigung nach außen im Falle bebroßter ober verlegs - 
ser Rechte, ober auf beides:zugleich gerichtet iſt. Dig 
Gewährleiftungen (Garantien). Fönnen entweber 
einfeitig. oder gegenfeiig fen, jenachbemventweben 
ein mächtiger. Seat bem mimdermächtigen ,. der ihm 
ſich augeſchloſſen bat, feine Selbſtſtaͤndigkeit und In⸗ 
tegrität und Die Dauer feines innern Organismus nad) | 
Verfaflung, Regierung und Verwaltung garantirt, 
oder zwei dem polisifhen Gewichte nad) gleichſtehende 
Staaten einander gegenfeitig biefe. hörhften Beringuns 
gen alles. Staats lebens gewährleiften. : Die: Gefan.d« 
een endlich (Nature. $. 57.) find die rechtlichen und, 
öffentlich anerfannten Vertreter bes einen Wolfen bei 
dem ander, deren Anweſenheit die Fortdauer bes 
guten Vernehmens zwiſchen zweien Staaten verbuͤrgt, 
und durch welche die gegenſeitigen aͤußern Vaxhaͤlt⸗ 
niſſe und Beziehungen: beider Staaten aufrecht erhal 
ten und fortgebildet werden. 
‚Alles, was indem Verkehre der wirklichen Staa. 
ten- nach. den verichiedenen Gattungen und For⸗ 
men ber Verträge und Buͤndniſſe vorkommt, 
fo wie die durch Vertraͤge oder Voͤlkerſitte feftgefeg-, 
ten Rechte, Verhaͤltniſſe vnd Rangabftufuagen der, 
Geſa ubten gehoͤren nicht ber. Staatskunſi, ſon⸗ 
. been dem praatiſchen europäifhen Völker 
rechte an, und werden in dieſem wife, 
aufseſtellt. | ey 


Die politiſche Unteranblungstun-. 


Wenn. die einzig haktbare und, in ihren; Golan 
wohlchätige Politit nach außen in ber Kanſt ber: 





860 Smarsfunft. En 


. Wehe, die Sicyerheit‘, die Wohlſahrs umb:das In⸗ 
tereſſe Des elgenene Staates dadurch zu:befördern, zu 
ethalten und zu sehöhen, daß man ·gegen ⸗die Intereſ⸗ 
Ten anderer: Staaten-nicht-verftößt , ſondern fie gegen- 
fetcig verknipft :foräft: die politiſche Unterhandlungs⸗ 
kanſi veſtimmt, "tete große Aufgabe zu loͤſen. ‚Sie 
wird dibs ·am gewiſſeſten feiften;, wenn fie. die Staats⸗ 
kunſt nie von ihrer einzig ſichern Unterlage — von 
ver Moral ont, weil nur aus?dieſer die Voͤl⸗ 
derrech de und Voͤtterpflich te n!.(jebes Volk als 
rine moraliſche Jadividu alitaͤt betrachtet)entſpringen, 
Id weil: ini der Wechſelwirkung der Staaten die ge⸗ 
Henſeitigen Rechte und Pflichten, wie ſie entweder aus 
ber Merninft unmittelbar oder aus den: beftehenden 
Skeaatsvertraͤgen hervorgehen, noch nie ohne folgen⸗ 
reiche Ahndung vernachlaͤſſ igt und verlegt worden find. 
Zugleich muͤſſen Die zum‘ Unterhandetn beftimmten 
Audividuen, machſt dem anerfannten ‚Charafter 
ſtrenger Rechtlichkeit, zugleich die oͤffentliche Meinung 

din Are und Auslande Fü: fh: haben ‚ daß fie, nad) 
der Billfeitigfeis ihrer geſchichtlichen, ſtatiſtiſchen und 
politiſchen Kenntniſſe, und nad) der Gewandtheit in 
ihrem Betragen gegen auswaͤrtige Regenten und Mi⸗ 
miſter; das ihnen anvertraute Staatsintereſſe moͤg⸗ 
ich wahrnehmen, beom: Auslande ‚bein Unterhan⸗ 
deln nicht geraͤuſcht und uͤberliſtet werden, und die 

Üngutegenheit-zwe-Bufriebenheit beider Staaten be- 
endigen. Hauptfählich wird die politiſche. Unkerhand⸗ 
lungskunſt darin ihre Staͤrke zeigen, eingetretene 
Mißverſtaͤndniſſe und Spanunngen zwiſchen zweien 
Stonten; fo; auszugleigen, daß die Spennuns nicht 
in völlige Abbrechung der friedlichen Verhältniffe, in 
Abberufuug dergegenſeitigen Geſandten', und in den 
Aucbruch eines Krieges uͤbergeht. FE 


ai | Staatsfunft. 561 - 


Die Lehre der politiſchen Untẽrhandlungskunſt 

gehoͤrt zunaͤchſt der Diplomatie (im vierten 

Theile dieſes Werks) an, wo auch die dahin 
gehoͤrende Literatur mitgetheilt wird. 

62. | 

b) Darftellungder Grundfäge der Staats 

Lunft fürdie Anwendungdes Zwanges zwi— 

fhen den Staaten nad angedrohbten oder 

erfolgten Rechtsverletzungen. 


Der Zwang zwiſchen hen Staaten tritt ein, 
um entweder einer angedrohten Rechtsverlegung zu⸗ 
vorzufommen (Prävention), oder eine begon⸗ 
nene, durch Mochwehr, in der Fortfegung und 
2 Vollendung zu hindern, oder die rechtliche Wieder: 
vergeltung für die vollbrachte Rechtsverletzung zu 
bemwirfen. Mach feinen Abjtufungen erfcheint der 
Zwang zwiſchen den Staaten als Retorfionen, 
‚als Repreffalien, und als Krieg, — Da, 
nach) der Vernunft, jeder rechtliche Krieg nur‘ als | 
Vertheidigungs-, nicht als Angriffs», ge - 
ſchweige als bloßer Eroberungsfrieg erfeheinen 
darf; fo follen auch Die Mittel bei der Führung 
deffelben, theils in Hinſicht Der zu ergreifenden Maas» 
regeln überhaupt, theils in Hinficht der Waffenarten, 
in Hinfiche der Behandlung der ruhigen Einwohner 
bes Landes und ihres Eigenthums, in Hinficht des 
Betragens gegen die Gefangenen, in Hinficht der 
gemachten Beute, der Capitulationen, Waffenſtill⸗ 
ſtaͤnde und Verträge mit dem Feinde, fo wie in Hin- 
. fihe der Behandlung des durch den Sieg befegten 
Sandes, und bes abzufchließenden Friedens, zunaͤchſt 
und durcgepends rechelich ſeyn; zugleich aber follen 


562 Staatsfunft, 


fie, nad) den aus der Gefchichte hervorgehenden Re— 
geln der Staatsflugheit, mit fteter Beruͤckſichtigung der 
Verhaͤltniſſe der im Kriege begriffenen Voͤlker und $än- 
der, nad) der phnfifchen und geiftigen Kraft dverfelben, 
und nad) ihren Verbindungen mit andern auswärti- 
gen Staaten, angewandt werden. Der Zweck des 
Krieges ift aber erreicht, fobald der beleidigte Staat 
nicht nur zur MWiederherftellung feiner verlegten 
Rechte, fondern auch zum Erfage für die aufge 
wandten Kriegsfoften, und zur fihern Gemährlei: 
ftung feiner Selbftftändigfeit und aller feiner bisher 
bedrohten und gefährdeten Rechte für die Zukunft, 
vermittelſt des Friedens und der damit verbundenen 
Garantieen , gelangt. 


Die rechtliche Seite aller zum Zwange gwi- 
fhen den einzelnen Staaten gehörenden Gegen: 
ftänpe, mit Einfchluß der Lehre von den Bundes» 
genoffen, von den Rechten der Neutralität, und 

‚vom rechtlichen Frieden, ift im Staatsredte 

G. 71. — 76. vollftandig dargeſtellt; das aber, was 
nah Vertrag, Voͤlkerſitte und Herkommen bar: 
uͤber im europaͤiſchen Staatenſyſteme beſteht, oder 
doch wenigſtens groͤßtentheils anerkannt und 
befolgt wird, gehört ins practiſche euro— 
paͤiſche Voͤlkerrecht. — Allein fobald bie 
Staatsfunft, von dieſen beiden Wiſſenſchaften 
‚getrennt behandelt wird, muß, des Zufammen: 
hanges wegen, vieles, was zunächft in die Kreife 
derfelben gehört, aud) in der Staatsfunft aufge: 
ftelle und durchgeführt werden. 


. | Staatskunſt. | 563 
63. 


Der Kries aus dem Standpuncte ber 
Staatskunſt. 


Wenn der Krieg, nach ber Vernunft, als ein 
Rechtsſtreit im Großen, als ein Prozeß 
zwifhen Staaten, bie feinen Richter über fich 
anerfennen, betrachtet werden muß *), und zwar als 
ein Kechtsfkreit, der zunächfi wegen des Frie 
dens, d.h. wegen der rechtlichen Ausgleichung ftreis 
righewordener Rechte, gefuͤhrt werden ſoll; fo. darf - 
doc) nie vergeffen werben, daß in ihm nicht felten der’ 
Zufall, undnide das Mechtentfcheidet, woraus 
für die Staatsfunft als Regel hervorgeht: daß man, 
wegen ‘der Linficherheit des Erfolges, nur langfam 
und ſchwer zur Eröffnung eines Krieges fchreite, und 
in, demfelben nicht zu viel auf einzelne, auf voruber 
hehende gluͤckliche Ereigniſſe rechne, deren Folgen oft 
in Kurzem durch andere ganz unerwartete Vorgaͤnge 
(durch Veraͤnderung des Kriegsgluͤcks, durch das 
Aufſtehen eines ganzen bedrohten Volkes, durch das 


Auftreten neuer, bisher neutraler, ‚Mächte auf dem . 


Kriegefhauplage, und durch ähnliche Verhaͤltniſſe) 
vollig verändert werben koͤnnen. Zugleich darf ſich 
die Staatskunſt nicht durch die irrige Meinung täu- 
fhen laflen, als ob der Krieg den Wohlftand und die 
‚wahre Kraft und Stärfe der Staaten beförbere. 
Denn mögen immer, wie in jedem großen Unglüde, 
auch durch den Krieg ungewöhnliche Kräfte geweckt 
und in Thaͤtigkeit gefege werden; fo führt, wie jeder 
Ueberreiz, diefe Ueberſpannung allmählig "zur Ab⸗ 
ſpannung , ſelbſt in den Staaten der Sieger. | 








*) Krug Kreuz⸗ und Queerzuͤge, S. 66. 
| 36* 


ı 


\ 


% 
. 
— ——— — — — nn [00 _ — — — — — — — 


v- 
mo 


564 Staatsfunft. 


: So fchmer das durch den Krieg zerftörte Capi- 
tal des Sandbaues, des Gewerbsfleißes und des Han 
bels wieder erfegt werden kann; fo fhmer, und nod 
ſchwerer (um im Bilde zu bleiben) das zerftörte Capis 
tal der menfchlichen Kraft. Entvoͤlkerung der Staa 
ten überhaupt, Zerftörung eines großen Theiles des 
beranreifenden männlichen Gefchlehts in der Zeit | 
feiner ſchoͤnſten Blüthe und Kraft, dadurch auf Jahr⸗ 
zehende hin bemwirfte Ungleichmäßigfeit zwiſchen bei- 
ben Gefchlechtern,, gehäufte Schulden auf Privatper- 
ſonen, einzelne Derter und ganze Reiche, nicht felten 
Verwuͤſtungen ganzer Landſtriche, regellofe Einquar- 
tierungen und ftürmifche Durchzuͤge, Plünderungen, 
Brand, anſteckende verheerende Seuchen, Nieder—⸗ 
druͤckung der geiftigen Kraft, Verhinderung der zweck⸗ 
mäßigen Jugendbildung, Enrfittlihung und Verwil⸗ 
"derung von Taufenden; — das find faft jedesmal 
die Folgen der Kriege. Wie Fönnten diefe das Marf 
der Völfer erfchiitternden Uebel durch die zufälligen 
und vorübergehenden einzelnen Vortheile des Krieges 
aufgewogen werben , befonders: da die Gefchichte zeigt, 
daß die im Kriege allerdings erhöhte Production und 
Eonfumtion nicht bleibend feyn fann, und beide, fi 
gleich nach dem Frieden, durch die plögliche Ver 
minderung des Abfages auf die gefteigerte Thaͤtigkeit 
im Sandbaue und Gewerbsweſen laͤhmend einmwirfen! 
In allen diefen Beziehungen bleibt der Krieg das 
größte Wagſtuͤck der Staatsfunftz denn nid! 
umſoöonſt ftehen die furchtbaren Folgen des dreißigjah- 
rigen und des ftebenjährigen Krieges in den Jahr: 
büchern der Gefchichte Teutſchlands, und die Schul⸗ 
denlaft 'Sranfreihs und Großbritanniens in den 
Budgets beider Neiche feit dem- Jahre 1815 9% 
ſchrieben! — 


0 


Staatskunſt. 565 


64. 


Das Eroberungsregt aus dem Stande 
punete ber Staatskunſt. 


Das ſogenannte Eroberungsrecht beſteht, nach 
der Staatskunſt, in den Befugniſſen, roelche ber 
Sieg in Beziehung auf ein erobertes Sand gewährt, 
* Mac) Grundfägen des Rechts und. der Klugheit kann 
die Eroberung eines Landes weder zur Vertilgung, 
noch zur Unterjochung feiner friedlichen Bewohner, 
noch zur Umbildung ſeiner Verfaſſung, noch zum 
Aufdringen eines andern Regenten, noch zur Einver⸗ 
leibung des eroberten Landes in den Staat des Sies 
gers berechtigen. Mur barbarifche Horden führten 
Vertilgungskriege, oder verurtheilen die Bürger des. 
befiegten Landes zur Sklaverei und Leibeigenſchaft; 
nur uͤbermuͤthige Sieger, die an keinen Wechſel des 
Gluͤcks und an kein Urrecht der Selbſtſtaͤndigkeit der 
Staaten glaubten, ſtuͤrzten die rechtmaͤßige Verfaſ- 
ſung derſelben, ſehten neue Herrſcher auf die erfchüt- - 
terten Throne, oder vernichteten die Selbftftänbigfeit 
und Antegrität ber Völker. — Allein durch die 
Eroberung eines Landes tritt der Sieger, in dem 
vonihm beſetzten Gebiete, nad) allen Hoheit: 
rechten und in den zwei Hauptverwaltungszweigen der 
Finanzen und der bewaffneten Macht an die Stelle 
bes befiegten und abwefenden Regenten. Der Sieger 
fann, bis zum Frieden, in dem befiegten Staate 
alles perfönlichen Eigenthums und aller Einfünfte des 
Regenten ſich Bemächtigen; er Fann alle zur Führung 
eines’ Krieges - vorhandene Vorraͤthe zerftören oder 
wegführen, damit fie nicht gegen ihn gebraucht wer⸗ 
ven; er kann alle Staatsfaffen für ſich verwalten 
laſſen, die vorhandene bewaffnete Macht entwaffnen, 


506 Staatskunſt. 


und als Gefangene behandeln; er kann ſogar Kriegs: 
feuern oder Contributionen ausfchreiben, und die 
Bedürfniffe feiner Heere von den Staatsbuͤrgern des 
befiegten Sandes aufbringen laffen; aud) darf er jedes 
rechtliche Mittel anwenden, das eroberte Sand, bis zur . 
Ausgleihung des großen Meihesftreites im Frieden, 
zu behaupten. Er fann deshalb Behörben in feinem 
Mamen errichten, und diefen bie Behörden bes befieg- 
ten Gegners unterorbnen; nie darf er aber die legten 
eigenmächtig ihres Eides der Treue gegen den recht 
mäßigen Regenten entbinden, wenn fie ihm gleich 
geloben müflen, während feiner Herrfchaft feirien Be: 
feblen zu gebordhen. — Sim Frieden fann der Sie⸗ 
ger den Erfaß der Kriegsfoften von dem befiegten 
Staate fordern, und bafür unterpfändlich, bis zur 
Entrichtung, gewiſſe Gebiefstheile, oder auch fefte 
Plaͤtze, als Gemährleiftung der Erfüllung des einge- 
gangenen Friedens, behalten. Ob er aber auch den 
Sieg zur völligen Abtretung eines eroberten Länder: 
theils benugen, und alfo die Integritaͤt des befiegeen 
‚Staates verlegen dürfe; darüber Haben Staatsrecht 
und Staatskunſt feine Stimme, wenn gleich bie 
Geſchichte und das. practifche europaifche Völkerrecht 
nicht arm an folchen Bedingungen find. | 
With, Tot. Krug, über das Eroberungsrecht; 
ſ. Kreuz⸗ und Queerzuͤgen, S. 64 ff. 

J. F. Meermann, von dem Rechte der Er⸗ 

oberang nah dem Staats⸗ und Voͤlkerrechte. Erf. 
1774. 8. 

Rechtliche Bemerkungen aber das Recht der Er⸗ 
oberung und Erwerbung im Kriege, mit Ruͤckſicht 
auf die neueſten Zeitereigniffe s. 1. 1815. 8. (Nach 
dem Verf. gibt es blos zwei Gründe, welche eine 
Eroberung rechtfertigen: Sicherftellung ‚und 

 Schadloshaltung Die Erwerbung eines 





Sinasstunft : 567 


‘ 


eroberten Staates aber geſchieht 6108 Sure einen 
Vertrag. mit demfelben. I 


a. 65. 


Der Bölkerfriede aus dem Standpuncte 
der Staatsfunft. 


Der Wölkerfriede, oder die völferrechtliche Ge- 
ftaltung der Wechſe lwirkung und des Verkehrs zwi⸗ 
ſchen den einzelnen Staaten, iſt fein Traum der Ein- 
bildungsfraft, fondern eine große: Idee der Vernunft . 
(Naturr. $. 57; ; Staatsr. $.776.), wenn gleich die 
Gefchichte weder die Verwirklichung des ewigen Frie- 
dens, noch auch die baldige Annäherung an Diefes 
hohe "Ziel verfündige. — Denn jener Völferfriede 
wäre nur auf dreifache Weiſe zu erreichen: entweder 
durch eine Univer ſalmonarchie (das Grab aller 
Selbftftändigfeit der einzelnen, befonders der mitt- 
lern 'und Fleinern Staaten); oder durch völlige 
Abſonderung (Iſolirung) aller einzelnen 
Staaten von einander (fchon durch Die Natur 
für immer gehindert); oder durch eine freiwillige 
Mebereinfunft aller Staaten und ihrer 
Negierungen, ihre Nechtsftreite durch ein hoͤchſtes 
Voͤlkertribunal, mit Verzichtleiftung auf alle 
Selbfthülfe und Gewalt, entweder als Austrägal- 
inftanz , „oder nach Mehrheit der Stimmen der beim 
Voͤlkertribunale ſtimmberechtigten Mächte, entfcheiden 
zu laffen. So groß diefe Idee ift,, mit welcher Die 
Kriege von dem Erdboden verſchwaͤnden, weil dann 
blos noch ein Krieg gegen den Staat gedenfbar 
wäre, welcher den Ausfpruc des Völfertribunals . 
nicht anerfennen wollte; fo ftreitet Doc) die Erfahrung 
gegen ihre Werwirflihung Denn theils werben . 

I. Ä | 37 





568 EStaatskunſt. J * 
ſelbſtſtaͤndige Maͤchte andern Gleichberechtigten nie 
ein ſchiedsrichterliches Urtheil uͤber ihre Intereſſen 
und ſtreitigen Rechte zugeſtehen; theils wuͤrde, bei den 
raͤthſelhaften Gewinden menſchlicher Staatskunſt, 
der Fall immer noch gedenkbar bleiben, daß ſelbſt 
der Ausſpruch der Mehrheit der Stimmen eines Voͤl⸗ 
fertribunals entweder geradezu ungerecht, oder doch 
den mefentlichen Intereſſen eines Volkes und Staa- 
tes zumider feyn koͤnnte. Deshalb bleibe — unben 
fhadet der erhabenen Wernunftidee des ewigen 
Sriedens — das nach Grundſaͤtzen des Rechts 
und der Staatsflugheit begründete und forgfältig er- 
baltene politifhe Gleichgewicht das hoͤchſte 
Ziel der Staatsfunft für die Wechfelmirfung und den 
gegenfeitigen Verkehr der neben einander beftehenden 
Staaten. a | 


Fr. v. Gentz, über den ewigen Frieden; in f. 
bift. Sournal, ıg00, Dec. ©. 711 ff. 

Anfelm v. Feuerbach, die Weltherrfchaft, das 
Stab der Menfchheit. Nuͤrnb. 1814. 8. 


Ende des erften Teiles. 





Leipjig, gedruckt mit Hoͤhmſchen Schriften. 


Be⸗ 


Berihtigungen 


Außer einigen minder wichtigen Druckfehlern ver 
Deffere man: | 


©. 62 3. 7 vn. 8 Tom. (hatt 9). T.ı=6 jus naturae; 
«7 jus civitatis; T. 8 jus gentium. 

©. 156 3.16 v. 9. Buchholz. 

©. 165 3. 9 v. u. Gleichgewicht s. 

©. 208 3.15 v. u. Souvera inetaͤt. 

©. 256 muß nachgetragen werden: Eduard Henke, Handbud 
des Eriminalrehts und der Criminalpolitik. ır Spl. 
Berl. 1823. 8 


© 323 8.1290 l. n ach Verfaſſung Ch. und). 


u ——— 


ed ee — J Mn. Ai 7 -— De A rn De A ee 


Siterarifhe Anzeige 





Unlaugbar erweckt der Skandinaviſche Norden durch feine, bald 
erhabene, bald fchöne und lieblihe Natur, durch feine, Fraft: 
und geifivollen Bewohner, denen in Genügfamfeit und Zufries 
denheit, in alter Einfalt und Lauterkeit der Sitten, noch immer 
ein filled und gluͤckliches Leben dahinflieft, wie durch feine weis 
fen Berfaffungen ein fehr allgemeines Intereſſe; ein Intereffe, 
welches durch die gefchichtliche Wichtigkeit dieſer Länder in dltes 
ger und neuerer Seit noch erhöhet wird. Je mehr ed nun an 
Schriften fehlt, welche über den wahren und neueflen Zuftand 
der vereinigten Koͤmgreiche Schweden und Norwegen, wie des 
Großherzogthums Finnland, volfiändige und zuverläffige Aufs 
chlüffe geben, je feltener umfaffende Werke diefer Art ſelbſt 
n jenen Nordifhen Ländern find; um fo mehr balt fich die 
unterzeichnete Buchhandlung berechtiget, ein in ihrem Werlage 
erfcheinendes Werk, welches durch Die Berbältnifle des Verfaſ⸗ 
ſers, wie durch innere Einrichtung fih eignen dürfte, für die 
neuefte Länders, Voͤlker⸗ und Staatenkunde. des Schwedifchen, 
Norwegiſchen, Lappifchen und Sinnifhen Nordens ein Quellen; 
wer? zu werden, zur Förderung, durch geneigte Unterzeichnung 


in empfehlen. Es führt folgenden Titel: . 
\ vn et 8-28 
IT 


Schweden, Norwegen, Lappland, Finn 
land und ngermannland 


in den Jahren 1817, 1818 und 1820 
von 


Friedrich Wilhelm v. Schubert, 


der Theoiogie Doctor und Profeſſor an der Königl. Breußifchen Univerfität 
au Greifswald. 


In drei Bänden in gr. 8. Mit Titeltupfern und einer 
| Charte. - | 

.. Das Gange zerfällt in 36 Kapitel. Der Druck wird auf 
choͤnes weißes Druckpapier, in gr. 8. beforgt. Die Stärke der 
ände kann noch nicht mit Genauigkeit befinmt werden ; doc 

fol der Preis des Alphabers für. die Gubferibenten nur auf 

ı Thlr. Conv. Münze gefiellt werden. Der Ladenpreis wird 

mindeſtens um die Hälfte erhöht feyn. ‘ 


. Leipzig, im Januar 1823... | | 
I. € Hinrichs ſche Buchhandlung. 




















4 
* 
& 
. 
s 
‘ 
[ 
ß 
| 
“ ! 
| 
t, 
*r 
e * 
[2 
\.ı. 


: 
! 





[ 





-. 


— — —— 


u — E | 
b105 _ Dun 092 3b I ve | 

1 
Zu | | 


KEN R 
ln —W Let. 


, Stanford University Libraries 
| Stanford, California 


Return this book on or before date due.