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Full text of "Die staatswissenschaften im lichte unsrer zeit"

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UNTEN 














Sec 
Poxit- 








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un. 2 Wu — 


Natur und Volberrecht 
Staats— und Staateirecht,/ 


und 
Staaistun—, 
dargeſtellt rw 


Karl Heinrich Ludwig Politz, 


ordentlichen Lehrer der Staatswiſſenſchaften an der Univerfität 
zu Leipiig. 


| 


Leipzig, 1823. 
J. €. Hinriäsfse Buchhandlung. 


Die 


Staatswiffenfhaften 


im Lichte unfrer Zeit, 


argefeitt 


von 


Rarl Heinrich Ludwis poliu- 


oxdentlichem Lehrer‘ der Staatswiſſenſchaften an n de Uninerfität 
j . 48 teipiig. 
! 


Erftier Theik: 
das Natur und Völkerrecht, bad Staats s und Staatenrecht, 
und die Staatökunfl, | 





- den wuwus Kupiv, aus Wsufepın. 
2 for. 3, 17. 


. ———— D 





Leipzig, 1823. 
IJ. € Hinrichsſche Buchhandlung. 


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Seiner Koniglichen Hoheit 
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Friedrich Auguft 


Herzoge von Sachſen ꝛxc. 1 


in tiefſter Ehrfurdt 
gewidmet 


von dem Berfafler. 





Vorrede. 


Wenn 8 mir Anfangs von der einen Seite bedenk⸗ 
lich fehien, in einer fo mächtig bewegten Zeit, wie die 
unfere ift, mit einem neuen und fid) als vollftändig 
anfündigenden Syſteme der Staatswiflenfchaften im 
Publicum zu erfcheinen; fo durfte ich Doch auch von 
der andern Seite nicht vergeflen,, daß das vor einigen 
Fahren mir anvertraute Lehramt der Staatswiflen« 
(haften mich berechtigte uud verpflichtete, wie auf dem 
1 sebrftuhle, fo auch vor den Zeitgenoffen, über biefe 
, Wiſſenſchaften oͤffentlich zu ſprechen. Dazu kamen noch 
0 zwei individuelle Gründe. Denn hatte ich mich nicht 
+” gefcheut, in der Napoleonifchen Zeit meine Anfichten 
— über einige Staatswiffenfchaften in meiner (im Jahre 
. 4808 erfchienenen) „Staats lehre“ oͤffentlich aufs 
s zuftellen; warum follee ich es jetzt? Zugleich bin ich 
. mir aber auch bewußt, und ich glaube es feit dreißig 
>_ Safren in allen meinen phllofophifchen, gefchichtlichen 
und politifhen Schriften beroiefen zu haben, daß ich — 
3 abgefehen von ihren übrigen Mängeln — nie zu einer 
— perrfehenben Parthei gehört, fondern eine fee Neu 
‚tralität im Kampfe der philofophifchen Syfteme 
und ber politifhen Parteien zu behaupten gefuht - 
° habe. Ohne Synkretiſt oder Eklektiker zu ſeyn, habe 


=>» - x 


— 


© 


Bi 


viii Vorrede. 


ich, mit gleicher Unpartheilichkeit, die Schriften von 


Männern gelefen und, wo e8 nöthig ſchien, angeführt 
und benugt, die in ihren politifchen Anfichten völlig 
von einander abweichen; denn, nad) meiner unwan- 
delbaren Ueberzeugung , liegt die Wahrheit, in den 
meiften Zällen, in der Mitte zwifchen beiden Extre⸗ 
men. Daher glaube ih auch, daß, bei allem Mei- 
nungsfampfe, ber weder an ſich, noch nad) feinen 
verfehiedenen Geftalten, Farben und Schattirungen, 
in einem fehr bewegten Zeitalter befremben darf, bie 
kaͤmpfenden Denker, fobald ipnen Wahrheit und 
Recht das Hoͤchſte und Heiligfte find, wornach fie 
fireben , oft nicht fo weit von einander entfernt ftehen, 
als fie felbft in der Wärme bes Kampfes meinen. 
Mur die, melche gegen das heilige Recht und gegen 
das Licht der Wahrheit, bas von oben ftammt, mit 
blinder Seidenfchaftlichfeit wirken, und die Menfchheit 
niche zu einem unendlichen — wiewohl langfamen — 
Bortfchritte im Guten, fonbern zur Unwiſſenheit, 


Roheit und zum Ruͤckſchritte beftimme halten; nur bie, 


welche an die Stelle der Vernunft und ihrer einfachen 
und unveränderlichen Grunbfäge einen Myſticismus 
fegen, nach welchem bürgerliche Verfaffung, Reli 
gion, Kunft und alles Gute und Große ber Menſch⸗ 


. beit in den fhäumenden Schmelztiegel eines Theo⸗ 


phraftus Paracelfus, Swebenborg und Jacob Böhme 


gebracht wird; nur die — fo wenig ich fie auch in 


ihren feligen Träumen ftören, oder um ihre Genüfle 


beneiden mag — merden ſich nie mit meinen Grund: 


fügen ausſohnen! 


Vorrede ı 


Aus dem Stanbpuncte ber.Neutralitär in 
Beziehung auf den herrfchenden Meinungstampf in 
den politifchen Spftemen wünfchte ich alfo, bei dem 
nachftehenden Werfe, von denfenden Männern beur⸗ 
theilt zu werben. Es ſoll die Aufgabe lofen, Die ges 
fammten Staatswiflenfchaften, theils wie ich mir den 
ganzen Kreis derſelben, theils das Verhältniß ber 
einzelnen Staatswiffenfchaften gegen einander denke, 
nach ihrem innern Zufammenbange zu einer beftimm- 
ten Meberficht über viefelben zu vereinigen, und 
zwar wie diefe Wiffenfchaften, nad) ihrem neueften 
Anbaue und auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Bil« 
dung und Reife erfcheinen, und mie fie eben fo für 
den afademifchen Vortrag, wie für das eigene Stus 
dium gebildeter Zeitgenoffen dargeftellt werden müflen. 

Ob ich nun gleich, nach acht und zwanzigjaͤhri⸗ 
ger Befhäftigung mit diefen Wiſſenſchaften und nach 
bem oft wiederhohlten Vortrage der meiften berfelben, 
befonders aber nad) den mehrmaligen Vorträgen ber 
Encnflopädie der politiſchen Wiſſenſchaf— 
ten, bie Veberzeugung gewonnen habe, daß die 
Staatswiffenfchaften inihrem Zufammenbange 
ganz anders, neben ben übrigen abgefchloffenen 
wiffenfchaftlichen Kreifen (z. B. der philofophifchen, 
ber mathematifchen, der gefchichtlichen, der juridifchen 
Wiffenfchaften u. ſ. w.), erfheinen, als. wenn 
man fte von einander trennt und nur einzelne derſel⸗ 
ben entweder im $ehrvortrage ober in befondern Wer- 
fen behandelt ; fo erwarte ic) doc) Feinesweges, daß 
‚die ausgezeichnetften Männer vom Fache auf teutſchem 


x. Vorrede 


Boden (wohin ich namentlich v. Jakob, Log, Rau, 
Sartorius, Graf Soden w a. zähle), mit 
mir über die in dee Einleitung verfuchte Aufftellung, 


. Bezeichnung und Eintheilung der zwölf Staatswif- 


fenfchaften völlig einverftanden feyn werden. Ich 
rechne baher eben fo auf ihre Nachfiche, wie auf ihre 
Zurehhtweifung und Belehrung, wünfche aber babei, 
daß fie mich zunächft im Sinne und Geiſte meines 
Spitems prüfen und widerlegen mögen, weil ich 
daffelbe in den vier heilen, aus welchen das Werk 


beſtehen ſoll, gleichmäßig feftgehalten habe. Jeberein - 
zelne Theil wird nämlich drei Staatswiffenfchaften 


umfchließen. So wie diefer erfte Theil das Natur⸗ 


und WVölferreht, das Staats» und Staatenrecht, 


= 


und die Staatskunft enchält; fo foll im zweiten 


bie Volkswirthſchaft, die Staatswirthſchaft mit der 
Sinanzwiffenfchaft, und bie Polizeiroiffenfhaft, — 


im dritten bie Gefchichte des eucopäifchen Staaten- 


fuftems aus dem Standpuncte der Politik, bie Staa 
tenfunde (doch nur im aflgemeinften Umriffe), und 


- das Öffentliche europäifche Staatsrecht, — und im 


vierten das practifche europäifche Wölkereeht, bie 
Diplomatie und die Staatspraris bargeftell€ werben. . 
Die Berechnung des ganzen Werfes auf unge» 
führ 4 Alphabete zeigt, daß feine ber einzelnen 
Staatswiffenfchaften im vollen Umfange des Syſtems 
(wie ungefähr v. Jakob die Finanzwiſſenſchaft, 
Heeren die Geſchichte des europäifchen Staaten- 


ſyſtems, Haffel die Statiftif, und Kluͤber das 


practifche europäifche Voͤlkerrecht durchfuͤhrten,) bes 


mn 


J 





Vorrede. | xi 


handelt werben kann; wohl aber ſoll jebe wichtige 
Lehre, welche in die einzelnen Staatswiſſenſchaften 
gehoͤrt, nach einer logiſch geordneten und deutlichen 
Begriffsbezeichnung vorgetragen, das Ganze jeder 
Wiffenfchaft nach feinem innern nothwendigen Zufam- ⸗ 
menhange verbunben, jede einzelne Staatswiflenfchafe 
auf Den Standpunck, den fie gegenwärtig nad 
ihrem Anbaue erreicht hat, geftelle, überall die wich- 
tigere Literatur beigebracht, und die Darftels 
lung ſelbſt, nach der ftyliftifhen Form, fo 
gehalten werben, daß nicht blos Männer. vom Fache 
und Studirende das Werk in Die Hand nehmen, ſon-⸗ 
dern auch Gefchäftsmänner und gebildete Leſer da- 
durch für das Intereſſe an diefen Wiflenfchaften ge 
wonnen werden. Eine folche. Behandlung und Dars . 
ftelung der Staatswiffenfchaften beabfichtigte ich, als . 
ich fie auf dem Titel als eine Darftellung im Lichte - 
unfrer Zeit begeichnetel Ich fühle recht gut, wie 
weit ich hinter meiner bee in der Ausführung zuruͤck⸗ 
geblieben, bin; allein in magnis rebus et voluisse 
sat ost! 

Aus. dem aufgeftellten Sefi ichtspuncte ergibf fi) 
denn als unmittelbare Folge, daß überall der neue 
ften Unterfuchungen und Anfichten in ben einzelnen 
Staatswiflenkhaften gedacht werden mußte. Wo 
diefe Anfichten mit den meinigen zufammenftimmten, 
nahm id) fie in den Tert auf; wo ich fie prüfte, oder 
zur Erläuterung und zur Beweisfuͤhrung beibradhte, 
fiehen fie in den Noten. Wer meiner frühern ftaats- 


wiffenfchaftlichen Schriften ſich erinnert, wird finden, 


zn | Vorrede. 


daß, ob ich mir gleich in ben allgemeinften anne. 
rechtlichen Grundfägen (3 B. in ber Lehre vom 
Staatsgrundvertrage, von der Theilung der Gewal- 
ten u. a.) gleich geblieben bin, doch in diefem Werfe 
alles durchaus neugearbeitet und neugeftaltet erfcheint, 
und aud) fo erſcheinen mußte, weil in neuerer Zeit in 
feinem Kreiſe wiffenfchaftlicher -Forfchungen die Ver⸗ 
änderungen fo bedeutend und fo Durchgreifend geweſen 
find, als in bem Kreife der Staatswiffenfchaften. 
. Dazu haben nicht nur die erſchuͤtterndſten und folgen- 
reichften‘ Vorgaͤnge im europäifchen Staatenfyfteme, 
fondern auch Die angeſtrengten Forſchungen und neuer- 
lich) erfhienenen gediegenen Werfe ausgezeichneter 
Schriftſteller im Kreife diefer Wiſſenſchaſten mitge- 
wirkt. Iſt doch erft feie 1805 durh von Jakob 
und Graf Soden die Volkswirthſchaft als eine 
felbftftändige, von der Staatswirthfchaft getrennte ‚ 
Wiſſenſchaft behandelt, und eben fo erſt in den letzten 
. Sahren die Diplomatie ftreng von der Diploma» 
tif, das practifche europälfche Voͤlkerrecht feit den: 
Schriften des verewigten von Martens genau von 
dem philofophifchen Wölkerrechte gefondere, das phi- 
fofophifhe Criminalrecht zu einer ganz neuen 
Geſtalt ausgeprägt, und die Polizeiwiſſenſchaft 
in einem Lichte dargeftelle worden, wie fie in den 
Schriften des v. Juſti, Nöffigs a. a. nicht er- 
fheihe! Namentlich foll in biefem Werfe auch ber 
Verſuch gemacht werden, das öffentliche euro- 
paifhe Staatsreht und bie Diplomatie, 
die bisher noch nicht wiſſenſchaftlich durchgebilder 


Vorrede xIII 


waren, gleichmaͤßig, wie die andern Staatswiſſen 
ſchaften, in ſyſtematiſcher Haltung darzuſtellen. 
In dem vorliegenden erſten Theile wird bie 
von mir (mit wenigen andern) im Naturrechte 
verfuchte gleichmäßige Ableitung ber Rechts > 
der Pflichtenlehre aus einer gemeinfchaftlichen Quelle 
nicht auf allgemeine Zuftimmung rechnen dürfen; ich 
wünfche aber auch dabei nur, daß man mir — abs 
gefehen von.den Prämiffen — die Bolgerichtigkeie 
in der Durchführung zugeſtehe. Bleihes Schiefat 
befürchte id) von der Behandlung des philofop hi« 
[hen Criminalrechts; doch glaube ih. — unge⸗ 
achtet der Kürze der Darftellung — nichts ohne 
Gründe beigebracht zu haben... Die Staatskunſt 
(Politik) endlich erfcheint Hier in einer gang-neuen, 
mir eigenthuͤmlichen, Geſtalt, völlig abweichend von - 
affen mir defannten Soſtemen und Compendien der⸗ 
ſelben. Daß fie einer neuen Geſtaltung bes 
durfte; darüber werden alle Männer vom Fache 
mit mir einverftanden ſeyn. Db aber ich theilweife 
den rechten Weg fand; darüber wuͤnſche ih vorzüge 
Lich Auskunft und Belehrung. Wenigſtens erfüche 
ich die Männer, welche diefen erften Theil wiflen 
ſchaftlich prüfen, befonders der Staatskunft ihre Auf 
merkſamkeit zu ſchenken. Durch diefe völlig neue 
Geftaltung der Politik iſt zugleich der erſte Theil in 
der Bogenzahl etwas ftärfer geworben, als ich An⸗ 
fangs wuͤnſchte und beabfichtigte; dagegen werben Die 
folgenden Theile verhaͤltnißmaͤßig im Umfange ſchwaͤ⸗ 
cher werden. 


xiv | Vorrede. 

Was die Literatur betrifft; fo kam es, bei 
der angegebenen. Beftimmung biefes Werkes, nicht 
darauf an, Maffen zu häufen, obgleich auch nichts 
MWichtigeres übergangen werden durfte. Ich kann 
verſichern, daß ih, mit'menigen Ausnahmen, bie 
angkfuͤhrten Schriften. felbft befige,, und namentlid) 
“ beim Naturrechte und der Politik viele hundert 
Schriften nicht angeführt habe, die ſich darüber im. 
meiner Bücherfammlung befinden. So ſchwer es ift, 
bei der Aufnahme der. Siteratur bie fo fehr abweichen⸗ 
den Erwartungen und Anfichten ber Einzelnen zu 
befriedigen, und fo leicht es ber Kritif fälle, irgenb 
ein übergangenes "Buch, das für den Einzelnen zu⸗ 
‚fällige Wichtigkeit hat, nachzutragen; fo habe id) 
doch — alle dieſe Schwierigkeiten beruͤckſichtigend — 
mic) nicht entſchließen koͤnnen, bie Literatur, wie 
Andere thun, ganz wegzulaſſen, und lieber, meine 
ich, ſtehe ein Buch zu viel da, als eins zu wenig! | 

Da biefes Werf mit dem Verſuche einer ſy⸗ 
ftemarifh Duchgeführten Sefammtüber 
fiht über alle Staatswiffenfhaften im 
Lichte unfrer Zeit feinem bis jetzt erfchienenen 
oder angefündigten ähnlichen Werke in den Weg 
tritt; fo wünfche ich innig, Daß daffelbe, bis es durch 
ein befferes verbränge wird, richtige und zeitgemäße - 
Begriffe über die gefammten Staatswiffenfchaften in 
einem weiten Kreiſe verbreiten helfen möge, weshalb 
in demfelben — nad) dem Vorgange geachteter Män- 
ner in andern Wiflenfchaften — die Verbindung der 
Beftimmung eines Hand buches und eines afademi- 





— 


Morresde. xv 


fchen Lehrbuches verfucht worden if. Denn daf 
die Staarswiffenfchaften endlich auch in Teutſchland 
in ihre lang verfannten Rechte allmäplig eintreten, 
und daß erleuchtete Regierungen das dringende Be⸗ 
dürfnig fühlen, fünftige Staatsmänner und Diplo⸗ 
maten, unb afle die, welche fich den einzelnen Zwei⸗ 
gen der Staatsverwaltung widmen, eben fo forgfäls 
tig für dieſe hochwichtige Beftimmung auf den Unis 
verfitäten vorbereiten zu laffen, hat die Begründung 
felbftftändiger Facultäten der Staatswiflenfchaften 
auf den Univerfitäten Tübingen und Würzburg, 
fo wie das, was fchon längft dafür in Heidelberg 
gefhah, und bie auf den öftreichifchen Univerſitaͤten 
ſchon feie mehreren Jahrzehenden beſtehende Vorſchrift 
gelehrt, daß namentlich Finanzwiſſenſchaft und Po⸗ 
lizeiwiſſenſchaft von den Studirenden der Rechte ge⸗ 
hoͤrt und belegt werden muͤſſen. Eine aͤhnliche Verord⸗ 
nung iſt im Jahre 1822 im Koͤnigreiche Hannover 
erfchienen, wornad) alle, welche der Beamtenlaufbahn 
fi) widmen, außer den juridifhen Studien, auch die 
ſtaatswiſſenſchaftlichen, bei ihren Geſuchen, belegen 
muͤſſen. — Nur dann, wenn man ſich überzeugt haben 
wird, daß für den fünftigen innern und dAußern 
Staatsdienft eine eben fo beftimmte, forgfältige 
und umfchließende Vorbereitung nöthig ift, wie für die 
Betreibung der Kaufmannfchaft, und für die fünftige 
Uebernahme eines Amtes in der Kirche, in der Schule, 
oder in der Gerechtigfeitspflege ; hur dann, wenn man 
fid) überzeuge Haben wird, daß unzähligen Verirrun⸗ 
gen kraftvoller, aufitrebender Juͤnglinge am ficherften 


xXv1 Vorrede., 


durch Mittheilung deutlicher und richtiger 
Begriffe uͤber den Staat, uͤber ſeine Beſtimmung, 


uͤber feine Anſtalten und Beduͤrfniſſe in den afademi- 


m 


fhen Worlefungen, vorgebeugt werben fann; nur 
dann werden auch die Staatswiflenfchaften auf unfern 
Hauptfchulen, neben den andern abgefchloffenen Krei- 
fen pofitiver Difeiplinen, als gleihbereheigt 


und gleichgeachtet erfcheinen, und ihr wiſſen⸗ 


fchaftlicher und gründlicher Anbau wird, ſchon nach 
dem erften Jahrzehend, einen mwohlthätigen Einfluß 
auf das ganze Staatsleben äußern! Ich kann daher 
diefes Vorwort gewiß nicht zweckmaͤßiger fchließen, 
als mit einer Stelle des geiftvollen Buchholz (in 
f neuen Monatsfohrift für Teutſchland, 
1822, Auguftheft, S. 493.): ‚Wäre das, wor⸗ 
nad) das Jahrhundert firebe — Die Staatswif- 
fenfhaft — bereits in einer ſolchen Vollftändig- 
keit vorhanden, daß bie Organifationsprincipe. über 
alle Zweifel erhoben daftänden; fo würde barin, 


‚wenn in irgend etwas, das fouverainfte Öegen- 


mittel gegen alle Ummwälzungen gegeben 
feyn. Leider liege dieſe Wiffenfchaft noch in der Wiege. 
Und da ihr Werth von denen, die fid) Steatsmänner 
nennen, in ber Regel am meiften verfannt wird; fo 
ift es nicht wahrſcheinlich, daß fie in furzer Zeit die 
Wichtigkeit erhalte, dieihrgebühre Wie 
lange fie aber aud) noch verfannt werben möge; her⸗ 


vorarbeiten wird fie fi, weil fie, wenn uns nicht 


alles taͤuſcht, das Kind des Jahrhunderts ift, d. h. 
diejenige Geburt, zu welcher in allen Zweigen menſch⸗ 
licher Erkenntniß alles vorbereiter iſt, alles drängt!‘ 


Leipzig, am 14. Febr. 1903. 
Poͤlitz. 


q. Die .Barbereitungs : und Hatfewiſſen ſche gen an " 


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Seite 

Alfgemeine ein eltung in bie gefammten | 
Staarswiflenfchaften. | 
1. Vegriff der Staatswiffenfhaften . .. 1 


2. Zufam@hHang der Staatswiſſenſchaften. ‚une 


ch. 2 

3. Eintheilung der Etee ewiſſ enſchafien. ... 3 

a. Fortſetzung. .. +... 2.34 

5. Ueberſicht .über Die. gefammeen . Sammeln 
fhaften. . - 6: 

6. Verſchiedenheit der Stäarswigtenfdidften sn: den 

. fogenannten Kameralwiſſenſchaften. = -90 


‚den Staatswiffenfhaften. . . 03 
ß. Literatur der eneyHopädifchen Sehenbiung "ser or. 
Staatswiſſenſchaften. ee re he 30 





— nt 
J. FE 
Natur-⸗ und Bölterregi no 
Einleitung. P 
1. Vorbereitende Begriffe.. 33. 


&. Begriff und Zweck der phlfofophifchen Kehteichre, 34 
3. Ableitung des Begriffes des Rechts. aus. det ur⸗⸗ 
ſpruͤnglichen Befegmäßtgteit des ⸗menſchlichen „= 


Weſens. . 0 o 0 — .,n 0: “ ® 4 35 
4. Das practifche Ideal. .. 36 


5. Die beiden Haupttheile bes’ practiſchen Ideal⸗, 
das Ideal der Price und des Reqhts .. 37 


d 


xviu Inhadlt. 


Seite 
G. Folgerungen aus dem Unterſchiede zwiſchen Recht 
und Pflicht. 6004 . s » 0 0 0 . 

7. ae Srundfaß der philofophifhen Rechts⸗ 

- te ve. 0 0 0 o ."“ 0. . . o o ® . 

g. Umfang und Eintheilung der philofopdifchen 
Rehtöldie 0 0 en 
9. Bortfegung. — Rechtslehre im weitern Sinne. 50 
“ 19. Die phitofophifche Nechtsichre nad) ihrer Stel 
"fung zu den gefammten Staatswiſſenſchaften 


39 


und zu den pofitiven Kehren. - - - . 51 
#1. Wiſſenſchaftlicher Standpunct für die philoſo⸗ 
phiſche Rechtslehre. 55 


19. Umriß der Geſchichte des Maturrechts nach eine 
geinm Schulen. © oo 0 0» . . 67 


A) Dad Naturrecht, oder ber phllofophle 
fen Rechtslehre erfter Theil. 


23. Begriff des Maturrehtt. - 0 0 68 
ag. Werecht der Menfphelt. 0 0. 0... 70 


e) Neines Naturrrecht. 


25. Momenclatur ber urfpröngiihen Rechte. 71 
16. 3) Das Recht auf äußere Zreihel. . . . 72 
17. 2) Das Recht auf Äußere Gleichheit. . » - 78° 
18. 3) Das Recht auf Freiheit der Sprache, der 
..Preſſe und des Gewiflene. - . +» 
29. 4) Das Recht auf perfönliche Würde und 
guten Namen. . 00000. 76 
50. 5) Das Recht auf Eigenthum. . 000. 77 
sı. 6) Das Recht auf Öffentliche Sicherheit. -. 78 
29. 7) Das Recht auf Abſchließung und Haltung 
der Verträge. © eo 0 0 ee ne 
95. Bedingungen der Gültigkeit der Verträge. 80 
sh Heals und Werbalverträge; unbedingte und 
bedingte, ſtillſchweigende Verträge. : 82 
25. Veraͤnderung und Aufhebung der Verträge 84 
26. Kon der Billigkeit und dem Nothrechte. 85 


b) Angewandtes Naturrecht. " 


97. Begriff und Umfeng dbefielden. » - » » +. 89 
ag. Nomenclatur der wichtigſten Verträge. » » 88 


# 


Inhalt. 


29. 1) Der Geſellſchaftevertrag Aberhaupt. . » 
30. 2) Der ehelihe Vertrag. . 
31. 3) Das aus demfelben hervorgehenbe Klo 
terntedt. 2 0 ee re 
32. 4) Der Dienfivertrag. .. . .. 
33. 5) Der Arbeits: und Miethövertrag. oo 
3. 6) Der Schenkungs⸗, Tauſch· und Kauf⸗ 
vertrag.. ..o 
35. N 2“ u, Dasichns » "und Dfandverr 


36. 8) De Yufdewahrungs: und Bevofimägtis 
gungsvertrag, “Die Buürgſchaft.. 

37. 9) Der Vertrag auf den Ball des Todes. . 
38. 30) Der Verfaflungs: und Deglerungeversrag 
’ der Sefelifhaf.e . .- » .. 

- 39. 31) Der kirchliche Werfaffungsvertrag.. * 
40,° 12) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht. 
in Anhang. : Won den Rechten der Wahnfinnigen. 


zur 


B) Das philoſophiſche Völkerrecht, 


oder der philofophifchen Rechtslehre 
zweiter Theil. 


42. Uebergang vom Maturredite zum Voͤlkerrechte. 
43. Zweck des Nebeneinanderbeſtehens der Voͤlker. 

3 Das Urrecht im Voͤlklerrecheee.. 

45. Folgerungen darau. 2 cn 00. . 

46. Schluß diefer Folgerungen. - - » 

47. Uefprüngliche und erworbene Rechte der Völker. 

4 Nomenclatur der urfprängligen Rechte 


der Voͤlker.. 
4% 3) Das Recht der individuellen. Freiheit eines 
jeden Volles. . - ... 


50. 9) Die rehtlihe Gleichheit der "Völker. .. 
51. 3) Die gegenfeitige Oeffentlichkeit (Publicitaͤt) 


d er V oͤlker. 0 0 ® “ ® . 4 . ‘ 


52. 4) Der Eredit der Bälker. „ . . 
53. 5) Der rechtliche Eigenchums s und Gebete 
befig-der Voͤlkler.. . .. 


54. 6 Die äußere Sicherheit ber Böll 
55. M Das Recht der Verträge zwiſchen den eins 


zeinen Boiken. 00 a 


xx Inhaut. 


66. 9 Das Recht der Vertretung des einen Vol⸗ 
kes bei den andern, oder das Geſand⸗ 
tenrechtt. SER 


57. Das Beisbärgeruegt, ER 
. II.- ‚ 
Staats- und Staatentecht. 


Einleitung. 
18 Vorbereitende Begriffe. .o ch 8 oo oo. 
-9. Forſetzung.. .. 
3. Begriff und Zwed des Eraates . eo .. 
4. Erweiterung des Staatszweckes. . » 
5. Begriff und Thelle des Staarsrehhte. . . 
— Verhaͤltniß des Staatsrechts zu den ander 
Staͤatswiſſenſchaften. .. 
7. Begriff und Inhalt des Staatenrehts. . 
8. Literatur des Staatörehtd. - . 0 0 


A) Das reine Staatsrecht. 


94 Inhalt und Theile des ‚reinen Staatéerechts.. 
10. 2) Lehre von den Urverträgen des Staates. 


ur Der 0 1 0 0 


11. .. Der Bereinigungsvertrag. « = 0 0 > 
12. . Der Verfaffungsvertrag. ao... 
13. . Der Unterwerfungsvertrag. . 


14. Unterfied der bürgerlichen- und Sffentlichen 
(politifchen) Freiheit. . « . » 


15. b) Lehre von. den einzelnen Theilen der hoch⸗ | 


ſten Gewalt im Staate. . . 2 0. ° 
16. Die geſetzgekende GBewalt. . 
17. Die vollgiehende Gewalt... . 


18. ©) Lehre von der restlichen Form ber Vers 

F faffung .und Vegierung des Staates. 

10: . Die allgemeinen Vernunftbedingungen für 
jede rechtliche Berfaffung . - 


® 
\ 


20, . .Ermwerbung des Srantsbürgerreiite. .o 
812 . .Auswanderungseeht. . : » .o 
22. MWerluft des Staatsbuͤrgerrechts.. - - 


23. . .Maturalifirung der Fremden.. 


LU 


©eite 


134 
16 





Saba, 


2. . Verfſchiedenheit der-Otantebärger und der 
sen Einthellung sl oo. 0 000. 


PS. Gefelifhaften:im Staate. . 2. . .- 


26, Eintheilung des Staatsgebiets. .. 
27. Rechtliche Form der gefeggebenden 
Sewalt im Staate. 0. 
28. Die Stellvertreter des Volles. . .*. 
29. * Medtlihe Form der vollziehenden 
* Gewalt im Staate. “Le... 


50. Der Regent, ale Souverain.‘. . ’ 

31, Fortfeßung. Majeſtatsrechte des Regen 
ten. 0 0 o 0 . oe ET Y 

32. Pflichten des Regenten. oe 

33. Rechte und Pflichten der "Untertanen. . . 


34. : Die rihterlihe Small. - 0. . 
35. Fortfepung. . \ 


36. : Die vier Haupttheile der Staatsverwals 
. tung 0 ® . oo 0 3— . . 

37. Die Staatsämter. Paar 

38. Rechtliche Form der Kirch e im Staute. 

39. Fortſetzung.. 


40. Bean. Verhäteniß der Rice vom 
tagte. 2 0. 

41. Rechtliche Form der Verbefferung der 

Verfaſſung. 2 0:02 020. 


B) Das philofophifhe Strafrecht. 


40. Der rechtlich geſtaltete Zwang. 
43. Begriff und Theile des philofophifcen Sırafı 
rechts.. 

44. Literatur der wiſfenſchaftlichen Behandlung des 
“ phllofophifhen Strafrecht. . . 0... 

45. 2) Lehre von der rechtlichen Geftaltung bes 

Zwanges und der Strafe im Staate. 
46. Fortſetzung.. 


2 
47. Veberficht ht über die wigtigten Srrafrchie 


theorien. . . » 000: 


a) Die Fußjective Orraferätt " 


theorie. 
48. 1) Die Wiedervergeltungstheo⸗ 


LE u Er 


IM 


Seite 
| 


u Inhalte 


Seite 


a65 
268 
269 


40. | Pruͤfung berfeldn. .. . 
50. | 8) Die Beſſerungstheorie.. 
51. Dräfung derfelden. - . 
MD Die oBiestine Strafrehtschene 
52. ey) Die Abſchreckungstheorie. 
53. Pruͤfung derfelben. . . 
7 2) Die Präventionstheorie. . 
59 Prüfung derfelen. . - 
56. Allgemeines Ergeöniß, .. 7 


67. b) Lehre von der rechtlichen Anwendung des 
Zwanges und der Strafe im Staate. 
(Die fubjectivsobjertive eu 
vechtstheorie.) . 

58. Strafwuͤrdigkeit und Serafbarti "der 


That. . W 
59. a die Zurechnung wegfällt. oe... 
60. . . a) Die Lehre von den Rechtsvers 


legungen im Staate. 


Eintheilung der krafbaren Hanbluns - 


. gen in Verbrochen und Vergehen. 
61. . . »Die Vergehen. 0.00. 
62, Die Verbrechen. . ⸗. 
63. EB) Die Lehre von den Strafen. im 
. Staate. ⁊ 0 0 0 a 0 & 
7 Fortfeßung. . . ... 
65. ° ° Das Begnadigungsrenht. . 
66. y) Ausübung des Strafrehts im 


Staates. 2 2:2 0 ee.“ 


C) Das philoſophiſche Staatenrecht. 
67. Begriff, Umfang und Inhalt deffelden. «- . 


68. a) Darftellung der allgemeinen Grundfäge für 


das rechtliche Mebeneinanderbe 

ſtehen aller Staaten des Erdbodens. 
69. ' Verträge zwifchen den Staaten. . . . 
70. Verbindung zwiſchen den Staaten. . . 
71. .b) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung des 


Zwanges zwiſchen den Staaten nad) 


. vorhergegangenen Rechtsverlegungen. 


— 


Inhalte zug 


72. | Ab ſtufungen des Zwanges zwiſchen den 
Staaten: Retorſonen, Repreſſalien, 
Krieg 8. . e.” 4 84 311 





73, Der ‚rechtliche Krieg. ce . . 313 
Th ‚Bundesgenoffen im Kriege - - . . 313 
TE... Recht der Nentralitdt. - 0 0 0 0 a 327. 
n6. . „Der rechtliche Friede...317 
Die Staate Naſt Pot), 
Einleitung. ur 
2. VBorbereitende Begeiffe. - + - 0. . 320 
2. Begriff und Umfang ber Staatstunft 0. 5323 
3. Zwed und Theite der Staatskunf. , . - 326 


4. Verhaͤltniß der Staatskunſt zu den übrigen“ 

©traarswiffenfhaften.. - 0 2 20 0. 538 

5. Literatur der Staassfunf,.. 0 0 0.0 + 333 
* Lehre von dem innern Staatsleben. 


Inhelt und Umfang Yes erfien Theiles der 


taatskunſt. 340 
7. 2) Die Eu (tur des Volkes, als erſte Vedins - 
gung des innern Staatslebens.. 541 
& . Die politifhe Mündigkeit als ‚Solge der 
’ Cuitur. — — 344 


9. b) Der Dr antsmus des Staates. 
. Begriff der Organifation Überhaupt. . . 346 


10. ' Anwendung des Begriffs der Organifation 
i auf den taat. d v o —0 348 
11. Fortſetzung.. 350 
19. Die Befandtheite der Staatserganifation. 352 
13. Die fogenannte gefchichtliche unterlage der 
Staatsorganifation. . . 356 
1% Ueber das Verhaͤltniß bes Reches und der 
Gluͤckſeligkeit gegen einander in der Digar 
.. nifation ded Ötaated. . ,» . 369 
15. e) Die Berfaffung des Otaates, "als 


erfier Beſtandtheil der Organifation | 
berfelden. - » . . . 2.5361 


nr 9 — 


PR. Bd 4J 


ODle tigen Seinde:im: Eitakte.e 5365 
‚Werfchiedenheit - -der.. Werfaffungen 


Jahalt. 
| Seite 


nach Politiſchen Ruͤckſichten: | 
-1).in Bezlehung LE ihre Ent · 
... Nehung; 3 .. ‘e. . - e eo 391 
2) in Begiehung: aufider- innern 
ee ne, 
Gortfegu 
Ueber das Berhäftniß zwiſchen der 
gefeßgebendeh und vollziehenden 
dewalt, und Über Den Srutzdfatz der 
schennung der Volksvertreter. .3 
Fortfeßung. 
Ueber die Berthelfung der Born i 
treter in "Kammern. SE er 398 
Beſchluß. — 
Ueber die den Volksvererelern vorn: 
faffungsmäßig betzulegenden Rechte 
und Pflichten. > Te: . 402 
Ueber Freiheit der Preſſe. 


3 ) Die Regierung des Staͤates, als 


zweiter Beftandtheil der Otger 
nifation deffelben. . u. 418 


Fortfetzung.. 49 
Allgemeine Ciaffificatien der Kegie 
rungsformen. . 421 


Ueber die monarchiſchen und republi— 
kanifchen Regierungsformen über) 
haupt: . oe . d 423 

Die monardhifche Negierungsform. 

- 0%) Die undefhräntte und ber 

‚fhräntte. » 2. 0 0. 42% 
®. Fortfeßung. - ' 
P) Die Wahls und arbliche 

Monarchie.....428 

Die republikaniſche Kegiernngsform. 439 

a) Die Demokratie. . .- . . 440 

B) Die Aritofratlei er 
Anhang. 

Die Iheofratie. — Der. Bundess 
- flaat. und Staatendbund. . . . 446 


. 
D 0, 


33. 


3 n KR it. 


Ergebniffe der Geſchichte und Staates 
kunſt Über die verfchiedenen Regie⸗ 
rungsformen... - . ..0 . 


dritter weſentlicher Beftandehelf 
. der Oxrganiſation deſſelben.4 
aupttheile der Wermaltung, .. . + 
Die, ‚beiden, MHauptſyſteme in der 


Staateverwaltung. Pe ee 


. Fortſetzung.. 
Allgemeine Grunpfäge far die Vers 
waltung. ..«. 
Die, hoͤchſten Vehoidin der. Siauis 
verwaltung... 
.1) Die einzelnen Dinifterien. . . 
8) Der Staassrath. ». . » « 
3) Die Seneralcontrolle. ser.6s 


Ueber die Verantwortlichkeit der hoͤch⸗ 


‚ ten Staarsbehörden.. . . .» 
a) Die Serechtigkeltspflege, 
als erſter Haupttheit der Staalsverwal⸗ 


tung... ee er 2 0.0. 


Förtfegung g.. 
bj. Die Polizei, als zweiter KBaupts 


" J der Staatsverwaltung. . . 


co) Das Finanzmefen, als dritter 


| Haupttheil der Staatsverwaltung. . 


d) Das Kriegswefen, als vierter 

Haupttheil der Staatsverwaltung. . 

Fortfeßung. ..e © 0 0 0 
Fortſetzung... 


9 Die in der Eulturz Verfaſſung, Regierung 


xxY 
Seite 


. V DieBerwa Ltung hes Gtaates als 


und Verwaltung des Volkes gemeinſchaft⸗ 

lich enthaltenen Bedingungen der rechte . 
lihden Bortbildung des innern 
Staatslebens (Lehre von den Reformen 

im Staate). . .» 529 


Die Reformen im Innern ©taatsiehen. 
Gortfegung. . . ee. 
Ueber Kevolutionen. .. 
Ueber Reaction in politiſcher Hinficht. 


xxvi Inpate 


u .. Seite 
B) Lehre von dem außern Staatsleben. 


J ‚56. Ueberſicht der Bedingungen und Verhältniffe des ' 


äußern Straatdlebent. - oo 666 
57. a) Darftellung der: Brundfäge der Staatsfunft 
' . -fürdie Wech ſelwirkung und Ber 
-bindurg bes einzelnen Staates mit - 
allen übrigen neben ihm beftchenden - 


Staaten. - 
Das Staatsintereſſe.. 
58. Eintheilung der Staaten nach ien | 
" politifchen Gewichte... 552 
59. Politiſches Steihgewiht. - - - 655 
BGo. Vertraͤge. Buͤndniſſe. Sardnticen.” 
tt Sefandte. . 558 
61. Die politifche Unterbandlungstunß, 559 


63. 5b) Darftellung der Srundfäge der Gtaatss 
kunſt für die Anwendungen des Zwans 
ges zwifhen den Staaten nad ange 
broßten oder erfolgten Nechtsverlegungen. 361 


63. er Krieg aus dem Standpuncte der 
' Stantstunfl.. © . 563 
64. Das Erobetungsredit aus dem Stande 
puncte der Staatskunſt. .. 565 
65. Der Völferfriede aus dem Stand⸗ 


puncte der Staatstunl. . „ - 567 





Allgemeine Einleitung 


! 


in die 


gefammten Staatswifienfchaften. 


1. 
Begriff der Staatswiffenfhaften 


E⸗ gibt einen Kreis von Wiſſenſchaften, welche 
man — zum Unterſchiede von allen andern wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Gebieten — die Staatswiffenfhaf- 
ten nennt, Das Eigenthümliche derfelben befteht 
darin, daß die Idee des Staates in jeder 
diefee Wiſſenſchaften ven Grundbegriff der 
felben bilder, und die Verfchiedenbheit ber 
einzelnen Stoatswiffenfchaften, nach ihrem felbft- 
fländigen Charafter und nad) ihrer gegenfeitigen 
Grenzbeftimmung, zunaͤchſt auf der Art und 
Weife beruht, wie der Grunbbegriff des Staa- 
tes in dem Mittelpuncte der wiffenfchaftlihen Dar: 
ftellung nad) gewiſſen wefentlichen *Beftimmungen er- 
fheint, durch welche die eine Staatswiffenfchaft, in 
Hinſicht auf ihre Begründung, auf ihre Eintheilung, 
auf ihren Umfang und auf ihre fuftemarifche Dur 
führung, fih von jeder andern Staatswiflenfchaft 
unterfcheibet, 

L | 


E 3 


1 


x 


2 Allgemeine Einleitung 


| 2. 1 
Zufammenhbang der Staatsmwiffenfhaften 
| unter fid. Ä 


Recht und Wohlfahrt: find die beiden hoͤch⸗ 
ften Bedingungen alles Staatslebeng ; denn in dem 
Staate find vernünftig » finnlihe Wefen vermittelft 
des Staatsvertrages zu einer Gefellfhaft zufammen- 
getreten, durch welche der Endzweck der Menfchheit — 
Sittlichkeit und Glücfeligfeit in Harmonie — theils 
von dem einzelnen Menfchen,, teils von der gan« 
zen Mechtsgefeflfchaft, fo wie nad) außen in der 
Wechſelwirkung mit andern Völkern und Staaten, 
erreicht werden fol. So wie aber die geiftige Natur 
bes Menfchen höher fteht, als die finnliche; fo ſteht 
auch unter den beiden Grundbedingungen bes Staats: 
lebens das Recht höher , als die Wohlfahrt, und nie 
darf der Wohlfahrt wegen das Recht verlegt oder 
hintangefegt werden. Denn bie Herrfhaft.des 
Mechts auf dem ganzen Erdboden iſt das 
Ideal, welchem theils jede einzelne bürgerliche Ge— 
fellfchaft, theils die Gefammtheit aller auf: dem 
Erdboden neben einander beftehenden Völker und 
Staaten zugebildet werden fol. Diefes deal muß 
daher auch der legte und hoͤchſte Maasftab feyn für 
. alles, was in den Staatswiflenfchaften entweder als 
zu verwirklichen gefordert, ober als bereits vorhan- 
den dargeftellt und nach jenem Maasftabe geprüft 
werden foll, 


3 | 
Eintheilung der Staatswiſſenſchaften. 


. Sind Recht und Wohlfahrt die beiden hoͤchſten 
Bedingungen alles Staatslebens; fo folgt Daraus, 





in bie gefaminten Stantswiffenihaften. 3 


daß alles zu dem Kreife der Staatswiffenfihaften 
gehört, was uns lehrt, theils wie dieſe beiden 
hoͤchſten Bedingungen des Staatslebens verwirklicht 
werden follen und fünnen; theils mie fie in 
den vormals beftandenen und’ noch) beftehenden Staa⸗ 
ten verwirflicht worden find und verwirklicht w ers 
den; — oder auch wie und wodurch dieſe Bebin- 
gungen verfehle und nicht verwirklicht worden find. 
Der Kreis der Staatswiflenfchaften wird daher, 
nad) feiner aflgemeinften Eintheilung, theils' philo- 
fopbifche, theils geſchichtliche Staatswiſſen⸗ 
fhaften umfihließen, wovon die er ſten lehren, wie, 
nad) ders ewig. gültigen Forberungen ber Vernunft, 
Recht urid Wohlfahrt verwirklicht werden follen und, 
fonnen, und die zweiten durch Thatſachen nach— 
weifen, ob und wie Recht und Wohlfahrt in den vor» 
mals beftandenen und noch beftehenden Staaten ver- 
wirflicht werben, oder nicht. (So gehören entfchieden 
das Staats» und Staatenrechet zu den philos 
fophifchen, hagegen die Geſchichte des euro 
päifhen Staatenfyftiems, bie Statiftit 
u. a. zu den .‚gefchichtlichen Staatswiffenfchaften.) 


4. 
Fortſetzung. 


Allein man reicht mit dieſer allgemeinſten Ein⸗ 
theilung der Staatswiſſenſchaften in philoſophiſche 
und geſchichtliche nicht aus; theils weil in den 
Kreis derſelben zwei Wiſſenſchaften gezogen werden 
muͤſſen, in deren Mittelpuncte zwar der Grund⸗ 
begriff des Staates nicht vorherrſcht, ohne welche 
aber die eigentlichen Staatswiflenfchaften ihrer legten 
Begründung ermangeln: das Natur⸗ und Voͤl⸗ 

2* 





4 Allgemeine Einleitung \ 
kerrecht, und die Volkswirthſchaft (National⸗ 
oͤkonomie); theils weil gewiſſe Staatswiſſenſchaf⸗ 
ten nur durch die Verbindung von philoſo— 
pbifhen Grundfägen mit geſchichtlichen 
Thatfachen ihre ſyſtematiſche Geftaltung. und. Hal- 
tung gewinnen fönnen, wie z. B. bie Staatsfunft 
(Politif), die Staatswirthſchaft und Sinany- 
wiffenfhaft, fo wie die Polizeimiffenfhafe 
nn man, wie es die Vernunft verlangt, das 
fogenannte Natur» und Völkerrecht von bem 
Staats» und Staatenredhte forgfältig un« 
‚ terfheidet; fo enthält das erftere, nad) dem in 
ihm aufgeführten Ideale, die Darftellung eines 
rechtlichen Vereins noch ohne Rüdfiht auf das 
geben im Staate, doc) fo, daß jenes {deal des 
- Natur» und WVölferrehts der hoͤchſte Maasftab 
für die wiffenfchaftlihe Begründung und Durd) 
führung des Staats- und Staatenrechts enthält, 
Die fuftematifhe Darftellung beider Wiflen- 
fhaften in diefem Werfe mag diefes bier ausge: 
ſprochene Verbältniß derfelben gegen einander be» 
weifen. — Daffelbe gilt von dem Verhältniffe 
der Volkswirthſchaft zur Staatswirch- 
fhaft, inwiefern die erfte den ganzen Umfang 
der Quellen, Bedingungen, Beſtandtheile und 
Wirfungen des Volfsvermögens, noch unabhän- 
‚gig von dem Einfluffe des Lebens und ber Re⸗ 
gierung im Staate darauf, entwickelt. — 

Daß man aber mit der allgemeinften Einthei- 
lung der Staatsmwiffenfchaften in philoſophiſche und 
gefhichtliche nicht ausreiche, fondern auch (im 
guten Sinne,) gemifchte annehmen müffe, in 
welchen die aus der Vernunft für die Verwirk⸗ 
lihung des Staatszwedes ftammenden Grundſaͤtze 


in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 5 


‚an Thatſachen der Geſchichte gehalten und durch 
dieſe erlaͤutert und verſinnlicht werden, erhellt aus 
der Politik oder Staatskunſt, ſo wie aus 
der Staatswirthſchaft, der Sinanzmwif- 
fenfhaft und Polizeimwiffenfhaft. Denn 
wenn auch aus reiner Vernunft hervorgeht, daß 
fein Staat ohne Regenten gedacht werden fann; 
fo kann doch die Frage: welches die befte Regie 
rungsform fey, nur mit Rüdficht auf die Gefchichee! 
— und alfo nicht im Staatsrechte, fondern in der 
Staatsfunft — entfchieden werden. Eben fo ver: 
langt die Vernunft im Staatsrechte, daß eine 
Volksvertretung überhaupt beftehe. Ob aber dieſe 
in einer.odersin zwei KRantmein zufammentreten' 
folle; dariiber fann blos.die Politik entſcheiden. — 
- Daffelbe gile von ber Staatswirthfchaft: Die: 
Bernunff verlangt, daß jeder Staatsbürger nur. 
von feinem teinen Einkommen beflauert werde; 
bie Gefchichte aber weilet nad), ob.umb wie dies: 
am beiten ,:burd) Directe oder indirecte Steuern, 
geſchehen koͤnne? Gleihmäßig kann über. bie. 
Zweckmaͤßigkeit oder Unzweckmaͤßigkeit der Dex, 
ſteuernng im Einzelnen, ſo wie uͤber die Guͤte 
oder Verwerſlichkeit ber einzelnen Polizeianſtalten 
u. ſ. w. nur nach dem Zeugniffe der Erfahrung: 
und Geſchichte entſchieden werden. — Daraus 
- geht als Ergebniß hervor: daß man bie Staats⸗ 
wiffenfchaften weder blos als philoſophiſche, nach; 
. bios als gefchichtlihe Wiffenfihaften. derftellen, 
. könne; daß. es zwar. reinphiksfophifce 
Staatswiſſenſchaften gebe (Matur-"und Wolke: 
recht, . Staats und Staatenrecht, Volkawirth⸗ 
ſchaft), und eben fo- au ve ingeſchichtliche 
Geſchichte des: europäifchen Staatenſyſtems, Sta⸗ 


8 


6 7 Algemehre Einleitung 


tiſtik practiſches europaͤiſches Voͤlkerrecht, Diplo⸗ 
matie u. w.), daß aber auch einzelne Staats» 

wiffenfchaften gleihmäßig auf philoſophiſcher 
und geſchichtlicher Unterlage beruhen, wie die 

Staatskunſt, die Staatswirthſchaft, die $manz- 
\ und bie Poligeifenfhaft. | 


5. » . - 
ueberſich aAbern die gefammten. Staats 
Ä : ‚nlffenfhaften 


Zu dem Kreiſe der Stoaatswiſſenſchaften gehoͤren: 


1) Das Natur- und Voͤlkerrecht, ober 
die ſogenannte philofophifche Neditstepre im 
engern Sinne bes Wortes, Sie enthält die wiſſen⸗ 
ſchaftliche Darftellung des Ideals der Herrfchaft des 
Rechts auf dem ganzen Erdboden, fo daß in bem Ra⸗ 
turrechte der einzelne Menfch nach dem Umfange 
feiner gefammten Rechte und rechtlichen Verhaͤltniſſe 
gefchildert wird, mie. dieſelben in ber. Natur des 
Manfchen überhaupt. urſpruͤnglich begruͤndet find und 
aus dem Ideale des Rechts mie Nothwendigkeit her⸗ 
vorgehen, worauf in dem phiboſophiſchen Vol⸗ 
berre chie die Bedingungen entwickelt werden, unter 
weichen theils in ber Mitte des einzelnen Volkes, 
theils in der Verbindung und Wechfeimirfung meh- 
rerer und aller nebeneinander beſtehenden Rechtdge- 
ſellſchaften ober Voͤlker, „die Herrfchaft, des Mechts 
auf Dem ganzen Trbboben verwirklicht werben foll. 
932) Du Staats⸗ und Staatenrecht. 
Wenn der Stauti, deſſen Begriff aus der Erfah- 
rung ſtammt, die "Beftimmung. hat, bie Herrſchaft 
des Rechts in der vertragsmaͤßig begründeten buͤr⸗ 
gerlichen Geſellſchaft, welche. gleichmaͤßig fittlich⸗ 


- 


in die gefammten Staatswiflenfchaften. 7 


münbige und unmünbige Wefen in ſich faßt, zu 
verwirflihen;, fo Fann dies nur unter der Bedin⸗ 
gung eines rechtlich geftalteten Zwanges gefchehen. 
Das Staatsreht enthält daher bie wiſſenſchaft⸗ 
lihe Darftellung der Herrſchaft des Rechts inner- 
hafb der bürgerlichen Gefellfchaft, unter der Bedin⸗ 
gung bes rechtlich geftalteten Zmanges, — Weil 
aber auf dem Erbboden eine Mehrheit von bürger- 
lichen Gefellfchaften,, die wir Staaten nennen, neben 
einander befteht; fo fehließe fich das Staatenredt 
an das Staatsrecht als unmittelbare Folge deſſelben 
an, und entwicele wiſſenſchaftlich die Grundſaͤtze für 
das rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten bes 
Erdbodens, unter der Bedingung des ziwifchen ihnen 
eechtlich geftalteten Zwanges nach vorhergegangenen 
Rechtsverleßungen. 

3) Die Staatsfunft (Politik). Jeder 
Staat wird, als ein organifches Ganzes, in feiner 
Ankündigung wahrgenommen nad) feinem innern 
und dußern Leben, und nad) bem Zufammenhange 
zwifchen beiden. Die Staatsfunft enrhält daher 
die wiffenfchaftliche Darftellung des Zufammenhan- - 
ges zwiſchen dem Innern und äußern Staatsleben, 
rad) den Grundſaͤtzen des Rechts und der Kilug- 
beit. Sie flüge ſich ruͤckwaͤrts auf das im philo- 
fophifhen Staatsrechte aufgeftellte Ideal des voll⸗ 
fommenen Staates, verbindet aber, in.irer wiſſen⸗ 
fchaftlihen Durchführung, mit dem höchften Zwecke 
des Mechts den Zwe der Wohlfahrt, ſowohl der 
Individuen, als der ganzen Gefellfchaft, und ent: 
lehnt aus der Gefhichte der Vergangenheit und 
Gegenwart die anmwendbarften und treffendften Be⸗ 
lege fir die theoretiſch ausgefprochenen Grundſaͤtze 
des Rechts ımd der Klugheit. Sie iſt deshalb eine 


8 Allgemeine Einleitung 


gemifhte (d.h. eine aus philofophifchen Grund» 
fügen und aus geſchichtlichen Thatſachen gleichmäßig 
gebildete) Staatswiſſenſchaft. Wollte man fie blos 
auf Regeln, entlehnt aus der Erfahrung und Ges 
ſchichte, zurüdführen; fo wuͤrde fie nicht blos ber- 
jenigen feften Unterlage ermangeln , die zunaͤchſt auf 
Grundſaͤtzen dere Vernunft beruht; fie würde auch 
nicht ohne innere Widerfprüche bleiben, weil man 
aus ber Gefchichte nicht felten Belege für die einan- 
der entgegengefegteften politifchen Anfichten und Be⸗ 
hauptungen aufftellen kann. Sollte aber bie Staats» 
kunſt, welche dem wirflichen Leben ber Voͤlker 
"und Staaten angehört, einzig aus reiner Vernunft 
abgeleitet werden, ohne dabei die Stimme ber Ge⸗ 
fehichte zu hören; fo würde fie zum trockenen Gerippe 
abgezogener Begriffe werden, ohne Anwendbarkeit 
auf die fraftvolle Ankündigung des Staates als einer 
lebensvollen Drganifation, und ohne Benugung ber 
‚geoßen Wahrheiten, welche die Geſchichte in einem 
Zeitraume von mehreren “Sahrtaufenden barbietet. Es 
muß daher in der Staatsfunjt das Zeugniß ber 
Gefchichte mit den Forderungen der Vernunft an 
das innere und äußere Leben des Staates verbunden 
. werden, 

- 4) Die Volkswirthſchaft (Matinnal- 
oͤkonomie). Kein-Staat fann ohne ein Wolf ge- 
dacht werben, das zur Gefellfehaft im Staatsleben 
rechtlich verbunden if. Der Begriff des Volkes 
geht daher dem Begriffe des Staates voran. Die 
Vernunft ‘denkt fih alfo 1) ein Volksleben, 
geſtuͤtzt auf den rechtlichen Verkehr aller zur Ge- 
fellfchaft verbundenen Individuen, fo wie auf ihr 
“ gemeinfames Streben nad) Wohlfahrt und Gluͤck⸗ 
feligfeit, und 2) ein aus ber rechtlichen Thätigfeit 





in bie gefammten Staatswiffenfchaften. 9 


und dem regen Streben nach Wohlfahrt hervorge⸗ 
gangenes Volksvermoͤgen, unabhängig von dem 
wirklichen Leben im Staate und unabhängig von 
dem Einfluffe, der Regierung im Staate auf bie 
Ankündigung des Volkslebens und auf -die Erſtre⸗ 
bung des Volksvermoͤgens. — Mad) diefem hoͤch⸗ 
ſten Stanbpuncte für die Ankündigung und Ent« 
widelung des Volkslebens enthält die Volks⸗ 
wirthſchaft (oder Nationaldfonomte) bie 
wiffenfchaftliche Darftellung, theils der Quellen, Be⸗ 
dingungen, Beftandtheile und Wirkungen bes Wohl« 
ftandes und des Vermögens eines Volkes, theils ber 
wirffamften Mittel, durch welche jene Quellen, Bes 
dingungen und Beſtandtheile des gefammten Volks⸗ 
vermögens am zweckmaͤßigſten und ficherften für die 
Begründung, Beförderung, Erhaltung und Vers 
mehrung der Wohlfahrt der Individuen und des gan⸗ 
zen Volkes benugt werden fünnen, Es wird daher 
in der Volkswirthſchaft die äußere Thätigkeit der In⸗ 
dividuen und der Geſammtheit des Volkes nad) ihrer 
völligen Freiheit und Selbitftändigfeit, unabhängig 
von jedem Kinfluffe des Staatslebens und ber Regie⸗ 
rung im Staate auf diefe Thätigkeie, im innern Zu- 
fammenbange entwidelt, und auf biefe Weife das 
lebengsoofle Ganze eines, durch die ihm einwohnende 
phyſiſche und geiftige Kraft ſich fortbildenden und zur 
möglichft höchften Wohlfahrt gelangenden, Volkes 
vermittelt. Bei diefer Unabhängigfeit der Volks⸗ 
wirthſchaft von allen NRücfichten auf die Einrich- 
tungen und Berhältniffe im Staatsleben, behauptet 
fie diefelbe wiflenfihaftliche und idealifche Stellung 
zur Staatswirthſchaft, wie das Natur» und Voͤlker⸗ 
rehe zum Staats- und Staatenrechte. Sie ifk 
gleihfam eine Metaphyſik der Staatswirthſchaft, 


, 


. 10 | Allgemeine Einleitung 


weiche das aus der Erfahrung und Geſchichte in der 
Staatswirthfchaft Stammende auf die höchften in ber 
Vernunft enthaltenen Bedingungen des Volkswohl⸗ 
ftandes zurücdgeführe, und biefe zum foftematifchen 
Zufanımenhange vereiniget. - 


. 5) Die Staatswirthſchaft und Fi- 
nanzwiſſenſchaft. Geftügt auf die wiflenfchaft- 
lihe Durchführung der Volfswirtbfchaft, müflen in 
ber Staatswirthſchaft zunachft bie beiden wich: 
tigen Yufgaben befriedigend gelöfet werden: 1) wie 
bas Staatsvermögen, oder das, was der Staat für 
fein Beſtehen und feine Erhaltung jährlich Dedarf, 
aus dem Wolfsvermögen gebildet und verwendet 
werde, und 2) ob überhaupt, und welchen redie- 
lihen und mwohlthätigen Einfluß die Regierung im 
Staate auf’ die Leitung ber freien Volksthaͤtigkeit 
und des Volksvermoͤgens haben fann und darf. 
Durch die erfchöpfende Beantwortung bdiefer Auf- 
gaben enthalt, zugleih die Staatswirthfchaft den 
höchften Maasftab für die in der Zinanzmwiffenfchaft 
aufzuftellenden !ehren. Die Finanzwiſſenſchaft 
ift nämlich der Inbegriff der Grundfäße des Rechts 
und der. Klugheit, nad) welchen die anerfannten Be» . 
bürfniffe des Staates für die ununterbrochene Errei- 
hung des Staatszwedes, im Allgemeinen und im 
Einzelnen, gedeckt und befriedigt werden follen, mit- 
bin im engern Sinne die erfchöpfende und in fich zu⸗ 
fammenhängende Darftellung ſaͤmmtlicher Einnahmen 
und Ausgaben des Staates. 


6) Die Polizeiwiffenfhaft Sie ent- 
haͤlt die fuftematifche Darftellung ber Grundfäge, nad) 
welchen theils die öffentliche Sicherheit und Ord⸗ 
nung im Staate vor. möglicher Verlegung bewahrt, 





in die gefammten Staatswiſſenſchaften. 34 


und die gefchehene Verletzung fogleih erkannt ind 
möglichft ausgeglichen, theils die Kultur und Wohl⸗ 
fahrt ber Staatsbürger nad) ihrem ganzen Umfange 
begründet, befördert, erhalten und erhöht werden kann 
und fol, Es zerfällt daher, nad) diefer Anficht, die 
Poltzeimiffenfchaft in die beiden Haupttheile: in die 
Siherheits- und Orbnungspolizei, und in 
bie Rultur- und Wohlfahrespolizei. (Ep 
it von einigen Lehrern der Polizeiwiſſenſchaft nicht 
ohne Grund erinnert worden ,- daß, nach dem ange 
gebenen Standpuncte, zwei beinahe frembartige Theile 
in derfelben Wiffenfchaft zu Einem Ganzen vereinigee 
würden; allein bis jetzt hat theils die Mehrheit der 
Theoretifer in ber Polizeimiffenfhaft für dieſe Ver⸗ 
bindung entſchieden, theils finder fie ſich auch in der 
Staatsprapis mehrerer civilifirter Staaten. Es 
fheint daher nicht rathſam, aus beiden Theilen zwei 
verfhiedene und felbftftändige Staatswiflenfchaften 
zu bilden, weil wenigftens fo viel ausgemacht bleibt, 
daß das, was unter bem Abfchnitte der Kultur⸗ 
und Wohlfahrtspolizei abgehanbele wird, 
weder in dem Kreife ber gefammten Staatswiffen- 
haften übergangen, noch einer von den übrigen . 
Staatswiflenfchaften mit befferm Erfolge, als ber 

Potizeimiffenfchaft, eingelegt werden kann. Es bleibe 
daher Fein anderer Ausweg übrig, als entweder 
die Lehre von ben Anftalten des Staates für die Kul- 
tar und Wohlfahrt feiner Bürger mit der Polizei 
wiffenfchaft zu verbinden, oder fie zu einer befondern 
Staatswiſſenſchaft zu erheben, was für die, welche 
das Letztere vorziehen, in der folgenden Darftellung 
der Polizeiwiſſenſchaft Dadurch erleichtert worden ift, 
daß die Lehre von ben Anftalten für die Kultise und 
Wohlfahrt. der- Staatsbürger einen, von der Sicher» 


42... Allgemeine Einleitung 


hejts⸗ und Ordnungspolizei getrennten und felbftftän- 
digen, Abfchnitt bilder. ) 
7) Die Gefhichte des europäifchen 
Staatenfpyfiems aus dem Standpuncte 
der Politik. Unter einem Staatenfpfteme 
verftehen wir die bleibende Verbindung und Wechfel- 
wirkung mehrerer ſelbſtſtaͤndiger, d. h. politifch glei⸗ 
cher und von einander unabhaͤngiger Staaten und 
Reiche, als nothwendige Folge der gleichmaͤßigen 
geiſtigen, religiöfen und bürgerlichen Entwickelung, 
Bildung und Reife der Völker, melde zu dieſen 
Staaten und Reichen gehören. Inter dem. euro. 
päifchen Staatenfyfteme denken wir daher die Ver⸗ 
bindung und MWechfelmirfung aller einander an Eivi- 
kifation und Selbftftändigfeie ähnlichen oder doch ver- 
wandten europäifchen Staaten und Reiche, mit Ein⸗ 
fhluß der aus den Kolonieen der Europoͤer in Ame⸗ 
via bervorgegangenen felbftftandigen Saaten. Die: 
Entftehung derjenigen Verbindung und Wechfelwir- 
kung der europaifchen Völker und Reiche, welche man. 
ein Staatenfuftem zu nennen berechtigt ift,, fällt aber 
in die Zeit der Entdeckung von Amerika, fo daß eine 
Befchichte des europäifchen Staatenſyſtems erft von 
biefer Zeit an gedacht werben fann. Aus dem 
Standpuncte ber Politik wird diefe Gefchichte 
gefaßt, ſobald bei der Darftellung des europäifchen 
Staateninftems die Entwidelung' des innern und 
äußern Lebens ber einzelnen Staaten und Heide 
berückfichtigt, und Der Zufammenhang diefes intern. 
und aͤußern Lebens bei der Gefammtanfündigung der 
einzelnen Staaten und Reiche in ber Mitte des euro- 
päifchen Staatenfoftems vergegempartigt wird, — 
Die Geſchichte des europäifhen Staaten- 
fuflems aus dem Standpungste der Poli- 


— 


in die geſammten Staatswiffenfchaften. ‚43° 


gie, weientlich verfihieden von ber allgemeinen Ge⸗ 
fchichte, wie von ber europäifchen Staatengefchichte, 
enthält Daher die pragmatifche Darftellung bes politi- 
ſchen (innern und Außern) Lebens der Geſammtheit ber 
eueopäifchen Staaten und Reiche, mie Einfchluß der 
aus europäifchen Kolonieen hervorgegangenen ameri- 
Fanifchen Staaten, feit dem Ende des funfzehnten 
Fahrhunderts bis auf unfre Zeit, nach ihrer gegen- 
feitigen völkerrechtlichen Verbindung und Wechſel⸗ 
wirfung. 

8) Die Staatenfunde (Statiſtik). Wenn 
die Gefchichte aus dem Standpuncte der Politik bie 
Ankündigung und Geftaltung ber untergegangenen 
wie ber beftehenden Völker, Staaten und Reiche, na 
der Wechfelmwirfung ihres innern und äußern Lebens, 
im Kreife der Vergangenheit darſtellt; fo ift 
dagegen bie Staatenfunde die Wiffenfhaft, 
welche bie politifhe Geftaltusg (den Organismus) 
der gefammten Staaten und Reiche des Erbbobens, 
zunächft aber bes‘ europäifchen Staatenfyftems mit 
Einfluß der aus europäifchen Kolonieen hervorge 
gangenen felbftftändigen amerifanifhen Staaten, 
nad) der Anfündigung ihres: inneren und Außern 
tebens und nad der Wechſelwirkung beider auf . 
einander, im Kreife der Gegenwart {Hi - 
der. — Die befondere Staatenfunbe 
jedes einzelnen Staates und Reiches zerfälle daher 
in zwei Haupttheile: in die Darftellung des innern 
und des aͤußern Lebens beffelben im Kreiſe der 
Gegenwart, | | 

9) Das dffentlihe Staatsreht. Im 
Gegenfage bes Privatrehts der einzelnen Völker, 
Staaten und Reiche, verftehen wir unterdem öffent 
lihen Staatsredhte derfelben im Allgemei⸗ 


:44 Allgemeine Einleitung 


nen Die eigenehümlichen, yegenmwärtig gültigen 

‚Grundgefege, auf welchen ihr politifches Dafeyn 
‚rechtlich berußt, im Befondern aber die in ge- 
ſchriebenen Urfunden enthaltenen Verfaflungen einer 
großen Zahl europäifcher und amerifanifcher Staaten 
der neuern Zeit, als bie gegenwärtigen rechtlichen 
:Grunbbedingungen ihres Innern politifchen Lebens. 
(Diefe Staatswiffenfchaft ift, im Ganzen genommen, 
noch nicht vorhanden, fondern erft neu zu begründen. 
Das Bedürfniß derfelben fühlte Theod. Schmalz, 
und fprad) es aus in feinem „Plane zu VBorle 
fungen über allgemeines pofitives euro- 
paifhes Staatsreht” Bel. 1815. 8 — 
Theilweife, aber unzureichend, berücfichtigte man die 
Bierher gehörenden Gegenftänbe bisher in der Sta- 
tiſtik unter der Rubrik: Verfaffung.) 

10) Das practifhe europäifhe Voͤl— 
kerrecht. Diefe Staatswiffenfhaft — welche man 
auch minder richtig Das pofitive europäifche Voͤlker⸗ 
recht nennt, weil fie auf feinem Codex pofitiver Gefege, 
wie das Privatrecht der einzelnen Staaten und Reiche, 
oder auch wie das (unter N. 9 aufgeführte) öffentliche 
Staatsrecht beruht — iſt wefentlich von bem ppile- 
ſophiſchen Wölferrechte verfchieven, und enthält bie 
ſyſtematiſche Darftellung der zwifchen den. gefitteten 
und hriftlihen europaifhen Völkern und Reichen — 

mit Einfhluß der aus europäifchen Kolonieen hervor: 
gegangenen amerifanifchen Staaten — beftehenben 
rechtlichen und politifhen Örundfäge und Formen in 
Hinſicht ihres äußern gegenfeitigen Verkehrs. : (Das 
HDerfommen nennt diefe Wiflenfchaft noch immer das 
europäifche Wölferrecht, obgleich feit der Selbft- 
ftändigfeit der nordamerifanifchen Freiftaaten, welche 
mit Europa auf gleiche rechtliche und politifche Be⸗ 





in die gefammten Staatswiffenfchaften. 15 


dingungen in Verkehr und MWechfelmirfung getreten 
find, flatt diefer befchränkenden Bezeichnung, bie 
allgemeinere des practifhen Voͤlkerrechts 
überhaupt zur wiffenfchaftliche Geltung erhoben wer- 
den follte.) 

11) Die Diplomatie. Diefe im Werden 
begriffene und noch) in feinem befondern Werke ſyſte⸗ 
matifch durchgebildete Staatswiflenfhaft muß zuerft 
genau von ber Diplomatif, einer Hülfswiflenfhaft 
der Gefchichte, unterfchieden (vergl. $. 7.), und dann 
in ihe felbft die Wiffenfhafet von der Kunft ge 
teennt werden. Die Diplomatie als Wiffenfhaft 
enthalt den Umfang der Kenntniffe, welche zur poli⸗ 
tiſch⸗diplomatiſchen Unterhandlung mit auswaͤrtigen 
Staaten gefordert werden, und als Kunft bezeichnet 
fie die, auf die Grunblage | jener Kenntnifle erworbene, 
Fertigkeit, mit auswaͤrtigen Staaten zu unterhandeln. 
Ob nun gleich diefe Kunft, als folche, nicht gelehrt 
werden fann, fondern von den ndividuen erworben 
werden muß; fo fann boch der Umfang theoretifcher 


Kenntniffe, welche die Unterhandlungsfunft voraus» _ 


fegt, wiſſenſchaftlich dargeftelle und ausgeführt, fo 
wie die vor den Diplomaten älterer und neuerer Zeit 
geübte Kunft durch Beifpiele belegt und verfinnliche 
werden. Immer aber ſetzt fie, ſowohl heoretifch als 
practiſch, eine vertraute Belanntfchaft mit den vor- 
beraufgeführten Staatswiflenfchaften, befonders mit 
der Staatskunſt, mit der Geſchichte des europäifchen 
Staatenfoftems, mit ber Staatenfunde, mit dem 
öffentlichen Staatsrehte, und mit bem practiſchen 
europaͤiſchen Voͤlkerrechte voraus. 

12) Die Staatspraxis. Obgleich die bloße 
Routine feinen Geſchaͤfts⸗ und Stagtsmann zu ſei⸗ 
nem Wirkungskreiſe gehörig vorbereiten kann; fo 


— 


16. Allgemeine Einleitung 


reicht boch auch die bloße eheoretifche Erlernung- ber 
wiſſenſchaftlichen Kenntniffe, welche zum fünftigen 
Staatsdienſte in ben Innern und auswärtigen Ange- 
legenheiten gehören , nicht aus zur erfchöpfenden Vor⸗ 
bereitung auf den Eintritt in die wirflichen Verhaͤlt⸗ 
niffe des öffentlichen. Staatslebens. Es muß daher 
entweder fogleih mit der Erlernung und Aneignung 
der Theorie die theilweiſe Voruͤbung in der Praris 
‚verbunden , und in berfelben allmählig fortgefchritten 
werden, ober biefe Vorbereitung zur Staatspraris muß 
unmittelbar auf bie Theorie folgen, bevor der foͤrm⸗ 
liche Eintritt in den Staatsbienft beginne, — Sm 
Allgemeinen verfteht man unter. ver Staatsprapis 
die Fertigkeit, ‚alle einzelne Gegenſtaͤnde des Innern 
und äußern Staatslebens mit Sachfenntniß, Be⸗ 
flimmtheit und Sicherheit, fo wie mit Fefthaltung 
der Völferfitte und der Formen der Convenienz zu bes 
handeln, Sie zerfällt, bei der wiffenfchaftlichen Dar- 
ftellung, in Die beiden Theile: der Praris in den 
innern und in ben ausmärtigen Angelegen- 
heiten. Ä 
Dur biefe zwölf einzelnen Wiffen- 
fhaften fdheint der Kreis der gefammten Staats: 
wiftenfhaften erfhöpft zu werden. — Ob nun 
gleih das Natur- und Völferreht, nad 
feinem Urfprunge und nad). feinem Verhaͤltniſſe 
zur Pflichtenlehre, auch zu den Wiflenfchaften der 
practifchen Philofophie gehört; fo kann es doch 
auf feinen Fall in der Reihe der Staatswiffen- 
fchaften, als Grundlage aller rehtliden 
Verhbäleniffe im innern und äußern 
Staatsleben, übergangen werden, weil es 
nicht gleichgültig ift, auf welcher naturrechklichen 
Unterlage das Staatsrecht aufgeführte wird; fo 


in die gefammten Staatewiſſenſchaften. 17 


wie namentlich das philoſophiſche Voͤlkerreche ben 
Stuͤtzpunct des practifchen europäifchen : Voͤlker⸗ 
rechts bilder, und felbft von den ausgezeichnetften 
Fürften und Staatsmännern neuerer Zeit nicht 
. felten das Natur» unb Völkerrecht als. legte 
Inſtanz angezogen worden iſt, wo bie pofitiven 
Beſtimmungen nicht ausreichten. 1 


Schwieriger bleibt die Feſtſtellung der Auf⸗ 
einanderfolge der einzelnen Staatswiſſenſchaf⸗ 
ten, und daß in einigen (nicht in allen) Staats⸗ 
wiſſenſchaften einzelne Wiederhohlungen aus den 
andern nicht ganz vermieden werden koͤnnen. 
Beides hat ſeinen Grund in der allmaͤhligen und 
zum Theile ſehr zufaͤlligen Ausbildung der ein⸗ 
zelnen Staatswiſſenſchaften; denn beides wuͤrde 
- nur Dann zu vermeiden geweſen ſeyn, wenn ſaͤmmt⸗ 
lihe Staatswiffenfchaften gleichzeitig und mie 
aus Einem Guſſe entftanden wären. Da aber 
einige berfelben nach ihren Grunbbeftiimmungen 
bereits in die Flaffifche Zeit des griechifchen Alter 
thums zurüdreihen, andere erft feit 10 20’ 
Fahren neu entftanden (3. B. die Volkswirth⸗ 
fhaft, die Gefchichte bes europälfchen Staaten« 
foftems), andere durch neuaufgeftellte Grund» 
lagen völlig umgebildet (3. B. das philoſophiſche 
Kriminalrecht als Theil des Staatsrechts, bie 
Finanzwiſſenſchaft, die Polizeiwiſſenſchaft, das 
practiſche Voͤlkerrecht), und andere erſt im Wer⸗ 
den begriffen ſind (z. B. das oͤffentliche Staats⸗ 
recht, die Diplomatie); ſo darf es nicht befrem⸗ 
den, wenn ſelbſt ausgezeichnete Schriftſteller im 
ſtaatswiſſenſchaftlichen Fache, ſowohl in Hinſicht 
ber Beſtimmung bes Umfanges und bes weſent⸗ 

D 9. . 


’ - 


18 Allgemeine Einleltung 
:. Uchen Inhalts ber einzelnen Staatswiſſenſchaften, 


als in Hinſicht der Stellung der einzelnen Staats⸗ 
wiſſenſchaften nach ihrer Aufeinanderfolge, nicht 


.. völlig einverftanden find. — Bis nicht das Ge- 
biet dieſer Wiffenfchaften noch erfchöpfender, als 


9 
"; 


bis jegt, angebauet feyn wird, muß es daher jedem 
denfenden Kopfe frei fteben,. biejenige Auf— 
einanderfolge ber einzelnen Staatswiflenfchaf- 


ten zu waͤhlen, welche ihm, nach firenger Prüfung 


-- ihres Inhalts und nad) reiflicher Erwägung des in- 


nern und äußern Verhältniffes diefer Wiſſenſchaf⸗ 
ten gegen einander, die zweckmaͤßigſte zu fenn fcheint. 


Freilich wird ſich über dieſe Aufeinanderfolge weit 


länger (ohne doch fobald zu einem beſtimmten Zwede 


. zu fommen) ftreiten laffen, als darüber: ob wirk⸗ 
lich die hier genannten zwölf Wiffenfchaften in hen 


Kreis der Staatswiflenfchaften gehören. — " Bei 
der in diefem Werfe. befolgten Ordnung und Auf⸗ 
einanderfolge war der Grundfag vorherrfihend: 
das rein philoſophiſche moͤglichſt voranzu⸗ 
ſtellen; ſodann diejenigen Wiſſenſchaften fol⸗ 


gen zu laſſen, in welchen die Vernunft' bie 


Grundſäaͤtze darbietet, die: Geſchichte aber die⸗ 
ſelben verſinnlicht, beſtaͤtigt und erläutert; "und 
endlich mit denjenigen Wiſſenſchaften zu ſchließen, 
welche auf rein geſchichtlicher Unterlage 


beruhen, obgleich die Thatſachen der Geſchichte 


. Nah den in den vorausgegangenen Wiſſenſchaf⸗ 


ten bewährten Vernunftgrundfägen ihre wiſſen⸗ 


ſchaftliche Stellung und innere Verbindung. er- 


halten. — ¶ 0 on 
Bei einer encyclopädifchen Darftellung her. ge⸗ 
fammten Staatswiflenfchaften. bleibt aber:..bie 


, „Ausmittelung. des Platzes faͤr bie.eigentkiche 
| na | f 


in bie gefammten Staatswiffenfchaften. 19 


Staatstunft (Politik) die fhwierigfie Aufgabe, 
Sie, die, nad) Grundfägen des Rechts und Ber 
Klugheit, die gefammten Bedingungen des innern 
und außern Staatslebens und bie Wechfelwirfung 
beider auf einander (wie in einem lebensvollen 
fräftigen Organismus) vergegenwärtigen fol, ges 
höret — man fönnte fagen: gleihmäßig — 
der Vernunft und der Gefchichte an. In mancher 
Hinſicht follte fie Daher, als die Krone des Ganzen 
am Schluffe aller Staatswiffenfhaften, nad 
vörausgegangener Durchführung der gefammten 
einzelnen philofophifchen und gefhichtlihen Staats- 
wiſſenſchaften, ſtehen. Allein durch die ihr zunaͤchſt 
zufallende Lehre von der Berfaffung und Ver; 
waltung im wirfliden Staatsleben, und 
von bem Verkehre mit den auswärtigen Staaten 
wie er in ber Wirklichkeit erfcheint, ſchließt fie nd 
doch an die im Staatsrechte aufgeftellten Vernunft: 
grundfäge über Verfaffung und Verwaltung, und 
über die rechtliche Verbindung und Wechfelrir- 
fung mit dem Auslande fo genau an, daß man — 
wegen der in die Staatsfunft gehörenden weitern 
Ausführung dieſer hochwichtigen Gegenftände — 
fein Bedenken tragen fann, fie unmittelbar 
aufdas Staats- und Staatenredhr fol 
gen zu laffen, wenn gleich die Charafteriftif 
der einzelnen in der Wirflichkeie jegt beftehenden " 
Staatsverfaffungen dem dffentlihen Staats- 
rechte, und die Durhführung der Poligeiver- 
waltung und der Finanzverwaltung nad) 
allen einzelnen Gegenftänden, den beiden — 
darauf folgenden — felbftftändigen Staatsmwiffen- 
haften, der Polizei» und der Finanzwiſſenſchaft, 
angehört. | u . 
2 


20 Allgemeine Einleitung 


| 6. | 
Verſchiedenheit der Staatswiffenfhaf- 
sen von ben fogenannten Kameralwiffen- 


ſchaften. | 


Wenn der Begriff des Staates in ber Grunbbe- 
ſtimmung (und Definition) der Wiffenfchaft über die 
Aufnahme derfelben in die Reihe der Staatswiffen- 
ſchaften entfcheibet; fo würde es eben fo fehlerhaft 
feyn, wenn man, nad) älterer Sitte, die gefammten 
Staatswiffenfhaften blos als einen Anhang zu ben 
fogenannten Kameralwiflenfchaften betrachten, oder 
wenn man, nad) einer andern Anfiht, die Kameral- 
wiflenfchaften felbft in den Kreis der Staatswiſſen⸗ 
fchaften aufnehmen wollte. Beide müffen, nad) 
dem in neuerer Zeit begonnenen umſchließendern Ans 
baue der Staatswiffenfhaften,. fortan forgfälrig 
von einander gefhieden werden, fo wie 
man bereits auf mehreren Hochſchulen, geleitet von 
einem richtigen Tacte, neben den früherbeftandenen 
tehrftühlen der Kameralwiffenfhaften, eigene und 
felbftftändige Lehrftühte der Staatswiffenfchaften .er- 
richtet hat. Ä | 
Dreer wefentlihe und unterfcheidende Charafter 
der Kameralwiſſenſchaften von den Staatswiflenfchafe 
ten beruht aber darauf, daß die Kameralmwiffen- 
fhaften diemwiffenfhaftlihe Darftellung 
des gefammten Gebiets der materiell 
len Thätigfeit der einzelnen Staatsbür- 
ger umfchließen. Nach diefem Gefichtspuncte wer- 
ben die Kameralwiffenfchaften in drei Haupabthei- 
lungen behandelttt — | 
4) in der Landwirthſchaftskunde (Defo- 
nomie im weitern Sinne). Dieſe faßt in ſich; 


' 


in bie gefammten Staatswiſſenſchaften. 21 


a) die Feldwirthſchaft, mie ber Viehzucht, | | 
dem arten» und Wiefenbaue; 


b) bie Forſtwiſſenſchaft; 
c) die Bergbaukunde. 


+ ;2) in der Gewerbskunde Q.qholoſle, oder 
in der wiſſenſchaftlichen Darſtellung der auf Erfah⸗ 
rung beruhenden zweckmaͤßigſten Verarbeitung der 
Naturerzeugniſſe durch den menſchlichen Fleiß, ver⸗ 
mittelſt der Theilung der Arbeit. Sie zerfaͤllt, je 
nachdem das Erzeugniß des menſchlichen Fleißes 
entweder durch Haͤnde und Maſchinen, oder durch 
Feuer und Hammer hervorgebracht wird, 


a) in das Manufacturweſen, und 
b) in das Fabrikweſen. 


3) in der Handelskunde, nach den mannig- 
faltigen Gegenftänden und Zweigen des Handels 
(in und auslänbifher Handel; Land⸗ ‚und See 
handel, Groß⸗ und Detailkandel; ‚Spebitions - 
Tranfito» Handel um). .. 


Es kann nicht verfannt werden , daß bei der 
wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Volks. und Staats- 
wirthſchaft, fo wie der Finanzwiſſenſchaft, eine all⸗ 
gemeine Kenntniß der Kameralsoiffenfchaften vor⸗ 
ausgeſetzt werden muß, und daß — da entſchieden 
die Kameralwiſſenſchaften eine bedeutende Stelle in 
der Reihe ber vorbereitenden und Huͤlfswiſ— 
ſenſchaften zu den Staatswiſſenſchaften behaup⸗ 
ten — es ſehr zweckmaͤßig iſt, wenn wenigſtens eine 
encyklopaͤdiſche Ueberſicht uͤber das Gebiet der Kame⸗ 
ralwiſſenſchaften der Erlernung der Seaacswiſſen⸗ 
ſchaften vorausgeht. U * 


2 


Allgemeine Einleitung 


Zr diefen.Zmwed ber Borbereitung auf bie 
Staatswiſſenſ aften eignen ſich — mit Uebe 


rgehung 


der aͤltern in die Literatur der Kameralwiſſen⸗ 
ſchaften gehoͤrenden Werke — beſonders folgende 
Schriften: . 


Fr. Bened. Weber, Einleitung in das Studium der 


Kameralwiſſenſchaften. ete Aufl.: Berl. 1819.8. 


( Doch werden von dem Verf. die meiſten sigent» 
lichen Gtaatswiffenfhaften in das Gebiet der 
Kameralwiffenfchaften gezogen.) 


‚Geo. Sr. v. Lamprecht, Entwurf einer | Encyklo⸗ 


paͤdie und Methodologie der Kameralwiſſenſchaf⸗ 
ten. Halle, 1785. g. (enthaͤlt: Oekonomie, Berg⸗ 
bau, Technologie, Handelskunde, Haushaltung und 
Staatslehre, d. i. Polizei und Finanz) 


Fr. Ludw. Walther, Verſuch eines Syſtems der 


Kameralwiſſenſchaſten. 4 Theile. Gießen, 1793 ff. 
N. M 1806. (Th. 3 Landwirthſchaft; Th. a 

—— Th. 3 Technologie; Th. 4 Po⸗ 

itit — Zu 


Theod. Schmalz, Encyklopaͤdie der Kameralwiſſen⸗ 


ſchaften. Koͤnigeb. 1797. 8. N. A. 1819. (In 


dieſer N. A. Hat Thar die Landwirthſchaft, 


Harteg die Forſtwiſſenſchaft, Roſenſtiel die 
Bergbaͤukunde, und Hermoſtaͤdt die Techno⸗ 


: logie revidirt.) 
8, Ch. 8. Sturm, Grundlinien einer Encyllopädie 


Fr. 


der Kameralwiſſenſchaften. Jena, 1807. 8. (Lands 
wirthſchaft, Technologie, Handelskunde, Polizei 
und Finanz.) | 

Karl Fulda, Grundfäge der Sfonomifch » politis 
fher oder Kameralwiffenfhhaften. Tüb. 1816. 8. 
N. A. 1819. (Privatoͤkonomie, Mationaldtonomie, 


Stagtsqfonomie.) 


Die einzelnen Kameralwiſſenſchaften find von 
ausgezeichneten Männern trefflich angebaut worden: 


die Landwirthſchaft von Bekmann, 


€ 


⸗ 


in die geſammten Staatswiſſenſchaften. 23 


Thar (Einl. zur Kenntniß der engl. Landwirth⸗ 
ſchaft, 4 TH. 4 1806. 8.).und Burger 
(Lehrb. der Landwirchfhaft, 2 Th. Wien, 1819 u. 
21.8); — die Forſt wiſſenſchaft von 
- Burgsdorf, Hartig, Behftein, Totta und 
Dfeil; — die Betgbaukunde von Wen 
ner, Trebra, ECharpentier, Freiesleben, 
gampadius, Mode; — dieeTehnolngte 
son. Bedmann, Hermbflädt,. Poppe; — 
die Handelskunde von Baſch nk 
practifhe Darftellung der Handlung, 2 T A. 
Hamb. 1799. 8.), Beckmann, Leuchs, und 
Sonnleichner (Lehrbuch der Handelswiſſenſchaft, 
— Wien, 1819. 8.) I. 


7. 
Die Vorbereitungs⸗ und Hulfswiſſen⸗ 
fhäften zu den Staatsmiffenfhaften. 

‚BI man’ den Kreis der vorbereitenden 
(propäbeustifchen) und Hulfswiffenfhaften in 
Beziehung auf die, Staatswiſſenſchaften nicht, abficht- 
lich erweitern; fo fonnen, im engern Sinne, nur 
diejenigen dahin gerechnet werben, welche entweder 
Grundfüge und Lehren enthalten, die in den einzelnen 
Staatswi ſſenſchaften aus andern Difeiplinen als 
Prämiflen vorausgefegt werden, oder die zur nähern . 
Entwidelung, Erklärung und Verfinnlihung ber in 
den Staätswiflenfchaften enthaltenen Grundſaͤtze und 
Unterſuchungen dienen. Aus dieſem Stanbpuncte 
fonnen ‚blos folgende als Vorbereitungs- und 
Hulfswiffenfhaften der Staatswiffenfchaften 
aufgeführt werden: . on 
4)1 Die Kameralwiffenfhafren „nament- 
lich ols Worbereitungskenntniſſe für Volkswirthſchaft, 
— ———⏑—⏑—⏑ ⏑——— 


‚Ye | Augemelne Einleitung 


(Ueber ihren Begriff, ihre Abgrenzung und 
ihr Aal zu ben Staatswiffenfchaften 
ſ. 6. 6. J. 


2) Die ſogenannte polit iſche Geographie, 
oder die wiſſenſchaftliche Darſtellung der phyſiſchen 
und; politifchen Verhaͤltniſſe der einzelnen Staaten 
und Reiche des Erdbobens aus dem Standpuncte 
des oͤrtlichen Nebeneinanberfeyns und ber 
oͤrtlichen Aufeinanderfolge ber Gegenflände 
(um fie dadurch wefentlih von der Statiftif zu 
unterfcheiden, und gegen biefe fcharf zu begrenzen, — 
worüber der dritte Theil biefes Werkes zu ver- 
gleichen ift). | | 

Als. .yorzäglihes Handbuch ber politäfihen Gene 

- grapbie (obgleich in daſſelbe zu viel aus der Sta⸗ 

tiſtik aufgenommen worden If) verdient genannt'zu 

werden: Ehfen. Gtfr. Dan. Steine Hand 

buch der Geographie und Statiftit nad 

den neuieften Anſichten. 3 Ihelle. Ate verm. 
und verb. Auflage, Lpz. 1819 u. 20. & - 

Als vollländiges®nftem der neueſten Län 

derfunde, das, nad feiner Beendigung , den veralten 

; ten Buͤſching völlig erfegen wird, gehört hierher 

das: volltändige Handbuch der neueſten 
Erdbefhreibung von Gaſpari, Haffel, 
Sannabih und Gutsmuths. Von dieſem 
Werke find bis jetzt in A Abtheilungen 15 
Bände erſchienen, wovon die 3 erſten Abtheilun⸗ 
gen in 11 Bänden Europa, und bie Ate Abthei⸗ 
lung in 4 Bänden Aften (meiftens von Haſſel 
bearbeitet) dargeftellt Haben. Die drei übtigen Erd» 
edel (Afrika von Ukert Hehandelt)) find üoch 
zuruͤck. — 


3) Die allgemeine Geſchichte aüs dem 
Standpuncte der Politik. Die allgemeine 
(oder Welt⸗) Geſchichte theilt man am zweckmaͤßtgſten 


in bie ‚gefammten Seaatswiffenſchaften. 25 


in vier Haupttheile: 1) die Gefchichte der Wiele 
des Alterthums, welche mit der Säftung der’ 
älteften Staaten beginnt und herabreicht bis‘ zum 
Untergange bes römischen Weftreihes (476 nach 
Eprifti Geburt); 2) die Gefhichte des Mittels . 
alters, von ber Auflöfung des roͤmiſcher Weſt⸗ 
reiches bis zur Entdeckung bes vierten Erdtheiles 
(von 476 — 1492 n. C.); 3) die ber neunern 
Zeit, von ber, Entdeckung des vierten Erdtheils 
bie zur frangöffichen Revolution (von 1492 — 
1789); und 4) die der neueften Zeit von ber’ 
franzöfifehen Revolution bis auf unfre Tage. — Fuͤr 
die Behandlung und Darftellung der allgemeinen Ge⸗ 
fhichte find ſeit den legten Jahrhunderten mehrere 
Standpuncte feftgehalten worden. Seit der Kirchen⸗ 
verbefferung Herrfchte lange Die theologifche An⸗ 
fit vor, befonders nach dem fogenannteri Hier Mo⸗ 
nardhieenfofteme,, das ſich auf eine mißverftändene 
Stelle im Propheten Dantel grünbere. Dann folgte 
im zweiten: Biertheile des achtzehnten Jahrhunderts 
die phitologiſche Anſicht, wo geachtete Philolo⸗ 
gen die Geſchichte, beſonders Die alte, als‘ Huͤlfs⸗ 
mittet zu dem Studium ber Flaffifhen Schriftfteller 
des Alterthums behandelten, wie gleichzeitig: bie 
Publiciſten die Gefchichte ber Teutfchen als Hulfs- 
mittel des teutſchen Reiches zunächft als Kaifer- 
und Meichshiftorie vortrugen, ohne das’ im Vor⸗ 
dergrunde der Ereigniffe ftehende teutſche Wok 
einer höhern Berücfichtigung zu würdigen. — Nur 
erft mit Schlözer begann die Behandlung der 
Geſchichte aus dem Stanbpuncte der Politik, worin 
ihm Spietler, Joh. Müller, Heeren, Wach— 
ter, Saalfeld, Rotteck, Tuben u. a. folgten. 
Die Geſchichte, aus die ſem Gtandpuncte darge 


TS 


/ 


26. 1 Wlgemeine Einleitung. =... 


ſtellt, vergegentwärtige nicht allein ben, Innern und 
uothwendigen Zufammenhang der Begebenheiten, 
nah welchem fie fih gegenfeitig als Urſache. 
yad Wirkung ‚verhalten (bie pragmatifge 
Methode), fondern aud) die Ankündigung :des in⸗ 


nern und äußern Lebens ber erlofchenen oder noch 


oa, 109 


25* 


chroniſtiſchen Methode vorzuziehen weil mir bei 


⸗ 


in bie geſammten Stontswiffenfchaften. 27. 


jener Behandlung die allgemeine Geſchichte als eine 
Vorbereitungs» und Hülfswiffenfchaft der Staats: 
wiflenfchaften .gebacht werden ann. Ä 


4) Die Diplomatiß oder uUrtunbenlehee, 
Dieſe Wiſſenſchaft, welche zunaͤchſt in den Kreis 
der gefhihtligen fen gebiet: bat 
die Beflunmung, die gefhichelichen Ur kunden Te 
verftehen und benugen,, fo wie die Echtheit — **— 
ben beurtheilen zu lehren. Inwiefern nun eine 
Menge von Urkunden aus den Zeiten des Mittel, 
alters zur Begründung und Bewahrung, ber Rechte 
ber einzelnen Staaten: und .ihrer Regentenhäufer 
gehören; infofern hat die Diplomatif für den Staats« 
und Gefchäftemenn , nächft der Kenntniß ber allge⸗ 
meinen Geſchichte, unter den uͤbrigen geſchichtlichen 
Wiſſenſchaften einen vorzuͤglichen Werth. Der 
Name Duͤplomatiker bezeichnete deshalb auch, 
bis ee von ber ſpaͤtern und angemeſſenern Benen⸗ 
nung Diplomat verdrängt: ward, ‚diejenigen 
Gtaats- und Gefchäftsmänner, welche aus eigner 
gründlicher Kenntniß der Urkunden: bie rechtlichen 
und politifchen Verhältniffe ihres Staates. nicht nur 
überfchauten, fondern die leßtern auch, nach, jener 
errorbenen Kenntniß, im In⸗ und Auslande hei 
jebem eintretenden ftreitigen Falle leiteten. — . Oh 
nun gleich durch die völlige Umbilbung des innern 
Staatslebens der meiften europäifchen Staaten feit 
30 Jahren, fo wie durch die völlig veränderte 
Grundlage der Staatsfunft in den äußern. Ver: 
hältniffen, die Diplomatif, unbefchabet ihres 
wiflenfhaftlihen Werthes, für den Staats» und 
Geſchaͤfts mann entbehrlicher und minder wichtig ger 
worben ift, als vormals, und Dagegen bie Bine 


BE  Mlgemeitte Einleitung 


matie zu einer ſelbſtſtaͤndigen — wenn gleich noch 
sticht voͤllig burchgebildeten — Staatswiſſenſchaft 
ſich erhoben hat; fo muß doch‘ noch "immer die 
Diplomatif in den Kreis der Hülfswiffenfchaften 
zü den Staatswiſſenſchaften gezogen werben, weil Die 
in den Archiven aufbewahrten Urkunden der Staa» 
fen und Reiche nicht felten, theils wegen Ver in meh: 
ver Staaten fortbauernden Lehnsverhäftniffe im In⸗ 
nern, ehells wegen ftreitiger Rechte mit dem Aus⸗ 
lande, nachgefchlagen und nad) ihrem Inhalte aus- 
gemittelt werden müffen. Wenigftens — in unſrer 
Zeit jeder nur etwas bedeutende Staat einiger 
Maͤnner, welche dieſer Wiſſenſchaft in der Naͤhe der 
Archive gewachſen ſind. 


Gebildet warb aber die Diplomatik, als ge⸗ 
ſchichtliche Wiſſenſchaft, ſeit ver Mitte des ſieben⸗ 
zehnten Jahrhunderts durch die damals beginnenden 
Territorialprozeſſe, beſonders in Hinſicht auf die 
ſeit dem eilften Jahrhunderte zahlreich verfertigten 
falſchen Urkunden, auf welche, namentlich Kloͤ— 
ſter und geiſtliche Koͤrperſchaften, große Beſitzungen, 
Rechte und Anſpruͤche gruͤndeten. Dahin gehoͤrte 
beſonders Conrings censura diplomatis, quod 
a Ludovicu Imperatore fert acceptum coenobium 
Lindaviense. Helmst. 1672. 4. Doch war Papes 
broch, ein Jeſuit zu Antwerpen, der Erfte, wel⸗ 
cher 1675 die Grundfäge der Regeln zur Prüfung 
ber Urkunden mwiffenfchaftlic zu ordnen verfuchte; 
Dur die Strenge feiner Grundfäge fand ſich aber 
befonders der Benedietinerorden beeinträchtigt, aug 
deſſen Mitte oh. Mabillon das gelehrte Werft 
de re diplomatica, libri 6, Lutet. Paris. 1681. 
Fol. ſchrieb, welchem 1704 ein Ergänzungs- 


in die gefammten Stautswiffenfehaften. 29 


band folgte. — Nach dieſer trefflihen Begrün- 
dung der neuen MWiflenfchaft ward fie bald in den 
Kreis ber afabemifchen Vorträge aufgenommen, und 
von Staatsmännern geachtet. Als Folge viefer 
Achtung entftand das berüßmte Chronicon 
Gottwicense, von welchem aber nur Ein Theil 
zu Tegernfee (1732. Fol.) erfhien, in welchem der 
Unterfchied zwifchen den innern und äußern Kenns 
zeichen der alten Urkunden genauer. feftgehalten ward, 
Bald darauf erfhien, als Muſterbuch, und ganz in 
Kupfer geftohen Walthers Lexicon diploma- 
ticum. Götting. 1745. Fol. — Die ſyſtemati⸗ 
fhe Haltung der Wiffenfchaft erhöhten die beiden 
Benedictiner Touftain und .Taffin (feit 1750), 
in einem - Werfe von 6 Quartbänden mit 100 Kus 
pfern,. welches J. Chſtph. Adelung unter dem 
Titel: neues Sehrgebäude der Diplomatif 
(9 Theile, Erfurt, 1759 ff. 4.) auf_teutfchen Bo⸗ 
den verpflanzte. — Gleichzeitig wirkten für Das 
Studium der Diplomatif: Heumann in ſ. 
commentatiis de re diplomatica regum et im- 
peratorum germanicorum, Norimb. 1745. 4 — 
Eckhardt in f. introductio in rem diplomaticam, 
praecipue germanicam, Ed. 212, Jen. 1753. 4. — 
Baring inf. clavis diplomatica, Hanov. N, Ed. 
1754. + — Joachim in f. (trodnen) Ein« 
leitung zur teutſchen Diplomatif, 2te Aufl, 
Halle, 1754. 8. — Gregor. Gruber in fe Schr 
buche einer allgemeinen Diplomatif, vor 
züglich für Deftreih und Teutfchland. 2 Th. Wien, 
1783, 8. — J. Chſtph. Gatterer, ſchon im, 
Jahre 1765 durch ſeine elementa artis diploma- 
ticae, wovon aber nur Ein Quartband zu Göttin 

gen erfhien, und fpäter durch feinen Abriß ber 


30° Allgemeine Einleitung 


Diplomatik, Goͤtt. 1798. 8., und durch feine 
practiſche Diplomatif, nebſt 15 Kupfertafeln. 
Goͤtt. 1799. 8. — Mit vielen neuern Anſichten 
bereicherte die Wiſſenſchaft Schoͤnemann, in ſ. 
Lehrbuche der allgemeinen, beſonders 
‚ ältern Diplomatif, 2Th. Hamb. 1801. 8., 
. welchem fein Coder für die practiſche Diplo- 
matik, 2 Th. Göfting. 1800. 8. vorausgegangen 
war. — Zum Gebrauhe für Archivare find 
. befonders geeignet: le Moine und Batteney, 
practifche Anweifung zur Diplomatif und zu. einer 
‚ guten Einrihtung der Archive. Aus dem Franzöf. 
Nuͤrnb. 1776. 4. und Karl Fr. Bernd. Zinfer- 
nagel, Handbuch für angehende Archivare. Noͤrd⸗ 
lingen, 1800. 4 , ' 


| 8. | 
Literatur der encyklopäbifhen Be 
. bandlung der Staatsmwiffenfhaften. 


Da bei jeber einzelnen Staatswiffenfhaft die 
wichtigere Literatur derſelben mitgerheilt wird; 
fo gehöre an das Ende der Einleitung, welche eine 

kürze Veberfiht über das gefammte Gebiet der 
Staatswiſſenſchaften — mie baflelbe in dieſem 
Werfe dargeftellt wird — enthalten follte, nur noch 
bie Angabe der Schriften, in welchen die Staats» 
roiffenfchaften (freilih je nachdem bie Verfaſſer 
mehrere oder wenigere dahin rechneten) enchflopä- 
diſch, und zwar mit Ausfhluß der Kameralwiffen- 

ſchaften, aufgeftelle wurden. 
Karl Gtlo. Röffig, Entwurf einer Encyklopaͤ⸗ 

‚ bie.und Methodologie der gefammten Staatswilfen: 
ſſchaften und Ihrer Huͤlfsdiſciplinen. Leipz. 1797. 8. 


y% . 


in de aefommtn Stäntewiffenfhaften: 3 


Gei vieler Zerſplieterung der einzelnen hieher gehdͤ⸗ 


renden Wiſſenſchaften in manche Untertheile, hat 


auch der Verf. zu viele poſitive Rechte beruͤck⸗ 
ſichtigt, 3. B. das tentfihe Sragtsreht, und zum 
Theile die Kameralwiſſenfchaften, 3. B Technologie, 
Bergbau u. fi m.) 

So. Karı Wilh. Rosling, bie Wiſſenſchaft 
von dem einzig richtigen Staatsſwecke; als Grund⸗ 
lage und Einleitung zu allen theoretifhen und 
practifchen, Staatswiffenfhaften. . Erlang. 1811. 8. 
(mit mehr Fleiß als Geiſt.) 


Alter. Lips, die Staarswiffenfdaftsichre, oder. 


Encplispädie und Methodologie der Stantswiffens 
fhaft.:Erl. u. 2pz. 1813. 8. (Der Verf. nimmt als 
Staatswiſſenſchaften an: Juſtiz, Polizei, National⸗ 
wirthſchaft, Nationaletziehung, Staatsconſtitutions⸗ 
wiſſenſchaft, Finanz.) — Eine kleine Schrift von 
24 Seiten war bdiefer vorausgegangen: Darftellung 
eines vollländigen, aus der Natur der Menfchheit 
und bes Denkens gefchöpften Syſtems des Staats 
und feiner Wiſſenſchaft. Münden; 1812. 8.” (ents 
behrlich geworden durch die oben: genannte "fpätere 
Schrift.) , 

v. Jakob, Einleitung in das Studium der 
Staatswiffenfchaften. Halle, 1819. 8. (Der Verf. 
verbreiter ſich zunaͤchſt über Politik, Nationaloͤko⸗ 
nomie, Polizeiwiſſenſchaft und Finanzwiſſenſchaft.) 

Freih. v. Kronburg, Encyklopaͤdie und Mer 
thodologie der practiſchen Staatslehre nach den 
neueſten Anſichten der beruͤhmteſten Schriftſteller 
dargeſtellt und ergänzt. Dresden, 1821. 8. mei 
ſtens Compilation. ) 


Wilh. Butte, * Generaliäbehe der Stontewifen: 
fhaft und der Landeswiſſenſchaft. Landsh. 1808. 
Fol. — Dazu gehoͤrt: Entwurf ſeines fyſtemati⸗ 
ſchen Lehrkurſus auf der Grundlage ſeiner General⸗ 
tabelle. Landsh. 1808. 8. (Go viel ſich gegen des 
Verf. Elafification und Benennung der Staats⸗ 
wiffenfchaften einwenden ließe; fo hat er doch den 
hohen Werth derſelben hervotgeheben und die 


+ 


32 lg. Einleit. in die geſammten Staats. 


“ 


‚gug verdient.) u 


Selbſtſtaͤndigkeit des Kreiſes aller - Gegenſtaͤnde, 
welche dahin. gehören, bemerkbar gemadt.) Spaͤ⸗ 
ter erfhien von ihm folgendes Werk: Ueber das 
organifirende Princip im Staate, ır Theil. VBeri. 
18022. 8. (Sn diefem befindet fih ©. 127 ff. auch 
eine Eintheilung der Staatswiffenfchaften, welche 
vor der in der Generaltabelle enthaltenen den Vor⸗ 


* * * 


Zuden. materiellen Ercyclopädisen der Staates 
wiffenfhaften kann auch gerechnet werden: 

Die Staatstunft; oder vollftändige und gründe ' 
liche Anleitung zu Bildung kluger Regenten, geſchick⸗ 
ter Staatsmänner und rechtfchaffenee Bürger. Aus 
dem Franzoͤſ. des Herrn von Real, überf. von 


Joh. Phil. Sſchulin. 6 Theile. Franff. u. Leipz. 


1762°— 67. 8. (Th. ı u. 2 enthalten einen ‚allgem. 
Srundriß der Staatskunſt, größtentheils geſchicht⸗ 


...Üde Darftelung der Verfaffung älterer und neuerer 


Staaten; Th. 3. das Naturrecht; Th.4 das Staats⸗ 
seht; Ih. 5..das Voͤlkerrecht; Ih. 6 die Politik.) 





4‘ 


| L 
Naturs und Voͤlkerrecht. 


Einleitung. 


TU — 


1. 
Vorbereitende Begriffe 


Tepe felbftftändige Wiffenfchaft unterfcheidee ſich 
dadurch von aflen andern Gebieten ber wiſſenſchaft⸗ 
lihen (d. h. ber fuftematifchen, in fih zufammen- 
Kingenben Erkenntniß, daß ihr ein eigenthümlicher 
egriff und Zwed zukommt, und von biefem 
eigenthümlichen Begriffe und Zwecke theils der Um⸗ 
fang ber ganzen Wiflenfchaft, theils ihre innere 
foftematifche Anordnung und Haltung, theils 
ihre Verſchiedenheit von allen andern, beſonders 
von den verwandten Wiſſenſchaften, cheils der höhere 
oder niebere Standpunct, aus weldhen der 
Anbau der Wiffenfchaft in verfchiedbenen Zeiten ver- 
ſucht worden ift, mit Nothwendigkeit abhängt. 
Gilt dies von allen felbftftändigen Wiffenfchaften; 
fo muß es aud) von der philofophifchen Nedhts- 
lehre gelten. Die Einleitung in biefelbe if daher 
L 3 


34 Matur« und Völkerrecht. 

Dazu beſtimmt, den eigenthuͤmlichen Begriff und 
Zweck dieſer Wiſſenſchaft auszumitteln, und jene 
Folgerungen daraus abzuleiten. 


2. 


Begriff und Zweck der philoſophiſchen 
Rechtslehre. 


Der Begriff des Rechts, fo wie der letzte Grund 
deſſelben, kann nicht aus der äußern ſinnlichen Welt, 
nicht aus dem Kreife ber Erfahrung und Gefhichte, 
‚ und eben fo wenig aus einem pofitiven, d. h. aus 

einem zu einer gewiffen Zeit und für Die Bebürfniffe 
eines gewiffen Wolfes gegebenen (mithin blos ge- 
fhichelich erfennbaren und geltenden) Rechte der 
Hindus, oder ber Hebräer, ber Griechen, der Römer, 
der Sangobarben ‚ Ober der römifchen Bifhöffe ftam- 
men. Was ewig als Recht für den Menfchen gelten 
und zugleich den höchften Maasitab für Die Ausmitte- 
lung der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit jedes 
_pofitiven Rechts des Alterthums oder der neuern Zeit 
enthalten foll, muß über alle Gefchichte und über jede 
pofitive Gefeggebung hinausreichen, und in der ur- 
fprünglichen Gefegmäßigfeit des menfchlichen Geiſtes 
begruͤndet ſeyn, wenn anders das Recht alle We- 
ſen unſrer Gattung ohne Ausnahme, wenn es alle 
Voͤlker und alle Zeiten umfchließen, wenn ber ' 
Urbegriff bes Rechts auf alles, was in der Erfahrung - 
und Gefhichte als Recht ſich ankuͤndigt, als hächfter 
Maasſtab angewandt, überhaupt wenn der Zweck 
aller äußern gefellfchaftlihen Verbindung zwifchen 
Weſen unfrer Gattung, das erhabene deal 
der Herrfchaft des Rechts auf dem ganzen 
Erdboden, almahlis verwirklicht werden ſoll. 


Matur« und Völkerrecht, | 35 


3. 
Ableitung des Begriffes des Rechts aus 
der urſpruͤnglichen Geſetzmäßigkeit des 
menſchlichen Weſens. 


Die urſpruͤngliche Geſetzmaͤßigkeit des menſch⸗ 
lichen Weſens beruht auf den drei unmittelbaren That⸗ 
ſachen: ne Daſeyns, des Verfchiedenfeyns von allen - 
andern Dingen (der Individualität), und der Pers 
fönlichfeit und Freiheit. Diefe unmittelbaren 
Thatfachen find in einem Urfelbftgefühle verbürge, 
welches wir das Bemwußtfeyn nennen, und biefes 
Bewußtfeyn ift das einzige Bleibende und Unver⸗ 
änderliche in unferm Wefen, über welches wir mit. 
unſrer Erfenntniß nicht hinaus koͤnnen, und in wels 
chem jeder einzelne Zuftand als mittelbare That 
fahe, Deren wir uns bewußt werden, von uns wahr« 
genommen wird. Ob nun gleich das Bewußtſeyn 
nad) feinem letzten überfinnlichen Grunde auf feiner 
völligen Unerflärbarfeit beruft; fo unterfcheiden wir 
doch in bdemfelben zwei Hauptgattungen menfchlichee 
Zuftände: die Zuftände bes Seyns und des Han⸗ 
deines. Das menfchlihe Seyn kuͤndigt fich naͤm⸗ 
lich unmittelbar im Bewußtſeyn an als die innigfte 
und unauflöslichfte Verbindung einer finnliden und 
einer geiftigen Natur zu dem Ganzen Einer Perfon, 
Es ift Daher die Aufgabe der theoretiſchen Philo- 
fophie, den Menfchen nach dem, was er iſt, nad) 
der, Gefammtheit und dem gegenfeitigen Verhaͤltniſſe 
aller in der urfprünglichen Gefegmäßigfeit feines We⸗ 
fens enthaltenen Vermögen und Kräfte barzuftellen. 

Mit dem Kreife des menfchlichen Seyns fteht 
aber der Kreis des menfchlihen Handelns, ober 
der aͤußern Ankündigung ber menfchlichen Thaͤtigkeit, 

Hr 





36 Nactur unb Woͤlkerrecht. 


in Angemeſſenheit zu einer vorausgegangenen innern 
Geſinnung und Triebfeder bei jeder einzelnen Hand⸗ 
lung, in der genaueſten Verbindung; denn jede aͤußere 
Thaͤtigkeit ſetzt einen von dem handelnden Weſen ge⸗ 
dachten Zweck voraus, der durch Die aͤußere Thaͤtig⸗ 
feit erreicht werden fol. Die mwiffenfchaftlihe Dar- - 
ſtellung der Gefammtheit aller innern Triebfebern und 
Zwecke menſchlicher Handlungen, fo wie der aus die- 
fen Triebfedern entfpringenden Handlungen in Ange= 
meflenbeit zu den beabfichtigten Zwecken, ift Daher die 
Aufgabe ver practifchen Philofophie. — Es fann 
aber nur ein freies Wefen ber innern Triebfedern, 
nach welchen es handelt, des Zweckes, welchen es 
beabfichtige, und der Handlungen ſich bemußt werben, 
- welche es in Angemeffenheit zu dieſen Triebfedern 
‚vollbringt. Ob nun gleid) die eheoretifche Philofophie 
in der Metaphyfif die Freiheit des Willens als bie 
urfprüngliche Selbftbeftimmung des Menfchen bei fei- 
nen Handlungen, mithin als: das höchfte practifche 
Vermögen vernünftig: finnlicher Wefen und als den 
unterfcheidenden Charakter der Menfchheit von allen 
andern Gefchöpfen aufftelle; fo ift es doch zunächft die 
practifche Philofopbie , welche der Freiheit in der un— 
bedingt gebietenden Gefeggebung der Vernunft das 
unermeßliche Ziel vorhält, nach welchem fie ftreben,, 
und das fie verwirflichen fol. _ | 


4 
Das practifhe deal, 
Die Vernunft kennt naͤmlich feine höhere See, 
als die Idee des Sittlih-Guten, d. h. die ° 


‚Ausübung des Guten um des Guten felbft 
willen, ohne irgend eine Ruͤckſicht auf bie daraus 


Matur» und Volkerrecht. 37 
bervorgebenben Folgen, Diefe Idee des Sittlich. 


Guten ift unabhängig von allen Naturgefegen, weil 
fie aus dem innern Heiligthume des menfchlichen Geis 
fles und aus der reinften Thaͤtigkeit feines höchften 


Vermoͤgens, der Vernunft, hervorgehet. Sie ftellt . 


den End zweck des menſchlichen Daſeyns auf, weil 
alle andere Zwecke unter demſelben enthalten find, und 
fih auf dieſen Höchften und legten Zweck beziehen: 
Diefe Idee foll aber nicht blos als Erfenntniß in dem 
Vorftellungsvermögen des Menfchen enthalten feyn, 
fondern zugleich das höchfte Ideal für alle feine 


Handlungen vermitteln, inwiefern bas Ideal der - 


Sittlichfeit, als ein aus der Vernunftidee des Sitt- 
lich⸗ Guten ftammiendes, wegen feiner Unermeßlich- 
feit aber in bem irdifchen geben nie völlig zu verwirk⸗ 
lichendes Urbild, ber wuͤrdigſte und höchfte Gegen- 
fand aller Beftrebungen bes freien Willens werben, 
und-die unbedingt (d. b. ohne Ausnahme und Ein- 
ſchraͤnkung) gebotene Annäherung an biefes deal die 


große Aufgabe für alle vernünftig- finnlihe Wefen, 
fo wie der Inbegriff der gefammten Zwede iprer Thä- 


‚tigkeit, in allen Zeiträumen ihres Dafeyns feyn und 
bleiben fol, . 


5. 


Die beiden Haupttbeile des practifchen 
deals, das deal der Pflicht und des 
Rechts. J 


Das Ideal der Sittlichkeit, welches durch den 
freien Willen des Menſchen verwirklicht werden ſoll, 
zerfaͤllt, nach der urſpruͤnglich geſetzmaͤßigen Einrich⸗ 
tung unſers Weſens, in das Ideal fuͤr den innern, 
und in das Ideal für den auß ern freien. Wirkungs⸗ 


- 


3 | Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 


kreis. Denn weil jede im Kreiſe menſchlicher Thaͤtig⸗ 
keit erſcheinende aͤußere freie Handlung in genaueſter 
Angemeſſenheit zu einer innern Triebfeder erfolgt, 
weshalb ihre Guͤte oder Verwerflichkeit nur nach der 
Güte oder Verwerflichkeit dieſer innern Triebfeder 
beurtheilt und dem Handelnden (ſubjectiv im Gewiſſen, 
objectiv im Urtheile der Menſchen) zugerechnet 
werben kann; fo iſt auch nur diejenige aͤußere Hands 
tung dem Ideale der Sittlichfeit angemeflen, welche 

. aus einer inneren reinfittlichen Triebfeder hervorgeht; 
oder nach der philofophifchen Kunſtſprache: die Lega- 
litaͤt der Handlung, die äußere erfennbare Wahr- 
nehmung ihrer Angemeffenheit zu dem Sittengefege, 
ſoll die unmittelbare Folge der Moralität berfelben 

. fen. Das Ideal für veninnern freien Wirkungs- 
kreis umfchließt daher bie rein fittliche Güte ber 
Triebfeber der menfchlichen Handlungen, eber. bie 
anbedingte Verbindlichkeit zu einer Thaͤtigkeit für 
firelihe Zwede; das Ideal für den aͤ uß ern freien 
Wirkungskreis hingegen die voͤllige Angemeſſenhelt 
der aͤußern freien Handlung zur innern ſittlichen Guͤte 
der Triebfeder, oder die Verwirklichung ſittlicher 
Zwecke in der Verbindung und Wechſelwirkung mit 
Weſen unſrer Art. Jenes Ideal iſt das Ideal der 
Pflicht, dieſes das Ideal des Rechts. Denn 
unter Pflicht verſtehen wir die ſubjective Verbind⸗ 
lichkeit zu freien Handlungen, welche dem Sittenge⸗ 
fege angemeſſen ſind, und bezeichnen dieſe Verbind⸗ 
lichkeit mit dem Ausdrucke des Sollens; unter 

Re ehr verſtehen wir aber die In unſerm aͤußern Wir- 
kungskreiſe enthaltene Moͤglichkeit, ſittliche Zwecke zu 
erreichen, und in der Wechſelwirkung mit Andern 
geltend zu machen, Wir bezeichnen diefe Außere Moͤg⸗ 

”  Sichlelt der Erreichung fietliher Zwecke mit dem Aus⸗ 


Natur⸗ und Volterrecht. 89 


drucke des Duͤrfeas. (Es darf gefiheen. )”) Ds 
N ect befteht daher in dem, was nad) ſittlichen 
3mwedenmöglid iſt *); fo daß in dem Syſteme 
der gefammten practiſchen Philofophie, nad) diefer 
Begriffsbeſtimmung, unter dem Rechte "die durch die 

, Sreiheit des Willens begründete und verbürgte Mög, 
lichfeit der Anfündigung und Verwirklichung des 
Sittlid) - Guten in der Gemeinfchaft und Wechſelwir⸗ 
fung vernünftig » finnlicher Wefen nad) ihrem äußern 
Wirfungsfreife verftanden wird. R 

Es ftammen alfo beide Ideale, der Pflicht und 

des Rechts, gleichmaͤßig und urſpruͤnglich aus dem 
Ideale der Sictlichteic, ſo wie dieſes Ideal aus der 
hoͤchſten Vernunftidee, der Idee des Sittlich - Guten. 
Beide Ideale ftehen unter fid) in nothwendiger und 
unzertrennlicher Verbindung, und eben fo die bei- 
den Wiffenfchaften der practifchen Philofophie: die 
Pflichten» und die Rechtslehre. 


6. 


Folgerungen aus dem Unterſchiede zwi⸗ 
ſchen Recht und Pflicht. | 


Aus diefer Begriffabeftimmung folgt: . 
1) daß das Recht, wie die Pfliht, aus 
| dem Sittengefege kommt, und —* was 


15) Sn ber phyflſaen Wer ſteht dem Dürfen das 8 dns 
| nen als phyſiſche Möglichkeit, mid dem Sollen 
| dat MAT en nis vhyſiſche Btochioendigfeit; gegen 
ber. 

**) Möoglich iſſt an fih viel '.®. "08 ich dem Nach⸗ 
| bar das Dans umzande); recht ußxk ‚une Bas, was 
| nach ſittlich es — — wegiq aſt. 


v⸗ 


40 Maturs und Völkerrecht, 


egen das Eittengefes verftöße, nie Recht feyn und 

erden kann, mithin Pflicht und Recht gleih mäßig 
auf die Freiheit fi) gründen, und jede äußere Hand⸗ 
Uung ein Wiederſchein der inneren Freiheit ift *); 
u 2) daß, da es für die Freiheit einen Innern 
und dußern freien Wirfungsfreis gibt, der äußere. 
freie Wirfungskreis zunächft durch den innern be» 
Dinge (d. h. durch das MWergegenwärtigen eines 
Zweckes beftimmt) wird; 

. 3) daß das Recht von der Pflicht zunächft durch 
bie äußere Anfündigung °°) ſich unterfcheidet, waͤh⸗ 
rend die Pflicht zunächft die innere Angemeffenheit der 
Triebfeder zu dem Sittengefege enthält, obgleich auch 





9) Die Freiheit iſt zwar an ih ein Noumenon, 
und gehört zur Äberfinnlichen (tranfcendentalen — 
nicht tranfcendenten) Welt in uns; für die Rechtes 
fphäre iſt aber die Zreihelt ein Phänomenen, ein 
in wirkiihen Handlungen Erfheinendes und Ers 

kennbares. 

“re, Das Recht iſt, wie die Pflicht, gleichmäßig in dem 
innern Weſen des Menſchen, d. h. in feiner Vers 
nunft (die nur Eine und dieſelbe iſt) und in feiner 
Sittlichkeit begränder; dies erhellt ſchon daraus, 
weil das Rede Bas nad ſittlichen Zweden 
Mögliche umfhließft, während die Pflihe das 
nah ſittlichen Zwecken Nothwendige ges 
bietet. Allein jede Aeußerung eines Rechts, es ſey 
die Ankündigung und das Behaupten des eigenen 
Nechts, oder die Anerkennung dee Rechte Andrer, 
verlangt durchaus einen außern freien Wirfungss 
Preis, d. h. einen Kreis, worin eine — in Anges 
meffenheit zu einer innern Triebfeder erfolgende — 
Handlung wahrgenommen wird und werden kann, 
ale eine Berbindung, Geweinſchaft und Wechſel⸗ 
wirkung mit Weſen unfcer Art. 





Natur» und Voͤlkerrecht. 4 


die einzelnen Pflichten, bei ihrer Ausübung, in äußern 
Anfündigungen als Handlungen wahrgenommen 
werden; 8* 

4) daß die Ankuͤndigung und Verwirklichung 
des Rechts nur in bee Verbindung und Wech—⸗ 
felwirfung vernünftig » finnlicher Wefen möglich, 
mithin ber Kreis der Pflichten weiter ift, als ber 
Kreis der Rechte, weil den Rechten nur diejeni- 
gen Pflichten entfprechen, die blos in der Ver—⸗ 
bindung mit Anbern verwirflicht werden koͤnnen, 
während ber Kreis der Pflichten aud) die Verpflich- 
tungen gegen fich ſeibſt, gegen Gott, und fogar gegen 
die ehierifche Schöpfung umfchließt; fo wie die Pflich⸗ 
ten gleihmäßig für den völlig iſolirt, wie für den 
in der Gefellfchaft lebenden Menfchen gelten; 

5) daß alfa der Kreis der Rechte fo groß ift, 
als der Kreis aller Verhaͤltniſſe, welche in der äußern 
Verbindung freier Wefen eintreten fünnen; 

6) daß aber, ungeachtet der innigen Verwandt 
(haft zwifchen den Pflichten und Rechten, der Kreis 
ber Pflichten, ſelbſt in Hinſicht der Pflihten 
gegen Andere, weiter ift, als der Kreis der Rechte, 
weil von den Pflichten gegen Andere nur diePflich- 
tender Gerechtigkeit (officia perfecta), nicht 
aber die Pflihten der Güte (officia imper- 
fecıa) in der äußern Verbindung und Wechſelwirkung 
freier Wefen erwartet und gefordert werden fönnen *). 
Obgleich nad) ihrer Abftammung und Ableitung aus 


ni 





*) Man bat auch die Rechte, wie die Pflichten, in 
volltommene und unvolltommene eintheis 
len wollen; allein unvolltommene Rechte find 
nicht denkbar. J 








N 


42 Natur⸗ und Voͤlkerrccht. | 


, Einer und berfelben Vernunft und aus Einer und der⸗ 
ſelben Freiheit, mithin nach ihrem fietlichen Werthe und 
nach der fubjectiven Verpflichtung des handelnden Wes 
fens zu denfelben, beide,; die Pflichten der Gerechtigkeit 
und der Güte, in gleichem Range ftehen; fo unter⸗ 
fheiden fich beide doch, theils nach ihrem Inhalte, 
inwiefern das Recht das nach fittlichen Gefegen Mög- 
liche, die Pflicht das nad} fittlichen Gefegen Not h- 
wendige fordert; theils nach ihrem Wirfungs- 
kreiſe, wo das Recht durchaus das Zufammenleben 
(die Eoeriftenz) mit andern fittlihen Wefen verlangt, 
während die Pflicht auch das von der menfihlichen 
Gefellfhaft getrennte Individuum verbindet; theils 
nach ihrer Ausdehnung, wo (tie gezeigt ward ) 
der Kreis der Pflichten ungleich weiter ift, als der 
‚Kreis der Rechte; theils nach ihrer Triebfeder, 
inwiefern zwar — nad) dem Ideale der Sittlichfeit 
gedaht — wie bei der Pflicht, fo auch beim Rechte, 
nur und einzig die reinfittliche Triebfeder 
der gleichmäßige Grund aller Rechte und Pflichten feyn 
foll, (und dies auch in dem auf ein “deal gegründe- 
ten Naturrechte nicht anders gelehrt werden kann,) 
inder Wirklichkeit aber (welche wiflenfchaftlich 
in dem Staatsrechte berückfichtigt wird) zu der innern 
Triebfeder noch eine außere (d.i. der Zwang) hin- 
zufommt, welche für alle Diejenigen Mitglieder des buͤr⸗ 
gerlichen Vereins von Wichtigfeit ift und bleibt, die 
weder aus reiner innerer Triebfeder die Rechte Andrer 
anerfennen noch nad) derfelben ihre eignen Rechte im 
äußern freien Wirfungsfreife geltend machen. Allein 
weil für alle beffere Menfchen, welche ftreng der 
Vernunft angemeflen handeln, dieſe außereTrieb- 
feder des Zwanges hinwegfällt und durchaus auf 
ihre Willensbeftimmung feinen Einfluß behauptet; fo 


% 


Natur» und Voͤlkerrecht. 43 


‘darf fie auch nicht im “deal des Naturrechts mit ber 
reinen innern Triebfeder des Handelns auf 
gleiche Linie geftellt werden; fie wird vielmehr ins 
Staats recht aufgenommen, weil überhaupt nur 
im Staate der Zwang, mit Ausfchließung der Selbſt⸗ 
hülfe, vehelich geſtaltet if. M 
Soo genau auch wiffenfchaftlich zwiſchen Pflich- 
ten» und Rechtslehre unterſchieden werden mußz 
ſo habe ich doch, ſeit ich uͤber das Naturrecht 
ſchrieb, die urſpruͤngliche Identitaͤt bei— 
der in der practiſchen Vernunft und in ber Frei⸗ 
heit des Willens feftgehalten, und beide wiſſen⸗ 
fchaftlih nach einem Ideale dargeftellt. Denn 
fo wenig irgend ein Menfch das hohe Ideal der 
Pflichtenlehre erreicht, nach welchem jede einzelne 
Handlung blos und einzig aus der innern 
reinen Triebfeder hervorgehen foll; fo wenig 
wird auch von der einzelnen bürgerlichen Geſell⸗ 
fhaft das Ideal der philofophifhen Rechtslehte, 
Die unbedingte Herrfhaft des Rechts 
aufbem ganzen Erdboden erreiht. Diefer 
Gegenſatz der Wirflichkeit gegen das Ideal hebt 
aber dag Ideal felbft nicht auf. Zwar find alle 
diejenigen. Schwärmer , welche das Ideal in der 
wirflihen Welt burchfegen wollen; allein nie wird 
es fich die Vernunft verkuͤmmern laſſen, in ihrer 
Idee das Höchfte auszubilden, was der legte Maas⸗ 
ftab der Beurtheilung für alles Wirflihe, und 
das Ziel bleibt, dem alles Vorhandene alimäh- 
Lig zugeführt werben ſoll. Deshalb erfcheint bei 
mir das Naturrecht eben ſo idealiſch durchgefuͤhrt, 
wie bie Pflichtenlehre, und erft im Staats 
rechte behauptet der Zwang bie ihm in 
der außern Rechtsgeſellſchaft, wie ſie in 


[4 


44 J ‚ Natur» und Voͤlkerrecht. 


der Wirklichkeit erſcheint, gebuͤhrende 
Stelle. Man vergleiche meine fruͤhern Aufſaͤtze: 
das Naturrecht, als Ideal aller Rechtswiſſenſchaf⸗ 
ten in den neuen Beitraͤgen zur kritiſchen Philoſ. 
von Grohmann und Polis, (Berl 1798.) 
Th. 1, ©. 223 fe — Ueber das deal ber 

.” Mechtslehre, in meinen Sragmenten zur Philof. 
des Lebens (Chemnitz, 1802), ©. 170 ff., und 
ebendafelbft (S.189 ff. u. S.223 ff.) die aus dem 
Standpuncte diefes deals aufgeftellten Grundfäge 
des Naturrechts und Völferrehts. — Damals, 

in dem Zeitpuncte der Wiedergeburt der philofophi- 
fchen Rechtslehre durch die Männer, welche dem 
kritiſchen Syſteme folgten, erflärte fih Reinhold 

in fs Recenfion von Kants Schrift: zum ewi- 
gen Frieden, auf gleiche Weife (wenn gleich 
Kant felbft in f. fpäter erfchienenen metaphyfi- 
fhen Anfangsgründender Rechtslehre, 
den ältern, feit Gunbling vorherrfchenden, Anfich- 

. ten folgend, den Zwang ins Naturrecht mieber 
aufnahm). Reinhold fagt von jener Schrift: 
„Ungeachtet der. ganze Entwurf von lauter auf 
Sittlichfeit gegründeten Verhaͤltniſſen einzelner 
Menfchen und unabhängiger Völker handelt; fo 

ift doch in demfelben nicht die Rebe vom 
Rechte zu zwingen, und man.fann daber 
von dem, feinen Gegenftand zu erfchöpfen gewohn⸗ 
ten, DBerfaffer vermuthen, Daß er Den Zwang 
für einen unmwefentlihen fremden Zu— 
fa6 des Natur- und Voͤlkerrechts an- 
fiehe, der nur als ungemwiffes pby- 
ſiſches Hulfsmittel gegen die bösartige 
- Meigung,, feine Berbinblichfeit nicht zu erfüllen, 
verſucht wird, . Setzt man bie feltene Pflicht zu 


‘ 





‘ 
Natur: und Voͤlkerrecht. 45 


zwing en bei Seite; ſo kann das Recht zu 
zwingen blos dem zukommen, der ausdruͤcklich 
dazu bevollmaͤchtigt iſt, und es deutet daſſelbe 
allezeit auf ein ungleiches Verhaͤltniß, in 
welches die Menfhen, ohne ihre Perſoͤnlichkeit 
aufzuheben, nur im Staate gerathen koͤnnen, 
wo das Oberhaupt Auftrag befommt, bie un- 
geftörte Ausübung der einzelnen Rechte zu er- 
zwingen, mo alfo der Berechtigte nur das Recht, 
und ber Staat nur den modum coercendi hat.” 

— Faſt auf diefelbe Weife äußerte ſich der Rec. 
von Tieftrunfs Grundriß der Sitten 
lehre, in den Marb. Annalen 1805, Beil. 
zu N.20, ©. 417: „Es fann der guten Sache⸗ 
nicht foͤrderlich ſeyn, wenn man die Rechtslehre 
von der Moral mühfam fcheider; fie follten in der 
Theorie und Praris verbunden bleiben. ‘Der mo- 
ralifche Begriff ift der primitive, das Princip 
des Rechtsbegriffes; denn dieſes ſtammt aus 
der Vernunft und ihre Producte ſind moraliſch. 
Es bleibt gewiß fuͤr Staaten ſowohl, als fuͤr jedes 
Individuum die wichtigſte Aufgabe: innere und 
äußere Gefeggebung in beglüdende Harmonie zu 
bringen. Das äußere Recht ftreitet keinesweges 
mit moralifchen Beftimmungsgründen; vielmehr 
gewinnt es durch diefelben Kraft, Staͤrke und: 
Adel.” — In der damaligen erften Zeit bes 
Einfluffes der kritiſchen Philoſophie auf die philo⸗ 
ſophiſche Rechtslehre gruͤndeten Mehrere das Rechts⸗ 
princip auf die Moral uͤberhaupt; ſo Schmalz, 
Jakob, Schaumann, Abicht u. 0. auf die 
Pflicht des Berechtigten felbft, und Heydenreich 
und Hoffbauer auf die Pflihe Andre. Von 
biefen trennten fich aber Kant, Fichte, Feuer⸗ 


46 Matur- und Voͤlkerrecht. 


bach u.a., welche zwar Rechts amd Pflichtenlehre 
als integrirende Theile der practifhen Philoſophie 
überhaupt aufftellten, allein zwifchen Legalität und 
Moralität eine ſcharfe Grenzlinie zogen. Diele 
der folgenden Schriftſteller des Naturrechts ſchloſ⸗ 
fen ſich mehr ober weniger an dieſe an, bis Schulze 
(in feinem Leitfaden) und Bouterwek (inf. 
Lehrbuche der philof. Wiffenfchaften Ih. 
2) wieber zu der in ber Vernunft felbft begründeten 
Identität der Rechts» und Pflichtenlehre zuruͤck⸗ 
kehrten. — Faſt auf gleiche Weife erflärt ſich 
Krug darüber (Handb. der Philof. TH. 2, 
©. 118 — 121. 2te Aufl.). 

Diefer Ercurs war bier deshalb noͤthig, weil 
unter denen, welche in neuerer Zeit bas Naturrecht 
aus dem philofoppifchen (nicht juriftifchen) Stand⸗ 
puncte barftellen, nur die zwei Hauptanfichten 

‚vorherrfchen können: entweder Identitaͤt der 

Rechts⸗- und Pflichtenlehre, oder ſtrenge Son⸗ 
derung beider, obgleich beide zur practifchen Phi⸗ 
loſophie gehörig. Von der größten Wichtigfeie ift 
aber die Fefthaltung der einen oder der andern An⸗ 
fiht im Staats» und Strafrehte, weil 
bavon bie Begründung ber Lehrevom Zwange 
abhängt, und z. B. bei Feuerbach und allen, 
Die ihm folgen „die fogenannte Abſchreckungs— 
theorie im Strafrechte eine nothwendige Folge 
ſeiner Grundanſicht vom Naturrechte iſt. 


7. 
Hoͤchſter Orundfag ber pbiloſopbifchen 
Rechtslehre. 
Das Ideal des Rechts, das zugleich mit 
dem Ideale der Pflicht aus dem Ideal⸗ der Sittlich⸗ 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 47 


keit hervorgehet, verlangt von dem Menſchen, daß 
er das nach ſittlichen Zwecken Moͤgliche in 
feinem äußern freien Wirkungskreiſe, d.h. 
in der Verbindung und Wechfelmirfung mit andern 
Mefen ‚feiner Gattung, verwirflihe. Dem 
ideale des Rechts kann daher nur ein folcher Verein 
freier Wefen entfprechen, in welchem.die äußere Srei- 
heit des Einzelnen mit der äußern Freiheit aller an⸗ 
dern fittlihen Wefen im Gleichgewichte ftehet, 
wo alfo die äußere Freiheit des Einzelnen (die Sphäre 
feiner Rechte) vereinbar ift mit der Freiheit aller An- 
dern, und nur durch Die Außere Freiheit aller nit ihm - 
zur Öefellfchaft vereinigten Wefen befchränft wird. 
Der hoͤchſte Grundfaß der philofophifhen Rechts: 
lehre ift daher: Befoͤrdere das vollendete Gleichgewicht 
zwifchen deinem außern freien Wirfungsfreife und 
dem aͤußern freien Wirfungsfreife aller mit die zur 
Gefellfchaft vereinigten Wefen; oder: Du darfſt jedes 
in den Anlagen, Vermögen und Kräften deines 
Weſens enthaltenes und .begründetes Recht geltend 
machen, durch deffen ‘Verwirklichung bu fein Recht 
irgend eines vernünftig = finnlichen Wefens binderft 
oder verlegeft. Gleichmäßig dürfen alle mit dir zur 
Gefellfchaft verbundene. fittlihe Weſen in ihrem’ 
äußern freien Wirkungsfreife fammtliche in den An- 
lagen, “Bermögen und Kräften ihrer Natur enthal- 
tene und begründete Rechte geltend machen, durch 
deren Verwirflichung feines deiner Rechte beeinträch- 
tige und verlegt wird, Da nun biefem höchften 
Rechtsgrundfage für alle Wefen unfrer Gattung, 
wegen. ber urfprünglichen Gleichheit der fittlichen Ge- 
ſetzgebung der Vernunft, gleiche Gültigkeit zu- 
kommt; fo wird auch durch diefen Grundfag das 
Ideal der Herrſchaft des Rechts auf der ganzen Erde 


| 48 Matur » und Voͤlkerrecht. 


sum Ideale der philofophifchen Rechtslehre erhoben 
und als folches ausgeſprochen. Demnad) ift die phi⸗ 
lofophifche Rechtslehre die Wiffenfhaft, welde 
lehrt: lie innerhalb des außern freien 
Wirkungsfreifes, in der Gemeinſchaft 
und Wechfelwirfung vernünftig - finnli- 
Her Wefen, das Ideal der Herrfhaft des 
Rechts auf der Erde verwirklicht werden 
kann und foll, 
' J 

8 | 

Umfang und Einteilung der philofophi. 

ſchen Rechtslehre. 


Die philoſophiſche Rechtslehre behauptet, nach 
dem ihr eigenthuͤmlichen Grundbegriffe bes Rechts, 
und nach dem ihr ausſchließend zukommenden Zwecke 
und Ideale der Herrſchaft des Rechts auf dem 
Erdboden, den Rang und die Wuͤrde einer felbft- 
ftändigen Wiſſenſchaft. Ihr Werth brauche nicht 
erwiefen zu werden; denn er fteht und falle mit der 
Vernunft felbft, aus deren Heiligthume jener Begriff 
und diefer Zweck ſtammt. Herabwürdigung würde 
es feyn, fie nad) ihrem Nutz en empfehlen zu wollen. 
»Ihre Mochwendigfeie aber beruht auf der that- 
fachlichen Wechfelwirfung, in welcher die Menfchen 
feit ihrem Eintritte ins Leben gegen einander ſtehen; 
eine Wechfelwirfung, die nicht dem Zufalle überlaffen 
bleiben darf, ſondern durch die Vernunft geordnet, 
und inder Wiffenfchaft nad) ihrem inneren noth⸗ 
‚wendigen Zufammenhange dargeftellt werden muß. 
Kr Umfang endlid wird wiffenfchaftlid durch 
zwei Theile erfchöpft: durch das fogenannte Na⸗ 
turrecht, und durd) das Voͤlkerrecht. 


Maxuer, md Völkerrecht, “ 49 


Die philoſophiſche Rechtslehre entwickelt nänalich 
in dem Natukrechte (auch philoſophiſches 
Privatrecht, im⸗Gegenſatze des öffentlichen 
Rechts, genunnt, weil es den ‚einzelnen Men— 
fchen. nad). dem Kreife feiner geſammten Rechte ſchil⸗ 
dert,) alle einzelne, in der Natur bes Menfchen 
enthaltene und. aus dem Ideale des Rechts hervor⸗ 
gehende, Mechte und rechtliche Verhaͤltniſſe des ver- 
nüunffig » finnlihen Weſens in. feinem aͤußern freien 
MWirkungsfreife, — und in dem Voͤlkerrecht bie 
Bedingungen, unter welchen ſowohl in der Mitte des 
einzelnen Bolfes, als in der Verbindung und Wech- 
felreirfung mehrerer und aller. neben einander be- 
ftehenden Völfer, die Herrfchaft des Rechts auf dem 
ganzen Erdboden verwirflicht werden ſoll. 

Durch diefe beiden Theile wird die philofophifche 
Rechtslehre im eng er n Sinne erfchöpft, weil fie bie 
Gefammtheit aller Rechte der Individuen und der ein- , 
zelnen versragsmäßig begründeten NRechtsgefellfchaft, 
die wir Volf nennen, eben ſo, mie die Rechte aller 
auf dem Erdboden neben einander beftehenden Völker 
— ohne Ruͤckſicht auf den aus. der. Erfahrung ſtam⸗ 
menben Begriff bes: Staates, — aus dem Ideale des 
Rechts unmittelbar ableitet und lücenlos durchführt, 

Die feit Jahrhunderten gewöhnliche Benen⸗ 

nung: Naturrecht, ift.beizubehalten, fobald man 
Darunter nicht eine auf Naturgefege gegründete, 
oder den blos finnlich-thierifchen Naturzuſtand ent 
widelnde , Wiſſenſchaſt, fondern diejenige fufte- 
matifhe Darftellung verfteht, welche fih auf 
die urfprünglihe Gefesmäßigfeit der 
menfhlihen Natur gründet, und, in Ange- 
meflenheit zu dem Grundcharakter der Menfchheit, 
. ein Ide al gefellfchaftlicher Verbindung. und Wech⸗ 
I. 4 | 


50 Natur und Völkerrecht. 


ſelwirkung freier Wefen aufſtellt, wie baflelbe aus 
der Unermeßlichkeit der gefammten Anlagen, 
- Vermögen und „Kräfte des Menfchen hervorgeher, 
wenn gleich Diefes Ideal Höher liege, als bie 
bürgerliche Gefellfhaft, und in feinem legten 
Puncte — wie jedes Ideal — nie erreicht wer⸗ 
den kann. (Haft daffelbe fagt Bauer in f. 
buche des Naturrechts ©. 17: „De Na⸗ 
turftand ift-der Inbegriff aller der Rechtsverhaͤlt⸗ 
niffe, welche dem Menfhen ohne Voraus: 
fegung des Staates zufommen. Man denkt 
fi bei diefem Begriffe den Menfhen, wie er 
‚außer dem Staate unter ber Herrſchaft der Ver⸗ 
- -nunft feyn ſollte.“) 


9 
Sortfegung. 
Rechtslehre im weitern Sinne. 


Im weitern Sinne kann aber auch das phi⸗ 
loſophiſche Staats- (jus publicum universale) 
und Staatenrecht (jus civitatum) zur philoſo⸗ 
phiſchen Rechtslehre gezogen werden. Denn obgleich 
der Begriff des Staates, als einer bürgerlichen 
Geſellſchaft, blos aus der Erfahrung ſtammt und 
nicht aus reiner Vernunft hervorgehet; fo kann doc) 
der Zwed des Staates, fo wie der Inhalt und 
Umfang des Staats- und Staatenrechts nur durch 
die Anwendung der unwandelbaren und aus ber Ver⸗ 
nunft felbft ffammenden Grundfäge des Natur» und 
Voͤlkerrechts auf daffelbe wiflenfchaftlih begründet 
und erfhöpfend durchgeführt werden, weil theils 
ber ganze Umfang ber Bedingungen, unter welchen 


® 


IN. 


Natur⸗ und Wölferrecht. 51 


das Hecht Innerhalb des bürgerlichen Vereins zur 
Herrſchaft erhoben werden fol (der Wereinigungs., 
Verfaffungs- und Unterwerfungsvertrag, durch welche. 
die Theilung der Gewalten im Staate, fo wie die 
Berfaffung des Ganzen und mit derfelben die Rechte 
und Pflichten des Regenten und ber Unterthanen be» 
flimmt werden) , eheils die rechtliche Geftaltung des 
Zwanges im Staate: nad) angebrohten, verſuchten 
oder vollzogenen Mechtsverlegungen, nur aus den 
wiſſenſchaftlich durchgeführten Grundſaͤtzen des Natur- 
rechts, — fo wie im Umfange bes Staatenrechts, 
das rechtliche Nebeneirranderbeftehen und die rechtliche 
Wechſelwirkung der einzelnen Staaten auf einander, 
mit dem zwifchen den Staaten eintretenden rechtlichen 
Zwange, nur aus ben ſyſtematiſch entwickelten Grund⸗ 
fügen bes Völferrechts befriedigend abgeleiter werben 
kann. Es bilden Daher das Natur - und Völkerrecht 
die wiffenfchaftliche Unterlage des Staats » und Staa» 
tenrechts, und je nachdem jene philofophifch oder nicht 
philoſophiſch begruͤndet und durchgeführt werdert, muß 
auch der wiffenfchaftliche Charakter des Staats und, 
Staatenrechts ſich geitalten. 


10. 
Die philofophifhe Rechtslehre nad ihrer 
Stellung zu ben gefammten Staatswiſ— 
fenfhaften, und zu ben pofitiven Rechten. 


Allein nicht blos auf die wiffenfchaftliche DBe- 
gründung und Durchführung des Staats - und Staa⸗ 
tenrechts behauptet der Geiſt, in welchem das Natur- 
und Wölferrecht behandelt wird, einen wefentlichen 
Einfluß; die Wirkungen der philsfophifchen oder 
nicht philoſophiſchen, dar veruufigemäßen oder myſti⸗ 


- 
v. 


52 . Natur » und Woͤlkerrecht. 


then Behandlung des Natur < und Voͤlkervechts ver · 
breiten fich zugleih über das -gefammte Ge 
biete der Staarswiffenfhaften, und. feldft 
über die Bearbeitung ber pofittven Rechtswiſſen- 
haften. Denn in allen eingelnen philofopfifhen 
Staatswiffenfchaften ift die Herrichaft nes Rechts der 
. höchfte: Zweck und Standpynet, aus welchem. Bi 

der Wiflenfchaft gefaßt und beurtheilt werben muß, 
weil jede Ruͤckſicht auf Wohlfahrt und Gluͤcſſeligkeit, 
und jede Maasregel ber Klugheit durch den Begriff 
bes ewig heiligen Rechts bedingt bleibt. .. Gleih- 
mäßig muß in den geſchichtlichen Stantswiffen- 
ſchaften die wiffenfchaftliche Würdigung der einzelnen 
gefchichtlichen Ereigniffe, fo wie ber Geſammtheit her. 
ſelben nad) ihrem Einfluffe auf ven einzelnen Staat 
ober auf das ganze europäifche Staatenfyften, ruͤck 
wärts auf Die ewig gültigen Grundfäge des Staats⸗ 
und Staatenrechts fich ſtuͤzen. Dadurch ift denn der 
Zufammenhang des. Staatsrehts- mit den. übrigen 
Staatswiffenfchaften , mit der Staatsfunft Poligt), 
mit der Bolkswirthfchaft Staatswirthfchaft und 
Finanzwiffenfchaft, mit der Polizeimiflenfchaft, mit 
“der Gefchichte des europäifchen Staatenfyftems, mit 
der Staatenfunde (Staniffif), mit dem ffentlichen 
Staatsrechte, mit dem practifchen europäifchen Voͤl⸗ 
kerrechte, mit der Diplomatie, und mit der Staats- 
praris (ber. $ehre von den Staatsgefhäften) er⸗ 
wieſen. 

Daſſelbe gilt aber auch von dem Verhaͤltniſſe 
"des Natur- und Völkereehts, fo wie des Staate- 
und Staatenredhts, zu allen pofitiven Rechts— 
wiſſenſchaften. Jedes poſitive Recht iſt naͤmlich 
zu einer gewiſſen Zeit. , für.ein beftimmtes Volt, und 
unter gewiſſen zeitgemäßen und oͤrtlichen Verpältniffen 


Katie» und Völterrehe 53 


befanriergemädie worden hd in Guͤltigkeit getreten. 
Es: gehört daher der Allgemeinen Rechtsge⸗ 
ſichuchte an, die Völker’ und Staaten‘, welche pofl- 
(tod:Gefege erhielten, fo wie die Zeitpuncte,, und die 
jeitgeihäßen und -örtlihen Werhältniffe, mit. allen 
ihren: Veränderungen und -Verzweigungen, nachzu⸗ 
reifen, io jene Rechte ins Leben traten‘, odet wo fie 
als ;poftive Formen untergingen; bie philoſophiſche 
Rechtslehre hingegen enthält in ſich "ben legten und, 
hoͤchſten Magsſtab fuͤr die Pruͤfung und Beſtimmung 
des Tniern vernunftgemaͤßen Werches eines 
jeben pöfitinen, entweder erloſchenen, oder noch be⸗ 
ſtebenden, Rechts, fo wie die philoſophiſche Reli- 
gionsfehre den höchften Maasftab für die Beurthei— 
lung aller pofifiven Religionen in ſich trägt. Je mehr 
Vebereinftimmung mit den ewigen und unveränder- 
lichen Befegen ver Vernunft in einer pofitioen Gefeg- 
gebung angetroffen wird ; deſto hoͤher ſteigt ihr in nes 
rer Werth. Se mehr philofophifcher, d. h. Innerer 
und nothwendiger Zufammenhang zwifchen den ein- 
jelnen Grunbfägen und Lehren eines pofitiven Rechts 
fich finder; deſto größer ift deffen wiffenfhaft- 
liher Gehalt. Je mehr aber Entfremdung und 
Widerſpruch zwifchen dem Naturrechte und irgend 
einemt pofitiven Rechte angetroffen wird; befto tiefer 
ſteht der Werth, des pofitiven Rechts; — und je we- 
niger philofophifche Begründung, Ordnung, Hal—⸗ 
tung, nothivendige Folge und Gleihmäßigfeit der 
Theile in dem wiflenfhaftlichen Baue eines pofitiven 
Rechts ſichtbar wird; defto geringer ift deffen wiſſen⸗ 
fhaftlicher Gehalt, . So lange, alfo die Vernunft das 
hoͤchſte Vermögen im Menfchen bleibtz fo lange wird 
auch in ihre der Maasftab für alles Pofitive und in . 
der Wirklichkeit Beftandene und- Beftehende enthal- 


m 


34 | Natur: und Volterreche. 


ten ſeyn 9). Doch bedarf es Aãeã 
bildeten und durch vielfache Uebung gereiften 
Vernunft, um ſich zu dieſer Die, ohne Werierung, 
und Auctoritätsglauben ‚ zu erheben. te find 
auch in allen Zeitaltern die philofophifchen Forſcher 
des Rechts ungleich feltener , als. die pofitiven Rechts⸗ 
gelehrten geweſen, obgleich durch jene die geſammte 

Rechtswiſſenſchaft vorwärts gefuͤhrt und zu iben 
hoͤhern Reife gebracht worden iſt. 


So gewiß das aus der Vernunft ſtammiende 
Recht hoͤher ſteht, als das poſitive; ſo darf doch 
nicht verfannt werden, daß auch der Rechts⸗ 
philoſoph aus der Kenntniß det poſiti— 
ven Rechte (z. B. des moſaiſchen, des athenien⸗ 
ſiſchen, des roͤmiſchen, bes canonifchen, des’ eng⸗ 
liſchen, des neufrangöfifchen, des preußifchen fand» 
rechts 2.) über Die örtlichen und Zeitbebürfniffe 
„ ber Völker und Staaten, fo wie über das 
“in der Wirflihfeit Anmwenpbare und 
Ausführbgre reihe Belehrung fhöpfen 
ann. — Allein für die wiffenfchaftliche Dex 
handlung des Naturrechts ſelbſt bleibt der philoſo⸗ 
phiſche Weg der einzig zweckmaͤßige; theils weil 
dadurch ein Standpunct ausgemittelt wird‘, ber 
“über allem. pofitiven Rechte ftehet, und na 
welchem jedes pofitive Mecht beurtheilt werben 
muß; theils weil nun dadurch der philofophifche 
Geiſt gerbedte werden kann, um ſelbſt zu toben, 


*) Bauer in J Lehrs. des Naturr. ſagt ©. 14 fi: 
„das Naturrecht kann durch feine pofittuen Gefetze 
‚aufgehoben werden, inbem feine Willtühr vo, ws 
unrecht iR, für * erklaͤren ann.“ 


.— — — — — 


Nature und Voͤlkerreche. 55 


und zu allen Gebieten des pofitiven Rechts ein ſelbſt⸗ 
ſtaͤndiges philofophifches Urtheil mit zu bringen, - 
Eine Ppilofopgiedes pofitiven Rechts 
iſt etwas ganz anders, als das Naturrecht. Sie 
enthäls die foftemasifche Darftellung der Ergebnifle, 
‚ welche.-aus ber Prüfung der Rechtmäßigkeit und. 
Zweckmaͤßigkeit irgend eines .pofitiven Rechts her- 
vorgeben, und wozu das Naturrecht ben höchiten 
Maasſtab darbiete. (So enthalten „DB. Mi⸗ 
haelis. moſaiſches Recht, Montesquieu’s. 
und Silangieri's bekannte Werke Ppilofo- 
phieen des pofitiven Rechts.) 


11. 


Wiſſenſchaftlicher Standpunet fuͤr die 


philoſophiſche Rechtslehre. 

Wenn die ſyſtematiſch durchgefuͤhrte Ableitung 
der philoſophiſchen Rechtslehre aus der Vernunft, ſo 
wie bie Begründung der gefanmten Staatswiflen- 
ſchaften durch diefelbe, und eben fo Das ausgefprochene 
Verhaͤltniß aller einzelnen pofitiven Rechtswiſſenſchaf⸗ 
ten zu dem Naturrechte wahr und richtig ift; fo ift 
dadurch zugleich wiflenfchaftlich entfchieden,, Daß das. 
Natur⸗ und Voͤlkerrecht nicht in die Reihe der 
pofitiven, fondern in den Kreis der phis 


lofophifhen Wiffenfhaften, und zugleih, 


an bie Spige der gefammten Staatswifk 


fenfhaften gehört, weil es in feinem Zwede, in - 


feinen Grundfägen und in feinen Sehren den legten 


und hoͤchſten Maasſtab für alle von ihm abhängende 


Staatswiffenfchaften und für: alle in verfchiedenen 
Zeitaltern und unter den verfhiebenften Völkern eng 
elle pofitioe Gefepgebungen und Rechtsbuͤcher 
€ . A 


36 Natur und Voͤlkerrecht. 


VDoch tucht mmer HE die philoſophlſche Rethes⸗ 
lehre aus dieſem kinzig richtigen Standpundte gefußt 
und dargeſtellt worden; denn' aus' der Ueberſicht 
über bie Geſchichte dieſer Wiſſenſchaft (6. 12.) er⸗ 
het daß es zunaͤchſt zwei Hauptformen'ber 

iſſenſchaftlichen Behandlung "des Naturrechts gab 
und zum Theile noch? gibt, von welchen Die eine von 
dem in der Wirklichkeit beftehenden Rechte, beſonders 
von dein roͤmiſchen, ‘ausgeht, ind aͤber daſſelbẽ -zu 
philoſophiſchen verfucht (wo denn das poſitive Recht 
das Erſte, und die ſogenannte Philoſophie Darüber 
das Zweite iſt); die-andere aber von allem in ber 
Gefhichte und Erfahrung beftandenen und beftehenden 
pofisiven Rechte abfieht, zu den höchften und Jegten 
Gründen alles Rechtoͤ in der urfprünglichen Geſetz⸗ 
mäßigfeit'des menfchlichen Geiftes, und alfo in ſei⸗ 
ner Vernunftſich erhebt, und alles wirkliche und 
pofitive Recht als allmaͤhlig und in Angemeſſenheis 
zu den jedesmaligen beſondern und örtlichen Beduͤrfa 
niſſen gewiſſer Voͤlker und: Reiche entſtanden, betrach⸗ 
tet, weshalb jedes poſitive Recht, ſobald man deſſen 
innern Gehalt und wiſſenſchaftlichen Werth beſtimmen 
will, unter die ſelbſtſtaͤndige, aus der Vernunft un⸗ 
mittelbde abgeleitete‘, : von -allen beſondern und oͤrt⸗ 
kichen Verhäfeniffen:zunabhängige, an ſich hoͤchſt ein⸗ 
fache, und uͤber .alle poſitive Formen erhabene philo⸗ 
ſophiſche Rechtsletzus gebracht werden muß. 

. Dieſe zwei Hauptklaſſen in ber Behandlung des 
Naktubrechts cheilen ſich aber wieder in mehrere 
Uintergatfungenund Arten, inwiefern nämlid). 
Heer fte Kaffe bald mehr, bald weniger philofophi: 
ſchen Geift und Taert zu ihrer‘ ſogenannten Philofophie 
bes pofitiven Rechts⸗ mitbrachte, und die zweite 
bald von dem goͤttlichen Urſprunge des Naturrechts 





Mtur und Voͤlkerrecht. ge 


if dert Decalegus EOlde ndoe SH Ben.i.'a), 
bald von der ürfpfiinglichen Beſtimmng des Menden 
zür Geſellſchaftlichkeit (Iufen ort)‘; bald wunder: 

Annahme eines mehr: oder weniger fünlich dargeſtell⸗ 
ten ſogenannten Naturzuftandes (Hobbes, Roͤuf⸗ 
feau u. a.) , Bull von der ſcharfen Sonderungdetz 
Reches von’ der Pihterliefire (TH Andai ud ü. di), 
bals von fogettannteh Naturtrieben, oder! von der 
Pflicht der Selbſterhaltung wurd der Selbſtbeglucküng⸗ 
wie mehrere Eklektiker und Eudamoniſten, 
bald von der Identitaͤt des Rechts und der Pfliche 
batd von ber firengen Trennung beider, bald fogar ' 
von dee Naturphiloſophie und dem aus’ det. 
ſelben ſtammenden Myſticismus ausging.  :' 


12. 
Umriß der Geſchichte des Naturrechts 


wach einzelnen Schulen. 


"Nach ihrer foftemarifchen Geftalt gehört zwar 
Die philofophifche Rechtslehre in die Reihe ber jün- 
gern Wiffenfhaften; allein fie warb fhneller ; als 
viele andere, zu einer vollfommenen Form ausgeprägt. 
Denn.obgleidy bie Seen von Recht und Pflicht, von 
perfönlicher Freiheit, Eigenthum, Gefeßgebung und 
bürgerlicher Berfaffung bereits von den Philofophen 
bes Alterthums im Einzelnen entwidelt, die Bes 
griffe eines Vertrages zwifhen dem Re 
genten und bem Wolfe fchon feit der Gefegge- 
bung auf Sinai in dem theofratifhen Staate- der ' 
Hebräer, fo wie bei der Einführung des Chriſten⸗ 
chums als Stiftung eines neuen Bundes (Ver 
teages ) ziwifchen Gott und den Menfchen in religiöfer 
und politifcher Hinsicht feftgehalten uud, bei der Ver⸗ 


N 


58 Nasız» und Woͤlkerreche. 


breitung des Cheiftenchums über das jüngere Europa, 
auch auf die Sicherſtellung ber rechtlichen Verhaͤlt⸗ 
niffe, im Staatsleben (zB. in der den Regenten 
Tausichlands vorgelegten Wahlcapitulation, in ben 
pyqus conventis;ber Könige Polens, in den Wahl- 
acten her Könige Ungarns, Böhmens, Schwedens, 
Dänemarks u. a.) übergetragen wurden; ſo erhielten 
diefe Grundfäge und Lehren doch .erft im 16ten Jahr⸗ 
bunderte, theils durch bie neue Beftaltung bes euro» 
 paifchen Staatenſyſtems, theils durch die weitere Ver⸗ 
breitang ber Kirchenverbefferung, die erften allgemein- 
-flen Grundlagen einer felbftftändigen wiffenfchaftlichen 
Som ?),, indem fie Damals mit dem Decalogus und 
ber Sittenlehre des Chriſtenthums in Verbindung ge⸗ 

- bracht wurden ®), 





*) Vergl. Art. Herrm. Ludw. Heeren, Über bie 
Entſtehung, die Ausbildung und den practiſchen Eins 
...,Jluß der politifhen Theorieen und die Erhaltung des 
monarchiſchen Princips in dem neuern Europa; 
"quer inf. Bl. Hifkorifhen Schriften, dann 
mit Fortfeg. in f. hiſtoriſchen Werten (Gb. 

„, 1821. 8.) Th. ı, ©. 365 ff. nr 
‚##) Jo. Oldendorp (Prof. zu Marburg), isagoge 
seu elementaria introductio juris naturee, gentium 

et civilis. Col. 1539. 8. ( Er definirte das Maturs 
recht: „est voluntas Dei per sanam rationem 
cognita et deinde in Decalogo promulgata."* 
Nicol, Hemmimg (zu Kopenhagen), de lege 

. maturae apodictica methodus, Viteb. 1564. 8. (Das 

- Buch if nicht paginirt; es kann alfo die Seitenzahl 
nicht angegeben werden von folgender Stelle, weiche 

die damalige Anfiht der phil. Nechtsichre deutlich 
-ausfpricht: „ Haec naturae lex variis nominibus 
(quae ad ejus vim intelligendam faciunt) a Phi- 
losophis appellatur. Cicero sam vocat, uunc ju8 


m 
7 








Matur⸗ und Voͤlkerrecht. EIN 


Mühe; ‚bee. eigentliche: Megrünber ber lfm. 
ſchaftlichen Geſtalt des Wölkerredyts (weniger des 
Nacurrehhts) warb Dugo Grotius °), als er am 
Ende des arſten Viertheils des 17ten Jahrhunderts, 
die Grundſatze fin Das rechtliche Nebeneinanderbefiehen, 
der. Voaͤlker des Erdbodens (zunaͤchſt aber mehr, ;ig 
stfhichtlich amafitiper, ais in sheinnbilofgggie 
fer Hinfiche, ‚zu, einer ſyftemaſiſchen Form erhop, 


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und leberfegungen; wurde häufig commentirt €. 
Vergl. Geiſt des Grotius, nen Gtlo. Aug. Titel, 
Süd, 1789: 8). . | 


6° Natur: und Wölkerreht;: 


* » bee baͤld dabauf, nee Folge⸗ 
nchtigkrit, den ſtrengſten ˖ Desporlsmu⸗ lehett. 
vomie ‚mehr philoſophiſchem Seifte, als —— ver⸗ 
ſuchte kurz durauf Sam. P ale ndorf — he 
gemaͤße Begruͤndung ˖ bet flgemeirten Re 
tus dem. urſpruͤnglichen Sefellichaftsbebir * 
t fen, Er ward der eigentliche Begründer 


e Feibftftändigen philoſpphiſchen Mechastefwe,;dimer: 


aber in genauer Verbindung mit der Pflihten- und 
Tugendlehre ‚ felbft mie der chriſtlichen, darſtellte. — 
Mach. ihm begann Thomafiug °7°), welcher An- 
fangs dem Pufendorf ſich angefchlöffen hatte: bie 
lehre von der Pflihtentehre zaucttennen ;: Indem 
n in ber erftern ——— das entwickelte y, was ber 


— ⸗ 3. 


*) Hobb 9— der Erzleher des Komald. ie: "blend 
tebenden Prinzen Stuart, ber in- der Bolge als 
_ Rärl o (1660) den brittifchen Thron befkieg, gehört 
nad) feinen Schriften zunaͤchſt ins Sraassır cht, 
wo er aufgeführt wird. - Be: 
“*) Sam. de Pufendorf, elementa- furlsprüden- 
tiao universalis. Lugd. "Ber. 1660. 3. Ni Ed, 
Francf. et Jen. 1680. 9. — De jure «ätume et 
eotium, Land, Scand, 1672. 4: cd in Hauptwerk; 
vielfach bearbeitet; am gründlichfien: «um Inotis 
Hertii et Barbeyracıiı novam editionem cu- 
ravit Mascovius 2 T. Frauc, et Lips. 1744. 
4. —) Broͤßtentheils aus dieſem Pufendorfifhen 
Werke war ein Auszug feine Schrift: de aflicio 
hominis et civid. Lond. Scand. 1673. 8 — 


ver) Christ. Thomasius, institutiones jürpruden- 
tiae Y4ivinae lihri 3, Lips.- 1688. 4. N. Ed. 1717 
(nah Pufendorf). — Einer andern Anſicht folgte 
er in nachſtehender Schrift: Fundaments faris na- 
turas ac gentium. Hal, 1705. 4. N. Ed. 1718. 
(beide Schriften erſchienen auch teutfch.) 






Natur» und Woͤlkerrecht. | 641 


Menſch In Hluſicht ſeiner Rechte durch Zwang 
geltend machen darſ. Zunaͤchſt in dieſer Anſicht 
folgte ihm Gundling 2), ein Mann, ohne ‚phi« 
loſophiſchen Geiſt, aber von gruͤndlichen geſchichtlichen 
und poſitiven juridiſchen Kenntniſſen, der, nebſt ſei⸗ 
nen Anhaͤngern, theils durch die ſtrenge Aufnahme 
des in dem poſitiven Rechte poſitiv ausgefpro- 
che nen Zwanges in die Grundlehren des Natur⸗ und 
Staatsrechts, (ohne doch den Begriff des Zwanges 
und mit ihm das darauf beruhende Strafrecht philo« 
fophifch zu ergründen, ) theils durch die Einmifchung 
vieler blos dem pofitiven unb namentlich dem römi- 
(hen Rechte angehoͤrenden Säge und Meinungen in 
die philofophifche Rechtslehre, bie leßtere zwar bei - 
den Machthabern der Gewalt und bei ben pofitiven 
Suriften beliebter machte, vorzüglich aber aud) den 
hoͤhern -philofophifchen Standpunct, welchen die phi⸗ 
loſophiſche Rechtslehre bereits durch Pufendorf erreiche, 
hatte, mwieber herabfegte und verdunfelte. | 
Ob nun gleich diefe einfeitige, und ben philo« 
fopbifchen Charakter der Wiffenfchaft völlig vernich- 
tende,. fogenannte juriftifehe Behandlung 
des Naturrechts, welche von Gundling und fei- 
nen Nachfolgern ausging, fetbft bis jetzt noch niche 
ganz verſchwunden ift, da fie in Hugo °°) und eini- 


*) Nic, Hieron. Gundling, jus naturse et gentium, 
Hal. 1714. g. Ed. 3tia 1746. — Edit. novise. 
1769. (Ihm folgte unter den Spätern befonders 
J. Stfe. Sammet, der über Sundlings Eompens 
dium lad. Sammet's DVorlefungen über das ges 
fammte Naturreht gab Br. Stlo. born £p}. 1799. 
8. heraus.) ' 

”#) Es mögen Bier fogleich diejenigen aus den Neuern 


uw Matur⸗ und Woͤlkerrecht. 


den · Zoͤglingen ſeiner Schule Vercheiblgee gefunden 
hat; fo wandte doch, bereits bald nad) Gundling, 
Gtafey) geſchichtliche Beiſpiele auf die von ihm 
aufgeftellten Grundfäge an, und kurz Darauf beftinimte 
der philoföphifche Forfcher Chriſtian Wolff *°) dem 


ſtehen, welche das Natutrecht zunähft als Aggregat 
Des pofitiven Rechts anbaueten oder noch anbauen: 
Seo. Nic. Brehm, über das Weſen des Natur 
rechts, als eine aͤchte juriftifhe Grundwiſſenſchaſt 
betrachtet. Freyb. 1789. 8. 

Seo. Hugo, Lehrbuch des Naturrechts, als einer 
Philoſophie des pofltiven Rechts. Werl, 1798. 8. — 
Are fehe veränderte Ausgabe. Berl. agı9. 8. . 
Theod. Mar. Zahariä (in Marburg), philoſo⸗ 

phifhe Rechtslehre, oder ır Theil des Lehrbudye 
eines civiliſtiſchen Curſus. Lpy. 1810. 8: — Philos 
 . fophifhe Mechtsichre, oder Naturrecht und Staates 
lehre. Brest. 1820. 8. 
—Theod. Marezoll, Lehrbuch des Naturrechts. 
Gießen, 1819. 8. 

8. a. Warnkoͤnig, Verſuch einer Begründung 
—decs Rechts durch eine Bernunftidee. Bonn, 1819. 
8. (Er gedi von Naturgeſetzen, nicht von Ge 
.  fegen der Freiheit, aus, und lehrt: „das Recht 

fen, feiner Natur nah, einem beffändigen 
Wechſel unterworfen.) 


*) Adam Fr. Slafey, Bernunfts und Vöͤlkerrecht. 
Frkf. u. Lpz. 1723. 4. Zte Aufl. 1746. (In biefer 
Aufl. ließ er’ das MWölkerrecht hinweg, und gab es 

1752 befonders brand.) . 

##) Christ. de Wolff, jus naturae, methodo scien- 
tifica pertractatum. 9 Tom. Hal. 1740 — 49. 4. 
(Th.1— 7 jus naturae; Th. g jus civitatum; Th.g 
jus gentium.) Ejusdem institutiones juris natu- 
rao et gentium. Hal. 1750. 8 Teutfh: Grunds 
füge des Natur⸗ und Voͤlkerrechts. Kalle, 1754. 
8 — Den Srundfägen Wolfe folgten mehr oder 


y 


(\ 


Matur⸗ und Bolkerrecht. 63 


Naturrechte von neuem feinen Pla in ber Reihe ver 
Wiffenfhaften der practifchen Philofophie, und 
verfuchte daſſelbe, nach gleicher mathematifcher Me- 
thode, wie die übrigen philofopbifchen Wiffenfchaften, 
durchzuführen. - BEE BE 
Allein neben dieſer philofophifchen Form bes 
Naturrechts bei den Bekennern des Leibnitz⸗Wolffi⸗ 
fhen Syſtems, und neben der von einigen Nachfol⸗ 
geen Gunblings (Heine. und Sam. Cocceji, Net 
telblabt, Sammet: u.a.) fortgefegten juriftifejen 
Behandlung deffelben, wirfte Rouſſeau's *) Lehre 
von einem uefprünglich ‚finnlich -vollfommnen Natur: 
zuftande mehe auf das Gebiet der: philofoppifchen 
Rechtslehre ein, als dieſe einfeitige Anficht verdiente. 
Gleichzeitig ftand die Wiſſenſchaft in Gefahr, durch 
die Behandlung der efleftifch-eubämoniftifchen Philo⸗ 
fophen °°) oberflächlich und der tiefern Begründung 


weniger: Alex. Gtli. Baumgarten, Geo. Fr. 
Meier, Dollmann, Darjes, Stfr. Achen⸗ 
wall, Vattel, und viele andere. 
#) Jean Jacques Rousseau, du contrat-social, ou 
principes du droit politique. Amst. 3760. 8 
Zeutfh von Schramm. Däffeld. 1800. 8. (Das 
Bert gehört mehr zum Otaats⸗ als zum Natur⸗ 
rechte.) 
#4) Unter den Eklektikern waren die wichtigſten: 
J. Seo. Heinr. Feder, Unterfuhungen über den 
menſchlichen Willen. 4 Theile. Gott. 1779 ff. 8. 
(im sten Theile.) 
Ludw. Zul. Fr. Hoöpfner, Naturrecht der ein« 
zeinen Menſchen, der Gefellfchaften und der Voͤlker. 
Sießen, 1780. 8. — 6te Aufl. 1795. 8. _ 
I. Aug. Schlertwein, Rechte der Menſchheit. 
Sießen, 1784. 8. , 
(Außerdem: Erederadorf; v. Eggers u.a.) 


4 Bapann wab-Mölleraedit 


antzogen zu werben, fg..wie, ſeit. Dem: lecten· Jale 
zehend des achtzehnten Jahrhundetts, die neue Ge⸗ 
ſtaltung des innern Volkslebens in mehrern weft- und 
fübeuropäifchen Reichen und Staaten, au) auf die 
. veränderte wiffenfchaftliche Form ber philoſophiſchen 
Rechtslehre nicht ohne Einfluß blieh. — Doch 
mehr noch, als diefe aͤußern Vorgaͤnge, wirkte ‚pie. 
Verbreitung bes kritiſchen Syſtems in. bar 
gefammten. Philofophie auf Die völlige Umbildung 
bes Naturrechts mächtig ein 2), wenn gleich, in 


*) Noch bevor Sant ſelbſt die Reechtelehre beerbeiiete, 
wandten Maͤnner, die ſeinem Syſteme folgten, 
befielbe aufs Neaturrecht an: . 

Gili. Hufeland, Verſuch "Aber den Srundfag 
des Naturrechts. Leipz. 1785. 8. — Lehrfäge des 
Naturrechts und.der damit verbundench Wiſſenſchaf⸗ 
ten. Jena, 1790. 8. N. A. 1795. 

J. Chſtn. St. Shaumann, wilfenfhaftliches 
Naturtecht. Kalle, 1792. 8 — Verſuch eines 
neuen Syſtems des natürl. Rechts. Halle, 1706. 8. 

K. Leonh. Reinhold, Ehrenretung des Natur⸗ 
rechts; im teutfhen Merkur, 1791. St. 1. — 
Einige Bemerkungen’ über die in Kants Rechtslehre 
anfgeftellten Begriffe von der Frehein des gailen, 

‚ Inf. vermifäten Schriften, Th. 2, ©. 361 ff. — 
‚Aphorismen über das äußere Recht überhaupt, und 
Insbefondere das Staatsreht. Ebend. ©, 401 ff. 

Iheod. Schmalz, das Recht ber Natur. Koͤnigsb. 
1790. 8. ste Aufl. in 3 Th. Königsb. 1795. 8. — 
Handb. der Rechtsphiloſophie. Malle, 1807. 8. — 
Jus naturale, Berol, 1818. 8. 

J. Chſtph. HDoffbauer, Naturrecht, aus dem 
Degifie des Rechts entwidelt. Halle, 1793. 8. Zte 

Aufl. 1814. — Unterfuhungen über die wichtigfien 
Segenftände des. Naturrechts. Balle, 1795. 8. 

Kari Heine. Deydenreich, Syfiem des Natur: 

rechts nach Eritifchen Principien. 2 Th. Lp}. 1794 f. 8. 


‚Datur und Völkerrecht. 6 
Hinſicht der Begruͤndung der Wiſſenſchaft, bald unter 
den Nachfolgern Kants die wefentlicht Trennung fü icht- 


Karl Ludw. Mer He, Vorbereitungen zu eich 

populären Naturrechte. Koͤnigsb. 1795. 8. 

Kari Ehren. Erb. mit, Srundeiß des Nas 

turrechts. Jena, 1795. 8 
Ludw. Heine. Jakob, philof. Rechtslehre, oder 

Maturrecht. Halle, 1795. 6. N. A. 18098. —' Aus⸗ 
| zug daraus, 1706. .8. \ 

J. Seiner. Abicht, kurze Darſtelung des Natur⸗ 
und Voͤlkerrechts. Bayreuth‘, 1795. 8. 

Imman. Kant, metapbäfifhe Anfangsgruͤnde 
der Rechtslehre. Koͤnigsb. 1797. 8. N. A. 1798. 

IJ. Gtli. Fichte, Grundlage des Maturrechts 
55 Grundfaͤtzen der Wiſſenſchaftelehre. 8 Th. Jena, 
1796 f. 8 

Paul Sr. Anf. Sen erbach, Kritik des natuͤr⸗ 
lichen Rechts. Altona, 1796. g. 

J. Heine. Tieftrunk, philoſ. Unterſuchungen 
über das Privat⸗ und Öffentlihe Recht, zur Er⸗ 
fäuterung und Veurtheilung der. metaphuf. Anfangs 
grände der Mechtsichre von Kant. 2 Ih. Halt, 
1707. 8. 

Seine. Stephani, Grundlinien ber Reqts⸗ 
af oder des fogenannten Naturrechts. Ertl. 

1797. 8 
| Kari Deinr. Gros, Lehrb. der philoſ. Rechts⸗ 
| wiſſenſchaft oder des Naturrehts. Tuͤb. 1802. 8. — 

Ste gan, umgearb. Aufl. 1815. 4te Aufl. 1822. 

Laz. Bendavid, Verſuch einer Rechtalehre. 

Berl. 1802. 

Jakob Gries, philoſophiſche Reechtelehte und Kri⸗ 

tik aller poſitiven Geſetzgebung. Jena, 1803. 8. 

Karl Sal. Zacharia, Anfangsgruͤnde des philoſ. 

Privatrechts. Lpz. 1804. 8. 

73. Gebh. Ehrenr. Maaß, Grundriß des Natur 

rechte. Halle, 1808. 8. 

— Ant. Bauer, Lehrbuch des Naturrachis. Marb. 

1808. 8. — zte Aufl. 1816. 

L 5 





— 


66 Motur⸗ und Woterrecht. 


bar ward, nach welcher der eine Theil, wie ſchon von 
Tromeſuis und ſeiner Schule geſheben war, die 





Leonh. Dreſch, ſpyſtematiſche Entwicelung der 
Grundbegriffe und Grundprincipien des gefammten 
Privatrechts, des Staatsrechts und des Voͤlkerrechts. 
Heidelb. 1810. 3. — Naturrecht. Tuͤb. 1829. 8. 
Seo. Henrici, Ideen zu einer wiſſenſchaftlichen 
. Begründung ber Rechtslehre. 2 Th. Hannover, 
1810. 8 N. A. ıg22. (enthält: 3) BVerſuch 
einer. Geſch. des Rechtsbegriffes von den früheften 
Zeiten bis Pufendorf; 2) ſyſtematiſche Darftellung 
der bisherigen Deduction des reinen Rechts; 3) 
Verfuch einer eigenen Debuction des reinen Rethts.) 
> Kari Theod. Weller, die lebten Gründe von 
Recht, Staat und Strafe, philofophifh und nad 
den Gefegen der merkwuͤrdigſten Voͤtker rechtshiſto⸗ 
rifh entwidelt. Gießen, 1813. 8. 

Gtlo. Ernt Schulze, Leitfaden der Entwide 
fung der phil. Principien des bürgerliden und peins 
lihen Rechts. Goͤtt. 1813. 8. 

Wild. Trgt. Krug, philofoph. Rechtslehre (au 
Th. ı fe Spftems der pract. Philoſ.) Koͤnigsb. 
1817. 8. — Schon früher: Aphorismen zur Pt 
- lofophie des Rechts. ır. Band. Jena, 1800. 8. — 
Naturrechtliche Abhandlungen. Lpz. 1811. 8. 

J. Nepom. Borft, über das Naturreht und 
beffen Uebereinftimmung mit der Moral im hoͤchſten 
Vernunftgefege. Nuͤrnb. 1818. 8. 

r. Koppen, Rechtsiehre nach platonifhen Grund⸗ 
fägen. Lpz. 1819. 8. (Familienrecht; bärgerliches 
Recht; Öffentlihes Recht; Völkerrecht.) 

EA Eſchenmayer, Normalrecht. TH. Stuttg. 
u. Tüb. 1819 u. 20. 8. 

Fr. Bouterwek, Lehrbuch der philoſophiſchen 
Wiſſenſchaften, ar Theil, ste Aufl. 1820. 8. (bes 
fondere vgl. Yorrede ©. IV-Ix und ©. 169 — 
196.) 

Jac. Sigism. Bed, Lehrbuch des Neturrtqhts. 
Jena, 1820. 8. 





' _ \ 


Natur » und Voͤlkerrecht. 67 


Rechtslehre von ber Pflihtenlehre ab« 
fonderte, und in berfelben barftellte, was in 
dem äußern Rechtskreiſe erzwingbar iſt, der andere 
Theil aber fie mit. der Pflichtenlehre aus 
Einer gemeinfamen Quelle ableitet. Bei, 
den vielen geiftvollen .und fcharffinnigen Forſchern 
auf beiden Seiten fonnte es nicht. befremden, daß 
mehrere derfelben, ungeachtet der wefentlihen Ver— 
fhiedenheit der Grundanſichten, einander doch mehr 
oder weniger ſich näherten, und daß die Milfen- 
(haft felbft im Ganzen durch den vielfeitigern und 
reihern Anbau gewann. Doch müffen von den Den- 
fern, welche zunächft vom fritifchen Syſteme aus» 
gingen, wenn fie gleich von den Lehren und Anfichten 
feines Stifters ſich wefentlich entfernten, die Natur 
pbilofophen und Myſtiker °) ‚der neueften 
Zeit beim Anbau der philofophifchen Nechtslehre 
unterfhieden werden. ° 





*) Schelling, neue Debduction des Naturrehts; im 
philoſ. Zournale von Fichte und Niethbammer, 
1796 , Heft 4, S. 278 ff. Hoff. 1797 im Aten Hefte, 

Jon. Thanner, Verſuch einer wiffenfhaftlichen 
Därftellung des Naturrehts. Landsh 1801. 8. 

Joh. Baprift Nibler, der Staat aus dem Bes 
griffe des Untverfums entwidelt. Landsh. 1805. 8. 

Troxler, phllof. Rechtsiehre der Natur und des 
Geſetzes, mit Ruͤckſicht auf die Srrichren ber Liberas - 
Iitär und Legitimitaͤt. Züri, 1820. 8. 
Se. Wild. Fr. Hegel, Grundlinien der Phi⸗ 
kofophie des Rechts. Berl. 1821. 8. 


%* 
#* #* ' 


Zur Literar⸗Geſchichte der philoſophiſche 
Rechtslehre: 
J. Franc. Buddei historia juris naturalis. Hal. 
1695 6. ; * 


.68 


— 


. Natura und. Völkerrecht, 
A) Das Naturrecht, 





"oder der’ ppilofophifchen Rechtslehre erfter Theil. 


.. 143. 
Begriff des Naturrechts. 


- Das Naturrecht ift die foftematifche Darftellung 


aller aus der Idee ber Herrfchaft des Rechts hervor- 
gehenden urfprünglichen und erworbenen Rechte und 
‚rechtlichen Verhaͤltniſſe ſittlicher Weſen in ihrem 
äußern freien Wirkungskreiſe. Das reine .( oder 
‚abfolute) Naturrecht ftelle die urſpruͤnglichen, 


Jac. Fr. Ludovici, delineatio historiae juris di- 
vini, naturalis et positivi universalis. Hal. 
1701. 4 nr 

Paulo plenior bistoria juris naturalis, in usum 
Auditorii Thomssiani. Hal. 1719. 

Adam Sr. Glafey, vollſtaͤndige Geſchichte des Rechts 
bee Vernunft. Lpz. 1739. 4. N. A. in 2 Th. 
Frankf. 1746. 

Christ. Fr. Geo. Meis tor, bibliotheca juris na- 
turae et gentium. 3 Part. .Gött. 1749 sqq. 8. 


Geo, Chr. Gebauer, nova juris naturalis istoria, . 


Edidit Klevesahl. Wetzlar. 1774. 8. 


Dietr. Heine. Ludw. Freih. v. Ompteda, Literatur 


des gefammten fowohl natärlihen als pofitiven 
Völferrehte. 2 Th. Regensb. 1785. 8. — Der 
britte Theil (auch mit dem bef. Titel: neue 
Literatur des Wölkerrechts feit dem Jahre 1784) 
von Karl Alb. v. Rampe. Berl. 1817. 8. 


‘Car. Henr. Lud. Pölitz, de mutationibus, quas 


systema juris naturae ac gentium a Grotii 
temporibus hucusqus expertum fuerit. Viteb. 


1805. 4% 





— — [| — — 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 69. 


aus ber vernünftig» finnlichen Natur des Menſchen 
unmittelbar hervorgehenden, echte jebes- einzelnen 
fietlichen Wefens ‘auf; das angewandte (oder 
hwoothetiſche) Naturrecht hingegen entwickelt‘ die 

erworbenen Rechte bes Menfchen,, und-zeige bie. 
Arc und Weiſe, mpie;in der äußern Reditsgefellihaft‘ 
Rechte; auf Perfonen und Sachen durch Vertraͤge er⸗7 
worben werden, worqus das perſoͤnliche und das. 
Sachen- (oder das dingliche) Recht entſpriugt. 


Alie ans ber Natur bes Menfchen ſolbſt hervor· 
gehende Rechte nennen wir urfprü nglide: 
Rechte; hingegen diegenigen Rechte, welche wir ; 

nur durch freie Uebereinſtimmung mit andern Wer; 
fen unfrer Art, mithin duch Vertrag, auf: 
Derfonen und Sachen außer uns erwerben, wer⸗ 
den erworbene Rechte genannt. Daraus er⸗ 
hellt, daß die erworbenen Rechte die urſpruͤnglichen 
vorgusſetzen, und daß alſo das angewandte: 
Naturrecht, welches die erworhenen ‚Rechte im. 
Einzelnen, entwidelt, auf das reine Naturrecht 
ſich gruͤndet. Weil aber theils Die Rechte auf die. 
Perfon eines Andern, theils die Rechte auf Sachen 
nin einer abgefchloffenen Rechtsgefellfchaft, wo feine 
berrenlofen Dinge gedacht werben fönnen , nad: 
- den Forberungen der Vernunft, nur durch die freie 
Webereinftimmung zmeier ober. mehrerer ſittlicher 
Weſen erworben werben dürfen; ſo folgt daraus, 
daß jede Erwerbung von Rechten auf Perſonen und 
Sachen, nad) ven Grundfägen ber Vernunft, auf 
Vertrag beruht, und alfo das angewandte 
Naturrecht bie Hauptgattungen derje⸗ 
nigen Vertraͤge enthaͤlt, durch welche Rechte. 
anf Perfonen und Sachen * werden. 


— 


. 
. 
Ä 


0: Natur- und Volkerrecht. 


Tees er 7 Ra Ä 
Urrecht der Menfhheit. 


Der Menſch ift Zweck an fih, weil er ein 
ſittliches — ein mit Vernunft und Freiheit ausge⸗ 
ftättetes + Wefen if. Er darf daher nke:fih 
ſelbſt bios als Mittel behandeln, noch fi _ 
vonandern als Mittel für ihre beliebigen: 
Zwede behanveln.laffen Es ift das Urtecht 
der Menfchheit, Zwei an ſich zu feyn, während 
alles in der fihtbaren Natur dem Menfchen als Mit- 
tel für feine Ziwede dient. Diefes Urrecht beruht auf 
- dem unvertilgbaren Charakter der menfchlihen Na⸗ 
tar, ben wir-Perfönlichfeit nennen, und der auf 
ber, für die Dauer eines irdifchen Lebens unzertrenn⸗ 
lihen, Wereinigung eines vernünftigen Geiftes mit 
- einem finnlichen- Körper beruht. Urſpruͤngliche 
Rechte der menſchlichen Natur find daher folche, 
weiche ummittelbat aus. dieſem Grundcharafter bes 
Menfchen, ans Der Perfönlichfeit,, und aus dem, auf 
diefee Perſoͤnlichkeit ruhenden, Selbſtzwecke des Men- 
ſchen, als dem Urrechte feines Weſens, hervorgehen. 
. Durch den Charakter der Perfönlichkeit des Men- 
ſchen wird aber beſtimmttt wu 
.. 4)fehn rechtlichen Verhaͤltniß zu feinem 
eigenen Weſen, inwiefern feine geſammten' phy— 
fifchen und geiftigen Kräfte des Beſtehens und ber 
Forsdauer. in ihrem urfprünglichen und naturgemäßen 
“ Zuftartbe, und namentlich feine geiftigen Vermögen 

zugleich "ner :geengenlofen Veredlung und Vervoll⸗ 
kommmung faͤhig und bedürftig fin (Man kann 
daher nicht blos Pflichten gegen fich verlegen; fandern 
: auch Nahtey gas Recht auß fortſchreitende gei⸗ 


Ratur⸗ und Bölkerieht. 71 


Rige Ditung, ‚ bas Recht auf koͤrperliche Geſundbeit 
u. ſ. w 
2) ſein vecheliches Verhaͤltniß ua ndern | 
Werfen feiner Art, inwiefern er alle aus dem 
Selbſtzwecke der Menfchheit fließende Rechte an’ 
Anderen anerkennen foll, diefe Anerfennung aber auch 
für ſich von allen Andern erwarten und fordern darf; 
3) fein vechtliches Verhälmig zu den nicht: 
perfönlihen Dingen, inwiefern er berechtigt iſt, 
aller feblofen und- belebten Gegenftände der Natur⸗ 
welt (d. i. derjenigen Dinge, die der Vernunft und: 
Freiheit ermangeln,) als ittel für feine Zwecke fih- 
zu bedienen, fobald er diefelben rechtlicdy erworben hat.‘ 
15. | 
a) Reines Naturrecht. 


Nomenclatur der urfprüngliden Rechte 


Die urſpruͤnglichen Rechte des Menſchen in 
wiefern ſie im Urrechte der Menſchheit enthalten ſind/ 
find im Einzelnen folgende: 3 

1) das Recht auf aͤußere Freiheit; 
:2) das Recht auf äußere Gleichheit; vu 
3) das Recht auf Freiheie der Sprache, der , 

Preſſe und des Gewiſſens; 

4) das Recht auf perfönliche Würde und guten 
amen; 

. 5) das Recht auf Eigenthum ze 
6) das Recht auf öffentliche 2 beriie; ZZ 
7) das Recht auf Abſchließung imd Haltung 

der Verträge, | 

Daran ſchließt fich die sure von, der Bluigkeit. 

und dem Nothrechte an. 


. ' 
“ 


> Narır und Voͤlkerrecht. 


16. 22: 
Das Red: auf äußere Seele 


Die äußere Freiheit heſteht in der unbeſchraͤnk⸗ 
em Selbftftändigfeit ı und Unabhängigkeit bes äußern, 
freien Wirkungskreiſes von jedem. andern Weſen un⸗ 
free Gattung. Sie iſt Die nothwendige und unerlaͤß⸗ 
liche Bedingung, Haß der Menfch alle. feine phyſiſchen 
und geiftigen Vermoͤgen und Kräfte, na) ihrer natur⸗ 
gemaͤßen Beſtimmung und nach den von ihm ſich vor⸗ 
gehaltenen Zwecken gebrauche, beſonders aber daß er. 
durch feine Handlungen dem Cudzwecke feines. Da- 
ſeyns möglich ſich nähere, und alles in Hinſicht auf- 
feine eigene Sittlichfeit und Glüdfeligfeit, fo wie in 
Hinfiht auf die Sittlichfeit und Glücfeligkeit der mit 
ihm zur Geſellſchaft vereinigten Wefen feiner Gattung 
vollbringe , was das deal der Sittlichkeit von jedem 
freien Wefſen verlangt, — Denn nur, wer gerſon⸗ 
lich frei iſt, ſteht im Beſitze und Gebrauche aller der 
Mittel, durch weiche Die menſchliche Beftimmung im 
meiten Keeife {ammtlicher Rechte und Pflichten auf: 
Erden erreicht werben foll und darf. Die Vernunft: 
erflärt Daher die Sflaverei und Seibeigenfchaft, nad) 
allen ihren Formen und Abftufungen,. für widerrecht- 
lich; ? weil durch fie die Grundbedingung alles Rechts, 
ber er äußere freie Wirkungetreis, aufgepoben wird, 


\ 


a7. 
Die "mbebingte Forderung. de Sietengeſebes 
und die allgemeine Guͤltigkeit deſſelben fuͤr alle Weſen 


unſrer Gattung ſetzt die urſpruͤngliche natürliche Gtrich⸗ 
beit aller dieſer Weſen als Grundhedingung mie Mother: 








Natur « and Boelkerracht. TB: 


wendigkeit woram ;;denn ein. gemeinfames durch bie, 
Vernunft geborene Ziel kann fuͤr Alle nur unter ber- 
Borausfegung der urfprünglichen Gleichheit Aller gel=- 
ten. Diefe nafürfiche Gleichheit beruht aber darauf, 

daß diefelben, phyſiſchen und. geiſtigen Anlagen, Ver⸗ 

mögen und Keäfte in allen Weſen unſrer Battung zu 
dem Charafter der Perfönlichfeit urfprünglich Ber 
den, und dadurd) alle vernünftig » finnliche Wefen zu 
einem und demfelben Endzwecke ihres Dafeyns, fo _ 
wie zur Gleichheit des äußern Rechts In Ihrer gegeur, 

ſeitigen Verbindung, berufen find. — Allein Diele 

urſpruͤngliche Gleichheit iſt weder eine Gleichheit des 

Grades der Staͤrke, mit welchem Ve rinzelnen pyhyſi⸗ 

ſchen und geiſtigen Kräfte bei Den menſchlichen India, 
viduen ſich anfindigen ; noch Gleichheit der Richtung: 
der Thaͤtigkeit diefer Kräfte auf einerlei Befhäftiguing., 
im Leben (wodurch die traurigſte Einformigfeit in bag; 
gefellfchaftliche Sehen kommen wuͤrde); noch Gteichbeit,, 
des Eigenthums weil Jeder in einem rechtlichen Zur‘, 

ftande nur das und nur fo yiel-befigen fann, als er 
ſich rechtmäßig erwirbt; Sie Beftehr vielmehr-darin, 
daß jeder Menſch in dem andern ein Weſen mit völlig: 
gleihen Rechten anerkennt, und ihn nig alg bloßes: 
Mittel für feine Zwede, fondern, als Selbftzmed be⸗ 
handelt; daß jeder in der Geſellſchaft, ohne Ruͤcfſſicht. 
auf Geburt, Abſtammung oder Stand, nad) feiner. 
phyſiſchen und geiftigen Brauchbarkeit und nach, feis, 
nem ſittlichen Werthe für die Zwecke des Ganzen ansı 
geftelle wird; daß dieſelben Geſetze, über welche Dig 
Geſellſchaft fich vereiniger hat, gleichmaͤßig für Hl; 
fo wie fammtliche- öffentliche LRaſten und Beſchwerden 
in der Gefellfhafe ebenfalls für. Alle ohne Ausaghıng, 
und Einſchraͤnkung gelten; Baß:yudlich bie Gefamızifs; 
beit der Indieiduen in ber Meſellſchaft durchufßeige⸗ 


4 Natur⸗ mb Volkerrecht. 


waͤhlte Abgeordnete, tn Hinſicht ihrer allgemeinen 
Rechte ſo wie ihrer beſondern Beduͤrfniſſe, bei der 
Regierung vertreten wird. 
C(Wir find, nad) der Religion, gleich vor. 
Godtt, und follten nicht vor dem irdiſchen Gefege 
gleich feyn?). u | 


13. 


3) Das Recht auf Frelheit der Sprade, 
" der Preffe-und bes Gemiffens. 


 Wefen mit Vernunft und Freiheit ausgeftattet, 
und nad) ihren vervollfommnungsfähigen Anlagen 
und Vermögen zu einem grenzenlofen Fortfhritte in 
ver Erfenntniß ber Wahrheit und in der Ausübung 
bes Guten beftimmt, befigen, nac).jenen Vermögen: 
und nach diefer Beflimmung ihrer Natur, das ur» 
fprüngliche Recht, durch Sprache und Schrift ihre 
Meinungen, Grundfäge und Ueberzeugungen ber gan⸗ 
zen übrigen Gefellfchaft mittheilen, und fie der freien 
Prüfung derfelben unterwerfen zu Dürfen. Die Frei⸗ 
heit. der Sprache, der Preſſe und des Gewiſſens, in⸗ 
wiefern jenes urfpringliche Recht aud) auf die Grund» 
fäße für das rechtliche Beftehen und Die Wohlfahrt der 
ganzen Gefelfchaft,-fo wie auf die religiöfen Anfichten 
und Ueberzeugungen ſich bezieht , ift daher die wefent- 
liche Bebingung der geiftigen, befonders ader der 
ſietlichen Fortbildung des Individuums und des gan⸗ 


zen menſchlichen Geſchlechts, und ein unveraͤußerliches 


Recht, deſſen Grenzen und rechtliche Be⸗ 
ſchraͤnkungen nur nad) der Verlegung An«: 
drer durch Sprade und Preffe, d. h. durch 
Verlaumdungen, unerwieſene Beſchuldigungen und, 








Maturs und Volkerrecht. _ 75° 
Beihimpfungen gegen Individuen und Regierungen, 
fo wie durch Angriffe auf die ſittlichen Grundpfeiler 
aller Religionen und aller beftehenden Rechtsgeſell⸗ 
haften, beſtimmt werden fönnen. Denn aus dem 
Grundbegriffe des Gleichgewichts der. Rechte im 
äußern freien Wirfungstreife geht nothwendig hervor,” 
daß wie jede Nechtsverlegung überhaupt, fo auch die 
Verlegung der Rechte Andrer. durch Sprache und 
Preſſe, in jeder feftbegeünderen Rechtsgeſellſchaft 
durch Gefege näher beftimme und durch Strafen ge- 
ahndet werden müfle " nn 
Eine unbedingte Preffreigeit, nach welcher 
die durch die Preffe geſchehenen Rechtsverlegungen . 
ungeahndet bleiben follen, während in jeber zweck⸗ 
mäßig geftalteten und feftbegrünbeten Rechtsgeſell⸗ 
{haft feine Verlegung felbft des Pleinften Rechts 
ungeftraft bleiben darf, wenn anders die Rebe von 
einem Gleichgew ichte des Rechts feyn fol, ift 
durchaus gegen bie Vernunft, und alfo 
felbft widerrehtlih. — Allein daraus folgt eben⸗ 
falls mit Beſtimmtheit: 1) daß nur anerfannte' 
Mechtsverlegungen durch Sprache und Preffe der 
Ahndung unterworfen werden koͤnnen, und 2) 
daß,’ weil das Naturrecht das Ideal einer voll⸗ 
kommenen Rechtsgeſellſchaft aufftelle, das in ber 
Wirklichkeit nirgends angefroffen wird, die nähern. ' 
Beſtimmungen, tie’ Kechtsverlegungen durch 
- S;präche und Preffe geahndet werden muͤſſen, nach 
ihrer vehrlichen Seite dem Staatsredhte, und 
nach ihrer politiſchen Seite der Staatskunſt 
angehören, ' 0 | 
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* . 
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i . 4 aber. .t' 4 00 008 D 2 W 1 


x 76; Sr utd Voͤlkerrecht.⸗ 

* a - 29 —* 

9 Das —* aut serfönfige Wirte u und 
guten Namen. EEE 


er Die gerſonliche Würde: des Indivibaume beruht 
auf. ber: Angemeſſenheit aller feiner Handlungen und. 
Ei ‚feiner. Ankündigungen in ber Rechesgsfelliihaft,; 
deren MWitslied er iſt, zu dem Sittengeſee mithin: 
apf.feiner von Aflen anerfannten Annäherung an das - 
Pal der. Sittligfeif,. Diefe perfonliche Würde aller ; 
ihrer Individuen ift aber die wichtigfte Schtze ber-, 
Rechtsgefellfchaft, weil nur derjenige Verein dauer- 
haft ſeyn kann, der quf gegenfeitiger. perfönlicher Ach⸗ 
tung beruht. — Da nun der Name das Wort, 
ober das finnliche Merkmal iſt, wodurch wir die pe 
dipidualitat der mit uns zur Rechtsgeſellſchaft vrrbun⸗ 
denen Weſen:bezeichnen, und damit den Begriff ihres 
fitlichen. Werthes eder. Unmerthes, fo wie ihver 
VDrauchbarkeit ‚oder Unbrauchbarfeit fir Die Geſeſl⸗ 
34 und überhaupt den Begriff ihrer geſammten 
aͤußern Ankuͤndigung verbinden (man vergegenwärgige 
ſich nur die Nampn. von Sokrates, Attila;, Luther, 
Napoleon 1.,0.);. fo kann es; feinem Snpiytdpum 
gleichsuͤltig. fen, welche Eigenfchaften die öffentliche 
jung : ‚diefem Namen-beilegt, weit fein, Einfluß 
auf die Geſellſchaft,, feine Ehre in derſelhen, das 
Zuerauen, das Andere zu ihm haben ſollen und ber 
Theil ſeiner Zufriedenheit und Rühe,. der. vonder 
Deine: und dem ‚Hatbeile: Andrer über. ihn, nbbängt, 
sducch beftimmt; wird, — .- Wenm aber, her 
| Sn ‚208 Recht auf_perfönliche Würde, und, guten 
men durch die unbedingte Angemeſſcoheit einer 
äußern Thätigfeit zu der innern Güte feiner" Gefin- 
nung fich erwirbt; fo kann er auch fordern, daß jeder 


Natur +: und Woͤlkerrecht. 77 E 


ihm biefe Ehre ermeife, bis feine Handlungen: das 
Gegentheil bezeugen... Diefes Recht auf Ehre und 
guten Namen gilt zugleich für alle Abweſende aus 
der Gefellihaft, und ſelbſt für die Erhaltung und 
Kettung des guten Namens der Verftorbenen, 


| 20, , = 
5) Das Redt auf Eigenthum. 


Wir nennen alle Gegenftände der Naturwelt, 
bie nicht Perfönlichfeit befigen, Sachen, meil fie 
der Vernunft und Freiheit ermangeln, Sie flehen in 
einem gemiffen Preife, und können durch Schenfung, 
Abtretung, Tauſch und WVerfauf erworben werden. 
Deshalb find fie nie Zwecke felbft,, fondern nur. Mit- 
tel zu Zwecken. Dies gilt eben fomohl von den ein⸗ 
zelnen Theilen der Oberfläche des Erbbodens, wie von 
den Erzeugniffen und Thieren deſſelben; nur mit der 
rechtlichen Einfchränfung, daß wir ung blos in den 
Befis won folhen Sachen fegen duͤrfen, die entweder 
noch Keinem gehören (res nullius), oder die ung ber 
freie Wille eines Andern auf rehtmäßige Weife d. i. 
durch Vertrag, überläßt. Die.rechtmäßige Erwer⸗ 
bung eines Außern Gegenftandes, welche mit der 
äußern Freiheit aller andern vernünftigen Wefen ver- 
einbar ift, heißt Beſitznehmung, und die dur 
die rechtliche Beſitznehmung erworbenen Außern Ges 
genftände nennen wir unfer Cigenth um. 

Jeder Eigenthümer einer Sache hat aber das 
Recht des ausfchließenden Beſitzes und der 
erfennbaren Bezeichnung derfelben als feines 
Eigenthums; doch fann es auch ein Gefammteigen- 
thum für ae gemeinfchaftliche Befiger einer und 
derſelbon Sache geben, welches aber nur ˖durch: Wer⸗ 


78. Matur« und VWoͤlkerrecht. 


trag erworben und nad) feinen rechtlichen Verhaͤlt⸗ 
niſſen zwifchen den Miteigenthümern feftgefegt werben 
kann. — Eben fo gehört der Juwachs (accessio) 
des Eigenthums, der entweder burch Die Natur ober 
durch Einfihe, Fleiß und Kunft bewirft wird, dem 
Befiger des. Eigenthums, fobald durd) diefen Zu- 
wachs Fein Recht eines Dritten beinträchtige wird. — 
Durch Verlaſſung kann aber aud) ein freies Wefen 
auf ein erworbenes Recht verzichten, wodurch, wenn es 
ein Gegenftand des Eigenthums war, biefer zur her- 
renlofen Sache wird. Hingegen fann die. zufällige 
‚Unterlaffung der Ausübung eines Rechts nicht als 
Verzicheleiftung auf ein erworbenes Recht, und eben 
fo wenig ber unrechtliche Gebrauch eines Gegenſtan⸗ 
bes als ein Rechtstitel der Erwerbung angefehen wer- 
ben, weil es nach dem Vernunftrechte Feine Ver⸗ 
jaͤhrung gibt, oo. 

(Verjährung fann, weil es nüglich ift, eine 
Zeit über den Befisftand zu beftimmen, nur im 
pofitiven echte vorkommen.) : 


2. 
6) Das Rede auf öffentlihe Sicherheit, 


Jede beftehende Gefellfhaft von Menfchen 
nimmt einen Theil des Erbbobens ein, über welchen 
-fie fich mie ihrem Eigenthume und ihren Wohnungen 
ausbreitet. In dem Umkreiſe biefes der Gefellfchaft 
rechtlich zugehörenden Gebietes foll die größte öffent- 
liche Sicherheit herrſchen. Diefe Sicherheit betrifft 
aber theils die Perfonen fetbft, ihr Leben, ihre Frei⸗ 
beit, und bie Unverlegeheit ihres Körpers, theils alle 
ihnen zugehörende Sachen, fie mögen in unbeweg⸗ 
lihem ober bemeglichem Eigenthume befteben. In 


Natur⸗ und. Bölkerrehit. - — 


dem geſellſchaftlichen Vereine bes Naturrechts iſt die 
geiſtige und ſittliche Reife, ſo wie die Rechtlichkeit 
aller Mitglieder deſſelben der gewiſſeſte Buͤrge der 
oͤffentlichen Sicherheit, weil dieſe Rechtlichkeit und 
Reife ſelbſt die Uebereilungen und Unvorſichtigkeiten 
moͤglichſt verhuͤtet, durch welche nicht ſelten, auch 
ohne boͤſe Abſichten, die öffentliche Sicherheit gefähr- 


Det wird. 


22 . 


7) Das Rede auf Abihliegung und Hals 
tung der Berträge. 


So gewiß, nad) dem Urrechte der Perfönlich- 
feit, jebes fittliche Wefen frei über die Anwendung 
feiner Kräfte und feines Eigenthums verfügen kann, 
fobald dadurch der äußere freie Wirkungskreis Feines 
Andern beeinträchtigt wird; fo gewiß ſteht ihm auch 
das Recht zu, durch freie gegenfeitige Uebereinfunft 
mie andern Wefen feiner Art, vermittelft eines Ver⸗ 
fprehens und eines Gegenverfprechens, den Kreis 
feiner perfönlihen und dinglichen Rechte entweder zu 
erweitern, oder zu befhranfen. Die äußere 
Handlung, wodurch dies gefchieht, nennen wir Ver⸗ 
trag, indem bderfelbe auf einer gegenfeitigen 
Willenserflärung beruht, in welcher von dem 
einen Theile ein Verſprechen, d.h. die Erflä- 
rung gegeben wird, zu einer gewiffen Leiſtung verbun- 
den zu feyn, und von dem andern Theile bie An- 
nahme, d.h. die Erklärung erfolgt, Daß man bit 
von dem Andern Beftimmte feiftung zu fordern berech⸗ 
tige ſeyn wolle. ‘ Durch beides wird der Vertrag 
vollendet; der Vertrag beruht daher auf einem ange» 
nommenen DBerfprechen, . Die beiden contrahirenben 





‘SD u Natur «und. Völkerrecht, 


Theile, der Promittent und der Promiſſar, 
‚heißen bie. Pacjscenten un 

Verträge darf aber jedes ſittliche Weſen ſchlie⸗ 
ßen, weil es zu den urſpruͤnglichen Rechten des 
Rieuſchen gehoͤrt, daß er ſeinen aͤußern unabhaͤngigen 
Wirkungskreis Andern eben ſo gut eroͤffnen, als ver⸗ 
ſchließen darf. Der Menſch erweitert feinen 
aͤußern Wirkungskreis, wenn er durch Vertrag Rechte 
auf die geiſtigen oder phyſiſchen Kraͤfte, oder auf 
Sachen (auf Theile des bisherigen Eigenthums) An⸗ 
drer erwirbt; er beſchraͤnkt hingegen feinen äußern 
Wirfungsfreis, wenn er durch Vertrag Andern ein 
Recht auf feine geiftigen oder phyſiſchen Kräfte, oder 
-auf Theile feines Eigenthums zugefteht. ‚Denn felbft 
‚feine Perſonlichkeit darf der Menſch (z. B. im Dienft- 
vertrage) einer fremden Beſtimmung unterwerfen, 
nur nicht mit Verletzung oder Vernichtung des Ur 
rechts der Perſoͤnlichkeit. 
So lange übrigens die Annahme bes Ver— 
‚fprechens von dem andern Theile nicht erfolge ift, 
kann das DVerfprechen widerrufen und surüdigenom- 
men werden, 
23. 
| Bedingungen der Gültigkeit ber Ver— 
fraͤge. 


Jeder Vertrag iſt rechtlich und guͤltig: 

1) ſobald ſein Gegenſtand an ſich moͤglich iſt; 
(unguͤltig iſt er, ſobald der Gegenſtand durch menſch⸗ 
liche Kraͤfte nicht ausgefuͤhrt werden kann — ad 
impossibilia nemo obligatur —; doch muß in die— 
ſem Falle die Unmöglichkeit nachgemiefen, und wenig⸗ 
ftens das, was. möglich ift, geleiftet werden; ) 


Natur» und Voͤlkerrecht. 8 


2) fobald durch ihn ein Zweck der Vernunft, 
und namentlich nicht das Sittengefeg verlegt wirb 
(ad turpia nemo obligatur — fein Vertrag kann 
einen Vater zur Kaftration feiner Kinder verpflichten) ; 

3) fobald die contrahirenden Theile Dabei das 
völlige Bewußtſeyn ihrer Vernunft und Freiheit hat- 
ten (ohne Berauſchung, Wahnfinn 2c.); 

4) fobald die contrahirenden Theile ausdrüd. 
lich und beftimmt ihre Einwilligung erflärteny - 

5) fobald die durch den Vertrag zu erwerben. 
ben Rechte blos perfönliche und dingliche Rechte, und 
nicht die ganze oder theilweife Aufhebung eines ur⸗ 
fprünglichen Rechts betrafen (3.8. Verpflichtung zur 
geibeigenfchaft, ober zue muhamedanifchen Religion 
gegen die Gewiffensfreiheit ıc.); | 

6) fobald von dem einen contrahirenden Theile 
dabei fein abfichtlicher Betrug geübt ward ; 

7) fobald der eine contrahirende Theil nicht 
über den Gegenftand bes Vertrages in einem völlig 
unvermeiblichen Irrthume fich befand ; 

8) fobald nicht durch phyſiſche Gewalt, ober 
Yeberliftung, die Einwilligung des einen contrahiren- 
den Theiles erzwungen ward; | 

9) fobald nicht die Rechte eines Dritten, ohne 
Vorwiſſen und Einwilligung beflelben, durch einen 
abgefchloffenen Vertrag befchränft und verlegt werden, 

Geht aber der Andere den Vertrag ein unter einer 
angebrohten Gefahr, die er beftimmt erfannte, ober 
unter Verhältniffen, die er ſich deutlich vergegenwär« _ 
tigte; fo ift er firtlich verpflichtet, den Vertrag zu 
erfüllen. Selbft die Unfunde deſſen, was der Pro- 
mittent zu leiften hat, entbindet denfelben feinesweges 
von feiner duch den Vertrag übernommenen Ver⸗ 
pflichtung; eben fo wenig entzieht dieſe Unkunde dem 

I. 6 


83 Natur» und Voͤlkerrecht. 


andern Theile das Recht, auf die Erfüllung des Ver- 
trages zu deingen, weil bei einem vernünftigen Wefen 
vorausgefegt wird, daß es, bei dem Eingehen des 
Vertrages, die Natur und Beichaffenheit der über- 
nommenen Verpflichtung eingefehen und erfannt habe. 
Ä Da aber der Vertrag auf die freie Ueberteagung 

eines perfönlichen Rechts, ober einer Sache an einen 
Andern, mithin auf die Uebergabe oder Abtretung 
von der einen, und auf die Annahme von der andern 
Seite ſich gründet; fo folgt, daß durch Die freimil- 
lige Berlaflung von der einen Seite ein Anderer an 
fi eben fo wenig ein Recht erhält, bie verlaffene 
Sache zu feinem Eigenthume zu machen, tie durch 
die einfeitige Verzichtleiftung des einen Theils auf 
irgend einen Gegenſtand, ohne die rechtliche Ueber: 
nahme deffelben von dem andern Theile. Doch fteht 
jedem das Recht zu, die Sachen, die zu feinem Eigen⸗ 
genthume gehören, oder auch gewiſſe perfünliche Rechte 
(nur niche feine Perfönlichkeit ſelbſt,) dem Andern 
zum Austaufche anzubieten, dafür einen Preis feft- 
zuſetzen, und fie um Diefen Preis wegzugeben, fo wie 
auch diefen Preis ganz zu erlaffen, und die Sache zu 
verfchenfen. 

Alte aus Verträgen hervorgehende Pflichten 
und alle durch Vertrag erworbene Rechte find feine 
unbebingten, fondern nur bebingte Pflich- 

ten unb Rechte. 


24. 


Neal: und Verbal-VBerträge; unbedingte 
und bedingte, fiillfhweigende Verträge. 


Beſteht der Vertrag in der wirklichen Seiftung 
des Gegenftandes felbft, mithin in einer Thatfache; 


Natur und Volterrecht. | | 83 


fo heißt er ein Realvertrag. Dagegen Beruße der 
Verbalvertrag auf ber wörslichen Zuficherung: der 
verfragsmaßigen Leiſtung. 

Die Vertraͤge find eniipeber unbedingte ober 
bedingte, inwiefern bei den unbebingten auf feinen 
eintretenden denkbaren Fall in der gegenfeitigen Ueber⸗ 
einkunft Rücfiche genommen, bei den bedingten aber 
der Eintritt gewiſſer kunfciger Umſtaͤnde im Voraus 
beruͤckſichtigt wird. 

Unter einem ſtillſchweigenden Vertrage 
endlich verſteht man einen ſolchen, wo uͤber einen per⸗ 
ſonlichen oder dinglichen Gegenſtand, der in der Wirk— 
lichkeit befteht, Peine beſondere Uebereinfunft zwiſchen 
zweien oder mehrern Perſonen abgeſchloſſen worden 
iſt, kein Theil aber dem Gegenſtande des ſtillſchwei⸗ 
genden Vertrages widerſprochen hat, ſo daß durch die 
Fortdauer des Verhaͤltniſſes und die gegenſeitige An 
erkennung deſſelben ein wirklich poſitiver Charakter 


des Vertrages ſich gebildet hat *). (—Dahin gehoͤrt 


das rechtliche Verhaͤltniß zwiſchen Aeltern und Kin⸗ 
dern; zwiſchen dem Regenten und dem Volke, wo 
kein ſchriftliches Grundgeſetz ihre gegenſeitigen giechte 
und Pflichten beſtimmt; und darauf beruht, im pra= 
ctiſchen europaͤiſchen Wölkerrechte, die Völferfitte und 
das Herfommen in ber Verbindung. und Wechfelmirs 
fung der civilifirten und chriftlichen europaifchen Voͤl⸗ 
fer, Staaten und Reiche.) | 


*) Zu den fiillfweigenden Verträgen fann nicht ges 
rechnet werden, wenn 3. B. der eine für den andern 
deſſen Amtegefchaͤft⸗ betreiben wollte ohne deſſen 
Zuſtimmung. Mur ein beſtehendes (factiſches) Ver⸗ 
haͤltniß kann ale Stundlage eines filfchweigenden 
Vertrages gedacht werden. 6* 


n 


84 Natur⸗ und Woͤlkerrecht. 


Ein Nebenvertrag (pactum accessorium) 
iſt ein Vertrag, der zu den Beſtimmungen eines 
vorausgegungenen Vertrages etwas hinzuſetzt, und 
dieſe Beſtimmungen entweder unter gewiſſen Ver 

haͤltniſſen erweitert oder beſchraͤnkt. | 


2. 


Veränderung und Aufhebung der Ver— 
träge 


Veraͤndert und aufgehoben werben abgefchloffene 
Vertraͤge: 

- 4) durch jeden neuen Vertrag, der ſpaͤter 
über denfelben Gegenftand von denfelben contrahiren⸗ 
den Theilen eingegangen wird; | 

2) durch Erlaffung, wenn ber eine Theil 
felbft fein durch den Vertrag erworbenes Recht ganz 
oder theilmeife aufgibt; . 

- 3) durch gegenfeifige Neue, wenn beide 
contrahirende Theile ihr Werfprechen zurüdnehnen, 
und gegenfeitig von ber feftgefegten Leiftung ſich ent- 

nden; . 

4) duch Vergleich, wenn ein aus einem 
Vertrage flreitiges Recht durch freiwillige Weberein- 
funft beider Theile, ohne richterliche Entſcheidung, 
beendigt wird; Ä 

5) dur Eeffion, wenn der eine Pacifcent, 
. mit Genehmigung des Andern, feine Rechte oder feine. 
übernommenen Verpflichtungen einem Dritten über- 


aͤgt; | 
6) durh Affignation, wenn der eine Pa- 
cifcent einen Dritten, ohne deſſen vorhergegangene 
Einwilligung , auf ein Recht anmeifet , das ihm durch 
Vertrag zufteher; 


Natur und Voͤlkerrecht. 80 
6) buch Delegation, wenn der eine Paeiſ⸗ 


cent einen Dritten, mit deffen völliger Zuflimmung, 


zur Uebernahme und ‘Behauptung. eines ihm vertrags⸗ 
mäßig zuftebenden Rechtes anweiſet. 


ER 26, 
Bon der Billigfeit und vom Nothrechte. 
Alle urſpruͤngliche und erworbene Rechte ſind, 
ihrer Natur und ihrer Form nach, allgemein und ge⸗ 
wiß; nur bei der Unterordnung einzelner Faͤlle unter 


das ewige Rechtsgeſetz kann bisweilen ein Zweifel oder 


auch ein Fehler entſtehen. Eine wirkliche Colliſion 
zwiſchen zwei Rechten gibt es ſo wenig, als eine wirk⸗ 
liche Colliſion zwiſchen zwei Pflichten, weil da, wo eine 
Colliſion ſcheinbar einzutreten ſcheint, das hoͤhere 
Recht, wie die höhere Pflicht, im Gegenſatze bes nie⸗ 
dern, von der Vernunft felbft beſtimmt ausgefprochen 
wird. 


Unter die zweifelhaften Rechte Hat man das. 


Recht auf Billigkeit und das Nothrecht ge» 
bracht. "Mit mehr Wis, als Wahrheit, hat man 
das erfte ein Recht ohne Zwang, und Das legte einen 
Zwang ohne Recht genannt, Es kaunn aber fein 
Recht auf Billigfeit geben, ‚weil der Begriff 
der Billigfeit zunächft in die. Pflichten» und nicht 


in die Rechtslehre gehört, und ſich lediglich aufbie 


Pflichten der Guͤte, nie auf die Pflichten der Gerech⸗ 
tigkeit bezieht. Die Billigkeit *), als Pflicht gedacht, 


*) Vergl. Hufelands Lehrſaͤtze des Natuerechts ꝛc. 
©. 59. (ote Aufl.) — Durchaus den Gegenſtand 


"nicht erſchoͤpfend iſt die Monographie: Karl Gthe. 
Broſe, Aber Recht und Billigkeit im Allgemeinen. 
Goͤtt. 1891. 8. 





3 Natur und Voͤlferrecht. 


beſteht nämtich Inder Anerkerinung der undollkomm⸗ 
nen Rechte Andrer, und in der freiwilligen Befchraͤn⸗ 
"tung feiner eignen vollkommnen Rechte durch jene 
Anerkennung. (Wenn ich 5. B. einem; ber in Ver⸗ 
legenheit wegen ber Zinfen eines erborgten Capitals 
ift, dieſe ganz.erlaffe, oder Auffchub bemillige.) Sie 
kann daher blos als Gewiſſens ſache gebt, "und 
nie von bem Andern ‚erwartet und verlaugt, geſchweige 
im bürgerlichen Leben durch Zwang bewirft werben, 

- Unter dem fügenannten Nothrechte (casıs 
extremae necessitatis) verftehen einige Naturrechts- 
lehrer die Befugniß, in dem Mothfalle einer. drin⸗ 
‚genden Lebensgefahr ſich felbft zu. erhalten Durch Ver⸗ 
legung ber Rechte eines Andern, der fein Unrecht 
gethanhat. (Dahin gehört.der. von Manchen mit 
Vorliebe ausgemahlte Fall, wo zwei Perfonen RAS 
bruch erlitten haben,.quf Einem Bretefigen, und ſich 
überzeugen, daß nur Einer auf diefem Brete fich ret- 
ten fann. Darf er den Audern in die Wellen floßen ?) 
Weil gber das Urrecht der Perfünlichfeit, nach. wel⸗ 
chem nie ein anderes Wefen von uns als bleßes Mitz 
tel für feine Zwecke behandelt werben darf, durch feine 
fheinbare Eoflifon.der Rechte aufgehoben wird; weil 
ferner feine Noch, als ein phufifches, Uebel, fo maͤch⸗ 
tig wirken kann, Daß durch fie der Gebrauch der Ver⸗ 
nunft vollig vernichtet und der Menfch mit dem Thiere 
auf gleiche Linie, der bloßen finnlichen Selbfterhaltung 
geftelle wird; fo folge, Daß Das fogenannte Nochrecht. 
der fittlichen Gefeggebung ber Vernunft widerftreitet, 
roeil.die Vernunft ‚feinen Zuftand des, Menfchen ven 
fen kann, wo er entbunden wäre von ber- ewigen Guͤl⸗ 


tigkeit des Sittengefeges ?), (Der Menſch, muß eher 





ii 


*) Es gehört zu, den fonderbaren Erſcheinungen in der 





Natur» und Voͤlkerrecht. 87 


verhungern, als ſtehlen; und das Spruͤchwort? Roth 
kennt kein Gebot, kann weder durch die Pflichten-, 
noch durch Die Rechtslehre entfchuldiget, gefchrdeige 
begründet werden.)-- : -- nn | 


| 27. 
b) Angewandtes Naturfedht. 
Begriff und Umfang beffelben. 


Das angewandte Naturredit enthalt die wife 
fenfhaftlihe Darftellung der erworbenen Rechte des 
Menfhen, welche, je nachbem fie entweder Perfonen 
oder Sachen betreffen, perfonlihe oderdingliche 
Rechte heißen. Weil aber in einer, auf das Ideal des 
Rechts: gegründeten--gefellichaftlihen Verbindung per« 
ſoͤnliche und dinglide Rechte blos durch gegenfeitige 
freie Uebereinkunft, und alſo nur durch Vertrag 
erworben werden koͤnnen; fo enthält Das. angewandte 
Naturrecht zunaͤchſt die wiffenfchaftliche Darftellung 
ber einzelnen Daupfgattungen und Arten 
von Verträgen,. und der aus diefen Vertraͤgen 
Desvorgebenben rechtlichen Verhaͤltniſſe zwiſchen freien 

eſen. | 
Es ift nicht möglich, jeben einzelnen. denkbaren 


Vertrag in bie Wiſſenſchaft aufzunehmen. Allein 


Wiſſenſchaft, daß uͤber das Nothrecht ſelbſt die ſcharf⸗ 
finnigften und folgerichtigſten Denker unter den Nach⸗ 

folgern Kants, welde übrigens von⸗ rein ſittlichen 
Srundfägen ausgehen, getheilter Doetmchg find. So 
3. B. während Heydenreic ganz gegen das Noth⸗ 
recht fi ausfpriht, lehrt Gros: „der Menſch fey 
in 'dre Noth entduinden von dent Medstsgefene”; 
und fo viele Andere. .: 





v 


88 Natur « und Vaͤlkerrecht. 


bie ſyſtematiſche Darfiellung-der Verträge muß we⸗ 

nigſtens diejenigen Hauptgattungen und Arten von 
Vertraͤgen entwickeln, unter welche ber; ‚einzelne 
Vertrag fogleich gebracht werden fann, 


. 28 
Nomenclatur der wichtigſten Verträge 


Die wichtigften einzelnen Verträge, burch welche 
gegenfeitig perfönliche Rechte oder Sachen erworben 
werden, find: . 

4): ber Gefellfchaftsvertrag überhaupt; 
'..2) der eheliche Vertrag; 
3) das daraus hervorgehende Aelternrecht; 
ec 4). der Dienſtvertrag; 
(Die Verträge 2—4 bilden bas foge- 
nonnte Samilienreht.) . 
535 der. Arbeits: und Mierbsvertrag; 
90 de Schenkungs⸗, ⸗ Tauſch— und Kaufoer- 
crrag; 
7) der Leih⸗, Darlehns⸗ und Pfandvertrag; 
8) der Aufbewahrunge und Bevollmaͤchti⸗ 
gungsvertrag, mit Einſchluß der Buͤrg 
ſchaft; 
9) "der Vertrag auf den Fall bes Todes; s 
40) der Verfaffungs- und Kegierungsverfrag 
‚ber Öefellfchaft ; 
| 1) ber firchliche Verfaffungsvertrag (Lehre 
‚von dem natürlichen Kirchenrechte) ; 
1). das allgemeine Gefellfhaftsrecht. 
\ An bie Darftellung diefer Berträge wird die Lehre 
von ben Rechten ber Wahnſinnigen in der Ofelfhaft 
angeſchloſſen. 





- “ 
* 


—8 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 89 


. ® » 20 . . . u E ‚ x 
1) Der Gefellfhaftsvertrag überhaupt, . 
Der Geſellſchaftsvertrag "überhaupt ift von dem 
urfprünglihen Zufammenleben der Menfchen 
im natürlihen Zuftande dadurch verfhieden, daß 
nach demfelben mehrere (menigftens aber zwei‘) Per- 
fonen fich gegenfeitig verfprechen, einen beftimihten 
Zweck gemeinfhaftlich zu befördern und zu verwirf« 
lihen. So mannigfaltig nerfchieben biefe Zwede 
feyn koͤnnen; fo mannigfaltig fünnen auch Die Deshalb 
abgefhloffenen Werträge.und die auf diefen Ver⸗ 
tragen beruhenden Gefellfchaften feyn. Im Als 
gemeinen gibt es aber für ‚die DBeurtheilung des 
Zwedes einer Gefellfhaft nur zwei Grandſaͤtze: 
4) diefer Zweck darf nicht gegen. das Sitten- 
8geſetz ſeynz; 
2) und darf nicht die. Rechte eines Dritten 
(nicht zur Geſellſchaft Gehoͤrenden) be⸗ 
ſchraͤnken oder verlegen. u 
Jede nach diefen Grundfägen zu einem befon- 
bern Zwecke vereinigte Gefellfhaft muß, als folche, 
wegen der Nechtlichfeit und Kindheit ihres Zweckes, 
als eine moralifche und juridifche Perfon (nad 
ihrem inneen, dem Sittengefege entfprechenden , We⸗ 
fen, und nad) ihrer äußern felbftftändigen Anfünbi- 
gung) anerfannt werben, welcher fammtliche Rechte 
der Perſonlichkeit in ihrem ganzen Limfange zufom- 
men. Die Form der Gefellfchaft aber ,. über welche 
ſich bie. pertragsmäßig verbundenen Individuen, in 
Beziehung auf ihren eigenthämlichen Zweck, vereini⸗ 
gen, beißt: Die Berfaffung derſelben. 
Nach dieſen Grundbegeiffen über. den Gefell 
Thaftsvertrag überhaupt muß eben fo die 


t 


90 Natur⸗ und Völkerrecht. 


Rechtlichkeit des Ehevettrags, des Dienftvertrags 
„and des Staatsvertrag — wie bie einer Tanz⸗ 
gefetfaft , eines Moͤnchordens, einer Räuber- 
ande ü. ſ. w. beurtheilt werben. 

Fuͤr das Staatsrecht kommt zu dieſer natur- 
rechtlichen Lehre die weſentliche Beſtimmung hin- 
zu: daß innerhalb des Staates nur diejenige 
Geſellſchaft als rechtlich beftehend gedacht werden 
— kann, deren Zweck der Regierung des Staates 
bekannt, und deren Berfaffung, aus diefem 
‚ Zwede bervorgehend, von ber Regierung anerkannt 
und beftätige worden iſt. 


. IM 
. 


. 30. | 
2) Der epelie Vertrag - 


Die Ehe ift ein freier. (meber erzwungner, noch 
durch Liſt bewirfter) Vertrag zweier Perfonen beiber- 
lei Geſchlechts zur gemeinfchaftlihen und mit dem 
Sittengefege übereinftimmenden Befriedigung bes 

Geſchlechtstriebes. Soll'der eheliche Vertrag diefem 
Begriffe entfprechen ; fo verlangt er von beiden Theis 
len einen gemwiffen bereits erreichten Grab von 
geiffiger und fittliher Reife, und ein Fort⸗ 
fthreiten in derfelben, um dem Endzwecke des inenfch- 
lichen Dafeyns ſich gemeinfchaftlich zu nähern, weil 
die Erreichung diefes Endzweckes in der Ehe nit 
gehinbert, fondern befördert und erleichtert werben 
ſoll, und weil beide. Theile, wegen der gemeinfchaft- 
fihen Annäherung an denſelben, fich gegenfeitig achten, 
ſo wie megen der dadurch' "gewonnenen perfönlichen 
Vorzüge fich lieben ſollen. — Der eheliche Vertrag 
verlangt ferner-einen gefunden, für den. Zweck der 
Borailangang völkig-enaöieehtert. und- ausgebildeten, 


\ 


Mitte und Volkerrecht. de 


und durch kelne: worhergegangenen Misfhivelfangerd 
geſchwaͤchten, Korper, fo wier ein angemeſſenes 
Verhaͤltniß in den Lebensjahren beider zur 
ehelichen Geſellſchaft ſich vereinigenden Perſonen:Er 
verlarigt "weiter, vaß in der Ehe, als einen frefen 
Geſellſchaft, ' sine Herrfchaft Des- einen, und feme 

Unterordnung desandern Theiles ſtatt finde, Er ver⸗ 
wirft zugleich‘ jebe- außereheliche Befriebi— 
gung des Geſchlechtstriebes als gegen das Sittenge⸗ 
ſetz, gegen die Rechte des Ehegatten ; und gegen bie 
demfelben- gefobte ausfchließlichhe Treue Cr niätht 
aber aud) die Grnahrung und forgfältige@r- 
jiehung’der erzeugten Kinder bis zur erreith- 
ten Münbigkeit’zur Heiligen Pflicht beider Gatten, 
weil von der koͤrperlichen, geifligen und fittlichen Bil- 
dung berfelben -das Beftehen und die Veredlung des 
beranwachfenden Menſchengeſchlechts abhängt. Er ift 
endlich ein Vertrag auf Lebenszeit, fobald nicht 
der eine Theil durch ſelbſtverſchuldete, oder vor 
ber Ehe verſchwiegene, unheilbare förperliche Uebel 
ih phyſiſcher Hinſicht vollig unfähig’zur ehelichen‘ Ge- 
meinfchaft und. zur Befriedigung des Gefchlechistrie- 

bes geworden iR, oder durch den boͤſen Willen des 
einen Gatten Die Sicherheit' und das eben des andern 
gefährder; vber durch Ehebruch Ger eheliche Vertvag 
vernichtet; der durch ein. Verbrechen in der Gefell- 
ſchaft das Recht des äußern. freien Witfungskreifes in 
verfelben verloren wird, Kintretende unerwartete 
Ungluͤcksfaͤlle aber, ſelbſt went fie die Befriedigung 
des Geſchlechtstriebes unmoͤglich machen ſollten, be- 
vechrigen:den ändern Garten hicht zur: Aufloͤſung 
der Ehe; vielmehrkann in ſolchen Fällen das kunf⸗ 
tige Verhältniß- von beiden’ Garten. nur nad) Yen 
Pflichten‘ der Billigkeit und Guͤte beſtimmt werden, 


92. Naciu⸗ und Wölkernecht: 


4: Verbindungen zweier Perfonen beiberlel- Ge⸗ 
ſchlechts, durch 35 entweder der Zweck ber 
Geſchlechtsgemeinſchaft durchaus nicht erfuͤllt wer⸗ 
den kann (wie z. B. durch die Kaſtrate ne he und, 
durch die Ehe zwiſchen Perſonen von ganz ungleia, 
. chem $ebensalter), oder wo bie Berbinbung des. 
..Befchlechtstriebes nur auf eine gewiffe Zeit ( wie 
‚im&oncubinate) und nicht für bieganze Dauer, 
bes Lebens beftehen foll, oder wodurch Die Gleichheit: 
Des Rechts zwiſchen den Verbundenen aufgehoben 
wird (3. B. in der Ehe zur linken Hand), 
fönnen wohl, nach pofitiven Geſetzen, im Staatsleben 
verftattet und gebuldet werden, nicht.aber im Ver⸗ 
nunftrechte den heiligen Namen der Ehe führen. 
In Hinßht der Blutsverwandtſchaft aber 
erklaͤrt die Vernunft ſich nur zunaͤchſt gegen die Ehe 
- zwifchen Aeltern, Kindern und Geſchwiſtern; die 
entfernteen Vermandtfchaftsgrabe enthalten Eeinen. 
Verſtoß gegen das Sittengefeß und das Recht; 
doch fönnen fie aus phyſiſchen und politi— 
ſchen Gründen die Beruͤckſichtigung der pofitiven 
Geſetzgebung verdienen. | 
2. Maturgefchichte und Vernunft fprechen gleich ftarf 
für die einfache Ehe (Monogamie), mit Aus⸗ 
ſchluß der Vielweiberei und Vielmaͤnnerei. Selbft 
in der Ehe verlangt die Vernunft eine gemäßigte 
Befriedigung bes Gefchlechtstriebes; denn bie. 
Ehe ift fein Freiheitsbrief für die wilden Aus- 
brüche thierifher Sinnlichkeit. Die Vernunft fage- 

. zugleih, daß die völlig ungetheilte und innigfte 
. siebe nur Eine Perfor des andern Geſchlechts zu. 


erregen und zu erhalten vermag; fo wie Die älter-- ⸗ 


‚liche Zärtlichkeit und die zweckmaͤßige ‚Erziehung, 
ber Kinder, von welcher Die derebiitung her menfch«. 





s 


Hatur« und Wölkerrecht. 93 


lichen Gefellfchaft abhängt, im Allgemeinen nur 
der einfachen Ehe angehört, Die Gefchichte end- 
lich lehrt, daß alle polngamifche Völker in Hinficht 
-auf ihre Kultur und Verfaſſung früher fanfen, als 
bie, bei welchen die einfäche Ehe beftand; daß 
mit der Vielweiberei gewöhnlich eine entehrenbe - 
Behandlung und Herabmürdigung bes weiblichen 
Geſchlechts verbunden ift, und daß felbft die Freu⸗ 
ben ber Gefelligfeit nur da am reinften genoffen wer» 
den, wo beide Geſchlechter gleiche Rechte befigen. 
(Man vgl. die im trefflichen Geifte gefchriebene 

| Schrift von Chſtn. Wilh. Hufeland: über die 

| Gleichzahl der Gefchlechter. Berl. 1820. 8. und 
halte dagegen bie grobfinnliche Anfiht in Hugo's 
Naturrechte.) 

3. Im haͤuslichen Leben findet an ſich feine Ober 
herrſchaft ftatt; es follen vielmehr die Gefchäfte 
des häuslichen Sebens unter beide Gatten verhaͤlt⸗ 
nigmäßig gleich vertheile fen, doc fo, daß bie 
Gattin, wegen ber mit der Schwangerfchaft und. 
mit der Wartung und Pflege der Kinder verbun- 
denen Beſchwerden, das Recht bat, zu verlangen, 
daß der Mann fie ernähre, 

4. Ale einzelne Beftimmungen über das Vermögen 

und Eigenthum ber Gatten, es beftehe in liegen- 
den Gründen, ober im Gelde u.f,w., gehören dem 
pofitiven Rechte an, 

5. Ehebrud ift, im weitern Sinne, jede Be 
gehungs = ober Unterlaffungshandlung, weldye dem 

| Vertrage widerſpricht, über welchen die Ehegatten 
| fi) vereiniget haben; im engern Sinne aber der 
| Beifchlaf mit einer Perfon des andern Gefchledjts 
| während der Dauer bes ehelichen Vertrags, So 
gewiß ber beleidigte Gatte das Recht Bat, den 


- 





4, Ratur- und Woͤlkerrecht. 


.Ehebruch des Gatten durch Zwang zu verhindern; 
fo gewiß-wird auch durch den Ehebruch der eheliche 
Vertrag aufgeloͤſet, und es haͤngt blos von dem 

Willen des in feinen Rechten gekraͤnkten Gatten ab, 

ob er dennoch) die Ehze nicht aufgehoben wiſſen will. | 


31» 


3) Das aus dem ehelichen Bertrage her— 
vorgehende Aelternrecht. 


Zwiſchen Aeltern und Kindern beſteht Fein be— 
ſonderer Vertrag, wohl aber ein rechtliches Ver— 
hoͤltniß, das unmittelbar aus dem ehelichen Vertrage 
Hervorgehet. Denn Kinder haben, als Weſen, die 
mit dem Vermögen ber Vernunft und Freiheit aus⸗ 
geſtattet, in der menſchlichen Geſellſchaft erſcheinen, 
DaB uefprüngliche: Recht auf die Grnährung, Ben 
ſchuͤtzung, Erziehung und Bildung von den Xeltern, 
bis fie im Stande find, fidy felbft zu erhalten, und 
ſelbſtſtaͤndige Mitglieder der Rechtsgeſellſchaft zu wer- 
ben. Die Erziehung foll daher ihren Körper vor Ver⸗ 

ung bewahren, und bie Entwidelung ihrer finn- 

ichen und geiftigen Anlagen für die Gefammtheit der 

Zwecke derfelben fortführen bis zum Zeitalter der phy⸗ 
ſiſchen und ſittlichen Mündigfeit, 

Die Aeltern Haben dafür das Recht auf ben 
Gehorſam der Kinder, fo lange fie Die Stelle der 
no) unmündigen und niche zur Selbſtthaͤtigkeit ge= 
reiften Vernunft der Kinder vertreten; allein kein 
Recht auf ihre Dankbarkeit, weil dieſe zwar Pflicht 
von Seiten der Kinder iſt, zu welcher ein ſittliches 
Weſen durch die innere Güte feiner Gefinnung' be- 
ſtimmt werden fol, die aber nicht als Recht verlangt 
werben kann. 


Bat. und Voͤlkerrecht. | 95 


Da ferner Kinder Derfonen, bh. Weſen 
mit Vernunft und Freiheit ſind; ſo duͤrfen ſie nie als 
Sache, oder als das Eigenthum der Aeltern ange— 
ſehen werden, das fie durch irgend. einen Vertrag ver- 
äußern und Andern überlaffen fönnen, ob es gleid) 
ben Aeltern zufteht, zweckmaͤßige beffernde 
Strafen in. Beziehung auf bie ſich verierenden Kräfte 
ihrer Kinder feftzufegen und zu vollziehen. — Aus 
demfelben Urrechte der Perfönlichfeie folge zugleich, 
daß Aeltern von verfchiedenem kirchlichen Befenntniffe 
fein Recht haben, in ihrem. Ehevertrage über bie 
fünftige religiöfe Ueberzeugung und uͤber das kirchliche 
Bekenntniß der Kinder im Voraus zu entfcheiden. 
Eben fo wenig hängt es von der Willführ der Aeltern 
ab, welche Erziehung und Richtung fie den Kindern 
in Hinficht eines kuͤnftigen öffentlichen Berufs erthei- 
len wollen; vielmehr müffen fie überhaupt die in den⸗ 
felben fhlummernden Anlagen zu entwickeln and dieſe 
Entwickelung weife zu befördern ſuchen, damit bie 
eigene Neigung des Kindes, fo wie befien Lieber- 
zeugung in reifern Jahren, diejenige Beſchaͤftigung 
im oͤffentlichen Leben ermäßle, welche feinen koͤrper⸗ 
lien und geiftigen Kräften und feiner beftimmt an- 
gefündigten Richtung in Beziehung auf äußere Thä- 
tigfeit entfpricht, In dieſer wichtigen Angelegenheit 
koͤnnen Aeltern blos die rathenden Freunde ihrer Kin- 
der feyn, und find, als ſolche, verpflichtet, benfelben 
mit Unpartheilichkeie die Rechte und Pflichten ‚fomwie . 
die vortheilhaften Seiten und die Laſten und Schwie- 
rigkeiten jedes öffentlichen Berufes zu fhildern, zu 
welchem die Kinder Talente und Neigung zeigen. 

Kinder werben endlich, ohne vorbergegangene 
Aufkündigung, der bisherigen Abhängigkeit von ihren 
Aelsern und ihrer Familie entbunden, ſobald ihre 


96 MNatur⸗ und Voͤlkerrecht. 


Vernunft zur Muͤndigkeit, d. h. zu der Selbſtſtaͤn⸗ 
digkeit gelangt iſt, daß fie cheils den individuellen 
Zweck ihres Lebens durch eigne Thaͤtigkeit verwirf: 


lichen, theils nach ihrer koͤrperlichen Reife In die ehe- 


lichen Berhältniffe eintreten, und durch ihre erlangte 
Brauchbarkeit und Fertigkeit in irgend einem recht- 
lihen Gefchäfte und “Berufe eine Familie ernähren 
fönnen, wodurch zugleich alle diejenigen Vethaͤlt⸗ 
niffe aufhören, welche aus bem Xelternrechte ent⸗ 
fpringen, | 


_ 3. | 
4) Der Dienftvertrag.. 


Naͤchſt dem ehelichen Vertrage und dem Xeltern- 
rechte gehört auch der Vertrag zwifchen Herrn und 

Diener zum fogenannten Familien rechte. Diefer 
Vertrag fchließt, [hon nad) dem Grundbegriffe eines 
Vertrages, alle Verhältniffe der Sflaverei, der Leib⸗ 
eigenfchaft, der Eigenhörigfeit und bes Dienſtzwan⸗ 
ges von fich aus, und darf den Diener nicht der Moͤg⸗ 
lichfeit berauben,, die Bedingungen des menſchlichen 
Daſeyns zu erfüllen, d. h. in feiner ſittlichen Ausbil- 
dung: fortzufchreiten und Glücfeligfeit zu genießen. 
Selbft wenn der Diener freiwillig (entweder aus Un- 
funde der Größe des Gutes, vder aus Dankbarkeit in 
einzelnen Fällen) diefer Mechte fich begeben wollte, 
Darf es der Herr nicht annehmen, weil er dadurch ein 
vernünftiges Wefen, das die Größe feines Opfers 
aus Unmiflfenheit oder im Augenblicke der Ueberra⸗ 
fhung Des Gefühls nicht zu berechnen weiß, abhalten 
würde, für die Zufunft den Zweden feines Dafenns 
fi) zu nähern. Der Vertrag zwifchen Heren und Die- 
ner beruht aber von Seiten des Herren auf der 


Natur und Vilferh. 9 


stune 


Bereitwilligfeit,.. einem: Wefen feiner Gatsung bie, 
Erreichung. der Zwede feines irdiſchen Daſeyns 
gegen gewiſſe non demſelben zu leiftende Dienfte, zu 
erleichtern, und’ von Seiten des Dieners.auf der 
freiwilligen: Verzichtleiftung auf einzelne im 
trage beftinamte -Werhältnifle: ſeines Außern - freien 
Wirfungsfreifes während: einer im Verixrage feſtge⸗ 
fegten Zeit, um für gemille feftgefegte Dienftleiftun- 
gen in Beziehung auf. bie. deingenäften. Bedürfniffe 
des Lebens gefichert zu feyn.. Bon. Seiten des Herr 
darf: baper. nichts verlangt, „unh;von. Seiten des Die 
ners nichts übernomimka nder getban werben‘, was 
mit den urſpruͤnglichen Rechten der Menſchheit unver⸗ 
einbar iſt, oder was außerhalb der Bedingungen des 
abgeſchloſſenen Vertrages liegt. 


3955 6 
u 33 2 
5) Der Arbeits; und Miethevertrag. 
Der Arbeitsvertrag ift dem Dienffpertrage 
in einzelnen Verhältniffen ähnlich, nur daß der, wel- 
‚her blos fürden Andern vertragsmaßig arbeitet, nicht 
in ben Kreis des Familienlebens und Familienrechts 
gehört. In dem Arbeitsvertrage verfpricht der Pro 
mittent dem Promiffar, gewiſſe Kräfte bes Körpers 
ober des Geiftes zu einem von dem Promiflar be- 
ſtimmt bezeichneten Zwecke zu verwenden, wogegen 
diefer eine ebenfalls im Vertrage genau beftimmte 
Enefhädigung leiſtet. Der Promiſſar befommt da⸗ 
durch das Mecht, die Arbeit fo zu fordern ‚ mie de 
der Vertrag feſtſetzt, und der Promittene die dafür 
ausgemittelte Ens häbigung. nn 
Durch ben Miethsvertrag wird das Recht 
entweber. auf, ben. Gebraud; ‚inte. Sache, eher auf 
y f 7257 IMCZCC. . * Ir ara 


98 Natur» und Wilkerrrcht. 


Ye Leiſting geisiffer Dienſte erworben / wofuͤr eine 
Vergeltung zwifchen beiden contrahirenden Theilen 
feſtgeſetzt wirb. Bet der Miethe von Sachen heißt 
dieſe Vergektung: der Mieths zins (lotarium); bei 
dem Miethsvertrage zur Leiſtung gewiſſer Dienſte: 
der Miethslöhn (merces) Die Miethe berech— 
tigt aber nur zu dem Gebrauche der Sache, wofür 
fie gemlethet iſt; auch träge der Miether nie den 
Schaden‘; welchen die gemiethete Sache aus' natuͤr⸗ 
lichen Urſachen oder durch Zufall erleidet; doch muß 
‚er den Miethszins entrichten, ſelbſt wenn er Die ge— 
'mietpete Sathe nicht gebrnüäfe Haben fell. ' 
ur Fer J .. 34. J 8 J 
6) Der Schenfungs-, Taͤuſch- und Kaͤuf— 
vertrag. u 
Die Schenfung befteht in der unentgeldlichen 
Uebertragung einer Sache an einen Andern, ber in 
die Annahme derfelben einwilligt. In bem-Schen- 
fungsvertrage wird baher eine Leiſtung verfprodhen, 
"und der Gegenftand derfelben dem Andern übergeben, 
ohne daß der Promittent von dem Promiffar, außer 
der Annahme des Gegenſtandes, eing Gegenteiftung 
ſich bedingt. Der Promittent darf: aber Die Schen- 
Kung nicht einfeitig aus Reue, ober wegen veränder- 
ter Verhälthiffe widerrufen; denn felbft der Wider⸗ 
ruf wegen Undanfharkeit, oder, bei der Größe des 
Gutes, wegen des Schadens, den der Schenfende 
durch Die Weggabe des Gegenftandes erleiden dürfte, 
iſt nad) dem Vernunftrechte ungültig, 2 
Der Taufchvertrag beruft auf der Zufage 
einer gegenfeittgen Weräußernnig ber Parifcen- 
ten ‚’ und‘ auf’ dent erfolgten Kistaufhe "der Gegen; 
, N R 


- 


Natur + und Voͤlkerrecht. 99 


. 8 
ftände des Vertrags, woburd ber eine Paciſcent das 
Eigentum eines Gegenftandes von dem anbernnPa- 
ciſcenten, gegen bas ihm überlaffens Eisenthum eines 
andern Bezenßandes erwirbt. un. 

Der Raufvertra g üiherkößt das Eigrushum 
einer gewiſſen werthvollen Sache an einen Anders für 
eine Summe (den Kaufpreis), über welche füh:beibe 
- heile vereinige Haben. Durch; Eriegung des Kauf⸗ 

preifes geht. das Eigenthum ber erfauften Sache von 
dem bisherigen. Befiger auf den Anderu. über weil 
diefe Erlegung bie Bedingung ber: rechtlichen Erwer⸗ 
bung ift; auch uͤbernimmt der Kkufer bie Gefahr der 
Beſchaͤdigung .oder bes: Unkergango der Sache durch 
Zufall von dem Augenblicke an, wo en. ‚Eigehtgäinmer 
"wird, 


st 


u 35. ” 257 
7) Der cetb⸗, Be re und- Pandven 
. te a . J J 


Der feihverteag beruht auf der. Ueberlaffung 
einer ung zugehörenden Sache zum Gebraude (nicht 
Verbrauche) an einen Andern, entweber auf eine 
beftimmte Zeit, zu.einem beftimmten Zwecke, mid 
unter gewiſſen Bedingungen, über ohne: ‚Rlefelben, 
Im erſtern Falle trägt dee Empfänger nur bie Serge 
und die Koften für die Erhaltung ‚des Gegenftandes; 
für den zufälligen Schaden aber an bemfelben ift er 
nicht verantwortlich (casum ‚sentit dominus). Dies 
fer Bertrag heißt precarium, ‚wenn nichts in An⸗ 
fehung; der Dauer beftimme worden iſt, weshalb ber 
Verleiher des Gegenftandes ihn zu jeber Zeit — 

noch vor beendigtem Gebeauce der Sache). wider 
rufen kann. .; un. ma i ul hie 
7 


410 Mature- und Vöoͤlkerrecht, 


8.72: Whn Vveur Leihvertrage ift der Darlehnsver- 
“st arg vadurch verſchieden, daß in. dem legten eine 
zum Ber brauche (di. zur Conſumtion) geeignete: 
. und beflimmte Sache dem Andern unter der ‘Bebin- 
gwicg eigentlich überlaffen wird, :baß derſelbe eine 
rundere von gleicher Befdraffenpeit zuruͤck zu 
serftatten verſpricht. Im engern Sitine heißt, nad) 
dieſem Vertrage,der; welcher die Sache übergibt, 
wer Olaͤubiger, und ber Empfänger der Schuͤld⸗ 
‚mer ſobald für: Bie Zeit zwifchen. dem: Gebrauchenund 
der Zuruͤdebſtactung eine geiviffe Geldſumme, : oder 
eh anbrer werthvoller Gegenſtand, als Enefehädigung 
finsden Gebrauch: feſtgeſetzt worden iſt Doch kann 
ss:uuch Darlehen geben o bine Hinſen. 
| Nach dem Naturrechte fteht es dem Darkeiker 
frei, die Zinfen fo hoch feftzufegen, ale es feine . 
‚Vernunft billige, und ver Schuldner fie eingeht. 
Dach. den - pofitipgn, Gefegen ‚aber. heſteht ein ‚be- 
ſtimmter Zinsfuß, ‚uber welchen hinaus die will- 
fü rliche Zinserhoͤhung Bucher beißt und ber 
pri tedlichen · Ahndung unterliegt. 

; Dee Pfandvertrag beſteht in dem Rechte, 
eiche der Schuldner: feinem: Gläubiger überträgt, 
cim Falle der Nichtleiftung :einer :eingegangenen Ver⸗ 
Diudlichkeit, durch Zurütkbehaltung oder Beräußerumg 
pines am Werthe ‚geihen Gegenftandes ;; 5. i. Des. 
:Pfandes,. fürspiefe Nichtleiftung: fich zu entſchaͤdi⸗ 
geñ Wirb das: Pfand dem Gläubiger uͤbergeben; 
fo iſt ‚dies: der Pfandverttag- im. engern Sinne. 
Wird das Pfand dem: Gläubiger. Mur verfchtiebent ; 
f6 RE: die Perpfändung Hypothek, Das Dfand- 

recht "beruht: babe: im Allgemeinen auf diner im 
Varaus geleiſtctenco Sicherheit wegen "der Erfuͤl⸗ 
lung einer ud Vertrag feſtgeſetzten Beſimmung; 


⸗ 


4 


Natur» und Voͤlkerrecht.  1OR 


doch berechtigt die Uebernahme bes Pfandes zu feinen 
Gebrauche deffelben , fobalb diefer Gebrauch im Wer⸗ 
trage nicht befondiers ausgemittelt-morben iſt. 12 
. en a . X 


— 27 . . 
36. Be u 
& 


8). Der Aufbewaprungs- und Bevoll: 
mädtigungsyertrag — Die Buͤrgſch aft, 
Der Aufbewahrungs: (audRiedertegungs-) 
Vertrag beruht duf dem, einem Anbern überttagerttuy 
Rechte, eine Sache aufzubewahren, und in dem Ber) 
fprechen des Anderen, fiir diefe übertragene Sadheigit 
haften, und, wenn der Verluft derfelben burd) ‚feine 
Schuld entſteht, Schabenerfag zu leiſtatt. Die bei« 
den contrahirenden Theile heißen.der depomens unb 
der-depositarius. - Iſt eine beftimmte Zeit der Auf⸗ 
bewahrung feſtgeſetzt; ſo darf der Depofitarius. bie 
Sache vor dem Abläufe dieſer Zeit nicht zuruͤckgebun; 
wenn ihm bdiefelbe auch läftig werden follte ; eben fo 
darf fie der Deponent nicht früherzurück verlangen 
Nur phyſiſche Ohnmoͤglichkeit, fie länger aufzube⸗ 
wahren, ober die rechtliche Aufhebung des Vertrags, 
kann den Depofitar davon entbinden. — Ber De 
pofitar befomme aber durch die übernommeng Aufbe 
mwahrung eben fo wenig das Nedht:, die deponirtie 
Sache zu gebrauchen, fobald dies im: Bertrage. thin 
. nich ausdrüdtich zugeffanden worden ift, als er an 
fich für die Aufbewahrung eine Entfhäbigung:fod 
dern kann, wenn diefe nicht gleichfalls durch yorhet- 
gegangene Vebereinfunft feftgefege ward. 
..Za dem Bevollmädhtigungspertrage 
übernimmt det Bevollmärhtigte‘ ( mandatarius) bie 
Füͤhrung eines Gefhäfts an der Stelle des Bevoll⸗ 
'mächtigenben (mandans), und wied daburch. dur . 


102 Matur⸗ und Wölfe 


Stellvertreter deffelben. Doch maß der Bevollmaͤch⸗ 
tigende feine. Vollmacht mit Beſtimmtheit geben, 
weil der Bevollmaͤchtigte verpflichtet iſt, das uͤber⸗ 
nommene Geſchaͤft der Vollmacht gemaͤß zu fuͤhren, 
und ſelbſt fuͤr die vernachlaͤſſigte Erfuͤllung deſſelben 
Entſchaͤdigung zu leiſten, beſonders wenn der Nach⸗ 
theil aus der Ueberſchreitung der Greugen det erhalte- 
nen Vollmacht entſpringt. Dagegen ſteht aber auch 
dem Bevollmaͤchtigten das Recht zu, bie Anerkennung 
und Beſtaͤcigung feiner Handlung nad) vollbrachtem 
Geſchaͤfte von dem Bevollmaͤchtigenden zu verlangen. 
Sat uͤbrigens der Bevollmaͤchtigte eine ihm bes 
dinge ertheilte Wolltnache überfchritten ; fo iſt der 
Bevollmaͤchtigende nicht verpflichtet, die eingegang« 
nen Bedingungen zu beftätigen. Endlich darf der 
Bevollmaͤchtigte die erhaltene Vollmacht, ohne aus⸗ 
druͤckliche Einwilligung: bes Bevollmächtigenden ‚ uf 
feinen Dritten übertragen. - .; 

c Durch Butfagung und Verbürgung kann 
ein Dritter an dem Vertrage Andrer Ancheil: erhalten, 
und gewiſſe ihn bindende Verpflichtungen uͤberneh⸗ 
men, entweder um dem Verſorechen bes einen ‚Theile 
mehr Nachdruck zu geben, oder um die Sichertzei der 
gelftung in Hinſicht der Bedingungen des Vertrags 
überhaupt: zu garantiren. Die Verpflichtung des 
Dürgen erliſcht aber mie der Vollendung bes Ver⸗ 
crags; dagegen tritt die Leiſtung des Buͤrgen ein, ſo⸗ 
bald Hl ertrag nicht zur rechten Zeit und unter den 
feſtgeſetzten Bedingungen erfüllt wird. 


237. 
9) Der wertrag auf den Ball bes Todes. 
.Wenn gleich die Teſtamente, nach ihrem Weſen 
ned nach ihrer Form, ausſchließend bem poſtipen 


n 


Natur · und Wölferrerhe, 103 


Rechte angehören, und ein. Teftament im civiliſtiſchen 
Sinne dem Naturrechte fremd iſt; fo folge doch ſchon 
aus dem hefprünglichen Rechte auf erworbenes Eigen-, 
thum, fo mie ans dem. Nechte des Vertrags über: 
haupt ‚ daß jeder Theilnehmer der etgergeſeuſchaft 
über fein Eigenthum auch auf ben Fall des To— 
des verfügen, und eben fo, wie es einen Schenkungs⸗ 
vertrag unter Lebenden gibt, fein Eigenthum gleic)- 
falls einem Andern im Voraus auf den Fall des 
Todes’ vertragsmaͤßig entiveber ganz - ober. theilmeife 
beftimmen - karin, ohne daß die Rechtsgefellfchaft, 
deren Mitglied er ift,, berechtigt wäre, das durch ſei⸗ 
nen Tod erledigte Eigentum für hervenlos zu erfläs 
ren, und der willkuͤhrlichen Ergreifung einss Dritten 
zu überlaffen. Der Gegenfland biefes Vertrages 
umfchließt daher den rechrlihen Nachlaß eines Ver⸗ 
ſtorbenen, und ber in Kraft diefed Verfrages eintres 
tende Beſitzer des Nachlaffes heiße ber Erbe. 
Sobald aber fein folcher Vertrag vorhanden iſt, 
kann ein natürliches Erbfolgerecht, nad Ver— 
nunftgrundfägen, nur aus dem natürlichen Fami— 
lienrehte nah der Gemeinſchaftlichkeit des 
Eigenthums zwifchen Samiliengliebern abgeleitet 
werben , und nur fo weif reichen, als das Familien⸗ 
recht reiht. Das natürliche Erbfolgereht kann da⸗ 
ber nur zwifchen Perfonen , Die Durch Die Bande der 
Natur oder eines fhrmlichen Vertrags zum häuslichen 
und ehelichen Leben vereinigt find, alfo zwiſchen Gat⸗ 
ten, Aeltern, Kindern und Geſchwiſtern nach dem 
Vernunftrechte gedacht werden, weil zwiſchen diefen 
die gegenfeitige Verpflichtung der Ernährung And 
Unterftügung, und das Recht des gemeinſchaftlichen 
Eigenthums und Vefiges fatt findet. — ‚Entfern- 
tere Verwandte, ma, biefe beiden Rerpältnifie weg⸗ 


o ⸗ er! . . 
‘ 


104 Fake und Voͤlkerrecht. 


falien, koͤnnen nie, wie jede andere Perſon, bürch 
einen. foͤrmlichen Vertrag auf den Fall deg Todes zu 

Erben beſtimmt werden. — 3 
‘Krug (Handb, der PL, SEE 
“are Aufl.) ecfläce. fich gleichfalls_für ven Er b⸗ 
vertrag... .. ... ...7 


- 


vertrag der Gefellfhaft .-.::.: 


» 
v 


eine rechtliche Form, d. i. eine Verfaſſung (9. 29.), 
und dadurch erſt den Charakter einer abgeſchloſſenen 
Geſellſchaft erhaͤlt; ſo kann auch die rechtliche 
Form der gefellfhaftlihen Verbindang 
eines ganzen Volfes nur unter der Bedingung 
eines Verfaffungsvertrages gedacht werben. 
Denn die Vernunft denkt "unter dinem Wolfe” die 
Maſſe von Individuen, die für die Verwirklichung 
des Zweckes der Herrfhaft des Rechts durch 
‚einen freien Vertrag zu Einer Rechtsgeſellſchaft ver- 
bunden find. — In dem Verfaffungsvertrage ver- 
„ einige ſich aber der Gefammtwille des, Volkes theils 
über ben Zweck der Merbindung, theils uber die 
aus der Eigenthuͤmlichkeit und den befondern Ver— 
altniffen jedes einzelnen Volkes hervorgehenden 
ittel, diefen Zweck zu erreichen., Es müflen da⸗ 
her, bevor nad) den Grundfäßen der Staatskunſt 
(Politik) diebefondern Verhältniffe des einzelnen, 
in der Erfahrung erfcheinenden, Volkes bei der Auf: 
fteflung der Verfaſſung deſſelben beruͤckſichtigt wer⸗ 
ben koͤnnen, im Naturrechte die von der Vernunft 





NRatur- und Vblkerrecht. 108 


uͤnnachlaͤſtich acbotenen "alte emeinen Brundb⸗ 
lagenjedesrehtlihen Bereins (melde alfo 
auch die Grutiblagen der rechtlichen Verfaſſung eines 
jeden Volkes’ Bilden) ‚ in ihrer Einfachheit ausgeſpro⸗ 
hen werben.” Diefe Grundlageit' beftehen aber'ir 
den (9:15 ff.) aufgeftelleen urſpruͤnglich en Re ch⸗ 
ten bes Menſchen, welche in der Verfaſſung, ais 
einem burd‘ den Geſammtwillen abgeſchloſſenen Ver 
trage, unfer ber Form von Geſetz en — als Vor⸗ 
ſchrifien fuͤr den Willen aller durch den Vertrag ver⸗ 
bunbenen "Individuen: — -erfeiiien. So verſchie⸗ 
ben daher auch’ im Einzelnen bie Beſtimmungen in 
ber Verfaſſung eines gegebenen Volkes, nach 'stt- 
lichen und Seſchichttichen Bergälmifen V⸗ ſeyn 





*) Das Sara ercht: Schande im Berfafimsdueriins 
in abstracto;. das Staatsrecht denſelben mis 
Hinfiht anf den, das Beſtehen der Nechtsgsfellfchaft: 
fihernden, erhilic geftalteten. Zwang, die — 
eunft!aber mit Beziehung auf Örtliche und: 

ſch icht liche Verhälniffe. Welche Verfafſung 44 

ED, Marwegen u. ſ. w. — inwie⸗ 
fern; dieſ als gegebend. h. als wirklich 
Staaten erſcheinen — die beſie ſey; kann nicht nach 
dem Naturrechte und nad dem: Staatsrechte ent⸗ 
ſchieden werden. Das Naturrecht verlangt blos,’ 
daß. die im g. aufgeftellten Srundlagen einer, jeden 
rechtlichen Werfaffung in den Berfaffungen Portu⸗ 
gals, Norwegens u. ſ. w. nicht fehlen, und das 
Staatsreqhht ſtellt dieſe Grundlagen, auf den 
Fall möglicher. Verlegung, unter die Garantie 
des rechtlich geftalteten Zwanges. Was aber in 
geſchichtlͤcher Hinſicht (d. h. aus den ſeit Jahr⸗ 
hunderten beſtehenden rechtlichen und geſetzlichen 
Sören. ded Sffentlihen Staats ebens In Pors 
tuga Normwe en u. a, ) mit jenen allgemeinen nas 
tursechtlichen Grundlagen einer jeden kechtlichen Ver⸗ 


c⸗ 


y 


406, Naturr und Woͤlkerrecht⸗ 


mögen; fo verlangt.bie Vernunft doch afs;allgemeine 
Grundlagen einer jeden. Verfaſſung:. die ‚perfönliche 
Freiheit, mit ewiger Vernichtung aller Sklaverei 
und Leibeigenſchaft (und ba, wo ſie geſchichtlich 
noch beſtehen, mit rechtlaͤcher Ausgleichung 
der qus dem Lehnsſyſteme hervorgegangenen perſon⸗ 
Uchen und. dinglichen Verhaͤitniſſe); die äußere Gleich⸗ 
heit vor dem Gefege in Hinſicht aller in ber. Geſellſchaft 
geltend zu machenden Rechte und -aller in. berfelben 
zu übernehmenden Pflichten, befonders in. Betreff der 
öffentlichen: Leiftungen (doch ohne Aufhebung. der ge. 
fHihtlih begründeten perſoͤnlichen Standesver⸗ 
haͤltniſſe); die Freiheit ber. Sprache, ber Preffe und 
bes Gewiſſens (doch ohne irgend eine, Dadurch ges 
fhebene Rechtsverlegung ungeahndet zu laſſen); die 
perfönliche Ehre 'aller Individuen des Volkes; bie 
rechtliche Erwerbung des: Eigenthumss: die inbivis 
Belle und allgemeine Sicherheit, und die unver- 
brüchlide Gültigfeit aller Verträge‘,: welche bie zur 
Geſellſchaft verbundenen Individuen auf. rechtliche 
Weiſe -gegenfeitig abfehließen. an 

3: Dea gber diefe höchften Güter bes Lebens, ohne 
welche Feine Herrfchaft des Rechts gedenkbar iſt, theils 


’s 
— — fi 
D 





faffung verbunden werden, ſtehen bleiben und den 
Uebergang aus der alten Zeit. in die neue vermits 
teln, was ferner aus oͤrt lich en Rackſichten und aus 
allgeniein in Portugal, Norwegen ıc. gefühlten Bes 
dürfniffen in die Verſaſſung aufgenommen werden 
fol; das kann blos. durch die auf einen gegebenen 
-Staat angewandten Srundfäße der Staatskunft ent» 
fhieden werden. — Nur duch die Verwechslung 
diefer Beftimmungen konnten die ungeheuern Mißr 
yerftändniffe bei und nach, der Bildung tteuer Vers 
. .‚faffungen feit 30 „Jahren entſtehen. 


Narur. und Bälterrehe . 107 


nach ihrem Yanzen Umfange, cheils für alle Zeiten 

in der —*2 geſichert werden ſollen, weil eben, 
nach der Vernunft, an die Stelle desßefomme 
willensder Maffe, die moraliſche und juri⸗ 
diſche Einheit des Ganzen- treten ſoll; ſo ver⸗ 
langt aud).die Vernunft, daß das Wolf, weldjeg, 
als Maffe, feine Rechte opne Anarchie nicht ausüben 
kann und darf, fogleich in dem Werfaffungsvertrage 

bie Anwendung und Leitung der Geſammt⸗ 
m acht der ganzen Geſellſchaft einem Oberhaupte, dem 
NRegenten,, fo mie bie fortbauernbe Bewahrung 
und Behauptung der Rechte des Volkes einer he⸗ 
fimmten Zahl aus feiner Mitte freige- 
wäßlter. Stellvertreter übertrage, fo Daß, 
mit dem Eintritte ber rechtlichen Verfaſſung ins 
öffentliche Seben, die Ankündigung der Geſammt⸗ 
macht des Volkes durch das Volk ſeibſt fuͤr immer 
aufhoͤrt, dem Regenten aber ausſchließend. die 
vollziehende Gawalt, und gemeinfhaftlid 
mit den Stellvertresern des Volks (nad) gewiſſen in 
der Verfaſſang genau gezogenen Örenzen) bie.gefeg- « 
gebende Gewalt zufommt, fo wie die richter liche 
Gewalt, durch welche jede einzelne ftreitige Handlung 
der Mitglieder ber Rechtsgeſellſchaft unter die be— 
ſtehenden Geſete gebracht und nad) denſelben beur- 
theile wird, von einem unabhängigen richterlichen 
Perſonale geübt erden muß... ... 

Mad :diefen,, aus, dem uͤrrechte der Menſchheit 
ſelbſt abgeleiteten, Grundlagen gehoͤrt die Lehre von 
der rechtlichen Begründung einer Verfaſſung, und 
von der in derfelben ausgefprochnen Zheilung (Mit . 
Trennung). ber höchften Gewalt. in.die gefeggebende, 
vollziehende und richterliche, in Das Naturrecht, wo⸗ 
durch zugleich der Rerfaffungsuertrag ben Regi ie» 


[4 
, 


108 | Natur» und Völkerrecht. 


rungsvertrag ir füch einſchließt, weil keine 
rechtliche und bleibende Geſtaltung eines Volkes ohne 
Regierung gedacht werden kann. Das Verhaͤltniß 
aber, das zwiſchen dem Regenten und den Regierten 
vertragsmaͤßig beſteht, iſt das Verhaͤltniß zweier 
ſittlicher Perſonen, welche gegenſeitig Pflichten‘ 
und Rechte gegen einander haben. -": \ Zu 
Das Naͤhere über die rechtliche Bildung der- 

Verfaſſung unter der gefeglichen Begtuͤndung des 
Zwanges, fo wie über bie gegenfeitigee Rechte und‘ 
"Sflichten des Regenten und der Unterthanen ‚wird 
Im Staatsrehte entwicelt. : Dagegen gehört 

die Crörterung der Frage: ob bei einem-gegebenen 
WBolke vie Regierung einer einzigen Berfon, oder - 
einer Mehrzahl: von Individuen, od: erblich ober 
wechſelnd, ob .lebenslänglich oder auf eine be« 
ſtimmte Reife von Jahren, fo wie unter:weldhen 
.. Titeln und äußern Förmen übertragen’werben fol, 
" der Staatsfunft.an, weil’ diefe durchgehends 


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41) Der firdlide Verfaffyngsvertrag. 
Keine vertragsmäßig verbundene . Gefellfchaft 
‚ von Menfchen kann ohne oͤffentliche Religionsübung 
gedacht werden, weil jedem vernünftigen Wefen bie 

Beziehung auf das Ueberſinnliche und Emige fchon 

“in und mit feiner geiftigen Natur gegeben iſt. Naͤchſt 
"den Berfaffungsvertrage, welcher "die: aflgemeine 
rechtliche Grundlage des Vereins einer” beftimmeen 
"Maffe von Imbividiien zu einem Voͤlke Bilder, muüß 


Names und Wollerrecht. 40 


deher in jeder Rechtgeſellſchaft vernuͤnftiger Weſen 
ein Vertrag beſtehen, durch welchen dieſelben zum. 
gemeinſchaftlichen oͤffentlichen Bekenntniſſe ihrer retj⸗ 
giöfen Ueberzeugung, zur DBefeftigung, Belebung und 
Fortbildung in derfelbeu, fo wie zur gemeinfchaftlichen - 
‚Verehrung Gottes vermittelſt ‚eines, äußern. Kyltus 
fich vereinigen. Naͤchſt diefen weTehtlichen Ve 
fimmungen bes kirchlichen Verfaftungsvertengs fol - 
‚berfelbe zugleich bie Zeit, dan Ort, die Formen 
die äußern. Symbole diefer Verehrung suiaten, f 
‚wie Die Bedingungen, unter: welchen die Leitung des 
öffentlichen religiöfen Unterrichts und Kultus gewiſſen 
Individuen uͤbertragen wird, welche durch zweck⸗ 
maͤßige wiſſenſchaftuͤche Vorbereitung und practifdhe 
Uebung. eben fo, wie durch die Sittlichkeit ihrer Ge⸗ 
finnung und ihres Wandels, am-meiften: bazu geeigagt 
find, die innere und äußere Geſtaltung einer Kir che 
nad) ihrer Berfaffung, nad) ihrer Bermaltung 
und nad) ihrem Kultus aufrecht zu erhalten, zu 
leiten und zeitgemäß fortzubilden, . Denn ber Zweck 
ber kirchlichen Verbindung beraht;, meil fie fittliche 
und jur grenzenlofen Vervollfommnung ‚beftimmge 
Weſen umfchließt, auf der fittlih «religiofen Sortbü- 
dung aller vertragsmäßig jufammengetretenen Indi⸗ 
viduen, theils in Hinficht der Begründung unb Bewah⸗ 
rung der durch freie Selbftchätigkeit erreichten Leber: 
zeugung won ‚ben Gegenfländen bes religiofen Glau⸗ 
bens, theils in —* — der oͤffentlichen Ankuͤndigung 
des eligiofen Lebens: Durch firelich „gute — auf die 
großen Ideen ‚der fittlihen :Freiheit,., ‚der, fittlichen 
Weltordnung, der Unfterblichfeit und des. Dafeyns 
Gaties gegründete — Handlungen, Die Kirche, 
im naturrechtlichen Sinne, iſt daher eine Gefellfehaft 
von: len dio fih.zum Öffentlichen Belenntniffe 


- 


110 Bas umd Volkerrecht. 


und zur Ausuͤbung Ver Religion: vermittelft- eines 
gemeinſchaftlichen -Außern Gottesdlenſtes vertrags⸗ 
maͤßig verbunden haben. | 


‚40 " 
42) Das allgemeine Geſellſchaftsrecht. 


| Das affgemeine Gefellfchaftsreche: umfchließt 
theils das Verhältniß des Individuums zu der gan- 
zen Rechtsgeſellſchaft, mit welcher daſſelbe durch 
Vertrag verbunden ift; theils das Verhaͤltniß diefer 
Geſellſchaft zum Individuum; theils das Verhaͤlt⸗ 
niß der einzelnen vertragsmaͤßig begründeten Rechts⸗ 
geſellſchaft zu andern, Rechtsgeſellſchaften, die neben 
berfelben auf dem Erdboden beſtehen, ober bes einen 
Volkes zu den andern Völkern, U 
Das Verhaͤltniß des Individuums 
zur Geſellſchaft beruht darauf: daß es ſeinen 
perſoͤnlichen Zweck jebesmal in. den innigſten Zuſam⸗ 
menhang mit ben Zwecken der ganzen Geſellſchaft 
bringe; daß es diefen Zweck blos durch rechtliche 
Mittel zu verwirklichen ſuche; baß es alle öffentliche 
Beſchwerden und Laſten der ganzen Geſeilſchaft eben 
‘fo gemeinfchaftlich trage, wie es an allen Vortheilen 
der Gefellfchaft rechtmäßigen Antheil nimmt; und 
daß es, wenn es das DBeftehen und die Wohffahre 
bes Ganzen verlangt, bereit fey, feine individuelle 
Wohlfahrt dem Zwecke des Ganzen willig aufzuopfern. 
Das Verbhäleniß der Geſellſchaft zu 
dem Individuum beruht darauf: daß Fein: Mit- 
glied der Geſellſchaft blos als Mittel, fondern in jedem 
einzelnen alle als Selbſtzweck behandelt merbe; 
daß der äußere freie Wirkungsfreis des Individuums 
nie beſchraͤnkt werde, als entweder mit deſſen eigner 


Maturs und’ Volkerrecht. 444 


Zeſtimmang / fobald es das Beſtehen und die Wohl. 
fahrt des Ganzen verlange, ober fobald: durch die 
Handlungen des Individuums die Rechte Andrer be- 
droht und verlegt werben;  umb daß die ganze Ge- 
ſellſchaft Durch alle ihre oͤffentlichen und gemeinfchaft- 
lichen Anftalten und Einrichtungen, fo wie durch die 
zeitgemäße Fortbildung derſelben, den ununferbröche 
nen Fortſchritt aller zur Gefeilfchaft verbundenen 
Individnen zur größern Wohblfahrt und zut boͤhern 
geiſtigen Thaͤtigkeit befürbere 

Das Verhältniß der einzelnen’ ver- 
tragsmäßig begründeren Nehesgefelt- 
[haft zu andern: vertragsmäßig' (abge 
ſchloſſenen Rechtsvereinen, ober des einen 
Volkes zu den andern, welche mit und neben ihm 
auf dem Erdboden beſtehen, beruht auf der Ueber⸗ 
tragung des Gleichgewichts‘ des äußern freien Wir⸗ 
fungsfreifes innerhalb der einzelnen Rechtsgeſellſchaft 
auf die Verbindung und Wechſelwirkung aller neben 
einander beftehenden Völker, damit das Recht, wie 
es auf einem beftimmten Theile bes Erbbodens inner⸗ 
halb des einzelnen Volkes bereichen fol, auch auf 
dem ganzen Erdboden berſhe und im ganzen Reiche 
ſittlicher Weſen, nach Ihrer bußern Ankuͤndigung, 
nichts herrſche, als das Recht. So entſteht durch 
die Erweiterung des Maturrehts auf die ganze 
Menfchheit das philofophifhe Voͤlkerrecht. 


4A 
Anhang 
Von den Rechten der Wahnfinnigen. 


In jeder größern Gefellfchaft freier Weſen wer⸗ 
den Individuen geteöffen, welche wahnfinnig d.h. 


, 


MR Ratur⸗ und Voͤlkerrecht. 


auf eine gewiſſe Zeit ober. für Immer des Bechrauche 
ihrer Vernunft und, ihres’ freien Willens beraubt find. 
Ar Weriehung auf diefe unglüflihen Wefen -umfrer 
‚Gattung — über deren Selbitverfchuldung. ihres Zus 
ftandes der äußern Rechtsgefellfchaft Fein Urtheil zu⸗ 
ſteht — verlangt bie Vernunft, daß, meil fie. durch 
ißeen Eintritt und durch ihre Aufnahme in bie Gefell- 
ſchaft nach der Gefammtheit ihrer urfprünglichen und 
‚erworbenen Rechte anerfannt worden find, fie. auch 
während der Zeit Ihres .MWäßnfinng. nach, diefem 
Maasftabe behandelt werden muffen. Zunaͤchſt fteht 
aber dem Oberhaupte der Familie, zu welcher fie 
‚gehören, ‚ober. wenn fie. in. öffentliche Anftalten auf: 
‚genommen en en Vorftepern Derfelben bie 
Pflicht zu, über ihre Perfonen und, ihre Rechte ‚zu 
machen, „damit theils ihre Individuelle Sichexheit, 
ihr. Eigenthum, ihr guter Name, und. ihre abge- 
ſchloſſenen Verträge nicht beeinträchtigt oder verlegt, 
teils die Unglüclichen ſelbſt mit möglichfter Umfihe 
und Schonung behandelt werben, um fie entweder 
‚‚swieder- zur Genefung zu bringen, ober doch zu ver- 
hüten, ‚daß fie im: Zuftande des Wahnfinns nicht 
fich felhft und den übrigen Mitgliedern der Rechts: 
gefelfäaft gefährlich werden... u... 

N, e - or W 





Natur» und Völkerrecht. 113 :\ 


B) Das philoſophiſche Voͤlkerrecht, 
ober der philoſophiſchen Rechtslehre zweiter Theil, 


| 22. 
Hebergang vom Naturrehte zum Wölfen 
rechte. 


Wenn das Naturrecht, als der erſte el der 
philofopbifchen Rechtslehre, Das Ideal barftellt, wie 
das Recht in dem äußern freien Wirfungsfreife der 
vertragsmäßig zu einer Gefellfchaft verbundenen In⸗ 
dividuen zur Herrfchaft gelangen fann und foll, und 
deshalb aus dem, jedem Individuum juftehenden, 
Urrechte.der Perfönlichkeit deſſen urfprüngliche Rechte, 
fo wie die gefammten Bedingungen alles rechtlichen 
Zufammenlebens in der Ehe, in der Familie, in der 
öffentlichen Verbindung eines ganzen Volkes, und in 
der Kicche entwidelt; fo umfchließt das philofophi- 
fhe Völkerrecht, als der zweite Theil der phi⸗ 
Iofophifchen Rechtsiehre, das deal der Herr- 
fhaft des Rechts auf dem ganzen Erdbo- 
ben, nad) ber Verbindung und Wechſelwirkung ver 
auf der Erde neben einander beſtehenden größern oder 
kleinern in ſich vertragsmäßig abgefchloffenen recht⸗ 
lihen Vereine, die roir Volker nennen. Denn ab- 
gefehen von der großen Verſchiedenheit der in ber 
Wirklichkeit beftehenden Völker, theild nad) ihrer 
phyſiſchen Befchaffenheit; theils nad) den Einflüffen 
des Klima, des Bodens, der Befchäftigungen, der 
Religionen, der Verfaffungen und Regierungen auf 
die Entwidelung und Ausbildung derfelben; theils 
nad) ben mannigfaltigen Stufen bet geiftigen, Fünft« 
1. - Q \ 


/ 


\ 





. 114 MNMatur⸗ und Völkerrecht. 


leriſchen und fittlichen Kultur , auf welchen fie fteben, 


gibt ed doch, nach. der Vernunft, ein gemeinſames 
Band für fie alle in ihrer Außern Verbindung und 
Wechſeiwirkung: das ewig.gültigeund heilige 


Recht. 


Wie aber innerhalb dieſer gegenſeitigen Verbin⸗ 
dung und Wechfelmirfurfg aller Voͤlker des Erdbodens 


das Recht zur Herrfchaft gelangen foll, lehrt das phi- 


loſophiſche Völkerrecht. So entfteht, durch die Er- 
mweiterung der Lehren bes Naturrechts auf die ganze, 
in mannigfaltig verfchiedene Völker gerheilte, Menſch⸗ 
heit die Wiffenfchaft'des Voͤlkerrechts. Allein fo wie 
das Naturrecht wefentlich verfchieden von dem Staats⸗ 
rechte, und; als idealifcher Maasſtab für alle Rechts: 
verhältniffe, weit erhaben ift über afle in der Wirf- 
lichkeit beftehende pofitive Rechte, Gefeßgebungen und 
Verfaſſungen; eben fo ift auch das philofophifche Voͤl⸗ 
Ferreche von dem Staatenrechte, mit dem in dem⸗ 
felben die gegenfeitigen Rechte der Staaten fchüßen- 
den und ahndenden Zwange, und von dem practi- 
fhen europäifhen Voͤlkerrechte in wiſſen— 
ſchaftlicher Hinficht weſentlich verfchieden, ob es gleich 


‘ für die Begründung beider, fo wie für alle darin auf» 


geſtellte Grundfäße und Lehren, den höchften Maas» 
ftab enthaͤt. Das philoſophiſche Wölferredt 


iſt daber Die wiffenfhaftlihe Darftellung 


bes deals der Herrfhaft des Rechts auf 
dem ganzen Erdboden in der Verbindung 
und Wechfelmirkfungaller neben einander, 
beftehbenden Völfer, | 
Das philofophifhe Voͤlkerrecht, welches, mie 
das Naturreht, auf ein deal ſich gründet, das 
in der Wirklichkeit nie ganz erreicht werden fann, 
ſchließt, wegen diefes deals, den Zwang in 





Natur⸗ und WVölferrehe 413 


dem Verkehre der einzelnen Völker von fi) aus, 
weil diefer ein frembdartiger Beſtandtheil in 
ber idealifch gedachten Wechfelwirfung der Voͤlker 
if. Allein das Staatenrecht fann fo wenig, wie 
das Staatsrecht, des rechtlich. begründeten Zwan⸗ 
ges entbehren, weil er im wirklichen Verkehre 
der Staaten bie Bedingung ift, daß die Herrfchaft 
‘des Rechts erhalten, und das verlegte Recht geahn⸗ 
det werde. 

Eben fo genait muß das philofophifche Völker . 
teht von dem practifhen europäifchen 
Völferrechte unterfchieden werden, welches 
jenes vorausfegt und auf daſſelbe fich gründer. 
Denn das practifche europäifche Völkerrecht (wie 
es im vierten Theile dieſer Staatswiffenfchaften 
ſyſtematiſch dargeftellt werden wird,) beruht zu⸗ 
naͤchſt auf den zwifchen den einzelnen Völkern und 
Staaten abgefchloffenen und beftehenden Vertraͤ⸗ 
gen, fo wie auf ber Völferfitte, dem Herkommen 
unb ber Analogie. — _ 

. In Hinſicht des geſchichtlichen Anbaues, 
des Voͤlkerrechts muß erinnert werden, daß die 
Altern Bearbeiter deſſelben von Hugo Grotius 
an bis auf Vattel und Moſer, durchaus kein 
reinphiloſophiſches Voͤlkerrecht, ſondern ein 
gemiſchtes aufſtellten, worin zwar die Zuruͤck⸗ 
fuͤhrung der aufgeſtellten Lehren auf Vernunftgrund⸗ 
ſaͤtze nicht zu verkennen iſt, wo aber doch die Ent⸗ 
widelung des in derWirklichkeit Beſtehen— 
den vorherrſchte, ſo daß die dahin gehoͤrenden Werke 
in der Literatur des practiſchen europaͤiſchen Voͤl⸗ 
kerrechts aufgefuͤhrt werden ſollen. Erſt ſeit den 
Schriften von Guͤnther, Martens und andern 
über das practiſche europaͤiſche Voͤlkerrecht ward 
8°. 


116 Natur» und Voͤlkerrecht. 


‚ das leßtere in wiſſenſchaftlicher Hinſi ht forgfältig 
.. von bem philofophifchen Voͤlkerrechte gefchieden ; 
: fo wie dann aud) die philofophifchen Schriftfteller 
. über das Maturrecht, befonders feit der Verbrei- 
tung des frieifchen Syſtems, das Philofopbi- 
f he Völkerrecht, nad feinem Zufammenhange 
mie bem Naturrechte, fogleid) in Verbindung mit 
. bemfelben behandelten, und alles von dem philofo- 
phiſchen Voͤlkerrechte ausſchloffen, was blos in 
den Kreis des practiſchen europaͤiſchen Voͤlker⸗ 
rechts, als einer ſelbſtſtaͤndigen Wiſſenſchaft, 
gehört, 


‘43. 


Zwed des Nebeneinanderbeftehens ber 
Voͤlker. 


Wenn das einzelne Volk, nach der Vernunft, 

aus einer Mehrzahl von Individuen befteht ($. 38. 

und 40.), welche, zur Verwirklichung des gemein- 

fhaftlihen Zweckes der Herrfchaft des Rechts, durch 

einen freien Vertrag zu Einer Gefellfchaft fich ver- 

‚bunden haben; fo denkt fid) die Vernunft die Voͤl⸗ 
fer .als abgefchloffene gefellfhaftliche Vereine fittlicher 

Weſen, die nach dem Gefege der äußern Freiheit 

rechtlich neben einander beftehen, bie ihre 

rechtlichen Verhaͤltniſſe gegenfeitig anerfennen, und 

biefelben einander, durch die ftrengrechtliche Grund: 

lage ihres wechfelfeitigen Verkehrs, gemährleiften 

(garantiren). Die Vernunft denkt ſich nämlich unter 
dem menſchlichen Gefchlechte das ganze unermeßliche 

Reich fittlicher Wefen auf dem Erdboden, getheilt in 
‚eine große Anzahl einzelner Völker, deren allge 
meiner Verkehr unmittelbar auf der NWernunftidee 


‘ 


Nature und Völkerrecht. 117 


der unbebirigten Herrfchaft des Rechts beruht, deren 
befondere Rechtsverhaͤltniſſe gegen einander aber 
durch einzelne Verträge feitgefegt werben, 
doch fo, daß alle befondere Bedingungen diefer Ver- 
träge (wie alles Befondere dem Allgemeinen unterge« 
ordnet iſt,) ebenfalls dem legten und hoͤchſten Zwecke 
der Herrſchaft des Rechts auf dem Erdboden unter⸗ 
geordnet find, weil diefer Zweck in ber Idee der 
Menſchheit ſelbſt enthalten ift, und weil durd) deſſen 
Verwirklichung alle Völker des Erdbodens zur An⸗ 
näherung an das Ziel ber Menfchheit raftlos fort 
fhreiten und unter fich zu einem unauflöslihen Sans - 
zen verbunden werden follen. Denn berfelbe End: 
zweck der Sittlichkeit, welcher Pfliche und Recht un- 
jertrennli in ſich faßt und- weichen die Vernunft 
dem Individuum als die große Aufgabe feines Der 
feyns vorhält, gilt auch, unter erweiterten Beziehun« 
gen, für die öffentlihe Anfündigung jedeg 
einzelnen Volkes, und, in feiner hoͤchſten Steis 
gerung, felbft für die ganze Menſchheit, im 
wiefern diefe aus der Geſammtheit aller auf den 
Erdboden neben einander beſtehenden Völker gebildet - 
wird, i _ 


Das Urrecht im Voͤlkerrechte. 


Enthaͤlt das philoſophiſche Voͤlkerrecht — nach 
ſeiner wiſſenſchaftlichen Verſchiedenheit von dem 
Staatenrechte und dem practiſchen europaͤiſchen Voͤl⸗ 
kerrechte — in ſich die Erweiterung der Lehren und 
Grundſaͤtze des Naturrechts auf die ganze Menſchheit; 
fo muß auch nach demfelben Maasſtabe, nad) welchem 
am Eingange bes Naturrechts das Recht der Perſoͤn⸗ 


118 Nature und Wöllersehe 


lichkeit als Urreht des Individuums fland, 
aus welchen die urfprünglihen Rechte , unmittelbar 
unb Die erworbenen Rechte mittelbar hervorgingen, 
im philofophifchen WVölfereechte ein Urrecht als 
Grundlage bes ganzen Völferrechts aufgeftelle werden, 
aus welchen alle einzelne urfpränglice und er- 
worbene Rechte ber Voͤlker mit Nothwendigkeit 
bervorgeben, | 

So wie nun das Recht der Perfönlichkeie das Ur⸗ 
recht im Maturrechte ift; fo ift die Selbftftändig- 
Feit und Integrität der Völfer das Urrecht 
im Voͤlkerrechte. Denn jedes Wolf bildet, als ein 
nad) feiner Werfaffung vertragsmäßig abgefchloffenes 
Ganzes (6. 38.), nad) der Vernunft die Einheit 
einer moralifhen und juridiſchen Perfon, 
in welcher afle Individuen des Volkes eben fo als bie 
einzelnen Theile des Ganzen nah ihrem Verhält- 
niffe zudem Ganzen beftehen, wie die einzelnen 
Glieder einer Organifation. Die Selbftländig 
keit eines Volkes beruht aber darauf, 

a) daß ihm ein Gebiet als Eigenthum zu« 
fommt , von welchem weder ein Theil einem andern 
Wolfe gehört, noch auf irgend einen Theil deffelben 
ein anderes Volk einen rechtlichen‘ Anfpruch bat; 

by) daß feine Bevölkerung, nad den In— 

dividuen und nach ihrer Geſammcheit, völlig un- 

abhängig ift von jedem andern Wolfe und beffen 

Regierung; | 

<) daß einem foldhen unabhängigen Wolfe, zum 

Unterfhiede von allen andern Völkern, ein eigen- 

:,, £bümliher Name, eine eigenthümliche Verfa ſ⸗ 

‚»fung und eine eigenthümliche Regierung zu- . 
. kommt. 


Natur⸗ und Völkerrecht, 119 


Naͤchſt der Selbſtſtaͤndigkeit iſt die Integricäe 
die zweite Bedingung des Urrechts eines jeden Vol- 
“tes, und biefe Integritaͤt beruht auf der Unverleg- 
barfeit feiner Bevölkerung, feines Gebiets, das es 
rechtmäßig befißt, feiner Werfaffung, durch deren 
einzelne ‘Beftimmungen es ſich von jedem andern 
Volke unterfcheidet, und feiner Regierung, deren Ober- 


haupt blos diefem, und feinem andern Volfe angehört. 


Ob nun gleich, nad) der Geſchichte, die DVer- 
legung der Integrität eines Volkes mit Rettung feis 
ner Selbftftändigkeie (3.3. bei durchgeführten Theis 
lungen von Sändern und Reichen), nie aber der 


Untergang feiner Selbftftändigkeit mit "Beibehaltung. 


feiner Integritaͤt gedenfbar ift; fo verlangt doch die 
Vernunft unnachlaglih die Anerfennung und das 
Beftehen beider im Urrechte der Völker weſentlich 
verbundenen Beſtandtheile: der Selbftftändigfeit und 
Integritaͤt. Dierehelihe Fortdauer feiner 
Selbftffändigfeirund Integrität, d. b. die 
Unverlegtheit aller feiner Mitglieder und deren unauf- 
löstiche Einheit in der Gefammtheit des unter einem 
eigenthümlichen Namen fi) anfündigenden Volkes, 
die Heiligfeie feines Beſitzthums, und die Bewah⸗ 
rung feiner befondern Verfaſſung und Regierung 
gegen jeden fremden Angriff, ift daher der hHöchfte 
und legte Zweck eines Volkes; ein Zweck, der 
um feinen Preis aufgegeben werden darf, und ber 
durch alle Mittel des Rechts und der Klugheit erhal: 
ten und gefichere werden muß. 


45. 
Folgerungen daraus, 


Aus dieſem Urrechte der Selbftfländigfeit und 
Integrität der Völker folge mit Nothwendigkeit: 


— 


120 Nature und Völkerrecht. 


a) daß jedes Bolt Zweck an fich iſt, und 
nie Mittel für andere Völker; 
b) daß jedem Wolfe das Recht zufteht, ſei⸗ 
nen ihm eigenthümlichen — in deſſen Verfaffung 
beftimmt ausgefprochenen — Zweck burd alle 
Mittelzu verwirklichen, welche ihren Grund 
in der Verfaffung haben, von der Regierung des 
Volkes ‘als die zweckmaͤßigſten anerkannt, und 
durch weiche die Rechte andrer Völker 

nicht bedroht oder verlegt werben; und 
c) daß jeder Angriff eines auswärtigen Volles 
auf die Selbſtſtaͤndigkeit und Integrität eines an« 
dern Volkes, nach der Vernunft widerrechtlich 
ift, weil die Vernunft feinen Fall kennt, wo irgend 
ein Volk berechtigt wäre, ein anderes Volt als 
. Mittel für feine Zwede zu behandeln, indem mit 
dem Verlufte der Selbftftändigfeit und Integritaͤt 
felbft des (dem Beſitzthume und der Bevölkerung 
nah) Eleinften rechtlich geftalteren Volkes das all» 
gemeine Band bes Rechts zwifchen allen Völkern 
zerriffen, die Herrfchaft des Rechts auf dem Erd» 
boden gehindert und zerftöre, unb der Zwed der 
Vorſehung felbft bei der eigenthümlichen freien 
Entwickelung des menſchlichen Geſchlechts unter den 
Taufenden, ober unter den Millionen firtlicher We⸗ 
fen vernichtee werden würde, welche zu dem Um⸗ 

fange eines Volkes gehören. Ä 
Was der Mord (die perfönliche Vernichtung) des 
Individuums in der einzelnen Rechtsgeſellſchaft iſt; 
dag iſt Die Zerftörung der Selbftftändigkeit eines Vol⸗ 
kes in dem Voͤlkerſyſteme, aus welchem die ganze 

Menſchheit befteht. | 

(Das philofophifhe Voͤlkerrecht kann 
‚von dieſen unmittelbar aus der Mernunft her⸗ 


’ 


Nactur⸗ und Voͤlkerrecht. 124 


vorgehenden Grundſaͤtzen nicht abweichen. Im 
Staatenrechte wird aber gelehrt, in welchen 
Faͤllen und bis wie weit ver Zwang (als Retor 
fion, Reprejjalie oder Krieg) zwiſchen ben einzel» 
nen Staaten rechtlich fen; fo wie das practifche 
europäaifhe Völkerrecht theils gefchicht« 
- Lich nachweifer, warn und wie einzelne Staaten 
entweder blos in die innern Angelegenheiten andrer 
fi) eingemiſcht, oder deren Integrität durch Theis - 
lungen vermindert, ober fogar, durch völlige Auf⸗ 
löfung eines beftehenden Staates, deffen Selbft« 
ftändigfeit vernichter haben; theils die pofitiven 
Verträge aufführt, nach welchen die Einmiſchung 
in die innern Angelegenheiten andrer Staaten er 
folgte; theils in politiſcher Hinficht die für eine 
folhe Einmiſchung aufgeftellten Maasregeln des 
Rechts und der Klugheit nach dem im $. sub b 
enthaltenen Maasftabe prüft, ob und bis wie weit 
naͤmlich von einem Volke die Rechte Andrer , vor 
der Einmifchung berfelben, bedroht ober verlegt wor⸗ 





den find. — Daraus erhellt, daß die Beantivor- ⸗ 


tung der hoͤchſt ſchwierigen Frage über die wirf ' 
Liche (factifche) Einmifchung eines Staates in bie 
innern Angelegenheiten eines andern vom philofo- 
phifchen Voͤlkerrechte, als blos gefchichtlih und 
politiſch, ausgefchloffen werden muß, und zunaͤchſt 
dem practifchen europäifchen Völferrechte angehört, 
das aber, nach feinen legten rechtlichen Gründen, 
auf dem philofophifchen Wölferrechte beruht.) 


46. | 

Schluß diefer Folgerungen 
Es bleibe übrigens gedenkbar, theils, daß, bei 
dem fteigenden Anwachfe der Menſchenzahl eines Vol⸗ 


122 Natur- und Völkerrecht. 


tes, ein Theil diefer Bevölkerung, nach gegenſeitiger 
Aufhebung des bisher beſtandenen Vertrages, ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig zu einem beſondern Volke jufammenfrete, oder 
aus eigenem Antriebe auswandere und auf einem noch 
wirangebauten Boden als felbftftändiges Wolf durch 
freien Vertrag, fo wie durch eigenthümliche Berfaf- 
fung und Regierung, ſich bilde; theils, daß ein 
felbftftändiges Wolf, durch freie Uebereinftimmung 
feiner Mitglieder, es wecnäßig finde, und, es öffent- 
lich erfläre, mit einem andern Wolfe, welches daffelbe 
aufnehmen will, für immer fi zu verbinden, und 
durch dieſe Verbindung mit demſelben zu Einem 

Ganzen, unter einer gemeinſchaftlichen Verfaſſung 
und Regierung, zu verſchmelzen. 


47. 


Urfprüngtige und erworbene Rechte der 
Voͤlker. 


So wie im Narurrecht die Rechte der Indivi⸗ 
duen in urſpruͤngliche und erworbene Rechte zerfallen; 
fo auch im Voͤlkerrechte Die Rechte der einzelnen Voͤl⸗ 
fer in urſpruͤngliche und erworbene. Zu den 
urſprunglichen gehören alle aus dem Begriffe ber 
Selbſtſtaͤndigkeit und Integrität mit Nothwendigkeit 
herdorgehende Rechte, welche, auch ohne förmliche 
zwiſchen den Völkern abgefchloffene Verträge, von 
der Vernunft als die Grundbedingungen der gegen 
feifigen Verbindung und des rechtlichen Verkehrs 
zwiſchen allen Völkern unnachlaßlich gefordert wer⸗ 
den, deren gegenfeitige Anerkennung alfo in der Wech- 
felwirfung der Völker auf ftillfhweigendem 
Vertrage ($. 24.) beruft. Dagegen werden unter 
ben erworbenen Rechten der Völker alle diejenigen 


Natur⸗ und Wöllerech. 123 


verſtanden, weiche aus ben wifſchen den Voͤlkern ab⸗ 
geſchloſſenen einzelnen Vertraͤgen entſpringen. Dieſe 
erworbenen Rechte koͤnnen daher ſo vielfach und ver⸗ 
ſchieden ſeyn, als die Gegenſtaͤnde der Vertraͤge ſelbſt 
zwiſchen den Volkern mannigfaltig und verſchieden 
ſind, und muͤſſen wiſſenſchaftlich nach der Aehnlichkeit 
der Verträge i im Naturrechte beurtheilt und behandelt 
werden. 

Weil aber alle durch gegenſeitigen Vertrag er⸗ 
worbene (wirkliche und poſitive) Rechte zwiſchen 
den Völkern (z. B. Buͤndniſſe, Handelsvertraͤge, 
Schiffahrtsvertraͤge, Friedensſchluͤſſe ꝛc.) als Ge⸗ 
genftände der Erfahrung und Geſchichte 
 erfcheinen, und, als folche, zu dem practifchen euro» 
päifchen Völkerrechte gehören; fo werden im philoſo⸗ 
phiſchen Voͤlkerrechte, das unabhängig von der Ge- 
ſchichte auf reiner Vernunft beruht, zunachft nur die 
urfprünglichen (aus dem Ureechte des Voͤlker⸗ 
rechts: bervorgehenben) Rechte aller Völker aufgeftellt, 
weiche aufwärts auf dem Urrechte der Selbſtſtaͤn⸗ 
digkeit und Integritaͤt beruhen, und abwärts (für 
das practifche europäifche Völkerrecht) die Grundlage 
aller erworbenen Rechte bilden, inwiefern fie in ſich 
den Maasſtab enthalten, nach welchem ſaͤmmtliche zwi⸗ 
ſchen Voͤlkern und Staaten wirklich abgeſchloſſene 
und beſtehende Vertraͤge in Hinſicht ihrer Rechtlichkeit 
und Guͤltigkeit beurtheilt werden muͤſſen. 


48. 
Nomen elatur der urfprüngligen Rechte 
der Völfer.. 
Die urſpruͤnglichen Rechte der Voͤlker ſind: 
4) die individuelle Freiheit eines jeden Volkes; 
2) die rechtliche Steiäppi deſſelben mit andern ; 


124 Matur⸗ mb Völferreiht, 
3) die gegenfeitige Deffentlichfeit Wublieitih 


der Voͤlker; 
A) der Kredit der Voͤlker; 
5) der rechtliche Eigenchums— und Sr icſbeſ 
der Voͤlker; 
G) die aͤußere Sicherheit der Völker; | 
7) das Hecht der Verträge zwifchen den einzel- 
nen Völkern; - 
8) bas Recht der Vertretung des einen Volkes 
- bei dem andern, oder Das Befa ndten⸗ 


recht. 


49. 


1) Dos Recht der individuellen Freiheit 
eines jeden Volkes. 


Die unbeſchraͤnkte Freiheit und Unabhaͤngigkeit 
des einen Volfes von dem andern iſt Die erſte Bedin⸗ 
gung und die Grundlage ihres vechtlichen Mebenein- 
anderbeſtehens, ihrer Fortfhritte in allen einzelnen 
Zweigen der finnlithen, technifchen, geiftigen und 
fierlichen Kultur, und der Erweiterung, Vermehrung 
und Bervolllommnung der Mittel ,-duech welche jene 
Fortſchritte bewirft-werden fönnen. Kein Wolf darf 
alſo das andere überfallen, das rechtliche Dafeyn, ober 
die Selbftftändigfeit deſſelben auflöfen, und Theile 
deſſelben, oder auch das Ganze felbft, rider deſſen 
‚Willen fich einverleiben,, fo wie die in ihm lebenden 
Indipiduen zur Knechtſchaft und Sklaverei bringen. 

Wie bei den Individuen die Knechtſchaft und 

Leibeigenſchaft mit der perſoͤnlichen Selbftftändig- 
feit unvereinbar ift, die geiftige Entwickelung und 
jeden Forefchrite in der Kenntniß und Sittlichkeit 
laͤhmt (man denke an die Wirkungen der Unter: 


. 


. Natur » und Völkerrecht. 125 


jochung der Wölfer, 3. B. der alten Griechen durch 
die Römer, ber Neugriechen durdy die Türken, 
und an die Folgen des Negerhandels); fo auch bei 
den Voͤlkern. | 


N 


50. 
2) Die rehtlihe Gleichheit der Völker, 


Die Gleichheit eines Wolfes mit dem andern 
befteht nicht darin, daß jedes Wolf eine gleiche Maſſe 
von Quadratmeilen auf dem Erdboden befiße, ober 
eine gleiche Zahl der Bevdlferung in ſich faſſe, oder 
diefelben Erzeugniffe ver Natur, des Gewerbsfleißes 
und der Kunft hervorbringe, oder auf gleicher Stufe 
der geiftigen Bildung und Reife mit andern ftehe; fie 
beruht vielmehr darauf, daß alle Völker ohne Aus» 
nahme durch die Vernunft zur Verwirklihung des . 
Rechts berufen, und, nad) diefem Endzwecke bes 
öffentlichen Volkslebens, in ihrem äußern freien Wir: 
kungskreiſe, zurvöllig gleihmäßigengegen- 
feitigen Behandlung, fo wie zur gegenfeitigen 
unbedingten Anerkennung ihrer Selbftfländigfeit und 
Integrität verpflichtet und berechtigt find. , Diefes 
Recht der Gleichheit der Voͤlker ſchließt daher in fich: 
daß fein Wolf nach einem Uebergewichte über das 
andere ſtrebe; daß fein nad feiner Bevölkerung 
zahlreicheres und mächtigeres Volk das minder zahl« 
reiche und minder mächtige brüde ober beeinträchtige; 
feines ſich in die inneren und äußern Verhältnifle des 
andern mifche, dafern nicht feine anerfannten Nechte 
bedroht find, und überhaupt Feine Forderung an ein 
anderes Wolf fich erlaube, die mie den Rechten freier 
und felbftitändiger Volker unvereinbar iſt — Nur 
durch diefe vechtliche Gleichheit der Völker kann zwi⸗ 


46 Natur» und Völkerrecht, 


fchen ihnen ein Gleichgewicht ber firtlihen . 
und phbyfifhen Macht hervorgebracht werben, 
das eine ungleich feftere Grundlage ihres gegenfeitigen 
Verkehrs bildet, als das in der Wirklichkeit beftehende 
(und in dem practifchen europäifchen Völkerrecht nad) 
. feinen Grundlagen darzuftellende) fogenannte polit i⸗ 
fhe Gleichgewicht. 


j \ 5in .. 
3) Die gegenfeitige Oeffentlichkeit (Pu- 
blicieät) der Völker. 


Sollen Völker unter rechtlichen Werhältniffen 
neben einander beftehen, und die wechfelfeitigen Ver⸗ 
bindungen des Handels und des uͤbrigen Verfehrs 
durch ihr gegenfeitiges Zutrauen begründet, erleich- 
tert und gefichere werden; fo muß jedes Volk wiſſen, 
wie eg mit dem andern baran iſt. Dies fann aber 
nur durch gegenfeitige Deffentlichkeit bewirkt werben. 
Diefe Deffentlichfeit beruht eheils auf dem urfprüng- 
- lichen Rechte der Freißeit der Rede und der Preffe 
($. 18.), doch mit rechtliher Ahndung jedes durch 
den Mißbrauch derfelben verlegten Rechts; theils 
auf den allen andern Bölfern befannten Bedingungen 
feines äußern Verkehrs, welche nie verheimlicht,, fon- 
been offen und beſtimmt ausgefprochen, aus Grund⸗ 
faß feftgehalten, und nur unter hoͤchſtbringenden 
Verhäleniffen verändert werben dürfen. Bei Diefer 
Deffentlichfeit gewinnt jedes andere Wolf die Ueber: 
jeugung, daß cs in dem Verfehre mit einem Volfe, 
deffen öffentliche Anfündigung auf dem Grundfage 
ber Deffentlichfeie beruht, nie gefährdet werden fonne, 
daß vielmehr ihre Wechfelmirfung beiden vortheils 
baft feyn muͤſſe. Aus diefem Rechte der gegenfeiti- 


Natur⸗ und Völkerrecht. 127 


gen-Deffentlichkeie folge von felbft, daß es ben Indi⸗ 
viduen eines jeden Volkes rechtlich frei ftehe, die in- . 
nern und dußern Derhältniffe der andern‘ Völker 
öffentlich durch Rede. und Schrift zu beurtheilen und 
zu prüfen, doch innerhalb der Grenzen, welche bereits 
im Naturrechte für das Recht der Freiheit der Rede 
‚und der Prefle aufgeftelld wurden... Sobald diefe - 
Grenzen überfehritten werden; fobald bat auch die 
Megierung des beleidigten Volkes das Recht, Genug⸗ 
thuung von der Regierung desjenigen Volkes zu ver- 
langen, von beflen Mitte der Mißbrauch der Preffe 
ausging. ' | 


52. 
A) Der Kredit der Völker, 


Was der gute Mame für das Individuum iſt; 
das ift der Kredit für ein Wolf. Gebilvet wird Dies 
fer Kredit eines Volfes durch die öffentliche Mei— 
nung aller andern Voͤlker über die erreichte Kultur 
deflelben, und über die Art und Weife, wie bei einem 
Volke das innere und außere Leben deffelben, fo- 
wohl einzeln, als nah ber Wechfelwirfung 
beider auf einander, fid) anfündigen, wodurch zugleich 
deffen eigenthümliche Stellung und Geltung in dem 
gefammten Voͤlkerſyſteme vermittelt wird. — Jedes 
Volk hat aber das urfprüngliche Recht, zu verlangen, 
daß fein Kredit öffentlich von dem andern anerfannt 
und ihr gegenfeitiger Verkehr darnad) eingerichtet 
werde. Diefer Krebie des einzelnen Volkes beruft 
4) nah dem innern Leben deffelben: ebeils auf 
den Fortfchritten oder Ruͤckſchritten der finnlichen, 
technifchen,, geiftigen und fietlichen Kultur der großen 
Mehrzahl ber Individuen bes Volkes; theils auf 


128 Naturs und Völkerrecht. 


der Rechtlichkeit, Güte und zeitgemäßen Geftaltung 
feiner Verfaſſung und Regierung; theils auf der 
Einfachheit, Zweckmaͤßigkeit und . Feftigfeit feiner 
Verwaltung, in Hinficht der Gerechtigkeitspflege, der - 
Polizei für die öffentliche Ordnung, Sicherheit, Wohl⸗ 
fahrt und Kultur, der Vertheidigungsanftalten, und 
- der Finanzen, befonders nad) der verfaffungsmäßigen 
Beitimmung, gleihmäßigen Vertheilung, zweckmaͤßi⸗ 
‚gen Erhebung und zur öffentlichen Kunde gebrachten 
Verwendung der allgemeinen Abgaben von dem 
Volksvermoͤgen für Die Zwecke des Ganzen; — und 
2) nad) dem aͤuß ern Leben, oder in Hinficht der 
Wechſelwirkung mit allen andern Völkern, theils 
auf der Nechtlichfeit der angenommenen Grundfäge 
für den Verkehr mitdem Auslande überhaupt; theils 
auf der Gemiffenhaftigfeit und Treue in der Erfüllung 
ber mit andern Völkern eingegangenen Verträge; 
theils auf der Kraft und Stärke in der Behauptung 
feinee mit andern abgefchloffenen beſondern. Buͤnd⸗ 
niſſe. 


53. | 
5) Der rehtlide Eigenthums- und Ge 
0 bietsbefiß der Voͤlker. 


Jedes Volk hat das Recht auf Die Behauptung 
feines Gefammtgebiets und des auf demfelben enthal- 
tenen und rechtlich erworbenen Eigenthums aller fei- 
ner Mitglieder. Zum Eigenthume eines Volkes ge- 
hören aber fein Boden ‚feine Flüffe, feine Wälder 
und Berge, feine unmittelbaren und mittelbaren Er- 
zeugniffe, fein natürlicher und erworbener Reichthum, 
feine Kolonieen u. ſ.w. Daraus folgt von felbft, daß 
jedes Wolf auch bei allen andern neben ihm beftehen- 


* 


Natur⸗ und Voͤlkerrecht. 129 


ben Voͤlkern ben rechtlichen Beſitz ihres Gefammege- 
bietes und des gefammten. Privateigenthums ihrer - 
Bewohner anerfennen müfle, weil davon das Urrecht 
der Voͤlker, ihre Selbftftändigkeit und Integritaͤt, 
abhängt, ohne welche feine Herrfchaft des Rechte auf 
dem Erbboden gedenfbar ift. Dabei ſteht jedem Wolke 
das Recht zu, Fremde, welche ven Verfaffungsver- 
trag anerkennen, in feiner Mitte aufzunehmen, feine 
Grenzen zu befeftigen,, und in ber innern Befchaffen- 
heit feines Gebiets Weränderungen (Anlegung von 
Kanälen, Straßen, Abgaben, Polizeianftalten ıc.) 
vorzunehmen, ohne deshalb andere Völker darüber 
zu befragen. Zugleich hat jedes Wolf das Recht, 
von einem andern Volke auf rechtliche Weife, d. h. 
durch freien Vertrag, Sändergebiet und Eigenthum _ 
zu erwerben, fo wie unter Individuen Eigenthum 
und Befig durch Vertrag erworben wird. . 

Nicht minder kommt jedem Volke das Recht zu, 
Kolonieen in Erdfleihen zu begründen, bie 
entweder noch unbemwohnt find, oder wo das zu be» 
fegende Gebiet von den Eigenthuͤmern rechtlich erwor⸗ 
ben wird, oder wo Die Landſchaft bereits zu dem Ge⸗ 
biete bes Volkes gehörte, bisher aber noch nicht an⸗ 
gebauet worden war. Mach diefen Berhältniffen ge- 
ſtaltet fi) auch die Verbindung und die Abhängigfeit 
der Kolonie vom Mutterlande. Denn bindet Pein 
feierlicher und beftimmter Vertrag die Kolonie an das 
Mutterland; hat das legtere fein Hecht auf bas im 
Befig genommene Gebiet, und hat es um bie Be- 
grünbung der Kolonie feine Verbienfte fi) erworben; 
fo tritt Die neue Pflanzung ſogleich als ein unabhän- 
giges und felbftftänbiges Volk in die Reihe der übri- 
gen Völker. 

Was enblid die Freiheit der Meere und 

L ' M 9 


130 | Hatur.s. und Vöͤlkerrecht. 


das Recht bes: Eigenthums. über biefelben 
betrifft; ſo kann nur derjenige Theil eines Meeres :als 
das Eigenthum eines Volkes angefehen werben, wel⸗ 
her deflen Kuͤſten berührt, und zwar bis in. Die Ent: 
feenung, welche nöthig ift ‚.diefe.KRüften zu fichern, 
md dag freie Ein» und Auslaufen ber Slotten zu bes 
fordern. - Dagegen ift jede Herrſchaft uͤber ein ganzes 
Meer oder ſogar über ben Dream :mit der urfprüng- 
lichen rechtlichen Gleichheit der Völker und..mit der 
yon der Vernunft gebotenen allgemeinen Freiheit des 
Handels nicht zu vereinigen ;. Denn:ein Meer koͤnnte 
nur dann als das Eigenthum Eines Volkes (uud 
‚nis fogenanrites mare clausum in der Sprache bes 
practifchen Wölferrechts ) betrachtee werben, wenu 
ſaͤmmtliche an den Ufern deſſelben liegende tänber 
zu dem Gebiete dieſes Volkes gehoͤrten. 


| 54. 
6 Die äußere Sicherheit der Voͤlker. 


Jedes Volk wird von der Vernunft als der 
Garant der Selbſtſtaͤndigkeit, Unabhaͤngigkeit und 
Integritaͤt jedes andern Volkes gedacht, und’ auf die⸗ 
fer durch die Vernunft gebotenen Garantie beruht 
Die aͤußere Sicherheit der Volker. Allein biefe 
Sicherheit im äußern Volksverkehre fegt die Sicher- 
beit im innern Volksleben infofern voraus, inwie⸗ 
fern fein in feinem Innern veraltetes, oder nad) feiner 
Verfaflung und Verwaltung feßlerhaft geſtaltetes, 
und in ſeiner Entwickelung und Reife ſtillſtehendes 
Volk irgend einem andern Volke die Gewaͤhr fuͤr deſ⸗ 
fen. aͤußere Sicherheit leiften fann.. Im innern Wolks⸗ 
‚leben wird aber die, die äußere Sicherheit der Voͤlker 
bedingende , Sicherheit erkannt theils an ber Ein- 








I 


- Nature und Völkerrecht. 131 


heit und Feſtigkeit, welche in dem durch die Werfafe 
fung beftimmten Verhältniffe der gefeßgebenben , voll- 
ziehenden und richterlihen Gewalt gegen einander, 
und in allen Beziehungen der Regierung zu dem Wolfe 
und deſſen Vertretern, fo wie des Volkes und feiner 
Vertreter zu der Negierung fi) anfündige; theils 
im Einzelnen an dem Vorhandenfeyn aller der Be- 
dingungen und Anftalten zur Sicherheit für dag Leben, 
die perfönliche Freiheit, das Eigenthum, für den 
gegenfeitigen Verkehr und für die Bequemlichkeit und 
den Genuß des Lebens aller Einheimifchen, fo wie 
aller Fremden, welche auf längere oder fürzere Zeit - 
in Der Mitte des Volkes verweilen. — Diefe Sicher- 
heit im innern Volfsleben ift zugleich die wefentliche 
Bedingung und ber zuverläfligfte Bürge der äußern 
Sicherheit der andern Wolfe. Denn diefe beruht 
im Allgemein auf der, von dem Grundſatze der Gleich» 
beit der Rechte abhängenden, äußern Stellung 
des einen Volkes gegen alle andere, befunders aber . 
auf der Treue und Gemiffenhaftigfeit, womit bie 
zroifchen denfelben abgefhloffenen Verbindungen und 
Merträge erfüllt werben, wodurch namentlich die nach 
der Bevölkerungszahl ſchwaͤchern Völker mit denje⸗ 
nigen ftärfern fir ihre Sicherheit zuſammentreten, 
deren Verfaffung, Regierung und öffentliche Ankuͤn⸗ 
digung im Verfehre mit andern Völkern es verbürgt, 
daß fie jeden öffentlichen oder geheimen Angriff auf 
die Setbftftändigkeit, Integrität und Verfaffung an- 
drer Völker fiir unrechrlicd und unter ihrer Würde 


betrachten, und bei ſolchen Angriffen die mie ihnen 


verbündeten Voͤlker kraftvoll unterſtuͤtzen werden. 

Dazu kommt, daß je einfacher und rechtlicher die 

aͤußern Verbindungen der Voͤlker ſind, auch ihre 

aͤußere Sicherheit weit weniger gefaͤhrdet iſt, als 
9 





132 Natur⸗ und Volferrecht. 


wenn, durch eine fehlerhafte Staatsfunft, die aus- 
wärtigen Verhaͤltniſſe vielfach in die fremdartigften 
und einander miderfprechenden Intereſſen verwidelt 
werden. 

Die Fremden endlich, welche in der Mitte 
eines Volkes leben, werden zwar, in Hinſicht des 
öffentlichen Rechts und der gefeilfchaftlichen Pflichten, 
den Individuen des einheimifchen Volkes vollig gleich- 
‚gehalten und behandelt, in einzelnen zweifelhaften 
Fällen aber nach ihren eigenthuͤmichen Sitten, Rech— 
ten und Gebraͤuchen beurteilt. 


55. 


7) Das Recht der Vertraͤge zwiſchen den 
einzelnen Voͤlkern. 


So wie jede rechtliche Verbindung wwiſchen den 
Individuen auf Vertrag beruht; ſo auch zwiſchen den 
Völkern. Völlig für ſich, und abgeſondert von den 
übrigen, fann fein Volk des Erdbodens leben; ein 
völlig gefihloffener Handelsftaat ift Daher 
weder gefchichtlic) denkbar, noch mit der Forderung 
der Vernunft für die Herrfchaft des Rechts auf dem 
ganzen Erdboden vereinbar. Nur durch eine Ver⸗ 
bindung mit andern Voͤlkern, die auf freien Gedan⸗ 
fen= und Handelsverfehr gegrünbet ift, gewinnt die 
Thätigfeit und Kultur aller einzelnen Völker eben fo 
an innerer Kraft, wie an der weiteften Verbreitung 
nad) außen. Weil aber diefe Verbindung mit andern 
Völkern in rechtlicher Hinficht auf Verträgen be⸗ 
ruht; fo muß in denfelben der Gegenftand, der Um- 
fang, die nähere Beftimmung und die Dauer der 
vertragsmäßigen Verbindlichkeit feftgefegt werben. 
Bon der Heiligkeit diefer Verträge und der pünck« 


t 


\ v 


Natur» und Voͤlkerreche. 433 


lichen und gewiſſenhaften Erfüllung aller daraus her⸗ 
vorgehenben Verpflichtungen hängt eben fo ber Krebie. 
eines Volkes im Auslande, wie feine aͤußere Ruhe 
und Sicherheit ‚ uab fein höher fleigenber Wohl⸗ 


ab. 

Diefe Verträge Phunen, nach ihren Gegenftän- 
den und nad) ihrer Form, eben fü mannigfaltig und 
verfihieden feyn, als Die Verträge bes Naturrechts. 
Es gelten daher unter ben Völkern, wie unter ben: 
ndieiduen, der Schenfimgs-, der Taufch- und 
Kauf⸗, der Leih⸗, Darlehns-, Pfand» und Bevoll⸗ 
mächtigungs - Vertrag, fo mie die Gutfagung und 
Berbürgung bes einen Volkes für das andere. Allein 
naͤchſt diefen allgemeinen Verträgen gibt es zwiſchen 
den Völfern Bündniffe im engern Sinne, als 
befondere Verträge zweier oder mehrerer Voͤlker 
zur gemeinfaftlichen und gegenfeitigen Aufrechthal- 
tung ihrer Rechte, fo wie die Garantieen. Ä 

Solche rechtlich abgefchloffene Werträge find 
aber für das ganze Volf, entweder für immer, 
wenn fie ohne Beſchraͤnkung auf eine gewifle Zeit 
abgefehloffen wurden, ober für die im Vertrage feR- 
gefegte Zeit, verbindlih. Die erften erlöfchen nicht 
mit dem Tode des Negensen, der fie ſchloß, fonbern 
nur mit dem Untergange des einen Volkes, oder mit 
derjenigen Umbildung feiner Verfaffung, mit welcher 
die Gültigkeit des Vertrages nicht langer vereinbar 
if. Dagegen haben Wölferverträge, welche gegen 
das Urrecht der Selbſtſtaͤndigkeit und Integritaͤt ver- 
ftoßen , nad) dem philoſophiſchen Voͤlkerrechte eben fo 
wenig Öültigfeit, als. diejenigen Merträge des Pri⸗ 
vatrechts, wodurch ein menfchliches Individuum das 
Urrecht der Perfönlichkeit verliert. 

. Je aͤngſtlicher endlich ein Wolf in Hinficht bes 


234 Matur⸗ und Bolkerrecht. 


dahern Verkehts hh anf Ach ſelbſt zurüdgieße; je. ° 
mehr es durch laͤſtige Beſtinmutigen, durch druͤcken⸗ 
des Eingreifen in den Voͤlkerhandel, durch ſeldſtſuch⸗ 
tige Sperrung feinee Grenzen, durch erhoͤhte Abgaben: 
und Zölle für Einfuhr und Durchfuhr, das Ausland 
ſich entfremdet und gegen ſich erbittert; deſto be» 
fhränfter wird feine Verbindung mie andern Voͤl⸗ 
kern; befto einfeitiger allmählig der Gang feiner Ent 
wicelung und Ausbildung, und beflo mehr ‚werben 
die Quellen feines eignen Wohlftandes, befonbers 
durch den geftörten freien und ſchnellen Umlauf des 
Geldes, vermindert. Ye größer und bedeutender 
hingegen die Verbindungen der Völker ‚werben; je 
weiter ein Volk feine Matur- und Kunfterzeugniffe 
außerhalb feiner Grenzen felbft verführt, und andere 
dagegen eintaufcht und zurüdbringt; je mehr es bie. 
Eigenthuͤmlichkeiten der verſchiedenen Voͤlker in deren 
Heimath fernen lernt; deſto mannigfaltiger werben 
auch die Berührungspuncte der Voͤller, und deſto 
hoͤher ſteigt bei ihnen die, Ueberzeugung von ihrer 
gegenfeitigen Unentbehrlichkeit zum hoͤhern Wohl⸗ 
ſtande und zur reifenden Vollkommenheit Aller. 


56. 

8) Das Recht der Vertretung bes einen 

Volkes bei den andern, ‘oder das Ge 
| fandtenrede. 


Jedes Wolf ift berechtigt, von ben andern Voͤl⸗ 
Bern eine fortdauernde Gewaͤhrleiſtung und Sicher⸗ 
ſtellung feiner Selbftftändigfeit und Integrität, und 
ihres gegenfeitigen rechtlichen Verkehrs zu verlangen. 
Zugleich ift jedes Volk verpflichter, diefelbe Gewähr: 
keiftung auch den andern Völkern oͤffentlich zu geben- 


r 


Retur: und Völkerrecht.’ 135 


Auf jenes Recht und auf diefe gegenfeitige Pflicht 
gründer ſich das Befandtenrecht, inwiefern die 
Gefandten die Mittelsperfonen zweier oder mehrerer 
Voͤlker in allen eintretenden Fällen find, wo über die 
rechtlichen Verhältniffe diefer Völker überhaupt, und 
namentlich über Verträge und Buͤndniſſe, über bie 
Angelegenheiten des Handels, fo wie über eingetrefene 
Eoflifionen und Mißverftändniffe entweder zwiſchen 
gewiffen Individuen zweier Völker, oder zwiſchen den 
Intereffen der Völker felbft bald entfchieben werden 


muß. u 
Der Gefandte aber, deſſen Rechte und Pflich- 
ten auf den Grundfägen des Bevollmaͤchtigungsver⸗ 
trages beruhen, und der ein ganges Volk im Aus: 
lande vertritt, fo wie er in deffen Namen — nad) der 
ihm von feinem Regenten ertheilten Anmweifung (In— 
ſtruction) — fpriche und unterhandelc, ift perfon- 
lich unverleglich, nachdem er, als Vertreter feines 
Volkes, im Auslande in Hinfiche auffein Beglau- 
bigungsfohreiben (Ereditiv) und feine’überreichte 
Vollmacht entweder zur Ausfuͤhrung eines befon- 
dern Geſchaͤfts, oder zur allgemeinen Vertretung 
feines Volkes anerfannt worden iſt; fo wie die Re— 
gierung feines Volkes alle diejenigen Handlungen def 
felben anerkennen und beftätigen (ratificiren) muß, 
weiche unmittelbar aus der ihm ertheilten Anmeifung‘ 
und Vollmacht hervorgehen. 
Derftößt der Gefandte aber gegen die Rechte 
desjenigen Volkes, bei welcherh er fich aufhalt;- 
fo fann, wegen feiner Unverleglichfeit, diefer Verſtoß 
nicht perfönlic an ihm geahndet werben; doch Fann- 
das in feinen Rechten beleidvigte Volk auf deffen Zu⸗ 
rücbernfung dringen. ° a 
(Alle nähere, aus der Gefihichte und Volker: 


136 Natur und Völkerrecht, 


fitte entfpringenbe, Werhältniffe der Gefanbten 
gehören dem practifchen europäifhen Voͤl⸗ 
Ferrehte an, und werden im vierten Theile 
dieſes Werfes behanbelt. ) 
(Von Ketorfionen, Mepreffalien, 
‚Krieg und Frieden fann niche im philofo- 
phifchen Wölferrechte, das auf einem Ideale be= 
ruht, gehandelt werden, fonbern im Staatenrechte, 
‚welches, geftügt auf die dem Staatsrechte eigen- 
thuͤmliche Lehre vom rechtlich geftalteten Zwange, 
die Anwendung bes rechtlichen Ziwanges zwiſchen 
Staaten und Staaten, nad den verfchiebenen 
Formen ber Retorfionen, Repreſſalien und beg 
Krieges, in fih aufnimmt.) 


57. 
Das Weltbuͤrgerrecht. 


Menn, nad den bisher aufgeftellten Grund- 
fügen, jebes einzelne Volk in allen ihm eigenthuͤm⸗ 
lichen inneren Einrichtungen und Anftalten, fo wie 
in allen feinen Beziehungen zum Auslande, die Ver: 
wirklihung der Herrfchaft des Rechts als den End⸗ 
zweck feiner gefammten öffentlihen Anfündigung feſt⸗ 
halt; fo erfcheint es vor Der Vernunft und vor allen 
rechtlich geftalteten Völkern als ein dem Ideale der 
Menfchheit felbit entgegenftrebender Verein freier 
- und, nach der Mehrheit feiner Mitglieder, ſittlich— 
mündiger Wefen. | 

Soobald daher die Idee der Herrfchaft des 
‚Rechts auf alle auf dem Erdboden neben einander 
beftehende Wölfer, theils nach der feften Geftaltung 
ihres innern Lebens, theils nad) ihrer äußern Ver⸗ 
bindung mit andern Voͤlkern übergetragen wird; ſo⸗ 





— 


Natur⸗ und Woͤlkerrecht. 137 


bald denkt ſich auch die Wernuuft die gefammte | 


Menfchheit, in der Idee, als wereinige zu Einem 


geoßen Bunde bes Rechts. Durch dieſe Steigerung 


veredelt fih das Woͤlkerrecht zung. Welcbürger-, | 
rechte, nad) welchem jebeg menschliche Individuum. 


nicht blos nach feiner naͤchſten Stellung zu feinem 
einzelnen Wolfe, fondern zugleich aus dem uner- 
meßlihen Standpuncte feines Verhältniffes zur gan⸗ 
zen Menfchheie ſich betrachtet, und an ber Fortbils 
dung der Menfchheie, als Gattung, zu dem gren- 
zenlofen Ziele ihrer Erziehung auf der Erde durch die 
ervige Weltregierung,, nach feiner ganzen Thätigfeie 
Antheil nimmt. Die Menfchheit felbft wird dadurch, 
in der dee, ein großes — durch die unauflösliche 
Verbindung der Pflicht und des Rechts — unzer- 
teennlich vereinigres und feft in ſich zufammenhän- 
genbes Ganzes, befien Theile die einzelnen Voͤlker 
bilden. 


Aus dieſer hoͤchſten Idee der Vernunft für die 


ganze auf dem Erdboden lebende Menſchheit geht 
aber das Ideal des ewigen Friedens hervor, 
welches die Philofophen auf die unbedingte Gefegge- 
bung der fittlihen Vernunft, und auf die Verwirk⸗ 
lihung der Sittlichfeit in den einander gleichgeorb> 
neten Kreifen der Pflicht und des Rechts gründen, 
die Dichter hingegen unter den Bildern des goldenen 
MWeltalters fhildern. So weit nun auch diefes Ideal 
noch von der Wirflichfeit entferne feyn mag; fo ift 
doch, bei der Vervollfommnungsfähigfeit der menſch⸗ 


« 


lichen Natur,’ bei der gefegmäßigen Entwidelung 


ber unermeßlihen in ber Menfchheit enthaltenen 
Kräfte, und bei den unaufbaltbaren Fortfchritten 
des Volfslebens zur geiftigen Münbigfeit, befonders 
aber zur fittlichen,, die allmählige Annäherung 


138 Natur» und Völkerrecht. 


an dieſes Ziel gedenkbar. Es bleibt daher biefe 
Annäherung, fie werde nun In den Jahrbuͤchern der 
Geſchichte nad) Jahrhunderten oder Fahrtaufenden 
berechnet, bie große Aufgabe für alle beftehenbe, oder. 
fih in Zukunft bildende, rechtliche Werbinbungen ber 
Voͤlker bes Erbbodens, Fa 


139. 





u. 
Staats- und Staatenrecht. 





 &inleitung. 


e.. 1. 
VWeorbereitende Begriffe 


Die Vernunft Eenne für den äußern freien Wir- 
kungskreis vernünftig » finnlicher Weſen Feine höhere 
Aufgabe ,. als die unbebingte Herrſchaft des 
Rechts. Diefe Herrfehaft des Rechts in der Ver⸗ 
bindung und Wechfelwirfung mit Weſen unfrer Art 
foll eben fo in der einfachen häuslichen, wie in ber 
größern vertragsmäßig abgefchloffenen Gefellfchaft 
gelten, die wir ein Volk nennen, und gleichmäßig, 
wie dieſe Herrfchaft des Rechts die Aufgabe für das 
rechtliche DBeftehen des einzelnen Volkes bleibe, 
ift fie auch die unnachläßliche Bedingung für die recht» 
lihe Verbindung und Wechſelwirkung aller auf 
dem Erdboden neben einander beftehenden Völker. 
Denn die Herrfchaft des Rechts auf dem ganzen Erb: - 
boden tft das erhabene Ideal der philofophifchen 
Nechtsiehte,, wie es, nach feiner Reinheit, nad) ſei⸗ 


% 


140° Staats» und Staatenrecht. 


nem Inhalte und Umfange, in dem Natur⸗ und Voͤl⸗ 
- Berrechte dargeftellt wird. 

. Betrachten wir aber das menſchliche Geſchlecht 
in der Wirklichkeit nad) feinem Verhältnifle zw. 
“ jener unbedingten Forderung der Vernunft; fo bringe 
fh ung die Wahrnehmung.des großen Abftandes der 
MWirflichkeie von dem Ideale der unbedingten Herr⸗ 
fchaft des Rechts auf. Denn das menfhliche Ge- 
ſchlecht, nad) feiner Ankündigung im’Kreife ber Er⸗ 
fahrung, bildet feinen Verein von Wefen, die ſaͤmmt⸗ 
lich "zur Selbftehätigfeie und Selbitftändigfeit der 
Vernunft und zur Ausuͤbung bes Guten um feiner 
felbft willen, mithin zur ſittlichen Muͤndigkeit 
gelangt wären. Das menfchliche Gefchlecht im Kreife 
der Erfahrung bildet vielmehr eine gemiſchte Ge- 
fellfhaft von firelih-mändigen uud ſittlich— 
unmündigen Wefen. Die letztern erſcheinen aber 
theils als phyſiſch Unmündige, mozu alle ins 
irbifche Leben eintretenbe Weſen unfrer Gattung gehoͤ⸗ 
ren, welche mährenb der Zeiträume der Kindheit und 
Jugend zur ſittlichen Muͤndigkeit erzogen werden ſol⸗ 
leu; theils als ſittlich Unmuͤndige, die, obgleich 
zu den Jahren der phyſiſchen Reife gelangt, dennoch 
bald wegen fehlerhafter Erziehung, bald wegen geiſti⸗ 
ger Schwäche, bald wegen aufmogenber Leidenſchaf⸗ 
ten, bald wegen angenommener Berdorbenheit und 
Bosheit, eben fo Die Herrfchaft des Rechts in der 
‚ ganzen Gefellfhaft, wie die Rechte der Einzelnen, 

durch ihre Handlungen bedrohen und verlegen. ' 


2. 
Sortfegung 
Es muß daher, im Gegenfage des Naturſtandes, 
in derjenigen äußern Verbindung der Menſchen, bie 


‚Staats: und Staatenrecht. 14 


wir in der Erfahrung wahrnehmen, und die wie 
den Staat, oder die bürgerliche Geſellſchäft 
nennen, eine Anftalt befteben und rechtlich geftaltee 
feyn , nach) welcher, um die Herrfchaft des Rechts für 
immer zu fihern, der finnlihen Macht des ſittlich⸗ 
unmündigen und verdorbenen Willens ein Gegen- 
“gewicht entgegengeftellt wird, durch welches jebes 
rechtswidrige Wollen und Handeln erkannt, bebroht, 
geahndet, und dadurch der allgemeine Zweck bes 
Staates aufrecht erhalten wird. — Damit alfo' die 
Herrfchaft des Rechts nie auf die Dauer gefährdet 
und erfchitttert werde, fondern jede Verlegung der« 
felben auf den DVerlegenden- felbft zurücfalle, und 
jedes rechtwidrige Wollen fi) felbft vernichte , beſteht 
in ber bürgerlichen Gefellfhaft ein rechtlich ge— 
ftaltetes Gegengewicht gegen die entweder nur 
beabfichtigte, oder wirklich erfolgte Verlegung bes 
Rechts, und diefes Gegengewicht ift der Zwang, 
ber — aus biefem Verhaͤltniſſe betrachtet — nicht 
feiner felbft wegen, fondern. wegen der 
Herrfhaft desNehts innerhalb des Staa⸗ 
tes vorhanden iſt; der nicht felbft Zioed ift‘, fondern n.. 
bios Mittel zum Zwede; ber alfo, nach feiner An⸗ 
fündigung und Wirkung, aus dem Zwecke des Staa⸗ 
tes abgeleitet werden und biefem Zwecke entfprechen, 
der aber auch deshalb völlig rechtlich geftaltet feyn, 
nach allen denfbaren Rechtsverlegungen im Voraus 
berechnet und alle eingetretene Rechsverlegungen mit 
unveränderlicher durch das Strafgefeg ausgefproches 
ner Strenge, ohne Anfehen der Perfon, an den 
Fndividuen ahnden muß, welche die Herrfchaft des 
Rechts verhindert und geſtoͤrt haben. | 

So entſteht, geſtuͤtzt auf die im Idealeè bes Na⸗ 
turrechts gebotene unbedingte Herrſchaft des Rechts, 


| 


142 Staats- und Staatenrecht. 


"In der erfahrungsmaͤßig beſtehenden äußern Rechts⸗ 
geſellſchaft, durch die Aufnahme des rechtlich geſtalte⸗ 
"ten Zwanges für die Aufrechthaltung und Sicherſtel⸗ 
‘fung ber perfönlichen unb öffentlihen Rechte, bie 
bürgerliche Gefellfhaft, oder ver Staat. 
Denn alle Mitglieder dieſer, für die Herrfchaft des 
Rechts begründeten und den rechtlich geſtalteten 
Zwang in fi) handhabenden, Gefelifchaft heißen, als 
folhe, Bürger des Staates, mweilfie, theils 
unter dem allgemeinen Gefellfchaftszwede der Herr- 
{haft des Rechts, theils unter Dem Zwange flehen 
der dieſe Herrfchaft für immer fichern fol. — 8 
muß daher friiher, als der Staat, ein Bol f vorhanden 
feyn, das im Staate durch freien Vertrag zu Einem 
Ganzen vereiniget wird, und fid) Dem Zwange unter- - 
‘wirft, damit die Herrfchaft des Mechts begründet und 
erhalten werde, | 
‚So wenig aber der Zwang im Staate für die fitt- 
lich⸗ muͤndigen Wefen nöthig ift, welche das Recht üben, 
weil es das Recht ift; fo gewiß darf auıch das Gleich⸗ 
geroicht der äußern Freiheit Aller, d. h. die Herrfchafe 
des Rechts, im Staate von allen denen, welche die⸗ 
ſelbe ftören wollen , oder bereits unterbrochen haben, 
erzwungen werben, obne Doch, meil von fitt- 
lichen Wefen die Rede ift, die Freiheit ſelbſt 
aufzuheben. Der Zwang muß alfo im Staate 
in einer Einrichtung beftehen, wodurch das rechtliche 
Wollen der Staatsbürger den unbefchränfteften Spiels 
raum für feine Thaͤtigkeit behält, und nicht bie ges , 
eingfte Einfchränfung bei allen Handlungen erleidet, 
wodurch die Herrſchaft des Rechts niche gefährbee 
wird, der böfe Wille hingegen ununterbrochen beob« 
wehtet, durch das Ges im Woraus bedroßt, in ber 
Ausführung feiner Abfichten gehindert, in fine Grenz 


Staats» und Staatenreht, 443 | 


zen zurücdgeführe, und, nad) vollbrachter That, für 
die Störung des Gleichgewichts der allgemeinen bür- 
gerlichen Freiheit beftraft wird. | 





Der Naturſtand, imwiefern er als der bürger- 
lichen Gefellfchaft vorausgehend und entgegengefegt 


: angenommen wird, ift: kein Zuſtand bes Rechts; 


er muß alfo aufhören und dem Leben 
im Staate weihen, wo bas Recht gilt und 
gefüchert wird, Allein dee Begriffdes Staa 
tes felbft, inwiefern er einen in der Erfahrung 
beftehenden Verein freier Wefen bezeichnet, ift fein 
Begriff a priori; er ſtammt vielmehr aus 
ber Erfahrung; denn fo weit Die Gefchichte zu- 
ruͤckreicht, entſtanden Staaten urfprünglich zunächft 
für die Sicherung der Rechte der zu einer Gefell- 
ſchaft vereinigten Wefen. — Allein ber bios der 
Erfahrung angehörende und als äußere Gefellfhaft 
beftehende Staat ift deshalb noch fein rechtliches 
Ganzes.‘ Dies wird er erft dadurch, daB Grund» 
fäße der Vernunft, wie fie aus dem Ideale bes 
Naturrechts hervorgehen, auf die rechtliche Geſtal⸗ 
tung des Staates angewandt werden. Ob nun 
alfo gleich der Begriff des Staates, oder ber bür- 
gerlihen Gefellfchaft (denn diefe beiden ‘Begriffe 
find identifh), an fih aus der Erfahrung 
flammt, und die Vernunft ‚fein Staatsrecht als 
Wiſſenſchaft aufftellen koͤnnte, wenn ihr nicht der 
Begriff des Staates durch die Erfahrung zugeführt 
worden wäre; fo fann doch das allgenteine 
Staatsrecht felbft als Wiffenfhaft nur durch 


die Thätigkeit der Vernunft entfliehen, in- . 


wiefern daſſelbe jevem pofitiven Staatsrechte 
gegenüber geftellt wirb. 


m 





! 


144 Staats⸗ und Staatenrecht. 


3 0.00% 
Begriff und Zmed des. Staates, 
Wir verftehen, nad) diefen vorbereitenden Be⸗ 
griffen, unter dem-&taate diejenige vertragsmäßig 
geftiftete Gefellfchaft freier Wefen, in welcher bie 
Herrſchaft des Rechts unter der ‘Bedingung des recht⸗ 
lich geftalteten Zwanges begründet, erhalten und ge= 
fihert wird. J 
Der Zweeck des Staates iſt daher: bie unbe- 
dingte Herrfhaft des Rechts unter der 
Bedingungdesrechtlich geftalteten Zwan— 
ges zu vermwirflidhen. Das deal der Herr⸗ 
[haft des Rechts, wie es im Naturrechte entwicele 
wird, bleibt im Staatsrechte daffelbe; nur daß die 
Verwirklichung diefes höchften, von der Vernunft - 
gebotenen, Zweckes jeber vertragsmäßig begründeten 
Gefellfhaft freier Wefen, wegen der Miſchung fittlich- 
mündiger und fittlich - unmündiger Individuen, unter 
die Bedingung des rechtlich geftalteten Zipanges ge- 
bracht wird. .. | > 
Aus diefem Zwecke des Staates folgt von felbft: 
1) daß, nach) der Vernunft, nur das eben 
im Staateeinenredhtlihen Zuftand bil- 
‘det, und jeder Zuftand des Menfchen außerhalb 
bes Staates ein recht loſer Zuftand ift (wodurch 
der fogenannte, in der Metapolitif nicht felten 
fehr verfchiedenartig gefchilderte, Naturftand *) 
von felbft ausgefihloffen wird); ° - | 


*) Schr wahr fagt Reinhold in f. Aphorismen 
über das äußere Recht überhaupt und 
insbefondere das Staatsrecht, inf. Aus 
wahlverm. Schriften (Jena, 1797.) Ih. 2, 


Staats » und Staatenrecht. | 145 


2) daß der Staat, wegen ber erfahrungsmaͤßi⸗ 
gen immermwährenden Sortdauer und Fortpflanzung 
bes menſchlichen Gefchlechts auf der Erde, eine 
ewige Öefellfchaft bildet, weil, fo lange das 
menſchliche Gefchlecht auf dem Erdboden beſteht, 
für die einzelnen Theile beffelben, die wir Voͤlker 
nennen, nur im Stäate ein rechtlicher Zuftand 
denkbar ift, obgleich die einzelnen Formen im in» 
nern und äußern Staatsleben, uriter den Einflüffen 
ber Zeitverhältniffe und ber Sortfchritte des menſch⸗ 
lichen Gefchleches in allen Verzweigungen der finn« 
lichen, geiftigen und ſittlichen Kultur, fich bedeu⸗ 
tend verändern fönnen °); u 

3) daß weder die bloße äußere Sicher 
beit, noch die Beförderung der allgemel- 
nen Glüdfeligfeit, als Zwed des Staates 
ausreichen ; weil die Sicherheit der Rechte zwar 
eine wefentliche, aber nicht die hoͤch ſte Des 
dingung des Staatslebens ift, und weil die Gluͤck⸗ 

ſeligkeit, die blos den Zweck des finnlichen 
Theiles der menſchlichen Natur ausmacht, weder 
ber Höchfte Zweck des Menfchen,, noch der hödhfte 
Zwed des Staates ſeyn, und überhaupt, als ein 
Gegenftand der Erfahrung, nur nach ganz indivi- 
duellen Bebürfniffen und Werhältniffen erfirebe - 
und genoffen werden fann; . | 


©. 407: „Der Zuftand der Derfon, in welchem 
jede ihr Recht von ihrem phyſiſchen Vermoͤgen abs 
hängen laffen muß, der fogenannte Naturftahb, 
ik ein widerrehtliher Zuftand.” 


*) Der Staat hat nicht die Beſtimmung, wie Einige 
wollten, fi ſelbſt entbehrlich zu machen. 
J. | 10 


! 


146 Staats“ und Staatenrecht. 


A) daß zur Errichtung und zum Beſtehen eines 
Staates zwei wefentlihe Beftandtheile, nach der 
Vernunft, gehören: Land und Volk, d.h. ein 

Theil der Erde (ein Gebiet, Territorium), wel- 
der dem darauf in einer abgefchloffenen Rechts⸗ 
gefellfchaft lebenden Wolfe als Eigenthum zu- 
ftehe; und .eine Zahl von Menfchen, welche zu 
einem felbftftändigen Wolfe auf diefem Theile des 
Erdbodens rechtlich fich vereiniget haben. . . 


4. 
Erweiterung. des Staatszweds. 


Alein die Wefen, welche im Staate zum Buͤr⸗ 
gerthume fich vereinen, bringen in dieſe Nechtsge- 
ſellſchaft nicht nur die Gefammtheit ihrer finnlich » 

vernünftigen Anlagen, Vermögen und Kräfte mit, 
fordern aud) den allgemeinen Endzweck des menfd)- 
fihen Dafenns: die Verwirklichung der Sittlich— 
keit und Wohlfahrfininnigfter Harmonie. 
Es darf mithin der Zwed des Staates dem Endzwecke 

‚ ber Menfchheit nicht entgegen wirken; vielmehr muß 
der Zwed des Staates, nad) feiner Figenthümlichfeit 
— das Gleichgewicht zwifchen der äußern Freiheit 
"Aller zu vermitteln — die Verwirklichung bes End» 
zwecks der Menſchheit erleichtern und befördern. Dies 
gefhieht aber dadurch, daß, weil der Endzwed der - 
Menfchheit nur durch äußere freie Handlun— 
gen, in Angemeflenheit zu ber innern reinen fittlichen 
Triebfeder der Handlung, verwirflicht werden kann, 
ber Zwed des Staates das Gleichgewicht des äußern 
freien Wirfungsfreifes aller Staatsbürger begründet, 
aufrecht erhält und ſichert. Iſt alfo gleich der Zweck 
des Staates nicht ein und berfelbe mit bem Endzwecke 





Staats- und Staatenrecht. 147 
der Menſchheit; fo hängt er Doch cheils von diefem 
ab, inwiefern der Menſch früherift, als der 
Bürger, und dee Menfch nie in den Staat treten 
würde und, nach ber Vernunft, treten duͤrfte, wenn 
er ben Endzwed der Menfchheit fetbft im Staate auf- 
geben müßte, ober nur einfeitig und zufällig erreichen 
koͤnnte; theils ift für Die äußere Thaͤtigkeit vernuͤnf⸗ 
tig⸗ finnlicher Wefen in Hinfiht auf die Annäherung 
an den Endzweck der Menfchheit feine Anftalt 
angemeffener und entfprechender, als der 
Staat, fobald der Zweck deſſelben nicht in bie bloße 
Sicherung der Rechte, oder in die Beförderung ber 
individuellen Vollkommenheit und Gluͤckſeligkeit, fon- 
dern in die unbedingte Herrfchaft des Rechts, in das 
Gleichgewicht der Außern Freiheit aller Bürger, ge: 
fest wird. In diefem Sinne fann man daher von 
einer Erziehung des Menſchengeſchlechts 
durch den Staat .reden; nicht als ob es die un- 
mittelbare Aufgabe des Staates wäre, die in ihm 
zu Einem Ganzen vereinigten Bürger im Einzelnen 
für den Endzwed der Menfchheit zu erziehen, fondern 
weil der eigenthümliche Zweck bes: Staates die Ent⸗ 
wicelung und Ausbildung des Menfhenthums, - 
neben der Erreichung des Bürgerthums, nicht nur 
nicht hindert, fondern Durch eine Menge vun Anſtalten, 
die in feiner Mitte für Bildung, Wohlfahrt und Blud- 
feligfeitsgenuß Beftehen,, unterftügt und- befordert. 
Es kann alfo, in Diefer Beziehung, der Zweck des 
Staates in die freiefte Annäherung aller fei- 
ner Bürger an den Endzweck der Menſch— 
heitunter ber unbedingten Herrſchaft des 
Rechts gefegt werben. 0 

( Hierher gehört die geiftvolle Schrift von Karl 
Sal. Za h ari aͤz uͤber die Erziehung des 
J | Dr 





\ 
148 Staats: und Staatenrecht. 


Menſchengeſchlechts durch den Staat. 
Leipz. 1802. 8., und eine Stelle aus Krugs 
Handb. der Phil. TH. 2. (N. A.) S. 182 f.: 
„Der nähfte und unmittelbare Zwed des 
Staates ift die Verwirklichung der Rechtsidee 
ſelbſt, durch Stiftung des Bürgerthums als einer 
Ordnung ber Dinge, in welcher die practiſche Suͤl⸗ 
tigfeit jener Idee öffentlich anerfannt und gehand⸗ 
habt wird. Weil aber die Glieder einer ſolchen 
Rechtsgeſellſchaft finnlich = vernünftige Weſen find, 
deren jedes in feinem eigenthümlichen Freiheits⸗ 
kreiſe nach Vollkommenheit und Gluͤckfeligkeit 
ſtrebt; fo muß der Staat in dem Geſammtkreiſe 
ſeiner Wirffamfeit nach demfelben Ziele ftreben, 
Der entfernte und mittelbare Zwed des 
Staates ift daher die Erhaltung des finn- 
lih-vernünftigen Lebens aller Einzelnen 
in feiner Kraft und Fülle unter der Her r⸗ 


ſchaft des Rechtsgeſetzes.“) 


Begxiff und Theile des Staatsrechts. 


Das philoſophiſche Staatsrecht (jus 
puhblicum universale — jns civitatis) entſteht als 
Bicſge „, ſobald die Grundſaͤtze der Vernunft 
für die Verwirklichung der unbedingten Herrſchaft 
des Rechts in der Mitte eines Volkes, unter der 
Bedingung des rechtlich geſtalteten Zmanges, ſyſte⸗ 
matiſch dargeſtellt und erſchoͤpfend durchgeführt wer» 
den. Das philofophifche Staactsrecht ift daher bie 
fyfematifhe Darftellung der Örundfäge, 


nah melden die unbebingte Herrfihaft 


des. ‚Rechts, ober das Gleichgewicht jwifchen ber 


\ 
— 


Staats. und Staatenrecht. 149 


äußern Freiheit aller zur buͤrgerlichen Geſellſchaft ver⸗ 
einigten Weſen, unter der Bedingung des 
rechtlich geſtalteten Zwanges innerhalb 
des Staates begründet, erhalten und ge— 
fihert wird, fo daß zugleich, durch die Verwirk⸗ 
lichyng diefes Zweckes des Staates, die Annäherung 
aller einzelnen Staatsbürger an den Endzweck der 
Menſchheit felbft „vermittelte und befördert werden 
kann und fl, 

Durch die Seftfegung diefes Begriffs wirb zu: 
gleich die Eintheilung des Staatsredhts in feine 
einzelnen wiflenfchaftlihen Theile ausgefprochen. 
Denn aus jenem Begriffe des Staatsredhts als Wif- 
fenfchaft gehen unmittelbar die beiden Untertheile 
deflelben hervor: | 

1) Darftellung aller Bedingungen für die Ges 
ftaltung des Staates, als einer bürgerlichen. Geſell⸗ 
ſchaft, in welcher der Zweck der unbedingten Herr- 
[haft des Rechts verwirklicht werden foll (das 
reine Staatsredt); 

2) Darftellung der Bedingungen bes rechtlich 
geftalteten Zwanges im Staate (allgemeines — 
oder philofophifhes Strafrecht). 


6. | 
Verhaͤltniß des Staatsrehts zu den an⸗ 
dern Staatswiſſenſchaften. 


Nah feinem Verhaältniſſe zu den andern 
Staatswiſſenſchaften ſtuͤtzt ſich das Staatsrecht ruͤck⸗ 
waͤrts auf das Naturrecht, deſſen Ide al der unbe⸗ 
dingten Herrſchaft des Rechts, wie es aus der ewigen 
und unveraͤnderlichen Geſetzgebung der Vernunft her⸗ 
vorgeht, im Staatsrechte der Wirklichkeit um einen 
Schritt näher geruͤckt wirb, weil der Begriff des 


[N 


i50 ' Staats : und Staatenredht. 


Staates aus der’ Erfahrung ſtammt, mithin jenes 
Ideal im Staatsrechte angewandt wird auf die Ge⸗ 
fammtzahl Ber Sndividueht eines Volkes, wie fie, nach 
der erfahrungsmäßigen Anfündigimg, aus -einer 
. Mifhung von ſittlich⸗muͤndigen und fittlich » un« 
‚mündigen Wefen beſtehen. Ob nun alſo gleich das 
allgemeine Staatsrecht inſofern eine philoſophei⸗ 
ſche Wiſſenſchaft bildet, inwiefern ſeine Grundſaͤtze 
aus der Vernunft hervorgehen, und fein Staͤat in 
der Wirklichkeit, fo wie fein pofitives Staatsrecht 
den Sorderungen ganz entfpricht, welche das Staats. 
recht aufſtellt; fo fteht doch das philofophifche Staats⸗ 
veht der Wirflihfeitnäher, als das reinidea⸗ 
lifche Naturreht, weil es theils die Menfchen 
nimmt, wie fie fi) als fittlich-mündige und als ſittlich⸗ 
unmündige Wefen anfündigen, und weil esnamentlic) 
in Beziehung auf die äußere Ankuͤndigung ber letztern 
den rechtlich‘ geftafteten Zwang wiſſenſchaftlich begruͤn⸗ 
det; theils weil es, nach biefer feiner Annäherung an 
- die Wirflichfeit, zugleich in fih den wiſſenſchaft— 
lihen Maasftab für die Vollkommenheit 
oder Unvollfommenpeit jedes pofitiven 
öffentlihen und Privat-Rechts enthält, das 
entweder bei erlofchenen Völfern und Reichen beftand, 
oder noch in der Mitte vorhandener Staaten. und Voͤl⸗ 
ker befteht. — Aus diefem Verhältniffe der Abhän- 
gigfeit des Staatsrehts von dem Maturrechte ergibt 
ſich zugleih, daß — bei Folgerichtigfeit des füfte- 
matifchen Denfers — jedesmal das Staatsredht fo 
erfcheinen muß, wie fi) das Naturrecht wiflenfchaft- 
(ih) anfündigt 8). N | 


[N ——— 


.. 9 Wird z. B. in dem Naturrechte geldugnet, daß jede 


rechtliche Geſellſchaft unter freien Weſen auf Vertrag 


Staats» und Staatenrecht. 15 


Zur Scaatskunſt (Politik) wird aber daı 
Verhoͤltniß bes Staatsrechts darauf beruhen, daß 
wenn im Staatsrechte ausfchließend das, was rech 
ift, aufgeftellt wird, ohne dabei die Lehren der Ge: 
fdyichte und Erfahrung, und die aus denfelben abge: 
leiteten Regeln der Klugheit zu berüdfichtigen , di 
Sraarsfunft die Forderungen der Vernunft mii 
den Ausfagen der Gefchichteverbinder, und neber 
den Forderungen des Rechts die Regeln der Erfah: 
rung und Klugheit — doch jedesmal unter der “Be: 
dingung ihrer Nechtlichfeit — für die Verwirklichun: 
des Staatszwedes aufftellt, wo alfo der-aus der finn: 
lihen Natur des Menfchen heroorgehende Zweck deı 
Glüdfeligfeit und Wohlfahrt der Indivi— 
duen und des Ganzen gleichmäßig, mit dem Zweck 
des Rechts, beruͤckſichtigt und feftgehalten wird. 

Ein ähnliches Verhältniß bezeichnet die wiſſen 
fhaftliche Stellung des Staatsrechts zu der Volfs 
und Staatswirthſchaft. Der ewig gültige Zwed 
der Herrſchaft des Rechts, welchen das Staatsrech 
nach allen auf die Wirklichkeit anwendbaren Grund 
ſätzen aufſtellt, kann und darf in der Volks- unt 
Staatswirthſchaft nicht gebeugt oder beſchraͤnkt wer 
den. Allein wenn dieſer Zweck in de Volkswirth 
ſchaft auf alle Quellen, Bedingungen und Ankuͤn 
digungen des Volkswohlſtandes und Volksvermoͤgen 


beruht; fo kann auch im Staatsrechte nicht vo: 
einem Gefefifhaftevertrage die Rede ſeyn. Stuͤtz 
man das Naturreht auf den veräfteten‘, bios nege 
tiven, Grundfag: neminem laede, oder: suur 
-opique tribue u. f. w.; fo wird auch der Stae 
in einem ſolchen Staatsrechte blos eine Sicherheit: 
anftale mit wiltfühntiher Anwendung (opt 
rechtliche Geſtaltung) des Zwanges feyn. 


42 u Stats» und Staatenrecht. 


hezagen wird; ſa erfheint en in der · Staats wirth⸗ 
ſchaft nach ſeiner Anwendung auf die Ausmittelung 
‚und Deckung des Staatsbedarfs aus dem Volksver⸗ 
‚mögen, und nad) dem rechtlichen Einfluffe der Re⸗ 
- gierung im-Staate. auf die Leitung des Volfslebens 
und Volksvermoͤgens. | 
. Fuͤr die gefhihtlichen Staatswiffenfchaften 
endlih (Gefchichte des europaifhen Staa 
tenſyſtems, -Öffentlihes Staatsredt, 
practifcheg eutopäifhes Volkerrecht, Di 
plomatig wf. w.) bleibt der im. Staatsrechte auf- 
gefteflte Zweck der Herrfchaft des Rechts, fü wie die 
Bedingung des rechtlich geftalteten Zwanges in ber 
Mitte der in der Mirklichfeit beftandenen und noch 
beftehenden Staaten, dee höchfte Maasftab für bie 
Würdigung und Beurtheilung aller Ankündigungen 
des innern und aͤußern Staatsleben®. 


⁊ “ 7. 
Begriff und Inhalt des Staatenrechts. 


Da, nach der Vernunft, der Zweck des Staates 
unter der Bedingung des rechtlich geſtalteten Zwanges 
uͤberhaupt, und ohne Einſchraͤnkung, fuͤr alle auf dem 
Erdboden neben einander beſtehende buͤrgerliche 
Geſellſchaften, diewir Staaten nennen, gilt; 
fo entfteht auch das Staatenrecht, ober bie wiſ— 
fenfhaftlihe Darftellung der allgemei- 
nen Örundfäße.dbes rehtlihen Nebenein- 
‚anderbeftehens aller Staaten des Erdbo- 
dbens, unterdber Bedingung des zwiſchen ih- 
 nenrehelih geflalteten Zwanges nad vor- 
ee di eben 
o durch Die Erweiterung bes Staatsrechts auf alle 


Staats⸗ und Staatenrocht. 153 


neben rinander beſtehende buͤrgerliche Geſellſchaften, 
wie das Voͤtkerrecht durch die Erweiterung des Na⸗ 
turrechts auf die in der Vernunftidee neben einander 
beſtehenden Voͤlker gebildet wird. 


U 8.“ 
Literatur des Staatsrechts., 


Bei der Auffuͤhrung der hierher gehoͤrigen Schrif⸗ 
ten muß bemerkt werben, daß heils das Staͤats⸗ 
recht von Vielen ſogleich in Verbindung mit-dem 
Naturrechte behandelt worden ift, deren Werke 
bei ‘der, literatur des Maturrechts bereits (vergl. 
$. 12. des Naturrechts) aufgeführt wurden, und 
bier nicht wiederhohle werden; Eeheils daß eine 
bedeutende Zahl — befonbers älterer Schriftftel- 
ker — Staatsrecht und Staatsfunft bei ihren 
Unterfuchungen nicht genau von einander ges 
fhieden, und Gegenftände, welche zunaͤchſt ber 
Staatsfunft angehören (z. B. über bie verfchiebenen 
Kegierungsformen, über bie einzelnen Zweige der 
Verwaltung ꝛc.), fogleich ins Staatsreche gezogen 
haben. Die Schriften biefer legtern, wiewohl fie 
auch der Staatsfunft angehören, werben, weil fie 
nur einmal. aufgeführt werden koͤnnen, fogleid) 
unter der Literatur bes Staatsrechts genannt, nad) 
demfelben Maasftabe, wie beim Naturrechte diejeni⸗ 
gen Schriften aufgenommen wurden, welche Natur- 
und Staatsrecht gemeinfchaftlid behandeln, 


* * * 


K. Fr. Pauli, Gedanken von dem Begriffe und 
den Grenzen der Staatsékenntniß. Halle, 1750. 4 

Joh. Tod. Wagner, Entwurf einer Staats⸗ 
bibliothekt. Irkf. u. Lpz. 1735. 8. 


154 \ Staats- und Staatenreche. 
| \ - 


Eu} 
. 
—X 


* 


Die wichtigſten Begenſchriften find: 


Peterſen (unter dem Namen: Go. Bilh. Pla⸗ 
cidus), Literatur der Staatsiehre. Erſte Abtheil. 
Strasb. 1798. 8. (warb nicht fortgeſetzt.) 

’ Plato, de republica, s. de justo, libri X. 
(Teutſch: Plato’s Republik, v. Er. Karl Wolf. 
2 Th. Altona, 1799. 8. — auch von Gtfr. Faͤhſe. 
2Th. Lpʒ. 1800. 8) — Politicus, s, de regno. — 
De legibus, s. de legum institutione, libri XII. 


“ (Car. Morgenstern, de Pletonis republica 
‚ commentationes tres. Hal. 1794. 8.) 


Aristoteles, politicorum s. de republica li- 
bri VII (nicht vollftändtg erhalten); mit lat. Webers 
ſetzung, Einleitung und Verbeſſerungen herausgeg. 
von Herm. Conring. Helmſtaͤdt, 1656. 4. — 
(Teutfch, von Garve, herausgeg. mit Anmerk. 
und Abhandlungen von Fälleborn. 2 Th. Bresi. 
1799 u. 1802.98. — Ariftoteles Politik und 
Fragment der Defonomif, aus dem Gries 
hifhen überfegt und mit Anmerkungen und einer 
Analyſe des Textes verfehen von J. Seo. Schloß 
fer. 3 Th. Luͤbeck u. Lpz. 1798. 8.) Ä 

Cicero, de Jegibus Jibri III. (Teutſch mit 
krit. Einleitung und Anmerkungen von Fr. Hülfes 
mann. Lpz. 1782. 8.) — Bon Cicero's fechs 
Büchern de republica haben fi nur einige, minder 
bedeutende, Bruchſtuͤcke erhalten. — 


*4 


Nie, Machiavelli, il principe, In Venezie, 
1515. 4; latine, cum animadvers. politieis Hera. 
Gonringii. Helmst, 1660. 4. N.E. 1686. — 


(Teutſch, mit Anmerk. und Zufägen von Reber 


berg. Hannover, 1800. 8. — auch von F. N. 
Baur, NRudolftadt, 1805. 8.) 


(Friedriche — nod als Kronprinz, Bf. e6) 
Antimachiavel, ou essai de Critique sur le prince 
de Meschiavel, publi& par Voltaire, a Goett. 1741. 


8% (Teutſch, Sstt. 1741. 8.) , 


Staatd» und Staatenrecht. 155; 


Lubw. "Heine. Jakob; Antiimaͤchtavel, oder 
über die Gienzen des buͤrgerlichen Gehorſams. Zus 
erſt Halle, 1794. 8. anonym; dann ate Aufl. 
1796 mit des VBfse. Namen. " _ 
' Thom... Morus, de optinio reipublicae ttotu, 
geque nova insula Utopia. Erſchien zuerfi 2517. 
Col. 1655. 8. (überfaupt In yielen Auflagen.) Frans 


zoͤſiſch, a Patis 1731." Tentfg, Frkf. und Lpz. 


53. | 

(Hobert Languet), Vindiciae cöntre'tyran- 
nos, 8. de principis in populum, populigue in 
principem legitima potestate; Stephano Junio 
Bruto, Celta, auctore. Soloduri, 1569. 

Jo. Bodinus, de republica libri VI. (Erſchien 
zuerſt franzöfifh, 1576; — von ihm felbft aber 
verbeffert u. vermehrt, lat einiſch) Paris. 1584. 4. 


- . Just, Lipsius, politicorum s. civilis doctrinee 


libri VI, Lugd. Bat. 1590. 8. Antw. 1596. 8. — 
Teutſch, Amberg, 1599. 

Med. v. Offa, prudentia regnativa, d. i. ein 
nöglihes Bedenken, ein Regiment fowohl in Krieges 
als. Friedenszeiten recht zu beftellen, zu verbeſſern 


und. zu erhalten. 1555 befhrieben, — Die befte , 
Ausgabe unter dem Titel: D. M. v. Offa Tea 


ment gegen Herzog Augufto Ehurfürften von Sachſen. 
Halle, 1717. 4 
Jg. Casus, sphaera civitatis, s. politicorum 


Libri 8. Franck, 1589 4 


Jo. Mariana, de rege et regis institutione 
libri 5, ad Philippum III. Hispeniae regem, Ed. 2. 
» 1. 161.9 > 

Chstph. Besol’d, ‘opus politicum,. Ed. nova 


reipublicae naturam et constitutionem, ejusque ' 


in omnibus partibus gubernstionem libellis 12 


-ebsolvens. Argent. 1641. 4. erſchien zuerft 1614. 


Henning. Arnisaeus, de republica, s. Jectio- 
nes politicae, 1. 2. Franck. 1615. 4. 

Jo. Loccenius, de ordinanda republica, li- 
ber 4. Amstel. 1637. 18. 

Theöd. Greswinkel, de jure majestatis. 
Hagao, 1648. 4. . 


/ 


7/7 





156. ° Staats- und Staatenreqh. 


- .. Bob. Filmer, Petriarche, or the natural 
power of kiugs; fieht in feinen political discour- 
‚..sos. Lond. ı6g2. 

Thom, Hobbes, de cive; tft der dritte Abs 

: $Apitt in ſ. elementis philesophicis Paris. 1642. 
4. — Weiter, ausgeführt in ſ. Leviathan, e. de 
materie,. forma at potestate civitatis. ¶Erſchien 

» gerft engliſch, zu Leudon, 1651. Sol. — Latels 
nifh) Amst.' 1608. 4. (Die let. leserfehun fol 

-, ‚Bet vom berbe⸗ mn)- rent, Alle, 
1759 . 5. 

Dagegen: 
Paul Joh. Anſelm. Fenerbach, Antihobbes, 

aber über die e Brengen der hoͤchſten Gewalt. ır Th. 
tf. 1798 

nd Buahsis,) Antileviathan, oder über das 

Berhaͤltniß der Moral zum äußern Rechte und zur 

Politit. Gött. 1807. 8. 

r'. .: Merm. Conring, de civili prudentis. Helmst. 
1668. 4 — Propolitica, s. brevis introductio in 
civilem philosophiam. Helmst. 1663. 

-Ulr. Huber, de jure civitatis libri 3. Franc, 
1678. 4. — Ed. nov. c. commentar. Chr. Tho- 
masiiet N. Lynkeri,cura J. Ch. Fischeri. 
Francf. et Lips. 17582. 4. 

Casp. Ziegler, de juribus majestatis, Vit. 
aape. 4 4 ( nahm viele: willkuͤhrliche Gefege auf.) 

d. Knichen, opus politicum, libri 3. 
Franck. ne. Fol. 

Algernon Sidney, on government, Lond, 
»698. Fol. — Meue und verm. Aufl. 1763. 
*2* in 4 Theilen. Von Samſon, Bang, 

1755. 8 — Teutſch, in 2 Theilen, mit Anmerf. 
und Abhandlungen von Chr. Dan. Erhard. Epy. 
1793. 8. — Ein Auszug daraus von Ludw. Heinr. 
Jakob. Erf. 1795. 8. 

Bened. de Spinoza, tractatus theolögico-poli- 
tieug,; in befien opp. posth. und in den Werten 
. von Paulus Heransgegeben, Th. 1. 


U fd 


vw. 


l 


Staats» und Scaatenrecht. 457 


John Lo cke, two treatises of government. 
Lond, 1690. 8. — Teutfch, Sena, 1716. 8. 


* 
* #*. 


Die erſte Trennung des Rechtlichen von bem Do 
litiſchen verfachte: 

J. Nic. Hertius, paedia juris poblici univer- 
salis, Gielsae, 1694. 4. Diss 

Just. Henning Böhmer, introductiö in- jus 
publicum universale. Hal. 1709. 8. Ed. 4ta. 1773. 

Ephraim Berhard, Einleitung zur Staatslehre. 
Jena, 1713. — N. A. 1716. 

Franc. Schmier, jurisprudentia publica uni- 
versalis. Salisb. ı7ae. Fol, 

God. Ern. Fritsch, jus publicum universale, 
Jenae, 1734. 8. 

Joſeph Er. Laguemad, allgemeines gefellichafts 
liches Recht, nebft der Politik. Bert. 1745. 8. | 

Chr. L. B. de Wolff, de imperio publico, 
"8. jure civitatis, in quo omne jus publicum uni- 
verssle demonstratur et verioris politicae incon- 
cussa fundaments ponuntur. Hal. 1748. 4. (aud 
der fiebente "Theil f. jus naturae' — „Finis 

‚ eivitatis sunt vitae suflicientia, tranyuillitas et 
securites. *) 

J. Jacg. Rousseau, discours sur l’origine et 
les fondemens de Pinegalits parmi les hommes. 
Amst. 1755. Teutſch, Berl. 1756. 8. — Du 
eontrat social, ou — du droit politique. 
Amst. 17682. ı2. Teutfh, von Shramm — 
Düffeld. 1800. 8. — Eine andere Ueberſetzung, 
anonym, Sch. am M. 1800. 8. 

(Hume’s und Kouffeawe Abhandlungen 

: über den Urvertrag, nebft einem Anhange über die 

Leibeigenfchaft, von G. Merkel. 2 Th. Leipzig, 

1797. 8.) 

v. Real, die Staatstunft; aus dem Franz. 
von 9. Phil. Scchulin. 6Th. Frankf. u. Leipj. 
1762 ff. 8. De vierte Theil enchätt das öffent 
liche Recht. 1766. 

3. Chrſtu. g eher, Einleitung in die Staates 


138 


24 


Stoats- und Staatenrecht. 
lchre; nad den Grundſatzen des Herrn von Mon» 


tesquieu. Halle, 1765. 8. 


Herm. Fr. Kahrel, jus publicum 'universale. 


Gielsae, 1765. 8. 
. Car. Ant. de Mertini, pasitipnes de jure 


u eivitatis. Vindob. 1768. 8. Ed, & 1775. — Als 


gemeines Recht der Staaten. Wien, 1797. 8. 

Heine. Gıfr, Scheidemanrel, das Staats⸗ 
seht nad der Vernunft und den Sitten der vots 
nehmften Voͤlker betrachtet. 3 Thle. Jena, 1770 — 
73. 8 — Das allgemeine Staatsrecht und nad 
der Negierungsform. Jena, 1775. 8. 

v. Juſti, Natur und Weſen der Staaten, ale 
sie Duelle der Regierungswiffenfchaften und Geſetze, 
beransgeg. v. Scheidemantel, Mitau, 1771. 8. 

3%. Det. Miller, Grundfäge eines blühenden 
chriſtlichen Staates. Lpz. 1775. 8. 


Heine. Dome, Unterfuhung über die moralifhen _ 


Gefene der Sefellfchaft. A. d. Engl. ep}. 1778. 8- 

. F.L. Schrodt, systema juris public; uni- 
verein Bamb. 1780. 8. (erſchieü zuerft 1765 zu 
Prag in 4 als Difputation des Grafen Karl von 
Kaunig.) 

Seo. Sr. v. Lamprecht, Verſuch eines volls 
fländigen Syſtems der Staatsichre. ır Th. Berl. 
178% 8. 

Spftem der bürgerlichen Geſellſchaft, oder natürs 
lihe Srundfäge der Sittenlehre und Staatskunſt. 
2 er Aus dem Franzoͤſ. Bresl. 1788, 8. 

(C. U. D. v. Eggers), Verſuch eines 1777 
matifhen Lehrbuchs des natürlichen Staatsrechts. 
Altona, 1790. 8. — Institutiones juris. civitatis 
publici et gentium universolis. Hafn. 1796. 8» 
(Das erſte er erfhien anonym; das zweite mit 
des Vſs. Namen.) 

Aug. Ludw. Schiöyer, allgemeines Staatsrecht 
und Staatsverfaffungsiehre. Goͤtt. 1793. 8. 

Freih. v. Mofer und Schlöyer Über die oberfte 
Gewalt im — mit Anmerkungen eines Un⸗ 
partheiiſchen. Meißen, 1794. 8. — Etwas vom 
Staatsvertrage. Ein Nachtrag zu der Särift: 


Staats» und Staatenreche. 1 


Mofer u.: Salbjer ꝛc. Meißen, 1795. 8. — ueber 
das Sittengeſetz in Beziehung auf den . Staat. 
Meißen, 1795. 8. 

Rarl 3. Wedekind, kurze ſyſt ematiſche Darftel⸗ 
lung des allgemeinen Otaatsrechts. Frtf. und Lpz. 
1794: 8. 

Vom Staate und den weſentlichen Rechten der 
höüchſten Gewalt. Goͤtt. 1794- 8. 

K. Heine. Heydenreich, Grundſaͤtze des natuͤr⸗ 
lichen Staatsrechts und ſeiner Anwendung. 2 Thle. 
Lpz. 1795. 8. — Ueber die Heiligkeit des Staates 
und die Moralitaͤt der Revolutionen. %py. 1794. 8. 

Theod. Schmalz, narärlides Staatsrecht (if. 
der ate Th. f. Rechte der Natur). M. A Koͤnigsb. 
1795. 8. 

3. C. € Ruͤdiger, Anfangsgrände ber allges 
meinen Staatsiehre. Halle, 1795. 8. 

Chſtu. Dan. Voß, Handbuch der allgemeinen 
Staatswiſſenſchaft nah Schoͤzers Grundriſſe. 4 Thle. 
re a wird im erften Theile behans 
bein ch 1796 ff. 

Chrph. Oo rküauer, affgemeines Staates . 
—8* ur Th. Halle, 1797. 8. 

Heinr. Benſen, Verſuch eines ſyſtemat. Grund⸗ 
riſſes der reinen und angewandten Staatslehre. 3 
Theile. Erl. 1798 ff: 8. — Von der zweiten verm. 
und verb. Auflage gab der Bf. nur noch Th. x, vor 
feinem Tode, unter dem Titel heraus: Spftem der 
seinen und angewandten Stäatslehre. Eri. 1804. 8. 

K. Theod. Surjahr, populäre Darftelung des - 
Staatsrechts. Lpz. 1801. 8. 

Wilh. Joſ. Behr, Syſtem der allgemeinen Staates 
fehre. ıv Th. Bamb. u, Würyb: 1804. 8. — Neuer 
Abriß der Staatswiffenfchaftsichre. Bamb. u. Waͤrz⸗ 
burg, 1816. g. 

Joſ. Mich. Bine. Burkhandt, ucgelehe des 
Staates und feiner nothwendigen Majeſtaͤtskechte. 
ıe Th. in 2 Hälften. Erl. 1806 f. 8 

Der Staat in der Idee, und A Gaͤltigkeit des 
Sefehes in demfelben. Hof, 1806. 8. (geht von 


160 


7 :&taats- und Staatenrecht. 


Schellingiſcher Philsſophie ans, wie der bei der Lit. 
des‘ Naturrechts - angeführte Nibler.) 
% P. A. Leisler, natuͤrliches Staatsrecht. 
Frankf. a. M., 1806. 8. 
art Ludw. v. Haller, über die Nothwendigkeit 
einer andern oberfien Begründung des allgemeinen 
Staatsrechts. Bern, 1807. 8. — Neitauration der 
Staatswiſſenſchaft. 4 Theile. Winterthur, 1816 — 
1820. 8. , oo. 


Segen diefes Berk: . 


Wild. Traug. Krug, die Staatswiſſenſchaft im 

Meftaurationsprogeffe. Lpz. 1817. 8. . 

K. Heine. Ludw. Pöolitz, die Staatslehre. 
2 Thelle. Lpz. 1808. 8. 

3. Zac. Wagner, der Staat. Wuͤrzb. 1815. 8. 

J. Eraig, Grundzüge der Politik. Aus dem 
Engl. v. Hegewiſch. 3 Th. Lpj. 1876. 8. 

Jul. Schmelzing, Orundiinien der Phyflos 
logie des Staates, oder die fogenannte Staates 
wiffenfhaft und Politik. Närnb. 1817. 8. 

Ad. Müller, von der Mochwendigkelt einer 
theologifhen Grundlage der geſammten Staats⸗ 
wiffenihaften, und der Staatswirthſchaſt insbe 


fondere. Lpz. 1819. 8. 


Karl Sal. Zahartd, Vierzig Bäder vom 


Staate. 2 Th. Stuttg. u. Tüb. 1820. 8. (bis jegt 


nur 20 Bücher.) 

Sr, Ancilion, über die Staatswiffenfchaft. 
Berl. 1820: 8. | wu 

% Gtli. Fichte, die Staatsiehre, oder über 
das Verhaͤltniß des Urſtaats zum Vernunſtreiche. 
Berl. 1820. 8. (Schon früher hatte er in den 
„Srundzüägen des gegenwärtigen Zeits 
alters” Berl. 1806. 8. ©. zı2 ff. die Idee 
und das Materiale des abfoluten Staates aufs 


geftellt.) 


Staats» und Staatenreche. 5161 
A) Daß reine Staatsrecht. 
9. 


Inhalt und Theile des reinen Staats. 
rechts. 


Die Vernunft kann den Menſchen in der Wirk: 
lichkeit nicht anders denfen, als im Staate (nicht 
im fogenannten Naturſtande), weil der Staat die. 
einzig rehtlihe Bedingung ift, dem Ideale 
der Herrfchaft des Rechts fich zu nähern, . 

"Daraus folgt, theils dag das eben im Staate, 
von welchem durch Die Aufhebung des Naturftandes. 
alle Selbfthülfe ausgefchloffen wird, ber einzige recht: 
lihe Zuftand für die Behauptung. der perfonlichen 
und dinglichen Nechte iftz 'cheils, daß durch den 
Zweck des Staates der Endzweck der Menfchheit felbft 
nicht nur nicht gehindert, fondern befördert und unter= 
flüge werden ſoll ($.2 — 4), weil nur auf die Bes 
dingung, dieſem Endzwede ununterbrochen fich zu 
nähern, der Menfch in die im Staate nothmwendige 
Beſchraͤnkung gemwiller einzelner Mechte, mit voller 
Zuftimmung feiner Vernunft, einmwilligen fann. Nicht 
alſo bios Außere Sicherheit, nicht blos individuelle 
der allgemeine Glückfeligfeit, und eben fo wenig blos 
der feidende Gehorſam von Miklionen ſittlicher, zum 
grenzenlofen Sortfchreiten von Gott beftimmter, Wes 
fen, fondern die gefeglih begründete, und. 
vermittelftdesrehtlid geftalteten Zwan— 
ges für immer geficherte, Freiheit aller 
Staatsbürger durch eine vertragsmäßig 
gebildete öffentlihe Mache, welche die all— 
mählige Annähberungaller Mitglieder der 
bürgerlihen Gefellfhaftanden Endzweck 

I. — 11 


162 Staats- und Staatenrecht. 


ihres gefammten menſchlichen Dafeyns 
durch die Verwirflihung der Herrfhaft 
des Rechts innerhalb des Staates als die 
böcfte Aufgabe ihrer Thätigkeit betrach— 
tet, ift das Ziel, welchem der Staat in allen feinen 
Einrichtungen und Anftalten zuftreben fol, — Das 
Staatsrecht muß daher, als Wiffenfchaft, die Mit— 
tel aufftellen, wodurd) der Zweck des Staates, die 
allgemeine Herrſchaft des Rechts, vernunftgemäß 
- erreicht werben fann. Da aber der Staat feine leb- 
lofe Mafchine, fein bloßer Naturorganis- 
mus mit Ausfhluß der Gefege der Vernunft und 
Freiheit, feine Aufbewahrungs- und Zuchtanſtalt für 
thierifche Gefchöpfe , fondern ein Verein freier Wefen 
ift; fo muß auch allen Mitteln, welche zur Ber: 
“ wirflihung des Staatszweckes im Staatsrechte auf- 
geftelle werden, der Begriff zum Grunde liegen, daß 
die bürgerliche Gefellfhaft ein freies, lebensvolles, 
ein in allen feinen Theilen innigft zufammenhängen- 
des, und, nad) dem Grundcharakter der Menfchheit, 
ein zur böhern Vollfommenheit beftimmtes und der- 
felben fich näherndes Ganzes bilde. Daraus ergibt 
fi) , daß unter der rechtlichen Form des Staa— 
tes nur der gefammte Umfang aller der Mittel und 
Bedingungen verftanden werben fann, durch welche 
der Staat als ein in allen feinen Theilen rechelid) 
geftaltetes, lebensvolled und fortfchreitendes Ganzes 
erfcheint, und als foldhes in der Wirklichkeit wahr: 
genommen wird. | 


Aus diefem Stanbpuncte gefaßt, gehören zu den 
Bedingungen der rechtlichen Form des Staates: 


. a) dDielirverträge, auf welchen ber Staat 
als Rechtsgefellfchaft beruht; 


Staats und Etaatenredit. 463 


b) die hoͤchſte Gewalt im Städte nach 
ihren einzelnen Theilen; | 

c). die aus den Urverträgen und der Theilung 
der höchften Gewalt hervorgehende rechtliche Form 
ber Berfaffung und Regierung des Staates. 


u 10. Ä | 
a) Sehre vonden Urverträgendes Staates. 


Die Vernunft kann nur diejenige ‚bürgerliche 
Gefellfhaft als rechtmäßig anerfennen, welche auf 
Vertrag beruht, weil (Maturr. $. 22.) fein Ver⸗ 
hältniß in dem dußern freien Wirfungsfreife fittliher 
Wefen, und namentlidy feine Befchränfung oder Er- 
weiterung dieſes Kreifes, anders, als durch freie 
Zuftimmung und Bereinigung der contrahirenden 
Theile, gedacht werden fann. 0 
| Unter den Urverträgen bes Staates, 

mögen Diefelben nun bei der Entſtehung der Rechts» 
gefellfchaft förmlich abgeſchloſſen worden ſeyn, oder 
nach der Natur ftillfehmweigendeer Verträge (Na⸗ 
turr. F. 24.) gelten, werben daher Diejenigen verftan- 
den, durch welche der Staat als Rechtsgeſellſchaft 
begründet, und deflen Form vernunftgemäß wird, 
fo daß vermittelft diefer Urverträge die Staatsbürger 
ſich vereinigen über den Zwed bes Staates, über 
die Mittel zur Erreichung biefes Zweckes, und über 
die Arc und Weife, wie biefe Mittel rheils zur 
Erreichung, theils zur bleibenden Sicherſtellung des 
Stautszwedes angewandt werden follen. Dieſe Ur- 
vertrͤge find: der Wereinigungs-, der Ver . 
feffungs- unb ber Untermwerfung:s vertrag. 
Sie zufammen bilden ben Staaitsgrundver- 

trag, inwiefern nur in dev. Wiſſenſchafe, nicht bei 
411 % - 


164 Staats« und Staatenrecht. 


der gefchichelichen Enrftehung des Staates, zwifchen 
- den Begriffen beftimmt ‚unterfchieden wird, welche 
jeden dieſer drei einzelnen Verträge begründen, 
Ob gleih Grotius, Lode, Kant und bie 
. ausgezeichnefften Forſcher alter und neuer Zeit 
— felbft Hobbes und Rouffeau, nur beide 
nad) ganz verfchiebenen Anfichten — das Wefen 
. bes bürgerlichen Vereins auf eine vertragsmäßige 
- Begründung zurücdführen, und fogar thatſach— 
liche vertragsmäßige Begründungen der Rechts: 
verhaͤltniſſe inrierhalb des Staates in der Gefchichte 
vieler Reiche und Staaten der alten, mittlern und . 
neuern Zeit (bei den Hebräern, bei der Wahl Pi- 
- pins, Hugo Capets, in den Wahlcapitulationen 
‚ber Könige Teutfhlands, Polens u. ſ. m.) unver: 
fennbar vorliegen; fo haben doch Einige in neuern 
Zeiterf Die Lehre vom Staatsgrundvertrage beftritten 
. und fie felbft als bedenklich und gefährlich darge: 
fell. Allein der Urvertrag des Staates 
ift, nad) der dee der Vernunft, feine Ueberein- 
kunft in der Zeit abgefchloffen, fondern das ewige, 
aus der Vernunft mit Nothwendigkeit hervor: 
. gehende, Rechtsgeſetz, das jedem Vereine, mit- 
hin auch dem hoch ſten und wichtigften, dem 
bürgerlichen, feine rechtliche Unterlage gibt, 
und die gefammten Rechte und Pflichten derer be: 
ſtimmt, die innerbalb des Vereins leben. Indem 
der Staatsgrundvertrag, in diefem Sinne, afle 
Volksgewalt und alle Willführ ausfchließt, gründee 
- er das bürgerliche Werhältniß auf das fefte und un- 
veränderlihe Geſetz der Sittlichkeit,“ und 
gewährt dadurch beiden, den Regenten und ben 
Völfern, eine Garantie, die, entfprungen aus 
der firelichen Natur des Menſchen, auf einem 


Setaats⸗- und Staatenrecht. 463 


ungerſtoͤrbaren Grunde beruht, niit welchem die 
Rechtstitel der Eroberung, der phyſiſchen Gewalt, 
der Willkuͤhr u. ſ. w. weder nach ihrem innern 
Werthe, noch nach ihrem aͤußern Gewichte vergli⸗ 
chen werden koͤnnen. Denn ſo wie mit der Idee 
dieſes Vertrages von Seiten des Regenten'aller 
Defpotismus unvereinbar PR; fo ift diefer Ver⸗ 
trag gleihmäßig auch von Seiten der Völfer die 
ſtaͤrkſte Schugmehr gegen Anarchie, weil er 
aus Denfelben Gründen, nad welchen er den 
leidvenden Gehorſam im Reiche fitelicher Wefen ver- 
wirft, jeden Widerftand gegen die vertragsmäßig 
beftehende— mithin rechtlich geftaltete — Staats« 
gemalt als widerrechtlih verdammt, und für im- 
mer ausſchließt. — Uebrigens iſt diefer Staats» 
grundvertrag, eben, weil er aufeiner ewigen Idee 
der Vernunft ˖ beruht, ein ewiger Vertrag und 
der Staat eine ewige Geſellſchaft ($. 3.), fo daß 
man, nur aus Mißverſtand meinen kann, "derfelbe 
fen willkuͤhrlich gefchloffen, und Fönne willführlih 
aufgehoben werden. Denn weil er nicht erft in der 
Zeit abgefchloffen zu werden braucht, fondern auf 
der Idee der Menfchheit felbft — d. h. auf der Idee 
des, im dem äußern freien Wirfungsfreife aller 
gefellchaftlich verbundenen fittlihen Wefen be- 
ftehenden, Gleichgewicht dee Rechte — beruht, 
ift er unvekaͤnderlich, ewig und über jede Willkuͤhr 
der Regenten, wie ber Voͤlker erhoben. 

Die Mißverftändniffe über den: Grundvertrag 
des Staates, weiche felbft Forſcher, wie Köppen, 
Ancillon. u.a, bewogen, bie Annahme deffels 
ben zu verwerfen, koͤnnen, bei folchen Männern, 
ihren Grund nicht in der "Abneigung gegen eine 
fietliche und deshalb ewige Grundlage 


166 Stans « und Staatenrecht. 


Mer buͤrgerlichen Geſellſchaft, ſondern nur 
in der Perwechſelung des geſchichtlichen Ur- 
fprunges der Staaten mit ber vernunft— 
gemäßen Geſtaltung derſelben haben. 

Doeonn allerdings zeigt die Geſchichte der alten und 

neuen Zeit, daß unzählige Staaten nicht durch 

Vertrag, fondern durch zufälliges Zufammentre- 
ten einzelner Familien und Stämme, durch Erobe- 
rung, durch Unterwerfung u. f. w. entflanden find, 
obgleich von ber andern Seite feine Eleine Zahl 
von gefchichtlichen Thatſachen beigebracht werben 
kann, daß Staaten ſich durch einen abgefchloffenen 


— Grundvertrag bildeten (3. B., in neuerer Zeit: der 


Freiſtaat der Niederlande Durch den Utrechter Ver⸗ 
trag von 1579; der norbamerifanifche Staat durd) 
den Vertrag von 1776 u. ſ, m.). , Allein im phi- 
: bofophifhen Staatsrechte, das auf ewigen 
Ideen der Vernunft beruht, kommt es nicht Darauf 
an, ob etwas geſchichtlich Beftehendes und .erfah: 
rungsmäßig Vorhandenes nah Vernunftideen 
- entfianden fey, fondern darauf, daß alles, was 
in demfelben gelehre wird, feinen letzten 
Grund inder Bernunfthabe, der Würde 
fieelicher Wefen angemeffen fey, und in 
. der Wiffenfchaft vollftändig durchgeführt, in ſich 
zufammenhängend , und den Gegenftand völlig er⸗ 
fchöpfend erfcheine. Der Sehrer des philofophifchen 
Staatsrechts will nicht die Entftehung der einzel 
nen Staaten in ber wirflihen Welt er- 
klaͤren; dies ift die Aufgabe bes Hiftorifers; 
vielmehr will er aus Örundfägen. der Vernunft 
beftinmen , welches Die einzig rechtliche Form des 
Staates fey, weil die Vernunft allen Zufall, alle 
phyſiſche Ueberwältigung ‚ und allen leideuden Ger 


Staats» und Staatenrecht. 167. 


horſam von einer bürgerlichen Geſellſchaft aus- 
fließt, in welcher das Recht herrſchen folk 
Deshalb gründet die Vernunft den Staat auf 
Vertrag, weil bios bei der Annahme eines 
Staatsgrundvertrages die ſaͤmmtlichen ein» 
zelnen Verträge im bürgerlichen Vereine als 
rechtlich begründet, und für ewige eiten 
geſichert erſcheinen fönnen.‘ (So meint Bau 
Reinhold in ſ. Auswahl vermifchter 
Schriften, Th. 2, S.408: „Die Begrün- 
dung des Staates duͤrch das Rechtsgeſetz laͤßt ſich 
nur unter der Idee eines allgemeinen Willens, der 
die Moͤglichkeit eines rechtlichen Zwanges zur Ver⸗ 

theidigung der Rechte eines Jeden zum Gegenſtande 

hat, — und unter der Idee des urſpruͤng— 

lihen Vertrages denken, ber einerſeits aus 

dem Entſchluſſe Aller, die Freiheit eines Jeden 

Durch) Die Macht Aller auf die Vertraͤglichkeit mit 

der Freiheit eines Jeden einzuſchraͤnken, andrer⸗ 

ſeits aus dem Entſchluſſe eines Jeden, alles zu 

thun und zu laſſen; was zur Wirklichkeit und 
Wirkſamkeit dieſer Anſtalt nothwendig iſt, beſteht. 

— Ein für jeden wirklich und äußerlich gelten— 

der Vertrag ift nur durch den Staat und im 
Staate möglih. Der urfprüngliche Vertrag ift 
Daher durch Vernunft ſchlechthin nothwen— 
Dig, folglich zwar durch eine bloße, aber pras 
ctiſch nothwendige Idee aufgeftellt.‘‘) 

v. Haller nimmt in feiner Reſt aur ation 
der Staatswiſſenſchaft eine Theorie des ge⸗ 
ſellſchaftlichen Zaſtandes an, nad) welcher die Herr⸗ 
haft über die Menfchen von dem göttlichen Willen 
abgeleitet, die Gelangung aber zur Herrfchaft 
und die Kechtmäßig keit derfelben erfannt wird 





+ 


168 Staats- und Staatenrecht. 
an der natürlichen Weberlegenheit der Macht. — 
Bon felbft folge aus dem zweiten Grundbegriffe 
dieſer Theorie, daß, mo blos phnfifhe Macht ben 
Staat begründet, das ſittliche Verhältniß (felbft 
das religiöfe) ausgefchloffen wird; daß, wenn die 
Bemaͤchtigung der Gewalt über die Rechtmäßigkeit 
derfelben entfcheidet, Attila, Dfhingisfan, 
. Temerlan, Cromwell und Robespierre 
. legitime Regenten waren, und daß — nad) firen- 
ger Folgerichtigfeit — wenn der Staat, die Ge: 
fammtheit der Gefellfhaft, niht auf Vertrag 
beruht, es blos eine Sache der Willführ und. der 
Convenienz ift, ob und wie lange ein Privat- 
vertrag (3. DB. der Ehe, des Eigenthums u. f. w.) 
in dem Staate beftehen foll? 


11. 
Der Vereinigungsvertrag. 


Der . Vereinigungsvertrag ift ber erfte Be— 
ſtandtheil des Staatsgrundvertrages. Durch den- 
felben wird der Zwed des Staates als Grundlage 
der gemeinfchaftlichen bürgerlichen Verbindung öffent: 
lich ausgefpeochen und unwiderruflich feſtgeſetzt; denn 
die fittlihen Wefen, die zu einer Nechtsgefellfchaft 
fic) verbinden, vereinigen ſich über'die Herrfchaft des 
Rechts vermittelft des vertragsmäßig begründeten und 
für immer geficherten Gleichgewichts der Außern Srei- 
heit Aller.” Dies aber ift der höchfte Zwed des 
Staates. Alle Mitglieder des Vereins , mithin alle 
Bürger bes Staates, geben, verMittelft diefes Ver- 
trages, einander gegenfeitig das Verſprechen, daß 
die Freiheit ihres äußern Wirfungsfreifes vor aller 
Verlegung durch die Freiheit Andrer gefichert feyn ſoll. 


Staats- und Staarenrecht. "469 


, . 12. — 
Der Berfaffungsvertrag. 


Der WVerfaflungsvertrag iſt der zweite Ber 
ſtandtheil des Staatsgrundvertvages. Er beftimmt 
die Mittel und Bedingungen, bürdy welche der 
allgemeine Zweck des Staates innerhalb der: bürger- 
lichen Gefellfchaft erreicht werden fol. Die Geſammt⸗ 
heit diefer Mittel und Bedingungen zur DVermirf: 
lihung des Staatszweckes heißt die. Verfaſ ſung 
(Conſtitution) des Staates. Die Verfaſſung des 
Staates umſchließt daher den geſammten Umfang der 
Grundbeſtimmungen, vermittelſt welcher -die' Herr⸗ 
ſchaft des Rechts innerhalb des Staates begründet 
werden und beſtehen ſoll, Damit.der Staat als ein: 
organifches ,. in allen feinen .Theilen innigft zufams 
menhängendrs, Ganzes erfcheine. Deshalb heißen 
auch alle Gefege, welche entweder in der Verfaffung 
felbft ausbrüdlich ausgeſprochen ſind, oder aus den 
Beſtimnungen derſelben mit Rochwendigkeit bervors. 
gehen, or,ganifche Gefege (3. B. Eintheilung des 
Sfaatsgebietes, Vertretung bes Volkes in einer oder 
zwei Kammern u. ſ. w.), im Gegenfage gegen die 
aus den organifchen Geſetzen abgeleiteten Gefese 
(3. B. über Wolljäprigfeit, über Cigenthumser- 
werb 2c.), welche bie ins Einzelne des Privatlebens 
eingreifenden Beftimmungen für die Aufrechthaltung 
der Herrfchaft des Nechts umfchließen. 


13. 
Der Unterwerfungsvertrag. 


Allein weder durch die Vereinigung. ber Ge⸗ 
fommth.it der Staatsbürger über den Zweck des 


2) 


170 Staus und Staatenrecht. 


Staates, noch durch die Aufftellung ber Mittel und 
Bedingungen, Durch welche jener Zweck erreicht wer⸗ 
den foll, find jener Zweck und diefe Mittel für ewige 
Zeiten geſichert, wenn nicht. in bem Unterwerfungs- 
verfrage, als dem dritten Beſtandtheile des 
Staatsgrundvertrages, bie Art und Weife näher 
beftimmt wird, wie innerhalb des Staates der Zweck 
defleiben durch die in dem DVerfaflungsvertrage ent- 
haltenen Mittel erreicht und für immer gefichert wer- 
den kann und foll. Dies fann blos dadurch gefchehen, 
daß die Geſammtmacht des Staates, doch nur 
fuͤr die Aufrechehaltung des Staatszwedes und für 
die Anwendung des rechtlich geftalteten Zwanges, wie 
beide in der Verfaflung nad) allen ihren Beziehun- 
gen beftimme find, dem Oberhaupte des Staates 
übertragen werden, wodurch theils alle Staatsbürger 
auf die Selbfthülfe für immer verzichten, theils der 
verfaffungsmäßigen Anwendung der Geſammtmacht 
des Staates durd) den Regenten unbedingt ſich unter- 
‚werfen. In diefem Sinne beruht der Unterwerfungs- 
vertrag auf der freimilligen Anerfennung aller 
‚Staatsbürger der im Staate rechtlich be— 
gründeten und mit unwiderſtehlicher 
Macht befleideten Höhften Gewalt, welche 
dem Oberhaupte bes Staates für immer übertragen 
wird. Diefe Anerkennung der böchften Gewalt im 
Staate wird aber von der Vernunft, fogleih in 
in ihrer Idee des Staatsgrundvertrages, von allen 
- Staatsbürgern mit derfelben Mothmwendigfeit ver- 
langt, mit welcher fie die Herrfchaft des Rechts als 
ben höchften Zwed des Staates, und die Verfaflung 
deffelben als den vertragsmäßig feftgefegten Umfang 
aller rechtlichen Mittel und Bedingungen für die Ber- 
wirklichung des Staatsgwedes aufſtellt. . 


4 


Staats und Staatenrecht. 171 


Daraus folgt: .. 

1) Urſprimglich ruht die Sefemmemast. des 
Staates — nach allen koͤrperlichen und geiſtigen 
Kraͤften, fo wie nad) dem Eigenthume und Wer: 
mögen der Individuen, und nach allen Eigenſchaf⸗ 
ten, Erzeugniflen, Gefchöpfen und Reichthuͤmern 
des rundes und Bodens — in dem Volke 
(doc) iſt es irrig, diefe Gefammemadt in Ihrem 
urfprünglichen Zuftandte „Souveraine 
tät’ zu nennen, weil diefer aus der Gefchichte 
und Erfahrung ftammende Begriff erft aus ben 
pofitiven Staatsverhältniffen auf das philofo- 
phiſche Staatgrecht uͤbergetragen worden iſt, und 
in dieſem blos in der Lehre von der Ankuͤn— 
digung der Regentengewalt vorkommen 

kann). 

2).Bon dem Augenblicke an, wo der Staat entſteht, 
kann dieſe Geſammtmacht hide mehr vondem 
Wolke (fo wenig wie die Selbfthülfe von dem 
Individüum) geübt werden; denn der Staat ent- 
fteht vehtlih, nad) Vernunftideen, nur durch 
den ÖGrundvertrag, und dieſer Grundvertrag 
fhließt, als dritten wefentlihen Beſtandtheil, 
die Uebertragung der Geſammtmacht des Volkes 
auf den Regenten in fi ein. | 

3) Bon dem Augenblide ver Entftehung bes Staa- 

. tes an ift Die Anwendung der Geſammtmacht bef- 
felben nur durch den Regenten redhtlidh; _ 
jede Aeußerung der Volfsfraft gegen den Willen 
‚des Regenten ift ſchlechthin widerrechtlich. 

4) Der Regent aber, der ſelbſt ein ſittliches Weſen 
iſt und welchem ſittliche Weſen — blos fuͤr die Ver⸗ 
wirklichung des Staatszweckes — ſich unterworfen 


17 Staats⸗ und Staatenrecht. 


haben, darf die Geſammtkraft des: Staates, nur 
für den in der Verfaffung: beftimmt anfgefteilsen 
Zweck des Staates und in: Beziehung auf die in 
derfelben Verfaſſung enthaltenen Mittel.und Be⸗ 
dingungen für die. Verwirklichung —8 Zweckes 
anwenden, ſobald dieſe Anwendung rechtlich 
0. h. dem ewigen Rechtsgeſetze der Vernunft, und 
‚bee anerſchuͤtterlichen Heiligkeit des Staatsgrund⸗ 
‚perkyages angemeſſen) ſeyn ſoll. Denn das Ver—⸗ 
haͤltniß des Regenten zu der Geſammtheit des Vol⸗ 
kes beruht auf einem Vertrage, in welchem beide 
contrahirende Theile gegenſeitig Rechte und 
Pflichten uͤbernehmen. . 


(Nach) dieſer Darſtellung wird eben fo der un- 
beftimmte und fo oft gemißbrauchte Begriff der 
Volfsfouverainetät, mit Kinfhluß ber 

Rouſſeau'ſchen Lehre, daß die Regentenwürde 
blos ein. Staats amt fen, befeitigt, wie, von der 
anndern Seite, in biefer Darſtell unggpie höchite 
Gewalt im Staate als eine ſittliche Kraft, bes - 
ftimme für die Leitung ſittlicher Weſen, und echt: 
ih begründet durch die einzig vecheliche Form’ 
der Verbindung unter fitelihen Wefen — durch) 
Vertrag — erfcheint. Höher kann zugleich das 
Staatsoberhaupt nicht geftelle werden, als daß ſich 
ihm freimillig die Gefammtheit aller fittlichen We: 
fen im Volke unterwirft, und ihm für immer — 
unter der einzigen Bedingung der rechtlichen 
Handhabung — die Anwendung und Leitung 
der Geſammtmacht bes Volfes und Staates über- 
trägt. ) 


> 


Staats» und Staatenrecht. 173 


14. 


Unterſchied der buͤrgerlichen und politis- 
fhen (öffentlichen) Freiheit, 


Die Vernunft, wie fie im Naturredte die 
äußere Kechtagefekfchaft aufftellt , betrachtet alle We- 
fen der menfkhlichen Gattung als fi itelih-mündig, 
wie dieſe nad) den Gefegen der Bernunft feyn follen, 
und im Lichte des Ideals der Sittlichkeit erfcheinen. 
Deshalb kann aud) im Narurrechte weder von einem 
Unterſchiede zwifchen ſittlich muͤndigen und ſittlich⸗ 
unmuͤndigen Weſen, noch von einem Unterſchiede zwi⸗ 
ſchen buͤrgerlicher und politiſcher Freiheit die Rede 
ſeyn; Die individuelle und öffentliche Freiheit iſt viel⸗ 
mehr im Naturrechte iventifch, und der Zwang 
würde ein frembdartiger Beftandtheil in einer Rechts⸗ 
gefellfchaft. feyn, welche unbedingt und ohne Aus: 
nahme dem Ideale bes Rechts entgegenftrebt. 

Allein anders verhält fih dies im Staats- 
rehte. Indem fchon der Begriff des Staates aus 
der Erfahrung ſtammt; fo kuͤndigen ſich auch die Men⸗ 
fhen ($. 1.2.) inder Wirklichkeit als ſittlich— 
mündige und als ſittlichunmündige an, und 
der Staatsvertrag: wird Deshalb gefchloffen, daß 
die ſittlich⸗ mündigen Mitglieder der bürgerlichen Ge⸗ 
fellfchafe für immer — gegen den_fehlerhaften ober 
verdorbenen Willen der ſittlich unmuͤndigen Mitglies 
der — in Hinſicht der beabfichtigten Herrfchaft des 
Rechts gefichere find, weshalb auch der Zwang in 
dem Staate als Das vechelich geftaltere Mittel erfcheint, 
die ſittlich- unmündigen Weſen bei der Verirrung 
ihrer Freiheit im außern Wirfungsfreife zu bedrohen, 
zu befchränfen und zu beftrafen. 

Odb nun glei vor ihrer fehlerhaften und boͤs⸗ 


17% Staats - und Staatenrecht. 


artigen Ankündigung Im äußern Kreife ‘der bürger- 
lihen Verhältniffe die fittlih -unmündigen Wefen, 
nad) der Vernunftibee der Geſammtheit Des Volkes, 
als rechtlich gefinnte und rechtlich handeinde Weſen 
gedacht werden muͤſſen (quilibet praesumitur bonus, 
donec probetur contrarium); fo tritt doch fogleich 
nach jener fehlerhaften und bösartigen Anfünbigung 
der ſittlich⸗ unmündigen Wefen nicht nur ber, that« 
ſachlich (factifch) erwiefene Unter ſchied zwiſchen ſitt⸗ 
kich -mündigen und fittlich - unmuͤndigen Weſen, ſon⸗ 
‚dern auch die eigenthümlide Stellung des 
Staates gegen die ſittlich- unmündigen Wefen ein. 

Zwar behalten die ſittlich⸗ unmuͤndigen Wefen 
im Staate, fie mögen nun (wie die Unerwachfenen) 
im unverfhuldeten, oder (mie die Verdorbenen) 
im verfhuldeten Zuftande der bürgerlichen Uns. 


miuͤnbigkeit fih befinden, alle urfprüngliche, aus 


dem Urrechte der Perfonlichkeit (Naturr. $. 14.) ber- 
vorgegenbe individuelle, Rechte, denn der Charafter 
der Menſchheit ift an ſich unvertilgbar (character 

indelebilis); allein in Hinſicht des offentlichen 
Gebrauches dieſer Rechte (d. h. in Hinſicht der ſoge⸗ 
nauntenpolitifhen Freiheit) tritt das Verhaͤlt· 
niß ein, daß nur Die fittlih- mmündbigen im 
Defige unb im Gebrauche ber politifchen 
Freitze it ſtehen, d.h. an der Seitung der Staats» 
gefchäfte Antheil nehmen dürfen. Nur fie ftehen 
im Befige richtiger Kenntniffe über das Weſen und 
die innern Verhaͤltniſſe ber bürgerlichen Geſeilſchaft; 
nur fie haben ſich, durch geiftige und fittliche Kraft 
und Mündigfeit, zur Selbftftändigfeit des Urtheils 
und der That erhoben; nur fie vermögen die Bedürf- 
niffe des Staates richtig aufzufaffen und nach dem ih⸗ 
nen. ıgewiefenen able (als Volksvertreter, ober als 


Staats» und Staatenrecht. ‚175 


Staatsbeamte) zu leiten, und nur ihrer kann das 
Staatsoberhaupt fi) bebienen, um den aflgemeinen 
Zweck des Staates, fo wie Die daraus bervorgehenden 
untergeordneten Zwece, zu verwirklichen. Die Haupt⸗ 
aufgabe im Staate bleibt daher: daß nur die ſittlich⸗ 
mündigen im vollen unverfümmerten Genuffe der öf- 
fentlichen (politifchen) Freiheit, alle Staats- 
buͤrger aber im Genuffe ver büuürgerlihen Freiheit 
ſtehen, fobald nicht ihr verdorbener Wille es noͤthig 
macht, daß der im Staate rechtlich geftaltete Zwang 
fie auch der bürgerlichen Freiheit auf längere oder fürs 
zere Zeit beraube. 
Abgerechnet von dem darin verſteckten deſpoti⸗ 
ſchen Sinne, hatte im Allgemeinen Napoleon 
ſehr recht, wenn er ſprach: „es muß alles für 
das Volk, nichts durch das Volk geſchehen.“ 
Weder die Maſſe als Maſſe, noch aus der Maſſe 
. des Volkes die fierlich-unmündigen duͤrfen das öffent» 
liche Staatsleben leiten. Deshalb müflen in yeprä- 
fentativen Staaten die fogenannten Urver famm- 
lungen, an welchen ſittlich⸗muͤndige und fietlic)- 
unmündige ohne Unterfchied Antheil nehmen, eben 
fo zur Volkswillkühr und Anarchie führen, wie 
eine von oben anbefohlene oder doch bevormundete 
Wahl der Volksvertreter von der andern Seite das 
ganze repräfentative Syſtem in eine leere Ceremo- 
nie verwandelt, Die Mitte zwiſchen den Er- 
tremen führt zum Ziele; der Staat veraltet 
und ſinkt eben fo durch Defpotie, wie durch Anar- 
hie; denn in beiden fteht Das fittliche Verhaͤltniß 
des Dberhaupts und ber Regierten ohne alle Ge⸗ 
währ! — 
Sie den im $. aufgeftellten Sägen ſtimmt zu⸗ 
ſammen, was das Journal des débaus im Jahre 


176 Staats» und Staatenredht. 


41322 (wahrfcheinlich als Regierungsgrunbfäge bes 
Minifterialpräfidenten des Grafen Villele) aus: 
ſprach: „Wir wollen die bürgerliche, die res 
ligiöfe, die Gewerbefreiheit für Alle 
und Jede, wie fie das Geſetz für Alle gleich 
maͤßig beftimme hat; mie wollen feine Privilegien, 
als folhhe, Die von der Staatsverfaffung ausgeben, 
und zu welchen ein jeder durch Verdienft und Tas 
lent gelangen Fann. Wir wollen als conftitutionelle 
und unverlegbare Garantieen ber bürgerlichen reis 
beit die Gefhmwornengerichte in allen Pro- 
zeffen, wo der Einzelne gegen die gefellfcyaftliche 
Gewalt anzufämpfen bat; wir wollen die Preß— 
freiheit, theils um allen Handlungen der Staats- 
behörden und alfen Befchwerden, . welche dieſe 
. Handlungen veranlaflen fonnen , Deffentlichfeie zu 
geben, theils um die Volfsintereffen und die öffent: 
lihen Angelegenheiten zu berathen; mie wollen 
Gemeindeeinrihtungen, nah Mansgabe 
der Oertlichkeit verfchieden organifirt, aber ſaͤmmt⸗ 
lich dazu beftimme, dag die bürgerliche Srei- 
beit aufrecht erhalten werde, die Maffe des 
Volkes bei der Erhaltung der Ordnung ihr In—⸗ 
terefle finde, und Verbefferungen in der Verwal⸗ 
kung angeregt und zu Stande gebracht werden, 
worüber die Bureaus der Cenfralverwaltung nur 
das Recht der Eontrolle haben dürfen. — Wir 
wollen aber die politifche Freiheit nicht für 
Alle und Jede, fondern nur für diejenigen 
Klaffen, denen die Staatsverfaffung das Recht 
gibe, Antheil daran zu nehmen. Die politifche 
Sreibeitift die Theilmahme an der ſou— 
verainen Gewalt, an der feitung der 
—Staatsgeſchaͤfte. Nicht alle und jede befigen 


’ Br 
 Stoats« und Staacenrecht. 175 


die erforderliche Unabhängigkeit, die erforderlichen 
Eigenfhaften, Tugenden, Geiftesfräfte und Ta- 
lente, um einen felbft nur befchränften Theil diefer 
Gewalt auszuüben. Daher muß bie Conftitution 
einen Kreis zeichnen, der Die Mafle des WVolkes 
von einer ausgefuchten Zahl Staatsbürger, die, 
materielle Nation von der politifchen 
Nation, trenne Diefem Kerne muß bie 
politifhe Sreiheit allerübrigenanver- 
traut werden. Die (franzöfifche) Charte ver- 
theile dieſe politifchen Rechte unter die Pairs, 
die Deputirten und die Wahlherren. Allen 
übrigen Staatsbürgern hat fie nur das Recht ein- 
geräumt, ihre Meinungen, felbft die policifchen, 
doch bei Vermeidung der Strafgefege, befannt zu 
machen. Dieſes Recht ift eine Art von gut⸗ 
achtender (confultativer) Stimme in Sachen der 
Politik, wogegen die Pairs, die Deputirten und 
die Wahlherren berathende (deliberative) Stim- 
men haben. — Bei biefer Concentration ber 
politifchen Freiheit gewinnt das Ganze; denn fie 
wird von jenen aufgeflärten und unabhängigen 
Männern mit mehr Weisheit und Geſchicklichkeit 
gehanbhabt, und ift auch weit ftärfer und maͤch⸗ 
tiger „als wenn fie in Neine Abſchnitte getheilt 
wird. ” " 


15 


b) Lehre von den einzelnen Theilen der 
böhften Gewalt im Staate, 


Der Staat beruht, nach ber Idee der Vernunft, 
auf einen Grundvertrage, welcher als einzelne Theile 
den Bereinigungs«, ben Berfaffungs- und 

IL. . 12 


— 


J 


4:8 Staats⸗ und Staatenrecht. 


"den Unterwerfungsvertrag umſchließt. Auf 
gleiche Weiſe verhält es ſich mit der hoͤchſten Ge— 


walt im Staate. Sie kann, nach der. \ibeti der 
Vernunft, nur Eine fenn; allein jebe Idee laͤßt 
fi in ihre einzelnen Beſtandtheile auflofen und nad) 
ihren Merkmalen zergliedern. Die Höchfte Gewalt 
im, Staate ift feine blinde und mechanifhe Kraft; 
„denn fie gebietet zwar über die phyfifchen.Kräfte 
aller Staatsbürger , diefe Kräfte aber find Kräfte 
.oeganifirter Gefchöpfe, mithin wirffam nad) 
‚organifchen — nicht mechanifhen — Gefegen, und 
‚wirffam für die Erftrebung eines geriflen Zweckes 


Die hoͤchſte Gewalt im Staate gebietet zugleich über 


‚bie geſammten geiſtigen und ſitthichen Kräfte 
aller Staatsbürger, und deshalb muß von ihre alle 
Saune und alle Willführ, als den fittlihen Zwecken 


. geradezu entgegen, ausgefchloffen werden, Die hoͤchſte 


Gewalt im Staate iſt endlich, ihrem Weſen und ihrer 
Ankuͤndigung nach, frei und ſelbſtſtaͤndig; allein ihre 
Wirkſamkeit, als die Wirkſamkeit einer vereinig- 
ten phyfifhen, geiftigen und: fietlichen 
Kraft, if an. die Verwirklichun g des 
Staats zweckes gebunden. 

So wie daher der Gaſammtwil le aller Staats- 
buͤrger zufammentrifft in der Beftimmung der recht: 


‚lihen Form des Staates vermittelft des AUrxertvags 


nach feinen drei wefentlichen Beftandtheilen; fo wird 
auch die Geſammtmacht des Ganzen, doch nur für 
die. Aufrechthaltung und Behauptung. des Spaatd 
jmedes, unauflöslic) vereinigt und dein Ober— 
haupte des Staates übertragen, der nad) feiner Per- 
ſonlichkeit als Repröfentant derfelben ‚erfcheing Allein 
die höchfte Gewalt wird im’ Begriffe unterfdhie 
dem nad) ihren ‚beiden :mefentlichen. Theilen als 


.. Etaats- und Staatenredht. 179 


gefeßgebende und vollziehende Gewalt *), 
Daraus folge, daß die Vernunft zwar im Staate ' 
eine Theilung ber höchften Gewalt, nie aber eine 
Trennung dieſer Theile gutheißenfann. Getheile 
denkt fih die Vernunft die hoͤchſte Gewalt, niche 
als ob die fihtbare Ankündigung (Repräfenta- 
tion) berfelben im Staatsoberhaupte eine .Theilung 
derfelben zuließe, oder als ob die vollziehende 
Gewalt noch einen andern Mittelpunct haben koͤnnte, 
‚als in dem Staatsoberhaupte; wohl aber infofern, 
inwiefern zur geſetzgebenden Gewalt die Vereini- 
gung der gefammten Intelligenz und ber gefammten 
fieelihen Kraft im Staate erfordert wird; denn all 
weife ift nur Einer, und deffen Allweisheit und All- 
gerechtigfeie liege nicht im Bereiche der Sterblichen ! 
Die Theilung befteht daher in der Unterfcheidung 
und erfahrungsmäßigen Wahrnehmung der in Einem 
Ganzen aufs innigfte verbundenen einzelnen Beftand- 
theile; die Trennung hingegen in ber völligen Ab» 
fonderung diefer Beftandeheile von einander.und in 
ihrer Entgegenfegung. Kein Staat wird auf 
die Dauer beftehen, oder in ſich zur Eintracht fom- 
men, 100 bie gefeßgebende Gewalt auf der Tren- 
nung und Entgegenfegung des Regenten unb 
der Volksvertreter beruht; die Theilung der gefeg- . 


*) Die rihterlihe Gewalt. gehört, nad ihrer Eigen’ 
thuͤmlichkeit und Selbſtſtaͤndigkeit, zur Verwal 
tung im Staate, und kann Daher nicht als Theil, 
fondern nur als Ausfluß der hböhften Gewalt be 
trachtet, mithin auch mit der gefeggebenden und 
vollziehenden Gewalt nicht auf gleiche Linie 
geftellte werben. , Es gibt. feine trias politica, 
wiewohl fie von vielen Britten,  Frangofen und 
Teutſchen, felbft von Kant behaupter worden: if. 

nr 427* 


180 Staats unb Staatenrecht. 


gebenden Gewalt aber zwiſchen dem Regenten und 
den Volksvertretern wird Die Vereinigung der Ge— 
- fammtintelligenz und ber gefammten fittlihen Kraft 

zu Einem Öanzen bewirken, 


! J 16. 
Die geſetzgebende Gewalt. 


Die geſetzgebende Gewalt hat im Allge⸗ 
meinen bie Beftimmung, feftzufegen,, was, nad) dem 
Wereinigungsvertrage, mit dem Zwede bes Staates 
übereinftimmt; was, nad) dem Werfaflungsvertrage, 
der eigenthuͤmlichen Verfaffung des Staates entfpricht, 
was mithin Recht ift im Staate, wie Rechte erwor- 
ben, behauptet und geltend gemacht werben, und mie, 
nad) dem Unterwerfungsvertrage, der Zwang im gan- 
zen Umfange des Staates rechtlich geftaltet feyn und 
rechtlich angewandt werden fol. Es müffen daher 

‚ in der Verfaflung die wefentlichen Beſtandtheile der 
‚ veganifhen Befeggebung im Staate enthalten 
ſeyn; fo daß die gefeßgebende Gewalt aus diefen 
Beftandeheilen nicht nur die einzelnen. organifchen 
Gefege für die im öffentlichen Staatsleben vorkom⸗ 
menden Fälle feftfegt (z. B. das Detail des jährlichen 
‚Budgets aus ben allgemeinen, in ber Berfaflung ent- 
baltenen, Beftimmungen über das Budget), fonbern 
auch, geftüst auf die organifchen Gefege, aus den⸗ 
felben bie einzelnen Vorfchriften des bürgerlichen und 
Strafgefeßbuches ableitet. ° Denn die rechtliche Form 
des Staates verlangt, daß die Verfaſſung nur Die 
allgemeinften vertragsmäßigen Bedingungen zue 
. Vermwirflihung des Staatszwedes, und in benfelben 
bie Grundlage der ganzen organifchen Gefeggebung, 
fo wie wieder die Geſammtheit der organifchen Gefege 


: 


Staats⸗- und Staatenredt. 481 


die rechtliche Grundlage des beftehenben bürgerlichen 
und Strafgefegbuches in ſich enthalte. 

Ob nun gleich alle organifche und alle aus 
denfelben abgeleitete Gefege im Staate nur im 
Namen der höchften Gewalt befannt gemacht und im 
Auftrage derfelben vollzogen werden koͤnnen; fo wird 
boh zur Berathung dieſer Gefege die Berüd- 
fihtigung der gefammten Intelligenz und 
der gefammten fittlihen Kraftim Staate 


erfordert, So groß aber aud) der Umfang diefer In⸗ 


tefligenz und dieſer fittlichen Kraft in dem Regenten 


und feinen ihn zunächft umgebenden Staatsbeamten 


feyn mag; fo fann ihnen doch, da fie Menfchen find 


und bleiben, nicht die gefammte Intelligenz und 


die gefammte fittliche Kraft beimohnen,, welche im 
Staate getroffen. wird °). Allein diefe Intelligenz 
und biefe fittlihe Kraft fann im Staate nicht bei den 
ſittlich unmündigen, fondern nur im Kreife der ſitt⸗ 
lich» mündigen Bürger ($. 14.) gefucht werden; bes- 
halb koͤnnen aud) die Vertreter der Geſammt— 
beit des Volkes nur aus der Mitte der fittlic)- 
muͤndigen Staatsbürger hervorgehen. Der Antheil 
diefer Vertreter des Volfes an der hoͤchſten Gewalt 
fann aber nur auf die gefeggebende, nie auf 
die vollziehende Gewalt fich beziehen; er darf ferner 


nie auf eine Trennung ber hoͤchſten Gewalt, 


fondern nur auf eine Theilung derſelben, welche die 
innigfte Vereinigung zur Verwirklichung des Staats: 


*) Schr wahr fagt Er. Jacobs inf. vermiſchten 





Schriften Th. 1 (Gotha, ıg23, O. XVIII.): 


„Es iſt fein Monarch, der ſich nicht, wenn er will, 
alles Geiſtes Hemächtigen könnte, der fich in feinem 
Bereiche finder.” 


S 


182 Staats » und Staatenreht. 


smedes beabfichtige, berechnet ſeyn; er muß endlich, 
nach ſeinen Grundzuͤgen, in der Verfoſſung mit Be⸗ 
ſtimmtheit erkannt werden. 

Am zweckmaͤßigſten ſcheint es zu ſeyn, daß die 
ſogenannte Initiative (das Recht des erften Vor⸗ 
ſchlags, der Veranlaſſung und Anregung) der Geſetze 
beiden, dem Staatsoberhaupte und ben Volksver⸗ 
tretern, gleichmaͤßig zuſtehe, doch ſo, daß wenn 
der Geſetzesvorſchlag von dem Staatsoberpaupte aus⸗ 
geht, ben Volksvertretern die freie Annahme ober. 
Verterfung deffelben, dagegen wenn der Gefeges- 
vorfchlag von den Wolfsvertretern bereuen ‚ gleichfalls 
die freie Annahme oder Verwerfung deffelben dem 
Staatscberpaupte zufommt * — Wenigſtens muß 


*) So tft es in der, dur eine Praxis von Jahthun⸗ 
derten bewährten, brittiſchen Verfaſſung. — 
Mit dem, was im Kaufgeſtellt iſt, ſtimmt im Als 
gemeinen das überein, was Fr. Buchholz; (Mars 
ginalien zu der Schrift: Anfiht der ftändiichen 
Berfaffung der preußifhen Monardie, Berl. 1822, 
S. 16.) mit gewohntem Scharfiinne als Beftimmung 
der Volksvertreter aufftelit: , Fir und Volt gehören 
für einander; und indem beide den Staat, 
d, h. die geordnete Geſellſchaft, bilden, kommt alles 
darauf an, daß die Autorität des Erftern in dem 
willigen Gehorfame der legtern immer Aufmuntes 
rung und Stuͤtze finde — Wie dies bewirken? 
Es gibt für diefen Zweck nur Ein Mittel, „welches 
darin befieht, dag man Anftalten trifft, die Har⸗ 

monie zwifhen Fürft und Volk vorzüglich dadurch 
zu fihern, daß beide fi immer gegenwärtig blei⸗ 
ben. Und wie dies. einleiten? Durch ein Nepräs 

‚ fentativfyftem, in deffen Kraft derjenige 

Theil des Volkes, deffen Urtheil allein 
Beruͤckſichtigung verdient, dem Fuͤrſten im⸗ 
mer vergegenwaͤrtigt wird; einmal als Zeuge ſei⸗ 


Staats» und Staatenrecht. 163 


in demjenigen Zweige ber Geſetzgebung, welther die 
perfönliche Freiheit, das Eigenthum und befonders 
die Befteuerung der Staatsbürger betrifft, deu 
Volksvertretern nice blos das Recht der Mitbera-. 
thung .und der. Bewilligung, ſondern, bauptfächlich. 
bei dem legten Gegenftande, das Recht der Mit-. 
wirkung, ſo wie, nach Ausmittelung des Budgets, 
das Recht des Ancheils an der Vertheilung der 


bewittigten Steuern und Abgaben anf bie einzelnen . 


Kreife umd Ortſchaften, an der Erhebung und 


Verwendung berfelden, und gn der Controller, 
über dieſe Erhebung unb enbung zuftehen. 

' 17. 
"Die vollziehende Gemalt. 


Die Wirkfamkeit der vollziehenden Gewalt im - 


Staate befteht in der Bekanntmachung, Ausführung 
und DBerwirflichung der in der Staatswerfaflung be- 
gründeten, unb durch Die gefeßgebende Gewalt im 
Einzelnen ausgeſprochenen rechtlichen Beftimmungen. 
Der fichtbare Mepräfentant berfelben ift das Staats⸗ 
oberhaupt. Unter bemfelben gehören: aber zur voll- 
ziehenden Gewalt alle Staatsämter, felbft die ‚der 
richterlihen Gewalt, mit alleiniger Ausnahme ber 
eigentlichen Stellvertreter des Volkes, fo.lange Deren 
hohe Würde varfaflungsmäßig dauert. Die voll 
ziehende Gewalt umfchließt daher alle einzelne Zweige 


ner Öffentlichen Handlungen; zweitens als Rath⸗ 


geber in zweifelhaften Faͤllenz drittens als Ge " 


bülfe, fo oft es darauf anfommt, neue Maasregeln 


zu nehmen, deren Nothwendigkeit oder Güte nicht 


ſogleich einleuchtet.“ 


‘ 


134 . Staats: und Smatenredit. , 


und Theile der richterkichen, polizeilichen, ſtaatswirth ⸗ 
ſchaftlichen (ſinanziellen) und kriegeriſchen Verwal⸗ 
fung. Sie ˖ wacht darüber, daß in feinem einzel- 
nen Falle von der Verfaflung und von den Entfchei- 
dungen ber gefeßgebenden Gewalt abgewichen, und 
nie die Herrfchaft des Rechts im Umfauge des Staa. 
tes beeinträchtigee oder gefährdet werde. Für alle 

diefe Zwecke gebietet die vollziehende Gewalt über bie 
Geſammemacht des Staates, und über die Anwendung 

und Leitung ‚des rechtlid) geftalteten Zwanges. Alle 
einzelne Verordnungen und Verfügungen .ber voll- 
ziehenden Gewalt gefchehen im Mamen bes Staats- 
oberhaupts. 

Das rechtliche Verhaͤltniß des Staatsoberhaup- 
tes zu der Geſammtheit der Staatsbürger beruht 
auf den Beftimmungen des Verfaffungs » und Un- 

terwerfungsvertrages. Nun kann zwar, nad) 
ben Ausfagen ‘der Geſchichte, der Wirkungskreis 
deſſelben, nad) jenen Beftimmungen, in. einzel. 
. nen Staaten mehr erweitert, in andern (3. B. 
in Großbritannien) mehr befchränft erfcheinen, 
ohne Daß der Zweck bes Staates felbft dadurch ver- 
hindert würde ; allein, nach) dem Zeugniffe der Er- 
fahrung, führt Die Ausfchliegung des Regenten von 
: dee Initiative der Gefege zu einer Schwäche der 
öffentlichen Macht, welche die Ordnung und Sicher» 
heit des Ganzen gefährdet, fo wie unaufhaltbar zur 
Trennung (nicht Theilung) der höchften Gewalt, 
in welcher Regent und Volksvertreter als einander 
| entgegengefegte und ‚entgegen wirfende Kräfte er- 
ſcheinen. 

In einem auf Vertrag beruhenden Staate haͤngt 
übrigens die Rechtlichkeit der Regentengewalt ab 
von dem geleiſteten Eide des Regenten auf die 


Saaats⸗ und. Stnatenrecht. 485 


Verfaſſung, und von der Hu [bigung des Voltes | 
vermittelft feiner Vertreter, in Angemeſſenheit zu 
dem von bem ? Regenten geleifteten Elbe. 


18. 


c) Lehre von der rehrtliden Form der Bere 
faffung und Regierung des Staates, 


. Eine Staatsverfaffung, weiche den Forderungen 
der Vernunft entiprechen ſoll, muß den allgemeinen 
Zweck des Staates in Beziehung auf ein gegebenes 
(d. h. auf ein in ber MBirflicheie vorhandenes) Bolf, 
nad) dem ganzen Umfange ber Beduͤrfniſſe und Der- 
haͤitniſſe Diefes Volkes, vermirflichen und ficher ftellen. 
Weil aber jedes Volk nad) feiner Individualität, nad) 
bem Boden, den.es bewohnt, nach dem erreichten 
Grade der Kultur feiner Bürger, und nach den be- 
reits früher in feiner Mitte beftandenen rechtlichen 
Verhoͤltniſſen, von allen andern Völkern weſentlich 
verſchieden iſt; ſo muß auch die Verfaſſung eines jeden 
Volkes im Einzelnen ganz nad) diefen befondern 
Verhaͤltniſſen ſeiner Individualitaͤt, und nach den 
zeitgemaͤßen Bedingungen feines i innern und Aus 
fern organifchen Lebens ſich geftalten. Es werben 
Daher, im Kreife der Erfahrung, die Verfaffungen 
der einzelnen Wölfer und Staaten in vielfachen Be⸗ 
ziehungen wefentlid von einander verfchieden fenn, 
weshalb das philofophifche Staatsrecht in der Lehre 
von der Verfaflung nur die allgemeinften und 
nothwenbdigften Bedingungen des recht— 
lihen organifchen Lebens eines Staates 
aufftellen kann, ohne über die einzelnen und nähern 
Beftimmungen "deffelben eine Entſcheidung ſich anzu⸗ 
maßen. — Im Allgemeinen verlangt aber die 


186 Staats: md Staatenrecht. 


Vernunft, daß jede Staatsverfaſſung biejenigen Mit-⸗ 
tel und Bedingungen umſchließe, durch welche der 
Zweck alles Staatslebens: die Herrſchaft des 
Rechts an ſich, dauerhaft begruͤndet und geſichert 
wird, wobei ſie es nicht blos gutheißt, ſondern ſogar 
verlangt, daß die einzelnen Beſtimmungen ber 
ins wirkliche Staatsleben eintretenden Verfaſſungen 
durchgehende nach der Eigenthümlichfeit des Volkes 
und nach der von bemfelben erreichten Stufe der gei- 
fligen und fietlihen Kultur, fo wie nach der, vom 
diefer Kultur abhängenben, erreichten Stufe der buͤr⸗ 
gerlichen und politifchen Muͤndigkeit der Mehr⸗ 
zabl feiner Mitglieder fich richten muflen. .:: 


19. 
Die allgemeinen Vernunftbedingungen 


* 
- 


für jede rehtlihe Verfaffung. : 


Zu den allgemeinften und nothwendigſten Be: 
dingungen bes rechtlichen organiſchen Lebens eines 
Staates, welche daher die Grundlage einer jeden 
Verfaffung bilden müffen, die dem Ideale der Herr: 
ſchaft des Rechts entfprechen ſoll, gehören folgende: 


4) Die Verfoflung muß beruhen auf dem 
Urzechte der Perſonlichkeit (Naturr. $. 14); fie 
muß: alfo die aus demſelben entfpringenden ur⸗ 
fprünglichen (Nature. 6.16 — 22) Rechte: dat 
Recht auf perfonliche Freiheit, auf aͤußere Gleich" 
heit, auf Freiheit ber Sprache, der Prefle unk 
des Gewiflens, auf guten Namen, auf Eigenthum, 
auf öffentliche Sicherheit und auf Abfchließung der 
Verträge, entweber als foͤrmlich ausgefprochene 

* Grundgefege des Staates in ſich aufnehmen, oder 


1 


2 


Staats» und Staatenrecht. -187 


doch, ſhchweigend ſolche vorausfegen und aner⸗ 
kennen*). 

2) Sie muß die Bedingungen aufſtellen, unter 
weldyen das Staatsbürgerrecht erworben und 
behauptet wird, und wodurch es verloren geht. ° 

. 3) Sie muß'die geographiſche Einthei⸗ 
lung bes ganzen Staatsgebietes in Kreiſe und 
Bezirke, nach) einem richtigen flatiftifchen Grund- 
faße in Hinſicht auf den Flaͤchenraum und auf bie 
Gefammtbevölferung ſo wie mit fteter Berüdfich- 
tigung ber verfchiedenen Zweige der öffentlichen 

MWerwaltung, aufitellem 
4) Sie muß das Berbältmiß der beiden Theile 
der hoͤchſten Gewalt, der gefeggebenden und 
vollziekenden, gegen einander, nad) dem Um⸗ 
fange und Grenzen ihrer Wirkfamteit barftellen; 
namentlich muß fie die Beflimmung und. den Um⸗ 
fang der Wirffamfeit der gefeggebenden Ge- 
walt nach dem Antheile bezeichnen, welchen ge- 
meinfchaftlich der Regent -und die Vertreter 
bes Volkes an berfelben haben follen. | 

5) Sie muß fomohl die Beſtimmung und den 
Umfang der Wirkſamkeit der Volksvertreter 
in Hinſicht auf Geſetzgebung und Beſteuerung, als 
die Art und Weiſe der Volkbvertretung ſelbſi (ob 
in Einer oder in zweien Kammern; ob nach Staͤn⸗ 
den, aber aus der Geſammtheit bes Volkes gewählt; - 
fo wie. die beftimmte Geſammtzahl der Volfsver- 
treter , die Form ihrer Wahl, ‚die. Zeit und Dauer 
ihrer Zufammenberufung, bie Form ihrer bleiben» 





*) De diefe Ausführung der- urfprängfien echte 
des Menſchen bereits im. Anturrechte ($. 16 22.) 
geichehen if; fo wies fir hier nicht wiederholt. 


* 


188 Staats⸗ und Staatenrecht. 


den uud temporellen Ausſchuͤſſe), und die Grund⸗ 
zuͤge der, der Volksvertretung zum Grunde liegen⸗ 
den, Gemeindeordnung aufſtellen. 

6) Sie muß den Umfang und die Wirkſamkeit 

ber vollziehenden Gewalt, eheils nad) Der Hei- 
tigkeit und Unverlegbarkeit der Perfon des Regen⸗ 
ten, theils nach ber Verantwortlichkeit aller Staats⸗ 
beamten in Hinficht der ihnen übertragenen einzel- 
nen Zweige der Verwaltung in der Gerechtigfeits- 
pflege, in der Polizei, im Finanz⸗ und im Kriegs⸗ 
wefen genau entwideln. Ä 

7) Sie muß, geftügt auf ein der Verfaſſung 
völlig angemeflenes und von den Volksvertretern 
geprüftes bürgerliches und Strafgeſetz buch, 

.. und auf ein, mit bem Geifte beider übereinflimmen- 
des, Geſetzbuch für das gerichtliche Ver— 
fahren, die Beſtimmung, den Umfang und die 
Formen der Wirkſamkeit der richterlichen Ge- 
walt nach den einzelnen Behoͤrden derſelben genau 

verzeichnen, ſo wie die voͤllige Unabhaͤngigkeit des 
richterlichen Standes in Hinſicht feiner Aus: 
ſpruͤche von irgend einem Einfluffe der geſetz⸗ 
gebenben oder vollziegenden Gewalt auf denfelben, 
ausfprechen. 

8) Sie muß, in Beziehung auf die einzelnen 
Zweige der Verwaltung, die völlige Tren- 
nung ber Gerechtigkeitspflege von der Polizei und 

: der Finanzverwaltung, fo wie der beiden legtern - 
von einander, in Hinſicht auf das bei bie- 

- fen Theilen ver Verwaltung angeftellte 
Derfonale, feftfegen; den Umfang und die 
Grenzen ver Polizei, die Art und Weife der 
Steuererbebung, fo wie die allgemeinften 
Grundfäge für die Vertheidigung bes Staates ver- 


Staats⸗ und Staatenreche. 189 


mittelſt der aus ber Geſammtheit bes Volkes aus⸗ 
zuhebenden bewaffneten Macht verzeichnen. 

9) Sie muß über das rechtliche Verhaͤlt⸗ 
niß der Kirche zum Staate überhaupt, fo 
wie über die Rechte und die rechtliche Stel- 
lung der verfhiedenen kirchlichen Ge— 
fellfhaften im Staate gegen einander, 
einen allgemeinen feften Maasftab aufitellen. 

10) Sie muß endlich den Begriff und die Be⸗ 
Dingungen ihrer zeitgemäßen Sortbildung, Ergän- 

ung und Veraͤnderung, in Angemeflenheit des 

Fortfihreitens bes Bolfes zu einer höheren geiftigen, 
fietlichen.und policifchen Reife und Mündigfeit, in 
ſich felbft enthalten. 


20. 
Ermwerbung des Staatsbürgerredts. 


"Der Anfprud auf das Staatsbürgerrecht wirb 
ermprben durch die Geburt von Staatsbürgern und 
durch die Erreichung des im bürgerlichen Rechte 
gefeglicy ausgefprochenen Sebensalters der phnfifchen 
Muͤndigkeit; fo wie das Staatsbuͤrgerrecht 
feld ft durch den Antheil an den öffentlichen Leiſtungen 
für die Zwecke des Staates und durch die förmliche 
Anftellung im Staatsdienfte. — Die Kinber, 
welche von Staatsbürgern gebohren werben, gehören. 
zwar durch ftillfchweigenden Vertrag zu ben Mitglie- 
dern bes Staates, bürfen aber das volle Staats⸗ 
bürgerreche nicht eher anfprechen , als bis fie, im Zeit⸗ 
alter der erreichten Mündigkeit, nad) ihren finnlichen 
und geiftigen' Kräften für den Zweck bes Staates wir- 
fen, und die in dem Staatsgrundvertrage enthaltenen 
teiftungen übernehmen koͤnnen. Bis dahin gilt das im 


40 - Staats» und Staatenredt. 
Naturrechte aufgeftellte Xelternrecht (Naturr. 6. 31). 
Der Staat hat aber das Recht und die Pflicht, für 
ihre zweckmaͤßige Erziehung zu Menfchen und zu Bür- 
gern zu forgeh, weil ihm nicht blos daran liegen darf, 
daß er als bürgerliche Gefeltfchaft in feiner Volkszahl 
fortbeftehe,, fondern daß auch das fünftige Geſchlecht 
für den allgemeinen Endzweck der Menfchheit, fo wie 
fur den befondern Zweck des Staates erjogen und zur 
höhern Reife fortgeführt werbe. Doc) folgt daraus 
feinesweges, baß die Kinder ein Eigenthum bes 
Staates feyen, weil das Eigenthumsrecht des Staa⸗ 
tes nur über Sachen, nie über Perfonen fich erſtrecken 
fann. F | 


21. 
Ausmwanderungsredt. 


| Das Recht, den Staat zu verlaffen (jus emi- 

grandi), fteht jedem Staatsbürger zu, fobald er fid) - 
überzeugt hat, daß er nicht länger innerhalb des Sgaa⸗ 
- te8 den Endzweck des menſchlichen Dafeyns überhaupt, 
und die ihm als Bürger obliegenden befondern Wer: 
bindlichfeiten erfüllen koͤnne; doch darf er, weil er 
mie dem Staate durch Vertrag verbunden’ ift, den⸗ 


ſelben nicht eigenmaͤchtig oder heimlich, fondern nur 


nad) geböriger Anzeige an feine vorgefeßten Behörden 
‚verlaflen. — Sobald aber der Staatsbürger feinen 
Vertrag mit dem Staate bis dahin gewiffenhaft er- 
füllte, und er den Staat nicht aus böfen und gefähr- 
lichen Abſichten gegen denfelben verläßt, oder um den 
ihm obliegenden bürgerlichen Seiftungen (Abgaben, 
Kriegsdienſt u. ſ. w.) fich zu entziehen; ober auch um 
einer bereits. über ihn verhängten Strafe zu entgehen; 
‚fo Hat der Staat fein Recht, demſelben die Auswan⸗ 


J 


Staats - und Staatenrecht. 191 


‚derung zu verweigern , ober von deſſen fahrendem 
Eigenthum und Vermögen eine Nachfteuer (Abzugs- 
geld) zu verlangen. | 


22. 
Berluft des Staatsbürgerrechts. 


Ueber die Urſachen, durch welche das Staats- 
bürgerrecht verloren geht, muß theils die Verfaſſung 
im Allgemeinen, theils das bürgerliche und Strafge- 
fegbuch im Befondern entfcheiden. Im Allgemeinen 
. gebt es verlozen durch fürmliche Auswanderung, fo 
wie durch Niederlaffung und Annahme von Aemtern 
im Auslande; im Beſondern duch richterliche Ver⸗ 
urtheilung zu peinlichen Strafen. Denn nie anders, 
als Durch richterlichen Ausſpruch in Angemeſſenheit 
ju einem begangenen Verbrechen, und durch Belegung 
mit einer entehrenden Strafe, darf das Staatsbürger- 
recht im Einzelnen rehtlih entzogen werden. 

Die einftweilige Sufpenfion des Staats⸗ 

bürgerrechts wird in jedem Staate burch das bür- 
gerliche und Strafgefegbuch beftimmt, und fann in 
befondern Fällen felbft von Grundfägen der Staats⸗ 
funft abhängig feyn. Dietandesvermweifung. 
bingegen, als bürgerliche Strafe, darf nie nach den 
Grundfägen des Staatsrechts ausgefprochen wer- 
den, weil fein Staat dem andern feine verbächtigen 
unb gefährlichen Bürger zufchiden darf. Doch 
fönnen bisweilen politifche Ruͤckſichten die Sandes- 
verweiſung entfchuldigen, worüber die Staatsfunft 
entfcheide. Dagegen fann die Verbannung 
von Verbrechern in entfernte, bemfelben Staate 
zugehörende, Kolonieen (3. B. nad) Botanybay), 
mit Ausſchluß von den Rechten eines Staatgbür- 


1} . 


4192 Staats» und Staatenrecht. 


gers, burdy das Geſetz nach Grundfaͤtzen des 
Staatsrechts beſtimmt werden. 


23. ” 
Maturalifirung der Fremden. 


Was die Aufnahme von Fremden und die Er- 
theilung des Bürgerrechts an diefelben betrifft; fo 
muß die Begfaflung des Staates im Allgemeinen feft- 
feßen, unter welchen Bedingungen und bis wie weit 
Ausländer zu naturalifiren find. So wenig dabei auf 
die Verſchiedenheit der kirchlichen Befenntniffe gefehen 
werben darf; fo nöthig ift es doch, daß feiner das 
Staatsbürgerrecht erlange, der entweder einen andern 
Staat als Schuldiger verlaffen, oder doch feinen 
Verpflichtungen gegen, denfelben nicht völlige Genüge 
geleifter hat, oder der durch feine Aufnahme den wohl⸗ 
erworbenen Rechten ber vorhandenen Staatsbürger 
Eintrag thun wuͤrde. Befonders muß bei der Auf: 
nahme von Fremden in Maffe die größte Vorſicht 
angewandt, und genau berudfichtige werden, ob man 
‚ biefen Fremden den völligen Umfang aller Bürger: 
rechte (3.38. felbft zu Staatsdienften gelangen zu koͤn⸗ 
nen), und vielleicht fogar mit gewiffen wefenzlichen 
Vortheilen bei ihrer Einwanderung verbunden, oder 
nur die unmittelbar perfönlichen Staatsbürgerrechte 
(Befreiung von Leibeigenfchaft u. f. 1.) zugefteht. 

Die Staatsfunft hat dabei zu berüdfichti- 

gen, ob die Ausländer unzufriedene. Emigranten, 
‚oder fleißige Koloniften find; ob ber einheimifche 
Staat, der fie aufnehmen will, nur ſchwach, oder 
bereits übervölfere ift; ob Glaubenszwang und 
firchlicher Verfolgungsgeift, oder politifcher Seften- 
geift fie vertreibt; ob. fie. arm, oder mit Vermoͤgen 


3 


Staats- und Stagtenrecht. 193 " 


die Aufnahme wuͤnſchen; ob man durch ihre Auf⸗ 
nahme vielleicht mit dem Staate zerfaͤllt, den ſie 
verlaſſen u. ſ. w. 


24. 


„Werſchiedenheit der Staatsbürger, und 
deren Eintheilung. 


Obgleich alle Staatsbürger in formeller Hin- 
ficht, d. h. nach den urfprünglichen, aus dem Urrechte 
ber Perfonlichfeit bervorgehenden Rechten, einander 
gleich find, fo wie fie alle in ihrem äußern R: chts« 
freife den Zweck des Staates. befördern follen und koͤn— 
nen; fo wird Doch dadurch ihre Verfchiedenheit und 
Ungleichheit in materieller Hinficht niche aufges _ 
hoben. Dieſe materielle Ungleichheit beruht aber auf 
der Verfchiedenheie der phyſiſchen Kräfte, der griftis 
gen Talente, der erlangten Kenntniffe, der gewähl- 
ten Berufsarten, des ererbten oder erworbenen Eigen⸗ 
thums und Reihthums, und der dem Staate in deſſen 
Aemtern bereits geleifteten, oder noch zu leiftenden 
Dienfte; überhaupt auf dem Unterfchiede der phy— 
ſiſchen und fieelihen Mündigkeit und Uns 
mündigfeit 

Von fo großer Wichtigkeit alfo auch ber Grund. 
befig des Bodens im Staate, fo wie, bei der Erblich- 
feit bes rechtlich erworbenen Eigenthums, jedes mit 
dem Grundbeſitze verbundene Recht vor der Vernunft 
guͤltig iſt; ſo kann doch weder von dieſem Grundbeſitze, 
noch von der bloßen verſchiedenartigen Anfündigung 
der geiftigen Talente und Kräfte die Eintheilung der 
Staatsbürger in einzelne Klaffen oder Stände ab: 
hängig gemacht werden. Es bedingt die Vernunft 
vielmehr diefe Eintheilung der Staatsbürger theils 

L 13 


, 294. ' Staats - und Staatenrecht. 


nach ihrer perſoͤnlichen Selbſtſtaͤndigkeit, 
nach welcher die Thaͤtigkeit der Individuen machſi 
von ihren eigenen Rechten und Kraͤften, und nicht 
von der Willkuͤhr Andrer abhaͤngt; theils nach ihrer 
geiftigen und fittlihen Mündigfeit, nad 
weicher blos die durch ihre Einfichten und Kenntniffe 
Brauchbaren, und die nach ihrer fietlichen Ankuͤndi⸗ 
gung DBewährten zur unmittelbaren und unbes 
ſchraͤnkten Theilnahme an allen Rechten der politi« 
{hen (öffentlichen) Freiheit ($. 14.) zugelaflen wer: 
den. — Aus diefem Gefihtspuncte ergibt fich 
theils der aflgemeine Unterfchied. zwifhen paffiven 
und activen Staatsbürgern *), theils die Ein« 


2 


theilung der Staatsbürger in die einzelnen Stände, 


Der Regent, als folder, fann nicht in-den Kreis 
der Stände des Volkes gezogen werden, weil von 
ihm, bei der Ernennung zu Staatsämtern, die Ent 
ſheibung uͤber die geiſtige und ſittliche Mindigfeie 
aller Staatsbürger ausgeht. Zu den höhern Stan» 
ben werden aber diejenigen Staatsbürger gerechnet, 
welche entweder bei ‚der verfäffungsmäßigen Ver: 
fammlung der Stellvertreter. des Volkes als Mit 
glieder derfelben erfcheinen, oder melche bei 
den gefammten einzelnen Zweigen der Regierung 


und Verwaltung als eigentliche vorgefeßte 


- Staatsbeamte und Behörden angeftellt, und 
alfo blos dem Regenten und den Vertretern des Vol. 
kes verantwortlich find, Zu den mittlern Ständen 
hingegen gehören alle in abhängigen Verhältniffen, 
d. h. mit Werantworelichfeit gegen ihre umittelbaren 


—— — —— 


*) Mit richtigem Tacte hat ſchon Kant in f. meta 
phyſ. Anf. der Negtsiehre S. 166 f. die 
fen wichtigen unterſchud. 





“+ Gtaats- und Gtaatenrecht. 3195 


Worgefegten angeftellte, Staatsbeamte; dann alle, 
richt im Staatsbienfte angeftellte, perfönlich un- 
abhängige, Grundeigenthuͤmer, Gelehrte, Künft- 
fer, Kaufleute, welche durch ihre Tätigkeit das 
innere Leben des Staates, und namentlich das gei- 
ftige Leben fördern und vervollfommnen. Wenn in 
der Mitte der hoͤhern Stände zunachft die erhaltende 
Kraft des Staates wirft; fo bewährt fid) im Kreife 
der mittlern Stände zunächft die bewegende 
Kraft deflelben. — Zu den niedern Ständen 
endlich werden diejenigen gerechnet, welche in per: 
fönlicher oder dinglicher Abhängigfeit zu den 
höhern und mittlern Ständen, entweder durch per- 
fonliche Dienftleiftungen , oder durch Betreibung bes 
Seldbaues, der Gewerbe u. f. m. ſtehen. ’ 


25. 
Gefellfhaften im Staate 


Eine Geſellſchaft im Etaate ift.die Vereini- 
gung einer Mehrzahl von Etaatsbürgern zur Vers 
wirflihung eines befondern Zwickes. Diefer 

Zweck foll aber rechtlich fiyn; d. 5, er darf dem 
Zwede des Staates überhaupt nicht widerfprechen , 
und durch denfelben dürfen feine Rechte irgend eines 
Staatsbürgers beeinträchtiget werden. Zugleih muß 
diefer Zweck (Maturr. 6. 29.) der Regierung des 
Staates befannt und von derfelben anerfannt feyn, 
damit die für die Verwirklichung diefes Zweckes ver- 
einigte Gefellfehaft von der Regierung dabei gefhügt 
werde. — Sobald aber eine Gefellfchaft im Staate 
entweder ihren Zweck vor der Regierung verheimlicht, 
oder einen unwahren Zweck berfelben anzeigt, bder 
ihren befondern Zweck durch Mittel zu befördern und 

13° 





\ 


[4 


100 GStaats- und Staatenrecht. 


zu erreichen ſucht, welche dem allgemeinen Staats- 
zwecke und den Rechten einzelner Staatsbürger wiber- 
ftreiten,, oder fobald die Gefellfchaft der oberften Auf: 
fiche der Regierung ſich entziehen will; fobald bilder 
eine ſolche Geſellſchaft einen Staat im Staate, 
und muß von der Regierung aufgehoben werden. 


. 26. 
"Eintheilung des Staatsgebiers. 


Die zweckmaͤßige geographifche Eintheilung des 
Staatsgebiets in Provinzen, Bezirfe u. ſ. w. hänge 
ab von einem ftariftifchen Grundfäge, welcher 
theils auf der Beurtheilung des gefammten Flaͤ⸗ 
henraums nad) feinen Naturgrenzen der Gebirgs- 
reihen und Flußgebiete, und nad) feiner Sruchtbarfeit, 
theils auf dem innern Berhältniffe ver Gefammt- 
bevoͤlkerung in Hinfiht auf die Vertyeilung und 
Ausbreitung verfelben auf jenem Flaͤchenraume be- 
ruht. Denn durch die Eintheilung des Gebiets und 
der Gefammtbevölferung des Staates nad) dieſem 
Grundfage wird thrils die Ausmittelung der Anzahl 
der zu wählınden Vertreter des Volfes, fo wie die 

‚Sorm ihrer Wahl, theils die gleihmäßige Verthei- 
lung der einzelnen Berwaltungsbehörden (der Gerech⸗ 
tigfeitspflege, der Polizei, der Finanzen und der 
friegerifchen Macht) in die Provinzen des Staates, 
theils bie zweckmaͤßige Erhebung der Steuern und 
Abgaben, theils die gerechte Aushebung der in die 
friegerifhe Macht aufzunehmenden Vaterlandsver⸗ 
theidiger erleichtert. 

(Bei der Feſthaltung diefes ftatiftifchen Grund⸗ 

ſatzes, fo weit er nämlich nach örtlichen Verhaͤlt⸗ 

niſſen feſtgehalten werden kann, werden die Pro⸗ 


Gtaars- und Staatentecht. 197 


vinzen Meiner Staaten ungefähr 100,000 — 
200,000 Einwohner umfchließen, während vie 
Bevoͤlkerungszahl der Provinzen eines großen Reis 
es bis auf eine halbe Million Menfchen und 
darüber fleigen fann. — Nach demfelben Maas» 
ftabe werden fid) die Gerichtshöfe mit ihren vers‘ 
ſchiedenen Inſtanzen, und die Polizei» und Finanz 
behörden ordnen laflen; fo wie für die bewaffnete 
Macht des Staates von einer Million Bevöl« 
ferung hoͤchſtens 10,000 Mann aufgeboten werben 
fonnen. ) | 


27. 


Rehelihe Form der gefeggebenden Ges 
walt im Staate, 


Die Vernunft denft fich unter der gefeggebenben 
Gewalt im Staate die rechtlich geftaltete und auf fefter 
Grundlage ruhende Anfimdigung ‘des allgemeinen 
Willens in Hinficht aller aufzuftellenden Mittel für 
die Verwirklichung des Staatszweckes. Tin einer, 
den Forderungen der Vernunft entfprechenden, Staats» 
verfaffung beruht aber ($. 16.) die gefeggebende Ges 
waltgemeinfchaftlich auf dein Regenten und ven 
Vertretern des Volkes, fo daß beiden die foges 
nannte Initiative, d. 5. der erfte Antrag und 
Vorſchlag zu einem Gefege zufteht, worauf jedesmal 
der andere Theil, von welhem der Vorfhlag nihe 
ausging, ben Gefegentwurf entweder unbedingt, oder 
mit Befchränfung annehmen, oder auch ganz verwerfen 
fann. Denn ſteht den Vertretern des Volkes allein 
die Initiative der Gefege zu; fo wird der Regent — 
obgleich im ausfchließenden Befige der vollziehenden 
Gewalt — doch eines weſentlichen Antheils an der 


1985 | Staats» und Staatenredht. 


hoͤch ſten Gewalt beraubt ®), und er in feiner Wirk: 
famfeie und in feiner Würde durch den Willen ber - 
Volfsvertreter gehemmt. Steht aber dem Regenten 
ausſchließend die Fnitiative der Gefebe zu; fo fann er 
theils mit den Bedüffniffen und Wünfchen bes Vol⸗ 
fes nicht auf dem rehelihen, verfaffungs- 
mäßigen Wege — durch das Organ der Vertre⸗ 
ter des Volles — befannt werden, theils werden bie 
Vertreter des Wolfes bei dem Volke felbft nicht die noͤ⸗ 
thige Achtung und das fefte Zutrauen beſitzen, fobald 
ihre Rechte blos auf die Bewilligung Der Anträge des 
Regenten befhränft find. Mur wenn die gefeßge- 
bende Gewalt gleichmäßig vertheile iſt zwiſchen dem 
Regenten und den Vertretern des Volfes, wird die 
gefammete Intelligenz im Staate Antheil 
haben an der Gefeggebung, und — weil beide Theil. 
nehmer an der gefeßgebenden Gewalt zu einander im 
Gleichgewichte ſtehen — die Gefeßgebung eben 
fo der rechtliche Ausdruck des Willens des Regenten, 
wie der öffentlihen Meinung feyn. 

Auf dieſe Weife wird bewirft werben, was die 
Vernunft verlangt, daß blos ſolche Geſetze gegeben 
und zu einem Geſetz buche verbunden werden, wel⸗ 
he — geftüst auf die in der Verfaflung vertrags- 

maͤßig feftgefegten Grundlagen des gefammten Staats- 
lebens — für alle Staatsbürger eine gleiche verbin- 
dende Kraft haben, und wodurch, mit Ruͤckſicht auf 

das Maas der individuellen phyſiſchen, pecnniairen 

und geiftigen Kraft, keinem mehr aufgelegt wird, als 
*) wie z. B. in der erfien franzoͤſiſchen Eonftitution vom 
Jahre 1791, in der dritten franzoͤſiſchen Conftitus 
tion vom J. 1795; in der fpanifhen Eonttitution 
vom J. ıgı2, und in der portugiefifhen Eonftitus 

tion vom 9. 1822. 








Staats- und Staatenurecht. 199 


dem andern. Ob nun gleich, im Allgemeinen, die 
Gefege Einfchränfungen der perfönlichen Freis. 
heit find (fo wie der Begriff des Rechts ſelbſt die 
gegenfeitige vertragsmäßige Beſchraͤnkung der aͤußern 
Sreiheit in fich einfchließe) ; fo find fie doch feine Bes 
einträcdhtigungen der bürgerlichen Sreiheit, weil 
die Gefege nicht durch die Willkühr, fonbern von der, 
vechtmräßigen gefeggebenden Gewalt gegeben.werden, 
weil fie unnachlaßliche Mittel und Bedingungen für 
die Vermirflichung des Staatszwedes find, und weil 
fie alle Staatsbürger auf gleiche Weile befchränfen. 

Es merden daher die Gefege von allen fittliche 
mündigen Staatsbürgern freiwillig angenommen, 
weil ihre Vernunft fir das Beftehen und die Forte, 
dauer des bürgerkichen Vereins feine wirkſamern Mits 
tel auffinden kann, als die mit gemeinfchaftlicher Zus . 
fimmung des Regenten und der Bolfsvertreter geges 
benen Geſetze. Deshalb ift auch der Gehorſam, 
welchen die Staatsbürger den Geſetzen leiften, ein . 
freiwilliger, der nur von den fittlich » unmünbigen 
Staatsbürgern durch Zwang bewirft werden muß. 
So wird zugleich die Einfchranfung der indisiduellen 
Freiheit durch das Geſetz nicht blog eine Wirkung der 
eignen Freiheit der Staatsbürger, fonbern auch, vers 
mittelſt ders Angemeſſenheit der Gefege zu dem hoͤch⸗ 
ften Zwecke des Staats, die Örundlage der all» 
gemeinen Eintraht und Ordnung in der 
bürgerlichen Geſellſchaft, weil alle Staatsbürger vor 
dem Geſetze gleich find, und über fie alle nichts herrſcht, 
als das Geis; denn nur durch das Gefig fann die 
Herrfchaft des Rechts begründer, gefichert und erhal⸗ 


ten werben. — Der hoͤchſte Standpunct für die. - 


Gefeggebung im Staate ift Daher der : Daß die Außere 
Sreiheit der Staafsbürger.nie Gefegipfigfeit, und das 


J 
J 


200 Staats⸗ unb Steaatenzedht, 


vorgeſchriebene Geſet nie ein Ausfluß det Willkuͤhr 
werde; daß vielmehr die Gefeggebung die bürgerliche 
Freibeit ſicher ſtelle, und die bürgerliche Sreiheie felbft 
als ber Grund der unverbruchlichften Befolgung der 
Gefege im Staate erfhein.e Die bürgerliche 
Sreiheit durch das Gefeg iſt mithin die große 
Aufgabe der Geſetzgebung im Staate. 

Aus dieſem Standpuncte gefaßt, werden zugleich 
alle Geſetze des Staates einander gleich In Hinſicht 
der rechtlichen Form, ſo verſchieden fie auch in 


materieller Hinſicht ſeyn fonnen, weil dieſe 


von den mannigfaltigen Verhaͤltniſſen abhaͤngt, in 
welchen die Buͤrger des Staates als Perſonen zu 
Perſonen, und als Perſonen zu den Sachen ſtehen. 

In Beziehung auf die rechtliche Form der 
Befanntmachung der Gefege, welche unmittelbar 
von dem Staatsoberhaupte ausgeht, und in deflen 
Namen gefchiehe, ift es noͤthig, daß die Verfaſſer 
(Eoncipienten) der von dem Regenten und ben VBolfs- 
vertretern gemeinfchaftlich befchloflenen Geſetze diefel- 
“ben verftändlich, beſtimmt, unzmweideutig, den Ge— 
genftand erſchoͤpfend, in der Landesſprache mit Ver⸗ 
meidung jedes fremden Ausdruckes, und die einzelnen 
Gefrge im innern Zuſammenhange mit ſich ſelbſt ab⸗ 
faſſen. 

Man unterſcheidet endlich zwiſchen organi— 
ſchen und abgeleiteten Geſctzen, inwiefern die 
erftern ausſchließend diejenigen Beſtimmungen ent» 
halten, welche unmittelbar auf die Staatsverfaflung 
und Staatsverwaltung fi) beziehen, und in allen 
einzelnen Vorſchriften auf den Staatsvertrag ſich 
ſtützen; die zweiten aber die Rechtsbeſtimmungen 
“für die einzelnen Fälle des Privatlebens der Staats- 
bürger aufftellen, welchen wieder die organifchen Ge- 





| 


Staats» und Staatenrecht. 201 


ſetze zur naͤchſten Unterlage dienen. — Deshalb 


fönnen, in einem auf vertragsmäßiger Verfaſſung 


ruhenden Staate, die organiſchen Geſetze nur durch 
die gemeinſchaftliche Uebereinkunft des Regenten und 
der Volksvertreter gegeben werden, Dagegen die a b⸗ 


geleiteten Geſetze von denjenigen einzelnen Behörs 


den der Regierung und der Verwaltung — dod) jedes« 
mal im Namen und mit Vorwiſſen bes Staatsober- 
hauptes — ausgeben, welchen die rechtliche Beftim- 
mung und Enefeheidung der einzelnen Gegenftände des 
Privatlebens der Staatsbürger zufommt. 


Montesquieu, de l’esprit des loix. 4 Tom. 
Amst 1748. (viele Ausgaben.) Teutfch In 4 Theis 


len; Altenb. 1782. 8. — Zweite Ueberfeßung mit 


Anmert. von A. ®. Hauswald. 3 Th. Goͤrlitz, 
2804. 8. 
Als neuefter, in einzelnen Rüdfichten reichlich aus⸗ 
geftatieter, Commentar zu diefem Werke gehört 
(mit einem von dem Ueberſetzer gewählten Titel): 

Graf Deſtutt de Tracy, Charaftergeihnung 
der Politik aller Staaten der Erde. Kritifher Toms 
mentar über Montesquieu’s Geiſt der Geſetze. Liebers 
fegt und gloffirt von Morſtadt. 2 2 Theile. Heidelb. 
1820 f. 8. 

Gaetsno Filangieri, la sacienza della legis- 
lazioue. 9 T. Nap. et Venetia, 1783 syy.  — 
Teutſch in g Theiten v. Link. Anfpab, 1784 ff. 
8. — Z3te Aufl. der erften Theile, 1808. 

Saat Iſelin, Verſuch über die Sefeßgebung. 
Bafel, 1759. 8. 

v. Mably, über die Geſetzgebung oder uͤber die 
Grundfäge der Geſetze. 2 Th. Aus dem Franzoſ. 
Nurnb. 17°9. & 

Heinr. Home, Unterfuhung über bie moralifchen 
Geietze der Befellfihaft. Aus d. Engl. Lpz. 1778. 8. 

IJ. ˖Geo. Ochloſſer, Briefe über die Geſetz⸗ 
gebung. 2 Theile. Frkf. 1789 f. 3 


— 


202 Staats⸗ und Staatenrecht. 


J. Senr. über. Gtaatslunk und 
Gefebgebung. Berl. 17 

Theod. Stli. v. Ten "Aber Geſetzgebung und 
©taatenwohl. Berl. 1804. 8. 

3. Adam Bergt, Theorie der Geſebgebung. Mei⸗ 

‘ Sm, 1802. 8. 

e Sar. ziem, Bed, Srundfäge der Geſehgebung. 
pj. 1806. 

Kart. Sr Zachariaͤ, die Wiſſenſchaſt der Ge⸗ 
ſetzgebung. Als Einteitung zu einem allgemeinen 


Gefetzbuche. Lpz. 1806. 8. 


Sanaubert, Auch der Megent ift an die von 
ihm gegebenen &efege gebunden. Aus dem Latein. 
mit Anmerk. und Zufägen von Eman. Sr. Hag e⸗ 
meifter. Roſtock u. £pj. 1795. 8. 


28. 
Die Stellvertreter des Volkes. 


| Die Stellvertreter des Volkes, welchen ein in 
ber Berfaflung des Staates beftimmt ausgefprochener 
Antheil an der gefeßgebenden Gewalt zuftehe, bürfen 
nicht von der Regierung ernannt, fie müffen vielmehr 
von dem Volke felbft gemahle werden, und dieſe 
: Wahl muß von dem Zutrauen und der ‚Achtung ihrer 
Mitbürger abhängen. Zu Steflvertretern des Volkes 
bürfen aber weder fittlih-unmündige gemähle werben, 
noch darf die Wahl durch die Theilnahme der firtlich-. 
unmündigen geſchehen.“ Nur firtlich-mündige 
dürfen, nad) der Vernunft, das Recht der Wahl 
und der Waͤhlbarkeit haben, weil nur Diefen, 
naͤchſt der bürgerlichen Freiheit, auch die öffentliche 
(politiſche) Freiheit ($..14.) zukomme. Nie koͤnnte 
ein Staat ſchlimmer berathen werden, als wenn deſſen 
ſittlich · unmuͤndige Bürger waͤblen duͤrſten , und ge⸗ 
wuaͤhlt werden koͤnnten. 


Staats⸗ und Staatenrecht. 203 


Damit nun dieſem Grunbübel der ſtellvertreten⸗ 
den Verfaffung des Staates möglich fk vorgebeugt 
werde, darf die Wahl der Nolfsvertreter nicht in für ° 
genannten Urverfammlungen bes Volkes gefchehen, 
nicht dem Zufalle, nicht der Leidenfchaft, nicht ber 
Beſtechung, und eben fo wenig der bevormundenden 
Einmifhung der verwaltenden Behörden überlaffen, 
wohl aber foll fie unter die Oberaufſicht rechtlicher 
Staatsinänner gefteflt werden. Es muß daher , für 
diefen hochwichtigen Zweck, die Verfaffung felbft rheils 
ben Grundfag fire die im Staate beftehende Volks⸗ 
vgrfretung überhaupt, theils Die Angabe der Geſammt⸗ 
zahl der Volfsvertreter nad) dem Maasftabe des Flä- 
chenraums und der Bevölferungsmaffe ($.26.), theils 
die Beflimmungen für die Wählbarfeit derſelben, für 
die Form der Wahlen felbft, und für Die Formen des 
Zufammentretens , nicht minder für die Formen der 
Verhandlungen ver Volksvertreter, für Die Zeit und 
Dauer ihrer Verſammlung, und für die in der Zwi⸗ 
fhenzeit der Verfammlungen beftehenden Ausſchuͤſſe, 
fo wie für die jeder guten Volfsvertretung zum Grunde 
liegenden Gemeinde» und Kreisordnung, ın fid) ent- 
halten. 

Es laßt fih aber, nad) der Vernunft, ein do p⸗ 
pelter Grundfaß für die rechtliche Geftaltung der 
Bolksvertretung im Staate aufftellen, fo daß nad) 
dem einen die beftimmte Gefammtzahl der Volks⸗ 
vertreter,, ohne Ruͤckſicht auf irgend einen Stand und. 
Beruf im Staate, ganz frei nad) dem Zutrauen 
gewählt wird, welches die Individuen, auf welche 
die Wahl fälle, bei ihren Mitbürgern firh ermorben 
haben; nah dem andern aber die verfchiedenen 
Stände und Berufsarten im Staate gleihmäßig 
beruͤckſichtiget werden, damit nicht, durch den Zufall 


4, 





⸗ 


204 Staats⸗ und Staatenrecht. 
der Wahl, gewiſſe ſelbſtſtaͤndige Zweige der menſch⸗ 
lichen Thaͤtigkeit im Staate entweder ganz von der 
Vertretung ausgeſchloſſen, oder gegen andere zu un« 
verhaltnigmäßig hervorgehoben werden. — Wird 
biefer zweite Grundfag der Wolfsvertretung (der flän- 
diſche) feftgehalten; fo fheint es am zweckmaͤßigſten 
zu feyn, die Gefammtzahl der Volksvertreter gleich- 
mäßig zu vertheilen: 1) nad) dem großen Grund- 
befise; 2) nach den ftädtifchen Gewerben in Manu⸗ 
facturen, Fabrifen und im Handel; 3) nad) der 
geiftigen Thätigfeit im Gebiete der Wiſſenſchaft und 
Kunft, und 4) nad) dem Stande der Landbewohne 
Selbft Staatsdiener, fobald fie das Zutrauen ihre 
Mitbuͤrger zur freien Wahl beruft, Fonnen in die 
Reihe der Volfsvertreter gehören; nur muͤſſen theils 
die, welche im perfönlichen Dienfte bes Regenten 
ftehen, theils diejenigen Höchften Staatsbeamten, 
welche, von ihrem Standpuncte aus, die einzelnen 
Hauptzweige der Staatsverwaltung leiten und die 
Aemter in denfelben befegen, fehon deshalb von der 
Wahl zur Volfsvertretung ausgefchloffen werden, weil 
ihnen, nad) ihrer Stellung, das Recht zufteht, den 
Verfammlungen der Volksvertreter, doc) ohne Theil- 
nahme an der Abftimmung , beizumohnen. — End⸗ 
Lich verfteht es fich von felbft, daß alle, welche nicht 
im Beſitze der individuellen Selbftftändigfeit und der 
öffentlichen (politifchen) Freiheit ($. 14.) ftehen, d. h. 
alle phyſiſch Unmimdige, alle Dienfthoten, alle für 
Tagelohn Arbeitende, alle Verforgte, alle in Unter- 
ſuchung befindliche, und alle in peinlichen Fällen. Bes 
ftrafte, von der Wahl zur Wolfsvertretung ausges 
ſchloſſen werden müffen. Ä 
Die Vertreter des Volfes find aber, nach der 
Eröffnung ihrer Verfammlung, nicht mehr die Re⸗ 


J 


Staats» und Staatenrecht, 205 


präfentanten ihres Ortes, ihrer Provinz, oder ihres 
befondern Standes, fondern — für die Dauer ihres 
Beifammenfeyns — die unabhängigen, felbft- 
ftändigen,unverleglidhen, und für ihre amıts- 
mäßig geäußerten Meinungen und rechtlid) abgegebe- 
nen Stimmen unverantwortliden, Vertreter 
des geſammten Volkes; denn, als folche, follen fie 
blos und einzig die Begründung, Erhaltung und 
Sicyerftellung der Rechte und der möglichften Wohl⸗ 
fahrt des ganzen Volkes beabfichtigen, in deſſen Namen 
und durch deifen Wahl fie fprechen und handeln ). — 





*) Obgleich Die Frage nah dem monarhifhen, de 
mofrarifhen oder ariſtokratiſchen Princip 
einer Staarsverfaffung zunädft politiſch ift, und 
aifo der Staatskunſt angehört; fo kann doch 
feine politifche Aufgabe obne eine rehtliche Unters 
lage gedacht werden, und dieſe gehört dem Staats⸗ 
rechte an. Mag alfo auch erit weiter unten in der 
Staatskunſt das in der Geſchichte der erlofchenen 
und noch beitehenden Staaten vorliegende Verhaͤlt⸗ 

niß der Monarbieen, Demofratieen und Ariftoßras 
tieen gegen einander ausgemittelt werden könntet; 
fo erhellt Doh aus den aufgeſtellten ſtaatsrecht⸗ 
lihen Srundfäsen: daß nur da, wo die gefeßs 
gebende Sewalt ausfhließend in den Händen 
der Volksvertreter (wie 53 B. in der fpanifchen Con⸗ 
flitution der Cortes vom 9. 1812) rubt, und der 
Regent blos an der Spitze der vollziehenden Gemalt 
ſteht, ohne irgend einen Anıheil an der gefehgebens 
den Macht, von dem Vorherrſchen des demokra⸗ 
tifhen Principe in der Verfaffung die Rede feyn 
kann; das ariſtokratiſche Princip hingegen da 
vormwaltet, wo entweder — bei dem Beſtehen zweier 
Kammern — die fogenannte Pairstammer den 
Ausichlag bei den Belegen (namentlih in Hinſicht 
der Befteuerungsgefege) gibt, oder wo — im Pal 
dag nur Eine Kammer Rast findet — die Stimme 


Ed 


x 
+‘ 


206 . Staats» und Staatenrecht. 


In Hirificht der Thaͤtigkeit derfelben muß die Ver⸗ 
faſſung genau beftimmen, welcher Antheil ihnen, 
in Verbindung und Wechfelmirfung mir dem Regen- 
ten, an der gefeßgebenden Gewalt zufteht, und bie 
wie weit Die Berantwortlichfeit der verwaltenden Be⸗ 
börden von. dem Urtheile der Volfsvertreter abhängt, 
"befonders wenn das Recht berfelben eintritt, gewiſſe 
Staatsbeamte in Anflageftand zu fegen. Haupt: 
fählihh muß aber in der Verfaflung beftiimme feyn, 
auf welche Weife die Steuern und Abgaben, welche 
zum Beftehen des Stadtes erfordert werden, von den 
Wolfsvertretern bewilligt, unter die Provinzen des 
Staates vertheilt, und nad) ihrer Verwendung für 
die feftgefegten Zwede von den Volfsvertretern con⸗ 
trollirt werden follen. 
Wild. To Krug, das Nepräfentativfpftem. 
Lp;. 1816. 8. ' 
Sebald Brendel, die Geſchichte, das Welen 
und der Werth der Nationafrepräfentation. 2 Thle, 
Bamb. 1817. 8. 
Karl v. Rotteck, Ideen über Landftände. Karls⸗ 


ruhe, 1819. 8. 

29. 
Rechtliche Form der vollziehendenGewalt. 
So wie durch die Verfaſſung des Staates die 





der Grundbeſitzer und der erblichen Stände jedesmal 
die Stimme des gelehrten und des gewerbrreibenden 
Standes in Hinfiht der Gefeßgebung überwiegt; 
das monarchiſche Princip aber da herrſcht, wo 
bem Regenten gemeinſchaftlich mit den Wille: 
verrretern die Initiative der Gefege, ausfchlies 
Bend aber die vollgiehende Gewalt zuſteht. — Aus 
den aufgeftellten Grundfägen erhellt, daß nur das 
‚ monardifhe Princip in dieſem Sinne dem pbilos 
ſophiſchen Otaatstechte eytſpricht. | 


| Staats⸗ und Staatenrecht. 207 


rechtliche Form der gefeggebenden Gewalt beftimme ' 
wird; fo muß fie auch den Umfang und die Wirffams - 
keit der vollziehenden Gewalt, nad) ihrer recht⸗ 
lihen Ankündigung, beftimmen. Der Begriff der 
vollziehenden Gewalt fchließt aber in fich ein: theils 
die Rechte und Pflichten des Regenten; theils die 
echte und Pflichten der Unterthanen, beide nach 
ihrem in der Verfaſſung feftgefegten gegenfeitigen 
Verhältniffe; eheils alle für die vier verſchiedenen 
Haupttheile der Verwaltung (der Gerechtigfeitspflege, 
ber Polizei, der Finanzen und des Militairs) nöthis 
gen höchften Staatsämter, mit deren Mittel» und 
Unterbehörden. Denn durch die vollziehende Gewalt 


foll der von der Vernunft aufgeftellte höchfte Zwed 


des Staates — bie allgemeine und unbedingte Herr 
[haft des Rechts — in firengfter Angemeffenbeit zu 
der jedem Staate eigenthuͤmlichen Berfaffung und 
Gefesggebung, in allen befondern Verhältniffen 
des innern und äußern Staatslebens verwirklicht, 
und dadurch der Staat felbft zu einem in ſich harmo⸗ 
nifch verbundenen , und zu dem allgemeinen Ziele der 
Menſchheit ununterbrochen fortfchreitenden Ganzen 
erhoben werben. Die vollziehende Gewalt gebietet 
daher über die ehrlichen und wirffamften Mit 
tel und Bedingungen, durch welche die Verfaflung 
bes Staates nad) allen ihren einzelnen Gegenftänben, 
und die Gefeßgebung nad) allen ihren einzelnen 
Theilen und Worfchriften vollzogen werden fann 
und ſoll. | 
In der Sehre von der vollziehenden Gewalt wird. 
alfo zuerft vom Regenten, dann von den Un- 
tertbanen, und darauf von den einzelnen Haupt- 
theilen der Verwaltung gehandelt. 


208 Staats - und Staatenrecht. 


30. " 
Der Regent, als Souverain, 


Der Regent, als das Oberhaupt des Staates, 
ift zugleich das Oberhaupt der vollzicehenden Gewalt. 
Er ift, als folder, der Repräfentant der völs- 
ligen Selbitftändigfeit und Unabhängig. 
keit des gefammten Volfes und Staates 
‚nah allen Bedingungen und Anfündi- 
gungen feines innern und äußernLebens, 
und heißt, in die ſer Beziehung, dee Souverain 
(invoiefern nämlich dieſer Ausdruck der modernen 
Staatsfunft den Regenten als den Repräfentanten ber 
- Selbftftändigfeit und Unabhängigfeit eines Volkes 
und Staates bezeichnet, indem, nach dem diplomati= 
fhen Sprachgebrauche, dem Regentın eines nicht 
felbftftändigen und nicht unabhängigen Volkes und 
Staates die Souverainetät nicht zuſteht, und man 
deshalb bisweilen von halber Souvernintät geſpro⸗ 
hen hat), Deshalb ſchließt die Souverainetät des 
Kegenten theils den höchſten, feinem andern unter» 
worfenen, Willen in Hinfiht des verfaflungsmäßi- 
gen Antheils an der gefeßgebenden Gewalt, .theils die 
böchfte, von feiner andern abhängige, Mache in 
Hinfihe der Behauptung der Selbftftändigfeit des 
Staates nad innen und nad) außen, als zwei 
gleihe Größen, in fih ein ®). 


*) Mit dieſer Beariffsbeſtimmung fällt der einfeitige 
und fchieiende Begriff der Volksſouverainetaät 
„von felbi. Der Maffe des Volles, nah der 
Mifhung der fittlich⸗ mündtgen und der ſittlich uns 
mündigen Weſen, kann nicht die Souverainetät zus 
fommen, weil biefe den hoͤchſten Willen und bie 


j 


. Staats» und. Staatenrecht. 899 


Nach dieſer Beſtimmung beſtehen die Rechte 
des Regenten, als Souverains: 


1) in dem Rechte des Obereigenthums 


des Staates (dominium eminens), nad) welchem 
er feinen Theil des Staatsgebiers von dem Staate 
trennen und einem andern Etaate (ohne formliche 
Einwilligung der Volksvertreter) überlaffen, aber 
auch das Privateigentyum ber Staatsbürger nicht 


ng 


hoͤchſte Macht — mithin Einheiten — in fih 
-einfhließt, welche nle unter Millionen Weſen vers 
theitt feyn können. Selbſt von einer Volksſouve⸗ 
fainetät im fogenannten Naturfiande kann 
niche die Rede feyn, weil die vertragemäfige Des 
gründung des Staates den Maturfiand fir immer 
aufhebr, und, nad der Vernunft, nur das Leben 
im Staate ein rechtlicher, der Maturftand ein 
rehttofer Zuftand if. — Allein in vem ®inne, 
daß den Stellvertretern des Volkes ($. 28.) ein 
Antheil an der gefeßgebenden Gewalt 
zufteht, und fie, gleihmäßig mit dem Regenten, 
die Initiative der Geſetze Üben, kann — doc 
nur in fehr beſchränktem Umfänge — denſelben 
ein Antheil an.der Souverainerär beigelegt wers 
den. Beſchränkt if aber diefer Antheil; denn 
1) die polle Souverainetät umfchließt bie gefrbs 
gebende und volziehende Gewalt gleihmäßig, 
ind den Volksvertretern ſteht die vollziehende Ges 
walt gar nicht, und von der gefeggebenden hur ein 
— verfaffungsmäßig genau abgegrenztee — "Theil 
zu; 2) der Ancheil der Stellvertreter des Battles 





ander gefeßgebenden Gewalt dauert blos während 


der Zeit ihrer Funetion, worauf fie Ins Privatleben 
zurüdtreten, wogegen der Regent für immer bleißt, 
was er iſt; amd 3) fehle den Stellvertretern des 
Volkes, als einer Mehtheit, die Einheit, weiche 
durchaus in der Außern Mepräfentatiun der GBolıs 
verainetaͤt ſichtbax werben muß,. .- 4 er 
as 44° 


| 
— 


N 


218 Etaats⸗ und Staatenredt. 


.ce fein Eigenehum behandeln, fendern nur in 
Sällen, wo es der. allgemeine Staatszweck erfor- 
dert (3. Di für Feſtungen, Hochitraßen, Damme 
wf.w.), gegen hinreichende Entſchaͤdigung des Be⸗ 
cheiligten, in Anſpruch nehmen darf; 
2) indem Rechte der Oberaufſicht (jus 
aupremae inspectionis), nach welchem dem Re⸗ 
genten keine guͤnſtige und keine nachtheilige Aeuße⸗ 
rung und Erſcheinung im innern, wieimäußern 
Staatsleben, nad) ihrem Werhältniffe zur Ver⸗ 
faſſung und zu dem hoͤchſten Zwecke des Staates, 
entgeben darf;. | 
3) in dem Rechte der Geſetzgebung im 
engern Sinne (potestas rectoria), nad) wel- 
em der Regent in Gefegen, Verorbnungen. 
und Befehlen die Mittel und Bedingungen in 
einzelnen Fällen feftfeßt, durch welche die Beſtim⸗ 
mungen der Verfaſſung und der organifchen Gefeg- 
gebung im Staate verwirklicht werden follen; 
4) in der oberrihterlihen Gewalt 
CJuſtizhoheit), nad) welcher die fämmelichen Ge- 
richtshöfe von dem Regenten errichtet und eröffnet, 
von ihm in Hinficht ihres Perfonals: befegt, und 
- alle Urtheile derfelben — unbefchadet der völligen 
Unabhaͤngigkeit und Unabfegbarfeit der ernannten 

Richter — In feinem Namen, doch in ftrenger 
Angemeſſenheit zu dem bürgerlichen und Steafge- 
x fegbuche, und nach der vom Regenten ausgegan- 

. genen Gerichtsoreriung, gefprochen und befannt 

" gemacht werden; 

5) inder Polizeihoheit, nach welcher alle 

. Behörden und Anftalten cheils für Die öffentliche 

‚Drbnuug und Sicherheit, theils fir die Ruftur 

und Boptfapre im Staate,“ mit Einfchtaß "des 


Staats- und Staatenredt. 211 


gefammiten Erziehungsmefens, von ihm angeorbnet, 
in ihrem Innern geftaltee, und in feiner Namen 
verwaltet werden; | 

6) in der Finanzhoheit, nach welcher bie, 
Bildung des Staatsvermögens aus dem Bolfsver- 
mögen und die Verwaltung beflelben, fo wie die 


Anwendung aller von den Volfsvertretern bewillig- 


ten Steuern und Abgaben, in Angemeffenheit zu, 
den dadurch zu dedenden Bebürfniffen, von dem 
Megenten ausgeht; | 
| 7) in der Militairhoheit, nad welcher . 

die Aushebung und Bewaffnung der Bürger zum 
öffentlichen Dienfte innerhalb des Staates, und 
für die Vertheidigung des Staates im Kriege, fo 
wie Die ganze innere Öeftaltung des Heeres und der 
Flotte vom Regenten abhängt, und in feinem Na⸗ 
men gefchieht; Ä 

8) in der Dberhobeitüberdie Kirchen 

des Staates, nach welcher der Regent dad ein- 
zige Oberhaupt aller Kirchen im Staate ift (jus 
episcopale), und ihn die Befhüsung und Auf 
rechthaltung ber verfragsmäßig begründeten kirch⸗ 
lichen Verfaflung und Verwaltung (jus advocatiae 
ecclesiasticae), fo wie bie Leitung des Verhält 
niffes der äußern Angemeffenheie der Kirche zum 
Staate (jus reformandi) zufteht; 


9) in der oberſten Leitung derausmär- 
tigen Angelegenheiten, fo daß die Beftim« 
mung und Entfcheidung aller Verhältniffe des 
Staates zum Auslande, die Abfchließung aller 
Verträge und Bünbniffe mit demfelben, die Kriegs» 
erflärungen und Friedensfchlüffe, fo mie die Er» 
nennung der Gefandten , Commifjarien und Depu« 

14 * 


212 - Staats: und Staatenrecht. 


tationen für alle dieſe Zwecke, einzig von ihm ab⸗ 
haͤngen. | 


| 31. . 
Sortfegung Majeftätsrehte bes Re 
genten. 


Dem Regenten fommt, inwiefern er Souverain, 
d. h. Repräfentant der gefammten Selbftftändigfeit 
und Unabhängigfeit des Volfes und Staates ift, und - 
inwiefern ſaͤmmtliche Rechte der Souverainetät von 
ihm und_in feinem Namen im In» und Auslande 
geübt werden, bie Majeftät zu, unter welcher bie 
äußere finnlihe Anfündigung der hoͤch— 
‚fen perfonlihen Würde im Staate verftan- 
den wird. Es find daher alle Rechte der Majeftät 
perfönliche Rechte; fie gründen fih aber auf bie 
($. 30.) aufgefteflten Souverainetätsrechte, 
Nach den Rechten der Majeftae ift der Regent: 
M) unverleglid. Seine Perfon ift heilig, 
und .verfinnlicht (vepräfentirt) eine Würde, die auf 
Erden feine höhere über ſich, und nur die der Regen 
ten anderer Voͤlker und Staaten als fid) vollig gleich 
erkennt. Jede Beleidigung Diefer Würde ift Mas 
jeftätsverbrechen, und jeder beabfichtigte oder 
vollführte Angriff auf die Perfon des Regenten Ho ch= 
verrath. | 
2) unmwibderftehlich; denn er gebietet,. für 
die Vermwirflihung des Staatszwedes und der Ver⸗ 
faffung, über die gefammte Macht des Staates und 
über alle Kräfte der Staatsbürger ; | 
3) unverantmwortlidh, meil das Volk im 
Unterwerfungsvertrage, unter der Bedingung ber Feſt⸗ 


Staats» und Staatenrecht. 213 


haltung der Verfaſſung, dem Regenten ſich unbedingt 
unterworfen hat, und weil in einem auf vertragsmaͤ⸗ 
ßiger Verfaſſung ruhenden Staate nicht der Regent, 
ſondern nur die von ihm angeſtellten Staatsbeamten 
für alle Verletzungen der Verfaſſung dem Regenten 
und den Stellvertretern des Volkes verantwortlich 
ſind, indem der Regent, auf ſeinem hoͤchſten Stand⸗ 
puncte, kein Unrecht begehen kann, und alſo jeder 
Regierungsmißgriff, jede Verletzung der Verfaſſung 
und der organiſchen Geſetzgebung blos von der fehler⸗ 
haften Berathung und eigenmaͤchtigen Willkuͤhr der 
Staatsbeamten in ſeiner Naͤhe ausgeht. Der Regent, 
welchem alle im Staate verantwortlich ſind, kann nicht 
ſelbſt verantwortlich ſeyn; er, der hoͤchſte Richter im 
Staate, in deſſen Namen gerichtet wird, kann nicht 
ſelbſt gerichtet werden. 0 | 


Ge 32. 
Pflichten des Kegenten. 


So groß die Rechte bes Regenten, nad) ber ihm 
zuftehenden Souverainetät und Majeftät ($. 30. 31.) 
find ; fo groß find aud) feine Pflichten, weil Rechte 
und Pflichten ſich gegenfeitig bedingen, weil beide auf 
dem zwifchen dem Regenten und dem Wolfe abges 
fhloffenen Unterwerfungsvertrage gleichmäßig bes 
ruhen, und weil der Regent — „unbefchadet der Hei⸗ 
ligfeit und Majeſtaͤt feiner Perfon — doc) als Menſch 
ein fittlihes Wefen bleibt, das in feinem In⸗ 
nern die fittliche Gefeßgebung nicht verfennen fann, 
nach welcher er feine Abhäangigfeie von Bott, 
dem hoͤchſten ſittlichen Gefeggeber und Richter, wahr: 
nimmt. Diefes individuelle Bewußtſeyn feiner Ab⸗ 
hängigfeit von dem Urweſen aller Sittlichkeit, und 


N 


214 Staats. und Staatenrecht. 


die aus feinem DVertrage mit dem Volke hervorgehen« 
ben Derhältniffe, legen ihm folgende Pflichten auf: 
41) Aufrehthaltung ber Verfaffung 
nach allen ihren einzelnen Bedingungen, und nament- 
lich Aufrechehaltung der perfönlichen Freiheit und 
Sicherheit, der Gleichheit aller Staatsbürger vor 
dem Gefege, der Freiheit der Prefle und des kirch⸗ 
lichen Glaubens, und. der Heiligfeit des rechtlich er⸗ 
worbenen Eigenthums. | | 
| 2) Behandlung des Staates als eines 
‚lebensvollen, für fittlihe Zwede errich— 
teten und fitrliche Geſchoͤpfe umſchließen— 
den, Ganzen, und nicht als einer Maſchine. 


3) Durchgaͤngige Anſtellung der Wür- 
digften zu allen Staatsämtern, nad) zweckmaͤßiger 
und ſtrenger Prüfung ihrer Kenntniffe, und nad) 
forgfältiger Ausmittelung ihrer fittlihen Muͤndigkeit; 
überhaupt nad) dern Maasftabe ihrer perfönlichen 
Qugenden und .bereits erworbenen bürgerlihen Ver⸗ 
dienfte, | 

4) Behauptung aller Rechte ber voll«- 
ziehenden Gewalt, ohne je durch Eingriff in den 
Gang der’ Gerechtigfeitspflege, oder durch geheime 
Polizei, oder durch eigenmächtige Auflegung, Erbes 
bung und willführliche Verwendung der zu beftimin- 
ten Zwecken bemilligten Steuern und Abgaben, oder 
durh den Gebrauch des Kriegerffandes für andere 
Zwecke, als für die innere Sicherheit und die Ver- 
theidigung des Staates nad) außen, oder durch unter: 
laflene Befanntmahung und Vollziehung der von 
der gefeßgebenden Gewalt befchloffenen Gefege, oder 
endlich durch nachtheilige Verbindungen und Unter: 
bandlungen mis dem Auslande, ben Endzwed alles 


Staats» und Staatenrecht. 313 


Staatslebens, die Verwirklichung der Herrfchaft des Ä 
Rechts und der Wohlfahrt der gefammten Stasts- 
bürger , zu hindern. 


Thom. Rorarius, Bürfenfpiege, Mit Vorrede 
von Spangenberg.'s. 1. 1566. 8 
Se. Lauterbed, Degentenku. ittenberg, 


1681. Fol. 

en Ziegler, de juribus mejestaticis. Viteb, 
2710. 

—8 Rud. Edler v. Groſſing, der Souverain, 
oder die erſten Haupt⸗ und Grundſaͤtze einer monar⸗ 
chiſchen Regierung. Wien, 1780. 8. 

. Jac. Engel, der Fürftenfpiegel. (JR der 
dritte Band f. Schriften.) Berl. 1802. 8 - 
dr. Ancillon, über Souverainetaͤt und Staats⸗ 

verfaffungen. Verl. 1815. 8. 
. Tot. Krug, die Kürten und die Volker in 
idee gegenfeltigen Zorderungen dargeſtellt. Leipzig, 
8. 


Fried rich 2 nennt theils im Antimacchia⸗ 
vel, theils im senen feines Öroßpaters (in 
ber histoire de l’Academie de Berlin, Annge 
1748. p. 392), theils in fe (im hohen Alter ge» 
fhriebenen) Abhandlung: Verſuch über die Re⸗ 
gierungsformen und über die Pflichten 
der Regenten (inf. binterl,. Werften Th.6, 
©. 41 ff.) den Regenten ven erften Diener bes 
Staates, fo daß er (in den erften Abhandlungen 
laͤngſt vor Rouſſcau 8 conırat social) die Regen- 
tenmürde als ein Amt betrachtete, Das aus einem 
Vertrage entſpringt. Dbgleih diefe Anfiche 
nicht die richtige zu feyn ſcheint, da fie die . 
Regentenwuͤrde allen andern Stantsämtern gleich 
flelle, deren Ernennung, Mirfungskreis und 
äußere: Macht doch einzig vor dem Regenten Aue - 


i 


2106 Staats» und Staatenredhe 


- geht und abhängt; fo. kann doch nicht geläugnet 
werden, daß fie auf einer fittlichen Unterlage 
beruft, und in ben Schriften eines europäifthen 
Souverains des achtzehnten Jahrhunderts nicht 
ohne Wirkung bleiben konnte. Ja Sriedrid!2 
war fo feft. von dieſer Ueberzeugung durchdrungen, 

daß fich_ jener Ausdrud in der letztgenannten Ab⸗ 
- Bandl. (hint. Werfe TH. 6) zweimal findet: 
S. 47 „Man präge fich feft ein, daß die Erhal- 
fung der Gefege die einzige-Urfache war, welche 
die Menfchen vermochte, fi) Dberherren zu geben; 

denn dies ift der wahre Urfprung der Souveraine- 
tät. Diefe Obrigkeit war der erfte Diener des 
Staates.” — und S.64: „Damit der Regent 
feine Pflichten nie aus den Augen laffe, muß er 
fich oft erinnern, daß er ein Menfch ift, wie der 
Geringfte feiner Untertbanen. Er ift nichts, 
als der erfte Diener des Staates, und 
bat die Verpflichtung, mit aller Redytfchaffen- 
heit, Weisheit und Uneigennügigfeit zu verfahren, 
als wenn er jeden Augenblid- feinen 

- Miebürgern über feine Staatsvermwals- 
tung Rechenſchaft ablegen follte Folg- 

lich iſt er ſtrafwuͤrdig, wenn er das Geld feines 
Volkes, welches durch die Auflagen einfommt, in 
Aufwand, in Pomp und zu Ausfihweifungen vers 
ſchwendet ıc, Ä 


33» 
Rechte und Pflichten der Unterthanen. 
Bei der gewiffenhaften Erfüllung der verfrags» 


mäßigen Pflichten des Regenten find die Staatsbürger 
su unbebingtem Gehorfame gegen benfelben 


+ 


Staats. und Staatenrecht. | 217 


verpflichtet, wie fie dieſen Gehorſam überhaupt in 
dem Unterwerfungsvertrage gelobt und perſonlich in 
dem Bürger» oder Amtseide geleiſtet haben. Dieſer 
Gehorſam iſt unbedingt, inwiefern 1) nur der 
Regent aus feinem hoöchſten Standpımete völlig ficher 
beurtheilen fann, welche rechtliche Mittel zur Er- 
reichung und Behauptung des Staatszwedes und der 
gemeinfchaftlich beſchwornen Werfaflung zugleich die - 
wirffamften find; inwiefern 2) jede Verweigerung 
des Gehorfams in Hinficht diefer Mittel die Sicher- 
heit, Ordnung und Freiheit des innern Staatslebens 
unaufbaltbar flören würde; und inwiefern 3) ber 
Staatsbürger , durch den Unterwerfungsverfrag, ver“ 
pflichtet ift, felbft die Befchränfung und Aufopferung 
feiner individuellen Nechte und Wohlfahrt gutzuhei« 
Gen, fobald auf feine andere Weife der Zweck des 
Ganzen erreiht ober erhalten werden fann. Doch 
darf das 'beeinträchtigte Individuum in dem legten 
Salle feine Vorftellungen und Befchwerden auf dem 
rechtlichen Wege an die vorgefeßten Behörden, und, 
wenn es von diefen zuruͤckgewieſen wird ,.an die Per: 
fon des Regenten felbft gelangen laffen, weil es denk⸗ 
bar ift, daß jene "Behörden irren fönnen, und weil 
in vielen Fällen eine minder druͤckende Ausgleichung 
des beeinträchtigten Rechts möglich bleibt. 

Allein diefer unbedingte Gehorfam ift Fein lei- 
dender Gehorfam. Der unbedingte Gehorfam ift 
ein freiwilliger, d. h. ein aus der fittlichen Geſetzge⸗ 
bung und aus der Ueberzeugung der Gehorchenden von 
der Rechtlichkeit des beabfichtigten Zweckes hervor: 
gehender , fo wie auf feierlihem Vertrage beruhender 
Gehorfam; er mwiderfpricht alfo weder der fietlichen 
Natur des Menfchen, noch der Natur eines rechtlich 
abgefchloffenen Vertrages. Der leidende Gehor« 


v 
° 


218 Staats- und. Staatenrecht. 


fam hingegen berußt von ber Seise des Befehlenben 
nicht auf Vertrag (nicht auf einem fittlichen Verhaͤlt⸗ 
niſſe), fondern auf bloßer Willführ und Laune, und 
von Seiten des Gehorchenden nicht auf freier Zuftim« 
mung zu einem vertragsmäßig feftgefegten Zwecke, 
ſondern auf blinder Unterwerfung unter die Willkuͤhr, 
ohne die Vergegenwärtigung irgend eines Zweckes und 
ohne die Möglichfeit, bei diefer Unterwerfung unter 
die bloße Willfüpr, die Würde eines ſittlichen Weſens 
behaupten zu koͤnnen. Deshalb ift der leidende 
Gehorſam unſittlich und unrechtlich zugleih; er kann 
nie von Weſen unſrer Art gefordert, ſondern hoͤchſtens 
im Thierreiche gehandhabt werben. 

Sp gewiß alfo auch Die Staatsbürger, als Un⸗ 
terthanen,, zum unbedingten Gehorfame verpflich- 
tet find; fo wenig find fie es, nach. Rechts» und Pflich- 
tenlehre, und nach ben Grunbfägen ber Religion, 
zum leidenden Öehorfame. Zu dem legtern wuͤr⸗ 
den fie aber nur auf zweifache Weife genöthigt wer» 
den können: 1) entweder nad) ber Eroberung des 
Staates durch einen Fremden, welcher, ohne einen 
rechtlichen Untermerfungsvertrag mit ben Befiegten 
und ohne einen rechtlichen-Abtretungsvertrag mit dem 
bisherigen Oberhaupte berfelben abzufchließen, bie. 
Befiegten dem bloßen Zwange der Willführ 
unterwerfen wollte; 2) oder wenn ber vertragsmäßig 
an der Spige ftehende Regent gerabebin und 
eigenmächtig vie Verfaffungdes Staates, 
deren Aufrechthaltung er beſchworen hat, felbft um⸗ 
ftürgen, und durch Gefege und Befehle, welche den 
Grundbeftimmungen der Verfaffung völlig zumider 
wären (3. B. durch das willkuͤhrliche Ausfchreiben 
unerfhwinglicher Abgaben; oder durd) den Befehl 
on proteftantifche Chriſten, Katholiken zu werten, 


\ 





\ 


. Staats. und Staatenrecht. 219 


u. a.), bie Würde ſittlicher Weſen in feinen Unter 
thanen zerftören und ihnen ben Genuß aller Rechte ' 
und aller Bedingungen irdifcher Wohlfahrt entziehen 
wollte, 

In dem erften Falle, wo ein fremder Eroberer, 
ohne durch einen Abtretungs » und Unterwerfungsver- 
trag zum Megieren berechtigt zu feyn, blos Das Joch 
bes Treibers und den Zwang der Willführ gegen das 
befiegee Volk anmendete, würde daffelbe zum Zwange 
gegen ben Eroberer, fo lange biefer Zuftand 
dauerte, berechtigt bleiben, d. h. es würde das 
Recht haben, in jedem günftigen Augenblide das 
Joch der Willführ abzumerfen, und wieder in die 
ehemaligen rechtlihen DVerhältniffe, wie vor ber 
Eroberung, zurüdzufehren (wie 3. B. die Ruffen 
1477 nad) Abfchüttelung des mongolifchen Joches, 
und die Schweden im J. 1523, als fie fi) unter 
Guſtav Wafa von Dänemark trennten); oder, wenn 
diefes niche möglich wäre (mie z. B. bei den aus. 
dem Eril zurücfehrenden Juden), eine neue recht 
lihe Verfaſſung und Geftaltung vertragsmäßig fi) 
zu geben. - | 

In dem zweiten Falle aber, wenn der recht- 
mäßige Regent felbft die Verfaflung des Staates 
eigenmachtig und völlig umflürzen wollte, fann 
nicht der Gefammtheit des Volkes, fonbern nur deflen 
rechtmäßigen Stellvertretern, wegen ihrer gleichmä- 
ßigen Theilnahme an der gefeßgebenden Gewalt, das 
Recht zuftehen, den Regenten an bie thatfachliche 
(nicht etwa blos befürchtete) Verlegung ber Werfaf- 
fung und an die Folgen derfelben zu erinnern, fo wie 
im aͤußerſten Salle, — dafern, aller Vorſtellungen 
und Beſchwerden ungeachtet, die Werlegung der Ver: 
faffung fortdauerte, und wenn bie Verfaſſung auf‘ 


220 - Staats und Staatenrecht. 


feine andere rechtliche Weife gerettet werben 
-  tönhte, — bemfelben den Gehorfam aufzufündigen, 
und den zwiſchen dem Regenten und dem Volke be. 
ftehenden Vertrag als aufgelöfer zu betrachten. Diefes 
Aeußerfte fönnte aber nur dann unternommen 
iverden, wenn theils die Würde der fitelihen Natur 
in den Regierten, fo wie ihr Recht auf Wohlfahrt und 
Gluͤckſeligkeit, theils die Selbftftändigfeit und Unab- 
hängigfeit des Staates im innern und Außern Staats⸗ 
‚leben nicht anders gerettet werben koͤnnte. Doc) folgt 
ſelbſt aus diefer Auffündigung des Gehorfams nichts 
weiter, als daß der bisherige Regent aufbörte, Regent 
zu feyn, und nad) der Auflöfung des Vertrages ins 
Drivatleben einträte; in feinem alle aber 
das Recht, den Regenten wegen feiner Regentenhand- 
hungen zur Verantwortung zu ziehen, ober gar zu be= 
firafen, mweil er während der Zeit feiner Regierung 
perſoͤnlich unverleglih und heilig, und für alle feine 
Kegentenhandlungen unverantwortlid) ift. 
So ſelten auch, namentlid unter Kriftlichen 
Völkern, die geſchichtliche Erfcheinung geweſen 
ift, Daß Negenten entfegt, oder gar, wie in Eng⸗ 
land Karl 1 und in Sranfreih Ludwig 16, 
hingerichtet worden find; fo darf doch im philofo- 
phifehen Staatsrechte die Prüfung diefes Gegen- 
- ftandes nicht übergangen werben, ‘Denn aus dem 
Dbengefagten erhellt an fich Die Unrechtlichfeit und 
Schandlichfeit des Betragens gegen den unglüds 
lihen Karl 1 und Ludwig 16, ein Berragen, 
vor welchem nicht blos gewarnt, fondern Das auch 
durch Vernunftgruͤnde nach feiner AbfcheulichFeit 
entwicdelt werden muß, weil einmal Thatſachen 
diefer Art nicht aus der Geſchichte vertilge werden 
. tönnen. — In Hinfihe der Entfegung eines 


- 


= 


\ 


[ 


Staats» und Staatenrecht. 221. 


Regenten it, in der neueften Gefhichte Hrift- 
licher Völker, die Thronentſetzung Guftavs 4 
von Schweden im Jahre 1809 das wiähtigfte 
Beifpiel, indem biefer Schritt, durch die‘ Aner⸗ 
Fennung feines Nachfolgers von allen europaifchen 
Mächten, felbft von diefen gutgeheißen ward ; denn 
die Entfegungen Selims 3 und Muftapha’s 
4 find außerhriftliche Freignilfe. — In Ber 
Theorie des Staatsrechts war das fogenannte jus 
resistentiae von jeher einer der fehwierigften Puncte, . 
befonders meil die Gefchichte alter, mittlerer’ und 
neuefter Zeit diefe Aufgabe oft ſehr gewalffam 
gelöfer hat. Man denfe an die Gefchichte Her iſräe⸗ 
litiſchen Könige, der perfifchen Kaiſer, der Impe⸗ 
ratoren in Mom und Byzanz; an.die Thropent- 
fegung des legten Merovingers im J. 752; an die 
Thronentfegung des. letzten Rarolingere im J. 987; 
Ehriftians 2 von Dänemarf u.f.f. — Es ift 
wahr, Hobbes, Graswinkel, und mehrere, 
namentlich Fr. Gentz (in der Berl.Monatdfchr. 
1793, Dec. ©. 542 ff.), ſelbſt Kant, in gewiſſer 
Hinfiht (mes Anfangsgrüunde der Rechts— 
„terre ©. 174), lehren nicht biys, Den unbedingten,. 
fonvern felbft den leidenden Gehorſam; allein-von 
der andern Seite müflen auch) Maänrter : wie 
Friedrich‘ 2 int der angezogenen Stelle: (Mote 
zu 6. 32.), v. Feuerbach (Anti-Hobbed ©. 
925), v. Jakoh (indem Antimachiauel), 
v. Schlözer Lin dem allg, Staatsrehte*) 





nen 4° » ‘. ı% 


*) Schlözer fagt daſelbſt: „Es. gibt kein crimen lae- 
sae majestatis. in Der Bedeutung der Nerone. Es 
6t Seite obedientia passiya ‚im Stuartifhen Ders 
ade. Diefe Lehre hat die Stuqgrte einen der ſpoͤn⸗ 


222 Etaats» und Staatenrecht. 


S. 195 f.), Hagemeiſter (in ſ. Zuſaͤtzen zur 
Ueberſetzung von Schnaubert: Auch der 
Regent ꝛc.), Heydenreich (in ſ. Staats- 
rechte *), 36. 2, ©. 20), Rüdiger (inf. 
Sehrbegriffe des Vernunftsrechts und 
der Sefeggebung, S.252 ff.), Voß (Hanb- 
buch der allgem. Staatswiffenfhaft, 
Th. 1, S. 513 f),v. Eggers (Verfudheines 
ſyſtem. Lehrbuchs des nat. Staatsr. ©. 
2198.) »), Krug GRechtslehre, od. Syſt. d. 
pract. Phil. TG, 1, 361 — 365, und deſſen 
Handb. der Phil. N.A. Th.2, S. 201 f.) **), 





| 
fen Ihrone der. Welt gekoſtet. Dem zufolge gibt, 
6 tin jus resistentiaa gegen Ufurpatoren und Ty⸗ 
rannen; wiewoht nur im Falle hoher Evis 
den,“ 

*) Deydenreih am a. D. „Wenn der Oberherr 
ſich dur den Brad des Vertrages, durch Angriffe 
auf die Gefellihaft und ihre Verfaffung als Feind 
zeigt; fo har die Grfellfchaft gegen ihn das Recht 

"des Beleidigten in feiner Unendlichkeit. “ 


24) Eggers ſagt ©. 2oı: „Das Außerffe Mittel, 

welches die Unterthanen wider den Regenten haben, 

2 tft. die Abſetzung deſſelben. Denn wenn gleich der 

Regent die Majeftät eigenshämlich beſitzt; fo find 

die Bürger dennod befugt, ihm diefes, fobald es 

.e8 zuverläffig ift, daß er feine Pflichten nicht ers 

— fuͤllt, gu nehmen, wenn fein anderes Mittel zur 
Erhaltung des Staates: vorhanden If. ee 


er, Krug a. a. D „Der Widerfiand kann zuerft 
‚negativ feyn, und beftebt dann. blos In der Ders 

weigerung des ‚Gehorfams. Er kann aber adıh 

.„ pofitiv, oder ein wirklicher Aufftand werden. Wie 
um weis jedesmal ein folder Widerftand gehen dürfe, 
laͤßt fih im Allgemeinen gar nicht beftinihen, fons 





Staats. und Staatenrecht. 223 


und viele andere über diefen Gegenftand verglichen | 
werben. (J. Benj. Erhard, über das Recht eines 
Volkes zu einer Revolution. Jera, 1795. 8.) 


34. | j r. 
Die richterlihe Gewalt. 
Wenn das Recht im Staate zur Herrfchaft ges 
langen, und jede Selbſthuͤlfe won ber bürgerlichen 
Geſellſchaft ausgefchloffen werben foll, weit in ders 
felben an die Stefle der Setbfthirlfe der rechtlich ge⸗ 
ftaltete Zwang tritt; fo muß in derfelben eine Gewalt 
beftehen, welche darüber wacht, daß jedem Bürger 
das wiederfahre, was in ˖ dem einzelnen Falle Recht 
if Dieſe Gewalt iſt die richterliche. Sie iſt 
ein Theil der vollziehenden Gewalt, und, 
nach ihrer Thaͤtigkeit, an die vorausgehende 
geſetzgebende Gewalt gebunden; denn ſie hat 
die Beſtimmung, die einzelnen Rechtsſtreitigkeiten in 
der buͤrgerlichen Geſellſchaft den vorhandenen organi⸗ 
ſchen oder abgeleiteten Geſetzen unterzuordnen, und den 
vorliegenden oder ſtreitigen Fall in Angemeffenpeit zu 
den beſtehenden buͤrgerlichen oder peinlichen Geſetzen 
zu entſcheiden. Die richterliche Gewalt kann daher, ſo 
groß und einflußreich auch ihr Wirkungskreis iſt, mit 
der geſetzgebenden und vollziehenden Ge— 


x 


dern kommt auf die Dringlichkeit der Umftände an, 
und muß dem Gewiſſen überlaffen werden. — — So— 
viel aber IN klar, daß es eben-fo ungerefmt, ale 
ungerecht wäre, wenn die. zum Widerftande gend» 
thigsen Unterthanen ihren Regenten zur Verantwor⸗ 
‚ tung ziehen, beſtrafen, oder gar Binrichten ‚wollten, . 
Denn fie ſind nicht deffen Richter, und haben keine, - 
Serafgewalt über In.” 7 0° u 


22% Eraats und Staatenrecht. | , 


waltnichtauf gleiche Höhe geſtellt werden, 
weil fie nach ihren Entfcheidungen von der erften ab- 
hängt, und nad) ihrer Wirkſamkeit ein Theil der zweiten 
if. Denn obgleidy der richterlihe Ausſpruch ganz 
dem Ermeffen des Richters, ohne irgend einen äußern 
Einfluß auf denfelben, überlaffen. bleiben muß; fo ge- 
fchieht doch derfetbe im'Namen des Regenten, 
in welchem alle efege im Staate, als ugveränderliche 
Vorschriften des Geſammtwillens, ‚befannt gemacht 
und vollzogen werden.. Die Wirkſamkeit des Rich— 
ters in ‘Beziehung auf die vorhandene Gefeggebung 
iſt aber zunächft an die grammatiſche Erfla 
cung. des Gefeges, nad) den Worten deffelben umd 
nach deren Zufammenhange, und, wo diefe nicht aus— 
weicht, an die Logifche Erffärung, ober an bie 
Ableitung des Urtheilsfpruches aug der- Abfiche, des. 
Geſetzgebers (dein. Grumde bes Geſetzes) gehunden. 
Damit ift zugleich die Grenze feiner. Wirkfamfeit be⸗ 
immt. Denn wenn er den beftehenben Gefegen 
eine, indiniduefle Kufiche unp Deutung unterlegt; 
fo überfchreitee er feinen Beruf. Daraus geht freis 
lich mit Nothwendigkeit hervor, daß.der Richter um 
6 beftimmeer und, ficherer den einzelnen Fall unter. 
das heftehende Geſeß hringen kann, je deutlicher und 
beſtimmter das Geſetz felbft lantet, je mehr. innerer 
Zufanimenhang in ben einzelnen Theilen der. Gefeg- 
gebung befteht, und je genauer das vorhandene bür- 
gerliche und Strafgefegbuch den Bebürfniffen eines 
in feiner geiffigen Bildung und fittlihen Reife fort⸗ 
gefchrittenen Volfes entſpricht. — Wo zweifelhafte 
Sälle- eintreten, ober .mwo:irgenb eine Thatſache im 
Staatsieben durch fein: vorhandenes Geſetz vorgefehen 
wörden if; da follfe nie ber Richter, nach eigenem 
Ermeſſen oder nach ber" Achnlichkeit. ( Analogie), 


0 


Staats». und Staatenrecht. 223 


fondern die im Staate befiehende Gefegeommiffion 
entfcheiden. \ 


35, \ 
Zortfegung 


Naͤchſt dem bürgerlihen und Strafgefegbuche 
im Staate, fegt aber auch die Wirkſamkeit der rich⸗ 
terlihen Gewalt ein Geſetzbuch für die recht 
liche und zeitgemäße Form der Gerechtig— 
feitspflege, fo wie bie fefte Begründung der ver 
fchiedenen Gerichtshoͤfe, nach den einzelnen In⸗ 
ſtanzen der Ober», Mittel - und Unterbehörden, und 
die Beftimmung aller der Fälle voraus, die für diefe 
einzelnen Gerichtshöfe gehören. Gleichmäßig muß 
für die gerichtlichen Anmälde (Abvocaten) eine 
forgfältig berechnete Ordnung beftehen, und über die⸗ 
felbe von der vollziehenden Gewalt gehalten werden. 

Soll übrigens die richterliche Gewalt ihrer hohen 
Beitimmung im Staate entfpredhen; fo muß das ge⸗ 
fammte Perfonale derfelben, zwar vom Regenten er- 
nannt und in deffen Namen erfennend, in Hinficht feis 
ner Wirffamfeit aber völlig felbftftändig und. 
unabhängig fen, fo daß daffelbe einzig an die 
Gefegbücher für die bürgerlichen und peinlicjen Faͤlle 
und für die Gerichtsform gebunden, nie aber von dem 
Willen irgend einer verwaltenden ‘Behörde, von einem 
-Kabinersbefehle, von einem Winke von oben, ober 
von einem andern äußern (vielleicht gar auswärtigen) 
Einfluffe abhängig, und der einzelne Richter nur in 
dem einzigen Falle in Anklageſtand zu verjegen, und 
des Amtes verluftig zu erflären ift, wenn er bie 
Würde feines Amtes verlegt, und das Mecht auf 
irgend eine Weiſe gebeugt hat. j 

L \ | 


J 


226 Staats» und Staatenredht. 


Eben fo muß das Perfonale der Richter von allen 
übrigen Zweigen der gefeggebenden und vollziehenden 
Gewalt verfchieden feyn ; theils weil das Richteramt 
an ſich die volle Kraft eines menſchlichen Geiftes ver- 
langt; theils weil die übrigen Zweige der Verwal: 
tung, namentlid) die Polizei und die Finanzen, nach 
ihrer Wirkſamkeit unvereinbar ſind mit dem eigen⸗ 
thuͤmlichen Geſchaͤftskreiſe des Richters. Nicht min⸗ 
der verlangt das Richteramt eine collegialiſche, 
und feine bureauartige Einrichtung, fo daß 
felbft dee Worftand einer richterlihen Behörde auf 
das Urtheil und die Anfiht der einzelnen Mitglieder 
des Gerichts feinen perfönlichen Einfluß ausüben darf. 

Sobald endlich) der richterliche Ausfpruh, nad) 
Stoff und Form, den beftehenden Gefegbüchern völlig 
angemeffen ift; fobald darf derfelbe auch — den fel- 
tenen Fall der Ausübung des: Begnadigungsrechts 
ausgenommen — .nie verändert, d.h. weder gemil- 
dert noch gefchärft, noch ganz aufgehoben oder un⸗ 
vollzogen gelaflen werden. Nicht minder muß jedem 
Staatsbürger das Recht zuftehen, die Urtheilsfprüche 
‘der richterlichen Gewalt in eignen, oder fremden An- 
gelegenheiten zur Oeffentlichkeit zu bringen; theils 
weil Die Handhabung ber Gerechtigkeit eine öffentliche 
Thatſache im aͤußern freien Wirfungsfreife ift; theils 
weil dadurch das Gewicht und der Einfluß ehrwuͤrdi⸗ 
ger Gerichtshöfe auf das öffentliche Staatsleben nicht 
vermindert, fondern gefteigert werben muß, 


36. _ 
Die vier Haupttheile der Staatsverwal 
| tung 


So wie es nicht ein Gegenftand des Staats: 
rechts, ſondern der Staatskunſt iſt, die einzelnen 


Staats, und Staatenrecht. 297 


Regierungsformen unter ſich zu vergleichen (3.3, 
die monarchifche, demofratifche, ariftofratifche u. ſ. w.), 
wie fie nach dem Zeugniffe der Gefchichte beſtanden 
haben und nod) beſtehen, obgleic) die rechtliche Form 
ber Verfaſſung des Staates — als Grundlage 
aller Staatsregierung — auf Örundfägen der Ver⸗ 
nunft-beruhts fo gehört aud) das Einzelne der 
vier Hauptzmweige der Staatsvermwaltung 
zunaͤchſt in den Kreis der Staatsfunft (3. B. nad) 
den einzemen Minifterien, den. verfchiedenen Behör. 
ben u. f. w.), und nur die Haupteintheilung der ' 
Staatsverwaltung felbft, fo wie das allgemeine 
Werhältnig ihrer Theile gegen einander, 
in das Gebiet des Staatsrechts. 

Die Verwaltung des Staates umfchließt aber 
vier einzelne Theile: die Gerechtigkeitspflege, 
die Polizei,die Finanzen und diebewaffnete 
Macht. In Beziehung auf diefelben ſtellt die Ver⸗ 
nunft drei rechtliche Grundbedingungen auf:- 

1) daß die zweckmaͤßige Geftaltung ber Vers 
waltung von der rehtlihen Form der Ver- 
faffung abhängt, meil eine Verwaltung, ohne 
Begründung in ber Verfaffung, nur Einzelnheiten, 
nicht aber eine innere Einheit und Vollendung des 
Staatsorganismus barbieten kann; denn alle Theile 
ber Verwaltung find unter fid) einanber gleih, und : 
gehen nicht einer aus dem andern, fondern fie 
alle gemeinfhaftlih und gleihmäßig (für 
Bedürfniffe der bürgerlichen Gefellfchaft, die einan- 
der an Wichtigkeit gleich flehen,) aus den Grund- 
beftimmungen der Verfaffung hervor ; j 

2) daß, nah ihrem Perfonale, bie vier 
Haupttheile ver Verwaltung ſtreng von einander 
getrenntwerden, und namentlich Die Gerechtig⸗ 

oo. 15 ®% 


218 Staats» und Staatenredt. 


feltspflege von der Polizei, fo wie die Finanzverwal⸗ 
tung von der Polizei und Gerechtigfeitspflege ; theils 
zur Verhütung der mannigfaltigen Mißbräuche bei 
ber Ausübung einer doppelten, von einander vers 
fchiedenen, Gewalt; theils weil jeber befondere Zweig 


‚ ber Verwaltung eine eigenthünliche Vorbereitung und 


längere‘ Uebung erfordert, wenn die höhern Zwecke 
des Staates durch ihn erreicht werden follen; 

3 ) daß fammtliche, in den vier Hauptzweigen 
ber Verwaltung von dem Regenten ernannte und an» 


geſtellte Beamte, in dem vertragsmäßig begründeten 


Staate zunaͤchſt in allen Beziehungen dem Regen⸗ 
ten, fo wie den Stellvertretern bes Wolfes nad) dem 
ihnen verfaflungsmäßig zuftehenden Antheile an der 
gefeßgebenden Gewalt, für die Art und Weife ihrer 
Vermaltung verantwortlich find. . 

Es ift alfo Grgenftand der Staatsfunft, mit 
Hinficht auf die örtlichen und volksthuͤmlichen Bes 
durfniffe und Verhältniffe, im Einzelnen zu be 
flimmen, mie viele Minifterien, als hoͤchſte 
Endpuncte aller Staatsverwaltung , mit ihren Un» 
terbehorden, — wie ver Staatsrath, als höchfte 
berathende. Behörde, nach feiner Eintheilung in 
Gectionen, — wie viele Gerichtshöfe, wie viele 
Polizei- und Sinanzbehörden einzurichten, und wie 

. die Friegerifchen Kräfte des Staates anzuorbnen, 
zu vertheilen und zu leiten find. 
Neder, von der vollziehenden Gewalt in gro⸗ 


Gen. Staaten. Nach d. Franz. (von Peg) 2 Thle. 
Nuͤrnb. und Lpz. 1793. 8. 


| 37° 
Die Staatsämter, 


. + Die Vernunft denkt unter einem Staa es amte 


Staats - und Staatenrecht. 229 


den nothwendigen, von dem Regenten nach ſeinem 
Umfange, nach ſeiner Macht und nach ſeiner Wuͤrde 
genau beſtimmten Wirkungskreis eines, fuͤr irgend 
einen beſondern Zweck des Staates angeſtellten, In⸗ 
dividuums. Die Uebertragung des Amtes von 
Seiten bes Regenten ober in deſſen Namen, und die- 
Vebernahme deſſelben von Seiten des Angeftellten 
vermittelft des Dienfteides, bilder den Amts- 
oder Dienftvertrag, weil für fiteliche Wefen eine 
fortdauernde Berechtigung und Verpflichtung nur auf 
Vertrag beruhen fann. 

Nach dem gewöhnlichen Maaße der Pürperlichen 
und geiftigen Kräfte eines Individuums, nach der 
Art und Weife der zweckmaͤßigen Vorbereitung zum 
Eintritte in den Dienft des Staates, und nad) dem 
ftaatswirthfchaftlihen Grundfage der Theilung der 
Arbeit, verlangt jeder befondere Zweck des Staates 
(3.38. die Ausübung der Gerechtigfeitspflege, das 
Erzichungswefen, die Erhebung der Steuern und 
Abgaben u. fe m.) einen abgefchloffenen Kreis von 
Individuen, die fir Die Verwirflihung diefes Zweckes 
ernannt und angeftellt werden. Es muß aber jedes 
einzelne Staatsamt nothwenbig feyn, weil das 
Gefeg der Sparfamfeit, theils in Hinficht auf die: 
Bewirthſchaftung der geifligen Kräfte im Staate, 
theils in Beziehung auf die für Das Staatsamt aus⸗ 
zumittelnde Befoldung, alle überflüffige und 
entbehrliche Stellen ausfchließt. Wie weit übris 
gens der Umfang der Wirffamfeit des einzelnen 
S:aatsamtes reichen, welche Rechte und Verpflich⸗ 
tungen alfo mit demfelben verbunden, welche Macht 
ihm zugerheilt und welche Stellen der Würde und bes 
Ranges unter den Ständen des Staates bie einzelnen 
Staatsämter ($. 14.) einnehmen follen, kann blos 


230 Staats⸗ und Staatenredt. 


der Regent aus feinem Standpuncte an der Spitze 
“ der Gefammtverwaltung beftimmen; denn von ihm 
geht jede Einführung in die Kreife des Gefchafts- . 
lebens, alle Macht und alle Würde aus. J 
& unbefchränfe aber der Regent in diefe 
Hinfiht walten darf; fo ift er Doch, als Oberhaupt. 
einer fittlichsrechtlichen Ordnung der. Dinge, verpflich- 
tet, nur die Würbdigften, ohne irgend ein An- 
fehen ber Perſon, zu den erledigten Staatsämtern zu 
ernennen. Diefe Würdigfeit wird zunachft an der 
ſittlichen Mündigfeie der ’anzuftellenden Indi⸗ 
viduen, und dann an der, durch ftrenge Prüfung 
bewährten, geiftigen Kraft und Bildung zur 
“ Mebernahme bes eben erledigten Staatsamtes erkannt. 
Denn fo gewiß ein hoher Grad von Kenntniß und 
Bildung den Abgang fittliher Reife nicht zu erfegen 
vermag; fo verlangt doch die Gerechtigkeit, daß der 
‚Regent, außer der entfchiedenen Sittlichfeit des An- 
zuftellenden, auch deflen Faͤhigkeit, Kenntniß und 
geiftige Bildung berücfichtige, weil nur die Ver- 
einigung beider Bedingungen in Einem In⸗ 
dividuum den Ausfchlag bei deſſen Anftellung geben 
ann. Nicht alfo Geburt, nicht Empfehlung, nicht 
Hoffnung, daß ſich die fehlenden Eigenfchaften noch 
finden werden (nach) dem leidigen Sprüchmworte: Wem 
Sort ein: Amt gibt, dem gibt er auch Verſtand), 
geſchweige Beſtechung, fondern perfönliche Würbig- 
keit und Sahigfeit eignen zum Eintritte und zum“ 
Aufrüden im Staatsdienfte. Diefes Aufrücen aber 
zu hoͤhern Aemtern in dem einmal angewiefenen Wir: 
kungskreiſe ift eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen den 
"Staat, der nur bei. dem Aufrüden bewährter, ſach— 
fundiger und vielfach) geübter Männer gewinnen kann, 
und gegen die Individuen, weiche in untergeorbne- 


, 
Staats und Staatenredht. 231 


ten und befchränften Verhbältniffen ihre Kräfte ent 
wickelten und übten, und dadurch würdig wurden 
zur Uebernahme höherer Aemter in demfelben Wir- 
fungsfreife. Doc) nie darf der Staat felbit bei dem 
Sefthalten des Syſtems des Aufrüdens leiden, weil, , 
fobald das erledigte Staatsamt ein höheres Maas 
von Kräften erfordert, als fi) bei dem zunächitftehen- 
den Individuum finder, die Wohlfahrt des Ganzen 
den Wünfchen und übrigen Verdienſten des Indivi⸗ 
duums vorgeht; nur darf in ſolchen Faͤllen nie die - 
Partheilichfeit und Willkuͤhr, fondern der fefte Blick 

auf den Zweck des Staates felbft enefcheiden. u 

‚An ſich betrachtet, mußjedes Staatsamt auf Le⸗ 
benszeit ertheilewerben, und ann nur durch Dienft- 
untreue, nach rechtlicher Entfheidung, ver- 
loren gehen. Als Ausnahmen davon gelten Aemter, 
deren Gefchäfte nur auf eine gewifle Zeit im Voraus 
beſchraͤnkt find (Commiffarien, Deputirte u. a), fo 
wie die ehrenvollen Entlaffungen ‚ mit Penfionen ver» 
bunden, wenn Staatsdiener in geiftiger oder förper- 
licher Hinſicht unfahig werben, ben ihnen angemwiefe- 
nen Wirfungsfreis fernerhin auszufüllen. Entlaffun- 
gen blog wegen verlorner Gunft des Regenten koͤnnen 
wohl in -Hofdienften (mie in allen perfönlichen 
Dienften), nicht aber in St ala tsbienften ſtatt finden, 
wo blos die Gerechtigkeit, nicht, wie in Privatver- 
haͤltniſſen, die perfonliche Zuneigung oder Abneigung 
entfcheibet. 

Jedes Staatsamt muß feine beftimmt bezeich- 
nende Benennung (feinen Titel). haben, und mit 
derfelben muß der bürgerliche Rang beflen verbunden 
feyn, der Das Amt befleidet. So wenig ſolche Aem—⸗ 
ter und Titel vererben Fönnen ; ſo wenig dürfen auch 
gewiſſe Titel, als bloßeleere Worteund Laute, 


232 Staats» und Staatenrecht. 


mit andern Yemtern verbunden werben, deren Wir⸗ 
fungsfreis außerhalb jenes Titels liegt. Denn für 
bie gerechte Anerkennung und Auszeichnung des wah⸗ 
ren perfonlichen Verdienſtes gebietet der Regent über 
zu viele Mittel, ale daß es der Ertheilung eines in- 
haltsloſen Titels bebürfte; weshalb aud) die Ver⸗ 
dienftordben im Staate nur fparfam und nad) dem 
Grundſatze der ftrengften Gerechtigkeit ertheilt werben 
dürfen. 

Der Rang der Staatsbeamten muß nad) dem 
Grade und der Stufe ihrer Wirffamfeit, und mit 
ſchonender Ruͤckſicht auf das Dienftalter der beamteten 
Individuen gefhehen. Nie durf dabei ein einzelner 
Zweig der Staatsverwaltung (z. B. der Dienft in 
der bewaffneten Macht) der allgemeine Maagftab der 
Rangordnung im Staatsdienfte werden; denn für ben 

Gefammtzwed des Staates find alle Xheile der Ver⸗ 
waltung gleich wichtig, einflußreich und unentbehrlid). 
- Jedes Staatsamt ſchließt zugleich die Verant⸗ 
wortlichPfeie des Individuums in ſich ein, welches 
daſſelbe befleider. Nur der Regent ift unverantwort: 
lich, weil ihm alle verantwortlich find; und nadıft ihm 
find blos die Steflvertreter des Volkes, während der 
Zeit ihrer öffentlichen Wirkfamkeit (doch nicht 
fuͤr die Handlungen ihres Privatlebens) unverant- 
wortlich. 

Jeder Staatsbeamte muß uͤbrigens ſeine Beſol⸗ 
dung vom Staate erhalten, umd mit dieſer Beſol⸗ 
dung auf dem jaͤhrlichen Budget ſtehen. Dieſe Be⸗ 
ſoldung muß der Wuͤrde und der Wirkſamkeit des 
Staatsamtes, ſo wie den oͤrtlichen Lebensverhaͤltniſſen 
des Beamten, angemeflen fenn, und mit dem Auf- 
rüden in höhere Stellen echöhet werden. Nie muß 
ein Staatsbeamter nothis haben, durch Nebenarbeiten 


[d 


Staats. und Staatenrecht. 233 


ben nöthigen tebensbebarf zu bdecken. Wer für den 
Staat lebt, und demſelben die ganze Kraft feines 
Lebens widmen foll, muß auch von dem Staate für 
biefen Aufwand feiner Kraft verhältnigmäßig 
(d. h. ohne Verſchwendung und ohne Kargheit) ent- 
ſchaͤdigt werden. Deshalb find alle mit Aemtern 
verbundene Sporteln verwerflid; wohl aber fann 
ein Theil der Amtsbefoldung , je nachdem es bie Ver⸗ 
haͤltniſſe rathſam machen, in Naturalien beftehen. 
Aemter ohne Befoldung follten in feinem recht⸗ 
lich geftalteten Staate beftehen ; felbft Staatsbeamte 
auf Wartegeld gefege, fonnen nur zu den feltenen 
Ausnahmen gehören, über welche nicht das Staats» 
recht, fondern die Staatsfunft in einzelnen Fallen 
entfcheider. 

Endlich darf weder die Ju gend ein Hinderniß, 
noch das Alter ein Beftimmungsgrund (ratio mise- 
ri ordiae) zur Anftellung im Staatsdienfte werden, 
fotald, nach Vernunftgrundfägen, die perfönliche 
Wuͤrdigkeit und Fahigfeir den einzigen gerech- 
ten Maasftab fir die Anftellung enthält. 

Nach den innern Verhältniffen und Abftufungen 
des Staatsdienftes, muß eine Unterordnung 
der in niebern Aemtern ihre Laufbahn beginnenden 
unter die Höherftehenden und Vorgeſetzten 
ftatt finden, ohne welche der innere Zufammenhang 
in dem Gefchäftsgange fehlen würde. Allein dieſe 
nothmendige Unterordnung darf feinen perfönlichen 
Drud der Untergeorbpeten, und feine abfichtliche 
Ueberfpannung ihrer Kräfte in fich einfchließen. Be⸗ 
fondersdarf fie, wo die einzelnen Zweige der Staats⸗ 
verwaltung Eollegien übertragen find, nie das 
freie Abſtimmungsrecht ber Räthe und Mitglieder 
ber Collegien durch den Einfluß des Vorſtandes 


234 ° Staats» und Staatenrecht. 


befchränfen, weil fein Defpotismus dem Staats- 
dienfte nachtheiliger ift, als wenn die Vorftände 
- der Collegien es vergeffen, daß fie nur primi inter 
pares find, und daß zwar die Leitung bes Geſchaͤfts⸗ 
ganges, die Vertheilung ber Arbeiten u. ſ. m. — 
der Hrdnung bes Ganzen wegen — nie aber die 

Entſcheidung der gemeinfchaftlih zu berathenden 

‚und nach der Mehrheit der Stimmen zu beendigen- 

den Gegenftände — von ihrem individuellen Er- 

meſſen abhängt. " 

ı 9 Seuffert, von dem Verhäftniffe des Stans 
tes und der Diener des Staates gegen einander im 
rechtlichen und politifhen Verſtande. Würzb. 1793. 8. 

Franz. Arn. vonder Becke, von Staatsämtern 
\ und ÖStaatsdienern. Heilbronn, 1797. 8. 
Mic. Ihaddäus Goͤnner, der Staatsdienft ans 
dem Gefihtspuncte des Rechts und der Nationale 
dkonomie betrachtet. Landsh. 1808. 8. 


38. 
Rechtliche Form der Kirche im Staate. 


Das rechtliche Verhaͤltniß der Kirche im 
Staate und zu dem Staate beruht theils auf dem 
ſittlich⸗ religiöſſen Beduͤrfniſſe jedes Weſens unfrer 
Art, uͤber die Gegenſtaͤnde der religioͤſen Erkenntniß 
und des religioͤſen Glaubens zu einer feſten Ueberzeu⸗ 

gung zu gelangen, und dieſe Ueberzeugung durch Theil⸗ 

— nahme an einem oͤffentlichen Gottesdienſte (Cultus) 
zu bekennen, theils auf dem daraus fließenden Rechte 
jedes Staatsbürgers, mit allen denjenigen, weiche 
Diefelbe- Ueberzeugung erlangt und zu demfelben Got- 
tesdienfte ficy vereiniget haben, zu einer außern Ge⸗ 
fellfchaft zufammenzusreten, die man, zum Unterfchiebe 
von jeder andern Sefellfchaft, bie Firhliche nennt 
Maturr. $. 3Q.). Der Inhegriff aller aus dem kirch⸗ 


ff 





Staats» und Staatenrecht. 233 


lichen Gefellfchaftsvertrage hervorgehenden Rechte und 
Pflichten heißt das natüurlihe Kirhenredt, 
im Gegenfage des pofitiven Kirchenrechts, das aus 
dem befondern Gefellfhaftsvertrage jeder einzelnen im 
Staate beftehenden Kirche entfpringe. Denn obgleich), 
nach der Vernunft, der allgemeine Zweck ber 
Kirche ift, die innere religiöfe Gefinnung und Ueber: 
jeugung ‚durch einen außern Eultus darzuftellen, 
und vermittelft der Firchlichen Gefellfchaft ven End» _ 
zweck der Menſchheit ſelbſt bei allen Mitglies" 
bern des Firchlichen Gefellfchaftsvertrages zu beför- 
dern; fo ift doch, bei der großen Verfchiedenbeit der 
" Richtung, Bildung und Beftrebung des menſchlichen 
Geiftes in religiöfer Hinſicht überhaupt, bei dem 
bedeutenden Einfluffe der Erziehung, des Unterrichts 
und des DBeifpiels in Beziehung auf religtöfe Lehren 
und Grundfäße und auf den äußern Eultus, fo mie 
nad) dem Zeugniffe der Gefchichte, in jedem Staate 
eine Mehrzahl von Kirchen vorhanden, von 
welchen jede, außer dem allgemeinen Zwecke der Kirche - 
überhaupt, ihren befonderen Zweck, nach ihrem - 
befondern kirchlichen Gefellfhaftsvertrage, feſthaͤlt. 
Lebe Kirche im Staate befteht daher aus einer Geſell⸗ 
(haft, die fich für das Bekenntniß und für die Aus- 
übung ihres religiöfen Glaubens, zu einer für dieſen 
befondern. Zwed berechneten eigenthuͤmlichen Verfaſ⸗ 
fung und Verwaltung, bucch einen befondern Vertrag 
‚rechtlich gebilder hat. Die Kirche unterſcheidet fich 
aber dadurch von allen übrigen befondern Gefellfchaf- 
ten im Staate, daß ihr Zweck nicht zunaͤchſt ein aͤuße⸗ 
rer und bürgerlicher, fondern ein fittlic) = religiöfer, 
und zwar, aus dem Gefichtspuncte bes Endzwecks der 
Menſchheit betrachtet, der Höchfte ift, der von ver⸗ 
nünftigsfinnlichen Weſen beabfichtiget werben kann. 


236 Staats.» und Staatenrecht. 
39. 
Fortſetung. 


So wie aber der Grundvertrag des Staates, 
dem Begriffe nach, in drei einzelne Vertraͤge auf- 
gelöfet werden fann; fo auch der Gefellfchaftsvertrag 
der Kirche, inwiefern namlich der kirchliche Ver— 
einigungsvertrag ben fittlid=religiöfen Zwed 
ausfpricht, zu deſſen Verwirklichung die Mitglieder 
der kirchlichen Gefellfchaft jufommentreten, fo wie 
der firhliheWerfaffungsvertrag bie $ehren, 
den Cultus und die Kirchenordnung (Difeiplin), als 
bie wirffamften Bedingungen enehält, durch 
. welche jener Zweck, vermitteljt eines äußern gemein 
ſchaftlichen ottesbienſtes erreicht werden ſoll, und 
der kirchliche Unterw erfungsvertrag die 
Art undWeife bezeichnet, wie innerhalb der Kirche 
durch gewählte Vorfteher und Auffeher ( Bifchoffe, 
Synoden, Confiftorien, Presbyterien u. a.) theils 
ber gehrbegriff ‚ theils der Cultus, theils die Kirchen- 
ordnung in der Mitte aller Theilnehmer ber Kirche 
gehandhabt und aufrecht erhalten werden full. 


Ob nun gleich der Grundvertrag der Kirche biefe 
drei einzelnen Verträge in fi einfchließt; fo kann 
doch, weil die religiöfe Ueberzeugung an ſich und die 
Theilnahme an einer Kirche Sache des Gewiſ— 
ſens ift, fein fietliches Wefen gezwungen wer- 
‚ den, zu dieſer oder jener Kirche zu treten, oder, da⸗ 
fern es diefelbe verlaffen will, bei derfelben zu behar- 
ren. So wie im redelih "geftalteren Staate das 
Recht der. Auswanderung ftatt findet; fo muß aud) 
jedem Mitgliede einer kirchlichen Gefellfhaft, nach 
dem unveräußerlichen Rechte der Glaubens - und Ge⸗ 


Staats und Staatenrecht. 237 


wiffensfreißeie, das Recht zuftehen, den Vertrag 
aufzufündigen, durch ivelchen es bisher zur Gefell- 
ſchaft gehörte, und diefelbe zu verlaflen. Da ferner 
jede Kirche eine fittlih-freie Geſellſchaft ift; fo 
darf es nicht den Lehrern und Vorftehern der Kirche 
verftattet feyn, eigenmädhtig — ohne Zuftim- 
mung der vertragsmäßig verbundenen Gefellfhaft — 
die Verfaffung der Kirche nad) Lehre, Eultus 
und Kirchenortnung zu verändern. Da endlich 
der firchliche Unterwerfungsvertrag zwar die Aufrecht⸗ 
haltung der vertragsmäßig beftehenden Kirchenord- 
nung verlangt, aber alle außere Gewalt und allen 
bürgerlichen Zwang von fi) ausfchließt; fo kann 


wohl, nad) Grundfägen der Vernunft, die Aus- | - 


fcheidung einzelner unwuͤrdiger Mitglieder aus einer - 
fiechlichen Gefellfhaft verfügt werden, allein die ent⸗ 
ehrende Behandlung oder förperliche Zuchtigung der 
einzelnen Mitglieder (3.8. durch Kirchenbußen, durch) 
ficchlihe Verhaftungen, Inquiſition u. ſ. w.) nicht 
in dem Umfange der kirchlichen Diſciplin enthalten 
ſeyn⸗ 
So wie endlich die rechtliche Form der Staats⸗ 
verfaſſung darauf beruht, daß, zugleich mit dem 
Oberhaupte des Staates, den ſittlich⸗ muͤndigen Stell» 
vertretern bes Volkes ein beftimmter Antheil an der 
gefeßgebenden. Gewalt, hingegen dem Staatsober- 
haupte einzig und ausfchließend Die vollziehende Ge⸗ 
walt zufteht; fo wird auch die innere rechtliche Form 
einer Kirche zunächft darauf beruhen, daß ben ge 
wählten Vertretern der ganzen Kirchengemeinde, zu⸗ 
gleich mit den geiftlichen Vorſtehern der Kiche, ein 
Antheil an der gefeßgebenden Gewalt in der Kirche 
in Beziehung auf fehre, Cultus und Kirchenordnung 
zufomme, den geiftlichen Vorftehern der Kirche aber 


— 


238 Staats: und Staatenreche. 


ausfchtiegenb das Recht der vollziehenden Gewalt über- 

tragen ifl. nn 

. _ 40. 

Fortfegung Verhältniß der Kirche zum 
Staate. 


Weil übrigens die Kirche zunaͤchſt das innere gei- 
ftige, nicht Das äußere bürgerliche Leben betrifft, und 
beshalb, nad) ihrem Zwede, eine ethifche, nicht eine 
juridifche Gefellfchaft, bildet; weil ferner in der bür- 
gerlichen Gefellfhaft nur Ein höchfter Wille gedacht 
werden fann, welchem alles in dem Staate gefeglid) 
und vertragsmäßig untergeordnet iſt; weil aus dem- 
felben Grunde, nur der mit der höchften Gewalt be 
kleidete Regent fammtliche einzelne im Staate be» 
ftehende Gefellfchaften bei ihren Rechten und bei ihrer 
Verfaſſung ſchuͤtzen, und über alle die Oberaufficht 
führen kann; weil endlich, nad) der Verfchiedenheit 
ber religiöfen Ueberzeugung, in jedem Staate me h⸗ 
rere Kirchen mit ſehr von einander abweichenden 
Dogmen, Symbolen und äußern Formen des Eultus 
neben einander beftehen fonnen, und wirklich 
beſtehen, welche fümmtlich eines gleichen Schuges 
und einer gleichen Oberaufficht von der Regierung 
bedürfen, damit fie einander nicht anfeinden, auch 
einander nicht blos dulden, fondern als rechtlich ab» 
geſchloſſene Ganze fich gegenfeitig anerfennen,, achten 
und nie in ihren Zweden und Rechten beeinträchtigen ; 
fo folge daraus, daß die Kirhe unter, und weder 
über, noch, als gleichgeorbnete Gefellfchäft, neben 
dem Staate ſteht; daß fie innerhalb des Staates, 
wie jede andere Gefellfchaft, ihren rechtlichen Wir- 
kungskreis behauptet; daß ihr Zwed und ihre recht⸗ 





‚Staats: und: Staatenrcht. - 239 


liche Seftaltung dem Öberhaupte des Staates bekannt | 
und von demfelben anerfanne und beftärige feyn muß; 
baß die ganze äußere Wirkſamkeit und Difeiplinar- 
gewalt der Kirche über ihre Mitglieder ein Ausfluß - 
der höchften gefeggebenden und vollziehenden Gewalt 
im Staate, und von diefer ber Kirche rechtlich über- 
tragen worden ift, und daß jedes Mitglied der gefeg- 
gebenden und vollziehenden Gewalt der Kirche, als 
folches, dem Regenten den Huldigungseid zu leiſten 
verpflichtet iſt. 

Diefes, nach Vernunftgefegen einzig rechtliche 
Verhaͤltniß ber Kirche zu dem Staate. wird mit dem 
(etrvas uneigentlichen) Ausdrucke des Territorials - 
fyſtems bezeichnet; wogegen das Epiffopal- ober 
hierarchiſche Syftem den Staat der Gewalt ber 
Kirche und den Zweck des Staates dem Zwecke ber - 
Kirche unterordnet, und das Collegialfyftem, 
nach welchem beide, Staat und Kirdye, zwei von 
einander völlig unabhängige Gefellſchaften bilden ſol⸗ 
len, weder dem Zwecke des Staates, noch dem Zwecke 
der Kirche entſpricht, und beide in einen anarchiſchen 
Zuſtand verwandelt. Daraus folgt, daß blos das 
Territo rialſy ſtem die einzig rechtliche Stellung 
der Kirche zum Staate vermittelt. Denn, nad) bem- 
felben,, ift zwar die Kirche, als äußere Gefellfchaft, 
dem Seaat⸗ untergeorbnet , nicht aber nad) ihrem 
fittlich »religiöfen Zwede, befien Annahme und Feft- 
haltung Bewiffensfache ift und bleibt; die. Kirche 
bilder in dem Staate, eben wegen dieſes boben-gioedes, 
die vorzüglichfte befondere Geſellſchaft; fie haͤngt 
zwar, nad) dem Rechte’ der Oberhoheit und Oberauf- 
ſicht, das dem-. Regenten ald Souverainetaͤtsrecht 
($. 38.) unbedingt zuſteht, von der Jeitung bes Re 
gentar, und durchaus von feinem aus waͤr⸗ 


240 Staats⸗ und Staatenrecht. 


tigen kirchlichen Oberhaupte ab, weil dem 
Regenten ihr Zweck, ihre Verfaſſung, ihre Verwal⸗ 
tung, ihr Cultus und ihre Kirchenordnung vollſtaͤndig 
befannt feyn und von ihm garantirt feyn müffen, duch 
. fo, daß der Regent in der Verfaffung und Verwaltung 
der Kirche.nie eigenmächtig, ohne Zugiehung und Zu⸗ 
flinmung derer etwas verändern oder verlaflen barf, 
welchen die befondere gefeßgebende und vollziehende 
Gewalt in ber Kirche vertragsmäßig zufommt; fie ſteht 
endlich zwar, weil fie fidy nicht felbft fchugen kann, 
unter dem Schuge bes Staates, doch fo, daß der bür- 
gerlihe Zwang von Seiten bes Regenten nur dann 
auf die Kirche und deren Mitglieder angewandt wer⸗ 
‘den darf, wenn es entweder gefchieht, um die Kirche 
in der Veberfchreitung ihres vertragsmaͤßigen Wir- 
kungskreiſes zu hindern; oder wenn die Kirche felbft 
den bürgerlihen Zwang, nad) der in ihr beftehenden 
Kirchenordnung, gegen einzelne ihrer Mitglieder 
rechtlich aufrufen muß; ober wenn ber Staat einzu⸗ 
fhreiten genöthige wird, bdafern fih mehrere neben 
einander im Staate beftehende Kirchen feinbfelig be= 
handeln, und in ben anerfannten Kechtsverhältniffen 
ihrer Verfaſſung und Verwaltung beeinträchtigen 
follten. .. | 

| So wie aber vem Staate das Recht zufteht, die 
Streitigfeiten.der einzelnen in feiner Mitte beftebenden 
Kirchen durch Höchfte Entfcheibung auszugleichen, und 
ihre völlig gleihmäßigen äußern Verhält- 
niffe aufrecht zu erhalten ;ofo fommt ihm aud) das 
Recht der Einfchreitung zu, wenn im Innern einer 
Kirche der Geift derfelben völlig in Sittenlofigfeie 
ausarten, ben Zweck des Staates bedrohen, und 
unverfennbar bie Auflöfung der von dem Staate 
gewaͤhrleiſteten Werfaffung und Verwaltung - der 


- 


. 





Pi 


Staats: und Staatenrecht. 244 


beſondern Kirche herbeifuͤhren ſollte. Nicht minder hat 
der Staat das Recht, denjenigen Mitgliedern einer 


Kirche, welche nad ihrer Ueberzeugung nicht länger 


Mitglieder derfelben ſeyn wollen, den rechtlichen Aus. 
trittaus derfelben, ohne irgend einen Nachtheil 
anihren bürgerlichen Rechten, zu verftatten, 
zugleich aber alle abſichtliche Proſelytenmacherei zu ver⸗ 
hindern, und alle kirchliche geheime Secten 
aufzuheben, welche dem Zwecke des Staates und der 
rechtlich anerkannten Kirchen dadurch entgegen arbei⸗ 
ten, daß ſie durch verborgen gehaltene und widerrecht⸗ 
liche Mittel ihre weitere Verbreitung im Stillen beförs 
dern wollen. — Eben fo darf der Regent das VBer- 
mögen der Kirchen für die Zwede des Etaates, doch 
blos in gleichem Verhältniffe, wie das Vermögen 
aller übrigen Staatsbürger und ſaͤmmtlicher ſelbſtſtaͤn⸗ 
digen Geſellſchaften im Staate, und nad) dem einzig 
rechtlichen Grundſatze des reinen Ertrages, mit 
Abgaben belegen, nie aber da, mo das Vermögen der 
Kirchen feinen reinen Ertrag gewährt, fondern zuihrem 
eignen Fortbeſtehen wefentlich erfordert wird. Endlich 
fteht dem Regenten das Recht (jus reformandı) zu, 
nach demſelben Grundfage, nach welchem die Werfafs 
fung des Staates ſelbſt ($. 41.) einer fortfehreitenden 
Verbefferung und Vervollfommnung. fähig ift, auch 
die vertragsmäßig anerfannten Mitglieder der geſetzge⸗ 
benden und vollziehenden Gewalt in der Kirche zu ver- 
anlaffen,, entweber ihre Verfaflung und Verwaltung 
oder aud) ihren Eultus und ihre äußere Orbnung, nad) 
den allgemein gnerfannten Bebürfniffen einer Verbeſ⸗ 
ſerung derſelben, zweckmaͤßig abzuändern und neu zu 


geftalten °). | 


" In unfem Zeitalter, wo das Hirngeſpiyſt des ſoge⸗ 
l. 16 





243 Staats und Staatenredt. 


Hugo Grotius, de imperio summarum pote- 
ata tum circa sacra. Paris. 1647. 8. 





nannten Collegialſyſtems fogar mande gute 
Köpfe in der proteftantifchen Kirdye umnebelte, bis 
fie felbft fanden, daß es eigentlih nur zwei Sys 
fleme für die wirklichen Verhaͤltniſſe der Kirche 
zum ©taate geben fönne, — die Kirche über dem 
Staate, oder der Staat über der Kirche, — 
worauf fie dann den verunglädten Verſuch einer 
geiftlihen Hierarchie in der proteftantis 
fen Kirche wagten ; — in dieſem Zeitalter feine 
es nöchig zu feyn, daran zu erinhern, daß eigents 
lich Luther bereits in f. (1520 erfhienenen) 
Schriſt: An denchriftliden Adel teutfher 
Marion (in der Altenb. Ausg. f. Werke, Ih.ı, 
©. 480 ff.) die Grundzüge des Territorialfys 
flems aufftellte. Er fagt darin wörtlih: „Die 
Romaniſten haben drei Mauern mit großer Beben: 
digkeit um fi gezdgen, damit fie fih bisher bes 
ſchuͤtzt, daß fie Niemand bat mögen reformiren, das 
dur die ganze Ehriftenheit gräulich gefallen ift. 
Zum erften wenn man hat fie auf gedrungen mit 
weltliher Gewalt, baben fie geſetzt und ge 
fagt, weltlihe Gewalt Habe nicht Recht 
über fie, fondern wiederum,'geiftlid fey 
über die weltlihe. Zum andern hat man fie 
mit der heiligen Schrift wolt ftrafen Tfeßen fie das 
gegen, es gebühre die Schriſt Miemanden auszus 
legen, denn dem Papfte. Zum dritten, dräuet man 
ihnen mit einem Concilio; fo erdichten fie, es möge 
Miemand ein KEoncilium berufen, als der Papft. 
Alfo haben fie drei Ruthen uns heimlich geſtohlen, 
daß fie mögen ungeftraft feyn, und in fichere Be: 
fefigung bdiefer drei Mauern fih gefeßt, alle Buͤ⸗ 
berei und Boeheit zu treiben. — Nun helfe une 
Sort, und gebe uns der Pofaunen eine, damit die 
Mauern Jericho's wurden umgemorfen, daß wie 
diefe firöhernen und papiernen Mauern auch ums 
»blaſen, und bie chriſtlichen Ruthen, Sünden gu 


Staats⸗ und Staatenrecht. 943 


Sam. de Pufendorf, tractatus de habitu re- 
ligionis christisenae ad vitam civilem. Cum com- 
mentario Jo. Pauli Kressii. Jen. ı7ı28. & 

Bened. Spinoza, tractstus theologico- politi- 
cus Teutſch: Ueber heilige Schrift, Sudenchum, 
Nechte der hoͤchſten Gewalt in geiftlihen Dingen, 
und Freiheit zu philofophiren. Gera, 1787. 8. 





Fr. Rud. Sroffing, die Kirche und der Staat, 
ihre beiderfeitige Pflicht, Macht und Grenze. Ber 
lin, 1784. 8. 

Theod. Sch malz, das natärlihe Kirchennedt. 
Koͤnigsb. 1795. 8. 

(Kari Sal. Zahariä), die Einheit des: ®taas 
tes und der Kirche. (Leipz.) 1797. 8. 

3. Ith, Verſuch über die Verhatsniffe des Staus 
tes zur Religion und Kirche. Bern, 1798. 8. 

Verſuch eines natärlihen Kirchenrechts, aus der 
Natur des Begriffs der Kirche entwickelt. Berlin, 


1799. 8. 

Srundfäge der Religionspolitif im richtigen Ver⸗ 
Hälıniffe mir dem Staate. Berl. 1800. 8. 

Heine. Stephani, über die abfolure Einheit 
der Kirche und des Staates. Würzb. 1802. 8. 





firafen,, los maden. — Wollen die erfte Mauer 


am erfien angreifen ıc.” Borauf Luther aus Vers 


nunft und Echrift nachweiſet, dag. nıcht die Kirche ” 


über dem Staate, fondern der Staat Über der 
Kirche ſey. — Mögen dies die Proreflanten 


beherzigen, welche ihrer freien Kirche ein hierasdis . 


ſches Syſtem wieder aufdringen möthten, das die 
aufgeflärten Bürften des, ı6ten Jahrhunderts überall 
in der proteftantifhen Chriftenheit aufhoben. — 
Eon Kaiſer Konftantim fagte zu den Geiſtlichen 
feiner Zeit (Fuseb. vita Constantini, L.IV ©. 23): 
„Vos quidem in iia, quae intıa ecclesism sunt, 
episcopi 6s8j9. Ego vero in iis, quae extra 


geruntur, episcopus a Deo sum consti- 


tutus:“* 


40 % 


- 
B 6‘ 
I) 


’ 
! 


244. Btostb: und Staatenredit. 


So. Chſtph. Sreiling, Hieropelis. Ein Ver 
ſuch über das wechſelſeitige Verhaͤltniß des Staates 
und der Kirche. Magdeb. 1802. 8. — Sendſchrei⸗ 

ben an die Synoden der preußiſchen Monarchie über 
die kirchlichen Angelegenheiten des Tages. Halberſt. 


1818. 8. 
Kritik des natürlihen Kirchenrechts. Germanien. 
(Mannh.) 1812. 8. 

Son. Schuderoff, Grundzüge zur evangeliſch⸗ 
proteftantifhen Kirchenverfaffung und zum evangelis 
fen Kirchenrechte. Leipz. 1817. 8. — Ueber den 

ı  Innerlih norhwendigen Zufammenhang der Staats⸗ 
und Kirhenverfaffung. Ronneb. 1818. 8. 

ran; v. Spaun, über die Grundverbältniffe 
des Staates zur Kirhe und zur römifhen Curie. 
München, 1818. 8. ' 

Simon Köfler, Grundanſicht von .Staat und 
Kirche und ihrem gegenfeitigen Verhaͤltniſſe nad 
Vernunft und Schrift. Infprud u. Münden, 1821. 
8. (nur wegen ihrer völligen Unbedeutenheit wird, 
warnungsweife, diefer Schrift hier gedacht.) 

: 8. 8. Dufnagel, über zeitgemäße Begrändung 
der geifttihen Mache und ihr Verhaͤltniß zu der 
weltlichen. Erf. am M. 1821.'8. 


%* 
* %* 


With. Abrah. Teller, DValentinian 1, oder Une 
terredungen eines Monarchen mit feinem Thronfols 
" gr über die Religionsfreiheit der Unterthanen. 2te 
ufl. Berl. 1791. 8. ' 
Heine, Gtli. Tyfhirner, Proteftanrismus und 
Karholicismus -aus dem Standpuncte der Politik. 
£pj. 1828. 8. — ate Aufl. in demf. Jahre — 


on 41. 
Rehtlihe Form der Werbefferung ber 
VBerfaffung. 
Wenn gleich das Recht an ſich ſelbſt unverän« 
derlich und ewig. gültig, fo wie die Herrfchaft. bes 


⸗ 


\ N 


> 








Staats» und Staatenrecht. 245 


Rechts aufdem Erbboben das Ideal des bürgerlichen 


Vereins bleibe; fo verändern ſich doch, theils nad) 
bem vervolllommnungsfähigen Charafter der menfch- 
lichen Natur, theils unter ben. mannigfaltigen Ver⸗ 
bältniffen des Zeitgeiftes und der Wechfelwirfung der 
Völker und Staaten auf einander, im Laufe der 
Jahrhunderte der Geift, die Eultur, die Beſtrebun⸗ 
gen, bie Sitten, und mit ihnen die Bebürfniffe der 
einzelnen Volker. Weil aber Fein Stillſtand in der 
ſittlichen Welt getroffen wird; fo find diefe Veraͤn⸗ 
derungen im innern eben der Volker entweder Fort» 
ſchritte, oder Rudfchritte. Die Völker und Staaten 
bes Erdbodens entwickeln ſich nämlich entweder durch 
ihre innere Kraft zu einer höhern Bluthe und Reife, 


oder fie veralten, und geben, fobald fie in Hinfihe 


ihrer Verfaffung und Verwaltung ſich überlebt haben, 
ihrem politifchen Tode entgegen. 

Dies legte zu verbüten, muß in jeder Verfafe 
fung, welche irgend einem Volke in einem gegebenen 
Zeitraume völlig angemeflen ift, und daher für diefen 
Zeitabfchnitt die freie, felbfithätige und eigenthuͤm⸗ 
liche Entwidelung, fo wie den lebendigen Fortfchrite 
diefes Volkes zum Beſſern befördert, zugleich ber 
Orundfag ihrer eignen Vervollkommnung, Fortbil⸗ 
dung und Ergänzung enthalten feyn; d. h. es muß, 
weil jede Verfaflung ein Werk von Menfhen und 
für Menfchen ift, in derfelben die rechtliche Weife 
im Voraus beftimmt ſeyn, nach welcher der Regent 
und die Stellvertreter Des Volkes im gemeinſchaft⸗ 
lichen Einverftändniffe den gefühlten Mängeln ber 
Verfaſſung entweder durch) ergänzende organifche Ges 
fege nachhelfen, ober zu einem völlig neuen Grund⸗ 
vertrage fich vereinigen. — Dies legte ift aber da 
nicht nöthig, mo die Verfaffung wirklich das Ewig⸗ 


246 Staaes «und Staatenrecht. 


guͤltige fuͤr jede buͤrgerliche Geſellſchaft, die Rechte 
auf perſoͤnliche Freiheit, auf Gleichheit vor dem Ge⸗ 
ſetze, auf Freiheit der Preſſe und des Gewiſſens, auf 
Sicherheit der Perſonen und des Eigenthums, auf 
die Guͤltigkeit aller rechtlich abgeſchloſſenen Vertraͤge, 
fo wie das rechtliche gegenſeitige Verhaͤltniß ber ge⸗ 
ſetzgebenden und vollziehenden Gewalt beſtimmt aus- 
geſprochen hat, weil dann nichts Weſentliches 
der Verfaſſung, ſondern blos die in derſelben 
enthaltene organiſche Geſetzgebung fuͤr die Stellver⸗ 
tretung des Volkes nach ihren einzelnen zeitgemäßen 
Beflimmungen, und fir die vier einzelnen Zweige 
ber Verwaltung veralten, und ber Werbeflerung und 
Ergänzung bebürftig werden kann. — Durch eine 
ſolche, in der Verfaflung felbft angebeutete, Vervoll⸗ 
kommnung und Ergänzung derfelben, als eines Men: 
fehenwerfes, wird aber theils das Meralten ber 
Stanatsform und ber politifche Untergang des Vol⸗ 
es, theils der gefährliche Verſuch einer Revolution 
duch eine vom Volke felbit eigenmächtig unternom- 
mene Verjuͤngung der Grundbedingungen feines in- 
nern Lebens verhütet. Denn fo wenig je ber einzelne 
Menſch auf Erden das Ziel der Vollendung erreicht, 
fo wenig auch der einzelne Staat; und je mehr eine 
Verfaſſung den Berhaltniffen einer beftimmten Zeit 
und den Beduͤrfniſſen eines gegebenen Volkes in bie 
fm Zeitraume entfpriche, befto mehr wird, im Ab- 
Inufe Der Zeit und unter mwefentlich veränderten Bes 
barfniffen deſſelben Volkes, Die Nothwendigkeit einer 
Veränderung und Umbildung der einzelnen Beftim- 
mungen ber Verfaſſung gefühlt werben. 


en 


Staats: und Säaatenrecht. 247 


B) Das philoſophiſche Strafrecht. 


42. 
Der rechtlich geſtaltete Zwang. 


Wenn die Herrfchaft'des Rechts, d.h. das 
Gleich zewicht der äußern Freiheit aller vertragsmaͤßig 
vereinigten Wefen in der bürgerlichen Gefellfchaft 
der Zw. des Staates iſt; fü geht daraus als noth⸗ 

wendiges Ergebniß hervor, daß fein Menſch die 
Außere Freiheit friner Mitmenfchen wider deren eignen 
Willen einfchranfen darf, und daß jeder berechtigt 
ft, der beabfichtigten Einfchraänfung feines außern 
freien Wirfungsfreifts durch Andere Zwang ent« 
gegen zu fegen; denn Zwang, im meiteften 
Sinne des Wortes, ift Die Anwendung phyfi- 
fher Kräfte gegen ein finnlid-vernünftis 
ges⸗Weſen. 

Die Anwendung dieſer aͤußern Gewalt des Ein⸗ 
zelnen gegen den Einzelnen, oder die Selbſthülfe, 
wurde aber alle Verwirklichung der Herrfchaft des 
Rechts aufjeben, weil der Umfang und die Grenze 
ihrer Anwendung im außerbürgerlihen (im 
fogenannten Natur⸗) Zuftande blos dem Zufalle 
und der Willführ überlaffen bliebe, wenn nicht die 
Bürger bes Staates vermittelft der drei Urvertraͤge 
des Gebrauches der Selbſthuͤlfe fich begaben, wodurch 
die Aufrechthaltung des Rechts überhaupt , fo wie die 
Ausgleichung ber ftreitig gewordenen Rechte der Ein« 
zelnen, ber ganzen Staatsgefellfchaft überträgen und 
von diefer gemwährleiftee wird. Es muß daher jede 
Anwendung der Selbfthülfe im Staate als ein Zus. 
rücktreten in den Naturzuftand — mithin in den Zus ' 
ſtand der bürgerlichen Rechts ſoſigkeit, — 


2 Eraats- und Staateurecht. . 


und zugleich als eine Verlegung ber Urverträge. des 
Staates angefehen werben. 


Weil aber im Staate die Bedrohung und Ver⸗ 
legung der Rechte von Seiten ber fittlid »unmün- 
digen Mitglieder der bürgerlichen Gefellfchaft unver: 
meidlich iſt; fo muß in derfelben der Zwang, als 
nothwendige Bedingung der Aufrechthaltung der Herr= 
- {haft des Rechts, rechtlich geftaltet werden. 
"Allein der Zwang erhält im Staate nur dadurch 
eine’ rechtliche Form, daß er zum allgemeinen Ge— 
fege der ganzen Gefellfhaft erhoben, und 
 inibrem Namen vollzogen wird, fo daß jedes 
Andividuum des Staates, felbft das, welches den 
Zwang erfährt, den, Zwang als rechtlich anerfennt, 
und die Vollziehung deffelben der im Staate beftehen- 
den vollgiehenden Gewalt, wie jeber andere 
Zweig ber Staatsverwaltung, rechtlich übertragen ift. 
Denn nur dadurch wird der Zwang rehtlid ges 
ftaltee, daß er fir jede einzelne Rechtsverletzung in 
einem Gefege beftimme ausgefprochen ift, und daß 
die vollziehende Gewalt denfelben nach der ihr zu— 
ftehenden unmiderftehlihen Macht bes gefammten 
Rechtsvereins anwendet, 


Weil aber bei fittlihen Weſen der Körper das 
Werkzeug ift, wodurch die freien Handlungen voll 
bracht werden, welche die Rechte Andrer becintraͤchti— 
gen; fo muß aud) der Zwang nad) ‘feiner Ankuͤndi⸗ 
gang in einer finnlihen Mache, in einem finn- 
lihen ®egengewichte gegen das die Rechte An» 
drer bedrohende oder verletzende Individuum befteben. 
Dadurch gleicht der Zwang der unaufhaltbaren Noth⸗ 
wendigkeit, nad) welcher die Naturfräfte wirfen, ohne 
doch eine bloße finnlihe Macht zu feyn, welche 


⸗ 


Staats» und Staatenrecht. 249 


— abgefehen von der fittlihen Freiheit — nad 
Naturgefetzen, Die guten und boͤſen Individuen ohne 
Ruͤckſicht auf ihre fietliche Schuld oder Unfchuld trifft. 
Da ferner der Zwang im Stuate, nad) feiner recht. 
-lihen Begründung und Geftaltung (Form), auf die 
Berfaffungdes Staates fi ftügen,. und in 
einem befondern Theile der Gefeßgebung,. 
gleihmäßig mit der Öefeggebung für das buͤrger⸗ 
liche Recht, durchgeführt feyn muß; fo. fchließt deflen 
Anwendung alle Partheilichfeit und alle Leidenſchaft 
der Selbfthülfe von fih aus. Kr ift vielmehr 
das, unentbehrliche und wirffame Mittel *) für die 
Erhaltung der Herrfhaft des Rechts im 
Staate; mithin nie felbft Zweck, fondern blos 
Bedingung und. Mittel, daß jener Zive nicht ver- 
legt, oder der verletzte Zweck wieder hergeftellt werde ; 
er triffe nie die fittlihb- mündigen im 
Staate, weiler dann felbft ein Werkzeug der Un- 
gerechtigfeit und der Willführ werden würde, fondern 
blos die fittlich-unmundigen deshalb und info- 
weis fie den allgemeinen Zweck des Staates bedroht 
oder verlegt haben. | 


#) Kant (met. Anfangegr. der Rechtslehre, 
©. 196.) nennt das allgemeine Errafgefeg einen 
kategoriſchen Imperativ, wodurd es mir dem 
Sittengeſetze auf gleiche Linie geftellt werben mÄrde. 

. Dageaen erinnert Krug (Handb. d. Phil. Th. =, 
©. 165. N. %.) ſehr wahr, daß es nur ein hypo⸗ 
thetiſcher Imperativ ſeyn könne, weil die Strafe 
ein Uebel bleibt, das nicht ſchlecht hän Jugefügt 
werden darf, ſondern nur unter der Voraus 
fegung, daß ein Unrecht geſchehen iſt, wodurd 
die rechtlich » fittlide Ordnung geſtoͤrt ward. 

tn 





350° Staats- und Staarenrecht. 


43. 


Begriff und Theile des philoſophiſchen 


Strafrechts. 


Der rechtlich geſtaltete Zwang im Staate darf 
aber nicht mit der Strafe an ſich verwechſelt 
werden; denn der Begriff des Zwanges, als ein 
weiterer Begriff, ſchließt zwar den Begriff der 
Strafe in ſich ein, weil jede Strafe Zwang, nicht 


aber jeder Zwang Strafe iſt, indem die Staatsbürger 


zu vielen in dem Unterwerfungsvertrage übernommenen. 
$eiftungen gezwungen werden fonnen (3. B. zur Ent- 


‚ richtung der bewilligten Steuern und Abgaben, zum 


Kriegspienfte), ohne deshalb Strafe zu’ verwirfen, 
oder geftraft zu werden. Ä | 
Da übrigens die höchfte Gewalt im Staate, 


nach ihrer Theilung, in die gefeßgebende und voll⸗ 


_ 


jiehende zerfällt; fo beftimme die geſetzgebende, 
was Rechtsverletzung, was Zwang, was Strafe ift, 


die vollziehende aber übt den Zwang. Es wird 


daher der Zwang, fo wie derjenige Theil deffelben, 


"welches Strafe heißt, im Namen des Regenten, als 


des Oberhaupts ber vollziehenden Gewalt, angewandt 
und ausgeübt; allein die vollziehende Gewalt, welche 
gleih mäßig die Gerechtigfeitspflege, die Polizei, 
das Finanz⸗ und das Militairwefen im Staate leitet, 
umfchließt weit mehr in ſich, als die blos zwingende, 
und diefe wieder mehr als die ftrafende Gewalt. 

. Es gibt alfo, nach diefen Vorbegriffen, ein 
natürliches (richtiger: ein philoſophiſches) 
Strafrecht, fhon deshalb, weil im außerbürger- 


lichen Zuftande ein urfprüngliches Recht der Abwehr 
und Ahndung der bevörftehenden oder erlittenen Rechts. 
verletzung angenommen werben muß, noch mehr aber, 


Staats⸗ und Seaatenrecht. 254° 


weil, nach ber unnachlaͤßlichen Forderung der Mer 
nunft an die bürgerliche Geſellſchaft, die Herrſchaft 
des Rechts zu verwirklichen, Fein Staat — wegen 
ber Miſchung ber ſittlich unmündigen mit den ſittlich⸗ 
münbdigen in der Mafle feiner Mitglieder — ofne 
den rechtlich geſtalteten Zwang und bie rechtlich geftab 
tete Strafe gedadjt werden kann. 

Das philofophifche Strafrecht ift Daher die wi ſ 
ſenſchaftliche Darſtellung der rechtlichen 
Geſtaltung und Anwendung Des Zwanges, 
und namentlid der Strafe, im Staate, 
als des nochmwendigen und wirffamften: 
Mirtels für Die Erhaltung bes bedroßten 
und für die Wiederberftellung des verleg- 
ten Staatszwedes:der unbebingten Here 
fhaft des Rechts. Mac) diefem Grundbegriffe 

„zerfällt das philofophifhe Strafrecht: 
a) in die Lehre von der rechtlichen Geftaltung 
des Zwanges, und namentlich der Strafe, im 
Staate, womit die Ueberſicht über die wich⸗ 
tigften Strafrehtstheorieen verbunden 
wird; und 
b) in die Lehre von der rechtlihen Anwen- 
dung des Zmanges und ber Strafe im Staate, 
welche im Einzelnen a) die Lehre von den Red ts- 
verlegungen im Staate, 8) die Lehre von den 
durch das Gefeg angedrohten Strafen, und „) 
die Lehre von.der Ausübung des Strafrehts 
im Staate, oder von den allgemeinften Formen 
des gerichtlichen Verfahrens in den einzelnen Straf⸗ 
fällen, umſchließt. 

Diefes Strafrecht ift durch die Vernunft 
ſelbſt begründet, weil die Vernunft, wenn fie den 
Zwed der Herrfchaft des Reches in der bürgerlichen 


252 Eraass: und Staatenrecht. 


Geſellſchaft aufſtellt, auch das rechtlich geſtaltete 
Mittel, den Zwang und bie Strafe, feſtſetzen 
muß, wodurch jener Zweck verwirklicht, erhalten und 
‚. gefichert wird, Diefes Strafrecht heißt das natür- 
liche Strafreht, inwiefern es — nicht etwa aus. ber 
äußern Matur, oder aus einem vor» und außer » bür« 
gerlichen Naturzuftande — fondern aus der Natur 
bes Menfchen felbft, aus feiner ausgebildeten und ge⸗ 
reiften Vernunft hervorgeht, Es ift aber auch zu- 
gleich der böchfte und legte Maasſtab für alles 
pofitive Strafrecht; weil das legte nur infoweit 
zweckmaͤßig ſeyn kann, als es der Vernunft entſpricht, 
und in Willkuͤhr uͤbergeht, ſo wie des innern Zuſam⸗ 
ihenhanges ermangelt, fobald es mit der. Vernunft 
nicht vereiniget werden kann. Denn fo wie der Staat 
felbft, nad) den Forderungen der Vernunft, die einzig 
rechtliche Anftalt für ſittliche Wefen ıft, den End- 
zweck ber Menſchheit, und den Zweck des Gleichge⸗ 
wichts der außern Freiheit Aller zu verwikklichen; fo 
ift auch der Zwang, und die in denfelben eingefchloffene 
bürgerliche Strafe, Das einzige rechtliche Mittel, jenen 
Zwed des Staates i in der Mitte aller ſittlich · unmün« 
digen Buͤrger zu erhalten und zu ſichern. Und wie 
das philoſophiſche Staatsrecht, nad) feiner unmittel⸗ 
baren Abftammung aus der Vernunft, böher ſteht, 
als jedes in der Erfahrung. und Geſchichte vorhandene 

öffentliche Staatsrecht; fo ſteht auch das aus der Ver⸗ 
nunft hervorgehende Strafrecht höher, als das, wel- 
ches in den pofitiven Formen der Wirklichkeit uns ent- 
gegentritt. 


Etaats- und Staatenrecht. 253 


44. 
giteratur der wiffenfhaftliden Behant- 
lung des philoſophiſchen Strafredes. 


Bei der Angabe der wichtigern Schriften, welche 
das philofophifche Strafrecht behandelt haben, Fonnen 
weder die Syſteme und Compendien des Natur 
rechts (Maturr. $. 12.), noch die Enfteme und Com- 
pendien des Staatsrechts ($. 8.) wiederhohle wers 
ben, wo des Strafrechts entweder ausfuͤhrlich, oder 
nur kurz, Erwaͤhnung geſchieht. — Eben ſo wenig 
gehören die Werke hieher, welche blos. das poſi⸗ 
tive Strafrecht behandelt haben; dagegen duͤrfen 
diejenigen Schriften nicht ganz uͤbergangen werden, 
deren Verfaſſer zwar zunäch ft das poſitive Straf: 
echt barftellen, Eingangsweiſe aber die philofo- 
phiſche Begründung deflelben verfuchten. Denn 
es verdient ber ehrenvollften Beachtung, daß unter 
allen pofitiven Rechtswiſſenſchaften bis je ge Feine mehr, 
als das Strafrecht, feit ungefähr 30 Jahren, von 
ausgezeichneten Männern augebaut worden ift, welche 
philofophifhen Geiſt mit poſitiver Rechts- 
kunde verbanden, wohin beſonders Stübel, 
Kleinſchrod, Feuerbach, Grolmann, Titts - 
mann, Henke, u.a. gehören. 

Megner Engelhard (Heff. Rriessrath), Vers 


fu eines allgemeinen peint. Rechts aus den Grund⸗ 
fägen der Weltweishelt und befonders des Rechts 


der Natur hergeleitet. ref. u. Lpz3. 2756. 8. (Dies - 


wat der erfte Verſuch einer felbfitändigen philo⸗ 
ſo phiſchen Bearbeitung des Strafrechts, nad 
Wolffiſchem Syſteme; — als erſter Verfuch die 
ſer Art noch immer mit Abtung zu nennen, wenn 
giei durch beffere Werke längft erſetzt.) 
Beccaris, dei delitti e delle pene. Napol. 
2764. 8 Mehrmals Aberſetzt (8. von Hommeh. 


24 


Staats⸗ und Staatenrecht. 


Die veſte Ueberſetzung: Marcheſe Beccaria’s Abs 
baudlungen äber Verbrechen und Strafen, von neuem 
aus dem Ital. überfept mir Noten und Adhandlun⸗ 
gen von 3. Adam Bergk. 2 Thle. Lpz. 1798. 8. 

v. Valazé, über die Strafgeſetze, oder Ents 
wurf A einem allgem. Otrafcoder. Aus dem Franz. 
mit Anmerk. und Zufägen v. Karl Adolph Caſar. 
£p}. 1786. 8. 

Hans Ernft v. Globig und J. Seo. Hufter, 
Abhandlung von der Triminalgefeßgebung; eine ges 
kroͤnte Preisichrift. Zürich, 17873. 8 — Rier Zus 
gaben dayı. Altenb. 1785. 8. ' 

Karl Herd. Hommel, pbitof. Gedanken Aber das 
Eriminatrebt. Aus der Hommeiſchen Handäichrift, 
als ein Beitrag zu dem Hommelſchen Beccaria ber» 
ausgegeben v. 8. Stio. Röffig. Berl. 1784. 8. 

Fr. Zul. Heiner. Graf von Soden, Geiſt der 
peinlihen Geſetzgebung. 4 Theile. Deffau, 1782. 8. 
M. 4. 1792. 

Paſtoret, Betrachtungen über die Strafgefege. 
Aus dem Franzoͤſ. herausgegeben und mit einem er: 
läuternden u. berichtigenden Kommentar, aud eini⸗ 
gen Anmerkungen verjehen v. Ehfin. Dan. Erhard. 
2 Theile. Lpj. 1792. 8. 

Chſtoh. Karl Sräbel, Syſtem des allgemeinen 


peinlichen Rechts. 2 Th. Lpz. 1795. 8. — Grunds 


füge zu der Vorlefung Über den allgemeinen 
Theil des teutſchen u. Aurfächfiichen Criminalrechts. 
Wittenb. s. a. 8. | 
J. Heinr. Abit, die Lehre von Belohnung u. 
Strafe, in ihrer Anwendung auf die bürgerl. Vers _ 
geltungsgerechtigkeit überhaupt, und auf die Erimis 
natgefeßgehung insbefondere. 2 Theile: Erlangen, 
1796 f. 8. Ä 
Gallus Aloys Kleinfhrod, ſyſtematiſche Ents 
widelung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten 
des peinlihen Rechts. 3 Theile. Ertl. 1794. 8. 2te 
Aufl. 1799. Zte Aufl. Erlangen, 1805. 
Paul So. Anfeem Feuerbach, Reviſien ber 


" Srundfäge und Grundbegriffe des pefitiven peins 


lichen Rechts. 2 Theile. Erfurt, 1799 und Themnig 


_ Staass : und Staatenrecht. 255 


1800. (Eine neue völlig umgearbettere Auflage 
tft angelündigt.) — Ueber die Strafe ale Sicher⸗ 
„beitemitten vor fünftigen Veleidigungen des Vers 
brechers. Chemnitz, 1800. 8. — Lehrbuch des ges 
meinen in Teusfhland gültigen peinlichen Rechts. 

te Aufl. Gießen, 1820. 8. 

Ant. Er. Juſtus Thibaut, Beiträge zur Kritik 
der Beuerbadifchen Theorie über die Grundbegriffe 

- des peinlihen Rechts. Hamb. ıgu2. 8. . 

Kart Srolmann, Grundfäge der Criminal⸗ 
rechtswiſſenſchaft. Gießen, 1798. 8. 3te Aufl. 1818. 
8. — Ueber die Begründung des Strafrechts und 
der Strafgefrbgebung; nebft einer Entwidelung ber 
Lehre von dem Maasflabe der Strafen und. der 

x juridifhen Imputation. Gießen, 1798. 8. 

Eruft Fr. Klein, Grundfäge des gemeinen teuts 
fben und preußiſchen peinlihen Rechts. Kalle, 
1709. 8. Ä 
Karl Aug. Titt mann, Srundlinien der Strafs 

rechtswiſſenſchaft und der teutſchen Strafgeſetzkunde. 

Lpz. 1800. 8. — Verſuch über die wiſſenſchaftliche 

Behandlung des peinlichen Rechts. Lyz. 1798. 8. — 

Handbuch der Strafrechte wiſſenſchaft und der teut⸗ 

ſchen Strafgeſetztunde. 4 Theile. Halle, 1806 ff. 8. 

3. Adam Bergk, die Philoſophie des peinlichen 
Rechte. Meißen, 1802. 8. 

v. Almendingen, Darfiellung der rechtlichen 
Imputation. Bichen, 1803. 8. 

Kari Sal, Zacharia, Anfangsgrände des philo⸗ 

ſophiſchen Criminalrechts. Lpz. 1805. 8. 

Herm. Wilh. Eduard Henke, uͤber den gegen⸗ 
waͤrt. Zuſtand der Criminalrechtswiſſenſchaft. Landes 
but, 1810. 8. — Ueber den Streit der Straf⸗ 
rechtstheorieen. Regensb. 1811. 8 — Grundeiß 
einer Geſchichte des teutſchen peinlichen Rechts und 
der peinlihen Rechtswiſſenſchaft. 2 Th. Sulzbach, 
1809 fe — Lehrbuch der Strafrechtswiſſenſchaft. 
Zuͤrich 1815. 8. 

€. 3.23 Mittermaier, über die Grundfehler 
dee Behandlung des Criminalrechts in Lehr⸗ und 

Strafgeſetzbuͤchern. Bonn, 1819. 8. 


Ye 
256 Staats: und Staatenrecht. 


Martin, !Lehrb. des teutfchen gemeinen Crimi⸗ 
nalrehts. ı Hauptabſchnitt, welcher den allgemeis 
nen Theil enthält. Heidelb. 1820. 8. 

Unter den Philoſophen neuerer Zeit verdie⸗ 
nen befonders verglihen zu werden: Filangieri 
im Syſteme der Geſetzgebung; Jakob in der phis 
lof. Rechtslehre. Kalle, 1794, ©. 306ff. — Hey: 
denreich in f. Staatsrechte; Kant in f. metas 
phyſ. Anfangsgr. der Rechtslehre, ©. 195 ff.; — 
Fichte, in f. Grundlage des Naturrechts, Th. 2, 
©. eff. — Stlo. Ernft Schulze, inf. Leitfaden 
der Entmwidelung der phil. Principien des bürgers 
lichen und peinliben Rechts, ©. 339 ff. — Fr. 
Bouterwek, Lehrb. der phil. Wiſſenſchaften. 2te 
Aufl. (Str. 1820.) 2ter Theil, S. 5334 ff. — Karl 
Theo). Welder, die leuten Gründe von Recht, 
Staat und Strafe ıc. ©. 243 ff. — 


#* 
* * 


. (Heine. Bluͤmner), Entwurf einer Literatur 
des Criminalrechts in ſyſtematiſcher Ordnung. Lpz. 
179} 8. . . 

C. 8. Brunner, Handbuch der Literatur der 
Eriminatrechtewiffenfchaft. ır Th. Bayreuth, 1804. 8. 

G. W. Böhmer, Handbuch der Literatur des 
Criminalrechts, mit befonderer Beziehung auf Cri⸗ 
minalpolitit. Goͤtt. 1817. 8. 

Dom phllofophifhen Criminalrechte; — (eine 
tritiihe Abhandlung) in der Leipz. Lit. Zeit. 1805, 
©t. ı und =. 


\ 
⁊ 


a) Lehre von der rechtlichen Geſtaltung 
des Zwanges und der Strafe im Staate. 
Der rechtliche (d. h. vernunftgemaͤße) Zwang 


kann nur zwiſchen ſinnlich⸗vernuͤnftigen Weſen ſtatt 
finden, die in einem gegenſeitigen Verhaält—⸗ 





Staats. und Staatenrecht. - 257 


niffe von Zmangsredhten und Zwangs- 
pflichten fteben °) | 0 
Der Zwang kuͤndigt füh aber an: 

. 4) als Prävention, d.h. ale Recht des 
Zuvorkommens eber bee Sicherftellung (jus 
präeventionis) gegen eine angedrohrte Rechtsver⸗ 
ketzung, inwiefern die Prävention in dem Rechte bes 
ſteht, den Drohenden in feiner Freiheit fo zu befchrän« 
ten, daß die gebroßte Verlegung ihren Anfang nicht 
nehmen fann. (Die Drohung bewirkt zwar niche 
die Gewißheit, wohl aber die Wahrſcheinlich—⸗ 
keit der Verlegung; doch gibe fhon die Drohung 
das Recht, den angebrohten Anfang der Mechtsver- 
legung zu verhindern.) . En 

2) als Vercheidigung, ober als bay 
Recht, duch Zwang eine angefangene Rechtsver⸗ 
lehung an ihrer völligen Ausführung zu hindern, 
Dies iſt das ſogenannte Recht der Nothwehr 
(jus defensionis, inculpata tutela), welches reche- 
sich nur fo lange dauern darf, als der Angreifende 
in den Kreis unſrer Rechte einzubringen verfucht, und - 
auh nur fo weit reihen darf, als nöthig ift, ben 
Angriff auf unfre Rechte abzuhalten und zuruͤck zu 
weilen; _ u 
3) als Wieder herſtellung des verletz⸗ 
ten Rechts (jus restitutionis in integrum), wo, 


- 


. 


“ w 





*) Dadurch wird der Zwang gegen Thiere von 
dem philofophifchen Strafrechte ausgeſchloſſen. — 
Eben fo wenig fann es einen Zwang in Hinſicht der 
Pflichten der Güte (oflicia imperfecta) geben ; nur 

: ben. Pfligten der Gerechtigkeit (officia perfecta) 
entſprechen Zwangsrechte. 
1. 4 \ 


238 Etaats- und Staatenrecht. 


nah vollbradjrer Rechtsverletzung, ber Rechtsver⸗ 
(egende durch den Zwang genöthigt wird, entiweber 
vollfommene Genugthuung, oder doch Schaden- 
erſah zu leiſten, fobald bas verlegte Recht nur burch 
einen Gegenftand von ähnlichen Werthe ausgeglichen 
werben fann, - | ’ 
Diefe drei Arten bes Zwanges werben von 
der Vernunft dem Menfchen urfprünglid (d. & 
ach der urfprünglichen Eimichsung feiner Natur, 
noch vor feinem Eintritte ins Staatsleben) zuerfannt, 
weit fie fich auf die, von der Vernunft unbebingg ge⸗ 
forderte, Aufrechthaltung des Gleichgewichts, der 
Rechte in. dem außern freien Wirkungskreiſe der wer 
tragsmäßig verbundenen ſittlichen Wefen gründen. . 
. . : &o.mwie nun der Menfch bei feinem Einfritte in 
den Staat bie ürfprünglichen Rechte feiner Harur in 
die bürgerliche Gefellfchaft mitbringt, und ſte, in 
derfelben , durch den Staatsgrundvertrag ficher fell; 
fo bleibe ihm auch das Recht zu zwingen in der 
bürgerlichen Geſellſchaft, da er in derſelben weder 
rechtlos, noch mehr - und ſchutzlos werden darf. Ailcin 
. weil der Staat als Rechesgefellfhaft durchaus, nicht 
beftehen koͤnnte, wenn in demfelben bas Individuum 
die’ drei aufgeftellten Arten des Zwanges felbft aus: 
üben wollte;_ fo wird das Zwangsrecht des 
Yndividuums, beim Eintritte in den Staat und 
bei der Annahmedes Staatsgrundvertrages, auf Hie 
ganze Rechtsgefellfhaft übergetragen, 
ben einzigen Fall der unmitselbaren Noth- 
wehr gegen einen .widerrechtlishen Angriff in den fel- 
tenen DVerhältniffen ausgenommen, wo ber Staat 
nicht felbft die Abwehr diefes Angriffe bewirken kann 
(4. B. wenn Diebe einfteigen, Mordbrenner Feuer 
anlıgen, Räuber den Wagen auf der Straße anfallen 


\ 


Staats- und Staatenrecht. 254% 


wollen), Doch gelten für biefen Ball die beiden auf | 
geftellten Bedingungen des Rechts der Nothwehr. 


246% 
Fortſettzung. 


Der Zwang im Staate muß, nad) ben drei ent⸗ 
widelten Begriffen, theils als Prävention, als 
Etrafandrofung, bei angedrohter und bevorftehender 
Rehrsveriegung, theils als Vertheidigung bei einge» 
tretener und begonnener Rechtsverlegung, theils, 
nad) vollbrachter Rechtsverlegung, als Wiederein» 
fegung des Beleidigten in den vorigen Rechtszuftand, 
oder , Dafern dies nicht möglich iſt, als Erfag für den 
erlittenen Schaden ſich anfündigen. | 

Allein dadurch wird das Wefen der rechtlichen . 
Geftaltung des Zwanges im Staate noch nicht erſchoͤpft, 
weil die Strafe im bürgerlichen a t blos 
ans der Bedrohung und Berlebung des 
Rechts der Individuen, fonbern zugleich 
aus der Bedrohung und Verlegung des 
Zwedes ber ganzen bürgerlihen Gefell«- 
fhaftabgeleitetwerdenmuß. Weil nämlich 
durch eine mit Freiheit vollbrachte Rechtsverlegung im 
Staate nicht blos das Individuum in feinen Rechten 
beeinträchtigt, fondern auch der Zwed der ganzen 
Rechtsgeſellſchaft ſelbſt — die Herrfchaft des Rechts 
— bedroht oder verlegt wird; fo muß der Zweck der 
Strafe, außer ber rechtlichen Ahndung bes verletz⸗ 
ten Rechts, zugleih die Herftellung und 
Sicherung der bedrohten oder erfchütter- 
ten Herrſchaft des Rechts im Staate felbft 
umfchließen. Der Zweck der Strafe im Staate fann 
daher nur aus dem Zwecke bes Staates abe 

17° 


260: Staats- und Staatenrecht. 


geleitet werben, weil, der Zwang im Staate blos 
als Mittel zu diefem Zwecke ſich verbale, und nur 
aus Diefem Gefihtspuncte — daß er ein rahtliches 
Mittel zu einem rechtlichen Zwecke ift — richtig und 
erfchöpfend aufgefaße, und nach feiner Abhängigkeit 
von dem allgemeinen Staatszwede bargeftellt werden 
kann. Nach diefen Beftimmungen fegt die Vernunft 
den Zwed der Strafe im Staate in die rechtliche 
Herftellungder Herrſchaft des Rechts und 
des verlegten Gleichgewichts der äußern 
Freiheit durch Ahndung des verlegten Rechts an 
dem Verbrecher, vermittelft eines demſelben zugefüg- 
ten finnlichen Uebels. ‘Der Zmed der Strafe ift alfo 
weder blos Prävention, noch Wiederherftellung des 
verlegten Rechtszuftandes und Erfag, obgleich diefe 
Zwede nicht ausgefchloffen, fonvern in dem hoͤchſten 
Zwede be; Strafe als einzelne Beftandtheile aufge: 
nommen Meden. Der Zwed der Strafe befteht aber 
auch weder zunächhft in der Abſchreckung durch An⸗ 
drohung einer Strafe vermittelt eines Strafgefeges, 
noch zunaͤchſt in der fittlihen Wiedervergeltung der 
begangenen Handlung, noch zunächft in der Beflerung 
des Verbrechers. 
Sofl übrigens die Strafe im Staate rechtlich 
geftaltet ſeyn; fo muß fie auh in einem Strafge 
fege beſtimmt ausgefproden, und — um alle 
Willkühr des Richters zu verhindern — nur Praft 
dieſes Strafgefeges an dem Verbrecher vollgogen 
werden. Doch ift, nicht das vorhandene Strafgefeg 
der Kehtsgrund der Strafe, weil fonft afle ftraf- 
bare Handlungen, die nicht mit einem Strafgeſetze 
belegt find, im Staate ungeftraft bleiben müßten. 
Vielmehr ift Die Verlegung der Herrfhaft 
bes Rechts im Staate, als bes böchften Zweckes 





Staats» und Staatenredht. . 261 


der bürgerlihen Gefellfehaft, durch eine ftrafbare 
Handlung der Grund, weshalb Strafgefege als 
Mittel im Staate beftehen, jenen hoͤchſten Zweck 
zu erhalten und zu fihern, und weshalb das einzelne 
Strafgefeg auf den beſondern Fall angewandt wird. 


Das vorhandene Strafgefes hat daher die Beſtim⸗ 
mung, tbeils für den, der die Mechte Andrer ver- . 


legen will, im Voraus das Uebel zu bezeichnen, das 
ibm als Strafe fir Die Rechtsverlegung unnachlaͤßlich, 
wiereohl in ftrenger Angemeffenheit zu der vollbrachten 
That, zuerfanne wird; theils für den Richter den 
unveränderlichen rechtlichen Maasſtab zu enthalten, 
nad) welchem er die ftrafbare That beurtheilen und mit 
einem finnlichen Uebel belegen fol. ‘Der allgemeine 
Rechtsgrund der Strafe, nad) ber Vernunft, ift 
alſo weder zunaͤchſt Die Verlegung eines Strafgefeges, 
noch. zunaͤchſt die ftrafbare Handlung felbft, fondern 
der verlegte Zweck des Staates durch die ftrafbare 
Handlung; denn nur aus diefem Rechtsgrunde — 
der auf dem unerfchütterlichen Zwecke des Staates 


ſelbſt beruht — kann fih das Strafrecht des 
Staates nachweiſen laſſen, und dag, mas die Ver 


nunft als rechtlichen Zwang zwifchen den Individuen 
anerfennt, zu einem allgemeinen rechtlichen Sträfs 
gefege im Staate erhoben werden. 
oo. 
47. 
Meberfiht über die wichtigſten Straf 
rehtstheorieen. 


Bei folgerichtiger pbilofophifcher Forfhung muß 
die Begründung des philoſophiſchen Strafrechts von 
der Begründung. des Natur» und Staatsredhts über- 
haupt abhängen. Wird in.der Begründung des. Na⸗ 


— 


% 


202 Staats- und Staatenrecht. 


fur » und Staatsrechts von der ſittlichen Geſetzgebung 
der Vernunft und von dem nothwendigen innern 
Zufammenbunge' zwifchen Pflicht und Recht ausge- 
gangen; fo muß auch das philofophifche Straf: 
recht fih rücdwärts auf die Freiheit im Men- 
fhen, als ben legten Grund jeder erfcheinenben 
ftrafbaren Hanblung, ftügen, und verlangen, daß zür 
Beſtimmung der Strafe — fo weit es möglid) ift — 
der Zufammenhang ber Freiheit des Willens mit der 
vollbrachten That ausgemittelt, und bie Strafe nach 
dbiefem Verhältniffe ausgefprochen und vollzos 
gen werde. — Wird aber das Natur» und Staats- 
recht blos als die wiffenfchaftliche Darftellung von 
Zwangsrechten überhaupt behandelt, fo daß man 
zwar, bei der rechtlichen Geftaltung des äußern Wir- 
Pungsfreifes, die Innere Freiheit nicht abläugnet, fie 
aber, als ein unerforfhbares Noumenon, 
auf fich beruhen läßt, und ſich einzig an die im 
uͤnßern Wirkungskreiſe erfennbare Freiheit 
(als Phänomenon) hält; fo wird aud) , bei der 
Begründung des Strafrechts im Geifte-jener Anficht, 
nur zunaäͤchſt die That (niche die innere Gefinnung, 
welche derfelben vorausging,) beruͤckſichtigt, und diefe 
unter das vorhandene Strafgefeß gebracht erden. 
Ä Abgefehen davon, daß in neuerer Zeit die letzter e 
Anfiht die Herrfchendg geworben ift, kann nicht 
verfannt werden, daß fie zugleich die bequeniere 
und leichtere ift fir die Entfcheidung über Ver- 
brechen und für den Gerichtsbrauh; auch darf nicht 
geläugnet werden, daß die erftere, wenn fie völlig 
folgerecht angewandt werden ſoll, nicht ausreicht für 
ben Zwed des Staates, als einer aͤußern Rechtsge⸗ 
ſellſchaft, und fir den aus jenem Zwede nothiwenbig 
hervorgehenden Zweck der Etrafe. Man kann , um 


Staats: und Staatenrecht. 263 


einer kurzen Bezeichnung fich zu bedienen... bie - 
Theorie, welche der erftern Anficht folger, und zus’ 
nacht das Subject bes Verbrechers beruͤckſichtigt, 
die ſubjective Strafrechtstheorie, Die aber, welche: 
auf die zweite Anfiche ſich flüge, und zunachft an . 
die flrafbare Handlung, an bas Object, fih hält, 
die objective Strafrechtstheorie, hingegen die, 
welche beide Anfichten in der wiflenfchaftlichen 
Darftellung des Strafrehts verbindet (und welde 
bier befolgt wird), Die fubjeetiv-objective Theo- 
rie nennen, weil fie zwar zunächft von der innern 
Freiheit des Verbrechers ausgeht, und darnach die, 
Strafwuͤrdigkeit des Verbrechers beftimme, zus . 
gleich aber, geftugt auf diefe Strafwuͤrdigkeit, über 
die Strafbarkeit der Handlung in Angemeffenpeit 
zu den beftehenden Strafgefegen entfcheidet. 
Db nun’ gleich theils die fubjective, theils bie 
objective Strafrechtstheorie in vielfachen einzelnen 
Scattirungen, bald mit wefentlichen, bald mit un« 
wefentlichen Abweichungen, von einzelnen denfenden 
Männern dargeftellt worden iſt; fo laffen ſich doch ‘ 
beide unter zwei Hauptanfichten im Allgemeinen 
bringen, wornad) 
a) die fubjective Strafrechtsrhegrie 
entweder 4) als Wiedervergeltungss 
oder 2) als Befferumgstägorie, und 
B) die objective Strafrechtstheorie 
entweber 1) als Abſchreckungs⸗ 
oder 2) als Präventionsirheurle.. - © : 
erſcheint. In dent philoſophiſchen Strafrechte koͤnnen 
aber dieſe Theorieen nur im allgemeinften Ums 
riſſe (moͤglichſt treu mit den Worten ihrer Urheber) 
dargeſtellt, und mit einer kurzen Prüfung der. 


264 | Staats» und Staatenrecht. 


aufgeſtellten Lehren verbunden werben. Die vollige 
Durchführung, berfelben im Einzelnen gehört zu- 
nächft ins Gebiet und an den Eingang | ber pof iti— 
ven Strafrechtswiſſenſchaft. 


a) Die fubjective Straͤfrehtetheorie. 


\ 48. 
4) Die Wiedervergeltungstheorie 


Das Strafrecht iſt das Recht des Befehlshabers 
‘gegen ben Unterwürfigen, ihn wegen eines Verbre- 
chens mit einem Schmerze zu belegen. Die richter- 
liche Strafe kann aber nur deshalb wider den Ver- 
brecher verhängt werden, weil er verbrochen hat. 
Strafe erleidet daher das Individuum, nicht weil 
e8 die Strafe, fondern weil es eine ſt raf⸗ 
bare Handlung gewollt hat. Das Strafgeſetz 
iſt ein kategoriſcher Imperativ; denn wenn die Ge⸗ 
rechtigkeit untergeht, ſo hat es keinen Werth mehr, 
daß Menſchen auf Erden leben. Die Strafe wird 
- alfo nicht verhängt wegen der Sicherheit der bürger- 
lichen Gefellfchaft, nicht wegen des Wohles des Ver: 
brechers felbft, noch wegen eines andern Grundes, 
fondern einzig deshalb, weil fie die noth wen⸗ 
dige, durch die Gerechtigkeit gebotene, 
Felge des Verbrechens iſt. Die oͤffentliche 
Gerechtigkeit kann aber für die Art und den Grad 
ber Beſtrafung keinen andern Grundſatz aufſtellen, 
als den Grundfag der Gleichheit, im Stande bes 
üngleins an der Wage der Gerechtigkeit; alſo: 
as fuͤr unverſchuldete Uebel du einem Andern im 
- Molke zufuͤgeſt; das thuſt du dir ſelbſt an. Beſchimpfſt 
du ihn; ſo beſchimpfſt du dich ſelbſt. Veſtiehiſ du 


Staats» und Staatenrecht. 265 


Ihn; fo beſtiehlſt du dich ſelbſt. Schlaͤgſt bu Ihn; fo 
chlaͤgſt du dich ſelbſt. Toͤdteſt du ihn; fo toͤdteſt du dich 
—* Nur das Wiedervergeltungsreht(jus 
talionis), aber wohl zu verſtehen, vor den Schran⸗ 
‚fen des Gerxichts, nicht in dem Privaturtheile, 
kann die Qualität und Quantität der Strafe beftimmt 
angeben; afle andere find hin und ber fhman- 
fend, uud koͤnnen, anbrer ſich einmifchender, Ruͤck⸗ 
fichten wegen, feine Angemeffenheit mit dem Spruche 
der reinen und ftrengen Gerechtigkeit enthalten. Die 
Gleichheit der Strafen, Die allein nach) dem ftrengen 
Wiedervergeltungsrechte möglich iſt, offenbaret fih - 
aber daran, daß nur dbadurh im Verhältniſſe 
zuderinnern BösartigfeitderVerbredher 
die Strafe ausgefprochen wird. | . 
©. Kant, in den met. Anfangsgr. der 
Rechtslehre, ©. 195 fr. Schon Jakob 
fteflte in fs philof. Rechtslehre den Sag auf: 
„daß die Strafe moralifche Vergeltung ſey.“ — 
“ An Kant fchloffen fi an: J. Heinr. Tieftrunf, 
in den philof, Unterfuhungen über das 
privat-undöffenelihe Recht, 2 Th. Halle, 
4797. 85 Bergk (mit einigen Abweichungen) 
in der Philof, des peint. Rechts, und Za⸗ 
hariä in’den Anfangsgründendes Cri— 
minalrechts. — Selbft Bouterwef nimmt 
eine modifichrte Wiedervergeltungstheorie an. 


40. 
Prüfung berfelben., | 


Die Wiedervergeltungstheorie behauptet das 
große Verdienſt, daß fie auf die Freiheit des Men- 
ſchen, auf die innere Triebfeder der ftrafbaren Hand⸗ 


s 


266 Staats » und, Stqatenrecht. 


lang ſich gründet, und darnach den Grad der Schuld, 
und die Art und Weife der Strafe beftimmt; daß fie 
alfo von der reinen Vernuaftidee der Gerechtigkeie 
ausgeht, und jebem ganz Das zutheilen will, was 
feine Thaten verdienen. Sie erhebt dadurch den 
Staat zu der Beſtimmung, die fitslihe Ordnung auf 


- Erden darzuftellen, welche im Weltganzen, unter ber 


geitung ber höchften Gerechtigkeit Gottes, als voll 
kommene Ausgleihung zwiſchen Verdienſt und Be⸗ 
lohnung, und zwiſchen Verſchuldung und Strafe in 
der Idee angenommen wird... 

Allein in ihrer Anwendung und Ausfüh- 
eung im Staate muß die Wiebervergeltungstheorie 
hinter der Idee der Vernunft zurüdbleiben. Schon 
an ſich kann das Strafgefeg nicht als fategori- 
ſcher, d. h. unbedingt geltender , Imperativ, wie das 
Sittengeſetz, gedacht werden, weil Zwang und Strafe 
nur Mittel zum Zwecke des Staates, nicht Zweck 
ſelbſt ſind. Das Strafgeſetz iſt daher nur ein be— 
dingter (hypothetiſcher) Imperativ, der blos dann 
eintritt, wenn eine Verletzung des Staatszweckes vor⸗ 
ausgegangen iſt. Was aber die ſittliche Wiederver⸗ 
geltung ſelbſt betrifft; ſo kann allerdings ohne dieſelbe, 
d. h. ohne die unbedingt angemeſſene Ausgleichung 
des Verdienſtes mit der, Belohnung und der Ver— 
fhuldung mit der Strafe, die fittlihe Weltord- 
nung nicht gedacht werben; nur daß die Verwirk⸗ 
lihung diefer großen dee auf Erden und von end« 
lichen Wefen nicht möglich if. Sie bleibt das Werk 
der Allwiffenheit, der Allgerechtigfeit und Allmacht 
Gottes. Doch) geht aus der Wiedervergeltungstheorie 
fo viel für die phitofophifche Begründung des Straf: 
rechts im Staate hervor, daß Die ganze Geſtaltung 
bes Staates, in Beziehung auf die Herrfchaft bes 





Staats» und Staatenrecht. . 267 | 


Rechts, von der Art ſeyn foll, daß die fi innlich⸗ ver⸗ 
nünftigen Weſen, welche im Staate leben, durch 
den Staat, nach deffen Zwecke und nad) ben in feiner 
Mitte vorhandenen Bedingungen für die Erreichung 
biefes Zwedes, zur ſitt lichen Mündigfeitge . 
führe, und in allen ihren Verhälniffen — mitpin 
auch in den von ihnen vollbrachten Redhtsverlegüngen, 
— als fitelihe Wehen, und zwar nad) ber that 
fachlihen Anfündigung ihrer ſittlichen Mundigkeit 
- oder Unmuͤndigkeit, behandelt werden. 

Ob nun gleich zunächft die äufiere rechtswidrige 
That als ftrafbar fi) anfündigt, und unter das 
Strafgefes gebracht werden muß; fo foll doch, fo weit 
e8 zu erforfchen möglich ift, diefe That auf die ihr 
vorausgehende innere Gefinnung und. Triebfeder zu« 
rücdgeführe, unb nach biefem Maasftabe die Art und 
der Grad der Strafe beftimme werden; denn ſelbſt Die 
Stimme des Gewiffens in dem Verbrecher 
bürge für dieſen Zufammenbang zwiſchen der unfitt« 
lichen Gefinnung und der ftrafbaren That. Kann 
übrigens die Strafe nicht in der Zufügung eines völs- 
fig gleichen Uebels beftehen; fo muß, nad) diefer 
Theorie, an die Stelle derſelben ein ber Art und der 
Größe nad) möglichft gleiches Uebel treten; nur 
baß freilich Die fe Zutheilung der Strafe Die genauefte 
Erforfhung der Empfänglichkeit des ftrafbaren Indi⸗ 
viduums für die verfchiedenen Arten des Schmerzes 
vorausfegt, weil, ohne dieſe Erforfchung, die Gleich⸗ 
beit ywifchen der über ben Verbrecher zu verhängens 
den Strafe und dem Uebel, das er Andern zugefügt 
bat, nicht möglich ift, und Doch auf diefer Gleichheit 
der Grundcharafter der Theorie felbft beruft. — 
Sollen endlich die Strafen dem begangenen Verbre⸗ 
hen völlig gleich kommen; fo müßten auch auf un. 


\ 
\ 


* 


® u . 
268 „Staats, und Staatenredt. 


menfchliche Verbrechen unmenfchliche Strafen gefege 
werden — 
E— 50. \ 

2) Die Befferungstheorie, 


Die Beflerungstheorie entfprang theils aus ber 
völlig gerechten Nüge der Härte der ältern pofitiven 
Eriminalgefege; theils aus religiöfen Gründen; 
theils aus ber Wahrnehmung der wirklichen Beſſe⸗ 
rung einzelner Verbrecher. Thatfachlich ward fie 
verfucht in der milden Gefeßgebung Leopold 2 in. 
Toffana , wo namentlich Die Todesftrafe ganz aufges 
hoben ward, und in den norbamerifanifchen Sreiftaa- 
ten; doch bat man in den leßtern fpäter Die Leberzeu- 
gung gewonnen, daß man mit der Beflerungstheorie 


Inder Wirklichkeit nicht ausreicht. - 


Dbgleich die Beflerungstheorie nad) ihrer Be⸗ 
gründung und nach ihrer Durchführung fehr verſchie⸗ 
den geftaltee werden kann; fo ift Doch der allgemeine 
Grundfaß, von welchen fie ausgeht, ber, daß jedes 
finnlich.- vernünftige Weſen, welches ein Verbrechen 
begangen hat, diefes Verbrechens ungeachtet ein Wefen 
ift, Das, nad) dem vervollfommnungsfähigen Charaf- 
ter feiner Natur, der fittlichen Beſſerung, d. h. der 
völligen Weränderung und Umbildung der unlaus 
tern Triebfeder fähig bleibt, aus welcher die ftrafbare 
That hervorging. Es muͤſſe daher auch die Strafe 
von ber Art feyn, daß fie entweder diefe Beflerung 
felbft herbeiführe und bewirkte, ober daß doch bie 
Beflerung als der Maasftab zur Beſtimmung der 
Dauer der Strafe gebraucht werde, weil eine Strafe, 
welche hinreicht, den Verbrecher. zu beffern, auch als‘ 
der inneren Schuld befielben vollkommen angemeflen 


Staats» und Staatenrecht. 269 


zu betrachten fen, und zugleich bie gefammte Neid» 
gefellfchaft vor mweitern Verbrechen deffelben Indivi- 
duums ficher ſtelle. Diefe Theorie verlangt daher, daß 
man alles entferne, was zur Begehung eines WVerbre⸗ 
chens verleiten kann, daß man ben Hang dazu vertiige, 
daß man an ber Wohlfahrt des Verbrechers ſelbſt ein 
aufrichtiges Intereſſe nehme, und ihn zu überzeugen 
fuche, daß die Uebel, welche ihm zugefügt werden, 
bios eine unabmenbbare Folge feines Verbrechens ſind. 
Als Hauptfärift gehört Sicher: 
Ernt Spangenberg, über die ſitttiche und 
bürgerliche Beſſerung der Verbrecher mittelft des 
Mönitentiarfyftems , als den Eingigen zuläfigen Zumal 


jeder Strafe. Frei nad dem: Eesliſchen des nel c. 
dandeh. 1821. 8. 


Be 


X4 
3 


.51. 
Prüfung. derfeiben. 


“yes 


die Befetung in Fir —* — theils von. po- 
Zwede der rechtlichen Ahndung der Polizeivergehen 
(3. B. wenn ſich Einer beraufcht hat und auf ber. 
Straße Händel anfängt) unterfchieden werden, weil 
Die letztern Feine eigentlichen Kechtsverlegungen in. 
fich begreifen , und ihre Beftrafung die Beflerung des 
Berirrten nicht nur nicht hindern ‚ fondern ſogar er⸗ 
leichtern und befördern fol, - 


Die Strafe im Staate aber , welche wegen ange⸗ 
drohter, oder vollbrachter Kechtsverlegung ausgefpro- 


L 


270 | " Staats: und Staatenrecht. 


chen und vollsogen wird, kann an fich bie Beſſerung 
des Verbrechers nie berücfichtigen; nur daß, bei Zu- 
‚ teilung von Strafen auf geringere Verbrechen (z. B. 
- bei Gefängniß- oder Zuchthausſtrafe) die Beſſerung 
— geradezu gehindert und unmoͤglich gemacht wird. 

enn das verlegte Recht des Individuums, fo wie 
bie geſtoͤrte Herrſchaft des Rechts im ganzen Staats- 

eine, kann nur durch die Abbuͤßung der rechtlichen 
Strafe, welche auf das Verbrechen geſetzt iſt, ausge⸗ 
glichen und dadurch die Herrſchaft des Rechts von 
denem geſichert werben. — Selbſt wenn bie Beſſe— 
cungstheorie blos auf die Dauer der Strafe bezo⸗ 
don werden follte, wuͤrde dadurch cHeils fehr oft der 
Maasſtab der firengen Gerechtigkeit verlegt werden 
(wenn 5. B. eine Strafe, die gefeglich zehn Jahre 
dauern: follte, der Befferung wegen auf fünf Jahre 
vermindert würde), theils die Beurtheilung, ob ber 
Verbrecher wirklich durch die bereits abgebüßte Straf: 
zeit gebeffert worden fey und ihm die übrige Dauer der 
Strafe erlaffen werden fönne, großen Sthwierigfeiten 
unterliegen, und der Heuchler nicht felten die Richter 
täufchen. Deshalb verlangt es die Gerechtigkeit, daß 
bie zuerfannte Strafe ganz in Angemeffenbeit 
zu dem Verbrechen abgebüßt werde, obgleich die 
Strafanftalten im: Staate von ber Beſchaffenheit 
feyn follen, daß der aufbewahrte Verbrecher nicht noch 
verborbener in denfelben und für Die Zeit feiner Ent 
laffung dem Staate noch gefährlicher werde, als zu- 
vor; daß aber aud) eben fo wenig fein Schidfal in 
der Strafanftale in dem Grade milde und günftig ' 
ſey, daß er Deshalb neue Werbrechen begeht, um wie- 

der in dieſe Anftalt zu kommen. | 


Staats- und Staatenrecht. 274 

B) Die objective Strafrehtsthenrie. : 
| 2. . 5 | 
2 Die Abſchreckungstheorie. 

Die bürgerliche Strafe ift in vom Staate 


wegen einer begangenen Rechtsverletzung zugefügtes, 


durch ein Strafgeſetz vorher angedrohtes Uebel.; Die 
bürgertiche Strafe muß aber einen rechtlichen Grund 


haben, und diefer beruht auf dem Rechte der Sicher⸗ 


ſtellung bes Staates. Allein dieſe kann nur erreiche 
werden, wenn der Staat durch pſychologiſchen 
Zwang :verhindert, Verbrechen zu begehen, und 
diefe Verhinberung wird erfolgen, wenn jeder Bür- 
ger uͤberzeugkt iſt, daß auf die Rechtsverletzung ein 
größeres Uebel erfolgt, als das ſinnliche Beduͤrfniß 
und die Begierde groß war, eine Rechtsverlegung zu 
begehen. Dieſe Ueberzeugung kann aber nur Dadurd) 
bewirkt werden, daß Die Verknuͤpfung des Uebels mit 


bem Verbrechen durch ein Befeg angedroht. 


wird. Der Zweck des Strafgefeßes iſt demnach 
Abſchreckung, ber Grund der Zufugung der Strafe 


aber die Verwirklichung des Strafgefetzes. Es iſt 


alfo der Zweck der bürgerlichen Strafe weber Befle- 
rung ; noch Vergeltung ‚no die Abfıhredung Ande⸗ 
rer durch die Vollziehung der Strafe, Daraus folgt, 


daß die bürgerliche Strafe nur aus und nach.einem - 


Strafgefeße verhängt werden, und daß der Staat 
blos Rechtsverletzungen, ats folche, ſtrafen kann; daß 
bie bürgertiche Strafe verſchieden ift. von der Rache, 


die ohne einen rechtlichen Grund ausgeübt wird; daß 


aber aud), bei der Beftimmung der Strafbarkeit 


einer. Handlung, nie der fubjective Grund 


I 


ber Freiheit des Handelnden berüdfichtige . 


272 Staats: und Staatenrecht. 


werben darf, weil die Freiheit fl das. äu— 
ßere Recht als nicht vorhanden betrachtet 
werdenmuß, ſondern blos der objective Grund 
der Strafbarfeit, der auf. der Thatſache beruft, 
welche unter dem Gefege enthalten if. Daraus er- 
gibt ſich der doppelte Grundſatz: Jede Strafe iſt nur 
infofern gerecht, als ſie dazu bient, bie Gefahr für 
den rechtlichen Zuſtand des‘ Staates abzuwenden; 
und: Je größer die Gefahe für, den rechtlichen Zu- 
fiond iſt; deſto groͤßer iſt die aͤußere Strafbarkeit. 

Der Begruͤnder dieſer Theorie iſt Feuerbach, 

welchem, mit einzelnen Abweichungen, ſehr viele 
der neuern Strafrechtslehrer folgen. Vgl. Die da⸗ 
hin gehörenden Schriften $. 44., und beſonders 
KThibauts geiftvelle Kritik dieſer Theorie. 
W 53. et 
Prüfving derfelben. - 

Nah der Vernunft ift allerdings jede bürger- 
liche Strafe ein vom Staate wegen einer. begangenen 
Rechtsverletzung zugefügtes Hebel; allein zum Wefen 
der ‚Strafe felbft gehört es nicht, daß fie durch ein 
Geſetz angedroht werbe, Denn. obgleich für jedes 
Verbrechen im Staate in dem Gefegbuche des Straf: 
rechts ein Strafgefeg da fen foll, und namentlich fein 
pofitines Strafrecht ohne ein vorhandenes Straf: 
gefeg gebacht werden kann; fo geht doch an fich der 
Begriff und das Weſen der Strafe nie aus bem 
Geſetze, fondern aus der Vernunft hervor, d. h. aus 
der nothwendigen Verknuͤpfung eines finnlichen Uebels 
mit einer ftrafbaren Handlung nad) der ewigen dee 
der Gerechtigkeit. - Denn follte die Strafe nur. auf 

"das vorhandene Strafgrfeg fih.gründen; fo würde | 


Etaats« und Staatenrecht. 273 


jedes Verbrechen im Staate unbeftraft bleiben müffen, 
das nicht durch ein Gefeg mit Strafe belegt wäre; ja 
es wide eine ſtrafbare Handlung gar nicht ein Ver⸗ 
brechen genannt werden fönnen, die nicht als folche 
dur) Androhung einer Strafe bezeichnet wäre. Nach 
der Abſchreckungstheorie gibt es alfo Fein Verbrechen 
an fi, fondern nur diejenige Handlung ift Verbre: 
hen, weiche der Geſetzgeber mit Strafe bedroht. Dies 
würde aber, folgerichtig durchgeführt, den druͤckendſten 
Defpotismus befördern (3. B. wenn in irgend einen 
Strafgefegbuche die Ausübung des Eultus der Pro» 
teftanten mit dem Feuertode — man denke an Huf, 
an die Verdammungsbulle Luthers — belegt würbe)!. 
— Wenn ferner auch aus dem Zwecke des Staates. 
und der Strafe nothwendig hervorgehet, daß Rechts⸗ 
verlegungen verhuͤtet werben follen; fo ift doch der 
Grundfag der Abfchrefung durch pfuchologifchen 
Zwang mit der Vernunftibee der Gerechtigfeit unver- 
einbar; denn nad) diefem Grundſatze wird nicht aus 
dem Verhältniffe der ftrafbaren Handlung zur ewigen 
Idee der Gerechtigfeit die Strafe abgeleitet, ſondern 
aus einem angebrohten finnlichen Uebel, das 
mit der Begehung der Handlung verbunden wird, um 
dadurch die rechtswidrige Begierde zu unterdrüden. — 
Da weiter die Menfchen in pſychologiſcher Hin- 
fihe unendlich verfchieden find, und, nach ber 
Erfahrung, die härteften Strafen die Vollbringung 
der Verbrechen off nicht verhüten,, ja felbft die Zahl 
derfelben nicht vermindern fönnen; fo muß entweder, 
nach der Verfchiedenheit der Individuen, auf ein und 
daſſelbe Verbrechen eine fehärfere und eine gelindere 
Strafe gefegt, vder dem Richter die pfychologifche 
Beurtheilung und Entfheidung überlaffen, oder über - 
haupt, der Eicherftellung des Staates wegen, jedesmal 
J. 18 


. 374 Staats =" und Staatenrecht. 

zu den härteften Strafen gefchritten werben; oder es 
müßten alle diejenigen ungeftraft bleiben, bei deren 
Gleichgültigfeit gegen die angedrohten ftrengften Straf: 
übel der Zwed der Abſchreckung durch die Strafe nicht. 
erreicht würde. Die beabfichtigte Abſchreckung Anbrer 
aber durch die Strafe, vennder Verbrecher felbft 
dadurch nicht abgeſchreckt werden fönnte, 
wuͤrde den Staat in den Fall bringen, einen Menſchen 
als Mittel zu gebrauchen (ſelbſt zu verbrauchen), 
um den vorgeſetzten Zweck bei andern Staatsbuͤrgern 
zu erreichen, fo wie überhaupt die fortdauernde Noth⸗ 
wendigfeit der Anwendung der Strafen den Beweis 
enthält, daß der eigentliche Zweck der Abfchredung 
im Öanzen nie erreicht wird. — Da endlid. 
die Abſchreckungstheorie auf die innere Freiheit des 
- Handelnden und auf die. Triebfeder , die ihn bei dem 
Verbrechen leitete, gar nicht Rücfiche nimmt, fondern 
blos an die Thatfache und an den Thatbeſtand bes 
Verbrechens fih halt; fo erleichtert fie zwar dadurch 
von der einen Seite die Entfcheidung der Strafe, 
verftöße aber von der andern gegen das. Vorhanden⸗ 
feyn der fietlichen Freipeit im Menſchen; berüdfichtige 
ausfchließend das finnliche, mithin das niedere 
Beftrebungsvermögen im Menfchen, ohne das ver- 
nünftige, oder höhere, in Anfchlag zu bringen; ver- 
hindert die Ausmittelung der oft fo. fehr verfihie- 
denen fubjectiven Grade der Strafmur 
digkeit, und der Zurechnung, und fieht fich genoͤ⸗ 
t)igt, in den meiften Fällen die ftrengften und härteften 
Strafen anzumenben. 


N 
Y 


‚Staats « und Staatenreche. 275 


En 
2) Die Präventionstheorie 


- Die Präventionstgeorie beruht auf folgenden 
Gin: 


‚ Aller rechtliche Zwang gegen Andere wirb da» 
durch begründet, daß derjenige, gegen weichen er, 
ſtatt finden fol, ein Hinderniß dev allgemeinen geſetz⸗ 
lichen Freiheit geworden iſt; fo: wie ber Zweck, zu 
weichem ber. Zwang ausgeuͤbt wird, durchaus nur 
dahin gehet, daß dieſes Hinderniß entfernt werbe. 
Soll Daher die Strafe als ein re Zwangs⸗ 
mittel erſcheinen; fo muß ſie daburch rechtlich. begruͤn⸗ 
det ſeyn, Daß der, gegen welchen fie ſtatt finden foll, 
ein Hinderniß der allgemeinen Freiheit geworben iſt; 
fie muß den Strafbaren treffen, weil er fie dadurch 
verſchuldet hat, daß er, unter biefen: Umftänden, nicht 
zu einer Gefellfchaft freier Wefen paßt; fie muß aber 
auch zugleich nur den Zweck haben, daß jenes Hinber- 
niß der Freiheit aufgehoben,. und der vollfiommene 
Rechtszuſtand wieder bergeftellt werde. Die Strafe 
nun, die weder bios Nochtgehr, noch Entſchaͤdigung 
feyn darf, kann, wenn fie nicht aus der Reihe der 
vechtlichen Zwangsmittel ausgeftricher werden ſoll, nur 
unter dem Zwange zur Prävention begriffen 
ſeyn, und Prävention als ihren rechtlichen 
Zwed erkennen. Sierburch wird feinesweges be 
hauptet, daß jebes Präventionsmittel den Ramen 
®&trafe verdiene, fondern nur, daß jede Strafe, 
infofern fie als ein vechtliches Zwangsmittel betrachtet 
werden fol, eine Art der Prävention ſeyn müfle. Sol - 
aber ein Präventionsmiltel den Namen Strafe ver 
dienen; fo muß 1) die rechtliche Strafe ein ſinnliches 
Uebel.fegn ,. welches dem Menſchen Barum zugefügt 

4 8 » 


I 


176 ‚Staats » und Staatenrecht. 


wird, weil er daffelbe rehtlih verdiene 
bat; und fo fann fie 2) feinen andern Zweck haben, 
als fünftige angebrohteRechtsverlegungen 
zu verhüten. Denn das Beſtehen des rechtlichen 
Zuftandes unter den Menfchen erfordert ein ſtetes Be 
ftimmtfeyn ihres Willens für das Rechtsgeſetz, ohne 
doch dabeibie innere Triebfeder dieſes Wil— 
lens zu berückſichtigen. Da alfo ber. rehtliche 
Zuftand nicht blos durch wirkliche Rechtsverletzungen 
aufgehoben wird, fondern auch zwiſchen benen nicht 
‚ befteht, welche, ohne im gegenwärtigen Augenbiife 
- einander zu verlegen, doch nicht geftimmt find, jeder 
Rechtsverletzung in Zufunft ſich zu enthalten; fo kann 
der rechtliche Zwang feinesweges auf Wieberherftelung 
der Integrität der verlegten Rechte und auf Schaben- 
erfaß befchränfe feyn,, fondern es muß. auch in An- 
fehung deſſen, welcher durch das Verbrechen einen 
Mangel der nöthigen "Willensbeftimmung bemiefen 
bat und alfo gefahrdrobend für die Zukunft erfcheint, 
duch ein die finnliche Luſt zum Verbrechen üb.er- 
wiegendes Strafübel die Gefahr für die Zukunft 
aufgehoben, e8 muß praͤne nirt werden . 

Der rechtliche Zweck der Strafe muß mithin 
auf die Zufunft berechnet fehn, und in: der Ent 
fernung eines bevorftehbenden Schadens. beſtehen. 
Ihr Rechtsgrund ift die gefchehene Drohung einer 
Rechtsverletzung, und. die baburch begründete Gefahr ; 
fie trifft .demnad) den Strafbaren, weil ex Gefahr 
droht; ‚fie trifft ihn. zu Dem Ende, damit. er nicht 
ferner Gefahr drohe. Diefer Zweck kann aber. erreicht 
werden entroeder durch Unmöglihmahung ber 
Ausführung der Drohung, oder auch in vielen Fällen 
buch Abfhredung Rechtliche Steafe iſt alfo 
ein ſinnliches Uebel, welches dem, eine Gefahr drohen⸗ 


Staato⸗ und Staatenrecht. 277. 


den, Subjecte zur Entfernung einer gedrohten Gefahr 
entweder Durch Abſchreckung deſſelben, ober durch 
Unmoͤglichmachung der. Drohung zugefügt wird. — 
Mad) Diefer Theorie Forbert- Daher daB Rechtsgeſetz, 
als ein ewiges und practiſches Gefeg für den. Willen, 
durchaus eine rechtliche Willensbeftimmung des Ins 
bividuums, und nur der Mangel diefer rechtlichen 
Willensbeftimmung berechtigt ay dem Praͤventions⸗ 
zwange, deſſen Grund in. der Ben enwart, deflen 
Zlordrän der Zukunft liegt. * © 
 * Der. Begründer diefer Theorie iß v. Grols- 
.mann-in f. 9.44 aufgeführten Werken. In 
- früherer Zeit lehrte Stuͤbel (in f. 1795 erfchie- 
ninn:Spfteme ıc.) im Ganzen baflelbe, Unter 
: den übrigen Strafsechtsiehrern befennt fih Titt⸗ 
mann zu dieſer Theorie, hauptſaͤchlich in ſ. 
Grundlinien der Strafrechtswiſſen⸗ 
ſchaft, mit wenigen Abweichungen. In einzelnen 
Theilen der Darftellung ift er noch deutlicher, als 
Grolmann. Kine Stelle, welche Tittmanns 
Anſicht dieſer Theorie beſonders bezeichnet, gehoͤrt 
hieher: „Strafe heißt dasjenige ſinnliche Uebel, 
weiches dem Urheber einer Störung des Freiheits⸗ 
gebiets, nach Vorfchrift des Nechtsgefeges, zuge» 
füge wird. Die Strafe ift nicht Zweck an ſich, 
. fonden nur Mittel zu einem Zwecke; ; denn 
Strafe zuzufügen, ift dem Menfchen blos zu 
“ feiner Sicherheit erlaube. Er darf alſo nie 
ſtrafen, weil es gereche ift (?), daß jeder leide, 
: was feine Thaten werth find, fondern nur, damit 
er ſich ſichere gegen zufünftige Handlungen 
- derfelben Ar Der Zweck der Strafe ift daher, 
ihre Zufügung unnoͤthig zu machen, zu bewirken, 
daß die Fälle ihrer Anwendung gar nicht eintreten, 


L[* 


178 Staats- und Staatenrecht. 


ober, was einerlei ift, Sicherheit des Sreiheitegebie- 
tes gegen fremde Eingriffe fich zu verfchaffen. Dies 
kann aber gefchehen , indem ber Drohende entweber 
- von ber Ausführung ber Drohung abgeſchreckt, 
oder dazu außer Stand gefegt wird.” 


5% 
Prüfung derfelben, 


Es gehört zu den Vorzuͤgen ber Praͤventions⸗ 
theorie, daß fie auf das Rechts geſetz, als ein in 
der Vernunft enthaltenes ewiges und practifches Ge⸗ 
fe6, ſich gründet, ob fie gleich die innere Trieb- 
feder der freien Handlung nicht beruͤckſichtigt; daB fie 


die Strafe blos als Mittel zum Rechtszwecke aus- 


ſpricht, zwifchen Verbrechen und Wergehen genau 
wnterfcheider, und überhaupt durch eine große Milde, 
ſowohl in den Grunbfägen, als in deren Anwendung, 
fi) anfünbigt. _ 

Allein im Geifte Diefer Theorie wird die begangene 


Rechtsverletzung gar nicht beftraft, fobalb der Ver⸗ 


brecher nicht für die Zukunft mit_erneuerter Rechts⸗ 


. verlegung droht; es würden alfo, nad) derfelben, viele 


Mechtswerlegungen ungeftraft bleiben; Dagegen wuͤr⸗ 
den manche Individuen geftraft, und hart. geftraft 
werden müflen, wenn man aus ihren begangenen 
Handlungen eutiveder einen gegründeten, oder auch 
einen zu übereilten Schluß für ihr Betragen in der 
Zufunft machte. Auch bleibt es für den Richter in 
ben meiften Fällen unmöglich, das Wefen des Ver⸗ 
beechers fo tief zu erforfchen, um — ohne doch bie, 
ianere Triebfeber der Handlung zu beruͤckſichtigen — 
uber den Mangel feiner rechtlichen Willensbeftimmung 


m entſcheiden, obsleich eben nur dieſer Mangel zu 


\ ‚ 


Staats» und Staatenrecht. 279 


dem Präventionszwange berechtigen foll. — Außers- 


dem iſt es eine Forderung der Vernunft, die an fich 
niche zurücdgewiefen werden fann, daß in einem 
Staate, too das Recht zur Herrfchaft gelangen foll, 
feine erfannte Nechtsverlegung ungeftraft bleiben 
darf, felbft wenn der Verbrecher keine neue Rechts⸗ 
verlegung befürchten läßt; daß ferner die aus einer 
begangenen Rechtsverlegung durch Schluͤſſe auszu: 
mittelnde Gefahr Fünftiger Rechtsverlegungen an 
fi feinen rehrlihen Grund zu einer Strafe 
geben Fann, weil die Strafe nur auf die vollbrachte 
That fich beziehen darf; und daß die Erforfchung des 
Mangels einer rechtlihen Willensbeftimmung, wel⸗ 
her allein zum Praͤventionszwange berechligen fell, 
bei vielen taufend firtlich » unmündigen im Staate ſehr 
ſchwierig und unficher bleibe, wenn nicht, eben bei 
der Charafterlofigkeit der großen Menge, der Praͤven⸗ 
tionszwang fehr häufig eintreten fol. — Weberhaupt 
darf in einem rechtlich geftalteten Staate nie ber 


Zufunft wegen, fondern wegen ber in der Vers 


gangenheit vollbrachten That, und zwar nad) der dabei 
erkennbaren Verfhuldung des Verbrechers geftraft 
erben. — Endlich kann nicht verfannt werden, 
daß, durch die Aufnahme ver Abſchreckung in die 
Alternative der Beftrafung, die Präventionstheorte 
theilmweife in der Ausführung, wenn gleich nicht 
nach ihrer Begründung, der Abfchredungstheorie ſich 
bebeutenb nähert, und überhaupt für die folgerich- 
tige Anwendung die allerfchwierigfte feyn dürfte: 


56. 
Allgemeines Ergebniß. 
Außer dieſen vier Haupttheorieen koͤnnten noch 
einige eigenthuͤmliche Anſichten ſcharffinniger Männer 


280 Staats: und Staatenrecht. 


ſelbſtſtaͤndig aufgefuͤhrt werden, bie aber im Ganzen, 


mehr oder weniger, mit einer der dargeſtellten zuſam⸗ 
mentreffen. So leitete Hufeland den Grund Des 
Strafrchts aus dem allgemeinen Bürgerver- 
trage, Fichte aus einem befondern Abbüußungs- 
vertrage ab, durch welchen Alle Allen verfprechen, 
fie um ihrer Vergeben willen nicht vom Stadte auszu⸗ 
fließen , ſondern ihnen zu verftatten, diefe Strafe 
auf andere Weife abzubüßen. — So ftellte Thibaue 
(m fe Kritik, der Feuerbachiſchen Theorie) 
Die Strafe als eine bloße Maasregel ber Noth dar, 
indem er darauf verzichtet, das Strafrecht auf einer 
rechtlichen Grundlage aufzuführen. — So entwidelte 
Schulze (in f Leitfaden ıc.) aus dem Sittenge⸗ 
fege die allgemeine Verpflichtung ber Menfhen, im 
Staate zu leben; und aus dem Rechte des Staates, 
zu eriftiren, die Befugniß, gegen wiberrechtliche An- 
geiffe einzelner Menfchen lund andrer Staaten als 
moralifche Perfon fih zu fchügen und. zu erhalten, 
weil jeder rechtlich beftehenden Perfon das Selb ſt⸗ 
erbaltungsreht zufommt. Da nun die Ver: 
letzung von Zwangspflichten, welche man Verbrechen 
nennt, nicht nur eine Kränfung irgend eines Berech⸗ 
tigten enthält, fondern auch außerdem noch eine Ge- 
fahr für das Fortbeftehen des Staates veranlaßt, in 
welchem das Werbrechen verübt wird; fo muß dem 
gefährdeten Staate, als einer moraliſchen Perfon, 
das Recht zuftehen, dem Verbrecher Uebel zuzufügen, 
welche von der Entfhädigung des durch das Verbre« 
hen Verlegten verfchieden find, und den Zweck haben, 
die Gefahr fur Die moralifhe Perfon des 
Staates abzuwenden. — Diefe Lehre, welcher 
Martin (in feinem Lehrbuche ꝛc. ©..25 fi.) ſich 
anfhliegt, fo wie auh Henfe (in ſ. Lehrbuche 


Steats- und Staatenroehe. 201 


der Strafrechtswiſſen ſchaft S. 10) 
gegen die voͤllige Ausſchließung der Freiheit aus den 
Strafrechte erklaͤrt, führt nothwendig: zu einer ſu be 
jectinsobjectinen Strafrechtstheorie. Denn bei 
einer Strafrechestheorie, die befrisdigen ſoll, weicht 
weder blos bie Rüdfiche auf die Bittlichkeit und 
Die innere Triebfeder des Verbrech ers auc 
(weil bie That ſelbſt in dem sußern freien * 
un + 4:3 
— F 
Sehr wahr fü fagt Henke: „Die früßer von den- Ana. 
hängern der kritiſchen Philoſophie verfuchte Tre 
nung des Rechts von der Moral ward durch 
Fichte vollendet. Die Strafrechtswiſſenſchaft follte 
non nad den Grundfägeh des in Frankreich herr⸗ 
ſchenden geift» und ſeelenloſen Materialismus (nar 
mentlich im Systeme de la nature, T. 2, p. 225} 
umgeftaltet werden. — Da das für ſich ſelbſt ber 
fichende Nechtsgefep nicht den Willen und die Ges 
finnung In Anfprud nimmt, fondern nur die Außern 
Handlungen berädfichtigtz. fo Bann der Zwed dep 
Strafe kein anderer feyn, als Furchterweckung und 
Abfchredung von Recdtsverlegungen. Weit aber die 
Erreihung diefes Zwedes bei freien Wefen, dis 
fih ja gegen die Drohung verfchließen können, und 
felb den Schmerz der zugefügten Strafe zu Aber 
winden vermögen, durchaus nicht zu verbürgen iſt; 
fo wird der Menfb von allem entkleidet, 
was ihn über das Thier erhebt; es wird 
die Freiheitſ aus dem Triminalrehte vers 
bannt, weil Freiheit, als etwas Inneres, Moras 
liſches, Metaphufifches , tür die von der Moral 
getrennte Rechtslehre ohne alle Bedeus 
tung If. — Durh den Berfuh, die Freiheit 
aus dem Criminalrechte zu verbannen, (der freilich 
nie gelingen kann, weil mit der Freiheit die 
Möglichkeit der Zurechnung und det Beftrafung aufl 
gehoben wird ‚).hat in Teutſchland vorgäglih Geu en 
bach Epoche gemacht.“ 


282 Staats: una Staatenrecht. 


kungskreiſe gefhlehe,) noch die bloße Ruͤckſicht auf 
die That, weil der Verbrecher kein Thier iſt, das 
dem Inſtincte folge, ſondern nach innern Trieb⸗ 
federn handel. Haͤlt man ſich lediglich an die 
arſor Ruͤckſicht und behält blos das Subject 
des Verbrechers im Auge; fo wird im Steaf- 
rechte entweder. eine ibealifche Nachbildung ber fitt- 
lichen Weltordnung verſucht, welche in der Wirflich- 
keit nie völlig zu erreichen möglich ift, oder die beab- 
fihtigte Beflerung des verbrecherifchen Subjects ver- 
elite den vernunftgemäßen Charakter der Strafe und 
führe zulege zur Straflofigfeis Hält man ſich aber 
ausfchließend an die zweite Ruͤckſicht und behale 
blos das Object, die verbreherifche That, im 
Auge; fo fehle die eigentliche Zurehnung, d. h. 
das Verhälmiß der innern Gefinnung zur Handlung, 
und der Rechtsgrund der Strafe, die Straf. 
würdigfeit des Verbrechers wird in eine bloße 
"äußere Strafbarfeir, in die Unterorbnung der 
That unter ein vorhandenes Strafgefeg, verwandelt. 
ine befriedigende Strafrechtstheorie muß daher bei de 


Rückſichten verbinden, 


| | 57. | 
b) Lehre von ber rechtlichen Anwenbung 
des Zwanges und der Strafe im Staate 
(Die fubjectivsobjective Strafrechtstheorie.) 


| Jede Rechtsverlegung,, als eine in dem Außern 

freien Wirfungsfreife erfcheinende That, fest in dem 
Ihäter ein Uebergewicht des fihnlihen Be 
ftrebungsvermögens über das vernünftige vor- 
aus, weil aus dem vernünftigen Beſtrebungsver⸗ 
mögen, welches unter ber fittlichen Gefeggebung der 


- 


Senats» und Staatenrecht. . 383 


Vernunft ſtehht, feine pflicht⸗ und ecchtswidnige Haud⸗ 
lung hervorgehen kann. Da aber in dem Menfchen 
die finnlihe Natur mit der vernünftigen aufs innigfle 
verbunden if, und er, nad) feiner Freiheit, den 
Endzweck der Sistlichfeit, weicher gemeinfchaft- 
Lich den Keeis der Pflichten und der, Rechte umfchlieht, 
nicht nur verwirklichen foll, ſondern auch verwirf. 
lichen kann; da ferner der Staat, als eine vertnagd- 
mäßig begründete Geſellſchaft finulich - vernünftiger 
Wefen. für die Aufrechthaltung des Gleichgewichts im 
iheem äußern freien Wirkungskreiſe, die einzige recht⸗ 
lie Bedingung ift, durch welche der von ber Ver⸗ 
nunft unnachlaͤßlich gebotene Endzweck der Menfchheit 
in der Wechfelwirfung aller zu einem Ganzen yır- 
einigten finnlicd) » vernünftigen Weſen erreicht werden 
kann; fo folge, daß jebe Rechtsverlegung nicht blos 
eine Störung der bürgerlichen, fondern zugleich 
eine Störung der fittlihen Ordnung ift; 
denn der Staatsbürger hoͤrt in feinem Verhaͤltniſſe 
des Sebens auf, Menfch zu feyn, und unter der fitt- 
lichen Gefeggebung der Vernunft zu fteben. 

Eine Strafe kann baher, nad) Vernunftge- 
fegen, nur dann rechtlich ſeyn, wenn fie die noth- 
wendige Folge einer Handlung ift, welche aus ber 
Freiheit des Handelnben hervorging, und alfo dem⸗ 
felben zugerechnet werben fann. Denn obgleid) 
die innere Triebfeder des Hanbelnben , welche ihn zur 
widerrechtlichen That beftimmte, nicht in jedem ein⸗ 
zelnen Falle mit völliger Sicherheit zu beſtimmen, 
und bisweilen gar nicht nach ihren legten fubjectiven 
Gründen zu erforfchen iſt; fo wird doch bei jeder von 
Menfehen vollbrachten und in ihrem aͤußern Wir- 
fungsfreife erfcheinendben Handlung die innere Frei⸗ 
heit des Willens vorausgefegt, weil nur bei Annahme 


® 
N ‘ 


284 Staats: und GStaatenrecht. 


dir innern Freiheit ¶d. h. des Vermoͤgens, etwas 
“un zu koͤnnen bei der Moͤglichkeit des Gegencheils,) 
vie Zurehuung ber. Handlung, mithin auch die 
Beftrafung derfelben möglich iſt. — Eine Btraf- 
rechtstheerie, weiche ber Ruͤckſicht auf die innere Frei⸗ 
heit des Menſchen ſich völlig begibt, iſt daher nicht 
auf den Menfchen nach den doppelten Anlagen: feiner 
Natur, fordern blos auf ben Menfchen , als lebendes 
Thier derechnet, auf weldies man nur ‚durch An⸗ 
drohung · und Vollziehung finnlichee Ucbel wirken will, 
ohne dabei der in ihm enthaltenen vernünftigen Ma⸗ 
tar zu gebenfen. | 
Sehr wahr fagt-Schulze Tin f Leitfaden x. 
©. 364): „Bei den meiften Verbrechern, weiche 
der Criminaljuftiz in die Hände fallen, war das 
Verbrechen, wegen welches fie von diefer beſtraft 
werden, ein unvermeidlicher Erfolg desjenigen Ge- 
mürhezuftandes, in. welchem es beſchloſſen und 
ausgeführt ward. Gleichwohl wird ihnen das Ber- 
breden mie Recht zugerechnee, weil es 
eine Folge der Unterlaffung beffen-ift, 
was früher von denfelben hätte gethan 
werden follen, damit jener Gemuͤths— 
zuftand nicht eingetreten wäre; und wie 
viele Miflerhaten würden unterblichen ſeyn, wenn, 
bei dem erften Gedanken daran, die Schändlich- 
- Peit derfelben erwogen, und der fi Dagegen. noch 
vegende Abfcheu belebt und verftärfe worden wäre. 
- Dies wgr aber vermöge ber Herrfchaft, welche der 
- An feinem Innern nicht ‚gerrüttete Menfch über fein 
Denken, ober über die Aufmerkſamkeit und deren 
Dichtung auf einen Begenftand auszuüberr vermag, 
eben fo gut möglich, als wie das Vorſtellen ber 
angenehmen Yolgen, bie eine Uebelthat verſpricht.“ 


Gears. un Smaumieht 285 


58: ° >. 
Strafwuͤrdigkeit und Strafbarteit ı der 
That 


Die Zuredhnung der vollbrachten zjat — — 
ſowohl im Bewußtſeyn des Verbrechers ſelbſt, 
durch den Ausſpruch des Richters, — ſetzt —* 
neben der dem Verbrecher einwohnenden fietlichen 
Vernunft, die fi) im Gefühle als Gewiſſen 
ankuͤndigt, in der bürgerlichen Gefellfhaft ein 
vorhandenes Geſetz voraus, durch weiches die 
vellbrachte That ale Rechts verletzung ausge 
fprochen wird. Denn obgleich die fitlihe Straf: 
würbdigfeit einer rechtswidrigen Handlung zunaͤchſt 
von der innern Triebfeber abhängt, welche Die Rechts⸗ 
verlegung veranlaßte, und von der Verlegung beg 
ervigen Wernunftgefeges ber Gerechtigkeit durch bie 
Handlung y fe wenn diefe in ber a Ge⸗ 


22 


wirkten Strafe belegt wäre; fo erhäle doch die Rechts⸗ 
verlegung ihren aͤußern Charakter der Strafbar- 
keit in der bürgerlichen Gefellfhaft nur durch das 
Strafgefeß, welches den Begriff der ftrafbaren Hanb- 
fung ſogleich mit der dadurch verwirften Steafe ver: 
bindet. Daraus folgt, daß die fubjective Straf: 
würdigfeie das erfte, die bürgerlihe' Straf: 
barkeit aber, als abhängige Folge von der Straf 
würdigfeit, das zweite if. Es folgt wieder, daß 
alle Handlungen, wo die Zurechnung., d. h. bie Zu. 
rürfführung auf die innere Freiheit des Hanbeinden 
wegfaͤllt, von den eigentlichen Verbrechen, und von den 
Strafen ‚ welche auf Verbrechen gefegt fi fi nd, ausge: 
ſchloſſen werben muͤſſen. Es folgt endlich, daß ‚, bei 


n 


: 286 Staats⸗ und Staatenrecht. 


der Zurechnung der Verbrechen, der Grad der innern 
Geamärdigkeit,- und alſo auch der bürgerlichen 
Strafbarkeit, zunächft davon abhängt, ob die Rechts⸗ 
verlegung abſichtlich, mit deutlichem Bewußtſeyn 
three: Rechtswidrigkeit und Strafwuͤrdigkeit, und mit 
der Kenntniß des bürgerlichen Strafgefeges, aber ob 
fie, zwar durch die Schuld und Fahrlaͤſſigkeit, 
aber ohne die Abſicht bes Handelnden erfolge. In 

dem erften Galle Heißt fie: dolus ®), in dem zweiten: 
endpa: Bon der Eulpa muß aber die blos zufällige 
Verlegung der Rechte eines Andern unterfchieden 
werben , weil bie Culpa durchaus die Fahrlaͤſſigkeit, 
wenigflens die Unbefonnenheit des Handelnden bei 
Hechtsverlegungen , fo wie die von ihm zu erwartende 
Befanntfhaft mit dem Strafgefege 20) einfchließe, 
weiches die von ihm vollbrachte Rechtsverlegung be- 
zeichnet. — Durch die Zurüdfführung ber rechts. 
wibrigen Handlung auf die innere Freiheit ver- 
mittelft der Zurechnung, wird alfo bie Strafwuͤr⸗ 
digkeit nah WVernunftgefegen — (denn 
Wuͤrdigkeit und Unwuͤrdigkeit bezeichnet jedesmal ein 
ſietliches Verhaͤltniß,) — durch Die Unterordnung 


*) Gönner, Revifion bes Begriffs und ber Einthei⸗ 
lungen des Dolus, Landsh. 1810. 8. 


“#) Sehr wahr bemerkt Henke im Lehrbuche S. 60. 
in Betreff dee vermeidlichen Unwiffenbeit 
(ignorantia vincibilis) entweder des Strafgeſetzes, 
oder der Folgen, die aus einer gewifien Handlung 
oder Unterlaffung nad) Naturgefegen gewöhnlich Her 
vorgehen, daß die Vermeidlichkeit oder Unvermeid⸗ 
lichkeit der Unwiſſenheit nicht in abstracto, fondern 
in jedem einzelnen Falle nur nach der Verſchieden⸗ 
beit‘ der Verhaͤltniſſe und nah den. individuellen 
Kräften des Subjects beſtimmt werden kann. 


Seaats· und Staatenxecht. OT 


der rechtswidrigen Handlung aber, als eine äußere 
Erfheinung, unter das im Staate beftehende ‚Straf: 
gefeg, ihre büurgerlihe Strafbarfeice ent— 
fchieden. Deshalb ift die Ausmittelung des Abſicht⸗ 
lien, oder des Fahrlajfigen;, oder des ZW 
fälligen bei ver. Ausübung der firafbaren Handlung 
das erfte und wicheigfte Geſchaͤft, bevor die Unterord⸗ 
nung berfelben unter. ein beftebendes Strafgeſch er⸗ 
folgen kann, worauf, bei den ab fichtlichen ftrafba- 
ven Handlungen bas Maas und bie Größe der Schuih 
nad) dem erfennbaren Grade der individuellen Bil 
dung, und nach dem Grade der fitslichen Verdorben⸗ 
heit und Bosartigfeit, fo mie nad) den aͤußern Ver⸗ 
haͤltniſſen des Reizes und der Veranlaflung auf das 
finnliche Beſtrebungsvermoͤgen des Handelnden, und 
fodann , nach diefer rechtlichen Ausmittelung der Größe 
der Schuld, das Maas und der Umfang ber Strafe, 
d. h. die Anwendung bes vorhandenen bürgerlichen 
Strafgefeges auf den vorhandenen einzelnen Fall, 
beftimmt wird. 

Da übrigens an einer ber Zurechnung fähigen 
That Mehrere Antheil Haben fönnen; fo müflen Die 
Gehuͤlfen und Theilnehmer. des Verbrechens ge⸗ 
nau von ben Urheber (dem urfahlihen Grun⸗ 
de, daß ein Verbrechen begangen ward ,) unterfchie«. 
den werden. Zwar iſt aud) ihre Theilnahme ber Zu⸗ 
rehnung fähig; allein ihre Strafwuͤrdigkeit 
und Strafbarfeit muß darnach beſtimmt werben, 
daß die Theilnehmer gewöhnlich weniger gefährliche 
Menſchen find, als der Urheber, daß fie alfo ohne frine. 
Aufregung ſchwerlich zur Theilnahme fich entfchloffen 
haben würden, und daß daher audy bei ihnen ein ge⸗ 
ringerer Grab der Verfchulbung angetroffen wird. 

Vergl. Henke's Lehrbuch S. 44 — 50. 


\ \ 


288 u Staato⸗ und Senatenrecht 


5 ' . ‚ 50. J 
... Wann die Zurechnung wegfäaͤllt. 


3 Mac der. Ableicung der Strafwuͤrdigkeit einer 
Banblung aus der Verlegung des “ewigen Vernunft» 
zeſetzes der Gerechtigkeit durch diefelbe, und der Ver⸗ 
fegung bes, aus dieſem Bernunftgefege ſtammenden, 

Zweckes bes Staates, duͤrfen daher in der 
Strafgefeßgebung des Staates nur diejenigen Hand⸗ 
kungen als Rechtsverlegungen aufgeführt und als 
ſtrafbar ausgefprochen: werben , weiche der Zurechnung 
— der Zuruͤckfuͤhrung auf Die innere Freiheit des 
Hanbeinden — fähig find. Es müflen daher alle 
Handlungen, wo diefe Zurehnung wegfälle, 
von ben eigentlichen Verbrechen , und von den Strafen, 
weiche auf Verbrechen gefegt find, ausgeſchloſſen wer⸗ 
ben. Dahin gehören diejenigen Handlungen, welche 
begangen werben: 1) von Minderjährigen, fo 
lange ats die Vernunft und das Gewiſſen bei ihnen 
noch nicht zum deutlichen Bewußtſeyn von Recht und 
Unrecht gelangt ift (obgleich es mit großen Schwie- 
rigfeisen verbunden bleibe, ein gewiſſes Lebensalter 
für die beginnende Zurechnungsfaͤhigkeit feftzufegen ) ; 
2) von Taub- und Stummgebohrnen, welche 
keinen Unterricht erhalten haben (wiewohl uͤber ſolche 
Individuen mis großer WBorficht geurtheilt werden 
muß); 3) von findifhgewordenen Sreifen, 
von Blödfinnigen, Wahnfinnigen-und Na 
fenden, von Nahtwandlern und von völlig 
Betaͤubten und Betrunfenen, fobald die leg- 


teen es ohne ihre Schuld find; 4) von folden, 


welche durch entfhiedene Gewalt zu einer 
firafbaren Handlung gezwungen wurben ; und 5) von - 
ſolchen, die fih im Höchften Grabe einer ent ſchul⸗ 


Staats» und Staatenrecht. 289 


digungs- und recdhtfertigungsfähigen Lei— 
denfchaft befinden. Der legte Fall kann zwar nie 
"ganz von der Zurechnuug entbinden, weil der Menfch 
durch feine Freiheit die Affecten und teidenfchaften bes 
ſiegen foll; es entfpringe aber aus einem gerechten 
Affecte (3.3: bei offener ehrenruͤhrigen Beſchuldigung, 
beim Antreffen des Garten im Ehebruche u. f. w.) ein 
Milderungsgrund ber Strafmürbigfeit und alfo 

aud) der Strafbarfeit der Handlung. oo. 


| 60. ° 
-.&) Die Lehre von den Rechtsverlezungen 
im Staate. u 


Eintheilung der ſtrafbaren Handlungen in 
Verbrehen und Vergeben. 


Wenn bei der Eintheilung der ftrafbaren Hand⸗ 
lungen in fubjectiver Hinſicht zunächft unterfchie- 
den werben muß, ob fie abfichtlich oder zufällig be⸗ 
gangen werben; fo muß bei ber ne derfelben 
in objectiver Hinſicht, d. h. nad) ihrer Ankuͤndi⸗ 
gung im äußern freien Wirfungsfreife, Yon dem, 
das ganze Gebiete bes Staatsrechts beftimmenden, 
Grundfäße der Zwangspflichten (oficia per- 
fecta) ausgegangen werden, weil nur diefen Rechte 
entfprechen. Denn blos das.fann, im Gegenfaße der 
ergeben (delictum), in der Rechtsgefellfchaft als 
Verbrehen(crimen) erfheinen, und als folhes _ 
im Strafgefege ausgeprägt werden, was ein an« 
erfanntes Zwangsrecht verlegt, Dies fen nun 
entweder das öffentliche Recht des Staates felbft, 
-oder die urfpränglichen und erworbenen Rechte ber 
einzelnen Staasbürger, Dagegen Er. wir alle 

I. 19 


390 "Staats und Staatenrecht. 


"Diejenigen Handlungen Vergehen, welde, nad) 
einer innern fehlerhaften oder unfittlichen Triebfeber, 
‚gegen die Ordnung, Schidlidfeit, Site 
lihfeit und Wohlfaper im Staate verfloßen, 
ſobald durch ſie keine wirklichen Rechte 
verletzt werden. Die Vergehen ſtehen daher, aus 
dieſem in der Vernunftgeſetzgebung uͤber die Zwangs⸗ 
rechte enthaltenen Grunde, nicht unter der Straf—⸗ 
gefeggebung, fondern unter der Polizei- 
gefeggebung, weil nur Rechtsverletzungen, nicht 
aber Verſtoͤße gegen Ordnung, Schicklichkeit, Sitt- 
sHichfeit und Wohlfahrt, in das Strafrecht und in 
das Strafgefesbug des Staates gehören *). 
Die Verbrechen nennt man Staatsverbre 
"ben, wenn fie bas öffentliche Recht, die Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung im Staate verlegen, 
‚und bürgerliche, (oder Privat⸗) Verbrechen, 
wenn ſie die urſpruͤnglichen oder erworbenen Rechte der 
einzelnen Staatsbürger beeinträchtigen. Das Eigen⸗ 
.thümliche der ftrafbaren Handlungen aber, oder der 
Inbegriff aller derjenigen Umftände,, welche zu dem 
Begriffe derfelben gehören, heißt der Thatbeftand 
‘(corpus delicti)., 


Chftpb. Karl Stuͤbel, über den Tharbeftand der 
Verbrechen. Wittenb. 1805. 8. 


2 Es gehört befonders <iitmann ond Srolmann, 
den Lehrern der Präventionstheorie, das Verdienſt, 
daß fie zwiſchen Verbrechen und Vergehen genau 
untetfchieden, und was die Rigoriften. des Straf 

rechts ohne zureichenden Vernunſtgrund in den Be⸗ 
reich deffelben zogen, von demfelben trennten. Alle, 
welche im Otaatsrehte Moral und Rechtslehre nicht 
auf ewig von einander trennen, und zwiſchen ofi- 
ciis und imperfectis genau unterfopeiden, 
müffen ihnen barim folgen | 








Staats» und Staatenrecht. | 29 


“ | 61. 
| Die Vergehen. 
Obgleich die Vergehen an fi, nach dem auf 
geftellten Unterſchiede derſelben von den Verbrechen, 
nicht in den Umfang des Strafrechts gehören; ſo iſt 
es doch nöthig, die Gattungen derſelben anzuführen, 
theils um fie ſtreng von den Verbrechen zu unter- 
fheiden, theils weil-fie ſogleich den Charafter der 
Verbrechen annehmen, fobald wirflihe Rechte 


Durch fie bedroht oder verlegt werden. 


Zu den Vergehen, welche zunächft unter der Po- 
lizeigefeßgebung ſtehen, gehören: J | 
a) Handlungen, durch welche die Ordnung‘. 
und Ruhe im Staate geftört wird, ob fie gleich nicht 
in der Abſicht begangen werden, die Verfaſſung zu 
erfchüttern,, oder gegen die Obrigkeit fi) aufzulehnen 
(z. B. ein Auflauf, Tumult, farm, Störung 
öffentlicher, Seierlichfeiten u. ſ. w.); | 

b) Handlungen, burch welche der Haus- 
friede gebrochen wird (Zänfereien, Schlaͤgereien 
innerhalb der Wohnungen ꝛc.); 

c) Handlungen, durch welche dem Staate 
dDieftfähige Bürger entzogen werden (z. B. 
der Selbftmord; die Setbftverftümmelung,, um fi 
3. B. dem Soldatendienfte zu entziehen; die Auswan⸗ 
derung ohne ‚gehörige Anzeige an die Behörden); 

d) Handlungen, durch welche die phyſiſche 
Wohlfahrt der Staatsbürger gehindert wird (z.B. 
der VBor« und Auflauf; Die Hazardfpiele ıc.); 

e) Handlungen, durch welche die Sitrlich- 
feit und die Sitten der Staatsbürger gefährbet 


werden (3. B. alle zweckwidrige Befriedigiingen bes 
| 19° 


9* 


292 Staats und Staatenrecht. 


Gefchlechtstriebes, Schwängerung, Hurerei, Con- 
cubinat, Vielweiberei, Kuppeleiu.f.m. — Noth⸗ 
zucht iſt aber ein Verbrechen, und fein Vergehen, 
weil ein vernünftiges Wefen, wider beffen Wil: 
len, gezwungen, mithin beffen vollkommenes Recht 
verlegt wird;) 

I f) Handlungen, durch welche öffentliche 

Anſtalten im Staate verlegt werden (z. B. Be⸗ 
ſchaͤdigungen der Meilenſaͤulen und Alleen, Abreißen 
oͤffentlicher Anſchlaͤge, Beleidigung der Schildwach⸗ 
ten ꝛc.); | j 
g) Handlungen, durch welche den im Staate 
beſtehenden Kirchen bie gebührende äußere Achtung 
"entzogen wird (5. B. Gortesläfterung, Verſpottung 
des Ritus einzelner Kirchen, Sectenftiftung u. f. w.) 


62. 
Die Verbrechen. ' 


Die Verbrechen find freie Handlungen, woburd) 
Zwangsrechte im Staate verlegt werben. : Sie find 
entweder öffentliche und alp Staatöverbre 
hen, oder Privatverbrechen ($. 60.) 

a) Staatsverbreden find Handlungen, 
durch welche abfichtlich und unmittelbar die Rechte des 
Staates, als einer moralifchen Perfon, bedroht oder 
verleßt werden, und zwar fo, daß entweder das politi- 
ſche Dafeyn des Staates, feine Selbftftändigfeit, Un⸗ 
. abhängigfeit und eigenthümliche Verfaffung dadurd) 
‚ bedroht und vernichtet, oder die Verwirklichung des 
Staatszweckes in den öffentlichen Anftalsen und Ein- 
richtungen der bürgerlichen Gefellfchaft gehindert und 
erſchuͤttert wird. 


Staats- und Staarenrecht, 293 


Das Verbrechen, woburd) das Dafeyn des 
Staates, feine Selbftftändigfeit, Unabhängigfeit 
und Verfaffung bedroht oder vernichter wird, heiße 
Hochverrath (perduellio). Der Hochverrath 
wird Rebellion (belſum civile) genannt, werm 
Das Dafeyn und die rechtliche Verfaflung des Staa» 
tes durch innern Krieg bedroht und vernichtet werben 
fol. Er heißt Revolution, fobald die Abfiche 
der Handelnden die rechtswidrige Vernichtung der 


beftehenden Verfaſſung und der Grundgeſetze des 


Staates betrifft. Er heiße Landesverrath, fo« 
bald die Handelnden unter Mitwirfung eines auss' 
wärtigen.feindlihen Staates das Dafeyn und bie 
Merfaffung des vaterländifchen Staates erfhhüttern 
oder vernichten wollen. Er heiße Majeftätsver- 
brechen °) (crimen laesae majestatis) , fobald die’ 
Abfiche der Handelnden gegen die geheiligse Perfon 
Des Megenten gerichtet iſt. | 
Zu den Verbrehen, wodurch die Verwirk— 
lihung des Staatszweckes in den öffentlichen 
Anftalten und Einrichtungen des Staates bedroht, 
gehindert und erfchitttert wird, gehören alle Verbre⸗ 
chen gegen die gefeggebende Gewalt (Verhin⸗ 
derung der Befanntwerdung der Gefege, abſichtliches 
Verweigern der Befolgung der Gefege u. a.); die 
Verbrechen gegen die vollziehende Gewalt 
(Mißbrauch der anvertrauten Gewalt, Beleidigung 
der vorgejegten Behörden in Dienſtſachen, Kaffen- 





*) Kari Aug. Schott, Über das Verbreden ber belei⸗ 
digten Majeſtaͤt aͤberhaupt und deſſen Beſtrafung. 
üb. 1797. 8. 

Hellmuth Winter, das Majeſtaͤtsverbrechen. 
Berl. 1815. 8 


m 


- 


294 Staats⸗ und Staatenrecht. 


veruntreuung, Muͤnzverfaͤlſchung, Beſtechung u. a.); 
die Verbrechen gegen die rihterliche Gewalt (Un⸗ 
gehorfam gegen richterliche Ausfprüche, unrechtmäßige 
Selbſthuͤlfe, Verhinderung ber Ausübung ber Strafe 


gerechtigfeie :c.). 


‚b) Die Priva cverbrechen ſ ſind ſolche freie 
Handlungen, durch welche die auerfannten urfprüng«- 
lihen und erworbenen Rechte der einzelnen Staats- 
bürger bedroht oder verlegt werden. Dahin gehören 
. bie Verbrechen gegen das Leben und die Geſund— 
beit (Verwundungen, Verſtuͤmmelungen Anbrer, 
Nothzucht, Ausfegen der Kinder, Menfchencaub, 
Branpdftiftung, Todtſchlag, Mord u. a.); gegen Die 
perfönliche Freiheit und Sicherheit; gegen 
das Eigenthbum (Betrug, Diebftahl nad) feinen 
verfchiedenen Gattungen und Arten, Raub ıc.) ; gegen 
die Ehre (Injurien, Verläumbungen, Pasquille, 
u a.); gegen die mit Andern abgefchloffenen Ver 
träge (Ehebruch 2c.); und gegen bie Geiftes- 
Eräfte ) der Staatsbürger, Durch welche der Ver⸗ 
fand zerrüttet, oder bie Entwidelung der geiftigen 
"Anlagen. aufgehalten. wird (durch Opiate, langfaın 
wirfende Gifte, durch ſchlechte Behandlung der Kin- 
der, feibeignen , Sklaven u. a.). 


63. 


B) Die Lehre von den Strafen im Staate. 


Jede Strafe befteht. in einem ſinnlichen Uebel, 
welches dem Verbrecher, in firenger Angemeffenheit 
zu ber innern Strafmürbigfeit und der durch das Ge- 


#) Car, Aug. Tittmaun, de delictis in vires mentis 
. humanas commissis, Lips. 1796. 4 


Staats» und Staateurecht. ‘295 


ſet ausgeſprochenen Strafbarkeit der von ihm began⸗ 
genen Rechtsverletzung, nach richterlichem Ausſpruche 
5 und im Namen des Staates an ihm voll 
zogen wird. ‘Daraus ergeben ſich bie vier Haupt⸗ 
grundſaͤtze % alle Strafen im Staate: 

4) die Strafe muß von dem Merbrecher buch . 
eine freie Panblung verfhulder ſeyn; (Straf⸗ 
wuͤrdigkeit) 

2) die Strafe muß den Verbrecher als un mike 
telbare und nothwendige Folge der frei voll⸗ 
brachten NRechtsverlegung, und deshalb, meil er 
die Herrfchaft des Rechts im Staate verlegte, und 
fo weit treffen, als er das Recht verlegte; (Ges 
rechtigkeit und Rothwendigkeit der Strafe) 

Durch die Strafe ſoll alſo bie verlegte Herr⸗ 
ſchaft des Rechts im Einzelnen und im Gan⸗ 
zen hergeſtellt, und weder blos wegen der Wieder⸗ 
vergeltung, noch wegen der Beſſerung, weder blos 
wegen ber Abſchreckung, noch wegen der Praͤven⸗ 
tion vor fünftigen Verbrechen, weder blos wegen 
der Selbfterhaltung, noch wegen ber Sicherheit des 
Staates geftraft werden. 

3) der -ichterliche Ausſpruch der Strofe, und 
die Strafe felbft nach biefem Ausfprudhe, muß in Aus 
. gemeffenbeit zu einem beftimmten Straf 
gefese erfolgen; (Strafbarfeie) \ 

4) die Strafe muß zweckmaͤßig, und alſo 
weber willkuͤhrlich, noch) grauſam ſeyn. 

Jede willkuͤhrliche Strafe, ſelbſt in Er. 
mangelung eines das begangene Verbrechen bes 
zeichnenden Strafgeſetzes, iſt an ſich ——e— 
keit; und jede Srauſamteit in. der S ah . 
(3. B. Staubbeſen, Tortur, Verſtuͤmmelung, 


296 Staats: und Staatenreht, — 


Kneipen mit Zangen, Säden, Rädern, Verbren⸗ 
nen, Diersheilen, mit Pferden Zerreißen, Aus- 
ftechen der Yugen ‚ Abfchneiden der Zunge, der 
Ohren, ber Finger; Aufichligen der Nafe, ) ift 
unterder Würde ber ftrafenden Gerchtigfeit, 
"Die, wenn aud) der Verbrecher unter bie Menfch- 
“ Seit ſich erniedrigt hätte, nicht in der Beſtrafung 
zu ihm herunter finten und dadurch un« 
—328 werden darf. Der aͤrgſte Verbrecher 
muß noch als Menſch behandelt werden. 
Eine voͤllig unrichtige Anſicht iſt es, daß durch 
die Strafen Andre vom Verbrechen abge» 
fhrede, und deshalb die Strafen zuer⸗ 
kannt werben follen. Allerdings follen die Stra- 
.fen warnend feyn in ihrem Erfolge; allein Dies 
iſt nicht der Rechtsgrund derſelben. Uebrigens 
ſind nie durch Hinrichtungen oder Gefaͤngniſſe die 
Sitten und der Geiſt eines lieſgeſuntenen: Volkes 
gebeſſert worden. 


e 


®” 


64. 
Sortfegung. 


. Nach diefen Grundfägen beſtehen die rechtlichen 
Strafen des Staates: 
| 41) inder Todesftrafe, oder in ber vöfligen 
Pan Vernichtung bes Verbrechers (durchs Ent: 
aupten, Erhenken, oder Erfchießen), auf Hoc 
verrath, auf eigentlihes Majeftätsverbrechen gegen 
die Perfon des Regenten, auf abfihtlihen Mord, 
Giftmiſchung, Straßenraub mit Gefährdung des 
sedens,, und auf Brandftiftung ( mit Ausnafme der 
Bälle bei der Brandſtiftung, wo — mie }. 3. beim 
weiblichen Sefchlechte in der Periode der Gefchlechts- 


Staats und Staatenrecht. 797 


entwickelung — ein pſychologiſcher Milderungs⸗ 
grund eintritt). ») Bei den Todesſtrafen bat das 
philoſophiſche Strafrecht nur ihre Recht maͤßigkeit 
nachzuweiſen; ihre Nothwendigkeit wegen der Ab⸗ 
ſchreckung, ihre Zweckmaͤßigkeit, ihre Nuͤtzlichkeit, ſind 
zunaͤchſt politiſche, nicht ſtaatsrechtliche Gründe: 
fuͤr dieſelben. | 

2) in lebenslänglider Entziehung 
der äußern Freiheit; 

3) in lebenslänglihem Verlufte des 
Bürgerredts; 

4) in Ehrlofigfeitserflärung (welche 
auch mit den beiden vorigen Strafen verbunden wer- 
den funs, im Ganzen aber mit der größten Vorſicht, 





*) Seit Beccaria if viel gegen die Rechtmaͤßigkeit 
der Todesftrafen von Sonnenfels, Hommel, 
Barthaufen u. a. gelehrt und gefchrieben wors 
ben. Eine Ueberficht der Stimmen für und wider 
gibt Berge tn f. Zufägen zu ber Ueberſetzung 
des Beccaria im zweiten Theil. — Die 

: Häufung der Todesftrafen iſt eben. fo widerrechts 
ih, wie die Erlaffung derfelben in den oben 
aufgeftsiiten Fällen. Die Verfhärfung derfelben - 
(z. B. daß andere Verbrecher vorher hingerichtet 
werden, Durchs Abhauen der Sand, durchs Schlei⸗ 
fen zum Richtplatze) darf nicht mit Grauſamkeit 
verbunden ſeyn. DBermögensconfiscation, 
mit dem Ausfprude der Todesftrafe verbunden, iſt 
Härte gegen die Bamilie des Verbrechers, nicht 
gegen den Verbrecher feld. — Im Staatsrecte 
gilt überhaupt in Betreff der Todesftrafen nur das 
Recht; von den rationibus misericordise, und von 
einem ıAdvocatus diaboli fann in ihm nicht die 
Rede feyn. — Mebrigens nehmen Kant, Fichte, 
Heydenreich, Feuerbach, Henke, Schulze 
u. a. die Rechtmaͤßigkeit der Todesfirafen an. 


7 


298 Staats. und Staatenrecht. 


und mit Beruͤckſicheigung ber bei einem Volke herr⸗ 
fehenden Begriffe über Ehre zuerfannt werben muß); 

5) in lebenslängliher Deportation in 

andere Erdtheile, wo der Staat Kolonieen befigt, oder 

"wenn ein Staat, der Kolonieen befigt, die Verbrecher 
andrer Staaten vertragsmäßig übernimmt (die fan- 


desvermweifung aber ift widerrechtlich gegen ane 


dere Staaten); 

6) in Entziehung der äußern Freiheit auf ge⸗ 
‚wiffe Ja 2% oder Monate (duch) Seftungshaft, 
Zuchthaus ıc.) 

7) in Verurtheilung zum Branbmarfen 
‚oder zum Pranger, oder zum Anfchlagen des 
Namensanden Galgen in einzelnen ungewoͤhn⸗ 
lichen Faͤllen; 

8) in Verurtheilung zu Strafarbe iten, 
ohne, oder mit Eörperlicher Züchtigung; 

9O) in Verurteilung ju bloßer förperli- 
her Zuͤchtigung; 

10) in Ehrenſtrafen (öffentlicher Verweis, 
mit oder ohne Bekanntmachung; Abbitte; Widerruf: ; 
Eprenerflärung; ; Relegation ꝛc.); womit die Ehr⸗ 
loſigkeitserklaͤrung nicht verwechſelt werden darf; 

11) in Geldſtrafen, welche eigentlich nie 
auf Verbrechen, ſondern nur auf Vergehen (in 
polizeilicher Hinſicht) erkannt werden ſollten. 


Ernſt Ferdin. Klein, über außerordentliche Stra⸗ 
fen wegen unvollftändigen Beweifes und über Sichers 
heitsanftalten. Berl. 1805. 8. _ 


65. | 
Das Begnadigungsredt. 
Das Begnadigungsrecht ift das Recht, einem 
Verbrecher die erechelich verwirkte und rechelich äuer- 





| 


— 


Staats“ und Staatenrecht. 209 


kannte Strafe entweber zum Theile oder ganz. 
zu erlaffen. Diefes Rede fann im Staate nur. 
dem Regenten, dem Oberhaupte der vollziehenden 
Gewalt zuftehen, in deffen Namen jedes Strafurtheil 
gefprochen und vollzogen wird. Doch darf der Re- 
gent das Begnadigungsrecht, als völlige,.oder als. 
theilmeife Entbindung von der verwirften Strafe, in 
Hinfiht auf die Verbrechen niche üben, melde 
Staatsbürger gegen Staatsbürger begangen haben, 
weil hier Straflofigfeit in Ungerechtigkeit gegen den 
Beleidigten übergeben würde; höchftens kann er in 
diefen Fällen das Begnadigungsrecht nur vermittelft 
der Verwandlung der zuerfannten haͤrtern Strafe in 
‚eine mildere anwenden (befonders wo noch nad) ver⸗ 
alteten pofitiven Strafgefegen gefprochen wird). 
Wohl aber fteht dem Regenten das Begnadigungs- 
recht zu in Hinficht der öffentlichen Verbrechen gegen 
den Staat, und befonders gegen feine eigene Per- 
‚fon, weil er in dem erftern Falle aus feinem höd)- 
ften Standpuncte am ficherften beurtheilen kann, in- 
wiefeen der Verbrecher dem Staate felbft theils bereits 
gefährlich war, theils für die Zukunft gefährlich wer— 
den kann, indem der Regent nur bei der entfchiebenen 
Unfchädlichfeit des Verbrechers für die Geſammtheit 
des Staates in der Zufunft das Begnadigungsreche 
ausüben darf, und weil er in dem zweiten Falle 
nad) demſelben Rechte verfähre, nach welchem jedes _ 
beleidigte Individum auf die ihm zuerfannte Genug⸗ 
thuung und Entſchaͤdigung für eine erlittene Rechts» 
verlegung verzichten fann. — Da übrigens jedes, 
ſelbſt das befte Criminalgefegbuch für einzelne Fälle 
‘den gewiſſenhaften Richter ohne beftimmte Ausfunft 
laflen fann; fo muß es dem Richter in den Fällen, 
wo entweder das Sriminalgefegbuch nicht ausreicht, 


* 


300 Staats» und Staatenredt. 


ober wo befondere Verhältniffe in Hinficht auf das 
Subject des Verbredjers eintreten , frei ftehen, nad 
ausgefprochenem Urtheile bas ſtrafwuͤrdige Indivi⸗ 
duum der Begnadigung bes Regenten zu empfehlen. 
Dan. Clasen, de jure aggratiandi. Magdeb, 


1660. 4 ‚ 

Ant, Baltb. Walther, de prineipe ex justis 
causis delinyuentes aggratiante, YVratisl. et Lips. 
2740. 4 


\ 


606. . 
Y) Ausübung des Strafrehts im Staate. 


Die Ausübung bes Strafrechts im Staate ver- 
langt theils ein vernunftgemäßes,, in fi) zufanımen- 
haͤngendes, erfchöpfendes, und der erreichten Stufe 
der geiftigen und fittlihen Bildung des Volkes ange- 
meflenes, und allen Staatsbürgernbefann-. 
tes, Strafgeſetzbuch; theils die ausreichende Zahl, 
zwectmäßige innere Seftaltung, und völlige Unabhäns 
gigfeit der Gerichtshäfe von allen Einflüffen der voll 
jiehenden Gewalt; theils Richter, welche bei der 
Zuerfennung der Strafe nad) dem Gefege nichts nach 
Willkuͤhr deuten, und fih zur Erforfchung der Wahr- 
beit in Hinſicht auf den Verbrecher blos rechtlicher 
Mittel bedienen; cheils einen weder übereilten, 
nod) zu langfamen Gang des gerichtlichen Verfahrens, 
welches entweber öffentlich, oder geheim fenn kann; 
theils die unmittelbare, und ohne Auffchub auf die 
rechtliche Beendigung des gerichtlichen Werfahrens 
folgende, öffentliche Wollziehung der zuerfannten 
Strafe im Namen und unter forgfältiger Leitung der 
vollziehenden Gewalt im Staate, 

Eine Verjährung bes Verbrechens, d. h. 

die Aufhebung der Strafe, als ber rechtlichen Folge 


| Staats» und Staatenrecht. 301 


eines begangenen Verbrechens durch ben bloßen 
Ablauf einer gewiflen Zeit, kann nicht nad) phi⸗ 
lofophifchen, wohl aber nach pofitiven Gefegen er- 
folgen, und in einzelnen Fällen fogar rathfam feyn. 
Denn theils ergibt ſich daraus, daß der Ver⸗ 
brecher diefelbe That in einer Reihe von Jahren 
nicht wiederholte, daß er wenigftens für jegt dem 
Staate nicht mehr gefährlich fey; theils laffen 
ſich, bei einer vor mehrern Jahren begangenen 
That, die weſentlichen Umftände und Entfchei- 
dungsgründe über Strafmürbigfeit und Strafbar- 
keit niche mehr vollftändig und befriedigend aus« 
- mitteln. 


C) Das philofophifche Staatenrecht. 


67. 
Begriff, Umfang und Inhalt deſſelben. 


So wie das Recht in jedem einzelnen Staate 
herrſchen ſoll; ſo ſoll es auch in der gegenſeitigen Ver⸗ 
bindung und Wechſelwirkung aller neben einander be⸗ 
ftehenden Staaten unbedingt gelten, und dadurch zur 
allgemeinen Herrfchaft auf dem ganzen Erdboden ge- 
langen. Das Staatenrecht, welches diefes lehrt, 
gründet ſich daher auf das philofophifche 
Voͤlkerrecht, und verhält fi) zu demfelben, wie 
das philofophifhe Staatsrecht zu dem Maturrechte, 
inwiefern nämlich, abgefehen von aflen in der Wir. 
lichkeit eintretenden DVerhältniffen zwifchen ven ein⸗ 
zelnen Staaten, bas pbilofophifche Wölkerrecht die 
Grundzüge des deals aufftelle, unter welchen das 


302 Staats» und Staatenredt. 


Recht in dem gegenfeitigen Verkehre aller Völker zur 
unbedingten Herrfchaft auf dem Erbboden gelangen 
fol. Es dürfen daher im Staatenrechte die im phi- 
loſophiſchen Völferrechte aufgeftellten und wiffenfchaft- 
li) durchgeführten Bedingungen der Herrfchaft des 
Rechts in der Wechfelmirfung der neben einander be- 
ftehenden Völker nicht im Einzelnen wiederhohlt, 
ſondern nur als die Örundlage bes Staa- 
tenrehts genannt, und mit dem Figenthümli- 
chen des Staatenrehts, mitderrehtlihen Be- 
grüänbung des Zwanges zwiſchen den Staa- 
‚ten in Verbindüng gebracht werden. 
Das philoforhifhe Völkerrecht ſtellt namlich für 
die Vermwirflihung des deals der unbedingten Herr: 
ſchaft des Rechts auf dem Erdboden ein Urrecht 
auf: das Recht auf Selbftftändigfeit und 
Integrität (Maturr. $. 44.), nach) welchem jedes 
Wolf, fo wie das Individuum, ein von allen andern 
Völkern verfchiedenes rechtlihes, und, nad) feiner 
. Gefammtzähl, nad) feinem ihm zugehörenden Gebiete, 
und nad) feiner ihm eigenthümlichen Berfaflung, ein 
in ſich abgefchloffenes Ganzes bildet. Aus’ diefem 
Urrechte des Völkerrehts gingen (Maturr. $. 49 — 
56.) als urfprünglihe Rechte ver Völker her⸗ 
vor: die individuelle Freiheit eines jeden Volkes; die 
rechtliche Gleichheit aller Voͤlker; die gegenfeifige 
Deffentlichfeie (Publicitaͤt), der Kredit, der rechtliche 
Eigenthums - und Gebietsbefiß, die außere Sicherheit 
der Völker, das Recht der Verträge zwiſchen denfel⸗ 
ben, und das Recht der Vertretung des einen Volfes 
bei den andern durch Geſandte. 
Das ‚philofophifhe Staatenrecht erkennt 
dieſe Grundbedingungen des rechtlichen Nebeneinan-⸗ 
derbeſtehens der einzelnen Voͤlker an, und nimmt fie 


* 


Staats⸗ und Staatenrecht. 303 


in fih auf, ſtellt aber ihre Verwirflihung, 
Erhaltung und Behauptung unter die An— 
wendung des rechtlich geftalteten Zwan— 
ges, weil das phllofophifche Staatenrecht, durch diefe 
ihm eigenthümliche Gemwährleiftung der Herrfchaft des 
Rechts vermittelft des in der MWechfelmirkung aller 
Staaten rechtlich geftalteten Zwanges, ſich eben fo 
von dem Voͤlkerrechte unterſcheidet, mie das pbilofo- 
phifhe Staatsrecht von dem Naturrechte bürch die 
ihm eigenthümliche Lehre von der rechtlichen Geftal- 
tung des Zwanges in der Mitte des einzelnen Staates, 
Das philofophifche Staatenrecht fleht daher nicht im 
Gegenfage und Widerfpruche zu dem philofophifchen 
Voͤlkerrechte, welches auf ein deal ſich gründet, das 
allerdings nie völlig verwirklicht werden fann; es 
enthält vielmehr theils die Anwendung ber 
Grundfäge des Völferrechts auf die in der Wirklich⸗ 
keit neben einander beſtehenden Staaten, theils 
die Erweiterung dieſer Grundſaͤtze auf die durch 
die aͤußere Ankuͤndigung der Staaten in ihrer Wech⸗ 
ſelwirkung hinzukommenden eigenthuͤmlichen Verhaͤlt⸗ 
niſſe, beſonders in Hinſicht auf die Anwendung des 
Zwanges gegen einander. Das philoſophiſche 
Staatenrecht iſt daher ($.7.) die wiſſenſchaft— 
liche Darſtellung der allgemeinen Grund— 
ſätze für das rechtliche Nebeneinanderbe— 
ſtehen allerStaaten des Erdbodens, unter 
der Bedingung des zwiſchen ihnen recht⸗ 
lich geſtalteten Zwanges nach vorherge— 
gangenen Rechtsverletzungen. Es zerfaͤllt 
nach dieſem Begriffe: 
a) in die Darſtellung der allgemeinen Grund⸗ 
fäge für das rehtlihe Nebeneinanderbe 
ftehen aller Staaten bes Erdbodens, und 





304 Staats» und Staatenrecht. 


b) in die Lehre von der rechtlichen Geftaltung 
des Zwanges zwifchen den Staaten nach vorher: 
gegangenen Mechtsverlegungen. 


(Es gibt feine befondere Literatur bes 
Staatenrechts, weil theils die ältern Schriftfteller 
des Voͤlkerrechts das philofophifche und das 

practiſche europäifche Völkerrecht vermifch- 
ten (welche erft in neuern Zeiten ſtreng wiflenfchaft- 
tich von einander gefchieden wurden), theils felbft 
die neuern fehrer des Matur- und Staatsrechts 
das Völfer- und Staatenredt *) für 
identifch nahmen, und es auf dieſe Weife in 
ihren Syſtemen und Compendien behandelten. ) 


68. 


a) Darftellung der allgemeinen Grund» 
fäße für das rehtlihe Nebeneinander- 
‚beftehen aller Staaten des Erdbodens. 


Iſt das Staatenrecht, in wiffenfchaftliher Hin- 
fiht, ein auf die in der Wirflichfeit neben einander 
beftehenden Staaten angewanbtes philofophifches Voͤl⸗ 
ferreht ($. 67.); fo ergibe fih aus der Anwendung 
bes Voͤlkerrechts auf das Staatenrecht, daß jedem 
Staate, als einer in ſich zur Einheit verbundenen und 


*) So fagt ſelbſt Kant Cind, met. Anfangegr. der 

Rechtslehre ©. 215.): „das Recht der Staaten 
im Verbältniffe zu einander, welches niht ganz 
eihtig das Völkerrecht genannt wird, fons 
dern vielmehrdas Staatenredht (jus publi- 
cum civitatum) heißen follte, if das, was wir 
unter dem Damen des Wölkerrehts zu betrachten 
Baden. “ " 





Staats» und Staatenredhr. 305 


abgeſchloſſenen Geſellſchaft, Selbſtſtaͤndigke it 
und Integrität, nad) feinem Gebiete, nad 
feiner Bevölferung und nad feiner Verfaſ⸗ 
fung, zufommt, weil diefe Drei Gegenftände den 
Begriff des Urrechts jedes für fich beftehenden Stan- 
tes erfchöpfen. Es ergibt fich ferner daraus, daß 
jedem Staate individuelle —R zukommt, 
und fein andrer Staat die Bürger deſſelben als. von 
ſich abhängig betrachten, oder fich einverleiben, ober 
gar in Knechtſchaft und Sklaverei abführen darf; es 
folgt weiter, daß alle felbfiftändige Staaten einane . 
Der völlig gleich find, weil nur nach der Geſchichte 
und Staatskunſt, nicht nach der Vernunft, ein Un⸗ 
terfchied zwiſchen mächtigen und mindermächtigen, 
fouverainen und halbfouverainen, und zwiſchen Staa- 
ten des erften, zweiten, britten und vierten politifchen 
Ranges ftatt finde. Gleihmäßig folgt aus ber An⸗ 
wendung des Völferrechts auf das Staatenrecht, daß 
fein auswärtiger Staat indie innere Ver— 
faffung des andern fi mifhendarf, außer 
in dem einzigen, durch den Zwang ber Prävention 
und Mothwehr gerechtfertigeen, alle, wenn deflen 
eigene Selbftftänbigfeit, ntegrität und Verfaſſung 
dadurch wirklich bedroht und gefährdet wäre (3. B. 
im Zuftande allgemeiner Anarchie, wo alle rechtliche 
Sormen in demfelben zerftört wären; oder wenn der 
ausgebrochene Bürgerkrieg Die Grenzen der Nachbar- 
ftaaten verlegte; oder wenn eine Parthei des andern 
Staates die Eroberung des Nachbarftaates anfün- 
digte); daß, bei der Heiligkeit des rechtlichen Eigen» 
thums⸗ und Gebietsbefiges jedes einzelnen Staates, 
fein andrer Staat durch Liſt, Gewalt und Eroberung 
einen Theil diefes Gebiets fid) anmaßen, fondern von 
dem andern Staate nur durch techlliche Verträge 
I. 20 


300 Staats⸗ und Staatenrecht. 


Gebiet und Eigenthum erwerben darf; daß, 
in Hinſicht ſeiner innern und aͤußern Verhaͤltniſſe, 
jeder Staat vermittelſt der Oeffentlichkeit 
wiſſen muͤſſe, wie er mit dem andern daran iſt; daß 
kein Staat die Sicherheit des andern bedrohen, 
oder den öffentlihen Kredit deflelben verdächtig 
machen und untergraben dürfe; daß jeder Staat bas 
Recht babe, Fremde in feine Mitte aufzunehmen 
und zu naturalifiren, und Kolonieen anzulegen; 
daß zwifchen den Staaten, wie zwifchen den Indivi⸗ 
duen, durch frei eingegangene und rechtlich abge= 
ſchloſſene Verträge gegenfeitig öffentliche und bes 
fondere Rechte erworben und vertaufcht werden bür- 
fen; fo wie, daß durch die Gefandten die recht⸗ 
lihen Verhandlungen über alle Gegenftände bes in- 
nern und äußern Staatslebens zwifchen zweien ober 
mehrern Staaten geleitet, und ſchon durch die An⸗ 
wefenheit ber Gefandten in der Mitte des andern 
Staates bie frieblihen und freundfchaftlichen Ver: 
bältnifje zwifchen beiden oͤffentlich vergegenwaͤrtigt 
werden. — Aus diefem Standpuncte betrachtet 
erfcheine die ganze Menfchheit in der Wirklichkeie, 
nach ihren einzelnen Staaten, als ein allgemeiner 
rechtlicher Verein zur Begründung unb Erhaltung 
bes Bleihgewinre der Rechte auf dem Erb 
n 


69. 
Verträge zwifhen den Staaten. 


Wenn alle rechtliche Werbindung zwifchen ſitt⸗ 
lichen Weſen auf Vertrag berußt; fo kann auch bie 
Verbindung und Wechfelwirfung ber Staaten wur 
durch Werträge eine rechtliche Form erhalten. Daß 


Staats. und Staatenrecht. 307, 


aber überhaupt, noch ohne nähere Verbindung, : 


Staatenredtlih nebeneinander beftehen, 
d. h. daß fie, ohne förmlich abgefchloffenen Ver⸗ 
träg, einander nach ihrer Selbftftändigfeit und In⸗ 
tegrität, nach ihrer eigenthümlichen Verfaffung und 
nach ihrem Gebietsbefig anerfennen, kann blos unter 
der Annahme eines ftillfehmweigenden Vertrages 
(Nature. $. 24.) von der Vernunft gedacht werden, 
So wie nämlid im rechtlichen Verkehre der Indivi⸗ 
duen vieles auf ſtillſchweigendem DVertrage beruht, 
und die rechtliche Geftaltung bes einzelnen Staates 
zur Einheit im Innern und nad) außen da, wo fein 
förmlicher Grundvertrag abgefchloffen worden ift, von 
der Vernunft auf eineh ſtillſchweigenden Vertrag zu⸗ 
ruͤckgefuͤhrt wird ($. 10.); fo muß auch das rechtliche 
Beſtehen der einzelnen Staaten neben einander, nad) 
. welchem fie aus dem rohen Naturzuftande neben ein- 
ander grafender Nomadenhorden heraustreten und ' 
auf Die ununterbrochene gegenfeitige Anfeindung (bel- 
lum omnium contra omnes) in Hinficht auf Ge⸗ 
bietsbefig und Eigenthum verzichten, auf die Annahme 
eines ftillfhmweigenden Vertrages hinführen: 
Dies erhellt daraus, daß, nach der Voͤlkerſitte, jeder 
Staat den andern fehon an fih — bevor er noch 
irgend einen befondern Vertrag mit ihm abfchließt — 
für felbftftändig, für rechtlich geftalter, und fire recht» 
mäßig einheimiſch auf feinem Gebiete hälf, weil alle 
einzelne, allmählig-zwifthen ihnen abgefchloffene, Ver⸗ 
träge jenen ftiflfehweigenden Grundvertrag voraus- 


en. 

’ Unter diefer vechtlichen Vorausfegung erhalten 
alle zwiſchen ben Voͤlkern und Staaten abgefchloffene 
Schenkungs⸗, Taufh-, Kauf⸗, Leih⸗, Darlehns-, 
Pfand» und Bevoll maͤchtigungsvertr aͤge (Naturr. 

20 


308 Staats- und- Staatenrecht. 


4. 55.), ſo wie die Gutſagung und Verbuͤrgung des 
einen Staates fuͤr den andern, namentlich aber die 
Buͤndniſſe im engern Sinne, ihre rechtliche 
Guͤltigkeit, nach allen den im Voͤlkerrechte dafuͤr 
(. 55.) aufgeſtellten Bedingungen ihrer immerwaͤh⸗ 
renden oder nur auf gewiſſe Zeit beſchraͤnkten Dauer. 
Selbſt der Nachtheil, welcher für den einen 
Staat aus der Erfüllung der Bedingungen des Ver— 
trages hervorgehet, bietet feinen Grund dar, den⸗ 
felben nicht zu erfüllen... Nur wenn diefe Erfüllung 
den Untergang bes Staates unvermeiblid 
und entfchieden nad) fid zöge, kann, nad) ber 
Vernunft und nad) dem Urrechte der Selbfiftändig- 
keit, diefe Erfüllung verweigert werden. 
Bon einem Rechte der Verjährung unter 
. ben 'einzelnen Staaten weiß das philofophifche 
Staatenreht um fo weniger, weil baffelbe fogar 
‚im practifchen europäifchen Voͤlkerrechte beftritten 
wird. ’ 


Pr 70. 
Verbindung zwiſchen den Staaten. 


Da aber, bei der Verbreitung des menſchlichen 
Geſchlechts über dem ganzen Erdboden, die lebhaftefte 
und bleibendfte Verbindung zunachft nur zwifchen 
Nachbarftaaten, oder Doc) zwifchen den Staaten eines 
und deflelben Erbtheils befteht; fo wird auch unter 
mebrern berfelben, nad) der Verwandtſchaft ihrer 
Cultur, Gefittung, Verfaffung und Religion, nad) 
ber Aehnlichkeit ihrer öffentlichen und befondern Ver⸗ 
, haͤltniſſe, und nad) dem Maasftabe ihrer nach außen 

- geltend zu machenden und zu bebauptenden Rechte, 
eine nähere Verbindung, d.h. ein Staatenbund 


Staats⸗ und Staatenrecht. 309 


beſtehen, welcher auf einem rechtlichen, entweber für 
immer, ober für eine gemwifle Zeit abgefchloffenen, 
Vertrage beruht zur Aufrechthaltung after ihrer oͤffent⸗ 
lichen und befondern Rechte, und zur gemeinfchafte: 
lihen Beförderung und Unterflügung ihrer innern 
und aͤußern Verhältnifle,, fo wie im Falle einer Ber 
einträchtigung diefer Rechte ‚und eines feindfeligen: 
außern Angriffs, zur gemeinfchaftlichen Wertheidis, 
gung ihrer Rechte, ihrer Selbſtſtaͤndigkeit, ihrer 
Verfaflung und ihres Gebiets gegen einen gemein» 
ſchafttichen Feind, 

Für die eigentlihe Staatsfunft geht aus 
dieſer rechtlichen und vertragsmäßigen Verbindung 
mehrerer Staaten zu einem gemeinfchaftlichen Zwede 
der. gegenfeitigen Erhaltung und Wertheibigung das 
fogenannte Syftem des politifchen ®leichges 
wichts hervor, für welches das philoſophiſche Staa. 
tenrecht nur Die Grundbebingungen des allgemeinen 
rechtlichen Gleichgewichts zwifchen allen neben ein- 
ander beftehenden Staaten aufſtellt. Ä 

So gewiß übrigens jedem felbftftändigen Sta 
das Recht zufteht, in feinem Innern Veränderungen 
in feiner Berfaflung und Verwaltung vorzunehmen, 
Feſtungen anzulegen, fi) zu ruͤſen, Truppen auszus 
heben, Schiffe bauen und auslaufen zu faflen, und 

öfle feftzufegen, ohne deshalb mit andern Staaten 

ücfprache zu nehmen (fobald nie p.olitifche 
Gründe diefe Ruͤckſprache rathſam machen); fo gewiß 
hängt es aud) von jedem andern Staate.ab, ob er 
diefe Veränderungen im. Innern eines Staates, na⸗ 
mentlich die Umbildung in der Verfaflung und Ver» 
walstung, anerfennen oder. gar gewährtleiften 
wi. Nur folge aus der Verweigerung dieſer Aner⸗ 
kennung von ſelbſt, daß das frühere freundſchaftliche 


310 Steaats- und’ Staatenrecht. 


Verhaͤltniß zwiſchen beiden Staaten aufgehoben wird, 
und daß die daraus entſpringende Entfremdung bei⸗ 
der leicht zu Mißverſtaͤndniſſen, Spannungen und 
ſelbſt zum Kriege fuͤhren kann. | 
11 u | 
b) Lehre von der rehrlihen Geftaltun 
bes Zwanges zwifchen den Staaten nad) 
vorhbergegangenen Nedhtsverlegungen. 


Der Zuftand des Friedens befteht zwiſchen den 
“ einzelnen Staaten, fo lange ihre Selbftftändigfeit, 
Integrität, Verfaffung und Wohlfahrt von feinem 
andern Staate bedroht oder verlegt wird. Sobald 
aber jene Bedrohung oder Verlegung erfolgt, hat ber 
bedrohte oder beeinträchtigte Staat das Recht zum 
Bwange, als bes von der Vernunft gufgeheißenen 
rechtlichen Mittels , entweder der drohenden Rechts⸗ 
verlegung durch Prävention zuvorzufommen, oder 


Die begonnene Rechtsverletzung buch Nochwehr aͤuf⸗ 


zubalten und ini ihrer Vollendung zu hindern, oder bie 
pollbrachte Rechtsverlegung dur Wiedervergels 
tung derfelben auszugleichen, welche zwifchen Staa- 
ten und Staaten nur in ber Wiederherftellung des 
vorigen Befisftandes und in Entſchaͤdigung für ben 
gebabten Verluft beftehen kann. Denn blos vom 
Zwange, nicht don Strafe, kann zwifchen gleich 
ſelbſtſtaͤndigen Staaten die Rede ſeyn, weil die Strafe 
jedesmal theils die Verzichtleiſtung der Individuen 
auf eigene Anwendung des Zwanges, theils die Ueber⸗ 
tragung des Zwanges bei eingetretenen Rechtsver⸗ 
letzungen auf ein anerkanntes Oberhaupt, theils die 
Ausübung der Strafe im Namen einer ganzen Rechts- 

geiellfchaft durch den Regenten berfelben worausfegt. 


Staats» und Staatenrecht. 311 


Da num bie einzelnen Staaten, ſobald fie, für die 
Ausgleihung ihrer Rechisftreitigfeiten, nicht durch 
freiwillige Uebereinfunft einen dritten Staat als 
Vermittler, oder als gemeinfhaftlihen 
Schiedsrichter wählen, feinem höhern Staaten» 
gericheshofe unterworfen find; fo fann auch zwifchen 
felbftftändigen Staaten ein Straf- oder Rache 
krieg nie nach Vernunftgrundfägen ſtatt finden. , 


72. 
Abfiufungen des Zwanges zwifchen den 
Staaten: Retorſionen, Repreſſalien, 
Krieg. 


Der rechtliche Zwang zwiſchen den Staaten hat 
aber eine dreifache Abſtufung: Die Retorſionen, 
die Repreffalien, und den Krieg — Retor⸗ 
fionen treten, als Ermwiederungen ein, fobald ein 
Staat die unvotlfommenen Rechte gegen ben 
andern Staat verlegt hat und die Genugthuung dafür 
verweigert, Repreffalien aber, fobalb ein Staat 
die vollfommenen (oder Zwangs⸗) Rechte des 
andern burch feine Werfügungen beeinträchtigt Bat 
und Genugthuung dafür verfagt; ber Krieg endlich 
erfolgt, fobald wegen der angedroßten, oder begon« 
nenen, oder verlegten Verlegung vor wefentlidien 
Zwangsrechten durch Unterhandlungen feine recht⸗ 
liche und befriedigende Ausgleichung ausgemittelt wer⸗ 
den kann. 

Die Entwickelung der Lehre von Ke forfionen,, 
Repreffalien und Krieg nad) den einzel 
nen, in der Wirflichfeie und Gefchichte vorlie⸗ 
genden, Verhältniffen gehört zunächft ins pra 
etifhe europaiſche Voͤltertecht. Nur 


[4 


313 Stoais- und Seaatenrecht. 


im Allgemeinen werben biefe Begriffe in: 
Staatenrehte behandelt. — Retorfionen 
weten ein, wenn ber eine Staat etwas verfügt, 
was zwar gegen bie Geſetze der allgemeinen Ge⸗ 
rechtigfeit und Billigfeit, und gegen die Völfer- 
„ fitte, nicht aber gegen ein anerfanntes Zwangsrecht 
verſtoͤßt, z. B. wenn ein Staat verorduet, daß 
fein Getreide, keine Wolle, kein Wein ins Aus- 
land , oder nur gegen einen beträchtlichen Grenzzoll 
verführt werben foll, ‚und nun der Nachbarftaat 
ein ähnliches Verbot ber Ausfuhr des Schladht- 
viehes, ober’ gemwiffer Naturerzeugniffe erläßt, oder 
- die Ausfuhr mit einem gleihhohen Zolle belegt. 
Ebert fo berechtigen neuangelegte Mauthen an den 
.. Grenzen, DBerbote von Manufactur- und Fabrif- 
erzeugniffen, Befchränfung der Reifefreiheit, der 
Meßfreibeit u. fe m. zu Retorfionen. Dagegen 
, beziehen fih Nepreffalien auf die Ermwiederung 
von verlegten Zwangsrechten zwifchen den Staaten. 
Dahin gehört die Beleidigung der Geſandten; die 
Herabfegung der Zinfen oder fetbft des Capitals 
. einer im Auslande gemachten Schuld; die Ver: 
‚ weigerung der Bezahlung ſolcher Zinfen ; die Auf- 
nahme yon fremden Sandesverräthern,, die Verhaf⸗ 
. tung fremder fchuldiofer Reifenden (wie Napoleon 
;, mit den Britten that) u. ſ. w. — Bei Retorfionen 
. und Repreflalien find übeigens bie Bürger des 
Staates, welche duch Anwendung dieſer Maas- 
regeln in ihren Rechten beeinträchtigt werden, zur 
Entſchoͤdigung von der Regierung ihres Staates 
. berechtigt. WB 








Biene, und Seaatenrecht. 313 


tr, 73 ». —R J 
Der rechtliche Krieg. . 


Die Vernunft kennt überhaupt nur einen einzi⸗ 
gen Rechtsgrund zum Kriege, fobalb nämlidy weber . 
Unterhandlungen , noch Retorfionen und Repreffalien, 
noch) die vermittelnde Dazwifhenfunft der Regierung 
andrer Staaten hinreihen, die Zurüdnahme feind- 
liher Maasregeln, oder eine gerechte Genugehuung 
für erlittene Rechtsverlegungen von dem beleidigenden 
Staate zu erhalten. Alle andere Veranlaffungen zur 
Anfindigung des Krieges liegen außerhalb des Krei- 
ſes des Rechts, und gehören ausſchließend ins Ges 
biet der Staatskunſt. 


Nur alfo der Vertheidigungskrieg wegen 
verlegter Rechte, für welche die Ausgleichung ver⸗ 
weigert wird, nicht der Angriffs- ober Eroberungs- 
krieg iſt rechtlich vor der Vernunft; doch fann, im 
alle des Präventionszmanges, der erfte Angriff felbft 
von dem Staate gefchehen , der blos feine bedrohten 
ober verlegten Rechte vertheidige. Die Vernunft ver 
lebt daher unter bem Kriege den einem andern Staate 
förmlich angefündigtenZuftand des Zwan—⸗ 
ges, der fo langeplanmäßig und mit Anwendung aller 
rechtlichen Zwangsmittel fortgefeßt wird, bis entweder 
Die angedrohte Rechtsverletzung zuruͤckgewieſen und au 
ihrer Ausführung verhindert, oder der beleidigte Theil 
in feine verlegten Rechte wiederhergeftellt und ihm bie 
Genugthuung zu Theil geworben ift, deren Verwei⸗ 
gerung ben Krieg veranlafte, fo wie der Erfag für 
die Koften des Krieges, fobald der beleibigte Theil 
nicht auf dieſelben nerzichte. Damit muß aber für 
die Zukunft eine. Gewaͤhrleiſtung verbunden fen, daß 





314 Staats⸗ und Staateurecht. 


der beleidigende Staat nicht wieder bie Rechte Yes 
- andern bedrohen oder verlegen werde. 


Die Herftellung der Herrfchaft des öffentlichen 
Rechts zwifchen zweien oder mehrern Staaten, theils 
vermittelft der Ausgleichung ber flreitigen Rechtsver⸗ 
haͤltniſſe, theils vermittelft der Hinreichenden Genug- 
thuung für die erlittene Beleidigung, theils vermit⸗ 
telft einer befriedigenden Gemwährleiftung für die kuͤnf⸗ 
tige Sicherheit des beleidigten Theils, find alfo die 
von der Vernunft gutgeheißenen Zwecke und Bedin⸗ 
gungen, auf welche der Kriegszuftand zwifchen ben 
Staaten beendigt und der Friebe abgefhloffen werben 
fol. Weil aber der Krieg ein rechtlicher Zuftand 
des Zwanges und des Kampfes der Staaten ift, wo 
diefe als moralifche Perfonen einander gegen über 
ftehen ; fo verlangt auch die Vernunft, daß der Krieg 
nur durch rechtliche Mittel und mie erlaubten 
Waffen, nie gegen Privatperfonen und gegen bas 
Privateigenthum ber “Bürger geführt, und nie ein 
dritter frieblicher Staat gegen feinen Willen in den 
Kampf zweier Staaten verflochten werde. 


Aus diefen rechtlichen Grunbfägen folgt zugleich 
von felbft,, daß der Sieger durch den Sieg nur das 
Recht erhäfe, fich aller unter der Leitung der befiegten 
Regierung ftehenden. Kräfte zur Fortfegung des Krie- 
ges zu verfichern, und daß er, bis zum Frieden, in 
dem befiegten Staate, nad) allen Hoheitsrechten in 
Beziehung auf die drei Verwaltungszweige der Po⸗ 
lizet, der Finanzen und des Militairs, an die Stelle 
der Negierung deffelben tritt, vo mit Ausnahme der 
Gerechtigkeitspflege, weil Diefe einen an ſich ſelbſtſtaͤn⸗ 
digen und unabhaͤngigen Charakter behauptet, und 
ohne daß fuͤr den Sieger aus der Beſetzung des be⸗ 





Etaats, und Staatenrecht. 315 


fiegten Staates ein Eigenthumsrecht aufj denſelben 
hervorgeht, weil diefes Eigenthumsrecht felbft den 
befiegten Regenten nicht zufteht, fd wie auch der Sie⸗ 
ger nichts in der Werfaflung des befiegten Staates 
“ verändern, oder beſſen Unterthanen zu ſeinem Dienfte, 
und zur Uebernahme einer Verpflichtung gegen ihren, 
rechtmäßigen Regenten nöthigen kann. 

- Was vom Kriege überhaupt, und namentlich) 
vom Sandfriege gilt, muß, nad) der Vernunft, 
auch vom Seefriege gelten. Die in der Wirf- 
lichkeit beſtehenden Verſchiedenheiten beider gehö« 
ren dem practifheneuropaifhen Voͤlker⸗ 
rechte an. 


Heinr. Gtli. Tzſchirner, über den Krieg; ein 
phitofopdifcher Verfuh. Lpz. 1815. 8. . 


74 ’ 
Bundesgenoffen im Kriege 


Sobald an dem Kriege zweier Staaten noch an« 
dere Staaten Theil nehmen; fobald muß dabei zwifchen 
eigentlich verbündeten und blos hülfslei- 
ftenden Mächten unterfhieden werden. Der Bund 
zweier oder mehrerer Mächte zur Eröffnung eines Krie⸗ 
ges beruht auf einem Vertrage, abgefcyloffen für bie 
gemeinfchaftliche Führung des Krieges, wegen erlit- 
tener gleicher Beleidigungen und Nechtsverlegungen, 
wo alfo theils der Rechtsgrund, theils ver Zwed 
des Krieges ihnen gemeinfchaftlich if. Die Verbun- 
denen gelten, als folhe, für Eine Macht, und alle 
Mane zur Führung des Krieges, alle während des 
Krieges erlittene Verluſte ober erfämpfte Bortheile, 
fo wie die Unterhandlungen uud Bedingungen des 


316 Staats⸗ und Seetenrece. 


| Friedens ſtehen ihnen nach gleichen Verhaͤltniſſen zu. 
Denn nur in drei Fällen kann, nad) dem Vernunft⸗ 
rechte, der eine verbuͤndete Staat ohne feinen Bun⸗ 
desgenoffen durch einen befondern (Separat) Frieden 
mie dem Feinde aus dem Kriege. heraustreten: wenn 
ihn entweder der Bundesgenoſſe felbft im Laufe des 
- Krieges von den übernommenen Verpflichtungen ent» 
bindet; ober wenn der Bunbesgenoffe feine vertrags- 
mäßig eingegangenen Verbindlichfeiten nicht erfüllt, 
und mithin an feinem Theile thatſachlich den Vertrag 
bricht; oder wenn ber eine Staat allein von dem 
Feinde überwältigt worden ift, und er auf feine an- 
dere Weife feine Selbftftändigfeie und Jntegrität, den 
göchtten Zwed aller Staaten, erhalten und retten 
ann. 


Von diefer Verbindung zweier ober mehrerer 
Staaten zu einem: gemeinfdhaftlichen Kriege ift der 
bios hulfsleiftende Bundesgenoffe verfchieden,, 
weicher, vermöge eines frühern Buͤndniſſes mit 
einem andern Staate, zur Unterftügung deſſelben 
bei der Eröffnung eines Krieges verpflichtet ift, ohne 
Doch mit dem verbundenen Staate gleiche Belei- 
bigung und Verlegung feiner Rechte und 
alfo gleichen Zweck bes Krieges zu theilen, weshalb 
er auch nicht mit feiner ganzen Macht als beleidigter 
< Staat, ſondern blos unter ben früher vertragsmäßig 
feftgefegten Bedingungen der Hülfe in einem eintre« 
tenden möglichen, Falle, an dem Kampfe Theil 
nimmt. 


Die Subfidienzahlung, ſtatt der wirk⸗ 
lichen Theilnahme am Kriege, kennt nur die 
Staatskunſt, nicht das Staatenrecht. 


Staats» und Staatenreche, 317 


75. 
Recht der Neutralität. 


Aus dem Begriffe der Selbſtſtaͤndigkeit und 
Unabhaͤngigkeit der Staaten geht von ſelbſt hervor, 
daß es jedem Staate, bei einem beginnenden Kriege, 
frei ſtehen muß, ob er daran Theil nehmen, oder 
neutral bleiben will, ſobald ihn nicht fruͤhere Buͤnd⸗ 
niſſe zur Theilnahme verpflichten ‚ oder felbft erlittene 
Beleidigungen ihn dazu berechtigen. Aus dem Rechte 
der Neutralitaͤt folgt aber, daß der neutrale Staat 
feine gefammten bisherigen Werhältniffe gegen die 
friegführenden Mächte beibehält, und von denfelben 
weber in feinen öffentlichen Kechten, noch in den Pris 
vatrechten feiner Bürger, befonders in Hinſicht auf 
die Freiheit des Handelsverkehrs, befchränft werden 
Darf, daß er aber aud) nicht den einen friegführenden 
Staat zum Nachtheile des andern, offen oder geheim, . 
mit Kriegsbebürfniffen unterftüge, oder ihn überhaupt 
auf irgend eine Weife begünftige. Zugleid) ergibt fich 
aus dem Rechte der Neutralität, daß der neutrale 
Staat, nach vorhergegangener Befanntma hung gegen 
beide friegführende Theile, feine Neutralität bewaff- 
net behaupten, feine Grenzen befegen und vertheidi- 
gen, und jede Betretung oder Verlegung feines Ge⸗ 
biete von einer der friegführenden Mächte durch eine 
Kriegserflärung an biefelbe ahnden darf, 


76. | 
Der rechtliche Friede. 
Der Sriedensfhluß hat die Beſtimmung, 


den Krieg rechelich zu beendbigen. Soll dies ge⸗ 
ſchehen; fo muß ber in feinen Rechten verlegte Staat 


318 Staats- und Staatenrecht. 


Durch die Bedingungen bes Friedens theils Wieder— 
herftellung bes vor dem Kriege beftandenen Rechts- 
zuftandes, theils Genugthuung für die Verlegung 
feiner Rechte, theils Entſchaͤdigung für Die Koften 
des Krieges, Dafern dieſe nicht gegenfeitig aufgehoben 
werben, theils beftimmte Gewaͤhrleiſtung feiner 
fünftigen Sicherheit vor ähnlichen Rechtsverlegungen 
erhalten. . Jeder Friede, der nicht eine befriebi- 
gende Ausfühnung der friegführenden Theile, und 
eine völlige Ausgleihung ihrer Rechtsftreitigfeiten 
enthält, würde nur den Stoff zu einem neuen Kriege 
darbieten. Es ift daher Pflicht für den Sieger, Die 
Bedingungen des Friedens nach den Grundfäßgen 
der Gerechtigkeit und Mäßigung, und nide 
nad) den vorübergehenden Erfolgen einzelner glüds 
licher Ereigniffe, aufzuftellen, weil nicht blos das 
Recht, fondern felbft die Klugheit verlangt, daß der 
.befiegte Staat nicht durch uberfpannte Forderungen 
für die Zufunft in einen unverföhnlichen Feind ver- _ 
wandelt, fo wie das Mißtrauen und. die Eiferfuche 
der andern neutralen Staaten gereizt werde; auch daß 
der befiegte Theil den Frieden mie Ruͤckſicht auf die 
inneren und äußern Berbältniffe feines Staates fchlie- 
Ken und halten könne. ‘Denn nad) der Vernunft ift 
jeber Sriedensvertrag ungerecht, welcher den böfiegten 
Staat entweder feiner Selbftftändigfeie und feiner 
eigenthuͤmlichen Verfaffung, oder doc, feiner Inte⸗ 
grität beraubt, oder ihn in fortdauernde Abhängigkeit 
nach den innern und äußern Berheltniffen zu dem 
Sieger ſtellt, ober ihn gar in der Reihe der beftehen- 
den Staaten vernichten will. 

Der erfte Antrag zum Frieden fann aber vom 
befiegten, ober vom fiegenden Theile, oder von.einem 
Bundesgenoſſen beider Theile, oder von: einam neu- 


ö— 07T 
u 


Staats » und Staatenrecht, 319 
tealen Staate gefchehen. Durch Bermittelung 


oder Bürgfchaft des Friedens fonnen auch an- - 


dere Staaten an einem Friedensfchluffe Theil neh- 
men. Die Gültigfeie des Friedens endlich beruht auf 


der Unterfchrift und “Beftätigung deffelben von den 


Regenten der Priegführenden Staaten. 


Eman. Kant, zum ewigen Frieden. Koͤnigeb. 
1795. 8. 

Er. v. Gens, über den ewigen Frieden; in f. 
hiſtor. Journ. 2800, Dec. ©. 711 ff. 

Karl Sal. Zahariä, Janus. Lpj. 1803. 8. 


2 


330 





> 


m. 
Die Staatstunf Politif). 


Sinleitung 


wii 


1. 
Borbereitendbe Begriffe. 


Dogleich unter allen Benennungen der einzelnen 
Staatswiſſenſchaften der Name der Politik der 
aͤlteſte iſt; ſo iſt doch bereits ſeit Jahrtauſenden, 
weder in der Wiſſenſchaft, noch in der Praxis, ein 
und derſelbe Begriff damit verbunden worden. Bald 
ward er weiter, bald enger gebraucht; und ſo auch noch 
in unfrer Zeit. Denn wenn Einige unter der Po⸗ 
lieif den ganzen Umfang ſaͤmmtlicher Staatsfennt- 
niffe verfteßen, und diefem Begriffe eben fo das 
Staatsreht, wie bie Staatsflugheit, eben fo die 
Volks» und Staatswirthfhaft, wie die Finanz» und 
Polizeiwiffenfhaft unterorbnen; fo betrachten dage⸗ 
gen Andere die Politif blos als einen Anhang des 
Staatsrehts, und gründen fie auf bloße Rechts⸗ 
grundfäge, mährend wieder Andere fie nur als 
Klugheitslehre behandeln, wobei das Recht Feine 
Stimme haben dürfe. Manche glauben, es fey hin- 
reichend, die Politik zu einer wiffenfchaftlihen Form 





* 


Staatskunſt. 31. 


zu erheben, wenn fie dieſelbe als das Ganze gemiffer 
abftracter£chrfäge uber Stdat, Staatsorganismus, 
Verfaſſung und Verwaltung im Geifte eines philofo- 
phishen Modeſyſtems darftellen, ohne irgend eine 
Ruͤckſicht auf das in der Wirklichkeit beſtehende und 
ausführbare zu nehmenz andere hingegen verfpotten 
alle Abftraction und alles, was aus der Vernunft für 


das wirkliche Staatsleben hervorgehen muß, und ver-? 


wanbeln bie Wiffenfchaft in ein unzufammenhängen« 
des Aggregat von einzelnen Beifpielen, Tharfachen 
und Sägen, welche in den Kreiſen der Geſchichte und 
Erfahrung vorliegen. Allein fo wenig von der- einen 
Seite blos die reine Abftraction in das Gebiet der 
Politik gehört; fo wenig reicht aud) von der andern 
Seite die bloße Erfahrung und Gefchichte aus, das 
wiffenfchaftliche Gebäude ber Polisif feſt zu begruͤn⸗ 
den und gleichmäßig durchzuführen. ” 

Abgeſehen von diefen Mißgriffen in älterer und 


neuerer Zeit, feheint es in der That nur zmei Wege. 


zu geben, welche zu einer wiflenfchaftlichen Begrün« 
dung und Durchbildung der Politif führen koͤnnen; 
entweber fie wird als die Gefammtheit aller 
practifhen Stastsfenntniffe dargeftellt, und 
dadurch die felbftftändige Geftaltung und wiſſenſchaft⸗ 
liche Durchführung der Staatsmwirthfchaft, der Finanz: 
und Polizeiwiſſenſchaft, ja felbft des practifchen euro» 
päifchen Voͤlkerrechts und der ‘Diplomatie, für über 
Juſſig und entbehrlich erflärt, weil fie. nach jener 
Anfiht — alles Wichtige dieſer Wiffenfchaften in 
ve Mitte aufnimmt; ober fie tritt indie. Kreife der 
Abrigen Staatswiffenfihäften mit’ einem eigen» 
thümlichen Begriffe und ſelbſtſtändſgen 
Charakter ein, fo daß fie zwar in. vielen Sehrrn 
uud Anfichten mehrern andern Staatswiflenfchaft: u 
I 21 


N 


— 


322 Staatskunſt. 


bedeutend ſich nähert, doch aber nach Ihrem beſtimm⸗ 
ten Begriffe und nach ihrem dadurch ſcharf begrenzten 
Umfange, das eigentliche Gebiet der übrigen ſelbſt⸗ 
ſtaͤndigen Staatswiflenfchaften keinesweges beeintraͤch⸗ 
tigt. Mac dieſer zweiten Anſicht wird ihre ſyſte⸗ 
matiſche Darſtellung Hier verſuch. 


2. 
Begriff und Umfang der Staatskunſt. 


Die Staatskunſt (Politik) iſt die wiffen- 

ſchaftliche Darſtellung des Zuſammenhan— 
ges zwiſchen dem innern und äußern 
Staatsleben, nah den Grundſätzen bes 
Rechts und der Klugheit. So wie nämlid) 
bei jeder irdifchen Organifation das innere und Das 
äußere Seben berfelben, verfchieden von einander, aufs 
gefaßt werden koͤnnen, obgleich beide in ihrem Zu- 
fammenhange eben das Wefen der Organifation und 
die erkennbare Anfündigung derfelben vermitteln; fo 
auch bei dem Staate. Jeder Staat fann und muß 
naͤmlich, als ein politifches Ganzes, in einer zwei- 
fahen Hinfiche betrachtet werben; nad) feinem 
Innern *) und nad) feinem äußern feben, unb 


*) Selbſt der Fürſt von Metternich unterfehie) 
zwifhen dem innern und dußern Ötaatsleben 
in f. Schreiben vom 7. Febr. 1818 an den oͤſtreichi⸗ 
[hen Sefandten in der Schweiz, wo es heißt: 
„Nah den fürdterlihen Stärmen, welde Europe 
erichärtert Hatten, und wodurd nicht nur die 
gegenfeisigen Raatsrehtiihen Berhalt⸗ 
niffe feiner einzelnen Staaten nah und 
nad zu einem Chaos umgeftaltet, fondern auch die 
wefentlihen Pfeiler des innern poltti 
(den Lebens, Recht und Billigkeit, ans ihrem 
Grunde grhohen worden wen” u. f. we . 


“ 
u 
& 


Staatsfunft. 323 


nah ber Wechfelwirfung beider auf einander, 
die aus einem Zufammenhange zwifchen beiden 
hervorgeht, durch welchen die erfennbare Ankuͤn⸗ 
digung und Wahrnehmung fomohl des innern ats 
des äußern Sebens vermittelt wird. So wie nun, in 
der Megel, bei allen irdifchen Organifationen das 
innere Leben berfelben die Grunbbebingung des 
äußern, nnd Diefes äußere Seben eine Wirkung und 
Folge des innern bleibt; fo auch im Staatsleben. 
Das innere Seben eines Staates wirb aber 
unächft erfannt an der Eultur feiner Bürger, an 
Feinem Organismus und Verfaffung, Re 
gierung und Verwaltung, und an den, in 
dem eigenthümlichen Charakter des Volkes, fo wie 
in der Verfaſſung, Regierung und Verwaltung 
enthaltenen, Bedingungen der rechtlichen 
Fortbildung bes innern Sfaatslebens, 
weil alles, was lebt, nie ſtillſtehen kann, ſondern 
entweder fortfchreitet oder ruͤckwaͤrts geht. | 

Das äußere Seben eines Staates hingegen wirb 
erfannt an der Art und Weife, wie derſelbe mit an« 
been neben ihm beftehenden Staaten in Wechſelwir⸗ 
tung und Verbindung fteht, und wie er, im Falle 
eintretender Rechtsverlegungen, den Zwang gegen dies . 
felben anwenbet. 

Bei dieſer Anfihe der Staatsfunft, als 
einer ſelbſtſtaändigen Wiffenfhaft, wird al- 
lerdings das im philofophifchen Staats⸗ und Staaten« 
rechte aufgeſtellte Ideal der unbedingten Herrfchaft des 
Rechts in jedem einzelnen Staate, fo wie in der Wed) 
ſelwirkung der gefammten neben einander beftehenden 
Staaten, vorausgefeßt ; ‚allein burphgehends verbin- ' 
dee die Staatskunſt cheils in ihren Grundlehren 
‚mit dem höchften Zwecke bes Rechts be n ämed der 

‘21 x 


324 Etaatskunſt. 


Wohlfahrt, ſowohl der Individuen, als der gan⸗ 
gen Geſellſchaft; eheils ſtellt ſie, für die moͤglichſte 
Verwirklichung dieſer beiden Zwecke des Rechts und 
der Wohlfahrt, die wirkſamſten Mittel auf, 
wodurch die Vorſchriften der Klugheit (denn bie 
- Klugheit befteht in der Kenntniß und Wahl der wirk⸗ 
famften Mittel zur Erreichung eines gemiflen 
Awedes), in die Mitte der Staatsfunft aufgenommen 
werden. Dieſe Vorfchriften der Klugheit ftammen 
aber, als folhe, nicht aus der Vernunft, wie die 
heiligen Gefege des Rechts, fondern aus der Er- 
fahrung; es müffen daher durchgehends in der 
Staatsfunft die anwendbarften und treffendften Be: 
lege aus der Geſchichte der Vergangenheit. 
und Gegenwart entlehnt und mitgetheilt werben, 
-um die Anwendung der wirffamften Mittel für die 
Erhaltung, Bewahrung und Erhöhung des Zuſam⸗ 
menbanges zwifchen dem innern und äußern Staats- 
leben zu verfinnlichen und zu bemeifen. In dieſer 
Hinfiht Fonnte man auch die Staatsfunft als die 
Wiſſenſchaft bezeichnen, wie das deal des Staa- 
tes in der Wirklichkeit nach den Örundfägen des Rechts 
und der Klugheit verwirflicht werden foll, obgleich in 
diefer Begriffsbezeichnung die beiden Hauptgegenſtaͤnde 
des innern und aͤußern Staatslebens nicht mit 
Beſtimmtheit hervortreten. 
Allein ſo entſchieden die aus der Geſchichte ge⸗ 
ſchoͤpften Lehren und Belege in das Gebiet, und ſelbſt 
zum eigentlichen Weſen der Staatskunſt gehören; fo 
kann doh das Verhaͤltniß zwifhen den 
Grundſaͤtzen des Rechts und den Regeln 
der Klugbeit innerhalb der Staatsfunft nur nach 
dem Maasftabe feftgefegt werben, daß die Grundſaͤtze 
des Rechts, hervorgehend aus dem Weſen der Ver⸗ 


Staatskunſt. 325 


nunft, ewig und unveraͤnderlich, die Regeln der Klug⸗ 
heit hingegen, welche aber den Grundſaͤtzen des Rechts 
nie widerſtreiten duͤrfen, aus der Erfahrung und 
Geſchichte abgeleitet, und durch die Eigenthuͤm— 
lichkeit jedes einzelnen Staates, fo wie 
durch die beſondern oͤrtlichen Verhaͤltniſſe deſſelben, 
theils nach ſeinem innern Lehen, theils nach ſeiner 
Wechſelwirkung mit andern Staaten, und durch ſeine 
jedesmaligen Zeitbebürfniffe bedingt find °). 

So fann 5. B. nie im Staatsrechte, wohl aber 
muß in der Staatsfunft der Einfluß des Klima, 
des Bodeus, der. febensweife, der Verfaſſung, 
Regierung und Religion auf die Entwidelung der 
Völfer gewürdigt, — bie Eigenthümlichfeit und 
Verſchiedenheit der Staatsverfaffungen mit Einer 
Kammer oder mit zwei Kammern angegeben, — 
in ber Lehre von der ©erechtigfeitspflege von Fries 


*) Ganz übereinkimmend mit biefer Anficht fagt Fr. 

v. Seng in feinem biftor. Journale, 1800, 
Sehr. ©. 115 ff.: „Die Zwede der Geſellſchaft lafs 
fen ih fämmelih auf zwei Hauptzwecke zuruͤckfuͤh⸗ 
ven: Gemährleiftung für das Recht der Bürger; 
Erhaltung und ÜBeförderung der gemeinfchaftlichen 
Wohlfahrt. Sn einer reinen Theorie der Staates 
wiſſenſchaft iſt der lebte diefer beiden Hauptzwecke 
dem erften untergeordnet ; und in dem reinen ideale 
eines Staates gibt es fogar keinen andern Ends 
zweck, als dieſen; denn eine Verfaflung, welche die 
abfolute Sicherheit aller Rechte verbürgte — würde, 
ohne alles weitere Zuthun, auch die Werfaffung der 
hoͤchſten gemeinſchaftlichen Wohlfahrt feyn.. Was 
aber in der vollendeten Sphäre des deals nur 
Mittel if, Feige in der Unvollkommenheit des 

“ wirklichen Lebens zum Range eines erfien Zweckes 
Binanf. ’ 


320 Staatskunſt. 


densrichtern, Schwurgerichten u, ſ. w. gehandelt 
„werden, weil alle dieſe Gegenſtaͤnde nur nach ben 
Ihatfachen der Gefchichte näher erörtert werben 
fonnen, 
| | 3 
Zwed und Theile der Staatskunſt. 
Aus dem aufgeftelleen eigenthümlichen Begriffe 
der Staatsfunft geht zugleich ihr felbftfländiger med. 
mit Nothwendigkeit hervor. Ihr Zweck ift nämlich: 
die Verwirklichung des Zuſammenhanges 
zwiſchen dem innern und äußern Staats— 
leben nad) den Grundſaͤtzen des Rechts und der Klug⸗ 
heit; Recht und Wohlfahrt follen, in unauflös- 
lihem Vereine, fowohl innerhalb des Staates, als 
in feinee Anfündigung nad) außen, durch die wirk⸗ 
famften Mittel. begründer, erhalten und für immer 
gefichert, und dadurch follder Staat als ein lebens» 
voller, in fich abgefchloffener und vollenbeter , zu⸗ 
gleich aber auch als ein, durch die Fülle feines innern 
Lebens zu immer höherer Kraft und Vollkommenheit 
fih ausbildender, Organismus dargeftelle werden. 
Doch nicht blos der Zweck, auch die Theile 
ber Staatsfunft ergeben ſich aus jenem Grundbegriffe 
der Wiſſenſchaft; denn nach demfelben zerfällt die 
Staatsfunft: 
4) in Die fehre von bem Innern Ötaats- 
leben, und 
2) in die Sehre von dem äußern Staatsleben, 
nach allen zu beiden gehörenden mwefentlichen einzelnen 
Bedingungen, 
Wenn einige ältere und felbft neuere Schriftftel- 
(er der Politik in der wiffenfhaftlihen Darſtellung 


Staatskunſt. 827 


derſelben, zuerft von den auswärtigen An- 
gelegenheiten, und ſod ann von den inneren han- 
beiten; fo konnte ihnen dabei das nothwendige in- 
nere Verhaͤltniß zwifchen beiden nicht eingeteuchtet 
haben. Jedesmal ift das innere Staatsleben bie 
Orunbbedingung bes äußern. Denn wenn gleich 
die Ruͤckwirkung ber äußern ®erhältniffe 
eines Staates auf das Innere durdhaus 
nicht abgeläugnet werden foll, eine Ruͤckwirkung, 
welche, nad den Ausfagen der Gefchichte, oft 
über alle Erwartung günftig, oft aber aud) bei« 
ſpiellos naheheilig ſich anfündigt; fo würde 
doch felbft diefe Ruͤckwirkung von außen nad) 
Innen gewiß durchgehends einen ganz andern 
Charafter behauptet haben, wenn nit vorher 
die Anfündigung und Richtung nach) außen dur dh 
das innere Staatsleben bedingt gemefen 
wäre. Mur ausder Ordnung, Beftigkeit und Gleich» 
möäßigfeit in ihrer innern Geftaltung läßt es fi) 
erflären, warum, nach dem Zeugniffe der Gefchichte, 
nieht felten fcheinbar minder wichtige Staaten in 
entfcheidenden Augenblicden nad) außen eine Kraft 
entwidelten,, die man ihnen vorher nicht zugetraut 
hätte, und die nicht nur für ihr eigenes politifches 
Schickſal, fondern auch fir andere Staaten ben 
Ausfhlag gab. Durch diefe Kraft des innern 
Lebens widerftanden in der Welt des Alterthums 
die griehifchen Freiſtaaten dem Weltſturme 
der perſiſchen Kaiſer; ſie unterlagen aber den 
Eroberungen der Roͤmer, als dieſe Bluͤthe und 
Kraft ihres’ innern Lebens erſchuͤttert und vernichtet 
worden war. Unterftügt von dieſer innern fe 
bensfraft feines durch die Kirchenverbefferung zur 
religiös» politifchen Freiheit gebrachten Staateg, 


324 Staatskunſt. 


noͤthigte (1552) Moritz von Sacfend den Kai⸗ 
ſer Karl 5 zur oͤffentlichen Anerkennung der kirch⸗ 
lichen Freiheit der Proteſtanten. Dieſelbe innere 
Kraft war es, wodurch die Schweizer im 14ten, 
und die Niederländer im 16ten Jahrhunderte 
ihre Selbftftänbigfeit und Unabpängigfeit erfämpf« 
ten und behaupteten ; und vermittelft der Wieder- 
geburt des innern Staatslebens wurden in Bran⸗ 
denburg der große Churfürft, und nod) mehr 
fein Urenfel Friedrich 2, die Begründer einer 
neuen Ordnung der Dinge. — Dagegen zeigte 
Spanien feit Philipp 2, wie cief ein mächtiger, 
noch kurz vorher nad) dem Principat in Europa 
ftrebender , Staat finfen fann, wenn deffen in 
nere gebenskraft entmiſcht worden iſt; 
gleiches kuͤndigte Frankreich an unter Ludwig 15 
nach Fleury's Tode, und daſſelbe gilt von dem 
innern Staatsleben des osmaniſchen Reiches! 


4 
Verhaͤlenis der Staatskunſt zu den uͤbri⸗ 
gen Staatswiſſenſchaften. 


Behandelt man die Staatskunſt, wie Einige 
Gun ($.1.), als die Gefammtheit der practifhen 
Staatskenntniſſe; fo ift fie dann dag Ergebniß 
aller Staatswiffenfhaften zufammen, 
ohne daß fie — abgefehen von der in ihe verfuchten 
_ BZufammendrängung ber wichtigften ftaatswif- 
fenſchaftlichen Gegenftände — einen eigenthümlichen 
und felbftftändigen Charafter in der Reihe der übri- 
gen Staatswiffenfchaften behaupte. Wird aber die 
Staatsfunft aus dem ($. 2.) aufgeftefften Begriffe und 
Spandpuncte, als die wiffenfhaftlide Dar« 


Staatakunſt 329. 


kellung des’ Aufammenhaages zwiſche ſa 
dem innern und äußern Staatsleben. nad, 
den Grundſaͤtzen des Rechts und. der Klug- 
heit aufgefaßt; ſo kommt ihr nicht nur ein ſelbſt⸗ 
ſtaͤndiger wiſſenſchaftlicher Charakter und ein 
eigenthuͤmlicher Zweck (6. 3.) zu; es läßt ſich auch: 
ihre Stellung in dem Kreiſe der geſammten Staats⸗ 
wiſſenſchaften und ihr Ver haͤltniß zu den uͤbri⸗ 
gen Staatswiſſenſchaften beſtimmt und ſicher 
ausmitteln. 

. Sice iſt nämlich, in der Reihe ber übrigen 
Staatswiflenfhaften, weber eine reinphilofophifche,; 
noch eine reingefhichtlihe Staatswiflenfhaft (Ein⸗ 
leit. 9.3. und 5.), fondern eine.gemifchte, d. h. 
eine aus philofopbifchen Grundſaͤtzen und aus geſchicht⸗ 
lihen Thatfahen gleichmäßig gebildete Wif 
fenfchaft. Denn nur aus philofophifchen Grund« 
fügen fann, auf den aus ber Erfahrung ſtammenden 
Begriff des Staates die Lehre von dem Unterfchiebe 
zwoifchen dem innern und dem aͤußern Staatsleben, 
von der Wechfelmirfung zwifchen beiden, und von der. 
Herrfchaft des Rechts, als der wefentlichen Unterlage 
beider, des innern und bes äußern Staatslebeng, ab« 
geleitet werden; allein aus der Erfahrung und 
Geſchichte geben die Beifpiele zur Verſinnlichung 
dDiefer Ankündigung und Wechfelmirfung des innern 
und äußern Staatslebens hervor., und nur die Ge 
ſchichte bietet die Regeln der Klugheit dar, nach 
welchen jedesmal die wirkfamften Mittel für die 
Zwecke des innern und aͤußern Staatslebens ange» 
wandte werden dürfen und follen. — Der wiſſenſchaft⸗ 
liche Charakter der Staatsfunft ift Daher ſchon Dadurch 
von dem Charafter der meiften übrigen Staatswiflen- 


fehaften verſchieden, daß diefe Wiflenfhaft, ihrem 


‚330 Staatskunſt. 
uefprunge nad; eine gemifihee Wiffenſchaft 


Mad ihrer Stellung zu ben übrigen 
Staatswiſſenſchaften fege aber die Staatskunſt 
das Staatsreche voraus; denn eine Staatskunſt, 
welche nicht auf die Herrfchaft bes Rechts ſich grüner, 
gräbt fi) ihr eigenes Grab. Die Klugheit, die das 
Recht verfhmäht, der alfo (nad) ver Moral der Je⸗ 
faiten) jedes Miteel zum Zwecke gilt, kann 
nur auf eine kurze Dauer beſtehen; ein unmiberleg« 
barer Zeuge von 6000 Jahren, die Geſchichte, 
verfündigt in bem Sinfen und dem Untergange maͤch⸗ 
tiger Reiche, wohin die Klugheit ohne Recht führe. 
Es muß daher das, was das Staats» und Staaten« 
recht aufftellt, auch in der Staatsfunft gelten; nur 
daß es, nad dem eigenthümlichen Charafter diefer 
Wiſſenſchaft, jedesmal in Beziehung auf die beſon⸗ 
dern Verhaͤltniſſe jedes einzelnen Volkes und Staa» 
tes aufgeftelle und angewandt wird. So gibt 5. B. 
die Staatsfunft in Hinfiht auf die im Staatsrecdhte 
enthaltenen Lehren von der Staatsverfaflung, Regie⸗ 
rung und Verwaltung ben erläuternden und verfinn- 
lichenden Commentar zu diefen Sehren, unb erweitert 
namentlich die Lehre von der Verwaltung, nad) deren 
einzelnen Theilen, zu ihrem ganzen wiflenfchaftlichen 
Umfange, weil fie damit die aus der Gefchichte ſtam⸗ 
menden und durch die Erfahrung bewährten ehren 
verbindet. Weil aber das Staats» und Staatenrecht 
felbft ruͤckwaͤrts auf das Natur » und Voͤlkerrecht fich 
flügt; fo dient das legtere auch der Staatsfunft — 
vermittelft des Staats» und Staatenrehts — zur 
Allgemeinften Unterlage und zum legten Entfcheidungs- 
geunde in zweifelhaften Fällen. 

Gegen die Volkswirthſchaft, Staats: 





Staats kunſt. 334, 


wirchfhaft, Finanz⸗ und. Pobizeiwiffen. 
ſchaft ftehet die Staatskunft in demjenigen Verhaͤlt⸗ 
niffe, daß fie deshalb — weil ihr die wiflenfchaft- 
lihe Darftellung der gefammten Staatsver- 
waltung eigenthuͤmlich und ausſchließend zuge» 
hört — mehrere der wichtigſten Ergebniffe 
der drei legten Wiffenfchaften (von welchen die Staats- 
wirthfchaft auf die Volkswirthſchaft ſich gründet) in 
fih aufnehmen muß, weil eben diefe Wiffenfchaf« 
ten zwei Hauptzweige der Verwaltung — das Fi⸗ 
nanzwefen und die Polizei — nach ihrer ſyſtemati⸗ 
fhen Begründung, Haltung und Durchführung be⸗ 
bandeln, | 


Selbſt den geſchichtlichen Staatswiffenfhafe | 


ten (der Gefchichte des enropäifchen Staatenfyftems 
aus dem Standpuncte ber Politik, der Staatenfunde, 
bem öffentlichen Staatsrechte, dem practifchen euros . 
päifhen Völferrechte und der Diplomatie) ift die 
Staatskunft naheverwandt, weil alle in ihr ent« 
baltene Regeln der Klugheit auf die Ihatfachen ber 
Gefchichte ſich Flügen, und fie ihre Grundfäge und 
sehren eben durch Beifpiele aus der Gefchichte. am 
lebendigften verfinnlihe und am einleuchtendften 
nachmeifet. Wenn aber von den gefhihrlihen 
Staatsmiffenfchaften bie Staatenfunde und das 
öffentliche Staatsreht, fo wie die Geſchichte des 
europäifchen Staatenſyſtems, hauptſaͤchlich die Bes 
lege für die Sehren über die Geftaltung des innern 
Staatslebens darbieten; fo dienen die in dem practi« 
ſchen europäifchen Völferrechte und in der Diplomatie 
wiffenfchaftlidy geordneten Stoffe, zum Theile auch 
viele Thatſachen aus der Gefchichte des europäifchen 
Staatenfyftens , zunachft zur Erläuterung der ehren 
über die Geftaltung bes äußern, Stastslebens und 
, 


— 


332 Staatskunſt. 


über die Wechſelwirkung der Staaten gegen einan⸗ 
der *), ’ 





*) Bei meinen wiederhohlten Vorträgen über bie geſamm⸗ 
ten Staatswiffenfhaften habe ich nur bei der einzie 
gen Politik über die Stelle gefhwankt, wohin 
fie in der Reihe und Aufeinanderfolge der Staatss 

. wiffenfchaften gehört. Denn ob id gleih den ver. 
dienten Männern mid nicht anſchließen kann, weiche 
fie — indem fie das Wort Politit in dem weis 
teften Sinne nehmen — gleihfam als die Quint⸗ 
eſſenz allee Staatstenntniffe behandeln, und in fie 
eben fo das Staatsrecht, wie die Volkswirthſchaft, 
die Polizei: uud Finanzwiſſenſchaft, das Völkerrecht 
und die Diplomatie aufnehmen (was für mid ims 
mer einige Aehnlichkeit mit einem Macbethifchen 
Hexenbreie gehabt har); fo Babe ih fie doch im 
Öffentlichen Vorträgen — nah meiner Anfidt und 
Behandlung derfelben, die ih im 6. 2. aufftellte, — 
gewöhnlich erft auf Die Vorträge der Volks 
wirthſchaft, Staatswirchfhaft, Finanzs 
and Polizeiwiffenfhaft folgen laffen, 

A weil fie allerdings aus dieſer ſyſtematiſchen Darftele 

lung zweier SHauptverwaltungszweige im "Staate 
mehrere Refultate entlehnen muß, deren Wahr⸗ 
heit noch beſtimmter fi ankuͤndigt, wenn fie bereits 
in der wiffenfhaftliden Deduction, melde in die 
Staatswirchfchaft, Finanz⸗ und Poltzeimiffenfhaft 
gehört, befriedigend durchgeführt worden find. Allein 
immer bleiben dies nur zwei weſentliche Theile der 
Verwaltung, während die beiden andern, Die Gerech⸗ 
tigkeitspflege und das Kriegsmwefen, aus—⸗ 
fließend ihre Stelle in der Staatskunſt behaup⸗ 
ten. Wollte man endlid ganz confequent feyn; fo 
müßte deshalb, weil auh aus den gefhicdts 
lihen Staatswiſſenſchaften unzählige erläuternde 
Iharfahen und Beifpiele in die Staatskunſt gezogen 
werden können, der ſyſtematiſche Vortrag der Staats⸗ 
funk gar in den Schluß der gefammten 





Staatskunſt. | 333 


5 ee 
fiteratur der Staatskunſt. 


Mach der ‚bereits bei. der Siteratur des Staats» 
rechts (Staatsr. $.8.) aufgeftellten Bemerkung, ward 
theils in der Welt des Altetthums, theils feit ber 
MWiederherftellung der Wiffenfhaften im Abendlande 
bisherab aufden Anfang desadtzehnten 
Jahrhunderts, von den flaatswiffenfchaftlichen 
Scriftftelleen zwifhen Staatsreht und 
Staatsfunft durchaus nicht ſtreng unter» 
fhieden; ja viele Schriftfteller des 18ten und 19ten 
Jahrhunderts gefallen fich noch immer in der bunt» 
artigen Mifchung beider Wiffenfchaften. — Es dür- 
fen daher hier die im Staatsrechte ($.8.) angeführten 
Werke von Plato, Ariftoteles, Cicero, Mac» 
hiavell, Morus (Utopia), Bodin, Lipfius, 





Cphilofophifhen und geſchichtiichen) Staatswifs 
fenfhaften gedraht werden. Doch a potiori fit 
denominatio. Zunddft, und in dem KHauptgrundfaße 
ber undbedingten Derrcfhaft des NRedhts, 
flüge fih die Staatskunſt auf das Staatsrecht; 
die wichtigſten Lehren des Staatsrechts, die von 
dee Verfaſſung, Regierung und Bermwals 
tung, werden, nad) ihrer theoretifchen Begründung, 
in der Staatskunſt aus dem Staatsrechte entlehnt 
und nur weiter fortgeführt und erläutert; felbft das 
äußere Graatsieben findet die Grundlage feiner 
rechtlicher Seftaltung im Staatenrehte ; diefe Ruͤck⸗ 
fihten — und der dadurch für Die Zuhörer em 
leihterte Vortrag der Staatskunſt unmit⸗ 
telbar nah dem Staatsrechte — gaben bei 
mir zulegt den Ausſchlag dafür, der Staatskunſt 
idre Stelle fogleich nad deren Staatsrechte ans 
zuweifen. Doc bies alles salvo meliori judicio! 


* 


, 


374 Staatskunſt. | 
N ‚4a 
v.Dffa, Caſus, Beſold, Hobbes, Conring, 
Sidney, Spinoza, Locke, v. Real, Rouf- 

‚ feau,tampreht, Rüdiger, Benfen, Craig, 
de Tracy, ». Halter u.a. nicht wiederholt werden, 
obgleich diejenigen, melche die Staatstunft befon- 
ders, und völlig ohne Verbindung mit dem Staats- 
vechte behandeln, berfelben gedenken müflen. 


Im Allgemeinen: 

With. Tgt. Krug, was ift Pofitit, und was fol 
fie feyn? in den Kreug» und Queerzügen auf 
ben ©teppen der Staatskunſt und Wiſſenſchaft. (%pz. 
1818. 8.) ©. 3 ff. 

Lader, Kritik der Stariftit und Politik, nebft 
einer Begründung der politifhen Philofophie. Goͤtt. 
1312. 8. (von ©. 113 an.) 

Eine kurze Beurtheilung d. aͤlt ern Schriften Aber 
Politik finder fib in Jac. Aug. Frankenſteins 
Vorrede zu Sundlings Difcours über Politik. 
(Srtf. u. Lpz. 1733. 4) ©. 9 ff. 

Car. Dan. Henr. Rau, primae lineae historiae 
politices s. civilis doctrinae. Erl. 1816. 8. 

* 


* * 
Chriſt. Garve, Abhandlung uͤber die Verbindung 
der Moral mit der Politik, oder einige Betrachtun⸗ 
gen über die Frage, inwiefern es möglich ſey, die 
Moral des Privariebens bei der Regierung der 
Staaten zu beobadten. Bresl. 1788. 8. 
G. H. von Berg, Verſuch über das Verhaͤltniß 
der Moral zur Politik. 2 Th. Heilbronn, 1790 f. 8. 
Adam Fergufon, ausführlide Darfielung der 
Strände der Moral und Politik. Aus dem Engl. v. 
8.8. Schreiter. ır Th. Züri, 1796. 8. (blieb 
ohne Fortfeßung.) 
(Der Anti⸗Leviathan von Buchholz — 
Staatsr. 9.8. — gehört auch hieher.) 
* 


= # 
Scheda regia. Regentenbädlein des hochloͤblichen 
römiſchen Kaifers Justiniani primi. In 78 spho- 


Staatskunſt. 3s 


riemos oder Regeln abgefaßt, welche Ihm geftellt 


hat Agapetus. Aus dem Griechiſchen durch Mart. 
Moller. Goͤrlitz, 1605. 8. 

Barth, Keckermann, systema disciplinae 
politicae. Hanov. 1607. B- 

Pbil. Honorius, praxis pradentiae politicae. 
Franc. ı610. .4 

Wolfg.Heider, philasophiae politioae systoma. 
Jen. 16288, 4. 

Hieron. Cardani arcana politica s. de pru- 
dentia civili. Lugd. Bat, 3635. 16. 

J. Buridani quaestiones in octo librog poli- 
ticorum Aristotelis. Oxon. 1630. 4 

J. Mictaelii regia politica scientia, Stettini, 
2654. 29. 

Chstn. Schütz, compendium politicen. Dres- 
dae, 1655. ı8. 

Jo. Althusii politica, methodice digesta. Her- 
born, 1655. 8. 

J. Tob. Geisler de statu politico secundum 
praecepta Taciti formato. Amst. 1656. ı8. 

Geo. Sohouborneri politicorum libri 7. 
Amst. 1660. ı2. 

Chstu. Liebenthal, oollegium politicam, 
Gielsae, 1668. 8. 

Marc. Zueri Boxhornii institutiones, poli- 
tioae. Amst. 1663. 18. 

Jo. Fr. Horn, politicorum pars architectonica 
de civitate. Utrecht. 1665. ı8. N. E. Franc, 
2672. 8. ' 

Casp. Seioppii paedia ‚politicen et Gabrielis 
Naudaei bibliograpbia politica N. Ed. cura 
Conringii. Helmst. 1665. 4. 

Jo. Loccenii syntagma peliticum, ig quo 
oontinentur epistolae politicae Sallustii et Cicero- 
nis, illias de republica ordinanda, hujus de pro- 
vincia recte administranda, Fr. et Lips. 1673. 8. 

-Lud, Kannengielser, theses politicae. Ser- 
33 1674. 4 
Cellarii politica suceinota, ex Ari. 
stotele potissimum eruta. N, E, Jen, 2674. 8. 





I 


Staatskunſt. 


3 Henr. Bdecoler,  institutishes politicae. 


Argent. :ı974. 8. N. E. ı698. 6. 


Veit Ludw. v. Seckendorf, teutſcher Fuürſten⸗ 
ſtaat. 3. Th. Frkf. am Main, 1678. 8. — Def 


fen Chriſtenſtaat. Lpz. 1686. 8. 


Sam. Pufendorf, politica inoulpate, Londini 
Scanorum, 1679. 19. 

"J. Chstph. Beamann, meditationes politicae., 
Fr. ad Viad. 1679. 8. 

Hieron. Krahetta, feſtgeſebeer Printzen⸗ oder 
Negenten⸗Staat (gegen den Macchtavell). Frankf. 


1681. g. 


J. Fr. Reinhard, tbeatram prudentiae ele- 
gantioris ex Justi Liipsii libris politicorum 
erectum, cum praefatione Conr, Sem. Schurz- 
fleischii, Vit. 1708, 4 

Vollkommene Politica, worinnen gezeigt wird, wie 
der status ecclesiasticus, politicus und oeconomi- 
cus chriftlich, kluͤglich und profitabel einzurichten fey. 
Freyb. 1704; 10. 

Jacq. Bonig. Bossuet, politique tirée des pro- 


pres paroles de l’öcriture sainte a Monseigneur le 


Dauphin. Ouvrage posthume. eT. aBrux. 1710. 9. 
% Zac. Lehmann, kurze, doch grändliche Anleis 


“ tang, die allgemeine u. Staatsklugheit gründlih zu 


eriernen und leicht - zu practiciren. Sjena, 1714. 8. 
Zul. Bernd. v. Rohe, Einteltung zus Gtaatss 
Eughelt. %pj. 1718. 8. 


J. Adolph. Hoffmann, observationum poli- 


_ ticarum s. de republica libri X. Utrecht. 1719. 8. 


Andre. Ruͤdiger, Kiugheit zu leben und zu herr» 
ſchen. Lpz. 1722. 8. 

I So. Neukirch, von -ber Staatslehre. 
Braunſchw. 1731. g. 

Nic. Hieron. Gundling, Diſcours uͤber die 
Politik, ehemals aus deſſen eigenem Munde von 
fleißigen Zuhoͤrern in die Feder geſaſſet, und nun⸗ 


mehro dem Publico mitgetheilt. Nebſt Vorrede von 


Frankenſtein. Frkf. u. Lpz. 1733. 4. — Def: 
fen Einleitung zur wahren Staatoklugheit. Irkf. 
und 1 1751. 4 


/ Staatskunſt. 337 


“2° Ouvrage de politique par FAhbs deSt. Pierre, 


s Tom.: Rotterd. 1737. 8. 
Chſtn. Thomaftius, kurzer Entwurf der politis 
fhen Klugheit. Lpz. 1744. 8. 5 
Mart. Kaffe, die wahre Staatsklugheit. Leipz. 


1759. 4 
Chftn. v. Wolff, vernänftige Gedanken von dem 
geſellſchaftlichen Leben der Menſchen und Infonderheit 


" dem gemeinen Weſen. N. A. Halle, 1756.89. — 
"(Er gab in diefer Schrift den Umriß feiner Politik, 


weichen er, bei längerem Leben, als Fortfeßung feis 
nes größern fatelnifchen Werkes weiter ausgeführt 


"Haben wuͤrde.) 
3 


. M. v. Loen, Entwurf einer Stagtskunſt. 
Ste Aufl. 1751. 8. 
Dav. Hume, political discourses; Ed.e. Edinb, 
2753. — Franzoͤſiſch, 1754. — Teu tſch, von 
Chr. Aug. Fiſcher. Koͤnigsb. 1799. 8. 
Philosophiae civilis s. Politicae partes 4, tan- 
quam continuatio systematis philosophici Chr. de 


- Wolff, auctore Mich. Christ. Hanovio. 4 Tom, 


J. 


Ha]. 1756. 4. 


%* * * 


Baron de Bielefeld, institutions politiques, 
ST. als Haye, 1760 8. — Teutfb (von Gott⸗ 
ſched und Schwabe): Lehrbegriff der Staatskunſt. 
2 Th. Brest. und Lpz. 1760. 8. - 2te Aufl. 1764. 
(der erſte erträglihe Berfuh einer eigentlichen Pos 
litik; in der Theorie nah Wolffiſchem Syſteme, in 
der Praris auf vielfettige Welt» und Menſchenkennt⸗ 
niß gegründet.) 

Sfr. Ahenwall, die Staatsflugheit nad ihren 
erften Srundfägen. Goͤtt. 1761. B. Ate Aufl. 2779. 
(ift das erfte brauchbare Eompendium der Politik, zus 
naͤchſt nah Srundfägen des Eubämonismus.) 

J. ©. v. Llittenfeld), neues Staatsgebaͤude 
in 3 Büchern. Lpz3. 1767. 4 “ 

v. Real, die Staatskunſt, aus dem Franz. — 
Davon enthält der Tehfte Theil die Staats 
klugheit. (Frkf. und Ep. 1767. 8.) Ä 

22 


3.8 


Staatskunſt. 


Die wahrhafte Staatskunſt für eine Derfon vom 


Stande. Aus dem sr. v. Benign. Pfeuffer. 


Frkf. und —— . 1767 
Aug. Lud. Vörer, aystema politices, Gott. 


3771. 60. (Ein fehr geiftreiher Umrid. Noch im: 


mer find folgende Säge nie Überfläffig: „Consti- 
tuitur civitas, ut adıministretur. Ergo optima 
constitutio est, quae optimam adıinistratio- 
tionem ex se gignit.“ — „Optima admini- 
stratio est, quae fini civitatis est convenien- 
tissima.t— „Barbarae civitates sunt, quaecivi- 
bus nihil praestant, praeter securitatem Ar interno 
et externo hoste; reliquss cultas vocamus, *) 

La politique naturelle, ou discours sur les 
vrais principes du gauverneiment, Par un ancien 
Magistrat. 2 T. Loondres, 1773: 8. 

Caſareon (Graf Kepferling), Grundſäaͤtze 
der Staatsllugheit. Mitau, 1772. 8. 

Ludw. v. Beaufobre, allgemeine Einleitung in 
die Kenntniß der Politik, der Sinanz und Hands 
lungswiffenfhaft. Aus ven Stanz. v. Franz Ulr. 
Albaum. Riga, 1773. 

Joſeph v. So ment. eis, politiſche Abhand⸗ 
lungen. Wien, 1777. 8. 

(Pfeiffer), Grundriß der wahren und falfchen 
Staatskunſt. 2 Ch. Berl. 1778 f. 8 

Wild. DPayley, Grundfäge der oral und Pos 
int; überf. v. Sarve, 2 Th. Lp}. 1787. 8. 

Handbug für den Staatsmann, —* Analyſe der 
vorzuͤglichſten franzoͤſiſchen und ausländifchen Werke 
über Politik, Geſetzgebung, Finanzen, Polizei, 
Ackerbau, Handlung, Natur und Staatsrecht. Aus 
dem Franz. der Herten Tondorcer, Pepfonel, 
Ehapelier u.f.w. 2 Th. Züri, 1791. 8. 

Vorlefungen über die wichtigen Gegenſtaͤnde der 
Moralpolitit. s. 1. 1795. 8. 

(Ernſt de Wedig), über die politifge Staats: 


Tunft. 3 Th. Halle, 1795. 8. 


Commentar über die natuͤrliche Politik, ober über 
das Wert: la politigue naturelle. a Theile, Ger⸗ 
manien, 1795 f. 8. 


\ 


Emannel Sieyes, politifche Schriften. Aus dem 
Franz. (von Uſteri.) 2 Th. a. 1. 1796. 8. 

Chſtn. Dan. Voß, Handbuch der allgem. Staats: 
wiſſenſchaft. 2ter Theil — Politik. — kp}. 


797. 8. 

Bud, Heinr. Nordmann, uͤber innere und 
Aufiere Staatskunſt, Geldumlauf, Handel, Erwerb 
und Abgaben. M. A. Magdeb. 1798. 8. 

Karl Heinr. v. Seibt, Klugheitslehre, practifch 
abgehandelt. 2 Th. Prag, 1799. 8. 

Nic. Vogt, Syſtem des! Sleihgewichtt und der 
Gerechtigkeit. 2 Th. Frkf. igo2. 8. 

Joſ. Müller, Srundriß der Ötaatsklugheitss 
lehre. Landsh. 1803. 8. 

Karl Stio. Rt fig, Lehr⸗ und Handbuch der 
Politik. Lpʒ. 1805. 8. 
3IJ. Jac. Wagner, runde ber Staatswiſſen · 
ſchaft und Politik. Lpz. 1805. 

. Joſua Stußmann, Sollen der Poli und 
des Handels von Europa. Nürnb. 1806. 8. 

(Er. Buchholz), Theorie der politiihen Welt, 
Hamb. 1807. 8 — Darftellung eines neuen Gras 
vitationsgeſetzes für die moralifhe Welt. Berlin, 
1802. 8. 

BB Sof. Behr, Spftem der angewandten alls 
gemeinen Staatslehre, oder der Staatskunſt. 3 Th. 
Frkf. am Main, 1810. 8. (Auch gehört fein $.8. 
des Staatsrechts angeführter:: neuer Abriß d. Staats⸗ 
wiſſenſchaftslehre. Bamb. u. Warzb. 1816. 8. Theile 
weife hieher.) 

Heinr. Euden, Handbuch der Staatsweisheit oder 
der Politik. ır Th. Jena, 1814, 8 (Die Sort 
Tegung ift nicht erfchienen.) 

.Halter, politifce Neligton, oder bibliſch⸗ 
Sehre von den Staaten. Winterthur, 1811. 8. 

Joh. Neumann, Principien der Polisit, Ein. 
Gragment. Dospat, 1814. 8, 

G. Freih. v. Bedendeorff, Grundzüge der 
philoſophiſchen Politik. Lpz. u. Alt. 1817. 8. 

Fr. Rippen, Politik, nad plätonifhen Grund⸗ 
fägen, mit Anwendung auf unfere Zeit⸗ Lpz. 1918. 8. 

22* 


Staarsfunfl. Ä 339 | 


— 


— 


es 


U . Staatsfunft. 

Ben Constant, collection complöte des 
ouvsages publics sur le gouvernement represen- 
tstif et la constitution actuelle de la France, 
forment une espece de cours de politique 
eonstitutionelle, gPart. Paris, 1g19— 20. 8. 
(Die. meiſten Abhandlungen in diefer Sammlung 
beziehen ſich auf Frankreich, auf die Wahlen der 
Jahre 1817 und 18, auf die Sitzungen der Kam⸗ 
mern ; aligemeinern politifhen Inhalts find zus 
nähft im erfien und zweiten Theile: reflexions 

- sur les constitutions et les garanties, avec une 

esquisse du constitution ; und. im dritten Theile: 
observstions sur la liberte de la presse.) 

Sofeph Vincens Burkardt, Staatswiffenfchafts 

„lehre, mit Rüdfiht auf die gegenwärtige Zeit. Lpz. 
ı821. 8. 

“ Fr. Saalfeld, Grundriß zu Vorlefungen über 

Politik. Goͤtt. 1821. 8: 
2% Gervats, Meine Mittheilungen aus dem 
ſtaatswiſſenſchaftlichen Gebiete. 2 Ih. Lpz. 1822. 8. 
€. Ev Schmidt-Phiſeldek, die Politik 
‚ nad den Srundfägen der heiligm Allianz. Kopenh. 
2800. 8. pen 





A) Lehre von dem innern Staatsleben. 


6. 


Inhalt und Umfang bes erſten Theiles 
| ber Staatsfunft. | 


Die wifenfchaftlihe Darftellung der gefamm- 
ten Bedingungen und Ankündigungen des innern 
Staatstebens bildet den erften Theil der Staats⸗ 
kunſt. Zu diefen Bedingungen und Anfündigungen 


gehören aber ; 


7 


Staatskunſt. 34 


a) die Eultur bes Volkes, das in dem Staate 
zu einem felbftftändigen bürgerlichen Ganzen vers 
bunden ift; ’ , Ze 
b) der Organismus bes Staates nad) be 
beiden höchften Grunbfügen bes Rechts und der 
Wohlfahrt des Volkes, in fich ſchließend 
&) die Verfaffung, 
ß) die Regierung, 
vy) die Verwaltung; - - 

) die in der Eultur, Verfaffung, Regierung 
und Verwaltung des Volkes gemeinſchaftlich 
enthaltenen Bedingungen der rechtlichen Forts 
bildung des innern Staatslebeng (Lehre von ben 
Reformen im Staate).. 


| 7. 
a) Die Euleur des Volkes, als erfte Bes 
Dingung des innern Staatslebens. 


Jedes Wolf vereinigte in fih, wie das Indivi⸗ 
duum, eine Gefammtheit von finnlichen und geifttgen. 
Anlagen, Vermögen und Kräften. Jedes Volk 
entwicelt und bildet, mie das Individuum, biefe 
finnlihen und geiftigen Anlagen, Vermoͤgen und 
Kräfte unter dem vielfeitigften Einfluffe Außerer und 
innerer Verhäleniffe aus. Jedes Volk erhält, wie 
das Individuum, durch diefe ihm völlig eigenthuͤm⸗ 
liche Entwickelung und Ausbildung, einen felbftitäns 
digen , baffelbe von jedem andern Volke unterfchei« 
denden, Charafter, welchen man nad) feiner äußern 
Ankündigung mit dem Ausdrude der Bolfschüms 
lichkeit bezeichnet, während wir die jedesmal era 
reichte Stufe der Entwickelung und Ausbildung der 
gefammten finnlihen und geiftigen Anlagen, Wen 


HI Staatsfunft. 

mögen und Kräfte eines Individuums und Volkes 
defien Culturr nennen. Denn unter der Eultur 
benfen wir uns theils die eigenthümliche Art und 
Weiſe der Entwicdelung und Ausbildung, theils 
den erreichten Brad dieſer Entwidelung und Ausbil- 
Dung bei finmfich » Vernänftigen Weſen⸗ 

Auf die Eultur -der Individuen und der Völker 
wirken ‘aber fehr verfihiebenartige. innere und außere 
Verbältniffe ein. - Denn nicht nur, daß in jedem 
Weſen unfter Art die individuelle Verbin 
dung ber finnlichen und geiftigen Anlagen und Ver⸗ 
mögen zu Einem Ganzen fo wundervoll und räthfel- 
baft ift, daß fie zum Theile in dem unerforfchlichen 
Geheimniffe der Erzeugung eines menſchlichen Wefens 
fich verliert; es wirfen au) von außen ber die geo- 
graphifche Lage des Wuhnortes, die Milde oder 
Kaubeit des Klima, die Fruchtbarkeit oder Unfrucht- 

arfeit des Bodens, die Abſtammung eines Volkes 
von diefer ober jener Menfchenrace (nad) der Ber- 
ſchiedenheit der caueafifchen, malayiſchen, mongoli- 
ſchen, üthinpifchen und amerifanifhen Stämme), die 
Derfchiedenheit der Urfprachen , die. Verſchiedenheit 
der Lebensweifen (z. B. bei namabifihen ober acker⸗ 
bauenden, bei gewerbsfleißigen und. handeltreibenden, 
bei friedlichen. oder. Eriegerifehen Volkern), der Ver⸗ 
faflungen und der Regierungen, der Religionen, des 
bürgerlichen Zufiandes in Hinſicht auf Freibeit ober 
- Unterbrüdung, fo wie Die Verfchiedenheit des haͤus⸗ 
lichen und öffentlichen Sebens, und ber davon aba 
hängenden Erziehung und Anfündigung der Sitten, 
fo mädjtig auf Individuen und Voͤlker ein, daß ihre 
Entwidelung und Ausbildung, wenigftens nad) einem 
großen Theile, auf diefen 'innern und außern Bes 
dingungen beruft, 


x 


Staatshmil. 343 


Nach der, aus diefen Bedingungen hervorgehen- 
den, Antündbigung der Eultur felbft laͤßt 
ſich zrifhen der finnlichen, tehnifhen,-gei- 
figen, kuͤnſtleriſchen, firelih - religiöfen 
und bürgerlichen Cultur genau unserfcheiden,. 
obgleich damit nicht geläugnet wird, daß nicht 
mehrere Zweige und Schattirungen der Cultur 
gleihmäßig bei einem und demfelben Indivi⸗ 
duum und- bei einem und demfelben Wolfe getröffen 
werden können. Die finnliche Eultur bezieht ſich 
aber zunächft auf die Entwidelung, Bildung und 
Anwendung der finnlihen Anlagen und Kräfte in. 
Hinficht auf den Anbau des Bodens, und auf alles, 
was zunächft zur Erhaltung und Friſtung des phyfi 
ſchen Lebens gehört. Dagegen zeigt ſich die tech nis 
fche Eultur hauptſaͤchlich in der Betreibung ber Ges’ 
werbe, nad) Manufacturen und Fabriken. Die geis 
ftige Cultur, zunächft als Wirfung der freieften und 
gleichmäßigften Entwickelung und Ausbildung des 
Vorfteflungsvermögens betrachtet, verfündige fich in 
der Kraft des Verftanbes und der Vernunft im An⸗ 
baue und in der Fortbildung der Wiffenfchaften. Die ' 
fünftlerifche Eultur, als Folge der Entwidelung 
giner reich von der Natur ausgeftatteten Einbildungs« 
fraft und eines tief und vielfeitig bewegten Gefühls⸗ 
vermögens, bezeichner ihre Thaͤtigkeit hauptfächlich 
in den Kreifen ver ſchoͤnen Kuͤnſte. Die ſittlich 
religioͤſe Cultur bewaͤhrt ſich in der Reinheit: ber 
Sitten, dem treuen Wiederſcheine der innern Sittlich⸗ 
feic, und in der, von der Sittlichfeit ungertrennlichen, 
Heiligkeit, Würde und Kraft der religiöfen Weberzeus 
‚gung und des, auf diefer Ueberzeugung beruhenden 
äußern Lebens. Die bürg erlice Eultur enblich 
iſt die Wirkung und Folge, und gleichfam die Krone: 


o 


u Litifchen Muͤndigkeit ſchließt die 


3di Staatsfunft. : 


von biefem allem. Sie zeige ſich in ber. regen 
Theilnahme an allen ‚Angelegenpeiten bes Staatsle« 
bens, und zwar, wie biefe Theilnahme nicht etwa 
aus Meugier, ober einfeitig anfgeregter Leidenſchaft, 
oder gar aus Abneigung gegen bie beftehende Ordnung 
und Regierung im Staate, ſondern wie fie aus ber 
erreichten hohen Stufe der individuellen Eultur bei 
ben einzelnen Staatsbürgern, und aus ber auf diefer 
Cultur beruhenden geläuterten Vaterlandsliebe der⸗ 


ſelben hervorgeht. 


Die poticifge Mantſateit, als Folge der 
Eultur, 


So wie burd) bie Geſammtwirkung aller einzel⸗ 

nen Ankuͤndigungen der Cultur ($. 7.) das hervorge⸗ 
bracht wird, was man Volksthümlichkeit und 
Volks cha rafter nennt, weil jedem felbftftändi- 
gen Volke gemifle eigenthürmliche Bedingungen ber 
Sultur (nah Boden, Clima, Abftammung, Schid: 
falen u. f. w.) jufommen, die aufdiefe Weife bei 
andern Völkern nicht getroffen werden, und bie 
eben, in ihren Folgen und Wirfungen, das Unter- 
feheidende des Charafters des. einen Volkes von jedem 
andern vermitteln; fo iſt auch die politiſche Muͤn— 
digkeit der Wölker, und die Art und der Grad 
„derſelben, eine nothwendige Folge ihrer Cultur. Denn 
dieſer, von der Erziehung entlehnte, Begriff der po⸗ 
Entwictchung des 

- finnlidhen Zuftandes eines Volkes zu einem fefts, 
begründeten und geficherten Wohlſtande, das unauf- 
baltfame Fortfchreiten in der geiftigen Bildung, 
und das Verlangen nad) der unbedingten Herr» 
ſchaft des Rechts im innern und äußern Staats: 


Staacskunſt. 345 


heben in fich ein. Wo diefe Bebinguagen-feßlen; me. 
Feldbau, Gewerbsfleiß und Handel noch fo tief in 
ihrer Entwidelung ftehen, und noch fo wenig in ein« 
ander eingreifen, daß nicht durch fie gemeinfchaft- 
lich des Wohlſtand der untern und mittleren Volker 
klaſſen ficher begründet ift; wo nicht durch Entwicke⸗ 
lung des Verftandes und der Vernunft die Thaͤtigkeit 
der geiftigen Kräfte verhbältnißmäßig bei dem 
ganzen Wolfe, befonders vermittelft der Jugender⸗ 
ziehung, geweckt, die geiftige Schlaffheit, Die Unwiſ⸗ 
ſenheit und der Aberglaube beſeitigt, und in den hoͤhern 
Ständen bas milde Licht der Wiffenfchaften und der: 
Künfte zur weitern Verbreitung gebracht worden ift; 
wo endlich nicht, bei den gefteigerten und verebelten 
Bedürfniffen des finnlichen und geiftigen febens , das 
Verlangen nad) einer feften Unterlage des ganzen buͤr⸗ 
gerlichen Lebens vermittelft einer Verfaffungsurfunde, 
und das Bebürfniß nad) einem zeitgemäßen und volks⸗ 
thümlichen Geſetzbuche, fo wie nad) einer feften und 
gleichmäßig geftalteten Serechtigfeitspflege, nach einer, 
Drdnung, Sicherheit, Wohlfahrt und Cultur auf 
rechthaltenden, Polizei, und nach einer gerechten und 
zweckmaͤßigen Vertheilung und Erhebung der öffent- 
lihen Abgaben, fuͤhlbar werden; da ift noch Feine 
politifhe Mündigkeit des Volkes anzunehmen. Doch 
felbft Diefe politifhe Mündigfeit wird nie 
gleihmäßig über einganzes Volk ſich ver- 
breiten (Staatsr. $. 14.); immer wird verhaͤltniß⸗ 
mäßig nur die Minderzahl des Volkes, und ſelbſt 
diefe gewöhnlich nur in den hoͤhern Ständen, zu dem 
Grabe der Cultur und Reife fich erheben, daß man 
ihr , nad) dem erreichten Grade der Muͤndigkeit, An- 
theil an ber Leitung ber öftentlihen Volks⸗ und 
Staatsangelegenheiten zugefteben fann. Allein ein- 


* 


346 I Staatskunſt. 


großer Unterſchled beruht darauf, eb die Organiſation 
eines Staates, und namentlich die Regierung, das 
allmählige Mündigwerben des Volkes — in Hinfiche 
der Entwidelung aller in ihm enthaltenen Bedingun- 
en der finnlihen, geiſtigen, fittlihen-und buͤrger⸗ 
lihen Cultur — erleichtert und befördert, oder ab- 
fihelih Hindert; denn fo viel tritt als unläugbare 
Thatſache der Gefchichte hervor, daß nur Die Völker, 
‚welche im Allgemeinen ber politifhen Mündig- 
keit entgegen gehen, wohlhabend, rei), thätig ; kraͤf⸗ 
tig, gebildet, gefittee und für die vaterlänbifche Ver⸗ 
faffung und Regierung begeiftert find. 
Man halte England, Sahfen und Preu- 
fen gegen andere Staaten, und überzeuge ſich, 
daß der allmählige Fortſchritt zur politiſchen Mün- 
digkeit zugleich den Wohlftand, die Kraft, die 
» Bildung, die Gefittung und die Anhaͤnglichkeit der 
Völker an ihre Fürften vermittelt, — Weiter ent- 
wictelte ich diefen Gegenftand, in Beziehung auf. 
Sachſen, in einem afademifhen Vortrage zur Ge⸗ 
daͤchtnißfeier des Regierungsjubiläums des Königs: 
„Des fahfifhe Wolf, als ein während 
der funfzigjährigen Regierung feines 
Königs mündig gewordenes Wolf, Leipz. 
1818. 8 


9. 
b) Der Organismus des Staates. 
Begriffder Drganifation überhaupt. 


Der Ausdrud der Drganifation, des Or⸗ 
ganifirens und des Örganismus iſt von Na- 
turgegenftänden auf den Staat übergetragen, und oft 
fehe willtüärlich gebeutet und angewandt worden. Es 


x - 





Staatskunſi. 347 


kommt daher darauf an, einen beurlihen und 
beftimmten Begriff darüber aufzuſtelleen. 
Unter dem Mehanismus, im Gegenſatze 
der Organifation, verftehen wir die bewegende Kraft 
der Körper, infofern fie durch bie Verbindung und 
den Zufammenhang ihrer Theile zu einem außerlichen 
(außer ihnen ſelbſt liegenden) Zwede paffend einge- 
richtet find. Organifation hingegen nennen wir 
die Einrichtung eines Naturgegenftandes, wo jeder - . 
Theil ſich als Mittel (als Werkzeug unb Organ), 
und zugleich als Zweck zu allen übrigen ver- 
hält; durch alle übrige und für alle übrige da ift; wo 


jeder Theil ben andern wechfelfeitig bervorbringt, un« 
terſtuͤtzt und erhalt. 


Ein erganifirter Naturgegenſtand iſt alſo ber, 
in welchem alles Zweck, und gegenfeitig auch Mit 
tel iſt. Nichts iſt in ihm umſonſt, zwecklos, oder 
dem blinden Naturmechanismus zuzuſchreiben; alles 
in ihm entſteht und geſtaltet ſich nach einer ihm 
einwohnenden unerklaͤrbaren bildenden Kraft. 


So wie aber Entſtehung durch Anhaͤufung von 
außen Charakter der blos phyſiſchen Koͤrper iſt; ſo 
iſt Entwickelung zu einem vollendeten Ganzen, ver⸗ 
moͤge einer eigenthuͤmlichen einwohnenden Kraft, 
— Merkmal der organiſirten Koͤrper. 

Ohne Annahme einer ſolchen einwohnenden, von innen 
nach außen wirkenden, Kraft iſt keine Organiſation 
begreiflich. Daher kommt der Materie auch nur, in⸗ 

ſofern ſie organiſirt iſt, der Charakter eines Zwedes 
zu, und ihre Form ift der finnlihe Ausdrud — bie 
äußere Wahrnehmung und Ankündigung — dieſes 
Zwedes. Weil aber jeder einzelne Zweck bedingt ift 
durch einen hoͤchſten und legten Zweck, welcher End: 


348 Staatskunſt. 


zweck heißt; fo muß ſich auch die Form jeder einzel⸗ 
nen Organifation auf den Endzwed aller Organifatios _ 
nen. überhaupt zurüdführen laffen. In dem Reiche 
ber Natur nennen wir, wegen biefer urfprüngtichen 
Einrichtung ihres Weſens, Pflanzen, Thiere 
und nienſchliche Körper Organifationen. 


ss Kants Kritif der Urtheilskraft, S.293 ff. 


10. 


Anwendung des Begriffs der Organifar 
tion auf den Staat. 


Wird der Begriff der Org anifation auf ben 
Staat bezogen und angewandt; fo'verfteht man unter 
berDörganifation des Staates biejenige Außere 
Anfündigung und Wahrnehmung deffelben, nad) wel« 
eher alle feine einzelnen Theile zugleich als Zwed 
und als Mittel erfcheinen ; mo alfo jeber Theil, 
zwar um feiner .felbft willen, zugleich aber auch um 
der andern willen da ift, und bie andern wechſelſeitig 
bervorbringt, unterftügt und erhält; mo nichts um- 
bon nichts zwecklos, nichts blos aus einem blinden 

ehanismus (mornach Maſchinen bewegt werden) 
abzuleiten ift; mo vielmehr alles in Angemeffen- 
beit zu- einer, einwohnenden bildenden 
Kraft erfolgt, durch welche das Aeußere der Erfcheis 
nung zu einem vollendeten Ganzen jid) entwidelt, 
und Die$orm dieſes Ganzen einem von der Vernunft 
gedachten Zwecke völlig entfpricht, fo wie der Zweck 
der einzelnen Staatsform aus dem allgemeinen Ende 
zwecke des ganzen Staatsvereins mit Nothmendig- 
feit hervorgehen muß. 


Alles Organifiren im Staate bezieht ſich ba- 


{ 


Staatskunſt. 349 


her, nach diaſem Grnnbbegriffe, darauf: ‚Haß: ber. 
Geift des Volfes, das im Staate lebt, einen Kör« 
pe: — (eine Huͤlle, eine aͤußere Form); — bekomme, 
der ihm eben fo angemeſſen iſt, wie der von Gott fo 
herrlich ausgeftattete und Na eingerichtete 
Körper der Anfündigung und Wirkſamteit der menfch- 

chen Seele, und der namentlich jhrer geſetzmaͤßigen 
Entwicelung ‚ ihrer Fortbildung und ihrer Reife ent«. 
ſpricht. Dies iſt die poſitive Seite des Organifie: 
rens: Vergegenwärtigung des höchften Zweckes bes; 
Staates bei ber Veranftaltung und Herworbringung: 
aller ber Mistel, als wefentlicher Bedingungen ;: 
dieſen Zwed zu erreichen. Dagegen befteht diene gar: 
tive Seite des Drganifirens in der Entfernnng und: 
Befeitigung aller Hindernifle der freien Ankuͤndigung ˖ 
und gefegmäßigen Entwickelung der gefammten Kräfte: 
des Staates für den Zweck deflelben,, bei der Anwen. 
dung aller wirffamen Mittel für die Erreichung biefes, 

Zweckes. 

| Der Stagt, ale. Organismus betrachtet, 
wird daher als ein lebensvolles , Eräftiges Banzes 
erfcheinen, in welchem nicht: nur ale Theile um: 
ibrer felbft willen, ſondern auch um des Ganzen willen 
da find; wo alle Theile fo geordnet und in einem fer 
regelmäßigen Verhaͤltniſſe fih ankündigen, daß fie: 
gegenfeitig als Zwed und zugleich als Mittel: 
fi verhalten; wo endlich die ganze Thaͤtigkeit der 
einzelnen Theile von der einwohnenden bilden“ 
den Kraft des menfhlihen Geiftes abhängt, 
weicher — mweife von der Regierung des Staates ge- 
leitete — bei feinem ſelbſtſtaͤndigen Fortſchreiten in: 
der Cultur nicht nur die mannigfaltigen einzelnen 
Zwecke im Staate ſich vergegenwaͤrtigt, ſondern auch 
ſeine geſammte Thaͤtigkeit in Beziehung auf diefe eins. . 





3. Staatskunfl 


jeinen Amede zuruͤckfuͤhrt auf den Erdywea des 

Staates ſelbſt. 
11. 

Fortſetz ung 


, Das Drganifiren im Staate darf Daher zunächft 
nur in der Nachhülfe und Unterſtuͤtzung ber 
menfchlihen Anlagen und Vermögen befteben, welche, 
in Angenteflenheit zu ber ihnen einwohnenden bilden- 
den Kraft, von felbft nad) Entwidelung und Reife — 
wie die Blume nach der Sonne — fiteben, damit 
biefe Vermögen ſich nicht vom Ziele verirren, und 
dadurch förend auf den Staat einwirfen. Das Orga- 
nifiren im Staate ſchließt alfo das Bevormunden 
ber Thaͤtigkeit menfhliher Kräfte von fih 
. aus, und uͤberlaͤßt ihnen in ber Welt der Freiheit einen 

ähnlichen Spielraum, wie, Gott den irdiſchen Organi- 
fationen in der Welt der Natur , weil hier, wie dort, 
die fcheinbaren Widerfprühe, fo wie die "wirklichen 
Ferthuͤmer und’ Unvollfommenpeiten fid) wieder aus⸗ 
gleichen in der Harmonie des Ganzen. 
Es gibt mithin feinen groͤßern politiſchen Miß⸗ 
griff, als das Zu oft und Zu viel Organiſiren, 
welches, nach einmal geordneter Geftaltung des in- 
nern Staatslebens, im ununterbrochenen Verändern 
(nicht immer Verbeſſern) einzelner Theile der Staats⸗ 
verfaſſung, Staatsregierung und Staatsverwaltung 


fi) ankuͤndigt, wodurch der Charakter der Staͤtigkeit, 


deſſen jede Organifacion zu ihrem Gedeihen und zu 
ihrer Reife bedarf, unaufhaltbar verloren geht. — - 

Imviefern aber das Organifiren im Staate das: 
Vorhandenſeyn aller in der Geſammtheit der Staats» 
buͤrger vorhandenen menſchlichen Anlagen, Vermoͤgen 


Staatstunft. 351, 


und Kräfte vorausſetzt; inſofern iſt das Organifiren 
durch die Eultur diefer Kräfte wefentlic be⸗ 
dinge, d. h. die Organifation des Staates muß jedes- 
. mal dem erreichten Grabe der Cultur — namentlich 
ber geiftigen, fittlichen und bürgerlichen — der gro- 
Gen Mehrheit der Staatsbürger entfprechen, und bann 
wird fie, als bie äußere Grundform des Staates, ber. 
lebensoollen Thätigkeit aller im Staate wirffamen 
Kräfte den freieften Spielraum gewähren. “Bleibt 
hingegen die Organifation bes Staates hinter ber 
erreichten Stufe der Cultur des Volkes zurüd, und. 
fteht der Geift des Volkes höher, als Die Organifiı= 
tion Des Staates, in welchem es lebt; da wird der für 
ftrebende Geift des Volkes durch die Organifation dı:8 
Staates fi) beengt fühlen, und Volkskraft und Staats 
organifation werden im Widerfpruche erfcheinen. 

Die große Aufgabe für die, welche das Organi⸗ 
firen im Staate zu leiten haben, bleibt daher: die 
Drganifation des Staates in völliger 
Mebereinffimmung mit der erreichten 
Stufe der Eultur bes Volfes zu erhal 
ten, und diefe Organifation mit dem an- 
erfannten (nicheblos fcheinbaren oder einfeitigen) 
Zortfhreiten des Volkes zu hHöhern Stu— 
fen der Cultur ins Cbenmaas und Gleich⸗ 
gewicht zu bringen. Die Grundlage und 
erfte Bedingung bei ber Organifation eines 
Staates ift mithin die Eultur des Wolkig, 
d.h. 1) die jedem einzelnen Wolfe eigenehümliche 
Entwidelung und Ausbildung der Gefammtpheit ſeiner 
Anlagen und Kräfte in finnlicher, geiftiger, fietLicher 
und bürgerlicher Hinficht, wodurch es fi) von jedem 
andern Bolfeunterfcheides, und 2) ber in einem gegebe- 
nen Zeitraume erreichte Brad diefer Entwickelung 


⸗ x 


357 ’ Staatskunſt. 


und Ausbildung nach der großen Mehrzahl der Indi⸗ 
viduen des Volkes. Be 
Daraus folgt von felbft, daß, wo die Cultur 
des Volkes vormärts fehreitet, die Orgarifation des 
Staates derfelben nothwendig folgen muß; daß, me 
man’ die Cultur des Volkes zuruͤckhaͤlt, laͤhmt und 
unterdruͤckt, Die Organifation des Staates nnaufhalt- 
bar finfen muß; daß mit dem Stiftftande und Ruͤck⸗ 
toärtsfchreiten der Volker in der Cultur die Organi- 
fation bes Staates rettungslos veraltet; und daß 
nur da, me vorwaͤrtsſtrebende Volkskraft und veral⸗ 
tete Staatsorganiſation im ſchreienden Gegenſatze 
ſtehen,, nach dem’ Zeugniſſe der Geſchichte, Diejenigen 
gewaltfamen Erfchütterungen des innern Volkslebens 
eingetreten find, welche in der Gefhichte-Revolu- 
tionen heißen. 
W 12. 

Die Beſtandtheile der Staatsorganiſa— 
—— tion. 

So wie wir an der Pflanzenorganiſation Wur- 
zel, Stamm und Krone, an der menſchlichen Orga- 
nifation Rumpf, Herz und Gehirn, und in der Or⸗ 
ganifation jedes Sonnenſyſtems die Sonne im Mittel- 
puntte deflelben von den Planeten und Trabanten 
unterſcheiden; fo unterfcheiden wir auch als die drei 

‚wefentlihen Beftandtheile der Staatsorganifation: 
die Verfaſſung, die Regierung und die Ver- 
waltung. Was der Firftern im Mittelpuncte eines 
Sonnenfoftems, das Herz im menſchlichen Körper 
ift; das ift die Verfaffung *) im Mittel: 








*) Benzenberg fagt: „Sobald 3000 Menſchen auf 
der Quadratmeile mohnen; fobald Äberall Landſtra⸗ 


j Stoaatskunſt. 353 


yuncte des Staate 8. Don ihr geht die ganz⸗ 
Kraft und Haltung des innern Staatslebens, und, 
vermittelſt deſſ elben, auch des Außern Staatsiebens 
aus, und Durch ſie muͤſſen Die weſentlichen Bedingungen 
für die Regierung und Verwaltung beſtimmt werden. 
Sie muß daher ganz auf die Eigenchümlichfeit 
und aufden erreichten Grad der Cultur des, Bol 
kes ſich gründen, zu deflen Organifation fie als erfter, 
Beſtandtheil gehört. So kuͤndigt ſich die Ver⸗ 
faſſung des Staates als die reife Frucht des ganzen 
bisherigen. (geſchichtlichen) Volkslebens an, und era 
ſcheint voͤllig angemeſſen theils dem Vernunfiwecke 
des Staates überhaupt. (der unbedingten Herrſchaft 
bes Rechts), - theils den in der erreichten Cultur bes 
Volkes deutlich vorliegenden, Bebürfniffen deſſelben. 
Sie ift der Mirtelpunct der Organifation des, - 
Staates, weil die Regierung und Verwaltung 
deſſelben, nad) ähren einzelnen Beſtimmungen, von 
ihr ausgehen, und namentlic) jede Verwaltung ‚ die 
nicht ihren Stuͤtzzunct in der Vorfaſſung hat, nur 
als vereinzelter Theil, nie als ein in ſich zuſammen⸗ 
hanganbes Ganzes, erfcheinen kann. — Daraus geht 
zugleich hervor, daß der Begriff der Organifas 
tion des Staates weiter ift, als ber Begriff der 
erfaffung und der Verwaltung, und daß es fehlers 
ders bleibt, wera man unter Staaisorganifation ent⸗ 
he, Peſten und Rausie beßehen, und. das Gelb. 
eine grotßze Uebermacht erreicht hat; bildet ſich eine 
°  Sffentlihe Meinung, die fo ſtark if, daß man ihr, 
den. Einfluß nicht verfagen kann, ben fie, als‘ 
Stagatskraäft, ff’ den Haubhait des Staates 
ausuͤben will. Diefen gefegtich beſtimmen, heiget 
Eh Verfaffung machen.“ 33 


354 Staatskunſt. 


weder blos die Verfaſſung, ober was noch häufiger 
gefhieht, nur die Staatsverwaltung verſtehen will. 
Wir nennen baher einen Staat, in welchem 
Berfaffung, Regierung und Verwaltung 
Ein-unauflösliches Ganzes bilden, organifire, 
und entlehnen von ber fichtbaren Natur diefen bild- 
lichen Ausdruck, inwiefern in dem Gtaate, als 
Einem nad) den Örundfägen des Rechts 
und der Wohlfahrt geftalteren Ganzen, 
fümmtliche einzelne Beſtimmungen (nad) ben bürger- 
lichen, Straf⸗, Polizei-, Finanz» und Mitlitairge- 
fegen) aus einem einzigen Princip hervorgehen, alle 
einzelne Wirkungen auf einen- legten Zweck berechnet 
find, und alle einzelne Theile in einer folchen lebens» 
vollen (nicht mechanifchen und mafchinenartigen) 
Wechſelwirkung ftehen, daß fie fich gegenfeitig wie 
Zweck und Mittel, wie Urfache und Wirkung ver⸗ 
halten, und daß in der öffentlichen Anfändi- 
gung des Staates (in feiner Erfcheinung- als 
H:ganismus), ſowohl in feinem innern als in ſei⸗ 
nem aͤußern Leben, derſelbe nicht bios als ein ſelbſt⸗ 
ftändiges, von affen andern Staaten · verſchiedenes und 
unabhängiges, Ganzes, als eine nach) Gebiet und 
Volk unauflöstiche Einheit, fondern auch) als ein — 
nach feiner völlig zeitgemaͤßen Verfaſſung, Regierung 
und Verwaltung — ſich felbit erhaltendes, in aflen 
feinen Theilen harmonifch verbundenes, und durch. 
ſich felbft zu immer höherer Vollkommenheit fortfchrei= 
tendes (dem Vernunftzwecke des ‚Rechts und ber 
Wohlfahrt ſich grenzenlos annäperndes) Ganzes, 


wahrgenommen wird. . 
Aus diefen Grundfägen ergibt fich zugleich, daß 
— nad) dem allgemeinen, im Staatenrechte aufge- 


ſtellten, Zwecke der unbedingten Herrſchaft des Rechts 


Granit. 355° 


auf dem ganzen-Erbboben — nur berjenige Staat, 
in dem Syſteme ber neben einander beſtehenden Staa» 
ten, als ein felbftfländiges und unabhängiges Ganzes 
fig ahfündigenund von andern als ſolches 
anerkanne werden kann, der rechtlich orga— 
niſirt iſt nach Verfaſſung, Regierung und Verwal⸗ 
tung: Denn fo wie ein Staat, in welchem der Buͤr⸗ 
gerfrieg und die Anarchie die rechtliche Organifation, 
zertrümmert hat, fich' felbft in der Wechfelmirkung 
onderer Staaten nicht weiter rechtlich anfünbigen 
fan; fo find auch die andern rechtlich organifirten 
Staaten weder berechtigt, noch verpflichtet, einen 
folchen in feiner Auflöfung fämpfenden Staat als ein 
rechtliches Ganzes anzuerfennen, bis nicht feine 
Organifation, nach Verfoflung , Regierung und Ver⸗ 
waltung, einen neuen felbftftändigen und feften Cha- 
rafter erhalten hat. Ä | 
Ob aber andere Staaten, in Beziehung auf einen 
folchen innerlich völlig. deforganifirten Staat, durch. 
Unterbandblungen und Vermittelung auf 
defien neue zweckgemaͤße Örganifation einwirken, ober, 
bis zu deffen neuen Drganifation, alle weitere Verbin⸗ 
dung mit ihm abbrechen, oder an deſſen Grenzen, zur 
Berhütung der Verbreitung feiner Deforganifation 
in die Nachbarflaaten, eine heobachtende Steltung 
behaupten, oder das Wageſtuͤck der riegerifchen Ein⸗ 
mifchung in defien innere Verhöltnifle unternehmen - 
wollen, kam nur nach örtlichen Ruͤckſichten und 
mit unbefangener Vergegenwaͤrtigung aͤhnlicher in 
der Geſchichte vorliegender Ereigniſſe entſchieden 
werden. . 
Kari Wertik, Ben zu einer Otaatsorgani⸗ 
fettonsichte. Halle, 3806. 8. Ä 
4. Kurz, Verſuch einer Entwidelung der Grunde 
| 23 





36 .. Staatstunft. 


füge, nad welden die Zweckmaͤßigkeit des Staats⸗ 
organismus in conflitutignelen Monarchieen zn bes 
urtheilen it. Wänden, ıdaı 

Wilh. Butte, über dag organificende Princip 
im Gtaate. ır "2. Berlin, 1822. 8. 


13. 


Die fogenanntegefhichtliche Unterlage ) 
der Staatsorganiſation. 


Wenn bas philofophifche Staatsrecht im Age: 
meinen und ausfchließend den Forderungen ber Ber- 
nunft folgend, ohne Ruͤckſicht auf das, was 
war und iſt, das Ideal des vollkommenin Staates 
verzeichnet; ſo muß die Staatskunſt, melde: das 
Ideal ber Vernunft in den Kreifen des wirflihen 
Staatslebens ins Dafeyn rufen, und das bereits 
Beftehende dem Ideale allmaͤhlig zubilden folk, 
durchaus von dem Vorhandenen ausgeben, 
und diefes als rechtliche Unterlage jeder Wer. 
änderung und Verbeſſerung in ber Staatsorganifa- 
tion anerkennen. Denn jedes Vol, das auf einer 
deftimmten Stufe der Cultur mahrgenommen wird, 
bat eine Wergangenheit, aus welcher deſſen Se: 
genwart hervorging; jeber Staat, der einer zeitge- 
mäßen Organifation bedarf, hat eine Geſchichte, 
in welcher die fruͤhern Formen und Geſtalten ſeiner 

Verfaſſung, Regierung und Verwaltung enthalten 
ſind. Moͤgen dieſe auch, fuͤr den eingetretenen Augen⸗ 


©) Sr. Buchholz, über den hiſfioriſchen Standpunct 
bei dem Berfaffängewerte; in f. Journal für Teut ſch⸗ 
fand, 1817, Juny, .23ı ff. (qzunaͤchſt gesen 
Säioffers altes Dedurtion in f. Schrift: 
ſtandiſche Verfaſſung.) 


Staatskunſt. 357 


blick der Gegenwart, noch ſo unvollkommen und ver- 
beſſerungsbeduͤrftig erfcheineny fo waren fie doch 
eine längere Zeit hindurd die angemeflene und 
nothwendige Bedingung bes Innern Staat 
lebens. _ 
Die Staatsfunft würde Daher unaufhaltbar von 
ihrem hoͤchſten Zwecke bei der neuen Geftaltung des 
inneren Staatslebens — von der Begründung, Be⸗ 
mahrung und Erhaltung der unbedingten Herrfchaft 
bes Rechts und der Wohlfahrt eines Volkes — ſich 
entfernen, wenn fie die neue Geftaltung des innern 
Volfslebens in eine völlige Umſtürzung alles 
DBeftehenden fegen, und ben Staat als ein 
völlig new entftehendes Ganzes, ohne alle Ruͤck⸗ 
fiht auf deffen Vergangenheit, organifiren . 
wolle. Wo. man diefes verfuchte, mußten noth» 
wendig bie furchtbarften innern Zerrüttungen in Hin⸗ 
ſicht auf perfönliche Freiheit, auf Eigenthum, auf 
öffenelihe Sicherheit, auf beftehende Verträge, und 
auf die vorhandenen Formen ber Regierung und Vers 
mwaltung eintreten. Denn, wenn gleich, nach dem⸗ 
Zeugniffe der Gefchichte, einige Wölfer aus dem 
furchtbaren Kampfe einer folchen -inneen Zerftörung 
mit neuer Haltung hervorgingen; fo belegt es doch 
auch diefelbe Gefchichte in andern Beifpielen, daß 
ſolche innere Kämpfe fehr oft mit dem völligen Unter» 
gange der Staaten endigen, deren Organismus ver⸗ 
alter ift. Ä 
Jende Organiſation, welche in der Wirklich 
keit den Bebürfniffen eines gegebenen Staates ent« 
fprehen foll, muß daher an feine Vergangen- 
heit angefnüpft werden, und aus feiner ge 
fhihtlihen Unterlage hervorgehen; d. h. es 
fol das, was dem gegenwärtigen Standpuncte 


‘ 


‚358 > Staassfunf. 7 


und Grade der Cultur des Volkes, welches den Staat 
bewohnt, angemeſſen iſt, an die Stelle deflen treten, 
was — unter frühern Eulturverhältniffen und dama- 
ligen Zeitbedürfniffen — in Hinfiht auf Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung bis jegt als Bebingung 
feines innern Staatslebens beſtand. So wird auf 
bem Wege allmäpliger jeitgemäßer und wohlchätiger 
Reformen das weit ficherer bewirfe werden, was 
Auf dem Wege der Revolution, wo nicht zum völligen 
Abgrunde, doc) zur völligen unb blutigen. Ummälzung 
des innern Staatsiebens führer. 


Allein für diefe zeitgemäße, auf die Srund. 
lage der Geſchichte eines Volkes und 
Staatesgebaute, Drganifation deffelben bleiben 
die unwandelbaren Grundfäge des Staatsrechts ber 
legte Maasftab der Rech tlichk eit des Organiſirens, 
ſo wie die zwar wandelbaren, aber mit Beftimmtheit 
fi) ankuͤndigenden, Zeithebürfniffe ver feſtzuhaltende 
Maasftab der * lugheit beim. Oganiſiren der 
Staaten. 


Es wird hinreichen, dies im Allgemeinen burd) 
einige Beiſpiele zu verfinnlihen. Sflaverei 
md Leibeigenfchaft find unvereinbar mit ben 
eroigen Grundſaͤtzen bes Staatsrerhts; fie fünnen 
daher in feiner Staatserganifation beibehalten wer⸗ 
den, welche auf Recht und Wohlfahrt gebaut ſeyn 
ſeyn ſoll. Wohl aber kann und muß der Erbadel, 
der auf rechtlichen Erwerb in der Vergangenheit 
ſich ftügt, in jeder zeitgemäßen Staatsorganifation 
beibehalten werden; nux baß Daraus feine unmit- 
teilbar? Berechtigung zum eigentlichen Staats» 
dienfte folgt. — che directe Befteuerung im Staate 

muß, bei einer neuen Organifation, nad) dem 
J 


Staatgzkunſt. 359 


Maasſtabe des reinen Ertrages feſtgeſeßt 
werden; wohl aber muß dieſelbe Organiſation die⸗ 
jenigen, welche bisher auf rechtskraͤftige Art 
Befreiung von einzelnen Steuern genoffen, für 
ihre Gleichftellung mit den übrigen Staatsbürger 
in Hinſicht der directen Befteuerung nach dem rel 
nen Ertrage entfhäbigen. — Dagegen muß die 
Aufhebung ber Inquifition, der Vermoͤ⸗ 
gensconfiscationen, deraußerordentli 

. hen Gerichtshoͤfe, der geheimen Polizei, 
der Tortur, der Folter und der unmenfd 
lichen Todesftrafen (3. B. des lebendigen 
Verbrennen, des Raͤderns, des Zerreißens von’ 
Pferden ıc.) in jeder zeitgemäßen Staatsorganifa» 
tion mit Beftimmtheit ausgefprochen werden, 


14. Ä 


Weber das Verhältniß des Rechts und ber _ 
Gluͤckſeligkeit gegen einander in der Ow 
ganifation bes Staates, ° 


Wenn das Staatsrecht zunächft die Herrſchaft 
des Rechts im Staate fordert, ohne den Zwed der 
Gluͤckſeligkeit in feine Grundfäge aufzunehmen; fo hat 
Dagegen die Staarsfunft allerdings, neben der Herr 
(haft des Rechts, auch die Wohlfahrt aller 
Staatsbürger zu beruͤckſichtigen. Allein felbft in der 
Staatsfunft bleibt das Recht das erfte, und die 
Wohlfahrt das zweite, weil in vernünftig-finnlichen 
Weſen die geiftige Natur edler ift,.als bie finnliche, 
und weil weber für das Individuum, noch für den 
Staat, bie Pflicht, Andre zu begluͤcken, in die Reihe 
der Zwangspflichten gehört. Der befannte Lehr⸗ 


360 | Staatskunſt. 


ſatz: Salus publica suprema lex esto, muß daher 
wohl verſtanden, und, wenn er zunaͤchſt die Wohl- 
fahrt der Staatsbürger berüdfichtigen foll, mit gro- 
. Ber Vorfiht angewandt werden. Denn der Staat 
foll zwar, in feiner Organifation, nad) Verfaflung, 
Regierung und Verwaltung, 1) alles entfernen 
und befeitigen, was die Wohlfahrt und Glück— 
feligfeie feiner Staatsbürger hindern und zerftören 
könnte, und 2) Gefege geben und Anftalten 
gründen, welche die Wohlfahrt der Staatsbürger 
befördern (worüber theils die Staats wirthſchaft, 
tbeils die Eultur- und Wohlfahrtspolizei 
das. Nähere enthaͤlt); allein 1) er vermag, bei aller 
feiner Macht, die Glückfeligkeit der Staatsbürger 
"nicht zu bewirken, geſchweige zu erzwingen, wenn 
diefe nicht felbft Die dafür dargebotenen Mittel ergrei⸗ 
fen, und 2) darf er au, nad) der Vernunft, den 
Zweck der Wohlfahrt und der Gluͤckſeligkeit (mie die 
Fudämoniften thaten, welheihre Politik auf ben 
Grundſatz der Glücfeligfeir bauten, ) nicht als den 
hoͤchſten Zweck des Staates aufitellen, weil die un- 
bedingte Herrfchaft des Rechts der erfte Zwed des 
bürgerlichen Vereins bleibt, welchem bie Wohlfahrt 
der Staatsbuͤrger infofern als zweiter Zwed beige 
ordnet ift, inwiefern das Streben nad) Gluͤckſeligkeit 
‚und der Genuß und die Vermehrung derfelben mit 
dem unbedingten Zwecke des Rechts vereiniget werben 
fann. — Mac) diefer Anficht wird alfo die Wohl- 
fahrt der Staatsbürger feinesweges von der Organi⸗ 
fation des Staates ausgefchloflen; fie fann aber auch 
in den drei mefentlihen Beſtandtheilen der Staats» 
organifation, in der Verfaflung, Regierung und DVer- 
waltung, nicht geboten, fondern nur berüdfichtigt, 
und alles, was biefelbe hemmen würde, muß aus der 


. 
⸗ 


Staatskunſt: 36 


Reihe bei Bästrsgeln des Sun ausgehen 
werden 8). 


45. GE oe 
.) Die Berfaffung des Staates, als erfter 
Beſtandtheil der Organifation deſſelben. | J 


Es gehoͤrt dem philoſophiſchen Staatsrechte an, 
aus Grundſaͤtzen der Vernunft dieBegruͤndung des 
Staates aus einem Urvertrage ”), und aus dies 





N 


*) Sn demfelben Sinne fagt $r. v. Sen Chiftor. 

- Sournal, 1800, Febr. S. 116 f.): „Nur allzu⸗ 
oft wird die Rangordnung der geſellſchaftlichen Zwecke 
verkehrt, der unbeftimmte, feiner Natur nach undes 
flimmte, Begriff des allgemeinen Wohle auf: die 
hoͤchſte Stelle erhoben, und taufend willkuͤhrlichen 
Marimen, die dieſer Begriff in die Geſellſchaft eins 
führe, die oberſte Bedingung felbft, die Unverletzlich⸗ 
keit des Rechts aufgeopfert. So lange man fi) aber 
vor diefer gefährlihen Werirrung bewahrt; fo lange 
man nur den Marimen der Wohlfahre nicht den _ 
oberfien Platz, oder gar die ausf&ließende Hexrſchaft 
einräumt; fo Jange ift es erlaubt, und im practifchen 
Räfonnement fogar nothwendig, den Geſichtspunct 
ber Wohlfahrt abgefondert von dem Geſichtspuncte 
der Rechte zu behandeln, . und jede gefellfichaftliche 
Einrichtung mit einem doppelten Ma⸗eeſtabe zu 
meſſen.“ 


es) Fr. v. GSentz (hiſtor. Journal, 1799; "Nov. 

S. 278ff.) fage: „Sollten audy alle Staaten, vie 

N je eriftire haben, ihre Entſtehung dem Zufalk oder 
dee Sewalt verdanken; fo verliert der höhere; Titel, 
dag Recht, dennoch feine Anſpruͤche auf fie nich. 
Es iſt keine willküͤhrliche Hypotheſe, fondern ein 
Gebot der Vernunft, ihren rechtlichen Urſprung 
zu praͤſumiren, und gleichſam zu poſtuliren; und cs 





32 


X 


ſten 


e 


Staatskuuſt. 


fom die lehee von dan eingalnen Theilen der hoͤch⸗ 


Gewalt, der geſetzgebenden und voll- 





iR bie Bebingung.idrer rechtlichen Sicher⸗ 


heit, daß ſtetse ſo in ihnen verfahren werde, 


wie es die Vorausſetzung eines ſolchen 


Urfprungs mie ſich bringt. Da nun für eine 
Geſellſchaft freier und zuvor unabhängiger Weſen fein 


andrer rechtlichet Urfprung gedacht wers 


ben kann, als der, welchet von Verträgen 
abkamme: fo muß man nothwendig bie rechtliche 
Eriftenz der Staaten von einem Vertrage unter den 


: Mitgliedern derfelben ableiten. .. Die dee diefes Vers 


trages, welchem man ben richtigen und chrwärbdigen 
Damen des gefellfhaftiihen Vertrages ges 
geben har, iſt nicht geradehin ale eine Entdedung 
der neuern Zeiten zu betrachten. Sie war fchon ben 
aufgetlärten Staatsmännern des Alterthums nide 


. gang fremd; fie fchwebte, mehr oder weniger ents 


widelt, jedem vor, der mit dem Worte Staat 
einen Begriff, wie unvollkommen er auch feyn mochte, 

verbinden ſuchte. Sie zum beutlihen Bewußt⸗ 
Eon zu erheben, war einer ſpaͤtern Periode aufbes 
wahre. Im achtzehnten Jahrhunderte haben Lo de 
und Rouffeau die erften entfheldenden Schritte 
nach diefem Ziele hin gerhan. Ihre Schriften „ die 


Auellen vieler Weisheit neben großen Srrehämern, 


sogen die Theorie des geſellſchaftlichen Vertrages aus 
der Kindheit hervor. Aber die wichtigſte Eroberung. 
in dieſem Gebiete überlichen fie ihren Nachfolgern. 
Es war die, welche ben geſellſchaftlichen Vertrag der 
Reihe der zufälligen Verträge entriß, und zum 


Wange eines nothwendigen erhob. Vils dahin 


batte man bdiefen Vertrag von Motiven der Kiugs 
heit abgeleitet; jetzt ſah man ihn aus dem reinen, 
vodfändig entwickelten Begriff des Rechts bervors 
gehen; man übergeuste fih, daß jedes ber Rechtes 
erwerdung fähige Wefen befugt ſeyn mäfle, die ibm 
Ahnlichen, zur Abichließung eines gejelllhaftlihen Vers 
zuages zu zwingen. Diefer letzte Schritt iſt uns 


Staatskunſt, 363 


ziehenden, fo wie die allgemeinen Bebingungen für 
jede rechtliche Werfaffung abzuleitm (Staatsr, 
G.10— 19.) Die Staatskunft, welche nach alley 
an ihrem Eingange ftehenden Grundfägen bes 
Rechts von dem Staatsrechte abhängt, hat 
blos in Beziehung auf einen gegebenen. Staat, . 
nach ben örtlichen Verhältniffen, nad) den vorherr- 
ſchenden Zeitbebürfnifien,, nach dem erreichten Grabe 
der Eultur des Volkes, das im Staate lebt, und 
nad) der vorhandenen gefchichtlichen Unterlage feiner 
bisherigen Verfaflung, die in der Gefchichte vorlie- 

“ genden einzelnen Öeftaltungen der Staatsverfaffungen 
aufzuftellen, gegen einander zu halten,- 
und zu prüfen, um, nad dem gemeinfchaft- 
lichen Maasftabe des Rechts und ber Klugheit, das 
auszumitteln, was dem gegebenen Staate in Hin⸗ 

ſicht der Verfaflung, als des eriten wefentlichen Be⸗ 
ſtandtheils der Organifation, entfpricht. 

Die Staatskunft erflärt daher bie ur ſpruͤng⸗ 
lihen Rechte des Menfchen entipeder für aus« 
druͤcklich in die Verfaſſung aufzunehmende rechtliche 
Grundbeſtimmungen berfelben, oder Doch) für Die, aus 
dem Natur » und Staatsrechte hervorgehende, unver- 
änderlihe Grundlage der Verfaſſung, welche bei 
derfelben ſtillſchweigend vorausgefegt wird, 
Dahin gehört zunächft das Recht auf perſoͤnliche 


läugbar das Werk der neuern Philoſophie der Teut⸗ 
ſqen und eins ihrer trefflichſten Refultate 
geweien. Der geſellſchaftliche Vertrag if die Baſis 
der allgemeinen Staatswiſſenſchaft. Eine 
richtige Vorſtellung von diefem Vertrage und feinen. 
unmittelbaren Wirkungen iſt Bas erſte Erforders 
niß zu einem reinen Urcheile über alle 
Fragen und Aufgaben der Polieit.“ 


\ 


364 5 Staurstunft 


Breigeie (weiches in der Verfaffung Großbritan- 


niens durch die fogenannte Habeas- Corpus» Xcte 
ansgefprochen ift), mit. Abfchaffung der Leibeigen- 
fhaft®), Sklaverei, Eigenhörigkeit,, und der unge 
meffenen und gemeffenen Frohnen —*— (doch letztere 








*). Griedeig > (in ſ. Hingerfaff. Werten, Th, 6, 

.60.):5 „Es gibt in den meiſten Staaten Euros 
end Provinzen, wo die Bauern dem Ader anges 
"hören, und Knete ihrer Edellcute And. Dies if 
unter allen Zufänden unftreitig der ungluͤcklichſte, und 
der, wogegen die Menſchheit am meiften fi empörtt. 
Sewiß if fein Menſch gebohren, Am der Sklave 
feines Gleichen zu feyn. Dean verabfcheue mit Rede 
einen folden Mißbrauch.“ 


*) Friedrich a (Binterl. Werte, Th. 6, ©. 49): 


„Das alte Lehnsſyſtem, welches vor einigen Jahr⸗ 
hunderten in Europa beinahe allgemein war, hatte 
feinen Grund in den Eroberungen der Barbaren.” — 


Der Miniſter Freih. v. Stein ſchrieb In feinem. 


Circulare an bie oberften Behörden der preußis 
fhen Monarchie, als er das Minifterium niederlegte : 
„Der legte Reft der Sklaverei, die Erbunterthänigs 
tele, iſt vernichtet, und der unerfhätterlide 
Pfeiler jedes. Throne, der Wille freier 
Menſchen, if gegränder. Die Städte find für 
mündig erflärt. — Sobald das Recht, bie Hand⸗ 
‚Jungen, eines Mitunterehane zu beflimmen und zu 
‚leiten, mit einem Grundftäce ererbt oder erfauft 
werden fann, verliert die hoͤchſte Gewalt ihre Wuͤrde, 
und im gefränften Unterthan wird die Anhaͤnglichkeit 
an ben Staat geſchwaͤcht. Mur der Konig ſey Hert, 
“and fein Recht übe nur der aus, dem cr es ſedesmal 
überträgt. Die Aufhebung der Parrimoniaks 
gerichtsbarkeit it bereits eingeleitet. — 
— Beflimmte Dienfte, die der Beſitzer des 
einen Grundſtuͤckes dem Beſitzer des‘ andern leiſtet, 
find an ſich zwar tein Uebel, fobatd perſoͤnliche reis 


Sntmfl, —°0 KE 


gegen Entfhäbigung der Berechäigten); das. Mecht 
auf Gleichheit vor dem Geſetze, mit Aufhebung 
aller einzelnen Bevorrechtungen; das Recht der Freim 
heit des Gewiſſens, anerkannt in den gleichmaͤßt⸗ 
gen Rechten. aller im Staat beſtehenden: Kae den 
(Staatsreche 4. 38 — 40); die zweckmaͤßige geog ria⸗ 
phiſche Einthetlung bes Staategebiets nad). dene: 
Maasſtgbe dar Geſammibevoͤllerung und: derrärden: 
einzelnen Provinzen anzunntmenden: Berwalmmäsbes 
- hörden (Staatsr. $. 26.) , amd die: Aufſtehunge bew 
Bedingungen, unter welchen bus Staatsbuͤrgetrecht 
erworben. wird,’ ‘oder verloren geht (Staatsk.:$.20 —ı 
33.) Damit dem legten Gegenſtande die: ſtaats⸗ 
‚rechtliche fehre von den verſchiedenen Ständen im 
Staate in-gerrauefter Werbindung’fieht; fo gehört es" 
der Staaesfunft nusfchließend an, bie Grundfaͤtze des 
Rechts und der Klugheit über das Verhaͤltniß ber 
erblichen Stände, ober bes Adels, zut den abc 
gen aufzuftellen. 

16. Fr U etın 
Die erblichen Staͤnde im Staate. 


‚8 viel auch im Allgemeinen gegen das Daſeyn. 


heit dabei Rate findet. . Diefe Dienſte fähren aber 
eine gewiſſe Abhängigkeit und willtührlide Behand⸗ 
lung der Dienenden mit fi, die dem Nationalgeifte 
nachtheilig if. Der Staat braucht nur die Moͤg⸗ 
lichkeit derſelben(ſo wie er auch die Semeinheites 
theilungen befördert) geſetzlich feftzuftellen,, fo daß ein 
jeder Ansgleichung unterbeſtimmten SBedimungen 
verlangen kann. Dies wird hinreichen, um bei dem 
BSortſchrotte des Volkes die Dienſtpflichtigen 
zu veranlefien;, von jener Befagniß Gebrauch zu 








eines erblichen Standes (des Adels) und gegen bie 
ſtaatebuͤrgerlichen Vorrechte beffelben, . befonders in 
neuern Zeiten, gefchrieben , und felbft im Sturme der 
feanzöftfehen Revolution beides mit einem Machtſtreiche 
-  aufgebeben worden ift; fo beftätigt es doch die Ge⸗ 
‚ khichte, daß in allen gefitteten Reichen und Staaten 
des. Alterthums und Der neuern Zeit — nur unter 
zdenartigen Formen und Geftalten — ein Pa⸗ 
teiceiat; ein Adel, iin erblicher Stand getroffen 
ward. Bo wie nun übenhanpt im Staate jeder recht- 
liche Beftg .umb jebes; rechtliche Eigenthum geſichert 
und heilig feyn muß; fo auch ber rechtliche Bes 
eines ererbten Namens und eines. eimbien Eigen⸗ 
thums. Mach Geundſaͤtzen bes Rechts muß daher 
die erbliche perfönliche Würde, fo wie das Grund⸗ 
eigenthum mit ;den darauf ruhenden Rechten, im 
Söhate gewiffenhaft anerkannt werben *); auch iſt es 
zweckm eaͤßig (wenn gleich nicht an ſich nothwendig), 
daß in Staaten, wo ein Erbadel beſteht, derſelbe in 
einer eigenen Kammer 20) durch gewählte Mitglieder 
aus feiner Mitte vertreten werde. 


"®) Sr. u. SGentz (hiſtor. Journal, 1800, "Jan. 
©. 18.) fagt: „Zwiſchen dem erblihen Beſitze einer 
Würde und dem erblihen Befige eines Srundftädes 
ift keine Spur eines rechtlichen Unterſchiedes zu fins 
den. Ohne der einzigen wahrhaft s widerrechtlichen 
Ungfeihheit die Thore zu Öffnen, darf man übers 

haupt nie von einem Eigenthume fprehen, das mehr 
oder weniger Eigenthum, als ein anderes, wäre.’ 


*) ©o meint es auch v. Jakob (Winf. in &; Stud. 
der Srastswifeufhaften, ©. 208.4:) ;, Bereig-Exrbs 
adel vorhanden ift, und wo derſelbe erhalten werden 
fol; de muß er cine eigene Rammmhilten ,: um vers 
Dindern zu koönnen, daß ihm feine Worgäge nicht ges 


- : @toosshunfl, ee ' 


Allen «ben fo wenig. darf in der Stanustun 
überfehen werben, daß der Adel nicht in hie. Mitte 
jwifchen ben Füeften. und. die übrigen Staatsbärger 
ſich ftellen darf, weil, außer der geheiligten Perſon 
des Regenten, jedes andere Individuum im Saas, 
zjugleih Staatsb. ürger und Untertban if; 
und, weil außer ben perfönlichen Vorzuͤgen eines 
erblichen Standes, (wohin auch die Befähigung zu 
Hofämtern gehört, ) befondere Haatsrehtelidge . 
Vorzuͤge deſſelben (3. B. ausfchließende Berechtigung 


zu gewiffen Staatsämtern, Ausnahmen Yon den | 


im Staate beftehenden bürgerlihen und Strafgeſetzen 
u. ſ. w.) Ungerechtigfeiten gegen bie übrigen Staats 
bürger fenn würden. . 
Da übrigens die Rechte und Vorzüge bes Adels 
- auf einer gefchichtlichen Unterlage beruhen; fo lehrt 
auch diefelbe Geſchichte, in Hinſicht des aus dem 
Lehnsſyſteme Hervorgegangenen neu eurnpäifchen 
Adels, daß. demfelben — bis zur Zeit der Enthedung 
des Schießpufvere und ber Einführung der ſtehenden 
Heere — die ausfhließende Verpflichtung 
zum Kriegspienfte, und beshalb die. Mies 
freiung von andern feiftungen an ben Staat, nament⸗ 
lich von den — in den Zeiten bes Mictelalters an ſich 
En, . .c* 








nommen werben. Aber eben fd nothwendig iſt in 
einem folden. Lande eine Kammer der Semeinen, 
wenn der Erbadel nit die Macht haben, ſoll, bie 
Semeinen gu unterdeiden, und alle Laſten auf fie 
zu wälsen. Soll aber ‚eins Adels: und Gemeinen⸗ 
fammer neben einander beſtehen; fo mäfen die Pri⸗ 
vilegien des Adels fo gemaͤßigt ſeyn, daß fig weber-dem 
Wermögen oder Eewerbe der Abrigen Voikekloſſen bins 
dertih fallen, noch die Gelangung zu böhern Wärs 
den und Chrenftellen ihnen unmöglig machen.“ 
\ . 


/ 


‘ 


308 Staatcekcunſt. 


ſehr unbedeutenden — baaren Abgaben zukam. Dar- 
aus ergibt fid) fuͤr bie Staatskunſt, daß fie den 
mit. felchen Befreiungen bevorrechteten Stand nur 
gegen Entfhäpigung dafür *) zue gleich 
wäßigen Beſteuerung in Hinſicht aller fruͤhern 
unb beibehaltenen Abgaben im. Staate ziehen duͤrfe, 
Daß: aber bei. Steuern. und Abgaben, erft die 
neueſten DBedürfniffe bes Stoates herbeigeführt 
haben ,: der Altere Rechtstitel der Befreiung, ober 
ber: Entſchaͤdigung dafür, von ſelbſt wegfaͤllt. 

: Eudlich hat der Adel in den juͤngern europäilchen 
—8 nie den Charakter der Kaſten (d. h. völlig 
geſchloſſener Stände), wie in mehrern Reichen 
des Alterthums, und noch jetzt in Indien und China, 
angenommen; woburch feine Stellung gegen bie übri- 
gen Stände im Staate weniger druͤckend und Eiferfucht 
erregend geworben iſt. Allein eine hoͤchſt ſchwierige 
Frage der Staatsfunft bilder ed: ob bie (ſeit der Ein⸗ 
führung bes Briefüdels gefteigerte) Vermehrung 
des Erbadels rathſam ſey, mern gleich das Recht der 


u Ertheilung des Adels von Seiten des Regenten un- 
beſtreithar iſt; und ob nicht vielmehr die, in Groß. 


) FIr. v. Seng (hiſt. Journ. 1800, San. ©. 35.): 
„Die Realprivilegien (bei den Abgaben, bei dem 
—Buärterbeſitze, bei der Theilnahme an elgemeinen 
Zandeslaften u. f. mw.) repraͤſentiren Gerechtſome, die 
„.. in frühere Verfaſſungen, zuweilen in ein graues Als 
„. seethunr hinauf fleigen, oder fie beruhen auf Ver⸗ 
‚trägen. Es wäre wuͤrſchenswerth, daß eine weile 
.Gefetzgebung nah und nach alle Pripilegien hiefer 
‚Art auf rechtmäaßigen und gerehten Wegen 
aufbeben könnte; fo lange fie. aber vorhanden 
vi$m®,. darf man. nicht. vergeen, daß ve unter die _ 
Rede gehören.” . . 


” 


Staatskunſt. 369 


britannien thatſachlich beſtehende, Beſchraͤnkung 
bes. Geburtsadels auf bie. erſtgebohrnen 
Söhneadliher Familien *) felbft der Wurde, 
dem Glanze und dem bürgerlihen Wohlſtande der 
nachgebohrnen Söhne folder Familien hoͤchſt vor- 
'theilhaft feyn witrde, weil mit der Verarmung des 
Adels die demſelben durch eine forgfättige Erziehung 
zu Theil gewordene Verfeinerung der dußern Sitten 
und des Geſchmacks allmählig fi vermindern muß. — 
Die Errihrung großer Majorate aber da, wo fie 


*) Dies ift der Vorfchlag von Krug (die Fürften und 
die Wölfer in ihren gegenfeitigen, Forderungen dar⸗ 
geftellt,, Leipz. 1816. 8. ©. 58 ff), womit er einen 
zweiten verbindet: „Anerkennung des Verdienſt⸗ 
adels in jedem durch perföntiche Eigenfchaften und 
dem Staate geleiftete Dienſte ausgezeichneten Staats» 


bürger.” — Sollte aber dieſer zweite Vorfchlag in 
Staaten nöthig feyn, wo — wie fehon in mehrern 
gefhbieht — jeder nur nah innerm Ben 


dienſte zu den elgentlihen Staatsäms 
tern gelangt? Iſt nicht ſchon diefes Gelangen 
zu hoͤhern Staatsaͤmtern Anerkennung des wahs 
ven Verdienſtes? Warum ſoll noch damit der pers 
fönliche (nicht forterbende) Adel verbunden wer: 
den, da ohnedies in jedem gut- organifirten Staate 
der bürgeriihe Rang von der Ötellung 
‚jedes einzelnen Staatsamtes zu dem 
Zwecke des Ganzen abhängen muß, und nie 
ein. bloßer Tirel ohne Amt, fo wie wieder von 
der andern Seite fein wichtiges Amt ohne einen, 
die Wärde deſſelben ſinnlich bezeichnenden, Titel 
und Rang, gegeben werden darfl — So fagt 
Friedrich 2 (hinterl. Werke, Th. 6, ©. 66.): 
„Um zu verhindern, daß die Nationalfitten nicht 
verderbt. werden, muß der Fürft unaufhörli aufs 
merkſam feyn, nur das perfönlihe Verdienſt 
auszuzeichnen.“ 

I. 24 





370 Staatskunſt. 


nicht ſchon beſtehen, iſt eine Ungerechtigkeit gegen die 

nachgebohrnen Söhne adlicher Familien, und in volks⸗ 

wirthſchaftlicher Hinficht verwerflich. 
Unterſuchungen äber den Geburtsadel und die 
Möglichkeis. fetnsr Gortdauer im meungehnten Jahr: 
hundert. - Bon dem Verf. bes neuen Levliathan 
(Buchholz). Berl. 1807. 8. 


17. 


VBerfhiedenheit der Verfaffungen nad 
politiſchen Ruͤckſichten. 


1) in Beziehung auf ihre Entſtehung. 


-Jede Verfaſſung iſt an ſich ein Grundver: 
trage), ber über alle weſentliche Bedingungen des 
innern Staatslebens zwifchen dem Regenten und dem 
Wolfe abgefchloffen wird. Es folgt daraus von felbft, 
daß zwifchen beiden ein fittliches Verhältniß ange: 
nommen, d.h. der Kreis der Rechte und Pflichten 
des Regenten, fo wie der Kreis der Rechte und Pflich- 
ten bes Volkes, in der Verfaſſung feſtgeſetzt wird °°). 


*).8r. v.Seng (hiſt. Journ. 1800, San. ©. ıg ff.): 
„Tine jede Verfaſſung, deren Rechtmaͤßigkeit aud 


nur präfumirt werden kann, d.h. eine jede, die 


niht der Örundbedingung des gefelk 
fhaftlihen Vertrages widerſpricht, If 
on und für fih gereht. Gerechtigkeit ift das eigents 
lie Weſen einee ÖStaarsverfaffung. Gerechtigkeit 


ift ihre Beſtimmung und. ihre Zweck; bie Form tft 


nichts, als ein Mittel. Auch die fehlerhaftefte aller 
Ennftitutfonen hat die Präfumtion für fi, daß fie 
das Rrecht beabſichte.“. 


“) Es darf an dieſem Orte die Aeußerung Friedrichs e, 


der in den meiſten feiner Länder mit unumfdränfter 
Macht regierte, über die Verfaffung des Fürs 
ſtenthums Meufhatel nice übsrgangen wer 


0 Staarskunf. | 371 


Befragen wir aber die Geſchichte über die Ente _ 
ftehung der Verfaffnngen; fo ſtelit fie für die Staats- 
Funft folgende Ergebniffe auf: 

1) die Verfaflung wird entweder gegeben von 
dem Regenten als ein Ausfluß feiner Negenten» 
gewalt (fogenannte sctroyirte Verfaffungen — 
dahin gehört die conflirutionelle Charte Ludwigs 18 
vom Jahre 18145 die bayrifche und badenfche Ver⸗ 
faflung vom Kapre 1818; die Verfaſſung, welche 
Kaifer Alerander ?) dem Königreiche Polen im 

. % 1815 gab); 


den, welche ih in einem Brief an Voltaire vom 
20. Oept. 1771. (hint. Werke, Th. 9, ©. 325 ff.) 
finde: „Die Eonventionen, auf welde das 
dortige Wolf feine Freiheit und feine Priviles 
gien gründet, find mir ehrwürdig, und id 
ſchließe meine Macht in die Grenzen ein, 
die es ſelbſt beſtimmt bat, als es fi meis 
nem Haufe unterwarf.” Wären dem erhabenen 
Fürften diefe Conventionen nicht „ehrwärdig‘ ges 
wefen; fo würden die 40,000 Bewohner des Fuͤr⸗ 
ſtenthums diefelben nicht haben vercheidigen können 
gegen den König, befonders -in einer Zeit, wo In 
den meiften europäifhen: Staaten die Formen uns 
beſchraͤnkter Monarchieen beftanden. 

*) Als der Kaifer am 27. Apr. 1818 den Reichstag des 
Königreihes Polen zu Warſchau eröffnete, fagte er 
In feiner Rede: , Repräfentanten des Königreiches 
Polen! Eure Hoffnungen und ‚meine Wünfche wers 
den erfüllt. Das Voll, zu deſſen Repräfentanten 
Ihr berufen ſeyd, erfreut ſich .endlic eines wo Lk 
thümlichen Dafeyns, verbärgt durch Einrichs 
tungen, welche die Zeit reifte und heiligte. Bes 
weifer Euern Zeitgenoffen, Daß. die tiberalen 
Inſtitntionen, beren auf immer gehets 
ligte Örundfäße man mit den umſtürzen⸗ 
Ben Lehren, welde in unfern Tagen bie 

21* 


3,2 Staattkunſt. 


) oder fie wied, als ein Geundgeſeb, von dem 


Regenten den Stellvertretern des Vobkes 


% 


vorgelegt, und von diefen, nach geſchehener 
- Brüfung ihrer einzelnen Beftimmungen, ange: 
nommen (ſo z. B. die Weimariſche Berfaffung, ‚ die 


Verfaſſung des Königreichs der Niederlaube u. a.); 


3) .oder fie wird gemeinſchaftlich von dem 
Megenten und den Stellvertretern Des Volfes bes 
rathen und angenommen (fo z. B. Die Verfaſſung 
des Konigreihes NMormegen, des Königreiches 
Wirtemberg *), des Großherzogthums „Def 
fen); 

4) oder fie wird ausſchließend von den Stell: 
vertretern des Volkes entworfen, 'und 
dem Megenten zur Annahme vorgelegt (fo z. B. 
die Verfaflung Schwedens vom J. 1809; bie 
Verfaſſung der fpanifche n Cortes vom X. 1820; 
Die Berfaffung der p ortus i eſiſch en Cortes vom 
J. 1822). 


geſellſchaftliche Ordnangm mit einer fürs 
teriihen Kataftrophe bedrohten, zu ver 
wehfeln fuhrt, fein gefähbrtiihes Blend—⸗ 


- wert find, fondern daß fie, mit Redlichkeit ins 


Werk geſetzt und vor allem mit reiner Abficht. nad 
einem erhaltenden und für die Menſchheit nüglichen 
Ziele geleitet, fi volllommen mit der Ordnung vers 
tragen, und in Gemeinſchaft mit biefer die ‚Wahre 
Wohlfahrt der Völker bewirken.” 


*) So ließ am 13. Jul. 1819 der König von Wirtem⸗ 


: berg den Ständen durch den Minifter von der Luͤhe 
erklaͤren: „Sein Herz äußere noch immer den Wunſch, 
dag Wirtemberge neue Verfaffung aus einem 
freien und freudigen Einverftändniffe des 
Volkes mit feinem Negenten hervorgehen 
möge. ” 


Staatskunſt. 373 


Da die geſchichtliche Unterlage mehrerer 
Verfaſſungen in die Zeiten des Mittelalters zurück⸗ 
reiht; da ferner die mannigfaltig verfchiedenen Orte 
lihen Berhaltniffe, ja felbit augenblicklich eingetres 
tene Bedürfnifle, bei der Entſtehung ber Verfaf 
fungen nieht 'felten den Ausfchlag geben; da endlich) 
die Völker und Staaten in Hinficht der rechtlichen 
Geſtaltung ihres innern febens fehr von einander ver⸗ 
fehieden find; fo kann an fich feine Diefer Verfaffuns. 
gen der andern vorgezogen werden. Die Staatsfunft 
haftet dabei blos an drei Puncten: die Entftehung 
der Verfaſſung gefchebe aufrehtlihem Wege; fie 
werde vom Negenten und Volke, als gültiger Grund: 
vertrag, freimillig und rechtlich angenommen; 
ſle entſpreche den vorhandenen Beduͤrfnifſen 
eines’ Volkes und Staates für die neue Geſtaltung 
feines Innern gebens. — Allein, fobald die Staats» 
kunſt die in diefer Hinfiht vorliegenden gefhicht- 
lichen Tharfachen beruͤckſichtigt; fobald finder fie, 
daß gewoͤhnlich die von den Volfsvertretern entworfe- 
nen und dem Regenten blos zur Annahme vorgelegten 
Verfaffungen die Rechte des letztern, namentlich) fei- 
nen Antheil an der geſetzgebenden Gewalt *), zu fehr 


nn 


* Sr. v. Gens (hiſt. Journ. 1800, Febr. S. 1927): 

\ „Jede Conftitution, welche der Regierung feinen 
mwefentlihen Antheil bei der Geſetzgebung einräumt, 
ift Schon im Augenblicke ihre Entſtehung dem Unter⸗ 
gange gewidmet; jede Konftitution, in welder die 

Regierung weientiich bei der Sefeßgebung coneugrirt, 
gehört in die Klaffe der ausführbaren. Sie tann 
in taufend Nebenflimmungen ihrer Drganifation den 
Keim der Zerfiörung enthalten; aber es if. kein 
fundamenteller Wirenſpruch in ihren Srundlagen 
vorhanden. 


374 . Staatstunft. 


beſchraͤnken, deshalb an organifchen Fehlern 
‚leiden, und felten dauerhaft find; daß bie foge- 
nannten octroyirten Verfaſſungen gemöhnlih bie 
meiſte innere Einheit ihrer Theile haben, wenn fie 
gleich nicht auf dem Wege bes Vertrages entflunden 
find; und daß die von Dem Regenten den Volfsver- 
tretern vorgelegten und von dieſen geprüften und an» 
“ genorhmenen , oder gemeinfchaftlich von beiden ent« 
worfenen Verfaffungen dem ſtaatsrechtlichen Begriffe 
‚eines Grundvertrages am meiften entfprechen. 


(Fr. 0. Gentz (hiſt. Xournal, 1799, Nov. ©. 
287 f.): „Sobald von Rechtinäßigfeit, die Rede 
ift, darf Feine Werfaffung verworfen werden, die 
dem gefellfchaftlihen Wertrage nicht widerfpricht, 
Nur die, in welcher die Sefeglofigkeit Princip 
wäre, verdiente unrehtmäßig zu heißen‘ — und 

©. 310.: „Die große Aufgabe, einem Staate 
duch feine Verfaſſung einen hohen Grad von 
Sicherheit gegen Willkuͤhr und ſchlechte Gefege zu 
verleihen , kann nur durd) die Weisheit, vielleicht 
nur durch bie Weisheit einiger Wenigen 
. gelöfet merben. ‘‘) 
Unter den vielen, in neuefter Zeit erſchienenen, 
Sehriften über Verfaſſung duͤrften folgende die 
wichtigern ſeyn: 


Wild. Tee. Krug, Äber Staatsverfeffung und 
©taatsverwaltung. Königsb. 1806. 8. 

Beni. de Eonftent, Berradtungen über Con⸗ 
Ritutionen , über die Vertheilung der Sewalten und 
die Bärgfchaften in einer conflitutionellen Monar⸗ 
ie. Aus dem Franz. v. J. J. Stolz. Bremen, 
i814. 8. | 

(Minifer v. Wahgenbeim), die Idee der 
GStaatsverfafſung, in ihrer Anwendung auf Wirtem⸗ 


Staatskunſt. 375 
berge alte Landesverfaſſung, und den Entwurf zu 
deren Erneuerung. Frkf. am Main, 1815. 8. — 
Derfelbe, über die Trennung ber Volksvertre⸗ 
sung in zwei Abtbeilungen. Frankf. 1816. 8. 
Herm. Wild. Ernft v. Keyſerlingk, über Repräs 
fentation u. Repräfentativverfaffungen. Goͤtt. 1815.8. 


Benzenberg, über Verfaſſung. Dortmund, 


1816. 8. 
Jac. Sigiem. Bed, von den Formen der Staats⸗ 
verfoflung. (3 Programme.) Roſtock, 1816 f. 4. 
Meber Verfaffungsvertrag, Verfaffungsformen und 
die Wirkffamkein fländifcher Werfammlungen. Wiess 
‚ baden, 1817. 8. f 
Chſtn. Fr. Schloffer, Händifhe Verfaſſung, 


ihre Begriff, ihre Bedingung. Frkf. a. M. 1817. 8. - 


Heine. Eberh. Gtlo. Paulus, philofophifche 
Beurtheilung der von Wangenheimifchen' Idee der 


Staatsverfaſſung und einiger verwandten Schriften. . 


Hetdelb. 1817. 8. 

C. A. Zum: Bach, ideen über Recht, Staat, 
Staatsgewalt, Staatsverfaffung und Volksvertre⸗ 
tung , mit befonderer Beziehung der letztern auf die 


preußifhen NRheinprovingen. 2 Th. Köin, 1817. 8. . 


Zul. Schmelzing, einige Betradhtungen über 
den Begriff und die Wirkſamkeit der Landftände, 
nad) den Prineipien des allgemeinen und natärlichen 
Staatsrechts. Rudoliſt. 1818. 8. 

Megent und Voll, Oder weiche Conſtitution muß 
der preußifche Staat haben? Berl. 1818. 8. 

(v. Sagern), Politie, oder der Staaten Ver⸗ 
faffungen. Stuttg. 1819. 8. 

Worauf beruht die Nuͤtzlichkeit einer National⸗ 
repräfentatton; in Buch hofz, Jonrnal für Teutſch⸗ 
land, 1815, Febr. ©. 185 ff. — Noch einige Ge— 


danken über Repräfentativuverfaffung und deren Eins 


führung. Ebend. 1819. Bent. ©.85 ff. — Schtüf 
fel zum Verfaſſungswerke; Ebend. 18223, Sjanuar, 
Arn. Mallindrodt, Über Verfaffung; in Voß 
Seiten, July, 1819. 
Krug, über die Einführung neuer Berfaffungen ; 
: in bee Minerva, 1823, Auguf, ©. age fl. . 


“ 


376 Staatskunſt. 


18. 


2 in Beziehung auf ihre innern Beſtim— 
mungen. 


Nach ihren innern Beſtimmungen find die Ver⸗ 
foffungen verſchieden: 

a) nad) demin ihnen ausgefprochenen rechtlichen 
Verhältniſſe zwifhen der gefeggeben- 
den und vollziehbenden Gemalt; 

b) nad) dem Grundfage der Ernennung der 
MWolfsvertreter, ob aus. der numerifhen Ge- 
ſammtheit des Volfes, oder nah Ständen; 

c) nad) der Bertheilung der Volksvertreter in 

eine oder in zwei Kammern; und 

d) nad) ben in ber Verfaffung ausdruͤcklich feſt⸗ 
gefegten Rechten und pfl lichten der Volfsver- 
freter, 


19. 
Sortfegung 


Ueber das verfaffungsmäßige Verhaͤltniß 

zwiſchen der geſetzgebenden und vollziehen- 

ben Gewalt, und über ben Grundſatz der 
Ernennung ber Volfsvertreter. 


Das Berpäteniß zwiſchen der gefeg- 
gebenden und vollziehenden Gewalt iſt in 
einigen. Berfaflungen fo beftimme, daß entweder 
die Wolfsvertceter allein die gefeßgebende Gewalt 

üben, und der Regent, als Oberhaupt der vollziehen- 
den Gewalt, ganz von dem Antheile an der Gefeß- 
gebung ausgefchloffen ift (3. B. in der fpanifchen und 
portugiefifhen Verfaffung); oder daß der Megent 


Staatskunſt. 477. 


ausſchließend die Initiative ber Geſetze übt, und den 
Volfsvertretern blos die Annahme ober Bermerfung 
der vom Regenten ausgehenden Gefege zuſſeht; oder 
Daß beide gemeinfhaftlid die Initiative der 
Geſetze üben (wie in der .brittifchen Verfaſſung). 
Wenn bie erfte Form des. Verhältniffes entſchieden 
die fehlerhaftefte und verberblichfte iſt; fo fcheint 
die dritte Form (Staatsr. $. 27.) eben fo ben 

Grundfägen ber Vernunft, wie den Bebürfniffen der 
Voͤlker am meiften zu entfprechen.. 
. Die Ernennung ber Volksvertreter 

(Staater. 9.28.) kann entweder nach der humerifihen 
Gefammtheitdes Volkes, ober nach Ständen geſchehen. 
Man nennt gewöhnlich die er ſt Morm, wo in. der 
Verfaſſung bios die Gefammtz@HL der zu wählen« 
den Volksvertreter und die Wahlart derſelben an 
gegeben ift, bie Wahl aber ledi dem Zuteauen . 
der Wähler zu den zu Ermählenden, ohne Rüdjiche 
auf befondere Stände und befondere bürgerliche Ver⸗ 
haͤltniſſe, überlaffen bleibt, das repraͤſentative, 
hingegen die zweite Form das ftändifche Syſtem, 
wo nad) den verſchiedenen Staͤnden und Berufsarten 
die Zahl derer in der Verfaſſung beſtimmt wird, 
welche aus jedem einzelnen Stande in dem Kreiſe der 
Volksvertreter erſcheinen fol. Das erſte Syſtem iſt 
im Ganzen nur da angenommen worden, wo im, 
Sturme einer Revolution alle aus dem Lehnsſyſteme 
hervorgegangene Unterſchiede der Staͤnde voͤllig ver⸗ 
nichtet wurden. 

Das zweite Sam ®), deſſen gefchichtliche 











*) Ueber ben Unterfchied von Landſtandſchaft und National⸗ 
reyraͤſentation; in Buchholz Journ. für Teutſch⸗ 
land, 1815, Zund, ©. 305 ff. 


* 


373. ESrtoatðekunſt. 


Unterlage in bie erſten Zeiten ber Geſittung ber aus 
dem Lehnsſyſteme hervorgegangenen Staatsformen 
zuruͤckreicht, brachte Anfangs nyr die Inhaber der 
hoͤchſten geiftlicen Würden und die adlichen 
Grundeigenthümer, in der Folge aud) die Ver- 
treter der Städte, und nur in Schweden bereits in 
dem zweiten Viertheile bes fechszehnten Jahrhunderts 
(unter Guſtav Wafa) felbft Die Vertreter des 
DBauernftandes in die. Mähe des Negenten. Da 
im Ablaufe der Jahrhunderte manche Formen dieſes 
Syſtems — nicht aber die rechtlichen Unterlagen des 
Syſtems felbft — theils mit den wefentlihen Ver⸗ 
änderungen im Lehnsſyſteme, theils mit den Fort 
fhritten der Cult aller Stände. im Wolfe und mit 
der Verbreitung Wohlftandes über die verfchie- 
denften Klaflen der Staatsbürger ‚ veraltet waren; 
fo find auch in d dep eiften neuen ffändifchen Ver⸗ 

faffungen die Unvollfommenpeiten in den frühern For⸗ 
men ber ftändifchen Wertretung befeitige worden. 
Außer in der ſchwediſchen Verfaſſung wird aber 
in feiner neugegebenen ber geiftliche Stand *) be⸗ 
fonders vertreten. An bie Stelle ver bios adlichen 
Mepräfentanten ’ift die Vertretung bes groͤßern 
Grundbeſi itzes überhaupt gefommen. - in der 
Reihe der ſtaͤdtiſchen Abgeordneten hat man allen 
gebildeten Mitgliedern des Bürgerftandes den Ein« 


*) Eine befondere Vertretung bes geiftfihen Standes 
verlangten neuerlih: Herm. Eberh. Stlo. Paulus, 
in f. allgemeinen Srundfägen über das. Bertreten der 
Kirche bei Ständeverfammlungen, mit befonderer Bes 
ziehung auf Wirtemberg. Heidelb. 18176. 8. — und 
noch ftärfer: Yon. Schuderoff, über den innerlich 
nochiwendigen Zufammenhang der Staates und Kir⸗ 
chenverfaflung. Ronneb. 1818. 8. 

















Saaatetunſt. 379 


tritt eröffnet, un in mehrern andern ſtandiſchen Ver⸗ 
faſſungen iſt der Dauernfta nd zu einer befondern 
Vertretung aus feiner eigenen Mitte gelangt, weil 
er im Ganzen andere Intereſſen geltend zu machen 
bat, als der größere Grundbeſitzer. So hat man 
das Mangelhafte der veralteten fkändifchen Vertretung 
verbeffert und gemildert, und doc) zugleich Die burch- 
greifenden Beränderungen und die Schwie- 
rigfeiten ver mjeden, weiche mit dem erften 
Spfteme, befonders in Hinficht der Waplfor 
men, unvermeidlich verbunden find, — 

Allein über die neue Geftaltung ber ſtaͤndi— 
ſchen Verfaſſung ſelbſt ſtimmen weder die, als 
Thatſachen der neueſten Zeitgeſchichte vorliegenden, 
Verfaſſungen, noch die Theoretifer der Staats: 
funft überein. Die beiden Hauptanfichten der le 6- 
tern find: 

a) Es muß zwifhen dem unbeweglichen . 
und beweglichen Eigenthunie im Staate unter- 
ſchieden und beides vertreten werden. Mit dem 
erften ift das Erhaltungsprincip im Staate 
verbunden, und durch daffelbe wird das Beharrliche 
im Staate repräfentirt; mit dem letzten ift das 
Bemwegungs- und Vervollflommnungs- 
princip im Staate gegeben, und durch Das be= 
wegliche Eigenthum wird das Fortfchreitende , das 
Beranderlihe in Staate repräfentirt, Die erfte 
Klaffe von Staatsbürgern , welcher das unbeweg⸗ 
liche Grundeigenthbum, namentlich auf dem Sande, 
zugehort, bildet in der politifchen Welt eine Kraft 
der Trägheit, welche die Staaten in ihrer Bahn 
feſthaͤt. Dagegen ertheilt das bewegliche Eigen- 
thum feinen Beſitzern weniger Vorliebe. für Das 
Alte, weniger Anbänglichfeit an das Beſtehende, 


380 . Etsarstunit. 


- mehr Meigung zu neuen Combinationen, zu Ver⸗ 
anderungen aller Art. Dahin gehören zunachft die 
Gewerb» und Handeltreibenden, und die Kunftler. 
— &ie würden rückfchreiten, wenn fie nicht be⸗ 
ftändig fortſchritten *). (Mit Folgerichtigfeie gehe 
daraus die Eintheilung diefer beiden Hauptftände 
im Staate in zwei Kammern hervor.) 

b) Nicht das Eigenthum im Staate, fo wichtig 
auch daffelbe und namentlich die Eintheiung def- 
felben in das unbewegliche und bewegliche ift, ſon⸗ 
dern die erreichte Cultur der Staatsbürger, und 

'die verfhiedenartige Anfünpigung bie 


*) Am erfhöpfendften und geiſtvollſten Kat biefes Syſtem 
aufgeftelle und durchgeführt Fr. Ancillon in f. 
Schrift: Äber die Staatswiſſenſchaft, Berl. 1820. 8. 
S. 98 ff.; nur därften in der ausführlichen. Deduction 
dicfes Syſtems zwei Saͤtze nicht bewieſen merden 
tönnen: „daß diejenigen, die kein Eigenthum befigen, 
eigentlih Fremdlinge im Lande wären, und ale 
Keifende betrachtet werden könnten,‘ und ‚daß der 
Wehrs und Lehbrs Stand Peine cigentlihen 
Stände wären, weshalb auch beide nicht zur befontern 
Vertretung fi eigneten.” Allerdinas kann der Wehrs 
ftand, nad feiner weientlihen Grundlage des uns 
bedingten Gehorſams und der firengen 
Subordination, nicht füglihb ale befonderer 
Stand in die Reihe der zu vertretenden Stände 

- aufgenommen werden, obgleih einzelne Mitglies 
der deffelben, befonders wenn fie Grundeigenthum 
befigen , in die Reihe der Grundeigenthuͤmer eintres 
ten Pönnen; warum follen aber die felbitftändigen 
und unabhängigen Mirglicder des gelehr— 
ten Standes nicht eben fo gut, wie Handwerker, 
Kaufleute und Künftter,, zur Vertretung fi eianen? 
Iſt das Leben in der Idee nicht fo viel im Ötaate 
werth, als das Leben auf den Comptoit? 


/ 


Staatskunſt. 381 


ſer Cultur, entſcheidet über die Kraft und Bluͤ⸗ 
the, fo wie uͤber den Fortſchritt des innern Staats⸗ 
lebens, Nur da wird dieſer Fortſchritt ſichtbar, wo 
. alle Hauptzweige der Cultur vorhanden find, 
und mit fich im. Gleichgewichte ſtehen. 
Diefes Gleichgewicht haͤngt aber ab von der gleich» 
"mäßigen Vertretung jener Hauptjweige ber 
Cultur, fo daß fein Theil des innern Staatslcheng 
vor dem andern mehr ober weniger begünfligt er— 
ſcheint. Die Eultur gerfallt zunächft in zwei Haupt: 
gattungen: in bie finntiche un in die geäflige. 
Zur erften werden haupffaͤchlich die phyſiſchen 
Kraͤfte des Menſchen, zur zweiten die geiſtigen 
erfordert. Die erſte zeigt ſich in dem Aubaue 
des Bodens nach dem groͤßern und kleinern 
Grundbeſitze; die zweite in dem Anbaue der 
Gewerbe, des Handels, der Kunſt und 
Wiſſenſchaft. Daraus ergeben ſich die vier 
Klaſſen, welche — wenn alle Hauptintereſſen im 
Staate gleichmäßig vertreten werden ſollen, — ver⸗ 
treten werden muͤſſen: 1) das größere Grund⸗ 
eigenthum; 2) das kleinere Grundeigenthum 
(des Bauernſtandes); 3) die ſtaͤdtiſſchen Ge— 
werbe (Manufacturen, Fabriken, Handel); 4) die 
Intelligenz im Staate (in den Kreiſen der 
Wiſſenſchaft und Kunſt). In die Reihen der letz⸗ 
ten gehoͤren zugleich die Mitglieder des geiſtlichen 
Standes und .die Erzieher. — So gewiß nun 
auch unter den Grundeigenthuͤmern wiſſenſchaftlich 

gebildete Maͤnner, und unter den Handelsleuten 
und Gelehrten ſich einzelne Grundbeſitzer finden 
werden, weil diefe vier Hauptberufsarten in gefitte- 
ten Staaten in der Praxis weit, inniger unter fid) 
verbunden find, als in der. Theorie; fo fcheint doch, 


382 | Stnatstunfl | 


für die gleiämäßige Vertretung aller er Haupt. 

intereffen im Staate, eine gleichmäßige An- 

zahl von Steflvertretern aus jedem diefer Stände 
- zur Vertretung des gefammten Volfes berufen wer- 
den zu muffen. (Staatsr. $. 28.) *) * 





wo Diefer Anfiht folgt kefonders Krug in r Särift: 
das Repräfenterivfyftem ; Leipj. 7816. 8. Er nenne 

die Art der ÜBertretung im Repräfentatiufgfteme die 
mathematifhe, bie im ſtaͤndiſhen Syſteme die 
dynamiſche. Die erſte beruht, nach ihm, auf dem 
ſtatiſtiſchen Princip der Seelenzahl, und 
beſtimmt daher arichmrerifh das Verhaͤltniß der Stell⸗ 
vertreter zum Wolfe; Die zweite hingegen auf dem 
politiſchen Princip der Gewichtigkeit, 
und beſtimmt daher das Verhaͤltniß der Stellvertreter 
zum Volle nah dem politifhen Werthe und Ranye 
gewiſſer Klafen von Staarsbärgern. Er geſteht 
(©. 45 ff.) der letztern den Vorzug für alle teutſche 

-  Bunpdesflaaten: zu; nur daß er für die Aufnahme des 
®auernitandes, für die Erweiterung des Rits 
törftandes durch die Ausdehnung der Bertretung 
auf alle Beflger von Nitteraütern, und in Hinſicht 
der Geiſtlichkeit fi folgendermaßen erklärt: 
„Die Geiſtlichkeit bildete fonft einen befondern Stand, 
theile wegen ihres Grundeigenthums, theils aber 
nnd vorzüglih als Repräfentane der höhern 
. Intelligenz, weil fie ausihlichlih im Befiße der, 
Miffenfhoit und Kunſt war. Die Geiſtlichkeit bar 
aber im Laufe der Zeiten ihr Grundeigenthum größtens 
theils verloren, beſonders in proteſtantiſchen Ländern, 
und Wiffenſchaft und Kunft it auch den Yaien im 

. folhem Maaße zu Theil geworden, . dag, Birke ders 
felben, in dieſer Hinſicht niche nur chen fo, jondern 
neh mehr gebilder find, als die Geiſtlichkeit ſelbſt. 
Sie kann alſo nicht mehr als ausſchließliche NRepräs 
ſentation der böhern Intelligenz gelten, und muß ſich 
daher in politifchee Hinſicht an. Lirfenigen anſchließen, 








Staatskunſt. 38 - 
Was die in der Verfaſſung feftzufegende Ge⸗ 

ſammtzahl ber Volksvertreter betrifft; fo ift im . 
Allgemeinen der Mittelweg zwifchen dem Zuviel 
und dem. Zumenig ber angemeflenfle.. "Cine Ueberzahl 
von WVolfsvertretern dehnt die Verhandlungen und 
Abftimmungen in die Länge und Breite; eine zu kleine 
Zahl fann leicht in ihren Anfihten und Ausfprüchen. 
einfeitig werben. Dazu fommt, baß, bei ber Fefl- 
fegung der. Geſammtzahl der. Wolfsvertreter , Die Ge- 
ſammtzahl der Bevoͤlkerung bes Staates berucfichtigt 


erden muß, indem bei großen Staaten nicht der- _ 


felbe mathematifche Grunbfaß, wie bei den mit 
fern umd kleinen angewandt werden barf.. Denn 
wenn 3. DB. bei einem Staate von zwei Millionen 
Menfchen die Gefammtzahl der Volksvertreter am 
zmefmaßigften auf Hundert (25 aus jebem Stan- 
de) feftzufegen ſeyn dürfte, während ein Staat von 
nur 200,000 Menfchen Gefammtbevölferung wenig⸗ 
fiens 30 Vertreter bebürfte; fo würde derfelbe Maas⸗ 
ftab,, auf Reiche von 30 — 50 Mill. Menfchen ange- 
wandt, eine zweckwidrige Weberzahl von Volksver⸗ 
tretern geben. . Ä Ä | 
Wenn übrigens Örtliche Ruͤckſichten für die Wahl 
ber Volksvertreter in einzelnen neuen Verfaffungen 
zu dem Grundfage geführt haben, daß man aus.der 


welche mis ihr jegt den Beſitz derhöhern Güter 
des Lebens cheilem Dieſer Stand wird folalic 
nicht blos die Geiſtlichen, fomdern alle Gelehrte, 
mwozu- auch die wiſſenſchaftlich gebildeten Kuͤnſtler 

« gehören, umfchließen mäfen. Die Theilnahme der 
Gelehrten an der Volksvertretung ift aber an ſich 
nothwendig, damit man bei den‘ Berathnngen über 
Geld amd Eur nicht das höhere Intereſſe der Willens 
fHafı und Kunft aus den Angen verliere.” 


384 ' Staatskunſt. 


Reihe der Geundbeſtter und der Gewerb⸗ und Han⸗ 
deltreibenden nur ſolche wählen duͤrfe, welche zu den 
Höhftbefteuersen gehören; fo hat diefe Be— 
flimmung weder einen rechtlichen, noch einen zurei- 
chenden polisifchen Grund. Denn nad) der Vernunft 
ale . fittlic) - münbige Staatsbürger (Staatsr. 
6.14.) gleich berechtigt zurpolitifchen Freiheit und 
alfo auch zur Volfsvertretung, und nad) der Staats- 
kunſt ift es wenigftens ‚zweifelhaft, ob die Entcichtung 
von. 100 Franken mehr ‘an jährlichen Steuern ein 
größeres Intereſſe an den heiligen Angelegenheiten des 
Vaterlandes, und eine größere individuelle Fähigkeit 
und Tauglichfeie zur Wolfsvertretung begründe. *) 


*) Zwar in unmittelbarer Beziehung auf Preußen, zus 
gleich aber nad) allgemeinen Grundfägen, eıflärte fid 
dee Dinifier v. Stein, bei der Niederlegung feines 
Minitteriums, in einem Eirculare vom 24. Nov. 1308 
an alle obere ©taatsbchörden über eine allgemeine 

"Mationafrepräfentation. „Heilig war mir 
und bleibe uns das Rede und bie Gewalt unſers 
Könige. Damit aber dicfes Recht und diefe unums 

. fhränfte Gewalt das Gute wirken kann, was in ihr 
liege, ſchien es mir nothwendig, der hoͤchſten Gewalt 
ein Mittel zu geben, wodurd fie die Wuͤnſche des 
Volkes.kenuen lernen, und ihren Beſtimmungen Leben 
geben kann. Wenn dem Volke alle Theilnahme an 
den Operationen des Staates entzogen wird; wenn 
man ihm fogar die Verwaltung feiner Communalans 

- gelegenheiten entzieht, kommt es bald. dahin, die 

. Regierung theils gleichgültig , cheils in einzeinen Fäls 
len in Oppoſition mit fih- zu betrachten. Daher 
ber Widerftreit, oder wenigftens Mangel an gutem 
Willen bei Aufopferung für..die Exiſtenz ded Otaa⸗ 
tes. — Mein Dlan wer: jeder active Staats— 
Bürger, er befige 100 Hufen oder Eine, 
er treibe Landwirchfgaft, Babrieation 








Staatskunſt. 385 


Auf gleiche Weiſe muß die Staatskunſt uͤber die 
Nothwendigkeit der Errichtung von Provinzial— 
ſtaͤnden °), vor der Bildung allgemeiner Reichsſtaͤn⸗ 
de, entſcheiden. Da, wo bereits Provinzialſtaͤnde ſeit 
Jahrhunderten beſtehen, ſpricht der Grundſatz der 
Rechtmaͤßigkeit und der geſchichtlichen Begruͤndung fuͤr 
fie; nur muͤſſen fie, nad) ihrer Stellung zu den Reichs⸗ 
ftänden, beſtimmt und zweckmaͤßig organifire werden. 
Da, wo ein Staat, als Ganzes, aus vielen einzel- 
nen, der Eultur und früheren Verfaffung nad) fe 
ungleichartigen, Theilen und Provinzen ermwachfen ift, “ 
die vielleicht noch ‚überdies Durch geographifthe Sage, 
Clima und äußere Verhältniffe fehr verfchiedenartige 
Intereſſen haben, fheinen Recht und Klugheit die Er- 
richtung von Provinzialftänden dringend zu verlangen. 
Da aber, wo entweder die Kleinheit des Staates faft 
gar feine getheilten Provinzialintereffen hervortreten 
läßt, ober mo in großen Staaten Provinzialftände nie 
beftanden haben, oder fchon ſeit Jahrhunderten unters 
gegangen find, fheint — bei einer bereits ins öffent 
lihe Leben getretenen allgemeinen Repräfenta- 
tion — die Begründung neuer Provinzialftände nicht 
zu den politifhen Beduͤrfniſſen zu gehören. 

Eine der fhwierigften Aufgaben der Staats: 
Funft bleibe das Wahlgeſetz, welches die Grund» . 
bebingungen für die Wählenden und Waͤhlba⸗ 
ren aufftelle °°); doch iſt diefe Aufgabe in Staaten 


oder Handel; er Habe ein bärgerliches 
ı Gewerbe, oder fey duch geifige Bande 
an den Staat gelnäpft, babe ein Rede 
jur Repräfentation.” 
2) Buchholz, Aber Provinzialftände, in f. Journale für 
Tentfhland, 1819, Det. S. 220 ff. 
**) Viel Treffendes über die Wahlform Hirn. Rotteck 
J. /235 








Li 


386 Staatsfunft. 


mit ftändifcher Vertretung weniger ſchwierig, als 
in denen, mo die Zahl der Vertreter aus der Gefammt- 
maffe der Staatsbürger gewählt wird. Im Ganzen 
müffen ländliche und oͤrtliche Nüdfichten dabei 
vorwalten; doch läße fih im Allgemeinen feft 


feßen: 

| a) daß das Wahlgefeg durch eine vorausgehende 
zwedmäßige Gemeinbe- und Kreis: Berfaf- 

fung *), als- practifche Vorſchule eines öffent- 


t 


in ſ. Ideen über Landſtaͤnde, (Karler. 1819. 8.) 
©. 76 ff. | 
2) ©o ift es in Bayern und Wirtemberg geſchehen. 
Bon England fage Ancillon (Äber die Staats⸗ 
wiffenfhaft, ©. 92): „In England find die Bemeins 
dens und Munlcipalverfaffungen, in den Städten der 
innige Verband der Corporationen, ihre Rechte, ihre 
vepräfentativen Formen, und das mit der Mannigs 
faltigkeit diefer gefegmäßigen Vereine fo innig vermebte 
Diannigfaltige des Gemeinrechts, das eigentlide 
Mrincip des Semeinfinns und Staatole— 
bens. Diefes iſt der wahre Schläffel zum Raͤthſel 
ber Dauer unb der Feftigkcie des brittiſchen Reiches, 
troß feiner Gebrechen, die aus der Ungleichheit des 
Vermögens, des Ganges der Scwerbecultur, und der 
. Außerften Spannung aller Federn entiteben. Allein 
diefe herrlichen Einrichtungen bilden eine fefte und in 
einander greifende Gradation der Intereſſen und ber 
Aeußerungen der politifhen Betriebſamkeit; bilden 
Schulen der Öffentlihen Thärigkeit und des Semeins 
finnes, in welchen und durch welche man ſich allmähs 
lig vom Beſondern zum Allgemeinen erhebt; bilden 
kleine geſchloſſene Ganze, die, weit entfernt die Kraft 
des großen Gefammtganzen zu ſchwaͤchen oder zu bres 
den, ihm zu Stößpuncten und Nahrungequchen dies 
nen.” — Berg. Stumpf darüber, daß das Ges 
meindewefen der Verfaffung voransgchen mäfle, in 
ber All. Zeit. 1818, N. 354. 


Staatsfunft. | 38 


‚= 


lichen und fteflvertretenden Geſammtweſens, fehr 
erleichtert wird (fobald naͤmlich bie einzelne Ge⸗ 

- meinde durch Gemeindeabgeordnete, der Verein 
der Gemeinden durch Amtsdeputirte, und bie Pro= - 
vinz durch Sandräthe vertreten wird). Denn bie 
Gemeinde ift ber Uebergang , wodurch die Familie 
fih) zum Staate erweitert, und umgefehrt, bie 

- Staatsverfaffung in das Häusliche Leben der Buͤr⸗ 

ger eindringt; 

b) daß die gleichmaͤßige Vertretung aller we⸗ 
ſentlichen Intereſſen im Staate wichtiger iſt, 
als eine zu ſehr ins Einzelne und Kleinliche 
getriebene Beſtimmung der Wahlfaͤhigkeit und der 
Wahlart, beſonders nach der Abhängigkeit der 
Wapifägigkeit von einer hohen Befteuerungsquote; 

c) daß das Wahlgefes von der einen Seite alle 

*" Umtriebe der politifchen Glücsritter verhindere, 
auf der andern aber die Freiheit der Bewerbung 
und der Wahl nicht lähme °), 

d) daß das Wahlgefeg feinen Volksvertreter 
vor zurüdgelegtem dreißigften Sebensjahre und nie 

- auf Lebenszeit (fondern höchftens auf 5 — 6 Fahre) 
zu waͤhlen verftatte, fo wie die Volksvertreter nad) 
gewiſſen Serien austreten -müffen, damit nie mehr 
als höhftens ein Drittheil der ganzen Ver 

ſammlung aus Neugewaͤhlten beftehe. Doch muß 

- jeder austretende Volfsvertreter von neuem gewählt 
werden fönnen; 

e) daß die Megierung zmar im Ganzen das 
Wahlgeſchaͤft, im: Geifte der Verfaffung, leite und 
unter Auffiche vr nie aber felbſt fd einmifche 


*) Ancillon ©: gı. 9 


388 EStoaatskunſt. 


und einſchreite, außer im Falle der Verletzung der 
verfaſſungsmaͤßigen Formen. 
Der letzte weſentliche Punct bleibt, daß die 
durch rechtliche Wahl ernannten Voksvertreter, nach 
ihrer Zuſammentretung, nicht mehr als bloße Ver— 
treter ihres befondern Standes, oder ihrer Provinz 
und ihres Wohnorts, fondern als die Gefammt: 
vertreter des ganzen Volkes fich betrachten, 
deſſen allgemeine Intereſſen wahrnehmen, ohne doch 
“die befondern Intereſſen darüber zu vernacdjläffigen, 
und daß fie nie eine Fleinliche, individuelle oder örtliche 
Ruͤckſicht durchführen, fondern vorurtheilsfrei und lei- 
denſchaftlos das gemeinfame Vaterland bei jeder Be⸗ 
rathfchlagung und bei jeder Abftinnmung im Auge und 
im Herzen behalten. 

Eiine ſolche Volfsvertretung würbe ihre Beſtim⸗ 
mung ganz verfennen, wenn fie fi) als eine verfaf- 
fungsmäßig gebildere Oppofition gegen die Re 
gierung befradhtete. ‘Denn wenn es gleid) einzelne 
Gegenftände geben fann, worüber die Volksvertreter 
andere Anfichten Beben , als die Regierung; fo ift 
doch die förmliche Oppofition gegen die Regierung nur 
das legte Mittel ber Volfsvertreter, in dem einzi- 

- gen $alle, wenn die Regierung etwas entfchieden 
Ungerechtes, oder die Wohlfahrt des Staa 
‚tes nothwendig Zerftörendes, beharrlich. ver- 
langte, und durch feine Gegenvorftellungen davon. ab- 
zubringen wäre. Nach ihrer verfaflungsmäßigen 


Beſtimmung foll vielmehr durd) die Volksvertretung 


die Sefammtintelligen; im Staate in ber 
Nähe des. Ihrones verfammelt, die Eintracht und. 
das Einverftändniß zwifchen Regierung und Volk 
Dadurch öffentlich erneuert, beftätige und verfinnlicht, 
die bürgerliche und politifche Freiheit für die Zukunft 


Staatskunſt. 389 


geſichert, durch die vielfeitigſte Berathung der Geſee 
der Einfeicigeit derfelben vorgebeugt, fo wie jedes wahr⸗ 
haft gegründere Beduͤrfniß des Volkes zur Sprache gel 
bracht werden 2). Deshalb ift es dringend nörhig,: 
daß die Miniften des Regenten bei allen Berathungen! 
ber ftändifhen Verſammlung ammefend find, um: 
Aufſchluß und Belehrung zu geben; nur bei der Ab: 
ſtimmung von den Ständen würde die Gegenwart ber 
erften und: höchften Raͤthe des Regenten nicht ſelten 
das freie Urtheil hindern. — 

Ob endlich die Stellvertreter des Volkes zaͤhr⸗ 
lich, oder nur nach dem Ablaufe gewifſer 





*) Aneillon, S. XXI f. beſonders aber ©. 86.3 „a 
wäre cin ſehr beſchraͤnkter, kleinlicher und falſcher 
Geſichtspunct, wenn man in einer Monarchie die 
repraͤſentativen Formen, welche den Thron umgeben, 
und zu feinem Glanze wie zu feiner Feſtigkeit bel⸗ 
"tragen, nur als Hemmketten der Regierung betrach⸗ 
ten wollte. Sie follen nicht eine todte Schranke 
abgeben, die im Nothfalle der etwa’ durchbrechenden 
Macht Widerftand leiſten kann, ſondern die Kraft 
ber öffentlichen Macht vermehren, und. 
fetör ein Lebensprineip feyn. Als folde ° 
bewähren ſich immer gut berechnete vepräfentatine 
Bermen. Sie bringen bie Regierung und: das. Wolf 
in enge Berührung, und begründen oder vermehren 
ihe wechfelfeitiges Zutrauen. Sie öffnen den Taleıs 
ten und dem Gemeinſinne eine 'gefegmäßige Bahn, 
und bilden eine wahre Pflanzfhule, in welcher bie 
Megierung die herrlihften Werkzeuge vorfinder. Es 
reifen im Ödffentlihen Leben künftige Staatemänner, 
Bevor die Verwaltung ihnen übergeben wird, hat 
man die Zeit und die Mittel gehabe, Ddiefelben a 
beobachten, zu beurtheiten, zu erproben, und ehe fle 
die erften Aemter befleiden, ſind ſie dem Volke vor⸗ 
theilhaft bekannt.“ 


390. Staatskunſt. 


Jahre ſich verſammeln, ob bieweilen für beſondere 
Zwecke und eingetretene Beduͤrfniſſe außer or dent⸗ 
liche Verſammlungen derſelben von ber Regie⸗ 
rung berufen, und unter welchen Verhaͤltniſſen ent⸗ 
meber bleibende, oder, in ber Zwiſchenzeit der allge⸗ 
meinen Berfommiungen, für wichtige Fälle einberufene, 
ſtaͤndiſche Ausſchüſſe zufemmeirtreten und mit 
der Regiernng fi) berathen follen, kann in ber Staats⸗ 
kunſt nie im Allgemeinen feftgefegt, fondern muß. 
entweder in der einzelnen Verfaſſung vorgefehen und 
beftimme, ;oder dem Ermeffen ber Regierung uͤber⸗ 
laſſen werden. Denn allerdings koͤnnen Thronver- 
änderungen, bevorftehende Kriege, und ähnliche große 
politifche Vorgänge, die außerordentliche Zufammen- 
berufung der Stände, fo wie bedeutende Erſchuͤtterun⸗ 
gen im innern Volfsleben (3. B. beim ptöglichen 
Sinfen des Stäatsfredits, bei nöffig gewordenen 
Anleihen , bei aufzufggenden neuen Steuern u. f. m.) 
bie Verfanmlung eines ftändifchen. Ausſchuſſes ver- 
anlaffen. — Weit übrigens in allen Staaten bie Ge⸗ 
ſtaltung des‘ Staatshaushalts in nenern Zeiten zu 
den wichtigften üffentlichen Angelegenheiten gehört; 
fo ſcheint namentfich in größern Staaten und Rei- 
chen, wo jährlich das Budget geordnet werden muß, 
weil die Mafle und Größe ber Ausgaben in ſolchen 
Etanten unmöglich auf mehrere Yahre im Voraus 
fich berechnen laͤßt, eine jährliche Zufammenfunft der 
Stände dringendes Bedürfnig zu ſeyn. Allein in 
kleineren Steasen, deren Haushalt leichter zu über: 
eben und zu ordnen iſt, kaun wohl die Zeit von drei 
ahren zur Wiederverfammlung der Stände hin 
reihen; nur dürfte ein Zeitraum von ſechs Jahren, 
bei dem gegenwärtigen raſchen Wechſel der Verhaͤlt⸗ 
riffe im innern Volksleben, zu weit binausgerüdt 


t 
Staatskunſt. 391 


erſcheinen. — Sie größer.aber der Antheil ber Volks⸗ 
vertreter an allen wichtigen Staatsangelegenheiten 
(namentlich an ber Gefeßgebung) iſt; deſto ſchwieriger 
bleibt es, im Voraus die Dauer ber Verſammlung zu 
beftimmen. Allein fobald der Regierung verfaffungs« 
mäßig das Recht zufteht, dieſe Dauer, bei anerfannten 
Bedürfniffen, zuverlängern ; fobald wird auch) bie (we⸗ 
ber zu gedehnte, noch) zu übereilte) Betreibung und 
Beendigung ber öffentlichen Gefchäfte, bei einer in der 
Verfaſſung beftimmten Zeit für die Dauer der Ver⸗ 
ſammlung, nicht leiden, Damit übrigens die Volks⸗ 
vertreter über bie zu verhanbeinden Gegenftände eine 
deutliche Ueberficht gewinnen, die Protocolle gewiffen« 
haft. abgefaßt und oͤffentlich befanne gemacht, weit⸗ 
läufige und von dem Gegenftande abweichende Eroͤr⸗ 
terungen 'vermieden, und von dem Präfidenten ber 
Verſammlung theils die einzelnen Mitglieder in Ord⸗ 
nung erhalten, theils die für einzelne Gegenstände zu, 
ernennenden Ausfchüffe gewiſſenhaft controlirt werben 
koͤnnen, ift es nöthig, Daß im Voraus durch die Ver⸗ 
faffung, oder durch ein befonderes Gefeg, die Forma 
des Gefhäftsganges in der ftändifchen *) Vers 
fanmlung genau beftimmt werde, 








*) Fuͤr diefen Zwed find zwei Werke brauchbar: 3) Tas 
ctik oder Theorie des Sefchäftsganges in deliberirenden 
Boltsftändeverfammlungen von Serem. Bentham. 
Nah deffen hinterl. Papieren bearbeitet von St. 
Dumont. Erlang. 1817. 8. und 2) Thom. Jefo 
ferfon (geweſenen norbamerifan. Präfidenten) Hand⸗ 
buch des Parlamentarrechts, oder Darſtellung der Vers 
Bandfungsweife und des Geſchaͤftsganges beim engs 
fifchen Parlament und beim Congreffe der vereinigten 
Staaten von Nordamerika. Ueberſetzt und mit Ans 
mertungen von Leop. v. Henning. Berk. 1819. 8. 





392 Staatskunſt. 


20. 
gortfegung: 


über bie Wertheilung ber Wolfsvertreter 
in Kammern. 


Zu den wichtigften und fchwierigften Aufgaben, 
welche die Staatsfunft zu Jöfen hat, gehört die Ent» 
ſcheidung der Frage: ob die Volksvertreter in 
Einer oder in zwei Kammern fi verfam- 
meln follen? eine Frage, die in neuerer Zeit niche 
ohne Leidenſchaftlichkeit, und, was noch fchlimmer 
iſt, nicht immer mit befriedigender Grünblichkeit von 
beiden Theilen, bie Darüber flritten ‚ beantwortet wor⸗ 
den ift. Ä | N 

Sp viel gilt als philofophifch - gefchichtliche 
Praͤmiſſe: 1) daß es an fih nicht gegen den 


Zweck des Staates und gegen den Zweck der Volks⸗ 


vertretung verftößt, wenn alle Volfsvertreter zu Einer 
Verſammlung vereinigt werden; 2) daß namentlich) 
in fleinern Staaten (z. B. mit einer Bevölferung, 
welche 500,000 Menfchen nicht überfteigt,) zwei 
Kammern überflüffig feyn würden; und 3) daß in 
Staaten, mo ein Senat, als Reichscollegium, mit 
Beftimmten Rechten befteht, eine erfte Kammer me: 
niger Bebürfnif ift‘, als wo ein folches bleibendes — 
die erfte Kammer erfegendes — Collegium fehlt. 
Allein, außer andern minder ausreichenden 
Gruͤnden, ſpricht für die gefegliche Begründung einer ' 
erften Kammer: 
1) das Recht — daß nämlich in Staaten, 
fo ein erblicher Stand in dem Adel beſteht, dies 
fer auch beſonders und felbftftandig, doch in Verbin. 
dung mit einer verhältnißmäßigen Anzahl gleich gro⸗ 


n 


f 


| Staatstunft. 393 


ßer Grundbeſitzer (wenn dieſe auch zufällig nicht den 
perſoͤnlichen Adel beſaͤßen), vertreten werden muͤſſe; 
. die Geſchichte — welche theils in dem 
Verhaͤltniſſe der Parricier und Plebejer in Roms 
befiern Zeiten ein ähnliches Verhältniß aufftelle, theils 
in ber Verfaſſung Großbritanniens und Nordameri⸗ 
fas, theils in dem (freilich noch jungen) Daſeyn ber 
Yairsfammer in Frankreich die Zweckmaͤßigkeit und 
Möglichkeit zweier neben einander beftehende Kam⸗ 
mern beftätigt. 

Zwar muß, bei tieferer Bekanntſchaft mit der 
Geſchichte, zugeſtanden werden, daß in eigentlichen 
Freiſtgaten zwei Kammern ſeyn muͤſſen, weil 
in Freiſtaaten die Staatsverwaltung von der Staats 
verfaſſung nach einem andern Standpuncte, als in 
monarchiſchen Staaten, getrennt iſt, und das zu voll⸗ 
ziehende Geſetz von zwei uͤber daſſelbe einverſtandenen 
Behoͤrden ausgehen muß, wenn anders dem republi⸗ 
kaniſchen Deſpotismus geſteuert werben fol. Dies 
beweiſet Rom, wo man den Senat als das Oberhaus, 
und das Volk mit ſeinen Tribunen als das Unterhaus 


betrachten muß; und daſſelbe beweiſen die einzelnen 


nordamerikaniſchen Freiſtaaten, die ſaͤmmtlich — mit 
alleiniger Ausnahme von Vermont — zwei Kam⸗ 
mern haben. Allein was in Freiftaaten Bebürfnig, 
nad) dem Zeugniſſe der Geſchichte, iſt, duͤrfte nicht 
geradezu auch in Monarchieen, und namentlich in 
evblihen Monarchieen, weſentliches Erforderniß 
ſeyn, weil hier das Bleibende und elle in dem 
erblichen Monarhen und in feinem weſentlichen 
Antheile an der Gefeggebung enthalten if. Doch 
wo Recht und Geſchichte, die beiden Haupt⸗ 
‚ quellen aller Staatsfunft, gleihmäßig für eine po- 
litiſche Aufgabe fih erklären; da kann, namentlich 


‘ 


£ 304 9 Staatskunſt. 


in groͤßern Staaten mir einer Bevoͤlkerung von 
mehrern Millionen, befonders aber in den gro- 
fen Reichen, mit einer Bevölkerung, welche MMiill. 
Menſchen überfteige, — fein Zweifel über ihre 
Zweckmaͤßigkeit und Müsglichfeit vorwalten. Dazu 
kommt, daß die Gefchichte in neuern Zeiten gezeigt 
bat, daß in Frankreüch die Verfaflung vom Jahre 
4791 mit Einer Kammer unhaltbar war, und baf 
die neueften Verfaflungen Spaniens und Por 
tugals mit Einer Kammer weder die Gährungen 
im Innern gehoben, nody das Ausland beruhigt ha- 
ben, befonders auch deshalb, weil die gefchichtlich 
vorkiegenden Verfaflungen mit Einer Kammer die 
Fönigliche Macht in Hinſicht auf Die Gefeggebung blos 
auf ein- fufpendirendes Veto befchränfen, was aber 
an fich feine nochwenbige Bedingung einer 
Gtaatsverfaflung mit Einer Kammer ift, wie dies 
z. D. die Weimarifche Verfaffung nad) ihren ein- 
zelnen Beftimmungen bemeifet, | 
Allein fobald einmal die Frage, ob zwei Kam- 


-.. mern in einem Staate befiehen ſollen, tbatfachlich 
. entfdyieden ift; fobald muß auch die Staatsfunft das 


gegenfeitige Verhälenif beider Kammern ge 
gen einander feftfegen. In Hinficht der Organi« 
fation beider Kammern gehören in die zweite 
Kammer die freigewählten Stellvertreter ber drei 

. Stände: ber ftädtifchen Gewerbe, der Pfleger der 
. . Wiffenfhaft und der Kunft, und des fandmannes; 
in die er ſte Kammer hingegen theils die Prinzen des 
regierenden Haufes, theils eine beflimmte Anzahl 
erblicher Grundbeſitzer, theils eine gewiſſe Anzahl 

mit lebenslänglicher Theilnahme ar: ber erften 
Kammer vom Regenten ernannter Pairs aus ben 
weltlichen und geiftlichen Großen des Reiches. Mur 





Staatskunſt. 395 


darf, nach der Seſammtzahl ihrer lieber, die erſte, 
Kammer verbaͤltnißmaͤßis nie fe. zahlreich fen, 
als die zweite. , 

In Hinſicht der Stellun 8 beiber Kommern, 
gegen einander felb und gegen ben Regenten, muß, 
ber Antpeil beider Kammern an der Gefeßgebung 
durch Die Berfaflung beſtimmt bezeichnet werden, fe 
daß es am rathſamſten ſcheint, wenn bie won ‚ben 
zweiten Kammer ausgehenden Vorfchläge zu Geſetzen 
zuvor von der erflen Kammer angenommen oder ver⸗ 
morfen, oder: geprüft ‚und: veraͤndert werden, bevor 
fie zur Kenntniß des Regenten kommen, und. wieben 
bie von der erſten Kammer gemadjten Anträge zu 
Gefegen zuvor auf gleiche Weife der zweiten Kammer 
vorgelegt werben, bevor der Megent über deren An 
nahme oder Alerwerfung entfcheidet; doch fo, va — 
wie es Grundzug der  grofibritannifchen Berfafung 
it — dos Budget zunaͤchſt Angelegenheit bey 
zweiten Kammer bleibe. Gehet aber ber Geſetzes⸗ 
vorfchlag von dem Regenten aus; fo muß die Ver⸗ 
faffung befiunmen, weiche Verfhläge zunädft der 
erften Kammer, und welche zun ächſt der zmeiteg 
Kammer vorgelegt werden follen. 

Nun kann es zwar gefchehen, daß durch bie 
Verhandlungen zweier Kammern über einen Ge⸗ 
fegesvorfchlag die Entfcheibung ſelbſt etwas verzögert 
wird; allein man fann aud). erwarten, daß durd) die 
seimalige völlig unabhängige Verhandlung darüber 
der Gegenftand von allen Seiten erwogen, und mit 
moͤglichſter Umſicht und Reife bes Urtheils über ihn 
entfchieden wird, 

Der Eharafter und bie Beftimmung ber Volks⸗ 
vertreter in ber zweiten Kammer, fo wie ihre Stel 
fung gegen das Wolf, aus deſſen Mitte_fie gewählt 





396 Staatskunſt. 


wurden, ‚verlange, daß alle Vethandlungen der 
zweiten. Kammer. öffentlich find, außer menn ber 
Mille des Regenten, in einzelnen Faͤllen, eine gehei⸗ 
me Berathſchlagung über irgend einen wichtigen Ge- 
genſtand ausbrüdlich verlangt. Eben fo liegt in den 

Beratbfchlagungen der erftien Kammer an -fich- kein 
Grund; weshalb ihre Sigungen geheim ſeyn müf- 
fen, wenn gleich die Praris in den: meiften Staaten 
dafuͤr entfhieden hat. Wenigſtens müffen ihre Be⸗ 
ſchluͤſſe zur öffentlichen Kunde gelangen, wenn gleich 
bei ihren Verhandlungen bie Zuhörer ansgefchloffen, 
und bie Protocolle ihrer Verhandlungen, nicht wie 
bei der zweiten Kammer, vollftänbig zur Deffent- 
fichfeie gelangen ſollten ®). ' 

Bei wichtigen Berathungen, . namentlich über 
das Budget, dürfte, — fobald zwifchen beiden Kam⸗ 
mern ein weſentlicher Widerfpruch flate fände, — 
theils eine Vereinigung beider Kammern zur Aus⸗ 
gleihung ber verfchiedenen Anfihten, eheils ein 
Sammeln der Stimmenmehrheit in beiden Kammern 
gemeinfchaftlih, der rechtlichfte und zweckmaͤßigſte 
Ausweg feyn. °°) . Bu 


Nach diefer Entwickelung der politifhen Sehre 
von ber Bildung zweier Kammern und von ihrem 
gegenfeitigen Verhältnifle, dürfen die übrigen Gründe 


m) Fr. Buchholz, Sollen die Verhandlungen einer Nas 
. tionalrepräfentation dffentlih feyn, oder nicht? in f. 
Journale für Teutfhland, 1815, Apr. ©. 513 ff. 
(it im Ganzen dafür.) 
+) Namentlich iſt dieſer Ausweg in der Wirtembers 
sifhen Verfaſſung vom 25. Sept. ı819 6. 177. 
und $. 181. geſetzlich vorgeſchricben. 





‘ 


\ 


Staatskunft. | 397 


für ober wider zwei Kammern nur Purz berührt 
werben. Go hat man die Nothivenbigfeit zweier 
Rammern deshatb behauptet, weil Die erfte Kam: ' 
mer das Erhaltungsprincip, die zweite das 
Bemwegungs- und WBervollfommnungs- 
princip im Gtaate vertretes — und weil eg nöthig 
fen, Daß dem in der zweiten Kammer vorberrfchenden 
demofratifhen Princip in dem ariftofrati- 
fhen Princip der erften Kammer ein Gegenge⸗ 
wicht gegen über geftellt werbe, oder, was baffelbe 
fagt, daß die Wahlrepräfentation des Volkes Des 
Gegengewichts in der Geburtsrepräfentation bebürfe. 
Allein dagegen läßt fich erwiedern, daß in der Wirf- 
lichfeit des öffentlichen Wolfslebens die Sonderung 
des Erhaltungs » und des Vervolllommnungsprincips 
nicht fo feharf, wie in ber Theprie, bervortrete, um 
das eine und das andere zum Grundcharafter der 
erften und der zweiten Kammer zu erheben. Denn 
warum follten nicht auch Individuen mit ber feften 
Richtung auf das Erhaltungsprincip in der zweiten 
Kammer , und Individuen mit dem fihtbaren Stre- 
ben nad) dem: Vernolllommnungsprincip in der erften 
Kammer angetroffen werben fünnen? — Eben fo 
mag wohl in einigen Reichen, befonders in folchen, 
welche erft vor kurzem aus dem Sturme einer Revo» 
lution und aus der Erinnerung an beſtandene republi- 
Fanifche Sormen hervorgegangen find, der Gegenfag 
des dDemofratifhen und ariftofratifhen 
Princips in der öffentlichen Ankündigung nicht abge- 
läugnet werben; allein man wuͤrde gegen die Gefchichte 
verftoßen, wenn man 5. B. von dem Parlamente 
Großbritanniehs geradezu behaupten wollte, daß in 
ber Pairsfammer das ariftofratifhe, und in ber 
Kammer ber Gemeinen das bemofratifche Princip den 


308 . Staetsfunft. 


vorherrſchenden Charakter bildete. Dies wird 
ſchon durch die zweckmaͤßige Stellung des brittifchen 
Adels gegen:das Wolf verhindert. - Webrigens bleibe, 
bei jener Vorausſetzung, immer noch bie Frage übrig, 
ob — dafern wirklich ein abfofuter Gegenfag 
An der Richtung beider Kammern irgendwo ftatt faͤn⸗ 
de — die Wohlfahrt des Ganzen durch eine fo ge- 
ſtaltete Volksvertretung in zweien Kammern zu errei- 
hen möglich wäre, und ob darin nicht nothwendig zu⸗ 
legt dieſelbe gervaltfame Auflöfung der beftehenden 
Trennung, wie zwifchen dem Rathe der Fuͤnfhundert 
und dem Rache der Alten in der dritten Verfaſſung 
Frankreichs, erfolgen würde? — Warum fuchen 
doc) überhaupt die Theoretifer zwiſchen beiden Kam— 
mern Gegenfäge, da nur durch ie gemeinfchaft- 
liches Wirken zu Einem. Zwecke, zu dem allgemeinen 
Zwecke des Staates „welchem beide Kammern ange- 
hören, die Harmonie des Ganzen, unb bie höhere 
Kraft des Innern Volkslebens vermittelt werben fann! 
Oder, angenommen, daß wirflich-die erfte Kammer 
bloß erblihe Stanbesintereffen beabfichtigte , und bie 
allgemeinen Intereſſen des ganzen Staates vernad)- 
laͤſſigte; wuͤrben dann wohl die Millionen ihrer Mit- 
dürger , denen jene Ridjtung der erften Kammer nicht 
- unbefannt bieiben fönnte, mit 'Zutrauen und Achtung 
auf fie blicken und fich für ihre Abſichten und Be⸗ 
ſchluͤſſe erklaͤren? 

Noch willkuͤhrlicher ſcheint die Annafene derer 
‚ zu feyn, weiche behaupten, baß in einer repräfentati- 
ven Verfaſſang Regierung.und Volk als im Ge⸗ 
genfage gedacht werben müßten, und daß es folglid) 
eines dritten vermittelnden Etwas (einer 
Pairsfammer) bedürfe, um beide in ihren 
Schranfen md in ihren wecken Bahnen zu er- 


4 


j Staatskunſt. | 399 


halten. Denn wenn wirklich irgendwo cin Staat 
wäre, in welchem Regietung und Wolf im Gegenfage 
ſtaͤnden; wuͤrde da eine Pairsfanımer es verniögen, 
diefen Gegenſatz aufzuheben ? Soll fie etwa gegen bie. 
Regierung im erforderlichen Falle ſich erflären? — 
Und ſteht nicht in jebem zweckmaͤßig organifirten 
Staate die Regierung über beiden Kammern ? Ge⸗ 
hören etwa die Mitglieder ber erften Kammer wenri- 
ger zudem Volke, wie die der zweiten ? Steben fie 
über bem Gef gr — Gerade, wenn eine Pairs- 
fammer ſich zwiſchen ben Kegenten und das Wolf 
ftellen wollte, würde fie den thatſachlichen Beweis 
‚ihrer Gefäßrfichfeit führen; denn nur da, wo der Re⸗ 
gent und die Volksvertreter in allen großen und 
entſcheidenden Angelegenheiten übereinftimmien, 
wird das Recht im Staate berrfihen, und das im 
Staate lebende Wolf die möglichft höchfte Cultur er- 
reichen und die möglichft größte Wohlfahrt genleßen. 
Für Eine allgemeine Wolfsvertrenng haben 

ſich neuerlich erflärt: v. Rotteck, Ideen uͤber 
Landſtaͤnde ꝛe. S. 64 ff. — Votum eines freien 
teutſchen Mannes gegen Errichtung eines Oberhau⸗ 
ſes; in Luden's Nemeſis, 8B. 4St. ©. 552 ff. 
— Bon den Ideen‘, welche den verfhiebenen Ab⸗ 
theilnngen der Mationalrepraͤſentation in Kammern 
zum Örunde gelegt werden fönnen; in Buchholz 
Journal für Teutfchland, 1815, Mai, ©. 122 ff., 
wo vorzüglich gefchichelich durchgeführt wird, wie 
wenig die Nachahmung der zwei Kammern im bric- 
tiſchen Parlamente fuͤr andere Staaten ſich eigne. 
— v. Aretin, inf. Abhandlungen über wichtige 
Gegenſtaͤnde der Staatsverfaffung und Staatsver⸗ 
waltung. München, 1816. 8. (in der dritten 
Abhandlung von ber Nationalrepräfentation.) — 


400 Staatsfunft. 


Heinr. Eberh. Gtlo. Paulus, philoſophiſche Be⸗ 
urtheilung der von Wangenheimifchen „Idee 

der Staatsverfaſſung.“ Heidelb. 1817. 8. — 
Auch Krug, in fe Repräſentativſyſteme, 

.S. 60 fi. erfläre fich gegen ‚die Nachahmung bes 
beittifchen Parlaments in diefer Hinſicht. Na dh- 
theile des Zmeifammerfyftems, im Oppo- 
fitionsblatte, 1819, N. 208— 210 und Ebenb,. 
4819, Beilage N. 62. 

—Fuͤr zwei Kammern.erflären ih: (u. Wan 
genheim) in der bee der Staatsverfaffung; — 
Beni. de Conſtant (der Eoncipient der Zufa- 
acte vom 22. Apr. 1315 zu ber vierten franzof. 
Verfaſſung) in f. Betrachtungen über Conſtitutio⸗ 
nen, S.6 fl. — Der Verf. von: Regent und 

Wolk; S. 51 ff. (doch mie Mobificetionen.) — 
Buchholz, von der Wichtigkeit der politifchen 

Formen, insbefondere von ber Wichtigkeit der 
Theilung des Parlaments in zwei Kammern; in 
ſ. Journale für Teutfchland, 1818, Nov. S. 384 ff. 
— Derfelbe, noch einige Gedanken über Re 
präfentativverfaffungen and deren Einführung; 
in f. Journale für Teutfhland, 1819, Sept. 
85 ff. und Fortfegung, Det. S. 206 fi. — 
Derfelbe, über die angeblichen Nachtheile des 

- Zweifammerfuftems ; Ebend. 1819, Oct. S.228 ff. 
— Für zwei Kammern, ober, in Ermangelung 
- der erften Kammer, für einen Senat, erflärt ſich 
der Vf. der Abhandlung: ein Wort über die Con- 
ftitutionen großer Staaten; in den europ. Annalen, 
1818, St. 8, S. 192 ff. — ben fo flimmt 
für zwei Kammern der anonyme Bf. der Schrift: 
Einige entferntere Gründe für ftändifche Verfaſ⸗ 
fung. !eipf. 1815.35 — Auch Ir. u. Raumer 


Staatsfunft. 401 


(Hermes, Sc XI, ©. 358 ff.) gehört hieher: 
„Es iſt ein Hauptirrthum unſrer Tage, ftändifche 
und repraͤſentative Verfaſſungen unbedingt ent- 
gegen. zu ſetzen; eine Hauptaufgabe, die ſe Ele⸗ 
mente zweckmäßig zu verbinden. Jede 
ſtaͤndiſche Verfaſſung, welche blos auf perſoͤnlichen 
und Erbrechten beruht, laͤßt das Volk gleichguͤltig 
zur Seite, oder reizt es ſogar zur Feindſchaft gegen 
das Beſtehende; jede repraͤſentative Verfaſſung, 
die Nichts iſt, als ein Diviſionsexempel in die 
Volksmenge, entbehrt aller organiſchen Gliederung, 
ſetzt unnatuͤrlich das Verſchiedenartigſte gleich, und 
gewaͤhrt, wie die Erfahrung gezeigt hat, nicht die 
mindeſte (2) Sicherheit, daß irgend ein großes 
Intereſſe der Nation (Religion, Wiſſenſchaft, 
Aderbau, Gewerbe u. f. mw.) angemeflen und von 
Sahverftäudigen vertreten werde. Es ift lächer- 
lich, in unfern Tagen zu behaupten, der Adel fey 
überall ein väterlicher Beſchuͤtzer und Wertreter 
feiner Bauern; es ift unverzeihlich, wenn Die Leib⸗ 
eigenfchaft und Sklaverei felbft mit chriftlichen 
Medensarten empfohlen wird; aber es. ift andrer 
Seits nicht minder thöriht, dem Sadträger und. 
dem größten Grundbefiger gleichviel policifche An⸗ 
rechte anzuweiſen, aus Abneigung gegen den Erb» 
adel fich dem Geldadel der Juden und Lieferanten 
willig Preis zu geben, und die geiftlichen Angele- 
. genbeiten durch Officiere anorbrien zu laflen. Per 
fönlihe Anrechte und Wahlrechte, ftänbifche Glie- 
der und Repräfentanten können nicht blos, fondern 
fie follen und müffen mit einander verbunden 
werben; bas Eine ober das Andere mit unbeding- 
ten Anrechten hingeftellt, muß Stüdwerf bleiben 
und nachtheilig werben. — Ein Reichstag in der 
I. 26 


ı 


402, Staatsfunft, 


Hauptſtadt eines großen Reiches, der Meichsver- 
waltung gegen über tretend ; genügt Peinesweges, 
uun auch die niedern Kreife in das geherige Leben zu 
rufen. So mie die Schöppen neben dem Schul: 
en, die Stadtverorbneten neben dem Magiftrate 
Heben; fo Laffen ſich Heilfam Kreisftände und 
tandflände organifiren. Aus Provinzial- 
ſtaͤnden muß der Reichſtag erwachfen, damit den 
Gliedern das Haupt richt fehle; Reichstage hingegen 
in einem großen Reiche ; ohne landſchaftliche 
und Gemeindeeinrichtungen, gleichen 
einem Haupte, das auf ſchwachen, oder gar feinen 
Süßen ſteht. — In Frankreich fcheue man mit 
Recht demokratiſche Wahlformen, wobei bios die 
Köpfe gezählt werden; tadelt aber mit gleichem 
Rechte ariftofratifche, welche allen Nachdruck 
auf die Thaler legen, und von 30 Millionen 
nur 100,000 Menſchen ausfondern.” 


21. 
Beſchluß 


über die den Volksvertretern verfaſ— 
fungsmäßig beizulegenden Rechte und 
| SPfliheen 


Sp bedeutend auch die Beſtimmungen vieler 
neuern Verfaſſungen in Hinficht der den Volksver⸗ 
tretern beizulegenden Rechte und Pflichten von einan- 
ber abweichen, well einige derfelben den Kreis Diefer 
Rechte und Pflichten blos auf die Bemilligung 
ber vom Regenten den Ständen vorgelegten Steuern 
und Abgaben befchränfen, andere dagegen bie :ge- 
feggebende Gewalt ausfhließend den Meike. 


Staarsfunft. 403 


vertretern beilegen; fo ſcheinen doch die Vernanft und 


die Ausſagen der Geſchichte einen zweckmaͤßigen 
Mittelweg zwiſchen jenen beiden Eptremen für die 
Staatskunſt zu vermitteln. 


Nach Vernunft und Geſchichte duͤrfte der Um⸗ 
fang der Rechte und Pflichten der Volksvertreter fol⸗ 
gender ſeyn: 

1) Zuſtimmung zu allen im Staate 
feſtzuſetzenden direchen und indirecten 
Steuern, mit dem Rechte der Aufſicht über die 
Verwendung dieſer Steuern zu dem bezeichneten 
Zwede, und — wo möglid — auch, mit dem 
Antheile an ber Versheilung biefer Steuern auf 
die einzelnen Provinzen, "Bezirke und Gemeinden; 


2) das Petitionsrecht (das felbft in auto⸗ 


kratiſchen Staaten keinem Unterthan verkuͤmmert 
wird), theils in Hinſicht der von den Volksvertre⸗ 
tern felbft ausgehenden, theils in Hinſicht der ihrer 
Verwendung und Unterftügung anvertrauten Bitten 


von Individuen und von einzelnen Gefellfhaften im 


Staate bei dem Regenten; 

3) Antheil an der Gefeggebung, fe 
daß entweder ben Wolfsvertreteen gleich müs 
fig *) mit der Regierung (nad) oben aufgeftellten 


*) Dafür erklaͤrt fih auh Krug, In f. Repraͤſentativ⸗ 
ſyſteme, S. 73 ff. und faft auf diefelbe Reife v. 
Rotteck, in f, Ideen über Landflände, ©. 21 f., 
nur daß diefer die Höhftwichtige Frage nah der nis 
tiative der Gefege ganz übergeht, und daß gegen 


feine Meinung: „bei einem Volke, in deffen Mitte 


politiſche Einfihe und polltifhe Tugend haufen, 
mag den Ständen das Necht der Sefebgebung uns 
beſchraͤnkt ertheitt werben ‚’' theils das aus des 


26 * 





gut | | Staatstunft. 


Srundfägen) die Init iative der Gefege, oder, 
wenn der Regierung ausfchließend die Initiative ber 
Geſetze zukommt, den Volfsvertretern das Recht der 
Prüfung und Annahme ber vorgefcdrlagenen Gefege 
äufteht, bevor fie Gefegesfraft erhalten und im 
Namen des Regenten als geltende Gefege be- 
kannt gemacht werden fönnen. Mur gegen die aus- 
{hließende Initiative der Gefeße auf Seiten der 
Volksvertreter, mit einem blos fufpendirenden Veto 
des Regenten, erklären ſich gleich ftarf die Vernunft 
und Gefhichte. — Wo aber der Regierung das aus» 
fließende Recht der Initiative zufommt, muß me- 
nigftens den Volfsvertretern Das Recht der Anträge, 
VBorfhläge und Wuͤnſche durd die Verfaffung 
gefichert feyn, weil jede Vertretung zwecklos ift, durch 
welche nicht die Bebürfniffe, Beſchwerden, Hoff: 
nungen und Wuͤnſche des Volfes zur Kenntniß der 
Regierung, vermittelft des einzigen rechtlichen Organs 
des Wolfes in feinen Vertretern, gelangen koͤnnen. 
Befonders müffen alle neue bürgerliche und Straf: 
rechtsgefegbücher, fo wie die Gefegbücher für das 
- ‚gerichtliche Verfahren und für den Handel, -und die 
eigentlichen organifchen (in das öffentliche Staats- 
leben eingreifenden) Gefege den Ständen zur Prüfung 
vorgelegt werden, weil fie, nach ihrer Stellung zu 
dem Volke, am ficherften beurtheilen fonnen , ob und 
bis wie weit die von der Regierung vorgefchlagenen 
Geſetze dem Grade der Eultur und Mündigfeit, und 
den Bebürfniffen der einzelnen Stände und Klaffen 
des Volkes entfprechen; 


! 


Vernunft hervorgehende Souverainetätsrecht des Res 
genten , theils. die Thatſachen der neueften Geſchichte 
in mehrern Reihen‘ fEreiten. | 


—8 


Staacskunſt. 405 


4) das Rede der Befhwerdeführung 
und Anflage in Hinfiht aller wahrgenommenen 
Mißbraͤuche der richterlihen und vollziehem 
den Gewalt, obgleich an der Wirffamfeit beider den 
Molksvertretern nieht der entferntefte Antheil zukom⸗ 
men darf; 

5) das Recht der Mittheilung der von 
dem Regenten mitdem Auslande abgefhlof 
fenen und die Angelegenheiten des üffentlichen 
Staatslebens (z. B. den Handel, die Schiffahrt 2.) 
betreffenden Verträge; 

6) das Recht der Oeffentlichkeit ihrer 
Verhandlungen, theils in Betreff der Oeffent⸗ 
lichkeit ihrer Verfammlungen , theils in Betreff der 
Öffentlichen Befanntmachung ihrer Beichluffe (dafern 
niche da, wo zwei Kammern befteben, die Sigungen 
ber er ſi en Kammer verfaſſungsmaͤßig geheim fm 
follen); 

7) das Recht ver perfönlichen Unverieß 
Lich keit °) während der Zeit ihrer öffentlichen Bit. 


*) efferfon, der vormalige Präfiderit der norbames 
ritanifhen Freiſtaaten, fagt —F „Sn einem 
conftirutione « monarhifhen Staute Mind der Fuͤrſt 
und die ihm gegen über ſtehenden Reptäfentanten 
heilig und unverleglich,, in einem republifaniichen die 
Mitglieder der gefeßgebenden Verſammlung. Diefe 
Heiligkeit und Unverletzlichkeit beſteht darin, daß 
die Depofltare der gefeßgebenden Gewält, als foldhe, 
he ihre Handlungen ſchlechterdings unverantwortiicd 

nd, und daß fir nicht unter, fondern über dem 
Gefete ſtehen. Die Perſon des Fuͤrſten, als die 
perſonifleirte Idee der Einheit des Staates, bleibt 
unter allen Umſtaͤnden unantaſtbar. Daffelbe gilt 
von der Unvoerletzlichkeit der Nepräfensanten: 
verfammilung, als der verfinntichten Speer der 





406 Staatskunſt. 


ſamkeit (außer in dem Falle der thatſachlichen Leber: 
führung eines Verbrechens), und der Unverant- 
wortlihkeit für alle ihre verfaflungsmaßigen An- 
träge und Beſchluͤſſe. 
. . In Hinſicht des Antheils der Wolfsvertreter an 
bem oberhoheitlihen Rechte, Krieg anzufündi- 
genund Frieden zu ſchließen, fcheint die britti= 
ſche Verfaffung den zweckmaͤßigſten Ausweg gefunden 
zu haben, nad) welcher dem Regenten das Recht bes 
‚Krieges und Friedens ausfchließend zufteht, Dagegen 
die Bemilligung der Summen zur Führung 
des Krieges allein von dem Parlamente abhängt. 
Dadurch wird die, in vielen Fällen felbft für das 
Wohl des Volkes nicht rathſame, Befanntwerbung 
der Eröffnung eines Krieges vor der Erfläarung def- 
felben vermieden , zugleich aber auch von dem Volke 
nur derjenige Krieg kräftig unterftügt, für welchen 
bie oͤffentliche Meinung fich erflart. Ä 
. In geſchichtlicher Hinfiche darf. nicht vergeflen 
werden, weiche Grundfäge. auf dem Wiener Con- 
greffe ( man vergl. J. Ludw. Kluͤber's Weberficht 
.. Über die.diplgmatifchen Verhandlungen des Wiener 
‚ Eongreffes, 3 Abdtheilungen, Frkf. am M. 1816. 
8 ©; 201 ff.) von Deftreich und Preußen 
über bie den Ständen der teutfchen Staaten in 


hr 


Allgemeinheit. des. Staates. Dur tritt bier 
ber Fall ein, daß einzelne Mitglieder der Berfamms 
lung, ‚welche: fih eines Verbrechens ſchuldig machen, 
allerdings unter das Geſetz geftellt und zur Verants 
wortung ‚gezogen werden Binnen, well durch Bes 
sehung eines Verbrechens das einzelne Mitglied von 
‘der DVerfommiung ſich losfagt, "und  deffen Beſtra⸗ 
:fung nicht eis. Berlegung. der Verſammlung betrachtet 

“ werden San.” , 





ne 


Staatskunſt. | 407 


Der neuen Verfaſſung Teutſchlands zu ercheilenden 
„..Meghte aufgeftelle wurden. Schon in Dem erften 
.. upR. Preußen vorgelegten Eutwurfe einer feutfchen 
Dondesverfaſſung marp.auf die Beftfegung eines 
Minimum ber Rechte der Landſtaͤnde gedeungen, 
und diefes Minimum in den beftimmten Antheil 
ander Gefeggebung, indie Bewilligung 
dDertandesabgaben, und.in die Vertretung 
der Verfaſſung bei bem Sandesherrn und dem 
Bunde geſetzt. Zugleich ˖ ward vorgefchlagen, Die 
„Staͤnde aus erblichen und gemählten zu bil« 
den. Dieſes Minimum miederhohlte Secuken am 
46. Det. 1814 in den, im Einverftändniffe mit 
.. Deftseich, und Hannover, entworfenen zwölf Arti⸗ 
..Fel mie dem Zufaße: „daß, außer dieſem Minis 
muin, der Bundesvertrag es den Bundesfürften 
”. ‚uhenlaflen folle,, ihren Lonpftänden nicht nur ein 
„Mehreres zu bemilligen, fondern auch denfelben 
sine Cinrichtung zu geben, welche ber Landesart, 
„neu Charakter der Einwohner, und dem Herkom⸗ 
 ‚Bien:gemäß ſey.“ . Endlich beftigmte, am. 10. Febr. 
4815, Preußen, das Minimum: von, Rechten ger 
.. ;ngugr,. weldhes allen.teutfhen Sanbfländen, — 
, —— von, der Verſchiedenheit landſtoaͤndiſcher 
i. Verfaſſungen in den einzelnen Laͤndern, — zukom⸗ 
mien und namentlich beſtehen ſollte; 1) in dem 
Rechte der Mitberathung bei Ertheilung 
nexuer, allgemeiner, die perfünlichen und Eigen 
.;$hunnsrechte der; Staatsbürger, betreffenden, Ge 
..feße; 2)-in dem, Rechte der, Bewilligung 
‚ ‚bei Einführung neuer Steuern, oder bei Er— 
hoͤhung der ſchön vorhandenen; 3) in dem Rechte 
..derBefhwerkeführunguberMißbräude 
‚eher, Mängel.in,ber Landezverwaltung, 


. 4 








408 Staatskunſt. 


worauf ihnen die Regierung die noͤthige Erklaͤrung 
daruͤber nicht verweigern duͤrſe; und 4) in dem 
Rechte der Schützung und Vertretung 
der eingeführten Verfaflung bei dem Landesherrn 
und bei dem Bunde, = Bu 


vl „put 
% 


Pr 


" 22. 
Ueber Freiheit der Preſſe. 


Die Freiheit des Wortes und der Schrift iſt, 
an fi betrachtet, eine unmittelbare Folge der Frei- 
heit des Gedanfens, und diefe’ift begründee in der 
urfprünglichen Freiheit des menſchlichen Geiftes über- 
haupt, fo wie zunädjft in der fittlichen Sreiheie. Man 
follte meinen, wenn Gott dem Menfchen bie fittliche 
Freiheit und die freie Sprache, bei dem voörausge⸗ 
fehenen unvermeidlichen Mißbrauche beider ‚’ennod) 
mittheilte; fo müßte aud) die Größe beider Güter die 
denfbaren und die wirflid) eintretenden Mißbraͤuche 
berfelben aufmwiegen; und nad) der ſelben Folgerung, 
müßten auch die Bortheile der Preßheit für die ganze 
bürgerliche Geſtliſchaft die Mißbraͤuche derſelben auf⸗ 
wiegen. Dieſe Anſicht wird noch inſofern von der 
Geſchichte 'beſtäͤtigt, immiefern die Staaten mit 
‚ großer Preßfreiheit — 3. ®. Großbritannien, Preu- 

Ben unter Friebrich 2, Dimemarf und Nordamerifa — 
in der geiftigen Entwidelung und Eultur, und, burd) 
beide, in allen Theilen des inneren Wohlftandes un- 
aufhaltbar fortfchritten; fo wie die Gefchichte gleich: 
mäßig ausſagt, daß durch Freiheit der Preffe hod) 
fein Reich bedroht und geflürzt, wohl aber mancher 
Staat, wenn dem ängftlihen Preßzwange zulegt die 
Erbitterung der Gemüther und diefer Erbitterung der 
endliche Ausbruch langverhaltener Affecten "folgte, 


Scaatskaaſt „409 
durch Hreßzwang in ſeinem Innern gemasfem er⸗ 


fihürtere ward *) EUR YC 


*) Frledriq 2 (hunterſ. Werke, Ih. 6, ©. 63 13 Hrih 
im Jahre 178, als Greis von 69 Sahren: : „Wenn 
man bis zu dem Urfprunge ber Sefelfhaft Hinaufs 

ſteigt; fo iſt es einleuchtend genug, daß def Re 
gene ſchlechterdings fein Recht über die 
Meinungen der Bärger bat. Müßte man 
nidt wahnfinnig feyn, wenn man fi vors 
fielen wollte, daß Menſchen zu einem ihres Gleichen 
geſagt hätten: Wir erheben did über uns, weil wir 
gern Sklaven ſeyn wolle, und wir geben bir bie 
Mache, nnferce Gedanten nad deiner Wills 
führ gu beiten. Sie haben vielmehr gefage: Wir 
bedürfen einer, um bie Gelege aufrecht zu halten, 
denen wir gehorchen wollen, um weife regtert gu wers 
den, und uns zu vertheidigen. Uebrigens fordern 
wir von dir Achtung für unfere Freiheit. Dies ift 
das Verlangen der Völker, wogegen keine Einwendung 
ſtatt finden ann; und diefe Toleranz it ſelbſt fo 
vortheilhaft für die Geſellſchaft, wo fie eingeführt 
it, daß fie das Gluͤck des Staates bewirkt.” — 
Wenn Friedrich a diefen Segenftand aus dem Stands 
puncte des Rechts faßte; fo nahm ihn Fr. v. eng 
aus dem Srandpuncte der Politik, in feiner Schrift 
an Friedris Wilhelm 3 bei deſſen Throns 
befteigung (Berl. 1797. 8.) „Von allem, was - 
: Seffeln fheut, kann nichts fo wenig fie ertragen, als 
der Gedanke des Menſchen. Der Drud, der diefen 
trifft, iſt nice blos ſchaͤdlich, weil er das Gute vers 
hindert, fondern auch, weil er unmittelbar das Boͤſe 
befördert. Was, ohne alle Nädfihe auf andere 
Strände, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebietet, 
ausfhließend And peremtorifh verdammt, 
it der weientlihe Umfand, daß es, feiner Natur 
nah, nicht aufrecht erhalten werden fann. Wenn 
neben einem jeden folden Geſetze nicht cin wahres 
Inquiſitionsteibunal wachts fo iſt es in unfern Tagen 





410 Geaccaattunſt. 


Alein ‚bei · der Uebeneaguns des ur ſpomglichan 
gieche der Freiheit der Sprache und der Preſſe auf 








as: sunäglih, Ihm’ Anſehmezurvarſchaffen, ; Die Briche 
- sigteit, Ibeen ing Pahliem.zu, Suingen iR fo.aroß, 
daß: jede Maasıegelsdigıfle beſchroͤntken will, vor ihr 

..: zum Gefpsrte wird. Wenn - aber Geſctze biefer 
Are auch nit wirken; ſo koͤnnen -fig doch ersittern, 

— und dag:ift eken- das Verderbliche, danß fie ers 
Gittern, ohne zu ſchrecken. Sie reizen gerabe 
diejenigen, gegen. welde fie. gerichter find, zu einem 
Widerſtande, der .nicht -immer nur gluͤcklich bleibt, 
fondern am Ende fpgar ruͤhmlich, wird. Die arm⸗ 
ſeligſten Producte, denen ihr innerer Gehalt nicht 
ein: Leben von zwei Dtunden ſichern würde, drängen 
ſich in.den Umlauf, weil eine Art von Muth mit 
ihrer Hervorbringung verkuäpft. zu ſeyn fcheint. Die 
nücternften Bcribensen. fangen an, für helle Köpfe 

‚ ju selten, und bie feilften erheben fih gu Märtys 
sern der Wahrheit. Taufend bösartige Inſec⸗ 
ten, die Ein Sonnenſtrahl der Wahrheit und des 
Genies verſcheucht hätte, ſchleichen fih jetzt, begüns 
ftigt von der Finſterniß, die man ihnen gefliſſentlich 
ſchuf, an die unbewahsten Gemuͤther, des Volkes, 
und feßen ihr Gift — ale wäre ‘78 eine, verbotene 
Acdoſtbarkeit — big auf den legten Tropfen ab... Das 
.. .&hnagige Gegengift, — bie Producte der beſſern 
Schriftſteller, — verliert feine Kraft, weil der Ununs 
terrichtete nur allzuleicht den, welder von Schranken 
ſpricht, mit dem verwechſelt, welcher die ungerechten 

. gut beißt. Nicht alfo, weil der Staat, oder die 
Menſchheit, dabei intereflirt wäre,. ob in biefem, 
von Büchern umflutheten, Zeitalter taufend Schriften 
mehr oder weniger das Licht erblicken, ſondern weil 
Ew. Majeftäs zu-groß find, um einen fpuchtlofen, 
‚and eben deshalb ſchaͤdlichen Kampf mis Meinen Geg— 
necn zur kaͤmpfen; darum ſey Preßfreiheit 
das unwandeldase Drincip Ihrer Regie 
„TAU. Fuͤt geſchwidrige Thaten, für Schriften, 


! 


Staatskunſt. 411 


bie Geſellſchaft, welche im Staate lebt, verlangt.fchon 
an fi die Bernunfe (Naturr. $. 18. ), noch abge 
fehen von der Klugheit, daß jede Bedrohung und 
Verlegung Des Rechts Andrer durch Mißbrauch der 
Prefle eben fo geahndet werden müfle, wie jebe andere 
Nechtsverlegung, d. h. nach) dem wahrnehmbaren 
Grade der fubjectiven Strafwuͤrdigkeit und der 
‚objectiven Strafbarfeit. Die legte fann aber 
nur Ducch ein beftimmtes Prefgefes bezeichnet. und 
ausgefprochen werden. Die Rechtlichkeit biefes 
Preßgefeges, und die Nothbmwendigfeit deffelben 
in einer bürgerlichen Geſellſchaft, wo fittlich - muͤndige 
. und: fietlih = unmündige Individuen neben einander 
leben und wirken, ift daher über jeden Zweifel erha⸗ 
ben. Defto ſchwieriger ift die Aufgabe der Staats- . 
funft, ein völlig zweckmäßiges und erfchö- 
pfendes Preßgefeg aufzuftellen, weil die angeb- 
lichen und die wirklichen Prefvergeben, nad 
ihrer Ankündigung dur Wort und Schrift und, 
nad) ihrer Wirk ſamkeit im Staate, in vielfacher 
Hinſicht mit andern Rechtsverlegungen nicht verglichen 
‚werden fönnen. 

Alles, was Vernunft, Erfahrung ‚und 
Befgicte darüber als recht lie, nuglich und 
ausführbar aufftellen koͤnnen, ſcheint auf folgen-. 





die den Charakter folder Ihaten anziehen, mäffe 
jeder verantwortlid, fireng verantworts 
lich ſeyn; aber die bloße Meinung finde feine 
andern Widerſacher, als bie entgegennefeßte, und, 
wenn fie irrig ift, die Wahrheit. Nie kann dies 
Syſtem einem wohlgeordneten Staate Gefahr bereis 
‚ten; nie hat es einem ſolchen geſchadet. Wo es ver— 
derblid ward; da war die e Zerſtdtung. (den vorher⸗ 
gegangen.” 


/ 





412 Staatskunſt. 


den zwei Puncten ®) zu beruhen: 1) entweder man 
Hr alle Mißbraͤuche und Vergeben der Preſſe durch 
rävention zu verhüten; 2) oder man verftattet 
jedem Staatsbürger das Recht der freien Prefle, be- 
ftimme aber dur ein Preßgeſetz, was Preßver- 
gehen find, und wie fie beftraft werden follen. 
j Der Zweck der Prävention wird durch die Cen- 
fur zu erreichen gefucht, durch ein polizeiliches In⸗ 
ftitue, wornach der Staat, vermittelft der ernannten 
‚Cenforen, eine Art von Vormundſchaft über die. 
geſammte geiftige Thätigfeit im Staate ansübt. Sof 
Diefes Spftem folgerichtig durchgeführt werden; fo 
‚darf 1) im Staate feine Zeile ohne Cenfur 
gedruckt werden, und 2) für die cenfirten 
Schriften ift nicht mehr der Schriftfteller , fondern 
der Cenſor verantmwortlid. Wie fihmwierig 
dieſes Syſtem in feiner Ausführung ift, erhellt 
ſchon daraus, weil — feit der Einführung der Cen- 
fur in Europa — noch fein, die Pflichten und 
Rechte des Cenſors erfchöpfendes, Cenfurgefeg 
erfchienen ift,. und deshalb dem eigenen Ermeflen — 
nicht felten der individuellen Anfiht — der Cenforen 
gewöhnlich fehr viel überlaffen bleibt. 
| Dagegen beruht das zweite Syſtem, das von 
einer ftellvertretenden Verfaffung und von dem darin 
beftimmten Antbeile der fittlich » mündigen Staats» 
bürger an der öffentlichen Freiheit faum getrennt wer» 
"den kann *°), auf der’ in der Verfaflung ausgefpro- 


*) Berl. Buchholz, in ſ. Journale Teutſchland, 1822. 
März, S. 360 ff. 

”) Der Fuͤrſt Talleyrand erflärte in feiner in der 
Pairskammer Frankreichs gehaltenen Rede (ſ. Buch⸗ 
Holz, Teutſchland, igs21, Bept.): „Ohne Prebs 


by 


Staatskunſt.. 413 


chenen Preßfreiheit, womit aber ein Preßge⸗ 
ſetz uͤber die Preßvergehen und deren Beſtrafung 





freiheit gibt es keine repraͤſentative Regierung; eine 
Regierung, welche ſich zu lange der Preßfreiheit wis 
derſetzt, tele fi Gefahren blos. Heute zu Tage tft 
es niche leicht, lange ſchwarz für weiß zu verkaufen. 
Ich kenne’ jemand, der mehr Verftand har, als Vols 
taire; mehr Berftand, als Buonaparte; mehr Vers 
ftand, ale die Weltpiloten, und mehr Veritand, als. 
alle Minifter, die waren, find und ſeyn we:den, 
nämlich: die allgemeine Meinung.” — Der 
nordameritanifhe Präfivene Jefferfon fagte am 
4 März 1801 in feiner Antrittsrede: „Verbreitung | 
von Licht und Kenntniffen, Anklage jedes Mißbrauchs 
vor dem Berichte der Öffentlihen Meinung, Freiheit - 
der Gottesverehrungen, Freiheit der Preſſe, perfons 
liche Zreiheit unter Sewährlciitung des Habeas⸗Cor⸗ 
pus, und Sercchtigkeitspflege durch unpartheiiſch ges 
wählte Geſchworne; — das find die hellen Sterne, 
welche uns gluͤcklich durch bie finftern Stuͤrme der 
Revolution und unferer Wiederherſtellung geleitet haben. 
Der Aufitelung ‚diefer Grundgefege haben unfere Ges 
lehrten ihre Nachtwachen geweiht gehabt; für ihre 
Vertheidigung vergoffen unfre Helden ihr Blur; fie 
follen unfer politifhes Eredo bleiben, der Text unfers 
bürgerlihen Anterrihes, der Präfitein des Sinnes 
derer, denen wir unfer Zutrauen ſchenken.“ — Sn 
gleihem Sinne erklärte feh Camille⸗Jordan in 
der Deputirtentammer Frankreichs (Allg. Zeit. 1817, 
N. 360.): „Gebieteriſch erheifhen Vernunft und Freis 
heit die Aufitelung von Geſchwornen für Preßver— 
schen; fie brauhen niche Gelehrte, nicht tiefe Polis 
tier zu ſeyn; gefunder Menfhenverftand reicht hin, 
zu entiheiden, ob eine Schrift eine Berläumdung 
oder Beleidigung gegen Bürger, einen Aufruf zur Ems 
pörung gegen die gefegmäßige Macht enthält. Die 
Schriften wurden ja gedrude, um Eindrud auf 
das Publicum zu mahen; folglich. können unabs 


444 Staatskunſt. 


\ 


nothwendig verbunden werden muß. Nur als vor- 
übergehende — und eigentlich mit diefem Syſteme 


um 


- hängige Männer, aus bem Publicam genommen, 


am beiten beureheilen, welchen Eindrud fie gemacht 
haben. Sollten die Sefhwornen aber aud) ‚einen 
Schriftſteller losfpreden, den die Vernunft verurtheilt: 
fd könnten die Journale bald an ihm Gerechtigkeit 
Aben. Hieruͤber haben alle freie Voͤlker nur Eine 
Meinung." — Sn demfelben Seifte ſprach Bignon 
(Ebend. N. 362.): „Es herrſcht darüber nur Eine 
Stimme‘, daß es keine Preßfreiheit ohne Geſchwor—⸗ 
nengerichte, um über ihren Mißbrauch zu entfcheiden, 
und ohne Unabhängigkeit der Journale gebe; ohne 
dieſe beiden Bedingungen ift Preßfreiheit eine Chi— 
märe. Die Poligeigerihte find bierbei 
verwerflih; — nicht wegen ihres Ranges in der 
gerihtlihen Hierarchie, fondern weil Richter, deren 
Beruf es ift, Aber die Schaͤndlichkeiten und Verirruns 
gen der entarteten Menſchheit zu richten, fih nice 
ſogleich in die nöchige Stimmung verfezen können, 
um über das Maas zu enıfheiden, welcher beherzte 
Vertheidiger der Volksrechte nicht Äberfchretten follenz 
weil Richter, denen die Pfliht es zur Gewohnheit 
gemacht hat, den Schuldigen herauszufinden, 
gar feicht einem Schriftſteller Meinungen und Abſich— 
ten in feinen Schriften aufdecken werden, an die er 
nie gedacht hat, fo wie, nur in einem andern Sinne, 
die, Commentatoren in ihrem Lieblingsautor Schoͤn⸗ 


»heiten finden, welde diefem nie in den Sinn kamen; 


endlih weil permanente Richter nicht unabs 
hängig find, und zu ſehr die Gewohnheit haben, 
nah früheren Fällen zu entfcheiden. Alle dieſe Nach⸗ 
theife fallen bei Geſchwornen hinweg; frei. von Vor— 
urtheilen, ohne Ruͤckſicht auf früher gefällte Urtheile, 
entfcheiden fie Über die Schuld eines Schriftſtellers 
nach dem Eindruce, den fein Wert auf ihren aefuns 
den, unbefangenen Verftand gemachte hat. — Selbſt 
für die Miniſter find freie Journale eine Wohlthat; 


Staatskunſt. a 415 


unvereinbare — Maasregel wird in einigen Staaten, 
mit der Preßfreiheie und dem Preßgefege auch nad) 


* 
— — 





fie hindern fie, ihre Gewalt zu mißbrauchen.“—“ 
Sogar Napoleon, der im Jahre 1814 erflärte, daß 
ihn „die liberalen Ideen“ geftärze Hätten, nahm, 
während der Zeit der hundert Tage, in die Zufags 
artitel.zur vierten Verfaſſung Frankreichs (am 22. 
Apr. 1815) im Art. 64 folgende Beflimmung auf: 
„Jeder Buͤrger hat das Rede, feine Gedanken, wenn 
er fie untergeichner, zu druden und befonnt zu machen 
ohne einige vorhergegangene Genfur, mit 
Vorbehalt gefegliher Verantwortlichkeit nach der Bes 
kanntmachung durch Urtheil der Sefhwornen, 
wenn auch eine bloße correctionelle Strafe ſtatt haben 
ſollte.“ — Einige Jahre ſpaͤter (1819) erklaͤrte der 
damalige franzoͤſiſche Miniſter de Serre: „Alle Vers 
folgungen gegen Schrififteler haben ihren Zweck nicht 
erreiht, und die Regierung ſieht fih In diefer Lage 
gendthigt, Das Uebel bei Der Wurzel anzu 
- greifen, und einem freimuͤthigen: Volke das Recht, 
über die Öffentlihen Handlungen der Öffentlihen Mäns 
neo die Wahrheit zu fagen, und Das Geſagte zu beweis 
fen, zuräd zu geben. Ohne freie Preffe fann 
bie Verantwortlichkeit der Negierungss 
agenten gar nicht begründet werden; denn 
wie fchwierig if es für den Privarmann, Beamte 
ohne Autorifation der Megierung vor Gericht zu flels 
(en. Auch unter der kaiſerlichen Regierung waren bie 
Beamten verantwortlich. Da aber der legale Beweis 
fo ſchwer zu führen if, und die Preffe nie 
frei war: fo wurden faſt nie Klagen über Bes 
drückungen der Bramsen laut.” — Damit kann 
verglihen werden die Rede des Repräfentanten Dos 
trenge (am 25. Sept. 1816) in der zweiten Kams 
mer der Generalfiaaten des Königreihes der Nieder⸗ 
lande (Allgem. Zeit 1916, N. 302 f.), und 
Karl v. Roetecks Rebe über die Preßfreiheit in der 
Badenſchen Ständeveriamminug (Oppofitinnsbl. 


— 





416 Staatskunſt. 


— 


die Cenſur, namentlich für Tagesblaͤtter, Zeitun- 
gen und Flugſchriften, verbunden, obgleich auch 
dieſe Schriften an ſich unter dem Preßgeſetze ſtehen; 
gewiſſermaßen um dem Eindrucke vorzubeugen, der 
vermittelſt ſolcher Blaͤtter auf die große Maſſe des 


1820, Beil. 71.) — Gleiches ſpricht v. Jakob 
(Einl. in das Studium der Staatewiſſen— 
ſchaften, Halle, 1319. 8. ©. 213.) aus: „Soll 
eine Conſtitution ihre Vollkommenheit erreichen; fo 
muß Preßfreiheit neben ihr dig Regel ſeyn. Ver—⸗ 
mittelſt derſelben koͤnnen allein die Sachen von allen 
Seiten beleuchtet, und alle Stimmen, auch die, 
welche nicht in den Volksverſammlungen oder vor der 
Regierung erfcheinen dürfen, vernommen werden. Das 
— durch wird nah nnd nah ein Öffentlihes Urs 
eheil, eine Öffentlihe Volksſtimme gebildet, die ent; 
lih fo ftart wird, daß fomohl die Stände, als der 
Monarch felbit, darauf NRückfihe nehmen mäflen, 
wenn fie gerecht und wahr if. Auch if nur 
biefe bleibend. Die particulären Meinungen ber 
Demagogen verbalen, und bleiben in einem 
Staate, der nah gerechten Srundfägen 
regiert wird, ohne politifhen Einfluß; 
aber das Sure, das die Probe der Zeit. aushält, ers 
: hält durch die Oeffentlichkeit eine Stärke, gegen die 
. au der Mächtigfte nicht "handeln darf, ohne fich der 
größten Gefahr und mindeftens der allgemeinen Vers 
atchtung auszulegen.” — Br. Buchholz (Sournal 
für Teutſchland, 1815, Th. ı, ©. 523.): „Wo von 
-  Deffentlichkeie der Verhandlungen die Rede iſt; da 
muß auh von Preßfreiheit die Rebe ſeyn, ins 
dem dieſe zulegt nichts anders ift, als der Ausdrud 
von jener.” Bol. deffen Aufſatz über Dress 
freiheie (in demf. Journale, 1816, Th. 2, ©. 
537 ff): „Wo die Breiheit der Preſſe ih nicht in 
Kraft der Verfaſſung gleihfam von ſelbſt beſchraͤnkt; 
da muß etwas ſeyn (Eenfuranfals), wodurch 
dieſes brwirkt werde.“ 








Staatskunſt. 417 


Volkes in der Zwiſchenzeit hervorgebracht werben 
koͤnnte, bevor das Preßgeſetz auf den Mißbrauch der 
Preßfreiheit anzuwenden moͤglich waͤre. 

Im Allgemeinen duͤrfte alſo der Grundſatz der 
Staatskunſt gelten: In allen Staaten, wo die Ein⸗ 
richtungen fehlen, welche den Charakter der Oeffent⸗ 
lichkeit tragen (Verfaſſung als Grundvertrag, oͤffent⸗ 
liche Verſammlungen der Volksvertreter, oͤffentliche 
Gerechtigkeitspflege u. ſ. w.), iſt die Cenſur und ein 
beſtimmtes Cenſurgeſetz der Preßfreiheit vorzu⸗ 
ziehen; dagegen in allen Staaten, wo' das innere 
Staatsleben zur Deffentlichfeit gelangt if, die Preß- 
freiheit mit einem beflimmten Preßgefege den 
Morzug vor der Kgnfur verdient. Uebrigens folge aus 
dem Dafenn ber Tenfur nicht ſchon an ſich bie 
Beſchraͤnkung und Lähmung der geiftigen‘ Mitehei- 
lung; denn die Gefchichte kennt Staaten, wo, unter 
geitung der Cenſur, die Preffe freier fich bewegt‘, als 
wo die Preffreipeit in der Verfaffung ausgefprochen 
if. Eben fo wenig folgt, daß in Staaten mit Preß- 
freiheit und Preßgefeg der Geift ſich freier ausfprechen 
koͤnne, als in Staaten mit Cenſur, weil in ſolchen 
Staaten afles auf die Anwendung und Hand—⸗ 
babung des Preßgefeges anfomme Die 
freiefte, ficherfte und unpartheifchfte Anwendung deſſel⸗ 
ben wird aber nie von befoldeten Richtern 
gefcheben, fie mögen aus Polizei » oder Juſtizbehoͤrden 
ernannt werben; vielmehr find da, wo Preßfreiheit 
und Prefgefeg rechtlich beftehen, Gefhmornen- 
gerichte unumgänglich nöthig, wo Geſchworne, aus 
Gleichen gebildet, das Unfchuldig oder Schuldig . 
über die angebliche Verlegung der Preßfreiheit aus, 
ſprechen, und, nad) dem Ausſpruche des: Schuldig 
won den Geſchwornen, bie Unterordnung des Preßver⸗ 
I. 27 








+ 


418 Stcaatskunſt. 


gehens unter das vorhandene Prefigefeg ‚und die Ent. 
ſcheidung über die Größe des Wergehens und. die Art 
feiner Beftrafung erfolgt. . 

ME FB. Graͤvell, drei Briefe über Preß⸗ 

freiheit and Volksgeiſt. Berl. 1815. 8. 

Krug, Entwurf zur teutſchen, und Darfteflung 
der 'englifchen Sefehgebuns über die Prepfteiheit. 
Eeipy. 1818. 8. 

Ludw. Ho ffmann, Senfur und Preßfreiheit, 
hiftorifch » phitofophifch bearbeitet. 2 Theile. Bert. 
1819. 8. (Der erfte Theil au mit dem befondern 
Titel: Gefchichte der Büchercenfur.) 

Ruühle v. Lilienftern, Studien. Zur Driens 
tirung ber | die Angelegenheiten der Preffe. 2 Abthi. 
Hamb. 1820. 8. 

Heinr. er hoffe, Referat Per ein neu aufjus 
ftellendes Geſetz gegen die Prefinergehen; in ſ. 
Ueberlieferungen, 1820, April 

Wilh. v. Sſchuͤtz, Teutſchlands Preßgeſetz. Lands⸗ 
hut, 1821. 8. 


— 


23. 


B) Die Regierung des Staates, als zweiter 
Beſtandtheil der Organiſation deſſelben. 


Es iſt eine der folgenreichſten Begriffsverwechs⸗ 
lungen in der Staatskunſt, wenn man nicht ſtreng 
nwoiſchen Verfaſſung und Regierung des Staates un⸗ 
terfcheider. Zwar ift in einem auf einer Verfaſſungs⸗ 
urfunde, als Grunbverfrage, beruhenden Staate die 
Sorm der Regierung nofpwendig in der Ber 
faffung beftimme (d. h. fie ift entweder die Ver⸗ 
faflung eines monarchiſchen oder eines republifanifchen 
Staates; fie fpricht entweder die Wahl oder die Erb» 
lichkeit der Hegentenwürbe aus; fie verzeichnet den 
Kreis der Rechte und Pflichten bes Regenten , beflen 


/ 


Staatskunſt. 419 


Civilliſte u. ſ. w.); allein, nad) dem Verhaͤltniſſe bei. 
der, der Verfaffung und der Regierung, zur Organi⸗ 
fation des Staates, bezieht fi) die Regierung „ fchon 
dem Worte nah, ausfchließend auf die Perfon 
Des Regenten. Es muß daher, im Begriffe, ſehr 
genau fmwifchen der Verfaflungsform und der Regie 
sungsform des Staates unterfchieden werben, weil 
sunächft mit der legten die Form der Verwaltung 
bes Staates, als dritter Beftandtheil feiner Organi⸗ 
fation, zufammenhängt, indem der Regent — er möge 
übrigens nad) feinen Rechten als unbefchränft ober 
befehränft erfcheinen, — in jevem Staate als dag 
Oberhaupt der gefammten Staatsverwmabß- 
tung gedacht wird. | | 
Unterfcheidet man Daher genau zwiſchen ber Ver⸗ 
faffung und Regierung; fo kann nicht von einer de 
mofratifchen , ariftofratifchen, monarchiſchen ıc. Ver⸗ 
faſſungsform, wohl aber von einer demofranfchen, . 
monardifhen u. a Regierungsform gehandelt 
werden. 


24 
Fortfegung 


Die wichtige Frage aber nach der vollkommenſten 
Regierungsform fann nicht aus reiner Vernunft 
( fonſt muͤßte fie dem Staatsrechte angehören), fo 
dern nur mie Ruͤckſicht auf die —ã 
der Geſchichte, mithin nie unbedingt (abfolue);, 
fondern nur bedingt und begiehungsweife. (relativ), 
d. h. mie Rüdfihe auf ein gegebenes Bolt und 
nach) örtlichen und ländlichen Verhaͤltniſſen beantwor⸗ 
set werden. - Deshalb gehört denn auch die Lehre von 
ber zweckmaͤßigſten Regierungsform nicht dem 

\ 27 ‚ 





420. Staatskunſt. 


Staatsrechte, ſondern der Staatskunſt an. Denn 
fo wenig Perfien zu den Zeiten des Darius Hyſtaſpis 
fuͤr eine republikaniſche Regierungsform ſich geeignet 
haben wuͤrde; eben ſo wenig würde Athen im Zeit- 
alter des Miltiades, Cimon oder Perifles eine per- 
fifche Serailregierung ertragen haben. So wenig 
“ Syrien water den Seleuciden, Aegypten unter 
den Lagiden für eine demokratiſche oder ariftofratifche 
Kegierungsform gefaltet war; fo wenig auch Kar- 
thago in Hannibals Tagen und Rom in bem Zeit- 
alter der Scipionen für eine ftreng monarchiſche Re⸗ 
gierungsform. Daffelbe gilt gleihmäßig von den 
neuern und neueften Zeiten. Die Geſchichte fennt 
feinen Erbfönig der Schweiz, und feinen fandammann 
der Ösmanen zu Stambul; fie fann fi zu Wafhing- 
ton feine erbliche Regentendynaftie, und in Stodholm 
feinen Präfidenten eines ſchwediſchen Sreiftaates den- 
fen. Selbft nach dem Zeugniffe der Gefchichte gehen 
veraltete Regierungsformen eher unter, als daß fie in 
andere entgegengefegte verwandelt würden. Mit dem 
Darius Codomannus erlofch die regierende Kaifer- 
“dnnaftie über Perfien, und Altperfien ging unter in 
den Froberungen des macebonifchen Alerander. Sy— 
rien und Aegypten wurden, nad) Vernichtung ihrer 
. erblichen Regentenhaͤuſer, Provinzen Roms, Vene⸗ 
dig, mächtiger und größer-, als viele andere gleichzei- 
tige aberitalienifche Staaten, ging unter ale Republik, 
ohne in monardifche Regierungsform verwandelt zu 
werden. Polen, dem Namen nad) Republif, mit 
einem Könige an der Spiße, verſchwand, in der drit- 
‚ten Theilung, aus der Neiße der europaifchen Reiche. 
Alle dieſe Zeugniffe und Belege aus ber Ge 
ſchichte beftätigen es, daß die Regierungsform 
"der einzelnen Staaten eben fo, wie ˖ihre Verfaſſung, 


Staatskunſt. A 


auf gefehicelicher Unterlage beruht, d. h. dus fräßern 


örtlichen und ländlichen Verhältniffen mit einer in⸗ 
‚ nern Mothwendigfeit hervorgeht, und ſich bier und 
dort fehr verſchiedenartig gefaltet. 


Sriedrih 2, Verfuh über die Bterungefon 


ma; inf. Hinterl. Werken, Th.6, S. 45 ff: 

Comte de Hertzberg, discours sur la forme 
des gouvernemens, et quelle en est ‚Ja meilleure, 
: Berl. 1784: 8: Teut ſch, Berl, 178% 

x. 9. T Plant, publiciftifche. Ueberjicht aller Her, 
gietungsarten fämmtlicher Staaten und Völker auf 
dei Welt. Ep}. 1788. Fol. — 

Joſias thor Straten, ſyſtemattſthe Abhandlun- 
. van: den Regierungsſormen überhaupt u. der uneinge⸗ 
ſatantien Menarche Insbgfandere. Zlensb. 1760. 8. 


m wo. 1 


25. 


ãũdiuein · Elfſte atien der Reste 


ae EEE rungsformen. on 


Nach den Thatfachen der Gefdichte gibe es mo⸗ 
narchiſche und republikaniſche, gewäͤhlte 
erbliche,. einfache und zuſammenge 
f fee % Regierungsförmer, ‚Sie alle find an fi 
ve et ch nad der Vernunft, wenn fie auf rechtlichen 
Wege begründet und. von dem Volfe anerfannt 
find, zu deſſen “nung ſe beſtehen; ſe alle koͤnnen 





”) Kart (zum ewigen Fieden, S. 25.) nimmt nup 
drei Gormender Beherrfhung an, „mo naͤm⸗ 

- : Bi entweder nur Einer, oder Einige unter fi 
. verbunden, oder Alle zuſammen, welde Die bürgers. 
lihe Sefellihaft ausmaden, die Herrfchergewalt bes 
figen (Autokratie, Arifkofratie und Demo 


tratie, Fuͤrſtengewalt, Adelsgewalt and Woltager: 


walt).“ -. 


‘ 
1 


422 EStaatskunſt. 


zweckmaͤßig ſeyn, ſobald fie ber erreichten Stufe 

der Cultur und der politiſchen Freiheit des Volkes, 
Bas unter ihnen fteht, angemeflen find, und durch fie 
die beiden höchften Zwecke alles Staatslebens — bie 
Herrfchaft des Rechts und die Wohlfahrt der Indivi⸗ 
duen und des Ganzen — verwirklicht werden. Sie 
alle koͤnnen aber auch, unter eintretenden Verhaͤlt⸗ 
niffen, Nachtheile und Mißbraͤuche für die bürger- 
liche Gefellfchaft herbeiführen, befonders wenn fie von 
dem Zmwede ihrer urfprunglichen Begründung ſich ent- 
fernen, und bie dem Regenten zufommende recht» 
mäßige Gewalt in Willführ ausartet, 

Wild. Traug. Krug, über die Einthellung der 
Staatsformen in die monardifche, ariſtokratiſche u. 
demokratiſche; in f. Schrift: über Staatsverfaſſung 
und Staatsverwaltung. Koͤnigsb. 1806. 8. 

a H. L. Beeren, über den Charakter der des“ 
porifchen Verfaſſung und der Gtaatsverfaf 
fungen überhaupt; kin J. Zdeen äber Polis 
tik ꝛc. Cate Aufl.) ©. 978 ff. . Be 


Ueber die monardifhen und republifa 
‚nifhen Regierungsformen überhaupt. 


Obgleich im woͤrt lich en Sinne jeder Staat 
eine Rep ub kik ſeyn, d.h. die allgemeine Wohlfahrt 
in ſeiner Mitte verwirklichen ſoll, und, nach die ſer 
Wortbedeutung, nur der — oder die Will⸗ 
kuͤhrherrſchaft, dem Republikanismus gegen uͤber 
ſtehen wuͤrde, in welchem die Regierung auf be⸗ 
ſtimmten Geſetzen fuͤr die Herrſchaft des Rechts und 
die Wohlfahrt des Ganzen beruht; ſo weicht doch die 
geſchichtliche Bedeutung und Geltung ber republi⸗ 
kaniſchen Regierungsform von ber woͤrtlichen Beieich⸗ 


Staatskunſt. 423 
nung ab, und man verſteht, in gefhihtlicher . 
Hinfiht, unter Republifen diejenigen Staaten , deren 
Regent nicht, wie in’der Monarchie, Eine phyſi—⸗ 
ſche Perſon, fondern eine moraliſche (myfitiche). 
Perſon ift, welcher die Souverainetat nicht als 
perfönlihe Würde, fondern als übertragen 
nes Staatsamt zukommt. Denn darauf ſcheint 
zunächit der wefentliche Unterfchieb zwiſchen ber mo» 
narchifchen und der vepublifanifchen Regierungsform zu 
beruben , daß in der erſten — wie 6 das Staatsrecht 
beſtimmt ausſpricht (Staatsr. $. 30. und 31.) — der 
Megent lebenslängtich mie der Souverainetät 
bekleidet und nach den ihm zukommenden Majeftätd- 
uecheen heilig und unverleglih, unmwider- 
Rehtich und unverantwortlich if ‚während. im 
den. republitanifchen Staatsform die Regensenwürbe 
nur als ein übertragenes Staatsamt erfeheine, um 
gewöhrlich einer Mehrzahl von Individuen 
Cainere Collegium, einem Vollziehungsrathe), ff 
wie an ſich weder bebenslaͤnglich, nad) mit Unverant⸗ 
worelichkeit zuſteht. Widerſinnig und ungeſchichtlich 
aber. iſt es, die Republiken, im Gegenſatze der Mo⸗ 
narchieen, Freiſtaaken zu nennen, weil das, md 
das Weſen eines Freiſtaates bildet — die rechtliche 
Anerkennung ber buͤrgerlichen Freiheit allet 
Staatsbürger .und der politiſchen. Freiheit aller 
fitsfich » muͤndigen ˖ ( Staatsr. $. 14.) — in Monans 
chieen eben fo ausfuhrbar-ift und, nach der Geſchichte, 
varmirklicht wirh, wie ia Republiken. 


414 Staacskunſt. 


-97 | 
Die monardifhe Regierungsform. 
a) die undbefhränfte und befchränfte, 


| Der Monarchie liege die großartige Idee zum 
Grunde, einen Einzigen. fo mächtig zu machen, daß er, 
wo möglich, gar nicht in die Verfuchung gerathen kann, 
die ihm anvertraute Gewalt zu mißbrauchen. Die 
bürgerliche Gefellfhaft bedarf nämlich in ihrer Fort⸗ 
Dauer eins Schmwerpuncts, ben fie nur in der 
monarchiſchen Regierungsform finden kann. Diefe 
. Regierungsform erfcheint aber nach der Geſchichte, ent 
weder als unbefhränfte oder als beſchraͤnkte, 
entweder als Wahl⸗ oder als erbliche Monarchie. 
Mach der unbefhränften Regierungsform 
IE der Regent durch Fein Staatsgrundgefeg in Hin- 
ſicht der Ausübung feiner Souverainetätsrechte be- 
ſchraͤnkt; er ift nicht blos das, Oberhaupt der voll- 
ziehenden Gewalt; ihm fteht nicht blos ein weſent⸗ 
licher Antheil an der geſetzgebenden Gewalt zu; er ift 
vielmehr der einzige und hoͤch ſte Gefeggeber im 
Staate, und vollz ie ht zugleich die von ihm gegebe- 
nen Gefege ;.er-vereinige dahet in ſich, im unbefchränfs 
teften Sinne und: völlig gleichmäßig, die geſe tzg e⸗ 
bende und violtziehende Gewalt, und iſt für 
alle feine Regentenhandlungen blos Gott und feis 
wem Bemwifferverantwortid, 

.  Db nun gleich, nad) dein Zeugniffe der Gefchichte, 
diefe Vereinigung des hoͤchſten Willens mit der höch- 
fien Macht in Einer phyſiſchen Perfon bei einzelnen 
Regenten_und in einzelnen Staaten und Reichen bie 
kraͤftigſten Wirkungen für das innere und aͤußere 
. Staatsleben vermittelt, und die Thatkraft ausgezeich- 


| Staatskunſt. a 
neter Negenten ihr Volk und Reich niche ſelten maͤch⸗ 


tig emporgehoben, und einer ſchnellen Entwickelung unb: 


Meife zugeführt, fo. wie die Namen folder ungewöhn« 


lichen Individuen an der Spige der Staaten für. alle: 
Zeiträume in der Gefchichte verewigt hat; fo beftätige: 
Doc) ‚gleichfalls Die Gefchichte, daß, mie überhaupt 
die Erfcheinung großer und ausgezeichneter Menfchen 
auf der Erde; fo auch die Erfcheinung großer Regen: 
ten zu den Seltenheiten gehört; daß felbft dieſe unge- 
woͤhnlichen Regenten an der Spige der Völfer und 
Staaten nicht immer mwohlchätige Erfiheinungen 
gemwefen find’, weil das Uebermaas der ihnen einwoh⸗ 
nenden Kraft fie nicht felten zu Handlungen, dee Will«: 
führe im In» und Auslande hinriß, und daß übers 
Haupt die unbefchränfte Gewalt — weil der Regent; 


feiner erhabenen Stellung ungeachtet, ein Menſch, 


mit menfchlichen Irrthuͤmern, Schwachheiten und Leis 
denfchaften bleibe, — fehr leicht in unbegrenzte Will 
führ ausarten‘, den Staat in feinem Vorwaͤrtsſchrei⸗ 
ten aufhalten, und alle Kraft des innern Staatslebens 
durch Deſporlsmus und Geſetzloſigkeit niederdrüden. 
und jerflören kann. Dabei darf nicht vergeflen wer⸗ 
den, daß -ber unbefchränfte Regent — felbft bei der 
hoͤchſten geiftigen Kraft — nice alles, nach den 
mannigfaltigen Theilen der gefeßgebenden und’ voll⸗ 
jiehenden Gewalt, die er in ſich vereinigt, allein voll- 
bringen kann, daß er alfo, nad) feiner Berathung 
und nach feinen Befchlüffen, von Männern abhängt, 
die in ihren Anfichten und Grunbfägen, fo fie in 
ihren Zwecken und individuellen Eigenfcyaften oft fehr 
von einander abweichen, und die vielleicht nicht immer 


mit-völlig reinem Willen und mit feltener Geiftesbil« . 


dung das im Auge behalten, was in jedem einzelnen 


Zeitraume und in jedem gegebenen Falle dem Zwecke 


haͤltniſſe zwifchen' dem : 


⸗ a 
* 


| + Staatokunſt. 


des Genzen and der eweichten Skuſe des innern 
Staatsiebens angemeflen if. — Eben fu: zeigt Die 
Geſchichte, daß nirgends leichter, als in unbeſchraͤnk⸗ 
ten Vviearchieen ‚bald der Driefterfhand , bald ein 
hoher Rath, bald eine Leibwache eine ſo große Macht 


ſich anmaßte, daß der Regent dadurch in ſeiner Kraft 


beſchraͤnkter ward, als es je in einer ſogenannten be⸗ 
ſchraͤnkten Monarchi⸗ gefhehen kann. — 

Im Gegenſatze der unbeſchraͤnkten Regierungs⸗ 
form iſt Der Regent in der beſchränkten Monarchie 
entweder durch gewiſſe poſitive Reichsgrundgeſetze, 
auf welche er beim Regierungsantritte ben Eid leiſtet, 
oder durch eine 'fürmliche Werfaflung, als Staats 
grundvertrag, und. daher in Hinſicht feines Willens 
burch gewiſſe Bedingungen gebunden, die er in der 
Verfaſſung entweder ſelbſt als rechtliche Unterlagen 
ſeiner Stellung‘ gegen das Voll, das er regiert, ge- 
geben (in den octroyitten Berfaffungen ) ,‚ oder als 
bereits beſtehende rechtliche Unterlage verteagsmäßig 
anerfanushef,.mo sr alſo feinen perfönlichen Wil 
len nie zum "allgemeinen Willen erheben kann, fon- 
dern die Ausuhung feiner Soyperpänerätsr achte 
(Staatsr. $. 30:).:in Verbindung mit den vertrags« 
mäßig. übernommenen Megentenp f lite n bringen 


* nun gleich bie bef chränfte Moyarchie, in⸗ 
—* fie auf einem gegenſeitigen fittlichen Vers 
Kegenten und den Regierten 

beruht, und alſo beiden gewiſſe beſtimmte Rechte, 


unter der Vorausſetzung der Erfüllung. gewiſſer be- 


ſtimmter Pflichten, zugefteht, dem im Staaze- 
rechte aufgeftellten Ideale einer volffomujenen Ver 
faſſungs⸗ und Regierungsform am meiffen entfpricht ; 
fo katzn doch auch fie von Unvollfonumheigen: nicht frei 


Staatstunfl, 427 


geſprochen werben, wenn dieſe gleich nicht fo fühlbar 
find, wie bei der unbefchranften Regierungsforin. Die 
Unvolltommenpeiten der befhränften Monarchie tres 
ten, nad) dem Zeugniffe der Geſchichte, am meiften 
hervor, wenn es den Ständen, oder den Großen eines 
Reiches zufam, mit dem gewählten oder erblichen 
Regenten, bet deffen Regierungsancritte ‚eine förms 
lie E apitulation (wie z. B. im ehemaligen 
teutſchen Reihe, in Polen u. ſ. w.) abgufchließen, die 
entweder an ſich die Regentenrechte fehr verengte, oder 
deren Örundlage aus Zeigen und. Verhaͤltniſſen her 
ruͤhrte, melche längft verſchwunden und alfo. veralret 
waren, aber Deren Beſtimmungen von eiferfürhtigen 
Großen hei jedem Regierungsmachfel verändert und 
gefteigert wurden. . Allein felbft bei einer als Grundz 
vertrag beſtehenden Werfaffung fann die beſchraͤnkte 
Monarchie zu awefentlichen. Unvollkommenheiten fuͤh⸗ 
ven, fobaid Die Verfaſſung dem Begenten allen An⸗ 
eheil an der. gefeggebenden Gewalt verweigert, und 
ihn bios an die Spitze ber vpollziehenden Macht 
flelt, beſenders wenn ſich bie. Stände, als..gefeg: 
gebende Verfammshing, als Inhaber der fogenannten 
Wollsfounerainstät betrachten. Je größer , unter 
diefem. Verhaͤltniſſe, für’ den Regenten .und feine 
Mathgeber der Reiz wird, die jhm gezogenen engen 
ESchranken zu aͤherſchreiten; deſto keishter ift der Yeber« 
gang von her gu ſehr beſchraͤnkten monarchiſchen Rer 
gierungsform entweber zur. unbefihränften Willtuͤhr 
des Regenten, oder zum Widerſtande der Staͤnde 
und Graßen gegen ſeine geheiligte Perſon, oder zur 
Pet ver Staaten, zum Buͤrgtrlriege. u 


4 


. 
428 Staatskunſt. 
J J gg, Soreren 
 Sortfegung ' 
u bie Bapl- und erblide Monardie, 


Die monarchiſche Kegierungsform erfcheine ent⸗ 
weder als Wablmonarchie, oder als erbliche 
Monarchie 
- + Wenn es, an ſich betrachtet, ſcheiuen koͤnnte, 
als ob die Wapimonarchie den großen Worzug vor 
der erblihen behauptete ,; daß in ihr überhaupt der 
MBerdientefte, Ausgegeichnelſte ud Wuͤr⸗ 
digſte zur Regierung gelangte, ohne dabei die Re— 
gierung eines Stagtes an das Schiefel eines regies 
renden Haufes und an den Zufall der Geburt zu knuͤ⸗ 
pfen; fo find doch fhon überhaupt mit viefer Ne 
gierungsform: die Schwierigfeisen verknüpft, daß 
genau in einem Grundgefege beſtimmt ſeyn muß: 
wer gemähft werben koͤme, wer wählen folle und . 
dürfe, mie Vie Wahl Kinzurichten und auszuführen 
fen, und wie ein Fi ſch enr ei.cdy. vermieden: werden 
koͤnne, oder wie eg in einem Zwiſchenreiche zu: halten 

ſey. Außer Biefen urſpruͤnglich mit der Wahlmonar⸗ 
hie verbundenen Schwietig'eiten treten, nad). ber- 
Geſchichte, gewoͤhnlich Folgende Unvollkommenheiten 
bei derſelben ein: daß die Wahl ſelten ohne Einfluß 
des Partheigeiftes, der-- Leidenſchaftkichkeit und der 
Beſtechungen, ja vieleicht gar mit geheimer oder offe- 
ner Einmiſchung des Auslandes, geſchieht; daß des⸗ 
halb der gewaͤhlte Regent — beſonders wenn die Wahl 
auf einen Ausländer fällt — nicht immer / der Aus⸗ 
gezeichnetſte, mit den geſammten innern Verhaͤltniſſen 
des Staates nicht gehoͤrig bekannt, und in ſeiner 
Macht durch die zu ſehr beſchraͤnkt iſt, welchen das 


Staatskunſt. 429 


Recht der Wahl zuſteht; daß der gewaͤhlte Monarch 
ſelten mit der Theilnahme der Regierung ſich unter⸗ 
ziehen und mit der Kraft den Zweck des Ganzen be⸗ 
foͤrdern wird, welche bei dem erblichen Regenten von 
der perfönlichen Ruͤckſicht auf fein Haus und auf feine 
Nachfolger ausgehen, und daß gewöhnlich mit jedem 
Reyentenwechſel aud) die Grundfäge ſich verändern 
werden, welche der Regent in Hinſicht auf Die Leitung 
des innern und äußern Staatslebens befolgt. — 

Im Gegenfage der Wahlmonardhie beruht die 
Erbmonardie darauf, daß die Regentenwuͤrde, 
nad) dem Tode des Regenten, auf feinen rechtmäßigen 
Erben übergeht. Als Grundbebingung der Erbmo⸗ 
narchie muß daher feflgefegt werden: 1) daß der - 
Staat nicht, wie ein Familienbefiß, unter fammt- 
tihe vorhandene Erben des Regenten getheilt 
werden kann, fondern daß die Negentenwürbe des 
rechtlich organifirten Ganzen, nach deſſen Selbftftän- 
digkeit und Integrität, nur aufEinen Erben über- 
gehen darf; die rehtlihe Erbfolge *) (mer, 
und In welcher Ordnung, jur Regierung aus det 





*) Schübrer bemerkt Cin f. allgem. Ötaatsr. &. 139.) 
ſehr wahr: „Eine vollftändige Succeffionsordnung 
“muß. unzweidentig beflimmen, ob beide Geſchlechter 
folgen ; ob die Folge secundum lineas oder gradus 
geſchehe; welche von den Geitenverwandten den 
andern vorgehen. . Sie muß ferner feftfeßen: das 
Alter des Erben, wann er die Regierung antreten 
dürfe; die Bormundfchaft während feiner Min⸗ 
derjaͤhrigkeit, oder folher Zufäle, die ihn zum 
Regieren untauglih machen; welde phyſiſche Ger 

. drehen Ihn von der Erbfolge ausfchließen; endlich 
ein Austunftsmittel, um Erbſfolgekriege zu 
vermeiden. — 


430 , Stansskunft, 


Nachkommenſchaft bes Regenten bereihtigt iſt), und 
3) die rechtliche Erbfolgefähigkeie (theils 
nach einer beftimmten. Zeit der Volljährigkeit, 
theils mit der Aufitellung der Negierungsordnung bei 
ber rechtlichen Erbfolge eines Minderjährigen, 
cheils mit der Ausfchließungaller geiftig Unfaͤhi— 
gen zur Regierung). Denn fo gewiß, nach dem 
Beugniffe der Geſchichte, das Unglüd vieler Staaten 
in vorigen Zeiten von ben unſeligen heilungen der 
Sander abgehangen hat, bis enblih das Erftge- 
burts recht allmahlig diefen Theilungen Maas und 
Ziel feßte; fo gewiß muß aud die rechtliche Erb- 
fol ge klar und deutlich beſtimmt feyn, um allen 
Spaltungen uͤber das Recht zur Thronfolge vorzubeu⸗ 
gen, und eben fo ſorgfaͤltig muß im Voraus der Fall 
berechnet ſeyn, daß entiveder ein Minderjähriger den 
Thron befteigen, ‚oder ein Bloͤdſinniger der Naͤchſt⸗ 
berechtigee zur Regierung feyn koͤnnte. 
Nach Befeitigung die ſer Schwierigkeiten be- 
‚bauptet aber die er b.liche Regierungsform folgende 
weſentliche Vorzoͤge: daß die rechtlich beſtimmte Thron- 
erbfolge alle bei der Thronerledigung in Wahlreichen 
eintretende Reibungen theils zwifchen den Thronbewer⸗ 
bern, theils zwiſchen den zum Wählen Berechtigten von 
ſich ausſchließt; daß gegen einen Erbfönig im Innern 
des Staates nie folche politifche Partheien fi) bilden, 
wie es in Wahlreichen häufig gefchieht; daß das In⸗ 
tereffe eines Erbfönigs mit dem Intereſſe des Staa- 
tes, in der Regel, aufs innigfte verfchmilze, weil es, 
außer feiner Pfliche , auch in feinem pepfönlichen In⸗ 
tereffe legt, ein cultivirtes, reiches, glüdliches und 
mächtiges Volk feinen Machfolgern zu binterlaffen; 
„daß in der Erbmonardhie die Grundfäge ber Regie: 
rung und Verwaltung weit ſeltener, alg in Wahlrei⸗ 


Staatskunſi. 441 


chen, der Veränderung und dem Wechſel unterworfen 
find; daß, wegen diefer beftehenden Grundfäge, mit 
der Einheit und Feftigfeit in der Megierung, auch 
Milde und Schonung der gefammten bürgerlichen und 
häuslichen Verhältniffe, namentlich in Hinficht: der 
Polizei- und Finanzmaasregeln, verbunden werden 
kann; daß ſelbſt, bei der Feſtigkeit dieſer Grundfäge, 
die Stellung des Staates gegen das Ausland einen 
feiten Charafter erhält; daß alfo die befchränfte 
erblihe Monarchie, bei dei wenigften Unvoll- 
kommenheiten, die meiften Vorzüge und Vortheile für 
den ganzen Staat in fich vereiniger.. | .. 
In diefem Sinne muß das monarchiſche 
Drincip (ein Ausdruck der modernen Staats» 
kunſt) gefaßt werden. Es beruht namlich darauf, 
daß — ohne die in der Wirklichkeit beftehenden 
Mepublifen nad) ihrem Dafenn , nad) ihrer Selbft- 
ftändigfeit und nad) ihrer eigenthümlichen Regie 
rungsform zu. gefährden, — 1) fein monarchifcher 
Staat, durch inmere Umtriebe, in.eine Repubtif 
verwandelt, 2) Feine rechtlich begründete Mache des 
Megenten, weder in unbefchränften nech in be= 
ſchraͤnkten Monarchieen, verändert ober gefchmälert 
werde, 3) vielmehr afle nöthig gewordene Umbil⸗ 
dungen in der innern Organifation ber Staaten, fie 
mögen nım die Verfaffung,, Regierung oder Ver: 
waltung berfelben betreffen, entweder unmittelbar 
von dem Regenten (als Act der Souverainetät) aus» 
gehen, oder, auf den Vorſchlag der Stände, von 
demfelben angenommen und gutgeheißen werden. — 
In diefem Sinne hänge der neuerlich mehrmals 
ausgefprochene Grundfag der Stabilität mit 
dem monarchiſchen Princip genau zufammen. 
Denn die Stabilität will, daß das Beſie hende, 





437 Staatskunſt. 


namentlich der rechtliche Territorialbeſitz der Staa⸗ 
ten und die rechtlich begruͤndete Regentenmacht, 
in statu quo bleibe, und daß, nad) Diefer 
Stabilität, die innern Erſchuͤtterungen bes Staats: 
- lebens und die. damit nothwendig sufammenhän- 
gende Erſchuͤtterung der Throne verhuͤtet werden. 
Nie wird aber ein geſchichtskundiger Staatsmann 
dieſer Stabilitaͤt den Nebenbegriff unterlegen, daß 
durch ſie alle noͤthige Reformen in der Verfaſſung 
und Verwaltnng ausgeſchloſſen würden ; nur ſollen 
diefe nihe von unten genommen , fondern von 
oben gegeben werben, 

Ausartungen der monarchiſchen Regierungsform 
find aber die Ufurpation, die Tyrannei und 
der Defpotismus. — Ufurpator iſt naͤm⸗ 
lich der, welcher die Regierung unrechtmaͤßig, we⸗ 
der durch Wahl, noch durch Erbrecht, noch durch 
foͤrmlichen Vertrag , ſondern durch Eigenmache 
(entweder durch Eroberung, oder durch gewaltſame 
Verdraͤngung des bisherigen rechtmaͤßigen Regen⸗ 
ten) errungen hat®); Tyrann Hingegen ift der, 


#) Weber die wichtige Feage, ob ein rechtmaͤßiger Regent 
das widerrufen könne, was der vorhergehende Ufur: 
pator eingerichtet hat, entſcheidet Pufendorf (de 
jure naturae et gentium, |. 8. cap. ı2.): daß aud 
der Nachfolger eines Ufurpators verpflichtet fey, 
deffen Handlungen anzuerfennen. Scheideman⸗ 
teil (das allgem. Stantsrecht überhaupt, &. 371 f.) 

“ fügt die wichtige Einfchräntung hinzu: daß Pufen⸗ 
dorf6 Satz nur gelten könne, wenn der Ufurpator 
im Beſitze feiner Regierung. im In: und Aus 
lande rehtmäßig anertannt worden ift. 
Mar er dies nicht; fo war er blos Räuber, und 
dann müfle die Kingheit über jene Frage ent» 
ſcheiden. 


m 


Edtgatskunſt. 433 


welcher die hoͤchſte Gewalt gegen bie beſtehenden, 

‚ und von ihm anerkannten und beſchwornen, Staats⸗ 
eundgefege nad) bloßer Willführ verwaltet; und 
efpot ber, unter, welchem ben Mitgliedern des 


‚Staates weder der Befig ihrer. Menfchenrechte-(bee 


perfönlichen , Sreißeit., des. Eigenthums ıc) noch 
; Ihrer Bürgerrechte (z. B. wie in.den afrifanifchen‘ 


Kaubftaaten) gefichert ift. — Wenn alfo der Ufur- ⸗· 


pator, abgefehen von der Unrechtlichkeit der Er- 
werbung der höchften Gewalt, dennoch ale Regent 
durch, einzelne gute Eigenfchaften ſich auszeichnen 
kann, und nicht ſchon qua usurpator auch Tyrann 
oder Defpot ſeyn muß; fo fegt die Tyrannei 
jedesmal im Staate beftehbende Grundgefetze vor⸗ 
aus, welche durch die Willfuhr des Regenten vers 
legt werden; ſo wie der Defpoe nur-in einer un⸗ 
befchränften monarcdifchen Negierungsform (oder 
auch. in einer Republif, doch mic Aufhebung ihres 
Grundcharafters,) gedenfbar ift, mo ber Regent, 
an fi) durch Fein Grundgeſetz gebunden , ftatt der 

- ihm von Gott und feinem Gemwiflen :gebutenen Ge⸗ 
rechtigfeit, blos der Wulkuͤhr in feinen Befchlüffen 
und Handlungen‘, folgt. — Es würde aber die 
folgenreichſte Begriffsverwirrung ſeyn, wenn man 
‚den Autokra tox (den Regenten einer unbeſchraͤnk⸗ 
ten Monarchie) an ſich mit dem Deſpoten verwech⸗ 
ſeln wollte. Denn Uunter der Regierung des Auto⸗ 
krators beſteht der volle Genuß affer Menſchenrechte; 
und nur die öffentlichen (bürgerlichen ), Rechte wer⸗ 


. den in der unbefchränften Monarhigdadurch be 


ſchraͤnkt, daß der-Autofedtor in fich bir gefeßgebende 

und vollziehende Wewaft ungerhrikfiscrefniget, 

2 Was den — durd) Talleyrand im Kahık 1814 

de europäufihen Fafagtgfunft. eingelegeR ırr: Der 
. 2° 


.% 
- 
..- 


Sn - 





44 Staatskunſt. 


griff der Legitimitaät anlangt; fo erhaͤlt er feine 
polisifche und gefchichtliche Bedeutung, nur im 
Gegenfage des Begriffs eines Ufurpa- 
tors, und einer Revolution, Der Begriff 
der Legitimitaͤt fegt eine rechtlich beſtehende erb- 
liche Regierungsform voraus, fo daß die Segiti- 
mität auf der in einer Erbmonardhie rechtlich be» 
gründeten Thronerbfolge, nach einer angenommenen 
- feften Succeffionsorbnung, beruht, Es fann da⸗ 
her in einer Wahlmonardhie fo wenig, wie in einer 
Republik, die Rede von der Segitimität der Regie 
rung, in diefem modernen Sinne des Wortes, ſeyn. 
Wenn nun ein Ufurpator die in einer Erbmonardhie 
zur Thronfolge berechtigte Dynaſtie von der Regie⸗ 
rung verdrängt, oder durch eine Revolution bie 
regierende Dyuaftie entfernt wird; fo find foldye 
Thatſachen der Gefchichte die gemaltfamen Verftöße 
gegen den Grundſatz der Segitimität 9), — 





*) So alt der Breundfap einer gefepmäßigen (legi⸗ 
ttmen) Regierung an ſich if; fo neu ind doch mandıe, 
dem modernen Begriffe der Legirimisät unter 
gelegte, Bedeutungen und Erklaärungen. Die Ges 
ſchichte warnt davor, dieſe Bedeutungen nicht u 
weit auszudehnen; denn (um nur einiger Vetfpiele 
zu gedenken) Dipin, der Degrunder der carslingi⸗ 
(den Dynaflie, war «6, der (752) den lebten Dies 
‚rovinger, und. Huqo Capet, der (987) den lebten 
Carolinger vom Erbehrone Frankreichs verdrängte; 
aub bat man in Großbritannien, feit der Thron« 
beſteigung Wilbeims des DOranierd (1689), bet 
Legitimität der verdrängten Stuartiſchen Oynaſtie 
beſtimmt widerſprochen. Felgt man ber urfprung⸗ 
lichen Bedeutung des Begriffes der Legitimitaͤt; fo 
kann in bemſelben Peine unmittelbare Ab⸗ 
Veftang der Regentengewalt von Bett, 


Staatskunft, 435 


Eine Abart der monardifchen Regierungsform 
find die fogenannten Patrimonialreide, 


* 


ſond eyn blos die rechtliche Thronfolge im 
einer Erbmonarchie gefunden werden, und 
Dies fcheine in rechtlicher und politifher 
Hinſicht auszureihen. Vgl. Krug, über beftehende 
Gewalt und Geſetzmaͤßigkeit in ftaatsrechtlicher Be⸗ 
deutung; zuerft in Ad. v. Müller’s Staatsan⸗ 
jeigen, 1816, ©t.3, ©. 203 ff.; dann wieder 
abgedrudt in f. Kreuz⸗ und Queerzägen ıc. 
©. 37 ff. — In Hinſicht auf die Etymologie des 
Wortes gehört die Otelle des Livius hieher (histor, 
1, 48.), wo er, als Tarquin feinen Schwiegervater 
Servius Tulltus entthronte, von dem leßten (der 
nicht im Glanze des TIhrones gebohren war,) aus⸗ 
drücdli fagt: ceterum id quoque ad gloriam ac- 
cessit, quod cum illo simul justa no legitima 
ragna ceciderunt, während er (ibid. c. 49.) dem 
Tarquin (einem gebohrnen Prinzen) „male quse- 
rendi regni exemplum ’* beilegt. Einer andern 
Erpmologie folgte v. Lameth in der franzoſiſchen 
Deputistentammer (Allg. Zeit. 1822, N ıg., ©. 74.), 
wenn er erflärte: „‚Legitim komme der von legi inti- 
mus, dem Geſetze anbängerd. Kınder nenne man 
fegttim, wenn das Geſetz ihre Geburt anerkenne. 
Der Pftichttheil heiße legitima, weil das Geſetz 
ihn den Kindern zufprehe. Leaitim beziehe fid 
immer nur auf Erbfolge, auf Nachfolge; und 
in folder Hinſicht erkenne er die Legitimität einer 
Dynaftie zur Macfolge auf einem Throne. Wolle 
man aber unter Legitimität ein adttliches Recht ver⸗ 
fiehen , dem zufolge das Volt Eigenthum der Sour 
verains fey; fo maͤre dies ein Verbrechen an der 
Nation.“ — Auf ähnlide Weife fprah der Freie 
derr v. Sagern in der Darmflädtifhen Staͤnde⸗ 
verfammlung (Allg. Zeit. 1820, N. 316, &. 1264.): 
„Ich bin Tory und Royaliſt, ganz fo, wie e6 die 
Achte oranifche Parthei verſteht. Allein allerdings 
28 ? 


436 | Staatskunſt. 


(erbeigenthuͤmliche Reiche, gewoͤhnlich durch 


Eroberung unterworfen, wo der Regent ſich als den 
Eigenthuͤmer des ganzen Staates nach Land 
und Leuten, und dieſe als ein Familiengut be 
- teahhtet,) in welchen der Regent feinen Nach— 
folger ernennt, entweder einen von feinen Er: 
ben ohne Rücficht auf ein Erſtgeburtsrecht (fo nach 
den Hausverträgen das Haus Wied), oder wenn 
er voill jeden Fremden. (In diefem Sinne 





finde ih in dem Ausfpruhe des Weifen: minori 
discrimine sumi principem, quam quaeri — weit 
mehr für mich Ueberzeugendes, als in allen Empfehs 
lungen der Legitimitaͤt. Dieſe Legitimitär in den 
grogen Staaten bat zur verftändigften Interpreta⸗ 


sion den Satz: da die Nation die ihrem Füriten 
mit Treue nnd Liebe anhängt, ihre innere Ruhe 


am ficherften bewahrt, und fi flark genug gegen 
außen führt. — Mod ſtehe die Antwort des jekis 
gen Königs von Schweden an diefer Stelle, die 
er dem Bicomte Pinon gab, der ihn zur Unter 
zeishnung zu dem Dentmale für Malesherbes, den 
Vertheidiger Ludwigs 16, mit den Sorten einfud: 
„ Der große, Grundſatz der Legitimität, dieſer Grunds 
fa, auf welchem das Gluͤck und die Wohlfahrt der 
Völker beruht, tft neuerdings von gan, Europa ans 
".. erfannt worden u. ſ. w.,“ worauf.der König zwar 
‚ unterzeihnete, in feiner Autwort aber bemerkte: 
„day die wahre Legirimität aus dem einmüthig aus» 
gefprohenen Wolfswillen bervorgehe." (Ag. Zeit. 
1819, N. 284, ©. 1133.) — Zwei ſcharfſinnige 
Abhandlungen von Buchholz gehören bieber: 
‚Ueber die Erbiihkeit der Throne inden 
Staaten Europa’s’ (in f. Journale f. Teutfchs 
land, 7815, Th. ı, S. 46 ff.) — und „Ueber 
Souverainerät, Recht maßigkeit und Uns 
ante (Ebend. 1816, Th. ı., ©. 
ff.) — 


Staatskunſt. 437 


war das Teſtament Karls 2 von Spanien; auch 
beabſichtigte das letzte Peter 1, der dieſes Recht 
ſchon in dem Begriffe einer unbeſchraͤnkten Monar⸗ 
chie ſuchte. Man vergl. Schloͤzers hiſtor. Unter⸗ 
ſuchung über Rußlands Reichsgrundgeſetze. Gotha, 
1777. 8.) 

C. Ach. Beck, de jure regni patrimanislis, 
Diss. Jen. 1712. 4. (habe ich nit gefehen.) 

Eb. a Weyhe, problema regium s. explicatio 
disceptationis politicae: utrius regni conditio m- 
lior sit, illiusne cui rex nascatur, an ejus cui 
eligatur ? Franck, 1618. g. 

Franz Zav. Edlervon Neupauer, Vorzüge 
der monarchiſchen vor den übrigen Regierungsfors 


men. Wien, 1792. 8. 

Jac. Rau, de monarchia, optima imperii forms, 
Lug. Bat. ı821. 6. 
* 


* 

J. B. S. v. €, Grundriß der Fuͤrſtenkunſt, 
wornach ein Regent ſich groß und ſeine Unterthanen 
gluͤcklich machen koͤnne. Frankenberg an der Warte, 


1734. 8. 


I 2 
>a 


Ein Hauptgegenftand der höhern Staatsfunft 
in Hinfiche der Regierungsform ift die Prinzener 
ziebung; denn nicht felten find die Verhäleniffe des 
tebens und ber Umgebungen der Höfe von der Art, 
Daß fie nachtheilig auf die phyſiſche, geiftige und 
ſittliche Entwickelung der fünftigen Negenten einmwirs 
fen. ft es aber irgendwo dringend nöthig, daß der 
. Körper vor jedem ſchwaͤchenden und verweichlichenden 
Eindrude bewahrt, und der Geift frühzeitig zur Klare 
heit der Begriffe überhaupt, zur ununterbrochen Thaͤ⸗ 
tigkeit, zur ftrengften Sittlichleie und Rechtlichkeit, 
und zur Charakterfeſtigkeit — ‚ohne Laune, Eigen. 





* 


+ 


438 Staatskunſt. 


ſinn und Befoͤrderung aufwogender Leidenſchaften — 
gebracht werde; ſo iſt es bei denjenigen Individuen, die 
dereinſt durch Stand, Geburt und Erbrecht zur Regie⸗ 
rung berufen ſind. Denn je hoͤher der kuͤnftige Regent 
ſteht; deſto mehr erwartet auch das Volk, das ihm 
gehorchen ſoll, von feiner Perſoͤnlichkeit, und 
dieſe Perſoͤnlichkeit entſcheidet, nach dem Zeugniſſe der 
Geſchichte, gewoͤhnlich uͤber die Stellung des Regenten 
zum Sn» und Auslande, d. h. fie entſcheidet über die 


“ perfönliche Achtung, Liebe und Ankänglicjfeit, welche 


dem Regenten bei feinem Bolfe und vom Auslande zu 
Theil wird. Da nun ungewöhnliche Talente, als 
Ausftattung der Natur, nur felten verlichen werben; 
fo ift es die heiligfte Pfliche der Prinzenerzieher, daß 
fie das vorhandene Maas von geiftigen Kräften richtig 
beurtheilen,, und darnach die Entwidelung, Webung, 
Fortbildung und ben innern Zufammenhang zwifchen 
benfelben ebenmäßig berechnen, damit nicht nur das 
Wolf mit frohen Hoffnungen und Erwartungen auf 
feinen fünftigen Regenten im Voraus blide, fondern 
auch deffen Regierungsantritt mit Recht als ben An⸗ 
fang eines, für das innere und äußere Staatsleben 
böchft folgenreichen, Zeitraumes fegnend begrüße. 

Conr. Heresbach, de educandis atque eru- 
diendis principum liberis, reipublicae gubernandae 
destinatis. Torg. 1598. Fol. 

Varillas, la pratique de l’education des prin- 
ces. a Amst, 1686. 0. N. E. 1691. 8. 

Abbe Duguet, institution d’un prince; ou 
traite des qualitez, des vertus et. des devoirs 
d’un souversin. 3 T. Lond. 1743. £. 

Terfins Briefe an einen jungen Prinzen; aus 
dem Sawebiigen v. Reichenbach. 2 Theile. Leinz. 
1750. 8. 


7 
%. Bernd. Bafedomw, Agarhofraror, ober won 
Erziehung künftiger Regenten. Leipz. 1771. & 


Staacskunſt. 439 


Wart. Ehlere, Winke für gute Fürſten, Prin⸗ 
zenerzieheti und Volksfreunde. a Ih. Kiel, 1786. 8. 

Educstion civile d’un Priuce, ‚pet L. D. H. 

- & Durlac, 1788. 8. 

.Ludw. Anton Muratori, Anfangsgrände der 
Megierungstunft für junge Kärften; mit Anmerk. u. 
Aufägen von Karl Adolph Eäfar. Lpz. 1798. 8- 

Bine. v. Beauvais, Hands und Lehrbuch für 
Eöniglige Prinzen und ihre Lehrer; von Fr. Chſtph. 
Sqhlofſer. 3 TH. Frkf. am Main, 1819. & 5. 


20% | 
Die republifanifche Kegierungsform 


Der Grundcharafter der republifanifhen Res 
gierungsforn, im Gegenfaße der monardhifchen, 
beruht darauf, Daß der Regent in der Republif nur 
als ver hoͤch ſte Beamte des Staates, nicht aber 
bekleidet mit einer fuͤr immer heiligen und unveraͤnder⸗ 
lichen Würde, erſcheint, und Daß daher Die Rechte 
der Souverainerär in derKepublif nihteiner 
phyſiſchen Perfon, fordern dem ganzen 
Molke zuftehen, welches diefe Rechte, in der An» 
wendung, einer mor aliſchen (myftifchen) Perfon 
(dem Regierungsperfonale) überträgt, die feltenen 
Bälle ausgenammen, wo der Drang det Verhältniffe 
in Republifen zur Ernennung eines Dictators (doch 
immer nur auf furze Zeit) führte. — So mannig- 
faltig nun auch in der Gefchichte die Echattirungen 
der republifanifhhen Regierungsarten erfcheinen; fo‘ 
Laffen fie fih) doch auf zwei Hauptformen, auf. 
bie Demokratie und auf die Ariftofrasie, zu⸗ 
ruͤckfuͤhren. 


440 Staatskunſt. 


30. 
a) Die Demofratie, 


Das Wefen der Demofratie beſteht darin, 
daß die Rechte der Souverainetaͤt der Geſammtheit 
des Volkes zukommen, und von derſelben geltend ge— 
macht und ausgeuͤbt werden. In der ſogenannten 
reinen Demokratie wuͤrde daher keine Angelegenheit 
des oͤffentlichen Staatslebens ohne Vorwiſſen und 
Zuſtimmung des geſammten ſouverainen Volkes ver⸗ 
Bande und entfchieden werden koͤnnen, und biefe 

ntfheldung würde won der Mehrheit der Stim- 
men (101 gegen 100) abhängen. — Allein fo wie 
es fhon numeriſch feine. reine Demokratie geben 
fann *), theils weil alle Perfonen unter 16 Jahren 
(nah Suͤßmilch 323: 1000), die feines Stimm» 
vechts fähig find, theils alle Andividuen des weib- 
lichen Geſchlechts (die volle Hälfte von den übrig ge= 
bliebenen 772, — 386) abgerechnet werden müſſen; 
ſo iſt ſelbſt diejenige Demokratie in der Wirklichkeit 
nicht ausfuͤhrbar, wo alle vollj ährige Individuen 
"des männlichen Geſchlechts das Stimmrecht führen 
follen; es müßte denn eine folche Regierungsform ſich 
blos auf. eine einzige Stadt oder Gegend, 
mit ſehr befchränfter Bevölferungszahl, beziehen. 
Mie hat es eirien großen Staat als reine Demofra- 
fie gegeben. Deshalb erfcheinen auch die in der Ge⸗ 
ſchichte vorhandenen bemofratifchen Regierungsformen 
gewöhnlich als befhranfte Demofratieen, wo bie 
dem ganzen Volke zuftehende Souvirainetät von ge« 
wiſſen Repraͤſentanten geuͤbt, und die ‚Regierung 


— — — i— 


*) Sälözyers allgem. Staatsrecht, ©. 124 ff» 





Staatskunſt: gr 


fetöft, als ein vom Volte auf gemiffe Zeit, und: | 


mit 'mehrern oder wenigern Kinfchränfungen 


üdertragenes Staatsamt, fo wie mit der Ver 


antwortlihfeit.für bie vollbrachten Regierungs⸗ 
handlungen (entweder dem ganzen Wolfe, oder deſſen 
Repraͤſentanten), geführt wird, — Soll aber die 
Demokratie rerhtlich geftaltet ſeyn; fo muß beftimme 
werden, wer .als Mitglied zur .fouverainen Volks— 
verfammlung: gehört, unter "welchen Sormen bie. 
Verſammlung zufammentritt und die Rechte der Sou⸗ 
verainetaͤt übt, “auf weiche Art und nach welcher‘ 
Stimmenzählung ein Befhluß von der Verſammlung 
gefaßt wird ; and wie die gefaßten Befchlüffe und Ges 
feße angewandt und qusgeführt werden ſollen. Noth⸗ 
wendig muß daher in einer Demofratie durch Grund» 
gefege beftimmt werden, wer zu den activen (zu den 
öffentlichen Staatsangelegenheiten berechtigten) Buͤr⸗ 
gern gehört; wer das Volf zu den Urverfammlungen 
beruft; wie Die gefeßgebende und vollziehende Gewalt 
getrennt, und nad) welchen Bedingungen theils alle 
Staatsbeamte verantwortlich feyn ; theils die wech⸗ 
felnden Mitglieder der Regierung erfegt werden follen. 
(So wird 5. B. der Präfident der nordamerifanifchen 
Freiftaaten jedesmal auf 4 Jahre gewählt, ift aber 
wieder wählbar; dagegen beftand in Sranfreich, 
während ber Dauer der dritten Verfaſſung, von 
1795 — 1799, das Negierungsperfonale aus 5 
Directoren, von welchen jährlich Einer austrat; und 
wieder anders entfchied die vierte Verfaſſung Frank⸗ 
reichs [1799] über die Rechtedes erften Conſuls und die 
feiner‘ zwei Eoflegen u.f.w.) Die befchränfte (oder 
repräfentattive) Demofratie unterfcheider fi) aber 
dadurch von der Ariftofratie, daß die Volksvertreter 
Fein befondetes Standesintereffe geltend machen fön- 


kn 2 


442 GSuacckunſi. | 
nen, ſondern nur das allgemeine Intereſfſe des 
‚ Volkes felbft; daß alfo die Repräfentanten nicht im 
Eharafter von Bevollmächtigten, fonbern im Charak⸗ 
ter von Stellvertretern handeln; daß fie durch Wahl 
ernannt werben, und daß die Zahl der Volksvertreter 
nicht nach Ständen, fondern nach ber ef 
des Volkes tariftifch feftgefegt wird. 


. Die Demokratie, fo oft fie auch, als ben ur⸗ 
. fprünglichen Menfchenrechten am meiften entſprecheud, 
empfohlen worben iſt, gehört doch zu den unvollkom⸗ 
menften Regierungsformen, befonters die reine 
Demokratie, weil, bei dem Stinumrechte aller münbi« 
gen männlichen Staatsbürger, die Mehrheit ſelten den 
zwedmäßigften Enefehluß faffen wird; weil fer- 
ner in ber reinen Demofratie ber Ueberredungskunſt 
einzelner Demagogen, fo wie der Partheifucht und 
ſelbſt der Beftechlichfeie ein weiter Spielraum geöffnet 
iſt; weil, beider Veraͤnderlichkeit der öffentlichen Mei- 
nung, gewöhnlich die Stätigfeit in den Volksbe⸗ 
ſchluͤſſen fehle, und weil in denfelben — bei allem 
Anſcheine von Voͤlksherrſchaft — fehr leicht ber 
Defpotismus eines Einzigen Wurzel faffen fann. 
Selbſt die befhränfte Demokratie hängt in Hin- 
fiht der Wolfsvertreter zu fehr von dem Zufalle der 
Wahlen ab, fobald nicht eine erſte Kammer bie zu 
lebhaften Aeußerungen und Befchlüffe der Kammer 
der Volksvertreter mit Weisheit und Umficht zu mäßi« 
gen verfteht; und namentlich fehle es in ihr der Re⸗ 
gierung nicht felten an Stärigfeie, theils weil das 
Peerſonale derfelben nad) Ablaufe einer gemiffen Zeit 
ſich verändert, theils weil die Macht berfelben eben 
fo durch die fharfgezogenen Grenzen zwiſchen der ge⸗ 

feßgebenden und voliziehenben Gewalt, wie durch bie 


Stuatstunß. 443 


Benannt der Reglerungsbeamten befheite 


4 





⸗ 


©) Sehr wahr ſagt Sältier (am ans. Orte, ©. 128 f.) 
‚von der Demokratie: „Sle kann befiehen bei einem 
kleinen unverdorbenen unenltivirren Rolle, das 

‚ keine andere Gemeindegeſchaͤfte betreibt, als zu denen 


blos ſchlichter Menſchenverſtand gehört, wo nur ſo 


viel Denierungstunft nörchig IN, als „natura omnia '. 


animalia docuit,* Wei einem großen verfeinerten, 
d. i. verborbenen Rolle heilt ſelbſt die Schein de⸗ 
mokratie die Gebrechen nicht. — Bie iſt die deſpo⸗ 
tiſchſte aller Regterungsformen in beiberlei Verſtand. 
Mer Bann der Mehrheit der Faͤuſte widerfiehen? Und 
ba der Pöbel ärgere Launen, wie ein Oultan, hat; 
wer gittere nicht, wenn Ehre, Gut und Leben des 
Bürgers dieſer Pöbchlaune preis gegeben And? Die 
meiſten Demofrarieen find verkappte Ariſtokraticen, 
oder gar Monarchieen. Der große Haufen, durchs 
derungen von dem Gefühle, daß er geleites werben 
mäffe, folge, wie am Kappzaume, dem beredien 
Sprecher, der feiner ſich zu bemächtigen weiß. — 
Ahr Tod war von jeher Uneinigkeit, oder Bruch 
des erften Gefeges, daB die ruhige Mehrheit gelte 
(Ochlokratie), und daraus folgende Aufldfung, 
wenn die unterliegende Minorität in der Verzweiflung 
den Staat an Eremde verräch.” — Bo wenig es 
wahrſcheinlich if, daß de Prade ben Sdcloͤzer ges 
Icfen babe; fo ſtimmt er doch far in demfelben Ers 
gebniffe mit ihm überein: „Unterſucht man die vers 
fhiedenen VBebärfniffe der menſchlichen Geſellſchaften; 
fo findet man, daß die unumfhränkte Regierung 
die der ganz unwiſſenden Voͤlker iſt; die republis 
kaniſche die der Völker, bei welchen nur ein Theil 
aufgeklärt iit; Die vepräfentative DBerfaffung aber 
Die der Voirer ‚ deren Geſammtheit (Mehrzahl) aufs 
geklaͤrt iſt.“ 


Pa Staatskunft, 


PB). Die Ariftofratie, 


.. Das Wefen der, Ariftofratie befteht darin, 
daß die Rechte der Souverdinetät einem Collegium 
(einem fouverainen Rathe) zuftehen, der nicht dem 
Volke, fondern bios ſich felbft verantwortlich if. 
Nah der Geſchichte erfcheine die Ariftofratie unter 
zwei wefentlichen Grundformen: als unbefchränfte 
Ariftofratie, wenn das regierende Collegium alle Re— 
gierungsgegenftände ohne die Zuftimmung irgend einer 
andern Corporation des Volkes befchließen und voll⸗ 
ziehen kann, und als befhränfte Ariftofratie, fo 
bald das Collegium bei feinen Befchlüffen an gewiſſe 
‚Örundgefege und an die Einwilligung des Volkes, 
oder gewifler Corporationen gebunden ift. 

: Die Somverainetät gehört aber in der Ariftofra- 
tie dem ganzen-Regierungscollegium, fo daß jedes 
einzelne Mitglied deffelben,, und felbft der Vorftand, 
(Doge, Prafident ıc.) vom ganzen Collegium abhän- 
gig, und der legte gewöhnlich, nad) feiner perfönlichen 
Macht, fehr beſchraͤnkt bleibe. In Hinficht der Guͤltig⸗ 
. keit der Regierungsbefchlüffe enrfcheidet die Stimmen 
mehrheit der Regierungsglieder (mie in der Demofratie 
die Stimmenmehrheit des ganzen Volfes). Gewoͤhn⸗ 
lich eheilt fich das Regierungscollegium in zwei Senate 
(ben großen und Fleinen Rath), von welchen der eine 
die Gefege und Befchlüffe verhandelt, und der zweite 
fie vollzieht ( Theilung der gefeßgebenden und voll 
ziehenden Gewalt). u 

Die Ariftofratie erfcheint geſchichtlich theils als 
Wahl-, theils als Erbariftofratie. In der erften 
werden Die Mitglieder des Negierungscollegiums, nad) 
gefeglich beftehenden Beftimmungen über die Wahl- 


Staatstunfl, 445 


fähigfeie und das Wahlrecht (welche beide ges 
wöhnlich fehr befchränft find) und über die Dauer der 
Amtsführung, gewählt; in der zweiten aber befinden 


fi) gewiffe Familien entweder: Durch Geburt, . 


oder Reichthum, oder durch Eroberung im ausfchlie- 


‚ Benden Befige der in der Regierung beftehenden ein- 
zelnen Stellen, wo die patricifche Geburt, und die 


Erreichung eines gewiſſen Lebensalters (bisweilen mit - 


einigen Nebenbeftimmungen tiber Befig eines Grund» ” 


eigenehums, über die Erfigeburt in den patricifchen 
Gefchlehtern u. f. m.) den Eintritt in das Regie— 
rungscollegium entfcheibet. an 
Wenn nun auch, im Grgenfage der Demokratie, 
der Ariftofratie mehr innere Haltung, und mehr Ein- 
heit und Feftigfeit in ihren Befchlüffen zufommt, fü 
Daß namentlich in der Erbariftofratie gewiffe Regie- 
rungsgrundfäße unverändert von einem regierenden 
Gefchlechte auf das nachfolgende forterben; fo ift doch 
auch, nach dem Zeugniffe der Gefchichte, fein Staat 
dem Veralten feiner Formen, und dem Zurüdfbleiben 
hinter den lebendigen Fortfchritten des Zeitalters 
(Menedig, Bern u. a.) fo ſehr ausgefegt, alg Die 
Ariftofratie; in feinem wird die Härte des Drudes, 
der von einigen wenigen Familien -mit der ftrengften 
Folgerichtigkeit und oft mit abfichtlicher Anwendung 
und Steigerung der beftcehenden Formen gegen aus- 
gezeichnete Individuen (Hannibal in. Karthago) aus⸗ 
- gehe, ermpfindticher gefühlt, als in ber Ariſtokratie; 
- und während In der Erbmonarchie das Intereſſe des 
Regenten mit dem Jutereſſe des. Volkes gewöhnlich 
in Eins verfchmilzt , erfcheinen in der Erbariftofratie 
das Intereſſe der regierenden Familien und des Vol⸗ 
fes im fihnelbenden Gegenfage, weil diefe Familien 
ihre Macht, idren Reichtum, und igren Einfluß nur 


- 


46 Staatskunſt. 


auf Koſten der Geſammtheit des Volkes erweitern 
und ausdehnen koͤnnen. Je leichter in einer Ariſto⸗ 
kratie die Formen des öffentlichen Staats lebens ver⸗ 
ſteinern, und je leichter in den Ariſtokratieen das 
Bolt in feindlicher Stellung gegen die herrſchenden 
Familien fteht; befto leichter fann entweder ein 
Defpor in denſelben, mit feheinbarer Beibehaltung der 
-ariftofratifhen Formen, an die Spige des Ganzen 
treten (Sulla, Eäfar), oder defto ſchneller ftürze, 
bei irgend einem Andrange von außen, bie veraltete 
Staatsform der Ariftofratie (Niederlande, Bern ,) 
‚ und nicht felten mit ie der Staat felbft (Venedig) 
zufammen. 


32. 
Anhang. 
Die Theokratie. Der Bundesſtaat und 
| Staatenbund. 


| Zu den feltenen geſchichtlichen Erfcheinungen in 
Hinficht der Regierungsform gehören: die Theofra- 
cie, ber Bunbesftaat und der Staatenbund. 
Die abe ofratie beruht auf der "Annahme, 
daß Hort felbft, dem alle endliche Wefen zu unbe: 
dingtem Gehorfame verpflichter find, das unfiche 
bare Oberhaupt eines irbifchen Staates ſey, deffen 
Kegentenftelle aber von einem enblihen Wefen 
‚verteeten werbe. Allein wenn gleich, wohlverftan- 
ben, alle irdifche Macht und Gewalt auf Gott zurüd 
führt und von ihm ausgeht *); fo hat doch bie Ge⸗ 


*) Die im Miteelalter aufgelommene Formel: Dei gratis, 
| juerft von den majoribus domus des Frankenreihes 
gebraucht, war hrfpränglih eine Formel der Des 
much, nice Ausdruck einer unmistelbar von Bars 


Seaatskunſt. MT 


ſchichte gezeigt ‚ daß alle theofrafifche Regierungsfor- 

men eigerftlich auf der Herrſchaft einer Priefter- 
ariftofrarie beruhten, mit einem geiftlichen 
Oberhaupte aus ihrer Mitte an der Spitze; daß 
eine. folche Negierungsform ur ſpruͤnglich nur bei 
Wölkern, während des Zeitraums der Kindheit ihrer 
Cultur und politifhen Bildung, angetroffen wird, 
und mit dem Fortfchreiten in der Eultur und in ben 
Bedingungen des öffentlihen Etaatslebens gewoͤhn⸗ 
ih in die monardhifche Regierungsform (bisweilen 


mie Beibehaltung eines einflußreichen Priefterftandes. '. 
in der Nähe des Regenten) übergeht (z. B. im alten 


Aegypten). 


Recherches sur l’origine da despotisme orientel 
ot des superstitions. s. l. 2768. 13. 


Der politifche Charakter eines Bundesftaa- 
tes beruht darauf, daß er aus mehrern einzelnen, 
an ſich felbftfländigen,, von einander unabhängen und 
nach der Geftaltung ihres innern Staatslebens fehr 
verfchieben eingerichteten, Iheilen beſteht, die aber 
theils für die feitung ber allgemeinen inneren 
Angelegenheiten bes ganzen Zund sflaates, theils 
für die Behauptung ihrer Stellung gegen das 
Ausland und für alle Unterhandlungen mis dem⸗ 





abgeleiteten Bewalt, — fo wie fi der Papſt deu 


servum servorum ante. — Vergl. Schlözers 


©raarsr. ©. 119 ff. „Sehr begreiflich würde der 
Gehorſam Bes Ürenfhen gegen ein höheres Wellen, 
gar gegen die Gottheit ſelbſt, ſeyn; dieſe menge 
Ad aber nicht mehr unmittelbar im das menſchliche 
Herrſcherweſen, und es gefchehen Beine Wunder mehr. 
— Minos, Eyeurs, Numa und Mahomed 
befahlen nichte, als was ihnen Inpiter, Apoll, die 
Egeria ober ein Engel eins aud angegeben hatte.“ 


« 
\ 


. 


"aber auf die äußern 


448 ‚Staatskunft. 


ſelben, eine‘ gemeinfhaftlide hoͤchſte Regie 
‚eung..anerfennen, welcher in biefen beiden Be— 
ziehungen die Regierungen der einzelnen Theile unter- 
geordnet find. Waͤhrend alfo, jede, einzeine Provinz 
ſich ſelbſt regijerç und. verwaltee, ſteht der Regierung 
„des Ganzen das Hecht des Krieges, des Sriedens, 
"der allgemeinen Steuern, der Münze, der Ernen: 
nung der. Staatsbeamten, der gemeinfchaftlichen Hee⸗ 
resmacht, der Anlegung der Poſten, tandftraßen oder 
Sffentlichen Anftalten, und der Annahme und Ernen- 
nung Der Gefandten zu. (So die Schweiz, 
Mordamerifa und vormals die Niederlande.) 
Dagegen kuͤndigt fi) ein Staatenbund als 
‚eine völferrehtlihe Verbindung, ohne ges 
meinfchaftliches Negierungsoberhaupt, an, in wel 
chem alle einzelne Theile, nad) ber Geftaltung ihres 
innern tebens, als’ felbftftändige und von einander un- 
‚abhängige Staaten’ nach allen Souverainetätsredhten, 
und, in Hinficht auf Verfaffung, Regierung und Ver 
waltung , nad) Geundſaͤtzen und Formen weſentlich 
von einander verſchieden erſcheinen, die deshalb in 
Hinſicht auf die innern Verhältniffe nur für’ den 
gemeinfchaftlichen Zweck der Aufrechthaltung der in⸗ 
nern Ordnung, Sicherheit und Ruhe, in Hinſicht 
erhältniffe zu gemeinfchaft- 


- licher Vertheidigung und Behauptung alter ihrer durch 


Vertrag feftgefegterr Rechte gegen irgend einen feind- 
lichen Angriff aufs innigfte vereinigt ſind (3. B. der 
teütſche Staatenbund), - 
Joach. Erd. Schmidt, Diss. de. civitatis ori- 
gine civitgtumque systemate, exemplo reipublicae 
atavorum ıllustratis. len, 1745. A 
Era. Caro). Wieland, de systemate civita- 
tum; in fs opusc. scadem. Fascig. a. Chemuit. 
! 1790, & tee AIR, 


! | Staarsfunft. 449 


Ergebniffe der. Gefhichte und Staats— 
funft über die verfhiedenen Kegierungs, 
formen. | 


Alles, was Gefhichte und Staatsfunft, nad) 
‚ den Erfahrungen von wenigftens 4000 Jahren, als. 
Ergebniß aufftellen fönnen, ift im Allgemeinen: 


daß es 1) feine unbebin t vollfommene und. 


nothwendige Regierungsform gibt, welche gleich: 
mäßig für alle Voͤlker und alle Zeiten fich, eignete 
Daß vielmehr 2) die beziehüngsmeife (relativ) 
vollfommenen Kegierungsformen diejenigen geme- 
fen find, und noch find, welche aus der geſchichtlichen 
Unterlage des Innern Staatslebens ſelbſt hervorgin⸗ 
gen, und theils dem erreichten Grade bet ln fo 
wie der ganzen Eigenthuͤmlichkeit des Volkes, "das 
im Staate lebt, theils deffen ganzem Hrganismuns in 
Hinſicht auf bie Orundbeftimmungen feiner‘ ‚Betfaf 
fung entfprehen ($. 24). 

Xm Def ondern’ treffen aber Geräihe und 
Staatskunſt, in Hinſicht der verſchledenen Dugiei 
rungsformen, in folgenden Ergebuiffen zafpimmen: 

. 4) baß nur zwei Negierungsformen, bie mo 
nardhifche und die republifgnifche, in allen 
Beitaltern der Gefchichte, ‚als die beftepenften und 
bleibenbften angetroffen werben; 

2) daß alfo diefe beiden Kegierungsformen 
im Ganzen den verſchiedenartigen Bedürfniffen ber 
Völker und” Staaten am meiften zu entſprechen 
ſcheinen; 

3) bag — im Gegenfaße der alten und neuen 
Welt gegen einander — im Allgemeinen die gefitte: 
ten und cultivirten Staaten des Alterthums 

. . 29 


50 Staatskunſt. 


mehr zur republikaniſchen, als zur monarchiſchen — 
hingegen die geſitteten und cultivirten Staa⸗ 
ten der neuern und neueſten Zeit mehr zur mo⸗ 
narchiſchen, als zur republifanifchen Regierungsform 
fi) Hinneigen; 

4) daß in neuern Zeiten die republifanifche 
Meglerungsform nur da fih behaupten fann, wo 
die Staaten aus Kolonieen erwachſen und zur 
Selbſtſtaͤndigkeit gelangt find (wie z. B. in Amerika), 
während in Staaten, wo das monardifche Princip 
auf einer feften gefchichtlihen Unterlage beruht (3. B. 
in England und In Frankreich), die republifanifche 
Regierungsform blos eine voruͤbergehende Erfcheinung 


+ bildete; 


5) daß namentlich der politifhe Charafter ber 
neueften Zeit in Europa das Auflöfen der bis 
zum Ende bes 1Sten Jahrhunderts im europäifchen 
Staatenſyſteme beftandenen republifanifchen Reͤgie⸗ 
rungsformen (z. B. in den Niederlanden, und in 
$ucea), ja zum Theile die Auflöfung der Kepublifen 
felbft (Venedig, Genua, Ragufa) herbeiführte *); 

:: 6) daß aber, nad) dem Zeugniffe der Geſchichte, 
befonders des drei legten Jahrhunderte, beibe Re- 
gierungsformen gleichzeitig neben einander in 
einjelnen Staaten deſſelben Erbtheils beftehen können 

und beftanden haben, ohne das allgemeine politifche 
Gleichgewicht zu flören, und feldft ohne die Verbin- 
- bung monarchiſcher und republifanifcher Staaten zu 
gemeinfchaftlichen Zwecken zu hindern; 





*) Gr. Buchholz, über das Verſchwinden ber Repu⸗ 
bliten aus der Reihe der europälfchen Staaten; in 
“Journal für Teutſchland, 1815, Th. ı, ©. 378 ff. 





Staatskunſt. 451 


MN daß, mit den Forrfchritten der Voͤlker und 
Staaten in der Eultursüberhaupe, und namentlich in 
der Entwickelung und neuen Geftaltung des öffent 
lichen Staatslebeng, in vielen Staaten. und Reichen 
die unbeſchraͤnkten monardifchen Regierungsformen 
allnählig in befhränfte übergingen (in Großbri- 
tannien, ranfreih, Schweden, Norwegen, Mies _ 
derland, Spanien, Portugal u. a.); 

8) daß die erblihe Monarchie vor der Wahl: 
monarchie, und befonders vor deri-fogenannten Patri⸗ 
monialreichen ‚ ‚einen entfchiedenen Borzug behauptet; 

9) daß unter den repubtifanifchen Regie⸗ 

rungsfornien bie reine Demokratie zur Anarchke, die 
unbedingte Ariftofratie zum Stillſtande bes —28 
Lebens führe, uͤnd nur die repräfentarive Den—- 
kratie da beſtehen kann, wo fie (mie z. B. in vorme- 
ligen Kolonieen) aus der geſchichtlichen Unterlage des 
ganzen Staatsorganismus hervorgeht; 
10) daß endlich die ſogenannten Theokrä— 
tieen und Prieſterſtaaten nur einzeln? ind 
feltene gefchichtliche Erfcheinungen find, Die gewoͤhn⸗ 
lid — Bei dem Fortfchreiten der Völker in der Cul⸗ 
tur — in die monardifche Regierungsform (bei ben 
Hebraern, im preußifchen Ordensſtaate ıc.) fich auf: 
löfen, fo wie — nur aus ganz andern gefchichtlichen 
und politifchen Gründen — der Bundesftaat und 
der Staatenbund bios aus ganz örtlichen und zeit- 
gemäßen Berhältniffen zum politifchen Dafeyn gelan- 
gen fönnen. 

34. | . 
4) Die Verwaltung des Staates, alsbrik 
ter Beſtandtheil der Organiſation deſſelben. 
Die Verwaltung iſt derjenige Theil des Staats⸗ 

29 % 








PP Staatsfunft. 


organismus, Durch welchen alle Hauptbeſtimmungen 
ber Verfaflung und alle aus demfelben mit Nothwen⸗ 
digkeit. hervorgehende Folgerungen, vermittelt der 
beftehenden Regierung, ins öffentlihe Staats- 
leben treten, und in dbemfelben erhalten 
und befeftige werden. Die Verwaltung muß 
daher in der Verfaflung begründet und jeder 
Hauptgegenftand der Verwaltung in einem organi- 
ſchen Gefege des Staates ausgefprochen ſeyn; aflein 
die Verwirklihung aller einzelnen Theile und 
‚Gegenftände der Verwaltung Hänge zunaͤchſt und 
unmittelbar von der Regierung ab, welche des- 
halb auch, in der fehre von dem Staatsorganismus, 
in der Mitte ſteht zwifchen Verfaflung und Ver: 
waltung. Es darf mithin in der Verwaltung nichts 
. gefhehen, ohne das Vorwiſſen und den 
Willen des Regenten; ps muß alles, was bie 
Verwaltung betrifft, in feinem Namen gefchehen 
„und ausgefertigt werden; auch muß der Organis- 
mus der Verwaltung, obgleich geftügt auf die 
in der Verfaffung enthaltenen Gründzüge, im Gan- 
zen wie im Einzelnen, von dem Ermeflen des Regen- 
ten, als des Oberhaupts der vollziehenden Ge- 
walt im Staate, abhängen. 
So wie aber in’allem, was die Staatskunſt auf: 
ftefle, die Grundfäßge des Rechts und Die Regeln der 
Klugheit aufs innigfte verbunden werden müffen; fo 
auch in der Lehre von der Verwaltung des Staates. 
Denn nur fehr wenige und einfache Grundfäge ftelle 
die Vernunft, ale rechtliche Bedingungen für die 
innere und äußere Geftaltung der einzelnen Zweige 
und Theile der Verwaltung anf; die meiften Voör⸗ 
ſchriften für die zwectmäßige Anordnung der Verwal⸗ 
tung ftammen aus der Erfahrung und Gefchichte, und 


t 


— — 


Staatsfunft. 453. 


ſelbſt diefe allgemeinen Ergebniffe der Geſchichte 
müſſen, bei der Organiſation der Verwaltung in: 
jedem gegeben en Staate, ganz nach deffen befon- 
dern und örtlichen Werhältniffen und Beduͤrſ. 
niſſen beruͤckſ chtigt werden *). 


35. m 
Haupttheile ber Verwaltung. 


Die Verwaltung bes Staates, inwiefern ſie von 
dem Regenten, als dem Oberhaupte der vollziehenben 
Gewalt ausgeht, umfchließe cheils bie hödhften: 
. Behörden der Verwaltung; theils bie vier. 
einzelnen Theileder Verwaltung ſelbſt nach 
ihreim innern nothwendigen Organismus, ‚die Ges“ 
rechtigfeitspflege, die Poltzei, die Sinan«. 
zen und bie bewaffnete Made 

Weil aber die Staatskunſt fowohl in Hinficht . 
auf die Organifation der höchften Verwaltungsbehoͤr 
den, als auch in Hinſicht der zweckmaͤßigen Geſtal⸗ 
tung der vier einzelnen Theile der Staatsverwaltüng, ı 


zunaͤchſt den oͤrtlichen und voltachumlichen Ineeveſſen 


” ‘77 "würde. gegen alle Lehren der Stantstunf und Ges 
(dichte fepn, "wem 3. B. in einem Staate mit 
390,000 Menfchen, Byuölferung, eben. fo ‚vtele 

- Minifteria wären, als in einem Btaate mit 
30 Mil. Einwohnern; oder wenn man’ in einem 
Binnenſtaate einen befondern Marineminiſter er 
Rennen Wollte; oder wenn.man in einem Staate 
: „yon -30 — 5a,000 Eiaw. den ganzen Organismus 
ber Gerectigkeitspflege, der Polizet, der Finanzen 
‚..und des Militairs nach der Zahl und Abſtufung der 

"einzelnen Behörden in einem Staate von 10 Mill. 

Wenſchen nachzuahmen verſuchte! 


.4 


s \ ‘ , 
454 EStaatskunſt. 


und den aus der Geſchichte anderer Voͤlker und Staa⸗ 


ten bewaͤhrten Ergebniſſen folgen muß; fo find die 
aus der Vernunft bervorgebenden Bedingungen - für 
die rechtliche Geftaltung ber Staatsvermaltung 


(Staatsr. $. 36.) nur folgendes 4) daß der Orga- 


nismus der Verwaltung begründet fey in ber 
chen Form der Verfaffung, 'meil nur Dadurch 
in die Einzelnheiten. der Verwaltung. Finheit und 
innere Ba mmenba —— kann; 2) 
daß, nach ihrem Perfonake, die vier Haupttheile 
der Verwaltung ſtreng von einander verfdie- 
Den ſeyen, weil, einescheils mw durch dieſe Tren⸗ 


nung die Mißbraͤuche der in Einer Individuaütaͤt ver⸗ 
einigten verſchiedenen Gewalten verhuͤtet werden koͤn⸗ 


nen, und .amberntheils jeder Hauptgegenſtand der 
Verwaltung nicht nur eine eigenthuͤmliche Vorberei⸗ 
tung, ſondern auch in der Anwmendung die ungetheilte 
Kraft. eines ſorgfaältig dafuͤr gebildeten Beamten ver⸗ 
lange; und :3) daß die in den einzelnen Zweigen an⸗ 
geſtellten Beamten fuͤr ihre Amtsfuͤhrung veran t⸗ 
wortlich ſind. 2* a u oo 
- Rath diefen Anfichten ift!'Pöpe’s-fo oft gemiß- 
brauchter Ausſpruch: | 
„ Fpr, forma of:gover, t.let fools.contest, 
! Whatesersie bear adapiniejek ’ is the —* 
wie p. Jakvb (Einl. in die Staatswiſſenſchaften, 
S. 8 J ‚sehe wahr bemerkt, „ein ſchlechter 
Spruch, der gar'nuches fagt;” um v. 
Schloͤzer (Staatsr. & 115.) bemerkt von dem⸗ 
ſelben: „er tft nichewir umhöflich, fon 
dern aüch falſſch.“ Nie kann eine Verwaltung 


für ſich, Dig, nicht in eirſer zweckmaͤßigen Regie: 
ehrlichen Verfaffing ihre 


ı* 
.r 
. 

.. 


rungsform und iu einen,t 


Staatskunſt. 455 


Stipuncte hat, vorzäglich, geſchwelge die beſt⸗ 
ſeyn, wenn ſich gleich denken laͤßt, daß, abgen 
ſehen von der ihr mangelnden Begruͤndung une 
bei dem Abgange alles innern Zufammerhanges; 
durch Ordnung, Gewiſſenhaftigkeit und. vVerůͤck⸗ 
- fihtigung der örtlichen und Zeit: Verhaͤltniſſe ins 
Einzelnen vermitteift einer gut drganifirten Mer 
waltung manches geleiftet werden koͤnne! 

Karl Fr. v. Wiebeking, Vorſchlaͤge zur Eine 
richtung einse Staatsverwaltung im Allgemeinen und 
ber Berwaltungszwsige insbeſondere. Müud 18x15. Dr 

(Freih. u Malhus), Darftellung. des Orgas 
nismus der Innern ©taatsverwaltung und der For⸗ 
men für die. Gefhäftshbehandlung in derfelden. Mit 

Beilagen. Heldelberg, 1820. 8. — Derſelbe (und 
unter feinem Namen), der Organisinus der Schöte 
den für die Staatsvetwaltung. 2 Wände (der erfle 
in 8, der zweite in 4. Bosmulare enthaltend ). 

Heidelb. 1831, 
Karl Fr. Wild. Gerſt acker, Syſtem der ins 

- nern Staatsverwaltung und ber Geſetzpolttik. 3 Thle 
mg unbeendigt). Leipy. 1318 20. 8. u 


36. nr te vi. 


Die beiden Häuptſyſteme in ber Staatt 
‚verwaltung u 


Geſchichte und Staatskunſt ftellen für die We 
waltung, namentlich größerer Staaten, nur zwei 
nefpränglich weſentlich von einander verfdhiebene , 
Hauptſyſteme auf: das. ber Provinzialven 
waltung und das der Gentralvermaltung } 

Das Syſtem der Provinzialvermaltung; 
berußend auf dem gefchichtlichen Grunde des allmaͤh _ 





—— ne 


) v. Malchus, der Drganismus d. Behörden. ©. 5ff. 


A 





456: . Staatsfunft, \ 
ligen ‚Anwachles: der "meiften -europäifchen Staaten 
nach dem. Erwerbe und der Verbindung einzelner vor⸗ 
mals ſelbſtſtaͤndiger Länder und Provinzen; und auf 
ben vechslichen. Bedingungen Diefer Erwerbung, be⸗ 
ſteht darin, Daß jede Provinz des Staates ihre befon- 
bare innen Geſtalcung :mit eigenen Behörden, sicht 
felten mit. inex;pigenthümlichen Verfaſſung und beſon⸗ 
dern Gefegen behält, fo daß .iede:ginzelne Provinz 
geriffermafen ein.in ſich abgefchloffenes Ganzes bil- 
et, Das von ben: übrigen Theilen deflelben Staates 
weſentlich verfchieben iſt, und wedurch die Geſammt⸗ 
vderwaltung Bes'gatizen Staates nur als das Aggregat 
gleishäeprdnergr Thelle erſcheitt. 
Dasgegen beruht das € entralfyflem in der 
Verwaltung auf einer gemeinſamen Verfaſſung, we⸗ 
nigftens auf⸗gewiſſen gemeinſchaftlichen Grundgeſetzen 
für alld einzelne Provinzen des Staates, fo daß, nach 
benfelben,, . fümmplihe Gegenſtaͤnde der Verwaltung 
nach allgemeinen. Beziehungen (z. B. nad) dem Zu⸗ 
fanmenbhangenller Juſtiz⸗ der alter Polizei= oder 
aller Finanz» Behörden im ganzen Staate unter fid) ) 
vertheilt und angeorbnet, und rüdwärts in gewiſſen 
hochſten Sebärpen ‚für jeden einzelnen felbftfländigen 
Zweig der Verwaltung, censrafifire find 
Wenn aud) das Provinzialfyftem in der Ver⸗ 
walfung mehnete: Jahrhunderte hindurch ausreichen 
umd felbft zweckmaͤßig fenn konnte; ſo vermochte es 
doch nicht ‚. bei den geſteigerten Beduͤrfniſſen der mei⸗ 
ften Staaten, bei Der. allmaͤhlig ͤberall zur — 
gekommenen Idee von der nothwendigen Einheit 
bes Stagates, und bei dem, Worgange mächtiger 
Staaten in Hinfihe der Annahme des Centralſyſtems, 
fi) im Ganzen länger zu behaupten. Selb da, wo 
man in den einzelnen Provinzen die gug frühen Zei⸗ 


” 





/ 


Staatskunſt 03.457 


con beſtehenden eingelnen- Behoͤrben beihehielt, : fah 
man fich genoͤthigt, fie wenigftens unter Aufſicht 


und Leitung der neu angeasdnesen Centrabbehörden zu 

ſtellen. .. ! ı . 

er a —8 FE 
| 8 rtfegeng 


Allein mern: auch die: ‚Unsafltommenpeiten. und 
Bereingelungen:ire Provinzialſyſteme. der Verwaltung 
fo deutlich hervortraten, daß das Uebergewicht der 
öffentlichen Meinung Ind der Staatsmaͤnner für Die 
Einführung des Centralſyſtems ſich erklaͤrte; fo iſt 
doch auch gegen das letztere erinnert worden, daß es 
die. Yureaufratie‘, und baid ben geheimen, bald den 
öffentlich hervortrecenden Defporismus ber Beamten 
befürbene: 


Bei allen anerfannten Worzügen des Central, 


foflems vor dem Provinzialfufteme fcheint daher gegen 
den mögliden Mißbrauch. des erſten , we ier lei 
erfordert zu werden: 
“.. 1) daß bie Gefammtoerwaltuitg im Staäte in 
_ drei Theile jerfalle: Gemeindeverwaltung, 
rPBrovinzialverwaltung und Central⸗ 


Staate) voerwaltung; von welcher die Gemein | 


*deverwültnngeganz den Gemeinden ſenbſt 
(doch. unter Oberaufſicht und Eontrofle des Staates 

und unter Berantwortlichfeit ber Gemeindebeam- 
ten) ublerlaffen bleibe 9, bei, ber Pronin 


it. Iy% 4. f ut. tt» 
nenn sm — 


*) Nur aus. der. Gemeindeverfaſſung im Mittalalter 
(haupt ſoͤchlich als die Städte aufzubluͤhen begannen), 
+, wind ‚eh erklaärbar, wie man damals fo wenig 
Staatsbeamte braudte, und doch das Verwaltungs⸗ 





ã388Erctaats kunſt. 


jlalvero al tung hingegen ernannte Eecaatsbe⸗ 
Paeden ( Kreichauptleucs, Amtshauptleute, Land⸗ 
xãatho y. fine) an dor Epitz⸗ oben, doch fo, daß 
Ihnen freigewaͤhlte Magiſtratsperſonen aus der Pro⸗ 
vinz mit berathender Stimme zugeordnet ſind; die 
Centralverwaltung aber ausſchließend in den 
Haͤnden von Steagsbeaunsen ruht, welche der Re⸗ 
gent ernennt, bie aber , nach den in der Verfaſſung 
enthaltenen Beftinmungen , uber dem Regenten, 
Auch den SBertreseen des Volkes verantwortlich find. 
Bei dieſem Syſteme beruht die Staͤrke der Ver⸗ 
waltung zuerft: auf einer zweckmaͤßig geſtalteten 


ng 
D 





' 


geſchaͤſt geordneter. wer, ala. bei der Angabl der 
Sitagtéediener neuerer Zeit, befpmbers.wie, bei jener 
Semeindeverfaffung,, die höhere Bluͤthe und Kraft 
ber, einzeinen, Munisipalitäten fi entfalten Eonnte. 
Naoch bis jetzt beruht die Stärke ber brittifhen 
n. Berwaltungsſorm auf ber dert beſt ehenden Gemein⸗ 
si, Bedorfaffung s- allein. das Mittelg lied der Pros 
vinzialverfaffung reiht in Großbrisaunien nicht 

gi 9a welꝭ hie Gheriffk nicht dafür.-gelten können, 
„ und bie Eentralverwaltung gehet auf. in der Bere 
vordgtingefung der einzelnen Dintfterdepartementd. — 
2... Do · uͤtten Fran Ereigsnasere Verfafſungen daran, 
1. Mad Vemekudenenmaltung gaͤnzlich ver 
. :agWen- war, daß der Mravinzialverwaltung, 
... am deren Spige der Präfest ſtand, zwar nicht die 
I Mirkfamikeit und Schnelfraft, aber die eigentliche 
Berathung (bet der Ohnmacht der Präfeeturräthe ) 
1: Aund die Höhere Ehritvolle fehlte, fol daß oft Bie € ene 
tralverwaltung dieſe Lücen nicht auszugleichen 
vermochte. — Es gehört teutfhen Staaten (z. B. 

st Bupern, Bitrtemberg u. a)” das WVretdienſt, 
+ Rirfe Mängel gefühlt: und erfeßt zu haben, auch in 
Baden iſt neuettich eine Gemeindeordnung zur 

GBetathung Beide) Kammern gelommen. - 


— 


Staatskunſt. 459 


Gemeindéeordnungz weil: cheile. bie pe 


fernte Kegierung nicht alles im Einzelnen beobach⸗ 
ten kann; theils die Verwaltung nur auf dieſe 


Weiſe das Ganze des Staates in allen einzelnen 


Theilen umfchließt, und die Kräfte Aller zu Einem 
Zwede.in Anſpruch nimme und verbindet; heils 
. Nachtpeil. des Ganzen, ‚vermindert und der. Ge⸗ 
ſchaͤftsgang vereinfacht werden fann. Darauf folge 
die Provinzialvermaltung, welde die ein- 
zelnen lanbfchaftlichen Intereſſen und Beduͤrfniſſe 
wahrnimmt und befriedigt, die — beſonders in 
großen Reichen — außerdem nicht vollfländig und 
treu zur Kenntniß der Centraßwerwmaltungsbehörben 
fommen würden. Endlich muß die Sentralver- 
waltung nicht nur die legte Inſtanz für alle 
Provinzialverwaltung‘, fondern zugleich ber 
. Mittelpunct der geſammten Staa ts verwal- 
tung ſeyn; 

2) Daß die Verwaltung im. Staate weder bl 98 
collegialifch, noch blos bureauartig he— 
. trieben werde. Wenn bei, der collegialifchen 
. Behandlung der Verwaltung allen Mitgliedern; der 
Behaͤrde gleich maͤßig es Abſi immungs⸗ 
recht zukommt, und der Borftand-der Behoͤrde 
blos primus inter pares ift, der die Angelegenheis 
ten vorträgt, leitet, und bei Gleichheit der Stim- 
men ben Ausihlag gibs (fo daß feine: Stimme 
für zwei gilt); fo hatdiebureauartige Ver- 
- waltung: das Cigentbönliche, y DAB die Mitglieder 
der Behörhe bips berathend.e (nicht-decibiyeghe): 
Stimmen haben, und ber Vorſtand als Chef 
des Ganzen erfheint, der aus eigner Machtvoll« 
fommmenheit ‚ngefugen. unh ‚entfeheiben ‚Tann, und 


‘ 
0 


+ 


460 Staatskunſt. 


Fabft nur nach "eigenem Gutduͤnken bie Mitglieder 
der Behoͤrde um ihren Rath befragt, ohne ſich an 
denſelben bei der Entfcheidung zu binden ‚ oder ein 
"Stimmrecht feiner Raͤthe anzuerfennen. - Für die 
Zwecke des Staates hat die collegialifthe Be— 
teeibng der Verwaltung mehr Sicherheit, Um⸗ 
ſicht, aber auch mehr Sangfamfeit und Breite; 
“hingegen die bureauartige Behandlung mehr 
: Rürze-und Kraft, nur daß fie auch leicht zur Ein« 
 feieigfeit. Oberflaͤchlichkeit und Willkuͤhr führe. 

Deshalb fcheinen beide Verwaltungsformen ver- 
- bunden werben zu müffen, fo daß namentlich bei 

“ allen Gegenftänden der Oerechtigfeitspflege 
- die bureauartige Verwaltung völlig ausges 
ſchlofſen bleibe, bei einzelnen Zweigen ber 
Dolizei aber bie bureauartige Gefhäftsführung 
" den Vorzug vor ber collegialifchen verdient, bei der 
Sinanzverwaltung in der Bera thung der 
Gegenftände die collegialifche “Betreibung, bei 
der Yusführung derfelben aber die bureauartige 

* anwendbar fiheint, und endlich — nad) fefter Be⸗ 

" grändung des Militairfyftemsim Staate — 

bdieſes in der Berathung gleichfalls der coflegiali- 

ſchen Einrichtung, in der Ausführung der bureau⸗ 

“ artigen Leitung bedarf; 

38. 
Aligemeine Grundföge für die Verwal— 
- tung. 
Wenn eine Staatsvermaltung ohne Verfaffung 
ihrer feften Unterlage ermangelt, und jedesmal, die 
Verwaltung von der Verfaffung abhängig ift*); fo 





N Bergl. den Recenfenten der Schrift von v. Malchus, 


x 
8 


Staatskunſt. 461 


beif doch nicht verkannt werden, daß, während bie. 
Verfaſſung als ein unveränerliches Ganzes erfcheint,. 


die Verwaltung von vielen örtlihen und Zeitbedürf: 
niffen abgängig, mithin im Einzelnen mandjen Ber. 
änderungen unterworfen bleib. So wie z. B. der 
bedeutende Anwachs der Volksvermehrung In einer 
langen Friedenszeit Die Vermehrung ber bei einzelnen 
Verwaltungszweigen angeftellten Beamten nöthig 


‚machen kann; eben fo fonnen auch, nach dem Willen‘ 
des Regenten und nad) dem Ermeſſen feiner Minifter, . 


welhe an der Spiße der. gefammten Verwaltung 


ftehen , wefentlihe Veränderungen in dem Organis« 


mus der Verwaltung vorgenommen werden. Deshalb 
ift es ſchwer, in ber Staatskunſt allgemeine 
Grundfäge für die Verwaltung aufzuftellen. Diefe 
dürften fich aber doch auf folgende zurückführen laffen: 

4) Die Verwaltung behaupte den Charakter ber 


hoͤch ſten Einfachheit, bewirkt durch das ſorgfäl⸗ 


tig berechnete und aus emittelte Ineinandergreifen 
aller einzelnen Theile —8 


2) ©o viele Hauptzweige ber Verwaltung | 


wefentlih von einander verſchieden find; fo 
viele Hauptarten von Anftalten müffen auch für bir 
Geſchaͤftsfuͤhrung beftehen. 

3) Für jeden einzelnen Zweig der Verwaltung 
dürfen nur fo viele Behörden und fo viele Be— 
amten beftehen, als, nad den wpographiſcher, 


der Organiemus der Behörden ıc. im Hermes, St. 
VI, ©. 123: „Rein Staat, der wirklich den 
Namen eines Staates verdient, kann ohne Verfafs 


fung ſeyn; die Verfaffung iſt aber die. 


Richtſchnur der Verwaltung, und diefe 
die Ausführung der erſtern.“ 


x 


462 . "Staatsfunft. 


ſtatiſtiſchen und politiſchen Verhaͤltniſſen eines gege— 
benen Staates; weſentlich zur gleichmäßigen und 


erfchöpfenden Betreibung der DVerwaltungsgefchäfte 


‚nöthig find. ' 


4) Nach dem ftaatswirthfchaftlichen Grundfage 


der Theilung der Arbeit, müffen die Gefchäftsfreife 


ber Ober-, Mittels und Unterbebörden 


durch forgfältig ermögene Inſtructionen gegen einan- 
der fcharf abgegrenzt, und ihre gegenfeitigen Verhaͤlt— 


. 


. :niffe genau 'beftimmt werden. 


5) Den einzelnen Beamten muß, neben ihrer 
DVerantwortlichfeit, ber möglihft freie Spiel- 


"raum in der Betreibung ihrer Gefchäfte gelaf- 


fen, und die Form diefer Gefchäftsbetreibung nicht 
mit Pleinlicher Kengftlichkeit vorgefjtieben werden. ' 
6) Zwiſchen fubordinireen und ſubalter— 


nen Staatsdienern *) muß genait unterfihieden wer- 


den, indem den lestern feine Selbfiftändigfeit und 
kein eigenes Urtheil zuſteht, weil fie nur zu mechani⸗ 
ſchen Huͤlfsleiſtungen (zum Copiren, Rechnen u. fm.) 
angefteflt find, ‚dagegen die erſtern, vermöge ihres 


. Amtes, eine eignd Wärbe beſitzen, und Ihre Gefchäfte 


ſelbſtſtaͤndig, wenn 'gfeith der hoͤhern Aufficht und 


Weiſung unfergegrdnet, nad) der ihnen ertheilten 


Vollmacht vollziehen muͤſſen. Daraus folgt von felbft, 
daß Fein in ber Verwaltung angeftellter Staatsbe- 
amter, ohne gerichtliche Entfcheidung; feines Dien- 
ftes entlaffen werden fann, daß aber die bloßen 
Subalternen diefes Recht nicht in Anſpruch nehmen 
dürfen, fobald ihnen nicht bei ihrer Anftellung eine 
Verfiherung deshalb erteilt wird. . 

7) Die Stellung der Suborbdinirten 


*) Hermes, St. XVII, ©. 131. 


8 


Staatskunſt. 463 


zu ihren Vorgeſetzteir, ſo wie das ſogenannke 
difeiplinarifche Verfahren gegen Staatsdiener, 
muß zunächft von allgemeinen Grundfägen der Ger 
eehtigfeit ausgehen und anf beftimmten In⸗ 
ftructionen beruhen, damit eben fo afler Willkuͤhr 
vorgeſetzter Staatsbeamten gegen ihre auf einen be⸗ 
ſtimmten Dienſteid angeſtellten Subordinirte, wie 
aller Ungebundenheit von Seiten der Subordinieten 
gegen ihre Vorgeſetzten vorgebeugt werde. Nur dar⸗ 
aus kann eine gerechte und zugleich liberale Controlle 
hervorgehen, und zugleich das Taͤuſchen der Auf⸗ 
fihtführenden vermieden werben. Be 
8) Die Befoldung aller angeftellteh Staats» 
beamten muß nad) den Berhälmiffen des Sttes; wo 
die Behörde: ſich befinder, nad) ben allgemeinen 
Zeitbedticfniffen und nady den Rangabftufungen bet 
Staatebiener beftimmt, im Allgemeinen aber muß als 
Grundſatz angenommen werden, daß jeder von feinem 
Staatsamte ohne zufälligen Erwerb und Sporteln 
leben fönne, wobei befonders die Beftehtung afs 
eins ber größten Verbrechen im Graatspiäifte ger 
ähndet werten uf 2 
9) Man gebe endlich das traurige Vorurteil 
auf, ven Staatsbeamten bei einer unzureichenden Ber 
foldung auf Sporteln- anzumeifen. Denn abge: 
fehen von dem nachtheiligen Lichte, das beſonders auf 
die Verwaltung der Gererhtigkeitspflege bei: der Bei⸗ 
behaltung von Sporteln füllt, und von ben mit. dem 
Sportelmefen verbundenen Ungewißbeit der Geſammt⸗ 
einnahme des Staatsbeamten, ift das Sportelweſen 
theils der Sittlichfeit des Volkes hoͤchſt nach⸗ 
theilig, theils nach ftaatswirchfhaftlihen 
Grundfägen verwerflich, weil das, was im Bud⸗ 
get an der Befoldung der Staatsbeamten erfpart zu 


x 








464 | Staatskunft. 


werben. ſcheine, doch durch die Sporteln aus dem 
Molksvermögen ‚ und zwar auf einem weit willführ- 
lihern Wege, als vermittelft des von den Wolfsver- 
- trefern angenommenen und geprüften Dudgets, auf⸗ 
getrieben wird, 


39, 
Die hoͤch ſten Depörden der Staatsver- 
"waltung. | 


‚Unter den hoͤchſten Behoͤrden der Staatsver⸗ 
waltung werden Diejenigen Mittelpuncte der Ber- 
waltung verftanden, an welche alle Angelegenheiten 
ber Verwaltung aus dem ganzen Umfange des Staa- 
tes gelangen, und in welchen diefe Angelegenheiten 
forgfältig beratben, entſchiedeg, fo wie den 
untergeonbneten Behörden zur. Ausfäührun 8. mit 
getheilt werden. 

Der Regent, als das Öberpaups: afler voll- 
ziehenden Gewalt im Staate , kann ie in bie pe 


aıedb 9 


einen Namen, und nad Are — 
wirken, und alle Baamtenanftellungendurd 
ihn geſchehen. Allein es beſteht in einigen, zunaͤchſt 
‚in autokratiſchen Staaten, neben ber. Gefarmtpeit 
ber Minifterien, noch ein befonderes Kabinet des 
Kegenten, in weichem die an die Perſon des Regenten 
unmittelbar gerichteten Gegenſtaͤnde , durch Vortrag 
der angeſtellten Kabinetsraͤthe, zu deſſen Entſcheidung 
gebracht werden. Soll in dieſe Kabinetsentſcheidungen 
nicht Willkuͤhr ſich einmiſchen, welche, na Wiſſen 
und Willen des Regenten, von einem einfeitigen oder 
oberflächlichen Vortrage der Gegenſtaͤnde ausgehen 


Staatskunſt. 465 


koͤnnte; fo muß das Verhaͤltniß dieſes beſondern Ka: 
binets gegen die eigentlichen Miniſterien nach feſten 
Grenzlinien beſtimme, und auch bie Form des 
Gefcyäftsganges bei demfelben allgemein befannt feyn, 
weil das Marterielle des Vortrags dın Kabinette; 
feiner Natur nach, felten zur Publicirät gelangen kann. 
Denn wenn entfchieden da, wo ein folches Kabinet bes 
ſteht, die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, 
das Gefandtenmwefen, die Bamilienverhältniffe des 
Regenten zu auswärtigen Dpnaftieen, die Standes» - 
erhöhungen, die Orbensverleihungen, die Begnadis 
gungen, überhaupt ſaͤmmtliche Hof⸗ und Gnaden⸗ 
fahen, zum Gefchäftsfreife deſſelben gehören; fo 
wide e8 doc) bedenklich feyn, wenn durch Kabi—⸗ 
netsbefehie in den Gang und die Entſcheidungen 
ber Gerechtigfeitspflege und der Finanzverwaltung 
eingegriffen, ober eine geheime Polizei angeord- 
net werden follte. F 

Die weſentlichen hoͤch ſten Behoͤrden ‚ver Ver⸗ 
waltung ſind: | 

1) die einzelnen Minifterien, doch fo, 
daß die Minifter ſelbſt, für die Gefammtangelegen« 
heiten des Staates und für die Bewirfung der Ein- 
beit in den ihnen anvertrauten Hauptzweigen ber 
Verwaltung, einConfeil (einen geheimen Rath) 
unter dem Vorfiße Des Negenten, oder eines dazu von 
ihm ernannten Präfidenten (Staatsfanzlers) bilden. . 
2) der Staatsrath, bald als eine beras 

thende, bald auch als eine entfheidende Be 
hoͤrde geftiftee, nach feinen Individuen in fo viele 
Sectionen getheilt, als Hauptzweige der Verwal: 
tung in einem gegebenen Staate felbftftändig organifirt 
find, und hauptſaͤchlich dazu beftimmt, alle Geſetzesvor⸗ 
I. 30 


— 


466 Staatskunſt. 


ſchlaͤge (welche entweder den Volksvertretern vorge⸗ 
legt, oder im Staate befannt gemacht werden follen), 
reiflich zu überlegen und zu bearbeiten. Wo ein 
Staatsrath mit die ſer Beſtimmung und mit diefer 
Stellung zu ben übrigen Verwaltungsbehörden be» 
ſteht, ift eine befondere fogenannte Gefeg- 
commiffion überflüffig. 

3),die Seneralcontrolle °), als diejenige 

Behörde, welche über die Beobachtung und Bewah- 
rung der Verfaflung und der Grundgefege des Staa- 
tes , über die gleichmäßige Verwirklichung des ganzen 
Verwaltungsſyſtems, ‚und über alle in dem innern 
Staatsieben wahrgenommene Unvollfommenpeiten, 
: tüden und Mängel zn wachen ,. namentlich aber bie 
Sinanzverwaltung ber ftrengften Aufliht zu 
unterwerfen hat, 

Neben diefen hoͤchſten Behörden ift in allen 
autofratifhen Staaten, und in verfaflungs- 
mäßigen Staaten, wo die Volfsvertreter nicht 

in zwei Kammern zerfallen, ein Senat *®), 
mie felbftftändigem Gefchaftsfreife, erforderlich. 


*) Wenn Einige, namentlih v. Malchus (am angef. 
Drte ©, 59.), eine Oberrechnnugskammer 
unter die böhften felbiftändigen Verwaltungsbe⸗ 
börden aufnehmen; fo fheint doch das, was dies 
felbe zu einer der hoͤchſten Behörden erheben könnte, 
da, wo eine Öeneralcontrolle befteht, die ſer anzus 
gehören, und das, was ihr in finanzieller Pine 
ſicht eigenthuͤmlich iſt, unter der Leitung des Finanzs 
minifiertums fehen zu muͤſſen. Wo dies aber dee 
Fall iſt; da kann die Oberrehnungstammer mit den 
genannten hoͤchſten Verwaltungsbehoͤrden nicht auf 

gleicher Linie ſtehen. 

“*) Rußland hat einen maͤchtigen und einflußreichen © es 
nat in .der Hauptſtadt ale höchſte Behorde des 


‚Staatsfunft, 465 


40. 
4) Die einzelnen Minifterien. 


Nach der Grundlehre der Staatsfunft, daf dag 


geben eines jeden Staates in das innere und äußere 
‚zerfällt, gibt es eigentlich nur zwei Minifterien: 
das für die innern, und das für die auswärtis« 
gen Angelegenheiten. Allein, wenn aud) die Kräfte ' 
Eines Staatsmarines dazu hinreichen, die oberfte ' 


Seitung aller zum Kreife der auswärtigen. Anges 


Reiches; doch ward int Jahre 1810 neben ihm ein 
Reichsrath (Eonfeit) errichtet, der in die vier 
Abtheilungen der Geſetzgebung, der Gerechtigkeits⸗ 
pflege, des Kriegsweſens, und der innern Angeles 
. genheiten überhaupt (Aderbau, Babriten, Handel, 
Finanzen, Schulwefen uud Medicinalangelegenheis 
ten) zerfällt. — Frankreich Hatte von 1799 — 
1814, nad den Vorfchriften der vierten Verfaſſung, 
einen fogenannten Erhaltungsfenat, defien 
verfalfungsmäßige Beftimmung von hoher Wichtige 
keit war, weil ihm zuftand, aus dem Nationals. 
verzeichniffe Die Mitglieder des gefekgebenden Koͤr⸗ 
pers, des Tribunats, des Conſulats, die Eaffationss 
richger und die Rechnungscommiſſarien zu ernennen ; 
alle Verhandlungen, die ibm als verfaffungswidrtig. 
von der Regierung oder vom Tribunate angezeigt 
wurden, zu beftätigen, oder zu vernichten, und die 
Verfaffung ſelbſt durch organifhe Senatusconfulta 
zu ergänzen und zu verändern. Ob er nun gleich 
in fpäterer. Zeit zunächft ein Werkzeug: des kaiſer⸗ 
lichen Willens war; fo war doch feine politische 
Stellung und Macht dadurch fehr geſichert, daß alle 
Senatorftelleh lebenslanglich ertheilt wurden, 
und fein Senator abfekbar war. — ' Seit ber‘ 
Einführung der conftitutionellen' harte (1814) in 
Frankreich ſind die meiflen Functionen des Senats 
auf die DPalrsktammer übergegangen. 
30 ? 


468 \ Staatskunſt. 


legenheiten gehoͤrenden Gegenſtaͤnde zu fuͤhren; ſo iſt 
es doch bei jedem Staate, deſſen Geſammtbevoͤlkerung 
über eine halbe Million ſteigt, nicht mehr mög- 
lid, — und felbft da, wo die *Bevölferung nicht 
einmal dieſe Zahl erreicht, nicht rathſam, — daß 
ein Einziger alle die verfchiedenen Hauptzweige, welche 
zum Minifterium bes Innern gehören, und welche 
die ganze Wirffamkeit, Geftaltung und Fortbildung 
des innern Volkslebens umfchließen, mit gleicher Sach- 
fenntniß, Kraft und Thätigfeit leite. Deshalb zer: 
fälle die feitung bes Innern in den größern Staa- 
ten gewöhnlicy in folgende einzelne Minifteria: 


41) das Minifterium des Innern, im 
engern Sinne des Wortes. hm gehört die Auf: 
rechthaltung der Verfaſſung des Staates nad) ihrem 
ganzen Umfange und nad) allen ihren einzelnen Be- 
ftimmungen; die, Leitung aller Mitcheitungen zwifchen 
dem Regenten und den Volfsvertretern; die Verän- 
derungen in der geographifchen und ftatiftifchen Ein- 

ilung des Staates nad) feinen. Provinzen und Bes 
zirken; die Oberaufficht über das gefammte Staats- 
eigenthum, und über alle für die Verwaltung jm 
Innern angeftellte Behörden; die Beftimmung und 
zeitgemäße Verbeſſerung ber innern Geftaltung aller 
dieſer Behörden und ihres Gefchäftskreifes; die Be⸗ 
wahrung aller Oberhobeitsrechte des Regenten im Um⸗ 
fange des Staates; die Oberaufficht über den Land⸗ 
und Bergbau, über die Forſten, über die Gewerbe 
(Manufacturen und Babrifen), über den Handel, 
(über das ftatiftifhe Bureau), über Kunftftraßen, 
Kanaͤle u. ſ. w. 


(Wenn in mittlern und kleinern Staaten nicht 
beſondere Minifterien ber Polizei und des Cul⸗ 


x Staatskunſt. | u 469 


eu 8 [vielleicht felbft des Handels] beftehen , gehoͤ⸗ 
ren auch die Gegenftände diefer Minifterien zum 
Reffort des Minifters des Innern.) | 

2) das Minifterium für die Gerechtig— 
feitspflege. Won dem Juſtizminiſter haͤngt ab 
die Einrichtung und Vertheilung der Gerichte, bie 
Ernennung und Befoldung aller Beamten und die 
Ausmittelung und Verwendung aller Fonds für bie 
Gerechrigfeitspflege, die Bewahrung ber Rechte feines 
Departements gegen die Eingriffe andrer Staatsge⸗ 
walten (3. B. durch Kabinetsbefehle in Juftizfachen; 
durch Errichtung außerordentliher Gerichtshöfe), 
und die Oberaufficht über die Anwendung des bürger- 
lihen und Strafgefegbuches, des Handelsrchts und 
des Geſetzbuches für das gerichtliche Verfahren, fo 
wie die Oberaufficht über die Gerichtshöfe aller In⸗ 
ftanzen, über fammeliche Richter, uͤber die Colliſio⸗ 
nen unter -den einzelnen Gerichtshöfen, über alle 
Rechtsanwälde u. ſ. w. Selbſt bei ver Ausübung 
des DBegnadigungsrechts von dem Regenten muß er 
zuvor gehört werben. — Allein nie darf der Juſtizmi⸗ 
nifter in die Ausfprüche der Gerichtshöfe und in den 
Gang des gerichtlihen Verfahrens eigenmädtig ſich 
einmifchen, nie die Selbftftändigfeit und Unabhän- 
gigkeit des richterlichen Anfehens entweder felbft be- 
fhränfen oder befchränfen laflen, oder gar bie Rich» - 
ter, welche dem Gefege und ihrer Ueberzeugung folg- 
ten, beeinträchtigen und zuruͤckſetzen. Durchdrungen 
von der Heiligkeit und Unabhäangigfeit der Gerechtig- 
feitspflege, muß ber Juſtizminiſter felbft das erfte - 
und entfcheidende Beiſpiel der ftrengften Anerkennung 
diefer Heiligkeit und Unabhängigkeit geben. Denn 
wenn bie bürgerliche Freiheit und das Recht auf ber 





0 Staatsfunft. 


Unverbruͤchlichkeit der Befolgung der Gefege beruhe; 
fo darf der hoͤchſte Staatsbeamte in diefem Fade nie 
von der Entfcheidung der Öefege difpenfiren, ober in 
dieſer Entſcheidung willkuͤhrlich andern. 


3) das Miniſterium der Polizei. Dem 
Polizeiminiſter — ſobald die Polizei nicht als Unter⸗ 
theil des Miniſteriums des Innern betrachtet wird — 
fteht die Oberaufſicht und Leitung aller Behörden und 
Beamten zu, durch welche die öffentlihe Ord- 
nung und Sicherheit gehandhabt, und die Cu» 
tur und Wohlfahre aller Mitglieder des Staates 
- befördert wird. Ihm gehört Daher — doch mit Ver: 
meidung der, nach allen Grundfäßen des Staafs- 
rechts und der Staatsfunft verwerflihen, geheimen 
"Polizei — die Aufrechthaltung der perfönlichen Frei- 
heit, die Aufrechthaltung der öffentlihen Ordnung, 
bie Aufſicht über die Fremben, uͤber Gefangen⸗, Zucht⸗, 
Arbeits⸗ und Krankenhaͤuſer, über die Anftalten für 
Waifen, Taubftumme, Blinde u, a., über das ge⸗ 
fammte Medicinalwefen, über die Theater, die Volks⸗ 
vergnügungen u. ſ. w. 


4) das Minifterium des Eultus. Die 
fem fteht da, wo cs felbftftändig organifirt und 
weder mit dem Minifterium des Innern noch mit dem 
der Polizei verbunden ift, zunächft zu die oberfte Leis 
tung des Kirchen, Schul- und Erziehungswefens, 
die Anftellung aller zu diefen Faͤchern berufenen ‘Bes 
amten, die Dberauffiht über das diefen Anftalten 
. zufommende Eigenthum, und über alle milde Stiftun- 
. gen, fo wie über Die Akademieen, gelehrten Geſellſchaf⸗ 
ten, Kunſtanſtalten, uͤber den Buchhandel, uͤber die 
Drudereien ,‚ über bie Preffe (deren Sreipeit und 
deren Vergehen), . über die erſcheinenden Schriften 


EStaatskunſt. | Arl 


u. ſ. w. (Dod fönnen die (etgenannten Angelegen: 
beiten auch mit dem Minifterium der Polizei, bin- 
gegen die Leitung des Medicinalwefens kann mit dem 
Diinifterium des Eultus verbunden werden.) 


5) das Minifterium.der Finanzen. Sy 
wie dem Finanzminifter die Oberaufficht über die Ver- 
waltung der Domainen und Regalien zufteht; fo hänge 
auch von ihm ab die Entwerfung des Budgets (des . 
Jahresbedarfs des Staates); und in conftitutioneflen 
Staaten die Verhandlung darüber mit den Volfsver- 
tretern,, fo wie, nach der Prüfung und Bewilligung 
Des Budgers, das Ausfchreiben, die Vertheilung und 
die Erhebung der. directen und Änbirecten Steuern, 
die Anftellung, Leitung und Dberaufficht aller im 
Sinanzfache arbeitenden Beamten und Behörden, und 
die Verwendung der eingegangenen Summen nad) 
ben verfaffungsmäßig beftimmten Beduͤrfniſſen des 
Staates, Eben fo führt er, fobald für Diefe Zweige 
der Verwaltung nicht felbftftändige Oberbehoͤrden be- 
ftehen , die Oberaufſicht über den öffentlichen Schag, 
über die Banfen, über die Schulden bes Staates, 
über den Amortifationsfonds, und über Die Denfionen. 


6) das Minifterium für das Kriegs 
wefen. Don dem Minifter des Kriegswefens geht 
die Anwendung der verfaflungsmäßigen Beftimmun« 
gen aus über die Aushebung der zur "bewaffneten 
Macht berufenen Mannfchaft, : über die Bildung, 
Difeiplin und Bewegung des ftehenden Heeres, nad) 
feinen verfchiedenen Theilen, nach Referve, Land» 
wehr u. f. w., über die Vertheilung der bewaffneten 
Macht im Inlande nah) den Standquartieren,, über 
das Aufruͤcken im Dienfte, die leitung des General: 
ftabes , die Verpflegung des Heeres, bie Sorge für 


* 


472 Staatskunſt. 


die Feſtungen des Landes, Die Aufſicht uͤber die Pul- 
verbereitung, uͤber die Zeughaͤuſer und Magazine, 
und über die Penſionen verabſchiedeter Krieger. Da- 
zu kommt, bei.einem ausbredyenden Kriege, die oberfte 
geitundg allee Bewegungen, aller Verpflegung und 
Ergänzung des Heeres nach feinen einzelnen Abthei⸗ 


lungen. 


7) Sobald der Staat eine beſondere Marine 
‚und Kolonieen beſitzt; ſobald iſt auch ein befon- 
deres Miniſterium der Marine und der 
Kolonieen noöthig, weil deſſen Geſchaͤftskreis, 
wegen feiner Eigenthuͤmlichkeit, mit feinem andern 
Minifterium vereiniget werden fann. Zu ihm gehört 
die Aufficht über die Bildung, Ausrliſtung, Beman⸗ 
nung, Difeiplin und Bewegung der Flotten; über 
die Aushebung der Matroſen, über die Vorbereitung 
der Marineofficiere, und. ihe Aufruͤcken im Dienfte; 
und über bie Häfen, Zeughäufer und Magazine ber 
Marine. Gleich wichtig ift die Leikung der politifchen 
DVerhaltniffe der Kolonieen zum Mutterlande, und 
die Oberaufficht uber die innere Verfaflung und Ver: 
‚waltung der Kolonieen. 


8) NAHE dem Minifterhem des Innern fteht 
aber fogleih, nach feiner hoben Wichtigfeit, das Mi— 
nifterium der auswärtigen Angelegenbeis 
ten, Denn diefem Minifterium ift nicht blos Die 
Verbindung, Gefhäftsführung und Unterhandlung 
mit allen beim einheimifchen Staate angeftellten frem⸗ 
den Gefandten, fündern auch die Leitung aller mit dem 
Auslandebeftehenden und anzufnüpfenden Verhältniffe 
durch die, demfelben Minifterium untergeordneten, 
Gefandten und diplomatifehen Agenten bei auswaͤrti⸗ 
gen Regierungen überlaffen. Es ift der. Mittelpunct 


Staatskunſt. 473 


aller, aus ber tiefſten Kenntniß ber Geſchichte, der 
Staatskunde und des oͤffentlichen Staatsrechts her⸗ 
vorgehenden, Staatsweisheit und Staatsklugheit, um 
die Rechte und die Wohlfahrt des einheimiſchen Staa» 
tes in jeder einzelnen, Beziehung zum Auslande, und 

nach feiner ganzen Stellung im europälfchen Staaten» 
ſyſteme wahrzunehmen, fo wie, durch die Verbindung 
und Wechfelmirfung des inländifchen Staates mit 
ben andern, Die innere Kraft und das äußere politifche 
Gewicht deflelben zu erhalten und möglichft zu fteigern. 


Nach örtlichen und ländlichen Verhaͤltniſſen muß 
beftimmet werben, ob im Staate ein befonderes 
Minifterium für die Haus: und Hoheitsfachen 
des Regenten beftehen foll. Allerdings bleibe 

- es nicht ohne Einfluß aufs Ganze, ob die Haus- 
angelegenheiten des Negenten dem Minifter 
bes Innern, oder der auswärtigen Angelegenheiten 
zugetheilt find; ob Begnadigungen, Difpenfatio- 

‚nen, Standeserhöhungen, Ordensverleihungen u. 
f. w. vom Minifter des Innern abhängen; ob das 
Muünzmefen unter dem Finanzminifter ſteht 9%); u.a, 

Ueber das Präfidium im Miniflerrarhe kann 
die Staatskunft im Allgemeinen nichts feft- 
fegen. Denn ob.ein Kanzler mit hoher Made 
über allen Miniftern ſtehen, ober ob einee der 
Minifter (entweder nach perfönlicher Kraft, ober 
nach dem Dienftalter) bleibender Präfidene des 


#) Der Rec. der Schrift von v. Malchus im Her 
mes, St. XVII, ©. 133. erinnert: „Sat das 
Tinanzminifterium die Münze zu beforgen; fo wird 
man leicht Gefahr laufen, daß der Geift der Fiſca⸗ 
lität audy dabei nah einem Gewinne firebe, der 
der. Natur eines Hoheitsrechts widerſpricht.“ 


474 | Staatskunſt. 


Miniſterraths ſeyn ſolle; barfiber müſſen theils die 
individuellen Eigenſchaften des Regenten, theils Die 
(bleibenden, oder außerordentlichen) Beduͤrfniſſe 
des Staates, theils die genaueſten Ruͤckſichten auf 
* Die gefammten inneren und auswärtigen Angelegen- 
heiten des Staates entſcheiden. Mur warnt die 
Geſchichte vor der Allmacht der fogenannten Pr e- 
mierminifter (Richelieu, Mazarin, Alberoni, 
Godoi ꝛc.), weil durch fie die Wirffamkeit der 
übrigen Minifter an der Spige ihrer Departements 
nicht felten zum Nachtheile des Ganzen befhränft 
und vollig gelahmt wird. | 
Im Ganzen bleibt e8 die Beftimmung jedes ein- 
zelnen Minifters, den Organismus feines Depar- 
tements in verfaflungsmaßiger Thatigfeit zu er- 
halten; die Oberaufjihe über alle Behörden und 
Beamte diefes Departements theils unmittelbar, 
theils mittelbar zu führen; alle wahrgenommene 
. Mängel, Gebrechen und füden zu befeitigen; wi⸗ 
derrechtliche Verfügungen der einzelnen Behörden 
oder Beamten ftreng zu abnden; die legtern in zwei- 
felhaften Fällen mit Sachkenntniß und Beſtimmt⸗ 
heit zu belehren, und aus der ganzen Verwaltung 
- des Departements die allgemeinen Ergeb- 
niffe abzuleiten, welche bei ver Gefeggebung 
. für das einzelne Minifterbepartement 
beruͤckſicheigt werden müͤſſen. 
Wilh. Tat. Krug, über Einrichtung der oberſten 
Staatsbehoͤrden; in ſ. Kreuz⸗ und Queerzuͤ— 
sen. ©. 178 ff. 


41. 
2) Der Staatsrat. 


Von den geheimen Rachscollegiis, welche zu 


Staatskunſt. 475 


allen Zeiten und in allen geſitteten Staaten fuͤr die 
Berathung des Regenten uͤber die wichtigſten Staats⸗ 
angelegenheiten beſtanden, iſt der Organismus eines 
Staatsrathes, im Sinne der Staatskunſt bes 
neunzehnten Jahrhunderts, wefentlich verſchieden. Zu⸗ 


naͤchſt ſcheint er ein Beduͤrfniß fuͤr Staaten mit neuen 


Verfaſſungen zu ſeyn, beſonders wenn die Initiative 
der Geſetze dem Regenten ausſchließend zuſteht, weil 
dann die den Staͤnden vorzulegenden Geſetzesentwuͤrfe 


im Voraus mit großer Sorgfalt bearbeitet und colle⸗ 


gialiſch geprüft werden muͤſſen. Allein auch da, wo 
Geſetzesvorſchlaͤge von den Volksvertretern ausgehen 


duͤrfen, muß die Prüfung derſelben, und die Bera- 


thung Des Regenten über. deren Annahme oder Ver⸗ 
werfung, dem Staatsrathe zuſtehen. Die innere 
Geſtaltung des Staatsraths wird aber am zweckmaͤ⸗ 
Bigften ſeyn, wenn er, nach feinem Perſonale und nach 
feiner Wirkſamkeit, für Die einzelnen Gegenftände in 
Sectionen getbeile, und ganz unabhängig 


vonden Miniftern ift, indem feine Selbſtſtaͤndig⸗ 


feit erfordert wird, um in allen den Fällen, wo von den 
Miniftern gefehlt werben dürfte, ein freimüthiges, 
durch Feine Rüdfiche gebundenes Urtheil zu fällen. 
Wo Hingegen der Staatsrath blos aus der Geſammt⸗ 
heit der Minifter, höchftens mit einigen beigefügten 
außerordentlichen Mitgliedern, befteht; da hat er nicht 
die angegebene Beftimmung, fondern nur die Auf- 
gabe der Einheit zwifchen ben einzelnen Minifte- 


rien zu ‚bewirfen. Der Staatsrath, wo er in ber _ 


erften Beziehung befteht, erfcheint entweder blos als 
berathende, oder auh als entfheidende Ober- 
behörde. 

As berathende Behörde gehen fheils von 
ihm alle neue Geſetze aus, die ig Angemeflenbeit 


376 | Staatskunſt. 


zu der beſtehenden Verfaffung in ſeiner Mitte bear⸗ 
beitet und gepruͤft werden; theils ſteht ihm das Necht 
der authentiſchen Erflärung der vorhande— 
nen Geſetze zu; theils muß er fein Gutachten 
ertheilen über alle in der Verwaltung vorzunehmenbe 
Veränderungen oder einzuführenbe neue Einkichtun⸗ 
gen; theils die Verordnungen entwerfen, weiche das 
Eigenthum, die perfönliche Freiheit, überhaupt die 
wohlerworbenen Rechte der Staatsbürger betreffen. 
Außerdem ift in einzelnen Staaten feine Beftimmung 
auch auf die Berathung mit den Ständeverfamm- 


berathen muß, wo biefer es verlangt. \ 

Wo zugleih der Staatsrach als entſchei— 
dende Behörde wirft, ift ihm eheils die Entſchei⸗ 
dung über innere Segenftände der Verwaltung (über 


‚Eoflifionen zwiſchen verſchiedenen Minifterien und 


deren Behörden, über die Unterfuchung des Betragens 
einzelner Staatsbeamten u. f. w.) überfragen; theils 


‘erfcheint er als richterlihe Behörde in flreitigen 


Verwaltungsangelegenheiten, deren Entfcheibung nicht 


‚lungen , auf die Prüfung des Budgets u. a. erweitert, 
"fo wie er überhaupt’ den Megenten in jedem. Falle 


durch gewoͤhnliche Gerichte gefchehen kann; theils 


als: Recursbebörde in den Zällen, wo Staat: 
burger oder Beamte durch Minifterialverfügungen in 
ihren Rechten ſich gefränft halten. | 
v. Mal chus, der Organismus der Behörden ıc. 
i on jr d 6. politifhe Annal q 5 
urhar ijche nnalen ayrg. 1321 
St. 13, ©. 65 fi. ’ 9. 1008, 


42. 
3) Die Seneralcontrolle. 
Wo eine Ösmeralconteolle, als eine der höchften 


ı 


Staatstunft. u 477 


Staatsbehoͤrden Dee, bat fie die Beſtimmung, 
eheils uber die Beobachtung und Erhaltung ber 
Verfaſſung und der Grundgefege des Staates, über 
die gleichmäßige Vermwirflihung des ganzen Verwal⸗ 
fungsfpftems, und über alle im innern Staatsleben 
fih anufündigende Unvollfommenpeiten und Mängel 
gu wachen, eheils und zunaͤchſt die Finanz» und 
"Kaffenverwaltung zu controlliren. Der Zwed der 
Staatsconteolle ift Daher befonders darauf gerichtet, 
daß die Staatseinnahme überall mit Umſicht, 
Sorgfalt und Treue verwaltet, und zur rechten Zeit 
erhoben, die Ausgabe auf das Nothmwendige be— 
ſchraͤnkt, die im Budget gefeglich beftatigten Sum- 
men nie uͤberſchritten, und nie für andere Gegen⸗ 
fände , als wofür fie bewilligt find, verwendet, und 
alle Kaffen von den Beamten in der ftrengften, 
Drdnung gehalten werben. “Bei diefer Beftimmung, 
der Generalcontrolle folgt von felbft, daß fie, nach 
ihrer Stellung im Staatdorganismis, von allen 
Departementsminiftern unabhängig feyn. 
muß, und diefen die Verpflichtung obliegt, alle Abs. 
änderungen in den einzelnen Zweigen ber Verwaltung, 
befonders inwiefern fie auf Einnahme oder Ausgabe, 
auf Vermehrung oder Verminderung des Etats fich 
beziehen, ber Generalcontrolle mitzutheilen, fo wie. 
die Generalcontrolle berechtigt ift, von allen einzelnen’ 
hoͤchſten und untergeordneten Behörden Diejenigen 
Aufklärungen zu verlangen, und im Staate — nad). 
ihrer felbftfländigen Stellung — diejenigen Verfü 
gungen zu treffen, welche zur wefentlichen Erfül- 
fung ihrer Beftimmung erfordert werben. 
v. Malchus, am angegef. Orte, &. 56 ff. (mo 


au, da bis jept blos in Preußen eine Gene 
salcontrolle in.diefem Umfange durch die Kabinett 








478 Staatskunſt. 


ordre vom 3. Nov. 1817 beſteht, die nähern 
Beſtimmungen derſelben in dieſer Deonardie voll⸗ 
ſtaͤndig entwickelt werden.) 

Fr. Buchholz, Iſt eine oberſte controllirende 
Behörde für den Staat nothwendig? und welches 
kann der Zwe einer ſolchen Brhörde ſeyn? in f. 
Sournal für Teutfhland, 1818, Det. ©. 


230 fr 


43. 


Weber die Verantwortlichkeit der hoͤchſten 
Staatsbehörbden, 


In einem Staate, deffen innerer Organismus 
‚ auf einer Verfaffungsurfunde beruht, iſt der Regent 
heilig, unverlegli) und unverantwortlidh; da— 
gegen ift, nad) den Ergebniffen der Geſchichte, in 
allen feit 30 Jahren ins öffentliche Staatsleben ein- 
getretenen Verfaffungen, fo mie tbatfachlich in der 
beitsifhen, die Verantwortlichkeit der hoͤchſten 
Staatsbehoͤrden ausgeſprochen. In mehrern Staaten 
iſt, durch beſondere Geſetze, dieſe Verantwortlich— 
keit genauer beſtimmt worden, mas um fo noͤthiger 
iſt, damit eines Theiles nie der Willkuͤhr der ftändi- 
fhen Kammern eine ungegründete und leidenfchaftliche 
Anklage der höchften Verwaltungsbehörden überlaffen 
bleibe, und anberri Theiles auch nie von dieſen höch- 
fien Behörben die ihnen anvertraute Macht zum Ver⸗ 
derben des Staates gemißbraucht werde. 

Wenn in den einzelnen verfaffungsmäßigen 
Staaten die Art und Weife diefer Werantwortlichfeit 
ſehr verfchieden beſtimmt worden iftz fo fann auch 
die Staatsfunft nur im Allgemeinen diefe Ver- 
antwortlichfeit, als wefentliche Bedingung, ausfpre- 
chen, die Verwaltung in genauefter Verbindung mit- 


| 





Staatsfunft, 49 


der Verfaffung zu erhalten, und babek erinnern, baf 
in dem beshalb zu erlaffenden Gefege jedem willführ« 
lichen und launenaften Angriffe von Seiten der ftäns - 
difhen Kammern auf die höchfteri Staatsbeamten 
nahdrüdlich vorgebeugt werbe.. . W 

An ſich betrachtet wird der ſittlichgute, der recht⸗ 
liche und ſeines Faches maͤchtige Mann, der ſeine 
Amtspflicht erfüllt, und das Bewußtſeyn dieſer Pflicht⸗ 
erfülling in fih träge, nie fi ſcheuen, .verant- 
wortlich zu ſeyn, er ftehe hoch oder niedrig im Dienfte 
des Staates. . Dazu fommen die Ergebnifje der Ge- 
ſchichte, theils daß in unbefchränften Monardhieen 
die Miniſter, obgleich ohne Werantwortlichfeit, ge⸗ 
wohnlich durch die Willführ des Regenten weit haͤufi⸗ 
ger wechfeln, und nach. ihrer Entlaffung perfönlic) 
weit härter behandelt worden find, als in conftitutio- 
nellen Staaten (wozu, außer Conftantinopel, aud) 
chriftliche Staaten älterer und neuerer Zeit fehr ernſt⸗ 
hafte Beifpiele liefern); cheils daß in befchränften 
Monarchieen verantworsliche Miniſter, melde 
den Geiſt ihrer Zeit und ihres Volks verftanden,, lei- 
teten und zum Theile beherrfchten (3. B. ford Cha- 
tbam, William Pitt u. a.), die öffentliche Mei- 
nung und Achtung, ja die Bewunderung des ganzen 
Europa für fi) hatten, daß Niemand daran dachte, 
ſolche ausgezeichnete Männer zur Verantwortung zu 
ziehen; daß fie ihre Abfichten durch ihr perföntiches 
Gewicht weit ficherer erreichten, als anderwärts durch 
Kabinetebefehle, und daß fetbft der Regent, dafern 
er einem folhen Mirifter perfönlih nicht rgeneigt 
- feyn follte, ihn doch nicht entlaͤßt, weil er durch die 
öffentliche Meinung der Welt gehalten wird, Denn 
gewiß, ein verantwortlicher Minifter, der die 
öffentliche Meinung feines Volkes und des ührigen 





‚480 Staatskunſt. 


gebildeten Europa für ſich Hat, der allgemein geach⸗ 
tet, bewundert und geliebt ift, kann fein gewöhnlicher 
Mann fenn! | = 
Ahasv. Fritsch, minister peccans. Jen, 1674. B. 
J. Rey, de la responsabilite des Agens du pou- 
voir d’apres nos loix actuelles. a. Paris, 1818. 8. 
(Er weifer nach, daß, nad) dem Staatsrechte Frank: 
reichs, die weientlichften® Duncte der minifteriellen 
Verantwortlichkeit folgende find: Verrath; Concufs 
ſion; Dienftnadläffigkeit ; verabfäumte Handhabung 
der Berfaffung ; ungelchägte perfönliche Freiheit der 
Staatsbürger, Beſchraͤnkung der polltifhen Rechte 
der Bürger; Coalition mehrerer Staatsbeamten wis 
der Bürger, die unterdrädt werden. follen; Ver—⸗ 
fagung der richterlichen oder adminfftrativen Unter: 
fuhung für den, welcher folhe zu feiner Rechtfers 
tigung verlangt; Ausfchreitung in Amtsbefugniffen ; 
Gefhentnahme für Amtsgefchäfte; Untreue in einer 
Dienſtoflicht und Verlegung des Poftgeheimniffes-) — 
Courvoiſier's Berichte im Namen einer Commifs 
fion über den Gefeßesentwurf wegen der mintfte 
riellen Berantwortlihkeit, in Beziehung 
auf die Charte Ludwigs 18, f. in der Allg. Zeit. 
1819, N. 99. 
WVergl. Friedrichs 2 Hinterl. Werke, Th. 6, 
S. 51 ff., wo er fih über das Schidfal der Staus 
‚sen erklärt, deren Fürften die Regierung ihren Mi⸗ 
niſtern überlaffen, wobei nicht überfehen werden 
darf, daß der König dieſe Abhandlung feinem body 
‚ verdienten Minifter v. Hergberg zufandte, deſſen 
Antwortfhreiben an den König (vom 27. Jan. 
1781) dem Auffabe des Königs dafelbft vorgedrudt 
v. Jakob (in f. Eint. in des Studium ber 
©taatswiffenfhaften, ©. 217 f.) fagt: „Die Staats» 
weisheit raͤth, fehr vorfihtig und behutfam mit Ein: 
richtung neuer Ständeverfaffungen zu Werke zu 
geben, einftiweilen aber da, wo noch feine gute 
Conftitution im Gange if, fo zu regieren, als 06 
bie befte vorhanden wäre, um dadurh die Einfüh: 


Stastsfunft. 481 


‚ tung derſelben worzußgreiten; infonberheit 1.) Die 
Landescollegia fo zu organifiren, daß der 
Monarch von thnen ſtets ein unparthetifhes und 

ſachkundiges Gutachten. Aber alle Staatsangelegens 

.. heiten erwarten "fanyız:a) aub.has Volt in Cox 

‚yorstionen aller Art einzutheilen, und bie 

“fen das Recht zu geben, daß fle Über jede oͤffentlich 
Angelegenheit, die zugleich auf 'fie Beziehung hat, 
ihe SrtBeik, ‘fo Wie äke ihre: Wuͤnſche, vor bel 
.  Zhrog. bringen können; 3) die Dublisigäs über 
ale zu verſtatten,“ was Im Staate' geſchieht 
und geſchehen ſoll, ſofetn es gu ir feinem Weſen 
4 mah-gehrim bleiben. muß; 4).die Minifter, fo 
— 'w EM e Stat t6beamte,, gegen 8 för ihr 
Verfahren gegen ihn verantwortlich zu maden; 
1:3: jetiem Inptivccheurm:aad Joder’Corpos 
‚zesdon das Dehs der Ankinge wiegen, Ner 
Verlegung der Geſetze zu perflatten, wos. 
det ausdeuttitch Hfdlrinir werden: muß; dab Verus 
nu hang vauf Befehl; des Monarchen den Dieen ;nie 
von der Schuld befreit, wenn er nicht Smmetfen 
. „fann, daß. dieſer Befehl geſeblich war.“ 
‘ . .. \ ·32 ... 20 2 09 — 


J U Den . 3 . 5.1 
d. Pe Var 1 a 4A: Be ich J 
dy Die Serägeigfeitspfiege, al" trier 

85 Haupttheilber Staatsvermältung:’*! . 
mi vr Eee BE EEE EEE ee, 
2:2: DR: Gerechtigkeitsbflege if dev ynbegͤriff! aller 
öffenelichen Anſtulten fuͤr die. Anwendang det recht⸗ 
lich organiſirten irichterlichen Gewalt im Sinate. Sie 
ſtht. ſich auf den. höſhſten Zweck des. Staates: auf 
die unbebingte Herrſchaft des Rechts, verbindet aber: 
damit, weil fie zur Stantsvermaltung, . und alle‘ 
Staatsverwaltung jur Staatskunſt gehört, Die ftete 
Ruͤckſicht auf die —— einzelnen Staatsbuͤr⸗ 
* ‚und ber gänzen. buͤrgerlichen Geſellſchaft. Sie 
f 


s t aus dem Staactrechte (Staatsr. $.34. und 35.). 





482 Staatskunſt. 


die rechtlich organiſirte eichterfihe-Semalt vor: 
aus, welche zwar an bie ipr. vorausgehende geſetzge⸗ 
bende Gewalt. gebunden ift, und mit ber gefeggeben- 
den ‚und vollziehenden Gewalt nicht auf gleich hohe 
Unie der politiſchen Hierarchie geftellt werden Fann, 
welche aber, nach ihrer Wirkſamkeit, völlig. felbfl- 
fändig und unabhängig feyn muß - 


| Im Allgemeinen beruht bie Gerechtigkeitepflege 
auf vier großen Grundſaͤtzen: 
.V Vor dem Gefegefind alle Stants- 
buͤrger gleichz. 
2) kein Staatskärger: darf feinem 
nactuͤrlichen: Richtet entzogen werden; 


53) der eihterlid che Au⸗ foruch iſt ſtreng 
an die vorhandenen Sr fegbüder gebun- 
den; Io. . 

4) der richter liche Stand iſt, innerhalb 
feiner durch das Gefeg beftimmten Örenzen, felbft- 
ftändig, und von jedem andern Theile der Staats: 

. ‚verwaltung unabhän vd ‚(Mas Präpicat der 

Unverantwortlichkeit kann ihm nur in dem 
Sin ne beigelegt werden ‚ als jede höchfte und 

dohe Verwaltungsbehoͤrde nicht zur Vetontiertung 
gezogen werden kann, ſobald fie Innergalb der von 
ben Geſetzen beftimmsen. Grenzen bleibt.) .- 


"Der erite biefer vier Grundfäge ſchließe ch 1 
jeden peivilegirten Gerichtsftand ; und jede Auxsuͤbung 
einer befonbern Gerichtsbarkeit von. einzelnen bevor: 
rechteten Staatsbürgern aut. Ale‘, aus Schonung 
gegen früher beftandene Werhälmiffe, beibehaltene 
Einrichtungen dieſer Art koͤnnen von der Staatskunſt 
nur geduldet, nie gerechtfertigt werden, ,- und bebürfen 


Staatsfunft. 483 


einer allmaͤhligen Zuruͤckführung auf: die einzig 
rechtlichen Unterlagen der Gerechiggfeitspflege' °), . 

, Der zweite dieſer Grunbfüge verlange, daß 
nur’ die rechtlich organifirten Gericheshäfe, nie aber 
für -befondere: Fälle und gewiſſe Individuen außeror- 


Ui A | 


*) Die Patrimonialgerichtsbarkeit, weldhe da, 
wo fie noch beſteht, theils aufs firengfte vom Stanke 
coontrollirt, In Sa ihren Gebrechen (3. D. des 
2. Bäufigen '-Entipringenlaffene der „Gefangenen, .. der 
‚Ucbertreibung der Spotteln w. a.) unerbittlich by⸗ 
‚handelt, theils nach ihrer freiwilligen Ueberlaſſung 
an den Staas (wiez. ©; Häufig In der preußifcheh 
Monarchie gefhiehe‘ möglihft erleichtert: werden 
u; — IR eine Folge des Lehnsſyſtams und Des 
- 5" Reibetgenthunmis;.;und dasjenige grundharrliche Recht, 
“:, nah welchem des, Erbskehne und Gerichteherg, | ⸗ 
EN Prusrthonb ur einen, vpm -&taatg, getießs 
 " "inigten Rechtsverſtaͤndigen (Steiäräbermatted Meike 
u fpredhen ‚und Ihpeintichen Fällen den Verbrecer 
in -erfter Behörde verutthetlen -laffem kann“. Die 

1 Vortheile Der Patrimonialgerichtsbarkeit beſtehen, 


in den Gerichteſporteln; 2) in den Laudemialgefaͤllen 
(Lehnswaare),. einer zehn Procent betragenden Abs 
"gabe vom Werthe des Gutes bei-einer Beſttzveraͤu⸗ 
derung durd Verkauf oder Vererbung; 3) in den 
Zählgeldern,, ein.Procent vom Kauffshilling ;: 4): im 
Auen⸗ oder Angertechte, nach, welchem Alle neuans 
gebaute Exdflede im Dorfe. und in der Dotfffur, 
deren, Eigenthum -von "Andern nicht 'erwieſen iſt, 
dem Gutsheren gehören — Die Patrimontalges 
Erichtsbarkeit iſt aber ,- ſobald Dir Jukijverwail 
? ?eung als ein KusflWß ver Sohwerainerär ' 


haltbar. Vergl. Bje.gegen Die niafgrrichtäs 
barteit gerichtete gar — then 


3 
. 


ta 
“m 





484 Ä Staatskunſt. 


dentlich gebildete Gerichtsſtellen (Prevotalgerichte, 
Militairoommiſſiquen), über jeden einzelnen Fall ent: 
ſcheiden, und baß jeber Staatsbürger die Behörden 
dm Voraus fenue;.dberien Ausfpruche er unterworfen ift. 
Der dritte dieſer Grundſaͤtze kann nur dann 

in feinem ganzen Umfange verwirflicht werden, wenn 
alle Geſetz buͤcher des Staates (zunaͤchſt Das bür- 
‚gerliche, Das. Strafgeſetzbuch, das Handels: 
zehf, und das Geſetzbuch für das gericht— 
Tihe Verfahren) dem erreichten Grabe der Eultur 
des Volkes, der Verfaffung des Staates, der eigen- 
thuͤmlichen SRegierungsform deſſelben, . und der auf 
‚ber Verfaffung beruhenden Verwaltung des Ganzen 
sölig angemeffen find. Veraltete, ‚lüdenvolle, 
An verfchiedenen Zeitaltern ungleichartig und unzu⸗ 
Phimenhaͤngend in ſich ergänzte, Geſetzbuͤcher find 
‚eine Geifel für. das innere Staatsleben, und bieten 
die nachtheiligſte und folgenrcichlte Peranlaſſung dar, 
«daß die Gerichtshoͤfe in ihren Urtheilen und Entfchei- 
(Sufigen willkuͤhrlich von den beftehenden (unbrauch⸗ 
baren) Geſetzen fich entfernen. Deshalb Haben auch 
mehrere der.michtigften Staaten (Frankreich, Oeſt⸗ 
reich, Preußen u.a.) neue Geſetzbuͤcher erhalten, und 
ibei andern werden fie vorbereitet. :::Denn eben darin, 
daß, nad) dem Zeugniſſe der Geſchichte, die Eultur 
der Völker und Staaten unfrer Zeitim Ganzen 
ungleigh höher ſteht, als die Cultur der hochgefeiert- 
ſten VBalfen:und Staaten des Alterthums, wo immer 
nur Einzelne weit über ihr Bolf und, ihre Zeit 
Wpozeen z' eben’ darin beſteht der entfihiedene 
Berüfun pie für eine neue, in fi 
zufammenhängende, und. die gefteigerten 
Bedüurfniffe.der gereiften Voͤlker befrie- 
digende, Geſetzge bung. Dazu kommt, daß 


un" 


Staatskunſt. 468 


erſt die neuefte Zeit zu der Idee einer Philoſ opfie 
der Öefeggebung fich erhob , die aber noch nicht 
vollſtaͤndig verwirklicht worden if, weil die Theorie 
der. Geſetzgebung zwor zu einer wiffenfhaft 
lien Form auß@prägt werden muß, ehe fie den 
Maasftab für alle in der Wirklichkeit beftehende 
öffentliche und Privatgefege eben fo enthalten . 
fann, wie das Natur» und Staatsreht den Maas 
ftab für alles pofitive Recht. Denn nad) der Gefchichte 
beftanden Jahrtauſende hindurch pofitive Gefege, be- 
vor man über diefelben philofoppirte 2). Soll "aber 


— — 


*) Die griechiſchen Philoſophen gingen bei der Phi⸗ 
loſophie über Geſetzgebung von einem ſehr beſchraͤnk⸗ 
ten Otandpuncte aus, weil ſie weder die Rechte 
der Menſchheit, noch den Begriff der in jedem ver⸗ 
nünftig : finntihen Weſen enthaltenen Würde beruͤck⸗ 
fihtigten. Sie betrachteten den Staat zunädft als 
eine Familie, wo fi alles nach dem Ermeffen des 
Hausvaters rihten muß. Seibſt Plato folgt in 
dem Werte von der Republik der Hauptahficht, 
daß durch die Einrichtungen des Staates die Bitten 
veredelt werden follen, womit feine Sceift von , 
den Geſetzen übereinfimme, nur daß dabei die. 
Individuen immer als Werkzeuge betrachtet werden, 
welhe des Ganzen wegen da find. Die Frag—⸗ 
mente der Politik des Ariſtoteles beziehen fi 
zunähft auf die Öffentlihe, nicht auf dje Privats 
gefeßgebung. Die Roͤmer endlich, fo vollftändig 
aub ihre Geſetzzebung befonders in KHinficht des 
Civilrechts if, Hatten keinen Mann in Ihrer Witte, 
der fih zu einer Philofophie der Geſetzgebung, zu 
einer Wiffenfchaft der pofitiven Geſetze erhoben hätte; - 
denn Ticero' in dem Werte von den Geſetzen. 
folgt ganz der Anficht der Griechen, die er auf die 
Geſetze ner römifhen Republit anwandte. (Vgl. 
darüber v. Jakobs Eint. in d. Studium der Staats» 
wifenfhaften, ©. 243 ff.) Erf duch Montes 










\ 


486 EStaatskunſt. 


eine poſitive (d. h. eine von einer ſouverainen Macht 
gegebene und auf einen beſtimmten Staat berechnete) 


— — 


quieu, Fitangieri, in. 8x8 5 30 
hariäu.a. (vol. Staater. $. 27.) ift das Bedürfs 
nig einer Philofophe der Geſetzgebung ans 
geregt, und .theilweife befriedigt worden. — Wer 
nicht unheilbar an der blindeften Bewunderung des 
Alterthums darnieder liege, weiß, daß die Völker 
unferer Zeit — durch das Ehriftenehum, durch viele 
poſitive rechtlihe Formen, durch die allgemein ver« 
breitete Buchdruckerei, durch die großen Fortfchritte 
in allen Wiffenfchaften, durch den Welthandel, und 
durch die genauefte Wechſelwirkung unter den eins 
zeinen Theilen des europäifchen Staatenſyſtems fort 
gebildet, — in Hinſicht aller einzelnen Bedingungen 
menſchlicher Kultur unendlich höher ſtehen, als die 
WVoͤlker des Alterthums, und daß deshald aud die 
Geſetzbuͤcher der alten Reihe und Btaaten nur 
"Aggregate aus verfchiedenen Zeitaltern, und Leine 
innere organifhe Einheit enthalten. Deshalb lieh 
fh auch die Verirrung eines geiftreihen Mannes, 
der unfrer Zeit den Beruf für Gefeßgebung abſprach 
(v. Savigny, vom Berufe unferer Zeit für Geſetz⸗ 
gebung und Rechtswiſſenſchaft. Heidelb. 1815. 8.) 
nur aus feiner Vorliebe für das Zeitalter des Theo» 
dofins und Zuftinian erklären. — Ganz anders 
urtheilte darüber ein Mann, der gleichfalls fein 
Stimmredt über das römifhe Reche hinreichend 
beurkundet Bat: A. F. 3. Thibaut, über bie 
Morhwendtgkelt eines allgemeinen’ bürgerlichen Rechts 
für Teuͤtſchland. Heidelb. 1314. 8.’ „Das canos 
nifhe Recht, fo weit es nicht auf die Latholifche 
Kirhenderfaffung , fondern auf andere bürgerliche 
Einrichtungen gehet, ift nicht bes Mennens 
werth; ein Haufe dunkler, verſtuͤmmelter, unvolls 
ffändiger Beſtimmungen, zum Theile duch ſchlechte 
Anfihten der alten Ausleger des römifchen Nechts 
veranlaßt, und fo deſpotiſch in Aufehung des Eins 





no. 


Ötaarsfunft. . 487 


Gefeggebung als rechtlich begrünber, in fich zufam- 


— — — 





⸗ 


fluſſes der geiſtlichen Macht auf weltliche Angelegen⸗ 
‚heiten, daß’ kein weiſer Regent ſich ganz denſelben 
fügen kann. Die legte und hauptſaͤchlichſte Rechts⸗ 
quelle bleibt daher das römifhe Geſetzbuch, 
alſo das Werk einer uns fehr ungleihen 
"fremden Nation, aus der Periode des 


menhängend und das ganze leben im Staate erfchö-" 


thefften Verfalls derfelben, die Spuren 


diefes Verfalls auf jeder Seite an fi 
tragend. Man muß ganz in leidenfchaftlicyer, 
Einfeitigkeit Gefangen feym, wenn man die Teutfchen 
wegen der Annahme diefes mißrachenen Werkes gluͤck⸗ 
lich preifet, und deffen fernere Beibehaltung im Ernfte 
anempfiebit. Die ganze Compilation iſtzu dunfel, 
zu flüchtig gearbeitet, und der wahre Schtüffel dazu 
wird uns ewig fehlen; denn wir befigen nicht bie 
römifhen Volksideen, welche den Römern 
unendlich vieles leicht verſtaͤndlich machen mußten. 
Was aber vor allem dem römifhen Rechte entgegen 
ſteht, if die innere Schlechtigkeit feiner 
meiſtenBVeſtimmungen, befonders in Beziehung 
auf Teutſchland. — Der Bürger wird immer darauf 
beſtehen bärfen, daß er nicht für den Suriften ges 
fhaffen ift, fo wentg als für die Lehrer der Chi⸗ 


rurgie, am an ſich lebendigen Leides anatomiſche 


Verfuhe anftellen zu laſſen. Ale eure Gelehr⸗ 
famteit,, alle eure Bartanım und Conjecturen, alles 
dies hat die friedliche Sicherheit des Bürgers taus 
fendfältig geftört, und nur den Anmälden die Tafchen 


gefällt. Man vergleiche nur die Anmwälde in Eng - 


fand, wo man durch römifche Atterthämer und Was 
rianten wenig geängftigt wird, mit unfern belobten 
Rechtsſreunden. Dort ift alles Lehen und frifche 


Eigenthuͤmlichkeit, während bei uns in den meiſten 


“ Rändern alles auf hölzerne Fuͤße geſtellt iR. — Kür 
Bohlredenheit, für Gemwandeheit im Angreifen und 
„WVertheidigen, für Ausbildung deg Talents, einer 


433°: Staatshunfl. | 


pfend erfchienen ; fo muß fie, nad) ihren legten Gruͤn⸗ 
den, auf Die ewigen Geſetze der Vernunft 
(auf das Naturrecht) ſich fügen ; fie mug Recht und 
Wohlfahrt als die beiden hächiten Bedingungen 
afler Geſetze fefthalten; fie muß in der Werfaffung 
des Staates. die einfachen Grundſaͤtze bes öffent- 
lich en Rechts, nah Bürgertum, Ständen bes 
‚Volks, Negenten, Volfsvertcetern und fammtlichen 
Werwaltungsformen aufftellen, und dann im Pri- 


vatrechte, in firengfter Angemeflenheie zum 


Rechtsſache gleih vom Anfange an den beſten Wurf 
zu geben; für die Kunſt, Gefchäfte vorfichtig ein» 
zurichten ; für dialektiſche Schärfe und Schnelltraft; 
für dies Alles kann bei ber gelehrten Ueber 
fältung nichts Senägendes gefhehen,‘ — Gegen 
v. Savignih's Anficht erklärte fih auch Arn. Mal 
lindrodt, in dem Auffage: über den Beruf uns 
ferer Zeit zur Gefeßgebung, in der Nemefis, 
11. B. 4. St. ©. 499 ff. — Geiſtvoll behandelte 
diefen Gegenftand Fr. Buchholz, über den Werth 
der bürgerlihen Geſetzbuͤcher neuerer Zeit, in f. 
ournale Teutfhland, 1817, Th. ı, ©. 215 ff. — 
8 fey bier erlaubt, an das Ursheil eines Wannes 
zu erinnern, der noch feine Ahnung von der Frage 
Über den Behuf und das Beduͤrfniß unferer Zeit 
für neue Geſetzbuͤcher hatte. Achen wall ſagt in 
fe Staatsklugheit (4te Aufl. Goͤtt. 1779. 8. 
©. 68.): „Es kann zur offenbaren Ungerechtigkeit 
ausſchlagen, ein fremdes Geſetzbuch neben dem ein⸗ 
heimiſchen, oder auch mit deſſen Aufhebung, ein⸗ 
zuführen. Und noch unſchicklicher iſt es, mehrere 
fremde Geſetzbuͤcher zugleich neben den einheimiſchen 
‚Verordnungen und Gewohnheiten: gelten zu laffen. 
Es if alsdann weit yzuträglidher, ein 
eigenes neues Geſetzbuch, allenfalls mit- 
Zuziehung ausländifher Geſetzbächer, 
verſertigen zu laſſen.“ 


Staatskunſt. 489 


öffentlihen Rechte , damit fen Widerſpruch zwiſchen 
beiden entſtehe, alle einzelne Gefege für dag buͤrger⸗ 
fiche Leben, für die Verbrechen und Bergeben u. f. w. 
vollftändig entwideln, womit Die Geſetzgebung für Das 
gerichtliche Verfahren und den Prozeß in der :genaue- 
ſten Verbindung fteht. 
Der vierte Grundfag endlich, welcher bie 
Selbfiftändigfeit und Unabhängigkeit des 
richterlichen Stanbes , innerhalb der Grenzen feiner 
Urtheile nach ihrer firengften Angemeflenbeit zu ben 
beftehenden Gefegen, ausfpricht, ift durchaus erforber- 
li, wenn das Recht ohne Menfchenfurcht, mit maͤnn⸗ 
licher Würde und Freimüthigkeit, und ohne Einmi⸗ 
{hung höherer Behörden — felbft des an der Spige 
der Gerechtigfeitspflege ftehenden Juſtizminiſters — 
gefprochen werden foll. Denn da der einfichtsvoflfte 
Richter Menfch bleibt; jo kann ein Winf, eine Weis 
fung, eine Drohung, oder aud) eine ihm zur fchnellen 
Beförderung gemachte Ausficht von oben, nicht felten 
auf fein richterliches Ureheil mehr Einfluß haben, als 
er felbft meint. Darum verlangt es die Würbe des 
Staates und die Heiligkeit des Rechts, daß das Rich⸗ 
terams felbftftändig und unabhängig fey. Ä 


j 45. 
Sortfegung 


Soll aber die Gerechtigfeitspflege ihren Charak- - 
ter der Selbftftändigfeit und Unabhängigkeit behaup- 
ten; fo muß fie auch — außer den bereits ($. 44.) 
aufgeftellten Bedingungen —.von der Polizei 
undber Sinanzverwaltung in jeder Beziehung 
voͤllig getrennt feyn. Denn jeder Hauptzweig der 
Verwaltung verlangt eine eigue gründliche Vorberei⸗ 


490 Staatskunſt. 


tung auf das kuͤnftig ſu uͤbernehmende Amt, und 
nimmt, bei’ dem Eintritte in daſſelbe, die ganze Kraft 
eines Mannes in Anſpruch. Dazu kommt, daß bie 
Gercchtigkeitspflege, nady ihrem großen Gefchäfts- 
freife, fo weit von ben Eigenehümlichfeiten ber Poli« 
zeis und ber Finanzverwaltung abliegt, daß, ohne 
Nachtheil für das Ganze und ohne einfeitige Ueber- 
tragung des befondern Sharafters der einen Verwal⸗ 
fung auf die andere, die Verbindung berfelben in 
Einem Individuum faft nicht gedachte werben kann. 
Ob nun gleicd) die Einrichtung des Innern Orge- 
nismus ber Gerechtigfeitspflege, theils in Hinſicht 
der - verfchiebenen richterlichen Inſtanzen und Behoͤr⸗ 
‚den, theils in Hinſicht des gerichtlichen Verfahrens, 
— fo wie die Verfaffung des Staates felbft — mit 
der nächften Vergangenheit des Staates zufammen- 
“ hängen, und alfo auf einer geſchichtlichen Unterlage 
beruhen, zugleich aber aud) den erreichten Grab ber 
Eultur des Volks, das im Staate lebe, zunächft be- 
rückfichtigen und mit den einzelnen Beſtimmungen 
der Verfaffung in genauefter Verbindung ftehen muß; 
fo laͤßt ſich doch im Allgemeinen, nad) den Zeug- 
niffen der Geſchichte, namentlid) in Beziehung auf 
Grofibritannien,, Frankreich und einige andere Staa- 
teri mit ftellvertretenden Verfaflungen, für die Staats» 
kunſt feftfegen: daß die auffteigende Drdnung ber Bes 
hoͤrden fire Die Gerechtigfeitspflege durh Friedens 
rihter, DBezirfsgerihte, Appellations- 
gerichte und durch. ein Caſſationsgericht, fo 
“wie die Einführung dee Gefhmwornengerichte, 
namentlich für die Entfheidung der Preßvergehen und 
für die Ausmittelung des Schuldig oder Unfchuldig bei 
peinlihen Anklagen, in Verbindung mit der Einfüh- 
rung ber Deffentlihfeit des gerichtlichen Verfah⸗ 


x 








Staatstunfl, 491 


rens und der mündLichen Verhandlung, bas Weſen 
einer. Gerechtigkeitspflege erſchoͤpfe, die mit einer neu⸗ 
eingeführten ftellvertretenden Verfaffung in genauefter 
Verbindung ſteht. Wo aber, wegen der fchonenden 
Ruͤckſicht auf die beftehenden Verhaͤltniſſe, ber bis» 
berige Gang der Gerechtigfeitspflege nicht durchgrei⸗ 
fenb verändert werben fann und foll; da dürfte doch 
wenigftens bie Einführung von Friedensrichtern, 
von Gefhmornengerichten und des münd- 
lihen Verfahrens zunähft in ftrafrechtlihen 
Fällen, den Fortfchritten ber Wölfer und den Fort 
ſchritten der Gefeggebung und der Gerechtigfeitspflege 
angemefien fenn, womit nothiwendig auch eine neue 
Drganifation des Abvocatenftandes, und bie 
Morübung der fünftigen Mitglieder deſſelben ˖ in der 
mündlichen Beredſamkeit nothwendig in Ver- 
bindung ftehen müßte *). 


‚Nur in einem vollftändigen Spyftemeder Staats- 


kunſt koͤnnen die im $. zur Sprache gebrachten Ge- 
genſtaͤnde, worüber: die Meinungen noch fehr ge⸗ 
theilt find, erfchöpfend nach ihrem Sür und Wider 
- behandelt werden. Hier kann nur angedeutet wer» 


⸗⸗ 


ben, Daß die Friedens ger ichte in Großbritan⸗ 


nien und Frankreich als ſehr heilſame Anſtalten, 
weitlaͤufige Proceſſe zu verhuͤten, laͤngſt ſich be⸗ 
währe Haben. — In Staaten mit ſtellvertretender 
Verfaſſung wird der Caſſationshof als ber 
Schlußſtein in dem Organismus der Juſtizbehoͤr⸗ 


> 


— — — 





⁊ 


*) F. W. B. v. Ramdohr, Über die Organiſation des 
Advocatenſtandes in monarchiſchen Staaten. Han⸗ 
nover, ı801. 8. — Karl Sal. Zaharid, Anı 

Nleitung zur gerichtlichen Beredſamkeit. Heidelb. 
1810. 8. | Ä 


492. Staatskunſt. 


den, und als die- Bedingung einer wirklich gut 
und gleihförmig im wahren Geifte bed Gefeges 
" wirkenden Rechtspflege betrachtet. Seine Beftim- 
“mung ift die Erhaltung ber Unverletzbarkeit der 
Geſetze, fo wohl in der Form und Materie, als in 
der geordneten Competenz der Gerichte. Er ent⸗ 
ſcheidet daher nicht über Thatſachen; er feßt unter 
- den Partheien die ftreitenden Rechie und Verbind⸗ 
lichkeiten nicht feſtz dies thun die Inſtanzgerichte, 
an welche, nach der Caſſation eines Urtheils, die 
Sache zur anderweitigen Entſcheidung gewiefen 
wird. Er caffirt blos Urtheile, welche gegen 
das Flare Geſetz verftoßen, oder daſſelbe offenbar 
unrichtig auslegen oder anwenden, und macht ſeine 
Enntſcheidung oͤffentlich bekannt. 

In Beziehung auf die Geſchwornengerichte 
und die Oeffentlichkeit der Rechtspflege 
iſt es bemerkenswerth, daß mehrere Denker fuͤr 

beide zugleich, als zwei weſentlich zuſammen⸗ 
huaͤngende Theile — andre hingegen für die Deffent- 
lichkeit, allein gegen die Gefchwornengerichte — - 
und wieder andere für das Gefchwornengericht-in 
peinlichen und Die Preßvergehen betreffenden, nicht 
aber in bürgerlichen Fällen ſich erflären; fo wie 
wieder einige für die Beibehaltung ber Gcfhwor- 
nengerichte da, wo fie bereits eingeführt find, ftim- 
men, und nur der Einführung berfelben da ‚wo fie 
noch nicht beftehen, abgeneige find, — Geſchicht⸗ 
lich gewiß ift es, daß da, wo die Geſchwornenge⸗ 
richte beſtehen, "bie öffentliche Meinung für fie 
ſpricht; allein vor Einführung derfelben, wo fie 
noch fehlen, verdienen allerdings eine genaue Be— 
rucfichtigung: 1) der Grab der Euktur eines Vol⸗ 
tes und der Volfscharafter, 2) die Befchaffenheit 











Staats kunſt. 493 


des im Staate ‚geltenden .Strafi etbuches, ‚pnd 
-,3) die politiſchen und buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe 
des Sandes; Dies it C. J. FMittermaigr’s 


Anfiche in feinge Schrift: Die öffentliche mündliche 


‚Steafrechtspflege und das Geſchwornengeriche, in 
Vergleihung mie Dem .teutfhen -Strafnertahgen. 


Landsh. 1819. 8. ©. 40 fir — Unter ben pielen 


. Schriften, für die Oeffentlichkeit des, Veufahrens 
und für. das Gefchwornengerichs zeichnet ſich Aue 
Tiefe der phiofaphifihen Sorfehung ‚ geſchicht iche 

Ergruͤndung der Vergangenheit, durch politiſchen 
Tact und Ernſt und Freimuͤtchigkeit der Darfielung 
aug: das Gutachten ber (preußiſchen) Im⸗ 
mediat JIJuſtiz⸗Commitſion über das 
Geſchwornengericht. Berk s.a. (1818.) Fol. 
. (vergl. mit Welfers Rec, in —— Johrb. 
1818, St. 50-— 52. und mit M. C. F. WiGraͤ⸗ 

vells Prüfung der Gutachten der kon. preuß. Im⸗ 

mediat « Zuftiz.» Commiffion am Rheine über die 

dortigen Juſtizeinrichtungen. 2 Thle. %p}. 1849), — 


Unter den Gegnern.des Gefhmornengerichte, und 


zum Theile auch des mündlichen Verfahrens. ift 
- der fcharffinnigfte: Anfelm v. Feuer hach, Bes 
. trachtungen ‚über das Gefchwornengericht , Landsh. 
1813. 8. womit deffen Erklaͤrung über feing.an- 
geblich geänderte Weberzeugung ‚in. Anfehung ber 
Geſchwornengerichte, Erl. 1819. 8. fo wie deffen 
: neueite (etwas breitgehaltene) Schrift: Betrachtun⸗ 

‚gen tiber die Deffentlichleit und Muͤndlichkeit ber 
‚ Geredhtigfeitspflege, Gießen, 1821. 8.,; mit.dies 
fem Werke, aber noshwendig Mittermaier’s 

Prüfung: beffelben in den Heidelb. Ya u b. 
. 1822, Sebr. verglihen werben muß. Sehr 
. wahr bemerkt Mittermaier: „die Oeffentlich⸗ 








498 | Staatstunft. 


lichkeie ift niht wegen des-Publieums 
abllein da. Dies ift bie unfetgeorbnete 
Rückſicht. Der Angeklagte hat ein Ur 
recht, die Zeugen zu fehen'und zu hören. 
Die wahre Orffenttlichkeit beſteht eben darin, -daf 
das erkennende Gericht den Totaleindruck ber gan: 
zen Verhandlungen erhält, und daß nur auf die 
vor dem Gerichte abgelegten Ausſagen das Urtheil 

© gebaut wird. —Die Oeffentlichkeit bes Verfah⸗ 
rens verlangt organiſche Gefeßgebung‘; fie ift mit 
‘ einer Verfaſſung unvertraͤglich, in weicher die 
bi Su iz noch nicht von der übrigen Verwaltung ge- 
" teennt if, Kine halbe Oeffentlichkeit ift aber 
® fchlechter, als gar feine, weil fie das Volk taͤuſcht.“ 
Feuer bach if in feinem Werke nicht für die 
ODeffentlichkeit der Vor unterſachung; nıir nad 
geſchloſſenem, urfundlich beglaubigtem Beweisver- 
fahren foll-der Angeklagte feinen Richtern gegen 
uͤber geftelle, und hier auf den Grund der geführten 
“ Hauptunterfuchung öffentlich angeklagt‘ und ver- 
theidige werden. — Dagegen erinnert Mit- 
 termaierr ‘Ein .folhes- Schlußverhör wäre 
dann bloße Foͤrmlichkeit. Auch beim Vorver⸗ 
* fahren foll Deffentlichfeit ſeyn; denn der Ange- 
ſchuldigte iſt, wenn-er verhaftet wird, der noͤthi⸗ 
gen Ruhe des Geiſtes beraubt, von der Berathung 
der Rechtsgelehrten abgeſchnitten ‚ den Händen 

- eines im Amtseifer leicht excebirenden Beamten 
Preis gegeben, den Folgen der geiftigen Folter; 
auch kommt darin bie Aufnahnie von: Bemweifen 
vor , welche fpäter-beußt werden. Es waͤre daher 
das franzoͤſiſche Gefetz vom 9. Oct. 1789 anzu⸗ 
wenden, nach welchem jeder Bürger- von dem 
Angenblide an, 100 et verhaftet wird, das Hecht 


Staatskunſt. 493 


hat, fich Vertheidiger zu wählen, welche frei mit 
ihm ſich unterhalten dürfen; der Vertheibiger darf 
bei allen Zengenverhoͤren zugegen ſeyn, und dem 
Richter am Ende die nöthigen Bemerkungen ina⸗ 
chen.Doch modificirt Mittermaier dies felbſt 
Heidelb. Jahrb. 1822, Sept. S. 874.) dahin, 
„Daß bei allen verwickel ten Sachen ben muͤnd⸗ 
E lichen Verhandlungen ein ſchrift liche Vor⸗ 
verfahren vorausgehen müffe, weil es 
fonft den erflern an einer Grundlage fehlt.“ — 
Die Schrift v. Hazzi's über die Standpuncte 
der Wbayriſchen WVerfaffungsurfünde von 1818. 
: Münden, 1819. 8. hatte gerügt, daß bie neue 
bayrifche Verfaffung nirgends der Einführung -der 
aoͤffentlichen Gesechtigfeitspflege und des Geſchwor⸗ 
nengerichts gedenke. Diefem Urtheile trat K. Sal, 
Zacharia, in f Prüfung der Hazzi'ſchen 
Schrift (Heidelb. Jahrb. 1819, Mai, S. 449 ff.) 
mit der Erklaͤrung bei, daß er beide Einrichtungen 
mit dem Geiſte einer Verfaſſung, welche Abgeord⸗ 
nete ‚des Volkes zur Theilnahme an der Geſetzge⸗ 
bung berufe, fuͤr ſo weſentlich verbunden halte, 
daß er eine Werfaſſung dieſer: Art, wenn ihr jene 
Einrihtunget fehlen, nur als ein Gebäude betrach⸗ 
sen kaͤnne, welches in feinem weſentlichſten Theile . 
noch: unvollender fen Als Gewaͤhrsmaͤnner bafür 
dürfe man nur die Britten anführen: Doch 
- bemerft Zach ari aͤ fehr richtig, daß man, bevor 
man zur Aufnahme der Gefchwornengerichte fchreite, 
‚ vor allen Dingen mit der in England beftehen» 
ben Verfaſſung diefes Gerichts, (nicht blo 
mit. der franzöfifhen Jury,) befonbers 
mit dem Gefchwornengerichte für bürgerliche 
Rechtsſachen ſich befannt machen muͤſſe. Zacha- 





406 . Staatskunſt. 


nnx c. iſt feiner Anſicht von dem muͤndlichen Verfah⸗ 
. zen und den Geſchwornengerichten auch in ſ. wich⸗ 
„. tigen. Beurtheilung der Schriften über Fonks 
Prockß(Heidelb. Jahrb. Ergaͤnzungs heft 
;,.4822,) ‚treu geblieben. — Wie aber der britti⸗ 
„the Minifter 5 or bie Geſchwornengerichte betrach- 
.c.tete,.. erhellt ans feiner Erklärung: „‚Möchten 
., zueine ‚Sandsleute..nie ‚vergeflen, . Daß die beiden 
‚. ngefentlichften Triebfebern der Erhaltung bürger- 
Nichen ynd politifcher Freiheit in der Steilver- 
gr. tretüngberliationduchdas Medium ber 
„„Kammer.ber Ögmeinen, und in der. Stell- 
eo: mensretung der richterlichen Macht bes 
BVolkes durch die Geſchwornenbeſteben.“ 


.Aus der Maſſe von Schriften über die Gerechtig⸗ 
keitspflege koͤnnen in der Staatskunſt, wo dieſer Ge⸗ 
genſtandeblos als einer der vier Zweige der Verwal⸗ 
inng' betrachtet wird‘, nur die wichtigern neuern auf- 
gefühet ‚werden: Zn 5 0 ar 
IJ. Ern. a Globig, censura rei jydicielis Euro- 
-.. ‘pae-liberae, praesertim Germanise ‚> növis legum 
x" 'exemplia illustrata. a Tom. Lips. ı820 2q. 8: 
„Karl Sroimann, Theorie des gerichsliggen Ver⸗ 
‚. fahrens, in bürgerlichen Recdtsftreitigkeitem, Gießen, 
et, 2800. 8. .. ut. , .. 
7 Ernſt With. v. Reibnitz, Verfuch Aber das 


ent einer Gericesordnung. Berl. 1815: 8. - 
2 ga, Rudhart,"Äber die Verwaltung der Juſtiz 
„ Durch die adminifieativen Behörden, Wuͤrzb. 4617. 

8 (if gegen Gönner .und diejenigen gerichtet, 

welche den Grundſatz aufftellen, daß alle. Sachen, 
bei welchen die Staateverwaltung intereffirt ſey, 
= der Kognition der gerichtlihen Behoͤrden entfogen, 
und den, admin iſttativen zugethsilt werben. nulffen.) 


KG E SEES TEE . 3—.. 
Par Wigaup, neues fpRemaliihes Handbuch 


So. 1813. 8. 


Staatsfunft, 497 


+ für ‚die Friedensrichter des —R Betppalen 


”. % 
* ® 


Richard Pbillips, on the powers and duties 
of Juries, and on the oriminal laws of England, 
Ed. 2. London, 1813. 8. (zunaͤchſt für das brit⸗ 
tifhe Geſchwornengericht. — Verl, Sött. Anz. 


— "825, St. 1 3 


Cottu, !’administration de’ la justice ori- 
minelle en Angleterre ot de l’esprit du gouverne- 


.: ment anglais, Paris, 1820. 8. 


C. J. v. Sparre»Wangenheim, über Ges 
fhwornengetichte und das Verfahren in peinlihen 
Sachen. Leipz. 1819. 8. (gege 


Theod. Joh. Joſeph Lenzen, Wandbuqh für die 


Geſchwornen bei den Kriminalgerichten oder Aſſiſen⸗ 
‚.böfen. San, 1821. 8. 
(Ber & 3fhofle?’s Weberlicferungen, 1821 ‚ 
‚ Sept. &. 381 ff.) 


* « % 


2. Bremer, über das Öffentliche Verfahren 


3. 
, vor Gericht. Köln, 1818. 8. (zunächft gegen 8 e u e r⸗ 


bach.) 

C. v. Dalwigk, Auch ein Wort uͤber die Ans 
wendbarkeit der muͤndlichen oͤffentlichen Rechtspflege 
bet bürgerlichen Rechtsſachen in Teutfchland. Frif. 
am M. 1818. 8. 

Bender, uͤber das muͤndliche und oͤffentliche Vers 
odgen in Criminalſachen. Kaſſel, 1821. 8. 

. W. H. v. Drais, Geſchichte der Badiſchen 
—E— neuerer Zeit. Mannh. 1821. 8. (gegen) 

Weberficht des mündlich » öffentlichen Verfahrens In 
Civil⸗ und Eriminalfahen. Mit befonderer Hinficht 
auf den bayrifhen Rheinkreis. Don einem Juſtiz⸗ 
beamten dafeldft. Frankenthal u. Mannh. ıga21. 8. 
Die Öffentliche mündliche Rechtspflege im bayriſchen 


Rheinkreife. Frkf. am M. 1802. 8 


1: 15..Hieher gehoͤrt auch die Abhandlung und Praͤfung 


mehrerer Schriften: über die Oeffentlichkeit 
I. 


32 





408 Staatskunſt. 


und Mändlichkett der Rechtspflege, vor 
nämlih über das Geſchwornengericht in 


Criminalſachen; im Hermes XI. ©. ı ff. 


und über die Deffentlihteit und Minds 


lichkeit der Gerechtigkeitspflege in Civil— 
ſachen; Hermes XIV, S. 135 ff. 

N | . J 46. 11 - 

“ b) Die Polizei, als zweiter Haupttheil der 
| Staatsverwaltung. 

Während in allen gefitteten Staaten Polizeian- 


ftalten und Polizeibehörben beftehen, und die neuere _ 
und neuefte Zeit fogar das, politifche Ungeheuer der 


geheimen Polizei (des Seitenftüds zur Inquiſi— 
tion) .erlebte, flreiten noch die Theoretifer über den 
‚Begriff, den Inhalt und den Umfang der Polizei. 
Diefer wiflenfchaftliche Streie trifft aber weniger die 
. Gegenftände felbft, als die Entſcheidung der Frage: 
ob gewiſſe Gegenftände zur Polizei, oder zu einem an- 
dern Zweige der Staafsverwaltung gesogen werden 
. follen. Dies ift namentlich der Fall mit allem, was 
zur fogenannten Cultur- und Wohlfahrtspolizei ge- 
rechnet - wird, Weil aber die Nothwendigkeit der 
wiſſenſchaftlichen Behandlung dieſer Gegenftände an 


ſich, fo wie die Aufnahme verfelben in ben Kreis ber 


Staatswiſſenſchaften entfchieden, und nur der Streit 
‚über die Stelle derfelben im Kreife der leßtern noch 
nicht beendigt ift; fo werden fie hier zu dem Gebiete 
Her Polizei gezogen, wenn gleich nicht geläugnet 
werden fann, daß. die — nach diefem Standpuncte 
aufzuftellenden — zwei. Haupttheile der Polizei 
‘in Hinſicht der Verwirklichung ihrer Zwede im ins 
nern Staatsleben, weder an fih im nothwendigen 


Zuſammenhange ftehen, noch von einem und bemfelben 


Perfonale ausgeführt werden fönnen, 


) 


„.Staacskunſt. U 499 


Wenn nämlich die Verwirklichung bes Rechts 
und der Wohlfahrt im LUmfange. des Staates die 
“ Höchfte Aufgabe für die Staatsfunft bleibe; fo ergibe 
fi) ſchon aus dem Urfprunge beider Begriffe, daß 
nur das Rede durch Zwang. erhalten und geſichert 
werden kann, weil alle Rechte im Stagte, ihrer Na⸗ 
tur nad, Zwangs rechte find, daß aber die Wohl⸗ 
fahrt der Staatsbürger wohl auf vielfache Weife 
befördert und unterflüßt, nicht aber erzwungen werben 
kann. Wenn daher die Polizei in die beiden Haupt- 
fheile . Ä 

a) der Orbnungs- und Siherheits- — 

mitbin dee Zwangs- Polizei, und 

b) der Cultur⸗ und Wohlfapres-Polizei 
zerfällt; fo erhellt, daß zwar bie erfte dem Grundbe⸗ 
‚griffe des Rechts, und die zweite dem Grundbegriffe 
dee Wohlfahrt ver Staatsbürger entfpricht; daß 
aber, in Hinficht ihrer Vermwirflihung im Stagts⸗ 
leben, beide von wefentlich verfhiedenen Be— 
hörden ausgehen müflen, fo daß auch in vielen 
Staaten nur das, was zur Zwangspolizei gehört, 
dem eigentlihen Polizeiminifterium und 
beflen Behörben-untergeorbnet ift, hingegen das, was 
die Eulturs und Wohlfahrespolizei umfchließt, zum 
Minifterium des Eultus gerechnet wird. , 
- . Die Zwangspolizei, zunächft beftimme für 
‚hie Erhaltung der Ordnung und Sicherheit im Staate, 
muß daher zuerit die urfprünglichen und erworbenen 
Rechte aller einzelnen Staatsbürger überhaupt ficher 
ftellen; fie muß ferner die befondern Verhältniffe um⸗ 
ſchließen, unter welchen das inneze Staatsleben der 
Burger ſich ankündige (z. B. Stadt» und Dorf» Po⸗ 
digei; ‚Sffentliche und Hauspolizei 2c.) ; fie muß endlich 

32 


300 ° Staatskunſt. 


das rechtliche Beſtehen des Staates ſelbſt, als eines 
ſelbſtſtaͤndigen Organismus, nach ſeiner Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung, ſichern. — In allen 

dieſen Beziehungen tritt, ſobald irgend ein Recht der 
Individuen ober des Ganzen bedroht ober verlegt 
wird, der Zwang ein; nur daß in der Wiffenfchafe 
die Grenzlinie der Anwendung des Zwanges zwifchen 
der Juſtiz und der Polizet genau gezogen werben muß, 
weil’ allerdings diefe beiden Zweige der Verwaltung 
«in: Betreff jener Gegenftände nicht ſelten in nahe 
Berührung kommen. oo. 
-—.: Wie aber in ber Sittenlehre bie ‚unvollfomm- 
nen Pflichten, ober die Pflichten der Güte, gegen bie 
‚volllommnen Pflichten, oder gegen. die Pflichten ber 
Gerechtigkeit fi) verhalten; ſo verhält ſich auch — 
in der Stellung des Staates zu ſeinen Buͤrgern — 
die Cultur⸗ und Wohlfahrtspolizei zur Zwangspolizei. 
So wenig die Ausuͤbung der Pflichten der Guͤte im 
geſellſchaftlichen Leben durch Zwang bewirkt werden 
darf, wenn gleich der ſittlich⸗ gute Menſch der Erfuͤl⸗ 
‚dung derfelben ſich nicht entzieht; fo wenig darf auch 
‚der Staat das, was zur Eultur: und Wohls- 
fahrespoliget gehört, durch Zwang bewirfen wol⸗ 
len, wenn gleich in jedem gut organifirten Staate 
die Anftalten dafür nicht fehlen dürfen, und eben die 
- Höhere Vollkommenheit diefer Anſtalten zuglelth die 
höhere Stufe der Eultur des Staates felbft, und bie 
Blüthe des innern Staatslebens-ullet feiner Buͤrger 
- anfündige und verbürge. Es gehören aber zu den 

Gegenftanden der Cultur⸗ und 6 ahrtspolizei bie 
Bevoͤlkerung; das Armenwefen; die Landwirthſchaft, 
das Gewerbsweſen und der Handel; die Yufflärung 
überhaupt; das Religions» und Kirchenweſen; bas 
Erziehungs» und Schulweſen; die Auffihe uber vie 


Staatskunſt. 501 


Sitten, und die Sorge fuͤr den Genuß, das Ver⸗ 
gnuͤgen und die Bequemlichkeit der Staatsbuͤrger. 
Wird die Polizei nach dieſen beiden Hauptbe- 
ftimmungen aufgefaßt, und, als Gegenftand der Ver⸗ 
waltung, auf\das innere Staatsleben nad) ihren ein- 
zelnen Gegenftänden bezogen; fo kann weder ihre 
Nothwendigkeit, noch ihre Wohlehätigfeie 
| beqweifeit werden, Daſſelbe gilt von ihrer Selb ſt⸗ 
ftändigfeit, als befonderer Haupttheil ber 
Stoatsverwaltung; denn weder durch die Uebertra⸗ 
gung der Zmangspolizei an die im Staate vorhande⸗ 
nen Juſtizbehoͤrden, noch durch die Aufnahme der 
Eultur« und Wohlfahrtspolizei in die Staatswirth- 
fchaft, würde der wichtige Zweck der Polizei im innern 
Staatsleben erfüllt werden, weil fihon an fich bie, 
Verbindung der Juſtiz und Polizei in allen gut orga⸗ 
nifirten Staaten als hoͤchſt fehlerhaft anerfannt und 
befeitigt worden ift, und weil für die wichtigen Gegen- 
ftände der Cultur⸗ und Wohlfahrtspolizei, felbft nad) 
iprer wiffenfchaftlihen Aufnahme in die Staats- 
wirthſchaft, Doc eigene Behörden — verfchieden 
von ben übrigen ftaatswirthfchaftlichen Behörden — 
vorhanden feyn müßten. — Mur für das politifche 
Ungeheuer der geheimen Polizei gibt es weder 
in der Zwangs⸗, noch in der Eultur- und Wohlfahrts- 
polizei eine Stelle. 

Die Größe und die Bedürfniffe des Staates 
muͤſſen aber über die Zahl, uber das innere gegen- 
feitige Verhältniß, und über die Verthei— 
lungder einzelnen Polizeibehörden im gan- 
zen Umfange des Staates entfheiden. Wo ber Ge: 
bietsumfang und die Bevölferungsmaffe eines großen 
Reiches überhaupt eine bedeutende Anzahl der Ver: 
waltungsbebörben erfordert; da muß auch die Zahl 





5302 Staatskunſt. 


der Polizeibehoͤrden mit der Geſammtzahl der uͤbrigen 
Verwaltungsbehoͤrden im Ebenmaaße ſtehen; eben ſo 
wird in großen Reichen die Leitung des Kirchen⸗ 
und des Erziehungsweſens, ja ſelbſt die oberſte 
Leitung des Gewerbsfleißes und des Handels, 


beſondern felbftftändigen Behörden übergeben werben 


x 


muͤſſen. In Bleinern Staaten hingegen kann wohl 
das Minifterium der Polizei, und felbft das Minifte- 
rium des Eultus, nad) allen feinen obern, mittlern 
und untern Behörden, mit dem Minifterium des 
Innern, — allein nie mit dem Minifterium der 
Juſtiz, vereiniget werben, _ 
In Hinſicht der öffentlichen Ankuͤndigung wird 
namentlich die Zwangspolizei anders in conſtitu⸗ 
tionellen, als in unbefhränften und in 
deſpotiſchen Staaten erfcheinen. Denn wenn fie 
in den legtern nur von dem Willen des Beherrfchers 
und der höchften Verwaltungsbehörden abhängt, fo 
daß fie willführliche Verhaftungen, Einferferungen 
ohne Verhör, Hausfuchungen ohne gegründeten Ver⸗ 
dacht, eigenmaͤchtige Veftrafungen, ohne den Ver⸗ 
brecher der Juſtiz zu übergeben, und ähnliche Ein- 
griffe indie Privarficherheit — für deren Erhaltung fie 
doch befteht — ſich erlauben kann, muß fie in confti- 
tutionellen Staaten innerhalb der Grenzen ihrer 
Wirkſamkeit fir Ordnung und Sicherheit bleiben , die 
ihr in der Werfaffung und in der Verantwortlichfeit 
ber Polizeibehörden gegen den Regenten und die Volks⸗ 
verfreter gezogen find. Denn fo wie überhauptin con» 
ftitutionellen Staaten die öffentlihe Meinung 
über die Verftöße gegen Ordnung und Sicherheit oft 
nahdrüdlicher, als die Zwangspolizei, entſcheidet; 
fo hat auch die Polizei, aus demfelben Grunde, in 
conftirutivneflen Staaten wenig zu thun, weit fie nie 


Staatskunſt. | 503 


willkuͤhrlich und eigenmächtig verfahren darf, und weil 


fie in der öffentlichen Meinung die wirkfamfte Zuftim- - 
mung. und Unterftügung. bei allen ihren. rechtlichen. 


Maasregeln finde. — So wie endlih, nad) dem 
Zeugniſſe der Gefchichte, Diejenigen Staaten, wo Ttete 


und harte Strafen nöthig find, gewöhnlid auf tie⸗ 


fen Stufen der Cultur und ber Gefittung ftehen; 
fo aud) diejenigen Staaten, wo die Zmangspolizei un« 
unterbrochen ins öffentliche und Privatleben eingreift, 
und eingreifen muß. Dagegen werben diejenigen 
Staaten auf höhern Stufen der Bildung, des Fort: 
ſchritts und der politifhen Muͤndigkeit erſcheinen, wo 
weder das Strafeecht, noch Die Ziwangspolizei in raft- 
lofer -Thatigfeie find, | 

In Beziehung auf die Errichtung der Polizei» 
behörben wird der Staat bedeutende Kräfte und Sum- 
men da erfparen, wo zweckmaͤßige Gemeinde- und 
Städteordnungen mit auffehenden und verwal- 
tenden Individuen und Behörden aus der Mitte 
der Gemeinden, und wo Friedensrichter 
beftehen. Denn fo wie mir dem forgfältig organifirten 
und felbfiftändig begründeten Gemeindewefen die um⸗ 
fichtigfte Leitung der Gemeindeangelegenheiten ‚- die 
ficherfte Entwidelung der bürgerlichen Freiheit, und 
die innigfte Anhänglichkeit an die Regierung und. das 
Vaterland zufammenhängt; fo werden auch dadurch) 
viele auffehende, bewachende und .controllirende Poli- 
zeibehörden erfpart, und deſto leichter fünnen dann, 


auf einem ſolchen feften Grunde, die übrigen Polizei 


bebörden (Präfecte und Unterpräfecte, — Kreis: 
bauptleute und Amtshauptleute, — Polizeidirectionen, 
— Sanbräthe u. a.) ihrem Gefchäftsfreife Genüge 
leiften. | 

Da im zweiten Theile diefes Werfs die Poli. 


304 | Staatskunſt. 


zeiwiſſenſchaft, nach ihrem wiſſenſchaftlichen 
Charakter und nach ihrem ganzen Umfange, fo wie 
mit vollftänbiger Literatur ausgeſtattet, bargeftellt 
wird; fo fonnte hier nur bas aufgenommen wer» 
ben, was ber Polizei, als felbftitändigem, und 
"den Übrigen Theilen ber Verwaltung gleichgeord- 
netem Zweige ber Verwaltung zukommt. 


47. 


c) Das Fina nzweſen, als dritter Haupttheil der 
Staatsverwaltung. 


Wenn vormals die Domainen und Regalien der 
Megenten ausreichten,, den Aufwand des Hofes und 
die Bebürfniffe des Staates zu deden; fo warb ſchon 
im ausgehenden Mittelalter für außerordentliche 
Bedärfniffe des Staates die Bewilligung von Steuern 
nöthig, welche Anfangs nur vonden Prälaten (den geift- 
lichen Großen) und der Ritterfchaft, und bald darauf 
auch mic Zuziehung der Stäbte gefchab, weil, nament- 
(ih nad) altgermanifcher Verfaſſung, der Teutfche nur 
die ſelbſt bewilligten Steuern entrichtete. Als 
nun in der Folge die früher für einzelne Fälle (Krie- 
ge, Schulden zc.) bemilligten Steuern allmählig in 
ftehende Abgaben verwandelt, in ihren Summen 
geſteigert, und mit andern neu binzufommenben ver- 
mehre wurden; da mußte aud) die Verwaltung biefer 
Steuern verwidelter und mannigfaltiger, und in den 
meiften Staaten von der Verwaltung ber Domainen 
und Regalien des Kegenten getrennt werden. Noch 
bedeutender wirfte das ausgehende fiebenzehnte und 
das ganze achtzehnte Jahrhundert auf die Finanzver- 
waltung der europaifchen Staaten ein, feit die überall 
eingeführten ſtehenden Hecre die jährlichen Be— 


Staatsfunft. 305 


dürfniffe ber Staaten mächtig fteigerten,, und wie-faft, 
ohne Ausnahme in den europäifchen Reichen ‚und: 
Staaten vorhandenen Schulden die Steuern und 
Abgaben vermehrten, ohne gerade die dringendſten 
Bedürfniffe der Staaten zu beſeitigen. 

: Diefe Verhältniffe im wirklichen Staatsleben 
blieben nicht ohne Ruͤckwirkung auf die. Theo⸗ 
rie. Wenn früher das Aggregat.ber Kamepalwiſſen⸗ 
ſchaften (Landwirthſchaft, Viehzucht, Bergbau; Forſt⸗ 
kunde, Gewerbskunde und Handelskunde) nothduͤrftig 
fuͤr den kuͤnftigen Kameralbeamten (hießen doch die 
fuͤrſtlichen Verwaltungsbehoͤrden damals Kammenn) 
ausgereicht hatte, wozu im achtzehnten Jahrhunderte 
gewöhnlich ein empiriſcher Zuſatz über die in der Wirke⸗ 
lichkeit beftehenden Steuern und Abgaben, unter bean 
Namen Sinanzwiffenfchaft, als Anhang zu den Kame 
ralwiſſenſchaften, zum Theile verfegt mie etwas Poli⸗ 
zeiwiſſenſchaft, hinzukam; fo fühlte man doch bald, bei 
den Fortfchritten des innern Staatslebens, gleichgeitig 


mit der Vermehrung der Staatsbebürfniffe und.der : 


Staatsfchulden, daß man nicht nur die Finanzmifr 
fenfhafe felbitftändig behandeln, fondern ihr aud) 
in dee Staatswirthſchaft eine wiſſenſchaftliche 
Begründung vorausfchicken müßte. Allein auch die - 
Staatswirthfchaft, welche nur zu demHöhern, nieht 
zu dem Höchften im Volfsleben fich erhob, indem 
fie nur die Bedürfniffe des Staates und die finanzielle 
Stellung der Regierung zu den Staatsbürgern wiffen- 
ſchaftlich ordnete, nicht aber auf die legten Quellen 
und Bedingungen des Volfswohlftandes und Volks⸗ 
vernögens felbft, — beide unabhaͤngig von allem 
Einfluffe des Staates und beffen Regierung auf die» 
felben — zurüdging, erhielt am Anfange des neun: 
zehnten Jahrhunderts in der Volkswirthſchaft 


506 Sltaatskunſt. 


(Natichaloͤkonomie) ihre wiſſenſchaftliche Unterlage 
und philoſophiſche Begruͤndung, ſo daß, durch dieſen 
maͤchtigen Fortſchritt der Wiſſenſchaft, auch auf die 
Finanzverwaltung ein neues Licht fiel, und die Ab⸗ 
haͤngigkeit der Staatswirthſchaft von der Volkswirch⸗ 
ſchaft, fo wie wieder die Abhängigkeit der Finanzwiſſen⸗ 
fhaft von der Staatswirchfchaft entfehieden ward *), 

Diefe neue Geftaltung der Wiſſenſchaft, gleich- 
zeitig mit der Begründung fteflvertretender Verfaſſun⸗ 
gen in vielen europäifchen’ und seutfchen Staaten, 
blieb auf die Verwaltung der Staaten nicht ohne 
wefentlihen Einfluß. Man fragte nun zuerft nach 
den Quellen und Bedingungen bes Wolfsvermögeng, _ 
und nach dem reinen Ertrage der Arbeit ber ein- 
zelnen Staatsbürger, um, nad) diefem einzigen recht- 
- lichen und den Wohlftand des Ganzen aufrecht hal⸗ 
tenden Grundſatze, die Beftandtheile des Staats- 
vermögens überfchauen , und gleihmäßig aus bem 
reinen Ertrage des Volfsvermögens die Jahresbeduͤrf⸗ 
niffe des Staates (im Budget) ordnen, prüfen, vers 
theilen und von der Geſammtheit der Staatsbürger 
erheben zu fünnen, fo daß, nad dieſem Gefichts- 
puncte, die Staarswirthfchaft, auf die Grundlage 
der Volkswirthſchaft geftüge, die Art und Weife be- 
flimmt, wie das Staatsbeduͤrfniß aus dem Volks: 
- vermögen aufgebracht und gebedlt werden, und wel- - 
hen Einfluß die Regierung im Staate auf bie 


*) Am zweiten Theile dieſes Werks wird, in ſpſte⸗ 
matifcher Folge und mit Beibringung der wichtigern 
Literatur, dieſes Verhaͤltniß der Volkswirthſchaft, 
der Staatswirthſchaft und der Finanzwiſſenſchaft 
gegen, einander, in der Telbfitiändigen Dar: 
ſtellung diejor Staatswiſſenſchaften entwickelt werden. 


\ 


- 


Staatsfunft. . 507 
Leitung der Quellen ind Bedingungen bes Volksver 
mögens, fo wie auf die Gefammtthätigfeit der Staats« 
bürger behaupten fann und darf, morauf dann bie 
Finanzwiſſenſchaft im Einzelnen die Lehre von der 
Verwaltung der Domainen und Regalien, von den 
directen und indirecten Steuern, von der Erfebung 
derfelben, von dem Kaffenwefen, und von der Con⸗ 
trolle über die gefammte Finanzverwaltung aufftelle. 

" Entfhieden beburften alle Staaten Europa’s, 
die unbefchränften wie die befchränften Monardhieen, 
die demokratiſch wie die ariftofratifch geftalteten Re⸗ 
publifen, ohne Ausnahme, im Anfange des neun» 
zehnten Saprhunderts, einer völlig neuen Einrichtung 
Des Finanzweſens; dies verfündigten die halben 
und ganzen Staatsbankerotte; dies die Subfis 
dien und die gezmungenen und freiwilligen Ans 
leihen im Sin» und Auslande; dies die Vermehrung 
der Staatsfhulden; dies die bis zum Ertreme 
vermehrten Abgaben und Steyern; dies die her- 
abgefesten Zinfen von den Staatsfhulden; dies 
die errihteten Amortifationsfonds; Dies die 
eingeführten Controllen über das ganze Finanz 
und Kaflenwefen; dies die Wereinfachung des 
ganzen Staatshaushalts in einzelnen Reichen und 
Staaten, fo wie die vielfach verfuchten Katafter 
und Sandesvermeffungen, um wenigſtens bie 
Grundfteuer nad cechtlichen und gleichmäßigen 
Grunbfägen auszumitteln. 

Ob nun gleich zwiſchen Staaten mit und ohne 
ftellvertretende Verfaſſung, in Hinſicht auf die Def 
fentlichfeit ber Verhandlungen über die Jahres 
bedürfniffe des Staates und über deſſen Schulden- 
weſen, ein weſentlicher Unterſchied ſtatt finden muß, 
weil in den erſtern das Budget den Volksvertretern 





3 Spaarskunfl. 


in.ben Kamitaern zur- Prüfung und Zuſtimmung vor- 
gelegt, und von diefen die “Befteuerurig des ganzen 
Volkes, im Namen deflelben, bewilligt, fo wie von 
benfelben germöhnlich aud) die Wertheilung der 
bewilligten Steuern im Einzelnen geleitet, und Die 
Verwendung derfelben für die aufgeftellten Zwecke 
controflirt wird’; fo gibt es doch auch gewiſſe al lge⸗ 
meine Grundfäße, welche als Maasitab einer. 
rechtlichen und die Wohlfahrt des Ganzen nicht beein- 
frächtigenden Finanzverwaltung, in ber fehre von 
der Staatsvermwaltung. überhaupt, -aufgeftellt werben 
können. Dieſe find: . 

Alle Staatsbürger müffen, im Verhaͤltniſſe zu 
dem reinen Ertrage ihres Einfommens, gleich— 
- mäßig zu den ſaͤmmtlichen Bebürfniffen des Staates 
. beitragen ‚ weil fie.alle gleihmäßig den Schug deſſel⸗ 
ben genießen. In Hinſicht der bis dahin Bevorred)- 
teten muß ein rechtliches und billiges Abfom- 
men getroffen werden, weil wohlerworbene Rechte 
(die nicht gegen die urfprünglichen Menfchenrechte 
ftreiten, wie 3. B. Sklaverei und teibeigenfchaft) in 
geſitteten Staaten, felbft bei Umbildung der Verfaf: 
fung, nie ohne freiwillige Werzichtleiftung darauf) 
erlöfhen, wohl aber, auf Antrag der Regierung 
gegen Entfhädigung verändert (mobificirt) 
. werden Fönnen. | 
| Der reine Ertrag ber geſammten bürgerlichen 

Thaͤtigkeit (es fey im Anbaue des Bodens, oder. der 
Gewerbe, oder des Handels, oder der Wiflenfchaft 
‚und Kunft), und des baaren Capitals, — ausge: 
mittelt nach Srundfägen der Volks» und Staatswirth⸗ 
(Haft, — iſt der einzig rechtliche Maasſtab der 
Defteuerung. | 

Das Hoͤchſte, was der Staat für feine Jahres: 


Staatskunſt. 509 


beduͤrfniſſe vom reinen Ertrage in Anſpruch nehmen 
darf, wenn er nicht die Quellen und Bedingungen des 
Volkswohlſtandes allmählig. gerftören:mill,.; iſt ein 
Fuͤnftheil (wo möglich nur ein Achttheil) des 
reinen Ertrags. °\ .. zunzemann 2 SU 
Die Wirthſchaft des Seaated wuͤrde an beſten 
verwaltet werben, wenn in ihr, wie in der Mir 
fchaft des Privarmanngg, die Ausgabe. na) ber 
Einnahme beftimme erben koͤnnte. Allzin Hei 
den gefteigerten Bebürfnifien ber Staaten ,,. be 32 


vielen außerordentlichen Ausgaben..im, Stagtsisban, 
muß ſich die Einnahme (das Erheben Naar 


Dur 2 7 27 


richten; d. h. es müffen fo viele Summen aufgebrady 
werben, als zur ‘Befriedigung der im Budget. aufger 


tretern anerkannten und gutgeheißenen, jährlichen 
Staatsausgaben erforderlich find. 
Die Angaben im Budget müffen bie einzel— 
nen Gegenftände des Staatsbedarfs (Civilliſte "Ai 
fen der Staatsfchuld, Amortifationsfords, Penfid- 
nen, Etats afler einzelnen Minifterien, mit den ihnen 
anzumeifenden Refervefonds u. ſ. w.) beſtimmt auf 
führen; fie müffen zugleich durch die den Volksver⸗ 
tretern vorgelegten Rechnungen der . vorigen, Jahre 
beglaubigte ſeyn; die neuen Forderungen an Die 
Stände aber müffen durch hinreichenbe Gründe moti⸗ 
virt werden. ' BE rn u 
In allen eonftitutioneflen Staaten, ' wo? D o- 
mainen beftehen,, muß der Ertrag derſelben „ſo wie 
‚die Berechnung des Ertrags der Regalien, zuer ſt 
beim Budget in Anſchlag kommen. Die uͤbrigen An- 


510 . EStaatskunſt. 
füge des Budgets muͤſſen durch dir eete und indi⸗ 
zecte. Steuern (nach einem zwiſchen beiden in ber 
‚Finanzmiflenfchaft theoretiſch aufgeſtellten, und auf 
Dir beſtehenden Verhaͤltniſſe :;jedes inzelnen Staates 


. mit Vorfiht angewandten Maasftabe), bis zur Er- 


seichung der. im ‚Dubgei befiänmen Gefammtfumme, 


| aufgeheacht wenden. ' 


Alle von ben Beifsvepgeteri bewiligte Steuern 
muͤffen auf die einzelnen Kreiſe und Provinzen, ſo wie 
in dieſen auf die einzelnen Ortſchaften, Gemeinden und 
Individuen, am beſten durch die Volksvertreter ſelbſt, 
gkeichmaͤßig vertheilt, auf die für Die Staats⸗ 
bürger ſchonendſte und bequemſte Weiſe erhoben, 
ſo wie nach dem im Budget angegebenen Bedarf, und 
für tönen andern Zweck, verwendet werben, worüber 
den Volksvertretern bas KRecht der Einſicht der Rech⸗ 
nungen zuſteht. 

Die Ueberſicht uͤber das innere Verhaͤltniß der 
Staatseinnahmen und Staatsausgaben gegen einan- 
der muß durch das forgfältig geführte Kaffenwefen 
moͤglich gemacht und erleichtert, fo wie die Oberauf⸗ 
ficht über die geſammte Finanzverwaltung von der 


- Oeneralcontrolle ($. 42.) geleitet und durchge- 


führe werden * 





*) Was Hier als weſentliche Bedingung einer zweckmaͤ⸗ 


ßigen Finanzv erwaltung aufgeſtellt wird, if zwar 

. Das MRefultat. der ſyſtematiſchen Darftellung der Fi⸗ 

nanzwiſſenſchaft, das Aber in der Staasstunft nt 

ganz übergangen werden fann, weil beide 

Wiſſenſchaften, obgleich nahe verwandt, doch felbfts 

ſtaͤndig neben einander beftehen, und weder im eig: 

- am Studium, noch im Eehruorttage immer verbuns 
ben werben: “ 


Staatskunſt. va 511 


| 48. J 
d) Das Kriegsweſen, als vierter Haupttheil 
ber Stantsvermaltung, -- -- 


Wenn auch die philoſophiſche Rechtslehre im. phi- 
loſophiſchen Wölkerredite (Naturt. $. 579 das heat 
bes ewigen Friedens Auffielle und die Webingun« 
gen zur Herbeifuͤhrung dieſes vollendeten rechtlichen Zu⸗ 
ſtandes ber geſammten Menſchheit entwickelt;ſa wird: 
doch ein ſolcher Zeitpunct des ewigen Frieders an Der 
Wirklichkeit nie eintreten. Das Hoͤchſte, was 
erreicht werden kann, iſt Verminderung der 
Kriege, theils durch Vermeidung aller Angriffs⸗ 
kriege, weil (Staatsr. $. 73.) nur der Vertheid i⸗ 
gungskrieg, um bedrohte oder verletzte Rechte zu 
ſchuͤtzen, rechtlich iſt; eheils durch allmaͤhligen Ueber⸗ 
gang der ſogenannten Militairſtaaten in rechtliche 
buͤrgerliche Vereine, weil allen Militairſtaaten ein 


eroberungsluſtiger Charakter eigen iſt, der das | 


politifhe Dafeyn und die Sicherheit der Nachbar- 
flaaten unmterbrochen bedroht; theils durch allge 
‚meine Verminderung der ftehenden Heere, wobei die 
Mächte vom erften politifchen Range den Anfang 
machen müffen, weichen die Staaten vom zweiten, 
dritten und vierten politifchen Range von felbft nach⸗ 
folgen werben, weil dieſe zunachft nur wegen ber mög» 
lihen Bedrohung ihrer Selbfiftändigfeit von den 
Mächten des erften politifhen Ranges, und gemiß 
‚nur felten aus Fleinliher Nahahmungsfucht, größere 
Heeresmaflen halten, als mit ihrer Bevölkerung - 
und mit ihren Finanzen wreinbar if. Wäre uͤbri⸗ 
gens ein allgemeines Bolfstribunal in ber Wirk⸗ 
lichkeit denkbar, von welchem bie Streitigfeiten der 
«inzelnen Staaten entfchieden,, und deſſen Entſchei⸗ 


1512 | | Staatskunſi. 


dungen als guͤltig anerkannt wuͤrden; ſo wuͤrde dieſes 
der Idee bes. ewigen Friedens am meiſten ſich nähern. 
Allein fo lange.in.der Wechſelwirkung der Staa⸗ 
ten noch eigentliche Angriffskriege ſtatt finden (ver- 
ſchledon von dem rechtlichen Vertheidigungskriege, in 
welchany nach dein Rechte der Praͤvention, ber erſte An- 
griffiauch von dem ſich vertheidigenden Staate geſchehen 
kann) Pſo lange noch Militnirſtaaten beftzfen;.und fein 
Voͤlkortribunal die ſtreitigen Intereſſen einzelner Staa⸗ 
ten mit de m Nachbrucke entſcheidet, daß die geſammte 
Slaatltenverbindung demjenigen Staate den Krieg er⸗ 
lart, welcher den rechtlichen Ausſpruch jenes Tribu⸗ 
“Hals nicht anerfennt;..fo lange muß auch In der Mitte 
jedes Simates eine: feinen Berhältniffen und politifchen 
' Kräften angemeſſene bewaffnete Macht beftehen, 
und 'diefe als ein befonderer Hauptzweig Der. Staats» 
verwaltung in fi: zufammenhängenb organiſirt ſeyn, 
"und nach allen einzelnen heilen gleichmäßig geleitet 
werden. — —W 
ER 


a 


| 49. 
Fortſetzung. 
.Das Verhaͤltniß der bewaffneten Macht eines 
Staates zu feinen politiſchen Kräften. wird. aber. be⸗ 
ſtimmt 1) durch die Ruͤckſicht auffeine Bevöl- 
ferung, und 2) duch die Ruͤckſicht auffeine 
Sinanzen. Denn ſowohl das ewig heiligeRecht, als 
bie auf, die Grundfäge der indivibuellen und allge- 
meinen Wohlfahrt ber. Staatsbürger geſtuͤtzte Staats⸗ 
kunſt, verwerfen. als unrechtlich und unzwechmaͤßig den 


Verkauf der Inlaͤnder zum Kriegsdienſte ans Aus- 


land, und erflären: ſelbſt die Errichtung. und Unter⸗ 
haltung eines Heeres far. fremde Subſidaen für 


Staatskunſt. 513 


hoͤchſt bedenklich, und nur in eingelnen — fehr fel- 
tenen — Fallen, nach) Anfichten der Staatsklugheit, zu 
entfchuldigen. Denn Staatsrecht und Staatskunſt 
ſtimmen nur darin überein, daß bie phufifchen Kräfte 
ber männlichen Bevölferung bes Staates aufgebaten 
werben müflen theils für die Aufrechthaltung der . 
Selbftftändigkeie und Integrität deſſelben, rheils für 
die Verteidigung und Wieberherftellung feiner von 
außen bedrohten ober verfegten Rechte, Zwiſchen bei⸗ 
ben Zwecken muß aber genau unterfihieben werben; 
denn der erfte, mo die Selbftftänbigfeie und Inte⸗ 
gritaͤt des Staates bedroht ift, erfordert die. möglichft 
größte Anftrengung aller Kräfte, um jenen hoͤch ſten 
Zweck des Staatslebens zu. bewahren und zu fihern; 
Dagegen der zweite Zweck, die Vertheidigung. der bes 
drohten oder verlegten Rechte, in den meiften Fällen 
mit einem geringeren Aufwande von Kräften und Mits 
teln erreicht werden kann, und in diefen Fällen ge. 
wöhnlich auch die Verbindung mehrerer Staaten zur 
gemeinfchaftlichen Führung eines Krieges ſtatt finder, 
Ä Wenn alfo die Kämpfe der zweiten Art die Re⸗ 
. gel, und die ber erften Are die Ausnahme von ber 
Pegel bilden; fo muß auch die bewaffnete Macht im 
Staate zunächft nach der Regel, und nicht nach der 
Ausnahme von berfelben, geftaltet werden. Was 
die Maſſe der bewaffneten Macht im Staate betrifft; 
fo ift in gefitteten Staaten, wo feine Nomadenhorben 
angetroffen werden, Ein Procent (von 1 Million Be- 
völferung 10,000 Mann) das Hoͤchſte, was fuͤr die 
bewaffitete Mache (fie heiße .ftehendes Heer, oder 
Miliz, ober Landwehr, ober Nationalgarde) im Gan- 
zen aufgeboten: werben barf ;: fobald das von der Ma⸗ 
tue feftgehaltene Verhaͤltniß: zwiſchen beiben Gefchlech- 
tern, Bas gleichfalls auf Natutgeſetzen beruhende Ver⸗ 
. 33 





314 — Staatskunſt. 


haͤltniß der Entwickelung der phyſiſchen Kraft im Ju⸗ 
gendalter, und das aus Grundſaͤtzen des Rechts und 
der Staatskunſt hervorgehende Verhaͤltniß der einzel» 
nen Staͤnde und Berufsarten im Staate gegen einan⸗ 
der, nicht, zum unwiederherſtellbaren Nachtheile des 
Ganzen, erſchuͤttert und verlegt werden ſoll. Denn, 
ſelbſt abgefehen von der gewöhnlichen Eheloſigkeit der 

meiften Mitglieder der bewaffneten Macht im Staate, 
darf die. Regierung des Staates nicht vergeſſen, daß 
die Natur in der verhaͤlenißmaͤßigen Gleichzahl 
beider Sefchlechter ihre Abfichten für Die Fortpflanzung 
der menſchlichen Gattung beſtimmt anbeutete, und daß 
bie Hintertreibung diefer Abfichten nicht ohne Folgen 
für die Bevölkerung, und ſelbſt fir die Sitrlichfeit 
ber Bölfer, bleiben kann, fo wie bie zu frühzeitige 
Berufung zum Kriegsdienfte (vor zurüdgelegtem 
jwanzigften tebensjahre) Die Entwidelung und Reife 
ber förperlichen Kräfte bei den meiften Individuen 
(Einzelne gelten nicht als Regel), befonders in ben 
Tordlandern Europa’s verhindert und zerftört, und 
daß, weil der Krieger im Staate nicht erwirbt, 
fondernnur verzehrt, felbft nach Grundfäßen der 
Volfswirthfchaft, zwifchen der bewaffneten Macht und 
den übrigen erwerbenden Ständen im Staate ein rich⸗ 
tiges Verhältniß ausgemittelt werden muß. Mit Rüd- 
fiht auf die Bevölferungim Staate gilt alfo 
‚ der Grundfaß: daß zur bewaffneten Macht (fie heiße 
ſtehendes Heer, oder Landwehr u. ſ. w.) nur Einer vom 
Hundert. der. Gefammtbevälferung (mithin von der 
Geſammtzahl männlicher Individuen im Staate 
- Einer von funfjig), und zwar erft nach zurückgeleg- 
tem zwanzigften Lebensjahre berufen, und durch dieſe 
Berufung feiner der mwefentlichen Zwecke ber bürger- 
lihen Thätigfeit, der Sanbbau, der Gewerbsfleiß, 


u” 


Staatskunſt. 315 


‚der Handel, bie Wiſſenſchaft und die Kunſt beein⸗ 


traͤchtigt werde. 

Mit dieſer erſten Ruͤckſicht ſteht die zweite in 
genauer Verbindung; denn die bewaffnete Macht 
muß vom Staate unterhalten werden, deſſen in⸗ 
nere und aͤußere Sicherheit ſie vertheidigen ſoll. Bei 
der Steigerung des Preiſes aller Lebensbeduͤrfniſſe 
mußten daher auch) die Summen für die Unterhaltung 
der bewaffneten Macht erhöht und gefteigere werben, 
und-deshalb ift in dem ‘Budget der meiften Staaten 
die Summe für die bewaffnete Macht die ftärffte 
unter allen, und ber Etat des Kriegsminifters, der, 


welcher die Etats aller übrigen Minifterien bedeutend 


überfteigt, und fogar bisweilen der Hälfte der ges 
fammsen Jahresbeduͤrfniſſe des Staates ſich nähert. 
Da nun in vielen Staaten felbft in Friedenszeiten die 
nothwendige Unterhaltung des vorhandenen flehenden 
Heeres das jährliche Einfommen derfelben überftieg 
ynd fie in Schulden flürzte , welche in Kriegsjahren, 
und befonders bei den ungludlihen Wendungen des 
Kampfes, außerordentlich vermehrt wurden; fo durfte 
es nicht befremden, wenn namentlich in neuern Zei- 
ten, wo die auf ältern Fuß organifirten ftehenden 
Heere im Augenblicke der Entfcheidung nicht mehr den 
Erwartungen ber Regenten und der Völker entfpra- 
hen, viele Stimmen laut gegen bie ftehenden Heere 
fi erhoben *). Denn allerdings läßt es ſich ge- 


*) Eine ftarte Stimme gegen bie ſtehenden Heere ers 

hob der Freih. v. Steigentefh in f. Auffabe:s 

- über ſtehende Heere und Landesbewaffs 

nungen, in der Minerva, ı807, Sept. ©. 

385 ff.; allein die ſtaͤrkſten Stimmen gegen’ die 

ſtehenden Deere erfchollen im Parlament: der Brit⸗ 
233* 


N 


516 EStaatskunſt. 


ſchichtlich nachweiſen, daß, obgleich ſeit der Erfin⸗ 
dung des Schießpulvers und ſeit der dadurch bewirkten 





ten, weil man In England von jeher ein großes 
ſtehendes Heer als gefähtlig für die bürgerliche 
Greiheit betrachtete. So erklärte (um nur der 
neueften Verhandlungen. über diefen Gegenſtand zu 
gedenken) Tierney (am 13. Zebr. 1816) dem Mir 
nifter Caſtlereagh ins Geſicht: „er werde volle Sicher: 
beit des Friedens nur dann fehen, menn die Civil⸗ 
macht aller Regterungen Europa’s die Oberhand Ger 
ihre Heere gewonnen hätte, und wenn die bürgers 
lichen Srundfäge Herr der militärifchen geworden wäs 
ren (Allg. Zeit. 1816, N. 62.).“ Lord Grenville 
(vgl. N. 67.) fprah in demfelden Sinne: „Ward 
der lebte Kampf für die Sache ber Menſchheit und 
den Frieden gefämpft; warum beeilen fih denn nicht 
die europaͤiſchen Mächte, die ſtehenden Heere, di eſe 
größten Feinde des Friedens und der 
menfhtihen Slüdfeligkeit, gu vermindern? 
Dann würden fie den Beinamen der Wohlthäter, 
der Heilande des Menfchengefchlehts verdienen. 
StehendeHeerehabendie größten Reiche 
geſtürzt. So fiel Rom, nachdem der militärifche 
Geiſt die Stimme ber. Freiheit erftickt hatte. So 
fiel Srankreih unter Ludwig 14, und unter Bona⸗ 
parte, nachdem beidemale der Kriegsgetft die 
VBerfaffung, denn vor Ludwig 34 hatte Frank⸗ 
reih eine, zu Boden getreten patte “ 
Brougham nannte den Militärgeift eine „trantı 
bafte Stimmung der Nationen; Lord Folkſtone 
erffärte (Allg. Zeit. N. 78.) „den Geift der (milis 
tärifchen) Subordination für unverträglich mit dem 
Seifte der Freiheit;“ und Grant berechnete (N. 89.), 
daß, „als Pitt -im Sabre 1792 feinen Friedensfuß 
aufftellte, die ftehenden Heere von ganz Europa nidt 
viel über 500,000 Mann betragen hätten, jegt aber 
. 3,500,000 Mann bleibend unter den Waffen ftänden. 
Wir möffen, fuhr er fort, durch ganz Europa das 
Gefühl lebendig machen, daß der Bürger fih ſelbſt 


% 
x 





Staatskunſt. 517 


voͤlligen Veraͤnderung des Kriegsweſens die Sicher⸗ 
heit der Staaten im Innern und nach außen, mit der 


Schutz und Sicherheit ſeyn, und Gewicht genug im 
Staate haben muͤſſe, um den Militaͤrgeiſt nieder zu 
ziehen, und zur geziemenden Ergebenheit gegen die 
buͤrgerliche Macht zu bringen.“ 
Bevor noch der letzte Weltkampf uͤber ganz Europa 
ſich ausbreitete, ſtellte Kant (zum ewigen Frieden, 
S. g f.), unter den Praͤliminarartikeln zum ewigen 
Frieden unter den Staaten, den Satz auf: „Stehende 
Heere ſollen mit der Zeit ganz aufhoͤren; denn ſie 
bedrohen andere Staaten unaufhoͤrlich mit Krieg, 
ducch die Bereitfhaft, immer dazu geräftet zu ers 
fheinen, und reigen dieſe an, ſich einander in ber 
Menge der Geräfteten, die keine Grenzen kennt, zu 
übertreffen. Ganz anders tft es mit den freiwil⸗ 
ligen periodifh vorgenommenen Webuns- 
gen der Staatsbärger in Waffen bewandt, 
fih und ihr Vaterland durch Angriffe 
von außen zu ſichern.“ — Was fih gegen 
die ſtehenden Heere und für die Landesbewaffnurg 
aufftellen läßt, entwidelte Karl v. Rotted in f. 
Schrift: aͤber ſtehende Heere und Nation 
nalmiliz. Freyburg, 1816. 8. — Gegen feine 
Vorfchläge in Hinſicht der Nationalmiliz erhob ſich 
aber: L. A. F. v. Liebenftein, in der Sceift: 
über ftehbende Deere und Landwehr, mit 
befonderer Ruͤckſicht auf. die teutfhen 
Staaten. Karlsruhe, 1817. 8., ob er gleich dem 
v. Rotteck in der Geſchichte der ftehenden Heere 
beiftimmte. — Als Vertheidiger der.ftehenden Heere, 
und zwar fo groß ald möglich, und aus dem 
Kerne des Volkes zufammengefegt, Pündigte fih an: 
W. 2. Leißing (fyftematifhe Darftellung zu einer 
neuen Kriegsicehre, nad dem jegigen Zeitgeifte und 
aus dem wirklichen Kriege gefolgert. ote Ausg. Berl. 
1817. 8). Seine Behauptungen prüfte und wider 
legte Krug indem Auffage: Militaͤriſche Pos 
litit, in fi polttifchen Kreuz: und Queerzuͤgen. 








518 Staatsfunit. 


Aufhebung des Fauſtrechts und der Selbſthülfe, zu⸗ 
genommen hat, doc) aud) die Steuern und Abgaben 
wegen der aufgeftellten Heere bedeutend fich verviel- 
fältige haben, befonders als die früher, nad) Beendi⸗ 
gung der Kriege, entlaffenen Heerestheile, feit den 
Zeiten des Dreißigjährigen Krieges - faft überall im . 
europäifchen Staatenfnfteme in einen ſtehenden 
Kriegerftand verwandelt, und die Maffen deffel- 
ben, hauptſaͤchlich im kaufe des achtzehnten Jahr⸗ 
hunderts, theils wegen ber ftets erneuerten Kriege, 
theils wegen der Nachahmungsſucht, zum Theile auch 
wegen der Eiferfucht der Mächte des verfchiebenften 
politieifchen Ranges auf einander, ohne fefte Ruͤck⸗ 
fiht auf die finanziellen Kräfte der Staaten, ins 
Unglaubliche gefteigert wurden. 


50. 
Sortfegung. 
Nach allem, was Gefhichte und Staatsfunft 


{a 


S. 24 ff. — Daß man bei den Vorwürfen gegen die 
ftehenden Heere und in den Vorfchlägen zu ihrer vöL 
ligen Abfchaffung neuerlich oft zu weit gegangen 
ſey, fuchte der anonyme Berf. der „Betrachtun⸗ 
gen Über die verfhiedenen Formen der 
bewaffneten Macht“ Leipz. und Altenb. 1817. 
8. durchzuführen. — Einen befonnenen Mittelweg 
ſwiſchen den beiden entgegengefeßten Anfihten — 
mit feſter Berüdfihtigung der gegenwärtig beftchens 
den politifhen Berhältniffe in Europa und der 
Etellung des teutihen Staatenbundes in der Mitte 
des europäifhen Staatenſyſtems — hielt der Ser 
neral Karlv. Gersdorff fe inf. „Demen 
.. tungen, veranlaße durh von Lindenau’s Aufs 
faß in dem Oppoſitionsblatte: iſt eine Bundes 
armee nothwendig?“ Dresden, 1819. & 


Staarsfunit, | 319 


über die bewaffnete Macht im Staate ausfagen, fein 
Folgendes das Ergebniß zu fm: 

Die bewaffnete Mache im Staate iſt nicht ihrer 
fetbft wegen da, fondern zur Vertheidigung und Er⸗ 
haltung des Staates, und zur Sicherſtellung aller 
Zwecke des innern und aͤußern Volkslebens; fie .ift 
alfo nur Mittel zum Zmede, nie Zwed ſelbſt. 

Deshalb darf Die bewaffnete Mache nie irgend 
einen, vor ihr vorhandenen, Zweck des Staates 
beeinträchtigen oder hindern ; es foll vielmehr Die Ver 
wirflichung afler Zwecke des Staates in Hinfiht auf 
perfonliche Freiheit und Eigenthum, auf phnfifche und 
geiftige Kraftentwidelung im. Aderbaue, Gewerbs⸗ 
Heiße und Handel, in der Wiflenfchaft "und Kunft 
infofern durd) fie erleichtert werden, inwiefern, ar 
die Webertragung der Sorge für die "innere und Außere 
Sicherheit auf die bewaffnete Macht, alle uͤbrige 
Staatsbuͤrger dieſer Sorge entbunden und in ihrer 
reinbuͤrgerlichen Thaͤtigkeit nicht geſtoͤrt werden. 

Wegen dieſer Sicherſtellung ihrer geſammten Tbaͤ⸗ 
tigkeit, und wegen der auf die bewaffnete Macht uͤber⸗ 
getragenen allgemeinen Verpflichtung aller 
Staatsbuͤrger, die Sicherheit des Staates zu erhalten 
und im Nothfalle zu vertheidigen, muß die bewaffnete 
Macht aus den von den Volksvertretern dafuͤr bewil⸗ 
ligten Beitraͤgen von dem geſammten Volksvermoͤgen 
zweckmaͤßig, d. h. nicht blos nothduͤrftig oder kuͤmmer⸗ 
lich, ſondern hinreichend und angemeſſen unterhalten 
werden. 

Weil aber die bewaffnete Macht nur als wirk⸗ 
james und unentbehrlihes Mittel für die Gefammt- 
zwecke des Staates, nicht als Zweck felbft, im Staate 
vorhanden ift; fo muß auch die Errichtung derfelben 
im genaueftien VBerbältniffezur Gefamme . 





520 | Staatskunſt. 


bevdlkerung und zu ben finanziellen Kraͤf—⸗ 
ten des Staates ſtehen. 
Nach dieſem Maasſtabe muß die bewaffnete 
Macht ſo klein ſeyn, als für die (nach oͤrtlichen und 
landſchaftlichen Rüdficheen fehr verfchledenen) Bebürf- 
nifle des Staates ausreicht, Das Hoͤch ſte derfelben 
darf Einer vom Hundert der Gefammtbevölferung 
ſeyn, weit dieſer ftatiftifche Maasſtab zugleich auch in 
fina nzieller Hinficht nad) den Kräften des Volks⸗ 
‚ vermögens — doch bei ärmern Staaten gewöhnlich 
nicht große Laſten — durchgeführt werden kann. 
M o wie örtliche Verhältniffe (3. B. Die tage 
- neben oder in ber Mitte zwifchen geoßen und zugleich 
kriegeriſchen Staaten, oder bie infularifhe tage an- 
drer Staaten u, ſ. w.) über die Größe und über Die 
Yre der Zuſammenſetzung der bewaffneten 
Mache überhaupt entfcheiden;. fo entfcheiben fte auch 
— zugleich aber auch mie Rüdficht auf den gefammten 
Wolksgeift und auf die Innern Verhältnifle der ein- 
. zelnen Zweige der bürgerlichen Thaͤtigkeit gegen ein- 
ander — über Die Anwendung entweder ber freiwil- 
ligen Stellung zum Kriegspienfte,, oder über die 
Mecrutirung, ober über bie Eonfeription, — 
ſo wie uͤber die Eintheilung der bewaffneten Macht in 
ſtehendes Heer und Reſerve, in Landwehr 
oder Nationalgarden ii), in Land fturm 
u. ſ w. 
' Im Allgemeinen (denn bas Einzelne geſtal⸗ 
set ſich in jedem Staate anders) iſt die Aufbringung 
der noͤthigen Zahl fuͤr die bewaffnete Macht durch 
Freiwillige jeder andern vorzuziehen. Dieſer zu⸗ 
naͤchſt ſcheint die (mach politifch - ftatiftifchen Grund⸗ 
fügen und ohne Willkuͤhr und Beſtechung geleitete) 
Recrutirung, mit einem Dienſthandgelde auf 


Staatsfunft, 0.9524 


ungefähr ſechs Jahre (doch mit Ausfhluß aller Aus- 
länder) und gemwiflenhafter Haltung ber Eapitula-. 
tionszeit, zu folgen, und bie in neuerer Zeit (cheils 
wegen ihrer Wohlfeilheit, cheils wegen bes bei ihr 
am leichteiten anmwendbaren Zwanges) fo beliebte 
Eonfcripeion den legten Plag einzunehmen. Denn 
abgefehen davon , daß bei ihr die heranreifende männ- 
liche Jugend nad) ben febensjahren in Klaflen, nad.‘ 
Art der Holzſchlaͤge, eingetheilt und felbft nicht 

immer die phnfifche Reife.mit vollendetem zwan- 

zigften Lebensjahre abgewarter, ſondern der noch un- | 
entwicelte und unreife Jüngling zum Dienfte gezwun⸗ 
gen wird, wirkt fie auch unaufhaltbar nachtheilig und 
zerftörend ein auf alle eigentlihe und wefentliche 
Zwecke des innern Staatslebens, auf Landbau, Ge⸗ 
werbsfleiß, Handel, Wiffenfchaft und Kunſt. Denn 
jeder diefer Kreife bürgerlicher Thätigfeit verlangt eine 
mehrjährige forgfältige Worbereitung, und eine fort» 
gefegte ununterbrochene Uebung, wenn in ihnen nicht 
oberflählihe Stümper , fondern Männer, bie ihres 
. Faches mit Liebe und felbft mit Begeifterung pflegen, 
und die demfelben völlig gewachſen find, diefe 
böchften Zwecke des bürgerlichen Sebens verwirklichen 
und zur möglichften Vollendung fortführen follen. Un⸗ 
verfennbar greift aber bas Conſcriptionsſyſtem in biefe 
Borbereitung, Hebung und Fortbildung hoͤchſt will⸗ 
führlich und nachtheilig ein. Es fcheint daher auch 
zunächft nur entweder für Nomadenborden, wo 
noch feine bürgerliche Thätigkeie ſtatt findet und das 
geben von bunderttaufend Menfchen, wegen bes bal- 
digften Nachwuchfes, wenig in Anfchlag fommt, oder 
für Militärftaaten, deren höchfter Zweck auf 
fühnen Eroberungen beruft, zu taugen, — für bie 
‚bürgerlih entwidelten und gefitteten 


Lo 


522 Staastun 


Staaten aber nur in bem einzigen Falle durch- 
greifend anwendbar zu ſeyn, wenn die Selbſtſtaͤndig⸗ 
keit und Integritaͤt des Staates durch einen auswärs 


tigen Angriff bedroht ift. Die nieueften Zeiten haben’ 


es gezeigt, was Mölfer, die bis dahin blos. ben frieb- 
lichen Befchäftigungen des bürgerlichen Sebens ange- 
börten,, in folchen Augenbliden der Entſcheidung für 
das Vaterland leiſteten und bewirkten 





* Rah der, in neuern Zeiten gewoͤhnlichen und faſt 
übertriebenen, Lobpreifung der Landwehren, bes 
Landfturmes u. f. mw. lenken jegt Mehrere mit Bes 
fonnenheit wieder ein, und Überzeugen fih, daß 
ein verhéltnißmäßiges ſtehen des Heer, wo möge 


(ih aus Freiwilligen angeworben, vor den. 


Milizen die großen Worgüge hat, daß feine Ers 
gaͤnzung in die bürgerliche Thaͤtigkeit nicht fo 
bemmend eingreift, wie das Konfcriptionsfpftem, 
und daß bei demſelben mehr Difceiplin gehalten 
werden kann, als in den Reiben derer, welche aus 
den Kreifen des bürgerlichen Lebens mit dem ganzen 
Gefühle der bürgerlichen Freiheit herausgeriſſen were 
. den. Dazu kommt, daß derjenige nie wahrer 
Krieger wird, der gezwungen dienen muß, 
der nur auf einige Fahre berufen wird, und 
dann zum vorigen (Halb verlernten) bürgerlichen 
Berufe zurückkehren darf. Deshalb gilt noch immer 
der Grundſatz des Marfhalls von Sadıfen: kleine 
und gutdifciplinirte Deere find dengros 
Ben Maffen vorzuziehen. Dringt aber der 
Feind ins eigene Land ein; dann wird jeder, der 
fürs Waterland fühle, auch ohne in der Conſecrip⸗ 
‚ tionslifte zu ftehen, ſich bewaffnen und für das 
Sanze ftegen oder erben. — Gleiche Ans 
fihten enthält das wichtige Werk: über bie Mi⸗ 
Uitarökonomie im Zrieden und Kriege, und 
ihre Wechfelverhättniß zu den Operationen, ır Theil. 
Petersburg, 1820. 4. (Bergl. Goͤtt. Anz 1822, 


4 


Staatsfunft, 323 


Die Grundlagen, ber bewaffneten Macht im 
Staate müflen daher die Stämme eines ftehen- 
den Heeres bleiben, außer ziner verhältnißmäßigen 
Mannfhaft an Fußvolk und Reiterei, befunders 
beſtehend aus einem forgfaltig vorbereiteten Corps 
von Dfficieren und Unterofficieren, aus 
den Ingenieur» und Artillerie corps, welche 
längere Vorbereitung und Uebung, als die übrigen 
Truppenmaflen, bedürfen, und aus einem, aus den 





N. 207.) Der Verf. theilt die gangbaren Militär: 
fofteme ein in 1) recrurirte ſtehendeHeere, 
militaͤriſch die beſten, aber: toftbar; doch muͤſſe 
auch bei den conſcribirten Heeren nicht blos das 
baare Geld, ſondern das ganze Volksvermoͤgen be⸗ 
ruͤckſichtigt werden; e)inconfcribirte ſtehende 
Heere, in intellectueller Hinſicht etwas beſſer, als 
die ſtehenden, aber vielen Maͤngeln unterworfen; 
3) in conſeribirte mitlandwehr verbuns 
dene Heere. — Der Bef. muß befonders über 
das Berpflegungsfyfiem der Keere, gelefen 
werden. Das gut geordnete Magazinfpftem 
it dem Requiſitionsſyſteme weit vorzuziehen; 
denn das letztere entfremder die Volker dem Kam⸗ 


x 


pfe; if an fih ungerecht und ohne gleihmäßige . 


Vertheilung; führe zum Rande und zur Inſubor⸗ 
dination, und verfhwender eine Maffe von Lebens 
mitteln, die weit beffer hätte gebraucht werden koͤn⸗ 
‚nen. — Zwei frühere treffliihe Schriften von Sr. 
Ribbentrop dürfen hier nicht übergangen wers 
den: Der Haushalt bei den europäifden 
Kriegshereren. Berl. 1816. 8. und deffen 
Archiv für die Verwaltung des Haus 
halts beiden europäifhen Kriegsheeren. 
Berl. 1818. 8. — Etwas zu weitfchweifig iſt folgendes 
Wert: J. Paul Hart, vollftändiges Handbuch der 
Kriegspoligeiwiffenfhaft u. Weilitärötonomie. 2 Thle. 
Landsh. 1812. 8. 


! 


' 





524 Staatskunſt. 


geiſtvollſten und gebildetſten Officieren des ganzen Hee⸗ 
res gewählten Generalftabe. Neben dieſen ſey aber 
das ftehende Heer in Sriedenszeiten fo vermindert, 
als es die Geſammtzwecke des Staates, oder einge- 
gangene voͤlkerrechtliche Verbindlichkeiten (wie z. DB. 
im teutſchen Staatenbunde) verftatten. - Das Mari- 
mum ber bewaffneten Macht fey 10,000 Mann auf 
eine Million Bevölkerung; möge nun biefe bewaffnete 
Macht, nad) richtiger und umſichts voller Wür- 
digung der Verhältnifle eines gegebenen Staates, in 
ftehendes Heer, ober Miliz, ober in beides zugleich 
eingetheilt feyn. Mur vergefle man nie über der be- 
abfichtigten Sicherftellung des Staates durch die be» 
waffnete Macht diejenigen Zwede, wofür ber 
- Staat zunähft begründet ward: Herrſchaft des 
Rechts, Wohlfahrt der Individuen und des Ganzen, 
und ununterbrochene Fortbildung desjenigen Theiles 
ber Menfchheit, der in dem gegebenen Staate lebt, 
zur allgemeinen Beftimmung unfers Gefchlechts. Die 
Verpflichtung zum Eintritte in die bewaffnete Mache 
jr jwar an fih allgemein vom 21 — 25ften fe: 

ensjahre; doch vergeffe Die Regierung nie, daß der 
Sohn des Landmanns, fheils wegen feiner Erziehung 
und phyſiſchen Kraft, theils wegen feines Fünftigen 
Berufs, der nicht fo leicht verlernt werden fann, fich 
mehr zum Krieger eignet, als der für die Gewerbe, 
für die Kaufmannfchaft, für die Wiffenfchaft und 
Kunft vorbereitete und gebildete Juͤngling. Nie ver- 

effe die Regierung, daß das frifche Leben und die 
Fortbildung der Staaten, fo wie der Wohlftand und 
ber Reichthum des Wolfes, nicht von dem Exercir⸗ 
plaße, fondern von ber forgfältigen und gleichmäßigen 
Entwickelung, Bildung und Reife aller phyſiſchen und 
geiſtigen Kräfte abhange, deren Capital man fo we 





Staatskunſt. | 525 


nig, als möglich, ſchwaͤchen und vermindern muß. 


Soll aber doch das Syſtem der Eonfeription gelten; 
fo muß eine aus Mitgliedern mehrerer Behörden 
(nicht blos aus Officieren, Actuarien unb Regiments⸗ 
chirurgen) zufammengefegte Commiffion gewiffen- 
haft über die phyſiſche Tauglichkeit und über die 
bürgerlihe Entbehrlichfeie der Auszubeben- 
den entfcheiden; es muß nie die Stellung eines Ver: 
treters gehindert, und nie das Auffteigen des. gebilde- 
ten und ſich auszeichnenden Juͤnglings zum Hfficiere, 
erfchwert werben. Mur daducch kann das Conſcrip⸗ 
tionsfoftem in feiner furchtbaren Schwere für das 
innere Staatsleben gemildert werben, | 

Der Dienft felbft aber fey einfach, leicht, ohne 
Pedanterei und Kleinlichfeitsfrämerei; die Behand⸗ 
lung wuͤrdevoll und edel. An förperliche Strafe 


werbe nicht gedacht. Wer biefe wirklich verdient, 


werde aus der ehrenvollen Reihe der Vertheidiger des 
Vaterlandes für immer ausgefhloffen. Das Aufe 
ruͤcken geſchehe nad) Kenntniß und Verdienſt, und, 
wo möglich, nad) der Entſcheidung der öffentlichen 
Stimme von ber dienſtthuenden Mannfchaft felbft. 
Was der Krieger erhalten fol, erhalte er nicht nad 
der Angabe des Minderfordernden, fondern nad) zeit- 
gemäßen und beflimmten Anfägen; er werde, durch 
Beurlaubung, dem Ntahrungsftande, fo oft und fo 
viel es möglich ift, zurüdgegeben, Er vergeffe nie, 
daß er mit dem gefammten Bürgerftanbe die große 
Samilie Eines und defjelben Staates bildet, und 
finde es nicht unter feinem unmittelbaren Berufe, bei 
öffentlichen Arbeiten des Staates, gegen befondere 
Entſchaͤdigung, zugezogen zu werben, befonders aber 
die innere Sicherheit der Straßen, der Poften, der 
Wälder u. few. aufrecht zu Halten, : Nie werde bie 


⸗ 


526 Staatskunſt. 


hewaffnete Macht ein Mittel des Zwanges fuͤr unbe⸗ 


ſcholtene Bürger in der Hand der Willführ. Durch 


Anſtalten, in feiner Mitte errichtet, werde er fortge- 
bildee für feine eigenthüumliche Beftimmung und für 
die: affgemeinen Zwec⸗ der buͤrgerlichen Geſellſchaft, 
damit er nicht hinter den uͤbrigen raſtlos fortſchreiten 
ben Ständen derſelhen zurüdbleibe.. Dabei beftehe 
in der Mitte des Heeres ber ftrengfie unbedingte Ge⸗ 
—5 denn, abgeſehen von ihren Urſachen und 

olgen, find die Militärrevolutionen inner- 
halb der Staaten, an fich betrachtet, eine Er- 
fheinung , weldye zum Untergange des Fangen führen 
muß (denn nicht umfonft hat die Gefchichte die Tharen 
- der römifchen Prätorianer,, der Garden zu Bagdad 
und Cairo u. a. aufbehalten). — Zmifchen tinien- 
truppen und Landwehr, wo beide nicht verfhmolzen 
ſind, werde fein Eiferſucht erregender Unterfchied ge- 
nähere. Der Feldherr an der Spige bes Ganzen 
fey der geiftvollfte, der erfahrenfte, ber muthigfte und 
der umfichtsvollfte Mann des ganzen Heeres; denn 
ein folcher wird nie vergeflen,, daß er Menfchen, und 
niche Mafchinen, leitet; ein folcher wird nie aus 
Mangel an Einfihe, . oder aus Kedheit, auch nur 
EinenMann aufopfern; er wird aber durch die Mafle, 
über die er gebietee und die ihm wegen feiner über- 
wiegenden geiftigen und fittlihen Eigenfchaften unbe- 
Dingt vertraut, im Augenblide der Entfheidung viel 
bewirken. 

. Sn Friedengzeiten ſtehe der Krieger, die unmit⸗ 
telbaren Militärvergeben abgerechnet, unter bürger- 
lichen Gefegen und bigerlihen Richtern, weil alle 
Militärgerichte nicht über Militärangelegenhriten hin⸗ 
aus entfcheiden duͤrfen z Leine bewaffnete Macht dürfe 
berathfchlagen, und ſich den übrigen Pflichten der 


‘ Staatskunſt. 597 


Staatsbürger entziehen; . wohl aber fann bie Regie⸗ 
rung, befonders wenn fie das ftehende Heer bede u⸗ 
tend vermindert, die Uebungen junger Maͤnner im 
Gebrauche der Waffen im Fruͤhjahre und. Herbfte, 
doch ohne Beeinträchtigung der bürgerlichen Berufe: 
‚arten, veranftalten, um auch der förperlichen Uebung 
und Gewandtpeit des Volfes für den Fall der Noth 
im Voraus fi) zu verfichern. 
Eine der fchwierigften Fragen der Staatsfunft 
‚ bleibt: ob das Heer den Eid auf die Ver- 
faffung zu leiften Habe? worüber in neuern 
Zeiten für und wider bedeutende Stimmen 
fih erhoben haben. Einen Erfahrungsbeweis 
dafür liefern die Heere Frankreichs, welche den 
- Eid. leifteten. Was zunähft für diefen Eid zu 
fprechen ſcheint, iſt, daß, wo eine Verfaffung 
befteht, jeder Eingebohrne, fhon bevor er zur 
Sahne ſchwort , ber Werfaſſo ſung Anerkennung und 
Gehorſam gelobt hat. Davon wird er, beim Ein- 
tritte in Die bewaffnete Macht, nicht entbunden; 
vielmehr beſteht diefe zunachft als Mittel für die 
Gefammtzwede des Staates: Wo alfo jeder zum 
Militördienfte berufene Inlaͤnder, bereits vor 
feinem Eintritte in diefelben,, der Verfaſſung des 
Staates verpflichtet ift; da bedarf es feines befon- 
dern Eides auf dieſelbe. Allein Ausländer, 
welche in die bewaffnete Macht (befonders als 
Dfficiere) eintreten, koͤnnen nur, durch den Eid 
auf die Verfaflung Mitglieder. und Bürger 
des Staates werden. Denn fo wenig in verfafjungs- 
mäßigen Staaten der Fall eintreten kann', das 
Militär als Gegenfag und Feind der Verfaf- 
fung zu gebrauchen; fo gewiß bürfen doch aud) bie 
Krieger nie Yon den allgemeinen Verpflichtungen 


528 Staatskunſt. 


aller uͤbrigen Staatsbuͤrger ausgeſchloſſen werden, 
wenn fie gleich, fo lange fie beim Heere find, ihre 
* Staatsbürgerrechte nicht fhätig (z. B. als Wahl: 
männer, ober als Wolfsvertreter u. ſ. mw.) ausüben 
koͤnnen. re Bu | 


Se gewiß übrigens innerhalb der bewaflneten 
Macht felbft eine beftimmee auffteigende Nang- 
ordnung ftatt finden muß; fo wenig darf doch, 
nad) dem Maasftabe diefer militärifchen Rangord⸗ 

nung — in verfaflungsmäßigen Staaten — ber 
bürgerlihe Beamsenrang beftimmt, ober bem 
Stande der Krieger ein bürgerliher Vorzug 
vor den übrigen Ständen im Staate zugefprochen 
werben. Es muͤſſen vielmehr, in der allgemei— 
. nen Rangordnung des Staates, die verfchiebenen 
Abftufungen des bürgerlichen und des militärifchen 
Ranges — vom Kriegsminifter an, welcher den 
übrigen Staatsminiftern gleich ſteht, bis herab auf 
den Unterofficier, — einander, nad) der Stel: 
lung der einzelnen Aemter zu den höhern ober nie- 
bern Zweden des Staates, verhältnigmäßig 
gleihgeftelle werden. | 


Staaten, die zugleich Seemaͤchte find, bebür- 
fen, neben der bewaffneten Landmacht, auch einer 
zweckmaͤßigen Geftaltung bes gefammten Seeme- 
fens, theils nad) der Ausrüftung der verfchie- 
denen Arten der Schiffe (Linienfchiffe, Fregat- 
ten, Brander 20.) alıf den Schiffswerften; the ils 
nad) der Aufbringung und Hebung der Schiffs: 
mannſchaft (Matroſen, Seefoldaten, Steuer: 
männer , Marineoffitiere); .cheils nad der Ein- 
tdeilung der Flottenz theils nach den Zeug- 
baufern und Häfen für die Flotten. Ä 


\ 


Staatskunft. 3209 


Friedrich 2, In dem Verſuche über die Regie⸗ 
eungsformen, in f. nachgel. Werken, Th. 6, ©. 


55 ff- | 
(9. Baͤren hor ſt), Betrachtungen Über die Krieges 
kunſt, über ihre Fortſchritte, ihre Widerfprühe und 
-  thre Zuverläffigkeit. 4 Bde. s. I. (Leipzig) 1797 ff. 8. 
. 8. von der Deren, Betrachtungen über das 
Berhaͤltniß des Kriegsftandes zu dem Zwede ber 
Staaten. Hannover, 1800. 8. (Vgl. damit Goͤtt. 
Anz. 1800, N. 168.) 

Ueber die Nachtheile der Militärflaaten und der 
ftehenden Heetre; f. Jar. Sigism. Beds Grund: 
fäße der Gefeßgebung, ©. 250 ff. 

Aug. Wild. v. Leipziger, dee einer ftehenden 
. Armee im Geifte der Zeit. Berl. 1808. 8. 

Der Krieg. Für wahre Krieger. Leipz. 1815. 8. 

Rühl von Lilienfkern, die teutſche Nolte: 
Bewaffnung, in einer Sammlung der darüber in 
fämmtlihen teutfchen Staaten ergangenen Verord⸗ 
nungen. Berl. 1815. 8. 

Schmirfon, die Wehr» und Schirmanfalt. 
Leipz. 1816. ol. 

- (Zylander?), die Heerbildung. München, 


1820. ß. 


. 
- 


51. 
c) Die in der Eultur, Verfaffung, Regie 
rung und Verwaltung des Volfes ge 
meinfhaftlic enthaltenen Bebingun- 
gen der rechtlichen Fortbildung des 
innern Staatslebens (Lehre von den Refor- 
men im Staate). 


Zu den ($.6.) aufgeftellten drei wefentlihen Be⸗ 
dingungen des innern Staatslebens gehört, nächft der 
Eultur bes Volfes, und naͤchſt dem Organis— 
mus des Staates (berirhend auf Verfaffung, Negie- 
sung und Verwaltung), auch die rechtliche Fort⸗ 

I. 34 


\ ) 


SU . Staatsfunft. 


bildung des innern Staatslebens, inwiefern ver- 
vollfommnungsfähige Wefen innerhalb des Stantes 
zu Einem Ganzen verbunden find, und inwiefern 
jeder rechtliche Fortſchritt des innern Staatslebens 
ausgehen muß von ber Berfaffung, Regierung und 
Verwaltung, oder von dem Organismus bes Staates, 
Der unendliche Geift, den wir in der Sprade 
bes Staubes Gott nennen, fenfte allen vernünftig: 
finnlihen Wefen das Streben nad) Aehnlichfeie mit 
ihm und nad) Annäherung an ihn, mithin das Stre 
ben nach grenzenlofem Sortfchritte ein. Die PHilofo- 
phie nennt diefen Srundcharafter der Menfchheit, als 
Gattung, die Wervollfommnungsfähigfeit 
ber menſchlichen Natur. Sie liegt in jedem Indi— 
viduum unfrer Sattung, mithin in der ganzen Menfd- 
heit. Sie ift in der urfprünglichen Geſetzmaͤßig⸗ 
keit unfers Wefens begründet, mithin unvertilgbar. 
Sie fteht mie der Freiheit des Willens in der in- 
nigften Verbindung, weil nur durch Freiheit entwe- 
ber der Fortſchritt zum Beffern, wozu wir 
beftimmt find, oder der Ruͤckſchritt zum Schled- 
tern erfolge; denn in der fittlihen Welt gibt es 
fein Drittes — entweder Fortſchritt, ober 
Ruͤckſchritt. 
Was aber für das Individuum als unveraͤnder⸗ 
liches Gefeg der ewigen Weltordnung gilt, muß auch 
für die Völker des Erdbodens, als rechtlich geftal: 
tete Ganze fittliher Weſen, und für die Staaten 
gelten, in welchen die Völker leben. Sie find zum 
Sortfohreiten in der Eultur, d.h. in allen 
wefentlichen Bedingungen eines menfchlichen Dafenns 
beſtimmt, und alle Völker, welche in diefen Be 
dingungen — in der Cultur des Bodens, des Ge⸗ 
werhsleißes, des Handels, ber Wifleufcaft und 


Staatskunſt. 334 


Kunſt — raſtlos fortſchritten, erſcheinen, nach dem 
Zeugniſſe der Geſchichte, als kraͤftige, lebensvolle 
Ganze, deren innerer Organismus nad) Verfaſſung, 
Regierung und Verwaltung in ſich gleichmaͤßig ge⸗ 
ſtaltet wor, und die — nach der Kraft und Staͤrke 
dieſes Organismus — jeden drohenden Sturm von 
außen zuruͤckwieſen oder baͤndigten. 
Der Fortſchritt des innern Volks⸗ und Staats 
lebens beruht daher zu er ſt auf dem Fortſchritte der 
Cultur des Volkes, und dann auf dem von dieſer 
Cultur abhaͤngenden zweckmaͤßigen Organismus des 
Staates nach Verfaſſung, Regierung und Vermwal- 
tung. Wo alfo der Fortſchritt eines Volkes in 
den aufgeftellten Bedingungen der. Cultur unverkenn ⸗ 
bar’ wahrgenommen wird; da müffen auch) die For⸗ 
men feiner -Organifation, d; h. feine Verfaf- 
fung , Regierung und. Verwaltung, gleihmäßig 
fortgebildee werden — d.h. es müffen Kefor 
men eintreten — ; ober fie veralsen unaufbaltbar, 


Ä 5% a 
Die Reformet im Innern Staatsleben; 


Unter den Reformen im inneen Staatsleben 
werben, nach diefen Vorderfägen, die aflmähligen 
Fortbildungen, Weredlungen und Nachhuͤlfen in der 
Verfaffung, Regierung und Verwaltung eines Staa- 
tes verftanden, welche ihren legten Grund in den 
Fortfchritten des Volfes nad) allen wefentlichen Bedin⸗ 
gungen feiner Eultur haben. Nothwendig find 
diefe Reformen, fobald gewiſſe Unvollfommenpeiten 
in den Formen der Werfaffung, Megierung und 
Verwaleung ſo beſtimmt hervortreten, daß die er- 
hoͤhten geiſtigen Beduͤrfniſſe des Volkes und die zu 


% 





z333 Stoaacskunſt. 


einem feſten Charakter ausgebildete (nich 
von einzelnen Tonangebern einſeitig aufgeſtellte) 
oͤffentliche Meinung mit dieſen veralteten For- 
men im entfchiedenen Gegenſatze erfcheinen; will: 
kuͤhrlich find fie, fobald Fein anerfanntes Beduͤrfniß 
in der Cultur des Volfes und fein gegründetes und 
allgemeines Urtheil in der dffentlihen Meinung die- 
felben verlangt. Ä \ 

| Die Reformen im Staate dürfen aber nicht 
vom Volke, als Maffe, fondern nur von der gefep- 
'gebenden und vollziehbenden Gewalt, als 
der vereinten höchften Macht im Staate, ausgehen. 
Daraus folgt, theils daß alle Reformen, : von 
“unten bewirkt und durchgeſetzt, eigenmächtig und 
widerrechtlih find; theils daß in autofrasifchen 
“ Staaten, wo die gefeßgebende und vollziehende Ge- 
walt in der Perfon des Regenten vereinigt find, nur 
von diefem die Reformen ausgehen können; cheils 
daß in Staaten, wo der Regent und die Stellvertreter 
des Volkes einen gemeinfchaftlihen rechtlichen Theil 
an der gefeggebenden Gewalt haben, ben Stellver- 
tretern des Volkes ein Stimmrecht an ben Refor- 
men infofern zuftehen muß, inmiefern fie entweder 
diefelben bei dern Megenten in Vorſchlag und Anre- 
gung bringen fönnen, oder die von dem Regenten 
vorgefchlagenen und beabſichtigten Reformen zu prü- 
“fen und mit dem Eulturzuftande des Volkes, fo wie 
mit beffen anerfannten Bedürfniffen, zu vergleichen 
berechtigt find. 


53. 
Sortfegung | 
Ob nun gleich Die Staatsfunft niche im Einzel: 
nen für einen gegebenen (d. h. gefchichtlich vorkande- 


han} 


Staactskunſt. 533 


nen.) Staat den Zeitpunce, mo Kefsrmen — gf« 
worden find, und die Art und Weife, wie fie ind. 
innere Staatgleben eintreten follen, anzugeben vers 


mag; fo kann fie dach, geftügt auf Erfahrung und. - . 
Geſchichte, einige allgemeine Grundſaͤtze bese - 


halb aufftellen: . 


Reformen werben Bebduͤrfaiß, ſebau durch den 
Lauf der Begebenheiten und durch die Weraͤnderung 
der Verhaͤltniſſe gewiſſe Formen des innern Staats⸗ 
lebens To veraltet find, daß fie entweder von ſelbſt 
theilweiſe ever ganz verſchwanden, oder daß ihre fort⸗ 
dauernde Beibehaltung mit einem allgemeinen Ge⸗ 
fühle des Druckes derſelben verbunden iſt, und die 
gegründete und unpartheiifche öffentliche Mei⸗. 
nung fir deren Abfchaffung ſich erklärt. - | 


Erkennt die höchfte Gewalt in folchen enrfihel- 
Denben Augenbliden des innern Staatslebens das: 
Bedürfniß der Reformen an; fo erfolgen fie na eur 
gemäß (wie nämlid) in der Natur an die Stelle 
eines veralteten und abgeftorbenen Theiles ein neuer 
und lebensvoller tritt), allmählig (in unvermerf- 
ten Vebergängen aus dem Bisherigen in das Neue), 
und. ohne innere Erfchütterug (weil nur dag: 
Veraltere, nicht aud) zugleich das’ "Brauchbard und! 


Bewährte, „ umgebildet wird). (So trat vor 300° . 


Jahren in ben proteftantifhen Staaten die Kirchen- 
verbefferung, geftügt auf die Idee ber religiöfen: 
und kirchlichen dritt, ohne Gewalt, ohne Blut! 
und ohne innere eföhfitterung des Staates ing oͤffetit⸗ 
liche Leben uͤberall ein, wo fie durch keine Reaction ge 
hindert ward.) 

: Die Reformen im innern Staatsleben können 
aber cheils bie gegenfeitige Ausgleichung ber ol 


/ 


534 ° Staatskunſt. 


meinen Bedingungen ber Cultur des Volkes, theils 
den Organismus des Staates betreffen, 

Inm innern Staatsleben werden nämlich durch 
Reformen die allgemeinen Bedingungender 
Eultur Des Volkes ausgeglichen, wenn 3.8. 
Sflaverei und Leibrigenfchaft da aufgehoben werben, 
wo fie noch beſtehen; werin der Landbau, nach allen 
feinen Zweigen, von. lähmenden, aus der Vorzeit 
ſtammenden, Feſſeln befreit, wenn dee Gemerbs- 
fleiß in Hinſicht des Zunft» und Innungsmefens 
verbeſſert, die Freiheit des Handels ausgefprochen, 
bas Reich der Wiffenfhaft als ein Reich der 
geiftigen Freiheit betrachtet und behandelt, und. der 
Kreis der. Rizu fie dem Kreife des wirflichen Lebens, 
zur Veredlung und MWerfchanerung deffelben,, ange: 
nähert wird. Unvermerft und ollmählig verſchwinden 
ſadann in allen diefen Grundbedingungen der menfd): 
lichen Cultur die bis ‚dahin lahmenden und mit dem 
Fortſchritte des Volkes veralteten Verhältniffe, . 
 . m innern ‚Staatsleben fann aber au Der 
Dirganismus bes Staates felbft durch Refor- 
men. zeitgemäß fortgeführt und. zu neuer Kraft erho- 
ben werden, Dies geſchieht 4) in ‘Betreff der Wer: 
faffung Bean. D- da , wo noch Feine gefchrlebene 
Berfaffung beitand, durch eine gegebene Verfaffungs» 
urfunde: das geſammteé innere Staatsleben auf eine 
fefte rechtliche Unterlage zuruͤckgeführt, oder eine be- 
reits beftehende Verfaſſung, nach ben eingetretenen 
und anerfannten Bedürfniffen, in einzelnen Theilen 
yeränbert wird (3. B. wenn ſtatt Einer Nationalver- 
fammlung zwei Kammern eingeführt werden u. ſ. w.); 


⸗ 


Staatskunſt. 535 


unbefchränfte (wie 3. B. in Dänemark im Jahre 
1660), oder eine Wahlmonardie. in eine erbliche 
(wie z. B. Ungarn im J. 1687), ober eine erbliche 
in eine Wahlmonarchie (mie 5. B. Polen feit dem 
J. 1572) übergeht; und 3) in Betreff der Verwal⸗ 
tung, wenn entweder in der Organifation und gegen⸗ 
feitigen Stellung der höchften Verwaltungsbehörden 
(der Minifterien, des Staatsrathes u. f. v:), ober 
in der Geftaltung der vier Hauptzweige der Verwal⸗ 
tung (der Gerechtigfeitspflege, der Polizei, ber Fi⸗ 
nanzen und ber bewaffneten Macht) völlig durchgrei⸗ 
fende, oder nur Cheilmeife Veränderungen erfolgen. — 
Le gewöhnlicher in neuerer Zeit die Veränderungen in 
der Verwaltung gewefen find; defto mehr ift bei den». 
felben weife Schonung des Beftehenden und Beruͤck⸗ 
fihtigung anerfannter DBedürfniffe feftzubalten, 
weil, bei den Sortfchrieten der Volker in der Cultur, 
die ununferbrochenen und niche als dringenb noͤthig 
erfannten Veränderungen in der Verwaltung mehr 
Unzufriedenheit, als Zuftimmung erregt haben. Denn, 
wirgeachtet der von Mehrern behaupteten unruhigen 
Beweglichkeit der Wölker, liege doch in dem Kern 
eines jeden Volkes (von welchem Individuen 
genau unterfchieben werden müffen), ein Princip 
der Stätigfeie, auf welchem die eigentliche 
Kraftäußerung des innern Staatslebens 
beruht‘, und welches: eben fo die veralteten Formen 
von, fich ftößt, mie es die unvorbereiteten und nicht 
dus anerfannten- Bebdürfniffen bervorgebenden ihm 
aufgebrungenen neuen Formen entweder mit Gleich⸗ 
‚gültigfeit behandelt, oder mißbilligend erteäge und, 
fobald es kann, zuruͤckweiſet. 


Einen Reichthum von trefflichen politiſchen An⸗ 
ſichten und Grundſaͤtzen enthält Ancillon's Abs 


536 EStaatskunſt. 


handlung: Aber die Zeichen ber Zelt in Hin⸗ 

ſicht politiſcher Reformen (in f. Schrift: 

über die Staatswiſſenſchaft, Berl. 1820. 
8.) befonders S. XV — XXXII. 


54. 
Meber Revolutionen. 


Nach dieſen ($. 52. und 53.) aufgeſtellten Grund⸗ 
fügen ift es nicht möglich, Reformen mit Revolutionen 
zu verwechfeln. Die Reformen geben von der recht⸗ 
mäßigen Gewalt im Staate aus, und haben die Fort: 
bildung, WVerjüngung und Befeftigung des innern 
Staatglebens zum Zwede; durch Revolutionen hin⸗ 
gegen wird die rechtmäßige Gewalt im Staate ent- 

weder erfchüttert, oder gewaltfam umgeſtuͤrzt. Die 
Reformen fnüpfen das nöthig gewordene Beſſere und 
Neue an das Veraltete an, das bisher beftand, fie 
haben alfo eine gefchichtliche Unterlage ; Pie Kevolu- 
tionen nernichten gewöhnlich die ganze bisherige Grund» 

lage des inneren Staatslebens. Die Reformen wirken 
wohlthätig: auf die Fortfchritte der Eultur der Voͤlker, 
und auf die theil weiſe Umbildung des Staatsor⸗ 
ganismug ein, weil fie mit Umſicht berathen und 
ausgeführt werden; im Sturme der Revolutionen hin⸗ 
gegen werden nicht felten wefentliche Bedingungen der 
Cultur unwiederbringlich zerftört und brauchbare und 
unbrauchbare Beſtandtheile -des Staatsorganismus 
mie Einem Schlage vernichtet, weil die meiften Res 
volutionen bie Gef ammtheit, der bürgerlichen Ver⸗ 
haͤltniſſe erſchuͤttern. 

So wenig nun, nach dieſer weſentlichen Verſchie⸗ 
denheit beider, Reformen und Revolutionen mit eins 
ander zu verwechfeln find; fo feft ftehe Doch auch der 
Erfahrungsgrundfag: daß den meiften, wo nidt 


Staatskunſt. 337 


allen, Revolusionen durch zeitgemäße Res: 
formen hättevorgebeugt werden fönnen, bes 
fonders inwiefern unter denfelben eine gemwaltfame 
Umbildung der bisherigen Grundlage bes 
innern Staatslebens und des gefammten 
Staatsorgenismus, nah Verfaflung, Re- 
gierung und Verwaltung ‚ verflanden wird, womit, 
als unmittelbare Folge, in ben meiften Fällen eine 
völlige Veränderung und Ummandelung. 
der äußern Verhältgiffe bes Staates, nad 
feiner Wechſelwirkung mit gndern Staaten, in 'noth. 
wendigem Zuſammenhange ſteht. 
Allein es darf nicht uͤberſehen werden, daß in 
der Gefchichte der Ausdruck Revolutio n. ‚ außer 
der angegebenen, auch in mehrfacher Bedeutung ges 
braucht wird. So redet fie von Nevolutionen, 
wenn durch kühne Eroberer die beftehende Ordnuug 
der Dinge in einzelnen Reichen oder Erdtheilen völlig 

eändert ward (3. B. bei der Bildung des perfifchen . 
—* welchem alle bis dahin in Mittel - und 
Vorderafien, und in Aegypten beftehende felbftftän- 

Dige Reiche und Staaten einverleibt wurden; bei der 
Begründung der macedonifchen Welcherrfchaft durch 
Alexander; bei dem Untergange des römifchen Weſt⸗ 
weiches in-Folge der Stürme der Völfermanderung ; 
bei den Eroberungen und Zerftörungen ber Dfichingis« 
fane, Tamerlane, Babur u. a.); — ferner von 
Thronzevolutionen, wenn, ohne weſentliche 
Umgeftalktung des innern Staatslebens, bald durd) 
die Geifklichfeit und den Abel, bald durch Mitwir- 
fung bes Volles, entweder nur Ein Regent, oder eine 
ganze Negentendynaftie der Herrfchaft in einem Staate 
beraubt ward (53.3. als in Sranfreich die Merovinger 
den Karolingern, die Carglinger den Gapetingern, 

f 
⸗ 


* 





3385 Staatsfunft. 


in England bie Stuarte dem Oranier und dem Haufe 
Braunſchweig, in Portugal die fpanifchen Könige 
ven Haufe Braganza, in Schweden die bänifchen 
Könige der Dynaftie Wafa weichen mußten, oder wie 
Epriftian 2 von Dänemarf, Guſtav 4 von.Schwe: 
ben, Selim 3 vom Throne verdrängt , und Napoleon 
vom Senate Branfreichs. entfegt ward u. a.); — weis 
ter von Revolufionen, wenn vormalige Provin- 


zen ober Kolonieen vom Mutterlande ſich fosriffen und 


ihre Unabhängigkeit und Selbftftändigkeit erfämpften 
(3. B. die Schweizer feit!4: 8, die Niederländer feit 
1579, die Mordamerifaner feit 1776, und neuerlich) 
Hoayti, Columbia, Merifo, Peru, Chili, Brafilien, 
u. a.); — und endlid) von Revolutionen, wenn 
die ganze bisherige Unterlage der Verfaffung, Regie 
rung und Verwaltung umgewandelt warb (nie 5. B. 
bei der Aufhebuug des Lehnsweſens in Franfreich am 
4. Aug. 1789; bei den darauf folgenden Revolutio- 
rıen in Batavien , Ligurien, Cisalpinien, — "und in 
fpäterer Zeit in Spanien y Portugal, Neapel und 
Piemont). | 
So widerrechtlich, nad) den Grundfägen 
bes Staatsrechts, eine Revolution ift, weil fie bie 
| rechtliche und vertragsmäßiig beftehende Grundlage 
des innern Staatslebens gewaltfam erfchüttert, 
und fo unzweckmaͤßig, nach den Ausſagen der 
Staatsfunft, die meiften Revolutionen erſcheinen, weil 
fie nicht felten das innere Staatsleben zerſtoͤren, ftate 
e8 zu verjüngen, gewöhnlich in lang dauernde Bürger- 
kriege, bei dem gegenfeitigen Anfampfe der entgegen- 
geſetzten Partheien und Factionen ®), übergehen, 
*) Zwifhen Partheien und Factionen muß, im 
engern Sinne, fo unterfchieden werden, daß ſich 


j 


Stantsfunft. 339 


und in den meiſten Fällen auch bas-gange bisherige 


Verhältniß des Staates zum Austande, nicht ohne 


nachtheilige Ruͤckwirkung auf:deflen innern Wohlſtand 
und auf deſſen Verbindung nach außen, veraͤndern; ſo 
darf doch auch das Zeugniß ber Geſchichte nicht uͤber⸗ 
gangen werden, daß weder jemals unter einem aus» 
gezeichneten Regenten eine Revohıtion im Innern des 
Staates erfolgte (3.8. unter Karl dem Großen, un» 
ter Heinrich 4 von Branfreich, unter Wilhelm bem 
Oranler und Gentg 1 von England ‚unter Friedrich 2 
von Preußenu.a.), der Durch feine perfönlichen Eigen- 
fchaften Das, Ganze des Staates gleichmäßig umfchloß 
und leitete, noch, daß irgendwo eine Revolution 
eintrat, wo Megent und Volk einverflanden waren, 
wo weife Reformen im ganzen Staatsorganismus ben 
Fortſchritten der Cultur des Volkes entgegenkamen, 
wo namentlich die verfchiebenen Stände im Wolfe 
gleichmäßig behandelt wurden, mo feine druͤckenden 
Saften in Hinſicht der Steuern und Abgaben, feine 
unerfchmwinglichen Schulden, feine Finanzdeficits und 
feine willkuͤhrlichen Eimgriffe in die Gerechrigfeits- 


pflege beftanden. Denn Ordnung und Ruhe, Eultur 


und Wohlitand, Treue und, Anhänglichfeit an den 
Regenten und an die Verfaffung kuͤndigen ſich, nad) 
den Ausfagen der Gefchichte, überall im innern 
Staatsleben an, wo Verfaffung, Regierung und 
Verwaltung — geftüßt auf die von oben ausgehen- 


Partheien bilden, wo verfhiedenartige Grunds 
fäge einander ſich ſcharf gegen über ftellen (Whiges 
‚und. Torys in England, Muͤtzen und Hüte in Schwe⸗ 
den), Factionen aber, wo gegenfeitige Gewalt, 
Handlungen erfolgen. — Vergl. Er. Buchholz, 
über polttifhe Partheten, in f. Journale 
für. Teutfchland,, 1816, Band 4. ©. 113 ff. 


540 Staacskunſt, 
J 

den Reformen — ein gieichmaͤßiges und harmo⸗ 

niſches Ganzes bilden. 

. Ein Mann, ber mweber nach ſeiner Geburt, 

noch nach dem Orte, wo er nachſtehende Worte 

ſprach, zu, den Kevolutionairen geberen kann, ford 

- Aberdeen, gab im brietifchen Oberhaufe 

folgende Erklaͤrung: „Der Grund aller Revolutios 
nen neuerer Zeit liege, was auch die Diener bes 

Deſpotismus Flügeln und-heucheln ‚mögen, in der 
vorfäglichen Beleidigung der heiligen Rebe Des 
Volkes. Iſt Dann die Wurh ausgebrochen; fo 

- benugt allerdings der Eigennutz biefe fehre@lichen 
Waffen, um fich auf den Trümmern des umge: 
ſtuͤrzten Slaatsgebaudes einen Thron zu errichten. 
RechtlichesBenehmen, rechtliche Regen- 
tenbaltenjedesMolfim Zaume. Sie find 
es ſich felbft fehuldig, daß fie dem Wolke nicht zu 
viel auflegen, daß fie feinen Beſehwerden abzuhel⸗ 
fen fuchen, und nicht altes hinter dem Schleier des 
Staatsgeheimniffes verbergen. 

(Aſcher), Ideen zur natürlichen Geſchichte der 
politifhen Nevolutionen. s. 1. 1802, 8. 

. Weber den Geift des Zeitalter und die Gewalt 
der Öffentlihen Meinung. s. 1. 1797. 8. 

‚Sr. Buchholz, Ober Staatsummwälzungen unb 
Berfaffungsurfunden , n f. Journal für Teutſch⸗ 
land, 1817. Band g., ©. 47 ff. 

Heinr. Gtli. Tzſchirner, die Gefahr einer 
eeutfhen Revolution beleuchtet, Leipzig, 1822. 8. 


| N. A. 1823. | 
| 5. — 
Ueber Reactionen in politiſcher Hinſicht. 
Ob das menſchliche Geſchlecht, nach dem ſechs 
tauſendjaͤhrigen Zeugen der allgemeinen Geſchichte, 


x s ” 


zum. Beflern fortſchreite, oder, nach einigen ge⸗ 


| Staatskunſt. u 541 


machten Fortſchritten, wieder r uͤckwaͤrts gehe (denn 
ein Stiliftand zwifchen Vorwärts und Ruͤckwaͤrts 
ift nur ſcheinbar, und in der Geifterwelt fo wenig vor⸗ 
handen, wie in der Natur), ift nicht ohne Schwie⸗ 
rigkeit zu entfcheiden , befonders wenn der befchränfte 
Blick dabei auf einzelnen Reichen und Staaten, und 
auf einzelnen Zeiträumen haftet; denn unfer Geſchlecht, 
im Ganzen und Großen gefaßt, bürfte doch in 
intellectueller, bürgerlicher, religiöfer 


und fieelicher Hinſicht im 19ten chriftlicdyen Jahr⸗ 


hunderte höher ftehen, als die Wele des Alterchums 
im gefeierten Zeitalter bes Perifles, ber Antorine, 
des Ulpians, des Al Mamum, Karls des Großen 
und Karls des fünften! Daß aber, nad) den feche- 
taufendjährigen Forderungen der Vernunft, des älte- 
ften Bürgen des Göttlichen im Menſchen, unfer gan» 
zes Gefchlecht, wie bas Individuum, nicht rückwärts, 
fondern vorwärts fchreiten folle, hat felbft der 
bodentofefte Myfticismus und die Fühnfte Diplomatie 
nicht wegläugnen fönnen! Denn fo lange Paulus 


Recht behält, daß wir göttlihen Geſchlechts 


find, ift die Bewährung diefes göttlichen Urfprungs 
und die Annäherung an den unendlichen Geift nur 
duch Fortſchritt zum Beſſern möglich. 


Zu dieſem Forefchritte gehört aber weſentlich 
auch der zum Beflern fortfchreitende Organismus des 
Staates, vermittelft zeitgemäßer Reformen ($. 52. 


und 53.), weil nur das Leben im Staate der 


einzig rechtliche äußere Zuftand für Wefen unfrer Art 
iſt, und der Staat, dus die ſem Standpuncte be- 
teachtet, nicht blos als Mechtsanftalt, fondetn auch 
als Entwickelungs⸗ und Fortbildungsanſtalt des in 


‚5412 | Staatskunſt. 

jedem Staate lebenden beſondern Theiles ber Menſch⸗ 
heit (Staatsr. $. 4.) erſcheint. 

Mo daher dieſer Fortſchritt gehindert und aufge⸗ 
Halten, und das bereits ins öffentliche Wölferleben 
eingetretene Beſſere abſichtlich im freien Eutwideln 
zerftört, abgefchaffe uub vernichtet wird; ba muß noth⸗ 
wendig Ruüͤckſchriſte eintreten. Man nennt aber die: 
fes abfihtlihe Hindern des Fortſchritts 
des Beffern im .öffentlihen Volfs- und 
Staatsleben, und das Bernichten deffel: 
ben, um. an bdeffen Stelle.das bereits 
Deraltete und Untergegangene zu fegen: 
Reaction, und verſteht unter dem Reactions— 
fnfteme das planmößige und beharrliche, gewöhnlich 
gewaltfame Anwenden und‘ Durchfüßsen aller ber 
Maasregeln, wodurch Das ins öffentliche Völker - und 
Staatsleben bereiss.eingetretene Beſſere gerftört, und 
bas von dieſem Beſſern Werdrängte nach feinem gan» 
‚zen Umfange (und oft in einer noch erweiterten Bes 
jiehung) wieder hergeftelle werden fol. . 

Diefes Reactionsfuftem tft, nad) dem Zeugniffe 
ber Geſchichte, fo alt, ala die Verfache des menfd)- 
lichen Gefchlechts „ int Befleen fortzuſchreiten. Nach 
biefem Reactionsſyſteme follte die Gefeßgebung bes 
Mofes bereits..in bee arabifhen Wuͤſte durch eine 
meuterifche Horde vernichtet werden; nach bemfelben 
mußte Sofrates ben Giftbecher leeren’; nad) dem⸗ 
felben fiel das Haupt des Johannuesz nah dem⸗ 
felben blutete der göttlihe Stifter bes Chri— 
ftenthHums auf Golgatha; nad) demſelben wurden 
feine Apoftel die Märtyrer bes neuen, über Die 
Menſchheit aufgegangenen, Lichtes; nad) bemfelben 

- ftarben Taufende, mährend der Chriſterverfolgungen, 
eincs gewaltſamen Todes ; nach bemfelben wurden bie 


Staatsfunfl. \ 543 


Waldenfer, ‚Rei welchen zuerft die Morgenröthe 


"des gereinigten Chriſtenthums dämmerte, verfolgt; 


nach demfelben erlite Huf den. Seuertod, und Luther 
farb im. päpftlichen Banne und in der Reichsacht. 
Für diefes Spftem wirkte die Inquiſition in 
vielen europäifchen Reichen, feit die erften hellen Ges 
danken im dreizehnten Jahrhunderte die Dunkle Nacht 


des Mittelalters erleuchteten, und feit 1540 der 


Tefuiterorden, nachdem die Kircyenverbefferung 
die große Idee der religiofen und Firchlichen Freiheit 
ins öffentliche feben der Volker und Reiche des Nor⸗ 
dens von Europa eingeführt und befeftigt hatte. Als 
Dpfer diefes Syſtems fanfen Hunderttaufende wäh» 
rend des breißigjährigen Krieges ins Grab, bis end- 
lid der weftphälifche Friede über die Grundfäge der 
Samormain und Carafa fiegte! — 
Allein, wenn aud) das Reactionsſyſtem in re⸗ 
ligiöfer und kirchlicher Beziehung an ſich der 
Staatsfunft nicht fremd iſt, weil die Ideen der Fisch» 
lichen Sreibeit feit den Zeiten des Huflitenfrieges big 
zum Abfchluffe des weſtphaͤliſchen Friedens die Mit— 
telpuncte ber damaligen europaifchen Staatskrinſt 
bildeten ; fo wird doch in der Politif neuerer Zeit 
der Begriff des Reactionsfoftems zunächit bezogen auf 
die Kämpfe gegen die weitere Verbreitung der Idee 
der bürgerlichen und politifchen Freiheit im öffentlichen 
Volks⸗ und Staatsleben, und auf das planmäßige Bes 
ftreben , den allmähligen Fortſchritt und die Reformen 
im innern Staatsleben gewaltfam aufzuhalten, und 
ſtatt der bereits eingetretenen neuen Formen die vor⸗ 
mals beftandenen herzuftellen. Doc) follen, den Be⸗ 
griff der Reaction im weiteren Sinne genommen, bie 
abfichtlichen Beftrebungen, an die Stelle ber Aufs 
flärung wo möglich wieder die Dunkelheit des Mittels 


% 





5ii Staatskunſt. 


alters, an die Stelle einer geſunden und gereinigten 
Philoſophie die Nebelhuͤllen des Myſticismus, an die 
Stelle der Religion, die Gott im Geiſte und in der 
MWahrheit.aubetet, ven Glauben an Menſchenautoritaͤt 
und die Beobachtung finnlofer äußerer Gebräuche 
zu fegen, von biefem Begriffe nicht gerade ausgefchlof- 
‚ fen werden. | 
Dagegen erhellt aus der angegebenen Begriffs: 
. beftimmung von felbft, daß nicht das Reaction hei« 
ßen fönne, wo man von Seiten der höchften Gewalt 
entweder ein Volk für Reformen noch nicht reif 
findet, oder wo man, ‚aus. Furcht, zu weit gehen 
zu müffen, felbft den Anfang diefer Reformen ver-® 
meidet und in die Ferne verſchiebt. Allerdings mag 
in dieſem Fglle manches noch ftehen bleiben und 
fortdauern, was im Staafsorganismus bereits ver- 
altet ift und fich überlebt hat; allerdings mag, in fol- 
 Hem Falle, dieſes DBeraltete mit dem Fortfchreiten 
des Volkes in allen Hauptzweigen der Eultur, und 
mie dem regen öffentlichen eben, fo wie mit der politi- 
ſchen Verjüngung benachbarter Staaten und Reiche 
vermittelft zeitgemäßer,, von oben ausgehender Refor- 
men im ſtarken Gegenfaße erfcheinen ; alleinReaction 
kann es nicht genannt werden, meil die Reaction 
‚jedesmal etwas fchon vorhandenes Beſſeres, an die 
Stelle eines untergegangenen und abgefchafften Der: 
alteten, im öffentlihen Wölfer- und Staatsleben 
vorausfegt, und, nad) ben Ausſagen der Gefchichte, 
die fortfihreitenden Bölfer und Staaten weit leich- 
ter die Beibehaltung und fhonende Be— 
handlung veralteter gormen ertragen, in 
welchen nicht felten bereits im Stillen ünmerflich bes 
deutende Veränderungen von ſelbſt erfolgt find, als 
die planmäßige, und gewöhnlidy nicht. ohne teiden- 


Staatskunſt. 51 


ſchaftlichkeit durchgefuͤhrte Abſchaffung und Zerftörung. 
Der ins öffentliche Leben übergegangenen Verbeſſerun⸗ 
gen. Denn mag diefe Abfchaffung und Zerftorung 
entweder eine bereits angenommene neue Berfaffung, 
oder eine veränderte Regierungsform, ober die Umge- 
ftaltung der Hauptgegenftände der Verwaltung — die 
Serechtigfeitspflege, die Polizei, das Finanzwefen, 
oder die Organifation der bewaffneten Macht — bes 
treffen; fo greift doch thatfachlich Die Herftellung bes 
Wormatsbeftandenen fo tief in alle Verhaͤltniſſe des 
Öffentlihen Staatslebens und felbft des häuslichen 
bürgerlichen Lebens ein, daß Taufende dadurch nicht 
blos in ihrer Weberzeugung, fondern aud) -in ihren. 
wohlermorbeten Rechten, in ihrem rechtmäßigen Be: 
figthume und in ihrem Wohlftande für immer -geftöre 
und gefährdet werden. Nothwendig muͤſſen daher, 
mit der Anwendung des Reactionsſyſtems, Unzufrie- 
denheit und Gährungen, nicht felten Partheifämpfe, 
und felbft widerrechrlihe und leidenfchaftliche Auf 
wallungen und Anftrebungen des gereizten Volksgei⸗ 
ſtes zufammenhängen,, die, weil fie nur durch) gewalt⸗ 
fame Mittel beſchwichtigt werden koͤnnen, nicht felten 
die Unzufriedenheit und Erbitterung fteigern, welche 
um fo gefährlicher für Die Zukunft wird, je mehr fie 
— geſchreckt durch die Gewalt — in, bie WVerborgen⸗ 
heit ſich zuruͤckzieht. 

Je ſtaͤrker aber die Geſchichte in unzaͤhligen Bei⸗ 
ſpielen die mit der Anwendung des Reactionsſyſtems 
verbundenen bedenklichen Folgen vergegenwaͤrtigt, 
die entweder fogleich in aufwogenden innern Etür- 
men, ober in einer allmähligen Entfräftung 
des ganzen innern Staatslebens , und in dem unauf- 
haltbaren Sinfen des gangen Staatsorganismus ſich 
anfündigen; befto wichtiger wird es für die Staats, 

I. ‚35 


Si 


546  Staatskunft, 


kunſt, mie Ruhe und Befonnenheit den erreichten 
Eulturgrad bes einzelnen Wolfes und Staates zu er- 
forfhen, das in anerfannten Bedürfniffen angedeutete 
Beſſere durch allmählige und vorfichtig geleitete Me- 
formen einzuführen , und jede Reaction zu vermeiden, 
weil, fo weit die Gefchichte reicht, noch nie bei einem 
Volke des Alterthums und der neuern Zeit, durch die 
Anwendung bes Reactionsfpftems, der innere Zuftand 
beffelben verbeflert, die äußere Ankündigung deffelben 
verftärft,, und ber Fortſchritt bes Ganzen in der Cul⸗ 
tur und im aflgemeinen Wohlſtande bewirkt, vielmehr 
Dadurch nicht felten der uungeregelte gewaltfame An- 
. Kampf gegen das Reactionsſyſtem herbeigeführt, und 
das geſammte innere Staatsleben nach allen feinen 
Bedingungen auf Jahrhunderte hin erſchuͤttert, ober 
fogae dem völligen Untergange preis gegeben wor» 

den ift. 
Beni. Constant, des reactions politiques, 

Paris, An V. g. 
Wild. Tgt. Krug, über die rädgängige Bewer 
gung unfers Zeitalters; in f. Kreuz⸗ und Queen 
zuͤgen, ©. 218 ff. 


B) Lehre von dem aͤußern Staatsleben. - 


J 56. 


 Meberfiht der Bedingungen und Per 
bältniffe des Außern Staatslebens. 


Wenn die Staatsfunft, als Wiffenfchaft, die 
Darftellung des Zufammenhanges zwifchen dem in- 
nern und dußern Staatsleben nad) den Grund⸗ 
fügen bes Rechts und ber Klugheit enthält; fo muß 


Staatskunſt. . 547 


fie, nächft der. Entwicelung der gefammten Bedin⸗ 
gungen und ‚DVerhältniffe des innern Staatslebens, 
auch die Lehre vonden Bedingungen und Ver 
bareniffen des außern Staatslebens 
umfchließen, und zwar nad) der Abhängigkeit, in 
welcher bei jedem zwerfmäßig. prganifirten Staate, 
bas äußere Staatsleben von dem innern erſcheint. 


Die Lehre von dem aͤußern Staatsieben zerfällt 
aber in zwei Theile: 
1) in die Darftellung der Grundfäße der 
Staatskunft für die Wechfehwirfung und erbin⸗ 
dung des einzelnen Staates mit allen uͤbrigen neben 
ihm beſtehenden Staaten; und 
2) in die Darſtellung der Grundſaͤtze der Staats⸗ 
kunſt für die Anwendung des Zwanges nad) ange» 
brohten oder ‚erfolgten Rechgsverlegungen,. ; ° 


Sobald die Staatsfunft als Wiſſenſchaft für 
fi) , ohne Anfchließung derfelben an das Natur». 
und Völkerrecht und an das Staats:,.und Gtaa- 

tenrecht, hehandelt wird, muß in die Lehre von dem 
aͤußern Staatsleben vieles aufgenammen werten, 
- was in dieſem Werfe bereits im philofopbifchen 
- Völferrechte, befonders aber im Staaten: , 
rechte (Staatsr. $. 67.— 76.) aufgeftelle worden 
if, Dahin gehört zuerft die deutliche Vergegen- 
wärtigung aller aus der Vernunft unmittelbar her- 
vorg: benden Bedingungen (Maturr. $: 43.— 57.) 
der urfprüänglihen Rechte aller Völker; for 
dann die Entwidelung der Grundſaͤtze von Der 
rechtlichen Wechſelwirkung und Verbindung 
des einzelnen Staates mit allen uͤbrigen neben ihm 
beſtehenden Staaten, nad) ber. gegenfeifigen An⸗ 
erkennung ihrer Seibftftändigfeie und Integritat, 
35* 


/ 





548 Staatskunſt. 


nach den zwiſchen Ihnen beſtehenden oder abzuſchlie⸗ 
enden Vertraͤgen, und nach den Grundlagen ihrer 
gegenſeitigen Verbindungen zu gemeinſchaftlichen 
Zwecken; ſo wie die Darſtellung der Grundſaͤtze 
für die rechtliche Anwendung des Zwanges zwi⸗ 
ſchen den Staaten. — Da nun in der, auf das 
vorausgegangene -Staatsrecht geſtuͤtzten, Staats- 
Eunſt dies nicht wiederhohlt, und ‚eben fo wenig 
das. zwiſchen den einzelnen e uropäifchen Staa- 
„ten in der Wirflichkeit beftehende Verhältniß aus 
‚ der felbfiftändigen Wiffenfhaft des 
practiſchen europäifhen Voͤlkerrechts 
in die Staatskunſt gezogen werden darf; ſo folgt, 
daß die Staatskunſt — in der Mitte zwiſchen dem 
philoſophiſchen Staatenrechte und dem practiſchen 
europaͤiſchen Voͤlkerrechte — bei der Lehre von dem 
Außern Staatsleben, mit den im Staatenredhte 
aufgeſtellten Grundfägen des Rechts die aus der 
Geſchichte hervorgehenden Regeln der Weisheit 
- and Klugheit für die Wechfelwirfung der neben 
“ einander beftehenden Staaten verbinden muß, ohne 
in das Einzelne der Gefchichte der zum europäifhen 
Staatenſyſteme gehoͤrenden Keide und Staaten 
felbft einzugehen, weil dies dem practifchen euros 
päifchen Völferrechte überlaffen bleibt. 


57. 
a) Darſtellung der Grundfaͤtze der Staats— 
kunſt für die Wechſelwirkung und Ver 
bindung des einzelnen Staates mit allen 
übrigen neben ihm beftehenden Staaten. 
: Das Staatsintereffe. 


Geftüge auf die allgemeinen Grundfäge für das 
rechtliche Nebeneinanderbeftehen aller Staaten des 








Staatskunſt. 549 


Erdbodens (Staatsr. $. 68.), muß die Staatsfunft 
zunaͤchſt das Staatsintereffe des einzelnen Staa⸗ 


tes bei feiner NBechfelwirfung und Verbindung mit: 
andern Staaten beruͤckſichtigen. So wie der einzelne’ 


Menfch, außer feiner allgemeinen Beſtimmung zur. 
Pflicht und zum Rechte, einen befondern Zwei 


feines irdifchen Lebens (als Grundbefiger, als Gewerb- _ 
betreibender, als Kaufmann, als Gelehrter, als. . 


Künftler u. ſ. w.) zu verwirklichen ftrebe; fo gibt es 
auch für jeden einzelnen Staat, außer der Erfüllung 


der allgemeinen Rechtsbedingungen gegen andere Staa 


ten, ein befonderes Staatsintereffe, Das aus 
feiner geographifchen Lage, als Binnen» oder Küften- 
ftaat, als aderbauender oder als gemwerbtreibender 


und Handelsftaat, ſodann aus feinen Flimatifchen 
Verhaͤltniſſen, aus den urfprünglichen NReichthümern - 


feines Bodens, aus der Größe feiner Bevölkerung, 
aus ber erreichten Stufe der Eultur feiner Bewohner, 
aus feiner ihm eigenthümlichen Werfaffung, Regie 
eung und Verwaltung, aus feiner öffentlichen Ankuͤn⸗ 
digung als Sand» oder als Seemacht oder als beides 
zugleich, aus der Nückficht auf feine unmittelbaren — 
entweder ftärfern oder fhwächern — Nachbarn, und 
aus der deutlichen Vergegenmartigung feiner Stellung 
gegen das gefammte Staatenfuftem feines Erdtheils 
hervorgehet. So wenig in allen diefen Beziehungen 
das heilige Necht an. ſich verlegt werden darf, weil 


- 


diefe Verlegung — mie bei dem Individuum die 


Verlegung bes ewig heiligen‘ Sittengefeges — nie 
ungeahndet bleibt; fo geben doch auch aus diefen be. 
fondern Verhältniffen eines Staates gewiſſe Ruͤckſich⸗ 
ten ber Staatsfunft hervor, die — ohne durd) ihre 
Anwendung das Recht in der Wechfelmirfung mit 
andern Staaten zu beugen — ohne Nachtheil für 


® 


’ 
- 


550 | Suenthunſt 


das Innere Staatsieben nicht vernachläffige werben 
dürfen. Das Staatsintereffe, berubend auf 
ber deutlich gedachten, . richtig erfannten und uner- 
fchütterlich feftgehaltenen Beftimmung jedes befon- 
dern Staates, fündigt ſich daher in der Verge- 
genwärtigung aller der befondern Zwecde 
an, welche der einzelne Staat nad) feinen örtlichen 
innern und außern Berhältniffen für feine Fortdauer 
und feine Wohlfahrt verwirflichen muß, und in der 
Anwendung der wirffamftien Mietel für 
Diefe Zwecke. Je verſchiedener nun das Staatsintereffe 
der aderbauenden und ber handeltreibenden Voͤlker, 

der Pleinen und der großen Staaten, der Monar- 
hieen und der Republifen überhaupt, und ber unbe: 
ſchraͤnkten oder beſchraͤnkten Monarchieen, der demo— 
kratiſchen und der ariſtokratiſchen Republiken im Bes 
fondern,, fo wie des Bundesſtaates und des Staaten- 
bundes feyn muß; defto verfchiedener wird auch ihre 
Staatsfunft, nad) allen diefen Hauptfeiten der öffent: 
lien Ankündigung: des Staates, in Beziehung auf 
bie äußern Verhältniffe erfcheinen. Im Allge- 
‘ meinen fann darüber nur Folgendes feftgefegt wer- 
den, daß eine Verbindung mit denjenigen aus- 
wärtigen Staaten am fiherften feyn wird: 1) welche 
‚in ihrer Mechfelmirfung mit andern Staaten nie 
von den Grundfägen des Rechts ſich entfernen;. 2) 
welche, bei der Beruͤckſichtigung ihres befondern 
Staatsintereffe, von andern Staaten — weder öffent 
did noch im Geheimen — verlangen, daß diefe ihr 
befonderes Staatsintereffe für fremde Zweck⸗ hintan⸗ 
fegen oder aufopfern ſollen; 3) welche, nach ihrem 
befondern Staatsinterefle, die wenigfte Reibung mit 
‘dem befondern Intereſſe unfers Staates befürchten 
laſſen, und 4) welche, bei ihrer Verbindung mit 











Staatskunſt. 531 


dem einheimiſchen Staate, fuͤr ihre eigne Sicherheit 
und die Erhoͤhung ihrer Wohlfahrt am meiſten zu er⸗ 
warten haben. Die Aehnlichkeit des erreichten Gra⸗ 
des der Cultur zweier Voͤlker, die Mehnlichkeit ihres 
innern Organismus nach Verfaſſung, Regierung und 
Verwaltung, die Aehnlichkeit ihrer innern Beduͤrf⸗ 
niſſe nach den Hauptgegenſtaͤnden ihrer Beſchaͤftigung, 
und die Aehnlichkeit ihrer Verhaͤltniſſe gegen andere 
Maͤchte, von welchen beide entweder zu hoffen oder zu 
fuͤrchten haben, wird (als eine Art von Wahlver⸗ 
wandffchaft), bei Beruͤckſichtigung der genannten vier 
Hauptbedingungen, weit mehr uͤber bie natürliche 
und feſte Sreundfchaft jroifchen den einzelnen 
Völkern und Staaten entfheiden, als bie Berwandt« 
ſchaft der Regentenhaͤuſer in monarchifchen- Staaten, 
oder das augenblickliche Zuſammentreffen der politiſchen 
Abſichten zweier Staaten in Beziehung aufs Ausland 
(z. B. bei einem Eroberungskriege, bei der Mißbilli- 

gung gewiſſer innerer Einrichtungen in einem aus» 
waͤrtigen Staate u. ſ. w.). Es gehört daher der fichere 
Blick und der durch lange Uebung und Umſicht bes 
währte Tact des Diplomaten dazu, die ausmwärtis 
gen Verbindungen mit beftimmter Vergegenmwärtis 
gung aller Grundbedingungen des innern Volks— 
lebens anzufnüpfen und zu leiten. Dabei gilt aber 
als Regel der Staatskunft, daß man felbft Diejenigen 
. Staaten, mit welchen man in feiner unmittelbaren » 
Verbindung (der Nachbarfchaft, oder der Vertraͤge) 
ſteht, fie mögen mächtig oder minder mächtig feyn, 
nie durch Anmaßungen, oder ungegrünbete Anfprüche, 
oder befremdende Forderungen reize und fich entfrembe, 
fondeen — außer der allgemeinen Gerechtigkeit — 
auch mit Würde, Achtung und Anftand gegen alle 
Stoaten ſich befeage. 








552: | Staatstunft. 


Weil aber, nad) dem Zeugniffe ber Gefchichte, 
nicht felten einzelne Staaten ihre Verhaͤltniſſe gegen 
andere blos nach dem Maasſtabe des eignen Vortheils, 
und nicht mit Ruͤckſicht auf die ewigen Forderungen 
der Gerechtigkeit beſtimmen; ſo iſt es eine Vorſchrift 
der Smatsfunft, daß man ben eignen Staat theils 
im Innern, theils nach ſeiner aͤußern Stellung (in 
Sinfiche auf Grenzen, Befeftigungen, Vertheilung 

der Vertheidigungsmittel, und Belebung eines echten 
Volksgeiſtes) fo organifire, daß feinem auswaͤttigen 
Staate fo leicht die Luft anmandle ‚, ben einheimifchen 
Staat anzugreifen, oder auch nur einzelne Rechte 
deſſelben zu verlegen; daß vielmehr der auswärtige 
Staat das Bebürfniß fühle, mit dem einheimifchen 
Staate in freundfchaftliche Verbindung zu treten, und 
fein befonderes Staatsintereffe mit Dem unfrigen moͤg⸗ 
lichſt auszugleichen und zu vereinigen, 


58. 


Ä Fintheilung der Maͤchte nad) ihrem polis 
tiſchen Gewichte. 


Das philoſophiſche Staatsrecht, geſtuͤtzt 
auf die Vernunftidee der Gleichheit aller felbftftän- 
digen und unabhängigen Staaten, Eennt feine Ein- 
theilung derfelben nad) ihrem politifchen Gewichte. 
Dagegen ftellt das practifhe europäifhe Voͤl— 
ferrecht, als einegefchichtlich-politifche Wiffenfchaft, 
mit unmittelbarer Ruͤckſicht auf das europäifche Staa- 
tenſyſtem, die europäifchen Reiche und Staaten theils 
nad) ihrer politifhen Würde (als Kaiferthümer, 
Königreiche, Großherzogthuͤmer u. ſ. w.), tbeils nad) 
ihrem politifhen Gewichte (z. B. Oeſtreich, 
Rußland, Großbritannten, Frankreich ‚ Preußen als 


\ Staatsfunft. 553 


Mächte des erften politiſchen Rariges), cheils nad) 
ihrer Souderainetät, oder nad) ifrer Abhängig- 
keit von andern (3.3. die jonifthen Inſeln, den ötele 
ftant Eracau u. f. w.) auf. 

Die Staatsfunft, die gleichfam zwifchen dem 
Staatsrechte und dem practiſchen europaͤiſchen Voͤlker⸗ 
rechte in der Mitte ſteht, weil ſie, nach der Idee 
der Herrſchaft des Rechts, ganz an das Staatsrecht 
ſich anſchließt, nach allen aus-der Geſchichte ſtammen⸗ 
den Thatſachen und Regeln der Klugheit aber ein Ab⸗ 
ſtractum des practiſchen Voͤlkerrechts iſt, weiß zwar, 
da ſie im Allgemeinen (und nicht blos fuͤr das 
europaͤiſche Staatenſyſtem) gilt, nichts von der facti⸗ 
ſchen Verſchiedenheit der prlitiſchen Wuͤrde und von 
ganz oder halb ſouverainen Staaten; allein die Ent« 
wickelung der Begriffe vom politifhen Gewichte, 
und dem davon abhängenden politifhen Range 
der Staaten ift ein Gegenftand der Staatsfunft, 

Denn da die Reiche und Staaten des Erdbodens 
in Hinfiht auf Bevslferungszahl und Flaͤ⸗ 
chenraum, nad) dem Zeugniffe der Gefchichte,, ſehr 
verfchieden find; fo muß es auch eine, auf bie Er- 
fahrung und Geſchicht⸗ geſtuͤtzte, E inthe ilung ber 
Reiche und Staaten nad) diefer ihrer Außern Ankuͤn⸗ 
digung in der Wechfelmirfung mit andern geben. Ob 
nun gleich die Größe des Flaͤchenra ums bei ber 
Würdigung der innern Staatsfräfte, und der äußern 
Anfündigung der einzelnen Staaten durchaus nicht 
vernachläffige werdendarf; fo ift boch die Gefammt- 
zahl der Bevölferung — wegen der in ihr 
ruhenden phyſiſchen, intellectuellen und moralifchen 
Kraft — der Hauptmaasftab bei der Beftimmung 
des politifchen Gewichts der Staaten. Nach diefem 
Maasitabe gibt es aber Staaten vom erften, zwei⸗ 


554 | Staatskunft. 


ten, dritten nnd vierten politifhen Range. Zu 
den Staaten vom erften.politifhen Range gehören 
die , deren, Geſammtbevoͤlkerung über 10 Millionen 
Menfchen umfchließe; zu den Staaten vom zweiten 
politifchen Range, deren Gefammtbevölferung zwi⸗ 
ſchen 4 — 10 Mill, Menfchen beträgt; zu den Staa- 
- ten vom bitten politifchen Range, deren Gefammt- 
bevölferung zwifhen 1 — 4 Millionen Menfchen ent- 
hält; und zu den Staaten vom vierten politifchen 
Range, deren Gefammtbenölferung unter einer 
Million Menfchen fteht. 
So gewiß diefer Maasſtab fuͤr die Staatskunſt 

im Allgemeinen gilt; fo koͤnnen doch beſondere 
Verbältniffe (welche aber nur in der Wirflich- 
keit eintreten), ‚Veränderungen im Einzelnen 
"darin bewirken. Es fönnen z. B. Mächte mit einer 
Bevölkerung von mehr als 10 Mill, Menfchen, durd) 
völlige Zerrüttung oder Veraltung ihres Innern 
- Staatslebens (z. B. Spanien nad) Philipps 2 Tode), 
oder auch nach) furchtbar verwüftenden Kriegen, nach 
ihrem politifchen Gewichte nicht mehr zu den Mäch- 
ten Des erften Ranges gehören; Dagegen koͤnnen Mächte 
- des zweiten und Dritten politifchen Ranges, ent⸗ 
weber nur vorübergehend ober bleibend, zu einem 
hoͤhern politifchen Gewichte gelangen (5. B. Chur- 

fahfen .uneer Moritz, Schweden unter Guſtav 
Adolph, Preußen feit Friedrih 2 u. a.); fo daß in 
der Wirflichfeit — bei der mächtigen Bewegung und 
Anfündigung der Staatskräfte im Innern und nad 
- außen — jene allgemeine Einteilung der Mächte 
felten während eines langen Zeitraumes unverändert 
geblieben ift. 


Staatskunſt. 


— 
—8 
wir 


59% 
Politiſches Gleichgewicht. 


Damit aber in der Wechſelwirkung und Stel⸗ 
lung der einzelnen Maͤchte und Staaten gegen einander 
nie die Herrſchaft des Rechts beeintruͤchtigt, nie von 
den Maͤchten des erſten politiſchen Ranges ein druͤcken⸗ 
des und die Selbſtſtaͤndigkeit und Unabhaͤngigkeit der 
Mächte des zweiten, dritten und vierten Ranges be⸗ 
drohendes Uebergewicht verfucht und durchgeführt, und 
jeder Verſuch einer nad) diefem Uebergewichte ftreben- 
den Macht zur Gefährdung der andern ſogleich erkannt 
und zuruͤckgewieſen werde, ſoll unter allen in gegenſei⸗ 
tiger Wechſelwirkung befindlichen Staaten das poli«- 
tifhe Gleichgewicht beftehen. Daflelbe gründet 
fih, der Idee nad), auf bie von der Vernunft. ges 
botene unbedingte Herrfchaft des Rechts auf dem gan» 
zen Erdboden (Naturr. $. 57.), welche fid im Gleich—⸗ 
gewichte der Rechte aller neben einander 
beſtehenden Staaten (Staatsr. $. 68.) ankuͤn⸗ 
digen foll: Allein Gefchichte und Erfahrung beftätigen 


e8, daß in der wirklichen Welt diefes Gleihgewiht 


Der: Rechte niche durch Vernunftideen, fondern durch 
die Verwirklichung des fogenannten poli« 


tifhen Gleichgewichts hervorgebracht werden | 


muß. Das politifche Gleichgewicht *) beruht 


daher auf der, aus der tiefften und umfichtigften Er- 


forſchung aller Bedingungen und Ankuͤndigungen des 


innern und aͤußern Staatslebens ſaͤmmtlicher mit ein⸗ 


ander in Wechſelwirkung ſtehenden Reiche und Staa⸗ 
ten hervorgehenden, Stellung und Verbindung 


*) (Fr. v. G entd) Fragmente aus der neueſten Geſchichte 
des polit. Gleichgewichts in Europa. Petersb. 1806. 8. . 








« 


556 | Staatskunſt. 


der einzelnen Maͤchte gegen einander, durch 
welche — fuͤr den Zweck der Begruͤndung, Erhaltung 
und Sicherſtellung des Rechts und der Wohlfahrt 
Aller — theils jeder Verſuch einer Hauptmacht nad) 
einer Weltherrfchaft, oder doch nad) einem Ueberge⸗ 
wichte über andere Reiche und Staaten, fogleich er- 
kannt und zurücgewiefen, theils in dem Verkehre 
und: ber Wechfelmirfung "aller Mächte und Staaten 
des erften, zweiten ,. dritten und vierten politifchen 
Ranges bie völlige Gleichheit der politifchen Rechte, 

durch die Heiligkeit des gegenwärtigen Beſitzſtandes 
ind der Voͤlkervertraͤge im innern und äußern Staats» 
leben Alter , aufrecht erhalten wird. Dieſes politifche 
Gleichgewicht ift Daher nicht blos phyſiſcher, es ift auch 
moralifcher Natur; es wirket nicht blos Durch die 
phyſiſchen Kräfte ver Riefenftaaten, fondern auch durch 
die intellectuellen und fittlichen Kräfte dee Voͤlker und 
Staaten überhaupt; es wirkt durch die Macht der öffent- 
lihen Meinung, welche jede Ungerechtigfeit, Gewalt: 
that und Hinterlift in der Wechfelmirfung der Staaten 
mißbilligt; es zeigt endlich bei feiner Ausführung, wie 
wichtig felbft die Staaten bes dritten und vierten po- 
lieifhen Ranges in der politifchen Wagfıhale find, 
theils nach dem Ausfchlage, welchen ihr Beitritt 
zur Erhaltung des politifchen Gleichgewichts gibt, 
eheils nach ihrem oft nicht gehörig gewürdigten Ge- 
fammtgewichte in dem Mittelpuncte dieſes Syſtems. 
Wie aber durch Bündniffe und Verträge überhaupt, 

und namentlich mit welchen Mächten, dieſes politi« 
ſche Gleichgewicht für die Bewahrung und Aufrecht- 
haltung der Selbfiftändigfeit und Unabhängigkeit bes 
einzelnen Staates zu bewirken und zu erhalten, 
wie befonders,, bei einem drohenden Uebergewichte ber 


Kiefenmächte, das Gegengewicht der Macht zu 





Staatskunſt. "557 


ftiften,, zu felten und geltend zu machen fen; das muß 
der Diplomat in den eintretenden einzelnen Fällen, 
nad) unbefangener Würdigung aller Verhältniffe, und 
nah den in der Geſchichte aufbewahren ähnlichen 
Erſcheinungen, mit hellem Blicke und ficherem. Tacte 
(hauptſaͤchlich mit. Vermeidung aller. halben Maas⸗ 
regeln) entſcheiden. Er muß die Innern und außern - 
Verhaͤltniſſe ver Staaten beruͤckſichtigen, bie fi) ver- 
binden mollen, und. die Mittel, die fie in die politifche 
Wagſchale legen. Er muß deshalb ihre phufifchen 
und moralifchen Kräfte, ihre gesgraphifche Lage, ihren 
Volksgeiſt, befonders ihr Finanzſyſtem, die eintuß- 
reichen Perfonen in der Nähe der Regenten, die Kraft 
ober Schlaffheie der Regierung überhaupt, und den 
Zuftand und Geift der Landmacht und der Marine, 
fo wie das murhmaßliche Intereſſe der Staaten an 
Den eingstretenen. Ereigniffen der Zeit genau: kennen 
und würdigen. e Ä - — 
Heinrichs 4 Plan zu einer europaͤiſchen Repu⸗ 
blik gehört nur der Idee nach hieher, zunächft aber 
ins practifche, europäifche Völkerrecht. — Doc: 
felbft die Idee bes politifchen Gleichgewichts, fo 
wie die Verwirklichung berfelben feit Brei 
Jahrhunderten in der Mitte des europaifchen Staa⸗ 
tenſyſtems iſt in alterer und neuerer Zeit von Vie⸗ 
len beftritten worden. So wie es nun an fich Uns 
finn (d. h. gegen die Vernunft) ift, die dee deſſel⸗ 
* ben wegläugnen zu wollen ; fo iftauch die Geſchichte, 
namentlich der drei legten Jahrhunderte, ſehr reich - 
an Beifpielen, wo diefes Gleichgewicht in der Wir. 


lichkeit feſtgehalten, und das verlegte hergeftellt 


ward, Ohne in der Staatsfunft weiter in diefen: 
Gegenftand eingehen zu fönnen (welcher, nad) der _ 
practifhen Ausführung, theils der Geſchichte des 


53 Staatskunſt., 


europaͤiſchen Staatenſyſtems, theils dem practiſchen 
. europäifchen Voͤlkerrechte angehoͤrt), Darf man bios 
an die Verhinderung bes fpanifchen Principats im 
46ten Jahrhunderte, des franzöfifchen unter Ludwig 
. 44, an die dem fpanifchen,, oͤſtreichiſchen und bay- 
riſchen Erbfolgefriege zum Gründe liegenden poli⸗ 
tifchen Ideen, an den Sturz von Napoleons Welt 
herrſchaft, und an ähnliche Erfcheinungen erinnern, 
um fich zu übergeugen, daß wenn gleich die Idee des 
politifchen Gleichgewichts nicht in ihrer abſtracten 
Vollkommenheit verwirklicht ward, man Doch durch 
. die Grunbfäge der hoͤhern Politik den deabfichtigten 
Zweck nad feinen Hauptbeffimmungen er 
reichte, ja daß felbft.die europäifchen Mächte auf 
dem Wiener Congreſſe die Wiederherfteflung bes 
. durch Napoleons Usbermacht geftürgten vormaligen 
‚ politifchen Gleichgewichts brabfichtigten und Dies 
öffenelich verfünbigten. 


60. ” 
Berträge Bünpniffe Garantieen. Ge⸗ 
ſandte. 


guͤr die Begruͤndung, das Beſtehen und die 
Vervollkommnung des guten Vernehmens und des 
gemeinſchaftlich vortheilhaften Verkehrs zwiſchen den 
einzelnen Staaten werben Verträge abgeſchloſ— 
fen ( Naturr. $. 57. und Staatsr. $. 69.), wo⸗ 
buch beide Theile, gewiſſe Rechte gegen einander 
anstaufchen und, fihen Durch Bündniffe 
(Staatsr. $. 70.) vereinigen fie ſich, nad) Feſtſetzung 
der dazu von beiden contrahirenden Theilen anzumen: 
denden Mittel, zur Verwirklichung eines beftimmten 
Zweckes, der entweder auf die MWerbefferung und 


Staatskunſt. 559 


Sicherſtellung des Innern Volkslebens, ober auf Ver⸗ 
theidigung nad) außen im alle bedrohter oder verleg- 
ter Rechte, oder auf beides zugleich gerichtet iſt. Die 
SGemwährleiftungen (Garantien) fönnen entweder 
einfeitig oder. gegenfeitig feyn, je nachben entweder 
ein mächtiger Staat dem mindermädtigen, ber ihm 
fich angefchloffen hat, feine Selbſtſtaͤndigkeit und Ins 
tegrität und die Dauer feines innern Organismus nad) 
Verfaſſung, Regierung und. Vermaitung garantict, 
oder zwei dem politifchen Gewichte nach gleichftehende 
Staaten einander gegenfeitig diefe höchften Beringun« 
gen alles Staatslebens gewäbrleiften. Die Geſand⸗ 
ten endlich (Naturr. $. 57.) find bie rechtlichen und 
öffentlid) anerfannten Vertreter bes einen Volkes bei 
dem andern, deren Anwefenheit Die Fortdauer bes - 
guten Vernehmens zwiſchen zweien Staaten verbuͤrgt, 
und durch welche die gegenſeitigen aͤußern Verbau⸗ 
niſſe und Beziehungen beider Staaten aufrecht erhal- 
ten und fortgebilvet werden. 

Alles, was indem Verfehre der wirflichen Staa - 
ten nach den verfchiebenen Gattungen ind For⸗ 
men der Verträge und Bündniffe vorkommt, 
fo wie die durch Verträge oder Voͤlkerſitte feftgefeg- 
ten Rechte, Verhaͤltniſſe und Rangabftufungen der 
Gefandten, gehören nicht der Staatskunſt, ſon⸗ 
dern dem practifhen europäifchen Wilke er 
rechte an, And werben in biefem wiſſenſchaftlich 


aufgeſtellt. 


61. 
Die politiſche Unterhandlungskunſt. 


Wenn die einzig haltbare und in ihren Folgen 
wehlchatise Politik nach außen in der Kunſt be⸗ 


— 


ſtehe, die Sicherhett, bie Wohlfahrt und Das In⸗ 
tereſſe des -eigenen Staates dadurch zu befördern , zu 
erhalten und zu erhöhen, Daß man gegen.die Intereſ⸗ 
fen anderer Staaten.nicyt verſtoͤßt, fondern fie gegen- 
feirig verknuͤpft; ſo iſt die potitifche Unterhandlungs- 
kanſt beſtimmt, dieſe graße Aufgabe zu.iöfen.: - Sie 
wird dies: am gewiſſiſten leiſtan, wenn fie Die Staats⸗ 
kunſt nie von ihrer. einzig fichern Unterlage — von 
der Moral — eu, weil nur aus dieſer bie Voͤl⸗ 
kerrechte und Voͤlkerpflichten (jebes Volk als 
eine moralifche Individualitaͤt betrachtet) entfpringen, 
und weil in der Wechſelwirkung der Staaten die ge- 
genfeitigen Rechte und Pflichten, wie fie entweder aus 
der Vernunft unmittelbar oder aus ben beftehenden 
Staatsverträgen hervorgehen, noch nie ohne folgen- 
reiche Ahndung vernachlaͤſſigt und verlegt worden find, 
Zugleich muͤſſen die zum Unterhandeln beflimmten 
Andividgen, nacht dem anerfannten Charafter 
fteenger Rechtlichkeit, zugleich bie öffentliche Meinung 
im In⸗ und Auslarde für fid) haben, daß fie, nad) 
der Vielſeitigkeit ihrer geſchichtlichen, ftatiftifchen und 
politifchen Kehntniffe, und nad) der Gewandtheit in 
ihrem Betragen gegen auswärtige Regenten und Mi- 
nifter,’ das ihnen anwertraute Stadtsintereffe mög» 
lichſt wahrnehmen ,. vom Auslande beim Unterhan- 
dein niche getäufcht und überliftet werden, und bie 
Angelegenheit zur Zufriedenheit beider Staaten be- 
endigen. Hauptfählich wird die politifche Unkerhand⸗ 
lungskunſt darın ihre Stärke zeigen, eingetretene 
Mißverftändniffe und Spanunngen zwifchen zweien 
Staaten. fo auszugleihen, daß die Spannung nicht ' 
in völlige Abbrechung der friedlichen Verhältniffe, in 
Abberufung der gegenfeitigen Geſandten, unb in den 
Ausbruch eines Krieges übergeht, oo 


n 


% 


- Staatsfunft. - - 561 


Die Lehre der politiſchen Unterhandlungsfunft 
gehöre zunächft der Diplomatie (im vierten 


Theile diefes Werfs) an, wo auch bie dahin 


gehörende Literatur mitgetheilt wird. 


62. | 
b) Darftellungbder Grundfägeber Staats 
kunſt fürdie Anwendung des Zwanges zwi— 
fhen den Staaten nad) angedroßten ober 
erfolgten Rechtsverletzungen. 


Der Zwang zwifchen den Staaten tritt ein, 
um entweber einer angebrohten Rechtsverlegung zu» 


vorzufommen (Prävention), oder eine begon- 


nene, buch Nothwehr, in der Forkfegung und 
Vollendung zu hindern, oder die rechtliche Wieder 


vergeltung für bie vollbrachte Rechtsverletzung zu 


bewirken. . Nach feinen Abitufungen erfcheint der 
Zwang zwiſchen ben Staaten als Retorfionen, 
als Repreffalien, und als Krieg — Da, 
nad) der Vernunft, jeder rechtliche Krieg nur als 
Mertheidigungs-, nicht als Angriffs-, ge 
ſchweige als bioßer Eroberungsfrieg erfcheinen 
darf; fo follen aud die Mittel bei der Fuͤhrung 
deffelben, theils in Hinficht der zu ergreifenden Maas⸗ 
segeln überhaupt, theils in Hinficht der Waffenarten, 
in Hinfiche der Behandlung der ruhigen Einwohner 
ded Landes und ihres Eigenthums, in Hinſicht des 


Detragens gegen bie Gefangenen, in Binficht ber . 


gemachten Beute, ber Sapitulationen, Waffenftill- 
fände und Verträge mit dem Feinde, fo wie in Hin⸗ 
fiht der Behandlung des durch den Sieg befegten 
Sandes, und des abzufchließenden Friedens, zunaͤchſt 
und durchgehends rechtlich ſeyn — aber ſollen 

J. 3 


‘ 


562 Staatskunſt· 
ſie, nach den ‚aus ber Geſchichte hervorgehenden Re⸗ 
geln der Staatsklugheit, mit ſteter Beruͤckſichtigung der 
Verhaͤlt iſſe der im Kriege begriffenen Voͤlker und Laͤn⸗ 
der, nach ber phnfifchen und ‚geiftigen Kraft berfelben, 
und nad) ihren Verbindungen mit andern auswärti- 
gen Staaten, angewandt werden, Der Zwed des 
Krieges. ift aber erreicht, fobald der beleidigte Staat 
Yiche nur’ zur“ “ Wiederperftellung. feiner verkgten 
Rechte,“ fondern auch zum Erfage Für die aufge- 
\udhbten Kriegskbſten, und zur fihern ‘Gemäßrtei- 
ſtung / fetrier Sabfiſtandigkeit und aller ſeiner bisher 
hedrohten und, gefaͤhrdeten Mechte.. ‚für‘ die. . Zufunft, 
bermittelft des. Friedens und. der bamit perbundenen 
| Baranern, gelangt. 


Die rechtliche Seite aller zum Zwange zwi⸗ 
ſan bene een Staaten gehörenden Begen- 
; flände , mit Elnſchluß der Lehre von den Bundes⸗ 

. genoffen‘; von den Rechten: ber Neutralität, und 

vom‘ rechtlichen: Frieden, iſt im Staatstedhte 

.$, 71:76. vollſtaͤndig bargeſtellt das aber, was 

*nach Vertrag »Voͤlkerſitte und Hertommen dar⸗ 

=“ über im europaiſchen Staatenſyſteme beſteht, oder 

doch“ toentdftens” groͤßtentheils anerfannt und 

befolge ' wird, "gehöre: ins ptaetifhe euro 

pi he Volkerrecht. — Allein fobald die 

v Staatsfunfk von diefen beiden Wiſfenſchaften 

7 getrennt behandelt wird, muß‘, des Zufammen- 

hanges wegen, oBbleles, Bas sündchflin die-Kreife 

- 7. berfelben- gehöne!- auch in a Staassfünft aufge⸗ 
Pelle und vdurchgefuͤhrt Heiden. Z 

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gern ng BR rn kn ee 


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Staatskunſt. 563 


63. 
Der Krieg aus dem Stanbpnnei⸗ der 
Staatskunſt. 


Wenn der Krieg, nach der Vernunft als ein 
Rechtsſtreit im Großen, als. ein Prozeß 
zwifhen Staaten, die feinen Richter über ſich 
anerkennen, betrachtet werden muß *), und zwar als 
ein Kechtsftreit, der zunähft wegen des Frie 
dens, d.h. wegen der rechtlichen Ausgkeichung ſtrei⸗ 
eiggeworbener Rechte, - geführt werden ſoll; fo Darf 
Doch nie vergeffen werden, daß in ihm nichr felten der 
Zufall, und nicht das Recht entſcheidet, woraus 
für die Staatsfunft als Regel hervorgeht: daß man, 
wegen der Unfiherheit des Erfolges, nur langfam 
und ſchwer zur Eröffnung eines Krieges fchreite, und 
in demfelben nicht zu viel auf einzelne, auf vorüber- 
gehende glückliche Ereigniffe rechne, deren Folgen oft 
in Kurzem durch andere ganz unerwartete Vorgaͤnge 
(durch Veraͤnderung des Kriegsgluͤcks, durch das 
Aufſtehen eines ganzen bedrohten Volkes , burd) das 
Auftreten neuer , bisher neutraler, Mächte auf dem 
Kriegsfhauplage , und durch ähnliche Verhäleniffe ) 
vollig verändert werden fönnen. Zugleich darf ſich 
die Staatsfunft nicht durch die irrige Meinung täu- 
{hen laffen, als ob der Krieg den Wohlftand und die 
wahre Kraft und Stärfe der Staaten befördere. 
Denn mögen immer, wie in jedem großen Unglüde, 
auch durch den Krieg ungewöhnliche Kräfte geweckt 
und in Thätigfeit gefegt werden; fo führt, mie jeder 
Ueberreiz, dieſe Ueberfpannung altmählig zur Ab» 
frannung, felbft in den Staaten der Sieger. 


*) Krugs Kreuz⸗ und Queerzäge, S. 66. 
36* 


— ⸗ 


- 


564 | Staatskunſt. 


So ſchwer das durch den Krieg zerſtoͤrte Capi⸗ 
tal des Landbaues, des Gewerbsfleißes und des Han- 
dels wieder erſetzt werden kann; fo ſchwer, und noch 
ſchwerer (um im Bilde zu bleiben) das zerſtoͤrte Capi⸗ 
tal der menſchlichen Kraft. Entvoͤlkerung der Staa 
ten überhaupt, Zerftörung eines großen Theiles des 
beranreifenden maͤnnlichen Gefchlechts in der Zeit 
feiner fchönften Blüche und Kraft, dadurch auf Jahr: 
zehende hin bewirkte Ungleihmäßigfeit zwiſchen bei- 
den Geſchlechtern, gehaufte Schulden auf Privatpe:- 
fonen, einzelne Derter und ganze Reiche, nicht felten 
Vermüftungen ganzer Sandftriche, vegellofe Einquar- 
tierungen und ſtuͤrmiſche Durchzüge, Plünderungen, 
Brand, anftedende verheerende Seuchen, Nieder: 
drüdung ber geiftigen Kraft, Merhinderung der zwed. 
mäßigen Jugendbildung, Entfittlihung und Vermwil 
derung von Taufenden; — das find faft jedesmal 
die Folgen der Kriege. Wie könnten diefe das Mark 


‚der Völker erfchütternden Uebel durch die zufälligen 


und vorübergehenden einzelnen Vertheile des Krieges 


aufgewogen werben , befonders da bie Gefchichte zeigt, 


daß die im Kriege allerdings erhöhte Production und 
Conſumtion nicht bleibend feyn fann, und beide, fo- 
glei nach dem Frieden, durch die plöglihe Ver⸗ 
minderung bes Abfages auf die gefteigerte Thätigkeit 
im Sandbaue und Gemwerbswefen lähmend einwirken! 
In allen diefen Beziehungen bleibt der Krieg das 


geößte Wagſtück der Staatskunſt; denn nicht 


umfonft flehen die furchtbaren Folgen bes breißigjäh- 


‚rigen und bes fiebenjährigen Krieges in ben Fahr: 


büchern der Geſchichte Teutſchlands, und die Schul 
denlaft Sranfreihs und Großbritanniens in ben 


Budgets beider Reiche ſeit dem Jahre 1815 ge 


ſchrieben! 


N 


Scaatskunſt. 565 


64 0a 
Das Eröberungsreht aus dem Stand» 
puncte der Staatsfunft, 


Das fogenannte Eroberungsrecht befteht „ nach 
der Staatsfunft, in den Befugniflen, welche ber 
Sieg in Beziehung auf ein erobertes Land gewährt, - 
Nach Grundfägen bes Rechts und der Klugheit kann 
die Eroberung eines Sandes weder zur DVertilgung, 
noch zur Unterjochung feiner frieblihen Bewohner, . 
noch zur Umbildung feiner Verfaffung, nod zum 
Aufdringen eines andern Regenten, nod) zur Einver« 
leibung bes eroberten Sandes in den Staat des Sie⸗ 
gers berechtigen. Nur barbarifche Horden führten 
Vertilgungskriege, oder verurtheilen die Bürger bes 
befiegten Sandes zur Sklaverei und Seibeigenfchaft; 
nur übermüthige Sieger, die an feinen Wechfel des 
Gluͤcks und an fein Urrecht der Selbftftändigfeit der 
Staaten glaubten, flürzten die rechtmäßige MWerfaf« 
fung derfelben, fegten neue Herrſcher auf die erfchüts 
testen Throne, oder vernichteten bie Selbftftändigfeit 
und Integritaͤt ber Völker, — Allein durch bie 
Eroberung eines Landes tritt der Sieger, in dem 
vonihm befegten Gebiete, nad) allen Hoheits« 
“rechten und in den zwei Hauptverwaltungszweigen der 
Finanzen und der bewaffneten Macht an die Stelle 
des befiegten und abwefenden Regenten. Der Sieger 
fann, bis zum Frieden, in dem befiegten Staate 
alles perfönlichen Eigenthums und aller Einkünfte bes 
Regenten ſich bemädhtigen; er fann alle zur Führung 
eines Krieges vorhandene Worräthe zerftören oder 
wegführen, damit fie nicht gegen ihn gebraucht wers 
den; er fann alle Staatsfaffen für ſich verwalten 
laffen, die vorhandene bewaffnete Macs entwaffnen, 


566 Staatskunſt. 


und als Gefangene behandeln; er kann ſogar Kriegs- 
feuern oder Contributionen ausfrhreiben, und die 
‚Bebirfniffe feiner Deere von den Staatsbuͤrgern bes 
befiegten Sandes aufbringen laffen; auch darf er jebes 
. sechtliche Mittel anwenden, das eröberte Sand, bis zur 
Ausgleichung des großen Mecyesftreites im Frieden, 
zu behaupten. Er kann deshalb Behoͤrden in feinem 
Namen errichten, und dieſen die Behörden bes beſieg⸗ 
ten Gegners unterordiien; niedarf er aber die legten 
eigenmaͤchtig ihres Eides -ber Treue gegen-den recht- 
mäßigen Megenten entbinden, wenn fie ihm gleich‘ 
geloben müffen, während feiner Herrfchaft feinen Be⸗ 
fehlen zu gehorhen. — Im Frieden farm der Sie 
ger den Erfaß der Kriegsföften von bein befiegten 
Staate fordern, und dafür unterpfaͤndlich, bis zur 
Entrichtüng , gewiſſ⸗ Gebietstheile, "oder auch fefte 
Pläge, als Gewaͤhrleiſtung ber Erfüllung des einge⸗ 
gangenen Friedens, behalten. Ob er aber-auch den 
Sieg zur völligen Abtretung eines eroberten Laͤnder⸗ 
theils benugen , und alfo die Integritaͤt des beſiegten 
Staates verlegen bürfe; daruͤber haben Staatsrecht 
und Staatskunſt keine Stimme, wenn gleich die 
Geſchichte und das practiſche europäifche' Voͤlkerrecht 
nicht arm an ſolchen Bedingungen ſind. 


Wilh. Tgt. Krug, uͤber das Eroberungtrecht; in 
ſ. Kreuz⸗ und Queerzuͤgen, S. 64 ff. 
| '$, Meermann, von dem Rehte der Er: 
oberang nach dem Staats; und Voͤlterrechte. Erf. 
1774. & 

Rechtliche Bemerkungen über das Recht der Er⸗ 
oberung und Erwerbung im Kriege, mis Ruͤckſicht 
auf die neueſten Zeitereigniſſe s. 1. 1815..8. (Mach 
dem Verf. gibt es blos zwei Gründe, welde eine 
Eroberung rechtfertigen: Sicherftellung und 
Sqadloshaltang. Die Erwerbung eines 


! 


Staatskunſt. 467 


eroberten Staates aber geſchieht blos durch einen 
Vertrag mit demfelben.) . 


65. 


Der Voͤlkerfriede aus dem Standpuncte 
der Staatskunſt. | | 


Der Völkerfriede, ober die välferrechtliche Ger . 


ftaltung der Wechfelmirfung und bes Verkehrs zwi⸗ 
ſchen den einzelnen Staaten, ift fein Traum der Ein- 
bildungsfreaft, fondern eine große dee der Vernunft 
(Naturr. $. 57; Staatsr. $. 76.), wenn gleich die 
Gefchichte weder die Verwirflichung des ewigen Frie⸗ 
dens, noch auch die baldige Annäherung an dieſes 
hohe Ziel verkuͤndigt. — Denn jener Voͤlkerfriede 
wäre nur auf dreifache Weife zu erreichen: entweder 
durch eine Univerfalmonarchie (das Grab aller 
Selbftftändigfeie der einzelnen, befonders ber mitt. 
lern und Fleinern Staaten); oder durch völlige 
Abfonderung (Sfolirung) aller einzelnen 
Staaten von einander (fehon durch die Natur 
für immer gehindert); oder durch eine freiwillige 
Mebereinfunft aller Staaten und ihrer 
Regierungen, ihre Rechtsſtreite durch ein höchftes 
Völkertribunal, mit Verzichtleiftung auf alle 
Selbſthuͤlfe und Gewalt, entweder als Austrägal: 
inftanz, oder nad) Mehrheit der Stimmen der beim 
Voͤlkertribunale ſtimmberechtigten Mächte, entfcheiden 
zu laffen. So groß diefe dee ift, mit welcher die 
Kriege von dem Erdboden verſchwaͤnden, weil dann 
blos noch ein Krieg gegen den Staat gedenfbar 
wäre, welcher den Ausſpruch des Voͤlkertribunals 
nicht anerfennen wollte; fo ftreitet doc) die Erfahrung 
gegen ihre Verwirklichung. Denn theils werden 
T 37 


- 


5 Staatsfunit. 


ſelbſetſtaͤndige Mächte andern Gleichberedhtigten nie 
ein fchiebsrichterliches- Urtheil über ihre Intereſſen 
"und fteeitigen Rechte zugeftehen ; theils würde, bei den 
rächfelbaften Gewinden menfchliher Staatskunſt, 
der Hall immer nod) gebenfbar bleiben, daß felbft 
ber Ausſpruch der Mehrheit der Stimmen eines Voͤl⸗ 
fertribunals entweder geradezu ungerecht, oder Doch 
ben wefentlichen Intereſſen eines Volkes und Staa- 
tes zuwider feyn koͤnnte. Deshalb bleibe — unbe: 
ſchadet der erhabenen Vernunftidee des ewigen 
Triedens — das nad) Grundfägen des Rechts 
und der Staatsflugheit begründete und forgfältig er- 
baltene pofitifhe Gleichgewicht das hodhfte 
. Biel der Staatsfunft für die Wechfelwirfung und den 
-  gegenfeitigen Verkehr der neben einander beftehenden 
Staaten. | 


Gr. v. Gentz, über den ewigen Frieden; in f. 
hiſt. Sournal, 1800, De. ©. 711 ff. | 

Anfelm v. Feuerbach, die Weltherrfchaft, das 
Grab der Menfchheit. Nuͤrnb. 1814. 8. 


" Ende des erften Theiles. 





Leipſig, gedruckt mit Hoͤhmſchen Schriften. 


Be: 





Berihtigungen. 


Außer einigen minder wichtigen Drudfehlern ver⸗ 
beſſere man: 


©. 62 3.79. u. 8 Tom. C(ſtatt 9). T. 1 — 6 jus naturae; 
' Te 7 jus civitatis; T. 8 jus gentium. 

S. 156 8.16 0. 0. Buchhol z. 

©. 165 8. 9 v. u. Gleichgewicht 8. 

©. 208, 8.15 v. u. Gouvers inetät, 

©. 256 muß nachgetragen werden: Eduard Henke, Handbuch 
dr grin matzechis und der Criminalpolitik. ır Thl. 

erl, 1823. 


8. 
©. 325 8.12 v. b. l. nach Berfaffung CH. und). 


eiterariſche Anzeige. 





Unlaugbar erweckt der Skandinaviſche Norden durch ſeine, bald 
erhabene, bald ſchoͤne und licbliche Vatur, durch ſeine kraft⸗ 
und geiſtvollen Bewohner, denen in denüetzmtent und Zufrie⸗ 
denheit, in alter Einfalt und Lauterkeit der Sitten, noch immer 
ein ſtilles und gluͤckliches Leben dahinfſließt, wie durch feine weis 
ſen Verfaſſungen ein ſehr allgemeines Sntereße ein’ Intereſſe, 
welches durch die gefchtchtliche Wichtigkeit dieſer Länder in ältes 
ser und neuerer Zeit noch erböhet wird. Je mehr cd nun an 
Ecriften fehle, welche über den wahren und neueſten Zuftend 
der vereinigten Koͤnigreiche Schweden und Norwegen, mie bes 
Orofhersogtbum® Finnland, ‚vohkändige und juverläflige Aufr 
hlüfle geben, je ſeltener um faſſende Werke diefer Art ſelbſt 
n jenen Rordifhen Ländern find; um fo mehr bält fih die 
unterzeichnete Buchhandlung berechtiget, ein in ihrem Berlage 
erfheinendes Werk, weiches durch die Verhältnifle des Berfafs 
ſers, wie duch Innere Einrichtung fich eignen durfte, für die 
neueſte Länders. Voͤlker⸗ und Staatenkunde des Schmedifchen, 
Norwegiſchen, Lappifchen und Zınnifhen Nordens ein Quellens 
werk zu werden, sur, &örderung durch geneigte Unterzeichnung 
au empfehlen. Es führt folgenden Titel: 


Reisee . 
bush. . N. 
Echmeden, Norwegen, Sappland, Finn 
land und Sngermannland. 
in den Jahren 1817, ı818 umd 1820 
von 


Sriedrih Wilhelm v. Schubert, 


Der Theologie Doctor und Orofeffor an der König. Greußifchen Uninerfität 
. su Sreifswan. 


Sn drei Bänden in gr. 8. Mit Titelkupfern und einer 
Charte. 


Das Ganze zerfällt in 36 Kapitel. Der Druck wird auf 
(Sönes weißes Druckpapier, in er. 8. beſorgt. Die Stärke der 
utgfeit beftimmt werden ; doch 


Leipzig, im Januar 1823. 
J. €. Hinrichsſ che Buchhandlung. 


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— 





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