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Full text of "Die Stretlinger Chronik. Ein Beitrag zur Sagen- und Legendengeschichte der Schweiz aus dem XV. Jahrhundert. Mit einem Anhang: Vom Herkommen der Schwyzer und Oberhasler"

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Bibliothek 
älterer  schriftwerke 


DER 


DEUTSCHEN  SCHWEIZ 

UND  IHRES  GRENZGEBIETES. 


Herausgegeben 
von 

^AKOB  B^CHTOLD  und  FeRD.  VeTTEI\. 


Erster  Band  : 

Die  Stretunger  Chronik. 


FRAUENFELD. 
Verlag  von  J.  Huber. 

1877. 


{^  l)eir)t^oV)  vFilttt^ingr- 


K4ö3s 


DIE 

STRETLINGER  CHRONIK 

Ein  Beitrag  zur  Sagen-  und  Legendengeschichte 
der  Schweiz  aus  dem  XV.  Jahrhundert. 


MU  einem  Anhang: 
Vom  Herkommen  der  Schwyzer  und  Oberhasler. 


Herausgegeben 


von 


Dr.  Jakob  B^echtold, 


4^ 


FK^AUENFELD. 
Verlag  von  J.  Huber. 

1877. 


Gedruckt  in  J.  Hubers  Buchdruckerei  in  Frauenfeld. 


Vorwort. 


Indem  ich  unsre  „Bilbliothek  älterer  Schriftwerke''''  mit 
einer  der  ältesten  deutschen  Chroriiken  aus  der  Schiveiz  eröffne, 
die  freilich  auf  geschichtlichen  JVerth  7c>enig  Anspruch  zu 
machen  hat,  uns  aber,  sowie  „das  Herkommen  der  Schwyzer^ 
zeigt,  7vie  man  im  XV.  Jahrhundert  anßeng,  Schweizergeschichte 
zu  machen,  habe  ich  ihr  nur  wenige  Geleitsworte  auf  den 
Jfeg  zu  geben,  nachdem  bereits  der  Prospekt  Einrichtung 
und  Umfang  unsrer  Sammlung  ausführlich  dargelegt  hat. 
Die  vielfaclien  mit  der  Stretlinger  CJironik  verknüpften 
litterarJiistorischen  Momente  ließen  den  vorliegenden  Band 
ohne  allzu  großen  Zwang  unsrer  Bibliothek,  die  eigentlich 
die  sog.  schöne  Litteratur  der  Schweiz  ins  Auge  faßt,  ein- 
verleiben. Vielleicht  hätte  sich  Nie  laus  Manuel  als  Er- 
öffnungsstück besser  geeignet:  einige  Bedenken  jedoch  (die 
Stretlinger  Chronik  hat  vor  jenem  wenigstens  den  Reiz  der 
NeuJicit  voraus)  bestimmten  uns,  denselben  erst  in  zweiter 
Linie,  aber  noch  vor  Neujahr  iS'jS,  diesem  ersten  Bande 
auf  dem  Euße  nachfolgen  zu  lassen. 

Was  die  Texte  betrifft,  wurde  an  dem  der  Chronik  nur 
die  nöthigste  Kritik  geübt,  die  Interpunktion  eingeführt, 
Abkürzungen  aufgelöst,  die  Orthographie  nach  den  üblichen 
Grundsätzen  geregelt,  d.  h.  Häufung  der  Konsonanten  ver- 
einfacht, y  durch  i,  v  vokalisch  durch  u,  u  konsonantisch 
durch  V,  der  Umlaut  von  i'i,  der  in  der  Handschrift  ?nit 
zwei  schief  gestellten  Strichen  über  dem  u  bezeichnet  ist, 
durch  üe  gegeben.  Inkonsequenzen  der  Handschrift  in  der 
Schreibung   des    Umlautes   von   a   und   ä    glaubte   ich    nicht 


VI 

ändern  zu  sollen.  Eine  Unterscheidung  des  Artikels  das 
und  der  Konjunktion  d  aß  wurde  beobachtet ;  statt  des  hand- 
schriftlichen kilchof,  kilcherr  gibt  der  Druck  kilchhof,  kilch- 
herr.  Die  Kapitelüberschriften  sind  im  Original  der  Strct- 
linger  Chronik  nicht  mit  Majuskeln  geschrieben.  Radikaler 
7nußte  —  wie  der  Variafiten- Apparat  zeigt  —  ;////  dem  oft 
nachläßigen  Münchner  Text  des  Herkommens  (die  Abschrift 
davon  verdanke  ich  der  Güte  von  Prof.  Dr.  Konrad  Hof- 
mami)  verfahren  werden.  Noch  sei  betnerkt,  daß  ivir  in  Zu- 
kunft, statt  der  Worterklärungen  unter  dem  Text,  einfach 
Glossare  liefern  werden. 

Dem  Manessische?!  Gemälde,  das  wir  nur  in  ver- 
kleinertem Maßstab  hätten  bringen  können,  zogen  lair  die 
Reproducirung  des  altern,  im  Ganzen  übereinstimmenden 
Nagler' schefi  Bildes  aus  der  Berliner  Bibliothek  vor;  das- 
selbe wurde  unter  freundlicher  Anleitung  des  Herrn  Dr. 
Philipp  Strauch  in  Berlin  an  Ort  und  Stelle  selbst  an- 
gefertigt. 

Dafikbar  hebe  ich  nanientlich  die  Unterstützung  durch 
Herrn  Staatsschreiber  Moritz  von  Stürler  in  Bern  und  Herrn 
Dompropst  Fiala  in  Solothurn,  sowie  diejenige  meines  Mit- 
arbeiters Dr.  Vetter  hervor.  Unserm  verehrten  Herrn  Ver- 
leger endlich,  der  mit  der  größten  Opferfreudigkeit  das 
Unternehmen  zu  einem  der  Nation  würdigen  ausstattet,  möge 
die  rege   Thei Inahme  der  letzt ern  nicht  ausbleiben ! 

Solothurn  am  Sonntag  Jubilate  1877. 

j.  B. 


DIE  HERREN  VON  STRETLINGEN 
UND  DER  MINNESINGER  HEINRICH. 


Nicht  weit  von  Thun  entfernt  ragt  über  dem  west- 
lichen Ufer  des  See's  die  weitausfchauende  Burg 
StretUngen  in  eine  große  HerrHchkeit  hinein,  welche  die 
Natur  ihr  zu  Füßen  ausgebreitet  und  rings  um  sie  auf- 
gethürmt  hat.  Um  den  weißen  Thurm  rankt  statt  des 
Epheu's  in  üppiger  Fülle  die  Sage,  und  die  Poesie  rauscht 
über  den  einsamen  Mauern,  zu  denen  Fichten  und  Lärchen 
emporsteigen.  Drunten  am  See,  nahe  beim  Ausfluß  der 
Kander,  blickt  das  stille  Kirchlein  von  Einigen,  um  das 
die  Legende  fromm  ihre  Fäden  gewoben,  zwischen  den 
Bäumen  heraus  und  weiter  nach  Süden  taucht  terrassen- 
artig das  Schloß  Spiez  aus  der  blauen  Fluth.^) 

In  der  Zeit,  von  der  die  folgenden  Blätter  melden, 
saß  auf  StretUngen  ein  mächtiges  Geschlecht,  das,  selbst 
königlichen   Ursprungs,    Könige  gezeugt   hat;   in   Einigen 


^)  Ueber  diesen  Schauplatz  der  Strctlinger  Chronik  vergl. 
J.  R.  Wyß,  Reise  in  das  Berner  Oberland  1816,  I,  274  u.  ff.; 
Hottinger  &  Schwab,  die  Schweiz  in  ihren  Ritterburgen  und  Berg- 
schlössern Bd.  II,  p.  316  u.  ff.,  419  u.  ff.;  Jahn,  Chronik  des  Kan- 
tons Bern  1H57,  p.  315,  643,  649,  und  besonders  Abraham  Roth, 
Thun  und  seine  Umgebungen   1873,  p.   154  u.  ff. 


VIII 

erhob  sich  damals  ein  stolzes  Gotteshaus  mit  einem 
mächtigen  Patron;  um  das  Paradies  —  so  wurde  es  ge- 
heißen —  schaarten  sich  zwölf  Kirchen  und  über  die  Ufer 
des  alten  Wendelsee's^)  zog  alltäglich  ein  vielstimmiges 
Glockengrüßen  hin  zu  St.  Michaels  Heiligthum,  aus  dessen 
weitgeöffneten  Pforten  die  Lobgesänge  der  Pilger  hallten. 
Spiez  aber,  der  goldene  Hof,  wo  einst  Attila  gehaust,  war 
in  jenen  grauen  Tagen  eine  ansehnliche  Stadt. 

So  die  Tradition.  Ganz  anders  aber  die  Geschichte. 
Während  die  Sage  bemüht  ist,  das  Haus  Stretlingen  in  einer 
glänzenden  Ahnenreihe  aufzuführen,  weiß  die  nüchterne 
Forschung  nur  von  einigen  wenigen  Generationen  eines 
mäßig  begüterten  Freiherrengeschlechtes,  das  da,  wo  es  be- 
glaubigt auftritt,  bereits  die  Zeichen  des  Verfalls  in  sich  trägt. 
Die  Annahme  vollends,  daß  das  transjuranisch-burgundische 
Königshaus  der  Rudolfiden  aus  dem  Stamme  der  Stret- 
linger  hervorgegangen,  ist  gelehrte  Erfindung  unsrer 
Chronik  und  taucht  zunächst  in  der  ersten  Hälfte  des 
sechszehnten  Jahrhunderts  bei  dem  Wiener  Historiker 
Wolfgang  Lazius  wieder  auf.-)  Mag  das  Ufgau  mit  der 
Herrschaft  Stretlingen  einst  königliches  Kammergut  ge- 
wesen sein,  mit  welchem  einer  der  transj uranischen  Könige 

^)  Wendehee,  IVandelsi'c  (laciis  Vanäalicus)  ist  der  Name  für  d^in 
Thunersee  im  Mittelalter,  angeblich  von  den  dort  angesessenen 
Vandalen  ;  nach  Andern  von  der  IVemlung  oberhalb  der  sog.  Nase, 
(bei  Jahn  a.  a.  O.  p.  562  ist  auch  ein  IVandelbach  genannt;  bei 
Wyß  a.  a.  O.  J,  160  ein  IVendenthal  und  IVendeuherg),  oder  in 
Folge  einer  Verwechslung  mit  lacus  Vindelicus,  einer  Benennung 
für  den  Bodensee.  Ahd.  wentilseo  bezeichnet  den  Ocean  überhaupt, 
mhd.  wendehi  das  atlantische  Meer  und  bedeutet  eigentlich  Gren:;^- 
see  (loende,  Grenze) ;  Grenzsee  konnte  auch  der  Thunersee  heißen, 
da  er  von  Alters  her,  wie  die  Aare,  die  Bisthümer  Konstanz  und 
Lausanne  schied. 

^)  De  migratione  gentium.  Lazius  (f  1565)  mag  durch  Lasle 
von  Sundheim  Kunde    von    der  Stretlinger  Chronik    gehabt    haben. 


IX 

einen  Seltenzweig  seines  Hauses  ausgestattet  hat,  oder 
mag  jene  Dynastenfamilie  am  burgundischen  Aufstand 
gegen  den  letzten  Zähringer  Theil  genommen  haben,  wie 
Berchtold's  Kriegszüge  im  Oberland  und  die  Verwüstung 
Amsoldingens  zu  beweisen  scheinen,  und  damals  ihre 
Macht  gebrochen  worden  sein:  jedenflills  sind  die  Freien 
von  Stretlingen  in  der  spätem  historischen  Zeit  nur  noch 
im  Besitze  eines  Theils  von  ihrem  einstigen  ausgedehnten 
Gebiete. 

Die  ehemalige  Herrschaft  Stretlingen  erstreckte  sich 
von  Wattenwyl  und  Blumenstein  der  Stockhornkette  ent- 
lang bis  hinauf  gegen  Leißigen  am  Thunersee.  Zu  ihrer 
Gerichtsbarkeit  gehörten  eine  Anzahl  kleinerer  Herrschaften 
und  Dörfer.^)  Der  erste  historisch  bekannte  Heinrich  von 
Stretlingen  war  ein  Zeitgenosse  Herzog  Berchtolds  IV.  und 
wird  in  einer  Zähringer  Urkunde  von  1175  unter  den 
Baronen  Burgunds  als  Zeuge  genant.^)  Ob  Herr  Johannes, 
der  urkundlich  1220 — 1224  an  einem  Hoftage  König 
Friedrichs  II.  in  Hagenau^)  und  als  Beisitzer  am  könig- 
lichen Gericht  in  Bern*)  vorkommt,  ein  Sohn  des  ersten 
Heinrich  war,  und  ob  er  in  den  Krieg  der  Barone  gegen 
Berchtold  V.  verwickelt  gewesen,  läßt  sich  nicht  nach- 
weisen. Dagegen  muß  er  mit  einer  Schwester  der  Grafen 
Heinrich  und  Rudolf  von  Rapperswil  vermählt  gewesen 
sein,  da  seine  muthmaßUchen  Kinder  Heinrich  IL,  Jo- 
hannes IL,  Margaretha  und  Rudolf  am  Begräbnißtage  der 


1)  Vergl.  Wurstemberger,  Geschichte  der  aken  Landschaft 
Bern  II,  136,  397;  E.  von  Wattenwyl,  Geschichte  der  Stadt  und 
Landschaft  Bern  I,  252, 

'^)  Zeerleder,  Urkunden  für  die  Geschichte  der  Stadt  Bern  1, 
107;  Solotliurner  Wochenblatt   1827,  455. 

3)  Zeerleder  I,  198;  Sol.  Wochenbl.  1828,  315. 

^)  Zeerleder  I,  208,  212;  Sol.  Wochenbl.  1828,  316.   1827,   156. 


Gräfin  Anna,  Graf  Hartmanns  des  Jüngern  von  Kyburg 
Gemahlin,  Tochter  des  Grafen  Rudolf  von  Rapperswil, 
als  Anverwandte  auftreten  (1253  Mai  31)  und  auf  das 
Erbe  des  Stifters  der  Cistercienser-Abtei  Wettingen,  Hein- 
richs von  Rapperswil,  Anspruch  haben  (1258  Mai  28). 
Heinrich  IL  von  Stretlingen,  der  älteste  Sohn  Herrn 
Johannes  L  und  der  Gräfin  von  Rapperswil,  wird  ge- 
w^öhnlich  als  der  Minnesinger  angenommen.  Vom  Jahre 
1250 — 1263  tritt  er  uns  meistens  in  Gemeinschaft  mit 
seinem  Jüngern  Bruder  Rudolf  urkundlich  entgegen.  Wenn 
auch  damals  schon  die  Familie  nicht  mehr  im  Besitze  der 
gesammten  Herrschaft  ist  und  Ländereien  im  Thale  von 
Stretlingen  (terra  in  valle  de  Stratehngen)  dem  Junker 
Heinrich  von  Kien  gehören  (Urkunde  von  1260  Sept.  17), 
so  stehen  doch  die  beiden  Brüder  als  Herren  von  Stret- 
lingen, Spiez  und  Wimmis  bei  ihren  Zeitgenossen  in 
großem  Ansehen  und  nehmen,  wie  an  den  friedHchen 
Verhandlungen,  so  an  den  kriegerischen  Bewegungen  im 
Lande  regen  Antheil.  Rudolf  nennt  sich  in  seinem  Siegel 
Vogt  von  Wimmis  (advocatus  de  Windemis).  Es  ist  sehr 
zweifelhaft,  ob  sich  auch  Herr  Heinrich  in  seinen  frühern 
Jahren  so  bezeichnet  hat  und  der  Ritter  Heinrich  von 
Wimmis  ist,  dessen  Span  mit  dem  Kloster  Literlaken, 
einen  Fischteich  betreffend,  von  einem  Schiedsgericht 
entschieden  w^urde  (1239  Juni  22);  da  schon  einige  Jahre 
vorher  (1236  Sept.  9)  ein  Heinrich  von  Wimmis  als 
einer  der  letzten  Zeugen  unter  ritterlichen  Ministerialen 
vorkommt.  Dagegen  nennt  sich  Heinrich  IL  Vogt  (advo- 
catus) von  Stretlingen  und  scheint  wie  sein  Bruder  Rudolt 
abwechselnd  auf  dem  Schlolk  Wimmis,  auf  der  Burg 
Stretlingen  oder  in  Spiez  gewohnt  zu  haben.  Warum  er, 
sowohl  in  der  Siegelunischrift  (Urkunde  von  1263  Dez.  4) 
als   bei   urkundUcher  Zeugenschaft   (1255  Sept.   14)   Vogt 


XI 

von  Stretllngen  heißt,  ob  die  Burg  und  Herrschaft  nicht 
mehr  freies  Eigenthum  der  Famihe  war,  sondern  in  den 
Kämpfen  der  Zeit,  sei  es  früher  in  die  Hände  des  Herzogs 
von  Zähringen  als  Rektors  von  Burgund,  sei  es  zu  Hein- 
richs Zeiten  selbst  an  die  mächtigen  Grafen  von  Savoien 
aufgegeben  und  als  Lehen  wieder  empflingen  wurde,  oder 
ob  endlich  Stretlingen  bereits  von  der  Familie  veräußert 
worden  und  ihr  nur  das  Vogteirecht  geblieben  war,  läßt 
sich  aus  historischen  Zeugnissen  nicht  bestimmen.  Jeden- 
falls aber  hat  die  Bezeichnung  ihre  Bedeutung. 

Gehen  wir  im  Einzelnen  an  der  Hand  der  Urkunden 
dem  Auftreten  Heinrichs  nach,  so  finden  wir  ihn  1250 
Dec.  22  in  dem  aufblühenden  Bern  unter  Freien,  Rittern 
und  Edelknechten  als  zweiten  Zeugen  beim  königlichen 
Gerichte,  als  Werner  und  Heinrich  von  Kien,  die  Herren 
des  Frutigerthales  und  anderer  Ländereien  in  der  alten 
Herrschaft  Stretlingen,  auf  das  Vogteirecht  der  dem  Kloster 
Interlaken  zuständigen  Eigengüter  Oplingen  und  Kiesen 
verzichten;^)  ebenso  1252  Juli  2^  bei  Oberhofen,  wo 
unter  Vorsitz  des  Landgrafen  Peter  von  Buchegg  neben 
vielen  Freien,  Rittern  und  Landsaßen  die  Edeln  Heinrich 
und  Rudolf  von  Stretlingen  am  Landgericht  sitzen,  als 
die  edle  Frau  Ita  von  Wediswil  nach  Verzichtleistung 
ihrer  Mutter  Lukardis  von  Uspunnen  auf  das  Leibgeding- 
recht, Eigengüter  in  Grindelwald  dem  Kloster  Literlaken 
verkauft.^)  Lii  Jahre  1253  Mai  31  wohnt  Herr  Heinrich 
von  Stretlingen  als  Verwandter  dem  Begräbniß  der  oben 
erwähnten  Anna  von  Kyburg  im  Kloster  Wettingen  bei 
und  hilft  die  Vergabung  des  trauernden  Gatten  zum  Heil 


^)  Zcerledcr  I,  419;  Fontes  rerum  Bernensium  II,  331. 
^)  Zeerleder  I,  433;  Sol.  Wochenbl.   1828,   139;    Kopp,  Gesch. 
der  eidgen.  Bünde  II  2,  42;  Fontes  rer.  Bern.  II,   353. 


XII 

der  Verstorbenen  mitbezeugen  ;^)  dann  verweilt  er  noch 
einige  Tage  bei  Graf  Hartmann  von  Kyburg  auf  dem 
Schloße  Lenzburg  und  ist  Juni  4  der  erste  weltliche 
Zeuge,  als  der  Graf  zum  Seelenheil  seiner  Gattin  und 
seiner  Vordem  auf  alle  seine  Ansprüche  der  dem  Kloster 
Wettingen  zugehörigen  Güter  im  Lande  Uri  verzichtet.^) 
Vogt  von  StretUngen  w^ird  Heinrich  1255  Sept.  14  ge- 
nannt, als  er  in  Bern  nach  dem  Freien  Ulrich  von  Wip- 
pingen, Vogt  von  Bern,  bei  einer  Vergabung  der  Gebrüder 
Frieso  an  das  Johanniterhaus  Buchsee  Zeugniß  gibt.^)  In 
den  nächsten  Jahren  beschäftigen  Familienangelegenheiten 
Herrn  Heinrich.  Sein  Bruder  Rudolf  begibt  sich  im  Auf- 
trag der  Familie  ins  Kloster  Wettingen  und  entsagt  da- 
selbst 1258  Mai  28  im  Namen  Heinrichs,  dessen  gleich- 
namiger Sohn  den  Oheim  begleitet,  und  der  übrigen 
Geschwdster  allen  Ansprüchen  auf  das  Erbe  des  mütter- 
lichen Verwandten,  Graf  Heinrichs  von  Rapperswil,  zu 
Gunsten  des  von  diesem  gestifteten  Klosters,  in  dessen 
Mauern  der  Graf  als  Bruder  Heinrich  (1246  Jan.  30)  sein 
bewegtes  Leben  vollendet  hatte.*)  Aus  dieser  Verzicht- 
leistung geht  hervor,  daß  1258  außer  Heinrich  und  Rudolf 
von  Strethngen  noch  ein  Bruder  Johannes  lebt,  sowie  eine 
Schwester  Margaretha,  vermählt  an  den  Freien  Lütold  von 
Bebingen.  PersönUch  anwesend  ist  Herr  Heinrich  1259 
in  Bern  bei  einem  Verkaufsakte  seines  Bruders.  Herr  Ru- 
dolf hatte  nämlich  von  den  Freien  Heinrich  und  Rudolf 
von  Wiler  ein  Gut  in  Nieder-Gurzelen  nebst  dem  halben 


^)  Herrgott  Geneal.  dipl.  Habsb.  II,  302;  Kopp  II  i,  460;  Sol. 
Wochenbl.   1830,   548. 

'-)  Sol.  Wochenbl.   1828,   114;  vergl.  Kopp  II   i,  460. 

^)  Zeerleder  I,  462;  Fontes  rer.  Bern.  II,  402;  Sol.  Wochenbl. 
183 1,  406. 

*)  Herrgott  Geneal.  II,  339;  Kopp  II  i,  461. 


XIII 

Kirchensatz  daselbst  erworben  und  verkauft  nun  mit  Ein- 
willigung des  gegenwärtigen  Bruders  Heinrich  all  sein 
Recht  darauf  um  34  Mark  dem  Kloster  von  Interlaken,  ^) 
mit  dem  die  Familie  in  besonderer  Verbindung  steht. 

Connexionen  ganz  anderer  Art  hatten  in  diesen  Jahren 
die  Freien  von  Stretlingen  mit  Peter  von  Savoyen,  dem 
kleinen  Karl  dem  Großen,  wie  ihn  spätere  Geschichts- 
fchreiber  genannt  haben.  Dieser  eben  so  kluge  als  ener- 
gische Graf  trug  sich  mit  der  Idee,  ein  transjuranisch- 
burgundisches  Fürstenthum  herzustellen,  und  hatte  bereits 
die  Barone  der  Waadt  durch  Verträge  und  durch  Gewalt 
seiner  LehcnsherrUchkeit  unterworfen,  Reichsgüter  annexirt 
und  die  Städte  Bern  und  Murten  nebst  dem  Reichslande 
Hasle  unter  seine  Schirmherrschaft  gebracht.  Nun  galt 
es,  sich  auch  im  oberländischen  Gebiete  ein  entschiedenes 
Uebergewicht  und  vor  allem  die  Großen  des  Landes  zu 
gewinnen.  Die  Brüder  Heinrich  und  Rudolf  von  Stret- 
lingen, damals  wohl  schon  ältere  Männer,  traten  mit  dem 
jungen  Johannes,  Heinrichs  zweitem  Sohne,  in  die  Dienste 
des  mächtigen  Herrn  der  Waadt  und  nahmen  Theil  an 
dessen  Krieg  wider  den  Bischof  Heinrich  von  Wallis.  Die 
Fehde  überdauerte  den  Sommer  1260.  Im  Friedensfchluße 
1260  Sept.  5  an  der  Morgia  werden  die  Brüder  Heinrich 
und  Rudolf,  Herren  von  Stretlingen,  und  Johannes,  Hein- 
richs Sohn,  nebst  den  Bürgern  von  Bern  und  andern 
Helfern  unter  den  Bürgen  Peters  von  Savoien  für  die 
Friedensbedingungen  aufgezählt.^)  Als  Lohn  ihrer  Bundes- 
genossenschaft erhielten  die  Stretlinger  eine  ungenannte 
Herrschaft  im  Thale  Stretlingen  mit  einer  Burg,  vielleicht 
MüHnen,   welche   der  Bischof  von  Sitten  als  Pfand   einer 


')  Zeerleder  I,  527;  Fontes  rer.  Bern.  II,  497. 

^)   Zeerleder  I,   536;  Kopp  II  2,  254;  Fontes  rer.  Bern.  II,   510. 


XIV 

Forderung  an  den  Junker  Heinrich  von  Kien  innegehabt 
hatte  und  in  Folge  des  Friedens  den  Siegern  überlassen 
mußte.  Hiebei  wußte  sich  aber  Peter  von  Savoien  seine 
Vortheile  sehr  gut  zu  sichern  und  die  neuen  Besitzer  in  ein 
Netz  von  Verbindlichkeiten  zu  ziehen.  In  einem  Vertrag, 
geschlossen  im  Kloster  St.  Moritz  1260  Sept.  17,  verpflichten 
sich  Heinrich  und  Rudolf  und  des  erstem  Sohn  Johannes 
von  Stretlingen,  mit  der  nicht  genannten  Herrschaft,  den 
in  ihr  befindlichen  Burgen  und  den  dazu  gehörenden 
Leuten  Herrn  Peter  von  Savoien,  dessen  Erben  oder 
Stellvertretern  auf  erfolgte  Mahnung  hin  in  allen  Kriegen 
wider  alle  geistlichen  und  weltlichen  Personen,  mit  Aus- 
nahme des  deutschen  Königs  und  Herrn  Aimo's  von 
Montenach,  beizustehen.^)  Sollten  die  Forderungen  des 
Bischofs  von  Sitten  und  der  StretHnger  aus  dem  Ertrag 
des  Pfandschillings  bezahlt  werden,  so  dürfen  diese  die 
Herrschaft  nur  an  Herrn  Peter  oder  dessen  Landvogt  in 
der  Waadt  herausgeben,  und  dieser  wird  dieselbe  als 
Sicherheit  für  die  Verpflichtungen  des  ursprüngHchcn  Be- 
sitzers, Heinrich  von  Kien,  behalten.  Aber  auch  dann 
noch  sind  die  Herren  von  Stretlingen  dem  edeln  Mann, 
Herrn  Peter  von  Savoien  zur  Hilfeleistung  verpflichtet, 
und  verfallen  bei  Zuwiderhandlung  in  eine  Strafe  von 
400  Mark  Silber.  Ist  der  Vertrag  schon  an  und  für  sich 
ein  diplomatisches  Meisterstück,  um  die  freien  Herren  des 
Oberlandes  ohne  eigentliche  Lehensabhängigkeit  im  Dienste 
des  Grafen  der  Waadt  zu  erhalten,  so  wird  derselbe  noch 
verstärkt  durch  die  damit  verbundenen  Bürgschaften.  Auf 
der  einen  Seite  nämlich  leisten  unter  demselben  Datum 
im  Kloster  St.  Moritz  die  Junker  Aimo  von  Montenach, 
Werner  von  Kien   und  Wilhelm  von  Weißenburg  Herrn 


*)  Zeerledcr  I,  537;  Kopp  II  2,  255;  Fontes  rer.  Bern.  II,  512. 


XV 

Peter  von  Savoien  Bürgschaft  für  die  Stretlinger  und 
versprechen  ihm  auch  Hilfe  gegen  dieselben,  wenn  diese 
ihre  Gelöbnisse  nicht  halten  sollten;^)  auf  der  andern 
Seite  verbürgen  sich  einige  Tage  nachher  (Sept.  20)  die 
StretHnger,  Aimo  von  Montenach  und  Heinrich  von  Kien 
im  Schloße  Chillon  für  die  Verpflichtungen  Werners  von 
Kien  an  Herrn  Peter  von  Savoien,^)  und  noch  im  März 
1263  geben  sich  die  Brüder  Rudolf  und  Heinrich  von 
Stretlingen,  mit  ihnen  Heinriclis  Söhne  Rudolf,  Johannes 
und  Heinrich,  sowie  Herr  Ulrich  von  Wippingen  als  erste 
Schuldner  und  Bürgen  für  die  Brüder  Heinrich  und  Werner 
von  Kien  und  die  Gemeinde  der  Thalleute  von  Frutigen 
dar  um  188  Mark  Silber,  welche  diese  bei  Juden  in  Bern 
zum  Ersätze  der  140  Mark  aufgenommen,  die  Herr  Ru- 
dolf von  Stretlingen  in  ihrem  Namen  dem  Bischof  von 
Sitten  bezahh  hatte. ^)  Ueberhaupt  ist  Rudolf  von  Stret- 
lingen weiter  in  diese  Beziehungen  zu  den  Thalleuten 
von  Frutigen  verwickelt,  wie  er  denn  auch  mit  den  Brüdern 
Werner  und  Heinrich  von  Kien  (nicht  aber  Heinrich  von 
Stretlingen,  wie  Bartsch  in  der  Germania  IX,  147  angibt) 
ihr  Gelöbniß  besiegelt,  Herrn  Peter  von  Savoien  in  all 
seinen  Kriegen  Hilfe  zu  leisten.  (1260  Sept.  27.)'^) 

Endlich  erscheint  Herr  Heinrich  noch  in  einer  Ur- 
kunde von  1263  Dec.  4,  laut  welcher  er  und  seine  Söhne 
Rudolf,  Johannes  und  Heinrich  in  Bern  die  ersten  welt- 
Hchen  Zeugen  sind,  als  sein  Bruder  Rudolf,  durch  Schulden 


^)  Zeerlcder  I,  539;  Kopp  II  2,  255;  Fontes  rer.  Bern.  II,  513. 

^)  ZeerJedcr  I,  540;  Kopp  a.  a.  O. ;  Fontes  rer.  Bern.  II,  515. 

^)  Fontes  rer.  Bern.  II,   573. 

'*)  Zeerleder  I,  542;  Fontes  rer.  Bern.  II,  520.  —  ((Quin  pro- 
prium non  haheniHS  sigillum,  rogavimus  dominum  Rodolfum  de  Slratc- 
lingen,  Werm^rum  domicelhim  de  Chien  et  Henricimi  fratrem  siiniii,  do- 
inimim  iwstnim,  quod  suis  sigillis  presentcm  Hteram  sigillarent.» 


XVI 

an  die  Juden  gedrängt,  Kirchensatz  und  Vogtei  von  Ober- 
Gurzelen  mit  anderm  Besitzthum  dem  Kloster  Interlaken 
verkauft.  An  der  Urkunde  hängt  Heinrichs  Siegel,  ziemHch 
groß,  dreieckig  mit  zwei  über  einander  liegenden,  nach 
links  gekehrten  Pfeilen  und  der  Umschrift:  S.  Henrici 
Aduocati  de  StreteUngen ;  ^)  während  Rudolfs  kleineres, 
rundes  Siegel  hier  in  dreieckigem  Schilde  einen  aufwärts 
nach  links  gerichteten  Pfeil  mit  der  Umschrift:  S.  Rodolfi 
Aduocati  de  Wendemis,  in  der  Urkunde  von  1259  dagegen 
einen  Hegenden  Pfeil  über  drei  als  Dreieck  gestellten  Rosen 
zeigt  mit  der  Legende:  S.  Rodolfi  Domini  de  Windemis.^) 
Im  Jahre  1266  Nov.  25  scheint  Heinrich  IL  von  Stret- 
lingen  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  geweilt  zu  haben, 
da  der  Bruder  Rudolf  vor  der  Kirche  von  Bern  vor  allem 
Volk  für  sich  allein  den  Eid  der  Hilfeleistung  gegen  Herrn 
Peter  von  Savoien  erneuert,  so  lange  Peter  und  dessen 
Nachfolger  Bern  in  ihrem  Schutze  halten.^) 

Aus  der  Ehe  mit  einer  uns  unbekannten  GemahHn 
hinterließ  Herr  Heinrich  nach  den  beiden  Urkunden  von 
1263  ^^^i  Söhne,  Rudolf  IL,  Johannes  III.  und  Hein- 
rich III.  Hier  sei  nur  der  letztere  etwas  näher  berührt, 
da  er  eben  so  gut  —  oder  wol  eher  —  als  der  Vater, 
der  Minnesinger  Heinrich  von  Stretlingen  sein  könnte. 
Offenbar  der  jüngste  unter  drei  Brüdern  sciieint  er  1258 
Mai  28  schon  dem  Knabenalter  entwachsen   zu   sein,   da 


^)  Zeerleder  I,  568  und  Siegelband  Tafel  30;  Kopp  II  2,  251; 
Fontes  rer.  Bern.  II,  584. 

^)  Zeerleder,  Urkunden.     Siegelband  Tafel  28. 

^)  Zeerleder  I,  637;  Fontes  rer.  Bern.  II,  653.  --  E.  v.  Watten- 
wyl  a.  a.  O.  I,  253  schreibt  die  Urkunde  1276  Febr.  4  und  März  12 
und  1277  Juli  5  dem  altern  Rudolf  zu  und  läßt  ihn  1280  sterben, 
ohne  Kinder,  Er  beachtet  nicht,  daß  Rudolfs  Wittwe  Bertha  von 
Bremgarten  1280  Jan.  21  bereits  gestorben  ist. 


XVII 

er  mit  dem  Oheim  Rudolf  I.  zur  Verzichtleistung  auf  die 
Familienansprüche  betreffend  das  Erbe  des  Grafen  Heinrich 
von  Rapperswil  sich  in  Wettingen  befindet.  Am  Kriege 
^egen  den  Bischof  von  Sitten  hat  er  nicht  Theil  genommen, 
ni  den  Verhandlungen  wird  nur  seines  Bruders  Johannes 
erwähnt.  Selbständig  tritt  Heinrich  III.  zum  ersten  Mal 
1271  Mai  2  als  Zeuge,  wahrscheinlich  in  Thun  auf.  Der 
letzte  unter  den  Edeln  Walter  von  Eschenbach  und  Ru- 
dolf von  Balm,  leistet  er  vor  Bürgern  von  Thun  Zeugen- 
schaft, als  der  Freie  Walther  von  Wediswil  mit  Zustim- 
mung seiner  Söhne  das  von  seinem  Verwalter  von  Us- 
punnen  auf  ihn  vererbte  Kastvogteirecht  des  Chorherren- 
stiftes Amsoldingen  in  die  Hände  des  Propstes  (seines 
Sohnes  Heinrich)  und  des  Kapitels  aufgibt;^)  unter  dem- 
selben Datum  erscheint  Heinrich  von  Stretlingen  als  testis, 
als  Walter  von  Wediswil  und  seine  Söhne  mit  Rudolf, 
dem  Sohne  des  Propstes  zu  Interlaken,  Güter  tauschen.^) 
Zwar  ist  Heinrich  hier  nicht  näher  bezeichnet  und  es 
könnte  auch  der  Vater  gemeint  sein;  allein  die  Stellung 
seines  Namens  nach  dem  Bruder  (Rudolfus  et  Henricus 
de  Stretlingen)  und  als  der  letzte  unter  den  Edeln  des 
Landes  deutet  eher  auf  den  Jüngern  Bruder  und  Jüngern 
Mann,  als  auf  seinen  angesehenen,  bejahrten  (überdieß 
wahrscheinlich,  wie  oben  bemerkt,  vor  1266  gestorbenen) 
Vater,  der  als  Zeuge  stets  vor  dem  Jüngern  Bruder  Rudolf 
genannt  wird.  Neunzehn  Jahre  später  begegnet  uns  Hein- 
rich III.  in  mißlichen  Vermögensumständen.  Im  Jahre 
1290  nämlich  Febr.  4  verpfändet  Junker  Heinrich,  Vogt 
von  Stretlingen  und  Herr  zu  Spiez,  seinem  Oheim  Rudolf 
Kiener  (von  Kien?)  um   300  Pfund  Berner  Währung  die 

^)  Zeerleder  II,  70;  Fontes  rer.  Bern.  II,  794. 
'^)  Zeerleder  I,  393;  Fontes  rer.  Bern.  II,  795. 

II 


XVIII 

Burg  Spiez,  behält  sich  aber  den  Thurm  und  ein  Haus, 
nebst  dem  Kirchensatz  von  Spiez  und  Leuxingen  vor; 
doch  soll  die  Burg  Spiez  den  Herrschaften  Kyburg  und 
Eschenbach  offenes  Haus  bleiben.^)  Im  Jahre  1294  ver- 
tauscht er  Güter  in  Wattenwyl  gegen  andere  in  Bächi  bei 
Thun  gelegene.^) 

Damit  ist  das  urkundliche  Material  über  Heinrich  III. 
von  Stretlingen  erschöpft.  Vergleichen  wir  ihn  nach  diesen 
dürftigen  Nachrichten  mit  seinem  Vater,  so  repräsentirt 
dieser,  ein  Mann  von  Ansehen  durch  Verwandtschaft  mit 
dem  Grafen  von  Rapperswil,  durch  politische  Verbindungen 
mit  den  Grafen  von  Savoien  und  Kyburg,  durch  sein  um- 
sichtiges und  kräftiges  Eingreifen  in  die  Bewegungen  der 
Zeit  und  durch  erfolgreiches  Streben  nach  Hebung  des 
Hauses,  den  historischen  Glanzpunkt  der  Stretlinger; 
während  der  Sohn,  nirg^ends  in  den  Zeitereig^nissen  her- 
vortretend,  thatenlos  —  wie  es  scheint  —  im  engen 
Kreise  des  Lebens,  unter  dem  sinkenden  Landadel  sich 
bewegend,  den  Anfang  der  Zerrüttung  des  freiherrUchen 
Geschlechtes  bezeichnet.  Einem  solchen  Charakter  scheint 
auch  die  Rolle  des  minnesiechen  Sängers  ungleich  besser 
zu  taugen.  Von  seinen  Nachkommen,  die  nach  urkund- 
lichen Belegen  in  unserer  Stammtafel  aufgeführt  sind, 
ist  wenig  von  Belang  zu  melden.  Kaum  ein  Menschen- 
alter nach  Heinrich  III.  ist  nicht  nur  Stretlingen  selbst 
als  Lehen  von  Kyburg  in  den  Händen  der  benachbarten 
Edelknechte  von  Burgistein  und  wurde  im  Gümminen- 
kriege  von  den  handfesten  Bernern   1332  zerstört;^)  son- 

^)  V.  Wattenwvl  a.  a.  O.  I,  254. 

^)  ib.    _ 

^)  Justinger  ed.  Studer  p.  66.  —  Burg  und  Herrschaft  Stretlingen 
änderte  bis  zum  16.  Jahrhundert  ihren  Besitzer  noch  öfter,  bis  sie 
im  Jahr  1590   von   der  FamiHe  May  an  die  Berner  Regierung  ver- 


XIX 

dern  auch  die  übrigen  Besitzungen,  wie  Schloß  und  Herr- 
schaft Laubegg  und  Mannenberg  im  Obersimmenthal,  nun 
längst  Trümmer,  mußten  1335  an  den  Grafen  von  Greierz, 
die  Herrschaft  Spiez  1338  an  den  Schultheißen  von  Bern, 
Johannes  von  Bubenberg,  verkauft  werden:^) 

Von  Ritter  Johannes  IV.,  der  als  Zeuge  nicht  mehr 
unter  den  Freien,  sondern  unter  den  ritterhchen  Mini- 
sterialen verzeichnet  wird,  stammt  wiederum  ein  Junker 
Heinrich  IV.  ab,  der  Gemahl  Margaretha's  von  Bubenberg, 
der  Vater  einer  einzigen  Tochter,  die  sich  mit  Ritter 
Ulrich  von  Erlach  vermählte  und  den  Stamm  der  Herren 
von  StretUngen  1401  abschließt.  Weder  dieser  Heinrich 
aber,  noch  ein  fünfter  desselben  Namens,  der  bis  um  die 
Mitte  des  XIV.  Jahrhunderts  lebt,  darf  mit  dem  Minne- 
singer identificirt  werden;  ebensowenig  Heinrich  VI.  von 
StretUngen,  ein  Priester,  dessen  Jahrzeit  (ohne  Jahres- 
datum) auf  den  14.  November  in  der  Leutkirche  zu  Bern 
gefeiert   wurde-)    mit    den   Anniversarien    anderer    seines 


kauft  und  1803  mit  dem  Amt  Thun  vereinigt  wurde.  Von  der 
Burg  steht  innerhalb  der  Ringmauer  nur  noch  der  große  gevierte, 
etwa  90  Fuß  hohe  Thurm. 

^)  Wie  es  scheint,  ist  die  Pfandherrschaft  Spiez  aus  der  Hand 
Dietrichs  von  Kien  an  Thüring  von  Brandis  gekommen,  und  da 
Thüring  als  Oheim  Rudolfs  von  Balm  in  die  Blutrache  um  König 
Albrechr  verwickelt  ist,  greifen  die  Herzoge  von  Oestreich  auf  die 
Güter  desselben.  Herzog  Leopold  verleiht  1313  Sept.  30  Burg  und 
Hof  zu  Spiez  dem  Edlen  Johannes  von  StretUngen,  Heinrichs  III. 
Neffen,  demselben,  der  sie  fünfundzwanzig  Jahre  später  wieder  ver- 
kaufen muß.  —  Nach  dem  Tode  des  letzten  Bubenbergers  kam 
Spiez  1506  kurze  Zeit  an  die  Bonstetten  und  befand  sich  seit  1516 
in  den  Händen  der  Familie  von  Erlach.  Das  ruhmlose  Ende  von 
Spiez  und  dessen  werthvoller  Bibliothek  steht  in  frischer  Erinnerung. 

^)  Lib.  vitoe  im  Berner  Archiv  VI,  464. 


XX 

Geschlechtes;^)  ein  Beweis  dafür,  daß  die  letzten  Spröß- 
linge des  Hauses  in  Bern  geendet  haben. 

Theils  in  den  Berner  Junkergeschlechtern  der  Buben- 
berg, Erlach  und  Münzer,  theils  hinter  Klostermauern,  wo 
die  Töchter  der  verarmten  Familie  Zuflucht  gefunden, 
starb  das  Geschlecht  der  Stretlinger  aus. 

Nicht  leicht  sind  über  ein  zweites  Dynastengeschlecht 
der  Schweiz  irrigere  Nachrichten  verbreitet,  als  über  das 
vorHegende,  Bei  der  Wiederholung  der  nämlichen  Namen 
in  vier,  fünf  Generationen  und  der  Dürftigkeit  der  Unter- 
scheidungsmerkmale hält  es  schwier,  mit  absoluter  Sicher- 
heit eine  Genealogie  herzustellen.  Die  angehängte  Stamm- 
tafel ist  urkundlich  belegt. 


In  der  Pariser  Liederhandschrift  erscheint  zwischen 
den  Herren  Wernher  von  Teufen  und  Christian  von 
Hamle  der  Minnesinger  Heinrich  von  StretUngen.  Man 
identiiicirt  diesen  gewöhnlich  mit  Heinrich  IL,  der 
—  wie  oben  ausgeführt  —  von  1250 — 1263  urkundlich 
vorkommt.'^)  Aus  den  erwähnten  Gründen  ist  aber  eher 
dessen  Sohn  Heinrich  III.  1258 — 1294  auftretend,  als  der 
Sänger  anzunehmen.  In  der  folgenden  Chronik  taucht 
unter  der,  wie  wir  sehen  w^erden,  völlig  unzuverläßigen 
Ahnenreihe  gegen  Ende  des  XIIL  Jahrhunderts  ein  Herr 
Heinrich  von  Stretlingen  auf  (p.  159.)  Er  sei  ganz  und 
gar  ein  Kind  der  Welt  gewesen,  habe  fröhliche  Kirch- 
weihen mit  Tänzen  und  Spiel,  mit  Singen,  Springen  und 


')  ib.  32Q,  343,  458. 

^)  Verg].   von   der    Hagon,    Minnesinger    IV,    116;    Bartsch    in 
Pfeiffers  Germania  IX,   147. 


XXI 

andern  Sünden  gehalten;  das  Schloß  Stretlingen  und  die 
Kirche  des  Paradieses  seien  unter  ihm  verfallen.  Gegen 
diese  Darstellung  hat  die  Geschichte  nichts  einzuwenden, 
mit  Heinrich  III.  sinkt  das  Sternlein  des  Hauses  rasch. 
Hier  leuchtet  aus  dem  Sagendunkel  der  Chronik  als  ganz 
vereinzelter  Fall  die  historische  Wahrheit  durch.  Der 
nämlichen  Auffassung  entsprechen  auch  die  Gemälde  von 
dem  Sänger  in  der  Manessischen  Handschrift  und  in  dem 
Berliner  (Nagler'schen)  Bruchstück,  ^)  die  einen  blondlockigen 
Jüngling  in  leichtem,  wechselnd  roth,  blau  und  golden 
gestreiftem  Rocke  und  grünen  Strümpfen  darstellen,  der 
wie  im  Tanzschritte  mit  aufgehobenen  Armen  und  deu- 
tenden Fingern,  als  wenn  er  sein  Minnelied  vorsänge, 
gegenüber  einem  Fräulein  steht,  welches,  auf  den  langen 
blonden  Locken  einen  rothen  goldblumigen  Kranz,  ein 
grünes  Kleid  trägt  mit  drei  schmalen  goldenen  Quer-* 
streifen,  goldenem  Halsfaum  und  Gürtel;  die  Linke  auf 
die  Hüfte  stützt  und  die  Rechte  ausgebreitet  vorstreckt, 
wie  sich  weigernd  und  abw^eisend.  Ueber  dem  Minne- 
singer rechts  ist  sein  Wappenschild,  im  rothen  Feld  eine 
rechtshin  schräg  aufwärtsgekehrte  goldene  wdderhackige 
Pfeilspitze;  daneben  über  dem  Fräulein  der  geschlossene 
Goldhelm  mit  zwei  Hirschhörnern,  deren  fünf  Zacken  in 
Rosen  auslaufen.-) 

Man  hat  schon  mit  Recht  bemerkt,  daß  die  Minne- 
singer der  Schweiz  einen  ganz  eigenen  Körper  bilden, 
der  am  besten  den  allgemeinen  Charakter  der  Minnepoesie 


^)  Vcrgl.  unser  Titelbild  und  von  der  Hagens  Bildersnnl  p.  66 
u.  ff.;  die  beiden  im  Ganzen  übereinstimmenden  Bilder  stehen  in 
den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1852. 

^)  Ganz  gleich  das  Wappen  aus  der  Stretlinger  Chronik  auf 
p.  I  dieser  Schrift,  mit  der  einzigen  Ausnahme,  daß  dort  die  Pfeil- 
spitze nach  links  gerichtet  ist. 


XXII 

vertritt:  fast  sämmtliche  gehören  jener  rein  tendenzlosen, 
rein  minniglichen,  mehr  wehmüthigen  als  heitern  Lyrik  an. 
Damit  hängt  auch  das  Monotone,  das  z.  B.  Schiller  dem 
Minnegesang  vorwirft,  zusammen.  Ein  Vögelein,  eine 
grüne  Heide,  ein  rother  Mund,  unerhörte  Liebe,  sehnende 
Klage !  Dieses  im  Ganzen  einförmige  Thema  variiren  nun 
auch  die  drei  nur  in  der  Pariser  Handschrift  (C)  uns  er- 
haltenen Lieder  Heinrichs  von  Stretlingen,  von  denen  die 
zwei  ersten  trochäisch  mit  Kehrreimen,  das  letzte  jambisch 
mit  dactylischem  Abgesang  ist: 

L 

Nachiegalj  giiot  vogellin, 
miner  vrouwen  soltti  singen  in  ir  öre  dar, 
Sit  si  hat  da:(  her:(e  mm 
und  ich  äne  vr'öiide  und  äne  höchgemüete  var. 
J.  St  da^  niht  ivunder, 

so'n  wei:(^  ich  vremder  dinge  niht, 

da:{  man  darunder     hie  besunder     dicke  vrö  mich  siht. 

Deilidurei    faledirannurei, 

lidundei    faladaritturei ! 

10.   Vrouwe,  hluomen  unde  kle 

unde  heide,  diu  so  wunnecliche  grüene  lit, 

Die  wein  muoten  unde  me, 

da:^  diu  vogellin  wol  singen  sico:(^e  wider  strit. 

Des  vröut  sich  sere 
ij.  min  gemüet,  da:^  si  sint  vröude  rieh. 

al  dur  ir  ere     singe  ich  mere     sit  si  ist  minneclich. 


V.  I  u.  ff.  Bartsch,  deutsche  Liederdichter  p.  347  macht  darauf 
aufmerksam,  daß  dieser  Eingang  an  ein  Lied  des  Troubadours  Peire 
von  Auvergne,  bei  Mahn  I,  89  erinnert. 


XXIII 

Deilidurei    fahdirannurei, 
lidundei    faladarittnrei ! 

Siie:(e  minne,  hilf  en:(it, 
20.   da^  diu  s.eldenriche  erkenne  mine  grö:(^e  not! 

SU  da:^  mm  tröst  an  dir  lit, 

so  vi'tege,  da:^  ir  si'ie:(er  miint  durHuhtic  rot 

Der  senden  quäle 

in  hir::^en  :(iten  werde  geiuar ! 
2).  schiii:^^  din  sträle    :( einem  male    di'i  weist  luol  seihe  war! 

Deilidurei    fahdirannurei, 

lidundei    faladaritturei ! 

V.  7.  statt  vr6  gibt  die  Hs.  C.  man.  —  V.  12.  statt  wein  hat  die  Hs.  wen.  — 
V.  20.  gröze  von  Bartsch  ergänzt. 

V.  7.  imlten,  verlangen.  —  V.  13.  luider  strit,  um  die  Wette.  — 
V.  23.  sende,  sehnende.  —  V.  25.  war,  wohin.  Hier  liegt  wohl  eine 
Anspielung  auf  die  Stretlinger  Wappensage  vom  Pfeil  vor. 


IL 

Ach,  der  ich  ob  allen  vrouwen, 
i'if  mins  endes  ::^il 
dienen  wil, 

Diu  hat  äne  schuld  verhouwen 
j.  mich  sere  üf  den  tot. 
ach  der  not! 

Ach  üf  genäde,  siuie  si  mir  tuot, 
habe  ich  muot, 
guot     Hb  und  leben 
10.  ir  ergeben! 

Ich  luolt  ir  mit  red  bescheiden, 

■lua^  ich  her:(eclag 

von  ir  trag; 

Si  tet,  als  ich  lucere  ein  hei  den. 


XXIV 


ij.  ach  mm  vröudc  scic, 

ich  geszveic! 

Ach  üf  genäde,  swie  si  mir  tuot, 

habe  ich  imwt, 

guot     lih  und  leben 
20.  ir  ergeben! 

Sit  min  vroiiive,  die  ich  hrcene, 

rede  mir  sendem  man 

niht  engan: 

Minen  himber  ich  ir  dame, 
2j.  szuar  ich  landes  var 

offenbar. 

Ach  üf  genäde,  siuie  si  mir  ttiot, 

habe  ich  mtiot, 

guot     Hb  und  leben 
}0.  ir  ergeben ! 

Ir  vil  spiegeUiehten  ougen 

hant  verseret  mich 

her:(ecJich, 

Ich  muo:<^  sterben  sunder  1  ougen! 
]J.  ach  ir  miindel  rot 

tuot  mich  tot! 

Ach  nf  genäde,  siuie  si  mir  tuot, 

habe  ich  muot, 

guot    Hb  und  leben 
40.  ir  ergeben! 

Swie  si  mit  gewalt  mich  tiuinge, 
mich  kan  tuenden  niht 
kein  geschiht ; 
Ich  muo:(^  ienier  üf  gedinge 
4J.  sin  ir  eigen  kneht, 
da^  ist  sieht! 


XXV 

Ach  üf  geriäde,  swie  si  mir  tuot, 
habe  ich  miiot, 
guot     Üb  und  leben 
jo.  ir  ergeben! 

V.   15.    Si'ic,    prast.    von    sigen,    sinken.  —  V.  23.  iiibt  engan, 
nicht  p^önnt.  —  V.  43.  geschiht,  Umstand. 


III. 


Mich  hilfet  niht  der  vogelsanc, 
noch  diu  vil  griiene  heide ; 
Mich  Huinget,  da:(^  mich  e  da  twanc, 
und  tuot  mir  aber  leide. 
j.  Den  äbent,  den  morgen, 
den  sten  ich  mit  sorgen 
vor  der  vil  minneclichen : 
und  name  si  den  dienest  mm,  ich  wolde  an  vröuden  riehen ! 

Ich  solde  zuol  in  vröuden  sin, 
10.  zuol  de  e:;^  min  liebe  vrouiue; 

Ir  nmnt  ist  röt,  ir  ougen  schin, 

diu  ich  so  selten  schouwe. 

Si  liebe,  si  reine, 

si  trapstet  mich  kleine; 
ij.  si  u'ont  mir  in  dem  muote. 

siua:;^  ich  ir  gedienen  hau,     si  tuot  mir  niht  ::;e  guote. 

Nu  helfet  mir  die  lieben  biten, 
die  minneclichen  vrouzuen, 
Da:^^  si  durch  ir  reinen  siten 
20.  mm  arbeit  zvell  beschouwen, 
Den  schaden,  den  kumber, 
den  ich  von  ir,  tuniber. 


XXVI 

lide  hl  minen  jären: 

owe,  nü  wei:(  ich  leider  nlht,    wie  Ich  mich  sol  gehären ! 

V.  17.  Hs.  C.  liebiu  statt  lieben, 

V.  4.  aber,  aufs  Neue.  —  V.  8.  riehen,  reich  sein.  —  V.  11. 
schin,  strahlend.  —  V.  14.  kleine,  wenig.  —  V.  17.  die  liehen,  die 
geliebte.  —  V.  20.  arbeit,  Mühsal. 

Noch  mag  bemerkt  werden,  daß  der  Minnesinger 
unserm  berühmten  Landsmann  Franz  Pfeiffer  Anlaß  zu 
einem  anmuthigen  Scherze  geboten  hat,  der  uns  in  schönen 
Nibelungenstrophen  eine  romantische  Sage  von  Heinrich 
von  Stretlingen  und  Ita  von  Unspunnen  erzählt.^)  Tra- 
ditionen über  denselben  Heinrich  schließen  sich  auch  an 
die  auf  dem  rechten  Ufer  des  See's,  nahe  bei  Thun  ge- 
legene Chartreuse  an.^) 


^)  Heinrich  von  Stretelingen.  Ein  altdeutsches  Gedicht.  Den 
Freunden  älterer  deutscher  Dichtung  dargebracht  auf  Neujahr  1854. 
O.  O.  16  SS.  (Anonym.)  Auf  meinem  Exemplare  steht  von 
Pfeiffers  Hand: 

«Der  einer  edelen  vroiiwen,  diu  im  des  gebot, 
dil^  niinnecliche  mare  hat  gelihtöt, 
wilt  du  sin  namen  wi:(^en,  er  ist  genant 
Frani  der  Pfifare  üxer  Biirgunden  lant.n 
Vergl.  auch  Germania,  Neue  Reihe  Bd.  I,  p.  253. 
^)  Wyß,  Reise  in  das  Berner  Oberland  I,  255  u.  ff.;  Hottinger 
&  Schwab,   die  Schweiz   in   ihren  Ritterburgen   II,    321;    A.  Roth, 
Thun  und  seine  Umgebungen  p.  92  u.  ff. 


DIE  STRETLINGER  CHRONIK. 


Alle  jene  im  Eingang  erwähnten  Sagen,  die  um  den 
Stammbaum  der  Herren  von  Stretlingen  wuchern, 
rühren  aus  einem  Sagen-  und  Legendenwerk  des  XV. 
Jahrhunderts  her,  das  man  unter  dem  Namen  der  Stret- 
linger  Chronik  seit  Johannes  von  Müller^)  bis  jetzt  ge- 
rüchtweise oder  nur  sehr  unvollkommen  nach  einigen  Aus- 
zügen^) kannte  und  welches  hier  zum  ersten  Mal  zum  Ab- 
druck gelangt.  Die  früheste  Nachricht  über  die  StretHnger 
Chronik  findet  sich  in  einem  Briefe  des  1526  gestorbenen 
Wiener  Chorherren  Ladislaus  von  Sundheim,  des  Hof- 
historiographen  Kaiser  Maximilians.^)  Derselbe  schreibt 
1503  in  octava  corporis  Christi  an  Kaiser  Max  u.  a. : 
«Als  mir  E.  k.  M.  geschrihen  von  wegen  des  turns  :(tc 
Breysach  und  den  herrn  von  Habspiirg,  flieg  ich  E.  k.  M. 
<^/f  luiffen,  das  ich  :(ti  Breysach  und  andern  cVöstern  gefunden 
hab,  daß  hert^og  Berchtold  von  Zeringen,  der  lest  des  ge- 
schlechts,  landtgraf  in  Freysgey,  Burgundiani  minorem  d.  i. 

;)  I,  453. 

^)  Der  ausführlichste  in  der  «Schwalbe,  ein  Berner  Volksbuch» 
1853,  p.  19  u.  fF. 

^)  Lasle  von  Sundheims  Schritten  bei  Pez,  Scriptores  rerum 
Austriacarum  I,  1004,  und  Leibnitz,  Scriptores  rerum  Brunswicarum 
I,  800. 


XXVIII 

Birgenden,  das  jet:(^  Uechtland  haist,  mit  famht  dem  Ergey 
und  Emental,  ouch  einen  ßrich  oder  gegendt  in  Savoy  ge- 
legen, mit  dem  fchwert  he:(wungen  hat ;  und  bette  iinder  im 
fechs  und  dreiffig  graven  und  freyherrn  und  vafl  ein  groffc 
ritterschafft,  als  die  graven  von  Kyhurg,  Neydaw,  Welsch- 
Neweburg,  von  Arberg  etc.  und  die  herrn  von  Biel,  von 
Arburg,  von  Wolhawsen,  von  Rottenburg,  von  Weiffenburg, 
von  Gruenenberg,  Efchybach,  von  Rottenflu,  von  Ringkenberg, 
von  Bubenberg,  von  Signaw,  von  Stretlingen  oder  von 
der  flral  und  Egerden;^)  den  iß  er  gar  hert  und  flreng 
gewefen,  die  habend  im  haimlich  neid  getragen.  Sein  ge- 
mahel  was  ein  gravin  von  Kyburg,^)  mit  der  hat  er  :(;wen 
fun.  Nun  :(och  der  hert:(^og  über  mer  und  bevalch  fein  ge- 
mahel  und  ßin  den  graven  von  Kyhurg  und  den  anderen 
landtsherren.  Die  gaben  der  frawen  :(ii  effen,  daß  ßy  un- 
fruchtbar werd  und  vergaben  (vergifteten)  den  knaben;  die 
liegen  begraben  in  der  ßat  Soloter  im  chor.^)  Und  da  der 
hert:(og  luider  :^u  land  hham  und  erßragt  ßch  der  ßachen 
eigentlich,  luard  er  gar  ßer  betrübt  und  nit  unbillich;  und 
gedacht  in  im  ßelbs,  wie  er  ßch  an  den  herren  m'öcht 
rechen,  bawt  Freyburg  im  Nuchtland  und  Bern  im  Nucht- 
Jand.  Die  ::^wu  ßet  haben  den  adel  gar  ßer  genydert,  in- 
sunder  Bern,  die  haben  ßubnund^wain^ig  herßchaften  undcr 
ßch  bracht,  als  man  das  :(ii  Bern  an  dem  Rathaus  gemalt 
ßeht  und  auch  auf  dicke  plappharten.  Do  die  ^zuu  ßet  ge- 
bawt  luurden,  da  :(och  hert^og  Berchtold  widerumb  gen 
Freyburg  in  das  Breysgey  und  hielt  daßelbs  Hof  imd  pazut 
den  turn  :^h  Breysach  und  dife  ynfchrift  darein  gehaiven : 
haue  dux  Berchtoldns  portam   struxisse  notatur,  per   quam 

^)  Justinger  ed.  Studer  p.  6. 

^)  Vergl.  dagegen  Wurstembergcr,  Geschichte  der  alten  Land- 
schaft Bern  II,  324. 

^)  Wursteniberger  II,  327  u.  ff. 


XXIX 

'vo  f milde  Biirgitndie  gens  depopiilafiir,^)  und  er  ralfet, 
rawbet  und  prennet  fer  auf  die  Birgender  und  tete  in  viel 
^u  leid.  Er  hawt  die  Jecret  am  thurn  alle  gen  Birgenden, 
inen  :^u  einer  /mach ;  und  mit  der  :(eit  wirf  ich  nier  und 
griindtlicher  von  difen  dingen  fchreiben.  Er  flarh,  do  man 
:^elt  von  Crifli  gebitrt  tawfend  ^weyhundert  und  ach^ehn 
jar  und  regiret  fuhund:(wan^ig  jar,  begraben  ^u  Freyburg 
im  Breysgey  im  chor.  Er  was  von  fein  eitern  geboren  aus 
den  graven  von  Habspur g  und  fein  vorvordern  feind  hert:(og 
von  Swaben  gezuefen,  und  aus  den  h ertrügen  von  Zeringen 
feind  hert:(ogen  von  Tekh  entfprojfen.  Er  luas  vogt  iiber 
das  fraivenclofler  :(ii  Zurch,  genant  fraiueiimiinßer,  darein 
man  nur  gravinen  und  freyen  nymbt,  den  befletigl  er  ire 
freybrief  mit  difen  luorten:  Berchtoldus  diix  Zeringie  rec- 
torqiie  Biirgundie,  advocatus  Thuricensis  ei  districtus  cir- 
cumquamque  uicinis  imperatoris  gracia  ipsius  lociim  tenens  etc. 
actum  in  Biirgundia  in  castello  Burgdorff,  anno  domini 
tausent  ^cuaybundert  und  :iehenten,  anno  domini  Oitonis 
quarti  regis  Romanoriun  prinio,  in  dej  nomine  felicit er  amen.'^) 
Er  hat  geflijft  Freiburg  jn  Nuchtland  iiuelf  jar  vur  Bern. 
Er  flifft  Bern,  da  man  ^elt  tawfent  hundert  ains  und  ne- 
wen:^ig  jar.  Er  bawt  auch  das  ßetlin  genannt  Milden,  auch 
das  vefl  thor  :(ii  Burgdorff,  fo  man  in  den  alten  margkt 
get.  Auch  den  thurn  ^u  Breysach  und  ander  fchl'offer  mer, 
lind  hielt  hof  ^/^  Burgdorf  in  der  flat  und  fchlofJ  dafelbs. 
Item  als  die  von  Trier  gewaltig  waren  über  dezutfche 
land  und  die  Römer  luuchfen  und  aufnamen  und  herrn  über 
alle  land  werden  wolten,  da  griffen  fy  denen  von  Trier  in 
ir  herfchafft,  da  erhueb  sich  ein  krieg  ^wifchen  inen;  do 
fet:^ten   die  von   Trier   gar   vil   edlen  notveßen  lewt  in  dis 


\)  Wurstemberger  II,  299. 

-)  Die  Urkunde  bei  G.  v.  Wyß,  Geschichte  der  Abtei   Zürich. 
Beilagen  p.  47. 


XXX 

land  Birginden,  die  dy  weg  von  Lamparten  herein  tiber  die 
fchneeperg  behneten  folten,  daß  die  Römer  ir  flraff  und 
durch:(tig  nif  haben  möchten.  Da  wurden  fo  vil  bürgen  im 
land  gebawet,  daß  man  es  nannte  das  mynder  Birgenden,  ^) 
und  was  der  Edlen  und  lantsherren  fo  vil,  daß  in  dem 
land,  fo  die  von  Bern  ainen  tail  befit:(^en,  luaren  fechs  und 
dreiffig  gefchlecht  graven  und  freyherren  und  ander  adel 
und  ritterfchafft  ::;jmml  vil ;  insonder  under  den  herren  drey 
gar  mänlich  gefchlecht  für  dy  andern  herrn:  als  die  von 
Stretlingen,  von  Ringkenberg  und  von  Egerden,  die  gar 
manlich  taten  begangen  haben,  als  man  das  in  der  cronik 
her  Adrians  von  Bubenberg  ;(?/  Bern  gefchriben 
vindet.  Item  ain  kunig  von  Frangkreich  und  ain  her  von 
Burgundi  hatten  auf  ein  T^eit  krieg  mit  einander  und  yder 
gab  ain  kempfer ;  der  von  Frankreich  gab  ainen  vafl  flarken 
man,  wie  ain  rife,  genannt  Dodo,  und  der  von  Burgundi 
gab  herrn  Dietrich  von  Stretlingen;  der  ubenuand  Dodonem 
fchlafund.^)  Dem  gab  der  herr  von  Burgundi  fein  tochter, 
genant  Diemut,  t^u  ainem  gemähel  für  fein  mue  und  arbeit 
und  dar:(ii  das  land  Burgundiam  minorem  et  lacum  Wan- 
dalorum,  das  iß  Tunerfee  mit  feiner  :(iigehoring  cum  multis 
castris  principalioribus  a  paganis  edificatis  et  locum  dictum 
Burgenberg  ubi  quondani  rex  Wandalorum  residebat ;  hec 
est  regio  pulcerrima,  locus  jocunditatis  amenissinms,  ubi 
terra  celsior  posita  temperato  et  tenuissimo  ac  purissimo 
aüre  circumdata,  serenata  '  tranquillata  et  a  coruptivis  in- 
sertioribus  secura  ideoque  ad  auream  aerem  vocata.  Ego  multa 
plura  et  latius  de  histo  tempore  scribani  deo  annuente.»^) 


\)  Justinger  ed.  Studer  p.   14  und  519. 

^)  Vergl.  p.  7  u.  ff.  der  Chronik. 

^)  Aus  dem  Archiv  von  Innsbruck.  Gedruckt  in  Hormeyer's 
Taschenbuch  für  die  vaterländische  Geschichte.  VIII.  Jahrgang. 
Wien   1827.     p.  125—129. 


XXXI 

Aus  dieser  Darstellung  —  die  sich  übrigens  meist 
an  Justinger  hält  —  geht  hervor,  daß  die  Bubenherger 
Chronik,  unter  der  man  bisher  die  in  Spiez  aufbewahrten 
Handschriften  von  Justinger  verstand,  vielmehr  mit  der  Stret- 
linger  Chronik  identisch  ist.  Wenn  der  Briefschreiber  gegen 
das  hnde  hin  ins  Latein  fallt  und  einige  Phrasen  aus  der 
Stretlinger  Chronik  (p.  lo)  lateinisch  wiedergibt,  so  ist 
dieß  lediglich  Laune  und  darf  keineswegs  als  Beweis  für 
die  Behauptung  Kiburgers,  er  übersetze  aus  einem  la- 
teinischen Buch,  beigebracht  werden. 

Als  Verfasser  der  Stretlinger  Chronik  nennt  sich  p.  38 
Eiilogiiis  Kihiirger,  Kirchherr  des  Paradieses,  d.  h.  der 
Kirche  zu  Einigen.  An  jener  Stelle  wird  erwähnt,  wie 
er  im  Jahr  1446  einen  Theil  des  Kirchendaches  neu  her- 
stellen und  einen  Taufstein  machen  ließ,  da  man  vorher 
in  einer  «hölzernen  Stande  oder  Kübel»  zu  taufen  ge- 
nöthigt  war.  Auch  ein  Sakramentshäuslein  von  Stein  ließ 
Kiburger  in  der  Mauer  anbringen,  w^eil  vormals  das  Sakra- 
ment in  eine  Kiste  gelegt  und  oft  von  groben  Leuten 
darauf  gesessen  wurde.  Als  Patrone  der  Kirche  nennt  er 
seine  gnädigen  Herren  von  Bubenberg.  Ebendaselbst  p.  39 
berichtet  er  den  Tod  Heinrichs  von  Bubenberg  1464.  Auf 
p.  117  wird  die  Jahrzahl  1448  genannt.  Aus  dem  der 
Chronik  beigebundenen  regimen  pestilenciaJe  geht  hervor, 
daß  Eulogius  Kiburger  schon  1439  im  Dienste  der  Buben- 
berger  stand.  Hierauf  findet  man  ihn  seit  1456  als  Leut- 
priester  zu  Worb;^)  als  solcher  hatte  er  seit  1478  zugleich 


^)  Urkunde  vom  26.  Juni  1456  gedruckt  im  Berner  Archiv 
IX,  97.  —  Spruchbuch  im  Berner  Staatsarchiv  G  436:  1476  Mitt- 
woch nach  Simon  und  Judce  bestätigt  der  Rath  von  Bern  eine  Ver- 
gabung an  die  Kapelle  u.  1,  Frauen  in  der  Leutkirche  zu  Bern  aut 
Begehren  des  Herrn  Rudolf  Richle,  Meisters  der  freien  Künste,  Dekans 
zu  Münsingen  und  des  H.  Loy,  Kilchherrn  von  Worb. 


xxxu 

die  Stelle  eines  Kammerers  und  Kaplans  von  Münsingen^) 
und  seit  1488  diejenige  eines  Stiftscanonicus  von  Bern 
inne.  Mit  geistlichen  Pfründen  wohl  versehen,  hatte  er 
das  Recht,  Stellvertreter  für  diejenigen  zu  bezeichnen, 
die  er  nicht  selbst  verwalten  konnte.  Am  einträglichsten 
war  wohl  die  Kaplanei  von  Münsingen,  eine  Stiftung  der 
Gertrud  Segesser,  Heinzmanns  von  Stein  Wittwe,  von 
1463,  mit  einem  Einkommen  von  50  Gulden  ewiger 
Gült.  Im  Jahre  1485  wurde  diese  Pfründe  von  ihrem 
Patron,  Ritter  Adrian  von  Bubenberg,  jünger,  dem  eben 
neu  errichteten  Collegiatstifte  von  Bern  einverleibt,  was 
mehrjährige  Streitigkeiten  mit  den  Leuten  von  Münsingen 
zur  Folge  hatte.  Während  derselben  und  vielleicht  gerade 
deßhalb  erhielt  Kiburger,  Günstling  der  zwei  mächtigsten 

^)  Spruchbuch  H  243:  Herr  Login  Kyburger,  Kilchherr  zu 
Worb,  Kammerer  und  Kaplan  zu  Münsingen,  beklagt  sich  vor  Rath 
über  Herrn  Ulrich  Haag,  Leutpriester  von  Münsingen.  Der  letztere 
habe  die  Vergabung  von  10  Pfund  zu  einer  Jahrzeit  nicht  aus- 
gerichtet, sondern  für  sich  behalten,  und  weigere  sich,  dem  Kaplan 
Hostien  und  Wein  zur  Messe  auszuliefern;  endlich  habe  er  Bücher, 
die  der  Kirche  vergabt  wurden,  zu  eigenen  Händen  genommen, 
obwohl  das  Testament  bestimme,  dieselben  im  Chor  «an  kettenen 
zu  legen.»     Freitag  vor  Georgi  1478. 

Spruchbuch  H  480:  Auf  Klage  des  Herrn  Logy  Kyburger, 
Kilchherr  zu  Worb  und  Kammerer  des  Dekanats  Münsingen, 
gegen  einige  Männer  von  Vechingen  wird  vom  Rath  erkannt,  daß 
die  Güter  derselben  in  die  Kirchhöre  Worb  gehören  und  jene 
somit  zur  Entrichtung  der  Primizen  nach  Worb  gehalten  seien. 
Jacobi  1480. 

Spruchbuch  H  781 :  Herr  Ulrich,  Leutpriester  zu  Münsingen, 
und  der  Kilchmeier  daselbst  klagen  wider  Herrn  Loy  Kyburger,  Kilch- 
herrn  zu  Worb  und  Kammerer  des  Dekanats,  es  sei  in  Münsingen 
eine  Kaplanei  gestiftet  worden,  um  wöchentlich  4  Messen  zu  lesen. 
Herr  Loy  aber  habe  diese  Pfrund  an  sich  gezogen  mit  allem  Nutzen, 
versorge  auch  den  Altar  nicht  mit  Lichtern,  Büchern  und  Meß- 
gewand.   Auf  Verantwortung  Kyburgers,  daß  die  Messen  nach  Fug- 


I 


XXXIII 


damaligen  Berner  Geschlechter,  1488  als  Kirchherr  von 
Worb  zugleich  noch  eine  Chorherrenstelle  von  Bern. 
1492  Ueß  er  das  Jahrzeitenbuch  von  Worb,  das  neuUch 
gedruckt  wurde,  ^)  niederschreiben.  Später  siedelte  er  an 
das  Vincenzen-Stift  nach  Bern  über,  wo  er  1506  starb,^) 
und  zwar  in  hohem  Alter,  da  er  über  sechzig  Jahre  im 
Kirchendienst  gestanden  ist. 

Als  Ahfassimgs:(eit  der  Stretlinger  Chronik  ist  die 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  anzusetzen.  1456  verließ 
Kiburger  Einigen,  nicht  aber  den  Dienst  des  Hauses 
Bubenberg,  dem  zu  Ehren  das  Werk  unternommen  wurde, 
denn  die  Bubenberger  hatten  auch  das  Patronat  von  Worb. 
Immerhin  mag  er  seine  Arbeit  noch  zu  Einigen  vollendet 
haben.    Daß  er  den  Tod  Heinrichs  von  Bubenberg  meldet. 


besorgt  würden,  der  Altar  aber  von  dem  Leutpriester  zu  Münsingen 
auszustatten  sei,  wird  beschlossen,  die  Messen  sollten  der  Stiftung 
gemäß  versehen  werden,  Kyburger  habe  den  Altar  zu  besorgen  ohne 
Belastung  der  Kirche,  doch  sollen  Meßgewand  und  Siegrist  ihm 
zur  Verfügung  stehen.     2.  Aug.  1482. 

Spruchbuch  K  510:  Adrian  von  Bubenberg  als  Collator  der 
Pfrund  zu  Worb  klagt  im  Namen  des  Herrn  Loy  Kyburger,  daß 
man  versucht  habe,  diesen  von  der  Kaplanei  Münsingen  zu  ver- 
drängen, und  ihm  die  Einkünfte  entziehe.  Der  Rath  beschließt,  Herr 
Loy  sei  bei  der  Kaplanei  zu  belassen  ungestört,  aber  er  solle  die- 
selbe entweder  selbst  oder  durch  einen  Stellvertreter  in  Ordnung 
versehen.     Ohne  Datum. 

Lat.  Missivenbuch  F  95 :  Feierliche  Erklärung  des  Stadtschreibers 
von  Bern,  daß  honorabilis  vir  dominus  Eloyus  Kiburger,  ecclesie 
collegiate  Bernensis  canonicus  mit  Zustimmung  Adrians  von  Buben- 
berg, des  Patrons  der  Kirche,  auf  die  Pfrund  Worb  mit  allen  ihren 
Rechten  förmlich  resignirt  und  dieselbe  in  manus  Adryani  de  Rüm- 
lingen  übergeben  habe. 

1)  Berner  Archiv  IX,   58  u.  ff. 

^)  Lat.  Missivenbuch  F  302:  «post  decessum  domini  Eloy  Ki- 
burger^)  (nicht  Alois  Kiburger,  wie  Lohner  a.  a.  O.  p.  12  angibt). 

III 


XXXIV 

deutet  darauf  hin,  daß  die  uns  erhaltene  Originalhandschrift 
erst  nach  1464  ins  Reine  umgeschrieben  wurde.  Aus  dem 
Umstand,  daß  p.  106  der  Feiertag  Maria  Opferung  noch 
fehlt,  darf  jedenfalls  der  Schluß  gezogen  werden,  daß  die 
Chronik  vor  1466  verfaßt  wurde. 

Es  ist  nur  eine  ein:(ige  vollständige  Handschrift  der 
Stretlinger  Chronik  bekannt,  die  sich  auf  dem  Staatsarchiv 
in  Bern  befindet,  das  Original  selbst.^)  Sie  enthält  184 
(später)  paginirte  Papierseiten  in  Folio.  Vorgebunden  ist 
ein  Pergamentblatt,  das  die  colorirten  Wappen  derer  von 
Bubenberg,  Stretlingen  und  Erlach  trägt.  Unter  den  be- 
züglichen Wappen  steht:  «herr  heinrich  von  Bubenberg 
Fryherr  vnd  ritt  er  herr  :(u  Spit:^;  herr  Arnold  von  strät- 
lingen  Fryherr  vnd  ritter  herr  zu  strättlingen  vnnd  Spit:^; 
herr  Ludwig  von  Er  lach  Ritter  vnd  herr  :(u  Spit:^.))  Dar- 
unter zeichnet  sich  einer  der  ersten  Besitzer  der  Chronik 
ein:  Menradus  Steinbach  Rector  Ecclesie  Paradysi  Diui 
Michaelis  Archangeli  alias  nunciipate  Einingen.  ijip.  Später: 
F.  L.  von  Erlach.  ijp].  Die  Chronik  umfaßt  p.  i — 166.^) 
Unten  auf  166  folgt  der  Eintrag:  Dis  buch  ist  widerumb 
erobert  (!)  vnd  erfunden  worden  durch  mich  Meinradum 
Steinbach    kilchherrn    ^ü    Einigen    im  paradis,    canonicum 


^)  Haller,  Bibl.  der  Schw.  Gesch.  IV,  676  kannte  dasselbe. 

-)  Auf  den  ersten  Blättern  sind  von  einer  skeptischen  Hand 
aus  der  Reformationszeit  oft  recht  boshafte  Randglossen  angebracht. 
So  steht  auf  p.  i  bei  der  Beschreibung  des  Ptolomäus:  «Er  (der 
Autor)  ist  mit  ihm  in  die  schul  gangen  und  etliche  jar  sin  caplan  gsin, 
und  mit  ihm  an  sinem  tisch  gessen,  dieweil  er's  so  ivol  weist.»  Wenn 
es  p.  7  heißt,  Einigen  vergleiche  sich  mit  einem  irdischen  Paradiese, 
so  setzt  der  Glossist  bei:  «so  mit  tüflen  besetzt  ist.»  An  andern 
Orten :  «So  steit  es  geschrihen  in  capitulo  nullo,  folio  nigro ;  ehen  das 
exempel  steit  ouch  in  dem  buch  der  schmalen  warheit,  welches  si  speculum 
exemplorum  nennen,  darinnen  viel  hundert  derglichen  absurda  et  menda- 
ciorum  plena  commenta  gfunden  luerden  etc.  etc.» 


XXXV 

Bernens.    Anno  ijoj.  (?) —  p.   167  ist  von  jüngerer  Hand 
mit  folgenden  Distichen  ausgefüllt: 

In  historiam  Strätlinganam  et  templi  S.  Faradisi. 

Artes  pontificum  vel  si  mendacia  nescis, 

Me  lege  si  nescis  perdita  secla  dolis. 

Nescia  secla  sacri  Christi  vitceque  cruorisque 

Unica  spes  miseris  angelus  unus  erat. 

Est  Ulis  quastus  pietas  corradere  mundi 

Pradia,  pauperies  maxima  plutus  erat. 

nie  sacer  ctiltus  fuerat  manifesta  tyrannis 

Atque  negare  Deum,  spemque  piamque  fidem. 

Qiiis  honus  in  sacris  divinos  poscit  honores 

Angelus,  a  Christo  qiios  petit  ille  Satan? 

O  tnibi  Christe  tumn  liceat  venerabile  numen 

Et  quantum  sat  erit  corde  vocare  Deum. 

Non  me  mille  poli,  non  pontus,  terra  nee  orcus 

Angelus  haud  quisquam  te  mihi  Christe  negant. 

Tu  paradisus  eris,  tu  spes,  tu  gloria,  vita. 

In  te  Christe  salus  una  reposta  manet. 

Autor  Joan.  Rudolphus  Ampilander. 
p.  169 — 184.  Ein  regimen  pestelenciale.  Anfang:  In 
namen  des  erharmhert^igen  gottes  des  vatters,  des  suns  und 
des  heiigen  geistes  amen.  Ich  han  mut  '^i  schriben  in  ere 
und  nut:(^  dem  alten  lang  harkomen  und  wolgehornen  gesiecht 
von  BiWenherg,  herrn  ^i  Spiet:^  und  geseßen  in  der  edlen 
statt  Bern  in  Ochtland  oder  in  dem  mindern  Burgenden 
ein  regimen  und  Ordnung,  wie  man  sich  halten  sol  wider 
den  gehresten  der  hülen  oder  Mater  etc.  Alles  ist  von  der 
säubern  und  regelmäßigen  Hand  Kiburgers  geschrieben 
und  zwar  wird  auf  p.  172  die  Abfassungszeit  dieses 
Stückes  genannt:  «Alle  visch  in  disem  jar  als  man  ^alt 
vier:(echenhundert  drißig  und  nun  jar  sind  im  gesandt.))  Das 
Stück  wurde  der  Chronik  erst  später  beigebunden.  Auf 
p.  184  zeichnet  sich  Joannes  Vannius  Chirurg  1579  ein. 
Die  Handschrift  gieng  also  von  Kiburger  auf  dessen 


XXXVI 

YldidÄolgQr  Meinrad  Sieinh ach  über,  der  1509 — 1519  Leut- 
priester  und  zwar  der  vorletzte  zu  Einigen  war,  1520  als 
Chorherr  an  das  Stift  nach  Bern  kam,  1524  aber  wegen 
seiner  Verehelichung  des  Amtes  entsetzt  wurde.  ^)  Die 
Handschrift  kam  später  in  Besitz  der  Familie  von  Erlach 
und  gelangte  erst  in  diesem  Jahrhundert  ins  Berner  Archiv. 

Nach  dem  Original  wurde  gegen  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  ein  Auszug  angefertigt,  von  dem  mehr- 
fach Copien  genommen  wurden.  Dieses  Excerpt  heißt: 
((Summarische  VerT^eichnuß  der  Stiftung  der  kilchen  deß 
Paradises  des  Ert:(engels  Sankt  Michels,  jet:(und  Einigen 
genant,  auch  von  Ankunft  der  Herrschaft  Strcetlingen  beider 
Bernergebiets  in  der  Eidgnoschaft.  10  BIL  in  Fol.  Am 
Schluß :  ((Summarischer  wys  us/^ogen  durch  mich  Hctns 
Rüdolff  Rebman,  diener  der  kilchen  -^u  Thun.  2.  Sept.  1)^6.» 
(Im  Besitz  des  Herrn  F.  E.  von  Mülinen  in  Bern.) 

J.  Rudolf  Rebmann,  seit  1589  Pfarrer  in  KirchUn- 
dach,  1592  Pfarrer  in  Thun,  1604  in  Muri  bei  Bern, 
gestorben  1605,  ist  der  auch  sonst  bekannte  Dichter  des 
poetischen  Gastmahls  und  Gesprächs  zweier  Bergen,  des 
Niesen  und  Stockhorns  (Bern  1606).^)  Er  ist  der  oben 
genante  J.  R.  Ampelander,  der  Autor  der  angeführten 
Distichen  über  die  Stretlinger  Chronik.  Rebmann  spielt 
in  seinem  Gedicht  auf  unsre  Chronik  an,   wenn  er  sagt: 


^)  Lohner,  die  ref.  Kirchen  im  Freistaate  Bern  p.  12. 
^)  Der  Mann  muß  in  Heidelberg   studirt  haben.     Wie   er  von 
der    Neckarstadt    und    vom    Königsftuhl    spricht,    bricht    er    in    die 
Worte  aus: 

«Wann  ich  gedenk  an  liehe  tag. 
Daß  sie  sind  hin,  ich  l>itter  klag. 
Die  ich  in  disem  hirg  verheert. 
Wie  hat  sich  Zfit  ?'«^  tag  verkeert.» 

Niesen  und  Stockhorn  p.  291. 


XXXVII 

«Nun  hah  ich  hei  mein  alten  tagen 

Gan^  vil  von  Spiet^  auch  hören  sagen, 

IVie's  du  mein  Nachbar  siehst  am  See 

An  meinem  Haus  dert  unden  stehn, 

Vorzeit  im  Guldenhof  genannt, 

Von  alten  gschichten  wol  bekannt. 

Dann  wie  ein  alte  Chronic  meldt, 

So  man  sie  für  glaubwirdig  hält. 
Als  der  grimm  zvüetrich  Attila 
Ein  festen  Timm  gebawen  da, 
Bau't  König  Rudolf  da  ein  Statt, 
Die  vom  Seespit^  ihm  nanien  hat.» 

Niesen  und  Stockhorn  (1606)  p.  204. 

Copien  von  Rebmanns  Auszug  der  Stretlinger  Chronik 
wurden  gemacht:  i)  Durch  Jakob  Bart,  Diener  der  Kirche 
zu  Einigen,  später  zu  Amsoldingen  1650.  2)  Von  Abra- 
ham Mühlimatter  von  Einigen  1691,  44  SS.  in  Fol.  (Auf 
der  StadtbibHothek  Bern  Mss.  bist.  helv.  III,  20.)  3)  Sa- 
muel Müller,  Diener  des  Wortes  Gottes  zu  Einigen  1700. 

4)  Von  Joseph  Zuber,  Pfarrer  zu  Spietz  1707.  23  Bll. 
in  4^.  (Auf  der  StadtbibHothek  Bern  Mss.  bist.  helv.  I,  59.) 

5)  Christian  Uesch,  Schulmeister  auf  Schwarzenegg  1721, 
und  6)  durch  G.  E.  Haller,  38  SS.  in  4^  vom  Jahr  1763. 
(Im  Besitze  des  Herrn  von  MüUnen.) 

Es  folge  eine  rasche  Inhaltsübersicht  der  Stretlinger 
Chronik : 

I.  Zu  den  Zeiten  des  Papstes  Alexander  I.  und  des 
Kaisers  Hadrianus  Elius,  als  man  zählte  121  Jahre  nach 
Christo,  lebte  ein  römischer  König  Ptolemäus,  hochgelehrt 
in  der  Kunst  der  Mathematik  und  Astronomie.  Auf  der 
Jagd  wollte  er  einst  den  Pfeil  gegen  einen  Hirsch  ab- 
senden, als  zwischen  den  Hörnern  desfelben  ein  Kreuz 
erschien  und  ihm  zurief,  daß  er  den  Herrn  Christum  selber 
verfolgte.  (Ursprung  des  Stretlinger  Wappens.)  Ptolemäus 
ließ    sich    vom    Papste    taufen    und    erhielt    den   Namen 


XXXVIII 

Theodricus.  Um  den  Christenverfolgungen  zu  entgehen, 
schied  er  sich  von  der  Heimat  und  all  seinem  Gut  und 
kam  zu  einem  Herzog  von  Burgund.  Dieser  behielt  ihn 
bei  sich.  Durch  bloßes  Handausilrecken  wehrte  Theo- 
dricus einem  zornigen  Löwen.  —  Es  erhob  sich  ein  Krieg 
zwischen  dem  Herzog  von  Burgund  und  einem  König 
von  Frankreich,  statt  der  Schlacht  wurde  ein  Zweikampf 
angeordnet;  Dietrich  überwand  schlafend  seinen  Gegner, 
dafür  erhielt  er  die  Tochter  des  Herzogs  mit  dem  Namen 
Diemut  und  das  Land  Kleinburgund  mit  den  Burgen  um 
den  Wendelsee,  namentlich  den  goldenen  Hof  Spiez  und 
die  Gegend  um  Einigen,  genannt  das  Paradies.  An  dem 
Orte,  das  da  heißet  zum  goldenen  Luft,  erbaute  er  die 
Burg  Stretlingen  und  wurde  der  Stammvater  eines  großen 
Hauses.  Sein  Sohn  war  ^/^/W;/ von  Stretlingen.  (p.  i — 12.) 
n.  218  Jahre  nach  der  Geburt  Christi  zu  den  Zeiten 
des  Papstes  Calixt  und  des  Kaisers  Philippus  Materno  war 
ein  Herr  von  Stretlingen  mit  dem  Namen  Berchtold.  Da- 
mals war  w^eit  und  breit  im  mindern  Burgund  noch  kein 
Gotteshaus;  zu  göttlicher  und  St.  Michaels  Ehre  baute 
derselbe  auf  seinem  Schloß  eine  Kapelle.  —  Berchtolds 
GemahUn  Aureliana  gebar  einen  Sohn  Sifrid,  der  von 
einem  bösen  Geist  besessen  wurde.  Deßwegen  verfiel  der 
Vater  in  solche  Ungeduld,  daß  er  Alle,  die  auf  der  Land- 
straße vorüberwanderten,  gefangen  nahm,  ob  er  darunter 
einen  fände,  der  seinen  Sohn  befreien  möchte.  Es  gelang 
ihm,  einen  frommen  Priester  zu  greifen,  der  den  Teufel 
austrieb.  —  Der  geheilte  Sigfrid  von  StretUngen  wollte 
einst  über  die  hoch  angeschwollene  Kander  reiten,  da  bat 
ihn  ein  Ausfätziger,  er  möchte  ihn  auf  sein  Pferd  nehmen 
und  auch  hinübersetzen.  Als  der  Elende  auf  dem  andern 
Ufer  abgestiegen  war,  verlangte  er  von  dem  Herrn  flehent- 
lich, daß  er  ihn  küssen  möchte.    Jener  that  es  mit  Wider- 


XXXIX 

streben  zur  Ehre  St.  Michaels  und  erfuhr  darauf,  daß  er 
Christum  geküßt.  Sigfrid  hinterließ  einen  Sohn  Caspar 
von  Stretlingen,  einen  treuen  Schirmer  des  Volkes,  aber 
einen  scharfen  Richter  gegen  die  Uebelthäter.  Er  trug 
allezeit  einen  Strick  an  seinem  Gürtel,  um  die  Bösewichter 
auf  frischer  That  zu  hängen.  —  Einst  als  er  des  Morgens 
sein  Schloß  verließ,  hörte  er  die  Stimme  des  Erzengels 
St.  Michel,  der  ihm  befahl,  den  ersten  Mann,  der  ihm 
begegnete,  aufzuknüpfen.  Das  Schicksal  traf  den  Stret- 
Hnger  Schloß vogt  selber,  welcher  gestand,  daß  er  sein 
Amt  mißbraucht,  seinem  eigenen  Herrn  sogar  nach  dem 
Leben  getrachtet  hätte.  —  Auf  ihn  folgte  der  gute  Wern- 
hart  von  Stretlingen.  Zu  diesem  kam  einst  im  harten 
Winter  der  Teufel  in  Pilgergestalt;  Werner  lieh  ihm 
seinen  Mantel,  damit  er  sich  deckte,  worauf  sich  der  Böse 
mit  dem  Mantel  davonmachte.  Derselbe  Herr  Wernhart 
trat  eine  Wallfahrt  an  nach  dem  Berge  Garganus,  w^o  sich 
St.  Michel  erzeigt  hatte.  Beim  Scheiden  gab  er  seiner 
Hausfrau  Susanna  die  Hälfte  eines  Ringes  und  fünf  Jahre 
Frist:  w^enn  er  nach  dieser  Zeit  nicht  zurück  sei,  möge 
sie  einen  andern  Gemahl  nehmen.  In  Lamparten  wurde 
er  fünf  Jahre  lang  gefangen  gehalten.  In  derselben  Nacht 
aber,  da  zu  Hause  Frau  Susanna  die  Hochzeit  mit  einem 
Andern  feiern  wollte,  erschien  der  Teufel  im  Gefängniß 
und  trug  Wernharten  im  Auftrag  St.  Michels  durch  die 
Lüfte,  setzte  ihn  in  Stretlingen  ab  und  ließ  ihm  auch 
den  geraubten  Mantel  zurück.  Als  Spielmann  erschien 
der  Todtgeglaubte  unter  den  Hochzeitsgästen  und  gab  sich 
durch  den  Ring,  den  er  in  ein  Trinkgeschirr  fallen  ließ, 
seinem  Gemahl  zu  erkennen,     (p.   13 — 29.) 

III.  Hernach  war  ein  Herr  Arnold  von  Stretlingen, 
der  außerhalb  der  Burg  eine  Leutkirche  erbauen  wollte. 
Der  Platz,  wo  man  zu  graben  aniieng,  wurde  jede  Nacht 


XL 

verschüttet.  St.  Michel  aber  wies  den  Bauleuten  selbst 
die  dazu  geweihte  Stelle  sammt  einem  Wunderbrunnen. 
Eine  Stimme  wurde  gehört,  hier  sei  ein  Schatz,  den  Nie- 
mand bezahlen  möge,  heilsam  für  alle  Siechthümer  des 
Leibes  und  der  Seele.  An  diesem  Orte  wurde  nun  die 
Kirche  zum  Paradiese  (später  Einigen  genannt)  gebaut. 
Der  Bischof  von  Lausanne  kam  zur  Einweihung,  und  Herr 
Arnold  von  StretHngen  stiftete  einen  reichen  Kirchensatz 
mit  Zehnden  und  Freiheiten.  —  Die  Besitzungen  der 
Kirche  des  Paradieses  wurden  weitläufig  ausgemarcht  und 
die  Privilegien  des  Kirchherrn  daselbst  bestimmt.  Das 
geschah  im  Jahre  223.  —  Die  Kirchweihe  vollbrachte  St. 
Michael  selbst  und  befahl  dem  Volk,  sein  Heilthum  (ein 
Stück  von  dem  Mantel  des  Erzengels)  aus  dem  Schloß 
Stretlingen  nach  dem  Paradies  in  einer  Prozession  über- 
zuführen. —  Während  der  Einweihung  störte  ein  vom 
Teufel  Besessener  die  feierliche  Handlung;  der  Bischof 
schloß  denselben  in  den  hohlen  Frohnaltar  und  trieb  den 
Bösen  aus.  Löbliche  Ermahnung  an  das  Volk,  das  Heilig- 
thum  und  namentlich  die  Kirchherren  in  Ehren  zu  halten. 
Herr  Arnold  verlieh  diesen  reiche  Gaben  und  Privilegien. 
Bestätigung  des  Priesters  Cuno  als  Kirchherr  des  Para- 
dieses. Unter  andern  Freiheiten  wurde  ihm  erlaubt,  ein 
Taubenhaus  zu  halten,  Jagdhunde,  Federspiel  und  Alles, 
was  zum  Weidwerk  gehört;  ebenso  solle  ihm  und  sonst 
Niemanden  die  Fischerei  im  Wendelsee  gehören.  Der 
Bischof  ertheilte  allen  Gutthätern  der  Kirche  Segen  und 
Ablaß.  —  Hierauf  verfaßte  er  Alles,  das  da  geschehen 
war,  in  eine  Schrift,  damit  dieselbe  durch  den  Papst  be- 
stätiget würde  und  schied  von  hinnen.  Arnold  gedachte 
selbst  nach  Rom  zu  ziehen,  starb  aber  vorher  im  Jahre 
315.  Sein  Sohn,  ebenfalls  ^rwo/^  geheißen,  vollendete 
das  Werk  und  fuhr  zum  Papst  Silvester  und  erzählte  drei 


XLI 

große  Zeichen,  die  in  der  Kirche  des  Paradieses  geschehen 
waren.  —  Erstens,  die  wunderbare  Heilung  eines  Lahmen 
durch  St.  Michel.  —  Zweitens,  die  Auferw^eckung  eines 
Gehängten.  —  Drittens,  heilsame  Beschwörung  einer 
Jungfrau,  die  den  Bösen  durch  einen  Trunk  in  sich  auf- 
genommen. (Die  Vergabungen  an  den  Kirchherrn  stets 
genau  bezeichnet.)  —  Bestätigung  der  Engelweihe  durch 
päpstHche  Bullen,  Verleihung  von  Ablaß  auf  ewige  Zeiten. 
Den  Kirchherren  des  Paradieses  wurde  die  Gewalt  gegeben, 
den  bösen  Geist  zu  bannen ;  aus  besonderer  Gnade  dürfen 
sie  auch  einen  Kautzhut  tragen,  wie  die  Chorherren  von 
Lausanne.  Heimkehr  Arnolds  und  feierliche  Verkündigung 
der  erlangten  Privilegien,     (p.  30 — 6^.) 

IV.  Im  Jahre  933  war  ein  Herr  von  Stretlingen  mit 
dem  Namen  Rudolf,  seine  Frau  hieß  Berchta.  Beide 
führten  ein  Gott  wohlgefälHges  Leben.  Rudolf  w^urde 
zum  König  von  Burgund  gewählt.  Seine  Tochter  Adel- 
heid vermählte  er  mit  Lothar,  dem  Sohne  des  Königs 
Hugo  von  Lamparten ;  nach  Lothars  Tode  wurde  sie  dem 
König  Otto  zum  Weibe  gegeben  und  der  Sohn  dieser 
Ehe,  ebenfalls  Otto,  stieg  nachmals  zur  Würde  eines 
Kaisers.  Rudolf  sah  einst  im  Traume  eine  hohe  Stadt 
mit  zwölf  Thoren.  Ein  Priester  legte  das  Gesicht  als 
eine  Mahnung  aus,  daß  der  König  um  den  Wendelsee 
zwölf  Töchterkirchen  des  Gotteshauses  zum  Paradies 
erbauen  sollte.  —  Hierauf  gründete  Rudolf  die  zwölf 
Kirchen  Frutigen,  Leißigen,  Aeschi,  Wimmis,  Utigen, 
Thierachern,  Scherzhgen,  Thun,  Hilterfingen,  Sigriswil, 
Amsoldingen  und  Spiez.  Die  beiden  letzten  wurden  zu 
Stiftern  erhoben.  Bei  dem  alten  Thurm  von  Spiez,  den 
Attila  erbaut  hatte,  legte  der  König  eine  Stadt  an.  Weil 
Rudolf  aber  die  Mutterkirche  zu  vernachläßigen  begann 
und   die  Töchter   über   Gebühr   erhöhte,   verhängte   Gott 


XLII 

ein  großes  Siechthum  über  ihn  und  im  Traum  sah  er 
sich  vor  den  Richterstuhl  des  Allerhöchsten  gestellt.  Auf 
der  Himmelswage  wurden  seine  guten  und  bösen  Werke 
gegen  einander  abgewogen;  schon  wollte  der  Teufel  die 
letztere  Schale  herunterziehen,  da  drohte  St.  Michel,  zu 
dem  Rudolf  seine  Zuflucht  genommen,  dem  Bösen  mit 
dem  Schwert,  daß  er  zurückfuhr  und  die  gute  Schale 
stieg.  Der  König  aber  verwandelte  seinen  bösen  Sinn, 
und  an  der  nächsten  Kirchweihe  strömte  über  die  Maßen 
viel  Volkes  nach  dem  Paradies  zu  dem  Kirchherren  Lü- 
told,  Ablaß  der  Sünden  zu  gewinnen.  —  Hier  wurden 
der  versammelten  Menge  drei  Wunder,  die  Heilung  eines 
Blinden,  eines  Kranken  und  eines  Lahmen,  verkündigt. 
König  Rudolf  und  Kaiserin  Adelheid  fuhren  nach  Rom, 
um  der  Mutterkirche  vom  Papst  Leo  VIIL  neue  Privi- 
legien zu  erwerben.  —  Der  Papst  bestätigte  die  englische 
Kirchweihe  und  den  Ablaß,  erhöhte  das  Ansehen  der 
Paradieskirche  und  des  Priesters  daselbst  dadurch,  daß  er 
die  zwölf  Töchterkirchen  verpflichtete,  jährlich  eine  Wachs- 
kerze der  Mutter  zu  opfern.  Rudolf  und  Bertha  aber 
starben  bald  nach  dieser  Zeit  und  wurden  in  Peterlingen 
begraben,     (p.  64 — 82.) 

V.  Hernach  als  man  zählte  1123  lebte  ein  wahr- 
haftiger, andächtiger  und  keuscher  Herr  von  Stretlingen, 
Biirkart.  —  Ein  Großer  des  Landes  gab  ihm  seine  Tochter 
Sophia  zur  Ehe ;  allein  sie  w^urde  vor  dem  Beilager  vom 
Teufel  beseßen  und  weigerte  sich,  dem  Gottesdienste  im 
Paradiese  beizuwohnen.  Mit  Gewalt  Heß  ihr  Gemahl  sie 
während  eines  heiligen  Amtes  in  der  Kirche  festhalten; 
der  Priester  Diethelm  band  die  Rasende  mit  der  Stola, 
schloß  sie  in  den  Hochaltar  und  vollbrachte  die  Beschw^ö- 
rung.  Aber  am  dritten  Tag  starb  sie.  In  jener  Zeit  war 
in  deutschen  Landen   eine   große  Pestilenz  ausgebrochen. 


XLIII 

so  daß  in  der  Herrschaft  Stretlingen  kaum  einer  den 
andern  begraben  mochte.  Da  gelobten  die  zwölf  Kirchen 
und  alles  Volk  einen  Kreuzgang  nach  dem  Paradiese  und 
schwuren,  denselben  jährHch  zu  wiederholen.  Da  hörte 
der  große  Tod  auf.  —  Und  auf  der  Kirchwxihe  wurden 
zwei  Zeichen  verkündet,  die  Heilung  einer  lahmen  Frau 
und  die  eines  siechen  Mannes,  dem  St.  Michel  im  Traume 
erschienen.  Herr  Burkart  aber  hatte  mit  Kaiser  Friedrich 
V.  in  Cremona  zu  verhandeln  und  zog  von  dort  nach 
Rom  zu  Honorius  III.  und  erlangte,  daß  durch  eine 
öffentliche  Steuer  seiner  Kirche,  die  während  der  Pestilenz 
schwer  gelitten  hatte,  aufgeholfen  und  dadurch  der  Zulauf 
wieder  vergrößert  wurde,     (p.  83 — 97.) 

VI.  Unter  Friedrich  I.  war  ein  Stretlinger  mit  Namen 
Diehold  1156.  Seine  Frau  hieß  Anna.  Durch  Unterweisung 
des  Teufels  fieng  er  an,  ein  wilder  verkehrter  Wütherich 
zu  sein  und  ein  Zerstörer  der  kirchlichen  Freiheiten.  Er 
zog  auch  die  Hinterlassenschaft  der  verstorbenen  Kirch- 
herrn wider  göttUches  und  menschliches  Recht  an  sich. 
An  der  Kirchweihe  aber  hielt  ihm  der  neue  Priester  Diet- 
rich in  Gegenwart  der  ganzen  Gemeinde  sein  Unrecht 
vor,  strafte  ihn  mit  kühnen  Worten  und  wies  ihn  aus 
der  Kirche.  Diebold  kehrte  wüthend  auf  seine  Burg  zu- 
rück, aber  am  dritten  Tag  fuhr  der  Teufel  in  ihn  und 
peinigte  ihn  auf  den  Tod.  Als  er  durch  den  Kirchherrn 
wieder  entledigt  worden  war,  wollte  er  dennoch  das  ge- 
raubte Gut  nicht  herausgeben.  Deßhalb  wurde  er  aber- 
mals besessen  und  starb  ohne  alle  Vernunft,  und  seine 
Seele  wurde  den  bösen  Geistern  übergeben,  die  trugen 
sie  in  das  nahegelegene  Moos,  das  deßwegen  das  Höll- 
moos heißet.  Dort  ließ  sich  die  arme  Seele  mit  großem 
Klageruf  hören  und  kam  nicht  eher  zur  Ruhe,  bis  der 
Kirche   das   Ihrige    nebst   andern   Gaben   wieder   erstattet 


XLIV 


1 


wurde.  Die  Söhne  Diebolds,  Richard,  Otto  und  Marquart 
von  Stretlingen,  schickten  einen  Boten  zum  Papste  Ale- 
xander III.  und  erhielten  neue  Freiheiten  und  Heilthümer 
für  das  Paradies.  Dafür  sollten  aber  dreißig  Messen  ge- 
lesen und  beim  Höllmoos  ein  Bruderhaus  gestiftet  werden, 
(p.  98—108.) 

VII.  Als  man  zählte  1 1 94,  zu  Zeiten  Heinrichs  VI., 
herrschte  Konrad  von  Stretlingen,  ein  großer,  gerader, 
grußfamer  Mann.  Seine  Züchtigkeit  zeigte  sich  namentlich 
an  einer  Kirchweihe  beim  Tanz,  wo  er  die  unziemHche 
Rede  eines  Gesellen  ernst  strafte.  —  Bei  derselben  Ge- 
legenheit wurden  in  der  Kirche  zwei  Zeichen  vom  Priester 
gemeldet,  die  Heilung  zweier  Kinder,  von  denen  das  eine 
bHnd  gewesen,  das  andere  in  einen  Brunnen  gefallen  war. 
Konrad  von  Stretlingen  ritt  hernach  nach  Jerusalem  und 
seiner  Frau  zu  Liebe  auch  zu  St.  Kathrinen  Grab  am  Berg 
Sinai ;  auf  der  Rückfahrt  erlangte  er  von  Papst  Innocentius 
III.  neue  Freiheiten  für  seine  Kirche  in  guten  Bullen.  Sein 
Kirchherr  aber  erhielt  weitere  reiche  Gaben,  (p.  109 — 117.) 

VIII.  Ihm  folgte  121 3  Bernhard  von  Stretlingen,  ein 
christlicher  Herr.  Seine  GemahHn  hieß  Adelheid.  Bern- 
hard nahm  das  Kreuz  auf  sich  und  fuhr  nach  Jerusalem, 
und  dort  wurde  ihm  als  Heilthum  ein  Stück  des  Kreuzes 
Christi  zu  Theil.  Darauf  begab  er  sich  zu  dem  hl.  Vater 
Honorius  IV.,  daß  er  ihm  den  Ablaß  der  Sünden  und 
die  Steuer  für  seine  Kirche  aufs  Neue  bestätigte,  und 
offenbarte  ihm  drei  Zeichen.  —  Das  erste  von  einem 
unschuldig  Gehängten,  der  durch  Hilfe  St.  Michels  vom 
Galgen  fiel.  —  Zum  andern  und  dritten  von  der  Heilung 
eines  bHnden  Mädchens  und  der  Auferweckung  eines  Er- 
trunkenen. Der  Papst  gewährte  Bernhard  dessen  Bitte 
und  der  Gottesdienst  im  Paradiese  blühte  mehr  als  zuvor. 
Hernach  w^ar  ein  anderer  Herr  zu  Stretlingen,  Anshelm,  ein 


XLV 

unsauberer,  unkeuscher  Mann.  Seine  Gemahlin  Hedwig 
rief  oft  St.  Michel  an,  daß  er  ihr  in  diesen  Sachen  be- 
hülflich  wäre.  —  In  einer  Nacht  beim  Mondschein  kehrte 
Herr  Anshelm  von  einem  Werk  der  Unkeuschheit  heim, 
und  wie  ihn  Frau  Hedwig  vom  Fenster  aus  erbUckte, 
lieng  sie  an  zu  schreien,  denn  er  war  ganz  schw^arz  und 
vom  Teufel  besessen.  Als  er  am  Morgen  zur  Kirche 
wollte,  brüllte  selbst  das  Vieh  ob  dem  AnbHck.  Reuig 
beichtete  er,  da  kam  ihm  seine  frühere  Gestalt  wieder.  — 
An  der  Kirchweihe  wurde  die  Heilung  eines  Besessenen 
verkündet.  Herr  Anshelm  aber  machte  sich  auf  und  er- 
langte von  Papst  Alexander  V.  Privilegien  und  Reliquien 
für  das  Paradies,     (p.   ii8 — 130.) 

IX.  Darauf  w^ar  1223  Wilhelm  Herr  zu  Stretlingen, 
ein  besonderer  Gönner  der  Kirche  und  des  Kirchherrn. 
Allein  durch  große  zeitHche  Güter  fällt  der  Mensch  oft 
von  seiner  Andacht  ab;  so  gieng  es  auch  den  glückseligen 
Umwohnern  des  Paradieses.  —  Die  zwölf  Kirchen  wurden 
widerspenstig  und  erhoben  sich  gegen  ihre  Mutter,  ent- 
richteten die  Abgaben  nicht  mehr;  auch  das  umhegende 
Volk  erhob  sich,  tödtete  den  Priester  des  Paradieses,  ver- 
brannte Kirche  und  Beinhaus  und  verwüstete  das  Schloß 
Strethngen.  Sieben  Jahre  lang  dauerte  der  Landeskrieg, 
da  wurde  Friede  gemacht  und  die  Unterthanen  des  Para- 
dieses versprachen,  eine  neue  Kirche  zu  bauen.  Allein 
weil  sie  übel  Wort  hielten,  strafte  sie  Gott  mit  Kröpfen, 
Höckern,  der  fallenden  Sucht  und  andern  Siechtagen. 
Nach  Erbauung  der  neuen  Kirche  kam  der  Bischof  von 
Lausanne,  dieselbe  zu  weihen.  —  Darauf  erschien  St. 
Michel  allem  Volk  und  verkündigte,  daß  er  selbst  die 
Weihung  des  Heiligthums  zum  andern  Mal  vorgenommen 
hätte.  Der  Kirchherr  Rudolf  hielt  eine  ernstUche  Ansprache 
an  das  widerspenstige  Volk.  —  Zugleich  offenbarte  er  drei 


XLVI 

Zeichen,  die  Heilung  einer  lahmen,  einer  ertrunkenen  und 
einer  blinden  Frau.  Herr  Wilhelm  nahm  mit  dem  römi- 
schen Kaiser  Friedrich  an  einem  Kreuzzug  Theil  und  ge- 
langte nach  schmerzHchem  Abschied  über  Lamparten  nach 
Sicilien,  wo  sie  sich  einschifften  und  glückUch  gegen  die 
Heiden  stritten.  Das  war  im  Jahre  1233.  In  Rom  ge- 
wann er  von  Gregor  IX.  Bestätigung  aller  frühern  Privi- 
legien für  die  neue  Kirche.  Bei  der  nächsten  Kirchweihe 
aber  strömten  wohl  viertausend  Menschen  dahin  und  auch 
der  Bischof  von  Lausanne  erschien  unter  ihnen,  (p. 
131— 150.) 

X.  Im  Jahre  1272  wurde  Graf  Rudolf  von  Habs- 
burg zu  einem  römischen  König  gewählt,  in  allem  seinem 
Fürnehmen  ein  glückhaftiger  Mann.  Damals  lebte  der 
milde  Herr  Sigmund  von  StretUngen  und  seine  Frau 
Küngold.  Er  war  gar  sauber  und  keusch.  Eine  Frau,  die 
den  Willen  ihres  Herzens  an  ihn  geworfen  hatte,  ließ  er 
durch  seinen  Knecht  abweisen.  Rudolf  von  Habsburg 
verlieh  1280  der  Stadt  Spiez  das  Recht,  einen  Wochen- 
markt abzuhalten.  —  Auf  der  Kirchweihe  wurden  vier 
Wunder  verkündigt.  —  Auf  Unterweisung  seines  Kirch- 
herrn Noker  begab  sich  Herr  Sigmund  zu  Papst  Gregor 
X.  nach  Lugdanum  und  erhielt  die  nämUchen  Rechte,  wie 
seine  Vordem,     (p.   151 — 158.) 

XL  Hernach  lebte  Heinrich  von  Stretlingen,  Herr  zu 
Laubeck,  dessen  Gemahlin  EHsabeth  hieß.  Er  war  ganz 
und  gar  ein  Kind  der  Welt,  das  der  christHchen  Dinge 
wenig  achtete.  Zu  der  Kirchweihe  des  Paradieses  lud  er 
Edel  und  Unedel  ein,  veranstaltete  dabei  große  Tänze 
und  allerlei  Spiels  mit  Singen,  Springen,  Kugelwerfen, 
Steinstoßen,  Essen,  Trinken  und  andern  Sünden,  daraus 
großer  Neid  und  Haß,  Todschlag  und  Krieg  entstand. 
Auf  der  Kirchweihe   war   man   kaum   des   Lebens   mehr 


XLVII 

sicher,  so  daß  die  umwohnenden  Herren  ihren  Unter- 
thanen  den  Besuch  derselben  untersagten,  und  die  zwölf 
Töchterkirchen  ihre  Wallfahrten  nach  dem  Paradiese  ein- 
stellten. In  Thun  aber  errichtete  man  solchen  Abbruchs 
wegen  dem  Erzengel  Michael  eine  Kapelle;  Andere  wandten 
sich  nach  Faulensee  zu  der  Kapelle  St.  Columbans.  So 
kam  das  Paradies  zu  Fall.  Die  Kirchherren  zogen  weg 
und  traten  in  das  Stift  zu  Amsoldingen,  die  StretHnger 
verheßen  ihre  Stammburg  und  legten  ihren  Sitz  nach 
Spiez.  Die  Bullen  und  Briefe  der  Kirche  giengen  ver- 
loren ;  Glockenhaus  und  Altäre  stürzten  ein.  Der  Einöde 
(einige)  wegen  wurde  der  Ort  fortan  zu  Einigen  genannt. 
Herr  Heinrich  schied  darnach  von  dieser  Zeit.  Gott  ver- 
gebe ihm  die  Sünden !  Er  ließ  einen  Sohn  zurück,  Rudolf 
von  Salveswyl,  der  1348  starb,     (p.   159 — 164.) 

XII.  Zum  letzten  war  ein  Herr  von  StretUngen  mit 
dem  Namen  Walther,  ein  friedsamer,  guter  Herr.  Seine 
Hausfrau  hieß  Mechtild.  Der  trug  ein  betrübtes  Herz  über 
den  Verfall  des  Paradieses  und  ritt  deßhalb  zu  dem  hL 
Vater  Innocencius  VI.  nach  Avignon  und  bat  um  Be- 
stätigung der  verloren  gegangenen  Privilegien  für  seine 
Kirche  zu  Einigen.  Das  alles  bewiUigte  der  Papst  und 
spendete  reichHchen  Ablaß.  Der  Bischof  von  Lausanne 
verkündigte  auf  der  nächsten  Kirchweihe  diese  Freiheiten. 
Mit  Walther  aber  starb  das  Geschlecht  derer  von  Stret- 
lingen  aus;  der  letzte  des  Stammes,  Herr  Ulrich,  war 
Kirchherr  zu  Spiez.  Der  Kirchensatz  von  Einigen  kam 
darauf  in  die  Hände  meiner  gnädigen  Herren  von  Buhen- 
berg,  denen  zu  Ehren  dieses  deutsche  Buch  aus  dem  Latein 
aufgesetzt  ist,  damit  sie  wissen  mögen,  wie  ihre  Vordem 
sich  gehalten.  Der  allmächtige  Gott  aber  kann  das  Kirch- 
lein zu  Einigen  wiederum  groß  machen  und  der  hoch- 
gelobte St.  Michel  seine  Wunder  noch  heut  bei  Tage  da 


XLVIII 

erzeigen !  —  Aufzählung  der  siebenundsechzig  Heiltliümer 
des  Paradieses,     (p.   165 — 176.) 

Nach  dieser  Inhaltsangabe  wird  es  unnöthig  sein, 
viele  Worte  über  den  Unwerth  der  Stretlinger  Chronik 
als  geschichtliche  Quelle  zu  verlieren.  Historische  Wahr- 
heit wird  hier,  wo  die  Dinge  aufs  UnglaubHchste  mit 
den  crassesten  Anachronismen  durch  einander  geworfen 
sind.  Niemand  suchen  wollen.  Als  seine  Quelle  nennt 
Kiburger  häufig^)  ein  lateinisches  Buch,  aus  dem  er  über- 
setze für  die  Ungelehrten.  Daß  wir  es  mit  einer  Ueber- 
tragung  zu  thun  haben,  ist  nicht  glaubwürdig;  wohl  aber 
zeigen  unverdächtige  Personal-  und  Lokalnotizen  bei  Ver- 
gabungen an  die  Kirche  zu  Einigen,  daß  öfters  alte  Jahr- 
zeitbücher, auf  die  stets  verwiesen  wird,  und  Donationen- 
rödel  benutzt  worden  sind.  An  einer  Stelle  der  Chronik 
(p.  163)  ist  sogar  deutlich  gesagt,  daß  die  lateinische 
Vorlage  ein  Anniversarium  war:  der  Kirchengüter  im 
Paradies  seien  so  viel  gewesen,  (wie  das  lateinische  Ab- 
schriftbuch innehält),  als  Tage  im  Jahr.  So  viel  über  das 
lateinische  Buch,  das  der  Stretlinger  Chronik  den  Stempel 
einer  größern  und  ehrwürdigeren  Tradition  aufdrücken 
soll.  Wir  kommen  auf  Quellen  zweiter  Art  zu  einzelnen 
Stellen  der  Chronik  zu  reden.  Hier  dürfen  wir  zunächst 
den  Umstand  nicht  verschweigen,  daß  gerade  einige  der 
schönsten  Sagen  nicht  etwa  der  Localtradition  nacherzählt 
sind:  der  Stretlinger  Chronist  hat  dieselben  —  ganz  nach 
Art  der  damaligen  Freibeuter  —  einfach  aus  einer  andern 
Sammlung  in  die  seinige  herübergeholt  und  die  Leute, 
von  denen  die  Sage  erzählte,  unbedenklich  zu  Stretlingern 
gemacht.  Eine  dieser  Quellen  ist  jenes  berühmte  Sagenbuch 
der   Rheinlande,   der  Dialogus  miraculorum  des  Ccesarius 


\ 


1)  p.  40,  48,  50,  60,  78,  79,  95,  172,  175  etc. 


XLIX 

von  Heisterhach,  jene  «geistliche  Novellensammlung))  voll 
Anmuth,  reich  belehrend  für  Kultur-  und  Sittengeschichte 
des  XII.  und  XIII.  Jahrhunderts,  eine  unerschöpfliche  Fund- 
grube für  deutsche  Sage  und  Mythe,  die  man  schon  lange 
einem  größern  Kreis  hätte  nahe  bringen  sollen.  Ciesarius, 
«der  Mann  voll  rührender  Einflilt,  wunderbarer  KindUchkeit 
und  himmlischer  Reinheit)),  wie  J.  W.  Wolf  ihn  nennt, 
wurde  wahrscheinlich  in  Cöln  geboren  und  lebte  seit  1198 
als  Prior  in  dem  rheinischen  Cistercienserkloster  Heister- 
bach, wo  er  um  1 240  starb.  ^)  Sein  Dialogus  miraculorum 
entstand  zwischen  12 19  und  1222.  Diese  handschriftlich 
wohl  vielfach  verbreiteten  Wundergespräche  kannte  auch 
Kiburger;  es  hat  sich  uns  herausgestellt,  daß  z.  B.  die 
Sage  von  dem  scharfen  Richter  Caspar  von  Stretlingen, 
der  allezeit  einen  Strick  am  Gürtel  trug  (p.  21)  und  die 
schöne  Mantelsage  von  Herrn  Wernhart  (p.  24)  geradezu 
wörtlich  aus  dem  Dialogus  übersetzt  sind ;  die  erstere  er- 
zählt Ciesarius  von  dem  Königsmörder  Otto  von  Wittels- 
bach,  die  zweite  vom  Ritter  Gerhard  von  Holenbach. 
Andere  Züge  aus  dem  Mönch  von  Heisterbach  haben 
offenbar  das  Motiv  zu  ausgeführten  Erzählungen  in  der 
Stretlinger  Chronik  gegeben  (p.  19,  55).  Daß  dieselbe 
ferner  vielfach  aus  den  mittelalterlichen  Heiligenlegen- 
den, namentlich  der  Michaelslegende  schöpft,  liegt  auf 
der  Hand.  Die  deutsche  Michaelslegende  befindet  sich 
unter  anderm  auch  im  zweiten  Buche  jenes  großartigen 
Reimwerks  von  dem  Leben  und  Leiden  der  Heiligen  (XIII. 
Jahrhundert),   welches   unter   dem  Namen   das   Fassional 


^)  Alexander  Kaufmann,  Caesarius  von  Heisterbach.  Ein  Bei- 
trag zur  Culturgeschichte  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhunderts. 
Cöln  1862.  —  Neue  Ausgabe  des  Dialogus  von  Strange:  Caesarii 
Heisterbacensis  monachi  Dialogus  miraculorum.  II  voll.  185 1.  (Ich 
citire  nach  der  Cölner  Ausgabe  von  1 599.) 

IV 


bekannt  ist.  Wie  dort  Michael  die  heilige  Stätte  auf  dem 
Berge  Garganus  statt  des  Bischofs  selber  weiht/)  so  wird 
in  unsrer  Chronik  die  Kirche  des  Paradieses  ebenfalls  von 
dem  Erzengel  an  Stelle  des  Bischofs  von  Lausanne  ein- 
gesegnet (p.  42) ;  der  Zug,  daß  das  Fundament  des  zu 
gründenden  Tempels  über  Nacht  stets  wieder  einstürzt 
(p.  31),  ist  ein  in  der  Sage  immer  wiederkehrender,  nach 
welchem  sich  Gott  die  Stätte,  wo  er  geehrt  werden  soll, 
selbst  ausfucht.  Ebenso  ist  der  wunderbare  Brunnen  in 
Einigen  (p.  32),  der  für  die  Gesundheit  des  Leibes  und 
der  Seele  heilsam  ist,  offenbar  demjenigen  der  Legende 
nachgebildet,  von  dem  es  im  Passional  heißt: 

«ein  brunne  lieht  iinde  kalt 
mit  riches  vliix^es  geiualt 
in  deine  selben  hole  entspranc, 
des  dö  manich  mensche  tranc 
mit  grö^^en  vreuden  genüg. 
Swer  iht  suchte  an  im  trüg 
der  zuart  gesimt  unde  vri.^)» 

Ebendaselbst  setzt  der  Bischof  einen  Priester  ein  und 
schafft  ihm  alle  Nothdurft  des  Lebens  und  der  Papst  ge- 
bietet, daß  man  den  Tag  stets  feiern  soll.  Daneben  be- 
nutzt Kiburger  (p.  4,  1 1 1,  112)  die  Legenda  aiirea  (nach  dem 
177.  cap.  derselben  auch  Hisforia  lomhardica  genannt)  des 
Jacohus  de  Voragine,  f  1298  als  Erzbischof  von  Genua; 
p.  144  beruft  er  sich  auf  das  Fortalicium  fidei  des 
Alfonsus  de  Spina.  Als  weitere  Quelle  können  wir  endlich 
die  Chronica  summorum  pontificum  imperatorumque  des 
Martin   von   Troppau,   genannt   Martinns   Polonus,    nach- 


^)  Das  alte  Passional  ed.  Hahn  p.  336. 

^)  ib.  p,  357.  —  Uebrigens  waren  nach  Jahns  Berner  Chronik 
p.  315  in  Einigen  wirklich  solche  heilsame  Quellen,  in  welchen 
sich  die  Anwohner  in  den  Kleidern  badeten,  so  das  Jukibrünnlein  u.  a. 


LI 

weisen  (p.  3,  6),  eines  Dominikaners  in  Prag,  der  1278  zum 
hrzbischof  von  Gnesen  ernannt  wurde,  aber  schon  1279 
starb.  Diese  oberflächliche  Compilation  der  Papst-  und 
Kaisergeschichte,  ein  Gemisch  von  Fabehi  und  Unwahr- 
heiten, war  lange  ein  beliebtes  Geschichtswerk.  ^) 

Der  Zweck  der  Chronik  erhellt  aus  jeder  Seite  der- 
selben. Ein  im  Laufe  der  Zeiten  herab  gekommenes 
Gotteshaus,  dessen  Ursprung  zw^ar  keineswegs,  wie  hier 
glaublich  gemacht  werden  soll,  ins  dritte  Jahrhundert 
hinaufreicht  (urkundUch  wird  Einigen  1228  zum  ersten 
Mal  genannt,  Wcährend  die  Tochterkirchen  Spiez  und 
Scherziingen  schon  im  achten  Jahrhundert  auftauchen), 
das  aber,  wie  der  Basilikenbau  bew^eist,  zu  den  ältesten 
Kirchen  des  Oberlandes  gehört  —  soll  durch  erhöhte 
und  schriftlich  fixirte  Tradition  im  Ansehen  wieder  zu- 
nehmen; namentlich  macht  hier  ein  ärmUch  dotirter, 
aber,  wie  aus  dem  angeführten  Urkundenmaterial  hervor- 
geht, habsüchtiger  Priester  durch  ein  litterarisches  Product, 
in  welchem  er  seinen  kargen  Pfarrkindern  eindringlich 
vorstellt,  was  dem  Kirchherrn  eigentlich  von  Rechtswegen 
zukäme,  den  Versuch,  seine  Einkünfte  besser  zu  gestalten. 
Endlich  soll  durch  die  Stretlinger  Chronik  einer  großen 
Lücke,  die  sich  in  der  Geschichte  dieser  Alpenthäler  be- 
findet, nachgeholfen  werden. 

Desto  höher  ist  der  Werth  dieses  Werkes  als  Sagen- 
sammhing  anzuschlagen.  Abgesehen  von  der  gelehrten 
Erfindung  und  der  Compilation,  abgesehen  von  den  er- 
müdenden Wundergeschichten,  wird  uns  hier  eine  Reihe 
von  Sagen  in  zwar  nicht  ursprünglicher,  doch  anmuthigster 
Fassung  überliefert,  die  der  Stretlinger  Chronik  stets  eine 


^)  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  M.A.  (3.  Aufl.) 
II,  326  u.  ff. 


LH 

hervorragende  Stellung  in  der  Sagengeschichte  der  Schweiz 
verleihen  wird. 

Noch  ein  Wort  über  die  legendenhafte  Seite  unsrer 
Chronik.  Schon  frühe  fand  das  Christenthum  Eingang  in 
die  Thäler  des  Berner  Oberlandes,  wie  der  uralte  Cultus 
beweist,  der  dem  Schweizerapostel  Beatus  gewidmet  wurde, 
dessen  Legende  freiUch  erst  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrhun- 
derts ihre  schriftUche  Fassung  erhalten  hat.  Es  ist  wohl 
denkbar,  daß  die  Verehrung  des  hl.  Beatus  am  rechten 
Ufer  des  Thunersee's  den  Anlaß  gegeben  hat,  auch  auf 
der  andern  Seite  des  See's  den  Gläubigen  ein  wunderbares 
Heiligthum  aufzuthun.  Dieser  linksufrige  Kultus  in  Einigen 
zeigt  sich  durchaus  unabhängig  von  jenem :  nirgends  in 
der  Stretlinger  Chronik  wird  der  Name  Beatus  genannt; 
wohl  aber  findet  das  umgekehrte  statt.  Beatus  fuhr  nach 
der  Volksfage  auf  seinem  Mantel  hinüber  nach  Einigen, 
um  St.  Justus  predigen  zu  hören.  ^)  Es  wundert  uns 
nicht,  daß  der  Petrusfchüler  daselbst  eine  Teufelserschei- 
nung hatte,  denn  der  Teufel  ist,  wie  St.  Michael,  dem 
Wesen  der  Legende  gemäß  für  diesen  Ort  stereotyp 
geworden.  Beatus  sah  den  Bösen  unter  der  Kanzel  des 
Predigers  die  Namen  der  eingeschlafenen  Zuhörer  auf  eine 
Pergamentrolle  einregistriren.  Sie  wollte  nicht  hinreichen, 
alle  die  Schläfer  zu  fassen.  Da  machte  sich  Satan  daran, 
das  Pergament,  mit  den  Zähnen  und  Klauen  zugleich  an- 
packend, zu  strecken;  allein  es  riß  und  der  Böse  schlug 
einen  Purzelbaum,  wobei  sein  Kopf  unsanft  an  die  Kanzel 
stieß,  worüber  Beatus  laut  auflachte  und  die  guten  Ober- 
länder weckte. 

Der  Mittelpunkt  der  Stretlinger  Legende  ist  St.  Michael, 
Der  Michaelskultus  ist  bei  den  Deutschen  ein  uralter.    Der 


^)  Lütolf,  Glaubensboten  p.  38. 


LIII 

hl.  Bonifacius  pflegte  die  von  ihm  gestifteten  Kirchen 
gewöhnlich  dem  hl.  Michael  und  Petrus  zu  weihen,  so 
in  Frankenberg,  Salzburg,  Amceneburg.  In  Köln  bestan- 
den vier  Michaelskirchen,  deren  älteste  um  310  geweiht 
W'Urde  an  der  Stelle  eines  alten  Marstempels,  ebenso  in 
Antwerpen,  Löwen,  Hamburg  etc.^)  Eben  so  häufig  sind 
die  Michaelsberge ;  St.  Michaels  Fest  war  bei  allen  ger- 
manischen Stämmen  ein  hochgefeiertes.  ^)  In  der  christ- 
lichen Kirche  erscheint  der  29.  September  als  Chorfest 
oder  Gedächtnißtag  St.  Michaels  schon  seit  dem  V.  Jahr- 
hundert,^) erst  in  der  Synode  von  Mainz*)  (S.Juni  813) 


^)  Wolf,  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie  I,  35  u.  ff. 

'0  Wolf  II,  97  u.  ff. 

^)  Im  Sacramentarium  S.  Leonis  I.  (f  474)  heißt  es:  «Pridie 
Kai.  Octobr.  Natale  Basilicse  Angeli  in  Salaria.^)  (Binterim,  Denk- 
würdigkeiten der  kath.  Kirche  V,  469,  der  das  Fest  in  Verbindung 
bringt  mit  einer  jener  Kirchen,  welche  nach  dem  Kirchengeschichts- 
fchreiber  Sozomenus  Konstantin  der  Große  zu  Ehren  Michaels  er- 
richtete.) —  Im  Kalendarium  vom  Evangeliarum  Karls  des  Großen 
im  Louvre,  geschrieben  781:  «III.  Kl.  Oct.  Set.  Mihaelis.»  (Piper, 
Karls  des  Großen  Kalendarium  und  Ostertafel  p.  28.)  —  In  angel- 
sächsischen Kaiendarien  des  IX,  und  X.  Jahrhunderts  hat  das  Fest 
«MichaeHs»  eine  Vigil,  ist  also  eigentlicher  Feiertag.  (Piper,  die 
Kaiendarien  und  Martyrologien  der  Angelsachsen  p.  52  und  73.)  — 
In  dem  Martyrologium  S.  Hieronymi  aus  der  Kirche  von  Metz, 
geschrieben  zu  Ende  des  VIII.  oder  Anfang  des  IX.  Jahrhunderts 
(Stadtbibliothek  Bern):  «III.  Kl.  Oct.  Roma  via  Salaria  miliario 
VI.  dedicatio  basilicae  Angeli  Michaehs  vel  in  mönte  qui  dicitur 
Gargani,  ubi  multa  mirabilia  deus  ostendit.»  (Abschrift  des  Herrn 
Dompropst  Fiala.)  —  Ein  Sacramentarium  des  Klosters  Rheinau 
aus  dem  VIII.  Jahrhundert  (jetzt  in  der  Kantonsbibliothek  Zürich): 
«III.  Kl.  Oct.  dedicatio  basilicas  Angeli  Michahelis.»  (Abschrift  des 
Herrn  Dompropst  Fiala.) 

'*)  «Das  Concilium  verlegte  gewiß  nicht  ohne  Grund  das  An- 
denken des  hl.  Erzengels  in  die  altheilige  Zeit  der  Gemeinwoche,  in 
die  Zeit,  wo  die  Sachsen  einst  ihr  großes  Opferfest  begingen,  in  eine 


LIV 

aber  wurde  da«  Fest  unter  den  eigentlichen  Feiertagen 
mit  einer  Vigil  aufgezälilt,  also  als  allgemeine  Kirchenfeier 
im  fränkischen  Reiche  eingeführt.  Die  Verehrung  des  Erz- 
engels war  auch  in  unsern  Gegenden  eine  alte  und  sehr 
verbreitete.  Sein  Gedächtnißtag,  der  29.  September,  kommt 
schon  in  unsern  ältesten  Kaiendarien  aus  dem  IX.  Jahrhundert 
vor  als  memoria  S.Michahelis  oder  dedicatio  templiS.Micha- 
helis,  und  ist  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  stets  als  Feier- 
tag roth  bezeichnet.  Auch  die  apparitio  oder  revelatio  S. 
Michaelis  (8.  Mai)  findet  sich  sehr  häufig  in  schweizer- 
ischen Kaiendarien  seit  dem  XIII.  Jahrhundert;  sehr  selten 
dagegen  und  nur  in  Kaiendarien,  die  aus  Frankreich 
stammen,  auf  den  16.  Oktober  die  dedicatio  ecclesiasr 
S.  MichaeUs  in  monte  Tumbo.  Häufig  sind  in  unsern 
Bisthümern  die  dem  hl.  Michael  geweihten  Kirchen:  so 
verzeichnet  Nüscheler  in  seinen  Gotteshäusern  der  Schweiz 
acht  Michaelskirchen  im  frühern  Bisthum  Chur.  In  der 
alten  Stiftskirche  Solothurn  stand  vor  dem  großen  Erd- 
beben ein  altare  S.  Michaelis  inter  campaniHa.  In  der  alten 
Kirche  von  Bern  war  eine  capella  S.  Michahelis  super 
ossa  mortuorum  mit  dem  ihm  geweihten  Altar,  ^)  und 
noch  steht  das  Bild  des  Erzengels  am  Münsterportale. 
St.  Michael  waren  ferner  geweiht  im  Bernerland  das 
Frauenkloster  zur  Insel  in  Bern,  die  Kirchen  von  Muri, 
Gsteig  bei  Interlaken,  Burgdorf  (daselbst  zudem  noch  eine 


Zeit  also,  welche  durch  heidnische  Feste  schon  ausgezeichnet  war, 
denen  christliche  Beziehungen  zu  geben  für  wichtig,  ja  für  noth- 
wendig  gehalten  werden  mußte.  Hätte  ein  außerdeutsches  Concilium 
diese  Anordnung  getroffen,  dann  würde  sie  weniger  bedeutsam  für 
uns  sein;  daß  sie  gerade  in  Mainz,  dem  Bischofsfitze  des  hl.  Boni- 
facius,  der  so  viele  Michaelskirchen  gegründet,  zu  Tage  kam,  das 
verleiht  ihr  die  hohe  Wichtigkeit.«  Wolf,  Beiträge  I,  36. 
^)  ßerner  Archiv  VI,  85. 


LV 

Michaelskapelle  auf  dem  Schloß)  und  die  Todtenkapelle 
in  Büren.  Reliquien  des  hl.  Michael  finden  sich  in  einem 
Martvrologium  des  Klosters  Rheinau  (Ende  des  XII.  Jahr- 
hunderts) verzeichnet:  in  sarcofago  magno,  qui  constructus 
est  anno  1144  —  de  vexillo  S.  Michael;  de  altari,  quod 
ipse  per  preceptum  domini  dedicavit;  de  loco  (Rasur) 
Michahel,  ubi  draconem  interfecit. 

Dem  Erzengel  Michael  werden  von  Petrus  Lombardus 
(t  1 1 64),  dem  Scholastiker  und  Magister  sententiarum, 
vier  Aemter  zugeschrieben:  erstens  gegen  den  Drachen 
zu  kämpfen,  diesen  Streit  gegen  den  Teufel  fortzusetzen 
und  ihm  die  gläubigen  Seelen  zu  entreißen;^)  drittens  ist 
er  der  Vorkämpfer  und  Helfer  des  Volkes  Gottes^)  und 
endlich  der  Vorstand  des  Paradieses  (proepositus  paradisi), 
wohin  er  die  Seelen  der  Gerechten  geleitet.^)  Nach  dieser 
letzten  Eigenschaft  heißt  darum  sein  Heilio;thum  zu  Einigen 
ganz  passend  das  Paradies.  Eine  deutsche  Legende  in  der 
St.  Galler  Handschrift  11 40  (XV.  Jahrhundert),  die  theils 
der  Darstellung  der  apparitio  S.  Michaelis  in  monte  Gar- 
gano  bei  den  ßollandisten,*)  theils  der  Legenda  aurea^) 
folgt,  hebt  ähnlich  vier  Siege  Michaels  hervor:  der  erste 
geschah    zu    den   Zeiten,    als    das    ungläubige   Volk    von 


^)  Hartmanii  von  Aue  im  Erec  v.  3649 — 52,  —  Nach  der 
Kpistel  St.  Judae  v.  9  zankt  der  Er;iengel  mit  Satan  schon  über 
den  Leichnam  Mosis. 

'^)  Verg].  die  alte  Verdeutschung  der  Bücher  Mose  in  Hoff- 
manns Fundgruben  2,  11. 

^)  Grimm,  deutsche  Mythologie  p.  797.  —  Michael  als  Psycho- 
pomp  auf  einem  alten  Wandgemälde  zu  Verona.  Vergl.  von  der 
Hagens  Briefe  in  die  Heimath  H,  63.  —  Gregor  von  Tours  VI,  29. 

^)  Acta  Sanctorum,  Septembris  tomus  VIH,  p.  61  u.  ff. 

•')  Gap.  CXL:  De  sancto  Michaele.  (Das  Wunder  von  der 
geretteten  Frau  in  der  Kirche.)  Vergl.  auch  Uhlands  Schriften  IV, 
319  u.  L,  und  Uhlands  Gedicht  «Legende». 


LVI 

Napels  auszog  gegen  die  christlichen  Städte  Sipontus  und 
Beneventum.  Da  bat  der  Bischof  von  Sipontus  den  hl. 
Michael,  der  sich  dem  Volk  auf  dem  Berge  Garganus  in 
Apulien  erzeigt  hatte,  um  Hilfe  gegen  die  Heiden.  Als 
diese  herankamen,  fieng  der  Berg  an  zu  kreißen  und  feurige 
Pfeile  schoßen  aus  ihm  und  tödteten  mehr  als  sechshundert 
Feinde,  die  übrigen  ließen  sich  taufen.  Der  andere  Sieg 
ereignete  sich,  als  Lucifer  sich  Gott  gleichstellen  wölke; 
da  kam  St.  Michael  und  kämpfte  sieghaft  gegen  den 
Drachen.^)  Der  dritte  Sieg  ist  der,  den  die  heiligen  Engel 
noch  alle  Tage  wider  die  Teufel  behalten,  daß  sie  diesen 
ihre  Kraft  nehmen,  die  bösen  Begierden  stillen,  gute  Ge- 
danken eingeben  und  so  Satan  überwinden.  Der  letzte 
Sieg  geschah,  als  Michael  den  Antichrist  auf  dem  Oelberg 
tödtete.  Noch  andere  große  Thaten  verrichtete  der  starke 
Engel:  er  plagte  das  Volk  in  Egyptenland,  zertheilte  das 
rothe  Meer,  führte  das  Volk  Israel  durch  die  Wüste,  ist 
außerdem  der  Bannerherr  der  himmlischen  Heerschaaren, 
«coelestis  militicT  signifer»^)  und  bläst  das  Himmelshorn.^) 
St.  Michael  der  Drachentödter  mußte  wie  St.  Georg 
auch  die  deutsche  Sage  anregen.  Aus  der  Mythologie  ist 
erwiesen,  daß  heidnische  Gottheiten,  weil  es  unmöglich 
war,  sie  gänzlich  auszurotten,  später  oft  in  christliches 
Gewand  gekleidet  wurden.  So  galt  es  vor  allem,  den  mäch- 
tigen germanischen  Nationalgott   Wnotan  zu  verdrängen: 


^)  Diese  beiden  Siege  sind  ähnlich  im  alten  Passional  ed.  Hahn 
334  u.  ff.  dargestellt : 

Mychael  der  gotes  böte 

ist  vor  dem  großen  goie 

ein  elleiithafter  luigani, 

gots  Sterke  ist  er  genant  etc. 
^)  In  deutschen  Gedichten:  «der  venre  S.  M.» 
^)  Stretl.  Chron.  p.  76.  — Wuotans  Giallarhorn,  vergl.  Wolf  I,  i  y 


LVII 

ebenfalls  ein  Drachentödter  wurde  derselbe  durch  den 
obersten  der  Engel,  St.  Michael,^)  und  theilweise  durch 
St.  Georg,  Martinus  und  Petrus  ersetzt.  Wie  Wuotan 
der  Siegverleiher  ist,  so  auch  Michael;  wie  Wuotan  der 
Herr  des  Hinnnelsftuhls  war,  so  Michael  «summa^  sedis 
minister» ;  wie  Wuotan  die  Seelen  der  Helden  empfieng, 
so  geleitet  sie  Michael  zur  ewigen  Herrlichkeit.  An  der 
Stelle  der  dem  Wuotan  vornehmlich  auf  Bergen  geweihten 
Heiligthümer  erhoben  sich  später  Michaelskapellen. ^)  Nur 
konnte  der  Erzengel  dem  Volksbewußtsein  nie  so  nahbar 
werden,  als  z.  B.  der  menschlichere  Ritter  St.  Georg. 
Darum  ist  jener  in  der  Volksdichtung  auch  lange  nicht  so 
gefeiert.  Spuren  lassen  sich  allerdings  finden.  So  wird 
behauptet,^)  der  alte  Hymnus:  «o  heros  invincibiUs  dux» 
sei  die  Umwandlung  eines  alten  germanischen  Schlacht- 
gesanges mit  Vertauschung  der  Heldennamen.  Statt  «dux 
Michael  protector  Germania^»  habe  es  einst  geheißen: 
«Herzog  Odin,  Schirmherr  des  deutschen  Volkes.»  (!) 
Dieses  deutsche  Schlachten-  und  WallfahrerUed,  das  von 
den  Normannen-  und  Ungarschlachten  der  Karolinger  und 
Salier  her  die  Kreuzzüge  hindurch  bis  zur  Zeit  der  Re- 
formation als  Bardiet  gesungen  w^orden  sei,  habe  zu  dem 
Spottnamen  der  deutsche  Michel  Veranlassung  gegeben  etc. 
Dieses  Lied  laute  in  freier  Uebersetzung : 

I.     O  unbesiegbar  starker  Held  — 
Herzog  Michael! 

Führ'  du  das  deutsche  Heer  in's  Feld,        ^ 
Herzos:  Michael! 


^)  Vergl.  namentlich  Wolf,  Beiträge  I,  32  u.  ff. 

2)  Wolf  I,  34. 

^)  Montanus,  die  deutschen  Volksfeste,  Volksbräuche  und  deut- 
scher Volksglaube  in  Sagen,  Märlein  und  Volksliedern  I,  53.  — 
Ich  gebe  die  Sache  lediglich  als  Curiosum. 


LVIII 

O  steh'  uns  zur  Seite, 
O  hilf  uns  im  Streite, 
Herzog  Michael!     Herzog  Michael! 

2.  Du  unser  Herzog  in  dem  Streit  :,: 
Beschirmest  treu  die  Christenheit  :,: 

3.  Des  Himmels  Geister  allzumal  :,: 
Vermehren  deiner  Kämpfer  Zahl  :,: 

4.  Durch  alle  Welt  zu  Meer  und  Land  :,: 
Sind  deine  Schlachten  wohlbekannt  :,: 

5.  Durch  dich  du  tapfrer  Degen  liegt  :,: 
Der  arge,  böse  Feind  besiegt  :,: 

6.  O  Held,  deß'  Name  weltbekannt  :,: 
Beschirm  das  deutsche  Vaterland  :,: 

7.  Die  Engel  rufe  auf  zur  Wehr  :,: 
Entbiete  dein  Vasallenheer  :,: 

8.  Wirf  nieder  grimmer  Feinde  Wuth  :,: 
Belebe  der  Verzagten  Muth  :,: 

9.  Gib  dann  dem  blutigen  Gefild  :,: 
Des  holden  Friedens  Segen  mild  :,: 

IG.     Von  Pest  und  Hunger  uns  befrei'  :,: 

Der  Knechtschaft  Ketten  brich'  entzwei  :,: 

II.     Mit  Schwert  und  Schild,  mit  starker  Hand  :,: 
Schütz'  unser  deutsches  Vaterland  :,: 

Wir  wissen  aus  Widukind,  dem  Geschichtsfchreiber 
der  Sachsen  (X.  Jahrb.),  daß  der  sieggewohnte  Erzengel 
auf  der  Reichsfahne  dem  Heer  voranschritt.  ^) 

Ein  anderes  angebUch  aus  den  Kreuzzügen  herrühren- 
des Michelslied,  aus  Volksmund  aufgezeichnet,  beginnt : 


^)  Widukinds  sächsische  Geschichten  bei  Pcrtz,  Monumenta 
Tom.  in.  König  Heinrichs  Kampf  gegen  die  Ungarn  im  Jahr  933. 
Lib.  I,  cap.  38 :  «His  optimis  verbis  erecti  milites,  imperatoremque 
in  primis  mediis  et  ultimis  versautem  videntes,  coramque  eo  angelum 
—  hoc  enim  vocdhido  effigieque  Signum  niaximum  erat  insignitum  — 
acceperunt  fiduciam  magnamque  constantiam.»     Ib.  lib.  III,  44. 


LIX 

Sankt  Michel  hat  sich  gebauet 
Auf  einem  hohen  Berg 
Ein'  Feste  mit  hohen  Mauern, 
Ein  Schloß  gar  ehrenwerth. 
Da  kommt  ein  Schiiff  gefahren 
Wohl  über  das  tiefe  Meer; 
Da  drinnen  die  Pilgerschaaren 
Sie  kommen  gar  so  fern. 
Sie  kommen  aus  deutschen  Landen, 
Deß  sind  sie  wohlgemuth ; 
Sankt  Michael  der  schwenket 
Zum  Gruße  seinen  Hut. 
Gott  Vater  sitzt  am  Steuer, 
Daneben  sitzet  Gott  Sohn, 
Maria  die  führet  das  Ruder  — 
Das  ist  der  Pilgrim'  Lohn. 

Uhland^)  theilt  aus  einem  Berner  Liederbuch  des 
XVI.  Jahrhunderts  ein  weiteres  Pilgerlied  von  St.  Michel 
mit,  wenn  auch  nicht  mehr  in  ursprüngUcher  Form :  das 
alte  Lied  dient  hier  bereits  zum  Rahmen  reformatorischer 
Polemik : 

Wöllent  ir  geren  hören 

Von  Jant  Michaels  luunn  : 

in  Gargan  ist  er  gfeßen 

drei  niil  im  nieresgriind  etc. 

In  der  christlichen  Symbolik  wird  St.  Michael  geradezu 
mit  Christus  selbst  identificirt.  So  heißt  es  bei  Hartmann> 
einem  rheinischen  Dichter  des  XL  Jahrhunderts: 


^)  Alte  hoch-  und  niederdeutsche  Volkslieder,  2.  Abtheilung 
p.  807.  —  In  der  Handschrift,  die  einst  der  v.  Mülinen'schen  Bib- 
liothek angehörte,  dann  in  Meusebachs  Sammlungen  in  Berlin  ge- 
kommen, ist  dem  Liede  folgende  Bemerkung  vorgesetzt:  «Dises 
Jied  ist  ahgeschrihen  von  einer  Bürgerin  von  Chtir,  die  hats  vor  40  Jarett 
gelernet  ^ü  Zi^ers  von  der  alten  Stofflin,  die  hats  oiich  wer  dann  vor 
40  Jaren  glernet.» 


LX 


«Ein  volcwic  wart  gevohten 
Mit  michelen  iuhten: 
Da:^  tete  sente  Michael, 
Crist  seihe  vil  her, 
Wider  eilten  trachen, 
Der  begunde  uhile  machen. 
Den  seihen  trachen  er  verwan. 
Den  sige  er  uhir  ime  navi  etc.»^) 


i 


Zahlreich  sind  die  lateinischen  Hymnen  des  Mittel- 
alters auf  den  Erzengel.^) 

Im  Hirt  des  Hermas  (geschrieben  um  90  n.  Chr.) 
enthält  ein  Glcichniß  das  Bild  eines  Weidenbaumes,  von 
welchem  der  hochberühmte  und  erhabene  Engel  Zweige 
abschneidet,  um  sie  dem  Volk  zu  vertheilen.  Die  Zweige 
werden  dem  Engel  zurückgebracht,  bald  dürr  oder  halb- 
dürr, bald  grün  und  mit  Sprossen  und  Früchten.  Je  nach 
■der  Beschaffenheit  des  Zweiges  werden  die  Träger  des- 
selben abgesondert.  Das  Gleichniß  wird  so  erklärt:  «der 
mächtige  Baum  ist  das  Gesetz  Gottes.  Der  Engel  aber 
ist  der  große  und  hocherhabene  Michael,  der  Gewalt 
hat  über  dieses  Volk  und  dasfelbe  regiert.  Denn  er  ist 
es,  der  das  Gesetz  in  die  Herzen  der  Gläubigen  legte.» ^) 

St.  Michael   ist   aber   auch   der   Seelenwäger.*)     Die 


^)  Hartmann  vom  Glauben  ed.  Massmann  515  u.  ff. 

^)  Daniel  im  Thesaurus  hymnologicus  gibt  solche  in  Bd.  I, 
104,  218,  220,  (die  letzten  zwei  auch  bei  Hagen,  carmina  medii 
■aevi  XLVI  und  XLV,  vergl.  auch  Ph.  Wackernagel,  das  deutsche 
Kirchenlied  p.  278)  und  Bd.  II,  86.  Ferner  Mone,  lateinische  Hymnen 
des  M.  A.  Nro.  313 — 320;  G.  Morel,  die  lat.  Hymnen  des  M.  A.  p.  71. 
Die  Hymnen  im  kirchlichen  Officium  werden  dem  Hrabanus  Maurus 
zugeschrieben. 

^)  Hefele,  Patrum  apostolicorum  opera.  Hermas  Pastor  Hb.  III, 
sim.  VIII,  cap.  3  (p.  204)  und  Mayer,  die  Schriften  der  apostol. 
Väter  p.  359  u.  ff. 

*)  Grimm,  deutsche  Myth.  819. 


LXI 

Vorstellung  von  der  Seelenwage  hat  man  schon  bei  den 
alten  Aegyptern,  bei  den  Griechen,  im  Koran  wie  in  der 
Bibel  nachgewiesen.  ^)  Auch  Karl  des  Großen  Seele  wird 
gewogen,  da  werden  ihr,  als  sie  in  Noth  geräth,  die 
Steine  der  Kirchen,  die  jener  erbaut  hat,  zugelegt ;  in  der 
Legenda  aurea  Nro.  114  berührt  Maria  mit  ihrer  Hand 
die  leichtere  Schale  und  der  Teufel  bemüht  sich  umsonst, 
die  steigende  herunterzuziehen.^)  AehnUches  wird  von 
Kaiser  Heinrich  11.  erzählt.  Nur  fungirt  hier  an  der  Stelle 
des  Erzengels  St.  Laurenzius.^)  Bildlich  dargestellt  mit 
Bezug  auf  die  Stretlinger  Sage  (p.  70)  ist  dieser  Vorgang 
auf  einer  alten  Fensterscheibe  der  Kirche  zu  Lauterbrunnen, 
ebenso  in  einer  Statue,  aus  Einigen  stammend,  jetzt  in 
einer  Mauerwand  des  Schul-  und  Waisenhauses  zu  Thun 
angebracht.  Ferner  findet  sich  Michael  der  Seelenwäger 
auf  einer  Glasfeheibe  von  1553  aus  Beromünster  im 
Kirchenschatze  des  St.  Ursusftiftes  in  Solothurn;  als  Statue 
im  Kloster  St.  Joseph  daselbst,  über  dem  Portal  des 
Berner  Münsters*);  im  Freskensaale  des  Klosters  Stein 
am  Rhein;  im  Gemeindewappen  von  Oberdorf  bei  Solo- 


^)  Die  Seelenwage  wird  schon  bei  dem  hl.  Basilius,  Erzbischof 
von  Caesarea  (f  379)  und  bei  andern  Kirchenvätern  erwähnt. 

^)  G.  Zappert,  vita  beati  Petri  Acotanti  (1839)  p.  89.  —  In 
einer  Legende  bei  v.  d.  Hagen,  Gesammtabenteuer,  Nro.  LXXXII 
und  Pfeiffer,  Marienlegenden  XIX,  legt  ebenfalls  die  hl.  Jungfrau 
die  Hand  über  die  leichtere  Schale,  auf  der  eines  armen  Sünders 
gute  Werke  gewogen  werden,  und  hält  den  Teufeln  Gegengewicht, 
die  sich  an  die  andere  Schale  gehängt  haben. 

^)  Grimm,  deutsche  Sagen  (2.  Aufl.)  Nr.  485;  dargestellt  auf 
einem  kleinen  Emailbilde  am  Fuße  einer  gothischen  Reliquien- 
monstranz des  XIV.  Jahrhunderts.  Vergl.  C.  Burckhardt,  der  Kirchen- 
schätz  des  Münsters  in  Basel  (1868)  p.   5  und  Tafel  II. 

*)  Stanz,  Münsterbuch  p.  196  u.  ff. 


LXII 

thurn  etc.^)     Im  Namenbuch   des  Konrad  von  Dankrots- 
heim heißt  es: 

«Sant  Michael  rihtet  ■uf  sfn  wöge 

und  henket  sich  der  fölant  dran, 

doch  schafft  er  nit,  der  schwar'^e  man.» 


^)  Ueber  ähnliche  Darstellungen  auf  einem  Basrelief  des  XII. 
Jahrhunderts  in  Mailand,  an  den  Domen  Nötre-Dame  in  Paris,  in 
Freiburg  und  Ferrara  vergl.  Zappert  a.  a.  O.  88;  auf  Portalreliefen 
von  Poitiers  und  Freiburg  i.  U.  Starks  Städtelebei?  p.  236  und  Alter- 
thümer  der  Schweiz  Tom.  IX;  Göring,  Geschichte  der  Malerei  I, 
263  u.  ff.  (Hans  Memlings  Danziger  Weltgericht).  Ueber  Michaels- 
kirchen vergl.  Kreuser,  der  christliche  Kirchenbau  II,  118 — 121. 


VOM  HERKOMMEN  DER  SCHWYZER 
UND  OBERHASLER. 


Vor  einigen  Jahren  veröffentliciite  Dr.  Hugo  Hunger- 
bühler  eine  wieder  aufgefundene  Schrift  des  XV. 
Jahrhunderts  «Vom  Herkommen  der  Scliwyzer))/)  einen 
merkwürdigen  ethnographischen  Tractat,  in  welchem  die 
Abstammung  der  Schwyzer  und  Hasler  auf  die  Nord- 
germanen zurückgeführt  wird,  und  den  wir  im  Anhang 
nach  der  ältesten  Handschrift  mittheilen.  «Zu  den  Zeiten 
des  Königs  Gisbertus  aus  Schweden  —  so  wird  hier  er- 
zählt —  und  des  Grafen  Christoffel  von  Ostfriesenland 
entstund  in  den  Städten  und  Ländern  derselben  eine  solche 
Hungersnoth,  daß,  wie  das  Loos  es  wollte,  der  zehnte 
Theil  des  Volkes  zur  Auswanderung  gezwungen  wurde. 
So   zogen    6000  Schweden    und  1200  Friesen  den  Rhein 


^)  In  den  St.  Galler  Mittheilungen  zur  vaterländischen  Ge- 
schichte. Neue  Folge.  4.  Heft.  1872.  —  Uebrigens  ist  lange  vor 
Hungerbühler  von  E.  v.  Rodt  im  VIII.  Bd.  des  Schweiz.  Geschicht- 
forschers 1830  p.  316  und  329  die  Berner  Handschrift  vom  Ur- 
sprung der  Thalbewohner  von  Hasli  (1534)  als  das  angeblich 
von  Fründ  verfaßte  «Herkommen»  erkannt  worden.  —  Unter  den 
Schwyzern  ist  die  Gesammtheit  der  Waldstätter,  die  vom  Pilatus 
bis  an  die  Alpen  reichen,  verstanden. 


LXIV 

hinauf.  Da  versuchten  die  fränkischen  Herzoge  Priamus  I 
und  Peter  von  Moos  ihnen  den  Weg  zu  versperren,  allein 
das  vertriebene  Volk  unter  der  Anführung  seiner  drei 
Hauptleute  Switzerus  und  Remus  aus  Schweden  und  j 
Wadislaus  aus  der  Stadt  Hasnis  erwehrte  sich  der  Feinde,  1| 
und  gelangte  endlich  in  ein  schönes  gebirgiges  Land  am 
Frackmund,  ^)  das  den  Herzogen  von  Oesterreich  gehörte. 
Hier  suchten  sich  die  Heimatlosen  Wohnstätten  «und 
meinten  sich  im  lieben  Vaterland  zu  finden.»  Von  einem 
Grafen  von  Habsburg  erhielten  sie  die  Erlaubniß,  das 
Land  anzubauen  und  zu  bewohnen.  Switzerus  und  sein 
Geselle  nahmen  das  Land  vom  Pilatus  bis  zu  dem  lam- 
partischen  Gebirg  ein,  während  Wadislaus  mit  den  Friesen 
das  Thal  jenseits  des  Brünig,  nahe  beim  Ursprung  der 
Aare  besetzten  und  es  nach  der  Friesenstadt  Hasnis  Hasli 
nannten.  Nun  begab  es  sich,  daß  der  Papst  Zosimus, 
verbunden  mit  den  beiden  Kaisern  Honorius  und  Theo- 
dosius  dem  Jüngern  und  unter  Mithilfe  des  Gothenkönigs 
Alarich  gegen  die  aufständischen  Römer  und  die  Heiden 
und  deren  Fürst  Eugenius  Krieg  zu  führen  hatten.  Da 
hörtet  der  hl.  Vater  und  die  Kaiser  von  dem  streitbaren 
Volke  jenseits  der  Alpen  und  schickten  ihre  Boten  an  die 
Schwyzer  und  Hasler  mit  großen  Versprechungen  um 
Zuzug  zu  werben.  Die  beiden  Völklein  gehorsamten  dem 
Papst  und  zogen  mit  ihren  wehrhaften  Leuten  vor  Rom 
zur  Belagerung  der  Stadt.  Die  Hasler  kamen  auf  die 
Lindbrücke  (pons  mollis)  zu  liegen,  die  Schwyzer  in  die 
Löwenvorstadt  (civitas  leonina),  also  daß  sie  den  Vorstreit 
hatten.  Sie  kämpften  gleich  Riesen  und  wilden  Löwen, 
gewannen  zwölf  fürstHche  Banner  und  eroberten  die  Stadt. 
Eugenius  mit  seinen  Heiden  und  eine  Menge  der  Römer 


^)  Fractus  mons  d.  i.  Pilatus. 


LXV 

wurden  erschlagen.  Hierauf  beschieden  Papst  und  Kaiser 
die  ritterHchen  Männer  von  Schwyz  und  Hasli  vor  sich, 
dankten  und  fragten,  was  sie  an  Sold  und  Gnaden  be- 
gehrten. Die  Schwyzer  baten  in  Ermanglung  eines  eigenen 
Feldzeichens  um  ein  rothes  Banner  und  um  die  Gunst,  in 
ihrem  Lande  als  Freie  ohne  jegliche  Beschwerde,  aller 
Zölle  und  Abgaben  ledig  und  keiner  weltlichen  Gewalt, 
als  dem  Kaiser  und  Papst  allein  unterthan,  wohnen  zu 
dürfen.  Diese  Anforderungen  wurden  mit  Briefen  be- 
stätigt; der  Papst  gab  den  Schwyzern  seinen  Segen,  Ab- 
laß aller  Sünden  und  reiche  Geschenke,  und  entließ  sie 
in  Freundschaft.  Als  aber  die  stolzen  Hasler  in  ihr  Banner 
den  kaiserlichen  Adler  mit  einem  Haupte,  gekrönt  mit 
des  heiligen  Reiches  Krone  und  darüber  ein  w-eißes  Kreuz 
verlangten,  da  erschracken  die  Kaiser.  Da  aber  das  schlichte 
Wort  eines  Fürsten  mehr  gilt,  als  der  Schwur  eines  Kauf- 
manns, w^ollten  die  Kaiser  ihr  Wort  nicht  brechen  und 
willigten  —  zw^ar  ungern  —  in  die  Bitte  ein,  gaben  Briefe 
und  der  Papst  verabschiedete  auch  die  Hasler  mit  Kleinodien 
und  seinem  väterlichen  Segen.» 

Der  Urheber  dieses  Tractates  behauptet,  nach  dem 
Lateinischen  übersetzt  zu  haben  und  nennt  zugleich  einige 
seiner  Quellen,  die,  wie  Hungerbühler  a.  a.  O.  p.  32  u.  ff. 
darthut,  in  solche  zerfallen,  die  jener  nur  dem  Namen 
nach  aufführt,  ohne  sie  wirklich  benutzt  zu  haben,  als 
Martinus  Polonus,  Plinius,  Alfonsus  von  Friesenland ;  und 
solche,  aus  denen  der  Autor  wirklich  geschöpft  hat,  wie 
der  liber  AugustaUs,  das  Werk  eines  Schülers  von  Petrarca, 
des  Benvenuto  Rambaldi.  Was  die  Quellenbenutzung  be- 
trifft, reducirt  sich  dieselbe  lediglich  darauf,  daß  der  Ver- 
fasser des  Herkommens  sich  über  die  Verhältnisse  des 
römischen  Reiches  zu  unterrichten  suchte. 

Vom  «Herkommen  der  Schwyzer»  sind  bis  jetzt  drei 


LXVI 

Handschriften  bekannt  geworden:  i)  Die  Münchner  Hand- 
schrift (M)  von  1497,  in  cod.  Mon.  951,  einem  Sammel- 
band, angelegt  von  Hartmann  Schedel,^)  eingetragen  auf 
Fol.  143  (alt  210)  u.  ff.  II  QuartbLitter.  Am  Schluß. 
((Finis  Anno  Domini  etc.  MCCCCLXXXXVII  in  Nilrem- 
berga.))  Unmittelbar  voraus  geht  7  ^'2  BIL  umfassend  eine 
lateinische  Uebersetzung  des  deutschen  Tractates,  die,  weit 
davon  entfernt  das  angebliche  lateinische  Original  zu  sein, 
vielmehr  von  Schedel  selbst  wahrscheinlich  zu  besserem 
Verstcändniß  für  sich  und  Andere  veranstaltet  wurde.  In 
diesem  Sinne  ist  also  die  Ueberschrift  auf  p.  180  auf- 
zufassen. Die  Münchner  Handschrift,  ein  halbes  Jahr- 
hundert älter  als  die  von  Hungerbühler  abgedruckte  Genfer, 
gewährt  entschieden  den  alterthümlichsten  Text  und  nähert 
sich  dem  Original  am  meisten.  Auch  in  Bezug  auf  die 
Eigennamen  gibt  sie  in  einigen  Fällen  die  einzig  richtigen. 
Hungerbühler  entschied  sich  für  die  Genfer  Handschrift, 
weil  der  Münchner  Vor-  und  Nachwort  fehlen  sollen. 
Allerdings  ist  hier  die  Einleitung  übergangen  und  zwar  deß- 
halb,  weil  dieselbe  ein  rein  locales  Gepräge  hat  und,  wie 
wir  sehen  werden,  je  nach  der  Heimat  des  Abschreibers 
modificirt  wurde,  überhaupt  zum  Verständniß  des  Ganzen 
nichts  beiträgt;  nicht  aber  fehh  in  Hs.  M  der  Schluß. 
Diese  Schedel'sche  Abschrift  ist  eine  ziemlich  flüchtige, 
einige  Lücken  derselben  mußten  aus  H.  ergänzt  werden. 
2)  Die  Berner  Handschrift  (H)  Yon  1^^^.  Pergament- 
handschrift  eingetragen  in  das  Landbuch  von  Oberhasli, 
deponirt  im  Landschaftsarchiv  in  Meiringen.  Am  Schluß 
des    Abschnitts:    «Folendeft    am    XV.    tag    Apr eilen    anno 


^)  Hartmann  Schedel,  der  bekannte  Nürnberger  Arzt  und  Hu- 
manist 1440 — 15 14.  Am  berühmtesten  ist  sein  Chronicon  mundi, 
übersetzt  von  G.  Alt  1493. 


LXVII 

MCCCCCXXX  vnnd  IUI  jar.  Hans  Holi^mami  Notarius.n 
H  liegt  mir  in  einer  Copie  aus  dem  Berner  Staatsarchiv 
vor.  Sie  ist  mit  Ausnahme  der  Einleitung  und  der  Schluß- 
capitel  mit  G  gleichlautend.  Das  Nachwort  fehlt.  Diese 
Handschrift,  stark  modernisirt,  ist  von  einem  eifrigen  Re- 
formirten  geschrieben,  da  sie  alles,  was  irgendwie  katho- 
lische Anschauungsweise  ist,  sorgfältig  vermeidet,  dem 
Papst  z.  B.  beharrUch  das  Attribut  eines  hl.  Vaters  versagt. 

3)  Die  Genfer  Handschrift  (G)  von  1546,  aus  Schwyz 
stammend,  jetzt  im  Besitze  von  Prof.  Galiffe  in  Genf,  ist 
wohl  die  Copie  einer  Handschrift  des  XV.  Jahrhunderts, 
allein  mit  vielfachen  Entstellungen,  namentlich  der  Eigen- 
namen. 

Nach  den  letztern  zu  urtheilen,  die  bei  Nauclerus 
und  Tschudi  von  den  vorhandenen  Ueberlieferungen  ab- 
weichen, müssen  diesen  beiden  Chronisten  andere  Hand- 
schriften vorgelegen  sein.  Es  kann  kein  Zweifel  darüber 
herrschen,  daß  einer  kritischen  Ausgabe  des  Herkommens 
die  Hs.  M  zu  Grunde  zu  legen  ist  mit  Herbeiziehung 
der  beiden  andern  Recensionen,  namentlich  von  G. 

Wir  gehen  zu  der  wichtigen  Frage  nach  dem  Ver- 
fasser des  Tractates  über.  Aegidius  Tschudi  in  seiner 
um  J570  geschriebenen  Gallia  comata  p.  113  meldet: 
<(Von  irem  (der  Schwyzer)  Ursprung  und  harkommen  us 
Schwedien  hat  einer,  Johaitnes  Friind  genannt,  anno  dorn. 
1440  ein  hiichli  voller  irrthum  und  er  dichter  fabeln  us  sineni 
eignen  köpf  on  allen  grund  usgon  laßen  . . .  also  daß  etlich, 
Joannes  Nauclerus  und  ander,  wider  des  gemelten  Joh. 
Fründen  fahelgedicht  geschriben  und  sine  offenbare  irrthumb 
nieniklichen  vor  ougen  gestellt.»  Aus  den  w^eiter  folgenden 
zum  Theil  oft  wörtlich  entlehnten  Auszügen  Tschudi's 
geht  aufs  Klarste  hervor,  daß  er  keine  andere  Schrift  als 
das  Herkommen  im  Auge  haben  kann.     Gestützt  auf  die 


LXVIII 

Autorität  Tschudi's  wird  Johannes  Fründ^)  als  Verfasser 
des  Herkommens  angenommen.  Hungerbühler,  «treu  dem 
skeptischen  Maßftab,  den  wir  in  geschichtlichen  Dingen 
anlegen,))  sucht  allerdings  noch  durch  andere  Gründe 
Fründs  Autorschaft  festzustellen;  so  ist  ihm  die  in  der 
Hs.  G  vorausgestellte  Invocation  des  hl.  Martinus,  des 
schwyzeri sehen  Landespatrons,  ein  Zeugniß  dafür,  daß  der 
Urheber  des  Schriftstückes  ein  Schwyzer  oder  ein  den 
Schwyzern  nahe  Stehender  gewesen  sein  muß;  er  will 
ferner  das  Herkommen  als  politische  Tendenzschrift  in 
Beziehung  zu  dem  alten  Zürichkrieg  setzen,  und  endUch 
meint  er  in  «Sprache,  Stil  und  Schreibart))  des  Tractats 
eine  wesentliche  Verwandtschaft  mit  Fründs  Chronik  con- 
statiren  zu  können.  Die  Beweiskraft  dieser  drei  Momente 
ist  genau  besehen  eine  schwache:  die  Anrufung  St.  Mar- 
tins st€ht  nur  in  Hs.  G  und  ist  offenbar  ein  Zusatz  des 
schwyzerischen  Abschreibers  zu  dem  ursprünglichem  Ein- 
gang in  Hs.  H,^)  die  das  Werk  der  edlen  Stadt  Bern, 
in  deren  Gebiet  Hasli  gelegen  ist,  widmet.  Uebrigens 
beweist  der  Ingreß  nicht  allzuviel  und  jene  Invocation 
erklärt   sich   ganz   natürlich,   da  der  Verfasser  namentUch 


^)  Johannes  Fründ,  geb.  in  Luzern  zu  Anfang  des  XV.  Jahr- 
hunderts, wurde  1429  Unterschreiber  in  Luzern,  1437  Landschreiber 
des  Standes  Schwyz;  in  dieser  Stellung  blieb  er  bis  1453  und  ver- 
trat während  dieser  Zeit  Schwyz  vielfach  auf  Tagsatzungen.  1457 
erhielt  er  die  Gerichtsfchreiberstelle  in  Luzern  und  starb  daselbst 
vor  1469.  Fründ  ist  der  bekannte  Autor  der  Chronik  über  den 
alten  Zürichkrieg,  von  1436 — 1446  reichend,  eines  Werkes,  das  früher 
fälschlich  andern  zugeschrieben  wurde.  Ausg.  von  Kind  1875,  der 
geneigt  ist,  das  Herkommen  als  eine  Art  heroische  Einleitung  zu 
der  Chronik  anzunehmen. 

*)  Zudem  ließe  sich  Hungerbühler  entgegenhalten,  daß  dem 
hl.  Martinus  auch  ein  Altar  der  Kirche  zu  Münsingen,  wo  E.  Ki- 
burger  Kaplan  gewesen,  geweiht  war. 


LXIX 

auch  die  Anfänge  des  Landes  Schwyz  behandeln  will; 
dazu  braucht  er  weder  selbst  Schwyzer  noch  deren  Diener 
zu  sein.  Die  beiden  übrigen  Gründe,  mit  denen  Hunger- 
bühler  seine  Hypothese  stützen  will,  sollen  nachher  zurück- 
gewiesen werden.  Fründ  ist  unmögUch  der  Autor  des 
Herkommens.  Unmöglich  kann  ein  und  derselbe  Schrift- 
steller zwei  so  grundverschiedene  Werke  wie  die  Chronik 
über  den  Zürichkrieg  und  das  Herkommen  geschrieben 
haben,  von  denen  das  eine  urkundliche  Genauigkeit  ver- 
räth,  das  andere  Erfindung  auf  Erfindung  häuft.  Die 
ganze  Anlage  des  Tractates  weist  auch  darauf  hin,  daß 
hier  das  Machwerk  eines  Clerikers  vorUegt. 

«Wer  ist  denn  dieser  seltsame  Meister?»  Bei  der 
Feststellung  des  Autors  stützen  wir  uns  zunächst  auf 
das  gewichtige  Zeugniß  des  schwäbischen  Chronisten 
Nauclerus,  der  fast  ein  Jahrhundert  vor  Tschudi  sein 
Chronicon  universale  ab  O.  C.  —  1500  geschrieben 
hat.^)  Dieser  unterw^irft  die  Sage  von  der  schwedischen 
Abstammung  der  Schwyzer  einer  herben  Kritik  (T.  II, 
363  u.  ff".)  und  schließt  seine  Auszüge  aus  dem  Her- 
kommen mit  den  Worten:  «Haec  et  midto  phira  refert 
quidam  Eulogius,  se  in  eadem  chronica  inveinsse  Plinium 
atqne  Francis  cum  Petrarcham  al  leg  ans,  quce  hrevitatis  causa 
omitto ;  relatu  enini  digna  non  sunt,  cum  colorem  veritatis 
non  habeant.))  Hungerbühler  (p.  53)  gibt  hiezu  folgende 
Auslegung:  «daß  Nauclerus  die  Verfasserschaft  einem 
Eulogius  quidam  zuschreibt,  kann  das  Tschudi'sche  Zeug- 
niß im  Allgemeinen  nicht  schwächen.  Eulogius,  dessen 
Nauclerus  als  Verfasser  erwähnt,  wird  von  dem  Chronisten 
entschieden  nicht  als  nomen  proprium,   sondern   als  Gat- 


^)  Jflh.    Nauclerus    (eigentlich   Job.   Vergen,    mich    Vergenlians 
genannt),  Kanzler  der  Universität  Tübingen,  f  15 10. 


LXX 

tungsname  gebraucht.  Er  wollte  damit,  wie  übrigens  schon 
das  griechische  Wort  andeutet,  offenbar  jene  Klasse  von 
Leuten  bezeichnen,  welche  wir  Schönschwätzer,  Lobredner 
und  die  Franzosen  beaux  parleurs  heißen.  Ein  nach  der 
Gewohnheit  der  damaligen  Gelehrten  latinisirter  Geschlechts- 
name scheint  Eulogius  ebenfalls  nicht  zu  sein.»  Wohl  aber 
ein  Vorname!  antworten  wir,  denn  der  Verfasser  des 
«Herkommens  der  Schwyzer»  ist  kein  anderer, 
als  Eulogius  KiBURGER,  der  Autor  der  Stretlinger 
Chronik. 

Schon  Rilliet  in  seinem  epochemachenden  Werke 
«Les  origines  de  la  confederation  suisse»  (deutsche  Ausgabe 
von  Carl  Brunner  p.  342)  fragte  vorsichtig  an,  ob  Nau- 
clerus  in  der  angeführten  Stelle  vielleicht  unsern  Eulogius 
Kiburger  gemeint  hätte;  aus  einem  bloßen  Auszug  der 
Stretlinger  Chronik  vermochte  der  genannte  Gelehrte  die 
Frage  nicht  zu  entscheiden.  Es  ist  Moritz  von  Stürlers 
Verdienst,  unabhängig  von  seinem  Vorgänger  neulich 
dieselbe  Vermuthung  zuerst  in  bestimmterer  Gestalt  aus- 
gesprochen zu  haben.  ^)  Diese  sei  hier  zur  unumstößlichen 
Thatsache  erhoben.  Abgesehen  davon,  daß  das  Zeugniß- 
des  Nauclerus  von  entscheidender  Wichtigkeit  ist,  sprechen 
innere  und  äußere  Gründe  für  die  Autorschaft  Kiburgers. 
Jedem,  der  das  Herkommen  mit  der  Stretlinger  Chronik 
vergleicht,  fällt  sofort  die  Aehnlichkeit  der  fabelhaften 
Anlage  beider  Werke  auf,  das  Bestreben,  gegen  jede  hi- 
storische Berechtigung  dort  die  Abstammung  eines  ganzen 
Volkes  in  entlegener  Ferne  zu  suchen,  hier  den  Ursprung 
eines  einzelnen  Geschlechtes  auf  einen  römischen  König 
hinaufzuführen;    dort    den    Anfang    der    schweizerischen 


^)  Anzeiger  für  schweizerische  Geschichte.    VII.  Jahrg.  (Neue 
Folge)  p.  239—241. 


LXXI 

Freiheit  ins  vierte  Jahrhundert  anzusetzen,  hier  mit  noch 
größerer  Kühnheit  den  ersten  Stretlinger  schon  im  zweiten 
Jahrhundert  auftreten  zu  lassen.  Beide  Male  wird  an  das 
römische  Reich  angeknüpft:  im  Herkommen  ziehen  die 
Schwyzer  den  römischen  Kaisern  zu  Hilfe,  in  der  Stret- 
linger Chronik  wandelt  der  erste  dieses  Geschlechtes  gar 
als  römischer  Könior  selbst  auf  Erden.  Wie  es  dort  der 
hl.  Vater  der  Papst  ist,  der  seinen  Getreuen  jene  Privi- 
legien gewährt,  überhäuft  hier  unzählig  oft  der  hl.  Vater 
der  Papst  die  Stretlinger  mit  seiner  Gnade.  Ueberall 
dieselbe  Tendenz:  zur  größern  Ehre  eines  Geschlechtes 
und  eines  ganzen  Volksftammes  eine  Wundergeschichte 
zu  schaffen !  Auf  demselben  unsichern  Boden,  auf  einer 
aus  Namen  und  fremden  Sagen  erdichteten  Geschichte 
ohne  historische  Bedeutung  fußen  beide  Werke;  hier  wie 
dort  sollen  fremde  Sagen  der  vaterländischen  Geschichte 
als  neue  blühende  Reiser  aufgepfropft  werden.  Ebenso 
gibt  der  Autor  jedesmal  vor,  aus  dem  Lateinischen  zu 
übersetzen  und  die  Art  dieser  Uebertra2:uni^  ist  in  beiden 
Fällen  die  nämliche,  d.  h.  eine  lateinische  Quelle  liegt 
nur  sehr  sporadisch  zu  Grunde;  in  beiden  Machwerken 
beruft  man  sich  auf  Quellen,  die  man  einer  erhöhten 
Glaubwürdigkeit  halber  benutzt  zu  haben  vorgibt:  im 
Herkommen  nennt  man  z.  B.  die  Chronica  Martiniana, 
die  zwar  nicht  hier,  wohl  aber  in  der  Stretlinger  Chronik 
gebraucht  worden  ist.  —  Endlich  vergleiche  man  Aus- 
drucksweise, Stil  und  Wortformen  der  beiden  Schriften 
und  halte  sie  denjenigen  entgegen,  mit  welchen  Hunger- 
bühler  die  Fründ-Hypothese  weiter  zu  begründen  sucht.  ^) 


^)  Hunge/bühier  p.  70  meint  durch  Fo'gendes  den  Beweis  ge- 
führt zu  haben:  «Als  dem  Hans  Fründ  schon  mehr  eigenthümHch 
führe  ich  an:  die  in  beiden  Weri<en  angewandten  doppelten  Nega- 
tionen, die  zwei-  und  dreigliedrigen  tautologischen  Redensarten  wie: 


LXXII 

Wann  wnrde  das  «Herkommen  der  Schwyzer»  ge- 
schrieben? Nach  Tschudi's  Vorgang  acceptirt  Hunger- 
bühler  das  Jahr  1440  und  bemerkt,  daß  die  Stellen  der 
Schrift,  in  welchen  von  dem  Herzogthum  Oesterreich  und 
dem  Grafen  von  Habsburg  die  Rede  ist,  es  außer  Zweifel 
setzen,  daß  dieselbe  jedenfalls  vor  Abschluß  des  Aachener 
Bündnißes  1442  verfaßt  wurde.  Es  liegt  nun  absolut  kein 
zwingender  Grund  vor,  den  Tractat  in  diese  Zeit  zu  setzen. 
Tschudi's  Jahrzahl  entscheidet  nicht.  Unser  großer  Ge- 
schichtsfchreiber  ist  schon  mehrmals  auf  dem  Schleichw^ege 
willkürlicher  Datenerfindung  ertappt  worden,  so  für  den 
ersten  Bund  der  Waldstätte  angebHch  von  1206,  für  Struth 
Winkelrieds  Drachenkampf  1250,  für  die  Erhebung  der 
Länder  gegen  die  Vögte  1305 — 1308  u.  s.  w.  Weil 
Fründ  vor  1468  gestorben  und  das  Herkommen  bisher 
als  eine  Provocationsfchrift,  die  Felix  Hemmerlin  zwischen 
1448 — 1450  abfertigte,  aufgefaßt  wurde,  mußte  das  obige 
Datum    angesetzt    werden.      Tschudi    gegenüber    meldet 


erholt,  enpfangen  und  verdient,  beruft  und  beschickt,  gemant  und 
erfordert;  endlich  die  Umschreibung  des  Imperfects,  z.  B. :  wurdent 
sie  sich  bestäten!»  —  Ich  mache  nur  auf  Einiges  aufmerksam,  das 
Kiburger  eigenthümlich  ist  und  sich  nicht  allgemein  nach  zeitge- 
nössischem Gebrauch  wiederfindet,  übergehe  z.  B.  die  Umschreibung 
des  Imperfects  durch  das  Hilfsverb  mit  dem  Infinitiv,  die  fast  durch- 
wegs herrschende  Uebung,  Collectiva  wie  volk  mit  dem  Prädikat 
im  Plural  zu  verbinden.  Gleich  der  Anfang  des  Herkommens  fällt 
aui\  H:  In  dem  namen  der  hohen  helgen  und  unzerteilten  dri- 
valtigkeit  gott  des  vaters  . .  .  so  hab  ich  für  mich  genommen  und 
etwas  müt  hie  nach  ze  schriben  ...  zu  eren  der  edlen  statt  Bern  etc. 
Eingang  von  Kiburgers  Regimen  pestilenciale  (siehe  oben  p.  XXXV) : 
In  namen  des  erbarmherzigen  gottes  des  vatters . . .  ich  han  mut  zu 
schriben  in  ere  und  nutz  dem  alten  . . .  gesiecht  von  Bübenberg  etc. 
Kiburger  eigen  erscheinen  folgende  Wendungen :  an  die  Cander  des 
waßers  Chron.  37,  5;  an  den  Rin  des  waßers  Herk.  182,  29  —  dar- 
nach in  vergangnen  ziten  Chr.   18,12,  130,10;  Hk.   185,28    —   und 


LXXIII 

Stumpfs  Chronik  Buch  IV,  cap.  9 :  «Es  habend  etliche 
geschieht  Schreiber  (ungf aarlich  auf  74  jar  hievor  bei  heiser 
Fridrichs  des  III.  :(^eiten  lebende)  in  beschreibiing  des  Ur- 
sprungs der  Schwyter  nit  ivenig  gefeit,  indem  daß  si  fur- 
gebend,  daß  sich  die  Schwyter  in  des  haus  Oestereichs  landen 
nidergelaßen  und  geset::^t  habind,  so  doch  näher  dann  in  ]00 
jaren  die  fi'irsten  von  Oesterreich  in  disen  Helvetischen  landen 
kein  eigenschaft  gehebt  bis  auf  die  ^eit  kiinigs  Rildolphs,  als 
er  das  fürstenthümb  Oesterreich  an  das  haus  Habspurg  er- 
oberet, und  seine  nachhoninen  ^l  neüwen  her7;vgen  ;^7?  Oester- 
reich geniachet  hat;  do  aber  der  Sclnuyter  herkommen  vil 
älter  und  löblicher,  ouch  ir  land  darvor  lang  :(tim  Römischen 
reich  dienstlich  und  dem  verwandt  gewesen  ist,  wie  hernach 
im  VI.  Inich  mer  gesagt  wird.  Etliche  :(iehend  in  iren 
chronicken  an  Plininm,  einen  poeten,  der  die  obgeset:(ten  ding 
beschriben  solle  haben:  von  welchem  Plinio  oder  seinen 
büechern  doch  die  gelerten  nichts  zuüßend.  Etliche  andere 
allegierend    Franciscum    Petrarcham    und    sein    chronicken. 


darnach  in  vergangnen  ziten  schied  er  von  diser  zit  Chr.  29,  19, 
1 58,  29 :  und  waren  in  dem  selben  zit  von  diser  zit  scheiden  Hk. 
187,9  —  zit  kommt  hier  öfter  als  sonst  ungebräuchliches  Mascu-' 
linuni  vor,  Chr.  94,9;  Hk.  180,22,  184,9  —  daß  inen  mocht  ver- 
folgen gnad  und  ablaß  aller  irm  sünden  Hk.  189,6,  195,18;  Chr. 
115,9  sölt  vervolgen  und  werden  der  sibent  teil  aplaß  aller  iren 
Sünden,  ebenso  146,  25  —  kein  für  dehein,  ullus,  findet  sich  in 
dieser  späten  Zeit  nicht  mehr  häufig,  Chr.  132,  4,  138,23 ;  Hk.  182,  3  — 
bitt  und  anmütung  an  den  heiligen  vater  den  bapst  Hk.  195,23; 
Chr.  58,13,  129,4,  145,21,  166,14  —  gesichtig  und  ungesichtig 
hat  sonst  die  Bedeutung  sichtbar  und  unsichtbar,  hier  Chr.  113,17 
und  Hk.  197,15  ansehbar  und  unansehbar  —  harumb  Chr.  11,10, 
145,  29;  Hk.  181,25;  —  fürwerthin  Chr.  61,  20;  Hk.  195,  3  — 
cristenen  menschen  Hk.  186,  1 ;  dazu  das  häufige  cristenen  mönschen 
der  Chr.  57,  20,  62,  32  etc.  —  zucht  und  ere  erbieten  Chr.  17,  1  — 
auch  Hk.  (Hs.  G)  —  tretfcnlichen  boten  Chr.  51,1;  treflfenlich 
botschaft  Hk.   r88,  9  etc. 


LXXIV 

Augustalis  genennt,  welche  ich  nie  gesehen  hab ;  dar:(u  ist 
er  gar  nit  alt,  hat  nit  vor  langer  ^eit  noch  gelebt:  darumb 
auch  Joh.  Nauclerus  in  seiner  chronicken  generatione  44, 
söliche  stenipeneien  verwirft  etc.»  Aus  diesem  und  dem 
27.  cap.  des  VI.  Buchs  geht  deutlich  hervor,  daß  Stumpf 
auf  Kiburger's  Herkommen  hinzielt.  Stumpf  aber  schrieb 
sein  Werk  vor  1548:  darnach  bekämen  wir  für  das  Her- 
kommen in  runder  Zahl  das  Jahr  1470.  Neben  Kiburgers 
Tractat  hat  Stumpf  noch  andere  Aufzeichnungen  über 
denselben  Gegenstand  im  Auge.  Das  Herkommen  erhielt 
nämlich  kurz  nach  seiner  Entstehung  weitere  Ausfchmück- 
ungen,  einmal  durch  Johann  Püntiner,  der  1467  Urner 
Landammann  gewesen  und  gestützt  auf  Kiburser  ein 
Machw^erk  verfaßte,  das  1799  beim  Brande  von  Altdorf 
untergegangen  sein  soll,  aber  von  Schriftstellern  des  XVL 
(Mutius,  Stumpf)  und  XVIII.  Jahrhunderts  (Schmid,  Gesch. 
des  Freistaates  üri)  wirklich  erwähnt  wird.^)  Püntiners 
Chronik  ließ  die  Schwyzer  gegen  die  Rom  bedrohenden 
Sarazenen  ziehen  und  an  den  Kämpfen  treiben  die  Hunnen 
und  Vandalen  Theil  nehmen.  Daneben  muß  Stumpf  noch 
Kenntniß  einer  dritten  Schrift  ähnlichen  Inhalts  gehabt 
haben,  die  er  als  die  «gemeine  Schwyterchronik»  bezeichnet. 
Dieselbe  basirt  wiederum  auf  Kiburger,  erzählt  die  nor- 
dische Einwanderung,  nennt  aber  bereits  vier  Hauptleute : 
Schwyter  und  Scheyg  für  Schwyz,  Rumo  für  ünterwalden 
und  Resti  für  Hasli.  Von  den  Urnern  ist  nicht  die  Rede. 
Schwyter  erschlug  seinen  Bruder  im  Zweikampf,  ein  neu 
herzu  tretendes  Motiv,   wozu   wohl   der  Remus  des  Her- 


^)  Vergl.  Rilliet-ßrunner  p.  206  u.  ff.,  wo  noch  mit  Burckhardt 
im  Archiv  für  Schweiz.  Gesch.  IV,  72  irriger  Weise  statt  1474  das 
Jahr  14 14  als  Entstehungszeit  der  Püntiner'schen  Chronik  ange- 
nommen ist.  Dagegen  P.  Vaucher  im  Anzeiger  für  Schweiz.  Gesch. 
1870  p.  24,  60;  Bernoulh  im  Jahrbuch  für  Schw^eiz.  Gesch.  I,  86  u.  f. 


LXXV 

kommens  Anstoß  gegeben  hat  und  wodurch  eine  An- 
lehnung an  die  römische  Stadtsage  gewonnen  ist. 

Daß  das  Herkommen  1440  noch  nicht  geschrieben 
war,  beweist  auch  die  Thatsache,  daß  Landammann  und 
Rath  von  Schwyz  in  ihrem  1443  an  Bürgermeister  und 
Rath  von  Uhu  erlassenen  Memorial,  ^)  das  den  Schmähungen 
auf  die  Schwyzer  während  des  alten  Zürcherkriegs  durch  die 
Darstellung  des  ruhmvollen  Ursprungs  und  der  Thaten  der- 
selben entgegen  wirken  sollte,  nichts  von  einer  schwedischen 
Abstammung  weiß,  sondern  lediglich  die  Züge  der  Schwyzer 
nach  Rom  und  Bisantz  (Besancon)  hervorhebt. 

Bevor  die  Frage  nach  der  Abfassuno;szeit  des  Her- 
kommens  annähernd  entschieden  werden  kann,  bedarf  ein 
weiterer  Punkt  einer  kurzen  Untersuchung.  Es  handelt 
sich  um  die  Frage,  ob  das  berühmte  Pamphlet  des  Felix 
Hemmerlin:  De  nobilitate  et  rusticitate  wirklich,  wie  unsre 
Forscher  übereinstimmend  annehmen, 2)  als  eine  Antwort 
auf  das  Herkommen  der  Schwyzer  anzusehen  ist.  Man 
hat  diese  bedeutendste  Schrift  Hemmerlins,  ^)  des  leiden- 
schaftlichen österreichischen  Parteigängers  aus  der  Zeit  des 
alten  Zürichkriegs,  zu  wenig  in  Verbindung  mit  den  Lebens- 
schicksalen des  merkwürdigen  Mannes  betrachtet;  während 
sie,  innig  mit  den  Privatverhältnissen  desfelben  verflochten, 
nichts  anderes  als  ein  poUtisches  Glaubensbekenntniß,  ein 


^)  Tschudi's  Chron.  Helv.  II,  365. 

^)  Burckhardt  «Untersuchungen  über  die  erste  Bevölkerung  des 
Alpengebirgs»  im  Archiv  für  Schweiz.  Gesch.  IV,  81;  W.  Vischer, 
die  Sage  von  der  Befreiung  der  Waldstädte  1867,  p.  29  u.  ff.;  Rilliet- 
Brunner  p.  210;  Hungerbühler  a.  a.  O.  p.  72  und  neuHch  Jahrbuch 
für  Schweiz.  Gesch.  I,  88. 

^)  Balthasar  Reber,  Felix  Hemmerlin  1846,  und  die  durch  ihre 
gründliche  Quellenforschung  ausgezeichnete  Biographie  von  F.  Fiala 
im  Urkundio  I,  281—760.     Solothurn   1857. 


LXXVI 

Ausfluß  der  damaligen  zürcherisch-österreichischen  Politik 
und  ein  Act  der  Dankbarkeit  für  die  Bemühungen  des 
Adels  um  den  Zürcher  Cantor  ist.  Bekanntlich  standen 
sich  während  des  alten  Zürichkrieges  zwei  Parteien  in 
Zürich  gegenüber,  eine  eidgenössische  und  eine  öster- 
reichische; diese  brachte  es  dahin,  daß  im  Jahr  1442  ein 
ewiges  Bündniß  mit  Oesterreich  geschlossen  wurde.  Nach 
der  Schlacht  an  der  Sihl  erfolgte  eine  fast  unbedingte 
Hingabe  Zürichs  an  Oesterreich.  Der  Propst  Nithart  in 
Zürich,  Hemmerlins  erbitterter  Feind,  hielt  es  mit  den 
Eidgenossen,  während  Hemmerlin  mit  der  aristokratischen 
Partei  seiner  Heimat  einig  gieng.  Durch  die  Ränke  des 
Gegners  hatte  dieser  kurz  vorher  sein  Vermögen  und 
damit  einen  Theil  seines  Ansehens  eingebüßt.  Als  nun 
aber  das  Glück  den  Zürchern  günstiger  wurde,  stieg  auch 
Hemmerlin  und  zw^ar  durch  die  Vermittlung  des  öster- 
reichischen Adels.  König  Friedrich  III.  verwendete  sich 
für  den  ungerecht  Verurtheilten,  Markgraf  Wilhelm  von 
Hochberg  und  Herzog  Albrecht  von  Oesterreich,  des  Königs 
Bruder,  förderten  auf  nachdrückUche  Weise  dessen  Autorität 
im  Stift.  Wenn  also  Hemmerlin  namentlich  auf  Unkosten 
des  von  ihm  so  gründlich  verachteten  eidgenössischen 
Bürger-  und  Bauernstandes  den  österreichischen  Adel  ver- 
herrlicht, ist  das  zunächt  Ausdruck  seines  Dankgefühls. 
Hemmerlin  ist  ferner  über  die  unmenschliche  Kriegsführung 
der  Schwyzer  aufs  heftigste  empört  und  brandmarkt  hier 
die  grausamen  Thaten  der  Feinde.  Endlich  ist  sein  Buch 
vom  Adel  eine  Staatsfchrift,  die  den  sinkenden  Kriegsmuth 
der  Zürcher  neu  beleben  sollte.  Damit  war  es  freilich  zu 
spät,  denn  schon  im  Juli  1450  trat  Zürich  wieder  in  den 
eidgenössischen  Bund  ein.  Dennoch  veröffentlichte  der 
rücksichtslose  Mann  nach  erfolgtem  Friedensfpruch  seine 
Schrift   (die  Briefe  Karls  d.  Gr.   an  Friedrich  III.   im   an- 


LXXVII 

gehängten  processus  judiciarius  datiren  vom  i.  Aug.  1450). 
Aber  sein  Beschützer,  Oesterreichs  Ade),  war  machtlos 
geworden  und  Hemmerlin  fiel  der  Rache  der  Eidgenossen 
anheim,  die  ihn  mit  Hilfe  des  beleidigten  Clerus  seine 
Schuld  in  Kerkern  und  hinter  Klostermauern  gründlich 
abbüßen  ließen. 

Die  nur  in  einer  einzigen  Ausgabe  vorhandene  Schrift 
Hemmerlins,  de  nobilitate  et  rasticitate  (o.  O.  u.  J.),  in 
den  Jahren  1448 — 50  entstanden,^)  ist  in  das  Gewand 
emes  Dialoges  von  oft  dramatischer  Lebendigkeit  gekleidet. 
Der  Prolog  legt  das  Werk  Herzog  Albrecht  von  Oester- 
reich  und  dem  Adel  zu  Füßen.  Ein  Nobilis  verirrt  sich 
im  Walde  und  trifft  auf  den  Rusticus,  der  ihn  weisen  soll. 
Streitgespräch  über  den  Standesunterschied.  Der  Bauer 
rühmt  sich  seiner  Abstammung  von  Adam,  dem  ersten 
Landwirth,  worauf  der  Edelmann  seinen  Standesursprung 
auf  die  Römer  zurückführt.  Rusticus  hält  diese  Abkunft 
für  schmählich  und  läßt  einzig  den  Seelenadel  gelten. 
Nobilis  setzt  ihm  die  Behauptung  entgegen,  daß  eben  der 
Tugendadel  sich  durch  Fortpflanzung  von  Geschlecht  zu  Ge- 
schlecht zum  Geburtsadel  ausgebildet  habe,  nachdem  Adam 
den  erstem  verloren;  er  beweist  dem  verblüfften  Bauer 
aus  der  Geschichte,  daß  aller  Gottesfegen  dem  Adel  zu- 
geflossen und  dieser  durch  die  Weltordnung  vom  Volk 
ausgeschieden  sei.  Von  den  verschiedenen  Abstufungen 
des  Adels;  von  den  Pflichten,  Ländern,  Wappen,  Kriegs- 
wesen desfelben.  In  dem  berühmten  vorletzten  cap.  33: 
De  gentibus  Ulis,  qid  Swit^er  sive  Switenses  diciintur  er- 
folgen nun  die  wüthenden  Auslassungen  des  Nobilis  gegen 


^)  Nach  Reber  a.  a.  O.,  der  ausführlich  über  diese  Schrift 
handelt  und  p.  197 — 276  Auszüge  gibt,  fiele  die  Abfassung  in  die 
Jahre  1444—50.  — 


LXXVIII 

die  Schwyzer,  die  eben  zu  diesen  Kriegszeiten  viel  von 
sich  reden  maciien.  Diese  Leute,  groß  von  Gestalt  und 
wild  von  Antlitz,  verrichten  die  niedrigsten  Dienste,  nennen 
sich  Kuhmelker  etc.  Ihrer  Abstammung  nach  sind  sie  ein 
Theil  jener  widerspenstigen  Sachsen,  die  einst  Karl  der 
Große  in  die  Verbannung  geschickt  hatte.  Solche  kamen 
auch  nach  Uri  (ad  vallem  Uraniae),  ins  Thal  Arth  (ad 
vallem  Artam),  Andere  an  den  St.  Bernhard  in's  Wallis 
und  mußten,  wenn  Karl  nach  Italien  zog,  die  Alpenpässe 
bewachen.  Das  thaten  sie  willig  und  sprachen:  «wir  wellen 
hie  switten»  und  des  Kaisers  Huld  erwerben;  daher  der 
Name  Schwyzer.  Der  Kaiser  schenkte  ihnen  ein  Banner 
von  rother  Farbe.  Ursprung  der  Eidgenossenschaft  durch 
Auflehnung  gegen  die  Habsburgisch-Oesterreichische  Herr- 
schaft. Ermordung  des  Vogtes  von  Lowerz  und  desjenigen 
von  Landenberg.  Gründung  der  acht  alten  Orte.  Schlacht 
bei  Sempach.  Aber  nicht  nur  gegen  den  Adel  haben  die 
Schwyzer  gefrevelt,  sondern  auch  gegen  die  Kirche.  Ihr  un- 
unrühmlicher Ueberfall  des  Klosters  Einsiedeln  1314.^)  Er- 
Zcählung  des  gegenwärtigen  Krieges  und  der  Grausamkeiten 
der  Schwyzer.  Verwüstung  der  Gotteshäuser  Rüti  und  Engel- 
berg. Mord  bei  Greifensee.  Schlacht  an  der  Sihl.  Betrug 
mit  den  rothen  Feldzeichen.  Mord  an  Rudolf  Stüssi  und 
schreckliche  Behandlung  der  Leiche.^)  Göttliches  Straf- 
gericht  bei   St.    Jacob   an   der   Birs,   vollzogen   durch  die 


^)  Der  Ueberfall  von  Einsiedeln  wird  von  Hemmerlin  nach 
dem  bekannten  Gedicht  des  Rudolf  von  Radegg  (herausgegeben  im 
Geschichtsfreund  1854  Bd.  X,  170  u.  ff.)  mit  wörtlicher  Anführung 
von  Stellen  aus  dem  latein.  Gedichte  dargestellt. 

^)  Vergl.  hiezu  die  interessante  Kundschaft,  1444  von  Propst 
Nithart  in  Zürich  über  die  Gräuelthaten  der  Schwyzer  aufgenommen. 
Anzeiger  für  Schweiz.  Gesch.  (N.  F.)  III.  Jahrg.  235  u.  ff.  Unter 
den  Zeugenausfagen  figurirt  auch  eine  solche  von  Hemmerlin. 


LXXIX 

Armagnaken.  Alte  Prophezeiungen  von  der  eingetretenen 
Züchtigung  Gottes.  Zürich  war  berechtigt,  aus  dem  Bund 
der  Eidgenossen  auszutreten.  Der  Rusticus  ist  durch  die 
Schilderung  des  entsetzlichen  Volkes  der  Schwyzer  ver- 
nichtet, anerkennt  die  Verderbtheit  seines  ganzen  Standes 
und  nimmt  reuig  Absciiied  vom  Nobilis.  In  dem  darauf 
folgenden  processus  judiciarius  wird  die  Schlacht  bei 
St.  Jacob  an  der  Birs  in  phantastischer  Weise  als  himm- 
lischer Racheact  weiter  geschildert.  ^) 

Der  Dialog  Hemmerlin's  und  speziell  der  Excurs  gegen 
die  Schwyzer  ist  eine  durch  den  alten  Zürichkrieg  hervor- 
gerufene Parteischrift  und  hat  mit  dem  «Herkommen  der 
Schwyzer»  nichts  zu  thun.  «Mit  den  Rittern  gegen  die 
Bauern»  war  Stüssi's  Loosungswort,  das  hier  dessen  zeit- 
genössischer Polemiker  aufgenommen  und  durchgeführt 
hat.  Darum  ist  auch  die  schwedische  Abstammungsfage 
mit  keinem  Wort  berührt,  der  Hasler  mit  keiner  Silbe 
gedacht.-)  Wäre  Hemmerlin  gegen  Kiburger  aufgetreten, 
hätte  er  gewiß  nicht  unterlassen,  den  historischen  Unsinn 


^)  Nidas  von  Wyle  aus  Bremgartcn,  der  nachmalige  Eßlinger 
Stadtschreiber  und  Kanzler  des  Herzogs  Ulrich  von  Würtemberg, 
Hemmerlins  Freund  (Niclas  v.  W.  war  Schulmeister  in  Zürich  ge- 
wesen), dem  wir  im  Eingang  zur  IX.  Translation  (Ausg.  von 
A.  V.  Keller  p.  157  u.  ff.)  —  es  ist  die  Uebersetzung  von  Hemmerlins 
contravalidosmendicantes  —  jene  schöne  Charakteristik  des  damals  (1464) 
bereits  gestorbenen  Malleolus  verdanken,  hat  auch  die  XIV.  Trans- 
lation «eine  köstliche  Rede  und  Widerrede  von  dem  Adel«  (1470), 
zum  Theil  dem  Tractate  de  nohilitate  entnommen;  ohne  jedoch  seine 
gefährliche  Quelle,  die  dem  abgeschiedenen  Freund  eine  Quelle 
großer  Leiden  gewesen,  zu  nennen.  So  und  nicht  anders  ist  auch 
die  Stelle  im  Vorwort  zur  IX.  Transl.  (p.  158)  zu  verstehen,  wo 
Niclas  Hemmerlins  Schriften  aufzählt  und  zuletzt  das  Buch  vom  Adel 
nennt  mit  der  Bemerkung:  «von  dem  selben  mir  sicherer  ist  ze 
gedenken,  danne  darvon  vil  ze  schriben». 

^)  Ich    habe    nicht    übersehen,    daß    in    cap.    33    Bl.    CXXIXa 


LXXX 

der  gegnerischen  Schrift  bloß  zu  legen.  Hiezu  kommt 
noch  ein  Umstand.  In  seinem  Verhör  vor  Gundolfinger 
zu  Constanz  1454  mußte  Hemmerlin  auch  über  den  Dialog 
Rede  stehen ;  er  rechtfertigte  sich  damit,  daß  er  die  Schrift 
diirante  proelio  verfaßt  habe.  ^)  Hier  hätte  er,  wenn  das 
Buch  vom  Adel  eine  Abfertigung  des  Kiburger'schen  Trac- 
tates  wäre,  gewiß  Gelegenheit  genommen,  eine  Erklärung 
in  diesem  Sinne  abzugeben.  Wenn,  fügt  er  hinzu,  die 
Darstellung  allfällig  in  den  Ton  der  Uebertreibung  gefallen 
wäre,  möchte  bedacht  werden,  daß  von  beiden  Seiten 
Lästerschriften  und  -Lieder  gew^echselt  wurden.^) 

Umgekehrt  «das  Herkommen  der  Schwyzer»  als  eine 
Parteischrift  gegen  Zürich  aufzufassen,  wäre  eine  Ab- 
surdität. Wenn  nun  Hungerbühler  (p.  71)  allerdings  in 
der  Schlußftelle  unseres  Tractates  eine  Animosität  gegen 
Zürich  durchschimmern  sieht,  hat  ihn  sein  Eifer  auszulegen 
so  weit  geführt,  daß  er  hier  vielmehr  etwas  unterlegt. 
Kiburger  stellt  dort  dem  gegebenen  Wort  des  Kaisers 
den  Schwur  eines  Kaufmanns  gegenüber.  Das  sei  nun 
ein  Stich  der  Viehzucht  treibenden  Ländler  auf  die  reichen 
Krämer  in  Zürich!  Diese  aber  hätten  die  Absicht  gefühlt 
und  HemmerUn  auf  jene  politische  Tendenzschrift  das 
Wort  ergriffen!  Als  ob  nicht  gesagt  wäre,  das  schlichte 
Wort  eines  Kaisers  stehe  höher  als  der  Schwur  eines 
Kaufmanns!  Eine  weitere  Behauptung  Hungerbühlers(p.  67), 
die  Hasler  seien  im  Tractat  deßwegen  in  Verbindung  mit 
den    Schwyzern   gebracht    und   nähmen    an   deren   Ruhm 


Frisia  genannt  ist,  aber  wie  der  Zusammenhang  der  Stelle  deutlich 
zeigt,  ohne  bewußte  Anspielung. 

^)  Reber  a.  a.  O.  p.  431. 

^)  Hieher  gehören  namentlich  die  bei  Liliencron  I,  383  u.  ff. 
gedruckten  Lieder.  Ganz  in  Hemmerlins  Sinn  klingt  das  Österreich. 
Schmachlied  p.  393. 


LXXXI 

und  Freiheiten  Antheil,  weil  vor  allem  das  mächtige  Bern, 
das  nur  ungern  am  Krieg  gegen  Zürich  sich  betheiligte, 
gewonnen  werden  mußte,  ist  bereits  anderwärts  widerlegt 
worden.^) 

Wenn  also  das  Herkommen,  das  eher  in  die  fünf- 
xiger  oder  sechsziger  Jahre  des  XV.  Jahrhunderts  fiillt, 
in  keiner  innern  Verbindung  mit  dem  alten  Zürichkrieg 
steht,  könnte  wohl  möglich  sein,  daß  eine  äußere  insofern 
da  wäre,  als  Heinrich  von  Bubenberg,  Kiburgers  Patron, 
der  als  Schiedsrichter  das  Urtheil  der  eidgenössischen 
Schiedsleute,  die  Aufhebung  des  Bündnisses  zwischen 
Zürich  und  Bern  bestätigte,  seinen  anstelligen  Caplan  dazu 
begeistert  liätte,  das  Zusammenhalten  der  alten  Eidgenossen 
zu  verherrlichen. 

Die  Abstammungslage  der  Waldstätter  verbreitete  sich 
durch  Schriftsteller  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts  rasch 
weiter.  Die  meisten  derselben  verwerfen  die  Hypothese 
Kiburgers.  Zunächst  gedenkt  das  zwischen  1467  und  76 
entstandene  sog.  Weiße  Buch  der  Schweden -Tradition, 
läßt  diese  aber  nur  für  Schwyz  gelten,  ebenso  Bonstelten 
in  seiner  1478  geschriebenen  Descriptio  Helvetiae;  Nau- 
rlerns  und  mit  ihm  Beatus  Rhenamis  nähern  sich  der  An- 
sicht Hemmerlins.  Sigmund  Meisterlin  in  seiner  spätestens 
1488  verfaßten  Nürnberger  Chronik  läßt  die  Schweizer 
gar  von  den  Hunnen  abstammen,  und  Pirkheimer  im 
bellum  Helveticum  (Schwabenkrieg)  dieselben  Nachkom- 
men der  Gothen  und  Hunnen  sein.  Etf erlin,  der  na- 
mentlich das  Weiße  Buch  und  jene  verlorene  Schwyzer- 
chronik  benützte,  leitet  die  Urner  von  den  Gothen,  die 
sich  nach  Untergang  des  ostgothischen  Reiches  zum  Theil 
auch  über  den  Gotthart  flüchteten,  die  Unterwaldner  von 


^)  BernouUi  im  Jahrbuch  I,  99. 

VI 


LXXXII 

den  Römern  und  nur  die  Schwyzer  von  den  Schweden 
ab.  Desto  getreuer  hält  sich  Schradin  in  seiner  Reim- 
chronik vom  Schwabenkrieg  (1500)  an  Kiburgers  Tractat. 
Stumpf  lehnt  die  Annahme  der  Schweden-  und  Sachsensage 
entschieden  ab  und  pflichtet  Tschudi's  cimbrischer  Ursprungs- 
hypothese bei,  ohne  die  Möglichkeit  einer  gothischen  Ein- 
w^anderung  auszuschließen.  Tschudi  selber  in  der  Gallia 
comata  ärgert  sich  nur  über  die  historischen  Gräuel  des 
Herkommens,  nimmt  einen  Auszug  aus  Schweden  und 
Friesland  an,  datirt  denselben  aber  auf  das  zweite  Jahr- 
hundert und  die  Cimbern  zurück.^)  Unsrer  Sage  gedenken 
ferner  Glarean,  Myconius,  Guillimannus,  Plantinus  etc. 

Die  Popularität  der  Schwedischen  Abstammungsfage 
beweist  ein  Beschluß  der  Schwyzer  Landsgemeinde  vom 
Ostermontag  des  Jahres  1531,  nach  welchem  zur  Er- 
innerung an  die  große  Hungersnoth  und  Austreibung  aus 
Schweden  alle  Landsleute  um  die  Mittagsftunde  fünf  Pater- 
noster und  Ave  Maria  sammt  einem  Credo  zu  verrichten 
haben. ^)  Die  größte  Verbreitung  aber  erhielt  die  Sage 
um  die  Mitte  des  XVL  Jahrhunderts  durch  das  sogenannte 
Ostfriesenlied  der  Oberhasler.^)   Dasfelbe  ist  nichts  anderes, 


^)  Vcrgl.  dazu  den  Brief  Tschudi's  von  1568  an  Simmler,  abgedr. 
in  Balthasars  Helvetia  VI,  492. 

'^)  Kothing  Landbuch  von  Schwyz  p.  172. 

•^)  Zum  Theil  verändert  abgedr.  bei  Rochholz,  Eidgen.  Lieder- 
chronik 381  u.  iT.  aus  Wirsen,  de  colonia  Suecorum  1828.  Dieser 
schöpfte  aus  J.  R.  Wyß'  «Zweiter  Sammlung  von  alten  Schweizer- 
•liedern».  Hs.  der  Berner  Stadtbibliothek  (Mss.  bist.  Helv.  XII,  10) 
p.  115 — 135,  copirt  181 1  «aus  der  un orthographischen  und  an- 
scheinend ziemlich  alten  Handschrift  eines  Landmanns,  ohne  Unter- 
schrift, Name  und  Datum».  —  Trotz  vielfacher  Nachfragen  auf 
Schweiz,  und  deutschen  Bibliotheken  und  im  Britischen  Museum 
gelang  es  mir  nicht,  eine  Ausg.  des  XVL  oder  XVII.  Jahrb.  zu  einem 
erneuten  Abdrucke  des  Ostfriesenliedes  aufzufinden.   Haller  Bibl.  der 


LXXXIII 

als  eine  Versificirung  des  Kiburger'schen  Herkommens. 
Nach  einer  unverbürgten  Sage  wäre  ein  nicht  auffindbarer 
Hasler  Pfarrer  Ringwaldt  (um  1550)  der  Dichter  desfelben. 
Nach  einer  mir  mitgetheilten  Stelle  aus  dem  Berner  Raths- 
manual  wird  es  aber  wahrscheinli<:h,  daß  das  Lied  von  Gwer 
(Quirinus)  i?///^r  herrührt:  «ijjS  Jan.  2).  Nach  gel  aßen  die 
gestellt  Lieder  durch  Gwer  Ritter  von  Hasli  und  Frutigen  in 
Truck  usgan  ^u  lafsen.»  Den  benachbarten  Frutigern,  die 
1505  die  Fastnacht  in  HasH  mitfeierten,  wurde  die  Chronik 
von  der  Einwanderung  aus  Schweden  feierlich  vorgelesen ; 
in  einem  Lied  von  Gläwy  Stoller  über  ein  ähnliches  Fest 
von   1583  ist  die  Sage  erneuert.^) 

In  Schweden  selbst  erhielt  man  erst  durch  schweize- 
rische Berichte  Kenntniß  von  dieser  Abstammungsfage. 
Nachdem  —  wie  Stumpf  meldet  —  auf  Reisen,  Messen 
oder  wo  sonst  Schweden  und  Schweizer  zusammentrafen, 
man  sich  als  Landsleute  begrüßte  und  eifrige  Nachfrage 
hielt,  ob  sich  in  alten  Jahrbüchern  etwas  dergleichen  fände, 
nahmen  im  XV.   und  XVL  Jahrhundert  Erich  Olaus  und 


Schweiz.  Gesch.  IV,  529  nennt  zwei  Ausg.  o.  O.  u.  J.  von  8  u.  16  SS. 
Nach  Herrn  von  Stürlers  Mittheilung  kam  ihm  vor  einigen  Jahren 
ein  Druck  zu  Gesicht,  von  dem  er  sich  nur  den  Titel  copirte:  «Ein 
schon  Lied  vom  Ursprung  und  Herkommen  der  alten  Schweizeren, 
insonderheit  des  Landes  Haßle  im  Weißland,  aus  alten  Chroniken 
gezogen».  Gedr.  i.  J.  1665.  77  Strophen  von  je  6  Versen.  (Wie 
bei  Rochholz).  Auf  der  Luzerner  Stadtbibliothek  (H  2074.  i) 
existirt  — •  wie  mir  Herr  Dr.  Lütolf  meldet  —  folgende  Ausgabe : 
«Ein  schön  Lied  Vom  Ursprung  und  Harkommen  der  Alten 
Schweitzcren  etc.  In  seiner  eigenen  Melodey,  oder  in  der  Weiß: 
Kompt  her  zu  mir,  spricht  GOttes  Sohn  etc.  Gedr.  in  diesem  Jahr 
(XVIII.  Jahrh,).  Im  Ganzen  mit  dem  Abdruck  von  Rochholz  und 
Wirsen  übereinstimmend.  —  Ueber  das  Ostfriesenlied  vergl.  L.  Tobler 
im  Berner  Archiv  VII,  331  u.  ff. 

^)  Rochholz  Eidg.  Liederchron.  406  u.  ff. 


LXXXIV 

Joh.  Magnus  diese  Tradition  in  ihre  Chroniken  auf,  was 
unserm  Stumpf  den  Muth  gab,  die  dritte  Auflage  seiner 
Chronik  dem  König  von  Schweden  zu  widmen.  Noch 
im  vorigen  Jahrliundert  und  zu  Anfang  des  unsrigen  liaben 
nordische  Gelehrte,  wie  Eck  und  Wirsen,  über  den  Zu- 
sammenhang der  Schweiz  mit  ihrer  Heimat  nachgeforscht, 
in  die  Sache  selbst  wenig  Zweifel  gesetzt,  nur  die  Aus- 
wanderung aus  der  Zeit  der  Völkerwanderung  ins  VIII.  und 
IX.  Jahrhundert  hinaufgerückt  und  mit  den  Raubzügen  der 
Normannen  in  Beziehung  gesetzt.^) 

Es  erübrigt  noch  ein  Wort  über  die  Abstammungs- 
llige  selbst.  Die  volkreiche  Scadinavia  ist  das  Land,  aus 
dem  die  ethnographische  Sage  am  liebsten  die  germanischen 
Volksftämme  herkommen  läßt,  so  die  Longobarden,  Gothen, 
Sachsen  und  Schwaben.  Bei  allen  diesen  Mythen  ist  die 
Ursache  des  Auszuges  entweder  eine  Hungersnoth  oder 
eine  Meeresüberschwemmung.  So  verließen  nach  Paulus 
Diaconus  die  Longobarden  ihre  scadinavische  Heimat  nach 
der  Bestimmung  des  Looses  unter  ihren  Herführern  Ibor 
und  Ayo  (nach  Saxo  Grammaticus  Ebbo  und  Aggo); 
Aehnliches  erzählt  Jornandes  von  seinen  Gothen,  ein 
Anonymus  von  den  Schwaben.^)  Alle  diese  Ausfahrten 
deutscher  Völker  sind  meist  auf  gelehrtem  Wege  zu- 
gerichtet worden  und  nur  wenige  stammen  aus  volks- 
mäßiger Ueberlieferung.  Nichts  erscheint  nun  natürlicher 
als  die  Uebertragung  dieser  Ursprungsfage  auf  die  Schwyzer 
und  ihre  Miteidgenossen.  Kiburger  kannte  unzweifelhaft 
Scadinavia     als    die    «vasjina    nationum» ;     die    Namens- 


^)  Vergl.  Schweiz.  Geschichtforscher  VIII,  505  u.  ff.  und 
Burckhardt  im  mehrerwähnten  Archiv  IV. 

^)  Von  der  Herkunft  der  Schwaben,  neu  herausgegeben  von 
K.  Müllenhoff  in  der  Zeitschrift  f.  d.  Alterthum  XVII,  57  u.  ff.  — 
Dazu  vergl.  namentHch  Uhlands  Schriften  VIII,  202  u.  ff. 


LXXXV 


Ähnlichkeit    vollends   zwischen    Siiicia    und    Siiecia,    HasVi 
und  Hasnis  mußte  ihn  ganz  besonders  reizen,  die  Heimat 


se 


iner  Landsleute,  der  Hasler,  und  der  jedenflills  mit  diesen 
in  Beziehung  stehenden  Schwyzer  im  Norden  zu  suchen. 
Spielt  doch  die  Etymologie  in  allen  diesen  Sagen  eine 
Hauptrolle !  Aus  den  vermischten  Elementen  der  Tradition 
^.chöpft  das  Herkommen.  Wie  in  der  gothischen  Sage 
die  Auswanderer  sich  in  drei  Haufen  theilen  und  feindlich 
mit  den  Franken  zusammenstoßen,  so  hier  dieselbe  Tren- 
nung, derselbe  Kampf  mit  den  fränkischen  Herzogen.  Die 
Schwyzer  und  Hasler  haben  bei  der  Belagerung  von  Rom 
den  Vorstreit;  den  Schwaben  kommt  die  nämliche  Ehre 
im  Reichsheer  von  Alters  her  zu,  und  zwar  nach  einer 
Wendung  der  Sage  deßhalb,  wxnl  sie  Karl  dem  Großen 
bei  der  Einnahme  der  Stadt  Rom  geholfen  hatten.^)  Eigen- 
thümlich  im  Herkommen  erscheint  der  Auszug  der  Friesen, 
während  diese  doch  in  Wirklichkeit,  so  weit  die  Ge- 
schichte reicht,  stets  an  derselben  Stelle  seßhaft  waren. '^^3 
Das  Weiße  Buch  ist  eine  künstliche  Weiterbildung 
der  Sage.  Dort  wairde,  nachdem  durch  das  Herkommen  der 
Schwyzer  die  ethnographische  Beziehung  zwischen  Nord- 
germanen und  Waldstättern  geschaffen  war,  auch  die  my- 
thische Verwandtschaft  vollzogen.^) 


^)  Grimm,  deutsche  Sagen  (zweite  Aufl.)  Nro.  456. 

^)  Siehe  hierüber  die  Vermuthung  Miillenhofi"s  a.  a.  O.  p.  71. 
Die  Sage  von  der  Einwanderung  der  Friesen  ist  im  Saanentlial  noch 
lebendig.     Romangs  Gediclit  «D'r  Friesenwäg». 

^)  Sage  von  Toko  und  Teil.  —  In  der  Stretl.  Chron.  erscheinen 
als  Lokalbezeichnungen  das  Riitli  p.  113,  die  Trenhe  p.  37,  39/  die 
hohle  Gasse  p.  116,  alles  bedeutungsvolle  Namen  des  Weißen  Buches. 
Ob  dieß  wohl  Zufall  ist,  oder  ob  am  Ende  auch  im  W.  B.  unser 
erfindungsreicher  Eulogius  irgendwie  die  Hände  im  Spiel  hat? 


DER  ERSTE  TEIL  UND  UNDERSCHEID,  WIE 

DIE  HERSCHAFT  STRETLINGEN  HAR  KOMEN  IST 

UND  WARUMB  IR  NAM  ALSO  HEISSET. 


Man  findet  also  geschriben  und  liset  man  das  in  den 
alten  coroniken  der  Römer,  daß  in  dem  jar,  do  man 
zalt  von  der  geburt  Cristi  hundert  und  eins  und  zweinzig 
jar  under  dem  bapst  Alexander,  der  erste  also  genant 
—  der  selbe  bapst  was  von  der  geburt  ein  Römer  — : 
zu    den    selben    ziten    was    ein    keiser    mit   dem    nanien 


Adrianus  Elyus.  Er  hatt  nü  sinen  namen  von  der  statt 
Adria;  bi  der  selben  statt  das  mer  heißet  das  mer 
Adriacum.  Der  selbe  keiser  Adrianus  was  hocher  spitzer 
sinnen    und   vast   wol   redent.     Er   was    ouch   wol  gelert 

5  in  den  natürUchen  künsten;  ouch  in  musica,  das  ist  in 
gesang;  desglichen  in  astronomia,  das  ist  in  den  Sternen 
sechen.  Der  selbe  vor  genante  keiser  regiert  und  richsnet 
zwenzig  und  ein  jar  in  dem  gewalt  eines  keisers  des 
römschen  riches. 

o  In  den  selben   ziten   was   einer,   von   sinem  gesiecht 

ein  küng,  der  geburt  siner  müter  von  Alexandria,  aber 
von  sinem  vater  was  er  ein  Römer  von  einem  durch- 
lüchtenden  großen  gesiecht  des  Senates  oder  des  rates  zu 
Rom    geborn,    mit    dem    namen   Ptholomeus.     Der    selb 

5  Ptholomeus  was  ouch  hoch  gelert  in  der  kunst  mathe- 
matica,  das  ist  in  der  usrechnung.  Er  hatt  ouch  in  der 
astronomy  vil  gesetzt  und  geschriben  und  darzü  geleit, 
me  dann  vormals  je  was  gesin.    Er  hatt  ouch  vil  büecher 


I.  P.  Aelius  Hadrianus  war  römischer  Kaiser  von  1 18  —  138 
n.  Chr.  Man  vergleiche  zu  dieser  Stelle  die  gleichlautende  Schil- 
derung Heinrich's  von  München  (nach   1347)  in  deßen  Weltchronik: 

Nach  dem  keiser  Träjana 

wart  ein  keiser  in  Röme  alda, 

der  selbe  was  ein  wiser  man. 

ein  stat  hiez  Adrian, 

von  der  was  er  geborn; 

da  von  was  im  der  name  erkorn, 

daz  er  hiez  Melius  Adrian. 

Der  selbe  keiser  Adrian 
künde  wol  die  kunst  physica, 
astronomi  und  musica. 
er  was  ein  vil  wiser  man  etc. 

Massmann,  Kaiserchronik  III,  82^. 
7.    richsnen,  herrschen.    Vergl.  hiezu  die  Kaiserchronik  III,  822. 


3 

davon  gesetzt  und  gemacht.  Der  selbe  Ptholomeus  lebt 
sübenzig  und  acht  jar;  von  sinem  wesen  sines  libes  was 
er  in  rechter  lenge,  nit  ze  kurz  und  ouch  nit  ze  lang; 
in  der  person  ein  wiser  man.  Er  was  ouch  starker 
kreften;  er  bruchtr  ouch  alKvegen  meßli che  spise  und  trüg  5 
sich  mit  erheben  kleidern.  Das  warent  gemeinhch  sine 
prüchwort:  der  mönsch  ist  oder  wirt  der  höchste,  der 
da  nit  achtet,  in  wes  band  das  ertrich  ist!  Er  sprach 
ouch:  wer  .sich  selbs  straft  an  siner  mißetat,  der  [2] 
wirt  von  andern  lüten  nit  gestrafet.  Er  sprach  ouch:  die  ^^ 
letsten  Verheißungen  des  mönschen,  die  sind  die  liebsten. 
Nu  was  er  aber  ein  anbeter  der  abgötten  und  wann  er 
nü  die  werk  der  erbarmherzikeit  empzenkHchen  übte,  do 
wolt  in  der  allmechtig  gott  erlüchten  und  im  zeigen  den 
weg  der  warheit.  Darumb  so  liset  man  hie  ein  groß  ^> 
wunder  und  zeichen,  das  im  geschach. 

Uf  ein  zit  do  gieng  er  jagen  und  als  er  uf  dem 
gejegt  was,  so  fint  er  einen  schönen  großen  hirzen.  Do 
er  nü  den  selben  hirzen  also  jagt,    do   nam  der  hirz  sin 


II.  Daß  hier  der  Astronom  und  Philosoph  Ptolemasus  zu 
einem  König  gemacht  wird,  ist  wohl  Kiburgers  eigene  Erfindung. 
Das  übrige  schreibt  er  wörtlich  aus  der  Chronik  des  Martinus 
PoLONus,  Erzbischofs  von  Gnesen  (f  1278),  auf  den  er  sich  auch 
im  «Herkommen  der  Schwyzer»  beruft,  ab.  (Ich  citire  nach  der 
Basler  Ausgabe  von  Johannes  Herold,  Sp.  46:)  «Huius  Antonini 
tempore  floruit  Ptolemieus,  vir  mirabilis  in  mathematicis,  qui  plus 
addidit  in  astronomia,  quam  antea  ante  se  scriptum  invenit.  Fuit 
aujem  educatus  Alexandriae  etc.  Fuit  in  statura  moderatus,  colore 
albus,  fortis  ir^e,  pauci  cibi,  redolentcm  anhelitum  habens  et  indu- 
menta  nitida.  Composuit  etiam  libros  multos  etc.  Vixit  autem 
annis  septuaginta  octo.  De  proverbiis  suis  hoc  insigne  est:  Inter 
homines  altior  existit,  qui  non  curat,  in  cujus  manu  sit  mundus.  Et 
hoc:  Qui  per  alios  non  corrigitur,  alii  per  ipsum  corrigentur.  Item: 
Ultimoe  hominis  promissiones  cani(!)sunt.)> 


flucht  uf  einen  hochen  velsen  und  berg.  Er  gedacht  in 
im  selbs  gar  flißenkUch,  wie  er  den  hirzen  möchte 
vachen;  also  kond  er  keinen  weg  nit  finden,  daß  er  in 
könd  vachen.  Also  gedacht  er,  wie  er  in  könd  geschießen 
5  mit  einem  stral.  Und  als  er  in  schießen  woit,  do  sach 
er  zwüschent  den  hörnen  des  hirzen  ein  bild  eines  crützes, 
das  da  schein  als  klar,  als  die  sunn  und  hat  das  crucifix 
ein  stral  in  der  hand.  Also  vieng  das  bild  an  zu  reden 
und   sprach:    o   Ptholomee,   warumb   gedenkest   du   mich 

10  zu  jagen  und  wider  mich  zu  sinde?  Ich  han  mich  an 
disem  hirzen  dir  erzöis^t  von  dinen  weo:en.  Ich  bin 
Cristus,  den  du  unwüßentlich  erest;  dine  almüsen  und 
guttat  der  erbarmherzekeit  sind  ufgangen  für  min  angesicht 
und  han  mich  dir  erzöigt  an  disem  tier  des  hirzen,   den 

1 5  du  woltest  vachen  und  schießen,  daß  ich  dich  wil  vachen 
und  mit  dem  schoß  und  stral  des  cristenen  glouben  din 
herz  durchgan!  Von  disen  worten  erschrak  Ptholomeus 
und  viel  nider  uf  das  ertrich  uf  sine  knie  und  sprach: 
o   herr,   wer   bistu,   daß  ich   an    dich   geloub?      Do    ant- 

20  wurt  im  Cristus:  ich  bin  der,  der  durch  das  mönslich 
gesiecht  uf  diß  ertrich  ist  komen  und  mich  einen  mönschen 
erzeigt  han  und  bin  gecrützget  worden  und  vergraben 
und  am  dritten  tag  uferstanden.  Do  sprach  Ptholomeus : 
herr,   das   gloub   ich!     Do    antwurt  Cristus:    sit   daß   du 

25  das  gloubst,    so   gang   hin   zu   dem   bapst  Alexander  und 


5.     stral f  Pfeil. 

9.  Zum  Theil  wörtlich  aus  der  Eustaclmis-Legende.  Legenda 
AUREA  (1487)  cap.  CLVII:  «O  Placide  (so  hieß  Eustachius  vor  der 
Bekehrung),  quid  me  insequeris?  Ego  tui  gratia  in  hoc  animaH  tibi 
apparui.  Ego  sum  Christus,  quem  tu  ignorans  colis.  Eleemosynae 
tuse  coram  me  ascenderunt  et  ob  hoc  veni  et  per  hunc  quem  vena- 
baris  cervum  etc.«  —  Der  Jäger  Huherius  f  727  als  Bischof  von 
Lüttich  hatte  dieselbe  Erscheinung, 


5 

laß  dich  tonten!  Also  gieng  er  hin  zu  dem  bapst  bi 
niitternacht  und  bat  in,  daß  er  in  toufte.  Do  enpfieng  [3] 
in  der  bapst  mit  großen  fröiden  und  toufte  in  und  ver- 
wandlet im  sinen  namen  und  nampte  in  Theodricum, 
und  underw'isete  und  lerte  in  fürbaß  in  dem  cristenen  5 
glouben  und  sprach  darnach  zu  im:  selig  bistu,  wann 
du  hast  an  dich  genomen  die  gnad  gottes  in  dem  touf, 
daß  du  den  tüfel  hast  überwunden  und  in  hast  under 
dich  getrukt!  Nu  sol  fürer  din  cristenlicher  geloub  erzöigen 
in  dem,  daß  du  füerest  zu  dinem  zeichen  und  w^appen  10 
einen  guldin  stral  in  einem  roten  schilt  dines  herzen  und 
zwei  hirzenhörner  uf  dinem  heim  dines  houptes;  mit 
denen  wappen  und  zeichen  du  solt  striten  und  den  tüfel 
überwinden  und  in  ew^enklich  durchschießen,  w^nn  er 
dich  versucht;  wann  du  hast  in  gelaßen  und  darumb  so  i5 
wirt  er  wider  dich  und  alles  din  gesiecht  allweg  sin, 
und  du  müßt  vil  von  im  liden,  e  du  enpfachest  die  krön 
der  Überwindung;  und  von  der  höche  oder  hoffart  diser 
weit  müßt  du  dich  demüetigen,  darumb  daß  du  in  den 
geistlichen  richtungen  werdest  erhöcht !  Und  darumb  so  20 
bis  stät,  wann  die  gnad  gotts  wirt  din  sele  behüeten  und 
behalten!  Und  uf  dise  wort  gab  im  der  bapst  sinen 
heiligen  segen.  Darnach  gieng  er  heim  und  betet  unsern 
herren  an  und  bat  unsern  herren  flißenklich,  daß  er  im 
verliehe  liden  und  gedultikeit,  w^ann  zu  den  selben  ziten  -5 
was  groß  durechtung  der  cristenden  mönschen  in  dem 
römschen  land  und  besunder  der  vorgemeldet  keiser 
Adrianus  durechtet  die  cristenen  mönschen  gar  vast  als 
lang,  unz  er  underwiset  w^ard  durch  Schriften  und  ouch 
der  jungem  der  zwölf  boten,   die  allenthalben  lerten  und  30 


25.  liden,  Geduld,  Ergebung. 

26.  durechtung,  Verfolgung. 


predieten,  er  solt  Jherusalem  wider  uf  bringen,  ais  er 
ouch  darnach  tet.  Und  do  er  Jherusalem  wider  uf  bracht, 
do  besatzt  er's  mit  cristenen  mönschen  und  darnach  ward 
der  keiser  genempt  iilya.  Und  darumb  von  der  vor 
5  gemeldeten  durechtung  der  cristenden  mönschen  Ueß  der 
vor  genant  Theodricus  alles  sin  gut,  bürge,  hüser,  aker 
und  matten  und  alles,  das  er  hatt  und  schied  von  heimen 
und  kam  zu  einem  herzogen  von  Burgunn  [4]  in  sinen 
hof,  wann  er  was  wol  redent,  sittig,  güetig  und  mannlich 

10  und   in    allen   sinen    üebungen    und    werken    streng    und 

schnell.    Darumb  daß  er  in  allen  sinen  sachen  so  redlich 

was,  do  behüb  in  der  herzog  bi  im  und  wolt  in  nit  laßen. 

Nu  list  man  ein  groß  wunder  von  dem  vor  genanten 

Theodricum,   das  im  begegnet  an  des  herzogen  hof.     Es 

1 5  begab  sich  uf  ein  zit,  daß  der  erst  genant  Theodricus  eines 
morgens  uf  stund  von  sinem  bett  und  allein  sin  hemd 
und  nachtschüch  anleit.  Also  hat  der  herzog  einen  löwen, 
der  begegnet  im  zornlich,  als  er  in  bißen  wölt.  Do  hüb 
uf  der   vil    genant  Theodricus  von  Stretlingen    sine    fust 

20  und  band  und  tröwt  dem  selben  löwen  mannlich  und 
schrei  in  an.  Alsobald  ließ  der  low  allen  sinen  zorn, 
der  grimm  gegen  im  was  und  leit  sich  für  in  nider  zu 
sinen  füeßen  und  erzeiste  sich  früntUch  zu  im  mit  sinem 


1—4.  Zu  dieser  Stelle  findet  sich  in  der  Handschrift  folgende 
Randgloße:  «Diser  weis  die  historias  nit,  dan  Elia  ist  nach  dem 
keiser  und  nit  der  keiser  nach  Iren  gnamset  worden!»  So  meldet  auch 
übereinstimmend  die  Tradition,  Kaiserchronik  II,  551  v.  7245 — 47, 
ib.  III,  822.  In  der  Universalchronik  des  Martixus  Polonus  heißt 
die  Stelle:  «Iste  Judseos  rebelies  secundo  subjugavit,  urbemque 
Hierosolymam  restauravit;  non  Judaeos,  sed  alias  gentes  ibi  po- 
nendo  etc.  Adrianus  etiam  restaurata  Hierosolyma  praecepit,  ne  cui 
Judoeoruni  daretur  licentia  intrandi,  sed  tantum  Christianis.  Et  quia 
vocabatur  Aelius  Adrianus,  voluit  ut  Hierosolyma  vocaretur  nomine 
suo,  Aelia  etc.»     Sp.  42. 


swanz  ze  bewegen,  daß  den  hüeter  des  löwen  und  alle,  so 
in  dem  hof  warent,  darumb  wunder  nament  und  (er)  ouch 
den  hüeter,  der  sin  warten  solt,  dik  beiß,  wiewol  er  in 
bekannt.  Harumb  alle  die,  so  an  dem  hof  warent,  dem 
vil  genanten  von  Stretlingen  züleitent  für  ein  große 
mannheit  und  ouch  durch  des  cristenen  glouben,  so  er 
an  sich  hat  senomen. 


Ein   ander  groß   ivunder   und   zeichen   von   dem   ohgenanten 
Theodrictis,  wie  er  dem  herzogen  von  Burgunn 

einen  strit  gewan  schlafent.  lo 

Man  liset  also,  daß  zu  den  selben  ziten  ein  küng 
von  Frankenrich  und  ein  herzog  von  Burgund  groß  un- 
maßlich sorgsamlich  kriege  wider  einandern  hattent  und 
liden  und  kumber  einandern  [5]  antatent.  Es  fügte  sich, 
daß  si  sich  mit  großen  zügen  und  volk  gegen  einandern  15 
leitent  und  mit  einandern  striten  woltent,  und  ordneten 
beid  wider  einandern  ir  spitze  der  lüten  und  was  ietweder 
teil  uf  einem  berg  und  ein  tal  zwüschent  inen.  Do  ward 
der  künig  von  Frankenrich  zu  rat  und  schikt  sin  botschaft 
zu  sinem  Widersacher,  zu  dem  herzogen  von  Burgunn,  20 
daß  er  einen  vechtberen  man  wol  gewapnet  in  sinem 
volk  usfüchte;  das  weit  er  ouch  tun,  und  daß  die  zwen 
mit  einandern  kampftent  und  vechtent,  und  weler  under 
inen  obleg,  da  sölt  des  andern  teil  an  allen  schaden  dem 
herren  mit  aller  macht  undertänig  sin  und  den  strit  also  25 
han  gewunnen.  Das  geviel  beiden  fürsten  und  herren 
wol   und   also  trat  einer  von  dem  volk   des   kün^es   von 


4.    Einen  ähnlichen  Zug  erzählt  die  Sage  von  Kuribohi,  Grimm, 
deutsche  Sagen  (2.  Aufl.)  Nr.  471;  Uhland's  Schriften  I,   173. 
24.  an,  ohne. 


8 

Frankenrich  harfür,  ein  großer,  wolmügender,  starker  man 
in  kreften,  mit  dem  namen  Dodo,  der  mit  heim  und 
panzer  und  anderm  vechtberen  züg  wol  zügerüst  was  und 
kerte  sich  wider  das  volk  des  herzogen  von  Burgunn 
5  und  ruft  uf  also :  warumb  oder  durch  welcher  sach  willen 
sind  ir  har  komen  zu  disem  strit  ?  Gebent  mir  einen 
man  herfür,  der  mit  mir  allein  vechte!  Ueberwindet  er 
mich  dann,  so  werdent  wir  üwer  knecht  und  diener  und 
wellent  üch  undertänig  sin;  ist  es  dann  sach,  daß  ich  in 

10  überkom  und  in  slach  oder  töd,  so  werdent  ir  unsre  knecht 

und  söllent  uns  dienen  und  undertänig  sin  !    Und  semliche 

und  ander  mannliche  wort  redte   er   etzwie   dik  zu  inen. 

Als   dise  w^ort   und   anmütung   hört  der  herzog  von 

Burgunn,    do   ließ    er   in   allem  sinem  volk  und  beer  uf- 

15  rüefen  und  sagen,  ob  ieman  da  were,  der  disen  man  weite 
understan  mit  im  zu  vechten ;  weler  das  tat  und  sin 
Widersacher  überwund,  den  weit  er  rieh  machen  und  be- 
gaben mit  großem  gut  und  darzü  wölt  er  im  sin  tochter 
geben.     Als    das    hört    Theodricus    von    Stretlingen,    do 

20  erlüchte  in  die  gnad  gottes  in  sinem  gemüet  und  sprach 
zu  dem  herzogen:  ir  söllent  nit  erschrecken  von  sinen 
mannlichen  worten!  Ich  bin  üwer  knecht  und  wil  [6] 
mich  understan,  mit  im  ze  vechten,  ze  kempfen  und  ze 
striten !    Do  sprach  der  herzog  zu  im :  gang  hin  und  der 

25  herr  si  mit  dir!  Also  gieng  er  hin  und  wapnete  sich  und 
gurte  sin  swert  umb  sich  und  leite  doch  sin  heim  nit 
uf  sin  houpt.  Er  gesegnete  sich  aber  mit  dem  zeichen 
des  heiigen  crützes  und  befalch  sich  dem  allmechtigen 
gott  und  gieng  darnach  an  das  end,    da    er  vechten  wolt 


10.  üherkomen,  überwinden. 

11.  seinliche,   solche. 

12.  etiiuiej  etesiüie,   ziemlich,  sehr. 
29.  end,  Ort,  Stelle. 


9 

und  wartet  sines  widersechers  und  viendes.  Und  als  er 
daselbs  wartet,  do  begreif  in  ein  harter  slaf,  daß  er 
entslief  und  in  sinem  slaf  düchte  in,  wie  er  vechte  und 
kämpfte  mit  sinem  viend  und  in  dem  selben  troum  kämpft 
er  mit  im  selbs,  daß  der  sweiß  von  allem  sinem  Hb  gieng  5^ 
und  der  schum  und  speichel  von  sinem  mund  in  maßen, 
als  ob  er  wüetend  zornig  were.  Uf  das  selb  so  kumpt 
Dodo,  der  kempfer  und  vechter  des  künges  von  Franken- 
rich  und  gesiebt  in  also  bereit  stan  und  aber  slafent.  Do 
viel  ein  semlich  vorcht  in  in,  daß  im  was,  ein  plil  oder  ^^ 
ein  stral  oder  schoß  gienge  im  durch  sin  herze  und  vieng 
■^n  und  sprach  vor  allen  denen,  die  da  gegenwürtig  waren : 
so  der  man  w^ider  mich  vichtet  slafent,  w^as  möcht  er 
dann  tun  und  vechten  mit  mir  wachent?  So  leider  ich 
bin  überwunden  von  im.  Daß  ich  well  vechten  mit  i> 
disem  man,  das  zimpt  mir  nit.  Ich  han  vor  mir  gesechen 
und  ouch  vor  üch  allen  —  und  gesich  den  noch  zu  siner 
rechten  band  —  einen  starken  ritter  mit  dem  namen 
sanct  Michel,  den  erzengel  mit  einem  bloßen  sw^ert,  us- 
gezogen  von  der  scheide ;  der  hat  zu  mir  gesprochen :  es  -^ 
si  dann  sach,  daß  du  abiaßest  und  nit  vechtest,  so  müßt 
du  und  alle  die  dinen  nider  geleit  werden  und  umbkomen! 
Do  das  der  küng  von  Frankenrich  hört,  do  bekant  er, 
daß  er  überwunden  were  und  in  ein  herzog  von  Burgunn 
überwunden  hett.  Der  herzöge  von  Burgunn  dankete  -5- 
und  lopte  großlich  den  allmechtigen  gott  und  den  heiligen 
erzengel  sanct  Michel. 


21.     SO,  sonst. 

27.  Dieser  Zweikampf  des  schlafenden  Ritters  auch  bei  Justinger 
erzählt.  Ausgabe  von  Studer  p.  16.  Dieselbe  Sage  poetisch  be- 
arbeitet von  Gustav  Schwab  «Der  Sieger  im  Schlaf»,  in  Hottinger 
&  Schwab,  die  Schweiz  in  ihren  Ritterburgen,  II,  330. 


10 

Darnach  sprach  er  zu  dem  Theodrico  von  Stretlingen : 
beger  von  mir,  was  du  wilt,  das  sol  dir  verfolgen  und  ob 
du  von  mir  begerest  halb  min  herzogtum,  es  sol  dir 
werden !  Daruf  antwurt  im  herr  Dietrich  [7]  von  StretÜngen, '. 
5  er  wölte  im  nüt  höischen,  sunder  weite  er  das  ganz  und' 
gar  zu  im  setzen  in  sinen  willen  und  weit  im  des  ouch 
genzhch  wol  truwen.  Der  herzog .  enplieng  dise  wort  in 
großer  dankbarkeit,  und  also  gab  der  herzöge  von  Burgunn 
herrn    Dietrichen   von    Stretlingen   sine   tochter  zu  einem 

^o  elichen  wibe,  die  was  Diemut  genant,  und  ein  hüpsch 
land  zu  ir  mit  dem  namen  das  minder  Burgunn  und  den 
Wendelsee  mit  vil  bürgen  da  umb,  die  vormals  von  den 
beiden  gebuwen  warent;  und  besunder  den  Burgunnberg, 
da    vormals    geseßen    was    der    küng   Wandalorum,    des 

15  Volkes  also  genant  und  das  land  und  ertrich  umb  Stret- 
Hngen  an  dem  hüpschten  end,  und  ouch  von  gutem 
gesundem  luft  was,  als  man  das  wit  oder  verr  möcht 
finden.  Und  darumb  ward  es  geheißen  zu  dem  giildinen 
luft,    daß   land   und   ertrich    so  fruchtber  daselbs  was,    es 

^^  were  von  böimcn,  zwien,  von  gutem  waßer,  die  über- 
flüßig  da  warent.  Es  ward  ouch  umb  den  Burgunnberg, 
das  man  nü  zu  unsern  ziten  nempt  /*;/  Bürgen  von  des- 
selben geliehen  als  erst  geschriben  ist,  von  aller  genucht- 
same  und  fruchtberkeit  wegen  genempt  zu  dem   giildinen 

^5  hof ;  das  man  aber  nü  in  die  gewonheit  hat  bracht  und 
man  nempt  zu  Spietz,  ouch  von  semlicher  mengerlei 
fruchtberkeit,  es  si  körn,  win,  fleisch  und  alles  des,  so  der 
mönsch  sol  leben,  man  an  dem  selben  end  wol  mag 
haben.     Es    ist    ouch   genempt   umb    Stretlingen   und   zu 

30  -Einingen  in  dem  Paradis  umb  semlicher  komlichkeit  wegen 

2.  verfolgen,  verabfolgt  werden. 
23.  genuchtsawe,  Fülle,  Ueberfluß. 
,  30.     homlichheit,  Bequemlichkeit.  . 


II 

als  obstat,  der  fruchtbcrkeit  des  lands,  ouch  der  lustigen  • 
brünnen  und  waßer,  so  da  umb  ist,  ouch  von  der  heiligen 
engelschen  hüt  wegen  und  daß  der  allmechtig  gott  da 
vil  Wunderwerk  durch  den  heiigen  erzengel  sant  Michel, 
daselbs  orewürkt  hat.  Und  von  meno;erlei  fruchtberkeit  5 
und  heilikeit,  so  da  geschehen  ist  vor  alten  ziten,  als 
man  das  harnach  in  disem  buch  wol  findet,  so  gelichet 
es  sich  dem  irdeschen  paradise  und  ist  ouch  darunib  also 
genempt. 

Harumb  ist  ze  wüßen,  daß  der  vil  gemeldet  herzog  lo 
von  Burgunn  dem  dik  genanten  herren  Dietrichen  von 
Stretlingen  gab  das  selbe  land ,  das  man  [8]  nempt  das 
minder  Burgunn,  als  obstat,  mit  bürgen  und  wesen,  als 
es  dann  zu  den  selben  ziten  ist  gesin  zu  ringumb  fri  und 
ledig  zu  siner  tochter  Demut  und  darzü  gab  er  inen  zu  15 
estür  einen  großen  schätz  von  gold ,  silber  und  edlem 
gestein  und  ander  kleineder  vil  und  schikte  si  also  von 
im  an  das  selb  end  mit  großen  eren  und  befalch  im,  daß 
er  durch  den  cristen  glouben  solte  striten,  vechten  und 
den  behalten,  als  verr  er  möcht,  als  er  ouch  tet.  Er  20 
befalch  im  ouch,  daß  er  an  dem  selben  end  der  mindern 
Burgunn  mechte  im  selbs  und  siner  husfrowen,  wa  er 
wölte,  ein  wonung  userkiesen  und  erwelen,  da  er  möcht 
sin  und  den  cristenglouben  beschirmen  und  darin  sterben. 
Darumb  erwalt  er  im  selbs  us  ein  end,  das  im  geviel  und  25 
in  beducht  an  dem  lustigesten  und  frölichesten  end  von 
gutem  luft,  als  obstat  und  darumb  nampte  er  es  an  dem 
selben  end  zu  dem  guJdinen  Infi  und  das  sloß,  das  er 
buwt  daselbs,  Stretlingen,  von  des  strals  wegen,  ouch  von 
des   kampfs   und   viichtens   wegen,    so   vormals   durch    in  30 


20.     ah  verr,  so  sehr. 
22.     wa,  wo. 


10 


12 

beschechen  was.  Und  wann  er  dennocht  keinen  erben 
hat,  do  empfal  er  sich  gott  dem  aUmechtigen  und  dem 
wirdigen  erzengel  sant  Michel,  den  er  inbesunders  eret, 
daß  er  im  ein  erben  geb.  Und  der  aUmechtig  gott  erhört 
5  sin  zimliche  bitt  und  sin  husfrow  Demut  w^ard  swanger 
und  gebar  einen  sun,  der  ward  genempt  Albrecht.  Den 
selben  sun  si  underwisten  und  lerten  in  sitten,  in  tugenden 
und  in  allem  dem,  das  dann  sinem  stat  zugehört,  daß  er 
ward  ein  frommer,  redlicher,  ufrechter  herr.  Darnach  in 
vil  ziten  dem  vil  genempten  herren  Dietrichen  von  Stret- 
lingen  und  Albrecht,  sinem  sun,  schickte  gott  zu,  daß  ir 
gesiecht  sich  meret  und  inen  vil  sün  und  töchtern  wurdent; 
und  darnach  die  alle  von  diser  zit  schiedent.  Der  aU- 
mechtig gott  si  inen  allen  gnedig!     Amen. 


I,     dennocht,  damals  noch. 
5.     ähnlich,  geziemend. 
8.     stat,  Stand. 


[9]  DAS  ANDER  CAPITEL,  WIE  DIE  HERREN 
VON  STRETLINGEN  ZUO  DEM  ERSTEN  IN 
DISEM  MINDERN  BURGUNN  GOTTES- 
DIENST GEFORDERT  HAND. 


H 


ie  liset  man,  daß  zu  denen  ziten,  do  man  zalt  von    5 
der   geburt  Cristi   zweihundert   und   achtzechen   jar 
under  dem   bapst  Calixto,   der   fünfzecheneste   bapst  nach 
sant  Peter  (was  ouch  ein  keiser  mit  dem  nanien  Philippus 
Materno  oder  Aphilo),  ist  gesin  ein  herr  von  Stretlingen 
mit  dem  namen  Bertoldus,  der  aller  siner  vordem  in  allem  10 
guten  ist  gesin  ein  nachvolger.    Und  wann  er  ouch  sinen 
vordem  wolt  etwas  nachtun,  dadurch  gott  und  sin  heiligen 
gelopt  und  geeret  wurdent,    die    ouch  sin  vordem  geeret 
hattent  und  durch  insprechen  des  allmechtigen  gotts,  der 
ouch  im  selbs  in  den  muren  des  sloß  und  veste  Stretlingen  1 5 
ein   hus   userwalt,    da   er   möcht   angebeten   werden   und 
ouch  der  erzengel  sant  Michel  und  ander  engel  und  ouch 
besunder   heiigen   da    geeret   w^urdent:    nü   ist   zu   wißen 
allen  denen,  die  darumb  nit  wüßent,  daß  in  allem  disem 
land,    das    man    nempt    in   Burgenden    oder    das    minder  20 
Burgunn,   in  keiner  statt,   veste  oder  sloß  was  kein  kilch 


7.     Calixt  I.  218 — 223. 


14 

noch  cappel  nach  cristenlichem  sitten  und  gewonheit  noch 
nit  gebuwen.  Und  wann  das  nü  nit  billich  was,  daß 
cristenmönschen  also  söltent  wislos  gan  und  der  wirdig 
erzengel  sant  Michel  nit  geeret  werden,  den  ouch  die 
5  herren  von  Stretlingen  vorhar  geeret  hattent  und  inen 
ouch  allwegen  hilflich  was  gesin :  darumb  durch  die  götliche 
fürsichtikeit  [lo]  ward  ein  habitacel  und  ein  wonung  von 
dem  vor  genanten  herren  Bertold  von  Stretlingen  in  sinem 
sloß  gebuwen,  da  gott  und  der  wirdig  erzengel  sant 
^^  Michel  von  im  und  allen  cristenmönschen  ward  geeret. 
Darumb  list  man  gar  ein  groß  wunder  und  zeichen,  das 
in  dem  selben  sloß  und  bürg  von   sant  Michel  geschach. 

£in  zeichen,  das  zu  Stretlingen  geschach. 

Man   findt   also  geschriben,   daß   der  vorgenant  herr 

^>  Berchtold  von  Stretlingen  nam  ein  wib,  mit  dem  namen 
Aureliana,  die  gebar  im  einen  sun,  den  namptent  si  Sifrid. 
Do  er  also  erwuchs  und  groß  w^ard,  do  ward  er  beseßen 
von  dem  bösen  geist.  Der  selbe  böse  geist  tet  im  groß  müej 
und  arbeit,  kumber  und  liden  an,  vier  ganze  jar,  in  dem 

2<^  selben  zit  im  niemant  kond  noch  mocht  ze  hilf  komen. 
Durch  die  selben  sach  der  vorgenant  herr  Berchtold  von 
Stretlingen  kam  in  ein  semHche  ungedult,  daß  er  alle  die, 
die  für  das  selbe  hus  und  bürg  Stretlingen  giengent,  be- 
roubete.    Das  tet  er  darumb  —  wann  das  hus  und  veste 

^5  nach  w^as  bi  der  gemeinen  lantstraß  —  ob  er  ieman 
kond  begrifen,  der  in  könd  leren  und  underwisen,  daß 
sin  sun  möcht  gelediget  werden  von  dem  bösen  geist. 
Also  ward  er  von  einem  heiigen  man  gelert  und  under- 
wiset  uf  ein  zit,   daß   er   sölt   den    heiigen   erzengel   sant 

3^  Michel  und  all  ander  engel  anrüefen  empzenkUch  und  all 
tag   mit   einem   semlichen   gebet,    als   hie   nach   stat,    so 


wLird  er  erlöst;  das  ouch  der  vor  genant  Herr  [ii]  Berch- 
told  all  tag  mit  großer  andacht  volbracht.  Und  was  das 
dis  gebet:  o  du  heiliger  sant  Michel,  ein  erzengel  Cristi 
des  herren !  Durch  die  ^nad,  die  dir  £;eo;eben  ist  von 
gott,  so  bitten  wir  dich  durch  den  eingebornen  unsern  > 
herren  Jesum  Cristum,  daß  du  uns  erlösest  von  dem 
band  und  strik  des  bösen  geistes!  Amen.  Von  disem 
gebet  ließ  sich  der  vil  genant  herr  Berchtold  von  StretHngen 
keinerlei  sachen  nit  abtriben  noch  irren,  dann  daß  er  das 
all  tag  nach  underwisung  also  volbracht.  Und  uf  ein  zit  ^^■ 
von  gottes  geschieht  gieng  ein  priester  uf  der  vor  genanten 
Straß  für  und  der  vor  genant  herr  Berchtold  hieß  in  vachen 
und  berouben.  Do  nü  die  knecht  kament  und  den  priester 
also  woltent  vachen,  do  bat  er  die  knecht  und  die  diener 
des  herren,  si  söltent  in  selbs  zu  dem  herren  füeren,  i5 
wann  er  kond  und  was  geschikt  der  kunst,  die  beseßen 
lüte  zu  besweren  und  hatt  ouch  bi  im  zu  der  selben  zit 
die  büecher,  die  darzü  gehortent  und  sprach  ouch  zu  den 
selben  knechten,  er  hett  mit  dem  herrn  etzw^as  heimHchs 
zu  reden,  Do  si  nu  den  priester  fürtent  zu  dem  herren  20 
und  er  zu  dem  herren  kam,  do  bat  er  den  herren,  daß 
er  alles  sin  husgesinde  züsamen  berufte,  daß  er  inen  das 
gotzwort  verkunte.  Do  si  nü  alle  besamnet  waren  und 
für  sin  ougen  kament,  da  w^as  einer  under  dem  husgesinde, 
der  ouch  kamrer  oder  keller  was.  Do  derselbe  disen  25, 
priester  ansach,  do  verkert  er  sine  ougen  in  sinem  houpt 
und  traite  sin  houpt  wunderlich  umb  als  ein  unsinniger 
mönsch.  Also  beswür  in  diser  heiliger  priester  us  sinen 
büechern  und  fragte  in,  wer  er  were  und  umb  was  sachen 
er  dar  komen  were,  daß  er  das  da  offenlichen  kund  tet;  50 
und  umb  ander  ding  fragte  er  in,   die  dann  zu  dem  be- 


II.     {geschieht,  Schickung. 


i6 

sweren  dienent.  Do  antwurt  der  kamrer  oder  keller:  so 
leider  ich  muß  bezwungenlich  das  sagen,  wie  ungern  icli 
das  tun.  Icii  bin  nit  ein  menscli,  [12]  sunder  ich  bin 
der  tüfel  und  han  aber  eins  mönschen  gestah  an  mich 
5  genomen  und  bin  also  vierzechen  jar  bi  disem  herren 
gesin  und  han  sinen  sun  mit  dem  namen  Sifrid  gemüejet 
und  bekümbert,  wann  unser  fürst  hat  mich  also  darumb 
har  geschickt.  Und  besunder  wann  diser  herr  dis  huses 
sines  patrones  sant  Michels   gedächtniß   nit   hett  und  im 

10  ere  tet,  so  möcht  ich  minen  gewalt  an  in  legen  und  in 
töden  und  erwürgen  und  besunder,  wenn  ich  in  fund  in 
bösen  werken,  daß  er  dann  unser  solt  sin.  Darumb  uf 
welen  tag  er  sin  gedächtniße  mit  bet  nit  tat,  daß  ich  dann 
also    min   gewalt   an  im   solt   han.     Ich    han   aber   daruf 

1 5  gewartet  alle  tag  und  kond  nie  finden,  daß  das  nit  beschäch 
und  das  selb  nit  underwegen  ließ.  Von  disen  wort  erschrak 
der  vil  genant  herr  Berchtold  von  Stretlingen  und  viel 
nider  uf  sine  knie  für  den  seUgen  man  und  priester  und 
bat  da  von  im  gnad.    Diser  heiliger  man  sprach  zu  dem 

20  tüfel,  daß  er  enweg  füer  an  das  end  und  statt,  da  dem 
heiligen  sant  Michel  kein  ere  geschäch  und  da  er  nit 
w^urd  angerüeft  und  nachdem  im  der  seUg  priester  enweg 
gebot,  do  verswand  der  tüfel.  Den  vorgenanten  herren 
bracht  darnach   der   selig  priester    zu   einem    guten,  vol- 

25  komenen,  cristenlichen  glouben  und  hieß  in  da  bi  in  dem 
selben  sloß  und  bürg  angends  einen  altar  buwen  in  der 
ere  sant  Michels,  des  heiligen  erzengels  und  underwiste 
in  in  andern  guten  Sachen  und  besunder,  daß  er  den 
altar  und  all  ander  kilchen,  die  zu  im  gehortent,  in  groß 

.30  sorg  und  liebe  hett  und  er  die  selben  volkomenlich  wol 
versorgete.     Ouch   gebot   und   bat  in   der   selig  priester, 


26.     angends,  sofort. 


17 

daß  er  allen  priestern  zucht  und  ere  tat  und  die  beschirmete 
und  darzü  die  heiligen  empter  der  meßen  andechtenklich 
und  gern  horte;  daß  er  ouch  der  armen  lüten  nit  ver- 
geße  und  ir  indenk  were.  Ouch  bevalch  er  im  ernstlich, 
er  sölt  das  roubgüt  ganz  und  gar  wider  geben,  so  er  het  5 
den  lüten  abgenomen..  Nach  diser  manung  [13]  und 
bitt  do  begab  sich  der  vil  gedacht  herr  Berchtold  von 
Stretlingen  und  gab  enweg  und  ersatzt  alles  das,  so  er 
hätt  geroubet  und  unredlich  an  sich  hat  gezogen  und 
verwandlete  sin  leben  zu  allen  guten  sachen  und  buwte  10 
äugendes  ein  cappel  und  altar  uf  das  sloß  und  bürg 
Stretlingen.  Den  selben  altar  und  cappel  ließ  er  in  der 
ere  des  hochgelopten  erzengels  sant  Michels  wichen. 

Und  wann  nü  zu  den  selben  ziten   kein  ander  kilch 
in  dem  selben  land  was  des  mindern  Burgunn,   do  bat  er  i5 
mit  geflißnem  ernst  den  vor  genanten  priester  Adelberch- 
tum,    der   nü  täglich  und  allweg  an  sinem  tisch  an  siner 
siten  sin  spis  und  trank  nam  mit  im  und  sinem  gemachel, 
daß  er  bi  im  wölt  beliben  und  im  und  andern  cristenden 
lüten,   da  umb  geseßen,   wölte  ie  zu  ziten  meß  sprechen  20 
und  si  weite  dabi  in  cristendem  glouben  underwisen  und 
leren  und  die  Opfer,   ouch   andere  rechtsame  der  heiligen 
kilchen    wölt    von    inen    nemen,    davon    er    sich    möcht 
bekleiden    oder    anders,    so    er    bedörfte,    davon    möchte 
bruchen.     Die   zechenden   allenthalben    da    umb    in    dem  25 
ganzen    land   derselbe   vil  genempte  herr  von  Stretlingen 
von  einem  stül  von  Rom    erwarb   ufrechtenklich   und  im 
ouch  daselbs  geUchen  und  geben  ward  und  besunder  die 


13.  Diese  Erzählung  ist  die  Nachahmung  einer  Legende  «der 
Raubritter  und  sein  Kämmerer»  bei  Pfeiifer,  Marienlegenden  Nro. 
XIV  und  von  der  Hagen,  Gesammtabenteuer  LXXXVI  (III,  561 
und  p.  CXXVI,  wo  auch  ahfranzösisciie  und  andere  Bearbeitungen 
genannt  sind). 


i8 

zechenden  uswendig  und  inwendig  den  zweien  waßern, 
ncmlich  der  Cander  und  der  Ar  und  enent  dem  Wendel- 
see, den  man  nü  nempt  den  Thunsee  bi  vil  milen,  -  die 
er  dem  selben  kilchensatz  züleit  und  ouch  das  also  ufnam. 
5  Der  vorgemeldet  priester  zu  den  götlichen  emptren  flißig 
und  ernstig  was  und  besunder  die  mönschen  zu  cristen- 
lichen  sachen  und  guter  gewonheit  zu  bringen  durch  die 
guten  werk,  die  er  üebte,  er  vil  lüten  in  cristenden  glouben 
züsamen  bracht  und  samnete. 


10    [14]    Wie  sich  unser  herr  einem  von  Stretlingen  erzöigt  an 
dem  waßer  der  Kander. 

Darnach  in  vergangnen  ziten  der  vor  genante  herr 
Sifridus,  der  sun  des  vil  genanten  herrn  Berchtolds  von 
Stretlingen,  der  sach  und  hört,  wie  dann  sin  vater  und 
ander    cristenlüt    inen    selbs   userwaltent   besunder   heiige 

15  patron  und  fürbitter  der  heiligen  und  begerte  ouch  also 
zu  haben  ein  patron  und  heiigen.  Do  er  nü  semlichs 
begert  von  ganzem  herzen,  do  leite  im  der  vor  genant 
priester  Adelberchtus  für  ein  buch,  da  man  gemeinlich 
all  heiligen   inne   nempt   und  man  das  ouch  nempt  nach 

20  der  latin  das  letany-büechUn.  Do  er  nü  das  buch  uf  tet 
und  da  begert  von  ganzem  demüetigen  herzen  eines 
patrones,  do  wolt  gott  nach  sinem  begeren,  daß  im  sant 
Michel  einest,  zwürent  oder  dristent  fürkam,  den  er  ouch 
mit  ganzem  andechtigen  herzen   also  ufnam  und  im  ouch 

25  mit  ganzem  fliß  dienete.  Und  besunder,  was  man  in 
siner  ere  was  bitten,  das  verseit  er  nieman,  besunder  was 
er  das  mit  einem  fröUchen  willen  verhengen  und  geweren> 
als  verr  er  mocht. 


25.     einest,  einmal;  ^viirent,  %wirent,  zweimal;    dristent,  dristnnt,, 
dreimal. 


19 

Nu  liset  man  das  für  ein  warhelt  von  im,  daß  bi 
dem  waßer  der  Kander,  das  da  nach  ist  bi  dem  sloß  oder 
buro:  Stretlin<2:en,  zu  einer  zit  im  summer  das  waßer  der 
Kander  also  groß  was,  daß  man  das  nit  wol  mocht 
waten,  dann  mit  einem  roß  das  riten.  Und  also  wolt  5 
der  ob  gemeldet  Sifridus  von  Stretlingen  alleinig  mit  sinem 
pferd  riten  durch  die  Kander.  Also  vand  er  einen  us- 
fetzigen  bi  dem  waßer  sitzen,  der  also  unrein  und  un- 
geschaffen was,  als  kein  usfetziger  oder  maletziger  [15] 
iemer  mag  gesin  und  ouch  ein  semlich  grüwcnlicher  10 
großer  ungeschmack  und  stinken  von  dem  usfetzigen 
gitng,  daß  das  kum  ieman  mocht  liden.  Der  selbe  usfetzig 
bat  den  vor  genanten  herrn  Sifriden  von  Stretlingen  in 
der  ere  sant  Michels,  daß  er  in  für  sich  uf  sin  pferd 
satzte  und  in  durch  das  waßer  fürte.  Das  verseit  er  im  15 
und  wolt  es  umb  kein  sach  nit  tun.  Der  usfetzig  leit 
flißig  und  ernstlich  bitt  an  in  und  besunder  sprach  er: 
ach  lieber  herr,  ir  habent  doch  nie  keinem  mönschen  hilf 
noch  rat  verzigen,  der  üch  hat  gebeten  in  der  ere  sant 
Michels  des  erzengels  und  wellent  denn  das  mir  nü  ver-  20 
ziechen?      Nach    sölicher    flißUcher    bitt    und    ermanung 


I.  Die  folgende  Legende  ist  dem  C^sarius  von  Heister- 
bach nacligebildet  (vergl.  Einleitung).  De  miraculis  et  visiotühus  snl 
temporis  s.  dialogus  miraculoriim,  Hb.  VIII,  cap.  32:  «Erat  in  regno 
Francorum  episcopus  quidam  cetate  juvenis,  sed  magna  religionis  etc.  Hie 
iantce  fuit  pietatis,  niisericordia  ac  humilitatis,  tit  equitans  in  via,  neminem 
leprosum  sihi  occiirrentiiim  sine  eleemosyna  prateriret ;  Scepe  etiam  de  eqiio 
descendit  et  petentes  pneveniens,  nummis  manilms  illonim,  tanqiiam  Christi 
ga^aphilacio  imwissis  atque  deoscidalis,  iteriim  ascendit  et  processit.»  Dann 
wird  eine  ähnliche  Geschichte  erzählt,  wie  Christus  unter  der  Ge- 
stalt eines  Aussätzigen  (vergl.  ib.  cdp.  31  und  33)  dem  Bischof  be- 
gegnet und  diesen  zu  etwas  weit  Eckelhafterem  bewegt. 
9.  maletiig,  malätiic,  ausfätzig. 
19.     verzigen  part.  zu  verißhen,  versagen. 


20 

demüetigete  sich  der  vor  genante  herr  von  Stretlingen  und 
trat  harab  von  sinem  pferd  und  nam  in  in  sin  arm  und 
satzte  in  für  sich  uf  das  pferd  und  fürte  in  also  durch 
das  waßer  der  Kander;  und  alsbald  er  in  hinüber  gefürt, 
5  do  ilt  er  und  were  gern  von  im  gesin  und  satzte  in 
nider.  Do  vieng  der  usfetzig  aber  an  zu  bitten  und  bat 
als  vast  als  vor  und  vil  me,  daß  er  also  wol  weite  tun 
und  in  wölte  küßen  aber  durch  sant  Michels  willen.  Der 
herr  ward  zornig  und  w^olt  das  nit  tun   umb    kein   ding; 

10  do  viefig  der  usfetzig  an  zu  w^einen  und  mit  w^einender 
stimme  in  zu  bitten,  daß  er  in  küßte  in  der  ere  des 
lieben  heiHgen  sant  Michels.  Nu  hörent,  w^as  da  beschach. 
Der  herr  w^ard  bewegt  zu  erbarmherzikeit  und  gieng  harab 
von    sinem    pferd   und   küßte   in.     Alsbald   der   herr   das 

1 5  getan  hat,  do  sprach  der  usfetzig  zu  im :  du  solt  wüßen, 
daß  du  küßet  best  Jesum  Christum,  der  da  gesprochen 
hat  in  dem  ewangeUo:  wer  sich  demüetiget,  der  wdrt 
erhöcht.  Und  uf  das  do  sprach  er  fürer  zu  im:  gesich 
obsich!     Und  do  er  uf  gesach  an   die   himel,   do  gesiebt 

20  er  sant  Michel  den  heiigen  erzengel,  [i6]  der  im  bereit 
hat  ein  statt  in  dem  rieh  der  himeln  und  alsbald  ver- 
schw^and  er.  Darnach  dienete  der  selbe  herr  fürer  mit 
großen  fröiden  und  andacht  dem  allmechtigen  gott  und 
ouch    sant   Michel    unz    uf   sin    lestes   end.     Darnach   in 

25  vergangnen  ziteh  und  tagen  schied  er  von  diser  zit.  Der 
allmechtig  gott  si  im  gnedig! 

Darnach  in  vergangnen  ziten  Heß  der  ob  gemeldet 
herr  Sifrit  von  Stretlingen  einen  sun  mit  dem  namen  herr 
Caspar  von  Stretlingen.     Der   selbe   herr  Caspar   hat  ein 

30  husfrow^en,    genant  Cristina,    die   allen   priestern,    die   dar 


18,    fürer,  weiter,  ferner. 
24.     un:{^,  bis. 


21 

kament,  früntlichen  was  und  warent  ouch  allem  gemeinem 
volk  und  armen  lüten  getrihve  beschirmer,  darzü  vil  dienst 
und  mengerlei  gaben  und  miltekeit  si  inen  bewistent. 
Aber  der  erst  genante  Herr  Caspar  von  Stretlingen  was  gar 
ein  strenger  scharpfer  man  wider  sin  viend;  und  w^as  5 
der  tugend  der  gerechtekeit  zugehört,  da  was  er  geneigt 
uf  das  selbe  ze  volbringen ;  aber  gar  ein  herter  w^üetender 
richter  was  er  wider  die  dieb,  röiber  und  ander  übeltätig 
lüt:  er  dorst  wol  umb  schaden  eines  pfennigs,  der  ieman 
da  geschach,  einem  sin  leben  abnemen.  Er  hankte  ouch  ^o 
dik  an  sinen  gürtel  strik,  so  er  us  sinem  sloß  gieng,  daß 
er  denen,  so  schuldig  warent  des  todes,  kein  lengrung  gab 
irs  lebens.  Darumb  list  man  ein  groß  zeichen,  das  da 
von  im  geschach  in  dem  sloß  Stretlingen. 


4.  Diese  Geschichte  hat  Kit:ur2:er  ebenfalls  fiist  wörtlich  aus 
C.ESARiüS  VON  Heisterbach  (vergl.  Einleitung)  übersetzt  mit  einer 
einfachen  Namensveränderung.  Dialogus  miraculorum,  Hb.  VI,  cap.  26: 
«Bertolphiis  Palatinus  de  Witillimhach  judex  erat  severissimiis,  ita  utfuribus, 
etiam  pro  danino  iiniiis  oholi,  vitam  auferret.  Et  sicut  a  quodam  abhate 
aiidivi,  quotiens  exivit,  laqueos  cingulo  siio  appendit,  ne  reoruni  pjena  caperet 
diJationem.  Die  qiiadam  mane  surgens  et  laqueum  cingulo  suo  solito  sulmectens, 
hujusiuodi  vocem  in  aere  audivit:  Bertolphe,  quicunque  tibi  egresso  de 
Castro  tuo  prinius  occurrerit,  hoc  hiqueo  euni  suspcndas.  Oui  vocem  pro 
omine  accipiens,  mox  ut  egressus  est,  occurrit  ei  quidam  scultetus  suus 
primo,  quo  viso,  cutn  satis  doleret,  eo  quod  hominem  dUigeret,  dicebat 
Uli :  Doleo  de  occursu  tuo.  Cui  ille  respondit :  Quare  ?  Cui  ille :  Quia 
suspenderis.  Et  ille :  Quare  suspendar  ?  Respondente  Uli  Palatino :  Nescio, 
sed  pr^epara  te  ad  confessioneni  et  ordina  de  rebus  tuis,  quia  voci  divtna 
resistere  non  debeo.  Ille  videns  aliter  esse  non  posse,  ait:  Justus  est 
dominus,  ego  plures  in  domiim  nieam  declinantes  insequins  occidi,  multis 
sua  rapui,  nee  tibi  domino  meo  unquam  fidelis  extiti,  neque  pauperibus 
peperci.  Et  mirati  sunt  omnes  audientes  ejus  confcssionem  et  cognoverunt, 
in  ejus  niorte  peccati  pcenam  esse  a  deo  etc.» 

9.     dorste,  proet.  zu  dürren,  tiirren,  wagen,  hier  können. 


22 


[ly]  Ein  zeichen,  wie  he  fr  Caspar  von  Stretlingen  sinen 
Schultheißen  selber  hankt. 

Uf  ein  zit  eins  tages  den  morgen  früe  diser  herr 
Caspar  von  Stretlingen  nach  siner  gewonheit  strik  an 
5  sinen  gürtel  hankte;  do  er  nü  zu  sinem  sloß  us  gieng, 
do  hört  er  in  dem  luft  ein  stimm,  die  ruft  also  zu  im: 
Caspar,  den  ersten  mönschen,  der  dir  hüt  bekumpt  und 
entgegen  gat,  den  soltu  mit  dem  strik,  so  du  an  dich 
gehenkt  hast,  erhenken !    Er  gesach  hinder  sich,  do  gesach 

10  er  sant  Michel  im  erschinen  uf  der  mur  sines  sloßes,  der 
also  mit  im  redte.  Alsobald  er  für  sich  gat,  so  begegnet 
im  des  allerersten  sin  Schultheiß ;  des  er  gar  sere  erschrak, 
wann  er  was  im  lieb  und  getrüwet  im  wol.  Also  sprach 
herr  Caspar  zu  sinem  Schultheißen:    mir  ist  leid,  daß  du 

15  mir  hie  begegnest.  Warumb  Heber  herr?  Darumb,  sprach 
er,  daß  ich  dich  muß  henken.  Er  fragt  sinen  herren, 
warumb  er  in  wölt  henken.  Do  antwurt  im  sin  herr: 
ich  weiß  nit  warumb,  darumb  so  bereit  dich  mit  der 
bicht   und   orden    din    ding,   wann   der  engelschen  stimm 

20  oder  daß  der  wille  gottes  dabi  ist,  darwider  wil  ich  nit 
tun  noch  sin!  Do  dise  wort  sin  Schultheiß  hört  und 
es  ouch  nit  anders  mocht  sin,  denn  daß  er  sterben  müßt, 
do  sprach  er  zu  sinem  herren:  der  allmechtig  gott  ist 
gerecht   an   sinen   dingen.      Ich    han   disen  tod   wol   ver- 

2  5  dienet !  und  sprach :  ich  han  vil,  die  in  din  herschaft  sind 
komen,  heimUch  ertödt;  ich  han  vil  lüten  beroubet;  ich  bin 
dinen  armen  lüten  unmilt  und  nit  erbarmherzig  gesin  und 
bin  dir  herr  nie  trüw  gesin  und  uf  hüt  so  wolt  ich  dich, 
din   bürg   und   alles   din   gut   dinen    vienden   in   ir  hende 


7.     hehimen,  begegnen. 
19.     ordeneu,  in   Ordnung  bringen. 


23 

geben!  [i8]  Der  herr  fragte  in,  wie  er  sin  verratene  weit 
han  zübracht.  Er  antwurt  dem  Herrn  und  sprach:  ich 
wolt  hüt,  so  man  meß  uf  disem  sloß  het  gesprochen, 
angeleit  und  wol  gewapnet  lüt  heimlich  inlaßen,  als  ob 
si  wöltent  zu  der  heiligen  meße  und  die  hören,  und  5 
wenn  sie  also  hinin  werent  komen,  daß  si  dich  getödt 
hettent  und  din  bürg  und  das  din  also  hettent  ingenomen 
und  das  beseßen.  Und  alle,  die  dobi  warent  und  das 
hortent,  hattent  groß  wunder  darvon  und  fundent  ouch 
äugendes,  daß  es  also  was  geschikt  von  im  und  also  10 
ward  er  angends  gehenkt.  Und  alle,  die  das  vernament 
oder  sachent,  hieltent  das  für  ein  beschulte  pin  zitlich  von 
gott  also  geschikt  und  durch  den  hochwirdigen  sant 
Michel  also  volbracht,  daß  der  herre  also  bi  sinem  leben 
beleih  und  das  hus,  da  sant  Michel  inne  geeret  ward,  15 
behüet.  Und  also  ward  hie  die  prophecie  des  heUgen 
Davides  erfült  und  war  gemacht,  da  er  spricht :  es  si 
dann  sach,  daß  der  herr  selb  das  hus  in  siner  hüt  hab, 
so  ist  es  alles  umbsust.  Und  darumb  was  der  vil  genante 
herr  Caspar  von  Stretlingen  den  hochgelopten  sant  Michel  20 
in  sinem  herzen  lieb  haben  und  im  fürer  flißlich  dienen. 
Darnach  schied  er  von  dieser  zit.     Gott  si  im  gnedig ! 

Darnach  besaß  sin .  sloß  und  herschaft  sin  sun  mit 
dem  namen  herr  Wernhart  von  Stretlingen.  Der  hat  ein  wib 
mit  dem  namen  Susanna.  Die  selben  personen,  der  herr  2s 
und  sin  frow,  die  warent  gerecht  in  allen  iren  dingen  und 
Sachen,  damit  si  umbgiengen,  arm  lüt  ze  trösten  mit 
Worten  und  werken,  ouch  die  werk  der  erbarmherzikeit 
den  armen  lüten  erzeigen  empzenkliclf  und  an  underlaß. 
Und  was  liebes  und  gutes  si  armen  lüten  [19]  oder  andern  3» 
erzöigtent,    das  tetent   si    frölich   und   mit   gutem  willen. 


12.     beschulte  pin,  verdiente  Strafe. 


24 

Und  darumb  so  list  man  hie  ein  groß  zeichen  und  wunder, 
das  inen  zu  henden  gieng. 

Ein  zeichen,   das  da  beschach  zu  Stretlingen  uf  der  bürg. 

Es  beschach  zu  einer  zit  durch  verhengniß  und  zü- 
laßens  wegen  des  allmechtigen  gottes,  daß  der  tüfel  für 
s  die  bürg  Stretlingen  zu  dem  tor  und  tür  kam  und  klopfet 
an  als  ein  bilger  und  begert  also  in  der  ere  sant  Michels 
herbrig.  Do  er  nü  ingelaßen  ward,  und  w^ann  es  nü  kalt 
was,  do  schikte  im  der  vor  genante  herr  Wernhart  sinen 
mantel,  der  nü  zwifaltig  was  und  darzü  nüw,  daß  er  sich 

10  damit  takte.  Do  nü  den  morgen  früe  ward,  do  was  der 
bilger  enweg  und  sin  mantel  ouch  dabi.  Die  frow  des 
herren  w^ard  zornig  und  sprach  zu  irem  mann  und  herren : 
du  bist  vil  und  dik  von  semlichem  bübenvolk  betrogen 
w^orden   und  kanst  dich  doch  nit  hüeten  und  hörst  noch 

1 5  nit  uf,  inen  w^ol  ze  tünd !  Der  herr  antwurt  siner  frowen 
sprechende:  liebe  husfrow,  laß  dich  es  so  vast  nit  be- 
kümbern,  der  lieb  heilig  sant  Michel  mag  mich  des  wol 
widerumb  ergetzen,  daß  mir  min  schad  ersetzt  wirt !    Dise 


3.  Die  Stretlinger  Mantelsage  ist  zum  größten  Theil 
wiederum  wörtlich  dem  C^.sarius  von  Heisterbach  nachgebildet. 
Zur  Vergleichung  stehen  hier  die  correspondirenden  Stellen  des 
betreffenden  Capitels,  das  die  bekannte  Geschichte  vom  Ritter 
Gerhard  von  Holenbach  erzählt.  An  der  Stelle  St.  Michaels  erscheint 
St.  Thomas.  De  miraculis  et  visionibus  sui  iemporis  s.  dialogus  mira- 
culorum,  lib.  VIII,  cap.  59t  «In  villa,  qine  dicitur  Holenbach,  niiles 
qiiidam  habitavit  nomine  Gerardus  etc.  Hie  sanctnm  Thomavi  Apostolmn 
tarn  ardenter  diligebat,  tarn  specialiter  pne  cateris  sanctis  honorabat,  iit 
nulli  paiiperi,  in  illiiis  nomine  petenti  eleemosynam  negaret  etc.  Die 
qiiadam,  deo  pennittente,  omnium  bonorum  inimicus  diabolus  ante  ostium 
militis  pulsans,   sab  forma  et  habitu  peregrini,   in  nomine  sancti   Thonhe 

18.     ergetzen,   entschädigen. 


25 

sach  tet  nü  der  tüfel,  daß  durch  die  verlurst  des  mantels 
der  Herr  kerne  zu  ungedult  und  unlidikeit  und  davon 
ursach  möcht  haben,  in  ze  besitzen  und  ze  müejen.  [20] 
Und  der  allmechtig  "got  verhängte  das  dem  tüfel  ze  tünd, 
daß  sin  götUche  macht  und  sin  will  hie  erzeig-t  wurd.  > 

Nü  Hset  man,  daß  der  wirdig  erzengel  sant  Michel 
sinen  tempel  und  wonung  erzeigt  uf  dem  berg  Gargano 
in  dem  jar,  do  man  von  der  geburt  Cristi  zalt  drühundert 
und  zwenzig  jar.  Darnach  in  kurzer  zit  wolt  der  vor  genant 
herr  Wernher  von  StretUngen  von  verheißens  wegen  sin  10 
selbs  zu  dem  selben  berg,  da  sich  ouch  sant  Michel  erzeigt 
hat.  Do  er  sich  nü  darzü  bereit  hatt  und  enweg  wolt  an 
das  selbe  end  in  der  ere  sant  Michels,  do  nam  er  den 
segen  von  siner  husfrowen  und  zoch  ab  sinem  vinger 
ein  guldinen  ring  und  zerteilte  das  in  zwen  teil  (in)  siner  i> 
husfrowen  und  andern  gegenwürtikeit  und  gab  den  einen 
teil  des  rings  sinem  gemachel  und  husfrowen,  und  den 
andern  teil  des  vingerlis  behüb  er  im  selbs  und  sprach 
also  zu  ir :  Hebe  husfrow,  disem  zeichen  des  halben  vingerlis 
soltu  glouben,  und  fünf  jar  gib  ich  dir  zil,  daß  du  min  20 
solt  warten  als  eine  fromme  frow.    Ist  es  aber  sach,  daß 


hospititiDi  pelivit :  quo  siih  omni  fest iiiatio)ie  introinisso,  cum  esset  frigus, 
et  il/e  se  algere  sitnuhiret,  Gerardus  cappam  suani  foderatam,  honam 
satis,  qua  se  tegeret  iens  cuhituni,  transmisit.  Mane  vero  cum  is,  qui 
peregrinus  videhatur,  non  appareret,  et  cappa  qiuesita  non  fuisset  inventa,. 
uxor  marito  irata  ait :  Sape  ah  hujusmodi  truttanis  illusus  estis  et  adhuc 
a  superstitionibus  vestris  non  cessatis.  Cui  ille  tranquillo  animo  respondit  r 
Noli  turhari,  hene  restituet  nobis  hoc  damnum  sanctus  Thomas!  Hcec 
egit  diaholus,  ut  nülitem  per  damnum  cappce  ad  impatientiam  provocaret 
et  apostoli  dilectionem  in  ejus  corde  extingueret ;  sed  militi  cessit  ad 
gloriam,  quod  diaholus  pi\eparaverat  ad  ruiiiam  etc.  Nam  parvo  etnenso 
tempore,  Gerhardus  limina  beati  Thonite  adire  voJens,  cum  esset  in  pro- 
cinctu  positus,  circulum  aureum  in  oculis  uxoris  in  diias  partes  dividens,. 
18.     vingerlin,  Ring, 


26 

ich  nach  den  fünf  jaren  nit  wider  kom,  so  magstu  dich 
versorgen  mit  einem  andern  mann,  wa  du  wilt !  Si  verhieß 
im  das  also  stet  ze  halten.  Also  für  er  enweg  mit  großem 
kosten   zu   sant  Michels  kilchen  zu  dem  berg  Garganum; 

5  in  dem  weg  und  uf  der  straß  er  vil  widerwertikeit  und 
ungefels  leid.  Do  er  nü  dar  kam,  do  bevalch  er  sich 
selbs,  sin  husfrowen  und  alles,  das  er  hatt,  sant  Michel 
und  an  dem  selben  end  vorderte  er  ein  teil  des  mantels 
sant  Michels,  das  im  ouch  ward.     Do  er  nü  von  dannen 

^o  schied  und  er  durch  Lamparten  zog,  do  ward  er  gefangen 

und   was   also   vier  jar  oder  nie  in  einem  turn  gefangen. 

Nü  pflag  er  [21]  aber  vil  und  dik   ze   bitten   in   der 

ere  sant  Michels  die,  die  in  gefangen  hattent,   daß  sie  in 

ließent  gan  und  besunder  was  er  fürwenden,   er  hette  si 

^5  nit  erzürnt.  Sie  antwurtent  im  und  sprachent,  si  weltent 
das  nit  tun,  es  were  denn  sach,  daß  er  inen  einen  großen 
schätz  von  gut  gebe;  tat  er  das  nit,  so  müeßte  er  da 
gefangen  ligen.  Er  sprach  aber  zu  inen :  sit  dem  mal, 
daß  das  an  großes  gut  nit  mag  sin,  so  si  zwüschent  mir 

20  und  üch  der  heilig  erzengel  sant  Michel,  dem  ich  mich 
ouch  hab  bevolhen!     Und   mit   dem   selben,    als   er   dise 


easque  corani  illa  conjimgens,  unam  Uli  dedit  et  alteratii  sibi  reservavit, 
dicens :  Hute  signo  credere  dehes,  rogo  etiaui  ut  guinque  annis  reditum 
meum  expectes,  qiiibus  expletis,  niihas  cid  volueris.  El  promisit  ei,  qui 
via  vadens  iongissima,  tandein  cum  magnis  exi?ensis,  maximisque  lahorihiis 
pervenit  ad  civitaiem  sancti  Thoma  apostoli  etc.  Oratorium  (beati  apostoli) 
intravit  et  oravit,  se,  uxorem  et  omnia  ad  se  pertitientia,  Uli  commendaus. 
Post  hcec,  termini  sui  reminiscens,  et  in  eodem  die  qninqueiinium  com- 
pletum  considerans,  ingemuit  et  ait :  Heu  modo  uxor  mea  viro  alten' 
nuhet:  impedier.it  deus  iter  ejus  propter  hoc,  quod  seqiiitur.  Qui  cum 
tristis  circumspiceret,  vidit  pradictum  diemonem  in  cappa  sua  deavibu- 
lanlem ;  et  ait  dcemon :  Cognoscis  me  Gerbarde?  Non,  inquit,  te  cognosco, 
sed  cappam.  Respondit  ille:  Ego  sum  qui  in  nomine  apostoli  hospitium 
a  te  petivi,  et  cappam  tibi  tuli,  pro  qua  et  valde  punitus  sum  et  adjecit : 


27 

wort  sprach,  do  gedacht  er  an  die  fünf  jar  des  zils,  so 
er  siner  husfrowen  hat  geben  wider  heim  ze  komen,  die 
ouch  do  ein  end  hattent  und  verschinen  warent.  Das 
betrachtet  er  in  sinem  herzen  innenklich  und  sprach :  o  du 
wirdiger  heihger  erzengel  sant  Michel,  wie  sol  ich  nü  5 
tun,  oder  wie  sol  ich  min  sachen  anfachen  ?  Min  gemachel 
und  husfrow  die  nimpt  nü  einen  andern  man,  wann  die 
zit  ist  hie,  daß  ich  ir  das  erloubt  han.  Ich  bitt  dich,  hilf 
mir  ietz  in  minen  nöten !  Als  er  nü  also  betrüept  und 
trurig  was,  do  gesach  er  umb  sich  in  dem  turn,  da  er  in  lo 
gefangen  lag  und  gesach  den  tüfel  mit  sinem  mantel,  der 
im  vormals  us  sinem  hus  Stretlingen  getragen.  Und  der 
tüfel  sprach  zu  im :  bekennestu  mich  Wernher,  wer  ich 
bin?  Er  antwurt  im  und  sprach:  ich  bekenn  dich  nit, 
aber  den  mantel,  den  du  da  hast,  den  bekenn  ich  wol!  n 
Do  sprach  der  tüfel:  ich  bin  der,  der  herberg  uf  ein  zit 
von  dir  hiesch  und  begert  bi  dinem  hus  Stretlingen  in 
der  ere  sant  Michels,  und  dir  dinen  mantel  enweg  trüg; 
und  das  tet  ich  darumb,  daß  ich  dich  und  din  husfrowen 
durch  ungedult  besaß;  aber  sant  Michel  hat  dich  beschirmet,  ^^^ 


Ego  suni  diaholus  et  prccceptiün  est  iinhi,  iit  anteqiiaiii  honiines  cubitum 
vadant,  in  doniiun  tiiaiii  te  transferam,  eo  quod  uxor  tiia  alten  viro 
nupserit,  et  /'am  4n  niiptiis  cum  illo  sedcat.  ToIIens  eum,  in  parte  diei 
ah  India  in  Theiitoniam,  ah  ortu  solis  in  ejus  occasum  transvexit,  et  circa 
crepuscuhim  in  curia  propria  illum  sine  lasione  deposuit :  qui  domum 
suani  sicut  harhariis  intrans,  cum  uxorem  propriam  cum  sponso  suo  vidisset 
coniedentem,  propius  accessit,  eaque  aspiciente,  partem  circuli  in  scyphmn 
mittens  ahscessit :  quod  uhi  illa  vidit,  mox  extraxit,  et  partem  sihi  dimissam 
adjungens,  cognovit  eum  suum  esse  maritum,  statimque  exiliens,  in  am- 
plexus  ejus  ruit,  virum  suum  Gerardum  illum  esse  proclamans  etc.» 

Die  Heimkebrsage,  in  der  ToJtgeglaubte  plötzlich  aus  der 
Ferne  in  der  Heimat  eintreffen  und  von  der  Gattin  an  besondern 
Merkzeichen  in  dem  Augenblick,   da   jene   eine   neue  Ehe  eingehen 

3.     verschinen,  (von  der  Zeit)  ablaufen,  vergehen. 
17.     hiesch  pniet.  zu  heischen,  eischen,  abfordern. 


28 

daß  ich  das  nit  vermocht.  Darumb  so  bin  ich  sere  und 
vast  von  minem  obern  gepiniget  und  gestraft.  Ich  bin  der 
tüfel  und  kein  mönsch.  Nu  ist  mir  geboten  von  sant 
Michel  an  gottes  statt,  e  daß  sich  die  lüte  uf  dise  nacht 
5  legent  ze  slafen,  daß  ich  dich  füere  uf  din  sloß  oder  bürg 
Strethngen;  wann  din  husfrow  [22]  durch  min  inlegung, 
undcrwisung  und  zutun*  dines  untrüwen  Schultheißen  hat 
einen  andern  man  genomen,  und  mit  dem  selben  man 
wirt  si  uf  dise  nacht  hochzit  haben !    Und  nam  in  uf  sich 

i<^  umb  die  zit,  so  tag  und  nacht  schiedent  und  trüg  in  zu 
sinem  sloß  Stretlingen  an  alle  verserung  und  schmerzen 
und  ließ  dabi  den  mantel,  den  er  vormals  diepUch  hat 
enweg  tragen,  bi  im  zu  einer  gedechtniße  der  vergangnen 
dingen.     Der   vil   genant   herr   Wernher   von   Stretlingen 

15  gieng  durch  den  hof  in  ze  glicher  wis  als  ein  frömder 
spilman  oder  aventürer.  Do  er  nü  gesach,  daß  sin  hus- 
frow und  gemachel  ein  andern  man  hat  genomen  und  si 
also  in  dem  eßen  warent  und  si  ouch  bi  ein  andern  saßent, 
do  fügte  er  sich  zu  dem  tisch  hinzu  und  alsbald  er  sinen 

20  gemachel  ansach,  do  zoch  er  harfür  sinen  teil  des  vingerHs, 

*  in  der  Hs. :  und  dines. 


0 

will,  erkannt  werden,  ist  eine  weit  verbreitete.  Man  erinnere  sich 
des  jüngeren  Hildebrandsliedes,  des  edlen  Möringer,  Heinrichs  des 
Löwen  (der  ebenfalls  vom  Teufel  durch  die  Luft  getragen  wird), 
des  Herrn  von  Bodmann,  in  der  Schweiz  der  Sage  vom  Ring  zu 
Hallwil.  Die  Stellen  sind  gesammelt  von  Uhland  in  Pfeiffers  Ger- 
mania IV,  79  (Schriften  VIII,  431),  Uhlands  Schriften  IV,  295 
und  Rochholz,  Schw.  Sagen  a.  d.  Aargau  II,  115,  Dazu  kommen 
ähnliche  Züge  im  Wolfdietrich,  Ritter  Pontus  (cap.  39.  Im  Buch 
der  Liebe  von  1587,  p.  337).  Die  Sage  aus  der  Stretlinger  Chronik 
wurde  poetisch  bearbeitet  von  Wyß  in  den  Neuen  Idyllen  p.  302. 
Vergl.  auch  Kohlrusch,  Schweiz.  Sagenbuch  p.   56. 

Nicht  weniger  verbreitet  ist  die  Mantelsa^re.  Odin  heißt  Heklu- 
madhr,  der  Mantelmann.  Bei  Saxo  Grammaticus  fährt  Hading  in 
Odins  Mantel  durch  die  Lüfte.     Grimm,  deutsche  Mvthologie   133; 


29 

das  si  geteilt  hattent,  do  si  von  einandern  schiedent  und 
ließ  das  vallen  in  ir  trinkgeschir  und  trat  von  dannen. 
Sin  husfrow  hüb  alsobald  das  trinkgeschir  uf  und  vand 
da  den  teil  des  vingerlis,  als  si  ouch  hatt  und  tet  die 
stük  an  einandern,  dabi  si  bekant,  daß  er  ir  gemachel  5 
was.  Alsobald  sprang  si  von  dem  tisch  und  viel  irem 
gemachel  und  herren  an  sinen  hals  und  pflag  in  lieplich 
ze  halsen  mit  einem  getrüwen  kuß  und  da-  offenlich 
verjechen,  wie  er  ir  rechter  man  und  gemachel  were. 
Und  also  ward  das  hochgezit  des  brutloufs  bekert  zu  ^o 
einer  fröid  der  zükunft  des  dik  gentmpten  herrn  Wern- 
hers  von  Stretlingen. 

Der  selbe  herr  Wernher  von  Stretlingen  bracht  ouch 
mit  im  uf  die  selben  zit  heltüm,  nemlich  von  einem 
mantel  sant  Michels.  Das  und  ander  heltüm  Ueß  er  mit  ^5 
großen  eren  uf  sinen  altar  der  bürg  behalten.  Und  findet 
man,  daß  er  dem  priester  an  dem  selben  end  gab  und 
ließ  den  höwzechenden,  als  man  das  fint  in  dem  jarzit- 
büch  (kl.  decembris)  und  darnach  in  vergangnen  ziten 
schied  er  von  diser  zit.     Gott  si  im  gnedig!     Amen.         ^^ 


Wolfs  Beitrage  z.  d.  Myth.  I,  ^  u.  ff. ;  Simrock,  Handbuch  der  Myth. 
(3.  Aufl.),  p.  176.  In  der  christlichen  Zeit  tritt  der  Teufel  an  die 
Stelle  des  Gottes.  Verwandte  Sagen  bei  Grimm,  M.  980.  Fausts 
Zaubermantel.  Das  Motiv  von  der  Rückkehr  und  dem  Wunschmantel 
auch  in  der  Sage  von  Kuno  v.  Falkenstein;  Menzel,  deutsche 
Dichtung  I,  395.  —  Der  Nachbarheiiige  von  Einigen  St.  Beatus 
bediente  sich  des  Mantels  zur  Fahrt  über  den  Thunersee.  Lütolf, 
Glaubensboten  p.  38. 

9.     verjehen,  erzählen,  eingestehen. 

IG.     hriitlouf,  Vermählungstest. 

II.     lukimft,  Ankunft. 

14.     heltüm,  Reliquie. 


[23]  DAS  DRITT  CAPITEL,  WIE  DIE  KILCH 

IM  PARADIS,  DIE  MAN  NUO  Z'EININGEN 

NEMPT,  HAR  IST  KOMEN. 


Hienach  ist  aber  ein  herr  von  Stretlingen  gesin,  der 
was  geheißen  herr  Arnold  von  Stretlingen ;  der  ist  nü 
5  ein  andechtiger  man  gesin  und  doch  in  weltHchen  Sachen 
wol  gezieret;  der  hat  ein  wip  gehept  mit  dem  namen 
Margretha.  Der  erst  genant  herr  Arnold  von  Stretlingen 
der  betrachtet  nü  mengerlei  ungefels,  ouch  verratene  und 
mengerlei  widerwertikeiten,  so  da  geschechen  warent  sinen 

10  vordem  zu  Stretlingen,  und  gedacht  ein  hus  ze  buwen, 
uswendig  siner  bürg  oder  veste  StretHngen,  in  der  ere 
des  hochgelopten  erzengels  sant  Michels,  das  ouch  ein 
lütkilch  söh  sin;  und  kond  kein  komlicher  statt  finden, 
denn  daß  die  kilch  und  gotzhus  stüend  bi  dem  Wendelsee, 

1 5  und  wolt  ouch  in  die  selben  kilchen  und  gotzhus  dri  altar 
laßen  machen,  und  ouch  daß  die  kilch,  kilchhof  und  die 
altar  in  der  kilchen  also  von  einem  bischoff  gewichet 
wurdent  und  daß  aber  der  altar  und  capell  gar  und  ganz 
von  dem   hus  und  sloß  Stretlingen  käme  und  nit  me  da 

20  were.    Und  hatt  darumb  wiser  lüten  gelerter  und  ungelerter 


kondich,  bequem. 


rat  und  vieng  an  in  einer  matten  bi  dem  Wendelsee,  die 
da  genant  ist  linder  der  :^il,  das  fundament  ze  graben. 
Und  do  nü  die  werklüt  einen  ganzen  tag  an  dem  selben 
end  hattent  graben,  deren  ouch  vil  was,  und  an  dem 
andern  tag,  do  si  widerumb  kament  und  aber  woltent  ^ 
graben  und  werken :  do  fundent  si,  was  si  den  vordrigen 
tag  hattent  gewerket  und  usgeworfen,  daß  das  alles 
widerumb  [24]  geebnet  was,  glich  als  were  vormals  nie 
kein  mönsch  da  gesin.  Do  nü  diß  wunder  disem  herr 
Arnolden  also  beschach  und  sinen  werklüten,  do  beschikt  10 
er  priester,  gelert  und  ander  lüt,  daß  si  das  zeichen 
gesechent.  Do  si  nü  das  gesachent,  do  wurdent  si  zwiflen, 
ob  si  da  söltent  ein  kilchen  buwen  und  si  viengent  an 
den  allmechtigen  gott  ze  bitten  und  den  hochwirdigen 
erzengel  sant  Michel,  ouch  all  ander  heiligen  und  engel,  15; 
daß  er  inen  kunt  tat,  w^a  si  ein  kilchen  söltent  buwen, 
und  daß  also  ir  gute  meinung  für  sich  gieng.  Als  si  nü 
also  an  irem  andächtigen  gebet  w^arent,  do  erschein  inen 
der  hochwirdig  erzengel  sant  Michel  mit  vil  heiligen  englen 
under  den  böumen,  die  denn  da  warent  und  von  semUcher  20- 
erschinung,  so  dann  uf  dem  selben  zit  da  beschach  von 
sant  Michel  und  andern  wirdigen  englen,  do  ward  die 
matt  und  das  selbe  end  geheißen  under  der  :(ilen  :(u  englen 
böumen,  und  ist  noch  hüt  bi  tag  also  geheißen.  Do 
hört  man  ein  stimm  von  dem  wirdigen  sant  Michel,  daß  ^S 
man  da  an  dem  selben  end  kein  kilchen  sölt  buwen 
in  siner  ere;  dann  das  solt  geschechen  und  gebuwen 
werden  an  dem  end  des  garten  oder  matten,  die  da  ge- 
heißen was  die  hofstatt  des  Faradises  und  die  hofstatt 
sölt  ouch  als  groß  sin,  als  ein  juchart  akers  oder  me,  da  30 
man  ouch  einen  kilchhof  dabi  sölt  machen.  Inen  ward 
ouch  die  hofstat  von  der  selben  stimm  gezeigt,  also  daß 
si  solt  sin  in  dem  dorf  bi  dem  wes:  oder  oremeinen  straß 


32 

ob  dem  Wendelsee  und  mit  namen  da  ein  weg  oder  straß 
gienge  von  der  gemeinen  straß  an  den  vor  benempten 
Wendelsee ;  in  dem  selben  garten  des  Paradises  ein  brunne 
were,  der  ufwiele  oder  ein  wallender  brunne  were,  der 
'5  ouch  gemacht  were  als  ein  vischsamler  und  der  usgang 
des  brunnen  ouch  gienge  in  den  vor  genanten  see.  Die 
selbe  vor  gemeldete  stimm  mit  vil  scharen  der  englen  vor 
inen  hin  dann  gieng  und  inen  zeigt  das  end  des  garten, 
des  [25]  brunnen   und   ouch   die   statt   des  Paradises,   als 

10  vor  stat,  da  die  kilch  und  kilchhof  solt  gebuwen  werden. 
Und  do  si  an  das  end  kament,  da  inen  das  alles  erzeigt 
ward,  wa  die  kilch  und  kilchhof  solt  gebuwen  werden, 
do  horten  si  von  der  vor  genanten  stimm,  die  da  sprach : 
hie  an  disem  end  des  Paradises  findet  man  einen  schätz, 

^)  der  so  groß  ist,  daß  in  niemant  geschetzen  oder  bezalen 
mag,  wann  es  ist  aplaß  hie  aller  sünden.  Der  arm  findt 
hie,  davon  er  mag  geleben;  der  rieh  findt  hie,  davon  er 
liebe  enpfacht  oder  lust  und  fröid  hatt;  der  gerecht  findt 
hie  gnad;   der   beseßen  mönsch  von  dem  tüfel  findt  hie, 

^^  daß  er  entlediget  wirt;  der  siech  mönsch,  der  sin  begert, 
findt  hie  arznie  sines  siechtags!  Hie  findet  man  ouch 
gesuntheit  des  Hbes  und  der  sele  von  der  bew^egung  des 
waßers  dis  brunnen,  der  durch  mich  bewegt  wirt  ze 
ghcher  wis,  als  in  der  bewerten  vischtiech  vor  alten  ziten 

^  5  die  siechen  von  hilf  und  zutun  der  heiligen  englen*  gesunt 
wurdent,  und  durch  die  würkung  des  heiHgen  crützes,  so 
von  dem  heiligen  land  wird  komen,  das  in  disen  brunnen 
wirt  gesenket  und  darin  gesteh.  Ich  han  ouch  erworben 
um   gott,    daß  dise  gnad,   als   ob  stat,    allen  bilgern  und 

*  in  der  Hs. :  englen  die  siechen. 


4.     ufwiele  conj.  praet.  zu  ufwallen. 
24.     vischtiech,   liier   fem.    mhd.    vischUch.      Anspielung   auf  das 
Evang.  Johannis   5. 


33 

mönschen,  die  von  andacht  har  koment,  das  sol  verfolgen, 
beschechen  und  werden  und  ouch  allen  den,  die  ir  gaben 
geben  ze  uffen  und  ze  meren  den  gottesdienst  und  das 
gotzlius  und  kilchen  hie! 

Nach    diser    stimm    und   worten    do   verswand   und    5 
hört   man    nit   me    fürbas.     Uf  dise   geschikt   koufte  von 
stund    an    der    vor  genante    durlüchtent   herr  Arnolt  von 
Stretlingen    die    hofstatt,    den    garten    und    den    brunnen 
mit   allem    dem,    so   zu   dem   Paradis   gehört,    von   einer 
erbern    matron    und    frowen    mit  irem   namen    Margreth  lo 
Mscherin    umb  vierzig  pfund  pfennige  löiflicher  münz  zu 
den  selben  ziten.     Nach  dem    selben   kouf  als   dise  frow 
vernam,   in    was   meinung    der   herr   von   Stretlingen   das 
kouft   hatt,   do    ließ  die  vor  genante  frow^  [26]  Margreth 
Vischerin    das  alles,    so  da  kouft  was,   für  ein  ewige  gab  i5 
ze   stür   an   die   kilchen    und    kilchhof,   als   man   das  fint 
geschriben  in  dem  jarzitbüch  der  kilchen  Einingen  (XVI. 
kl.  augusti).    Der  vor  genante  herr  Arnold  von  StretHngen 
ließ   an^endes   für   einen   kilchherren   an  dem  selben  end 
in  dem  garten  und  hofstat   bi   dem   brunnen    des  Paradis  20 
gar  ein  schon,   lustlich  hüslin  für  einen  priester  in  sinem 
eigenen  costen  da  buwen.     Darnach  ließ  er  und  beschikt 
die   kilchen   ze   buwen   und  gab  darzü  alles  das,    so  man 
notdürftig   was   zu   dem  selben  buw  flüßenklich  und  ließ 
keinen   gebresten,   was    dann  zu  dem  selben  buw^  gehört.  25 
Do   nü   die   kilch   gebuw^en    w^ard   mit  dem  fronaltar,   do 
ließ    er   den    selben   altar   inwendig   hol  machen  und  das 
Lieschach  darumb,  ob  ieman  beseßen  wurd  von  dem  bösen 
geist,  daß  man  den  darin  besluße  und  die  besw^ornen  da 
gelidiget   wurdent.     Den    selben   vor   genanten    altar  ließ 


3.     njfen,  erhöhen,  äufnen. 
I  r.     löi flieh,  gangbar. 
26.    fronaUar,  Hochaltar. 


34 

er  ouch  wichen  in  der  ere  des  hochgelopten  sant  Michels 
des  erzengels,  und  der  ouch  da  patron  und  husherr  solt 
sin  in  der  kilchen  des  Paradis  und  ouch  in  siner  ere  also 
solt  gewicht  werden.  Er  ließ  ouch  einen  altar  zu  der 
5  linggen  hand  daselbs  machen,  der  da  gewicht  ward  in 
der  ere  der  jungfrowen  Marien.  Er  ließ  ouch  zu  der 
rechten  hand  einen  altar  machen,  der  da  gewicht  ward 
in  der  ere  aller  heiligen  jungfrowen  und  martrer.  Er 
schikt   und   ließ    ouch   machen  und  wichen  den  kilchhof, 

10  das   glogghus,    die   gloggen,    den   toufstein,    altarbüecher,! 
kelch  und  allerlei  ander  gezierd,  die  denn  einer  lütkilchen^| 
zu  gehörent,  damit  man  ouch  gott  und  den  heiigen  könd 
und  möcht  dienen.     Und  darnach,   do    diß   alles  geschikt 
und  bereit  was,  do  schikte  er  erlich  boten  mit  demüetigem 

1 5  gebet  und  bitt  zu  einem  bisch  off  von  Losan,  der  denn  zu 
den  selben  ziten  da  was  oder  zu  sinem  Statthalter,  daß 
er  da  wichte  die  kilchen  des  Paradises,  den  kilchhof  und 
[27]  die  altar  und  daß  er  das  bald  tat;  und  schreib  ouch 
ursach,  warumb  und  w^as  in  darzü  bewegte.    Und  als  dise 

20  botschaft  kam  für  den  bischof  von  Losen,  do  nam  der 
bischof  das  güetlich  uf  und  was*  im  das  verwilligen  und 
kam  ouch  o^ar  bald  in  (nnem  kurzen  zit.  Do  nü  der 
bischof  kam,  do  ward  er  von  herren  Arnolden  von  Stret- 
lingen   gar   loblich   und   erlich  enp fangen  mit  allem  dem, 

25  so  er  im  kond  zucht  und  ere  erbieten.  Do  nü  der  bischoi 
verstund  sine  guten  meinung,  so  er  dann  vor  im  hatt, 
do  underwiste  in  der  bischof  gar  wislich  und  leite  im  die 
Schriften   für   und    sprach:    enkein   kilch    sölt  nit  gewicht 

*  fehlt  in  der  Hs. 


( 


I.  lidigcu,  entledigen. 

10.  schiken,  machen,  daß  etwas  geschieht. 

26.  itichfj  Ehrerbietung. 

28.  enkein,  Umstellung  von  nelcein,  mhd.  nebein,  kein. 


35 

werden,  si  were  dann  vor  begäbet  mit  gülten  und  gaben, 
die  ouch  ein  iegliciier  anvaclier  sol  begaben  und  frien 
mit  sunderlichen  friheiten ;  und  darumb  so  müeßent  ir,  e 
die  wichung  geschech,  einem  priester,  der  die  kilchen  und 
die  undertanen  sol  versorgen,  ein  hus  laßen  buwen  bi  5 
der  kilchen  des  Paradises,  daß  er  und  all  sin  ewigen 
nachkomen  da  mögent  gott  dienen,  und  ouch  sin  w^onung 
da  möge  han;  die  selben  kilchen  begaben  flüßenklich  mit 
renten  und  gülten,  daß  er  und  sin  nachkomen  keinen 
mangel  haben;  die  selben  kilchen  ouch  usmarchen,  daß  ^^ 
man  mög  wüßen,  wie  wit  und  verr  das  kilchspel  gang 
und  also  sin  narung  von  gülten  möge  haben,  daß  er  spis, 
kleider  und  herberg  haben  mög;  bäpstUchen,  kaiserUchen 
und  bischoflichen  costen  mög  tragen  und  ouch  anderlei 
burdinen,  so  einer  denn  muß  haben!  Das  müeßent  ir  ^S 
tun  und  das  setzen  mit  Hgendem  land,  als  aker,  matten, 
garten,  reben,  zechenden,  primitz,  alpenweiden,  holzern 
oder  weiden,  ahmenden,  zinsen,  gülten  und  mit  allerlei 
ander  nutzen,  daß  er  jerlich  zu  ewigen  ziten  über  allen 
costen  gemeinlich  geschetzt  mög  haben  uf  sechzig  duggaten  20 
in  gutem  gold,  rechter  gewicht;  [28]  daß  er  ouch  die 
selben  rüwenklich  und  volkomenlich  müg  haben !  Ir 
müeßent  ouch  in  und  sin  ewigen  nachkomen  frien  mit 
allen  den  rechten,  friheiten,  beschirmungen,  so  dann  die 
heilige  kilch  hat  und  im  die  gar  und  ganz  geben;  des-  25 
glichen  müeßent  ir  ouch  in  und  all  sin  nachkomen,  die 
güeter  der  kilchen,  wie  die  dar  komen  sind,  beschirmen 
vor  aller  ungewonlicher  erfordrung  und  beswerniß  der 
fürsten  oder  anders  gewaltes,    und   si    haben   fri    und   us- 


1.  vor,  zuvor. 

2.  anvacher,  Urheber,  Stifter. 

9.  reute,  mlat.  renäita,  Einkünfte;  gülte,  Einkommen. 

17.  priniiti,  primitüf,  die  Erstlinge. 


36 

besloßen!  Und  sprach  so  vil  me  der  bischof,  daß  die 
leien  die  kilchen  iiabent  ze  liehen;  pfrüenden  oder  altar 
habent  keinen  gewalt,  der  inen  gegeben  si  von  der  kilchen 
gutes  wegen  an  sich  zu  ziechen  und  ze  nemen,  da  die 
5  pfrüenden  noch  nit  genügsamklich  begäbet  sind.  Und  vil 
ander  lütrung  der  friheiten  halb  bracht  er  daselbs  an  den 
tag  und  besunder  der  kilchen  des  Paradis  halb,  das  ich 
hie  zu  tütsch  nit  schriben  umb  argwans  wegen,  der  hie 
erdacht  möcht  werden;   aber  wer  das  begert,  der  laß  im 

10  das  erlütern  und  ze  tütsch  sagen,  da  ich's  an  dem  selben 
cnd  laßen:  so  fint  er  das  luter  in  der  latin  in  diser 
historien.  Darnach  was  der  hochgeborn  herr  Arnold  von 
Stretlingen  mit  w^ol  bedachtem  müt  mit  rat  wiser  und 
gelerter   lüten,   die   sich   des  rechten  wol  verstünden  und 

I)  markten,  daß  die  ding  alle,  so  im  der  bischof  vorgesagt 
hatt,  billich  und  müglich  und  mit  Vernunft  wol  soltent 
geschechen  und  recht  werent,  ordnen^  und  gebot  das  also  ze 
tun  und  verhieß  es  ouch  also  ze  tun  und  tet  das  mit  gutem 
willen.     Er   verhieß    diß    ouch    dem    bischof  angends  für 

20  sich  selbs  und  all  sin  ewigen  nachkomen,  das  also  ze 
halten.  Darzü  was  ouch  des  bischofs  meinung,  daß  ein 
ieglicher  kilchherr  oder  lüpriester,  der  ie  zu  ziten  da  were, 
in  künfti2:en  ziten  könd  und  möcht  wüßen  die  zil  und 
marchen  des  kilchspels  der  kilchen  des  Paradises. 


2^  [29]  Hienach  findet  man,  wie  die  kilch  des  Paradis 

ist  usgemarchet. 

Der  vil  genant  herr  Arnold  von  Stretlingen  wolt 
nü  die  kilchen  und  kilchspel  des  Paradises  usmarchen 
und  zeichnen  und  vieng  an  und  gab  der  kilchen  die 
march  und  zil  von  unden  an   dem  Wendelsee    wider  der 

*  fehlt  in  der  Hs. 


i 


37 

sonnen  ufgang  unz  zu  dem  sivar^en  bach  gegen  dem 
diierren  hvel  und  zu  einem  gut  zu,  das  man  nempt 
Giimpenmür,  und  von  dem  selben  gut  hin  unz  an  das 
Lappingen  und  under  den  fVylerberg  unz  an  die  Kander 
des  waßers;  und  gab  ouch  zu  der  selben  zit  der  kilchen  5 
des  Paradises  zu  einer  gab  und  zu  einem  frien  lechen 
den  dritten  teil  der  Egg,  das  da  zu  den  selben  ziten  ward 
geschetzt  für  zweihundert  und  vier  und  zwenzig  jucharten 
Lands  und  holzes,  als  man  das  dann  fint  in  dem  jarzitbüch 
uf  kalendis  julii.  Er  zeichnete  und  marchete  ouch  us  die  lo 
kilchen  des  Paradises  gegen  der  sunnen  undergang  von 
dem  gut,  das  da  heißt  die  breita  und  stoßt  zu  beden 
siten  an  die  Egg  und  an  Gimdels  öig  mit  dem  brunnen 
an  dem  Glitten,  der  ouch  allenthalben  daran  stoßt  und 
ouch  ander  allerlei  güeter  und  also  ouch  an  das  waßer  15 
der  Kander,  da  ouch  zwo  Straßen  und  weg  sind  inbesloßen ; 
der  ein  weg  gat  gan  Ziuiselberg  den  ufgang  über  die  Egg 
und  ab  abgang  für  das  büchhol:(^  gegen  dem  dorf  Schorren 
unz  bi  dri  jucharten  aker,  und  von  den  drien  jucharten 
unz  an  die  siben  jucharten  aker  und  von  den  siben  [30]  20 
jucharten  unz  zu  den  zw^eien  jucharten,  die  da  ligent  an 
der  krummen  lachen,  und  von  den  zwein  jucharten,  die 
da  ligent  an  der  krummen  Jachen  gerad  hinus  unz  an  den 
Wendelsee,  das  zu  disen  ziten  hat  geheißen  zu  der  alten 
trenke;  und  ouch  mit  den  selben  güetern,  die  da  vor  25 
benempt  sind,  die  aker,  die  da  gaben  und  widem  warent 
der  kilchen  des  Paradis  marchet  er  us,  das  kilchspel  wider 
der  sunnen  undergang  und  die  selben  zwölf  jucharten 
lants,  die  vor  benempt  sind  mit  der  hushofstat,  die  da 
lit  an  dem  lualt  hinder  der  cap eilen,  die  nü  zu  disen  ziten  3^ 
da  ist  und  ist  als  vil,  als  ein  juchart  oder  me,  die  ist  nü 


16.     widern,  Dotation. 


38 

zwüschent  den  zwein  Straßen  oder  wegen  zu  glicher  wis, 
als  ein  ortstein,  der  zwo  wend  züsamen    üegt. 

Der  dik  genant  herr  Arnold  von  Stretlingen  gab  einem 
kilchherrn  des  Paradis  und  sinen  undertanen  zu  einer  merer 
5  und  flüßiger  gab,  daß  si  mit  im  von  der  vor  benempten 
zwölf  jucherten  wegen  mit  hushofstatt  am  watt,  daß  si 
die  friheit  davon  band,  daß  si  rechtsame  habent  an  der 
alment  und  zeigen  als  wol,  als  einer  von  Schorren  oder 
ander,   die   da   sitzent   an   dem  selben  veld,   und  das  gab 

i<^  er  inen  zu  einer  vorgab  an  alle  beswerniß  und  intrag. 
Er  gab  ouch  einem  ieglichen  kilchherren  des  Paradises 
in  dem  selben  vor  benempten  veld  all  zechenden,  die  ze 
nutzen  und  nießen  zu  ewigen  ziten;  doch  mit  semlichen 
gedingen  und  fürworten,   daß    ein   ieglicher   kilchherr  die 

I)  kilchen  im  Paradis,  so  si  des  notdürftig  ist,  sol  teken  in 
sinem  kosten ;  da  ich  aber,  schriber  dis  büchs  mit  dem 
namen  Elogius  Kiburger,  kilchherr  der  kilchen  zu  den 
selben  ziten  des  Paradises  sant  Michels  in  dem  jar,  do 
man  von  der  geburt  Cristi  zalt  vierzechenhundert  vierzig 

20  und  sechs  jar  han  getekt  den  vordem  teil  gegen  dem 
wTg  das  tach  der  kilchen.  Und  darzü  ließ  ich  ouch 
machen  einen  toufstein,  wann  ouch  zu  den  selben  ziten 
der  touf  in  einer  holzinen  [31]  standen  oder  kübel  was; 
an   den   selben   toufstein   ließ    ich   ouch   die  zeichen  und 

25  wapen  miner  gnedigen  herren  von  Bübenberg  machen 
und  ouch  ein  sacramenthüslin  von  stein  in  die  mur  setzen, 
wann  vormals  ward  das  wirdig  sacrament  geleit  in  ein 
kisten,  da  man  die  meßgewender  und  meßachel  inne 
hatt,  und  dik  und  vil  von  «rroben  lüten  daruf  ward  ^eseßen. 


2.  ort  stein,  Eckstein,   Grenzstein. 

10.  vorgab,  Gabe,  die  man  vor  einem  andern  voraus  liat. 

14.  fürivort,  Vorbehalt. 

28.  weßachcl,  Meßgewand. 


39 

Die  erst  benempten,  min  gnedigen  edlen  und  wolgebornen 
Herren  von  Bübenberü;  ouch  zu  den  selben  ziten  Herren 
Lind  patron  der  kilcHen  des  Paradises  warent;  und  zu  den 
selben  ziten  was*  patron  und  Herr  der  kilcHen  und  her- 
scHaft  Spietz  und  Stretlingen  der  edel  und  wolgeborn  Herr  5 
HeinricH  von  Bübenberg,  ritter  oucH  Herr  zu  Mannenberg 
und  Wartenfels  in  dem  Ergöw ;  darnacH  bald  in  vergangnen 
ziten  scHied  er  von  diser  zit.  Gott  der  allmecHtig  si  im 
gnedig  und  erbarmHerzig !  Der  selbe  Herr  HeinricH  seHg 
ließ  oucH  einen  sun  mit  dem  namen  Herr  Adrian  von  lo 
Bübenberg  ritter,  der  oucH  vil  gutes  Hat  getan  der  kilcHen 
des  Paradis.  DarnacH  was  er  aber  usmarcHen  und  zeicHnen 
das  kilcHspel  des  Paradises  von  dem  end  von  mittag  Har, 
daß  die  Kander  am  end  w^as  und  oucH  von  dem  W34er- 
berg  Harab  unz  uf  die  straß,  die  da  gat  an  den  Zwiselberg  1 5 
über  die  Egg  luiz  an  das  buchhol;^.  Zu  dem  lesten  was 
er  aber  das  kilcHspel  usmarcHen  und  zeicHnen  von  dem 
nortwind  Har,  das  wir  zu  latin  nemment  von  dem  sep- 
tentrion,  unden  an  dem  see  von  der  alten  trenki  enmitten 
durcH  den  vor  benempten  Wendelsee  Hinuf  unz  an  den  ^o 
siuar:;^en  back.  Und  die  uszeicHung  oder  usmarcHung,  die 
da  vor  beredt  und  gescHriben  ist,  gab  er  der  kilcHen  dÄ> 
Paradis  mit  aller  der  friHeit,  als  vor  geHört  ist,  oucH  mit 
allen  den  recHten,  nützen  und  frücHten,  primitzen,  zecHenden, 
nüwbrücHen,    opferen,    selgereten,    jarziten  und  [32]  alles,  ^5 

*  fehlt  in  der  H«. 


9.  Heinrich  vom  Bubenberg,  Schultheiß  von  Bern,  der  be- 
kannte Schiedsricliter  im  alten  Zürichkrieg,  gestorben  1464,  (auf 
p.  107  der  Hs.  wird  er  nochmals  genannt);  sein  Sohn  ist  der  berühmte 
\"ertheidiger  von  Murten,  Adrian  von  Bubenberg,   1424 — 1479. 

18.     nemmen,  nennen. 

25.  selgerete,  was  man  zum  Heil  der  Seele  vermacht,  Xcvd- 
willige  Schenkung;  nüwhrnch,  neu  umgebrochenes  Land. 


40 

das  einer  ieglichen  lütkilchen  zugehört  von  recht  oder 
gewonheit,  nützit  usgenomen,  als  man  das  denn  luter 
findet  in  dem  latinischen  buch,  da  man  das  eigenlich  wol 
erfarn  und  finden  mag.  Und  satzt  also  einen  kilchherrn 
S  zu  der  kilchen  des  Paradises  in  liplich  Besitzung  zu  ewigen 
ziten,  daß  der  selbe  und  all  sin  e\vi2:en  nachkomen  alle 
die  rechtsame  aller  der  zechenden  halb,  nützit  usgenomen, 
wie  dann  die  zechenden  und  gülte  sind  in  dem  latinischen 
buch   genempt,   solt   bruchen,   nutzen   und  nießen  als  sin 

10  eigen  kilchengüt,  das  er  von  der  kilchen  also  hett.  Und 
gab  so  vil  friheit  me  darzü,  daß  fürwerthin  ein  ieglicher 
kilchherr  des  Paradis  zu  ewigen  ziten  die  kilchengüeter 
sölt  liehen,  wie  die  geheißen  werent  und  die  selben  von 
einem  ieglichen  nüwen  kilchherrn   enpfachen   soltent  und 

15  davon  einen  erschatz  geben  zu  einem  zeichen,  daß  die 
güeter  der  kilchen  werint  und  ward  der  eeschatz  da 
benempt,  nemlich  zwei  gute  hüener.  Und  welcher  das 
überseche  und  nit  tat  in  zweien  maneten  darnach,  so  ein 
nüwer  kilchherr  dar   kam,    so   söltent   die    selben   güeter 

20  lidenklich  vallen  in  die  hend  eines  kilchherren;  der  möcht 
dann  damit  tun  als  in  gut  bedücht. 

Do  nü  dise  usmarchung  des  kilchspels  also  geschach 
und  begäbet  ward,  als  ob  stat,  mit  allen  friheiten,  so 
dann    darzü   gehört,   do   ward   der   bischof  das   alles   mit 

25  gelerten  und  geloubsamen  lüten  eigenlich  flißlich  und 
ernstlich  laßen  merken  und  inschriben.  Und  zu  den 
selben  ziten  das  alles,  so  hievor  geschahen  ist  der  kilchen 
des  Paradises  halb,  des  vil  ist  nach  der  u siegung  der  latin 
und  schikte  das  dem  heiligen  vater  dem  bapst,    mit    dem 


15.     erschat\,   auch  eesdmlT^,   laudemium,    Abgabe  vom   Lehen- 
gute bei  eintretendem  Wechsel  des  Belehnten  oder  Belehnenden. 
20.     lidenhlich,  hier  ohne  Einsprache  eines  andern. 


namen  Dvonisius  und  das  geschach  in  dem  jar,  do  man 
zalt  von  der  geburt  Cristi  zwei  [33]  hundert  zwenzig  und 
drii  jar.  Der  selbe  heilige  bapst  ouch  dise  geschikt  alle 
ließ  bringen  zu  allen  cardinalen,  patriarchen,  daß  die  ding 
also  bewert  und  bestetiget  wurdent  und  unzertrennlich  S 
und  nit  ze  mindern,  daß  alles  bestetiget  wurd  und  ouch 
das  alles  zii  ewigen  ziten  kreftig  und  sterklich  sölt  also 
beliben  und  man  ouch  das  alles  vestenklich  sölt  halten. 
Die  andern  zechenden  uswendig  dem  kilchspel  des  Paradises 
behielt  er  im  selbs,  daß  er  und  sin  nachkomen  möchtent  10 
an  andern  guten  enden  ouch  gottesdienst  meren  und  ver- 
gaben ;  aber  was  von  opfer,  von  zechenden  und  von  allen 
rechten,  so  einer  lütkilchen  zugehört,  wie  vor  gelütert 
ist,  solt  beliben  der  kilchen  des  Paradises;  und  also  ward 
das  kilchspel  des  Paradis  begriffen  mit  den  marchen  ^5 
zwüschent  denen  zweien  waßern,  nämlich  der*  Kander  und 
dem  Wendelsee  und  zwüschent  dem  büchholz  und  Gumpen- 
mur.  Und  darumb  daß  die  underwisung  des  bischofs,  so 
er  getan  hat  von  der  marchung  und  ander  gesatzten  halb, 
so  an  dem  selben  end  geschechen  sölt,  und  das  also  20 
behbe,  die  ouch  also  unzerbrochenUch  wurd  gehalten :  do 
verhieß  der  vil  genant  herr  Arnold  von  StretHngen  für 
sich  und  all  sin  nachkomen  und  erben  vor  dem  bischof, 
in  künftigen  ziten  mit  der  hilfe  gottes  fürer  die  kilchen 
zu  begaben  und  sin  bestes  darzü  tiiii  und  besunder,  daß  25 
ein  ieglicher  kilchherr  des  Paradis  müeßt  zimlich  und 
erlich  sin  narung  an  dem  selben  end  haben.  Und  begäbet 
angends  die  kilchen  und  einen  priester  der  selben  lütkilchen 
des  Paradises,  daß  ein  kilchherr  daselbs  sölt  von  sinem 
tisch  geleben  als  er,  als  lang,  unz  daß  ein  priester  oder  3o 
kilchherr    zu   der   kilchen   zu   dem    Paradis   gnügsamklich 

*  Hs.  die. 


geschikt,  Angt'legenliciten. 


sin  narung  möcht  haben  und  gült  davon  möcht  haben, 
die  sich  ouch  möchtent  geliehen  den  sechzig  tuggaten, 
als  denn  vormals  die  meinung  des  bischofs  was  gewesen ; 
und  satzt  da  zu  einem  underpfand  nemlich  sin  hus  zu  [34] 
^  Stredingen  mit  allem  dem,  das  darzü  gehört  von  allen 
gülten,  renten,  zinsen,  friheiten,  güetern,  ligent  oder  farent, 
wie  die  dann  zu  dem  hus  gehortent,  zu  ewigen  ziten 
also  ze  beliben.  Und  swür  das  uf  dem  heiigen  ewangelio 
vor  dem  bischof,    der   im   ouch  daselbs  den  eid  gab,    diß 

i^'»  alles  gar  und  ganz,  so  hie  vor  stat,  ze  besteten  und 
genzlichen  an  alles  zerbrechen  halten  und  besunder  die 
friheiten,  die  usmarchungen  des  kilchspels  an  alle  minderung 
ze  besteten  und  Sterken.  Do  nü  dise  ding  alle,  die  hievor 
geschriben  sind,  geschikt  und  geordnet  wurdent  von  dem 

1 5  bischof  und  ouch  von  herrn  Arnolden  von  Stretlingen  — 
das  beschach  nü  uf  einem  samstag  und  der  was  uf  sant 
Michels  abent  —  do  berüftent  si  priester  darzü  und  ander 
volk,  das  si  han  möchtent,  daß  si  morndes  uf  dem  tag 
sant  Michels  w^oltent  wichen  die  kilciien  des  Paradis,    die 

-^^  altar  darin ne  und  ouch  den  kilchhof. 


//i'e  findet  man,   wie  sant  Michel  erschein   dem   bischof  und 

'n  der  ersten  w 

des  Paradises. 


dem  andern  volk  in  der  ersten  wichung  der  kilchen 


Als  nü  der  bischof  und  ander  priester  und  volk  da 
2)  besamnet  warent  bi  einander  in  der  selben  nacht  in'  der 
kilchen  des  Paradises:  do  erschein  inen  sant  Michel  mit 
einer  großen  schar  der  englen,  als  si  denn  uf  die  selben 
nacht  gott  loptent  und  zu  mettizit  und  sprach  also  [35] 
zu    dem    bischoff  und   ouch   zu   allem  volk:    i^and  hin  in 

o 

6.     ligent  oder  farent  (gut),  festes  oder  bewegliches  Gut. 


45 

die  bürg  Stretlingen  und  das  heltüni,  das  ir  in  dem  alter  der 
bürg  tindent*,  der  in  miner  ere  gewicht  ist  worden  und  darin 
behalten  ist,  das  bringent  in  dise  kilchen  des  Paradis  hüt 
früe  und  besließent  das  darin  mit  loblikeit  gottes !  Ir  sönd 
ouch  dabi  wüßen,  daß  es  nit  notdürftig  ist,  daß  ir  die  > 
kilchen  wichent  noch  die  altar  oder  den  kilchhof,  w^ann 
ich  bin  der,  der  üch  dise  stat  gezeigt  hat,  die  kilchen  ze 
buwen!  Ich  han  ouch  si  durch  mich  selbs  gewicht,  und 
den  altar  zu  der  linggen  band  han  ich  gew^icht  in  der 
ere  der  künglichen  müter  und  magt  Marien.  Aber  den  ^^ 
altar,  der  da  ist  zu  der  rechten  band,  den  han  ich  gewicht 
in  der  ere  aller  heiligen  jungfrow^en  und  martrer;  und 
den  kilchhof  mit  dem  heiigen  brunnen  han  ich  zu  ewigen 
ziten  gesegnet  und  gewicht.  Und  uf  disem  sunnentag 
hüt  so  gand  in  die  kilchen  —  sprach  er  zu  dem  bischof  ^5 
und  zu  den  priestern  und  zu  dem  andern  volk  —  und 
begand  loblich  und  andechtenklich  das  ampt  der  kilchwichi 
der  altaren,  des  kilchhofs  und  des  heiigen  brunnen  und 
volbringent  das  loblichen  in  lob  und  ere  des  allmechtigen 
gotts!  Und  sind  mich  mit  gebet,  mit  verheißen,  gaben,  -^ 
lebenden  opfern  an  disem  end  eren,  und  den  oder  disen 
selben  tag  mit  einer  engelschen  wichi  zu  ewigen  ziten 
inschriben  und  söllent  ouch  mich  zu  einem  sunderbaren 
patron  userwellen !  Und  w^enn  ir  das  tuend  und  ich  da 
also  geeret  wird,  so  sönd  ir  das  von  mir  enpfinden,  daß  -> 
ich  üch  vor  pestilenz,  vor  einem  gächen  ungewarneten 
tod  und  von  mengerlei  ander  plagen,  so  den  mönschen 
züfalt,  wil  behüeten  und  beschirmen!  Und  nach  disen 
Worten  verswand  er  alsbald.  Do  diß  also  beschechen  was, 
do  ward  der  bischof  mit  siner  priesterschaft  mit  vile  des  3^ 
Volkes,    die   da   warent,   frölich   und   ouch    dabi  gott  [36] 

*  fehlt  in  der  Hs. 


I.     üHer,  mhd.  a/fa'rCj   Altar. 


44 

lob  und  dank  ze  sagen  und  viengent  all  gemeinlich  an  zu 
singen  mit  ein  heller  stimme:  «o  Michahel,  ein  fürst  und 
fürweser  des  Paradis,  dich  erent  die  burger  der  englen  1» 
Dis  lobgesang  was  vormals  nie  gehört  worden  und  darnach 

5  mit  der  gnad  des  allmechtigen  gottes  giengent  si  mit  einer 
loblichen  proceßion  zu  der  bürg  StretUngen  und  das  heltüm, 
das  si  da  fundent,  brachten  si  mit  großen  fröiden  und 
andacht  zu  rechtem  zit  und  stund  zu  der  kilchen  des 
Paradises.      Darnach    uf    dise    geschikt    viengent    an    die 

10  geistlichen  priesterschaft  das  ampt  der  kilchwichi  mit  großen 
fröiden  und  lobgesang. 

Hie  findet  man  ein  groß  zeichen,  das  da  geschach  in  der 
ersten  meß  der  kilchen  des  Paradises. 

Do   si   nü   das   ampt  volbrachten  unz  uf  das  opfern, 
1 5  do  ward  gar  ein  groß  getreng  und  trücken  in  dem  volk, 


3.  Hierin  scheinen  sich  Anklänge  an  die  überarbeitete,  ur- 
sprünglich von  Alkuin  (vergl.  Ph.  Wackernagel,  das  deutsche 
Kirchenlied  I,  87)  gedichtete  Sequenz  de  sancto  Michaele  zu  finden  : 

Summi  rcgis  archangele 

Michahel, 

Intende,  qui^sumus,  nostris 

precibus ! 

Tu  deum  obsecra  pro  nobis, 
ut  mittat  auxilium  miseris! 
Te  namque  profitemur  esse 
supernorum  civium  principeni. 

Principalis  est  potestas 
a  domino  tibi  data, 
peccantes  salvificare  animas. 
Mem  tenes  perpetni 
potentiam  paradisi, 
omnes  cives  te  ador'int  siiperi ! 

Mone  lat.  Hymnen  des  Mittelalters  I,  453. 


45 

in  maßen,  daß  si  nit  all  mochtent  komcn  zu  dem  altar 
und  ir  opfer  also  daruf  legen.  Nu  merkent,  was  hie 
geschach!  Der  tüfel,  der  ein  viend  ist  aller  guter  dingen, 
der  ^volt  ouch  sinen  samen  in  dis  guttat  sägen  umb  des 
willen,  daß  die  mönschen  durch  ir  opfer  und  almüsen,  5 
ouch  guttat  gehindert  wurdent  an  ir  aplaß  der  sünden  und 
(Hich  dabi  der  loblich  gottsdienst  nit  wurd  genieret  und  vieng 
an  da  offenlich  vor  aller  weit,  die  da  warent,  durch  einen 
beseßnen  mönchen  zu  reden:  ir  alle,  die  hie  sind,  alle 
die  arbeit,  die  ir  hie  tünd  und  habent,  die  ist  umbsust  lO 
und  vergeben !  Uwer  opfer,  almüsen,  die  lebenden  opfer, 
so  ir  uf  [37]  den  altar  legent  und  gebent,  were  beßer, 
ir  gebent  die  armen  lüten  oder  an  der  kilchen  buw,  denn 
di^n  priestern  !  Der  bischof,  der  uf  die  selben  zit  ouch 
da  was,  hört  die  selben  wort  und  schrien,  und  hieß  15 
iederman  swigen  und  still  han  und  ließ  fragen  umb  den 
mönschen,  der  dise  w^ort  also  geredt  hatt.  Do  er  nü 
funden  ward,  do  hieß  der  bischof,  daß  er  zu  im  gefüert 
wurd.  Do  er  nü  also  offenbarlich  zu  im  kam,  do  sprach 
der  bischof  zu  dem  volk,  die  da  i^e<>en\vürtii2:  w^arent  und  20 
ouch  zu  dem  beseßnen  mönschen :  der  tüfel,  der  da  ist 
ein  betrieger  und  ein  verfüerer  des  mönslichen  geslechtes, 
hat  das  getan  und  ist  nit  w^ar,  das  er  geredt  hatt;  daß 
aber  das  war  si,  daß  er  gelogen  hatt,  das  wellen  wir 
wisen  und  kuntlich  machen  mit  dem,  in  des  ere  wir  hüt  25 
hie  sind  und  er  sol  überstunden  werden  durch  die  kraft 
sant  Michels  des  heiigen  erzengels,  der  da  patron  und 
schirmer  diser  kilchen  des  Paradises  ist!  Und  also  tet 
der  bischof  disen  beseßnen  mönschen  in  den  fronaltar, 
der  da  hol  w^as,  besließen  und  beswair  in  da  mit  heiligen  30 
und   geistlichen   w^orten.     Und   alsbald    er  in  beswür,   do 


4.     ScC(^cn,  Nebenform  7X\  s^cjen. 


46 

ward  der  tüfel  erschreken  und  vergach,  daß  er  gelogen 
hett  und  vieng  an  mit  großem  geschrei  und  sprach:  ich 
han  gelogen  und  nit  wor  geseit!  Und  also  in  gegenwürtikeit 
aller  mönschen,  die  da  warent,  sprach  er:  ich  han  das 
5  getan  darumb,  daß  ich  die  mönschen  hinderte  an  ir  sei- 
heil! Und  angends  schied  er  von  disem  mönschen,  daß 
er  entlediget  ward  und  zu  einem  gewaren  Wortzeichen 
gebot  der  bischof  dem  tüfel,  daß  er  das  wichwaßer  us- 
fchutte,    daß    man    möcht    gesechen,    daß    diser   mönsch 

10  entlidiget  were,  und  diser  mönsch  was  ein  man. 

Do  nü  die  seHgen  guten  cristenmönschen  das  groß 
zeichen  also  gesachent,  do  erschrakent  si  und  warent 
fürer  mit  großer  andacht  einer  nach  dem  andern,  nieman 
usgenomen,   zu   dem  altar  und  zu  dem  opfer  gan  und  ir 

J5  [38]  Opfer  also  uf  die  altar  legen.  Do  nü  das  Opfer  us 
was  und  vergieng,  do  wolt  der  bischof  dise  irrung  von 
den  herzen  der  seligen  guten  cristenmönschen  gar  und 
ganz  usjeten  und  vertriben  und  den  kilchherren  zu  ewigen 
ziten  in  denen  dingen  ein  hilf  geben  und  darzü  ein  heilsam 

20  arznie  und  fürderniß.  Und  viens:  an  gar  ein  lobliche  red 
und  ermanung  durch  die  heiigen  Schriften,  damit  er  ouch 
alles,  das  er  redte,  bewiste  und  sprach  .ein  semlichen 
Spruch:  ein  ding,  das  man  anvachet,  ist  umbsust,  wann 
die   armüt   den,   der   das    anfachen   wil,   hinderhept;   und 

25  darumb  wenn  da  koment  nüw  siechtagen,  so  muß  man 
ouch  darfür  haben  nüw  arznien.  Es  ist  ouch  nit  ein 
kleiner  schad  der  sei,  der  gerechte  ding  hinderhaltet, 
daß  man  das  nit  tut  und  also  anvachen  und  tun  anders, 
das  da  frömd  ist.     Wann  alle  die  leien,  die  wider  willen 


I.     vergach,  verjach,  nrcet.  zu  verjehen. 

7.     geivare,  wahrhaft;  icortieichen,  Wahrzeichen. 

.).     sicchtüiT,  Krankheit. 


47 

der  heiligen  priesterschaft  irrent  und  hindernt  und  davor 
sind,  daß  opfer  und  ander  ahiiüsen  inen  nit  werd :  nach 
der  dritten  manung  sind  si  von  geistlichem  recht  in  dem 
ban;  wann  alles  das,  das  denn  gotts  dienst  zugehört  in 
der  heiigen  kilchen,  das  sol  man  fürdern  und  nit  hindern,  5 
noch  zu  keinem  übel  verkeren,  noch  an  den  tag  legen. 
Wann  alle  die,  die  durch  einen  weltHchen  gewalt  semlich 
gut  cristenlichen  Ordnungen  irrent*,  die  von  guter  gewonheit 
oder  von  recht  sind  harkomen,  nach  sag  geistlicher  Satzung 
sind  in  dem  ban;  wann  ein  ieglicher  arbeiter  oder  werk-  10 
man  ist  wirdig  sines  lones  und  darzü  nieman  sol  bezwungen 
werden,  daß  er  ritterschaft  ane  solt  volbringe.  Und  so 
vil  nie  alle  die  priester,  die  die  heiligen  empter  der 
heiligen  kilchen  volbringent  und  die  tuend,  sol  von  iren 
undertanen  und  andern  cristenlichen  lüten  die  almüsen,  15 
opfer,  gaben  und  fürmungen  ane  hinderziechenvolkomenlich 
vervolgen  und  werden.  Wann  durch  ir  heiigen  wichung 
[39]  und  der  wirdigen  ämptern  so  sind  si  geheißen  gött 
und  darumb  hat  si  gott  der  herr  begäbet  mit  dem  primitz- 
zechenden,  frumen  almüsen,  lebendig  opfer  und  mit  andern  20 
gaben,  daß  si  davon  söllent  iren  ufenthalt  und  narung 
haben;  das  ouch  der  allmechtig  gott  zu  einem  zeichen, 
daß  er  der  oberst  herr  ist,  im  selbs  hat  vorbehalten  und 
das  also  der  wirdigen  priesterschaft  geben.  Wann  si  sind 
die,  von  denen  er  spricht  in  dem  heHgen  ewangeUo :  was  25 
ir**  einem  dem  minsten  von  den  minen  tuend,  das  hand 
ir  mir  getan.  Da  meint  er  hie  die  heiligen  priesterschaft 
und  die  andern  armen  lüt,  die  das  heiig  almüsen  nement 
in  sinem  namen.  Hie  stat  noch  vil  nie  friheiten  und 
erloubung,  so  einem  kilchherrn  oder  lüpriester  des  Paradis  50 

*  fehlt  in  der  Hs. 
**  Hs.  er. 


16.     füniniii:^,  li'^'i'  Bestätigung  der  Privilegien. 


48 

zugeseit  ist  worden  durch  den  bischof  und  ouch  Herrn 
Arnolden  von  Stretlingen,  das  man  in  dem  latinischen 
buch  witer  und  baß  findet,  dann  ich  diß  hie  geschriben 
hab.  Wie  aber  die  friheiten  und  ander  gaben  vor  dem 
5  vil  benempten  herren  Arnold  von  Stretlingen  sind  vor- 
gelesen, daß  er  und  all  sin  ewigen  nachkomen  das  soltent 
halten:  das  gieng  er  ouch  also  willenklich  in,  als  denn 
vor  nie  gemeldet  ist  und  gevicl  im  ouch  wol  und  gelopte 
er  und  alles  sin  volk,  so  under  im  was,  das  also  ze  halten 

10  und  ließ  äugendes  ein  hus  buwen  für  einen  kilchherren 
und  sin  nachkomen  uf  ein  hofstat  im  garten  des  Paradis. 
Er  schikt  und  ordnete  ouch  fürer,  daß  die  undertanen 
der  kilchen  und  ouch  ir  ewigen  nachkomen  das  priesterhus 
soltent   in    eren    haben   oder  aber,    ob  es  notdürftig  w^ere 

^5  und  komlich  wurd  und  das  hus  zergieng,  daß  si  von 
nüwem  uf  soltent  ein  ander  hus  buwen.  Und  darzü 
ordnet  er  und  schikt,  daß  ein  ieglicher  der  undertanen 
solt  jerlich  und  zu  ewigen  ziten  zwöi  füder  holz  howen 
und    die   umb    das    hochzit   sant  Michels  dem  kilchherren 

^°  zu  sinem  hus  füeren  in  irem  costen  an  alle  sin  beswerniß ; 
und  darzü  ein  (40)  ieglicher  siner  lechenlüten,  under  im 
geseßen,  solt  im  jerHch  zwen  hoftagwen  tun,  welches 
werk  er  dann  selber  wölt  und  mocht  ouch  das  inen  zü- 
vordern  und  höischen  in  dem  jar,   zu  welem  zit  er  wölt 

25  bi  einer  pen  oder  straf  verlierung  der  selben  güetern,  so 
si  dann  von  im  hettent.  Er  w^olt  ouch  und  begert  das 
von  den  undertanen  des  Paradis,  daß  si  die  selben  kilchen 
zu  ewigen  ziten  in  eren  hettent  mit  aller  der  gczierd,  so 
von  recht  oder  von  guter  hüpscher  gewonheit  ein  ieglich 

30  lütkilch  sol  han,  es  were  mit  buwen  oder  ander  gezierd. 


19.     hochzit,  Fest  (St.  Michaels  den  29.  Sept.). 

22.     hoftagiven,  Frohnarheit  von  einem  Tag  im  Pfarrhof. 

25.    pen,  lat.  poena. 


49 

wie  die  dann  geheißen  sind ;  doch  usbesloßen  das  tach 
der  kilchen,  davon  er  oiich  die  zechenden  hat  am  Schorren- 
feld,  als  davon  vor  geschriben  ist.  Er  ordnete  ouch,  daß 
ein  ieglicher  sigrist  oder  hüeter  der  kilchen  sölt  des 
kilchherren  knecht  sin  also,  daß  er  die  schuld  und  gült  5 
eins  kilchherren  inzüg  als  ein  weibel  in  allen  sinen 
schuldneren  siner  kilchen  halb.  Der  selbe  sigrist  oder 
kilchenhüeter  solt  der  kilchen  wol  hüeten,  es  were  mit 
dem  Hecht  vor  dem  heiligen  sacrament  tag  und  nacht 
nit  laßen  erlöschen;  ouch  mit  lüten,  wie  das  geheißen  lo 
ist,  früe  und  spat,  ouch  im  summer  gegen  dem  gewitter, 
ze  nacht  und  den  morfiien  das  grebet  unser  lieben  frowen ; 
vS.  dem  fritag  zu  mittag  in  ere  und  gediichtniß  des  bittern 
lidens  und  Sterbens  unsers  herren;  ouch  vesper  und  metti 
und  alles  das,  das  denn  dem  göttlichen  dienst  zugehört,  15 
solt  flißentlich  und  ernstlich  volbringen  und  tun  und  sölt 
das  ouch  also  tun  dn  alle  beswerniß  eins  kilchherren  oder 
lütpriesters. 

Diß  alles,   so    hie  vor  geschriben  ist,    verhießent  die 
undertanen    herrn   Arnolden    von    Stretlingen   mit   gutem  20 
willen  unverdroßen,  unbezwungen,  güetenklich,  stark  und 
unzerbrochenklich  ze  halten  e^venkUch,  und  darzü  sw^ürent 
si  das  selb  für  sich  und  all  ir  nachkomen  vestenklich   zu 
halten.    Und  darnach  uf  semlich  Verheißung,  Satzung  und 
friheiten    [41]    und   vil   vorbehabniße,    als    vor    stat,    der  2  s 
bisch of  einen   priester   mit   dem   namen    herr   Cüno,   der 
herr   Arnolds   von   Stretlingen   caplan   was,   bestetiget   zu 
der  kilchen  des  Paradises,  wann  er  in  ouch  also  presentiert 
hatt  im   müntlich  und  gegenwürtig,  und  gab  der  bischof 
dem   kilchherren    also    in    das   hus    die    hofstat   und   den  50 
garten,  den  kilchhof,  kilchen  und  was*  darzü  im  die  sorg 
der  seligen  seien   befeien   und   die   vorgeschribnen   güeter 

*  fehlt  in  der  Hh. 


50 

mit  allen  iren  fruchten  und  zügehörden ;  ouch  daß  er 
solt  rechtsame  haben  in  allen  zeigen,  weiden,  almenden, 
hölzern  und  weiden.  Er  beschikt  ouch,  daß  ein  iegHcher 
kilchherr  und  all  sin  ewigen  nachkomen  solt  sin  wonung 
5  an  dem  selben  hus  und  hofstat  haben,  alle  erwerbung 
und  friheiten,  das  nit  ze  tun,  usbesloßen ;  denn  daß  ein 
ieglicher  priester  daselbs  bi  der  kilchen  bi  dem  heiligen 
brunnen  sin  persönlich  wesen  und  wonung  sölt  haben. 
Er   gab   im   ouch   die  friheiten,    daß    er   ein   tubhus   mit 

10  tuben  möcht  haben,  ob  er  wölt.  Ouch  möcht  er  haben 
jaghund,  vederspil  und  alles,  das  zu  weidnie  gehört  und 
möcht  das  bruchen  und  haben  nach  allem  sinem  willen, 
es  were  jagen,  vischen  in  dem  Wendelsee;  mit  was 
kunstart  er  das  könd,  sölt  er  friUch  bruchen  und  nieman 

15  anders  in  sinem  kilchspel  keinerlei  weidnie  sölt  üeben 
noch  bruchen  bi  der  pen  und  büß  drier  pfunden  pfennigen 
gemeiner  lantUcher  münz,  wer  dawider  tat  heimlich  oder 
offenlich.  Und  ein  sem.liche  verfallne  büß,  wer  dawider 
tat,  solt  gebrucht  werden  an  der  kilchen  buw  daselbs,  es 

20  were  denn  sach,  daß  im  das  ein  kilchherr  erloupt  hett. 
Diser  vor  gemeldeter  friheiten  und  noch  me,  so  das  ge- 
schriben  ist  in  dem  latinschen  buch,  hat  der  vil  gemeldet 
bischof  und  der  dik  genant  herr  Arnold  von  StretHngen 
mit   ganzem   vollem    gewalt    den    selben    kilchherren    des 

25  Paradises  zu  den  selben  ziten  und  all  sin  ewigen  nach- 
komen bestetiget  und  gefriet,  [42]  da  ich  ouch  mein,  daß 
alle  kilchen  in  disem  mindern  Burgunn  das  habent.  Und 
darnach  hat  aber  der  bischof  herrn  Arnolden  von  Stret- 
Hngen gebeten,   gemant   und   geboten,   daß  er  durch  sich 


2,  iflge,  Saatfeld. 

II.  vederspil,    zur    Vogelbeize   abgerichtete    Falken,    Habichte, 

Sperber,  weidnie,  Jagd. 

14.  fr  Hieb,  frei. 


51 

selbs  oder  sin  trefFenlichen  boten  das  ouch  an  dem  stül 
zu  Rom  erwLirb,  daß  das  bestetiget  und  confirmiert  wurd. 
Und  uf  diß  alles  gab  der  bischof  allen  denen,  die  der 
kilchen  des  Paradises  mitteilent  und  gutes  tünd,  vierzig 
tag  aplaß  tötlicher  Sünden.  Und  hiemit  volbracht  der 
bischof  und  ander  priesterschaft  das  heilig  ampt  und 
ämpter  mit  gar  großem  lob  gotts,  andacht  und  fröiden 
und  gieng  darnach  iedermann,  die  da  warent  gesin,  an 
das  end,  da  er  dann  sin  spis  fand,  und  uf  das  kerte 
iederman  wider  heim  zu  sinem  huse. 


JJ7c  der  bischof  alles  das,   so  hie  vor  geschribeu  ist,   herrn 

Arnolden  von  Sfretlingen  gab  in  schrift,  daß  die  ding 

bestetiget  wurdent  zii  Rom  dtirch  den  bapst  Silvester. 

Uf  diß  alles,  als  hie  vor  geschriben  ist,  nam  der 
bischof  alle  die  zeichen  und  wunder  und  sust  alle  ding,  i5 
die*  vor  beredt  und  verheißen  wurdent,  in  schrift  und 
gab  das  also  in  empfelchniß  dem  selben  herr  Arnolden 
von  Stretlingen,  daß  er  verschlief  durch  sich  selbs  oder 
ander  erlich  boten,  daß  dise  ding  an  den  stül  gan  Rom 
käment  und  bestetiget  wurdent.  Und  versiglete  das  der  20 
bischof  mit  sinem  eigenen  ingesigel  und  gab  damit  dem 
dik  genanten  herrn  Arnolden  von  Stretlingen  sinen  segen 
[43]  und  nam  urlob  von  im  und  schied  von  dannen. 
Darnach  credacht  der  hoch  2:eborn  herr  Arnold  von  Stretlin- 
gen  in  im  selbs,  wie  er  dise  sachen  durch  sin  selbs  person  25 
und  Hb  wölt**  volbringen  und  handien  und  laßen  besteti- 
gen an  einen  stül  von  Rom  und  verzoch  die  sachen  also, 
daß  es  nit  angends  beschach  und  verzoch  sich  die  sach 
also  in  maßen,    daß  er  in    dem   selben   zit   von  diser  zit 

*  Hs.  hie. 
**  fohlt  iu  der  Hs. 


52 

schied  und  die  ding  nit  durch  in  selbs  wurdent  gehandlet. 
Aber  Gott  si  im  gnedig! 

Der  vil  genante  herr  Arnold  von  Stretlingen  selig 
ließ  einen  sun  mit  dem  namen  ouch  herr  Arnold  von 
5  Stretlingen,  wann  ouch  sin  vater  herr  Arnold  starb  in 
dem  jar,  do  man  zalt  drühundert  und  fünfzechen  jar.  Der 
selbe  junge  herr  Arnold  von  Stretlingen  der  wolt  nü  die 
versumniß  sines  vaters  seligen  erfüllen  und  volbringen 
und  nam  von  sinem  hofgesind  mit  im  uf  den  weg  so 
10  vil,  als  dann  das  siner  herrUkeit  zimlich  was  und  für 
also  gan  Rom.  Als  er  nü  uf  dem  weg  siner  fart  was, 
do  w^ard  er  allenthalben  von  fürsten  und  herren  wol 
enpfangen  und  gelaßen,  durch  deren  land  und  gegne  er 
denn  für  hin  und  herumb,   und  ward  ouch  uf  der  selben 

1)  flirt  begäbet  von  fürsten  und  herren  mit  zechen  stük 
heltüms.  Und  kam  also  gan  Rom  zu  dem  heiligen  vater 
und  bapst  sant  Silvester,  der  ouch  vormals  den  keiser 
Constantinum  getouft  hat  und  zu  cristenem  glouben  bracht. 
Von   dem   heiligen   vater   sancto  Silvestro   er   gar  frölich 

20  und  nach  künglichen  eren  enpfangen  ward.  Also  vieng 
er  an  sin  Sachen  ze  handien,  darumb  er  ouch  zu  im  komen 
was  und  erzalte  im  ouch  dabi  drü  große  zeichen  und 
wunder,  so  bi  der  kilchen  des  Paradis  und  bi  dem  heiigen 
brunnen   geschechen   warent   und    ouch    die   warlich    also 

2)  warent,  als  hie  nach  stat. 

[44]    Das  erst  zeichen. 

Es  was  einer  mit  dem  namen  Peter  Schik,  geseßen 
zu  den  selben  ziten  zu  Erlenbach,  der  was  also  begriffen 
mit    einem    semlichen    siechtagen    oder    krankheit    siner 


17.     Silvester  I.   314—335. 


53 

knüwen  und  beinen,  daß  er  groß  liden  und  pin  davon 
hat,  daß  er  nit  mocht  wandlen  noch  gan,  dann  uf  zwein 
kruken.  Also  verhieß  sich  der  erst  genant  Peter  Schik 
alle  jar  an  der  kilchwiche  sant  Michels  der  kilchen  des 
Paradises  dar  zu  komen  mit  einem  lebenden  opfer  und  > 
das  da  opfren  uf  den  altar.  Und  wann  nü  die  selb  kilch 
ein  mil  wegs  davon  was,  da  er  saß,  do  mocht  er  kum 
in  drien  tagen  kumberlich  und  mit  liden  und  arbeit  dar 
komen.  Do  er  nü  also  dar  kam,  do  w-as  er  bi  der  kilchen 
des  Paradises  vierzechen  tag.  Do  er  nü  in  dem  selben  lo 
zit,  als  er  da  was,  kein  beßrung  enpfand,  do  wolt  er 
wider  heim  scheiden.  Nü  hat  er  an  dem  selben  end  sin 
herberg  bi  einem  mönschen,  der  ouch  siech  was.  Als  er 
nü  in  sinem  slaf  lag,  do  ducht  in  in  sinem  slaf,  wie  ein 
mönsch  kam  und  in  beschütt  mit  dem  waßer  des  heUgen  1 5 
brunnen.  Uf  dis  dünken  do  erwachet  er  von  dem  slaf 
und  gesach  uf  und  sprach  zu  sinem  gesellen,  der  bi  im 
lag  zornlich,  warnmb  er  in  also  hett  beschütt  mit  dem 
waßer  so  gnot  und  vast.  Sin  gesell  antwurt  im  und 
sprach :  ich  han  dich  nit  beschütt,  aber  ich  wän  und  gloub,  20 
das  schütten  si  beschechen  durch  sant  Michel,  den  ich 
gesechen  han  und  wirt  dir  sin  ein  ursach  diner  gesuntheit. 
Also  stund  er  uf  und  enpfand,  daß  er  gar  und  ganz  gesunt 
was  worden  und  nam  sin  kruken  und  steken  uf  sinen 
hals  und  gieng  hin  zu  der  kilchen  des  Paradises  und  25 
opfert  da  [45]  ein  schaf  oder  lamp  und  ließ  sin  kruken 
und  steken  da  bi  der  kilchen  zu  einem  zeichen,  daß  der 
allmechtig  gott  und  sant  Michel  im  geholfen  hattent. 
Darnach  gab  der  selb  Peter  Schiken  dem  kilchherren  zu 
dem  Paradis  zu  einem  ewigen  almüsen  ein  matten,  genant  3^ 
die  Stülmatta,  gelegen  zu  Latterbach,  da  man  jerlich  von 


19.     giwf  und  vast,  viel  unJ  sehr. 


54 

sol   geben   nach    dem,    als   denn   das  jarzitbüch   inne  halt 
im  ougsten,  und  schied  mit  fröiden  wider  heim. 

Das  ander  zeichen. 

Ouch  was  einer  s^eseßen  zu  Röitinsjen  mit  dem 
5  namen  Hartman  im  Hof,  der  kg  gefangen  umb  sin  leben ; 
und  in  der  gefengniß  bevalch  er  sich  sant  Michel  dem 
patron  und  husherren  in  der  kilchen  zu  dem  Paradis  und 
rufte  in  andechtenklich  an,  daß  er  im  ze  hilf  käme.  Und 
darnach    in    der   nechsten   nacht   erschein  im  sant  Michel 

10  mit  einem  großen  schin  und  tröste  in  da  manigvaltenklich. 
Darnach  ward  er  bald  verurteilt  zu  dem  tod  und  mit 
namen,  daß  man  in  sölt  erhenken.  Do  er  nü  also  erhenkt 
ward  und  an  dem  galgen  also  ein  stund  gehieng,  do  ward 
der  richter  gebeten  von  sinen  fründen,  daß  si  in  möchtent 

^5  harab  nemen  und  begraben  und  bestatten  als  ein  andern 
cristenmönschen.  Do  si  nü  das  grab  machtent  und  in  von 
dem  galgen  harab  hattent  genomen  und  in  woltent  be- 
graben, do  was  sin  vater  mit  dem  namen  Walther  im 
Hof  und   sin    müter  und  ouch  sin  swester  für  den  toten 

20  lichnam  oder  mönschen,  iren  sun,  sant  Michels  hilf  an- 
dechtenklich anrüefen  und  ließent  ouch  ein  wächsin  bild 
in  der  große,  als  der  tod  was,  machen  und  [46]  das 
schiken  dem  wirdigen  erzengel  sant  Michel  zu  eren  in 
die  kilchen  des  Paradis.    Alsbald  si  nü  das  getaten,  eb  er 

25  begraben  wurd,  do  ward  er  wider  lebendig  und  stund 
also  gesunt  uf.  Darumb  alle,  die  das  gesachent,  die 
erschrakent  und  hattent  ein  groß  verwundern  davon. 
Darnach   dankete    er   sinem   vater  und  müter  und  andern 


3.  Zum  Folgenden  vergl.  «Der  gehängte  Dieb»  in  Pfeiffers 
Maricnlegenden  Nro.  VI;  F.  Vetter,  Neue  Mittheiiungen  aus  Konrad's 
von  Ammenhausen  Schachzabelbuch  p.   17. 


55 

sinen  fründen  und  seite  groß  lob  und  dank  dem  allmechtigen 
gott  und  dem  hochwirdigen  erzengel  sant  Michel,  und  trüg 
darnach  das  wechsln  bild  selbs  in  die  kilchen  des  Paradises 
und  opferte  das  dem  allmechtigen  gott  und  sant  Michel. 
Darnach  gab  sin  vater  dem  kilchherren  zu  einer  frien  5 
gotzgab  und  almüsen  ein  hofstat  zu  Röitingen,  die  uf 
dem  selben  zit  was  Peter  Halblings,  und  ander  stük,  als 
man  das  ouch  findet  in  dem  jarzitbüch  im  ougsten. 

Das  dritt  zeichen. 
Es  was  zu  der  selben  zit  ein  tochter  ze  Stoken,  mit 
irem  namen  was  si  geheißen  Mechilt  Röslerin.  Do  si  in  lo 
ires  vaters  hus  was,  do  hat  ir  vater  ein  jungfrowen ;  von 
der  selben  jungfrowen  hiesch  die  erst  genante  tochter 
Mechilt  ze  trinken.  Do  si  ir  nü  also  ze  trinken  hiesch, 
do  ward  .die  jungfrow  zornig  und  w^olt  ir  nit  gern  geben 
ze  trinken;  doch  si  gab  ir  ze  trinken  zornlich  und  sprach 
zu  der  tochter:  nim  hin  und  trink  in  des  tüfels  namen! 
Do  si  nü  also  trank,  do  beducht  die  tochter,  wie  ir  ein 
brunnender  brand  durch  ir  kelen  abgienge  in  maßen,  daß 
si  anvieng  zu  schrien,  als  ir  die  kel  wölt  verbrünnen. 
Und  dabi  gieng  [47]  ir  buch  uf  und  geswal  groß  als  ein 
flesch  und  beducht  si,  wie  etwas  durch  iren  hb  und  durch 
all  ir  gelider  lüffe.     Die  tochter  vieng  an  gar  wunderlich 


n 


9.  Diese  Wundergeschichte  scheint  ebenfalls  dem  Ca^sarius 
VON  Heisterbach  nachgebildet  -m  sein.  Dialogiis  iiiiraatlonitn, 
lib.  V,  cap.  26:  ((Miilicr  qiuedam  satis  cntdeliter  hoc  anno  vexahatiir. 
Haue  diahohis  ci.in  esset  qn'uiquennis  hoc  ordine  intravit.  Die  quadaui  cum 
lac  niandncaret,  pater  ejus  iralus  dixit:  Diabohmi  coniedas  in  ventrem 
tuuw !  Mox  pucUula  sensit  ejus  ingressuni  et  usque  ad  watunim  uiatem 
ab  illo  vexata  est  etc.» 

18.     hrunnend,  brennend. 

21,  flesch  7X\  flasche,  nach  Grimm  DW.  III,  1726  von  den 
Milchbrüsten  der  Amme  gebraucht. 


56 

geberd  zu  haben  und  unzimlich  geschrei,  als  si  beseßen 
were  und  beleib  also  in  einem  semlichen  wesen  uf  zwei 
jar.  Ir  vater  und  müter  und  ander  ir  fründ  verhießen: 
si  in  die  kilchen  des  Paradis  und  ward  ouch  also  dar 
5  gefüert.  Do  si  nü  also  in  die  kilchen  des  Paradis  gefüert 
ward,  do  beslußent  si  die  tochter  in  den  fronaltar  und 
warent  dabi  ir  lebenden  *opfer  uf  den  altar  legen  und 
ward  also  an  dem  selben  end  dri  tag  nach  einandern 
besworn    mit  der  stol  und  einem  swert  und  ward  da  vil 

ic>  dings  durch  si  volbracht  und  getan.  Zem  letzten  touft 
man  si  in  dem  heiligen  brunnen  in  maßen,  daß  si  als 
müed  ward,  als  wer  si  tod.  Do  si  nü  also  da  lag  und 
entslafen  was,  do  gesach  si  in  irem  slaf  einen  schönen 
minnenklichen   jungling  und  hat  ein  swert  in  siner  hand, 

1 5  in  sinem  antUt  was  er  gelich  sant  Michel.  In  dem  selben 
so  nam  der  priester,  der  si  beswür,  einen  bitz  brotes  und 
gesegnete  das  und  natzte  den  in  dtm  heiigen  brunnen 
und  bot  den  der  tochter.  Alsobald  erwachet  si  und  ver- 
gach  da  ofFenlich  vor  allen  denen,  die  do  warent,  ir  sechen 

20  in  irem  slaf;  davon  iedermann,  die  da  warent,  erschrakent 

und  groß  wunder  davon  hattent  und  stund  damit   uf   als 

•  gesund,   als   si   vormals   ie   was  gesin.     Darumb  alle,  die 

das  groß  wunder  und  zeichen  gesachent,    die  gabent  lob 

und   dank  dem  allmechtigen  gott  und  dem  wirdigen  erz- 

2)  engel  sant  Michel  und  wart  das  ouch  allenthalben  in  dem 
land  geofFenbaret.  Von  der  selben  entlidigung  und  liilf, 
so  diser  tochter  Mechilt  was  geschechen  in  der  kilchen 
und  in  dem  heiligen  brunnen  des  Paradis,  do  gab  ir  vater 
und  müter  und  ouch  si  zu  einer  frien  gab  einem  kilch- 
herren  daselbs  einen   aker   ze  Stoken,    [48]    geheißen  der 


9.     slol,  Stola. 
16.     /'/7^,  Bissen. 
19.     Sechen,  stn.,  Gesicht. 


57 

krumm  aker ;  und  andere  stück  wurdent  ouch  an  die  kilchen 
daselbs  geben,  als  man  das  findt  in  dem  jarzitbüch  im 
ougsten. 

Als    nü    dise    zeichen   und   wunder,    als    hie   obstat, 
gesagt  und  erzelt  wurdent  und  ander  gut  sachen,    die  an     5 
dem  selben  end  der  kilchen  des  Paradis  warent  geschechen 
nach  aller  notdurft :  do  bekant  der  heiligest  vater  der  bapst 
Silvester,  daß  der  durlüchtend  edel  und  fürsichtig  andechtig 
herr  Arnold  von  Stretlingen,  der  junger,  all  sin  fürnemen 
gar  und  ganz  zu  dem  allmechtigen  gott  gericht  hatt  und  ^^^ 
zu  dem  hochwirdigen  erzengel  sant  Michel,  sinem  patronen 
und   schirmer;   und   ward   do    erlüchtet  von  dem  heiigen 
geist   und   gieng    da    entgegen   den   andechtigen   gelüpten 
und  guten  fürnemen,  so  er  hatt  zu  dem  allmechtigen  gott 
und  gottsdienst.    Und  alles  das,  so  er  begert  zu  ere  und  ^5 
nutz  der  kilchen  sant  Michels  im  Paradis  und  eins  kilch- 
herrn  daselbs,    was   er  alles  mit  gutem  willen  und  friheit 
geben    und   liehen    und   wolt   im   nüt   verziechen,    des  er 
dann    dozemal   ze    geben    hat    umb    des    willen,    das    die 
seligen  cristenen  mönschen  lebendig  und  tod  möcht  ver-  ^o 
folgen   und  werden  heilsamkeit  iren  seien.     Und  gab  das 
alls   under   dem   namen   sant  Michels   in   die   kilchen  des 
Paradises  nach  allem  sinem  beü:eren. 


[49]    JVie  sant  Silvester   der   bapst  die  kilchen   des  Paradis 
gefriet  hat. 

Als  der  vor  genante  herr  Arnold  von  Stretlingen,  der 
junger,  verstund  den  guten  willen  des  heiligen  vaters  des 
bapstes,  do  gedacht  er  in  im  selbs,  wie  im  möcht  ver- 
folgen und  werden  bestetegung  der  engelwiche  mit  sunder- 
barem  aplaß  zu  der  kilchen  des  Paradises  und  ouch  semlicher 
aplaß  bestetiget  wurd  zu  ewigen  ziten,  daß  da  ein  mönsch 


58 

möcht  finden  aplaß  aller  siner  Sünden.  Er  begert  ouch 
von  dem  heiigen  vater  dem  bapst  fürer  gewalt,  daß  man 
möcht  in  der  vor  gemeldeten  kilchen  des  Paradis  besweren 
die  mönschen,  die  beseßen  werint  von  dem  bösen  geist. 
5  Er  begert  ouch,  daß  man  an  dem  selben  end  der  kilchen 
des  Paradises  möcht  bicht  hören,  die  mönschen  ze  ent- 
lidigen  und  ze  absolvieren  von  iren  sünden;  daß  man 
ouch  an  dem  selben  end  möcht  bichtbrief  geben  und 
ouch   ein    ieglicher   kilchherr   oder   lütpriester,    die  ie    zu 

i«^  ziten  daselbs  werent,  der  vor  benempten  vordrung,  ouch 
bittung  oder  höischung  wurd  gefriet  und  begäbet,  daß 
im  semlichs  möcht  vervols^en  und  ouch  das  bestetio:et 
wurd  zu  ewigen  ziten.  Semlich  anmütung,  höischung  und 
bitt  der  heilig  vater  und  oberste  priester  und  bapst  von  im 

n  güetlich  enpfieng  und  nam  sich  zu  bedenken  uf  senalich 
anmütung  und  bitt  zu  sinen  mitbrüedern  der  cardinalen 
der  hehgen  kilchen  zu  Rom  und  nach  guter  wolbedächtniße 
und  betrachtung  des  heiUgesten  vaters  mit  sinen  cardinalen 
und   mitbrüedern   der   heiigen   kilchen   zu  [50]  Rom,    do 

2^^  betrachteten  si  die  hochwirdikeit  der  seien,  daß  ein  ieliche 
sele  vom  an  fang  ir  geburt  hat  einen  engel,  der  ir  zu  ist 
geben  ze  hüeten;  diewile  die  sele  ist  noch  in  mütedib, 
hat  si  einen  hüeter  von  einem  engel,  der  si  behüctet  vor 
dem  bösen  geist;  ouch  wann  die  sele  gat  von  müterlibe, 

-5  daß  si  behüet  werd  von  dem  engel,  daß  die  sele  nit 
gehindert  werd  von  der  gnad  des  cristenlichen  toufes. 
Und  wann  nü  die  heiligen  engel  dem  mönschen  dienent 
in  sinem  leben,  in  sinem  tod  und  ouch  nach  sinem  tod : 
do   beducht   den  heiigesten  vater  den  bapst  mit  samnung 

3<^  siner  brüeder   der   cardinalen   billich   ze    sinde,    semlicher 


20.     ielich,  ieivelich,  jeglicher. 
29.     samnung,  Versammlung. 


I 


59 

biipstlicher  gewalt,  wie  vor  inen  was  angefordert  und 
gehöischen,  die  kilch  des  Paradises  sölt  von  inen  begäbet 
werden  mit  vollem  gewalt;  wann  ouch  der  hoclnvirdig 
erzengel  sant  Michel  die  selben  kilchen  im  Paradis  im  selbs 
selber  gewichet  hatt;  und  harumb  alles,  das  der  hochwirdig  5 
herr  Arnold  von  Stretlingen,  der  junger,  hatt  an  den  bapst 
und  sin  cardinäl  gebracht  und  ouch  vormals  die  ding  alle 
in  Schrift  versiglet  durch  einen  bischof  von  Losan  w^arent 
geleit,  das  was  der  bapst  mit  den  cardinalen  das  alles 
bestätigen,  beweren  und  kreftigen.  Er  und  all  sin  brüeder  ^'^ 
die  cardinäl  begabetent  die  kilchen  des  Paradis  fürer,  daß 
die  engelwiche  zu  ewigen  ziten  sölt  gehalten  und  volbracht 
werden  loblich  und  andechtenklich;  w^enn  der  tag  sant 
Michels  wurd  oder  viele  uf  einen  sunnentag,  daß  denn 
die  kilch  und  die  altar  in  der  kilchen  und  der  kilchhof  ^5 
mit  einandern  geeret  wurden  lobHch,  als  ob  stat.  Umb 
des  willen,  daß  ouch  sant  Michel  si  selbs  hatt  gewichet 
und  daß  ouch  all  seHg  cristenmönschen  die  engelschen 
wichi  dester  mit  größer  andacht  begiengent  und  ouch  das 
heltüm,  das  an  dem  selben  end  were,  dester  andechtiger  -^ 
[51]  wurd  geeret  zu  dem  heiligen  brunnen,  der  ouch 
daselbs  ist  —  und  darumb  v^'ard  die  gnad  dar  geben, 
daß  alle  die  mönschen,  die  warlich  gerüwet  und  gebichtet 
hettent  ir  sünd  und  mit  einem  guten  türnemen  käment 
uf  die  engelwichi  der  kilchen  des  Paradis,  die  altar  in  -^ 
der  kilchen,  den  kilchhof  und  den  heiligen  brunnen  an- 
dächtenklich  besüchtent  und  ir  opfer  uf  die  altar  da 
gebent,  ouch  ir  gaben  in  den  stok  leitent,  dadurch  der 
gottesdienst  geuifet  und  gemeret  wurd  oder  die  pfründ 
der  kilchen  gebeßert,  dadurch  ein  priester,  der  da  gott  5^^ 
und  den  heiigen  dienete,  ufenthalt  hette,  oder  ander  gut, 
ligents  oder  varendes,  gebe  oder  ander  gaben,  wie  die 
«geheißen  werent  im  leben  oder  im  tod  oder  ordnete  oder 


6o 

verschüefe  ze  geben;  ouch  alle  die  mönschen,  die  za 
den  heiigen  meßen,  predien,  vesper,  complet,  metti  oder 
zu  andern  heiigen  ämptren  da  wärint,  oder  ob  priester 
dar  käment  und  da  durch  gott  begertent  meß  zu  haben, 
5  oder  ieman  begerte,  daß  im  da  meßen  gesprochen  wurdent 
und  ouch  alle  die,  die  meßen  andechtenklich  hortent :  sölt 
vervolgen  und  werden  und  abgelaßen  all  ir  sünd.  Und 
ouch  mit  einer  semlichen  friheit  darzü,  daß  ein  ieglicher 
kilchherr  oder  lüpriester  der   kilchen    des  Paradis,   der   ie 

i^  zu  ziten  da  ist,  sol  und  mag  den  gewalt  haben,  ob  das 
beschech,  daß  man  beseßen  mönschen  von  dem  bösen 
geist  dar  brächt  in  den  altar  des  cors,  der  zu  den  selben 
ziten  hol  was,  inbesließen  und  in  besweren,  und  sol  da 
bruchen   die    büecher,    so   von  dem  priester  Adelberto  da 

^S  sind  gelaßen  und  sol  die  mönschen  also  besweren  und 
inen  mit  der  hilf  gottes  also  hilflich  sin.  Der  kilchherr 
oder  lüpriester  der  kilchen  des  Paradis  von  bäpstliches 
gewalts  wegen  an  dem  selben  end  mag  zu  ewigen  ziten 
tragen  ein  kutzhüt,  zu  glicher  wis  als  ein  corherr  u(  der 

^*^  Stift  zu  Losan,  [52]  das  man  ouch  nempt  zu  einer  andern 
tütsch  einen  vechen  chorhüt,  und  das  ist  darumb,  daß 
er  stat  halt  eines  penitenciarien  des  bapstes;  es  si  bicht 
zu  hören  und  die  selben  mönschen,  so  im  bicht  band 
getan,  ouch  ze  absolvieren  und  entledigen  von  iren  sünden 

-5  in  semHch  wis  und  form,  als  man  denn  tut  an  den  selben 
enden,  da  denn  semlicher  bäpstlicher  gewalt  wirt  hin 
geben.  Wie  aber  das  mit  me  worten  denn  hie  begrifl:en 
ist,  sol  beschechen,  das  hnt  man  in  dem  latinschen  buch, 
darab   ich    diß   izeschriben   hab,    luter.     Der  vor  gemeldet 


19.  kutzhüt,  nach  Grimm  DW.  v,  372  Hut  von  Fell,  Filzhut, 
genauer  eine  Kopfbedeckung  von  Pelz,  die  hinten  über  den  Rücken 
hinab  hängt,  eine  kirchliche  Auszeichnung. 

21.     vech,  mehrfarbig,  gefleckt. 


6r 

bapst  hat  harzü  so  vil  nie  geordnet  und  geben  und  ouch 
gesetzt  ze  tünd  umb  des  willen,  daß  die  große  arbeit, 
so  sich  möcht  machen  von  bicht  zu  hören  an  dem  selben 
end  der  kilchen  des  Paradis,  daß  ein  ieglicher  kilchherr 
an  dem  selben  end  mag  nemen  mithelfer  umb  des  willen,  5 
daß  sin  arbeit  dester  liechter  si  und  die  bürde  der  bicht 
dester  baß  möge  tragen  und  die  mönschen  usgericht 
mögent  werden.  Doch  mit  semlichen  fürworten,  ob  es 
geschäch,  daß  ein  kilchherr  zu  etlichen  ziten  semUcher 
hilf  bedörft,  als  ob  stat,  daß  denn  die  selben  mithelfer  lo 
und  priester  söUent  sin  unargwenig,  denen  denn  zu 
semlichen  Sachen  gut  ze  truw^n  si.  Die  selben  mithelfer 
söllent  ouch  gelert  und  bekant  in  den  bichten  sin  und 
dise  zühilf  der  mithelfer  sol  nit  geschechen,  denn  allein 
in  dem  stück,  ob  es  not  tat  und  sust  niemer;  und  die  i> 
selben  mit  helfer  söllent  ouch  die  form  und  die  gestalt  haben 
in  Schrift  und  die  nit  anders  ze  geben,  denn  als  ob  stat 
und  man"  findet  in  dem  latinischen  buch.  Und  hie  ist 
ouch  verwilliget  von  dem  bapst,  daß  der  kilchherr  mag 
geben  bichtbrief  in  bapu"  geschriben  oucli  in  der  form.  20 
als  man  denn  findt  in  der  latin ;  doch  sol  er  nit  vil  davon 
nemen.  Semlicher  gewalt  und  aplaß  uf  der  engelwiche 
der  kilchen  des  Paradises  [53]  sol  weren  von  der  ersten 
vesper  am  abent  unz  zu  der  andern  vesper  am  tag  und 
nit  fürer,  zu  ewigen  ziten  kreftenklich.  Der  dik  gemeldet  25 
bapst  ordnet  und  satzt  fürwerthin,  daß  wenn  sant  Michel 
nit  ist  und  vait  uf  einen  sunnentag,  denn  sol  die  kilch- 
wichi  sin  und  vallen  zu  ewigen  ziten  uf  dem  nechsten 
sunnentag  nach  sant  Mauritzen  tag.  Und  alle  die  mönschen, 
die  dann  zu  der  selben  kilchwuche  koment  und  ir  heiiges  5^ 


7.     usrichten,  abfertigen. 
II.     itnirgwenig,  unbescholten. 


62 

almüsen  daselbs  laßent,  den  selben  mönschen  ist  gegeben 
von  zwein  patriarchen  von  ieglichem  hundert  tag  tötlicher 
sünd  aplaß  und  ein  jar  täglicher  sünd.  Ouch  ist  den 
selben,  die  ir  almüsen  da  laßent,  geben  von  vier  cardinalen 
5  von  einem  ieglichen  achzig  tag  aplaß  tötlicher  sünd  und 
ouch  ein  jar  tägUcher*  sünd.  Ouch  ist  geben  von  sechs 
erwirdigen  bischofen  von  einem  ieglichen  vierzig  tag 
tötUcher  Sünden  aplaß  und  ein  jar  tciglicher  Sünden  allen, 
die   ir   almüsen  an   dem   selben   end   laßent.     Hiebi   sind 

10  gesin,  do  diß  geschechen  und  geben  ist  worden,  vil  er- 
wirdiger  geistHcher  und  weltlicher  prelaten,  ouch  vil  ander 
Volk  ane  zal. 

Darnach   so    sind   dem   vil  trenanten  herrn  Arnolden 
von  Stretlingen,  dem  jungern,  alle  die  friheiten,  aplaß  aller 

1 5  Sünden,  die  engelsche  wiche  mit  aller  der  friheit,  so  hievor 
allenthalben  geschriben  ist,  das  denn  von  dem  heiigen 
vater  dem  bapst,  patriarchen,  cardinalen  und  ouch  bischofen 
geben  ist  worden,  in  schrift  und  mit  ir  ingesigel  und  bull 
geben  nach  Römscher  gewonheit  von  sitten.     Die  selben 

20  heiigen  väter,  der  bapst,  die  patriarchen,  die  cardinal  und 
ouch  die  bischof  gabent  im  iren  segen  und  schied  also 
von  inen.  Do  nü  der  vil  genant  herr  Arnold  von  Stret- 
lingen wider  har  heim  kert,  do  ließ  er  das  heltum  und 
ander   sin  friheiten  mit  einer  großen  proceßion  [54]  und 

25  großer  wirdikeit  und  eren  in  die  kilchen  des  Paradises 
infüeren.  Und  alles,  das  er  2:eschaffen  und  volbracht  hatt 
uf  dem  weg  gan  Rom,  den  bäpstlichen  gewalt,  die  friheiten, 
ouch  die  loblikeit  der  engelschen  engelwiche  und  den 
aplaß  aller  Sünden  und   alles   das,    das   er   erworben   hatt 

30  von  den  heiigen  vätern:  ließ  er  durch  den  bischof  von 
Losan  bestätigen  und  darnach  allenthalben  verkünden  allen 
seligen  guten  cristenen  mönschen ;  und  was  darnach,  die- 

*  Hs.  täger. 


63 

wil  er  lebt,  dester  frölicher  und  die  kilchwichi  und  ander 
hochzit  an  dem  selben  end  der  kilchen  des  Paradis  mit 
großem  lob  volbringen.  Darnach  schied  er  von  diser  zit, 
aber  er  ließ  brüeder,  die  kind  und  erben  hattent,  die 
darnach  vil  zit  und  und  lange  jar  regiertent  die  her- 
schaften. Darnach  sind  si  alle  tod.  Gott  si  inen  gnedig 
und  erbarmherzii^: !     Amen. 


I 


55]  DAS  VIERD  CAPITEL  UND  UNDER 
SCHEID. 


In  dem  jar,  do  man  zalt  von  der  geburt  Cristi  nün- 
hundert  drißig  und  drü  jar  —  zu  den  selben  ziten  was 
5  ein  heiliger  vater,  ein  bapst  mit  dem  namen  Silvester  — 
was  ouch  ein  Herr  zu  Stretlingen  mit  dem  namen  Rudolf; 
der  hat  ein  frow^en  mit  dem  namen  Berchtam.  Die  selbe 
frow  w^as  von  künglichem  gesiecht  und  ouch  geistlich 
und   warent   ouch   bede    in    üebung   der    erbarmherzikeit 

10  zu  armen  lüten  empzenkUch,  und  in  volbringung  der 
geboten  gottes  und  Satzung  der  heHgen  kilchen  hieltent 
si  sich  flißentklich  und  ernstlich.  Der  würdigen  heiigen 
heltüm  und  ire  hochzitliche  tag  eretent  si  mit  großem 
lob  und  andacht;    all   tag    hortent   si   in    der   kilchen  des 

i)  Paradises  das  heihg  ampt  der  meße  und  ward  also  vor 
inen  volbracht,  da  si  ouch  mit  großer  andacht  darhinder 
stündent.  Nu  begab  es  sich,  daß  darnach  der  vor  genante 
Rudolf  von  Stretlingen  ward  userweit  zu  einem  künig. 
Die    selben   zwei   gebarent   ein   tochter,    die  namptent   si 

20  Adelheit.  Do  nü  die  selbe  tochter  Adelheit  erw^üchs  und 
sechzechen  jar  alt  ward,  do  ward  si  geben  einem  küngen 
in  Lamparten  mit  dem  namen  Lotharius,  der  do  w\is 
eines   kunges   sun   mit   dem   namen   Hugo,    der    gar   ein 


65 

richer  küng  in  Lamparten  was.  Den  selben  iren  elichen 
man  überlepte  si  und  nach  des  selben  tod  ward  ir  gegeben 
ein  ander  man,  ein  edler  küng  mit  dem  namen  Otto; 
von  dem  selben  [56]  küngen  ward  ir  ein  sun,  den  namptent 
si  ouch  Otto.  Do  der  selbe  ir  sun  erwuchs  uf  zu  einem  5 
man,  do  ward  er  so  redlich,  daß  er  userweit  wart  zu 
einem  keiser  und  regierte  das  keisertüm  ein  lang  zit. 
Wie  hie  me  sünen  von  der  küngin  Adelheiten  sind  geborn, 
das  enpfil  ich  den  latinschen  Schriften,  die  das  luter  sagent. 
Darnach  list  man,  wie  der  künig  Rudolf  gesach  in  sinem  ^^ 
slaf  oder  trömen  und  also  verzükt  was  in  dem  geist,  wie 
ein  große  statt  vor  im  si  mit  einer  großen  hochen  mur. 
Die  selbe  statt  hatt  zwölf  porten  und  uf  ieglicher  port  was 
ein  engel,  der  des  tores  solt  hüeten.  Und  in  dem  selben 
do  erwachet  er  darab  und  diß  was  er  von  vil  und  mengem  ^  '> 
erforschen  und  fragen,  was  es  bedutte  oder  bezeichnete. 
Also  kond  er  nieman  linden,  der  im  das  könd  oder  w^elt 
sagen  und  uslegen,    usgenomen    ein  priester,   der   das  tet 


7.  Abgesehen  von  dem  sagenhaften  Zug,  daß  König  Rudolf 
von  Burgund  aus  dem  Hause  StretHngen  hervorgieng  (s.  Einleitung), 
enthält  die  Chronik  an  dieser  Stelle  zum  ersten  Male  wirklich 
historische  Facten.  Und  zwar  ist  hier  Rudolf  IL,  König  in  Trans- 
juranisch  Burgund  gemeint,  der  Sohn  Rudolfs  I.,  welch'  letztern  schon 
Lazius,  de  migratione  gentium  XI,  aus  dem  Stretlinger  Geschlecht 
stammen  läßt.  Rudolf  II.  bestieg  den  Thron  wahrscheinlich  schon 
911;  920  oder  921  vermählte  er  sich  zum  zweiten  Male  mit  der 
Tochter  des  Herzogs  Burkhard  I.  von  Alemannien,  Blrtha,  der  auch  in 
der  burgundischen  Sage  berühmten  Spinnerin.  Ihre  Tochter  ist  die 
schöne  Adelheid,  zuerst  und  zwar  eben  in  ihrem  sechszehnten 
Jahre  (die  Verlobungsurkunde  datirt  von  938)  mit  Lothar,  König 
von  Italien,  und  liernach  951  mit  Kaiser  Otto  dem  Grossen  ver- 
mählt. Ihr  Sohn  ist  Otto  IL  Sie  starb  999.  Ihre  Mutter  Bertha 
gieng  nach  Rudolfs  Tode  eine  zweite,  unglückHche  Ehe  ein  mit 
König  Hugo  von  Italien  (957),  dem  Vater  ihres  Schwiegersohnes 
Lothar. 

5 


66 

mit  gutem  rat  und  in  underwist,  daß  er  solt  gottes  dienst 
meren  und  underwist  in,  wie  er  sölt  under  der  zal  der 
zwölfen  zwölf  kilchen  laßen  buwen  und  machen,  die  da 
tochtern  oder  under  der  kilchen  des  Paradis  söltent  sin ; 
5  und  daß  sich  das  möcht  geliehen  den  zwölf  Sternen  an 
der  krönen  des  gespons;  daß  ouch  die  kilch  des  Paradis 
davon  gezierd  waird  und  daß  es  sich  ouch  glichete  den 
zwölf  brünnen,  die  da  sind  gesin  in  der  wüeste  und  daß* 
der   erst   brunn   des  Paradis,   der   da   klein  ist  uferwallen 

^<^  und  in  ein  groß  waßer  ist  worden,  was**  vil  cristender 
mönschen  erkiken  und  ergrüenen;  und  daß  er  ouch  die 
zwölf  kilchen  des  Paradis  undertänig  machte  und  die  selbe 
kilch  des  Paradis  der  selben  zwölf  kilchen  ein  müter  were 
und  daß  er  ouch  einem  kilchherren  des  Paradis  die  zwölf 

15  kilchen  undergeb  ze  regieren  mit  genügsamlichen  mit- 
helfern  und  [57]  er  ouch  dem  selben  kilchherrn  das 
enpfel  ze  tünd  als  einem  rechten  hirt,  der  sinen  schafen 
sol  für  sin.  Der  vor  gemeldet  küng  Rudolf  hatt  darumb 
rat   wiser   und   gelerter   lüten    und   geviel   im   selbs  ouch 

20  wol  sölichs  ze  tünd. 


Wie  küng  Rudolf  die  zivölf  kilchen  ließ  buwen  in  der  gegni 

umb  in,  da  er  geseßen  was ;  die  selben  zwölf  kilchen 

er  under  gab  der  kilchen  des  Paradises. 

Darnach    vieng    an    küng    Rudolf  zwölf   kilchen    ze 

25  buwen    und    ze    machen    allenthalben    umb   in   in   einem 

kreis.  Und  warent  diß  die  zwölf  kilchen  hienach  geschriben, 

*  Hs.  da. 

**  fehlt  in  der  Hs. 


6.     gespons,  hier  die  königliche  Gemahhn. 
II.     erkiken,  lebendig  machen,  erquicken. 


6? 

nämlich:  Friitingen,  Leuxingen,  Eschi,  Wimnis,  Uttingen, 
Thieracher,  Schertzlingen,  Thun,  Hilteriingen,  Sigriswil, 
Anseltingen,  und  die  sölt  sin  ein  stift,  da  ouch  ein 
sunderbar  zal  der  thümherrn  solt  sin ;  und  darnach  zu 
dem  guldinen  hof  ouch  ein  semHche  stift  mit  einer  zal  5 
sunderbaren  thümherren,  an  dem  selben  end  ouch  ein  bürg 
und  ein  hocher  turn  vormals  stark  gebuwen  was,  das 
aber  nü  zu  unsern  ziten  ist  genempt  zu  Spietz,  das  als 
vil  ist  als  ein  spitz  in  den  see.  Und  da  entgegenüber 
nit  verr  an  dem  Wendelsee  warent  zwo  büre;  genant  in  lo 
Biirgimnherg,  das  man  ouch  ietz  zu  unsern  ziten  nempt 
in  Bürgen,  das  ouch  alles  von  einem  künig  Wandalorum 
Atilia  in  dem  jar,  do  man  zalt  von  gottes  geburt  vier- 
hundert und  fünfzig  und  zwei  jar,  stark  was  gebuwen 
worden.  Und  das  fand  also  der  küng  [58]  Rudolf:  i) 
zwüschent  den  zwein  bürsten  und  bürs^  oder  der  drien 
bi  dem  hochen  turn  ließ  er  ein  statt  buwen  under  der 
friheit,  als  ander  Römsch  stett  sind  gebuw^en  und  gefriet 
mit  aller  friheit.  Und  wann  es  nü  ist  ein  alt  sprüchwort 
in  der  weit :  die  ere,  die  einem  wirt  geben,  die  verwandlet  20 
sich  in  ander  sitten  —  also  was  der  erst  genante  küng 
Rudolf  als  ein  unbestentlicher  man  in  ander  sinne  und 
gedenke  komen  von  underwisung  des  bösen  geistes,  der 
in  hie  fürt  und  in  underwiste;  w\inn  das  gut  werk,  das 
er  hat  von  dem  heiigen  geist,  der  in  erlüchtet  hat  der  ^5 
kilchen  halb  des  Paradis,  die  ouch  des  ersten  sin  rechti 
lütkilch  was,  gestiftet  von  sinen  vordem,  gedacht  er 
und  betrachtet,  wie  er  die  weite  undertrüken  und  ver- 
nütigen  und  die  obgemelten  zwölf  kilchen  erhöchen,  wiewol 
si  tochtern,    als  ich  ietz  mag  reden,   warent    gesetzt   und  30 


T.     Leuxingen,  heute  Leißigen. 
2(S.     vernütigcn,  zu  nichte  machen. 


68 

undertänig  soltent  sin  der  kilchen  des  Paradis  und  vergaß 
ouch  hierin  der  friheiten,  der  gaben  und  vil  großer  zeichen 
und  wunder,  die  da  geschechen  warent  in  siner  kilchen 
des  Paradis  und  ouch  in  dem  heHgen  brunnen ;  und 
5  wolt  darnach  ein  capel  darus  machen,  wiewol  die  kilch 
des  Paradises  die  rechte  müter  was  und  ouch  die  allererst 
kilch,  die  da  gebuwen  ist  worden  in  dem  mindern  Burgunn 
und  von  allen  sinen  vordem  der  herren  von  Stretlingen 
vor  langen  ziten,  me  denn  ieman  mocht  gedenken,  geeret 

10  und  von  grund  uf  erbuwen.  Er  schätzte  ouch  den  aplaß 
der  engelwichi  klein;  das  almüsen,  das  man  gab  in  den 
stok  an  das  selb  end,  verbot  er  fürer,  nit  me  ze  tünd; 
dem  priester  in  der  kilchen  des  Paradis  slüg  er  ouch  ab 
sinen  tisch,    den   er  solt  haben  bi  im  an  siner  siten  [59] 

^  5  fürer  nit  me  ze  geben,  wiewol  die  kilch  noch  nit  begäbet 
was  mit  den  sechzig  tuggaten,  als  das  denn  vormals  was 
angesechen,  als  vor  stat.  Den  selben  sinen  bösen  willen 
und  fürnemen,  als  ob  stat,  in  kurzen  ziten  er*  nit  mocht 
volbringen  nach  sinem  gefallen,  denn  der  hochwirdig  sant 

^'^  Michel,  patron  und  schirmer  der  kilchen  des  Paradises 
der  hindert  in  uf  die  selben  zit,  daß  er  das  nit  mocht 
volbringen;  und  geschach  im  ze  glicher  wis,  als  dem 
Balaam,  so  man  liset  in  der  bibli,  der  da  wolt  verflüechen 
das  volk  gottes,  das  er  doch  nit  vermocht,  dann  der  engel 

25  gottes  verbot  im  das.  Und  darumb  der  allmechtig  gott 
durch  sin  übel  und  bös  verkert  fürnemen,  so  er  hatt 
wdder  die  kilchen  des  Paradis,  ließ  in  uf  den  tod  krank 
und  siech  w^erden  und  in  dem  selben  großen  siechtag 
w^ard   er   verzükt   für   die    urteil  und   gerechtikeit   gottes. 

30  Der  tüfel  sprach  also  zu  gott:  du  hast  kein  recht  zu 
disers  mönschen  sele!  Ich  han  des  ein  urkund,  wan  du 
hast  selbs  gesprochen,  die  sünd  werd  nit  vergeben  einem 

*  fehlt  iu  der  Hs. 


69 

mönschen,  er  gebe  dann  wider,  das  er  wider  recht  einem 
andern  hat  abgezogen.  Unser  herr  sprach  zu  dem  tüfel: 
laß  in  selbs  reden,  er  kann  villicht  sich  selbs  wol  ver- 
antworten!  Die  sele  sweig  und  kond  sich  nit  versprechen. 
Also  gab  im  der  herre  zil,  daß  er  oder  die  sele  in  acht  5 
tagen  sich  sölt  verantwurten.  Do  er  nü  zittrent  und 
erschrokent  enweg  schied,  do  was  einer  zu  im  komen 
und  tröste  in  und  sprach:  ich  wil  dir  mannlich  helfen! 
Do  er  nü  in  fragt,  wer  er  were  oder  hieße,  do  sprach 
er:  ich  heiß  Gabriel.  Also  kam  ein  andrer  ouch  zu  im,  10 
der  verhieß  im  ouch  hilfllich  ze  sin  und  er  fragte  in 
ouch,  wie  er  hieße ;  do  antwurt  er  im  und  sprach :  ich 
heißen  Raphahel.  Do  nü  [60]  er  an  dem  achtenden  tag 
kam  für  die  urteil  gottes,  do  wante  der  tüfel  vil  für  des 
Übels,  so  er  begangen  hett.  Do  verantwurte  in  Gabriel,  15 
der  erst  en^el  und  überwand  den  tüfel  in  dem  selben 
stük.  Do  nü  der  tüfel  in  einem  stük  ward  überwunden, 
do  vieno;  er  an  und  hüb  im  größer  sachen  und  übels 
für.  Do  versprach  in  Raphahel  und  sweigte  ouch  den 
tüfel  do.  Der  tüfel  was  zum  dritten  mal  wider  in  und  20 
sprach :  wie  wol  er  etwas  gutes  hat  getan,  so  übertrifft 
doch  das  übel  und  das  bös  das  gut  größlich  und  unzalich. 
Und  besunder,  daß  er  die  kilchen  im  Paradis  mit  allem 
f!iß  und  ernst  wolt  undertrücken  und  die  zwölf  kilchen, 
die  da  töchtern  sind  und  der  kilchen  des  Paradises  under-  25 
tänig  söUent  sin,  w^olt  erhöchen.  Zu  diser  verlümdung 
und  schuld,  so  in  hie  der  tüfel  schuldiget,  hatt  er  nieman, 
der  in  versprech  und  es  mit  im  hett.  Do  gab  unser  herr 
urteil  und  sprach :  man  sol  ein  wag  bringen  und  sol  man 
das  gut  gegen  dem  bösen  wegen !    Do  sprachent  Gabriel  30 


4.     sid)  versprechen,  sich  vertheidigen. 
.\.    fünvenden,  vorgeben. 


70 

und  Raphahel  zu  dem  künig  Rudolfen:  du  solt  zu  dem 
heiigen  erzengel  sant  Michel,  der  ein  patron  der  kijchen 
des  Paradises  ist,  Zuflucht  haben  und  in  bitten,  daß  er 
din  helfer  ietz  in  dinen  nöten  welle  sin.  Alsobald 
tet  er  das  selb  und  bat  sant  Michel,  im  hilflich  ze  sinde 
5  und  verhieß  im,  daß  er  alle  die  friheit,  die  da  geben 
werent  der  kilchen  des  Paradises,  weit  stet  und  kreftenkHch 
halten;  und  verhieß  so  vil  nie  darzü,  er  weit  si  beschirmen 
und  fürer  laßen  ernüwren  und  weit  ouch  alles  das  wider- 
keren,    so   er   der   kilchen   ze   kurz    het   getan  und  weite 

i^  fürwerthin  die  uferheben  und  fürer  begaben.  SemUchs 
verhieß  er  flißentlich  und  ernstlich  ze  tünd  unz  an  sin 
end.  Alsbald  er  diß  verheißen  hatt,  do  beducht  in,  wie 
sant  Michel  mit  der  wag  da  were  und  uf  [6i]  das  end, 
da  er  wenig  gutes  hat  getan,   sin    band   uf  die  wag  leite 

i)  und  im  hülfe,  daß  die  guten  werk  fürwagtint.  Der  tüfel 
hankt  sich  an  das  ander  ort  und  wolt  das  niderziechen. 
Do  tröwte  sant  Michel  dem  tüfel  mit  dem  swert,  daß 
er  das  nit  vermocht  und  also  kam  sant  Michel  dem  küng 
Rudolfen  zu  hilf  und  erlöste  in  also.    Do  nü  küng  Rudolf 

20  wider  zu  im  selbs  kam,  do  bekam  er  menglichem,  das 
im  begegnet  was  und  verwandlete  sin  bös  fürnemen  zu 
allen  guten  dingen.  Do  nü  darnach  die  engelwiche  der 
kilchen  des  Paradises  kam,  do  sach  der  kilchherr  an  dem 
selben  end,  mit  dem  namen  Lütoldus,  eine  große  menge 

2)  der  lüten,  priestern  und  kilchherren  da  umb  zu  im  komen 
und  daß  da  kum  der  zwenzigest  mocht  bichten  und  aplaß 
siner   Sünden    holen    und  das  von  kurze  des  zites  wegen, 


19.  Ueber  Michael  den  Seelenwäger  vergl.  die  Einleitung.  — 
Die  Stretlinger  Sage  auch  bei  Grimm,  deutsche  Sagen  (2.  Aufl.) 
Nr.  512  und  bei  Kohlrusch,  Schweiz.  Sagenbuch  p.  54.  Poetisch 
bearbeitet  wurde  sie  von  J.  R.  Wyss,  Idyllen  I,  187  und  von  Jacob 
Frey  im  Schweiz,  Miniatur- Almanach   1874. 


wann  der  aplaß  nit  anders  was  geben,  denn  von  der 
ersten  vesper  hin  unz  zu  der  andern.  Darumb  ward  ein 
große  rumor  und  klegt  in  dem  volk;  aber  die  selbefi 
engelwiche  uf  die  zit  ward  mit  großem  lob  und  eren 
volbracht,  es  were  mit  singen,  lesen,  beten,  predien  und  5 
alles  das,  so  dem  gottesdienst  zugehört,  und  wurdent  uf 
dem  selben  tag  ouch  daselbs  geoffenbaret  drü  zeichen 
und  wunder,  die  da  geschechen  warent  bi  der  kilchen 
des  Paradises  und  bi  dem  heiigen  brunnen  dabi. 

Das  erst  zeichen.  lo 

Man  findet  an  dem  selben  end,  daß  einer  mit  dem 
namen  Hans  Müller  was  beroubet  siner  gesiebt  der  ougen, 
daß  er  gnot  nüt  gesach.  [62]  Der  selbe  Hans  Müller 
verhieß  sich  zu  der  kilchen  des  Paradis  sant  Michels  mit 
einem  lebenden  opfer.  Do  tr  nü  dar  kam  und  sin  opfer  ^  5 
also  gab,  do  ließ  er  sich  füeren  zu  dem  heiigen  brunnen, 
der  da  ist  bi  der  kilchen  des  Paradises  und  bestreich 
daselbs  sin  ougen  mit  ertrich  und  spöichelen,  und  darnach 
wusch  er  sine  ougen  mit  dem  selben  waßer  des  heiigen 
brunnen  und  ward  alsobald  von  stund  an  gesechend  und  -c> 
lobte  do  den  allmechtigen  gott  und  den  hochwirdigen 
erzengel  sant  Michel.  Und  darnach  angendes  gab  er  einem 
kilchherrn  an  dem  selben  end  zu  einer  ewigen  gab  ein 
stük  lants,  lit  under  dem  spitz  ob  dem  Pfenwert  und 
ouch  einen  aker,  genant  der  Talaker.  -5 

Das  ander  zeichen. 

Es   was    einer   genempt   Peter   Müller   und   was   des 
ob   geschribnen    Hans   Müllers    brüder.     Der    selbe   Peter 


3.     Ue^d,  Klage. 


72 

Müller  was  also  begriffen  mit  dem  siechtagen  des  roten 
schaden  so  hertenklich,  daß  alle  die  mönschen,  bi  im 
geseßen  und  frömd,  in  für  tot  hieltent  und  nit  meintent, 
daß    er   an   den  tod  von  sinem  bett  keme.     Der  verhieß 

5  sich  ouch  mit  einem  lebenden  Opfer  zu  sant  Michel  der 
kilchen  des  Paradis  und  nam  ein  hün  und  opfert  das  uf 
den  altar  und  nam  ertrich  in  der  selben  kilchen  und  des 
waßers  von  dem  heiigen  brunnen  und  mischlete  das  under 
einander   und   trank   das;    und    alsbald   er   das   getet,    do 

'o  enpfand  er  gesuntheit  sines  bresten  und  ward  gesunt  und 
frisch,  als  er  vormals  ie  w^as  gesin.  Der  selbe  Peter 
Müller  Seite  darnach  dem  allmechtigen  gott  lob  und  dank 
und  dem  hochwirdigen  erzengel  sant  Michel  und  dienete 
darnach  sant  Michel  an  dem  [63]  selben  ort  unz    an  sin 

5  end,  und  gab  darzü  einem  kilchherrn  an  dem  selben  end 
zu  einer  frien  ewigen  gottsgab  ein  matten,  die  man  nempt 
das  sinwel  mad  under  dem  lueg.  Er  gab  ouch  darzü  me 
zu  einer  frien  ewigen  gottsgab  ein  halbe  juchart  lants, 
gelegen  am  Täller,    als   man    das   iint   in    dem  jarzitbüch 

;o  (XVIIL  kalendis  octobris). 


Das  dritt  zeichen. 

Es  w^as  einer  genant  Walther  Amesching  von  Honrich; 
dem  selben  w^as  em  band  also  lam  w^orden,  daß  er  die 
selben  band  nit  kond  noch  mocht  bruchen  zu  keinen 
-'''5  dingen.  Also  verhieß  er  sich  zu  der  kilchen  des  Paradis 
mit  einem  lebenden  opfer.  Do  er  nü  das  selb  opfer 
zwürent  dar  bracht  und  also  opfert,  dennocht  ward  er 
keiner  gesuntheit  siner  band  gewar;  doch  wolt  er  nit 
ablaßen  ze  bitten  sant  Michel  umb  gesuntheit  und  verhieß 


17.     simuel,  rund. 


73 

sich  also  zu  dem  dritten  mal  und  besunder  mit  sinem 
elichen  gemachel,  die  do  genempt  was  Cristina  und 
giengent  also  mit  großer  andacht.  Do  si  nü  also  beide 
uf  der  fart  warent  zu  der  kilchen  des  Paradis,  do  bekam 
inen  ein  erberer  alter  man,  als  si  bedücht,  bi  dem  salz-  5 
brunnen  under  dem  Honrichsberg  und  grüeßte  si  und 
fragte  si,  war  si  wöltent.  Si  antwurten  im  sprechende,  si 
weiten  zu  der  kilchen  des  Paradis  und  zeigte  im  ouch 
sinen  gebresten  der  band  und  erzalte  im,  wie  so  große 
gnad  were  bi  der  kilchen  des  Paradis  und  wie  große  10 
zeichen  und  wunder  da  erzeigt  wurdent  durch  den  hoch- 
gelopten  wirdigen  heiigen  sant  Michel.  Als  [64]  er  im 
nü  sin  krankheit  erzelt  und  gezeigt  hatt,  do  hüb  der  alt 
erber  man  uf  sine  band  und  gab  im  den  segen  und  sprach 
zu  Walther  von  Honrich :  gang  hin  sicher,  du  wirst  1 5 
gesuntheit  diner  band  enpfachen,  wenn  du  das  lebend 
Opfer  uf  den  altar  wirst  legen  und  du  darnach  din  band 
stoßest  in  den  heiigen  brunnen  daselbs  und  ie  tiefer  du 
din  band  hinin  stoßest,  ie  e  du  gesuntheit  enpflichest! 
Und  sprach  der  alt  erber  man  aber  me  zu  im:  es  sind  20 
torecht  lüt,  die  ir  opfer  also  uf  den  altar  werfent  und 
alsbald  enweg  gand  und  der  heiigen  ämptern  der  meßen 
nit  wartent  und  losent;  so  doch  die  wirdigen  engel  in  dem 
himel  davon  liebe  und  fröid  enpfachent  und  ouch  einieglicher, 
der  da  bittet  den  allmechtigen  gott  und  die  heiigen,  das  25; 
er  nit  beliplich  ist  an  sinem  bitten.  Und  do  der  alt  man 
diß  geredt,  do  verswand  er,  daß  er  in  fürer  nit  me  sach; 
daran  er  und  sin  gemachel  groß  wunder  hattent  und 
giengent  also  für  sich  und  volbrachten  also  ir  gelüpt  zu 
der  kilchen  des  Paradis  mit  einer  guten  trüwen  Zuversicht.  5^^ 


7.     luar,  wohin. 
»3.     losen,  hören. 


74 

Do  si  nu  zu  der  kilchen  des  Paradis  kament,  do  tet  der 
berschaftig  man  nach  der  1er  des  alten  erbern  mans,  der 
inen  bekomen  was  und  leit  das  opfer  uf  den  altar  und 
stieß  die  Hand  in  das  waßer  des  heiigen  brunnen  und 
5  zoch  die  band  gesund  wider  harus  und  seite  lob  und 
dank  dem  allmechtigen  gott  und  dem  hochwirdigen  sant 
Michel.  Und  darzü  alle  die  zit,  so  er  lept,  erete  er  sant 
Michel  in  der  kilchen  des  Paradis  und  gab  ouch  einem 
kilchherrn  daselbs  und  allen  sinen  nachkomenen  zu  einer 

^o  frien  o;ab  einen  aker,  geleo;en  ze  Honrich,  als  man  das 
ouch  noch  findt  in  dem  jarzitbüch  (XIIII.  kalendis  octobris). 
[65]  Do  nü  dise  großen  zeichen  und  wunder  also 
offenbarlich  gezelt  wurdent  vor  allem  volk,  so  da  gegen- 
wärtig  was,    do   was   künig   Rudolf  und    alle   mön sehen, 

15  so  da  bi  im  warent,  gott  dem  allmechtigen  und  sant 
Michel  groß  lob  und  dank  sagen  und  schied  darnach 
iederman  wider  heim.  Künig  Rudolf  betrachtet  und  be- 
sinnete  darnach  alles,  das  im  begegnet  was  und  gedacht 
an  sinen  zukünftigen  tod,    der   im   ouch  begond  nachen; 

^0  und  ermanete  ouch  in  sin  conscienz  und  gewißne  und 
gedacht,  wie  er  fürer  weite  etlich  friheiten  und  sunderlich 
gnad  erwerben  der  kilchen  des  Paradis,  als  ouch  all  sin 
vordem  hattent  getan;  und  fügte  sich  mit  sin  selbs  lib, 
ouch    mit    siner   tochter  Adelheiten   der   keiserin   zu  dem 

^5  heiligen  stül  und  hof  gan  Rom  und  wurdent  da  von  dem 
heligosten  vater  dem  bapst,  mit  dem  namen  Leo  der 
achtend,  mit  aller  erwirdikeit,  loblikeit  und  mit  fröiden 
enpfangen;  an  dem  selben  end  er  ouch  all  sin  guten 
Sachen,  die  er  dann  vor  im  hatt,  handlete  und  besunders 


2. 


herschaßig,  umstellt  aus  hreschhaftig,  bresthaft. 
20.     gewißne,  Gewissen. 
26.     Leo  VIII.  war  963—965  Papst,  hingegen  Leo  VII.  936—939. 


75 

im  ze  geben  und  verliehen  zu  der  kilchen  des  Paradis 
aplaß  aller  Sünden,  die  engelschen  kilchwiche,  die  almüsen 
in  den  stok  daselbs,  die  gaben,  die  friheiten,  die  us- 
marchung  des  kilchspels,  ouch  die  friheiten,  so  einem 
kilchherren  vormals  gegeben  warent,  die  ouch  bestät  5 
warent,  die  er  ouch  bestetigen  und  fürer  in  kraft  und 
bestätniß  weit  legen  und  darzü  ouch  siner  sunderlichen 
gnaden  begaben.  Der  vil  genant  küng  Rudolf  öffnete 
ouch  in  sinem  begeren  die  zeichen  und  wunder,  die  denn 
an  dem  selben  end  vormals  geschechen  warent.  Er  begert  lo 
ouch,  daß  die  zit,  so  der  aplaß  aller  sünden  were,  ge- 
strekt  und  erlengert  wurdent.  Er  begert  ouch  ze  wüßen 
von  den  zwölf  kilchen,  die  da  [66]  tochtern  werent  der 
kilchen  des  Paradis  und  gebuwen  und  aber  noch  nit 
begäbet  waren,  noch  usgemarchet,  was  er  hie  inne  sölte  is 
tun  oder  ze  tun  were;  oder  ob  die  usmarchung  des  Paradis 
und  ander  friheit  und  gnad,  die  vormals  dargeben  was, 
sölt  oder  möcht  endern,  daß  ouch  der  heiig  vater  sinen 
guten  heilsamen  rat  darzü  geb;  und  besunder  wann  man 
ouch  die  vor  genanten  zw^ölf  kilchen  von  der  rechten  ^o 
müter  gezogen  hett,  was  hiein  ze  tünd  were,  daß  die 
güetikeit  sines  rates  da  mitteilt  und  er  im  ouch  in  dem 
selben  ze  hilf  kam.  Do  nü  der  bapst  disen  küng  Rudolfen 
wol  gemerkt  und  verstanden  hatt,  do  nam  er  sich  ze 
bedenken  und  nam  rat  siner  brüeder  der  cardinalen,  wann  25 
es  doch  nit  billich  w(ire,  daß  man  kein  kilchen  sölt  buwen 
noch  usmarchen,  das  der  rechten  müter  möcht  schaden 
bringen;  man  möcht  denn  nit  wol  oder  mit  kumber  zu 
der  rechten  lütkilchen  komen  und  die  heiligen  sacrament 
da  den  mönschen  von  verre  und  von  unkomhkeit  nit  3o 
geben,  wann  es  sölt  nieman  des  andern  schaden  begeren, 


8.     offnen,  offenbaren. 


76 

dadurch  er  aber  sin  eignen  nutz  möcht  fürdern.  Und 
darumb  bedacht  er  sich  und  woh  das  nit  verwilUgen,  daß 
die  zwölf  kilchen  mit  ir  usmarchung  oder  andern  gaben, 
geschechen  in  verlierung  oder  abzug  der  kilchen  des 
5  Paradis  und  des  kilchherren  daselbs,  keinerlei  fund  noch 
geverde  hiein  gesucht.  Und  ließ  also  die  usmarchung 
des  kilchspels,  die  triheiten,  die  gaben,  die  denn  geschechen 
und  geben  warent  von  sinen  vordem  der  herren  von 
Stretlingen,  gar  und  genzlich  unzerbrochen  und  kreftiget 
10  die  selben  zu  ewigen  ziten  also  laßen  ze  beliben. 


[67]  Hie  nach  findet  man,  unc  die  engeis  che  kilchiviche  in  der 

kilchen  des  Paradis  und  der  aplaß  aller  Sünden  bestät 

ist  worden  von  dem  bapst  Leo  dem  achtenden 

durch  eriuerbung  küng  Rudolfs. 

J  5  Uf  das  selb,    so  da  vor  geschriben  ist,    so  gebot  der 

heilig  vater  der  bapst  Leo  und  wolt  ouch  das  also  haben 
von  dem  küng  Rudolf,  daß  er  von  des  abzugs  wegen 
und  daß  er  die  zwölf  kilchen  hatt  gescheiden  von  der 
rechten    müter,    das   da   was   die   kilch    des  Paradises,   zu 

20  ewiger  bekantniß  dem  kilchherrn  daselbs  und  sinen  under- 
tanen  sölt  geschechen  und  werden  ein  semlich  widergebung, 
die  nit  klein  were  und  ouch  merklich  gefriet,  daß  inen 
das  wider  ersetzt  wurd.  Und  in  dem  selben  belüd  er 
küng  Rudolfen    und    satzt   im    das   uf  sin    conscienz   und 

25  gewüßne  und  betrachtet  das  der  bapst  und  leit  ouch  dem 
küng  das  also  für,  wie  der  wirdig  heilig  sant  Michel  an 
dem  jüngsten  tag  wirt  mit  sinem  herhorn  all  toten  uf 
heißen    stan   und  si  heißen  komen  für  die  urteil  des  all- 


5 — 6.     fund  und  geverde,  listiger  Anschliig  und   Betrug. 


• 


77 

mechtigen  gottes.  Und  darumb  beducht  in  gut  und  billich 
ze  sinde,  daß  die  lütkilch  des  Paradis,  die  der  wirdig 
erzengel  sant  Michel  durch  sich  selbs  selb  hat  gewicht, 
daß  die  gewirdiget,  gefriet  und  ouch  der  aplaß  der 
engelschen  kilchwiche,  ouch  ander  riheiten,  die  vormals  5 
warent  geben  worden  durch  die  heUgen  väter  die  bilpst, 
die  ouch  ufrechtenklich  gegeben  warent:  daß  die  also 
bewert  bestentlich  und  [68]  zu  ewigen  ziten  also  bestät 
beliben  soltent.  Und  verlach  und  gab  der  bapst  äugendes 
sines  frien  willens  darzü,  daß  all  selig  cristenmönschen,  ^^ 
die  da  käment  zu  der  engelschen  kilchwiche  des  Paradis 
und  aber  von  kurze  des  zites,  das  da  was  von  der  ersten 
vesper  unz  zu  der  andern  vesper,  uf  dem  tag  d^r  kilch- 
wichi  ze  nacht  nit  möchtent  oebichten  all  ir  sünd  von 
gebrestens  wegen  des  kilchherrn  daselbs  oder  siner  mit-  ^5 
helfer  und  entlediget  werden  und  absolvirt  von  iren 
Sünden,  were  es  denn  sach,  daß  die  selben  mönschen 
dem  kilchherrn  oder  sinen  boten  oder  schaffneren  uf  dem 
selben  tag  ir  opfer  oder  almüsen  oder  den  kilchmeieren, 
die  an  der  kilchen  buw  ufnement  oder  in  den  stok  der  ^^ 
kilchen  gebeut  gold  oder  silber,  oder  uf  den  altar  daselbs 
leitent,  was  das  were  nützit  usgenomen,  das  doch  almüsen 
were,  in  wert  fünf  Schillingen  gemeiner  pfennigen  umb 
wirdikeit  der  fünf  w^unden  unsers  herrn  Jhesu  Cristi  und 
durch  die  andern  zeichen  sines  bittern  lidens,  als  des  ^5 
crützes,  der  naglen,  siner  dornin  krönen,  durch  das  sper, 
das  im  sin  heiige  siten  durchstach  und  durch  ander  vil 
pin,  so  er  durch  des  mönschen  heil  erlitten  hatt  —  die 
selben  zeichen  alle  der  hochwirdig  sant  Michel,  der 
zeichentrager,    an   dem   jüngsten   tag   vor   aller  weit  wirt  ^^ 


9-     verlach,  mhd.  verlecb,  verlieh. 


78 

erzeigen  — :  daß  die  seligen  mönschen,  die  also  ir  almüsen 
geben,  als  ob  stat,  möchtent  inen  selbs  userwelen  einen 
bichter,  doch  der  da  geschikt  und  wirdig  darzü  were,  daß 
er  si  möcht  entledigen  von  allen  iren  sünden  ein  mal  in 
5  sinem  leben  und  zu  dem  andern  mal  in  sinem  todbett; 
doch  mit  semlichen  gedingen  und  fürworten,  daß  ein 
ieglicher  mönsch,  der  des  begerte,  solt  in  dem  selben  jar 
fünf  fritag  vasten,  [69J  nämlich  zwüschent  sant  Micbiels 
tag   und   sant  Martins  tag.     Der   bapst   verwilliget   ouch, 

10  daß  der  selbe  kilchherr  des  Paradis  oder  sin  mithelfer, 
denen  er  sölichs  bevolen  hett,  möchtent  geben  bichtbrief, 
doch  geschriben  mit  namen  in  papir,  ob  ieman  das  begerte 
under  einer  semHchen  form  und  gestalt,  als  das  denn 
clerlich   und  luter  ist  geschriben  in  dem  latinschen  buch, 

1 5  darab  diß  ist  geschriben ;  das  enpfil  ich  den  latinschen  ze 
sagen  und  uszerichten,  die  denn  das  selb  an  dem  selben 
buch  eigenlichen  findent. 

Den   selben   aplaß   und   friheit   und   Vergebung   aller 
Sünden,  ouch  die  engelschen  kilchwiche,  die  da  bestetiget 

20  wurden,  gab  der  heiig  vater  der  bapst  dem  küng  Rudolfen 
durch  besiglet  brief  nach  gewonheit  des  römschen  stüles 
oder  hofes.  Und  gab  im  der  bapst  darzü  fünf  stük  heltüms 
und  gab  im  sinen  segen  und  ließ  in  damit  von  dannen 
scheiden.     Und   uf  das  nam  küng  Rudolf  urloub  von  im 

25  und  schied  also  von  dannen.  Do  er  nü  har  heim  kam, 
do  Heß  er  verkünden  sin  aplaßbrief,  sin  friheiten,  be- 
stätungen  und  ouch  das  heltüm,  das  im  gegeben  was  von 
dem  heiigen  vater  dem  bapst  und  verschüf  und  beschikt 
ouch  fürer,  daß  das  Opfer  oder  almüsen,    so  in  den  stok 

30  der  kilchen  des  Paradis  kam  ze  stür  an  die  buw,  daß  die 
gaben  getrüwlich  und  redlich  wairdent  angeleit.  Und 
ward  darnach  ein  großer  zülouf  an  das  selbe  end  und 
w^ard    ouch   dabi  großer   gottesdienst  fürer  volbracht  und 


19 

ward  ouch  angendes  von  einem,  genant  Cuno  Pfander 
und  Ita  siner  husfrowen  geben  ein  matt  zu  einer  ewigen 
sab  mit  dem  namen  das  simuel  madt,  als  man  das  denn 
lindet  in  dem  jarzitbüch  (XI.  kl.  octobris).  Und  uf  das 
selbe  gab  ouch  der  vil  genant  künig  [70]  Rudolf  einem  ^ 
kilchherren  daselbs  des  Paradis  zu  einer  ewigen  gab  fünfzig 
jucharten  matten  und  lants  und  nie  in  dem  selben  kilchspel, 
als  man  das  ouch  wol  mag  linden  mit  gutem  underscheid, 
an  welchem  end  die  selben  ligend,  in  dem  ob  geschribnen 
latinschen  buch,  darab  diß  geschriben  ist.  Und  wie  er  10 
die  gefriet  hat,  inzehalten  oder  uszelaßen,  iindt  man  alles 
klerlich;  der  das  begert  ze  wüßen,  der  frage  die,  so  denn 
latin  kennent,  die  gebent  im  denn  wol  underwisung  durch 
das  vor  genant  latinsche  buch.  Der  vil  genant  küng 
Rudolf  wolt  ouch  und  hat  das  gesetzt  und  geordnet,  daß  1 5. 
ein  ieglicher  kilchherr  des  Paradis  und  all  sin  undertanen 
des  selben  kilchspels,  wa  die  geseßen  werent,  daß  si  die 
friheit  söltent  hau  zu  ewigen  ziten,  teil  und  gemein  an 
allen  zeigen,  hölzern,  almenden,  weiden  als  wol,  als  einer 
von  dem  guldinen  hof  oder  von  Wyler  an  alle  hinderniße  20 
von  menglichem  und  die  ze  bruchen  durch  das  ganz  jar 
nach  allem  irem  willen  unz  zu  dem  sium^en  back  und 
von  Gumpenmur  unz  an  das  waßer  der  Cander;  und  were 
es  aber  sach,  daß  die  undertanen  der  beiden  kilchen, 
nemlich  zu  dem  guldinen  hof  und  des  Paradises,  also  2> 
uneins  wurdent  und  wider  einandern  werent  und  si  also 
gehindert  wurdent  von  keinerlei  Sachen  wegen,  daß* 
die  ob  gemeldeten  fünfzig  jucharten  lants,  die  küng  Rudolf 
geben  hatt  einem  kilchherrn  des  Paradis,    ingeslagen   und 

*  Hb.  dass  ei. 


29.     inslahen,  hier  einfriedigen,  mit  einem  Zaun  versehen. 


i 


8o 

verzunet  wurdent  von  beden  kilchspelen  zu  nutz  und 
fromen  eins  kilchherrn  des  Paradis,  so  söltent  die  zwei 
vor  gemeldeten  kilchspel  beroubet  sin  und  mangien  des 
bruchs  und  der  weid,  so  si  in  dem  selben  gut  und  zeigen 
5  hettent.  Und  sölt  und  möcht  [71J  der  kilchherr  des 
Paradises  nit  dester  minder  die  selben  jucharten  oder  land 
inslachen  in  sinem  eigenen  costen  und  die  nutzen  und 
brücken  durch  das  ganz  jar,  wenn  er  wölt  von  menglichem 
ungehindert   und    nit   dester  minder  in  die  andern  zeigen 

^o  faren  und  alm enden  und  weiden  zu  ewigen  ziten  als  wol, 
als  ir  einer  ane  iedermans  hinderniße.  Und  wer  darwider 
täte  und  daselbs  den  kilchherren  des  Paradis,  sin  knecht 
oder  dienst  hinderte  an  dem  selben  inbesließen  der  selben 
güetern,  als  ob  stat,  als  dik  und  vil  als  das  geschäch  von 

^5  iemant,  so  sölt  der  selbe  gestraft  werden  umb  drü  pfund 
Pfennigen  gemeiner  münz  des  lands  und  die  strafung  sölt 
und  möcht  geschechen  von  einem  kilchherren  des  Paradis, 
der  ouch  die  selben  drü  pfund  mocht  inziechen  ze  bruchen 
ze   stür   sines   inslachens   des   gutes   hiein   alle    gnad    us- 

20  besloßen.  Das  ouch  der  vil  genant  küng  Rudolf  von 
sunderlicher  friheit  gab  einem  kilchherren  des  Paradis  und 
geschäch  ouch  das  mit  willen  und  verhengniß  aller  der, 
die  da  geseßen  warent  zu  dem  guldinen  hof  und  zu 
Wyler    und    verhießent    ouch    das   ze   halten   zu    ewigen 

25  ziten;  darumb  si  ouch  swürent  für  sich  und  all  ir  ewigen 
nachkomen,  das  also  ze  halten,  das  ouch  küng  Rudolf 
darnach  also  bestätiget,  als  man  das  ouch  wol  findt  in 
dem  jarzitbüch  (kalendis  septembris). 

Nu  ist  hie  ze  wüßen,  daß  der  vor  gemeldet  heilig 
vater  der  bapst  wolt  das  also  haben  umb  des  willen,  daß 
ein  ieglicher  kilchherr  der  kilchen  des  Paradis  und  all  sin 
nachkomen  keinen  schaden  oder  verlurst  hett  an  dem, 
daß    sin   undertanen    sich  also  gemindert  hattent  und  ab- 


8i 

gezogen  wurdent  [72]  von  der  rechten  müter  der  kilchen 
des  Paradis  an  opfer,  an  frummen  und  an  andern  vil 
züvellen,  so  denn  einer  ieglichen  lütkilchen  zugehört,  daß 
die  zwölf  kilchen,  die  uf  die  selben  zit  ufgiengent  und 
gebuwen  wurdent  und  geuffet,  daß  die  selben  kilchherrn  5 
söhent  ein  bekantniß  tun  jerlich,  als  ir  rechten  müter 
der  kilchen;  und  friet  und  gab  friheit  also  der  kilchen 
des  Paradis,  daß  alle  die  undertanen  jung  und  alt,  die  zu 
iren  tagen  werent  körnen,  alle  jar  zu  ewigen  ziten  uf  der 
kilchwichi  der  kilchen  des  Paradises  sölt  sich  erzöigen  10 
mit  sinem  opfer  erlich  zu  dem  fronaltar  mit  siner  eigenen 
person  und  sich  da  dem  allmechtigen  gott  und  dem  hoch- 
wirdigen  heHgen  sant  Michel  sinem  patron  und  schirmer 
sich  da  erzeigen.  Und  darzü  so  vil  nie  von  einer  ieglichen 
lütkilchen  der  zwölf  kilchen,  die  da  tochtern  warent,  man  1 5 
uf  dem  selben  tag  und  kilchwiche  sölt  bringen  und  geben 
ein  Wcächsin  kerzen,  die  eines  pfundes  swär  were  und  die 
da  opfren  zu  einer  bekantniß  zu  ewigen  ziten,  daß  si 
werent  gesin  tochtern  und  undertänig  und  ouch  undertanen 
der  kilchen  des  Paradises.  Und  das  geschach  uf  semlich  20 
meinung,  daß  die  selben  zwölf  kilchen  also  ein  abscheid 
mit  iren  kilchspelen  also  soltent  haben  und  solt  aber  die 
kilch  des  Paradis  in  allem  dem,  so  si  gefriet  w\as  worden 
vormals,  mit  aller  rechtsame  in  siner  Sterke  und  friheit 
zu  ewigen  ziten  unzerbrochenlichen  bUben;  und  gebot  25 
das  der  vor  genant  heiig  vater  der  bapst*  under  der  pen 
des  ewigen  flüchs  also  ze  beliben.  Darnach  Heß  der  vil 
genant  küng  Rudolf  und  die  küngin  sin  gemachel,  mit 
dem  namen  Berchta,  die  zwölf  kilchen,  die  dann  vormals 
warent  tochtern  [73]  gesin  der  kilchen  des  Paradises,  die  30 

*  Hs.  bap?t  daz. 


frummen,  Nutzen. 
xilvelle,  Einkünfte, 


82 


selben  vor  gemeldeten  kilchen  usmarchen  und  begaben 
doch  nit  ze  vollen  und  das  darumb,  wann  si  warent 
darnach  in  kurzen  ziten  von  diser  weit  scheiden  und 
wurdent  begraben  und  bestattet  zu  der  erd  zu  BetterUngen, 
)  da  si  ouch  rüwent.  Gott  si  inen  gnedig  und  barm- 
herzig!    Amen. 


4,  Rudolf  II.  t  937  liegt  begraben  im'  Kloster  St.  Moritz  zu 
Agaunum;  hingegen  soll  Bertha  f  um  966  in  ihrer  Stiftung  Peter- 
lingen  (Paterniacum)  ruhen.  Vergl.  Anzeiger  für  schw.  Gesch. 
Neue  Folge  p.  306. 


DAS  FÜNFT  CAPITEL 


D 


arnach  in  dem  jar,  do  man  zalt  von  der  geburt 
Cristi  einlif  hundert  zwenzig  und  drü  jar,  zu  dem 
selben  zit  was  ein  Herr  von  Stretlingen  mit  dem  namen 
Herr  Burkart  von  Stretlingen.  Der  selb  herr  Burkart  was 
ein  semlicher  warhafter  man,  daß  nie  kein  mönsch  von 
im  kein  unwarheit  gehört.  Alles  das  er  redte,  das  was 
ja  ja,  nein  nein!  und  alle  sin  w^ort  redte  er  mit  ganzen 
trüwen;  den  selben  sinen  worten  die  wurdent  von  allen 
denen,  die  in  bekantent,  gehept,  als  het  er  einen  eid 
darumb  getan.  Der  selbe  herr  Burkart  von  Stretlingen 
was  eines  großen  demüetigen  herzen  und  eines  kuschen 
libes.  Er  bevalch  ouch  taglich  dem  hochwirdigen  erzengel 
sant  Michel,  sinem  patron  und  schirmer*  der  kilchen  des 
Paradis,  sin  Hb,  sin  sei  und  alles  das,  das  er  hatt,  mit 
andechtigem  gebet  und  mit  almüsen. 


[74]  Hie  nim  war  eins  großen  zeichen,  das  im  geschach 
und  zu  handen  gieng. 

Und  wann  nü  der  vor  genante  herr  Burkart  von  Stret- 
lingen sich  in  allen  sinen  sachen  und  gescheften  wislich,  für-  20 
sichtenklich  und  manlich  hielt,  do  gab  im  ein  großer  herr 

*  Hs.  schirmers. 


84 

.  sine  tochter  zu  der  e,  die  was  geheißen  Sophia.  Die  selbe 
frow  was  von  Hb  und  gestalt  über  alle  maß  schön  und  hüpsch ; 
aber  in  iren  sitten  und  geberden  was  si  scharpf  hert  und  hat 
kein  gut  geberd,  als  denn  ein  semliche  erliche  frow  von 
5  gesiecht  und  geburt  solt  haben.  Die  selben  frowen,  sinen 
gemachel,  nachdem  als  er  si  genomen  hatt  in  etwas 
vergangnen  zites,  er  mit  großer  hoffart  und  kostlikeit  und 
großen  eren  hein  gan  StretUngen  fürt,  als  si  oder  die 
iren   das   begertent,   wiewol   er  die  hoffart  nit  gern  hatt. 

10  Nu  macht  es  sich,  daß  der  alt  vient  der  küschheit  und 
luterkeit,  der  tüfel,  sucht  mengerlei  Ursachen,  wie  er  si 
betriegen  möcht,  als  das  villicht  geschach  durch  ir  hoffart 
von  verhengniß  des  allmechtigen  gottes,  wann  ir  eHcher 
man  hatt  si  noch  nit  beslafen.     Uf  ein  zit  wolt  der  herr 

i)  zu  der  kilchen  des  Paradis  gan  und  er  sin  frowen  mant, 
si  sölt  ouch  zu  der  kilchen  gan.  Do  sprach  si  zu  irem 
herrn :  w^as  gat  mich  din  sant  Michel  an  ?  du  solt  wüßen, 
daß  ich  nit  in  der  kilchen  wil  stan  under  dem  gemeinen 
volk!     In    dem   selben  ward   si   beseßen  von  dem  bösen 

20  geist.  Do  er  si  nü  aber  bat  und  mant,  si  sölt  zu  der 
kilchen  gan,  do  antwurt  si  im  als  vor,  si  wölt  nit  under 
dem  gemeinen  volk  stan,  und  wölt  ouch  nit  ze  kilchen 
gan  als  lang,  unz  er  ir  machte  ein  höcher  end,  [75]  daß 
si  das  besloßen  hett,  daß  si  darin  und  darus  möcht  gan, 

2)  wenn  es  ir  eben  und  gefellig  were,  daß  si  da  von  nieman 
möcht  gehindert  werden.  Der  herr  verwiUigete  ira  das 
und  Heß  unden  bi  dem  kilchhof  ir  einen  ingang  machen, 
da  man  noch  hüt  dis  tages  sieht  in  der  mur,  wie  ein  tür 
darin   ist  gestanden  und  gangen;   und  Heß  ir  machen  ob 

30  der  großen  kilchtür,  da  man  vor  hin  ingat,  ein  porkilchen*, 

*  Hs.  portkilchen. 


30.    porMIche,  Emporkirche,  erhöhter  Sitz  in  der  Kirche. 


r 


85 

daß  si  da  allein  mocht  ir  wonung  haben  an  iedermans 
hinderniß.  Nu  was  aber  das  ir  angenomene  wis,  nachdem 
als  si  beseßen  ward  von  dem  bösen  geist:  wenn  man 
anfieng  das  heilig  ewangelium  lesen  oder  singen,  oder 
das  gotzwort  verkünden  oder  predien,  so  gieng  si  all-  5 
weg  hinder  us  uf  den  kilchhof  und  hat  kein  ander  fürwort, 
denn  daß  si  sprach :  die  priester  sind  den  ganzen  tag  an 
dem  kanzel  swetzen  und  die  mönschen  in  der  kilchen 
also  besweren  und  müed  ze  machen  mit  iren  worten! 
Das  mag  ich  nit  liden,  wann  ich  han  sin  nit  gewonet  10 
und  ist  ouch  nit  war,  das  si  sagent.  Der  \or  genant  herr 
Burkart  von  Stretlingen,  ir  man,  ward  des  von  ir  under- 
wiset  und  hat  davon  groß  wunder  und  schämete  sich 
ouch  des  selben  ser  und  vast;  wann  er  bekant,  daß  ein 
cristenmönsch  semliche  wort  nit  solt  reden  noch  gedenken  1 5 
und  ouch  nit  zimlich  vy'arent.  Er  zwiflet  aber  dennocht 
nit,  daß  si  beseßen  were  von  dem  bösen  geist.  Darnach 
als  da  kam  die  kilchwichi  des  Paradis,  do  wolt  er  ir 
versechen  und  türkomen,  daß  si  zu  den  selben  gotthchen 
ziten,  so  die  göttlichen  empter  wurden  volbracht,  nit  -^ 
möcht  US  der  kilchen  komen  umb  des  willen,  daß  das 
gemein  volk  nit  bös  bispel  von  ir  nement.  Und  von 
semlicher  schand,  so  da  von  ir  geschieh  und  möcht 
uferstan,  do  beschikt  der  [76J  herr  Burkart  einen  sinen 
knecht,  der  also  uf  si  solt  warten  und  wenn  der  priester  -5 
uf  den  cancel  wolt  gan  und  das  gotzwort  verkünden  und 
predien,  daß  er  die  tür,  da  si  hinus  möcht  oder  wölt 
gan,  besluße,  daß  si  nit  us  der  kilchen  möcht  komen; 
und  wa  si  ouch  an  andern  enden  weit  usgan,  daß  er 
das   versech.     Do   nü    der   priester   an    den    canzel   gieng  30 


10,     Ich  hart  sin  etc.,  ich  bin  deßcn  nicht  gewohnt. 

19.     versechen  und  fürJiOtnen,  verliindcrn  und  zuvorkommen. 


86 

und  anfieng  zu  predien,  do  wolt  si  hinus  gan.  Do  ir 
nü  also  das  versechen  was,  daß  si  nit  hinus  mocht  komen, 
do  vieng  si  an  mit  einem  großen  geschrei  und  wüeten 
sich  selbs  rupfen  und  ir  gewand  zerzeren  und  hinuf  in 
^  das  tach  stigen  mit  schrien  und  brach  ein  loch  durch  das 
tach  und  wolt  da  hinus  stigen.  Der  priester,  zu  den 
selben  ziten  mit  dem  namen  Diethelmus,  der  erschrak 
und  riam  doch  nüt  dester  minder  sin  stol  ab  sinem  hals 
und   begreif  die   frowen   also   und   band   si   mit   der  stol 

10  und  fürt  si  zu  dem  fronaltar  und  besloß  si  darin  und 
fieng  an,  si  zu  besweren.  Und  in  dem  als  er  si  beswür, 
do  vieng  si  an  zu  reden  und  sprach:  o  leider  ich  muß 
nü  hie  die  warheit  sagen !  Ich  bin  der  tüfel  und  bin  har 
in    dis    hüpsch    bild    diser    frowen   geschikt    von    unsern 

1 5  fürsten  der  tüflen  und  das  darumb,  uf  weli  zit  oder  stund 
diser  herr  verlur  sine  küschheit  und  si  liplich  bekante, 
daß  ich  in  sölt  getödt  haben.  Aber  der  heiig  sant  Michel 
ist  sin  schirmer  gesin  und  han  im  nüt  mögen  tun;  und 
die  wort,  so  die  priester  predient,  die  sind  lebendig,  recht 

20  und  gut,  und  die  zung,  die  nit  anders  weiß  und  kan, 
denn  von  gott  reden,  die  ist  selig.  Und  wer  das  gotz- 
wort  gern  hört  und  dem  nachvolget,  der  stirbt  zu  ewigen 
ziten  niemer.  Und  noch  vil  ander  sachen  was  si  da 
vergechen,    davon   alle,    die    do   w^arent,    wunder   hattent 

25  und  ward  also  entbunden  von  dem  tüfel  und  [77]  starb 
darnach  an  dem  dritten  tag  und  bestattet  man  si  zu  der 
erd.  Do  nü  diß  also  geschach,  alle  die  das  gesachent 
oder  hortent,  erschrakent  darab  und  bekantent  hiebi,  daß 
der  hochwärdig  sant  Michel  ein  beschirmer  und   behüeter 

30  ist  aller  der,  die  im  andechtenklich  und  mit  trüwen 
dienent;  wann  er  ouch  disen  vor  genanten  herr  Burkarten 


16.     bekennen,  hier  coo-noscere  feminam. 


87 

von  Stretlingen  behüett  hatt  an  sinem  Hb  und  sei.  Und 
darnach  lopte  er  den  allmechtigen  gott  und  den  wirdigen 
sant  Michel. 

Zu  den  selben  ziten  was  durch  alles  tütsch  land  gar 
ein   große    pestilenz  und  tod  und  wert  vil  nach  zwei  jar    5 
und  sturbent  so  vil  lüten,    daß  es  darzü   kam,    daß    kum 
einer   den   andern    nmcht   begraben   und   ward  die  ganze 
herschaft  von  Stretlingen  bi  dri  milen  wegs  ze  ring  umb 
also  öd  und  wild,  daß  die  güeter  ungebuwen  belibent ;  und 
ouch   die  güeter  der  kilchen  des  Paradis  also  ungebuwen  lo 
lagent,  als  ob  es  almend  were.     Do  was  in  aller  gemein 
des  selben  zites  ein  semUche  gemeine  rede,    daß   der  all- 
mechtig  gott  von  himelrich  die  mönschen  strafte  von  des 
wegen,   daß    si   nit   hieltent  die   zechen  gebot  und  ander 
cristenlichen    Ordnungen    und    Satzungen,    so    man    denn  i5 
biUich    solt    halten.     Und   wurdent   also   in   dem   ganzen 
land   und    gegni   redent   und   ze   rat   werden,    wölt    man 
semlicher   großer   plag   änig  werden,    so    solt    man   sich   . 
entheißen    andechtenklich    ze    gand    zu   der   kilchen   des 
Paradis  mit  gaben  und  mit  allem  dem,  so  man  gott  und  20 
dem    heiigen   sant   Michel    möcht    eren;    wann    an    dem 
selben    end    der    kilchen    des    Paradis    were    aplaß    aller 
Sünden    in    der    engelschen    kilchwiche,    nach    dem    und 
vormals   sant  Michel  das  selbe   selbs   verkünt  und   geredt 
hatt,    do    er   die   selben  kilchen,    den  kilchhof,    altar   und  25 
den    heiligen    brunnen    gesegnet    und    gewicht    hatt.      Si 
gedachten  und  redten  von  den  großen  zeichnen  [78]  und 
wundern,    so    vormals    ouch    daselbs    geschechen   warent 
und    wie    ouch   vormals   vil    lüten   da   entlediget   werent, 


5.     vil  nach,  beinahe. 

18.  änig  werden,  ledig  werden. 

19.  sich  entheißen,   ahd.   afitheiian,   ein  Gelübde   thun.     Grimm 
DW.  III,   557  konnte  das  Wort  im  Hochdeutschen  nicht  belegen. 


88 

die  von  den  bösen  geisten  beseßen  warent.  Und  darnach 
bald  zu  der  künftigen  kilchwictii  der  selben  kilchen  des 
Paradises  von  gesatzt  und  gebots  wegen,  ouch  von  der 
friheiten  wegen,  so  vormals  erworben  hatt  küng  Rudolf 
S  von  dem  bapst  Leo  dem  achtenden,  die  priester  und 
kilchherren  von  Thun,  Hilterfingen,  Sigriswil,  Costenzer 
bistüms,  und  ouch  die  kilchherrn  und  lüpriester  von 
Leuxingen,  Frutingen,  Eschi,  von  dem  guldinen  hof,  Wimnis, 
Anseltingen,  Tieracher,  Uttingen  und  SchertzUngen,  Losner 

10  bistüms,    mit    iren    crützen    und   anderm   heltüm,    kerzen 
und  schallen  und  ander  gezierd,  so  man  denn  gewonlich 
treit,  so  man  mit  crützen  gat  —  und  warent  also  mit  allen" 
iren  undertanen  die  selben  vor  benempten  kilchherrn  und 
lüpriesten  komen  zu  der  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis 

15  und  die  selben  crützgang  also  volbringen  mit  großer  an- 
dacht  und  gebet,  ouch  almüsen.  Und  die  vor  genanten 
kilchherren  und  lüpriester  mit  allen  iren  undertanen  und 
ieghcher  in  besunders  verhießen  und  gelopten  zu  ewigen 
ziten,  semlich  crützgang  ze  tünd  jerHch  und  swürent  das 

20  selbe  ouch  ze  tun  zu  einer  bekantniß,  daß  der  hochwirdig 
erzengel  sant  Michel  ir  patron  und  schirmer  w^ere,  und 
wann  si  ouch  vormals  hattent  gehört  zu  der  kilchen  des 
Paradises,  und  w^ie  und  in  w^eler  Ordnung  si  soltent  gan 
jerUch  und  satztent  das  in  schrift;   wie   man   si   ouch  an 

25  dem  selben  end  solt  enpfachen,  mit  was  lobgesang,  ouch 
ander  cristenUchen  Ordnungen,  so  denn  von  hüpscher  und 
lopHcher  cristenlicher  Ordnung  darzü  gehört:  das  enpfil 
ich  nü  zemal  den  latinschen,  die  das  luter  und  dar  und 
wol  geordnet  findent  in  dem  orienal  und  latinschen  buch, 

30  darab  ich  [79]  diß  geschoben  hab.  Do  si  nü  dise  Ver- 
heißung und  gelüpt  getan  hattent  und  ouch  das  selbe  die 

II.     schalle,  schelle,  Glöckchen. 
29,     orienal.   Original. 


89 

meinung  was  gesin  des  bapstes  und  ouch  küng  Rudolfs 
und  ouch  die  Ordnung  also  gesteh  hattent  ze  komen  an 
das  selb  end,  do  hört  die  pestelenz  und  groß  tod  uf,  daß 
man  nit  me  also  heftenkHch  starb,  und  volbrachtent  also 
die  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis  mit  großer  andacht  5 
und  lob  gottes.  Und  wurdent  uf  dem  selben  tag  der 
kilchwichi  daselbs  verkünt  und  geoffenbaret  zwei  große 
zeichen  und  wunder,  die  der  hochwirdig  erzengel  sant 
Michel  da  gewürkt  hatt. 

Das  erst  zeichen.  lo 

Es  was  ein  frow  von  Frutingen  mit  irem  namen 
Gerdrut,  die  was  nü  vil  jaren  an  iren  beiden  beinen  lam 
gesin  und  ir  ganzer  Hb  was  ouch  krumm.  Der  selben 
frowen  kam  in  irem  trom  für,  si  sölt  sich  entheißen  zu 
sant  Michel  in  die  kilchen  des  Paradis  mit  einem  lebenden  is 
opfer.  Do  ir  semHchs  in  trömen  etzwie  dik  fürkam,  do 
verhieß  si  sich  also  mit  einem  lebenden  opfer  und  ließ 
sich  dar  füeren  und  opferte  ein  hün  daselbs  uf  den  altar. 
Als  man  si  nü  also  dar  gefüert  hatt,  und  si  für  den  altar 
also  getragen  ward,  do  viel  si  vor  dem  altar  nider  und  20 
kam  si  ein  großer  schmerz  an,  daß  si  von  iren  sinnen 
kam  und  si  nüt  umb  sich  selbs  wüßt.  Aber  gar  in  einer 
kurzen  zit  kam  si  wider  zu  ir  selbs  und  [80]  stund  frisch 
und  gesunt  uf  vor  dem  altar  und  sagt  gott  dem  allmechtigen 
und  dem  wirdigen  heHgen  sant  Michel  groß  lob  und  dank  25 
und  gab  darnach  einem  kilchherrn  daselbs  zu  einer  ewigen 
gab  und  almüsen  ein  pfund  pfennigen  daselbs  zu  Frutingen 
und  ein  hün  oder  aber  darfür  achzechen  steblerpfennigen, 


28.  Stehlerpfennig  oder  Stehler,  eine  Schweizennünze,  so  benannt 
nach  dem  darauf  geprägten  vStab  der  Bischöfe  von  Constanz  oder 
Basel.     Vergl.  Tschudy,  Chron.  helv.  I,  459. 


90 

das  uszerichten  umb  "sant  Michels  tag,   als  man  das  findt 
in  dem  iarzitbüch. 


Das  ander  zeichen. 

Es  was  ouch  einer  genant  Bernhart  zem  Brunnen, 
5  was  geseßen  zu  dem  endern  Stretlingen.  Der  selbe 
Bernhart  hat  einen  semUchen  großen  siechtagen  und  so 
gar  groß  liden  und  smerzen  an  sinem  Hb,  daß  alle  die, 
so  in  gesachent  oder  von  im  gehortent  sagen,  hattent 
ein  mitliden  mit  im,  wann  er  was  nüt  denn  schrien  und 

10  von  großem  we  sagen.  Nu  beschach,  daß  in  beducht 
in  einer  nacht,  wie  er  gesech  einen  erlichen  wirdigen 
hüpschen  man  mit  einer  zierlichen  hüpschen  angesicht 
in  wiESen  kleidern.  Der  selbe  man  verkunte  im,  weit  er 
gesunt   werden,    daß    er   denn   ein   Zuflucht    hett   zu  sant 

15  Michel  in  der  kilchen  des  Paradis  und  im  da  opferte  ein 
lebendig  opfer  und  das  uf  den  altar  geb.  Er  verachtet 
das  und  wolt  es  nit  tun.  Darnach  in  der  nechsten  nacht 
begegnet  im  aber  semlichs  und  verachtet  das  ouch  und 
wolt  das  nit  tun.    Do  im  nü  zu  der  dritten  nacht  semlichs 

20  begegnet  und  besunder  im  das  also  hüpsch  fürkam  und 
im  semlichs  riet  in  dem  slaf,  [81]  do  gesegnete  in  der 
mit  dem  heiigen  crütz  und  riet  im  fürer,  er  sölt  sich 
ouch  in  dem  heiigen  brunnen  weschen ;  und  wenn  er  sin 
gelüpt  also  andechtenkhch  volbrecht,  so  sölt  er  sicher  sin, 

2!)  daß  er  gesund  und  frisch  wurd.  Alsbald  er  diß  verhieß 
und  understünd  ze  tun,  alsbald  was  er  gesunt  worden. 
Sin  gemachel  und  alle,  die  bi  im  warent,  die  namen 
wunder   davon,    daß    er   alsbald   was  gesunt   worden  und 


5.     enäer,  enner,  jenseits.     Das  jenseitige  Stretlingen    wird  die 
Gegend  um  das  Bächigut,  die  heutige  Chartreuse  sein. 


91 

schatztent  aber  dabi  sin  gelüpt  und  Verheißung  klein,  als 
im  das  in  dem  slaf  was  fürkomen  und  sprachent  also: 
es  sölt  sich  nieman  zu  semlichen  gelüpten  verheißen 
durch  tröimen  oder  gesiebten  willen;  semhch  sachen 
mochtent  geschechcn  durch  betriegen  der  bösen  geisten;  5 
wann  es  kam  wol  uf,  der  tüfel  erzeigte  sich  etwen  gelich 
einem  guten  engel.  Und  darumb  sölt  er  sin  gemüet  und 
gedenk  bestentlich  halten  und  semlich  tröim  oder  gesiebt 
w^enig  halten;  w^ann  er  were  sust  also  gesunt  worden, 
und  ob  er  joch  semlich  Verheißung  nit  getan  hett.  Uf  ^^ 
der  nechsten  nacht  nach  semlicher  red  der  sinen  erschein 
im  aber  die  person  und  gestalt  als  vor,  und  sprach  zu 
im :  du  solt  wißen,  daß  du  als  lang  müßt  siech  beliben, 
als  lang  du  din  gelüpt  nit  volbringest!  Und  angends  uf 
dise  w^ort  kam  in  sin  siechtag  und  krankheit  wider  an  ^5 
als  vast  als  vor,  und  ward  davon  gar  hertenkUch  gepiniget. 
Als  das  sin  gemachel  gesach,  do  verhieß  si  äugendes  das 
allerbeste,  veißest  schaf,  so  si  under  allen  iren  schafen  hattent, 
sant  Michel  ze  opfren  uf  sinen  altar  und  underwisete  iren 
man,  daß  er  sin  gelüpt  erfüllte,  so  er  vormals  getan  hatt.  -"^ 
Alsbald  er  das  getet,  do  ward  er  aber  gesunt  und  enpfant 
für[82]werthin  keiner  krankheit  me  an  sinem  lib.  Daruf 
volbracht  er  sin  gelüpt  und  Verheißung  mit  ganzem  fliß 
und  ernst;  und  diewil  er  lept,  dienete  er  sant  Michel  mit 
ganzem  fliß  und  gab  ouch  an  die  kilchen  des  Paradis  zu  ^5 
einem  ewigen  almüsen  und  gotzgab  ein  hus  und  hofstatt 
mit  der  schür  daselbs,  gelegen  zu  dem  endern  Stretlingen. 
Die  selben  gotzgab  darnach  ein  kilchherr  zu  den  selben 
ziten  lech  einem  mit  dem  namen  Seman  umb  vier  Schilling 
Pfennigen  gemeiner  lantmünz,  daß  man  die  solt  usrichten  5o 
umb  sant  Michels  tag,  als  man  das  fint  im  jarzitbüch  im  ougsten. 


10.    joch,  auch. 


92 

Und  von  sellichen  großen  zeichen,  als  vor  stat,  was 
der  vor  genant  herr  Burkart  von  Stretlingen  und  alle  die 
mönschen,  die  in  der  selben  gegne  warent  geseßen, 
frölichen  worden  und  dem  allmechtigen  gott  und  dem 
5  hochwirdigen  sant  Michel  lob  und  dank  sagen;  und  gieng 
daruf  iedermann  zu  dem  imbiß,  sich  ze  spisen  und  zu 
dem  sinen  wider  heim. 

Der    vil    genant    herr   Burkart   von    Stretlingen    von 
sinen  anligenden  nöten  wegen  hat  etwas  sachen  ze  handien 

i^^  vor  dem  keiser,  und  was  der  keiser  genant  Fridrich  der 
fünft;  und  reit  also  hinin  in  Lamparten  in  die  statt 
Cremonensis,  da  er  ouch  den  heiUgen  vater,  den  bapst 
vand,  mit  dem  namen  Honorius  der  dritt,  und  ouch  den 
keiser.     Der   bapst   und    ouch   der  keiser  in  gar  früntlich 

I  j  enpfiengent.  Der  vor  genante  herr  Burkart  von  Stretlingen 
erklagte  und  erzalte  dem  heiigen  vater  dem  bapst  all  sin 
anligenden  not  [83]  und  das  im  do  an  was  gelegen, 
ouch  die  zeichen  und  wunder,  ouch  ander  sachen  der 
kilchen   des  Paradis   halb    mit   großem  süfzen  und  ernst; 

-^  ouch  die  engelschen  kilchwiche,  aplaß  aller  Sünden  und 
ander  vil  friheiten,  die  dann  vormals  ouch  gegeben  warent ; 
und  zöigte  im  diß  alles  in  gloubsamer  geschrift.  Darzü 
begert  er  ouch,  daß  man  möcht  friheiten  haben  ze  höischen 
an   die   kilchen   des  Paradises    allenthalben,    wa    man    hin 

25  schikte  in  dem  namen  sant  Michels.  Er  begert  ouch  in 
der  selben  bitt,  daß  ein  kilchherr  der  kilchen  des  Paradis 
möcht  ein  brüderschaft  machen  oder  ufsetzen,  dadurch 
die  kilch  des  Paradis  geuffet  und  gebeßert  wurd  und 
want   also   vor  dem   heiigesten   vater   für,    wie    daß    sin 

30  herschaft   und    das   ganz  land  allenthalben  da  umb  wüest 


10.     Eher  Heinrich  V.    1106— 1125:  und  Zeile   13   Honorius  IL 
1124— 1130. 


I 


93 


leg,  und  ouch  durch  töd  und  pestilenz  und  gebrestens 
halb  der  lüten  die  güeter  der  kilchen  des  Paradis  also 
ungebuwen  legem  und  alles  das,  das  sin  vordem  von 
güetern  hettent  geben  an  die  kilchen  des  Paradis,  daß 
die  selben  güeter  zu  allmenden  giengent  und  verwüechsent  5 
und  villicht  von  söHchs  gebresten  wegen,  als  vor  stat, 
niemer  me  möchtent  gebuwen  werden,  denn  daß  si  sich 
also  verlägent;  dadurch  aber  ein  priester  an  dem  selben 
end  volkomenlichen,  als  denn  vormals  was  angesechen, 
sin  narung  nach  priesterlicher  wirdikeit  nit  möcht  haben.  ^^ 
Der  dik  genant  herr  Burkart  von  Stretlingen  wandt  ouch 
für  mengerlei  ungefells  und  sorgUcher  Sachen,  die  er 
gehept  hiltt  von  kriegsnöten  wegen ;  ouch  wie  er  das  sin 
w^ider  die  beiden  durch  cristens  gloubens  willen  het  ver- 
kriegt [84]  und  vertan  als  vil,  daß  er  der  kilchen  des  i) 
Paradis,  die  der  heilig  sant  Michel  selbs  gewicht  hett, 
volkomenlich  und  genügsamUch  nit  möcht  ze  hilf  komen, 
als  aber  einer  siner  vordem,  mit  dem  namen  herr  Arnold 
von  Strethngen  hett  verheißen  einem  bischof  von  Losann 
mit  sechzig  tuggaten  ze  widmen  die  kilchen  daselbs,  daß  ^^ 
ouch  ein  priester  möcht  wol  sin  ufenthalt  da  haben  und 
darzü  ander  beswerniß  und  bürde,  so  dik  uf  ein  kilch 
viele,  möcht  ustragen.  Und  bat  also  den  heiigen  vater, 
daß  er  sin  gnad  also  mit  im  teilen  weit,  wann  er  es 
anders  nit  vermocht;  und  brucht  hie  vil  me  güetlicher  ^> 
und  früntlicher  bittworten,  denn  ich  hie  meld.  Und  nach 
semUcher  flißiger  bitt  nam  sich  der  heilig  vater  der  bapst 
ze  bedenken  zu  sinen  brüedern  der  cardinalen  des  stüls 
zu  Rom;   und   in    erzöigung   sunderlicher  liebe  lud  er  in 


5.     verwachsen,  mit  Gestrüpp  überwachsen  werden. 
8.     sich  verlisren,  durch  zu  langes  Liegen  verderben. 
20.     luiduien,  ausftatten. 


94 

ze  tisch  mit  im  ze  eßen  und  saßte  in  an  "sin  siten,  da 
er  im  ouch  mit  worten  und  werken  erzöigte  große 
früntschaft  und  liebe,  so  er  zu  im  iiatt,  in  eßen  und  in 
trinken;  und  under  andern  früntlichen  worten,  so  er  zu 
5  im  redte,  sprach  er:  lieber  sun,  alles  das  du  bcgerest  und 
ich  ze  geben  hab,  das  sol  dir  ervolgen  und  werden !  Der 
heilig  vater  der  bapst  betrachtet  ouch,  daß  nieman  schuldig 
ist  ze  triben  und  ze  volbringen  ritterschaft  ane  gebung 
sunderliches  soldes;   er  betrachtet  ouch,   daß   zu   dem  zit 

^o  der  großen  töden  und  pestilenz  dem  mönschen  heil  mag 
bringen  und  großen  nutz,  wa  der  hochgelopt  erzengel 
sant  Michel  wirt  angerüeft,  wann  er  ouch  großes  gewaltes 
ist  und  darumb  in  was  nöten  er  wirt  angerüeft,  es  si  in 
für,   in   waßer,   in   dem  ertrich  oder  an  welem  end  [85] 

15  das  ist,  daß  er  im  mag  ze  hilf  komen.  Wa  ouch  die 
engel  werdent  geeret  mit  gaben,  mit  gelüpten,  da  erzeigent 
sich  die  heHgen  engel  den  mönschen  zu  einer  sunderlichen 
hilf.  Und  darumb  ein  ieglich  kind  ist  schuldig  ze  wüßen 
den  namen  sant  Michels  zu  nemmen,  wenn  es  sibenjärig 

20  wirt,  daß  es  nit  beseßen  werd  von  dem  tüfel  und  daß 
ouch  ein  ieglich  kind  oder  mönsch  in  allen  sinen  nöten 
und  kumber  und  Hden  könne  anrüefen  den  namen  sant 
Michels;  darzü  an  allen  enden,  wa  das  ist,  in  zu  eren; 
wann  alsbald  ein  mönsch  wüßentlichen  tötlich  sündet,  so 

25  möcht  der  tüfel  den  mönschen  besitzen  und  in  ertöden, 
were  die  hilf  der  englen  nit. 

Und  darumb  gab  der  heilig  vater  der  bapst  von 
stund  an  mit  bäpstlichem  gewalt  und  satzte  die  vor 
genante    kilchen    im    Paradis,    die    der    hochwirdig    sant 

30  Michel  durch  sich  selbs  gewicht  hatt,  wann  ouch  an  dem 
selben  end  mengerlei  zeichen  und  wunder  geschechen 
warent,  ze  frien  und  das  heiig  almüsen  under  dem  namen 
sant  Michels,    patron    der   selben   kilchen   und   all   ander 


i 


95 

engel,  daß  ein  ieglicher  kilchherr  daselbs  durch  sin  gewißen- 
boten   oder   Schaffner,    die    der   kilchen   trüw  werent  und 
in  möcht  schiken  allenthalben,   das   heHg   almüsen   uf  ze 
nemen  und  höischen  zu  ufenthalt  der  kilchen  des  Paradis 
und   ouch  die  kilchherren  daselbs  jerlich  zu  ewigen  ziten    5 
möchtent  das  tun,  es  were  in  kilchen,  capellen;  und  das 
möchtent*   si    tun   dri    sunnentag    vor    sant   Michels    tag 
allenthalben,  wa  es  inen  denn  eben  were.    Er  möcht  von 
einem  ieglichen  kilchspel  frowen  und  man  userwelen,  die 
das   tun   wöltent,    die   von    hus   ze   hus   semlich  almüsen  10 
möchtent  züsamen  tragen  und  die  selben  [86]  almüsen  zu 
banden    einem   kilchherrn   der  kilchen   des  Paradises  ant- 
wurten,  schiken  und  geben.  Hienach  stat  in  dem  latineschen 
buch  vil  friheit  und  fürdrung,  so  da  solt  geschechen  einem 
kilchherren  und  kilchen  des  Paradis,  die  der  vor  genante  15 
bapst  hat  verheben  und  geben  ze  tünd  von  des  almüsens 
wegen,   wde   man   das   almüsen    an   allen  enden  solt  also 
ufnemen ;    und    ob    kein   priester   oder   ieman  anders  das 
nit  wölt  tun  und  das  hindern :  w^as  im  darnach  geschäch 
oder  sol  gan,  der  des  beger  ze  wüßen,  der  laß  in  des  die  20 
latinschen   underrichten,   wann    er   findt   das    da  alles,    da 
ich  es  hie  laßen.    Der  selbe  bapst  hat  ouch  uf  die  zit  alle 
die  laßen  bannen  und  verflüechen,    die   einem   kilchherrn 
des  Paradis   oder   sinen   gewißen   boten   in  dem  ufheben 
des    almüsens    hindernt    oder    inen    kein    widerstand    in  25 
dem  selben  weltent  tun  heimUch  oder  offenhch,  oder  hilf 
und  rat  darzü  gebent ;  die  selben  personen,  wer  die  sind, 
geistlich  oder  weltHch,  söllent  davon  nemen  ir  absulacion 
und  entledegung  von  einem  stül  von  Rom,  dem  er  ouch 
das  selb  behalten  hatt.    Und  uf  das  alles  so  hat  der  helig  30 

*  Hs.  machtent. 


8.     eben,  gelegen. 


96 

vater  der  bapst  mit  fliß  siner  güetikeit  und  nach  väterlichem 
sitten  allen  denen,  so  ir  heiig  almüsen  an  das  selbe  end 
gcbent,  geben  aplaß  aller  sünden  zu  der  engelschen 
kilchwichi.  Ouch  all  ander  friheiten,  die  vormals  warent 
5  geben  von  einem  stül  von  Rom  und  von  den  heiigen 
Vätern  bestät,  die  was  er  fürer  besteten,  Sterken  und 
kreftigen;  und  gab  darzü  von  sinem  guten  frien  willen 
allen  denen,  so  ir  heiig  almüsen  mitteiltent  oder  güts 
tätent  der  kilchen  des  Paradises,  daß  denen  sol  vervolgen 

^°  und  werden  aplaß  der  sibende  teil  ufgesatzter  büß  aller 
iren  sünden.  Und  gab  darumb  dem  vil  gemeldeten  herrn 
Burkarten  von  Stretlingen  versiglet  bullen  und  brief  nach 
Römschen  sitten  und  gewonheit  nach  aller  notdurft  und 
gab  im  darzü  acht  stück  heltüms  und  gab  im  daruf  sinen 

^5  bäpstlichen  segen.  [87]  Also  nam  der  vil  genante  herr 
Burkart  von  Stretlingen  urlob  von  dem  bapst  und  ouch 
von  dem  keiser,  der  im  ouch  groß  friheiten  gab  und 
schied  also  von  dannen  und  kerte  wider  heim.  Und 
w^ard   semHcher  großer  aplaß  und  friheit  der  kilchen  des 

^^  Paradis  allenthalben  verkünt  und  ward  ouch  semHche 
botschaft,  w^a  die  hin  kament,  erUch  enpfangen  und  ge- 
laßen. Es  w^ard  ouch  ein  semhcher  großer  zülouf  zu 
der  kilchen  des  Paradis,  do  man*  vernam  den  großen 
aplaß  und  gnad  und  ouch  das  wirdig  heltüm  dar  komen 

25  was,  von  den  zwölf  kilchen  da  umb,  die  da  warent 
tochtern  der  kilchen  des  Paradis,  daß  das  unseglich  ist  ze 
sagen.  Es  ward  ouch  großer  zülouf  von  frömden  lüten 
von  verren  landen,  nie  dann  vormals  ie  was  gesin.  Es 
w^as   ouch   zu   den   selben   ziten  ein  gemeine  rede  allent- 

30  halben  in  dem  Land,  daß  durch  die  ere  und  gottsdienst, 
so  gott  und  sant  Michel  an  dem  selben  end  geschäch, 
die   pestilenz   und    ander  plogen   und    töden,    gott    were 

*  Hs.  wan. 


97 


gcniiltcrt  an  siuem  zorn,  daß  die  uf  die  selben  zit  also 
uthieltent  und  nit  me  warent.  Der  vil  gemeldet  herr 
Burkart  von  Stretlingen  gab  ouch  darnach  siner  kilchen 
des  Paradises  zu  einer  ewigen  gab  und  almüsen  vier 
juch arten  lants,  als  man  das  denn  fint  geschriben  in 
dem  jarzitbüch  im  ougsten.  Es  gab  ouch  einer  mit  dem 
namen  Uolrich   Gugisperg    der    kilchen    ein  halb  juchart 


lants,  genempt 


~t7//  See,  und 


anders  ward  ouch  des  selben 


mals  dar  geben,  das  geschriben  ist  im  jarzitbüch.  Do  nü 
dise  pestilenz  ufhort,  als  ob  stat,  do  schied  der  vil  genant 
herr  Burkart  von  StretHngen  ouch  von  diser  zit.  Gott 
si  im  gnädig  und  erbarmherzig  und  helf  uns  ouch  allen, 
die  noch  lebent,  zu  einem  seligen,  guten  end!    Amen. 


[88]  DAS  SECHST  CAPITEL. 


Des  jiires,  do  man  von  der  gebort  Cristi  zalt  einlif 
hundert  fünfzig  und  sechs  jar,  under  dem  keiser 
Fridrichen  dem  ersten,  was  ein  herr  von  Stretlingen  mit 
5  dem  namen  herr  Diebold  von  Stretlingen.  Der  hatt  gehept 
ein  frowen,  was  genempt  Anna.  Zu  den  selben  ziten  ist 
gesin  ein  kilchherr  in  der  kilchen  sant  Michels  Paradis, 
der  schied  des  selben  mals  von  diser  zit.  Der  erst  genant 
herr  Diebold  von  Stretlingen  vergaß  und   gedacht   wenig 

10  an  vil  guter  sachen  und  geschichten,  die  von  gott  und 
von  dem  hochwirdigen  sant  Michel,  dem  erzengel,  patron 
und  schirmer  der  kilchen  des  Paradis,  an  sinen  vordem 
ouch  an  dem  selben  end  getan  und  erzöigt  worden*  und 
vieng  an  undankber  sin  gott  und  sant  Michel.     Er  vieng 

i)  ouch  an  durch  underwisung  des  tüfels  ze  sinde  ein  wilder 
verkerter  wüetrich  und  slüg  die  vorcht  gottes  ganz  ze 
rüaaen  und  was**  ein  Zerstörer  und  zerbrecher  der  speist- 
liehen  friheiten  der  heHgen  kilchen.  Er  zoch  ouch  an 
sich    die    erbschaft   und   das   gut,    so    verlaßen    hatt    der 

-o  kilchherr,  als  ob  stat,  der  under  im  gestorben  was  zu  der 
kilchen  des  Paradis,  als  es  im  sjehorte  von  oröttlichem 
recht  und  erbschaft.    Darnach  kurzlich  kam  die  kilchwiche 

*  Die  Hs.  gibt  hatt  statt  worden. 
**  fehlt  in  der  Hs. 


99 

der  kilchcn  des  Pamdis;  zu  der  selben  kilchwiche  ouch 
kamen:  die  kilch Herrn  und  lütpriester  der  zwölt  kilchen, 
die  da  warent  tochtern  der  [89]  kildien  des  Paradis  mit 
allen  iren  undertanen.  Zu  den  selben  ziten  was  erst  ein 
nüwer  kilchherr  dar  komen  und  bestät  von  einem  bischof  5 
von  Losann  und  ouch  vormals  presentiert  von  dem  vor 
genanten  Herrn  Diebolden  von  StretHngen;  der  was  nü 
genant  Herr  DietricH.  Der  erst  genant  Herr  Dietrich 
vieng  an  zu  reden  und  spracH  zu  sinem  Herrn,  Herr 
Diebolden  von  StretHngen  in  gegen wurtigkeit  der  zwölf  10 
kilcHHerrn  und  lüpriestern  und  oucH  vor  andern  lüten, 
und  tet  das  mit  einem  früntlichen  antlit  und  mit 
senftmüetigen  worten,  als  er  denn  uf  die  zit  das  kond 
getün;  wann  er  wolt  in  brüederHcH  underwisen  und  strafen 
und  im  zeii^en  den  we«:  der  warHeit,  als  er  im  oucH  das  15 
scHuldig  was  ze  tund :  gnädiger  Herr,  icH  bin  erst  nüwlicH 
zu  üwern  gnaden  komen,  und  weiß  aber  üwer  gewonHeit 
und  sitten  üwer  lierscHatt  nit!  Were  es  üwern  gnaden 
eben,  so  weit  icH  gern  etwas  mit  der  Hilf  gottes  reden 
Hie  offenbarlicH  vor  ücH  in  der  kilcHen,  an  dem  selben  20 
end  man  oucH  bilHcH  sol  die  warHeit  sagen.  Herr  Die- 
bold  von  StretHngen  antwurt  im  und  spracH:  lieber  Herr, 
ir  mögent  wol  reden,  was  ücH  eben  ist  und  mir  gefelHg 
und  komHcH  ist!  Do  vieng  der  kilcHHerr  an  zu  sprechen 
ein  semlichen  sprucH :  wa  sorgsamkeit  und  schaden  einem  25 
mönschen  nachet,  da  sol  er  an  zwäfel  dik  und  vil  rat 
Haben;  wann  es  stat  also  geschriben,  daß  offenbar  sünd, 
so  ein  mönsch  tut,  sol  man  nit  mit  HeimHcher  straf  ver- 
bergen. OucH  wa  ein  übel  oder  ein  sünd  geschieht,  an 
dem  selben  end  sol  ouch  das  übel  und  die  sünd  gestraft  30 
werden.  Lieber  Herr,  ich  han  geHort  von  üch,  dadurch 
min  gemüet  und  [90]  gedank  betrüept  ist  worden,  und 
min  antlit  ist  mir  verdeket  mit  der  schand,    das   ich    von 


100 

üwern  irnaden  muß  hören ;  daramb  daß  ein  semliche  im- 
erberkeit  und  unmiltekeit  von  üch  wirt  gesagt  von  allen 
denen,  die  üch  bekennent  oder  von  üch  hörent  sagen. 
Ach  lieber  herr,  was  band  ir  getan,  oder  wie  ist  die  liebe 
5  gottes  in  üch  erkaltet,  dal^  ir  üch  understanden  band  und 
das  tünd,  der  heiigen  kilchen  ir  friheiten  brechent  und 
darwider  ze  sinde,  ouch  die  kilchen  sant  Michels,  die 
üwer  lütkilch  ist  und  den  kilchherrn,  der  erst  vor  mir 
hie  kilchherr  ist  gesin  und  das   ich    ouch    witer   sag   und 

10  war  ist,  daß  ouch  ir  mich  noch  lebendig  mit  denen  selben 
beroupt  band?  Ir  sönd  wüßen,  daß  ir  in  den  fluch  gottes 
sind  geflillen.  Der  eid  von  üwern  vordem,  den  si  gesworn 
hand  gehan  für  sich  und  all  ir  ewigen  nachkomen  (da 
sind   ir   nü   inbesloßen   und  ouch  verbunden  gesin),    das 

15  hand  ir  nü  zerbrochen.  Ir  sind  ein  abziecher  und  nemer 
der  heiigen  kilchen,  das  ir  zugehört  hat.  Harumb  leider 
so  ist  gott  über  üch  erzürnt,  üwer  person  der  eren  hand 
ir  enteret,  ir  hand  gott  gescheut,  üwern  guten  lümden 
hand  ir  gemindert,   harumb,  daß  ir  das  gut  und  die  erb- 

20  Schaft  mines  vorfaren,  das  er  verlaßen  hatt,  unbilHch  hand 
genomen,  das  m.m  doch  billicher  in  den  nutz  der  kilchen 
und  eines  kilchherren  hie  solt  bekert  haben.  Und  für  ein 
warheit  sönd  ir  w^üßen,  es  si  denn  sach,  daß  ir  das  wider- 
kerent  und  wider  gebeut:    daß   gott  und  sant  Michel  an 

25  üch  das  werdent  rechen  !  Darzü  so  sag  ich  üch,  daß  ir 
das  alles,  so  ir  hand  abgezogen  diser  kilchen,  sönd  wider- 
keren,  oder  ich  wil  üch  schüchen  in  den  heiigen  ämptern 
und  wil  üch  halten  als  ein  gelid,  so  da  ab[9i]geschnitten 
ist  von   den  andern  oreHdern  der  helis^en  kilchen.     Es  ist 

30  wdder  billikeit  und  zimlichheit,  daß  ir  bi  disen  heiigen 
ämptern  und  lobUchen  hochzit  sind;   es  gehört  ouch  uns 


18.     lümdc,  Ruf,  Leumund. 


lOI 


priesteni  nit  zu  von  billikeit,  daß  wir  die  heiigen  meikni 
und  änipter  vor  üch  sprechent  und  lesent.  Und  harumb 
so  gand  us  der  kilchen  und  gedenkent,  daß  ir  unib  semlich 
schuld  üch  erwerbent,  daß  ir  absolviert  und  entlediget 
werdent  im  dem  end,  da  denn  semlichs  billich  ist  ze  tun !  5 
Die  zwölf  kilchlierrn  und  lüpriester,  die  da  gehortent  under 
die  kilchen  des  Paradis  und  ouch  das  gemein  volk,  alle 
die  da  gegenwurtig  warent,  nam  groß  wunder,  d.\i)>  der 
herr  Dietrich,  kilchherr  der  kilchen  des  Paradis,  so  ge- 
herzlich und  so  getürstig  dorft  reden  zu  sinem  herrn,  der  ^<^ 
doch  ein  semlich  zornig  man  was,  daß  alle  diß*  von  im 
redtent,  die  in  kantent.  Do  nü  der  me  genant  herr 
Diebold  von  Stretlingen  dise  wort  hört  von  sinem  kilch- 
herrn,  do  was  er  mit  einem  verherten  herzen  und  hoch- 
müetigen  gemüet  anzufachen,  sin  hertikeit  sines  gemüetes  ^  > 
und  herzen  ze  erzöigen  und  tröwte  im  an  sinen  Üb  und 
gut  und  sprach  mit  namen  zu  im,  wölt  er  von  semlichen 
Sachen  nit  laßen,  so  er  vor  im  hätt,  er  müeßte  des  en- 
gelten  an  lib  und  an  gut.  Und  sprach  türer,  er  hette 
darzü  ijöttlich  recht  und  er  möcht  semlich  gut  nemen  -^ 
und  weit  ouch  das  haben  nach  gewonheit,  als  denn  ein 
kilchenlicher  und  ein  patron  der  kilchen;  mit  me  worten, 
denn  nü  zemal  hie  gebrucht  und  geschriben  wirt.  Do 
nü  der  kilchherr  semlich  tröwung  von  sinem  herrn  hört, 
darab  erschrak  [91]  er  nit  und  antwurte  im  gar  wislich  -) 
und  sprach :  gnediger  herr,  das  ist  nit  not,  daß  ir  mir 
tröwent  an  lib  und  an  leben,  ir  sönd  üch  baß  und  wol 
besinnen  und  bedenken,  daß  ir  in  den  zorn  gottes  nit 
vallent  umb  des  willen,  daß  ir  an  üch  ziechent,    das  üch 

*  Hs.  die. 


10.     getürstig,  kühn. 

17.     mit  /mwm,  namentlich. 

22.     Vilchenl icher,  Collator. 


102 

von  göttlichem  recht  nit  zugehört;  denn  von  gewalts 
wegen  mögent  ir  das  wol  tun !  Doch  so  wil  ich  disc 
min  ansprach  dem  aUmechtigen  gott  befeien,  daß  er 
darüber  sin  urteil  geh  und  richte  und  dem  hochwirdigen 
5  sant  Michel,  üwerm  und  minem  patron,  des  kilchwiche 
hüt  hie  ist;  denen  ich  das  enpfil  uszerichten  und  ich  ouch 
min  Zuflucht  zu  inen  haben  wil!  —  Do  nü  der  dik  ge- 
nant herr  Diebold  semliche  antwurt  hört,  do  gieng  er 
mit  großem  zorn  us  der  kilchen  hinuf  zu  sinem  hus  der 

10  bürg  Stretlingen,  und  darnach  volbracht  der  kilchherr  das 

gotteswort   und   warent   die  andern  priester  ouch  mit  im 

die  heiigen  ämpter  mitsingen  und  lesen  ouch  loblich  und 

andilchtenklich  nach  der  kilchwiche  volbringen.    Das  ander 

.  gemein  volk,  die  uf  die  selben  zit  da  warent,  loptent  ouch 

1 5  gott  und  leiten  ir  Opfer  uf  den  altar,  und  schied  darnacli 
iederman  wider  heim  zu  dem  sinen. 

Ein  zcicJien. 

Darnach  an  dem  dritten  tag  erzöigte  sich  die  offen- 
bare pin  der  sünd  an  dem  vor  genanten  herrn  Diebolden 

20  von  Stretlingen  und  begab  sich  also,  daß  er  beseßen 
ward  [93]  von  dem  bösen  geist  und  ward  also  von  im 
gepiniget  unz  uf  den  tod.  Also  ward  er  verheißen  zu 
siner  kilchen  des  Paradis  und  ward  ouch  dar  gefüert  und 
besloßen  in  den  fronaltar  und  ward  da  besworn  und  ouch 

25  daselbs  gelediget  von  dem  bösen  geist  und  ward  gesunt 
an  allen  sinen  sinnen,  als  er  vor  was  gesin.  Do  er  nü 
entlediget  ward  von  dem  bösen  geist,  do  bichtet  er  sin 
sünd.  Do  er  aber  wider  solt  geben,  darumb  er  vormals 
was  gemant  von  sinem  kilchherrn,    do    wolt    er  das  aber 

30  nit  tun;    doch   satzte   er  das  hin  zu  siner  husfrowen  und 


30.     hlnsclicn,  anheimstellen. 


103 

drier  siner  sünen;  und  was  die  selben  in  diser  sach  tätent, 
wölt  er  ouch  tiin  und  behüb  aber  im  selbs  hiein  kein 
conscienz  noch  gewilMie.  Und  harumb  do  er  kam  in  den 
wald  hinuf  an  der  egg  bi  dem  hanakcr  in  stöheii,  do 
ward  er  aber  beseßen  von  dem  bösen  geist  und  starb  5 
iilso  an  alle  Vernunft,  und  stat  hie  geschriben,  daß  sin 
sei  offenlich  ward  gesechen  von  vil  mönschen,  die  hiebi 
warent,  us  sinem  Übe  gan  und  gehorten,  wie  die  sele 
den  bösen  geisten  enpfolen  ward  von  sant  Michel  und 
ward  gefüert  nit  verr  von  dannen  in  ein  mos  bi  dem  lo 
see;  in  dem  selben  mos  die  genante  sele  dik  und  vil 
gehört  ward,  da  mengerlei  und  groß  pin  ze  liden  und 
mit  großem  klagen,  daß  si  nit  hatt  wider  geben,  darumb 
si  aber  dik  im  leben  was  gemant  ze  tun.  Und  das  selb 
mos  heißt  noch  hüt  dis  tags  das  Hellmos.  Die  sinen  i) 
und  ouch  ander  lüt  taten  so  vil  darzü,  daß  die  sele  an 
dem  selben  end  besworn  ward  und  gefragt  mengerlei  ir 
pin  halb.  Und  nach  vil  worten,  so  hiein  gebrucht  wurdent, 
antwurte  die  sei,  daß  si  nit  möcht  entlediget  [94]  werden 
von  denen  pinen,  bis  daß  widerkäm  und  gnug  beschech  20 
mit  almüsen  und  mit  andern  guten  dingen  der  kilchen 
des  Paradis  für  das,  so  ir  abgezogen  were;  und  sprach 
so  vil  nie  darzü,  wenn  semlichs  geschäch  und  widerkert 
wurd,  so  sölt  man  verschaffen,  daß  si  von  dem  stül  von 
Rom  entlediget  wurd  und  absolvieret;  wann  zu  einer  25 
zwifliltigen  sünd  möcht  ein  siechte  einflute  büß  nit  gnüg 
sin.  Als  nü  dise  wort  vernament  sin  husfrow,  mit  dem 
namen  Anna,  und  dri  siner  sünen,  die  also  genempt  warent, 
einer  Richart,  der  ander  Otto  und  der  dritt  Marquart :  do 
begabent  si  sich  des,  daß  si  alles  das  wöltent  widerkeren,  5^ 
das    si    dem    kilchherrn    und    ouch    der    kilcheil    hettent 


50.     sicJ)  begeben,  c.  gen.,  sich  entäußern. 


104 

abgenomen,  und  von  semlichs  abzugs  wegen  warent  si 
angendes  dem  kilchherrn  widerkeren  und  geben  zwenzig 
jucharten  ertrichs,  holz  und  veld,  gelegen  zu  einem  teil 
an  dem  Tierfeld,  an  dem  andern  stoßt  es  zu  dem  Jengen 
5  ried,  aber  zu  beden  siten  stoßt  es  an  die  Egg  bi  dem 
hanaker  in  den  stöhen,  an  dem  selben  end  ouch  der  vor 
genante  herr  Diebold  von  Stretlingen  was  tod  funden, 
Si  kertent  und  gabent  ouch  wider  uf  die  selben  zit  ein 
jucharten    wingarten,    gelegen    zu    dem    guldin    hof,    den 

10  man  noch  nempt  sant  Michels  wingart;  und  der  selb 
wingart  sölt  kein  zinswin  geben,  als  man  das  fint  in 
dem  jarzitbüch,  nemlich  kalendis  oaobris. 

Uf  die   selben   zit   was    ouch    ein    frier    herr,    einer 
von  Wißenburg.     Sin   eigner  nam  ist  hie  nit  geschriben. 

15  Der  was  nü  ein  fründ  der  drier  sünen  und  herren  von 
Stretlingen.  Der  gab  ouch  einem  kilchherrn  der  kilchen 
des  Paradis  zu  einem  ewigen  almüsen  und  gotzgab  ouch 
ein  stük  reben,  ouch  fri,  an  allen  [95]  zinswin,  als  man 
das  ouch  findt  in  dem  jarzitbüch  (quarto  nonis  octobris). 

20  Die  vor  «gemeldeten  sjaben  s^abent  si  also»  daß  si  einem 
kilchherrn  zu  ewigen  ziten  soltent  beliben.  Die  vor  ge- 
nante frow  Anna  von  Stretlingen  und  die  vor  benempten 
dri  ir  süne  üebtent  sich  mit  geflißnem  ernste,  wie  si  die 
sei  irs  manns  und  die  sün  die  sei  irs  vaters  von  der  pin, 

25  als  ob  stat,  möchtent  erlösen  und  hattent  rat  irs  kilch- 
herrn, herrn  Dietrichs  vor  benempt,  und  volgeten  ouch 
sines  rates;  und  er*  riet  inen  nach  dem,  als  denn  die  be- 
sworne  sele  kunt  hatt  getan,  daß  si  solten  schiken  gan 
Rom,  da  zu  erwerben  von  dem  heiligen  vater  dem  bapst,. 

30  daß  si  möcht  entlediget  werden.  Und  also  schiktent  si 
einen  erlichen  boten  gan  Rom  zu  dem  bapst,  der  do  was 
genant  Alexander  der  dritt.    Der  selbe  bot  in  namen  frow^ 

*  fehlt  in  der  Hs. 


105: 

Annen  von  Stretlingen  und  drier  iren  sünen  den  heiigen 
vater  den  bapst,  vor  genant,  demüetenklich  und  andech- 
tenklich,  ouch  mit  geflißenem  ernst  was  bitten  des  ersten 
umb  ablaß  aller  Sünden,  so  da  was  geben  zu  der  engelschen 
kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis;  ouch  umb  ander  5^ 
friheiten,  die  daselbs  vor  warent  gesin,  daß  die  bestät, 
bewärt  und  gesterket  wurdent  und  er  ouch  etwas  siner 
gnaden  inbesunders  darzü  gebe  und  ouch  der  drier  sünen 
vaters  sei,  als  ob  stat,  die  nü  in  großen  pinen  were  und 
das  von  semlicher  verdienung  wegen,  (und  erzalte  im,  ^^ 
wie  es  ergangen  was,)  wölte  durch  gotts  willen  entledigen 
und  absolvieren  von  pin  und  von  schuld.  Dise  flißige 
bitt  und  begerung  nam  der  heilig  vater  der  bapst  von 
disem  boten  gar  gnedenklich  uf  und  nam  sich  des  zu 
bedenken ;  und  do  er  sich  nü  bedacht  nach  aller  notdurft  ^  > 
mit  sinen  brüedern  der  cardinalen  des  Römschen  stüls,  do 
betrachtet  [96]  er,  daß  der  hochwirdig  erzengel  sant  Michel 
was  vor  alten  ziten  gesin  ein  türst  der  svnagog  und  aber 
nu  zu  unsern  ziten  ein  fürst  der  heiigen  kilchen,  und  w4e 
er  hätt  oder  hab  die  schlüßel  des  todes  und  der  hell,  -^ 
darumb  in  ouch  die  heiig  kilch  in  allen  ämptern  für  die 
toten  anrüeft  umb  hilf.  Und  umb  des  willen  schätzte  er 
die  kilchen  des  Paradis  hochwirdig,  wann  ouch  der  wirdig 
sant  Michel  die  durch  sich  selbs  liatt  gewicht  und  gab 
und  verlach  ouch  an  das  selb  end  aplaß  aller  Sünden,  als  -> 
das  ob  gemeldet  ist  worden,  und  daß  man  ouch  möcht 
allenthalben  in  der  ganzen  weit  an  die  selben  kilchen  des 
Paradis  samlen  und  ufnemen  under  dem  namen  sant 
Michels  das  heiig  almüsen.  Und  darzü  was  er  alle  die 
Iriheiten,  die  vor  dar  geben  warent  und  ouch  von  dem  3o 
vor  gemeldeten  boten  gefordert  warent,  recht  beweren, 
Sterken  und  die  ouch  zu  ewigen  ziten  also  bestentlich 
laßen    beliben :   und    irab    ouch  von  sinem  eiiienen  willen 


io6 

darzü,  da(S  alle  die,  die  da  einen  kilchherrn  daselbs  be- 
schirment  zu  dem  rechten,  so  denn  ein  kilchherr  daselbs 
hätt,  oder  sin  hilf,  rat  und  guit^t  darzü  tet,  es  were 
heimlich  oder  ofFenlich,  oder  sin  heilig  almüsen  dar  geh 
5  an  den  buw  oder  uf  den  altar  oder  in  den  stok,  zu  welen 
ziten  des  jares  er  das  tat  und  zu  der  kilchen  kam  und 
die  andechtenklich  besuchte:  den  sibenden  teil  aplaß  uf- 
gesatzter  büß  aller  siner  sünden.  Der  heilsamen  begerung, 
so    er   ouch    gehört    hat   von  dem  boten  von  der  sei  der 

^^  drier  sünen  vaters  hatt  er  ein  mitUden  und  ließ  die  ent- 
ledigen von"  pin  und  von  schuld ;  doch  mit  semlichen 
fürworten,  daß  man  solt  ordnen  und  schiken,  daß  drißig 
meßen  wurdent  gesprochen  in  der  kilchen  des  Paradis  in 
semlicher  Ordnung  und  meinung,  als  hie  nach  stat.     Des 

'5  ersten  nun  meßen  von  sant  Michel  und  allen  andern  [97] 
englen ;  darnach  fünf  meßen  von  dem  liden  unsers  herren, 
als  ich  mein  so  sind  es  gesin  die  fünf  guldin  meßen ; 
darnach  fünf  meßen  von  dem  heiigen  crütz;  darnach 
siben  meßen  von  unser  lieben  frowen,  ouch  mit  semlicher 

^*^  Ordnung:  die  erste  meß,  wie  si  enpfangen  ward;  die 
ander  von  ir  geburt,  die  dritte  von  ir  verkündung,  die 
vierde,  als  si  über  den  berg  gieng;  die  fünfte,  als  si  mit 
ir  kind  nach  ir  geburt  ze  kilchen  gieng ;  die  sechste  von 
ir  himeltart;  die  sibenden,  die  man  gemeinlich  spricht  im 

^5  jar  und  anfacht:  salve  sancta;  darnach  vier  meßen  für 
die  seligen  seien.  Der  bapst  beval  ouch,  daß  man  an 
dem    selben    end    oder    nit    verr   davon    sölt    buwen    ein 


26.  Die  dreißig  Meßen  sind  die  sogenannten  Gregorius-Meßen. 
Die  sieben  von  unserer  lieben  Frau  sind  die  Meßen  der  Feste  Maria 
Empfängniß  (seit  dem  15.  J.ilirh.  eingeführt),  Geburt,  Verkündigung, 
Heimsuchung  (15.  Jahrh.),  Lichtmeße  oder  Darbringung  im  Tempel, 
Himmelfahrt  und  die  Votivmeße  während  des  Jahres  Salve  sancta. 
Es  fehlt  noch  das  Fest  Maria  Opferung,  erst  seit   1466  gefeiert. 


I 


10' 


brüderhus  bi  dem  selben  HeUmos  und  das  ouch  zu 
ewigen  ziten  sölt  also  beliben  zii  einer  semlichen  ge- 
dächtniß,  so  da  in  Vergangnen  ziten  were  geschechen; 
und  man  an  dem  selben  end  ouch  ein  brüder  sölt  haben, 
der  sölt  gespist  werden  von  dem  hus  Stretlingen  und  all  5 
Wochen  sin  spis  da  reichen ;  und  sölt  man  ouch  zu  dem 
selben  brüderhüslin  geben  etwas  ligender  güetern,  die  da 
legent  in  der  kilchheri  des  Paradis,  doch  mit  semlichen 
gedingen  und  fürworten :  also  wenn  ein  brüder  daselbs 
were,  so  sölt  er  täglich  gan  zu  der  kilchen  des  Paradis  ^o 
und  sölt  da  bi  den  heiigen  ämptern  sin  und  trüwlichen 
für  die  seien  bitten.  Es  ward  ouch  geordnet  und  geschikt, 
ob  es  sich  begeh  in  künftigen  ziten,  daß  kein  brüder  da 
were  und  man  ouch  enkeinen  da  könd  finden,  so  sölt 
ein  kilchherr  des  Paradis,  der  ie  zu  ziten  da  w^ere,  alles  ^5 
das  besitzen  und  haben,  das  man  denn  einem  brüder 
gebe,  als  ob  er  das  ererbt  hett.  Und  giengent  ouch  die 
erben  des  dik  genanten  herrn  Diebolts  von  Stretlingen 
das  also  in  und  woltent  das  also  haben  und  halten.  Über 
das  alles,  so  der  heiig  vater  der  bapst  vor  geordnet,  ge-  ^o 
setzt  und  geben  hatt,  do  gab  er  und  verlech  [98]  so  vil 
me  darzü  ein  semlich  erliche  gab  allen  cristenden  mönschen, 
daß  all  cristend  mönschen,  wa  die  werent,  die  da  gewarlich 
gerüwet  und  gebichtet  hettent  nach  cristenlicher  Ordnung 
und  Satzung  und  si  ir  begreptniß  da  userweltent  und  si  ^s 
von  irem  zitlichen  gut  etwas  dar  gebent  durch  gotz  willen 
oder  sich  ließent  inschriben,  ir  jarzit  da  uszerichten :  daß 
ir  sele  da  von  dem  fegfür  solt  erlöst  werden.  Dis  fri- 
heiten  und  gaben,  als  vor  geschriben  ist,  gab  der  bapst 
<iisem    vor    genanten    boten    in    gloubsamer    schrift    wol  3<-^ 


6.     reichen,  holen. 

8.     kilchheri,  KirclispicI. 


loS 

versiglet  nach  Römschem  sitten  und  gewonheit  und  be- 
gäbet ouch  den  selben  boten  mit  drien  stüken  heltüms 
und  gab  im  darzü  sinen  segen  und  wiste  in  also  ^vider 
heim.  Do  nü  diser  bot  heim  kam  mit  dem  heltüm  und 
5  mit  den  friheiten,  do  ward  er  erlich  und  frölich  enpfangen 
und  wurdent  ouch  die  drißig  meßen  uf  einen  tag  all  ge- 
sprochen in  der  kilchen  des  Paradis,  und  ward  ouch  uf 
dem  selben  tag  vil  almüsen  geben;  und  tet  kunt  die  sei 
des  vil  genanten   herrn  Diebolds  von  Stretlingen,    daß    si 

lo  von  aller  pin  were  komen  und  nü  äugendes  zu  ewiger 
rüw  und  fröiden  gefüert  wurd.  Und  das  brüderhüslin 
ward  also  zu  büß  geben,  das  man  also  halten  solt,  als 
ob  stat;  und  ist  das  selb  end  geheißen  zu  unsern  ziten 
das  i^cbei  und  ist  das  Hellmos   nit   verr  davon.     Darnach 

1 )  was  die  frow^  Anna  von  Stretlingen  und  die  dri  ir  sün 
gar  geistlich  und  erberlich  die  zit  irs  lebens  volfüeren 
und  die  kilchen  des  Paradis  und  ouch  den  kilchherrn 
daselbs  und  das  brüderhus  in  großer  sorg  und  eren  halten. 
Darnach  in  vergangnen  ziten  schied  einer  nach  dem  andern 

20  von  diser  zit.  Der  allmechtig  gott  si  inen  allen  gnedig 
und  erbarmherzig  und  helf  aber  uns  gott  nü  zu  diser  zit 
zu  einem  seligen  ȟten  end!     Amen. 


14.  Zum  Bruderhaus  im  G'hei  vergl.  «Alterthümer  und  vSagen 
in  der  Umgegend  des  untern  Thunersee's»  im  Berner  Archiv  Bd.  IV, 
Heft  4,  p.  81.  —  Die  Sage  von  der  Seele  im  Höllenmoos  auch 
bei  Kohlrusch,  Schweiz.  Sagenbuch  p.  81. 


[99]  DAS  SIBEND  CAPITEL. 


von  der  geburt  Cristi  zalt  thusem 


Des  jares,  do  man 
hundert    nünzig    und    vier    jar,    undcr    dem    keiser 
Heinrichen    dem   sechsten,   ist   gesin   ein   herr  von   Stret- 
lingen  mit  dem  namen  herr  Cünnit  von  StretHngen.    Der    5 
was   ein   großer,   gerader  mann  von  Hb  und  person.     Er 
was  ouch  ein   gnadricher,    grüßfamer  mann;   wer   in  an- 
gesach,  der  gewan  ein  liebe  zu  im.    Er  hatt  ouch  gehept 
ein   frowen,   die   was   geheißen   Kathrina.      Nu   Hst   man 
also  von  den  zwein  personen,  daß  si  semlicher  geistlikeit  it> 
und  redlikeit  warent  in  denen  bitttagen  nach  den  ostern, 
so    man    gemeinlich    von    gebots   wiegen   in   der   heiigen 
cristenheit   gat   mit   crützen:    und    so    sich   ander   lüt   uf- 
ziertent    mit    kleidern    und    uf   den    selben   tagen   fleisch 
aßent,   so   gieng   der  erst  genant  herr  Cunrat  von  Stret-  ^5 
lingen  und  mit  im  sin  gemachel  in  wuUinen  kleidern  und 
barfuß  in  den  crützgengen  mit  den  crützen,  und  giengent 
dem  heltüm  in  der  kilchen  des  Paradis  mit  großer  andacht 
und    ernst  nach    und   vasteten   die    selben  tag  der  crütz- 
w^ochen  zu  waßer  und  zu  brot.    Das  gotzwort  hortent  si  -^ 
dik   und   vil   under    den   armesten   lüten    und    mischleten 
sich   also   under  si  in  betrachtung  eins  semlichen  sprüch- 


grüßfivii,  leutselig. 


TIO 

Wortes,  als  man  denn  gemeinlich  mag  sprechen,  daß  ein 
samkorn,  das  man  säget  in  ein  tal,  bringt  vil  frücht.  Der 
vor  genant  herr  Cünrat  [loo]  von  Stretlingen  was  ein 
schamiger,  küscher  man.  Man  liset  also  von  im,  daß  er 
5  an  einer  kilchwi  des  Paradis  gieng  beschowen  den  tanz, 
und  so  er  also  an  dem  tanz  stund  und  zügesach,  so  kam 
einer,  der  fürt  ein  hüpsche  frow^en  ze  tanzen  und  sprach 
zu  herrn  Cünraten  von  Stretlingen :  herr,  begerent  ir  diser 
frow^en,  so  wil  ich  schaffen,   daß   si  üch  wirt  nach  allem 

lo  üwerm  willen!  Und  alsbald  diser  gesell  dise  red  zu  im 
also  hat  getan,  do  ward  er  zornig  und  gab  im  ein  semlich 
antwurt :  swig  und  lüg,  daß  du  zu  keinen  ziten  mir  sem- 
lichs  niemer  me  zumutest  und  zufliegest,  wiltu  echt  min 
früntschaft    behalten!      Der    gesell    erschrak    und    gieng 

I)  zittrent  wider  von  im.  Man  liset  ouch,  daß  darnach  ut 
einer  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis  kament  die  priester 
von  den  zwölf  kilchen,  so  da  gehortent  under  die  kilchen 
des  Paradises  mit  iren  undertanen.  Do  man  nü  in  der 
kilchen   was  und  iederman    sin   opfer   hat   gewert  uf  den 

^o  altar,  do  verkunt  der  priester  zwei  zeichen  uf  dem  canzel, 
die  da  geschechen  warent. 


Das  erst  zeichen. 

Es  was  ein  knäblin,  nit  me  denn  siben  jar  alt,  mit 
dem  namen  Dietrich  und  was  von  Hilterfingen;  der  was 
blind.  Sin  vater  und  müter  rüftent  an  den  hochwirdigen 
heiigen  sant  Michel  in  der  kilchen  des  Paradis,  wann  im 
was  ein  viil  oder  hütlin  über  sin  ougen  gewachsen  und 
kond  in  nieman  erneren  noch  gesechend  machen.  Uf  ein 
zit  fürtent  si  in  zu  der  kilchen  des  Paradises  und  opfertent 


25 


4.     schamig,  züchtig,  verschämt. 
28.     erneren,  heilen. 


III 

ein  lebend  [loi]  opfer  mit  im  iif  den  altar.  Do  nament 
si  waßer  des  heiigen  brunnen  und  ertricli  von  dem  kilch- 
hof  daselbs  und  rürtent  das  also  under  einander  und  be- 
strichent  dem  kind  sin  ougen  damit  und  rüeitent  darnach 
mit  großer  innekeit  und  andacht  an  die  hilf  sant  Michels.  > 
Alsbald  si  das  getan  hatten,  do  zerbrach  das  väl  oder 
hütlin  uf  den  ougen  des  kindes  und  \vurdent  die  ougen 
blütvarwig;  aber  es  ward  darnach  gesechent.  Der  vater 
und  die  müter  sagtent  dem  allmechtigen  gott  und  sant 
Michel  groß  lob  und  dank,  daß  er  inen  so  gnedenklich  lo 
gehol  en  hatt.  Harumb  gab  der  vater  des  kindes,  mit 
dem  namen  Hans  Zworlouf,  drü  stük  ertrichs  einem  kilch- 
herrn  der  kilchen  des  Paradises,  die  ouch  uf  die  selben 
zit  ein  kilchherr  lech  em  Hansen  von  Hilterhngen  und 
sinen  erben  umb  vier  Schilling  pfennigen  löiflicher  münz,  i> 
als  man  das  tint  in  dem  jarzitbüch  quinto  idus  novembris. 
Und  harumb  ist  wol  ze  glouben,  daß  das  ertrich  des 
kilchhofes  daselbs,  das  da  gewicht  und  gesegnet  ist  worden 
durch  den  wirdigen  heiigen  sant  Michel  selbs,  ist  heiliger 
denn  ander  ertrich;  als  man  denn  list  von  dem  selben  2a 
ertrich,  dai^  es  vor  alten  langen  ziten  ist  gewirdiget  worden 
für  heltüm  von  vilen  lüten.  Und  darumb  warent  ouch 
vil  lüten  vor  alten  ziten  an  irem  todbett  ir  begreptniß  an 
dem  selben  end  inen  userwelen,  und  wurdent  ouch  nach 
ir  tod  dar  gefüert  und  da  begraben.  Desglichen  ist  ouch  25 
wol  ze  douben,  daß  das  waßer  des  heiigen  brunnen  da- 
selbs  si  gesünder,  milter  und  süeßer  und  beßer,  denn 
ander  waßer,  und  ouch  kreftiger  den  mönschen  gesunt 
zc  machen,  was  siechtagen  joch  der  mönsch  hab;  als  man 
des   wol  war  mag  nemen  in  der  lampartik  historien  und  30 


L 


30.  Die  lampartik  Historie  ist  die  Lombardica  i.  e.  historia 
lombardica,  die  Lcgenda  aiirea  des  Jacobus  de  Voragine,  archiepis- 
copi   Genuensis.     Vergl.  Potthast,  bibliotheca  medii  aevi  p.   384. 


112 


lesen,  da  man  besunder  list  an  dem  selben  end  von  sinem 
loblichen  hochzit  und  kilchwiche  an  dem  dritten  under- 
scheid  an  dem  [102]  en4,  da  geschriben  stat  von  der 
heilsamkeit  der  waßern. 


5  Das  ander  zeicJien. 

Es  was  ein  kind  \o\\  vier  jaren  zu  Schorren,  mit 
dem  namen  Bernhart  in  der  matten.  Das  selbe  kind  was 
daselbs  in  einen  sod  oder  tiefen  brunnen  gefallen,  und 
von    ungeschikt   kumpt    ein  mönsch  dar  und  wolt  waßer 

10  schöpfen  und  flind  das  kind  in  dem  sod  also  ertrunken 
ligen.  Der  mönsch  mocht  das  kind  kumberlich  harus 
ziechen  oder  bringen;  und  warent  aber  die  rechten  zeichen 
des  todes  bi  dem  kind,  nemlich  daß  es  lang  was  gelegen 
in   dem  sod  oder  brunnen  und  gestrakt  und  ragend  was. 

55  Sin  mund  was  offen,  sin  ougen  warent  grusamlich  an- 
züsechen,  sin  lib  was  swarz,  sin  buch  zerbläit  und  was 
bi  dem  selben  kind  keinerlei  bewegniß  siner  Vernunft 
oder  sinnen.  Sin  vater  und  müter  gehübent  sich  übel 
und  verhießent  es*  doch  nüt  dester  minder  zu  sant  Michel 

20  in  die  kilchen  des  Paradis  mit  einem  lebendigen  Opfer. 
Alsbald  si  das  getatent,  do  kam  das  kind  wider  zu  sinem 
leben.     Und   uf  das   äugendes   volbracht    die    müter    des 

*  fehlt  in  der  Hs. 


5.  Das  folgende  Wunder  ist  der  Schlußftelle  des  hier  an- 
gezogenen cap.  III  der  Aurea  Legexda  vAc  sando  Nicoiao»  nach- 
gebildet. Vir  qiiidam  nohiiis  etc.» 

8.  sod,  Ziehbrunnen. 

9.  von  iingesc]}iht,  sonst  durch  einen  unglücklichen  Zufall,  hier 
zufällig. 

1 1 .  luniher/icJj,  mit  Mühe. 

14.  gestrakt  und  ragend,  starr  und  steif. 

18.  sicJj  o-cJjahen,  sich  benehmen. 


113 

kindes,  mit  dem  namen  Elisabet,  die  gelüpt  und  Verheißung 
und  gabent  ouch  darnach  bald  einem  kilchherrn  daselbs 
zu  einer  ewigen  gab  und  ahiiüsen  ein  gut,  geheißen  das 
RütU  nid  dem  weg,  als  man  das  fint  in  dem  jarzitbüch 
tertio  idus  novembris  uf  sant  Martins  tag.  Es  gabent  5 
ouch  ander  ir  gaben  und  almüsen  von  semhchen  zeichen 
und  wundern  wegen,  die  da  geschriben  stant  in  dem 
jarzitbüch  nach  Inhalt  dis  orienals  und  ist  nit  not  zu 
schriben.  Do  nü  der  priester  dise  vor  geschribne  zwei 
zeichen  verkündet  und  ouch  ander  gut  manungen  den  lo 
mönschen  [103]  getan  hatt,  do  lobte  iederman  den  all- 
mechtigen  gott  und  den  hochwirdigen  erzengel  sant  Michel 
durch  sin  hilf,  die  er  an  dem  selben  end  erzeigt  hatt,  und 
volbrachtent  die  kilchwiche  erlich  und  loblich  in  gottes 
dienst  und  darnach  kerte  sich  iederman  wider  heim  und  ^) 
namen  do  ir  spise. 

Der    angesichtig    wolgeborn    herr,   herr    Cünrat   von 
Stretlingen,  volgete  nach  sinen  vordem  in  allem  dem,  das 
erlich   und  redUch  ist  wolgebornen   lüten ;   und  rufte  sich 
zu,  ze  riten  zu  dem  heiigen  grab  und  inbesunders  zu  dem  ^^ 
berg  Sinai  zu  sant  Kathrinen  grab,  die  er  ouch  in  sunderheit 
lieb  hatt  und  w^ann  ouch  sin  gemachel  und  husfrow^  also 
genempt  w^as  Katherina,  die  in  ouch  zu  semlicher  andacht 
und   liebe   sant  Katherinen  bewegt  hatt  zu  suchen.     Und 
für   also   zu   den   heli2:en  stetten  mit  OToßer  andacht  und  ^5 
bracht   mit   im   har   widerumb   von   dem   berg   Sinai   ein 
stük   von   dem   grab   sant  Kathrinen,    das   er   daselbs   er- 
worben hatt  im  zu  geben   und   schied   also   von   dannen. 
Nü   hett   er   gern  den  gotzdienst  geuffet  und  gemeret  zu 
siner  kilchen  des  Paradis,   und  in  sinem  harumbkeren  do  50 
für  er  zu  dem  heiigen  vater  dem  bapst,  mit  dem  namen 


17.     ancresichticr,  ano'esehen,  fehlt  bei  Grimm  DW. 


114 

Innocentius  der  dritt,  der  in  gar  erwirdenklich  enpfieng. 
Dem  selben  heiigen  vater  dem  bapst  erzalte  er  all  sin 
Sachen,  darumb  er  dann  zu  im  komen  was  und  besunder 
tet  er  ein  flißige  bitt  an  in  umb  den  aplaß  aller  sünden 
5  der  engelschen  kilchwiche  des  Paradis  und  ouch,  daß 
man  möcht  das  almüsen  under  dem  namen  sant  Michels 
allenthalben  höischen  und  ouch  umb  ander  friheiten,  die 
dann  vormals  dar  warent  geben,  [104]  die  ze  bestäten. 
Und  erzalte  im  ouch  die  zwei  zeichen,  die  dann  kurzlich 

10  da  vor  geschechen  warent  zu  siner  kilchen  des  Paradis, 
daß  ouch  die  selben  ding  alle  von  im  bestetiget  wur- 
dent  und  er^  etwas  siner  gnaden  insunders  darzü  ouch 
gebe  und  verHche.  Der  heiig  vater  der  bapst  nam  semlich 
bitt  güetlich   und  miltenklich  von  dem  edlen  herrn  Cün- 

1 5  raten  von  StretHngen  dankbarlich  uf,  und  nam  sich  des  zu 
bedenken.  Do  er  sich  nü  gnügsamklich  wol  bedacht  hatt, 
do  sach  er  an  mit  rat  siner  brüeder  der  cardinalen,  daß 
der  hochwirdig  heiig  sant  Michel  vor  dem  jüngsten  tag, 
so  der  wüetrich,  der  entkrist,  wirt  ufstan  und  die  cristenen 

20  mönschen  pinigen,  so  ist  er  ein  schirmer  und  behüeter 
der  userweiten  cristenden  mönschen.  Und  harumb  be- 
ducht  si  billich  sin,  daß  die  kilch  des  Paradis,  die  dann 
der  heiig  sant  Michel  durch  sich  selbs  hat  gewicht,  sölt 
billich  gewirdiget  werden  und  all  und  ieglich,  inbesunders 

25  die  friheiten  der  selben  kilchen  und  ouch  der  aplaß  aller 
Sünden  uf  der  engelschen  kilchwiche  und  ouch  das  al- 
müsen und  bitt  ufzenemen  under  dem  namen  sant  Michels 
und  ander  aplaß,  so  denn  vormals  dar  geben  was,  daß 
das   alles   sölt   bewert   werden    und   ouch   bestät    und    in 

30  kraft   zu   ewigen   ziten   beliben,   das  ouch  der  heiig  vater 

*  Hs.  er  ouch. 


19.     entkrist j  Antichrist. 


115 

der  bapst  also  ließ  zügan  und  verhengen.  Und  gab  ouch 
darzü  sin  sunderliche  gnad,  mit  namen  daß  alle  die,  so 
uf  einer  ieglichen  kilchwiche  oder  zu  andern  tagen  daselbs, 
.\enn   die   werent   in   dem  jar,   dar  käment  mit  rüwigem 

, erzen  und  mit  ganzer  bicht  und  andacht,  oder  sich   dar    5 
cnthießent  oder  zu  den  heiigen  meßen,    bredigenen   oder 
zu   andern   heiigen  ziten  andechtenkUch  da  [105]  wärent, 

)der  ir  heiig  almüsen  :\n  den  buw  der  kilchen  daselbs 
oder  sust  in  opfers  wis  dar  gebent:  sölt  vervolgen  und 
werden  der  sibent  teil  aplaß  aller  iren  Sünden  ufgesatzter  10 

liß.     Der   heiig   vater   der   bapst   gab   inen   ouch  uf  das 

clbe  zit  ein  form  und  ein  underwisung,  wie  man  sölt 
^esegnen   die    waßer   der  jungen  kinden,    so  man  uf  der 

Mtt  sant  Michels  were;   ouch  wie  man  sölt  bruchen  den 

cgen    des   heiigen   brunnen    daselbs.     Der   des   beger   ze  15 
wüßen,  der  gang  uf  den  Ursprung  des  latinschen  büches; 
da   hnt  er  das  luter  und  ist  ietz  hie  nit  not  zu  schriben. 
Und  uf  diß  alles,    so    hie  vor  stat,    do   gab   der   heligest 

ater  der  bapst  dem  vil  genanten  herrn  Cünraten  von 
Stretlingen  alle  die  friheiten  nach  sinem  begeren  in  guten  20 
versigleten  bullen  und  briefen  nach  Römschem  sitten  und 
gewonheit  und  schankte  im  darzü  vier  stük  heltüms  zu 
Aner  gewaren  liebe  und  gab  im  damit  sinen  segen  und 
^chikte  in  also  von  im;  uf  das  selb  er  ouch  urloub  nam 
und  von  im  schied.  25 

Do  er  nü  heim  kam,  do  ließ  er  all  sin  friheiten  und 
sin  heltüm,  so  er  dann  bracht  hatt,  allenthalben  verkün- 
den und  ander  ding,  so  im  denn  ouch  uf  der  fart  was 
begegnet.  Und  als  dise  ding  alle  geschechen  warent,  als 
vor  stat,  was  die  wolgeborne  edelfrow  Kathrin,  des  vil  3^^ 
genanten  herrn  Cünrats  von  Stretlingen  efrowe,  mit  wüßen, 
willen  und  verhengniß  des  erst  genanten  herrn  Cünrats, 
durch   liebe   und    ere   des   hochwirdigen  sant  Michels  des 


ii6 

heiigen  erzengels  zu  einer  merung  und  beßrung  der 
kilchen  und  kilchherrn  des  Paradis  geben  zu  einer  ewigen 
gedächtniß  diser  dingen  und  ewiger  gab  und  almüsen 
einen  wingarten,  gelegen  zu  dem  guldinen  hof,  der  ouch 
5  uf  die  selben  [io6]  zit  ward  genempt  sant  Kathrinen 
wingart,  wann  die  frow  ouch  Kathrina  hieß ;  und  gab 
den  selben  wingarten  an  alle  besw^erniß  zinswins  oder 
stür,  und  lit  der  selb  wingart  uf  einem  bomgarten,  genant 
Ancheren  bomgart.    Darnach  gab  ouch  der  vil  genant  herr 

10  Cünrat  von  Stretlingen  darzü  ein  bomgarten,  gelegen  an 
dem  Wendelsee,  und  uf  dis  zit  ist  es  geheißen  bi  dem 
Schachen,  genant  der  Zwigart;  und  nach  dabi  ist  ouch 
ein  klein  wingart,  geheißen  der  wingart  bi  der  holen 
gaßen;  die  selb  gaß  ouch  gat  zwüschent  dem  erst  genanten 

1 5  bomgarten  und  dem  selben  wingertlin.  Der  vor  gemeldet 
edel  und  wolgeborn  herr  Cünrat  von  Stretlingen  ordnet 
und  gab  ouch  zu  einer  ewigen  gab  einem  kilchherrn  der 
kilchen  des  Paradis  ein  hus,  da  er  solt  einen  buman  odcr 
lenman   der  reben  insetzen,   der   im  ouch  die  reben  sant 

20  Kathrinen  sölt  buwen;  und  harumb  das  selbe  hus  noch 
bi  minen  ziten  was  geheißen  sant  Kathrinen  hus  und 
stoßt  zu  einem  teil  an  den  kilchhof.  Und  ward  ouch 
darumb  angesechen,  daß  ein  kilchherr  der  kilchen  des 
Paradis   den   win,    so   im   an   dem   selben   end   wüechse, 

25  möcht  in  dem  selben  hus  orehalten.  Dise  vor  o;enante 
gab  ward  ouch  darumb  einem  kilchherrn  der  kilchen  des 
Paradis  geben  mit  semlichen  fürworten  und  gedingen, 
daß  er  all  wochen  durch  sich  selbs  oder  einen  andern 
komhchen    priester    solt    ein    meß    sprechen    oder  laßen 

30  sprechen  in  der  kilchen  des  Paradis,  uf  was  tag  er  denn 
weit,  und  ouch  das  zu  ewigen  ziten  also  solt  gehalten 
werden  an  ablaß.  Und  sölt  damit  ouch  von  der  gaben 
wegen  des  wingarten  also   gefriet   sin    und   fürer   nit   me 


117 


verbunden  sin.  [107]  Des  ward  ein  priester  also  bestät, 
als  man  das  denn  fint  in  dem  jarzitbüch  kalendis  novembris. 
Hie  tun  ich  schriber  dis  buchs  ze  wüßen  allen  denen, 
die  das  sechent  oder  hörent  lesen,  daß  in  dem  jar,  do  man 
von  der  geburt  Cristi  zalt  vierzechenhundert  vierzig  und 
acht  jar,  ward  das  vor  genant  hus  sant  Kathrinen  verkouft 
und  das  von  buwfellige  wegen,  so  das  hus  hatt  und  ward 
das  selbe  gelt  bekert  in  einen  kouf  eins  bergs,  genant 
Gumpelsmad,  da  denn  ein  kilchherr  der  kilchen  des  Para- 
dises  hatt  nun  nnder  berg,  als  denn  darumb  lit  ein  guter 
versigleter  brief;  und  ward  der  berg  zu  den  selben  ziten 
geliehen  umb  zwei  pfund,  fünf  Schilling  stebler,  und 
lit  der  selbe  koufbrief  des  bergs  hinder  minem  gnädigen 
lieben  wolgebornen  und  edeln  herrn  von  Bübenberg;  und 
geschach  ouch  mit  willen  und  wüßen  und  verhengniß  ^> 
des  edlen  und  w^olgebornen  herrn  Heinrichs  von  Büben- 
bergs,  mins  lieben  herren,  der  ouch  uf  die  selben  zit  patron 
und  schirmer  was  der  kilchen  des  Paradises. 


10 


7.  Imii'felllge,  Baufölligkeit. 

8.  hekert,  angewendet. 


[io8]  DAS  ACHT  CAPITEL. 


In  dem  jar,  do  man  zalt  von  der  geburt  Cristi  zwölf- 
hundert und  drizechen  jar,  was  ein  Herr  von  Stretlingen, 
mit  dem  namen  herr  Bernhart  von  Stretlingen.  Der  selb 
5  wolgeborn  her  Bernhart  was  gar  ein  cristenlicher  herr, 
der  alle  cristenHch  sachen  fürdert.  Er  was  ouch  allen 
mönschen,  die  in  gesachent  oder  etwas  mit  im  ze  handien 
hattent,  lieplich  und  güetlich.  Und  daß  ich  vil  mit  wenig 
Worten    besließe,    so   schribt   man   das   von   im,    daß    er 

^^  gotzförchtig  were,  gott  lieb  hett  und  ouch  eret.  Der 
selb  erst  genant  herr  Bernhart  von  Stretlingen  hatt  ein 
wib,  die  was  geheißen  Adelheit.  Der  vor  genant  herr 
Bernhart  von  Stretlingen  satzt  im  selbs  für,  daß  er  weit 
besuchen    das    heiig   grab   und   daß    er   daselbs    dem    all- 

n  mechtigen  gott  mit  einem  guten  rüwigen  herzen  möcht 
sin  Opfer  geben ;  und  ließ  also  alles,  das  er  hatt,  und  nam 
uf  sich  das  crütze  sines  herren  und  Schöpfers  und  für  also 
zu  dem  heiigen  land  und  zu  der  heiigen  statt  Jherusalem 
mit   großer   müeig   und    arbeit;    an    dem   selben   end  des 

2<^  heiigen  landes  er  da  von  den  heimschen  gar  begirlich 
und  lieplich  enpfangen  ward  und  mit  semlicher  liebe,  daß 
es  in  selbs  wunder  nam.  Er  bevalch  ouch  daselbs  sin 
husfrowen  und  alles,  das  er  hatt  oder  im  zugehört,  dem 


119 

allmechtigcn  gott  und  dem  heligeii  crütz;  und  ward  im 
ouch  an  dem  selben  end  zu  Jherusalem  ein  stük  heltüms 
von  dem  hei  igen  crütz,  das  er  gar  für  ein  große  gab 
von  inen  enpfieng.  Do  er  sich  wider  harheim  kert,  do 
fügte  [109]  er  sich  zu  dem  heiUgen  vater  dem  bapst  gan  5 
Rom,  mit  dem  namen  Honorium  den  vierden.  Der  selbe 
heiig  vater  der  bapst  in  ouch  gar  früntlich  mit  großen 
eren  enptieng,  und  handlete  vor  dem  heiigen  vater  dem 
bapst  sin  sachen  und  vergaß  harinne  nit  siner  kilchen 
des  Paradis  und  begert,  daß  im  bestät  möcht  werden  i« 
aplaß  aller  sünden  uf  der  engelschen  kilchwiche  daselbs 
zu  der  kilchen  des  Paradis  und  ouch,  daß  man  bitter  us 
möcht  schiken  allenthalben,  in  dem  namen  sant  Michels 
das  heiig  almüsen  ufzünemen  für  einen  kilchherrn,  im  zu 
einem  ufenthalt  und  ouch  daselbs  an  den  buw.  Er  begert  1 5 
ouch,  daß  alle  die  friheiten,  so  vormals  von  den  heiigen 
Vätern  den  bäpsten  geben  was,  daß  die  bestetiget  wurdent; 
und  erzöigte  ouch  dem  heiigen  vater  dem  bapst  in  diser 
bitt  in  gloubsamer  geschrift  drü  zeichen  und  wunder,  so 
zu  der  kilchen  des  Paradis  geschechen  warent.  -^ 

Das  erst  zeichen. 

Es  was  einer  von  Hilterfingen  mit  dem  namen  Hanns 
ze  Rid,  der  ward  mit  einem  diep  gefangen  und  mit  Un- 
schulden verurteilet  mit  sinem  gesellen  für  einen  diep. 
Und  als  man  in  hinus  fürt  zu  erhenken,  da  bat  er  alle,  25 
die  da  gegenwürtig  warent,  daß  si  den  allmechtigen  gott 
und  den  hochwirdigen  sant  Michel  mit  im  weltent  bitten, 
daß  si  im  nach  sinem  verdienen  weltent  helfen  siner 
schuld  halb.    Do  er  nü  hinuf  an  den  galgen  gefüert  ward 


6.     Eher  Honorius  III.    1216-1227. 


120 

von  dem  henker  und  er  im  den  strik  an  sinen  hals  leit, 
do  hört  er  em  stimm  ob  im  in  der  luft,  die  zu  im  redt 
und  sprach:  du  solt  din  hof[iio]fung  setzen  zu  gott  und 
zu  dem  wirdigen  sant  Michel,  so  wirst  du  hie  erlöset! 
5  Und  alsbald  in  der  henker  hinab  ließ  an  dem  strik,  do 
zerbrach  der  strik  und  viel  also  hoch  harab  von  dem 
galgen,  daß  im  nie  kein  leid  geschach  und  wiewol  im 
das  hemd  an  sinem  lib  zerbrach  von  dem  vall,  das  er 
erst  nüw  hat  angeleit.    Alsbald  er  harab  was  gefallen,  do 

10  sprach  er  mit  fröHchem  müt:  o  du  hehger  sant  Michel, 
du  hast  mich  erlöst  und  hast  mich  laßen  vallen  uf  dis 
ertrich  als  uf  ein  lind  bett!  Hie  w\arent  nü  etlich,  die 
sprachent,  man  sölt  in  wider  henken.  Der  richter  antwurt 
den  selben :  wen  gott  erlöset  als  disen  mönschen,  den  lan 

1)  ich  nit  anderwert  erhenken!  Durch  das  groß  wunder- 
zeichen, das  an  dem  selben  mönschen  geschach,  was 
einer  mit  dem  namen  Berchtold  ze  Rid  von  Hilterfingen 
geben  zu  einer  ewigen  gab  und  almüsen  einem  kilch- 
herrn   der   kilchen   des  Paradis   sin   hus   und   hofstatt   an 

20  dem  selben  end,  das  ouch  der  selb  kilchherr  dem  selben 
Berchtolden  widerumb  lech  und  satzt  daruf  jerUch  gült, 
nemlich  vier  Schilling  pfennigen  gemeiner  münz  des  lan- 
des,  die  ouch  jerlich  uszerichten  uf  sant  Michels  tag  mit 
einer   semUchen   pen,   als    denn    das   jarzitbüch  Inhalt  im 

25  abereilen. 

Das  ander  zeichen. 

Es  w^as  ouch  ein  tochter  bi  zwölf  jaren  alt,  geheißen 
Anna,  Walthers  von  Golderen  tochter,  von  dem  dorf  der 
kilchen  des  Paradis.     Die   selbe  tochter  was  ein  ganz  jar 


15.     andenuert,  hier  zum  zweiten  Mal. 


I 


121 

blind  inmaßen,  daß  si  durch  ir  selbs  Hb  nit  kond  gan, 
denn  daß  si  alKvegen  einen  [m]  andern  mönschen  müßt 
han,  der  si  fürte.  Durch  underwisung  ander  lüten  ent- 
hieß sich  die  selbe  tochter  mit  einem  i erheben  lebenden 
opfer  in  die  kilchen  des  Paradises  mit  andacht  irs  herzen  5 
alle  jar,  diewil  si  lepte,  und  das  selbe  lebendig  opfer  uf 
den  altar  daselbs  ze*  geben.  Alsbald  si  dise  Verheißung 
tet,  do  half  ir  gott  und  sant  Michel,  daß  si  gesechend 
ward.  Durch  des  großen  zeichen  und  hilf  willen  gab  ir 
vater  dem  kilchherrn  an  dem  selben  end  zu  einer  ewigen  lo 
gab  und  almüsen  ein  gut,  das  ist  geheißen  der  Hartrübel, 
das  ouch  der  kilchherr  zu  den  selben  ziten  lech  Annen 
Frutegerin  umb  fünf  Schilling  pfennigen  gemeiner  münz 
des  lands,  die  uszerichten  uf  sant  Michels  tag  under  einer 
pen  der  verlurst  des  selben  güetlis,  als  man  das  hndt  in  15- 
dem  jarzitbüch  septimo  idus  apriKs. 

Das  dritt  zeichen. 

Ouch  was  ein  man  geseßen  daselbs  in  dom  dorf 
der  kilchen  des  Paradises,  mit  dem  namen  Peter  Fröiwe. 
Der  kond  us  der  maßen  wol  schwimmen  uf  dem  waßer,  20 
daß  er  des  solt  ein  meister  sin.  Es  begab  sich  in  einem 
Summer,  daß  er  badet  in  dem  see  dabi.  Als  er  nü  also 
badet  in  dem  see,  do  w^as  er  der  tochter  mit  dem  namen 
Annen,  Walthers  in  der  Golderen,  die  da  vormals  blind 
was  gesin  und  aber  durch  hilf  und  gnad  des  allmechtigen  25 
gottes  und  sant  Michels  was  wider  gesechent  worden, 
verspotten,  das  er  ouch  vormals  me  hatt  getan.  Er  be- 
schütte [112]  si  ouch  mit  waßer  us  dem  see.  Dise  erst 
genante  tochter  ward  zornig  und  sprach :  ich  bitt  den 
hehgen  sant  Michel,   der  mir  hatt  geholfen,    daß    er  sich  30- 

*  fehlt  in  der  Hs. 


122 

an  dir  reche  von  minen  wegen  und  daß  du  us  disem 
waßer  nit  körnest,  du  ertrinkest.  Diser  gesell  schätzte 
den  zorn  und  das  wünschen  diser  tochter  w^enig  und  ließ 
sich  frefenlich  in  das  waßer  und  wok  aber  swimmen; 
5  do  kam  er  von  allen  sinen  kreften  und  gieng  under,  ze 
glicher  wis  als  ein  stein.  Von  stund  an  ward  er  gesucht, 
gefunden  und  ouch  also  tod  us  dem  waßer  getragen  und 
ward  gar  ein  groß  geschrei  und  weinen  über  in  von  siner 
husfrowen,  von  sinen  kinden  und  von  andern  sinen  fründen. 

10  Sin  wib  und  fründ  verhießent  in  zu  sant  Michel  in  ir 
kilchen  daselbs  mit  einem  lebenden  opfer  und  ruftent  an 
die  hilf  und  gnad  des  allmechtigen  gotts  und  den  hoch- 
wirdigen  sant  Michel  iren  patron.  Und  von  stund  an  kam 
er  wider  zu  im  selbs  und  ward  wider  lebendig  und  stund 

^  5  also  gesunt  und  frisch  wider  uf ;  und  volbrachtent  ir  gelüpt 
und  Verheißung  mit  großer  andacht  und  selten  lob  und 
dank  dem  allmechtigen  gott  umb  die  gnad  und  barm- 
herzikeit  und  dem  hochwirdigen  sant  Michel  umb  sin 
verdienen  und  hilf,  so  er  inen  erzöigt  hätt.  Von  semliches 

^0  Zeichens  willen  gab  der  vor  genant  Peter  Fröwi  dem 
kilchherrn  daselbs  zu  einer  ewigen  gab  und  almüsen  eine 
sin  hofstatt  und  hus,  gelegen  enmitten  in  dem  dorf;  die 
selben  hus  und  hofstatt  lech  der  kilchherr  zu  den  selben 
ziten  Cünrat  Rüpen  umb  vier  Schilling  pfennigen  jerliches 

^5  zinses  gemeiner  münz  des  landes,  alle  jar  uf  sant  Michels 
tag  ze  geben  under  der  pen  verlierung  des  huses  und 
hofstatt,  als  man  das  ouch  findt  in  dem  jarzitbüch  in 
dem  aberellen. 

[113]    Uf  dise    anbringung   des   hochgebornen   herrn 

30  Bernharts  von  StretUngen,  als  hie  vor  stat,  gebot  und 
bat  in  der  heiig  vater  der  bapst,  daß  er  ein  nachvolger 
sölte  sin  aller  siner  vordem,  das  ouch  ein  hochwirdig 
gesiecht  was  gesin;    daß  er  strenklich  und  ritterHch  umb 


123 

den  cristenglouben  vächte  und  den  hülfe  beschirmen ;  und 
cnpfienir  uf  das  selb  2:ar  orüetlich  und  früntlich  sin  an- 
mütung  und  bitt  und  nam  sich  des  ze  bedenken.  Do 
sich  nü  der  heiig  vater  uf  dise  anmütung  und  bitt  wol 
nach  aller  notdurft  bedacht  hatt  mit  sinen  brüedern  der  5 
cardinalen  des  heiigen  stüls  von  Rom,  do  betrachtet  er, 
wie  dann  der  hochwirdig  sant  Michel  ist  wegen  uf  der 
wag  das  gut  und  das  böse  eines  ieglichen  mönschen  nach 
siner  hinfart  dis  zites,  und  ouch  einem  ieglichen  mönschen 
nach  dem  selben  sinem  verdienen  gelonet  wird.  Harumb  ^^ 
beducht  in  billich  ze  sin  und  gebot  und  wolt  das,  daß 
die  kilch  des  Paradis,  die  der  hochwirdig  sant  Michel 
selbs  gewicht  hatt,  sölt  erhöcht  und  geeret  werden  und 
dabi  aller  der  aplaß,  so  da  vormals  von  der  engelschen 
kilchwiche  geben  was  und  ouch  das  almusen  in  dem  ^  5 
namen  sant  Michels  allenthalben  ufzenemen  und  ze  reichen, 
und  ouch  ander  friheiten,  so  vormals  von  den  heiigen 
Vätern  warent  gegeben :  daß  die  bewert,  recht  und  ufredlich 
wärent  und  soltent  sin  und  die  ouch  gesterket  und  bestät 
werden  söltent  und  ouch  die  zu  ewigen  ziten  also  beliben.  20 
Ouch  allen  denen,  die  ir  heiig  almusen  dar  gebent,  es 
were  einem  kilchherrn  oder  an  den  buw  der  kilchen,  daß 
denen  sölt  verfolgen  und  werden  aplaß  den  sibenden  teil 
ufgesatzter  büß.  [114]  Den  selben  aplaß  und  all  friheiten, 
als  vor  geschriben  ist,  gab  der  heiig  vater  der  bapst  dem  -S 
vi!  genanten  herrn  Bernharden  von  Stretlingen  nacli  ge- 
wonheit  !md  sitten  des  Römsclien  stüls  mit  versigleten 
briefen,  und  gab  im  dar^^ü  'sechs  stük  heltüms  und  sinen 
bäpstlichen  segen  und  schikte  in  damit  von  im.  Und 
also  nam  er  ouch  urloub  von  dem  bapst  und  kerte  sich  )C) 
wider   heim    mit    großer   ^lüksamkeit   und   ließ  ouch  das 


18.     ufrcdlicl],  wahrhaft. 


124 

heltüm,  das  er  mit  im  bracht,  ouch  die  friheiten  mit 
einer  loblichen  proceßion  und  crützgang  in  die  kilchen 
des  Paradis  infüeren.  Darnach  uf  der  nechsten  kilchwichi 
der  kilchen  des  Paradis  kament  die  zwölf  priester  der 
5  zwölf  kilchen,  die  da  w\arent  tochtern,  mit  iren  under- 
tanen  allenthalben  da  umb  und  richtent  ir  Opfer  erheben 
US.  Und  uf  die  selben  zit  gabent  ouch  der  vil  genant 
herr  Bernhart  von  Strethngen  und  sin  elicher  gemachel 
frow  Adelheit  einem  kilchherrn  daselbs  ein  iren  schüpoßen, 

10  so  si  hattent  und  gelegen  was  zu  Brentzkofen  in  dem 
kilchspel  von  Diesbach,  zu  einer  ewigen  gab;  die  selbe 
schüpoß  zu  den  selben  ziten  galt  vier  mütt  dinkels,  die 
man  solt  usrichten  uf  sant  Andres  tag  und  galt  ouch 
darzü   zweihundert   eier,   die  man   ze    ostern   geben    solt, 

I  >  und  drißig  Schilling  stebler  gemeiner  münz  des  lands  und 
ouch  zwei  summerhüener  uf  sant  Michels  tag  und  ein 
alt  vastnachthün,  als  man  das  fint  in  dem  jarzitbüch  im 
aberellen.  Nach  diser  vor  gedachter  gab,  die  da  verkünt 
ward  uf  der  kilchwiche  des  Paradis  von  dem  vil  genanten 

20  herr  Bernharten  von  Stretlingen,  was  er  ouch  iederman 
danken,  die  da  warent  gesin  zu  lob  und  eren  dem  wir- 
[115]  digen  heltüm  des  heiigen  crützes  und  anderm  heltüm, 
und  ward  also  die  kilchwiche  mit  großen  fröiden,  lob 
und  ere  begangen;  und  ward  ouch  die  bitt  des  gotzhuses 

2)  der  kilchen  durch  einen  kilchherrn  daselbs  und  von  sinem 
boten,  so  er  denn  usfchikte,  fruchtbarHch  gehandlet  und 
ward  darnach  lange  zit  ein  großer  zülouf  von  vil  lüten 
zu  der  kilchen  des  Paradis  und  ouch  der  gotzdienst  da 
loblich    begangen.     Darnach   in   vergangnen   ziten   schied 


9.     schupoße,  kleineres  Grundstück,  der  dritte  oder  vierte  Theil 
einer  Hube. 

12.     gehen,  eintragen. 


125 

der  hochgeborn  herr  Bernhart  von  Stretlingen  und  sin 
gemiichel  von  diser  zit.  Der  allmechtig  gott  si  inen 
güetig  und  barmherzig  und  helf  uns  gott  nü,  die  noch 
lebend,  zu  einem  seligen  guten  end!     Amen. 

Nach   disem   vor   geschribnen   herrn  Bernharten  von     5 
Stretlingen  was  ein  ander  herr  von  Stretlingen,  mit  dem 
namen  herr  Anshelm  von  Stretlingen.  Der  hatt  ein  frowen, 
die  was  genempt  Hedwigis.    Der  selb  herr  Anshelm  von 
Stretlingen   was   gar   ein   unsuberer   unküscher    man.     In 
beducht  nit,  daß  er  möcht  sin  unküschheit  gnüg  volbringen  ^'^ 
mit    sinem    elichen    gemachel,    dann   daß    er   ein   großer 
ebrecher  ward ;  und  wa  er  kond  oder  mocht  ander  frowen 
finden,  mit  denen  volbracht  er  sin  gelust  der  unküschheit. 
Durch  die  selben  sach  er  allenthalben  in  dem  land  in  ein 
groß  verlümdung  viel  und  harumb  ward  er   dik   und   vil  ^5 
von  siner  frommen  kuschen  und  schämigen  frow  gestrafet; 
er  achtet  aber  ir  straf  und  bitt  gar  klein.    Als  an  im  kein 
bitt  noch  vermanung  an  in  mocht  helfen,    do   w^as   si   uf 
ein  zit  [ii6]  mit  kleglicher  bitt  und  weinen  anrüefen  sant 
Michel,    ir  patron,    daß   er   ir  in   diser   sach  weit  hilflich  ^° 
sin  und  si  nit  so  vil   schänden,    ouch   kumber   und   liden 
müeßtent  mit  einandern  haben ;  und  das  begert  si  nü  von 
ganzem   herzen   von   gott   und   sant  Michel.     Und   wann 
nü   der   allmechtig  gott  nit  verschmacht  das  weinen  und 
süfzen  eines  ieglichen  rüwigen  herzen,    harumb   so   ist  er  ^5 
zu   sinen   ziten,    wenn    sich    das   gebürt,    einem   ieglichen 
mönschen    erzöigen   sin   erbermd   in   sinem   kumber    und 
nöten;  und  darumb  geschach  hie  ein  groß  zeichen. 

£i72  zeichen. 

Herr   Anshelm   von   Stretlingen,    vor   genant,    stund  ^^ 
einer   nacht   in  dem  ersten  slaf  von  siner  frowen  uf  und 


126 

gieng  zu  einer  andern  frowen,  da  er  sin  sünd  und  un- 
küschheit  volbracht.  Do  er  nü  in  der  nacht  bi  dem 
nianschin  wider  heim  kert,  so  gesicht  sin  husfrow  zu  dem 
venster  us  in  also  komen  und  vieng  an  zu  schrien  so 
5  grusamlich,  daß  alles  hofgesind  des  huses  ufstündent  und 
zülüffent  ze  gesechen,  was  das  were,  darumb  die  frow  so 
grusamlich  schrei.  Do  nü  das  hofvolk  iren  herren  ouch 
also  gesachent,  do  viengent  si  ouch  an  ze  schrien,  als  ob 
si  einen  ungeschaffnen  grüwenlichen  tüfel  gesechent.    Do 

10  nü  der  herr  des  war  nam,  daß  si  also  uf  in  schruwent 
und  sin  antlit  nit  was  geschaffen  als  vormals,  do  betrachtet 
er,  wie  der  allmechtig  gott  in  strafte  von  siner  schnöden 
Sünden  wiegen  und  im  die  schmach  [117]  zu  einer  schand 
geschach  und  in  beducht,  wie  er  als  sw^arz  were,  als  ein 

M  tüfel  und  beseßen  were.  Do  nü  den  morgen  früe  w^ard, 
do  bereite  er  sich  zu  siner  kilchen  des  Paradis,  daß  er 
an  dem  selben  end  siner  kilchen  sin  bicht  tat,  und  tet 
dem  kilchherrn  daselbs  sin  bicht,  der  was  geheißen  herr 
Arnold  von  Sumoßw^ald,   und   daß  der  selb  in  ouch  ent- 

20  ledigete  von  sinen  Sünden  und  dem  tüfel,  und  daß  im 
sin  form  und  gestalt  möcht  wider  werden.  Und  als  er 
nü  uf  dem  w^eg  w^as  zu  der  kilchen,  do  begegnetent  im 
kind,  die  das  vich  und  küe  ze  veld  woltent  triben.  Do 
viengen  die  küe  an  ze  lüejen  gegen  im  so  erschrokenlich, 

->  daß  das  ein  wunder  was  und  die  kind,  so  mit  dem  vicli 
giengent,    die    fluchent.     Der    kilchherr   der    kilchen    des 


3.     mänschin,  Mondschein, 
9.     ungeschaffen,  ungestaJt. 

14.     Scheint    auf  altem  Volksglauben    zw    beruhen.     Bei  A.  v. 
Kellers  Fastnachtsfpielen  705,  25  : 

«welcher  man  ein  frauenschender  ist, 
den  sol  man  schwerzen  als  ein  morn.« 
24.     lüejen,  brüllen. 


127 

Panidis  bettet  sine  göttlichen  zit  in  der  kilchcn,  und  do 
er  gesach,  daß  der  Herr  also  kam,  do  gesegnet  er  sich 
mit  dem  zeichen  des  heiigen  crützes  und  besloß  die  tür 
der  kilchen  vor  im.  Nu  merkent,  was  hie  geschach !  Der 
edel  herr  Anshelm  von  Stretlingen  leite  sich  vor  der  S- 
kilchtür  nider  uf  das  ertrich  und  sprach:  vater,  erbarm 
dich  über  mich  armen  eilenden  sünder !  Ich  bin  nit  der, 
den  du  hie  vor  dir  gesichest  in  der  gestalt;  daß  ich  also 
verwandlet  bin  in  ein  ander  gestalt,  das  han  ich  von 
minen  großen  sünden  und  ist  mir  ouch  also  von  miner  ^^' 
sünd  wegen  zugefallen,  daß  ich  dem  tüfel  also  gelich  bin 
und  sin  gestalt  also  nü  zemal  hab.  Der  kilchherr  sprach 
hinus  zu  im  mit  besloßnen  türen:  sag  mir,  was  wiltu? 
was  denn  gott  wil,  das  wil  ich  von  dir  erwarten.  Also- 
bald  vieng  herr  Anshelm  von  Stretlingen  an  zu  bichten  ^5 
mit  ganzem  rüwigen  herzen  und  also  ward  er  do  äu- 
gendes von  dem  kilchherrn  besworn  [ii8]  und  entlediget 
von  der  müej  des  bösen  geistes  und  ward  im  sin  gestalt 
und  form  sins  antlitz  w^ider,  als  es  vor  was  gesin.  Uf 
das  was  er  angends  gott  dem  allmechtigen,  ouch  dem  -o- 
wirdigen  erzengel  sant  Michel  lob  und  dank  sagen  und 
hüt  sich  fürw-erthin  vor  sünden  und  gab  ouch  einem 
kilchherrn  daselbs  zu  einer  ewigen  gab  und  almüsen  vier 
jucharten  lants,  gelegen  vor  dem  Berenbüel,  als  man  das 
fint  in  dem  jarzitbüch  (XIII.  kalendis  in  dem  meien).  -> 
Darnach  in  kurzen  jaren  kam  die  engelwdche  und  die 
kilcliherrn  und  lütpriester  der  zw^ölf  kilchen,  töchtern  der 
kilchen  des  Paradis,  mit  iren  undertanen  und  ouch  ander 
Kit*  gabent  da  ir  opfer.  Do  verkunt  man  nü  dis  zeichen, 
als  hie  vor  stat,  und  ouch  ein  ander  zeichen,  als  hie  3f> 
]iach  stat. 

*  Hs.  lüt  und. 


I.     lit,  eine  der  sieben  canonisclien  Hören. 


128 

Ein  ander  zeichen. 

Es  was  ein  man,  genant  Görg  an  der  Egg  von  All- 
mendingen; der  ward  beseßen  von  dem  bösen  geist  und 
was  also  drü  ganze  jar  und  w^oltent  aber  sine  fründ  nit, 
daß  er  beseßen  w^ere;  dann  si  meintend,  er  hett  sust 
gebresten  in  sinem  hirn.  Und  am  letsten  enthießent  si 
in  mit  einem  lebenden  opfer  zu  sant  Michel  in  die  kilchen 
des  Paradises  und  verhieß ent  das  für  in  alle  jar  ze  geben. 
Darnach  fürtent  si  in  zu  der  kilchen  des  Paradis  und  be- 
slußent  in  in  den  fronaltar  und  w^ard  da  also  besworn. 
Do  nü  das  etw\is  zites  wert,  am  letsten  ward  er  erlöst. 
Do  er  nü  an  dem  selben  [119]  end  erlöst  ward  von  dem 
bösen  geist,  do  warent  er  und  die  sinen  gott  lob  und 
ere  sagen  und  dem  hochgelopten  sant  Michel,  daß  er 
inen  also  geholfen  hatt;  und  also  gab  der  vor  genant 
Görg  und  sin  husfrow  einem  kilchherrn  daselbs  zu  einer 
ewigen  gab  und  almüsen  siben  jucharten  akers,  genempt 
der  Eggelaker  und  stoßt  an  der  kilchen  hanaker  in  den 
siolzen,  als  man  das  fint  in  dem  jarzitbüch  in  dem  meien. 
2Q  Do  nü  dise  zeichen  also  verkünt  wurdent,   do   seite 

iederman,  so  da  w^as,  gott  lob  und  dank  und  dem  hoch- 
wirdigen  sant  Michel  und  warent  ouch  die  kilchwdche  mit 
großer  andacht,  lob  und  gesang  erlich  usrichten  und  kerte 
sich  darnach  iederman  w^der  heim  zu  dem  sinen.  Der 
vil  genant  herr  Anshelm  von  Stretlingen  bereite  sich  zu 
riten  und  ze  besuchen  vil  heiiger  stett  und  der  selben 
heiigen  hilf  und  gnad  anrüefen ;  und  nam  also  für  sich  ze 
riten  zu  dem  heiigen  vater  dem  bapst  gan  Rom  und  do 
er  kam  zu  der  hochen  sinn,  do  fand  er  den  heiigen  vater 


29.  In  der  Hs.  steht  deutlich  hochen  sinn.  In  dem  Wort  sinn 
liegt  ein  Stadtname,  unzweifelhaft  Siena.  Vergl.  Schmeller  BW. 
III,  257  (i.  Aufl.):  -^e  der  hohen  sin,  hohin  Siene,  alta  Siena. 


129 

den  bapst  mit  dem  namen  Alexander  den  fünften.  Von 
dem  selben  heiigen  vater  dem  bapst  an  dem  selben  end 
er  gar  erlich  und  loblich  enpfangen  ward;  und  als  er  nü 
bi  im  was,  do  was  er  sin  bitt  und  anmütung,  ouch  die 
zeichen,  die  da  geschechen  warent  bi  der  kilchen  des  5 
Paradis,  erzöigen;  und  was  hiemit  inbesunders  bitten  und 
begeren  umb  den  aplaß  aller  Sünden  zu  der  engelschen 
kilchwichi  und  ouch  das  almüsen  ufzenemen  und  reichen 
allenthalben  in  dem  [120]  namen  sant  Michels  zuhanden 
der  kilchen  des  Paradis  und  darzü  alle  die  friheiten,  so  10 
denn  vormals  an  das  selb  end  geben  warent,  daß  die 
bewert,  gesterket  und  bestetiget  wurdent  und  er  ouch 
etwas  siner  sunderlichen  gnaden  ouch  da  mit  w^ölt  teilen. 
Uf  söliche  bitt  nam  sich  der  heiig  vater  ze  bedenken  und 
nach  wol  bedachtem  rat  siner  brüeder  der  cardinalen  des  15 
Römschen  stüls,  do  betrachtet  er,  wie  denn  der  hoch- 
wirdig  hehg  sant  Michel  vor  dem  jüngsten  tag  von  ge- 
bietens  wegen  des  allmechtigen  gottes  wirt  uf  dem  ÖHberg 
den  endkrist  mit  sunderlicher  macht  und  gewalt  ertöden ; 
und  harumb  bestätet  und  stärkte  er*  alle  die  friheiten  der  20 
kilchen  des  Paradis,  so  der  heiig  sant  Michel  selbs  ge- 
wicht hatt,  darzü  den  aplaß  aller  sünden  an  der  engelschen 
kilchwiche  und  das  almüsen  ufzenemen  und  anders,  so 
denn  vormals  die  kilch  was  begäbet,  daß  das  alles  solt 
zu  ewigen  ziten  also  bestät  beliben.  Und  von  sunderlicher  25 
gnad  gab  er  darzü  allen  denen,  so  ir  heiig  almüsen  teiltent 
einem  kilchherrn  daselbs  oder  der  kilchen  an  iren  buw, 
den  sibenden  teil  ir  ufgesatzten  büß.  Sölich  vor  gemeldet 
friheiten  gab  der  heiig  vater  der  bapst  dem  vil  genanten 
herrn  Anshelmen   von  Stretlingen   mit   versigleten   bullen  5o 

*  fehlt  in  der  Hs. 


I.     Alexander  V.  war  Papst  von   1409— 1410.      Gemeint  sein 
könnten  nur  Innocenz  III.  1198 — 12 16  oder  Honorius  III.  12 16 — 1227. 

9 


im 


d  briefen  nach  sitt  und  trewonheit  des  Römschen  stül 


und  zu  einer  sunderbaren  liebe  schankt  er  im  vier  stük 
heltüms,  daß  er  die  ouch  sölt  an  das  selb  end  zu  sant 
Michel  der  kilchen  des  Paradis  mit  im  heim  füeren,  und 
5  gab  im  damit  sinen  bäpstlichen  segen  und  nam  ouch  also 
urlob  und  schied  wider  heim.  Do  er  nü  heim  kam,  do 
ward  er  mit  großer  fröid  enpfangen  und  [121]  das  heltüm, 
so  er  mit  im  bracht,  ouch  die  friheiten  wairdent  mit  einer 
loblichen  proceßion  und  crützgang  ingefüert  in  die  kilchen 
i<^  des  Paradis.  Darnach  in  vergangnen  ziten  und  jaren  schied 
der  vil  genant  herr  Anshelm  von  Stretlingen  und  sin 
husfrow  von  diser  zit.  Der  allmechtig  gott  si  inen  gnädig 
und  helfe  uns  armen  sündern,  nü  zemal  lebendig,  zu  einem 
seligen  guten  end!     Amen. 


DAS  NÜND  CAPITEL. 


Als  man  zalt  von  der  geburt  Cristi  zwölf  hundert 
zwanzig  und  drü  jar,  was  ein  herr  von  Stretlingen 
mit  dem  namen  herr  Wilhelm  von  Stretlingen;  der  hatt 
ein  frowen,  die  was  geheißen  frow  Gerdrut.  Zu  den  S 
selben  ziten  von  den  ufnemeren  des  almüsens  der  kilchen 
des  Paradis  under  dem  namen  sant  Michels  brach  us  ein 
großer  lümd  von  vil  cristenden  mönschen,  die  an  das 
selb  end  zülouf  hattent  mit  andacht  und  gelüpten;  und 
das  geschach  darumb,  daß  da  große  zeichen  und  wamder  lo 
der  allmechtig  gott  durch  den  hochwirdigen  [122]  sant 
P  Michel  gewürkt  hatt;  ouch  an  dem  selben  end  vil  be- 
seßner  lüten  entlediget  wairdent.  Und  harumb  ward  vil 
i^^aben  und  opfers  dar  geschikt  und  w^ard  der  gotzdienst 
)uch  zu  den  selben  ziten  volkomenlich  volbracht  von  i> 
mengem  seligen  guten  cristenmönschen  von  der  hilf  gottes 
und  der*  heiigen  und  heltüm,  so  man  daselbs  eret.  Es 
stat  ouch  in  disem  ob  gemeldeten  latinschen  buch,  darab 
diß  geschriben  ist,  daß  von  der  heilsamkeit  und  gnad- 
richen  stdtt  der  kilchen,  kilchhof  und  des  heiigen  brunnen  20 
zu  dem  Paradis  vil  lamer,  stummen,  ungehörenden,  blinden 
und   ouch   toten  da  widerumb  gesunt  sind  worden.     Der 

*  Hs.  die. 


132 

vor  genant  Herr  Wilhelm  von  Stretlingen  was  dem  kilch- 
he^rn  daselbs  gar  güetig  und  gnädig  in  maßen,  daß  er 
dik  und  vil  ließ  fragen  heimlich  und  offenUch,  ob  ieman 
sinem  kilchherrn  kein  leid  tat,  den  wölt  er  also  laßen 
5  strafen;  oder  ob  ieman  im  sin  rechtsame  oder  ander  fri- 
heit,  so  denn  die  kilch  daselbs  hätt,  abzuge,  daß  er  im 
da  weit  helfen  widerbringen;  und  wolt  also,  daß  einem 
kilchherrn  daselbs  und  der  kilchen  alles  sölt  beliben,  wie 
es  dann  von  alter  har  dar  komen  was,   und  im  keinerlei 

i<^  Sachen  sölt  in  sin  friheit  gebrochen  werden. 

Nu  ist  es  war  und  ist  ouch  ein  gemein  sprüchwort, 
daß  durch  großen  züfluß  zitlichs  güts  und  glükes  der 
mönsch  dik  und  vil  valt  von  siner  andacht  und  guten 
dingen,  so  er  denn  vormals  hat  volbracht  in  siner  armüt 

1 5  und  ungefell.  Man  spricht  ouch  gemeinlich :  gut  bringt 
nit  demüt!  Darumb  findt  man  hienach,  wie  die  kilch  des 
Paradis  ist  von  ir  friheit  komen  und  rechtsame. 

[123]    JVie  die  zivölf  kilchen  widerspenig  wurdcnt  ir  rechten 
liitkilchen  des  Paradis. 

20  Als   die   lüt   ufwüchscnt   und   zünament  an   ere  und 

an  gut,  do'warent  die  obersten  in  dem  Lind  da  umb,  die 
edlen  und  puren,  nachgeburengesellschaft  und  gebüntniß 
mit  einandern  machen  von  den  zwölf  kilchen,  die  da 
töchtern  warent  der  kilchen  des  Paradis.    Und  die  under- 

25  tanen  der  selben  zwölf  kilchen  fügtent  irem  kilchherrn 
des  Paradis  wider  gott  und  alle  gerechtekeit  vil  ungemachs 
zu  und  slügent  die  vorcht  gottes  ganz  zu  ruggen  und 
das  Üblich  sweren*  zu  gott  und  den  heiigen,  so  si  getan 
hattent   in  der  kilchen  des  Paradis  uf  dem  fronaltar,    alle 

30  jar  zu  der  selben  kilchwiche  ze  komen  und  ir  Opfer  und 
kilchenrecht   da   ze    o-eben   und    sich    da    ze   erzeigten    als 

*  die  Hs.  gibt :  und  swiioren  das  Üblich  zuo  gott. 


133 

gehorsam  undertanen.  Des  hartem  si  alles  vergeßen  und 
viengent  an  ungehorsam  zu  sin;  si  viengent  ouch  an 
keinen  erschatz  von  den  kilchengüetern  ze  geben;  si 
woltent  ouch  fürer  kein  hoftagwan  me  tun,  als  si  denn 
das  vormals  von  guter  gewonheit  und  recht  hattent  getan.  > 
Semlichs  und  anders  desglichen  warent  si  sich  gar  und 
ganz  weren*  und  durch  semlicher  anmütung,  so  ein  kilch- 
herr  sin  rechtsame  an  dem  selben  end  der  kilchen  des 
Paradis  an  inen  fordert,  do  ertoten  si  in.  Die  selben 
umbsäßen**  in  der  «:emie  da  umb  warent  ouch  den  edlen  ^^ 
und  wolgebornen  herrn  Wilhelm  von  Stretlingen  siner 
sunderlichen  friheiten,  die  er  denn  von  allen  sinen  vordem 
ererbt  und  beseßen  hatt,  gar  [124]  und  ganz  berouben 
und  abziechen ;  ouch  die  rechtsame,  so  er  hatt  an  dem 
Wendelsee  und  im  zugehört  und  niemans  anders  warent,  ^5 
zugent  si  im  ouch  ab  und  fügtent  im  zu  mit  w^orten  und 
mit  werken,  das  im  übel  kam  heimlich  und  offenlich,  wie 
si  das  konnent  zübrino-en.  Von  semliches  freveis  und 
Übermuts  wegen,  so  im  von  den  sinen  geschach,  ertodt 
er  vil  lüten,  wa  er  die  mocht  ankomen,  so  denn  w^ider  20 
in  und  die  sinen  warent.  Er  ertränkte  ouch  vil  vischer 
in  dem  see  umb  des  willen,  daß  er  sinen  priester  und 
ouch  sich  selbs  da  wolt  rechen;  und  kam  darzü,  daß  ein 
landskrieg  darus  ward  allenthalben  da  um  in  maßen,  daß 
der  gotzdienst,  ouch  die  bilgerfert  und  der  groß  zülouf,  -5 
so  vormals  daselbs  was  gesin,  ward  gar  und  ganz  ab- 
geslagen  und  vil  gutes  an  dem  selben  end  underwegen 
beleih.  Darumb  verhangt  gott  ein  semlich  plag  und  straf, 
daß  die  vigend  des  vor  genanten  herrn  Wilhelms  von 
Stretlingen  alle  die  reben,  böm  und  zwien  abslügent  und  30 
verwüstent    und   wasf  ein   semlicher  wüetender   zorn    in 

*  Hfi.  werten. 
**  Hs.  umbsätzen. 
t  fehlt  in  der  Hs. 


134 

sinen  vienden  von  underwisung  des  bösen  geistes,  daß  si 
die  kilchen,  diis  beinhus  und  alle  die  hüser,  so  daselbs  in 
siner  herschaft  warent,  verbrantent;  und  die  bürg  Stret- 
lingen  mit  allen  iren  friheiten,  so  si  dann  hattent,  ver- 
5  brönt  ward  und  also  in  den  grund  verderbt  ward,  daß 
nieman  me  da  ze  hus  und  wonhaft  mocht  sin,  und  weder 
eren  noch  mäigen  da  volbracht  ward  und  das  selb  end, 
das  nü  zu  dem  guldinen  hof  geheißen  was  von  der 
fruchtbere  und  genuchtsame  wegen,   alles  zu  armüt  kam. 

^^  Und  die  selbe  türe  und  unfruchtberkeit  und  plag  wert  uf 
siben  jar.  Und  darnach  ward  die  hellikeit  des  kriegs 
verriebt  gegen  dem  edlen  und  wolgebornen  [125]  herrn 
Wilhelm  von  Stretlingen  und  sinen  umbsäßen  der  edeln 
und   andern   gemeinden  mit  semlichen  gedingen  und  für- 

15  Worten,  daß  das  gemein  volk  der  zwölf  kilchen,  die  da 
warent  undertanen  der  kilchen  des  Paradis,  söltent  buwen 
an  dem  selben  end  ein  ander  kilchen .  in  der  große,  als 
die  vordre  kilch  was  gesin  und  mit  allem  dem,  so  ouch 
die  kilch  notdürftig  were  zu  dem  gotzdienst,  zu  volbringen 

20  als  vor.  Ouch  soltent  die  selben  undertanen  zu  allen 
kilchwichinen  zu  ewigen  ziten  sich  daselbs  erzeigen  per- 
sonlichen mit  iren  opfren  und  andern  rechtsamen,  als  si 
ouch  das  selb  von  recht  vormals  hatten  getan ;  und  wenn 
aber  das  nit  möcht  gesin,    daß    si    all   uf  dem  selben  tag 

25  da  werint  der  kilchwichi,  als  ob  stat,  so  sölt  ein  ieglicher 
kilchherr  der  zwölf  kilchen  in  siner  kilchen  uf  dem  nechsten 
sunnentag  vor  der  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis  von 
sinen  undertanen  ufnemen  das  opfer  und  sölt  denn  das 
persönUch  selbs  bringen  einem  kilchherrn  des  Paradis  im 

3<^  namen  aller  siner  undertanen,  die  denn  nit  möchtent  da  sin. 


7.     ereil,  pflügen;  mäigen,  mähen. 
ir.     hellikeit,   Beschwerde. 
12.     verricljten,  beileo'en,  schHchten. 


I 


135 

Do  nü  diser  krieg  also  verriebt  ward  mit  semlichen 
gedingen,  als  vor  stat,  do  verspottetent  si  den  Herrn  von 
Stretlingen  hinderwert  und  schatztent  ouch  klein  die 
gnadenrichen  hofstat  der  kilchen  des  Paradis,  die  da  ver- 
brönt  was;  und  wiewol  das  in  der  richtung  des  kriegs  5 
ward  beredt  und  verbunden,  daß  si  solt  widerumb  als 
vor  gebuwen  werden  und  alle  jar  uf  der  kilchwichi  das 
Opfer  dar  gebracht  werden;  das  si  aber  nit  tatent  noch  die 
kilch  uf  die  große,  als  si  vor  was  gesin,  gebuwen  noch 
der  kilchhof  widerumb  ingeslagen,  und  das  alles  mit  dem  lo 
minsten  costen  betrogenlich  ward  usgericht.  Und  harumb 
ließ  der  allmech[i26]tig  gott  sin  räch  nit  verborgen,  noch 
sinem  heiigen  erzengel  sin  ere  an  dem  selben  end  laßen 
gnot  enziechen;  denn  er  erzöigte  nach  vil  kumbers  und 
lidens,  so  denn  die  kilch  hatt  gelitten,  sin  erbarmherzikeit  1 5 
dem  vil  genanten  herrn  Wilhelmen  von  Stretlingen  und 
siner  kilchen  des  Paradis  und  strafte  die  undertanen  der 
zwölf  kilchen  mit  mengerlei  plag:  also  daß  etlich  von 
den  gesiechten,  die  da  nit  trüw^  warent  der  kilchen  und 
dem  kilchherrn  des  Paradises,  wurdent  kropfecht  mit  20 
großen  halsen.  Etlich  von  den  selben  gesiechten  wurdent 
beseßen  von  den  bösen  geisten,  etlich  hogrecht,  etlich 
ouch  begriffen  mit  dem  großen  siechtagen  des  vallenden; 
etlich  wurdent  arm  von  rifen  und  hagel  inen  ir  frücht  zu 
nemen,  ouch  etlich  und  der  merteil  sturbent  der  pestilenz,  25 


3.     hinderwert,  hinterrücks. 
5.     richtung  des  kriegs,  Friedensfchluß. 
20.     kropfecht,    mit    einem    Kropf  behaftet.    —   Das  Volk    von 
Trimmis    in    Graubünden    wurde,    weil    es    den    St.  Lucius    wilden 
Thieren  vorgeworfen  hatte,  ebenfalls  mit  Kröpfen  bestraft.    Campell, 
zwei  Bücher  rhätischer  Gesch.    I.  Buch,  p.  43. 

22.  hogrecht,   höckericht. 

23.  das  valleude  (näml.  übel,  leid),  die  Fallsucht. 


136 

darumb  daß  si  nit  gnüg  tatent  und  noch  hüt  bi  tag  nit 
gnug  tünd,  ze  besuchen  jerlich  die  kilchwichi  der  kilchen 
des  Paradises  von  der  Verheißung  wegen,  so  ir  vordem 
getan  hattent,  da  doch  der  großwirdig  heiig  sant  Michel 
5  ir  patron  vil  wunder  und  zeichen  getan  hatt.  Und  also 
schikte  der  vil  genant  herr  Wilhelm  von  Stretlingen  zu 
einem  bischof  von  Losann,  daß  der  die  kilchen-  kilchhof, 
altar  und  ander  ding,  so  da  ze  wichen  were,  sölt  wider- 
umb  wichen,  als  es  dann  vormals  w\as  verbrant  gesin  und 

10  wider  gebuwen,  als  ob  stat.  Der  erwirdig  herr  und  bischof 
kam  nach  sinem  schriben  daselbs  hin  und  also  wolt  der 
bischof  die  kilchen  des  Paradises  wichen  uf  dem  nechsten 
sunnentag  nach  sant  Mauritzen  tag.  Do  nü  das  vernament 
die  lüt  allenthalben  da  umb  von  verkundens   wegen,   das 

1 5  denn  dozemal  geschechen  was,  do  ward  ein  großer  zülouf 
von  vil  Volkes  und  besunder  von  [127]  den  zwölf  kilchen, 
die  da  tochtern  warent  der  kilchen  des  Paradis,  von  under- 
tanen  der  selben  kilchen,  ouch  die  kilchherrn  mit  inen; 
und  waren*  si  darzü  bewegen  die  großen  plagen  und  straf- 

20  ungen  von  gott  und  ouch  mengerlei  erbeitselikeit,  so  si 
denn  vormals  hattent  gehept,  als  vor  stat. 

Merk,  lüie  sant  Michel  die  kilchen  des  Paradis  zit  dem 
andern  nial  selbs  gewicht  hatt. 

Als  nü  der  bischof  und  vil  priester  mit  im  da  warent 
25  und  ouch  ander  volk,  die  da  wartetent  der  wichung,  do 
begab  es  sich  uf  der  selben  nechsten  nacht,  als  man 
morndes  wolt  die  kilchen  wichen,  daß  der  wirdig  heiig 
sant  Michel  erschein  allem  volk  und  tet  inen  ze  w^üßen, 
daß  er  die  kilchen  anderw^ert  het  gewicht  durch  sich  selbs 
30  mit  semlichen  zügeleiten  worten:  ir  andechtigen  fründ 
diser   kilchen   und   ouch   des   kilchherrn,    wiewol   ir   sind 

*  Hs.  ward. 


137 

eines  verkerten  bösen  lebens,  ist  es  sach,  daß  ir  noch  hüt 
bi  tag  den  gottsdienst  hie  fürdernt  und  merent,  so  sönd 
ir  wüßen,  daß  ir  an  ihverm  letsten  end  üwers  lebens 
findent  noch  gnad  und  barmherzikeit  gottes!  wann  alle 
die,  so  da  sind  wider  dise  kilchen  und  den  kilchherrn  S 
und  alle  die,  die  da  zergengent  die  kilchen  und  ander 
pfrüenden,  die  lebent  nit  lange  jar;  wann  dise  kilch  blipt 
unz  an  den  jüngsten  tag.  Si  wirt  wol  vil  betrüeptniß 
liden  und  abkomen  an  gut,  aber  si  wirt  niemer  gnot 
zerstöret  noch  zergan !  Und  nach  [12S]  disen  worten  ^^ 
und  erschinung  do  verswand  sant  Michel  und  von  diser 
gesiebt  und  verkündung  ward  iedermann  frölich.  Do  nü 
den  morgen  uf  dem  tag  ward,  do  volbracht  der  bischof 
mit  aller  priesterschaft,  so  da  warent,  die  lieligen  empter 
der  meßen  und  lobgesang  loblich  und  andechtenklich.  ^> 
Der  kilchherr,  zu  den  selben  ziten  mit  dem  namen  herr 
Rudolf,  was  ouch  erst  komen  und  bestcit  zu  der  kilchen 
des  Paradis,  der  verkunt  und  prediet  das  gotzwort  und 
nach  dem  vieng  er  an  mit  einem  demüetigem  herzen  und 
Worten  und  redt  offenlich  vor  dem  bischof  und  vor  herr  -^ 
Wilhelm  von  Stretlingen  und  vor  allen  sinen  vienden 
und  dero  gesellschaft,  die  es  all  mit  einandern  hattent 
gehan  wider  den  herrn  von  Stretlingen  und  wider  die 
kilchen  des  Paradis,  als  si  ouch  des  selben  mals  verriebt 
warent:  es  ist  w^ar,  die  andacht,  so  wir  vormals  band  -> 
gehan  zu  unserm  patron  und  schirmer  sant  Michels,  der 
da  ist  ein  fürst  und  hüeter  der  kilchen  des  Paradis,  ist 
erkaltet;  die  selbe  andacht  ist  ouch  von  dannen  komen 
und  abgescheiden  von  fürsten,  herrn  und  ander  edlen 
und  ist  ouch  erlöschen  von  allem  gemeinen  volk.  Die  3^^ 
opfer   und   almüsen    gelöibiger   cristender   mönschen   und 


6.     icrgencren,  7X\  Fall  bringen. 


138 

t 

die  göttlichen  empter  band  ietz  ein  ufhörung  gehan  uf 
siben  jar  und  ist  leider  dise  gnadriebe  kilcb,  da  vormals 
vil  zeicben  und  wunder  sind  gescbecben,  verbrant;  daß 
hie  großer  mangel  an  büechern,  kelchen  und  an  andern 
5  Zierden,  so  dann  einer  ieglichen  kilchen  zugehört,  ist.  Die 
güeter  der  kilchen  sind  beroubet  und  wüest  geleit,  die 
hüser  und  ander  kilchenrechtsame  sind  gemindert  und 
verloren  und  ist  hie  in  diser  notdurft  großer  [129]  mangel; 
und    harumb   so    band  wir  billicb  gehan  den  zorn  gottes 

10  und  mengerlei  widerwertikeit  von  plagen  und  strafungen 
durch  verhengniß  des  allmechtigen  gottes  und  wir  mögent 
w^ol  sprechen:  herr,  alles  das  du  uns  hast  getan,  das 
hastu  mit  einer  rechten  urteil  getan,  wann  wir  band  dir 
gesundet    oder    wider    dich;    die    Verheißungen,    die    wir 

TS  gesworn  und  verheißen  hatten  uf  disem  altar,  oder  der 
vormals  ist  gesin,  band  wir  nit' gehalten;  darumb  band 
wir  diß  alles  wol  verdienet !  Do  dise  red  und  vermanung 
geschach  vor  allem  volk,  do  gebot  der  kilcbherr  äugendes 
von  gebots  wegen  des  bischofs,  der  ouch  da  gegenwürtig 

20  was,  den  priestern  der  zwölf  kilchen  und  iren  undertanen 
und  ouch  anderm  volk,  die  dann  allenthalben  dar  komen 
warent,  der  vil  in  der  zal  was:  ob  ieman  w^ere,  dem  an 
dem  selben  end  der  kilchen  des  Paradis  were  kein  gnad 
gescbecben,  als  denn  vil  zeichen  und  wunder  da  gescbecben 

25  was  gesin  vormals  oder  in  dem  heiigen  brunnen,  es  were 
vergangen  oder  gegenwürtig,  oder  ob  ieman  kein  historien 
oder  losen  oder  Schriften  darumb  wüßte  oder  copien  von 
dem  aplaß  und  friheiten,  die  abgeschriben  werint,  hinder 
im   bette,   —   daß    er   darnach   an   dem   andern   tag   den 

30  morgen  dem  bischof  da  erzeigte,  was  denn  vormals  da 
durch   gott  und  sant  Michel  gewürkt  were  worden;  oder 


23.     kein,  hier  wie  öfter:  iro-end  ein. 


139 

ob  ieman  kein  anderlei  warhafte  zügsame  darumb  hette. 
Und  also  warent  die  kilchherrn  und  lüpriester  der  zwölf 
kilchen  und  ir  undertanen  darumb  warhaft  zügsame  tragen 
und  sagen,  wie  si  gesechen  und  gehört  hettent  die  engel- 
schen  red,  so  da  vor  were  be[i3o]schechen  und  wie  die  5 
kilch  des  Paradises  an  dem  selben  end  zu  dem  andern 
mal  durch  sant  Michel  selbs  wer  gewicht  worden;  und 
xmder  zeichen  und  wunder,  so  vormals  da  warent  ge- 
schechen,  erzeigten  si  ouch.  Und  uf  das  so  verkunt  der 
vor  genant  kilchherr  drü  zeichen,  die  an  dem  selben  end  'o 
geschechen  warent. 

Das  erst  zeichen. 

Es   was  ein  frow,   geheißen  Cecilia,   zu   dem   nüiueii 
]ms  von  Merlingen.     Der   selben   frow^en    vielent  semlicii 
trroß  siechtai2:en  zu  in  maßen,   daß   si  krumm  mensr  und   ^5 
hogrecht  ward,    und  wuchs  ir  darzü  ein  großer  kröpf  an 
irem  hals,    und   mocht  sich   umb  keinerlei  Sachen  nit  uf- 
streken ;    denn    si    müßt    ir   hend    uf   iren   knüwen    stäts 
tragen  und  legen.     Also    bat    si   einen   iren  sun  mit  dem 
namen  Rudolf,  daß  er  si  trüeg  in  einem  korb  oder  hutten  ^o 
zu  der  kilchen  sant  Michels  des  Paradis   und   si    also  dar 
enthieß  mit  opfer  und  almüsen,  ob  gott  und  sant  Michel 
ir  wöltent  helfen  von  ir  großen  siechtagen.    Do  er  si  nü 
also   dar   bracht   und   andechtenklich   ir   opfer  für  si  gab, 
dennocht    ward    si    keiner    gesuntheit    gewar    und   beleih  -5 
doch  also  uf  zechen  tag  daselbs;    do    ward  ir  sun  zornig 
und    murmlet    wider   sant    Michel    und   sprach:    du    hast 


I.     \iigsame,  Zeugniß. 
20.     hiitte,  Tragkorb,  der  an  den  Rücken  gehängt  wird. 
27.     munitlen,  murren. 


140 

aller  weit  geholfen  und  wilt  aber  miner  armen  müter  nit 
helfen  und  wilt  weder  si  noch  mich  nit  erhören!  Ich 
wil  alle  die,  so  sich  zu  dir  keren  wellent,  warnen,  daß 
si  sich  nit  zu  dir  entheißent  har  zu  diser  kilchen  des 
5  Paradis!  Do  er  [131]  nü  also  zornlich  von  dannen  schied 
und  vil  nach  was  uf  mitten  see  und  sin  müter  aber  in 
großem  schmerzen  also  in  dem  schiff  lag  und  weinete, 
do  entslief  si  an  irem  weinen  und  in  irem  slaf  gesach  si 
einen    schönen  Jüngling  mit  einem  claren  antlit.     Da  be- 

10  ducht  si  in  dem  selben  slaf,  wie  er  si  wüesche  mit  dem 
waßer  des  heHgen  brunnen  im  Paradis  und  zu  ir  Sprech: 
stand  uf  und  wandel!  Von  disen  dingen  erwachete  die 
frow  und  enpfand,  daß  si  genesen  was  von  aller  krankheit 
und  ungestalt  irs  libes,  als  si  vor  hatt  gehept  und  erzalte 

I )  dise  geschieht  irem  sun  und  bracht  irem  sun  ein  groß 
fröid,  und  kertent  äugendes  uf  dem  see  wider  umb  zu  der 
kilchen  des  Paradis  und  w^arent  da  mit  gott  dem  all- 
mechtigen  und  sant  Michel  groß  lob  und  dank  sagen 
und   ließent   den   korb    oder   hutten,   darin   er  si  dar  hat 

20  getragen,  daselbs  zu  einem  zeichen.  Und  harumb  gabent 
si  einem  kilchherrn  ein  gut,  das  ist  geheißen  in  der 
nidern  Swendi,  als  man  das  findt  im  iarzitbüch  im  meien. 


Das  ander  zeichen. 

Es  was  ein  ander  frow^  mit  irem  namen  frow^  Hed- 
25  wigis  von  Wyler,  die  wolt  einsmals  durch  die  Cander. 
Do  si  nü  in  das  waßer  der  Kander  kam,  do  was  das 
waßer  uf  die  selben  zit  gar  groß,  und  viel  darin  und  er- 
trank. Ir  fründ  und  ander  lüt,  die  si  harus  zugent,  ent- 
hießent  si  zu  sant  Michel  in  die  kilchen  des  Paradis  mit 
3^^  einem  lebenden  opfer.  Alsbald  si  die  gelüpt  getan  hatten, 
do   ward    si   wider   [132]   lebendig    und    trüg   darnach    ir 


Idl 


opfer  selbs  zu  der  kilchen  des  Paradises  und  was  dem 
allmechtigen  gott  und  dem  wirdigen  sant  Michel  lob  und 
dank  sagen  und  eret  sant  Michel  insunders  die  zit  irs 
lebens.  Und  gab  ouch  einem  kilchherrn  daselbs  zu  einer 
ewigen  gab  und  almüsen  einen  iren  aker,  genempt  der 
Roggaker,  gelegen  in  der  Dürr,  als  man  das  fint  in  dem 
jarzitbüch  im  meien. 


Das  dritt  zeichen. 

Es  was  noch  ein  frow,  genant  Margret,  Heinrich 
Haris  husfrow.  Die  selbe  frow  was  wol  uf  drü  jar  ganz  lo 
blind  gesin,  daß  si  nüt  gesach.  Also  ward  si  underwist, 
daß  si  sant  Michel  in  der  kilchen  des  Paradis  sölt  an- 
rüefen,  der  hett  ouch  vormals  vil  mönschen  geholfen. 
Alsobald  nam  si  ein  gut  veist  kalb  und  ließ  das  mit  ir 
füeren  und  opferte  das  zu  der  kilchen  des  Paradis  uf  den  1 5 
altar.  Alsbald  si  das  getet,  ward  si  sechent  an  einem  oug. 
Do  si  nü  wäder  heim  kam,  do  enpfand  si  gar  eines  großen 
schmerzen  an  dem  andern  oug  und  also  bevalch  si  sich 
aber  sant  Michel  und  enthieß  sich  als  vor  mit  einem 
lebenden  opfer.  Darnach  in  der  nechsten  nacht,  do  be-  20 
ducht  si,  wie  sant  Michel  zu  ir  sprech:  wenn  du  din 
opfer  gibst  zu  dem  ahar,  als  du  verheißen  hast,  so  bitt 
den  priester,  daß  er  dich  bestrich  oder  bewäg  mit  der 
paten  oder  corporal,  so  wirstu  gesunt  und  gesechent! 
Alsbald  si  dise  ding  also  volbracht,  do  wart  si  gesechent.  25 
Darnach  gab  si  und  ir  elicher  man  [133J  einem  kilch- 
herrn daselbs  zu  einer  ewigen  gab  und  almüsen  ein  gut, 
genant  der  Hertrübel,  gelegen  in  der  kilchheri  zu  Gertzen- 
see,  als  man  das  fint  in  dem  jarzitbüch. 


24.    palen,  mlat.  patcua,  Oblatenteller. 


142 

Nach  semlicher  verkündung  der  drien  zeichnen,  als 
hie  vor  stat,  was  der  erwirdig  herr  und  bischof  von  Losan 
die  selben  zeichen  und  wunder  und  ander  diniz,  so  er 
denn  gesechen  und  gehört  hatt  und  warhaft  flind,  ouch 
5  den  aplaß  aller  Sünden  zu  der  engelschen  kilchwiche  und 
historien,  ouch  das  heltum,  so  denn  vormals  da  was  gesin 
unz  uf  das  selb  gegenwürtig  zit,  laßen  in  schrift  legen 
und  die  selben  Schriften  mit  sinem  eigenen  ingesigel  ver- 
siglen  in  der  meinung,  daß  man  das  alles  sölt  bringen  an 

10  einen  stül  gan  Rom  und  das  selb  ding  alles  von  nüwem 
uf  bestetiget  wurd,  als  ouch  das  darnach  beschach.  Und 
aller  diser  vor  geschribcnen  dingen  was  ein  handler  und 
volbringer  in  siner  eignen  person  der  durlüchtend  hoch- 
geborn  herr  Wilhelm  von  Stretlingen,  der  dise  gütefi  sach 

M  gar   getrüwHch   in   sin   hende   nam  und  die  ouch  handlet 

von  befelhens  wegen  des  vor  gedachten  bischofs  von  Losan. 

Uf  die  selben  zit  was   ouch   ein   gemein   merfart   zu 

dem    heiigen    land    und   was   in    der   selben    merfart   der 

Römsch   keiser   mit   dem   namen  Fridrich,   der  ouch  von 

2o  gebots  wegen  des  heiigen  vaters  des  bapsts  sich  des 
understünd  von  der  heiigen  cristenheit  wegen,  und  vil 
ander  fürsten  und  herren,  die  also  in  dem  namen  gottes 
woltent  striten  und  vechten  wider  die  beiden.  Von  sem- 
Ucher   sach   wegen   underredte  sich  der  vor  genant  [134] 

-)  hochgeborn  herr  Wilhelm  von  StretHngen  mit  dem  vor 
gemelten  bischof  von  Losan  und  understünd  ouch  ein 
semliche  merfart  ze  tun  mit  andern  cristenen  fürsten 
durch  gottes  willen.  Der  bischof  gab  im  sinen  segen  und 
schied   damit   enweg.     Do   sich   nü   der  wolgeborn    herr 

30  Wilhelm  von  Stretlingen  mit  allen  dingen  zu  hat  gerüft, 
die   selben   merfart   ze   tun,    do   schikte    er   sich  zu  siner 


21.     sich  imäerstan,  unternehmen. 


145 

lütkilchen  sant  Michels  in  dem  Paradis,  zu  dem  selben 
sant  Michel  er  ein  sunderbare  große  andacht  hatt,  als 
Glich  all  sin  vordem  hattent  gehan,  und  ließ  im  da  meß 
sprechen ;  bi  der  selben  meß  er  ouch  mit  großer  andacht 
was  und  bevalch  sich  da  gott  dem  allmechtigen  und  dem  > 
hochgelopten  sant  Michel.  Do  nü  die  meß  us  was,  do 
trank  er  sant  Johanns  segen  und  enpfieng  darnach  das 
wichwaßer  von  dem  priester.  Darnach  stund  der  edel 
güetig  und  demüetig,  wolgeborn  herr  Wilhelm  von  Stret- 
lingen  zu  sinem  kilchherrn,  der  do  genant  was  herr  lo 
Rudolf,  und  sprach  zu  im  und  sinen  undertanen  und 
underseßen,  jung  und  alt,  nieman  usgenomen :  Heber  herr 
der  kilchherr  und  ir  allsament,  die  hie  stand !  Ich  bitt 
üch  güetlich  und  früntlich,  daß  ir  gott  für  mich  bittent, 
daß  ich  gesunt  und  frisch  harwider  kom,  si  es  nit  wider  is 
in ;  wann  ich  undergib  mich  dem  allmechtigen  gott  und 
bevilch  üch  und  mich  in  sin  göttliche  erbarmherzikeit! 
Und  andre  früntliche  wort  sprach  er  zu  inen,  Do  nü 
der  kilchherr  und  das  volk,  die  da  umb  stündent*, 
semliche  güetige  milte  früntliche  und  wise  wort  hortent,  20 
do  viengent  si  alle  an  ze  weinen.  Do  er  nü  sach,  daß  si 
alle  weinetent  umb  in,  do  vieng  er  aber  an  zu  sagen 
und  sprach:  ir  min  allerHepsten,  laßent  üwer  weinen!  Ich 
weiß  das  wäißentlich  wol,  daß  der  allmechtig  gott  und 
der  hochgelopt  sant  Michel  [135]  mir  werdent  bistendig  25 
sin  in  miner  fart;  wann  mir  ist  vor,  daß  der  hochgelopt 
sant  Michel  ietz  min  mitgesell  si  und  mir  har  heim  helf 
zu  denen  ziten,  so  das  müglich  und  zimlich  ist;  w^ann 
ich  beger  das  von  im  nü  und  zu  allen  ziten  von 
ganzem   herzen.     Nach    diser   und    noch    vil    andrer    red,  30 

*  Hh.  stuondent  und. 


7.     sant  Johanns   scgen    (oder   niinne)    trinken,    den    Abschieds- 
trunk nehmen.     Grimm,  Myth.  p.   54. 


144 

so  er  volbracht,  saß  er  uf  sin  pfert  und  gesegnet  das 
land  und  das  volk  darin,  die  da  belibend,  und  reit  also 
über  die  pirg  in  Lamparten  und  kam  in  Sicilien,  da  ouch 
zu  den  selben  ziten  der  keiser  was,  der  in  ouch  gar 
5  frölich  und  güetlich  enpfieng.  Daselbs  si  ouch  saßent  in 
die  galeien,  der  keiser  mit  sinem  her  oder  merfart,  und 
warent  also  glüksamklich  wider  die  beiden  striten  und 
vechten  und  ouch  die  beiden  überwinden;  als  man  das 
eigenlich  findet  in  dem  buch,    das   da  genempt  ist  Forta- 

10  licium,  ze  tütsch  aber  das  boUwerk  oder  zwingolf  wider 
die  kätzer  und  unglöibigen,  da  man  an  dem  selben  end 
findt,  daß  die  cristenen  oberhand  hattent  und  erslügent 
zw^eihundert  malen  tusent  beiden;  und  ist  an  dem  capitel, 
da    man    list  von  dem  hundertesten  und  ein  und  zwenzi- 

15  gosten  strit,  so  da  geschechen  ist  wider  die  beiden  von 
den  cristen,  und  geschach  in  dem  jar,  do  man  zalt  von 
der  geburt  Cristi  zwölf  hundert  drißig  und  drü  jor.  Do 
nü  der  edel  und  hochgeborn  herr  Wilhelm  von  Stretlingen 
uf  siner  widerfart  was,   bar  heim  ze  komen,    do   kert   er 

20  sich  zu  dem  heiigen  vater  dem  bapst,  mit  dem  namen 
Gres^orius  der  nünde,    und   fÜ2;te  sich  zu  dem  selben  mit 


6.     galeie,  mhd.  gilie,  Ruderschiff,  Galeere. 

10.  iwingolf.  In  einem  Münchner  Vücabular  (cg.  6't^'j,  f.  39b) 
wird  antemiirale  mit  izuingolf  wiedergegeben.  Das  Wort  findet  sich 
auch  bei  dem  Berner  Diebold  SchilHng,  Beschreibung  der  burgun- 
dischen  Kriegen  p.  173:  «do  oben  an  dem  turn  ein  werHcher  :(;iviii- 
golf  was.» 

FoRTALiciUM  FiDEi  contra  judeos,  saracenos  ahosque  cristiana^ 
fidei  inimicos  (von  Alfonsus  de  Spina).  Der  hier  erwähnte  121. 
Kampf  gegen  die  Saracenen  vom  Jahre  1233  ist  in  der  Ausgabe 
von  Koberger,  Nürnberg  1485  auf  Bl.  137  b  geschildert.  Außer 
Alphons  VIII.  und  Peter  von  Aragonien  wird  kein  Theilnehmer 
mit  Namen  aufgeführt,  von  den  Uebrigen  heißt  es  nur:  «veHeriiut 
etiani  gentes  ex  ytalia,  rPina,  lomhardia,  almania  et  porhigalia.»  Eines 
Stretlina:ers  2:eschieht  natürlich  keine  Erwähnun«:. 


145 

nller  demüetikeit,  so  er  denn  kond  oder  moclit;  der  selb 
heiig  vater  der  bapst  in  ouch  gar  frölicli  und  güetlich 
enpfieng.  Die  anmütung  und  bcgerung,  so  er  denn  hart 
in  Schrift  genomen  von  dem  erwirdigen  bischof  von  Losan, 
von  den  zeichnen,  so  da  beschechen  [136]  warent  bi  der  5 
kilchen  des  Paradis  von  dem  widigen  heHgen  sant  Michel, 
ouch  wie  die  kilch  von  kriegslöifen  verbrönt  were  wider 
gott  und  recht  und  wie  vil  mütwil  im  und  den  sinen 
und  siner  kilchen  daselbs  geschechen  were,  und  wie  ouch 
der  kilchherr  daselbs  erslagen  were  worden  und  alles,  das  ^^ 
zu  der  kilchen  oder  einem  kilchherrn  gehorte,  were  ge- 
mindert; die  kilch  und  kilchhof  w^erint  wol  wider  gebuwen, 
aber  nit  in  semliche  ere  gesetzt,  als  si  vor  warent  gesin, 
denn  mit  betrogenheit  und  vorteil;  und  erzöigte  ouch 
dem  heiigen  vater  dem  bapst  die  friheiten  des  aplaß  und  ^5 
von  dem  heltüm  daselbs  in  copien  und  in  historien  ab- 
geschriben,  die  ouch  bewert  warent  von  einem  bischof 
von  Losan,  als  ob  stat;  und  begert  also  von  dem  bapst, 
daß  er*  die  selben  friheiten,  als  ob  stat,  weite  beweren, 
Sterken  und  besteten  und  ouch  siner  sunderlichen  Rnad  ^^ 
da  mit  etwas  teilen :  —  die  selben  anmütung  und  bitt  er 
gar  güetlich  enpfieng.  Der  selbe  heiige  vater  der  bapst 
betrachtet  die  sachen  gar  flißlich  und  ernstlich  und  nam 
sich  des  zu  bedenken  zu  sinen  brüedern  der  cardinalen 
und  bekant  ouch  hiebi,  daß  der  hochgelopt  wirdig  heiig  ^5 
sant  Michel  des  allmechtigen  gottes  verantwurter  ist,  die 
seien  ze  richten  an  dem**  end  nach  iren  verdienungen  und 
daß  dem  wirdigen  sant  Michel  vil  großer  tugenden  wirt 
zügeleit.  Und  harumb  nach  siner  bedenkniß  gab  und 
gebot  der  heiig  vater  der  bapst  das  ze  halten,  daß  die  5o 
kilch  des  Paradis,   die   der   hochgelopt   wirdig    heiig  sant 

*  fehlt  iu  der  Hs. 
=**  H«.  die. 

10 


■  46 

Michel  nü  zu  dem  andern  mal  selbs  hat  gewicht,  gefriet, 
geeret  und  ouch  hochgehalten  [137]  wurd;  und  was  alle 
und  ieglich  ding,  so  vormals  da  warent  gesin,  es  were 
die  usmarchung  des  kilchspels,  die  gaben,  die  friheiten, 
5  der  aplaß  aller  sünden  uf  der  engelschen  kilchwiche  und 
das  almüsen  allenthalben  ufzenemen  zu  banden  einem 
kilchherrn  daselbs  under  dem  namen  sant  Michels,  als 
denn  die  ding,  als  vor  stat,  vormalen  warent  von  den 
heiigen   vätern   der   bäpsten,    patriarchen,    cardinalen   und 

10  von  bischofen  von  der  ersten  ufbuwung  geben  worden 
unz  uf  das  gegenwurtig  zit :  —  das  alles  w^as  er  beweren,. 
Sterken  und  nach  der  sterkung  was  er  das  alles  bestäten 
und  gebieten,  zu  ewigen  ziten  alles  das  ze  halten  mit 
fürvvorten  keinerlei  fund  noch  geferd  hiein  erdacht.    Und 

1 5  gab  darzü  sines  eigenen  gemüets  und  sunderbaren  gnaden,, 
daß  alle  und  iegliche  cristende  mönschen,  so  dar  käment^ 
es  were  an  der  kilchwichi  oder  zu  andern  ziten,  wenn 
das  wTre  in  dem  jar,  zu  der  kilchen  des  Paradis  durch 
güttes  willen  und  um  ere  des  wirdigen  sant  Michels,  des 

20  heiigen  erzengels,  patron  daselbs  mit  sinem  andechtigem 
gebet  oder  sust  von  andacht  wegen  sant  Michel  da  be- 
suchte, sin  heiig  almüsen  dar  geh,  bi  den  heiigen  ämptern 
da  were,  das  gotzwort  horte,  das  heltüm  da  besächent, 
ir  Opfer  zu  dem  altar  dar  trüegent;  als  dik  und  als  vil  das 

2)  geschäch  und  si  das  tcätent,  sölt  inen  verfolgen  und  werden 
aplaß  der  sibend  teil  aller  iren  ufgesetzten  büß;  und  gab 
das  mit  versigleten  bullen  und  briefen  nach  dem  Römschen 
sitten  dem  hochgebornen  und  edeln  herrn  Wilhelmen  von 
Stretlingen.    Der  selb  heiig  vater  der  bapst  was  ouch  den 

3^^  erst  genanten  herrn  Wilhelmen  von  StretHngen  bitten  und 
manen  und  ouch  underwisen  zu  gedultikeit  gegen  [138] 
sinen  vienden,  die  er  dann  vormals  gehept  hatt,  als  vor 
stat,  mit  vil  klüeen  und  gelerten  worten  und  verhieß  im 


147 

das  ewig  leben,  wenn  er  in  gedultikeit  also  belibe.  Er 
verhieß  im  ouch,  daß  er  in  und  sin  kilchen  und  kilch- 
herm  des  Paradis  wölt  haben  in  siner  hüt  und  beschirmen, 
wa  si  des  bedörftent.  Der  heiig  vater  gab  im  ouch  für- 
drungbrief  an  einen  bischof  von  Losan,  der  im  ouch  vor-  > 
mals  geschoben  hatt  von  der  selben  kilchen,  als  ob  stat, 
das  er  ouch  ser  und  vast  lopte,  und  bevalch  ouch  dem 
selben  erwirdigen  bischof  in  sinen  Schriften,  daß  er  ein 
schirmer  were  des  lierrn  und  siner  kilchen  und  gebot, 
die  bitt  under  dem  namen  sant  Michels  ze  ernüwren.  Er  lo 
gebot  ouch,  daß  die  kilchherrn  der  zwölf  kilchen  mit 
sampt  iren  undertanen  jerlich  uf  der  kilchwiche  sich  er- 
zeigen soltent  mit  iren  opfren  daselbs  zu  der  kilchen  des 
Paradises  zu  ewigen  ziten ;  ouch  alle  die  rechtsame,  so 
die  selb  kilch  vormals  hatt  gehept,  es  were  in  erschatzen,  i> 
hoftagwan  oder  ander  kilchenrecht  sölt  man  im  usrichten 
bi  der  pen  verlierung  der  selben  kilchengüetern ;  und  wer 
dawider  tat  oder  keinerlei  untrüw  dem  kilchherrn  oder 
der  kilchen  erzöigte,  der  sölt  verflüecht  sin  von  bäpstlichem 
gew^alt.  Er  wolt  ouch,  daß  fürbashin  die  engelsche  kilch-  20 
wiche  zu  der  kilchen  des  Paradises  und  die  bitten  und 
negocia  sant  Michels,  das  almüsen  allenthalb  zu  reichen 
und  ufzenemen,  fürgang  hättent  ane  iedermans  hinderniß ; 
und  harumb  wolt  er,  daß  ein  kilchherr  daselbs  liplich 
besitzung  hätt  und  sin  narung  daselbs  nemen  und  solt  in  25 
nüzit  schirmen,  denn  allein  krankheit  sines  libes.  Do  nü 
der  heiig  vater  der  bapst  diß  alles  verwilliget  und  ver- 
liehen hatt  zu  der  kilchen  des  Paradis,  do  gab  er  [139] 
im  sinen  bäpstlichen  segen  und  begäbet  in  darzü  mit 
zechen  stüken  heltüms,  mit  im  heim  ze  füeren  zu  siner  30 
kilchen  des  Paradis.  Die  selben  gaben  der  wolgeborn  und 
edel  herr  Wilhelm  von  Stretlingen  von  dem  heiigen  vater 
deVn   bapst    dankbarlich    enpfieng   und   nam    damit   urlob 


148 

von  im  und  schied  von  dannen.  Nu  sol  man  hie  wüßen, 
daß  dise  handlung  alle  der  kilchen  halb  von  dem  bapst 
und  ouch  herrn  Wilhelmen  von  Stretlingen  ist  geschechen 
zu  Parus  in  der  predier  closter  in  dem  jar,  do  man  zalt 
5  von  der  geburt  Cristi  zwölf  hundert  drißig  und  fünf  jar 
uf  sexto  kalendis  junii. 

Do  nü  der  edel  herr  Wilhelm  von  Stretlingen  heim 
kam  und  das  heltüm  und  die  friheiten  mit  großen  eren 
und   lob  gottes  in  die  kilchen  des  Paradis  was  ingefüert, 

^0  do  ward  an  dem  selben  end  der  kilchen  des  Paradis  aber 
ein  großer  zülouf  und  die  zeichen  und  wamder  wurdent 
daselbs  fürer  ernüwret.  Und  der  vil  genante  herr  Wilhelm 
von  Stretlingen  schikte  umb  lien  erwirdigen  vater  und 
bischof  von  Losan  und  dem  erzöigte  und  erzalte  er,  was 

15  er  geschaifet  hett.  Do  nü  der  bischof  von  Losan  kam, 
do  besamnet  er  prelaten,  priester  und  ander  geistlich 
kilchherrn  und  lüpriester  der  zwölf  kilchen  und  der  selben 
undertanen,  die  ouch  mit  gebotner  zwungenschalt  dar 
kament,    und   sust   vil   ander  volk   allenthalben    har,    die 

20  ouch  dar  komen  warent  durch  semliche  andacht,  daß  si 
möchtent  gesechen  das  heltüm  und  dem  ere  tun,  wann 
ouch  das  selbe  heltüm  von  verren  landen  erst  komen 
was.  Es  was  ouch  vil  edler  lüten  dar  komen  allenthalben 
har,    die   nü   gesachent,    wie   die    kilch    und   kilchhof  un- 

25  trüwlich  und  vast  vil  minder,  denn  vor,  was  wider  ge- 
buwen;  und  ouch  der  heiig  brunn,  davon  vil  großer 
zeichen  vormals  warent  geschechen,  was  usbe[i4o]sloßen 
und  nit  in  semliche  ere  komen  w^as,  als  es  vormals  was 
gesin;  und  wiewol,  daß  es  alles  nit  was,  als  vor,  dennocht 

30  begertent  si  durch  des  aplaß  und  ander  zeichen  und 
wunder,  die  da  vergangen  warent,  ze  gesechen  und 
gabent  also  ir  opfer  und  ander  gaben  und  eretent  die 
kilchen  wirdenklich,  als  si  denn  das  kondent  oder  mcch- 


I 


k 


149 

teilt  volbringcn.  Und  wurdent  ut  die  selben  zit  oiich 
allerlei  gaben  und  sturen  geben  an  die  kilchen  des  Paradis, 
als  man  das  denn  fint  in  dem  alten  jarzitbüch  im  brächet. 
Darnach  gab  der  edel  hochgeborn  herr  Wilhelm  von  Stret- 
lingen  und  sin  gemachel  Gerdrut  der  kilchen  dri  jucharten  5 
lants  und  holzes,  gelegen  bi  dem  gut,  das  man  nempt 
der  Spiß,  und  ist  genant  das  Holen,  und  gabent  ouch  dri 
jucharten  lants  in  der  Swende  und  ouch  dri  jucharten 
lands  hinder  der  Kgg  nach  Inhalt  des  jarzitbüchs  iiti 
meien.  Dise  vor  genanten  gaben  wurdent  verzogen  uf  10 
ein  zit  der  en gelschen  kilchwiche  und  also  verkünt  und 
beschechen,  als  ob  stat.  Und  nach  diser  verkündung  was 
der  erwirdig  bischof  von  Losan  und  vil  ander  erwirdiger 
Vätern,  die  denn  fürdrer  warent  der  engelschen  kilchwiche, 
gar  ein  erwirdig  loblich  ampt  und  ouch  ander  gottsdienst  1 5 
volbringen  uf  der  engelschen  kilchwiche,  so  da  was  uf 
sant  Michels  tag ;  und  was  von  den  zw^ölf  kilchen  da  um 
und  ouch  von  andern  enden  allenthalben  har,  daß  man 
das  uf  die  selben  zit  schätzt  uf  vier  tusent  mönschen,  die 
da  besamnet  werent.  Do  nü  diß  loblich  hochzit  der  20 
engelschen  kilchwichi  wirdenklich  und  erlich  ward  us- 
gericht,  do  was  der  erwirdig  vater  und  bischof  von  Losan 
alle  die  bullen  des  bapstes  und  ander  sciiriften  von  ampts 
wegen,  so  da  warent  und  dar  geben  warent,  bestäten  und 
laßen  zu  ewigen  ziten  in  bestentniß  beHben  [141]  und  25 
laßen  und  verliehen  und  geben,  daß  man  zö  ewigen  ziten 
möcht  uf  einem  bätstein  meß  haben  und  das  darumb 
von  kleine  wegen  der  kilchen.  Und  semlichs  sölt  ouch 
zu  ewigen  ziten  unwiderrüeflich  beliben  und  gab  darzü 
allen  den  mönschen,  die  dar  käment  und  ir  heiig  almüsen  P 

3.     brächet,  Brachmoiiat. 
10.     ver:^iehen,  aufschieben. 


150 

da  ließent,  vierzig  tag  aplaß  tötlicher  sünden  und  ein  jar 
täglicher  Sünden;  und  uf  dise  Sachen  gesegnete  er  den 
hochgebornen  und  edeln  herrn  Wilhehiien  von  Stretlingen 
und  schied  also  von  dannen.  Der  hochgeborn  herr  Wil- 
helm von  Stretlingen  und  sin  gemachel  Gerdrut  schiedent 
darnach  in  vergangnen  jaren  von  diser  zit.  Gott  si  inen 
gnedig  und  barmherzig!  Und  helf  uns  lebenden  zu  disen 
ziten  der  erbarmherzig  gott  zu  einem  guten  seligen  endl 
Amen. 


DAS  ZECHEND  CAPITEL. 


I 


Des  jares,    do   man   von   der   geburt  Cristi  zalt  zwölf 
hundert  sübenzig  und  zwei  jar,   ward   userweit  graf 
Rudolf  von  Habspurg  zu  einem  Römschen  künigen.    Von 
gesiecht   was   er   ein   tütscher   und   was   in    allem    sinem     5 
fürnemen  ein  glükhaftiger  man,  aber  er  kam  nit  zu  dem 
gewalt  des  keisertüms.    Zu  den  selben  ziten  was  ein  herr 
[142]  von  Stretlingen  mit  dem  namen  Sigmund  von  Stret- 
lingen.     Der   erst   genante  Sigmund  von  Stretlingen   hatt 
ein    frowen,    mit   dem    namen  Küngundis    oder  Küngold.  10 
Der   selbe   edel  und  wolgeborn  herr  Sigmund  von  Stret- 
lingen   erbot   allen   priestern  und  frowen  groß  zucht  und 
ere.     Er  was  allen  armen  lüten  milt  und  güetig;  er  was 
ouch  allen    sinen    knechten    und    jungfrowen    und   andern 
diensten    heimlich,    gesellig  und  frölich;   allen  frien  herrn  15 
und  andern    edeln   lüten    tet   er   wirdikeit   und    ere;    aber 
allen  andern  fürsten  und  herren  was  er  angesichtig;  ouch 
vil  ander  guter  tugenden,   so  er  an  im  hatt,   was  er  wol 
gezieret.    Er  was  kusch  und  ein  suberer  man.    Man  liset 
von  im,  daß  er  einsmals  von  großer  sachen  und  gescheften  20 
weisen    müßt    riten  zu  einem  fürsten,   der  sin  anerborner 


I).     hciiiilicb,  vertraut. 


152 

fründ  was,  in  verre  land.  Als  er  nü  zu  im  kam,  do  ward 
er  gar  mit  großen  eren  und  lob  enpfangen  an  dem  selben 
end.  Einsmals,  do  si  zu  hof  wol  und  kostlich  hattent 
gelept  mit  eßen  und  trinken,  do  wolt  er  an  ein  heimlich 
5  end  gan  und  rüwen.  Do  kam  ein  frow^  zu  im  und  w^arf 
den  willen  irs  herzen  an  in  und  begert  von  im,  ir  sünt- 
lichen  Sachen  mit  im  ze  volbringen.  Do  das  diser  küscher 
und  reiner  herr  verstund,  do  sprach  er  heimlich  zu  einem 
edlen  knecht,  sinem  diener,  der  im  Heb  was :  gedenk,  daß 

10  du  mir  dise  frowen  heimlich  enweg  schaffest  und  gib  ir 
einen  guldin!  Ich  wil  dir  sagen,  und  ob  ich  nit  ein  er- 
schreken  hett  davon,  daß  ich  min  e  breche,  so  wölt  ich 
doch  minen  gemachel  Küngolden  in  semHchen  sachen  nit 
betrüeben,  daß  si  das  von  mir  sölt  innen  werden. 

15  Hie   sag   ich   schriber  dis  büchs  ein  inred,   uswendig 

des  büchs,  das  in  dem  latinschen  nit  geschriben  ist,  daß 
ich  mein  und  man  find  das  also,  daß  der  vor  genant 
kling  Rudolf,  so  hie  vor  stat  an  disem  capitel,  hab  gefi'iet 
die  statt  [143]  zu  dem  guldinen   hof,    die    man   aber   nü 

20  nempt  zu  Spietz,  irens  w^uchenmerits,  ze  haben  uf  der 
mitwochen,  und  ist  also  gefriet,  als  alle  merkt  der  keiser- 
lichen  stetten,  daß  man  da  w^ol  möcht  wuchHch  ein  merit 
haben  und  ist  das  beschechen  zu  Wien  in  Osterich  in  dem 
jar,  do  man  zalt  von  der  geburt  Cristi  zw^ölf  hundert  und 

25  achzig  jar.  Der  selbe  künige  w^as  do  in  dem  sibenden 
jar  sines  gewaltes.  Aber  in  miner  gnedigen  herrn  von 
Bübenberg  brief,  den  si  darumb  band,  stat,  daß  diser  küng 
Rudolf  keiser  si  gesin  in  dem  sibenden  jar  sines  keisertüms. 


20.     ivuchenmerit,  Wochenmarkt. 

28.  König  Rudolf"  gestattete  nach  einer  apocryphen  Urkunde 
im  Spiezer  Archiv  1280  dem  Edeln  Richard  von  Corbieres,  könig- 
lichem Statthalter,  in  der  Stadt  Spiez  einen  Wochenmarkt  zu  halten. 


1)3 

Es  begab  sich  darnach  kurzlich,  daß  an  einer  kilch- 
wichi  daselbs  zu  der  kilchen  des  Paradis  die  zwölf  kilchherrn 
oder  lüpriester  der  zwölf  kilchen  mit  iren  undertanen  dar 
kament  mit  irem  opfer  und  rechtsame  und  sich  daselbs 
erzöigtent  als  gehorsam  undertanen.  Do  wurdent  daselbs  5 
in  der  kilchen  des  Paradis  verkünt  vier  zeichen,  die  da 
geschechen  warend  durch  verhengniß  des  allmechtigen 
gottes  und  durch  die  fürbittung  des  hochgelopten  sant 
Michels. 

Das  erst  zeichen. 

lO 

Es  was  zu  den  selben  ziten  ein  schüler  mit  dem 
namen  Nicolaus,  eins  manns  sun  mit  dem  namen  Cünrats 
Abrisoten.  Der  selbe  schüler  w^olt  vischen  in  dem  see 
und  viel  in  den  see  und  kond  man  in  in  einer  langen 
wil  nit  finden.  Am  letsten  als  man  in  fand  und  us  dem  15 
see  gezogen  w^ard,  do  lag  er  also  gestrakt  an  alle  be- 
wegung  der  sinnen  und  kond  man  kein  zeichen  des  lebens 
an  im  finden,  und  w^ard  geurteilet  und  geschetzt  von  allen 
[144]  denen,  die  in  gesachent,  für  einen  toten  mönschen. 
Sin  vater  und  sin  müter  rüfient  an  die  hilf  sant  Michels  20 
und  enthießent  in  mit  einem  lebenden  opfer  zu  der  kilchen 
des  Paradis.  Alsbald  das  beschach,  do  w^ard  er  an  ir  aller 
angesicht  wider  lebendig  und  alle,  die  hiebi  w^arent,  loptent 
und  danketent  gott  und  sant  Michel  und  nament  den 
knaben  und  opfertent  in  mit  einem  lebenden  opfer  uf  25 
sant  Michels  altar.  Und  harumb  gabent  der  vor  genant 
Cünrat  ab  Risoten,  sin  vater  und  sin  müter  Margreta 
einem  kilchherrn  des  Paradis  zu  einer  ewigen  gab  ein 
matten,  genant  die  Roggen  matt  oben  dür,  als  man  das 
fint  in  dem  jarzitbüch  uf  sant  Dorothen  tag  im  hindersten  3^ 
wintermanot. 


154 


Das  ander  zeichen. 


Es  was  ein  knablin,  vierthalb  jar  alt,  mit  dem  namen 
Peter,  und  was  eins  manns  sun  mit  dem  namen  Heinrichs 
in  der  hofstatt.  Das  selb  kind  lag  uf  vier  stund,  daß 
5  nieman  anders  wüßt,  dann  daß  es  tod  were.  Sin  müter 
verhieß  das  kind  in  großer  betrüepniß  zu  sant  Michel 
mit  einem  jerlichen  opfer,  diewil  si  lepte,  und  verbaut 
ouch  das  kind,  das  selb  ze  tun,  diewil  es  lepte.  Alsbald 
si  diß   also  verheißen    hatt,    do    ward   es   wider   lebendig 

10  und  e:esunt.  Der  vater  und  müter  danketen  dem  all- 
mechtigen  gott  und  sant  Michel  und  gabent  darnach 
einem  kilchherrn  daselbs  zu  einem  ewigen  almüsen  ein 
gut,  ist  geheißen  der  Spiß,  ist  gelegen  bi  der  kilchen  gut 
am  Holen  und  bi  dem  Pfenwert,  als  man  das  fint  in  dem 

M  iarzitbüch  im  hindersten  wintermanot. 

[145]  Das  dritt  zeichen. 

Es  was  ein  tochter  mit  dem  namen  Greda  und  was 
ir  vater  geheißen  Cünrat  Suters  von  Wyler.  Die  selbe 
tochter   ward  beroubet  ir  gesicht  und  gehörd  und  mocht 

^o  ouch  nit  reden  noch  gan.  Ir  vater  und  müter  enthießent 
si  zu  sant  Michel  in  die  kilchen  des  Paradis  mit  einem 
j erheben  opfer,  diewil  si  lepte,  und  besunder  opfertent  si 
alle  jar  ein  lamm  uf  den  altar.  Alsbald  si  das  getaten, 
do  ward  die  tochter  als  gesunt  an  allen  iren  gelidern,  als 

25  si  vormals  ie  was  gesin;  dadurch  si  bekantent,  daß  der 
allmechtig  gott  und  der  wnrdig  heiig  sant  Michel  ir  tochter 
hattent  geholfen,  darumb  si  ouch  gott  und  sant  Michel 
o;roß  lob  und  dank  sao:ten.  Und  harumb  der  vor  genant 
Cünrat  Suter  von  Wyler   und    sin    husfrow   gaben  einem 

30  kilchherrn    daselbs    ein    trüt,    s:eheißen    das    Holenbüel   zu 


I 


155 

tiiier  ewigen  gedächtnif^  diser  dingen  und  ouch  almüsen, 
als  man  das  ouch  fint  in  dem  jarzitbuch  uf  Valentini 
(XVI.  kalendis  marcii). 

Das  vierdc  zeichen. 

Es    was   zu   den    selben   ziten    ein   buman,    mit  dem    5 
namen  Cünrat   von   Fulensee   und   was    ouch   ein    müller 
an  dem  Watt.     Da  fiigt  es  sich    uf  ein    zit,    daß    in   der 
mühstein    begreif   von    ungeschikt,    und    zerstieß    im  sin 
band,    daß   das  fleisch  zu  beden  siten  harab  viel  und  das 
bein   und  geiider  zermült  und  zerstoßen  ward,    als   ob   es  ^^^ 
in    einem    mörsel  [146]  zerstoßen.      Der   selbe    man    leid 
so    groß    pin    und    schmerzen,    daß    er   begert,    daß    man 
im  die  band  abschnitte.     Er   rufte   ouch  in  diser  not  dik 
und  vil  die  hilf  sant  Michels  an.    Er  hat  ouch  sant  Michel 
von    juget   uf  mit   gebet  und  almüsen  jerlich  geeret  und  '  5 
ouch  ander  lüt  darzü   bewegt,   semhchs   ze   tun.     Uf  ein 
zit   in  einer  nacht  kam  im  sant  Michel  für  in  sinem  slaf 
und  danket  im    des   guten,    so    er   im    allweg   getan    hatt 
und   sprach   ouch    fürer   zu    im   in    sinem    slaf:    begerstu 
oder  wiltu  gesunt  werden?     In   beducht,    wie    er   im    ein  ^^ 
antwurt  geb  und  sprach :  ja,  ich  weit  gern  gesunt  werden  ! 
also  beducht  in,  wie  er  sin  band  dar  bette  und  in  wüesche 
mit  dem  waßer  des  heiigen  brunnen.    In  dem  selben  er- 
wachet er  und  befand,    daß    im    sin    geäder  und  die  bein 
siner  band  wider  ganz,    ouch    das   fleisch    zu   beden  siten  -) 
siner  band  widerumb  komen  und  was  also  gesunt  worden 
an  der  band,  als  er  vor  ie  was  gesin.    Do  nü  den  morgen 
früe  ward  und  er  also  gesunt  was  worden,    do   zeigte  er 
das  iederman;  und  alle,  die  das  sachent,  erschrakent  darab, 
daß   der   wirdig   sant  Michel    das  groß  zeichen  an  disem  ^^^ 
man  also  erzeigt  hatt.    Und  harumb  er  und  alle,  die  das 
sachent,  sagten  lob  und  dank  dem  allmechtigen  gott  und 


156 

sant  Michel  umb  des  großen  Zeichens  willen,  so  sant 
Michel  an  im  erzeigt  halt.  Der  selbe  Cünrat  von  Fulen- 
see  gab  einem  kilchherrn  daselbs  zu  der  kilchen  des  Paradis 
eine  halbe  jucharten  akers,  gelegen  im  kilchaker,  als  man  das 
5  fint  in  dem  jarzitbüch  im  mercen.  Der  erst  genante  Cünrat 
von  Fulensee  pflag  darnach,  diewil  er  lept,  jerlich  uf  der 
kilchwichi  der  kilchen  des  Paradis  mit  großer  andacht  ze 
^an  und  sant  Michel  an  dem  selben  end  ze  eren  mit 
gebet,  opfer  und  almüsen  und  bewegte  die  mönschen, 
10  sant  Michel  an  dem  selben  end  ze  eren.  [147]  Do  nü 
dise  vorgemeldeten  vier  zeichen  und  ouch  die  gaben,  so 
an  das  selb  end  gegeben  w^arent  sant  Michel,  verkünt 
wurdent  vor  aller  menglichem,  so  daselbs  was,  do  wur- 
dent  si  alle  dem  allmechtigen  gott  und  dem  hochwirdigen 

1 )  sant  Michel  lob  und  dank  sagen ;  und  die  priester  und 
leien  und  ander  gemein  volk,  so  da  was,  volbrachtent 
die  kilchwichi  erlich  und  loplich  mit  allem  dem,  so  man 
denn  gott  loben  und  eren  sol. 

Herr  Sigmund  von  Stretlingen  durch  underwisung 
20  sines  kilchherrn  der  kilchen  des  Paradis,  mit  dem  namen 
Nokerus,  understünd,  als  ouch  sin  vorfaren  hattent  getan, 
die  kilchen  des  Paradis  ze  fürdern  und  den  gottsdienst 
daselbs  ze  meren  und  die  gnaden  und  aplaß,  so  da  vor 
w^arent   gesin,   ernüwren   und   wider   laßen  besteten,    daß 

2)  ouch  der  hochwirdig  sant  Michel  daselbs  ouch  fürer,  als 
ouch  von  alter  har  was  gesin,  wurd  geeret;  und  saß  uf 
und  reit  uf  den  weg  gan  Rom.  Als  er  nü  uf  den  weg 
gan  Rom  kam,  do  vernam  er,  wäe  der  heiig  vater  der 
bapst  were  in  der  statt  Lugdanum,    da   er   sich  ouch  hin 

3"  kert;  und  kam  da  zu  dem  heiigen  vater  dem  bapst  Gre- 
gorium  den  zechenden,  von  dem  selben  heiigen  vater 
dem  bapst  er  gar  früntHch  enpfangen  ward.  Dem  selben 
heiligen  vater  dem  bapst  er  all  sin  sachen,  so  er  vor  im 


1)7 

hatt,  erzalte;  und  besonder  die  vier  wunder  und  zeichen, 
so  da  geschechen  warent  zu  siner  kilchen  des  Paradis,  als 
vor  stat,  erzöigte  er  im  in  gloubsamen  Schriften.  Er  be- 
gerte  ouch  von  dem  heUgen  vater  dem  bapst  ze  bestaten 
den  aplaß  aller  sünden  uf  der  engelschen  kilchwiche  und  5 
ouch  das  almüsen  allenthalben  ufzenemen  under  [148] 
dem  namen  sant  Michels  zu  einem  ufenthalt  eins  kilch- 
herrn  daselbs  und  ouch  zu  andern  nöten,  ouch  ander 
friheiten,  so  denn  die  kilch  daselbs  hett;  und  ouch  die 
selben  ding,  als  vor  stat,  von  im  bewert,  gesterket  und  ic) 
bestetiget  wurdent  und  er  ouch  etwas  siner  sunderlichen 
gnaden  da  mit*  teihe.  Dise  begerungen  nam  der  heiig 
vater  der  bapst  gar  gnedenklich  von  im  uf  und  nam 
sich  daruf  ze  bedenken  zu  sinen  brüedern  der  cardinalen, 
und  nach  wol  bedachtem  rat  betrachtet  der  heilig  vater,  ^ 
wie  dann  der  hochgelopt  sant  Michel  das  folk  von  Israhel 
gefüert  hatt  in  ir  verheißen  land;  und  harumb  beducht 
in  bilHch  und  recht  ze  sin,  daß  die  kilch  des  Paradis,  die 
der  heiig  erzengel  sant  Michel  durch  sich  selbs  gewicht 
hatt,  sölt  gewirdiget  werden.  Und  alles  das,  so  der  vil  -^^ 
genant  herr  Sigmund  von  Stretlingen  an  in  hatt  begert, 
es  were  aplaß  aller  sünden  uf  der  engelschen  kilchwiche, 
oder  das  heiig  almüsen  allenthalben  ze  samnen  für  einen 
priester  daselbs  und  für  die  kilchen  ze  behalten  in  eren 
in  dem  namen  sant  Michels,  oder  ander  sunderlich  aplaß,  ~'^ 
so  denn  vormals  dar  geben  was:  das  alles  ward  von  im 
bew^ert,  gesterket  und  bestetiget.  Und  gab  ,  ouch  darzü 
von  siner  sunderHchen  gnad,  daß  alle  die  mönschen,  die 
da  kament  zu  der  kilchen  des  Paradis,  zu  der  kilchwichi 
oder  zu  andern  ziten  in  dem  jar  mit  andacht  und  rüwigem  >^ 
herzen  und  gebet  oder  sust  in  verheißungwis,  und  sin 
heiig  almüsen  nach  siner  vermögung,  wenig  oder  vil,  dar 

*  Hs.  mit  oncli. 


geben:  oder  schiktent,  den  selben  allen  und  ouch  ieglichen 
insunders  den  sibenden  teil  aller  Iren  ufgesatzten  büß 
aplaß.  Die  selben  friheiten  [149]  was  der  vor  genante 
heiige  vater  der  bapst  dem  hochgebornen  Herrn  Sigmunden 
S  von  Stretlingen  geben  in  briefen  und  bullen  nacli  sitt  und 
gewonheit  des  Römschen  stüls  wol  versiglet,  und  schankt 
im  darzü  von  sunderlicher  liebe  wegen  sechs  stük  heltüms 
und  gab  im  darzü  sinen  bäpstlichen  segen  und  nam  er* 
ouch  also  urloub  von  dem  heHgen  vater  und  schied  von 
10  dannen.  Do  er  nü  heim  kam  mit  sinen  friheiten  und 
heltüm,  do  ließ  er  das  erwdrdenklich  mit  einer  loblichen 
proceßion  in  die  kilchen  des  Paradis  füeren  und  ließ  ouch 
semlichen  aplaß  und  friheiten  allenthalben  verkünden,  so 
denn  an  dem  selben  end  was.     Der  vil  genant  herr  Sig- 

1)  mund  von  Stretlingen,  diewil  er  in  leben  was,  tet  er 
groß  Zucht  und  ere  dem  selben  heltüm  und  ouch  anderm 
heltüm,  so  vormals  da  was  gesin;  und  gab  ouch  einem 
kilchherrn  daselbs  zu  der  kilchen  des  Paradis  zu  einer 
ewigen  gab  zu  siner  kilchen  banden  fünf  jucharten  akers, 

20  gelegen  in  der  nidern  Swendi,  und  sind  genant  der  Rütel- 
aker  und  Götschis  ried  in  der  Rüschen  halden.  Aber  frow 
Küngold  von  Stretlingen,  des  vil  genanten  herr  Sigmunds 
husfrow^  gab  darnach  der  selben  kilchen  des  Paradis  einen 
aker,   genempt  das  Schuffli,    und   einen   aker,   genant  der 

2)  hanfgart,  als  man  das  iint  im  jar:^tbüch  (VIII.  kalendis 
tebruarii).  Darnach  fürtent  die  zwei  personen,  herr  Sig- 
mund von  Stretlingen  und  frow  Küngold,  gar  ein  frid- 
samlich  leben  nach  gottes  willen  und  schiedent  darnach 
in  vergangner   zit   von   diser   zit.     Der  allmechtig  gott  si 

jo  inen  gnädig  und  helf  aber  nü  uns  lebenden  armen  sündern 
zu  einem  guten  seligen  end  und  geb  uns  darnach  ouch 
das  ewig  leben!     Amen. 

*  fehlt  in  clor  H;«. 


[i5o]  DAS  ENLIFT  CAPITEL. 


Harnach  aber  ist  ein  Herr  von  Stretlingen  gcsin,  mit 
dem  namen  herr  Heinrich  von  Loubeo^cr  und  sin 
gemachel  was  geheißen  Elisabeth.  Der  selb  erst  genant 
herr  Heinrich  von  Loubegg  was  gar  und  ganz  ein  kind  > 
oder  ein  siin  diser  weit,  daß  er  geistlicher  cristenlicher 
Sachen  wenig  achtet;  aber  was  zu  der  weit  dienet,  da 
brucht  er  sich  täglich  ampzenklichen  inne  und  wolt  frünt- 
schaft  allenthalben  der  lüten,  umb  in  da  gelegen*,  damit 
gewinnen.  Er  lud  ouch  uf  den  kilchwichinen  des  Paradis  ^^ 
edel  und  unedel  allenthalben  da  umb  und  schikt,  daß  da 
gemacht  wurdent  groß  tenz  und  allerlei  spils:  es  were 
singen,  springen,  schießen,  kuglen  walen,  keiglen,  stein 
stoßen,  eßen  und  trinken  und  mengerlei  sünden,  so  uf 
dem  selben  zit  da  volbracht  wurdent.  Davon  aber  groß  ^> 
krieg,  nid  und  haß  und  widerwertikeiten  uferstündent  und 
vil  todsiegen  lang  zit  uf  der  selben  kilchwi  da  be§chachent ; 
und  kam  darzü,  wenn  die  selbe  kilchwiche  was,  daß  kum 
ieman  da  sicher  was,  die  dar  kament ;  und  von  semlicher 

*  Hs.  umb  in  da  gelegen  der  lüten. 


8.     da  brucht  er  sich  etc.,   damit    beschäi'tigte   er   sicli    täglich 
emsig. 

13.     ivalen,  wälzen;  keiglen,  Kegel  schieben. 


i6o 

sorgsamkeit  und  unhelikeit  wegen  do  wurdent  si  partigig 
wider  einandern  und  verband  sich  ein  parti  zu  der  andern 
und  kam  darzü,  daß  brüder  wider  brüder  was  und  der 
sun  wider  sinen  vater,  und  kam  vil  zites  darzü,  daß  si 
5  einandern  totent.  Es  kam  ouch  darzü,  daß  die  herren 
allenthalben  da  um  [151J  verbutent  in  iren  herschatten, 
daß  nieman  me  bedorft  an  die  selben  kilchwiche  der  kilchen 
des  Paradis  komen  bi  lib  und  bi  gut;  denn  allein  usge- 
nomen   wer   da   w^ölt   zu   der   kilchwiche,   der   möcht  zu 

10  den  heiigen  ämptern  der  meßen  und  predienen  dar  gan ; 
aber  alsbald  das  geschechen  were,  so  sölt  ein  ieglicher 
mönsch  wider  heim  keren  ane  eßen  und  trinken  und 
besunder  zu  keinem  tanz  oder  ander  fröid,  so  da  geschäch, 
da  behben  und  sölt  in  kein  ursach  hiein  schirmen.     Und 

n  also  kam  es  darzü,  daß  die  kilchherrn  und  lütpriester  der 
zwölf  kilchen,  die  da  tochtern  warent  der  kilchen  des 
Paradises,  mit  iren  undertanen,  ouch  crützen,  vänen, 
kerzen,  schallen  und  mit  irem  heltüm  noch  mit  iren 
opfern   uf  die   kilchwiche   daselbs   nit  me  kament.     Und 

20  harumb  die  von  Thun  von  semlichs  abbruchs  wegen  die 
rechten  ir  lütkilchen  zu  dem  Paradis  verachtetend,  und 
machtent  in  irem  kilchhof  in  der  statt  Thun  ein  cap- 
pellen  und  Ueßent  die  wichen  in  der  ere  sant  Michels, 
inen  selbs  hie  ursach  suchende*,  daß  si  nit  me  bedörftent 

25  dahin  komen,  da  aber  der  recht  Ursprung  was  iren  lüt- 
kilchen, als  vor  wol  gelütert  ist  worden,  der  des  war 
nimpt.  DesgUchen  tetent  ouch  die  von  Diesbach,  Erlen- 
bach, Gesteig,  die  von  Hasli,  die  ouch  ir  kilchen  Ueßent 
wichen  under  dem  namen  sant  Michels,  daß  si  fürwerthin 

30  nit  me  kament  zu  der  kilchen  des  Paradis;  und  also  ward 
verachtet  und  zerstört  der  groß  zülouf  zu  der  kilchwichi 
des   Paradis   durch    das   gemein    volk    der    zwölf   kilchen 

*  Hs.  suoclien. 


i6i 

durch  semlicher  Ursachen  willen  in  vergangnen  jaren; 
und  ist  aber  darnach  under  einer  guten  gestalt,  als  man 
mag  [152]  sprechen,  die  selben  gewonheit  komen  an  das 
end  gan  Fulensee  zu  der  capellen  sant  Columben,  da  man 
ouch  jerlichen  kilchwiche  hatt  und  gottsdienst  ouch  daselbs  5 
volbracht  wirt.  Aber  ich  schriber  dis  tütschen  büchs  sprich, 
daß  an  dem  selben  end  zu  sant  Columben  bi  Fulensee  bi 
minen  ziten  ouch  vil  großer  stoßen  und  unhellikeit  sind 
ufgestanden  und  gesin;  denn  daß  der  unfür  und  ander 
bös  Sachen,  so  denn  dik  und  vil  geschechen  sind,  durch  10 
die  wolgebornen  und  edeln  miner  gnädigen  herren  von 
Bübenberg,  die  da  ir  herschaft  hand,  ist  nidergetrükt  und 
in  guter  cristenlicher  Ordnung  wol  gehalten.  Und  harumb 
daß  semlich  Zerstörung,  abbruch  und  Verachtung  ist  ge- 
schechen gesin  der  kilchen  des  Paradis,  so  sind  die  kilch-  1 5 
herrn  daselbs  und  ir  nachkomen  als  übel  hüetent  hirt  ab- 
gezogen und  hand  sich  entpfrömdet  daselbs  und  vilUcht 
nit  mögen  haben  ir  libs  narung,  und  hand  an  sich  ge- 
nomen  canonien  und  sind  worden  chorherren  zu  Ansel- 
tingen,  und  ander  usw^endig  pfründen  hand  si  an  sich  20 
genomen ;  und  semUcher  gotzdienst,  so  vormals  w^as  da 
gesin,  ist  gemindert  und  die  beseßnen  lüt,  so  man  allweg 
dar  bracht  und  erlöst  wairdent,  ist  dahin  und  das  darumb, 
daß  die  priester  und  kilchherrn  nit  selbs  da  sind  gewesen. 


i 


4.     Ueber  die  Colunjbans-Kapelle   in  Faulensec   vergl.  Jahn's 
Chronik  des  Kantons  Bern,  p.   343. 

6—8.  Solches  war  wirklich  zu  Kiburgers  Zeiten  der  Fall.  So 
verbietet  1462  Bern  den^n  von  Thun  bei  10  Pfund  Buße,  an  die 
irchweihe  nach  Faulensee  zu  ziehen;  nur  diejenigen,  so  daselbst 
Ablaß  holen  wollen,  dürfen  mit  ihrem  Paternoster,  aber  ohne  Wehr, 
hne  Pfeifer  und  andere  Leute  dahin  gehen,  da  es  bei  dieser  Kirch- 
weihe oft  blutige  Händel  gab.  Lohncr,  die  reformirten  Kirchen  im 
Freistaate  Bern,  p.  323. 

9.     unfür,  rohe  Art,  womit  etwas  geführt  wird,  Unfug. 

II 


l62 

Und  darumb  sind  vil  Herren  von  Stretlingen  und  kilchherrn 
und  ander  ir  undertanen  daselbs  darnach,  sit  si  den  gotts- 
dienst  also  band  laßen  zergan,  eines  schnellen  todes  ge- 
storben und  zergangen,  es  si  von  pestilenz  oder  sust,  und 
5  ouch  etliche  ertrunken  von  verhengniß  wegen  sant  Michels, 
der  sich  villicht  het  wellen  [153]  rechen  an  inen.  Und 
ist  darnach  darzü  komen,  daß  vil  nach  nieman  da  ze  hus 
was  und  die  herren  von  Stretlingen,  die  darnach  sind 
gesin,   die   leitent   ir   sitz  zu  dem  guldinen  hof  oder  gan 

10  Spietz;  und  ist  Stretlingen  also  zergangen  und  ouch  die 
engelsche  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis  und  die 
bitten  und  almüsen  ufzenemen  allenthalben  under  dem 
namen  sant  Michels  an  die  kilchen  daselbs,  ouch  die  be- 
süchung  des  aplaß  und  alles  das,   w^as   vormals   gutes  da 

15  w^as  beschechen,  ist  alles  zergangen  und  vergeßen  und 
allein  darumb,  daß  die  weltlichen  herren  daselbs  von 
Stretlingen  und  ouch  die  lüpriester  oder  kilchherrn  daselbs 
nit  me  ir  sitz  und  wonung  an  dem  selben  end  band  ge- 
hept;   und   ist   also  von  jar  zu  jar  da  bar  alles  vergeßen 

20  und  sind  ouch  die  bullen  und  brief  und  die  historien,  die 
umb  dise  ding  alles,  als  hie  vor  stat,  die  da  geschechen, 
sind  gesin,  verlorn  und  die  kilch  und  chor,  das  glogghus 
und  alle  die  buw,  die  dann  da  geschechen  warent,  zer- 
gangen ;   und   die   zwen   altar,    die  von  alter   har   warent 

25  gesin,  warent  zergangen.  Und  ist  darnach  uf  ein  zit  die 
kilch  des  Paradis  gar  und  ganz  zergangen  gesin  und  der 
groß  gotzdienst,  so  vormals  da  was  gesin  durch  meß 
haben  und  ander  gotzdienst  von  abwesen  der  undertanen 
und  manglung   der   gioggen ;    ouch   die    meß,    so  da  solt 

30  sin  in  der  wuchen,  ist  verschinen  und  underwegen  ge- 
laßen von  manglung  der  priestern  und  ouch  die  kilchen- 
recht  und  die  kilchengüeter  alle  zergangen  und  verloren, 
deren  so  vil  ist  gesin,    als   dis  latinsch  abschrift[i54]büch 


i63 

Inhalt,  als  tagen  in  dem  jar;  die  nü  zu  unsern  ziten  vast 
zu  almenden  sind  worden.  Und  ist  also  das  selb  end, 
das  man  vormals  hat  genempt  zu  dem  Paradis  von  der 
fruchtbarkeit  wegen  aller  fruchten  und  guten  waßern  und 
besunder  von  des  heiigen  brunnen  wegen,  so  daselbs  ist,  5 
als  vor  an  dem  anfang  dis  büchs  gemeldet  ist  worden, 
und  ouch  von  der  engelschen  biwonung  wegen,  die  da 
vil  zeichen  und  wunder  an  dem  selben  end  band  getan 
durch  verhengung  des  allmechtigen  gottes,  nit  me*  ge- 
heißen zu  dem  Paradis.  ^o 


Hie  fifidet  man,  warumb  das  Paradis  ist  geheißen  zu 
disen  ziten  zii  Einigen. 

Und  ist  also  darnach,  als  hie  ob  stat,  von  der  selben 
dingen  wegen  das  end  zu  dem  Paradis  von  allen  umb- 
säßen  genempt  zu  Einigen  und  darumb,  daß  das  selb  15 
end  ist  einig  und  wüest  worden  gesin  zu  schetzen  gegen 
dem  großen  zülouf,  als  denn  vormals  daselbs  was  gesin. 
Und  wann  nü  die  zwölf  hilchherren  und  lüpriester  der 
zwölf  kilchen  und  undertanen  schuldig  werent  von  gött- 
lichem recht,  daß  si  iren  rechten  müter  der  lütkilchen  20 
söltent  besuchen  zu  der  kilchen  zu  Einigen,  das  aber  nit 
beschicht  und  alle  gotzvorcht  hie  ze  rugg  geslagen  ist, 
und  aber  hie  ander  kilchen  allenthalben  da  umb  süchent, 
die  sie  aber  nit  schuldig  sind  ze  suchen:  da  vörcht  ich, 
es  sig  dem  allmechtigen  gott  nit  genem  noch  dankbar  25 
und  allen  sinen  englen,  [155]  wann  si  das  von  gelüpt 
wegen  und  swerens**  nit  schuldig  sind,  noch  gelopt  noch 
verheißen  band  gehan.     Wie  nü  dem  allem  nach  vil  us- 

*  Hs.  me  ist. 
**  Hs.  swerrens. 


16.     eini^,  vorlaßen,  einsam. 


164 


wegung  aller  sachen  si*,  söllent  wir  das  bevelhen,  dem 
iiützit  verborgen  ist;  der  weiß  das  alles  wol  und  dabi 
sollen  wir  dis  sachen  all  laßen  bestan. 

Der  vor  genant  herr  Heinrich  von  Loubegg  darnach 
5  in  vergangnen  jaren  nach  disen  vor  bestimpten  sachen 
schied  von  diser  zit.  Gott  vergeh  im  sin  sünd  und  ouch 
uns  lebenden  nü  zu  disen  ziten  und  helf  uns  ouch  zu 
einem  seligen  guten  end!  Amen.  Aber  der  selbe  vor 
genante  herr  Heinrich  von  Loubegg  Heß  einen  sun  nach 

^0  im,  der  w^as  geheißen  Rudolf  von  Salveswil.  Wie  sich 
der  hab  gehalten,  wol  oder  übel,  das  find  ich  nit  in 
Schrift,  denn  so  vil:  er  hatt  geben  einem  kilchherrn  zu 
Einigen  zwen  aker,  gelegen  am  graiven  egg,  genempt  zu 
Gumpelstuden,  als  man  das  fint  in  dem  jarzitbüch  (kalendis 

15  januarii).  Der  selb  Rudolf  von  Salveswil  ist  von  diser 
zit  gescheiden  in  dem  jar,  do  man  zalt  von  der  gehurt 
Cristi  drizechenhundert  vierzig  und  acht  jar.  Gott  si  im 
ouch  gnedig  und  barmherzig  und  helf  uns  ouch  zu  einem 
seli2:en  orüten  end!     Amen. 

*  fehlt  in  der  Hs. 


DAS  ZWÖLFT  UND  DAS  HINDERST 
CAPITEL  DIS  BUOCHS. 


Darnach   und   zu    dem   allerletsten   ist  gesin   ein  Herr 
von  Stretlingen   mit   dem  namen  Herr  Walther  von 
StretHngen,   der   gar   ein   fridsamer   guter  herr   ist   gesin.    5 
[156]  Sin  husfrow  was  genant  Mechilt.    Die  selben  zwei 
elüte#iren  elichen  stat  gar  erlich    hieltent   an   alle   masen 
und  fleken.     Der  selb  herr  Walther  von  Stretlingen  trüg 
ein   verwundet   betrüept   herz   in   sinem  Hb  von  der  sach 
wegen,   daß    er  gesach,    daß    die  kilch   sant  Michels,   die  10 
man   zu   sinen   ziten   anvieng    nemmen    zu   Einigen    und 
aber  vormals  was  geheißen  zu  dem  Paradis  von  mengerlei 
guter  tugenden  und  großer  zeichen,  die  denn  da  geschechen 
warent   vormals   bi   der  selben  kilchen  des  Paradises  und 
ouch  bi  dem  heiigen  brunnen  dabi  von  dem  hochwirdigen  i  > 
erzengel  sant  Michel,   die  selb  kilch  ouch  so  mit  großen 
friheiten  begäbet  was  gesin  und  die  selbe  gnad,  die  denn 
vormals  w^as  von  mengem  mönschen  geschechen,  —  daß 
die  also  verschmächt  und  verlaßen  was,   daß  nieman  me 
kein   gnad    noch   liebe   dar  hatt  ze  komen  als  vor.     Und  20 
also   understünd  der  vor  genant  herr  Walther  von  Stret- 


7.     mihe,  ursprünglich  Narbe,  dann  Flecken. 


i66 

lingen  mit  der  hilf  gottes  und  ouch  durch  underwisung 
willen  des  kilchherrn  daselbs  zu  Einigen  mit  dem  namen 
herr  Burkart,  daß  er  wolt  nachvolgen  allen  sinen  vordem, 
denen  herrn  von  Stretlingen  in  gutem,  daß  er  gern  wolt 
S  die  kilchen  daselbs  zu  dem  Paradis  oder  zu  Einigen  ge- 
uffet  haben  und  ir  wider  ze  hilf  komen,  ob  si  möcht 
wider  in  iren  vordem  stat  komen,  als  si  denn  vormals 
was  gesin.  Und  reit  zu  dem  heiigen  vater  dem  bapst, 
der  ouch  uf  die  selben  zit  was  zu  Avinion,  und  der  selbe 

10  heiige  vater  der  bapst  was  genempt  Innocencius  der  sechste. 
Do  er  nü  an  dem  selben  end  zu  Avinion  zu  dem  bapst 
kam,  do  ward  er  von  dem  selben  heiigen  vater  dem  bapst 
gar  güetlich  und  früntlich  und  erlich  enpfangen  und  bracht 
sin   bitt   und  anmutung  an  dem  selben  end  an  in.     Und 

i)  warent  [157]  die  bitten  des  ersten  umb  aplaß  aller  sünden 

der   engelschen   kilchwiche,    ouch   daß   si*   almüsen   und 

bitten   möcht    haben    allenthalben  under  dem  namen-  sant 

"  Michels   umb    ufenthalt   eins  kilchherrn  daselbs  und  ouch 

ander  ding,  so  denn  da  notdürftig  werent  zu  der  kilchen ; 

20  ouch  die  friheiten  eins  kilchherrn,  die  er  denn  vormals 
gehept  hatt  und  an  das  selb  end  geben  warent,  wurdent 
bestetiget,  wiewol  das  geschechen  was,  daß  die  bullen 
und  brief  der  bäpsten,  vorhar  dar  gegeben,  verlorn  warent 
und  daß  die  selben  friheiten  also  von  nüwem  uf  ernüwret 

25  wurdent  und  von  im  bewert,  gesterket  und  bestätiget  und 
er  ouch  etwas  siner  sunderlichen  gnaden  da  mitteilte  und 
gebe.  Die  selben  anmütungen  und  bitten  der  heilig  vater 
der  bapst  im  zu  eren  mit  wirdikeit  von  im  enpfieng  und 
nam  sich  des  ze  bedenken.     Und   nachdem    er  sich  nach 

30  aller  notdurft  wol  bedacht  hatt  mit  sinen  brüedern  der 
cardinalen,  do  bekant  er  und  sine  brüeder  die  cardinäl, 
die   denn   an   dem   selben   end   bi   im   warent,   billich    ze 

*  fehlt  in  der  Hs. 


i 


i67 

sinde,  daß  sant  Michel  die  ere  sölt  an  dem  selben  end 
beschechen ;  wann  er  doch  der  were  gesin,  der  dem  volk 
von  Egypten  geholfen*  von  bevelhens  wegen  des  all- 
mechtigen  gottes,  der  inen  ir  plag  zugefügt  hett  und 
euch  das  rot  mer  vor  inen  hatt  geteilt,  als  man  das  luter  5 
fint  in  der  bibli.  Und  harumb  bedacht  si,  biUich  ze  sin, 
daß  die  lütkilch  zu  Einigen,  die  der  hochwirdig  sant 
Michel  der  erzengel  hatt  selbs  gewicht,  wiew^ol  das  was, 
daß  si  uf  die  selben  zit  verlaßen  w^ere  als  ein  beroubeter, 
sölt  wider  getröft  und  gew^irdiget  werden;  und  satzt  und  lo 
gab  also  widerumb  an  die  kilchen  zu  Einigen  all  und 
ieglich  friheiten,  aplaß  aller  sünden  zu  der  engelschen 
kilchwiche;  ouch  [158]  das  almüsen  zu  reichen  allent- 
halben für  einen  kilchherrn  und  die  kilchen  daselbs  in 
aller  weit,  als  das  denn  vormals  vom  anefang  der  selben  ^5 
kilchen  gewonheit  was  gesin  und  dar  geben  was  von  bäpsten, 
cardinalen  und  bischofen  von  der  ersten  stift  uf  daselbs. 
Das  selbe  alles  ernüwret  der  heilig  vater  der  bapst  und 
bewerte  das  also  ze  sin  und  stärkte  und  bestetiget  das 
alles,  und  w\is  darzü  von  siner  sunderlichen  gnad  geben  20 
und  verliehen  allen  denen  mönschen,  die  da  gewarlich 
gerüwet  und  gebichtet  hettent  ir  sünd,  die  denn  zu 
den  hochzitUchen  tagen  dar  käment,  als  hie  nach  ge- 
schriben  sind:  nemUch  uf  dem  heiigen  wichnacht  tag,  uf 
dem  ingenden  jar,  das  ist  uf  dem  tag,  do  unser  herr  uf  ^5 
beschnitten  w^ard,  uf  dem  zwölften  tag,  uf  dem  hochen 
fritag,  uf  dem  heiligen  ostertag,  uf  der  uffart  und  plingst- 
tag,  uf  der  heiigen  drivaltikeit  tag,  uf  unsers  herrn  fron- 
lichnamstag,  uf  dem  tag,  do  sant  Michel  erschein  uf  dem 
berg  Gargani,  und  ouch  der  kilchwiche  sines  tages  und  3« 
ouch  der  kilchwiche  der  kilchen  des  Paradis  oder  Einigen, 
uf  sant  Johanns  tag  siner   gehurt    und    als    er   enthouptet 

*  fehlt  in  der  Hs. 


i68 

ward,  uf  sant  Peters  und  sant  Paulus  tag,  der  heiigen 
zwölf  boten,  und  ander  zwölf  boten  und  ewangelisten  tag 
in  dem  jar  gefallen ;  ouch  uf  unser  lieben  frowen  tag,  als 
si  geborn  ward,  ouch  als  si  enpfangen  ward,  ouch  als  si 
5  in  den  tempel  geopfret  ward,  ouch  als  ir  der  himelsch 
grüß  verkünt  ward,  ouch  als  si  über  den  berg  gieng  zu 
ir  mümen  Elizabeth,  ouch  uf  dem  tag,  do  si  ir  kind  in 
dem  tempel  opfret  und  uf  ir  himelfart,  zu  allen  iren 
hochzitlichen  tagen,   wie  si  denn  gevallen  oder  begangen 

10  werdent  in  dem  ganzen  jar;  uf  aller  heiigen  tag,  uf  aller 
seien  tag,  ouch  uf  aller  der  heiigen  tag,  dera  heltüm  [159J 
und  gedächtniß  daselbs  geschieht  an  dem  selben  end  der 
kilchen  zu  Einigen;  ouch  uf  den  zweien  tagen  des  heiigen 
crützes,  als  es  funden  ward  und  ouch  erhocht  ward,  und 

15  ouch  zu  allen  octaven  der  heiigen,  so  in  dem  jar  da  be- 
gangen wirt;  ouch  uf  allen  sunnentagen,  fritagen  und 
Samstagen  des  ganzen  jars;  ouch  alle  die  mönschen,  die 
von  andacht,  von  gebetes  oder  in  besüchenswis  des  aplaß 
dar  gand  zu  der  selben  kilchen,  ouch  alle  die  j^iönschen, 

20  die  da  bi  ganzen  meßen,  bi  den  bredienen  oder  zu  mettizit, 
oder  zu  vesperzit,  oder  zu  andern  heiigen  ämptern,  oder 
zu  der  mönschen  begrebniß,  sibenden,  drisgoften  oder  zu 
jarziten  dar  käment  oder  dabi  sind;  ouch  alle  die  mön- 
schen, die  den  morgen  und  den  abent,  so  man  das  beten 

2)  lütet,  drü  paternoster  und  drü  ave  Maria  sprechent,  ouch 


22.  der  sibende  (tag),  der  siebente  Tag  nach  dem  Begräbniß, 
wo  der  zweite  Seelengottesdienst  stattfindet;  der  drisgoße  (tag),  der 
dreißigste  Tag  nach  der  Beerdigung,  an  welchem  die  dritte  Seelen- 
meße  für  den  Verstorbenen  gehalten  wird. 

23.  jar^it,  anniversarium,  der  jährliche  Gedächtnißtag  für  die 
Todten. 

24.  das  beten,  Betzeit. 


\ 


169 

alle  die  mönschen,  die  da  mitteilent  ir  heiig  almüseii  an 
den  buw  der  selben  kilchen,  an  das  liecht,  an  büecher, 
an  kelch,  an  meßgewender,  oder  an  ander  gezierd,  so 
denn  die  selb  kilch  notdürftig  ist,  oder  ander  hilf  und  stür 
darzii  tünd ;  ouch  alle  die  mönschen,  die  da  stür  und  hilf  5 
darzü  tünd,  daß  die  bitt  daselbs  under  dem  namen  sant 
Michels,  das  heiig  almüsen,  zu  allen  enden  zu  besamnen 
zu  stür  und  hilf  und  ufenthalt  eins  kilchherrn  oder  lüt- 
priesters  daselbs,  dadurch  aber  der  gottsdienst  gefürdert 
mag  werden  und  sich  ouch  ein  kilchherr  daselbs  nit  ^^^ 
entpfrömd  an  kein  ander  end;  welcher  mönsch  darzü  hilf 
und  stür  und  almüsen*  gibt,  wie  das  denn  gut  geheißen 
ist,  ligendes  oder  varendes,  oder  welcher  mönsch  das 
ordnet,  oder  schaffet  ze  ordnen  oder  ze  geben  semlich 
almüsen,  oder  in  den  stok,  ob  einer  an  dem  selben  end  ^ ) 
were,  oder  uf  den  altar  semlich  almüsen  geb,  wie  dik 
das  geschäch  [160]  und  an  welen  enden  das  geschäch 
oder  enkeiner  der  hievor  geschribnen  dingen  täte:  —  da 
hett  der  vor  genante  heiige  vater  der  bapst  Innocencius 
der  sechste  verliehen  und  geben  und  het  abgelaßen  den  20 
sibenden  teil  einem  iegHchen  mönschen  siner  ufgesatzten 
büß  und  semlich  Vergebung  ist  beschechen  vor  vil  er- 
wirdigen  vätern  und  besunder  vor  vier  bischofen,  da  ouch 
ein  ieglicher  verlach  und  gab  allen  denen  vor  gemeldeten 
güttätern**  vierzig  tag  aplaß  tötlicher  Sünden  und  ein  jar  -> 
täglicher  Sünden  ouch  ufgesatzter  büß.  Den  selben  aplaß, 
als  vor  stat,  gab  der  heiig  vater  der  bapst  und  ouch  die 
vier  bischof  dem  ob  genanten  herrn  Walthern  von  Stret- 
lingen  in  bullen  und  briefen  wol  versiglet   nach   sitt    und 

*  Hs.  almuosen  dai'zxio. 
'*'*  Hs.  guottäteu. 


1 5.     stok,  Opferstock. 


gewonheit  der  Römschen  kilchen  und  schankt  im  darzü 
zwei  stük  heltüms,  mit  im  heim  ze  füeren  und  gab  im 
'damit  sinen  bäpstlichen  segen.  Do  er  nü  heim  kam,  do 
ordnet  er,  daß  das  heltüm  und  die  friheiten,  so  er  er- 
5  nüwret  hatt,  mit  großer  erwirdikeit  mit  einer  lobKchen 
proceßion  und  crützgang  in  die  kilchen  Einigen  ingefüert 
ward.  Und  die  selben  ding  alle,  so  da  vorhar  gehandlet 
warent,  Heß  er  allenthalben  da  umb  verkünden ;  und  dar- 
nach   uf  einer   engelschen   kilchwiche    beschikt    er    einen 

i<-^  bischof  von  Losan,  der  ouch  also  dar  kam  und  ward  also 
von  herrn  Walther  von  StretHngen  erlich  enpfangen  und 
leit  im  die  sachen  für  und  begert  er  an  in,  daß  er  selbs 
uf  der  selben  engelschen  kilchwiche  die  sachen  sölt  ver- 
künden   oder    durch   ein    andern    laßen    verkünden.     Do 

n  man  nü  in  dem  ampt  der  heiigen  meße  uf  der  selben 
engelschen  kilchwiche  w^as  und  man  kam  unz  uf  das 
Opfer  und  aber  die  kilchherrn  und  lüpriester  der  zwölf 
kilchen  [i6i]  mit  iren  undertanen  sich  nit  erzöigtent,  als 
si    aber   söltent   tun   von    gelüpt   wegen,    so   si  denn  vor 

20  langen  ziten  da  vor  hattent  getan,  das  ze  tun  für  sich 
und  all  ir  ewigen  nachkomen,  und  si  ouch  vormals  allweg 
w^arent  uf  den  kilchwichinen  da  gesin:  und  also  durch 
underwdsung  ward  der  bischof  der  sachen  wol  underricht 
und   vieng  an  und  wolt  ir  hertikeit  ires  gemüetes  und  ir 

-5  widerspenikeit,  daruf  si  bestentlich  woltent  beliben,  und 
ir  gehorsamkeit  si  wider  underwisen  und  leren;  und  tet 
gar  ein  lobliche  vermanung  hie  mit  vil  wiser  gelerten 
Worten,  als  denn  das  dis  abschriftbüch,  das  in  latin  ge- 
schriben   ist,    gar   luter   innehält;    da   er  si  underwist  mit 

30  bewerung  der  heiigen  Schriften,  ouch  mit  hocher  Vernunft 
und  mit  exempel,  daß  si  gar  unrecht  hättent,  daß  si  ir 
rechten  houptkilchen  nit  undertänig  warent,  und  die  also 
verachtent.     Do  nü  dise  vermanung  also  volbracht  ward 


lyi 

denen*,  die  darzü  gehortent,  durch  den  bischof  oder  sinen 
stathalter,  do  ließ  er  verkünden  offenlich,  daß  alle  die 
mönschen,  die  der  kilchen  daselbs  zu  Einigen  gutes  tätent 
und  ir  almüsen  mit  ir  teiltent,  daß  denen  sölt  vervolgen 
vierzig  tag  aplaß  tötlicher  Sünden  ufgesatzter  büß  und  > 
ein  jar  täglicher  sünden.  Er  was  ouch  verkünden  den 
großen  aplaß  und  die  friheiten,  so  denn  an  dem  selben 
end  werent.  Do  nü  diß  alles  volbracht  und  verkünt 
ward,  do  warent  alle  gegenwürtigen  mönschen  den  all- 
mechtigen  gott  loben,  und  die  geistlichen  die  empter  der  lo 
heiigen  kilchwiche  mit  großem  lob  und  fröiden  volbringen, 
und  kerte  sich  darnach  iederman  in  der  vorcht  gottes 
wider  heim.  Und  darnach  bald  gab  frow  Mechilt  von 
Stretlingen,  herrn  Walthers  von  Stretlingen  efrow,  einem 
kilchherrn  daselbs  zu  [162]  einer  ewigen  gotzgab  und  ^5 
almüsen  zwo  jucharten  lands,  geheißen  die  Kunn,  als  man 
das  fint  in  dem  jarzitbüch  im  merzen.  Darnach  schied 
der  bischof  mit  den  sinen  von  dannen.  Darnach  lang  in 
vergangnen  ziten  was  der  vil  genant  herr  Walther  von 
Stretlingen  und  sin  gemachel  frow  Mechild  von  diser  zit  20 
scheiden  und  sterben.  Der  allmechtig  gott  von  himelrich 
si  inen  gnädig  und  barmherzig  und  helf  uns  armen  Sün- 
dern zu  einem  guten  seligen  end!     Amen. 

Also  ist  das  gesiecht  von  Stretlingen,  der  edel  hoch- 
geborn  stamm  verschinen,  abgangen  und  abgestorben;  ^s 
denn  allein  uf  die  selben  zit  zu  dem  letsten  ist  ein  kilch- 
herr  von  Spietz  und  zu  Spietz  oder  zu  dem  guldinen  hof 
gesin,  hat  geheißen  herr  Uolrich  von  Stretlingen.  Der 
selb    herr  Uolrich    hatt   darnach   geben   einem   kilchherrn 

*  fehlt.    Hs. :  die  denn  darzixo. 


25.     verschinen,  eigentl.  aufhören  zu  scheinen,  vergehen, 
28.     Ulricus   rector   de  Spiez  13 12— 1335.     Siehe  die   Stamm- 
tafel. 


172 

der  kilchen  sant  Michels  in  dem  Paradis  oder  zu  Einigen 
einen  bomgarten  zu  einer  ewigen  gab,  ist  gelieißen 
Liechtisrösch.  Den  selben  bomgarten  der  kilchherr  des 
Paradis  uf  die  zit  hat  enweg  geliehen  Görgen  Daler  und 
'S  sinen  erben  umb  fünfzechen  Schilling  pfennigen,  als  man 
das  eigenlich  findet  in  dem  jarzitbüch  im  merzen.  Und 
darnach  ist  die  patronie  und  kilchensatz  der  kilchen  des 
Paradis  oder  Einigen  komen  in  die  hend  miner  gnädigen 
herren  von  Bübenberg;   die   selben   ouch   ir   bestes  getan 

*o  band  an  das  selb  end  der  kilchen  des  Paradis  und  noch 
vil  gutes  da  tun  mögend,  wann  ouch  die  herschaften  von 
Stretlingen  an  si  gevallen  sind.  Und  harumb  ich  dis  la- 
tinsch  buch  ze  tütsch  gesetzt  hab,  [163]  das  doch  kng 
dahar  und   ouch   vor   langem   zit   nit   ist   gesin   an    dem 

^S  liecht  der  mönschen,  und  han  das  darum  getan,  daß  der 
edel  wolgeborn  und  lang  harkomend  stamm  von  Büben- 
berg hie  in  diser  schrift,  so  vorhar  geschriben  ist,  mügent 
merken  und  gesechen,  wie  ir  vordem  sich  gehalten  habent 
in  denen  herschaften,  so  si  aber  nü  zu  unsern  ziten  inne 

-^  habent  und  besitzent;  wie  si  die  kilchen  des  Paradis  so 
in  großen  eren  gehalten  habent,  als  man  das  eigenlich 
hievor  in  den  capitlen  luter  fint,  der  die  übersieht  und 
überliset.  Ich  han  es  ouch  darumb  getan,  daß  die  großen 
zeichen    und    wunder,    so   an  dem  selben  end  geschechen 

^5  sind,  an  den  tag  komend,  und  die  kilch  des  Paradis  und 
ouch  der  heiig  brunn  daselbs  von  den  vor  genanten  minen 
gnedigen  herren  von  Bübenberg  noch  hüt  bi  tag  geuffet 
und  gemeret  werd;  da  mir  nüt  an  zwiflet,  ir  glük  werd 
sich  davon  meren,  und  ouch  der  allmechtig  gott  und  der 

30  hochwirdig  heiig  erzengel  sant  Michel,  die  an  dem  selben 
end  band  vor  langen  ziten  har  groß  wamder  und  zeichen 
erzöigt,  inen  ouch  bistendig  und  hilflich  sient,  daß  ir  gesiecht 
in   großen   eren   noch  lange  zit  müg  beliben  und  daselbs 


I 


175 

regieren.  Es  ist  noch  me  hie  ze  wüßen,  daß  etlich  erber 
lüt  US  der  herschaft  von  Spietz  vor  alten  ziten  hattent 
angesechen  die  großen  gnad,  so  da  was  gesin  zu  der 
kilchen  des  Paradis  und  woltent  also  den  gottesdienst 
an  dem  selben  end  ouch  fürdren  und  gatent  ir  güeter  5 
zu  Spietz,  nemlich  hüser,  hofstetten,  bomgarten,  matten, 
aker,  reben,  als  man  das  eigenlich  fint  in  disem  vor  ge- 
nanten latinschen  buch.  Der  des  beger  ze  wüßen,  der 
such  es  da  oder  laß  im's  sagen.  Item  wie  die  selbe 
pfründ  vor  alten  ziten  gehalten  si  gesin,  [164]  die  man  ^^ 
nü  zu  unsern  ziten  nempt  die  früege  meß,  das  findt  man 
ouch  daselbs  am  end  des  latinschen  buches  hie  vor  und 
ouch,  was  die  selbe  pfründ  schuldig  ist  ze  tun. 

Ze  wüßen  ist,  sit  daß  die  kilch  zu  dem  Paradise,  die 
man  nü  zu  unsern  ziten  nempt  zu  Einigen,  mit  mengerlei  15 
großen  zeichenen  und  wundern  begäbet  ist   worden,    vor 
alten  langen  ziten  har,  wiewol  das  ist,  daß  man  des  wenig 
hatt   gehört   nü   bi   unsern   ziten,    so    mag   doch   der  all- 
mechtig  gott  noch  hüt  bi  tag  die  kilchen  zu  dem  Paradis 
oder  zu  Einigen  in  künftigen  ziten  groß  machen  und  sin  20 
wunder  und  zeichen  daselbs   erzeigen,    und   das   von   des 
verdienens  wegen  des  hochgelopten  erzengels  sant  Michels 
und  ouch  von  verdienens  wegen  der  andern  heiigen,  der 
heltüm  und  gebein  an    dem    selben   end   der   kilchen   des 
Paradis  ist,   die   ouch   an  dem  selben  end  geeret  mögent  25 
werden.     Was  heltüms  an  dem  selben  end  si,   das  findet 
man  hie  nach  geschriben. 


//ie  nach  findt  man  geschriben,  ivas  hcltihns  ist  zu  der 
kilchen  des  Faradises. 

Des   ersten   ist   das   heltüm   von   dem  heiigen  crütz,  3^ 
darnach   von    dem    haar  unsers  lieben  herrn  Jhesu  Cristi. 


174 

Item  von  dem  stein,  daruf  unser  Herr  geleit  ward,  do  er 
von  dem  crütz  genomen  ward.  Von  dem  haar  [165]  unser 
lieben  frowen.  Von  dem  stein,  daruf  unsere  liebe  frow 
bettet.  Von  dem  ysch  unser  lieben  frowen.  Von  dem 
5  mantel  sant  Michels,  der  da  was  komen  von  dem  berg 
Gargano  durch  einen  herrn  von  StretUngen,  als  da  vor 
die  historien  wisent.  Von  sant  Peter,  von  sant  Andres, 
von  sant  Mathis,  von  dem  vinger  sant  Marx  des  ewan- 
gelisten.     Von  sant  Stephan,    des   ersten   martrers.     Von 

10  sant  Laurenzen,  von  sant  Oswald,  von  sant  Sebastian, 
von  sant  Vit,  von  sant  Cristoffel,  von  sant  Valentin,  von 
sant  Adrian,  von  sant  Mauritzen,  von  sant  Görjen,  dem 
heiigen  ritter.  Von  den  zechen  thusent  martreren.  Von 
den  unverschulten  kindlinen.    Von  sant  Ignacien,  von  sant 

^5  Alban,  von  sant  VitaH,  von  sant  Pancratzien,  von  sant 
Gervasien,  von  sant  Panthaleon,  von  sant  Wilhelm,  von 
sant  Ambrosien,  von  sant  Uolrich,  von  sant  Benedict,  von 
sant  Bernhart,  von  sant  Martin,  von  sant  Niclausen,  von 


3.  Der  Stein,  darauf  unsre  liebe  Frau  betet,  sowie  das  Eis 
(ysch)  unsrer  Frau  sind  Wallfahrtsandenken  aus  Palästina,  Verwandt 
mit  der  ersten  Reliquie  sind  folgende :  de  lapide  domini,  cum  dixit 
vade  Sathanas;  de  lapide,  ubi  Johannes  Christum  baptizavit;  de 
lapide,  in  quo  flecterunt  pedes  domini;  de  lapide,  ubi  Martha  dixit, 
domine  si  fuisses  hie,  frater  meus  etc.  —  Das  Marieneis  oder  Unser- 
liehenfraiieueis,  glacies  Marii-e  (Grimm  DW,  IV,  78)  scheint  eine 
deutsche  Bezeichnung  für  das  üblichere  lac  Maria,  einen  Stein- 
splitter aus  der  sog.  Milchgrotte  bei  Bethlehem,  zu  sein.  So  fand 
sich  1854  zu  Tours  in  einem  alten  Reliquiar  ein  weißer,  alabaster- 
<ähnlicher  Stein,  eingewickelt  in  einen  Pergamentstreifen  mit  der 
Ueberschrift  de  lade  B.  M.  V.,  und  im  17.  Jahrhundert  brachte  ein 
Pilger  nach  hl.  Kreuz  bei  Entlebuch  von  U.  L.  F.  Milch  (Lütolf 
in  der  Tübinger  theol.  duartalschrift  186S,  p.  439  u.  ff.) 

6.     Vergl.  oben  p.  26.  * 


175 

sant  Joder,  von  sant  Anthonien,  von  sant  Gilian,  von 
sant  Gallen,  von  sant  Lienhart.  Von  den  cleidern  sancti 
Dominici.  Von  dem  grab  sant  Kathrinen.  Von  sant  Bar- 
baren. Von  einem  zan  sant  Agnesen.  Von  sant  Felix, 
von  sant  Gerdrut,  von  sant  Brigida,  von  sant  Ciaren,  von  5 
sant  Anastasien,  von  sant  Sophien,  der  witwen  von  Con- 
stantinopoli.  Von  sant  Elisabet  der  witwen.  Von  den 
einUf  thusent  megten.  Von  sant  Scolastica,  von  sant 
Juliana,  von  sant  Potencia,  von  sant  Petronellen,  von 
sant  Cristinen,   von   sant  Sabinen  und  von  sant  Eufemia.  lo 

[i66]  Diser  vor  geschribnen  stüken  heltüms  ist  in 
der  zal  uf  sechzig  und  siben  stük.  Das  selb  heltüm  an 
dem  selben  end,  da  es  doch  ist,  sol  billich  wirdenklich 
geeret  und  gehalten  werden ;  und  harumb  han  ich  keinen 
zwifel,  daß  die  wirdigen  heiigen,  der  heltüm  und  gebein  15 
ist  an  der  wirdigen  statt  der  kilchen  und  des  kilchhofs 
bi  dem  heiigen  brunnen  daselbs  zu  dem  Paradis,  mögent 
noch  hüt  bi  tag  einem  ieglichen  mönschen,  der  si  da 
anrüefet  und  eret,  in  allen  sinen  anligenden  nöten,  krank- 
heiten  und  kumberlichen  sachen*  zu  hilf  komen;  wann  20 
ouch  die  selben  statt  daselbs  der  hochwirdig  erzengel  sant 
Michel  im  selbs  da  hatt  userweit  gehept  und  erzöigt  und 
ouch  selbs  zu  dem  andern  mal  gewicht,  als  das  die  his- 
torien  da  vor  mit  guter  lütrung  sagent. 

Darumb  ist  es  gut  und  ouch   billich,    daß    dis   buch  25 
und  historien  aller  diser  dingen   zu    ewigen   ziten   allweg 
zu  zimlichen  ziten  w^erd  ernüwret,   und   die   zu  latin  den 
latinschen  und  gelerten,    den    ungelerten   aber    zu  tütsch; 

*  Hs.  Sachen  im. 


I.     St.    Joder,    St.    Theodul,    der    Landesheilige    des    Wallis. 
Vergl,  meinen  Hans  Salat  (Basel  1876)  p.  92. 

3.     sant  Kathrinen  grab.     Vergl.  oben  p.   115. 


176 

und  die  form  des  Litinschcn  ouch  niemer  werd  entfrömdet 
der  kilchen  des  Paradis  und  das  darumb,  daß  der  hoch- 
wirdig  erzengel  sant  Michel  und  die  andern  heiigen,  die 
da  gnädig  sind  und  ir  heltüm  da  ist,  daselbs  angerüeft, 
5  gelopt  und  geeret  werdent. 

Der  selb  hochwirdig  erzengel  sant  Michel  und  ander 
heiigen,  so  daselbs  gnädig  sind,  mir  armen  schriber  dis 
büchs  und  allen  denen,  die  das  lesent  oder  hörent  lesen, 
helf  zu   einem   seligen   guten  cristenlichen  ende!     Amen. 


LAUS  DEO. 


ANHANG. 


12 


VOM  HERKOMMEN  DER  SCHWYZER 
UND  OBERHASLER. 

(Nach  der  ältesten  Handschrift  von  1497.     Cod.   Monacensis  951.) 


In  dcDi  luviicn  der  hohen  hcl^ci  und  nii:^cytcihcn  dri- 
vaJtigkcit  gott  des  vatcrs,  goit  des  suns  und  gott  des  helgen  > 
geists,  amen!  so  hüb  ich  für  mich  genommen  und  etwas 
müt  hie  nach  ^e  schrihen  und  das  seih  von  latin  ~/^  li'ttsch 
transferieren  ^//  eren  der  edhii  und  hochiuiirdigen  statt  Bern, 
gelegen  in  dem  mindren  Bnrgnnd,  oiich  etlichen  iren  hinder- 
säJJen,  von  den  eren  und  mannlichheiten,  so  ir  altvordren  ^^ 
vollbracht,  oiich  groß  f'iheiten  mit  ritterlichem  striten  erholt, 
iinpfangen  und  verdienet,  und  ander  ir  miteidgenoßen  und 
oetrinven  hri'teder;  als  ich  das  hie  nach  in  eigentlicher  littriing 
nach  lut  und  sag  alter  croniken  set::^en  und  schriben  und 
lihi,    daß   si  in  aller  trihv  und  einhellikeit  sich  halten,    als  ^  > 


I.  D;i  der  Hingani^  in  der  Miiii:]}ncr  Hs.  (M)  fehh,  geben 
wir  denselben  nach  dem  Bcnicr  Manuscript  (H),  Anfang  der  Genfer 
Hs.  (Gj:  «hl  ilcm  namm  des  giietigeii  uii/ten  und  haruitjei-igen  Jesu 
Crisii  und  s'nicr  liehen  miV.er  Maria  und  itnsers  patronen  Sant  Marlis 
so  I.hin  ich  für  inicJj  i,u'no)neii  und  etn'as  niut,  Jjie  nactj  -f  sctjrilh'n  und 
da!;  seil)  von  Latin  ;^Jt  Tütsch  transferiert  in  eren  der  edlen  und  loblichen 
hnderen  Sclnvyti  und  Haßte,  <yelegen  in  den  gebin^rcn  o}\'riütsc1)en  landen, 
vnn  den  eren  und  manlikciten  et:.» 


i8o 

oucb  ir  vordren  band  getan  gegen  denen,  so  si  irihu 
schuldig  sind  und  verbeißen  band.  Wann  es  spricht  ein 
meister  mit  dem  namen  Stolitrates  in  sinem  sechsten  buch  an 
dem  sibenden  capitel,  daß  die  Römer  vor  alten  :(iten  warend 
5  in  mechtiger  Sterke  luider  alle  Wälscben,  ivie  vil  ir  doch 
waren;  si  -waren  oucb  luider  die  Tut  sehen,  wie  groß  und 
stark  si  waren,  oucb  wider  die  kreft  der  Hyspanier  und 
wider  die  länder  Ajfricken.  Das  zuas  und  beschach  alles 
durch  ir  tri'iw  und  wisheit,   so   si  under   inen   selbs   hatten 

10  und  bruchten.  Und  bar  um  ob  ich  in  diseni  mineni  schriben 
an  keinem  artikel,  puncten  oder  wort  nit  vollkummen  iver, 
so  bitten  ich  alle,  die  das  lesent,  mir  das  :^i  gutem  uf- 
:(enemen;  hab  ich  aber  das  wol  geset:{t,  das  dem  allmächtigen 
T^ÜT^elegen,  der  oucb  durch  (semlicb)  tat  und  redliche  mann- 

i)  heit,  so  hie  nach  geschriben  sind  und  geschechen,  sol  gelopt 
und  geeret  iverden! 

Hie  nach  findet  man   ze  tütsch  von  ob  geschriben 

latin,  wie  die  Switzer  in  ir  land  sind  kumen,  und 

ouch    die    von   Hasli    etc.     Und    volget    sich    zum 

20  ersten  nach  von  der  gesatz,  so  zu  dem  selben  zit 

was  in  dem  land  Sueden  und  Friesen  etc. 

Man  findt  also  geschriben,  daß  in  dem  zit,  do  kunig 
Cisbertus  us  Sueden  regniert  und  graf  Cristoffel  von  Ost- 
friesen, do  stund  uf  ein  sömliche  türe  und  mangel  an 
25  natürlicher  spise,  damit  sich  die  menschen  soltent  spisen 
und  erneren,  in  denen  landen  Sueden  und  Friesen,  daß  vil 
lüt  von  großem  hunger  sinlos  wurden  und  zületzten 
nideriielend  und  stürben.  Durch  sömlich  sachen  willen,  die 
ouch  als  lang  werten,  was  der  ob  gemelt  kunig  Cisbertus 

3.     G.  Polycratus.    Nach  Tschudi  Stolitratns. 
8.    Gr.  Africa. 
23.     G.  und  H.  Gisbertiis.    Nach  Naiiclerus  Sigibertiis. 


berufen  und  beschicken  die  gewaltigisten  und  mechtigisten 
sins  kunigriches,    und   mit   namen    es  werint  ritter,   edel, 
bumer  oder  ander  o;emeinden,   und   was   irn  rat  in  disen 
dingen     haben.     Also    wurden    si    zu    rat    einhellenklich 
durch  das  ganz  kunigrich  in  dem  ganzen  land,  es  wer  in    5 
stetten,  dörfern,  bürgen,  höfen,  im  berg  und  in  tal :  man 
solt   ein    gepot   machen,    und   das   selbig  gebot  ouch  ge- 
macht und  das  also  verkunt  solt  werden,   daß   all  monat 
eines,  wen  das  los  von  geschieht,  so  si  gemacht  hattend, 
ankam,  ein  ieclich  man,  wer  der  wer,  solt  mit  allem  sim  ^^ 
husgesind,  so  er  des  hetti,  es  wer  frow,  kind,  alle  farend 
hab,  es  wer  vich  oder  anders,  nüt  usgenumen,   von  dem 
kungrich  enweg   ziehen,   als  man  in  hetti  usgeslagen,   an 
alle  gnad,    und    kein   miltikeit  hie  gesin  ze  suchen;   oder 
wo  das  nit  geschech,    so   solt   er   umb   sin  houpt  kumen  n 
und  die  sinen  nit  dester  minder  usgetriben  w^erden.    Und 
dis  gebot  und  gesatz  w^art  von  dem  minsten  unz  uf  den 
höchsten  und  größten  also  gemeinlich  gesetzt,  daß  dawider 
niemant   solt  tun,   denn    das   halten   bi   dem    kuniglichen 
gebot   und   penen,    als   ob   geschriben   stat.     Ditz   gesatz  20 
und    gebot   was   menigem    man   und    menschen    gar   un- 
komlich    und    scharpf,   darzü   hert,    und  wart  doch  vil  zit 
gehalten ;  und  wolt  und  mocht  dennoch  der  groß  hunger 
und    mangel   nit    usgerüt    noch    vertriben    werden.     Und 
harumb   was   der  dick  gemelt  kunig  mit  allen  denen,    so  25 
vormales  an  dem  rat  waren  gesin,    die   selben  Statut  und- 
gesatz  sterchen  und  meren  zu  iechlicher  wis  als  vor,  daß 
man    al   wuchen   solt  den  zechenden  menschen,    also  das 
los  vor  wart  gesetzt,  ustriben  und  uslchiken ;  und  warent 
die  dinor  also   weizen    und    schetzen,    daß  es  weiter  were,  5« 


24.     nit  fehlt  in  M. 


9.     eines,  einmal. 


l82 

daß  die  übrigen,  so  da  blibend,  gesund  blibcnd,  denn 
daß  sif  also  armklichtn  sollen  verderben  gemeinldich  und 
sinlos  werden  und  darnach  sterben.  Und  wan  kein  übel 
sol  userwek  werden  und  fürgenomen,  so  ist  doch  weger, 
5  daß  das  minder  übel  und  böses  lidlich  si  zu  tragen  und 
ufzünemen.  Und  do  ouch  sömlich  zechend  von  den  lüten 
uszetriben  lang  zit  gewert  hatt,  also  warent  sich  die  iis- 
vertriben  von  land  Sweden,  allerlei  volks,  über  sechs  tusent 
und  nie  dabi  besamnan ;  und  zii  dem  volk  der  usgeschlagen 

i<^^  und  vertriben  schliigent  ouch  uf  tusent  und  zwei  hundert, 
an  frowen  und  kinden  us  Friesenland,  als  das  dan  wist  die 
cronick  Alfonsi  us  Friesenland,  die  davon  gesetzt  und  ^^e- 
macht  ist.  Diß  ob  geschoben  volk  kamen  also  zesamen 
in    ir   großen    unfal,    als   si    denn    dozemal   hattend,    und 

•)  warent  all  in  irem  gemüet  verzwiflot;  und  wurdent  ze  rat 
aber  einhellenklich,  si  woltent  in  iren  elend  also  wandeln. 
Und  machten  ein  bundschaft  und  verhießen  sich  also  bi 
einandern  ze  beliben  an  allen  enden,  es  wer  in  dem  mer, 
uf  dem   land,    im  berg,    in    tal,    in    alpen,    waßer,    birgen, 

-^  flüen,    in   holz,    in    feld,    in    gewitter    und    ungewitter,    in 
gelück    oder   in    ungevel,    und    wie    inen    das    got    wurde 
züfüegen.     Als   si    nun    sich    zu   einander   also  verbündete 
hattent  und  ouch  eilend,  versch mächt  von  aller  weit,  und^ 
in  großer  armut,  do  fiengent  si  an  und  warent  die  aller- 

-)  nächsten  stett,   bürg,  dörfer  an  alle  erbermd  berouben  und 
.  begonden  also  in  dem  selben  eilend  vil  lüts  an  sich  ziehen, 
die  stritbar  warend,  und  ouch  sich  also  an  großer  Sterke 
meren  und  an  macht,  d-A^)*  si  zugen  wit  und  breit.     Dar- 
nach   und    zu    dem    letzten  do  kerten  si  sich  an  ^<^n   Rin 

:i  — li.  H.  (und  auch  G.):  Diewil  aber  ixnder  zweien  büseu  dingen  allwegeu 
das  besser  sol  userweit  und  fürgenonimen  werden,  vermeinten  sie,  dass  sölich 
ir  fürnemen  \\m\  ustribuug  mit  dem  los  besser  iind  nützlicher  sin.  denn  die  ver- 
dorbnn.','  der  ganzen  genieind. 

23.     H.  (undG.):  und  all  elend  verschinächt  und  aller  weit  unwert  waren!;. 


i83 

des  waßcrs  imJ  zuhcnt  den  hcruf,  als  das  P/iniiis,  ein 
großer  poet  und  dichter,  schribt  in  siner  cronick.  Do  was 
Priamus  und  herr  Pcfcr  von  Mos,  all  beid  Fürsten  und 
herzogen  us  Frankrich;  dieselben  woltent  inen  die  weg 
fürgan  mit  einem  großen  volk  und  in  si  also  vallen.  Also  5 
warent  das  vertriben  volk  die  Sweden  und  Friesen  mit 
irem  macht  under  inen  userwelen  dri  gemeinen  houptman, 
doch  also,  daß  der  ein  under  den  drien  der  oberst  houpt- 
man solt  sin  über  die  andern.  Und  warent  dis  dri  houpt- 
man also  genampt:  der  erst  hieß  Siuicerns,  mit  sinem  ^^^ 
gesellen,  der  was  genant  Rcmiis,  all  bed  us  Sweden,  und 
diser  Swicerus  mit  sinem  gesellen  warent  die  obresten 
houptman ;  der  dritt  houptman  was  geheißen  IVadislaiis, 
von  einer  stat,  mit  dem  namen  Hasnis ;  die  selbig  stat 
ligt  zwüschem  dem  land  Sueden  und  dem  land  Ostfriesen.  ^^ 
Und  do  nun  dise  ob  gemelten  houptlüt  userweit  \vurden 
von  ireni  \olk,  do  wurdent  si  eins  und  warent  sich  damit 
got  enpfelhen  und  dem  glück  diser  weit,  und  kerten  sich 
gegen  dem  volk,  die  wider  sie  warent,  den  Franzosen,  der 
ouch  ze  vier  malen  me  was,  denn  ir;  und  wurden  also  -^^ 
ze  rat,  daß  si  die  selben  angriffen  frölich,  schnell,  unver- 
schrocken,  eins  gemüets  und  güts  willens  dii  alle  vorcht. 
In  dem  selben  was  si  das  glück  von  got  ansehen,  da('> 
inen  gelang  und  oberhand  gewunnen,  und  also  ein  teil 
des  Volkes  erslügen;  und  ein  teil  die  fluchen.  Darnach  ^> 
warent  si  das  gut  und  den  roub  und  die  büt  des  er- 
schlagnen  und  fliechenden  volches  under  inen  gemeinlich 
zerteilen,  und  zuchen  darnach  den  Kin  uf  und  kamen 
nach  dem  selben  in  ein  land,  genampt  das  hrocbeu  hin^ 
oder  Frcckiui'iiid  in  dem  herzogtum  Osterrich,  und  warent  )^» 

1.  M.  Pliuis.     G.  und  H.  Pliuius. 

10.  (t.  Schw'ythernu>.    H.  Schwitzerust. 

14.  H.  Ha.sius. 

30.  Ci.  Frackniuad. 


i84 

da  in  berg  und  in  tal,  in  alpen,  flüenen,  waßern  und  an 
allen  enden  des  lants,  suchten  wonungen  und  stet,  do  si 
mochten  bliben ;  und  beduht  si,  die  gegni  und  die  wonung 
des  selben  lants  were  irem  land  glich,  da  si  vormals 
5  warent  usgeslagen;  wand  si  ouch  vormals  ir  wonung 
hattend  gehept  in  den  bergen.  Darnach  do  si  nun  inen 
selbs  userwaltent  an  dem  selben  end,  wa  iederman  wolte 
sin  und  sin  wonung  han,  da  warent  si  werben  und  be- 
geren  an  einen  grafen  von  Haptspiirg  zu  dem  selben  zit, 

10  in  des  land  si  ouch  do  warent,  daß  er  inen  gönnen  wolte 
die  waltstett,  birg  und  tal,  und  ouch  erlouben  und  über- 
geben zu  rüten  und  ze  husen  und  daß  si  ir  wonschaft 
do  mochten  haben ;  wann  es  vormalen  und  zu  den  selben 
ziten   wild    was   und    nieman    vormals    da    wonhaft    was 

15  gesin.  Also  was  er  inen  das  erlouben  und  ir  bit,  so  si 
an  in  brachten,  geweren.  Nachdem  do  inen  erloubt  ward 
von  dem  vor  gemelten  grafen  von  Hapspurg,  do  fiengent 
si  an  ze  rumen  und  rüten  stein  und  dorn  und  das  un- 
geüebt  ertrich  ze  buwen.    Ouch  warent  si  darnach  zwigen, 

20  sägen,  schniden;  und  mit  irem  arbeiten  und  mit  dem 
großen  fliß,  den  si  hattent  zu  dem  land,  das  si  wol  ge- 
nußen;  und  ouch  das  land  allenthalben  daselbs  fruchbar 
wart,  daß  si  sich  wol  mochten  erneren.  Darnach  do 
warent  si  sich  besteten  in  iren  verheißen  und  gelüpten, 
so  si  denn  vormales  hattend  einandren  getan,  und  wart 
alle  vorcht  ires  herzen  von   inen  geslagen;   ouch   warent 

25  si  die  lantschaft,  da  si  in  warent,  under  inen  selbs  zer- 
teilen, als  hie  hernach  luter  stat. 

Hie  gat  nach  die  zerteilung  und   wie   si   von    ein- 
andern  schieden  in  ir  wonung. 
Nun  ist  ze  wüßen,  daß  ir  oberster  houptman  mit  dem 
30  namen   Swicerus   von   der   künglichen    statt   Sueden    also 

9.     G.  Habsspurg.    H.  Hapspurg. 


i85 

genant  gcborn  und  sin  mitgesell  Remus  die  warent  das 
land  des  gebrochnen  birigs  oder  Freckmünd,  da  Pilatus 
sew  uf  ist,  als  man  gemeinklich  spricht,  innemen,  unz  an 
die  lampartischen  gebirg  und  alpen  mit  irem  volk,  so  si 
denn  uf  die  selben  zit  hattent.  Und  stoßt  uf  das  selb  5 
land  und  die  rechten  siten  gegen  dem  lampartischen  ge- 
berg  das  minder  Burgund,  zu  der  linggen  siten  stoßt  :-n 
das  selb  land  das  herzogtum  Swaben.  Aber  der  dritt 
houptman  mit  dem  namen  Wadislaus,  geboren  von  der 
statt  Hasnis,  als  ob  stat,  der  was  aber  innemen  mit  sinem  lo 
volk  das  tal  enent  den  swarzen  bergen,  das  man  aber 
uf  diß  zit  nempt  den  Brfinig,  an  dem  Ursprung  des  waßers, 
genant  die  Ar,  das  man  ouch  uf  diß  zit  nempt  Haßli  von 
etlicher  verw^andlung  wegen  der  vor  beschribnen  stat  Haßnis, 
von  der  selben  stat  der  houptman  Wadislaus  was  geporen.  ^5 
Und  wan  nun  das  selb  end  si  beducht  und  ouch  was  ein 
fruchtbar  fleck  und  land  und  alle  frucht  da  gern  wüechsend, 
do  liengent  das  volk  da  an*  ze  buw^en  und  ir  wonung  da- 
selbs  ze  han  und  halten;  und  si  sich  ouch  da  lange  zit 
wol  ernertent  und  begiengent  etc.  -^ 

Hie  nach  findt  man,  wie  darnach  in  vergangen 
ziten  die  von  Switz  und  das  land  Hasli  hant  be- 
hept  in  hülfswis  den  cristenglouben  zu  Rom,  der 
vil  nach  vertilget  was  von  den  ungelöubigen; 
darumb  si  ouch  ir  zeichen,  so  si  füerent,  band  er-  -5 
worben  und  erholt  und  ander  friheiten, 
so  sie  dann  habent. 

Darnach  in  etzwas  vergangen  ziten  und  besunders  in 
dem  zit,  do  man  zalt  von  der  geburt  Cristi  CCCLXXXVII 
jar,   do    Theodosiiis   der  cristenlich   keiser,    der   elter,    ein  5^ 


4.    M.  lampergischen,  ebenso  f.    G.  und  H.  lampartischen. 
*  M.  anfachen  ze. 


i86 

grc)lk-r  liebhaber  der  cristencn  menschen,  von  dem  der  neilig 
sanctus  Ambrosiiis  wunder  groß  lob  und  er  schribt:  al> 
nü  der  III  jar  hat  geregirt  und  beseßen  das  keisertüm, 
und  aber  L  jar  sin  alter  ward,  do  schied  er  von  diser 
5  zit.  Der  selbig  erst  genampt  keiser  Theodosius  verließ 
zwen  sün,  die  nach  im  das  keisertüm  regirtent,  der  ein 
Honoriiis,  der  andi^v  Arrha  diu  s.  Der  erst  genampt  Honorius 
regiert  ein  teil  der  weit  von  der  sunnen  undergang;  aber 
der  ander  Archadius  hat  under  im  den  teil  der  weit  von 

Jo  der  sunnen  ufgang.  Das  was  darnach  in  dem  jar,  do 
man  zalt  anno  CCCLXXXXVIII  jar.  Also  under  den 
zwen  keisern  wurdent  sich  die  Römer  uf  die  selben  zit 
widenvertig  machen  und  wider  die  zwen  keiser  sich 
stellen    und    von  dem  cristenglouben  stan  und  wider  den 

t  >  ze  sin,  und  warent  das  tun  mit  hilf  eins  großen  fürsten 
und  herren,  der  aber  ein  heid  was  mit  dem  namen 
Engi'uiiis.  Der  selb  erst  genempt  Eugenius,  der  heidesch 
fürst,  wolt  rechen  den  tod  sines  vaters,  ouch  mit  sinem 
namen  Eugenius,    den    der    vor   geschriben    und    benempt 

-o  Theodosius,  der  elter  cristenlich  keiser,  hat  erschlagen  in 
den  bergen  und  alpen  Apulie,  als  das  selb  schribt  Clati- 
diauiis  Floreiiliuiis,  der  poet  oder  dichter,  eigentlich.  Und 
warent  also  die  Römer  die  zwen  brüeder,  die  das  keiser- 
tüm regierten,  als  ob  stat,    mit  dem  bapst  Auastasio  ver- 

2)  triben,  und  den  heiligen  cristenglouben  sich  understan  ze 
tilgen  und  zerstören.  Die  selben,  der  heiig  vater  und 
bapst,  ouch  die  zwen  keiser,  die  von  Rom  us  vertriben 
warent,  süchtent  schirm  und  hilf  allenthalben  in  der  welt^ 
wa    si    kondent    erforschen    und    erfragen.     Also   zu    dem 

30  letzten  fundent  si  einen  cristenlichen  kunig  mit  dem 
namen  Radai^usiiini,  ein  kunig  der  Gothen,  der  ouch  inen 

G-8.     der- teil  fehlt  in  M.     Krgäu/.t  r.aoh  H. 
31.     H.  Eaaugusuni.     fohlt  in  (t. 


i87 

-/LI  hilf  kam  mit  einer  iirolk'n  vili  und  mengi  eins  volkes, 
die  oiicli  stark  warent ;  und  zoch  der  selb  küng  Gothoruni 
gen  Rom.  Da  wart  der  selb  cristenlich  gloubens  kling 
ellenklich  und  armklicli  überwunden  und  erslagen,  als  das 
P/iiiiiis  und  Johaiiiii's  Fraiicisciis  Fetrarcha  von  Ancxsa  5 
^viter  schribent  und  davon  sagent  in  iren  croniken,  wie 
der  künig  Radagasius  in  hunger,  durst  und  frost  ertödt 
ward;  aber  sin  volk,  die  nit  erslagen  wurdent,  die  wur- 
dent  verkouft,  ze  gelicher  wis,  als  das  vidi.  Archadius, 
•der  ein  keiser,  mit  dem  heiligen  bapst  Anastasio  warent  ^^ 
zu  Constantinopel,  und  waren  in  dem  selben  zit  dazwüschen 
von  diser  zit  scheiden.  Demnach  was  Theodosius  der 
jünger,  des  vor  benempten  Archadii  sun,  das  keisertüm 
wider  orient,  sines  vaters  teil,  besitzen  und  der  bapst 
Innocencius;  und  nach  Innocencio  was  Zosimus  der  bapst  ^5 
uswendig  der  stat  Rom  die  heiligen  kilchen  kranklichen 
und  armlich  ufenthalten.  In  dem  selben  zit  was  aber  ein 
cristenlich  küng  ufstan  mit  dem  namen  Alarictis,  aber  ein 
kunig  der  Gothen ;  der  was  nü  des  vor  beschribenen  künges 
Radagusien  sun.  Der  selb  understünd  sich,  der  heiigen  -^' 
römschen  kilchen  und  dem  cristenlichen  keiser  ze  hilf 
komen ;  und  den  versmächten,  eilenden  tod  sines  vaters 
begert  er  \c)n  ganzem  herzen  ze  rechen,  und  was  also 
in  allem  sinem  küngerich  all  cristenmenschen  mit  hilf  des 
heiigen  vaters  des  bapst  Zosimi  zu  sich  berufen,  und  ->' 
<.larnach  all  cristenlüt  mit  den  beiden  keisern  Honorio 
und  Theodosio,  dem  jüngeren,  soldner  besamnen.  Kü 
schickt  es  sich  aber  in  dem  selben  zit  also,  daß  si  ver- 
nament    von    sicherlicher   lu)rung  inid  warhafter  mär  von 

5.     M.   Piitriarelia  von  Laiit/.ysa.     (t.  Petrarrha  von  Ancysu.     H.  Johannes 
Franclscus  und  Petraroha  von  Lantzlsa. 
10.     G.  der  avnx  koiser. 
15.     H.  Zosinims. 
1«.     H.    XUaritns  (stots). 


einem  volk,  die  ouch  cristen  werint  und  ouch  ein  streng 
stritbarlich  fechtbar  und  stark  volk  weren  und  wol 
uf  kriegen  und  fechten  geneigt  werint,  und  aber  geseßen 
und  wonhaft  in  den  gebirgen  und  alpen  in  dem  land  des 
5  gebrochen  gebirges,  als  ob  stat,  und  ein  teil  des  volks 
in  einem  tal  des  gebirges  bi  dem  waßer  genant  die  Ar. 
Also  was  der  kunig  Alaricus  von  Gotnen  und  der  heilig 
bapstZosimus  mit  den  beiden  keiseren,  nämlich  Honorio  und 
Theodosio  dem  jüngeren  brief  und   treffenUch  groß  bot- 

10  Schaft  dem  selben  volk  schicken,  sold  und  groß  gaben 
inen  züverheißen,  daß  si  inen  zu  hil  und  ze  trost  woltent 
kumen;  und  wart  also  die  bäpstlich  botschaft  und  die 
keiserhche  zu  beden  enden  geschickt  zu  den  Switzeren 
und  zu  den  von  Haßli,   und   solt   ouch   hiebi   einwederer 

IS  teil  von  dem  andren  gescheiden  sin,  wan  es  ouch  inen 
zu  beden  siten  ein  botschaft  w^as  von  dem  bapst  und  von 
den  zw^eien  keisern. 

Hie  stat  nun,  wie  das  land  Schwitz  und  ouch  das 
land  Haßli  verhört  hattend  die  botschaft 
20  des  bapst  und  des  keisers. 

Do  nü  das  land  von  Schwitz  und  ouch  das  land 
von  Hasli  vernament  und  verhörten  den  großen  ernst 
und  not,  so  der  heiligen  cristenheit  anlag,  do  warent  si 
dem    selben    boten   groß   er   tun    und    sich   inen   angends 

25  erbieten  mit  gutem  willen  als  ufrecht  gehorsam  gew^er 
cristenlüt  und  helfer  ze  sin,  den  cristenlichen  glouben  ze 
behalten  und  trüw  diener  des  heiligen  vaters  des  bapst 
und  dem  Römischen  rieh;  und  gedachten  an  mengerlei 
vergangnen  sachen,  an  den  großen  mangel,   so  si  gehept 

30  hattend  in  irem  vertribnen  land ;  ouch  gedachten  si  an  ir 

29.     mangel  fehlt  in  M. 


i89 

groß  eilend,  so  si  in  mengerlei  sachen  gehept  hattend; 
ouch  betrachtent  si,  daß  si  vil  frevenkeit  und  schaden  an 
mengen  enden  hattend  getan;  si  bedachtent  ouch,  daß 
si  billich  soltend  undertänig  sin  irem  obersten  herren, 
geistlich  und  weltlich,  um  des  willen,  daß  inen  mocht  5 
verfolgen  gnad  und  aplaß  aller  iren  Sünden.  Harumb  si 
woltent  gehorsam  sin  got  und  den  menschen,  denen 
ouch  semlicher  gewalt  von  got  und  der  weit  was  geben; 
und  warent  sich  also  besamlen  mit  iren  werinen  und  fügten 
sich  zu  dem  kunig  Alarico,  und  zugent  also  in  dem  namen  lo 
gotz  mit  dem  selben  kunig  gen  Rom;  da  si  ouch  dem 
heiligen  vater  dem  bapst  und  den  zwen  keisern  zu  willen 
stritent. 


Hie   nach   vint   man,    wie   der  kunig  Alaricus   mit 
sinem  volk  und  darnach  mit  denen  von  Swätz  und  15 
von  Haßli  die  stat  Rom  umbiegen  hattent. 

Darnach  was  der  küng  Alaricus  mit  sinem  volk,  so 
er  hat,  und  mit  disem  volk,  so  zu  im  geschlagen  w^arent, 
Rom  umbiegen  und  belegen;  und  ordnet  den  houptmann 
mit  dem  namen  Wadislaus  mit  sinem  volk,  so  wenig  wart  20 
in  zal,  von  sinem  volk  inen  zu  geben  und  ließ  die  zeichen 
legen  an  ein  end,  ist  genempt  die  lind  brück,  und  ist 
von  der  stat  Rom  als  wit,  als  ein  halb  lampartschi  mil 
mag  sin.  Die  andren  zwen  houptman  aber  mit  dem 
namen  Swäcerus  und  Remus  sin  gesell  mit  irem  volk  25 
was  er  nemen  zu  sinem  volk  und  was  die  legen  an  die 
Tiber  zu  dem  waßer  für  die  vorstatt,  die  da  geheißen 
die  Löwinstal.  Und  also  warent  da  die  zw^en  houptman 
Swdcerus  und  sin  gesell  Remus  mit  irem  volk  den  vorstrit 

19.    lind— houptmaim  fehlt  in  M. 
22.    Cr.  huot  prugg.    H.  hutt  Brügg. 


28.    Ct.  Lonnstatt.    H.  Leminstatt. 


190 

haben,  und  luffcn  die  suit  so  ungestümlich  an,  daß  si 
crstiiJ;en  die  niuren  und  /innen  und  die  hochen  turne. 
Ouch  griffen  si  die  stat  und  volk  so  erschrockenlich  an 
und  warent  sie  bestriten  und  befechten  als  die  wilden 
5  löwen  und  inechtigen  risen.  Und  gewunnent  und  über- 
kament  da  die  Löwenvorstatt,  an  dem  selben  end  si  ouch 
dn  zal  vil  beiden  und  unglöibiger  erschlügen ;  und  ge- 
wunnen  und  überkament  da  XII  fürstenpaner,  die  ouch 
der   fürnemsten    herren   der  vigenden,    so    der   bapst   und 

i^^  die  keiser  hattend,  warent  gesin ;  als  das  die  cronik  Mar- 
fuüana  eigentlich  seit.  Und  kam  darzü,  daß  von  den 
Schwitzern  vil  von  den  vigenden  erslagen  wart  und  der 
merteil  irs  volks  (der  Schwitzern)  wunt  ut  den  tod  wur- 
dent.     Aber   der   allmechtig  got,    in  des  er  si  das  tatent, 

15  was  in  oberhand  geben  und  behübent  daselbs  den  platz 
und  die  stat.  Do  nun  der  kung  mit  den  sinen  und  denen 
von  Schwitz  in  semlicher  großer  not  und  angst  was  wider 
die  beiden,  do  warent  ir  mitritter  und  gesellschaft,  die 
türstenten   mechtigen   und  redlichen  von  dem  land  Hasli, 

20  der  houptmann  Wadislaus  mit  sinem  volk,  laßen  den 
züschub  des  frömden  hers,  das  inen  der  kung  Alaricus 
hat  zügeben,  und  warent  sich  richten  und  schicken  gegen 
der  Engelburg  unerschrocken,  den  selben  ir  hüte  abzeloufen, 
wiewol  die  selben  hüten  in  all  weg  wol  versechen  warent 

25  mit  werinen  und  mit  lüten,  da(])  in  als  ernst  was,  den  iren 
mitgesellen  von  Schwitz  zu  hilf  komen,  daß  ein  ieglicher 
der  iren  für  den  andern  trang,  daß  inen  der  sig  möcht 
werden.     Aber  die  zwen  keiser  mit  irem  volk  die  lagent 

11—14.     H.   und  ward  ouch  vil  volks  der  Sclnvytzereu  von  den  lioiden  er- 
selilagf-u  und  der  merteil  libel  wund  uf  den  tod.    El)enso  (4. 
18.     ritter  fehlt  in  M. 
23.     M.  hütten.     H.  hutten. 


19.     türstcnt,  kühn,  \-cr\vcgcn. 


191 

uegcn  dem  teil  mittag;;  die  selben  zugent  oucli  zu  der 
Hiigelburg  und  üherlielend  also  die  Römer  und  die  vient, 
und  waren:  si  also  notigen  mit  sömlicher  not,  daß  si 
begondent  abziechen.  In  dem  selben  stürm  und  noten  was 
der  lieidisch  fürst  Eugenius  mit  einer  unzalichen  großer  > 
sciiar  des  volkes  der  Römern  und  Heiden  ziechen  wider 
die  ritterlichen  vechter  von  Hasli  in  der  Tiberbrui2:sj,  die 
ouch  lang  und  hoch  was  und  noch  ist,  als  all,  die  da 
sint  gesin,  noch  hüt  bi  tag  wol  mugent  sechen;  da  ouch 
die  selben  ritterlichen  knecht  und  vechter  von  Hasli  den  ^^ 
selben  platz  behübent ;  do  ouch  der  heidisch  fürst  Eugenius 
mit  einer  großen  schar  sines  volks  erschlagen  ward,  daß 
da  lüt  lagen  tod  in  der  höhi  der  muren  der  selben  Tiber- 
brugg.  Do  wurdent  ouch  so  vil  über  in  die  Tiber  geworfen 
der  erslagen  lüten,  daß  das  waßer  der  Tiber  von  blüt  rot  ^y 
wart  von  den  erschlagenen  beiden,  und  darnach  durch  die 
ganze  stat  Rom  allenthalben  i\n  der  straß  lüt  nider  geleit 
und  erslagen.  Als  nun  dem  cristenlichen  kung  Alaricus 
nach  siner  begird  was  gelungen  mit  sinem  volk,  so  er  bi 
im  hat  von  Schwitz  und  Hasli,  und  darzü  ouch  gerochen  -^^ 
hatte  den  tod  sines  vaters :  do  wart  er  darzü  in  grimikeit 
bewegt  und  in  zorn  und  was  die  fürnemesten  und  mech- 
tigisten  herren  von  Rom  all  laßen  ertoten,  die  denn  vor- 
males  in  den  striten  nit  warent  umkomen;  und  was  si 
für  ir  eigen  hüser  laßen  erhenken  und  an  die  zinnen.  -> 
Weli  aber  warent  geflohen  in  die  kilchen  als  cristenlüt 
und  da  gnad  begerten,  die  wurdent  nit  getödet  und  ward 
inen  ^^nad  getan.  Von  der  selben  hertikeit,  so  der  cris- 
tenlich  kung  Alaricus  den  Römern  erzeigt,  schribt  Fran- 
ciscus  der  Pelrarch  in  dem  püch  oder  in  siner  croneck,  3<^ 
das  ist  geheißen  Au^^ustalis.    Nu  umb  der  sach  willen,  daß 

2.     G.     Eiigelbrugg. 
27.    getödet  fehlt  in  M. 
.30.     G.  Franciscus  Petrait-h.     H.  Franci.scun  der  Patriaivh. 


192 

der  heilig  cristengloub,  der  vil  nach  was  under  getruckt 
und  untergangen,  do  was  der  aUmechtig  barmherzig  got 
sin  gnad  und  tugend  und  sin  würkung  do  erzeigen,  daß  er 
einem  semlich  kleinen  volk  wider  den  tüfel  und  sin  mithelfer 
5  des  verkerten  hundschen  volk,  den  Switzern  und  iren  mit- 
helfern  von  Hasli,  semlich  frölich  überwintniß  geben  hatt; 
darumb  si  zu  ewigen  ziten  sollend  got  loben  und  er  und 
dank  sagen. 

Hie  nach  findt  man,   wie  si  gelaßen,    belonet  und 
10         gefriet  sind  worden  umb  ir  manlicheit,  das 
land  von  Schwitz  und  das  land  Hasli. 

Do  nun  diser  edel  maniich  strit  so  mit  großen  eren 
verbracht  ward  und  mit  fröiden  der  cristen,  und  aber  der 
heilig   vater   der   bapst    mit   den   zwen  keisern  all  frölich 

1 5  und  mit  großen  eren  in  ir  besizung,  da  si  vormales  warent 
usgetriben  und  aber  ruwig  widerumb  warent  komen,  ge- 
setzt wurden  zu  Rom:  umb  der  großen  manlicheit  und 
überwintnuß  wairdent  die  zwen  houptman  von  dem  land 
Switz  und  von  dem  land  Haßli,  vor  dick  genempt,  beruft 

20  und  beschickt  mit  iren  soldnern  und  knechten,  so  si  der 
bi  inen  hattend,  von  dem  herrn  dem  bapst,  von  den  zwen 
keisern  und  dem  kunig  Alarico  nach  einandern ;  und  wan, 
wer  ritterUchen  streit,  der  selbig  sol  ouch  mit  der  cronen 
der  eren  belonet  und  bekrönet  werden.    Und  w^arent  also 

25  den  houptlüten  mit  iren  knechten  anmuten  und  si  er- 
fragen, wan  si  sich  so  maniich  und  so  ritterUch  gehalten 
liattend,  was  si  an  in  müttetend  und  begerten,  inen  ze 
geben  ze  sold  und  Ion.  Also  was  der  edel  hochgeboren 
Swicerus,    der   houptman,    sin   knecht   und   diener,    ouch 

3.    M.  dass  ein  semlich  klein  volk.    Aehnlich  H.  und  G. 
14.     mit  fehlt  in  M. 


193 

niitt^esellen  erforschen  und  erfragen  und  besundern  die 
heimlicheit  irs  gemüets  und  herzen,  was  si  woltent  höi- 
schen  und  erfordern.  Do  wurden  si  ze  rat  gemeinlich, 
einhellenklich  semlich  antwurt  inen  zu  geben :  sid  dem 
mal  daß  die  Vernunft  uf  ir  hat  und  die  gerechtikeit,  daß  5 
wir  getouft  sind  von  dem  waßer  des  cristenlichen  toufs 
und  gecrismet,  als  cristenlich  Satzung  wist,  und  durcii 
den,  der  den  cristenlichen  touf  hat  ufgesetzt  und  uns 
erlost  von  dem  ewigen  tod,  und  wir  durch  sinen  glouben 
behalten  mugent  werden,  durch  den  selben  cristenlichen  ^o 
glouben  wir  beruft  sind,  den  helfen  ze  schirmen :  bedunkt 
uns,  daß  vvir  in  semlichen  zimlichen  anmütungen  billich 
bereit  und  gehorsam  sint  gesin;  wir  sind  ouch  durch 
den  cristenlichen  glouben  von  unserm  heiHgen  vater  dem 
bapst  Zosimus  beruft,  gemant  und  erfordert  worden;  und  ^5 
darum  von  siner  gebot  wegen  und  durch  sin  legatum 
und  botschaft,  so  wir  bi  uns  in  unsern  landen  band 
gehept,  mit  ganzem  ernst  underwist  und  beruft  worden 
ze  sin  undertänig  unsren  obren,  wir  ouch  und  die  unseren 
band  unser  blüt  verrert  und  vergoßen  gern  und  mit  ^o 
iTÜtem  willen  für  den,  der  sin  rosfiu'b  blüt  für  uns  ver- 
goßen  hat  an  dem  stamen  des  crützes  und  bloß  daran 
ist  gehangen. 

Hie  stat  nü  ir  bitt  umb  ir  friheit  und  zeichen 

der  von  Switz.  ^5 

Aller  heihgister  vater  und  aller  gnedigisten  herren,  so 
bitten  wir  üwer  heilikeit  und  gnaden  und  ermanen  ouch 

20.     G.   verert.    H.  gibt  den  ganzen  Abschnitt  verkürzt,   weicht  überhaupt 
von  hier  an  bedeutend  von  G.  ab. 
26.    vater  fehlt  in  M. 


7.     crismen,  firmeln. 
20.     verreren,  fallen  laßen,  ausgießen. 


194 

üch  güetlich  mit  allem  ernst,  daß  ir  uns  wellet  begaben 
und  belonen,  uns  und  ouch  die  unseren,  wann  wir  doch 
frömd  und  darkomen  sind  in  unser  land,  das  denn  vormales 
ungeliebt  und  ungebuwen  ist  gesin;  aber  durch  uns  und 
5  die  unsern  daheim  ist  geliebt  und  gebuwen  worden ;  und 
wir  ouch  von  dem  land  Sueden  und  Ostfriesen  durch 
mangel  und  gebresten  der  spis  und  armüt  aber  mit  los 
usgeschlagen  und  vertriben  sind ,  und  in  eilend  und  fremden 
landen  ietz  unser  wonung  band  und  ouch  daselbs  zu  disen 

10  ziten  unser  herz  und  lib  müthatzü  beHben.  Nu  ist  war,  wir  band 
unz  da  her  mangel  gehept,  unser  eigen  zeichen  und  paner 
ze  han :  also  bittend  wir  und  begeren,  daß  uns  ein  zeichen 
und  ein  paner  werd,  das  ganz  rot  si  und  ouch  vierschröt, 
und  darin  das  zeichen  unsers  herren  Jhesu  Cristi  mit  sinem 

15  minnezeichen  gegeben  werd;  wan  er  ouch  durch  unser 
willen  hat  vergoßen  sin  rosfarw  blüt;  und  darum,  wan 
wir  ouch  sind  gesin  undertänig  dem  bäpstlichen  und 
keiserlichen  gepot,  darzü  begeren  wir  ouch  vor  dishin 
niemanden    dann    dem    keiserUchen    gebot   ützit   schuldig 

20  ze  sin;  demnach  ouch,  daß  unser  land,  da  wir  unser 
wonung  band  in  dem  gehrochnen  gebirg,  mit  uns  und  allen 
unseren  nachkomenden,  die  das  selbig  land  besitzend,  von 
allen  erdiensten  und  beschirms  in  all  weg,  nützit  usge- 
nomen,  entbrosten  und  änig  sient.   Und  sit  dem  mal,  daß 

25  die  eigenschaft  des  dieners  ist  armlich  und  einem  ieglichen 
menschen  swerUch  ze  halten  und  ze  tragen,  so  sind  wir 
doch  von  der  natur  frei   geboren ;    da   ist   nü  nmser  bitt, 

9—11.    unser— unz  fehlt  in  M. 

19.  dann  fehlt  in  M. 

20.  M.  gibt  soUent  statt  ze. 


13.     vierschröt,  viereckig,  in  vier  Felder  getbeilt. 

1 5.     minneyeichen,  Liebeszeiclien,  die  Wundmale  Christi. 

24.     entbrosten  und  änig,  befreit  und  ledig. 


195 

daß  das  glück  von  unser  harkomen  friheit  uns  niemer 
knecht  noch  eigen  mach.  Wir  begcren  ouch  von  üwern 
gnaden,  daß  wir  fürwerthin  fri  sint  vor  allen  höischungen 
oucli  fordrungen,  es  si  zol  oder  ander  uflegung,  so  von 
uns  gehöischen  oder  erfodert  möcht  werden.  Harzü  be- 
geren  wir  witer  so  vil  und  me,  daß  wir  zu  ewigen  ziten 
und  all  unser  nachkomenden  keinem  weltlichen  gewalt, 
usgenomen  dem  cristenlichen  keiserlichen  gewalt,  under- 
tänig  und  gehorsam  sient ;  ouch  keinem  geistlichen  gebot, 
usgenomen  dem  heiligisten  vater  dem  bapst  zu  sinen  ziten,  ^^ 
ouch  dem  erwirdigen  bischofe,  under  dem  wir  geseßen 
sind.  Als  nü  dise  bit,  vordrung  und  ouch  höischung  ver- 
bracht was  und  volgangen  nach  aller  ir  anmütung,  und 
begabt  volkomenlich  und  inen  gegeben  ward  vom  bäpst- 
lichen,  keiserlichen  und  kuniglichen  gew^alt  das  mit  briefen  ^  5 
insigelen  versicheret  und  verzöigen  wart  nach  allem  irem 
willen :  do  was  der  heiig  vater  der  bapst  inen  sinen  bäpst- 
lichen  segen  geben  und  Vergebung  aller  iren  sünden ;  gold, 
silber,  edelgestein  und  ander  edel  kleinöt  warent  si  ouch 
von  inen  enpfahen,  von  dem  selben  vor  gemelten  bapst,  20 
keiser  und  kunig;  und  warent  also  in  großer  früntschaft 
und  güetikeit  von  inen  scheiden. 

Hie   nach    stat   nü   die   anmütung  und  bitt,    so  der 
houptman  von  Hasli  was  dem  bapst  und 

keiser  anmuten  und  höuschen.  25 

Darnach  was  der  ritterlich  manlich  houptman  mit 
sinem  volk  und  gesellen  von  HasU,  Wadislaus,  ouch 
semlich  antwurt  geben  und  bitt  tun,  wie  denn  ir  mit- 
gesellen und  trüwen  bundgnoßcn  Swicerus,  der  houptman 
von  Schwitz,  vormals  hattend  getan,  mit  allen  worten  nit  30 

1.     M.  üwor  friheit  barkomenheit.    H.  üwer  harkomeu  friheit. 


1^6 

minder  in  keinen  weg,  denn  allein  spmchent  si,  der  houpt- 
man  von  Hasli  und  die  sinen :  sid  dem  mal  und  wir  band 
dem  keiserlichen  gebot  gnüg  getan  und  dem  undertenig 
sind  gesin,  so  begeren  wir,- daß  unser  zeicben  und  paner 
5  si  glicb  in  all  weg  als  des  keisers,  nützit  usgenomen,  nocb 
nüt  darzü  geleit,  nocb  kein  färb  des  zeicbens  und  paneres 
verendret ;  denn  allein,  daß  der  adler  für  ander  vögel  mit 
siner  tugent  der  böcbst  ist  und  edelst,  mit  zwöin  böuptern 
wirt  gemacht,  und  das  von  gewalts  wegen,  so  ein  keiser 

lo  hat  von  einem  end  der  weit  zu  dem  anderen  der  weit, 
das  ist  als  vil,  als  von  der  sunnen  ufgang  unz  zu  der 
sunnen  abgang,  und  mit  des  heiigen  richs  cronen  die  bede 
houpt  werden  gekrönet.  Und  wan  nun  wir  die  sind  ge- 
sin, die  ietz  vor  kleiner  zit  und  tagen  das  selb  heiig  rieh 

^5  und  den  cristendlichen  glouben,  der  halb  vertilget  und 
zerstöret  und  vil  nach  underbracht  was,  hend  geholfen 
beschirmen  als  trüw^  diener  der  undertänigkeit  mit  unsern 
mithelfern  und  getrüwen  gesellen  von  Schwitz,  und  uns 
got  mit  inen  geholfen  hat,  daß  wir  in  allen  unsern  nöten 

2o  band  überwintniß  gehept  und  unser  viend  under  uns  ge- 
bracht und  üch  in  üwer  besitzung  volkumenlich  gesetzt 
und  gestellt  haben:  da  ist  unser  ernstlich  beger  und  bitt, 
daß  wir  den  adler  mit  einem  houpt  füeren  und  gekrönet 
mit  der  krön  des  richs  und  uf  der  krön  ein  krütz  offen- 

25  bar  stand,  und  wir»  des  von  üwern  gnaden  gefriget  wxr- 
dent.  Do  nü  die  gnedigisten  herren,  die  keiser,  dis  an- 
mütung  hörtent,  do  warent  si  ser  erschrocken,  daß  si 
soltent.  keiserlich  zeichen  also  von  der  band  geben,  als  ir 
anmütung  was.   Und  wan  aber  nun  ein  schlecht  Verheißung 

30  und  ein.  wort  eins  fürsten  sol  me  übertreffen  und  bestenklich 
sin,  denn  eins  koufmans  schweren,  do  woltent  die  keiser 
ir  verheißen  und  wort  statt  halten,  wiewol  das  kumerlich 

14,    rieh  lind  don  felilt  in  M. 


197 

zugieng.  Und  warent  da  der  heiig  vater  der  bapst  und 
der  kciser  die  edlen  ritterlichen  knecht  mit  irem  houptman 
von  Hasli  frigen  mit  briefen  und  insigeln,  wie  si  ouch 
das  selbe  glichen  getan  hattend  iren  mitgesellen  von 
Schwitz;  und  warent  si  ouch  darzü  inbesunders  belonen  5 
mit  gold  und  mit  silber  und  edelgestein,  ouch  ander 
kleinet;  und  was  der  heiig  vater  der  bapst  inen  geben 
sin  heiigen  bäpstlichen  segen  und  vergeben  aller  ir  sünd. 
Und  darnach  warent  si  sich  enphelhen  dem  heiligen  vater 
dem  bapst  in  sin  gebet  und  den  keisern  in  iren  schirm,  ^° 
und  warent  darnach  in  dem  namen  gotz  von  dannen 
scheiden  heimwert  in  guter  früntschaft  und  frid. 

Und  also  well  gott  uns  geben  ein  gut  selig  end,  und 
well  darzü  den  unsern  zu  ewigen  ziten  geben  kraft,  sterk 
und  macht,  daß  si  fürwerthin   aber  allen  iren  finden,  ge-  ^5 
sichtig  und  ungesichtig,  überwintniß  geben!     Amen. 

L  AUS  D  E  O. 


I.  Orts-  und  Personenregister. 


Adria  2. 

Alexanäria  2. 

Alfonsus  ans  Frieslanil  182. 

Allmendingen  J28. 

Amhrosins,  St.  186. 

Anisoldingen  6j,  88,  161. 

Ar  18,  i8j,  188. 

Avlgnon  166. 

Bern  ly^. 

Brentzhofen  124. 

Brünig  i8j. 

Buhenherg  ^8,  }<),  js2,  i6j,  tj2. 

—  Adrian  v.  ^9. 

—  Heinrich  v.  ^(},  iiy. 
Biirgiinnherg  6y. 

C^sarins  von  Heisterhach  i^,  21, 

24>  SS- 
Cishertus  aus  Schweden  iSo. 
Claudianus  Florentinus  186. 
Colnmhau,  St.  161. 
Constan:{^,  Bisthuni  88. 
Cremona  92. 

Cristoffel  ans  Ostfriesland  180. 
Dieshach  124,  160. 
Dodo  8,  5?. 

Einigen  16],  idy,  16S  u.  ff'. 
Erlenhach  ^2,  160. 
Eschi  6-],  88. 
Eagenius  186,  ic^i. 
Eulogius  Kihurger  ^8. 
Frechnünd  18^,  j8;. 
Frutigen  6y,  88,  8^. 


Fulensee  jjj,  }6i. 
Garganns  25",  1^7. 
Gerliensee  141. 
Ge  steig  160. 

Hahshurg  184. 

Hasli  160,  j8s,  188  etc. 

Hasnis  18)  etc. 

Heiligenverieichniß  iy4,  lys- 

Hilt  er  fingen  6y,  88,  no,  119. 

Höllnwos  10^. 

Jacohus  de  Voragine  4,  jit,  112. 

Jerusalem  6. 

Joder,  St.  lyj. 

Kander  18,  19  etc. 
Kaiser:  Archadius  i86. 

—  Constantinus  J2. 

—  Friedrich  I.  ^8. 

—  Friedrich  IL  142. 

—  Friedrich   V.  ^2. 

—  Heinrich  VI.  10^. 

—  Honorius  186. 

—  Otto  I.  und  II.  6j. 

—  Philippus  Materno  i^. 

—  Theodosius  älter  iSj. 

—  Theodosius  jünger  i8y. 
Könige:  Adrianus  Elius  2. 

—  Alarich  i8y  u.  ff'. 

—  Attila  6y. 

—  Hugo  64. 

—  Lothar  64. 
—■  Otto  6s. 

—  Phlemäus  2  u.  ff. 


199 


Könige:  Riuiagais  i86. 

—  Rudolf  IL  v.Burgiiiui  6j  ii.ff. 

—  Rudolf  V.  Habsburg  iji. 

Lamparten  26,  6j,  144. 
Lausanne,  Bischof  v.  ^4,  iß6,  142, 

148,  170. 
Leuxingen  6y,  SS. 
Lintbruck  iSq. 
Likuenstait  iStj. 
Lugdanuin  ij6. 
Luft,  goldene  10,  11. 

Martinus  Polonus  ),  6. 
Merlingen  i^tj. 

Michael,  St.  ij,  22,  2^,  31,  42,  j6, 
70,  114,  12s,  14s. 

Ostfriesen  180  u.  ff. 

Päpste:  Alexander  L  i. 

—  Alexander  IIL  104. 

—  Alexander  V.  i2ij. 

—  Anastasius  186  u.  ff. 

—  Dionysius  41. 

—  Gregorius  IX.  144. 

—  Gregorius  X.  ij6.  • 

—  Honorius  IIL  ij2. 

—  Honorius  IV.  inj. 

—  Innocentius  III.  114. 

—  Innocentius   VI.  166. 

—  Leo  VIIL  74,  76. 

—  Silvester  $2,  $7. 

—  Zosbnus  187  u.  ff. 
Paradies,  Gründung  ßi.  u.  ff.; 

Weihung  42  u.  ff. ;  Zerstörung 
iß4;  Ziueite  Weihung  1^6. 

Parus  148. 

Peter  von  Moos  iSß. 

Petrarca  187,  ipi. 

Plinius  i8ß,  187. 

Priamus  i8ß. 


Priester  im  Paradies:  Adelbercht 
17,  iS. 

—  Arnold  von  Sumisiuald  126. 

—  Burkart  166. 

—  Diethelmus  86. 

—  Dietrich  c^g—iü4. 

—  Nokerus  ijS. 

—  Rudolf  iß7,  14$. 

Remus  18)  u.  ff. 

Reutingen  J4. 

Rin  18s. 

Rudolf  von  Salves'wil  164. 

Rütli  II ß. 

Scher^lingen  67,  88. 
Schorren  112. 
Sigriswil  67,  88. 
Sinai  iiß. 
Sinn  (Sicna)  128. 
Spieti  67,  88,  IJ2,  162,  171,  i7ß. 
Stocken  jj. 
Slolitrates  180. 

Stretlingen  v.  Adelheil  (Bernharts 
Frau)  118. 

—  Adelheit  (Rudolfs   Tochter) 
64,  74. 

—  Albrecht  12. 

—  Anna  ()8,  loß — 108. 

—  Anshelm  12$ — ißo. 

—  Arnold  I.  ßo  ~)2. 

—  Arnold  IL  p — 6ß. 

—  Aureliana  14. 

—  Berchta  64,  81. 

—  Bernhart  118 — 12^. 

—  Berchtold  13—17. 

—  Burkart  83 — 97. 

—  Caspar  20  —23. 

—  Cristina  20. 

—  Cünrat  io<j — 117. 

—  Diebold  <^8 — 104. 


200 


Stretl Ingen  v.,  Diemüt  lo,  ii. 

—  Dietrich  (Theodricus)  j—ii. 

—  Elisabeth  ijp. 

—  Gertrud  i]i. 

—  Hedwig  12  j;. 

—  Heinrich,  Herr  von  Laubegg 
1^9^164. 

—  Katharina  10^,  u^. 
--  Kilngold  jjio. 

—  Margaretha  ßo. 

—  Marquart  lO). 

—  Mechtild  16$. 

—  Otto  loß. 

—  Richard  loj. 

—  Rudolf  64 — 82. 

—  Sifrid  14,  iS — 20. 

—  Sigmund  ij;o — ij8. 

—  Sophia  84—86. 


—  Susanna  25. 

—  Walther  16^—iyi. 

—  Wernhart  2} — 25?. 

—  Wilhelm  i^i — ij;o 

—  Ulrich  lyi. 

Sueden  180  u.  ff. 
Swicerus  i8ß  u.  ff. 
Sivitx_  18 j;  IL  ff. 

Thierachern  6y,  88. 
Thun  6j,  88,  160. 
Thunsee  18. 
Utigen  67,  88. 
("P^adislaus  i8ß  u.  ff. 
Weißenburg,  Freiherr 
Wendelsee  10,  18  etc, 
Wimmis  6y,  88. 
Wyler  1^4,  140. 


V.  104. 


IL  Wortregister. 


änderiuert  120. 

brunnend  //. 

enent  iSj. 

angends  16. 

brutlouf  2(). 

enkein  34. 

angesichtig  iiß. 

brachen  s.  1/5;. 

entbrosten  1^4. 

anmuten  1^2. 

buwfellige  iiy. 

entchrist  114. 

ammltung  j8.  i^]. 

Crismen  ipß. 

entheißen  s.  8y. 

alter  4^. 

dennocht  12. 

eren  1^4. 

änig  zuerdeu  8y,  1(^4. 

dristent  18. 

ergetien  24. 

anvacher  ßj. 

durechtung  /, 

erkiken  66. 

hätstein  I4(j. 

dürren  21. 

erneren  iio. 

begeben  s.  loß. 

eben  PS- 

erschall  40. 

bekennen  86. 

eines  181. 

etizvie  8. 

behimen  22. 

einest  18. 

flesch  jji. 

berschaftig  74. 

einig  16). 

fronaltar  ?^. 

beten  (subst.)  168. 

einweder  188. 

frummen  81. 

biti  s6. 

end  8,  184. 

fand  und  geverd  yö 

brächet  14c;. 

ender  cjo. 

fürdrungsbriej  147. 

201 


fiirkoinni  Sy 

fiiru'('ii(]('ii  6c). 

fünvcrthiii  6i,  n)S. 

fiiriL'orl  jS. 

gale/'i'  144. 

i^t\i:^U('  $2,  1S4. 

gel)  ah  Ol  s.  112. 

igelten  124. 

gen  lieh  tsame  10. 

geschichl  von  ij,  iSi. 

geschikt  (siihsl.)  41. 

gesiebfig  ir?,  i^y. 

gespons  66. 

gestraJct  und  rageiiä  112. 

getnrstig  loi. 

gezuare  46. 

ge-ivißne  7^. 

gnot  und  vast  /;. 

grußfani  locj. 

gut,  ligent  oder  fü- 
ren t  42. 

harnnil)  u,  iSi. 

bei  Uli  ich  ip. 

beiscben  2j. 

beUiheit  1^4. 

belliun  2(j. 

binderwert  t]). 

bin  seilen  102. 

hochiit  4S. 

boßiigu'en  4S. 

bogreeht  ISS- 

biitte  i^)(). 

ielieh  jcS'. 

inshihen  -je). 

iseb  iinwr  I.  froiven 
q4. 

jariit  168. 


/och  po. 

ketglen  j^(). 

kein  ip,  i)S,  182. 

kilchenl icher  loi. 

bil ebber i  loy. 

kJegd  yi. 

komlich  ^o. 

komlichbeit  10. 

hropfecht  i^j. 

hiniherUcb  112,  jc)6. 

hitibüt  60. 

liden  j. 

/i den  blieb  40. 

lidigen  ^4. 

Idißich  ^;. 

losen  7^. 

lüejen  126. 

Ii'nnde  100. 

lUaletx_ig  KJ. 
indnsch/n  126. 
niase  j6j. 
nießacbel  ^8. 
niiiuu\eicJ)en  ig/, 
nnirinien  i^ij. 
lieninien  59. 
nihuhnicb  J5?, 
Offnen  7/. 
orienal  88. 
ortstein  ^8. 
pateu  14}. 
pen  48. 
porküche  84. 
priniit-^  ;/. 
Teichen  Toy. 
rente  ^f. 
richsnen  2. 
richtnng  rjj. 
Sägen  4),  184. 


samnung  ^8. 
schalle  ^88. 
schämig  iio. 
schiken  ^4. 
sclmpoße  124. 
Sechen  (snhst.)  j6. 
Segen,  sant  Johanns  14^. 
seiger  et  e  ß^. 
sihcnde,  der  168. 
siechtag  46. 
sinwel  J2. 
sod  112. 
Stande  ^8. 
stat  12. 
Stehler  8i). 
stolc  j6i). 
stol  s6. 
straf  4. 
li'trstent  icjo. 
Überkonten  8. 

iiß-edlicb  12J. 
nnargwenig  6i. 
nnderstan  s.  142. 
uiifur  161. 
nngeschaffen  126. 
nngeschiht  von  T12. 
un  gesiebt  ig  J97. 
ungeüeht  184,  79,/. 
usricbten  61. 
Vallende,  das  rj;. 
vech  6)1). 
vederspii  jo. 
veißolgen  in,  ^7.  iiS'9, 

verjehen  2c). 
verligen  s.  9^. 
verniitigen  67. 
verreren  ipß. 


202 


verrichten  1^4. 
verschinen  ly,  lyi. 
versechen  8j. 
versprechen  s.  6cf. 
verwachsen  ^j. 
verTJehen  14^. 
ver^ihen  i^. 
vierschröt  1^4. 
tnli  iSy. 
vin^ erlin  2/. 


vorsah  ^8. 
Walen  ijc^. 
war  7J. 
lueidnie  j;o. 
luerinen  18^. 
widern  _?/, 
widmen  ^j.    ^ 
wislos  14. 
wonschaft  184. 
uiort:{eichen  46. 
lunchemueril  tj2. 


:<ielge  so. 
lergengcn  i^y. 
Xit  i2y. 
glicht  ^4. 
fügsame  i^^. 
lühinft  29. 
luveJie  81. 
i^wigen  184. 
^luingflJf  144. 
^wiirent  j8. 


Verbesserungen  und  Zusätze. 


XXVII  Anm.  2 :  Gclpke,  die  christl.  Sagengeschichte  der  Schweiz 

1862,  p.  32  u.  ff. 
34  sind  die  Ziffern  der  Noten  je  um  eine  Zahl  zurückzusetzen.     ; 
62,  19  statt  des  handschriftl.  von  sitten  I.  und  sitten. 
128  Anm.  Z.   I  V.  u.  st.  hohiu  1,  höhiii. 
145,  6  st.  widigen  1.  wirdigen. 
163,  18  St.  hilchherren  1.  Icilchherren. 

169,  12    St.    des   handschriftl.   wie   das  denn   gut  geheißen  1.  wie 
denn  das  gut  geheißen, 
p.   174  Anm.  Z.   II   V.  u.  st.  flecterunt  1.  steteriint. 
Ebendaselbst  Z.   10  v.  u.  füge  hinzu:  ActafimdationisMurensismona- 
sterii  und  GesrhicJjfsfreiind  ¥,,274. 


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