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.N :*f''y
Die Thiere
in der
indogermanischen Mythologie
von
ingelo De Gabernatis,
Professor des Ssnskrit und der vergleichenden Literatur am Institute di studii
snperiori e di perfezionamento zu Florenz.
Aus dem Englischen übersetzt
von
H. Hartmann.
Autorisirte, mit Verbesserungen und Zusätzen versehene
deutsche Ausgabe.
'^^V'^
-S
Leipzig)
Verlag von P. W. Qrunow.
1874.
t
Inhalt.
Erster Thell.
Die Landtbiere.
Kapitel I. Seite
Die Kuh und der Stier 1
§ 1. Die Ruh und der Stier in den vedischen Hymnen ... 1
§ 2. Die Verehrung des Stiers und der Kuh in Indien und die
bezüglichen brahmanischen Legenden 32
§ 3. Der Stier und die Ruh in der iranischen und turanischon
Sage 70
§ 4. Der Stier und die Kuh in der slawischen Sage ....
§ 5. Der Stier und die Kuh in der germano-skandinavischeir
und fränkisch-celtischen Sage 172
§ 6. Der Stier und die Kuh in der griechischen und römischen
Sage 2m
Kapitel II.
Das Pferd 2VU
Kapitel III.
Der Esel i?78
•
Kapitel IV.
Das Schaf, der Widder und die Ziege 312
Kapitel V.
Das Schwein, der wilde Eber und der Igel 339
Kapitel VI.
Der Hund 351
Kapitel VII.
Die Ratze, das Wiesel, die Maus, der Maulwurf, die Schnecke, das
Ichneumon 9 der Skorpion, die Ameise, die Grille und dio Heu-
schrecke 371
Kapitel VIII.
Der Hase, das Kaninchen, das Hermelin und der Biber ^^
i
■
Vi
Material zu CoDJekturen Modificationen erlitteu haben würden.
Doch die Besorgniss^ die immer auf dem Gelehrten lastet^ sein
Leben könne ein Ende erreichen^ bevor es ihm vergönnt sei; seinen
letzten nnd natürlich am zärtlichsten gehegten Plan auszuftlhren,
nöthigte mich, anter allen Umständen den Fortschritt meiner Ar-
beit zn beschlennigen, gleich dem Sohne des fabelhaften Helden,
der nicht von Jahr za Jahr, sondern von Tag zu Tag, von Stunde
zu Stunde wuchs.
Und wenn dieses anspruchslose Erzeugniss eines italienischen
Talentes und seiner Forschungen möglicherweise hier und da
einen erhellenden Lichtstrahl auf ein fast noch ganz unerforschtes
Gebiet wirft, wird es doch auch oft genug dem Versuch eines
vorschnellen Jünglings gleich scheinen und deutlich eine Früh-
reife verrathen. Es war freilich fast unmöglich, sich bei der
Neuheit des Unternehmens von einer Verleitung auf unbekannte
Abwege gänzlich freizuhalten und der Versuchung zu widerstehen,
zuweilen eine übereilte Bemerkung zu machen; doch werde ich
durch das lebhafte Vertrauen getragen, dass das Buch seinem
Leser helfen kann, das grosse historische Princip zu verstehen,
welches die Entwickelung der Thiermythologie beherrscht, von
ihrer primären Gestaltung an bis auf ihre jüngste Darstellung in
der Sage, und zugleich auch in einer allen Zweifeln ein Ende
mischenden Weise darthun wird, wie nothwendig es ist, künftig-
hin das, was in engerem Sinne Mythologie heisst, mit der Er-
forschung der ganzen ungeheuren Masse der Volkssage, der
edirten sowohl wie der nicht edirten, die sich in Gedichten, Le-
genden, Liedern, Mährchen, Sprichwörtern und abergläubischen
Vorstellungen erhalten hat, zu einem Studium zu verbinden.
Es ist durchaus nicht wahr, dass die alten mythologischen
Systeme aufgehört haben zu existiren; sie sind nur auseinander-
gezogen und umgebildet worden. Nomen est mutatum, numen
retentum. Sein Glanz ist vermindert, weil seine Beziehung auf
den Himmel und seine himmlische Bedeutung verloren gegangen
ist, weil es irdischer geworden ist ; trotz alledem ist seine Lebens-
fähigkeit noch eine enorme. Man möchte fast von den Göttern
sagen, wie von den Reliquien der Heiligen in der römisch-katho-
lischen Kirche, je mehr sie getheilt werden, desto mehr verviel-
fältigen sie sich. Immer und immer noch schmausen sie die Am-
brosia, die ihnen Unsterblichkeit gab, doch nicht im Himmel
allein; denn wie sie uns ihre Gaben zu Theil werden lassen, so
versorgen wir sie tagtäglich mit dem Brode des Lebens ; und diese
vn
irdische Ambrosia; diese unsterbliche Nahrung der Götter ist das
OeheimnisS; in welches die Phantasie sie zu hüllen liebt; von
welchem umwoben sie dem Gemttth des Volkes erhaben und
schrecklich scheinen. Nichts klebt fester an der Erde^ keine
.Wucherpflanze kann sich weiter ausbreiten, als ein Aberglaube.
Eine wissenschaftliche Wahrheit erfordert Jahre und bisweilen
Jahrhunderte des Erweises, um in allgemeine Aufnahme zu kom-
men, und ihre Verfechter ziehen es leider! nur zu häufig vor,
statt das Märtyxerthum zu leiden, sich der verabscheuungswttr-
digen Parole der Papisten zu unterwerfen: „Laudabiliter se sub-
jeeit;" doch ein Irrthum, der auf einem Gefllhl des Uebernattir-
lichen beruht, bedarf nicht des elektrischen Drahtes, um von Her-
zen zu Herzen zu zucken und in der leichtgläubigen Welt einen
Wiederhall zu wecken, während die schwere Batterie von Ver-
nunftgrttnden eines ganzen Heeres Rationalisten nicht genügen
wird, ihn zu vertreiben, wo er sich festgesetzt.
Da also die alten Mythän noch, wenn auch nur in fragmen-
tarischer Gestalt existiren, nämlich in den Volkssagen Europas,
so bieten diese Fragmente, mit einander verknüpft, ein werthvolles
Material für Vergleichung mit den alten Formen, denen der Ge-
nius der Dichter und Künstler eine Färbung gegeben hat, die aber
ohne die Hilfe der lebendigen Sage oft nicht leicht z\\ erklären
wären. Der alte Mythus giebt uns häufig den Keim vieler noch
heut umlaufenden Sagen und ebenso lösen diese das Räthsel
mehr als einer alten Personification von Himmelserscheinungen.
Ihre Beziehung auf einander ist eine fast unmittelbare und die
Nachweisung dieses Umstandes ist gerade das Objekt der Wissen-
schaft, zu der ich hier meinen ersten bescheidenen Beitrag liefere.
Wie in der Geschichte der indogermanischen Sprachen das
Sanskrit als der Ausgangspunkt dient, eine Sprache, welche mehr
als irgend eine andere ihren Grundcharakter bewahrt hat, so sind
es in der verwickelten Geschichte der Mythologie, die alten ve-
dischen Texte, und besonders der Kigveda, auf welche wir
vor Allem als auf den Mittelpunkt zurückgehen müssen, von wel-
chem die Mythologieen anderer indogermanischer Völker strahlen-
förmig ausgehen. Das unzweifelhafte Alter dieser literarischen
Dokumente, der spontane Charakter ihrer Lyrik, ihre Priorität vor
aller epischen und dramatischen Literatur, in welcher die Götter
erst in sekundärer Gestalt auftreten, d. h. in Gesellschaft irdischer
Helden und überhaupt der Erde näher stehend als dem Himmel;
die Möglichkeit, dass diese Texte uns zahlreiche Beispiele des
VUI
leichten Uebergtoges you Himtiielserscheiniingen zu dem Bilde
des Gottes liefern, mit einem Wort^ die Gleichzeitigkeit von Lied
und Schöpfung des Mythus, zwingen uns^ die ersten Begriffe
indogermanischer Mythologie auf dieslen Blättern der Natürpodsie
zu suchen. Wie es jedoch unverantwortlich wäre zu sagen , d4s
Sanskrit enthalte in sich alle indogermanischen Sprachgestaltungen,
so dürfte die Behauptung nicht weniger voreilig sein^ dass ib
den vedischen Hymnen unsere ganze Mythologie gegeben sei.
Wir suchen in ihnen eben einzig und allein nach alten \aA
anthentischien Argumenten , um nachweisen zn kOnnen , Wie ge-
wisse HaUptmythen vor der Zerstreuung der Indogermanen ge-
stallet waren ; ist das Gesetz erwiesen, nach welchem sich di)ese
entwickelt haben, so wii'd es weiterhin möglich sein, iuch die
Geschichte derer zu reconstruiren , die noch bestehen, indem wfr
uns dabei auf die Analogie stützen und die entsprechenden Ma-
terialien der verschiedenen Volksliteraturen benutzen, die indische
Literatur selbst mit eingeschlossen, Welche der vedischeki anf dem
Pusse folgte, und ib welcher wir zuweilen Sagen und mythische
Vorstellungen finden, die uns in Stand setzen, mehre dunkle
Stellen der Veden aufzuklären nnd zu ergänzen, wie sie uns auch
nicht selten neue Mythen bieten, deren Spur in den auf uns ge-
kommenen vedischen Hymnen verloren ist Erwägehi wir die
Daner der vedischen Periode nnd die territcAiale Anftdehnnng,
welche die Nationen, die die vedischen Hymnen sangen, zwei-
tausend Jahre lang, Von dem Füsde des westlichen Himalaya bis
an die Ufer des Ganges, einnahmen, so können ja die Hymnen,
welche wir überkommen haben — obwohl ihre Zahl im Bigvedä
allein mehr als tausend beträgt — nicht zahlreich genannt wer-
den, vielmehr haben wir Grund zn vermuthen, dass in dem Dun-
kel des grauen Alterthums und in diem Wirrwarr der Wanderungen
viele andere Ituf ewig verloren gegangen sein mttssto. Auch
waren ja nicht alle Mythen in Liedform gebracht-; viele wurden
nur in d^ Familie fortgeerbt und gesammelt : daher jene geheimfe
Wissenschaft, die sich uns theilweis in den Exorcislnen ntd An-
rufungen des Athärvaveda offenbart; daher jene abergläubi-
schen Vorstellungen, die sich als Familienbräuche in den Gphya-
sutras findet; daher die Fülle von Sägen, die als Nachträge in
allen Brähmanäs enthalten sind, und das ungeheure Material, das
in den Epen; in den puranischen Erzählungen und von den No-
vellisten gesamäielt ist Dadurch nun , dass dieser ganze Relch-
thum an mythisc(hen Traditionen in die indische Literatur über-
IX ,
gegangen ist, gewinnt ditBUielbe besondere Wiehtigkeit als Mittel
der Vergleichnng ; da aber trotz dieser Ueberflille an literariseben
Dokumenten, welche sagenhafte Stoffe behandeln; viele Mythen
gänzlich ans dem Bewusstsein und dem Gedächtniss des indischen
Volkes geschwunden sind, ohne eine literarische Spnr tn hinter-
lasset!; so mtlssen wir bekennen^ dass Indien, obzwar in der Oe-
sehiehte der Mythologie, wie der indogermanischen Sprachent-
wicklnng das an Elementen reichste Oebiet, und darum der
schätzbare Ausgangs- und Endpunkt jeder Vergleichnng^ dennoch
nicht als der einzige concentrische Typus fttr alle Vergleichnng
di^en kann.
In manchen Beziehungen ist die griechische Mythologie, in
anderen die slavische, skandinavische und deutsche weitaus evi-
denter, sie entwickeln das mythische Motiv (das Omndprincip),
das sie mit Indien gemeinschaftlich besitzen, weit ausfbbriicher ;
in einigen Fällen — wie schon bezüglich der Sprachen erwähnt
wulrde — fehlt das indische Element im Mjrtfaus absolut, wäh-
rend das europäische eine ausserordentliehe Lebensfähigkeit und
Expansionskraft entwickelt Eb genügt hier, zu erwähnen, dass
sieh in Europa ein vollständiges Epos vom Fuchs ausbildete» wäh-
rend die indische Sage, welche lieber bei der Schlauheit der
Schlange vet^eHt, jenem Thiere eine untergeoithiete Stelfaing
anweist Allerdings kommt hier ttudi die zoologisehe G^eosgräphi^
in Betraeht, um die augenfällige Unterbrechung in der. Reihe der
Vei^^hungen sa eitiären;, indem sie zeigt, wie "es unmöglich
war , dass in den indischen Sagen der Fuebs, ein Thier, das in
diesen Gegenden weit weciiger bekannt ist, der vollkommenste
Typus weiblicher Schlauheit werden sollte; während andrerseits
aus detiiselben Grunde d^r Elq)hant, der Riesenafle, die Riesen-
turteltaube, die eine so wichtige Stelle in der brahmaniiSichen
Mjrtholegie einnehmen, kaum in den mythischen Legenden Euro-
pas einen Platz finden konnten, da tue in diesen weit weniger
bekannt sind und darum wen%er geeignet wären, Trl^r des
lAten oder selbst des modificirten mythischen Bildes zu sein. Doch
obwohl die verschiedenen Thiergestalten hir und da aus geo-
graphischen Ghünden fttr einander eingetreten sind, ist doch diets
mythische Mo^v, auf welchem «ie basiren, immer und überall
dasselbe. So führten die verschiedenen Gharakteranlagen , die
verschiedenen Bedürfiiisse und Tendenzen iler Völker, aus denen
unsere Race "besteht,. Umstände, welche Verschiedenheit der Wotm-
süze und des Klimas bedin^^, unter Anderem zu dem Resnl-
tat, dass was an einem Orte geliebt und erwünscht war^ an
einem anderen gefürchtet and verabscheut werden musste^ und
— vice versa; dass ein Gegenstand an einem Orte eine göttliche
Oestalt annehmen musstC; während er an einem anderen als dä-
monisch betrachtet wurde; doch die gemeinsame Basis aller die-
ser verschiedenen mythischen Gestaltungen ist die Beobachtung
derselben Himmelserscheinungen. Ausserdem wurde ein Mythus^
der unter einem Volke fast vergessen war, von einem anderen,
verwandten in lebhafter Erinnerung gewahrt, und immer grösserer
Fülle des Gedankens und Formvollendung zugeführt Diese Ver-
schiedenheit entsprang theilweis aus dem grösseren oder geringeren
Eindruck, welchen die Beobachtung der Himmelserscheinungen
auf das Gemüth hervorbrachfen, theils aus den verschiedenen
(physischen, socialen und anderen) Lagen, denen sie, in Folge
ihrer Wohnsitze, unterworfen waren; doch können wir inmitten
der ungeheuren Vermannigfaltigung in den Formen, die jeder
einzelne Mythus erlitt, immer ohne viele Schwierigkeit die Einheit
ihres Ursprungs verfolgen und nachweisen.
Indem ich daran gehe, in drei Büchern die Geschichte der
mythologischen Thiere zu schreiben, halte ich es nicht für noth-
wendig, noch besonders das ursprüngliche Terrain des Mythus
anzugeben; denn obwohl das erste Buch seinem Titel nach die
Landthiere, das zweite die Thiere der Luft, das dritte die Wasser-
thiere behandelt, so giebt es doch nur ein einziges, allgemeines
Gebiet, auf welchem alle Thiere der uranfllnglichen Mythologie
erstehen, und nur eine grosse Bühne, auf welcher sie ihre respec-
tiven Bollen abspielen. Dies Gebiet ist immer der Himmel, wäh-
rend die Zeit, innerhalb deren die mythische Aktion vor sich geht,
vielen Variationen unterworfen ist — bald ist es der Tag von
zwölf, bald der von vierundzwanzig Stunden, bald sind es die
drei Nachtwachen; einmal ist es der Mondmonat von siebenund-
zwanzig Tagen, ein ander Mal der Sonnenmonat von dreissig;
bisweilen das Jahr von zwölf Sonnenmonaten, und dann wieder
das von dreizehn Mondmonaten. Das mythologische Drama spielt
sich im Himmel ab; doch der Himmel ist entweder hell oder er
ist finster; erhellt kann er sein von der Sonne oder dem Monde,
verdunkelt durch die Finsterniss der Nacht oder durch die Ver-
dichtung seiner Dämpfe zu Wolken. Weiter: der klare Himmel
nimmt zuweilen die Gestalt eines Milchsees an; diese milchige
Gestaltung lässt die Vorstellung von einer Kuh entstehen, und
daher werden die glänzendsten Gestaltungen des Himmels oft als'
XI
Herden dargestellt. Der Oott, der den Regen faOen lässt, der
ans dem höchsten Bimmel die Erde befruchtet^ erscheint bald als
Widder^ bald als Stier; der Blitz, der wie ein beschwingter Pfeil
daherfliegt, wird bald als ein Vogel, bald als ein geflügeltes Ross
dargestellt; und so nehmen all die beweglichen üimmelser-
scheinungen, eine nach der andern, die Gestalten von Thieren an,
indem sie schliesslich bald der Held selbst, bald das Thier wer-
den, welches dem Helden dienstbar ist, und ohne welches er nicht
die geringste übernatürliche Kraft besitzen würde. In einer
buddhistischen Legende befindet sich eine Stanze, welche sagt:
„Auch die Thiere erinnern sich an früher geleistete Dienste und
veriassen nicht, wenn man sie drum bittet, ja die Thiere wissen,
was geschehen ist/'' Andrerseits nahm der bewölkte oder der
düstere Himmel in den Mythen die Gestalt bald einer Höhle oder
Grube, bald eines Stalles, bald eines Baumes, eines Waldes, eines
Felsens, eines Berges, eines Oceans an ; und die sprachliche Ana-
lyse zeigt wie natürlich solche Doppelbedeutungen sind; hatten
diese einmal Wurzel geschlagen, so war nichts natürlicher, als
dass die Höhle mit Wölfen , der Stall mit Schafen , Kühen und
Pferden, der Baum mit Vögeln, der Wald mit Bothwild und wil-
den Ebern, der Felsen mit Drachen, die über Quellen und Schätze
Wache halten, der Berg mit Schlangen, der Ocean mit Fischen
und Meerungeheuem bevölkert wurde. In einer Stanze eines ve-
disehen Hymnus an die Götter Indra und Agni, einer höchst
kunstvollen und eleganten Composition, singt der Dichter, wie
die beiden Götter nebeneinander um einen gemeinsamen Sieg
fochten, dessen Preis die verschiedenen Namen: Kühe, Wasser,
Länder, Licht, Dämmerungen fährt. ^ Der vedische Dichter giebt
uns in dieser einzigen Stanze ein ganzes mythiscnes Drama!
Die Volkssage Indiens, selbst die jüngste, hat das Verständ-
niss des geheimen Sinnes des Mythus bewahrt, den zu erfassen
gelehrte Inder vielleicht unfähig gewesen wären. Im letzten
Buche des R&mäyaQa,.in welchem viele Volkslegenden zusam-
mengestellt sind, die sich auf den als Roma inkamirten Vishnu
beziehen, nimmt das Ungeheuer Rdva^a dieselbe Mannigfaltigkeit
der Gestaltungen an, wie der dunkle Himmel der Veden, ausge-
nommen die des Tigers, welche die vedischen Texte noch nicht
ausdrücklich erwähnen, welche jedoch höchst wahrscheinlich im-
' Spiegel, Anecdota Pälica 1, Rasavähini p. 61 (Leipzig 1845).
» Rigv. VI, eo, 2.
X«
plicite in delki häafig vorkommendeo Epitheton : wildes Thier
(mriga) liegt; mit welchem sie das dämonische. Ungeheuer bezeich-
nen. Das Rämäyana sagt, ^ dass das Ungeheaer mit zehn Ge-
sichtern in den Gestalten eines Tigers^ eines wilden Ebers, einer
Wolke, eines i^ergeis^, eines SeeS; eines Baumes , und in seiner
eigentlichen dämonischen Gestalt gesehen wurde. An einer an-
dern Stelle^ wird uns erzählt, wie bei dem Auftreten Bava^as
die bestürzten Götter sich in Thiere verwandeln — Indrä wird
ein Pfau, Yama eine Krähe, Knvera ein Chamäieon; Vamna ein
Schwan — und so der Wuth des Feindes entrinnen. Wir werden
sehen, dass jede dieser Verwandlungen nichts weniger als eine
zirfäUige Laune, sondern den verschiedenen Göttern natürlich und
fast nothwendig war, so dass wir in dieser grossen mythischen
Scene in Wirklichkeit nur das Phantasiebüd eines grossartigen
Sonnenunterganges haben. Das Thier ist der Schatten, welcher
dem Helden folgt: es ist seine äussere Erscheinungsform; es ist
sein Schutz. Als Räma sich auf den Weg nach dem Himmel
macht, folgen ihm die Bären, die Affen und alle anderen Thiere,
die unter seiner Botmlssigkeit stehen ; ' als Räma in den heiligen
Wollen der Sarayü seine göttliche Vishnu - Gestalt wieder an-
nimmt, erJialten auch die Leiber der Thiere in jenen Wassern
göttliche, herrHche Formen.^ In 4nehren slavisehen Volksmäbr-
efaen — besonders russkchen — ist nicht sobald der Held von
den Thteren, welche die Baubthiere jagen, von seiner Meute
(atiöta) getrennt, als der Zauber gebrochen ist und er 'dem Unge-
heuer leicht zmsa Opfer fäUt. Das Thier wird mit dem Helden
in solcher Weise identificirt, dass man oft sagen kann, es sei der
Held selbst; und die Volksmährchen der Slanren, welche mehr ab
andere den Charakter primitiver Einfachheit bewahrt haben,
dürften in Ermangelang eines Heldengedichtes auf diese Weise
die Materialien für ein ganzes Thi^repos suppliren.
Kein Wunder also, dass ich nächst den indischen den sla-
visehen Sagen den Haup^latz zuwies: die Sprache, die Phan-
tasie, der Glaube, die ganze Lebensweise des slavisehen Bauern
sind noch ursprünglich und patriarchalisch; man möchte fast
schwören, sie hätten die dreitausend Jahre hindurch keine Ver-
» Rämäy. VII, 15.
» Rämäy. VII, 18.
» Hamfty. Vll, 114.
* Ramäy. VII, 115.
Kin
änderong erlitten. Ich weiss nicht, ob es immer so bleiben wird,
angesichts nnd trotz der Invasion der westlichen Civilisation anf
slavischem Boden ; doch die Nation ist jedenfalls eine der zähe-
«ten nnter den bestehenden; welche bis zu dieser Stande ihre
ganze ursprüngliche Herbheit und frühe poetische Natur bewahrt,
und zwar sogar , während sie im Begriff steht^ sich fremde Ele-
mente anzueignen. Die Verbindung; in welche die Slaven, nuf
BOthgedmngeB; mit tatarischen Stämmen traten ; störte in keiner
Weise die Einfbmiigkeit ihrer ursprünglichen Sitten^ noch alterirte
sie ihre alten abergläubischen Vorstellnngaii. Höchstens nannte
der slavische Bauer die schwarzen Ungeheuer; deren Kämpfe mit
den Helden in den bei den Slaven besonders beliebten Mährchen
ein Hauptelement bilden, Tataren oder Türken; wie ja auch in
den epischen Gedichten der Perser die Türken die Personifica-
tionen der bösen Geister sind; und die Saracenen oder Türken
(die oft mit einander verwechselt werden) in französischen Ge-
dichten des Mittelalters und den Volkmnäbrchen Griechenlands;
Ne^)ek und Spaniens die Rolle der schwarzen Dämonen spielen.
Von demselben eiferaüchtigen Bacengeist getrieben; verwandelt
nicht selten die Volksliteratur der Türken und Tataren die Götter
und Helden der Arier in böse Geister und schreckliche Ge^
spenster; in ganz ähnlicher Weise brachte während der brabma-
nischen Periode der Kastenbass die Schwarzen (krishnas); die
Feinde Indras (des Eriegsgottes der vediscfaen Periode) zu hohen
Wtrden und bekleidete sie mit den Attributen von Gottheiten;
ja; in dieser Zeit wurde der Typus derselben; Krishna selbst; im
Gegensatz zu indra ein hochgeehrter Gott; während diteser jetzt
geächtet und (ris ein Dämon verfolgt ward. Auch der sog^aonte
cbri0ltiehe — toi Grunde heidnische — Glaube hat sdne <schwar-
zen und -rothen Teufel ; die schwarzen tragen, im ftegensatz zu
den rothen ; biswdlen den Namen und gemessen die Ehren der
Göttlichkeit. Doch ward gew^hnlil^her d^ liothe Teufel als dn
Gott; der schwarze als ein Däaton dargeetelk; und der sebwarze
ManU; der Türke, der Tatar; der Sägenner dw russischen Volks-
mährcheu; der Kohlenbrenner; der Bomagnuolo (d. h. der fiolz-
haner) und der Saracene italienischer L^enden sind lauter Va-
riationen des Kpsh^a oder 4ee schwaraen Ungeheuers aus dem
grauen AhertbniB der Veden.
Es kann als due unmnstössliche oind unbestreitbare Tbatsache
faingesteOt «werden; dass die Einfälle ^r Tatars in Mitteleuropa
gegen Ende des Bfittelulters die «slavische Sage tuicht nurnicht-alte-
tlV
rirten , sondern sie vielmehr wieder frißch belebten ; nnd der Ta-
tar, welcher selbst ein grosser Hährchenerzähler war, vermehrte
noch den Geschmack des slavischen Banem am Mährchen, brachte
anch keine Veränderung in den Hährchen desselben, geschweige
denn in dem Charakter des Volkes, dem diese angehörten, her-
vor. Ausserdem unterscheiden sich die Volksmährchen der Ta-
laren nicht so tiefgreifend von denen der Indogermanen, dass sie
denselben Etwas wie nenes Blnt einflössen oder in irgend einer
Weise ihre Wesenheit, ihre eigentlichste Natur afficiren konnten;
im Oegentheil, die tatarischen Mährchen sind ja selbst arisch,
oder doch wenigstens indisch, ausgenommen geringe Modifica-
tionen in unbedeutenden Einzelheiten, wie dieselben durch den
tatarischen Charakter bedingt sind.
Nach den ausgezeichneten Arbeiten deutscher Gelehrten,
welche in einem halben Jahrhundert durch die Veröffentlichung
ihrer Forschungen auf dem Gebiete der skandinavischen und der
deutschen Sage schon eine vollständige Literatur über diesen
Gegenstand geschaffen haben, ist esunnöthig, über die hohe
Wichtigkeit der Sagenbildung bei diesen Völkern viele Worte zu
machen. Die Mythen, die Legenden, die Ammenmährchen , die
Lieder, Sprichwörter und Volksbräuche der skandinavo-germa-
nischen Race haben ein ganzes Heer gewissenhafter Beobachter
und liebevoller Erklärer gefunden, welche kaum einen Fuss breit
dieses weiten und interessanten Sagengebietes unerforscht liessen.
Doch giebt es einen ganzen Schacht mythischer Schätze, der,
wegen unserer eigenen Sorglosigkeit, bisher ganz unbearbeitet
geblieben ist: es ist dies der Sagenschatz, der, in beträchtlicher
Tiefe und von grossem Umfange, noch aus dem dassischen Bo-
den Italiens auszugraben ist Erst während der letzten wenigen
Jahre haben ein, zwei Forscher die Existenz dieses Schatzes be.
merkt und Notiz davon genommen; meine Sorge soll es deshalb
sein, bei diesen vergleichenden Studien den Leser, so weit als
möglich, auf ein Weniges von dem unbekannten und ungeschrie-
benen Theile unserer Volkssage aufmerksam zu machen. Das
Resultat meiner Untersuchungen wird vielleicht den Beweis lie*
fem, dass trotz des Glanzes unserer christlichen Kunst und des
Rufes unserer Cirilisation die Basis des italienischen Glaubens
bis jetzt heidnisch geblieben ist, so dass diejenigen unter unseren
Hausfrauen, welche am eifrigsten in der Aufmerksamkeit auf die
grossen kirchlichen Spektakel und in der Beobachtung des Ri*
tuals sind, im Grunde die eiferstlchtigsten Wächterinnen teuf-
XV
lischer abergläubischer VorsteUnngen nnd heidnischer Fabeln sind.
Allerdings herrscht im Toscanischen eine Tendenz^ die alten Ge-
schichten mit den lasciven Scherzen Boccaccios aufzuputzen und,
wie es die Gewohnheit dieses Schriftstellers war, die alten Sagen
auf modernen Scenen spielen zu lassen, sie in moderne Garni-
turen zu stecken, und ihre Handlung von modernen Charakteren
ausfuhren zu lassen ; doch ist diese Tendenz nur ein paar Erzäh-
lern eigen, ändert auch keineswegs die Basis des alten und all-
gemeinen Mährchens, sondern lässt sie intakt. Wenn also in
Italien trotz der skeptischen Civilisation der Römer, trotz unanf-
hörli(dien Eindringens Fremder, trotz des Alpes, der in Gestalt
der römisch-katholischen Kirche auf ihm lastete, ein so grosser
Theil alter Sagen bewahrt worden ist, und zwar lebenskräftig be-
wahrt worden ist, so ist es unmöglich, den exceptionellen Charakter
dieser Sage zu verkennen: ihren Charakter als den einer Gabe un-
seres Blutes und als der Race eigen, von der wir abstammen, mit
der wir durch die lebendige Erinnerung an Worte verkettet sind,
welche lebendige Bilder geworden sind, und an Bilder, welche
epische Gestalten und abergläubische Vorstellungen geworden sind.
Unter diesen Bildern oder Figuren sind die von Thieren,
unter diesen Glaubensvorstellungen sind die, welche sich auf
Thiere beziehen, die lebendigsten und dauerndsten. Die materiell-
sten und sinnlichsten Gestalten der primitiven Mythologie sind
unter uns fast intakt bewahrt ; der Arier ist gegen die Himmels-
erscheinungen gleichgiltig geworden und hat seine ganze Auf-
merksamkeit der Erde zugewandt, die er mit denselben Gott-
heiten bevölkert , die er Mher im Himmel verehrte. Wie er es
genflgend findet, vor den Idolen niederzuknien, welche den Gott
darsteUen, der auf die Erde gekommen ist, so verleiht er den
Thieren der Erde dieselben magischen Eigenschaften, die er einst
den Thieren des Himmels zuschrieb; trotz alledem kann er jedoch
zuweilen nicht umhin, die Existenz zweier verschiedener Personen
in einem Thiere zu erkennen — - die wirkliche und bleibende, die
er aus der Erfahrung kennt, und die erdichtete und ttberlieferte,
von der seine Ahnen ihm erzählt haben. Dieser erdichtete Cha-
rakter des überlieferten Glaubens würde von dem unwissenden
gemeinen Volke leicht erkannt werden, wenn es nur darauf
achten wollte, wie dieselben Eigenschaften und Kräfte oft Thieren
der verschiedensten Art beigelegt, und wie dieselben Heilkräfte
unnnterschiedlich für in einer unb^enzten Anzahl von Thieren
existirend gehalten werden. Die unendlichen Widersprüche, welche
w
in dem System^ das sich das Volk yod der animalischen Medicin
zurechtgelegt hat; enthalten sind^ können nar einzig und allein
dadurch erklärt werden^ dass man sie auf die äusserst yeränder-
liche himmüsohe Zoologie zurttckfUhrt^ wo die Metamorphosen der
Tfaiere fast beständig auf einander folgen, und wo wir mit Blitzes-
schnelle z. B. von dem Bilde des Pferdes auf das des Vogels,
von dem Bilde des Wolfes auf das der Schlange ttbergeheu; nach
fast unmittelbaren physischen und moralischen Analogien ; die
nur auf einen kleinen Theil der €tewofanheiten oder des Baues
der Thiere y die sich in der Mytiidogie finden ; anwendbar sind,
wddie aber genttgen, eine neue Spidart des Mythus und ver-
sefaied^ne Qlaubensmeinungen zu bilden; während sicherlich keine
einzige Anak^e hinreichen wttrde, um einen classificirenden
Naturforscher zu yeranlassen , Thiere von verschiedener Organi-
sation; auch bei einigen zu£Uligen Aehnlicbkeiten ; in diesdbe
KlassC; oder auch nur dieselbe Ordnung zu verweisen.
Dem vedischen Dichter ist es genug; zu wissen, dass das
Pferd (afva) eigentlich ;;der Schnelle^ bedeutet; um es, in den
Himmel versetzt, die Gestalt eines nchOngeflfigelten (suparna);
eines Vogels, eines Falken (Qyena) annehmen zu lassen. Dem
vedisdien Dioliter weckt die Vorstellung eines reissenden Wolfes
(^ka); eines falschen; gehässigen DdebeS; der Beute davonträgt
und in seine dunkle Höhle schleppt; nebst verschiedenen andren
poetischen Bildern das einer Schlange (ahi), falsch; dunkel, ge-
frässig und gierig. Doch was in der Fiiaotasie 4er Dichter na-
türlich ist; kann vor der Realität der Dinge und vor der Matur-
wissenschaft nicht Stand halten; so wurde, was in der vedischen
Poesie ein glückliches Bild ist; in unserm Volksglauben ein Vor-
urtheä; «in Aberglaube; ein verhängnissvoHer Irrthum.
Bevor jedoch solche Vorurtheile so allgemein und tief dem
Oemüth des Volkes eingepflanzt werden konnten; musste der erste
Eindruck, der von den Mythen hervorgebracht wurde, ein ausser-
ordentlich -lebendiger gewesen sein. Wir finden noch sporadische
Zttge eines solchen fiindruckes in mandien Scbäfeifamilien; doch
um dieselben recht isu verstebn, kenne ich keine bessere Methode,
als «in gewecktes Kind in das FreiC; unter das ffimmelsgewölbe
zu führen und mit ihm einen schönen Sonnenuntergang oder das
erste Grauen des Tages zu beobachten. Die Kinder von Heute
werden die Erfahrungen der Alten — d. h. tmserer Ahnen in der
Jugend d^ Menschheit — wiederholen; und werden uns in »Stand
setzen, gewisse Täuschungen; die dem Verstände, ja sogar der
xvn
Phantasie des gelehrten und skeptischen modernen Menschen nn-
mi^glich scheinen^ zu verstehn. Ich för mein Theii, um noch völ-
liger die Einfachheit unserer Ahnen zu realisiren^ muss erwähnen,
dass ich einen der lebhaftesten Eindrücke ^ die jemals auf mich
gemacht wurden , empfing; als ich, ein kaum vierjähriges Kind,
in den Himmel sah. Meine Familie lebte in einer abgelegenen
Gegend des Piemontesischen ; die Landschaft, in der wir wohnten,
war mit Heidekraut bedeckt und hatte grosse Aehnlichkeit mit
einer russischen Steppe; an einem Herbstabend ^ die Nacht zog
schon heran, zeigte mir einer meiner älteren Brtlder fiber einem
fernen Berge eine schwarze Wolke von einer h(5chst sonderbaren
Gestalt, mit den Worten: „Schau' mal da! das ist ein hungriger
Wolf, der hinter den Schafen herrennt/' Ich weiss nicht, ob
mein Bruder damals nur wiederholte, was er von den Dorfbe-
wohnern gehört hatte, oder ob sich diese himmlische Scene in
seiner eigenen Phantasie gebildet hatte; doch ich erinnere mich
sehr wohl, dass er mich so vollständig von der Existenz dieses
Schafe jagenden Wolfes überzeugte, dass ich, in der Besorgniss,
er könne in Ermangelung der Schafe mich packen, sofort Fersen-
geld zahlte und ins Haus stürzte. Der gütige Leser wird diese
persönliche Bemerkung verzeihen. Ich mache dieselbe nur, um
zu erklären, wie die Gläubigkeit, die wir immer bei Kindern
finden, uns einen Begriff von der Gläubigkeit der Nationen in
ihrer Kindheit geben kann. Als der Glaube rein war, als
Wissenschaft noch nicht existirte, müssen solche Illusionen be-
ständig Begeisterung oder Furcht in der Brust unserer gemüth-
vollen Ahnen erweckt haben, welche mit ihren Viehherden in der
freien Luft lebten und mit Erde und Hinmiel in beständigem
Verhältniss, in fortwährender Gemeinschaft standen. Wir ge-
schäftigen Städtebewohner, von tausend socialen Fesseln ge-
bunden, von tausend Sorgen des öffentlichen und privaten Lebens
gedrückt, geniessen nie das reine Glück, unsere Augen zum Him-
mel zu eiiieben^ es sei denn, um zu sehen, was für Wetter wer-
doQ wird; das ist freilich nicht genug, um uns zum Verständniss
des grossen und verwickelten Epos, das sich am Himmel abspielt
zo befähigen.
Indem ich die dnzelnen Biographien der mythologischen
Thi^re beginne, rufe ich nur eine, allerdings ungewohnte Muse
an, mir beizustehen und mich zu inspiriren — die heilige Offen-
heit der Kindheit; ich werde wieder zu meiner Amme gehen und
sie um Uäbrohen bitten; ich werde wieder anfangen, von
B
XVUI
gefltigelteii Rennern , von spreehenden V5geln, von spinnenden
Ktthen zu träumen; ich werde Alles für möglieb und natürlich
halten: dann werde ich in das Freie hinausgehn^ um von N^em
den Himmel zu beobachten ; ich werde meine kleine Cordella und
ihre Gespielinnen mit mir nehmen^ und sie in ihrer eigenen Weise
die mannigfaltigen und wechselnden Erscheinungen des Himmels
erklären lassen. Habe ich so meine erste Eingebung yon der
jungfräulichen Kindheit erhalten, so werde ich in meinem Innern
ihre Unschlild um Verzeihung bitten, wenn in das Paradies ihrer
Träume die unreine Bosheit des Satans dringt; und wenn
ich, nachdem ich mich von ihren poetischen und edlen Ein-
drücken und ihren idealen Vorstellungen habe erftlllen lassen,
genöthigt bin, zurückzukehren und unter das Vieh hinabzusteigen,
um seine sinnlichen Instinkte herauszusuchen, um in dem Staube
unsere geliebten Gottheiten vermummt oder gefallen wiederzu-
finden, dann müssen meine Kleinen weit von mir fortgehen;
meine Worte, unvermeidlich kühn, würden Gift für ihr Herz sein ;
oder aber ich würde sie bitten, sich in das Heiligthum ihrer glück-
lichen Unschuld zu flüchten; ich wtlrde nur das eine Wort zu
ihnen sagen — Mysterium!
Florenz, September 1872.
Angelo De GubematiB.
Vorwort des Verfassers zu der deutschen RearbeituDg.
Als ich die Feder ergriff, um die erste Seite meiner Mytho-
logischen Zoologie, wie ich selbst sie betitelte, oder Zoo-
logischen Mytholgie (Zoological Mythology), wie sie mein
verehrter englischer Verleger zu betiteln vorschlug, zu schreiben,
erwartete ich nichts weniger, als mein Buch in die Sprache über-
setzt zu sehen, welche ftir künftige 2^iten die privilegirte Ge-
lehrtensprache geworden ist. Wenn Italien meine Mutter gewesen
ist, 80 betrachte ich Deutschland als meine beste Amme. Jeder
Mensch hat, wie der Held der Sage, in seinem Leben gute Feen,
die ihn beschützen. Auch ich traf auf meinem beschwerlichen
und oft unwegsamen Pfade durch's Leben solche Feen , die mir
XIX
in dem dnnklen Walde von Ferae ein kleines Lieht zeigten^ das
sieh yergrösserte, je näher leb kam, die meinen Math vor dem
Sinken bewahrt haben. Eine dieser Wunderbaren Beschützerinnen
war mir Deutschland. Sobald ich seine Sprache verstand^ befand
ich mich in einer neuen Welt; voll poetischer Reize ; grossartig,
glänzend. Es zog zuerst meinen wissbegierigen Geist durch den
Reiz seiner Volkslieder und Volkssagen an; es Hess mich, zu
meiner grossen Ueberraschung, die Iliade in den Nibelungen
wiederfinden, in viel höherem Masse als in den lateinischen und
italienischen Epen, welche Nachahmungen jener sein wollten; es
flösste mir eine noch grössere Liebe^ eine noch grössere Begeiste-
ning für das Ideale durch jene wunderbaren Gestalten ein, welche
seine Dichter in ihren Werken geschaffen. An dem Tage, an
welchem mein Schicksal mir erlaubte, seine wissenschaftliche
Gastfreundschaft zn gemessen, fühlte ich meine Kräfte sich ver-
doppeln; meine geistigen Fähigkeiten entwickelten sich erst jetzt,
nachdem sie den sicheren Führer gefunden hatten , der ihre wil-
den Bewegungen und Bestrebungen leitete.
Das Gute, was der Leser in diesem Buche wird finden
können, welches ich Dank der wohlwollenden Empfehlung des
berühmten Gelehrten, Hrn. Geh. Hofrath Prof. Dr. Fleischer, den
Bemühungen des Hra. Hartmann und dem Vertrauen . eines ge-
schätzten Verlegers dem deutschen Publikum vorzulegen die Ehre
habe, muss als das Erzeugniss eines Geistes betrachtet werden,
welcher, obwohl die Originalität seiner Regungen durchaus wah-
rend, der wissenschaftlichen Methode tren geblieben ist, welche
seit den Arbeiten von Adalbert Kuhn und Max Müller in Deutsch-
land bei mythologischen Forschungen in Anwendung gebracht
wird; sollte der Leser in meinem Werke einige Verirrungen zu
beklagen haben, so bitte ich ihn, nicht die Schuld der ver-
gleichenden Mythologie aufzubürden, in deren Dienste ich meine
beschwerliche Reise durch die mythologische Thierwelt unter-
nommen habe, sondern der Unmöglichkeit, dass ein einzelner
Forscher auf einem so weiten Felde, wo es fast noch kdnen ge-
bahnten Weg giebt, nicht zuweilen Holzwege für Hauptstrassen
nimmt. Uebrigens habe ich oft die Erde verlassen und mich in
höhere Regionen hinaufgeschwungen, um meine Welt von oben
zu betrachten; nur auf diese Weise glaubte ich zu jener allge-
meinen Auffassung meines Gegenstandes durchdringen zu können,
welche auch im Einzelnen den richtigen Weg leicht finden lässt.
Mir scheint die beste Grundlage der Poesie die Wissenschaft,
tx
aber auch der beste Begleiter der Wissenschaft die Poesie zu sein^
die ihr als Vorläufer, als Fackel dient Mein höchstes Streben
als Schriftsteller ist, Kunst in die Wissenschaft und Wissenschaft
in die Kunst zu bringen; vereint scheinen mir die beiden mäch-
tig ; getrennt sprechen sie nur eine unvollkommene Sprache und
haben nur den halben Wertb. Die Schwierigkeit besteht darin,
sie in Einklang zu bringen, und wenn mein Buch an Schwächen
leidet, so stecken sie ganz gewiss da, wo Poesie und Gelehrsam-
keit, statt zu einer harmonischen Einheit zu verschmelzen, jede
auf eigene Kosten arbeitet, für sich, ohne die andere zu unter-
stützen.
Ich ergreife diese Gelegenheit, um den höchst oompetenten
Kritikern zu danken, welche die Güte gehabt haben, mein Werk
einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und mich zur Fort-
setzung meiner Forschungen zu ermuthigen ; ich führe an in Eng-
land die Herren George Cox, den Verfasser der Mythology
of the Arian Nations und W. R. S. Ralston, dem wir zwei
ansehnliche Bände über die russischen Volkslieder und Volks-
mährchen verdanken, welche während und nach dem Drucke der
englischen Ausgabe meines Buches erschienen; in HoUand Hm.
Prof. Tiehle; in Belgien Hrn. Prof. Liebrecht; in Frankreich Hrn.
Ernest Renan, der mir die Ehre erwies, mein Buch dem Institut
vorzulegen, Hm. Fr. Baudry, der es im „Temps" empfahl, Hm.
Bergaigne, der es in der „Revue Critique" einer eingehenden Be-
sprechung untei-zog, Hm. Prof. Michel Br6al, der es zu einer
Uebersetzung ins Französische empfahl, ' und Hm. P. Regnaud,
den jungen Indianisten, der diese Uebersetzung untemommen
hat ; in Russland Hm. Prof. AI. Wesselofl9ki ; in Italien Hm. Prof.
G. J. Ascoli und Hm. Prof. P. Mantegazza.
Fast alle die Herren, welche mein Buch kritisiren, machen,
indem sie es empfehlen, einige Reserven; die Herren Prof. Lieb-
recht, Bergaigne, Wesselofski und Ascoli haben mir die Verbes-
semngen angezeigt, die in einer neuen Ausgabe des Werkes an^
zubringen wären. Ich möchte diesen Gelehrten hier meine leb-
hafteste und aufrichtigste Erkenntlichkeit ausspreche, für die
Hilfe, die sie mir zur Vervollkommnung dieser Ausgabe geleistet
haben. Wäre die Welt an einem Tage und von Einem geschaffen,
ich zweifle, ob sie so schön sein würde, wie wir sie jetzt an-
staunen. Es hat des Zusammenwirkens aller Jahrhunderte und
i
^ Dieselbe wird demoächst bei C. P. Lauriel in Paris erscheinen.
xxt
aUer Elemente bedurft; damit sie ein fast vollkommenes Werk
werden konnte. Ebenso würde es heissen, von jeder neuen
Wissenschaft zu viel verlangen, wollte man sie unfehlbar; der
Mythus von der Minerva; die gepanzert dem Haupte Jupiters ent-
springt, ist eine mondiscbe Allegorie; welche uns nur das Ideal
der Helloien darsteUt; sie gründet sich durchaus nicht; wie fast
alle anderen MytheU; auf die Beobachtung einer Erscheinung der
Katar« Ich habe in meinem Buche aus meinem Kopfe gezogen;
was ich ^konnte; wie ich jedoch das Vertrauen habe, für die
Wehen nicht mit der Geburt einer ridiculus mus belohnt zu wer-
den; so bin ich auch weit von der Einbildung entfernt; etwas
Unsterblichem das Leben gegeben zu haben. Ich habe meinen
bescheidenen Beitrag zu einem schweren Werke beigesteuert; ich
hatte auf meinem Wege zuweilen Glück ; ich ho£fe, ihn ein klein
Wenig von den Hemmnissen gesäubert zu haben; auf die ich
stiess; und lebe der Zuversicht; dass andere; besser vorbereitete
und geduldigere Forscher als ich mir Dank wissen werden, ihneU;
»ei es auch nur ein wenig; die Forschung erleichtert zu haben,
selbst wenn die Folge wäre, dass ich fast alle meine Angaben
corrigirt sehen müsste. Wenn es nie ungenaue Erdkarten ge-
geben hätte, wir würden gewiss jetzt nicht uns über vollkommene
freuen und sie bewundem können; die Arbeit des Kartographen
ist immer leichter, wenn ein erster skizzirter Plan vorliegt; der
die Formen und den allgemeinen Charakter einer fast unbe-
kamiten Gegend in der Hauptsache giebt Diesen Plan habe ich
zu geben versucht ; möge mir dieses Wagniss verziehen werden.
Ohne die Fehler, welche das ein wenig abenteuerliche Genie des
Christoph Columbus beging, würde es nie den Erfolg, den Ruhm;
den positiven und beharrlichen Geist Amerigo Vespuccis gegeben
Imben. Jede unbekannte Welt ist fUr den Mann der Wissenschaft
ein America; das ungeheure Ueberraschungen für ihn in petto
hat. America setzt uns, drei Jahrhunderte nach seiner Ent-
deckung noch immer in Staunen; welche Wunder wird also un-
serem gespannten Geiste noch eine Wissenschaft vorführen, die
gestern erst geboren ist! Wie alles Neue, das Verwunderung er-
r^t, findet auch sie natüriich Ungläubige und Persifleurs, welche
sie durch Witzeln, durch geistreichelndes Spötteln ausser Credit
bringen wollen. Mögen sie lachen, die Lacher! wir woUen ar-
beiten, den Schleier zu zerreissen, der uns die Geschichte unserer
Kindheit verbirgt; das Licht der Wahrheit wird; muss endlich
dnrcbdringen ! und wenn alle Welt von der Schönheit und Grösse
xxn
des Schauspiels ergriffen sein wird, dann wird man sich vielleicht
mit einiger Erkenntlichkeit der Begeisterung der ersten Olänbigen
erinnern, welche es vorgeahnt nnd proklamirt hatten. Für den
Angenblick steigen wir in nnser Observatorium; unsere ganze
Freude ist, den Himmel zu fragen und Notizen zu sammeln. Ich
vertraue der Nachsicht der deutschen Leser die ersten 'von mir
gesammelten an; könnten sie jetzt am Durchlaufen derselben
dasselbe Vergnügen finden, wie ich daran, sie zu Papier zu bringen !
Florenz, August 1873.
Angelo De Onbematis.
Vorwort zor deotscheD Uebersetzong.
Die weite Verbreitung und das allgemeine Interesse, welches
in neuerer und neuester Zeit die Vergleichende Mythologie in
Deutschland gefunden hat, lässt es gerechtfertigt erscheinen, wenn
Unterzeichneter auf Veranlassung der Verlagsbuchhandlung dem
Publikum ein Werk in deutschem Gewände bietet, welches eines
der interessantesten Probleme dieser Wissenschaft, die Rolle,
welche die Thiere in derselben spielen, in der gründlichsten und
umfassendsten Weise, man kann sagen erschöpfend behandelt.
Der Verfasser, Angelo De Gubemdtis, geb. zu Turin 1840, hat
auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen und Literaturen,
speciell des Sanskrit, die umfassendsten und gründlichsten Stu-
dien gemacht; die Früchte dieser Studien liegen in zahlreichen
Werken vor, von denen wir hier nur eine Uebersetzung der ersten
zwanzig Hymnen des Rigveda mit Anmerkungen, la vita ed i
miracoli del dio Indra nel Rigveda, ein Essay über die vedischen
Quellen des Epos, die Rivista Orientale, eine indische Encyklo-
pädie, eine vergleichende Geschichte der Hochzeitsgebräuche, eine
vergleichende Geschichte der Bestattungsgebräuche namhaft ma-
chen, während sich die von ihm redigirte Rivista Contemporanea
einer weiten Verbreitung erfreut; andrerseits ist er als Dichter —
Dramen von ihm wurden mit grossem Erfolge in Turin gegeben
— vor Allen befähigt gewesen, in das Walten des poetisch schaf-
fenden Volksgeistes einzudringen und den feinen Fäden, welche
XXIII
sich fast durch die gesammte indogermaDische Sagenwelt hin-
darchziehen, zn folgen. Gerade bei der Behandlung eines sol-
chen Stoffes muss der Bearbeitende die Fähigkeit besitzen , die
innersten leitenden Gedanken zu erfassen und nach ihnen das
Material zn ordnen und zu sichten. Der Verfasser besitzt diese
Fähigkeit in hohem Grade und vereinigt sie mit einer Eenntniss
der einschlägigen Literatur, mit einer Gewandtheit in deren Her-
beiziehung und Verwendung, wie sie das gewöhnliche Mass weit
übersteigt.
Besonders zu erwähnen dürfte noch sein, dass vieles bis jetzt
noch Unbekannte oder doch Unedirte in die Untersuchung ge-
zogen worden ist. Der Verfasser hat alle Notizen, die das ve-
dische Alterthum über die Thiere liefert, gesammelt und erklärt;
er hat ferner zum ersten Male mehre Mythen Indiens bekannt
gemacht^ über hundert russische Volksmährchen herangezogen^
etwa dreissig unedirte italienische Mährchen . benutzt; und hat
endlich mit grosser Genauigkeit die sich durch die ganze indo-
germanische Welt hindurchziehenden Volkssagen von den zwei
Brüdern ; den drei Brüdern, den zwei Schwestern, den drei
Schwestern, Cendrillon, der Prinzessin, welche lacht, von dem
Blinden und dem Lahmen, und etwa vierzig andere in ihrer Ent-
wicklung und mythischen Bedeutung aufgezeigt Doch hat sich
der Verfasser, nachdem er im Anfange seines Werkes sein Sy-
stem sowohl theoretisch ganz klar aufgestellt, als es auch an
Beispielen durchgeführt hat, späterhin mit Andeutungen und Ver-
weisungen begnügt; es dem Leser grösstentheils selbst überlas-
send; dieses System auf den einzelnen Fall anzuwenden. Wer
des Verf.'s Ansichten theilt, wird dies mit Leichtigkeit thun
können ; wer nicht; wird ihm Dank vrisseu; dass er dadurch Raum
für die Ansammlung des umfangreichsten Materials gewonnen hat
Die Aufgabe; die englische Vorlage deutsch wiederzugeben;
wurde durch zwei Umstände erschwert; einmal ist dieselbe aus
dem italienischen Originalmanuscript des Verfassers von nicht
immer glücklicher Hand übei*setzt; zahlreiche Missverständnisse
mussten berichtigt werden; dazu, kommt die Uncorrektheit des
englischen Druckes, welcher durch Fehler arg entstellt ist; zwei-
tens aber brachte es der Stoff selbst mit sich, dass aus der
Uebersetzung oft eine Neubearbeitung werden musste. Die deut-
schen Quellen; welche der Vf. benutzt hat, sind fast überaU nach-
gesehen, und ihre Worte an gehöriger Stelle eingetragen worden,
wie das bei einer Vergleichung des Avesta in der Spiegeischen
Uebenetzang:, der mongolischeD und kalmflckiaohen Häbrcfaen
Dach Jfilg, der ebstoiscIieD MSbrcben nach KreQtzwald-Löwe und
anderer Werke, welche der Verf. Id deatscber Gestalt benntzt
hat, leicht ersichtlich sein wird. Dazu kam noch , das» äe Tom
Verleger gestellte Frist eine rerhältnisamässig knrze war Doch
ist Alies geschehen, was geschehen konnte, um den Text in der
angedenteten Beziebang nnd in den Citaten zn einem möglichst
correkten zu machen.
Es bedarf als selbstverständlich kaum einer Erwähnnag,
daas die Keceosioneii , besonders die höchst schätzenswerthe ans
der Feder de« Hm. Prof. Liebrecht in der Academy (vom 14.
JuDi 1873), in der deutschen Bearbeitung verwerthet worden sind.
Leider kam mir die L.'sche Rec. erst nach dem Druck der ersten
Bogen ZQ G^cht; doch wird ein Nachtrag das in deuseiben
nach ihr zn Berichtigende enthalten.
So dtlrfte sowohl das gelehrte Publikum ans diesem Werke
reiche Nachweise nnd Belehrungen schöpfen ~ und zu denen, welche
fttr ihre speciellen Studien hier reiches Material finden, werden wir
nicht Mos die Mythologen und Arebäologon von Fach, sondern
auch die Sprachforscher nnd vor Allem die CultnrhisUHiker in
rechnen haben — als ancb ein grOsseree Publikum des Intere»-
santen und Lemenswerthen viel finden.
Leipzig, October 1873.
Kartiu Hartmann.
'xM' TC^KAi
Erster TheiL
Die Landthiere.
KAPITEL I.
Die Kuh und der Stier«
§ 1. Die Kuh und der Stier in den vedischen Hymnen.
Wir befinden nns anf dem weiten Tafellande Innerasiens;
gigantische Berge entsenden auf allen Seiten tausend Ströme;
seine ungeheuren Weiden und Wälder durchziehen wandernde
Hirtenstämme; der gopati, der Hirt oder Herr der Kühe, ist
König; der, welcher die meisten Herden besitzt, am mächtigsten.
Die Erzählung beginnt mit einem lieblichen Hirtenidyll.
Die Zahl der Kühe zu mehren, sie milchreich und fruchtbar
zu machen, sie gut zu halten, ist der Traum, das Ideal des tilten
Ariers. Der Stier, der Befrachter, ist der Typus aller männlichen
Vollkommenheiten und das Symbol der königlichen Macht.
Es ist natürlich, dass die beiden hervorragendsten Thier-
gestalten in dem mythischen Himmel die Kuh und der Stier sein
mussten.
Die Kuh ist die willige, liebende, treue, segensreiche Vor-
sehung des Hirten.
Der schlimmste Feind des Ariers ist demnach der, welcher
die Kuh entführt; sein bester, edelster Freund, wer sie den Händen
des Räubers zu entreissen vermag.
Derselbe Gedanke wird nun auf den Himmel übertragen : im
Himmel existirt eine wohlthätige, segenspendende Macht, welche
die Kuh heisst, und ein wohlthätiger Befruchter dieser Macht,
der Stier.
Gabernntls, die Thlere. 1
Der fenchte Mond/ die feuchte Morgenröthe , die Gewitter-
wolke, das ganze Himmelsgewölbe, welches den belebenden und
erfrischenden Regen spendet, alle werden mit besonderer Vorliebe
als die woblthätige Kuh der Fülle dargestellt. Der Herr dieser
vielgestaltigen Himmelskuh, der sie schwängert, sie fruchtbar und
milchend macht, die Frühlings- oder Morgensonne, die regen-
gebende Sonne (oder MondJ, tritt oft als ein Stier auf.
Um all das ganz zu verstehen, müssten wir, so gut wie mög-
lich, auf die Epoche zurückgehen, in der solche Vorstellungen von
selbst entstanden sein könnten; da jedoch die Phantasie, wenn
wir ihr so freien Lauf lassen wollten, uns leicht zu rein imagi-
nären Vorstellungen, zu einem System a priori verleiten könnte, so
werden wir sie als gefährlich und irreführend bei diesen Vor-
untersuchungen ganz ausschliessen und uns mit der allerdings
anspruchsloseren Aufgabe begnügen, die Zeugnisse der Dichter,
welche bei der Schöpfung der in Rede stehenden Mythologie selbst
mitthätig waren, zu sammeln.
Ich beabsichtige nicht, von den vedischen Mythen etwas zu
sagen, was nicht dem einen oder andern Hymnus des grösste^.
Veda entlehnt wäre, sondern nur die Glieder der Kette zu ordnen
und zusammenzuschliessen, wie sie ganz bestimmt in der Vorstel-
lung des alten arischen Volkes bestanden und welche der Ri g ve d a,
das Werk zahlreicher Dichter und mehrer Jahrhunderte, uns als
ein fortlaufendes und kunstvolles Ganze bietet. Ich werde mich
in das Thal von Ka^mir oder an die Ufer des Sindhu, unter
diesen Himmel, an den Fuss dieser Berge, unter diese Ströme ver-
setzen, aber in dem Himmel nach dem in den Hymnen Geiunde-
nen suchen, nicht in den Hymnen nach dem, was ich in dem
Himmel zu sehen glaube. Ich werde meine Reise mit einer zu-
verlässigen Karte antreten, und diese mit allem mir zu Gebote
stehenden Fleisse befragen, um keinen der Vortheile unbenutzt zu
lassen, welche eine an überraschenden Entdeckungen so reiche
Fahrt zu bieten vermag. Die Anmerkungen werden demgemäss
alle, oder doch fast alle, aus Worten meines Führers bestehen, so
das» der gelehrte Leser jede einzelne Behauptung leicht selbst
prüfen kann. Was die häufigen Haltepunkte betrifft, die wir auf
dem Wege zu machen haben werden, so bitte ich den Leser, sie
nicht irgend welcher Willkürlichkeit meinerseits, sondern den
unvermeidlichen Begegnissen einer Reise zuzuschreiben, die man
Schritt für Schritt in einer ziemlich unbekannten Gegend und mit
Hilfe eines Führers macht, wo fast Alles zu finden ist, wo man
jedoch, wie in einem reichen Magazin, leichter den Weg verliert
als ihn wiederfindet.
Der ungeheure Himmelsraum, welcher die Erde überwölbt,
führt, als die ewige Vorrathskammer von Licht und Regen, als
die Macht, welche das Gras und also auch die Thiere, die es
weiden, wachsen lässt, in der vedischen Literatur den Namen
Aditi, oder die unbegrenzte, unerschöpfliche, die Ambrosiaquelle
(amritasy a nab his). So weit haben wir noch keine Personi-
fication, wie wir auch noch keinen Mythus haben. Amrita ist
einfach das Unsterbliche, und dient nur zur poetischen Darstel-
lung des Regens, des Thaus, der Lichtwelle. Aber das Uner-
schöpfliche bekommt bald die specielle Bedeutung: das, was ohne
Aufhören gemolken werden kann, also auch: eine himmlische
Kuh, die wir nicht beleidigen dürfen, die unverletzt bleiben muss. ^
Indem so der Himmel als eine unbegrenzte Kuh dargestellt wurde,
mussten natürlich seine hauptsächlichsten und auffallendsten Er-
scheinungen ihrerseits Kinder der Kuh oder selbst Kühe oder
Stiere, und der Befruchter der grossen Mutter auch Stier genannt
werden. So lesen wir, dass der Wind (Vayu oder Rudra)
aus dem Schoss der himmlischen Kuh die Winde, welche im
Sturm heulen (Maruts und Rudras), hervorgehen Hess, die des-
halb Kinder der Kuh heissen. ^ Da nun diese grosse himmlische
Kuh die stürmischen lärmenden Winde' hervorbringt, stellt sie nicht
allein das ruhige, heitere, glänzende Firmament, sondern auch die
wolkige und finstere Erzeugerin von Stürmen dar. Diese grosse Kuh,
diese ungeheure Wolke, welche das ganze Himmelsgewölbe ein-
nimmt und die Winde entfesselt, ist eine braune, dunkle, scheckige
(pri^ni) Kuh, und so heissen auch die Winde oder Maruts,
ihre Söhne, die Kinder der Schecke. Aus der Einheit wurde so
eine Mehrheit; die Wolkensöhne, die Winde, sind 21; die Töchter,
die Wolken selbst, Schecken (pri^nis) genannt, sind auch drei-
mal sieben oder 21 : drei und sieben sind bei den Ariern heilige
Zahlen, und 21 ist nur ein Product dieser beiden bedeutungs-
vollen Zahlen, durch welche häufig die Macht eines Gottes oder
eines Ungeheuers symbolisch dargestellt wird. Wenn also pri gn i,
die gefleckte Kuh, die Mutter der Maruts, der Winde, und der
" Mä gäm anagam aditim vadhißbta; Kigv. VIII, 90, 15.
* Gomätarah; Bigv. I, 85, 3. — Aditi „mätä rudräuäm*', die Mutter
der Rudras, genannt; Rigv. VIII, 90, 15. — Tubhyam (Dir, seil. Väyu,
Wind) dbenuh sabardugba vitjvä vasüni dobate aganayo maruto vaksbäna-
bbyah; Rigv! I, 134, 4.
1*
Schecken (p r i 5 n i s) , der Wolken, ist, so können wir die Wolken
die Schwestern der Winde nennen. Wir finden oft drei oder sieben
Schwestern; drei oder sieben BrUder in den Erzählungen. Dass
die Zahl 21 im ßigveda selbst eine Beziehung auf die Drei invol-
virt, geht ganz evident daraus hervor, dass ein Hymnus von den
drei mal sieben gefleckten Kühen spricht, welche dem Oott den
göttlichen Trank bringen, während in einem anderen von den
Schecken (ohne nähere Angabe der Zahl) die Rede ist, die ihm
drei Seen zu trinken geben. ^ Augenscheinlich erfllllen hier die
drei oder sieben oder einundzwanzig Schwesterkühe, die dem
Gott der östlichen Himmelssphäre ihre eigene nährende Milch
spenden, und bei deren Nahrung die Winde, jetzt unverwundbar
geworden, anwachsen,* die frommen Pflichten gütiger Schutz-
geister.
Wenn aber die Winde Söhne einer Kuh, und die Kühe ihre
Ernährerinnen sind, so müssen die Maruts selbst noth wendig als
Stiere dargestellt werden. Wirklich wird auch Väyu, ihr Vater,
von Stieren getragen, d. h. von den Winden selbst, die schnell,
wie die Sonnenstrahlen beweglich, sehr stark und nicht zu bändi-
gen sind ; ^ die Stärke des Windes wird mit der des Stiers oder
Bären verglichen ; * die Winde , so stark wie Stiere , überwältigen
und unterwerfen die dunklen Wolken.^ Hier werden also die
Wolken nicht mehr als die nährenden Kühe, sondern unter dem
düsteren 3ilde von Ungeheuerji dargestellt. Die Maruts, welche
im Sturm heulen, sind so schnell wie der Blitz und umgeben sich
mit Blitzen. Deshalb werden sie auch ihrer glänzenden Gewänder
wegen gepriesen; und darum heisst es auch, dass die röthlicbeu
• Imäs ta indra prl^nayo gbritam duhataäQiram; Rigv. VIII, 6, 19. —
Trir aemäi sapta dhcnavo duduhre satjäin ä^iram pürvje vyomani; ftigv.
IX, 70, 1. ~ Trini saransi pri^najo duduhre va^rino madhu; Rigv. VIII,
7, 10. — Rämay. I, 48 erscheiuen die Maruts ebenfalls io der Sie-
benzahl.
* Pra ^ansä goshv aghnyam krilam yaö dhardho märutam gambhe
rasasya vävridhe; Rigv. I, 37, 5.
' Ime ye te su väyo bähvogaso 'ntar nadi te patayanty ukshano
mahi vrädhanta ukshanah dhanvaii 6\d ye anä^avo girä9, 6id a^träu-
kasah süryasyeva ra^mayo dumiyantavo hastayor durniyantavah ; Rigv. I,
135, b.
^ Riksho na vo marutah Qimivän amo dudhro gäur iva bhimayuh;
Rigv.V, 56, 3.
^ Te syandr^o nokshano *ti shkaadanti ^arvarih; Rivg. V, 52, 3.
Winde von Edelsteinen glänzen^ wie manche Stiere von Sternen. *
Als solche — als Bezwinger der Wolken und als die, die sttlr-
miscb ihre Reihen durchbrechen — sind diese Winde, diese
Stiere die besten Freunde, die mächtigsten Helfer des grossen
brüllenden Stiers; des Donner- und Regengottes; der Sonne,
welche Wolken und Dunkel verscheucht; des höchsten Gottes der
Veden, Indra, des Freundes von Licht und Ambrosia, der Sonne
und schönes Wetter bringt und uns wohlthätigen Thau wie be-
fruchtenden Regen sendet Gleich seinen Genossen, den Winden,
wird Indra — die Sonne (und das glänzende Firmament), welche,
im Dunkel verborgen, die Finstemiss zu verscheuchen strebt, und
von den donnernden und blitzenden Wolken verdeckt, sie in
Regen aufzulösen sucht — als ein mächtiger Stier, der Stier der
Stiere dargestellt, als ein unbesiegbarer Sohn der Kuh, welcher
wie die Maruts brUUt. *
Aber um zum Stier zu werden, zu wachsen, die Kraft zu
entwickeln, welche zur Tödtung der Schlange erforderlich ist, muss
Indra trinken ; und er trinkt den Soma, ^ das Wasser der Stärke.
„Trink* und wachse,"* sagt ein Dichter zu ihm , indem er die
symbolische Libation des Opferkelchs darbringt, der ein Typus
bald des Himmelsbechers, bald des Himmelsgewölbes, bald der
Wolke, bald der Sonne oder des Mondes ist. Durch die süsse
Nahrung der himmlischen Kuh erlangt Indra eine Schnelligkeit,
welche der des Pferdes gleichkommt ; ^ er isst und trinkt auf ein
Mal so viel, dass er plötzlich seine Reife erlangt. Die Götter
geben ihm dreihundert Ochsen zu essen und drei Seen Ambrosia ^
' Tvam vatäir arunÜr yäsi; Täittiriya Ya^urveda I, 3, 14. —
Angibhir vy dnagre ke cid usra iva stribhih; Rigv. I, 87, 1.
* Vrisha yrishabhih; Rigv. I, 100, 4. — Grishtih sasüva sthaviram
tavägam an&dbrisbyam vrishabham tumram indram; Rigv. IV, 18, 10. —
Sa mätarä na dadri^ana nsriyo nänadad eti marutäm iva svaoah; Rigv.
IX, 70, 6. *
* VrishSyamäno 'vyinita somam; Rigv. I, 32, 3. — Pitum nu stosbam
mabo dhaimänam tavisbim yasya trito (Trita ist, wie wir sehen werden,
ein alter ego des Indra) vy ogasa vritram viparvam ardayat; Rigv. I,
187, 1.
* Fihä vardbasva; Rigv. III, 36, 3.
^ Indro madba sambbritam usriyslyäin padvad viveda ^apbavan name
gob; Rigv. Ill, 39, 6.
^ Til ya(^ dbatä mabisbän&m agbo m^ tri sarlbsi magbava som-
yäpfth kdram na vi^ve abvanta dev4 bbaram indräya yad ahim ^agh&na;
Rigv. V, i9, 8.
1
6
zu trinken, damit er das Schlangenungeheiier zu tödten im Stande
sei. Der Hunger und Durst der Helden steht immer zu dem
Wunder, das sie zu verrichten berufen sind, im Verhältniss, und
deshalb stellen die Hymnen des Eigveda und des Atharvaveda
die Wolke oft als eine ungeheure, weitbauchige Tonne (k a b a n d h a)
dar, welche von dem göttlichen Stiere getragen wird. *
Aber wann und wie entfaltet der Held-Stier seine ausserge-
wöhnliche Stärke? Der furchtbare Stier brüllt und zeigt seine
Kraft, indem er seine Hörner wetzt ;^ er, der glänzende, mit
spitzen Hörnern, kann ganz allein alle Völker niederrennen. * Was
sind aber die Hörner des Stieres Indra, des Donnergottes?
Augenscheinlich die Donnerkeile; Indra soll in der That die
Donnerkeile wetzen, wie ein Stier seine Hörner;* der Donnerkeil
Indras soll tausendspitzig sein ; ^ Indra heisst der Stier mit tau-
send Hörnern, der aus dem Meere ^ aufsteigt (oder aus dem dun-
keln Ocean als Donner entsendende oder als strahlende Sonne,
indem die Donnerkeile als Strahlen der Sonnenscheibe gedacht
werden). Zuweilen heisst der Donnerkeil Indras selbst ein Stier '
und wird von seinen geliebten glänzenden Kühen ^ gewetzt, und
dient bald dazu, die Kühe der Finsterniss zu entreissen, bald sie
von dem Ungeheuer der Finsterniss, das sie einhüllt, zu befreien, *
bald endlich, das Ungeheuer von Wolken und Dunkelheit selbst
zu vernichten. Ausserdem nimmt Indra, dieser ausserordentlich
mächtige, gehörnte Stier, welcher seine Homer wetzt, um sie in
^ Vasoh kabandhamriBbabho bibharti; Atharvav. IX, 4, 3.
' Ravati bhimo vrishabhas tavishyayä fringe 9198110 harini vicak-
shanah; Rigv. IX, 70, 7.
' Yas tigma9ringo vrishablio na bhima ekah kri8hti9 dyavayati pra
vi9väh; Rigv. VH, 19, 1. — Idam namo vrißhabhäya evaräge satya-
9U8hmäya tavase *vadi; Rigv. I, 51, 15,
* 9i9ite vagram te^ase na vansagah; Rigv. I, 55, 1.
^ Abhy enam vagra äyasah sahasrabbrisbtir ayatärdano; Rigv. I,
80, 12.
* Sabasra9ringo vrishabho yah samudrad udadarat; Rigv. Vll, 55, 7.
^ Vi tigmena vrisbabhcna puro 'bhet; Rigv. I, 33, 13.
* Priya indrasya dhenavo vagram binvanti sayakam vasvih; Rigv. I,
84, 10. IJ. 12. Die Wurzel hi bedeutet eigentlich ausdehnen, ausziehen;
hier scheint „den Arm Indras ausdehnen^^ zu bedeuten: ihn verlängern,
ihn so dünn wie einen Faden machen, ihn schärfen, wetzen, spitzen (ital.
affilare); die Kühe, welche spitzen (ital. affilanti), sind eine Modification
der Kühe, die spinneu (ital. fiianti).
^ Yugam vagram vrishabha9 dakra indro nir gyotisha tamaso ga
adukehat; Rigv. I, 33, 10.
das Ungeheuer zu stossen, auch als das Feuer, welches Blitze
schleudert und aus den Wolken und dem Dunkel Lichtstrahlen
hervorbrechen lässt, den Namen Agni an, und hat als solcher zwei
Köpfe, vier Homer, drei FUsse, sieben Hände, feurige Zähne und
Flügel; er wird von dem Winde getragen und bläst J
So finden wir also himmlische Kühe, die himmlische
Stiere ernähren; und himmlische Stiere und Kühe, die ihre
Hörner zu einem Kampfe, der im Himmel gefochten wird, ver-
wenden.
Versetzen wir uns auf das Schlachtfeld und besuchen wir die
beiden feindlichen Lager! Auf der einen Seite finden wir die
Sonne (und zuweilen den Mond), den Stier der Stiere Indra, mit
den Winden, Maruts, den glänzenden und brüllenden Stieren ; auf
der andern ein vielgestaltig Ungeheuer, in der Gestalt von Wölfen,
Schlangen, wilden Ebern, Eulen, Mäusen und dergleichen mehr.
Auf Seiten Indras sind Kühe, die ihm helfen; das Ungeheuer hat
auch Kühe, und zwar entweder solche, die es dem Indra entrissen
hat und nun in dunklen Höhlen oder Festungen einkerkert und
versteckt, oder solche, mit denen es als seinen eigenen Weibern
Liebesspiel pflegt. In dem einen Falle betrachten die Kühe den
Stier Indra als ihren Freund und Befreier; in dem andern sind
sie selbst Ungeheuer und Feinde Indras, der sie bekämpft. Mit
einem Wort, die Wolken werden ein Mal als Freunde der regen-
spendenden Sonne betrachtet, welche sie von dem Ungeheuer, das
den Regen zurückhält, befreit, und andrerseits als von der Sonne
angegriffen, als die, welche sie feindlich umringen und zu ver-
nichten streben. Suchen wir in dem Rigveda nach Beweisen für
diesen Doppelkampf!
Um mit der ersten Phase des Conflicts zu beginnen, wo
schlägt Indra im Himmel seine berühmtesten Schlachten ?
Die Wolken nehmen gewöhnlich die Gestalt von Bergen an,
wie auch in der Sprache der Veden die Worte adri und par-
* ^i^ite fringe rakshase vinikshe; Rigv. V, 2, 9. — Catväri ^ringä
trajo asya pada dve ^irshe sapta hastäso asya; Rigv. IV, 58, 3. — Tapur-
garobho vana 4 vätacodito yüthe na sähvän ava vati vansagah abhi
vra^ann akshitam pä^asa ragah sthatu^ caratham bhayate patatrinah;
Rigv. I, 58, 5. In dieser Strophe bezeichnet jedoch Vansagah wahr-
scheinlich vielmehr den Hengst als den Stier, wie wir auch in der zweiten
Strophe denselben Agni mit einem glänzendf'n Pferde verglichen finden
(atyo na prishtham prushitasya roöate).
8
V a t a die Begriffe : Stein, Berg und Wolke ausdrücken. * Da die
Wolke mit einem Stein, Felsen oder Berge verglichen wurde, so
war es natürlich, erstens, sich unter den Felsen oder Bergen
Höhlen vorzustellen, die als Kerker von Kühen mit Ställen ver-
glichen werden konnten;* zweitens, den Begriff des Felsen auf
den der Citadelle (ital. rocca), Festung, Burg zu übertragen;
drittens von dem Begriff* des unbeweglichen Berges auf den des
Baumes überzugehen, der sich nicht fortbewegen kann, wenn er
sich auch erhebt und ausbreitet, und von dem Waldbaume auf den
schattigen und ehrwürdigen Hain.
Daher kämpft der Stier, oder der Gott Indra, oder die Sonne
des Donners, Blitzes und Regens, bald iii einer Höhle, bald nimmt
er eine Festung mit Sturm, bald zieht er die Kuh aus dem Walde
hervor oder bindet sie von dem Baume los, und vernichtet den
rakshas, das Ungeheuer, das sie gefesselt hatte.
Die vedische Poesie preist besonders den Zug Indras gegen
die "Höhle oder den Berg, in welchem das Ungeheuer (das ver-
schiedene Namen führt, und zwar besonders folgende: Vala,
Vptra, Qushna, Feind, Schwarzer, Dieb, Schlange, Wolf, wilder
Eber) die Herden der himmlischen Helden verbirgt oder ab-
schlachtet.
Der schwarze Stier brüllt ; ebenso auch der Donnerkeil, d. h.
der Donner folgt dem Blitz, wie die Kuh ihrem Kalbe. ^ Die
Marutstiere ersteigen den Felsen und bringen bald durch ihre
' Adri und par rata bedeuten eigentlich Berg, in den Veden aber
oft: Wolke; unter anderm auch: Baum; aga (eigentlich das, was eich nicht
fortbewegt) bedeutet gleicherweise Berg und Baum. Daher vielleicht das
italienische Sprichwort: Le montagne stanno ferme, ma gli uomini s'in-
contrano, Berge stehen still, aber Menschen begegnen sich; daher der
Ausruf Ramas im Rämäyana II, 122, dass sich eher der Himalaya be-
wegen als er zum Verräther werden würde; daher die Versicherung, die
Macbeth, nach der berühmten Hexenprophezeiung, geben kann : „That will
never be; who can impress the forest; bid the tree unfir his earth-bound
root?" (Shaksp. Macb. IV, 1). Nichtsdestoweniger) bewegt sich der Wald
nicht selten in den Mythen, wo die Baum- Wolken wandern, und wo sie
hinkommen. Alles mit Schrecken erfüllen, wo Helden und Ungeheuer oft
mit den entwurzelten Bäumen eines ganzen Waldes kämpfen. Vgl.
R4mäy. III, 3, 5 und in unserm Werk die Kapp, über das Pferd, den
Bären und den Affen.
' Vragam gaöha gosth&nam; Täittir. Ya'gur. 1, 1,9; vgl. ^atapa-
thabrähmana I, 2, 3. 4.
' Krishno nonäva vrishabhah; Rigv. I, 79, 2. — Vä^reva ridyun
mimiti vatsam na m^tk sishakti; Rigv. I, 38, 8.
V
9
eigenen Anstrengungen den helltönenden Felsblock zu Falle;*
bald zersplittern sie mit der eisernen Schneide ihres Wagens den
Berg;^ der von den Göttern geliebte, tapfere Held bewegt den
Stein ; ^ lodra hört die Kühe : mit Hilfe der Wind-Stiere findet er
die Kühe in der Höhle; mit einer steinernen Waffe versehen,
öffnet er selbst Valas Grotte; er besiegt, tödtet und verfolgt die
Diebe; die Stiere brüllen; die Kühe schliessen sich ihnen an;
Indra befruchtet die Herde; er und seine Gemahlin sind zufrieden
und vergnügt.*
Bei diesem fabelhaften Hergange kommen hauptsächlich drei
Momente in Betracht: erstens die Bemühung, den Stein zu heben;
zweitens der Kampf mit dem Ungeheuer, das die Kühe entführt
hat; drittens die Befreiung der Gefangenen. Es ist ein voll-
ständiges Epos.
Die zweite Art der Heldenthaten Indras in dem Wolken-
himmel ist die, welche die Zerstörung der himmlischen Festungen,
der neunzig, neunundneunzig oder hundert Städte Qambaras,
welche die Weiber der Dämonen waren , zum Gegenstande hat.
Von diesem Unternehmen erhielt Indra den Beinamen puram-
dara (gewöhnlich als Städtezerstörer erklärt), obwohl er dabei
einen sehr wichtigen Waffengefahrten hatte, nämlich Agni,
d, h. Feuer , wobei man natürlich an die Zerstörung durch
Feuer denkt ^ (das Licht verscheucht die Finsterniss).
* A^mänam dit svaryam parvatam girim pra dy^vayanti yämabhih;
Rigv. V, 96, 4.
' Pavyä rathanam adrim bhindanty o^asa; Rigv. V, 52, 9. Pavi
ist im Allgemeineiv der eiserne Theil, der eiserne Beschlag (eines Pfeiles,
einer Lanse); hier scheint es der eiserne Reifen der Wagenräder zu sein,
die über den Berg stürmen und ihn zerbrechen, wie anch wirklich der Donner
oft die Vorstellung eines- rasselnden, Verwüstung anrichtenden Wagens
weckt
' Virah karmanyah sudaksho yuktagravä gayate de^j^kämah; Rigv.
m, 4, 9. ' *
* Ayam ^rinve adha ^yann uta ghnann ayam uta pra krinute yudhä
ga^^; Rigv. IV, 17, 10. — Vilu did 4rugatnubbir guhä did indra vahnibhih
avinda usriyi anu; Rigv. I, 6, 5. — Tvam valasya gomato 'pävar adrivo
bilam; Rigv. I, 11, 5. — Vi gobhir adrim äirayat; Rigv. I, 7, 3. —
Uksha mimäti prati yanti dhenavah; Rigv. IX, 69, 4. — Yad anyäsu
vriahabho roraviti so anyasmin yüthe ni dadhäti retah; Rigv. Ill, 55, 17.
— Püshanv4n va^rint sam u patnytoadah; Rigv. I, 8?, 6.
^ Indrl^i navatim puro däsapatnir adhünutam säkam ekena karmana )
Rigv. m, 12, 6; TÄitt. Yagurv. I, 1, 14. Vgl. das Kap. über die
Schlange.
10
In einem Hymnus an Indra kommen zum Schluss die Götter
mit ihren schneidigen Aexten, hauen die Wälder ab und ver-
brennen die Ungeheuer, welche die Milch in den Eutern der Kühe
zurückhalten. ^ Der bewölkte finstere Nachthimmel gestaltet sich
in der Phantasie hier zu einem grossen Walde, welcher von
Räkshasas oder Ungeheuern bewohnt wird, die ihn unfruchtbar
machen, d. h. die es der grossen himmlischen Kuh unmöglich
machen, Milch zu geben. Die Kuh, welche Honig giebt, die
Ambrosia-Kuh der Veden, wird so durch einen Wald ersetzt,
welcher den Honig, die Götterspeise Ambrosia, verbirgt. Und
obwohl die vedischen Hymnen bei dieser Vorstellung von dem
trüben Wolkenhimmel nicht stehen bleiben , sondern gewöhnlich
lieber die Dunkelheit der Nacht als einen düstern Wald dar-
stellen, so ist doch die oben aus den Veden angeführte Stelle der
Beachtung werth, weil sie beweist, dass wenigstens zur Zeit der
Veden ein Mythus existirt hat, der sich später in der Thierfabel
sehr erweiterte.^
Bei diesem dreifachen Kampfe Indras bemerken wir noch
einen sonderbaren Zug. Der donnernde Indra bewältigt seine
Feinde mit Bogen und Pfeilen ; dieselbe Wolke , welche donnert,
brüllt und deshalb eine Kuh genannt wird, wird, als Pfeile
schleudernd, zum Bogen: daher haben wir den Kuh-Bogen, mit
welchem Indra den eisernen Stein, den Donnerkeil schleudert;
auch die Sehne dieses brüllenden Bogens heisst selbst eine Kuh ;
dieser Sehne entschwirren die geflügelten Pfeile, die Donnerkeile,
welche menschenfressende Vögel heissen; wenn sie angeflogen
kommen , zittert die ganze Welt. ^ Wir werden auf diesen Ge-
danken weiter unten zurückkommen.
Bis jetzt haben wir die Kuh- Wolke als ein Opfer des Unge-
heuers (das Indra besiegt) kennen gelernt. Nicht selten finden
wir jedoch die Wolke selbst oder die Finsterniss , d. h. die Kuh,
die Festung oder den Wald, als ein Ungeheuer dargestellt. Ein
vedischer Hymnus berichtet uns, das Ungeheuer Vala hätte die
> Deväsa äyan para^ünr abibhran vanä vri^<$anto abhi vidbhir ayan
ni ßudrvam dadhato vakshanäsu yaträ kripit»im anu tad dahanti; Rigv.X,
28, 8.
' Vgl. das Kap. über den Bären und den Affen.
» Vrikßhe-vrikßhe niyatä mimayad gäus tato vayah pra patan püru-
ßbädat * vi^vam' bhuvanam bhayate; Rigv. X, 27, 22. - Tvam ayasana
prati vartayo gor divo a^manam; Rigv. I, 121, 9.
11
Gestalt einer Kuh ; ' ein anderer stellt die Wolke als die Kuh
dar, welche die Gewässer bildet, und die bald einen, bald vier,
acht, neun Ftisse hat und den obersten Himmel mit Geschrei er-
fttUt;^ nach einem dritten endlich schleudert die Sonne ihre gol-
dene Scheibe nach der gefleckten Kuh ; * die Entführten , welche
von dem Schlangenupgeheuer bewacht werden , die Gewässer, die
Kühe sind Weiber der Dämonen geworden;* und sie müssen bös-
artig sein, da ein Dichter die böseai Geister, die Dämonen, mit
dem Wunsche verflucht, dass sie das Gift dieser Kühe trinken
mögen. ^ Wir sahen schon , dass die Festungen Weiber von Dä-
monen und diese die Besitzer der Wälder sind.®
In dem bewölkten und donnernden Himmel entfaltet der
kriegerische Held seine grösste Kraft ; aber es ist nicht zu leugnen,
dass die meisten und sinnigsten Mythen die Beziehungen zwischen
dem Nachthimmel (bald dunkel, feucht, schrecklich, bald von dem
ambrosischen Mondlicht umflossen und mit Sternen besät) und den
beiden glühenden Himmeln — die beiden glänzenden Dämme-
rungen des Morgens und Abends (des Frühlings und Herbstes) —
darstellen. Wir haben hier die allgemeine Erscheinung, dass
Licht und Finsterniss in Streit verwickelt sind; auch hier wieder
ist Indra (die Sonne) in einer Wolke verborgen, um das Licht vor-
zubereiten, um die Ströme der Jugend und des Lichts, die Reich-
thümer, die Kühe von dem Ungeheuer der Finsterniss zu be-
freien; aber der Held erreicht sein Ziel erst nach langen, sehr
gefahrvollen Wanderungen; den Ausschlag geben Schlachten, in
welchen oft eine Heldin die Hauptrolle spielt, ausgenommen die
nicht zahlreichen, aber recht beachtenswerthen Fälle, in welchen
die Wolken, Orkane, Stürme von Blitzen und Donnerkeilen , mit
' Brihaspatir govapusho valasya nir maggänam na parvano gabhara;
Rigv. X, 68, 9.
* Gaurir mimaya snlilani takshatj ekapadi dvipadi sa datushpadi —
asbtäpadi navapadi babhüvushi sahasraksharä, parame yyoman; Rigv. I,
164,' 41.
^ Ut4da]> parushe gavi sdraQ dakram hiranyayam ny airayat; Rigv.
VI, 56, 3. — Bergaigne übersetzt: „il a lancö le disque du soleil"; seine
Erklämng ist vielleicht der von mir gegebenen vorzuziehen.
* Däsapatnir ahigopä atishthan niruddhä apah panineva gävah;
Rigv. I, 32, 11.
* Visham gavHm yätudhänäh pibantu*, Rigv, X, 87, 18. — Diese Stelle
kann man jedoch auch so fassen: ,,Die Dämonen der Kühe mögen das
Gift trinken l"
« Rigv. III, 12, 6. X, 27, 22.
12
dem Ende der Nacht (oder des Winters) zusammenfallen and
Indra, die Sonne, die Wojken (oder das Dunkel des Winters)
durchbricht, das nächtliche Dunkel zerstreut und die Morgen-
dämmerung (oder den Frühling) dem Himmel wiederbringt. In
solchen Fällen ist Indra nicht blos der grösste unter den Göt-
tern, sondern zeigt sich auch als den epischsten unter den Hel-
den; die beiden Himmel, der dunkle und der bewölkte, mit ihren
Ungeheuern, und die beiden Sonnen, die donnernde und die strah-
lende, mit ihren Bundesgenossen, werden zusammengeworfen,
und dann erhält der Mythus seinen ganzen poetischen Zauber.
Die feierlichsten Momente der grossen Nationalepen der Arier,
des Rämäyana, des Mahäbhärata, des Königsbuches, wie auch der
Ilias, des Rolandsliedes und der Nibelungen beruhen gerade auf
diesem Zusammenfallen der beiden Sonnenactionen — der Nie-
derwerfung des finsteren Ungeheuers und der Befreiung und
Wiedererweckung der Morgendämmerung (oder des Frühlings).
Nach einer schon angeführten Stelle des Rigveda^ selbst lassen
auch wirklich die Wolken — die drei mal sieben gefleckten
Kühe — durch ihre Milch an einem Gott (in dem wir aus einer
ähnlichen Stelle * Indra, die Sonne, erkennen) im östlichen Himmel
(^pürve vyomani), d. h. gegen Morgen und bisweilen in der
Frühlingszeit, viele der Erscheinungen zu Tage treten, welche
denen der Morgenröthe entsprechen. Die Pri^nis oder Schecken
sind ohne Zweifel die Wolken, wie die Maruts, die Söhne der
Pri^ni, die Winde sind, welche in der Sturmwolke heulen und
blitzen. Deshalb muss man den Wolkenhimmel auf den Morgen
verlegen. Dann wird man die Pri^nis , welche den Sonnengott
Indra in der östlichen Himmelssphäre ernähren, und die sieben
Aögirasen, die sieben Sonnenstrahlen, die sieben Weisen, welche
am Morgen Hymnen singen, verstehen. Der Gesang dieser fabel-
haften Weisen kann, meines Erachtens, nichts anderes sein,
als das Krachen der Donnerkeile, die man, wie wir sehen, als
Strahlen der Sounenschcibe dachte. Anspielungen auf Indra als
den, der am Morgen donnert, sind in den vedischen Hymnen so
häufig, dass diese kurze Abschweifung entschuldbar ist, von der
ich nur zu bald zu meinem eigentlichen Thema, der speciellen
Behandlung der mythischen Thiere, zurückkehren muss, weil wir
einen weiten Weg zurückzulegen haben.
' Rigv. IX, 70, 1.
* VUl, 6, 19. Vgl. die Kap. über das Pferd und den Kuckuk.
13
Auch die glänzende Nacht hat ihre Kühe: die Sterne, welche
die Sonne mit ihren Strahlen in die Flucht schlägt;* ihr Aufent-
haltsort muss dem der SonnenkUhe benachbart sein; sie heissen
die vielhomigen. ^ Ihr Wohnort scheint mir der Beachtung werth
zu sein : es sind die himmlischen Häuser, welche sich bewegen, die
verzauberten Hütten und Paläste, welche erscheinen, um wieder
zu verschwinden, und in den Volksmährchen der Arier so häufige
Umgestaltungen erfahren.
Der Mond ist gewl^hnlich ein männliches Wesen; denn seine
gewöhnlichsten Namen : 6andra, Indu und Soma sind männlichen
Geschlechts; da aber soma Ambrosia bedeutet, so kam der
Mond, als Spender von Ambrosia, schon früh dazu, als milchge-
bende Kuh betrachtet zu werden; und wirklich hat das Wort go
(Kuh) im Sanskrit neben verschiedenen andern Bedeutungen auch
die von „Mond*^ Der Mond, Soma, welcher den Nachthimmel
erhellt, und die Regensonne, Indra, welcher zur Nacht- oder Win-
terszeit das Morgen- oder Frühlingslicht vorbereitet, werden als
Genossen dargestellt; ein junges Mädchen, der Abend oder Herbst
(Dämmerung), welches zur Nacht- oder Winterszeit Wasser
schöpfen geht, findet in dem Brunnen den ambrosischen Mond
und bringt ihn zu Indra, welcher den Soma liebt. Die Worte
des vedischen Hymnus lauten folgendermassen: „Das junge Mäd-
chen stieg zum Wasser hinab, fand den Mond in dem Brunnen
und sagte: *Ich will Dich zu Indra bringen, ich will Dich zu
' Vi ra^mibhih sasrigc j-uryo gäh; Rigv. VIII, 30, 1.
* Tä väm (die Götter Vishnu und ^ladra) väatüny u^maei gamadhyäi
yatra gävo bhüri^rlngä ayasal^; Rigv. I, IM, 6. Hier bilden alle Sterne
oder Kühe zusammen viele flörner; vielleicht wurde aber jeder Stern
(resp. Kuh) an und für sich als einhornig gedacht; denn die Sterne, wie
der Mond, senden nur einen Lichtstrahl. Das kann man, meines £rach-
tens, aus dem Namen Eka^riiiga (Einhornig) schliessen, welchen in der
späteren indischen Mythologie eine ganze Keihe von Manen führten, als
deren oberste Wohnungen, als deren reinste Erscheinungsform die Sterne
dargestellt werden. Ich bitte indessen den Leser, die Sterne zu beachten,
welche Kühe sind, und mit den Manen, den Schatten der Verstorbenen,
in Verbindung stehen. Denn die vedischen Hymnen geben uns noch eine
andere höchst interessante Andeutung, nämlich dass der Gott der Nacht,
Varuna, Alles sieht, weil er mit Spionen oder spa^as (den Sternen) umge-
ben ist Die Spione Varunas führen uns einerseits auf das Gottesauge des
katholischen Volksglaubens in Italien und ermöglichen uns andererseits
das Verständniss des Volksmährchens, in welchem bald die Kuh , bald die
Ziege die Rolle eines Spions spielt.
14
Qakra bringen! Fluthe, o Mond, und umhülle Indra!'''^ Mond
und Ambrosia liegen beide in dem Worte Indu , wie Soma ; da-
her ist auch Indra, der Somatrinker par excellence (somapätama),
der beste Freund und Genosse des ambrosischen oder Regen-
mondes, tn d so drängen uns die Sonne und der Mond (wie auch
Indra und Vishnu) das Bild zweier Freunde, zweier Brüder
(Indu und Indra), und zwar Zwillingsbrüder, der beiden A^vins
auf; ebenso nicht selten die beiden Dämmerungen, der Morgen
und Abend, der Frühling und Herbst, von denen jedoch erstere
besonders mit der rothen Sonne, die am Morgen, resp. Frühling,
erscheint, in Verbindung gebracht werden, letztere mit dem bleichen
Monde, der sich am Abend zeigt, resp. im Herbst, als specieller
Beherrscher der kalten Jahreszeit. Indra und Soma (Indräso-
mäu) werden häufiger als zwei Stiere dargestellt, welche zusam-
men das Ungeheuer bezwingen (rakshohanäu), die in Finster-
niss lebenden Ungeheuer mit Feuer vertilgen.* Das Wort
vrishanäu bedeutet eigentlich die Beiden, welche ausströmen
lassen oder befruchten. Hier bedeutet es die beiden Stiere; aller-
dings werden, da das Wort vrishan neben Stier noch Hengst
bedeutet, die beiden Hengste, Indra und Soma, durch einen na-
türlichen Uebergang bald zu zwei Pferden oder Reitern umge-
staltet, den beiden A^vins. Daher finden wir im Volksmährchen
neben der jungen Prinzessin den Helden, der bald die Kühe auf
die Weide führt, bald als Stallknecht die Pferde wartet. Doch
bringen wir nicht im Voraus Vergleich ungen, welche erst weiter
unten ihren Platz haben ! Nachdem wir nur noch bemerkt haben,
dass wir im Rigveda den Mond entweder als Stier oder als Kuh
dargestellt finden (als Indu, Soma, Öandra ist er immer das
erstere; während die Feraininform Räkä mehr die Vorstellung
einer Kuh weckt), wollen wir den Stier Indra in seiner Beziehung
zu der Kuh Aurora (resp. Frühling) betrachten.
Fünf Stiere stehen in der Mitte des Himmels und jagen den
Wolf, welcher die Wasser durchstreicht, fort;^ der glänzende
* Kauyä vär aväyati somam api srutävidat astam bliaranty abravid
indräja sunavai tvä ^akräya sunaväi tvä. — Indräyendo pari srava;
Rigv. VUI, 80, 1. 3.
* Indräsomll tapatam raksha ubgatam ny arpayatam vrishanä tamo-
vridhah; Rigv. VII, 104, 1. — Die folgenden Strophen fuhren den Ge-
genstand weiter aus.
^ Pandokshano madhye tasthur maho divah. — Te sedhanti patbo
vrikam tarautam yahvatir apah; Kigv. I, 105, 10. 11.
15
Vasava bindet die Kuh, welche an den Füssen gefesselt
ist, los. ^
Wie ist nun diese Kuh entstanden ?
Sie ist von den Künstlern der Götter , den drei R i b h u -
Brüdern, geschaffen, die sie aus einer Kuhhaut herausziehen, d. h.
sie bilden eine Kuh, und bedecken sie, um ihr Leben zu geben,
mit dem Felle einer todten Kuh. ^ Das ist so zu verstehen, dass
die Kuh Aurora^ am Abend stirbt; die ßibhus, die dreifache
Sonne Jndra, d. h. die Sonne in den drei Nachtwachen, richten
das Fell dieser Kuh zu, indem der eine Ribhu der todten Kuh das
Fell abzieht, ein zweiter es während der Nacht zurecht macht,
und der dritte Ribhu am frühen Morgen die neue Kuh, die
Aurora, damit schmückt. Das heisst: Indra zieht in drei ver-
schiedenen Momenten dem Mädchen, das er liebt, das aber wäh-
rend der Nacht hässlich geworden war, die Haut ab und stellt
ihre Schönheit am Morgen wieder her.^ Die drei Ribhus lassen
sich, meines Erachtens, um so leichter mit dem dreifachen Indra,
Indra-Vishnu, der die Welt mit drei Schritten durchmisst, iden-
tificiren, als sie •ebenfalls, wie Indra, Stiere genannt werden;*
wie Indra nicht selten ein Falke heisst, so werden auch sie als
Vögel bezeichnet;® endlich verrichten sie zuweilen dieselben Wun-
der wie Indra. Diese Identificirung der Ribhu-Stiere, von denen
wir hier als Schöpfern der Kuh Aurora sprechen (es ist das die-
selbe unfruchtbare Kuh des schlafenden Helden Qayu, welche die
A^-vins, die beiden Reiter des Zwielichts, durch die Ribhus ver-
* Vasavo gäuijam 6lt padi shitäm amundatä yagftträh; Rigv. IV,
12, 6. " '
* Taksban dhenum sobardugham ; Rigv. I, 20, 3. — Ni^ darraano gam
arinita dhitibhih; Kigv. I, 167, 7. 1V,'36, 4.
* Um störende und unnütze Wiederholungen zu vermeiden, mu8s ich
hier bemerken» dass die Mythen von Morgen und Abend oft auf Frühling
und Herbat, die von der Nacht auf den Winter übertragen sind.
* Diese interossantc Einzelheit ist in den Kap. über den Wolf, die
Sau und den wilden Eber (q v.) ausführlicher dargestellt.
^ Ray im ribhavah sarvaviram ä takshata vrishano mandasänah; Rigv.
IV, 35, 6. *
* Rayim ribhavas takshata vayah; Rigv. IV, 36, 8. — Hier haben wir
die Kuh v^ieder in Beziehung mit den Vögeln, da die von den Ribhus
verliehenen Reichthümer vor Allem in Kühen bestehen. (Ye gomantaih
▼ägavantam suviram rayim dhattha vasumantam purukshum te agrepa
ribhavo mandasäna asme dhafta ye da rätim grinanti; Rigv. IV, 34, 10.)
16
jungten, wieder fruchtbar machten), ^ mit dem Stier oder Helden
Indra scheint mir von der grössten Wichtigkeit zu sein, da sie
uns zu Vielem, was ein Lebenselement der arischen Sagen ist,
den Schlüssel bietet.
Die Bibhus sind also drei Brüder. Sie sind dabei, die Scha-
len zu bereiten, welche den Göttern zum Trinken dienen sollen.
Jeder hat eine Schale in der Hand. Der älteste Bruder fordert die
andern heraus, zwei Schalen aus einer zu machen; der zweite
masst sich an, drei aus einer zu machen; der jüngste Bruder
geht noch weiter und wettet, eine Schale zu vervierfachen. Sein
ist der Sieg und der grösste Himmelsarbeiter, der Vulkan der
Veden, Tvashtar, lobt ihre kunstvolle Arbeit. ^ Der jüngste unter
den drei Brüdern ist also auch der geschickteste. In dem ßig-
veda finden wir alle drei Brüder Sukarma, d. h. Verfertiger schö-
ner Arbeiten, genannt; und obgleich es nur von einem, der
eigentlich den Namen Bibhu oder Kibukshä führt, heisst,
er diene dem Gott Indra als Arbeiter (daher auch die Benennung
Ribukshä, Eibhvan oder Ribhva für Indra selbst), so stehen doch
die beiden andern Brüder, Vag; a und Vibhvan, der eine in
Diensten aller Götter, der andere in denen Varunas, des Gottes
der Nacht ^ Es könnte natürlich scheinen, in Ribhu, dem Günst-
ling Indras, den geschicktesten der drei Brüder zu sehen, der,
wie wir sehen, auch der jüngste ist; da wir jedoch aus der Reihen-
folge, in welcher die Hymnen die drei Brüder aufzählen, nichts
schliessen können ~ sie folgen : Väga, Ribhukshä, Vibhvan ; Väga,
Vibhvan, Ribhu,* oder: Ribhu, Vibhvan, Vä^a — und da wir
auch alle Ribhus mit dem geraeinsamen Namen Väga, Väga selbst
mit Indra, und Indra wieder in seiner dreifachen Gestalt als
Ribhu, Vibhvan und Väga angerufen finden,^ so bleibt es unge-
' Qayave <5ia näsatyä Qaöibhir ^asuraye staryam pipyathur gäm;
Rigv. l 116, 22. — Yä ^arantä yuva^ä takrinotana; Rigv. I, 161. 7. —
Die biblische Erzählung von der unfruchtbaren alten Sara« die nach der
Erscheinung der Engel im Hause Abrahams f]:uchtbar wird, klingt neckisch
an diese vediucbe Erzählung an.
* Gyeshtha äha (famasä dvä kareti kaniyän trin krinavämety äha
kanishtha aha daturas kareti tvashta ribhavas tat panayad vado va^;
Rigv. IV, 33, 5.
' Vägo devanam adbavat sukarmendrasya rlbhukshd, varunasya vibhvd ;
Rigv. IV, 33, 9. * ' ,
* Te vago vibhvan ribhur indravantah; Rigv. IV, 33, 3.
^ Ribhur vibhvä va^a indro no adhemam yagiiam ratnadheyopa y4ta;
Rigv.'lV, 34, 1. - Pibata väga ribhavo; Rigv. IV, 34, 4.
17
wiss, welches der eigentliche Name des jüngsten Bruders war.
Dagegen scheint festzustehen^ dass Indra mit den Eibhus (Indra-
vants J zu identificiren, dass der dritte Bruder der geschickteste ist
und dass die drei Brttder den Herren des Himmels als Arbeiter
dienen. Hier stossen wir auf ein interessantes Moment. In zwei
Hymnen des Kigveda erscheint als einziger Schützer der Kibhus
Indra selbst oder die Sonne (Savitar) unter dem Namen A g o h y a
(d. h. der sich nicht verbergen kann). Während der zwölf Tage
(der zwölf Nachtstunden oder der zwölf Monate), in welchen sie
Agohyas Gaste sind, segnen sie, während sie schlafen, das Land
in jeder Weise: sie machen die Felder fruchtbar, die Ströme
wasserreich und erfrischen das Gras des Feldes. * Dabei dürfen
wir jedoch nicht vergessen, dass sie die wohlthätigen Söhne Snd-
hanvans, des trefPlichen Bogenschützen, und selbst solche sind,
als Repräsentanten des grossen himmlischen Bogenschützen, des
donnernden und regnenden Indra; dass also ihr Schlaf nur ein
Tropus für ihre verborgene Existenz in Finsterniss und nächt-
lichem Gewölk ist.
Der Eigveda führt jedoch die drei Brüder noch unter anderen
Namen auf, und besonders unter einem sehr merkwürdigen Bilde.
Der dritte Bruder wird nämlich Trita, der Dritte, genannt, und
als solcher auch mit Indra identificirt. So sind zum Beispiel die
Erscheinungen Indras am Himmel drei an Zahl: Abends, Nachts
und gegen Morgen ; das Ross Tritas , das er von Tama erhalten,
ist bald Yama selbst, bald der Sohn Aditis (die wir schon als die
Kuh, resp. männlich als den Sohn der Kuh kennen gelernt haben),
bald Trita; dieses Ross^ kann Trita allein bändigen, Indra allein
es reiten; es ist Ambrosiafeucht und hat drei Verwandte im
Himmel , drei in den Wassern , drei im Ocean ; ^ d. h. der eine
Verwandte ist Tama, der älteste Bruder; der zweite der Sohn der
Kuh oder der zweite Bruder, der letzte Trita selbst oder der
jüngste Bruder. Dieser Trita wird klug genannt; er entspricht
also dem dritten Bruder, der vier Becher aus einem macht. Wie
' Dvada^a dyün yad agobyasy Stithy e rananD ribhayah sasanta^
sukshetr^krinvanu anayanta eindhüu dbanvatishthaun osbadbir uimuam
Äpah; RigV IV, 33, 7. — Vgl. Rigv. I, 161, 11-13.
* Yamena dattam trita enam äyunag indra enam prathamo adby
atiflhtbat; Rig^* I« 163, 2. — Asi yamo asy adityo arvann asi trito
gahyena vratena asi somena samayä viprikta 4bu8 te trini divi band-
bandni trini ta äbur divi bandbanäni trini apsu triny antah samadre;
Rigv. I, 163, 3. 4.
GabernatU, die Tbiere. 2
18
kann er also trotzdem zuweilen als einfältig geschildert werden ?
Die Sprache giebt uns hier die Erklärung an die Hand. Im
Sanskrit bedeutet nämlicb bäla sowohl Kind ala eiDfältig; der
dritte Bruder erscheint als einfältig, weil er, zumal bei seinem
ersten Erscheinen, ein Kind ist, — und doch sehen wir ihn auch
als Kiud beständig Wunderdinge verrichten und Beweise einer
ßbernatUrlichen Weisheit geben.' So ist uns die Bedeutung des
Mythus erschlossen. Der älteste Bruder, Yama, die sterbende
Sonne, ist trotz all seiner Weisheit und seiner Erfahrung unfähig,
aus eigner Eraft'die geraubte oder verirrte Prinzessin zu ent-
decken und wiederzugewinnen; der Sohn der Ruh Aditi, d. b.
Aditya, die Sonne in der Mittemacht oder der Mond, giebt oft
den Beweis, dass er stark genug ist, das Dunkel und die Wolken
zu verschencbcn und die Verzauberung zu lösen; gewöhnlich ist
es aber die dritte, die Morgensonne, Indra in seiner dritten Ge-
stalt, Vishnu, der seinen dritten Schritt macht, ' der dritte Bruder,
Trita, der den. Sieg zu gewinnen und die ganze MorgenrÖthe
von dem Ungeheuer der Nacht zu befreien scheint Das scheint
mir Alles ganz klar zu sein.
Trita trinkt wie Indra das Wasser der Stärke und reissf
hierauf das Ungeheuer in Stücke;^ der Sieg des jungen Helden
muss von ihm in derselben Weise, wie von Indra, seiner glän-
zenderen und erhabeneren Erscheiaungefonn, errungen werden.
Nachdem aber Trita oder Ttäitaua das Ungeheuer der Wasser
getöiltet hat, fitrebtct er, dase die Wasser selbst ihn verschlingen
könnten; als er dem Ungeheuer den Kopf abgehauen, haben ibu
einige Feinde in die Wasser gedräckt. * Die Sonne hat das
Ungeheuer, wclclies die Wasscrqueüe verschlossen hielt, besiegt —
> Zu d«r Bildung und Verbreitung diespr Anschauung hat vifllt'icbt
noch die Beziehung zwischen bäla, Kind, einfaltig, und baln, stark, bei-
' Der dreigestaltige Viehnu wird oft im Rigveda und im Ya^rreda
besprochen. U'T drille Schritt Visbnii't fällt zwisehmi die Kühe mit den
groasen oder vielen Hörnern; Gamadhye gävo yiiira bhfiri (riiigä ayäsa^
aträ 'ha lad urugäyasya vishnoh parntnam padam nva bhäti l>tifireb;
Täittiriya Yiigurv. I. 3, 6.
» Rigv. T, 187, I. Die Stelle wurde schon citirt, als von dem Wasser
der Stärke die Ucde war.
* Na nä garan nadyo mätritamä däsä yad im BusRmnbdham avadhuh
(iro y»4 BBja trüitaiio vitakshat; Higv. I, I.W, .'i. Wir werdi'n mehr ala
einmal Gelegenheit haben, auf einen analogen Mythus bezüglich Indras
zuraukzukoiuiiien.
19
sie hat die Wasser entfesselt; bat aber selbst die Wolken nicht
durchbrechen können; sie bat die Prinzessin ; die Dämmerung;
die sie erbeuten sollte, von dem finstem Ungeheuer befreit, lässt
sich aber selbst noch nicht blicken. Wer sind denn nun die
FeindC; die den jungen Helden in den Brunnen, in das Meer ge-
worfen haben? Wie wir sahen, hat Trita zwei Brüder; sie sind
es, welche in einem Anfalle von Eifersucht wegen seiner Ge-
mahlin, der Aurora, und der Beichthtimer, die sie ihm aus dem
Beiche der Finstemiss mitbringt, ihren Bruder in dem Brunnen
eingeschlossen halten. Diese ganze Erzählung finden wir in
einem einzigen, aber höchst beredten Vedaverse. Der kluge Trita
ruft aus dem Brunnen um Hilfe (r e b h a t i) ; ^ und die beiden Reiter
der Dämmerung, die AQvins, kommen, den Rufenden (rebha),
der von den Wassern bedeckt und umwogt ist , zu befreien. ^ In
einem ajadem Hymnus scheint der Retter Brihaspati, der Herr
der Andacht, zu sein, der auf den Ruf Tritas zu den Göttern
aus ELleinem Grosses macht, ^ d. h. dem jungen Helden einen
Weg bahnt, aus dem Brunnen zu entkommen und sich in voller
Glorie zu zeigen.
Wenn in den vedischen Hymnen Trita, der dritte, geschick-
teste und beste Bruder, von den beiden anderen verfolgt wird , so
ist es interessant, die Form zu beobachten, welche dieser Mythus
in der Volkssage der Hindus angenommen hat: „Drei Brüder,
Ekata (d. h. der erste), Dvita (d. h. der zweite) und Trita
(d. h. der dritte) reisten in einer Wüste; von Durst gequält, kamen
sie zu einem Brunnen, aus welchem der jüngste, Trita, Wasser
heraufholte und es den älteren gab. Zum Lohne warfen sie ihn
in den Brunnen, um seinen Antheil für sich zu verwenden, be-
deckten den Rand mit einem Wagenrade und Hessen ihn darin.
In seiner Noth flehte er zu den Göttern, ihn zu befreien und
entrann durch ihre Gnade/'^
' Tritas tad vedäptyah sa ^ämitv^ya rebhati; Rigv. I, 105, 9. —
Gämitvä ist zunScbst Leibesverwandtschaft, dann Verwandtschaft im
AUgemeinen. Rebha oder der Rufer, als lield dargestellt, ist Niemand
anders als dieser Trita äptya.
* Bebham nivritam sitam adbhyah; Kigv. I, 112, 5.
* Tritab küpe 'vahito devän havata ütaye tad chu^räva bribaspatih
krinyann anhüranftd um; Kigv. I, 105, 17.
* Nitimaä^an, citirt bei Wilson, Kigvcda-äambitä vol. I. —
(Weil ich Wilson citirt habe, glaubten gewisse englische Kritiker, welche
der vergleichenden Mytiiologie feindlich gegenüberstehen, diese so inter-
2*
20
So haben wir die drei BrUder, deren jüngster Trita ist, in
nahe Verwandtschatl mit den drei Kibhns gebracht, und sowohl
die ersteren ale die letzteren in eine eben so nahe Beziehang zu
den drei Erecbeinnngsformea Indras. Wir haben schon gesagt,
dass die Kibbua die Kuh geschaffen haben; ebenso sendet
U^anä Kävyä, der von Indra beschützte begierige Weise, ein
andrer Harne für den Sonnenhelden des Morgens, die Kühe vor
sieb her; • und Indra selbst ist der einzige Herr der Kühe, dereinzige
wirkliche himmlische Hirt;^ oder vielmehr, er ist es, der die
SoDoe und die Aurora erzeugt,* oder, wie es in einem andern
Hymnne heisst, der die Pferde nnd die Sonne und die Knb der
Fülle giebt. *
Bier ist also die Aurora deutlich die Kah der Fülle; sie ist
femer die milchgebende und glänzende Knb, in der sich alleAn-
muth und Lieblichkeit findet; ' endlich sind tisrä und ashä zwei
Worte, zwei Benennungen , welche ohne Unterschied Aurora und
Kuh als die rothe oder glänzende bedeuten. Die Identität der
Anrora mit der Kuh in dem mythischen Himmel der Veden ist
also eine Gewissheit.
Ein andrer Name, welchen die milcbgebende Enh im Rigveda
ausser dem gewöhnlichen Üsfaä annimmt, ist SttS, welche Indra
auch, wie die Anrora, vom Himmel herabsteigen läset, und welche
von dem Sonnengott Füsban," dem Ernährer, dem Befrachter,
der in einem Hymnus mit einem kampflustigen Büffel verglichen
wird , ^ gemolken werden muss. Dieser Indra, der Beschützer und
Freund Sitäs, bereitet also Vishnu, der, als Räma, sein Weib Sita
psBante Erzählung aei schon erklärt worden und der Verf. habe aicfats
welter gethitu, als etwas Aogeiioiiinii nca reproducirt ; infolge desacu haben
sie meine Erklärung gebilligt üi^r Verf. nendpt eich nun an die, welche
aich ematlich mit solchen Studien befaesen, in der Uuüuung, ihre Unpar-
teilichkeit werda ihm , wenn anders diese Entdeckung überhaupt etwas
Vcrdienstlicbes hat, das Verdienst derselben luerkennen.)
> A gä ägad u^hdA kArja^ sadft; Rigv. I, 83, b.
* Fatir gaväm abhavad eka indrah; Bigv. 111, itl, 4.
> Ga^ätia sfiryam ushftsam; Rigv. Ill, 82, tt.
* Sas&natj&ä uta säryam satAnendrah saaSua purubbo^s&m gtm;
9igv. Ill, M, 9.
' Mahi ^otir nihitam vakahauftEU ämB pakvani ijarali bibhrati giuh
vji^Tani STAilma sambfaritam usri^ayAm; Rigv. Itl, 30, 14.
* Indral} sitäm ui grihnätu lAm päshftou yaifhatu at nalli pa;asva,ti
dubflm uttaräm-uttaiftm samAm; Rigv. IV, öT, 7.
' Mridha usLtru na; Ißigv. I, 138, 2.
21
beechlltzt, yor. und gerade die ^ibhus sind wie die Schöpfer, so
auch die Schützer der Kuh. ^
Aber Indra^ dessen specielles Geschäft es ist, za blitzen, za
donnern, das Ungeheuer der Finstemiss zu bekämpfen und das
Licht vorzubereiten, figurirt in der Vorstellung des Volkes ge-
wöhnlich als die Sonne, unter den drei Namen: Sfirya, Rita
und Savitar.
In Bezug auf die Morgenröthe ist die Sonne bald Vater,
bald Gatte, bald Sohn, bald Bruder. Als gleichzeitig mit der
Morgenröthe von Indra gezeugt, ist sie Bruder; als der Morgen-
röthe folgend und sie umfassend, ist sie Gatte; als einfach nach
der Morgenröthe erscheinend, ist sie Sohn; und als die Kuh oder
die Aurora vor sich her sendend, ist sie Vater. Alle vier
Beziehungen der Sonne zu der Aurora werden im Bigveda
erwähnt
In einem Hymnus heisst es, dass der reine Glanz, mit wel-
chem die Aurora die Schatten der Nacht verjagt, der Milch einer
Kuh gleiche, ^ d. h. das weissliche Licht des Tagesanbruchs geht
im östlichen Himmel dem rosigen Licht der Aurora voran. Die
Aurora ist die Kuh-Amme und die Mutter der alten Sonne; bei
dem Schall des Hymnus zum Preise der Morgendämmerung er-
wachen die beiden Reiter des Zwielichts , die A^vins. ^ Zwei
Ktlbe ~ [d. h. die beiden Dämmerungen, Abends und Morgens,
verwandt mit den beiden Reitern, dem Abend- und Morgen-Reiter,
die wir auch am Morgen zusammen finden, und zwar den einen
weiss, den andern roth, den einen in Verbindung mit dem Tages-
anbruch, den andern mit der Aurora, und die deshalb zuweilen
mit den beiden Morgendämmerungen identificirt werden können,
nämlich der weissen (alba) oder Tagesaubruch , und der rothen
(Aurora), resp. von einem andern Gesichtspunkt aus betrachtet,
der Monddämmerung und der Sonnendämmerung] — lassen der
' Yat aamvaüram ribhavo gäm arakshan yat samvatsam pbhavo mft
apin^an; Rigv. IV, 33, 4.
* U8h& n& rftmir arun&ir apornute maho ^yotishft ^u6at& goangLasA;
9igv. n, 34, 12.
* Dhenuh pratnasja kftmjam duhänäntah putra9 darati dakshinäjä^^-
& djotaDim vabati ^ubhrajrftmoshasah stomo a^vinftr a^gah; Rigv. III,
58, 1.
22
iDue Milch zutropfeD , im Himmel. ' Die MorgenrStbe ist die
otter der KUhe.*
Wie die Sonne nabt, feiem sie die himmlischen Kubc, welche
indeln, ohne von Stanb bedeckt zu werden, mit Liedern. ■ Die
then Strahlen der HochBonne fliegen und treflen die Sonnen-
he. ^ Die sieben weisen AUgirasen (die sieben Sonnen-
'ahlen, oder auch sonst der Äfigiras, die siebensfrahlige Sonne,
e ein anderer Hymnus' sagt) feiern in ihren Gesängen die
ihherden, welche der auf dem Bergesgipfel erscheinenden Aurora
gehören. « Werfen wir nun noch einen genaueren Blick auf
s, was von der Aurora gesagt wird, die mit den EUhen auf
m Berge erseheint. Es ist die Sonne, welche die ÄÜgirasen in
Bud setzt, den Berg zu spalten, mit den EUhen zu brUUec und
h mit dem Glanz der Aurora zu umgeben.' Die Aurora, die
ichter des Himmels, die glänzende, erscheint; gleichzeitig ent-
idct die Sonne die Kühe.* Die Aurora wird von rothen glSn-
iden Kühen gefahren, während die Sonne, der kämpfende
genecblltü, die Feinde tödtet. " Die Aurora erbricht das Ge-
igniss der KUhe; diese jubeln der Aurora zu,"* welche nun
ä der Finsterniflfl hervortritt, wie KUhe aus ihrem Stall. ' ' Wie
r Sonnenheld, Indra, der Wächter oder Hirt von Pferden und
hen ist,'' so wird die Aurora im Kigveda oft als a^vävati
i gomati, d. h. als die an Pferden und KUhen reiche und
■ RitSja dhenfl pHTame dubate; Rigv. IV, 23, 10.
' Gavam maiä; Rigv. V, 45. 2.
* ArenATfta tu^a & «admaa dhenavah svaranti tä upar&t&ti süryam;
5T. 1, iöl, 5.
' Ud apaptaan aranA bhanava vrithä m&yago arushir gä ajmkshata;
5V. I, di, 5.
> Yenä navagvc aiigire da^agve aaptäsye revati rcTadÜBha; Kigv.lV,
4. — Die Sonno aoll auch von sieben at^höneD Pferden geiogen werden.
;v. I, 60, 9. — Vgl. das folgende Kap.
• Ta UBho adrieäuo gotrl gaväm aiigiraao grinnnli; Rigv. VI, 65, 5-
'' Riten&driiii vy h9hii bhidautah aam angiraeo navanta gobhih fänam
ah pari ahadann UBhasam; Rigv. IV, 3, II.
■ Praty u adarfy ftyat; uiihantl dahilA divab -~ Ud narijäh Bri^ate
fah aai^a; Rigv. VlI, 81, 1, 2.
» Vaiianti eim arunSso rufanto gflva^ subhagSm urvjyft pralhfinim
^te (firo aateva yatrfln bädhate; Rigv. VI, 64, 3.
" Rugad drilhllni dadad usrijAnäm piati gAva UEbaesm vgva^anla;
;t. VlI, 7h,Y.
" Gävo na vragaih yj ushft av"r tamal;; JRigv. I, 92, 4.
'* Yo aQv&DAiii ja gaväm gopaliVi ^'gv- I, 101, 4.
23
von ihnen begleitete gepriesen. Die Aurora hält die Herde der
rothen Kühe zusammen und begleitet sie immer. ^
So sind wir von dem Hirtenhelden zu der Hirtenheldin auf
dem Berge gekommen. Die Hirtin Aurora entschleiert ihren
Körper im Osten und folgt dem Pfade der Sonne , ^ welche uns
in folgendem Bäthsel als ein wunderbarer Kuhhirt dargestellt
wird: „Ich habe einen Hirten gesehen, der niemals seinen Fuss
auf den Boden setzte und doch kam und ging auf den Pfaden,
und der, dieselbe und doch verschiedene Strassen wandelnd , zwi-
schen den Welten rundum geht." ^ Die Sonne wandelt im Aether-
rund und setzt nie einen Fuss nieder; denn sie hat keinen; und sie
wandert dieselbe, und doch verschiedene Strassen am Himmel,
d. b. glänzende am Tage, finstere bei Nacht. Die Pointe des
Käthsels liegt in dem inneren Widerspruch, und das schöne Mäd-
chen ist der Pi-eis, der fllr den, welbher ^es durch seine Thaten
16st, ausgesetzt ist. Ein ähnliches Räthsel wird im Eigveda den{
Mitra, der Sonne, und Varuna, der Nacht, aufgegeben. Es
lautet folgendermassen : „Der erste von denen, die zu Fiisse gehen
(padvatinäm), kommt ohne Füsse (apäd)"; und die beiden
göttlichen Helden werden gefragt: „Wer von Euch Beiden hat es
errathen?^^^ Der dieses Bäthsel löst; ist jedenfalls Mitra, die
Sonne, welcher die Aurora erkennt, das Mädchen, welches kommt
mit Gebrauch der Füsse, obgleich es keine zu haben scheint ; denn
sie kommt auf einem Wagen, dessen Bäder Füsse zu sein schei-
nen, und welcher derselbe glänzende, schnelle Wagen ist, ^ der
von den Bibhus den beideu Agvins (bald als zwei Greise, die von
den Bibhus wieder verjüngt werden, bald einfach als zwei schöne
Jünglinge dargestellt) geschenkt wurde; diesen Wagen besteigt
sie mit Hilfe der AQvins, und die Tochter der Sonne ist beim
Wettrennen die erste, welche, unter dem enthusiastischen Beifall
' Yonkte gavftm aronänäm anikam; Bigv. I, 124, 11. — Esha gobhir
arunebbir yugänä; Bigv. V, 8t), 3.
' AvishkrinyäDä tanvam purastat ritasya pantbäm anv eti; Bigv. V,
80, 4. '
' ApaQyam gopäm anipadyamänam ä da parä da patbibbiQ darantam
sa sadhricib sh vishucir vasäna ä varivarti jbhuvanesbv antab; Bigv. X,
177, 3.
* Apäd eti pratbamä padvatiDäm kaa tad väm diketa; Bigv. 1, 152, 3.
^ Batbam je dakral^i suvritam; Bigy. IV, 33, ^. — Taksban nftsatyä-
bbyäm parf^iränaih sukbam ratbam; Bigv. l, 20, 3.
*
24
der Götter, das Ziel erreicht. ' Zuweilen stellen die Hymnen an
die Aurora diesen grossen Wagen als der östlichen Aurora ge-
hörig dar, die hundert Wagen lenkt, und die der Reihe nach
den unsterblichen Göttern in den Wagen an ihre Seite hilft. '^
Die Aurora wird als die erste von denen, die jeden Tag am öst-
lichen Himmel erscheinen, als die erste, welche den Tagesanbruch
weiss,' naturgemäss als eine der schnellsten unter denen, die
während der Nacht Gäste des Sonnenftirsten sind, dargestellt und
hinterlässt bei ihrem Fluge nach oben keine Fussspuren, ebenso-
wenig wie ihre Kühe , welche nicht von Staub bedeckt werden,
eine Eigenschaft, die im indischen Glauben die Götter von den
Sterblichen unterscheidet; denn die_ersteren wandeln im Himmel,
die letzteren auf Erden. Das Wort apäd (pad und pad a
sind synonym) kann auch wirklich nicht nur die bezeichnen, die
keine Füsse hat, sondern auch die, die keine Fussspuren (d. h.
das, was das Mass des Fusses hat) hinterlässt, oder ferner, die
keine Schuhe anhat; diese hat die Morgenröthe nämlich offenbar
verloren, denn der Prinz Mitra findet, als er dem schönen jungen
Mädchen folgt, einen Pantoffel, der ihre Fussspur, das Mass ihres
Fusses, zeigt, und zwar eines so kleinen Fusses, wie ihn kein
ander Weib hat, eines fast unerfindlichen, fast unbemerkbaren
Fusses, der uns wieder zu der Vorstellung von der, die gar keine
Füsse hat, zurückführt. Die Erzählung von dem verlorenen Pan-
toffel und dem Prinzen, der dem Fuss nachspürt, der ihn eigent-
lich tragen sollte, der Mittelpunkt, um den sich das Volksmähr-
chen von Cinderella dreht, scheint mir ganz und gar auf der
doppelten Bedeutung von apäd zu beruhen, d. h. die keine Füsse
hat oder doch nicht was das Mass des Fusses hat, d. i. entweder
die Fussspur oder den Pantoffel; oft, wie in der Geschichte von
Cinderella, kann überdies der Prinz die Flüchtige nicht einholen,
weil ein Wagen sie davonträgt.
Das Wort apäd, das wir bis hieher auf die Heldin ange-
wendet gefunden haben, erlitt aber auch auf den Helden Anwen-
* Yuvo ratham duhitä süryasya saha 9riyä näsalyüvrinita; Rigv. I,
117, 13. — A väm rafham duhitä süryasya kärsbmevätishthad arvatä gayanti
vi^vc devft anv amanyanta hridbhih; Rigv. I« 116, 17.
* Yuktvä ratham upa devän ayätana; Rigv. I, 161, 7. — Prithö ratho
dakbhlDilya ayogy äinam deväso amritäso asthuh; Rigv. I, 123, 1. — Devi
girä rathftnäm; Rigv. I, 48, 3. — Qatam rathebhih subhagosbä iyam vi
yftty abhi männshän; Rigv. I, 48, 7.
' Gänäty ahnah pratbamasya; Rigv. I, 123, 9.
25
dntigy nnd gab einem andern Volksmährchen das Leben, dessen
njythiscbe Elemente uns der Rigveda bietet. Wir haben schon
die Sonne als anipadyam äna, d. h. als die, die nie ihren
Fnss zur Erde setzt, gesehen; leicht kam man dazu, sie als eine
Sonne ohne Füsse oder als einen lahmen Helden zu denken und
darzustellen,- oder als einen lahmen Helden, der während der
Nacht durch die Bosheit der Hexe, des Abenddunkels/ noch er-
blindete. In einem Hymnus sind der Blinde und der Lahme
nicht ein, sondern zwei Wesen, welche Indra gnädig leitet;* in
einem andern ist es eine Person, Namens Parävyi^, welche die
beiden Agvins, die beiden Freunde der Dämmerung, in Stand
setzen, zu gehen und zu sehen. ^ Der Lahme, der sehen kann,
zeigt dem Blinden, der gehen kann, den Weg, oder der Lahme
trägt den Blinden; Indra, die verborgene Sonne, leitet den Blin-
den und den Lahmen; oder, der Blinde und der Lahme, im
Walde verirrt, helfen einander; am Morgen machen die ÄQvins,
die beiden Reiter und Freunde der Aurora, mit dem Wasser der
Sehkraft und der Stärke (d. h. nachdem Päravrig, der blinde
Lahme, die verborgene Quelle der jungen Mädchen der Dämme-
rung entdeckt hat, * mit der Ambrosia der Aurora, mit der Aurora
selbst) den Blinden sehend und den Lahmen gehend, d. h. sie
stürmen wieder in die obere Luftschicht hinaus, jetzt zur glän-
zenden Sonne umgestaltet, die sich auf ihre himmlische Reise
macht. Oben wurde bemerkt, dass der Held durch die Bosheit
und Zauberkunst der Abend-Aurora blind und lahm wird. Diese
Behauptung war auch nicht üngegiUndet; denn der vedische
Hymnus, in welchem Indra den Blinden und den Lahmen, d. h.
sich selbst oder die Sonne, in der dunkeln, langsam verstreichen-
den Nacht leitet, ist ganz derselbe Hymnus, in welchem seine
heldische und mannhafte That, die Vernichtung der Tochter des
Himmels, gepriesen wird. Die Sonne Indra rächt sich am Mor-
' Anu dvä ^abitä nsyo *ndhain ^ronam <^a yritrahan; Rigv. IV, 30, 19.
^ Sakbabhdd a^vinor asbfth; Rigv. IV, 52, 2. — Parävri^am prändham
^ronam dakshasa etave krithah; Rigv. 1, 112, 8. — Ich verlasae bier die
Hypothese, die ich vor sieben Jahren in dem kleinen Boche: „La vita
ed i miracoli del dio Indra nel Rigveda^^ pp. ?2 und 24 auf-
stellte, und nach welcher der Held Parävri^ der Blitzstrahl aus dem Wol-
kendunkel ist, während ich jetzt in dem blinden Lahmen die Sonne in dem
Dunkel der Nacht (resp. des Winters) erblicke.
' Sa vidvftn apagoham kaninftm ävir bhavann udatishthat par&vfik
prati ^rona^ sthäd vy anag adashta; Rigv. II, 15, 7.
y
26
gen an der Morgen-Aurora fllr das ihm von der schönen, aber
trenlosen Abend-Aurora angethane Unrecht.
Denn die Aurora besitzt unter andern Gaben auch die der
Zauberei; als die Ribhus die Kuh Morgen-Aurora schufen, indem
sie ihr das Fell der Kuh Abend-Aurora tiberzogen, gaben sie ihr
Proteuseigenschaften (Vigvarüpä), nnd daraufhin wird die
Aurora selbst auch Hexe oder Zauberin (May in!) genannt.^
Diese Aurora, diese Amazone, diese vedische Medea, welche ihren
Gatten, oder Bruder, den Sonnenhelden, verrätherisch in einen
feurigen Ofen stösst und ihn so blind und lahm macht, wird am
Morgen für das Verbrechen am Abend bestraft. Der Held be-
siegt sie, tiberwindet ihre Bezauberung und vernichtet sie. Der
vedische Hymnus singt: „Eine mannhafte und heldische That hast
Du vollbracht, o Indra! denn ein Unheil stiftendes Weib, die
Tochter des Himmels hast Du gezüchtigt! Die wachsende Tochter
des Himmels, die Aurora, o Indra, hast Du vernichtet! von dem
in Stticke zertrümmerten Wagen sttirzte die Aurora, zitternd, weil
der Stier sie geschlagen !" ^ Hier erscheint das mythische Thier
wieder auf derselben Stufe mit den Helden, und an die Stelle des
Bildes von dem Helden und der Heldin wird das von der Kuh
und dem Stier gesetzt. *
Die Sonne und die Aurora suchen sich also nicht immer nur
aus Zuneigung auf, noch wird die gehässige Rolle immer von
der Aurora gespielt. Auch die Sonne erscheint ihrerseits als böse
Verfolgerin. Ein vedischer Hymnus räth der Aurora, ihr Gewebe
nicht zu weit auszuspinnen, damit die Sonne nicht, wie ein Räu-
ber in feindlicher Absieht, Feuer anlege und sie verbrenne. * Ein
andrer Hymnus erzählt uns, dass der Schöne der Schönen folgt,
der Bruder der Schwester, wie ein Liebhaber.^ — Die Aurora
flieht vor der Sonne, ihrem Bruder, aus Scham, und ihr Bruder
' Rigv. V, 48, l.
* Etad ghed uta viryam indra dakartha päun^yam striyam yad
durhanäyuvnm vaihir duhitaram divah diva^ did ghä duhitaram mahän
inahiyamänäm ushäsain indra sam pinak aposhä anasah sarat sampishtäd
aba bibhjushi ni yat siin ^i^natbad vrishä; Ri'gv. IV, 30, 8 — 11.
^ Die beiden ArniQ Indras sollen die Kühe erobern; Gogitä bahn;
Rigv. I, 102, 6.
* Vy udhä duhitar divo mä diram tanuthä apah net tvä stenam yathä
ripum tapftti süro ardishä; Rigv. V, 79, 9. — Vgl das Kapitel, das von
der Spinne handelt.
* Bhadro bhadrayä sacamäna ftgftt svasäram gdro abhy eti pasd&t;
Rigv. X, 3, 3.
27
verfolgt sie, von einem tbierischen Triebe getrieben. Scbliesslicb
zeigt uns ein dritter Hymnus den vedischen Vulkan , den Grob-
sebmied der Götter, die Sonne Tvasbtar, aueh die allgestaltige
Sonne (Savitä Vi^varüpas) genannt, als Vater der Saranyü
(ein andrer Name für Aurora), selbst allgestaltig wie ibr Vater
(und, wie die Kub, der dreifacben Verwandlung unter den Hän-
den Tvashtars, d. h. der drei Ribbus, unterzogen), der sieb
selbst zu einem andern Wesen umschafft, nämlicb der Sonne
Vi V as van t, um die Aurora beiratben zu können. Saranyü, die
zufällig bemerkt, dass Vivasvant ihr Vater, nur in anderer Ge-
stalt, ist, schafft ein ibr ganz ähnliches Weib und entflieht auf
dem Wagen, der von selbst fliegt, und den sie früher von ihrem
Vater zum Geschenk erhalten hatte, und nun verwandelt sich
Vivasvant, um sie einzuholen, in ein Pferd. ^
Zuweilen aber sind an der Entfremdung zwischen der Sonne
und der Aurora, dem jungen Ehepaar, nicht persönliche Antipa-
thieen schuld, sondern der Bescbluss des Fatums, der durch die
Ränke von Ungeheuern wirkt. Die beiden Schönen sind im
Grunde durch die Bande gegenseitiger Liebe geeint; denn bald
befreit die Sonne die Aurora, bald umgekehrt; und wir haben
schon gesehen, wie die Aurora aus ihren Kühen der Sonne ambro-
sische Milch zutropfen liess, und wie die Sonne die Etthe der
Aurora befreite. In einem Hymnus steigt das göttliche Mädchen,
die Aurora, im Osten herauf, mit keckem Blick , lächelnd, ihren
Busen entblössend, glänzend, dem Gotte zu, welcher sich dar-
bringt, und anders noch welcher sich opfert *, das bedeutet, Q u n a h -
^epa, der Sonne, zu, welcher sie in drei Versen eines andern
Hymnus^ anfleht Das wohlbekannte Mährchen im Aitareya-
Brähmana werde ich kurz mittheilen. Die Aurora hat auch
das Verdienst, mit ihrem reinen und reinigenden Glanz die Thore
der dttstem Höhle geöffnet, die Feinde, die Schatten der Nacht,
bezwungen, und die in dem Dunkel verborgenen Schätze an's
Licht gebracht zu haben (hier haben wir wieder die Medea, aber
diesmal in einer gütigen Gestalt); sie weckt die Schläfer und
' Vgl, Rigv. X, 17 und Max Müller, lectures on the science ofl, sec.
ser., 481—486. Deutsche Ausgabe, 2. Bd. p. 446—549. Vgl. das Kapitel
über das Pferd, wo Saranyü wieder als Stute vorkommt.
* Kanyeva tanyft ^ä^adlUiän (arepasä tanvä ^ä^adänd; RigT- I}124, 6),
eshi devi dcvam iyakehamäniTn samsTnajaroftoä yuvatih purastäd ävir
vakshAnsi krimiphe vibhäti; Rigv. I, 123, 10.
' Rigv! i, 30, 20— 1'2.
28
Alles ; was Leben h^t, zur Tbätigkeit, also unter den lebendigen
Schläfern auch ihren Sohn, die Sonne ^ den ein Hymnus als am
Busen der nächtlichen Finsterniss in tiefen Schlaf versunken dar-
stellt ; sie ist der Heiland der Sterblichen / d. h. sie beschützt
die Sterblichen vor dem Tode und erweckt sie wieder; sie sieht
Alles und weiss Alles vorher. * Die Erweckerin ist auch die Er-
wachte, die Erhellerin auch die Erhellte oder die Weise; und die
Erhellte oder Glänzende ist auch die Schöne. Erst schwach und
düsterblickend; ist sie durch die Gnade Indras und der A^vins
geheilt und wieder zu Stärke und Helle gelangt. ' Dunkel aber
war sie zuerst deshalb, weil ihre Mutter, die Nacht, die Schwarze
ist; sie, die Weisse, ist von der Schwarzen geboren.*
Während der Nacht war das junge Mädchen blind; es erhält
seine Sehkraft durch die Gnade eines Weisen wieder, der sich,
von Indra beschützt, eine andere Erscheinungsform Indras, in
dasselbe verliebt hat. Wie wir oben gesehen, sind es die A<;vins,
die mit der Aurora auch der Sonne die Sehkraft wiedergeben;
hier ist es die Sonne, welche die Aurora sehend macht, ihr Glanz
verleiht; und sie, die erst blinde, dann sehende, wird die Schütze-
rin der Blinden und die Erhalterin des Gesichtes , ^ wie die hlg.
Lucia, die jungfräuliche Märtyrerin in der christlichen Mythologie.
Physische Wahrheit und mythische Erzählung befinden sich in
vollständiger Uebereinstimmung.
Die Nacht ist bald die Mutter, bald die Schwester der Mor-
genröthe; aber die düstere Nacht ist zuweilen ihre Stieftnutter,
zuweilen ihre Halbschwester. Es giebt ein Räthsel, welches die
' Vy ü vra^sya tamaso dvftrocfhantir avran dhudayah pftvakäh;
Rigy. IV, 51, 2. ~ Apa dvesho b&dbamäDfi taiüänsy usbft divo duhit&
^otish&gät; Rigy. V, 80, 5. — Spftrb& vasüni tamasäpagülbft ävish
krinvanty ashtso vibhdtih; Kigv. 1, 123, 6. — Sasato bodhayanti; Rigv. I,
124, 4. — Vi^vam giram 6aiHse bodbayaDÜ; Rigv. 1, 92, 9. —Martyatrft;
Rigv. I, 123, 8.
' Vi^väni devt bhuvanäbbidaksbyd ; Rigv. I, 92, 6. — Pragänati;
Rigv. I, 124, 3.
' Ueber Gbosbä, gebeilt von den A^tIiib (Rigv. I, 117,7), und Ap&lä,
gebeilt von Indra (Rigv. VIII, 80), siebe Genaueres in dem Kap. über
das Schwein.
^ gukrä kriehnftd a^anisbt« Qvit!d!; Rigv. J, 123, 9.
' Yasyänaksbä dubitä ^tväsa kas täm vidväÄ abbi manyite andbftm
kataro menifta prati tarn mu<Säte ya im vabäte ya imvftvareyftt; Rigv. X,
27, 11. — Vritrasya kaninikä 'si i^aksbusbpA ati; Tiittir. Ya^urv.
1,2.1.
29
glänzende Nacht und die Aurora als. zwei verschieden schöne
preist, welche zusammen wandeln^ von denen aber die eine geht^
während die andere kommt. ' In einem andern Hymnus heisst es
von ihnen: ;,Die herrlich geschmückte naht; die weisse Aurora
kommt; die schwarze bereitet für sie die Wohnung. Wenn die
eine Unsterbliche die andere getrofien, so erscheinen die beiden
abwechselnd am Himmel. Einer und ewig ist der Pfad der bei-
den Schwestern ; sie wandeln ihn, eine hinter der andern^ geleitet
von den QOttem ; sie treffen nicht zusammen und stehen nie still —
die beiden guten Ernährerinnen; Nacht und Aurora, einig im
Sinu; verschieden an Gestalt/^ ^ Diese beiden, deren Farben
ewig wechseln; nähren ein und dasselbe Kind (die Sonne). ' Die
Nacht ist jedoch wirkliche Schwester der Aurora nur als mond-
helle Nacht; als finstre Nacht dagegen nur Halbschwester. Diese
Schwester schickt in einem Hymnus die Aurora weit fort; weil
sie glänzt; um von ihrem Gatten gesehen zu werden ; ^ und ihre
Halbschwester; die Nacht; muss ihren Platz der älteren oder besse-
ren Schwester einräumen;^ da das Wort gyeshtha nicht nur
den Aeltesteu; sondern auch den Besten bezeichnet. Wir haben
schon gesehen; dass die Aurora zuerst erscheint; als solche und
als diC; welche am' Abend der Nacht vorhergeht (die Abend-
Aurora), ist sie die erstgeborene; die älteste, erfahrenste; beste;
während sie unS; von einem andern Gesichtspunkte auS; als die
Kleine, die gross wird, und in diesem Falle als jüngere Schwester
der Nacht (der Morgendämmerung) dargestellt wird. Die Däm-
merungen oder Auroren erhalten den Beinamen Arbeiterinnen;^
ganz wie die gute Schwester; im Verhältniss zu der schlechten;
immer die arbeitsame ist; die eine wunderbare Arbeit macht; näm-
lich das rosige Gewand spinnt oder webt. Aber die Auroren sind
nicht nur die Arbeiterinnen; sie sind auch die Reinen , Reinigen-
' Apänyad ety abhy auyad eti vishurüpe ahani sam darete; Kigy. 1,
123,7.
' Ku^advatsä ru^ati 9yetyftgftd fträig u krishnä sadanäny asyäh samä-
nabandhü aon^ite anüdi dyävä varnam darata äminäne samäno adhvft svasror
ananta8 tarn anyftnyft darato deva9i8hte na methete na tasthatuh sumeke
naktoshäsä samanasä virüipe; Bigv. I) 113, 2, 3.
* Naktoshfiaft varnam ämemy&ne dhäpayete 9i9um ekam samidi; Kigy. I,
96, 5. *
* Vyürnyati diyo antftn abodby apa syasäram sanutar yuyoti praminati
mannshyä yugftoi yoshä gärasya dakshasä yi bbäti; Rigv. 1, 92, 11.
* Sya8& syasre ^ftyasyäi yonim äräik; Rigy. I, 124, 8.
* Närir apasah; Rigv. I, 92, 3.
30
den und Säubernden; ^ hieraus kann man verstehen, wie es der
jüngsten Schwester unter Auderm obliegen konnte, das Korn
während der Nacht zu reinigen und zu säubern und alles Unreine
daraus zu entfernen, wobei sie zuweilen von einer guten Fee,
zuweilen, in der späteren Ausbildung des Mythus, von der Jung-
frau Maria, die, allem Anscheine nach, der Mond ist, unter-
stützt wird.
Eine besondere Eigenschaft der jüngeren Schwester ist, dass
sie ihre Reize nur den Blicken ihres Gatten enthüllt. Das Weib
Aurora offenbart sich dem Auge seines Gemahls ; ^ in ihrem Glänze
mit den Strahlen der Sonne vereint, ^ richtet sie wie ein Weib
die Wohnung der Sonne zu. ^ Sehr glänzend, wie ein Weib, das
von der Mutter geschmückt, enthüllt sie ihren Leib;^ wie eine
Badende, welche sich zeigt, entschleiert die Leuchtende ihren
Körper;*^ sie schmückt sich wie eine Tänzerin; entblösst, wie eine
Kuh, ihre Brust;' sie entfaltet ihre glänzenden Gewänder ;8 all-
glänzend, schönen Antlitzes, lacht sie;^ und er, der die Aurora,
die schöne Prinzessin, welche erst, während der Nacht, nicht lachte,
zum Lachen gebracht hat, heirathet sie: die Sonne heirathet die
Aurora.
Die himmlische Hochzeit findet Statt tmd die Feierlichkeit
wird mit minutiöser Genauigkeit im 85sten Hymnus des 10.
Buches der Rigveda geschildert. Aber die Ehe der beiden
Himmlischen wird immer nur unter Bedingungen geschlossen ;
diese Bedingungen werden immer angenommen und nachher ver-
gessen ; bald bricht der Gatte durch Verlassen seines Weibes das
gegebene Versprechen, bald umgekehrt. Eine dieser zeitweiligen
' gudayah pavakäh; Rigv. iV, öl, '2.
^ Yosbä ^ärasya dakshasä vibhäti; Rigv- !> ^^i 11^*
* YatamäDä ra^mibhih süryasya; Rigv. I, 123, 12. — Vyu(^bantS
ra^mibhih süryasya; Rigv. I, 124, ö.
^ Ritasya yosbä na minäti dbäma; Rigv. I, 123, 9.
* SusamkäyÜ mäfrimrisbteva yosbä vis tanvamkrinusbedri^e kam; Rigv.
1,123, 11.
* Esbä ^ubhrft na tanvo.vidäQordbvtvasnäti drigaycno asthät; Rigv. V,
80, 5.
^ Adbi pegäusi vapate nritür iväpornute vaksba usreva bar^abam;
Rigv. 1,92, 4.
' Bbadrä vasträ tanvate; Rigv*. I, 134, 4.
* Smayate vibbäti supratikä; Rigv. I, 92, 6. Ueber die Bedeutung
dieses Lachens vgl. noch das in § 5 über den Kukuk, die Kuh und den
Fisch, welcher lacht, Bemi^rkto und das Kap. über die Fische.
31
Entfremdungen zwischen Mann und Frau wird im ßigveda durch
den poetischen Mythus von der Dämmerung Urva^t und ihrem
Gemahl Purürava (ein Name der Sonne) dargestellt. Urvagi
sagt von sich selbst: ;Jch bin angelangt wie die erste der
Auroren;"^ darauf verlässt Urvagi plötzlich ihren Gatten Purürava,
weil er ein zwischen ihnen getroffenes Uebereinkommen bricht.
Wir werden weiter unten in diesem Kapitel Genaueres über dieses
Uebereinkommen erfahren. Ausserdem tröstet sie ihn, nachdem
sie ihm vor ihrer Trennung einen Sohn geschenkt, damit, dass
sie ihm erlaubt, zu kommen und sie im Himmel wiederzufinden,
d. h. damit, dass sie der Sonne die Unsterblichkeit verleiht,
welche sie selbst besitzt. Am Morgen geht die Aurora vor der
Sonne her; diese folgt ihr zu dicht und sie verschwindet, hinter-
lässt aber einen Sohn, d. i. die neue Sonne. Am Abend geht
auch die Aurora der Sonne voran ; diese folgt ihr wiederum und
sie verliert sich bald in einen Wald, bald in das Meer. Dieselbe
Erscheinung, eine Scheidung von Mann und Frau, eine Trennung
von Bruder und Schwester, die Flucht einer Schwester vor ihrem
Bruder oder auch einer Tochter vor ihrem Vater, bietet sich täg-
lich (und jährlich) zweimal am Himmel. Bisweilen nimmt eine
Hexe oder das Ungeheuer der nächtlichen Dunkelheit die Stelle
der glänzenden Braut oder der Aurora neben der Sonne ein ; und
in diesem Falle wird die Aurora, die schöne Braut, in einen
Wald gelockt, um gctödtet oder in das Meer geworfen zu werden,
welchen Gefahren sie jedoch immer entrinnt. Bisweilen schleudert
die Hexe Nacht Bruder und Schwester, Mutter und Sohn, Sonne
und Aurora, zugleich in die Meereswogen, denen sie beide ent-
kommen, um am Morgen wiederzuerscheinen.
All diese wechselnden Gestaltungen einer mythischen Dar-
stellung werden selbst wieder Sagen, wie wir das noch klarer im
Einzelnen sehen werden, wenn uns das Studium der verschiede-
nen Thiere, die dabei in Betracht kommen, Gelegenheit dazu
bieten wird. Vorläufig beschliessen wir hier unsere Aufzählung
alles dessen, was sich in den Hymnen des Rigveda irgendwie auf
den Stier und die Kuh bezieht, und überlassen dem Leser das
Verständniss dafür, wie natürlich der Uebergang von dem Stier
zu dem schönen Helden-Prinzen und von der Kuh zu dem schönen
Mädchen, der reichen Prinzessin, der tapfern Heldin, der weisen
Fee ist. Denn wiewohl wir in den mythischen Hymnen des
' Pi4krami*^ham ushasftm ugriyeva; Higv. X, 95, 2.
s
J
32
Rigveda wenig mehr als AndeutangeD; als Abrisse der vielen
Volksmährchen haben^ auf die wir uns bezogen^ so sind dieselben
doch so zahlreich und so deutlich; dass es mir fast unmöglich
scheint, sie zu verkennen. Um das zu beweisen, wird es jedoch
nöthig sein, weiterhin zu zeigen, welche Gestalt die mythologischen
Ideen und Figuren bezüglich der Thiere, die in den vedischen
Hymnen verstreut sind, in den Sagen der Hindus angenommen
haben.
§2. Die Verehrung des Stiers und der Rnji in Indien und
die bezüglichen brfthroanischen Legenden.
Ganz wie die Wichtigkeit der Viehzucht fttr das ursprüng-
liche Hirtenleben der Arier die Neigung des arischen Geistes er-
klärty die wandelnden Himmelserscheinungen zu erfassen, die zu-
erst als lebende Wesen, als Stiere und Kühe betrachtet wurden,
so Hess die Heiligung dieser Thiere, welche den himmlischen Er-
scheinungen und den Göttern beigesellt und mit ihnen identificirt
wurden, sehr natürlicher Weise die abergläubische Verehrung des
Stieres und der Kuh entstehen, welche allen arischen Stämmen,
ganz besonders aber durch Vermittlung der Bräbmanen-Priester
den Hindns eigen ist.
Es ist eine beachtenswerthe Thatsache, dass die Wörter
vrisha, vrishabha und rishabha, welche den Stier als den
Befruehter bezeichnen, im Sanskrit oft für den Besten, Ersten, den
Fürsten gebraucht wurden. Daher ist der Stier, d. h. der beste
Befruchter, in Indien das heiligste Symbol der königlichen Würdi».
Aus diesem Grunde hat der phallische und zerstörende Gott, d<T
königliche (^' i v a , welcher G o k a r n a (eigentlich Kuhohr) bewohnt,
zum Beitthier und zum Sinnbild einen brähmanischen Stier, d. h.
einen Stier mit einem Höcker auf dem Bücken ; das Attribut freu-
dig (nandin) wird Qiva selbst gegeben, sofern er als de us
p h a 1 1 i c u s der Gott der Freude und des Glückes ist. ^
Noch mehr Ehre wird der Kuh erwiesen (wie die vedische
Dämmerung unschuldig oder unsträflich, anavadyä^), deren
' Ich muBS jedoch bemerken, dass competente Autoritäten, wie Weber,
die phänische Verehrung (^ivta als aus dem Glauben der eingeborenen
Stämme dravidischer Race hervorgegangen betrachten.
» Rigv. I, 123, 8.
33
Tödtang demgemäss als Verbrechen galt^ Ein interessantes
Kapitel des Aitareya-brähmana,* über das Opfer von Thie-
ren, zeigt uns, wie nächst dem Menschen das Pferd das höchste
Opfer war, welches den Göttern dargebracht wnrde; wie später
die Kuh die Stelle des Pferdes, das Schaf die der Kuh , die Katze
die des Schafes einnahm, und endlich vegetabilische Producte die
Thiere ganz verdrängten — Abänderungen, um die Götter beim Opfer
zu betrögen, die vielleicht zur besseren Erklärung des Betruges dienen,
dessen Opfer, im Völksmährchen, immer der Dumme ist; hier ist
der Gott selbst der Betrogene, und der Hetrtiger der, welcher
unter einem heiligen Vorwande, statt der edelsten und geschätz-
testen Thiere gewöhnliche und werthlosere und endlich oflenbar
ganz wertblose Vegetabilien darbringt. In den Gesetzbüchern der
Hindus treffen wir dieselbe betrügerische Vertausehung von
Thieren unter gesetzlichem Vorwande an. „Wer eine Kuh tödtet,''
sagt das Gesetzbuch des Yägnavalkya, ^ „muss einen Monat Busse
thun, das pancagavya (d. h. die fünf guten Erzeugnisse der
Kuh, die, nach Manu,^ in Milch, Quark, Butter, Urin und
Dünger bestehen) trinken, in einem Stall schlafen und den Kühen
folgen; auch muss er eine andere Kuh darbringen." So wird,
nach Yägnavalkya, ^ wer einen Papagei tödtet, durch Darbringung
eines zweijährigen Kalbes gereinigt; wer einen Kranich getödtet,
giebt ein dreijähriges Kalb; für einen getödteten Esel, Katze
oder Schaf giebt man einen Stier, während man sich yon der
Tödtung eines Elephanten durch fünf schwarze Stiere (ntla-
yrishas) reinigen muss. Man darf sich über das Vorkommen
solcher Vorschriften (welche an den Vertrag zwischen Jacob und
Laban erinnern) in den Gesetzbüchern der Hindus nicht wundem,
wenn in den Veden selbst ein Dichter Jedem, der dazu geneigt
isty einen seiner Indras, d. h. den Begengott, den Befruchter, für
' Vidiqnc saepe, sed cumprimis anno 1785 in Malabaria ad flumen
templo celebri Ainbalapnshe proximum, extra oppidumCallurekta in sÜTula,
sententia regia Travancondis Rama Varmer, quinque viros arbori appensos
et morti t raditos, quod, contra regni leges et religionis praescripta, volun-
tarie unieam vaccam occidcrint; Systema Brahroanicum, illustr. Fr.
Panllinns a. S. Bartbo)omaeo , Romae, 1795. — Vgl. Mftnava-Dbar-
ma^ftstra, XI, GO, und Yägnavalkya-Dharma^ästra, III, 234.
» n, 1, 8.
' Paii<^gavyam piban goghno mäsam ftsita samyatah gosbtre^ayo go
*nugäini gopradänena ^udbyati; Dbarm. III, 263.
« Dharm. XI, 166.
» Ibid. III, 271.
OobernaUs, die Thiere. 3
^T
34
zehn Kühe zum Verkauf anbietet ^ Ein anderer interessanter
Vers des Yägiiavalkya^ sagt uns, dass diejenigen rein ster-
ben, welche um der KUhe oder der Bräbmanen willen vom Blitz
Ovler im Kampf erschlagen sind. Die Kuh war oft der Gegen-
stand, um welchen Helden im Himmel fochten; der Brahmane
wünschte, der Gegenstand des Kampfes von Helden auf Erden
zu sein.
Wir entnehmen den Hausregeln (Gyihyasöträni), mit wel-
cher Verehrung der Stier und die Kuh als die Symbole der Fülle
in einer Familie behandelt wurden. In ÄQvaläyanas Haus-
regeln' finden wir das Stierfell neben dem Hausherdc ausgebrei-
tet, das VP^eib darauf sitzend und den Mann, indem er die Gattin
umarmt, ausrufend: „Möge der Herr aller Wesen uns Kinder
schenken!": Worte, die dem vedischen Hochzeitshymnus entlehnt
sind. ^ Wir haben oben gesehen, wie die Ribhus aus dem Fell
einer todten Kuh eine neue und schöne schufen, oder mit andern
Worten, wie sie aus dem Abenddunkel, das sie in der Nacht aus-
spannten, die Morgendämmerung gestalteten. Dieses Kuhfell
spielt auch im Volksglauben eine wichtige Rolle; eine ausser-
ordentliche Geschmeidigkeit, die Fähigkeit endloser Dehnbarkeit
wird ihm zugeschrieben, und aus diesem Grunde wird es als ein
Symbol der Fruchtbarkeit angenommen, auf welches das Weib
sich setzen muss, um Mutter zu werden. Das Kuhfell (g o c a r m a n)
ist im Mahäbhärata^ das Gewand des Gattes Vishnu; und das
gocarman, in Riemen geschnitten, die dann mit einander verbun-
den wurden, diente früher in Indien dazu, den Umfang eines
Grundstücks zu messen ; ^ daher weckte das Kuhfell die Vorstel-
lung einer Art von Unendlichkeit. Weiter unten werden wir es
in den Mährchen des Westens ausserordentlich oft verwendet
finden; ja, wir finden es schon in den Hymnen der vediSvhen
Epoche angewandt, um einen Leichnam zu bedecken, wobei das
' Ka imam da^abbir mamendram krinäti dhenubbih; Rigv. IV, 24, 10*
« Dbarm. Ill, 27.
• Gribyasüträni I, 8, 9. - Uebcrdies borrscbte die Sitte, bei Ge-
lo^eobeit ein«T Heirath den Rrähmanen Kübe zu g«'brii ; Rärnfty. I, 74
giebt König Da9aratba bei der JHocbzcit seines Sohnes 4iK),0()U Kühe.
* A nah pra^äih gnnayatu pragäpatih; Rigv. X, 85, 43.
* Godarmavasano banh ; XI il, 1228.
• Vgl. Bötblingk u. Roth, Sanskrit Wörterb. s. v. godarman.
35
Feuer aDgerufen wird*, es nicht zu verzehren, fast als ob das
Kuhfell die Kraft besässe, den Todten wiederzuerwecken. *
Die Kuh war als Symbol der Pnichtbarkeit auch Geföhrtin
der Frau während der Schwangerschaft. Agvaläyana ^ erzählt,
wie im dritten Monat der Gatte seiner Fran von der sauren Milch
einer trächtigen Kuh zu trinken geben niusste und darin zwei
Bohnen und ein Gerstenkorn; der Mann musste dann sein Weib
drei Mal fragen : „Was trinkst Du ?" und sie drei Mal antworten :
„Männliche Nachkommenschaft." Im vierten Monat musste sich
die Frau nach AQvaläyapa wieder auf das Stierfell setzen nahe
am Opferfeuer, wobei sie wieder den Gott Pra^äpati, den
Herrn aller Wesen, anriefen; der Mond, als himmlischer Stier
und Kuh, wurde eingeladen, bei der Geburt gegenwärtig zu sein;*
und während der vedischen Epoche war ein Stier die Gabe, welche
für den Priester genügte. Im vedischen Alterthum Hess man
weder Stiere noch Ktlhe oline besonderes Augurium, das wir auch
in A(valäyanas ^ Uausregeln tiberkommen haben , auf die Weide
gehen ; die Ktihe sollten Milch und Honig geben, für das Wachs-
thum und die Kraft dessen, der sie besass. Hier haben wir wie-
der die Kühe nicht allein als die wolilthätigen, sondern auch-als
die starken, welche dem Helden oder der Heldin, die sie zur
Weide führen, helfen.
Aber obgleich das Erblicken schöner Kühe bei Tage ein
glückliches Vorzeichen ist, ist ihre Erscheinung im Traum ein
böses Omen; denn in diesem Falle sind es natürlich die schwar-
zen Ktihe, die Schatten der Nacht, oder die dunklen Wasser des
nächtlichen Oceans. Bereits im Kigveda kommt die Dämmerung
oder die glänzende Kuh, den vorerwähnten Sonnenhelden, Trita
äptya, von dem bösen Schlaf zu erlösen, den er unter den Kühen ^
» Grihyas. IV, 3.
* Grihyns. I, 13. — Der Commentator Näräyuna, von Stenzler in
seiner Ucberüetznug dt-s A<}\h\. eitirt, erklärt, wie die zwei Bohnen und
das Gerstenkorn dunli ibre Gestalt die männlichen Zeugungstheile be-
seichnen.
' Grihyas. I, 14.
* Grihyas. II, 10. — Der heilige Antonius (Patron derThiere) des ve-
dischen Glaubens war der Gott Rndra, der Wind, dem man, wenn das
Vieh von ein<>r Krankheit betrofien wurde, in der Mitte eines Gchäges von
Kühen opfern musste. — Vgl dasselbe Grihyas. IV, 8.
^ Tad da goshu dutfhvHpnyam yad däsrae duhitar divn^ tritäya tad
vibhftvary äptyftya parä vahänehoso va ütaya^ suütayo va ütayal^; Kigv.
VIII, 47, 14.
3»
36
der Nacht schläft. AQvaiayana nun räth uns, weon wir ^en
bösen Traum haben, die Sonne anzuflehen, das Nahen des Mor-
gens zu beschleunigen, oder noch lieber den fQnfzeiligen Hymnus
an die Dämmerung herzusagen, auf den wir schon Bezug ge-
nommen haben und welcher mit den Worten beginnt: „Und gleich
einem bösen Traum unter den Ktihen'^ Hier ist die Vorstellung
noch nicht eine ganz abergläubische; und wir wissen, was mit
den Kühen, die uns im nächtlichen Schlaf umgeben, gemeint ist,
wenn uns der Bath gegeben wird, die Sonne und die Dämmerung
anzurufen, zu kommen und uns von ihnen zu befreien.
Eine (wahrscheinlich schwarze) Kuh, oft eine schwarze Ziege,
wurde zuweilen auch bei den Leichenfeierlichkeiten der Hindus
geopfert, wie um zu prophezeien, dass wie die schwarze Kuh, die
Nacht, die milchigen Feuchtigkeiten der Aurora hervorbringt, so
der, welcher das Reich der Finstemiss durch wandelt hat, in der
Lichtwelt wieder auferstehen wird. Wir haben schon die schwarze
Nacht als die Mutter der weissen und glänzenden Aurora ge-
sehen. Ich bespreche unten noch ein€ki andern vedischen Passus,
in welchem ein Dichter offen seine Verwunderung ausspricht^
warum die Kühe Indras, die schwarzen sowohl wie die hellen (die
schwarzen Wolken sowohl wie die weissen und rethen), beide
weisse Milch geben sollen. ^ Sogar das nächtlich düstere Reich
Yamas, des Todesgottes, hat seine Kühe mit schwarzer Farbe,
die jedoch nichtsdestoweniger Milch geben; und so kommt die
schwarze Kuh der Leichenopfer dazu, als Symbol der Aufer-
stehung zu gelten.
In gleicher Weise ist das viaticum oder der Vorrath von
Speise, den man dem Todten auf die Reise mit giebt, ein Sym-
bol seiner Auferstehung. Da die Reise als eine kurze betrachtet
wird, so ist der Speisevorrath, welcher ihn auf seiner Fahrt nach
dem Todtenreiche ernähren soll, ein beschränkter, und jeder todte
Held führt ihn bei sich, gewöhnlich nicht so sehr zur eigenen
Verwendung, als um sich den Eintritt in das Todtenreich zu
sichern. Aus diesem Grunde wird sogar in Afvaläyanas Haos-
regeln anempfohlen, dem Todten das höchste Symbol der Kraft,
die Nieren des bei dem Leichenopfer getödteten Thieres (oder^ in
Ermangelung eines Opferthieres , wenigstens zwei Reis- oder
* Paya^ krishndsu ra9ad rohinishu; Rigv. I, 62, 9. — Vgl. Rigv. I,
123, 9. ' '
37
Meblkuchen), in die Hände za legen,' damit er sie den beiden
Gerben, den beiden Jungen der Hündin Saramä, in den Raeben
werfe, so dass sie den Abgesebiedenen unverletzt in das Todten-
reicb eingeben lassen; und bier finden wir das Ungebeuer der
Volksmäbrcben, in dessen Haas der Held, nacb Bestebung vieler
Gefabren, eintritt, indem er auf den Ratb einer gtitigen Fee oder
eines guten alten Mannes den beiden Hunden, welcbe die Pforte
bewacben, etwas giebt, was ihren Hunger besebwiebtigt. Aus einer
interessanten Stelle in dem Veda,. einem Leicben-Hymnus, lässt
sieb scbliessen, dass das, was man einem Todten gab, eigentlieb
eine Kub sein sollte: „Die Reiskörner (dieselben erinnern an die
beatige kutjä bei den Russen) sind eine Kub geworden, der Sesam
ist ibr Kalb geworden; und sie sollen in Yamas Reicb Deinen
anerscböpflicben Unterbalt bilden/'
Die vom Leiebenbegängniss Zurttekgekebrten müssen den
testicalos des Priapus, ein Feuer, die Exeremente einer Kub, ein
Gerstenkorn, ein Sesamkom und Wasser berübren — lauter Sym-
bole der Frucbtbarkeit, welcbe die Berübrung eines Leicbnams
vicUeicbt vemicbtet haben konnte.
Die vediscben Hymnen baben uns die bauptsäcblicben mythi-
schen Gestaltungen und Verriebtungen der Kub und des Stiers
gezeigt; wir baben auch gesehen, wie die bräh manischen Ge-
setzbücher die Verehrung dieser Thiere sanctionirt baben und wie
eifersüchtig die Familientradition der Hindus sie bewahrt hat.
Wir wollen jetzt aus dem Aitareya-brähmana ersehen, wie
die Br&hroanen selbst, and zwar die der Zeit unmittelbar nacb
den Veden angebörigen, den Kuhmythus interpretirten.
Wir haben im vediscben Himmel, wie er sich in den Hymnen
des Rigveda wiederspiegelt, drei Kühe unterschieden : die Wolken-
kab, die Mondkuh und die Aurorakuh. Diese drei Kühe,' beson-
ders die erste und dritte, werden auch im Aitareya-br&hmana
genau von einander geschieden.
Es erzählt uns, wie die go pri§ni, die gefleckte oder
scheckige Kub des Rigveda, angerufen werden muss, das Land
frachtbar zu machen^ (oder dass man einen Hymnus an die
Wolke singen muss, sie möge die Weiden und Felder mit Regen
befruchten), und wie man dem Vi^vakarman (dem Alles Wir-
kenden), welcher in den Gott Indra verwandelt wird, als er den
" Grihyas. IV, 3.
• V, 4, 23.
38
Dämon Vritra , ' da« Ungeheuer, daa den Regen in der Wolke
zurüekhält, tödtet^ einen Stier opfern muss.
Es zeigt uns den Vollmond, Bäkä, verbunden mit der
Aurora, als eine Quelle der Fülle ;^ und ebenso die Aurora mit
der Kuh. ^ Ausflihrlich erzählt es , dass die charakteristische Ge-
stalt der Aurora die rothe Kuh ist, weil sie mit den rothen Kühen
geht ^ Nachdem die Götter die Kühe in der Höhle entdeckt
haben, öffnen sie die Höhle bei der dritten Libation des Morgens;^
zugleich mit den Kühen treten auch die Götter, die ädityas,
heraus; daher ist ädityänäm ayanam, das Hervorkommen
der Götter, gleichbedeutend mit gaväm ayauam, dem der
Kühe. Die Kühe treten heraus, wenn sie ihre Homer haben, und
schmücken sich. ^
Die Aurora ist eine Kuh mit glänzenden und goldenen Hör-
nern. Wenn die Kuh Aurora hervorkommt, bringt Alles, was
von ihren Hörnern fallt. Glück. Daher werden im Mahäbbärata^
die von Mataüga, einem heiligen Einsiedler, empfangenen Wohl-
thaten mit den Segnungen des gaväm ayana verglichen. Um diese
Vergleichung, ohne Bezugnahme auf die Veden, zu verstehen,
muss man sich die heutigen Gebräuche Indiens vergegen-
wärtigen, wo es bei der Feier des neuen Sonnenjahres oder der
Geburt des Hirtengottes Krishna (der während der Kacht schwarz
ist, aber am Morgen unter den Kühen der Dämmerung oder un-
ter den Kuhhüterinnen glänzend wird) ^ Brauch ist, gegen Ende
des December den Brahmanen Kühe zu geben, Geschenke von
Külien und Kälbern auszuwechseln, einander mit Milch zu be-
■ ludro väi vritram hatvä vi<^vakarraäbhavat ; IV, 3, 2V.
* lU, 2, 37. '
' Ushase darum yoshäl^ sä räkä so eva txishtup gavtj (uirum ya gäuh
sä äiuiväli (der Neumond) so eva ^«gati; III, 2, 48.
* Abhüd ushä ru^atpai^'ur ityushaso rüpatn; I, *^, 18 — Gobhiraiunäir
ushä ügitnadhävut tasmäd ushasyagatäyäui arunaui ivaeva prabhätyuehaso-
rüpam-, IV, 2, 9.
* Ait.-brahm. VI, 4, 24.
* Ait.-brahm. IV, 3, 17.
' ni, 8080.
^ Die Apotheose Krisbnas ist ein Factum, welches der brähmanischcn
Periode angehört. Krishna ist der populärste der Götter dieser Epoche,
und es iai höchst wahrscheinlich, dass die eingeborenen Schwarzen Indiens
bedeutend zu der VolksthümÜchkeit des Cultus des schwarzen Gottes bei-
getragen haben, beinahe wie in Afrika die äthiopische Jungfrau ange*
betet wurde.
39
spreugeil, eine seböne Milelikah zu sclimttcken, sie mit Blrnuen
zu bekränzen, ihre Hörner zu vergolden oder bunt zu bemalen, sie
mit Blumen, Früehteu und kleinen Kuehen zu überladen und sie
dann von dem Dorfe mit Pauken und Trompeten wegzujagen, so
dass sie erschreckt mit Ungestüm davonflieht. Die Kuh verliert
bei der Flucht ihren Schmuck, und da er für einen segenbringen-
den Schatz gilt, wird er von den Gläubigen sorgfältig aufgelesen
und als heilige Reliquie aufbewahrt. ^
Im Aitareya-brähmana=^ ist die Sonne von den Kühen gebo-
ren (gogä), ist sie der Sohn der Kuh Aurora; als die Mutter der
Sonne nährt sie dieselbe natürlich mit ihrer Milch ; daher heisst es
ebenda ^ auch, dass die Götter Mitra und Varuna, vermittelst der
geronnenen Milch, aus dem Trank der Götter das berauschende
Gift nahmen, welches die langzungige Hexe (Dirghagihvl) hinein-
gegossen hatte. Diese geronnene Milch ist dasselbe Milchmeer,
in welchem Gesundkräuter sind und welches die Götter im Rämä-
yana, Mähabhärata und den Puränas schütteln, um Ambrosia zu
bereiten: von dem Meere und den Kräutern ist schon in einem
vedischen Hymnus die Rede.* Aber im Himmel, wo die ambro-
sische Milch und die Gesundkräuter hervorgebracht werden, giebt
es Götter und Dämonen; und die Milch, welche das eine Mal der
Regen, ein anderes Mal Ambrosia ist, befindet sich bald in der
Wolke, bald im Monde (auch Oshadhipati, Herr der Kräuter
genannt), bald rings um die Dämmerung. Hanumant, welcher
im Rämäyana das Heilkraut suchen geht, um die Seelen der
balbtodten Helden zu beleben, sucht es bald zwischen dem Berge
„Stier'' (rishabha) und dem himmlischen Berge Käiläsa, bald
zwischen dem Berge Lunus ^Candra) und dem Berge „Becher"
(Drona); und der Berg, auf welchem das von Hanumant ge-
suchte Kraut wächst, heisst selbst Kraut (oshadhi) oder der,
»Vgl. Weber, über die Krislinagainäshtain i, Berlin^r868;
Li'lnde fran9ai8e, par Kugone Buruouf, Paris 1828; The Hiündöioav
London 1834, vol. I. i'^ " •' • '
MV, 3, 20. .^ .xy«-^^.r.u..^
• I, 3, 22. ff ^o-ii« -»ib ji'»il<M!i-^/
♦ Mahiiiäm payo 'sy oshadhit am rasah; Taittir. ta'i\Pr'^.lA\'m^^
Kshirodam 8ftgar»m Barve inathiilniHh sahitä '-^ayit(h ^iföUäli^flMth^ sa-
inÄhritya prakfthipya ^h talHstatah; Ränfft^.f','^«.« ^uilv^t'^ÜÜy/di e
Herabkunft des Feuers und des ^*Hfe»ir^h!l^*i,"lifeHteA859.(-'^*^^
40
welcher mit Wohlgerüchen erfreut (Gandhamädana),* zwei
synonym gebrauchte Worte. . Hier wird das milchige, ambrosische
und heilende Nass als nicht von einer Kuh, sondern von einem
Kraut hervorgebracht angesehen. Die Götter und Dämonen
streiten im Himmel um den Besitz dieses Krautes, wie um die
Ambrosia; der einzige Unterschied ist, dass die Götter beide ge-
messen, ohne sie zu verderben, während die Dämonen sie beim
Trinken vergiften, d. h. sie breiten Dunkel über das Licht, sie
bewegen sich in der Finsterniss, in den dtistern Wassern, in dem
schwarzen Nass, das aus dem Kraut selbst herausfliesst, welches
durch die Berührung mit ihnen vergiftet wird, umher, so dass sie
wiederum das Gift einsaugen. Andrerseits sind die Gandhar-
vas,^ ein amphibienartiges Geschlecht, in welchem ein Mal die
Natur der Götter, ein ander Mal die Dämonenuatur prädominirt
und das bald fttr die Götter, bald für die Dämonen Partei nimmt,
einfach Wächter, welche, wie gegen Diebe, Wache halten und die
Wohlgerüche und Heilkräuter, die ihnen selbst eignen, wie die
gesunden oder ambrosischen Wasser, die Ambrosia, die ihren
Weibern, den Nymphen angehört, bewachen. Sie sind, mit einem
Wort, die frühesten Repräsentanten des geniessenden und eifer-
süchtigen Eigenthümers. Wir haben schon im Kigveda die dä-
monischen Ungeheuer einander anrufen hören, das Gift der himm-
lischen Kühe zu saugen; und wir haben gesehen, dass das Aita-
reya-brähmana eine Hexe beschuldigt, die göttliche Ambrosia ver-
giftet zu haben; wir haben ferner beobachtet, dass ein vedischer
Hymnus schon die ambrosische Milch und das Heilkraut verbin-
det und dass in der brähmanischen Kosmogonie die Milch und
das Kraut, von dem sie kommt, zusammen erscheinen, welches
Kraut wohlthätig oder verderblich ist, je nachdem es die Götter
oder die Dämonen geniessen; nach all dem ist das interessante
Hindu-Sprichwort leicht verständlich: „Das Gras giebt den Kühen
die Milch, die Milch den Schlangen das Gift". ^ Wirklich ist es
' Der Gandham^dana wird besonders von den Gandharvas be-
wacht, ein Wort, das ans gandha, Wohlgemch, und arva, einer, der
vorgeht (dann das Pfei*d), von der Wrz. arv (Erweiterung von riv.) zu-
sammengesetzt zu sein scheint ; demgemäss würden sie also die sein, welche
in den Wohlgerüchen gehen, wie die von ihnen geliebten und gehüteten
Nymphen die sind, welche in den Wassern gehen (apsarasas). Vgl. das
Kap. über den fiseL
* Vgl. ß&mäy. VI, 82. 83.
' Bötblingk, Indische Sprüche, 122, Theil I. (2. Aufl. Petersboig
1870.) ~ Vgl. Mahäbh. I, 1143-1145.
41
die Milch der Dämmernngskah nnd der Mondkuh, welche die
Schlangen der Finsterniss, die dämonischen Schatten der Nacht,
vernichtet.
Doch ist der Gedanke des Heilkrautes in ein anderes, den
indogermanischen Volksmährchen sehr geläufiges Bild eingeklei-
det, welches sich sogar in den vedischen Hymnen findet. Die
Kuh bringt die Sonne und den Mond hervor; die Kreisgestalt,
die Scheibe der Sonne und des Mondes, ruft wechselweise die
Vorstellung eines Ringes, eines Edelsteines und einer Perle her-
vor; und Savitar, die Sonne, der, welcher den Saft giebt und
der Erzeuger, wird in einem vedischen Hymnus als der ange-
föhrt, welcher unsterblichen Saft hat, welcher die Perle giebt. *
Die Feuchtigkeit der Kuh ist auf das Kraut, von diesem auf die
Perle übergegangen; und die Natürlichkeit dieser Gestalt ist un-
serer modernen Vorstellungsart ganz adäquat, denn wenn wir die
Vorzüglichkeit und den Werth eines Diamanten oder eines andern
Edelsteines hervorheben wollen, so sagen wir: es ist ein Stein
von reinstem Wasser. Sogar der Perlenmond und die Perlen-
sonne haben, von ihren ambrosischen Feuchtigkeiten, ein schönes
.Wasser. Im Ramäyana* sehen wir, im Augenblick der Erzeu-
gung von Ambrosia aus dem brausenden Milchmeere, neben dem
Gesundkraut den Edelstein Käustubha, denselben, den wir
später auf der Brust des Sonnen- oder Mondgottes Vishnu finden
und der zuweilen sein, Nabel ist; weshalb auch Vishnu im Ma-
bäbhärata^ mit dem Namen ratnanäbha, d. h., der eine Perle
als Nabel hat, angeredet wird, wie die Sonne in ähnlicher Weise
mit dem Namen Manigriöga, d. h. einer, der Homer von
Perlen hat. * Im Rämäyana ^ erscheinen das glänzende Kraut und
die Sonnenscheibe zusammen auf dem Gipfel des Berges Gandha-
mädana; er riecht es nicht eher als bis der Sonnenhcld Laksh-
mana, von den eisernen Fesseln befreit, sich vom Boden er-
bebt, d. h. kaum hat die Sonne ihre Scheibe gebildet und einem
himmlischen Edelstein gleich zu glänzen begonnen, als der Son-
' Abhi tyam devaih savitäram ^yoh kavikratum arcämi satyasavasam
ratoadhäm abhi priyam matim; Täitt. Yagurv. I, 2, 6.
• I, 46.
» XIII, 7034.
* Hariv. 12, 367.
' Amhya tasya ^ikhare so 'pa9yat paramdushadhim drishtvä dotpäta-
yämAsa Ti^alyakaranuh 9abbäin. — Vi9alyo niru^h ^ighramudatisbthan-
mahitaiät; VI, 83.
42
neiibeld, den die Ungehcnet während der Naclit bezwungen batten,
siegreich aufsteigt Aof dem Bergosgipfel drückt die Sonne
Känia mit einem ßergmctall, das an Farbe der jnngen Sonne
gleicht, ' ein äimmemdes Mal auf die Stirne der Dämmerung
Stlä, wie uDi sie wiedererkennen zu können, d. b. er aetzt aicb
auf die Stirn der Aurora oder Dämmerung. Als die Sonne Eäma
von der Dämmerung Sita getrennt wird, sebickt er ibr zur Wie-
dererkennung, als ein Symbol seiner Scheibe, seinen eigenen
Ring, welcher in dem berühmten Ringe, den König Dushmanta
der schönen QakuntaU, der Tochter der Nymphe, gicbl, nnd
an welchem allein die verlorene Braut von dem jungen und ver-
gessltcbeii König wiedererkannt werden kann, wicderersebeint.
Sita schickt durch Hanumant als Zeichen der WiedErerkeanung
den flimmernden Sebmuck an Räma zurUck, den er ibr eines
Tages an einem lauschigen Plätzeben zwischen den nor ihnen
allein bekannten Bergen auf die Stirn gedruckt hat. Dieser Wie-
dererkennnngsring, diese magische Perle kehrt in den Hiudu-
Mährcheii oll wieder. Es mögen hier die beiden berühmtesten
Iteispiele genügen.
Aurora, welche die Perle besitzt, wird die an Perlen Reiche,
und selbst zu einer Perlenquelle; die Perle ist aber, wie wir oben
gesellen, nieiit blos die Sonne, sondern auch der Mond. Der
Mond ist der Freund der Aurora; er tröstet sie am Abend unter
ihren Verfolgungen; er überhäuft sie während der Nacht mit
ßescheoken. begleitet und leitet sie und failft ihr den Gatten
finden.
Im Rämäyana finde ich den Mond bäuäg als eine giltige
Fee, welche der Dämmerung Sita zu Hitfe kommt; denn ais
rag;anikara (Erhellor der Nacht] nimmt der Mond eine freund-
liche Gestalt an. Wir haben schon bemerkt, dass der Mond in
Indien gewöhnlich ein männllcbes Wesen ist; aber als Vollmond
und Neumond erhält er, sogar in den Veden, eine weibliche Be-
nenonng. In einem vedischen Hymnus wird Räkä, der Voll-
mond, aufgefordert, mit einer unzerbrecblicben Nadel zu nähen. *
Hier haben wir den Mond als eine wunderbare Arbeiterin perso-
' Sa nighrishäiigulim tkxno dbänte munah^ilägirän ^skara tilakam
patnyll laliltit rudirnth tadft bftlftrkaBHrnavHTnonA t«nn sft giridhutnnä lalftte
viniviBli|hc 'im 8a<^>iiiidb<'vii iiiviibliävat ; Käuiar. II, llJg.
* Hivyatii Hpnli nfiiJyAiÜitdyHmllDayA dad&tu viihid ^taitftyani ukthyam;
?igv. il, 3A4.
43
Dificirt; eine goldfiDgrige, gate Fee ; and als solche finden wir sie
im Käniäyana wieder, in der Gestalt der alten Anasüyä, welche
die danke! gewordene Sita (denn Sita ist, wie das vedische Mäd-
chen, während der Nacht oder des Winters, wenn sie verborgen
ist, finster und hässlich) im Walde mit einer göttlichen Salbe be-
streicht, ihr ein Blumengewinde, verschiedene Schmucksachen und
zwei schöne Gewänder giebt, die immer rein sind (d. h. nicht
den Boden streifen, wie die Kühe der vedischen Dämmerung, die
sich nicht mit Staub bedecken) und an Farbe der jungen Sonne
gleichen;* in all dem erscheint die Fee Mond als während der
Nacht für die Aurora arbeitend, ihre glänzenden Gewänder
zurechtmachend die beiden Gewänder, deren eines fllr dön
Abend, deren anderes für den Morgen ist, das erste, sil-
bern, das Mondgewand, das zweite, golden, das Sonnen-
gewand — damit sie ihrem Gemahl Räma oder der Sonne
Vishnu gefalle, welcher erfreut ist, sie so geschmückt zu sehen.
Auch in der Svayamprabhä trefl'en wir den Mond als eine
gute Fee, welche von dem goldenen Palaste aus, den sie für ihre
Freundin Hemä (die Goldene) bewahrt, einen Monat lang Hanu-
mant und seine Genossen, die beim Suchen nach der Dämmerung
Sita den Weg verloren haben, in der grossen Höhle leitet. Um
aus dieser Höhle herauszukommen, ist es noth wendig, die Augen
zu scfaliessen, um nicht ihren Eingang zu sehen; alle Genossen
Hanumants sind heraus; nur Tara, der wie der Mond glänzt,-*
wünscht zurückzukehren. Der Mond lässt sich auch in den güti-
gen Feen Trigäta, Suramä und Saramä wiedererkennen,
welche der Sita anzeigen , dass ihr Gatte bald kommen und sie
ihn bald sehen wird. Die erste träumt, als die Ankunft Rämas
naht, dass die Ungeheuer, in gelbem Gewände, in einem See von
Kuhmilch spielen ; ^ wie Suramä der SftÄ das Nahen Rämas ver-
kündet, glänzt Sita in eigener Schönheit, wie die anbrechende
Dämmerung ; ^ endlich verkündet auch Saramä (die mit Suramä
identisch zu sein scheint), welche Sita ihre Zwillingsscbwester
' Tatah ^ubbam sä taranärkasamiiibbam gataklainä vasrayugam sadil
malam srago 'ngarägam da vibhüshanäoi da prasannadctä gagrihe tu
mäithili; Rämäy. III, 5.
• Käinay. IV, 50-53.
' Pitäinitv&sitft vasträi^ kridanto goniaye hrade; Rätn&y. V, 27. -
Vgl. VI, 23.
* SitäiQUvftda ha dipyamänäm svayft lakshmyäeafidbyämäutpfttikimiva;
Rämäy. V, 52.
44
(sahodarä) nennt; die in die Unterwelt eindringende, wie der
Mond Proserpina; der Sita ihre naliende Befreiung durch Bama. *
Was die Tri^ätä betrifft; so erkennt man unschwer in ihr den
Mond; wenn man sich erinnert; dass Trigätä ein häufig vorkom-
mender Name für die Abendsonne; den aufsteigenden Mond; Qiv^,
ist; welcher mit dem Mond als Diadem dargestellt wird, weshalb
er auch den Namen Gandracäda fUhrt. Suramä halte ich für
eine nicht mythische; sondern rein orthographische und ungenauere
Variation von Saramä; auf deren Verwandtschaft mit dem Monde
wir in dem Kapitel über den mythischen Hund näher eingehen
werden.
So haben wir eine Mond-Fee. Aber wir finden den Mond
an andern Stellen im Ramäyana mit seinem gewöhnlichen männ-
lichen Namen bezeichnet. Dadhimukha; der Hüter des Honig-
waldes; in welchem die die Sita begleitenden Helden sich er-
götzen, soll von Gott Lunus gezeugt sein.' * Und der Mond, wel-
cher dem Hanumant bei seinem Suchen nach Sita beisteht; soll
wie ein weisser Stier mit einem spitzen, vollen Horn glänzen,^
wobei wir auf den Mond als ein gehörntes Tbier und auf die
cornucopia zurückkommen. Femer finden wir dasselbe Mondhom
wieder in der Stadt Qriögavera, wo erst der Sonnenheld Rama,
dann sein Bruder Bharata; gastlich aufgenommen werden, als die
Sonne von Guha, dem König der schwarzen NishädaS; der auch
die Farbe einer schwarzen Wolke hat, * verfinstert wird ; ^ und
Räma und Bharata nehmen am Morgen von Guha, der immer in
den Wäldern wandeln soll, ^ Abschied.
Es erübrigt; noch klarere Beweise beizubringen; dass im
Ramäyana Räma die Sonne, und Sita die Dämmerung oder
Aurora ist.
Ohne in Anschlag zu bringen, dass Räma die populärste Per-
sonification Vishnus und Vishnu oft der Sonnenheld ist (obwohl
er auch nicht selten mit dem Monde identificirt wird), woUen wir
* Bamartha gatanam gantumapivä tvam ras&talam — Adirammokebyase
site; Rärnfty. VI, 9. 10.
* Säumyal^ somfitxnaga^ ; Ramäy. VI, 6.
s Sita^ kakudväniva ttksbna^ringo rarä^ dandral^ii paripürna^f ingal^ ;
Ramfty. V, 11. — Vgl. V, 20.'
* Babbäu nashtaprabhal^ süryo ra^ani <^äbhyavartata ; Bamäy. H, 92.
^ Nishädarägo gubn^ sanflämbudatulyavarnah ; Käoofty. II, 48.
« Sadä vanagoöarah; Rämäy. II, 9a
45
sehen, wie Räma sich im Bämäyana manifestirt und was er thut,
um seine Sonnennattir zu documentiren.
Das beste Mittel, das zu beweisen, ist, meines Erachtens, za
zeigen, wie Räma dieselben Wander als Indra verrichtet. Räma
giebt, wie Indra, schon in der Jugend ausserordentliche Beweise
seiner Stärke; Räma führt, wie Indra, seine grössten Thaten aus,
während er selbst verborgen ist, besiegt, wie Indra, das Unge-
heuer, befreit Sttä und geniesst die Gesellschaft seines Weibes.
Das grosse Epos von Räma beginnt erst, als er in die Wälder
geht, wie Indra in die Wolken und Schatten. Indra hat die
Winde (Marnts) zum Beistand; Räma hat seine bedeutendste Hilfe
an Hannmant, dem Sohne des Windes (Märutätmaga);^ Hanu-
mant ergötzt sich mit den Ungeheuern, wie der Wind mit den
Bogenschtitzcnwolken des tausendäugigcn Indra; ^ und Räma soll
auf Hanumants Rücken sitzen, wie Indra auf dem Elephanteu
Airavata. Der Elephant mit seinem Rüssel wird in der
brähmanischen Tradition nicht selten an die Stelle des gehörnten
Stieres der Veden gesetzt. * Doch erscheint der Sjtier Indra in
dem Stiere Räma wieder, und die Affen, welche Räma beistehen,
haben wenigstens den Schwanz der vedischen Kühe behalten, wo-
her ihr Gattungsname goläfiguläs (die Kuhschwänze haben). ^
Der Bogen, mit welchem Räma die Ungeheuer schiesst, ist aus
einem Horn gemacht, woher sein Name ^ärngadhanvat (der
mit dem Horn schiesst) ; * Räma empfängt den Schauer der feind-
lichen Pfeile, wie ein Stier auf seine Hörner den reichlichen
Herbstregen.« Sita selbst nennt Räma und seinen Bruder
Laksbmana sinharshabhäu,^ oder den Löwen und den Stier,
die so häufig in der Mythologie in Anbetracht ihrer gleichen
Stärke verbunden werden; daher der Schrecken des Löwen, als
er den Stier brtUlen höit, im ersten Buche des Pancatantra,
» Räinfty. IV, 1.
* Saha&i&kBhadhanQshmadbbiA toyadäiriva m&rutah; Raroäy. V, 40.
' Käuiäy y, 73. Im Rämäyana selbst wird Räma, von Kummer über-
wältigt, bald mit einem Stier (V, 34), bald mit einem Elephanten, der von
einem Löwen gequält wird, verglichen (V, 37).
* R&mfty. VI, 105.
* R&mfty. VI; 102.
* ^ftradam stbülaprishatam ^ringabbyäm govrisho yalha; Rämäy.
III, 3i.
' RftmÄy. V, 28. — Das Ungeheuer Kabandba redet hier beide mit
dem Namen Vrishabhaskandhäu an, d. h. die, welche Stierschultern
haben. Rämäy. III, 74.
46
und all dco zahlreichen orientalischen nnd occidentalischen Be-
arbeitungen dieses Baches. Indra hat seine Kämpfe im bewölk-
teu; regnerischen nnd düsteren Himmel; dieser ist auch der Kampf-
platz Rämas. Die Namen der Ungeheuer des Bämäyana, wie
z. r>. Vidyu^^iva (der von Donnerkeilen lebt), Va^rodart
(die Donnerkeile im Magen hat). In drag it (der Indra durch
Zauberkünste besiegt), Meghanäda (Donnerwolke) ^ und andere,
zeigen uns die Natur des Kampfes. Auf dem Kampfplatze Hamas
ist der hilfreiche Ileld bald ein Stier (rishabha), bald ein Kuh-
auge (gaväksha), bald gavaya (bos gavaeus) und Wesen
mit ähnlichen Namen, die uns an die vedischen Gottheiten mahnen.
Indra schlägt den himmlischen Ocean mit Blitzen; Räma, ein
indischer Xerxes, züchtigt die See mit brennenden Pfeilen.^
Indra setzt im liig^eda über das Meer und kommt über neun-
uudneunzig Ströme; Uäma überschreitet den Ocean auf einer
Brücke von Bergen, welche Hanumant, der Sohn des Windes,
ausserordentlich geschickt trägt; die Winde tragen die Wolken,
die wii- in der Sprache der \'eden als Berge dargestellt gesehen
haben. Und dass hier von Wolken, nicht von wirklichen Bergen
die Rede ist, schliessen wir aus der Beobachtung, dass während
die Thierarmee Ramas die Brücke über den Ocean schlägt oder
die Winde die Wolken in den Himmel tragen, die Sonne die
müden Affen-Arbeiter nicht brennen kann, weil Wolken aufstei-
gen und sie bedecken, Regen lallt nnd der Wind bläst ^ Der
Platz, wo sich dieser Kampf des Epos abspielt, ist augenschein-
lich derselbe wie der des mythischen Kampfes Indras. Und im
Rämäya^a finden wir aller Orten die Aehnlichkeit der Kämpfen-
den mit den schwarzen, den brüllenden, vom Winde getragenen
Wolken. Der Wald, den Räma durchschneidet, wird mit einer
Wolkengruppe verglichen.^ Der Name Nachtwanderer (rasa-
nt (^ a ra), den im Ramäyana häufig das Ungeheuer führt, mit
welchem Räma kämpft, weist deutlich darauf bin, dass bei Nacht
gekämpft wird« Wenn wir lesen, dass die Uexe Qfirpanakhä
im Winter kommt, um Räma zu verführen, während er im Walde
' Kam &y. VII, 36-38.
« Rämay. V. 93.
> Qraiitamtu na tapet sürja^ kathan<Sidvftuaräaapi abhr&ni ^a^nire
digbhyas dhadayitva raveh prabliäm pravavarshu da par^anyo maruttt^da
<^ivo vuvau; Uämaj. V, 95.
* Käoiay. Ill, 77.
47
ist^' und da8 Ungeheuer Eumbhakarna nach sectismonatlichem
Schlaf erwacht, wie eine Regenwolke, welche gegen Ende des
Sommers (tap ante) sich erhebt, ^ so beweist dieser Umstand,
dasft das Epos von Räma, ausser dem nächtlichen Kampfe der
Sonne gegen das Dunkel,^ auch den grossen jährlichen Kampf
der Sonne im Winter zur Befreiung des Frühlings umfasst.
Ueberall und immer handelt es sich um einen Kampf der Sonne
gegen das Ungeheuer der Finstemiss. Bäma sagt, ganz am An>
fange des Gedichtes, zu seinem Bruder Lakshmana; „Siehe, o
Lakshmana, Märica ist mit seinen Begleitern hierher gekommen,
donnerähnlich lärmend, und mit ihm der nächtliche Wanderer
Subuhu; Du sollst sie, einer Masse finstrer Wolken gleich, in
einem Nu von mir zerstreut sehen, wie Wolken vom Winde". ^
Hier finden wir fast den ganzen Kampf Indras.
Aehnliche Schlachten in den Wolken finden sich in mehren
anderen Episoden des Rarariyana. Der Pfeil Ramas trifl^t das
Ungeheuer Khar a (das Esel-Ungeheuer), wie einen grossen
Bären der Donnerkeil Indras.^ Helden und Ungelieuer kämpfen
mit Steinen und Felsstäcken von dem grossen Berge und stürzen
Bergen gleicb auf die Erde herunter. Das Ungeheuer Rävana
raubt Sita mit dem Zauber des Windes und Sturmes. ' Helden
und Ungeheuer kämpfen mit Baumstämmen aus dem grossen
Walde; ja, diese selbst werden Ungeheuer, betheiligen sich am
Kampfe, strecken ihre wunderbaren Arme aus und verschlingen
die Helden in ihren Höhlen. Und hier kommen wir zu der in-
teressanten Erzählung von Kabandha, in welcher wir die
kämpfenden Wälder und Bäume wie das vom göttlichen Stier
getragene Fass der Veden wiederfinden. Die Dänavas oder
Dämonen erscheinen im Mahäbhiirata^ auch in der Gestalt von
tönenden Fässern, im Rumäyana heisst der oberste der Dämonen
(dänavottama) Kabandha (Fass und Rumpf), wird mit
einer schwarzen Donnerwolke verglichen und als ein ungeheurer
» Räinäy. III, 23.
* Bamäy. VI, 37.
' Pa^ya lakshmana märidam maba9anisama8vanam Bapadanugamä-
yäntam subähum da ni9ä<^aib etävadya ina}ä pa^ya Dilän<5ana(^ayopa-
inäu asinin kshano samädhütävanilcnämbudäviva ; Ramay. I, 33.
* Qakrencva vinirmokto vagrastamvaropari ; Kamay. 111,35.
^ Mäyftroäi^ritya vipul&m vätadurdinasamknläni; Rftmäy. III, 73.
' Te nikrittabhugaskandhäs kavandhäkriti ekadar^anäl; nadanto bhilira-
vitnnädännäpatanti sma dänaväs; Mbh. III, H06.
V
48
Rumpf mit einem grossen gelben Auge und einem farchtbaren
Alles verschlingenden Munde in der Brust dargestellt. ^ Das
Ungeheuer Rabandha zieht mit seinen langen Armen die beiden
Brüder Räma und Lakshmana an sich (diese werden im Ra-
mäyana^ öfters mit den beiden A^vins^ die sich in Allem einan-
der gleichen; verglichen). Kama und Lakshmana, d. h. die A<;-
vinSy die Morgen- und Abend-, die Frühlings- und Herbst-Sonne,
die beiden Dämmerungen, welche an einer Stelle des Rämäyai^a
die beiden Ohren Rämas heissen, hauen dem Ungeheuer Eabandha
die beiden langen Arme ab, worauf der Rumpf, unfähig, sich
länger zu halten, zu Boden stürzt Das gefallene Ungethüm er-
zählt dann den beiden Brüdern, dass es einst ein schöner Geist
war; dass aber Indra durch einen Fluch eines Tages Kopf und
Schenkel ihm in den Leib drückte; nachdem seine Arme von den
beiden Brüdern zerrissen sind, wird das Ungethüm von dem auf
ihm lastenden Fluche erlöst, nimmt wieder die Gestalt eines glän-
zenden Dämonen au und steigt in lichtem Glänze himmelwärts.
Hier haben wir die allglänzende Sonne, in der Wolke einge-
schlossen ; sie ist das gelbe Auge, der brennende Mund Kabandhas
und bildet zusammen mit der Wolke ein grässlicbes Ungeheuer;
der Held kommt, ihre Ungeheuergestalt zu vernichten, und sie
dankt ihm; denn so wird sie der herrliche Gott, das glänzende
Wesen, der schöne Prinz, der sie vorher war. Rama, der Kabandha
von der Gestalt eines Ungeheuers befreit, indem er ihm die
Arme abhaut, ist die Sonne Rama, welche aus dem finstern
Walde heraustritt und den Himmel im Osten und Westen erhellt.
Rama als Befreier Kabandhas ist einfach die Sonne, die sich von
dem Dunkel und den Wolken, die sie umgeben, befreit Auch
haben in der That die meisten Mythen ihren Ursprung in der
Mannigfaltigkeit der Namen, welche dieselbe Himmelserscheinnng
führt. Jede Benennung wächst zu einer getrennten Persönlich-
keit an und die verschiedenen Persönlichkeiten kämpfen mit ein-
> Atha tatra mabdghoram vikritam tarn mahoddhrayam vivriddbama-
^irogrivam kabandhamudare mukham romabhirni<^itam tiksbnftinnab&giriini-
voddbritam nilamegbanibbam gborani meghasttinltanisyanam mabatft däti-
piiigena vipulenfijatena6i ekeDorasi dirgbena na7anenätidar9iiiä; K&mfty.
ILI, 74. — Das eico gelbliche Auge Kabandbas erinnert aas an Väi9tavana
mit einem gelbUchen Auge (ekapingbeksbana), während ihm das
andere* Auge von der Göttin Parvati ausgebrannt worden ist. Kämäy.
VII, la
* I, 49; II, 7 et passim.
49
ander. So wird der Held, welcher sich selber befreit, zum Be-
freier eines Helden, wird als eine von dem Helden verschiedene
Persönlichkeit betrachtet; die Ungeheuer-Gestalt, welche den Hel-
den einhüllt, ist oft der auf ihm selbst lastende Fluch ; der Held,
welcher diese Ungeheuer-Gestalt zu tödten kommt, ist sein Wohl-
thäter. *
Diese Anschauung von dem Ungeheuer, das dem Helden,
welcher es tödtot, dankt, stimmt mit dem tiberein, was wir bei
mehren andern Gelegenheiten im Rämäyana finden, wie bei
dem Hirsche Märiöa,* der von Räma getödtet in lichtem
Glänze wieder zum Himmel aufsteigt; bei dem Meerungeheuer,
das Hanumant vernichtet, und dem er seine ursprüngliche Gestalt,
die einer himmlischen Nymphe, wiedergiebt; bei der alten Qavari,
die nach dem Anblick Rämas sich dem Feuertode preisgiebt und
jung und schön himmelan steigt (das in den Veden häufig vor-
kommende junge Mädchen, die Dämmerung, die, während der
Nacht hässlich, von Indra, der ihre hässliche Haut abzieht, am
Morgen ihre Schönheit wieder erhält), einer episodischen Variation
des späteren Schicksals der Sita selbst, die, in der Gewalt des
Ungeheuers Rävana hässlich, ihre Schönheit durch den Feuertod
wiedererlangt, durch welchen sie ihrem Gemahl Räma ihre Un-
schuld beweist und wieder als junges Mädchen glänzt, gleich der
jungen Sonne, geschmückt mit brennendem Golde und ein rothes
Gewand tragend ; ^ und als Räma naht (wie die junge Dämme-
rung, als sie ihren Gatten sieht), gleicht sie dem ersten Licht
(Pralfhä) , der Gattin der Sonne. * Diese Sita , die Tochter des
(janaka (des Erzeugers), welchen das Täittirtya Brähmana
Savitar^ oder die Sonne nennt, scheint mir niemand anders als
die Dämmerung, die Tochter des Lichtes, Indras, des Gottes der
Veden, zu sein, piese stellen auch wirklich zuweilen Süryä, die
Tochter der Sonne, als die Geliebte des Mondes (welcher dann
' Vgl. das Kap. über den Wolf. — In der fünften Erzahlang des
Panöatantra erklärt der als Vishnu verkleidete Weber, dass er nicht selbst
die Feinde tödten wolle, weil sie, von ihm getödtet, gerades Wegs zum
Himmel aufsteigen würden.
* III, 40 sqq.
* Tanmädityasamkä9äm taptakäiidanabhdshitllm raktämbaradharäm
bftläm; Rämfty. VI, iO'6. — lieber das Gewand Sitäs lesen wir an einer
andern Stelle, dass es glänzt, „wie das Licht der Sonne auf dem Gipfel
eines Berges'* (Süryaprabheva 9ftilägre tasy&l^ käusheyamuttamam; IV, 58).
* R&m&y. VI, 99.
» Vgl Weber, üeber das R&mftyana, Berlin 1870, p. 9.
GobemAtii, die Thiere. 4
50
ein männliches Wesen ist) dar; öfter aber finden wir als Liebes-
paare die Dämmerung und die Sonne, die schöne Heldin und den
glänzenden Sonnenhelden , während der Mond gewöhnlich der
Bruder oder die mitleidige Scliwester des Helden und der Hel-
din ist, der gute Alte, die in die Zukunft schauende Fee, die gute
Alte, die sie in ihren Unternehmungen unterstützt; obwohl wir
auch die Dämmerung als Schwester und Helferin der Sonne fin-
den. Die buddhistische Tradition der Räma- Legende, wie sie
von Weber * erläutert wird, stellt Sita als die Schwester der beiden
Brüder Räma und Lakshraana dar, die in eine zwölfjährige Ver-
bannung gehen, um den Verfolgungen ihrer grausamen Stief-
mutter (die Käikeyi des Rämäyana ist ein wirres Bild von
ihr) zu entrinnen, ebenso wie die Dämmerung der Veden mit den
A^vins in Verbindung steht; und dieselbe Tradition lässt den
Räma schliesslich am Ende seiner Verbannung seine eigene
Schwester Sita heirathen, wie die Sonne die Dämmerung. Dass
Sita nicht von einem Weibe geboren, sondern aus dem Boden er-
standen ist als ein Mädchen von himmlischer Schönheit, zur Be-
lohnung für oie Tapferkeit bestimmt, ^ schliesst nicht nur nicht
ihre Verwandtschaft mit der Dämmerung aus, sondern bestätigt
sie sogar; denn wir haben die Dämmerung von dem Berge auf-
steigen sehen als Tochter des Lichts und der Sonne, welche die
junge Sonne zur Braut gewinnt als Lohn für ihre Geschicklich-
keit als Bogenschütz gegen die Ungeheuer der Dunkelheit; und
wir haben gesehen, dass die Dämmerang nur ihren vorbestimmten
Gatten heirathet, ihr vorbestimmter Gatte aber derjenige ist,
welcher die grössten Wunderthatcn verrichtet, ihr den verlorenen
Schmuck wiedergiebt und ihr am meisten ähnelt. Sahen wir
doch eben die alte Qavari und die häusliche Sita sich beim An-
blick der Sonne Räma im Feuer von jedem •menschlichen Unge-
mach befreien und noch einmal schön und glücklich werden I
Freilich ist die Eintracht zwischen dem mythischen Ehepaare
nicht dauernder und stichhaltiger als sie es bei irdischen zu sein
pflegt. Räma ist sehr zu Misstrauen geneigt. In sein Reich
Ayodhyä zurückgekehrt, überlässt er sich Grübeleien, was seine
Unterthanen zu der Wiedernahme seiner Gattin sagen mögen,
nachdem sie in den Händen des Ungeheuers gewesen (sie waren
» Vgl. Weber, Ueber das Rämftyana, Berlin 1870, p. 1.
* Virya9alkä da me kanyä divyarüpä gunänvita bhütalftdotthit^ pürvam
nämnä sitetyayoni^; Ramäy. I, 68.
51
bei dem ersten Feueropfer Sitäs nicht zugegen); Räma theilt sei-
nen Argwohn der Sita mit und tadelt den bösen Leumund der
Bürger, der ihn wachgerufen hat ; sie unterwirft sich zum zweiten
Mal der Läutei-ung durch Feuer ^ aber von seinem unablässigen
Misstrauen beleidigt, flieht sie ihren Gatten und zieht auf einem
von Schlangen (p a ii n a g d s) gezogenen Lichtwagen wieder unter
die Erde (was einfach Folgendes zu bedeuten scheint: die Dämme-
rung, resp. Frtthling, heirathet die Sonne am Morgen, oder sie
bleibt den ganzen Tag resp. Sommer in seinem Reich, und geht
am Abend resp. im Herbst in die Schatten der Nacht resp. des
Winters ein). ^ Ein Misstrauen des Gatten veranlasst sein Weib,
ihn zu verlassen.
So haben wir im Rigveda Urva^t, die erste der Dämme-
rungen, vor der Sonne Purflravas fliehen sehen. Im Soma-
deva* verliert der König Purüravas seine Urva^t, weil er im
Himmel hat verlauten lassen, dass sie bei ihm war; in Eälidäsas
Drama Vikramorvafi erhält der König Purüravas von Indra
für die Hilfe beim Kampf Urva^i zur Gemahlin und verspricht,
bis zur Geburt eines Kindes bei ihr zu bleiben; der König wirft
bald nach der Heirath mit Urvagi seine Blicke auf eine andere
Nymphe Udakavat! (die Feuchte), Urvagl flieht entrüstet; sie
will sich in einen Wald verbergen und wird in ein Reptil ver-
wandelt In der brähmanischen Tradition des Ya^urveda,
letzt von Max Müller in seinen 'Oxford Essays' mitgetheilt, ver-
liert Purflravas Urvajl aus den Augen, weil er sich vor ihr ohne
seinen königlichen Schmuck oder gar nackt hat sehen lassen.
Wir finden noch eine andere ähnliche Erzählung im Mahäbhä-
rata.' Der weise und glänzende Qäntanu geht an den Ufern
der Gaögä auf die Jagd und verliebt sich in eine schöne Nymphe,
die er dort findet. Die Nymphe erhört sein Bitten und willigt
ein, bei ihm zu bleiben, unter der Bedingung, dass er nie etwas
Missliebiges zu ihr sage, was sie auch thun oder anstiften möge ;
der veriiebte König geht auf die verhängnissvolle Bedingung ein.
Sie leben glücklich zusammen ; denn der König giebt der Nymphe
in allen Stücken nach. Im Laufe der Zeit werden ihnen acht
Söhne geboren; die Nymphe hat bereits sieben in den Fluss ge-
worfen und der König, obgleich innerlich bektlmmert; wagt nicht,
' RftmAy. VH, 101 106.
> Kathä sarit sägara HI, 17.
» I, 3888-8965.
4*
52
ihr etwas zu sagen; aber als sie im Begriff ist, den letzten hinein-
zuwerfen, besfehwört sie der König, es nicht zu thun und fragt;
wer sie ist. Die Nymphe bekennt, dass sie die Gaügä selbst
personificirt ist und dass die acht Kinder ihrer Liebe menschliche
Personificationen der acht göttlichen Vasus sind, welche, in die
Gafigä geworfen; von dem Fluch der Menschengestalt erlöst
werden. Der einzige Vasu, welcher lieber unter den Menschen
bleiben will, ist Dyäu (der Himmel) in der Gestalt des Eunuchen
Bhishma, den Qantanu nicht in das Wasser werfen lassen wollte.
Dieser Fluch triflit die Vasus, weil sie den reuigen Apus die Kuh
der Fülle geraubt haben. Wir werden einen Mährchenstoff, wel-
cher diesem von Qäntanu analog ist, in mehren europäischen
Volksmährchen finden, nur mit dem Unterschiede, dass hier ge-
wöhnlich der Gatte seine neugierige Genossin verläset Die
indische Sage liefert uns jedoch auch ein Beispiel von dem Gatten,
der sein Weib verlässt, in dem weisen Garatkaru, der die Schwester
des Schlaugenkönigs unter der Bedingung heirathet, dass sie nie
etwas zu seiner Unzufriedenheit thut. ' Eines Tages schläft der
Weise; der Abend kommt heran; er sollte aufgeweckt werden,
um sein Abendgebet zu vemchten; wenn er es nicht thut, so thut
er nicht seine Pflicht und sie würde Unrecht thun, wenn sie ihn
nicht warnte. Weckt sie ihn aber, so wird er in Zorn gerathen.
Was soll sie thun? sie wählt das letztere; der Weise erwacht,
wird zornig und verlässt sie, nachdem sie ihm einen Sohn
geschenkt. ^
Das Glühen des Himmels am Morgen und Abend weckte die
V'orstellung bald eines glänzenden Hochzeitsf^stes , bald eines
Feuers. In diesem Feuer wird bisweilen die Hexe, welche das
Heldenpaar verfolgt, verbrannt, bisweilen werden Held und Hel-
din selbst darin geopfert. Das Opfer der Qavari und Sita, die
von der Sonne befreit weixlen, entspricht ganz dem des Qunah-
9epa, der im liigveda von der Dämmerung erlöst wird. Die Ge-
schichte von ^unah^epa ist schon von ß. Roth ^ und Max Mtlller *
aus dem äitareya-brähmana übersetzt und so allgemein zugänglich
gemacht worden. Ich verweise den Leser auf diese Ueber-
' 'Apriyan<^a ua kartavyam kritc ^äiuam lya^amyaham,' sagt Garat-
karu; Mbh. I, 1871.
« Mbh, I, 1870-1911.
» Indische Studien I, pp. 467—464. II, pp. 111—128.
* History of ancient Sanskrit Literature.
53
Setzungen, wie auch auf die englische Uebersetzung, die M. Hang
von dem ganzen aitareya gegeben hat. Ich werde daher hier
nur einen kurzen Abriss davon geben, mit einigen gelegentlichen
auf diesen Gegenstand bezüglichen Bemerkungen.
König Hari^candra hat keine Söhne; der Gott Varuna, der
Bedecker, der Dtistere, Feuchte, der König der Wasser, * nöthigt
ihm das Versprechen ab, was ihm geboren werde, ihm zu opfern.
Der König verspricht's; ein Kind wird geboren und der Rothe
(Rohita) genannt. Varuna fordert es; der Vater bittet ihn, zu
warten, bis das Kind die Zähne verloren hat ; dann bis seine
ersten Zähne ausgefallen sind; dann bis es im Stande ist, eine
Rüstung zu tragen. Augenscheinlich will der Vater warten, bis
der Sohn selbst stark genug ist, sich gegen seinen Verfolger
Varuna zu vertheidigen. Varuna fordert darauf dringender und
Hari^ndra theilt selbst seinem Sohne mit, dass er geopfert wer-
den müsse. Rohita nimmt seinen Bogen und flieht in die Wäl-
der, wo er von der Jagd lebt. Dieser erste Theil der Erzählung
entspricht ganz den zahlreichen europäischen Volksmährchen, in
denen bald der Teufel, bald das Wasserungeheuer, bald die
Schlange von einem Vater den Sohn fordert, der ihm eben ohne
sein Wissen geboren worden ist. Der zweite Theil der Erzäh-
lung von ^unah^epa zeigt uns den Helden im Walde; er hat sei-
nen Bogen mitgenommen, und wie im Rämäyana Räma, der kaum
in den Wald eingetreten, gleich zu jagen beginnt, wird Rohita
Jäger^und jagt die sechs Jahre lang, die er sich im Walde auf-
hält. Seine Jagd^ist jedoch erfolglos; er streicht herum auf der
Suche nach Jemandem, der statt seiner dem Varuna zum Opfer
fallen könnte ; endlich findet er den Brähmanen A^garta, welcher
einwilligt, seinen zweiten Sohn ^unahgepa für hundert Kühe zu
geben. Der erste, der dem Vater, und der dritte, der der Mutter
besonders lieb ist, können nicht geopfert werden; so wird der
zweite Sohn dem Varuna, dem finstem Gott der Nacht, überlassen,
der, wie Yama, alle Wesen mit seinen Fesseln bindet Wir haben
' Varuna, der Gott der Nacht, hat wie diese eine Doppelgestalt: bald
ist er das düstere Meer, bald das leuchtende Milchmeer ohne Mond. Er
wird als das letztere im 7. Buche des Ramayana (canto 27) dargestellt,
in welchem der Sonnenheld, nachdem er die himmlische Stadt Varunas be-
treten, die immer milchende Kuh findet (payah ksharantäm satatam tatra
gam da dadar^ sah), von wo der weissstrahlendc Mond aufsteigt, von wo
auch Ambrosia und Nectar kommen (yata^dandrah prabbavati Qitara^mih ~~
jasmädamritamutpannam sudhä däpi).
54
schon beobachtet, wie der mittlere Sohn der Sohn der bimmlischeD
Kuh Aditi ist, die versteckte Sonne, die Sonne während der Dnn*
keiheit der Nacht oder mit andern Worten, die von Varu^as
Fesseln gebundene — und es ist sein eigener Vater, der ihn mit
diesen Fesseln bindet. Seine Opfemng beginnt am Abend. Wäh-
rend der Nacht ruft er alle Götter an. Endlich gewährt ihm
Indra, von deinem Preise geschmeichelt, einen goldenen Wagen^
anf welchem Qunah^epa unter Preisgesängen an die A^vins und
mit Hilfe der Dämmerung, von Varunas Fesseln eriöst, befreit
wird. Diese Fesseln Varunas, die das Opfer halten, welches vom
eigenen Vater hingegeben wird, helfen uns zum Verständniss des
zweiten Theils der europäischen Volkssage von dem Sohne, der
gegen seinen Willen vom Vater dem Dämon geopfert wird; denn
Qnnah^epa nimmt gegen Ende der europäischen Erzählnng die
Gestalt eined Pferdes, Varuna die eines Dämons an, und die Fee*
sein Varunas sind der Zaum des Pferdes, den der thörichte Vater
zugleich mit dem als Pferd gestalteten Sohne dem Dämon ver-
kauft ; ^ die schöne Tochter des Dämons (die Weisse, welche, wie
gewöhnlich, aus dem schwarzen Ungeheuer hervorkommt), befreit
den in ein Pferd verwandelten Jüngling; wie in der vedischen
Erzählung von Qunah^pa, ist augenscheinlich die Dämmerung das
junge Mädchen, welches betreit.* Varuna heisst im Rämäjana
der Gott, welcher einen Strick in Händen hat (pa^ahasta);
seine Wohnung befindet sich anf dem Berge Asta, wo die Sonne
untergeht und der unantastbar ist, weil er brennt, in einem unge*
heuren Palast, dem Werke Vigvakarmans , mit hundert Zimmern,
von Nymphen bevölkerten Seen und goldenen Bäumen.* Offen-
bar ist Varuna hier nicht eine verschiedene Erscheinungsform,
sondern nur ein anderer Name des Gottes Yama, des pa^in oder
mit einem Stricke versehenen, des Fesselers -mx £^0x17»'; denn
wir halten die zauberische Entfaltung goldenen Glamses am
Abendhimmel nicht sowohl ftir das Werk der Senne selbst, als
far hervorgebracht von dem finstem Gott, der au< dem Berge
thront, den Sonnenhelden ein8chlies:^t und überrumpelt, und ihn in
* Vgl. das Kap. über das Pferd.
* Im Räm&yana (I, 68) ist der B(;frei(^ Indra, der auch «m Atta»
reya viel für Qunah^epa thiit.
* Te^as4 gharmadah sadä — Prisäda^atasambddham nirmitam vi^Fa-
karmani ^obfaitam padmtiiibhi9<^ kändanai9<$a mah&dmm&ib nilayall^ P^^^-
basUsya varunasya mah4tmana^; Rämay. IV, 43.
55
sein Reieb schleppt. HariQcandra nad Agigarta, Rohita und Qu-
nah^epa sind meines Erachtens verscbiedene Namen für nicht
blos dieselbe Himmelserscheinong, sondern sogar dieselbe my-
thische Persönlichkeit. Harigdandra wird in den Erzählungen als
Sonnenkönig gefeiert; sein Sohn Robita^ der Rothe, ist sein alter
egO; wie sein Nachfolger Qunahfepa. Harigcandra femer; welcher
dem VaroQa seinen Sohn zu opfern verspricht; scheint sich, wenn
ttberbaapt; nur wenig von Agigarta zu unterscheiden; der den sei-
nigen zum Opfer verkauft. * Das Ramäya^a * giebt uns für den-
selben unnatürlichen Vater ^ einen dritten Namen in ViQvämitra;
der von seinen eigenen Söhnen verlangt, sich statt Qunah^paS;
der unter seinem Schutz steht, zu opfern; und sie bei ihrer Wei-
gerung verflucht.
Die Variation derselben Erzählung; welche wir im Harivanga^
finden; beweist diese Uebereinstimmungen und fügt eine neue und
höchst beachteiiswertbe hinzu. Vifvämitras Weib beschliesst wegen
ihrer Armuth ihren mittleren Sohn für hundert Kühe zu verkaufen
und hält ihn daraufhin mit einem Strick gefesselt; wie einen
Sklaven. Der Orossvater Rohitas, Harigöandras Vater, TrigafLkU;
streift durch die Wälder und befreit diesen Sohn ViQvämitraS;
dessen Familie er fortan beschützt und erhält Die Thaten
Tri^fkkus, welcher Vasishta um die Erlaubniss bittet; bei leben-
digem Leibe in den Himmel zu steigen; und der durch Vi^vAnritras
Gnade statt dessen die Gunst erlangt; einem Sternbild gleich in
^ Der Verf. hat versucht, diesen Mythus in einem italienischen Drama
(enthalten in seinen: ,,Drami Indiani", Florenz 1872) darzustellen, welches
den Titel fuhrt: M&yä oder die Täuschung. Der Verf. hat den Mythus
zu dem M'ahrchen von dem reichen Bruder (Hari^dandra) und dem armen
Dmdor (A^i^rta, der Ausgehungerte) in Beziehung gesetzt; in A^garta
bat er ferner die älteste Form des Typus gefunden, auf welchem Shakespeare
seinen grossartigen Kaufmtmn von Venedig aufgebaut hat. Die Grausam«
keit Shylocks erklärt sich theilweise aus der Knche gegen die Käubor der
Tochter; so macht auch Agigarta in meinem Drama den reichen HariQ-
dao<}ra zum armen Manne, um seinen Sohn zu rächen, der geopfert wer*
den sollte.
*I,64.
' Die puranische Erzählung liefert ein Beispiel von einem andern Vater
solcher Art in Hiranyaka^ipu , der seinen Sohn PrahlUda verfolgt, ihn auf
verschiedene Arten zu tödten versucht und endlich in das Meer schleudert ;
Prmhläda preist Visb^u und wird befreit— Vgl Vishnu Puraua, übstzt
▼. Wilson I, 17—20. London 1864.
« Kap. XII, Id.
56
der Luft schwebend zu bleiben, werden auch seinem Sohne Ha-
ri^öandra zugeschrieben; so können wir, ohne Widerspruch ftirch-
ten zu müssen, behaupten, dass wie Tri^aflku nur ein andrer
Name für seinen Sohn Harigcandra, so Harigcandra nur ein solcher
für seinen Sohn Rohita ist, und dass also der Trigafiku des Hari-
vanga mit dem Rohita des Aitareya identisch ist, jedoch mit dem
Unterschiede, dass Trigaöku den zum Opfer bestimmten Sohn
kauft, um ihn zu befreien, während ihn Rohita kauft, um sich
selbst zu befreien. Aber die ersten hundert Kühe, die er von
Tri^a&ku erhalten, sind für Vigvämitra nicht genug, und die Beute
bei seinen Jagden im Walde reicht nicht aus, die Familie zu er-
halten, ein Umstand, der ganz eben so schwer auf ihm lastet, als
wenn es seigene Familie wäre ; er beschliesst nun, um Vi^vamitra,
dessen Sohn, und wir können wohl noch hinzufftgen, sich selbst
zu retten, das schöne und sehr hoch geschätzte Weib Vasishtas
(die sehr Glänzende) zu opfern. Ich habe gesagt : das Weib Va-
sishtas, aber der Harivan^a sagt ganz genau: es war die Kuh
Vasishtas, welche getödtet wurde; wir wissen jedoch aus dem
Rämäyana, ^ dass diese Kuh Vasishtas, diese kämadhuk oder ka-
madhenu, welche nach Belieben alles Gewünschte giebt, diese Kuh
der Fülle, von Vasishta, unter dem Namen Qabalä als sein
eigen Weib gehalten wird. Vi^vämitra ist lüstern nach ihr; er
verlangt sie von Vasishta und bietet hundert Kühe fttr sie, genau
der Preis, den er im Harivan^a von Trigafiku für seinen eigenen
Sohn erhält. Vasishta antwortet, dass er sie nicht für hundert,
noch für tausend, ja sogar nicht für hunderttausend Kühe geben
werde; denn ^abalä ist sein Edelstein, sein Schatz, sein Alles,
sein Leben. * Vi^vamitra entführt sie ; sie kehrt zu den Ftlssen
Vasishtas zurück und brüllt; ihr Brüllen ruft Armeen hervor, die
ihrem eigenen Körper entspringen ; die hundert Söhne Vigvämitras
werden von ihnen zu Asche verbrannt. . Diese Armeen, die aus
Visishtas Kuh herauskommen, erinnern uns wieder an die vedische
Kuh, aus der beschwingte Pfeile oder Vögel hervorkommen, vor
denen die Feinde mit Entsetzen erfüllt werden. Vasishta ist eine
Erscheinungsform indras; seine Kuh ist hier die Regenwolke.
Vicvämitra, welcher dem Vasishta die Kuh zu entreissen strebt,
nimmt in den indischen Sagen oft ungeheuerliche Gestalten an und
1 1, 54—56.
* Etadeva bi me ratnametadeva hi me dhanam etadya hi sarvasvam
etadeva hi ^ivitam; Rämäy. 1. c.
57
ist fast immer bösartig, tückisch 'und rachsüchtig. Seine von Va-
sisbta zn Asche verbrannten hundert Söhne mahnen uns, von
einem Gesicitspunkte aus, an die hundert Städte Qambaras, die
von Indra zerstört werden, und die hundert bösen Dhritaräshtris
des Mahabh&rata ; daher auch sein Name Vicjvämitra, der auch
„der Feind Aller*' (vigva-amitra) bedeuten kann und so mit
seinem fast dämonischen Charakter gut stimmen würde.
Diese Erzählung von Vasishtas Kuh, deren Verwandtschaft
mit der Sage von Qunahgepa nicht zu bezweifeln ist, führt uns
auf die Thiergestalten von Helden und Heldinnen zurück, von
denen wir ausgingen. In der Erzählung von Vasishta spielt die
Kubwolke, die Kuh ^abalft oder die Gefleckte, im Epos die Rolle
der Kuh Aditi, der pri^ni (Schecke), mit der wir schon in den
vedischen Hymnen vertraut wurden. Diese Kuh ist gegen den
Gott oder den Helden oder den weisen Vasishta gütig, wie es die
pri^ni gegen den Gott Indra ist Wir haben aber im Rigveda
selbst die Wolke als die Feindin des Gottes gefunden und als
eine weibliche Erscheinungsform des Ungeheuers, als seine
Schwester dargestellt gesehen. Diese Schwester versucht gewöhn-
lich den Gott zu verführen mit dem Versprechen, das Ungeheuer
ihren Bruder ihm in die Hände zu liefern und sie hat zuweilen
Erfolg, wie die Hexe Hidimbä im Mahäbhärata, welche ihren
Bruder, das Ungeheuer Hidimba, dem Helden Bhima überliefert,
der sie dafür heirathet. Andrerseits haben die Versuche Qürpa-
nakhäs, der Schwester des Ungeheuers Rävana, keinen Erfolg;
sich selbst verschönernd, sucht sie die Zuneigung des Helden
Räma zu gewinnen; als sie aber von ihm und Lakshmana ver-
lacht wird, entstellt sTe sich, stösst Wehrufe aus gleich einer
Wolke in der Regenzeit ^ und wiegelt ihren Bruder auf, Räma zu
vernichten.
Dasselbe Wolkenungeheuer findet sich auch im Rämäyana
unter dem Namen Dundubhi in der Gestalt eines furchtbaren Büf-
fels mit spitzen Hörnern. * Der Büflfel wird, als wildes Thier, oft
zur Darstellung des bösen Princips gewählt, ebenso wie der Stier,
der Mehrer der Rinderherden, zum Bilde des guten benutzt wird.
* Nao&da vividhdn nädän yathä prävrishi toyadah; Rämäy. III, 24.
* Dhärayan inahishsm rüpam tiksLna^ringo bhayavahah: Rllm4y. IV, 9.
— Weiter unten (IV, 46) heisst der Büffel der Bruder Dundubhi8 und soll
die Stärke von tausend Schlangen (balam nägasahasrasya dharayau) oder
Eiephanten (das Wort naga bedeutet beides) besitzen.
58
Dieser lM*(ilieiide Büffel, daher aaeh sein Name Dandubhi (Pauke),
klopft mit seinen beiden Hörnern an das Tbor der Höhle ^ des
Sohnes Indras (Bälins); des Affenkönigs. Bälin fasst jedoch
Dundnbhi bei den Hörnern, wirft ihn zn Boden und tödtet ihn.
Dundu ist auch ein Name, der dem Vater Erishnas, dem
Schwarzen, beigelegt wird, welcher im Bigveda noch ein Dämon
ist und erst später der Gott der Kühe und Kuhhirten, ein go-
vinda oder Hirt xor' i^oxqv wird.^ Indra, sein Feind in den
Veden, wurde, als er aus dem Himmel gefallen war, einer der
volksthümlichsten Götter ; ja zuweilen die volksthümlichste Form
der Gottheit Im Mahäbhärata zum Beispiel ist er fast der de us
ex machina in den Kämpfen zwischen den Pändavas und den
Dhärtarashtras und bietet viele Analogien mit dem Zeus der
Iliade, sofern Indra nur in den Episod^a eine Bolle spielt, wobei
der Begenspender und Donnerer oft über dem Schwarzen, welcher
das Licht vorbereitet und schlendert, vergessen wird. Doch Indras F^ül
beginnt schon in den Veden selbst. Im Ya^nrveda erscheint
Vi^varüpa, der Sohn Tvashtars, welched Indra tödtet, als nicht»
Geringeres denn als der purohit^ oder Hohepriester der Götter
und Sohn einer Tochter der Asuras ; er hat drei Köpfe, von denen
einer Ambrosia, der zweite den geistigen Trank, der dritte Spdse
einnimmt. Indra haut dem Vigvarfipa die drei Köpfe ab aus
Bache an dem einen, welcher seine Ambrosia trinkt ; er wird des*
halb angeklagt, einen Brähmanen getödtet zu haben und als ein
brahmanicide verschrien. ^ Im Aitareya-brähmaiyLa^ wird die
Schuld Indras in dieser Beziehung bestätigt; auch die K aus hi-
taki-Upanishad spielt darauf an. Im siebenten Buch des
Bamayana wird sogar das vielgestaltige* Ungeheuer Eäva^a als
ein grosser Büsser dargestellt, den Brähman mit höchster Gnade
' ^rlngabhyamalikbaD darpat taddväram; Rämay. IV, 9. — Vgl die
beiden Kapp, über das Pferd und den Aficn.
• Ich halte mich bei dicBcni brftbnianischen Gott nicht länger auf, da
die Erzählung von ihm jetzt verbreitet ist. Vgl. übrigens für die Ver-
wandtsohaft KrishnM mit den Ktlhen, den Kuhhirten und der Kuhmagd
das ganze 5. Buch des Vishnu Pur&na, übers, von H. WilsoA, und
Gayadevas Gitagovinda ed. Lassen, Bonn 1836.
' Vi^varüpo väi tväshtrah purohito devänäm dsit svasriyo 'sur^am
tasya trini ^irsbäny «sant — Indras tosya vagram ädEya ^irsh^y aödhinad
yat somapänam — Brahma-hatyam upä 'grihnat — Tam bhüt^ny abhy
akro^n brahmahann iti; Täittiriya Samhitl, ed. Weber 11, 5, 1 — 6.
♦ VII, 5, 28.
60
«rfbllt; im secbsten Bache schlägt Hanamant, der Sohn des Win-
de8> dem Rävanidischen Ungeheuer Trigiras (dem Dreik(Vpfigen)
die drei Köpfe ab, wie einst Indra dem Ungeheuer Vritra, dem
Sohne Tvashtars; ^ und er schlägt alle drei Köpfe zugleich ab
(samas); wie der Held der europäischen Volksmährchen mit
einem Schlage die drei Köpfe der Schlange des Zauberers ab-
hauen muss ; sonst ist er machtlos und zu Nichts iUhig. Das Un-
gdieuer, wie der Held , scheint eine besondere Beziehung zu der
Zahl drei zu haben : daher die drei Köpfe des Tri^iraS; wie auch
die drei Brttder von Laflkä — Räyana, der älteste Bruder^ welcher
regiert; Kumbhakarna, der zweite Bruder, welcher schläft ; Vibhis-
hmsL, der dritte^ um den sich die beiden Anderen nicht kümmern;
der aber allein gerecht und gut ist^ und der allein die Gabe der
Unsterblichkeit erhält. ^ Wir haben hier augenscheinlich die drei
vediscben Brttder wieder; die beiden ältesten in Dämonengestalt^
den jüngsten als Freund des göttlichen Helden, welcher durch den
Sieg B4mas über das Ungeheuer Havana das Reich Liafikä ge-
winnt. Was die Brüder R&ma und Lakshmana, wie die Brüder
B&Un und Sagriva betrifft , so gehören sie in die Geschichte von
d«n Zwillingen, auf welche im nächsten Kapitel näher eingegangen
werden wbrd, obwohl Hanumant, der Sohn des Windes, ihnen in
d^ RoUe des starken Bruders Beistand leistet
Die drei interessanten Heldenbrüder treten noch hervorragen-
der im Mahabhärata auf, wo von den Pändavas, den fünf Brü-
dern, drei auf einer Seite stehen, nämlich Yudhishthira, Sohn des
Gottes Yama, der weise Bruder; Bhtma (der Schreckliche) oder
Vrikodara (Wolfsbauch), Sohn des Väyu (des Windes), der starke
Bruder (eine andere Form Hanumants, mit welchem zusammen er
sich auch im Mahabhärata auf dem Berge Gandhamädana findet);
und Arguna (der Glänzende), der Sohn Indras, der geschickte,
glückliche, siegreiche Bruder, der die Braut heimführt. Der erste
Bruder giebt den besten Rath; der zweite beweist die grtisste
Stärke; der dritte erobert die Braut und führt sie heim. Es sind
genau die drei vedischen l^ibhu-Brüder , Ekata, Dvita und Trita,
in denselben Beziehungen zu einander und mit denselben Naturen ;
' Sa taeya khangena maha^ir^liisi kapih samas tarn sukundaläm
kruddhalji pracid<^hcda tadä hanumäms tvasbträtmagasyeva ^iränsi ^akrah;
Bam4y. VII, 50.
* R&mfty. YU^ 10.
60
nar ist die Erzählung erweitert.^ Was ihre andern Brüder ^ von
einer andern Matter geborene Zwillinge ^ Nakula and Sahadeva^
betrifft^ so sind sie Söhne der Agvins und wiederholen im Mahäb-
harata sehwach die l'haten der himmlischen Zwillinge. Bhima
oder Vrikodara, der zweite Brader, wird als der stärkste be-
trachtet (balavatam ^reshtha), weil er unmittelbar nach seiner
Geburt, d. h. als kaum die Mutter von ihm entbunden ist (wie
der Marut der Veden) den Felsen zerbricht, auf den er fällt, die
Fesseln, sobald er mit ihnen gebunden, zerreisst (wie Hanumant,
als er der Gefangene Ravanas wird), seine Brüder während der
Nacht trägt (wie Hanumant Räma trägt) , als er aus dem auf An-
stiften des gottlosen Duryodhana brennenden üause (d. h. von dem
glühenden Abendhimmel) flieht, und weil er im Schlangenreiche, in
welches Duryodhana ihn stürzt (d. h. der Nacht), das Wasser der
Stärke trinkt. Eine Schlange, die Bhfma zu nützen wünscht, sagt zu
Vasuki, dem Schlangenkönig: „Lass ihm so viel Stärke verliehen wer-
den, als er aus dem Brunnen, in dem die Kraft von tausend Schlangen
liegt, trinken kann.^'^ Bhima trinkt auf einen Zug den ganzen Brunnen
aus und mit ähnlicher Fertigkeit schlürft er der Reihe nach acht
Brunnen ein. ^ Der Erstgeborene der Pändavas ist seinem Vater
Yama, dem Gott der Gerechtigkeit, Dharmaräga, theuer und heisst
auch selbst Dharmaräga; als er sich anschickt, zum Himmel auf-
zusteigen, folgt ihm der Gott Yama in Gestalt eines Hundes:
durch seine Schlauheit im Räthsel rathen rettet er seinen Bruder
Bhima vor dem Schlangenkönige. Der dritte Bruder, Ar^una, der
Sohn Indras, ist der Benjamin des höchsten Gottes der Veden.
Indra empfängt ihn mit Festlichkeiten im Himmel, wohin Arguna
gekommen, um ihn zu treffen. Arguna ist ein untrüglicher Bogen-
schütz, wie Indra; wie dieser nimmt er mehre Mal den Räubern
oder Feinden die Kühe wieder ab ; und wie Indra erobert er seine
Braut; er ist unter dem Beistande aller Himmlischen geboren; er
ist unbesiegbar (agaya) ; er ist der beste Sohn (varah putra) ; * er
* Mbh. I, 4990. — Vgl. auch die drei phallischen und Sonnenbrüder
der Erzählung von ^^nah^epa.
« I, 4775.
' Balam nägasahasraeya yasmin kun4e pratishlhiUim yävatpivati b41o
*yam tävad asmäi pradiyatam — ekocdhvftsättatah kundam duna^; Mbh.
I, 5030. 50.'i2. — Eine ähnliche Erzählung findet sich wieder im dritten
Buch des Mahäbhärata, unter der Gestalt eines undurchdringlichen Wal-
des, in welchem der Schlangenkönig Bhima einschliesst«
« Mbh. J, 4777.
61
allein von den drei Brttdem hat Mitleid mit seinem Herren Drona
und befreit ihn von einem Seenngeheuer. *
Aber noch eine andere Einzelheit zeigt die Aehnlichkeit
zwischen den drei Pändava-Brtidern und den drei Brüdern des
Veda; nämlich ihre Wohnung, die im Palaste des Königs Virata
verborgen ist, im vierten Buche des Mahäbhärata. Sie sind, wie
Räma^ aus dem Reiche verwiesen und fliehen vor der Verfolgung
ihrer Feinde bald in die Wälder, bald, wie die Ribhus, als Arbei-
ter verkleidet in den Palast Virätas, dem ihre Gegenwart Segen
aller Art bringt.
Wir treffen diese drei Brüder in einer Episode des ersten
Buchs des Mahäbhärata wieder in den drei Schülern Dhäumyas. *
Der erste Schüler, Upamanyo, führt seines Lehrers Kühe auf die
Weide und weigert, sich aus peinlicher Rücksicht auf seines
Meisters Interesse, nicht allein ihre Milch, sondern sogar den
Schaum ihres Mundes zu trinken und fastet, bis er, dem Hunger-
tode nahe, ein Blatt der arkapaträ (eigentlich Sonnenblatt,
aristolochia indica) kaut, als er plötzlich blind wird. Er
irrt umher und fällt in einen Brunnen; er singt eine Hymne an
die AQvins und sie kommen sofort, ihn zu befreien. Der zweite
Bruder, üddälaka, legt sich wie ein Wehr, um den Lauf der
Wasser aufzuhalten. Der dritte Bruder ist Veda, er, der sieht
und weiss, dessen Schüler Utaüka selbst die Gestalt eines Helden
hat. Uta&ka wird, wie der vedische Trita und der Panda va
Arguna, von Indra beschützt. Er wird von dem Weibe seines
Lehrers gesandt, um König Päushyas Gemahlin die Ohrringe ab-
zunehmen. Er macht sich auf, trifft auf dem Wege einen riesigen
Stier und einen Reiter, der ihm befiehlt, die Excremente des Stie-
res zu essen, wenn er Erfolg haben will, und spült sich, nachdem
er es gethan, den Mund aus. Er stellt sich darauf König Päushya
vor und unterrichtet ihn von seiner Botschaft ; der König bezeich-
net ihm die Ohrringe, aber warnt ihn vor Takshaka, dem Schlangen-
könige. Utaüka sagt, dass er sich nicht vor ihm fürchtet und
bricht mit den Ohrringen auf; als er sie aber am Ufer niederlegt,
um zu baden, kommt Takshaka in der Gestalt eines nackten
Bettlers, reisst sie schnell an sich und läuft mit ihnen davon.
UtafLka verfolgt ihn; Takshaka nimmt aber seine Schlangenge-
stalt an, bohrt sich in die Erde, und verschwindet darunter;
• Mbh. I, 5300-5304.
> I, 6H0-828. ..^^^«A
OF THl \
UNIVERSITY ^
Pa
62
Utaftka versucht der Schlange zu folgen, kann aber in das Loch
nicht eindringen, welches dem vedischen Felsen entspricht, unter
dem das Ungeheuer seine Beute hält. Indra sieht, wie er sieb
vergeblich abmüht und sendet seine Waflfe, damit sie dem Utafika
helfe ; diese Waffe oder Keule dringt ein und öflfnet die Höhle. ^
Diese Keule, diese Waflfe Indras ist augenscheinlich der Donner-
keil. > Uta&ka steigt in das an unendlichen Wundern reiche
Schlangenreich hinab. Indra erscheint an seiner Seite wieder in
der Gestalt eines Pferdes * und nöthigt den König Takshaka, die
Ohrringe zurückzugeben; dann besteigt Utaüka das Koss, um
schneller zu seines Meisters Gemahlin zurückzukommen; er er-
fahrt, dass der auf dem Wege von ihm gesehene Reiter kein An-
derer als Indra selbst, sein Ross der Gott des Feuers, Agni, der
Stier Indras Ross oder der Elephant Airavata, die Excremente
des Stieres die Ambrosia waren, welche ihn im Schlangenreiche
unsterblich machte. In einer andern Episode desselben ersten
Buches des Mahäbhärata* finden wir Indra wiederum mit der
Suche nach den Ohrringen beschäftigt, d. h. nach dem ausseror-
dentlich fleischigen Theil, der vom Ohr Karnas, des Kindes der
Sonne, herabhängt, das gleich nach seiner Geburt auf den Wassern
verlassen worden war. Wir sahen oben, wie die beiden AQvins
im liamäyana auch als die beiden Ohren Vishnu Rämas darge-
stellt werden (wie Sonne und Mond seine Augen sein sollen);
daher scheinen mir diese mythischen Ohrringe, begehrt und be-
schützt von Indra, nichts anderes als die beiden A(vins zu sein,
die beiden glänzenden Dämmerungen (in Verbindung mit der
' Tarn kli^yamäuamindro 'paQyatsa.vagram preshaj^mäsa — gad<5häsya
brähmanasya sähayyaih kurusliveti — atha va^ram dandakäshthamanupra-
vi^ya tadvilamadärayat; Mbh. I, 704—795.
* Id einer Erzählung der tibetischen Baddhisten, mitgetheilt von Prof.
Schiefner in seiner interessanten Abhandlung, lieber Indras Donner-
keil (Petersb. 1848), finden wir zwei tapfere Helden, die auf dem Berge
Gridhraküta (Geierspitze) in Gegenwart ihres Meisters sich mühen, den
vagra (d. h. die Wafie in Form eines Keils, den Hebel , den Donnerkeil
Indras) zu heben, aber vergebens. Va^rapäni bringt allein es fertig, den
va^ra mit der rechten Hand zu heben. Räma erprobt in ähnlieher Weise
seine Stärke im Rämäynna, indem er einen Bogen, den vor ihm Niemand
hat bewegen können, aufhebt und in Stücke bricht.
" Vgl. das folg. Kap. •
« I, 2772—2783.
63
Sonne und dem Monde); an denen Indra und noch mehr als er
die Aurora, sein Weib, so viel Gefallen findet ^
Im Gommentar Buddhagoshas zu dem buddhistischen Dhamma-
pada finden wir wieder die drei Brüder; die beiden ältesten wer-
den dargestellt als fliehend vor der Verfolgung ihrer grausamen
Stiefmutter ; der dritte Bruder, Süriya (Sürya, die Sonne) geht sie
einzuholen. Der älteste räth oder befiehlt, der zweite leiht seine
Hilfe, der jüngste ficht. Der zweite und dritte Bruder fallen in
einen Brunnen, in die Gewalt eines Ungeheuers; der erstgebome
rettet sie durch seine Erfahrung, wie im Mahäbhärata Yudhish-
thira durch seine Schlauheit im Räthselrathen den zweiten Bruder
von den Fesseln des Schlangenungeheuers befreit
Diese Art, den Helden durch Vorlegung einer Frage oder
eines Häthsels zu befreien, ist in den indischen Erzählungen sehr ge-
wöhnlich. Sogar im Panöatantra^ befreit sich ein Brahmane,
der in die Gewalt eines ihm auf die Schultern springenden Wald-
ungeheuers geräth, durch die Frage, warum seine FUsse so weich
sind. Das Ungeheuer bekennt, dass es wegen eines Gelübdes
nicht die Erde mit seinen Füssen berühren darf. Der Brahmane
wendet sich dann zu einem heiligen Teiche; das Ungeheuer
wünscht, ein Bad zu nehmen und der Brahmane wirft es hinein;
das Ungeheuer befiehlt ihm, dazubleiben, bis es gebadet und
seine Gebete gesagt hat Der Brahmane benutzt diese Gelegen-
heit, um zu entwischen, wohl wissend, dass das Ungeheuer ihn
nicht einholen kann, weil es seine Füsse nicht auf die Erde setzen
darf. Es ist die gewöhnliche Verwundbarkeit, Schwachheit oder
Unvollkommenheit des Helden resp. des Ungeheuers an den Füssen,
und wenn von einem Thiere die Rede ist, am Schwänze.^
Das Mahäbhärata hat uns die drei vedischen Brüder gezeigt,
von denen der jüngste in den Brunnen gefallen ist; es bietet
uns auch in der Hexe (asuri) Qarmishthä, Vpshaparvans des Dä-
■ An den Mythus von den geraubten Ohrringen schliesst sich fast
immer, sogar in den Volksmährchen, die Gaschichte von dem Pferde an,
welche sich immer speciell auf die A^vins bezieht, wie die vom Stier auf
ludra. In den puraniscbcn Erzählungen erhält Krishna von der Erde die
Ohrringe Aditis (die wir schon als Kuh kennen), während er die Prinzessin
aus dem Naraka befreit. — Vgl. Vishnu PurÄna V, 29.
* V, 17.
* Vgl. die Kapp, über den Wolf, den Fuchs und die Schlange, wie
auch die friihere Erörterung über die vedischen Bfithsel, wo die Sonne
anipadyamftna genannt wird.
64
moiienkönigs Tocbter und der Nymphe Devayäni, Qukras Toch-
ter, die sich die Eigenschaft Indras als des Kegenspenders an-
masst, * die beiden streitenden Schwestern des Veda, die gute und
die böse. Im Rämäyana^ wird die Hexe Qärpanakhä, welche
Räma verführt; um Sitäs Stelle an seiner Seite einzunehmen; mit
Qarmishthä; welche Nähusha verführte; verglichen. Im Mahäbhä-
rata verkleidet sich Qarmishthä als Devayäni; welche sie in einen
Brunnen wirft. Yayäti, Sohn König Nahushas, geht auf die Jagd ;
da er dürstet; macht er bei dem Brunnen Halt; aus dessen Grunde
glänzt ein junges Mädchen herauf; gleich einer Feuerflamme. ^
Der Prinz nimmt sie an der rechten Hand und zieht sie herauf;
weil nun bei der Heirath die Braut an der rechten Hand genom-
men wird; ^ soll der Prinz Yayäti die Devayäni heirathen. Sobald
sie jedoch sein Weib ist; sucht Qarmishthä ihren Gatten zu ver-
führen, mit dem sie sich verbindet. Zwei Söhne werden von
Devayäni geboren; Yadu und Turva^a, Indra und Vishnu ähnlich
(eine neue Erscheinungsform der Zwillinge, der beiden Agvins);
drei werden von Qarmishthä geboren; DuhyU; Anu und Puru; und
auch hier ist der dritte Bruder der berühmteste und tapferste.
Auf diese Weise hängt die Episode mit der eigentlichen Erzäh-
lung des iMahäbhärata zusammen; ein und derselbe allgemeine
Mythus zerfällt in unendlich viele Sondererzählungen. Wie die
Genealogie der Götter und Helden unbegrenzt ist, finden wir hier
eine unbegrenzte Zahl von Gestalten, die derselbe Mythus an-
nimmt, und von Namen desselben Helden. Jeder Tag gab im
Himmel einem neuen Helden und einem neuen Ungeheuer das
Leben, die einander vernichten, um später wieder in mehr oder
weniger herrlicher Gestalt wiederaufzuleben; je nach ihren mehr
oder weniger glücklichen Namen.
Aus demselben Grunde erkennen die Söhne immer ihre Väter
wieder; ohne sie auch nur einmal gesehen oder von ihnen gehört
zu haben: sie erkennen sich selbst in ihren Vätern wieder. So
setzen die Söhne Qakuntaläs und Urvagts ihre Mutter in Stand,
den verlornen Gatten, und ihren Vater, sein Weib wiederzufinden.
So wendet sich in der Episode von Devayäni und Qanmshthä die
erstere, als sie zu erfahren wünscht, wer der Vater der drei Göt-
' Ah«m galam yimundämi pragänäm hitakämyajä; Mbh. I, 3317.
* III, 23. 24.
* Dadar^a rä^ tftm tatra kanyamagni9ikhämiva; Mbh. I, 3294.
* Mbh. I, 3379-3394.
65
tersöhnen so ähnlichen Söhne Qarmishthäs sei; an diese und sie
nagen es ihr sogleich.
Dieses Fehltritts halber ist Tayäti verdammt; noch jung; alt
asu werden. Er ersucht nun die beiden ältesten der drei SöhnC;
die ihm Qarmishthä geschenkt; das Alter ihres Vaters auf sich zu
nehmen ; sie weigern sich ; jedoch der dritte Sohn Furu willigt aus
Ehrfurcht vor seinem Vater ein ; an seiner Statt alt zu werden
und ihm seine Jugend zu überlassen. Nach tausend Jahren giebt
König Yayäti; des Lebens müde, seinem Sohne Puru die Jugend
Eurück; übergiebt ihm, obgleich er der jüngste ist; das
Reich; weil er der einzige von den Dreien war; der den väter-
lichen Willen ehrte; und verstösst die beiden ältesten Brüder. ^
Zuweilen wird jedoch der b|inde alte Vater von seinen Söhnen
ganz verlassen. So wird der alte Dirghatama (von der weiten
Finstemiss); von Geburt an blind, von seinem Weibe und seinen
Söhnen der Nahrung beraubt und in's Wasser geworfen,^ aber
ein heroischer König rettet ihU; damit er für ihn seinem Weibe
Söhne zeuge. Wir haben in Dirghatama und Yayäti König Lear
im Embryo.
In derselben Erzählung von Dirghatama finden wir eine Ver-
wechslung von Weibern. Königin Sudeshnä schickt; statt selbst
zu geheu; ihre Dienerin, ihre Milchschwester; Dirghatama zur Um-
armung. ' In der schlauen Sudeshnä haben wir eine alte Varia-
tion von Königin Berta.
Auch sonst kommen häufig Blinde in den indischen Erzählungen
vor. Ich führe hier nur Andhaka (den Blinden) und Vrishni
(das Schaf; den Lahmen)* an, die im HarivanQa* als die bei-
den Söhne Mädris erscheinen. Wir wissen jedoch aus dem Ma-
häbhärata, dass die beiden Söhne Mädris eine menschliche Incar-
nation der himmlischen Zwillinge, der AQvins sind; und hier
kommen wir wieder auf den blinden Lahmen des Veda zurück;
den Sonnenhelden in seiner Zwillingsgestalt, die beiden von Indra
beschützten und die Dämmerung begleitenden Agvins.
> Mbh. I, 3435-3545.
* Mbh. I, 4193-4211.
» Mbh. I, 4211—4216.
* Wir werden in dem Kap. über das Lamm und die Ziege die lahme
Ziege finden.
* 190a
Gmbenatif , die Thiere. 5
66
Das Panöatantra^ stellt den Blinden and den Buckligen ^
in Vereinigung mit der dreibrüstigen Prinzessin dar (d. h. der
dreifachen Schwester, der Aurora am Abend^ in der Nacht und am
Morgen, indem die Brust der Nacht die mangelhafte, ungestalte
ernährt, welche der Morgen wegfegt). Der Bucklige leitet den
Blinden mit einem Stabe; sie beide heirathen die dreibrttstige
Prinzessin. Der Blinde erhält durch den Dunst des Giftes einer
schwarzen Schlange^ das in Milch gekocht ist (das Dunkel der
Nacht resp. des Winters yermischt mit der Helligkeit des Mond-
lichtes und Tagesanbruchs resp. des Schnees) die Sehkraft wie-
der; dann nimmt er, ein kräftig gebauter Mann, den Buckligen
bei den Beinen und schlägt seinen Buckel gegen die dritte, ttber-
flüssige &:ust der Prinzessin. Beide treten in die respectiven
Körper zurück ; ^ so helfen und heilen einander der Blinde , der
Krüppel und die dreibrüstige Prinzessin; die beiden A^vins und
die Aurora (oder der Frühling) erscheinen wieder zusammen in
Schönheit Die Aerius und die Aurora treten auch zusammen
aus den ungeheuecgestalten Schatten der Nacht heraus; die A$-
vins streiten um die Aurora, die erlöste Braut, um wdebe auch
die Brüder streiten^ wie wir bald und im nächsten Ki^itel sehen
werden.
Die Sonne und die Aurora fliehen vor einander; dieses Schau-
spiel ist von der Phantasie des Volkes verschiedenartig dargestellt
worden; mit am gewöhnlichsten ist das Bild eines schönen Mäd-
chens^ das durch rascheren Lauf dem Prinzen entwischt. Dies
Begebniss, das schon im Bigveda beschrieben wird, kommt wieder
im Mahäbhärata vor^ in der Erzählung von dem Liebesverhält-
niss der jungfräulichen Tapatl, der Tochter der Sonne (der glän-
zenden und brennenden Aurora, und auch des Sommers, glühend
wie Dahanä), mit dem König Samvara^a, dem Bärensohne
' V, 12.
■ Das Woit badhira bedeutet Wer den Btrckligen, Verkrüppelten,
nicht den Tanben (von der W. badh oder vadh, verwunden, schneiden);
sehr erklärlich, dass hier der Name von des blinden Mannes Gefährten
Mantharaka, eigentlich der Langsame, ist. Die krumme und dietaogsame
Linie entsprechen sich; und der Gekrümmte, der nicht aufrecht stehen
kann, kann eben so wohl der Bucklige sein als der Krüppel^ der Lahme.
— Vgl. das Kap. über die Schildkröte.
' Ueber die Geschichte von dem Buckligen, der den Blinden verräth,
in demselben Volksmährchen, vgl. das nächste Kap.
* I, 6527,
67
(rikshapotn^ et&e Art Indra). Der König Ssmvarana kommt mit
seinem Gefolge su Pferde bei dem Berge an, nm zu jagen; er
bindet sein Pferd an und beginnt die Jagd^ als er auf dem Berge
dm schöne Mädchen , die Tochter der Sonne erblickt, die, mit
Zierrathen bedeckt, sonnengleich glänzt; er erklärt ihr seine
Uebe und wflnsebt, sie sich za eigen zu machen; sie antwortet
keine Silbe, sondern flieht und verschwindet, wie der Blitz in den
Wolken;^ der König kann sie nicht einholen, weil sein Pferd
während der Jagd vor Hunger und Durst umgekommen , er sucht
vergeblieh d«m Wald durch; da er sie nicht sieht, wirft er sich
athemlos zu Boden. Wie er so liegt, erscheint das schöne Mäd-
chen wieder, naht ihm und weckt ihn ; er spricht ihr wieder von
Liebe nnd sie antwortet, er mttsse ihren Vater, die Sonne, fragen ;
dann verseh windet sie, immer noch ganz unschuldig, schnell nach
oben (drdhvam). Der König föUt in Ohnmacht; sein Minister
bespritzt ihn mit dem Wasser der Gesundheit und bringt ihn zum
Bewusstsein, er aber weigert sich, den Berg zu verlassen, ent-
Iftsst seine Jagdgenossen und erwartet die Ankunft des grossen
pnrobita Vasishtha, durch dessen Vermittlung er die Sonne um
ihre Tochter TapatI als Gemahlin bittet; die Sonne willigt ein
nnd Vasishtha fUhrt dem Samvarana, zum dritten Male, das schöne
Mädchen a|p rechtmässige Gattin zu. Die Beiden leben gltlcklich
zusammen auf dem Berge ihrer Liebe; so lange aber König
Samvarana mit Tapati auf diesem Berge weilt, fällt kein Regen
auf die Erde, weshalb der König, aus Liebe zu seinen Unter-
thaaeo, in seinen Palast zurückkehrt; Indra ergiesst nun den
R^^ und beginnt wieder die Erde zu befruchten. '
Wir sagten vorhin, dass Vasishtha selbst es regnen Hesse
(abhyavarshata). Die Erwähnung Vasishthas erinnert uns
an die besond^s Regen gebende, wolkige und lunare Function
seiner Kub Kädmadbeau, deren wunderbare Erzeugnisse wiederum
im Mahäbhärata geschildert werden.' Ausser Milch und Am-
brosia liefert sie Kräuter und Edelsteine, auf welche, als einan-
der analoge Erzeugnisse in der Mythologie, wir schon Bezug ge-
nommen haben.
Die Kuh Vasishthas wird, ausser ihrem Schwanz, wegen
■ Sändiminiva ^bhreshu tatrdevftntavadhiyata ; Mbh. 1,6567.
' Tasinianripati^ltrdüle pravishte nagaram puna^ pravavarsha sahas-
r^kffaa^ ^anyäni ^anayaiiprabfaoh ; Mbh. I, 6629. 6630.
» I, 6651-6772.
5*
X
68
ihrer Brttste, ihrer Homer und sogar ihrer in einer Spitze endi-
genden Ohren gepriesen, woher ihr Name ^afiknkarnä (dessen
Masculinform gewöhnlich auf den Esel angewandt wird). Und
im Mahäbharata ist auch der weise ViQvämitra nach dieser wun-
derbaren Kuh lüstern; die Kuh brüllt und tröpfelt Feuer aus
ihrem Schwänze; ihrem Leibe entsprossene Armeen zerstreuen die
des Sohnes Gadhis. Vi^vämitra rächt sich dann auf andere Art
an den Söhnen Vasishthas; so z. B. isst er sie kannibalischer
Weise. *
Vasishtha kann die ihm dadurch verursachte Pein nicht er-
tragen : er versucht sich von dem Gipfel des Berges Meru zu
stürzen, aber er fällt, ohne sich zu verletzen ; er stürzt sich in das
Feuer, aber ohne sich zu verbrennen; endlich springt er in das
Meer, ohne jedoch zu ertrinken. Diese drei Wunder werden jeden
Tag von dem Sonnenhelden verrichtet, der sich von dem Berge
in den finstern Ocean der Nacht stürzt, nachdem er durch den
brennenden Abendhimmel hindurch gegangen.
Vasishtha erlöst schliesslich mit Hilfe bezauberten Wassers
das Ungeheuer Vigvämitra von seinem Fluche; und der letztere
ist nicht so bald von dem Dämon, der ihn besass, befreit, als er
wiederum beginnt, den Wald mit seinem Glänze zu erhellen , wie
die Sonne eine Dämmerungswolke erhellt. Die Freundschaft, Feind-
schaft und Rivalität zwischen Vasishtha und Vigvämitra scheinen
nur eine Version derer zwischen den A^vins zu sein, die wir spe-
ciell im nächsten Kapitel schildern werden.
Indessen, wird der Leser denken, es ist hohe Zeit, diesen
Theil unsrer Arbeit über die mythische Kuh Indiens zu schliessen.
Wir hätten leicht noch viel weitläufiger sein können , hätte es in
unserer Absicht gelegen, alle Sagen und Erzählungen, in denen
die Kuh eine mehr oder minder bedeutende Rolle spielt, Glied
für Glied in eine Kette zusammenzuschliessen. Es ist jedoch
' Wir sahen in dem vorigen Paragraphen, wie der Gott Varuna das
Opfer der Sonne ^unah^epa verlangt; in Persien hat Mithra thoilweise
den Charakter des indischen Varuna angenommen, d. h. specieÜ der Sonne
in dem Augenblicke, wo sie sich in die Nacht stürzt und verbirgt. Der
indische Mitra ist die Sonne am Tage im Gegensatze zu Varuna, dem
Herren der Nacht; Varuna verschlingt alle Abend Mitra, Mitra ersetzt
und folgt alle Morgen dem Vai-una. In Persien sind die beiden Götter in
einen zusammengefallen, der sehr dem indischen Qiva ähnelt. Wie Va-
runa die Sterne als Spione hatte, so auch Mithra im Avesta. Wie Varuna
sich mit Yama deckt, so Mithra mit Yima.
69
besser, Halt zu machen, wenn wir nicht durch weitere Wande-
rungen das wesentliche Ziel unseres Werkes aus dem Auge ver-
lieren und uns nicht in die Gefahr begeben wollen, von den auf
Tbiere bezüglichen Erzählungen zu solchen, die sich auf Menschen
beziehen, abzuschweifen; ausserdem glauben wir den Hauptsatz
dieses Kapitels gendgend bewiesen und gezeigt zu haben, wie die
Uauptmytheu der Veden in den späteren indischen Sagen nicht nur
beibehalten, sondern sogar weiter entwickelt sind. Es ist ja nicht
unsere Schuld, wenn wir von Kühen so oft zu Prinzessinnen , von
Stieren zu Prinzen übergehen ; der Mythus selbst involvirt und in-
dicirt diese Umgestaltungen. Daher finden wir den Stier Indra,
der die Kühe erobert, in einen Eroberer und Verflihrer von Wei-
bern verwandelt; den Stier Wind, der Indra bei der Eroberung
der Kühe unterstützt, in den Schänder von hundert Jungfrauen ; *
wir lesen von dem Stier und Gott Rudra, als Gatten Umäs, der
hundert Jahre unaufhörlich Befriedigungen der Sinnlichkeit ergeben
ist; dass der Sohn des Stieres oder des Windes, Hanumant
Wunder von Kraft und Stärke verrichtet um eines schönen Weibes
willen, und als Belohnung seines Eifers von König Bharata hun
dert tausend Kühe, sechszehn Weiber und hundert Dienerinnen^
erhält Was hätte Hanumant mit so vielen Weibern und Mädchen
thun können, wenn er einfach ein Stier wäre? oder was hätte er
mit so vielen Kühen thun können, wenn er ein Aflfe gewesen
wäre? Diese Widersprüche sind es, welche die Mythologie von
der Schaar zahlreicher alter Pedanten als eine eitle Wissenschaft
haben verdammt werden lassen; während gerade sie im Gegen-
theil es sind, die sie in unsem Augen zu dem Range einer mäch-
tigen Wissenschaft erheben. Der, welcher uns die Züge Hanu-
mants überliefert hat, erzählt uns auch sorgfi^fig, wie er das Ver-
mögen hatte, seine Gestalt beliebig zu verändern; und diese
Fähigkeit, die dieser Persoüification einer Himmelserscheinung bei-
gelegt wird, ist die Frucht einer der naivsten aber richtigsten
Beobachtungen der jungfräulichen und grossartigen Natur.
' Der hundert Töchter König Ku^anabhaa und der Nymphe Ghritädi,
die in geronnener Milch geht, uns an die mythische Kuh erinnernd. —
Vgl. Kämfty. I, 85.
* Vgl. Virgil, Aeneis I, 65—75, wo Juno dem Aeolus die Nymphe
Deiopea giebt.
70
§ 8. Der Stier und die Kuh io der iranisciien und
turaniscben Sage.
Wenn wir uns von Indien westwärts wenden, finden wir auf
der einen Seite die iranischen, auf der andern die turanischeo
Sagen. Wir können uns nicht auf europäisches Gebiet begeben,
ohne wenigstens den allgemeinen Charakter einer jeden von Bei-
den anzugeben.
In der persischen Kosmogonie ist der Stier (gäus aevo
dato) eins der ersten unter den geschafienen Wesen; er ist so
alt wie die Elemente. Es ist überdies wohlbekannt, welch bok^
Bedeutung unter den Persem dem Stier bei den Mysterien des
Sonnengottes Mithra beigelegt wurde, der als ein schöner Jüng-
ling, in der Linken die Homer eines Stiers, in der Rechten das
Opfermesser, dargestellt wird. Mithra, der den Stier opfert, ist
genau der Sonnenheld, der sich selbst am Abend opfert Wirk-
lich versiebt in der persischen Tradition Mithra, wie der Yama
der Hindus, das Amt eines Gottes der Todten und hat als scrfcher,
wie Yama, eine Ungeheuergestalt, findet sich auch im Ya^na
mit tausend Ohren und zehntausend Augen dargestellt.
Wie in Indien, wird auch in Persien der (Jrin der Kuh bei
Reinigungsceremonieen angewandt, während deren er getrunken
wird. ' Wir haben schon in der Geschichte von Utaüka gesehen,
wie die Excremente des Stieres, von denen sich Utaflka nährte,
Ambrosia selbst waren; und es ist in der That Alles wohlthätig,
was von der Küh der Fülle (dem Monde, der Wolke und der
Aurora) und von dem göttlichen Stier (dem Monde und der Sonne)
gegeben wird. Der mythische Glaube war naturalistisch, wenn
auch nicht nach unseim Geschmack, sobald wir auf der Deutung
nach dem Buchstaben bestehen.
Und gerade in der persischen Tradition selbst besteht schon
eine Unterscheidung zwischen gewöhnlichen Stieren oder Ochsen
und geheiligten oder bevorrechteten. Diese, Unterscheidung zeigt
sich in der Erzählung von Gemshid, dessen Stiere alle von dem
Teufel verschlungen wurden, so lange sie durch keine Zauber-
bräuche beschützt waren; während dic^^er auf nimmer Wiedersehn
verschwand, als ihm ein rother Ochse in altem, d. h. starkem,
mit Knoblauch und Raute (wegen ihrer Kraft bei Beschwörungen
' Anquetil du Perron, Zendavesta, 11, p. 545.
n
berflbmO angemachtem Weinessig gekocht, gegeben wurde. ^ Die
Raute ist wahrscheinlich die fabelhafte Pflanze, die nach dem
Glauben der Zend-Tradition dem See Vöuru-Kasha entsprungen
ist, aus welchem Ahura Mazda die Wolken zieht, aus welchem
alles Gesundwasser sich ableitet und welcher dem Milchsee der indi-
schen Tradition entspricht, in welchem die Ambrosia geschüttelt wird.
So erinnert uns die Trauercypresse Kishmars (von {^ara-
tbustra mit einem Zweige von dem Baume des Paradieses ge-
pflanzt) , unter der mehr als zweitausend Ktthe und Schafe weiden
kennen, und deren unzählige Vögel die Luft verfinstern, das
Lieht der Sonne verdunkeln , an den himmlischen Wald der Ve-
den, in welchem der Hirten -Held und der Jäger -Held umher-
streifen und sich verirren.
Die Vorstellung des Trauerbaumes ruft in. uns die des persi-
schen Berges Arezfira oder Demävend wach^ wo die D&nonen
zusammenkamen, um Bös^ zu planen und wo das Thor der
Hölle war. «
Das Zendwort a^ma, welches Stein und Himmel bedeutet,
bietet uns in dieser doppelten Bedeutung den Schltissel zu der
Erklärung des Mythus. Sofern dieser Stein schwarz ist, ist er
von böser Vorbedeutung ; sofern er glänzt, ist er ein Edelstein oder
giebt den Edelstein (den Mond oder die Sonne); deshalb ist auch
nach dem Minokhired der Himmel aus Edelstein gemacht»'
So steht dem Berge der Dämonen (wo die Sonne untergeht)
in der persischen Tradition der glänzende Berg gegenüber, aus
welchem die Helden und Könige geboren werden (oder von wel-
chem Sonne und Mond aufgehen)^ weil Haoma (der Soma der
Hindus;, der ambrosische, goldene, Heil bringende Gott, der ihnen
die göttliche Nahrung bringt, dort geboren ist* und weil der hei-
' Misit itaqne Dens justissimos citissime Angelum Behman quasi esset
famos (jabendo):Ito et bovem rubrum accipieus mactato in nomine Dei
qui prudentiam dat; eumque coquito in aceto veteri, et cave accurate fa-
cias, allio ac rutä, superadditis; et in nomine Dei ex olla effuudito ; deinde
coram eo adpone ut comedat. Cumque portiunoulam panis in iliud friasset,
Diabolus iUe maledictns inde aufugit, abiit, evanuit et disparuit, nee deinde
illum aliquis postea yidit; Sadder p. 94. — Die russischen Bauern glau-
ben noch, dass ein Hausteufel, der damavoi, in den Stall dringt, der wäh-
rend der Nacht auf Pferde und Ochsen springt und sie schwitzen und
dürr werden lässt. — Vgl. über den Damavoi auch Ralston, songs of
the Russian people, London 1872 pp. 119—139.
* Vgl Spiegel, Aresta toI. II. Einl. XU sq.
* Vgl. Spiegel, Avesta vol. U, 21. Anm. 8.
72
lige Vögel, der anf diesem Berge wohnt, sie mit Ambrosia nährt,
weshalb der Ysl^usl^ Haoma auffordert, auf dem Wege der Vögel
zu wachsen.
In einer ziemlich dunklen Stelle der Gäthä Ahunaivati,
die durch das Bundehesh gesichert ist, beklagt sich die Seele
des Stiers (oder der Kuh, jenachdem), der durch den Bösen sei-
nes Körpers beraubt ist, gegen den höchsten Schöpfer, dass er
ohne Schutz gegen die Angriife seiner Feinde sei und dass er
keinen unbezwingbaren Beschirmer habe. Ahura Mazda scheint
ihm nur geistige Hilfe angedeihen lassen zu wollen; aber der
Stier erklärt sich fortwährend für unbefriedigt, bis Zarathustra,
der Vertheidiger, nachgiebt und er wirksame Gnadengaben, in
deren Besitz sich allein Ahura Mazda befindet, empfängt.^ Za-
rathustra selbst ist' auch auf einem Berge geboren ; ^ während sein
Sohn Qaoshyang, .der Befreier, aus dem Wasser herauskommt.
Eine heilige Kuh oder wenigstens eine Hündin, welche die
Kühe bewacht (paguvaiti) scheint neben einer guten Fee im
Vendidad selbst* die Ftihrerin der Seelen über die von Ahura
Mazda geschaffene Brücke Ginvat in das Reich der Seligen zu
sein. Die Kuh, als Führerin der im Reiche des Todes verirrten
und auf die Brücke gestellten Seelen^ ist wahrscheinlich der
Mond; die Hündin (auch der Mond) erinnert uns an die Saramä
der Hindns, die Hündin, welche den Helden beisteht, die sich im
nächtlichen Walde oder der finstern Höhle verirrt haben. ^ In
demselben Kapitel lesen wir nach Schilderungen der Brücke das
Lob der guten Qaoka, die viele Augen besitzt (gleich dem brah-
manischcn Indra, als Weib verkleidet, mit tausend Augen, und
nach dem Abenteuer von Ahalyä mit tausend Uterus' — der in
» X, 11.
« XXIX.
» Vgl. Spiegel, A vest a vol. II. p. VIII.
* XIX, 99—101. Spiegel übersetzt: „Mit dem Hunde, mit Entschei-
dung, mit Vieh, mit Stärke, mit Tugend, diese bringt die Seelen der Bei-
nen über den Haraberezaiti hinweg: über die Brücke Chinvat bringt sie
das Heer der himmlischen Yazatas.**
^ Von Kühen und Kälbern als Leichengabe wird in dem Khorda
A vest a (LI, 15, Spiegels Uebers.) gesprochen
* Ein Hund tröstet den Stier, welcher bei dem persischen Leichen-
Opfer geopfert wird, ein Hund leistet gewöhnlich den sterbenden Personen
Beistand, wie um sie zu versichern, dass der Hund Sirius am Himmel oder
der Mond sie in dio Wohnung der Seligen führen würde.
73
der Nacht Tcrstcckte Gott, der durch tausend Sterne auf die Welt
herabschaut, eine Erscheinungsform des allsehenden Varunai; nach
Qaoka lesen wir von dem glänzenden Veretragbna (der dem Vri-
trahan entspricht, eigentlich der Vernichter des Alles bedeckenden
Dunkels); und nach ihm von dem glänzenden Sterne Tistar^ der
als ein Stier mit goldenen Nägeln ' erscheint, was mederum sich
auf den Mond beziehen muss, da die Gähs, welche, nach Anque-
til, „Bont occupies a filer des robes pour les justes dans le ciel^,
gleich den KUhen und Madonnen in unsern Volksmährchen, von
der Fee oder wenigstens von den Sternen, die ihre Krone bilden,
nicht sehr verschieden sein können. Das Khorda Avesta
feiert in seinen Hymnen zum Preise Mithras die vollkommene
Freundschaft, welche zwischen der Sonne und dem Monde herrscht,
und besingt den Mond unmittelbar nach dem Sonnengotte Mithra
und den glänzenden Tistar unmittelbar nach dem Monde, dessen
Licht von dem Sternbild Tistrja ausgehen soll.
Wir können so die Bedeutung von Geusurva (Seele des Stie-
res oder der Kuh) errathen, dessen Seele nicht blos, sondern
auch Körper im Ya^na* angerufen wird. Die GeusuiTa er-
scheint im Yafna selbst^ als die Bosch titzerin des vierzehnten
Tages des Monats oder des Vollmondes, als eine volle Kuh be-
trachtet. Und wenn es im Khorda Avesta^ heisst, dass man
der Geusurva nicht opfern darf, wenn die Daevas oder Dämonen
ihre Uebelthaten ausüben, so scheint mir das deutlich genug dar-
auf hinzuweisen, dass das Opfer bei zunehmendem, nicht bei ab-
nehmendem Monde stattfinden sollte. So besitzt Asha Vahista,
' Vgl. auch den Tiatrya „mit gesuudeu Augen*' im Khorda Avesta
(Spiegel p. 9) und das ganze Tistar Yast im Khorda Avesta XXIV.
Wenn Tistar der Mond ist, so würde Tistrya scheinen, um dieselben Pflich-
ten wie die gute Fee zu erfüllen - d. h. den verirrten Helden vermittelst
ihrer guten Augen, ihrer trefflichen Sehkraft und ihres Glanzes den Weg
zu zeigen. Die Kuh Vasbhthas bei den Hindus, welche alles Gute giebt
und dann in den Wolken gegen Vi9v4mitra kämpft, würde bisweilen der
▼ou der Krgenwolke verhüllte Mond zu sein scheinen; so können wir den
Charakter des Sternes Tistrya als Regenspenders erklären ; derselbe reg-
nete nämlich, nach dem Bundehesh, zehn Tage und zehn Nächte, und
vernichtete so die Ungeheuer von Dürre, die der Dämon Agro-mainyu er-
schaffen hatte.
* XXXIX, 1.
» XVU, 25.
* Spiegeb Uebert. p. 149. — Vgl. die drei Litaneien fur Leib und
Seele der Kuh in den Fragmenten dess. Bandes p. 254
74
der uns an den Vasisbtha der Hindns nnd seine Wnnderknh erin-
nert; die Macht; Krankbek, Nordwinde, kuns; Uebel aller Art
wegznbesehwOren, ^ nur wenn Agro-mai^yus ohne Hilfe erscheint.
Wir haben in der Legende von UtajOLka gesehen, wie der
Jüngling, 2l\b er auf dem Wege ist, um die Ohrringe der Königin
KU nehmen, einen Stier triöt, von dessen Exerementen er als von
Ambrosia isst; dafis dieser Ambrosia-Stier neben Indra steht, wie
Indra and Soma susammen angerufen werden; und wir bemerk-
ten, dass ans diesem mythischen Glauben die abergläubische Sitte
der Hindus hervorging, sich durch die Excremente einer Kuh zu
reinigen. Diese Gewohnheit ging nach Persien über, und das
Khorda Ayesta^ hat die Formd, die von dem Gläubigen re-
citirt werden muss, während er in seinen Händen den Urin eines
Ochsen oder einer Kuh hält, um sein Gesicht damit zu waschen:
— „Gebrochen, gebrochen sei der Satan Ahriman, dessen Han-
deln und Thun verflucht ist. Sein Handebi und sein Thun möge
nicht (zu uns) gelangen. Die dreiunddreissig Amshaspands
(die unsterblichen Heiligen, welche den dreiunddreissig vedischen
Devas entsprechen) und Ormazd seien siegreich und rein/' Es
heisst, diese heilbringende Formel wurde zum ersten Male von
Yima angewendet, als er Ahriman bertthrt hatte, um durch List
den Takhmo Urupa, den der Dämon verschluckt, aus seinena
Körper zu befreien, und in Folge dessen einen Ausschlag auf der
Hand bekam. Schliesslich ist es interessant, dass der Mond im
Zend anter Anderm auch gaoöithra heisst, d. h. der, welcher
den Stiersamen besitzt, danach dem Bundehesh der Same de«
Urstiers in den Mond überging, welcher ihn reinigte und mit ihm
andere Thiere (pouru Qaredho) zeugte.
Was die Aurora betrifit, so scheint es unzweifelhaft, dass sie
im alten Persien durch die Ardvi Qfira Anähita, die erhabene, die
starke, die unschuldige oder reine (nach der Interpretation Spie-
gels) dargestellt wurde; sie fährt auch auf einem Wagen, der
von vier weissen, von ihr selbst gelenkten Rossen gezogen wird ;
sie bat einen Schleier, eine Krone und Armbänder von Gold,
schöne Ohrringe (die vedischen A9vins), ein Gewand von Biberfell
und vorstehende Brüste; sie ist schön und ein gutes junges Mäd-
ehen, das Männer und Weiber beschützt. Sie wird oft im Khorda
Avesta, gleich der vedischen Aurora, angerufen, die Dämonen
* Khorda Avesta, Spiegels Uebers. Eml. X.
* Spiegels Uebers. p. 4.
75
zq boBciiwörea und den Helden, welche mit ihnen kämpfen, bei-
auBtehen; sie selbst hat die Stärke von tausend Männern und ist
eine wunderbare Heldin , gldch der vedischen Amazone, mit der
ladra kämpfte; ihr Leib ist mit einem Gürtel amschlungen. Die
Wahrschetnlichkeit dieser Yergleiehang wird fast zur Gewissheit,
wenn man einen Hymnus des Khorda Avesta,^ auch nur in
der Uebersetzung Spiegels liest, der doch yielleicht eine kleine
Aenderang angebracht hätte , hätte er in der Ardvi Qftra Anähita
die Morgenröthe erkannt In diesem Hymnus fliegt der siegreiche
und mächtige Thraetaona in der Gestalt eines Vogels drei Tage
und drei Nächte lang, was uns an den flilehtigen Indra des Big-
T«da erinnert, der nach seinem Siege durch die Ströme watet;
mn Ende der dritten Nacht kommt er bei der Aurora an und er-
sucht die Ardvi Qüra Anähita (d. i., wie es uns scheint, die Mor-
giMiröthe selbst, erhaben, mächtig und unschuldig), ihm zu Hilfe
zu keiamen, damit er die Wasser durchschreiten und in seiner
Wohnung -den Boden betreten könne. Darauf erscheint Ardvi Qflra
Anähita in der Gestalt eines schönen, starken und glänzenden
Mädchens, mit einem goldnen Diadem und goldnen Schuhen
(▼gl. das Yast XXI, 19) an den Füssen (das ist vielleicht ein
«weiter, schwächerer Schatten von Ginderellas Schuhen); das
0chöne Mädchen nimmt ihn bei dem einen Arm (der Vogel ist,
wie es seheinty ein Held geworden) und giebt ihm Gesundheit
und Stärke zurttck ; diese Gewissheit wächst noch , wenn ebenso
wie die vedtsche Aurora die erste von den Ankommenden ist und
mit ihrem Wagen das Wettrennen gewinnt, die so genannte
' ,^ie8er opferte der frühere Vifra-naväza, als ihn aufrief der sieg-
reiche, starke Thraetaona, in der Gestalt eines Vogels, eines Kahrkä^
Dieser flog dort während dreier Nächte hin za seiner eigenen Wohnung,
nicht abwärts, nicht abwärts gelangte er genährt. Er ging hervor gegen
die Morgenröthe der dritten Nacht, der starken, beim Zerfliessen der
Morgenrothe und betete zur Ardvi Qüra, der fleckenlosen: Ardvf 9^^
fleckenlose! eile mir schnell zu Hülfe, bringe nun mir Beistand, ich will
dir tausend Opfer mit Haoma und Fleisch versehene, gereinigte, wohl aus-
gesuchte, bringen hin zu dem Wasser Ragha, wenn ich lebend hinkomme
au der von Ahura geschaffenen Erde, hin zu meiner Wohnung. Es lief
herbii Ardvi Qüra, die fleckenlose, in Grestalt eines sckönen Mädchens,
eines sehr kräftigen, wohlgewachsenen, aufgeschürzten, reinen, mit glän-
sendem Qesiohte, edlen, unten am Fusse mit Schuhen bekleidet, mit gold-
aem Diadem auf dem Scheitel. Diese ergriff ihn am Arme, bald war das,
nicht lange dauerte es, dass er hinstrebte kräftig zur von Ahura geschaf*
fenen Erde, gesund, so unverletst als wie vorher, zu seiner eignen Woh-
nung;*' Khorda Avesta, Spiegels Uebers. pp. 51. 52.
76
Ardhvi Qüra Anäbita imKbordaAyesta als die; .^^welcbe zu-
erst den Wagon fllbrt'S ^ erscheint; es wird auch eropfoblen^ ibr
bei Tagesanbruch, vor Sonnenaufgang , Opfer zu bringen.^ Wir
haben in den Veden die Aurora und die Sonne Räthsel aufgeben
und lösen sehn; der Sonnenheld der Hindus befreit sich von dem
Ungeheuer durch Aufgeben und Lösen unlösbarer llüthsel ; in der-
selben Weise bittet der Held YaQto Fryanananm im A vest a
(Kb. Av. p. 54) die Ardvi Qfira Anahita, ihm bei der Lösung von
neunundneunzig Uäthseln zu helfen, damit er sich von dem Unge-
heuer Akhtya befreien könne.
Dazu kommt, dass Ardvi Qfira Anähita gleich der vedischen
Aurora eine Spenderin von Kühen und Pferden ist und dass ihr
diese Thiere von den Gläubigen dargebracht werden. Die Aurora
selbst wird bei der Aufrufung im sechsten Gebete des Khorda
A vest a ebenfalls „erhaben^' genannt und als die mit schnellen
glänzenden Rossen begabte gepriesen.^ Der Umstand; dass wir
die Anäbita von vier weissen Rossen gezogen finden; gleich dem
Sonneu-Mithra, lässt vollends keinen Zweifel an dieser Identität.
Und wenn die Aurora im A vest a nicht völlig als Kuh darge-
stellt ist; so schliessen wir aus der Verehrung Mithras, der von
dem ersten Strahl des Tageslichtes bis Mittag verehrt wurde, dass
sie so aufgefasst wurde. Mithra erhält oft das Epitheton ;,Ue-
sitzer weiten Weidelandes^' ; die Morgensonne ist also ein Hirten-
gott; und wenn das, so sind wir gezwungen; uns die persische
Aurora auch, wenn nicht als eine Kuh, so doch wenigstens als
eine Kubhirtin zu denken.
Aber Mithra ist nicht ein Gott rein idyllischer Thaten, er ist
auch ein Held; das Vendidad^ preist ihn als den ;;Siegreich-
' Spiegels Uebers. p. 45.
* Spiegel sagt (Kh. Av. p. 55) : „Vom Aufgang der Sonne bis Tages-
anbruch**, was er in Anm. * erklärt: „Vom Sonnenaufgang bis Mitter-
nacht** ; das ist unseres Erachtens ebenso wenig stichhaltig als der daraus
gezogene Scfaluss, dass das Opfer „den ganzen Tag hindurch** yerrichtet
werden sollte. Zarathustra würde nicht nöthig gehabt haben, die Gdttin
nach der genauen Opferzeit zu fragen, wenn sie ihm hätte so allgemein
autworteu wollen. Wozu am Mittag, bei hellem Sonnenschein beten, dass
die Dunkelheit verscheucht werden möge? — Wenn irgend eine Zwei-
deutigkeit vorliegt, so kann sie meines Erachtens nur in der ziemlich häu-
figen Verwechslung dei: jungfräulichen Aurora und der Fee üond
bestehen.
' VgL Khorda Avesta, Spiegeb Uebers. pp. 7. 27.
♦ XIX, 52.
77 .
sten der Siegreichen". Die Beute seines Sieges, den er wesent-
lich seinen unmittelbaren Vorgängern Veretraghna (Vritrahan)
und Qraosha verdankt , ^ müssen die Ktibe der Aurora gewesen
sein, ohne welche seine ungeheuren Weideländer keinen Nutzen
für ihn gehabt haben würden. Und wirklich heisst es, dass Mithra
Herdenbesitzer in den Stand setze, ihre verirrten Rinder wieder-
zufinden. ^
Aber Mithra ist nicht der einzige hervorragende Held des
A vest a. Ausser ihm spielt darin der obengenannte Veretraghna,
mit all «einen Erscheinungsformen zweiter und dritter Klasse,
eine wichtige Rolle. Bald ist dieser Veretraghna, welcher zahl-
reiche Analogieen zu dem Indra der Veden bietet, der den Vritra
getödtet, wie Indra ein Held, bald ein Pferd, bald ein Vogel, bald
ein Widder, bald ein wilder Eber, und bald ein Stier. * Wie der
Stier Indra im Bigveda dem Trita, Träitana und Kavya U<^ana*
beisteht, so hilft im A vest a der Stier Veretraghna, der an der
Natur eines Thrita ^ theilnimmt, welcher reich, glänzend und stark
ist und wie Indra Krankheiten mit Hilfe des Hüters der Metalle heilt
(die gewöhnliche Beziehung zwischen dem Helden und der Zau-
berperle), dem Thraetaona, der die Schlange Dahäka (Azhi Da-
häka) und den Helden Kava Uga tödtet; von letzterem ist Kava
Hao^rava nicht eine andere Erscheinungsform, sondern nur ein
anderer Name. Der Thrita und Thraetaona des Zend sind be-
sondere interessant, weil sie uns, wenn auch nur unbestimmt, an
den vedischen Mythus von den drei Brüdern erinnern. Nur nennt
das A V e s t a Thrita und Thraetaona als zwei verechiedene gött-
liche Helden; es setzt Thraetaona an die zweite Stelle unter den
drei Brüdern; und wie im Mahäbhärata der zweite Bruder, der
starke Bhfma, in das Wasser fallt, während der dritte Bruder,
Ar^na, Andere durch seine Tapferkeit von dem Seeungeheuer
' Vgl. das Kapitel über den Hahn.
* Vgl KJiorda Avesta, Spiegeb Uebers. Eint XXV und das ganze
wichtige Mihr Yast oder Sammlang von Hymnen zu Ehren Mithras,
Khorda At. XXVL
> Vgl. Kh Av. b. Sp. Einl. XXXHI und das [Bahrim Yast ibid.
XXX, 7. Dort sagt er von sich selbst: „An Stärke bm ich der Stärkste
Q. s. w.^ Weiter unten heisst es, dass Stärke dem Stiere (oder der Kuh)
gehört.
* In einem Hjmnus nennt sich sogar Indra selbst U^uft mit Hinzu-
fügung der Benennung kavi; Ahaih kaYiru9an&; Rigv« IV, 26, 1.
» Vendidad XXI, i\.
TO
beireit, so ist es im A vest a Thraetaona; der ao« den Wassern
behrorkommt, oder welcher der Sohn Athvyas (Aptjas) ist Aber
Jeder kana den Pankt sehen ^ wo sich die beiden Held^dbrttder
berühren; ja identisch sind. Bhtma ist es, der ans den Wassera
herauskommt, und Argfana, der ihm heraushilft, d. k. der seine
eigene Stärke entwickelt, welche in Bbiaut dargestdlt ist; so ist
das Subject und seine specielle Lebensäusserung, die das Object
wurde, in eine Person verschmolzen. Sie werden miteiaander ver-
wechselt, sofern Thraetaona, der Sohn des, der in Wasser wohnt,
oder der den Wassern entsteigt und den Dämon tödtet, idei^sch
mit Thrita, dem dritten, sein muss, welcher die Kraft besite^ dä-
monische Krankheiten zu heilen. Thraetaona, der Schlangen-
tödter, and Thrita, welcher die Uebelthäter vernichtet, finden sich,,
mit etwas anderem Aeussem, in demselben Heldenabenteuer wie-
der. Kaum ein Augenblick vergeht zwiaehen der Zeit, als der
Held ein C^fer war, und dem Triumph Veretraghnia, Thraetao-
nas oder Thritas, des Helden, bei seiner eigenen Befreimng.
Im Ya^na^ finden wir drei Männer, welche durch ihre
Frömmigkeit die Gunst des Gottes Haoma (Soma, Mondgott,
Mond, guter Zauberer, gute Fee) gewinnen. Der erste ist Vi-
vaghäo, der zweite Athvya und der dritte Thrita, wodurch wir
auf den Schluss geführt werden, dass Vivaghäo der älteste, Athvjft
der zweite und Thrita der jüngste Bruder ist. Wegen ikrer
Frömmigkeit bekommen sie Söhne; der Sohn Vivaghäos ist Yima
(der vedische Yama), der weise, der glückliche, der bimmlieche;
der Sohn Athvyas ist Thraetaona, der Kämpfer, der das Unge-
heuer vernichtet; der dritte, Thrita, der nützllcfaste genannt, hat
zwei Söhne, Urväkshya und Kere^S^pa, die uns an die A^vina
erinnern. ' Athvyas Sohn und Thrita werden in eine Person^
Thraetaona oder Thrita, zusammengeworfen; diese bildet niii
Urväkshya und Kercf^ä^pa, wie der vedische Indra mit den bei-
den A^vins, ein neues Triumvirat Die Geschichten von den drei
und den zwei Brüdern scheinen sogar im Mythus schon in ein-
ander verwebt zu sein, wie sie es sicher später im Mährchen sind.
Den drei Brüdern entsprechen übrigens im A vest a die drei
Schwestern, die itei Töchter Zarathostras und Hvövis: Freni,
Thriti and Pouruöi^ta. > D^e erste scheint dem Yama, die zweite
> Kap. IX.
> Vgl. Farvardin Yaat io Khorda Avesta XXIX, 30 (189) bei
Spiegel
79
dem Aptya und seinem Sobne Thraetaona (oder Tkrha), dte
dritte, die glänzende, schöne (als Airröra) den beiden schönen
ReHerbrttdern, Urväkshya and Kere^ft^pa (den Af^ins) zu ent-
sprecoen.
Der Sonnenheld befreit sich aus seinen Bedrängnissen und
triumpfatrt ttber seine Feinde, nicht sowohl durch Waffengewalt,
als durch seine angeborene Stärke and Kühnheit. Diese ausser-
gewöhnliche Kraft, mit der er sich tummelt, von der er fortge-
tragen wird, und die ihn unwiderstehlich macht, ist der Wind,
der im A vest a von dem Helden unter dem Namen Raman ange-
rufen whrd. Der Wind ist nach dem A vest a nicht allein der
Schnellste der Schnellen, sondern auch der Stärkste der Starken
(wie die Maruts, Hanumant oder Bhtma, Winde oder Söhne des
Windes bei den Hindus). Im A vest a kämpft er, sichert den
Helden den Sieg und ist Weibern und Mädchen lieb. (Ebenso
fühlt Sita eine Neigung für Hanumant , und Hidimbä giebt unter
allen Pändavas dem Bhima den Vorzug.) Uebrigens rufen im
A vest a Mädchen den Wind an, um einen Mann zu bekommen. '
Ein Hymnus des Eigveda preist jedoch eine Art von Streit
zwischen den Marut- Winden und dem Gotte Indra, der aus Eifer-
sucht entstanden ist und aus dem Indra siegreich hervorgeht. In-
* Vgl Khorda Aresta bei Sp. Einl XXXIV und das Räm Yast
ib. XXXI, 40. Die 57. Strophe scheint ein durchaus vedischer Hymnus an
die Maruts su sein; der Wind wird als der Stärkste der Starken, der
Schnellste der Schnellen, mit Waften und goldnen Zierrathen, goldenem
Rade und goldenem Wagen gepriesen; seine goldenen Schuhe und Gürtel
zeigen ausserdem seine Sympathie und Verwandtschaft mit der Ardvl^^ra
Anihha, die in der Gestalt Auroras in der 55. Strophe angezogen wird.
Die Weiber lieben die Starken, die Kühnen, selbst die Gewaltsamen; die
Winde sind die Starken, Kühnen, Heftigen; Hanumant, der AflFe oder der
B5r, der Sohn des Windes, liebt die Weiber und wird von ihnen geliebt.
Za dieser mythologischen Vorstellung hat wohl auch das sehr natürHcbe
Wortspiel mit: rakshas „das weiberrstibende Ungeheuer** (weshalb maa
in Indien eine Ehe aus Zwang eine Ehe mtch Art der Rakshas* nannte)
and r i k s h a (ursus), „der, welcher presst^S beigetragen. Der Wind ist ein sehr
indiscreter Geselle, der überall hingeht, Alles besuchen, Alles sehen, Alles
boren, die Geheimnisse junger Mädchen überraschen kann; das ist es
auch, warum Panda t. I, 5 der verliebte Weber bedauert, dass in das
Frauengelnach , ausgenommen der Wind, Niemand eindringen kann (ka-
nyfintiäipure v&yuih muktvä mftnyasya prave^o *sti); das ist es, warum in
derselben Erzählung sein Freund, der Zimmermann (eigentlich rathakara,
Wagenbauer) einen Vogel aus dem Hols des Baumes väyu^ (eigentlich:
Windsohn) fabrizirt, auf welchem der Weber, als Vislmu veiiileidet, m
das Zimmer seiner geliebten Prin^si^ eindringt.
80
teresBant ist es , in der persischen Tradition * dieselbe Eifersucht
zwischen dem Winde (väta) nnd dem Sohne ThritaS; dem Helden
Kerega^pa, zu finden. Ein böser Geist belügt den Wind, dass
Eeregä^pa sich damit brttstC; ihm an Kraft überlegen zu sein.
Darauf beginnt der Wind in so furchtbarer Weise zu heulen und
zu rasen, dass Nichts ihm Widerstand leisten kann und die
stärksten Bäume zerspalten oder entwurzelt werden, bis Kere^pa
kommt und ihn dermassen in seine Arme presst, dass er aufhö-
ren muss. Dieser interessante Mythus ist ein Bild des lauten
Pfeifens der Helden und Ungeheuer in Feenmährchen, mit welehen
endlich kurzer Process gemacht wird, ähnlich wie in der perw-
schen Erzählung; das führt uns auch auf die Vermuthung, dass
Thractaona die Schlange Dahäka nur dadurch besiegte, dass e^
sie an den dämonischen Berg Demävend band. ' Diese Art den
Feind durch Binden zu besiegen, kommt ziemlich oft in den per-
sischen Erzählungen und im A vest a selbst' vor, und wird auch
in den Traditionen der Hindus erwähnt Die Pfeile, welche die
Ungeheuer auf die Helden des Ramäyana schleudern, fesseln
dieselben; der Gott Yama und der Gott Varuna binden ihre
Opfer; der erste schnürt die Fesseln fest zusammen (d. h. die
Abendsonne verkürzt ihre Strahlen); der zweite bindet und um-
hüllt mit Dunkel, was Yama eingeschnürt. Der Sonnenstn^l,
der sich verkürzt, der Schatten, der heraufzieht, sind Bilder des
Heldenumstrickers ; während der sich verlängernde Sonnenstrahl,
der Donnerkeil, welcher alle Himmel durchmisst, den Helden dar-
stellt, welcher das Ungeheuer umfasst, fest zusammenpresst und
erwürgt
Der Bogen Mithras ist aus tausend Bogen gemacht, ans den
zähen Sehnen einer Kuh wohlgefertigt; diese Bogen schlendern
im A vest a auch tausend Pfeile, die mit Geierfedcm befiedert
sind. ^ Das fuhrt uns wieder auf den vedischen Mythus von den
Vögeln, die aus der Kuh kommen, zurück.
> Vgl. Khorda Avesta p. LXIX.
* Vgl. ib. p. LXI.
* Denn Verethraghna, der ron Ahura geschafiene, hält die Hände sa-
rück der furchtbaren Kampfesreiben , der verbündeten Länder und der
mithratrügenden Menschen; er umhüllt ihr Gesicht, verhüllt ihre Ohren,
nicht lässt er ihre Füsse ausschreiten, nicht sind sie mächtig; Khorda
Avesta XXX, 63 bei Sp.
* Vgl das Mihr Yast, Kh. Av. XXVI, 12a 129.
8i
DUr ^r Bogen als ehie Kuh betrachtet wird^ so wetzt diese
Kuh ihre Hörner; daher preist das Khorda Avesta die gehörnten
PMte des Bogens Mithras^ d. h. die Homer der Kah^ welche
Waffm^ geworden sind oder die Donnerkeile.
Die Enählang von den beiden Brüdern hängt mehr mit dem
Mythus von dem Pferde als mit dem von der Kah oder dem
Oebsen aosAmmen. Aber sofern sie nns die beiden BrUder als
den efaieii arm nnd den andern reich darstellt, wird der Reich-
Ibiim doreh den Ochsen symbolisirt. Wenn ich mich nicht irre,
so finden sich jedoch im A y e s t a hintereinander zwei Helden ge-
priesen (die ich deshalb für Brüder halte), welche ihren Ursprang
ai» dieser Erzäkhing herleiten; der eine beisst Qrlraokhsan (oder
der einen schönen Ochsen hat), der andere Eere^^aokhsan (der
dne» magern Ochsen hat). Da das A vest a anf diesen Gegen-
tCaiid oieht genaner eingeht, so wage ich nicht, darauf zu be-
stehen ; kann jedoch nicht umhin zu bemerken, dass Kere^aokhsan
von den zwei Brüdern der tapferere war, wie auch von den bei-
den Brüdern Urväksha (ein Wort, das wohl den Besitzer des
fittcn Pferdes bezeichnet, and mit JJrvägpa synonym ist^) und
Kare^lfpa (der mit dem dürren Pferde) der zweite der ruhm-
reiche Held ist; wie wir auch in den russischen Volksmährchen
des dritten Bruder, obgleich er für einen Schwachkopf gehalten,
▼on deft Andern verachtet wird, und den schlechtesten Gaul im
Stfldle rettet, nachher als den glücklichsten Helden finden werden.
Kere^fijQpa rächt seinen Bruder Urväksha an Hitäfpa, als dessen
Beileotang ^iegeP „das gebundene Pferd'^ angiebt, das aber
ebenso gut mit „der, welcher das gebundene Pferd hält'' wieder-
gegeben werden kann ; das würde uns wieder auf die Erzählung
▼on dem Zaum und dem Held-Pferde zurückfuhren, welches der
Dämon an sich selbst gebunden festhält, wie wir schon oben bei
der EnäUnng von dem Opfer des von der Aurora befreiten Qu-
naäfepa bemerkt haben.
Es ist ungewiss, ob wir die Aurora oder den Mond in der
sogenannten Ashi Vaguhi des Avesta wiedererkennen dürfen, der
Erhabenen (gleich Ardv! Qära Anähita), welche auf dem hohen
Berge erscheint, reich, schön, glänzend, goldäugig, wohlthätig, der
Spenderin von Vieh, Nachkommenschaft und Wohlstand, welche
' Vgl dkg Mihr Ysft, Eh. At. XXVI, 128. 129.
* Urrftktha heiMt sndi der Versammelnde; Rb. Av. XI, 8 bei Sp.
• Kh. Av. p. 155.
OvWmatii» die Thl«re. ß
82
die Dämonen vernichtet, Wagen lenkt, und im Asbi Tast^ von
dem Sohne des Feuchten, Thraetaona, angerufen wird, damit sie
ihm das dreiköpfige Schlangennngeheuer Dahäka besiegen helfe.
Da nun Thraetaona, der an Sieg und an Ochsen' Reiche, ein$
wohlbekannte Erscheinungsform des Sonnenhelden Hithra ist, so
ist es interessant zu sehen , wie die Heldin , die sogenannte Asbi
Vaguhi (die Aurora oder der Mond, wie die drei Worte Ardvi
Qüra Anähita einfache Namen der Aurora sind), die denselben
obersten Gott zum Vater hat, drei Brüder besitzt, von denen der
erste Qraosha, der fromme, der zweite Rasbnu, der starke, der
dritte Mithra, der siegreiche ist.
Sie wird übrigens selbst als von Feinden zu Pferde verfolgt
dargestellt; und bald ist es ein Stier, bald ein Schaf, bald ein
Bind, zuweilen eine Juogfrau, weiche sie vor ihren Verfolgern ver-
birgt Ungewiss, wohin sie sich wenden, ob sie zum Himmel auf-
steigen, oder in die Erde kriechen soll, wendet sie sich an Ahura
Mazda, der antworte!, dass sie keins von beiden thun, sondern
sich in die Mitte der Wohnung eines schönen Königs begeben
solle. ' Wie kann man in ihr den Mond oder die Aurora verken-
nen, die dem Pfade der Sonne, ihres Gatten folgt, die auf dem
Gipfel der hohen Berge erscheint?
Andere Umstände von gleichem mythologischen Interesse
dürften sich wohl im A vest a finden lassen, das in Anbetracht
der Ungewissheit der Uebersetzung der Origio altexte bisher mei-
nes Erachtens von den Mythologisten zu sehr vernachlässigt wor-
den ist. Obwohl Anquetil, Bumouf, Benfey, Spiegel^ Haug, Kos-
sowicz und Alle, die ihre Talente und Kenntni(ise auf die Inter-
pretation der Zendtexte verwandt haben, in den dunkleren Stellen
auseinandergehen, bleiben doch noch viele, deren Interpretation
zuverlässig ist und in denen die gelehrten Uebersetzer überein-
stimmen, welche interessante mythologii:che Daten bieten und uns
in jedem Falle aus dem A vest a einen Embryo von Mythologie
» Kh. Av. XXXIII bei Sp.
* Mögest da reich an Rindern sein wie (der Sohn) des Athvyänischen
(Clanes); Kh. Av. XL, 4 bei Sp.
* Soll ich sum Himmel au&teigen, soll ich in die Erde lu-icchen? Ünr-
auf entgegnete Ahura Mazda: Schöne Ashi, vom Schöpfer geschaffene !
Steige nicht zum Uimmel auf, krieche nicht in die Erde; gehe du hieher
in die Mitte der Wohnung eines schonen Königs ; Kh. Av. XXXIII, 59. 60,-
bei Sp. — Vgl. XXXIV, 3 sq., wo der schöne Gemahl der schönen Ashi
und sein reiches Laud gepriesen werden.
[
8a
extrahiren lassen^ ganz so wie ein Embryo von Orammatik schon
daraas extrahirt worden ist Die kurzen Bemerkungen ^ welche
ich eben Aber den Mythus von der Kuh und dem Stier im Avesta
gemacht habe, scheinen mir vollständig zu gentlgen, um den dar-
aus gezogenen Schluss zu rechtfertigen , dass die Kuh und der
Stier dieselben Gestalten annahmen , dieselben Mythen und Glau-
benssätze erzeugten in Persien wie in Indien, wiewohl in einer
schwächeren und unbestimmteren Gestalt.
Der Soünenheld Persiens tritt im Kostüm der historischen
Erzählung wieder im Cyrus (KvQog) des Herodot und Ktesias auf;
der erstere schildert uns das Kind, das von seinen Eltern ausge-
setzt, gerettet und (wie der Karna der Hindus, das Kind der
Sonne, und Krishna) unter den Hirten auferzogen wird, wo es
einige 2ieit ausserordentliche Proben seiner Tapferkeit ablegt; der
letztere zeigt uns den jungen Helden, der seine Braut Amytis, die
Tochter des Astyages, erringt
Endlich erscheint derselbe Held in mehren glänzenden und
herrlichen Gestalten im Shahname.
Wie im Kigveda Trita oder Träitana, im Avesta Thrae-
taona (welchem Tbrita entspricht) die grosse That vollbringen,
das Ungeheuer, und specieller die Schlange zu ti^dten, so ist Fe-
ridun, das persische Synonym fttr Thraetona (nach dem laut-
lichen Debergange desselben in Phreduna), in der späteren persi-
schen Sage der Held, welcher bei dem Kampfe gegen das Unge-
heuer am meisten hervortritt. Ich werde mich bei den Thaten
Feriduns und seiner mythischen Bedeutung nach der gelehrten
Abhandlung R. Roths darüber (Zeitschr. der Deutschen Morgen-
ländischen Ges. Bd. II p. 216 ff.) und der hochverdienten Abhand-
lung M. Br^als über den Mythus von Hercules und Cacus nicht
aufhalten, sondern mich damit begnügen, aus der Erzählung von
Feridun die Episode seines Alters anzuführen, welche uns an den
vedischen Mythus von den drei Brüdern erinnert.
Der grosse König Feridun hat^drei Söhne, Seim, Tür und
Ire^ (Seim, Tür und Er sind auch die Söhne Thraetaonas); er
theüt die Welt in drei Theile und giebt den Westen dem erst-
geborenen, den Norden dem zweiten, während er Iran für den
jüngsten zurückbehält Die beiden ältesten sind eifersüchtig und
eröffiien dem Vater ihre Absicht, ihm den Krieg zu erklären,
wenn er nicht den jüngeren Bruder Ire^ aus dem Palaste ver-
Btösst Feridun erwiedert ihre gottlosen Drohungen mit stolzen
Vorwürfen und warnt unterdessen den jungen Ireg vor der Gefahr,
6»
in der er sich befindet. Der Jüngling seblägt vor, er wolle selbet
zn seinen Brttdem gehen, um sie zum Frieden zu stimmen; 8«iD
Vater wiU ihn nicht gehen lassen ^ willigt aber doch endlkb eia
nnd giebt ihm einen Brief an die beiden Brüder mit, worin er
ihn als seinen liebsten Sohn ihrer Obhut empfiehlt, ire^ iaagt
bei der Wohnung seiner Brüder an; ihre Soldaten sehen ihn nod
können ihre Augen nicht von ihm abwenden, als ob sie i« ibia
schon ihren Herren erkennten. Da räth Seim, d«r dltesle, Tfir,
dem zweiten, dem starken, Ire^ zu tödten. Tür stttrst «ich auf
den wehrlosen Ire^ und durchbohrt seine Brust mit einem Dolobe;
Ireg wird später von dem Sohne seiner Tochter (welehe naob
seinem Tode von einem Mädchen, das er schwanger zurückge-
lassen hatte, geboren ist), dem Helden Minucehr, welober Seim
und Tür tödtet, gerächt
Der Held, welcher auf Minuöehr fofgt, ist Sal, der Sohn
Sams, der mit weissen Haaren geboren und deshalb von seinem
Vater auf dem Berge Albnrs ausgesetzt worden ist, wo ihn j^och
der Vogel Simurg ernährt und rettet. Sal beweist seine Welk-
heit vor Minudehr dadurch, dass er sechs astronomische Rätbsd
löst, welche ihm König Minucehr aufgiebt Der König: Jässt ihn
in Festgewänder kleiden; um auch seine Stärke zu erproben, for-
dert er ihn auf, mit den Reitern ein Turnier zu rennen; SäT tÄt
siegreich, und erhält ein anderes Ehrengewand und nnz&Wig*
königliche Geschenke , worauf er Rudabe, die Tochter des Kött^
Mihrab heirafhet.
Sal zeichnet sich, wie Minudehr, bei seinen Kriegen gegen
die widei-spenstigen Turanier, die Drachen und die Ungeheuer
aus, bei denen er als seinen Haupthelfer den mächtigen Helden
Rustem bei sich hat, dessen Waffe eine mit einem Stierkopf*
versehene oder eine gehörnte Keule ist (der Held ist der Stier,
die Donnerkeile sind seine Hörner), und dessen Ross so stark ist,
dass es ganz allein mit einem Löwen kämpft und ihn besiegt,
während Rustem schläft. Der Held selbst tödtet einen Drachen
und eine in ein schönes Weib verwandelte Zauberin, die jedocft
ihre Ungestalt wieder annimmt, sobald der Held den Namen de*
Ewigen ausspricht. Er donnert gleich einer Wolke, ist finster
und schildert sich selbst als „die Donnerwolke, die Blitzeskeole
' Die Stierkopfkeule in der Rechten schwingend; Schack, HeldetT'
agen yon Flrdasi IX, 2«. -> VgL y, a
65
Mfeleodeit''. 1 Er biodet den Halden Aolad und jQ^higt ihn, m
wbi^ckm, wo die Dämonen den JK^nig Kawus gefangen balteiv
weleber in ihrem Beicbe der Finsterniss blind geworden ist
Kawns berichtet dann Rnstem, dass zur Wiedereilangong d^r
Sehkraft «eine Augen mit drei Tropfen Bluts von dem erschlage-
nen jßämon .Sefid gesalbt werden müssen, worauf Bostem ans-
sieht, nm den Dämon zn tödten. Die Dämonen können nur bei
Ti^ besiegt werdra; wenn es hell ist; schlafen sie und dann
können si^ unschädlich gemacht werden ; sagt Anlad zu Bustem ;
dtfsliaib begwat Rnstem sein Unternehmen nicht eher, als bis die
fik^nne nm Mittagshimmel steht; ^ dann donnert und blitzt er anf
dj# Dämonen los. Gleich einer Sonne zieht er gegen den Berg
(•h^eZweifel, gegen Sonnenuntergang), wo der Dämon Sefidsitzt und
^koflimt an einen höllengleichen Schlund^'^ aus welchem dar eben
worn Sehlaf erwachte £efid in Gestalt eines schwarzen Biesen
btrvorspringt. Der Biese, einem Ungeheuern Berge gleich,
ffißhmngji einen Felsblock, wie ein Mühlstein gross, Und stürzt,
«D wie der Banch, ai^. Bustem los^ Bustem schlägt das Unge-
heuer auf di^ FUsse nad haut einen davon ab ; der lahme Biese
setet den Kampf fort, bis Bustem endlich mit ihm ringt, ihn in
di# Li^ hebt, dann ihn mehre Male zu Boden schleudert und ihn
so tMtet Er wirft den Leichnam Sefids in die Berghöhle^ wäh-
BMid «ein Blut cUe Erde tränkt und dem Fürsten Eawus seine
Sciifcrftft und seinen Glanz wiedergiebt Der Mythus ist schön
und ansdrui^voU. Wie aus der schwarzen, giftigen Schlange
weisse, gesunde Mileh kommt, so giebt das von dem schwarzen
Ungeheuer vergossene Blut dem erblindeten Prinzen die Sehkraft
wieder: die reihe Aurora ist hier als das Blut des vom Sonnen-
halden vernichteten nächtlichen Ungeheuers dargestellt.
Wir richten an den freundliche» Leser die Bitte, die per-
flisohe Vergkiehnng des vom Dämon geschleuderten Felsen mit
daem Mühlsteine zu beachten, da sie für die Erklärung eines
Abem^ubens von Bedeutung ist, welcher noch jetzt im Occident
besieht, näjalich dass der Teufel unter den Mühlstein geht, um
sttine bösen Absichten auszuführen. Der Stein oder Berg, der
v«ft den Wassern gebrochen wurde, wurde natürlicher Weise mit
> Schack ib. IV, 5, 5.
* „Die Diwe (Dämonen) pflegen um Mittagszeit zur Ruhe sieb lu
lm(Bf^n; 4im i«t die Stande sie na besiegen.^' — Nicht eher schreitet Bustem
sa der That, bis sich die Sonne hoch eriioben hat; Schftok ib. 17, 5, 7.
,86
einem von dem Wasser getriebenen Mühlsteine verglichen; die
Dämonen bewohnen dies schlachtenreiche Gebirge^ um die Wasser
zu bewachen ; so ziehen der Teufel; der Böse^ die Kobolde Mtthlen
als ihre Wohnungen vor.
Rustem ficht im Schahname viele 'siegreiche Schlachten
gegen den Turanier Afrasiab und andere dämonische Wesen, im
Dienste verschiedener Heldenkönige, noch dazu mit epischen Be-
gebnissen, die fast alle gleichartig sind. Jedoch sein Kampf gegen
seinen Sohn Sohrab hat einen völlig anderen Charakter.
Rustem geht auf die Jagd. Im Walde berauben ihn tür-
kische Banditen seines unschätzbaren Rosses, während er schläft ;
er bricht dann, einsam und traurig, nach der Stadt Semengam
auf, indem er der Spur seines Pferdes folgt Als er aus dem
Walde auftaucht, bemerken der König von Semengam und seine
Höflinge die Erscheinung als ob es die Sonne wäre, die durch
Morgenwolken bricht. ^ Der König empfängt Rustem sehr gast-
freundlich, und wie um das Mass seiner Freundschaft voll zu
machen, schickt er bei Nacht seine ausserordentlich schöne Toch-
ter Tehmime in Rustems Schlafeimmer. Der Held und die Schöne
trennen sich am Morgen; Rustem lässt, bevor er scheidet, eine
Perle der Wiedererkennung zurück. Wenn ihrer Liebe eine Toch-
ter geboren wird, so soll sie dieselbe als Amulet im Haar, wenn
ein Sohn, so soll er sie an seinem Arme tragen und er wird ein
unbesiegbarer Held werden. Nach neun Monaten schenkt Teh-
mime dem Sohrab das Leben ; im Alter von einem Monat scheint
er ein Jahr alt, mit drei Jahren spielt er mit Waflen, mit fünfen
beweist er einen Löwenmuth und mit zehn besiegt er alle seine
Genossen und fi-agt seine Mutter nach seinem Vater, mit der
Drohung, sie zu tödten, wenn sie es ihm nicht sage. Kaum er-
fährt Sohrab, dass er Rustems Sohn ist, als ihn das Verlangen
ergreift, König von Iran zu werden und Kawus vom Throne zu
stossen; er beginnt seine Verfolgung der iranischen Helden mit
der Erstürmung des weissen Schlosses (des weissen Morgenhim-
mels, der alba), das von einer schönen kriegerischen Prinzessin,
Gurdaferid, die den iranischen Kriegern lieb ist, vertheidigt wird,
Sohrab erobert und zerstört das weisse Schloss, aber im Augen-
blicke des Triumphes verschwindet die kriegerische Jungfrau. Der
alte Held Rustem zieht nun gegen seinen eigenen Sohn Sohrab ;
■ Ist's Rastern? ist es nicht Die [Sonne, die durch Morgenwolken
bricht? Schack, Heldens. v. Pird. VI, 2.
der letztere wirft ibn nieder, aber Rustem seinerseits verwandet
ihn tödtlieh. In dem auf dem Berge niedergeschlagenen alten
Rastern ist anschwer die untergehende Sonne zu erkennen; in
dem von Rastern verwundeten Sobrab ebenfalls die Sonne, welche
stirbt; und wirklich bietet die sterbende Sonne eine andere Er-
sefaeinnng als die neue Sonne ; welche am Himmel aufigeht und
triumphirt: diese beiden Erscheinungen konnten den Gedanken
eines Kampfes zwischen der alten und der jungen Sonne , bei
welchem beide geopfert werden , entstehen lassen. In der That,
Rustem ftlhlt, als er Sohrab tödtlich verwundet, dass er sich selbst
verwundet ; er verflucht seine That und schickt sofort nach einem
heilenden Balsam; doch mittlerweile stirbt Sohrab. Der Einzige,
welcher die junge Sonne vernichten konnte , war die alte Sonne ;
die Sonne wird alt und stirbt; Rustem allein konnte Sohrab
tödten. Mit dem Tode Sohrabs wird auch der Ruhm Rustems
verdunkelt; er zieht sich in die Einsamkeit zurück und die be-
deutendste Periode seines epischen Lebens erreicht ihr Ende.
Damach Erscheint er nur in episodi^chcu Kämpfen oder Unter-
nehmungen wieder; wie z. B. als er an Turan Feuer anlegt,
worin er Hanumant, dem Verbrenner Laükäs gleicht; femer bei
der Befreiung des jungen Helden Bishen, der von den Turaniem
gefangen genommen und eingekerkert worden war; bei der
Tödtung des mächtigen und widerspenstigen Turaniers Afrasiab;
und bei seinem eigenen Tode durch einen Hinterhalt, der von
jungen Nebenbahlem des alten Löwen gelegt ist, der noch im
Tode an seinen Feinden Rache nimmt.
Gerade im Palaste des Kawus (des Schützlings Rustems)
spielt sich ein grossartiges Drama ab. Sijavush, dem Sohne
König Kawus', wird von der Königin Mutter Sudabe, die in Liebe
zu ihm entbrennt, nachgestellt. Der Jüngling verachtet diese
liebe, worauf sie ihn bei König Kawus als ihren Verführer an-
klagt Als der Vater die Vertheidigung seines Sohnes zum Be-
weise seiner Unschuld hört, kann er der Königin keinen Glauben
schenken; und sie sinnt auf ein anderes Mittel, den jungen Sya-
Vusfa zu vernichten. Sie complottirt mit einer Sklavin; einer
Zauberin ; und beredet sie, zwei kleine giftige Ungeheuer zu
schaffen, die sie offen als die Kinder Sijavushs proklamirt. Sija-
vnsh unterwirft sich zum Beweise seiner Unschuld willig der
Feuerprobe ; er stürzt sich auf seinem Rappen , nachdem er noch
seinen zitternden Vater umarmt, in die Flammen , Ross und Rei-
ter kommen unversehrt aus dem ungeheuren Brande unter dem
88
Beifall aller Zuschauer heraus. Der E@iiig giebt mm Befidd, ^
annatürliche Königin z« erwttrgen; aber «ein Sehn Sijacrwh «ahott-
tet za ihren Gunsten ein , und Sndabe darf leben bleiben^ fiibrt
jedoch fort, den jungen Prinzen zu verfolgen , bis l>ei dem Tode
SijaTUsbs Bustem, der ihn als seinen eigen^i Sohn 4Kler als sein
anderes Selbst beweint, ihn zuerst durch Tödtung Sndab^ rfieht,
derentwegen Sigayush genötfaigt gewesen war, sich niM^h Vmuk
zu begeben, und dann dadurch, dass er Tonn iiekriegt, wo äüa-
yusb ' nach einem sehr bewegten Leben in «die Oewalt seiMi
Schwiegaraters Afrasiab gefallen und get5dtet werden war.
Das Weib Sijavushs, mit Kamen Ferengis, wird wiähMNid
ihrer Schwangerschaft von Piran gastfeeiindlich aufgenommen usd
giebt dem Helden Kai Khosru das Leben ; kaum ist er geboren, als
er den Hiiten des Berges anvertraut wird. Sobald eririeben Jahr alt
ist, ist seine Lieblingsbeschäftigung, den Bogen zu spannen; mit
zehn Jahren kämpft er gegen wilde Eber, Bäreii; Löwen und Ti-
ger einzig mk seinem Schäferstabe. Als Afrasiab den Jansen
Hirten sieht, fragt er ihn nach seinen Scbafen und den fried-
lichen Beschäftigungen der Hirten; der Knabe erzälilt thn» aor
Erwiederung Geschichten von gcharfrahnigen U^wien und aadem
wilden Thieren, vor denen er sich nicht ftlrchtet Sobald er dm
Mannesalter erreicht hat, flieht er aus Turan, von den TuraoiBm
verfolgt; er gelangt an das Ufer eines Flusses, wo der Fährmaim
unerfüllbare Bedingungen fUr die Ueberfahrt stellt; worauf «r, wie
Feridun, unversehrt auf seinem Ross die Fluth durchschneideit
(es ist die Sonne, welche, ohne sich zu benetzen, den trtthen imd
düsteren Ocean durcheilt);^ endlich in Iran angelangt, wirf! er
als der ktinftige König festlich begrOssi Seine Regierang be-
ginnt; er weist verschiedenen Helden verschiedene Arbeiten an;
unter denselben befindet sich auch sein Bruder Firud, der Y(Wl
einer andern Mutter stammt und von dem ein dnziges Kopfhaar
mehr Kraft besitzen soll als viele Krieger (ein Strahl der Sonne
g^ttgt, die Dunkelheit zu durchbrechen). Eines Abends jed^
bei Sonnenuntergang wird Firud in seinem Schlosse auf dem Beige
von 'einer Schaar von Feinden umringt und getödtet, nacUem
er sein Pferd verloren und seine Mutter Cerire geträimit liat, dass
ein Feuer Berg und Schloss verzehrt habe. Seine Mutter Ceriw
' Diese That scheiDt dem Fahnnann selbst übernatürlich eu sein, ao
dass er sagt: „In Wahriieit, Menschen kann man sie nieht heissen^.
Behack, Epische Dichtungen des Fird. III, 27.
(die Aibettd-Aanra) stUrzt «ich mit ihrtn Diemlinnea in di«
£lim»M and Jtirb; aaeh. Kai Kfaoaru bew^eiBt dem Y^UBt sei-
MS Bmdecs Firnd die ganze Nacht hindurch, bis der Hahn kräht ;
ak lier Morgen konoa^ besehliesat er, Um za rächen.
Dacnacb Yei^ebt Eat Ehosms Leben unter Kämpfen, die von
seinen Briden gegen die Taranier geführt werden. Erst gegen
4m finde seiner Tage wird er ein reamüthiger König; er will
mnht länger aevie Ufiterthuiea kämpfen lassen and sdne einzige
fieaofaälkignng iat Beten; er nimmt von seinem Volke and
aetnen Töctem friedlich Abaefaied, ateigt auf einen Berg
fluid vüfflobwiadet in einem Sturme, ohne eine Spar zurttck-
SBlaaaen. b äfailicher Weise verschwinden die Helden Yndhishthira,
CffüB nnd Bimialas (am nicht von dem biblischen Moses, noch
flMniger ^n Chnatus ku sprechen; Vergleiohnngen solcher Art,
ItobeMiaandintettangM indogermanischer and eemitisdier Sagen
wtlrden ein za umfangreiches Material bieten. Läugnen lässt sieh
mkmt nieht, idasa die Erzählangen von der Schlange, von Noah,
f w Ahcaham and aeinem wiedergewonnenen Weibe, von Abrahaa
4md aeinem Sohne laaac, tou Joseph und sdnen Brüdern, v«a
Ji^ana, won Job und anderen späteren biblischen Beiden, durch
äone myl^che oder aatnonomisohe Bedeutung zahlreiche Analo-
Ciioen mit den indogermanischen Legenden bieten); in ähnlicher
WieiAa wird cbe ahe Sonne, nttde am Himmel zu herrseben und
jlnr Leben laag zu kämpfen, jeden AJ^end auf den Bergesgipfeln
Das Seil ab na me enthält ausser den kurz mitgetheiken
zaiilreicbe andere Erzählungen; eine der beachtenswertbeaten ist
aonder Zwdfel ^e von Isfendiar, welcher mit seinem Bruder
Biabateat aussiebt, seine beiden Schwestern zu befreien, die v^m
xlem toranischen Könige Ardahasp in einer Veste gefangen gehal-
ten werden. Die sieben Abenteuer Mendiars, d. h. sein Zusam-
awnfrefen mit (dem Wolf, dem Löwen, dem Drachen, der Hexe
(die Mch v^rsebönt, aber nicht sobald mit dem bezauberten
Halaband lafendiars [der Sonnenscheibe] gebunden ist, als sie
wieder alt und hässlich wird), dem Biesenvogel, dem Sturm und
dem Strom, welche Gefahren er sämmtlich siegreich überwindet,
«ind in analoger Form Reproductionen der sieben Abenteuer
Bustema.
Endlich wurde die an ausserordentlichen Abenteuern reiche
Erzählung von Iskander oder Iskender (der Name Alexanders des
Grossen) höchst volksthümlich in Fersien und kam ohne Zweifel
90
▼on da mit allen ihren Reizen* nach Enropa. Die Kühnheit, das
Glück, der Ruhm and die Macht des grossen Eroberers waren die
Gründe, warnm sich um seinen Namen so viele wunderbare 6e^*
schiebten rankten , welche ohne epische Einheit, zerstreut, durch
die Welt schweiften. Um einen ruhmreichen und unvergess-
lichen Helden aufzustellen, wurden die Heldenthaten vieler anony-
mer oder fast vergessener zusammengeschweisst. Das persische
Iskendername Nizämis geht, wie sein Name besagt, ganz auf
die Verherrlichung der Thaten des macedonischen Helden, deren
berühmteste die Befreiung der von den Russen gefangenen Prin-
zessin Nushäbe und die Fahrt nach der Quelle des Lebens und
der Unsterblichkeit sind, die jedoch Iskander nicht finden kann.
Aus Persien kam dieselbe Erzählung später mit neuen Einklei-
dungen nach Aegypten, Armenien und Griechenland, von wo aus
sie sich im Mittelalter über fast das ganze westliche Europa ver-
breitete. *
Als einer Brücke zwischen den Traditionen der Hindus und
Perser und andererseits der Türken oder Tartaren, werden wir
uns dreier Werke bedienen: der türkischen Uebersetzung des
Tuti-Name,^ das selbst eine Uebersetzung und theilweis eine
Paraphrase der ^uka-Saptatt der Hindus, d. h. der 70 Ge-
schichten von dem Papagei ist; der mongolischen Mährchen von
Siddhi-kflr und der mongolischen Geschichte von Ardshi-
Bordshi Khan,' von denen das erste eine Paraphrase der
Vetäla-Paicavinjatl der Hindus, d. h, der fünfundzwanzig
von dem Vetäla (einer Art Dämon), und das zweite eine solche
des Vikrama-(^aritra (Abenteuer des Yikramäditya) der Hindus ist.
Wir sahen im Aitareya-Brähmana den Vater, der sei'
nen Sohn zu opfern bereit ist und im Mahäbhärata den Sohn,
welcher seine Jugend hingiebt, damit sein Vater lebe. Im Tuti-
N a m e ^ rüstet sich der treue Merdi 6änbäz, sein Weib und seine
Söhne, nachher auch sich selbst zu opfern, um das Leben des
Königs zu verlängern; aber als er so seine Ergebenheit und
Treue bewiesen, wird er von Gott zurückgehalten, das grausame
■ Vgl. Spiegel, Die Alezandersage bei den Orientalen,
Leipz. 1851 y und Zacher, Pseudocallisthenes, Forsokangen zur
Kritik und Geschichte der ältesten Aufzeichnungen der
Alexandersage, Halle 1867.
* Georg Rosens Uebersetzung, Leipz. Brockhaus 1858. 2 Bde.
' Bernhard Jülgs Uebersetzung, Innsbruck 1867. 1868.
* I, 5.
Opfer ansznftlbreD und empfängt yom Könige zahllose Wohl-
thaten.
In der Geschichte von dem Goldschmied und dem Tischler
hat das Tuti-Name^ die beiden Brüder oder Freunde, von
denen der eine schlecht, reich und habgierig ist, während der an-
dere um das ihm geschuldete Geld betrogen wird, weil er, ob-
wohl in Wirklichkeit verständig, für einen Dummkopf gehalten
wird. Der Tischler rächt sich an dem Goldschmied durch eine
List, die wir in der Erzählung von dem Bären geschildert finden
werden, und gewinnt kraft seiner Verschlagenheit das Geld wie-
der, welches ihm sein Bruder oder Freund weggenommen hatte.
In der interessanten Erzählung von Merhuma^ lesen wir von
der Frau, die von ihrem Schwager, der sie verführen will, ver-
folgt wird. Um ihre Weigerung zu strafen, lässt er sie in der
Abwesenheit seines Bruders steinigen; da sie unschuldig ist,
rettet sie Gott vom Tode; von einem Beduinen beherbergt, wird
sie von dessen schensslicbem Sklaven versucht; zurückgewiesen
klagt er sie als an dem Tode des kleinen Sohnes des Beduinen
sehnldig an, den er selbst getödtet; das schöne Weib flieht, sie
befreit einen zum Tode verurtheilten Jüngling, der sie seinerseits
verführen will. Daranf schifft sie sich ein; auf der See verlieben
sich alle Seeleute in sie und wünschen sie zu besitzen; sie ruft
den Gott mi, welcher Pharao ertrinken Hess und Noah aus dem
Wasser rettete. Die Wogen beginnen zu stürmen; ein Blitz fährt
nieder und brennt alle Insassen des Schiffs mit Ausnahme des
schönen Weibes zu Asche; sie landet heil und gesund am Ufer
(es ist die Aurora, die aus dem finstem Ocean der Nacht auf-
steigt; die sie verfolgenden Ungeheuer werden von den Blitzen
and Sonnenstrahlen zu Asche gebrannt); dann flüchtet sie sich in
^n Kloster, in welchem sie die Unglücklichen pflegt, die Lahmen
heilt, und die Blinden sehend macht. Unter den letzteren befin-
det sich ihr Verfolger, der Bruder ihres Gatten; sie verzeiht ihm
und giebt ihm sein Augenlicht wieder; ebenso heilt sie alle ihre
übrigen Verfolger. Es ist kaum nöthig, den Leser daran zu erin-
nern, wie diese orientalische Erzählung, die sich aus dem Mythus
von der verfolgteli und befreienden Aurora entwickelte, den wir
in den vedischen Hymnen kennen gelernt haben, in zahlreichen
* I, 6,
» Tati Name I, 7.
«3
westiüchcm ^ol^snäbrclen wieddiTerscbein^ 4erea )^mrvwB9geoäsA%
Gestalten Crescentia und Genoveya siacL
Die Aurora tritt aus dem finstern Ocean heraus und wird von
der Sonne geheirathet; diese himmlische Hochzeit Hess das Yolks-
mährchen ^ von dem Könige entstehen ^ welcher die Gegenwart
des Meeres mit seinen Perlen bei seiner Hochzelt wünscht; die
Perlen der bräutlichen Aurora werden flir aas dem Meere der
Nacht kommend gehalten. Das Meer sendet als Hochzeitsgabe
dem Könige ,^ein Schmuckkästlein voll Sdelgestein ~ eine Lade
mit Kleidern^ kostbar und fein — ein Ross, das dal)in wie der
Morgenwind fUhrt ~ und Gold, eine Kiate^voü, pxUfiiteinbe-
währt". —
Die weise Awon figurirt wieder in 4er üeschichte ymk der
^^geistreichen Königstochter^,^ welche vermittelst eines RHihrnis
die Räuber entdeckt, die während der Nacht die für den König
bestimmten kostbaren Edelsteine gest(^len haben.
Die Aurora verleiht der erblindeten Sonne Glans «id S^Ih
kraft. Die Geschichte von der dreibrttstigen PrinzesMn, die, wäik*
rend sie auf die Vergiftung des blinden Mames eimit, um nage*'
stört die Neigungen ihres jungen schönen Liebhabeni g^icoiwi
zu können, Reue fäUt, weich wird und ihm das Augealieht wie^
dergiebt, erscheint in ziemlich unvollständiger Gestalt im Taü^
Name^ wieder.
Das Mädchen, das an ein Scheusal von Mann veAeivathat
ist, dem es entflieht, um einem schönen jungen Liebhaber «u fol-
gen, welcher es, am Ufer eines Flusses angelangt, «einer S^ob^
thttmer beraubt, es nackend veriässt und auf das andere Ufer Qbeiw
setzt, worauf es sich in sein Schicksal ergiebt iindBU seinem G^
mahl, dem Ungeheuer, zurttckzukehren bescbliesst/ fitettt 4iie
Abend- Aurora dar, die vor dem Ungeheuer der Nacht flieht, um
ihrem Liebhaber, der Sonne, zu folgen, welche am Morgen, oaek-
dem sie sich mit ihrem Glänze geschmtlckt, sie am Ufer 4m
finstem Oceans zurücklässt und davoneilt, so dass die Aurm^
genöthigt ist, am Abend sich wieder mit ihrem Oeraahl, dem Un-
geheuer, ^Q vereinigen. Es ist überdies als fttr den vorliegenden
' Tuti-Nam« I, 13.
' Tuti-Name I, 14. — Vgl. Afanassieff, Narodnija ruskija
Bkaeki VI, 23.
» II, 27.
• U, 16.
:^*"
99
FftU trfehtff, ittteresfirattty dea Ansdruck tn beachten, dessen s^tch
der Jttngfrag, der mit dem schOnen Weibe entfliebl, bedient, mn
»eine Furcht rot Entdeckung auszudrücken. Er sagt: „Ohne
Zweifel wird der Gemahl sie aufsuchen lassen und sftsse ich a;uf
den ERJmero de* Ochsen (des Mondes), er würde mich ausfindig
machen". Die Gösehichte von Äwei jungen Leuten, die auf einem
SWer fliehen und von dem Ungeheuer verfolgt werden, taucht in
dtem rnssisct^n Volksmährchen wieder auf. Mit den Hörnern des
Stieres meinf der Jüngling die hervorragendste und am meierten
in die Augen fallende Situation.
Ferner ist es die Aurora, die von dem schönen Mädchen*
dargestellt wird, da« Vater, Mutter und Bruder, ohne von einan-
der zu wissen, mit dtei Jünglingen verschiedenen Berufs verlobt
haften. Die drei jungen Männer streiten um sie, doch ehe der
StreH evtdchieden, stirbt das Mädchen. Die drei gehen dann, ihr
Gtnb zu besuchen; einer zieht den Leichnam heraus, der zweite
ffifdet, das» noch Leben darin ist und der dritte schlägt sie mit
etnem Kntttel und richtet sie lebend auf, worauf der Streit wieder
Mfgenommen wird. Sie flieht und zieht sich in ein lebendiges
CPraft, ein Kloster, zurück. In der vdksthümlichsten Gestalt die-
ser Erzähhing tiieiien sie die drei Gesellen oder Brüder, welche
um die Braut kämpfen; die Aurora wird, sobald die Sonne, ihr
wahrer Liebhaber und rechtmässiger Bewerber, erscheint, in Stücke
zeiTiskfen.
Aus dem Dunkel ersteht Licht, ans dem Alten Junges, aus
Tod Leben ; anns dem Staube eines Todtenschädels wird ein wun-
derbaretr Kind geboren, das falsche Perlen von echten, Ehrlose
toxt Ehrenbaiten ^ zu unterscheiden weiss (die Morgensonne kann
zwischen Lieht und Finstemiss unterscheiden); der weise Knabe
(die junge Senne) ist ier Bruder des weisen Mädchens (der
jungen Aurora). Das Fleisch eines getödteten Brabmanen ver-
wandelt sieh in eiuer aofdem Erzählung des Tuti-Name in
Wir haben gesehen, dass die Aurora und die Sonne Mutter
md Sohn, Bruder and Schwester, Liebender mnd Geliebte sind.
Die Sonne stirbt am Abend eines schmählichen Todes, wird ge-
opfert und an einem Galgen aufgehängt, und weiht mit sich selbst
' Tuti-Name II, 19.
«11,21.
«11,28.
ihre Mutter oder Geliebte dem Tode. Alt und voIkstbUmlich ist
die Erzählung, welche von dem Räuberssohne spricht^ der, als er
sein Leben am Galgen enden soll^^ seiner Mutter, die ihm das
Leben gegeben und ijiu unter Schmerzen aufgezogen hat, die Nase
abbeisst. Im Tut i- Name ^ ist es der junge Verführer (und
Räuber dazu), der wegen seines Ehebruchs zum Tode verurtheilt,
noch einmal vor seinem Tode die Geliebte zu sehen und zu küssen
wünscht und seine Rache, als sie es thut, durch eine ähnliche
Beleidigung befriedigt. Beachtenswerth ist, wie selbst in dem
Volksmährchen der Hindus die Erzählung von dem Ehebrecher
mit der von einem Diebe zusammengeworfen ist; der Ehebrecher
wird schliesslich ins Wasser geworfen (die Sonne und die Abend-
Aurora fallen in den finstem Qcean der Nacht).
In der nächsten Erzählung ist es der böse Mann, welcher,
auf einer Reise mit seiner reichen Frau, um den Wohnort zu
wechseln, sie ihrer Habe beraubt und sie dann in einen Brunnen
wirft, um ihre Juwelen und Kleider in Besitz zu nehmen. Dieser
Reichthum dauert jedoch nicht lange; er verarmt und geht betteln
bis er sein Weib wiederfindet, das durch göttliche Hilfe aus dem
Brunnen gerettet und aufs Neue mit Kleidern und Juwelen gleichen
Werthes versehen worden war. Der Gatte bringt einige Zeit bei
seinem Weibe zu und tritt dann wieder mit ihr eine Reise an;
er kommt wieder an den bewussten Brunnen und wirft sie wie
vorher hinein, uro allein die ihr abgenommenen Kostbarkeiten
zu geniessen. (Die Bedeutung der Mythe ist klar ; es ist die Sonne,
weiche die glänzende Aurora in das finstere Wasser der Nacht wirft.)
Ein König verliebt sich in die schöne Mahrüsa;^ seine Rath-
geber halten ihn mit Gewalt von der Geliebten ab, worauf er in
Einsamkeit sich abhärmt und stirbt. Das schöne Mädchen vereint
sich ihm im Grabe (Romeo und Julie, die Abend-Aurora und die
Sonne sterben zusammen).
' Die Erzählung von den drei Brüdern , den Ribhus, begegnet
uns im Tuti-Name^ wieder, mit einzelnen andern, die wir schon
^ Diese Erzählung war in Italien schon im 15. Jahrhundert sehr be-
kannt; sie wurde dem Philosophen und Gelehrten Fontane von seiner
Mutter erzählt, wie ich aus seiner Biographie ersehe, die vor zwei Jahren
Prof. Tallarigo (Sanseverino-Marche) herausgegeben hat. Noch heut er-
zählt man sie im Piemontesischen.
* II, 21.
»II, 25.
* II, 24.
96
kennen. Der erste Bruder ist der weise , der zweite ist ein Ver-
fertiger von Talismanen (unter Anderm kann er ein Pferd machen^
das in einem Tage so weit länft^ als andere in dreissig) ; der dritte
und jtlngste Bruder ist der unübertreffliche Bogenschütze. Die drei
ziehen aus, um nach dem schönen Mädchen zu suchen^ das bei
Nacht aus dem Hause seines Vaters geflohen ist. Der erste Bru-
der entdeckt durch seine Weisheit, dass das Mädchen von den
Feen auf einen Inselberg, zu dem Menschen nicht gelangen kön-
neoy entfuhrt worden ist. Der zweite schafft ein wunderbares
Thier^ um über die dazwischenliegenden Gewässer zu setzen
(Gbristophorns oder Bhima). Bei dem In^^elberge angekommen^
kämpft der dritte und jüngste Bruder mit dem Dämonen, dem
Herren der Feen^ besiegt ihn und befreit das schöne Mädchen^
das darauf seinem Vater zurückgebracht wird. Dann entsteht
zwischen den drei Brüdern der gewöhnliche Streit, welcher die
Braut besitzen soll. ^
In den Veden finden wir den Himmel und den Mond als
einen Becher dargestellt. Von dem kleinen Becher der Fülle
(dem Monde) kommt man leicht zu dem wunderbaren kleinen
Töpfchen (dem Monde), in welchem die gutherzige aber arme
Hausmutter der Pändavas im Mahabharata noch Ueberfluss
an Vegetabilien findet; nachdem ihre Mittel der Gastfreundschaft
für den als Bettler verkleideten Kpshi^a erschöpft; sind — zu dem
Töpfchen, aus dem man Alles nehmen kann, was man wünscht.
Im Tuti-Name^ findet ein Holzhauer zehn Zauberer um einen
Krug, aus dem sie Speise und Trank, soviel sie nur begehren,
beransnehmen ; sie essen und unterhalten sich vortrefflich; der-
Holzhauer gefällt ihnen und sie geben ihm auf seine Bitte den
Krag. Er lädt einst seine Freunde zu einem Festmahl in seinem
Hause ein ; da er sich vor Freude nicht zu lassen weiss , setzt er
das Geföss auf den Kopf und beginnt zu tanzen. Das Töpfchen
fimt zur Erde und bricht in Stücke; sein Glück hat ein Ende
(die Greschichte von Perrette, dem Milchmädchen).
Eine Variation des kleinen Bechers ist der hölzerne Napf
(der Mond); um den sich zwei Brüder (die beiden A(vins) streiten,
Hl der Geschichte des Königs von China , * und aus dem man alle
Speisen und Getränke nehmen kann, die man nur begehrt, wie
wir auch in derselben Geschichte Zauberschuhe finden, die uns
« H 26.
» II, 28.
9»
in einem Angenblick dahin bringen^ wobin wir nns wllnsebeii. —
Das führt nns auf die fittehtige Anrora der Veden zurttek^ dto
schnellste im Wettlanf, und anf die Volksmährchen von GiiklefeUay
die von dem Prinzen erst eingeholt und wiedergefxinden wird; al*
sie ihren bezauberten Pantoffel rerlorm hat. Neben dem Nitpf
and den Zaaberschuhen finden wir in den Volksmährchen den
gefüllten kleinen Beutel, der nie leer wird (eine andere Fenn de»
Bechers der Fülle) und ein Schwert, das, aas der Scheide geso-
gen, in einer Wüste eine schöne, reiche und grosse Stadt er-
stehen lässt; welche jedoch verschwindet, sobald das Schwert
wieder in die Scheide gesteckt wird (der Sonnenstrahl ist das ge-
zogene Schwert, das die glänzende Stadt der reichen Aurora er-
stehen lässt; kaum verschwindet der Sonnenstrahl oder kaum ist
das Schwert eingesteckt, als die wunderbare Stadt sich in Nichte
auflöst). Der Rest der Erzählung ist ebenfalls interessant, weil
er auf drei Männer die wohlbekannte Fabel von den Thierett,
die um die Beute kämpfen, anwendet (wie die drei Brüder am
das wiedergefundene schöne Mädchen kämpfen). Die Tkiere
können sie nicht in gleiche Theile theilen; sie appeUiren an das
Urtheil eines Mannes, der grade vorbeigeht; er theilt sie so güM,
dass die Thiere ihm noch später immer dankbar sind nd ihm in
jeder Gefahr beistehen. Die Erzähking des Tnti-Name streift
an diese Gestaltung der Mythe^ verlässt sie jedoch bald um einef
anderen beliebteren willen, nämlich der von dem Dritten, welcher
zu zwei Streitenden kommt und die Beute für sieh nimmt Der
junge Abenteurer versucht dem Streite der beiden Brüder über
die Theilung der Börse, des Napfes, des Schwertes und d^ wo»-
derbaren Schuhe ein Ende zu machen : er zieht die Schuhe selbst
an und fliegt mit den drei andern bestrittenen Gegenständen da-
von (die beiden A^vins, Dämmerungen, streiten um den Mond and
auch um die Aurora, wie wir deutlicher im nächsten Kapitel
sehen werden ; die Sonne macht ihrem Streite ein Ende^ indem tie
selbst sie heirathet).
Wir sind schon bekannt mit den Kibhus der Veden, die aus
einem Becher vier machen. Wahrscheinlich von dieser Erzählung
hängt die von den vier Brüdern ab (im Tuti-Name ^), weiche
dort, wo die auf ihre Turbane gehefteten Siegel hinfallen, vier
Minen finden; der eine eine Kupfermine , der zweite eine Silber^
mine, der dritte eine Goldmine (auch hier ist wieder der dritte
> U, 29.
97
Brader der begflnstigte) , der vierte nnr eine EiseniDine. Dad
Si^el scheint die Sonne selbst zu sein, die vier Minen beziehungs-
weise der Kupferhimmel am Abend; der Silberhimmel in der
Hondnaoht, der Ton der Morgenröthe goldige Morgenhimmel; und
der Eisenhimmel des Tages, der graue oder azurblaue. Das
Wort nil a bedeutet im Sanskrit sowohl azurblau wie schwarZ;
und zwischen azurn und schwarz liegt grau, die Eisenfarbe.
Von den drei BrOdem ist oft der erfahrenste; der die Räthsel
ktet, der älteste; und in der Erzählung des Tuti-Name^ er-
klärt der älteste der drei Brtlder; warum alte liCute weisse Haare
haben, damit; dass diese Weisse ein Symbol der Klarheit ihrer
Gedanken seL
Gehen wir jetzt zu den kalmiikischen und mongolischen
Erzählungen des Siddhi-kür über; deren Ursprung; wie wir oben
gesagt; auch bei den Hindus zu suchen ist.
In der ersten Erzählung haben sich die drei Brüder; indem
sie erst drei Paare bilden; in sechs aufgelöst Die Nachtzeit wird
in drei; in sechS; in sieben (sechs plus einem ausserordentlichen;
erst später geborenen); in neun (drei mal drei); in zwölf (drei mal
Tier) Theile getheilt. Daher findeb wir neben dem Ungeheuer mit
drei; sechs, sieben; neun oder zwölf Köpfen bald drei; bald sechs,
sieben; nenu; zwölf Heldenbrtlder. Der letzte Kopf (oder die letz-
ten zwei; drei oder vier Köpfe) des Ungeheuers; der entscheidende;
ist am schwersten und gefährlichsten abzuhauen; der letzte Bru-
der ist der, welcher ihn abschlägt und siegt. In der ersten kal-
mükischen Erzählung des Siddhi-kür trennen sich sechs Brüder
oder Gesellen da; wo die Mündungen mehrer Flü£fse sich vereini-
gen ; jeder zieht von hier aus an einem andern Flussarme hinauf;
seinen Unterhalt zu suchen. Der erste kommt um; der zweite
entdeckt vermittelst seiner Weisheit (er hat Theil an der Weisheit
des ersten, mit dem er eine Gruppe bildet) den Ort, wo der Ver-
storbene begraben ist; der dritte ; der starke ; zertrümmert den
Fels, unter dem der erste todt verborgen ist; der vierte erweckt
ihn wieder zum Leben durch einen Heiltrank; wie Bhima, der
starke Held des Mahäbhärata, wiederaufersteht; als er das Wasser
der Gesundheit und Stärke trinkt; der fünfte Bruder fertigt einen
Wundervogel; den der sechste mit allerlei Farben bestreicht In
diesen Vogel steigt der erste, fliegt zu seiner Braut, entführt sie,
indem er sie in den Wandervogel mit einsteigen lässt; und kehrt
' It 29.
OubenMÜt, die Ttüere.
98
zu seinen Geführten zarück. Als diese das reizend schöne Weib
sehn , erglühe^ sie von heftigem Verlangen nach ihr ; jeder von
ihnen beanspracht sie; sie streiten hin und her und können nicht
eins werden. Schliesslich tödten sie die arme, unter dem Rufe
,;hau ZU; hau zul^' mit dem Messer Stücke von ihr abschneidend,
indem alle sie nehmen wollen. Wir kennen schon die mythische
Bedeutung dieser Erzählung.
Die dritte und vierte kalmükische Erzählung fahren deutlich
den Stier und die Kuh ein. In der dritten verbindet sich ein
Mann, der nichts als eine einzige Kuh besitzt, selbst mit ihr, um
sie zu befruchten. Aus dieser Vereinigung geht ein Wesen her-
vor, mit dem Leibe eines Mensclien, dem Kopfe eines Rindes, da-
bei langgeschwänzt. Der Stier-Mensch (Minotauros) geht in den
Wald, wo er nacheinander drei Menschen findet — einen schwarz-
farbigen, einen grttnfarbigcn und einen weissfarbigen — die sich
ihm anschliessen. Der Stier-Menscli überwindet die Bezauberung
einer zwergartigen Hexe; seine drei Gefährten lassen ihn an
einem Seile in eine Tiefe hinab, auf deren Grunde die Leiche
der Hexe unter Gold und Edelsteinen liegt. Als er ihnen die
Schätze hinaufgereicht hat, lassen sie ihn in der Felsenkluft
zurück ; er entkommt 'jedoch und trifft ein reizendes Mädchen,
das aus einer Quelle Wasser geholt; indem sie dahin wandelt,
sieht er mit Verwunderung, wie unter jedem ihrer Tritte immer
eine Blume nach der andern hervorsprosst. Ihr folgend, gelangt
er in den Götterhimmel, unterstützt die Götter in ihrem Kampfe
gegen die Schumnu (Dämonen) und stirbt bei diesem Unterneh-
men. Diese Erzählung; indischen Ursprungs, in welcher der Stier
und die Kuh die Stelle des Helden und des Mädchens einneh-
men, scheint mir zu den umfassendsten Vergleichungen zu be-
rechtigen.
Wir haben schon die wohlthätigen Eigenschaften des Kuh-
mists gesehn. In der vierten Erzählung findet sich unter den Ex-
crementen einer Kuh der Lebenstalisman des Chänes, ein kost-
barer Edelstein, den die Tochter des Königs verloren; marga-
rita in sterquilinio. Die Perle ist das Secret der Kuh.
Die Mond-Kuh und die Aurora-Kuh sind reich an Perlen; sie
sind selbst Perlen, gleich der Sonne; die Sonne kommt aus dex
Aurora, die Perle aus der Kuh.
Gegenstand der siebenten Erzählung sind die drei Schwestern,
welche täglich abwechselnd die Büffel auf der Weide hüten. Die
älteste Schwester schläft eines Tages beim Hüten ein und ein
99
Büffel verläuft sich. Als sie ihn suchen geht^ kommt sie an ein
verzaabertes Schloss, voller Gold and Edelstein ; doch ist Niemand
daselbst; nur ein grosser, weisser Vogel sitzt aaf einem kostbaren
Tisch. Dieser will sie den Büffel finden lassen, wenn sie seine
Frau werden will. Sie geht daraaf nicht ein, sondern kehrt zu-
rück. Dasselbe geschieht mit der mittleren Tochter. Die jüngste
Tochter willigt ein, ihn zn heirathen. Gelegentlich stellt es sich
heraus, dass der Vogel ein schöner Ritter ist (eine Form Lohen-
grins). Da sie jedoch auf den Rath einer Hexe das Vogelhaus
verbrennt, verliert sie ihn und kann ihn nicht ^wiedergewinnen,
bis sie ein neues Vogelhaus gebaut hat. Wir werden die Sonne
In den vedischen Hymnen als Vogel sehen; die Aurora ist das
ans Flammen gemachte Bauer dieses göttlichen Vogels. Als das
Vogelhaus am Morgen verbrannt wird, trennen sich die Aurora
und die Sonne; sie treffen sich am Abend wieder/ als das Bauer
wiederhergestellt ist
Ein andrer schöner Mythus von analoger Bedeutung findet
sich in der achten Erzählung wieder. Ein Holzkünstler und ein
Maler sind einander feindlich gesinnt; der Maler macht den Kö-
nig glauben, dass sein (des Königs) verstorbener Vater ihn (den
Maler) zu sich in den Himmel beschieden und ihm ein Schreiben
an seinen Sohn (den regierenden Chan) mitgegeben habe. In
diesem Schreiben steht: „Sende unseren Holzkünstler herauf, um
mir einen Klostertempel hier zu errichten. Die Art und Weise
heraufzukommen, weiss der Maler." Der König befiehlt dem Holz-
kttnstler, sich nach dem Götterreiche aufzumachen. Der Maler
bezeichnet als den Weg hinaufzukommen einen Scheiterhaufen,
auf dem er den Holzkünstler verbrennen will. Dieser weiss sich
jedoch geschickt aus der Affaire zu ziehen ; er verbirgt sich einen
ganzen Monat lang; dann geht er zum Chan, sagt, er sei im Göt-
terrciche gewesen uqd präsentirt einen Brief des Verstorbenen,
mit dem Befehle , den Maler hinaufzuschicken , um den Kloster-
tempel zu malen. Heraufkommen *^ solle er nur nach der vorigen
Weise. Der König dringt auf die Befolgung des Befehls und der
hinterlistige Maler kommt elend um. Die Morgensonne taucht
heil und gesund aus den Flammen der Morgen- Aurora auf; die
Abendsonne passirt dieselben Flammen und stirbt.
Die zehnte Erzählung bietet uns den Mythus von den beiden
Brüdern, dem reichen habsüchtigen und bösen und dem armen
tugendhaften. Die Erzählung endet analog der von dem sterben-
7*
100
den Ehebrecher; der^ wie wir im Tnti-Name saben^ seiner Her-
rin die Nase abbeisst.
Die eilfte Erzählung ist eine Variation der von dem Lieben-
den oder Gatten, welcher sein Weib verlässt oder tödtet, nachdem
er es seiner Reichthttmer beraubt: aber statt des Wassermeeres
haben wir hier das Sandmeer, die Sandwüste; in welcher das
junge Mädchen, in eine Kiste eingeschlossen, vergraben wird,
derselben Kiste, die in andern Volksmährchen auf der Oberfläche
des Wassers umhertreibt. * Sie wird jedoch von einem jungen
Prinzen gefunden und fortgenommen, und statt ihrer ein Tiger in
den Kasten gesteckt ; der unwürdige Gatte wird, als er die Kiste
fortnehmen will, von demselben zerrissen. Die unfruchtbare Nacht
ist eine weite Wüste, ein Wasser-, ein Sandmeer; der Sonnen-
prinz befreit die Aurora aus dem Wasser, dem Brunnen oder der
Wüstenhöhle; der Tiger tödtet das Gatten-Ungeheuer.
In der zwölften Erzählung stiehlt ein Dieb dem Chan sdneii
Lebenstalisman; er wirft den Edelstein zu Boden und die Folge
davon ist, dass dem Fürsten die Nase so heftig blutet, dass er
stirbt. Die Nase ist der hervorragendste, sichtbarste und glän-
zendste Theil des Gesichtes; sie ist der Edelstein des Sonnen-
fttrsten. Die Sonne fällt in der Nacht auf den Berg; der Edel-
stein fällt auf die Erde; dem Prinzen blutet die Nase; er hat
seine Nase auf die Erde gestossen und sie blutet. Der Sonnen-
prinz stirbt und der Abendhimmel färbt sich roth, blutig roth:
die Sonne, die am Abend ihr Blut verliert, stirbt (geht unter).
Den dreizehn kalmükischen Erzählungen folgen zehn mon-
golische; im Ganzen dreiundzwanzig, von denen jedoch die sechs-
zehnte verloren ist.
Die vierzehnte erzählt uns von dem reichen und habsüchtigen
Manne, dessen armer Bruder in der Verzweiflung in den Wald
geht, um sich das Leben zu nehmen; unbemerkt belauscht er dort
die Däkinis (Geister) und setzt sich in Besitz eines diesen gehö-
rigen Hammers und Sackes; schlägt man mit dem Hammer auf
den Sack, so kommt Alles, was man wünscht, aus dessen Innerem
zum Vorschein. So wird der arme Bruder reich und wird von
dem andern beneidet, der in der HofFnung, dasselbe Glück zu
haben, an dieselbe Stelle geht, da er sich jed(»ch nicht verbirgt,
von den Kobolden gesehen wird, die ihn ilir den halten, welcher
' Vgl. auch das Kapitel über das Schwein, wo wir die Mythen and
Legenden, die sich auf Verkleidungen beziehen, auseinandersetsen werden«
101
den Hammer nnd den Sack gestohlen, aus Rache ihm die Nase
lang ziehen and ihm nenn Knoten in dieselbe knüpfen. Auf diesen
Mythus lässt sich vielleicht der italienische Ausdruck: „restare
con uno o due palmi di naso'^ (mit ein oder zwei Nasenlängen
znrttckbleiben) zurückführen; d. h. ausgelacht werden und zwar
mit der Geberde, von welcher Verspottung begleitet und die an
den Verspotteten gerichtet wird, indem man eine oder beide Hände
an di§^ Nasenspitze setzt. * Der arme, jetzt reiche Bruder besucht
den Unglückliehen mit der Knotennase und bringt mit seinem
Hammer die Knoten fort. Er hat schon acht weggebracht und
nur einer bleibt noch, als er auf Ansuchen seiner Schwägerin ab-
lässt; diese cntreisst ihm nämlich den Hammer, um den neunten
Knoten selbst zu lösen; ^sie schwingt den Hammer nach seinem
Beispiel, schlägt aber, da sie den Massstab nicht kennt ^ ihrem
Manne die Stirn entzwei, so dass er stirbt.
In der siebzehnten mongolischen Erzählung besitzen ein alter
Mann und eine alte Frau neun Kühe. Da der Alte ein Liebhaber
von Fleisch ist, so pflegt er alle Kälber, sobald sie zur Welt ge-
kommen sind, zu schlachten und zu verzehren; die Alte aber
pflegt sich nur von Milch und Butter zu nähren. Als der Alte
alle Kälber gegessen, denkt er, eine Kuh mehr oder weniger wird
meinen Wohlstand nicht beeinträchtigen; so argumentirend ver-
zehrt er alle Kühe bis auf eine, die er aus Rücksicht auf die
Liebhaberei seiner Alten aufspart. Eines Tages aber, als die Alte
nicht zu Hause ist, kann er der Versuchung nicht widerstehen
und schlachtet die letzte Kuh. Jene kommt zurück, wird böse und
verlässt ihn, worauf er ihr ein Euter der Kuh nachwirft. Die
Frau hebt dasselbe in dankbarem Andenken an die geliebte Milch
und Butter auf, geht damit auf den Berg und schlägt dort mit
dem Kuheuter an den Fels, an welchem es haften bleibt; als sie
daran melkt, strömt Milch heraus und sie gewinnt Butter in reich-
licher Menge. Einstmals denkt sie: „Mein Alter könnte vielleicht
Hungers sterben" und wirft ihm einen Schlauch mit Butter durch
den Kamin, als er gerade damit beschäftigt ist, Asche zu essen.
In dieser Aufmerksamkeit erkennt der Alte die Liebe seines Wei-
bes und beschliesst sofort, ihren Fussspuren im Schnee während
' Vgl. auch die ital. Redensart: menare uno pel naso (Jemanden an
der Nase f&hren); soviel wie: mit Jemandem mächen, was man Lust hat;
eine zu lange Nase würde also ein Zeichen von Dummheit sein ; vgl. ferner
die deutsche Redensart: Jemandem eine Nase drehen, und: Jemanden
nasführen.
102
der Nacht zn folgen. Er kommt auf den Berg, sieht das Enh-
euter, isst es und nimmt die Butter mit fort. Die Alte wandert
umher, bis sie zu einem Rudel Hirschkühe kommt, die frei weiden
und sicb^ statt zu fliehen, melken lassen. Wieder denkt sie an
ihren Mann und wirft Hirschbutter durch den Bauchfang. Der
Alte folgt ihr im Schnee, findet sie bei den Hirschkühen und
tödtet dieselben in seiner Leideüschaft für Fleisch. Die Alte fährt
fort, umherzuwandem und stösst dies Mal auf eine Höhle von
wilden Thieren, die von einem Hasen bewacht wird. Der Hase
* _
schützt sie vor den wilden Thieren; sie fasst nun den Entschluss^
ihrem Mann einen WildschlMgel zu bringen und wirft ihn durch
den Rauchfang hinab, während er wie früher mit einem Löffel
die Asche in Portionen eintheilt. Er folgt ihr und kommt zn der
Höhle der wilden Thiere, die Beide zerreissen.
Die achtzehnte mongolische Erzählung ist zu indecent, als
dass sie hier eine Stelle finden könnte; es möge die Bemerkung
genügen, dass wir in ihr eine komische Variation der Amazone
haben und dass sich dieses Mannweib Sfirya (die Sonne) — Ba-
gatur (dem das russische bagatir oder Held entspricht) nennt
In der zwanzigsten Erzählung finden wir ein Kalb und ein
Löwenjunges, von einer Löwin mit derselben Milch aufgezogen. *
Als sie gross geworden sind, begiebt sich der Löwe in einen Wald,
das Kalb aber auf die Sonnenseite eines Berges; sie begegnen
sich als gute Freunde und« Brüder und trinken ans demselben
Wasser. Dieses gute Einvernehmen wird jedoch durch ihren treu-
losen Onkel, den Fuchs, gestört, welcher dem Löwen einredet,
der Stier beabsichtige, ihn zu tödten und auch bemerkt, dass,
wenn der Stier am nächsten Morgen den Boden mit seinen Hör-
nern aufwühlt und laut brüllt, dies das Zeichen sei, dass er im
Begriff stehe, seine Absicht auszuführen; er erzählt darauf dem
Stier, der Löwe hege die gleiche Absicht gegen ihn. Als die bei-
den Brüder, Stier und Löwe, am Morgen zu demselben Wasser
geben, nähern sie sich einander mit Misstrauen, gerathen in Streit
und tödten einander, während der Fuchs allein den Vortheil bat.
Diese Gestalt der Geschichte von den beiden Dämmerungen (den
A(vins) werden wir im nächsten Kapitel noch näher be-
leuchten.
Der Anfang der einundzwanzigsten mongolischen Erzählung
' Vgl. auch die Kapp, über den Löwen un*! den Fuchs.
VX-^
103
bietet uns eine neue Analogie zu der Fabel von Perrette. * Arme
Eltern finden einen Klumpen Schafwolle; sie pflegen Rath und
beschliessen, aus der Wolle einen Rock zu" machen und für den
Rock einen Esel zu kaufen und ihren Jungen darauf zu setzen.
^Und wenn wir doch einmal kaufen," sagt die Frau, „so muss
eine Eselin genommen werden; 'wenn von ihr ein Junges zur
Welt gebracht wird, so werden es ihrer zwei." Der kleine Bursche
schreit gleich, werde ein kleiner Langohr geboren, so wolle er
darauf reiten, worauf seine Mutter antwortet: „Du wirst den
Rücken des jungen Esels zerbrechen;" sie begleitet diese Worte
mit der Bewegung eines Stockes und schlägt dem Kinde den
Kopf ein, so dass es stirbt ; damit haben auch die schönen Pläne
der armen Eltern ein Ende.
In der letzten Geschichte des Siddhi-kür, die sich an die
drei Fabeln von den dankbaren Thieren, den Verkleidungen und
der lachenden Prinzessin anschliesst, gebraucht ein Mann die
Hörner seines todten Büflels, um die Wuraeln, von denen er sich
in der Verbannung nährt, auszugraben.
Auch die Geschichte von Ardshi-Bordshi enthält mehre
interessante Erzählungen.
Sie beginnt damit,, dass die Kinder, die des Königs Ktthe
httten, von dem Gipfel eines Hügek aus einen allgemeinen Wett-
lnuf anzustellen pflegen. Der Erste , welcher an das Ziel kommt,
wird für diesen Tag von seinen Gefährten wie ein König geehrt
und benimmt sich und spricht Recht an dem Platze, wo der Wett-
lauf Statt findet, wie ein wirklicher König ; ja, er entscheidet wie
ein Gerichtshof letzter Instanz über Fälle, die von dem grossen
König des Landes nicht recht geprüft worden sind. Er entlarvt
und überführt Räuber und falsche Zeugen, die von dem König als
unschuldig losgesprochen worden sind, und schickt einen Boten
an den König, indem er ihm empfiehlt, in Zukunft bei seinen
Urtbeilen vorsichtiger zu sein oder aber auf seine königliche
Würde zu verzichten. Der grosse König wundert sich über die
ausserordentliche Klugheit des Königs der Kinder und schreibt
seinen übernatürlichen Scharfsinn dem magischen Einfluss des
Berges zu, wo die Kinder, die die Kühe hüten, spielen. Bei einer
andern Gelegenheit entdeckt der König der Kinder durch seine
Schlauheit einen bösen Dämon in Jemandem, den der König für
' Vgl. über die Geschichte von Perrette den interessanten Aufsatz
[. Müllers in der Contemporary Review, 1870.
104
den rechtmässigen Sohn seines Ministers gebalten hatte. Die Ent-
deckung geschieht vermittelst einer Aufforderung an des Ministers
wirklichen Sohn und sein dämonisches Pendant^ auf der Stelle in
einen kleinen Krug zu kriechen. Der wirkliche Sohn kann es
nicht; aber der dafür gehaltene verkleinert sich und geht in den
Krug hinein, worauf der Kipderkönig die Oeffnung sofort mit
einem Diamanten vei'siegelt und dem grossen König für seine
Sorglosigkeit einen neuen Verweis zukommen lässt. Der grosse
König besucht darauf die Kinder, und als man die ihnen zum
Königsspiel dienende Httgelhöhe umgräbt^ kommt aus dem Innern
ein goldener Thron zum Vorschein; auf den 32 goldenen Stufen
stehen 32 Holzfiguren^ auf jeder Stufe eine befestigt (der Mond m
seinen Phasen). Der grosse König lässt den Thron in seinen
Palast bringen und versucht; ihn zu besteigen; die Holzfiguren
halten ihn zurtlck und eine von ihnen erzählt ihm, dass das einst
der Thron des Gottes Indra und später des Königs Vikraoaadity«
war. Der grosse König verneigt sich ehrerbietig und eine der
Puppen beginnt die Geschichte Vikramädityas zu erzählen.
Die Geschichte Vikramädityas , welche die Puppe erzählt^ geht
zurück auf ein kluges Kind^ welches die Gattin des Königs Gan-
dharva geboren^ nachdem sie einen Brei aus in Rüböl gekochter
und in einer Porzellanvase mit Wasser verdünnter Erde (dessen
Bodensatz eine Dienerin isst) gegessen hatte. Der junge Vikra-
mäditya lernt alle Künste ; eingeschlossen die Kunst zu stehlen^
welche ihm von den erfahrensten Räubern beigebracht wird, wie
auch jede Art von Betrug in Handel und Wandel; dnreh Betrug
gelangt er in den Besitz eines bezauberten Edelsteines, der in der
rechten Hüfte eines Leichnams steckt, und eines Knaben, der die
Fähigkeit besitzt, die Sprache der Wölfe zu verstehen und sich
Sohn der Wölfe nennt, in Wirklichkeit aber an der Landstrasse
von dem Mädchen geboren ist, welches den Bodensatz des Breis
gegessen hatte; dieses Kind wird nun von seiner Mutter gesäugt
und wird, obwohl zuerst ungestfjt, im Laufe der Zeit sehr schön.
Vikramäditya tödtet später den König der Dämonen im Kampfe,
wobei es beach tenswerth ist, dass so viel neue Dämonen zum
Kampfe erstehen, als Stücke sind, in die der Held den Dämon
haut, bis sich der Held seinerseits vervielfacht und jedem Dämon
einen aus ihm entstandenen Löwen gegenüberstellt. VikraipA-
ditya besteigt einen Thron, auf dem die, die vor ihm darauf ge-
sessen, Alle nach einer vierundzwanzigstündigen Regierung um-
gekommen waren, weil sie unterlassen hatten, während der Nacht
106
die ttbUeben Opfer darzubringen; VikramAdityaerrallt mit seinem Ge-
nossen, dem Sohn des Wolfs, die heilige Pflicht und entrinnt dem Tode.
In derselben Erzählung; welche uns an die Kibhus und die
vier Becher und die Kuh erinnert, arbeiten vier junge SchÄfer,
ein^ nach dem andern, an demselben Stück Holz; einer giebt ihm
die allgemeine Gestalt einer Frau ; der zweite trägt gelbe Farbe
Mrf; der dritte verleiht die Züge, die der weiblichen Gestalt eigen-
thttmtieh sind, und der vierte haucht der Figur Leben ein; dann
streiten sie sich um sie. Der Fall wird vor den K(Vnig gebracht;
ein Weiser spricht sich dahin aus: „Derjenige, der die. Figur zu-
erst gemacht hat, ist der Vater; der die Farbe aufgetragen, ist die
Mutter; der die charakteristischen Züge hinzugefügt hat, ist der
Lama (Priester); der ihr das Leben einhauchte, wie sollte der nicht
ihr Mann sein?'^ So werden aus den Vier Drei, indem die ersten
Beiden ein Paar bilden.
Folgt die Erzählung von der Frau, die ihren Mann bei den
FttfiscB nimmt und ihn in einen Brunnen stösst, weil sie eine me-
lodische Stimme, vielleicht ein Echo ihrer eignen, hört, die sie
bezaubert; als sie nun jene liebliche Stimme aufsucht, sieht sie
einen am Rücken und Hals mit Wunden und Beulen bedeckten
Mann, der sich so lieblich vernehmen lässt, und beklagt ihren
verlorenen Gatt^. In der Tbiermythologie entspricht die Fabel
von dem Hunde, der, beim Anblick seines eigenen Schattens, das
Fleisch in den Floss fallen lässt, dieser Erzählung, die wir jedoch
hier nur wegen ihrer Verwandtschaft mit den ähnlichen Erzäh-
lüDgen von der Frau, die ihren Mann tödtet und von dem Mann,
der seine Frau tödtet, indem er sie ins Wasser wirft, und die
schon in denvedischen Hymnen unbestimmt angedeutet sind, anfuhren.
Die letzte Evzählung, die in der Geschichte von Ardsbi
Bords hi enthalten ist, zeigt uns andrerseits ein zu geiUlliges
Weib. Em König hat eine Tochter, „Sonnenschein^^ geheissen, die
voa Niemandem angesehen werden darf. Die Tochter bittet einst
um die Erlaubniss, am fünfzehnten des Monats (bei Vollmond)
ausgeben und sich in der Stadt umsehen zu dürfen; es wird ge-
währt, der König befiehlt jedoch Allen, an diesem Tage zu Haus
zu bleiben und alle Thüren und Fenster zu schliessen; Todes-
strafe steht auf der Uebertretung dieses Gebotes. (Aehnliches
konunt in der britischen Erzählung von Godiva, der Gräfin von
Mercia, ans dem eilften Jahrhundert vor,) Ein Minister, Ssaran
(„Mond^O mit Namen, kann seine Neugierde nicht bezwingen und
beobachtet sie von einem Söller aus; das Mädchen lädt ihn durch
■ 1
106
Zeichen ein, zu ihr zu kommen ; das Weib des neugierigen Mi-
nisters deutet ihm die Zeichen und drängt ihn, dem schönen Mäd-
chen nachzugehen, indem sie ihm beim Abschied eine Perle der
Wiedererkennung giebi Sonnenschein und Mond treffen sich
unter einem Baume und bringen die Nacht bis zum Sonnenauf-
gang in Liebesspiel hin. Eine der mit der Bewachung der Prin-
zessin betrauten Personen entdeckt diese Intrigue, wirft Beide ins
Gefängnis^ und denunzirt sie dem König; das Weib des Ministers
Ssaran wird vermittelst der Perle in Kenntniss gesetzt, dass ihr
Mann in Gefahr ist; sie trifft ihn, verkleidet und verwandelt ihn,
und bringt eine Eidesformel bei, mit welcher Sonnenschein schwört;
dass es ein Ungeheuer war, welches sie umarmt hat; da dies dem
Könige und seinen Höflingen unmöglich scheint, so werden der
Minister Ssaran und Sonnenschein freigesprochen. (Die Aurora
oder die Sonne ist während der Nacht verborgen und Niemand
sieht sie, Niemand darf sie sehn; der Gott Lunus zeigt sich;
er weih während der Nacht bei der Sonne oder der Aurora, die
Niemand während der Nachtsehen kann; der Gott Lunus verwandelt
sich darauf, so dass er unkenntlich, unsichtbar wird; der Schul-
dige schleicht sich davon und entrinnt; es scheint also unmög-
lich, dass der Gott Lunus, der nicht mehr zu sehen ist, bei dem
Licht der Sonne gewesen sei; nachdem ihre Liebe ein Ende er-
reicht, die Buhlen getrennt sind, glaubt man nicht mehr an ihre
Schuld, ihre Unschuld wird anerkannt und die Sittlichkeit der
Mythe sich selbst überlassen.)
Da jedoch die kalmttkischen und mongolischen Erzählungen
von Siddhi-kür und die Geschichte Ardshi-Bordsbis nur
Paraphrasen von indischen Mäbrchen sind, so dürften sie allein
die Abstammung der mündlichen turko-finnischen Tradition im
eigentlichen Sinne von den Thierfabeln der arischen Mythologie
nicht hinreichend beweisen. Wir müssen uns also wohl oder übel
in andern Gegenden nach Beweisen für ihren Einfluss umsehen.
Eine turanische Erzählung aus dem Süden Sibiriens^ ver-
schweisst mehre mythische Stoffe, mit denen wir schon bekannt
geworden sind, miteinander.
Arme alte Leute haben drei Söhne; die drei Söhne gehen
auf den Berg träumen; die beiden ältesten träumen von Reich*
thümem, der dritte träumt, dass seine Eltern magere Kameele
' Radlofi, Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme
SSüdsibiriens.
107
and seine Brüder zwei hungrige Wölfe sind, die ins Gebirge da-
Yonlanfen, während zu seiner rechten Seite die Sonne ^ za seiner
linken der Mond, nnd auf seine Stirn der Morgenstern scheint.
Der Vater befiehlt den Brüdern; ihn zu tödten ; sie wagen es
nicht; sie vertreiben ihn nur aas dem Hatise und tödten statt
seiner einen Hand, dessen Blut sie ihrem Vater bringen , welcher
es für das seines Sohnes hält und ihnen seine Zufriedenheit aus-
spricht Der Jüngling seh weift; umher, bis er an eine Hütte
kommt, wo ein blinder und lahmer Alter und eine blinde Alte
aus einer goldenen Schüssel essen, die sich, sobald sie leer ist,
von selbst mit neuem Fleisch füllt (der Mond). Der hungrige
Bursche hatte sich, während die Alten auf dem Bette lagen, etwas
von diesem Fleisch genommen, doch der Alte bemerkt, als er
etwas gegessen, dass Jemand mit den Zähnen in das Essen ge-
fahren ist; mit einer Angel, die er um sich schwingt, fa^st er
den Jüngling beim Rockschosse, der um sein Leben bittet mit der
Versicherung, er wolle das Auge der Augenlosen und der Fuss
des Fusslosen sein. Das gefällt den Alten und sie adoptiren ihn
an Sohnes Statt; er macht sich einen Bogen und einen Holzpfeil
und geht auf die Jagd nach Wild zu ihrem Unterhalt Der Alte
leiht ihm sein eisengraues Ross, das erst einen Tag alt ist, be-
fiehlt ihm aber, nicht auf dem Wege nach Sonnenuntergang zu
zu reiten, sondern nach Sonnenaufgajig hin ; der Jüngling wundert
sich, warum er nicht nach Sonnenuntergang reiten solle; „viel-
leicht sein Vieh, sein Geld, seine Leute werden dort sein,'/ denkt
er, ist nngehorsana und reitet bei Nacht Was das Pferd dann
thut, werden wir im nächsten Kapitel sehn. Der Jüngling be-
kämpft und besiegt den Dämon, indem er seine Oberlippe an den
Himmel, die Unterlippe an die Erde befestigt; der überwundene
Dämon räth ihm : „Mein Bauchfett nehmend, gürte es Dir um. In
meinem Innern wird ein silberner Kasten sein, in diesem ein
goldener, in diesem wieder ein silberner; den silbernen Kasten
nimm ; wirf ihn in den Milchsee." Aus dem aufgeschlitzten Bauche
des Ungeheuers kommen unzählbare Thiere, Menschen, Geld und
Sachen heraus. Ein Theil der Leute spricht: „Was für ein edler
Mensch hat jins von der schwarzen Nacht befreit? Was für ein
edler Mensch hat uns den hellen Tag gezeigt ?" In dem innersten
Kasten findet der Jüngling ein zusamraengeknotetes weisses Tuch,
das er in die Tasche steckt Aus dem Kasten kommt viel Geld,
Volk und Leute nimmt der Jüngling. Alle Sachen, alles Geld
nimmt er. Das weisse Vieh treibt er vor sich her und kehrt heim.
108
Zu Hause «cblafen der Alte und die Alte. Der Jüngling maeht
das weisse Tuch auf und findet darin die Angen der Alten zu je
zweien eingebunden; er setzt sie ihnen ein; dann setzt er sich mit
gekreuzten Beinen zur Seite des Feuers und raucht Tabak. Jetzt
stehen die Alten auf mit sehr hellen, sehr schönen Augen, und
umarmen den Jüngling. Der Alte verleiht ihm darauf die Fähig-
keit; sich in einen Fuchs, einen Wolf, einen Löwen, einen Geier
und andere Thiergestalten ganz nach Belieben zu verwandeln.
Der Jüngling geht, um zu freien, nach der Residenz des Fürsten
Ai-Kan; dieser verspricht dem seine Tochter zu geben, der ihm
den, bei einem Ausritt vergessenen, goldenen Handschuh bringt. '
In der Gestalt eines Geiers macht sich der Jüngling auf, ihn zu
holen ; er gewinnt die Tochter des Ai-Kan, welche den Handschuh
bat und zu ihm sagt: „Du bist mein Mann.^' Nach verschiedenen
andern Verwandlungen, in deren einer die beiden mageren Kameele
wiedererscheinen, d. h. seine beiden Eltern, nimmt er sich
schliesslich noch eine andere Frau, die Tochter des Kün-Kan und
lebt bald bei der einen, bald bei der andern, welcher er das
Fleisch seines eigenen mörderischen Vaters zu essen giebt. Keca-
pituliren wir die Momente dieser höchst significanten Erzählung: —
1. Die Vorbedeutung, der Traum auf dem Berge; 2. Die drei Brüder,
von denen zwei den dritten, zum Glück bestimmten tödten wollen ;
3« Der Lahme und der Blinde im Walde; 4« Die Jagd des Helden;
5. Der Kampf mit dem Ungeheuer der Nacht; 6. Die Schätze,
geistige und materielle, welche aus dem Ungeheuer herauskommen ;
7. Das Vieh in Verbindung mit dem Milchsee; 8. Der Uebergang
des Helden von dem Milehsee an den Kamin, von der Alba zu
der Aurora, von dem weisslichen Himmel zu dem rötblichen;
9. Das Erwachen der Schläfer und die Wiederherstellung des Ge-
sichts bei dem Blinden, während er am Feuer sitzt, während sich
die Sonne mit der Aurora vereinigt; 10. Die Verwandlung des
Helden selbst; 11. Erlangung der Braut durch Beschaffung der
goldenen Handschuhe; 12. Seine Heirath mit zwei Frauen; 13.
Seine Rache an dem ihn verfolgenden Vater. Die Erzählung ist
an sich ein episches Gedicht und wir können nur bedauern, dass
ihr die altaischen Mährchenerzäbler keine kunstvollere Gestalt
I Prof Schiefner (bei Riidiofi, Proben etc. Vorwort p. XII) hat mit
dieser Stelle echou eine von Ahlquist in seinem Versuch einer Moksha*
Mordwin'isoben Grammatik (p. 97) yeröffentlichten EkväÜtUiig vei^
glicbeni
109
gaben als die^ in welcher sie in der vorzüglieben Radioffischen
Sammlung vorliegt.
Eine andere interessante tnranische Erzählung in derselben
Sammlung; die mehre Spuren des ursprünglichen Mythus an sicli
trägt, ist eine Version der Erzählung von dem Helden, welcher
das ihm von seinem Schwiegervater aufgegebene Räthsel löst und
80 sein Weib gewinnt Ein Vater hat drei Söhne; der erstge-
borene träumt, dass ein Wolf ihre Kuh gefressen hat; er sieht
nach und findet es richtig (die Aurora vernichtet die Nacht). Wir
haben schon gesehen, dass, wie der dritte Bruder das kluge Kind
ist, so der erstgebome oft das Geheimniss, Räthsel zu lösen, be-
sitzt. Der Vater der drei Brüder denkt daran, für seinen ältesten
Sohn ein Weib herzuschaflfen. „Auf die Freite ging er, zum
Brautvater kam er, der Brautvater sagte: *Mit Pelz komme nicht!
Ohne Pelz komm' auch nicht! wenn Du so kommst, werde ich
(Dir) meine Tochter geben*/' Der Sohn näht am Morgen den
Pelz aus einem Netz ; der Alte zieht diesen Pelz an und der Braut-
vater weiss nicht, hat jener einen Pelz oder hat er keinen. Der
Brautvater giebt ihm noch ein Räthsel auf: „Den Weg betritt
nicht, vom Wege weich' nicht ab! ohne Pferd komm' nicht, mit
einem Pferd komm' auch nicht! Wenn Du so kommst, werde ich
(Dir) meine Tochter geben." Der Sohn löst das Räthsel und der
Alte reitet zum Brautvater, indem er auf dem Rande des Weges
geht und einen Stock zum Pferde macht und darauf reitet. Da
giebt der Brautvater die Tochter.
Schiefher ' giebt eine finnische Variation derselben Erzählung.
Ein König stellt öinem Häuslerknaben die Aufgabe, zur
Stadt zu kommen „weder bei Tage noch bei Nacht, weder auf
dem Wege, noch am Rande des Weges, weder zu Ross noch zu
Fuss, weder bekleidet noch nackt, weder innerhalb noch ausser-
halb." Der Knabe macht sich eine Decke aus einem Ziegenfell,
geht zur Stadt auf dem Boden eines Grabens, an einem Fuss ein
Sieb, an dem andern eine Bürste, und dies in der Morgendämme-
rung, und setzt sich auf die Thür der Vorhalle, das eine Bein nach
innen, das andre nach aussen haltend.
Das war der Humor und die Weisheit unsrer Väter ; Scharf-
sinn wurde nach der Geschicklichkeit im Lösen astronomischer
Räthsel bemessen. Jetzt haben die Räthsel eine andre Gestalt
1
' RadloflF, Proben etc. Vorwort p. XIII.
110
angenommen; es sind Züge der Diplomatie, Liebeshieroglyphen,
ethische Fragen, metaphysische Nebeicien, die wir, die Männer
des Fortschritts, lösen müssen ; aber in der Abneigung, unser Zu-
rückstehen an Scharfsinn gegen die Kinder der Erzählungen anzu-
erkennen, möchten wir uns gern selbst tiberreden, dass die neuen
Räthsel schwieriger sind als die alten.
Bei den vedischen Räfhseln , welche sich die Aurora und die
Sonne einander aufgeben, haben wir gesehen, wie sie am Morgen
durch die Hochzeit des Rathers und der Ratherin gelöst wurden.
So lösen auch in den beiden eben angeführten Räthseln der Sohn
des alten Mannes und das Kind das Räthsel am Morgen. Was
das Sieb, die Bürste und den Graben betrifft, so sind sie mythische
Staffirung von grossem Interesse und augenfälliger Bedeutung.
Der nächtliche Himmel ist der grosse Graben; den Nachthinimel
zu fegen , müssen wir eine Bürste habeo ; das gute Korn während
der Nacht von dem schlechten zu sondern, wie die grausame
Stiefmutter befiehlt, müssen wir ein Sieb haben; das Kind Sonne
langt in der Dämmerung auf dem Boden des Grabens an der
Thorschwelle des königlichen Palastes an und bietet der jung-
fräulichen Aurora (der vedischen Reinigerin oder Putzerin) die
Bürste und das Sieb an. Die Sonne ist beim Zwielicht weder
drin noch draussen. In der zweiten schottischen Geschichte Camp-
beils befiehlt der Riese dem Helden unter Anderm, in einem Tage
die sieben Jahre lang nicht gereinigten Ställe zu reinigen (He-
rakles und Augias).
Doch bleiben wir bei unsrem Gegenstande; der Weg ist weit!
Eine mongolische Sage, die in der mongolischen
Chrestomathie von Popow* enthalten ist, spricht. von einem
Knaben, der ohne Sattel auf dem schwarzen Ochsen reitet
Wir sahen oben die Kuh, welche der Wolf frisst: in einer
andern altaischen Erzählung finden wir eine Alte, die ihre sieben
azur (dunkel) farbigen Kühe sieben Wölfen preisgiebt, damit die
letzteren das Kind Kan Pttdäi verschonen, welches sie an dem
Fusse eines Brunnens gefunden hatte; mittlerweile ist das Kind,
das zweihundert Hasen verzehrt hat,* stark geworden und zer-
bricht seine eiserne Wiege (der eiserne Nachthimmel ist die Wiege
der jungen Sonne); aus den Hörnern von sechs Steinböcken
* Kasan I83ß, S. 19, angeführt von Schiefner in dem Vorwort tn Rad-
ioff • Proben etc. p. XII.
* Vgl. über die Bedeutung^ die9e8 M^'thus das Knp. Über den Hasea«
l
Ill
macht sich der Jüngling einen Bogen; aus dem Fell eines riesi-
gen Seethieres (der dttstem Wolke) macht er eine Sehne für den
Bogen (die Bogensehne heisst auch bei den Hindus go d. h. Kuh,
wie eine Wolke am Himmel und als ob sie aus dem Fell einer
Kuh gemacht wäre); er reitet auf dem azurnen Kalbe (dem
dunklen Kalbe, welches unsere Aufmerksamkeit auf den schwar-
zen Ochsen zurüeklenkt und uns seh Hessen lässt, das riesige Thier
sei eine Kuh gewesen), bezwingt und zähmt es; er kommt dann
an ein Schneefeld, auf welchem ein heisser schwarzer Wind weht
und wo er die sieben Wölfe findet; er bindet sie seinem Kalbe
an den Schwanz und schleift sie auf der Erde, bis sie sterben.
Der Knabe setzt seine Jagd auf wilde Thiere fort; er tödtet die
schwarzen und fetten ; die gelben und magern lässt er frei. „Der
Jüngling geht hinaus an des schwarzen Meeres Mitte, an des
schwarzen Meeres Flusse baut er ein schwarzes Schloss. Die Alte
(die ihn aufgezogen) und das blaue (i. e. dunkelfarbige) Kalb
bringt er dort hinein/' Darauf vertauscht der junge Kan Püdäi
sein Kalb mit einem Pferde. Wir werden im nächsten Kapitel
sehen, was er mit seinem Pferde macht; es genüge hier die Be-
merkung, dass er schliesslich den schwarzen Stier trifft, den Herrn
des Altai. Die Seele des schwarzen Stiers flüchtet sich in einen
rothen Faden in der Mitte des Regenbogens (in dem Volksglauben
des Orients war der Regenbogen eine Brücke, ein Pfad, über den
die Seelen der Sterblichen schritten) ; der junge Kan Püdäi durch-
bohrt sie mit seinen Pfeilen. Er erobert das weisse Vieh , tödtet
das Ungeheuer Kara Kula und kehrt, dessen Weib und Tochter
mitnehmend, heim; sieben Tage lang ist Schmausen und Trinken
und Festfreude im Hause Kan Püdäis. Jedoch wird nicht gesagt,
dass er die Tochter und das Weib Kara Kulas geheirathet habe.
Kan Püdäi ist im Gegentheil sterblich in Tämän Oekö, des Him-
mels Kind, verliebt (duhitar divas oder Tochter des Himmels ist
der Name, welchen gewöhnlich die Aurora in den vedischen Hymnen
fuhrt} und steigt, um sie zu holen und sie zu seinem Weibe zu
machen, in den dritten Himmel auf (es ist die dritte Stufe Vish^us;
es ist der dritte Bruder, die Sonne der dritten Nachtwache,
welche den Sieg über das finstere Ungeheuer davonträgt). Um
der Tochter des Himmels würdig zu werden, hat Kan Püdäi zwei
Ungeheuer zu tödten, Asche auf das Siegesfeld zu streuen und
das weisse Vieh fortzutreiben, die drei Bären zu fangen, die drei
schwansblauen Stiere zu nehmen und sie drei Hügel verschlucken
zu lassen, den Tiger zu nehmen und ihm das Kraut dreier 6e-
112
birge za esnen zu geben , den Wallfisch im Mauen Meere bo
tödten (lauter verschiedene Gestaltungen eines und desselben
mythischen Kampfes) ; und schliesslich auf dem Bergesgipfel mit
dem goldhaarigen Ungeheuer Andalma zu spielen. Er bekommt
darauf die Braut und kehrt mit ihr in sein eigen Land zorttck, wo
er jagt; Kriege fUhrt und alle seine Feinde besiegt, bis er alt
wird; dann verlässt er AUe^ ausgenommen seine alte Lebensge-
fährtin (die alte Sonne und die alte Aurora trefien sich am Abend
wieder).
Hier haben wir augenscheinlich die richtige ThiermTthologie«
In der verwickelten Erzählung von Ai-Kan haben wir in dem
Brnder Altyu Ayak, welcher in einem goldenen Kasten schläft
und erwacht, um Ai-Kan zu helfen, eine Figur, welche wenn auch
nicht identisch ist, doch Aehnlichkeit hat mit der des schlafenden
Kumbhakarna (Muschelohr) im Rämäyajjta, der erwMht, um R&-
vana zu helfen. Wir haben den berauschenden Trank, der dem
Helden Kraft giebt, welcher drei Mal vom Tode erweckt wird,
das letzte Mal nachdem er von Hunden gefressen worden ist; die
Wölfe, welche Sary-Kan oder den schönhaarigen Fürsten ver
schlingen; den Helden (die Sonne), welcher die ihm von den bei-
den Brüdern (den A^vins) gegebene Frau (die Aurora) schlägt;
Hund und Kater in Freundschaft ; den goldenen Napf, in welchem
der schlafende Brnder Ai-Kans eingeschlossen ist und welcher
ins Meer ßlllt; die dankbaren Thiere, welche nach dem Napf
suchen, der sich im Magen eines Fisches findet (ans dem Wall-
fisch des nächtlichen Oceans kommt der Edelstein heraus); und
das daraus folgende Erwachen des schlafenden Altyn Ayak.
Das Folgende ist aus einer altaischen Sage in der Radioff-
sehen Sammlung * : -- Ein Chan schickt sein Heer aus , am ein
Volk jenseits des Meeres zu bekriegen. Sie kommen an ein un-
absehbares blaues Meer ; jenseits desselben steht ein hoher, kahler
Stein; sie setzen über und finden, dass der Felsen ein kleines
Mädchen ist. Dieses ist die Beherrscherin des jenseits des Meeres
gelegenen Landes. Ihre Unterthanen wollen sich auf einen Krieg
nicht einlassen ; sie schickt die über das Meer gekommenen Feinde
fort, indem sie ihnen Gold, Silber, schöne Seide, goldene Näpfe^
schöne Pfeifen, wie auch die eine Vorderhälfte ihres Pelzes giebt
Diese kehren zum Chan zurück, welcher die eine vordere Pelz-
hälfte den Schneidern giebt, um zu erfahren, ftlr wie viel Menschen
> Theil I, Ueber9etiuBg p. 194 fi.
113
sie hinreiche ; die eine vordere Pelzhälfte reicht für acht Menschen
hin.- In diesem wunderbaren Pelze^ in dem zauberhaften Mädchen
und in den Kriegern, die über das Meer fahren, haben wir ganz
unverkennbar den Schleier der jungfräulichen Aurora der Veden,
die vor der Sonne, ihrem Gemahl, ihren Busen entblösst, und das
Meer, ttber welches der Sonnen-Kämpfer fährt und aus welchem
er auftaucht, um zu der Aurora zu kommen — haben wir femer
ganz unverkennbar das goldene Fiiess, Jason, Medea, die Argo-
nauten der hellenischen Sage. *
In der finnischen Mythologie der Kalevala ' haben wir eben-
falls auf dem Berge „die gute und reine Wirthin, die Gabenreiche" ;
durch die goldenen Fenster ihrer Burg werden „die Geberiunen,
des Wildprets Spenderinnen" erblickt; in dieser finnischen Dai-
stellung haben wir jedoch meines Erachtens nicht das heldische
Mädchen A%rora zu erkennen, sondern den Mond, Diana die Jä-
gerin (das germanische „Helljäger^O > die auch auf dem Berges-
gipfel erscheint, von den Sternen des nächtlichen Waldes umge-
ben, in welchem sich die wilden Vögel finden, die sie deshalb auf
den Helden verschwenden kann.
Die Finnen verehren einen Donnergott, vereinigt mit den
Wolken, welcher als Schwert den Donnerkeil hat und Ukko-
heisst, den Vater Väinämöinens, des tapfeni und weisen Helden,
der schon im Mntterleibe spricht, schon als Kind Wunderthaten
verrichtet und Sonne Mond und Sterne schafft.
Dieses Heldenkiud begegnet uns wieder in ihrem „kleinen
Gott" (pikku niiesj, welcher, obwohl gleich dem indischen
Vishnu nur eine Spanne lang, dennoch eine Kupferrüstung trägt
und eine Axt mit einem ellenlangen Kupferschaft handhabt. Die
Axt selbst ist grösser als der Mann, der damit eine Eiche nieder-
haut, welche bis dahin kein menschliches Wesen zu fallen ver-
mochte. Der Sonnenheld ist klein ; aber sein Strahl, sein Donner-
* Rune, 7. — Vgl. CasU*^!!. Kleinere Schriften, Petersburg 1H62,
und die deutsche Ucbersetzung der Kalevala von Schiefner, Hei-
singfors 1852.
* Ich finde bei Castr^n (Kl. Sehr. p. 25) denselben Ukko mit dem
Worte Kave(KayeUkko) verbunden. Ich möchte mit Vorbehalt an die finni-
schen Sprachforscher die Frage richten, ob« da Ukko eine finnische Form
der Gottheit ist, welche die. Hindus Indra nannten und wie der von Indra
beschützte Held, der Held, in welchem Indra reproducirt ist, in der vedi-
schen (und iranischen) Sage Kavya U^anä oder sogar U^anä Kavi
heisst, die Worte Kave Ukko nicht einige Verwandtschaft mit dem Na-
men des vcdischen und iranischen Helden haben können?
Gobernaüa, dl« Tbitre. b
114
keil, seine Waffe, seine Hand verlängern sich, dehnen sieh so weit
aus, wie es der Zwergbeld wünschen kann, um den Feind, wel-
cher hier den wohlbekannten Anblick eines Baumstammes oder
eines dunklen Waldes bietet, zu vernichten. Der Holzhauer ist
deshalb eine Lieblingsfigur in der Volkssage. Und der Umstand,
dass Yäinämöinen, alt und wahrhaft, in der Ealevala^ vermit-
telst des kleinen Gottes die wunderbare Eiche fällt, zeigt uns,
dass dieser kleine Gott eine neue und jflngere Gestalt, ein jünge-
rer und siegreicher Bruder, oder eine Selbstemeuerung des Eel-
denkindes Väinämöinen ist, welcher sein eintägiges Leben gelebt
hat. Das tapfere Sonnenkind des Morgens ist der erfahrene
Sonnengreis des Abends geworden; da aber diese alte Sonne nicht
stark genug ist, den Eichbaum zu fällen, der Sonne und Mond
lAit seinen Zweigen verdunkelt, so ist sie genöthigt, wieder ein
Kind zu werden, um die erforderliche Stärke zu entwickeln ; sie
braucht einen jüngeren Bruder, einen Held oder „kleinen Gotf',
um sie von den bösen Schatten des Waldes der Nacht zu befreien.
Zu dem Ende werden auch die Sonne und der Mond angerufen,
den Wald zu erhellen, und ebenso auch der grosse Bär (der mitt-
lere Bruder) — (in der K a 1 e v a 1 a ist unter den drei Helden der
Bär Ilmarinen derjenige, welcher die gr(5s8te Stärke zeigt und
welcher die Jungfrau zur Braut gewinnt) — damit er durch seine
Stärke den Baum entwurzele. Aber den Baum entwurzeln ist
Alles, was Bären thuu können, während Väinämöinen ihn umge-
hauen zu sehen wünscht; und so wird dieses Unternehmen dem
Zwerg-Gotte anvertraut. So finden wir, ohne ausdrückliche
Nennung ihrer Namen, die drei Brüder in der durchaus mytholo-
gischen Epopöe der Finnen beschrieben.
Dem Zwerge zur Seite, erhebt sich kraft des Gegensatzes in
der finnischen Mythologie die Idee eines Riesen, eines Titanen,
der sich damit belustigt, Felsen und Berge aufzuheben und zn
schleudern. Die Wolke, das Ungeheuer der Dunkelheit, wird als
ein Berg dargestellt; das Ungeheuer, das diese Gegend bewohnt,
bedient sich wieder beim Kampfe dieses Berges selbst als Waffe.
Der Wolkenberg bewegt sich; ein Riesenungeheuer bewegt ihn;
der zweite Bruder, der starke, der Sohn der Kuh, der Bär, spielt
mit ihm, schüttelt, schleppt und wirft ihn wie eine Waffe. Solche
mythischen Kämpfe müssen in dem Zeitalter, in welchem die grössere
' Väiaämöinen, alt und wahrhaft, könnt* durch ihn die Eiche faUen;
Kai. 24. bei Gastrin, Kl. Sehr, p 233.
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Zahl der Mythen cöncipirt and geschaffen wnrde, um 80 natür-
licher erscheinen, als wir es als das Zeitalter kennen, welches die
Archäologen die Steinzeit nennen. Die Sonne, als Zwerg, ver-
nichtet die weite Wolke, die weite Finsterniss, die als ein Riese
angesehen wird.
Doch nicht immer wird im Himmel gekämpft ; auch Ruhe
herrscht; sogar die wilden Thi^« des finstem Waldes werden
zahm und halten an sich ; Musik fällt die Seele mit Friedensge-
fllhlen. So werden sogar die kriegerischen Oandharvas des indi-
schen Olymp in geschickte Musiker umgewandelt, welche die
Himmelsbewohner zur Bewunderung hinreissen. Der Gesang der
Sirenen fesselt und verführt den Reisenden; die Lyra des Orpheus
zieht Berge, Bäume und Thiere hinter sich her; die Harfe Väi-
nämOinens in der Kalevala lässt den Wolf seine Grausamkeit,
den Bären seine Wildheit, den Fisch seine Kälte vergessen. Und
zwar ist es Schmerz, welcher zuerst Gesang eingiebt; die erste
Stanze des Dichters Välmtki hatte ihren Ursprung in dem Leid,
das er fühlte, als er einen seines Gefährten beraubten Vogel sah.
Orpheus (die thracische Sonne) singt und spielt aus Kummer,
als die Sehlange (der Schatten der Nacht) seine süsse Braut
Eurydice (die Morgenröthe) in die finstem Gegenden geworfen hat
und erregt das Mitleid der Dämonen; auch die Harfe Väinä-
mOieoe ist «in Kind der Sorge. ^
Das f^pos der Finnen enthält ausserdem mehre andere mit
der arischen Sage verwandte Mythen; — so z. B. die Wiederer-
weckung des Helden; die Eroberung des Mädchens durch Beweis
von Heldenmuth; die heroisch gewonnene und dann in Stücke
zerschnittene Braut; den Becher der Fülle oder das Füllhorn
(Sampo); die goldene Wiege; das wunderbare Schifl, in dem der
Held fiber das Meer flibrt; die drei Schwestern, von denen eine
schwars^, eine weisse und eine rothe Milch giebt (die Nacht, die
Alba oder Mond und die Aurora); das undurchdringliche Hemd;
der Zauberer, der Kinder von Gold und Silber liiacht , und andere
von untergeordneter Wichtigkeit;^ aber sämmtlich Argumente für
* Nur au8 Trauer ward die Harfe, nur aus Kummer sie geschaffen;
harten Tagen ist die Wölbung, ist das Stimmfaolz zu verdanken; nur Vcr-
druss spannt ihre Saiten, andre Mühsal macht die Wirbel; Kantcletar,
I, bei Caströn, Kl. Sehr. p. 277.
* Eine derselben ist der mythische Ursprung des armen, bösen Eisens,
der in der Kalevala beschrieben wird (vgl. Gastrin, KI. Sehr. p. 288 ff); das
raythiache Eisen ist dir bewölkte oder finstere Himmel. Die Schilderung,
8*
N
416
die Behauptaug, dass die tnranische und die arisebe Race^ in
ihren benachbarten Wohnsitzen, ursprünglich einander viel ähn-
licher waren, als sie es jetzt theils wegen der Verschiedenheit
der Sprache; theils wegen der verschiedenen Stufen der Civilisa-
tion scheinen.
Ich habe den finnischen Sampo soeben als Becher der Fülle
oder cornucopia genannt; ei- giebt in der That wunderbare Fülle
Jedem; der ihn besitzt und wohin er immer fällt. Er ist gebildet aus
der Feder eines Schwanes oder einer Ente (der Schwan und die
Ente werden; wie sich zeigen wird, in der Sage mit einander
verwechselt und die Ente ist. wie die Henne, ein Symbol der
Fülle); einem Wollenflöckchen , einem Getreidekom ujid einem
Spindelsplitter, offenbar lauter Symbolen der Fülle; und er wird
so gross, dass er von einem hunderthörnigen Ochsen fortgeschafft
werden muss (wobei wir an die Hörner der spinnenden Kuh er-
innert werden). Der Ochse trägt Ueberfluss auf seinen Hörnern,
er spendet Ueberfluss von seinen Hörnern. Das Füllhorn liegt
meiner Meinung nach unverkennbar implicite in diesen mythischen
Daten.
Dasselbe Verhältuiss der MytheU; das wir zwischen dem fin-
nischen Epos und den verschiedenen arischen Sagenkreisen ge-
funden haben; lässt sich auch zwischen den letzteren und den
ehstnischen Volksmährchen wahrnehmen. In der Sammlung von
Friedr. Kreutzwald ^ finden wir zahlreiche Beweise 4tir dieses
Wechselverhältniss.
In der ersten Erzählung treten in einer Waldhütte drei
Schwestern auf; von denen die jüngste die schönste ist. Die alt«
HexC; ihre Stiefmutter, lässt ihnen keinen Augenblick Ruhe; sondern
Tag für Tag müssen sie am Spinnrocken sitzen und Goldflachs
zu Garn spinnen. Das fertige Garn verwahrt die Alte in einer
geheimen Kammer. Im Sommer entfernt sich einst die ^ItC;
nachdem sie den Mädchen Gespinnst auf sechs Tage ausgetheiit
)iat. Während ihrer Abwesenheit findet ein junger Prinz, der sich
im Walde verirrt hat; seinen Weg zu der Hütte und verliebt sich
trägt die unverkennbaren Züge der Originalität, doch sind die Mythen,
uuf welche sie zurückgeht, den Indogermanen bekannt; wie z. H. der Ho-
nig, welcher Gift wird.
* Ehstnisehe Mährchen, aufgezeichnet von Friedr. Kreutzwitld, aus dem
Ehstnischen übersetzt von F. Löwe, mit Anm. von A. Schiefner und H.
Köhler, Halle, 18Gf).
117
in die jüngste Schwester; die Beiden öflfhen sich im Angesichte
des Mondes ihr Herz and fuhren süsse Gespräche beim Glanz der
Sterne. Unterdess wird von Seiten des Königs Alles aufgeboten,
am den verirrten Sohn zu finden; der Wald wird nach allen Sei-
ten durchsucht und der Prinz endlich am dritten Tage gefunden.
Ehe er scheidet^ gelobt er der Jüngsten heimlich^ dass er in kur-
zer 2ieit wiederkommen und dann, sei es im Guten oder mit Ge-
walt, sie mit sieh nehmen und zu seiner Gemahlin machen wolle.
Bald darauf kehrt die Alte zurück, findet, dass die Jüngste ihre
Arbeit schlecht gemacht hat, flucht und droht, dem Jüngling den
Hals zu brechen, wenn er wiederkommen sollte. Das Mädchen
ist unglücklich. Früh am Morgen, als Alles noch schläft, verlässt
sie heimlich das Haus. Zum Glück hatte sie als Kind von der
Ahen die Vogelsprache gelernt. Sie sieht in der Nähe auf einem
Fichtenwipfel einen Raben; sie ruft: „Lieber Lichtvogel,
klügster des Vogelgeschlechts ! willst Du mir zu Hilfe kommen ?^^
Der Vogel bejaht und das Mädchen schickt ihn als Boten an den
Königssohn, um ihn zu warnen und ihn zu bitten, nicht mehr zu-
rückzukommen wegen der grässlichen Drohungen der Mutter; der
Prinz lässt ihr durch den Raben Zeit und Ort eines Zusammen-
treffens angeben; sie treffen sich in der neunten Nacht nach der
Verabredung zwischen dem zweiten und dritten Hahnenschrei unter
einem Baum und beim Frühroth fliehen sie. Die alte Hexe schickt
ein Hexenknäuel von neunerlei Arten gemischter Hexenkräuter
hinter ihnen her, das sie unter Flüchen, Verwünschungen und
Zaubersprüchen mit dem Winde davon ziehen lässt. Dieses
Hexenknäuel trifft das Pferd des Prinzen, der eben auf einer
schmalen Brücke über einen tiefen und breiten Strom reitet.
Das Ross bäumt und die Jungfrau gleitet vom Sattel herab jäh-
lings in den Fluss. Der Prinz verfällt aus Gram in eine schwere
Krankheit. Durch das Essen eines mit Zauberkräutern ange-
machten Schweinefleischkuchens lernt der Prinz die Vogelsprache.
£r schickt zwei Schwalben als Boten an den alten Zauberer in
Finnland, um Bescheid von ihm zu holen, wie es wohl möglich
wäre, eine in eine Teichrose verwandelte Jungfrau wieder zu
einem Menschenbilde zu machen; als eine solche schaukelt näm-
lich die JnngiVau auf der Wasserfläche, da wo sie hineingefallen
war. Ein Adler bringt ihm vom Zauberer in Finnland folgenden
Bescheid: „Gehet an das Ufer des Flusses, werfeteure Kleider
ab und schmiert euch den Körper über und über mit Schlamm
ein; dann rufet; 'Aus dem Mann ein Krebs I* Geht dann, als Krebs,
118
in die Tiefe, des Fkisseg^ löst die Wurzeln des Teicbröschens and
hängt euch an ein Zweiglein der Wurzel an ; treibt dana mit dem
Strom fort; bis ihr in derMäbe eines Steines an das Ufer, kommt.
Beim Sieine müsst ihr die Worte ausstosaen: ^Aus der Teichrose
die Jungfrau, aus dem Krebs der Mannl^' Eine Krähe ermuntert
den JttngHng, dem Rathe des Zauberers zu iolgen. Er geht an
den FIuss; Teicbröschm singt wie gewöhnliek seinen Klaggeaang;
der Jüngling thut nach der Vorschrift des Zauberers; Alks ge-
lingt; Beide kommen glücklich ans Ufer, aber — nackt Da
kommt eine prächtige, sechsspännige Kutsche mit allem Nöthigen
angefahren. Prächtig geschmückt fahren sie grades Wegs z«r
Stadt und vor die Kirchenthtir. Nach sofortiger Trauung wird
ein sechswöehentliches Hochzeitsfest in Sana and Braus veran-
staltet Die Alte wird vergiftet, die Schwestern ans ihrer Ge-
fangenschaft erlöst; das Hexenhaus in Brand gesteckt. Eine
Katze, in welche eine HelfersheiferiD der Alten bei dem Raube
der (b*ei Mädchen, dreier Priusesainaen , voa dieser verwandet
ist [vielleicht nur eine andere Erscheinungsform der Alten selbst],
wird ins Feuer geworfen. In cter heimliehen Kammer d«8 Hau-
ses werden fünfzig Fuder Goldgam gefunden, die unter die
Schwestern vertheilt werden.
In der dritten ehstnischen Erzählung bringt eineFrau, GoUmuttar
geheissen, nach zehnjähriger Unfimchtbarkeit durch Anwendung der
ibr von einem Zwerge vorgeschriebenen Mittel, Drillinge Bur Welt,
welche drei weltberühmte Männer werden. Der erste Bruder ist
Scharfauge (d^r weise Bruder), der sweite, Flinkhaad, hat
einen geschickten Arm (der starke Bruder), d^ dritte ist Sehne}l-
f u ss (die Schnelligkeit ist eine charakteristisehe Eigenschaft des
dritten Bruders, Ar^na, im Mahäbhärata).
Eine Variation der Geschichte von der jtlngsten Schwester
und der von dem Zwerge ist die von dem siebenjährigen Mäd-
chen, dem klugen Mädchen (der Aurora), in dem vierten ehstni-
schen Mährchen, das von der Stiefmutter verfolgt wird und einst
sich in dem verzauberten Walde (der Nacht) verirrt. Dort glaubt
sie sich im Himmel ; in einem Hause aus Glas und Edelsteinen
wird sie von einer schöngekleideten Frau (dem sehönhaarigeB
Monde) aufgenommen. Das Mädchen bittet die giddene Frau,
die Herde hüten zu dürfen, gleich der Kuhmagd Aurora. In der
Geschichte von Ardshi-Bordshi haben wir die kluge Puppe
gesehen. Diese Gestalt des klugen Mädchens, das Mädchen mil
Holzbekleiduug, begegnet uns wieder iu dem elistuiscben Mähr-
119
chen; ein Zwerg macht nämlich auf Befehl der schönen Frau ein
Abbild van dem Mädchen^ eine Pappe aus Lehm, drei Strömlingen,
Brod; einer schwarzen Schlange und einem Tropfen von dem Blute
des Mädchens. Diese Puppe wird dann in einen Holzkorb gelegt ;
den nächsten Morgen ist sie ein vollständiges Ebenbild des Mäd-
chens, wird mit dessen Kleidern bekleidet und statt seiner zu der
bösen Stiefmutter geschickt, der sie als PrOgelklotz dient Aus
dem Waldbaum oder Holzkorb Nacht; mit dem Saft der schwar-
zen Schlange Nacht und dem Blut des Mädchens Abend-Aurora
ersteht das Mädchen Morgen- Aurora, die kluge, sprechende Puppe,
die Puppe, die die Bäthsel räth. Das Mädchen, das aus dem
Walde kommt, wird als eine hölzerne Puppe dargestellt; häufiger
ist die Pappe der Mond, die weise Fee, die aus dem Walde
kommt In derselben Erzählung haben wir das Zauberstäbchen,
mit welchem der Zwerg aus einem Granitblock einen goldenen
Hahn hervorzaubert, bei dessen erstem Krähen aus selbigem
Block ein langer gedeckter Tisch, bei dessen zweitem Krähen
Stühle und Schüsseln mit Speisen herausspringen und wie der
Wind zum Esstiseh fliegen. Die Geschichte endet mit der
gewöhnlichen Heirath zwischen dem schönen Mädchenund einem
Königssobn, der von der Jagd zurückkehrt (oder der Sonne,
die aus dem Walde der Nacht herauskommt und als von wilden
Thieren angefallen betrachtet wird).
In dem sechsten ehstnischen Mährchen findet das arme Mäd-
chen eine Frau in weissen Kleidern (den Mond), mit Gold ge-
schmückt, die auf einem Steine an einer Quelle sitzt Diese kün-
digt ihr an, dass bald ein Mann um sie freien werde, so arm
wie sie selbst; „aber/' sagt die gute Pathe Fee — denn in den
Mährchen wird die Pathe Fee als gut, wie die Stiefinutter als
böse hingestellt — „mach dir deshalb keine Sorge! ich will euch
Glück bringen und euch forthelfen.^' Sie nennt sich selbst „die
oberste Wasäerbeherrscherin'', die heimliche Gemahlin des ältesten
Sohnes des Windkönigs, und sie richtet die Verbrecher, die vor
ihr^i Riditerstuhl gebracht werden (Proserpina odeir Persephon6).
In dem siebenten Mährchen geht ein neunjähriger Knabe, der
dritte Sohn zweier armen Leute, aus, um Kuhhirt zu werden ; sein
Herr behandelt ihn gut, aber seine Herrin giebt ihm mehr
Schläge als Brod. Eines Tages hat der junge Kuhhirt das Un-
glück, eine Kuh zu verlieren; er sucht den ganzen Wald nach
ihr durch, doch vergebens. Er kehrt etwas nach Sonnenunter-
gang mit dem Vieh heim. Das spähende Auge der Herrin ent-
120
deckt sofort, das» eine Kuh fehlt; gie schlägt den Knaben nn-
baimherzig und schickt ihn fort, die Kuh zu suchen^ mit der
Drohung, ihn todt zu schlagen, wenn er ohne sie heimkomme.
Er durchstreift den Wald die ganze Nacht; als aber die Sonne
sich am andein Morgen aus dem Schosse der Morgenröthe erho-
ben hat, ist sein Entschluss gefasst, von Hanse fortzubleiben und
nicht zu seiner Verfolgerin zurückzukehren (die junge Morgen-
sonne flieht vor der alten, bösen Nacht). Am Abend findet der
Knabe einen alten Zwerg (den Mond), der ihm folgenden Rath
giebt : „Wenn morgen die Sonne aufgeht, so merke dir genau die
Stelle, wo sie emporstieg. In dieser Richtung musst du wandern,
so dass dir die Sonne jeden Morgen ins (xesicht und jeden Abend
in den Nacken scheint. Deine Kraft wird von Tage zu Tage
wachsen. Nach sieben Jahren wird ein mächtiger Berg vor dir
stehen, der so hoch ist, dass sein Gipfel bis an die Wolken reicht.
Dort wird dein künftiges Glttck bltlhen. (Wie kann man besser
den Lauf des Sonnenhelden oder der Sonne in der Nacht bezeich-
nen? Der Held, um auf die Morgensonne zu zu gehen, muss
nothwendig die Abendsonne hinter sich haben.) Nimm meinen
Brodsack und mein Fässchen, du wirst darin täglich so viel Speise
und Trank finden, als du bedarfst. Aber httte dich davor, jemals
ein Krümchen Brod oder ein Tröpfchen vom Trank unnütz zu
vergeuden, sonst könnte deine Nahrungsqnelle leicht versiegen.
Einem* hungrigen Vogel und einem durstigen Thiere darfst du
reichlich geben: Gott sieht es gern, wenn ein Geschöpf dem an-
dern Gutes thut Auf dem Grunde des Brodsacks wirst du ein
zusammengerolltes Klettenblatt finden; das mnsst du sehr sorg-
fältig in Acht nehmen. Wenn du auf deinem Wege an einen
FIuss oder einen See kommst, so breite das Klettenblatt auf dem
Wasser aus, es wird sich sofort in einen Nachen verwandeln und
dich über die Flut tragen. (Dieses EJettenblatt ist eine neue
Erscheinungsform des Bechers.) — Wir wissen, wie die Hindus
ihren Gott als auf einem Lotosblatt in der Mitte der Wasser
schwimmend betrachteten, und wie Padmaga (von der Lotosblume
oder der Wasserrose, die sich während der Nacht schliesst, ge-
boren) einer der Namen Brahmans war; hier haben wir den Gott
oder Helden, der sich in der Blume einschliesst, aus der er später
herauskommt. In den Kapiteln über die Schlange und den Frosch
werden wir wieder sehen, wie der Gott sich zuweilen in einer
Ungeheuergestalt in diese Blume, die Rose, einschliesst, in Folge
f.incB Fluches, vou dem er durch ein schönes Mädchen befreit
121
werden soll. Wir sahen, wie das ehjstnische Mädchen, das durch
den Fluch der Alten ins Wasser gestürzt wurde, in eine Wasser-
rose oder Lotosblume verwandelt und von dem jungen Prinzen
befreit wurde. — Der ehstnische Knabe kommt an einen kleinen
See; er wirft das Blatt hinein, und es wird ein Zauberboot, das
ihn an das andere Ufer bringt. Mittlerweile ist er gross und
stark geworden. Am Fusse des Berges, den er endlich erreicht,
sieht er eine Schlange, eine Kröte und einen Adler, alle drei von
ungeheuren Dimensionen; hinter ihnen her jagt ein Mann auf
einem schwarzen Pferde, das mit Windesschnelle fliegt, als ob es
Flttgel an den Füssen hUtte. Dieser Mann erschlägt Schlange
und Kröte, des Adlers aber kann er nicht habhaft werden. Dann
nimmt er den jungen Mann in sein Haus auf, und weist ihm als
seine Arbeit an, dafür zu sorgen, dass die in einem Felsenkeller
angeketteten bösen Hunde sich nicht unterhalb der Thttr mit den
Pfoten lierausgraben, was das Ende der Welt herbeiflihren würde.
So oft die Hunde ein Loch ausgraben, muss von einem aus mäch-
tigen Felsblöcken aufgethürmten Berge immer wieder ein neuer
Stein hingewälzt werden. Diese Steine aber werden auf einer mit
sechs Paar Ochsen bespannten Fuhre fortgeschafft, auf welche sie,
mit einem Zauberstabe berührt, von selbst rollen. Schliesslich
sehnt sich jedoch der Jüngling nach Gesellschaft anderer Menschen,
stiehlt auf des Adlers Rath seinem Herren das windschnelle Ross,
macht sieh mit seinem Ersparten auf demselben auf und davon,
freit ein Weib und lebt glücklich und zufrieden.
In dem achten ehstnischen Mährchen ist ebenfalls der dritte
Bruder der schlaue. „Schlaukopf^' bekommt bei dem Tode
des Vaters nichts von dem Erbe, sondern wird von den beiden
älteren Brüdern noch überdies mit höhnischen Worten zur Thür
hinausgeworfen. Allein und bettelarm macht er sich auf die
Wanderschaft durch die Welt, sein Glück zu suchen. Er trifft
ein junges Weib, das kläglich weint, weil sie ihr Mann alle Tage
schlägt; sie kann nämlich nicht die von ihm in räthselhafter Weise
geforderten Dinge beschaffen. Der Jüngling löst der Friu (dem
Monde) das Räthsel und erhält daftlr von ihr zum Danke Vor-
rath für die Reise. Darauf geht er in die Königsstadt. .Dort
will der König ein Sommerfest veranstalten ; Niemand will aber
die Herstellung des Festes übernehmen, weil bei früheren Festen
ein Zauberer dieselbe vernichtet und so den Hersteller um den
Kopf gebracht hat. Schlaukopf erbietet sieh, die Vorbereitungen
für das Fest zu treffen. Am Morgen des ej-stcn Festtages er-
122
scheint ein kleiner alter Mann (der Zauberer) , der demttthig
bittet, die Festspeisen und das Getränk schmecken za dttrtoi.
Schlaukopf verlangt ein Pfand von dem Alten, dass kein Schaden
entstehe, wenn er ihn die Speisen kosten lasse und zwar verlangt
er den schönen goldenen Ring, den er am Ringfinger der linken
Hand des Alten gesehen hat. Den Zauberer stachelt die Ltlstem-
heit so sehr, dass er endlich seinen Ring (in dem die Zauber-
kraft steckt) zum Pfände giebt. Schlaukopf lässt den nun ohn-
mächtigen Alten binden, verspottet ihn und lässt ihn endlich noch
von sieben starken Männern mit tüchtigen Knütteln verarbeiten.
Von ihren harten Schlägen reisst der Strick, an dem das Männ-
lein aufgehängt war, es ßUlt herunter und verschwindet unter der
Erde. Schlaukopf folgt ihm; denn er besitzt ja den Zauberring.
(Dieser ist der gewöhnliche Diskus, Lasso oder Zttgel, welcher
sich bald in den Händen des Helden, bald in denen des Unge-
heuers befindet) Schlaukopf kommt auf seinem unterirdischen
Gange in eine Kammer, in welcher er den wohlbekannten Alten
mit drei jungen Mädchen sitzen sieht Als sich der Hausherr
schlafen gel^ hat, befreundet er sich mit dra Mädchen, bleibt
die Nacht bei ihnen und erfährt durch sie, dass der Alte noch
zwei ganz besondere Dinge besitze, ein bertthmtes Schwert und
eine Gerte vom Ebereschenbaum (eine Zauberruthe). Er stiehlt
dieselben und indem er mit der Qerte tlber das Meer eine Brücke
schlägt, kehrt er in die Königsstadt zurück. Dort findet er jedoch
Alles ganz anders als er gehofll hatte. Seines Bedünkens war er
nicht länger als zwei Nächte in der unterirdischen Behausung des
Alten gewesoi ; jetzt ze^t sich aber, dass jede Nacht Jahreslänge
gehabt hat ^ Während dieser Zeit sind seine beiden Brüder in
die Dienste des Königs getreten, der eine als Kutscher, der an-
dere als Kammerdiener; beide sind reiche Lieute, denn sie haben
den Lohn bekommen, den Schlaukopf für die Herstellung (tes
Festes erhalten sollte. Schlaukopf sieht sich jetzt nach einem
neuen Dienste um: der königliche Koch nimmt ihn als Küchen-
jungen an und er muss alle Tage den Braten am Spiesse drehen. —
Im Viräta-Parva des Mahäbhärata ist es der zweite Bru-
der, der sich als Koch verkleidet, um gute Saucen und nahr-
hafte Speisen für den Könige dessen Ga«t er ist, zu bereiten ; der
* Das ist die Erscheinung « die in der Wintersonnenwende am Weih-
nachtsabend und am Nenjahrstage eintritt, an weichem wir ans einem Jahr
in ein anderes treten; in einer Nacht werden wir ein Jahr älter.
123
ältere Brader verkleidet sich als Brahmano. als weiser Rathgeber ;
der dritte Bruder, Argunay der bebende; scbneUe, giebt voT; ein
Eonncb za sein, wird für eine Frau eingetanscbt and lebrt im
Gyftaoeum Tanz, Musik und Gesang. (Von den zwei Söhnen der
A^yins wird einer Stallknecht^ der andere Kuhhirt.) — Seine Brü-
der verachten ihn wegen dieser geringen Handtbiemng und da
er ihnen erzählt hat^ er babe in der Unterwelt Gänse und Enten
mit goldenem und silbernem Gefieder gesehen , sp bitten sie den
König, er möge ihren jüngsten Bruder doch hinschicken, damit
er die silbernen Vögel herbringe. Er löst diese Aufgabe mit
Hilfe eines Zauberers und bringt die Vögel in einem Sack aus
Spini^ewebe, der die Thiere so fest hält, dass keines heraus
kann. In demselbra Sack bringt Schlaukopf bei einer zweiten
Expedition, die ihm der König beföhle, viele goldene und sil-
berne Hauageräthe aus der Unterwdt Als Belohnung verlangt
er von dem König nur, dass er seine Tochter, die Prinzessin,
Abends heimlich hinter die Thür schicke, vm zu hören, was seine
Brüder untereinander sprechen. Diese hört, wie die Beiden ttber-
milthiger und lügenhafter Weise prahlen, die Liebesgunst der
Prinzessin bis zum Ud>erdruss genossen zu haben* Roth vor
Sebam und Zorn erzählt sie dem Vater das Gehörte und dieser
lässt die Beiden hinrichten, während er Schlaukopf zu seinem
Rathgeber ernennt Als ein feindliches Heer ins Land fällt,
macht es Sehlaukopf mit seinem aus der Unterwelt geholten
Schwerte nieder und wird Schwiegersohn des Königs.
Daa neunte ehstnische Mährchen führt uns dea„Donner-
sohn'^ vor, welcher seine Seele an den Teufel verkauft, unter der
Bedingung, dass der Letztere ihm sieben Jahre dient Die be-
stimmte Zeit ist fast abgelaufen; der Donnersohn vrill ihm ent-
riimen und benutzt eine Gelegenheit, die sich zufällig Uetet Der
Teufel sieht eine schwarze Wolke, das Anzeichen eines nahenden
schweren (Zwitters ; er fürchtet sich, kriecht unter einen ^ein und
bittet den Donnersohn, ihm Gesdlschaft zu leisten. Dieser willigt
ein ; er sieht, wie der Teufel aus Furcht bei jeder Erschütterung
die Fäuste gegen die Ohren drückt und die Augen fest zukneift;
kalter Schweiss bedeckt seine zitternden Glieder and er kann
kein Wort hervorln'ingen. Der Teufel verspricht deu Donnersohn
nicht nur die Rückgängigmachung des Seelenkaufs, sondern ihm
sogar noch drei Seelen zu geben, wenn er ihn von dieser grass«
liehen Plage befreie, indem er „dem alten Papa''» dem Donner*
gott, dem Vater der Wolken, das Donnergeräth heimlich weg-
424
nehme (dieses ist zngicicl) ein musikalisches Instrument). Das
Donnerwerkzeug wird auch glttcklich entwendet und vom Teufel
in der Hölle in eiserner Kammer hinter sieben Schlössern ver-
schlossen. Natürlich bricht üb^ die Welt in Folge dessen eine
grosse Dttrre herein, in der Alles hinwelkt; der Donnersohn be-
reut den dem Teufel geleisteten Dienst ; er findet Mittel und Wege,
dem alten Wolkenvater Botschaft zu schicken, wo sein Donner-
geräth festgehalten wird. Der Donnerer verwandelt sich in einen
Knaben und verdingt sich bei einem Fischer als Sommerarbeiter,
weil er weiss, 4ass der Teufel häufig an den See kommt, um
Fische zu stehlen. Er überrascht ihn beim Diebstahl und mit
Hilfe eines Zauberers ßlngt er ihn, worauf der Fischer und der *
Knabe den Burschen gründlich durchprügeln, bis er ein hohes
Lösegeld zu zahlen verspricht, welches abzuholen Fischer und
Knabe mit ihm in die Hölle gehn. Im Höllenhofe werden sie herr-
lich aufgenommen und ihnen ein prächtiges Fest bereitet. Der
Knabe sagt eines Morgens heimlich zum Fischer: „Wenn Du
heute wieder bewirtfaet und geehrt wirst, so bitte Dir aus, dass
man das Instrument bringe, welches in der Eisenkammer hinter
sieben Schlössern liegt." Der Teufel zeigt sich willig, holt das
Instrument, bringt aber, als er darauf zu spielen anfängt, durch-
aus nichts Besseres heraus als das Geschrei einer Katze oder das
Gequieke eines Ferkels. Der Fischer sagl lachend: „Mein Hü-
terknabe würde es besser machen.^ Der Teufel glaubt es natür-
lich nicht und giebt lachend dem Knaben den „Dudelsack". Als
dieser die Röhre an den Mund setzt, erbeben die Wände der
Hölle, der Teufel und sein Gesinde fallen ohnmächtig hin und
liegen wie todt da. Der Knabe verwandelt sich wieder in den
alten Vater Donnerer und tritt eilig die Heimkehr in den Himmel
au. Er bläst das Donnerinstrument und die Regenpforten thnn
sich auf, die dürre Erde zu tränken. Die Beschreibung des Ge-
witters, die in vielen vedisohen Hymnen vorkommt, ist der Keim
dieses interessanten Mythus. Der Trommel- oder Pauken-Donner
ist ein gewöhnliches Bild in der indischen Poesie und die Gan-
dharvas, die musikalischen Krieger des indischen Olymp, haben
kein anderes Instrument als den Donner. Die Muschel der krie-
gerischen Pändavas im Mahäbhärata und das berühmte Ro-
landshorn (das sich von dem goldenen Horn Odins herleitet) sind
epische Reminiscenzen des Donners. Orpheus, der in der Hölle
die Leier spielt und die Thiere zähmt, ist eine hellere und voll-
kommoere Erscheinungsform dieses ehstniscben Donnergottes, der
/
.V
126
in der Hölle den Dndel^ack spielt. Es ist auch beachten&wertb^
wie in Uebereinstimmung mit dem Üirten-Dndelsack in dem zehn-
ten ebstniseben Mährchen^ das eine Variation des vorhergebenden
ist; der in einen mächtigen Knaben verwandelte Oott ein kleiner
Scbäfer oder Kubbirt genannt wird — ein anderes interessantes
Factum, das seine Identität mit Orpbens vollständig sichert. * Die
Zauberflöte ist eine Variation desselben himmlischen musikalischen
Instrumentes, bie Zauberflöte, der Dudelsack oder die Wunder-
pfeife, kommt wieder vor in dem dreiundzwanzigsten ehstniseben
Mäbrchen, in welchem der gute Tiidu vermittelst derselben und
ihrer Zauberkraft Reichtbümer erlangt. Die Zauberharfe Gnnnars
in der Edda wirkt dieselben Wunder.
Ofl^enbar ist das Zwergungeheuer ein Lieblingsthema der
ebstnischen Sage , wie es auch oft in der indischen und germa-
nischen, ferner in der fränkisch-lateinischen Karlssage erscheint.
Das eilfte Mährchen führt uns drei Zwergbrüder vor, die sich
um das von ihrem Vater hinterlassene Erbe streiten, bestehend in
einem Wunderhut, der den Träger Alles sehen lässt, während er
selbst nach Belieben sichtbar oder unsichtbar sein kann (dieser
Hut ist aus menschlichen Nägelschnitzeln gefertigt);- in einem
Paar Bastschuhen, die den Besitzer in einem Augenblick bringen,
wohin er will (wir dürfen nicht vergessen, dass Cinderella, als sie
den Pantoffel verliert, von dem prinzlichen Bräutigam eingeholt
wird) ; und in einem Stock, vor desse^n Schlägen Alles schwinden
muss; denn er ist noch mächtiger als der Donnerkeil (es ist der
Donnerkeil selbst). Die drei Brüder bleiben dabei, dass diese
drei Gegenstände, wenn sie wirklich von Nutzen sein sollen,
Einem gehören müssen ; doch wer soll dieses Vorrecht geniessen ?
' In einem schwedischen Volkslicde ist die Jungfrau Gundela, welche
wunderbar die Harfe spielt, und für ihr Spiel vom König verlangt, dass er
sie heirathe, auch eine Schäferin. — Vgl. Schwedische Volkslieder
der Vorzeit, übertragen von Warren?, Leipzig, Brockhaus 1857.
* Vgl. die Anmerkung von F. Löwe zu dieser Stelle in seiner Ucber-
setzung der Rreutzwaldschen Sammlung p. 143 f. ' — [Dieser Mythus ist,
wenn ich ihn nicht falsch verstehe, leicht zu erklären: am Abend verliert
die Sonne ihre Strahlen; der Lowe, der Held, verliert seine Nägel; diese
Nägel liest das dämonische Ungeheuer auf und macht daraus einen Hut
(die Finstemiss der Nacht oder die Wolken), dessen Träger sieht ohne
gesehen zu werden. Der Zauberer, der mit geschlossenen Augen sieht,
ist eine interessante Variation dieses Themas.]
lE,\n Mann kommt dazn, am den Streit tn schlichten und thut so,
als ob er der Zauberkraft dieser drei Dinge misstrane; er will sie
selbst erst probiren. Die drei Gimpel geben sie ihm. Der Mann
nimmt sie ihnen fort und die drei Zwerge haben Masse^ über die
Wahrheit des Sprichwortes nachzudenken: ^^Dnobns litigantibns
tertius gandet", oder wenigstens Aber die in diesem Falle gebo-
tene Variation: „Tribus litigantibns quartus gandet**
In dem dreisehnten ehstnischen Mährchen wird die Ans-
nahmestellnng des dritten Bruders erklärt , indem uns erzählt
wird, er sei der Sohn eines Königs, aber drei Tage nach der
Geburt von einer Hexe mit einem Bauemsohne vertauscht wor-
den. Der Letztere stirbt in dem Palaste schon im ersten Monate,
während der Königssohn in der Hütte aufwächst , und in jeder
Handlung seine königliche Abstammung erweist, besonders aber
seinem vermeintlichen Vater immer gehorsam ist Hier haben
wir die Erzählung von dem Helden, der auf den Bergen ausge-
setzt wird, unmittelbar mit der von dem dritten Bruder verbun-
den. Dieser dritte Bruder, der sich allein gegen den Vater ehr-
furchtsvoll benimmt und allein drei Nächte bei seinem Grabe
wacht, erlöst auch die Prinzessin, die auf einem hohen Glasberge
sieben Jahre und sieben Tage geschlafen hat, woftir er sie zur
Gemahlin erhält Wir haben den Aurora-Wecker in den vedi-
schen Hymnen gesehn — die Sonne und die Aurora wecken ein-
ander: die Sonne sendet die Aurora fort; die Aurora zieht die
Sonne heraus. Der Mythus erzeugt sich jeden Tag von Neuem,
und bezeichnet in seiner Gesammtheit eine tägliche Lichterschei-
nung am Himmel. In nordischen Gegenden, wo der Gegensatz
zwischen Winter und Frtthling gross und deshalb der von dem
Aufhören der Vegetation im Herbst hervorgebrachte Eindruck
mehr frappirt, nahm die Erde auch die Gestalt einer todteu
jungen Prinzessin an; aber da ein allwissender Zauberer gesagt
hat : „Die Jungfrau ist nicht todt, sondern nur milde", so legt der zur
Befreiung bestimmte dritte Bruder seine armen Kleider ab, und
kleidet sich erst in Eisenfarbe, dann in Silberfarbe, endlich in
Goldfarbe, und reitet auf seinem Goldpferde den Berg von Glas
oder Eis hinan, von welchem er den schönen Frtthling bringt. Der
Himmel, im Herbste grau, im Winter schneeweiss, im Frühling
golden, entspricht dem grauen Abendhimmel, dem silbernen Nacht-
himmel und dem goldenen Morgenhimmel. Der Frtthling ist die
Dämmerung des Jahres ; der ursprttngliche Mythos ist nur erwei-
tert; die letzte Stunde des Tages weckt die Aurora; der letzte
12t
Monat des Sonnenjabres weckt den Frühling. Die Anweodang
des Mythus vom Tage auf das Jahr ist höchst einfach.
Im vierzehnten Mährchen verirrt sich der König des Qold-
landes in dem von wilden Thieren bewohnten Walde und kann
sich nicht herausfinden. Ein Fremder (ohne Zweifel der Teufel)
führt ihn heraus^ nachdem der König ihm zum Eigenthum ver-
sprochen, was ihm zuerst entgegenkommen wird. ^ Das Erste,
was ihm an der Pforte entgegen kommt, ist die Amme mit dem
königlichen Säugling, der dem Vater die Aermchen entgegen-
streckt Der König lässt sein Kind, einen schmucken Knaben,
gegen die Tochter eines Bauern vertauschen. Der Königssohn
wächst am Herde armer Leute auf, während der Teufel das kleine
Bauemmädchen holt. Der Prinz wächst zum Jüngling heran und
als er erfährt, wie er gerettet ist, beschliesst er, das arme Kind
zu befreien. Er legt heimlich die JTracht «ines Bauemknechtes
an , lädt einen Sack Erbsen aaf die Schulter und geht in jenen
Wald, wo sein Vater sich vor achtzehn Jahren verirrt hatte. Er
verirrt sich ebenfalls und der Fremde erscheint auch ihm, mit
dem Anerbieten, ihm den rechten Weg zu zeigen, wenn er ihm
die Erbsen in dem Sacke geben wolle, welche sich der Prinz nach
seiner Aussage von seinem Wirth ausgebeten hat, um sie den
Todtenwächtem seiner vergangene Nacht gestorbenen Tante vor-
zusetzen. -— Diese Hülsenfrucht bei Leichenceremonien geht auf
einen sehr alten Brauch zurück. Die vediscben Ceremoniale er-
wähnen sie schon in Verbindung mit Leicbenfeierlichkeiten ; iihd
bei den Oriechen brachte der Todte Vegetabilien mit zur Hölle,
sei es um passiren zu dürfen, sei es als Beisevorrath. Im Pie-
montesischen herrscht noch am zweiten November (Alleiseelentag)
der Brauch, eine grosse Vertheilnng von Schminkbohnen an die
Armen zu veranstalten, die für die Seelen der Abgeschiedenen
beten. Vegetabilien, Erbsen, Wicken und Schminkbohnen sind
Symbole der Fülle, und auf diesen Glauben lassen sich auch die
zahlreichen indogermanischen Mährchen beziehen, in denen Bohnen
erwähnt werden, die sich im Topfe vermehren, oder Erbsen, die
bis zum Himmel wachsen und an deren Stengel der Held zum
Himmel klettert. Die Vegetabilien, die zur Einführung in das
Reich des Todes eri'orderlich sind, und die Erbsen, vermittelst
' Wer denkt hiebci nicht an Jephta? Doch ist es in der biblischen
firsählung der Gott, hier der Teufel, dem das grSssliche Opfer gebracht
wird. A. d. Urbrrs,
128
deren der Held in den Himmel gelangt , sind Variationen dessel-
ben mythischen Themas. In der indischen Sage haben wir ausser
den Erbsen oder Scbminkbohnen den Kürbis» als [Symbol der
FttUe, der sich unendlich vermehrt oder zum Himmel aufisteigt
Das Weib des Helden Sagara gebiert einen Kttrbiss, aus dem
später sechzigtausend Söhne herauskommen. Die Schminkbohne,
die Erbse, die Wicke, die gewöhnliche Bohne und der Kttrbiss
sind auch Symbole der Fortpflanzung, nicht allein wegen der
Leichtigkeit, mit der sie sich mehren, sondern auch wegen ihrer
Gestalt. Wir haben in den vedischen Geremonialen gesehen,
welche Organe durch die beiden Bohnen dargestellt werden; wir
werden im Kapitel über den Esel sehen, wie die Namen, welche
die Oeschlechtstheile flihren, auch zur Bezeichnung von Narren
verwandt werden. Nun ist es beachtenswerth, dass das Sanskrit-
wort m ä s b a (oder Schminld>ohne) auch den Närrischen, Dummen
bezeichnet, ebenso wie im Piemontesischen ein bon homme Bohne
genannt wird. So bedeutet auch der Kürbiss, der Fruchtbarkeit
bezeichnet, im Italienischen Dummheit. Was die Bohnen betrifft,
so habe ich schon in meinem Werke über die Hochzeitsgebräuche
auf ihre symbolische Bedeutung aufmerksam gemacht und die
russische und piemontesische Sitte angeführt, eine schwarze und
eine weisse Bohne in den Kuchen, den man am Epiphaniastage
isst, zu stecken, deren eine das Männliche, während die andere
das Weibliche bezeichnet, eine den König und die andere die
Königin. Die Beiden, welche die Bohnen finden, kttssen sich mit
frohen Vorahnungen. Da alle diese Vegetabilien gewöhnlich den
Mond personificiren, der, wie wir wissen, als ein Spender der Fülle
betrachtet wird und der mit seiner Gestalt eines sich drehenden
Balles gut durch die sich drehende Erbse dargestellt werden kann,
so müssen wir die Lösung der Hauptmythen, die sich auf Vege-
tabilien beziehen, in dieser Personification suchen. — Der junge
Prinz des ehstnischen Mährchens tritt in die Dienste des Frem-
den, in der Absicht, das Mädchen zu erlösen, das ihn befreit und
achtzehn Jahre lang seine Stelle bei diesem eingenommen hat.
Er folgt ihm also, lässt aber je nach zehn und fünfzehn Schritten
immer eine Erbse aus dem Sack auf den Boden fallen, um den
Weg zurück zu finden. Er wird einen sonderbaren und wilden
unterirdischen Weg geführt, wo Grabesstille herrscht — es ist
auch wirklich das Reich des Todes ~, wo die Vögel und andere
Thiere einen Laut von sich geben zu wollen scheinen , ohne dass
jedoch etwas hörbar wird, und wo das Wasser ohne zu rauschen
129
fliegst Die Angst Bcbnttrt dem Eönigssohne das Herz zu iu dieser
aDbeimlichen stillen Welt. Ans dem Reiche des Schweigens ge-
langen sie in das des betäubenden Geräusches. Der Prinz glaubt
das Dröhnen einer Sagemühle zu hören^ in der ein paar Dutzend
Sägen arbeiten, der Wirth aber sagt : „Die alte Grossmutter schläft
schon, sie schnarcht/^ Endlich kommen sie zu dem Hofe des
Wirthes, wo er das schöne Mädchen findet; jedoch die Anweisung
erhält; nie zu sprechen. Im Stalle findet er ein weisses Pferd und
eine schwarze Kuh mit einem weissköpfigen Kalbe. Er erhält
den Befehl; diese Kuh zu melken; bis kein Tropfen Milch mehr
im Euter zuräekbleibt; das wttrde ihm jedoch ohne das Mädchen
nicht möglich gewesen sein, auf dessen Rath er der Kuh droht;
die Zitzen mit einer gltlhenden Zange zusammenzukneifen; falls
sie sich nicht völlig ansmelken lüsst. Ein ander Mal soll er das
Kalb auf die Weide fuhren; nur durch einen seidenen Zaaber-
fadeu; den ihm das Mädchen giebt und dessen eines Ende er an
das linke Vorderbein des Kalbes, dessen anderes Ende er an
die kleine Zehe seines linken Fusses bindet; kann er das Durch-
gehen des Kalbes verlitlten und es am Abend wieder in den Stall
fuhren. — Der kleine Finger ist, obwohl der kleinste; der am meisten
bevorrechtete unter den fünfen. Er weiss Alles ; und im Piemon-
tesischen pflegen die Mütter, wenn sie ihren Kindern glauben
machen wollen, dass sie in Verbindung mit einem gcheininiss-
vollen Späher stehen, der Alles, was sie thun, sieht, dieselben
mit den Warten einzuschüchtern: ;;Mein kleiner Finger sagt mir
Alles." " Schliesslich beschliessen die beiden jungen Leute zu
fliehen; nachdem er dem weissköpfigen Kalbe den Schädel ge-
spalten hat; aus seinem Gehirn fällt ein rothes Zauberknäulchen
heraus, das wie eine kleine Sonne leuchtet. Er wickelt es behut-
sam in ein Tuch; aus welchem jedoch das Mädchen einen kleinen
Tüeil wieder heraus wickelt, damit es gleich einer Laterne ihren
Pfad erhelle. Sie fliehu; indem der Jüngling an den ausgestreuten
Erbsen den Weg wieder erkennt. Der Alte schickt böse Geister
liinter den Entflohenen her. Mittelst des Zauberknäulchens (oder
Edelsteins), das dreimal in der Hand umgedreht wird mit einem
Zauberspruch, verwandeln sich diese erst in ein Bächlein und
ein Fischlein, dann in einen wilden Rosenstrauch und eine Plüthe
daran, zuletzt in ein Lüftchen und ein Mücklein, so dass sie den
Verfolgern entgeh u; endlich kommen sie an den grossen Stein,
der den Eingang zu der unterirdischen Welt bedeckt; auch er
rauss dem Knäulchen weichen und — sie sind auf der Erde, ^'c-
Qnhernatii, die Thiere. ** 9
130
rettet! Das rothe Knäulcben verschafft ihnen königliche Gewänder^
in denen sie sich aller Welt zeigen. Sie heirathen sich und der
Prinz nimmt den Platz seines nnterdeSs verstorbenen Vaters ein.
Ich halte es kanm fUr nothwendig, dem Leser den Sinn dieser
lichthellen mythischen Erzählung zu erklären. Die schwarze Kuh,
die das Kalb mit dem weissen oder glänzenden Kopte hervor-
bringt, ist eine vedische Antithese; die wir schon gesehen haben; >
die Kuh (Nacht) bringt das Kalb (den Mond) hervor. Der Prinz
nimmt das kleine rothe Knäuel aus dem Kalbe; durch dieses
Knäuel wird das Mädchen aus den Reichen der Finsterniss be-
freit. Das kleine Knäuel rückt den Stein fort; die Sonne und
die Aurora kommen zusammen aus dem Berge heraus, nachdem
sie zusammen im Reiche der Schatten gewandelt sind; die Sonne
befreit die Aurora. Diese Erzählung vereinigt mit einander, und
zwar in richtiger Reihenfolge, mehre Mythen analogen Charakters,
die selbstständig entstanden sind.
Die drei nächsten Mährchen schildern andere Fahrten des
Sonnenhelden zum Himmel oder in der Hölle und finden einen
Abschluss von derselben Bedeutung. In dem achtzehnten Mähr-
chen finden wir den verzauberten Ring, Salomos Ring ^ geheisseu,
' Eine ähnliche Antithese findet sich in einem ungarischen Sprich-
wort, das mir mein gelehrter Freund Graf Geza Kuun, zugleich mit an-
dern Notizen über abergläubische Vorstellungen, die mit den Thiercu zu*
sammenhängen, bei den Ungarn, mitgetheilt hat. Dieses Sprichwort lautet:
„Sogar eine schwarze Kuh giebt weisse Milch." Die schwarze Kuh kommt
auch in zwei andern ungarischen Sprichwörtern vor, von denen das eine:
yfiie schwarze Kuh ist ihm nicht auf die Fersen getreten^* bedeutet, dass
Jemanden kein Unglück betroffen hat; es ist die gewöhnliche verwundbare
Ferse, die Achillesferse, für welche zuweilen, wie wir in den Kapp, über
den Fuchs und die Schlange sehen werden, der Schwanz oder das äusserste
Uintertheil eintritt. Das andere Sprichwort lautet: „Im Dunkeln sind alle
Kühe schwarzes scheint aber keine mythische Bedeutung zu haben.
* Ueber die Sage von Salomo hat soeben ein junger russischer Ge-
lehrter, Prof. Alex. Wesselofski ein beachtenswerthes Werk unter dem
Titel: Slavianskiya skaszaniyoi o Salomonie i Kitovrassie i
szapadniya legendi o Morolfie i Merlinie (Petersburg 1872) ver-
öffentlicht. Der Verf. untersucht zuerst die Gestalt der Sage in den asia-
tischen, dann in den slavischen, talmudischen, altpersischen, muhammeda-
nischen und europäischen Quellen, indem er zugleich die Bedeutung ge-
wisser mittelalterlicher Uäresieen klar darlegt: er geht sodann auf die
in Kusslaud seit Ende des XV. Jahrhunderts bekannte Sage von Salomo
und Kitovras ein, deren griechischen Ursprung er nachweist, indem er das
Wort Kitovras mit Kentauros zusammenbringt, eine Ableitung, deren
131
tneder, den der junge Held suchen gebt; als er.ihn findet, der
Höllenjnngfrau abnimmt und sieh an den Finger steckt, erlangt
er plötzlich solche Stärke, dass er einen Felsen mit einem Faust-
schlag in Splitter schlagen kann. Das kleine, eben beschriebene
rothe Knäuel des Mährchens, welches den Felsen aufhebt, und
dieser Bing, welcher den Stein zersplittert, stellen dasselbe Object
des Mythus dar, nämlich die Sonne, den Sonnenball, die Sonnen-
scheibe.
Das einundzwanzigste Mährchen zeigt uns den herzhaften
Helden, der ein Schloss von Dämonen beireit und so einen Schatz
gewinnt; Reichthnm ist die Belohnung der Tapferkeit.
Das zwanzigste ehstnische Mährchen ist eine Variation der
ausserordentlich volksthttmlichen Erzählung von Blaubart, der seine
Weiber umbringt. Das ehstnische Qattenungeheuer hat bereits
eilf getödtet und ist eben im Begriff, es mit der zwölften eben
so zu machen, um sie far den Besuch des heimlichen, gegen
sein ausdrückliches Verbot mit dem goldenen Schlüssel (vielleicht
dem Monde) geöflftieten Zimmers zu bestrafen, als ein Jüngling,
der früher Gänsejunge war, der Freund ihrer Kindheit, sie be-
freit. Aus dem Gegenstande selbst und den in diesem Mährchen
angewandten Ausdrücken können wir den Ursprung des schreck-
lichen charivari bei den Hochzeiten der Wittwer oder Wittwen
entdecken. Dieser wilde Brauch soll nicht nur die Begierde des
oder der Alten, die zum' zweiten Male heirathet, verspotten, son-
dern auch das Mädchen, welches den einen, oder den Jüngling,
welcher die andere heirathet, vor der Möglichkeit eines ähnlichen
Geschickes, wie es den ersten Mann resp. Frau betroffen, warnen.
Wenn also das Weib a p a t i g h n i (die ihren Mann nicht tödtet)
dem vedischen Gatten angepriesen wird, so müssen wir das so
verstehen, dass die patighnt (oder Mörderin ihres Gatten) eine
Wittwe ist, die, als des Mordes verdächtig. Niemand heirathen
darf. Deshalb musste sich, um sich von diesem Argwohn zu be-
Wahrscheiolichkeit er auch sprachwissenschaftlich begründet. Im zweiten
Thdle seines Werkes bespricht der Verf. den occi dentalischen Moralf
(Marioifos) nach den Arbeiten von Rembie, und stellt ihn einerseits mit
dem italienischen Bertoldo zusammen, während er andrerseits die Beziehung
zwischen Markoiis und Merkur eröffnet Das siebtntcKap. ist dem Merlin
gewidmet Das achte und letzte beschäftigt sich mit der indischen DäkinT
und der Königin von Saba. Eine deutsche oder englische Uebersetzung
dieser wichtigen Studien des Petersburger Professors wäre höchst wün-
schenswerth.
or THf
UNIVERSITY
or
182
freien^ ein ehrbares Weib bei den Hindus (wie Ondran in der
Edda) nach dem Tode ihres Gatten in das Feuer stürzen: die
AbendrOthe stirbt nach dem Tode der Sonne ebenfalls.
In dem zweiundzwanzigsten Mährchen haben wir noch ein-
mal den Mythus von dem Königssohne ^ der als Hirtenknabe auf-
wächst. Eine niobtswttrdige alte Hexe stiehlt auf Veranlassung
der Stieftnutter das Kind aus dem Palast und bringt es in ein
einsames Waldgehöft^ wo es aufgezogen wird. Dann kommt der
Prinz in den Dienst eines Banerwirthes als Httterknabe. Einst
trifft er einen alten Mann^ der den Knaben und seine Herde be-
trachtend sagt : y^Du scheinst mir nicht zum Httterknaben geboren
zu sein.^' Der Knabe erwiedert, er wisse wohl, dass er zum
Herrscher geboren sei und hier vorerst das Geschäft des Herrschens
erlerne: „Geht es mit den Vierftlsslern gut, so rersuche ich wei-
terhin mein Geschäft auch wohl mit den Zweifässlem/' Der
Schäfer ist also ein kleiner König; ein guter Schäfer wird ein
guter König werden. Ein andres Mal verlangt eine vorbeifahrende
stolze deutsche Frau ein Körbchen mit frischgepflttckten Erdbeeren
von ihm. Als sie ihm mit Gewalt genommen werden sollen,
wehrt er sich wacker. Zur Strafe wird er in den Dienst einer
sehr bösen Bauerwirthin als Httterknabe gethau, die ihn sehr
schlecht behandelt Aus Rache sperrt er ein Dutzend Wölfe in
eine Höhle, wo er ihnen alle Tage ein Thier von seiner Herde
vorwirft; der Wirthin aber antwortet er immer auf die Frage
nach dem fehlenden: „Die Wölfe haben's zerrissen!^' Schliesslich
lässt er das böse Weib selbst von den Wölfen zerreissen , die es
mit Haut und Haaren verschlingen, so dass nichts weiter ttbrig
bleibt; als Zunge und Herz (die Sonne); diese beiden taugen
nicht einmal den wilden Bestien, weil sie zu giftig sind. Acht-
zehn Jahr alt tritt der Prinz bei einem Gärtner in Dienst, in
dessen junge blühende schöne Tochter er sich grenzenlos verliebt.
Er wird von seinem königlichen Vater wiedergefunden; dieser
will ihm jedoch nicht erlauben, die Gärtnerstochter zu heiratheu,
Hondern haut den Verlobungsring der Beiden mit dem Schwerte
in zwei Stücke. Nur wenn die beiden Hälften des Ringes zur
rechten Zeit von selbst so in einander schmelzen, dass kein Auge
die Stelle entdecken kann, wo der Ring durchgehauen war, will
er glauben, dass Gott sie fttr einander geschaffen hat — In einem
toscaniBchen Mährchen giebt das schöne Mädchen dem dritten
Bruder ihr Halsband. Das junge Paar verliert einander; ihr
Wiederüudeu und Wiedererkennen findet Statt, als die beiden
133
Tbeile des HaiBbandes sich mit einander vereinigen. Der Branch
des Tranrings hat einen mythischen Ursprung. Die Sonnen- nnd
znwcilen auch die Mondscheibe ist der Ring, welcher das himm-
lische Ehepaar eint. — Als sich nach verschiedenen Abentenem
der beiden jnngen Leute des ehstnischen Mährchens die beiden
Hälften ihres Ringes vereinigen , hat ihr Missgeschick ein Ende;
sie heirathen sich nnd leben glücklich; während die gransame
Stiefmutter, die mittlerweile verwittwet ist, aus dem Reiche Ver-
stössen wird.
Das letzte ehstnische Mährchen erzählt von der ausserordent-
lichen Geburt eines schönen Prinzen und einer schönen Prinzessin
au demselben Tage. Die Prinzessin wird in einem Vogelei ge-
tragen, wie ein Kleinod an dem Busen der Königin ruhend; sie
hat zuerst die Gestalt einer lebendigen Puppe nnd später erst,
nachdem sie einige Zeit in dem warmen Wollkorbe gelegen hat,
wird ein wirkliches Mädchen ans ihr. Während diese Verände-
mng mit ihr voigeht, giebt die Königin noch ein^m schönen Kna-
ben das Leben. Die beiden Kinder werden als Zwillinge be-
trachtet nnd zusammen getauft Zu d^ Taufe der Kinder kommt
als Pathin in einer prächtigen sechsspännigen Kutsche ein junges
Weib in rosenrothen goldgestickten Gewändern, das gleich der
Sonne glänzt und das, als es den Schleier fallen lässt, gleich der
schönen Helena, die Beistehenden mit Bewunderung und Staunen
erfüllt. Die Mutter stirbt bald und hinterlässt das Glttckskörb-
chen mit den Eierschalen ihrer Tochter. Vermittelst des kleinen
Zauberkörbchens nnd durch Aussprechen einiger Zauberworte
kann das Mädchen Alles finden, was es sucht oder begehrt. Der
Prinz, ihr vermeintlicher Zwillingsbruder, und das Mädchen hei-
rathen sich schliesslich, nachdem sie erfahren, dass sie, obwohl
Beide königlicher Abkunft, doch Kinder verschiedener Väter sind ;
das kleine Glttckskörbchen aber verschwindet auf geheimnissvolle
Weise.
§ 4. Der Stier und die Kuh in der slaviscben Sage.
Nachdem wir bisher einen allgemeinen Abriss der Grenzen
zwischen der turanischen nnd slavischen Sage gegeben haben, ist
es jetzt Zeit, an das Studium der slaviscben Sage selbst zu gehen,
so weit sie mit dem Mythus von dem Stier und der Kuh zu
thun bat
134
Die raBsiscben Bauern und Hirten pflegen zu behaupten, dass
das Wetter sehön wird> wenn sich eine rothe Kuh an die Spitze
der Heerde stellt, dass es aber regnen oder schlechtes Wetter
werden wird, wenn die erste Kuh, welche am Abend in den Stall
zurückkehrt , eine schwarze ist. Wir wissen bereits, was die
schwarze und die rothe Kuh in der Sprache der Veden bedeuten.
Die Morgen- und Abend- Aurora , d. h. die rothen Kühe, ver-
sprechen schönes Wetter; die Wolke (oder schwarze Kuh) zeigt
nasses Wetter an. Im Piemontesischen pflegt man bei einer schönen
Abendröthe zu sagen:
„R0880 di Bcra,
Buon tempo si spera/*
(Bei Abendroth hoftt man auf schönes Wetter.)
Verfolgen wir jetzt die russische Sage bezüglich der Kuh
und des Stieres in zwei der vielen unschätzbaren Sammlungen
von Volksmährchen, die schon in Russland gedruckt worden sind,
wie auch in den berühmten Krilofi'schen Fabeln. ^
Wir werden mit den Mährchen und Fabeln beginnen, in
denen die Kuh oder der Stier ausdrücklich erwähnt wird. Sie
zeigen uns den Stier, welcher den Helden und die Heldin beschützt,
den Stier, welcher den Helden bereichert, den Stier, der verkauft
* Diese letzteren sind auch ins Englische übersetat und erläutert wor-
den von W. R. S. Baiston, M. A. Während des Druckes der englischen
Ausgabe meiner Mythologie Hess Herr Ralston in London bei Ellis und
Green (*in höchst interessantes Werk erscheinen, unter dem Titel: The
Songs of the Russian people as illustrative of Slavonic mythology
and Russian social life. Das Ganze ist in sechs Kapitel getheilt; Kap. 1 ist
eine zugleich populär gehaltene und instructive Einleitung ; Kap. 2 wendet
sich zu der slavischen Mythologie ; Kap. 3 handelt von den mythischen und
rituellen Gesängen; Kap. 4 von den Hochzeitsliedem ; Kap. 5 von den
Todtengesängen; Kap. 6 beschäftigt sich mit der Hexerei und Magie in
Russland. Das Narodnija Skaski sabrannija selskimi uditeliami, isdanie
A. A. Erlenwein (Moskwa 1863) und das umfangreichere: N. Aphanasicva,
Narodnija ruskijaskaski, Isd. 2 (Moskwa 1860. 1861 .) sind noch nicht
in andere europäische Sprachen übersetzt worden. Diese beiden Werke
enthalten vielleicht nur den fünften Theii der Matenalien, deren Samm-
lung aufmerksame russische Beobachter in den ungeheuren Länderstrichen,
welche die Russen inne haben, in diesem Jahrhundert besorgt haben. Da
jedoch unter allen Sammlungen die Afanassieffsche die wichtigste ist, so
habe ich dem europäischen Publikum mit der Mit!heilung des werthvoUen
Inhaltes derselben einen Dienst zu erweisen geglaubt.
135
wird; den dankbaren Stier, den Stier, der sich opfert, den ver-
folgten Stier, den dämonischen Stier; die Kuh, welche spinnt, die
wohlthätige Kuh, den Sohn der Kuh, die Vögel, welche aus der Kuh
hervorkommen, das Kuhfell, das ein Seil wird, an dem man zum
Himmel hinaufklettert, die vertauschte Kuh, die dämonische Kuh,
die Kuhhömer.' Hier haben wir also auch wieder die Doppel-
gestalt der vedischen Kuh : die dunkelfarbige (Wolke und Finster-
niss), gewöhnlich ungeheuerartig, und die glänzende (Mond und
Aurora), gewöhnlich göttlich und wohlthätig.
Ein specielles Characteristicum des Stiers und der Kuh ist
ihre Fähigkeit zu trinken. Wir sahen schon, wie viel der Stier
Indra (die Sonne in der Wolke oder in der Nacht) trinken
konnte. In dem dritten Mährchen des ersten Buches bei Afanas-
sieff, führt die Hexe, welche das gute Mädchen verfolgt, als dieses
ein Tuch ausbreitet und so einen Strom entstehen lässt, damit die
Hexe sie nicht einholen könne, den Stier vorwärts, damit er den
Strom austrinke (eine Form des indischen Agastya, welcher im
Mahäbhärata ^ das Meer ausschlürft). Doch weigert sich der Stier,
der den Strom wohl trocken legen könnte, es zu thun, weil er
dem guten Mädchen zur Dankbarkeit verpflichet ist. Das Wasser,
aus dem dieser Stier, resp. Kuh, welcher der Hexe gehört, trinkt,
hat die Eigenthümlichkeit , den Menschen, der davon trinkt, in
ein Kalb zu verwandeln;^ ja sogar aus der Klaue des Stieres
zu trinken genügt schon, ihn in ein Kalb zu verwandeln. ^ Das
Wasser, welches aus der Klaue des dämonischen Stieres hervor-
kommt, ist das Gegentheil von dem Wasser der Hippokrene, das
ans den Hufen des göttlichen Pferdes der Griechen, des Pegasos,
fliesst.
Im zweiten Buche bei Afanassieff findet sich ein Mährchen,
welches von der Vertauschung der Thiere in ganz derselben
Reihenfolge wie im Aitareya-brähmana spricht, d. h. dass
für Gold ein Pferd, für das Pferd eine Kuh, für die Kuh eine
Ziege oder ein Schaf eingetauscht wird. Der russische Bauer
geht mit seinem unglücklichen Tauschgeschäft weiter: er verhan-
delt das Schaf ftir ein junges Ferkel, das Ferkel für eine Gans,
die Gans für eine Ente, die Ente ftir einen kleinen Stock, mit
dem er einige Kinder spielen sieht; er nimmt den Stock für seine
> III, 8805 ff.
» A fan. II, 29
» IV, 45.
136
Frau Diit nach Han^e nnd sie schlägt ihn damit. In dem zwölften
Mähreben des fünften Buches bei Afanaosieff verbandelt auch ein
alter Mann zuerst die goldenen Strümpfe und silbernen Strumpf-
bänder, die er im Himmel vom lieben Gott bekommen, für ein
Pferd, das Pferd für einen Stier, den Stier für ein Lamm ; zuletzt
handelt er eine kleine Nadel ein, die er verliert. Im zweiten
Mährchen des sechsten Buches wird dasselbe närrische Verfahren
dem dritten Bruder, dem dummen, (welcher in vier anderen rus-
sischen Variationen derselben Erzählung der schlaue ist) beigelegt;
er bat nämlich erfahren, dass im Himmel die Kühe billig sind,
giebt seine Kuh fttr eine Fliege, seinen Ochsen für eine Pferde-
iliege und steigt zum Himmel auf.
Doch sind im Allgemeinen der Stier und die Kuh der Anfang
des Glückes fttr die Helden der Volksmährchen.
In dem zweiundfunfzigsten Mährchen des fünften Buches hat
der dritte Bruder, der wabrheitliebende Narr, der Glück hat,
alu einziges Erbe von sdnem Vater einen Stier; er geht, ihn zu
verkaufen und kommt bei einem alten dürren Baume vorbei, der
knarrt; er denkt, der Baum will seinen Stier kaufen, giebt ihn,
und verspricht, nach dem Gelde wiederzukommen. Als er wieder-
kommt, ist der Stier fort ; er fordert sein Geld, und als er keine
Antwort bekommt, schickt er sich an, den Baum mit seiner Axt
niederzuhauen, wobei ein Schatz, den einige Räuber im Baume
verborgen hatten, zum Vorschein kommt; ^ der Mann nimmt ihn
und trägt ihn nach Hause. In einer Variation dieses Mährchens,
in der Erlenweinscben Sammlung, ^ versucht der dritte Sohn
des Müllers seinen Stier zu melken, da er sieht, wie der zweite
Bruder die Kuh melkt; als er die Erfahrung macht, dass seine
Anstrengungen vergeblich aind, so bescbliesst er, ein so ausser-
ordentlich nutzloses Thier zu verkaufen.
In dem vierunddreissigsten Mährchen des fünften Buches
treffen wir wieder die beiden Brüder, einen reich und knickerig,
den andern arm ; der arme borgt sich von einem Nachbar zwei
Stiere und wird von der Armuth (gore) zu einem Stein geflihrt,
unter welchem er eine mit Gold gefüllte Höhle findet. Der arme
' Etwas Achnlichcs findet sich scüod in den Aesopischen Fabeln (21. cd.
del Furia, Florenz 18()9): der Mann betet zu einem hölzernen Götterbilde
{^livov 9e6v)y es möge ihn reich macheu; die Statue antwortet nicht; er
zerbricht sie und Gold kommt zum Vorschein.
^ Siebentes Mährchen.
137
Mann füllt seinen Wagen und erzählt, als er herauskommt, dem
Geizhals, dass es dadrinnen noeh viel mehr giebt. Jener geht
hinein, nm zu sehen; der expauper versehiiesst den Eingang mit
dem Steine und kehrt heim. ^
Der Stier und die Kuh bringen jedoch nicht aliein dem Hel-
den Beichthflmer, sondern helfen ihm auch in Gefabren. In dem
eilften Mährehen bei Erieuwein* will Iwan Tzarewiö oder der
Prinz Johann — der Name des Lieblingshelden der slavischen
Volkssage (er ist der dritte Bruder, der stärkste, der das meiste
Glttck hat, der siegreiche, der klügste, nachdem er der närrischste
gewesen ist) — vor der Schlange fliehen, weiss aber nicht wie
und setzt sich weinend auf einen Baumstamm. Der Hase kommt,
ihn davonzutragen, wird aber von der Schlange getödtet; der
Wolf kommt , wird aber ebenfalls getödtet. Schliesslich kommt
der Stier und trägt ihn fort. Als Iwan bei seiner Wohnung an-
langt, hat sich der Ochse in zwei Theile getheilt ; ein Theil muss
unter die heiligen Bilder gestellt werden, welche eine Ecke jedes
Zimmers in russischen Häusern zieren, der andere Theil unter das
Fenster; Iwan muss dann scharf spähen, bis zwei Hunde und
zwei Bären erscheinen, welche ihm auf der Jagd dienen und
seine Stärke sein wollen.
In dem siebenundzwanzigsten Mährchen des fünften Buches
werden Iwan Tzarewiö und die schöne Helene von einem unge-
heuren Bären mit eisernen Borsten verfolgt; sie fliehen auf einem-
Stier (dem Monde) und Iwan reitet, auf Rath des Stieres, mit
dem Gesicht nach der Seite, von welcher der verfolgende Bär
wahrscheinlich kommen wird, damit dieser sie nicht überrasche.
Als Iwan den Bären kommen sieht, wendet sich der Stier um
und reisst ihm die Augen aus; der blinde Bär folgt ihnen nach,
doch setzen die auf dem Rücken des Stieres Fliehenden über
einen Strom, in welchem der Bär ertrinkt. Iwan und Helene
fühlen Hunger; der Stier befiehlt ihnen, ihn zu zerschneiden und
zu essen, aber seine Knochen aufzubewahren und sie zusammen-
zuschlagen; aus den so behandelten Knochen ersteht ein Zwerg,
von der Grösse eines Fingernagels, doch mit einem ellenlangen
Barte; er hilft Iwan die Milch einer Wölfin, einer Bärin und
einer Löwin finden, bis er von dem brennenden Vogel, dessen
Eier er stehlen wollte, verschluckt wird. (Der Bär scheint hier
' Vgl. auch Af an. V, 19.
< Vgl. auch Erlenw. 28 and Afan. III, 24.
138
ein nächtliches Ungeheuer za sein; der Stier ist das Ross der
Sonne in der Nacht, der Mond; der Stier-Mond wird geopfert;
darauf erscheint eine kleine Sonne mit langen Strahlen, der Zwerg
mit dem langen Barte, ein alter ego Iwans, der sein Leben in
dem Brande des Phoenix oder der Abend-Aurora endet.) Iwan ist
vom Tode bedroht, als der Zwerg stirbt, doch wird ihm in diesem
kritischen Augenblick von den wilden Thieren geholfen, die er
gezähmt und gefUttert hatte und die ihn aus der Gefahr befreien.
Diese wurden ihm nämlich nach dem Tode des Stieres, seines
Befreiers gegeben , von welchem selbst sie, als er in Stücke ge-
schnitten wurde, geboren wurden (die wilden Thiere des Waldes
der Nacht werden geboren, sobald die Abendsonne geopfert ist).
Dasselbe Thema, etwas variirt, begegnet uns wieder in dem
folgenden, achtundzwanzigsten Mährchen; nur dass an die Stelle
von Iwan und Helene Iwan und Marie, die Sonne und die
Aurora der Christen, getreten sind. Neben der Wohnung Iwans
und Maries erhebt sich ein Scheiterhaufen , auf welchem sich der
Stier opfert Die Knochen des Stiers werden in drei Furchen
gesät; die erste Furche trägt ein Pferd, die zweite einen Hund,
auf der dritten wächst ein Apfelbaum. Iwan steigt auf das Pferd,
der Hund folgt ihm; er jagt junge Wölfe und Bären, die er
später zähmt und abrichtet, die Schlange zu tödten, welche seinen
Hund in einer Höhle eingeschlossen und seine Schwester entführt
hat; er erzwingt sich den Eingang zu dem Orte, wo sein Hund
verborgen ist, dadurch dass er den Riegel der Thttr mit drei
kleinen Zweigen des Apfelbaumes schlägt; der Riegel bricht in
Stücke, die Thür springt auf, der Hund ist befreit; der Hund,
der Wolf und der junge Bär wttrgen dann die Schlange und
Iwan befreit Prinzessin Marie.
Im sechsten Buche (54. Mährchen) erhält Jung Marie,
die verfolgt wird, wunderbare Hilfe von einer Kuh. Ein altes
Weib hat drei leibliche Töchter (eine einäugige, eine zweiäugige
und eine dreiäugige) und eine Stieftochter, Namens Marie; ihre
eigenen drei Töchter thun nichts und essen viel; die Stieftochter
muss schwer arbeiten und bekommt nur wenig zu essen. Die
Stiefmutter giebt ihr fünf Pfund Wolle, die sie in einer einzigen
Nacht, während sie die Kuh auf die Weide führt, spinnen, weben
und bleichen soll. Das Mädchen geht zur Weide, umarmt ihre
Schecke, lehnt das Köpfchen an ihren Nacken und beweint ihr
traurig Loos. Da sagt die Kuh: „Schönes Kind, kriech in eins
von meinen Ohren und komm zum andern wieder heraus, so wird
139
Alles fertig sein!" — In der italienischen Version dieses Mälir-
ehens * s^nnt die Knh mit ihren Hörnern fUr das gute Mädchen,
während es die Alte oder die Madonna kämmt. Ich glanbe schon
gesagt zn haben, dass ich in dieser guten Alten, Fee oder Ma-
donna den Mond wiederfinde. Der Mond wird, wie die Sonne,
in Beziehung mit der Aurora, und besonders der Abend-Aurora,
welche er begleitet, gedacht; der Mond ist die Wirthin, die Füh-
rerin, die Schtttzerin des Helden und der Heldin des Abends,
welche sich in der Nacht verirren und verfolgt werden; nach der
Abend-Aurora erscheint der weisse Mond, ganz ebenso wie die
Morgen-Aurora von der glänzenden Sonne abgelöst wird. Wir
sahen, dass die vedisohe Aurora den Namen Reinigerin, Schmtt-
ckerin führt ; von dieser Bezeichnung zu dem Bilde der Kämmerin
oder Schmttckerin des Kopfes der alten Madonna ist der Ueber-
gang leicht ; ^ von, d. h. nach der Aurora kommt der Mond hervor,
glänzend und rein, am schönen und heiteren Himmel; und darum
fallen Perlen von dem Kopfe der Madonna; doch als andrerseits
nicht das schöne Mädchen, die Aurora, kommt, als die Stiefmutter
eine ihrer eigenen Töchter zu der Alten auf die Weide schickt,
fällt garstiges Ungeziefer von dem Haupte der alten Fee oder
Madonna, sofern der Mond sich unter den Schatten der wolkigen
und schwarzen Nacht nicht in seinem Glänze zeigen kann. Die
russische Erzählung zeigt uns, wie die gütige Kuh des guten
Mädchens, welche dasselbe liebkost und ihm Wohlthaten erweist,
und die Madonna oder gute Alte der italienischen Sage, die für
das sorgliche Kämmen ihres Haares dankbar ist, identisch sind.
In dem fünfunddreissigsten Mährchen des fünften Buches dagegen,
wo die Kuh in dämonischer Gestalt erscheint, und der Held Iwan,
verdammt aus einem Prinzen ein Kuhhirt zu werden, sie unter
dem Schwänze, den sie dazu aufhebt, küssen muss, treffen wir
eine alte Hexe, welche an den weissen Brüsten des schönen Mäd-
chens saugt, während das letztere das Ungeziefer auf ihrem Kopfe
jagen muss ; in der Hexe wie in der Kuh, welche so ungebührlich
den Schwanz aufhebt, können wir die finstere Nacht wieder-
erkennen, eine Erklärung, die durch den Umstand als durchaus
* Vgl. die erste Erzähluog io meiner Sammlung: No veil ine di
Santo Stefano di Calcinaia, Torino 18B9. Ich kenne auch eine
piemontesische Version, die von dieser toscanischcu nur wenig abweicht.
* In der £rzählun^ bei Afan. II, 27 kämmt die schöne Prinzessin am
ßee den jüngsten Sohn des Tzaren, welcher schlafen geht.
140
richtig bewiesen wird; dass der Held-Hirt Katoma; der gesehnittekte.
der schnelltUssige ; sebliesslieb der unversebämten Kat^das Fell
abzieht (die Morgensonne, der Hirt der glänzenden Kübe^ zieht
der sehwarzfarbe^ien Kuh der finsteren Naeht das Fell ab). Doeb
kehren wir zu der viernndfunfzigsten Erzäblang zarttek. — Als
die Stiefmutter siebt y dass das Mädehen Alles ; was ihm aufge-
tragen ist, fertig gemaeht bat; schöpft sie Verdacht; dass ihr Je-
mand hilft; und schickt die nächste Nacht ihre erste Tochter; die
nur ein Auge bat; die Stieftochter; die zur Weide gebt, zu beob-
achten. Jung Marie 'sagt zu ihr: ;;Auge; schlaf!" und sofort
schläft ihre Stiefschwester ein, so dass die Kuh ihr, ohne dass Je-
mand es bemerkt; helfbn kann. Die zweite Nacht wird die zweite
Tochter, die zweiäugige, mitgeschickt; Marie sagt zweimal zu
ihr: „Auge, schlaf!" und Alles geht wie vorher. Die dritte Nacht
gebt die dreiäugige Schwester mit; Marie vergisst das dritte
Auge und sagt nur zweimal : „Auge, schlaf !" und so sieht denn
die dritte Schwester mit dem Auge, das sie offen behalten, ^ was
die Kuh mit Marie tbut, und erzählt am Morgen Alles ihrer
Mutter, die befiehlt, dass die Kuh getödtet wird. Marie warnt
die Kuh, und die Kuh nimmt ihr das Versprechen ab, kein Fleisch
von ihr zu essen, die Knochen zu nehmen, im Garten zu säen
und sie zu begiessen. Das Mädchen thut es; nie, so hungrig sie
auch sein mag, isst sie von dem Fleisch; sie sucht nur die
Knochen zusammen. Aus den im Garten gesäten Knochen er-
wächst ein wunderbarer Apfelbaum, mit goldenen Blättern und
silbernen Zweigen, welche die drei Töchter der Stiefmutter stechen
und verwunden, während sie dagegen dem schönen Mädchen
Aepfel geben, welche dasselbe dem reichen jungen Herrn, der
es zur Frau nimmt, anbieten kann. In dem folgenden filnfund-
funfzigsten Mäbrcbeu; das nur eine Variation des vorhergehenden
ist; heisst das Mädchen Marie und ihr Gatte Iwan Tzarewic ; wenn
Marie auf die Weide gebt und wenn sie zurückkehrt; pflegt sie
vor dem rechten Fusse der Kuh niaderzuknieen. Als die getödtete
Kuh in der Gestalt eines Baumes wieder auflebt; wimmelt
er von Vögeln, welche für Könige und Bauern in gleicher
Weise singen und die süssen Frtlcbte auf Marions Teller fallen
lassen.
Die Aepfel, die Hörner wachsen lassen, und die, welche jung
und schön machen, deren in dem sechsunddreissigsten Mährchen
' Vgl. das Kapitel über die Ziege.
141
des fünften Buches and wieder im letzten Buche der A fan as -
sie ff sob en Sammlnng Erwähnung geschieht, wie sie auch in
anderen europäischen Variationen desselben Themas wiederkehren^
hängen meines Erachten» mit dem Mythus von dem Abend- und
Morgenhimmel und der Mondnacht in der Gestalt eines Apfel-
baumes zusammen. In dem funfeehnten Mährchen der Erlen-
weinschen Sammlung kommt der dritte Bruder, der unver-
meidliche Iwan^ zu einem Apfelbaum; welcher rothc A^fel hat,
und isst vier von ihnen , worauf auf seinem Kopfe vier Homer
wachsen und zwar von solcher Höhe, dass er nicht in den Wald
gehen kann; er geht zu einem Apfelbaum; der weisse Frttchte
trägt, und die vier Homer verschwinden. (Der Sonnenheld nähert
sich am Abend dem Baume mit den rothen Aepfelu, der Abend-
Aurora, und sofort wird er entstellt; Hörner wachsen auf seinem
Kopfe, er verliert sich in dem Schatten der Nacht; beim Mond-
licht und der alba nähert er sich dem Baume mit den weissen
Aepfeln, verliert seine Homer und wird wieder jung und schön.)
In dem siebenundfunfzigsten Mährchen des sechsten Buches
bei Afanassieit wird Iwan Tzarewic mit den Aepfeln, welche dem,
der sie isst, die Jugend wiedergeben, von der Schwester der Sonne
beschenkt, zu deren Wohnung er in folgender Weise emporge-
hoben wird: Iwan (die Sonne) liat zur Schwester (ohne Zweifel
Halbschwester) eine Schlangen-Hexe (Nacht), die bereits seinen
Vater und seine Mutter verschlungen hat (<lie Sonne und die Abend-
Aurorä, welche die Nacht erschaffen und von ihr vernichtet wer-
den); die Hexe verfolgt den kleinen Bmd^ Iwan und will ihn
verzehren; er flieht und sie holt ihn in der Nähe der Wohnung
der Schwester der Sonne (der Aurora, der wirklichen Schwester
Iwans) ein. Die Hexe macht Iwan den Vorschlag, sich zusam-
men auf der Wage zu wiegen. Iwan nimmt Sen Vorschlag an,
worauf die Hexe auf die eine Wagschale, Iwan auf die andere
steigt; sobald jedoch die Hexe ihren Foss auf die Wagschale
setzt, Überwiegt sie Iwan so beträchtlich, dass dieser zum Himmel,
der Wohnung der Schwester der Sonne, emporgeschleudert wird,
wo er bewillkommnet und gastlich aufgenommen wird. (Ein
schöner Mythus, dessen Bedeutung ganz klar ist Iwan ist die
Sonne, die Aurora seine Schwester; am Morgen ziehen sich die
Schatten der Nacht nahe der Wohnung der Aurora, d. h. im Osten,
hinab und die Sonne steigt zum Himmel auf; das ist die my-
thische Wage. So wiegt auch in der christlichen Mythe St. Mi-
chael Mettscheuseelen : die, welche schwer wiegen, sinken in die
142
<
Hölle hinunter, die, welche leicht befanden werden, steigen mta
himmlischen Paradiese auf.)
Durch Vermittlung der Schwester der Sonne rettet sich Iwan
vor der Hexe. In einem anderen Mährchen bei Afanassieff
(V, 37) läSBt derselbe Iwan, durch Vermittelung der Schwester des
Helden Nikanore, die Ktthe, denen er nacheilt, goldene Hörner
und Schwänze, so wie Flanken von Sternen haben; später tödtet
er mit Hilfe des Helden Nikanore in Person (der Sonne, d. h.
seiner selbst) die Schlange.
Wir sahen schon den wolkigen und finstem Himmel in den
vedischen Gedichten bald als eine schwarze Kuh, bald als einen
Stall voll Stieren und Kühen dargestellt. Der schwarze Stier resp.
Kuh der Nacht wird als dämonisch betrachtet. In einem Mähr-
chen bei Afanassieff (V, 50) finden wir den Teufel in Gestalt
eines Stieres, welcher brüllt und mit seinen Hörnern die Erde
aufwühlt, indem er einen Hochzeitszug anhält. Aus einem Stier
verwandelt er sich in einen Bären, dann in einen Hasen, dann
in eine Krähe, um der Heirath Hindernisse in den Weg zu legen,
bis ihn, als er sich in seiner Teufelsgestalt zeigte ein Kriegsheld
blendet, während er trinkt. Eine Variation dieses Kriegshelden
ist der dritte Sohn des Bauern (V, 9), welcher so stark ist, dass
er mit einem Fingerschnippchen den Stier und den Bären todt
hinfallen macht und darauf mit einem Ruck ihnen das Fell ab-
zieht. Derselbe Held vermiethet sich bei einem Kaufmann, dem
er zwei Jahre lang für die Erlaubniss dienen will, ihm nach Ab-
lauf der Dienstzeit einen Nasenstüber ttnd einen Kniff appliciren
zu dürfen. Der Kauftnann denkt, er wird die Dienste des Man-
nes umsonst geniessen, bezahlt sie aber mit seinem Leben. Der
Kaufmann spielt in Volksmärchen selten eine gute Rolle. — Er
und der Knicker sind synonym — der Knicker ist das Unge-
heuer, welches Schätze verborgen hält; und deshalb werden, wie
wir schon aus den vedischen Hymnen selbst sahen, die Feinde
der Götter, die Ungeheuer, welche die Schätze rauben und ver-
stecken, als panis oder Kauf leute, Betrüger, Räuber oder Knicker
dargestellt Die Gangbarkeit dieser Bezeichnung als eines Schimpf-
wortes muss zum Theil in dem UebelwoUen seinen Grund haben,
mit welchem die priesterlichen Opferer der letzten vedischen Pe-
riode die Kaufleute betrachteten, in denen sie nur eine Bande
von Geizhälsen sahen, weil sie in Folge ihres Wanderlebens ihnen
weder Kühe noch Stiere für Opfer zu geben hatten, sondern
ihr ganzes Vermögen bei sich trugen und den befruchtenden
143
Regen des Gottes Indra zur Vermehrung ihrer Habe nicht be-
nöthigten.
Der himmlische Stier tritt ans der Nacht oder den nächtlichen
Ställen hervor^ entweder^ wie wir sahen, um dem Helden zu helfen^
um geopfert zu werden, um vor Verfolgung zu fliehen, oder weil
er von einem schlauen Diebe gestohlen worden ist
In einer der Kriloffsohen Fabeln schickt Gott eine schreck-
liche Seuche unter die Thiere, an welcher sie in grosser Anzahl
sterben. Sie gerathen darüber so in Schrecken, dass sie ihre
Wohnungen verlassen und ziellos hin und her wandern. Der Wolf
frisst nicht länger das Schaf; der Fuchs lässt die Hühner in Uuhe.
Die Turteltauben hören auf, sich verliebt anzugirren. Da hält
der Löwe einen Rath der Thiere und ermahnt sie alle, ihre Sün-
den zu beichten. Der schlaue Fuchs versucht, den Löwen-Richter
za beruhigen, indem er ihm versichert, obwohl er einige Schafe
gestohlen, habe er damit doch kein Unrecht begangen, und so
rechtfertigt er seine Räubereien; dasselbe thut auch der Bär, der
Tiger, der Wolf und alle die bösesten unter den Thieren. Darauf
kommt auch der einfältige Stier und bekennt, er habe dem Prie-
ster ein wenig Heu gestohlen. Dieses Verbrechen erscheint so
nichtswürdig, dass der Rath der Thiere decretirt, der Stier müsse
als Opfer dargebracht werden. *
Bisweilen verlässt dagegen der Stier, sei es weil er die
schlechte Behandlung von Seiten seines Herrn nicht ertragen kann,
sei es um nicht getödtet oder von dem dummen Sohne, welcher
Geld braucht, um zu heirathen, verkauft zu werden, eine Gefalir,
von der er eine düstere Vorahnung hat, mit anderen Thieren den
Stall, baut eine Hütte oder isbä und schliesst sich in derselben
ein. ^ Er hat das Lamm, die Gans, den Hahn oder sonst andere
zahme Thiere bei sich. Der Fuchs geht vorbei, hört den Hahn
krähen und ruft schnell seine Freunde, den^ Bären und den Wolf, zu
Hilfe. Der Bär öfinet die Thür und der Fuchs macht sich hinein;
der Stier aber bearbeitet ihn mit den Hörnern, das Lamm drängt
ihn von der Seite und der Hahn hackt ihm die Augen aus; so
machen sie dem unwillkommenen Eindringling den Garaus. Der
Wolf, der aus Neugierde, zu sehen was vorgeht, hineingeht, hat
dasselbe Schicksal, und der Bär, der der letzte ist, kommt allein
' Bei Lafontaine, Fables VII, 1, wird der Esel geopfert.
* Afau. IV, 20 — 22. ~ lu einem litauischen Liede, welches die Hoch-
zeit des Wolfes schildert, erscheint der Stier als Ilolzhauer. ühland,
Schriften zur Gesch. der Dichtung und Sage III, 75.
144
mit Muh* und Notb und nacb mancherlei argen Hisshandlnngen
mit beiler Haut davon. In einer anderen Variation desselben
Mäbrcbens stirbt der Bär ans Furcht; der dumme Sohn nimmt
sein Fell und macht es zu Geld; darauf kehren der Stier und
seine Gefährten, nachdem so die Gefahr; verkauft zu werden,
glücklich vorüber ist, heim. Der Kampf zwischen den zahmen
und den wilden Thieren, aus welchem die erstereu siegreich
hervorgehen, ist eine thierbildlicbe Darstellung des Sieges, den
die Helden (die Sonne und die Aurora) ttber die Ungeheuer der
Finsterniss davontragen.
Das Mährchen von dem HeI4en-Diebe ist gewölmlich mit der
EutfUhining von seines Herrn Pferde verbunden; doch nicht selten
wird der Held, wie das Ungeheuer, ein Räuber von Kühen und
Ochsen.
Der Dieb Iwan (Afan. V, 6) wird aufgefordert; seinem
Herrn einen schwarzen Stier oder Ochsen zu stehlen, welcher
an den Pflug gespannt ist; wenn es ihm gelingt, so soll er hun-
dert Rubel bekommen; wenn nicht, hundert Schläge. Um den
Diebstahl ausführen zu können, wendet Iwan folgendes Mittel
an: er nimmt einen Hahn, rupft ihn und steckt ihn lebendig unter
eine Erdscholle. Die Ackersleute kommen mit den Ochsen ; wäh-
rend sie pflügen, fährt der Hahn auf; sie verlassen den Pflug,
um ihm naclizurennen , worauf Iwan erscheint, der sich hinter
einem Strauche versteckt hatte. Er schneidet einem Ochsen den
Schwanz ab, steckt ihn einem andern Ochsen ins Haul und macht
sich dann mit dem schwarzen Ochsen fort. Die Ackersleute
haben den Hahn nicht einholen können, kommen zurück und
schliessen daraus, dass statt dreier Thiere nur noch zwei da sind,
dass ein Ochse den schwarzen Ochsen gefressen hat und nun
auch anfängt; den Schwanz des anderen, scheckigen Ochsen zu
verzehren. Bei Afan. V, 21 stiehlt der Zwerg- Knabe dem
Priester einen Ochsen und isst seine Kaidaum n. '
Von der Kuh wird der Held geboren ; unter einer verfaulten
Kuh, die in einen Graben (eine Ei'scheinungsform des nächtlichen
Oceans) geworfen ist, liegt Iwan Tzarewic; ein Vogel nimmt das
Wasser fort und Iwan Tzarewi6 (die neue Sonne) kommt hervor. ^
In einem anderen Mährchen bei Afauassieff isst die Fuchs-
Heldin, die Gefährtin des Wolfes, als der Wolf abwesend ist, die
* Vgl. das Kap übiT den Wolf.
* Afan. V, 41.
145
Eingeweide des Kalbes, ihres gemeinsamen Eigenthnms (das sie
von Kubhirten eingetauscht hatten fUr einen Kuchen ; der mit
ihren Excrementen besudelt war, wie ja gewöhnlich die Excre-
mente der Anfang von BeichthUmern sind); sie stopft dann das
Kalb oder die Kuh mit Stroh und Sperlingen aus und macht sich
davon. Der Wolf kommt zurück; wundert sich, dass die Kuh
sollte so viel Stroh gefressen haben, dass es herauskommt, und
zieht das Stroh heraus. Die Vögel fliegen davon, das Kalb fällt
um und der Wolf flieht erschreckt. * Mit diesen beiden Mythen
hängen zwei andere zusammen: die von dem Sohn der Kuh und
die von der Himmelfahrt vermittelst des Kuhfells.
Der König hat keine Söhae; er ßlngt einen Hecht, welchen
die Köchin abwäscht, und giebt das schmutzige Wasser der Kuh
zu trinken. Den Fisch aber geben sie dem schwarzen Mädchen
zu der Königin zu tragen. Das schwarze Mädchen isst auf dem
Wege ein Stück davon und die Königin isst das Uebrige. Nach
Ablauf von neun Monaten geben die Kuh, das Mädchen und die
Königin jede einem Sohne das Leben. Die drei Söhne gleichen
einander vollständig; doch der Sohn der Kuh, der Held Sturm,
ist der stärkste von den drei Brüdern und verrichtet die schwie-
rigsten Tbaten. In einer andern Version desselben Mährchens
(bei Afanassieff V, 54) giebt statt der Kuh die Hündin dem
stärksten der drei Brüder das Leben. ^ In dem neunzehnten
Mährchen bei Erlen we in finden wir stiM^t der Kuh und der
Hündin die Stute; der stärkste Bruder ist hier der Sohn des
schwarzen Mädchens, der Burgräuber oder Held Sturm (Burya-
Bagatir). In dem dritten Mährchen bei Erlen wein erscheint
Iwan Tzarewid als der Sohn des schwarzen Mädchens. Da in
zahlreichen andern russischen Mäbrchen Iwan Tzarewic, ge-
wöhnlich der dritte Bruder, nicht allein als der scblaueste,
sondern auch als der stärkste der drei Brüder erscheint,
so sind wir veranlasst, in den drei Brüdern^ dem Sohne des
schwarzen Mädchens, dem Sohne der Kuh und dem Sohne der
Königin, welche abwechselnd dieselben Heldenthaten verrichten,
ein und dieselbe Sonnengestalt zu finden, deren Mutter, Nacht,
bald als eine Königin, bald als eine Kuh (wir sahen ja eben
Iwan Tzarewiö aus der verfaulten Kuh entstehen), bald als eine
* Afao. IV, 1. — In einer andern Venion desselben Mythus, auf
weiche wir schon in den vedischen Hymnen angespielt finden, kommen die
Vogd aus einem Pferde.
' VgL auch die Kapp, über den Fisch und den Aal.
Qabematli, die Thier«. 10
146
schwarze Sklavin dargestellt wird (die Neger • Waschfrau , die
Sarazenin italienischer Märchen [Holda]; der gereinigte Fisch,
welchen das schwarze Mädchen trägt, ist vielleicht ein Bindeglied
zwischen der Vorstellung der russischen Sage und der des ita-
lienischen Mährchens).
In dem zweiten Mährchen des ftlnften Buches bei A fan as-
sie ff steigt der dritte Bruder; der schlaue, vermittelst der Felle
seiner Etthe und Ochsen, welche er in Riemen schneidet, zum
Himmel auf; so denkt in einer Variation desselben Mährchens
der dritte Bruder sich an dem Euhfell, welches in Riemen ge-
schnitten und an die Enden des Himmels befestigt ist, herabzu-
lassen, als er auf dem Wege bemerkt, dass der Riemen nicht
lang genug ist. Einige Bauern dreschen Getreide und das Häck-
sel erhebt sich hoch in die Luft; er versucht aus dem Häcker-
ling ein Seil zu machen, doch der Strick reisst und er fällt auf
die Erde. Diese glückliche Erklimmung des Himmels, der ein
höchst unglückliches Herabkommen folgt, wird oft mit sonder-
baren Einzelheiten in russischen Volksmährchen erzählt, wozu ein
merkwürdiges Wortspiel in der Sprache nicht wenig beigetragen
haben mag : „Wer aufsteigt, steigt nicht herab", ^ d. h. wenn Je-
mand etwas thut, so kann er nicht zu gleicher Zeit das Gegen-
theil thun. Diese höchst einfache Wahrheit wurde später modi-
fidrt, indem man die Zeiten veränderte: „Wer hat hinaufsteigen
können, wird nicht wieder herunterkommen können". Das ist
nur theilweise wahr und bedeutet, dass wir im Traum zwar nur
eines dünnen Fadens bedürfen, um hoch zu steigen, dass aber
der Fall ein heftiger ist, wenn wir aus der Traumwelt wieder
in die der Wirklichkeit herabsteigen wollen; wir kommen mit
bleiernen Schwingen unten an, mit den Athembeschwerden , die
uns im Traume bedrücken, wenn wir aus einer Höhe mit pein-
licher Langsamkeit herabzufallen glauben. Und wie wir am Ende
des Traumes, nach dem Fall vom Himmel, lebendig erwachen, so
^ Vgl. Adami Olearii Peraianische Keisebeschreibung p. 362 (in der
Ausgabe vom 1696); ,, Von dem Berg Kilissim berichten die Perser, dass es
mit ihm eine solche Beschaffenheit hatte: Wer hinaufgienge, kähme nicht
wieder herunter; Schach Abas hätte einsten mit Verhcissung grossen Geldes
einen hinaufgeschicket, der hätte zwar oben ein Feuer angezündt, dass
man sehen können, er wäre hinauftkommen, wäre aber mit seinem Hunde,
welchen er bey sich gehabt, nicht wieder heruntorgangen." [Olearius
bemerkt richtig, dass sich diese Fabel aus dem türkischen Sprichwort:
Kim gedir gelmiz („Wer hingehet, kompt nicht herunter") entwickelt habe.)
147
berichtet auch die Erzählung von dem Helden, der vom Himmel
fiel; nicht, dass er todt ist; sondern nur, dass seine Träume todt
sind. Er ist nur unglücklich, als er zum zweiten Male das Herab-
kommen mit grösserer Wucht versucht
Während Raisonnements solcher Art wohl zur Verbreitung
der Mythen beigetragen haben, ist doch ihre Bildung meines
Erachtens viel mehr aus lebendiger Naturanscbauung als aus
Verstandesthätigkeit hervorgegangen, und wie die Bilder der My-
thologie fast alle himmlische sind, so sehe ich immer und überall
in dem dritten Bruder oder dem Alten anderer Versionen dieses
Mährchens, welcher zum Himmel aufsteigt und vermittelst des
Kuhfells wieder herabkommt, die Sonne. Der Alte, der in den
Himmel steigt, nachdem die Kuh gestorben ist, thut es auch ver-
mittelst einer Pflanze von Todesvorbedeutung, die in wunderbarer
Weise aofwäebst.
Ein alter Mann und eine alte Frau haben eine Tochter; sie
isst Bohnen und lässt eine davon auf die Erde fallen ; eine Pflanze
(der Mond) wächst auf, die bis an den Himmel reicht. Der Alte
klettert hinauf und kommt wieder zurück. Er versucht sein
Weib in einem Sacke mit hinaufzunehmen, doch kann er die Last
nicht erhalten, lässt sie fallen und die Frau stirbt '
Neben der Wohnung eines alten Mannes wächst Kohl, der
in gleicher Weise bis zum Himmel aufschiesst Der AHe klettert
hinauf, macht ein Loch in den Himmel und isst uud trinkt sich
voll. Er kommt dann zurück und erzählt Alles seiner Frau; sie
wünscht auch, hinaufzukommen; als sie auf halbem Wege sind,
lässt der Alte den Sack fallen, die Alte stirbt und der Mann be-
stattet sie, indem er den Fuchs als Leichenbitter bestellt ^
Andere Versionen desselben Mährchens bieten uns statt des
Kuhfells, des Kohls und der Bohnenstange, die Erbsenpflanze, ja
sogar die Eiche, die bis zum Himmel aufwächst. ^
■ Afan. IV, 9 ^ In der sehr bekannten englischen Erzählung von
Jack und der Bohnenstange wird der Biese durch denFall vom Him-
mel getodtet, als Jack die Bohnenstange unten abschneidet.
^ A fan. IV, 7. — Vgl. das Kapitel über den Fuchs.
» Afan. V, 12 und VI, 2. - Vgl. die Kapp, über die Ziege, den Fuchs,
den Wolf und die Ente, wo sich andere Episoden dieser Erzählung wieder-
finden. — Bei A fan. V, 12 steigt der Alte lum Himmel auf, um Gott
anzurufen, ihn für die Erbsen zu entschädigen, die er von der Spitze der
Erbsen pflanze abgenommen hat; Gott giebt ihm dafür Strümpfe von Gold
und Strumpfbänder von Silber.
10»
148
Von der Tranerpflanze — einem Symbol zugleich der Fülle
und der Auferstehang; wie wir schon bemerkten — , an welcher
der Held zum Himmel aufsteigt, wo er Beichthum und Ueberflnss
an Speisen findet; war der Uebergang zu der Erbse , die sich
rund umdreht; sich kugelt; und von welcher der Held Dreh-Erbs-
chen (der Sohn des Erbsenkönigs) geboren wird; sehr nattlrlich.
In dem zweiten Mäbrchai des dritten Buches bei A fan as •
sief ' erscheint Dreh-Erbschen als der dritte der Brüder, als der
jüngste Bmder; der seine Schwester und seine beiden Brüder von
dem Ungeheuer befreit. Doch binden ihn die undankbaren Brü-
der (Tielleicht lüstern nach dem Hfidcheu; das hier Schwester
heisst; virtuell aber mit der beireiten und von den drei Brüdern
umstrittenen Braut zahlreicher indo-germanischer Mährchen iden*
tisch ist) an eine Eiche und gehen allein nach Hause. Dreh-
Erbsehen entwurzelt die ganze Eiche und geht davon. Er tödtot
darauf drei Schlangenungeheuer und deren Schlangenweiber.
In dem drdssigsten Mährchen des zweiten Buches wird dieser
Kampf gegen die Schlangen, männliche wie weibliche; dem Iwan
zugeschrieben. Er zieht mit seinen Brüdern gegen die zwölf-
köpfige Schlange und tödtet mit seinem eisernen Stocke neun
Köpfe allein; die drei übrigen mit Hilfe seiner beiden Brüder.
Darauf verfolgt die Schlangenmutter mit ihren drei Töchtern die
drei Brüder und besonders Iwan. Sie lässt dieselben ein schönes
Kissen auf der Erde finden; IwaU; der eine List vermuthet,
schlägt erst auf das KisseU; aus welchem darauf Blut hervorquillt
(in der Erzählung von Dreh-Erbschen wendet der Held die Ge-
fahr dadurch ab; dass er das Zeichen des Kreuzes mit seinem
Schwerte macht; als Blut herauskommt). Die Schlange versucht
sie dann durch einen Apfelbaum mit goldenen und silbernen
Aepfeln. Die Brüder wollen einige abpfltkken; Iwan jedoch
schlägt erst den Baum und Blut fliesst heraus. Sie kommen dann
zu einem schönen Brunnen; die Brüder wollen daraus trinken;
Iwan schlägt den Brunnen und wieder fliesst Blut Das Kissen;
der Apfelbaum und der Brunnen waren die drei Töchter der
Schlange. Darauf stürzt sich die Schlange, welche die Brüder
nicht hat täuschen können; auf Iwan ; dieser entschlüpft mit seinen
Brüdern in eine SchmiedC; die mit zwölf Eisenthüren verschlossen
ist; die Schlange leckt an den Thüren, um sich einen Eingang
Vgl. auch V, 'i4.
149
za erzwingen ; und ihre Zunge wird von rotbgltthenden Zangen
(den Sonnenstrahlen) gepackt.
In dem vierte Mährchen bei Erlen wein begegnen uns die
drei Brüder wieder mit interessanten mythischen Namen. Eine
Frau bringt drei Söhne zur Welt: einen am Abend, der deshalb
Vedernik oder der Abendliche heisst; den zweiten um Mittemacht,
der Poluttocnik oder der Mittemächtige genannt wird ; den dritten
bei der Morgenröthe, der den Namen Svetazör oder der Hell-
sehende ftihrt. Die drei BrOder sind binnen vier Stunden erwachsen.
Der tapferste von ihnen ist Svetazör^ der letzte. Seine Stärke zu
erproben, geht er zu dem Grobscl^mied und fordert eine Eisenkeule,
die zwölf Pud (480 Pfund) wiegt; er schleudert sie in die Luft
und fängt sie mit der flachen Hand auf, wobei die Keule zer-
bricht. Er lässt sich eine zwanzig Pud (800 Pfund) schwere
bringen ; wirft sie in die Höhe und fängt sie mit einem Knie auf,
sie zerbricht ebenfalls. Endlich nimmt er eine dreissig Pud
(1200 Pfund) schwere, wirft sie in die Höhe und ftngt sie mit
seiner Stirn auf; sie biegt sich, aber bricht nicht Svetazör macht
sie wieder gerade und nimmt sie mit, als er mit seinen beiden
Brttdem die drei Töchter des Tzaren befreien geht, welche von
drei Zauberem in die drei Schlösser von Kupfer, Silber und Gold
entfährt worden sind. Svetazör trinkt das Wasser der Stärke,
empfängt von der ersten Prinzessin ein kupfemes Ei, von der
zweiten ein silbernes, von der dritten ein goldenes und befreit
die drei Prinzessinnen. Als die beiden Brüder sehen, dass die
dritte Prinzessin schöner als die beiden and^n ist, denken sie,
der jfingste Brader will sie fär sich behalten, und werfen ihn ins
Wasser. Svetazör streift in der Unterwelt umher und befreit die
Tochter eines anderen Tzaren, indem er ein Ungeheuer tödtet
und unter einem Felsen begräbt Ein Soldat rühmt sich vor dem
Tzaren, diese Heldenthat vollbracht zu haben. Svetazör fordert
den Kriegsmann auf, seine Stärke und somit die Wahrheit seiner
Behauptung dadurch zu erweisen, dass er den Felsen aufbebt.
Er bringt es nicht fertig und Svetazör gewinnt bei dieser Kraft-
probe, worauf der Soldat auf Befehl des Tzaren hingerichtet wird.
Darnach wird Svetazör von einer Krähe, der er das Leben gerettet
hat, in die Welt des Lebens geführt unter der Bedingung, dass
er ihr auf dem Wege etwas zu essen giebt Svetazör muss
schliesslich die Krähe mit seinem eigenen Fleische fttttem, kommt
jedoch gesund und munter mit seinem ganzen Fleische in der
Oberwelt an, wo er mit dem kupfernen, silbemen und goldenen
150
Ei die Schlösser, die aas diesen Metallen bestehen; entstehen lässt ;
in diesen finden sich der Ring; der Pantoffel und das Kleid, welche
die drei Prinzessinnen von ihren Liebhabern gefordert hatten, in-
dem sie bei dieser Gelegenheit ihren verlorenen Sevtazör wieder-
zusehen hofften. Darauf beginnt Svetazör die Terrasse dos gol-
denen Schlosses auszufegen. Die dritte Prinzessin drückt das
Verlangen aus, ihn zum Gatten zu haben. Die Hochzeit wird ge-
feiert, Svetazör verzeiht seinen beiden älteren Brüdern und giebt
ihnen die beiden älteren Schwestern seiner Braut. (Die Knpfer-
prinzessin ist die Abend-Aurora, die Silberprinzessin ist der Silber-
mond und die Goldprinzessin ist die Morgen-Aurora, mit der sich
Svetazör, der hellsehende, der glänzende, die Sonne, vermählt.)
In dem sechsten Mährcheu des ersten Buches wird dieselbe
Unternehmung von dem dritten Bruder, Iwan, ausgeftlhrt. Das
Ungeheuer, welches die drei Schwestern entführt, ist ein Wasser-
ungeheuer, eine Fischotter. Von seinen Brüdern in der Unterwelt
verlassen, wird Iwan von einem grossen Sturme überrascht; er
erbarmt sich einiger junger Vögelchen, welche sich baden, und
steckt sie unter seinen Rock, worauf die dankbare Mutter der
Vögel ihn auf die Oberwelt zurückbringt. In dem fünfzehnten
Mährchen bei Erlen wein ist der dritte Bruder der schlaue,
welcher durch eine List und vermittelst seiner Börse, die sich
von selbst füllt, seinen beiden Brüdern die Schnupftabaksdose
stiehlt, aus welcher so viele Armeen hervorkommen, als gewünscht
werden, und den Rock, weicherden, der ihn trägt, nnsichtbar
macht. (Beides Darstellungen der Wolke oder der Nacht, aus
welcher Reichthümer, Sonnenstrahlen, Donnerkeile und Waffen
hervorgehen und welche den Helden verbirgt, d. h. ihn unsicht-
bar macht) In dem vierundfUnfisigsten Mährchen des fünften
Buches bei Afanassieff ist Iwan, der Held, der von seinen
Brüdern geopfert wird, der starke, der, welcher die drei Prinzes-
sinnen befreit, die drei Ringe besitzt, und sie dem Goldschmied
giebt, von dem sie gefertigt wurden, der sie aber nicht machen
kann, woran er erkannt wird.
Iwan Tzarewic wurde, sofern er von einer Kuh geboren
war, noth wendig als ein Stier dargestellt; der Stier zeigt einen
Theil seiner Kraft im Trinken; Iwan Tzarewic trinkt auf einen
Schluck ganze Fässer Wein von wunderbarer Stärke. In dieser
Fähigkeit gleicht er Indra, dem grossen Somatrinker, nnd dem
Trinker Bhima, dem zweiten Pändava- Bruder.
Der dritte Bruder ist bald Prinz Iwan (Iwan Tzarewic, Iwan
151
Karolieviö; Iwan Kralievic), bald der dumme Iwan (Iwan durak),
Iwan der kleine Narr (Iwan Dnraciok). Doch macht, wie schon
bemerkt, der Narr gewöhnlich sein Glück, entweder weil das
Himmelreich denen gehört, die geistig arm sind, oder weil die
Dummheit Iwans nur eine vorgebliche ist, oder auch weil der
Narr weise wird. In einem Mährchen, das bei Afanassieff ^
mitgetheilt ist, ist der Narr auch faul und filhrt den Namen Emil.
Emil wird mit einem Fass geschickt, Wasser zu holen; er
geht aber nur auf das Versprechen seiner Schwester, dass er zur
Belohnung ein Paar rothe Stiefeln bekommen soll. — Von diesem
Wunsche des Heldenknaben und des Heldenmädchens ist in vielen
Volksliedern, und unter anderen auch in einem, noch unveröffent-
lichten piemontesischen die Rede. In dem siebzehnten Mährchen
des fünften Buches bei Afanassieff ^ tödtet die Schwester ihren
Bruder, Klein Hans, um selbst seine rothen Erdbeeren (wie in dem
ebstnischen Mährchen) und seine rothen Schuhchen zu besitzen.
Auf seinem Grabe wächst ein schönes Rohr; ein Hirt macht sich
eine Flöte daraus, welche, an die Lippen gesetzt, folgende Klage
hören lässt:
„Lieber, Heber, kleiner Schäfer, spiele;
Zerreisse nicht mein Herz!
Mein Schwesterchen, das mich verrathen
Um die rothen Beerlein, um die rothen Schuhlein !*^
Als die Schwester die Flöte an die Lippen setzt, sagt diese
statt „kleiner Schäfer*' — „Schwesterlein, Du hast mich ver-
rathen !*' ^ und so wird ihr Verbrechen entdeckt. Diese kleinen
rothen Schuhe sind einfach eine Variation der Pantoffeln, welche
von der flüchtigen Aurora verloren und von der Sonne wieder-
gefunden werden und die Beide zu tragen wünschen. (Ich
führe auf diesen Mythus den Ursprung des europäischen
' V, 55. — Vgl. auch VI, 2ii. — Vgl. die Contes et Proverbcs
populaires recueillis en Armagnac par Blad^ (Paris 1867), wo
der Dumme und Faule wieder unter dem Namen Joau Lou Pigre vor-
kommt
^ Vgl. auch die beiden Versionen A fan. VI, 25.
' Po malu, malu, sestritze, grai
Nie vraszi ti mavö serdienkä vkrai!
Ti-8z mini szradila
Sza krasni yagodki, sza dorvonni dobotki.
Vgl. auch das Kapitel über den Pfau-
152
Brancbs zurück^ dass junge Mädchen gegen Neujahr den Schuh
werfen^ um zu wissen, ob sie sich im nächsten Jahre verheirathen
werden und mit wem. ^) Der Pantoffel , welchen das Mädeheu;
Klein Marie (Masha, die Marion piemont^sischer und franzö-
sischer MährcbenX verliert und der von dem Prinzen gefunden
wird, kommt auch in den russischen Mährehen vor. In dem
dreissigsten des sechsten Buches bei Afanassieff probirt
Klein Maries ältere Schwester den Schuh an; er ist zu klein;
der Fuss will nicht bineingehn. Klein Maries Stiefmutter befiehlt
ihrer Tochter^ die grosse Zehe abzuschneiden, die nicht hinein-
will; der Schuh sitzt und die Boten des Prinzen nehmen die
älteste Schwester mit; doch zwei Tauben fliegen ihnen nach und
rufen: ,yBl\it auf ihrem Fuss! Blut auf ihrem Fuss!'^ (wieder
eine Anspielung auf die rotfaen Schuhe ; das Blut giebt ihnen hier
diese Farbe.) Die Täuscliung wird entdeckt und die älteste
Schwester zurtickgeschickt; der Prinz lässt seine wahre und vor-
bestimmte Braut; Klein Marie^ holen. (Es ist dies die gewöhn-
Vertauschung von Weibern, ttber die ich in meinem ,,£s8ay über
die vergleichende Geschichte der Hochzeitsgebräuche" einige Be-
merkungen gemacht habe und zu deren volksthtlmlichsten Bei-
spielen die Geschichte von der Königin Berta * gehört) Die rus-
sische Klein Marie ist, wie Cinderella, zuerst von hässlichem
Aeussern und dann schön« In dem russischen Mährchen wird
das Mädchen schön dadurch, dass es auf den Ofen steigt. Sita
kommt heraus, schön in ihrer Unschuld, durch das Feuer wan-
delnd; die Morgen- Aurora erscheint nur schön, wenn sie durch
die Flammen des östlichen Himmels geht Der Ofen ftthrt uns
wieder auf die unterbrochene Erzählung von dem närrischen und
faulen Emil (oder Iwan) zurtlck. — In Folge des Versprechens
' Am Epiphaniasfestc , das auch ein Fest für Mann uud Frau ist,
bringt die gute Fee gewöhnlich dem Kinde, dem Manne und der Frau
einen Stiefel oder Strumpf voll Geschenken. Dieser Hochzeitsstiefei be-
gegnet uns wieder in der englischen Sitte, einen Schuh hinter ein neuver-
mähltes Paar zu werfen. £ine andere Bedeutung wurde im Volksglauben
den Pantofieln beigelegt, die weggeworfen werden. Statt die Schuhe der
Heldin zu sein, welche, abgelegt, den vorbestimmten Gemahl anziehen und
leiten, werden sie auch als die alten Schuhe betrachtet, welche der Teufel
zurücklässt, als er flieht (sein Schwanz, der sich verräth).
* In der Bertasage handelt es sich ebenfalls um eine Unvollkommen-
heit des Fusses; aber hier hat Berta selbst den grossen Fuss, nicht ihre
Nebenbuhlerin.
153
der rotben Stiefeln geht er mit dem Fasse zam Brunnen, Wasser
an holen. In dem Brunnen fängt er einen Heebt^ der ihn bittet,
ihm die Freiheit zu schenken^ und ihm daftlr verspricht, ihn glttck-
lieh zu machen. In seiner Faulheit hat Emil in diesem Augen-
blicke nur den Wunsch, bei der Fortschaffung des Fasses unter-
stützt zu werden; der dankbare Hecht bringt das Wunder zu
Stande, dass das mit Wasser gefällte Fass von selbst geht (Ich
habe schon versucht, diesen Mythus zu erklären : die Wolke wird
in den vedischen Hymnen als ein Fass dargestellt; sie bewegt
sich von selbst; das Fass desgleichen; der Held bleibt, so lange
er in d^ Wolke eingeschlossen ist, närrisch; das Fass des Nar-
ren geht von selbst.) Emil wird dann geschickt, Holz zu hauen;
dank dem dankbaren Hechte genttgt es ihm, seine Axt zu
schicken, die das Holz von selbst abhaut; dieses schichtet sich
auf dem Wagen auf, welcher, ohne von irgendwem gezogen zu
werden, vorwärts gebt, indem er Alles, was ihm in den Weg
kommt, niederreisst ; sie versuchen, seinen Lauf aufzuhalten, als
der Stamm einer Eiche sich von dem Wagen loslöst und wie
ein Stock die Strasse fegt (lauter sonderbare Variationen des
wandelnden Waldes resp. Wolke). Der Tzar läast ihn an den
Hof laden und verspricht ihm, da er seine schwache Seite, die
Vorliebe für Sachen von rother Farbe kennt , ein rothes Kleid,
einen rotben Hut und rothe Stiefeln. Als des Tzaren Boten kom-
men, wärmt sich Emil, wie sein alter ego Iwan Durak (der Narr)
am Ofen ; da er jede Anstrengung scheut, so erhält er vom Hechte
die Gunst, vom Ofen selbst an den Hof des Tzaren getragen zu
werden. Des Tzaren Tochter verliebt sich in ihn ; der Tzar
schliesst das junge Paar in einem Fasse ein (dem gewöhnlichen
Wolkenfasse, das in Gestalt einer kleinen Kiste in andern Er-
zählungen vorkommt, eine Variation des hölzernen Rockes) und
wirft sie in*s Meer. Emil, der im Fasse betrunken gewoi*den,
schläft; die Prinzessin weckt ihn und bittet ihn, sie zu retten:
vermittelst des Hechtes kommt das Fass an eine schöne Insel,
wo es aufbricht; Emil wird schön, reich und glücklich mit der
jungen Prinzessin in einem schönen Palaste. (Die Aurora und die
Abendsonne werden mit einander in den Ocean der Nacht ge-
worfen, bis sie auf der glücklichen Insel des Ostens landen, wo
sie zusammen in all ihrem Glänze wiedererscheinen.) Einer der
bekanntesten Streiche des Narren ist der, dass er den Wein aus
dem Fasse auf die Erde auslaufen lässt , als er allein zu Hause
gelassen wird; auch in dem russischen Mährchen lässt Iwan das
i
154
Bier in dem offenen Fasse gähreu (Indra maebt mit seinem Blitze
ein Loch ii» das Wolken-Fass und der Regen fliesst heraus. ^)
Der Narr Iwan hat Glück durch die Lebenden^ aber ebenso
auch durch die Todten. Dafür ^ dass er drei Nächte an dem
Grabe seines Vaters gewacht hat; segnet ihn dessen Schatten und
sein Glück föngt an;^ doch da die Todten Glück bringen (ein
Glaube^ der jedenfalls immer von den Erben reicher Leute fest-
gehalten worden ist), so speculirt der dritte Bruder auf den
Leichnam seiner eigenen Mutter. Wir wissen nicht; ob er das
ans reiner Dummheit oder mit einer versteckten und weitgehenden
Absicht thut; die sich allerdings aus der Leichtigkeit schiiessen
lässt; mit der er die Rolle des Narren mit der eines schlauen
Ränkeschmieds vertauscht (der erste Brutus der Volkssage). In
dem siebzehnten Mährchen bei Erlenwein bewachter, nachdem
er durch den Verkauf seines Ochsen an den Baum und dessen
Umhauen einen Schatz an sich gebracht, sein Geld beständig und
schläft darauf. Seine Brüder wissen das und beschliessen ihn
zu todten. Gerade diese Nacht aber betraut der dritte, närrische
Bruder seine Mutter mit der Bewachung des Schatzes; die Brü-
der kommen und todten aus Versehen ihre Mutter statt seiner.
Er droht; sie der Gerechtigkeit zu überliefern; sie bestechen ihn
mit hundert Rubeln, Stillschweigen zu bewahren. Darauf nimmt
der dritte Bruder den Leichnam seiner Mutter und legt ihn mitten
auf die Landstrasse, damit ihn ein Kaufmann mit seinem AVagen
überfahre ; das geschieht auch und er beschuldigt den Kaufmann
des Mordes, bis der letztere ihm noch hundert Rubel giebt, damit
er es nicht weitersage. Er kommt dann bei Nacht mit dem
Leichnam seiner Mutter in ein Dorf und stellt ihn gegen die
Thür eines Bauernhauses; dann klopft er ans Fenster; der Bauer
()fiTiet die Thür; der Körper fällt zu Boden und der Bauer tritt
darauf; worauf der sogenannte dumme Sohn laut schreit, jener
habe seine Mutter getödtet, und sich nur durch hundert Rubel
beschwichtigen lässt Darauf todten die beiden älteren Brüder,
welche es höchst praktisch finden, mit Leichnamen zu speculiren^
und sein Glück zu machen; ihre Weiber und gehen mit deren
Leichnamen in die Stadt, werden aber sofort festgenommen und
in sichern Gewahrsam gebracht.
Das Gesetz des Atavismus gilt bei der Fortpflanzung der
' Vgl. Afau. V, 4 uud das Kap. über den Storch.
» Vgl. A fan. II, 25. II, 528. IV, 47. V, 37.
155
Helden mythischer Erzählungen nicht minder wie für einfache
irdische Sterbliche. Von einem dummen Vater wird ein kluger
8ohn gezeugt, welcher wieder einen dummen Sohn hat. Ich kann
mir bis jetzt diese wunderbare Erscheinung der Naturgeschichte
nicht erklären; ihr Auftreten in der Mythologie ist jedoch un-
schwer zu verstehen. Dem glänzenden Tage folgt die finstere
Nacht und dieser wieder der glänzende Tag ; auf Sommer folgt
Winter und auf Winter Sommer; auf weiss schwarz und auf
schwarz weiss; auf heiss kalt und auf kalt heiss.
So ist denn auch in Legenden der Sohn gewöhnlich einfältig,
wenn die Mutter verständig ist — und umgekehrt. ^
In dem ftliiften Mährchen des sechsten Buches bei Afanas-
sief kommt ein Soldat in das Hans einer Frau, während ihr
Sohn auf Reisen ist, und macht sie glauben, dass er soeben aus
der Hölle zurückgekehrt sei, wo er ihren Sohn damit beschäftigt
gesehen habe, die Störche auf die Weide zu führen, denselben
auch in grossem Geldmangel angetroffen habe ; der Soldat erzählr,
er sei im Begriff, in die Hölle zurückzukehren, und würde sich
glücklich schätzen, Alles mitzunehmen, was die Frau ihrem Sohne
schicken wollte. Die Leichtgläubige giebt ihm etwas Geld, mit
dem Auftrage, es schleunigst in die Hölle zu bringen und ihrem
armen Kinde zu geben. Der Soldat verschwindet und kurz
darauf kommt der Sohn nach Hause; die Mutter ist höchlich er-
staunt über sein Erscheinen und erzählt ihm, wie sie getäuscht
worden ist; er wird ärgerlich und verlässt das Haus wieder mit
dem Schwur, nie wieder zu kommen, bis er Jemanden findet, der
noch närrischer ist als seine Mutter. Er ist ein schlauer Dieb;
er stiehlt einer Dame, während ihr Gemahl abwesend ist, ein
Schwein sammt seinen kleinen Ferkeln und bringt sie in sicheren
Gewahrsam; der Mann kommt heim, vernimmt, was vorgefallen
ist, und verfolgt den Dieb mit Pferd und Wagen. Der Räuber
hört ihn kommen, kauert sich auf die Erde, nimmt seinen Hut
ab und thut so, als ob er damit einen Vogel bedecke, der ihm
entschlüpfen wolle. Der Mann kommt und fragt ihn, ob er den
Räuber gesehn ; der letztere antwortet, er habe ihn wohl gesehn,
der sei aber schon eine gute Strecke voraus, und der Strassen,
auf denen er einzuholen sei, seien viele und verschlungene. Der
' Die m^re uotte ist io Frankreich sprichwörtlich geworden, wo im
16. Jahrhundert Pierre Gringore eine satirische Komödie: Le jeu de Mere
Sötte schrieb, in welcher die M^re Sötte die katholische Kirche ist.
156
Mann bittet den Räuber, dem Flttebtigen nachzujagen; jener
nimmt erst Anstand , weil er unter seinem Hute einen Falken
habe, der seinem Herrn dreihundert Rubel koste und entwischen
könne. Der Mann verspricht nun, Acht zu geben und, falls der
Falke entfliegen sollte, die dreihundert Rubel zu bezahlen. Der
Dieb traut seinem Versprechen nicht und verlangt die dreihundert
Rubel als Caution; er erhält sie auch und macht sich mit dem
Wagen, den Pferden und den dreihundert Rubeln auf und davon.
Der GenasHihrte wartet bis zum Abend, indem er den Hut wohl
in Acht nimmt; schliesslich aber verliert er die Geduld, muss
sehen, was denn eigentlich unter dem Hute steckt, und findet
nichts als — einen Beweis seiner eignen Dummheit. ^
Iwan (Hans), und noch öfter Vaniusha (Häuschen, der Gio-
vannino italienischer Mährchen), zeichnet sich nicht allein durch
seine Diebsstreiche, sondern auch durch seinen Muth aus. Um
die Rolle eines Diebes spielen zu können, wie sie Häuschen in
allen indogermanischen Mährchen spielt, ist nicht allein Geschick-
lichkeit, sondern auch Muth erforderlich; daher erlangt er, wie
der Ritter Bayard, den Ruf eines Ritters ohne Furcht und Tadel.
Der Held Iwan ist bald ein Königssohn, bald der Sohn eines
Kaufmannes, bald der eines Bauern; die Kaufleute wünschten
nicht minder als die Bauern, sich den volksthttmlichsten Helden
der Sage anzueignen. In dem sechsundvierzigsten Mährchen des
fünften Buches können weder die Schatten der Nacht noch Bri-
ganten noch der Tod den Helden in Furcht setzen; er entsetzt
sich jedoch und stirbt, indem er ins Wasser fällt, als der kleine
jersh (der Barsch) auf seinen Magen springt, während er in
seinem Fischerbote eingeschlafen ist. In dem toscanischen Mähr-
chen ^ stirbt der furchtlose Held Giovannino, nachdem er Gefahren
aller Art getrotzt, an dem Schrecken, den ihm der Anblick seines
eigenen Schattens einjagt. Ebenso ergreift im Kigveda der
Gott Indra nach der Tödtung der Schlange Abi die Flucht, er-
' Eine ähnliche Geschichte, die ich jedoch in Anbetracht ihrer inde-
ccuten Einzelheiten in meiner Sammlung der Novell ine di 8anto8te-
fano di Calcinaia nicht publiciren konnte, wird auf den Hügeln von
SSi^na bei Florenz erzählt, wie auch, mit einigen Aeudcrungen, im Piemon-
tesischcu. — Vgl. eine mssiBche Version derselben Erzählung in dem Ka-
pitel über die Henne.
' Novelline di Santo Stefano di C. 22.
157
schreckt von seinem eigenen Schatten oder; wahrscheinlich, dem
seines todten Feindes. ^
Folgende Helden sind ebenfalls Variationen des Prinzen Iwan,
Iwans des Kuhsohnes ^ des Bärensobnes, des Kanfmannssohnes,
des schlauen: — erstens der kleine Alexis PapoviC; der Sohn
des Priesters (es ist bekannt^ dass die russischen Priester nicht
zum Cöiibat verbunden sind); welcher Tugaria, den Sohn der
Schlange; durch Gebet tödtet; d. h. dadurch; dass er zu der
Mutter Gottes betet ^ der schwarzen Wolke zu befehlen; Segeu-
tropfen auf des Ungeheuers Flttgel fallen zu lassen; worauf der
Sohn der Schlange; wie der vedische Ahi; als Indra den Strömen
einen Weg bahnt; sofort zu Boden f&Ut;^ zweitens Baldak; Bo-
ris* SohU; der siebenjährige Knabe ; der es fertig bringt; dem
Sultan ins Gesicht zu speien — (ich habe schon in der Vorrede
bemerkt; dass der Tttrkenherrscher in der slavischen Sage^ wie
in der persischen, der Repräsentant des Teufels ist; der Dämon
riecht; als der Held naht; Menschenfleisch in indischen; Christen-
fleisch in orientalischen Erzählungen, ^ und Bussenfleisch in ras-
sischen Mährchen) ^- der aber später des Sultans Gefangener
wird; weil er der dritten Tochter des letzteren mit einem Stern
unter seiner Ferse erscheint, oder seine Ferse zeigt (welche der
verwundbare Theil sowohl des Helden wie des Ungeheurs ist);
drittens Basil Bes-ciastnoi; der auf Befehl seines Schwiegervaters
in das Schlangenreich geht; um ein Geschenk von ihm zu erhalten;
mit Abenteuern ; die denen des jungen Plavaöek in böhmischen
Elrzählungen ähnlich sind; als er die drei goldenen Haare des
alten Vsieveda (des Allsehendeu; der vedischen Sonne Vi^vaveda)
suchen geht ; * viertens der dritte Bruder; welcher für zwei Säcke
* Vgl. das Kapitel über die Fische.
' A fan. VI, 59. — V, 11 versteht er dagegeu wacker zn kämpfen.
^ In England riecht das Ungeheuer das Blut eines EngfeänderSf wie in
den bekannten Zeilen in Jack the Giant-Killer:
„Fe fo fum,
I smell the blood of an Englishman!
Be he alive, or be he dead,
ril grind his bones, to make my bread.*'
„Fe fo fum,
Ich rieche englisch Blut!
Sei er lebend, sei er todt.
Ich mahr seine Knochen, zu machen mein Brod.*'
^ Vgl. Teza, I tre Capelli d*oro del Nonno äatutto, Bologna
18GÜ.
158
Fliegen und MUcken, die er gefangen hat, gutes Vieh eintausebt. ^
Derselbe Held führt auch den Namen Klein Thomas Berennikoff;
auf einem Auge blind, tödtet er eine Armee von Fliegen und
rühmt sich, eine Armee von Helden getödtet zu haben ; er gewinnt
so unverdienter ^eise den Ruf ein Held zu sein und ist glück-
lich^ eine Gelegenheit zu haben, seine Tapferkeit zu beweisen
durch die Tödtung eines Schlangenungeheuers, das* aus Tollkühn-
heit beide Augen schliesst, als es sieht, dass Thomas nur eins
hat; darauf vernichtet er ein Heer Chinesen mit einem Baum-
stamme, der von seinem unbezähmbaren Pferde entwurzelt ist,
welches ein wirklicher Held an den Baum gebunden hatte; ^ fünf-
tens der schlaue Schuft, Klein Thomas (Thomka; die Quacksalber
im Piemontesischen pflegen den Namen Tommasino dem kleinen
Teufel zu geben, welchen sie aus einer Phiole beschwören), der
durch Verkleidungen den Priester betrügt und bestiehlt ;^ sechs-
tens der dritte Bruder, welcher sich von der Hexe nicht zum
Schlafen bringen lässt (wie wir oben die dritte Schwester sahen,
die eins ihrer drei Augen offen behält) ; ^ siebentens der berttebtigte
Räuber, Klimka, •'^ welcher vermittelst einer Pauke (in indischen
Mälirchen einer Trompete) seine GompliceO; die Räuber, erschreckt,
ihnen ihr Geld nimmt und dann einem Herrn sein Pferd, sein
Schmuckkästchen und sogar seine Frau stiehlt; achtens der Ko-
sak, welcher das Mädchen aus den Flammen rettet und sie in
sein goldenes Haus bringt; auch sind noch zwei andere Mädchen
da (wohl verstanden, die eine im Silberhause und die andere im
Kupferhause); von diesen drei Mädchen erhält der Kosak ein
Hemd, das ihn unverwundbar macht, ein Schwert, welches die
wunderbarsten Wirkungen beim Abschlachten von Menschen hat,
und eine Börse, die, wenn man sie schüttelt, Geld ausschüttet;^
' Afao. 11, 7.
* Afan. V, 11.
' Afan. V, 7. 8.
* Afan. IV, 4G.
* V, 6. Erlenwein 7.
* Erlenwein 5. — In dem ersten Mährchen bei Erlenwein nimmt
der Jüngstgeborene, Hänschen (Vaniusha), streitenden Bauern durch List
er&t einen wunderbaren Bogen weg, dann einen Hut, der den Träger un-
sichtbar macht, und endlich einen Zaubermantcl, der von selbst fliegt. Er
verspricht nämlich, sie gleich zu vertheilen, und lässt sich lür diesen Dienst
je hundert Rubel im Voraus bezahlen; «r wirft dann die Gegenstände
weit fort und sagt, daes der sie haben solle, der sie finden kann; Alle
159
neuntens der bertthmte Ilia Muromietz (EliaR von Marom\ am
welchen sich, wie um Svetazör und Svyatogor (heiliger Berg),
Dobrynia Nikitid und die Helden Wladimirs ein ganzes russisches
Heldengedicht dreht. ^
Andere Variationen desselben Helden sind der Sohn des
Kaufmanns^ der dem Teufel zur Erziehung übergeben wird und
von diesem Künste aller Art lernt; der Knabe Basil; der die
Sprache der Vögel versteht und seine Eltern sich dienstbar macht ; '
der Kaufmann oder Bauemsohn, ^ welcher ein Vermögen erwirbt,
weil er guten Rath dem Gelde vorzieht; der tugendhafte Arbeits-
manU; der für seine Arbeit nur drei Kopeken erhält; durch deren
Verwendung auf gute Werke er jedoch schliesslich in Stand ge-
setzt wird; die Tochter des KönigS; oder die Prinzessin; welche
nicht lachte; zu heiräthen.^
Die Erzählung von dem Helden Iwan hat noch andere inte-
ressante Gestaltungen; welche den schönen vedischen Mythus von
den beiden A(vins wiederspiegeln; die den Unglücklichen in ihr
fliegendes Wagenschiff aufnehmen. Bei Afanassieff (VI; 27)
wird der dritte Bruder für närrisch gehalten und von seinen
Eltern schlecht behandelt; die ihn schlecht kleiden und nähren.
Der König erlässt einen Aufruf; wer immer ein fliegendes Schiff
machen könne ; solle seine Tochter zur Frau bekommen. Die
Mutter schickt ihre drei Söhne aus, das noth wendige Zaubermittel
zu suchen; dem dritten Sohne giebt sie nur etwas Schwarzbrod
und Wasser; während die beiden ältesten mit schönem Weissbrod
nnd etwas Branntwein versehen ausziehen. Der Narr trifft auf
dem Wege einen armen alten Mann, grüsst ihn und beginnt seine
karge Mahlzeit mit ihm zu theilen; der Alte verwandelt sein
Schwarzbrod in Weissbrod und sein Wasser in Branntwein, und
suchen; er allein findet. (So verbirgt Ar^na im Mahäbhärata seine
wunderbaren Wafien in einem Baumstamme, in welchem er allein sie finden
kann.)
' Vgl. Scbiefher, Zur russischen Heldensage, Petersb. 1861. In
einem bei Kaiston (The Songs of the Russian people) angeführten
russischen epischen Volksgedichte wird der Held Svyatogor folgendermassen
beschrieben : „Dort kommt ein Ueld, grösser als die hohen Wälder, deren
Haupt an die flüchtigen Wolken reicht, auf seinen Schultern einen kr}*
sfallnen Kasten tragend."
« Afan. VI, 41.
> V, 31. Erlenw. 16.
* V, 32.
160
rätfa ihm dann , in den Wald zu geben , das Zeichen des Kreuzes
an den ersten Baum zu machen> den er finde^ und ihn mit seiner
Axt zu schlagen ; dann sich auf den Boden zu werfen und liegen
zu bleiben, bis er erwache; er werde ein Schiff fertig vor sich
sehn: ^^Setze Dich hinein/' fttgte der Alte hinzu, „und fliege, wo-
hin Dein Befehl Dich treibt, und auf dem Wege nimm so Viele
zu Dir, als Du triffst/' > Dieses Oefährt ist überreich beladen mit
Speise und Trank; der junge Mann nimmt mehre dttrftige Bettler
auf, und zwar nimmt er nur arme Leute, keinen einzigen Reichen. ^
Doch diese Armen beweisen später dem Helden ihre Dankbar*
keit und stehen ihm in andern Abenteuern bei, die der Tzar ihm
auferlegt, um auf diese Weise einen Schwiegersohn so plebejischen
Ursprungs los zu werden. Eine dieser neuen Aufgaben besteht
darin, dass er zwölf Ochsen essen und auf einen Zug vierzig Fass
Wein austrinken soll; dabei helfen ihm Essen (Abi^alo) und
Trinken (Apiväio), denen er in seinem Wagen-Schiffe Unterhalt
gegeben hatte und welche statt seiner essen und trinken. ^ End-
lich kommt er, um die junge Prinzessin zu freien und sie zu hei-
rathen. (Der Held Sonne wird in den Wagen der Afvnis aufge-
nommen, welche er in der Gefahr angerufen hat, gerettet und
heirathet die Aurora.)
In einer Variation dieser Erzählung wird ein fünfzehnjähriger
Prinz, der von seinen Eltern verloren worden ist, vermittelst eines
Räthsels wiedergefunden, welches sie aufgeben und welches or
allein lösen kann. ^ In den vedischen Hymnen ist es bald die
Aurora, das schöne Mädchen, welches den Helden Sonne rettet,
und bald der Held Sonne, welcher das schöne Mädchen, die
Aurora, befreit. In dem einundvierzigsten Mährchen des sechsten
Buches bei Afanassiefi stellt sich ein kleines siebenjähriges
' QadiB V nievö, i leti kuda nadobno; da po daroghic zabiräi k sebi^
vsitikovo V8trie<5navo.
^ Na karabli^ niet ni adnayo päna, a V8i6 cörnio ludi.
' Vgl. Af an. V, 23. — Eis kommt in der Gestalt eines alten Mannes,
das siedende Bad zu versuchen, in welches der König des Meeres den
jungen Helden werfen lassen will; als Eis das Bad versucht hat, geht der
junge Held hinein, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen. — Die Trink-
probe kehrt in grandioser Gestalt in Snorris Edda (Gylfag 4Q) wieder in
dem Kampfe zwischen Utgardloki und Thor, den Becher zu leeren, einer
abweichenden Gestaltung der indischen Erzählung von Agastya, der das
Meer trocken legt
* A fan. V, 42.
161
MSdch'en (semilietka) dem Tzaren vor, der dasselbe heirathen
muss, sofern es das aufgegebene Räthsel löst, indem es auf einem
Hasen reitend ankommt (dem Thiere, welches den Mond dar-
stellt) , mit einer Wachtel an die Hand gebunden. * Auch sie
weiss, wie die Aurora, Alles, auch sie beschützt den Armen gegen
den Reichen, den Unschuldigen gegen den Schuldigen. Der
Zwerg Allwis ist eine Erscheinungsform dieses Kindes. AUwis
ist der allwissende Mann der Edda, welcher alle Fragen, die ihm
von dem Gotte Thor vorgelegt werden, beantwortet, um dessen
Tochter zu bekommen ; als er mit der Beantwortung dieser drei
Fragen fertig ist, bricht der Tag an und die Sonne scheint.
Das seltsame Mädchen von sieben Jahren (die Aurora) führt
uns auf die wunderbare Puppe (gewöhnlich den Mond) zurück.
Es sind drei Puppen (der hölzerne Schrein von Marion d*bo8ch
oder die hölzerne kleine Marie der piemontesischen Erzählung, der
finstere Wald der Nacht, der Baum, welcher die glänzenden Schätze
der Abend- Aurora birgt; eine andere Variation desselben Mythus
in Bezug auf die Sonne ), welche die drei glänzenden Gewänder
der Sterne, des Mondes und der Sonne verbergen, die dem schö-
nen Mädchen, der Tochter des Priesters gehören (einer Variation
der vedischen Aurora, duhitar divas, oder Tochter des Himmels).
Es sind die drei Puppen, welche das schöne Mädchen in Stand
setzen, unter die Erde zu verschwinden und so den Verfolgungen
ihres Vaters und Verführers (in andern Versionen ihres Bruders)
zu entgehen, und welche mit ihr hinabgehen, als alte Weiber an-
gezogen, und in einen Wald eintreten, wo sich neben einer Eiche
das Haus einer Prinzessin befindet, die einen jungen und schönen
Sohn hat. * In einer Variation dieses Mährchens ^ wird das Mäd-
chen nicht vom Vater verfolgt, sondern von der bekannten grau-
samen Stiefmutter, tHr welche sie den Weizen von der Gerste
sondern und am Brunnen Wasser holen muss (gleich dem vedischen
Mädchen Apalä) ; sie geht drei Mal glänzend gekleidet zur Kirche
(die die Stelle des Ballsaales anderer Mährchen vertritt), wo sie
drei Mal von einem schönen Prinzen gesebn wird; zwei Mal folgt
* Vgl. die- Kapp, über den Hasen und die Wachtel
« Afan. VI, 28 und II, 31.
» Afan. VI, 20. - Vgl. 1, 3 und II, 31, wo wir den Prinzen finden,
welcher drei Mal das verkleidete Mädchen, das ihm dient, schlägt, wit* in
dem toscanischen Mährchen von dem höliemen Giebel (der Puppe), der
dritten in meiner Sammlung Novelline di iJto Stefano di (yul-
c i D a i a.
Goberaatbi, dU Thier«. ^l
■
1
m
;i
er ihr und zwei Mal verschwindet sie; das dritte Mal hat der
Prinz Gummi (in andern Versionen Pech) auf den Boden ge-
strichen; die flüchtige verliert in Folge dessen ihren goldenen
Panto£FeI, den der Prinz aufhebt nnd allen Mädchen anprobirt,
bis er seine Braut findet. In einem andern Mährchen, * in wel-
chem die Verwandtschaft der Aurora mit den beiden A^vins in
wunderbarer Klarheit zu Tage* tritt, ^ webt das von der Stief-
mutter verfolgte Mädchen vermittelst seiner redenden Zauberpuppe
(d. h. des Mondes, der vedischen Räkä, sehr klein, aber sehr
klug, in dem hölzernen Gewände, in dem Walde der Naöht, ein-
geschlossen) ein so feines Gewand, dass es sich wie ein Faden
durch ein Nadelöhr ziehen lässt (ganz wie des Mädchens Füssc
sehr klein sind, sind es auch die Hände der Puppe). Das
Wunderkleid wird dem Tzaren gebracht, aber Niemand findet
sich, der daraus ein Hemd flir den Tzaren nähen könnte. ^ Nur
das Mädchen bringt es vermittelst der Puppe zu Stande; der
Tzar wünscht das Mädchen, das eine so ausserordentliche Ge-
schicklichkeit besitzt, zu sehen und geht es suchen ; er ist erstaunt
über ihre Schönheit und heirathet sie. Im Rigveda webt die
Aurora ein Kleid für ihren Gemahl, die Sonne.
Dasselbe Mädchen (die Aurora), das wir hier nur als ein
gutes, schönes, kluges und gewandtes Mädchen finden, erscheint
in anderen Mährchen bei Afanassieff als eine Heldenjungfrau
wieder. Im siebenten Mährchen des ersten Buches verkleidet sie
sich als Mann und hat den Tzar drei Mal zum Besten. Im vier-
zehnten Mährchen desselben Buches besiegt und bindet sie unter
dem Namen „Anastasia die Schöne" die Schlange und entdeckt
das Geheimniss, wie dieselbe getödtet werden kann. Unter dem
Namen Helena oder Klein-Helene ist sie die Schützerin ihres
kleinen Bruders Ivanusca (Häuschen)* und seine Pührerin durch
die Welt; als der Knabe durch die Bezauberung einer Hexe in
ein Lamm oder Böckchen verwandelt wird (in einem canavc-
sischen Mährchen im Piemontesischen werden die sieben Mönche,
die Brüder des muthigen Mädchens, in sieben Schweine verwan-
delt), empfiehlt sie ihn der Sorge des Prinzen, ihres Gemahls,
damit sie das Teufelswerk der Hexe zerstören könne. Dasselbe
» IV, 44.
^ Vgl. das nächste Kapitel.
' Vgl. das Kapitel über die Spinm>.
* Afan. II, 29 und IV, 4.^
163
Mädchen findet sieh wieder als die hochweise Basilia (Vasilica
Premudraia), die dem jungen Helden zu Hilfe eilt, weil er ihr
auf ihre Bitte das Gewand, das er gestohlen, während sie im
See badete, wieder zustellt. Aus Dankbarkeit dafür verrichtet
sie auch für ihn die Arbeiten, die ihm der König der Wasser
auferlegt hat, und heirathet ihn schliesslich nach mancherlei
Wechselfällen. * Sie erscheint noch einmal als das königliche
Mädchen CTzar-dievitza), das drei Mal mit seinen Schiffen über
das Meer gefahren kommt, um den geliebten Iwan wegzuholen ; *
und ich rechne zu den Heldenmädchen auch die Tochter des
Schäfers im neunundzwanzigsten Mährchen des fünften Buches,
das ich im Auszug folgen lasse. Es war einmal ein König, der
konnte kein Mädchen finden, das seinen Ansprüchen an Schön-
heit vollständig genügt und seinen Geschmack befriedigt hätte.
Eines Tages kommt er von der Jagd zurück (der Sonnenheld triflt
die Aurora, seine Braut, immer, wenn er von der Jagd in dem
Walde der Nacht zurückkehrt); da trifft er eine Schäferstochter,
welche die Heerde auf die Weide treibt, so schön, dass man
ihresgleichen vergeblich in der ganzen Welt suchen würde. Er
verliebt sich in sie und verspricht ihr, sie zu seiner Frau zu
mächen, aber unter der Bedingung, dass sie niemals etwas ihm
Missliebiges sagen wolle, was er auch immer thue; das arme ver-
liebte Kind willigt ein, die Hochzeit wird gefeiert und das Paar
lebt ein Jahr lang glücklich zusammen. Ein Knabe wird ihnen
geboren; da sagt der König wild zu ihr, der Knabe müsse ge-
tödtet werden, damit es nie heissen möge, der Thronerbe sei der
Sohn einer Schäferin. Das arme Weib ergiebt sich in ihr Loos
mit den Worten: „Dqr Wille des Königs geschehe.*' Ein zweites
Jahr vergeht und eine Tochter wird geboren. Der König sagt,
auch diese müsse sterben, da sie nie eine Prinzessin werden
könne, sondern immer ein Bauermädchen bleiben würde. Die
unglückliche Mutter beugt sich zum andern Mal unter den Willen
des Königs, welcher jedoch Sohn und Tochter nicht dem Scharf-
richter überliefert, sondern zu seiner Schwester bringt, damit sie
bei dieser alle Pflege erhalten, welche ihrem königlichen Stande
gebührt. Jahre vergehen; die Kleinen, Prinz und Prinzessin,
wachsen schön, gesund, gut und glücklich heran. Da stellt der
König sein Weib zum letzten Male auf die Probe. Er schickt sie
' V, 23.
« V. 42.
164
in den Kleidern einer Schäferin nach Hanse, indem er ihr zu
verstehen giebt; dass sie lange genug bei ihm gelebt habe. Dann
befiehlt er ihr zurückzukehren; die Zimmer herzurichten und der
neuen Braut aufzuwarten^ die er an ihre Stelle setzen will; die
Schäferstochter gehorcht^ ohne zu murren. Die neue Braut kommt
an und man setzt sich zur Tafel; man isst^ trinkt und ist lustig;
die Schäferstochter muss Alles sehen und hören und doch schwei-
gend dienen; endlich fragt sie der König: „Nun, ist meine Braut
nicht schön?*' worauf das unglückliche Weib mit 'übermenschlicher
Anstrengung antwortet: „Wenn sie Dir schön scheint, so scheint
sie es mir noch mehr." Da ruft der König im höchsten Glück aus :
„Kleide Dich wieder in Deine königlichen Gewänder und setze
Dich an meine Seite; Du bist mein Weib und sollst es ewig
bleiben, mein einziges Weib; diese meine vorgebliche Braut ist
Deine Tochter und dieser schöne Jüngling Dein Sohn!" Die arme
Heldin hat die letzte Prüfung ihrer Tugend bestanden und triumphirt.
Aber mit der Tugend der Sagenheldin ist's nicht immer so
weit her. Oft wird die gute Frau, Schwester oder Jungfrau durch
Berührung mit der schlechten verdorben. Wir sahen schon, wie
die schöne Aurora, das mitleidige und wohlthätige Mädchen, in
den vedischen Hymnen selbst die üebelthäterin wird, welche der
Gott Indra stürzt und vernichtet. Die Amazonen der Griechen,
die schönen und stolzen Heldenweiber, werden auch verfolgt, be-
kämpft und besiegt von den griechischen Helden. Die russischen
Erzählungen liefern auch zahlreiche Beispiele von der Leichtig-
keit, mit der der Gute in den Dämon, der Held in das Ungeheuer,
die schöne Heldin in die mächtige und unheilstiftende Zauberin
ausartet.
Die gute Schwester Helene, diese sorgsame Wächterin ihres
Bruders Hans, wird schliesslich, als sie eine Leidenschaft für das
Ungeheuer fasst, die treulose Verfolgerin dieses Bruders. (Die
Abend-Aurora wird als eine Freundin des Ungeheuers der Nacht
dargestellt, welche mit demselben gegen ihren Bruder, die Sonne,
conspirirt; und jeder, der den sinistern Anblick beachtet, welchen
oft der röthliche Abendhimmel bietet, wird diese Erdichtung sehr
natürlich finden. Ich habe oben gesagt, dass ein piemontesisches
Sprichwort bei einem rothen Abend schönes Wetter für den
folgenden Tag prophezeit; ebenso ist aber im Piemontesischen
auch der Glaube weit verbreitet, dass das Abendroth Blut be-
deutet und dass seine blutige Röthe Krieg verkündet. Gewiss
bedeutet es Krieg, aber einen mythischen — den Krieg, in wel-
<s^'
165
chem der Held bei seinem Kampfe gegen das Ungeheuer unter-
liegt und Blut vergiesst. Und zwar ist's ein Weib, das den Hel-
den vernichtet. Ein Pendant zu der biblischen Delilah findet sich
in allen indogermanischen Volkssagen; die vedische Aurora, die
2:>cb wester Rävanas im Rämäyana, die Schwester Hidimbas im
Mahäbhärata, die hellenische Dejanira, Ariadne, Medea, die
Amazonen, Helena, die slavische Helena, Anna das Sabinerweib,
die scandinavischen Walkiries, Freya, Idun, Brunhilt, Gudrun, die
germanische Krimhilt — Alle sind Erscheinungsformen einer und
derselben Heldin, bald im Lichte einer Heiligen, bald in dem
einer Hexe betrachtet.
In dem russischen Mährchen bei Afanassieff V, 27 kommt
das flüchtige Geschwisterpaar, Iwan Tzarewii und Helene die
ausserordentlich schöne (Prekra^na), in ein Räuberhaus, nachdem
sie der Stier von dem Bären gerettet hat. Ihr Stier wird zu
einem Zwerge, tödtet alle Räuber und schliesst ihre Leichname
in einem Zimmer ein, das er Helenen zu betreten verbietet; diese
aber beachtet das Verbot nicht, geht hinein, sieht den Kopf des
Räuberhauptmanns und verliebt sich in ihn; vermittelst des
Lebenswassers erweckt sie ihn vom Tode und verschwört sich
mit ihm, ihren Bruder Iwan zu vernichten, indem sie von ihm
die Ausführung von Tbaten fordert, bei denen der Tod unver-
meidlich scheint; sie befiehlt ihm nämlich, die Milch einer Wölfin,
dann die einer Bärin, endlich die einer Löwin zu bringen. Iwan
verrichtet alle diese Thaten mit Hilfe seines Zwerges. Wir sahen
schon, wie Weisses aus Schwarzem kommt; die Milch der Wölfin,
Bärin und Löwin ist die alba luna oder der weisse Morgen-
himmel, der von dem Sonnenhelden wiedergebracht wird. Iwan
wird dann ausgesandt, die Eier des brennenden Vogels (Szar-
ptitza) zu holen. Iwan geht mit seinem Zwerge (d. h. dem Monde,
oder er macht sich selbst zum Zwerge, mit andern Worten, er
macht sich unsichtbar); der Vogel wird wüthend und verschluckt
den Zwerg (d. h. der rothe Abendhimmel, der brennende Vogel
oder Phönix, verzehrt den Mond oder die Sonne mit seinen
Flammen. ^) Iwan kommt zu seiner Schwester ohne die Eier
zurück, worauf sie droht, ihn im Bade zu verbrennen. Mit
Hilfe der Wolf-, Bären- und Löwenjungen zerreisst Iwan
(auch Iwan der Sohn der Wölfin, Bärin, Löwin, d. h. der
von der Wölfin, Bärin, Löwin „Nacht" geborene) den Räuber
' Vgl. dag Kapitel über den Adler, dep Geier und den Falken,
\ .
1«6
und bindet seine Schwester (wie die vedische Kuh) an einen
Baum (die Aurora verliert sich fast immer in einen Baum oder
das Wasser). Darauf wünscht Iwan eine Heldin zu heirathen.
[Zwei Mythen sind hier in dem Mährchen vereinigt, die in einer
und derselben Himmelserscbeinung ihn»n Ursprung haben, indem
dieselbe; in verschiedenen fast i nmittelbar aufeinanderfolgenden
Augenblicken beobachtet, zweifach erscheint. Die Morgensonne
kommt und schlägt ihre Schwester, die Aurora, in die Flucht,
treibt sie in den Wald der Nacht zurück und bindet sie an den
Baum; die Morgensonne geht unversehrt durch die Flammen
hindurch (wie der Sifrit der Nibelungen), besiegt und unter-
wirft die Aurora, macht sie sich zu eigen und heirathet sie.] Er
kämpft zuerst mit ihr und sticht sie glücklich mit seiner Lanze
vom Pferde. Die erste Nacht - d. h. als der Abend kommt,
umarmt und drückt sie ihn so fest und mit solcher Gewalt an
sich, dass er sich nicht loswinden kann (die Abend-Aurora um-
hüllt und umschliesst die Sonne; es ist der berühmte Hochzeits-
gürtel, der Gürtel der Stärke des Gottes Thor, das Hemd des
Nessus). Schliesslich jedoch gegen Morgen siegt Iwan und wirft
(wie Sifrit in den Nibelungen) das Heldenmädchen nieder (die
Morgensonne, wie Indra, wiift die Aurora nieder). Er denkt
dann, seine Schwester Helene zu befreien, welche an den Baum
gebunden ist, um sie mit sich zu nehmen; doch sie drückt, unter
dem Vorwande ihm die Haare zu kämmen, eines Todten Zahn
ihm in den Kopf. Iwan ist nahe daran, zu sterben. Hier er-
scheint der ursprüngliche Mythus von der Sonne und Aurora als
Bruder und Schwester wieder, und der erst in zweiter Linie
stehende von Mann und Frau wird vergessen. Das Löwenjunge
kommt herbei und zieht den Zahn heraus; der Löwe ist daran,
zu sterben, als der junge Bär herzuläuft und ihn wieder heraus-
zieht. Er kommt auch dem Tode nahe; da kommt der Fuchs,
der gegen Ende des Mährchens die Rolle aufnimmt, welche in
der Mitte der junge Wolf gespielt hat (wie in indischen Mähr-
chen der Schakal an Stelle des Fuchses gesetzt wird), wirft, da
or schlauer ist, des Todten Zahn ins Feuer und rettet sich so —
d. h. der Sonnenheld, welcher durch die Flammen schreitet, tritt
aus den Schatten heraus, die ihn während der Nacht umhüllten.
Helene wird an den Schwanz eines Pferdes gebunden (des Sonnen-
pferdes Iwans selbst) und wird so vernichtet (wenn die Sonne
am Morgen hervorkommt, verliert sich die Aurora hinter ihr.
Dieselbe Erzählung von Iwans treuloser Schwester, deren
167
mythische Bedeutang mir klarer als gewöhnlich zu sein scheint,
tritt auch in anderen Gestaltungen in russischen Mährchen wie-
der auf.
Als Iwan mit seiner Schwester auf der Reise nach dem Reiche
ist, wo alle Leute sterben ^ (d. h. nach der Nacht), giebt ihm eine
Fee ein Tuch, durch dessen Schütteln eine Brücke über einen Strom
gelegt werden kann, — (ist diese Brücke die Milchstrasse, die
Brücke oder Strasse, die von den Seelen eingeschlagen werden
muss im altpersischen Glauben und nach der Lehre des Neu-
platonikers Porphyrins, wie aucli im deutschen Glauben?) — je-
doch mit der Anweisung, seine Schwester es nie sehen zu lassen,
wenn er es schüttelt. Iwan laugt mit seiner Schwester im Reiche
der Todteu an; sie kommen an einen Strom, an dessen jen-
seitigem Ufer eine Schlange ist, welche die Fähigkeit besitzt, sich
in einen schönen Jüngling zu verwandeln; Iwans Schwester ver-
liebt sich in ihn, nimmt, von ihm verleitet, unter dem Vorwande,
die schmutzige Wäsche zu was(5hen, das Zaubertuch fort und
schüttelt es; eine Brücke entsteht, auf welcher die Schlange über
den Fluss kommt und sich mit dem Mädchen verschwört, in der
Absicht, Iwans Untergang herbeizuführen. Sie verlangen von
Iwan die stehende Milch, welche er bringt; sodann das Mehl,
welches hinter zwölf Thüren liegt. Iwan geht mit seinen Raub-
thieren hin, nimmt das Mehl und bringt es fort, doch seine Thiere
bleiben eingeschlossen; seine Kraft nimmt ab und die Schlange,
prahlend, dass sie ihn nicht länger zw fürchten habe, schickt sich
an, ihn zu verschlingen. Iwan bittet, auf Rath einer Krähe, um
2ieit und hält so lange hin, bis seine Thiere die zwölf Thore
dni*chgenagt haben, ihm zu Hilfe kommen und die Schlange zer-
reissen. Die Knochen der Schlange werden im Feuer verbrannt,
die Asche in die vier Winde verstreut und die Schwester an
einen Steinpfeiler gebunden (an den Felsen oder Berg, auf wel-
chem die Aurora aufsteigt, dann, wenn die Sonne aufsteigt, er-
blassend). Iwan stellt etwas Heu und einen Eimer Wasser neben
sie, damit sie etwas zu essen und zu trinken hat, und auch einen
leeren Eimer, um ihn mit ihren Thränen zu füllen; wenn sie das
Heu gegessen, das Wasser getrunken und das Gefass mit iliren
Thränen gefüllt hat, so soll das ein Zeichen sein, dass ihr Gott
vergeben hat; dann will auch Iwan ihr vergeben.» Mittlerweile
geht Iwan in ein Reich, wo nichts als Trauer ist, weil eine
• Afan VI^52.
168
zwölfköpfige Schlange alle Leute umbringt (der gewöhnliche
Nachthimmel ; wo bald der Held Sonne ; bald die Heldin Aurora
sich opfert) und des Königs Tochter das nächste Opfer ist. Iwan
haut; mit Hilfe seiner Meute , die Schlange in Stücke und geht
dann, auf den Knieen der Königstochter zu schlafen. Während
er schläft; geht gegen Morgen ein Wasserträger vorbei^ haut ihm
den Kopf ab und stellt sich dem König als den Retter der Prin-
zessin vor, die er zum Weibe verlangt. Die Raubthiere kommen,
entdecken die Krähe auf Iwans Leichnam und schicken sich an,
sie zu verzehren, als die Krähe um ihr Leben bittet; sie willigen
ein und verlangen dafür, sie solle nach dem Wasser des Lebens
und Todes suchen, durch welclies Iwan wiedererweckt wird; der
Betrug des Wasserträgers wird enthüllt und Iwan heirathet die
Prinzessin, die er von dem Ungeheuer erlöst hatte. Dann geht
er zu seiner Schwester und findet, dass sie das Heu gegessen,
das Wasser getrunken und den halben Eimer mit Thränen ge-
füllt hat. Er verzeiht ihr und nimmt sie mit sich.
In einem andern Mährchen ^ finden wir statt der treulosen
Schwester die treulose Mutter (wahrscheinlich Stiefmutter), welche,
um mit einem Dämon Liebe pflegen zu können, Krankheit fingirt
und von Iwan das Herz erst des dreiköpfigen, dann des sechs-
köpfigen, endlich des zwölf köpfigen Ungeheuers verlangt Iwan
erfüllt ihre Forderungen. Er wird dann in ein heisses Bad ge-
schickt, um ihn zu schwächen. Iwan geht und ihm wird von
dem Ungeheuer der Kopf abgehauen Doch seine beiden Söhne
rufen Iwan wieder ins Leben, indem sie seinen Körper mit einer
Wurzel reiben; der dämonische Liebhaber von Iwans Mutter
stirbt, sobald der Held wieder auflebt. In den beiden Söhnen
Iwans erkennen wir den Mythus von den beiden Agvius wieder,
den himmlischen Aerzten, welche dei) Sonnenbelden wieder zum
Leben erwecken.
In einem andern Mährchen ^ wird Iwan Karolieviö (des Kö-
nigs Sohn) von seinem eigenen Weibe mit dem Tode bedroht;
diese fingirt Krankheit, verlangt, wie gewöhnlich, die Milch einer
Wölfin, einer Bärin und einer Löwin und dann den bezauberten
Staub (Gold- oder Mehlstaub), welcher unter des Teufels Mühle
hinter zwölf ThUren liegt Iwan kommt heraus, aber seine Thiere
bleiben drin. Er kehrt zurück und findet sein Weib bei der
• Afaii. VI, <ia
» VI, 51.
169
Schlange y dem Sohn der Schlange; er singt das Todeslied, er
singt es drei Mal; * bei dessen Aiiliören wird die Schlange nieder-
geworfen und die Thiere, welche die Kraft, sich zu befreien,
wiedergewinnen, kommen heraus und zerreissen die Schlange;
mit ihr wird auch das treulose Weib zu Tode gebracht.
Iwans treuloses Weib kommt wieder iii dem fünfunddreissig-
sten Mährchen des fünften Buches vor, unter dem Namen Anna
die sehr Schöne (PreckraQuaia). Sie hat Iwan Tzarewii5 gegen
ihren Willen geheirathet, weil sie ein ihr von ihm aufgegebenes
Räthsel nicht lösen konnte; sie liebt ihn nicht und verlangt, um
ihn zu vernichten, einen ausserordentlichen Beweis seiner Tapfer-
keit von ihm ; ^ bei diesem ist Iwan durch Hilfe seines Beschützers,
Katoma, siegreich, so dass Anna in seine Hände fällt. Doch
wohl wissend, dass Iwans Stäi'ke nicht in ihm selbst, sondern in
seinem Beschützer liegt, weiss sie Iwan zu bewegen, diesen fort-
zuschicken, nachdem sie ihn seiner Fttsse beraubt hat. Anna
schickt dann Iwan mit den Kühen auf die Weide. Der lahme
Katoma findet im Walde einen blinden Mann, der ebenfalls seine
Blindheit Anna verdankt;^ sie werden Freunde, verbinden sich
und entführen ein schönes Mädchen, damit es ihre Schwester sei;
doch eine Hexe kommt und lässt sich von dem Mädchen das
Haar kämmen, während sie an seiner Brust saugt (wir müssen
hier daran erinnern, dass in der indischen Erzählung das Mäd-
chen drei Brüste hat oder an der Brust unvollkommen ist, ebenso
wie die Hexe das russische Mädchen durch das Saugen an seiner
Brust schädigt). Das arme Mädchen wird dürr und hässlich, bis
die alte Hexe bei ihrer Uebelthat von den beiden Helden über-
rascht, von ihnen wie von einem steinernen Berge überfallen und
so zusammengedrückt wird, dass sie um Gnade schreit. Darauf
verlangen sie von ihr, sie solle ihnen zeigen, wo sich der Brunnen
des Lebens und der Heilung befindet. Die Alte führt sie in einen
' In dem Mährchen VI, 52 wird Iwan daran, dass er wunderbare
Weisen auf einer Flöte spielt, von der Prinzessin, die er von dem Unge-
heuer befreit hatte, wiedererkannt
' Vgl. das nächste Kapitel.
' Ich finde den Blinden und den Lahmen in folgendem Epigramm des
Ausonius Burdigalensis wieder:
„Insidens caeco graditur pede claudus utroque;
Quo caret olteruter, sumit ab alterutro.
Caecus nam que pedes claudo gressumque mi nistrat,
At claudus caeco lumina pro pedibUs.
170
dichten Wald und zeigt ihnen einen Brunnen. Sie werfen erst
einen trocknen Zweig hinein, der sofort Feuer fangt; sie drohen,
die alte Hexe zu tödten, und zwingen sie^ sie an einen andern
Brunnen zu führen, in den sie wieder ein dürres Reis werfen; es
grünt! Dann reibt der eine seine Augen, der andere seine Füsse
mit dem Wasser und beide werden wieder gesund und stark. Sie
werfen die Hexe in den Feuerbrunuen. Katoma geht, als Schäfer
verkleidet, den Helden Iwan von der dämonischen Kuh zu be-
freien, welche ihren Schwanz aufhebt, und giebt ihm seine Stärke
und seinen Glanz wieder. Es ist wieder der vedische Mjrthus
von den beiden AQvins, die sich mit der Aurora vereinigen, die
den Blinden und den Lahmen, d. h. sich selbst, lieilen und den
vielgestaltigen Sonnenhelden retten.
Schliesslich treffen wir das blinde Mädchen, das wir in den
vcdischen Hymnen gefunden haben, in der russischen Sage wie-
der. ^ Eine Dienerin nimmt ihrer jungfräulichen Herrin , die sie
vermittelst eines Krautes zum Schlafen gebracht hat, die Augen
aus und heirathet den König an ihrer Statt. Die Jungfrau er-
wacht und hört, aber sieht nicht; ein alter Schäfer nimmt sie in
sein Haus auf; während der Nacht näht sie, obwohl blind, eine
Krone für den Tzaren und schickt den Alten an den Hof, sie
für ein Auge zu verkaufen (dies ist eine Variation von Königin
Berta im Walde). Die Dienerin, die jetzt Königin geworden ist,
kann der Schönheit der Krone nicht widerstehn, nimmt eins von
den Augen der Jungfrau aus ihrer Tasche und giebt es dem
Alten. Das Mädchen steht mit der Morgenröthe auf, wäscht ihr
• Auge in ihrem eigenen Speichel (d. h. dem Thau. Im Tosca-
nischen glauben die Bauern, dass Jeder, der am Johannistage
vor Sonnenaufgang sein Gesicht im Thau wäscht, das ganze fol-
gende Jahr keine Krankheit bekommen wird), steckt es in die
Augenhöhle und sieht. Sie näht dann eine andere Krone und
gewinnt in derselben Weise das andere Auge bei der nächsten
Morgenröthe wieder. Da erföhrt die Dienerin-Königin, dass sie
lebt, und lässt sie von gemietheten Mördern in Stücke hauen. Wo
die Jungfrau begraben liegt, ersteht ein Garten und ein Knabe
zeigt sich. Der Knabe geht in den Palast und rennt hinter der
Königin her, wobei er solchen Spektakel macht, dass sie sich ge-
nöthigt sieht, um ihn zum Schweigen zu bringen, ihm das Herz
der Jungfrau zu geben, welches sie verborgen gehalten hatte.
' A fan. V, 39.
171
Der Knabe ist nihig und rennt davon; der König folgt ihm und
befindet sich vor der wiedererstandenen Jungfrau. Er heirathet
sie; die Dienerin aber wird geblendet, an die Schwänze von
Pferden gebunden und so zerrissen. Wie die deutsche Genoveva
und die indische Qaknntalä wird das russisehe Weib von dem
Gemahl vermittelst eines Knaben wiedererkannt. Dieser ist die
junge Sonne, welche die alte in Stand setzt, wiedergeboren zu
werden, wiederzuerstehn und noch einmal jung zu sein ; er ist der
Sohn, der in den indischen Erzählungen seinem Vater das Augen-
licht wiedergiebt und dadurch natürlicherweise ihm das Mittel
an die Hand giebt, sein Weib wiederauerkennen , das er ver-
gessen oder Verstössen oder verloren hatte, je nach den verschie-
denen Gestaltungen, welche der himmlische Mythus von der Tren-
nung von Mann und Frau angenommen.
Ich würde diese Vergleichung gern auf dem Gebiet der mehr
westlich wohnenden slavischen Völkerschaften weiterführen ; * ducli
kann es nicht meine Absicht sein, diesen bescheidenen Band
durch eine vollständige Sammlung der hierher gehörigen Erzäh-
lungen in eine Bibliothek zu verwandeln; auch ist dies für mei-
nen Zweck nicht nothwendig, da ich dadurch doch dem, was ich
bisher gesammelt, um zu beweisen, wie die Thiermythologie in
der slavischen Sage dieselbe ist, die sie im indischen Alterthum
war, keine grössere Beweiskraft geben würde. Ich bin speciell
auf die russischen Sagen deshalb genauer eingegangen, weil sie
wegen der Unkenntniss der Sprache, die schön und des Studirens
wohl werth ist, nur wenig bekannt und bei den vorliegenden
Untersuchungen von der höchsten Wichtigkeit sind. Täusche ich
mich nicht ganz, so glaube ich bis zu diesem Punkte hier von
allen wesentlicheren Erzählungen, die sich in der östlichen indo-
germanischen Welt im Anschluss an den Mythus von der Kuh
und dem Stier entwickelt haben, Rechenschaft gegeben zu haben;
jetzt mich nach Westen wendend, kann ich wohl wagen, schneller
vorzugehen, da wir uns auf einem uns schon vertrauten Gebiete
' Wer geuauere UntersuchuDgen über die slavische Sage anstellen
will, kann sich mit Nutzen unter anderen in folgenden Werken Raths er-
holen; — Schwenk, Mythologie der Slavcn; Hanuscb, Slavische
Mythologie; Woycicki, Polnische M äh rcbcn; Schleicher, Littau-
ische Mährchen; Wensig, W ests lavischer Mähr chenschatz;
Kapper, Die Gesänge der Serben; Chodzko, Contes des Pays ans
et des PatresSIavee ; Teza, I tre Capelli d*oro del Nonno Sat-
** utto (ein bÖhmisclus Mäbrchen); Mi^kieviö, Cauti Popnlari Illirici,
172
befinden. Es schien mir für eine genaue Vergleich ung unum-
gänglich nothwendig, den Charakter der orientalischen Sage zu
tixiren und genau festzustellen^ damit es dem, der sich mit diesen
Studien befasst^ leicht ist^ die unzähligen Sagen und Erzählungen
zu classlficireu; welche schon im westlichen Europa gesammelt
und in, zwar von einander verschiedenen, doch verhältnissmässig
leicht zugänglichen Sprachen veröffentlicht worden sind. Ist es
mir geglückt, dem Leser das Verständniss der hei-vorragenderen
Quellen der Sagen und ihrer wahrscheinlichsten Bedeutungen zu
eröffnen, so werde ich mit mehr Muth und grösserem Vertrauen
an die folgenden Untersuchungen gehen.
§.5. Der Stier und die Kuh in der germanu>8kaudinuviBchen
uud fränkisch-celtischeu Sage.
Die gemiano-skandinavischen und fränkisch-celtischen Sagen
werden hier unter eine Rubrik gebracht, da sie, besonders im
Mittelalter, in enger und fortlaufender Beziehung zu einander
standen.
In beiden Sagenkreisen begegnen wir häufig dem vedischen
Stier, der aus dem Meere kommt, und dem Stier, welcher das
Mädchen entfährt. Der Stier, der aus dem Meere kommt, findet
sich in irischen und in deutschen Legenden. Nach einer deut-
schen Sage, von der verschiedene Variationen existiren, erhielt
ein Kuhhirt täglich sein Mittagessen und jeden Sonntag ein rei-
nes Hemde von einem bunten Stier, der aus dem See heraufstieg. *
Ein Stier zeugt am Meeresufer mit der schlafenden Königin den
König Meroveus, den ersten der Merovinger; vielleicht deshalb
finden wir einen goldenen Stierkopf auf dem Grabe König Chil-
dericbs dargestellt. Karl Simrock ^ fand eine ähnliche Erzählung
' Kuhn und Schwartz, Norddeutsche Sagen, Mährchen und
Gebräuche, p. 256 f. u. 501.
^Handbuch der deutschen Mythologie, mit Einschluss der
nordischen, 2. Aufl. p. 437. — Wir lesen auch bei Bginhard (Vita Carol i
Magni); ,,Quocunque eundum erat, carpento ibat, quod bubus junctis et
bubulco rustico more agente trahebatur.'* — Der Stier ist ein Symbol der
Fortpflanzung; der Mann, der den Stier fürchtet, ist ein dummer und
lächerlicher Eunuch. So heisst es in einer Lit. Remiss, ann. 1397 (bei Du
Cange); ,,Le suppliant lui dist, ]Sudet^ vous ayez un toreau qui purte les
173
audi in Spanien. Der Stier, welcher das Mädchen trägt, dem wir
schon in den mssiBch.en Mährchen begegnet sind, erscheint wieder
in dem norwegischen Mäbrchen ' von Käthe Holzmantel
(Dasent), welche mit der Macht des Wunsches begabt ist.
Bei der Fahrt Gylfes in Snbrris Edda finden wir, dass die
Kuh Audhumla, die Kuh der Fülle, die Erzeugerin des höchsten
skandinavischen Gottes, Odins, ist, wie die des höchsten vedischen
Gottes, Indras. Die Kuh A^adhnmla nährt mit ihrer Milch Ymir,
den ersten der Riesen. Sie leckt den Salzberg von Eis (den
ehstnischen Eisberg, die zwölf Spiegel der russischen Prinzessin,
durch weicherer junge Held Iwan hindurchdringt, um sie zu
küssen). Aus dem Eise, welches die Kuh geleckt hat, kommt erst
das Haar, dann der Kopf, dann der ganze Körper des Helden
Buri hervor. (Die Sonne erhebt sich ganz allmählich von dem
Berge des Ostens, von der Kuh-Aurora angezogen, erwärmt, und
zeigt zuerst einige wenige Strahlen, dann ihre Scheibe und dann
sich selbst in all ihrem Glanz und ihrer Macht; und was die
Sonne täglich thut, thut sie in grösserem Massstabe einmal des
Jahres, indem sie aus dem Eise des Winters durch die lauen
Lüfte des Frühlings wieder aufsteigt.) Von Buri, der schon bei
seiner Geburt stark ist, wird Bör gezeugt, dem Bestla, die Tochter
des Riesen Bölthom, drei Söhne, Odin, Wili und We schenkt
(die gewöhnlichen drei Brüder der Sage), welche den drei Söhnen
des Mannus io der deutschen Sage, Inguis, Istio und Irminius,
entsprechen. Der schwedische König Eistein hat eine grosse Ehr-
furcht vor der Kuh Sibilia und pflegt sie mit in die Schlacht zu
nehmen, damit sie durch ihr Brüllen die Feinde erschrecke. (Das
Brüllen der Kühe spielt in den Kämpfen des vedischen Helden
Indra eine wichtige Rolle. Im Panöatantra jagt, wie wir be-
merkten, das Brüllen des Stieres den Löwen in Schrecken.) Der
skandinavische König Oegwaldr wird überall von einer heiligen
Kuh begleitet, deren Milch er trinkt und mit welcher er begraben
zu werden wünscht. Im Rigveda befruchtet, wie wir sahen, der
Held Indra die Kuh, und der Donnerkeil des Gottes, der die
Wolke durchdringt, nimmt die Gestalt eines Phallus an. Später
geu8 et ne osent aler aux champs pour luy; leqnel Eudet luy respondis:
as ta nom Jehannot?*' Faire Joban heisst eine Frau, qnae marito fidem
non servat (eine Abart der mongolischen Sürya Bagatur).
' Siehe Cox, Mythology of the Aryan Nations, I p. 438, bei Be-
sprechung des griechischen Mythus von Zeus und der Europa.
174
wurde als ein Symbol des Rathen-Phallns , der Zweig oder die
Kuthe des Baumes palä^ genommen, mit welcher die Knb ge-
schlagen wurde, um sie fruchtbar zu machen ; eine solche Zauber-
ruthe ist bis heutigen Tages in Deutschland im Schwange, wo in
vielen Gegenden die Sitte herrscht, die Kuh zu schlagen, in dem
Glauben, das werde sie fruchtbar machen. ^
Mit dem Kopf des schönsten der Ochsen des Riesen Hymir
an seiner Angel geht in Snorris Edda der Gott Thor die unge-
heure Schlange von Midgard aus der Tiefe des Meeres fischen
und tödtet sie auf dem Meeresgestade. (So setzt im Rämayana
Hanumant uuf das gegenüberliegende Ufer des Sees über, indem
er den Körper des Seeungeheuers überschreitet, das er bersten
macht; so tödtet Indra die Schlange Ahi auf dem Berge.)
Der skandinavische Held hat also auch Beziehungen zu Ktthen,
obwohl sein Leben weit mehr einen kriegerischen als einen länd-
lichen Charakter trägt; er klagt deshalb Loki an und schmäht
ihn dabei, dass er acht Winter unter der Erde mit dem Melken
der Kühe, wie ein Weib, beschäftigt, zugebracht habe. (Es ist
bekannt, dass das skr. d u h i t a r (i. e. Tochter) bedeutet : die, welche
melkt.) Statt Kühe zu melken, verzehrt der skandinavische Held
Stiere. Wir finden mehr als einmal in den Edden die Helden
mit Braten von Ochsen beschäftigt. Atli, der Gemahl Gudruns,
rühmt sich, mehre Ochsen getödtet und sie mit ihr verzehrt zu
haben. Gudrun, die skandinavische Medea, giebt Atli die Herzen
seiner beiden Söhne zu essen, mit der Versicherung, es seien
Kälberherzen. Der (Jott Thor, als die Göttin Freya verkleidet,
trinkt drei Fässer Meth und isst einen ganzen Stier, als er auf-
bricht, um seinen wunderbaren Hammer wiederzugewinnen. Das
Stier- oder Kuhhorn spendet femer nicht allein dem Helden Meth,
noch auch dient es blos dazu, seine Freunde zu Hilfe zu rufen
und den Feind niederzuwerfen; es bildet auch den Bogen des
Helden, der demgemäss in der Vilkina Saga^ auch den Namen
Hornbogen führt und als solcher dem grössten Helden, Thidrek
' Vgl. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers und des Götter-
tranks, p. 181 sqq. — Vgl. Du Gange, Glossarium med. et inf. la-
tin, s. V. Acanuizare: Quicunque acauuizaverit vaccam vel bovem, ei bos
vel vacca fecerit damnum casu fortuito, dum aeannizatur, cujus est, amit*
tat ipsum bovem vel vaccam, nisi acannizatur causa nuptiarum; Fori Os-
cae Jocobi L Regia Arag. fol. 16; und ebenfalls bei Du Gange: „Ut in
anserem ludendo baculos torquere in usu fuit, ita et in bovem.**
' W. Grimm, Die deutsche Heldensage, 2. Ausg. Nr. 102. 182.
J
175
oder EWtrich beisteht und der Vater des berühmten Helden Sigurd
(Stfrit, Siegfried) ist. Schliesslich werden die Hörner als eine
so bedeutende Waffe des Stiers und der Kuh betrachtet, dass ein
zugleich slavischeS; deutsches und italienisches Sprichwort sagt:
„Einer bösen Kuh giebt Gott kurze Homer** (damit sie kein Un-
heil anrichte ; oder vielmehr, weil sie dieselben abnutzt); der
Kuh die Homer abhauen, bedeutet in einem deutschen Sprichwort:
eine Schwierigkeit Überwinden; und den Stier oder die Kuh bei
den Hörnern packen, bedeutet^ sie entwaffnen [durch rasches und
muthiges Vorgeh n einen Feind oder eine Gefahr überwinden]. '
In dem grönländischen Gedicht auf Atli in Sömunds Edda
sagt Högni, dass, wenn Rinder getödtet werden, viel Blut gesehn
wird, und dass, wenn Jemand von Adlern träumt, Ochsen nicht
fem sind. In Snorris Edda verhindert ein Adler auf dem Gipfel
des Baumes, unter welchem Odin, Loki und Hönir einen Ochsen
kochen wollen, dass das Fleisch gekocht wird, bis die Helden
darein willigen, ihm einen Theil davon zu geben. Der Adler
trägt jedoch nicht weniger als die beiden Lenden und die beiden
Schultern des Ochsen davon. Der Adler bat in der Edda den-
selben dämonischen Charakter, wie er in andem Sagen der Krähe,
dem Trauerstorch und dem Geier beigelegt wird: er sucht nach
Ochsen; wenn man also von Adlem träumt, so ist das ein Wink,
dass ein Ochse in der Nähe ist^ ebenso wie es heisst, dass die
Anwesenheit eines Geiers das Zeichen der Nähe einer Leiche ist.
Eine deutsche Sage^ lässt eine Schlacht beginnen, „sobald
eine rothe Kuh über eine gewisse Brücke geführt ist.' Wir er-
innem an das russische Mäfarcben von dem Mädchen, das ver-
mittelst des Zaubertuches seines Bmders eine^ Brücke über den
^ Strom schlägt, welche das Scblangennngeheuer in der Gestalt
eines schönen Jünglings überschreitet, um sie zu nehmen; wie
der Bruder in dem Kampfe gegen das Ungeheuer, zu dem er ge-
zwungen wird, geopfert wird, da dieses ihn durch List entwaffnet,
und wie der Kampf zwischen dem Helden und dem Ungeheuer
beginnt, als die Jungfrau, die Brücke überschreitend, den Helden,
ihren Bmder verlässt, der in dem ungleichen Streite tUllt und
sein Blut vergiesst. Ich habe schon bemerkt, dass im Volks-
glauben die blutige Abendsonne eine Vorbedeutung von Krieg
' Vgl. in dem Kapitel über die Ziege and den Bock Mebres üher
mythische Homer.
Kuhn und Schwartz p. 497.
i16
ist und dass die rothe Kab der deutschen Sage nichts andera
als diesen Himmel darstellt. Was die Brücke betrifit, so scheint
eine interessante Bemerkung bei Kuhn und Schwartz ^ die Ver-
muthung zu bestätigen^ die ich bei Gelegenheit des slavischen
Mährchens andeutete; d. h. dass sie die Milchstrasse darstellt;
aus dieser Bemerkung, in welcher die Identität der Brücke der
rothen Kuh, die den Beginn einer Schlacht bestimmt, und der
skandinavischen himmlischen Birröst statuirt wird (wie diese
wohl auch zwischen ihr und der persischen Brücke Oinvant anzu-
nehmen ist); ersehe ich auch; dass im Friesischen die MUchstrasse
Kau-pat (Kuh-pfad) heisst. ' Das heisst: es ist anzunehmen, dass
die rothe Abendkuh während der Nacht die Milchstrasse entlang
geht, indem sie ihre Milch darüber spritzt; woher vielleicht das
deutsche Sprichwort kommt : ;;Rothe Rühe geben ' auch weisse
Milch"* — gleich dem andern; das wir schon in Indien gäng
und gebe sahen und das wir in der turanischen Sage wieder
trafen, das ferner als deutsches, slavisches und italienisches
Sprichwort existirt: Auch eine schwarze Kuh giebt weisse Milch." ^
— (Der Ursprung dieser Sprichwörter kann einfach aus der Beob-
achtung gewöhnlicher schwarzer Kühe abgeleitet werden, welche
weisse Milch geben; nichts natürlicher als das Erstaunen der
primitiven Menschen über einen solchen Kontrast! Doch scheint
es mir nicht unmöglich, dass dasselbe Sprichwort auf den Him-
mel angewandt worden ist; wenn nicht sogar im Himmel sein
Ursprung zu suchen ist; die schwarze Nacht bringt die Jilba oder
weisse Morgendämmerung und; können wir hinzufügen, den
Silbermond und die Milchstrasse hervor.)
Da meines Erachtens das MädcheU; welches in den slavischen
Mäbrchen die Brücke überschreitet, ganz unzweifelhaft identisch
mit der rothen Kuh ist, welche das Gleiche in der deutschen Sage
thut; und wenn ich nvit der Identiiicirung des Mädchens, das mit
dem Bruder nach dem Todtenreich reist, mit der Abend-Aurora
und der untergehenden Sonne nicht einen MissgrifT gethan habe,
* Diese Brücke wird keine andere sein, als die bimmliscbe Bifröst,
deren er hütet, eine Vermuthung, die noch an Wahrscheinlichkeit gewinnt,
wenn man den friesischen Namen der Milchstrasse „Kaupat, der Kuhpfad,**
hinzu nimmt; denn Milcbetrasse und Regenbogen berühren einander
sehr nahe; dieser ist die Tagesbrücke zwischen Göttern und Menschen,
jene die nächtliche. Kuhn und Schwartz a. a. O.
* Wander, Deutsches Sprichwörter- Lexicon, Leipz. 1870.
» ibid.
177
80 dUrrten sich hier noch einige andere deutsche Sprichwörter
anfuhren lassen^ die man als in der allgemein europäischen Sage
von der Kuh begründet ansehen kann und die sämmtlich einen
solchen Schluss gerechtfertigt erscheinen lassen. Es sind folgende :
„Wenn die Kuh gestohlen ist, verwahrt man den Stall. — Wer
eine Kuh verloreu und den Schwanz zurück erhält, hat nicht viel,
aber mehr als nichts. — Die Kuh könnte mit dem Schwänze bis
an den Himmel reichen, wenn er nur lang genug wäre. * — Die
Kuh beim Schwanz fassen. — Die schwarze Kuh hat ihn gedrückt.
— Eine Kuh kann keinen Hasen erlaufen. — Die Kuh überläuft
einen Hasen. — Nicht alle, die Hörner -blasen, jagen Hasen. —
Wenn die Kühe lachen. — Wie eine blinde Kuh eine Erbse fin-
det. — Den sollt' man i^ einer alten Kuhhaut herumfahren. —
Soll die Kuhmagd spinnen, wird man wenig Garn gewinnen. —
Man würde eher einer Kuh spinnen lehren."^ — Vgl. auch das
altfranz. Sprichwort: „Une vache ne sceit que Ini vault sa queue
jusques eile Ta perdue". —
Wenn man alle diese deutschen Sprichwöiier in Erwägung
zieht, «o ist «meines Erachtens unschwer in ihnen eine Erinnerung
an die alten Mythen, mit denen wir schon vertraut sind, zu er-
kennen. Wenn wir bedenken, dass fast jedes Sprichwort vielerlei
Spielarten hat, ja sogar oft in sein gerades Gegentheil umge-
schlagen ist, und da wir in diesen Spielarten die uranfängliche
Geschichte einer grossen Anzahl sonderbarer Sprichwörter ver-
folgen können, so kann die Behauptung nicht übereilt erscheinen,
dass besagte Geschichte im Aligemeinen ihren Ursprung in einem
Mythus hat. Gar nicht zu sprechen von dem klar zu Tage lie-
genden Umstand, dass dasselbe Sprichwort auf verschiedene
Thiere angewandt wird, und zwar nicht allein von verschiedenen
Völkern, sondern in der mündlichen Ueberlieferung desselben
Volkes, verweise ich den Leser auf das, was ich in der Vorrede
zu diesem Bande über den Gegensatz, den Widerspruch, der in
verschiedenen abergläubischen Vorstellungen liegt, Ji)emerkt habe.
Wie dieser Widerspruch, kann auch der zwischen vielen Sprich-
wörtern nur erklärt und gehoben werden, wenn man sie auf das
Gebiet der Mythologie zurückführt, auf welchem eine unbegreif-
' Vgl. das beliebte euglische Scherzräthsel : ,,Wie viel Ruhschwänze
würden erforderlich sein, dass sie an den Himmel reichen? — Einer, wenn
er lang genug wäre.^^
• Wander, ibid. II, 1666—1695.
Gabernatb, die Ttilere. 12
178
liehe Anzahl von Mythen aus Widersprüchen, Gegensätzen ent-
steht, und nur aus ihnen entstehen kann; d. h. aus den contrasti-
renden Gestaltungen, in welchen sieh Himmelserscheinungen dem-
selben Beobachter, geschweige verschiedenen, zeigen. Die ver-
gleichende Geschichte mythischer Sprichwörter soll noch geschrie-
ben werden; vielleicht ist es augenblicklich noch nicht möglich,
sie zugleich umfassend und streng wissenschaftlich zu behandeln.
Vorgängiges Studium der Einzelheiten ist für das Verständniss
eines Sprichworts wie einer Volkssitte, eines Aberglaubens, einer.
Legende oder eines Mythus durchaus erforderlich, und dieses Stu-
dium erfordert Zeit und Mühe; denn eine umfassende, genaue,
bis ins Einzelnste gebende Erklärung eines Sprichworts kann die
Entwickelung einer ganzen epischen Geschichte involviren. Ich'
will mir hier nicht aumassen, das Räthsel der oben citirten
deutschen Sprichwörter zu lösen, sondern nur andeuten, welches
mir der Weg zu sein scheint, um ihrer wahrscheinlichsten Lösung
sich zu nähern. Bei dem Studium eines Sprichworts ist es noth-
wendig, grosses Gewicht auf die Betonung zu legen. Von den
verschiedenen Betonungen, mit welchen ein altes Öprichwort ur-
sprünglich gesprochen und später wiederholt wurde, als es von
Zunge zu Zunge ging, von Volk zu Volk wanderte, hängt ein
grosser Theil der Bedeutungsveränderung gerade bei den inter-
essantesten der Sprichwörter ab, welche wir als ein Erbtheil
arischer üeberlieferung überkommen haben. Ein Sprichwort war
zum Beispiel anfänglich eine einfache Aussage!, der einfache Aus-
druck eines natürlichen mjrthischen Bildes ; im Lauf der Zeit blieb
der Ausdruck, der Mythus wurde vergessen; so schien sich der
Ausdruck auf etwas Fremdes, Sonderbares zu beziehen und wurde
als eine zweifelnde Frage ausgesprochen ; bald wurde er als eine
Ableugnung von etwas Unmöglichem benutzt und wurde ein Mittel
der Satire. So können viele Sprichwörter, die satirisch geworden
sind, ursprünglich nichts mehr und nichts weniger als mythische
Aussagen gewesen sein.
„Den Stall verwahren, wenn die Kuh gestohlen ist." In Eng-
land haben wir in dem Sprichwort statt der Kuh ein Mädchen:
„Wenn Deine Tochter gestohlen ist, schliesse das Pfeflferthor^*
(Peppergate, Name eines kleinen Tbores der Stadt Chester, wel-
ches zu schliessen der Bürgermeister befohlen haben soll, als
seine Tochter entführt war). Das Sprichwort dient jetzt dazu,
sich über die lustig zu machen, welche ihr Eigenthum in gute
Obacht nehmen wollen, nachdem es ihnen gestohlen ist; doch
UNIVERSITY
or
hatte es vielleicht nicht immer dieselbe Bedeutung. Wir sind
schon durch die indische Sage mit -dem Helden bekannt, welcher
das schöne Mädchen aus dem Gefängriiss befreit, und sahen, wie
sie, kaum frei, von ungerechten Brüdern oder Genossen fortge-
führt wird, nachdem diese den rechtmässigen Eigenthümer der
Kuh oder des Mädchens in die Höhle gesperrt, ans welcher sie
herauskam ; wie die räuberischen Brüder das Thor des Stalls oder
der Höhle schlössen, nachdem sie das Mädchen entführt. Der
gefangene, in nächtliches Dunkel eingeschlossene Held nahm in
der Mythologie oft die Gestalt eines Narren an. Von der Vor-
stellung des Schliessens der Stallthür hinter dem Helden durch
die Räuber seiner Kuh, scheint mir der Uebergang zu dem Helden,
der sich in der Höhle verliert, der närrisch wird, zu dem Bauern,
der die Stallthür schliesst, als die Kuh gestohlen ist, oder zu dem
Bürgermeister von Chester, der, in der Stadt eingeschlossen, das
Pfefferthor schliesst, durch welches das Mädchen entführt wurde,
natürlich.
„Wer eine Kuh verloren und den Schwanz zurück erhält, hat
nicht viel, aber mehr als nichts." Dies Sprichwort scheint mir
ebenfalls einen mythischen Sinn und Ursprung zu haben. Ich
habe schon bemerkt, dass der Schwanz, die Ferse, die Füsbc,
d. h. die unteren und hinteren Extremitäten, das mythische Thier
verrathen; wir werden uns davon noch fester überzeugen, wenn
wir zu der Untersuchung der Sagen gelangen, die sich auf den
Wolf, den Fuchs und die Schlange beziehen. Die Fussstapfe ist
es, die in sämmtlichen europäischen Sagen das schöne Mädchen
bei seiner Flucht verräth; als der Räuber Cacus dem Hercules
die Ochsen stiehlt, sucht der Held, um sie wiederzugewinnen,
nach ihren Fussspuren. Doch damit diese nicht erkannt würden^
hat der schlaue Dieb die Ochsen, statt beim Kopf, beim Schwanz
genommen^ und sie rückwärts gehen lassen. Daher bedeutet:
„am Schwänze fassen" den falschen Weg einhalten und wird
ebensowohl auf den Esel wie auf die Kuh angewandt In
Deutschland erzählt man, dass einst eine Kuh in eine Grube fiel,
aus der keiner von den Umstehenden sie zu befreien wagte. Der
Bauer, dem die Kuh gehörte, kam herbei und fasste sie, nach
den Einen, furchtlos bei den Hörnern, während er sie, nach An-
' Livius I: Quia si agendo armentum in speluncam compulisset, ipsa
vestigia qnaerentem dominum eo deductura crant, aversos boves eximium
quemque pulchritudiue caudis in speluncam traxit.
12*
180
deren, am Schwänze herauszerrte; daraus erklärt sich das Doppel-
sprichwort: bei den Hörnern fassen, d. h. von der rechten Seite
etwas anfassen, und am Schwänze fassen, oder, wie wir sagten,
etwas am falschen Ende anfassen. Aber der Bauer konnte seine
Kuh nur entweder bei den Hörnern packen oder am Schwänze,
je nachdem sie gefallen war; war sie mit dem Kopf zuerst ge-
fallen, so konnte sie nur am Schwänze herausgezogen werden;
war sie dagegen mit dem Schwanz vorne hineingefallen, so
konnte er sie nur herausholen, indem er ihre Hörner packte. Die
Kuh -Aurora wird von dem Wolf, Bären, wilden Eber oder
Schlange: Nacht überrascht, bei den Schultern gepackt und ver-
schlungen (aus diesem Grunde empfiehlt in dem russischen Mähr-
chen der Stier dem von seiner Schwester begleiteten fiüchtigen
Helden, sein Gesicht nach der Kichtung gewandt zu halten, aus
welcher man das verfolgende Ungeheuer erwarten kann). Das Un-
geheuer (die Dunkelheit oder die Wolke) greitt die Kuh am Schwanz
und verschlingt sie oder zerrt sie in seine Höhle. Diese Kuh, die
der Held aus der Höhle befreien will, kann er nur dann bei den
Hörnern packen, wenn er auf demselben Wege in die Höhle ein-
dringt, auf welchem die Kuh hineinkam, d. h. durch den Rachen
des Ungeheuers; doch wie das Ungeheuer den Helden von hinten
zu überraschen sucht, so verwundet auch er es oft von hinten,
hält es beim Schwanz und zieht es so aus der Höhle, Grube oder
dem Schlamme lieraus — seine gefallene Kuh. In einer indit^chen
Fabel im zweiten Buch des Paüdatantra haben wir die Er-
zählung von einem Schakal, der, um ein Geltistchen seines Weibes
zu befriedigen, dem Stiere ganze Jalire lang lolgt, in der HoflF-
nung, dass dessen herabhängende Testikeln eines oder des an-
dern Tages abfallen. In einem Witz des Poggius und bei Les-
sing ^ finden wir denselben Gegenstand besprochen ; eine Variation
davon giebt das deutsche Sprichwort: „Wenn auch der Kuh-
' Poggius, Facetiae, Krakau 1592, angeführt von Benfey in der
Einleitung zu seinem Paiidatantra p. 8*^3: ),Quift testiculi raei quadra-
ginta anuos pependerant casuro similes et nunquam ceciderant/* — Lessing
(XI, 432 der Lachmann-Maltzahnschen Ausg ) „De vulpe quadam asini tes-
ticulos manducandi cupida/^ — Bei Aldrovandi, De Quadrupedibus
bisulcis I (Bologna 1642) lesen wir: „Meuibrum t^iuri in accto macera-
tum et iiiitum, splendidam, teste secto^ facit faciem; Kasis ait, genitale
tauri rubri aridum tritum et aurei pondere propinatum mulicri, fnstidium
coitus afierre; e contrario quidam recentiores, ut in viris Veuerem exciteut,
tauri membrum ceteris hujus facultatibus admiscent.^*
181
schwänz wackelt; so fallt er doch nicht ab." ^ In der Hoflftiung
darauf rennt der Wolf oder der Fuchs hinter dem Schwanz der
Kuh oder des Stieres her. Folgender komische Zug eines piemon-
tesischen Mährchens, das ich in meiner Kindheit hörte, klingt
noch lebhaft in mir nach : ein Knabe, der die Schweine auf die
Weide trieb, schnitt ihnen die Schwänze ab, steckte sie in den
Morast und machte sich mit den Thieren davon. Als der Be-
sitzer der Schweine ihre Schwänze sah, musste er denken^ dass
sie in dem Schlamme versunken wären. Er zerrt an den
Schwänzen, die ihm in den Händen bleiben, während er die Kör-
per nicht herausfischen kann. In einem nissischen Mährchen bei
Afanassieff* lesen wir, dass der schlaue Klein-Thomas (Thomka,
Fomka) den Priester um sein Pferd (in andern Versionen um
seinen Esel) betrügt, indem er dessen Schwanz abschneidet und
ihn in den Schlamm eines Morastes steckt. Er macht den Prie-
ster glauben, dass sein Pferd in den Morast gefallen ist; der
Priester, um es herauszureissen, thut einen gewaltigen Ruck und
fallt natürlich, den Schwanz in der Hand, auf den Rücken; Tom
redet ihm ein, dass er den Schwanz selbst abgerissen hat, und
rätb ihm, zufrieden zu sein, dass er wenigstens noch so viel von
dem verlorenen Thiere wieder hat. In dem siebenundfunfeigsten
gälischen Mährchen bei CampbelP versucht ein Priester ein er-
trinkendes Schaf aus dem Wasser herauszuziehen, doch nur der
Schwanz kommt heraus, und der Erzähler fügt hinzu: „Wenn der
Schwanz nicht herausgekommen wäre, so würde die Geschichte
länger sein.". So hat der Besitzer der Kuh, deren Schwanz der
Dieb als einen Trost zurückgelassen hat, in Wirklichkeit nur
wenig; doch auch dieses Wenige ist Etwas; denn gerade so wie
der Schuh, den das flüchtige Mädchen zurücklässt, obwohl nur
von geringem Werth, den Helden in Stand setzt, sie zu recogno-
sciren, so hat in dem Schwanz seiner Kuh der Besitzer etwas in
Händen, um sich damit auf die Suche zu machen und sein ver-
lornes Eigenthum wiederzufinden ; entweder weil der Schwanz
eines Thieres gleichsam sein Schatten ist und dazu dient, es auf-
zuspüren, wie der Schuh das Mädchen verräth, indem er die
Fussspur zeigt; oder aber weil schwanzlose Kühe offenbar ge-
stohlene sind. (In dem Mythus von Cacus, in welchem Hercules
' Wander, Deutsches Sn^i-ohwörter-.Lexicon.
» V, 8.
' Erwähnt Ton Köhler im Orient und Occident
182
den gestohlenen Ocbsen dnrch die Fussspurcn auf die Spar
kommt, nnd Cacus sie an den Schwänzen zieht, sind vielleieht
der mythische Schuh und der verlorene Schwanz vereinigt. Es
ist möglich, dass die Ochsenschwänze dem Cacus in den Händen
blieben, als er sie in die Höhle zog; und dass sie, von dem Diebe
fortgeworfen und von Hercules gefunden, ihm als Führer zum
Wiederfinden seiner Ochsen gedient haben. Es ist auch möglich,
dass der von Hercules verfolgte Cacus nicht Zeit hatte, die Ochsen
ganz hineinzutreiben, so dass ihre Schwänze noch herausragten
und sie verriethen. Bezüglich der römischen Cacus-Sage sind
das eben nur Hypothesen und ich habe sie deshalb in Parenthese
geschlossen; was aber das oben erwähnte russische Mährchen be-
triflft, so finden wir den Pferdeschwanz vom Diebe abgeschnitten,
und da wir in dem Kapitel über den 'Fuchs den Fuchs kennen
lernen werden, der sich dadurch verräth, dass er den Schwanz
nicht einzieht, woher auch das Sprichwort kommt: „cauda de
vulpe testatur'', sind die beiden oben beigebrachten Vermuthungen
allen Spuren nach nicht so unglaublich. Bei Pausiinias^ befreit
sich der Held Aristomenes, der in eine tiefe Cisterne geworfen
worden ist, auf wunderbare Weise vermittelst eines Adlers, nach-
dem ein Fuchs einen Weg gebahnt hat. Der Fuchsschwanz hat
eine so zauberhafte Anziehuugskraft, dass nach der Volkssage
der Hahn bei seiner Bewegung herabfällt, unfähig dem Zauber
Widerstand zu leisten. Nach dem Volksglauben ist der Schwanz
(wie Nase und Mund) der glänzendste Theil des Körpers eines
Thieres. Der grosse Affe Hanumant verbrennt mit seipem feurigen
Schwanz La£Lkä (ebenso wie die brennenden Fuchsschwänze des
biblischen Simson die Erntefelder der Philister verbrennen). Das
graue oder schwarze Pferd der Mythologie (welches das weisse
oder rothe Sonnenross verschlungen hat) sprüht Feuer aus seinem
Munde oder vom Schwänze. Da dieses schwarze Pferd die Nacht
ist, so stellen die Feuer sprühenden Nüstern und Schwanz den
glänzenden Abend- und Morgenhimmel dar; wenn also der Schwanz
seines Pferdes (das ebenso wie der Stier und die Kuh vom Diebe
gestohlen ist^) dem mythischen Helden in der Hand bleibt, so
genügt dieser Licht ausströmende Schwanz, ihm die Auffindung
' IV, 15.
* Daher wird das oben erwähnte Sprichwort: „wenn die Kuh ge-
stohlen ist, verwahrt man den Stall'^ auch so angeführt, dass das Pferd an
die Stelle der Kuh gesetzt wird.
mm
183
des ganzen Thieres zu ennöglichen, d. b. der Sonnenheld kommt
aus seinem Versteck heraus (Hannmant kommt aus den hinteren
Theilen des Meerungeheuers, der Zwerg aus des Wolfes Rücken
heraus ^), der Stier Sonne findet seine Kuh Aurora ; der Prinz
Sonne die Prinzessin Aurora, der Bauer seinen Esel oder seine
Kuh, Hercules seinen Ochsen wieder; das weisse Ross kommt
aus dem Schwanz des schwarzen Rosses heraus, von welchem es
verzehrt worden war, und steigt dann vermittelst des Schwanzes
zum Himmel auf;^ der weisse Stier kommt aus dem schwarzen,
die weisse oder rothe Kuh aus der schwarzen; der Schwanz
kommt aus dem Körper; der Held aus dem Sack oder dem Ver-
steck, in das er eingesperrt resp. eingenäht war. Der Sack spielt
überhaupt in der Sage von dem verborgenen oder verfolgten Hel-
den eine grosse Rolle; dieser Sack ist die Nacht oder die Wolke
oder der Winter ; der im Sack eingeschlossene und in den See ge-
worfene Held ist die Sonne. Dieser Held und die in einer Kiste
oder einem Fass eingeschlossene (auch, im Mythus von Pasipha^,
mit einem Kuhfell bedeckte) und den Wogen überlassene Heldin
sind mit einander gleichbedeutend, und ebenso sind es die im
Brunnen, in der Höhle, den Ställen und sogar in der Kuh einge-
schlossenen Helden. Sofern der Sack, in welchen nach dem oben
angeführten Sprichwort der sündige Held eingenäht werden soll,
das Fell einer, alten Kuh oder einer schwarzen Kuh (der Nacht)
ist, kommen die Eier des Vogels Abend, wenn sich diese schwarze
^ Vgl. das Kap. über den Wolf, wo der Zwerg durch den Rachen in
den Wolf hinein- und am Schwänze wieder herauskommt.
' In einem russischen Mährchen (Afan. VI, 2) kommt, als der alte
Bauer (die alt« Sonne) aus dem Himmel in einen Sumpf (den See Nacht)
fallt, eine Ente (der Mond oder die Aurora) und macht auf seinem Kopf
ihr Nest, in welches sie ein El legt; der Bauer packt ihren Schwanz; die
Ente zappelt und zieht den Bauer aus dem Sumpf (die Sonne aus der
Nacht), und der Bauer fliegt sammt der Ente und ihrem Ei in sein Haus
zurück (den Himmel, von dem er herabgefallen). — In einer Variation
derselben Erzählung bei Afan. (beide Erzählungen gehen auf die von
Aristomenes zurück) fallt der Alte vom Himmel in den Sumpf. Ein Fuchs
setzt sieben junge Füchse auf seinen Kopf. Ein Wolf kommt, die jungen
Füchse zu fressen; der Bauer packt seinen Schwanz; der Wolf reisst ihn
mit einem Ruck heraus, beim zweiten lässt er seinen Schwanz in der Hand
des Bauern. Der Schwanz des Wolfes Nacht ist die Morgen- Aurora. —
In dem Mährchen von Elein-Dreh-Erbse (Afan. Ill, 2) kriecht der junge
Held in das Pferd, nachdem er ihm sein (schwarzes) Fell abgenommen und
es beim Schwanz gefasst hat, d. h. es wird das glänzende Pferd der Sonne.
184
Kuh auf dieselbeD setzt, nm sie auszubrüten, zu Schaden; davon
leite ich das deutsche Sprichwort ab: „Wenn sich eine Kuh auf
die Eier legt, so erwarte keine Hühner/* ^ Und als man beob-
achtete, wie die Nacht die Sonne tiberwältigt und sie den Blicken
der Menschen entzieht, fand das andere Sprichwort seine Ent-
stehung: „Die schwarze Kuh hat ihn bewältigt." ^ pje schwarze
Kuh unterdrückt nicht allein den Helden, sondern schliesst ihn
auch, wie der Wolf, in ihr eigenes Fell, ^ ihren eigenen Sack ein,
d. h. verschlingt ihn — den Sack füllen ist dasselbe wie den
Körper füllen, ebenso: den Sack leeren dasselbe wie den Körper
leeren. In dem piemontesischen Mährchen von dem Zwergkinde
(dem norwegischen Schmierbock), welches der Wolf in den Sack
einsperrt, * kommt der Zwerg aus dem Sack heraus, während der
Wolf seinen Körper entleert. Von zwei russischen Mährchen bei
Afanassieff, auf die wir in dem Kapitel über den Wolf näher
eingehen werden , zeigt uns das eine den Wolf, der den Bauer
in einen Sack steckt, und das andere den Wolf, der den Zwerg-
Helden in seinen Körper steckt; beide, Bauer wie Zwerg, retten
sich. Die beiden Variationen gingen von der Vergleichung aus,
die sich zwischen dem Körper und einem Sack bot, welche also
in der Sprache des Mythus identisch sind. Das Fell des schwar-
zen Stieres, der schwarzen Kuh, des schwarzeö oder grauen
Pferdes oder Wolfes und der Sack, der den Helden oder den
Teufel umhüllt, spielen in der indogermanischen Volkssage eine
' In dem russischen Mährchen vom dummen und faulen Emil, der
Glück hat, wird der Held in ein Fass mit der Heldin eingeschlossen und
in den See geworfen: die Sonne und die Aurora, zu Gefangenen gemacht
und zusammen eingeschlossen, durcheilen miteinander den See Nacht.
* Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexicon.
* In dem russischen Mährchen bei Afan. V, oiy tödtet der Held da»
Schlangenungeheuer, indem er mit ihm um sein eigenes Fell Hpirlt. Für
den Fall, dass er verlieren sollte, hat er sich mit sieben Ochscnfcllen und
eisernen Klauen versehen. Er verliert sieben Mal; jedes Mal glaubt das
Ungeheuer ihn in dir Gewalt zu haben, doch immer macht ihm der Held
weiss, dass das Ochsen feil sein eigenes sei. Schliesslich verliert die Schlange
und der Held zieht ihr wirklich mit seinen eiseriien Klauen das Fell ab,
worauf sie stirbt. Dem Ungeheuer den Sack oder das Fell abnehmen, das
Fell des Schlangenungeheuers, der Ziege, des Schweins, des Frosches etc.
verbrennen, den Zaubermantel oder die Zauberkappe, in welche der
Held gehüllt ist, verbrennen heisst dasselbe, wie: das Ungeheuer tödten.
* Siehe das Kapitel über den Wolf.
185
grosse Kolle. ^ Aus dem Sack des Leichenstorches (der Nacht)
kommen in einem russischen Mährchen * zwei junge Helden (die
Agvins), die üeberwinder ihrer Feinde, heraus, welche das Tisch-
tuch der Fülle (Aurora) ausbreiten, und ein Pferd, das Gold fallen
lässt (die Sonne). Der in dem Sack oder dem Kuhfell einge-
schlossene und in das Wasser geworfene Held entrinnt dem Schiff-
bruch in eben der Weise wie jene Seefahrer des Chinesischen
Meeres, die Benjamin von Tudela in seinen Reisen beschrieben
hat, und welche, wie er sagt, bei einem Schiffbruch sich dadurch
retteten, dass sie sich mit dem ganzen Fell einer Kuh oder eines
Ochsen bedeckten; denn die Adler hielten sie für wirkliche Thiere,
nahmen sie in ihre Klauen und brachten sie ans Land. Das
Schiff mit dem Bttffelfell findet sich in Volksmährchen wieder.
Es ist dies offenbar eine Erinnerung an die mythische Abstam-
mung (von welcher vielleicht später die Idee der Tortur abge-
leitet wurde, wie in dem berühmten Stier des Fhalaris, in welchem
Viele ein Symbol des Wassergottes sehen, wie in dem Stierfell,
in welches der Tetrarch Acarnides, von Memnon besiegt, eingenäht
wurde, * und wie im Mittelalter nach den Chroniken der grau-
same Herzog von Spalato, Euroia, den Präfecten Kaiser Sigis-
munds, Paulus Chuporus, in ein Ochsenfell einnähen Hess, um
sich dafür zu rächen, dass ihn jener aus Verachtung mit Brüllen
wie ein Ochse begrtisst hatte). Ebenso verhält es sich mit dem
celtischen Helden Brian, * dem vorgeblichen Narren, der auf die
Dummheit der als weise renommirten Leute spekulirt. Als einer
von diesen sogenannten Weisen, den er betrogen, vorschlägt, ihn
in einem Sack ins Wasser zu werfen, lässt er durch einen
witzigen Einfall einen Andern seinen Platz einnehmen, während
er selbst mit einer ganzen Heerde Rindvieh an das Ufer zurück-
kommt In den übrigen celtischen, slavischen, deutschen und
italienischen Variationen dieser Erzählung fängt das Glück des
vorgeblichen Narren damit an, dass er einige Münzen in das Fell
seiner todten Kuh steckt und es dann zu einem sehr hohen Preise
verkauft, indem er es fttr eine Börse ausgiebt, die, so oft sie ge-
* Für die deutsche Sage vgl. Simrock, Handbuch der deutschen
Myth. p. 199.
> Afan II, 17.
' Acarnidfs insutus pelle juvenci; Ovid, Ibis.
* Köhler, Ueber T. P. Campbell's Sammlung gälischer
Mährchen im Orient und Occident. — Vgl. Nr. 80 der Novel Un^
di San Stefano di Üalcinaia.
I
i
186
schüttelt wird, Gold giebt, während er nach einer andern Version
mittelst einer leichten Täuschung Jemandem einredet, sein Esel
oder Pferd gebe Gold und Silber, und viel Geld dafür bekommt.
Mit der Kuh hängen auch die beiden Hörner zusammen, durch
deren Blasen er seine Frau, die sich todt stellt, in's Leben zurück-
ruft ; diese Hörner weiss er seinen Brüdern oder Geführten so an-
zupreisen, dass sie, die sich selbst für ungeheuer schlau halten
und vermittelst der Hörner mit Leichen zu spekuliren denken, ^
sie ihm theuer abkaufen und anfangen die Leute todtzuschlagen,
wodurch sie sich selbst ins Unglück stürzen. Ich habe oben ge-
sagt, dass der Sack, in welchen der Held gemeiniglich gesperrt
wird, mit der Kiste identisch ist, in welche die Heldin gewöhn-
lich wegen ihrer Schönheit eingeschlossen wird, d. h. in welcher
die schöne Heldin ihren Glanz verbirgt oder in welcher die rothe
Kuh, die Abend-Aurora, mit der Sonne sich verliert. Der Inhalt
des vierzehnten schottischen Mährchens bei Campbell ist etwa
folgender: — Ein König, dessen erste Gemahlin (die Morgen-
Aurora) gestorben ist, beschliesst das Weib zu heirathen, dem
die Kleider der verstorbenen Königin gut sitzen, findet aber keine
Einzige, die sie tragen könnte, ausser seiner eigenen Tochter
(der Abend- Aurora). Sie lässt sich von ihrem Vater goldene und
silberne Gewänder und Schuhe geben (d. h. sie Erhält von ihrem
Vater, der Sonne, den Glanz der Morgen-Aurora); sie schliesst
sich mit diesen in eine Kiste und lässt sich ins Meer werfen.
Die Kiste treibt auf den Wogen umher und kommt schliesslich
ans Ufer; das schöne Mädchen tritt in den Dienst eines jungen
Königs; sie zeigt sich mit ihren glänzenden Kleidern in der
Kirche ; der junge König, der in dieser schönen Prinzessin seine
Dienerin nicht wiedererkennt, verliebt sich in sie und eilt ihr
nach; sie flieht und verliert ihren goldenen Schuh; der König
findet ihn und probirt ihn, um sie zu entdecken, jedem Mädchen-
fuss an ; Viele schneiden sich die Zehen ab , damit, der Schuh
passe, doch ein Vogel macht den Betrug offenbar; der junge
König heirathet das schöne Mädchen, das aus der Holzkiste ge-
kommen ist. Hier -haben wir nicht allein die Heldin wieder, die
entschlüpft, sondern auch die wandelnde Heldin; diese Heldin ist
die Aurora und die Aurora ist oft eine Kuh. Eine andere schnelle
Kuh rennt im Sprichwort vor dem Hasen (dem springenden
Monde) her, in der Fabel von der Ameise und der Heuschrecke,
' Köhler a. « 0,
187
von denen die erstere die Wolke oder die Nacht, oder Indra oder
die Aurora in der Wolke der Nacht, oder die Erde, ^ die letztere,
die springende, den Mond darstellt; die Ameise überholt die
Heuschrecke im Wettlauf, nicht weil sie sich schneller vorwärts
bewegt, sondern weil die beiden Läufer noth wendig einander
treffen mtlssen und deshalb der eine an dem andern vorbei muss.
Der englische Kinderreim: „Hey! diddle, diddle, the cat and the
fiddle, the cow jumped over the moon" geht auf den Mythus
von der Kuh zurück, die über den Hasen springt Als später
die Beobachtung der Himmelserscheinungen vernachlässigt wurde
und man vergass, dass die rennende Ameise oder Kuh die Wolke
oder die Sonne oder die Aurora oder die Erde, und der sprin-
gende Hase oder die Heuschrecke den Mond bedeutete, sah man
nur noch einen gewöhnlichen Wettlauf zwischen Kuh und Hasen
oder Ameise und Heuschrecke auf irdischem Boden; von dem
Mythus von den beiden Thieren, die einander im Himmel treffen
und an einander vorbeigehen, wurden nach den verschiedenen
Charakteren der Nationen oder Zeitperioden zwei Sprichwörter
abgeleitet — eins, welches das langsame und unbesonnene Thier
verspottet, das sich anraasst, das schnelle im Wettlauf zu über-
holen, und ein anderes, welches als Beweis für die Wahrheit des
Satzes dient : „Tarde sed tute", wofür man italienisch sagt : „Chi
va piano va sano et va lontano" (Wer langsam geht, geht wohl
und kommt weit). Das erste Sprichwort hat zum Vater das
griechische: „den Hasen mit einem Ochsen jagen", italienisch:
„pigliar la lepre col carro" (den Hasen mit einem Karren jagen) ; *
es bezieht sich auf Mittel, die zu dem Zweck, den man mit ihnen ^
erreichen will, in keinem Verhältniss stehen. Wenn der Hase
und die Kuh einander treffen, unterdrückt die letztere den Hasen,
' Zu der Bildung dieses Mythus von der Kuh, die über den Mond
geht, kann materiell die Beobachtung einer Mondfinsterniss beigetragen
haben, bei welcher die Kuh Erde (im Sanskrit bedeutet go sowohl Erde
wie Kuh) wirklich über den Mond pder den Hasen geht. Oder aber: die
Wolke und die Nacht, als eine schwarze Kuh, geht sehr häufig über den
Hasen oder Mond.
' Nach russischem Aberglauben bedeutet ein Hase, der zwischen den
Bädern des Wagens, in welchem ein junges Ehepaar sitzt, hindurchiäuft,
Unglück; nicht ohne Grund: der Hase ist der Mond; der Mond ist der
Beschützer der Heirathen; wenn er Hindemisse in den Weg legt, kann
die Heirath nicht glücklich sein ; folglich wurden iu Indien Hochzeiten bei
Vollmond gefeiert.
188
wenn sie genötbigt ist, ihn aufzuhalten; wie wir oben sahen, dass
sie die Vogeleier zerdrückt, statt sie auszubrüten. Die Vorstellung
von dem Ochsen, der den Hasen jagt, entstand ganz nattTrlich
aus der Vorstellung von dem Ochsen oder der Kuh, die den
Hasen tiberholt. Mit diesen Sprichwörtern lässt sich vielleicht
folgendes deutsche zusammenstellen: „Nicht Alle, die Hörner
blasen, jagen Hasen", das seine Spitze gegen die Leute kehrt,
welche auf leichtem Wege, wie durch das Blasen eines Homes,
ein schwieriges Unternehmen, wie das Jagen eines Hasen, aus-
ftlhren zu können glauben; ebenso wie man in Deutschland sagt,
dass nicht alle Donnerwolken Regen geben, und: „die Kuh muss
mehr als brüllen, um viel Milch zu haben" oder: „die Kuh, die
viel brüllt, giebt nicht die meiste Milch." In der That: eine
Kuh, die viel brüllt, ist nicht gesund, noch auch kann sie wäh-
rend des Brüllens fressen und Milch geben ; so kann der, der sich
mit dem Blasen des Horns quält, nicht zugleich hinter dem Hasen
herrennen, wie das italienische Sprichwort sagt: „II can che ab-
baia non morde" („die Hunde, die bellen, beissen nicht"), aus
dem einfachen Grunde, weil er, während er den Mund öfifeet, um
zu bellen, nicht beissen kann. Andrerseits ist die Henne, welche
gackert, die, welche Eier legt, weil das Gackern mit dem Munde
der Operation des Eierlegens durchaus nicht im Wege steht; es
liegt hier keine Collision der Pflichten vor.
Das deutsche Sprichwort „Wie eine blinde Kuh eine Erbse
findet" wird jetzt zur Bezeichnung einer Unmöglichkeit ange-
wendet; und doch findet in dem Mythus die blinde Kuh (oder die
Nacht) wirklich die Erbse oder Bohne (den Mond), welche in
jeder Hinsicht identisch sind. Die Nacht ist den Todten geweiht;
für die Todten sind essbare Vegetabilien — Bohnen, Wicken, Erbsen
und Kohl — lunarische Symbole der Auferstehung und Fülle. In
dem neunten Mährchen des vierten Buches bei Afanassieff
isst die Tochter des alten Mannes und der alten Frau Bohnen?
eine Bohne fallt auf die Erde und wächst zum Himmel auf; an
dieser Bohne klettert der Alte (die Sonne) zum Himmel hinauf
und sieht Alles. In den zahlreichen Mährchen, in welchen der
junge Held eine Kuh oder ein Kuhfell verkauft, finden wir fast
immer einen Topf voll Bohnen, von denen er den Leuten glauben
macht, dass sie sich selbst kochen können, während er sie erst
gekocht und sie dann mit Asche (der Finstemiss) bedeckt über
das Feuer gestellt hat; dieser Topf ist der Mond. Die Erzählungen
von dem Topf, welcher der Hausmutter gehört, im Mahäbha-
189
rata; und welchen der Gott Kfiscbna, den sie gastfreundlich
aufgenommen, wieder mit Bohnen füllt, und von dem Herrn, der
in einer noch unedirten piemontesischen Legende, als armer
alter Mann verkleidet, Kieselsteine in den Kessel der tronimen
Wittwe wirft, die, kaum hineingeworfen, Bohnen werden, invol-
viren denselben Mythus. Ebenso, glaube ich, ist ganz offenbar
die Bohne mit der FrHcht der trüchte gemeint, welche nach dem
Mahäbhärata der dankbare Mann als Entgelt für die kleine
schwarze Kuh (krishnadhenukä) erhält, die er dem Priester
gegeben.* In dem englischen Feenmährchcn: „Jack und die
Bohnenstange'^ tauscht Jack für seine Kuh einige Bohnen ein;
seine Mutter (die blinde Kuh) streut die Bohnen aus; eine schlägt
Wurzel und wächst bis zum Himmel auf. * Vermittelst der
schwarzen, der blinden oder Trauerkuh, der Kuh Aurora, die
während der Nacht schwarz oder blind wird, findet der Held die
Bohne oder Erbse der Fülle (den Mond), vermittelst deren er am
Morgen wieder sehend und reich wird.
Wir sahen statt eines schwarzen Kuhfells einen Sack zur Be-
zeichnung der Nacht verwandt; in ähnlicher Weise haben wir
statt dieses Kubfells (das der Held verkaufen geht), wie auch
der Erbse oder Bohne, den Topf — ■ der arme Held findet den Mond.
Das slavische Mährchen von dem Töpfer, der reich wird, und das
von dem Bruder, den man für dumm hält, der aber seinen Topf,
in welchem die Bohnen ohne Feuer kochen, um einen hohen Preis
verkauft, sind Variationen desselben Themas. In einem russischen
Mährchen bei Afanassieff^ nimmt der Krug die Stelle des
Topfes ein, der seinen Besitzer reich macht. Der arme Bruder
zieht ihn aus dem Wasser; aus dem zerbrochenen Kruge kommt
eine Ente, welche den einen Tag goldene, den andern silberne
Eier legt — die Sonne und der Mond (am Morgen brütet die
Aurora den goldenen Tag aus, am Abend die silberne Nacht).
■ Phaläiiäm phalam a^noti tadä dattva; Mahabh. III, 13, 423.
* In der deutschen Sage von König Volkmar (bei Simrock a. a. O. p.
451) finden wir die Erbsen in der Asche. In der siebenten der Contes
Merveilieux von Porchat haben wir den Topf, in welchem der Kohl
gekocht wird und aus dem Geld und Rcpphühner herauskommen. In der
sechsten derselben Contes Merv. sieht der mugierige Junge ein Nest
auf einer Ulme und möchte gern hinaufklettern ; doch er findet kein Ende;
der Baum reicht bis nahe an den Uimmcl. Auf dem Wipfel der Ulme
befindet sich ein Nest, aus welchem ein schönes Mädchen mit herrlichen
Haaren (der Mond) herauskommt.
» 1,53.
190
Wir haben noch die Sprichwörter von der lachenden und der
spinnenden Kuh zu erklären. Die lachende Aurora (nachdem sie
während der Nacht die Prinzessin gespielt hat. die nie lacht) und
die spinnende Aurora (verwandt mit dem Mond, der Kuh, die mit
ihren Hörnern spinnt) sind uns schon bekannt. Die Aurora lacht
am Morgen im Himmel beim Anblick ihres Gemahls; so lacht in
einer zahlreichen Reihe von slavischen, deutschen und italienischen
Mährchen die Prinzessin, die nie lacht, als sie ihren ihr vorher-
bestimmten Gatten sieht. * Das Sprichwort von der Kuh , die
lacht, hängt mit dem von der Kuh, die spricht, zusammen; viel-
leicht deshalb bringen Stiere und Kühe (und andere Thiere), die
sprechen und mit einander Höflichkeiten austauschen, in einem
ganzen Cyclus von indogermanischen Mährchen, welche höchst
gelehrt von Benfey im Orient undOccide.nt unter dem' Titel :
„Ein Mährchen von den Thiersprachen" besprochen worden sind,
immer den Manu, der sie versteht und indiscreter Weise ihre
Unterhaltung belauscht, zum Lachen. Als jedoch der Mann aus-
geplaudert, was die Stiere oder Kühe (oder anderen Thiere) zu
einander gesagt haben, stürzt er sich selbst ins Verderben: die
Sprache und das innere Leben der Thiere dürfen nicht aller Welt
mitgetheilt werden; sind sie überall bekannt, so Ist das ein
schlimmes Vorzeichen. Was die Prinzessin des russischen Mähr-
chens zum Lachen bringt, ist der Anblick der Höflichkeit, welche
die Thiere, als ob sie Menschen wären, dem aus dem Sumpfe ge-
zogenen Manne erweisen; was den Mann, der die Thiersprache
versteht, lachen macht, ist der Anblick ihres Verhaltens zu einan-
der und ihrer Unterredung, die genau so sind wie bei Menschen
unter ähnlichen Verhältnissen. Dieses Geheimniss verrathen heisst
' In dem Mährchen bei Afan. VI, 58 fallt der ehrsame Handwerks-
mann, als er seine Augen auf die Prinzessin, die nie lacht, heften wiU, in
einen Sumpf; der Fisch, der Käfer und die Maus reinigen ihn wieder, aus
Dankbarkeit; darauf lacht die Prinzessin zum ersten Mal und heiratfaet
den ehrsamen Arbeitsmann. In der fünfundzwanzigsten der Novelline
di San Stefano findet sich etwas Analog« s; doch reicht das nicht hi^,
die Prinzessin zum Lachen zu bringen; die Adler, die Alles, was sie be-
rühren, nach sich ziehen, sind es, die das Wunder vollbringen, der Tochter
der Königin ein Lachen abzugewinnen. In der dritten Erzählung des
Pentamerone lacht die Prinzessin, als sie Pervonto von dem Bündel
Holz fortgetragen sieht, statt dass er es trägt. *Die russischen Mährchen
von den Enten, die den Heiden retten, bei Afan. VI, 17—19, und dem
treulosen Weibe und seinem Liebhaber, die zusammengebunden werden,
sind Variationen der Adler des toscanischen Mährchens.
191
sich den Tod wttnachen. Kein Mensch darf wissen, was aer Stier
heimlich zur Kuh, was Soi zu seiner Gebieterin gesagt, was der
König der Königin ins Ohr geflüstert hat. Wer die Geheimnisse
der Venus verletzt, ist des Hochverraths schuldig und verdient
Todesstrafe oder bringt wenigstens Unglück auf sein eigen
Haupt Wehe der Heldin, wenn der in einem Thierfell verborgene
Held wegen einer kleinen Indiscretion, oder weil sie zu ihren
Schwestern geplaudert, sich nackt in seiner Menschengestalt zeigt ;
sie verliert ihn und ihre Trennung ist unvermeidlich.
Wir sind schon mit der Wolkenkuh und dem Wolkenstier
bekannt; die Wolke donnert, der Stier brüllt und spricht. Die
Wolken (vedisch gnä devapatni, gnä devi^), die Göttin-
nen oder göttlichen und wissenden Weiber, die Fee-Göttinnen
(Frauen mit ihren Vorahnungen, die Frauen, die mehr als der
Teufel wissen), sind auch prophetische Kühe; diese Kühe sprechen
in ihrem Charakter als Feen mit, menschlicher Stimme, und
ebenso die Wolkenstiere. Daher konnten die Römer einen Ochsen,
der mit Menschenstimme sprach, als ein Angurium betrachten.
Man hat behauptet, dass es ein unglückliches Omen war, doch
ist das ein Irrthum. Nach Livius setzte unter dem Consulate des
Cn. Domitius und L. Qüintius ein Ochse Kom in Schrecken durch
die Worte: Cave tibi, Roma. Diese Worte scheinen eine
schlimme Bedeutung zu haben, sind jedoch in Wirklichkeit nichts
weiter als ein freundschaftlicher Rath oder eine Mahnung, die
so viel sagen will als : Achte auf deine ländlichen Beschäftigungen,
0 Rom ! der Donner hat sich hören lassen , der den Sommer ver-
kündet. Wenn wir in dem fünften Buche von Plinius' Historia
Naturalis lesen, dass sich der römische Senat, wenn man er-
fuhr, dass ein Ochse mit menschlicher Stimme gesprochen hätte,
unter freiem Himmel — sub dio .— zu versammeln pflegte, so
sehe ich in dieser Anspielung und in dieser Handlungsweise des
Senats nur den Ausdruck des Gedankens, dass das Hören des
Donners (d. h. des Ochsen, der spricht) ein Zeichen des Sommers
ist und wir aufs Land geben und unter freiem Himmel schlafen
können. Wenn endlich nach Eusebius ein Ochse sagte, dass bei
dem Tode Cäsars (der bekanntlich an den Iden des März statt-
hatte, d. h. im Beginn des Frühlings) mehr Getreidehalme als
Menschen sein würden, so sehe ich auch darin eine ganz augen-
fällige Verkündigung des nahenden Sommers, in welchem Men-
« Rigv. V, 46, ö; V, 43, 6; I, 61, 8.
192
gehen oder Schoitter gewiss nie zn zahlreich und sogar rar sind,
wenn die Ernte gross ist Der Ochse mit der Menschenstimme^
der die nahe Ankunft des Sommers kund macht, entspricht dem
Kukuk, dessen Rolle in der Sagenwelt wir ein eigenes Kapitel
widmen werden. Vor der Hand führen wir, um unsere Identi-
ticirung zu stützen, hier den fast sprichwörtlich gewordenen Vers
Theocrits an: Weiber wissen Alles, selbst wie Zeus die Hera
heirathete (oder was der König der Königin ins Ohr sagte). Zeus,
in einen Kukuk verwandelt, flog auf den Berg und Hess sich auf
den Schoss der Hera nieder, welche ihn, um ihn vor der Kälte
zu schützen, mit ihrem Gewände bedeckte. Der Kukuk, oder
Zeus, verschwindet bald nachdem er gesprochen, d. h. die Sommer-
liebe der Öonne verkündet hat. Nach Johanni zeigt sich der
Kukuk, der im März erscheint, nicht mehr; so büsst der Ochse,
bald nachdem er gesprochen und die Liebe des Zeus verrathen
oder bald nachdem die Wolke gedonnert hat, der Ochse, der die
geheime Liebe der Sonne in dem mit Wolken bedeckten Himmel
oder die vertraulichen Gespräche und den verstohlenen Liebes-
wechsel der Thiere enthüllt, diese seine Indiscretion mit dem
Tode. Wie die Aurora in den vedischen Hymnen durch ein Mäd-
chen dargestellt wird, das nicht lacht und nur lächelt, als es den
Gatten sieht,' so wird der Blitz, der die Wolken zerreisst und
dem Donner vorhergeht, mit dem Lachen eines Ochsen oder einer
Kuh oder auch des Mannes, der ihre Liebe gesehn, verglichen.
So lange als der Himmel nur blitzt oder blos lächelt,^ giebt es
kein Unglück. Niemand kann bis dahin wissen, warum der Ochse
oder die Kuh, der Held oder die Heldin, oder die dritte Person,
welche zusieht, lacht; doch als der Held oder die Heldin spricht
und den Gedanken oder das Sonderbare, was sie oder ihn zum
> In den Nibelungen grüsst Knaihilt, ,,diu nie gruozte recken^S
zum ersten Mal den jungen Sifrit, den siegreichen und vorbestiinmten Hei-
den, und als sie ihn grüsst, „do erzunde sich sin varwe^^
* Du Gange s. v. Ab ocellus: Auctor Spicil. Dnemonolat narrat de
quodam chcco vaccarum custode, quod ».colores et staturam vaccarum sin-
gularium specialiter discerneret**, qua facultate, „quam daemonum ministe-
rio habuerat", suseepto confirmationis sacramento privatus est. Der blinde
Held, welcher sieht, welcher seine Kühe von einander unterscheidet, ist
die Sonne in der Wolke. Kaum hat er die Firmelung (eine zweite Taufe)
erhalten, als er aufhört, seine Kühe zu sehen, aus dem einfachen Grunde,
weil die Wolken in Regen aufgelöst sind oder weil er selbst sein Geheim-
niss verrathen hat.
« ■
193
Lachen bringt, yerräth, ist der Tod die Strafe der Indiscretion;
die Donnerwoike wird sogleich in Kegen aufgelöst. Auch wird
meine Identificirung der Wolke, die blitzt (mit Unterscheidung
zwischen dem Blitz und dem Donnerkeil), mit der lächelnden Kuh
oder dem Ochsen oder dem Mann, der die Sprache der Thiere
versteht und, als er ihre Vertraulichkeiten sieht, lacht, nicht ge-
zwungen erscheinen, weon wir bedenken, dass unsere Sprache
die metaphorischen Ausdrücke: ein Freudenstrahl, ein Blitz der
Freude bewahrt hat, um ein Lächeln zu bezeichnen, von welchem
wir sagen : es erglänzt, leuchtet oder blitzt. Blitz ist das Lächeln
der Wolke; Mond und Aurora sind das Lächeln der Nacht, der
laohende Fisch und die lachende Prinzessin. In dem neunten
Mährchen des dritten Buches bei Afanassieff treffen wir einen
Fisch, der dem Beschauer ins Gesicht lacht (die Wolke, die blitzt,
und auch der Mond, der aus dem Ocean der Nacht hervorkommt)
und für welchen um dieser wunderbai'en Eigenheit willen der
arme Mann (die Sonne in der Wolke oder in der Nacht) von
einem reichen Herrn eine ausserordentlich hohe Summe, ja sogar
seinen ganzen Reichthum erhält — d. h. der arme Mann tritt an
die Stelle des reichen Herrn; die glänzende Sonne nimmt den
Platz der in der Wolke oder in der Dunkelheit versteckten Sonne
ein. In einem indischen Mährchen (Somadeva I, 5) lacht ein
Fisch, als er in des Königs Zimmer als Weiber verkleidete Män-
ner sieht Im Tu ti- Name (U, 21) lachen die Fische, als
sie die Prüderie einer Buhlerin sehn. Damit hängt auch die La-
fontainesche Fabel: „Le Rieur et les Poissons" (VIII, 8) zusam-
men. In der Sage von Merlin lacht der Zauberer ebenfalls, weil
das Weib Julius Caesars mit zwölf als Weiber verkleideten
Helden lebt und weil sich dieser selbst von Grisandole, einer als
Ritter verkleideten Prinzessin, hat fangen lassen. ^ .
Der Fisch ist ein Symbol des Phallus (im neapolitanischen
Dialekt ist pesce, Fisch, der Phallus selbst, im Sanskrit hat der
Liebesgott unter Anderm den Namen makaradhvaga, d. h. der
den Fisch zum Emblem hat). Der Fisch, welcher lacht, weil er
der Zuschauer beim verbotenen Liebesgenuss gewesen, ist der
Phallus selbst in gaudio Veneris. Der Donnerkeil Indras ist
sein Phallus, der die Wolke bricht Bei Ovid ^ haben wir Jupiter,
' VgL die Abhandlung über Merlin von Liebrecht und Benfey im
Orient und Occident.
« Fasti ni, 839.
OabeniAils, die Thiere. |3
194
der dem Numa in Räthseln die Mittel zeigte den Donnerkeil ^u
bilden ;
„Caede caput, dixit, cui rex, Parebirous, inquit,
Caedenda est hortis eruta cepa meis.
Addidit hie, Hominis : Summos, ait ille, capillos*
Postulat hie animam: cui Numa, Piseis, ait.
Hisit; et His, inquit, facito mea tela procures,
0 vir colloquio non abigende meo/^
Per Scherz mit dem Äprilfisch (le poisson d'Avril), mit dem
sich 80 viele unsrer Damen so geistreich amtisiren, bat eine etwas
anrüchige phallische Bedeutung. ^ Die Fische des Zodiakus sind
Zwillinge ; ein männlicher und ein weiblicher ^ die zusammen-
gebunden sind ; sie sind von Eros (Amor) und Aphrodite (Venus)
geboren. Im Adiparva des Mahäbhärata lesen wir von einem
Fisch, der den Samen eines Mannes verschlingt, und voi> einem
Mädchen, das, als es ihn gegessen, ein Kind. zur Welt bringt.
Derselbe Mythus kommt auch in den Volksmährchen des
Westens vor.
Noch bleibt die Kuh, welche spinnt, zu erklären. Wir sahen
schon, dass die Kuh mit ihren Hörnern für das Mädchen spinnt;
diese Kuh ist gewöhnlich der Mond, welcher während der Nacht
Gold und Silber spinnt. Der Aurora wird von ihrer Stiefmutter,
der Nacht, befohlen, sowohl die Kuh (den Mond) zu weiden, als
zu spinnen. Passt die Kuhmagd auf ihre Kuh auf und behütet
sie dieselbe wohl, so wird sie nur wenig spinnen können; daher
hat das deutsche Sprichwort recht, das sagt: soll die Kuhmagd
spinnen, wird man wenig Garn gewinnen. Die gute Kuhhüterin
zieht es vor, ihre Kuh gut in Acht zu nehmen, und erweist ihr
jede Aufmerksamkeit, damit sie eine gute Weide finde; darauf
steckt die dankbare Kuh (der Mond) Gold und Silber auf ihre
Homer, um fttr das Mädchen zu spinnen. ^ Am Morgen erscheint
das Mädchen auf dem Berge mit dem Gold- und Silbergarn, mit
den goldenen und silbernen Gewändern , die ihm die gute Fee
4
* Vgl. das Kapitel über die Fische ; dort wird auch die Sitte, am Frei-
tag (died Veneris) Fische zu essen, erklärt.
'In der ersten der Novelline di Sto Stefano di Calcinaia
sagt die Kuhmagd zu ihrer Kuh: „Kuh, meine Kuh, spinn' mit Deinem
Mund und drehe mit Deinen Hörnern; ich will Dir ein Bündel grüne
Aeste zurcchtmachon."
195
oder die gute Kuh gegeben. ^ und als die Alte die Kuh tödtet,
nimmt das Mädchen ihre Knochen und sät sie in dem Garten;
statt der Kuh, wächst aber ein Apfelbaum mit goldenen und
silbernen Aepfeln, von denen das Mädchen einen einem jungen
Prinzen anbietet und so zu einem Mann kommt; während böse
Weiber von dem Apfelbaum geschlagen werden oder sich durch
Hörner entstellt finden. Dieses Apfelmährchen ist eine Variation
von dem Stern, der auf dem Berge auf die Stirn des guten Mäd-
chens fällt, und von den Hörnern oder dem Eselsschwanz, die der
schlechten Schwester, welche die Kuh schlecht behandelt oder der
Madonna den Kopf schlecht gekämmt hat, auf der Stirn wachsen.
Das Mährchen von dem guten Mädchen und dem bösen, dem
schönen und dem hässlichcn, schliesst damit, dass die hässliche
und böse den Platz der schönen und guten auf dem Lager ihres
Gemahls einnehmen will, gerade wie in anderen Mährchen eine
schwarze Wasserfrau die schöne Prinzessin verdrängen will; die-
ser Schluss föhrt uns auf die interessante Erzählung von der
spinnenden Berta oder Königin Berta, wie sie genannt wird.
In der deutschen Mythologie haben wir die glänzende Berchta,
welche spinnt, im Gegensatz zu der finsteren und wilden Holda
am Brunnen (dem Wasserweibe der Feenmährchen). Die erstere
scheint (ausser dem Monde als einer weissen Frau, in seiner
Glanzzeit, der silbernen Nacht) die Aurora, der Frühling oder die
glänzende Gestalt des Himmels zu sein; die letztere (ausser dem
Monde in seiner finstern Periode, Proserpina oder Persephone in
der Hölle) die schwarze Nacht, der Winter, die alte Hexe. * Der-
selbe Name wird den mannigfaltigen Erscheinungen des finsteren
Himmels gegeben, ganz so wie verschiedene Erscheinungen des
glänzenden Himmels einen entgegengesetzten Namen führen. So
liegen in der Erzählung von Berta oder Berchta Mytben, die sich
auf Sonne und Mond, auf Jahr und Tag beziehen.
' Das Mädchen spinnt für seine Stiefmutter; die Fee giebt dem Mäd-
chen glänzende Gewänder; das Mädchen webt Gewänder für seineu Ge-
mahl: das sind lauter Einzelheiten, die in Eins verschmolzen werden. In
den Nibelungen fertigen die Jungfrauen Gewänder von Gold imd
Perlen für den jungen Helden Sifrit.
* Holda oder Frau Holle wird jedes Jahr am Epiphaniastage in Thü-
ringen verbrannt, an welchem Tage (oder vielleicht besser: in der
Berchtennacht oder Bertas Nacht, der vorhergehenden Nacht) die gute
Fee die böse vertreibt. Auch in England wird die Hexe am Epiphanias-
tage verbrannt. — Vgl. Reinsberg v. Düringsfeld, Das festliche Jahr
p. 19.
13*
1
196
Berta spinnt , wie die Enh der Feenmährchen , Silber nnd
Gold. Somit bedeutet der italienische Ausdruck: die Zeit, wo
Berta spann, ist vorbei, ^ dass das goldene Zeitalter, die Zeit, in
der Gold in Ueberfluss zu haben war, vorbei ist. Und statt die-
ses Ausdruckes bedient man sich in Italien auch noch eines an-
dern, um ein Ereigniss zu bezeichnen, das in sehr alte Zeit,
eine weit vor Menschengedenken liegende Zeit fällt, nämlich : zu
Zeiten des Königs Pipin. Da Königin Berta das Weib Pipins
war, so stimmt natürlich die Zeit dieses Königs mit der fabel-
haften Aera seiner Gemahlin fiberein, welche letztere vielmehr die
Mutter des Sagenhelden Karls des Grossen, der nach Tnrpins
Chronik lange Füsse hatte, und seines alter ego Orlando, als
des historischen Königs Karls des Grossen war (eine neue und
glänzende mittelalterliche Erscheinungsform der Zwillingshelden).
Berta hat einen grossen Fuss, wie die Göttin Freya, die
deutsche Venus, welche SchwanenfUsse hat Dieser grosse Fuss
ist es, der sie von andern Weibern unterscheidet und ihren Ge-
mahl in Stand setzt, sie wiederzuerkennen ,• ebenso wie es der
Fuss oder die Fnssspur ist (die Sonne folgt dem von der Aurora
eingeschlagenen Wege), welche die flüchtige Jungfrau verräth,
nämlich die Aurora mit dem ungeheuren Wagen (dem ungeheuer
breiten Wagen, der, wenn er über den Hasen geht, ihn zerdrücken
kann. Frau Stempe und Frau Trempe und die grossfttssige
Berta sind dieselbe Person) — ungeheuer, weil sie eine weite
Strecke am Himmel einnimmt, wenn sie erscheint. Auf dem
Wagen stehend, scheint sie keine Füsse zu haben oder nur einen
sehr kleinen, einen unmerklichen Fuss ; doch der Wagen, auf dem
sie steht und welcher ihren Fuss darstellt, ist um so grösser;
wenn wir also den Wagen ausser Spiel lassen und annehmen^
dass sie zu Fusse geht, so passt der in dem Mythus von Freya
und der Bertasage ihr gegebene Schwanen-, Gänse- oder Enten-
fuss ganz vortrefflich zu ihr, sofern sie beim Gehen viel Raum
einnimmt. Und wenn wir sehen, dass der Fuss (die Mythen
sprechen fast immer nur von einem Fuss; sogar der Teufel ist
lahm oder hat nur einen Fuss) und der Schwanz eines Tbieres
in der Mythologie oft für einander gesetzt werden, so können wir
verstehn, wie in einem russischen Mährchen* der Held, der in
* Im Pentameron I, 9 lesen wir: „Passaie lo tiempo che Berta filava;
ma hanno apierto Thaoc^e li gattiUe.
» Afan. VI, 2.
197
einen Morast gefallen ist; sich selbst befreien bonnte, indem er
sich an den Schwanz einer Ente anklammerte. Da diese Ente
die Aurora ist and einen weiten ^ sich ausbreitenden Schwanz^
wie einen grossen Fuss hat, so kann sich der Sonnenheld oder
die Sonne 9 indem er sich an ihr festhält , leicht aus dem Sumpf
Nacht erheben. Es giebt ein deutsches Mährchen; ^ in welchem
die weisse Frau oder Berta in eine Ente verwandelt wird. In
einer andern deutschen Sage ^ haben wir statt der schwanfOssigen
Berta die Jungfrau Maria (welche, als Jungfrau^ die jungfräuliche
Aurora darstellt, immer rein, selbst nachdem sie der Sonne das
Leben gegeben hat, gleich der Eunti des Mahäbhärata, welche
den Karna zur Welt bringt^ das Eind der Sonne, und doch noch
eine Jungfrau ist Andrerseits personificirt sie gewöhnlich als
gute alte Frau, als Madonna in den Legenden den Mond), die in
der Gestalt eines Schwanes kommt, den jungen Helden, den sie
beschützt, aus der Gefangenschaft der Ungläubigen (Saracenen
oder Türken, hier der schwarzen Dämonen oder der Dunkelheit
der Nacht) zu befreien und zu Wasser wie zu Lande zu entführen
(die Aurora befreit die Sonne aus der Nacht). ' Dieselbe glän-
,zende Berta nimmt auch in der deutschen Volkssage die Gestalt
der heiligen Lucia an, d. h. der Heiligen, welche, als sie geblendet
worden, die Patronin der Sehkraft wurde. Von der blinden oder
' Vgl. Simrock, a. a.0.p. 409 und die neunte der Novelline di Sto
Stefano di Calcinaia, in welcher das als altes Weib verkleidete Mäd-
chen ton den Gänsen entdeckt wird, als sie das Gewand eines alten Wei-
bes ablegt.
' Simrock, a. a. 0. p. 410.
* Anch Wuotan rettet den jungen Helden, den er beschützt, auf einem
Mantel; — es ist das der fliegende Teppich, Mantel, Hut oder Rappe,
welche den Träger unsichtbar macht und um welche die drei Brüder
stritten, die auch als ein Tischtuch, das sich selbst ausbreitet, dargestellt
wurde. So findet der arme Mann, der sein Euhfell verkaufen geht, den
Topf der Fülle und des Reichthums. Der Streit um das Tischtuch ist
derselbe wie der um den Reichthum, um die schöne Prinzessin, welche
später -getheilt oder auch von einem Vogel oder einer vierten Person, die
den Lowenantheil nimmt, entfuhrt wird. Wir dürfen nicht die Fabel von
den Thieren vergesseu, die den Hirsch unter sich theilen wollen, von dem
der Lowe Alles nimmt, weil er Löwe heisst In den Nibelungen
streiten Schilbung und Nibeluug mit einander um die Theilung eines
Schatzes; sie bitten Sifrit ihn zu theilen; Sifrit löst die Frage, indem er
sie beide tödtet und sich den Schatz selbst nimmt, wie auch die Kappe,
die ihren Träger unsichtbar macht (Tarnkappe).
198
schwarzen Kuh Nacht wird die glänzende Kuh Morgen geboren^ die
Aurora; welche selbst Alles sieht und uns Alles sehen lässt. Aus
demselben Grunde, aus welchem die Kuh oder Ente, Berta, der
heiligen Lucia geweiht ist, deren Gestalt sie annimmt, ist der
Stier (die Sonne) dem hlgen. Lukas geweiht, dessen Fest deshalb
in Charlton bei London mit einer Hornmesse oder Ausstellung
von, gewöhnlich geschmückten und parfUmirten Hörnern gefeiert
wird.
In der oben angeführten indischen Erzählung des Mahä-
bhärata will die Königin nicht bei dem alten blinden Mann
schlafen, sondern schickt ihre Dienerin. In den Reali di
Francia wird König Pipin von seinen Baronen aufgefordert,
ein Weib zu nehmen, als er „schon hoch in Jahren ist" (er ist
eine Erscheinungsform des hlgen. Joseph). Die Barone suchen
nach einem Weibe und finden in Ungarn Berta, die Tochter Kö-
nig Philipps, „die schönste und schlauste ßitterfrau," oder Berta
mit dem gi*ossen Fuss auf einem schönen und stattlichen Ross,
das die Strasse dahersprengt , während sie immer lacht. Berta
hat eine Magd Namens Elisabeth, die ihr in Allem, ausge-
nommen den Füssen, gleicht. König Pipin vermählt sich mit
ihr; als jedoch Berta sieht, dass er so unansehnlich ist, wird sie
traurig, „als ob sie vor seinem Alter gewarnt wäre." Als der
Abend herankommt, legt sie ihre königlichen Gewänder ab und
Elisabeth an, damit diese ihren Platz einnehme und bei dem
König schlafe.^ Daher die italienischen Sprichwörter: Dar la
' Der Roman von Berta in den Reali di Francia stimmt in seinem
Fortgange mit den Volksmährchen analogen Charakters überein; das
falsche Weib läset üich wirklich von König Pipin heirathen und schickt
Berta zur Ermordung in den Wald; die gedungenen Mörder haben Mit-
leid mit ihr und lassen ihr das Leben. In dem Walde an einen Baum
gebunden (gleich der vedischen Kuh), wird Berta von einem Jäger ge-
funden; aus Dankbarkeit arbeilet sie (spinnt und webt ohne Zweifel), da-
mit der Jäger ihre Arbeit in Paris um einen hohen Preis verkaufe. Unter-
dessen träumen ihr Vater und ihre Mutter, dass sie von Bären und Wölfen
umgeben ist, welche sie zu verschlingen drohen, und dass, als sie sich des-
halb in das Wasser stürzen will, ein Fischer sie rettet (im Traum hat das
Wasser die Stelle des Waldes und der Fischer die des Jägers eingenom-
men). König Pipin geht in den Wald, findet sie, erkennt sie wieder und
heirathet sie, während Elisabeth lebendig verbrannt wird. Die Vertauschang
der Weiber kommt auch in einer reizenden Form (mit einer Variation der
Episode von der in den Brunnen geworfenen Schönen) in der zwölften der
Contes Merveilleux Porchats (Paris 1863) vor.
199
Berta" (die Berta geben) und „Pigliar la Berta" (die Berta greifen),
in der Bedeutung: verspotten und verspottet werden. Doch sagt
man auch statt des ersteren: ;,Dar la madre d'Orlando'^ (die
Mutter Orlandos geben). Die Reali di Francia berichten uns,
dass König Pipin von Elisabeth zwei bö^e Bastards, Lanfroi und
Olderigi, von Berta Karl den Grossen und eine andere Berta, die
Mutter Orlandos hatte; jedoch steht das italienische Sprichwort
der mythischen Wahrheit vielleicht näher, wenn es in Pipins Weib
selbst die Mutter Orlandos erkennt, so dass Karl der Grosse und
Orlando Brüder sind ; und wirklich verrichten sie auch mehre Tbaten,
welche in der Sage von den beiden Brüdern erwähnt werden. In der
sogenannten Chronik Turpins ^ sagt Karl der Grosse, als Orlando
stirbt, dass Orlando sein rechter Arm war und er nichts weiter
auf der Erde ohne ihn zu suchen hat; doch lebt er lange genug,
den Tod Orlandos zu rächen, und nach dieser Bache erreicht das
Heldenleben Karls des Grossen mit einem Mal sein Ende. In dem
Chanson de Boland fühlt Karl der Grosse ebenfalls nach
dem Tode seines Helden, den er rächt, die Last des Lebens,
weint und rauft seinen Bart, unfähig, diese Einsamkeit zu ertragen ;
doch im Chanson, wie in den Reali di Francia erscheint
Orlando deutlich als der Neffe Karls des Grossen, d. h. als der
Sohn seiner Schwester Berta. (Wie die vedische Aurora bald die
Mutter, bald die Schwester der Sonne und der Agvins war, so
kann Berta mythisch Mutter oder Schwester Karls des Grossen
und dabei doch immer die Mutter Orlandos sein).
Es würde eine endlose Arbeit sein, alle deutschen, skandi-
navischen und celtischen Sagen zu sammeln, welche auf eine oder
die andere Weise mit 4em Mythus von der Kuh und dem Stier
in Verbindung stehn. Die auf dieses Thema bezügliche Literatur
zählt nicht nach Hunderten, sondern nach Tausenden von Bänden,
von denen einige, wie z. B. das Nibelungenlied und die Ge-
dichte von der Tafelrunde, an sich schon fast die gesammte,
so unendlich mannigfaltige Welt der Feenmährchen im Reime
umschliessen. Ich mnss mich also auf die Andeutung der allge-
meineren Züge beschränken und es fleissigeren Forschern über-
lassen, die Vergleichungspunkte im Einzelnen und Genaueren auf-
* Uistoire de la Vie de Charlemagne et de Roland par Jean
Turpin, traduction de Alex, de Saint- Albin, Paris 1865, vorher das Chan-
son de Roland Th^rouldes. — Vgl. die HistoirePoätique de Char-
lemagne, par Gaston Paris.
200
zustellen. Ich schätze mich, ich wiederhole es, glttcklich, wenn
meine kurzen Bemerkungen deutlich geüjxg gefunden werden, um
Andern die Mühe zu sparen, den Aufzug des Gewebes au&a-
stellen, dessen Einschlag die Vergleichungen bilden.
Aus dem bisher Gesagten dürften zwei wesentliche Einzel-
punkte sich als klar herausgestellt haben: — erstens, dass die
Verehrung des Stieres und der Kuh weit verbreitet war, sogar
bei nordischen Nationen ; ^ zweitens , dass der mythische Stier
und die mythische Kuh leicht in Held und Heldin umgestaltet
wurden.
Der heilige Charakter, welcher der Kuh und dem Stier bei-
gelegt wurde, wird femer zur Evidenz erwiesen durch ein skan-
dinavisches Lied, in welchem bei Gelegenheit der Hochzeit der
Thiere (zwischen Raben und Kranich) das Kalb (vielleicht der
Stier) als Priester erscheint und einen schönen Text liest. ' Als
ein Symbol der Zeugungskraft ist der Stier am besten geeignet,
die Neuvermählten einzuweihn; so fahrt im Atharvaveda der
Priester die Unerfahrenen durch Pormehi ad hoc in die My-
sterien der Venus ein ; so besassen im mittelalterlichen Indien die
Brahmanen das jus primae noctis, und so finden wir in dem
Ritual des mittelalterlichen Frankreichs noch Bezeichnungen des
Priesters als pronubus. Der schöne Text, den das Kalb oder
der Stier in dem skandinavischen Liede hersagt, muss derselbe
sein, welchen, nach dem von Villemarquä erwähnten Ceremonial,
der Priester, während er sie mit Weihrauch bestreute, den Neu-
vermählten sedentes vel jacentes in lectulo suohersagte;'
so ist es in einer lateinischen Beispielsammlung (vermuthlich von
einem englischen Mönche des 12. Jahrhundert verf.), als der Wolf
' Liebrecht bemerkt in seiner Recension in der Academy zu dieser
Stelle: Gubematis' proof of this, which is mostly theoretical, has
received striking confirmation from facts given in Holmboe's Trewtise
,,0m Civaisme i Europa^* (in Vid. Selskabets Forhandlinger for 1866,
pp. 188—220, Christiania).
* Uhland, Schriften zur Geschichte derDichtung und Sage
m, 77.
' „Seigneur, bänissez ce lit et ceuz qui s'y tronvent ; b^nissez ees chers
enfants; comme vous avez bdni Tobie et Sara; daignez les b^r ainsi,
Seigneur, afin qu*en votre nom ils vivent et vieiUissent et multipUent,
par le Christ notre Seigneur. — Ainsi soit-U.** Viiiemarquä, Barias
Breiz, Chants Populaires de la Bretagne, sixi^me ^d. Paris 1867
p. 423.
201
gestorben, der Ochse, welcher das Evangeliuin liest. ^ Ausser
bd HochKeiten and Leiobenbegängnissen erscheint der Stier end-
lich auch, wie im indischen Ceremonial; bei der Schwangerschaft
Gargamelle isst, während sie Gargantna in ihrem Schoosse trägt,
eine ausserordentliche Menge Ealdannen von Mastochsen. ^ Als
sie die Wehen flihlt, tröstet sie ihr Oatte mit einem Banemsprich-
wort von Poiton : „Laissez faire enx qaatre beufz de devänt," und
sie schenkt dann Gargantua das Leben, def aus ihrem linken
Ohre kommt y ebenso wie wir in den slavischen Mährchen die
Helden aus den Ohren des Pferdes kommen sahen (oder des Esels
Nacht; der gläna;ende Sonnenheld kommt aus den Ohren des
Esels oder des grauen oder schwarzen Pferdes; die Zwillings-
reiter kommen aus den beiden Ohren). Rabelais fragt, um diese
ausserordentliche Geburt zu erklären : „Minerve ne naqnit-elle pas
du cerveau par Taureille de Jupiter ?'' Kaum ist Gargantua ge-
boren, als er mit lautem Geschrei etwas zu trinken verlangt. Um
ihm Milch zu gebön, werden 17913 Kühe gebracht, da die Brüste
seiner Mutter nicht genügen, obgleich sie, so oft er saugt, »^qua-
torze oents deux pipes neuf potöes de laict^' giebt Dies ist der
Biese der Volkssage, den die gigantische Phantasie Rabelais' mit
grellen Farben gemalt hat, um ihn zur Zielscheibe einer unge-
heuerü Satire zu machen. Es ist eine erweiterte und humoristische
Wiedergabe des volksthttmlichen Superiativ ^ in literarischer Form,
' Uhland a. a. 0. p. 81. — In dem französischen Roman Renard
wird dagegen bei dem nahenden Tode des Fuchses das Evangelium von
dem Pferde gelesen. Aach in deutschen Sitten erscheint der Stier als ein
Trauerthier. Wenn der an den Leichenwagen gespannte Gemeindestier
im Zuge stillsteht und lurückschaut , so stirbt bald wieder eins der Ge-
meinde. Nach einem Volksglauben sprechen die Stiere und andere Stall-
thiere mit einander in der Christnacht. Eine Sage erzählt, dass sich ein
Bauer Weihnachten um Mittemacht in den Futterbarren legte, um lu er-
fahren, ob in dieser hl. Stunde die Stallthiere mit einander reden, vernahm,
dass die beiden Stiere sich besprachen, wie bald sie ihn zu Grabe ziehen
mässten, und im Schreck darüber starb. Es ist das die gewöhnliche Indis-
cretion nnd ihre Strafe. — Vgl. Rodihplz, Deutscher Glaube und
Brauch, Berlin 1867, I, 164 und Menzel, Die vorchristliche Un-
sterblichkeitslehre, Leipzig 1870. ~ Wir haben die sprechenden
Ochsen femer in Pb&dms' Fabel von dem Hirsch, der sich in den StaU
flüchtet (II, 8), wo der Herr „ille qui oculos centum habet'* genannt wird,
* Elle en mangea seze mniz, deux bnssars et six tupins; Babelais,
Gargantua I, 4,
* Vgl. Porchat, Contes Merveilleux, Paris 1868.
202
dessen mythischer Charakter sich in ^em Fluch enthüllt, den die
von ihm misshandelte alte Zwergfee gegen ihn schlendert: ^^Eine
Sonne verzehrt, um ihre Arbeit zu verrichten, eilf ganze Monde;
doch diesmal soll jeder Mond die Arbeit einer Sonne verzehren/'
Damit wird das aufsteigende und absteigende Leben des Sonnen-
helden angedeutet. Superlativ soll beständig kleiner werden, bis
es scheint; als ob er nahe daran wäre, vollständig zu verschwinden ;
doch in diesem selben Augenblick hat der Fluch ein Ende und
er wächst aus einem Zwerge wieder in den Armen seiner Braut
zu einem Kiesen an. ^ So werden die Tage in einem fort kürzer
und kürzer bis zur Wintersonnenwende, bis Weihnachten. Zu
Weihnachten wird die Sonne wiedergeboren, die Tage werden
länger, der Zwerg wird gross ; die Sonne wird durch eine zwei-
fache, doch analoge Ideenassociation einmal jeden Tag und ein-
mal jedes Jahr aus einem Riesen ein Zwerg und aus einem Zwerg
ein ßiese.
Und die Zwerge der Sage kennen und enthttHen das mythische
Wie und Warum ihrer Umgestaltungen, da sie, obwohl Zwerge
und verborgen, Alles sehen und erfahren. Von dem wissenden
Zwerge All wis, seinem alter ego in Miniaturausgabe, eriUhrt
der mächtige Thor in der Edda die Namen der Sonne, des
Mondes, der Wolken und der Winde. Der Mond heisst nach
AUwis, wenn er in dem Reiche der Hölle ist (in dem Reiche des
Todes, in der Unterwelt, wenn er Proserpina ist), ein Rad, das
voraneilt^; er scheint dann unter den Zwergen (d. h. in der glän-
zenden Nacht, in welcher die Sonne sich verbirgt; er wird ein
unsichtbarer Zwerg). Die Sonne unter den Zwergen (d. h. wenn
sie ein Zwerg ist) spielt mit Dwalin (dem mythischen Hirsch,
wahrscheinlich dem gehörnten Mond); unter den Riesen (d. h.
wenn sie in der Aurora wieder zum Riesen wird) ist sie ein
* Bei Porchat wird Superlativ, während er ein Zwerg ist, in einen
Kleiderschrank eingeschlossen ; er ist eine männliche Erscheinungsform des
hölzernen Mädchens, der weisen Puppe, der Sonne, die in einem Baum-
stamm, in dem Baume Nacht, in der düstern oder Wintemacht ver-
borgen ist, voll von Geheimnissen, die der kleine Sonneuheld aus seinem
Versteck überrascht Der Held in der Holle oder der, welcher vom Teufel
erzogen alle Art von Schlechtigkeit lernt, ist eine Variation dieser viel-
gestaltigen Idee. Der Zwerg Porchats, der aus dem Kleiderschrank
kommt, stimmt vollständig zu dem Volksglauben, der den Mann im Walde
auf einem Baumstumpf geboren werden lässt, von welchem der Christbaum
eine lebhafte fieminiscenz ist.
203
lodernder Brand; nnter den Göttern (den Äsen) ist sie das Licht
der Welt. Die Wolke, berichtet uns Zwerg All wis weiter, ist das
Schiff der Winde, die Stärke der Winde, der Helm (oder Hut
oder Kappe), welcher seinen Träger unsichtbar macht. Der Wind
ist femer der Wanderer, der Lärmer, der Weiner, der Brüller,
der Pfeifer (Niemand kann dem Rufen oder dem Pfeifen des Hel-
den der Feenmährchen widerstehn; das Brüllen des Stieres macht
den Löwen in seiner Höhle zittern). In dieser gelehrten Lection
über germanisch-skandinavische Mythologie, die uns Zwerg AUwis
giebt, haben wir eine fernere Rechtfertigung für unsere Annahme
des Uebergangs von der natürlichen Himmelserscheinung zu ihrer
Personificirung als Thier und zu der Personificirung des Thieres als
Mensch: AUwis, der Alles wusste, hat uns das Oeheimniss. enthüllt.
§. 6. Der Stier und die Kuh in der griechischen und
römischen Sage.
Wenden wir uns nach Süden , um auf griechischem und rö-
mischem Boden die mythischen und sagenhaften Gestaltungen des
Stiers und der Kuh aufzusuchen, so finden wir die Masse schätz-
barsten Materials, das hier in Betracht kommt, statt gemindert,
ins Ungeheuerliche angewachsen. Ganz zu schweigen von den
reichen literarischen Traditionen Italiens, des südlichen Frank-
reichs und Spaniens im Mittelalter (die nordfranzösischen sind oft
nur ein Echo der celtischen und deutschen), ganz zu schweigen
femer von den bedeutungsvollen Traditionen römischer Historiker
und Dichter selbst, von den abergläubischen Vorstellungen und
Bräuchen, wie von den noch bestehenden Legenden auf dem halb-
katholischen, halbheidnischen Boden Italiens, welche sämmtlich
mit den frühesten mythischen Vorstellungen geschwängert sind,
finden ¥rir uns hier dem kolossalen und glänzenden Gebäude
griechischer Poesie oder Mythologie selbst gegenüber; denn was
die Grösse und wirkliche Originalität der griechischen Poesie
ausmacht, ist eben ihre Mythologie ; sie ist es, welche jedes Kunst-
werk des griechischen Genius mit dem Hauche der Göttlichkeit
durchweht und ihm deren Stempel aufdrückt. Der Dichter und
der Künstler stehen fast immer in genauer Wechselbeziehung zu
den Gottheiten und darum nehmen sie oft einen so göttlichen,
einen von Höherem eingegebenen Ausdruck an. Es wäre mithin
eine kühne Anmassung meinerseits, wollte ich versuchen, auf
\i
204
einigen Seiten die Seele, den Inhalt dieser nnendlichen Mythologie
im Extract darzustellen. Ich bin zudem so glttcklicb, von der
Verpflichtung eines solchen Unternehmens nuch fttr entbunden
erachten zu können, indem ich den Leser auf die gelehrten ein-
leitenden Werke Max Mttllers und George Goxs tlber die grie-
chischen Mythen in ihrem V^hältniss zu den andern Mythologien
verweisen kann. Es ist gewiss möglich, gegen die Erklärungen
specieller Mythen, die von diesen beiden hervorragenden Gelehrten
gegeben sind, Einwürfe zu erheben, wie es ohne Zweifel das
Schicksal vieler der von mir aufgestellten sein würde, wollte ich
mich auf Erörterungen im Einzelnen einlassen und hätten meine
Arbeiten das Glttck, einige Beachtung zu gemessen. Da ich mir
mit der Hoffnung schmeichle, dass ich trotz gelegentlicher Ab-
schweifungen, in die ich mich für ein paar Minuten vom Wege
ab verloren, die grosse Strasse einhalte, welche allein zu der
Lösung der grossen Fragen der vergleichenden Mythologie führt,
so erkenne ich mit Dank die Arbeiten Max MttUers und Coxs
über griechische Mythologie, die schätzenswerthe Abhandlung
Michael Br^als ttber römische Mythologie, das unsterbliche Werk
Adalbert Kuhns über den indogermanischen Mythus von Feuer
und Wasser und einige andere nützliche Leuchtfeuer an, die ihre
Lichtstrahlen klar und ungetrübt durch die Wüste werfen und
dem wissbegierigen Schiffer auf dem mare magnum der Mythen
als treue Wegweiser dienen. Und weil das, was hier noch zu
thun ist, unermesslich ist im Vergleich zu dem Wenigen, was gut
gethan ist, so werde ich das, was von meinen gelehrten Vor-
gängern (auf welche sämmtlich ich vertrauensvoll meine Leser
verweise) bewiesen worden ist, als ausgemacht ansehn und mit
meinen eigenen Untersuchungen vorgehen, wobei ich mich jedoch
durchaus auf das zoologische Gebiet beschränke, um nicht ausser
allem Verhältniss die Grenzen dieses einleitenden Kapitels zu
überschreiten, wdches an und für sich schon droht den Baum zu
beschränken, den meine übrigen Untersuchungen in Anspruch
nehmen.
„Bos quoque formosa est'' sagt Ovid im ersten Buche d^
Metamorphosen, als die Tochter des Inachos von Jupiter in
eine glänzende Kuh verwandelt wird. Der Stier Zeus des Non-
nus ist auch schön, als er auf dem Meere schwimmt, indem et die
schöne Europa trägt. Ihre Brüder wundem sich, warum Ochsen ge-
Itlstet, Weiber zu heirathen; wir jedoch werden das gar nicht wnndeiv
bar finden, wenn wir bemerken, dass lo und Europa Doppelgänge-
205
rinnen eines nnd desselben Thieies sind, oder wenigstens dass lo
and Europa beide die Gestalt einer Knb annahmen — die eine als
der Mond im Besonderen, ' die andere, die weitsebanende Tochter
Tdephaessas, der weitglänzenden, < als ebenfalls der Mond oder
als die Anrora. Im ersten Falle ist es die Heldin, die eine Kuh
wird; im zweiten ist es der Held, der sich in der Gestalt eines
Stieres zeigt. ' Diese Gkstaltnngen sind jedoch nur zeitweilig nnd
nicht in der Natnr begründet, ebenso wie auch in den yedischen
Hymnen die Darstellung der Aurora, des Mondes und der Sonne
als Kuh und Stier nur eine yorttbergehende ist Die Kuh und
der Stier senden ihr Kalb vor sich her; die Sonne, der Mond und
die Aurora haben vor sich oder hinter sich die Dämmerung.
Jupiter und Minerva haben den geflügelten Mercur zum Boten;
nnd so konnte Ovid singen:^
„Mactatar yacca Minervao,
Aliped! vitulns, taurus tibi, summe deorum. *
Die Frucht der Ehe los und Europas mit Zeus hat eine
Ungeheuematur, wie die unheilstiftenden Töchter des Danaus,
welche, wegen ihrer Verbrechen, in der Hölle verdammt sind,
das berühmte Fass zu füllen (die Wolke), das immer leer bleibt
(das Gegenstück zu dem Becher, der im skandinavischen Mythus
nie leer wird) ; wie femer Minos , der das Labyrinth bauen Hess,
der Richter der Unterwelt , der den Minotanros mit Futter ver-
sorgte (der ungeheuerliche Stier von Marathon, den zuerst Hera-
' *Ito yii^ Tj oaXijvi^ tuok r^ rav *A^trav StdXexrop, Eustatios.
* Vgl. Pott, Studien zur griechischen Mythologie, Leipzig
1859, und Cox a. a. 0.
» Dionyaiaka I, 45 flF. ; III, 306 flF.
* Metam. IV, 754.
* In England ist, wie B<^n bemerkt, der Stier oder Ochse dem hlgen.
Lukas geweiht, in Russiand den Heiligen Froh nnd Larer. In Sicilien ist
San Cataldo, Bischof von Taranto, Patron der Ochsen. (Die Notizen über
sicilianischen Volksglauben in Bezug auf Thiere verdanke ich meinem
lieben Freunde Giuseppe Pitre.) In Toscana und andern Provinzen Italiens
sind Ochsen und Pferde dem Schutze des hig. Antonius befohlen, des
grossen Patrons der Hausthiere. Auf dem Lande herrschte in Toscana
die Sitte, am 17t en Februar Ochsen und Pferde an die Kirchthür zu führen,
um sie segnen zu lassen. Jetzt wird, um Störung zu vermeiden, nur ein
Bündel Heu zur Segnung gebracht, welches dann den Thieren zu fressen
gegeben wird, um sie vor Schaden zu bewahren. Am Palmsonntag wird,
um jedes Uebel fernzuhalten, von den toscanischen Bauern Wachholder in
die Ställe gethan.
206
kies bezwang; später Theseus tödtete, ist nur eine spätere Ersebei-
nungsform des Minotauros), den Sobn seines Weibes und des
finstern und feuchten schwarzen Stieres Poseidon. Selbst Ead-
muS; der Bruder Europas, nimmt ein schltmmes Ende. Er steigt
in Oestalt einer Schlange in das Reich des Todes hinab. Aus
Gutem wird Böses geboren und aus Bösem Gutes, aus Schönem
Hässliches und aus Hässlichem Schönes, aus Licht Finstemiss und
aus Finsterniss Licht, aus Tag Nacht und aus Nacht Tag, aus
Hitze Kälte und aus Kälte Hitze. Jeden Tag und jedes Jahr
erneut sich der einförmige Gegensatz; die Schlange beisst sich
immer wieder in den Schwanz. Ein tarentinischer Vers des Ar-
nobius drückt recht glücklich diese himmlischen Wechselbezie-
hungen aus:
„Taurus draconcm geouit et taurum draco."
So lesen wir in dem Roman Heliodors (Aethiopica), dass die
schwarze Königin Aethiopiens einem weissen Sohne das Leben
schenkte, d. h. die schwarze Nacht gebiehrt den weissen Mond
und die weisse Morgendämmerung. Weisse Stiere werden dem
Zeus (Dyäus, dem Glänzenden), schwarze seinem Bruder Poseidon
geopfert, ja sogar ganz schwarze, * nach dem homerischen Aus-
druck.
Poseidon ist bei Hesiod (Theog. 453) der älteste Bruder;
bei Homer (II. XV, 187) ist er im Gegentheil der jüngste. Beide
haben Recht; es ist die Frage nach dem Ei und der Henne;
was ist zuerst geboren, Finstemiss oder Licht? Der Sohn Posei-
dons, der Cyclop Polyphem, wird von Odysseus geblendet Da
Poseidon den feuchten, wolkigen oder Nachthimmel darstellt, so
scheint sein einäugiger Sohn dieser Himmel selbst mit dem Solar-
stem, dem Auge des Himmels, inmitten der Finstemiss oder der
Wolken zu sein (der Mund des Fasses). Als Odysseus seinen
Sohn blendet, rächt sich Poseidon dadurch, dass er Odysseus
verdammt, auf den Wassern umherzuirren (d. h. verloren in dem
Ocean oder den Wolken der Nacht). Insofern ferner Zeus, eigent-
lich der Glänzende, oft von Homer als so schwarz wie die Wol-
ken und als Woikensammler * dargestellt wird, wird er dem Posei-
don, dem presbytatos oder ältesten, verähnlicht; und wirklich ist
* Tav^oi naftfUXav8£ der Odyssee; der Commentator erklärt, dass die
Stiere schwarz genannt werden, weil sie die Farbe des Wassers haben.
' Ktlaiytyrj)i'r8(feXrjye(tira Zev^. Od. XIII, 147. 153.
207
auch in den ältesten hellenischen Mythen Poseidon wesentlich die
Erscheinungsform des Zeus als Regengebers. Als Poseidon^ in der
Gestalt eines Stieres, Pasiphae, die Tochter der Sonne und der
Gemahlin des Minos, verftlhrt, erscheint er in weisser Farbe, nur
dass er zwischen den Hörnern einen schwarzen Flek hat ^ Wenn
dieser Fleck auch klein ist, so genügt er doch seine finstere Natur
zu verrathen. So ersteht Achelous, der von Herakles in Schlangen-
gestalt besiegt ist, wieder in der Gestalt eines kampfwüthigen
Stieres, dem Herakles ein Horn abbricht, ^ welches er den Aeto-
liem giebt, die davon Fruchtbarkeit empfangen (das Wasser des
Achelous belTUchtet das von ihm durchschnittene Land ; der Wol-
kendrache hielt das Wasser zurück; Herakles vernichtet den
Drachen, d. h. die Finstemiss, und dieser erscheint dann wieder
in Stiergestalt; als ihm die Hörner gebrochen sind, ist Frucht-
barkeit und Fülle die Folge). Dieses Ungeheuer erscheint wieder
in den beiden bösen und schrecklichen Stieren des Königs Aietas,
mit kupfernen Füssen (TavQio /«AxottocJ«), welche dunkelrothe
Flammen und Kauch athmen und gegen den Helden Jason in
der Höhle vorgehen; ebenso wie der Affenkönig im Rämäyana
den dämonischen Stier besiegt, welcher mit seinen Hörnern kämpft,
indem er die Homer selbst packt und ihn niederwirft; dasselbe
thut Jason bei Apollonios. * EJenselben Stier reitet auch der
junge Ampelos, der dem Dionysos theuer ist (welcher ebenfalls
die Natur eines Stiers hat, TcevQtxpvai^i;, aber eines glänzenden).
Ampelos lässt sich von der todbringenden Ate (xkcyaTif](p6Qog "^rtf)
tiberreden, diesen Stier zu besteigen und wird von ihm auf einen
Felsen geschleudert, so dass sein Schädel zerbrochen wird, weil
er voll Stolz gegen den gehörnten Mond war, ihn, der die Ochsen
treibt und, beleidigt, eine Bremse schickt, die den Ochsen toll
macht Der Stier Dionysos will den jungen Bruder Ampelos
rächen, indem er seine Hörner dem bösen und männermordenden
' Signatus tenui media inter comua nigro
Una fuit labes; caetera lactis erant.
Ovidius, De arte amandi.
^ Bei Di od or liebt Hammon die jungfräuliche Amalthea, welche ein
Uom hat, das dem eines Ochsen gleicht. Die Ziege und die Kuh sind in
den Mythen von dem Monde und den Wolken identisch; deshalb finden
wir auch beide in Verbindung mit dem Apfelbaum, einer vegetabilischen
Form, und mit dem Füllhorn, da beide Seher und Späher und-Leiter sind.
Die goldene Rehkuh ist eine Variation desselben Mondmythus.
'Argonaut III, 410. 1277.
208
Stier in den Leib 8töS8t ^ In diesem Mythns werden der Bchwarzei
Stier der Nacht und der Mondstier zusammengeworfen; beide
verrichten eine böse That
Aus dem Ocean der Nacht kommt da« Haupt des Sonnen-
und Mondstieres herauf ^ und darum heisst bei Euripides' der
Okeanos der Stierköpfige (TovQcxQccvog) ; oder auch das Haupt des
Sonnenstieres ragt in den nächtlichen Wald hinein^ resp das des
Mondstieres aus demselben heraus. Diese Erscheinung erzeugte
mehre poetische Bilder. Der Stier wird von den Ungeheuern der
Nacht verschlungen; daher klagt in den Sieben gegen The-
ben des Aeschylus (42) der Bote die sieben Verzehrer der Stiere,
welche mit ihren Händen das Blut der Stiere berühren, der Gott- >
losigkeit an; daher fliehen in der 43sten äsopischen Fabel die
Hunde entsetzt vor dem Bauer, welcher in seiner Gefrässigkeit
(wie der Alte des mongolischen Mährchens, der all seine KUhe
frisst), nachdem er Schafe und Ziegen verschlungen, sich anschickt,
sogar die „arbeitenden Ochsen" zu verzehren.' Der Stierkopf
oder sogar der Stier selbst oder die Milchkuh dürfen zwar nicht
gegessen, jedoch geopfert werden ; ja, der sie darbringt, ist glttck-
lich (ausser wenn die Gottheit Heliogabalus heisst, weicher das
taurobolium als eine ihm zukommende Huldigung empfängt,
ohne den frommen Spendern irgend etwas dafür zu verleihen.^)
Nach Valerius Maximus ^ sollte die Weltherrschaft nach einem
Orakel aus der Zeit des Servius Tullins der Nation gehören,
welche der Diana des Aventinus eine gewisse wunderbare Kuh,
die einem Sabiner gehörte, opfern würde (die Aurora oder der
Mond, aus deren Opfer die Sonne am Morgen hervorkommt). Der
Sabiner schickt sich an, sie zu opfern, doch ein römischer Priester
nimmt sie ihm durch List, während jener gesandt wird, sich in
dem nahgelegenen Wasser zu reinigen. Es ist das eine zoolo-
gische Gestaltung des episch-mythischen Raubes der Sabinerinnen,
' Nonnos, Dionys. XT, 118 ff.
* Oreet 1380.
' 'Ü^a^ofterovg ßoas, — Im Zwölften Buche seiner Thiergeschichte
schreibt Aelian: ,,Wenn ein Phiygier einen arbeitenden Ochsen tödtet, so
büsst er es mit dem Leben/* Und Varro, De Re Rustic a: „Bob socius
hominum in rustico opere et Cereris minister. Ab hoc antiqui ita manus
abstineri Toluerunt ut capite sanxerint si quis ocddisset
* Scrip tt Uist Aug., Lampridius in vita UeliogabalL
» VII, 3.
209 .
des Tausches des Weibes oder Werthstückes , des im Sack be-
werkstelligten Tausches.
Bei Ovid \ stellt sich derselbe Mythus mit ei^er Varia-
tion ein:
„Matre satus Terra, monstrum mirabile, taunis
Parte sui serpens posteriore fuit.
Httnc triplici »uro lacis Incluserat atris
Parcarum monita Styx violeota trium.
Viscera qui tauri flam mis adolenda dedisset,
Sors erat, aetemos vincere posse Deos.
Immolat hunc Briareus facta ex adamante securi ;
Et jam jam flammis exta dsturus erat.
Jupiter alitibus rapere imperat. Attulit illi
Milvus; et roeriUs venit in astra suis/^
Wir werden in den folgenden Kapiteln auf diesen Mythus
zurückkommen. Das Ungeheuer wird erst getödtet, als sein
Uerz^ das es verschlossen hält^ fortgenommen ist. Bisweilen hält
es dasselbe nicht im eigenen Körper^ sondern in einer Ente (der
Aurora) eingeschlossen, wekbe aus einem Hasen (dem am Morgen
geopferten Monde) bervorkommt. - Als diese Ente geöflnet wird,
findet sich ein goldenes Ei (die Sonne). Als das £i auf' 4en
Boden oder dem Ungeheuer an den Kopf geworfen wird, stirbt
das letztere. Die goldene Ente, aus welcher das Herz des Un-
geheuers, die Sonne, hervorkommt, ist identisch mit der Kuh,
welche 4as Lamm gebiehrt (die Nacht schenkt der Aurora, diese
dem Sonnenlamm das Leben). Der Historiker Fl. Josephus führt
unter den Wundem, welche der Zerstörung des jerusalemischen
Tempels vorhergingen, ein ähnlicJies an, welches mitten im Tem-
pel selbst gesdiab, als man eine Kuh zur Opferung dorthin ge-
fiibrt hatte. Dieses Wundenieiehen begiebt sich noch jeden Mar-
gen am mythischen Himmel imd war eine der juenschlichen
Beobachtniig schon im fernsten Älterthum, in welchem sie sprich-
wörtlich wurde, vertraute Erscheinung; doch wie so oft, wurde
das Sprichwort, das einen augeatHllig^n Mythus ausdrtiokte, als
sein Verständniss verloren ging, zur Bezeichnung einer Unmög-
lichkeit angewandt; so lesen wir denn in der zweiten Satire
Jnvenals (v. 122) t
« Fasti in, ÖOO tf.
* Vgl. Das Kap. über den Hasen.
Qnbernatl«, die Tbiere. X4
210
„dcilicet horreres majoraque monstra putares,
Si mulier vitulum vel si bos ederet agnum?^^
Bei griechischen und römischen Schriftstellern ' finden wir häu-
fige Beispiele von dem Opfer eines Stieres kurz vor dem Tode
des Helden, von dem es angeordnet war, wobei es als sehr un-
glückliches Vorzeichen galt, wenn die Eingeweide, und zwar be-
sonders das Herz oder die Leber fehlten. Nachdem wir die
Beobachtung gemacht haben, dass des Ungeheuers Herz der
Sonqenheld oder die Sonne selbst ist, können wir leicht ver-
stehen, wie dieses Herz beim Opfer eines Stieres fehlen musste,
wenn der Held seinem Ende naht. In dem am Abend geopferten
mythischen Stier ist das Herz des Helden nicht zu finden; das
Ungeheuer hat seine Eingeweide gefressen, nach denen dasselbe
der Sage nach besonders lüstern ist.
Doch der Stier lässt sich nicht immer geduldig opfern; er
flieht oft, um nicht getödtet zu werden. Wir haben in den rus-
sischen Mährchen gesehn, wie der Stier, den sein Eigenthümer
zu tödten beabsichtigt, in den Wald flieht, sammt dem Lamm
(der Stier und das Lamm sind zwei äquivalente Erscheinungs-
formen des Sonnenhelden am Abend und am Morgen) und den
andern Hausthieren. Das Sprichwort Theocrits: „Sogar der Stier
geht in den Wald" * kann seinen Ursprung nirgend anders haben
als in den beiden analogen Mythen von dem Monde, welcher durch
den Wald der Nacht wandert, und der Sonne, welche sich in
selbigem Walde verbirgt, als sie die Vorbereitungen zum Opfer
sieht; die Sonne in der Nacht wird der Mond.
Wir sagten, dass oft der Stier, weil er beim Opfer ohne Ein-
geweide gefunden wird, dem Helden Unheil prophezeit; der
Sonnenstier des Abends ist kraftlos, er hat keine Helden-Einge-
weide. Doch nachdem er im Walde auf freier Weide gewesen
ist, seine Kräfte im Kampfe mit den Wölfen der Nacht geübt,
durch sein Brüllen (in der Finstemiss, in der Donnerwolke) alle
Thiere mit Schrecken erfüllt hat, wird der Stier wiedergefunden
und zu seiner Morgenwohnung gefiihrt, voller Glaoz, wie ein
» Bei Flutarch (vita Marcelli), Arriau und Appian unter den Griechen,
bei Livius, Cicero (de divinatione), Plinius dem Aeltcren, Julius Capito-
linus, JuliuB Obsequens unter den Körnern.
* "Eßa xal nw^og k vXav, XIV, 43. Bei Theocrit will das Sprichwort
besagen, dass er andere und treulose Liebesvorhältnisse angeknüpft Kat^
auch er ist ein Verräther.
211
geopferter Held; Heldeneingeweide finden sich in ihm; aus dem
schwarzen Stier, der gegen Morgen geopfert wird, aus dem Walde,
ans dem Stier der Nacht kommt das Herz, die Leber, die Lebens-
kraft, die Sonne, der Held Sonne heraus; und der irdische Held,
der sein Opfer beobachtet, betrachtet es als ein gutes Vorzeichen.
In diesem Sinne können wir folgende Erzählung des Ammianus
Marcellinus auffassen: „Decimus (taurus) difPractis vincnlis, lap-
sus aegre reductus est, et mactatus ominosa signa monstravit/' ^
Während der Sonnenstier im Walde verborgen ist, ist er schwarz,
doch oft (d. h. in allen mondhellen Nächten) räumt er dem Monde
den Platz und erscheint in Gestalt eines weissen Stieres resp.
Kuh, welcher den in der Finsterniss verirrten Helden leitet.
Thoas heisst der König der Tauroi (oder Stiere) in Euripides'
Iphigenia in Tauris, weil er Flügel an den Füssen hat.
Die Kuh lo flieht ohne Bast und Ruh in Aeschylus' Prome-
theus. Euripides * sagt, dass sie die Könige der Kadmaeer gebahr.
Hier finden wir also noch einmal die innige Beziehung zwischen lo
und Europa, der Schwester des Kadmus, die schon oben bemerkt
wurde. Kadmus, Europas Bruder, vereinigt sich mit lo. Doch lo ist
eine Kuh, und wir finden eine Kuh, eine wandernde Kuh, mit einem
weissen Fleck in der Gestalt eines Vollmondes (den Mond selbst
oder lo), in der Sage von Kadmus in Böotien nach Pausanias. ^
Das ist die gute Fee resp. der gute Alte, welche den Helden in den
Volksmährchen den Weg zeigt ; es ist die Kuh, die dem von dej
Stiefmutter verfolgten Mädchen beisteht, die Puppe, welche für
die jungfräuliche Aurora spinnt, näht und webt. Denn gerade
wie wir sahen, dass das hölzerne Mädchen die Aurora selbst
ist, welche am Morgen aus dem Walde der Nacht herauskommt
und am Abend wieder dahin zurückkehrt,^ was die Mythen von
UrvaQl und Daphne klärlich zeigen, so kommt in ganz gleicher
Weise der Mond ans dem nächtlichen Walde und kehrt wieder
' Rerum gestarum XXII. — Vgl. die Episode von dem Ochsen,
welcher sich in den Morast oder Sumpf fallen lässt, in den verschiedenen
Versionen des ersten Buches des Pan(^atantra. — Die Astrologen stellten
das Qehim unter den Schutz des Mondes und das Herz unter den- der
Sonne; CeloriSi La Luna, Milano 187 i.
* KoBfAsicov ßaailrjae fyeiv<tto\ Phoen. 8H5.
' Bolotia.
* In einem unedirten piemontesischen Mährchen, welches sehr weit ver-
breitet ist, entrinnt das von Bäubern entführte Mädchen deren Händen
und verbirgt sich in einem Baumstamm.
14*
212
dorthin znrtick, indem er sieh auB einem Banm in eine Kuh und
wieder ans der Kuh in einen ßanm, ein hölzernes Mädchen oder
eine Pnppe verwandelt. Einige auf die Aurora bezügliche Mythen
sind auch auf den Mond anwendbar in Anbetracht der Aehnlich-
keit dieser Himmelserscheinungen (der Sonnen- und der Mond-
stier wechseln ebenfalls miteinander), da sie beide aus dem
nächtlichen Düster kommen, beide thauige Feuchtigkeiten tropfen
lassen und beide der Sonne nacheilen; indem die Aurora die
Befreierin am Morgen, der Mond die Schützerin, Ftthrerin, Wirtbin
und wohlberathende Fee ist, die ihr (der Sonne) das Gebeimniss
lehrt, wie die hinterlistigen Anschläge des Ungeheuers abzuwehren
sind. Herakles setzt über das Meer auf dem Nacken der Mond-
kuh; doch statt der Kuh finden wir in dem mythischen Himmel
des Herakles auch den goldenen Becher, der identisch mit ihr
ist Aus der Mondkuh kommt das Horn der Fülle; von dem
Füllhorn ist der IJebcrgang zu dem Becher leicht. Es heisst,
dass Herakles, als er sich den Ochsen des Geryon, dem Westen,
näherte, sich von den Sonnenstrahlen gebrannt fühlte und Pfeile
nach der Sonne schoss (ebenso wie Indra im Kigveda ein Rad
des Wagens Süryas, der Sonne, zerbricht). Die Sonne bewundert
den Muth und die Kraft des Helden und leiht ihm ihren gol-
denen Becher, auf welchem Herakles über das Meer setzt. Nach
dieser That stellt Herakles der Sonne wieder den Becher zu und
findet die Ochsen.
Der Stier des russischen Mährchens, welcher den Helden und
die Heldin trägt, erscheint in anderer Gestalt wieder, wenn sein
Haupttheil (bald die Eingeweide, bald die Knochen, bald die
Asche) aufbewahrt wird. Die Kuh, welche dem Mädchen bei-
steht, wird, wie wir schon sahen, ein Apfelbaum und hilft ihr
auch in dieser Gestalt wieder. Wir finden denselben Mythus
etwas umgestaltet in Griechenland. Bei C o e 1 i u s lesen wir in der
von Aldrovandi ^ angeführten Stelle: „Cum rustici quidam Her-
culi Alexicaco bovem essent immolaturi isque rupto fune profu-
gisset (der zum Opfer bestimmte Stier flieht in den Wald der
Nacht) nee esset quod sacrifiearetur, malum arreptum suppositis
quatuor ramis crurum vice, deinde additis alteris duobus ceu
comuum loco, bovem utcumque fuisse imitatos idque ridiculum
simulacrum pro victima sacrificasse Herculi.*' Dieser Bericht
' De Quadrupedibus bibuIciB I.
213
wird durch die Angabe des Julias Pollux, ^ dass der Apfelbaum
dem Herakles geopfert wurde, bestätigt. Der Mond nahm wegen
seiner kreisförmigen Gestalt ausser der Gestalt einer Erbse, eines
Kttrbiss und eines Kohlkopfes auch die eines goldenen Apfels
an. Da er Honig enthält, so stellt der süsse Apfel treffend den
ambrosischen Mond dar. Femer wurde, ebenso wie wir die Erbse,
die zu Boden fiel, einen Baum werden und zum Himmel auf-
wachsen sahen, der Apfel ein Apfelbaum, der Baum mit gol-
denen Aepfeln, der sich in dem Garten der Hesperiden im Westen
findet.
Der Mond nahm ferner ausser der Gestalt einer gehörnten
Kuh im arischen Volksglauben auch die einer Torte, eines Kuchens
an, sei es in Anbetracht seiner Kreisgestalt, sei es des ambro-
sischen Honigs wegen, den man als Inhalt des Mondes vermuthete
wegen des Thaues oder Regens, den er auf der Erde verbreitet.
Der Kuchen hat in der slavischen Sage dieselbe Bedeutung wie
die Erbse, Bohne oder der Kohl. Der Stier resp. die Kuh des Narren,
der fttr eine Erbse verhandelt wird, ist vielleicht identisch mit der
Abendsonne oder Abend-Aurora, die während der Nacht fUr deil
Mond verkauft wird oder sonst mit dem Monde zusammentrifft.
Die Trauererbse oder Bohne, die Hülsenfrucht, welche als Vor-
rath fUr die Reise in das Reich der Todten dient und welche
dem Helden Reichthum bringt, ist vielleicht nur der Mond, den
der Sonnenheid während der Nacht auf dem Wege findet und
den er fttr sein Kuhfell eintauscht. Als der Held diese Erbse
besitzt, ist er jeder Art von Glück sicher und kann zu dem glän-
zenden Himmel aufsteigen, so wie auch ans der düstem Hölle,
in welche das Ungeheuer ihn gezogen hat, entrinnen. Eine ähn-
liche Kraft wird dem Kuchen beigelegt, den wir in indogerma-
nischen Bestattnngsgebräuchen an Stelle der Hülsenfrucht finden.
Hienach können wir verstehen, was uns Plutarch in dem
Leben des Lucullus über die Gyziceni erzählt, von denen er be-
richtet, sie hätten in der Bedrängniss einer Belagerung der Pro-
serpina (dem Monde in der Hölle) eine Kuh von schwarzem Teig
dargebracht, da sie keine von Fleisch aufbringen konnten; er
fügt hinzu, dass das Opfer der Göttin genehm war. So lesen
wir in der sechsunddreissigsten äsopischen Fabel von einem Krüp-
pel, der den Göttern verspricht, im Falle seiner Heilung hundert
Ochsen zu opfern; als er geheilt ist, macht er, da er nicht hun-
' De vocabulis 1, bei AldroTandi.
214
dert Ochsen von Fleisch besitzt; solche aus Teig und verbrennt
sie auf dem Herde. Doch waren nach Aesop die Götter damit
nicht zufrieden und suchten ihm einen Streich zu spielen ^ was
ihnen jedoch nicht gelang, da der schlaue Mann ihre List zu
seinem Vortheil ausbeutete; denn der Sonnenheld in der Nacht
stellt sich nur so, als ob er ein Dummkopf wäre, der er in Wirk-
lichkeit nicht ist.
Doch um auf die Mondkuh zurückzukommen: wir müssen
der Vollständigkeit halber die Erklärung eines anderen My-
thus hinzufügen, nämlich des von den als reinigend betrach-
teten Excrementen der Kuh. Der Mond, wie die Aurora spendet
Ambrosia; er wird als eine Kuh betrachtet; der Urin dieser Kuh
ist Ambrosia oder heiliges Wasser; wer dieses Wasser trinkt,
reinigt sich, wie die Ambrosia, welche von dem Mondstrahl und
der Aurora regnet, die Pfade des Himmels reinigt, säubert und
hell macht (dirghaya dakshase), welche die Schatten der
Nacht verdunkeln und trüben. Dieselbe Kraft wird femer dem
Kuhdünger beigelegt, eine Vorstellung, die ebenfalls von der Kuh
abgeleitet und auf den Mond ebenso wie auf die Morgenaurora
tibertragen wird. Diese beiden Kühe werden als die Erde durch
ihre ambrosischen Excremente fruchtbar machend aufgefasst; da
diese Excremente, sowohl die des Mondes wie die der Aurora,
glänzend sind, so werden sie als reinigend betrachtet. Die Asche
dieser Kühe (welche ihre Freundin, die Heldin, bewahrt) ist nicht
blosse Asche, sondern goldenes Pulver oder goldenes Mehl (der
goldene Kuchen erscheint in dem goldenen Mehl oder Pulver
wieder, welches die Hexe in russischen Mährchen von dem Helden
verlangt), das, mit Excrementen vermischt, dem schlauen und
räuberischen Helden Glück bringt. Die Asche der geopferten
trächtigen Kuh (d. h. der Kuh, die nach der Geburt eines Kalbes
stirbt) wurde von den Römern in dem Tempel der Vesta von
Religions wegen nebst Bohnenstengeln (die dazu dienten, die mit
Getreide besäte Erde fett zu machen) als ein Mittel der Sühnung
aufbewahrt. Ovid^ erwähnt diesen Brauch:
„Nox abiit oriturque Aurora. Palilia poucor,
Non poscor frustra, si favet alma Paies.
Alma Pales, faveas pastori sacra canenti,
Prosequor officious! tua festa pio.
Gerte ego de vitulo cinerem stipulasque fabales
Saepe tuli plana febnia casta manu.'*
' Fasti IV, 721.
215
Die Asche einer Kuh wird sowohl als Symbol der Äuferstehang
wie als Mittel der Reinigung aufbewahrt. Was die Excremente
der Kuh betrifit, so werden sie noch angewandt, das sogenannte
eaude miUefleurs zu bereiten; das von mehren Pharmaco-
pöien als ein Mittel gegen verdorbene Säfte verordnet wird. '
leb habe oben den Mythus von Herakles erwähnt; in welchem
dieser; nachdem er auf dem goldenen Becher über das Meer ge-
setzt; die Ochsen am Gestade findet. Diese Ochsen werden bei
Tbeocrit in dem Mythus von König AugiaS; als dem Kinde der
Sonne, so beschrieben. Die Sonne, sagt Theocrit; verlieh ihrem
Sohne die Ehre, reicher an Herden als alle übrigen Menschen
zu sein. Alle diese Herden sind gesund und vermehren sich
ohne Grenzen; indem sie immer besser werden. Unter den Stie-
ren haben dreihundert weisse Beine (gleich der Alba des Mor-
gens); zweihundert sind roth (gleich den Sonnenstrahlen) und
haben gekrümmte Hörner. Diese Stiere sind zur Wiedererzeugung
zu benutzen ; ausscjr ihnen sind noch zwölf; die der Sonne geweiht
sind; und welche gleich Schwänen glänzen. Einer von ihnen ist
allen übrigen an Grösse überlegen und heisst ein Stern oder
Phaeton (der Glänzende; ein Epitheton des Helios, der Sonne in
der Odyssee ; des Lenkers des Sonnen wagens ; welcher nach
Vollendung seines Tageslaufes unföhig ist, die Pferde zu zügeln
und mit dem Wagen in das Wasser stürzt, damit die brennenden
Rosse nicht die Welt entzünden. Statt der Sonnenochsen, die
den Wagen ziehen und am Abend in den nächtlichen Sumpf
fallen; finden wir in diesem Mythus den Wagen von Pferden ge-
zogen, die von den Wellen begraben werden; doch Phaeton, der sehr
glänzende und herrliche Ochse, wie er von Theocrit dargestellt
wird; rechtfertigt unsere Identificirung der beiden mythischen
Episoden von dem Ochsen und dem PferdC; welche in das Was-
ser fallen). Der Stier Phaeton des Theocrit sieht HerakleS; stürzt
sich, da er ihn für einen Löwen hält, aui ihn und versucht ihn
mit seinen Hörnern zu verwunden. Die Sonne, als ein gold-
haariger Held; ist ein sehr starker Löwe (Herakles, Simson); als
ein goldhörniger Held ist sie ein sehr starker Stier ; in der Wolke
eingeschlossen brüllen und toben sie. Die beiden Bilder von dem
Sonnenlöwen und dem Sonnenstier sind bald in Uebereinstimmung,
bald in Zwiespalt und Kampf miteinander. Im Rämäyana
' Vgl. Ott. Targiooi Toszetti, Lezioni di Materitt Medica,
Firense 1821.
216
fandeü Wir die beiden BeldeifbrtNier Räma und Lskshnima^ eine
epische Gkstaltnng cfer beiden AQvins, als Stier und Löwen dar-
gestellt. In den griecbtschen Fabeln finden wir häufig den Löwen
und den Stier znsaninren und später in Zwietracht^ w^ das in
der Sage von dea beideni Heldenbrttdern vorkoniinft. Bei Aesop
und Arian dringt der vor dem Löwen (d. h. vor der Sonne in
ihrer Löwen-Ungeheuergestalt am Abend oder im Herbst) fliehende
Stier (vielleicht der Mond) in das Versteck der Ziege (der Momi
in die Höhle der Nacht) und wird von ihr beschimpft und heraus-
gefordert. In einer andern äsopischen Fabel dagegen ist es der
Löwe, welcher die Hörncr des Stiers fürchtet und ihn verleitet,
sie fahren zu lassen, damit der Stier seine Beute werden kann. ^
In noch einer andern äsopischen Fabel, die aus Syntipa entlehnt
ist, tödtet der Stier den Löwen, während er schläft, mit seinen
Hörnern. Bei Phaedms machen der wilde Eber nrit seinen
Hauern, der Stier mit seinen Hörnern, der Esel mit Tritten dem
alten und schwachen Löwen den Garaus. In Phaedrus' Fabel von
dem Ochsen und dem Esel, die an einem Strange ziehn, fällt der
Ochse bei dem Verla»! seiner Hörner kraftlos zu Boden. Aristo-
teles tadelt im dritten Buche seiner Partes Animalium den Mo-
tnos des Aesop, der über den Stier lacht ^ weil er seine Homer
auf der Stirn statt an den Armen bat^ indem er zeigt, dass die-
selben Hn 6iner andern Stelle des Körpers eine unnütze Last und
ihm bet seinen andern Verrichtungen durchaus nur im Wege
sein würden. Der Ochse und der Löwe wurden auch in christ-
lichen Kirchen zusammen gemalt. ^
Um die Sage von dem Helden und dem Ochsen weiter zu ver-
folgen^ so finden wir in Herakles als dem im Dienste des Königs
Augias bei den Herden Angestellten, den gewöhnlichen Stall-
meister-Helden wieder; er hat die Herden nicht bloss gut zu be-
wahren^ sondern sie auch an einem Tage gründlich zu säubern
und glänzend zu machen. Von Augias um den Preis betrogen,
tödtet er ihn und verwüstet sein ganzes Land. Ebenso bewacht
' In einer aus Syntipa eutlehuteii äsopischen Fabel^ welche der ersten
Lokmantchen entspricht, kämpfen zwei Stiere gegen den Löwen und
Jlcisteu ihm Widerstand; der Löwe hetzt sie gegeneinander und zerrcisst
sie. In der sechsten Fabel bei Aphtouios sind der Stiere drei, in der
achten bei Avian vier. Der Löwe kannte schon den Wahlspruch der
Könige : „Divide et impera."
* Durandus, Bational I, 3 bei Du Cange.
217
bei Hoioer Apotto ftlr einen bestimmten Preis die Herden König
Laomedo&s auf dem Berge Ida and wird um deuselben beti'ogen.
Ebenso fuhrt Hermes die Herden des König Admetus auf die
Weide; er treibt sie in die Nähe der Herden Apollos, dem er hun-
dert Stiere and zwölf Kühe stiehlt; indem er die Hunde am Bellen
bindert (wie Herakles , als er Geryons Ochsen entführt). Dieser
Hermes, dieser Gott Mereur^ der Gott der Kanfleute, dieser Händ-
ler und Räuber ist identisch mit dem schlauen und verschmitzten
Dieb der Mährehen, welcher Pferde, Zugochsen, Kisten und Ohr-
ringe dem Könige entwendet; er ist der Diebeheld; aber ein
Schatten unterscheidet ihn von dem räuberischen Ungeheuer oder
dem dämonisehen Pani der Veden ; der Held , der sich verbirgt,
und das Ungeheuer, das Dinge versteckt — beide thun eine
diebische Handlung. Als Hermes die dem Sonnengott, der Sonne,
gestohlenen Herden forttreibt, trägt er auch Sorge, Baumzweige
ihnen an die. Schwänze zu binden, welche den Weg fegen und
so die Spur der entführten Stiere und Ktthe verwischen sollen.
Der Schäfer Battos ^ielt den Spion, obwohl ihm Hermes als
Preis des Schweigens eine weisse Kuh versprochen hat. Hermes
prüft ihn, indem er sich verkleidet und ihm einen Stier und eine
Knh verspricht, wenn er redet. Battos plaudert und Hermes ver-
wandelt ihn zur Strafe in einen Stein:
„Vertit
In darufn siilicem qui ouoc qnoquc dicitur index***
Dieser Gott Mercur, der dem Apollo die Stiere stiehlt (wie
Herakles die Ochsen des Geryon entführt), ist die göttliche Ge-
stalt des Diebes. Seine dämonische Gestalt ist — Gacus, der
Sohn Vulcans (wie der vedische Vritra der Sohn Tyashtars ist),
der Feuer speit; ein Riese, der sich in Finstemiss hüllt, bei Ver-
gil ; dreiköpfig (gleich dem vedischen Ungeheuer) bei Properz ; ^
der im Aventiner Walde eine mit Menschenknocheu gefüllte Höhle
bewohnt (gleich dem Ungeheuer der Feenmährchen) ; der donnert
(fiammas ore sonante vomit), der mit Felsen und Baumstämmen
kämpft, bei Ovid ^ (gleich den Helden in der indischen, sla vischen,
dentschen und homerischen Sage); der dem Herakles die Ktthe
stiehlt und ihre Fussspuren verbirgt, indem er sie rückwärts in
» Ovid, Mctain. II, 70(>.
' Pt^r tria partitos qui dabat ora sonos
• Fasti I, 550.
218
die Höhle zieht ^ bei Livius^ welcher uns auch erzählt^ dass die
Kühe in der Höhle brüllen, indem sie nach den Stieren verlangen,
von denen sie getrennt sind (wie in den vedischen Hymnen).
Der Held hört sie, findet die Höhle, stürzt mit grossem Getös den
Felsen um, den fünf Paar zusammengejochte Ochsen kaum hätten
von der Stelle rücken können (gleich den Marnts, die den Felsen
zerbrechen, gleich Indra, der die Klippe zertrümmert und öffnet),
und tödtet mit seiner dreiknotigen (trinodis) Keule das Ungeheuer,
worauf er die Kühe befreit Der Sonnenheld, der am Abend
Ochsen oder Kühe fortführt oder der sie am Morgen aus dem
Stall stiehlt, ist ein schlauer Räuber, der verdienstlich gehandelt
hat und zur Belohnung die Prinzessin Aurora heirathet; das
wolkige oder düstere Ungeheuer, welches die Sonnenkühe stiehlt,
um sie in der Höhle einzuschliessen, aus welcher es dann Rauch
und Feuer schnaubt, ist ein abscheulicher Verbrecher. Der gött-
liche Dieb stiehlt fast aus Scherz, sei es um seine Geschicklich-
keit zu zeigen, sei es um seine Tapferkeit zu erweisen; der dä-
monische Dieb stiehlt, weil das so in seinem boshaften Charakter
liegt, und aus dem Triebe, das Gestohlene zu verschlingen, wie
es der fabelhafte Wuim des Flusses Indu (des vedischen Sindhu
oder himmlischen Oceans) thut, der die durstigen Ochsen, die zur
Tränke kommen, in den Abgrund zieht und verschlingt. *
Das Ungeheuer der Wolken, das pfeift und donnert, schreckt
nur; andererseits ist der Gott, der in der Wolke pfeift und don-
nert, der himmlische Musicus par excellence ; sein Instrument, der
Donner, überrascht uns durch seine Wunder^ und macht Steine
und Pflanzen zittern, d. h. setzt sie in Bewegung, zumal die himm-
lischen (d. h. Wolkenberge und Wolkenbäume); es zieht die wil-
den Thiere (des liimmlischen Waldes) hinter sich her, zähmt und
bezwingt sie. Der brüllende Stier schreckt sogar den Löwen.
Wir lesen darum auch bei Nonnus, ^ dass Dionysus dem Aeager,
der beim Wettstreit in Gesang und Spiel obgesiegt hat, einen
Stier als Preis giebt, während er einen rauhen Ziegenbock flir
den in Bereitschaft hält, der verliert; auf Grund dessen finden
wir in alten Mailänder Kirchen auf den Sänlenkapitälen Kälber
' ,.Angedonncrt'' haben fast alle indogerinaoischen Sprachen für ,,über-
rascht und erschrecktes [So auch semktt. Diail; vgl. arab. sa'ika.)
' Dionys. XIX, 58.
219
and Stiere als auf der Leier spielend dargestellt. > Es ist eine
Variation des Mythus von dem Esel und der Leier > welcher die-
selbe Bedeutung hat. Aus demselben Grunde finden sich der
Stier*und der Esel zusammen dargestellt, weil sie brüllen und
blöken (wie christliche Corybanten) an der Wiege des neugebo-
renen Gottes, um durch ihr Geschrei seine Geburt vor dem alten
Könige oder der Gottheit, welche entthront werden soll, zu ver-
bergen. ^ Die Muschel Bhimas, das Elephantenhorn Orlandos,
das Hifthorn taurea, mit welchen Armeen dirigirt wurden, leiteten
ihren Charakter und ihren Namen von dem mythischen Stier, dem
Donnergott ab. Die Stimme des Stieres wird bei Euripides mit
der des Zeus verglichen ; ^ die Musik, welche den Helden gefällt^
ist gewiss nicht der Sang der Casta diva; es ist das Schreien
des Esels, ^ das Brüllen des Löwen, das Brtlllen des Stieres, der
im Himmel die erste Rolle spielt, und uns so lange beschäftigt
hat, weil der oberste Gott nach der EntfUhrung Europas seine
Gestalt annahm. Auf Erden entkleidete sich Zeus seiner gött-
lichen Gestalt, und in der gewöhnlich gewählten heldischen Er-
scheinungsform eines Stieres steigt er himmelwärts:
„Litoribus tactis stabat sine comibus uUis
Jupiter inque deum de bove versus erat.
Taurus init coeluin/**
So kehren wir nach langer Wanderfahrt auf dem Gebiet der
Sage zu dem vedischen Stier Indra zurück, von dem wir aus-
gegangen sind^ und zu seiner weiblichen Erscheinungsform, welche,
mit Menschennatur begabt, eine Kuh wurde und als Kuh eine
göttliche Gestalt annahm: —
„Quae bos ex homiue, ex bove faeta Dea/'*
' Vgl. Marügoy, dictiouuaire deb autiquitt5s chretieunes,
a. V. veau.
' Bei Phaedrus sind) wie wir schon bemerkten, Ocbb und Esel unter
ein Joch gespannt.
• (be foiWi Ji6s\ Hippolyt 1200 — 1229.
• Vgl. das Kapitel über den Esel.
» Ovid, Fasti V, 615.
• lb. V, 620.
220
KAPITEL II.
Das Pferd.
Der Mythus vom Pferde iBt vielleicht nicht 8o reich an Sagen
wie der von dem Stier und der Kuh, doch keinesfalls weniger
interessant. Wie der Reiter der sehtoste Typns des Helden ist,
so ist in der Mythologie das Ross, das ihn trägt, das edelste
Thier.
Wir bemerkten schon ^ dass sich der beste der drei Brtlder,
der dritte, der siegreiehe, die Morgensonne, in der Sage vor den
beiden andern durch seine Schnelligkeit ansaeichnete, und dass
die Morgendämmerung oder Morgen-Aurora, die dritte Schwester,
die gute, die beste von den dreien, diejenige ist, welche im Wett-
laiif gewinnt Es ist nattlrlieh, dass das Lieblingsthier des Helden
sein Ross sein musste. Die beiden indischen Dioscuren, d. h. die
A^vins, die beiden Reiter, leiten ihren Namen von a^va, dem
Pferde , als dem schnellen , ab ' und sie sind höchst wahrschein-
lich mit den beiden schönhaarigen, liebenswürdigen, glänzenden
und feurigen Rennern Indras und Savitars (der Sonne) identisch
und geeignet und würdig, Helden zu tragen - , identisch mit dep
Rossen Indras , welche aufs Wort sich schirren , ^ gemahnt sind,
Samen ausspritzend, den Gurt ftlllend (d. h. wohlgenähii;), ^ an
den Augen gleich der Sonne, ^ von den Kibhus gemacht, *^ welche,
wie die Kuh aus einer Kuh, so auch das Pferd aus einem Pferde
machten, ^ schwarz, mit weissen Füssen, den Wagen mit dem gol-
denen Joche ziehend, die Dinge entliüllend ; "^ den beiden sich
tummelnden, sich sehr tummelnden , ^ den taumelnden, von Soma
' Das Wort atya hat diesdbe Bedeutung.
* Yuogautv af<ya kamyä hart vipakshasä ratbe ^onä dbritthnü nrivähasä ;
^igv. I, 6, 2.
» Vadoyugftu; Rigv. I, 7, 2
* Yukshvä hi ke^Q4 hari vrisbanä kakshyaprä ; Rigv. I, 10, 3.
^ Sura^akshasa^; Rigv. I, i^, 1.
* lodräya vadoyu^a tataksbur manasa bari; Rigv. I, 20, 2.
^ Saudbauvanä a^vad a^vam atakshata; Rigv. I, 161, 7.
* Vi gauän cbyäva^ f^itipädo akbyau ratbam hiranyapraugam vabaii-
tat; Rigv. I, 33, 5.
' ladro vankü vankutarädhi tisb|bati; Rigv. 1, 51, 11.
221
begeidtertefi, tievor Indra sie zOgelt ; * den schönen, dwreh welche
der Wagen der A^pmas gedankenschDell dahinHiegt ; ^ welche Indra
riehen, wie sie jeden Tag die Sonne ziehen ; ^ welche die bekleii
Strahlen der Sonne sind;* welche Fett (Ambrosia) -träufelnd
wiehem ; ^ den sehr reinen Rossen des Stieres ludra, den beransch-
ten, welche den Bimmel erleachten, ^ mit Mähnen von der Farbe
eines Pfaues,' den sechszig MiU gezäumten (eigentlich sechs mal
zwei mal fttnf);^ den wohlthätigen , geflttgelten, onermfldlichen,
den etrtschiossenen Vemichtern (der Feinde).^ Das Aitareya
Brähmana sagt uns, sds es die Oötter charakterisirt, dass Agni
bei der Heirath von Soma und Süryä von Mauleseln und die
Aurora von rothen Kühen (oder Stieren) gezogen wird , dass da-
gegen Indra von Pferden und die A^vins von Eseln gezogen wer-
den; 4ie Afvins gewinnen den Preis. '^ Im Mahäbhärata *^ finden
wir einen andern wichtigen Umstand, nämlich dass die A^^vins als
die S5hne einer Stute dargestellt werden, und zwar Tvashtrls, der
<4attin Savitars (der Sonne) , welche die Gestalt einer Stute an-
nahm. Demnach haben wir hier die Söhne der Stute, welche Pfierde
und Maulesel sein können, jenachdem sich die Stute mit einem
Hengst oder einem Esel verband. Hier haben wir also bereits einen
augenßilligen Beweis für die Identität der Helden, der A^vins , .mit
den Thieren, den Pferden oder Eseln, welche sie ziehen. Der
It i g V e d a kennt das Wort a^vatara, Maulesel, noch nicht, zeigt
uns jedoch bei Darstellung der bald von Pferden und bald von
* Yukghvä madadyutä hari; Rigv. I, 81, 3.
* Väm a^vinä manaso gaviyän raifehah sva^vab; Ki gv. I, 117, 2.
' A tvft yaöbantu harito na süryam ahä vi^veva süryam; Ktgv. J,
130, 2.
* Hari Büryasya ketü; Kigv. II, 11, 6.
^ GbritaQ^utam sväram asvärshtam; Rigv. II, 11, 7.
* Pra ye dvita diva ringanty ätäh susammrishtäso vrishabhitsya müruh ;
Kigv. III, 43, 6. "
^ Indra haribhir yähi mayüraromabhi^; Rigv. III, 45, 1.
» Sholhä yuktäh panda-paiSda vahanti; Rigv. Ill, 55, 18.
* Patatribhir a^ramäir avyatibbir dansanäbbih; Rigv. VII, 69, 7. Die
A^vins heissen auch dravatpäni; Rigv. I. 3, 1.
*• A^vatari — rathenägnir ägfmadhävattäsäm prägaii äno }oniinakü-
layatt^mättä na vigäyante. Gobhirarunäirusbä a^imadhävattaamädutffaasya-
gatäyämarunamivaeva prabhätyushasorüpama^varathenendra ä^invadhävat-
tasmätsa uiSöairghosha upabdimitnkshatrasya rüpamäindro hi sa gadorbha-
rathenä^vina uda^yattoa9viuävä9nuvattlm^ A it. Br. IV, 2, 9.
" Tväshtri tu savitur bhäryfl vadavarupadhärini asöyata mahäbhägS sä
uiarikahe '9vinavubbau ; Mbh. I, 2599.
222
Eseln gezogenen Agvins den zwischen beiden Thiergattangen lie-
genden Charakter des ThiereS; welches wirklich die ÄQvins zieht^
eines dankelgraneu; nur an seinen Vordertheilen weissen Wesens.
Die Nacht ist der Maulesel, welcher die A^vins oder die Dämmer-
ungen zieht, ebenso wie sie in dem obenangeftlhrten Aitareya
Agni; das Feuer oder Licht, zieht oder erweckt. In der 1 1 i a d e '
wird von Mauleseln gesprochen als von Thieren, welche geeigneter
als Ochsen sind, den Pflug zu ziehen.
Des Helden Ross ist, wie der Held selbst, Anfangs hässlich,
missgestalt und untauglich, stellt sich aber schliesslich als schön,
glänzend, heldisch und siegreich heraus.
Das mythische Pferd der Ungarn, das Ross Tatos oder Tatos
lo hat bei der Geburt ein hässliches Aussehn, ist verkrüppelt und
mager; deshalb sagt man im Ungarischen: „der Tatos kommt aus
einem verkrüppelten Pferde'^ Es kommt jedoch immer mit Zähnen
zur Welt, ^ wenn auch seine Rinnladen bisweilen mangeln; es
bricht aus einem fünfeckigen schwarzen Ei an einem Aschermitt-
woch hervor, nachdem es der Held sieben Sommer und sieben
Winter unter seinem Arm getragen. Im Mahäbhärata ^ folgt das
ersterschaffene Ross Uccaihgrava, der König der Pferde (und darum
das Pferd Indras), welches so schnell wie ein Gedanke ist, dem
Pfade der Sonne und ist glänzend weiss, hat jedoch einen
schwarzen Schwanz, der durch die Magie der Schlangen,
welche ihn mit schwarzen Haaren bedeckt haben, diese Farbe
erhalten hat. Es ist dies wahrscheinlich der schwarze Esels- oder
Pferdeschwanz, welcher der hässlichen oder bösen Schwester in
dem europäischen Volksmährchen von den beiden Schwestern auf
der Stirn wächst. ^ Es muss auch bemerkt werden , dass das
» 11. X, 352.
* Nach den gütigen Mittheilungen Dr. Giuseppe Ferraro*», des jungen
Sammlers der Volkslieder und Volksmährchen von Monferruto, über den in
diesem Lande herrschenden Thierglauben, herrscht dort der Aberglaube,
dass die Zähne eines Pferdes, wenn sie einem Kinde um den Hals gehängt
werden, das Abwerfen der Zähne bewirken und dass das Tragen der
beiden Schneidezähne eines Pferdes jedes Uebel wegzaubert.
» Mbh. I, 1093-1237.
* VgK die erste der toscanischen Novelline di San Stefano di
Calcinaia. — Im vorhergehenden Kapitel sahen wir, wie die Aepfel
eines gewissen Apfelbaumes dem, der von ihnen isst, iJörner wachsen
lassen. In einem noch nicht publicirten italienischen Mähreben haben wir
statt des Apfelbaumes den Feigenbaum und anstatt der IlÖrner den
223
Wort UccaihgravaSy da es eigentlich den mit erhobenen Ohren
bedeutet; besser anf den Esel als auf das Pferd passt.
Schwanz. Ein alter Mann aus Osimo erzählt es folgendermassen : — Drei
arme Brüder, die nicht eben viel Lu8t zu arbeiten hatten, gingen in die
weite Welt, ihr Glück zu suchen. Auf dem Marsche von der Nacht über-
rascht, schlafen sie unter freiem Himmel ein. Eine Fee kommt in Gestalt
eines hasslichen alten Weibes heran und bietet sich ihnen zur Frau an.
Die drei Brüder entschuldigen sich und erklären, sie wollten weiter nichts
als ein wenig Geld, um sich einen vergnügten Tag machen zu können.
Die Fee antwortet : „Bagt mir, wonach ihr verlangt, und ihr sollt es haben.^'
Der erste bittet um eine Börse, die immer voll Gold ist; der zweite um
eine Pfeife, durch deren Blasen sofort ein ganzes Heer tapferer Kämpfer
ftn seine Seite gezaubert wird; der dritte um einen Mantel, der seinen
Träger unsichtbar macht Die Fee befriedigt ihre Wünsche und ver-
schwindet dann in Flammen, gleich dem Teufel. Der älteste Bruder,
Stephan, geht mit seiner Börse nach Portugal, wo er spielt und verliert,
jedoch immer reich bleibt. Das kommt der Königin- Witt we zu Ohren,
welche den Fremden zu sehen wünscht, in der Hofinung, sich in den Be-
sitz seines Geheimnisses zu setzen; sie stellt sich in ihn verliebt und der
Hochzeitstag wird bestimmt; doch sie hat schon vor demselben sein Ver-
trauen gewonnen und lässt ihn, nachdem sie ihm die Börse abgenommen,
peitschen. Stephan kehrt zu seinen Brüdern zurück, erzählt ihnen sein
Unglück, schlägt ihnen vor, sich an der Königin zu rächen, und verleitet
sie, ihm die Pfeife zu leihen, welche Armeen ins Dasein ruft Die Königin
beschwichtigt ihn und behauptet, sie hatte bis zum letzten Augenblick sein
Erscheinen am Hochzeitstage erwartet, versichert auch, er sei ohne ihr
Wissen gepeitscht worden. Stephan giebt nach und die Pfeife geht aus
seinen Händen in die der Königin über. Er wird wieder gepeitscht und
zwar zweimal so stark als vorher. Wieder nimmt er seine Zuflucht zu
seinen Brüdern; er beschwört sie, ihm den Zaubermantcl zu leihen, mit
dessen Hilfe er das Verlorene wiedergewinnen wolle; er erhält ihn, aber
— wieder lässt er sich von der Königin täuschen. Aller Habe beraubt,
irrt er verzweifelt umher, ein Bettler. In der Mitte des Januar sieht er
einen mit schönen Feigen bedeckten Baum ; nach ihnen lüstern, isst er mit
Gier; doch für jede Feige, die er verschluckt, wächst ihm ein Stückchen
Schwanz, so dick wie eine Boa, an. Er geht weiter, in noch grösserer
Verzweiflung, bis er wieder Feigen, aber von geringerer Grösse findet; er
isst sie und der Schwanz verschwindet. Von dieser Entdeckung höchst
befriedigt, füllt er ein KörbcKen mit den ersten Feigen und kommt als
Landmann verkleidet in den Palast der Königin von Portugal. Alle Leute
wundem sich über so schöne frische Früchte im Januar. Die Königin
kauft das Körbchen und Alle essen ; doch sofort wachsen an ihrem Hinter-
theil Schwänze. Stephan verkleidet sich nun als Arzt und heilt viele Leute
mit den kleinen Feigen. Die Königin lässt ihn rufen; er zwingt sie, ihm
erst zu beichten, und bei der Beichte muss sie ihm sagen , wo die drei
Wunderdinge aufbewahrt sind. Nachdem er sie sich wieder zugeeignet,
lässt er die Königin mit zehn Spannen Schwanz zurück und begiebt sich
I
224
Ebenso mm wie der Held der Volksmäfa rohen , bevor er leio
weiBer Mann wird, gewöhnlich ein Eeel ist, tet anch das v^m
Sonnenhelden gerittene Thier, ehe es ein echtes und edles Pferd
wird, gewöhnlich eine werthlose Mähre oder ein dunkelfarbiger
Esel. Die Sonne reitet am Anfang der Nacht ein schwarzes
Ross, späterhin ein graues oder auch einen Esel oder einen Maul-
esel, am Morgen dagegen ein weisses und glänzendes Pferd, das
einen schwarzen Schwanz hat; oder aber das schwarze Pferd der
Nacht hat einen weissen Kopf oder weisse Beine oder Vorder-
theile, nebst goldenen Ohren und einem Nacken aus Edelsteinen. ^
Das ungeheuerliche trojanische Pferd des Epeios, eine Figur,
welche das Pferd der Mythologie darstellt, hat bei Tryphiodor dem
Egyptier* ebenfalls eine goldene Mähne, rothe Augen und sil-
berne Zähne.
In dem dreizehnten ehstnischen Mährchen bei Kreutzwald
kommt der dritte Bruder drei Mal, die Prinzessin von dem Berge
von Oks (oder Eis), wo sie schläft, zu erlösen. Das erste Mal
hat er bronzefarbene Kleidung und sitzt auf einem bronzefarbenen
Pferde; das zweite Mal ist seine und des Pferdes Farbe silbern;
das dritte Mal kommt er in goldener Rüstung auf goldfarbigem
Pferde.
In einem noch nicht publicrrten piemonte^Hischen Mährchen
wird der junge Prinz , dessen geliebte Prinzessin über das Meer
entführt worden ist, von einem Adler, den er mit seinem eigenen
Fleisclie füttert, über die Wogen getragen. Jenseits des Meeres
angelangt, hört er, dass die Prinzessin bestimmt ist, das Weib des
Helden zu werden, der drei Mal im Wettlauf siegt; das erste Mal
reich und glücklich wieder zu seinen Brüdern. — In dieser Erzählung
müssen einige Glieder fehlen^ es ist wahrscheiolieb, dass die Fee die Brü-
der warnte, ihr Geheimniss irgend Jemandem zu verrathen. Die letzte
Unternehmung ist jedoch mit viel mehr Wahrscheinlichkeit von dorn dritten
Bruder aufgeführt worden, der in Feenmährchen immer die Bolle des
Schlaukopfes spielt, als von dem erstgeborenen, welcher hier den Dumm-
kopf reprlisentirt — Polydorus spricht in aeiner Hist Angl. (Buch IB) von
dem Pferdescbwanz als Züchtigung für eine Thomas, dem Erzbischof V4ln
Canterbury, zugefügte Beleidigung: „Irridentes Archiepisoopuni caudam
cqui cui insidebat amputarunt. At postea nutu Dei ita acoidit, ut omnes
ex CO hominum genere qui id facinus fecissent, nati sunt instar brutorum
caudati.
' Hiranyakarnam manigrivam arnas; 9igv. I, 122, 14.
» '/liov SJmhj»^ 65 — 72.
225
erscheint er in schwarzer Kleidung auf schwarzem Rosse ; das
zweite Mal in Weiss auf einem weissen Pferde, das dritte Mal in
Roth auf rothem Pferde. Jedes Mal siegt er und erhält demnach
die schöne Prinzessin zur Gemahlin.
So ist das erste Pferd des Helden immer dunkelfarbig, gleich
des Teufels Rossen, gleich Plutos Pferden, welche, an die Dunkel-
heit gewöhnt, vom Licht erschreckt werden ; * es wird dann das
graue Pferd der Riesin, das graue Pferd, welches den todten Si-
gurd wittert, in der Edda. Der Pegasus selbst, der hgogiTTTtog
des Aratus, wird „halb vollendet" (i^^iT€l'^g) ^ geboren, ein Aus-
druck, der mich an den equus dimidius^ des Mittelalters er-
innert, mit welchem der Maulesel gemeint ist. Vergessen wir
nicht, dass der equus hemionus, welcher die weiten Steppen Hoch-
asiens und die nördlichen Grenzen Guzarates' bewohnt, eine Esel-
art ist, welche sich besonders durch die Länge und Schlankheit
der Beine auszeichnet. Der indische Aruna, der Wagenlenker
der Sonne (oder gar der Bruder der Sonne selbst, sofern er der
Bruder Garudas, des Sonnenvogels ist), soll mit einem unvollkom-
menen Körper geboren sein ; * er kann nur zum Theil glänzend
und göttlich sein. Das schwarze Pferd dagegen hat gewöhnlich
eine böse und dämonische Natur; es ekitspricht dem schwarzen
Teufel ; die schwarze Farbe selbst ist, nach dem Volksaberglauben,
das Ei*zeugniss der bösen Natur. '^ Jedes Pferd hat nach Meister
Agostino bei der Geburt ein Stück schwarzes Fleisch auf den
Lippen, das von den Grichen iTtTto^avig genannt wird: „La quale
carne dici lo vulgo essere molto sospettosa a li maleficii.'^ Meister
Ajj:ostino fli^t noch hinzu, dass die Mutter sich weigert, das
' Longa solitos caligine pasci
Tcrruit orbis equos; pressis haesere lupatis
Attoniti meliorc polo, rursusque verendura
In chaos obliquo pngnant temone reverti.
Claudianus, De raptu Proserpinae II, 193.
* Phainomena 215.
' „Equus Dimidius, Mulus, iu chart, ann. 1336 in Akat. Diplom, num.
H6G. Vide Grimm, Antiq. Jur. Germ. p. 255." Du Gange, s. v. Eqmis.
* Mbh. I, 1470. 1471.
^ Quelli cavaUi che 'sono de pilo morello se fanno de humore colerico
impero che e piü caldo humore et sicco che non e lo sangue et per questo
produce ad nigredine el pelo. I tre libri della natura dei ca-
valli et del modo di mci^icar le loro infermitk, composti da
Maestro Agostino Columbre; Pro logo 6, Vinegia, 1547.
Oobernatis, die Thiere. 15
226
Füllen saugen zu lassen, so lange es dieses Stück Fleisch auf
den Lippen trägt ^ und Manche sagen , dass die Mutter selbst es
isst. Im ersten Kapitel erwähnten wir den russiöchen damavoi,
den Dämon; welcher während der Nacht auf Kühe, Ochsen und
Pferde springt und sie schwitzen macht. Dieser Aberglaube wurde
in- Italien schon im 16. Jahrhundert von Meister Agostino be-
kämpft/ und darauf lässt sich mit der höchsten Wahrscheinlich-
keit die, noch von vielen Stallknechten beobachtete, Sitte zurück-
führen, während der Nacht im Stall eine brennende Lampe zu
lassen. Der Teufel ftirchtet sich bekanntlich vor dem Licht (Agni
heisst rakshohan, Ungeheuer tödtend) und sein schwarzes Boss
gleicherweise. Es bedeutet deshalb nach zwei griechischen
Versen 2 Unglück, wenn man von schwarzen Pferden träumt,
während dagegen von weissen Pferden träumen Glück bedeutet.
In der normannischen Sage von dem Priester Walchelm zeigt
sich diesem in den ersten Tagen des Januar 1091 ein schwarzes
Ross und fuhrt ihn in Versuchung auf seinen Rücken zij steigen ;
kaum hat er es gethan, als es mit ihm nach der Hölle sprengt. ^
Die Todten reiten nach dem Volksglauben ebenfalls oft auf
schwarzen oder dämonischen Pferden. *
Ein sehr Jbekanntes russisches Mährchen in Versen, das Ka-
niok Garbuiiok oder Klein Buckel-Pferdchen von Jers-
hoff, fängt folgendermassen an: Ein alter Mann hat drei Söhne,
von denen der jüngste, wie gewöhnlich, Iwan Duräk oder Iwan
* Dcvennosi corrigere et emendarequelli li quali se posseno direhcre-
tici, impero che voleno dire che quelle tal Bestie che portano li crini ad-
volte et atrezate; et con loro poco cognoscimento dicono che sono le
streghe ehe li cavalcano et chiamanii cavalli stregari; Agostino a. a. 0.
Prologo 10. — Ueber den Damavoi vgl. Ralston, The Songs of the
Russian People p. 120. 139.
* "Innovs fxeXaivas ov xaXov navtios ßXhteiv
"iTtTTOw Ss Xevxwv OTTOie ayykhov ^uaig.
Im ToBcaniscben bedeutet das Träumen von fliegenden Pferden Neuig-
keiten ; ohne Zweifel kann dieses fliegende Ross nur auf die nächtliche
Fahrt des Sonnenhelden zurückgehen.
* Vgl. Menzel, Die vorchristliche Unst erblichkeits- Leh re ,
Leipzig 1870.
* Die Ungarn nennen die Todtenbahre St. Michael's Pferd; neugrie-
chische Volkslieder stellen den Fährmann der Todten, Charon, zu Pferde
dar; in der Schweiz gilt es als eine Todesankündigung, wenn am Fenster
eines schwer Erkrankten des Abends ein Ross von der Strasse her sicht-
bar wird; Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch I, 163. 1G4.
I«?B
227
der Narr ist. Der alte Mann findet jeden Morgen sein Kornfeld
verwüstet; er wünscht den Zerstörer ausfindig zu machen and
schickt seinen ersten Sohn die erste Nacht auf die Lauer. Dieser
hat jedoch zu viel getrunken ^und schläft ein , ebenso der zweite
Sohn in der nächsten Nacht. In der dritten Nacht ist Iwan an
der Reihe; er schläft nicht ein. Um Mitternacht sieht er eine
feuerschnauhende Stute daherkommen. Er bindet sie an einen
Strick, springt auf sie, packt sie bei der Mähne und bezwingt
sie; endlich verspricht die Stute, um loszukommen, Iwan eines von
ihren Jungen zu geben, und führt ihn in den Stall, wo sich ihre drei
Jungen befinden. Sie giebt Iwan ein kleines buckliges Pferdchen mit
langen Ohren (den indischen Uccaihgrava), welches fliegt Vermittelst
dieses buckligen Pferdchens soll Iwan sein Glück machen; als er
es fortfuhrt, folgen ihm die Stute und die beiden anderen Füllen.
Iwans beide Brüder stehlen die Stute und die beiden Füllen und
gehen, sie dem Sultan zu verkaufen. Iwan trifft wieder mit ihnen
zusammen und die drei Brüder stehen als Stallknechte in Diensten
des Sultans ; einige Zeit darauf rettet sich Iwan durch sein Pferd-
chen vor dem Ertrinken.
In dem dritten russischen Mährchen bei Erlen wein wird
der Stute des Tzaren, die das Wasser getrunken hatte, in wejchem
ein gewisser Fisch (in dem neunzehnten Mährchen ein Hecht) ge-
gewaschen war, ein Hengst geboren, zu derselben Zeit als des
Tzaren Tochter und ihre Magd zwei Helden Iwan Tzarevic und
Iwan Dievic — d. h. Hans des Tzaren und Hans des Mädchens --
das Leben schenken, Repräsentanten der A^vins. Iwan Tzarevic
reitet auf dem Hengst. Im neunzehnten Mährchen heisst der Sohn
der Stute Demetrius des Tzaren (Dmitri Tzarevic), mit Identifi-
cirung des Helden und des Pferdes. In dem fünften Erlen-
weinschen Mährchen geht ein Kosak in den Wald, wo er in
die Hände des Feindes fällt, der ihn in Stücke zu hauen, in einen
Sack zu stecken und an sein Pferd zu binden befiehlt. Das Pferd
sprengt davon und bringt ihn in das Haus von Silber und Gold,
wo er wieder ins Leben gerufen wird. Während der folgenden
Nacht ziehen ihn ein alter Mann und eine alte Frau, deren Gast
er ist, um ihn zu wecken, an dem Kreuz, das er um den Hals hat,
und er wird so in ein Pferd von Gold und Silber verwandelt.
Gegen Abend wird das Pferd auf Befehl des Tzaren getödtet und
wird (gleich dem Stier und der Kuh) ein Apfelbaum mit goldenen
und silbernen Früchten. Der Apfelbaum wird abgehauen und
wird eine goldene Ente. Die goldene Ente ist identisch mit dem
228
goldenen Pferde oder mit dem wiedererweckten Helden, d. h. der
Morgensonne. Der Sack und das Pferd, welche den in Stücke
gehauenen Helden tragen, stellen die Reise der Sopne in dem
Dunkel der Nacht dar oder die Reise des grauen Pferdes, des un-
vollkommenen Pferdes, des Bastard-Maulesels oder des Esels.
In den russischen Mährchen wird femer zwischen dem grauen
und dem schwarzen Pferde ein Unterschied gemacht; das graue
Pferd leistet dem Helden in der Nacht sehr wirksame Hilfe, das
schwarze dagegen ist der Kttnder des Todes. Als im neunten
£rlenweinschen Mährchen Iwans, des KaufmanuBSohnes.
Pferd auf die Suche nach den Pferden der Prinzessin von jenseits
des Meeres geht, erwartet es Iwan am Gestade. Wenn er graue
Pferde hervorkommen sehe, so solle dies das Zeichen sein, dass
sein eigenes Ross lebt; erscheinen dagegen schwarze Pferde, so
soll er schliessen , dass sein eigenes todt ist. Grau ist die Farbe
der Trauer, Schwarz die des Todes.
Bei Afanassieff finden wir neue interessante Data. Iwan
der Dumme lauert während der Nacht dem Pferde auf, das seines
Vaters Emtefelder verwüstet und es gelingt ihm, dasselbe mit
Ruthen von einem Lindenbaum zu binden, nachdem es Tabak ge-
rochen. Darauf erwirbt es unter Beistand der Schwester des
Helden Nikanore die Fähigkeit, die Schwänze von Kühen und
Pferden, wenn es hinter ihnen herrennt, in Gold, wie ihre Homer
oder Mähnen und ihre Flanken in Sterne zu verwandeln. Rann
es ein besseres Bild als dies vou dem nächtlichen Sternenhimmel
geben, dessen goldener Schwanz der rothe Abend und dessen,
ebenfalls goldene, Vordertheile die Morgen-Aurora sind ? '
In einem andem Mährchen ^ haben wir Iwan den Sohn der
Hündin an Stelle Iwans des Sohnes der Stute, jedoch in derselben
Rolle. Iwan der Hündin wird, nachdem er die drei Prinzessinneu
aus dem tiefen Brunnen befreit hat, selbst hineingeworfen. Das
schwarze Pferd kommt ihn zu befreien, vermag es aber nicht;
das graue Pferd kommt, vermag es aber ebensowenig; das rothe
Pferd kommt und ihm gelingt es, den Helden herauszuziehen. Das
schwarze Pferd stellt die schwarze Nacht, das graue die sich all-
mählich erhellende Nacht, das rothe den rosigen Morgen dar,
welcher den Sonnenhelden, die Sonne befreit.
Der dritte Brader besteigt ein wunderbares Pferd und ge-
» Afan. V, 37.
• Afan. V, 54.
229
langt zuerst zu dem bronzenen SchlosS; dann zu dem silbernen,
schliesslich zu dem goldenen. ^ Es ist dies eine Abart desselben
Mythus und stellt in ähnlicher Weise die Sonnenfahrt vom Abend
zum Morgen dar. Die nächste mythische Sage spielt jedoch wahr-
scheinlich vielmehr auf die drei Tage der Wintersonnenwende an,
welche die Sonne zur Rückkehr nimmt. Der Held, Theodor, findet ein
eben erst geworfenes Pferd, das die Wölfe ihm zugetrieben haben; er
lässt es drei Dämmerungen lang im Thau weiden (gleich dem un-
garischen Tatos, der sich von goldenem Hafer auf einem Silber-
felde nährt; d. h. der während der Silbemacht oder auch während
der weissen Dämmerung oder des schneeigen Winters die thauigen
Feuchtigkeiten des Frühlings oder der Morgen-Aurora einsaugt).
Den ersten Tag wird das junge Pferd so hoch wie ein halber
Baum ; den zweiten höher als ein Baum , den dritten Tag ist es
so hoch wie der Himmel und trägt den Helden Theodor und sein
Weib Anastasia auf seinem Rücken.
Iwan Durak wacht drei Nächte am Grabe seines Vaters. ^
Sein Vater verkündet ihm, wenn er in einer Zeit der Noth mit
einem Heldenpfiff ein Zeichen geben werde, so werde ein wunder-
bares graues Pferd erscheinen, ihm zu helfen, dessen Augen Flammen
sprühen und dessen Nüstern Dampf schnauben. Iwan thut es und das
Ross erscheint ; er geht zu seinem rechten Ohr hinein und kommt zum
linken wieder heraus. Vermittelst dieses Pferdes gelingt es Iwan,
drei Mal das hoch oben an den Mauern des Palastes aufgehängte
Bild der Tochter des Tzaren herabzuholen und er erhält so die
schöne Prinzessin zur Gemahlin.
Nach einer andern Variation dieses Mährchens ^ geht Iwan,
der dritte und närrische Bruder, mit dem werthlosesten Gaul aus
dem Stalle unter freien Himmel und ruft das graue Pferd mit
lautem Schrei herbei; er geht zu einem Ohr in dasselbe hinein
und kommt zum andern wieder heraus. Zwei junge Reiter (die
Agvins) erscheinen ihm und lassen ein Pferd mit goldener Mähne
und Schwanz erstehen ; auf diesem Pferde gelingt es Iwan , die
Tochter des Tzaren durch zwölf Spiegel (den Eisberg des ehst-
nischen Mährchens) hindurch zu küssen, welche damit seine Ge-
mahlin wird. Hier finden wir also das hässliche Pferd, das von
den beiden Reitern schön gemacht wird; ^vekhe durch die beiden
' Afan. I, 6.
» Ib. n, 25. — Vgl. ni, 5. IV, 27.
» AfaiL n, 28* . .
230
Ohren des grauen Pferdes, aus denen sie kommen ; dargestellt
werden. Diese beiden Reiter geben dem Helden ein besseres
Ross. Wohl verstanden : ihr eigen Schlachtross (d. h. das Sonnen-
ross) wurde aus einem hässlichen oder eselartigen während der
Nacht ein schönes und edles ; so müssen wir auch in dem Küllaros
der Dioskuren wahrscheinlich einen Renner erkennen ^ der aus
einem Esel in ein Heldenross verwandelt ist.
Bisweilen haben wir jedoch statt des Pferdes nur seinen Kopf.
Die Stiefmutter verfolgt des alten Mannes Tochter; ' die Verfolgte
findet den Kopf einer Stute, welcher sie ersucht, ihn zu bedecken ;
schliesslich lädt er sie ein, zum rechten Ohr hineinzukriechen und
zum linken wieder herauszukommen. Als sie das gethau, ist sie
ein ausserordentlich schönes Mädchen. Die Stiefmutter sendet die
eigene Tochter, um dasselbe Verschönerungsmittel zu probiren;
doch diese behandelt den Kopf der Stute schlecht und wird von
ihm verschlungen.
Eine ganz besonders deutliche Anspielung auf die A^vins liegt
in der 44. Erzählung des fünften Buches bei Afanassieff,
welche mir eine vollgiltige Bestätigung der gegebenen Deutungen
zu sein scheint. Als Basilika, das von der Stiefmutter verfolgte
Mädchen, sich dem Hause der alten Hexe (baba-jega) nähert, »ieht
sie einen schwarzen Reiter auf das Thor desselben lossprengen,
ganz schwarz gekleidet , auf einem Rappen , der unter die Erde
verschwindet, worauf die Nacht hereinbricht. ^ Als der Tag zu
erscheinen beginnt, sieht Basilika einen weissen Reiter vor sich,
ganz weiss gekleidet, auf einem Schimmel mit weisser Schabracke.
Die Jungfrau geht weiter; als die Sonne aufzugehen anfangt, sieht
' Ib. IV, 41. — lu dem 21. Erleuwei u'scbeu Mährcheu erlangt der
arme Bruder Reich thuiu vermittelBt des Kopfes einer Stute, während da>
gegen der reiche Bruder arm wird. — Bei A fan. V, 21 kriecht derZwerg-
knabc, der grosse Kraft besitzt, in das Ohr eines der beiden Pferde beim
Pflügen, worauf sie ganz von allein ihre Arbeit verrichten, und der alte Vater
des Zwerges sich zur Ruhe setzen kann. — lu dem sechsten kalmükischen
Mährchon bringt der Kopf des todten Pferdes, vom Baume gefallen, Reich-
thum und Glück demjenigen, welcher ihn fallen lässt und der einen gol-
denen Becher darunter findet : dies ist eine Erscheinungsform der Ambro-
sia^ welche aus dem Pferdekopf kommt, wie wir weiter unten finden werden.
■ Der russische Text scheint mir zu wichtig für die Geschichte der
Mythen, als dass er hier nicht eine Steile finden sollte: „ledietapiät vsad-
nik: sam cornoi, adiet va vsiem <^oruom^ na dornom kauid; padskakäl k
varötiim babijaghi i is-desz, kak skvosz szemlin pravalilsia *, oastäla noc/^
231
«
sie einen rothen Reiter, ganz roth gekleidet, auf einem Fuchs. ^
Der Mythus bedarf keines Commentars; doch wird uns derselbe
noch obendrein in dem Mährchen selbst von der flexe gegeben,
welche um die Neugierde Basilicas zu befriedigen, ihr enthtlllt,
dass der schwarze Reiter die dunkle Nacht (noc tiömnaja), der
weisse Reiter den hellen Tag (dien jasnoi) und der rothe Reiter
die kleine rothe Sonne (siolnishko krasnoje) darstellt.
Von der slavischen zur asiatischen Sage zurückkehrend treffen
wir dieselben Mythen.
Beginnen wir mit dem dämonischen Pferde oder dem Pferde-
dämon. Schon der Rigveda kennt ihn; das Ungeheuer Yätu-
dhana nährt sich bald von Menschentieisch (gleich dem Bucephalus
der Alexandersage), bald von Pferdefleisch und bald von Kuhmilch.
Wie wir sagten, es ist wahrscheinlich, dass der Brauch, eine bren-
nende Lampe in den Ställen zu halten, eine Art Bann gegen den
Dämon ist; der Rigveda erzählt auch wirklich, dass Agni (d.
h. flammendes Feuer) solchen Ungeheuern die Köpfe abschlug. *
Doch noch mehr: Der Rigveda liefert uns in demselben Hymnus
den Beweis für eine andere Ideutificirung. Wir sahen im vorigen
Kapitel , wie Rebba , der Rufer , der dritte Bruder ist , den seine
neidischen und treulosen Brüder in den Brunnen warfen; und
wir sahen oben, wie Iwan, welcher ebenfalls der dritte Bruder ist,
mit helltönender Stimme das graue Ross anruft, das ihm helfen
soll und wie derselbe Iwan der einzige ist, welcher das Pferde-
ungeheuer entdeckt, das die Saat oder die Ernte seines Vaters
verwtistet. In demselben vedischen Hymnus , wo Agnis Flamme
dem Ungeheuer, das die Pferde quält, die Köpfe abschlägt, wird
Agni (d. h. Feuer) angerufen, damit der Held Rebha das Unge-
heuer sehen kann, das mit seinen Hufen Verwüstung anrichtet. ^
' Idiot anä i draszit. Vdrüg skadet mimo iejft vsadnik sam bieloi,
adict V bielom, kon pod nini bieloi, i sbruja na kani^ bi^Iaja; Da dvarid
8talo raszvictät. Idiot anä dalshe, kak skadet drugoi vsadnik; sam kras-
noi, adidt v krasnom i na krasnom kani(t; stalo vshodit sointze.
^ Yah paurusbeyena kravishä samankte yo a^vyena pa^unä yätudhäuah
yo aghnyäyä bharati kshiram agne tesbäm Qirsbäni barasäpi vri^a; Rigv.
X, 87, 16. — Vgl. den Drachcu, der die Pferde quälbt, im Tuti-Namo bei
Kodcn II, p. 301 ff.
' Tad agne dakshuh prati dhehi rebhe ^apbärugam yena pa^yasi yatu-
dhaiian*; Rigv. X, 87, 12. — Der von Viahnu getödtete Dämon Hayagriva
(d. h. Pferdehals) und Haya^iras (d. h. Pferdekopf)» *iöd ein anderes
Kicseuungeheuer Kämäy. IV, 43. 44, geben immer auf den vedischen
232
Rebha und Bhugyu sind zwei Namen des Helden, welcher in den
Brnnnen föllt, im Kigveda. Wir sahen vorbin in dem russischen
Mährchen, dass Iwan, der dritte Bruder, welcher in den Brunnen
geworfen wird, von dem rothen Pferde befreit wird. Die Agvins
befreien im Rigveda Bhngyn aas dem See vermittelst rotbgeflU-
gelter Rosse. * Hier ist das graue und unvollkommene Pferd der
Nacht ein rothes geworden. In demselben vedischen Hymnus wird
Rebha, der von den Wassern überwältigte, mit seinem eigenen
Pferde identificirt (Iwan ist der Sohn der Hündin oder der Kuh
oder der Stute), indem er mit einem von Bösen verstecktem Pferde
verglichen wird. *
Wir sahen oben in dem russischen Mährchen wie die beiden
Reiter, welche aus dem Ohr des grauen Pferdes herauskommen,
dem närrischen Iwan, der ein hässliche» und werthloses Pferd
hat, einen prächtigen Zelter geben, mit welchem dieser all die
a<;va-yätudhäoa zurück. Wir sind scboa mit dem Dämon bekanDt, welcher
wäbrood der Nacht die Pferde schwitzen und dürr werden läset, d. h. der
»io hässlich macht. In der römischen Suge wurden Castor und Pollux,
nachdem sie den Römern in der Schlacht am Ihcus Regillus beigestanden,
am ambrosischen lacus Jxitumae gesehen (Ovid, Fasti, I), wo sie ihren
Pfe^'den den Schwciss mit dem Wasser dieses Sees abwuschen, welcher sich
in der Nahe des Tempels der Vesta befand. Darauf spielt Macaulay an
in den Versen:
„And washed their horses in the well
That springs by Vesta's fane>'
— Battle of the Lake Begillus, 39.
Das Heilwasser der Dioskuren oder Söhne des Glänzenden, würde hier die
Stelle des bei Nacht in den Stallen angezündeten Feuers einnehmen, wie
auch des vedischen Agni, der das Pferdungeheuer tödtet. Mein Freund .
Giuseppe Pitr^ schreibt mir, dass man in Sicilien auf den Rücken eines
Esels, Maulesels oder Pferdes, wenn es in einen neuen Stall gehen soll,
Salz streut (eine Form der christlichen Taufe), damit die Feen es nicht
lahm machen können. — Der Küllaros, das Heldenpferd der Dioskuren,
ist vielleicht mit dem Worte xvA^off, lahm und krumm, verwandt; bevor das
Sonnenpferd ein Heldenross wird, ist es bucklig, lahm, msger und hässlich ;
der lahme Held, das lahme Pferd (Esel oder Maulesel), der lahme Teufel
scheinen mir drei penumbrae des Sonnenhelden oder der Sonne in der
Dunkelheit zu sein.
» Vibhir Ühathur rigrebhir a9väih; Rigv. I, 117, 14. — Vgl. Vll,
69, 7.
* A^vam nagülbam ayvinä durevair rishim narä vrishana rebham apsu;
Rigv. I, 117, 4. — Die A^vins setzen über das Meer auf einem Wagen,
der einem Schifi gleicht; dieser Wagen soll die Sonne zur Decke haben
— rathena 8Üi7atvaca; ^igv. I, 47, 9.
233
schwierigen Tbaten voUbriogt, die ihm ein Recht anf die Hand
der Königstochter verleihen. Es i«t merkwürdig, wie genau der
vedische Mythus mit dieser europäischen Sage tibereinstimmt. ;,Üie
Agvins haben dem, der ein schlechtes Pferd hatte, zu seinem ewigen
Glück ein herrliches, glänzendes gegeben !^'^ In einem andern
Hymnus giebt der Gott Agni seinem Verehrer einen frommen,
treuen, unbesiegbaren und sehr ruhmreichen Sohn, welcher Hel-
den besiegt, und ein schnelles, siegreiches und unbezwingbares
Ross. ^
Wir sahen ferner, wie Iwan^ der populärste Typus des rus-
sischen Heldeu; immer drei Versuche zu machen hat, bevor er sein
Unternehmen auf dem wunderbaren Rosse, das er von den beiden
Reitern erhalten hat, vollbringt. Der Rigveda, welcher die be-
rühmten mythischen drei Schritte Vishnus, der einen grossen
Leib hat (brihacäiarfra) ^, des weitschreitenden (urukrama) *
feiert; Vishnus, der mit drei Schritten den ganzen Himmelsraum
durchmisst, ^ verräth in einem andern Hymnus das Geheimniss,
wie Vishnu dieses göttliche Unternehmen vollbringen konnte, in-
dem er sagt, dass er, als er mit der Stärke Indras diese drei
Schritte machte^ von den beiden schönhaarigen Pferden Indras ge-
zogen wurde ^ (d. h. dass die beiden A^vins ihm das jsclmelle und
starke Ross liehen, welches ihn zum Siege tragen sollte). Die
drei Schritte Vishnus entsprechen also den drei Stationen Iwans,
den drei Wetüäufen des jungen Helden, um die schöne Prinzessin
zu gewinnen. Vishnu erscheint auch im Rämäyana^ inmitten
* Yarn a^vinä dadathuh <;vetain a^vam aghä^väya f^^^vad it svasti;
Rigv. I, 116, 6.
' Agnis tuvi^ravastamain tuvibrahmänain uttamam atürtam (^rävayat-
patim putram dadäti dä^ushe — Aguir dadäti »atpatim eäsäha yo yudhii
nriUiil^ agnir atyam raghnshjadam getäram aparftgttam; Rigv. V, 25,5.6.
» Rigv. I, 155, 6.
« \\ 154, 4.
^ Vishnor iiu kam viryani pra vodani yah parthiväni vimame ragänsi
yo askabhayad uttaram sadhaatham vidakramänaa tredhorugäyah ; Higv.
I, 154. 1.
* Yadä tti visbnur ogasä trini padd vidakram kd it te haryatä hari va-
vakaliatuh; Rigv. VIII, 12, 27. — Ich bin bei der Ucber«etsung dee
Wortes vavakshatuB der Angabe des Benfeyschen Glosaars zum Säma-
veda gefolgt, nach dem Petersbui^er Wörterbuch würde zu übersetzen
sein : „die beiden Hessen erstarken'S Der Leser kann zwischen beiden
Deutungen wählen; das Wesen des Mythus wird dadurch nicht berührt.
^ Rämfty. IV, 40.
234
des Sees von flüssiger Butter, alle Wesen anziehend, in Gestalt
eines Pferdekopfes. Der Held und das Sonnen- oder Mondross
sind identisch.
Indra wird aufgefordert sein rechtes und sein linkes (Pferd)
zusammenzuschirreu, sich berauscht seinem lieben Weibe zu
nahn. * Vermittelst des von den beiden Reitern empfangenen
Pferdes erlangt der russische Iwan sein Weib; im Rigveda
wurden die beiden A^vins selbst durch ihren reisseud schnellen
Wagen Gatten der Tochter der Sonne. ^ Die Pferde der Sonne
werden so vollständig mit dem von ihnen gezogenen Wagen iden-
tiftcirt, dass sie von ihm abhängig, mit ihm vereint, ja sogar von
ihm geboren genannt werden. ^ Die Agvins lassen deshalb ver-
mittelst des Pferdes das Weib bald von dem Sonnenhelden, dem
alten Cyävana, der wieder jung gemacht ist (Tithon), ^ bald von
der Sonne gefunden werden, bald finden sie sie selbst (vielleicht
den Wagen gleich Pferden ziehend). Auch Räma, der im Rä-
mäyana^ als Befreier Sitäs dargestellt wird, wird mit dem
Sonnenrosse, mit der auf dem Berge geborenen Sonne verglichen.
Wir haben in den russischen Mährchen gesehn, wie der Kopf
des Pferdes dieselbe Zauberkraft besitzt als das wunderbare
Pferd selbst, das die beiden Reiter dem Helden Iwan geben. So
steht in dem vedischen Mythus und in der entsprechenden bräh-
manischen Tradition der Pferdekopf Dadhyanc in direkter Be-
ziehung zu dem Mythus von den Agvins. Der weise Dadhyanö
zeigt sich ergeben gegen die Agvins, denen er, obwohl er weiss,
dass er die Enthüllung, die er macht, mit seinem Kopfe bezahlen
muss, mittheilt, was er über die Ambrosia oder die Madhuvidyä
weiss. Die A^vins schenken ihm für den verwirkten einen Pferde-
kopf (seinen eigenen), welcher Heldenwunder verrichtet. Mit den
Knochen des Dadhyanc oder mit dem Kopf des Pferdes Dadhyanc
(d. h. der in Butter oder Ambrosia geht), welcher in dem ambro-
sischen See Qaryanävat aufgefischt ist (der Kopf des Pferdes
' Yuktas te astu dakshina nta aavyah ^takrato tena gäyäin upa
priyäin mandäno yfthy andhaso yogä; Rigv. 1, 8*2, 5.
* Tad ü shu vftm agiram 6eti yänain ycna pati bhavathah süryftyah;
Rigv. IV, 43, 6. — Im folgcndea Hymnus, Strophe 1, wird die Aurora
bald TochttT der Sonne, bald Kuli genannt: Tarn väm ratbaih vayam
adyä hnvema prithugrayam a^vina samgatim gob — Tab sury&m vahati.
' Katbasya naptyah: Rigv. 1, 50. 9.
* Rigv. I, 116, 10.*
* VI, 9.
235
Vißhnu in dem See von Butter), * zerstört Indra die nennandnenn-
zig feindlichen Ungeheuer (wie Simson die Philister mit der
Eselskinnlade). ^ Dieser Tausch scheint den Sagen, welche auf
dem Mythus von den Agvins beruhen, gemeinsam zu sein, d. h.
den Sagen von den beiden Heldenbrttdern oder Heldengefährten.
Im Tuti-Name^ werden die Köpfe des Fürsten und des Brah-
manen, die einander aussei ordentlich ähnlich sind, abgeschnitten
und dann wieder angesetzt; doch kommt durch ein Versehen der
Kopf des einen auf den Körper des andern, so dass die Frau des
Prinzen in Verlegenheit geräth, mit welchem von beiden sie zu
thun hat. Diese Vertauschung des Gatten (welche der Ver-
tauschung des Weibes in der im ersten Kapitel erwähnten Berta-
sage entspricht) ist in der Sage von den beiden Brüdern sehr
häufig und endet oft mit dem Bruch des zwischen ihnen herr-
schenden vollkommenen Einverständnisses. Die beiden Brüder
oder Gesellen, die sich um die Frau streiten, sind eine Abart der
Sage von den drei Brüdern, die nach Befreiung der schönen
Prinzessin dieselbe unter sich theilen wollen.
Der ßigveda scheint noch nicht deutlich die beiden Agvins
in Uneinigkeit darzustellen — sie sind gewöhnlich bei guten
Handlungen vereint ; da wir jedoch den Blinden und den Lahmen
der Veden, welche durch die Gnade Indras oder der Agvins selbst
geheilt werden, schon kennen; da wir wissen, dass die Agvins
im Kigveda sich von Dadhyanö, der einen Pferdekopf hat, zu
der Ambrosia führen oder sich zeigen lassen, wo dieselbe ist,
wahrscheinlich um sich selbst Gesundheit und Stärke zu ver-
schaffen; da in der neunten Strophe des 117ten Hymnus des
ersten Buches des Kigveda das wunderbare Pferd der AQvins,
welches das Schlangenungeheuer tödtet (ahihan), nur eins ist;
da wir wissen, dass die A^vins rennen, um die Braut für sich
* Der See Brähmans, den Hanumant im Kämäy. VI, 53 besucht, hat
die Gestalt einer Pfcrdeschnauze (hayänana).
^ Indro dadhico astabhir vptrany apratishkutah gaghäna iiavatir uava;
Rigv. I, 84» 13. 14. J, 117, 2*2; vgl. den entsprechenden Commentar Säya-
nas. — Die Knochen dos Heldenpferdes besitzen gleiche Kraft . wie dna
Pferd selbst; so sahen wir im vorigen Kapitel, wie der geopferte Stier
(rcsp. Kuh) mit erneuter Kraft wieder ersteht, als seine Knochen aufbe-
wahrt werden. — Vgl. über diesen Gegenstand die interessanten und reich-
haltigen Details mit besonderer Beziehung auf den europäischen Volks-
glauben bei Rochholz, Deutschem Glaube und Brauch, I, 219 — 253.
• II, 24 (p. 169).
or Trll
UNfvr
Ca..
236
zn gewinnen; and da wir den Umstand nicht ignoriren können,
das» in dem Mährchen von dem Lahmen und dem Blinden die-
selben, als ein Weib auf den Schauplatz der Handlung tritt,
einander Leids anzuthun suchen; da wir ferner wissen, dass von
den beiden griechischen Brüdern, den Diosknren, nur einem ein-
zigen von den Göttern die Unsterblichkeit verliehen wurde; da
es uns endlich bekannt ist, dass von den beiden Brüdern nur der
der wahre Held ist, welcher vermittelst seines Pferdes den Sieg
über das Ungeheuer davon trägt, — so ist es klar, dass wenn
wir auch im Kigveda noch nicht den Mythus von den beiden
BrUdern in Zwietracht finden, wir doch wenigstens in der Am-
brosia und in der von ihnen gewonnenen Braut den Keim des
angegebenen Mythus haben; denn aus der Vorstellung von dem
bevorrechteten Bruder musste sich sehr natürlich die des neidi-
schen herausbilden.
In Hesiods Theogonie haben wir die beiden Brüder Chry-
säor und Pegasos, welche der von Poseidon geschwängerten Me-
dusa (der Abend-Aurora) entspringen, nachdem Perseus ihr den
Kopf abgehauen hat Pegasos, der jüngere Bruder, wird das
Heldenross. Bei Hesiod selbst und in den Metamorphosen
Ovids trägt er den Donner und die Donnerkeile des Zeus. Der
Held Bellerophontes reitet ihn und besiegt mit seiner Hilfe die
Chimäre und die Amazonen; er wird das Pferd der Aurora, das
Pferd der Musen, das ambrosische Ross. Das Ungeheuer Ghimära
erscheint in Hesiods Theogonie als die Tochter Typhaons und
der Echidna, der ungeheuerlichen Tochter Chrys^rs. Deshalb
haben wir in dem Conflict, in welchem Bellerophontes mit der
Chimäre liegt, eine Form des Kampfes, welcher zwischen den
Zwillingspferden Pegasos und Chrysäor, dem göttlichen und dem
dämonischen, geführt wird.
In dem analogen Mythus von den griechischen Dioskuren
(den Söhnen des Glänzenden d. h. des Zeus, ganz wie die ve-
dischen Agvins die Söhne des glänzenden Himmels sind ; ^ Zeus
wird mit den Dioskuren, wie Indra mit den Agvins in Verbindung
gebracht) finden wir wieder die Zwillinge, welche kämpfen, um
ein Weib wiederzugewinnen, das ihnen entführt worden ist, d. h.
ihre eigene Schwester Helena. Einer von den beiden Brüdern ist
sterblich, der andere unsterblich; der letztere mit seinem sterb-
lichen Bruder in der Hölle geht durch die Nacht. Die Doppel-
•
' Divo napftta; Rigy. I, 1Ö2, 1.
237
gestalt der Sonne, die am Abend sich in die Nacht versenkt und
in ihr verliertj welche letztere bald schwarz, bald vom Monde er-
bellt ist, und die am Morgen in glänzender Gestalt hervorkommt,
hat den Mythus von den beiden Brüdern bereichert. Der eine
derselben, der rothe Reiter, steht in besonderer Beziehung zu der
Morgensonne ; der andere hängt innig mit dem Silbermonde, dem
weissen Reiter, zusammen, und wenn der letztere fehlt, mit der
unterirdischen Dunkelheit.
Die beiden Brüder können ohne Schwierigkeit aufgefasst
werden als um den Besitz der Braut streitend, wenn sie dieselbe
zvnschen sich haben, da die ÄQvins, als Mondlicht und Sonne
betrachtet, wirklich die Aurora zwischen sich nehmen. Der oben
angefllhrte vedische Hymnus zeigt uns, wie beide A^vins, auf
dem schnell rennenden Wagen anlangend, die Gatten Süryäs, der
Tochter der Sonne, wurden. Doch gerade diese Süryä muss sich
in dem vedischen Hochzeitshymnus mit einem Gatten begnügen,
welcher Soma heisst, so dass die Agvins nur den Platz von Braut-
führern einnehmen können. Die A^vins würden also von der
Hochzeit der Süryä als Hauptpersonen ausgeschlossen erscheinen ;
sie würden uichts weiter als Beisteher sein; und wirklich spielen
sie auch in den vedischen Hymnen oft diese Rolle, indem sie bald
der Braut den Gatten zu finden verhelfen, bald den Gatten sein
Weib wiedergewinnen lassen. Wir wissen bereits, dass durch
ihre Vermittelung Cyavana, die alte Sonne (ein vedischer Tithönus),
wieder jung wurde und im Stande war, die Aurora zu heirathen;
wir wissen, dass sie dem Vandana (eigentlich; Gesicht) die Seh-
kraft gaben, dass sie den Blinden sehend, ^ den Lahmen gehend
machten und noch manche andere Werke der Barmherzigkeit
verrichteten, welche jedoch viel ruhmvoller gewesen wären, wenn
alle diese Handlungen nicht in Wirklichkeit immer auf eine
Wohlthat gegen sie selbst als Blinde, Lahme oder Ertrunkene
hinausliefen. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass wenn sie
dem Helden eine Braut geben, sie sich dieselbe bald als Mond-
bald als Sonnenhelden selbst aneignen. Wenn wir also lesen,
dass die A^vins als Brautführer bei der Hochzeit der Söryä und
des Soma zugegen sind, so sind wir sehr geneigt zu denken, dass
in diesem Falle hinter dem Soma einer der beiden A^vins steckt
' SushupväQsam na nirriter upasthe süryam na dasrä tamasi kshiyan-
tarn ^ubhe mkmam na dar^atam nikhätam nd üpathur a9yinä vandanfiya ;
Rigv. I, 117, 5.
238
In Indra und Soma, welche im R i g ? e d a oft zusammen besungen
werden, haben wir meines Erachtens eben nur eine andere Er-
scheinungsform der Afvins, und dies scheint mir um so glaub-
hafter, als ich sie beide, gleich den ÄQyins, in einem und dem-
selben Pferde personificirt finde, dessen Rücken mit Honig be-
deckt und welches schrecklich und schnell ist, * und weil sie
zusammen gegen den yätudhäna angerufen werden, den der Held
Rebha durch Gnade der Agvins glücklich entdeckt und fortjagt. ^
DasTiiittiriya-Br ähmana^ stellt uns die Tochter der Sonne
(Sävitrf) mit dem Namen Sita dar ^ als verliebt in Soma, der jedoch
ein anderes Weib, die Qraddhä (d. h. Treue) liebt, fast als ob
die Tochter der Sonne, die Aurora, fUr ihn wenigstens, ein Sym-
bol der Untreue wäre. Wahrscheinlich geht dieser Embryo eines
Mythus zurück auf den Uebergang der Aurora von ihrem Liebes-
verhältniss mit dem weissen Reiter (der weissen Dämmerung},
wovon man vennuthete, dass es in besonderer Beziehung zu dem
Monde (Soma) stehe, zu ihrem Verhältniss mit dem rothen Reiter
(der Sonne) oder vice versa auf die Aurora, welche am Abend
den rothen Reiter, die Sonne (bald ihren Vater, bald ihren
Gatten) verlässt, um sich dem weissen Reiter^ der weissen Däm-
merung, dem König Soma oder dem Silbergott Lunus in die
Arme zu werfen. Ueberdies bemerkt schon Yäska im Nirukta,^
dass die Agvins bald mit dem Tage und der Nacht, •'^ bald mit
der Sonne und dem Monde identificirt werden.
Wenn wir also lesen, dass die Agvins die Tochter der Sonne
zur Gemahlin erhielten und dass diese Beide zu Gatten erkor, ^' so
müssen wir die Stelle cum grano salis verstehen und schliessen.
' Madhuprishtham ghoram ayäsam aQvam; Bigv. IX, 89, 4.
=' Rigv. Villi 104, 15-25.
' Angeführt bei Muir, Sanskrit texts V, 264. — Soma mit Agni
vereinigt im Rigveda, Soma mit Rudra vereinigt, scheinen mir identisch
mit Soma vereinigt mit Indra. — Vgl. Muir V, 269. 270.
* XII, 1 angeführt von Muir, Sanskrit texts, V, 224.
^ In der Edda finden wir die A^vins unter den Gestalten von Nacht
und Tag. Odin nahm Natt und ihren Sohn Dag, gab ihnen zwei Pferde
und zwei Karren und versetzte sie in den Himmel, um die Erde in
vierundzwanzig Stunden zu umkreisen. Natt kam zuerst mit ihrem Pferde
Hrimtaxe an; dieses spritzt jeden Morgen den Schaum von seinem Ge-
biss auf die Erde; es ist der Thau. Das Pferd Dags heisst Skenfaxc; die
Luft und die Erde werden durch seine Mähne erhellt.
• A väm patitvam sakhyäya gagmushi yoshävrinita genyä yuvam pati;
Rigv. I, 119, 5.
239
dass bisweilen einer von ihnen vorgezogen wurde, sofern der
vedische Hochzeitsbymnus von nur einem Gatten Süryäs, Na-
mens Soma; spricht, mit welchem, wie bemerkt, Yäska einen der
Agvins identificirt. Wir lesen bei Pausanias unter griechischen
Sitten, dass die Braut, wenn sie in das Haus des Bräutigams
geführt wurde, einen Wagen zu besteigen und sich in die Mitte
desselben zu setzen pflegte, den Bräutigam auf der einen, ihren
nächsten Verwandten auf der andern Seite als Brautführer. Die
Bevorzugung des einen der beiden Brüder vor dem andern weckt
natürlich die Idee eines Streites zwischen ihnen; nichtsdesto-
weniger weiss, wie gesagt, der Rigveda, der uns doch schon
den Mythus von dem von seinen Verwandten in dem Brunnen
verlassenen dritten Bruder bietet, nichts von einem offenen Kampfe
zwischen den beiden Brüdern.
Eine offenbar indische Variation dieses Mythus liegt in der
wohlbekannten Episode des Mahäbhärata vor, welche die
Abenteuer Sundas und Upasundas erzählt, zweier unzertrennlicher
Brüder, die in Liebe und Eintracht mit einander lebten, indem
sich jeder dem Willen des andern unterordnete und die ihr
ganzes Leben lang sich gegenseitig nichts missliebiges gesagt
hatten. Die Götter werden neidisch auf ihre Vortreflflichkeit, wün-
schen sie zu prüfen und schicken eine Nymphe von bezaubernder
Schönheit, sie zu verführen. Jeder der beiden Brüder verlangt
bei ihrem Anblick den ausschliesslichen Besitz der göttlichen Jung-
frau und sie kämpfen um dieselbe. Sie streiten so lange und so
verzweifelt, dass sie beide sterben. Die Götter, welche auf die
Trefflichkeit der beiden Brüder Sunda und Upasunda neidisch
sind, sind dieselben wie die, welche aus Neid auf das Gute, das
die AQvins Jedermann thun, sie als himmlische Qudras behandeln
unter dem Vorwande, dass sie sich durch ihre Berührung mit
Menschen verunreinigen, und sich weigern, sie als unrein zu den
Opfern zuzulassen. *
In den Zwillingsbrüdern Nakula und Sahadeva, den Söhnen
der Agvins, leben die Agvins selbst wieder auf, werden besser ge-
macht, nach dem Ausdruck des ersten Buches des Mahäbhä-
rata. Der erstgeborene, Nakula, ist vielleicht der wirkliche Agvin,
welcher das Ungeheuer tödtet. Nakula ist der Name, welcher dem
' Vgl. die Sagen über den von den'Aijvins geheilten Cyavana im (^a-
tapatha Brähmana und im Mahäbhilrata, angeführt von Muir,
Sanskrit texts V,' 250 ff.
240
viverra ichneumon gegeben wurde, dem Todfeinde der
Seblangen, welcher uns auf das Pferd Abiban (Schlangent^ter)
zurückfuhrt, wie das Pferd der Agvins, oder vielleicht vielmehr
eines der Agvins, im Bigveda genannt wird. Von den beiden
Dioscuren ist ferner auch nur einer speciell der Reiter; der an-
andere ist der Tapfere im 'Kampf. * Der sterbliche Bruder , der
welcher in der Hölle zu bleiben und gegen die Ungeheuer der
Nacht zu kämpfen hat, ist Gastor der Reiter. Pollux dagegen,
der starkarmige, ist der unsterbliche^ die Tagessonne, der welcher
den von seinem Bruder in der Nacht erfoehtenen Sieg sich zu
Nutze macht, bei welchem nächtlichen Kampfe die Oandharvas
(die Pferde, welche in den Wohlgerttchen wandeln) auch auf
Kriegsrossen reiten, heldischen, unverwundbaren, göttlichen, ausser-
ordentlich schnellen, welche nach Belieben die Farbe ändern —
die Gandharvas, deren Stärke während der Nacht wächst, wie
einer von ihnen im Mahäbharata den Ar^una belehrt, als er
ihm Gandharvische Wissenschaft mittheilt. ^
Im Rämävana werden die beiden Brüder R&ma und Lak-
shmana mit den A^vins verglichen, der Sonne und dem Monde,
als einander ähnlieh, und ihre gegenseitige Liebe erinnert uns an
die der A^vins. ^ Räma und Lakshmana leben immer in Frieden
mit einander; hier ist jedoch eine Stelle, die als Verbindungs-
glied zwischen dem Mythus von den beiden freundlichen und dem
von den beiden feindlichen Brüdern dienen könnte: als Rama
allein im Walde tausende von Ungeheuern bekämpft, bleibt Lak-
shmana mit Sttä in einer Höhle verboi^n.
Doch zeigt uns das Rämäyana selbst die beiden Brüder
in offenem Kampfe in der Sage von den beiden Brüdern Bälin
und Sugrfva, den Kindern der Sonne, schön wie die beiden A^vins,
so vollständig einander gleich, dass es unmöglich ist, sie von
einander zu unterscheiden und dass Räma, als er dem Sugriva zu
Gefallen den Bälin tödten will, nicht weiss, welchen er schlagen
soll , bis Sugriva sich einen Kranz aufs Haupt setzt , als Zeichen
der Wiedererkennung. ^ Einst waren Bälin und Sugriva innige
' Rigv. I, 8, ^2 wünschen auch die Anrufer Indras gegen die Feinde,
die Ungeheuer Mushtihatyayft und Arvatü mit der Faust und zu Pferde zu
kämpfen.
* M b h. I, 0484-6604.
« Ramäy. I, 49. II, 7.
* IV, 12.
241
Freunde ; doch um eines Weibes willen wurden sie Todfeinde.
Sngrtya klagt; Bälin^ sein älterer Bruder, habe ihn seines Weibes
Rumä beraubt;^ doch ist es nicht gewiss^ ob nicht yielmehr Su-
griva Bälins Weib gestohlen. Bälin scheint speciell die Abendsonne
darzustellen; das Rämäyana^ sagt von ihm, während die Sonne
nicht am Himmel stehe (d. h. in der Nacht), gehe er ohne zu er-
müden von dem westlichen nach dem östlichen Ocean ; damit wird
die vermuthete Fahrt der Sonne in dem Ocean der Nacht, in der
Höhle oder der Dunkelheit geschildert. Als Bälin in der Höhle
ist, wird er von seinem Bruder Sugriva verrathen. Als die beiden
Bmder, Bälin und Sugrfya, noch gute Freunde sind, ziehen sie zu-
sammen ans, dem Ungeheuer Mäyävin nachzujagen (dem Bruder
Dundubhis, welcher im Rämäyana' selbst, in der Gestalt eines
dämonischen Bttffels gegen Bälin nahe dem Eingang der Höhle
kämpft). Der Mond geht auf, um ihnen den Weg zu zeigen.
Das Ungeheuer entkommt in die Höhle, in welche Bälin ihm nach-
eilend eindringt, während Sugrtva draussen bleibt und seine Rttck-
kehr erwartet. Nach geraumer Zeit sieht Sugriva Blut aus der
Höhle fliessen (in analogen Sagen ist es statt Blut ein Schatz;
oder auch eine Prinzessin oder schöne Jungfrau tritt heraus in
glänzenden Gewändern). Das ist das Blut des von Bälin ge-
tödteten Ungeheuers; doch Sugrtva hält es fUr das seines
Bruders Bälin. Er kehrt heim, erklärt, indem er öffentlich seinen
Kummer zeigt, dass Bälin todt ist und lässt sich an seiner Statt
die Rönigskrone aufsetzen (vielleicht auch mit der Krone das
Weib seines Bruders geniessend). Mittlerweile versucht Bälin,
nachdem er das Ungeheuer Mäyävin getödtet, aus der Höhle zu
kommen, findet jedoch den Zugang verschlossen. Als den Urheber
dieser abscheulichen Handlung vermuthet er seinen Bruder Sugrtva ;
nach gewaltigen Anstrengungen gelingt es ihm, eine Oefifhung zu
finden ; er kommt heraus, kehrt heim in den Palast und vertreibt
Sugrtva daraus, den er auch später immer verfolgt.^ Sogar Aügada,
Bälins Sohn, beschuldigt eines Tages Sugriva, gegen den er aufge-
bnuiht ist, einst seinen Bruder Bälin in der Höhle eingeschlossen
zu haben, um sich in den Besitz seines Weibes zu setzen.
Im Avesta scheint mir der Name und der Mythus von Kerefä^pa
• IV, 7. 17.
» IV, 10.
• Rftmfty. IV, 8.
Gobernntl«, nie Tliipre. 16
1,
242
f
von besonderem Interesse zu sein. Dem Zendwort kere^ägpa ent-
spricht sanskritisches kri^ägya (der Name eines kriegerischen
Rishi und Helden), d. h. der mit dem magern Pferde. Der Held
Eere^äfpa hat im Avesta einen Bruder Namens Urväksha (ein
Wort, das vielleicht gleich urvä^pa ist; das zugegeben, würde
urväksha den mit dem fetten oder grossen Pferde bedeuten. >)
Wir bemerkten schon, dass der vedische wie der slavisohe
Held sein Glück mit einem hüsslichen und schlechten Pferde be-
ginnt; so ist auch der Held Kere^agpa von den beiden Brüdern
des Zend-Mythus der gute, heldische und wahrhaft ruhmvolle.
Doch wird in einer der Sagen von EercQ&gpa gesagt, dass der-
selbe voll Ungeduld das Feuer geschlagen habe, weil es auf
seinen Wunsch nicht schnell genug herbeikam. Für diese Sünde
ist er von den späteren Parsen in die Hölle gewiesen worden '-*
(die Abendsonne, welche in die unterirdische Nacht hinabsteigt);
der Mythus von Keregägpa und Urväkshya ist augenscheinlich
eine persische Gestaltung des Mythus von den Dioskuren, welche,
wie mir scheint, noch einmal in den beiden Zendbrüdern Gusta^p
und AQpäyaodha (der mit dem Pferde kämpft) wiedererscheinen.
In dem Epos Firdusis scheinen mir die beiden Brüder Piran
und Pilsem, die zusammen gegen die Turanier kämpfen und von
denen der erstere und ältere den letzteren und jüngeren aus den
Gefahren befreit, welchen er unter den Feinden ausgesetzt ist,
Wiederverkörperungen desselben Mythus zu sein.
Wir finden den wolkigen oder finsteren Nachthimmel im Rig-
veda und im Avesta als a^man oder Berg von Stein dargestellt
Als die Abendsonne auf den Berg föUt, wird dieser zu Stein und
der ganze Himmel nimmt die Farbe dieses Berges an. Als der
Held des Volksmährchens das Ungeheuer verfolgt, verbirgt sich
letzteres unter einem Felsen; der Held hebt den Felsen auf und
steigt in die Höhle hinab, d. h. verbirgt sich selbst in dem Berge
von Stein oder verwandelt sich in Stein, und wenn er ein Pferd
hat, erleidet dieses dieselbe Umgestaltung.
In der Erzählung von der Merhuma, die gesteinigt wird (der
* Der persische Held erhält oft den Namen nach seinem Pferde oder
seinen Pferden; daher Namen wie Kere9äQpa, Vistfi^pa, Ar^ä9p, Gustä^p,
YapäQp, Pörusha^pa, A^päyaodha etc.
* Vgl. Spiegel, Avesta II, 7*2. — In den serbischen Mäbrcben von
Wnck schläft einer von zwei Brüdern, mit allen seinen Leuten in Stein
verwandelt, bis der andere kommt^ ihn zu befreien und wiedersuer wecken.
243
iÄ Berge von Stein verlorenen Aurora), im Tuti-Name* haben
wir den von einem Dämon besessenen Bruder, welcher das Weib
seines Bruders verführt, während dieser auf Reisen ist. In der
Erzählung von Mansür im selben Tuti-Name^ nimmt der
widerwärtige Fari ganz die Gestalt des abwesenden Gatten an
und bringt es dahin, dessen Weib zu verführen. Das sind zwei
Gestaltungen des Mythus von den Agvins.
Das fünfte kalmückische Mährchen (indischen Ursprungs) ist
ganz unverkennbar eine Reproduction des Mythus von den A^vins,
sogar bis auf die mythischen Namen. Der König, Eun-snang
(der Allerleuchtende, gleich dem vedischen Vigvaveda und dem
slavlschen Vsieveda, dem Allseher), hat von zwei Müttern zwei
Söhne — „Sonnenschein" (im Jahre des Tigers geboren ; vielleicht
im soMeo, im Juli, im Sommer, unter dem Sonneneinfluss) und
„Mondschein". Die zweite Frau liebt ihren Stiefsohn Sonnenschein
nicht und verfolgt ihn; doch die beiden Brüder sind einander
treu ergeben und als Sonnenschein (gleich Räma) flieht, begleitet
ihn Mondschein (wie Lakshmana dem Räma, wie die weisse
Monddämuierung der Sonne im Walde der Nacht folgt). Auf dem
Wege iUllt Mondschein verschmachtend nieder; Sonnenschein geht,
um Wasser für ihn zu suchen; doch unterdessen stirbt Mond-
schein. ^ Sonnenschein kommt zurück und geräth bei dem An-
blick des todten Bruders in Verzweiflung; ein Eremit hat jedoch
Mitleid mit ihm, ruft Mondschein wieder ins Leben und nimmt
die beiden Brüder selbst an Kindesstatt an. Nahe seiner Woh-
nung ist ein Reich, wo die Drachen das Wasser zurückhalten,
wenn ihnen nicht alljährlich ein Jüngling aus dem Tigerjahr vor-
geworfen wird. Es kommt heraus, dass Sonnenschein diese
Eigenschaft hat und er wird fortgeführt vor den König dieses
Landes. Die Tochter des Königs verliebt sich in ihn und bittet,
Sonnenschein nicht den Drachen vorzuwerfen. Der König ist
wüthend auf seine Tochter, und lässt sie sammt Sonnenschein in
den Sumpf werfen, wo die Drachen sind. ^ Das junge Paar bricht
> I, p. 89 ff. bei Rosen.
* II p. 15 ff.
* Vgl. eine zoologische Abart dieses Mythus in dem Kapitel über den
Hahn und die Uenne,
^ Es ist das eine Variation der Sage Yon der Tzarentochter, die sich
in Emil, den närrischen und faulen, wenn auch vom Glück begünstigten
Jungen verliebt, und welche der empörte Tzar in einen Sack zu stecken
und sammt ihrem Liebhaber ins Meer zu werfen befiehlt, wie wir im
vorigen Kupitel sahen.
16*
244
in BO rührendes gegenseitiges Bemitleiden aus, dass die Drachen
gerührt werden und Sonnenschein mit seiner jungen Prinzessin
frei ausgehen lassen. Befreit finden sie Mondschein^ der auch
Gatte der schönen Prinzessin wird, indem die beiden Brüder,
gleich den vedischen A^vins, unzertrennlich sind. Die drei Per-
sonen (weisse Dämmerung oder Mondschein, Aurora und Sonne)
kehren zusammen in ihr Geburtsland zurück , wo Sonnenscheins
Stiefmutter (Nacht), als sie sie ankommen sieht, vor Schreck stirbt. ,
Hier hat die Sage ihren ganzen mythischen Glanz.
Im sechszehnten mongolischen Mährchen dagegen hat die
Freundschaft der beiden Gesellen keinen Bestand wegen der
Treulosigkeit des einen: auf der Reise im Walde tödtet der Sohn
des Ministers den Königssohn.
In der 'Geschichte von Ardshi Bordshi sind die beiden
Männer, von denen man nicht weiss, welcher der wirkliche Sohn
des Ministers ist, einander in allen Dingen, in Gestalt, Körper-
bes^haifenheit, Anzug und Pferden so ähnlich, dass sie nicht von
einander unterschieden werden können; deshalb streiten sie sich
um den Besitz alier Dinge, auch des Weibes und der Söhne. Einer
ist dem andern durch Zauberkunst gleich gemacht; er ist der
8ohn eines Dämons; der wunderbare Kinderkönig bringt das
Geheimniss an den Tag. ^
Diese Vertauschung von Gatten oder Helden durch dämo-
nische Zauberkraft kommt oft in europäischen Feenmährchen vor,
wie die Vertauschung von Weibern. Der Dämon ist bald ein
Wasserträger, bald ein Wäscher, bald ein Holzhauer, bald ein
Kohlenbrenner, bald ein Zigeuner, bald ein Saracene, und bald der
Teufel in propria persona.
Die russischen Feenmährchen zeigen uns beide Gestaltungen
der beiden Brüder oder Gesellen, d. h. die Beiden^ welche Freunde
bleiben usque ad mortem, und den von seinem treulosen Gesellen
Verratheneo.
Diese Sage von den beiden Freunden tritt in einem Afanas-
sieflfschen Mäbrchen als Thierlegende auf. Das Pferd befreit das
Kind eines seiner Herren von dem Bären, worauf diese es aus
Dankbarkeit besser füttern, während sie es vorher vor Hunger
fast hatten sterben lassen. Das Pferd (die Sonne) denkt im
Glück an seinen Gesellen im Unglück, die Katze (den Mond), die
man auch Hunger leiden lässt, und giebt ihr einen Tbeil von
' Vgl. ol.eii Seite 103 f.
245
dem, was es selbst von seinen Herren erhalten. Die letzteren
bemerken es und behandeln das Pferd wieder schlecht, welches
darauf den Beschluss fasst, sich selbst zu tödten, damit die
Katze es verzehren kann; diese kann es jedoch nicht über sich
gewinnen, ihren Freund, das Pferd aafeufressen, * muss also auch
sterben.
Die beiden Brüder, bei Afanassiefl, * von denen der eine den
Kopf und der andere das Herz einer Ente gegessen hat und
welche deshalb vom Schicksal bestimmt sind, der eine König zu
sein und der andere Gold zu speien, fliehen vor ihrer treulosen
Mutter (wahrscheinlich Stiefmutter), von welcher sie in ihres Va-
ters Abwesenheit verfolgt werden. Sie treffen einen Kuhhirten,
der seine Kühe auf die Weide treibt und werden gastfreundlich
von ihm aufgenommen. Dann ihre Reise fortsetzend, kommen
sie an einen Kreuzweg, an welchem eine Säule mit folgender
Inschrift steht: „Wer rechts (nach Osten) geht, wird König werden;
wer links geht (nach Westen, in das Reich Kuveras, der west-
lichen Sonne, des Gottes des Reichthums; wenn die Sonne im
Osten aufsteigt, geht der Mond im Westen unter), wird reich
werden."' Einer geht rechts, und kommt in ein Land, wo er
erfährt, dass der alte König gestorben ist (die alte Sonne) und
dass ihm in der Kirche die letzten Ehren erwiesen werden. Ein
Erlass besagt, dass der, dessen Licht von selbst leuchtet, der
neue Tzar sein soU. * — Der vedische Gott besitzt ebenfalls die
unterscheidende Eigenschaft dieses wunderbaren Lichtes, nämlich
die, von selbst zu leuchten, sich von selbst anzuzünden, d. h. er
ist svabhänu. — Das Licht unsres jungen Helden also, der zum
Könige bestimmt ist, zündet sich von selbst an und er wird so-
fort Bis der neue König ausgerufen. Die Tochter des alten
Königs (die Aurora) heirathet ihn, indem sie in ihm ihren vorbe-
stimmten Gatten erkennt und macht mit ihrem goldenen Ringe
(der Sonnenscheibe) ein Zeichen auf seine Stirn (wie Räma es
mit Sttä thut). Nachdem der junge Mann (die Sonne) einige Zeit
bei seiner Braut (der Aurora) geweilt hat, wünscht er nach der
' Wir werden in Bälde den Hasten (den Mond) finden, der die Stute
verschtingt.
» I, 53.
' Vgl. Analogien zu diesem Kreuzweg«? und dieser Inschrift bei Köhler
zu den Awarischen Texten ed. Scbiefner p. IV.
* U kavö preside sviedft sama saboi zagaritsia, tot tzar budiet.
24f)
Seite hinzugehen, nach welcher sich sein Bruder gewandt hatte
(d. h. nach links, nach Westen). Er durcheilt lange Zeit ver-
schiedene Länder (d. h. die Sonne beschreibt den ganzen Hira-
melsbogen, der sich über der Erde wölbt) und findet schliesslich
(im westlichen Himmel, zum Untergang der Sonne hin) seinen
Bruder, der in grossem Wohlstand lebt. In seinen Gemächern
thürmen sich ganze Berge Gold; wenn er ausspuckt, ist Alles
Gold ; es hat gar keinen Platz mehr, Alles unterzubringen * (der
Abendhimmel ist eine Goldmasse). Die beiden Brüder ziehen
dann zusammen aus, um ihren armen alten Vater (die Sonne wäh-
rend der Nacht) zu finden. Der jüngere Bruder geht sich eine
Braut suchen (wahrscheinlich den silbernen Mond), und die böse
Mutter (die Stiefmutter, Nacht) wird verlassen. Auch hier trägt
die Sage einen ganz mythischen Charakter. In den beiden
Brüdern erblicken wir bald Dämmerung und Sonne, bald die
beiden Dämmerungen, bald die Frühlings- und Herbstlichter, bald
die Sonne und. den Mond, doch immer die A^vins, immer zwei
Gottheiten, zwei himmlische Wesen, die eng mit den Erscheinungen
des Mond- und Sonnenlichtes zusammenhangen.
Hier möge mir die Bemerkung verstattet sein, dass ich es
für genügend für meinen Zweck halte. Sagen, die einen gemein-
samen Ursprung venathen, zusammenfassend darzustellen; alle
mythologischen Elemente der Sagen zu erklären, übersteigt meine
Kräfte und liegt auch ausserhalb des Zieles, das ich mir gesteckt
Ich wähle nur Deutungen aus, die ich fllr der Wahrheit möglichst
nahe kommend halte. Allerdings sind die in der Mythologie ver-
körperten Objecto so beweglich, so vielgestaltig, dass sie leicht
sich in eitel Dunst, in ein Nichts auflösen, greift man sie mit
rauhen Händen an, geht man ihnen zu scharf zu Leibe. Gerade
in dieser Beweglichkeit, in dieser Ungewissheit liegt aber ihr
Reichthum. Erschienen Sonne und Mond immer am selben Orte,
es würde keine Mythen geben 1 Die Mythen, aus welchen die
grösste Anzahl Sagen hervorgegangen ist, sind die, welche auf
den schwankendsten Erscheinungen des Himmels beruhen.' Der
* Tzelijä kudi zolotd v anbarah nasipani ; dto ni plunii't on, to vsid z6-
lotom; dievat niekudä!
* Dieser Gedanke kann nicht besser ausgesprochen werden, als es R.
Roth in seiner Abhandlung über die Sage von 5una^^9epa (Indische
Studien, Bd. 1) gethan hat, dessen Worte hier einen Platz finden mögen:
„Die Deutung der indischen Sagengeschichtc sucht noch die Regeln, nach
welchen sie das überlieferte verworrene Material behanden soll. Eine und
247
Mythus von den A^vins lässt sich nicht durch mathematische
Beweisführungen analytisch zerlegen und zwar gerade auf Grund
der Unbestimmtheit,, welche in dem Dämmerlicht, dem er seine
Entstehung verdankt, liegt. Diese beständige Aufeinanderfolge
von Schatten, penumbrae und Clairobscurs , von der schwarzen
Dunkellieit bis zum Silbermond, vom Silbermond bis zum grauen
Zwielicht des Morgens, welches allmählich in die Dämmerung
zerfliesst, von der Dämmerung bis zur Morgenröthe, von der
Morgenröthe bis zur Sonne; dieselben Veränderungen, nur in
umgekehrter Reihenfolge, am Abend von der untergehenden Sonne
bis zum röthlichen und blutfarbigen Himmel oder der Abendröthe,
von der Abendröthe bis zu der grauen Dämmerung, von der
grauen Dämmerung bis zum Silbermonde, von dem Silbermonde
bis zur tiefdttstem Nacht — dieser beständige Wechsel von Farben,
die aufeinander stossen, sich vereinigen und ineinander Über-
gehen, Hess die Vorstellung von himmlischen Gesellen, Freunden
oder Verwandten erstehen, welche bald vereint, bald getrennt
sind, bald sich einander lieben, zusammenwandeln und einträchtig-
lich hinter einander hergehen, bald kampfentbrannt auf einander
losstürzen, einander ausplündern, verrathen oder vernichten, welche
bald anziehen, bald angezogen werden, bald die Verführer, bald
die Verführten, bald die Betrüger, bald die Betrogenen, bald die
Opfer, bald die Opferer sind. Wo Familie ist, ist Liebe: daher
jene exemplarischen Brüder, Gatten, Weiber, Söhne, Töchter,
Väter und Mütter, die alle voll Zärtlichkeit sind: das ist die
Bildseite der Medaille; wo Verwandte sind, giebt es aber auch
Streit, Brüderkämpfe aus verliebter Eifersi^cht oder aus Neid auf
Beichthum, böse Schwiegermütter, Stiefmütter und Schwägerinnen,
tyrannische Väter, treulose Weiber : das ist die Kehrseite. Dieser
Gegensatz der Geftihle ist schon beim Menseben schwer psycho-
logisch zu erklären; um wie viel mehr, wenn er in einem my-
thischen Bilde analysirt werden soll, das in einem schnell auf-
dieselbe 8age wird vielleicht in zehn verschiedenen Büchern in zchtifacher
Form erzählt Glaubt man einen festen Punkt gefunden zu haben, auf
welchen nach einem Berichte die Spitze der Erzählung zusammenläuft, so
streben andere Berichte wieder nach ganz anderem Ziele und treiben den-
jenigen, der einen festen Kern der Sage fassen will, rathlos im Kreise
herum. Die Widersprüche, mit welchen ein Sammler und Ordner grie-
chischer Heldensagen zu kämpfen hat, sind lauter Einklang und Klarheit
im Vergleiche zu dem wirren Knäuel, in welchen die Willkühr indischer
Poeten die reichen Ueberlieferungen ihrer Vorzeit zusammengeballt hat**
248
leuchtenden Blitze der Phantasie eine Thiergestalt anninunt; am
sogleich wieder zu verschwinden? Deshalb müssen wir uns bei
manchen Mythen mit einer ganz allgemeinen Erklärung begnügen,
wenigstens so lange als sich noch nicht neue und positive Daten
herausstellen, auf welche es möglich sein wird, wie auf einen
soliden Unterbau, die wahre Natur der mythologischen Einzel-
heiten zu basiren. So lange diese Daten fehlen, können wir dem
Leser nur Wahrscheinlichkeiten, keine Begeln bieten. Was die
vedischen Agvins betrifft, so steht so viel fest: sie finden sich in
Verein mit ihrem Weibe, der Aurora, nachdem sie durch die Ge-
fahren der Nacht hindurchgegangen sind oder nachdem sie die
von ihnen beschützten Helden — d. h. ihre eigenen Gestaltungen als
Helden — in Stand gesetzt haben, durch dieselben hindurchzu-
gehn; sie sind zwei glänzende Reiterbrüder und werden speciell
in den ersten Morgenstunden angerufen. Die Deutung des My-
thus in dieser vedischen Gestalt dürfte kaum zweifelhaft sein.
Der weisse Mond und die Sonne nehmen die Aurora zwischen
sich, d. h. heiratben sie; oder auch: sie geben dieselbe dem Soma
(mit welchem der eine der A^vins, das weisse Licht oder Zwie-
licht, in besonderer Verwandtschaft steht) zur Ehe und spielen
selbst nur die Rolle von Brautführern. Die Aurora, am Morgen
wie am Abend zwischen der Sonne und dem Monde stehend, ver-
schwindet. Man möchte glauben, dass die Dämmerung und die
Sonne sie zusammen zu gleicher Zeit dem König oder Gott Soma
oder Lunus, ftir welchen die Tochter der Sonne Zuneigung fühlt,
darbringen. Man möchte ferner glauben, dass sie speciell mit
dem Zwielicht, das in besonderer Verwandtschaft mit Soma steht,
vereint war, indem man beobachtet, wie am Morgen die Aurora
unmittelbar auf das Zwielicht folgt, und verschwindet, als sich
die Sonne zeigt, d. h. wieder mit dem Zwielicht zusammentrifft
und die Sonne verlässt, und wie sie sich am Abend, als die
Sonne sich verbirgt oder als ihr Gatte abwesend ist, wieder mit
dem Zwielicht verbindet, mit dem sie wieder flieht und ver-
schwindet, um am Morgen mit ihm von Neuem zu erscheinen.
Weiter: die Abwesenheit der Sonne während der Nacht beschäf-
tigte die Phantasie des Volkes nach mancherlei Seiten. Wie sehr
auch die Erscheinung des Himmels mit Rücksicht auf den my-
thischen Helden negativ ist — d. h. sofern der Held oder Gott
sich vor den Blicken verbirgt - sucht ihn die Volksphantasie
gerade desto mehr mit positiven Eigenschaften zu bekleiden und
seine Grösse zu erhöhen. Die grösste von allen Gottheiten ist
249
die, welche sieh am wenigsten blicken lässt; — - möchten nnr die
römischen Pfaffen diese mythologische Wahrheit verstehen! Indra
und Zeas sind gross , wenn sie sich in der donnernden und
blitzenden Wolke befinden. Die Sonne wird ein Held, als sie
sich in der Dunkelheit der Nacht und in der Wolke verliert.
Allerdings wird gerade hier die Erklärung mythischer Einzelheiten
bedeutend schwieriger, weil die Mjrthen jetzt nicht rein auf einer
äusseren himmlischen Erscheinung oder bildlichen Darstellung
beruhen, sondern meist nur auf einem subjectiven AperQU, einer
individuellen Hypothese; und während das alte Bild, sofern es
eine auf das einzelne Individuum gar nicht beztigliche Objectivi-
tät in sich trägt, immer wieder mit der neuen Beobachtung der
Himmelserscheinungen, welche es hervorbrachten, in Einklang
gebracht werden kann, ist die subjective Auffassung, als rein in-
dividuelle Phantasie, verloren gegangen. Die Klarlegung ist des-
halb nur in den wesentlichen Theilen, in den Hauptztlgen mög-
lich. Wenn man die Sonne im nächtlichen Himmel verschwinden
sah, so erschien dieser Himmel in den verschiedenen Gestaltungen
eines Heeres, eines Berges, eines Waldes, einer Höhle oder eines
gefrässigen Ungeheuers, das den Helden verschlungen. Hat sich
aber die Sonne nur zufällig verirrt oder ist sie von der Aurora
und ihrem Dämmerungs-Liebhaber in schändlichem Verein in die
Nacht gestürzt worden, damit sie in ihrer Liebe ungestörter sind ?
Das ist ein Dilemma, dessen zwei Lösungen eine zwiefache Reihe
von Sagen begründen, — von dem Bruder, der vom Bruder ver-
rathen ist, und vom Helden, der seinem in die Gewalt der Unge-
heuer gerathenen unglttcklichen Bruder zu Hilfe eilt. Die Tages-
zeit, welche die Franzosen so ausdrucksvoll mit entre chien
et loup bezeichnen, ist die grosse epische Stunde des Fuchses,
welcher an der Natur des Hausthieres Hund und des Raubthieres
Wolf theilnimmt Es ist die Stunde des Verraths, der Treulosig-
keit, der Zweifel und der mythischen Unbestimmtheiten. Wer
kann sagen, ob die Aurora durch einen Unfall, der ihrem Gatten
der Sonne zugestossen, zur Wittwe geworden oder ob sie selbst
ihn verrathen? — ob sie eine keusche und treue Genoveva oder
eine treulose und ttppige Helena gewesen ? Gerade diese mythi-
schen Zweifel sind es, welche das Glück und den Reiz der Sage
ausmachen, wie sie die Verzweiflung der Mythologisten sind. Was
kann ferner die Sonne thun, wenn sie sich in der Nacht befindet?
Je nach den verschiedenen Gestalten, welche die Nacht annimmt,
sind die Handlungen des in sie verlorenen, in ihr verirrten
250
Sonnenhelden modificirt und diese Modificationen lassen sich ohne
eine zu grosse Anstrengung der Einbildungskraft erklären ; doch
zuweilen können die Beziehungen zwischen dem Helden und
seinen Gesellen oder Brüdern in der Welt der Todten nur durch
poetische Träume erfasst werden. Wenn man die Sonne am
Abend in die dunkle Nacht eintreten und am Morgen heil und
gesund aus ihr heraustreten sieht, nachdem sie die Dunkelheit
verscheucht hat, liegt es sehr nahe zu denken, dass sie die Nacht
hindurch lediglich darauf bedacht war, das Ungeheuer zu tödten.
Die Action des Haupthelden bewegt sich innerhalb gewisser
Grenzen und ist darum offen zu Tage liegend; ebenso klar ist
auch die Beziehung, wenn die Aurora als von demselben Schick-
sal wie ihr Gatte oder Bruder, die Sonne, betroffen dargestellt
wird. Sie steigen zusammen in die Nacht hinab, welche sie un-
sichtbar macht und tauchen glücklich wieder zusammen aus
ihr auf.
Der Mythus wird reicher, wenn sich die Aurora einem Neben-
buhler ihres Gemahls in die Arme wirft, weil der Charakter
dieses Nebenbuhlers mannigfaltig ist. Bald ist er ein schlauer
Jüngling, welcher dem rechtmässigen Gatten gleicht, sei es als
das Zwielicht oder als Lunus; bald ist er ein wirkliches dämo-
nisches Ungeheuer, der Dämon selbst, die schwarze Nacht. Im
Verhältniss zu der Mannigfaltigkeit der Gestaltungen und Be-
ziehungen, welche des Helden Nebenbuhler annimmt, wird der
Mythus verwickelter und seine Deutung schwieriger; daher auch
die Mährohenerzähler oft ihre Erzählung mit den Worten zu
unterbrechen pflegen: „Jetzt wollen wir den und den Helden
lassen und auf den oder jenen andern zurückkommen/' Diese
Unterbrechungen der Erzählung haben ihren mythologischen Grund.
Wir können zum Beispiel verstehen, wie die Aurora oder Tochter
der Sonne aufgefasst wurde als in einem Augenblick weiblicher
Schwäche sich in den Mond verliebend , den sie auf der andern
Seite des Himmels sieht, und verlangend, ihm als Braut zuge-
führt zu werden. Wir können verstehen, wie Lunus, den Liebes-
glanz der Aurora am andern Ende des Himmels erwiedemd,
scheinen musste, sie an sich zu ziehen und sie verftihren zu wollen.
Wir können auch verstehn, wie bald der Mond, bald die Sonne
die Aurora zu verführen und ihrem rechtmässigen Gemahl zu
entfuhren scheint. In diesen Fällen ist die Treulosigkeit des
Helden oder der Heldin augenfällig; aber wehe dem^ der die
Klarlegung oder den Beweis dieser Deutung zu weit zu treiben
251
sucht; denn wenn der Verführer und Verführte, sei der Verfllhrer
der männliche oder weibliche Theil, als zusammen der Früchte
ihrer Treulosigkeit geniessend gedacht werden, so muss der My-
thus ein Ende haben, da Niemand die Möglichkeit, dass Mond
und Aurora zusammen leben oder etwas gemeinschaftlich thun,
fassen kann, da Niemand sagen kann, was Aurora und Zwie-
licht, ausschliesslich dem Morgen und dem Abend angehörige
Erscheinungen, welche sich nur zeigen, wenn die Sonne sich von
dem Berge erhebt, zusammen in der Nacht thuii. Die Erscheinung
schwindet, die mythischen Persönlichkeiten entweichen ebenfalls
und der Mährchenerzähler bricht seine Geschichte ab, weil er
keine Daten hat fortzufahren. Und so ist es mit allen Mythen;
sie lassen sich nur unter der Bedingung erklären, dass wir nicht
zu viel erklären wollen. Wir müssen uns also begnügen, die
Jungfrau Aurora am Abend entfUhrt und am Morgen vom Helden
Sonne wiedergefunden zu sehn oder die Aurora und die Sonne
zusammen in die Nacht fliehend zu fassen, doch dürfen wir nicht
zu neugierig sein, in welcher Weise sie es thun. Der Mond oder
die gute Fee belehrt sie bisweilen über den Weg; doch in ihre
nächtlichen Handlungen ist nur ein geringer Einblick verstattet;
die, welche als von ihnen in der Nacht vollführt betrachtet wer-
den, beziehen sich entweder auf den Augenblick, in welchem die
Nacht beginnt oder auf den, in welchem sie ihr Ende erreicht.
Während der Nacht wandern sie umher, bis sie ein Licht sehen
(den leitenden Mond oder das erlösende Licht des Tages); sie
bleiben in der ins Wasser geworfenen Kiste resp Fass, bis diese
an das jenseitige Ufer des Meeres oder an das östliche Ufer ge-
tragen wird. Bei ihrer nächtlichen Reise spielt der Mond die
Rolle bald des guten Alten oder der guten Fee, bald der guten
Kuh resp. des Stieres; bald des grauen Pferdes, des Rosses der
Nacht, das sie in drei Stationen zu ihrem Ziel trägt, bald des
Vogels, der sich von ihrem Fleisch nährend, sie an ihren Be-
stimmungsort bringt; und bald haben wir im Gegentheil das Un-
geheuer selbst oder die Stiefmutter, welche ihnen droht, sie quält
und verfolgt. Der Held zeigt seine grösste Stärke, wenn er ver-
borgen ist, doch dient dieselbe dazu, bald die Kühe zu befreien,
bald die geraubte Braut wiederzugewinnen, bald die Ströme zu
entfesseln, die von den Drachen zurückgehalten werden, bald das
Wasser der Gesundheit bervorströmen zu lassen, und bald das
Ungeheuer zu vernichten und ihn selbst zu befreien. Der Held
entfaltet seine gewaltigsten Kräfte, wenn er mit dem Ungeheuer
252
kämpft; doch ist es zu seiner eigenen Befreiung. In den frühe-
sten Epochen der Sage ist er närrisch, krank, trunken, unglück-
lich und versteinert; man kann von ihm "nur sprechen nach dem,
was sich äusserlich an ihm zeigt. Das Wolkcnfass bewegt sich ;
es ist das Fass voll Wasser, das sich dem Helden zu Gefallen
von selbst bewegt; es lässt Regen auf die Erde tropfen: der
Dumme lässt den Wein aus dem Fasse laufen ; der Wolkenwald
bewegt sich; ein Baumstamm haftet sich an das vom Helden ge-
rittene Pferd und vernichtet seine Feinde — d. h. die Wolke oder
Dunkelheit vecschwindet und der Held tritt siegreich hervor. Die
Rolle, die von dem Sonnenhelden in der Nacht oder in der Wolke
gespielt wird, scheint mir deshalb fast immer ziemlich sicher
erklärbar, doch nur so lange, als er allein ist oder doch nur
einen Gesellen hat; wenn der eine Held sich in drei oder ftinf
oder sechs verwandelt, die einander begleiten, oder wenn er mit
andern mythischen Personen von einer der seinigen verwandten
Natur zusammentrifft und in Verein mit ihnen spricht und han-
delt, so verwirrt die Sage den Mythus, zu dessen Erklärung wir
dann oft genöthigt sind, die Bedeutung des Wortes zusammen
auf die Bezeichnung bald einer ganzen Nacht bald eines ganzen
Jahres auszudehnen. Wenn wir z. B. in der Sage zwölf alte
Männer um das Feuer herum finden, so wissen wir, dass das
Feuer die Sonne ist, um welche sich die zwölf Monate am Him-
mel im Laufe eines Jahres drehen. Hier ist also zusammen
erwdtert zur Bezeichnung der Periode eines Jahres und der gan-
zen Weite des Himmels.
Ich habe mich zu dieser langen, doch sicher nicht ttberfltts-
sigen Abschweifung verleiten lassen, um das russische Mährchen
von den beiden Brüdern zu erklären, von denen es heisst, dass
sie zusammengehn, der eine nach rechts, der andere nach links.
Wie man auch immer die A(vins auffassen mag, als Zwielicht
und Sonne, als Frühling und Herbst oder als Sonne und Mond,
es ist unmöglich zu begreifen, wie sie in derselben Richtung mar-
schiren können; die Wege, welche sie einschlagen, müssen doch
getrennt sein. Die Sonne und die Abenddämmerung gehen nicht
in entgegengesetzten Richtungen vor; wohl aber nehmen die
Morgen- und die Abendsonne entgegengesetzte Stellungen ein,
jedoch nicht zu gleicher Zeit; die Sonne und der Mond bewegen
sich zu gleicher Zeit am Himmel, jedoch nicht gemeinschaftlich
und auf demselben Pfade, wie zwei Reisegesellen. Es ist also
nothwendig, anzunehmen; dass die Reise der beiden Brüder ent-
253
weder in verschiedene Perioden fällt; wenn sie auch in derselben
Nacht oder an demselben Tage stattfinden mag, oder aber sie
nimmt ihren Ausgangspunkt von verschiedenen Orten ; obwohl
immer am Himmel; am Abend sieht man den Mond sich von
Osten nach Westen bewegen, während die verborgene Sonne von
Westen nach Osten zieht ; wenn die Sonne im Osten angekommen,
geht der Mond im Westen unter. Die östliche Sonne hat wäh-
rend der Tageszeit die Tendenz, ihren Bruder zu finden, der nach
Westen gegangen ist, und als sie anlangt, sieht sie neben ihrem
Bruder auch dessen ungeheure Schätze. Daran knttpft sich die
andere Version des Mythus von den AQvins: der arme und der
reiche Bruder. Das ist wahrscheinlich die mttde, durstige und
hungrige Sonne, welche während des Tages all ihren Reichthum
fortgegeben hat und nun bei ihrem reichen Bruder, dem sie ihre
Dienste anbietet, gastliche Aufnahme sucht; der letztere jagt sie
fort und der arme Bruder wandert allein, ärmer und trauriger
denn bevor umher, in den Wald, wo er sein Olttck findet, indem
er einen Schatz ausgräbt, der ihn zum reichen Mann macht, wäh-
rend sein reicher Bruder im Westen arm wird. Die Geschichte
von dem Schatz in Verbindung mit den beiden Brüdern und dem
schlauen Diebe war den Qriechen in der Erzählung von Agamedes
und Trophonios (bei Pausanias^) bekannt, welche den Schatz
des Königs Hüriens stahlen, wofbr der eine von den beiden
Brüdern mit seinem Kopfe büssen sollte.
Wollte ich die Erzählung von den beiden Brüdern in ihren
westlichen Versionen verfolgen, so könnte ich einen ganzen Band
' JX) 37, 3. — Ich bemerke, dass dieselbe List, deren sich die beiden
Brüder zur Entwendung des Schatzes bedienten, auch in einem noch nicht
publicirten Feenmährchen aus dem Piemontestschen von dem unerfahrenen
Räuber angewandt wird, welcher es schliesslich sehr geschickt* anfangt,
dem Bäcker die Brode aus dem Ofen zu stehlen. Der piemonteisische Dieb
macht eine Oeffnung von aussen und trägt so das Brod davon. Derselbe
Dieb stiehlt darauf dem König sein Pferd. Zuerst lernt er sein Handwerk
von dem Räuberhauptmann. Dieser schickt ihn das erste Mal aus, am
Wege einigen Reisenden aufzulauern und heisst ihn, auf sie springen. Der
junge Dieb gehorcht diesen Anweisungen buchstäblich; er wirft die Rei<
senden zu Boden und springt dann auf ihnen herum, beraubt sie aber
nicht. Das zweite Mal sagt ihm der Hauptmann, er solle den Reisenden
die quattrini (Name einer sehr kleinen Münze, mit ^welchem auch Geld im
Allgemeinen bezeichnet wird) abnehmen. Der junge Dieb nimmt nur die
quattrini und lässt den Reisenden ihre Dollars und Napoleons. Schliess-
lich wird er jedoch ein Dieb comme 11 faut.
254
über diesen Oegenstand füllen, der allerdings wirklich solches
Interesse bietet; dass sich ein Gelehrter, wenn er ihm mit der
Erzählung von den drei Brüdern verbindet, an seine Bearbeitung
nicht ohne Nutzen machen würde. Dech um den Bericht ttber
das Pferd wieder aufzunehmen, so muss ich mich hier darauf be-
schränken, nur eine andere interessante Varietät dieser Sage zu
erwähnen, die sich in der siebenten Erzählung des Pentame-
rone bietet *
Es waren einmal zwei Brttder Namens Cienzo und Meo (Vin-
cenzo und Meo). Als sie geboren wurden, kamen auch zwei
verzauberte Pferde und zwei verzauberte Hunde zur Welt. Cienzo
wandert umher, um sein Glück zu suchen ; er kommt an einen Ort,
wo ein Drache mit sieben Köpfen ist, aus dessen Gewalt eine schöne
Prinzessin befreit werden muss. So lange er nicht alle Köpfe
abhaut, geht der Drache und reibt sich an einem Kraut, das die
Kraft besitzt, den Körper wieder mit dem abgehauenen Kopfe
zu verbinden. Cienzo haut sämmtliche Köpfe ab, „pe gratia de
lo sole Lione^' (durch Gnade des Löwen Sonne d. h. als die
Sonne im Zeichen des Löwen ist, welcher dem Tiger des oben-
erwähnten indo-turanischen Mährchens entspricht oder als der
Sonncnheld seine ganze Kraft besitzt; der Löwe und der Tiger
sind in der indischen Symbolik als Heldentypen gleichbedeutend
und sind deshalb im Thierkreise identisch). Cienzo heirathet die
von ihm befreite schöne Prinzessin, doch eine Fee, welche im
gegenüberliegenden Hause wohnt, bestrickt ihn durch ihre Schön-
heit, zieht ihn an sich und fesselt ihn mit ihren Haaren. Mittler-
weile erfahrt Meo durch vorher verabredete Zeichen, dass sein
Bruder Cienzo in Gefahr ist und kommt in das Haus, in welchem
des letzteren Weib lebt, von seinem verzauberten Pferde und
Hunde begleitet. Die Frau hält ihn für Cienzo (die Erzählung
von den Menechmi, den beiden Brüdern, welche einander in Allem
ähnlich sind, wurde ohne Zweifel von dem griechischen Dichter
' Vgl. im selben Pentamerone die neunte £nsählung des ersten
Buches; Nr. 18 der Novelline di San S tefano di Calci naia; Nr.S9
der sicilianischen Mährchen von Gonsenbach; Nr. 60 und 85 von Grimm's
Kinder und ITausmährchen; Nr. 10 von Kuhn und Schwartz's Mäh r-
chen; Nr. 22 der griechischen Mährchen in HuLn, Griechische und
Albanesische Mährchen; die vierte d(>r von Campbell im Orient
and Occident mitgethcilteu ; das erste Buch des Pancatautra und
ebenda V, 12; die Sagen von NaIa und Pushkara, von Romulus und Kc-
mus, und Cox a. a. O. 1, 141. 142. 161. 281. 093 u. a. m.
255
and später von Plantos der Volkssage entlehnt) , empfängt ihn
festlich nnd nimmt ihn anf ihr Lager; doch der treue Bruder
theilt; um sie nicht zu berühren, das Betttuch zwischen ihnen
und weigert sich seine Schwägerin zu umarmen. — So legt Sifrit,
wie auch sein skandinavisches alter ego Sigurd ein Schwert
zwischen sich und Brfinhilt^ die vorbestimmte Braut des EönigS;
um sie nicht zu berühren, wenn sie an seiner Seite liegt; und
als Brünhilt sich auf den Scheiterhaufen stürzt, legt sie ebenfalls
ein Schwert zwischen sich und Sigurds Leichnam. ^ Bei Königs-
oder Heldenhochzeiten galt im Mittelalter ein ähnlicher Brauch.
In dem piemontesischen, bergamesischen und venezianischen Volks-
liede ^ von dem Pilger^ der aus Rom kommt, ist der Pilger von
dem Weibe nur durch ein Btlndel Stroh getrennt. — Gegen Mor-
gen sieht auch Meo die schöne Fee in dem Hause auf der andern
Seite der Strasse; er vermuthet, dass Cienzo in ihre Netze ge-
fallen ist und geht ihn befreien. Er lässt sie von seinem ver-
zauberten Hunde verschlingen und befreit seinen Bruder, den er
aus dem Schlafe weckt. Cienzo erfährt, dass Meo bei seinem
Weibe geschlafen und haut ihm den Kopf ab; doch als er von
jener erfährt, wie Meo das Betttuch getheilt hatte, bereut er seine
Uebereilung, nimmt seine Zuflucht zu dem Kraut, an welchem sich
der Drache rieb, wenn einer von seinen Köpfen ihm abgehauen
war und befestigt auf diese Weise wieder Meos Kopf an seinen
Körper.
Der Haupthelfer jedoch speciell des einen von den beiden
Brüdern, wie des dritten in dem Mährchen von den drei Brüdern,
ist sein Pferd.
Als sich der Held auf das Diebshand werk legt^ ist seine
glorreichste That die Entwendung des königlichen Pferdes.
Als der junge Held von dem Teufel erzogen worden ist, ge-
lingt es ihm, in Gestalt eines Pferdes demselben zu entkommen.
Als der Sonnenheld kämpft, liegt seine Hauptstärke in seinem
Pferde.
Als der Held stirbt, wird auch sein Pferd geopfert.
' Im Pentamerone I, 9 thut der Sohn der Königin ein Gleiches
mit dem Weibe seines Zwillingsbruders: ^^Mese la spata arraucata comme
staccione ^milgo ad isso ed a Fenizia.*'
* In den entsprechenden Sammlungen von Ferraro, Bolza und Wolf.
— Vgl d»8 Ende von Nr. 28 der Novclliue di San Stefano di Cal-
ci n a i a.
256
Die Sonne ist zn gleicher Zeit ein Held und ein Pferd; sie
ist „der Schnelle", a^va, ein Wort, das die beiden hervor-
ragenden Eigenschaften ebensowohl des Helden wie des Sonnen-
rosses umfasst; der Held stirbt, der Held wird verbrannt: das
Pferd wird ebenfalls geopfert; der Held tritt ans dem Stall
heraas ; ebenso das Pferd ; der Held entführt das Pferd. Der Held
entschlttpft dem Dämon: das Pferd rettet den fliehenden Helden;
der Held stttrmt im Kampfe vor: das Pferd ist es, das ihn an-
dringen lässt.
Erläutern wir jetzt an einigen Beispielen diese vier auf den
Mythus von dem Pferde bezüglichen Umstände.
Im Mahäbhärata^ erscheint der Gott Indra in Gestalt
bald eines Beiters, bald eines Pferdes. Auf solch einem Helden-
ross flieht femer der junge Utafika vor dem Könige der Schlangen,
nachdem er jenem die gestohlenen Ohrringe der Königin wieder
abgenommen hat. In dieser Sage liegt eine Beziehung auf mehre
Mythen : auf den von dem Helden in der Unterwelt, auf den von
dem Heldendieb und auf die Sage von dem Pferde, das den
flttchtigen Helden rettet, identisch mit dem Helden, der das Pferd
fortmhrt.
In dem Vishnu Puräna^ haben wir Kapila, eine Form
Vishnus oder des Sonuenhelden (sofern er eine röthliche Farbe
hat oder auch der Abendsonne), welcher das zum a^vamedha,
d. h. zum Opfer bestimmte Boss entführt (Mit andern Worten :
das Sonnenpferd, das zum Opfer bestimmte Pferd entkommt,
ebenso wie wir im vorhergehenden Kapitel den Stier in die Wäl-
der entweichen sahen.) Im Bämäyana^ wird dagegen das
zum Opfer bestimmte Pferd von einer Schlange entftthrt (d. h.
das Ungeheuer der Nacht raubt die Abendsonne, während am
westlichen Himmel das Feuer zu ihrer Opferung bereitet wird).
Die Söhne Sagaras (die Wolken des himmlischen Oceans, indem
das Wort s a gar a Meer bedeutet) machen ein donnerähnliches
Geräusch, indem sie nach dem ihnen entführten Pferde suchen.
Sie finden es bei dem Gott Vishnu oder Kapila (hier die Sonne,
das Sonnenpferd selbst, das in das wolkige Meer der Nacht ent-
ftthrt ist); da sie ihn fttr den Bänber halten, so stürmen sie auf
ihn ein; Kapila (oder das Sonnenpferd) brennt sie, empört, zu
« I, »»7 ff.
* IV, 4.
> I, 41—43.
257
Asebe. Ibr Keffe, AAdamant (4^r mH Strabteii viMehend, did
strahlende Morgensonne); dagegen befreit das Pfea*d aas dem
Walde. Am Abend wird es auf den Öpferplats »irtteligefllbrt,
anf den goldenen Estrieb, nachdem es die Reise um die Welt ge^
maebt. Ebenso wie wir itn yorhergebenden Kapitel sabeo, daM
die Knh resp. der Stier berührt oder geseblag-efl wird ab eia
Vxyfzeicben von Fruchtbarkeit nnd Fttlle^ so bertibrt im Räm&-
yan a ' Kängalyä das Pferd (einen Hengst), nm frtcbibar zu seitt,
da sie Söhne zn haben wttnscht (putrakämyay^X ^^^ ^^
König nnd die Königin riechen den Daft des yeitranniteB Mar-
kes oder Fettes des Pferdes als ein Zatibermittel; das ihnen die
Erfttllnng eines gleiehen Wunsches versehafifen soH^ Auf alle
Fälle mttssen wir immer das Mäbrehen auf den Mythus Ton dMi
Sonnenpferde 2urtlekf&hren, welches^ gerade als es geopfert wird^
sich selbst befruchtet, so dass es am Mo^en wieder ut einer
neuen und jungen Gestalt sich erbeben kann. Und wir kömien
leicht beweisen, dass das Pferd des a^amedha ein myfbifches
Pferd war, da der a^vamedha ursprünglich eine himmlische Oere^
monie War; denn wir lesen im Bigveda, wie das zum Opier
bestimmte schnelle Heldenross von den Göttern geboren war
und wie der Vasaya es mit dem Glänze der Sonne gesebmtl^l
hatte. * Wir sahen yor Kurzem, wie im Kigyeda s^M; es bald
die A(yins sind, bald Agni, welcher das Heldenrosa dem Yothfh
stimmten Jüngling giebt. Agni femer, der dem Hddefl ein Pferd
giebt, ist selbst bald ein schönes rotbes Rosa und bald ds yoi*-^
trefflicher ghridhnu, ^ ein Wort, das ebensowohl den Räuber als
den Geier (als Raubyogei) bezeichnet Der Dieb spielt sogar in
' I, 1, 17.
^ In den we0t)ichen Mährchen ist es statt des Ifiafkes oder Fette« deir
Plerdes ge^öh«]idi der Fisch, der von der Kdnlgia und ihrer Dieneriti
^gettsen wird, welcher den beiden Brüdern cUts Leben giebt, aas wekhea
drei werdeuy als da« Wasser, in welchem der Fisch gewaschen ist, der
Stute oder der Hündin zu trinken gegeben wird, von welcher der äöBn
der Stute oder der Hündin geboren wird. Ich habe schon versacht, die
IdlentitSt des Fisches diit dem Phallus zu beweisen; dass die Königin, die
Magd, die Stute oder Hündin den Fisch isst and davon «ehwanger Mrd,
scheint mir ein Symbol des Coitus. Dass die Königin Pferdemark oder
Pferdefett riecht, scheint dieselbe Bedeutung zu haben.
' Vftgino deva^ätasy« sapte^ pravakshyämo vidathe vtiydni; Bigv. I,
162, 1. — Sürftd a^vaih vasavo nir atash^a; 9igv. I, 163^ 2. '
• Sadhar na gridhniih; Rigv. I, 70> 11«
0Hb«rnaUfl, die Thiere. 17
258
den vedischen Mythen eine Hauptrolle. In dem Kriege zwischen
den Dämonen und den Göttern ^ weicher im ersten Buche des
Mahäbhärata geschildert wird, herrscht fortwährend Streit
zwischen den beiden Parteien, welche sich als die schlauste bei
der Entwendung des die Ambrosia enthaltenden Bechers bewähren
wird. Und der Pferdekopf, welcher nach der indischen Kosmo-
gonie genau bei der Hervorbringung der Ambrosia mit dem my-
thischen Edelstein geboren ist, die Pferdeköpfe von Dadhyanc
und Vishnu, die sich in der Ambrosia finden [deren Mund (Vada-
vamukha) man passiren muss, um in die Eölle einzutreten, wo
man das Geschrei und Geheul der Gequälten, welche das Wasser
bewohnen, hört^], zeigen uns, wie schon im Mythus das Mähr-
chen von der Entwendung der Ohmnge (AQvins) oder des Edel-
steins der Königin (der Sonne) oder des Schatzes mit der Ent-
wendung des Pferdes (der Sonne selbst) vereinigt gewesen sein
muss, wie es wirklich auch vereinigt zu sein scheint in der oben-
angeflihrten Sage von Utailka, in welcher Utaüka auf dem gött-
lichen Pferde flieht, als er aus der Hölle die Ohrringe der Kö-
nigin entführt, die ein anderer schlauer Dieb, der König der
Schlangen, wieder seinerseits ihm gestohlen hatte. (Herodot
schon kannte die Erzählung von dem schlauen Diebe, der des
Königs Schatz raubt und des Königs Tochter zur Gemahlin er-
hält; er bezieht sie auf den König von Aegypten, Rampsinit)
Als in der Fabel der Hirsch in den Wald flieht, verrathen
ihn seine hohen Hörner; als der Stier flieht, furchtet er, dass
seine Homer die Flüchtigen verrathen; sogar die Mähne des
Sonnenhelden nimmt den Namen von Hörnern an. Der vedische
Hymnus, der das zum Opfer bestimmte Pferd schildert, stellt es
als goldene Homer tragend und mit Füssen, so schnell wie der
Gedanke (gleich dem Hirsch) versehen dar, dessen Höraer (oder
dessen Mähne, gleich den Haaren des biblischen Absalom, der in
der Sage des mittelalterlichen Europa unter analoger Gestalt
wieder auflebt) sich nach allen Seiten ausbreiten und in den
Bäumen des Waldes verfangen. '^ Hier haben wir also das schnell-
* Vikro^atäm nädo bhütändm saliläukasäm ^rüyate bhri^ämftrttäD&m
vi^atäm ya4aYämukham ; Rämäy. IV, 40. — Aurva, welcher in Gestalt
eines Pferdekopfes das Wasser des Meeres verschluckt und Flammen speit,
ist eine Variation desselben Sonnenmythus; Mbh. I, 6802 ä,
* Hiranya^ringo' yo asya pädä mano^avä; Rigv. I, 163, 9. — Tava
^ringani vishthitä puruträranyeshu ^arbhuranä daranti; ib. 11. — Wir
finden den Hirsch in Verwandtschaft mit dem Pferde, als seinen stärkeren
259
füßsige Thier, dessen Mähne und Hörner sich in die Bäume ver-
wickeln. Ein anderer vedischer Hymnus bietet uns den Helden
Tugra, der sich im Meer verliert, aber einen Baum umarmt und
durch denselben gerettet wird. * In Volksmährchen rettet sieh
der Held oft auf einem Baume, sei es weil die Diebe oder der
Bär ihn dann nicht sehen können oder weil er so im Stande ist,
den Horizont zu sehen ; der Baum bringt ihm Glück , bald weil
er dadurch dass er etwas tröpfeln lässt oder ein Geräusch macht
die Diebe erschreckt, bald weil er die Kuhhirten täuscht, deren
Vieh er selbst in Besitz zu nehmen wünscht; er erscheint nämlich
bald auf dem einen Baum und bald auf einem andern ; die Kuh-
hirten fangen an sich über seine Identität zu streiten; die einen
behaupten, es sei dieselbe Person, diö anderen erklären das für
unmöglich; sie gehen deshalb eiligst zurück, um beim ersten
Baume nachzusehn und lassen das Vieh unbewacht, worauf der
Hddendieb vom Baume herabsteigt und es forttreibt (so bei
Afanassieff; der Feind der Räuber ist gewöhnlich selbst ein
ausserordentlich schlauer Dieb ; Kere^ägpa war nicht weniger ein
verschmitzter Dieb als Mercur, der Gott der Diebe, welcher den
Betrug Anderer entdeckt, weil er selbst ein so vollendeter Betrüger
ist). In dem neunzehnten mongolischen Mährchen (indischen
Ursprungs) besteigt der junge Held, nachdem er sich seiner
Sohnespflicbten am Grabe des Vaters entledigt, sein stolzes Boss,
indem er einen Baumzweig ergreift. Der Baum wird entwurzelt
und mit ihm massacriren das Pferd und der Held die Armee des
Königs, dessen Tochter der Held zu heirathen wünscht. In dem
russischen Mährchen, ^ das die Abenteuer von Klein Thomas
Nebenbuhler, bis der Mensch sich dem Pferde auf den Rücken setzt, in
der bekannten Fabel bei Horaz, Epist. J, 10:
„Ceryos equum pugna melior communibos herbis
PeUebat, donee minor in certamine longo
Implorayit opes hominis frenumque recepit;
Sed postquam victor violens discessit ab hoste,
Non equitem dorso, non frenum depulit ore/^
' lasya samsthe na vrinvate hari samatsu 9atrayah; Rigv. I, 5, 4.
* Afan V, 11. Vgl. ein Analogon des falschen Helden auch in der
fünften Erzählung des Panöatantra : Der Weber als Vishnu. An Stelle des
Pferdes mit dem Baumstamm, der die Chinesen tödtet, haben wir in dem
indischen Mährchen den Weber auf dem hölzernen Vogel Garuda, welcher
(der Weber) für den Gott Vishnu gehalten wird und im Lager der Feinde
Entsetzen verbreitet.
17*
260
Berennikoff^ dem auf einem Auge blinden ; erzählt, prahlt der
mile» gloriosins, Klein Tom^ nachdem er ein He^ Fliegea
getödtet; mit dem Heldenmnth, den er bei Niederwerfung dner
ganzen Armee leichter Kavallerie gezeigt habe. Er trifft zwei
wirkliche Hdlden^ Elias von Morom und Alexin Papoviö (Soh»
des Priesters), welche^ als sie ihn seine Thaten berichten bOreo,
ihn sofort als ihren älteren Bruder annehmen und ehren. Die
Tapferkeit der Drei wird bald auf die Probe gestellt; Elias und
Alexin zeigen sich als wirkliche Helden; schliesslich kommt auch
an Klein Tom die Reihe, Zeugniss von seinem Muthe absa*\
legen] er tödtet einen feindlichen Helden mit geschlossenen
Augen und versucht dann, dessen Pferd zu reiten, kann aber
nicht. Es ist eines Helden Ross und kann nur von einem Hel-
den geritten werden. Endlich bindet er das Pfeatd an eine Eiche
und klettert auf den Baum, um von ihm aus auf den Rücken
des Pferdes zu springen. Das Pferd fühlt die Last des Reiters
und schlägt so gewaltig aus, dass es den ganzen Banm aas den
Wurzein reisst und ihn hinter sich her zerrt, indem es Tom mitten
in die chinesische Armee hineinträgt. Die Chinesen werden von
der Eiche erschlagen und von dem wüthenden Schlacfatrosse mit
den Fttssen getreten ; die welche nicht getMiet werden, werden
in die Flucht geschlagen. (Das mythische Holzpferd, das sieh
so veihängnissvoll ftlr die Trojaner erwies, scheint eine^ mythische
Abart dieses Pferdes mit dem ftir die Chinesen so Verhängnis»-
vollen Baume zu sein.) Der Kaiser von China erklärt, er wolle
nie wieder mit einem Helden von der Stärke Klein Tom's Krieg
fuhren. Darauf giebt der König der Preussen, ein Feind dar
Chinesen, aus Dankbarkeit und als Belohnung für seine Tapfer-
keit Tom seine eigene Tochter zur Gemahlin. Es ist merkwür-
dig, dass im Laufe der Erzählung Alexin einmal zu Elias die
Bemerkung macht, dass das Pferd, welches Klein Tom von Hause
mitgebracht hatte, keine der charakteristischen Eigenschaften eines
Heldenpferdes zeigt Alexin, als der Sohn des Priesters, ist der
weise Held; Elias, der starke, welcher von seinem neuen Col-
legen. Klein Tom, eine hohe Meinung gefasst hatte, antwortet
ganz ernsthaft, dass die Stärke eines Helden in ihm selbst und
nicht in seinem Pferde liege. Die Entwickelung der Geschichte
zeigt uns allerdings, dass Alexin Recht hatte; ohne das stolze
Ross des getödteten Helden würde Tom nicht die Chinesen zer-
streut haben.
261
So lesen wir m einem yedischen Hymnos, ^ dase Indra, wenn
er «ich YOD seinen beiden Pferden trennt, einem schwachen und
matten SterUiohen gleich wird, dagegen erstai^t, wenn er sie
ansehirrt Die Feinde können in den Schlachten nicht dem An-
griffe der beiden schönfarbigen Bosse des Gottes Indra wider-
stehn ; ' und nicht allein das ; anch nur ein Theil des giHtlichen
Pferdes genügt bisweilen, dem Heldengotte den Sieg zü sichern.
Ein anderer Hymnns ^ singt : „Eines Pferdes Schwanz warst Du
da, 0 Indra I'' d. h. als Indra das Schlangenungehener besiegte.
Mit dem Kopfe des Pferdes Dadhyand vernichtet Indra seine
Feinde. ^ Auf das Pferd der Agvins^ welches das Schlangenunge-
haner tödtet, ist schon Bezug genommen worden. Das Sonnen-
frferd Dadhikra, identisch mit Dadhyaiiö, in einem andern Hym-
nufl des Bigveda,^ wird als ein schneller Falke, glänzend, an-
stürmend, seine Feinde gleich einem Heldenfilrsten vernichtend,
gleich dem Winde eilend gepriesen. Seine Feinde zittern, ge-
schreckt von ihm wie von dem donnernden Himmel ; es kämpft
gegen tans^nd Feinde — unbesiegbar, furchtbar und glänzend.
Endlich beisst es von den Pferden des Gottes Agni, dass sie die
Feinde tbii ihren Vorderfüssen besiegen. <
Als Afigada mit dem Ungeheuer Naräntaka imRämäya^a^
kämpfen will, schlägt er mit seiner Faust dessen grossem und
sehnellfElssigem Pferde den Kopf ab; mit dem zweiten Schlage,
den er gegen die Brast des Ungeheuis fuhrt^ tödtet er dasselbe.
In den sieben Abenteuern Bnstems bei Firdusi kämpft des
Helden Pferd gegen das Ungeheuer und treibt es fort, während
er scUäft
^ Apa yor indrah papaya ä marto na ^a^ramäno bibhiirän ^ubhe yad
yuyu^e taviBfafvän; Rigv. X, 105, 3.
* lasya samsthe na vrinvate hart samatsu ^atravah; Rigv. I, 5, 4.
* A^vyo Täro abhavas tad indra; Rigv. I, 32, 12; der indische Com-
mentator bemerkt, daas Indra die Feinde fortjagte, wie der Schwanz eines
Pferdes die Insekten abschüttelt, welche sich darauf setzen, was sich um
so mehr von dem Schwänze des Pferdes Indras denken iässt, als er mit
Milch, Butter, Honig und Ambrosia bedeckt ist.
* Rigv. a. a. O* und I, 84, 13. 14. Auch Agni wird als ein geschwänz-
tes Pferd verehrt (vftravantam a^vam) Rigv. I, 27, 1.
* Rigipyam ^yenam prushitapsum ä^um darkfityam aryo nripatim na
^rara — vfttam iva dhragantam — uta smäsya tanyator iva dyor righayato
abhiyu^o bhayante yadä sahasram abhi shim ayodhid durvartuh smä bha-
vati bhtma riiSgan; Rigv. IV, 38, 2. a 8.
* Avakrämantal^i prapadäir amitran; Rigv. VI, 75, 7.
^ VI. 49.
262
Vom BucephalnS; dem Pferde; welches Alexander der Grosse
allein bändigen konnte — es hatte seinen Namen davon , dass
es, wie man vermnthen mnss, auf dem Kopfe Erhöhungen hatte,
die den Hörnern eines Stieres glichen (wir sahen vorhin, wie von
der Mähne des Sonnenpferdes als von Hörnern di^ Rede war in
den vedischen Hymnen) — heisst es, dass es mehre Mal Alexan-
der in der Schlacht rettete und dass es, obwohl bei einem Ge-
fecht in Indien in den Flanken und am Kopfe tödtlich verwundet,
noch genug Kraft besass, um mit ausserordentlicher Schnelligkeit
zu fliehen und seinen Herren zu retten, und dann starb. Plinius
sagt, indem er den Philarcus anführt, dass der Krieger, der den
Antiochus erschlagen hatte, dessen Pferd zu reiten versuchte, doch
dass ihn letzteres zu Boden warf, so dass er ums Leben kam.
Vom Pegasus, dem geflügelten Ross, dass den Helden Belle-
rophon über das Wasser trug und durch welches der Held seine
glorreichen Siege errang, wissen wir, dass die Kriegsgöttin Pal-
las sein Bild auf ihrem Helm trug.
Sueton schreibt von dem Pferde Cäsars, dass es fast mensch-
liche Füsse mit Zehen hatte („pedibus prope humanis et in mo-
dum digitoram ungulis fissis''), woraus die aruspices dem grossen
Römer die Weltherrschaft prophezeiten ; dieses Pferd wollte, gleich
dem Bucephalus und jedem Heldenrenner, keinen andern Reiter
tragen als seinen Herren — den grossen Eroberer.
Das Pferd Baiardo bei Ariost bekämpft die Feinde mit
seinen Fttssen. Der Hippogryph Ariosts hat femer die Besonder-
heit, gleich dem Pegasus geflügelt zu sein und in der Luft zu
gehen wie der Tatos der Ungarn. Dep Name Falke, welchen
das Pferd des deutschen und skandinavischen Helden Dietrich
oder Thidrek (Theodoricus) führt, lässt uns glauben, dass es
ebenfalls geflügelt war.
In der Edda erhält Skimer von Frey ein Pferd, das seinen
Reiter durch Nebel (Wasser) und Flammen trägt und das Schwert,
das von selbst schlägt, wenn sein Träger ein Held ist Das
Pferd Sigurds oder Sifrits zeigt dieselbe Fähigkeit, den Helden
unverletzt durch die Flammen zu tragen. Das geschieht am
Morgen, wenn die Sonne heil und gesund aus den Flammen der
Aurora auftaucht; am Abend dagegen, wenn die Sonne sich in
den Flammen der Aurora verliert oder wenn der Sonnenheld stirbt,
wird sein Pferd ebenfalls, wie das Pferd Balders in der Edda,
auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder geopfert ; die Auferstehung
des todten Pferdes und des todten Helden finden zu gleicher
263
Zeit Statt Der Pferdekopf; der ans dem Fenster hervorragt, wie
er sich auf altgriechischen Gräbern dargestellt findet und in
deutschen Bräuchen bewahrt ist, ^ ist für den Menschen ein Sym-
bol der Auferstehung. Der Kopf Vishnus, UddäihQravas und Da-
dhyanös in der indischen Sage haben dieselbe Bedeutung. Wer
in diesen Kopf eingeht, findet Tod und Hölle; wer herauskommt,
ersteht wieder zu neuem Leben. Der fromme christliche Glaube
an die Auferstehung, welche kommen soll, und die zahlreichen
mittelalterlichen europäischen Legenden von todten Helden oder
Jungfrauen, welche wiedererweckt sind, haben ihren Ursprung
und Grund in der Beobachtung der jährlichen und täglichen
Auferstehung der Sonne.
In dem achtunddreissigsten Mährchen des fünften Buches
bei Afanassieff erhält der junge Prinz von einem verzauberten
Vogel ein Schlachtross und einen Apfel von der Farbe der Sonne
zum Geschenk. (Der Jüngling giebt den goldenen Apfel einer
schönen Prinzessin daftlr, dass er die Nacht hat bei ihr bleiben
dttrfen ; man merke hier wieder auf die Verwandtschaft des Pferdes
und des Apfels, und wahrscheinlich xdes Pferdes und des Stieres,
der Sonne und des Mondes.) In andern russischen Mährchen ist
das Boss des Helden, Iwan Tzarewiö, zuerst mit zwölf eisernen
Ketten unter der Erde angebunden ; als Iwan es reitet, zerreisst
es sie sämmtlich. ^ Das Pferd, welches Iwan der Dieb, wie er-
zählt wird, seinem Herrn entführt,« ist in drei sechsfach ver-
riegelten Thoren eingeschlossen; wenn er es stiehlt, soll er 200
Bubel zur Belohnung erhalten ; wenn nicht, sollen 200 Bastonaden
seine Strafe sein. Iwan zieht sich Kleider von seinem Herrn
an und befiehlt, dessen Stimme nachahmend, den Stallknechten,
ihm sein Lieblingspferd zu bringen. Diese lassen sich täuschen,
gehorchen und so führt Iwan das Pferd davon. Schliesslich muss
in einem dritten russischen Mährchen* Iwan Tzarewiö eines
Helden Pferd bei Gelegenheit seiner Hochzeit mit der schönen,
aber bösen Anna reiten. Er nimmt seine Zuflucht zu seinem
Lehrer Katoma, der den Beinamen Eichenhut tUhrt (hier finden
wir den Helden wieder in Beziehung mit dem Baum und dem
Pferde), und der von dem Grobschmied ein Heldenpferd anfertigen
' Vgl Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie p. 375.
» A fan. II, 24.
• Ib. V, 6.
* Ib. V, 35.
?64
Vimii zwW }we^ ßrobscfamiede (die zwölf Stundoa der Nsicbt
oder Adch die zwölf Monate des Jabres) ziehen zwölf Biege! anfi
öfifira «swölf Tbore und führen ein verzaubertes, mit zwölf eiBemen
Ketten gebundenes Pferd heraus. Kaum ist der Lehrer auf desaen
Bttekeu gestiegen, als es höher fliegt denn der Wald, der still
9teht und niedriger als die Wolke, die sieh bewegt ^ Der Lehrer
bändigt es, indem er sich mit der einen Hand an seine M^hne
klammcprt, mit der andern aber es hintereinander mit vier Stttcken
einer vensanberten eisernen Säule zwischen die Ohren schlägt.
Paa Pferd bittet darauf mit menschlicher Stimme um sein Leben;
die Fähigkeit zu sprechen ist nämlich ein untelrscheidendes Attri-
but des Heldenpferdes (eine Fähigkeit, deren es sich oft bedient,
wie Kustems Pferd z. B., um den Helden vor den ihn umringen-
den Gefahren zu warnen und ihm guten Bath zu ertheilen; bis-
weüea dagegen, wenn es sich in der Gewalt des Ungeheuers be^
findet, spielt es die RoUe eines Spions nach den Handlungen
des Beiden und hinterbringt dieselben dem Ungeheuer);* es ver-
spricht auch, dem Lehrer den Willen zu thun. Katomai der das
Herd Hundefleisch neunt, befiehlt ihm, noch den nächsten Tag
au bleiben, welcher zur Hochzeit bestimmt ist, und wenn der
Bräutigam Iwan es reiten werde, so zu thun, als ob es von einer
sohwerw Imt gedrückt wärde.
In dem siebenten ehstnisdien Mährchen stiehlt der junge
Held dem Herrn (dem Teufel oder dem schwarzen Ungeheuer
Nacht), in dessen Diensten er steht, das windschnelle Boss; er
reitet in der Bichtung, wo die Sonne untergeht, muss jedoch das
Pferd an einer eisernen Kette festbinden (es ist das der Strick
Yamas oder Varunas, des nächtlichen Bedeckers oder BinderSi
welcher den vediscben Beiden Qunah^pa, die Sonne, den mit
der goldenen Buthe, bindet), damit es nicht davon- und wieder
zorttcklaufen kann^ Dieses Moment ist höchst inteYeasanti
' FoYishe liessü 8tajä<$ayo, ponisze ablak^ hadtädavo.
* So heisst es z. B. im Pentamerone ES, 7, wo der K5oig von
Sohottland Oerretlo schickt, das Pferd des Ogre za stehlen, der sehn
Meilen T09. ScboWand aitf^mt Jebt: „Havev^ st' Huoroo no bellissUno
carallo, che pareTa fatto co lo penniello e tra le autre beUizze no le man-
caTa manco la parola.*' Als Corvetto das Pferd entführt, ruft es aus: „A
Ferta ca Corretto me ne porta.'^ — Vgl. auch das Pentamerone III, 1.
— Nicht allein das Pferd, sondern auch der Wagen hat die Gabe der
Sprache: Bämäy. VII, 44 spricht der Wagen Pushpaka zu Rftma und
sagt ihm, er sei allein würdig, ihn in lenken.
265
du ^ die BedeptUQg d^ Mytbus noch daatliober macht. Da
man 9ah, dase di^ Sonne am Abend nicht surttckkehrt, go ver-
mathcte man, daAS das Sonnenross von dem Helden gelbst, der
es gestohlen, gebunden worden sei.
In den enropäischen Volksmährchen haben wir zuweilen statt
des Beiden, der geinem Herrn das Pferd entfahrt, den Helden,
welcher selbst seinem Herrn in Gestalt eines Pferdes davon
läufk, bei seiner Fladit von der Tochter desselben unterstützt,
von des Zauberers oder Dämons Tochter oder der schwarzen
Jqngfrau (welche später schön und glänzend wird). Im unga-
rischen Volksglauben nimmt die jüngste von den Töchtern der
H^e (die Aurora) oft die Oestalt des Heldenrosses Tatos an.
Sie wird zum Tatos, als der Held, ihr begegnend, sie mit dem
Zttgel auf die Stirn schlägt ; dann trägt sie ihn, in ein Pferd um-
gestaltet, in die Lttffce. In dem russischen Mährchen ^ geht der
Sohn eines Kaufmanns zu einem weisen Zauberer in die Lehre,
der ihm jede Art von Wissen beibringt, unter Anderm auch ihm
lehrt, was die Schafe sagen, wenn sie blöken, die Vögel, wenn
sie singen, und die Pferde, wenn sie wiehern. Endlich kehrt der
junge Mann, nachdem er aUerhand Possen gel^nt, heim und
verwandelt sich selbst in ein Pferd, damit ihn sein Vater auf dem
Markte verkaufen und Geld gewinnen könne; doch warnt er
seinen Vater, den Zttgel nicht aus der Hand zu lassen, damit er
ni^ht wieder in die Hände des Zauberers falle. Der Vater ver-
gisst es und verkauft Pferd und Zttgel zusammen. ^ Der Zau-
berer befestigt das Pferd mit einem Binge an eine Eiche; die
schwarze Jungfrau (dievki 6ornavke), die Schwester des Teufels,
giebt dem Pferde Hirse und Wassermeth; dadurch gewinnt das
Pferd Kraft genug, die Kette, welche es an den Baum fesselt, zu
zearreissen und läuft davon. Der Teufel folgt ihm; das Pferd wird
ein Fisch und aus dem Fisch ein Bing ; des Königs Tochter kauft
den Bing und steckt ihn an den Finger ; während des Tages, ist
0S ein Bing (die Sonn^nscheibe) und während der Nacht ein
schöner Jttngling, der das Lager der Königstochter theilt (die
Sonne oder der Mond verborgen in der Dunkelheit der Nacht).
Gimea Tages läi^st di^ Prinzessin den Bing zu Boden fallen und
er zerbricht in tausend Stttcke (die Abendsonne, die auf den Berg
' Afan. VI, 46. — Vgl auch V, 2? uud Nr. ?6 von d^n Novelline
4i Stefano <}i ^^n Calcipaia.
* Vgl. Kap. I p. 54.
266
fällt); darauf wird der Teufel ein Hahn^ um die Stücke des zer-
broclieiien Ringes aufzupicken; doch ein kleines Stttckchen fällt
unter den Fuss der Prinzessin und wird in einen Falken ver-
wandelt; der den Hahn erwürgt und verschlingt.
In dem Zügel ^ welcher diesen Helden, der ein Pferd wird,
fesselt, glaube ich den Lasso wiedererkennen zu dürfen, mit wel-
chem Varuna im Aitareya Brähmana den ^unahgepa ge-
fesselt hält. Im Rigveda' haben wir Sftrya, die Sonne, als
SäuvaQvya oder Sohn Sva^vyas d. h. dessen, der schöne Pferde
hat; doch da wir neben SvaQvya auch Svagva finden (d. h. der
ein schönes Pferd hat), so könnte die Sonne selbst dieses Pferd
zu sein scheinen. Die Sage erzählt, dass SvaQva, der keine
Kinder hatte, die Sonne ersuchte, ihm welche zu geben und dass
die Sonne ihm zu Gefallen selbst von ihm geboren wurde. Sva§va,
der ein schönes Pferd und keine Söhne hat, ist vielleicht iden-
tisch mit dem alten Mann, der durch Verkauf des Pferdes seinen
Sohn verloren hat; als die Sonne wiederkehrt, kommt auch sein
Sohn zurück. In den vedischen Ausdrücken: ohne Pferd, ge-
boren ohne Zügel, die Sonne (als ein Renner*), dürfte der
Held als der bezeichnet sein, welcher noch nicht dieses Pferd
oder diesen Zügel hat, ohne welchen er machtlos ist; denn der
Held wird fast immer auch zugleich als Reiter gedacht.
Dem Reiterhelden ist sein Pferd sein Alles; bisweilen ist es
jedoch auch störrisch; dann straft es der Held. Wir machten
schon auf den bekannten griechischen Mythus von Phaeton auf-
merksam, der mit Ross und Wagen in das Wasser stürzte, weil
die Pferde die Erde in Brand zu setzen drohten. Das ereignet
sich jeden Tag gegen Abend, wenn die Sonne untergeht; der
ganze Himmel geht hinab; da wird die Sonne in den Ocean der
Nacht geworfen ; der Lauf der Sonnenrosse ist unterbrochen und
die Räder des Wagens rollen nicht länger. Eine ähnliche Kata-
strophe wiederholt sich am Johannistage, in der Sommersonnen-
wende, in welcher die Sonne stehen bleibt und zurückzugehen
anfä,ngt, weshalb die Tage von da bis Weihnachten immer kürzer
werden.
In Deutschland^ herrscht ein merkwürdiger Volksglauben,
» I, 61, 15.
' Ana9yo gäto aDabhi9ur arvä; Rigv. I, 152, 5.
' Vgl. Menzel, Die vorchristliche UuBterblichkeits-Lehre,
I, p. 29.
267
demzufolge der Jäger^ der am Johannistage einen Schuss in die
Sonne that; dadurch ein Freischtitz wird; d. h. der fortan nie
mehr fehlschiesst. Auch glaubt das Volk, ein Jäger , der den
frevelnden Schuss in die Sonne gethan^ sei dafür verdammt wor-
den; ewig jagen zu mttssen. -r In der Nacht wie auch in der
Periode; während welcher der Glanz der äonne abnimmt und
zwar besonders im Herbst; ist der dttstere Wald Himmel angefüllt
mit allen Arten von wilden Thieren; die Sonne tritt in diesen
Wald eiu; wird Mond und jagt darin die wilden Thiere die
ganze Nacht resp. Jahr, d. h. bis sie wiedergeboren wird. Im
Bigveda; wo wir Schwesterstuten an den Sonnen wagen ge-
schirrt saheU; ^ treibt Indra; seinem Lieblinge Eta$a zu Gefallen;
nachdem er die Ambrosia getrunken; die Wolken, welche hinter-
gefallen waren , vor die fliegenden SonnenrossC; ^ d. h. er warnt
den von Pferden gezogenen Sonnenhelden; sei es durch die Wolke
im Gewitter; sei es durch die Dunkelheit der Nacht, weiterzugehn ;
und er schlägt sogar die Räder des Sonnenwagens selbst, um
seinem einen Weltenbrand drohenden Laufe Einhalt zu thun. Von
diesen vedischen Daten ist der Uebergang zu dem Phaeton der
Griechen, der wegen der Pferde in die Wasser stüi-zt, leicht.
Der um seiner Pferde willen getödtete Held ist häufig Gegenstand
der Mythologie und der griechische Name Hippolytos geht auf
diese Todesart zurück. HippolytoS; der Sohn des TheseuS; wird
auf der Flucht vor seinem Vater; der ihn des Incests mit seiner
Stiefmutter Phaedra für schuldig hält; aus dem zertrünmierten
Wagen geschleudert; als die Wagenpferde dem Meere nahen und
vor Meerungeheuem scheuen. Es ist das eine Variation der Sage
von dem von seiner Stiefmutter verfolgten jungen Heldeu; der in
das Meer geworfen wird, jedoch mit dem beachtenswerthen Zu-
satZ; dass seine Pferde selbst die Ursache seines Todes sind. Die
christliche Legende vom heiligen Hippolytus hat sich diesen be-
sonderen Zug angeeignet; indem sie den heiligen Märtyrer, der
unter den Kaisern Decius und Valerian Präfect war; als von
Pferden zerrissen darstellt. Der Dichter Prudentius führt die
Erzählung in folgenden, beiden sonderbaren Distichen auS; in
welchen über St Hippolytus von Seiten des römischen Richters
die Todesstrafe verhängt wird:
' Sapta syasära^ suvitäya süryam yabanti harito rathe; Rigv. VII,
66, 15.
' Adha kratvä maghaTan tabhyam devk ana vi^ve adadu^ somapeyam
yat siuyasya harita^ patanti^ purab satir uparä eta^e ka)^: Bigv. V, 29,5.
268
„nie BOf^iiiata residens cerviee, qnis, ioqwit
Dicitar? «affirmanl; dicier Hippolytum.
Ergo sit Hippoljrtus ; quatiat turbetque jugales
Intereatque feris dilaceratos equis.**
Doch die Pferde, vjelche den Helden in das Wasser ziehen, sind
dieselben, welche ihn retten, indem sie ihn über die Tiefe tragen,
als sie den Wagen oder das Schiff anf dem Meere an das Ufer
ziehen. Die A^vins thun das Gleiche im Rigveda, wo sie so-
wohl sich als andere Helden auf ihrem Wagen, der mit einem
Schiffe verglichen wird; ^ aus den Wogen retten. Held und Pferd
haben immer dasselbe Schicksal.
Wenn der Held naht oder wenn dem Helden ein glückliches
Ereigniss zustossen soll, wiehert sein Pferd vor Freude.
Im liigveda' wiehert bei der Ankunft des Oottes Indra
das Pferd, brüllt die Kuh, wie ein Bote zvrischen Himmel und
Erde. Das Wiehern dieses Pferdes und das Brüllen dieser Kuh
sind das Donnero der Sonne in der Wolke. Durch dieses Wie-
hern oder Brüllen werden die Menschen benachrichtigt, dass der
Heldengott Indra im Himmel seine Schlachten beginnt Ein an-
derer Hymnus, der die beiden Pferde Indras awei Strahlen der
Sonne (süryasya ketü) nennt, feiert sie als wiehernd und Am-
brosia ausspritzend, ' d. b. die Sonne lässt Begen aus den Wol-
ken fallen; wenn sie sich am Morgen im Ostßn zei^ wiehert
ihr Pferd und lässt Thau auf die Erde tropfen.
Herodot und nach ihm Oppian und Valerias Maximus er-
zählen die mythische Geschichte von Darius Hystaspis, der un-
vorhergesehener Weise zur Herrschaft gelangte, weil er seine Col-
legen zu dem Beschlüsse überredete, dass der die Krone Empfangen
sollte, dessen Pferd zuerst beim Anblick der Sonne wiehern würde.
Es wird berichtet, dass Darios, als er an Ort und Stelle kam,
sein Pferd eine Stute wittern Hess. ^ Wiehern ist das Lachen des
' A no nftv& matinäm y&tam parftya gantave, ym&^äthäm a^rinA ratham ;
Rigv. I, 46, 7.
* Krandad a9vo nayamdiio mvad gäur aotar ddU> na rodati darad v&k ;
Rigv. I, 173,3.
* Gbrita^cntiiih sväram asvärshtam; Rigv. II, 11, 7.
* ... in equae genitalem ptirtem depUsaam manum, cum ad earn
locum ventom esset, naribus eqni admovit, quo odore irritatus ante omnes
hinnitum edidit, auditoque eo sex reliqui summae poteslatis contümo eqois
dilapei candidati, ut mos est Perstrom, bami prostratU corporibos Dariom
269
Pferdes. Wir sahen im vorigra Kapitd, wie der 9tier sprkbt
und der Fiseb lacht beim Anblick de» Coitna; and so haben wir
hier, in der Erzählung von Darius^ da» P&rd^ das we^^ der
Stute wiehert — Um auf das Pferd der Mythologie zurückzu-
kommen, sa widiert das Sosnenpferd in der DoBBerwolke^ welche
der Stier ; wie eine Kuh, schwängert und der Hengst wie eioe
Stute, und zwar wiehert es beim Anblick der Aurora^ die bald
ats die Lenkerin von hundert Wagen erscheint^ (eine runde
Zahl, wie die hunderttausend Pferde, welche in einem anderen
Hymnus' der Gott Indra lenkt; eine LiebHngszahl, wie die Sieben,
welche auf dieselben Sonnenpferde, Sonnenstrahlen und AQgirasen
Anwendung indet^) — weshalb sie sich nüt der Aphrodite Hip-
podameta der Griechen vergleicben lässt — , bald auch als eine
wirklidie Stute* Die Sonne ist bald eine Lenkerin tod Pferden,
bald selbst ein Pferd ; ebenso ist die Aurora baki eine Amasone,
bald eine Lenkerin von Wagen, bald a^yäyatt und bald eine
Stute. Wenn die Sonne sieb der Aurora^ oder das Pferd der
Stute niUm^ wiehert dasselbe. Wir wissen, wie die A^vins sieh
als Sttne der Gemahlin der Soon^ Saran jfi, der Toebtev Tyash-
tars betrachtete», welche sick mit der Sonne in Gestalt einer
Stnte vereinigte. Mag diese Saranyö die Wolke oder die Aurora
sein, wir haben in ihr auf die FUle erne Stute m sehen^ welche
die Sonne, der Sonnenheld oder Sonnenhengst begattet, um die
ZwilüngsheMen zu zeugen, die ans diesem Gtrunde auch die beiden
Sttbne der Stute beissen. ^ Wir sahen schon im vorigen Kapitel
einen Helden und eine Heldin, die ans Eietn ausgebrütet w^den ;
von den Dioskuren wissen wir, dass sie aus dem Ei der Leda>
entsprangen, und das Stutenei ist das Thema eines Mährchens
in der Ukermark.^ Griechische Schriftsteller haben mehre
regem sslatarant; Valer. Max. Mem. VII; Hevodot III, 87. Herodot
iiioMot aaeb auf eine andere Version dieser Anekdote B«eiig, und fügt
bioBO, dase e» beim ersten Tagesgrunen bÜtzti^* und donnerte.
' Devi ^iri vatbftnäm; Btgy. I, 48^ H. — Qatani rathebbi^ subbagoshft
iyaih vi yftty abbi mftnutbftu; I, 48, 7.
* Upa tmaoi dadbäno dhnry ft^dnt sabasrfini ^ftni viigr»bäbu^; Kigv.
'* VglBigv. IV, 3, 11; IV, ia,3.
* Vgl. das Petersburger Wörterbucb s. v. a^Tin.
' Kubn and Scbwartz p. 3d0. — Der spricbwörtlicbe Ausdruck im
Bngliscben: „a mare*B neeVS mit welcbem man jetzt eine Unmögliobkeit
b«£eicbB0t, gnig wabrscbekillcb urspfünglieb ai^ einen wirkliehen Mytbu«
»nrück.
270
Fälle TOD geschlechtlicher Vermischung zwischen Männern nnd
Staten und zwischen Hengsten und Weibern überliefert; mit ent-
sprechenden Geburten von Ungeheuergestalt NuU; so unnatürlich
solche Gebuiiien uns erscheinen, befinden sie sich in der Mytho-
logie in vollständiger Harmonie mit der Natur. Im vorigen Ka-
pitel sahen wir die Kuh; die über den Hasen springt; und erklärten
diese Erscheinung durch die Wolke oder Dunkelheit; die den
Mond bedeckt und auch durch die Erde, die bei Mondfinster-
nissen den Mond verdunkelt. Bei Herodot und Valerius Maximus
wirft zur Zeit des Xerxes eine Stute einen Hasen, und wir müssen
hier den Hasen als den Mond auffassen; der aus der Dunkelheit
oder den Wolken heraustritt; wenn wir femer lesen, dass der
Hase die Stute erstickte, so müssen wir das so verstehen; dass
er den Mond bedeutet als die Dunkelheit oder die Wolken zer-
streuend (vielleicht auch die Sonne oder die Abend-Aurora). Wir
müssen in dieser Weise zu dem Mythus unsere Zuflucht nehmen;
um die Beispiele von Parturitionen ohne Coitus zu begreifen, die
sich in einigen indischen Sagen finden und auf Helden ange-
wendet werden, ebenso wie auch die sonderbaren Erörterungen
bei den AlteU; von Aristoteles; Varro, Plinius, Columella, Solinus
und Augustinus bis herunter auf Albertus Magnus und Aldro-
vandi über Stuten, und zwar besonders spanische und portugie-
sische Stuten, welche vom Winde geschwängert sind (bei Oppian '
die mit den windigen Füssen genannt) und von denen auch im
Pentamerone^ mit weniger Decenz in Beziehung auf den
Mythus von dem von dem Baume gefallenen Mädchen die
Rede ist
» Kyneg. I, 284.
^ II, 3. ^Allecordatose d^haver 'ntiso na vota da certe stodiante, che
le cavalle de Spagna se'mprenano co lo viento ;** und die Geschichte Bpricht
weiter von dem Erstaunen des Ogre, welcher beim Anblick eines schönen
Mädchens in seinem Garten ,ypensaie che lo shiavro de lo pideto, havesse
'ngravedato quarche arvolo, e ne fosse sciuta sta penta criatura; pereo
abbracciatala co gran'ammore, decette, figlia mia, parte de sto cnorpo,
sbiato de lo spireto mio, e chi me 1' havesse ditto mai, che co va Tcntose-
täte, hayesse dato forma a ssa bella facce?'* Varro schreibt gans emst-
hait: „In faetnra res iucredibilis est in Hispania, sed est vera, quod in
Lusitania ad Oceanum in ea regione, ubi est oppidum Oljssipo monte
Tagro, quaedam e vento concipiunt equae, at hie gallinae sclent, quarum
ova hypanemia appellant, sed ex his equis qui nati puUi, non plus trien-
nium vivunt'^
271
I
Auch das Pferd Ariostfs hat eine ähnliche Natur :
„Questo h 11 destrier che fu deir Argalia
Che di fiamma e di veoto era concetto
£ senza fieno e biada si nutria
De r aria pura e Babican fu detto.*^
Das Pferd Ciolles in einem toscanischen Sprichwort nährt sich
auch nur von Wind.
Das Pferd des Dardanos, des Sohns des Zeus^ war auch nach
der Sage vom Winde geboren, was uns auf die vedischen Maruts,
deren Wagen Pferde zu Flügeln haben, und auf den v o 1 u c e r
currus des horazischen Diespiter zurückführt.* Im Sanskritist
der Ausdruck vätä§va, Windpferd, sehr gebräuchlich zur Be-
zeichnung eines sehr schnellfüssigen Pferdes.
Kaum ist das Pferd Uccaih^rava geboren, als es auch
schon wiehert; gleich ihm lacht im Mahäbhärata der Held
A^vatthäman, der Sohn Dronas (eigentlich : der, welcher in seinem
Pferde Stärke hat, was dasselbe ist wie „Heldenpferd ^0; sobald
er geboren ist.
Ferner, wie das Pferd durch Wiehern seine Freude über das
Glüek seines Reiters bezeigt, so ist es nicht nur traurig, sondern
vergiesst auch wirklich Thränen, wenn ihn Unglück Ireflfen soll.
Als Rävana im Rämäyana in seinem Wagen erscheint, um
den Entscheidungskampf mit Räma auszufechten, vergiessen seine
Renner Thränen^ — ein unglückliches Vorzeichen. Rävana ist
das Ungeheuer des Dunkels und der Wolken ; als die Wolke sich
zu zertheilen beginnt, fallen Regentropfen, d. h. die Pferde des
Ungeheuers weinen. Die verrätherische Schwester, welche mit dem
Ungeheuer gegen ihren Bruder verbündet ist in russischen Mähr-
chen, wird von ihrem Bruder, der das Ungeheuer tödtet, dazu
verurtheilt, einen ganzen Eimer mit ihren Thränen zu filllen. ^
* Rathebbir a^vaparnäi^; Rigv. I, 88, 1. — Horaz, C arm. I, 14:
„Namque Diespiter,
Igni corusco nubiia dividens
Plerumque per purum tonantes
Egit equos, volucremque currum.**
' A^rüni däsya mumucurvägina^; Bämäy. VI, 75.
' In den entsprechenden italienischen Mährchen muss der für eine
Indiscretion bestrafte Held resp. Heidin , bevor er Verzeihung erlangt,
sieben Paar eiserne Schuhe abnutzen und sieben Flaschen mit Thränen
füllen.
272
Diese Thränen sind ebenfalls ein sagenbaCtos Symbol des Rügens,
welcher fällt, als der Sonnenheld die Wolke zerri»seu hat
Sneton schreibt im Leben Cäsars, dass die von Caesar dem
Mars geweihten und dann nach dem Ueberschreiten des Kubicon
in Freiheit gesetzten Pferde sich hartnäckigst weigerten, zu fres-
sen und reichliche Thränen vergossen. ^ Es ist darauf zu achten,
das« diese Erzählung von den weinenden Pferden mit dem Ueber^
schreiten des Wassers des Rubicon in Verbindung gebracht ist
(eines Stromes, den noch kein Geograph mit Sicherheit hat con-
statiren kennen, wahrscheinlich weil die darauf bezOgliche Er-
zählung eine Fabel mythischen Ursprungs ist Wir wissen, wie
sehr mythische Vorstellungen dazu neigen , eine menschliehe Ge-
stalt anzunehmen und besonders incliniren, sich um grosse histo-
rische Persönlichkeiten zu gruppiren — Cyrus, Alexander, Uodmi-
lus, Cäsar, Augustus, Vespasian, Attila, Theodorieh and Karl der
Grosse sind Beweise dafür; und vielleicht wird ein Tag kommen,
an welchem Napoleon I. oder Garibaldi fär manche Volkssage,
die jetzt unbestimmt und unstät umherirrt, einen neuen Glieds«'
mann abgeben). So heisst es auch, dass üäsars Pferd selbst drei
Tage lang vor dem Tode des Helden Thränen vergoss. In der
Iliade^ wemen die Bosse Achills über den Tod des Patroklus,
den üektor von seinem Wagen in den Staub geworfen; in den
Paraleipomena des Quintus Smymaeus^ weinen die Bosse
Achills bitterlich über den Tod ihres Helden. Es ist das eine
Variation der Sage von den Pferden, welche den Sonnenhelden
in die Wasser, den Ocean der Nacht oder die Wolken hinab-
sttlrzen, und der von den Bossen Poseidons. Die Nebel, wekhe
nach Sonnenuntergang am Abend die Luft schwäagern, und die
Begengisse bei Tag und bei Nacht, wie auch die im Herbst,
lassen Thränen zur Erde fallen oder weinen ttber den (nahen) Tod
des Sonnenhelden.
Der Morgenthau dagegen, der als Schaum aus dem Munde
des Sonnenpferdes kommt oder aus seinem Huf als Ambrosia und
Gesundwasser, ist mit jeder Art Heilung spendenden Einflusses
geschwängert
^ ProximiB diebas equorum greges, qaos in trajiciendo Habicone Marti
coaBacraverat ac sine custodibus vagos dimiserat, comperit pabuio p^rtina-
cisshue abstinere, ubertimqae flere.
> XVU, 426.
> 111, 740.
Daß Pferd und der Stier der Mythologie sind (Samen-)Au8-
spritzer xcw' ifyx'^v* Durch eine vedische Strophe — die in
meinen Augen einer von den Sprüchen ist, welche hergesagt
werden, um das Zungenband zu lösen — , die sich auf die beiden
ausspritzenden oder befruchtenden Rosse Indras bezieht, zieht sich
ein Wortspiel mit der Wurzel varsh oder vrish, welche zu-
gleich ausspritzen und befruchten bedeutet, * und mit dem Buch-
staben r, der fast in jedem Wort des Verses vorkommt. Nicht
allein die Pferde Indras spritzen aus und befruchten; dieselbe
Eigenschaft wird auch dem von ihnen gezogenen Wagen beige-
legt * Wir sahen schon, dass das Pferd der Agvins das Schlangen-
ungeheuer tödtet und dass der Pferdekopf Dadhyanc (der in der
Milch oder in der zerlassenen Butter wandelt, und der sich in
einem Milchsee befindet) die Feinde Indras vernichtet. Ein ve-
discher Hymnus singt, dass mit dem Schaum der Wasser Indra
dem Schlangenungeheuer den Kopf abschlägt. ' Im Toscanischen
heisst der Eeichhusten der Pferde- oder Eselshusten,* und man
glaubt, dass die Kinder ditvon geheilt werden, wenn man ihnen
den Schaum von dem Maule eines Pferdes zu trinken giebt oder
sie aus dem Wasser trinken lässt, aus welchem ein Pferd ge-
trunken hat Dieses Heilverfahren beruht auf dem Grundsatze
similia similibus, indem der Schaum gegen jenen convulsi-
vischen Husten angewandt wird, welcher, wie alle Convulsionen,
viel saliva, Schaum in den Mund bringt Allerdings wird der
Glaube an diese Wundermedicin etwas erschüttert, wenn wir
lesen, dass derselbe Scbaum auch ein sehr wirksames Mittel
gegen Ohrenschmerzen ist Plinius, Sextus Empiricus und Mar-
cellus bei Aldrovandi ^ empfehlen ebenfalls die saliva eines Pfer-
des als ein Mittel gegen Husten, besonders bei schwindsüchtigen
' Vrishä tv& vrishanam vardhata dy&ur vrish^ vrishabbyäm vahase
haribhy&m sa no Trisha vrisharathah su^ipra vrishakrato vrishä va^rin
bhare dhäb; Rigv. V. 36, 5. — Im Piemontesischen giebt es ein Gesell-
schaftsspiel, das in der Beschreibung der Geschenke, die man der Braut
Jemandes zu machen denkt, besteht, bei welcher jedoch kein einziges
r vorkommen darf. Wer ein Wort mit einem r bringt, hat das Spiel
verloren.
* Vrishäyam indra te ratha uto te vrishanä harf; Eigv. VIII, 13, 31.
' Apäm phenena namudeh ^ira indrod avartayal^; Eigv. VIIL 14, 13.
^ £r heisst auch der Hundehusten und darum glaubt man auch analog
dem Obigen, er werde geheilt, wenn man die Kinder da, wo ein Hund
getranken hat, trinken lässt.
*De Quadrupedibus L
Gabcmotb, dt« Tliiere. 18
274
Patienten^ mit dem Bemerken, dass die kranke Person in drei
Tagen geheilt ist, das Pferd aber stirbt, ein Aberglaube, der
seinen Ursprung in dem mythischen Pferde gehabt haben muss,
welches von Ambrosia lebt, aber seine Kräfte verliert und stirbt,
als ihm sein Speichel, Schaum, Ambrosia oder Than genommen
ist Es ist bekannt, dass die A^vins neben ihrem Charakter als
glänzende Reiter auch als MenscheniVeunde ausserordentlich ge-
schickte Aerzte waren; das konnte auch nicht anders sein; hatten
sie doch den Kopf Dadhyands in ihrer Gewalt, welcher sich in
der Ambrosia befindet d. h. dessen Schaum Ambrosia ist. Die
Dioskuren erscheinen ebenfalls häufig in europäischen Sagen als
unerwartete und wunderbare Befreier. Mit diesem mythischen
Glauben von dem Pferde, das Ambrosia hervorbringt, hängt auch
die Verwandlung der Ocyrhoe in eine Stute zusammen, weil sie
vorausgesagt, dass Aesculap durch die Arzneikunde die Menschen
vom Tode erretten würde, wie sie Ovid im zweiten Buche der
Metamorphosen geschildert hat. Aesculap wurde bekannt-
lich bei Quellen verehrt, deren Wasser man für heilkräftig hielt,
und wurde von dem Sonnengott Apollo beschützt; die beiden
Aerzte, die Söhne des Asclepios oder Aesculapius, scheinen nichts
weiter als eine Sondergestaltung der Dioskuren zu sein.
Doch das Sonnenpferd bringt nicht allein mit seinem Munde
Ambrosia hervor.
Es hat grosse Kraft in seinen Hufen (weshalb Isidor und
andere Etymologen des Mittelalters den Namen c a b a 1 1 u s davon
ableiteten, „quod ungula terram cavat"') und bedient sich im
Mythus und in der Sage derselben nicht nur zum Kampf gegen
die Feinde, sondern auch um die Erde aufzureissen und Ambro-
sische Quellen daraus hervorsprudeln zu lassen. Bisweilen spritzt
Ambrosia aus dem Hufe des Pferdes selbst heraus. Im Big-
V e d a 2 heisst es, die Pferde Agnis hätten Hände (d. h. Hufen an
den VorderfÜssen) , welche ausspritzen; und das Pferd, welches
die A^vins dem von ihnen beschützten Helden geben (d. h. dem
Sonnenhelden, der Morgensonne), füllt mit seinem starken Hufe
hundert Krüge mit berauschendem Nass. ^ Ich habe nicht nöthig
hier die berühmte Quelle des Pferdes oder Hippokrene anzuführen.
' Da Gange, Gloss, med. et inf. lat. s. v. caballns.
* Vrishapänayo \y&\ Kigv. VI, 75, 7.
' Kärotaräd dhaph&d aQvasya vriahnnh ^tam kumbhau asMdatam su-
räyah; Rigv. I, 116, 7.
275
welche Bellerophons Pegasus ans der Erde hervorsprudeln liess,
indem er mit seinem Haf das Erdreich aufbrach (deshalb auch
Ilrffaala xqt^ genannt). In der römischen Sage wurde der
Pferdehuf an einem Ort nah dem Lacus Regilius verehrt^ wo der
Sage nach die Dioskuren erschienen waren. ^ In einem russischen
Mährchen ^ gerftth Häuschen (lyanushka), als er einen Pferdehuf
sieht; in grosse Versuchung, daraus zu trinken, doch widerräth
ihm seine Schwester. Dieselbe Versuchung tritt wieder an ihn
heran beim Anblick eines Stierhufes und später dem eines Bockes.
Zuletzt kann er sich nicht mehr halten, er trinkt ans dem Bocks-
huf und wird selbst in einen Bock verwandelt. In der Spur
eines Pferdehufes läuft in andern Mährchen die Ameise Gefahr
zu ertrinken; von einem Menschen gerettet, beweist sie sich im-
mer dankbar gegen denselben. ^
Mehre Mythen^ die wir in dem vorigen Kapitel schon als auf
den Stier bezüglich angeftihrt haben, kommen wieder in Ver-
bindung mit dem Pferde vor, wie z. B. die Vögel, welche aus
dem Pferde kommen; der Held, welcher dem Pferde das Fell ab-
zieht, indem er es am Schwänze packt, um einen Sack davon zu
machen; das schnelle Ross des Adrastus, welches hinter der
Schildkröte herrennt (ein griechisches Sprich wort) ; * das Mondpferd
und das Sonnenpferd. Dieser Wechsel zwischen Mond und Sonne
und zwischen Stier und Pferd ist glücklich angedeutet worden
von dem römischen Dichter Fulgentius:
„Jam Phoebus disjungit eqaos, jam Cynthia jungit,
Quasque soror liquit, frater pede temperat undas:
' „Oue spot OD the margin of Lake Regulas was for many ages re-
garded with superstitious awe. A mark, resembling in shape a horse's
hoof, was discernible in the volcanic rock ; and this mark was believed to
have been made by one of the celestial chargers.'* — Macaulay, Battle
of the Lake Regillus, Vorrede.
• Afan. IV, 45.
' Die Milch von weissen Stuten, die nach Olaus Magnus (I, 24) jähr-
lich von dem Gothenkönig am 28. August zu £hren der Götter, welche
sie mit grosser Gier aufnahmen^ auf die Erde gegossen wurde, dürfte eine
Ankündigung der drohenden Herbstregengüsse sein; das Pferd verliert
seine ambrosische Feuchtigkeit und sein Ende steht vor der Thnr.
* Das griechisch-römische Sprichwort: „Equus me portat, alit rex,*'
dürfte ebenfalls einen mythischen Ursprung haben und auf die mythische
Erzählung von dem verrathenen Blinden zurückgehen, der den verschla-
genen Krüppel oder Lahmen trägt, welcher letztere sich oft nur lahm stellt,
um seinem Gesellen ein paar seiner Streiche zu spielen.
18»
276
Tum nox steilato codum circumlita pepio
Coerola rorigenis pigrescere jusserat alis
Astrigeroque nitens diademate luna bicornis
Bullarum bijugis conscenderat aequora tauris."
Die Götter batten oft eine Neigung isich in Pferde zu ver-
wandeln ; ja sogar; das Opfer d. b. der Tod des Gottes wird
durch den Tod des Pferdes dargestellt. Jedermann weiss ; dass
Götter und Helden ein Vergnügen daran fanden^ sich als gute
Reiter^ oder wenigstens als gute Wagenlenker zu zeigen. Deshalb
dürfte es schwierig sein, zu sagen ; welchem Gott speeiell das
Pferd geweiht ist. Die vedischen A^vins, die vedische Aurora,
welche beim Wettlauf in ihrem Wagen siegt, Agni, Sävitar, Indra,
siegreich und glänzend durch ihre Rosse, der %7titioq noaudijiVf
die iTtTtela 'Adrpnrij die iTtTtoödfieia 'AtpQOÖitr], die Dioskuren, Mars,
Apollo, Zeus, Pluto und der deutsche Wuotan (gleich seinem
alter ego, St. Zachaeus) zeigen sich nie anders als zu Pferde;
daher war das Pferd natürlich ihnen Allen geweiht. Da im
christlichen Glauben die unzähligen Götter der Alten unzählige
Heilige geworden sind (wenn sie nicht so unglücklich waren, in
Teufel umzuschlagen), so wird nun das Pferd in seinem Stall dem
Schutze mehrer Heiligen anempfohlen, von dem obscuren sici-
lischen St. Aloi an bis zu dem weniger bescheidenen russischen
St. Froh und St Laver, welche das Pferd sowohl wie auch den
Maulesel und den Esel unter ihren speciellen Schutz nehmen,
ganz zu schweigen von den berühmten Reitern St Georg, St.
Michael, St Jakob, St. Mauricins, St Stephan, St. Vladimir und
St. Martin, die ganz besonders von Eriegsleuten verehrt und
welchen zu Ehren die Hauptritterorden Europas gegründet wur-
den. Wie jedoch Religionen von einem Gesichtspunkt aus Kari-
katuren von Mythologieen sind, so ist nun ein Unterschied zwischen
den mythischen alten Gottheiten und den neuen l^endenhaften,
sofern die ersteren zuweilen freimüthig die Darbringung des
Thieres in effigie annehmen, wie wir im vorigen Kapitel zu be-
merken Gdegenheit hatten, während die letzteren und ihre Stell-
vertreter auf Erden nicht ganz so einfach sind, sondern ihre
Frommai nie in Ruhe lassen, bis sie den vollen Werth ihrer
Gnadenbeweise baar und ohne Discont erhalten haben. Im Leben
des St. Gallus lesen wir, dass zu Zeiten König Pipins (wir wis-
sen schon, was mit diesen Zeiten gemeint ist) ein gewisser Willi-
mar bei einer Krankheit im Falle seiner Heilung der Kirche des
St. Gallus ein Pferd zu schenken versprach. Als er seine Gesund-
277
heit wiedererlangt; vergass er das gegebene Versprechen. Als er
nun eines Tages vor der Kirche des Heiligen yorüberritt, postirte
sich sein Pferd vor die Kirchthüre und war auf keine Weise von
der Stelle zu bringen, bis Willimar schliesslich die Absicht aus-
sprach^ sein Qelübde zu erfüllen. In dem Leben des St. Martin
ist eine bei weitem lustigere Variation derselben Anekdote. Nach-
dem König Clodwig Christ geworden, verspricht er, als er gegen
die Westgothen kämpft, dem St Martin sein Pferd, wenn er ihm
den Sieg verleiht Später bedauert jedoch Clodwig gezwungen
zu sein, sich seines guten Streitrosses zu berauben und bietet
dem Heiligen 100 Goldstücke als Entschädigung, wenn er ihm
das Pferd lasse. St. Martin fordert das Doppelte und der Handel
kommt zu Stande ; doch da noch etwas häretisches Blut in Clod-
wigs Adern fliesst, so kann er sich nicht enthalten, ein Witzwort
gegen den Heiligen loszulassen : „Martinus, quantum video, auxi-
Uator est facilis, sed mercator difficilis V ^
■ Die Fabel bei Pbaedras (IV, 24) Ton der Rettung des Dichters
Simonides durch die Dioskuren ist sehr bekannt; die Götter strafen den
Geizhals, der sich weigert, die yersprochene Belohnung zu geben, nicht um
ihrer selbst, sondern um des dem von ihnen geliebten Dichter angethanen
Unrechts willen. Es ist beachtenswerth, dass wie uns die römische Sage
die Pferde der Dioskuren als schwitzend darstellt, so Phaedrus die Dios-
kuren selbst schildert als:
„Sparsi pulyere
Sndore multo difflnentes corpore.**
278
KAPITEL HL
Der Esel.
Der Esel hat^ in Europa wenigstens, das Missgeschick gehabt,
unter einem Unglücksstern geboren zu sein, ein Umstand, der
den Griechen und Römern auf Rechnung zu schreiben ist, welche
die Laune hatten, ihn als eine Art Don Quixote unter den Thieren
zu bebandeln. Sein ganz besonderes Privilegium, Schläge zu be-
kommen, hat mit seiner unzweifelhaft grossen und unbestreitbaren
Berühmtheit immer zugenommen. Der arme Esel hat auf Erden
sehr theuer bezahlen müssen, und bezahlt beständig immer theurer,
den Flug, welchen ihn die Phantasie der frühesten Zeitalter
menschlichen Geistes im Himmel nehmen liess. Möchte dieses
Kapitel — wenn keine andere Wirkung — doch zum Mindesten
die haben, dass dem armen, ttbelbeleumdeten Thiere ein Paar von
den Schlägen erspart werden, die man ihm zu appliciren gewohnt
ist, als ob man dadurch der satirischen Laune unseres Geschlechtes
Luft machen wollte, und ad exhilarandam caveam.
Der Keim zu dem Ruf des Esels als eines dummen und
muthwiUigen Thieres, den er in Griechenland und Italien erlangte
und der sich dann über alle Theile Europas verbreitete, lässt
sich schon in den alten Mythen der Inder finden. Allerdings hat
A. Weber ^ Hm. Wagener gegenüber nachgewiesen, dass die
Vorstellung von dem dummen und eingebildeten Esel, vne wir
sie immer in den Fabehi des Pandatantra finden, in Indien erst
von den Griechen verbreitet wurde und im indischen Glauben
wie in indischer Literatur nicht eigentlich von Haus aus liegt.
In Indien war der Esel nicht ein besonderer Gegenstand ded
Gelächters, und zwar vielleicht aus dem einfachen Grunde, weil
die orientalischen Species des genus asininum weit schöner und
edler sind als die occidentalischen. Der Esel des Orients ist ge-
meiniglich feurig, lebhaft und schnellfüssig, ^ wie er im Occident
' lieber den Zusammenhang indischer Fabeln mit grie-
chischen, eine kritische Abhandlung von A. Weber, Berün, 1855 p.
10 f. 26.
* Wenn sich unter den semitischen Völkern bei den Arabern schon
in früher Zeit der Esel als der Typus der Dummheit findet (vgl die be-
279
gewöhnlich langsam und träge, ohne wirkliche Energie, doch sehr
sinnlich ist. Denn wenn auch der Westen (und besonders das
südliche Europa) eine besondere Eselart besitzt, welche uns an
den asinus multinummus des Yarro erinnert (wie ja auch der
Orieiit, obgleich nur ausnahmsweise, tieferstehende Arten hat), so
besteht doch die Hauptmasse der Esel in kuropa aus Thieren von
niedrigem Typus und heruntergekommener Erscheinung und gegen
diese sind unsere Scherze und unsere Schläge gerichtet. Es ist
das der sprichwörtliche Eselstritt nach dem Gefallenen ; der arme
Paria des Westens muss die Ehren, welche seinen glorreichen
mythischen Vorfahren des Ostens erwiesen wurden, theuer be-
zahlen. Wir meinen, dass der Esel, von dessen Heldenthaten wir
berichten hören> derselbe ist als der, welcher jetzt demUthigst den
Packesel spielen muss; und da wir ihn nicht mehr als hochher-
ziger Handlangen fähig ansehn, so vermuthen wir, dass er (un-
gltlcklicbes Thier!) sich all diese alten Ruhmesthaten aus einem
Eigendünkel anmasst, weshalb es keine Schmach giebt, die wir
uns nicht berufen fühlen, ihm anzuthun. Gelang es doch sogar
dem Christenthum nicht, ihn von der Verfolgung zu befreien, — dem
Christenthum, welches die Sonne der Völker, den Erlöser der
Welt zwischen den beiden musikalischen Thieren, dem Ochsen
und dem Esel (die verhüten sollten, dass sein Schreien gehört
würde) geboren werden lässt, den Esel als den Retter des Gottes-
kindes vor seinen Verfolgern während der Nacht, wie auch als
das von Christus bei seinem letzten Einzüge in Jerusalem gerit-
tene Thier darstellt und ihn so mit mehr als einem heiligen Titel
belegt, der ihm bei den Frommen hätte etwas mehr Achtung
verschaffen sollen. Unglücklicherweise wurde derselbe berühmte
mittelalterliche Kirchengesang, welcher in Frankreich am 14. Ja-
nuar zu Ehren des reichgeschmückten Esels am Altar gesungen
kannte Koranstelle, in welcher die Juden „Esel, welche Bücher tragen' '
genannt werden, und besonders S. 31 v. 18, wo es heisst: „fürwahr! das
widerwärtigste Geschrei ist das Geschrei des Esels'^, zu welcher Stelle
Beidawi (ed. Fl. II p. 114 1. 21) bemerkt, dass der Esel ein Sinnbild sei
für Alles, was zu tadeln ist, ganz besonders aber sein Schreien; deshalb
nenne man ihn auch oft nicht mit seinem gewöhnlichen, etwas anrüchigen,
Namen, sondern man sage umschreibend: „Langohr**), so dürfte noch die
Frage sein, ob nicht diese Anschauung vom Esel auch zu den Arabern
erst durch Vermittelung anderer, nichtorientalischer Völker gelangt ist. —
Die Vermuthung Pictets, Origines I, p. 355 dürfte sachlich und sprachlich
kaum haltbar sein. A. d. Uebers.
280
warde , um die Flucht nach Aegypten za feiern ^ in eine Satire
verdreht Es kann nicht ohne eine gewisse lustige Ausgelassen-
heit abgegangen sein^ wenn Priester und Volk nach Schlnss der
Messe am Tage des Eselfestes drei Mal ^^Hinham^' riefen. ^ Ehen-
sowenig Ehrforcht bezeigten ihm die Einwohner von Empoli^ wenn
sie ihn am achten Tage nach dem Feste Corpus Domini —
d. h. nahe der Sommersonnenwende — unter dem Juchzen der
Menge in der Luft fliegen Hessen, wie auch die Deutschen^ welche
in Westphalen den Esel zu einem Symbol des einfältigen St.
Thomas machten/ welcher der letzte von den Aposteln war, der
an die Auferstehung glaubte. Die Westphalen hatten die Sitte,
den Knaben, der am St Thomas-Tage zuletzt in die Schule kam,
„Esel Thomas^^ zu nennen (wie er in Holland „luilak^^ heisst). ^
' Der Hymnus lautet bei Du Gange, Gloss. M. et L L.:
„Orientis partibus
Adventavit Asinus,
Pulcher et fortissimus,
Sarcinis aptissimus.
Hes, Sire Asnes, ear chantez,
Belle bouche rechignez,
Vous aurez du fom assez
Et de Tavoine k plantez,
„Lentus erat pedibus
Nisi foret baculus
Et eum in clunibus
Pungeret aculeus.
Uez, Sire Asnes, &c
,fUic in eoUibus Sichern,
Jam nutritus sub Ruben,
Transiit per Jordanem,
Saliit in Bethleem.
Hez, Sire Asnes, &c
„Ecce magnis auribus
Subjugalis filius
Asinus egregius
Asinorum dominus.
Hez, Sire Asnes, &c.
„Saitu Tincit hinnulos,
Damas et capreolos,
Super dromedarios
Velox Madianeos.
Hez, Sire Asnes, &c
„Aurum de Arabia,
Thus et myrrhum de Saba
Tulit in ecclesia
Virtus A^sinaria.
Hez, Sire Asnes, &c.
„Dum trahit vehicula
Multa cum sarcinula,
lllius mandibula,
Dura terit pabul.a
Hez, Sire Asnes, &c
„Cum aristis hordeum
Comedit et carduum;
Triticum a palea
Segregat in area.
Hez, Sire Asnes, &c.
„Amen, dicas, Asine,
(Hie genuflectabatur.)
Jam satur de gramine:
Amen, amen itera
Aspemare vetera.
Hez va! hez va! hez va! hez!
Bialz, Sire Asne, car allez;
Belle bouche car chantez.*'
Vgl. Heinsberg von Düringsfeld, Das festliche Jahr.
281
Am WeihnacbtstagC; beim Carneval; am Palmsonntag and bei den
Processionen, welche auf das Fest Corpus Domini folgen, * führte
die Kirche oft den Esel in ihre Ceremonieen ein, jedoch mehr um
die Gemüther ihrer Frommen zu erheitern als sie durch eine
Erinnerung an die Tugenden, die er in den Evangelien reprä-
sentirt, zu erbauen, so dass der Esel trotz der grossen Dienste,
die er dem Stifter der neuen Religion geleistet, nicht allein von
der Christenheit keine Wohlthat . dafür erhielt, sondern vielmehr
der unglückliche Gegenstand einer neuen Beachtung wurde, welche
seine schon genügend heruntergekommene gesellschaftliche Stel-
lung viel mehr erniedrigte als hob.
So trugen zuerst die Griechen und Römer, später die katho-
lischen Priester durch ihre Behandlung des Esels dazu bei, den-
selben gegen den lebhaften Kampf ums Dasein, der sich bei
allen übrigen Thieren zeigt, gleicbgiltiger zu machen, als er es
sonst gewesen sein würde. Er war vielleicht zu einem höheren
Schicksal bestimmt, wenn der Mensch nicht auf die Erde gekom-
men wäre und allzu hartnäckig sich seiner Berufung in den Weg
gestellt hätte. Und wahrscheinlich verschlechterte sich die Race
allmählich, weil eben nur Wenige sich darum bekümmerten, das
lächerlich gewordene Thier zu veredeln oder doch die Race zu
erhalten. Wie das Sprichwort sagte, dass es unnütz wäre, dem
Esel den Kopf zu waschen, so schien es auch verlorene Liebes-
müh, sein Aeusseres verbessern oder civilisiren zu wollen: der
' Bisweilen nimmt der Maulesel die Stelle des Esels ein. In Turin
s. B. wird erzählt, dass die dem Corpus Domini geweihte Kirche vor
mehren Jahrhunderten errichtet wurde wegen des Wunders mit einem
Maulesel, der einige von einem gottlosen Diebe gestohlene Güter trug.
Als er auf dem kleinen Platze angekommen, wo jetzt die Kirche Corpus
Domini steht, weigerte sich der Esel, weiter zu gehn, und aus einem
Becher, der sich unter den gestohlenen Gegenständen befand, erhob sich
eine Hostie, den Leib des HeUandes enthaltend, in die Luft. Sie wollte
auch nicht wieder herabkommen, bis der Bischof herbeieilte und den Becher
hoch in die Luft haltend, die Hostie ersuchte, sich wieder in denselben
herabzulassen; als dies Wunder gesohehn, wurde auf dem Platze die Kirche
CorpBS Domini errichtet, welche Ausgangs- und Endpunkt der feierlichen
Procession ist, die jährlich in Turin an dem Feste Corpus Domini statt-
findet, und an der noch vor ungefähr zwanzig Jahren die Fürsten und
Grosswürdenträger des Staates, nebst den Professoren der Universität in
allem Pomp mittelalterlicher Aufzüge theilzunehmen pflegten. — Li Per-
sien wird das Eselfest beim Nahen des Frühlings gefeiert, indem der Esel
hier das Ende der winterlichen Jahreszeit personificirt.
/I
282
physische Verfall des Esels trat gleichzeitig und parallel mit
seinem moralischen ein.
Obwohl jedoch erst in Griechenland und Rom der arme Esel
seines Banges im Thierreiche yollständig entsetzt wurde ^ war
doch die erste Stufe seines Falles schon in seiner alten asiatischen
Heimath ausgesprochen. Beweisen wir das.
Schon im Rigveda erscheint der Esel unter zwei verschie-
denen Gestalten — einer göttlichen und einer dämonischen ~,
zu denen sich vielleicht eine dritte mittlere oder gandharvische
hinzufUgen lässt.
Im Rigveda hat der Esel die Namen gardabha und rä-
sabha^ im Sanskrit auch die: khara^ cakrtvant, cirame-
hin und bäleya.
Es ist wichtig, wie jede dieser Bezeichnungen dazu neigt,
der Zweideutigkeit anheimzufallen; und Doppelsinn in Worten
spielt eine grosse Rolle bei Bildung von Mythen und Vorstellungen
des Volksglaubens. Beginnen wir mit den Bezeichnungen jüng-
sten Datums.
Bäleya kann den Kindischen bedeuten (von bäla = Kind
und dumm'), wie auch den Dämonischen (von balis; und
wirklich ist auch bäleya ausser ein Name fttr den Esel, auch
Name eines Dämons).
Giramehin ist der Esel als longo mingens (eine Eigen-
schaft, die auf den Esel, noch mehr aber auf die Regenwolke
Anwendung finden kann).
Cakrtvant bedeutet den, der mit Rädern, mit runden
Gegenständen oder Testikeln versehen ist (ein Epitheton, das
gleicherweise auf den Esel wie seinen Phallus anwendbar ist).
Khar a bedeutet den, der schreit, wie auch den hitzigen
(und k h a r u , das dieselbe Bedeutung haben sollte, bedeutet nach
dem Petersburger Wörterbuch: dumm und Pferd; vielleicht auch
Esel).
Ras ab ha kommt von der doppeldeutigen Wurzel ras, von
welcher r a s a = Flüssigkeit, Saft, Wasser, Geschmack, Same und
r ä s a = Lärm, lärmendes GeräuBch.
Gardabha kommt von der Wurzel gard,* erschallen;
' Dieselbe Analogie bietet sich in dem Sanskrit- Wort arbhaka,
welches ,,klein'* und ,,einföltig** bedeutet.
* Vgl. die Wurzel gad, von der wir vielleicht eine imaginäre
Zwischenform gadarbha neben dem bekannten gardabha und gand-
barb a oder gandharva ableiten könnten.
283
brttllen; doch glaube ich in dem Worte gardabha die Bedea-
tnng Yon gandharba oder gandharva wiedererkennen zu
dürfen und vice versa« Der gardabha erklärt mir, wie der
gandharya als Musiker anfgefasst werden konnte, und der
gandharva (ein Wort; das mir^ am es noch einmal zu sagen,
aus gandha + arva zusammengesetzt scheint, von denen das
letztere sich aus einem vorauszusetzenden r i v a entwickelt hat, ^
und welches bedeutet: der in der Salbe wandelt, der in dem
Wohlgeruch geht) hilft mir das Sprichwort: „Asinus in unguento"^
und die entsprechenden Sagen verstehn. Das doppeldeutige Wort
r ä s a b ha scheint in seinen beiden Bedeutungen den lauttönenden
gardabha mit dem gandharba, der Wohlgerüche liebt, oder
dem gandharvo apsu (gandharva in dem Wasser) des
Rigveda,^ dem Wächter der ambrosischen Pflanze, * zu ver-
einigen. Der mythische Esel und der vedische gandharva
haben dieselben Eigenschaften und dieselben Triebe. Die gan-
dharvas zum Beispiel werden im Aitarey a Br. als Liebhaber von
Weibern dargestellt, * und zwar so verliebt in dieselben, dass sie
sich um ihretwillen der Ambrosia (oder des Soma) berauben
lassen, und es ist auch aus der Geschichte von Urva<jt bekannt,
wie eifersüchtig sie auf ihre Nymphen, die Apsarasen oder die, *
welche auf dem Wasser (den Wolken) schwimmen, sind, und aus
der Erzählung von Hanumant im Rämäyana, wie gierig sie auf
ihre Heilkräuter und Heilwasser sind. ^ Der mythische und sagen-
hafte Esel hat ebenfalls ein Faible für schöne Mädchen; es ist
unnöthig den Grund dieses Volksglaubens anzugeben.^ Wenn
' Vgl. arvan mit den Wurzeln arv, arb, arp, riph, riph, riv,
rinv.
» X, 10, 5.
' Gandharva itthä padam asya rakshati; Rigv. IX, 83, 4.
* Strikam&h vai gandharväh; I, 27.
^ Kahn (Die Herabkunft des F.) hat hiemit schon den zendischen
Qandhrawa verglichen, welcher im See Vöuru-Kasha den Baum h o m (den
vedischen Soma) bewacht. Kuhn und Weber haben femer den vcdischen
gandharva, Kri^nn, welcher den Räuber des Soma verwundet, mit dem
zendischen Kere^äni, welcher den Reichthum zu vernichten strebt, identi-
ficirt ; hier würde der gandharva als ein ungeheuerartiges und dämonisches
Wesen erscheinen.
* . . • ut omittam eos, quos libidinis ac foedae voluptatis causa coluisse
nomen illud atque imposuisse suis a scriptoribus notatur, qualis olim Onos
iUe Commodi» qualis exsecrandns Marci Verotrasinus , qualis et alterius
Onobelos, quales, quos matronis in deliciis fuisse scimus. Unde illud atque
284
Circe dem Odjgseas vermittelst einer Salbe einen Eseli^opf zu
geben wünscht, so finden wir eine Anspielnng auf die Liebe des
Esels and des schönen Weibes. Wenn der Lacius des Apoleins,
als er sich in einen Vogel zu verwandeln versucht (ein anderer
von den Namen, mit welchen der Phallus bezeichnet wird), statt
dessen, durch die Salbe der Frau ein Esel wird^ so ist der Esel
ein anderer Name für den phallischen Vogel. Und wie der ve-
dische Esel sich am rasa ergötzt (Feuchtigkeit, Wasser, Sperma ;
die beiden Worte rasa und rasa, die von einer gemeinsamen
Wurzel herstammen, sind leicht miteinander zu verwechseln), wie
ferner der mythische Esel, als er die Ambrosia der rosigen
Morgen- Aurora findet, noch einmal die glänzende junge Sonne
wird, so wird auch der Esel des Apuleius wieder zum Lucius
oder dem glänzenden und schönen Jüngling, der er vorher war,
sobald er eine Gelegenheit hat, Rosen zu fressen; er wird aus
Liebe zu einem Weibe ein Esel und gewinnt bei der rosigen
Aurora seinen Glanz wieder. Während der Nacht bleibt der Held,
der Bezauberung einer schönen Fee unterworfen, ein Esel; und
in der Gestalt eines Esels und unter einer E^elshaut treibt er die
priapeischen Mysterien, woher der Ausdruck in den Fröschen des
Aristophanes: ,l'Ovog aywv fivim^ic^, dieselben Mysterien, wie die
Phallagia oder Periphallia Roms. In dem christlichen Mythus ist
dieses Mysterium die Flucht des neugeborenen göttlichen Kindes
nach Aegypten ; ^ in dem Perrault'schen Mährchen ist es das
schöne Mädchen^ die Abend-Aurora, die von ihrem Vater, der ne
verführen will, verfolgte Jungfrau, welche sich während der Nadit
mit einer Eselshaut vermummt.^ Das schöne Mädchen überträgt
alinm bipedem sibi quaerit asellum, ejus nempe membri causa, quod in
asino clava a Nicandro dicitur; Laut Asini, Lngd. Batavorum, ex offi-
cina Elzeviriana, p. 194.
' Auf diese- Flacht nach Aegypten auf dem Esel Ifiwt sich die pie-
montesische Sitte unter Kindern in der Mitte der Fastenzeit ^ d. h. nah
am St. Josephs-Feste — zurückführen, ihren G^pielen bald eine Säge,
bald einen Teufelskopf, bald einen Eselskopf anznhängen und dabei die
Worte zu sprechen: ,4^'a8U cariä die gnün In sa^ (der Esel sitzt fest und
Niemand weiss es). Femer scheint es mir, dass sich auf die christliche
Sage von Joseph und dem Jesuskinde, die von dem Esel getragen werden,
die bekannte europäische Fabel von dem alten Manne» dem Knaben und
dem Esel zurückführen lässt, deren zahlreiche Variationen in dem Artikel
asinus vulgi von Benfey (im Orient und Occident) nachgelesen
werden können.
* Prof. Benfey sagt in seiner gelehrten Einleitung zum PaiÖA'*
285
offenhar seine erotisehen Sympathien auf den Esel^ welcher sie
liebt. Die Früchte solche Liebesyerhältnisse — zwischen einem
Esel nnd einem Mädchen oder dem jungen Helden und einer
Eselin — sind die nngehenerlichen Onokentauren nnd die Em-
pnsa^ bald ein schönes Mädchen, bald der Schrecken der Kinder,
welche mit Eselsfttssen dargestellt wird, weil ihre Matter eine
Eselin und ihr Vater Aristoxenes in diese Eselin verliebt war.
Bald ist es die Abend-Aurora, bald die untergehende Sonne, bald
sind es beide, welche, unter der Wolke der Nacht oder im Win-
ter, als mit einer Eselsbaut bedeckt dargestellt werden. Kuhn
bat schon die enge, an Identität grenzende Verwandtschaft zwi-
schen den gandharvas nnd den griechischen Kentauren nachge-
wiesen; beide treten uns entgegen in Verbindung mit dem be-
rauschenden Trank; doch der Kentauros ist wesentlich ein Hip-
pokentauros oder besser : ein Onokentauros^ oder Kentaur-
tantra p. 268, dass sich die VermummuDg mit einem flseJsfell auch in
einem lateinischen Gedichte des 15. Jahrhunderts findet.
' „Addo ex Conrado Lycosthene in libro de ostentis et prodigiis banc
iconcm qiuim hippokentauri esse credebam) ipse vcro (ncscio ex quo) Apo-
tbami Tocat^ Apotbami (inquit) in aqua morantes, qui una parte bominein,
alia vero caballum sive equum referunt Sic etiam memoriae tradiderunt
muiieres esse capite piano sine crinibus, promissas autem barbas habentes.
Atqni ea descriptio plane ad Onocentauros pertinere videtur, quos Aelianus
et Pbiles sie fere delineant Quae vero de Onocentauro fama accepi, haec
sunt: £um homini ore et promissa barba similem esse, simul et coilum et
pectus, humanam speciem gerere; mammas distantes tAmquam mulieris ex
pectore pendere; humeros, brachia, digitos, humanam figuram habere ; dor-
sum, ventrem, latera, posteriores pedes, asino persimiles et quemadmodum
asinum sie cinereo colore e98e\ imum Yentrem leviter exalbescere : dupilcem
usum ei manus praestare; nam celeritate ubi sit opus eae manus praecur-
ruot ante posteriores pedes; ex quo fit, ut non caeterorum quadrupedum
eursu snperetur. Ac ubi rursus habet neeesse vel cibum capere vel aliud
qnidpiam tollere, qui ante pedes erant manus efficiuntur, tumque non gra-
ditur, sed in sessione quiescit: Animal est gravi animi acerbitate; nam si
capiatur, non ferens servitntem, libertatis disiderio ab omni cibo abhorret,
et fame sibi mortem consciscit, licet pullus adhuc fuerit. Uaec de Onocen-
tauro Pythagoram narrare testatur Crates, ex - Mysio Pergamo profectus \^
Aldrovandi, De Qnadrupedibus, L In den indischen Satyrn, die
von Plinios, H. N. VII, geschildert werden, finden wir ähnliche Wesen:
,^ttat et satyri subsolanis Indorum montibus (Cartadulonum dicitur regio)
peruicissimum animal, tum quadrupes, tum recte currens, humana effigie,
propter velocitatem nisi senes aut aegri non capiuntur/* Offenbar bezieht
sich das auf eine Affenart (wahrscheinlich den Orang-Outang); da jedoch
der Mythos von dem Affen sich nicht sehr von dem vom Esel unterscheidet,
286
EseL Die Fabel yon Amor und Psyche bei Apuleius stimmt in
ihrer Verwandtschaft mit der Erzählang von dem Esel vollständig
mit der entsprechenden indischen Fabel von Pnrüravas und Ur-
vagty combinirt mit der Erzählung yon den Gandharvas, ttberein.
Peau d'äne, Psyche und Urva?! sind also mythische Schwestern.
Oiebt man Euhn's Beweis fttr die Identität des gandharva
und des Eentauros zu, so scheint die Identität des gardabha mit
dem gandharba^ und des Esels mit dem gandharva eine natür-
liche Folge. Der Mythus von dem Kentanros^ sei es Hippoken-
tauros oder Onokentauros ; entspricht nicht minder ahs der My-
thus von dem gandharva vollständig dem von dem Esel. Der
Kentanros liebt den Wein und die Weiber; er spielt auf dem
Karren des Dionys in Verein mit Satyrn, Nymphen oder Bac-
chantinnen die Leier; er lehrt auf dem Berge Pelion den beiden
Dioskuren Musik,' Heilkunde und die Wahrsagekunst, lauter
Themen, welche mit leichten Modificationen in den indischen
Sagen von den gandharvas und in der Fabel vom Esel, wie wir
später nachweisen werden, wiederkehren. — Doch um auf den
indischen Mythus zurückzukommen: ebenso wie der gandharva
80 wird, wie wir sehen werden, sogar der indische gandharva als Afie dar-
gestellt. — „In A. V. IV. 37, 11, the gandharvas, a class of gods, who are
described as hairy, like dogs and monkeys, but as assuming a handsome
appearance to seduce the affections of earthly females, are implored to de-
uist from this unbecoming practice, and not to interfere with mortals, as
they had wives of their own, the Apsarases;** Muir, Sanskrit Texts V,
309. — Wir haben den Affen-gandharva und den Krieger-gandharva in
den vedischen Hymnen, den Krieger -Affen im Bämäyana und den
K rieger- Kentauros und Krieger-£sel in griechischen Mythen.
■ Wir lesen auch von dem Esel, der tanst, was uns an die gandharvas
in ihrer Eigenschaft als himmlische Musiker und Tänzer erinnert, welche
den Göttern lehren, wie getanzt wird. Vielleicht heisst auch nicht ohne
Grund der Verfasser von Vorschriften für Tänzer und Mimiker Kri^ftQva:
dieses Wort bedeutet den, der ein mageres Pferd besitzt, resp. dieses
selbst. Zwischen dem mageren Pferde, dem Maulesel und dem E^el ist
nur ein kleiner Abstand; noch auch dürfen wir den Umstand übersehen,
daas in dem gandharva Kri^änu wiedererkannt wird als der, welcher mager
werden lässt, was uns zurückfuhrt auf das Ungeheuer, weiches Pferde ma-
ger werden lässt, das hässliche Pferd, das Pferdungeheuer, welches die
goldenen Aehren der Felder zerstört, indem es sie vertrocknen lässt,
gleich dem Ungeheuer ^ushna, dem Zerstörer des Keichthums, gleich dem
zendischen Kere^&ni. — In dem obenerwähnten Laus asini sagt der
Autor scherzhaft: „Fortassis Pegasum fuisse asinum;'* in diesem Scherz
liegt eine grosse Wahrheit
287
öine Doppelnator hat und sich ein Mal in Gestalt eines Halb-
gottes; ein anderes Mal in der eines Halbdämonen zeigt ^ so hat
der mythische Esel Indiens bald eine göttliche^ bald eine mensch-
liche Natar. Der gandharva ist der Wächter von Reichthum und
Wassern : sofern er dieselben gegen den dämonischen Räuber ver-
theidigt, sie vor den Sterblichen bewahrt und sie unter die From-
men vertheilt; erscheint er in einer wohlthätigen und göttlichen
Gestalt; sofern er andrerseits sie entfuhrt und sie gleich einem
Geizhals verschlossen hält, gleicht er dem fabelhaften Ungeheuer,
das Brunnen und Schätze bewacht, dem Dämon, der die Wasser
verschlossen hält, den Dieben, welche ^hätze zusammenscharren,
und dem Teufel, dem Herrn alles Reichthums. Aus demselben
Grunde finden wir bereits in der indischen Sage den wohlthätigen
Esel und sein «bösartiges Pendant. Die Sonne (bisweilen auch
der Mond) in der Wolke und der Dunkelheit der Nacht ist iden-
tisch mit dem Schatze in der Höhle, dem Schatze in der Hölle
und dem Helden resp. der Heldin in dem düsteren Walde; und
diese Höhle und Hölle nimmt zuweilen die Gestalt eines Esel-
fells oder einfach eines Esels an. Das was aus der Wolke und
dem Dunkel hervorkommt, kommt auch aus dem Esel heraus; die
Seele des Esels ist die Sonne oder der Held resp. die Heldin oder
die Reichthümer, welche er verbirgt. Die A9vins finden sich oft
in Verbindung mit dem wertblosen Pferde, welches später ver-
mittelst der Ambrosia selbst, welche es hervorbringt, schön wird;
die gandharvas, eine mehr nächtliche und wolkige Erscheinungs-
form, wenn ich so sagen darf, des Somien- oder Mondhelden,
stehen in naher Beziehung zu dem Esel, ihrem alter ego^ wel-
cher die Segnung ewiger Jugend geniesst. Die Agvins selbst,
die beiden Reiter, welche dem alten Cyavana die Jugend gegeben
haben, ritten auf Eseln, bevor sie auf Pferden ritten. Der My-
thus von den gandharvas und der von den Agvins^ der Mythus
von dem Pferde und der vom Esel, hängen eng zusammen; aus
dem gandharva kommt der a^vin, aus dem mythischen Esel
das Pferd hervor. Das ist zoologisch unnatürlich, mythologisch
sehr naturgemäss : die Sonne kommt bald aus den grauen Schatten
der Nacht, bald aus der grauen Wolke.
Die vedischen Hymnen beschenken uns mit mehren interes-
santen Mythen vom Esel.
Der Esel der A^vins ist schnell ; die Frommen bitten die A9-
vins, als sie ihn anschirren, dass sie von ihm zum Opfer geführt
288
werden.^ In einem andern Hymnns sind, wie die Acjvins zwei,
80 anch ihre Esel zwei an Zahl (räsabhäv agvinoh). Endlieb
bietet nns die zweite Strophe des 116. Hymnns eine zweifache
bezeichnende Einzelheit, nämlich den Esel, welcher anf dem
reichen Schlachtfelde Yamas Tansende besiegt (oder in dem nächt-
lichen Kampfe, bei dem Kampfe in der HOlle, in welchem der
Esel als ein wirklicher Kämpfer erscheint, verbanden mit Reich-
thttmem and kämpfend am Reichthttmer); and welcher von star-
ken, schnellen Schwingen nnterstützt wird (womit nns der Esel,
der fliegt, gezeigt wird).^
Der Rigveda stellt »auch^den Esel Indras als schnellfUssig
dar ^ Doch in demselben Hymnns sehen wir schon die Kehrseite
der Medaille, d. h. die schnellen, welche den verspotten, der nicht
schnell ist, die Pferde, welche sich vor den Esel -drängen. * Der
Sonnenheld setzt gegen Morgen das Pferd an Stelle des Esels,
oder erscheint mit Pferden, indem er den oder die Esel znrilek-
lässt. Wir haben im vorigen Kapitel gehört, wie beim himm-
lischen Wettlauf der vedischen 6?^tter die Esel die Siegespalme
gewannen ; doch diese Anstrengung ging über ihre Kräfte. Das
Aitareya Brähmana belehrt uns, dass sie durch dieselbe ihre
Schnelligkeit verloren und Zugthiere wurden, des Honigs beraubt,
doch in ihrem Samen noch grosse Kraft wahrend, so dass der
männliche Esel sich in zwei Arten fortpflanzen kann : in Maul-
eseln durch Begattung mit einer Stute, und in Eseln durch eine
Eselin.^ Hier wird also der Esel schon als ein Thier von
wesentlich phallischer Natur betrachtet, eine Auffassung, die noch
durch das von Weber erwähnte Gebot (Käty. I, 1, 13) bestätigt
wird: „Wer sein KeuschheitsgelUbde gebrochen hat, opfert einen
> Kad& yogo vägino räsabhasya yena ya^äam nftsatyopayätha^ ; 9igv.
I, 34, 9.
^ Vilupatmabhir ä^uhemabhir ya devftDäm vä gütibhih ^ft9adänft tad
räsabho n&satyä sahasram ä^ yamasya pradhane gigäya.
* Yaträ rathasya brihato nidhäoam Timodanam v4^do räsabbaiya;
Kigv. m, 53, 5.
* Nävft^inam vft^nä häsayanti na gardabhatn puro a^vaQ nayanti;
Kigv. 111, 53, 23.
' Qardabharathcnä^vinft uda^yatäma^vinftva^uuvätäm yada^vinä uda-
^ayatama^vinävä^nuväfäm tasmätsasrita^vo dugdhadöhah sarveshämetarhi
vfthaDänämanft^ishto retasastvasya viryam nfiharatftm tasmfttsa dviretä vü^t;
Alt Br. IV, 2, 9.'
£aeL'' ^ Dea Esel ztlclitigep, oj^eni, lanss dasselbe bedeuteu wie
den Leib kasteien und tödten^ * und zwar speeieli den Phallus; auch
die orientalische und occidentalische Sitte^ Ehebrecher zur Strafe
auf einem Esel herumzuführen, hat^ dieselbe Bedeutung; der wirk-
liche Märtyrer bei dieser Strafe ist jedoch der Esel, welcher Spott
und Misshandlung jeder Art ausgesetzt ist Ebenso pflegte ein
ManU; der unter dem Pantoffel seiner Frau stand und sieb von
ihr schlagen liess, in mehren piemontesischen Dörfern noch vor
wenig Jahren zur Schande auf einem Esel umhergeflihrt zu wer-
den: ein Mann, der sich von seiner Frau beherrschen lässt und
sie nicht zwingen kann, rerdient, durch einen Esel gezüchtigt
zu werden; er ist kein Mann und sein Esel, das Symbol seiner
Manneskraft, muss deshalb die Strafe leiden^ weil er sich unfähig
gezeigt hat, seine ehelichen Rechte zu behaupten. Dar Ehebrecher
auf dem Esel und der einfältige^ Ehemann auf dem Esel erleiden
Strafen in Gestalt dessen, was den. Phallus repräaentirt (d. h. des
Esels): der eine wird gegeisselt, weil er hat zu viel thun wollen,
der andere, weil er nicht hat genug thun können. Deshalb
wurde die verurtheilte Person in solchen Fällen gezwungen, auf
einem Esel zu reiten, das Gesicht dem Schwänze des Thieres zu-
gekehrt, ein andres Bild, das noch deutlicher phallisch ist; daher
gerade der Name .der Strafe : „asini caudam im manu teuere/^ '
■ Weber, Ueber den Zusammenhang indischer Fabeln mit
griechischen, Berlin, 1855, p. 10 f.
^ „Ego, inquit, Aselle, faciam ut non calcitres nee te hordeo alam, sed
paleis*, fame te conficiam et sitts gravi onerabo pondere; per aestus inda-
gabo et frigore, ut cibnm potius quam lasciviam cogites." Hieronymus,
vita Bilarionis. — St. Paulinas schrieb: „Sit fortis aniroa mortificans asi-
num smim*' — Im Italienischen sagt man auch vulgär: il mio asino für
il mio corpo.
' A. c i. m. t., — poena seu mulcta, quae reis irrogari solebat, ut
coUigitur ex decreto Nepesini populi ann. 1184. — lis et maxime maritis,
qui a suis vapulabant mulieribus; quod eo usque insaniae deventom erat,
ut 81 maritus aufugisset, proximior vicinus eam ipse poenam luere tene-
retur; quem morem non omnino periisse audivi Du Gange, welcher auch
mehre Beispiele von einer solchen Züchtigung giebt. — Im Tuti-Name
II, '20 (p. 62 f.) beklagt sich Jemand bei einem frommen Weisen, dass er
seinen Esel verloren, und bittet ihn, denselben für ihn wiederzufinden;
dieser weist ihm einen Mann, der alt geworden ist, ohne Liebe zu kennen ;
wer nicht Liebe fühlt, ist ein Dummkopf. — Es ist ein beachtenswerther
Umstand, dass der Esel, obwohl gewöhnlich als ein sehr lüsternes Thier
betrachtet, zuweilen verspottet wird, als unfähig, zu befruchten; den Grund
davon giebt Aldrovandi (De Quadrupedibus I) folgendermassen an:
QaberuaiU, die TMere. 19
2Ö0
Was das andere Sprichwort betrifft, welches sagt : ^^Wem der Esel
gehört^ der hält ihn am Schwanz'^, so wird es erklärt durch die
Erzählung von einem Bauer , der seinen Esel aus einem Sumpf
zog, indem er ihn am Schwadze packte; doch auch diese Erzäh-
lung scheint eine phallische Bedeutung zu haben.
Der Esel wird also seiner hohen Stellung als schnellfbssiger
Renner schon im Bigyeda selbst entsetzt. Im Bigveda auch,
wo doch der Esel als ein Kämpfer beschrieben wurde, der fllr
die Götter ficht, finden wir ihn in der dämonischen Gestalt eines
unangenehmen Sängers, welcher die Verehrer des Gottes Indra
erschreckt; der letztere wird deshalb von dem Dichter ersucht,
den Esel zu tödten , der mit schrecklicher Stimme singt ^ Hier
erscheint der Esel schon als ein wirkliches Ungeheuer, welches
sogar das Schwert des Fttrsten der himmlischen Helden selbst, der
sich zum Kampfe gegen ihn rüstet, zu kosten würdig ist. Der Esel
ist deshalb schon im weissen Ya^rveda den Ungeheuern geweiht.^
Quamris modo libidne maxima pruriat, ob verendi tarnen enormitatem, qua
Bupra modum praeditus est, ad generandam admodum segnem esse com-
pertum est, sicuti et homines qui simili genitalis productione conspicoi
sunt, quod in emissione per earn longitudinem semen transmeans hebetetur
et frigidius fiat Testaturque Aelianus inter causus cur Aegyptii asinos
ödere, et hanc quoque accedere putari, quod eum populi praedicti omnes
foecundos ani mantes colant, asinus minime foecundans pullus in honore
sit — Der Missbrauch der sinnlichen Vergnügungen f&hrt zur Impotenz;
das impotente Thier wird ebenfalls IScherlich gemacht, als ob es seine
Fähigkeit durch eigenes Verschulden, d. h. durch Missbrauch, verloren
hatte.
' Sam« indra, gardabham mrina nuvantam päpayämuyä; Rigv. 1,29,5.
* Angeführt von Weber, Ueber den Znsammenhang indischer
Fabeln mit griechischen, wo der brüllende Esel ebenfalls als von
dorn allgestaltigen Ungeheuer geboren erscheinen könnte: „Entsteht, nach
9. XII, 7f 1. 5m nebst Ross und Maulthier, aus dem Buhm (7a9as, was
jedoch vielleicht auch hier nur einfach Glanz bedeutet), welcher dem Ohr
des getodteten Vi^varüpa Tväshtra entfloss, worin der Bezug auf sein
lautes Geschrei wohl nicht zu verkennen ist."* (p. 11) — Wir sahen schon
in den Kap. 1 angeführten russischen Mährchen, wie die beiden Reiter,
welche den Helden beschützen, aus den Ohren des grauen Pferdes heraus-
kommen und wie der Held selbst, zum einem Ohre hineingehend und zum
anderen wieder herauskommend, ein Heldenross findet Hierin können
wir vielleicht eine Anspielung auf den iangohrigen Esel entdecken, ebenso
wie in der Benennung ft^rutkarna oder »das Ohr, welches bort,'' die dem
Indra gegeben wird (Rigv. I, 10, 9), der langohrige Indra möglicherweise
eine Erscheinungsform des Iangohrigen Midas oder des langohrigen
Esels ist.
tm Itäm^yana^ ist die Langsamkeit des Esels schon spricli-
wörtlicb. Der bescheidene Bharata entschuldigt sich^ dass er
es seinem Bruder Räma in der Regierungsknnst nicht gleich
thnn könne, ganz wie der Esel nicht wie das Pferd renne, oder
wie andere Vögel nicht wie der Geier fliegen könnten. Der my-
thische Esel erscheint femer in diesem Epos ^ unter einer dämo-
nischen und höllischen Gestalt: Bharata träumt, er sehe seinen
todten Vater Da^aratha, wie er in blutfarbigen Gewändern auf
einem von Eseln gezogenen Wagen in das Reich der Trauer
nach Sttden getragen werde ; und wer im Traum auf einem esel-
bespannten Wagen fährt, dem steht der Tod bevor. ' Khara, ein
Wort, welches, wie wir bereits wissen, den Esel bezeichnet^ ist
auch der Name eines jüngeren Bruders des grossen Ungeheuers
Rävana. Rävana selbst wird auf einem mit Gold und Edelsteinen
geschmückten Wagen von Eseln gezogen. Diese Esel haben das
Gesicht der Pi^ä^ä-Üngeheuer, * d. h. Gesichter von Papageien,
wie Hanumant uns später belehrt, als er von den Ungeheuern
spricht, die er in Laükä gesehen, und von denen er auch sagt,
dass sie so schell seien wie der Gedanke. ^ Wir wissen, dass
die Renner Rävanas Esel waren, und deshalb sind die Esel mit
den Pi<;äcä-Gesichtem und die Pferde der Ungeheuer mit den Pa-
pageiengesichtern identisch. Das Ungeheuer Pi^äcä hat also das
Gesicht eines Papageis. Wie kommt es, dass der Papagei in
Indien als ein heiliger Vogel gehalten wird? Mir scheint, der
Doppelsinn in der Sprache hatte etwas mit der Bildung dieses
sonderbaren mythologischen Bildes zu thun. Das Wort pi^äöa
kommt, wie pigaflga (d. h. goldfarben und roth) von der Wur-
zel pig, schmücken, wovon auch das vedische Femininum pi^,
Schmuck, und das vedische Neutrum pe^a, farbiges Gewebe.
Die piQäca-Esel, welche den Wagen voll Gold ziehen, sind des-
halb selbst, wenigstens im Gesicht, an den Vordertheilen, goldene
Esel, oder goldroth, wie die Sonne; wirklich finden wir Khara
(den Brennenden) als Eigennamen eines Begleiters der Sonne
und khar&Qfu oder kharara^mih, den von brennendem Strahl,
' Qatjxh khara ivft^vasya supamisyeva pakshinah anägantum na ^akto
8011 rftgyam tava mahipate.
« Rämay. II, 71,
» Vgl. Weber, a. a. 0. p. 10.
«ßämäy. III, 3S. 48.
»Ib. V. 12.
1^
292
als Sanskritnamen der Sonne. Eharaketu, der einen brennenden
Strahl bat; ist anch der Name eines Ungeheuers im Rämäyana. ^
Wir sehen also bereits den goldenen Esel und das höllische Un-
geheuer mit der Sonne identificirt, und so kommen wir dem Un-
geheuer mit dem Papageiengesicht sehr nahe. Im vorigen Ka-
pitel beobachteten wir^ wie das Sonnenross am Morgen glänzend
erscheint zuerst an seinen Vordertheilen, — bald an den Beinen,,
bald im Gesicht, bald an der Mähne, welche golden genannt
wird; es ist nur der Kopf des Pferdes, der sich in der Butter
befindet; von Dadhyanc nehmen wir nur den Kopf in Verbindung
mit der Ambrosia wahr. So wird von dem nächtlichen Esel, detn
dämonischen Esel, dem Dämon selbst, dem pi^äca (die pigacas
heissen fleischfressend 2) nur das Gesicht gesehn, ebenso wie von
den pi^&öas und den Pferden, die den Ungeheuern gehören, nur
der Kopf der eines Papageis ist Doch wie können die goldene
Farbe des Esels pi^äca und die grüne Farbe des Papageis zu-
sammenhängen? Der Doppelsinn liegt wahrscheinlich in den
Worten hari und bar it, welche beide im Indischen sowohl grün
wie gelb bedeuten. Haris und hari bezeichnen die Sonne und
den Mond als gelb; harayas und haritas sind die Pferde der
Sonne; har! sind die beiden Pferde Indras und der A^vins, von
denen wir auch wissen, dass sie gewöhnlicher auf Eseln ritten.
Wir gelangen so zu hellfarbigen Eseln, zu den Eseln, die golden
sind, wenigstens an ihren Vordertheilen, d. h. in der Morgen-
dämmerung, wenn nach seinem nächtlichen Laufe der Sonnen-
reiter auf dem Punkte steht, an seinem goldenen östlichen Be-
stimmungsorte anzulangen, weshalb der Eselskopf, welcher den
göttlichen Reiter trägt, durch ihn erhellt wird. Jedoch bezeichnet
hari ausser den Sonnenhelden als gelb auch den Papagei als
grün; deswegen wurde der Esel oder Dämon mit goldenem Kopf
mit dem Esel oder Ungeheuer mit dem grünen Kopf oder dem
Papageienkopf verwechselt Wir werden in den Kapiteln, die
von den Vögeln handeln, sehen, wie der Vogel oft an die Stelle
des Pferdes trat in dem Amte, die Gottheit oder den Helden zu
tragen.
Um die Besprechung des mythischen Esels der Inder zu
schliessen: es ist gewiss, dass er im Himmel existirte; eß ist ge-
wiss, dass er im Himmel fliegt, dass er im Himmel kämpft gleich
' VI, 74.
> Kravyada)^ pi^äcai^-, Atharvav. Vfü, 2, 12.
293
einem tapferen Krieger^ dass er seine Feinde im Himmel durch
seine schreckliche Stimme schreckt^ dass er mit einem Worte ein
wirkliches und rechtmässiges heroisches Thier war. Es ist femer
gewiss^ dass er, unter einer andern Gestalt betrachtet, nicht allein
die Helden niederwirft, sondern sie auch in die Hölle bringt, den
höllischen Ungeheuern dient und in Verbindung mit den Schätzen
der Hölle gefunden wird; ebenso fanden wir im vorigen Kapitel
den jungen Helden, welcher in Gestalt eines Pferdes aus dem
Hause des Teufels entflieht. Giebt femer der Leser, wie ich
hoffe, meine Identification des mythischen Esels mit dem gand-
harva zu, so haben wir den' Esel als Tänzer, als Musiker, den
Esel, der die Weiber liebt und den Esel in der wohlriechenden
Salbe und dem berauschenden Getränk, dem soma, welcher die
Stelle des Weins der dionysischen Mysterien einnimmt, bei denen
der griechische Esel eine feierliche Rolle spielte.
In den Fabeln des Pancatantra ist der Esel theilweis
nach dem griechischen Typus modellirt, theilweise bewahrt er
seinen ursprünglichen Charakter. Das vierte Buch zeigt uns den
Esel, der zweimal vom Schakal zum Löwen gelockt wird, indem
der erstere ihn glauben macht, dass eine schöne Eselin in Liebes-
sehnsucht seiner harre. Der Esel ist misstrauisch und zeigt Furcht,
doch das Argument der Eselin, auf welchem der listige Schakal
besteht, überwindet seine Zaghaftigkeit. Er ist jedoch schlau
genug, den Schakal vor sich her zu schicken, wird beim Anblick
des Löwen die Verrätherei des Schakals gewahr und flieht mit
solcher Geschwindigkeit, dass der Löwe ihn nicht einholen kann.
Der Schakal macht einen neuen Angriff und überzeugt den Esel,
dass er Unrecht daran that, die schöne Eselin zu verlassen, als
er nahe daran war, ihre Gunst zu geniessen; indem er so seines
Herzens zarte Saiten rührt, versichert er ihm ferner, die Eselin
werde sich in das Feuer oder das Wasser stürzen, wenn sie ihn
nicht wiederkommen sehe. „Omnia vincit amor;'' der Esel geht
zucfick und dies Mal erhascht und zerreisst ihn der Löwe, der
erst nachdem er seine Waschungen und Gebete verrichtet hat, an
die Verspeisung des Bratens geht. Mittlerweile hat jedoch der
Schakal das Herz und die Obren des Esels gefressen und redet
dem Löwen ein, das dumme Thier hätte weder das eine noch
die andern, weil er sonst nicht so dumm gewesen wäre an den
gefahrlichen Ort zurückzukehren, nachdem er einmal entwischt.
Der Löwe zeigt sich vollständig befriedigt durch diese Erklärung.
Hier haben wir in dem Esel eine Mischung von Schnelligkeit,
294
Lüsternheit and Dammbeit^ welche letztere durch die Lüsternheit
venursacht ist. Nan/ es ist wohl möglich^ dass der Verfasser des
Panöatantra darch seine Bekanntschaft mit dem griechischen
Esel veranlasst worden ist, dem Esel eine Eigenschaft beizulegen,
die in Fabeln indischen Ursprungs sonst gemeiniglich der Affe
besitzt; doch ist dies nicht anumgänglich nothwendig, um die
Fabel, von der wir soeben einen kurzen Aaszug gaben, zu er-
klären.
Andrerseits ist im vierten Buche des Pandatantra die
Fabel von dem Esel im Tigerfell — eine unwesentliche Variation
des Esels in der Löwenhaut — , wie Prof. Weber schon bewiepen,
aus der äsopischen Fabel entlehnt. Eine andere Fabel im fünften
Buche, welche uns von dem Esel erzählt, der, ganz närrisch auf
Musik, ^ darauf bestand zu singen, so entdeckt und zum Sklaven
gemacht wurde, scheint ebenfalls griechischen Ursprungs zu sein.
Doch obwohl die Abfassung dieser beiden indischen Fabeln in
literarischer Form ihren Ursprung in der Kenntni^s der griechi-
schen Literatur hatte, so lässt sich doch der ursprüngliche My-
thus von dem Esel -Löwen (hari, das Pferd Indras, bedeutet
auch „Löwe'O ^od der von dem Esel-Musiker (als gandharva und
gardabha) bis auf die vedischen Schriften zurückverfolgen.
In dem zendischen Yagna^ finde ich einen neuen Beweis,
welcher mir sehr triftig scheint, für die von mir aufgestellte Iden-
tification des Esels und des gandharva. Ich habe schon den
gandharva erwähnt, welcher über den Soma in der Mitte der
Wasser wacht, und ich bemerkte, wie der gandharva kri^anu der
Veden und der zendische keretäni, der über den hom imVOuru-
Kasha wacht, identisch sind. Doch wird dasselbe Amt im
Ya<;na von einem dreibeinigen Esel verrichtet d. h. einem lah-
men Esel (oder dem Sonnenpferde, welches während der Nacht
lahm geworden ist, ebenso wie der Sonnenheld lahm wird, oder
einem lahmen Teufel), welcher mit seinem Geschrei die bösen
Wesen vertreibt und das Wasser rein hält.
Im ersten der sieben Abenteuer Rustems in Firdusis Schah-
' Vgl. auch Tuti-Name II p. 218 „Vom Esel, der zur Unzeit schrie/*
und II p. 149 „Der Esel in der Löwenhaut."
*XLl,2a — Vgl. Khorda Avesta, SpiegePsEinleitung p. LlV:
„Dort ist der dreibeinige Esel, der in der Mitte des Sees steht und mit
seinem Geschrei die bösen Wesen vertreibt und alles Wasser, das mit un-
reinen Wesen und Dingen in Berührung kommt, sogleich reinigt/*
295
Name geht der hungernde Rnstem mit seinem tapfem Helden-
rosse auf die Jagd nach wilden Eseln. Die Esel fliehen, doch
des Helden Pferd ist schneller als sie und überholt sie; Rüstern
fängt einen mit einem Lasso and kocht ihn, die Knochen fort-
werfend. Dann geht er schlafen (dann bezeichnet in den My-
then bisweilen den Zwischenraum eines ganzen Tages oder eines
ganzen Jahres. — Der Held thut fast dasselbe bei seinem zweiten
Abentener and in dem Abschnitt von S o h r a b.). Während Rastern
schläft, erscheint ein Löwenungeheuer, am den Helden za über-
fallen; doch das Heldenross wirft den Löwen nieder and reisst
ihn in Stücke mit seinen Hafen and Zähnen. Dieser Kampf zwi-
schen dem Pferde des schlafenden Helden and dem Löwenange-
heaer ist eine epische Gestalt der Fabel, welche die Thiere dar-
stellt als im Walde geschreckt durch das Schreien des Esels, und
der Fabel von dem Löwen selbst, welcher durch des Esels Tritt
getödtet wird. Wahrscheinlich gaben die Knochen des todten
Esels, aufbewahrt, Rustems Ross heroische Kraft.
In den mongolischen Mährchen, deren indischen Ursprung
wir bei einer früheren Gelegenheit angedeutet haben , finden wir
zwei andere auf den Esel bezügliche Sagen. Im achtzehnten
Mährchen belädt ein närrischer Mann seinen Esel mit Rds und
macht sich auf die Reise, um denselben zu verkaufen ; er verbirgt
seinen Esel in einer Höhle; einige Kaufleute kommen mit ihren
Gütern vorbei, und der Narr giebt vermittelst einer Trompete
einen so lauten Ton von sich, dass die Kauf leute in dem Glauben,
es seien Räuber in der Höhle versteckt, davonlaufen und ihre
Güter in dem Besitz des Esels zurücklassen. Hier sind der Esel
und der Narr schon identificirt. Die Trompete und das Blasen
des Narren entsprechen dem Schreien des Esels, von dem wir
bald andere Wunder berichtet finden werden. Der Sinn des My-
thus ist folgender: Der Sonnenheld in der Nacht oder in der Wolke
oder im Winter wird dumm, er wird ein Esel; die Wolke don-
nert und der Donner der Wolke lässt die Vorstellung bald von
dem Schreien und bald von dem flatus des Esels (oder des Nar^
ren), bald von einer Trompete, ' und bald von einer Pauke ent-
stehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Wort dundubhi,
welches eigentlich Kesselpauke oder Pauke bedeutet, auch der
■ Danteleser sind mit der Trompete des Teufeb Malacoda bekannt,
Yon welcher derselbe Gebrauch gemacht wird, den im mongolischen Mähr-
chen der Narr yon ihr macht*
296
Nftflie eines Ungeheuers ist und dass Dundubbt der Eigenname
des Weibes eines gandharva; oder einer gandharrt ist. Das Fell
der Pauke ist aus einer Eselsbaut gemacht; das ist ein Gmnd
mehr^ warum, da die donnernde Wolke sehr natttriich mit einer
Pauke verglichen wurde, auch der Donner bald als ein flatus oris,
bald als ein flatus ventris des himmlischen Esels oder des när-
rischen Helden, der ihn begleitete, betrachtet werden musste.
In dem zweiundzwanzigsten mongolischen Mährchen haben
wir eine, tfaeihs weniger vollständige theils reichhaltigere Version
der Fabel von dem phrygischen K<)nig Midas. Ein König, der
goldene Eselsohren hat, lässt jede Nacht seinen Kopf mit gol-
denen Kämmen von jungen Leuten kämmen, welche darnach so-
fort getödtet werden (dem Esel den Kopf kämmen ist ungefähr
dassdbe^ wie ihn waschen; doch so viel er auch gekämmt wird,
die Ohren lassen sich nicht fortbringen). Eines Tages erhält ein
zu den höchsten Ehrenstellen bestimmter Jüngling, bevor er dem
König den Kopf kämmen geht, von seiner Mutter einen Kuchen,
der aus ihrer eigenen Milch und Mehl zubereitet ist. Der Jüng-
ling bietet den Kuchen dem Könige an, dem er gut schmeckt
und der dem Jüngling das Leben schenkt nnter der Bedingung,
daSB er keinem Menschen , auch seiner Mutter nicht , das grosse
Geheimniss ausplaudert, nämlich was fUr Ohren der König hat.
Der Jüngling verspricht, Stillschweigen zu bewahren und macht
auch wirklich die grössten Anstrengungen, das Versprechen zu
halten; doch das macht ihn ernstlich krank, so krank, dass er
ftlhlt, er muss platzen, wenn er das Geheimniss nicht ausplaudern
kann. Seine Mutter räth ihm nun, sein Herz zu erieichtern, in-
dem er es in einen Spalt der Erde oder eines Baumes flüstert.
Der Jüngling befolgt den Rath; er geht aufs freie Feld, findet
das Loch eines Eichhörnchens und haucht ganz leise hinein:
„Unser König hat Eselsohren f doch Thiere haben Verstand und
können sprechen ; auch giebt es Menschen, die ihre Sprache ver-
stehn. Das Geheimniss geht von Einem zum Andern, bis der Kö-
nig hört, dass der Jüngling es verrathen hat. Er droht, ihm das
Leben zu nehmen, wird jedoch milder gestimmt, als er von ihm
eriährt, wie Alles gekommen ist, und verzeiht ihm nicht nur,
sondern macht ihn sogar zu seinem ersten Minister. Des glück-
lichen Jünglings erste Handlung ist, dass er eine Kappe in der
Gestalt von Eselsohren erfindet, so dass der König die Unzierde
verbergen kann; als die Leute den König mit dieser Kappe sehen,
finden sie daran so viel Gefallen, dass Alle sie annehmen; so hat
297
der König nicht länget nöthig^ in Verborgenheit und beständiger,
quälender Furcht vor Entdeckung zu leben, sondern befindet sich
i'roh und glflcklicfa bis an sein Ende.
Nachdem wir so die rolksthUmlichsten asiatischen Sagen vom
Esel unter ihren Hauptgesichtspunkten betrachtet haben, wollen
wir uns an eine zusammenfassende Darstellung der europäischen
Sagen machen und dabei wenn möglich noch kürzer verfahren,
umsomehr, als der Leser, der^ wie wir hoffen, jetzt den Schlüssel
des Mythus hat, sich leicht selbst wird das Verständniss zahl-
reicher analoger Einzelheiten der griechisch-römischen Sage er-
schliessen können. Ich spreche nur von der griechisch-römischen
Sage, weil der Mythus von dem Esel unter slavischen und deut-
schen Völkern, bei denen der Esel, wenn überhaupt, nur wenig
bekannt ist, keine besondere, unabhängige Entwicklung durchge-
macht hat In slavischen Ländern wird die Rolle des Esels ge-
wöhnlich von Iwan dem Dummen oder Emil dem Faulen, auch
von dem Bären oder Wolf, wie in Indien oft von dem Affen be-
hauptet; * Esel, Bär, Wolf und Affe stellen als mythische Thiere
fast identische Erscheinungen dar.
Beginnen wir mit der Erzählung von Midas.
Midas erscheint bei Hero dot nicht nur als König von Phry-
gien, sondern auch als Stammvater der Phrygier. In Ciceros
Tnsculanen verirrt sich der trunkene Satyr Silen (ursprünglich
eine andere Erscheinungsform desselben Midas, da die Satyrn
Eselsohren haben), der Lehrer des Dionysus, in den Rosengarten
des Midas, vor den er geführt wird und von welchem er wohl-
wollend aufgenommen und gepflegt, dann aber mit Ehren dem Gott
zurückgesandt wird; aus Dankbarkeit verleiht dieser dem Midas
die Gabe, Alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln, ja sogar
die Speise, die er essen will und das Wasser, in dem er badet.
Dieser Mythus ist wahrscheinlich complicirter Natur. Midas sollte,
wie der Esel, in Gold verwandeln, was er gegessen hat, d. h.
seine Speise und sein Getränk in goldene Excremente; er sollte
die goldenen Kornähren befruchten, d. h. im Himmeli die Sonnen-
* Bei Menander (nach GeUios) beklagt sich ein Ehemann über die
UnbiU, die ihm von seiner Frau angethan wird, indem er das Sprichwort
anwendet: „Der Esel unter den Affen/' Die Affen sind wegen ihrer
schamlosen Lüsternheit bekannt; der Esel, welcher den Phallus repräsen-
tirt, befindet sich oft in der Lage eines impotenten und schwachen Ehe-
manns.
298
strahlen. Cicero selbst führt uns auf die Vermuthongy dass der
Mythus von Midas in Beziehung steht zn den Kornähren, wenn
er in seinem ersten Buche de divinatione sagt^ dass die
Ameisen dem Midas^ als er noch ein Kind war, Weizenkömer in
den Mund tmgen ; diese sind Symbole der Fülle and der Frucht-
barkeit; die durchaus auf den mj^thischen Esel anwendbar sind.
Denn obwohl der gemeine Esel nicht ein privilegirter Befruchter
ist, ist doch der mythische Esel als regengebende Wolke oder
ciramehin der beste Befruchter der Felder. Die Sonne oder das
Gold oder der Schatz kommt aus der Esel-Finstemiss (am Mor-
gen) oder der Esel- Wolke (im Frühling). Der Esel Lucius wird,
nachdem er die Rosen des Morgens oder des Ostens gegessen,
wieder Lucius der Glänzende (die Sonne). Deshalb verwandelt
der Esel Midas , der sich an Rosen delectirt, ebenfalls Alles in
Gold , was er isst , so wie auch den Thau oder die ambrosische
Quelle, in der er badet; das Rosige wird das Goldene; die
Sonne kommt hervor aus der BeriLhrung des Esels Nacht mit der
Aurora.
Auch Servius erzählt uns in seinem Commentar zum sechsten
Buche der Aeneis von den Gentauren: „in floribus stabulant'^,
wie. der indische gandharva in den Wohlgerüchen. Diese Wohl-
gerttche sind Regen und Thau. Der mit Brod ^ und Blumen ge-
schmückte Esel bei dem römischen Vestacultus, der an den Dienst
erinnerte, welcher der Göttin eines Tages durch das Schreien
eines Esels geleistet wurde, das sie aus dem Schlaf erweckte,
als Jemand sie zu entehren versuchte, igt eine andere Abart des
Mjrthus von der Aurora, welche aus der Nacht erwacht, golden
d. h. reich an goldenem Hafer und goldenem Weizen. Der Esel
wird "geopfert, weil er vielleicht selbst es gewesen war, der es
darauf abgesehn hatte, die Vesta ihrer Jungfräulichkeit zu be-
rauben; da er sich jedoch, wie oft in den Fabeln, durch sein
Schreien verräth, so erwacht Vesta und straft ihn dadurch, dass
sie ihn als Opfer darbringt In einer Variation derselben Er-
zählung im ersten Buche von Ovids Fasti, wo wir statt der
Vesta die Nymphe Lothis im Schlaf haben, verliert ebenfalls der
^ Lampsacus huic soll solita est mactare Priapo.
Apta asinl flammis indicis exta damus.
Quem tu diva memor de pane monilibos omas;
Cessat opus; vacuae conticuere molae.
Ovidius, Fasti, VL
299
der sie entehren will, die Gelegenheit, weil Silens
Dtempestivos edidit ore aonos/'
ron Priap getödtet wird:
Horte dedit poenas auctor clamor is, et haec est
Hellespontiaco victima sacra Deo.*^
kannt ist die Fabel von dem langohrigen Esel, welcher
1, um zn entscheiden, ob der Kuknk oder die Nach-
ttsseste Stimme habe, und zn Gunsten des ersteren
^tfSIB fmmmt iUUt Die Nachtigall appellirt darauf mit jenem
süssen Sänge, den wir Alle kennen, an den Menschen. ^ In dem
Mythus von Midas werden dem phrygischen Helden Eselsohren
als eine Züchtigung von Apollo verliehen, weil er, zum Richter be-
rufen zwischen der Cither oder Lyra Apolls (woher das Sprich-
wort .^asinus ad lyram'O und der Hirtenpfeife (calamus agrestis)
des Pan (welcher als ein gehörnter und bärtiger Satyr dargestellt
wird, mit einem Schwanz und langen Ohren), sein Urtheil dahin
abgab, "* die Panpfeife sei das harmonischeste Instrument Midas
verbirgt seine Ohren in einer rothen Kappe, doch der ihn kämmt,
bringt das Geheimniss aus (ganz ähnlich wie in dem mongolischen
Mährchen) :
„Ule quidem celat turpique onerata padore
Tempora purporeis tentat velare tiaris,
Sed solitns longos ferro resecare capillos
Viderat hoc famulus: qui cum nee prodere visum
Dedecus änderet, cupiens efierre sub auras,
Nee posset reticere tarnen, secedit humumque
' Auf den Mythus yom Esel als Musiker und als musikaliscfaer Kri-
tiker geht auch das toscanische Kselsspiel zurück, welches von Herrn Fan-
fani in seinem Vocabolario deli* Uso Tuscano, Firenze, 1863,
folgendermassen beschrieben wird: „Jedes Mitglied der Gesellschaft wählt
ein Thier, dessen Stimme oder Gesang es nachahmen muss. Der Haupt-
spieler steUt den Esel dar und ist der König der übrigen Thiere. Wenn
dieser, in der Mitte thronend, eins von den ihn im Kreise umgebenden
Thieren ruft, den Hund z. B., so muss dieses Thier bellen; ruft er den
Hahn, so muss derselbe krähen; ruft er den Ochsen, so muss der, der ihn
darstellt, brüllen, und so fort Schreit der Esel, so müssen auch alle übri-
gen Thiere ihr respektives Geschrei ausstossen. Wer lacht oder unter-
lässt, die Stimme oder den Gesang des Thieres, das er darstellt, hören au
lassen, giebt ein Ffand.^'
s
300
Effodit et domini quales aspezerit anres
Voce refert parva terraeque immunnurat hatistae,
Indiciumque suae vocis tellare regesta
Obruit et scrobibus tadtus discedit opertis.
Creber arandinibas tremulis ibi surgere lucus
Coepit et at primum pleno mataruit anno
Prodidit agricolam: leni jam motus ab Austro
Obruta verba refert dominique coarguit aures.**'
Dieselben Griechen, welche den Esel zum Gegenstand des
Spottes und Gelächters machten, machten den phrygischen König
Midas mit den Eselsohren zum Thema ihrer Satire. Es ist das
eine einzelnstehende Erscheinungsform des Kampfes zwischen
Griechen und Phrygiem oder Trojanern. Apollo ist der Feind
der Trojaner, wie er der Feind des phrygischen Königs Midas
ist. Die Trojaner und Troja werden durch den Esel, die
Griechen, welche die trojanische Burg mit Sturm nehmen und
siegen, durch das Pferd repräsentirt ; die Sonne verscheucht
die Nacht; der Held tödtet den Centaur; das Pferd über-
windet den Esel, die Griechen die Trojaner; und jeder kann sehen,
wie der Umstand, dass die Griechen ihre Feinde in Kleinasien
im Esel personificirten, dem Rufe des armen Langohr geschadet
haben muss. Die bitterste und schneidigste Satire ist immer die,
welche man gegen seine eigenen Feinde richtet; und der Esel
hatte ungltlcklicher Weise einst die Ehre, den Phrygier, den tradi-
tionellen Feind des Griechen darzustellen. Der Esel trug die
Kosten dieses heldischen Kampfes, ebenso wie er im Mittelalter
von den Einwohnern Paduas öflTentlich aufgespiesst wurde, weil
er das Unglück gehabt hatte, das heilige Thier auf dem Wappen-
schilde der Stadt Vicenza zu sein, mit der die Paduaner in Un-
frieden lebten. *
Im selben eilften Buche Ovids, in welchem die Verwandlung
der Menschenohren des Midas in Eselsohren geschildert ist, wer-
den die neuen Ohren merkwürdiger Weise weisslich genannt, wie
sie in dem mongolischen Mährchen golden heissen. Dies bestätigt
noch mehr die Deutung des Mythus dahin, dass der Esel das
Sonnenross während der Nacht ist. Der Kopf und der Schwanz
der Nacht, als ein Thier gefasst, sind bald die weisslichen oder
« Ovidiufl, Met am. XI, 180 ff.
' Nach den Annalen von Padua, citirt von Beraardino Scardeone,
bei AldroYandl, De Quadrapedibus I.
grauen Dämmerungen and bald die beiden goldenen Anroren des
Morgens und Abends.'
,,Nec Delius aures
Humanam stolidHs patitur retinere figuram,
Sed trahit in spatium villisque albentibus ixnplet
iDstabilesque illas facit et dat posse moveri/'
Die Veränderlichkeit der Dämmerungen muss sehr gut zu
dem Ausdruck der Beweglichkeit von Eselsohren gedient haben.
In der Erzählung von dem Esel^ spricht sich Midas, der
musikalische Kritiker, der vorbestimmte Esel, zu Gunsten Pans
aus; er thut das nicht nur wegen der zwischen ihm und dem
Gott bestehenden Blutsverwandtschaft, sondern auch aus einem
patriotischen Geftihl. Pan war in einem \^alde Arkadiens ge-
boren, ein Sohn des Zeus und der Nymphe Kallisto ; es ist be-
kannt, dass das Alterthum die arkadischen Esel vor denen jedes
anderen Landes pries. Der Esel als Musiker/ als musikalischer
Kritiker, Pan der Musiker und Pan, der vom Esel vorgezogen
wird, sind alle mit einander identisch. Arkadien , das Land der
Hirtenmusik, der flötenden Schäfer, das L^nd, welches dem Italien
des 17. und 18. Jahrhunderts so viele unnütze Verse auspresste,
das Land des Satyr Pan, ist das Land der Esel par excellence.
Arkadien ist der gebirgigste und waldreichste Theil Griechen-
lands^ und deshalb bevölkerten, wenn die Olympier aus dem
Himmel hemiederstiegen , himmlische Nymphen und Satyrn die
> Das deutsche Sprichwort: ^Wald hat Ohren, Feld hat Gesicht** ist
bekannt Vgl. die Variationen dieses Sprichworts von den Ohren des
Waldes bei Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und
Sage (Stuttgart 1866) Band III p. 173 Anm. 285 zu Seite 120. -Ich
möchte bei dieser Gelegenheit auf ein italienisches Sprichwort aufmerksam
machen: „Raglio d'asino non sale in cielo (das Geschrei des Esels dringt
nicht bis in den Himmel), dessen Ursprung ich erklären zu können glaube.
Der Esel wird, wie bemerkt, am öftesten als ein diabolisches, höllisches
Thier betrachtet, und zeigt sich, als die Sonne in den dunklen Wald der
Nacht oder des Winters hinabsteigt. Da schreit der Esel, aber sein durch-
dringendes Geschrei steigt nicht zum Himmel auf, da dieser, mit Finster-
niss bedeckt, von Wolken verschleiert, verschwunden ist; am Morgen und
im Frühling schreit der mythische Esel wieder, beim Anblick der Aurora
und der schönen Jahreszeit, aus Sinnlichkeit ; doch wegen seines unzeitigen
Schreiens wird er geopfert, oder verwandelt sich von Neuem in das Son-
nenpferd oder den Sonnenhelden, und steigt als glänzender Gott zum Him-
mel auf; der Esel nimmt unter den Rosen der Morgen-Aurora oder unter
den Rosen des Frühlings wieder die Gestalt des Lucius an.
502
Wälder and Qaellen Arkadiens. Der göttliche Wächter der Am-
brosia in der himmlischen Wolke nimmt im arkadischen Walde
die Gestalt des Pan^ des Gottes der Schäfer an^ welcher aber
den Honig Wache hält. Der gandharva, welcher im indischen
Olymp mit den Apsarasen tanzte und sang^ ist in Gestalt des
Pan nach Arkadien hemiedergestiegen; um mit den Nymphen zu
tanzen und zu singen.^ Pan^ welcher allein in den düsteren
Wald geht, Pan^ welcher die Furcht verjagt, erinnert uns in
seiner Verbindung mit der Erzählung vom Esel einerseits an den
von Plinius erwähnten Aberglauben, dass eine Eselshaut auf Kin-
der gelegt; die Furcht von ihnen verscheucht^ (ebenso wie man
in der siciliscben Provinz Girgenti glaubt, dass Schuhe aus Wotfs-
fell, Kindern angezogen, sie beim Kampfe muthig und glücklich
machen) und andrerseits an das — noch nicht veröflentlichte —
piemontesische Hährchen von dem herzhaften Giovannino, welcher
als Belohnung fttr seinen Muth, allein in die Hölle zu gehen, einen
Esel mitbringt, der Gold fallen lässt. ' So verwandelte auch der
' Der Leser kennt die Sage von der von Pan geliebten Nymphe
Syrinx, welche in ein Rohr oder Ried verwandelt wurde, aus dem sich
Pan eine Flöte machte. Wir Qnden in der ungarischen Sage das Blatt
des Rohres in Verbindung mit dem Esel. Es lässt sich auf den Blättern
des Rohrs eine merkwürdige Aussackung beachten, die eine merkwür-
dige Aehnlichkeit mit dem Zeichen von drei Zähnen hat. Dieses
sonderbare Zeichen su erklären erzählt das ungarische Volk, der Esel
des Erlösers habe einst nach dem Blatt eines Rohrs gebissen, doch
habe er, da Christus in Eile war, das Blatt nicht essen können, und
so sei es gekommen, dass die drei Zähne als Zeichen des Bisses.
zurücU)lieben. Von jener Zeit an erinnert jedes Rohrblatt daran. Von
den beiden Linien, welche sich an den beiden Flanken des Esels hinab-
ziehen, sagt mm in Ungarn, sie seien von dem Blute unseres Erlösers
verursacht. In Irland herrscht der Volksglaube, dass diese Linien als eine
Erinnerung an Christus, der einmal den Esel schlug, geblieben sind. —
Vgl. die Kapitrl über den Pfau und den Aal, wo wir den Held und die
Heldin wieder in Schilfrohr verwandelt finden werden.
^ Das Ilrrz oder den Muth verlieren wird im Italienischen vulgär
ausgedrückt durch: „Qu{ mi casca Tasino*^ (hier fällt mein Esel). Dieser
Ausdruck ist jedoch vielleicht griechischen Ursprungs; das Wortspiel zwi-
schen den gleichlautenden Redensarten: „a;r* ^ot»'* und „cctto rov** ist be-
kannt; durch dieses wurde „vom Esel fallen^ und „den Muth verlieren^
synonym.
* In Antignano bei Livomo hörte ich ein Mährchen von einer Mutter,
die einen dummen Sohn, Namens Pipetta hat. Dieser bittet die Mutter
um einen Quattrino (ein kleines Geldstück), um eine Wicke und später
eine Bohne zu kaufen, weil diese höher wächst; er hat sie und sie
303
habßücbtige Vespasian die Excremente seines Pferdes in Gold,
indem er sie verkaufte. ^
Der äsopische Esel erschreckt als er in den Eaoipf geht, alle
Thiere des Waldes durch sein Schreien ; so überwältigt Pan seine
Feinde durch seine schreckliche Stimme, und nach Herodot*
wurden die Athener in der Heldenschlacht bei Marathon durch
die mächtige Stimme des Gottes Pan untersttttzt. Wie wir end-
lich Apollo als den Rivalen Pans und den Feind des phrygischen
Midas, des vorbestimmten Esels, ebenso wie auch der Trojaner
sahen, so finden wir in der eilften der pythischen Oden Pindars
den Helden Perseus unter den Hyperboreern, ' Esel essend. * Die
Morgensonne verschlingt den Esel Nacht, wie wir den Sonnen-
helden Rustem im Schah-Name thnn sahen, als er die wilden
Esel isst
Doch wir müssen uns nach mehr mythischen Personen um-
sehen, welche mit dem Esel Midas in Arkadien, als dem Lande
des Pan und der Esel, in Verbindung stehen. Der Esel Midas
wird als ein reicher Stammvater von Geschlechtern angesehen
und für den ersten Phrygier gehalten. Windischmann hat schon
■ — I
erreicht eine wunderbare Höhe. Er klettert an der Bohnenstange
hinauf und kommt an die Pforten des Paradieses, welche ihm geöfinet
werden; doch St. Peter schickt ihn zurück; er findet darauf den Ein-
gang zur Hölle, welche er zu besuchen wünscht Der Teufel zeigt
ihm Alles, was zu sehen ist; dann spielen sie Beide Karten und Pipetta
gewinnt einen Sack voll Seelen. Der Teufel fürchtet, dass Pipetta die
Hölle leeren wird, und lässt ihn mit dem Sack abziehen, giebt ihm auch
noch einen Esel , der Gold fallen lässt ; er steigt zum Himmel auf und
Übermacht dem hlgen Petrus den Sack Seelen. Die Geschichte endet
mit der gewöhnlichen Vertauschung der Esel in dem Qasthause, wo Pi-
petta bei seiner Herabkunft von der Bohnenstange schläft.
^ Es wird hinzugefügt, dass als Titus seinem Vater diese Habsucht
vorwarf, Vespasian ihn an dem Golde, für welches der Pferdedung ver-
kauft worden war, riechen liess und ihn fragte, ob es schlecht rieche. —
In dem mongolischen Mährchen sahen wir den Dummen, der mit seinem
Esel ausgeht und ihn in einer Höhle verbirgt, nachher eine Karawane von
Kaufleuten beraubt — Tzetzes I, 128 erwähnt ein Dorf in Phrygien, mit
Namen: „Eselsohren** (v tcX^ote ovov cJra), bewohnt von Räubern und dem
Midas geherig; er meint auch, dass Midas den Beinamen: „der Lang-
ohrige** erbalten hat.
* VI, 105.
* KXanaß ovatv hmnSfißas XI, &1.
* Bei Antonius Liberalis finden wir eine lange Erzählung, aus
welcher wir entnehmen, dass Apollo sich nur den Elsel unter den Hyper-
boreern opfern lassen wollte
ä04
(an dea Beispielen Yatnas^ Timas, MaauS; Minos' und Badaman-
thys') die Verbindung zwischen dem reichen Stammvater von
Geschlechtern und dem reichen König pder Richter der Hölle be-
merkt. Midas, dem reichen Könige MidaB dem Stammvater und
Midas dem Richter entspricht der Esel, dessen Excremente Gold
sind, der Esel als Richter und Prophet^ der arkadische und pro-
phetische Pan. Die Arkadier betrachteten sich nicht nur als ovtox-
Sovsg, sondern auch als TiQooiXrivoiy älter als der Mond. Doch werden
sie auch in dem Lichte von Bewohnern einer höllischen Gegend
gesehen. In Arkadien lag der See Stymphalus, dessen dämo-
nische Vögel von Herakles erschlagen wurden; in einer wilden
Felskluft war die Quelle des Styx^ des Haupthöllenstromes , bei
welchem die Höllenbewohner der Griechen zu schwören pflegten.
Griechische und römische Schriftsteller pflegten von dem Esel
(und dem Maulesel) zu erzählen , dass er eine besondere Ab-
neigung gegen das Wasser des Styx als giftig hätte. Dieser
Aberglaube auf den Mythus zurückgeführt scheint zu bedeuten,
dass der Sonnenheld, wenn er dieses Wasser — das Wasser des
finsteren oder wolkigen Oceans — trinkt, ein dunkler Esel wird.
(Wir finden in russischen Mährchen den Helden, der in einen
Stier, ein Pferd oder einen Ziegenbock verwandelt wird, wenn
er Wasser trinkt, aus welchem ein dämonischer Stier, Hengst
oder Bock vorher getrunken hat). Aelian schreibt im zehnten
Buche über die Thiere, als er von den gehörnten Eseln Scythiens
spricht, dass sie in ihren Hörnern das Wasser des Styx hielten.
Eine ähnliche Erzählung wird von Philostratus im drittea Buche
seiner romanhaften Biographie des Apollonius gegeben, wo er
von den fabelhaften gehörnten Eseln in Indien spricht. „Man
sagt,'' so schreibt er, „dass in dem Marschlande bei dem indischen
Flusse Hyphasis viele wilde Esel zu finden sind, und dass diese
wilden Thiere auf ihrem Kopfe ein Horn haben, mit welchem sie
gleich Stieren tapfer fechten^' (es scheint das eine Reminiscenz
an das indische Rhinoceros zu sein); „und dass die Inder aus
diesen Hörnern Trinkbecher machen, indem sie versichern, dass
die, welche aus diesen Bechern trinken, den ganzen Tag über
von jeglicher Krankheit frei sind; verwundet fühlen sie keine
Schmerzen ; sie gehen unbeschadet durchs Feuer, noch auch kann
ihnen, wenn sie daraus getrunken haben, irgend ein Gift etwas
anhaben.^ Sie sagen, dass solche Becher nur Königen gehören.
' lo dem merkwürdigen Buche Laus Asini (gedruckt xu Leyden
305
nnd dass kein Anderer als ein König das Thier jagen darf. Es
wird erzählt, dass Apollonios (der Held des Romans) dieses TMer
gesehen nnd seine Natur mit Staunen beobachtet hatte. Dem
DamiS; der ihn fragte , ob er an daS; was gewöhnlich von der
Wunderkraft des Bechers erzählt wttrde, glaube ^ antwortete er:
Jch werde es glauben ^ wenn ich erfahre, dass der König in
diesem Lande unsterblich ist*." Und ohne Zweifel würde es Apol-
lonius geglaubt haben^ wäre es nicht unmöglich für ihn gewesen^
zu erratheu; dass der König, welcher sich dieses wunderbaren
Bechers bedient, die unsterbliche Sonne ist; der allein es vorbe-
halten ist, den Esel des nächtlichen Waldes zu tödten, den Esel,
dessen behaarte Ohren Hörnern gleichen, dessen Obren von Gold sind.
Das Horn des scythischen Esels, das voll stygischen Wassers
ist, das Horn des Esels, das, als Becher gebraucht, den daraus
Trinkenden Gesundheit und Glück verleiht (nicht zu sprechen von
Simsons Eselskinnbacken ^ der Wasser fiiessen lässt), erinnert
uns speciell an den Mythus von dem Füllhorn und den von der
Ziege, mit welchem die bocksfüssigen Satyrn und Faune in be-
sonderer Verbindung stehn. Aus diesem Grunde findet sich auch
der Esel in Verbindung mit Pan ; aus diesem Grunde ferner reitet
Silen auf einem E^el und erscheint in der Erzählung von Midas
in dessen Rosengarten; die mythischen Kentauren oder Onoken-
tauren, der Satyr, Faun, Esel und Bock sind Bezeichnungen mit
derselben Bedeutung. Wir sahen, einige Seiten bevor, den drei-
beinigen Esel des Zend; im folgenden Kapitel werden wir die
lahme Ziege finden.
Wie der Esel von Silen geritten wurde, * so war er das dem
bei Elzevir) findet sich folgende Bemerkung : „Si quis graviter a scorpione
ictuB, id in aurem insusurret asino, ex tempore curetar.*^ — Elliot (Races
of the N. W. Provinces of India I, 260) erwähnt ebenfallB diesen
europäischen Aberglauben und bemerkt dazu : „In Indien glaubt man, dass
eine von einem Skorpion gebissene Person in folgender Weise geheilt
werden kann: Ein junges männliches Büffelkalb wird ausgesucht, und
zwar lieber als ein Esel, als ein reineres Thier, und in sein Ohr wird fol-
gende Zauberformel geflüstert (die wahrscheinlich gar keinen Sinn hat,
wenigstens lassen sich nur ganz schwache Spuren von Sinn darin ent-
decken) ... — Wenn das gewissenhaft ausgeführt ist, kommt die dazu
gewählte Person zu dem Gebissenen zurück und ist sicher, ihn vollständig
wiederhergestellt zu finden. (Nach Lieb recht in der Academy.)
* „Te senior turpi sequitur Silenus asello
Turgida pampineis redimitus tempora sertis
Condita lascivi deducunt orgya mystae.'*
Seneca, Oedipus.
QubernatU die Thiere. 20
306
Bacchus und dem Priapus geweihte Thier^ deren Mysterien bei
den dionysischen Festen gefeiert wurden. Es heisst, dass Bac-
chuS; als er einen Morast zu passiren hatte; zwei junge Esel traf
und von einem von ihnen ; der mit menschlicher Sprache begabt
war; auf die andere Seite geführt wurde, ohne das Wasser zu be-
rühren. (Der 116. Hynmus des ersten Buches des Bigveda
verdient besonders damit verglichen zu werden. In demselben
feiert der Dichter, gleich nachdem er die Agvins aLs von geflügel-
ten Eseln gezogen dargestellt hat, dieselben als den Helden
Bhu^yu aus den Wassern auf einem Schiffe befreiend, welches
sich von selbst in der Luft bewegt. ^) Dafür, heisst es, versetzte
Bacchus aus Dankbarkeit die beiden jungen Esel unter die Sterne. ^
Es ist das eine andere Bestätigung des Umstandes, dass der my-
thische Esel wirklich die Fähigkeit zu fliegen besass; das Sprich-
wort „asinus si volat habet alas'' ^ spielt auf diesen Mythus an.
Die Fabel von dem Esel, der fliegen will, und dem Fluge des
Esels, sind spöttische Anspielungen, auf den irdischen Esel an-
gewandt. Der himmlische Mythus haftet noch im Gedächtniss,
ist aber nicht mehr verständlich. Sobald jedoch der Esel seinen
Flug vollendet hat, stirbt er ; sein Triumphschrei ist zugleich sein
Todesschrei; deshalb heisst es, dass der Schrei des Esels nicht
in den Himmel dringen kann; er rettet den Sonnenhelden, geht
aber selbst zu Grunde.
In dem Mythus von Prometheus bei Aelian (VI, 5) haben
wir den Esel, der den Talisman trägt, welcher vrieder jung
macht, und den Zeus aussetzte für denjenigen, welcher den Räu-
ber des himmlischen Feuers (Prometheus) entdecken würde. Der
Esel, der durstig ist, nähert sich einer^ Quelle und ist im Begriff,
daraus zu trinken, als eine Schlange, welche die Quelle bewacht,
ihn davon zurückhält. Der Esel zeigt der Schlange den Zauber,
den er trägt, worauf diese ihr Alter abstreift; und der Esel, der
aus der Quelle trinkt, die Fähigkeit erlangt, wieder jung zu
werden. Der Esel Nacht wird, wenn er den Thau der Dämmerung
* Tarn ühathar nftubhir fttmanvatibhir aotarikshapradbhir apodakib-
hi^^5 atr. 3. — Vgl. str. 4. 5.
* Als Grund für die dem Esel im Himmel erwiesene Ehre wird auch
folgender andere angegeben: Der Esel und Priapus streiten mit einander,
wer dem andern überlegen ist; Priap schlägt den £sel und Dionysus ver-
setzt den Besiegten aus Mitleid unter die Sterne.
' Laus Attini.
' 307
trinkt; jeden Tag wieder jung und schön. Aus diesem gründe
wird; um es zu wiederholen, diese Jugend als eine besondere
Eigenschaft des Esels gepriesen; aus diesdbi Grunde schreiben
die Römer der Eselsmilch eine bedeutende kosmetische Wirkung zu. ^
Der mythische Esel scheint jeden Tag zu sterben, sofern er
jeden Tag von Neuem geboren und wieder jung wird, daher das
griechische Sprichwort nicht von dem Tode des Elsels im Singular,
sondern von den Toden spricht (jl'Ovov ^txvdrovgf^.
Das italienibche Sprichwort von dem Esel, welcher Wein
trägt und Wasser trinkt, spielt wahrscheinlich auf den Esel an,
welcher das Wasser der Jugend trägt und dann, als er durstig
ist, aus der Quelle trinkt in der Prometheussage. Der Wein des
griechischen und römischen Mythus entspricht dem berauschenden
Trank oder Soma, an welchem sich Indra im Rigveda so er-
getzt. Der Esel trägt den trunkenen Silen auf seinem Rtlcken.
Die Sonne, welche in der Wolke mit einer Eselshaut bedeckt
ist, trägt den Regen, woher das griechische Sprichwort: „Der
Esel wird beregnet" C'Ovog verai), und der Volksglaube, dass, wenn
sich die Ohren des Esels oder eines Satyrn (d. h. des Esels selbst)
bewegen, das ein Anzeichen von Regenwetter (oder Thau) ist
Wenn die Sonne aus den Schatten der Nacht heraustritt, so trinkt
sie die Milch oder die weisse Feuchtigkeit des frühen Morgen-
himmels, dieselbe schaumige weisse Feuchtigkeit, welche die Ge-
burt der Aphrodite verursachte, dasselbe Nass, aus welchem bei
-der Liebe des Dionysos (oder des Pan, eines Satyr oder des Esels
selbst) und der Aphrodite der Satyr gezeugt wurde — Priapus,
dessen phallische Liebe durch den Esel entdeckt wird. Der Sa-
tyr dient aLs ein Bindeglied zwischen dem Mythus von dem Esel
und dem von dem Bock. Auf Grund dessen (d. h. auf Grund
der nahen Verwandtschaft zwischen dem mythischen Esel und
dem mythischen Bock) haben zwei alte griechische und lateinische
Sprichwörter — nämlich: sich um den Schatten eines Esels
' „Conferre aliqaid et candori in mulierum cute existimatur. Poppaea
certe Domitii Neronie conjax quingentas socum per omnia trahens faetas
balnearum etiam solio totum corpus illo lacte macerabat, extendi quoque
cutem credens;*^ Aldrov. Auf diese Gewohnheit spielt Juvenal in der 6.
Satire an:
„Atque illo lacte fovetur
Propter quod secum comites educit aaellas
Exul hyperboreum ai dimittetur ad axim."
20*
308
streiten („tzsqI ovov OKiäg'^ und : sich ^^de lana c a p r i n a'' streiten
— dieselbe Bedeutang: sich um eine Bagatelle streiten (welche
jedoch im Mythus ^ wo das Fell der Ziege oder des Esels sich
zuweilen in ein goldenes Fliess verwandelt; keine Kleinigkeit ist)^
was um so wahrscheinlicher ist, als die Griechen uns noch ein
anderes Sprichwort überliefert haben, in welchem der Mann, der
zu ernten erwartet ^ wo er nicht gesät hat; ausgelacht wird als
einer, der beim Esel nach Wolle sucht {ovov Ttoxovg [s. nöxag]
^fj^eZg) oder der den Esel scheert („tov ovov Tceigscg^^). Wir sahen
in dem Mythus von Midas den König, dessen Ohren beim Käm-
men seine Eselsnatur verrathen. Das piemontesische Mährchen
von dem Mädchen, auf dessen Stirn ein Horn oder ein Esels-
schwanz wächst, weil es die gute Fee schlecht gekämmt hat, steht
mit dieser Erzählung von dem Kämmen des langobrigen Midas
in Verbindung. Der gekämmte Esel und der geschorene Esel
entsprechen einander; der gekämmte Esel hat goldene Ohren,
ebenso wie im Mährchen Gold und Edelsteine von dem Kopfe
der guten Fee fallen, welche von dem guten Mädchen gekämmt
wird. Auf diesen mythischen Glauben lässt sich meines Erachtens
der Ursprung des mittelalterlichen Brauchs in der rönuschen
Kirche zurückführen, welcher noch zur Zeit Gregor des VII. be-
stand und nach welchem bei öffentlichen Ovationen für den Papst
ein Esel, der Geld auf dem Kopfe trug, vor ihn gebracht wurde. ^
Sein Schatten verräth den Esel,^ nicht minder als seine
Ohren, seine Nase und sein Schreien. Der Schatten des Esels
und seine Nase finden sich mit einander verbunden in der Er-
zählung von dem goldenen Esel bei Apuleius, welche, nach-
dem berichtet ist, wie der Esel seinen Kopf zum Fenster hinaus-
steckt und dadurch seinen Herrn, den Obsthändler oder Gärtner
(den Freund der Wohlgerüche, „gaudharva", asinus in unguento,
ovog €v ftvQqj) verräth, folgenderroassen schliesst: „Als der unglück-
liche Gärtner wiedergefunden und vor die Behörde gestellt ist,
um die Geldstrafe zu bezahlen, flihren sie ihn in ein öffentliches
Gefängniss und hören nicht auf, sich, wie der Esel Lucius sagt.
* y,Finitb laudibus surgit quidam archipresbiter, retro se ascendit asi-
num praeparatum a curia; quidam cnbicularius tenet in capite asini baci-
lem cum XX solidis deuarionim^^ etc. Du Gange, gloss. M. et I. L. s. v.
Cornomannia. — Wir finden auch bei Du Gange, dass ein Soldat im
Mittelalter „caput asini pro magnitudine capitis et congerie capillorum^^
genannt wurde.
* Pentamerone III, ö heisst die Nacht „lasino de Tombre**.
i
309
„über mein Gesicht lustig zn machen", Woher auch das Volks-
fprich^^oit vom Gesicht und Schatten des Esels („de prospectu et
i ml ra asini") kam". Der Esel, welcher seinen Herrn, den Obst-
händler oder Gärtner, durch sein Gesicht verräth, ist eine Abart
des Esels, welcher im Walde mit der Löwenhaut bekleidet ^ (wie
Herakles, der in einer Löwenhaut in die Hölle geht), sich durch
sein Schreien verräth, und des Esels, welcher durch sein Schreien
den Priapus entdeckt, Priapus den Gärtner, welcher sich in
Gärten (der vulva) ergetzt, gleich dem Ogre* desPentamerone,
der in seinem Garten ein schönes Mädchen vorfindet.
Der Esel kann weder seine Stimme noch seinen flatus unter-
drücken; wir sahen etwas Aehnliches schon in der Erzählung
von Midas, wo der, der den Esel kämmt, fühlt, dass er platzen
muss, wenn er sich nicht des Geheimnisses von dem Esel ent-
ledigen darf. Diogenes Laertius erzählt, dass als die Felder von
Agrigent von bösen Winden verwüstet wurden, welche 'die Aehren
vernichteten, der Philosoph Empedocles Eselsfelle nehmen, Säcke
aus ihnen machen und diese auf die Gipfel der Hügel und Berge
tragen Hess, um die Winde zu verjagen. Aelian, der ein Geräusch
mit einem andern verwechselt , räth , dem Esel 'einen Stein an
den Schwanz zu befestigen, wenn man ihn vom Schreien zurück-
halten wolle. Diese alte griechische Fabel ist bis heutigen Tages
in Italien sehr volksthümlich und der Erzähler pflegt sie mit
' Pen tarn. II, 1 haben wir eine Variation der andern äsopischen
Fabel von dem Löwen, der sich vor dem Esel fürchtet. Die alte Hexe
sieht, um sich von dem Löwen zu befreien, den Petrosineüa hat entstehen
lassen, einem Esel das Fell ab und macht es sich um; der Löwe, dereinen
wirklichen Esel 2u sehen glaubt, rennt davon. — In dem dreiaehnten der
sieiüschen Mährchen, welche von Frau Laura Gonzcnbach gesammelt sind
(erschienen in Leipzig bei Brockbaus), streiten der Esel und der Löwe um
die Beute; der junge Held theilt sie, ind»m er dem Esel das Heu giebt,
welches der Löwe im Munde hat und dem Löwen die Knochen, die der
Esel im Munde hat. Doch stellt hier wahrscheinlich der Löwe den Hund
dar, nach dem griechischen Sprichwort ; „Äwl 8i8(»g va axv^a, ortp ra oa%ea^^^
um etwas auf verkehrte Weise Gethanes zu bezeichnen.
' Ebenfalls im Pentamerone füttert auf der Insel der Ogren eine
alte Ogrin eine Anzahl Esel, welche nachher an das Ufer eines Flusses
springen und die Schwäne stossen und schlagen; hier ist der Esel dämo-
nisch, wie im Rämäyana; die Schwäne sind, wie wir sehen werden, eine
Erscheinungsform der glänzenden A^vins. — In der obscönen Literatur
sind die mental a als Gärtner und die vulva als Garten zwei häufig vor«
kommende Bilder; vgl. unter Anderm das italienische Gedicht, La Menta«
810
einem Anstrich von Wirklichkeit aufzuputzen, als ob sie erst
gestern und unter seinen Bekannten passirt wäre.
In den italienischen Mährchen * wächst, wenn der Esel auf
dem Berge schreit, ein Schwanz auf der Stirn der hässlichen
Tochter der Stiefmutter; der dritte Hahnenschrei ist das Zeichen
zum Tode des Ungeheuers ; der dritte Schrei oder flatus des Esels
kündigt den Tod des Narren an. Mit Ende der Nacht ver-
schwindet der Esel und der Narr verschwindet resp. stirbt eben-
falls. Das Schreien des Esels kann nicht bis zum Himmel auf-
steigen; nachdem der Esel geschrieen, nachdem die Wolke ge-
donnert hat, kommt der Esel auf die Erde nieder, löst sich in
Regen auf, zerstreut sich und stirbt; der dunkle Esel kann nicht
in dem glänzenden Himmel bleiben, er kann nur den wolkigen,
feuchten oder düsteren Himmel der Hölle bewohnen. Die Art und
Weise, wie der Narr des Mährchens dem Tode auszuweichen
versucht, gleicht der, auf welche man nach Aelian den Esel vom
Schreien zurückhielt In einem Mährchen aus Armagnac* rennt
Joan lou P6c hinter einem Manne her, den er für weise hält und
fragt ihn, wann er sterben werde; der Mann antwortet: „Joan
lou P6c, mouriras au troisifemo pet de toun ase." Der Esel thut
es zweimal; der Narr versucht das dritte Mal zu verhindern:
„Cop sec s'en angonc cerca un pau (einen Pfahl) bien pounchut
et l'enfounc^c das un märtet dens lou cu de Tase. Mes Tase
s'enfiec tant, e hasconc tant gran eflbrt, que lou pau sourtisconc
coumo no balo e tufec lou praube Joan lou P6c."
Bei Hero dot werden die Scythen geschlagen, als die Esel
schreien und die Hunde bellen zwischen den Zelten des Darius.
Das Schreien des Esels, der Donner der Wolke, ist ein Orakel;
der Esel, der schreit, ist ein Richter und ein Prophet In der
' Vgl. die erste der Novelline di San Stefano di Caicinaia,
in welcher wir auch den für dumm gehaltenen dritten Bmder finden, des-
sen £8el Gold fallen lässt; den närrischen Pimpi, der seinen Esel beim
Holzhauen todtschlägt; den Sohn des armen Mannes, welcher sich damit
belustigt, den Esel, an einen Riemen gebunden, vor sich her trotten und
ihn dann wieder zurückkommen zu lassen ; den Bauer, welcher den in den
Morast gefallenen Esel herauszieht und welcher dann die Tochter des
Königs von Russland (die winterliche, die düstere, die nächtliche) heirathet,
die nie gelacht hat und die er zum Lachen bringt; und den E^el, welcher
stirbt, nachdem er ein vergiftetes Brod gegessen.
'Contes et Proverbes populaires recueillis en Arma-
gnac, par J. F. Blad^, Paris, Franck.
>' or THE
UNIVERSITY
of
Hölle ist Alles bekannt ; der Teufel kennt jede List, jede Art von
Bosheit, jedes Geheimniss ; der Esel in der Hölle nimmt an seiner
Kenntniss Theil. Der Esel Nicon sagt bei Plutarch (vita An-
tonii) dem Augustus seinen Sieg in der Schlacht bei Actium voraus ;
dagegen erscheint in der Biographie Alexanders von demselben
Schriftsteller ein Esel, welcher mit einem Tritt einen den Mace-
doniem gehörigen grossen Löwen tödtet, dem grossen Eroberer
im Lichte einer schlechten Vorbedeutung. Die untergehende
Abendsonne, der alte Löwe, wird am Abend von dem Esel Nacht
getödtet; am Morgen dagegen verkündet der Esel Nacht dem
Sonnenhelden, welcher wieder glänzend und weise wird, sein
Glück. Der Esel kann alle Dinge vorhersagen, weil er Alles
weiss; er weiss Alles, weil er Alles hört und er hört Alles, weil
er so ausserordentlich lange Ohren hat; der Esel des Apuleius
sagt von sich selbst: „Recreabar quod auribus praeditus cuncta
longule etiam dissita sentiebam/' Und dieser Esel, welcher aus
der Entfernung hört, erinnert uns wieder an den dritten Bruder,
der bald ein Narr ist und bald nur für einen solchen gehalten
wird; an den andalusischen Oidin-Oidon, hijo del buen oidor
(einen Verwandten des schon erwähnten vedischen Indra ä^rut-
karna), des zweiten cuento Caballeros, ' welcher Alles hört, was
in den tiefsten Tiefen der HöHe geschieht, wo Lucifer sitzt, ge-
hörnt und mit langen Ohren. ^ Der Held , welcher mit Lucifer
kämpft, denkt nur daran, ihm die Ohren abzuschneiden; der
Esel ohne Ohren ist nicht länger ein Esel; die Ohren des mythi-
schen Esels sind seine Lebensorgane, sein Charakteristikum. Statt
der Ohren setze dem mythischen Esel Homer auf und wir haben
den mythischen Bock; nimm die Homer fort und — wir haben
bald das verachtete Schaf, bald das Schwein des Mythus: darauf
wollen wir in den beiden folgenden Kapiteln näher eingehen.
' Cuentos y Poesias Populäres AndaluceB, coUecionados par
Feman Caballero, Leipiig, Brockhaus 1866.
* f,Wald hat Ohren, Feld hat Gesicht'^ sagt ein deutsches Sprichwort
(▼gl. oben p. dOl Anm. 1); die Zweige der Bäume werden mit Ohren und
mit Hörnern verglichen. Der Held, der sich im Walde verliert, der Held,
der in die Hölle hinabsteigt, die Sonne, welche in die Nacht sinkt —
Alles dasselbe! Man kann wohl über die Mythologen witzeln, man kann
aber keinesfalls die Richtigkeit dieser Thatsache leugnen, an welche sich
eine Menge Mythen anschliesst.
312
KAPITEL IV.
Bas Beliafy der Widder und die Ziege.
Wenn die Jnngfrau Anrora am Morgen ihre glänzende Herde
aus dem Stall führt; so finden sich unter derselben weisse Läm-
mer; weisse Böekchen und glänzende Schafe; am Abend führt
dieselbe Aurora die Lämmer, Böckchen und Schafe zur Httrde
zurück. Bei der Morgendämmerung ist diese ganze Herde weiss^
nach und nach werden ihre Fliesse golden: der weisse, dann der
goldene Himmel des Ostens (resp. des Westens) bildet diese weisse
und goldene Herde; die Sonnenstrahlen sind die Fliesse. Darum
ist die Sonne, welche vor dieser Herde herschreitet, selbst bald
ihr junger Schäfer-König und bald das Lamm , der Widder oder
der Bock. Wenn die Sonne in das Reich der Nacht eintritt, geht
der Bock oder das Lamm zur Httrde zurttck und wird dunkel-
farbig; die von der Nacht oder der Wolke verschleierte Sonne
ist ein dunkelfarbiger Widder, Bock oder Ziege. In der Nacht,
sagt das Sprichwort, sind alle Ktlhe schwarz; dasselbe lässt sich
von den Ziegen sagen, ausgenommen den Fall, dass die Ziege,
glänzend und allsehend, aus dem nächtlichen Dunkel in der
Gestalt des Mondes hervortritt. Wir müssen also das Schaf oder
die Ziege unter einem dreifachen Gesichtspunkt betrachten: am
wichtigsten und interessantesten ist die Erscheinung der Sonne,
welche von der Dunkelheit oder der Wolke verschleiert wird; die
Wolke hat dabei oft eine dämonische Gestalt, wie die des Esels
oder des Helden in der Hölle; zweitens ist auszugehen von dem
weissgrauen, später goldenen Morgenhimmel, resp. dem goldenen
und dann erst weissgrauen Abendhimmel, welcher, als glänzend,
deshalb gewöhnlich eine göttliche Erscheinungsform des Bockes
ist; an dritter Stelle kommt der Mond in Betracht.
Die reichsten Mythen beziehen sich auf die in der Wolke
oder den Schatten der Nacht eingeschlossene Sonne, resp. auf die
Wolke oder Finstemiss der Nacht, welche sich um die Sonne
legt. Die bewegliche Dunkelheit und die ziehende Wolke auf
der einen, die feuchte Nacht und die Regenwolke auf der andern
Seite kamen leicht dazu, als ein Bock oder ein Widder darge-
stellt zu werden. Im Indischen, und sogar schon in der Sprache
313
der Veden, bedeutet aga, das eigentlich so viel wie: stossend,
ziehend^ bewegend (agens) ist, dann auch Bock; der Ziegenbock
stösst mit den Hörnern; die Sonne in der Wolke stösst mit ihren
Strahlen, bis sie den Stall öfihet nnd ihre Homer herauskommen. ^
Der Widder heisst mesha oder meha, d. h. der Ausspritzer»
mingens (gleich dem Esel ciramehin), was dem megha, der
nubes mingens, entspricht. Ferner: wie wir im Griechischen
von al'l,* Ziege, a iy/g, Ziegenfell (Aegis) haben, so wird im Sans-
krit von a g a , Ziege, a ^ i n a, Ziegenfell, gebildet, und von m e s h a ,
Widder, mesha „das Fliess des Schafes, und was daraus gemacht
ist;'' das Petersburger Wörterbuch vergleicht damit russisch
mieh (litthauisch maiszas), pellis, Saccus.
Sehen wir nun zunächst, wie sich diese einfachen Bilder in
dem indischen Mythus entwickelten.
Indra, der Begen- und Donnergott, wird in der ersten Strophe
eines vedischen Hynmus als ein sehr gepriesener, heldischer Wid-
der dargestellt;* in der zweiten Strophe als der eine, welcher
ambrosischen Honig ausströmen lässt (madacyutam) ; in der
dritten Strophe als den Stall oder die Hflrde der Kühe den Aflgi-
^ Das Petersburger Wörterbuch siebt in dem Bock a^a den „bebenden
(agilis)". [Vgl. Pictet, les origines I. p. 865 sq. „a^, Tanimal agile.^*] Zur
Erl&uterung derselben Analogien- im griecbiscben Mytbns wird es dienUch
sein, die Worte Br^als zu wiederholen: „Le verbe grec ataaw, qui sig-
nifie s'^ancer, a fait d'une part le substantif aXl^ ch^vre (k cause de la
nature bondissante de l'animal) 6t de Tautre les mots xarät^y ycaraiyii^
temp^te (wie mir scheint, das was schüttelt, was sich bewegen oder zit-
tern macht, sofern ich dabei bleibe, dass a^a nicht sowohl den Beweg-
lichen, den der rennt, bedeutet, als vielmehr den, der stosst, schiebt, in
Bewegung versetzt). De Ik une nouvelle s^rie d'images et de fables oü la
ch^vre joue le role principal. L*^gide avant d'etre un bouclier fait en
peau de ch^vre. ^tait le ciel au moment de Torage; Jupiter aigiochos ^tait
le dieu qui envoie la temp6te ; plus tard on traduisit le dien qui porte ri-
gide. Homere semble se souvenir de la premiere signification, quand il
nous montre au seul mouvement du bouclier le tonnerre qui ^lale, Tlda
qui se couvre de nuages et les hommes frappi^ de terreur.'* Baiston ver-
gleicht treffend das russische ablakagragonniki (Wolkenzwinger) mit
dem Zeus vefsXriYeQi'^fjs. Rigv. I, 10, 8 wird in ähnlicher Weise zu
Indra gesagt: geshab svarvatir apab sam gä asmabhyaih dhünuhi.
* Mögen die Finnologen beobachten, ob es nicht möglich, ihr Aija,
einen Namen Ukkos, ihres Indra, der hattarojen hallitsia, der Hen* der
Wolkenlämmer heisst, hieherzuziehen. — Vgl. Gastrin, Kleinere
Schriften, Petersb. 1862 p. 230.
* Mesham puruhütam; Rigv. I, 51, 1. — Tad indro artham detati
yüthena vpshnir f^ti; 9^g^- ^y ^^t 2*
314
rasen }^ffnend ; ^ in der vierten Strophe als die Schlange tödtend,
welche bedeckt oder zarückhält; in der fUnften Strophe als die
Zauberer mit Zauberei austreibend und die starken Städte des
Ungeheuers Pipru brechend;* und in der sechsten Strophe als
unter seinem Fusse das riesengleiche Ungeheuer Arbuda * oder
Schlangenungeheuer zermalmend. So weit haben wir zwei Ge-
staltangen des Mythus: den Widder^ welcher ambrosischen Honig
ausströmen lässt, und den Widder, welcher das Thor öflhet und
mit seinem Fusse zermalmt. In einem andern Hymnus werden
die Agvins mit zwei Böcken (ageva), mit zwei Hörnern (^riflgeva)
und mit zwei schnellen Hunden (tarobhih) verglichen. * Ein drit-
ter Hymnus berichtet uns, dass Indra vermittelst eines Widders
ein Löwenungeheuer tödtete.^
Hier haben wir augenfällig einen heroischen Bock oder
Widder.
Vergleichen wir hiemit andere Sagen. Im EhordaAvesta^
finden wir Veretraghna (die zendische Form für Indra als Vritra-
han) ,,mit dem Körper eines Bockes, eines streitbaren, schönen,
mit scharfen Klauen^^
In dem russischen Mährchen, welches Afanassieff im vier-
ten Buche als einundzwanzigstes giebt, tödtet das Lamm, der Ge-
selle des Stieres im Walde, den Wolf, indem es gegen seine
Flanken anrennt, während der Stier das wilde Thier mit seinen
Hörnern verwundet. In einer Variation dieses Mährchens ^ ist
* Tram gotram angirobhyo *VTinor; ISigv« I, 51, 3.
* Tvam mftyäbhir apa mäjino 'dhamalti — tvam pipror nrimanah prft-
ru^h pural^^; ?igv« I» 51» 5-
' Mahantam 6id arbudam ni kramil^ pad&; I^igT* I, 51, 6. — Arbada
ist im Sanskrit auch der Eigenname eines Berges und einer Holle; der
Wolkenberg und die Hölle in dem wolkigen und nächtlichen Himmel sind
schon erwähnt worden.
* Tarobhit; Rigv. U, 39, 3. 4.
» SiÄhyam dit petvena gaghäna; Rigv. VU, 18, 17. — Bei Firdusi
finden wir in den Abenteuern Isfendiara zwei gehörnte Wölfe, welche
Löwen fangen; diese scheinen dämonische Gestaltungen des Widders
Indras zu sein, welcher den Löwen tödtet.
* XXX, 9. -> Hier sind die Homer die Sonnenstrahlen oder die Don-
nerkeile, welche wiederkehren in dem italienbchen Aberglauben tou der
jettatura; die Homer des Bockes, heisst es, und die rothen Korallen-
hömer Tcrtreiben den Teufel und seinen Zaubor.
^ III, 18. — In dem Mährchen I, 20 wird erzählt, dass das Lamm
mit dem Bock in den Wald floh, weil ihm sein Herr auf einer Seite das
315
die Katze die Bnndesgenossin des Lammes gegen den Wolf; das
Lamm stösst heftig auf den Wolf los, während die Katze ihn
kratzt, bis Blut fliesst. In noch einer andern Version erscheint
auch der Bock neben dem Lamm; die Katze flicht Birkenrinde
um die Homer des Bockes und befiehlt dem Lamm, sich daran zu
reiben, um Feuer zu entzünden; Funken sprühen, die Katze holt
Heu und die drei Gesellen wärmen sich. Da kommen Wölfe her-
bei; die Katze aber jagt sie davon, indem sie ihnen den Bock
als Vogelscheuche hinstellt und sie ferner durch bedeutungsvolle
Andeutungen von der Kraft, die in dem Barte des Bockes liege,
in Schrecken setzt. Schliesslich haben wir in den russischen
Mährchen zwei werkwürdige Variationen der Fabel von der Ziege,
den Zicklein und dem Wolf. * Die Ziege ist nahe daran, Junge
zu werfen unter einem Apfelbaum. (Wir sahen in Kapitel I den
Apfelbaum, dessen Früchte dem, der sie geniesst, Homer wach-
sen lassen. Es ist bekannt, dass im Griechischen fi^lov Ziege
und Apfel bedeutet, wie dem indischen Masculinum petvas,
Widder, im Neutram petvam, Ambrosia, entspricht. Der my-
thische Apfelbaum ist ambrosisch, gleich dem Füllhorn der Ziege
der Mythologie ; und ich glaube auch hier auf slavischem Gebiete
selbst eine Analogie zwischen den rassischen Wörtern öblaka,
Wolke, Plur. ablakd, die Wolken, und iablony, Apfelbaum,
Plur. j ä b 1 0 g n a , die Apfelbäume, j a b 1 o k , der Apfel, finden zu
dürfen.) Der Apfelbaum räth der Ziege, sich an einen andern
Platz zu begeben, da die Aepfel leicht auf ihre neugeborenen
Zicklein fallen und sie tödten könnten. Die Ziege geht darauf
unter einen gleich schattigen Wallnussbaum, um ihre Jungen zu
werfen; doch auch der Wallnussbaum räth ihr fortzugehen, da
die Nüsse leicht fallen und ihren Kleinen ernstlich Schaden thun
könnten ; ^ nun geht die Ziege zu einem verlassenen Zelte im
Fell geDommen hatte (d. h. die Wolle). Die Lämmer erscheinen am Mor-
gen und am Abend mit glänzender Wolle; während der Nacht werden sie
geschoren.
« Afan. II, 4. IV, 17.
* Der Wallnussbaum findet sich in Verbindung mit der Ziege auch
bei Afanassieff II, 1 in der Fabel von den Angeklagten, welche die
Schuld von sich ab und auf Andere wälzen. Der Hahn und die Henne
sammeln mit einander Nüsse; der Hahn wirft eine und trifft die Henne
ans Ohr; die Henne weint; ein Bojar fragt sie nach dem Gründe; die
Henne klagt den Hahn an, der Hahn den Wallnussbaum, der Wallnuss-
baum die Ziege, die Ziege den Schäfer, der Schäfer die Hausfrau, die
316
Walde (eine andere Erscheinungsform der Wolke der Nacht). Als
die Jungen ausgekommen sind, macht sich die alte Ziege davon,
um Futter zu holen, nachdem sie den Kleinen eingeschärft hat,
keine Seele in das Zelt zu lassen (die Fabel ist im Westen sehr
bekannt, doch die slavischen Variationen sind besonders interes-
sant). Der Wolf kommt uiid sagt das Losungswort wie die Ziege,
um die Zicklein zum Oeflnen zu verleiten; diese merken jedoch
an der rauhen Stimme, dass es nicht ihre Mutter ist und ver-
weigern den Einlass. Der Wolf geht darauf zum Grobschmied
und lässt sich eine Stimme machen, welche der der Ziege gleicht;
die getäuschten Zicklein «flfnen und der Wolf frisst sie allesammt
auf, ausgenommen das kleinste, welches sich unter dem Ofen ver-
birgt fdas Lieblingpplätzchen, an dem der kleine slavische Held,
der dritte Bruder, der mispgestaltete Narr, der nachher schön und
weise wird, gewöhnlich kauert). Die Ziege kommt zurück und
erfShrt von dem Zicklein, das dem Tode entronnen, was geschehen
ist. Sie sinnt auf Rache und ladet ihren Freund und Gevatter
Fuchs nebst dem Wolf zum Mahl ein ; der Wolf hat keinen Arg-
wohn und kommt mit dem Fuchs an. Nach der Mahlzeit fordert
die Ziege, um ihre Gäste zu unterhalten, dieselben auf, sich da-
mit zu belustigen, über eine Oeflfiaung, welche im Fussboden ge-
macht ist, zu springen; die Ziege springt zuerst, dann springt
der Fuchs und dann der Wolf; letzterer fällt aber hinunter in die
glühende Asche und wird zu Tode gebrannt, gleich der Hexe in
einigen andern Mährchen, wie die Nacht von der Morgen-Aurora,
Hausfrau das Schwein, das Schwein den Wolf, der Wolf den lieben Gott;
über diesen hinaus geht ^s nicht. — In einem andern Scherz in Versen,
der darauf berechnet ist, das Gedächtniss zu stählen und die Zunge ge-
schmeidig zu machen, bei A fa n. IV, 16, finden wir die Ziege in Verbindung
mit Haselnüssen. Der Ziegenbock fängt an sich zu beklagen« dass die
Ziege mit den Haselnüssen nicht zurückkommt (niet kaszi s ariehami);
der Bock schickt den Wolf aus, um die Ziege zu holen; dann schickt er
den Bären nach dem Wolf, den Menschen nach dem Bären, den Eichbaum
nach dem Menschen, die Axt nach dem Eichbaum, den Schleifstein nach
der Axt, das Feuer nach dem Schleifstein, das Wasser nach dem Feuer,
die Windsbraut nach dem Wasser; darauf schickt die Windsbraut das
Wasser, das Wasser das Feuer, das Feuer brennt den Schleifstein, der
Schleifstein schleift; die Axt, die Axt Hillt die Eiche, der Eichbaum, zu
einem Stock gemacht (vgl. Kap. I und H), schlägt den Mann, der Mann
schiesst auf den Bären, der Bär kämpft mit den Wölfen, die Wölfe jagen
die Ziege, und hier kommt die Ziege mit den Haselnüssen zurück (rot
kasza s ariehami).
317
der Winter von dem Frühling verbrannt wird; die Ziege singt
ein wunderschönes Te Deum (dndesnoi pamin) zu Ehren des
Wolfes. Die andere rassische Version fügt einige neue und merk-
würdige Details hinzu. Die Ziege geht Futter suchen und lässt
die Zicklein allein zu Haus; sie schliessen die Thür hinter ihr zu.
Sie kommt zurück und sagt : ,;Oeffnet^ meine Söbpe, meine kleinen
Väterchen; eure Mutter ist da; sie bringt etwas Milch, ein halbes
Gläschen Milch, ein halbes Horn frischen Käse, ^in halbes Hörn-
chen helles Wasser (das Füllhorn)." * Die Zicklein öfinen sofort.
Den zweiten Tag geht die Ziege wieder aus; der Wolf, der die
Worte gehört, versucht sie ebenfalls den Zicklein vorzusingen;
diese merken jedoch , dass es nicht die Stimme der Mutter ist
und öfinen nicht. Den nächsten Tag ahmt der Woli auch die
Stimme der Mutter nach; die Zicklein öffnen und alle werden
aufgefressen, ausgenommen eines, das sich im Ofen verbirgt und
nachher der Mutterziege das Vorgefallene erzählt. Die Ziege
rächt sich folgendermassen : Sie geht mit dem Wolf in den Wald
und kommt an einen Graben, wo einige Arbeiter Hafergrütze ge-
kocht und das Feuer brennen gelassen hatten. Die Ziege fordert
den Wolf heraus , über den Graben zu springen ; der Wolf ver-
sucht es und fällt hinein; das Feuer macbt seinen Bauch platzen;
aus demselben springen die Zicklein heraus und laufen zu ihrer
Mutter.
Ein anderes Mährchen ^ leistet uns noch mehr Hilfe fUr die
Deutung des Mythus; es führt uns nämlich darauf, in der Ziege
und ihren Jungen die gehörnte oder mit Strahlen versehene Sonne
zu sehen, wie sie glänzend aus der Wolke oder dem Dunkel oder
dem Ocean der Nacht hervortritt, und in dem Wolf oder dem
Wolfsfell, das aufplatzt resp. verbrennt und aus dem die Zicklein
herauskommen, den dunklen, wolkigen, feuchten Nachthimmel.
Statt des Wolfs haben wir eine Hexe, statt der Ziege eine Frau
und statt der Zicklein den jungen Vaniushka (Häuschen); die
' Ah vi, dietuski,
Moi batiuski
Atapritessia
Atamknitessia;
Vasha mat prishlä
Maiakä priuieslä
Polni bakä malakä,
Polni ragä tvaragä
Polni kopitzi vaditsi.
* Afau. VI, 17.
318
Hexe hat eine vom Grobschmied gefertigte Stimme; welche der
Stimme von Vaniushkas oder Thereshichas Matter gleicht und
zieht ihn so an sich. Thereshicha sagt; dass er ursprünglich ein
Baumstumpf war, den seine kinderlosen Eltern im Walde aufge-
lesen, nach Hause genommen und in einer Wiege gewiegt hatten;
bis er geboren wurde. ^
Das Ungeheuer Wolf oder HexC; welches die Fähigkeit be-
sitzt; die Stimme der Ziege nachzuahmen^ und eine besondere
Vorliebe für Schafe und Ziegen hegt — und zwar eine so grosse;
dass die Hexe Liho (eigentlich Uebel) einige in ihrem Hause hält
und diejenigen; welche am Morgen herauskommen (aus dem
dunklen Himmel) und welche am Abend zurückkehren (in den
dunklen Himmel) als ihr besonderes Eigenthum betrachtet wer-
den * — verwandelt oft den Helden (die Abendsonne) in ein Böck-
' Vgl. eine Stelle in der finnischen Kalevala (Schiefners Ueber-
Setzung p. 131), wo ein unglückliches Mädchen wünscht, nicht geboren zu
sein und folgende Ausdrücke gebraucht : „Hättest Du lieber , arme Muttor,
Hättest Du, die mich getragen, Hättest Du, die Milch gespendet, Theure,
die Du mich gesäuget, Einen Holzklotz eingewickelt, Einen kleinen Stein
gewaschen. Statt zu waschen Deine Tochter, Statt au wickeln Deine Theure
Zu der Sorgen grosser Fülle, Zu der bittern Herzensstimmungl'* Wir
finden hier ein Echo der weitverbreiteten Sitte, die Stelle eines ver-
lorenen oder ersehnten Rindes durch einen Holzklotz oder einen Stein zu
ersetzen; vgl. Tylor, Early History of Mankind, 2. ed. p. HO. Dar-
aus lässt sich vielleicht die indische Vorstellung erklären, nach welcher
alle Kinder aus einem kreisrunden Kürbiss kommen (Rochholz, Glaube
und Brauch I, 135) und das wallachische Mährchen von Trandiafiru (Schott,
Nr. 23), welcher am Tage ein Mensch und bei Nacht ein Kürbiss ist.
' Bei A f a n. U, 32 hat eine solche Stimme dieselbe Wirkung wie die
des Esels: sie erschreckjt alle andern Thiere. Jedoch hier ist nur von
einer Ziege, welche geschoren worden ist, die Kede — d. h. der Ziege,
welche ihre Haare oder glänzende Wolle verloren hat, der donnei*nden
Ziegenwolke. — Narodnija iusznoruskija Skazki (südrussische
Volksmährchen; herausgegeben von Rudcenko, Kiew, 1869) I, 25 er-
schreckt die Ziege mit ihrer Stimme zuerst den Fuchs und dann den Wolf,
bis sie selbst von der Stimme des Hahns erschreckt wird. (Die Morgen-
sonne, welche im Hahn personificirt ist, vernichtet die Ziege Nacht.)
' Afan. m, 15. — Sie schickt dieselben auf die Weide; ein junger
Grobschmied, der in ihrer Gewalt ist, schlägt folgenden Weg ein, sich zu
befreien: Er zieht seinen Pelz verkehrt an, stellt sich wie ein Schaf und
lässt sich mit den andern Schafen austreiben, um so der Hexe zu ent-
wischen: Die junge Sonne tritt am Morgen heraus, wie ein Schäfer- Held
unter den Schafen. So befreit sich Odysseus aus der Höhle des Polyphem
mit seinen Genossen, indem er sich unter der Herde verbirgt, die aus der-
selbeu herauskommt.
319
eben (in die Finsterniss oder Wolke der Nacht). Natülircb; da
das dunkle und wolkige Ungeheuer oft als ein Wolf dargestellt
wird; so ist leicht zu verstehen, dass es wünscht; Alles möge in
ein Lamm oder Zicklein verwandelt werden; um dasselbe ver-
zehren zu können. Doch das mythische Lamm oder Zicklein; der
junge Sonnenheld; entrinnt gewöhnlich den Klauen des WolfeS;
den Händen der Hexe oder der Dunkelheit; den WasserU; öder
der Wolke Nacht
Ein vedischer Hymnus preist den starken Püshau; der einen
Ziegenbock zum Pferde hat (oder der ein Ziegen-Pferd ist) und
der Liebhaber seiner Schwester heisst. Vielleicht enthalten diese
Worte den Keim des russischen Mährchens von Klein HanS; dem
Bruder von Klein Helene; der durch Zauberkünste in ein Zick-
lein verwandelt wird. Ich bemerkte schon in Kapitel I; wie He-
lene, welche am Anfang der Erzählung Zuneigung Air ihren Bru-
der Hans zeigt; ihn am Ende verräth. Der vedische Hymnus
scheint die Vorstellung zu enthalten; dass der Bruder Päshan des-
halb in einen Ziegenbock verwandelt worden ist (die SonnC;
welche in die Wolke oder Dunkelheit der Nacht eingeht), weil er
seine Schwester geliebt hat In einem andern vedischen Hym-
nus haben wir die Schwester Yam!; welche ihren Bruder Yama
verführt In europäischen Feenmährchen liebt die Schwester
ihren Bruder, welcher durch die Zauberkunst einer Hexe bald in
ein Ferkel bald in ein Böckchen verwandelt wird. Bei Afa-
nassieff IV; 45 wird Ivanushka ein Zicklein, nachdem er aus
einem Ziegenhuf getrunken. Bei Af anassieff IL 29 wandern
Ivanushka und Klein Helene, die Kinder eines Tzaren, allein durch
die Welt Ivanushka will trinken, wo Kühe, Pferde, Schafe und
Schweine fressen und trinken ; seine Schwester Helene räth ihm,
es nicht zu thun, wenn er nicht in ein Kalb, ein Füllen, ein Lamm
oder ein Ferkelchen verwandelt werden wolle; doch schliesslich
wird Hans vom Durst überwältigt, er trinkt gegen den Rath seiner
Schwester da, wo Ziegen trinken und wird ein Zicklein. Ein
junger Tzar heirathet die Schwester und erweist dem Böckchen
jegliche Ehre; doch eine Hexe wirft die junge Königin in das
Meer (Phrixos und Helle; in andern europäischen Mährchen in
einen Brunnen) und bemächtigt sich ihres Platzes, indem sie das
Volk glauben macht, dass sie Helene sei, das Zicklein aber be-
fiehlt sie zu tödten. Dieses rennt an das Ufer und ruft seine
Schwester um Hilfe; welche aus der Tiefe des Meeres antwortet^
sie könne nichts thun. Der junge Tzar, welchem die ganze Ge-
320
schichte gemeldet wird^ eilt, Helene aus dem Meere zu befreien;
das Böckchen kann wieder frei heromspringen und Alles ist wie-
der grün und blüht, wie es yorher welkte; die Hexe aber wird
lebendig verbrannt. ^
In dem fünfzigsten Mährchen des sechsten Baches bei Afa-
nassieff hat ein Kaufmann drei Töchter. Er baut ein neues
Haus; seine drei Töchter müssen der Reihe nach eine Kacht
darin zubringen und ihm erzählen; wovon sie geträumt haben.
(Der Glaube, dass der Mann, von welchem ein Mädchen während
der Nacht des Johannistages, des Weihnachtstages oder des Epi-
phaniastages träumt, bestimmt ist, sie zu heirathen, lebt noch
unter dem Volke in manchen Theilen Europas.) Der ältesten
Tochter träumt, sie heirathe einen Eaufmannssohn; der zweiten
träumt von einem Edelmann und der dritten von einem Bock.
Der Vater verbietet der jüngsten Tochter, je aus dem Hause zu
gehen; sie ist ungehorsam; ein Bock erscheint und trägt sie auf
seinen Hörnern davon an einen felsigen Ort. Speichel und
Schleim laufen dem Bock aus Mund und Nüstern; das gute Mäd-
chen empfindet keinen Ekel, sondern wischt geduldig dem Bock
den Mund ab. Das gefällt dem Thier, welches ihr sagt, wenn
sie Abscheu gegen ihn verrathen hätte, so würde sie dasselbe
Schicksal wie seine früheren Weiber gehabt haben, deren Köpfe
auf einen Pfahl gesteckt wären. Die Gänse bringen dem Mäd-
chen Nachricht von Vater und Schwestern; sie erzählen ihr, dass
die Hochzeit der ältesten Schwester nahe bevorstehe; sie möchte
gern bei dem Feste zugegen sein und erhält von dem Bock die
Erlaubniss zu gehen; ausserdem stellt ihr derselbe drei raben-
schwarze Rosse zur Verfügung, welche in drei Sprüngen am Be-
stimmungsorte anlangen (die drei Schritte Vishnus), während er
selbst auf einem fliegenden Teppich sitzt und sich für das Hoch-
zeitsfest in einen schönen jungen Fremdling verwandelt. Das-
selbe geschieht bei der Hochzeit der zweiten Schwester, bei wel-
cher die dritte Schwester erräth, dass dieser schöne Jüngling ihr
eigener Gemahl ist. Sie eilt vor Scbluss des Festes nach Hause,
findet das Bocksfell und verbrennt es ; darauf behält ihr Gemahl
für immer die Gestalt eines schönen Jünglings, da der Zauber
gelöst ist.'
' Vgl. die eilfte der Novelline di San Stefano di Calcinaia,
wo wir das Lamm statt des Böckchens haben.
' Eine sehr interessante Variation hievon ist in einem noch nicht ver-
i
321
Das Lamm^ der Bock und das Schaf sind Lieblingsgestalten
der Hexe. In dem europäischen Mährchen macht die Hexe den
Prinzen glauben, dass die schöne Prinzessin, seine junge Gemahlin,
während seiner Abwesenheit nicht wirkliche Söhne, sondern Pup-
pen zur Welt gebracht hat. In dem siebenten Mährchen des
dritten Buches bei Ä fan as sie ff schenkt die junge Königin
während der Abwesenheit des Königs zwei Söhnen das Leben,
deren einer den Mond auf seiner Stirn, deren zweiter im Genick
einen Stern hat (die Agvins). Die böse Schwester der jungen
Königin vergräbt die Kinder. Da, wo sie liegen, spriesst ein
goldener und ein silberner Spross hervor. Ein Schaf nährt sich
öffentlichten Mährchen enthalten, das ich von einer gewissen Marianna
Nesti aus Fucecchio im Toscanischen hörte:
Eb war einmal eine Königin, die hatte einen Sohn, weicher im Alter
von sieben Jahren behext wurde, so dass er beständig im Bett liegen
musste, als ob er des Lebens beraubt wäre. Nur um Mittemacht ging er
aus dem Haus, um um ein Uhr, bedeckt mit Blut,, zurückzukehren und sich
wie todt iD*s Bett zu werfen. Eine Frau hatte regelmässig zu wachen, um
ihm um Mitternacht und um ein Uhr die Thür zu öffnen; doch keine
hatte vor Entsetsen länger als eine Nacht im Dienst aushalten können.
Id der Nähe der Stadt lebte eine alte Frau mit drei Töchtern; die beiden
ältesten versuchten, den vorgeschriebenen Dienst zu thun, wurden jedoch
von der Furcht überwältigt; die jüngste war muthiger und harrte aus. In
der ersten Nacht um zwölf Uhr erhebt der Todte einen Arm; sie eilt und
erhebt ihm den andern: er versucht aufzustehen; sie hilft ihm, aus dem
Bett zu kommen. Um ein Uhr kehrt er blutbedeckt zurück und die Jung-
frau fragt, wer ihn in solche Lage versetzt habe; er antwortet nichts,
sondern sinkt wie eine Leiche aufs Bett. Die zweite Nacht folgt sie ihm
und sieht ihn in eine unterirdische Höhle eintreten; er gelangt an den
Fuss einer Treppenflucht, wirft seinen Mantel ab und bleibt so nackt, wie
er geboren war, ein schöner Jüngling von achtzehn Jahren. Auf der
Spitze der Treppe rufen zwei grosse Hexen: „Hier ist erl Komm, Lieb-
chen!*' Er steigt hinauf und wird von den Hexen eine Stunde lang ge-
schlagen, bb Blut fliesst, indem er die ganze Zeit Gnadenrufe ausstösst.
Um ein Uhr lassen sie ihn gehen; er steigt die Treppe hinab, nimmt
seinen Mantel und kommt todt nach Hause. Die dritte Nacht folgt ihm
die Dienerin wieder, nimmt den von ihm an der untersten Treppenstufe
abgelegten Mantel und presst ihn eng zusammen; die Hexen kreischen.
Der Jüngling kommt oben an; doch als die Hexen versuchen ihn zu
schlagen, können bie den Stock nicht erheben. Das Mädchen bemerkt
das, drückt den Mantel nur noch fester zusammen und beisst ihn; die
Hexen fühlen sich selbst gebissen; darauf läuft das Mädchen in den Pa-
last, lässt ein grosses Feuer anmachen und wirft den Mantel hinein; als
er verbrannt ist, sterben die beiden Hexen, ihre Bezauberung ist vernichtet
und der Prinz heiratbct seine Befreierin.
Gnhcmntls. die Thlero. 21
322
Ton diesen Pflanzen und wirft zwei Lämmer, die wieder, das
eine anf der Stirn den Mond, das andere im Nacken einen Stern
haben. Die böse Schwester, welche unterdess den König ge-
heirathet hat, befiehlt sie in Stücke zu reissen und ihre Einge-
weide auf die Strasse zu werfen. Die rechtmässige, gütige Kö-
nigin aber lässt sie kochen , isst sie und schenkt von Neuem
ihren zwei Söhnen das Leben, welche kühn und stark aufwachsen
und welche, vom König gefragt, ihm die Geschichte ihres Ursprungs
erzählen; ihre Mutter wird wieder anerkannt, und des Königs
Gemahlin, die böse Schwester, wird vom Leben zum Tode
gebracht *
Die Hexe ist bisweilen selbst (als eine Wolf- Wolke oder Wolf-
Dunkelheit) eine Verschlingerin von jungen, glänzenden Zicklein
oder Lämmern, wie der Schmierbock in dem norwegischen
Mährchen. Die Hexe trägt Schmierbock drei Mal in einem Sack
davon; das erste und zweite Mal entrinnt Schmierbock, indem er
ein Loch in den Sack macht; doch das dritte Mal bringt ihn die
Hexe glücklich in ifir Haus, wo sie sich daran macht, ihn zu
verspeisen. Der schlaue Schmierbock schmuggelt jedoch der Hexe
eigene Tochter an seine Stelle und klettert in den Kamin, wo er
sich verbirgt (eine Variation des Ofens, des Ortes, an dem sich
gewöhnlich der junge russische Held verbirgt, ebenso wie sich
auch in dem toscanisclien Mährchen der närrische Pimpi im Ofen
versteckt). Von diesem sicheren Plätzchen aus verlacht er die
Hexe, die alle Anstrengungen macht, ihn wiederzufangen ; er wirft
einen Stein den Kamin hinunter und tödtet sie, worauf er hinab-
steigt, ihre Schatzhäuser ausplündert und all ihr Gold davonträgt.
Hier heisst der junge Held ein Bock; in dem Kapitel über den
Wolf werden wir finden, dass die Hexe des norwegischen Mähr-
ebens wirklich den Namen Wolf führt. Diese beiden Daten ver-
vollständigen den Mythus; der Wolf, welcher den kleinen Helden
verschlingen will, und die Hexe, welche das kleine Lamm zu ver-
zehren beabsichtigt, werden ergänzt durch die Fabel, welche den
Wolf darstellt, wie er am Flüsschen das Lamm verzehrt; es be-
deutet das im mythischen Himmel das wolkige und düstere Un-
geheuer, das die Sonne verschlingt.
' In dem achten Mährchen des ersten Buches des Pentamerone
wird die undankbare junge Frau, RenzoUa, von ihrer eigenen Sefautsfee
dazu verurtheilt, das Gesicht einer gehörnten Ziege zu haben, bis sie Reue
zeigt.
323
Wir sahen oben die Hexe, welche die Stimme der Matter des
kleinen Helden nachahmt^ um ihn verzehren zu können, und den
Wolf, welcher die Stimme der Ziege copirt und die Zicklein auf-
Msst; doch der Wolf thut mehr als dass er bloss die Stimme der
Ziege annimmt; er nimmt bisweilen auch ihre Gestalt an.
ImRämäyana* ist Agamukhi, die Ziegengesichtige, der
Name einer Hexe, welche Sita in Stücke gerissen.zu sehen wünscht.
In der Sage von Ilvala und Vätäpi,^ den beiden Zauberbrüdem,
welche sich verschwören, den Brahmanen Schaden zuzufügen,
verwandelt sich Vätäpi in einen Hammel und lässt sich bei den
Leichenceremonien von den Brahmanen opfern. Diese, nichts
ahnend; essen sein Fleisch; da ruft Ilvala seinem Bruder zu:
„Komm heraus, Vätäpi !" und sein Bruder Vätäpi kommt aus den
Leibern der Brahmanen heraus, sie zerfleischend, bis der Bishi
Agastya allein den ganzen Vätäpi verzehrt und Ilvala zu Asche
verbrennt. Das Bämäyana erklärt uns selbst, warum bei diesen
Opfern von einem Hammel, und nicht von einem Widder die Rede
ist,^ als die Geschichte von Ahalyä erzählt wird. Es heisst dort,
dass der Gott Indra eines Tages durch den Fluch des rishi Gau-
tama, mit dessen Weibe Ahalyä er Ehebruch getrieben hatte, ver-
dammt war, seine Testikeln zu verlieren. Die Götter, zum Mit-
leid bewogen, nahmen die Testikeln eines Widders und gaben
sie Indra, der deshalb Meshäpda genannt wurde ; auf Grund des-
sen, sagt das Rämäyana, nähren sich die Pitars bei den Leichen-
opfem von Hammeln und nicht von Widdern. Diese Sage ist offen-
bar brahmanischen Ursprungs. Den^ Brahmanen lag daran, den Gott
der Krieger, Indra, inMisscredit zu bringen; da sie ihn in den Veden
mesha, Widder, genannt fanden, so erdachten sie die Geschichte
von den Testikeln des Widders, ebenso wie sie die Benennung
Indras als Sahasräksha (d. h. der mit tausend Augen) boshafter
Weise mit derselben Scandalgeschichte von der Verführung Aha-
lyäs in Verbindung brachten, und das Epitheton omans zu einem
höchst anrüchigen, den mit tausend Bäuchen, herabstimmten,
wahrscheinlich mit einer Verwechslung, welche aus dem Gleich-
klang zwischen den Worten sahasradhära, der Sonne (als
tausend Sterne, tausend Strahlen habend), oder sahasrängu,
und sahasradära, das eine ganz andere Bedeutung hat, entstand.
• V, 25.
« III, 16.
» I, 50. Vll, 38.
21*
324
In dem wichtigen 116. Hymnus dee ersten Buches des Rig-
veda isst Rigrägva (d. h. das rothe Pferd oder der Held des
rothen Pferdes) hundert Hammel, die der Wölfin gehören (im
folgenden Hymnus hundert und einen); sein Vater blendet ihn
deswegen; doch die beiden wunderbaren Aerzte, die Ajvins,
geben ihm seine beiden Augen wieder. ^ Offenbar ist hier der
Vater des Sonnenhelden das düstere Ungeheuer der Nacht selbst;
die Sonne wird am Abend die Veröchlingerin der Hammel^ welche
aus der Wölfin herauskommen oder welche der Wölfin gehören;
aus diesem Grunde wird sie, als der Abend naht, von dem Wolf-
ungeheuer geblendet. Das rothe Pferd Ri^rä^va oder der Held
des rothen Pferdes, welcher die Hammel der Wölfin isst; gewährt
weiteren Aufschluss über den Sühnbock, welcher im Rigveda
selbst statt des Pferdes geopfert wird. Es wird uns in einem
Hymnus berichtet, dass beim Opfern des Pferdes der allgestaltige
Bock (ago vigvarüpah) dem Pferde voranging;^ und das Aita-
reya Brahma 9 a spricht, woes diesen Tausch von Thieren
erörtert, ebenfalls von dem Bock als dem letzten zum Opfer be-
stimmten Thier. Auch in den russischen Mährchen hat der Bock
die Kosten der von dem Menschen verübten Dummheiten oder
Schurkenstreiche zu tragen und wird geopfert. ' Dieser geopferte
Ziegenbock scheint identisch zu sein mit dem Esel, welcher in
der berühmten Lafontaineschen Fabel die Strafe für alle Thiere
leidet (aus dem Esel wird in den Händen des russischen Fabel-
* ^atam mesh&u vrikye dakshadänam ri^ä9vam tarn pitändham dakftra
tasma akebi uäsatjä vidaksha ädhattam dasra bhisha^äv anarvan; Rigv.
1, 116, 16. — Vgl, 117, 18. — Hr. Bergaigne bemerkt in seiner Anzeige
meines Werkes in der Revue critique (1873 Nr. 14) xu der obigen Ueber-
setzung dieser Steile: „L*explication du datif vrikye duns ce passage
semble impossible dans la traduction...; le sens est, comme Tindique le
dictionnaire de P^tersbourg : ,qui a lud pour la louve . . .* ou ,qai a oftert en
nourriture a la louve'.*^ Wenn ich meine Uebersetzung aufgeben müsste,
so würde ich die zweite der von Hm. Bergaigne vorgeschlagenen vorziehen.
In diesem FaUe würde Rigrä^va von seinem Vater getödtct, vne Sohrab
von seinem Vater Rustem getödtet wird, wegen seiner Beziehungen su den
Dämonen.
> Esha dhägah puro a^vena vfi^nä; Higv. I, 162, 3.
' Vgl. A fan. V. 7, wo der Schurke die Ziege für seine Schwester
ausgiebt und sie tödten lässt, um dem Mörder durch Drohung der An-
klage eine hohe Entschädigungssumme abzuzwingen, und V, 52, wo einem
Ziegenbock der Kopf abgehauen wird, um die Ermordung eines Küsters
durch den dummen dritten Bruder zu verheimlichen. — Vgl. Erlcnwoin 17.
325
dichters Eriloff; der denselben als ein in Rassland fast ganz un-
bekanntes Thier nicht einflihren konnte, ein Stier); wir wissen
bereits, dass der Esel die Sonne in der Wolke oder die Sonne
in der Dunkelheit darstellt, und wir sagten aueh, dass in der
Sage der Esel und der Narr zusammen sterben. Die Ziege stirbt
in dem russischen Mährchen, um den Narren zu befreien, welcher
nach ihrem Tode nicht länger ein Narr ist, da seine Narrheit mit
ihr gestorben. ^ Das Volksmährchen bietet uns noch einen andern
Beweis für die Identität des mythischen Esels und der mythischen
Ziege. Wir sahen auch oben, bei dem norwegischen Mährchen,
wie die Hexe einen Schatz besitzt, welcher von dem Schmierbock
entführt wird, der sie tödtet; der Zauberer oder der Teufel ist
immer reich. Der Esel, den der Teufel dem Kleinen Hans giebt,
lässt Gold fallen: der Esel personificirt den Teufel. Doch hat
der Teufel, wie wir bemerkten, eine Vorliebe, sich in einem Wid-
der, einem Lamm, oder einem Bock zu verkörpern. Ich erinnere
mich noch aus meiner Knabenzeit der Puppen, welche jeden Tag
in dem kleinen Holztheater auf der Piazza Castello in Turin
Volksvorstellungen improvisirten ; das schliessliche Schicksal der
Persönlichkeit, welche den Tyrannen darstellte, war gewöhnlich,
unter den Schlägen Harlekins zu sterben oder von dem Teufel
in Gestalt eines blökenden Lammes in die Hölle geschleppt zu
werden, welches Lamm ausdrücklich deshalb auf die Bühne kam,
um ihn mit fortzuschleppen; wie schlugen bei seinem Ver-
schwinden die Herzen der Zuschauer, denen der Puppenspiel-
direktor einen lehrreichen Sermon hielt ! ^ In dem einundzwanzig-
' Die Ziege wird auch im achten der von Laura Gonzenbach gesam-
melten sicilianischen Mährchen geopfert, am die Tugendhaftigkeit eines treuen
Bauern su bezeugen. Das Weib eines Ministers, der auf den Bauer Veritk
(Wahrheit) eifersüchtig ist, welcher eine Ziege, ein Lamm, einen Widder
und einen Hammel des Königs zu bewachen hat, beredet diesen zu dem
Glauben, dass ihr Leben verwirkt ist und nur durch das Opfer des Ham-
mels erkauft werden kann. Der Bauer giebt halb aus Liebe, halb aus
Mitleid nach und willigt in das Opfer. Der Minister hofft, dass der Bauer
seinen Fehltritt verbergen werde, wird jedoch in seiner Erwartung getäuscht,
da derselbe im Gegentheil ein freimüthiges Bekenntniss ablegt, und infolge
desseft dem König nur noch lieber wird.
* Der Teufel bietet seine bösen Dienste auch an im Bdlier de
Bochefort, bei Bonnafoux, Legendes et Croyances Supersti-
tieuses Conserv^es dans le d^partement de la Creuse, Gueret
1867, p. 17. — In einer Badenschen Sage, mitgetheilt von Simrod^ (oben-
genanntes Werk p. 260; vgl. auch ebenda p. 501), erscheint der Teufel mit
Bocksfüssen.
326
sten der von mir veröffentlichten toscanischen Mährchen giebt
nicht der Teufel, sondern der kleine Alte, Gesö, dem dritten
Bruder statt des gewöhnlichen Esels ein faulendes Schaf, das
jedoch die Eigenschaft hat, Louisdors fallen zu lassen. Dieses
faulende oder feuchte oder dumpfige Schaf stellt noch besser die
feuchte, neblige Nacht und den feuchten Winter dar.
In dem Volksmährchen macht sich die Ziege, als sie im
Walde ist, ein besonderes Vergnügen daraus, die Augen der
Leute mit ihren Hörnern zu verwunden; davon ist wahrschein-
lich der Name des Reptils a^akäva abzuleiten, mit welchem im
Rigveda * beschworen wird als durdrigika oder dem Augenlicht
schadend, und ebenso der Name a^akä, den eine Augenkrankheit
bei dem indischen Arzte Sugruta führt. Wir dürfen jedoch nicht
den Zusammenhang zwischen der Vorstellung einer Haut und der
einer Ziege vergessen, so dass die agakä einfach das dünne
Häutchen bezeichnen kann, welches bisweilen die Pupille über-
zieht und Blindheit zur Folge hat. Dieses Häutchen hat sich
auch auf das Auge des Sonnenhelden gelegt und blendet ihn.
Wir werden in dem Kapitel über die Kröte, welche in den My-
then sehr oft die Wolke und die feuchte Nacht darstellt, sehen,
dass die Kröte* die Blindheit nur durch das Gift verursacht,
welches sie der Sage nach ausschwitzt, gleich dem Reptil
agakäva.
Doch wie der Held in der Hölle Alles erfährt und sieht, so
hat die Ziege, welche Andere der Sehkraft beraubt, selbst die
Eigenthümlichkeit , Alles zu sehen; das ist der Fall, weil die
Ziege als die in der Wolke oder der finsteren Nacht eingeschlos-
sene Sonne, die Geheimnisse der Hölle sieht, und auch weil sie,
als der gehörnte Mond oder der Sternenhimmel, der Spion des
Himmels ist. Wir beobachteten schon im ersten Kapitel, wie das
wunderbare Mädchen von sieben Jahren, um das Räthsel, das
der Tzar aufgegeben, zu lösen, auf einem Hasen kommt, welcher
in der Mythologie den Mond darstellt. In einer Variation dieses
Mährchens bei Afanassieff^ kommt der königliche Knabe
' VII, 50, 1. — In den Classical Dictionary of Natural
History of Andouin, Bourdon etc. (erste italienische Uebersetzung,
Venedig, Tasso 1881) lesen wir: „Goat« species of ophidian reptiles, indi-
genous in Congo, and aisa in Bengal; as yet unclassified by zoologists,
and which, it is said, throw from afar a kind of saliva causing blindness,"
' Vgl. die lacerta comuta des Pentamerone.
• VI, 42
327
statt auf einem Hasen, auf einem Bock, und wird von seinem
Vatet wiedererkannt ; der Bock scheint hier, in seiner Eigenschaft
als Boss des verlorenen Helden, den Mond darzustellen, wie es
der Hase thut.
Wir sprachen schon von Indra sahasräksha, d. h. dem tausend-
äugigen; indische Maler stelleji ihn mit diesen tausend Augen
dar, d. b. als einen azurblauen, mit Sternen besäten Himmel.
Indra als die nächtliche Sonne verbirgt sich, verwandelt, in dem
Sternenhimmel ; die Sterne sind seine Augen. Der hundertäugige
oder ansehende (TtavÖTVirjg) Argus, der als Wächter über die Kühe
des Zeus gesetzt ist, ist das griechische Aequivalent dieser Ge-
stalt Indras. In Kapitel I sahen wir auch in dem russischen
Feenmährchen die Tochter der Hexe, welche drei Augen hat und
mit ihrem dritten Auge die Kuh ausspionirt, welche dem guten
Mädchen hilft. In dem zweiten Mährchen des sechsten Buches
bei Afanassieff sieht der Bauer, als er an der Erbsenpflanze
in den Himmel geklettert ist und in ein Zimmer kommt, in wel-
chem Gänse, Schweine und Pasteten gekocht werden, einen
Ziegenbock als Wächter; er entdeckt an demselben nur sechs
Augen, da der Bock das siebente Auge auf dem Rücken hat;
der Bauer bringt die sechs Augen zum Schlafen; doch der Bock
sieht mit dem siebenten, dass der Bauer isst und trinkt, so viel
er kann, und setzt den Herrn davon in Kenntniss. In einer an-
dern Variation des Mährchens bei Afanassieff/ findet der
alte Mann im Himmel ein kleines Haus, welches abwechselnd von
zwölf Ziegen bewacht wird, von denen eine ein Auge, eine
andere zwei, die dritte drei Augen hat, und so fort bis zu zwölf.
Der Alte sagt zu einer nach der andern : „Ein Auge, zwei Augen,
drei Augen u. s. w., schlaft V^ Am zwölften Tage versieht er sich
und sagt statt „zwölf Augen*' ;;eilf'' ; die Ziege mit zwölf Augen
sieht und verräth ihn.
Dieses spähende Ziegenauge hängt vielleicht zusammen mit
dem Sternbild der Ziege und der beiden Böckchen. Columella
schreibt, dass die Böckchen im Himmel erscheinen gegen Ende
des September, wenn der West-, zuweilen der Südwind weht und
Regen bringt. Nach Servius ist die Ziege, die sich mit den
beiden Zicklein in dem -Sternbild des Wassermanns befindet, die-
selbe Ziege, welche die Amme des Zeus war; er sagt, dass sie
im October mit dem Zeichen des Skorpion erscheint. Ovid in der
" IV, 7.
328
Ars amandi und dem ersten Bnche der Tristia, wie Virgil
im neunten Bueh der Aeneis^ feiern ebenfalls die Ziege und
die Zicklein des Himmels als Begenbringer. Horaz nennt in der
siebenten Ode des dritten Buches das Ziegengestirn sinnlos, rasend:
„nie Dothis actus ad Oricum
PoBt insana caprae sidera, frigidas
Noctes non sine multis
InsomniB lachrymis agit.^
Wir sahen schon Indra als einen Widder oder als eine Begen-
wolke; und der Bock mit nur einem Fuss (ekapäd a^ah), oder
der, welcher nur einen Bocksfuss hat, der den Himmel stützt,
der blitzt und donnert,' ist eine Erscheinungsform desselben
Begengottes Indra, welcher den Himmel in der regnerischen
Jahreszeit trägt. Wir sahen die Agvins mit zwei Ziegen, zwei
Hörnern verglichen; jeder also hatte, so scheint es, nur ein Horn,
nur einen Ziegenfnss (daraus lässt sich vielleicht das ekapäd
a^ahi erklären); daher einerseits das FttUhom, andererseits die
lahme Ziege. * Die Nymphe Galathea (die milchige), die einen
Faun (oder einen Bocksflissigep) liebt, scheint eine griechische
Gestaltung des Liebesverhältnisses Esmeraldas und der Ziege mit
Quasimodo zu sein. Die Ziege liebt den^ welcher Bocksfüsse hat;
der Sonnenheld (resp. Heldin) in der Kacht hat Bocksfüsse; er
ist ein Satyr^ ein Faun, ein Bock, ein Esel; er ist missgestalt
^ DiÜer opus, tone triBtis hiems, tunc pleiades instant
Tunc et in aequorea mergitur haedus aqua.
Saepe ego nimbosis dubius jactabar ab haedis.
Nascitur Oleneae Signum plnviale capellae.
Ovid.
Quantus ab occasu veniens pluvialibus haedis
Verberat imber humnm.
Virgil.
* Pävjravi tanyatur ekapäd a^o divo dhartft; Bigv. X, 65, 13. — Vgl.
den aga ekapäd, welcher nach Ahirbudhnya und vor Trita angerufen wird,
RigY. n, 31, 6, und a^äikapäd als Namen Vishnus im Harivan^a; der
Leser erinnert sich auch der ziegenfüss igen Geschlechter Herodots.
' Wir finden die lahme Ziege resp. Ziegenbock auch in der Sage von
Thor. Der Qott tödtet seine Böcke, zieht ihnen die Felle ab und nimmt
ihre Eoiochen, um sie nach Belieben wieder lebendig machen zu können.
Thialfi, der Sohn des Bauern, bei dem er wohnt, stiehlt den Lenden-
knochen eines der Böcke, um ihn zu verkaufen ; daher ist einer der Böcke
Thors später lahm. — Vgl. zu analogen Sagen die Notizen bei Simrock,
a. a. 0. p. 260.
329
und dumm, doch er intereseirt die gute Fee^ welche in Gestalt
einer Ziege (als der Mond nnd die Milchstrasse) ihn in der Nacht
leitet und, wie die Dämmemng (die weisse Aurora) am Morgen,
ihn rettet nnd glücklich macht. In der deutschen Sage wird der
armen Prinzessin, welche mit ihrem Sohne im Walde verfolgt
wird, bald von einer Ziege, bald von einer Hirschkuh beigestanden,
welche dem Kinde Milch giebt; durch dieses Thier, welches als
Führer dient, findet der Prinz seine verlorene Braut wieder. Diese
wegzeigende Ziege oder Hirschkuh, die Amme des Heldenkindes,
welche Servius in dem Sternbild der Ziege wiedererkannte (mit
Beziehung auf Zeus, der wesentlich regnerisch isl^ wie der vedische
Indra selbst die Wolken zu Ammen hatte), muss gemeiniglich
den Mond dargestellt haben. Doch gerade die Milchstrasse des
Himmels (die Seelenbrücke) ist die Milch, die aus der Ziege des
Himmels fliesst; der weisse Morgenhimmel ist ebenfalls die Milch
dieser selben Ziege. Der gehörnte Mond, * die Milchstrasse und
die weisse Dämmerung werden in Gestalt einer wohlthätigen
Ziege dargestellt, welche dem Helden und der Heldin im Walde,
in der Dunkelheit beisteht; während dagegen die in der Wolke,
der Dunkelheit oder dem nächtlichen Sternenhimmel eingeschlos-
sene Sonne (mit den insana caprae sidera) bald ein guter und
weiser Ziegenbock oder Widder ist, voll guten Rathes, gleich
dem Widder, welcher im Tuti-Name ' dem Kaiser von Indien mit
seinem Rath zur Seite steht; bald ein bösartiges Ungeheuer, ein
dämonisches Wesen. Sofern die Ziege Licht und Milch spendet,
ist sie göttlich ; sofern sie die Schönheit des jungen Helden resp.
Heldin verdeckt und ihnen feindlich gegenübersteht, kann sie als
dämonisch betrachtet werden.
Der Zusammenhang zwischen der Ziege und der Milchstrasse
lässt sich auch aus dem Namen St. Jacobs Strasse beweisen, den
das gemeine Volk der galaxia oder galathea oder Milchstrasse
giebt; * und es ist interessant, dass es, wie Baron Reinsberg* be-
richtet, in mehren Gegenden Böhmens Sitte ist, am Jacobstage
einen Ziegenbock aus dem Fenster zu werfen und sein Blut
aufzubewahren, weil dasselbe ein wirksamer Schutz gegen ver-
' In einem russischen Liede heiset es: „Mond ! Mond! goldene Hörner !"
MI p. 636 flF.
' Vgl. Du Gange, s. v. galaxia: „Lacteus circulus, qui vulgo dicitur
Via S. Jacobi."
* Das festliche Jahr, 2te Ausg. p. 216.
330
schiedene Rrs^nkheiteD^ z. 6. BlntspnckeO; sein soli. In den Le-
zioni di Materia Medica von Professor Targioni-Tozzetti *
lesen wir femer, dass das Blut des Ziegenbocks unter keinem
geringeren Namen als m a n u s I>e i bekannt war und für beson-
ders wirksam gegen Ettckenquetsebungen^ Seitenstechen und den
Stein gebalten wurde. Allerdings glaubte man, die Steinkrankbeit
sei beilbar durch den Stein c a p r a (Ziege) , . der sich der Sage
nach im Leibe einiger indischer Ziegen fand. Targioni-Tozzetti
beschreibt selbst die Ziegensteine ganz ernsthaft folgendermassen :
,,Diese Steine sind auf ihrer Oberfläche gewöhnlich dunkelglänzend;
wenn man sie mit den Händen reibt und erhitzt; so riechen sie
nach Moschus. Diesem Stein (dem Bezoar-Stein ') schrieb man
analeptische und alexipharmische Kräfte zU; welche im Stande
wären, die Wirkungen des Giftes zu paralysiren und vor an-
steckenden Krankheiten zu schützen, die Pest nicht ausgenommen^
ferner den Patienten zu retten, indem sie eine kräftige und heil-
same Transpiration verursachten. Deshalb wurden diese Steine
theuer verkauft. Dieselben Kräfte werden denen, die sieb im
Westen finden, zugeschrieben, doch in viel geringerem Grade.*'
Wenn sich die himmlische Ziege in Regen oder Thau auf-
löst, wenn Feuchtigkeit aus der Ziegen-Wolke, der Berg-
Wolke, der Stein- Wolke kommt, so sind diese Feuchtigkeiten
heilbringend. Wenn St Jacob, der mit der Ziege und dem Regen
verbunden ist, seinen Stiefel ausschüttet, wie die Leute im Pie-
montesischen sagen, so wird der Nebel, welcher an solchen Tagen
fällt, von den Bauern als ein wahrer Segen betrachtet, was er
auch wirklich für das Land und speciell für die Weinberge ist.
In einer Fabel des B a b r i u s droht der Weinstock, dessen Blät-
ter von der Ziege abgefressen werden, derselben damit^ dass er
trotzdem Wein geben werde und dass, wenn der Wein bereitet
sei (d. h. bei den Dionysischen Mysterien) die Ziege den Göttern
geopfert werden werde. Andrerseits war es im Mittelalter Brauch,
im Frühling oder am Ostertage das Agnus Dei in effigie zu
opfern : „Mos erat, ut ex cereo Paschali, qui Sabbato Sancto con-
ceptis precibus sacratus fuerat, particulae decerperentur , ac po-
pulo die Dominica post Albas post sacram Communionem distri-
buerentur, unde suffitum in aedibus suis facerent, vel agros vi-
" Florenz, Piatti 1821.
' Ueber diesen Stein ygl. ein ganzes Kapitel bei Aldrovandi, de
Quadrupedibus I.
331
neasque mtmirent adversns daemonum praestigias aut contra
fnlgura ac tonitma/' ^ Am Hexeosabbat, hiess es in Deutschland;
verbrennen die Hexen einen Bock und theilen sich in seine
Asche. *
Die schlane Ziege ist eine Zwiscbenform zwischen der guten
weisen Fee und der Hexe, die in jeder Art Bosheit zu Hause ist
Ebenso wie der Held, zuerst dumm, vom Teufel Arglist lernt, um
sie nachher gegen den Teufel selbst anzuwenden, lässt sich voraus-
setzen, dass der Held, in seiner Ziegengestalt, von den Unge-
heuern all jene Schlauheit gelernt hat, durch die er sich nachher
auszeichnet. Der vedische Widder, Indra, bedient sich ebenfalls
der Zauberei gegen die Zaubererungeheuer.
Im zweiten ehstnischen Mährchen lesen wir, dass der
Schlangenkönig Goldschttsselchen mit Himmelsziegenmilch hat;
gelingt es Jemandem, ein Stückchen Brod in diese Milch zu
tunken und den eingetunkten Bissen in den Mund zu stecken, so
kann er alles Geheime schauen, was unter der Decke der Nacht
geschieht, ohne dass die Menschen Kunde davon haben.
In dem mittelalterlichen französischen Gedicht von Ysen-
gri umtauscht die Ziege den Wolf in ähnlicher Weise, wie der
Bauer im ersten der AfanassiefiTschen Mährchen den Bären, und
wie in italienischen Mährchen derselbe Bauer den Teufel betrügt.
Die Ziege zeigt eine fuchsartige Schlauheit, indem sie die Halme
des Getreides för sich behält, dem Wolfe aber die Wurzel lässt
Daher in meinen Augen der Ursprung der piemontesischen sprich-
wörtlichen Bedensart : „La crava a Vk mangiä la föja^^ (die Ziege
ass das Blatt), und sogar das einfache „Mangä la föja'^ (das Blatt
* Vgl. Du Gange, s. y. Agnus Dei, wo wir auch die Verse finden,
mit denen Urban V. die Schenkung eines Agnus Dei an Johannes Palaeo-
logUB begleitete. — Im Oktober feiern die Thüringer das Wettrennen nach
dem Widder, welcher, wenn er eingeholt ist, auf einen grossen Stein ge-
legt und geschlachtet wird. Ueber das Laufen nach dem Widder vgl.
auch Villemarqu^, Chants populaires de la Bretagne. — In einem
Volksliede, in welchem England in Engelland verwandelt ist, erscheint
Maria, die Amme Gottes, mit dem weissen Lamme:
„Die Himmelsthüre wird aufgehen;
Maria Gottes Amme
Kommt mit dem weissen Lamme/*
' Menzel, Die yorchristliche Unsterblichkeitslebre.
* Prof. Em. Teza hat eine mittelalterliche italienische Version dieses
Gedichtes mit Anmerkungen herausgegeben.
332
essen), in der Bedeutung: schlau sein. ^ Ich hörte von einem
gewissen Uliva Seivi zu Antignano (bei Livorno) das Mährchen
von einer Hexe, welche jeden Tag einen Knaben schickte, um
die Ziege auf die Weide zu führen, mit dem Befehl, Acht zu
geben, dass sie tilchtig fressen, doch das Getreide nicht anrühren
solle. Als die Ziege zurückkommt, fragt die Hexe:
),Capra, mia Capra Mergolla,
Come 86* ben satolla?*'
(Ziege, meine Ziege Mergolla,
Bist Du ganz satt?)
Worauf die Ziege antwortet:
„Son satoUa e cavalcata,
Tutto il giomo digiunata/*
(leb bin satt und bin geritten worden;
leb babe den gansen Tag gefastet.)
Darauf wird der Knabe von der Hexe todt^ gemacht. So geht es
zwölf Knaben , bis der dreizehnte , schlauer als die andern , mit
der Ziege schön that und ihr das Getreide zu fressen giebt;
darauf antwortet die Ziege auf die Frage der Hexe:
„Son ben satolla e govemata,
Tutto il giomo m*ba pasturata.'*
(Ich bin ganz satt und bin gut gebalten worden;
Er bat mir den ganzen Tag zu fressen gegeben.)
Der Knabe wird gut behandelt
Des Teufels Schützling überlistet immer seinen Meister; die
Ziege narrt den Wolf zu seinem Verderben. Wir sahen das schon
in dem russischen Mährchen und es bestätigt sich in der Sage
von Ysengrin. Die Bauern von Piemont und Sicilien haben
aus diesem Orunde so viel Respect vor der Ziege, dass sie die-
selbe für segenbringend für das Haus halten, bei welchem sie
gehalten wird ; und wenn sie zußlllig einmal bösartig ist, so wird
> Vgl. die vorerwähnte Fabel des Babrius, in welcher sieb der
Weinstock über den Bock beklagt, der seine BIStter abfrisst. — In dem
italieniscben Sprichwort: „Salvar la capra ed i caYoli** wird die Ziege
wieder als Blattfresserin bezeichnet — Die Blätter des Spor Apfels heilen
nach norwegischem Glauben kranke Ziegen, von denen der Qott Thor ge-
sogen wird. — Vgl. Kuhn, Die Uerabk. d. F. u. d. G. —
333
•
das dem Teufel selbst in die Schuhe geschoben, der, wie sie
glauben, boshafter Weise Besitz von ihr genommen hat. Vor
einigen Jahren hatte ein Ziegenhirt des Val di Formazza in der
Ossola im Piemontesischen zwei Ziegen, die er für besessen von
einem bösen Geiste hielt ; sie liefen nämlich immer von der Herde
fort und verirrten sich, damit sie, wie er dachte, der böse Geist
endlich in einen Abgrund stürzen könnte. Eines Tages waren
die beiden Ziegen fort; der Hirt sucht eine Weile nach ihnen,
doch vergeblich; er geht und macht der Maria von Einsiedlen
ein Gelübde. Der Zufall ftlgt es, dass in dem Augenblick, als er
von seiner frommen Pilgerfahrt heimkehrt, auch seine beiden
Ziegen an die Thür des Hauses kommen; man erklärt nun sofort
in Formazs^ den Vorfall ftlr ein Wunder und er gilt als solches
in jener Gegend bis beutigen Tages. ^
Im vorigen Kapitel sahen wir den Esel in zwei Gestalten
dargestellt, mit Bezug auf seine FortpflanzungsfUhigkeit, d. h.
bald als einen glühenden, unersättlichen und kraftvollen Befruchter,
bald als einen lächerlichen und impotenten Schwächling. Wir
sahen femer den Esel in enger Verbindung mit den bocksftlssigen
Satyrn. Die Böeke und Widder haben ebenfalls einen zwei*
fachen und in innerm Widerspruch stehenden Ruf. Wir wissen
z. B., dass der Gott Thor, der Gott der Skandinavier, welcher in
der Wolke donnert, von Böcken gezogen wird (das Schiff Thors
und Hymirs, die Wolke, heisst in der Edda ein schwimmender
Widder oder Bock, ebenso wie der vedische Indra als ein Wid-
der dargestellt wird; der Gott Pöshan ist ebenfalls Beschützer
der Herden und trägt den Schäferstab als seine Wafie; sein
Wagen wird von Ziegen gezogen und eine Ziege wird ihm
geopfert; der Gott Pfishan war der beste Führer, den man auf
einer Reise anrufen konnte); er ist femer der Schützer der
Ehen. Die skandinavische Mythologie scheint also den Bock
wesentlich als den Be&uchter, als eine Regenwolke zu betrachten.
In der indischen Mythologie der brahmanischen Periode verliert
dagegen der Gott Indra seine göttliche Macht, wird dumm und
obscur und verschwindet in der Widdergestalt. Auf einer seiner
Passeggiate nel Canavese beobachtete kürzlich A. Berto-
lotti in Muraglio einen sonderbaren Brauch, der von den jungen
Leuten der Gegend gepflegt wird, wenn eine projectirte Heirath
' Nach einem Bericht meiaes Freundes Valentino Carrera, eines uner-
schrockenen Alpeusteigers und beliebten Dramatikers.
334
nicht zn Stande kommt; sie laufen zu dem Hanse der Brant und
verlangen ungestfim^ sie solle ihnen ihre Schafe geben, worauf
sie vor des Bräutigams Haus ziehen und rufen: ,;Yente a sarrar
quist motogn'^ (komm und sehliess diese Hammel ein). Hier
stellt der Hammel den Ehemann^ das Schaf die Frau vor. Bei
Du Gange wird der Name Ziege (caper) gegeben dem ,;in8uayis
odor in pueris cum ad virilitatem accedunt^'^ Bei A pul eins
heisst ungemessene Lüsternheit ;;Cohircinatio^^ Nach Aelian hat
der Bock Lust zur Begattung schon wenn er sieben Tage alt ist
(nach Columella im siebenten Monate).
Doch ebenso wie der Esel das dumme Dulderthier ist^ ist
der Widder das dumme, ruhige. Der Bock, heisst es, ist ein
gleichgiltiger Mann, der seine Ziegen mit andern Böcken ver-
kehren lässt; ohne eine Spur von Eifersucht zu zeigen; daher un-
sere Ausdrücke „gehörnte Ziege" und einfach „gehörnt'*, um den
Ehemann eines treulosen Weibes zu bezeichnen, d. h. eines
Weibes, das ihm Homer aufsetzt, wie sie der Bock trägt, und
das italienische Sprichwort: „E meglio esser geloso che becco*'
(es ist besser eifersüchtig als ein Bock zu sein). Dieser Ruf
des Bockes steht jedoch allem dem entgegen, was von der Lüstern-
heit desselben bekannt und geschrieben i^t Im Gegentheil,
Aristoteles sagt ausdrücklich, dass zwei Böcke, die mit einander
in Eintracht auf der Weide gelebt haben, zur Brunstzeit heftig
mit'einand^ kämpfen. Ferner ist der Vers Findars bekannt, in
welchem er Böcke sogar Weiber begatten lässt. Es heisst auch,
dass Hermes, oder Zeus, die Gestalt eines Bockes annahm, um
sich mit Penelope zu vereinigen, eine Vereinigung, deren Frucht
der grosse, bocksfüssige Satyr Fan war; dass Herakles (als Esel
in seinem Löwenfell) mit einem Bock in phallischer Kraft wett-
eiferte (bei Athenaeus verbindet er sich mit iünfeig Jungfrauen
in Zeit von sieben Nächten) ; dass (bei Aelian) ein eifersüchtiger
Bock den Ziegenhirten Crathis mit dem Tode bestrafte, weil er
an seiner Ziege einen Incest verübt hatte. Nichtsdestoweniger
nannten schon die Griechen ein unmoralisches, ehebrecherisches
Weib ai^, wie wir Italiener capra. Columella giebt uns den
* Darauf spielt das Epigramm des Martial an:
„Tarn male Thais ölet, quam non fuUonis avari
Tecta vetus media, sed modo fracta via.
Non ab amore receos hircus," etc.
j
335
4
Schlttssel des Räthsels^ indem er bemerkt, dass der Bock durch
den Missbraueh der Venas^ die er zn früh braacbte (wie' der
Esel); schon Vor seinem sechsten Jahre impotent wurde, so dass
er nicht ans Gleichgiltigkeit ; sondern nur^ weil er nicht anders
kann ^ dem untreuen Treiben seiner Ziegen ruhig zusiebt. Da-
her die Anwendung von hircosus bei Plantus auf einen alten
Mann.
Die griechische Sage ist eS; welche mehr als eine andere
den Mythus von der Ziege und dem Schafe iii allen ihren Er-
scheinungsformen — dämonischer, göttlicher und der dazwischen
liegenden — zu einer grösseren Ausdehnung entwickelt hat.
Das goldene Fliess oder das Fliess des Schafes oder Wid-
ders, welches von Phrixus, dem Sohne der Nephele (Wolke), und
Helle ^ nach Colchis gebracht worden war; Jupiter Ammon (im
fünften Buche von Ovid's Metamorphosen), welcher aus
Furcht vor den Riesen (wie sich im letzten Buche des Rämä-
y a 9 a die Götter, von den Ungeheuern erschreckt, in verschiedene
Thiere verwandeln) sich in Lybien in Gestalt eines gehörnten
Widders verbirgt; der Altar Apollos auf der Insel Delos, der mit
unzähligen Hörnern vereehen war; die wolligen Felle, in welchen
nach Strabo (im zehnten Buch) die Iberier Gold sammelten, wo-
her nach der Meinung des griechischen Geographen die Fabel
von dem goldenen Fliess entstanden ist; das goldene Lamm, das
von Atreus gehalten wurde, welches den Thyestes auf den Thron
bringen sollte, und der Name des Aegisthus, der eine Frucht des
' Mit diesem Mythus von dem Bruder Phrizus und seiner Schwester
Helle, welche mit dem Schaf über das Meer durch die Luft fliegeu, hängt
das russische Mährchen von Iwan und Helene zusammen, das oben erwähnt
wurde; Iwan wird in ein kleines Zicklein oder Lamm verwandelt In der
italienischen Variation dieses Mährchens wird die Schwester von der Hexe
in das Meer geworfen. — Während Bruder und Schwester auf dem gol-
denen Widder über den HeUespont setzen, fällt Helle in das Meer. Wir
erfahren von Apollonius, im zweiten Buche der Argonaut. , dass das
Fliess des Schafes erst Gold wurde, als es bei seiner Ankunft in Colchis
geopfert und an einer Eiche aufgehängt wurde. Der Wolkenwidder wird
erst am Morgen- und am Abendhimmel golden. — Das glänzende Fliess lässt
sich vielleicht in der Braut des Rigveda wiedererkennen, welche, auf die
Erzählungen von Kakshivant Bezug nehmend, sagt: „Jeden Tag werde ich
sein (eigentlich: bin ich) gleich dem kleineu wolligen Schaf der gandhäris
(sarv&ham asmi roma^ gandhärin&m ivdvikft)," Rigv. I, 126, 7. Wie hier
eine etymologische Analogie, so liegt vielleicht auch eine mythbche zwi-
schen den gandhäris und den gandharvas vor.
336
Incestes des Tbyest mit seiner eigenen Tochter war; Pan (mit
. Bocksfüssen, der Sohn des Bockes Zeus oder Hermes), welcher
im fünften Buche der Saturnalia des Macrobius den Mond
liebt und seine (d. h. der Selene) Liebesgunst geniesst durch ein
Schaf mit weisser, aber rauher und grober Wolle; Endymipn, der
nach dem Commentator Servius die Liebe der Luna durch ausser-
ordentlich weisse Scliafe gewinnt; Neptun, welcher in Qestalt
eines Widders, im sechsten Buche der Metamorphosen, die schöne
Jungfrau Bisaltis verführt; die Satyrn, die Faune mit Bocksfüssen,
in welche die Götter sich verwandeln, um Nymphen oder irdische
Mädchen zu verführen, wie z. B. wiederum Jupiter in demselben
Buche der Metamorphosen:
„Satyri celatus imagine pulchram
Jupiter implevit gemino Nycteida foeta;**
Hermes, der xqtotpoqogj der Widder tragende (d. h. der einen Wid-
der trägt, welcher das Land von der Pest befreit, eine Form
St. Jacobs) ; die beiden vorbestimmten Schafe, welche Epimenides,
um die Seuche aus Athen zu vertreiben, nach Diogenes Laertius
in der siebenundzwanzigsten Olympiade opfert; die meckernden
Ziegen, welche König Priamus (in den Fragmenten des Ennius)
opfert, um das durch böse Träume gedrohte Unheil zu ver-
scheuchen; das schwarze Schaf, welches dem Pluto, der Proser-
pina, den Furien und allen unterirdischen Gottheiten geopfert
wird; das Lamm, der Widder und der Bock, welche den Parzen
geopfert werden in dem sibyllinischen Verse:
„Cum nox atra premit terrain, tectusque latet Sol;"
das weisse Lamm, welches dem Hercules, dem Mars, dem Ju-
piter, dem Neptun, dem Bacchus, dem Pan, dem Apollo (d. h.
wenn die Sonne scheint), der Ceres (der Göttin der hellfarbigen
Kornähren), der Venus, den Göttern und Göttinnen, seinen gött-
lichen Erscheinungsformen geopfert wird (similia similibus) ; und
noch mehre andere mythische Begriffe (nicht zu sprechen von der
sehr volksthUmlichen Sage von der Ziege Amalthea, welche den
Zeus mit ihrer Milch nährte und von demselben für diesen Dienst
unter die Sterne versetzt wurde, unter dem Namen AX^ ovqovUx
oder himmlische Ziege, nachdem er ihr ein Horn abgenommen,
um aus Dankbarkeit den beiden Nymphen, welche ihn beschützt
337
hatten, die Fähigkeit zn verleihen^ Allee, was sie begehrten, ans
demselben strömen za lassen) ; ^ all dies spricht höchst beredt fUr
die weitverbreitete Verehrung, welche die Ziege und das Schaf
sogar im griechisch-römischen Alterthum genossen, wodurch sie
die mythischen und legendarischen Sagen dieser Nationen mit
vielen Episoden bereicherten, und welche ihnen bald als den
Typen eines Gottes, bald als denen eines Dämons» bald
auch als denen eines Mitteldinges, wie z. B. der Satyrn, zu Theil
wurde.
Ebenso wie das mythische Pferd vom Abend bis zum Morgen
drei sichtbare Phasen hat — schwarz, grau und weiss oder roth
— und wie der mythische Esel Gold fallen lässt und goldene
Ohren hat, so lassen auch die Ziege und das Schaf des Mythus,
welche in der Nacht oder in der Wolke dunkelfarbig sind, Gold
fallen und haben goldene Homer, welche Ambrosia ausströmen,
oder haben auch sogar das Ftlllhorn selbst. Es ist immer der-
selbe Mythus von dem wolkigen und wasserreichen, dem nächt-
lichen und finsteren Himmel, mit seinen beiden düsteren Däm-
merungen oder Auroren, oder aber von dem glänzenden himm-
lischen Helden, welcher die Nacht oder die Wolke (oder die
Winterszeit) durcheilt, verkleidet in der Gestalt verschiedener
Thiere, bald aus eigenem Antriebe, bald durch göttlichen Fluch
oder diabolische Zauberkraft gezwungen.
Im dritten Buche der Aristotelischen Thiergeschichte lesen wir
von dem Flusse Psikros in Thracien, dass weisse Schafe, wenn
sie von ihm trinken, schwarze Lämmer werfen, dass es in Antan-
drien zwei Ströme giebt, deren einer die Schafe schwarz, deren
anderer sie weiss macht, und dass der Fluss Xanthus oder Ska-
mander die «Schafe schön (oder golden) macht Dieser Glaube
involvirt die drei Verwandlungen des himmlischen Helden in die
drei Böcke oder Widder von verschiedener Natur, von denen die
Bede war. Die letzte Umwandlung lenkt unsere Aufmerksamkeit
' Ovid nennt die Ziege „haedomm mater formosa dnoniin*' and singt,
dass die Ziege selbst eines ihrer Homer an einem Baum zerbrach, wel-
ches Uom die Nymphe Amalthea anfrafile —
ffdecentibus herbis
£t plenum pomis ad Jovis ora tulit;'*
und Jopiter, als er Herr des Himmels ist, zor Belohnong —
„Sidera nutricem, nutricis fertile comu
Fecit, quod dominae nunc quoque nomen habet/'
OabenuUlfl, die Thiere. 23
338
auf dies Schaf mit goldener Wolle , das goldene Lamm und das
Agnus Dei, das Symbol von Glück, Macht und Reichthum.
Beichthum an Schafön wurde noch mehr als Reichthum an Kühen
das Symbol für Reichthum überhaupt. Das Horn goss jede Art
von Schätzen auf die Erde aus und auf der Erde selbst wurde
das pecus — pecunia.
339
KAPITEL V.
Das ISehweiiiy der wilde £ber und der Igel.
Das Schwein sowohl wie auch der wilde Eber ist eine an-
dere der vielen Gestalten, welche die Sonne, als mythischer Held,
so oft in der Dunkelheit der Nacht oder der Wolken annimmt,
und zwar zuweilen,- um sich vor ihren Verfolgern zu verbergen,
zuweilen um sie zu vernichten, manchmal aber auch infolge eines
göttlichen oder dämonischen Fluches. Diese Gestalt ist zuweilen
eine finstere und dämonische Vermummung des Helden, weshalb
das Gedicht von dem Riesenweibe Hyndla in der Edda das
Schwein ein Heldenthiei* nennt; oft jedoch birgt sie den Dämon
selbst. Wenn der Sonnenheld in das Reich des Abends eintritt,
verschwindet die Gestalt des schönen Jünglings oder glänzenden
Prinzen, die er vorher hatte; doch er selbst stirbt gewöhnlich
nicht dabei, sondern kleidet sich nur in eine andere, hässlichere,
eine ungeheuerliche Gestalt. Der schwarze Stier, das schwarze
Ross, das graue Ross, das bucklige Pferd, der Esel und die Ziege
— alle sind Formen derselben Verkleidung, mit der vnr schon
bekannt sind. Der tausendbäuchige Indra, der seine Testikeln
verloren hat, Arguna, der sich als Eunuch verkleidet, Indra,
Vishnu, Zeus, Achilles, Odin, Thor, Helgi und viele andere my-
thische Helden, die sich als Weiber verkleiden, femer die zahl-
reichen schönen Heldinnen, welche sich in Mythus und Sage als
bärtige Männer verkleiden — Alle sind alte Gestalten, unter denen
der Uebergang entweder der Sonne oder der Abend-Aurora in
die Finsterniss, Wolke, den Ocean, Wald, die Höhle oder Hölle
Nacht und Winter dargestellt wurde. Der gelähmte, geblendete,
gebundene, ertrunkene, oder in einem Walde begrabene Held
wird verständlich, wenn man ihn auf die Sonne bezieht, welche
sich den Bergesrand hinabstürzt, welche sich in der Dunkelheit
verliert, welche von den Banden des Dunkels gefesselt v^ird,
welche in den Ocean Nacht hinabtaucht, oder welche sich vor
unsem Blicken in dem nächtlichen Walde verbirgt. Die leuch-
tende und erleuchtende Sonne geht , wenn sie in der dunklen
Nacht aufhört zu scheinen, der Sehkraft verlustig, ebenso aber
auch der Geisteskraft — sie vnrd dunmL Der schöne Sonnen-
22*
340
held wird hässlich, wenn mit Beginn der Nacht sein Olanz weicht;
der starke; rothe, gesunde Sonnenheld, der in der Nacht erblasst
nnd schwarz wird, wird krank. Wir sagen noch heat in Italien,
wenn wir die Sonne ihren hellen Schein verlieren und erbleichen
sehen: Die Sonne ist krank.
Im 117. Hymnos des ersten Baches des Uigveda heilen
die A^vins die aussätzige Tochter Kakshivants, Ghoshä, welche
gattenlos in ihres Vaters Hause altert, und finden einen Qatten
für sie; die Agvins befreien die Aurora aus dem Dnnkel der
Nacht und heirathen sie. ^
Im achtzigsten Hymnus des achten Buches des Bigveda
kehrt derselbe Mythus mit Beziehung aof Indra und vollständiger
wieder. Wir bemerkten schon im ersten Buche des ßigveda
das Mädchen Apälä, das von dem Berge herabsteigt, um Wasser
zu holen, den Soma aus dem Brunnen heraufzieht (die Ambrosia
oder auch den Mond, woher, wie mir scheint, der Ursprung des
italienischen Sprichwortes: „Pescare, or mostrare la luna nel
ozzo% den Mond im Brunnen fischen oder zeigen-, was dann
corrumpirt wurde zur Bezeichnung Jemandes, der Unwahres oder
Unmögliches erzählt), und bringt ihn zu Indra, dem wohlbe-
kannten Trinker von Ambrosia (die hier mit dem Monde oder
Soma indentificirt ist). Indra, mit dem Mädchen zuMeden, willigt
ein, so hässlich und missgestalt sie ist, über die drei himmlischen
Stationen, d* h. über seines Vaters Kopf; ihre weite Brust und
ihren Busen hinwegzuschreiten. ^ In der letzten Strophe des er-
wähnten Hymnus macht Indra ein glänzendes Kleid, eine Sonnen-
haut, für Apal&, welche dreimal gereinigt worden ist, durch das
Bad, durch den Wagen selbst und durch die Deichsel von In-
dras Wagen. ^ Und derselbe Mythus kehrt noch einmal deut-
licher nnd vollständiger in einer Sage der Brihaddevatä wie-
der. Apalä ersucht Indra, den sie liebt, ihr eine schöne und voll-
kommene (fehlerlose, tadellose) Haut zu geben. Als Indra ihre
Stimme hört; schreitet er über sie mit Kad, Wagen und Deichsel;
mit dreimaliger Anstrengung nimmt er ihr die hässliche Haut ab ;
Apäl& erscheint darauf in einer schönen. An der so abgestreiften
' Vgl Theü n, Kap. X.
* Im&ni trini vish^pA t4uindra vi rohaya Qiras tatasjorvarftm äd idam
ma upodare.
* Khe rathasya khe 'nasally khe jugasya ^atakrato apftlftm indra trish
pAtvy akfinoll^ sdryatvaöam*
341
Hant waren ßoi-stcn (^alyaka) ; oben hatte sie eine rauhe Aossen-
seite^ unten war sie wie die Haut einer Eidechse ^ Die Borsten
oder Stacheln auf der Haut Apäläs wecken natürlicherweise die
Vorstellung des Igels, des Stachelschweines ^ des wilden Ebers
und des borstigen Schweines. Die Aurora glänzt, wie der ve-
dische Hymnus singt, nur beim Anblicke ihres (Gemahls ; so wird
Apälä mit der hässlichen oder Schweinshaut und Qhoshä, das
aussätzige Mädchen, jglänzend und gesund durch die Qnade ihres
Gatten. So erscheint Cinderella oder die, welche ein aschfarbenes
oder (gleich dem Nachthimmel) dunkelfarbenes Kleid anhat (in
russischen Mährchen heisst Cinderella Cernushka, d. i. kleine
Schwarze, wie auch: kleine Schmutzige), nur dann ausserordent-
lich schto, wenn sie sich im Ballsaal des Prinzen oder in der
Kirche oder im Kerzenglanz oder in der Nähe des Prinzen be-
findet: die Aurora ist nur dann schön, wenn die Sonne nahe ist
In dem achtundzwanzigsten Mährchen des sechsten Buches
bei Afanassieff bedeckt sich das vom eigenen Vater verfolgte
Mädchen, das dieser heirathen will, weil er sie ebenso schön
findet als ihre Mutter (die Abend-Aurora ist so schön, wie die
Morgen-Aurora), mit einer Schweinshaut, die sie erst ablegt, als
sie sich mit dem jungen Prinzen vermählt * In einem anderen
' Sulomäm anavadyftfigim kam mftm ^akra sutvai^m
Tasyfts tad vadanam ^ruivft pntas tena parandaral|^
Bathadhidrena tim indral|^ 9akafa8ya yogasya 6a
Prakshipya ni^dakareha tris tatal^ sft sutvadä 'bhavat
Tasy&m tvadi vyapetftyftm saryasyäm ^alyako 'bhavat
Uttarä tv abhavad godhä krikalä9a8 tvag uttamft.
Godhä scheiot zu bedeuten: „der die Gestalt eines Haares hat^ (go
bntuDter anderen Bedeutungen auch die von: Haar). Als Thier erkennen
die WÖrterbb. auch in godh& eine grosse Eidechsenart. Doch vielleicht
können wir es auch mit Kröte oder Frosch übersetsen; wir würden dann
auch die Fabel von dem Frosch verstehen, welcher dem Ochsen gleichen
will. Ich bemerke femer, um ein Beispiel von der Leichtigkeit su geben,
mit welcher wir von dem Ochsen auf den Frosch und von dem Frosch auf
die Eidechse kommen können, wie in dem rassischen Mährchen bei Afa-
nassieff n, 23 eine schöne Prinzessin in dnem Frosdli verborgen ist;
in toscanischen , piemontesischen und sicilianuchen Mährchen ist es statt
des Frosches eine Kröte. In den Mährchen des Pentamerone ist die
gute Fee eine lacerta cornuta (eine gehörnte Eidechse). Auch Qhoshä
hat im Sanskrit noch den Rinderen Namen karkata^ingi, gehörnter Krebs.
In andern Versionen ist der junge Prinx ein Bock oder ein Drache.
* Zu dem verfolgten Mädchen in Verbindang mit dem Schweine vgL
auch Pentamerone III, lOi
I,
U7
Bttdmssischen Mährchen > haben wir statt dessen einen Königs-
sobn , den sein Vater verfolgt und der sein väterlicbes Haus in
einem Rock aus Schweinshaut verlassen mass. In einem noch
nicht publicirten Montferratensischen Mährchen^ de^en Mittbeilung
ich der Güte des Herrn Dr. Ferraro verdanke, wird das von
seiner Stiefinutter verfolgte Mädchen dazu verurtheilt, in einer
Nacbt eine unermesslicbe Anzahl von Aepfeln zu essen ; vermit-
telst zweier Schweinsborsten ruft sie eine ganze Legion Ferkel
herbei, welche die Aepfel statt ihrer verzehren.
Was die Deichsel von Indras Wagen in dem unteren Busen
Apäläs betrifft, so scheint sie mir eine phallisohe Bedeutung zu
haben. Indra kann Apäla dadurch, dass er sie heirathete, ge-
heilt haben, wie die A^vins durch einen Gatten die aussätzige
Ghoshä heilten, welche in ihres Vaters Hause alt wurde. In der
zehnten Erzählung des Pentamerone heirathet der König von
Roocaforte eine iJte Frau, in dem Wahne, es sei eine junge. Er
wirft sie zum Fenster hinaus, doch sie wird in ihrem Fall von
einem Baum aufgehalten, an welchem sie hängen bleibt; die
Feen kommen vorbei, machen sie wieder jung, wie auch schön
und reich, und binden ihr Haar mit einem goldenen Bande auf.
Die bejahrte Schwester der alten Frau, welche wieder jung ge-
worden ist (die Nacht), geht zum Barbier, in der Hofiiiung, das-
selbe Resultat einfach dadurch zu erreichen, dass sie sich das Fell
abziehen lässt, und wird lebendig geschunden.^ Nach italieni-
schem Glauben ist das Schwein dem hlgen Antonius geweiht,
dieser aber wird auch als der Beschützer von Ehen gefeiert,
gleich dem skandinavischen Freyr, dem das Schwein geweiht ist
Die Gefährten des Odysseus, von der buhlerischen Zauberin
Circo durch giftige Kräuter in unfläthige Schweine verwandelt,
sind nur auf Befriedigung ihrer sinnlichen Triebe bedacht; darum
sagt Horaz in der zweiten Epistel des ersten Buches:
„Sirenum voces, et Circes pocula nosti,
Quae si cum soeiis stultus cupidusque bibisset,
Sub domina. meretrice fuisset turpis et exeora
Vixisset canis immundos, vel amica luto sus."
» Afan. V, 38.
' Zu dem Mythus von den beiden Schwestern, Nacht und Aurora,
dem schwarzen Mädchen und dem, welches sich in schwane, graue oder
Aschfarbe kleidet, vergleiche auch Pentamerone II, 2.
343
Das Schwein ist als eines der lüsternsten Thiere der Venus ge-
weiht; aa>) diesem Grande werden nach den Lehren der Pytha-
goräer lüsterne Menschen in Schweine verwandelt and wird aaf
einen Menschen, der jeder Art von Begierde ergeben ist, die Be-
zeichnung „Schwein" angewandt. Bei Varro * lesen wir: —
„Nuptiarum initio antiqui reges ac sublimes viri in Hetruria in
conjunctione nuptiali nova nupta et novas maritus primum porcum
immolant; prisci qaoque Latini et etiam Graeci in Italia idem
fecisse videntor; nam et nostrae mulieres, maxim ae nutrices na-
turam, qua feminae sunt, in virginibus appellant porcum et
graece xoIqovj significantes esse dignum insigni nuptiamm/^ Die
Deichsel Indras, die über den upodara (oder unteren Busen) Apä-
läs fährt; wird durch diese Stelle bei Varro illustrirt.
Was den wilden Eber betrifft, so ist sein Charakter gewöhn-
lich dämonisch; doch der Grund, weshalb die indischen Götter
mit dieser Gestalt bekleidet wurden, liegt zum grössten Theile in
sprachlichem Doppelsinn. Das Wort vishnu bedeutet: „der, der
durchdringt ;'' wegen seiner scharfen Hauer heisst in einem ve-
dischen Hymnus * der wilde Eber vishnu oder der Durchdringer.
In wahrscheinlich ganz analoger Weise wird dann in einem an-
dern Hymnus fiudra, der Vater der Maruts, der Winde, als ein
rother, behaarter, schrecklicher, himmlischer wilder Eber* ange-
rufen, während die Maruts selbst angerufen werden, wenn die
Donnerkeile in der Gestalt von wilden Ebern erscheinen, welche
aus den eisernen Zähnen und goldenen Rädern herausrennen,*
d. h. getragen von dem Wagen der Maruts, der Winde, von
denen es auch heisst, sie hätten Zungen von Feuer und Augen
gleich der Sonne. ^ Vishnu selbst bringt im Bigveda auf An-
> De Re Rnstica II, 4.
»Rig 7. I, 61, 7.
* Divo varftham arusham kapardinam tvesham rüpaih namaeä ni hyayft-
mahe; Bigy. I, 114, 5.
* Pa^yan hiranyacSakrän ayodaösfatrftn vidhftyato varähftn; Bigv. I,
88, 5. '
^ Agni^il^vä manayal^ sürac^akshasa; Bigv. I, 89, 7. — In der Edda
wird der Wagen Freyrs Yon einem Eber gezogen. Der Kopf des mythi-
schen Schweines ist glänzend. In dem achtundzwanzigsten Mährchen des
weiten Buches bei Afanassieff erhält Iwan Duräk von den beiden
jungen Helden, welche ihm in wunderbarer Weise erscheinen, drei Wun-
dergaben, d. h. das Schwein mit goldenen Borsten, den Bock mit goldenen
Hörnern und Schwanz und das Pferd mit Mahne und Schwanz von Gold.
I
■
344
trieb ladras hundert Ochsen, die milchige Grütze nnd den ver-
nicfatenden wilden Eber. ^ Deshalb liebt Indra selbst die Gestalt
eines wilden Ebers ^ welcher im Avesta sein alter ego ist.
Veretraghna tritt in derselben Gestalt auf. Wir wissen, dass die
Sonne (bisweilen der Mond) in Gestalt eines Widders oder
Bockes g^en die Wolke oder die Dunkelheit drängt nnd stösst,
bis er sie mit seinen goldenen Hörnern durchbohrt; so entwickelt
auch Vishnu, der Durchdringe ^ mit seineu schiarfen goldenen
Hauern (Donnerkeilen, Mondhömem und Sonnenstrahlen) in der
Finstemiss und der Wolke so grosse Stärke, dass er beide durch-
bricht und glänzend und siegreich heraustritt. Nach den pura-
nischen Traditionen zog Vishnu in Gestalt eines wilden Ebers in
seiner dritten Inkarnation, als er den Dämon Hirai^yäksha (d. h.
den mit dem goldenen Auge) tödtete, die Erde aus den Wassern
(oder aus dem Ocean der feuchten und finsteren Nacht des Win-
ters). ^ Nach dem Rämäyana^ nahm Indra die Gestalt eines
wilden Ebers unmittelbar nach seiner Geburt an.
Mit dem arkadischen wilden Eber von dem Berge Eryman-
thos ist der Leser vertraut. Herakles tödtete ihn bei seiner drit-
ten Arbeit, ebenso wie Vishnu bei der dritten seiner Inkama-
* Vi^vet tft visbnur äbharad urukramas tveshita^ ^atam mahishän kshi-
rapäkam odanam Yaräham indra emusbam; Bigv. VIIT, 66, 10. — In der
Thebais des Statius (V, 487) ist ebenfalls Tjdeus in den Balg eines wil-
den Ebers gekleidet: —
„Terribiles contra setis ac dente recurvo
Tydea per latos faumeros ambire laborant
Exuviae, Calydonis bonos/*
* Nach andern Fabeln stritten sich die drei Personen der Dreieinig-
keit einst, welchem der Vorrang gebühre. Brahman, der von der Spitze
des Lotus, wo er sass, Nichts im Universum sah, hielt sich für das Erste
alles Erschaffenen. Er stieg in den Stamm des Lotus hinab, und ab er
endlich Nftiftyana (Vishnu) fand, fragte er ihn, wer er wäre. „Ich bin
der Erstgeborene,'^ entgegnete Visbna ; Brahmän bestritt ihm diesen Titel
und wagte sogar, sich an ihm zu vergreifen. Doch während des Kampfes
warf sich Mahftdeva (Qiva) zwischen sie mit dem Rufe : „Ich bin es, der
zuerst geboren ist. Trotz alledem will ich den als mir überlegen aner-
kennen, der im Stande ist, die Spitze meines Hauptes, oder die Sohle
meines Fusses zu sehen." Vishnu (als verborgener oder unterirdischer
Mond) verwandelte sich in einen wilden Eber, bohrte sich durch die Erde
und drang in das Reich der Hölle ein, wo er die Füsse MahAdevas sah.
Der Letztere grüsste ihn bei seiner Rückkehr als den Erstgeborenen der
Götter; Boumouf, LTnde Fran^aise.
* U, 119.
345
tionen ein wilder Eber wnrde ; Ovid beschreibt ihn sehr schön im
achten Buche der Metamorphosen:
^angaine et igne micant ocoli, riget horrida cerriz,
Et setac densis similes hastiJibus horreut
StaDtque velut vallumi velut alta hastilia setae,
Fervida cum rauco latos Stridore per armos
dpama fluit, dentes aeqnantor deotibus Indis,
Fulmen ab ore venit, frondes afflatibus ardent/^
Der wilde Eber des Heleager ist eine Spielart gerade dieses Un-
geheuers; es ist also nicht ohne Grand; dass^ ab Heraklee in
das Reich der Hölle geht; alle Schatten vor ihm fliehen; ausge-
nommen die des Heleager und der Medusa. Melei^r und He-
rakles gleichen einander, werden mit einander identificirt; was
die Medusa betrifit, so dürfen wir nicht vergessen; dass daa
Haupt der Qorgone auf der Aegis des Zeus dargestellt war; dass
Gorgo einer von den Namen ist; welche die Pallas ftthrte, und
dass die GorgoneU; und speciell die Medusa; mit dem Guien der
Hesperiden in Zusammenhang stehen; in welchem die goldenen
Aepfel wachsen.
In dem einundseehszigsten Hymnus des ersten Buches des
Bigveda tödtet der Gott, nachdem er gut gegessen und ge-
trunken; mit der dem himmlischen Grobschmied Tvashtar gestoh-
lenen Waffe das wilde Eber-Ungeheuer; welches daS; was für die
Götter bestimmt ist; stiehlt.^ Im neunundneunzigsten Hymnus
des zehnten Buches des Bigveda tödtet Trita (der dritte Bruder)
durch die Stärke ; die er von Indra erhalten, das wilde Eber-
Ungeheuer.* Im Taittiriya Brähmana finden wir eine an-*
dere sehr interessante Stelle. Der wilde Eber hält Wache ttber
den Schatz der DämoneU; welcher in sieben Bergen eingeschlossen
ist Indra öffnet mit dem heiligen Kraut glücklich die sieben
Berge ^ tödtet den wilden Eber und entdeckt in der Folge den
Schatz. > In dem ftinfundfiinfsägsten Hymnus des siebenten Buches
' Asyed o mfttu^ sayaneshu sadyo mahah pitom papiyftA danr anii&
miishftyad Tidmal^ pa^tam sohiyftm yidhyad rarfthaih tiro adriia aata;
8tr. 7.
* Asya trito nv o^ft TridbAno vipA varftham ayoagrayft han; Str. 6.
* Varahoyam yamamoshah saptanftm giiinftm parastftd yittam yedyam
asorftDAm yibharti, sa darbhapii&^am (pUk^lam?) nddbritya, sapta girin
bhittvä tarn ahaaniti, schon angeführt von Wilson, ^igv. Sanh. I, 164«
- Vgl. TheU U, Kap. VH,
346
de^Bigveda zerreissen sich Schwein und Hund einander;' der
Hund und der Frischling in Uneinigkeit ^ finden sich wieder in
der äsopischen Fabel.
Im Mahäbhärata^ nimmt Puloman die Gestalt eines wil-
den Ebers an, um das Weib Bhrigus zu entführen; sie schenkt
vor der Zeit dem Cyavana das Leben, der zur Rache für seine
Mutter den wilden Eber zu Asche verbrennt. In dem toscanischen
Volksmährchen tödtet der dumme Pimpi das Schwein , indem er
es mit der Zange ; die er im Feuer rothgltthend gemacht hat^
zwickt und quält. In dem neunten der von Frau L. Gonzenbach
gesammelten sicilianischen Mährchen lässt Zafarana, indem sie
drei Schweinsborsten auf die glühende Asche wirft; den alten
Prinzen, ihren Gemahl, wieder jung und schön werden; es ist im-
mer derselbe durchsichtige Mythus (eine Variation der Apälä).
So erlangt in dem ersten ehstnischen Mährchen der Prinz durch
Essen eines Schweinefleischkuchens* die Fähigkeit, die Sprache
der Vögel zu verstehen ; der Held eignet sich Arglist an , wenn
er sie noch nicht besitzt; er wird schlau, wenn er vorher dumm
war; wir finden deshalb auch in einem Mährchen bei A fan as -
sieff* den Wolf, der zuerst vom Hunde, dann voa der Ziege,
endlich von dem Schwein betrogen wird, welches ihn beinahe er-
tränkt Der Wolf will die Jungen des Schweins fressen; dieses
ersucht ihn, unter einer Brücke zu warten, wo kein Wasser ist,
während es selbst, wie es verspricht, mittlerweile die jungen
Ferkel waschen geht; der Wolf wartet, und das Schwein geht,
das Wasser laufen zu lassen , welches , als es unter die Brücke
kommt, das Leben des Wolfes in Gefahr bringt. Daher der von
Aristoteles erwähnte Glaube, dass das Schwein es mit dem Wolf
sehr wohl aufnimmt, und die entsprechenden griechischen Fabeln.
Diese Schlauheit erreicht den höchsten Grad im Igel. Die Araber
pflegen zu sagen : „Der Kämpe der Wahrheit muss besitzen : den
Muth des Hahnes, die Spürkraft der Henne, das Herz des Löwen,
das Ungestüm des wilden Ebers, die Verschlagenheit des Fuchses,
die Klugheit des Igels, die Schnelligkeit des Wolfes, die Besigna-
^ Tvam sükarasya dardrihi tava dardarta sükarah; Str. 4. — Der
Hund kommt in Verbindung mit dem Schwein auch in den beiden latei-
nischen Sprichwörtern vor: „Canis peccatum aus dependit*^ und „Aliter ca-
tuli longe olent, aliter sues/'
» I, 898.
• Vgl. Seite 117.
• IV, 13.
347
tion des Hundes and das Temperament des Naguirs.^' ^ Ein dem
Arebilochos beigelegter Vers sagt:
•
woraus das Sprichwort wurde : „Ein Possenstreicb des Igels hat
mehr zu sagen als viele des Fuchses." In dem Aitareya
• Brähmana^ heisst es von dem Igel, er sei aus der Kralle des
räuberischen Falken geboren. In den äsopischen Fabeln kommt
der Wolf zu einem Igel und gratulirt sich zu diesem Glück ; doch
der Igel wehrt es ab. Der Wolf schmeichelt ihm und ersucht
ihn, seine Waffen abzulegen, doch jener antwortet, in der Gefahr
des Kampfes sei es unklug, das zu thun. Daher der verbreitete
Glaube, dass der Wolf sich vor dem Igel fürchte; daher das
Sprichwort: „Es ist sehr leicht, den Igel zu finden, aber sehr
schwer, ihn zu fassen." In einer Fabel des Abstemius erscheint
der Igel als Feind nicht nur des Wolfes, sondern auch der
Schlange; er spiesst die Viper, die sich in seine Höhle geflüchtet
hat. Diese bittet ihn, hinauszugehn, er aber antwortet: „La^
den hinausgehn, der nicht bleiben kann." Der Igel sieht so aus,
wie ein kleiner wilder Eber; als Feind des Wolfes und der
Schlange scheint er mir den Zwerg Vish^u und den wilden Eber
Vishnu, den Vertilger der Ungeheuer, in sich zu vereinigen ; beide
nehmen, so viel wir wissen, fast immer in der indischen Mytho-
logie die Gestalt eines Wolfes oder einer Schlange an. Und so-
feme VishnU; wie Indra, ein donnernder und regengebender Gott
ist, in seinem Charakter als Sonne in der Wolke oder nächt-
licher und. herbstlicher Mond, wird auch der Igel für einen Vor-
boten von Wind und Regen gehalten. Wenn man von einem
wilden Eber träumt, so ist das^ ein Zeichen von Sturm und
Regengüssen. Hierauf geht auch die Fabel von den Schweinen
zurück, welche das Schiff der Seeräuber, von denen sie gestohlen
sind, zum Sinken bringen.^ Dieser Mythus stellt ganz augen-
fällig die Wolken-Schweine dar.
Das StachelEM)hwein scheint ein Mittelding zwischen dem Igel
' Daumas, La Vie Arabe XV (p. 579). Zu naguir bemerkt Daumas:
petit animal du Khorassan, teUement robuste, que sa sant^ ne peut Stre
alt^räe ui par les fatigues, ni par les privations.
> III, 3, 26.
' Nach Artemidor bei Aldrovandi, De Quadrup. Digit Viv. IL
* Erwähnt von Aelian und Plinius.
348
tind dem wilden Eber zu sein. Nach dem Volksglanben ist die
Asche eines todten Stachelschweines^ auf den Kopf gestrent, ein
vortreffliches Mittel gegen Eahlheit und Ansfallen der Haare.
Und ebenso wie es schwer ist; dem Stachelschwein die Stacheln
abzunehmen , so ^^ntuntur mnlieres ad discriminandos capillos,
nt illos eonservent illaesos^ acnleis potins hystricnm quam acabus.^
Diese Bemerkung Aldrovandis ist insofern besonders interessant^
als sie uns das Verständniss eines nicht ungewöhnlichen Um-
Standes in russischen Mährchen erschliesst. Der Held und die
Heldin ; welche vor dem sie . verfolgenden Ungeheuer fliehen;
haben von einem guten Zauberer oder einer guten Fee einen
Kamm zum (beschenk erhalten , der die Eigenschaft hat, auf die
Erde geworfen, ein dichtes Dickicht oder einen undurchdringlichen
Wald entstehen zu lassen, welcher den Lauf des Verfolgers auf-
hält. ^ Es ist das eine Reminiscenz an das Stachelschwein ipit
den dichten Stacheln, an den borstigen wilden Eber, an die fin-
stere Nacht oder Wolke selbst, an den gehörnten Mond, welcher
den flüchtigen Sonnenhelden und -heldin vor dem Blicke des Ver-
folgers verbirgt
Trotz alledem spielen das Schwein und der wilde Eber in
der indogermanischen Sage gewöhnlich die Rolle des Sünden-
bocks und des Esels soufire-douleur. Im Paiicatantra werden
Ohren und Herz des vom Löwen zerrissenen Esels gefressen. Bei
Babrius ist an die Stelle des leichtgläubigen E&ds der Hirsch ge-
treten (der oft in den Mythen eine Variation des närrischen Hel-
den ist). In den Gesta Romanorum' verliert der wilde Eber
durch seine Einfältigkeit erst ein Ohr, dann das andere, dann
seinen Schwanz; zu guter Letzt wird er getödtet, und sein Herz
vom Koch verspeist In Deutschland ist es, wie früher in Eng-
land, Brauch, am Weihnachtstage einen geschmückten Eberkopf
bei Tisch zu serviren, ohne Zweifel als ein Symbol des finsteren
Ungeheuer» Winter, welches bei der Wintersonnenwende getödtet
worden ist, nach der die Tage immer länger und heller werden.
* A fan. V, 28.
* LXXXIII, bei Benfey in seiner Einleitung mm PaÄdatantra. —
Die Fabel ist der dreissigsten des Avianos entnommen, wo der wilde Eber
seine beiden Ohren verliert and dann verspeist wird; dodi der Koch (der
in der Sage den schlauen Helden darstellt) hat sein Uens genommen, um
es zu essen: —
„Sed cam consampti dominas cor qaaereret Apri
Impatiens, fertur (cor) rapoisse coqous/'
349
Aus demselben Grunde gebt das gemeine Volk in Deutschland
am Weihnaebtstage oft in den Schwein»tall schlafen, in d^ Hoff-
nung; dort zu träumen; dieser Traum bedeutet Gltlck. Die neue
Sonne wird in dem Stall des Winter-Schweines geboren; auch
der Erlöser wurde in einem Stall geboren; nur war es statt des
Schweines der Esel (der allerdings im Mythus theilweise mit
jenem equivalent ist), welcher ihn inne hat. Aus diesem Grunde
auch nin&mt der Teufel im deutschen Aberglauben oft die Gestalt
eines Eber-Ungeheuers an, das der Held tödtet. ^ Der wilde
Eber wird als ein aversier (Dämon) auch in dem Roman von
Garin le Loherain* beschrieben —
„Voi^ quel aversier.
Grant a le dent fors de la gueule un piet
Mult fd hardk qui a cop Tatendi^«"
Der Verfasser der Loci Communes sagt; dass Ferqu-
har IL; König von Schottland; von einem wilden Eber getödtet
wurde; andere Schriftsteller berichten unS; dass sein Tod durch
einen Woll' verursacht war; doch wir wissen schop; wie im My-
thus Wolf und wilder Eber bisweilen gleichwerthig mit einander
sind.
Ebenso wie Visb^u sich in einen wilden Eber verwandelte,
lud das Schwein dem skandinavischen Mars heilig war, so war
der wilde Eber dem römischen und griechischen Mars heilig, und
Mars nahm sogar selbst die Gestalt eines wilden Eber-Ungeheuers
an, um den von der Venus geliebten jungen Adonis zu tödten«
Doch ist kein Gott oder Heiliger so vollkommen, dass er nicht einmal
im Leben einen Fehltritt begehen, wie auch kein Dämon so ver-
dorben, dass er nicht wenigstens ein Mal Gutes thun sollte. Die
Vertreter der Gegensätze wechseln die Rollen. Bei Servius wird
durch den Fangzahn eines wilden Ebers die Binde von dem Baum
geschält, in welchem Myrrha, nach dem Incest mit ihrem Vater
von Adonis schwanger, sich eingeschlossen hat (wir sahen, im
Gegensatz dazu, oben Indra, welcher mit einem Ej*aut das Ver-
steck des wilden Ebers öfEnet, um ihn zu tödten). Wir haben
^ Auch bei Du Gange f^aper signifieat diabolum; Papias M. S. ßitor.
Ex ülo Scripturac: ,Singulari8 aper egressus est de silva*/* — Vgl. auch
Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, III,
141 f.
> n, 220 £P. (angef. von Uhland).
350
hier wiederum den blutschänderischen Vater ^ das Mädchen in
dem Holzkleide, den Wald, den durchdringenden Haner des wil-
den Ebers, der den Wald der Nacht durchbricht, und den jungen
Helden in Stand setzt, herauszutreten, den er jedoch am Abend
aus Eifersucht tödtet. Auch in dem alten schwedischen Volks-
glauben tödtet der wilde Eber die Sonne, während sie in einer
Höhle schläft, und ihre Pferde grasen. Zu beachten ist femer
der Doppelcharakter des Hauers des nächtlichen lunaren wilden
Ebers; am Morgen ist es ein lebengebender Hauer, der den
Sonnenhelden in Stand setzt, geboren zu werden; am Abend ist
es ein todverbreitender; der wilde Eber ist wprend der Nacht
lebendig, und die Finsterniss wird von dem weissen Zahn des
lebenden wilden Ebers gespalten. Der lunare wilde Eber (resp.
Schwein) wird geopfert, wird am Morgen getödtet, bei der Hoch-
zeit des Sonnenhelden. Der Zahn dieses todten wilden Ebers
verursacht am Abend den Tod des jungen Helden (resp. Heldin),
oder verwandelt sie auch in wilde Thiere. In Volksmährchen
drückt die Hexe, welche vorgiebt, sie wolle dem Helden, resp.
der Heldin, den Kopf kämmen, ihm oder ihr bald eine lange
Nadel, bald eines todten Mannes Zahn in den Kopf und beraubt
sie so des Lebens oder doch der menschlichen Gestalt. Es ist.
das eine Reminiscenz an den Fangzahn des wolkigen, nächt-
lichen oder winterlichen wilden Ebers, welcher die Sonne tödtet,
oder sie verwandelt, oder sie zum Schlafen bringt.
Ftir die Darstellung der in Schlaf versunkenen Abendsonne
bietet sich uns in dem Mythus von Adonis ein sonderbares Ein-
zelmoment. Es ist bekannt, dass die Doctoren dem Lattich eine
einschläfernde Kraft beilegen, ähnlich der des Mohns. Nun ist
es interessant, bei Nicandros Colophonies (angeführt von
Aldrovandi) zu lesen, dass Adonis von dem wilden Eber ange-
griflFen wurde, nachdem er Lattich gegessen. Ibycus, ein Pytha-
goräischer Dichter, nennt den Lattich: Eunuch, als den, der
Schlaf bringt, der dumm und impotent macht; Adonis, der den
Lattich gegessen hat, wird deshalb der Venus durch den lunaren
wilden Eber genommen, da er Eunuch und unfähig ist. Der
Sonnenheld schläft in der Nacht ein und wird ein Eunuch, gleich
dem indischen Ar^una, wenn er verborgen ist: die Sonne wird
der Mond.
351
KAPITEL VI.
Der Hund«
Der Mythus vom Hunde ist einer von denen , deren Deutung
mehr Zartheit, mehr Sorgfalt erfordert Wie der gemeine Hund
auf der Schwelle des Hauses seinen Platz hat; so befindet sieh
der mythische Hund gewöhnlich am Thor des Himmels, Morgens
und AbendS; in Verbindung mit den beiden Agvins. Es war eine
flüchtige Himmelserscheinung von der Dauer nur eines Augen-
blicks, welcher dem Mythus von dem Hunde in seinen Haupt-
zügen eine entscheidende Oestalt gab. Ist dieser Augenblick
vorbei, so ändert der Mythus seine Natur. Ich habe schon auf
den französischen Ausdruck: „entre chien et loup^' als Bezeich-
nung des Zwielichtes hingewiesen ; ^ der Hund geht nur um einen
Augenblick dem Abendzwielicht vorher und folgt dem des Mor-
gens auch nur um einen Augenblick : er ist mit einem Wort das
Zwielicht in seinem hellsten Augenblick. Sofern er an den
Thoren der Nacht Wache hält, ist er gewöhnlich ein verderbliches,
höllisches und furchtbares Thier; sofern er die Pforten des Tages
hütet, wird er gewöhnlich als ein günstiges, segensreiches darge-
stellt; und wie wir sahen, dass von den beiden Agvins einer zu
dem Monde, der andere zu der Sonne in besonderer Beziehung
steht, so ist von den beiden Hunden der Mythologie der eine spe-
ciell lunar, der andere speciell solar. Zwischen diesen beiden
Hunden finden wir die Hündin, ihre Mutter ^ welche, wenn ich
mich nicht ganz irre, bald den wandernden Mond des Himmels,
den leitenden Mond, der den Pfad des Helden und der Heldin
erleuchtet, bald den Donnerkeil, der die Wolke zerreisst und das
Versteck der Kühe oder der Wasser öflfhet, darstellt Wir haben
also so weit drei mythische Hunde. Der eine^ drohende, wird
' A9vx6fa)9\ Wilhelmus Brito sagt in einem lateinischen Verse, den
Du Gange giebt:
„Tempore quo neque nox neque laz_sed utrumqne videtur;^
mid später:
„Interqne canem distare lupumque/'
Nach Plinios und Solinns macht der Schatten der Hyäne den Hund stumm ;
d. lu die Nach! verscheucht das Zwielicht; der Mond erbleicht
352
von dem Sonnenhelden am Abend an den westlichen Thoren des
Himmels gefunden; der zweite^ tbätigere^ steht ihm bei im Walde
der Nacht; wo er jagt; leitet ihn bei Gefahren and zeigt ihm die
Schlupfwinkel seiner Feinde, während er in der Wölke oder
Finstemiss ist; der dritte/ am Morgen, ist ruhig und wird von
dem Helden gefunden, als er aus dem finsteren Reiche nach dem
östlichen Himmel hin herauskommt
Verfolgen wir jetzt kurz diese drei Gestalten in der indischen
Mythologie. Ich sagte, dass die mythische Hündin mir zuweilen
den Mond, zuweilen den Donnerkeil darzustellon scheint In
Indien wird diese HUndin Saramä genannt, eigentlich: die, die
geht, die rennt oder fliesst Wir sind gewohnt, von dem Hunde
zu sagen, dass er den Mond anbellt, womit das Volkssprichwort
Räuber in Vwbindung bringt. Der Hund, der den Mond anbellt, ^
ist vielleicht derselbe Hund^ der bellt, um die Nähe von Räubern
anzuzeigen. Im 108. Hymnus des zehnten Buches des Bigveda
haben wir eine dramatische Scene zwischen den Geizhälsen oder
Dieben (den Panis) und der HUndin Saramä, der Botin Indras,
welche naoh ihren Schätzen verlangt. ^ Um zu ihnen zu gelangen,
durchschneidet sie die Wasser der Rasa (dnes Flusses der Unter-
welt); der Schatz, welcher in dem Berge verborgen ist, besteht
aus Ktthen, Pferden und mannigfaltigen Reichthümern ; die Panis
wttnschen, dass Saramä als ihre Schwester bei ihnen bleibe und
den Genuss der Kühe mit ihnen theile; Saramä antwortet, sie
köuBe ihre Brüderschaft nicht anerkennen, da sie schon die
Schwester Indras und der schrecklichen Aügirasen sei.' In dem
zweiundsechszigsten Hymnus des ersten Buches entdeckt die
Httndin Saramä die Kühe, welche in dem Felsen verborgen sind,
und emj^ngt zum Entgelt von Indra und den Aügirasen Nah-
rung für ihren Sprössling; darauf schreien die Menschen und die
Kühe brüllen. ^ Nach der Sonne zu gehend , auf dem Pfade der
^ Der Hund war der Jägerin Diana heilig, die wir als den Mond ken-
nen; daher das lateinische Sprichwort: „Delia nota canibus/^
* Indrasya ddtir ishitä dar&mi maha idhanti panayo nidhln va^ji; Str. 2.
* Ra8äy4 ataram payftnsi; Str. 2. — Ayam nidhih sarame adribadhno
gobhir a9vehlxir vasubhir nyriflhtali^; Str. 7. — Svasäram tvft ki-inaväi md
panar ga apa te gavftm subhage bha^&ma; Str. 9. — Naham yeda bhrft-
Iritvam no svas^itvam indro vidur angirasa^ caghoräl^^t Str. 10.
* Indrasylmgirasäm desht^u yidat saramä tanayäya dhäaim bpfaaspatir
bhinad adrirn vidad g&^ sam usriyäbhir vftva^nta naralj^; Str. 3,
353
Sonne, findet Saramä die Kühe. ^ Als Indra den Berg aufspaltet,
zeigt ihm Saramä, vor ihm hergehend, zuerst die Wasser. ^ Nach-
dem sie sohon im Voraus die Spalte im Berge gesehn ^ zeigte sie
den Weg. Als die erste fährte sie schnell, nachdem die Rotte der
Lärmenden im Voraus den Lärm gehört hatte.' Dieser Lärm
kann sich entweder auf die Wasser, die tosenden Ströme (nadäs,
nadts), oder auf die brüllenden Etthe (gavas) beziehen. Sofern
nun diese Hündin, welche die Verstecke entdeckt, durch die
Dunkelheit der Nacht bricht, scheint sie der Mond, sofern sie durch
die Wolke bricht, scheint sie der Donnerkeil zu sein. Das Oe-
heimniss dieser Doppeldeutigkeit, liegt in der Wurzel sar. Im
Bigveda sahen wir die Saramä, die es verschmäht^ für die
Schwester der Diebe und Ungeheuer zu gelten ; im Bäyämana^
hcisst das Weib eines der Ungeheuer, und zwar gerade des Bru-
ders des Räubers Rävana Saramä, nimmt aber statt die Partei
des Ungeheuers, die Rämas und Sitäs, des geraubten Weibes.
Wir haben sohon mehre Mal den Mond als eine wohlthätige Kuh,
als eine gute Fee oder als die Madonna gesehn. Saramä (wovon
wahrscheinlich Suramä, eine andere gütige rakshast, wie schon
bemerkt, nur eine ungenaue Schreibart ist ^), die Trösterin Sttäs,
welche prophetisch ihre nahende Befreiung durch ihren Oatten
Räma verkündet, erscheint mir in dem Lichte einer anderen Per-
sonification des Mondes. Aus diesem Gründe preist Sita ^ Saramä
als eine Zwillingsschwester von sich (sahodarä), gütig und fähig
den Himmel zu durchmessen und einzudringen in die feuchten
Reiche der Unterwelt (rasätala^); die gütige Schwester Sttäs
kann nur ein anderes leuchtendes Wesen sein; sie ist die gute
Schwester, welche das vom blutschänderischen Vater verfolgte
Mädchen des russischen Mährchens (bei A fan.) in der unter-
irdischen Welt 'findet, wo sie getröstet und bei ihrer Flucht aus
' Bitam yati saramä gä avindat ~ Bitasya path& saramä yidad gab;
^igv.'v, 45, 7. 8.
* Apo yad [adrim puruhüta dardar ävir bhuvat saramä pürvyam te;
Kigv. IV, 16, 8.
' Vidad yadi saramä rugi^am adrer mahi päthuh pürvyaih sadbijak
kal^ agram nayat supady aksharänäm adbä ravam prathamä ^äaati gät;
Rigv. m, 81, 6.
* VI, 9.
» V, 62.
* VI, 10.
* VgU die oben citirte vediscbe Stelle.
GaberaaiU. die Thlen. 23
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354
der Gewalt der Hexe anterstützt wird; sie ist der Mond. Der
Mond ist die glänzende Gestalt des finsteren Nacbthimmels oder
des Todten- und Höllenreicbes (Saramä, als Mond steht in Be-
ziehung zu den Hunden ; ebenso wie Proserpina zum Kerberos);
seine beiden glänzenden Grenzmauem an diesem Himmel; im
Osten und im Westen ; sind die Morgen- und Abend-Aurora ; die
glänzenden Gestalten des bewölkten EUmmels sind dagegen Blitz
und Donnerkeile. Und infolge einer dieser glänzenden mythischen
Gestalten machten die Griechen (nach Pollux bei Aldrovandi)
den Hund zum Entdecker des Purpurs^ indem der Hund des He-
rakles zuerst eine Purpurschnecke zerbissen haben soll. Der
Hund der äsopischen Fabel ^ mit dem Fleisch im Munde ist eine
Variation dieses Mythus. Der rothe Abendhimmel erscheint am
Morgen purpurn und am Abend ahs das Fleisch, das der Hund
in die Wasser des Oceans der Nacht fallen lässt Im Paüca-
t antra haben wir statt dessen den Abendlöwen (die Abendsonne),
welcher im Brunnen (oder in dem Ocean Nacht) einen andern
Löwen (bald den Mond, bald seineu eigenen Schatten, die Nacht,
oder die Wolke) erblickt, sich in das Wasser stürzt, um ihn zu
zerreissen und darin umkommt. Der Hase (der Mond) ist das
Thier, welches den hungrigen Löwen in den Wassertod lockt.
Die beiden Söhne der Hündin Saramä bewahren mehre cha-
rakteristische Züge ihrer Mutter. Bald wird von ihnen zusam-
men als den Särameyau gesprochen; bald werden sie zusammen
' Im Tuti-Name haben wir statt des Hundes mit dem Knochen oder
Stück Fleisch den Fuchs. Der Hund, der seinen Schatten im Wasser
sieht; der furchtlose Held toscanischer Mährchen, der beim Anblick seines
Schattens stirbt; das schwarze Ungeheuer (der Schatten), welches in zahl-
reichen Mähreben sich statt des wirklichen Helden zur Heirath der schö-
nen Prinzessin anbietet, lenken unsere Gedanken auf Indra zurück, der
im Rigveda, nachdem er das Ungeheuer überwältigt hat, über die
Ströme davonflieht, weil er etwas sieht, was wahrscheinlich der Schatten
des von ihm getödteten Vritra oder sein eigener Schatten ist. Im Aita-
reya Brähm. III, 2, 15. H'k 20 wird diese Flucht Indras ebenfalls er-
wähnt, und CS wird hinzugefügt, dass Indra sich verbirgt, und dass die
Pitaras (d. i. die Seelen der Abgeschiedenen) ihn wiederfinden. Indra
denkt, er habe Vritra getödtet, in Wirklichkeit aber hat er ihn nicht ge-
tödtet; darauf verlassen ihn die Götter; die Maruts allein bleiben ihm treu
(wie die Hunde der Hündin Saramä freundlich gesinnt sind). Das von
Indra am Morgen getödtete Ung(^heuer ersteht wieder am Abtnd. Nach
andern vedischen ßerichten ist Indra genöth?gt zu fliehen, indt;m er von
Gewissensbissen gepeinigt wird, dass er einen Brahmanenmord begangen
iialic.
355
erwähnt, aber von einander unterschieden; bald nur einer von
ihnen; der rechtmässigere, unter dem Namen Särameya^ dessen
Identität mit dem griechischen Hermes oder Hermeias schon von
Ad. Kuhn erwiesen ist. Saramä in Verbindung mit den Panis,
den Kaufleuten oder Dieben, und Saramä als die göttliche Botin
giebt uns den SchltlsseJ zu der Sage von Mereur, dem Gott der
Diebe und Kaufleute, und dem Boten der Götter.
In einem vedischen Hymnus finden wir mit grosser Deutlich-
keit die beiden Hunde beschrieben, welche die Pforten der Hölle,
die Wohnung des Ungeheuers oder das Reich der Todten be-
wachen. Es wird dort für einen Abgeschiedenen gebetet: „Es
möge ihm vergönnt sein, sicher zwischen den beiden Hunden
hindurchzukommeu , den Söhnen der Saramä, den vieräugigen,
den gefleckten, die den rechten Pfad einhalten, und zu den gütigen
. Manen zu gelangen" (denn es giebt auch böse oder Durvidatras)?
diese Hunde heissen „die sehr stolzen Wächter, welche den Weg
bewachen, die Menschen beobachten, weite Nüstern haben, lang-
rückig, und sehr stark sind, die Boten Yamas;" sie werden an-
gerufen, „dass sie mögen den Anblick der Sonne geniessen lassen
und ein glUcklickes Leben geben.''' Doch der Kigved a selbst
zeigt uns schon die beiden Söhne der Hündin Saramä als die
beiden, welche abwechselnd blicken (nacheinander), welche Indra
zum Schlafen bringen muss. *^ Einer jedoch von den beiden
Söhnen der Saramä wird besonders angerufen und geflirchtet, der
Särameya par excellence. Der vedische Hymnus spricht von
ihm, als dem, der zurückkehrt (punahsara) und stellt ihn dar als
„glänzend, mit röthUchen Zähnen, welche scheinen gleich Speeren,
in dem sehr starken Zahntieische" und fleht ihn an, zu schlafen
oder „nur den Räuber oder den Dieb anzubellen, nicht aber die
Sänger von Hymnen zu Ehren Indras." ^ Die Hündin Saramä ist
^ Ali drava eftrameyäu 9väiiäu datarakshäu ^abaldu s&dhunä pHthä
Htbd pitrint Buvidatran upehi — Yäu te ^vänäu yama rakshit^räu daturak-
sbäi] pathirakähi nridaksbasaa ~ Urünasäv asutripä udumbaläu yauiasya
üüifiu öarato ^anän anu — Täv asmabbyam dri^aye süryäya punar dätUm
asum ady«ba bbadram; Rigv. X, 14, 10 — 12.
* Ni bhväpaya mitbüdri9äu; Kigv. I, 29, 3. — Das Peterab. Wb. er-
klärt das Wort mith durcb „abwechselnd sichtbar."
^ Yad argiina särameya datab pi^anga yadhase viva bhrft^anta rish-
tiya upa srakveshu bapsato ni shu svapa; stenam räya särameya taskaram
va punahsara Btotrin indrasya räyasi kirn asmiln dudhunäyase ni shu svapa;
Rigv. VII, 55, 2. 3.
23*
356
leidenscbaftlich verliebt in ihren Sohn; als Entgelt für ihre Ent-
deckang der Ktthe Indras verlangt sie Nahrubg tlir ihren Sohn,
Welche Nahmng der Commentator als die Milch der befreiten
Kflhe erklärt; die ersten Strahlen der Morgensonne und die
letzten Strahlen der Abendsonne trinken die Milch der Dämmerung
oder des silbergrauen Zwielichts. Im Ma.häbhärata^ verflucht
die Httndin Saramä den König Ganame^aya, weil seine drei
Brttder; als sie das Opfer vollzogen ^ den Hund Särameya^ der
ebenfalls dorthin gegangen war, misshandelten uttd peitschten,
obgleich er die für die Götter bestimmte G^be weder mit seiner
Zunge berührt noch verlangende Blicke darauf gewori'en hatte
(wiC; im Gegensatze dazU; der weisse Hund that, welcher beim
Opfer des Atheners Diomos an einem Orte bei Athen einen Theil
des Opfers stahl, wovon jener Ort deu Namen Kwoaa^eg er-
hielt).^ Dieselbe Sage kommt mit einer leichten Modification im
siebenten Buche des Rämäyana^ wieder vor. R&ma schickt
seinen Bruder Lukshroana, zu sehen, ob es irgendwo im Reiche
Streit zu schlichten giebt; Lakshmana kehrt zurück und berichtet,
überall herrsche Frieden. Rama sendet ihn wieder; er sieht einen
Hund, der an der Schwelle des Palastes aufrecht steht und bellt.
Der Name dieses Hundes ist Särameya. Rama lässt ihn in den
Palast eintreten. Der Hund klagt, dass er ungerechter Weise
von einem Brahmanen Schläge bekommen habe. Der Brahmane
wird gerufen, erscheint, bekennt seine Schuld und erwartet seine
Strafe. Der Hund Särameya schlägt vor, der Brahmane solle zur
Strafe ein Weib nehmen (die gewöhnliche sprichwörtliche Satire
gegen die Weiber) und Haupt einer Familie werden, au dem-
selben Orte, wo er selbst dieses Schicksal leiden musste, bevor
er die Gestalt eines Hundes annahm. Damach erinnert steh
der Hund Särameya seiner früheren Daseinsgestalten und kehrt
nach Benares, von wo er gekommen war, zurück, um Busse
zu thun.
Deshalb sind der Hund und der Kerberos auch Gestalten,
in welche der Held des Mythus übergeht. Der indische und der
pythagoräische Glaube, beide lehren, dass die metempsychosis ein
Mittel der Sühnung ist; der Fluch der beleidigten Gottheit ist
bald ein Racheakt bald eine Züchtigung für einen Irrthum, den
» I, 657. 666.
« Phot. p. 187, 24.
* Gesang 6".
357
der Held oder einer seiner Verwandten begangep, und d^r den
Zorn der Gottheit hervorgerufen hat. ^
Bisweilen nimmt die Gottheit selbst die Grestalt eines Hundes
aU; um die Tugend des Helden auf die Probe zu stellen^ wie im
letzten Buche des Mahäbhärata, wo der Gott Yama ein Hund
wird und dem Yudhishthira (dem Sohne Yamas) folgt, welcher
ihn mit solcher Zuneigung betrachtet, dass er, aufgefordert in den
Wagen der Götter zu steigen, sich weigert, es zu thun, wenn nicht
sein treuer Hund die Erlaubniss erhält, ihn zu begleiten.
Bisweilen jedoch ist die Gestalt eines Hundes oder einer
HQndin (da der (Tebergang von Yama, dem Gott der Hölle in
der Gestalt eines Hundes, zu dem Hund-Dämon leicht ist) eine
wirkliche und specifische Erscheinungsform eines Dämons. Der
9 i g V e d a spricht von den Hund-Dämonen, die den Indra quälen
wollen, welcher ersucht wird, das Ungeheuer in Gestielt einer
Eule, einer Fledermaus, eines Hundes, eines Wolfes, eines grossen
Vogels, eines Geiers zu tödten ; ^ es werden die ÄQvins angerufen,
auf jeder Seite die bellenden Hunde zu vernichten ; ' die Freunde
werden gebeten, den langzungigen und habgierigen Hund (in der
alten italienischen Chronik Giov* Morellis werden Geizhälse Cani
del danaro, Geldhunde, genannt) zu vernichten, wie die Bhpgus
das Ungeheuer Makha getödtet haben. * Und das Fell der rothen
Hündin ist eine andere Ungeheuer-Gestalt, in welche sich jeden
Morgen fals die Aurora am Morgenhimmel) in dem 23. mongo-
lischen Mähreben das schöpe Mädchen kleidet, welches m der
Gewalt des Dn^ohenfHrsten ist; sie ist jedoch (als Mond) ein
SQhönes M|üdc|ien nur bei Nacht; gegen den Tag hin wird sie
eine rothe Hündin (der Mond überlässt der Aurora seinen Platz);
der Jüngling, der sie geheirathet bat, will die Haut dieser Hün-
' So hei88t es von Hecuba, der Gattin des Priamus, nachdem sie
grausen Kummer als Weib erlitten, bei Ovid:
„Perdidit infeliz hominis post omnia formam
Extemasqae novo latratn terroit auras.'*
Aach im Breviarium Romanum wird Qi>tt bei den Todtenofficien ge-
beten, die Seelen seiner Diener nicht den wilden Thieren zu überliefern
(ne tradas bestiis etc.).
* Eta u tye patayanti ^vayfttava indram dipsanti dipsavo 'dftbhyam —
Ulukay4tuih ^^ulükayfttnm ^hi ^vayätum uta kokay&tam suparnayatnm
gridhray&tum dfishadeva pra mfina raksha indra; Bigv. VII, 104, 20. 23.
' Gambhayatam abhito r&yataJ^; Bigv !> l^t ^•
* Apa 9vftnaih ^athishtani^ sakhUyo dirgho^ihvyam — Apa ^vftnam
ar&dhasam hatä makham na bbfig»va^; ?igv- 1^« ^^h !• t3*
358
din verbrennen, doch das Mädchen verschwindet; die Sonne holt
die Aurora ein, und sie verschwindet mit dem Monde. Wir haben
diesen Mythus schon kennen gelernt.
Im achtzehnten Hymnus des vierten Buches des Rigveda
scheint mir die dreizehnte Strophe eine interessante Einzelheit zu
enthalten. Ein Frommer klagt folgendermassen : ,,In meinem Elend
hatte ich die Eingeweide d^s Hundes gekocht ; ich fand unter den
Göttern keinen Tröster; ich sah mein Weib unfruchtbar; der Falke
brachte mir Honig" *. Hier finden wir den Hund in Verbindung
mit einem Vogel ^. Im fttnfundzwanzigsten Mährchen des vierten
Buches bei Afanassieff finden wir den Specht, der seinem
Freunde, dem Hunde, Speise und Trank bringt und ihn nach
seinem Tode rächt. Im einundvierzigsten Mährchen des vierten
Buches wird der Hund von der alten Hexe getödtet, weil er die
Knochen ihrer bösen Tochter, die von dem Kopfe einer Stute ver-
schlungen ist, in einem Sack trägt. Im zwanzigsten Mährchen
des fünften Buches haben wir den Hund in der Eigenschaft eines
Boten, dessen sich das schöne Mädchen bedient, welches die
Schlange geheirathet hat; er bringt ihrem Vater einen Brief, den
sie geschrieben hat, wie auch seine Antwort darauf. In der Le-
gende von St. Peter dient der Hund als Bote zwischen Petrus und
dem Zauberer Simon ; in der Legende vom hlgen Roeco bringt
der Hund des Herren dem Heiligen, der verlassen und krank
unter einem Baume liegt, Brod. Der Name der Amme des Cyrus
ist Kwai,^ weshalb Cyrus vielleicht, wie Asclepios, mit Hundemilch
genährt worden ist. Ich bemerkte schon, dass die Erzählung von
dem Hunde mit dem Mythus von den Agvins, oder, was dasselbe
' Avarty& ^ima &nträni pede na deveshu vivide marditäram apa^yam
^äyäm amahiyamanäm adhä me ^jeno madhv ä ^abbära; J^igv. IV, 18,
13. Der Vogel, der Honig bringt, bat bier ofienbar eine pballiscbe Be-
deutung, wie aucb das Innere (die Eingeweide), der Tbeil der innerbalb
bald des Hundes, bald des Fiscbes und bald des Esels ist (welche alle
Symbole des Phallus sind), von den Weibern der Feenroährcben als eine
Delikatesse verlangt, gleicbbedeutend mit dem vom Vogel gebracbten
madbu sein muss.
* In der fünften Erzählung des vierten Buches des Pentamerone
thut der Vogel dasselbe, was ein Hund in der dritten Erzählung des dritten
Buches thut; der Vogel bringt ein Messer, der Hund bringt einen Knochen,
und die gefangene Prinzessin kann mit diesem Messer und Knochen ein
Loch in das Gefangniss machen und sich befreien.
' He rod. I, 110; dieser Name ist eine Uebersetzung des medischen
Snoatoi' xtjv ya(^ xvra xaXiovai andxa MrjBot.
\i
359
ist, mit dem von dem Pferde zusammenhängt; Pferd und Hund
werden als Renner betrachtet: das Pferd trägt den Helden ^ und
der Hund bringt gewöhnlich den Freunden des Helden Nach-
richten von diesem, wie es im Bigveda^ die Hündin Saramft,
die Botin der Götter, tbut. Der Held, der die Gestalt eines Pfer-
des annimmt, warnt seinen Vater, als dieser ihn dem Teufel ver-
kauft, dem Käufer nicht den Zügel zu überlassen. Im zweiund-
zwanzigsten Mährchen des fünften Buches bei Afanassieff ver-
wandelt sich der junge Mann in einen ^und und lässt seinen
Vater ihn an einen grossen Herren verkaufen, in den sich der
Teufel verkleidet hat, giebt ihm aber den Rath, die Halfter nicht
aus der Hand zu geben. * Der Herr kauft den Hund für zwei-
hundert Rnbel^ besteht jedoch darauf, auch die Halfter mit zu
bekommen, und nennt den Alten einen Dieb^ als dieser sich wei*
gert, sie ihm einzuhändigen. Der Alte giebt nach, und der Hund
geräth so in die Gewalt des Teufels. Doch auf dem Wege kommt
ein Hase (der Mond, der den Sonnenhelden rettet) vorbei; der
Herr schickt den Hund auf die Jagd nach demselben und verliert
ihn aus den Augen; der Hund nimmt wieder die Gestalt eines
Helden an und vereinigt sich mit seinem Vater. In demselben
Mährchen verwandelt sich der junge Mann ein zweites Mal in
einen Vogel (wir werden in Theil ü, Kapitel X die A^vins als
Schwäne und Tauben sehen), und ein drittes Mal in ein Pferd.
Im achtundzwanzigsten Mährchen des fünften Buches werden ein
Pferd, ein Hund und ein Apfelbaum vom todten Stier geboren,
welcher Iwan und Marie beschützt, die in dem Walde vor dem
Bären fliehen. Auf dem Pferde reitend und von dem Hunde be-
gleitet geht Iwan auf die Jagd. Den ersten Tag fängt er ein
lebendiges WolQunges und bringt es nach Hause; den zweiten
Tag greift er einen jungen Bären ; den dritten Tag geht er wieder
jagen, vergisst aber den Hund; da entftlhrt die sechsköpfige
Schlange, in Gestalt eines schönen JünglingS; seine Schwester^
legt den Hund unter Schloss und Riegel und wirft den Schlüssel
in den See. Iwan kommt heim^ bricht auf den Rath einer Fee
' Im Pentamerone I, 7 bringt die versaaberte Hündin der Prin-
zessin Nachrichten von dem jungen Helden.
* Im siebenten ehstnischen Mährchen hält der Mann mit dem schwar-
zen Pferde drei Hunde fest angekettet ; wenn auch nur einer dieser Hunde
frei würde, so wäre es nicht möglich, die anderen fest zu halten. — In
der Edda halt Thrymer, der Fürst der Riesen, die grauen Hunde mit
goldenen Ketten gebunden.
360
einen Zweig von dem Apfelbaum und schlägf damit den Riegel
der Thür, welche den Hund einschlieBst ; der Hund wird so in
Freiheit gesetzt und Iwan lässt Hund ; Wolf und Bären auf die
Schlange los, welche von ihnen in Stücke zerrissen wird, und ge-
winnt seine Schwester yrieder. Im fünfzigsten Mährchen des
fllnften Buches zerreisst der Hund eines kriegerischen Helden den
Teufel; der zuerst in Gestalt eines Stieres^ dann in der eines
Bären erscheint; um die Hochzeit des Helden^ die stattfinden soll;
zu verhindern. Im zweiundfünfzigsten Mährchen des sechsten
Buches zerreissen die Hunde, welche Iwan Tzarevic von zwei
Feen erhalten hat; zusammen mit einem jungen WolfC; Bären und
Löwen das Schlangenungeheuer in Stttcke. Die beiden Hunde
führen uns auf den Mythus von den Agvins zurück. In dem drei-
undfüiifzigsten Mährchen des sechsten Buches haut das Ungeheuer
dem Iwan den Kopf ab. Iwan hat zwei Söhne, welche sich selbst
für von einem Hunde abstammend halten; sie bitten ihre Mutter,
gehen und ihren Vater wieder auferwecken zu dürfen. Ein alter
Mann giebt ihnen eine Wurzel; welche, an Iwans Körper geriebeU;
ihn wieder ins Leben zurückrufen soll; sie nehmen sie und ver-
wenden sie in der angegebenen Weise. Iwan wird wieder aufer-
weckt und das Ungeheuer stirbt. Endlich erfahren wir in dem
vierundfünfzigsten Mäbrchen des fünften Buches bei A fan as -
sieff; wie die Söhne des Hundes geboren werden; die Art und
Weise ihrer Geburt ist analog der in dem vedischen Hymnus er-
wähnten. Ein König; welcher keine Söhne hat, hat einen Fisch
mit goldenen Flossfedem; er lässt ihn kochen und der Königin
zu essen geben. Das Innere des Fisches (der Phallus) wird der
Hündin vorgeworfen, die Knochen werden von der Köchin benagt,
das Fleisch aber isst die Königin. Der Hündin, der Köchin und
der Königin wird zu gleicher Zeit ein Sohn geboren. Alle drei
Söhne werden Iwan genannt und als drei Brüder betrachtet ; doch
der stärkste (der die schwierigste That vollbringt) ist IwaU; der
Sohn der Hündin, welcher in das Reich der Ungeheuer hinabgeht
(wie von den beiden Dioskuren einer in die Hölle hinabsteigt,
gleich den beiden Trauerhunden, gelblich und weiss, des Avesta,
welche den vedischen Särameyau vollständig entsprechen.')
' ,,Einen gelblichen Hund mit vier Augen oder einen weissen mit
gelben Ohren;'* Yen dl dad VIII, 41 (bei Spiegel). Und Anqaetil schil-
dert bei der Beschreibung des Baraschnon no schabt den reinigenden
Hund folgendermassen: „Le Mobed prend le baton k neuf noeuds, entre
361
In demselben Mährchen werden .ausser den drei Heldenbrüdem
drei Heldenpferde von den drei Stuten geboren, welche das Wasser
getrunken haben , in welchem der Fisch vor dem Kochen ge-
waschen war; in anderen europäischen Versionen und in den
russischen Mährchen selbst haben wir also zuweilen statt des
► Sohnes der Htlndin den Sohn der Stute (oder der Kuh). Die
beiden A^vins sind bald zwei Pferde, bald zwei Hunde, bald ein
Hund und ein Pferd (bald ein Stier und ein Löwe.) * Iwan Tzarevid,
den das Pferd und der Hund aus der Gefahr retten, ist identisch
mit dem vedischen Helden, der Sonne, den die Agyins aus vielen
Gefahren retten.
In den russischen Mährchen, wie auch in den italienischen,
setzt die Hexe an die Stelle eines, zweier oder dreier Söhne des
Prinzen, welche Sterne auf der Stirn haben und von der Prinzessin
in Abwesenheit ihres Gemahls geboren worden sind, eine, zwei
oder drei Puppen. In diesen selben Mährchen wird der verfolgten
Prinzessin die Hand abgehauen. lin dreizehnten Mährchen des
dritten Buches bei Afanassieff^ beschuldigt die zauberische
Schwägerin die Schwester ihres Gatten in dessen Gegenwart er-
dichteter Verbrechen. Der Bruder haut ihr die Hand ab; sie
wandert in den Wald und kommt erst nach Verlauf mehrerer
Jahre wieder heraus; ein junger Kaufmann verliebt sich in sie und
heirathet sie. Während der Abwesenheit ihres Gemahls schenkt
sie einem Kinde das Leben, dessen Körper ganz von Gold ist
./
dans les Keischa et attache la cuiltöre de fer au neuvi^me noeud. L'impar
entre aussi dans les Keischs. On y am^ne un chien ; et si c'est une femme
que Ton purifie, comme eile doit 6tre nue, c^est aussi une femme qui tient
le chien. Lumpur ayant la main droite sur sa t^te et la gauche sur le
chien, passe successivement sur les six premieres pieires et s'y lave avec
Turine qui lui donne le Mobed." — Im Kfttyäy. Sü. wird ganz ernstlich
die Frage erörtert, ob ein Hund, den man am Viersehnten des Monats
fasten sah, das aus religiöser Busse that. — Vgl. Muir, Sanskrit Texts
I, 365.
' Hund und Pferd tÖdten das Rehkuh Ungeheuer mit Bissen und
Schlägen und befreien die beiden Heldenbrüder im Pen tamer one I, 9.
* Vgl. auch das sechste des dritten Buches. — Pentamerone III, 2
haut sich die Schwester selbst die Hände ab, in welche sich ihr Bruder,
der sie heirathen will, yerliebt hat. — Vgl. die Mittelalterlichen Le-
genden Ton Santa Uliya, mit Anmerkungen begleitet von Prof. Ales-
sandro dAncona, Pisa 1863, und die Figlia del Re di Dacia, erklärt
von Prof. Aless. Wesselofski, Pisa, 1866; ausserdem noch das einund-
dreissigste der Grimmschen Mährcheu.
362
und welchen die Bilder der Sterne, des Mondes und der Sonne
bedecken. Seine Eltern schreiben an ihren Sohn, um ihm diese
Nachricht mitzutheilen ; doch die Schwägerin-Hexe unterschlägt
den Brief (wie im Mythus von Bellerophon) und schiebt einen
anderen unter, welcher, im Gegensatz dazu, die Geburt eines Un-
geheuers, halb Hund, halb Bär, ankündigt. Der Mann schreibt
zurück, man möchte warten, bis er zurückgekehrt sei, um mit
eigenen Augen den Neugeborenen zu sehen. Auch diesen Brief
fängt die Hexe auf und vertauscht ihn mit einem anderen , in
welchem er befiehlt, sein junges Weib fortzuschicken. Die junge
Frau irrt, ohne Hände, mit ihrem Knaben umher. Dieser fällt in
einen Brunnen; sie weint; ein alter Mann räth ihr, ihre Arm-
stümpfe in den Brunnen zu werfen; sie gehorcht und erlangt ihre
Hände, wie auch ihren Knaben wieder. Sie findet ihren Gemahl,
und kaum hat sie das Kind seinen Blicken enthüllt, als das ganze
Zimmer mit hellem Glanz erfüllt ist (asviatilo).
In einem serbischen Mährchen ^ lässt der Vater des Mäd-
chens, dem von der Hexe, ihrer Schwiegermutter, die Hände abge-
hauen worden sind, durch die Asche dreier verbrannter Haare
von dem Schwänze des schwarzen Hengstes und der weissen Stute
dem Mädchen goldene Hände an den Armen wachsen. Der Apfel-
baum mit goldenen Zweigen, den wir schon erwähnt haben, ist
identisch mit diesem Mädchen, das aus dem Walde (oder ans der
Holzkiste) kommt, mit goldenen Händen. Von den Zweigen ist
der Uebergang zu den goldenen Händen, zu dem schönhaarigen
Sohn, der aus dem Baumstamme kommt, leicht. ^ Die Vorstellung
eines Jünglings als eines Baumzweiges ist durch Shakspeare
poetisch geworden, der die Herzogin von Gloster von den sieben
Söhnen Eduards sagen lässt:
„£dward*8 seven sons, whereof thyself art one,
Were as seven phials of his sacred blood,
Or seven fair branches springing from one root'* *
In indischen Mythen wird dem Savitar, nachdem ihm die
Hand abgehauen ist, eine von Gold gegeben, weshalb er sich der
* Dem dreiunddreissigsteu der Karadzikischen Sammlung, angeführt
von Prof Wesselofski in seiner Einleitung zu der Figlia delRe di
D a c i a.
* Vgl. meine kleine Abhandhing über den Albero di Natal e.
s Richard II, Akt I, Sc. 2.
363
BezeicbnoDg Hiranyahasta (d. h. der Goldhandige) erfreut. Doch
im 116. und 117. Hymnus des ersten Buches finden wir eine noch
interessantere Angabe. Der Zweig ist die Hand des Baumes ; der
Zweig ist der Sohn, der sich von dem mütterlichen Baumstamm
losmacht ; der goldene Sohn ist identisch mit dem goldenen Zweige^
der goldenen Hand des Baumes. Die Mutter, die eine goldene
Hand erhält; ist identisch mit der Mutter, welche Hiranyahasta,
Goldhand; zum Sohn hat. Der vedische Hymnus sagt, dass die
A^vins Goldhand als Sohn der Vaclhrimatl gaben. ^ Das Wort
vadhrimatt ist doppelsinnig. Das Petersburger Wörterbuch
erklärt nur: ,;einen unvermögenden Gatten habend", doch der
eigentliche Sinn des Wortes ist: „die, die etwas Abgeschnit-
tenes hat'*, d. h. die den verstümmelten Arm hat, wie im Feen-
mährchen, aus welchem Grunde ihr eine goldene Hand gegeben
wird. Als das Weib eines Eunuchen erhält also die vedische
Frau von den Agvins einen Sohn mit einer goldenen Hand; da
sie einen unvollkommenen Arm hat, so empfangt sie nur eine
goldene Hand, wie im 116. Hymnus des ersten Buches dieselben
Agvins der ViQpalä das abgerissene Bein durch ein ehernes er-
setzen. ^ Der Bigveda enthält also schon den Keim des höchst
volksthümlichen Themas von "dem Mann resp. von der Frau ohne
Hand, ganz so wie wir in ihm schon den Embryo zu den Sagen von
dem lahmen Mann, dem blinden Mann, resp. Frau, von der häss-
lichen und verkleideten Frau gefunden haben.
Doch kehren wir zum Hunde zurück. Neben seiner Behen-
digkeit im Laufen » spielt auch seine Stärke im Mythus eine her-
* 9^^^^ ^ dbäsar iva vadbrimat yä hiranyahastam a^vinav adattam ;
Bigv. I, 116, 13. — Hiranyahastam aQvin&raränä putram narft vadbrimatyä
adattam; I, 117, 24. — Der Hund in Verbindung mit einer Menschenhand
wird erwähnt bei Sueton. Vesp. 5; dieser Kaiser betrachtete es als ein
gutes Omen, dass einst ein Hund die Hand eines Mannes in den Speise-
saal brachte.
* Sadyo ^angbäm äyasim vi^paläyai dhane hite sartave praty adhat-
tarn; Str. 15.
* Vielleicht aus diesem Grunde geben die Ungarn ihren Hunden die
Namen von Flüssen , als tüchtigen Rennern ; doch führt man als Grund
davon auch den Aberglauben an ^ dass ein Hund , der den Namen eines
Flusses oder eines Wassers überhaupt tragt, nie toll wird, besonders wenn
es ein weisser Hund ist; die Ungarn betrachten nämlich den rothen und
den schwarzen oder gefleckton Hund als Teufelsgestalten. — Im Toscaui-
schen muss ein einem Christenmenschen ausgerissener Zahn sorgfältig ver-
steckt werden, damit ihn die Hunde nicht finden und fressen; hier sind
Hund und Teufel einander gleich gemacht.
364
vorragende Rolle. Der Kerberos zeigt eine ausserordentliolie
Stärke beim Zerreissen seiner Feinde. In den russischen Mähr-
chen ist der Hund die Stärke des Helden und ist mit dem Wolf,
dem Bären und dem Löwen vergesellschaftet. In Volksmährchen
finden sich bald furchtbare Löwen und bald schreckliche Hunde
als Wächter an den Thoren der Wohnung des Ungeheuers. Der
Mönch von St. Gallen sagt bei Du Cange_, dass die „canes ger-
manici*' so behend und wild sind, dass sie allein genügen, Tiger
und Löwen zu jagen ; dieselbe Fabel wird bei Du Gange wieder
von den Hunden Albaniens erzählt, welche so gross und wild sind,
„ut tauros premant et leones perimant." Der ungeheure Ketten-
hund, der auf der linken Seite des Einganges römischer Häuser
gemalt war, nahe am Zimmer des Thürhtiters; der Spruch oave
canem; die Bussübungen, die in Griechenland und Rom angestellt
wurden, zur Zeit der Canicula oder des Ganis Sirius, um die
üebel zu beschwören, die er mit der Sonnenhitze bringt, in Ver-
bindung mit dem sol leo und dem entsprechenden Fest des
Hundetödtens (ioQvr] xwoq>6vjig\ ferner die bellenden Hunde, die
an den Hüften der Scylla erscheinen, ^ — alle sind Reminiscenzen
des mythischen Höllenhundes. Der Hund als Hausthier wurde
mit dem wilden Thier zusammengeworfen, welches gewöhnlich
das Ungeheuer darstellte. Der Hund ist im Zwielicht kaum vom
Wolf zu unterscheiden. Bei Du Gange lesen wir, dass es im
Mittelalter Brauch war, bald beim Hunde,' bald beim Wolfe zu
schwören ' In der Gegend um Arezzo, im Toscaniscfaen, herrscht
^ Daher die Namen „Cnnaria Hospitia'^ and ,,Porta Catul^gria", wo ein
Hund geopfert wurde, um die Furie der Canicul» zu beschwichtigen; df^-
her auch der Vera Ovids:
„Pro cane sidereo canis hie imponitur arae^S
* Scylla wäscht ihre Hüften in einer Quelle, deren Wasser die Zauberin
Circe behext hat, worauf sich Hundeungehener an ihrem L^ibe einstellen ;
daher sagt Ovid:
,,Scylla venit mediaque tenus descenderat alvo,
Cum sua foedari latrantibus inguina monstris
Aspicit, ac primo non credens corporis illas
Esse stti partes refugitque abiitque timetque
Ora protenra canum.'*
* Haec lucem accipiunt ab Joinville in Hist. S. Ludovici, dum foedera
inter Imp. Joannem Yatatzem et Comanonim Principem inita recenset,
eaque firmata ebibito alterius invicem sanguine, hacque adhibita ceremonia
quam sie enarrat: ,,£t ancore firent-ils autre chose. Car ils firent passet
365
der OlätibO) dasB, Wenn eine Wölfin wirft, sich nnter jbren Jungen
immer ein Hüüd befindet; der, am Leben gelassen ^ alle Wölfe
ansmtten wflrde. Doch die Wölfin weiss das, und kanm hat sie
den Hnnd bemerkt, als sie ihn ertränkt, wenn sie die Wölfe zur
Tränke führt. In einer Fabel des Abstemius frisst ein Schäfer-
hund jeden Tag eines von den Schafen , statt über die Herde zu
wachen. Der Schäfer tödtet ihn, indem er sagt, dass er den Wolf,
einen erklärten Feind, dem Hunde, einem falschen Freunde vor-
ziehe. Diese Unsicherheit, diese Confusion von Hund und Wolf
erklärt die Doppelnatur des Hundes; zum Beweis illr diese will
ich hier zwei noch nicht veröffentlichte italienische Mährchen mit-
theilen; das erste, das ich aus dem Munde einer Bauerfran aus
Fuceechio habe, zeigt die Httndin als Spion des Ungeheuers ; das
zweite wurde vor ein paar JahrM von einem piemontesischen
Banditen einer BauerfVau erzählt, welche ihm Gastfreundschaft
erwiesen hatte, in Capellanuova bei Cavour im Piemontesischen.
Die erste Geschichte beisst: Der König der Mörder, und
lautet folgendermassen :
Es war einmal eine Wittwe mit drei Töchtern, die arbeiteten
als Näherinnen. Sie sitzen auf einer Terrasse, — da kommt ein
schöner Herr vorbei und heirathet die älteste, er nimmt sie zu
sich auf sein Schloss mitten im Walde, nachdem er ihr gesagt,
dass er das Haupt der Raubmörder sei. Er giebt ihr eine kleine,
junge Httndin und sagt: „Das soll Deine Gespielin sein; wenn
Du sie gut behandelst, so ist es, als ob Du mich gut behandeltest"
Er zeigt ihr im Schloss alle Zimmer und giebt ihr alle Schlüssel ;
jedoch in zwei Zimmer, die er ihr bezeichnet, darf sie nicht ein-
treten; thut sie es, so wird es ihr schlecht ergehn. Der Räuber-
hauptmann bleibt einen Tag zu Hause; dann bleibt er drei Tage
aus. Während seiner Abwesenheit misshandelt sie das Hündchen
und giebt ihm fast gar nichts zu essen ; auch wird sie von der
Neugierde überwältigt und geht sehen, was in den beiden Zim-
mern ist, indem ihr das Hündchen folgt. Da sieht sie in dem
einen Zimmer Köpfe von Erschlagenen, in dem anderen Zungen,
Ohren und dergleichen aufgehängt. Dieser Anblick erfüllt sie mit
Entsetzen. Der Banditenhauptmann kehrt heim und fragt die
Httndin, ob sie gut behandelt worden sei ; sie giebt Zeichen, dass
un chien entre nos gens et eux, et d^coupörent tout ie chien k lean es-
pies, disans que ainsy fossent-ils d^oupez s'ils faiUoient Tun k Tautre.*' —
Vgl. bei Da Gange den Ausdruck „cerebrare canem.**
366
das Gegentheil der FaJl war, und berichtet ibrem Herrn , dass
sein Weib in den verbotenen Zimmern war. Er baut ihr den Kopf
ab und holt sieh die zweite Schwester, die er zu sich lockt dnrch
die Einladung, sein Weib zu besuchen. Sie erleidet dasselbe
Geschick. Darauf holt er die dritte Schwester und sagt ihr, wer
er ist; sie antwortet: „Es ist besser so; nun werde ich mich nicht
mehr vor Dieben fürchten." Sie giebt dem Hündchen gut zu
essen, liebkost es und macht sich bei ihm beliebt; der Hörder-
könig ist zufrieden und die Hündin führt ein glückliches Leben.
Nach einem Monat geht sie, während er aus ist und das Hündchen
im Garten umherläuft, in die beiden Zimmer, findet ihre Schwestern
und geht in die andern Zimmer, wo Salben sind, mit denen sich abge-
schnittene Glieder wieder befestigen lassen und solche, durch welche
man die Todten wieder zum Lieben bringen kann. Sie erweckt also
ihre Schwestern vom Tode, versteckt sie in zwei grossen Kesseln,
die mit Luftlöchern versehen sind, und bittet ihren Mann, diesel-
ben ihrer Mutter zum Geschenk zu bringen, indem sie ihn warnt,
nicht in die Kessel hineinzuschauen; thue er es doch, so würde
sie es sehen. Er nimmt die Kessel, und als er versucht, hinein-
zusehen, hört er, wie er gewarnt ist, nicht eine Stimme, sondern
zwei, die von innen flüstern: „Mein Liebchen, ich seh* Dich."
Elrsch rocken übergiebt er schleunigst der Mutter die beiden Kessel.
Mittlerweile hat sein Weib die Hündin in siedendem Oel getödtet ;
sie bringt alle todten Männer und Weiber zum Leben, unter
denen auch Carlino, Sohn eines Königs von Frankreich sich be-
findet, der sie heirathet. — Der Mörderkönig bemerkt bei seiner
Heimkehr den Verrath und gelobt Rache; er geht nach Paris, lässt
dort eine goldene Säule anfertigen, in welcher ein Mann verborgen
sein kann, ohne dass die geringste Oefinung sichtbar ist, und be-
sticht ein altes Weib aus dem Palast, auf das Kopfkissen des
Prinzen ein Blatt Papier zu legen, das ihn und alle seine Diener
in tiefsten Schlaf versenken soll, sobald er darauf liegt. Sich
selbst schliesst er in die Säule ein und lässt sie vor den Palast
bringen ; die Königin wünscht, sie zu besitzen, und besteht darauf,
sie zu Füssen ihres Bettes zu haben. Die Nacht kommt heran;
der Prinz legt seinen Kopf auf das Blatt, und er wie seine Diener
fallen sofort in tiefen Schlaf. Der Mörder springt aus der Säule,
droht, der Prinzessin den Tod zu geben, und geht in die Küche,
einen Kupferkessel mit Oel zu fällen, um sie darin zu sieden.
Unterdess ruft sie ihren Gatten, ihr zu helfen, doch vergebens;
sie zieht die Glocke, doch Niemand hört; der König der Mörder
r
I
367
kehrt zurück nnd zieht sie aus dem Bette; sie packt den Kopf
des Prinzen und zieht ihn so von dem Papier fort; der Prinz
und seine Diener erwachen, und der Zauberer wird lebendig
verbrannt.
Das zweite Mährchen heisst: Der Zauberer mit den sie-
ben Köpfen, und wurde mir von der Bauerfrau folgendermassen
erzählt :
Ein alter Mann und eine alte Frau hatten zwei Kinder,
Oiacomo und Carolina. Oiacomo hütet drei Schafe. Ein Jäger
kommt vorbei und verlangt dieselben ; Giacomo giebt sie hin und
erhält dafür drei Hunde, Drossel-Eisen, Schnell-wie-der-Wind und
Bin-überall ; ausserdem noch eine Pfeife. Der Vater weigert sich,
Giacomo wieder in sein Hans aufzunehmen; dieser zieht mit sei-
nen drei Hunden 'fort; der erste bringt Brod, der zweite Fleisch-
speisen, der dritte Wein. Er kommt zu dem Palast eines Zauberers
und wird gut aufgenommen. Als er seine Schwester bringt, ver-
liebt sich der Zauberer in dieselbe und will sie heirathen; doch
zu diesem Ende muss der Bruder durch Entfernung seiner Hunde
geschwächt werden. Seine Schwester stellt sich krank und ver-
langt von ihrem Bruder Mehl; der Müller verlangt einen Hund
{Wr das Mehl, und Giacomo giebt ihn aus Liebe zu seiner
Schwester hin; in ähnlicher Weise werden ihm die beiden andern
Hunde abgeschmeichelt. Der Zauberer will nun Giacomo erdros-
selU; doch dieser bläst in seine Pfeife und die Hunde erscheinen,
um den Zauberer und die Schwester zu tödten. Giacomo geht
mit den drei Hunden weiter und kommt in eine Stadt, in welcher
grosse Trauer herrscht, weil die Tochter des Königs von dem
siebenköpfigen Zauberer verschlungen werden soll. Giacomo
tödtet vermittelst der drei Hunde das Ungeheuer; die dankbare
Prinzessin legt den Saum ihres Kleides um Drossel- Eisens Hals
und verspricht, Giacomo zu heiratheu. Der Letztere, der in Trauer
um seine Schwester ist, bittet sich ein Jahr und einen Tag Warte-
zeit aus; doch bevor er fortgeht, schneidet er dem Zauberer die
sieben Zungen aus und nimmt sie mit sich. Das Mädchen kehrt
in den Palast zurück. Der Essenkehrer zwingt sie, ihn als den
Befreier anzuerkennen; der König, ihr Vater, willigt darein, dass
er sie heirathet, jedoch die Prinzessin bedingt sich ein Jahr und
einen Tag Wartezeit aus. Nach Ablauf dieses Termins kehrt
Giacomo heim und hört, dass die Prinzessin sich verheirathen soll.
Er schickt Drossel-Eisen, den Essenkehrer (den schwarzen Mann,
den Saracenen, den Türken, den Zigeuner, das Ungeheuer) mit
368
seinem Schwänze zu schlagen, damit sein Halsband bemerkt
werde; dann stellt er sich selbst ab den wirklichen Befreier der
Prinzessin dar und verlangt; dass die Köpfe des S^auberers ge-
bracht werden; da die Zungen fehlen , wird die List entdeckt
Das junge Paar wird vermählt, der Kaminfeger aber verbrannt.
In der Umgegend von Florenz glaubt man, dass der Wolf
wie auch der Hund, wenn man von ihnen träumt^ ein Vorzeichen
von Krankheit oder Tod sind (wie bei Terenz), besonders wenn
man den Hund im Traume hinter Einem herlaufen sieht oder sich
von ihm verfolgt glaubt. Bei Horaz (Ad Galatheam 0 bedeutet
es Unglttek, wenn man eine trächtige Hündin trifit :
*
„Impios parrae recinentis omeu
Oucat et praeguans canis.''
In Sicilien wird St. Veit gebeten ^ die Hunde an der Kette
zu halten:
„Santa Vitu, Santu Vitu,
lo tri vuti vi la dicu:
Va\ chiamativi a lu cani
Ca mi voll muzzicari/'
Und wenn man den Hund anbindet, sagt man:
,,Santu Vitu,
Beddu e pulitu,
Anghi di cira
£ di ferru fi latu;
Fi iu nuomu di Maria
Ligu stu cani
Ch* aja avanti a mia/*
Und wenn man den Huhd loslässt, sagt man dabei:
„Fermati, cani
Ca t' aju ligatu."«
In Italien und Russland bedeutet es Unglück und Tod, wenn
der Hund wie ein Wolf heult, d. h. den Wolf spielt. Es wird
auch erzählt, ^ dass nach dem BUndniss zwischen Cäsar, Lepidus
und Antonius Hunde wie Wölfe beulten.
» Carm. III, 27, 1. 2.
* Biblioteca della Tradizioni Popolari Siciliane, ed.Qta8,
Pitr^ II, canto 811.
* Bei Richardus Dinothus (nach Aldrovandi).
369
Wenn man in Sicilien von einem Hunde gebissen wiyd, wird
demselben ein Büschel Haare abgeschnitten and in Wein p^t
einer glühenden Löschkohle getaucht; dieser Wein wird depi
Mann^ der gebissen worden ist, zu trinken gegeben. ^ Bei Aldro-
vandi ^ lese ich andrerseits, dass die Wunde durch den Biss eines
tollen Hundes geheilt wird^ wenn, man sie mit Wolfshaut bedeckt.
Der Hund ist ein Mittel der Züchtigung. Unsere italienischen
Redensarten: ,,menare il cane per Vaia'^ (den Hund um die
Dreschtenne führen) und : ,,dare il cane a menare^' iden Hund zum
Herumführen geben) sind wahrscheinlich eine Beminiscenz an die
schimpfliche Strafe des Hundetrbgens im mittelalterlichen Deutsch-
land, welche einem vornehmen Verbrecher auferlegt wurde und
zuweilen seiner Hinrichtung vorausging. ^ Die Strafe der Zer-
reissung durch Hunde, welche mehr als einmal auf den Befehl
von Tyrannen in Ausführung gebracht worden ist, hat ihr Proto-
typ in dem bekannten Mythus von Kerberos und den rächenden
Hunden der Hölle. So wird Peirithoos, der Persephone dem
höllischen König der Molosser zu entführen versucht, von dem
Hunde Trikerberos in Stücke zerrissen. Euripides wurde nach
' Nach einem Brieie meines Freuudcs Pitr^.
* De Quadrap. Dig. Viv. IL
' Du Gange b. v. can am ferre. Der Schimpf, der mit dieser Strafe
verbunden war , hat vielleicht eine phallische Bedeutung ; der Hund und
der Phallus erscheinen in Verbindung mit einander in einer noch nicht
veröffentlichten boshaften Legende, die in San Stefano di Calcinaia bei
Florenz erzählt wird, und welche versichert, dass das Weib nicht aus
einem Manne, sondern aus einem Hunde entstanden ist. Adam war ein-
geschlafen; der Hund trog eine seiner Rippen davon; Adam raniyhinter
dem Hunde her, um sie wiederzubekommen, brachte jedoch Nichts zurück
als des Hundes Schwanz, der ihm in der Hand blieb. — Der Schwanz des
Esels, Pferdes oder Ferkels, der den Bauern in der>H^nd bleibt in andern
komischen Sagen, kann vielleicht ausserdem dass er als der sichtbarste
Theil zum Zeichen diente, um das verlorene oder gefallene Thier wieder-
zufinden, noch eine Bedeutung haben, welche der des Schwanzes von
Adams Hand analog ist. — Ich hoffe, der Leser wird mir diese häufigen
Anspielungen auf indeoente Bilder verzeihen; doch ich bin genothigt, auf
eine Epoche zurückzugehen, in welcher der Idealismus noch in der Wiege
lag, während das physische Leben noch in der ganzen Fülle seiner Kraft
stand, und in welcher deshalb Bilder vorzüglich von, Diugon von mehr
sinnlicher Natur, die einen tieferen und bleibenderen Eindruck machten,
entlehnt wurden. Es ist bekannt, dass mit der Erzeugung des vedischen
Feuers durch Reibung zweier Hölzer auf das Männliche und das Weibliche
angespielt wird, so dass tier grossartige und hochpoetische Mythus von
Prometheus seinen Ursprung einer der niedrigsten V^ergleichungen verdankt.
QubematlB, die Thiere. 24
I
370
der VolksBago im Walde von den rächenden Hunden des Arche-
Ihos xertleiHeht. Von Domitiau wird erzählt, dass er einen Stern-
deuter, der \\m\ bei einer Geleg:enheit das Nahen seines Todes
vorausgesagt hatte, fragte, ob er denn seine eigene Todesart
könne ; joner antwortete, er werde von Hunden verschlungen wer-
den (Tod durch Hunde wird auch in einer Erzählung des Pen-
tainorone pn>pheteitK Domitiau befahl, um das Orakel falsch
«u ranohen, ihn in tlklten und %\\ verbrennen; doch der Wind
blii^ die Flauimon aus. flie Hunde kamen herbei und versehlangen
den l-oiolinanu T^oloslaus 11, Ki^nig von Polen, wird in der Le-
gtMulo vt>m higen Stanislaus von seinen eigenen Hunden auf
einer Wanderung im Walde lerrissen, weil er den Heiligen xu
tvHlteu befohlou halte. Das vedisi'he Ungeheuer Qnshna^ derPest-
huud Sirius dos Sounenhiramels, und der Hund Kerberos der
nÄchtliohou Hi>lle sjHMen Flammen; sie tüchtigen die Weh mit
wr\ierbHohon Klammen; und die heidnische Welt versucht alle
Ustfiu Beleu und Beschworen, am sich vor ihren schrecklichen
KiuAtlsj^u 1« bcwahrcu, iHvh dies^er Hund ist unsterblich, oder
vi^flmchr er «engt Nach kommen und entillt die Menschen von
Xcncm mit Scircv^ken in einer mehr unminelbaien ud irdiscLen
Octs4;jüi iu ^Wr obri5iiliv\:en W^h, Es wird enihlt, dass vor der
Oetmrt de?^ hij:>?n lV>m:nic;:s, »le« berccb;ur;en Eründers der
Tv^rtun» der M^^?« Iw^uisin'Ma eines wa'rrtAft satai::>c'iea L--
Cit^r'*. seine MÄitcr ^i' reud ;hrer Sciwan^nerschact it^äzä», jctr
Sili:e etftCtt Hnud. der eiuec du Weh in FTtaicten setzesnksi
IVttcrtvRUid tn;^. Sv IX^miuic^s nuuri^^ den IrauD seLmer Vzner
lÄr WdCr:eit^ er wurue dzeiÄr Srasds^uf^ecie H=i^i zc?i ss Ju^ei
a^: alVu B:,acra \v^c : a c:«er Hizc nri; iea Fewer^ruM tiä
,:»t Or,s:r:5 ^4 der erw<:;erte. r^retr;^e zri icexi^rje ?r>
itt!e?.ec*. >5. IVs:;T.::JSi. %ia* ver^*i>ci7<frte, Tenüetafr» I3«i
r;iÄ*:..>;Tt^ Vr^p^::,':^^ V'.ijur tat :-j:^>::.::i'ea • -^Tir^ IVr ;
*xroe 5: c-iT c>:*>:l;:,ra Xt^'i* i vC*.«? i-^c S'J.i'is.' i^ i» ^t 1\«l:-
L
.^7i
KAPITEL VII.
Die Katze^ das Wiesel, die Maas, der Maolwurf, die Selmecke, da»
lehiieumou, der Skorpion, die Ameise, die Grille uud die Heasehreoke«
Ich vereinige hier unter einer Rubrik mehre Thiere des My-
thus, welche zwar in Wirklichkeit sehr verschiedener Natur sind,
jedoch in der Mythologie zu einer Klasse gehören.
Es sind stehlende unjl jagende Thiere, und sie werden des-
halb sehr passend in die Dunkelheit der Nacht verlegt (nakta-
cärin ist im Sanskrit ein Beiwort sowohl der Katze wie des
Diebes), in den nächtlichen Wald, in Verbindung bald mit der
Jägerin Diana oder der guten Fee Mond, bald mit der hässlichen
Hexe; bald erscheinen sie als die Beschtltzer und Helfer, bald
als die Verfolger des Helden.
Es dürfte hier die Etymologie einiger indischer Wörter bei-
zubringen sein, welche auch für den Leser von Interesse sein
wird. Mär^ära, die Katze, bedeutet eigentlich: die sich putzende.
Gehen wir auf den Mythus zurück, so wissen wir schon, dass eine
der Hauptforderungen der Hexe ist, dass ihre Stieftochter ihr das
Haar kämmt oder auch das Getreide reinigt während der Nacht,
und dass die gute Fee, die Madonna, während sie sich ebenfalls
das Haar kämmen lässt, Edelsteine umberstreut, spinnt und das
Getreide reinigt für das gute Mädchen. Die Hexe der Nacht
zwingt das Mädchen Aurora, den glänzenden Weizen des Abends
von der schwarzen Spreu der Nacht zu sondern; der Mond mit
seinem Silberglanze verscheucht die Schatten der Nacht. Der
märgär a oder Reiniger der Nacht, die weisse Katze, ist der
Mond. Aranyamärgära oder Waldkatze ist der Name der wilden
Katze, mit welcher auch der Luchs identificirt wird. Als weisse
Katze, als der Mond, beschützt sie unschuldige Wesen; als eine
schwarze Katze, als die schwarze Nacht, verfolgt sie dieselben.
Die Katze ist ein schlauer Jäger ; überdies ist das Wort m ä r ^ ä r a
(der Reiniger) leicht mit märgära, welches eigentlich bedeutet:
Jäger, Sptlrer, der der Spur, dem märga, folgt, oder auch:
Feind des mriga (als mrigäri}, zu verwechseln; der Weg ist der
helle, saubere Theil des Landes, wie der Rand der weisse oder
reine Theil eines Buches ist. Der Jäger kann der sein, der auf
24*
372
dem Rande oder auf der Spur geht, oder auch : der, der jagt und
den mriga oder das Waldthier tödtet. Der Mond (die Jägerin
Diana) heisBt im Sanskrit auch mrigaräga oder Ebnig der
Waldthiere, und so wie Könige pflegen, beschüzt er zuweilen
seine Unterthanen, bisweilen verzehrt er sie. Die Mond -Katze
verzehrt die grauen Mäuse der Nacht.
Nakula ist der Name^ den im Sanskrit das Ichneumon, der
Feind der Mäuse, Skorpionen und Schlangen führt. Das Wort
scheint von der Wurzel nag, nak^^necare abzuleiten zu sein,
so dass nakula der Vemichter (der nächtlichen Mäuse) zu
sein scheint.
Die Maus, müsh, mdsha, mfishaka, ist der Dieb, der
Räuber; daher auch der Name Ratte (a rapiendo).
Die indischen Namen der Ameise sind vamra und vamri
(neben pipilaka). Vamrf hängt zusammen mit vapä, vapra,
vaprt, Ameisenlocb, und mit dem durch Metathesis entstandenen
valmika (d. h. Ameisen gehörig), was dasselbe bedeutet. Das
lateinische formica vereinigt die beiden Formen vamri und
valmika. Die Wurzeln sind vap, in der Bedeutung von hin-
streuen, hinwerfen, und vam, auswerfen oder ausbrechen, wie das
die Ameisen thun, wenn sie die kleinen Erdhttgel errichten.
Im Mahäbhärata heisstauch das Schlangenloch valmtka;
hieraus lässt sich die Fabel in dem dritten Buche des Pannca-
t antra erklären, in welcher wir eine Schlange haben, die gegen
Ameisen kämpft. Sie tödtet viele von ihnen, doch ihre Zahl ist
so unermesslich, dass sie zuletzt unterliegen muss. So kämpft auch
in dem mythischen Himmel der Veden Indra in Gestalt eines vamra
oder einer Ameise siegreich gegen das alte Ungeheuer, das den
Himmel bestürmt. * Ja, noch mehr, imPancatantra stechen und
beissen die Ameisen die Schlange und tödten sie; so giebt Indra
(der, wie wir schon sagten, in der Wolke oder der Nacht eine Ameise
ist) den Ameisen die habsüchtige Schlange, den Sohn des Agru, die
er aus ihrem Versteck zieht. ^ Schliesslich bietet uns der Rigveda
noch eine andere sonderbare Einzelheit Die beiden A^vins
kommen dem Vamra (oder Indra in seiner Ameisengestalt, d. h.
' Vriddhasya did vardhato dyäm inakshata^ staväno vamro vi gaghäna
samdihah; Kigv. I, 51, 9.
^ Vamribhi^ putram agruvo adänam nive^anäd dbariva ä ^abhartha;
RigY. IV, 19, 9. — Eine Variation ist der Igel, der die Viper zum Ver-
lassen der Höhle zwingt (Kap. V).
I
373
der Ameise) zu Hilfe ; während er trinkt (vamram vipipänam).
Die Ameise wirft kleine Erdhtigel auf, indem sie in den Boden
sticht. Die Wnrzel vap, welche werfen, verstreuen bedeutet, hat
auch die Bedeutung: schneiden, und vielleicht: ein Loch machen.
Das Convexe hat das Concave zur Voraussetzung, und vam ist
fiait vap verwandt (wie somnus mit vTCvog, svapna und
sopor). Indra, als Ameise^ ist der Verwunder, der Beisser der
Schlange. Er lässt sie aus ihrer Höhle kommen, oder speit sie
aus (eructat); die beiden etymologischen Begriffe finden sich im
Mythus wieder. Die Waffen, mit denen Indra die Schlange ver-
wundet, sind unzweifelhaft bald die Sonnenstrahlen, bald die
Donnerkeile. Indra in der Wolke trinkt den Soma. Die Ameise
trinkt, und während sie trinkt, kommen ihr die A^^vins zu Hilfe;
denn ohne Zweifel ist die Ameise, wenn sie trinkt, in Gefahr zu
ertrinken. Und das führt uns auf die Geschichte von den dank-
baren Thieren, in welcher der junge Held eine Ameise findet, die
nahe am Ertrinken ist.
Im vierundzwanzigsten der von mir veröffentlichten tosca-
nischen Feenmärchen sieht der Sohn des Schäfers, als er auf
einen guten Rath, den er erhalten. Jedem, den er trifft, Gutes zu
thun beschliesst, auf dem Wege einen Ameisenhttgel , der nahe
daran ist, vom Wasser zerstört zu werden; er macht also einen
Wall darum und retlet so die Ameisen;^ diese ihrerseits zahlen
die Schuld zurUck. Der König des Landes verlangt von dem
jungen Mann dafür, dass er seine Tochter zur Ehe erhält, dass
er die verschiedenen Arten Getreide auf einem Kornboden von
einander sondere; da marschirt Kaptaiu Formicola mit seiner
Armee herbei und besorgt das Geschäft. In andern Versionen
dieses Mährchens haben wir statt der Eindämmung das Blatt,
das der Held unter die Ameise legt, so dass sie aus dem Wasser
in der Fussspur eines Pferdes herausschwimmen kann, was uns
das Lotusblatt in's Gedächtniss ruft, auf welc{)em die indische
Gottheit im Ocean schwimmt. Dieses Wasser, in welchem die
Ameise ertrinkt, ward später in die sprichwörtliche Ameisen-
* Die Zwerg> Einsiedler, welche ein Blatt auf einem Karren fortschaften
und beinah* in dem Wasser, das in der Fussspur einer Kuh steht, er-
trinken, und die Indra fluchen, welcher lächelnd vorbeigeht, ohne ihnen zu
helfen, im Mahäbhärata sind eine Variation dieser selben Ameisen. —
Vgl. die Kapitel über den Elephanten und über die Fische, wo wir Indra
haben, der zu versinken fürchtet.
374
milch ^ verändert, welche bald dazu dient, eine Unmöglichkeit zu
bezeichnen, bald, auf Indra, die mythische Ameise bezogen, die
ambrosische und Regen-Feuchtigkeit darstellt. In dem sechsten
sicilianischen Mährchen bei Frau Gonzenbach erhält der Knabe
Guiseppe ; der den hungrigen Ameisen Brodkrumen gegeben hat,
von dem König derselben ein Ameisenei zum Geschenk, damit er
sich desselben in der Noth bediene. . Als er eine Ameise werden
will, um in den Palast des Riesen einzudringen, hat er nur das
Ameisenei auf die Erde fallen zu lassen und dabei zu sagen:
„Ich bin ein Christ und werde eine Ameise," was dann sofort vor
sich geht. In demselben Mähreben verschafft sich Giuseppe
Schafe, um die Schlange durch deren Geruch anzuziehen und sie
aus ihrem Schlupfwinkel hervorzulocken. Hier kommen wir
augenscheinlich wieder auf das vedische Thema von Indra, wel-
cher die Schlange herauslockt, um sie den Ameisen zu übergeben.
In der achten Erzählung des vierten Buches des Pen tamer one
zeigt die Ameise dem Mädchen Cianna, welches die Mutter der
Zeit suchen geht, den dritten Theil des Weges; an der Thtlr
ihres Hauses werde Cianna eine Schlange, die sich in den
Schwanz beisst, finden (das bekannte Symbol des cyklischen
Tages oder Jahres und der Zeit im Alterthum), sie solle dann die
Mutter der Zeit fragen, auf welche Weise die Ameisen hundert
Jahre leben können. Die Mutter der Zeit antwortet Cianna, die
Ameisen würden daun hundert Jahre leben, wenn sie das Fliegen
lassen können, insofern als „quanno la formica vo morire, mette
Tascelle" (d. h. die Flügel). Die Ameise, für diesen guten Rath
dankbar, zeigt Cianna und ihren Brüdern die Stelle unter der
Erde , wo die Diebe ihren Schatz niedergelegt haben. Wir
erinnern auch an die Erzählung von den Ameisen, welche Gersten-
körner in den Mund des königlichen Kindes Midas legen, um
seinen künftigen Reichthum anzuzeigen. Bei Hero dot (III) und
bei Tzetzes^ finde ich die sonderbare Bemerkung, dass es in
' Fa cunto ca no le mancava 1o latto de la formica; P en t a mo-
ron e 1, 8.
' Bib lion IstorikonXII, 404. — In der £p ist. Presb. Johannis
lesen wir ebenfalls: ^^u quadam provincia nostra sunt formicae in magni-
tudine catulorum, habentes VII pedes et alas IV. Istae formicae ab occasu
so) is ad ortum morantur sub terra et fodiunf purissimum aurum tota nocte
— quaerunt victum suum tota die. In nocte autem veniunt homines de
cunctis civitatibus ad colligendum ipsum aurum et imponunt elephantibus.
Quando formicae sunt supra terram, nullus ibi audet accedcre propter cru-
delitatem et ferocitatem ipsarum.**
375
Indien Ameisen giebt, die so gross wie Füchse sind, und welche
goldene Schätze in ihren Löchern haben ; die Weizenkörner sind
dieses Gold. Der Morgen- und der Abendhimmel werden bis-
weilen mit goldenen Kornböden verglichen; die Ameisen sondern
das Korn während der Nacht , indem sie es von Westen nach
Osten tragen und es von allem Unreinen säubern, oder den Him-
mel von den nächtlichen Schatten reinigen. Die Arbeit, welche
jeden Abend von der Hexe dem Mädchen Abend-Aurora aufge-
tragen wird; wird in einer Nacht von den schwarzen Ameisen des
Nachthimmels iertig gemacht. Bisweilen trifft das Mädchen auf
dem Wege die gute Fee (den Mond), welche ihr zu Hilfe kommt;
das Mädchen, welchem die Ameisen beistehen, begegnet der Mond-
Madonna. Doch der Mond heisst auch der Springer oder Uttpfer,
eine nächtliche Eidechse; die Finstemiss, die Wolke und die
dunkelfarbige Erde (bei Mondfinsternissen) sind zu gleicher Zeit
Ameisenhttgel und schwarze Ameisen, welche über den Mond oder
vor dem Monde gehn; und deshalb heisst es in der Fabel, dass
die Ameise im Wettlauf die Eidechse besiegte. Die Eidechse,
garabha, Qalabba, wird uns als ein unvorsichtiges Thier in
zwei Sprüchen des ersten und vierten Buchs des Pancatantra
dargestellt. Die grüne Heuschrecke oder Eidechse springt; der
schönhaarige Mond springt. (Ich bemerkte schon in dem Kapitel
über den Esel, wie die Worte hari und harit sowohl grün als
schön, und auch gelb bedeuten; im zweiten Gesänge des sechsten
Buches des Rämäyai^a heisst es von dem Affen Qarabha, er
bewohne den Berg <!)andra oder das Mondgebirge; Qarabha er-
scheint also als der Mond.) Eidechse und Heuschrecke springen
(vgl. Kapitel VIU); daher ist die Ameise nicht nur mit der
Eidechse, sondern auch mit der Heuschrecke in Verbindung; die
indische Bezeichnung Qarabha bedeutet sowohl Heuschrecke
(im Sanskrit auch varshakari genannt) als Eidechse. In einem
der Montf^rratensischen Volkslieder, die von Herrn Ferraro ge-
sammelt sind, haben wir die Hochzeit der Heuschrecke und der
Ameise; die Elster, die Maus, der Ortolan, die Krähe und der
Goldfink bringen zur Hochzeit ein wenig gehacktes Stroh, ein
Kissen, Brod, Käse und Wein. In den von Giuseppe Tigri ver-
öffentlichten toscanischen Volksliedern finde ich das Wort grillo
(Heimchen) in der Bedeutung von Liebhaber gebraucht. Im Ita-
lienischen bedeutet grillo auch Laune, Caprice, besonders ver-
liebte Laune ; so auch im Deutschen. Medico grillo nennt man
376
einen närrischen Arzt. ^ Ferner muss die Heuschrecke der Rathet
^ar excellence sein. In Italien pflegen wir am Schluss eines
RäthselSy das wir aufgeben, noch hinzuzufügen: ^^^dovinala,
grillo" (rath' es, Grille); dieser Ausdruck gebt vielleicht auf den
scheinbaren Narren des Volksmährchens zurück, der sich schliess-
lich immer weise zeigt. Die in der Wolke und dem Dunkel der
Nacht eingeschlossene Sonne ist gewöhnlich der Dumme, doch sie
ist zugleich auch der Narr, der im Reiche der Todten Alles sieht,
hört und lernt; und auch der Mond, als Heuschrecke oder
Eidechse persohificirl;, ist ebenfalls der scheinbare Narr, der Alles
weiss, sieht, versteht und lehrt; nach dem Monde werden Pro-
gnostica gestellt; daher können dem grillenhaften Monde oder der
himmlischen Grille Räthsel aufgegeben werden. Im Italienischen
sind die Redensarten : ,,aver la luna'* und „avere il grillo" gleich-
bedeutend: einen nervösen Anfall, den Spleen haben. Ich finde
auch die Hochzeit von Ameise und Heuschrecke in einem sehr
volksthüiblichen , bis jetzt noch nicht püblicirten toscaniscfaen
Liede. Die Ameise fragt das Heimchen, ob es sie heirathen will;
wenn nicht, so möge es sich um seine eigenen Angelegenheiten
ktti!nmeni, d. h. sie allein lassen. Dann beginnt die Erzählung.
Das Heimchen geht in ein Flachsfeld ; die Ameise bittet um einen
Fdden, um selbst Schürzen und Hemden zur Hochzeit zu machen ;
darauf sagt das Heimchen, es wolle sie heirathen. Das Heimchen
geht in ein Wickenfeld; die Ameise bittet um zehn Wicken, um
vier davon in einer Schmorpfanne zu kochen, und sechs auf den
ßratspiess zu stecken, für das Hochzeitsmahl. Nach der Hoch-
zeit treibt das Heimchen das Geschäft eitoes Obsthändlers, dann
das eines Gastwirtbes; doch macht es so schlechte G^chäfte,
dass es erst seine eigenen weiten Hosen versetzen muss, und
dann bankrott wird und seine Frau, die Ameise, schlägt; zuletzt
stirbt es im Elend. Da wird die Ameise ohnmächtig, sie wirft
sich aufs Bett und schlägt vor Kummer ihre Brust mit ihrer
Ferse (wie Ameisen thun, wenn sie sterben).* Die Hochzeit der
schwarzen Ameise, der Finstemiss der Nacht, mit dem Monde,
' Der historische Ursprung dieses Ausdrucks wird in einem Bolog-
neser Arzt des zwölften Jahrhunderts, Namens GriUo gesucht. — Vgl.
Fanfani, Vocabolario deli* uso Toscano s. v. .,grillo".
* Die Worte des Liedes von dieser sonderbaren Hochzeit, das ich fn
San Stefano di Calcinaia bei Florenz singen hörte , lauten folgender-
massen :
377
der Eidechse, dem Heimchea, findet am Abend statt; das üeiin-
chen stirbt, der Mond erblasst, und die Bcbwarze Ameise, die
Nacht, verschwindet ebenfalls. Im Paoi^atantra werden die
Eidecheen dnrcb Feuer vernichtet In dem sogenannten E
Alexanders dee Grossen an Olympias ' linde ich die Amt
durch Feuer Terscheucht, als sie versuchen, Pferde und Heide
einer Entfeniang zo halten. Diese anssergewöhnlicben Amt
„Urillo, mio grillo,
Se tu vufti nioglie, dillo;
Be tu n' la vuoj,
Abbada u,' fatti tuoi.
TiafillulilHkra
LiDfillulilalk
„Povero gnllo, 'u ud iiunipo di Udo,
La formicuccia gne ne chiuxe un filo.
D'un filo solo, toSB ne vuoi tu fare ?
Orembi e camicie; mi vuo' maritare,
DiBse lo grillo ; — Ti piglieTO io.
La formicucciar — Sou conteata anch' io.
Tinfiilal'., Ac.
„Povero grillo, '□ un campo di coci ;
La fortnivuccia gne ne chitse dieci
Di dicci aoli, coiia no vuoi tu fare?
Quattro di stufa, a aä li vuo' girare.
TinGllul., Ac.
„Povero grillo facea Turtulauo
L'andava a tpaaao col ravanello iu inano;
L'overo grillo, andava a Poutedera.
CoD 1« vitancie pesava 1« miBeria.
Tinfillul., &c.
„Poveru grillo, l'andiede a Montuboni,
Dalla mi:4eria rimpegu6 i calioai;
Povero grillo facca l'oBte a Colle,
L'and6 fallilo v. baalon^ la moglie,
Tinfillul., &C.
„La fotmicaccia andä alU kaUt a il Porto.
Ebbe la nova che il sno grillo era niorlo
La formicuccia, qoando eeppe la nova
La caacö iu terra, stetto svenuta uu 'ora.
La formicuccia si buttd su il letto,
CoD le calcagua si batteva il petto.
Tinfillul.," &C.
■ Vgl. Zacher, Pfffeudo-CalÜBthenei, UaHe 1867.
^
37ft
•
rufen uns die iTijtofivQintpieg oder Pferdeameisen der Griechen ins
Gedächtniss. Die Ameisen, die Insekten des Waldes Nacht, be-
iästigen den Helden und das Sonnenross, welche denselben durch-
eilen ; die schwarzen Ameisen der Nacht werden durch das Sonnen-
feuer des Morgens verscheucht; das verstehen wir um so besser,
wenn Tzetzes a. a. 0. die indischen Ameisen so gross wie Fttchse
nennt; wenn Plinius im. eilften Buche seiner H. N. sagt, sie hätten
die Farbe von Katzen und die Grösse ägyptischer Wölfe; und
wenn Solinus berichtet, dass sie die Gestalt eines grossen Hundes
mit Löwenfüssen hätten, mit welchen letzteren sie Gold aus-
graben. Aelian nennt sie „Wächter des Goldes" {rov XQ^^ 9^"
IdcTTovreg). Augenscheinlich zeigen sich die Ameisen hier schon
von einer dämonischen ungeheuerlichen Seite. Mehre andere alte
Schriftsteller haben über diese indischen Ameisen geschrieben; so
Herodot, Strabo, Philostratus und Lucian. Ich will hier , als für
unser Thema interessant, nur erwähnen, dass sie nach Lucian
das Gold bei Nacht ausgraben, und dass nach Plinius die Ameisen
im Winter Gold ausscharren (Nacht und Winter sind in der My-
thologie oft gleichbedeutend). „Die Inder jedoch stehlen es wäh-
rend des Sommers, in welcher Zeit die Ameisen wegen der Dünste
in ihren unterirdischen Schlupfwinkeln verborgen bleiben; durch
den Geruch herbeigelockt, rennen sie jedoch zuweilen heraus und
schneiden oft die Inder in Stücke, obwohl diese auf sehr schnellen
Kamelen fliehen; so wild und goldgierig sind sie/'* Dieses
Ameisenungeheuer, mit Löwenklauen, das Plinius auch als gehörnt
beschreibt, streift sehr nahe an den mythischen schwarzen Skor-
pion der Wolken und der Nacht, den vedischen Vrigcika,
welcher, bald ein sehr kleiner Vogel (iyattikä ^akuntikä), bald
ein sehr kleines Ichneumon (kushumbhaka, eigentlich: der kleine
goldene, vielleicht die junge Morgensonne), mit seinem Zahn (a^-
manä, eigentlich mit dem Beisser) vernichtet, das Gift ver-
schluckend oder fortnehmend, wie Krüge das Wasser auf-
nehmen, d. h. die Sonnenstrahlen zerstreuen die Dünste der in
der Wolke oder der Finstemiss eingeschlossenen Sonne. * Hier
erscheint das Ichneumon (viverra ichneumon) als der Wohlthäter
des Skorpions viel mehr denn als sein Feind; es benimmt
ihm das Gift, d. h. es befreit die Sonne aus dem Zeichen des
Skorpions, aus den Dünsten, welche sie umhüllen. Das Ich-
• PliDiuß, Hißt. Nat. XI, 31.
' Iyattikä 9akuntik& saki ^aghftsa te visham; ^igv. X, 191, 11.
379
neutnon faeisst im Sanskrit nakala. In der zwölften;; Erzählung
des ersten Bncbes des Pancatantra sehen wir es als den er-
klärten Feind der schwarzen Schlange^ welche es in ihrer Höhle
tödtet. Doch sofern das Wiesel-Ichneumon giftige Xbi^re beisst,
muss es sich selbst von dem Gifte befreien; das es infolge dessen
eingesogen hat. Deshalb wird schon im Atharvaveda des
Heilkrautes Erwähnung gethan^ mit welchem sich der nakula (es
ist dies auch der Käme des einen der beiden Söhne der AQvins
im Mahäbhärata) von dem Biss giftiger Thiere, d. h. Schlangen^
Skorpionen und Mäuseungeheuer, seiner Feinde, heilt. Das Wiesel
(mustela), welches sich nur wenig von dem Ichneumon unter-
scheidet, ist im Mythus fast mit ihm identisch. Es kämpft, wie
Aristoteles im neunten Buche seiner Thiergeschichte berichtet,
ebenfalls gegen Schlangen,, nachdem es das berühmte Kraut
„Raute" gegessen, dessen Geruch den Schlangen unerträglich sein
soll. Wie uns aber sein lateinischer Name besagt, ist es nicht
weniger geschickt als Mäusejäger. Der Leser ist ohne Zweifel
mit der äsopischen Fabel von dem Wiesel vertraut, welches den
Menschen um seine Freiheit bittet für den ihm durch Ausrottung
der Ratten geleisteten Dienst, und ebenso mit der des Phaedms
von dem alten Wiesel, welches im Mehltrog Mäuse fängt, indem
es sich in dem Mehl zusammenrollt, so dass die Mäuse es für
eine feste Masse halten und getrost herankommen. Der Parasit
des Plautus i*echnet auf ein gutes Mittagessen ftlr sich, weil er
einem Wiesel begegnet ist, das eine ganze Maus mit Ausnahme
der Füsse fortschleppte (auspicio hodie optumo exivi foras; mus-
tela murem abstulit praeter pedes);* da jedoch das gehoffte
Mittagessen sich nicht einstellen will, so erklärt er das Vorzeichen
fär falsch und nennt das Wiesel einen (Jnglückspropheten, da es
an einem und demselben Tage zehn Mal seinen Platz ändert.
Nach dem neunten Buche von Ovids Metamorphosen wurde
die Jungfrau Galanthis von der Göttin Lucina (dem Monde) in
ein Wiesel verwandelt, weil sie eine Lüge erzählt hatte, indem
sie die Geburt des Herakles verkündigte, bevor sie stattgefunden :
„Strenuitas antiqua manet, necSterga colorem
Amisere suuoii forma est diversa priori;
Quae, quia mendaci parientem juverat ore.
Ore parit.**
Der Volksaberglaube, welcher das Wiesel sein Junges durch den
« IV, 1.
380
Mund hervorbringen lässt, hatte wahrscheinlich seinen Ursprung
in dieser Fabel. Aus dem Munde kommen unzeitige Worte. Simo-
nides Amorginus * vergleicht böse Weiber mit Wieseln. Der
Mond, welcher die plappernde Galanthis in ein Wiesel verwandelt,
scheint identisch za sein mit dem weissen Monde, der selbst in
ein weisses Wiesel verwandelt wird, dem Monde, der den nächt-
lichen Himmel erforscht und alle seine Geheimnisse aufdeckt.
Ameisen, Mäuse, Maulwürfe (wie Schlangen) bleiben, im
Gegensatz hiezn, gern verborgen und halten auch ihre Geheim-
nisse gern verborgen. Das Ichneumon, das Wiesel und die
Katze kommen gewöhnlich ans ihren Verstecken heraus und ver-
jaget) Jeden, der verborgen ist, indem sie aus den Verstecken
Alles, was sie können, forttragen. Sie sind sowohl selbst Diebe
als machen sie auf andere Diebe Jagd.^
Der Uebergang von dem lateinischen mnstela za der sans-
kritischen Katze müshakäräti oder müshikäntakrit ist
jetzt leicht.
Im Paniatantra wird die Katze Butterohr (dädhikarna),
oder: die mit den weissen Ohren, welche sich stellt, als bereue
sie ihre Verbrechen, aufgefordert, als Richter einen Streit zu
schlichten, welcher zwischen dem Sperling, kapin^ala, ^ und dem
Hasen, slghraga (eig. Schnellgeher) schwebt. Der Letztere hatte
nämlich während der Abwesenheit des Sperlings in dessen Be-
hausung sein Domicil aufgeschlagen. Butter-Ohr löst die Frage,
indem er sich taub stellt und die beiden streitenden Parteien er-
sucht, näher zu kommen, um ihre Argumente seinen Ohren anzu-
vertrauen; der Hase und der Sperling schenken ihm Glanben
und nähern sich; da macht die Katze einen Satz und verschlingt
Beide. Im Hitopade^a/ haben wir statt des Sperlings den
Geier caradgava, den der Tod ereilt, weil er der Katze Gast-
freundschaft erwiesen hat, „deren Abstammung er weder, noch
deren Charaktier er kannte" (agnätakula^lla). Im Tuti-Name*
haben wir statt der Katze den Luchs, ^ der selbst das von dem
' Bei Stobaeus; ßergk, an t hol. lyric a, Simon. Am. 7, 50 &.
* Die Ungarn und Toskaner glauben, dass eine gute Katze selbst ge-
stohlen sein muss, utn ein schlauer Dieb zu sein.
» Nach dorn Pet WB.: Haselhuhn.
* I, 49.
» II p. 122.
* Pie Vergesslichkeit des Luchses wie die der Katze ist sprichwörtlich.
yVerum tu quod natura lynces insitum habent, ne post tergum respicientes
381
Aflfen bewachte Haus des Löwen zu besitzen wünscht; er erschreckt
den Löwen und schlägt ihn in die Flucht. Im Anvari-Suhaili^
finden wir statt der Katze oder des Luchses den Leopard. Im
Mahäbhärata"^ finden wir die Fabel von der bussfertigen
Katze wieder. Die Katze flösst durch die Kasteiung, die sie an
den Ufern des Ganges ttbt, den Vögeln Vertrauen ein, die sich
um sie versammeln, um sie zu ehren. Nach einiger Zeit ahmen
die Mäuse das Beispiel der Vögel nach und stellen sich unter
den Schutz der Katze, dass dieselbe sie vertheidige. Die Katze
macht sich aus ihnen jeden Tag ihre Mahlzeit, indem sie eine
oder zwei veranlasst, sie an den Strom zu begleiten, und wird
ausserordentlich dick und fett, während der Mäuse immer weniger
werden. Da beschliesst eine weise Maus, eines Tages der Katze,
wenn sie zum Strom geht, zu folgen; die Katze verzehrt Beide:
die Maus, die sie begleitet, und die Spionin. Darauf entdecken
die Mäuse den Witz und räumen schleunigst den gefährlichen
Ort. Die büssende Katze ist schon im Gesetzbuche des Manu
sprichwörtlich. 3 In Reineke Fuchs von Göthe* geht der
Kater auf den bösen Rath des ^chses in das Haus des Pfaffen
auf Diebstahl; als Alle über ihn herfielen, —
meminerint priomm et mens perdat quod ocali videre desierint, ita nostrae
es necessitudinis penitus oblitus;'* so schreibt St. Hieronymus an Chrisog.
— So heisst es vom Luchs bei Aelian , dass er seinen Urin mit Sand be-
deckt (gleich der Katze), so dass die Menschen ihn nicht finden können;
denn in sieben Tagen bildet sich aus diesem Urin der kostbare Stein Lyn-
curion. Die Katze, welche bei Nacht sieht, der Luchs, der durch undurch-
sichtige Korper hindurchsieht, die Fabel von Lynceus, der nach Plinius
an einem Tage den ersten und den [letzten Mond im Sterubilde des Wid-
ders sah, und der Luchs, welcher nach Apollonius durch die Erde hin-
durch sah, was in der Hölle vorging, rufen uns den Mond ins Gedächtniss,
die weise und allsehende Fee des Himmels, und den unterirdischen Mond.
' Angeführt von Benfey in der Einleitung zum Pai&dat antra.
« V, 5421—5448.
' „Let no man, apprised of this law, present even water to a priest
who acts like a cat;'' IV, 192 (Uebersetzung von Jones), und Graves'
Chamney Haughton, ed. Percival, Madras 1863. — In einem russi-
schen Mährchen, welches Afanassieff in seinen Bemerkungen zum
ersten Bande seiner .Sammlung anführt, stellt sich der Kater Eustachio
als Büsser oder Mönch, um die Maus zu fressen, wenn sie vorbeikommt.
Als bemerkt wird, dass der Kater zu fett für einen Büsser ist, entgegnet
er, er esse nur, weil er das der Erhaltung seiner Gesundheit schuldig sei.
♦ III, 147.
382
„Sprang er wüthend entscblossen
Zwischen die Schenkel des Pfaffen und biss und kratzte geföbrlich.**
Der Roman du Renard ^ lässt das Weib des Priesters,
als dieser durch den Kater verstümmelt ist, ausrufen:
,,C'en est fait de nos amours!
Je suis veuve sans recours!^*
In demselben Roman lesen wir, als der Kater Tibert, der
Gesandte des Königs Lion in Mantpertuis, wo der Fuchs herrscht,
ankommt :
„Tibert lui prdsenta la patte*;
II fait le sainty il fait la chatte!
Mais k bon chat, bon rat! Renard aussi le flatte!
II s*entend k dorer ses paroles de miel!
Si Ton est saint, Tauti'e est hermite;
Si Tun est chatte, Tautre est mite.'*
In einem noch nicht veröfiFentlicbten toskanischen Mährchen^
das ich aus dem Munde der Bauerfrau Uliva Seivi habe, die es
mir in Antignano bei Livomo erzählte, finden wir den Fuchs, der
die Maus in den Laden eines Metzgers einlädt, der kürzlich ein
Ferkel geschlachtet hat. Die Maus verspricht, das Holz zu nagen,
bis das Loch gross genug ist, dass der Fuchs hindurchschlüpfen
kann ; der Fuchs isst so lange, als er noch durch das Loch wieder
zurück kann, und macht sich dann davon; die Maus aber mästet
sich so, dass das Loch flir sie zu klein ist ; die Katze kommt und
frisst sie auf.
Im vierunddreissigsten Mäbrchen des zweiten Buchen bei
Afanassieff kommt die Katze wieder, wie in Indien, in Ver-
bindung mit dem Sperling vor, doch nicht, um ihn zu verzehren ;
im Gegentheil, sie sind gute Freunde und befreien zweimal den
jungen Helden von der Hexe. Das ist eine Erscheinungsform der
Agvins. Im siebenundsechszigsten Mährchen des sechsten Buches
kehren die beiden A^vins in der Gestalt eines Hundes und einer
Katze wieder . (bald in Feindschaft miteinander , wie es ja auch
oft die beiden mythischen Brüder sind, bald Freunde auf Leben
und Tod). Ein junger Mann kauft für hundert liubel einen Hund
mit Hängeohren, und für ein weiteres Hundert eine Katze mit
' Uebersetzong von Ch. Potvin, Pafis und Brüssel 1861.
*
I
383
einem goldenen Schwanz ; * beide pflegt er gut. Mit ferneren
hundert Rubeln erwirbt er den Ring einer todten Prinzessin ^ aus
welchem dreissig Knaben und hundertundsiebzig Helden; die alle
mögliche Wunder verrichten, auf Wunsch des Besitzers heraus-
kommen können. Durch diese Wunderdinge wird es dem jungen
Mann möglich^ die Tochter des Königs zu freien ; da jedoch die
Letztere ihn vernichten will; macht sie ihn betrunken^ stiehlt ihm
den Ring und entflieht in ein sehr weit entferntes Reich. Der
Tzar lässt den Jtlngling ins Gefangniss werfen; der Hund und
die Katze gehen den verlorenen Ring wiederfinden. Als sie über
den Strom setzen müssen^ schwimmt der Hund und trägt die
Katze auf seinem Rücken (der Blinde und der Lahme, St. Christo-
pliorus und Christus). Sie gelangen an den Ort, wo die Prin-
zessin lebt, und treten in ihre Wohnung. Sie vermiethen sich bei
dem Koch und der Hausmagd ; die Katze jagt, ihrem natürlichen
Instinct folgend, eine Maus, worauf diese um ihr Leben bittet und
verspricht, der Katze den Ring zu bringen. Die Prinzessin schläft
mit dem Ringe im Munde; die Maus steckt i^ren Schwanz in
ihren Mund; die Prinzessin spuckt aus, der Ring kommt dabei
heraus und wird von dem Hunde und der Katze genommen, welche
den jungen Mann befreien und die flüchtige Tzarentochter zwingen,
in ihre Heimath zurückzukehren.
In dem folgenden Mährchen bei Afanassieff machen die
beiden altem Schwestern, als die jüngste dem Iwan Tzarevic drei
Söhne schenkt, aus Neid den Prinzen glauben, dass sie eine
Katze, einen Hund und ein gewöhnliches Kind zur Welt gebracht
habe. Die drei wirklichen Söhne werden entführt; die Prinzessin
wird geblendet und mit dem untergeschobenen Kinde in ein
Fass eingeschlossen, welches in die See geworften wird. Das Fass,
kommt jedoch ans Ufer und öffnet sich ; ^ der untergeschobene
Sohn wäscht sofort die Augen der Prinzessin mit heissem Wasser
und sie gewinnt die Sehkraft wieder, worauf sie ihre drei glänzen-
den Söhne wiederfindet, welche Alles, was ihnen nahe ist, mit
ihrem Glänze erhellen, und sich wieder mit ihrem Gatten vereinigt.
* Vgl. A fan. y, 32, wo ein tugendhafter Arbeiter eine Katze für eine
Kopeke kauft, den einzigen Lohn, den er sich für seine Arbeit ausbe-
duagen hatte; dieselbe Katze kauft der König für drei Schifte. Mit einer
andern Kopeke , die er für eine andere Arbeit erhalten , befreit der Ar-
beiter die Tochter des Königs und heirathet sie.
* Vgl. Analoges in Kap. I, z. B. Emil, den faulen und dummen Jungen,
und die blinde Frau, die ihr Gesicht wiedererlangt.
384
In einer russischen Variation dieses Mährchens werden die drei
Söhne von der Hexe in drei Tauben verwandelt; die Prinzessin
mit den) untergeschobenen Sohn wird aus der See gerettet und
flüchtet sich auf ein Eiland, wo auf einer goldenen Süule sitziend,
eine weise Katze Balladen singt und Geschichten en^hlt Die
drei Tauben verwandeln sich in schöne Jünglinge^ deren Beine
bis zum Knie von Silber, deren Brust von Gold, deren Stirue dem
Mond gleich, und deren Seiteii von Sternen sind, und gewinnen
ihren Vater und Mutter wieder.
Nach der griechischen Kosmogonie scbufen die Sonne und
der Mond die Thiere; die Sonne schuf den Löwen, der Mond die
Katze. Im fünften Buche von Ovids Metamorphosen nimmt
Diana, als die Götter vor den Riesen fliehen, die Gestalt einer
Katze an. ' In Sicilien ist die Katze der heiligen Martha heilig,
und man nimmt auf sie grosse Rücksicht, um die heilige Dame
nicht zu reizen: wer eine Katze tödtet, soll sieben Jahre lang
Unglück haben. In dem alten deutschen Glauben wird die Göttin
Freya von zwei Katzen gezogen. Gegenwärtig sind Katze und
Maus der St. Gertrude heilig. Im zweiundsechszigsten Mährchen
des sechsten Buches bei Afanassieff haben wir die plappernde
Katze, welche der Held Baldak im Gebiete des feindlichen Sul-
tans (d. h. in der winterlichen Nac}it) tödten musa. Im achtelt
Mährchen des vierten Buches des Pentamerone finden wir
auch eine Katze, welche die Rolle eines Spions des Ogre spielt;
in der zehnten Erzählung des Pentamerone und in der ersten
der Novelline di San Stefano di Galcinaia dagegen ent-
hüllt die Katze dem Prinzen die Verrätherei der Hexe. Im drei-
undzwanzigsten Mährchen des vierten Buches bei Afanassieff
erscheint der Kater Katotiei als der Gemahl der Füchsin, welche
ihn für einen Bürgermeister ausgicbt Vereinigt erschrecken sie
den Wolf und den Bären, ^ indem der Kater auf einen Baum
' Hue quoque terrigenam venisse Typhoea narrat,
£t 86 mentitis superos celasse figuris;
,Daxqae gregb^ dixit, ,fit Jupiter; undc rccurvis
Nunc quoque formatus Lybis est cum cornibus Ammon.
Delius in corvo, proles Semeleia capro,
Feie soror Phoebi, nivea Satumia vacca,
Pisce Venus latuit, Cyllenius ibidis alis/
V. 325-332.
' Bei Af an. III, 18 erschreckt die Katze den Wolf und den Bären in
Gemeinschaft mit dem Lamm (lil, 19 mit dem Ziegenbock).
385
hinaufklettert. In den äsopischeD Fabeln dagegieii streiten sich
Fuchs und' Kattse, welches von ihnen das höherstehende Thiec sei ;
die Katxe lässt dtsn Hund den Fnchs fangen^ währende sie seUbet
atrf einen Baam klettert. Im dritten Mährchen des zweiten; Bnehes
bei Afanassieß verbündet sich die Katze mit dem EUrim^, um
Baumrimle zu suchen; sie befreit ihren Kameraden drei Mal von
dem Fuchs ^ welcher mit ihm davon gerannt ist; das dritte Mal
befreit die Katze nicht nur den Bahn, sondern ftisst auch die
vier jungen Fttchse. Im dreissigsten MAhrchen des vierten Buches
befreit die Katze Catonaievi6^ der Sohn Catos (dieser Name ist
ans dem Doppebinn zwischen d^i Worten catus und cato abzu-
leiten; im Französischen haben wir neben chat noch chaton,
chatonique etc.)^ den Hahn zwei Mal aus der Gewalt des Fuchses,
doch das dritte Mal verzehrt der Fuchs den armen Vogel In
einer russischen Variationi tödtet die Katze die fünf kleinen
Füchse und dann den Fuchs selbst; nachdem sie Folgendes
gesungen :
„Die Katze geht auf ihren FUesen
In rothen Stiefeln;
Sie trägt ein Schwert an der Seite,
Und einen Stock an der Hüfte;
Sie will den Fache tödten,
Und seine Seele verderben." *
*In einer andern Variation gehen Katze und Lamm^ den
Hahn aus der Gewalt des Fuchses zu befreien. Der letztere hat
sieben Töchter. Die Katze und das Laham locken sie durch
Lieder heraus und tödten sie, eine nach der anderen ^ indem sie
sie an der Stirn verwunden; davauf tüdten sie den Fuchs selbst
und befreien so den Hahn. In dem Roman vom Fuchs ist die
Katze der Henker und bindet den Fuchs an dien Galgen.
Im dritten Mähreben des ersten Buches lehrt die Katze dem
guten Mädchen; welchem sie zu Dank verpflichtet ist; weil diese
ihr Schinken zu essen gegeben hat, wie sie entfliehen kann, und
> , Jdiot kot na nagäh,
V krasnih sapagiUi,
Neseiot sablia na piessi^;
A palocku pri bedriö,
Hodiet lissu parubit,
leik dushu zagubit/*
Der gestiefelte Kater hilft in dem Perraultschen Mährchen dem dritten
Bruder.
Gubemutis, die Thiere. 25
386
t ihr das Übliche Tncb, welches, za Boden geworfen, einen
n erscheinen lässt, and den Üblichen KamiUj welcher in
iher WeiBe einen nndnrchdringlichen Wald vor der Hexe
«hen läset, welche dem Mädchen nacheilt, am es zu ver-
ngen.
Wir sahen schon den vedischen Mond, welcher das Hoeh-
gewand mit einem Faden näht, der nicht reisst. In dem
sehen Mährchen bemerkten wir schon, wie die kleine Pnppe,
las gate Mädchen za verpHiohten, ein Hemde für den Tzaren
it, das so fein ist, dase Niemand ein gleiches herstellen kann,
em berühmten Mährchen der geistreichen Madame d'Aalnoy,
!:!batte Blanche (dessen literarische Redaction ganz sicher
eren Datums ist, dessen wesentlicher sagenhafter Inhalt jedoch
haas alt ist, trotz gewisser Modificationen im Einzelnen,
he es im Laafe der Tradition hat erleiden mllssen) haben wir
ireisse Katze Blanchette, schwarz verachleiert, welche das be-
erte SchloBs bewohnt, aaf einem Affen reitet, spricht und dem
en Prinzen, der anf einem hölzernen Pferde (dem Walde der
it) reitet, in einer Eichel den schönsten kleinen Band giebt,
jemals anf der Welt existirte, damit er ihn za seinem könig-
n Vater bringe — einen kleinen Hand, „plns beaii qae la
^le" (offenbar die Sonne selbst, welche aas dem goldenen
esp. der Eichel heraaskommt), der durch einen Ring hindurcb-
(die Sonnenscheibe), und dann ein wunderbar gemustertes
1, welches so dtlnn ist, dass es durch das Oehr einer kleinen
3l geht, nud in eidem Hirsenkom eingeschlossen ist, obwohl
ie Länge von „qnatre cents aunes" hat (das Nadelöhr, die
el, das Hirsenkorn and der Ring sind gleichbedentende Dar-
ingsformen der Sonnenscheibe). Diese wunderbare Katze
schliesslich selbst ein schönes Mädchen, „qui parat comme
>lcil qui a ^tö qnelque temps envelopp^ dans ane nue; ses
eux blouds ätaient ^pars sur ses äpaules; ils tombaient par
les boncles jnsqn'ä ses pieds. Sa t£te ätait ceinte de flenrs,
>be d'une l^fere gaze blanche, doublte de taffetas coaleur de
" Die weisse Katze der Nacht, der weisse Mond räumt am
jen seine Stelle der rosigen Aurora ein; die beiden Himmels-
leinungen, welche einander folgen, scheinen Metamorphosen
ilbeu Wesens zn sein. Die weisse Katze mit ihrem Eatzen-
ge, bevor sie ein schönes Mädchen wird, lädt den Prinzen
bei einer Schlacht zugegen za sein, in welche sie sich mit
Mäusen einlässt. Hiemit können wir die äsopische Fabel
387
von dem jungen Mann vergleichen, welcher, in eine Katze ver-
liebt, die Venus bittet, diese in ein Weib zu verwandeln. Venus
willfahrt ihm; der Jüngling heirathet jene; doch als die Braut
im Bett ist (d. h. in der Nacht, als die Abend-Aurora wiederum
ihren Platz dem Monde ttberlässt, oder als sie mit den grauen
Mäusen der Nacht zusammentrifft), kommt eine Maus vorbei, und
die Frau, welche noch Etwas von ihrer Katzennatur behalten hat,
rennt ihr nach.
Wenn die Sonne in die Nacht eintritt", findet sie im Sternen-
himmel ein bezaubertes Schloss, in welchem entweder gar kein
lebendes Wesen zu finden ist, oder in dem sich nur die Mond-
Katze umherbewegt. Daher, meines Erachtens, der Ursprung des
Ausdruckes, mit dem wir in Italien ein leeres Haus bezeichnen
— „Non vi era neanche un gatto" (es gab nicht einmal eine
Katze da). Die Katze wird als Schutzgeist des Hauses betrachtet.
Das bezauberte Schloss ist immer entweder auf dem Gipfel eines
Berges oder in einem dunklen Walde gelegen (gleich dem Monde).
Dieses Schloss ist die Wohnung entweder einer guten Fee oder
eines guten Zauberers oder einer Hexe oder eines Schlangen-
dämons oder wenigstens von Katzen. Der Besuch des Hauses der
Katzen ist das Thema eines Mäbrchens, das ich mit geringen
Variationen im Piemontesischen und im Toskanischen erzählen
hörte. ^
Wir haben bis hieher nur die glänzende oder weisse Katze
gesehen, den Mond und das Zwielicht, und zwar gewöhnlich als
gütig und segensreich. Doch wenn die Nacht mondlos ist, so
haben wir nur die schwarze Katze in dem dichten Dunkel
Diese schwarze Katze nimmt dann einen dämonischen Charakter an.
' Im ToskaDischen erzählte es mir die oben erwähnte Uliva Selvi
folgendermassen : Eine Mutter hat eine Anzahl Kinder und kein Geld;
eine Fee sagt ihr, sie solle nur auf den Gipfel des Berges gehen; dort
werde sie in einem schonen Schlosse viele verzauberte Katzen finden,
welche Almosen geben. Die Fraa geht und ein Kätzchen lasst sie ein;
sie fegt die Zimmer, macht das Feuer an, wäscht die Schüsseln, holt
Wasser, macht die Betten und bäckt Brod für die Katzen; endlich kommt
sie vor den König der Katzen, der mit einer Krone auf dem Haupte da-
sitzt, und bittet um Almosen. Der grosse Kater zieht die goldene Glocke
an einer goldenen Kette und beruft die Katzen. Er erfährt» dass die Frau
sie gut behandelt hat, und befiehlt, ihre Schürze mit €k>ld8tücken (rusponi)
zu füllen. Die böse Schwester der armen Frau geht ebenfalls die Katzen
besuchen, misshandelt sie jedoch, und kommt ganz zerkratzt, und mehr
todt als lebendig vor Pein und Schrecken nach Hause zurück.
25^
1
388
Im MoDtferrat glanbt maD, dass alle Katzen, welche im Monat
Februar auf den Dächern herumlaufen, nicht wirkliche Katzen
sind, sondern Hexen, die man todtschiessen muss. Aus diesem
Grunde werden schwarze Katzen von den Wiegen von Kindern
femgehalten. Derselbe Aberglaube herrscht in Deutschland. * Im
Toskanischen glaubt man, dass wenn Jemand sterben soll, der
Teufel an seinem Bett in Gestalt irgend eines Thieres mit Aus*
nähme des Lammes, doch mit Vorliebe in der eines Bockes,
eines Hahnes, einer Henne oder einer Katze vorbeigeht. Im
deutschen Aberglauben^ verkündet die schwarze Katze, die
sich einem Kranken auf das Bett setzt, seinen nahenden Tod;
wird sie auf einem Grabe gesehen, so bedeutet das, dass der Ab-
geschiedene in der Gewalt des Teufels ist. Träumt Jemand in
der Christnacht von einer schwarzen Katze, so ist das ein Vor-
zeichen einer beunruhigenden Krankheit während des folgenden
Jahres. Aldrovandi erzählt von Stefano Cardano, dass, als er
auf dem Sterbebette lag, unerwarteter Weise eine Katze vor ihm
erschien, einen lauten Schrei ausstiess und verschwand. Derselbe
Aldrovandi erzählt uns von einer Katze, welche einer Frau die
Brust zerkratzte; diese erkannte in ihr ein ttbemattirliches Wesen
und starb nach Verlauf weniger Tage. In Ungarn glaubt man,
dass die Katze gewöhnlich von dem Alter von sieben Jahren bis
zu dem von zwöU eine Hexe wird und dass Hexen auf Katern,
besonders schwarzen, reiten ; femer glaubt man, dass man in das
Fell der Katze einen Einschnitt in Gestalt eines Kreuzes machen
muss, will man sie von der Hexe befreien. Die sprichwörtliche
„Katze im Sack" enthält wahrscheinlich eine Anspielung auf den
Teufel. In der zehnten Erzählung des Pentamerone sagt der
König von Roccaforte, der ein schönes Mädchen zu heirathen
glaubte, als er findet, dass er eine garstige verschleierte Hexe
(die Nacht) geheirathet hat: „Questo 6 peo nee vole a chi accatta
la gatta dinto lo sacco." In Sicilien bedeutet das Miauen der
Katze, wenn der Rosenkranz ftlr die Seeleute gebetet wird, eine
widrige Fahrt. ^ Als in Macbeth die Hexen ihren bösen Zauber
' Rocbholz, Deatscher Glaube und Brauch I, 161.
* Ib. — Ich finde eine Anspielung auf denselben Glauben auch in
dem einundzwanzigsten ehstnischen Mährchen (bei Rreutzwald).
' £s wird fast allgemein geglaubt, dass es Regen bedeutet, wenn sich
die Katze mit ihrer nassen Pfote hinter den Ohren putit. Und femer
sagt das lateinische Sprichwort:
„Catus amat pisces, sed aquas intrare recusal;"
389
gegen den König vorbereiten, beginnt die erste Hexe mit den
Worten :
„Thrico the brinded cat hath mewed.**
In einem dentseben Glauben, den Prof. Rochholz aufgezeichnet
bat, sind zwei Katzen, die miteinander kämpfen, für einen
Kranken eine Todesvorbedeutung. Diese beiden Katzen sind
wahrscheinlich eine andere Form des im Piemontesischen und im
Toskanischen üblichen Kinderspiels, welches das „Seelenspiel*'
heisst, und in welchem sich der Teufel und die Engel um die
Seele streiten. Von den beiden Katzen ist die eine wahrschein-
lich gutartig, die andere bösartig. Eine irische Sage erzählt uns
von einem Kampfe zwischen Katzen, die sich sämmtlich einander
bis auf die Schwänze vernichten. (Eine ähnliche Sage existirt
auch im Piemontesischen, doch wird sie dort, wenn ich nicht irre,
auf Wölfe bezogen. [In Deutschland spricht man wohl von den
bekannten zwei Löwen, die sich einander bis auf die Schwänze
auffressen.]) Zwei Katzen., die um eine Maus kämpfen und sie
dabei entschlüpfen lassen, werden auch in der indischen Sage
erwähnt. *
Im lOf). Hymnus des ersten Buches des Rigveda und im
33. des zehnten Buches sagt ein Dichter zu Indra: ,>Der Gedanke
zerreisst mich, der ich dich preisse, wie Mäuse ihre Schwänze
zerreissen, indem sie daran nagen''. ^ Doch nach einer andern
und das ungarische Sprichwort, dass die Katze im Wasser nicht stirbt.
VieUeicht heisst es aus diesem Grunde, dass in einem feuchten Herbst die
Katze nur wenig werth ist. („Die Katse im Herbst und die Frau im
Frühling sind nicht viel werth.*^ Ungarisches Sprichwort.)
' Polier, Mythologie des Indes U, 571.
* Müsho na ^i^oft vy adanti mädhyah stotäram te ^atakrato; Bigv. I,
105, 8. — Der Commentator erklärt ^i^nä bald durch sutrftni, Fäden,
bald lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sage von den Mäu-
sen, welche an ihren Schwänzen lecken, nachdem sie dieselben in ein Ge-
fäss voll Butter oder einer anderen schmackhaften Substanz getaucht
haben; doeh hier kann vyadanti nur bedeuten: sie zerreissen durch
Baissen, wie wir kurz vorher den Gedanken haben, der durch Beissen zer-
reisst, wie der Wolf die durstigen wilden Thiere zerreisst (mä vyanti ä-
dhyo na trishnagam mrigam). — Die Maus in dem Krug mit Speise vorrath
kommt auch in der Fabel von der Maus und den beiden Büssern im
Pan ($ at antra vor, wie in der griechischen Fabel von dem Sohne des
Minos und der Pasiphae, welcher eine Maus verfolgend in einen Honig-
krug fällt, in welchem er erstickt, bis er durch ein Heiikraut wieder ins
Leben gerufen wird.
390
änmg ist nicht von „Schwänzen", sondern von ,^äden" die
!; in diesem Falle würden die Mäuse, welche die Fäden
:en, anf die Fabel rou der Hans zariickgebn, welche bald den
hauten, bald den LOwen ans dem Netze befreit , eine Fabel,
Q hohes, bis zn den Veden hinaufreicbendes Alter ich im
sten' Kapitel zn erweisen snehen werde.
Die zwölfte Erzählung des dritten Buches des Fancatantra
iou grossem mythologischen Interesse. Aus dem Schnabel
> Falken filichtet sich eine Hans (in einer andern indischen
I, vor zwei Katzen, die sich um sie streiten) in die Hände
i Bflssers, als er. im Strome badet Der BHsser verwandelt
in ein schtiues Mädchen and will dieses mil der Sonne ver-
,tben ; das Mädchen weigert sich — jene ist zn heiss. Der
er will sie darauf mit der Wolke verheirathen, welche die
le Überwindet; das Mädchen erklärt, die sei ihr zu dnnkel
kalt Er schlägt dann vor, sie dem Winde zn geben, wel-
die Wolke Überwindet (im weissen Ya^urved a ist die
) dem Gott Rndra, dem Winde, welcher in der Wolke hentt
blitzt, heilig): das Mädchen schlägt wieder ab — er ist zu
iderlicb. Der BUsser kommt nnn auf den Gedanken, sie solle
Berg freien, gegen den der Wind nichts aosrichten kann;
sie sagt, er sei zu hart, und schliesälicb fragt der BUsser,
ie Willens wäre, ihre Neigung der Mans zu schenken, welche
1 ein Loch in den Berg machen könne ; das Mädchen ist mit
im letzten Vorschlage zufrieden und wird wieder in eine
liehe Maus verwandelt, um die männliche Maus heirathen zu
en. In diesem schönen Mythus (welcher eine Variation des
ren, schon erwähnten, von dem Katzen-Mädchen ist, das noch
audelt seinen Trieb, Mäuse zu jagen, bewahrt; wird die
e Umwälzung der vierundzwanzig Stunden des Tages darge-
. Die Maus Nacht erscheint zuerst; das Zwielicht will sie
iiner Beute machen ; die Nacht wird die Aurora; die Sonne
t sich ihr zum Gatten; die Sonne wird von der Wolke ver-
t, und die Wolke vom Winde fortgetrieben, mittlerweile er-
nt die Abend- Aurora, das Mädchen, auf dem Berge; die Maus
it eiBcbeint wieder, und mit ihr wird das Mädchen vertauscht
t in sie fiber). Der Hitopade^a enthält eine interessante
lart desselben Mythos. Die Maus ßillt aus dem Schnabel des
rs und wird von einem weisen Mann aufgenommen, der sie
line Katze verwandelt; dann, um sie vor dem Hunde zu
u, in einen Hund, und endlich in einen Tiger. Als die Maus
ein Tiger geworden ist, denkt sie, den Weisen zn tödten; dieser
errath jedoch ihre Gedankeo and verwandelt sie wieder in
eine Mans. Hier finden wir denselben Kreislauf der t&g-
lieben Himmetserscheinnngen dargestellt. Die aufeinander'"' —
dieser Erscheinungen Ternrsacht bisweilen in den Mythen
Wandlungen.
Das bekannte Sprichwort von dem Berge, der die Hau
biert, geht auf den in der Eraälilung des Pancatantra entbal
Mythus zurUck. Wir wissen schon, daes der Sonnenhek
Abend mit dem Sonoenpferde in den Berg eingeht und
wird, und dasB der ganze Himmel die Farbe dieses Berge
nimmt. Aas dem Berge kommen die Mäuse der Nacht,
Schatten der Nacht heraus, welche von der Katze Mond ani
Katze Zwielicht veijagt werden ; die Diebsgelüste der &
entfalten sich in der Nacht. Im deutschen Aberglauben ne
die Seelen der Abgescliiedenen die Gestalt 70u Mänsen an,
wenn das Haupt eines Hauses stirbt, so heisst es, daes soga
Mäuse das Haus verlassen. ' Im Allgemeineji wird jedes En
nen von Mausen als ein unglückliches Vorzeichen angesehn;
halb wurde die unheilvolle Gertrade als von Mäusen um
dargestellt. In Macbeth droht die erste Hexe, als sie den '.
mann, der nach Ateppo segelt, verfolgen und Schiffbruch 1
lassen will, am sich an seiner Frau zu rilchen, welche ifa
paar Kastanien verweigert hatte, sie wolle gleich einer
ohne Schwanz werden. In der Historia Sarmatiae
Aldrovandi) werden die Oheime des KOnigs Popelue n., wele
mit seiner Frau als Complice im Geheimen ermordet und ii
See wirft, Mäuse and beissen den König und die Kitnigi
Tode. Derselbe Tod soll die Strafe des Mii^cislauB, SohneE
Herzogs Konrad von Polen gewesen sein, weil er sich unre
' Den Uäuaen pfeifen, heiast den Seelen ein Zeiuhea )^ben, ui
ihaen abgeholt eu werden i ebenu wie der EatLenftinger zu Hamel
Lockpfeife blsit, auf deren Ton alle Mäiue und Kinder der Stadt m:
in den Berg hineinziehen, der sieb hinter ihnen zuschliesst. Mäu»
Seelen. Die Seele des auf der Jagd entlieh lafe neu Königs Guntram t
achlängleinartig ans seinem Hunde hervor, um ho in einen nlichat«n
und wieder sarücksulaufeit. Der goethe'sche Faust weigert sich den
mit dem hübscfaen Uexenmadchen am Blocksberg fortsusetzen :
„Denn mitten im Gesunge sprang
Ein rotbes Mäuschen ibr aus dem Munde."
Rochbolz, Deutscher Glaube und Brauch, I, 1»
892
Weise das £igentbam von Wittwen und Weisen lui^^igiiei hatte,
und des Otto, £rzbiBcbof« von Mainz ^ weil er während «iaer
Bungersnoth den Kornboden verbrannt hatte. Mäuse sollen in
.Rom den ersten Bürgerkrieg vorbedeutet haben, indem sie das
'Gold im Tempel benagten; uud es wurde femer behauptet, eine
Maus hätte in einer Falle fünf männliche Mäuschen geworfen,
von denen sie zwei verschlungen. Andere Wunder, in denen
Mäuse eine Rolle spielen, werden als in Rom geschehen berichtet,
sogar aus dem Zeiten Catos, welcher sie zur Zielscheibe seines
Witzes .machte. Jemandem, der ihm erzählte, wie die Mäuse die
Stiefel benagt hätten, antwortete er, das wäre kein Wunder;
nvohl wüf de es >ein solches gewesen sein^ wenn die Stiefel (caljgae)
die Mäuse gefressen hätten.
Die Maus ist in der Fabel zuweilen in Verbindung mit dem
Elephanten und dem Löwen , welche sie bisweilen verhöhnt und
misshandelt (wie im Tuti-Name^), und bisweilen unterstützt
und aus ihren Fesseln befreit Die Bedeutung des M^hus ist
klar: Der Elephant und der Liöwe stellen hier die Sonne in der
Dunkelheit dar; am Abend springt die Maus der Kacht auf die
beiden Heldenthiese, welche dann alt oder schwach sind; am
Mocgen wird die Sonne aus den Fesseln der Nacht befreit , und
es wird vermuthet, dass es die Maus war, welche die Seile zer-
nagt und den Elephanten, wie im Panctatantra, resp. den
Löwen, wie in der äsopischen Fabel^ in Freiheit gesetzt hat Wir
sahen oben den Doppelsinn, den das vedische Wort figna bietet,
»welches ganz .ebenso gut durch ,^Fl9iden^^ als durch y,SGhwAnz'^
übersetzt werden kann. Es ist möglich, dass der Schwanz der
nächtlichen Ratte am Abend den alten Sonnenlöwen in t seine ver-
schiedenen Falten wie in ein kleines Netz «inhüllt, einwickelt.
Am Morgen iiagtisich die Ratte ^der Nacht den Schwanz ab, d. h.
zernagt die Fäden des Netzes, welches den Löwen einhüllt, der
sich so befreit sieht
Der indische Gott GancQa, der Gott der Dichtkunst, Bered-
samkeit und Weisheit, wird dargestellt mit einem Elephantenkopf,
und mit seinem Fusse eine Maus zermalmend. So wurde bei den
Griechen Apollo Smintheus, so genannt, weil er die Mäuse ge-
schossen, welche dem Kriuos, dem Priester des Apollo selbst, den
Speisevorrath für das Jahr gestohlen hatten, mit einer Maus unter
seinem Fusse dargestellt. Wie die heilige Jungfrau die Schlange
' L p. 268 f.
393
mit ihrem Fusse zertritt; so setzt der heidnische Sonnengott seinen
Fass anf die Maas der Naoht.
Wenn die Katze fort ist; tanzen die Mänse ; dieses Sprichwort
hat nicht allein auf der Erde seine volTe Richtigkeit; sondern gilt
auch für daS; was im Himmel vorgeht: die Schatten der Nacht
tanzen; wenn der Mond fort ist.
Im fnnfsebnten Mährchen des fänften Baches bei Af a n a ss i e f f
bittet die Hexe-Stieimatter ihren alten Mann, seine Tocjiter in den
Wald za fuhren; damit sie in einer einsamen Hütte spinne. Das
Mädchen findet dort eine kleine Maas ^ and giebt ihr etwas zu
essen. In der Nacht kommt der Bär and will mit dem Mädchen
Blindekah spielen (englisch: blind^man's-baff; italienisch: mosca-
ciecd; blinde Fliege; dieses sehr volksthttmliche Spiel ;hat offenbar
mythischen Ursprang and Bedeutang ; jeden Abend belustigt sich
die Sonne am Himmel mit Blindekuhspiel; sie blendet sich und
rennt blind in die Nacht hinein ; wo sie ihre vorbestimmte Braut
oder ihr veiloienes Weib, die Aurora, wiederfinden muss). Die
kleine Maus naht sich dem Mädchen und flüstert ihr ins Ohr:
;;Mädchen ; fürchte Dich nicht ; sage zu ihm : ;Lass uns spielen' ;
dann lösche das Feuer aus und verbirg Dich unter den Stein; ich
werde rennen und die kleinen Glocken läuten.^' (Mäuse scheinen
eine besondere Voriiebe für Glockenton zu haben. Bekannt ist
' die Fabel von den Mäusen ; welche beschliessen ; der Katze <eine
.Glocke umzuhängen; um sich von ihr zu befreien; jedoch keine
wagt; das schwierige und geföhriiche Unternehmen auszuführen. ^)
£)er Bär glaubt; hinter dem Mädchen her zu rennen , rennt aber
in Wirklichkeit der Maus nach ; die er nicht fangen kann. Der
Bär mattet sich völlig ab ; und das Mädchen beglückwünschend
sagt er zu ihr: ;;Du bist meine Herrin ; Mädchen ; im Blindekuh-
spiel; morgen früh werde ich Dir eine Herde Pferde und einen
< Die Maos, die über das Garn läuft, kommt auch in der deutschen
Sage vor: — ,,So bildet sie (die heilige Gertrud) der krainische Baucru-
kalender, so wie das sogenannte Gertrudenbüchlein ab: zwei Mäuslein
nagen an einer flachsumwundenen Spindel; eine Spinnerin sitzt am Spinn-
rade und eine Maus läuft den Faden hinauf. Weder am St. Gertruden-
tag noch in der Zeit der Zwölften, wo die Geister in Gestalt von Mäusen
erscheinen, darf gesponnen werden ;*' Rochholz, Deutscher Glaube und
Brauch I, 158.
* Vgl. Oesterley zu Pauli's Schimpf und Ernst c. 36 und zu
Kirchhofs Wendunmuth 7, 105 — Die schottische Erzählung von Archi*
bald Douglas, mit dem Spitznamen Bell the Cat, ist allbekannt.
394
Wagen voll Güter schicken/' (Die Morgen-Aurora kommt ans
dem Walde, befreit sich aus den Klanen des Bären, von der
Hexe der Nacht, und erscheint von Pferden gezogen auf einem
Wagen voll Schätzen. Der Mythus ist ganz durchsichtig.)
In zahlreichen anderen Sagen haben wir die dankbare Maus,
welche dem Helden oder der Heldin hilft. Im dreizehnten kal-
mttkischen Mährchen kommen die Manis, der Affe und der Bär
dem Sohne des Brahmanen, welcher sie aus den Händen der
Schurken, die sie quälten, bereit hatte, aus Dankbarkeit zu
Hilfe, indem sie die Eiste, in welche der junge Mann auf Befehl
des Königs eingeschlossen worden war, zernagen und aufbrechen;
später helfen sie ihm unter Beistand der Fische, einen verlorenen
Talisman wiedererlangen.
Im achtundfunfzigsten Mährchen des sechsten Buches bei
Afanassieff^ stehen die Maus, das Schlachtross und der Fisch
silurus aus Dankbarkeit dem ehrbaren Arbeitsmanne bei, welcher
in einen Sumpf gefallen ist, und reinigen ihn ; darüber muss die
Prinzessin, die nie gelacht hat, lachen und heirathet darauf den
Arbeiter. (Die junge Morgensonne kommt aus dem Sumpfe
Nacht; die Aurora, welche zuerst ein dunkles, böses und häss-
liches Mädchen war, heirathet die junge Sonne, welche die Maus
aus dem Schlamm befreit hat, wie sie den Löwen aus dem Netz
erlöste.)
Im siebenundfunfzigsten Mährchen des sechsten Buches bei
Afanassieff ist es die Maus, welche Iwan Tzarevic warnt, vor
der Schlangenhexe (der schwarzen Nacht), seiner Schwester, zu
fliehen, welche schon ihre Zähne wetzt, um ihn zu verzehren.
Im dritten Mährchen des ersten Buches bei Afanassieff
helfen die Mäuse dem guten Mädchen, welches ihnen etwas zu
essen gegeben hatte, zu thun, was die Hexe, ihre Stiefmutter, ihr
befohlen.
Im dreiundzwanzigsten Mährchen des fünften Buches erschei-
nen Maus und Sperling zuerst als Freunde und Bundesgenossen.
Doch eines Tages isst der Sperling, als er ein Kotu Mohnsamen
gefunden hat, dasselbe allein auf, ohne seinem (genossen einen
Theil anzubieten, weil er es für zu klein hält. Die Maus hört
* Vgl. Pentamerone UI, ö. — In der Ensähluug IV, 1 stehen die
dankbaren Mäuse dem Minec AnieUo bei, der den verlorenen Ring sucht;
sie zernagen nämlich den Finger, an welchem der Zauberer denselben
trägt.
395
davon und ist empört; sie bricht den Band und erklärt dem
Sperling den Krieg. Der Letztere versammelt alle Vögel der
Luft^ and die Maus alle Tbiere des Landes; eine blatige Scblacbt
beginnt — In einer anderen rassischen Version dieses Mährchens
ist es die Maus, welche den Vertrag bricht. Sie sammeln zu-
sammen Vorrath für den Winter, doch als sie gegen Ende des
Sommers d^mit fast fertig sind, treibt die Maus den Sperling aus
und dieser geht zum König der Vögel; sich za beklagen. Der
König der Vögel besucht den König der Thiere und legt die
Klage des Sperlings vor; der König der Thiere ruft darauf die
Maus, sich zu rechtfertigen , welche mit solcher Schlauheit und
solcher Demuth ihre Sache führt; dass sie schliesslich den Herr-
scher zu der Ueberzeugung bringt, der Sperling habe Unrecht.
Darauf erklären sich die beiden Könige den Krieg und lassen
sich in einen furchtbaren Kampf ein^ der mit schrecklichem Blut-
vergiessen auf beiden Seiten geführt wird und mit der Verwun-
dung des Königs der Vögel endet. (Die nächtliche oder winter-
liche Maus vertreibt den Sonnenvogel des Abends oder des
Herbstes.)
In der dem Homer zugeschriebenen Batrachomyomachia
prahlt der Mäusekönig Psicharpax (Bröseldieb) , der dritte Sohn
des Troxartes (Brodnager), gegenüber dem Physignathos (Pausback),
dem König der Frösche, damit, dass er den Menschen nicht
fürchte, dem er im Schlafe die Fingerspitze abgebissen habe; da-
gegen hat er den Falken (der im indischen Mährchen die Maus
aus dem Schnabel fallen Hess) und die Katze zu Feinden. Der
Frosch, der die Maus bewirthen will, lädt sie ein, sich auf seinen
Rücken zu setzen und so in seine königliche Wohnstätte tragen
zu lassen; zuerst macht -der Mauä der Ritt Spass, doch als der
Frosch sie das eiskalte Wasser fühlen lässt, da vergeht ihr der
Muth;' schliesslich beim Anblick einer Schlange vergisst der
Frosch seinen Reiter und rennt davon, indem er die Maus
über Hals über Kopf in das Wasser wirft, damit sie der Schlange
zur Beute falle. Sie erinnert sich, bevor sie das Leben aus-
haucht, noch daran, dass die Götter ein rächendes Auge haben,
und droht den Fröschen mit der Rache der Mäusearmee. Man
rüstet zum Kriege. Die Mäuse machen sich gute Stiefel aus
Bohnenschalen ; sie überziehen ihre Ktlrasse von Wasserlinsen mit
dem Fell einer geschundenen Katze; ihr Schild ist der Mittel-
knopf der Lampen (Ivx^utv to fuaoftqxxlo^ ^ d. h. wohl: ein Stück
einer kleinen Lampe aus terra-cotta, und zwar genauer, der untere
396
und mittlere Theil) ; znr Lanze haben sie eine Nadel und zum
Helm eine Nussschaie. Die Götter sehen dem Kampfe als neutrale
Partei zu^ — Pallas hat nämlich ihre Ungeneigtheit erklärt, den
Mäusen zu helfen, weil sie das Oel aus den Lampen gestohlen
haben ; welche ihr zu Ehren brannten, und .weil sie ihr Peplum
zernagt; ebenso gleicbgiltig ist sie aber auch gegen die Frösche,
weil dieselben sie einst aufgeweckt haben, als sie, müde aus dem
Kampfe zurtlcl^gekehrt, ruhen wollte. In der Schlachf geht's heiss
her; schon will sie eine unglückliche Wendung für die Frösche
nehmen, als Zeus sich ihrer erbarmt und anfängt, zu blitzen und
seine Donnerkeile zu schleudern. Da die Mäuse sich dadurch
nicht schrecken lassen, so schicken die Oötter eine Schaar Krebse,
welche die Mäase in den Schwanz, die Hände und die Füsse
beissen, und sie so zur Flucht zwingen. Es ist das unzweifelhaft
die Darstellung eines mythischen Kampfes. Die Frösche sind,
wie wir sehen werden, die Wolken; die Nacht trifft die Wolke;
die Maus kämpft mit dem Frosch. Zeus, der Donnergott, donnert
und blitzt, um dem Streit ein* Ende zu machen; zuletzt erscheint
der retrograde Krebs; die Kämpfenden, Frösche und Mäuse, ver-
schwinden natürlich.
Die Maus wird nie anders aufgefasst als in Verbindung mit
der nächtlichen Dunkelheit, und daher auch mit weiterer Ausdeh-
nung d^ Mythus in Verbindung mit der Dunkelheit des Winters,
aus welcher in der Folge Licht und Reichthümer hervorkommen.
In Sicilien glaubt man, dass wenn ein Zahn, der einem Kinde
ausgenommen ist, in einem Loch versteckt wird, die Maus ihn
fortnimmt und ein Geldstück für das Kind zur Belohnung bringt.
Dje Maus ist dunkelfarbig, doch ihre Zähne und Vordertheile
sind weiss und glänzend. Die Maus Hiranyaka (die goldene)
im Panöat antra ist das rothe Eichhörnchen, das in einer äso-
pischen Fabel auf die Frage dos Fuchses, warum es seine 2iähne
wetzt, wenn es nichts zu essen hat, antwortet, es thue das, um
immer gegen seine Feinde gerüstet zu sein. In der Edda rennt
das Eichhörnchen auf den Baum Yggdrasil und bringt den Adler
und Nidhögg in Zwietracht.
Der Maulwurf und die Schnecke haben dieselbe Natur
wie die graue Maus. Das indische Wort äkhu oder Maul-
wurf ;(es ist schon im Rigveda^ von ihm als von einem
' Al&yyasya para^ur nana^a tarn & pavasya (nach Auf rechts Text und
nach dQm Cpmineiitator pavasva — vgl. Bollenseii, Zur Herstellung des
397
Dämon , den Indra getödtet bat , die Rede' bedeutet eigentlich :
Aushöhier.
In Reineke Fuchs erscheint der Maulwurf' als Gräber,
als das Thier, welches die Erde aufwirft und unterirdische Gänge
macht; er ist auch wirklich der geschickteste Grabgräber, und
seine schwarze Farbe und angebliche Blindheit befinden sich in
vollkommener Uebereinstimmung mit dem Trauercharaakter, der
ihm in der Mythologie zugeschrieben ist. In einer Fabel des
Laurentius beklagt sich der Esel zum Maulwurf, dass er keine
Homer habe, und der AffC; dass er einen kurzen Schwanz habe ;
der Maulwurf antwortet ihnen :
„Quid potestis hanc meam
Miseram intuentes coecitatem, haec conqueri?'*
Nach dem griechischen Mythus wurde Phineus ein Maulwurf,
weil er auf den Rath seiner zweiten Frau, Idaia, seine beiden
Söhne von der ersten Frau, Cleopatra, hatte blenden lassen,
wie auch, weil er die geheimen Gedanken des Zeus enthüllt
hatte. ^
Bei Du Gange finde ich, dass es im Mittelalter Brauch für
die Kinder war, sich am Weihnachtsabend mit Stangen zu ver-
sammeln, um deren Enden Stroh gewickelt war, das sie anzün-
deten, und dann in den Gärten herumzuziehn, schreiend :
„Taupes et mnlots
Sortez de nos dos
Sinon je vous brulerai la barbe et los os."
Y^ir finden einen ähnlichen Ruf in der siebenten Erzählung des
zweiten Buches des Pentamerone. Das schöne Mädchen geht
maruzze suchen, und droht der Schnecke, ihr von ihrer Mutter
die Ilörner abschneiden zu lassen:
„lesce, iedce> corna
Ca mammata te »corna, ^
Te scorna 'ncoppa Tafitreco
Che fa lo figlio mascolo/^
Im Piemontesischen pflegen die Kinder zu singen, wenn sie
wollen, dass die Schnecke die Homer heraussteckt:
„Lümassa, Lümassora,
Tira fora i to com
Dass no, * i vad dal barb^
£ it tje fass tai^f
Veda im Orient und Occident II, 484) deva soma; akhum did eva
deva soma; Bigv. IX, 67, liO.
> Sophocles, Ant ig. 973 ff.
{\
Kinder erscbrecken die Schnecke mit der Kachriebt,
komme, die Httmer derselben mit einem Liebte zn
„Nefl
E t'
ichen rätb man der weissen Schnecke (la marinella).
Hörner beraaezuotecken , wenn sie sieb vor StOs^eu
:n bewabren wolle:
„Chio^ifiola marinella,
Tira fuori le tue Cornelia,
£ se tn non le tirerai
Calci e pagni tu buacherai.'*
icben glaubt man femer, dass im Monat April die
:h mit der Schlange liebt, und deshalb giftig ist: da-
to:
„('hi Tuol presto morire
UiiDgi 1a chiocdola d' aprile."*
:e des Volksaberglaubens ist dämonisch; daher wird
cbland von den Kindern ancb mit dem Namen der
tmde gerufen:
„Kuckuck, kncknck Gerderut
Stak dine ver Uoms hemt''*
Ia«a DO des PiemonteBiBchen bedeutet „wenn nicht", und Ist
jchen Ureprungs. Der piemonteaische Dixlekt hat auch diu
Partikel der dcntscbeu Sprache entlebni. — In Deutschland
ader:
„ScbneckbfiB, pcckbäa.
Stak din v€r hümer rüt,
SüBt ichmtt ick di in'n graven
Da freten di de raven."
Kuhn und Sdiwartz, N. d. S. M. u. G. p. 453.
Rabelais I, SS Oargantaa fünf Pilger in seinem Sa-
lat, bleibt noch einer unter einem Lattichblatt verborgen.
gt zu ihm: „Je orois que c'est Ik une corue de limasson,
poiut. Pourquoj? dist Oargantua, Ui sont bono tout se
, Handbuch der deutschen Mythologie, 2. Aufl.
399
KAPITEL Vni.
Der HMe, das Kaninehen, das Hermelin and der Biber.
Der mythische Hase ist unzweifelhaft der Mond. Im Sanskrit
bedeutet das Wort ^afa eigentlich: der Springende , ebenso
wie: der Hase, das Kaninchen nnd die Flecke am Monde^ welche
die. Vorstellnng eines Hasen wecken. . Daher die Namen des
Mondes: (a^in, der mit Hasen versehene^ und gagadhara,
9agabhrit, der den Hasen tragende. In der ersten Erzählung
des dritten Buches des Paridatantra wohnen die Hasen an
der Kttste des Sees Candrasara oder Mondsee; und ihr König;
Vi^ayadatta (der unheilvolle Gott, der Gott des Todes) hat die
Mondscheibe zum Palast. Als der Hase mit dem König der
Elephanten spricht, der die Hasen zertritt (ebenso wie wir das
von der Kuh sahen in Kapitel I), spricht er im Namen des Mon-
des. Der Hase macht die Elephanten glauben, dass der Mond
ärgerlich auf sie ist, weil sie die Hasen mit ihren Füssen zer-
treten ; darauf verlangt der Elephant den Mond zu sehen und der
Hase führt ihn zu dem Mondsee, wo er ihm den Mond im Was-
ser zeigt Der Elephant, der sich dem Monde jiähem und ihn
um Verzeihung bitten will, steckt seinen Rüssel ins Wasser,
welches dadurch bewegt wird, so dass der Widerschein des
Mondes getrübt und tausendfach vervielfältigt wird. Der Hase
redet dem Elephanten ein, ^ass der Mond noch zorniger ist, weil
er das Wasser getrübt; darauf bittet der König der Elephanten
um Verzeihung und geht mit seinen Unterthanen weit weg; von
jenem Tage an leben die Hasen ruhig an den Ufern des Mond-
sees und werden nicht mehr von den Klumpfttssen ihrer kolos-
salen Genossen zermalmt Der Mond regiert die Nacht (und den
Winter), die Sonne regiert den Tag (und den Sommer). Der
Mond ist kalt, die -Sonne heiss. Der Sonnen-Elephant, -Löwe
oder -Stier geht am Abend hinab, um am Strome, am See des
nächtlichen Mondes zu trinken; der Hase warnt den Elephanten:
wenn er nicht ablasse, wenn er noch weiter die Hasen an den
Ufern des Sees niedertrete, so werde der Mond seine kalten
Strahlen zurückziehen, so dass die Elephanten vor Durst und
Hitze umkommen. Die andere Erzählung des Pancatantrs^
400
ist eine VaHation des Mythus, den wir in Kapitel VI (vom Hunde)
erwähnten^ von dem Hasen, der den hungrigen Löwen, welcher
ihn verzehren will, ins Verderben führt, indem er ihn sich in
einen Brunnen stürzen lässt. Dieser Mythus, welcher dem von
der Maus als der Feindin bald dies Elephanten, bald des Löwen,
bald des Falken analog ist, ist schon in den vedischen Hymnen
sehr klar angedeutet. Im achtundzwanzigsten Hymnus des zehn-
ten Buehes des Bigveda, in welchem der Fuchs den westlichen
Löwen- (den kranken Löwen *) besuchen kommt, in welchem wir
den Löwen habea^ der m die Schlinge fallt ^ (and den die Maus
am Ab«nd missbandelt, am Morgen abec durek Zernagen der ibn
fesselndea Seile befreit; im griechischeifr Sprichwort ist es der
Hase, der den Löwen in das goldene Netz zieht: j^ehtei kxyoig,
kiovra xj^voiiKf ß^%(^^\ ebenso wie er ihn im Pancatantra in
den Brunnen lockt), und in welchem der Hase das westliehe Un-
geheuer verschlingt' (eine Variation der griechischen Sage von
dem Hasen, den eine Stute geworfen hat, und der sofort darauf
seine Mutter verschlingt) - in diesen Hymnus finden wir d^n
Keim mehrer Thierfabeln desselben Cyehis. Das niedere Thier
besiegt das höhere: um dieses eigenthifmliche Momeal; dreht sieb
der ganze Mythus ; aus diesem Grunde auch, fäll* der Hund oder
Schakal (caodis aureus) den wilden Eber an, ^ und das Kalb über-
windet den Stier. ^ Der Hase begegnet uns wieder als der sprich-
wörtliche Feind, des Löwen (daher das htteinische Sprichwort:
„Mortuo leoni lepores insultant^' oder saltant; der Mond springt
auf die sterbende Sonne) im letzten^ Buche des Bämäyana,
wo der grosse König der Aflfen, B&liTi, den König der Ungeheuer,
Bavana, betrachtet, wie ein Löwe ^inen« Hasen oder wie der
Vogel Oasmda die Schlange. ^
Bei Aesop finden wir den Hasen, welcher seinen Feind,
den sterbenden Adler, auslacht, weil der Jäger ihn mit einem mit
Adlerfedern geschmückten Pfeil getroffen hat. In einer andern
äsopischen Fabel rächt sich das Kaninchen an dem Adler, wel-
cher seine Jungen gefressen hat, dadurch, dass es den Baum
' Lopä^a^ sinham pratyandam atsäl^; 9^g^- ^t 28, 4.
^ Avaruddha^ paripadam na sinha^; X, 28, 10.
* Qa^ah kshuram pratyandam gag4ra; X, 28, 9.
* Kroshtä varäham nir atakta kakshät; X, 28, 4.
* VatBO vrishabham 9d9iivftnah; X, 28, 9.
* 2^nha^ 9a9aniivftlak8hya gamdo v& bhu^aSgamam ; Rdmäy XXIII.
401
entwurzelt und umwirft, auf welchem der Adler sein Nest hat, so
dass die jungen Adler getödtet werden.
Im siebzehnten mongolischen Mährchen ist der Hase der
Wächter der Höhle der wilden Thiere (oder der Mond, der mri-
gräga und Wächter des Waldes Nacht). ^ In dem einundzwan-
zigsten mongolischen Mährchen geht der Hase mit dem Lamm
auf die Reise, am Fünfzehnten des Monats, als der Mond heraus-
kommt, und vertheidi^ das Lamm gegen den Wolf der Nacht,
welchen letzteren er durch die Nachricht in Schrecken setzt, er
habe vom Gotje Indra ein Schreiben erhalten , in welchem ihm
(dem Hasen) befohlen werde, dem Indra tausend Wolfsfelle zu
bringen.
In einer buddhistischen Legende wird der Hase von Indra
in den Mond verwandelt, weil er ihm freiwillig sein Fleisch zu
essen gegeben hatte, als er, in einen Pilger verkleidet, um Brod
bat. Der Hase, der ihm nichts weiter bieten konnte, legte sich
übers Feuer, damit Indra seinen Hunger beschwichtigen könnte. *
Im A vest a finden wir das Hermelin als den König der
Thiere und den Biber als das heilige und unverletzliche Thier,
mit dessen Fell die -reine Ardvtgüra bekleidet ist (weiss und
silbern wie die weisse Dämmerung, rosig und golden wie die
Aurora ; wenn nicht Ardvtgüra, deren Diadem aus hundert Sternen
gemacht ist, auch erklärt werden muss als den Mond bezeich-
nend, welcher bald silbern, bald schön golden ist). Ferner: dass
der Biber den Mond (die keusche Diana) darstellt, befindet sich
in vollständiger Uebereinstimmung mit dem Rufe, den er als
Eunuch (castor a castrando) im, Volksaberglau ben geniesst ;
daher die Worte Ciceros ttber die Biber, ' und die Verse des
Juvenal :
,Jmitata8 castora qai se
Eunuchum ipse facit capiens evadere damnum
Testiculorum, adeo medicatum intelliget unguen/**
» Vgl. Seite 101 f.
^ Vgl. M^moires sur les Contr^es Orientales, traduits du
Sanscrit par Hiouen Thsang, et du Chinois par St. Julien, I, 375.
* Redimnnt ea parte corporis^ propter quam maxime expetuntur; Pro
Aemilio Scaur o. Es heisst, dass der Biber, wenn er von Jägern ver-
folgt wird, seine Testikeln selbst abreisst, als den werthvollsten Theil,
dessentwegen er gejagt wird, da der Volksglaube den Testikeln des Bibers
wunderbare Heilkräfte beilegte.
* XII, 35.
Gobernailf, die Thiere. 26
402
Bei AJdrovandi andrerseits erzählt Philostratus^ dass eine Frau
sieben Mal fehlgeboren hatte , doch das achte Mal einem Kinde
das Leben schenkte, als ihr Mann unerwarteter Weise einen
Hasen aus seinem Busen zog. Obwohl der Mond selbst die
furchtsame und keusche Göttin (oder Eunuch) ist; ist er doch, als
mgengebeud, die faecundatrix und berühmt als über die Ge-
burten wachend und sie beschützend; deshalb hatten die Wehen
einen glücklichen Ausgang; wenn der Mond-Hase oder Lucina
Beistand leistete; deshalb auch wurden in Indien Ehen nur an
den vierzehn Tagen geschlossen, während deren der Mond zu-
nahm. Der mythische Hase und der Mond werden beständig
identificirt. Aus diesem Grunde giebt beiPausanias die Mond-
göttin den Verbannten, die einen geeigneten Platz zur Gründung
einer Stadt suchen, den Rath, sie in einem Myrtenhain zu bauen,
in welchen sie einen Hasen fliehen sehen würden. Der Mond ist
der Wächter des Himmels, d. h. er schläft mit offnen Augen; das
thut auch der Hase, wodurch der somnus leporinus sprich-
wörtlich wurde. Im neunten ehstnischen Mährchen heisst es von
dem Donnergott: „gewöhnlich schläft er wie der Hase mit offenen
Augen'^ Indra, der den Hasen in den Mond verwandelt, ist
schon erwähnt worden; Indra wird in der Gestalt des sahasräksha
oder des tausendHugigen Gottes ein Eunuch; die tausend Augen
werden eines, der milloculus wird ein monoculus, wenn der
Mond am Abendhimmel glänzt; daher sprechen wir bald von den
hundert Augen des Argus, bald einfach von dem Argusange, dem
Auge Gottes.
In einem slavischen Mährchen * lacht der Hase über die
Bärenjungen und spuckt sie an; der Bär rennt hinter dem Hasen
her und wird auf der Jagd in ein dichtes Gebüsch gelockt, wo
er gefangen wird. Da der Löwe in Russland unbekannt ist,
wird der Bär für ihn eingesetzt; der riissische Hase lockt den
Bären in die Falle, wie der indische und griechische den Löwen
hineinfallen lässt. Dieser Hase, welcher dem Sonnenhelden oder
dem Sonnenthier des Abends ein Leides anthut, ist identisch mit
dem, welcher im fünfzigsten Mährchen des fünften Buches bei
Afanassieff und in der russischen Volkssage dem Hochzeits-
wagen begegnet und für die Braut und den Bräutigam Unglück
bedeutet. Der Mond -Hase, die keusche Beschützerin der Ehen
' Augeführt von A fan. in den Bemerkungen zu dem ersten Bande
der russischen Mährchen.
k
403
und Geburten, die Wohlthäterin von Jedermann, darf nicht dem
Wagen begegnen; stellt sie sich der Hochzeit entgegen (vielleicht
am Abend und im Herbst) oder wird der Hase von dem Wagen
zertreten oder überholt (wie das Sprichwort sagt), so ist das ein
übles Vorzeichen, nicht allein fttr das junge Paar, sondern fttr
Jedermann; Sonnen- sowohl wie Mondfinstemisse wurden im
Volksmährchen immer als unglttckbedeutend betrachtet. In rus-
sischen Volksmährchen finden wir häufig den Hasen unter einem
Baum, oder auf einem Felsen in der Mitte des Sees erwähnt, wo
eine Ente ist, welche ein Ei enthält; dieses Ei (die Sonnenscheibe)
ist an einen kostbaren Stein gebunden; wenn es dem jungen
Helden in die Hände fällt, stirbt das Ungeheuer und er kann die
junge Prinzessin heirathen. * Das siebenjährige Mädchen, welches
^uf einem Hasen reitet und so durch die That das ihr von dem
heirathslustigen Tzaren aufgegebene Bäthsel löst, ist eine Spielart
dieses Mythus. Mit Hilfe des Mondes kommen die Sonne und
die Abend-Aurora in dem Lande des Morgens an, finden einander
und heirathen sich ; der Mond ist die Vermittlerin der mythischen
Hochzeit; der Hase, welcher diese Vermittlerio darstellt, darf also
ihnen nicht nur nicht sich entgegenstellen, sondern muss ihnen
sogar mit Rath und That helfen ; am Abend trennt der Mond die
Sonne von der Aurora; am Morgen vereinigt er sie vrteder.
» Vgl. Afan. I, 14. II, 24. V, 42.
26^
404
KAPITEL IX.
Die Antilope, der Hirseh» die Hirschknli nnd die Gazelle«
Der Hirsch stellt die glänzenden Gestalten dar^ welche im
wolkigen oder nächtlichen Walde erscheinen; das sind nnn bald
BÜti und Donnerkeile; bald die Wolke selbst; welche sich der-
selben entlädt; bald der Mond in dem Dnnkel der Nacht. Der
mjrthische Hirsch ist fast immer entweder ganz glänzend oder
auch gefleckt ; wenn er schwarz ist; ist er von diabolischer Natnr
und stellt den ganzen Nachthimmel dar. Bisweilen ist der glän-
zende Hirsch eine vom Dämon des Waldes zur Vemicbtnng des
Helden angenommene Gestalt.
Der Kigveda stellt nns die Mamts oder Winde, welche in
den Wolken blitzen nnd donnern; als von Antilopen gezogen dar.
Die Mamts ^;Sind geboren von selbst glänzend; mit Antilopen,
mit Lanzen , unter Donnergepolter nnd Blitzeszucken". * ,;Sie
haben geschirrt mit einem rothen Joch die Antilopen. ^ Die jonge
Schaar der Mamts geht von selbst und hat eine Antilope znm
Pferde.'' 3 Die Pferde der MamtS; von denen wir schon wissen,
dass sie Antilopen sind; heissen geflügelt^ und sollen goldene
VorderfÜsse haben. ^ Die Antilopen der Mamts sind glänzend.^
Doch werden die Maruts nicht allein von Antilopen gezogen; sie
tragen auch auf den Schultern Antilopenfelle. ^
Statt jedoch dem Helden zu helfen; verwickeln ihn die Anti-
lope, die Gazelle nnd der Hirsch gewöhnlich in Verlegenheiten
* Ye prishatibhir rishtibhiti säkam vä^ibhir aD^ibhih — agäyanta
svabhäoavah; Bigv. I, 37, 2.
' Upo ratheshu prishatir ajugdhvam prashtir vahati rohitab; I, 39, 6.
' Sa hi svasrit prishada^vo yuvä ganalji: I, 87, 4.
* A vidyunmadbhir marutab svarkäi rathebhir yätha rishtimadbbir
a^vaparnftib; I, 88, 1.
' A9vair hinmyapanibhi]^; VIII, 7, 27.
' Qubbe Bammi^lälji prishatSr ayuksbata; III, 26, 4.
^ Anseahu etä^; l^igv. I, 166, 10. — Ueber den Gebrauch von ähn-
lichen Fellen zur Kleidung in Indien vgl. die lange und lehrreiche Be-
merkung von Prof. Max Müller, Rigveda-Sanhita Translated and
Explained, I, 221—223.
405
und Gefahren. Dieses mythische Thema ist in zahlreichen indi-
schen Legenden weiter ansgeftlhrt.
In der ersten Scene von Eälid&sas Qaknntalä leitet eine
schwarzgefleckte (krishnasära) Gazelle den König Dnshyanta irre.
Im Mahäbhärata^ verfolgt König Partkshit eine Gazelle
und verwundet sje (wie der Gott ^va eines Tages die Opfer-
gazdle verwundete) ; er folgt darauf ihrer Spur, verliert sie je-
doch ans den Augen, da sie den Pfad des Himmels in ihrer ur-
sprünglichen (d. b. himmlischen) Gestalt eingeschlagen hat. In-
dem der König sie , wiederzufinden bemüht ist, zieht er sieh den
Tod zu.
In demselben Mahäbhärata^ stirbt König Pandn in dem
Augenblick, als er sich mit seinem Weibe Mädrt vereinigt, weil
er eines Tages auf der Jagd eine männliche Gazelle in dem
Augenblicke durchbohrt hatte, als sie die Vereinigung mit ihrem
Weibchen gemessen wollte.
Im Vishnu-Puräna^ verliert König Bharata, welcher
seinen Thron verlassen, um sich ganz der Busse hinzugeben^ den
Lohn seines ascetischen Lebens, indem er eine leidenschaftliche
Liebe zu einem Reh fasst.
Im Bämäyana^ wird Martda, der von einem Dämon be-
sessen ist, auf Befehl Bävanas, des Königs der Ungeheuer^ ein
goldener silbergefleckter Hirsch, der vier mit Perlen geschmückte
Homer und eine Zunge so roth als die Sonne hat, und verleitet
Räma, ihn zu verfolgen, um sein silberfleckiges Fell zu bekommen,
auf welchem sich niederzulegen und zu ruhn, Sita den Wunsch
geäussert hat. So gelingt es dem Hirsch (hier ein Aequivalent
des Hasen), Käma von Sita zu trennen. Er stösst dann einen
Klageruf aus, die Stimme Bämas nachahmend, um dadurch dessen
Bruder Lakshmana zu verleiten, diesem zu Hilfe zu kommen und
Sita allein zu lassen, damit Rävana sie dann ungestraft entführen
könne. Lakshmana verlässt sie nur unwillig, weil er daraus,
dass der Hirsch wie das Sternbild des Hirschkopfes (oder Ga-
zellenkopfes, Mrigagiras) glänzt, Verdacht schöpft, es sei eine
Erscheinungsform des Marica, der, als Hirsch, schon viele andere
Fürsten^ die ihn gejagt, ins Verderben gestürzt hat. Der Mond
' I, 1665.
« I, 3811 ff. I, 4585 ff.
» II. 13 (übers, von Wilson).
• III, 40. 48. 49.
406
hat im Sanskrit ausser dem Namen Qa<;adhara (der den Hasen
trägt) auch den: Myigadhara, oder: der die Gazelle (resp. den
Hirsch) trägt. Der Sonnenheld Terliert sich im Walde Nacht, als
er die Gazelle Mond verfolgt. Eine dämonische Gazelle scheint
sogar im Bigveda aufzutreten, wo Indra mit einem Ungeheuer
Mriga kämpft und es tödtet. In der deutschen Sage giebt es
zahlreiche Legenden, in denen der Held, der den Hirsch jagt, den
Tod erleidet oder in die Hölle geschleppt wird. *
Wie der Mond ein Hirsch oder eine Gazelle ist und nach
der Sonne kommt, so wurde bisweilen auch die Vorstellung ge-
wonnen, dass d^r Sonnenheld (resp. Heldin) in einen Hirsch
(oder eine Hindin) verwandelt wurde.
Im Tuti-Name* geht ein König auf die Jagd, tödtet eine
Antilope, verlässt seinen Körper und begiebt sich in den der An-
tilope. Diese mythische Umkleidung lässt sich doppelt verstehen.
Die Abendsonne spiegelt ihre Strahlen im Ocean der Nacht; der
Sonnenhirscb sieht seine Hörner in der Quelle oder dem See der
Nacht wiedergespiegelt und bewundert &ie. An dieser Quelle sitzt
eine schöne und bezaubernde Sirene, der Mond. Diese Quelle ist
die Wohnung des Mondes ; sie verlockt den Heldenhirsch, der sich
in der Quelle bewundert, und vernichtet ihn, oder aber der Hirsch
zieht den Helden zu der Quelle, wo er ihn den Tod erleiden
lässt.* Der Hirsch der Fabel wird, nachdem er sich in der
Quelle bewundert, von den Hunden zerrissen, welche ihn im
Walde einholen, weil seine Homer sich in den Zweigen verfangen ;
die Sonnenstrahlen werden von den Zweigen des nächtlichen
Waldes verhüllt. Aktaeon, der in einen Hirsch verwandelt und
von den Hunden zerrissen wird, weil er Artemis (den Mond)
nackend im Bade gesehen hat, ist eine Spielart derselben Fabel.
Bei Stesichorus (angeführt von Pausanias) legt Artemis dem
Aktaeon ein Hirschfell um und hetzt die Hunde, ihn zu verschlingen,
damit er nicht den Mond heirathen könne. Sonne und Mond
sind Bruder und Schwester; der Bruder erleidet den Tod, weil
er seine Schwester verführen will. Ein litauisches Lied schildert
■ Slmrock, a. a. 0. p. 354.
* U, p. 268.
* Oft führt der Hirsch nur zu einer schönen Frau am Brunnen ; sie
ist aber der Unterwelt verwandt und die Verbindung mit ihr an die Be-
dingung geknüpft, dass die ungleiche Natur des Verbundenen nicht an
den Tag gezogen werde. Simrock a. a. 0. p. 356 ; vgl. ebenda das ganxe
Kapitel 102: Sonneneber und Sonnenhirscb.
407
den Mond Menas (den indischen Manu) als den untreuen Gatten
der Sonne (welche weiblich ist), der in Aushrine (die vedische
Usrä, die Morgen-Aurora) verliebt ist. Der Gott Perkuns tödtet
den Mond, um die Sonne zu rächen. In einem serbischen Liede
macht der Mond seiner Herrin oder Gemahlin, der Morgen-Aurora,
Vorwtlrfe über ihre Abwesenheit. Die Aurora antwortet, dass sie
anf den Höhen von Belgrad, d. h. der weissen und glänzenden
Stadt, im Himmel, auf den stolzen Bergen umhergewandert ist.
Der König des Tu ti- Name, der die Tracht einer Antilope
annimmt, scheint eine Spielart des Sonnenhelden im Augenblick
des Nahens der Nacht, oder des Esels in der Löwenhaut zu sein.
Sofern jedoch der indische Mond Mrigaräga, König der wilden
Thiere, ebensogut wie der Löwe ist, sofern der Mond der Sonne,
ein mriga dem andern, ein Löwe dem andern, oder ein Hirsch
dem andern folgt, erscheint der Sonnenheld oder die Sonnenheldin,
wenn sie in die Nacht eintreten, in der Gestalt eines glänzenden
Hirsches, resp. Hindin, nicht mehr als die Sonne, sondern als der
Mond, welcher, obwohl glänzend, in die Höhle eindringt, mit Dä-
monen in Beziehung steht und selbst dämonisch ist.
Artemis (der Mond) wird als eine jagende Göttin dargestellt,
wie sie mit der Linken eine Antilope zwischen den Hörnern ver-
wundet. Dieser Göttin wird auch das Verdienst zugeschrieben,
die Hirsche ohne Hilfe von Hunden eingeholt zu haben, vielleicht
weil sie bisweilen selbst ein Hund ist, indem sie den Sonnenhirsch
des Abends überrascht. Die vier Hirsche der Artemis hängen
meines Erachtens mit den vier Hirschen, die um den Baum Ygg-
drasill wohnen, in der Edda zusammen. Der Hirsch Eikthymer,
der die Btätter des Baumes Lerad isst und dadurch all sein Was-
ser herausfiiessen lässt, scheint andrerseits auf die Sonne zurttck-
zugehen, wie sie untertaucht und ihre Strahlen in der Wolke ver-
liert (auf den Sonnenhirsch wird auch in der Edda angespielt.)
Artemis, welche eine Hindin an Stelle der zu opfernden
Iphigenie setzt, scheint auf die Mondhindin als an die Stelle der
Abend-Aurora tretend hinzuweisen. Wir erkennen den Mond auch
in der Hindin, welche nach Aelian und Diodor, Telephus, den
Sohn des Herakles (Herakles holt bei seiner vierten Arbeit den
Hirsch mit goldenen Hörnern ein) nährte, der auf Befehl seines
Grossvaters im Walde ausgesetzt worden war ; ebenso wie in der,
welche nach Justin im Walde ihre Milch dem Nefien des Königs
der Tartessier, und später nach den Vitae Sanctorum dem
verwundeten Aegidius, dem Waldeinsiedler, zu trinken gab. Es
408
giebt zahlreiche mittelalterliche Legenden, welche Reproductionen
hievon sind und von dem jungen Helden erzählen, der im Walde
verlassen und bald von einer Ziege, bald von einer Hindin ge-
nährt wird, derselben, die später dem königlichen Vater bei der
Wiederauffindung seines Sohnes, oder dem prinzlichen Gemahl
zur Entdeckung der verlassenen Prinzessin, seiner Braut, als
Wegweiser dient. Wahrscheinlich eine derartige Reminiscenz an
die Nahrung spendende Hindin des Mythus war die Ursache,
dass, wie ich bei Du Cange * lese, silberne Bilder von Hirschen
an alten christlichen Taufsteinen angebracht wurden.
Unter den Bräuchen der ersten Christen, die von St Augustin,
St Maximus voi) Turin und anderen Kirchenvätern verdammt
werden, war der, sich am ersten Januar als Hindin oder als
altes Weib zu verkleiden. Das alte Weib und die Hindin stellen
hier ganz augenscheinlich die Hexe oder das hässliche Weib
Winter dar ; und- insofern der Winter, wie die Nacht, unter dem
Einfluss des Mondes steht, war die Verkleidung als Hindin eine
andere Art , den Mond darzustellen. Wenn der Mond oder die
Sonne scheint, ist die Hindin glänzend und gewöhnlich günstig,
ist die wilde Ziege wohlthätig (die wilde Ziege, die Hirschkuh
und der Hirsch sind in den Mythen identisch; dasselbe Wort,
mriga; dient in Indien zur Bezeichnung der Sternbilder der Ga-
zelle und des Steinbocks oder der wilden Ziege), und verjagt die
Wölfe von dem schlafenden Helden im Walde. ^ Wenn der Him-
mel dunkel ist, ist die Hindin aus einer glänzenden eine schwarze
geworden^ und ist als solche ein höchst unglückliches Omen; zu-
weilen, in der Mitte der Nacht oder des Winters, verschwindet
die schöne glänzende Hindin, resp. Mond oder Sonne, und das
schwarze Ungeheuer Nacht oder Winter bleibt allein zurück. In
der neunten Erzählung des Pentamerone verwandelt sich der
Huorco (rakshas oder Ungeheuer) in eine schöne Hindin, um den
jungen Canneloro anzulocken, der sie verfolgt, in der Hoffnung,
sie zu erjagen. Doch sie zieht ihn in die Mitte des Waldes (des
Winters), wo sie so viel Schnee fallen lässt, „che pareva che lo
cielo cadesse" (die weisse Hindin, in welche die Hexe das schöne
Mädchen verwandelt, in dem Mährchen von Madame d'Aulnoy,
* „Cervi .'irgentei inter baptisteriorum ornamenta iion bemel occur-
runt, quo ad baptismum, quomodo cervus ad fontes aquarum, summo desi-
derio perveuiendum esse monstraretur/* Du Gange, s. v. Cervus.
• Vgl. Porchat, Contes Merveilleux, XUI.
409
dtlrfte dieselbe Bedeutnog haben); darauf wird die Hindin wie
ein Ungeheuer, um den Helden zu versclilingen. Die Periode
welcher der Mond verborgen oder im Abnehmen ist, in welc
die Nacht dunkel ist, wurde von den alten Indem als eine 1
glUckszeit betrachtet, während die Zeit des Vollmondes oder <
nigstens des zanehmenden Mondes für eine günstige galt. Ae
liehe Vorstellungen herrschen in verschiedenen Gegenden n
hent unter dem Landvolke. In einer mteniBchen Erzählu
veröffentlicht von Movosielski, bittet der Abendstem (litanis
vakerinne; elarisch: vecernitza, die Abend-Anrora) seil
Frennd Lunns (der Mond ist im Slavischeu und im Sanil
männlich), ein wenig mit dem Anfgehu zu warten, damit sie
sammen aufgehn können, und setzt hinza: „Wir werden gern«
sehaftlicb Himmel nnd Erde erleaehten; die Thiere werden
den Feldern froh sein und der Wanderer wird ans anf seit
Wege segnen."
KAPITEL X.
Der Elephant.
Die ganze mythische Geschichte dee Elephanten ist auf In-
beBchränkt. Die Stärke seines Rüssels und seiner Haner,
ausserordentliche Grösse, die Leichtigkeit, mit welcher er
ere Lasten trägt, seine grosse Fruchtbarkeit, alles dies trug
iinei mythischen Bedeutung bei and zu seinem Rufe als eines
len VerwQsters des himmlischen dunkleo oder wolkigen Wal-
als eines Atlas, eines Weltenträgers , und des Rosses des
Dgottes.
Der Elephant hat sogar im vediechen Himmel eine Stelle,
Die Martits, von Antilopen gezogen, werden mit wilden Ele-
ten verglichen, welche Wälder niedertreten;' die Homer
Vntilopen, die Hauer des wilden Ebers, der Rüssel nnd die
;t des Elephanten sind gleichbedeitend, und werden in den
enstrahlen, in Blitzen and Donnerkeileo gesehn. Der Regen-
Donnergott Indra wird mit einem wilden Elephanten ver-
en , der seine Krall auslässt * — mit einem wilden Ele-
ten, der in der Brunstzeit sich beständig in einer fieberhaften
Jgung befindet. ' Der Gott Agni wird angerufen , hervorau-
nen, gleich einem furchtbaren KOnig auf einem Elephanten.*
Der Elephant stellt gewöhnlieh die Sonne dar, wie sie sieh
T Wolke oder der Dnnkelheit einschlieBst oder aus ihr heraus-
nt, Lichtstrahlen oder Blitzstrahlen herrorschiessend (die man
fttr verursacht hielt durch die Reibung an der Achse des
B des Sonnen Wagens). Die Sonne besucht in den vier Jahres-
1 die vier Viertel der Erde, Osten und Westen, Süden und
en; daher vielleicht die indische Vorstellung von vier Ele-
ten, welche die vier Ecken der Erde tragen.* Indra, der
ngott, reitet auf einem ungeheuren Elephanten, Airavata oder
Mrigä ivs haetiua^ khftdathä Ttrai yad araoishu taviehir ayngdhvain ;
. i, 64, 7.
Mrigo na basti tavUMm ush&nn^; Rigv. (V, 16, 14.
Dana mrigo nn rlranal) punitrB darathnm dadho; Kig<^. VlII, 33, 8.
Yahi ra^evämavän ibhena; Rigi'. iV, 4, 1.
B&majr. 1, 42.
411
AiravaQa, der Wolke oder Dankelbeit selbst, mit ihren glänzenden
Ernptionen ; airavata (nentr.) nnd airavatl sind ancb Beneonungen
des Blitzes. Der Elephant Airavaija oder Airavata ist einer von
den ersten SprOsslingen des Bimmels, gezeugt von der Erre{
des bimmlischen Oceans.
Er spielt eine berrorragende Bolle in den ESrnpfen In
gegen die Ungebeuer; daher trägt Räva^a, der Ungeheo«k
von Laükä, noch die Narben der Wanden, die er von dem
phanten Airavata erhalten bat, in dem Kriege zwischen
Göttern nnd den Dämonen, ' obvrobi dieser selbe Havana pr
eines Tages Indra Überwältigt zn haben, welcher anf dem
phanten Airavana ritt.*
Doch nicht immer bewahrte der mythische Elephant den
rakter eines Thieres, das von den GSttem geliebt wird; nach
andere Thiere zn besonderer Gnnst gelangt waren, zeigte er
znweilen von der Seite des Ungeheners. Die Sonne verbirgt
in der Wolke, in dem wolkigen oder näcbtlichea Berge, in
Ocean der Nacht, im Herbst oder im schneeigen Winter. D
haben wir den weissen Elephanten (Dhavala), den bOsart
MOrder weiser Männer (lishis, der Sonnenstrahlen); der Wind
Vater Hannmants, in Gestalt eines Affen, zerreisst ihn mit sc
Klanen nnd reisst ihm die Haaer aus; der Elephant fällt ei
Berge gleich* (der Berg von Schnee, oder die weisse Wolke,
sich auf; dieser weisse Elephant und der weisse Berg, oder '.
ralagiri, sind identisch; leicht entstand ein Wortspiel mit n
Elephant, nnd naga, Berg und Baum ; das Wort g f i ö g i n , ei(
lieh: gehörnt, bedeutet Baum, Berg und Elephant; der \
bricht durch, zerstreut die Wolke und treibt die Schiieelaw
vorwärts^. So heisst es, dass der Afte Sannädana eines T
siegreich ober den Elephnnteo Airavata war.* (Der nörd
Pfad des Mondes heisst auch airavatapatha. >
Wir sahen schon den Elephanten, der an den Ufern
Mondsees die Hasen mit seinen FUs-en niedertritt und mit sei
Rüssel das Wasser dieses Sees trübt. Im Rämäyana^ betrat
es Bharata als ein unglückliches Vorzeichen, dass er vou ei
' Bimijr. Ill, ae
. III, 47.
• V, s.
•VI, 8.
'II, 7L
412
grossen Elephanten geträumt hat; der in sumpfiges Land gefallen
ist« Die Sonne taucht in den Ocean der Nacht und der Herbst-
regengtlsse.
Der Elephant bei oder in dem Wasser ist mythisch gleich-
bedeutend mit der Schildkröte; die an den Ufern des Sees und
des Meeres oder in der Tiefe des Meeres wohnt. In der indischen
Kosmc^onie ist es bald der Elephant und bald die Schildkröte,
welche die Welt trägt. Aus diesem Grunde herrscht eifersüchtiger
Wettstreit zwischen diesen beiden mythischen Thieren.
Deshalb wird der Adler, der König der Vögel, oder der
Vogel Garuda, der Sonnenvogel, dargestellt als ein tödtlicher
Feind bald der Sehlange, bald des Elephanten (näga bedeutet
ebenso das eine wie das andere; Airavata ist auch der Name
eines Schlangenungeheueis) und bald der Schildkröte. Im Rä-
mäyana^ trägt der Vogel Garuda einen Elephanten und eine
Schildkröte in die Lüfte (die entsprechenden westlichen Fabeln
sind augenscheinlich indischen Ursprungs), um sie zu verzehren.
Dieselbe Erzählung wird im Mahäbhärata* entwickelt, wo
zwei Brttder mit einander tlber die Theilung ihrer Güter streiten;
jeder verflucht den andern, und so wird der eine ein colossaler
Elephant, der andere eine colossale Schildkröte; sie setzen als
solche ihren Kampf in einem See erbittert fort, bis der gigantische
Vogel Garuda (die neue Sonne) beide packt und auf die Spitze
eines Berges trägt.
In der fünfzehnten Erzählung des ersten Buches des Pane a -
t antra finden wir Vögel als Feinde des Elephanten dargestellt,
wegen der Verwüstungen, die er anrichtet; der Vogel, die Fliege
und der Frosch stürzen den Elephanten ins Verderben; die Fliege
setzt sich in eines von seinen Ohren; der Vogel hackt ihm die
Augen aus und blendet ihn; der Frosch quakt am Ufer eines
tiefen Tümpels; der Elephant, von Durst getrieben, kommt an
denselben und ertrinkt.
Der vedische Elephant hat eine göttliche Natur, da er mit
dem regengebenden Indra zusammenhängt; als jedoch Indra fiel,
um Brahman, Vishnu und Qiva den Platz zu räumen, verfiel auch
sein Elephant dem Schicksal, eine Beute des Vogels Vishnus, des
Vogels Garuda zu werden. In der obenangeführten Fabel des
Pancatantra zieht sich der Elephant die Rache des Sperlings
» III, 39.
^ I, 1863 f.
413
zu, weil er einen Banm entwarzelt hat, auf dem sich das iv<»>t
des Speriings mit seinen Eiem befand, welche letztere natf
zerbrechen. Die Legende des Hahäbbärata von dem ''
Gamda, der den .Elephanten in die Laft trfigt, bietet mehri
dere analoge nnd interessante Einzelheiten. Der Vogel Gi
fliegt mit dem Elephanten und der Schildkröte davon; aaf
Wege läsBt er sich, ennUdet, anf dem nngehenren Ast eines
mes nieder; die Last ist zn schwer nnd der Ast bricht. Ad
sem Aste bangen, mit den EOpfen nach unten, zur Strafe i:
Zwerg-Eremiten, ans den Haaren Brahmans geburen; der ^
Oarnda nimmt den ganzen Ast, sammt den kleinen Eremit
den Schnabel and trägt sie hinanf in die Lttfte, bis es ihne:
lingt, zn entkommen. Diese Zwerg-Einsiedler auf dem Zi
(welche uns an die Ameisen erinnern) hatten eines Tages i
geflucht, Ka^apa Pr^äpati will ein Opfer bringen, nm
Sohn zo erhalten, und befiehlt den GOttem, ihn mit Holz zn
sorgen. Indra, gleich den vier Elephanten, welche die
tragen, nimmt auf seine Schaltern einen gaoEon Beig Holz,
dieser Last beladen, trifft er anf dem Wege die-Zwerg-Einsi*
die ein Blatt in einem Karren ziehen, und in Gefahr sine
einem Tümpel, von der GrDsse der Klane einer Ruh zn ertri
Statt ihnen za Hilfe zu kommen, laoht Indra and geht t(
die Zwei^-Eiosiedler, darüber empört, bitten am die Geburt
Denen Indra; deshalb wurde der Indra der Vögel geboren,
Vogel Gamda, das Boss Vtshnns, welches natürlicberweisi
dem Rosse Indras, dem Elephanten, im Kampfe liegt.
T-w
414
KAPITEL XI.
Der Affe nnd der Bftr«
Ich stelle hier unter einem Rabmm zwei Thiere von sehr
verschiedener Natur und Bace zusammen^ die jedoch in Folge
einiger derb ins Auge fallenden Aehnlichkeiten^ zu denen wohl noch
Zweideutigkeiten und Wortspiele kamen ^ im indischen Mythus
mit einander eng verschwistert sind. Ich spreche speciell vom
indischen Mythus, weil der Aflfe, der in Indien so gewöhnlich ist,
vielen der indogermanischen Nationen in ihren zerstreut liegenden
Wohnsitzen lange Zeit unbekannt war^ so dass, wenn sie vielleicht
eine dunkle Erinnerung an ihn aus dem Theile Asiens, wo die
arische Mythologie ihren Ursprung hat, bewahrt hatten, sie ihn
doch bald vergassen, als sie das Thier selbst, das die ursprüng-
liche mythische Gestalt in der Vorstellung geweckt hatte, nicht
mehr vor Augen hatten. Da sie jedoch zähe an der Substanz
des Mythus festhielten, so setzten sie nach und nach an die Stelle
des ursprünglichen mythischen Thieres, Affe geheissen, im Süden
den Esel, im Norden oft den Bären. Sogar in Indien finden wir
bereits Affen und Bären mit einander verbunden. Eine röthliche
Farbe des Fells, Mangel an Symmetrie und Plumpheit in den
Formen, Stärke im Umarmen mit den Vorderpfoten, die Fähig-
keit zu klettern, der kurze Schwanz, Sinnlichkeit, Anlage zu Mu-
sik und Tanz — alles das sind charakteristische Eigensohalteu,
die sowohl bei Bären als bei Affen angetroffen werden und bei
ihnen mehr oder weniger hervortreten.
Im Kämäyana heisst der weise Gämbavant, der Odysseus
des Zuges gegen Laüka, bald König der Bären (rikshapär-
thiva), ^ bald grosser Affe (mahäkapi). ^
Das Wort hari bedeutet schön, golden, röthlich, Sonne und
Affe; das Wort kapi (wahrscheinlich: der Veränderliche) be-
deutet Affe und Sonne. Im Sanskrit heisst der vidyut oder
Donnerkeil, der röthliche Donnerkeil, auch kapilä, von der
» Rftmäy. IV, 63.
« V, 55.
■
4
415
Farbe des Affen. Ar^una^ der Sohn Indras, bat zum Abzeichen die
Sonne oder einen Affen; daher sein Name Kapidbvaga.
Prof. Kuhn nimmt auch an, dass das Wort riksha, Bär
und Stern, von der Wurzel arc, in der Bedeutung scheinen,
glänzen, abzuleiten ist (arka ist die Sonne), wegen der rötb-
lieben Farbe des Bärenfells.^ Doch lässt sich riksha (wie
ursus und apcvpg) auch von rakshas, das Ungeheuer, ableiten
(vielleicht als ein Zurückhalter, ein constrictor, arctor), so dass
gerade diese Benennung den Uebergangspunkt von der Vor-
stellung des göttlichen Bären zu der des Bären-Ungeheuers liefert.
Im Bigveda werden die Maruts als die mächtigsten Helfer
Indras geschildert; doch schon ^ein Hymnus zeigt sie in dem
Lichte von Nebenbuhlern Indras. Der Gott Vishnu ist im Kig-
veda gewöhnlich eine dem Indra sympathische Gestalt; nur in
einigen Hymnen erscheint er bereits als sein Antagonist. Im
vorigen Kapitel sprachen wir von dem visbnuitischen Vogel,
voiv dem Winde, dem Vater Hanumants, und einem Affen, als
Feinden des Elephanten Indras. In der Sage des indischen Epos
hat Vishnu, in Räma personificirt, die Affen zu Verbündeten. Die
am meisten glänzende und blitzende Erscheinungsform des Gottes
ist sehr verschieden von seinen geheimen und mysteriösen Gestal-
tungen. VisbQU, die Sonne, die Sonnenstrahlen, der Mond und
die Winde, die blitzen, sind ein Heer von goldenen Affen, welches
gegen das Ungeheuer kämpfen soll. Aus demselben Grunde bat
der Affe im Gegensatz dazu im Bigveda eine Ungeheuergestalt;
was diabolisch war, wird im Laufe der Zeit göttlich und — vice
versa. Im sechsundachtzigsten Hymnus des zehnten Baches des
liigveda kommt Vishnu, in Kapi (Affe) oder Vrishäkapi (Affe,
der ausspritzt, regengebender Affe) personificirt, die von Indra
' Für den Zusammenhang zwischen den sieben jikshas (rishajas, wei-
sen Männern, Sternen oder Bären) der Inder und den septemtriones, den
sieben Sternen der Bärin (AretoSf Arkturus) und den arktischen Gegenden
vgl. die interessante Abhandlung von Prof. Max Müller in der zweiten
Serie seiner „Vorlesungen^'. — Die sieben rishis «ind identisch mit den
sieben Angirasen, den sieben haris, und den Maruts, deren sieben sind
(multiplicirt mit drei, d. h. einundzwanzig). In den Maruts, wie in den
haris haben wir die Affen. Sogar das Weib des Königs der Ungeheuer
heisst Tärä oder, eigentlich, der Stern. So scheint zwischen dem Affen
und dem Stern dasselbe Verhältniss zu bestehn, wie zwischen dem Bären
und dem Stern, ein neues Argument für die Identität dieser beiden Thiere
in der Mythologie.
416
t
geliebten Opfergaben zu vernichten. Indra^ der Allen überlegen ist,
liaut ihm den Kopf ab^ da er gegen einen Uebelthäter keine
Nachsicht üben will. ^ Dieser Aflfe ist wahrscheinlich die regen-
gebende, röthliche, von dem Winde getragene Gewitterwolke;
welche Indra mit seinem Donnerkeil durchbohrt, obwohl diese
selben von den Winden oder Maruts getragenen Blitz- und Don-
nerwolken (d. L die Maruts selbst) im Kigveda. gewöhnlich als
der höchsten Gottheit beistehend gedacht werden* Als zwischen
Vishnu und Indra und zwischen den Maruts und Indra eine
Differenz entstanden war, nahmen die Maruts für Visbuu Partei
und wurden Aflen wie Vishnu, — das Wort hari, ein Lieblings-
name Vish^us (bald Mond, ba\d Sonne), bedeutet nämlich auch
„Affe'^ Vishnu umgiebt sich mit schönen röthlichen oder goldenen
Affen, oder mit haris (Sonnenstrahlen oder blitzenden und don-
nernden Wolken), ebenso wie der vedische Indra von haris ge-
zogen wurde. Kama kapiratha ist einfach eine Inkarnation
Visnus, welcher sich die Rechte indras mit Gewalt anmalst ; dieser
Letztere hatte nämlich, wie wir sahen, Vishnu seine haris geliehen,
damit jener seine drei berühmten Schritte machen könne. Offen-
bar vergass Vishnu, die Schönhaarigen seinem F]*eunde wieder
zuzustellen; datier geht von diesem Augenblicke an die Stärke
Indras fast ganz auf Vishnu über, der in Gestalt Rämas, von den
haris oder rothhaarigen, d. h. von den Affen unterstützt, durch
das Dekhan (eine von Affen dicht bevölkerte Gegend) hindurch-
eilt, zu der Eroberung der Insel Laükä. Das Mahäbhärata
belehrt uns, dass Affen und Pferde Hari zur Mutter hatten. ^ Die
glänzenden Maruts bilden die Armee Indras, die rothhaarigen
Affen und Bären die Rämas, und die mythische und sonnenhafte
Natur der Affen und Bären des Ramäyana offenbart sich mehre
Male. Der König der Affen ist ein Sonnengott. Der alte König
war Bälin benannt und war der Sohn Indras (Qakrasünu). Sein
junger Bruder Sugriva, der nach Belieben seine Gestalt verän-
dert (kämarüpa), der sich mit Hilfe Vishnu-Rämas gewaltsam
seinen Thron aneignete, soll ein wirkliches Kind der Sonne sein
(bhäskarasyaurasah putrahsüryanandanah). ^ Hier ist es ganz
klar, dass der vedische Antagonismus zwischen Indra und Vishi^u
' Priyft tashtäDi me kapir yyaktä vy adüdushat ^iro nv asya rftvisham
na sugam dushkrite bhuvam vi^vasmftd indra uttarah; Str. Ö.
« I, 2628.
» UI, 75.
417
in einer thieriscben; nnd zwar ganz und gar äffischen Gestalt re*
producirt ist Der alte Zeos mnss dem nenen, der Mond der
Sonne, die Abendsonne der Morgensonne ; die Wintersonne der
Früblingssonne Platz machen ; die junge Sonne verräth und über-
rumpelt die alte. Wir sahen schon, dass die Erzählung von den
beiden Brttdem, Bälin und Sugrtva, eine von den Formen
ist; welche der Mythus von den Afvins annimmt. Räma,
welcher verrätherischer Weise den alten König der Aflfen, Bälin,
tödtet, ist das Aequivalent Vishnus, der seinen Vorgänger, Indra,
vom Throne stürzt; und Sugriva, der neue König der Afifen,
gleicht Indra, als er die geraubte Sita zu finden verspricht, ebenso
wie Vishnu in einer seiner Inkarnationen die verlorenen Vedas
wiederfindet. Auch noch andere Andeutungen von einem Gegen-
satz zwischen Indra und den Afien, welche Räma beistehen, giebt
esimRäm&yana,* Dem grossen Afien Hanumant, von goldrother
Farbe (hemapin^ala), hat Indra mit seinem Donnerkeil den Kinn-
backen zerschmettert, und ihn auf einen Berg fallen lassen, weil
er, noch ein Kind, sich von einem Berge in die Luft warf, um
den Lauf der Sonne aufzuhalten , deren Strahlen ihm nichts an-
haben konnten. ^
Die ganze Sage von dem Affen Hanumant stellt die Sonne
dar, welche in die Wolke der Dunkelheit eintritt und aus ihr
heraustritt Sein Vater soll bald der Wind, bald der Elephant
der Affen « (kapikun^ara), bald ke^arin , die langhaarige Sonne,
die Sonne mit einer Mähne, die Löwen-Sonne sein (daher sein
Name keQari^ah putra). Von diesem Gesichtspunkte aus scheint
Hanumant der Bruder Sugrivas zu sein, welcher ebenfalls der
Sprössling der Sonne ist, der starke Bruder in der Sage von den
beiden Brüdern verbunden mit der von den drei ; d. h. wir dürften
bald die Brüder Bälin, Hanumant und Sugriva haben, bald die:
Räma, Hanumant und Lakshmana. Der starke Bruder steht
zwischen den beiden anderen; die Sonne in der Wolke, in der
Dunkelheit oder im Winter ist zwischen die Abend- und die
MorgensouQc gestellt, oder zwischen die sterbende llerbstsonne
und die junge Früblingssonne.
Hanumant fiiegt; die Kraft dazu liegt in seinen Seiten und
seinen Hüften, die ihm als Flügel dienen. Hanumant steigt auf
' IV, 5.
* V, 2. VII, 89.
»V, 3.
Qubeniatls, di« Thiere. ^
r
r
n-
418
den Gipfel des Berges Mahendra, um sich in die Luft zu stürzen ;
indem er den Berg drückt (ein wahrhafter vrishäkapi), macht er,
dass das Wasser aus ihm hervorsprudelt; als er sich bewegt,
werden die Bäume des Berg- Waldes mit ihren- Wurzeln herausge-
rissen und folgen ihm in seinem Laufe , wie er die Luft durch-
schneidet (hier treffen wir noch einmal den mythischen Wald, den
mythischen Baum, der sich von selbst bewegt gleich einer Wolke).
Der Wind in seinen Schulterhöhlen brüllt wie eine Wolke (gimüta
iva gargati) und der Schatten , den er in der Luft wirft , ähnelt
einer Wolkenlinie (megharägiva väyuputränugämini) ; ^ er zieht
die Wolken nach sich. ^ So werden alle epischen Affen des
Rämäyana im zwanzigsten Gesänge des ersten Buches mit
Ausdrücken geschildert, welche die höchste Aehnlichkeit mit denen
haben, die in den vedischen Hymnen für die Maruts verwandt
sind; schnell wie der ungestüme Wind (väyuvegasamäs), ihre
Gestalt nach Belieben ändernd (kämarüpinas), Geräusch gleich
Wolken machend, wie der Donner tönend, kämpfend, Berggipfel
schleudernd, groitoe entwurzelte Bäume schüttelnd, mit Klauen und
Zähnen bewaffnet, die Berge schüttelnd. Bäume entwurzelnd, die
tiefen Wasser aufrührend, die Erde mit ihren Armen zermalmend,
sich in die Lüfte erhebend, die Wolken zum Fallen bringend.
So kommt Bälin, der König der Affen, aus der Höhle, wie die
Sonne aus der Wolke (toyadädiva bhäskara). ^
In derselben Weise wie wir die haris oder Rosse Indras, die
gandharvas und den mythischen Esel in Verbindung mit den
heilkräftigen Wassern, mit den Heilkräutern und den Wohlge-
rüchen sahen, sind es im Rämäyana die Affen, welche die
' Uämfty. V, 4. V, 5.
* V, 55.
' Kämäy. JV, 12. V, 6. — Der Afie auf dem Meere ist aucb in einer
grircbiBchen Fabel zu finden, nur ist der Gegenstand etwas verschieden.
Kin Afte, der während eines Sturmes von einem Sehift gespült worden ist
und unter dem Vorgebirge von Attica auf den stürmischen Wogen umhcr-
gescbleudert wird, wird von einem Delphin für einen Menschen gehalten,
und, da dieses Seetbier eine grosse Zuneigung für das Geschlecht hat, zu
dem der A£fe zu gehören präsumirt, von demselben auf dem Kücken ans
Ufer getragen. Bevor er jedoch festen Grund fassen kann, fragt ihn der
Delphin, ob er ein Athener ist; der Afte antwortet, er sei von vornehmer
Abstammung; der Delphin fragt ihn weiter, ob er den Piraeus kenne; der
Affe hält das für den Namen eines Mannes und sagt, das sei einer seiner
besten Freunde; der Delphin bemerkt seine Täuschung und lässt, empört
darüber, den Affen wieder ins Meer fallen.
419
Kräuter und heilkräftigen Wurzeln des Berges, d. h. des Wolken-
Berges oder des Berges der Wohlgerüche tragen.
Die Wolke , in welcher die ^onne Hanumant durch die Luft
eilt , wirft einen Schatten auf das Meer ; ein Meerungeheuer be-
merkt denselben und zieht durch ihn Hanumant an sich. (Wir
sahen schon den furchtlosen Helden, der von seinem eigenen
Schatten irre geleitet wird.) Hanumant ist kämarüpa, wie Sug-
rtva und wie alle anderen Affen, seine Gesellen. Als er sieht,
dass das Ungeheuer ihn verschlucken will, dehnt er seine
Oestalt ganz masslos aus; das Ungethttm nimmt dieselben gi-
gantischen Proportionen an; als es das thut, wird Hanumant (er
wiederholt das Wunder seines Typus Hari oder des Zwerges
Visbnu) so klein wie ein Daumen, macht sich in den grossen
Leib des Ungeheuers hinein und kommt auf der anderen Seite
wieder heraus. Hanumant setzt seinen Flug über den Ocean
fort, um auf die Insel LafLkä zu gelangen. Der Ocean hat Mitleid
mit ihm und erhebt, ihm zu helfen, den Berg Hira^yanabha, d. h.
den mit dem goldenen Nabel, den Berg, aus welchem die Sonne
hervorkommt ; wirklich sagt Hanumant, ^ dass er den Berg mit
seinem Schwänze traf und ihm die Spitze abbrach, welche gleich
der Sonne glänzte, um sich darauf auszuruhen. Hanumant nimmt
dann seinen Flug wieder auf und findet ein neues Hindemiss in
dem Meerungeheuer Sinhikä (der Mutter Rähu's, des Dämons, der
Sonne und Mond packt und dadurch die Verfinsterung derselben
bewirkt). Sie zieht ebenfalls den Schatten Hanumants an sich;
dieser nimmt wieder zu der früheren Kriegslist seine Zuflucht,
wird klein und macht sich in ihren Leib hinein; doch kaum ist
er darin, so wächst er zum riesigen Klumpen an, schwillt heraus,
zerreisst sie, tödtet sie und macht sich davon, ein Streich, der
ihm die Huldigung der Vögel einbringt, welche fernerhin unge-
straft den Ocean werden kreuzen können.^ Als Hanumant in
Laükä anlangt, wird er, um Sita bei dem Mondschein soeben und
finden zu können, so klein wie eine Katze (vrishadari<;aprapäna) ;
als er sie findet und ihr anbietet, sie aus Laükä zu entführen,
kann sie nicht glauben, dass ein so kleines Thier sollte im Stande
sein, ein so grosses Unternehmen zu voUfttbreu; darauf macht
sich Hanumant so gross wie eine schwarze Wolke, wie ein hoher
Berg; er bricht den ganzen Wald von A^kas nieder, steigt auf
» V, 66.
• V, 8.
27*
420
einen Tempel, der auf tausend Säulen steht, klatscht in die Hände
und erfüllt ganzLaüka mit dem Getöse; er reisst aus dem Tempel
eine mit Gold geschmückte Säule, und sie um sich schwingend,
weiht er die Ungeheuer einer grossartigen Metzelei. ^ Der my-
thische Affe und der mythische Esel gleictien einander; daher die
Analogie zwischen der Sage von Dadhyanc (angeführt in Ka-
pitel U\ der von Hanumant und der von Simson. Doch bietet
die Erzählung von Hanumant noch eine andere merkwürdige
Aehnlichkeit mit der von Simson. Hanumant wird von Indragit,
dem Sohne Ravanas, mit Stricken gebunden; ^ er könnte sich leicht
befreien, er will es aber nicht. Um ihn zu beschimpfen, befiehlt
Rävana seinen Schwanz zu verbrennen, weil der Schwanz der
von den Affen am meisten geschätzte Theil ist (kapinäm kila
läÄgulam ishtam, woher die Fabel von dem Affen, der sich be-
klagt, keinen Schwanz zu haben). Hanumants Schwanz wird
mit Fett bestrichen und angezündet, er selbst aber darauf in
diesem schimpflichen Aufzuge mit Schmach und Hohn durch die
Strassen Lailkäs geführt. Da jedoch Sttä die Gnade des Gottes
Agni angerufen hat, verbrennt das Feuer den Schwanz Hanu-
mants nicht, obwohl es denselben umspielt, und Hanumant ist
dadurch im Stande, sich für die Misshandlung zu rächen , indem
er die Hauptstadt von LafiLkä in Flammen setzt und zu Asche
brennt. ^ (Der Schwanz Hanumants, der die Stadt der Ungeheuer
in Flammen setzt, hier mit Indra identificirt, ist wahrscheinlich
eine Personification der Strahlen der Morgen- oder Frühlingssonne,
welche den östlichen Himmel in Flammen setzt und den Wohnsitz
der nächtlichen oder Winter-Ungeheuer zerstört.) Die Thateu der
Maruts im Bigveda und die des Affen Hanumant imRämdya^a
nehmen solche Dimensionen an, dass sie den Ruf sowohl Indras
wie Rämas verdunkeln ; der Erstere würde ohne die Maruts , der
Letztere ohne Hanumant unfähig sein, die Ungeheuer zu über-
winden. Sita sieht das so klärlich ein, dass sie am Ende des
Gedichtes Hanumant ein solches Geschenk macht, dass Räma
recht eifersüchtig werden könnte. Hanumant jedoch ist ein
• V, 37.
" V, 56.
^ V, 50. — Im Pandatanträ V, 10 hcisst es dagegen, dass Aften
die Fähigkeit besitzen, die Wanden von grindigen oder verbrannten Pfer-
den zu heilen, wie die Morgensonne die Dunkelheit verjagt. Nach einer
Variation dieser Erzählung im Tu ti- Name, I. p. 133, kann der Biss
eines Affen nur durch das Blut dieses selben Affen geheilt werden*
421
ehrenfester und getreuer Ritter; es geoilgt ihm; die Gerechtigkeit
im Dienste seines Herrn geschützt zu haben; und er will keine
Belohnung für die schwierige That, die er verrichtet. Uebrigens
sagt ein indischer Volkssprach; dass Affen nicht über sich selbst
zn weinen pflegen ; ' sie weinen (rodanti) am Andere. Dasselbe
gilt von den Radras, den Winden, die in der Wolke weinen ; sie
klagen nicht um sich selbst; ihre Thränen fallen zu Boden in
wohlthätigem Regen, welcher unsere Felder befruchtet und die
Hitze unserer Sommer mässigt ; nichtsdestoweniger ftlhlen sie selbst
nachher als Sonnenstrahlen die Wohlthat des Weinens, d. h. des
Regens. Im Rämäy ana werden Affen , die in der Schlacht fallen,
durch Regen wieder zum Leben erweckt; wenn die Wolke sich in
Regen auflöst, zeigen sich die Schönhaarigen, Goldenen, die haris, die
Sonnenstrahlen oder Affen wieder in ihrer ganzen Frische und
Kraftfttlle. In Indien* giebt es noch heute eine Affenart (semno-
pitheus entellus), welche als heilig verehrt wird, da man annimmt,
sie hätten an dem Zuge Rämas theilgenommen und die Insel
La&kä der Frucht der mangifera indica beraubt. Die indische
Volkssage, eine Variation der Episode desRämäyana von dem
Schwänze Hanumants, der Laükä verbrannte, belehrt uns, dass
ein zum Scheiterhaufen verurtheilter diebischer Affe das Feuer
löschte, sich aber die Hände und das Gesicht verbrannte, welche
seit jener Zeit schwarz blieben. Wir werden eine analoge Sage
in dem Kapitel von den Fischen finden.
Wir haben bis hierher die Affen-Wolke gesehen, aus welcher
die Sonne auftaucht und in welche sie wieder zurücksinkt. Doch
wir haben bereits mehr als einmal gesagt, dass die Sonne oft die
Gestalt eines Ungeheuers annimmt, wenn sie in der Wolke oder
der Dunkelheit eingeschlossen ist. So erklären wir den göttlichen
Helden Balaräma, der im Vishnu Puräna^ den Dämon Dvi-
vida vernichtet, welcher die Gestalt eines Affen angenommen
hatte. In der achtzehnten Erzählung des ersten Buches des
Pancatantra schüttelt ein Affe, während der Wind bläst und der
Regen fällt, einen Baum, auf welchem ein Sperling sein Nest
gebaut hat, so dass die Eier zerbrechen. In der zehnten Erzäh-
lung des fünften Buches lockt der König der Affen vermittelst
einer Perlenkrone einen König der Menschen, der Affen getödtet
' Agnstakala9iie *pi pritim kurvsnti väoaräh ätmarthe da na rodanti;
Böhtlingk, Indische Sprüche, 107.
• V, 86.
422
hatte, um seine Pferde zu heilen (welche von der Wolle eines
Widders verbrannt worden waren, den der Koch brennend aus
der Küche gejagt hatte), zu einer von einem Ungeheuer bewachten
Quelle; dieses verschlingt den König und sein Gefolge. In der
eilften Erzählung desselben Buches ist ein Affe auf einem Baume
der Freund eines der beiden Dämmerungs-U^igeheuer, und dieses
Ungeheuer lädt ihn ein, den Menschen zu verzehren; der Menscli
jedoch reagirt und beisst ihn tapfer in seinen langen Schwanz;
da glaubt der Affe, dass dieser Mensch stärker sei als das Unge-
heuer, und das letztere wiederum hält den Menschen, der den
Affen mit seinen Zähnen am Schwänze packt, für da« Ungeheuer
der anderen Dämmerung, d h. der Morgendämmerung. Hier
wird der Affe mit dem Fuchs zusammengeworfen, welcher als
mythisches Thier ganz speciell das Thier der Dämmerung ist und
welchen ebenfalls sein Schwanz ins VerdeAen stürzt. Der Leser
hat schon bemerkt, wie der brandstiftende Affenschwanz Hanu-
mants den Fuchsschwänzen in der Simson-Sage entspricht. Die
griechischen und lateinischen Sprichwörter betrachten gemeiniglich
den Affen als ein sehr schlaues Thier, so schlau, dass Hercules
und der Affe die Vereinigung von Kraft und List darstellen.
Nach Cardano bedeutet von einem Affen träumen: betrogen
werden. Nach Lucian war es ein Vorzeichen eines unglücklichen
Tages, wenn man am frühen Morgen einem Affen begegnete. Die
Spartaner betrachteten es als ein höchst sinistres Omen, dass der
Affe des Königs der Molosser ihre Urne umstürzte, als sie das
Orakel befragen gingen. Nach Sueton hielt Nero, als er sein
Pferd in der Gestalt eines Affen fliehen zu sehen glaubte, das für
ein Prognostikon seines Todes. Der Affe wurde demgemäss in
Hellas und in Rom gewöhnlich als ein schlaues und dämonisches
Thier aufgefasst. Andrerseits lernt der Held in der Wolke, ira^
Dunkel oder in der Hölle Weisheit; und gerade wie er vordem
nur ein armer Narr ist, so wird auch der Affe bisweilen in den
alten Fabeln Südeuropas aha ein einfältiges Thier geschildert In
Italien haben wir ein Sprichwort, welches sagt, dass jede Aeffin
ihre Jungen für schön hält; dies geht auf die Fabel von der
Aeffin zurück, welche ihre Jungen für die schönsten Thiere auf
der Welt bnlt, weil Jupiter, als er sie eines Tages herumspringen
sah, sich e.eB Lachens nicht enthalten konnte.
In Indien ist die Analogie zwischen dem Affen und dem
Esel als einem dummen Thiere noch häufiger anzutreffen. Im
Pancatantra haben wir die Affen, welche sich au dem Lichte des
423
GltÜiwanns wärmen wollen; ein anderer Affe masst sich an,
Arbeit eines Zimmermanns Terbessem zn wollen; er ste
Hände in den Spalt eines Baamstammes, zieht nnbedacbl
den Keit, der den Spalt veranlaBate, berans nnd mns
dessen sterben. Im Tati-Name* finden wir eine Vari
Erzählnng von dem E^el und der Lyra, nämlicb die Oi
wie der hochgelehrte Säz-Perdäz das Saiteninstmment eri
dem er daranf achtet, dass die getrockneten Gedärme eit
vom Winde berührt, angenehme T(3ne erschallen las»
Doonerwotke ist das mythische mnsikalische Instrument
cellence; der Wind ist es, der es in Bewegung setzt, de
Tönen bringt: der Held in der Wolke, gandharva, Esel c
ist ein Musiker.
Der starke, mächtige nnd schreckliche Bär der Ma
Winde, in der stürmischen, blitzenden und donnernde
wird schon in den vediscben Hymnen erwähnt ' So sc!
in denselben ancb schon eine Beziehung auf das Sten
Bärin zn finden. ' Im Rämäyana * finden wir im Zusam
damit die Erzählung von KDoig Tri^a&ku, welcher,
Söhnen Vasishthas verflucht, ein Candala wird, bedeckt
Feil eines Bären (riksbacarmaniTäsi). Vi^v&mitra, de
bnhler Vasishthas, verspricht, ihn in den Himmel zn brin|
Indra will es nicht dulden und schlendert ihn kopfttber I
hinab. Von Vigvämitra gehalten bleibt er in der Luft i
mit zur Erde gekehrtem Haupte und leuchtet in dem S
von den sieben Kishis oder weisen Männern, d. b. in de
bilde des Grossen Bären. Und da der Bär in Bezi(
dem Polarstem , dem Norden , den kalten Gegend
Winter nnd den Sternen steht , so heisst der M<
insonderheit die kalte Nacht in der Eiszeit regiert, im
riksbarä^a nnd r i k s h e ^ a, oder EUnig der Glt
König der Sterne, König der Bären. Der König di
nimmt anch an dem Znge von La&kä TheU. Der E
Bären (hier verwandt mit dem Monde) ist der Enni
vermeinüicbe Vater, SL Joseph, des Königs der Afii
* I, p. 266 e.
" Riksho Da vu n^ämta^ fii)ii>'ftD
V, V, öß, 3.
* .Ami jn rikshä uibitänH »66&; Ri.,'<
* KSmfty. 1,60-62.
AU
riva, welcher aber in Wirklichkeit in dem Bueen de» /Weibes
des Bären-Königs von der hoobhereigen Sonne gezeugt wurde. ^
Angeführt von dem Bären oder Affen Gämbayant, dem König
der Bären (rikshapärthiva) , gehen die Affen in den Honigwaid
(madhavana) ; der von dem Affen Dadhimukha (Bnttermnnd^ ge-
zeugt von Soma, dem ambrosischen Gotte Lunas) bewacht wird,^
and verwüsten und plündern den Wald, um den Honig darin zu
geniessen. ^ In dem Vishnu-Puräna^ macht sich sogar Bala-
räma, der Bruder des Gottes Krishna, mit dem Spirituosen Nass,
das in einer Baumspalte enthalten ist, trunken.
Der Bär-Honigesser ist ein ausserordentlich volksthttmliches
Thema der russischen Sage; der russische Name dieses Bären,
med vied bedeutet: „der den Honig kennt; ihn zu finden weiss''
(m i 0 d = sanscr. madhu >= der süsse Honig, Ambrosia ; der Bär
in dem madhuvana entspricht dem medvied der Russen).
In einem slavischen Mährchen, das von Afanassieff in seinen Be-
merkungen zu dem ersten Buche der russischen Mährchen ange-
zogen wird; wird der Bär, von dem Hasen getäuscht, in einem
Baumstamm eingeschlossen gelassen. Ein Bauer kommt vorbei;
der Bär bittet denselben, ihn aus dem Baumstamm zu befreien,
verspricht, ihm einen Bienenstock zu zeigen, und ersucht ihn,
keinem Menschen zu sagen, dass er sich hat von einem Hasen
anführen lassen. Der Bauer befreit den Bären; der Bär zeigt
den Bienenstock; der Bauer nimmt den Honig und geht nach
Hause. '^ Der Bär folgt ihm und lauscht an der Thür auf die
» VI, 46,
* VI, 6.
* V, 69.
* V, 25.
^ „Demetrius MoschoYitarum legatus Romam missus DarraTit proximis
annis viciniae suae agricolam quaerendi mellis causa in praegrandem et
cavam arborem supeme dcsiliisse, eumqne profuudo mellis gurgite collo
tenus fuisse immersum et biduo vitam solo melle sustinuisse, cum in illa
solitudine vox agricolae opem implorantis ad viatorum aures non perve-
niret. Tandem hie, desperata salute, ursae beneficio extractus evasit, nam
hujuB ferae ad mella edenda more humano in arboris dvitatem se demit-
tentis, pellem tergoris manibus comprehendit et inde ab ursa subito timore
exterrita et retrocedeute extractus fuit " So erzählt diete Pabi 1 mit einigen
Variationen Aldrovandi „teste Paulo Jovis"; sie war also bereits im XVI.
Jahrhundert bekannt. — Der Bär wird auch in den Kriloftschen Fabeln
als Uonigesser gerühmt — In einer Fabel des Abstemius wird der Bär,
als er Huuig sucht, von einer Biene gestochen; er rächt sich, indem er
425
Unterhaltung. Der Baner. erzählt^ wie der Bonig vennittelsi eines
Bären in seine Hände gelängt ist^ der durch die List eines Hasen
in einem Banme gefangen worden sei. Der Bär beschliesst, sieh
zu rächen. Eines Tages findet er den Bauer auf dem Felde und
ist im Begriff^ tiber ihn herzufallen und ihm den Garaus zu
machen ; ^ da erscheint der Fuchs und sagt zu dem Bauer :
;;Mann, Du hast Verstand im Kopfe und einen Knüttel in der
Hand'^ Der Bauer versteht die List sofort Er bittet den Bären,
ihn zuerst seine Andacht verrichten zu lassen ; als Busstibung
wolle er den Bären, in einen Satk eingeschlossen, drei Mal um
die Uoiiigscheibcn vernichtet, dafür aber fliegen die Bienenschwärme gegen
ihn los und stechen nnd quälen ihn von allen Seiten; der Bär beklagt
dann, wie er dadurch, dass er nicht gewusst habe, ein leichtes Uebel zu
ertragen, sich ein sehr schweres zugezogen habe. — Die Bienen des italie-
niscliin Sprichwortes in Verbindung mit dem Bären gehen ebenfalls auf
W asser meth oder Honig zurück. Die italienischen Sprichwörter sind fol-
gende: »Dar le pere in guardia all' orso' (die Bienen in die Obhut des
Bären geben); „Chi divide la pera (oder il miele) all* orso ne ha sempre
men che parte" (wer die Biene (oder den Honig) mit dem Bären theilt,
hat weniger als einen Theil, d. h. der Bär isst Alles) und: „L^orso sogna
pere** (der Bär träumt von Bienen). „Den Bären fangen^^ heisst soviel
wie berauscht sein [cf. deutsch: einen Affen haben]; der Bär ist in der
That in den Sagen oft selbst von Honig berauscht, wie der vedische Indra
von der Ambrosia und wie Balaräma von dem Spirituosen Nass (vgl. oben).
Die Sonne in der Wolke oder in der Regen- oder Winterszeit trinkt mehr
als nöthig. In einem Spruch des Pai&öatantra I, 194 finden wir die
untergehende Sonne mit einem Trunkenen verglichen; gleich dem Trun-
kenen lässt die untergehende Sonne die Hände (die Strahlen) und ihr Ge-
wand sinken und wird ganz roth. Vgl. auch Ralston, Songs of the
Russian People p. 182.
' In dem fünfzehnten Mährchen bei Afanassieff rächt sich der Bär
an einem alten Manne, der ihm mit einem Beil eine seiner Pfoten abge-
schnitten hatte; er macht sich eine Pfote aus Lindenholz, überrascht den
alten Mann und die alte Frau in ihrem Hause und verschlingt sie. In
dem neunzehnten Mährchen des vierten Buches verbündet sich der Bär
mit dem vom Bauer gelähmten Fuchs und mit der Bremse, welche der
Bauer hinter das Stroh gesetzt hatte, um sich an diesem zu rächen; der
Bauer hatte nämlich dem Bären versprochen, ihn auch mit solchen Flecken
zu bedecken, wie sie das Pferd hätte, ihn aber mit einer rothglühenden
Axt an allen Theilen des Körpers geschlagen, so dass die Knochen bloss
lagen. Diese Fabel hängt vielleicht mit dem indischen Aberglauben zu-
sammen, dass die Brandwunden eines Pferdes vermittelst eines Affen ge-
holt werden. Was die hölzernen Pfoten betrifft, so sind sie unzweifelhaft
die Zweige des wolkigen oder nächtlichen Waldes. Vgl. auch die „alfar
^agrlima'S Alvissmäl '29.
\
«r t
426
da8 Feld bernmtragen ; darnach k^nne der Bär mit ihm thun, was
ihm beliebe. Der Bär^ stolz daranf, von dem Menschen getragen
zu werden, geht auf den Leim und kriecht in den Sack; der
Mann bindet denselben fest zu und bearbeitet ihn so lange mit
seinem Knüttel, bis der Bär todt ist. ^
Obwohl der Bär gewöhnlich den Glänzenden in der Dunkel-
heit darstellt, hat er doch häufig in der slavischen Sage einen
dämonischen Charakter, * oder aber den eines Narren, gleich dem
Esel. In dem ersten russischen Mährchen erschreckt der Fuchs
den Bären und befreit dann den Bauer von ihm. (Der Bauer ist
in den Erzählungen des Landvolks fast immer eine Heldengestalt,
welche ein Weiser oder ein Prinz wird.) Der Bauer täuscht sei-
nen Gesellen, den Bären, zwei Mal: als sie zusammen Rüben
säen, behält sich der Bauer vor, was unter der Erde wächst, und
lässt dem Bären, was oben erscheint ; als sie Weizen säen, nimmt
der Bär, der sehr schlau zu handeln vermeint, was unten wächst,
in Anspruch ; der Bauer soll das Uebrige bekommen. Der Bauer
ist nahe daran von dem Bären verschlungen zu werden, als der
Fuchs zu seiner Rettung kommt. ' Im ersten Mährchen des vier-
' Bei A fan. Ill 10 macht eich Nadzei, der Sohn einer Priesterstochter,
dadurch fiirchtbar, dass er den Wald niederhaut und ohne irgend welche
Hilfe den Bären, der die Katzen getödtet hat, aus dem Walde hervorzieht
' In einer Schilderung des letzten Sonntages des römischen Carnevals
aus dem XIII. Jahrhundert bei Du Gange s. v. Carnelevarium lesen
wir: „Occidunt ursum, oeciditur diabolus, id est, temptator nostrae carnis."
— In Böhmen herrscht noch der Brauch am Ende des Carnevals den
Bären zu bringen, d. h. einen Mann, der als Bär verkleidet mit Stroh
herumgeht und um Bier bittet (oder Wassermeth, welcher die Stelle des
mythischen Honigs, resp. Ambrosia, vertritt). Die Weiber nehmen das
Stroh, um es an den Ort zu thun, wo die Hennen ihre Eier legen, damit
sie besser legen. In Schwaben wird der Stroh-Bär angeklagt, eine blinde
Katze getödtet zu haben, und deshalb in optima forma zum Tode verur-
theiit, nachdem ihm vor seinem Tode von zwei Priestern Trost einge-
sprochen worden ist; am Aschermittwoch wird er feierlich verbrannt —
Vgl. Beinsberg v. Düringsfeld, Das festliche Jahr. — Der Dichter
Hans Sachs (angeführt von Simrock) bedeckt mit einem Bärenfell zwei alte
Weiber, die dem Teufel dargebracht werden sollen.
' Vg). femer A fan. II, 83. In einem norwegischen Mährchen lässt der
Fuchs den Bären mit seinem Schwänze, der im Wasser eingefroren ist,
Fische fangen. Vgl. auch Tylor, Early History of Mankind p. 864,
nach weichem die Geschichte von dem Schwanzfischer in zahlreichen an-
deren Ländern angetroffen wird. — [Liebrecht bemerkt zu der Geschichte
von dem Bauer und dem Bären in seiner Recension in der Academy:
„This tale, like the preceeding one, is also met with in Norway (Asbjömsen,
427
ten Baches bei Afanaesieff geht der Fuchs nnd bringt den
Winter in der HCble des Bären zn, dessen ganze
Hennen er verzehrt Der Bär fragt ihn, was er
Fnchs macht ihn glauben, dasB er Fleisch von
Stirn nehme. Der Bär fragt, ob es gnt ist
Fnchs ihm etwas zn kosten giebt; der Bär versn«
Fleisch von seiner Stim zn nehmen and stirbt dal
Fnchs ein Jahr lang genng zn essen.
Der Roman vom Fnchs zeigt sns anch
Gegensatz zum Bären , den er verleitet , se
den Spalt eines Baumstammes zn stecken, wie
sehen Affen des Pani^atantra geschah. In i
Mäbrchen bei Afanassieff V, 2 haben wir i
ses den Baner nnd statt des Affen und des I
nehmen Herrn (der in den Angen des armen TA
Personification des Dämons ist), der mit seinen !
Spalte eines Baumes gefangen wird. Der Baner i
an dem Herrn, der Anderen einen kleinen Cai
fünfzehn Rnbel abgekauft hat, sich aber weigert, t
grosse Gans fttr hundert Rubel abzukaufen. D
Athlet Milo von Kroton, der an einem Tage ein
Ochsen zn verzehren pllegte, ein Held der Sage, v
Thieren in StUcke zerrissen , als er mit den Hand'
eines Klotzes, den er spaltete, stecken geblieben v
Nj SBinÜDg, ChrietiaDJa 1871, Nr. 74, 3] and in Germanj
where the doTil ii the penon cheated. To Qrimm's ret
ma; be added a Chaucerian tale (Magaein für die Litera'
1884 tit. 134), where also the devii take« the place of tl
old Spanish Conde Lucanor c. 41, where ingtead of
mal) appear« and is cheated by virtae (el bieii) about
field of tomips. The author of Conde Lucanor is kni
ved ft considerable portion of his collection of tales froi
and thus it happens, that we find th« incident in qi
RSckert'e poems (p. 16) from a similar sonrce." Dazu <
merken sein, dass diese „arabischen Quellen" unlautere :
haben eine Thierfabel in dem gewöhnlichen Sinne des V
gebildet Es finden sich Ansätze dazu , nnter denen ni
Stelle Bileams Eselin, femer die Thiere der Simson-Sage,
der Proverbia einnehmen dürften. Was jedoch bei ai
steilem zu finden ist , gar nicht zn sprechen von dem s
seiner Schreibweise nach pseudc-arabischen Locman, ist
dentaliiches Out, das wie so vieles Andere in den Ori
tragen wntde. Aim. de* Ucbcrs.J
428
Held wechseln im Mythos beständig einander ab. Bei Ä fan as-
sieff V, 4 muss der Bauer wegen der dämonischen Störche und
des Bären den Tod erleiden. Der Bauer bindet sich an seinen
Wagen, um nicht herabzufallen ; das Pferd will trinken und zieht
den Wagen in einen Brunnen. Der Bär, der verfolgt wird, kommt
vorbei, föUt unversehens in den Brunnen, verwickelt sich mit dem
Wagen, und ist gezwungen^ um sich selbst loszumachen, Wagen,
Bauer und Alles herauszuziehen. Bald darauf klettert der Bär
nach Honig auf einen Baum ; ein anderer Bauer kommt vorbei,
sieht den Bären auf dem Baum und£haut den Baum um, um das
Thier einzufangen; Bär und Wagen fallen herab und der Bauer
wird getödtet, während der Bär sich losmacht und entschlüpft. Der
Bär^ welcher nach Honig sucht, und der Bär in dem Brunnen
erinnern uns an den asinus in unguento und den Esel in den
Rosen ; der Esel, welcher der Freund des Gärtners oder des Priesters
der Flora oder der Pomona ist, in der Lafontaineschen Fabel, * hat
dieselbe Bedeutung. In dem achtundzwanzigsten Mährchen des fünf-
ten Buchesbei Afanassieff 4iegt König Bär in einer Quelle ver-
bolzen (wir sahen schon den indischen Affen, der einen König in eine
Quelle, in den Rachen des Ungeheuers zieht) ; ein König geht auf
die Jagd ; da er Durst flihlt , will er aus dieser Quelle trinken ;
der Bär packt ihn am Barte und lässt ihn nur unter der Bedin-
gung los, dass er an seiner Statt Alles hingeben wolle, was er
zu Hause habe, ohne es zu wissen (es ist das eine Variation
der Erzählung von Harigcandra). Der König willigt ein und er-
fthrt bei seiner Rückkehr, dass ihm Zwillinge, Namens Iwan
und Marie, geboren sind. Um sie vor dem Bären zu retten, lässt
ihr Vater sie in eine unterirdische Höhle versenken, die gut ver-
wahrt und sehr tief, auch mit reichlichem Vorrath versehen ist
Die Zwillinge wachsen gesund und kräftig heran ; der König und
die Königin sterben, und der Bär kommt die Zwillinge holen.
Er findet in dem Königspalaste eine Scheere und fragt dieselbe,
wo sich die Kinder des Königs befinden; die Scheere antwortet:
„Wirf mich auf dem Hofe zu Boden ; wo ich falle , dort suche."
Die Scheere fällt genau auf den Platz, wo Iwan und Marie ver-
borgen sind. Der Bär scharrt mit seinen Pfoten den Boden auf
und ist daran, das junge Geschwisterpaar zu verschlingen; doch
bitten sie flehentlich um ihr Leben, auch sieht der Bär die unge-
heuren Vorräthe von Hennen und Gänsen, die für sie aufgespei-
» VIII, 10.
429
chert sind, nnd eo schont er sie. Darauf bescbliesBt er, sie in
seine Dienste zu nehmen; ßie machen zwei vergebliehe Vers""*""
zu entfliehen, das erste Mal mit der Hilfe eines Falken,
zweite Mal mit der eines Adlers; schliesslich gelingt es e
Stier, sie zn befreien. Von dem Bären verfolgt, werfen sie i
Kamm zsr Erde, nnd ein nndnrchdriuglicber Wald spriesst he
der Bär zerreisst nnd verwundet sieb Über nnd fiber, indei
hindurch will. Iwan breitet daranf ein Tuch aus , welches i
Fenersee macht; bei dessen Anblick tritt der Bär, der sie
verbrennen fürchtet, der keine Hitze leiden mag, sondern 1
vorzieht, den ROckmarsch an.
Im siebennndzwanzigsten Uährchen des fünften Bnchei
Afanassieff verwüstet ein dämonischer Bär mit ein
Haaren ein ganzes Königreich nnd verschlingt alle Einwo
Iwan Tzarevid und Helena Prekrasnaia sind allein tlbrig;
der König lässt sie mit Speisevorrath auf eine sehr hohe •
setzen (eine nene Erscheinungsform des Berges Hiranyanabba
welchem die Sonne hervorkommt, 4er ans der Tiele des H
aufsteigt , nnd anf welchen sich der grosse ÄfFe Hanumant
Der Bär findet sich auch in Verbindung mit einem Edelste!
Vishna-Puräna.* ImTnti-Name* dresairt der Zimmer
zwei junge Bären, ihr Futter von den Schulten) einer Hol;
zu holen, die ein vollkommenes Ebenbild seiner filzigen Freu
des Goldschmieds ist, welcher ihn nm einiges Geld betröget
Vermittelst der Bären, die er als die beiden SUhne dee <
Schmieds darstellt, die ihm- fortgelaufen wären, erüchreckt et
Der Goldschmied versteht die List des Zimmermanns und
ibm sein Geld zurück). Der berüchtigte Bär nähert sich
Bänle. Iwan wirft ihm etwas zu essen hinunter; der Mr
zehrt es nnd geht dann schlafen. ^ Während er schläft, Ü
' IV, la
' I, e (p. 67 fi.)
* lotereaiaDt ist diu meTknürdige Helehniog über den Schi
Bären bei Aldrovandi ;(D e Qundr. Dig. Vir. 1): ^Devorant etia
ioeunteJiyeuie radices iiomiDe uubis adhuc ignotu, qui bus per LoDgui
pons Bpatium cibi cupidiUu expletur et «omnua conciliatur. Nam in
bus UelveticiB aiuLt, referente Gesaero, vaccarum pssterum emiDna
uraum, qai radicem quamdam manibuB proprlis efioBaam edebat, i
uni diaceBBnm, lUuc ae tranatuliage ; radicemqae Ülaio degu9ta»ee, qu
raodnoi ^tauto aomtii ,desiderio afiectag eat, at ae conti nere non pc
qain id vift Btratiu eomno fmeretur," Der Bär als ein Nacht- und V
thier muBa nothwendig viel Schlaf geniesBen.
430
Iwan und Helena aaf einem Pferde; der üär erwacht ^ holt sie
eiU; bringt sie zu der Säule zurück und lässt sich von ihnen
wieder etwas zu essen hinabwerfeu, worauf er wieder schläft;
das junge Geschwisterpaar versucht nun, auf dem Bücken von
Gänsen zu entkommen; doch dasselbe Schicksal trifit sie wie
vorher; der Bär verbrennt die Gänse. Das dritte Mal kommt ihr
Befreier in Gestalt eines Stieres, der dem Bären mit seinen
Hörnern die Augen ausstösst und ihn in einen Strom wirft, in
welchem er ertrinkt. In demselben Mährchen schickt der Dämon
Iwan, um ihn einem gewissen Tode preiszugeben, auf die Suche
nach der Milch einer Bärin. ^ Der Dämon erscheint wiederum in
der Gestalt eines Bären bei A fan. V, 50, wo der Hund eines
Soldaten ihn in Stücke reisst. Obwohl der Bär selbst dämonisch
ist, hilfk doch das Bärenjunge andrerseits dem Helden.^ Bei
Afanassieff VI, 11 verirrt sich eine Frau, die Pilze sucht, und
kommt in die Höhle eines Bären — der Bär nimmt sie zu sich.
Wir sahen -schon den Bären, der mit der Maus Blindekuh spielt,
in dem Wahn, er spiele mit dem schönen Mädchen. Der Wind
Rudra, und Aeolus, der König der Winde, sind (vgl. Kapitel I)
sterblich vernarrt in schöne Nymphen. In einem norwegischen
Mährchen (einer Variation dessen von der weissen Katze) bei
Asbiörnsen, ist der Held als Bär verkleidet und wird bei
Kacht ein schöner junger Mann. Sein Weib verliert ihn durch
ihre indiskrete Neugierde, d. h. weil sie ihn hatte bei Lampen-
licht sehen wollen, und ihre Stelle wird von der langnasigen
Prinzessin eingenommen, bis sie mit Hilfe eines goldenen Apfels
und eines Pferdes im Stande ist, ihren Gatten wiederzufinden.
Im Pen tamer one II, ti ist es andrerseits das Mädchen Pretiosa,
welche, um den Umarmungen ihres Vaters zu entgehen, als
Bärin vermummt in den Wald flieht. Ein junger Prinz, der
Sohn des Wasserkönigs, verliebt sich in sie und nimmt sie in
den Palast. Der Prinz wird vor Liebe zu der Bärin ganz krank ;
sie steht ihm bei und heilt ihn. Während er sie kUsst, wird sie
ein schönes Mädchen („la chiü bella cosa de lo Munno^'j. Wir
erfahren aus zwei mittelalterlichen Schriftstücken, welche Du
• Vgl. A fan. VI, 5. — Nach der griechischen Sage wurden Paris
und Atalanta mit der Milch einer Bärin genährt.
« Vgl. A fan. V, 27. 28. — Nach Cardano bedeutet das Treffen eines
eben geworfenen Bärenjungen einen Umschwung des Schicksals lum
Besseren.
431
Gange (s. v. Ursas) aufUbrt, dass es bereits im Mittelalter Brauch
war, den Bären herumzuführen und ihn indecente Scherze (reiben
zu lassen G>^^^ turpia joca cum urso vel tornatricibus ante se
faeere permittat^^, und dass Bärenhaare , in eine Salbe gebeizt,
gewöhnlich verkauft wurden ;,tamquam phylacteria ad depellen-
dos morboSy atque adeo oculorum fascinos araoliendos/^ Die
Athener nannten die der keuschen Artemis, der Freundin stiller
Plätze, geweihten Jungfrauen Bärinnen, und darauf dürfte wohl
die interessante christliche Legende von der jungfräulichen Heiligen
Ursula^ zurtickzuftihren sein, die Karl Simrock mit der dämoni-
schen, Unglück, Schlaf und Tod bringenden Holda identificirt.
Nimmt man diese Identification an, so würde Ursula ausserdem
in enger gedanklicher und etymologischer Verwandtschaft mit dem
vedischen Ungeheuer Bikshikä stehen.
Um jedoch auf das russische Mährchen zurückzukommen, so
vereinigt sich die Frau, die in die Höhle des Bären geräth, mit
diesem und schenkt einem Sohne das Leben, der bis zur Taille
Mensch, von da ab nach unten Bär ist. Seine Mutter nennt ihn
deshalb Ivanko-Medviedko (Häuschen, der ßärensobn;. Dieser
Halbmensch, Halbbär wird ein schlaues Thier und betrügt den
Teufel, indem er ihn mit dem Bären kämpfen lässt und ihm ein-
redet, der Bär sei sein mittlerer Bruder (d. h. der starke Bruder).
In einer dänischen Sage lesen wir von einem Mädchen, das, von
einem Bären geschändet, einem Ungeheuer das Leben giebt.
Nach dem griechischen Mythus wird die Nymphe Kalisto, die
Tochter des Könige Lycaon, von Zeus vergewaltigt, von der Juno
oder der Artemis in eine Bärin verwandelt, gebiert den Areas
und wird, sammt ihrem Sohne von Hirten getödtet, in einen Stern
verwandelt.
Der schlaue Bär erscheint wieder als Musiker (gleich dem
Esel) bei Afanassieff HI, 17, wo er so schön singt, dass er
die alte Schäferin täuscht und es ihm gelingt, ihre Schafe zu
entfuhren. In einer Anmerkung zu dem neunten ehstnischen
Mährchen bei EreutzwaM bemerkt Herr Löwe^ dass der ehstnische
Name des Donnergottes auf ein finnisches Nomen für Bär zurück-
weist, wie auch dass der nordische Donnergott, Thunar-Thor,
den Beinamen des Bären führte.
' Vgl. Schade, Die Sage von der Heiligen Ursaia. Sie befindet
sich auch unter den Leggende del Secolo Dcciuioquarto, boraus-
gegeben von Signor Del Luago in Florens.
432
Der Bär, der Affe, der Esel and der Stier bilden in einer
netten Kriloffschen Fabel ein mosikalisefaes Quartett. Den Bären
lä88t man tanzen , gleich dem Affen ; ^ dem Esel and dem gan-
dharva^ seinem mythischen Aeqaivalent In gleicher Weise wie
das Eselsfell Furcht verjagt, schützt auch das Aage eines Bären,
getrocknet und einem Kinde nm den Hals gehängt, vor Furchte
In den Heiligenlegenden, besonders in denen von den Einsiedlern,
welchen der Bär auf göttliche Eingebung oft seine Höhle ein-
räumt, lesen wir von St Masimin, dass er einen Bären in einen
Esel verwandelte, weil er einen Esel gefressen hatte, der eine
Last trug.
Bei Lafontaine Xu, 19 erscheint der Affe als Bote Jupiters
mit dem caduceus; er soll
„Partager an brin d'herbe entre quelques founnis,"
während zwei enorme Thiere/ der Elephant und das Rhinoceros
um die Superiorität streiten. Der Affe kommt als Mercur, als
Vermittler und Mittelgestalt zwischen zwei ähnlichen Heldenthieren
dem schlauen Fuchs nahe, dessen röthliehe Farbe (wie die des
Bären) er oft theilt. Er ist nicht mehr die reine schöne Tagee-
sonne, und ist doch noch nicht das schwarze Ungeheuer der
Nacht; er ist zu schwarz, um roth, und zu roth, um schwarz zu
sein; er besitzt alle Schlauheit der Teufel und ist mit allen Ge-
wohnheiten der Heiligen bekannt Der Affe, der Nachahmer dee
Menschen, nimmt gleich diesem an der Natur des thierisch dum-
men Dämons und des intelligenten Gottes Theil.
' „ . . . il parle, on Tentend, il sait danser, baller
Faire des toars de toute sorCe
Passer en des cerceaux."
Lafontaine, Fables IX, 3.
Bei Lafontaine wird der ASe ferner mit dem Esel identificirt, als
Richter zwischen Wolf und Fuchs , und später als in das Fell des todten
Löwen gehüllt In der vierten Fabel des eilften Buches lässt Lafontaine
den Affen-Magister die Geschichte „as^inüs asinum fricat'^ erschien;
in der zweiten Fabel des zwölften Buches verstreut der Affe die Schätze
des Knickers, wie er in* der indischen Sage die Opfergaben raubt
' Vgl. Aldrovandi, De Quadr. Dig. Viv.
4
433
KAPITEL XII.
Der Fuchs, der Sehakal und der Wolf.
Von dem Fachs ist kaum einmal im Bigveda die Rede unter
dem Namen lopä^a (dlaiTvq^), da sieb derselbe auf den alten
westlichen Löwen bezieht; dieses Wort scheint (gleich lopäka^
„eine Art SchakaF'; so das Petersb. WB.) eigentlich ^^Zerstörer,
Verwüster*' zu bedeuten (nach Prof. Weber: Aasfresser). Das
Sanskrit giebt uns auch das Diminutivum lopä^ikä; welches als
Schakalweibchen und als Fuchs (vulpecula) erklärt wird. Der
Fuchs der Sage wird jedoch in der indischen Ueberlieferung ge-
wöhnlich durch den Schakal oder canisaureus ({rigäla^ kroshtar^
gomäyu; als Schreier) dargestellt. Der Fuchs ist der röthliche
Vermittler zwischen dem glänzenden Tage und der finsteren
Nacht: als der Abenddämmerungshimmel eine Thiergestalt an-
nahm, schien keine geeigneter als die des Fuchses oder Schakals,
wegen ihrer Farbe und ihrer Schlauheit: die Stunde des Zwie-
lichts ist die Zeit der Ungewissheiten und Täuschungen. Prof.
Weber spricht in der Abhandlung: Ueber den Zusammen-
hang indischer Fabeln mit griechischen die Vermuthung
auS; dass alle Sehlauheiten; die dem Schakal in indischen Fabeln
beigelegt würden, dem Fuchs der griechischen Fabeln entlehnt
seien. Wir dürfen zwar auf die Bezeichnungen vancaka und
mrigadhürtak a (Betrüger der Thiere), welche in indischen
Wörterbüchern dem Schakal gegeben werden, nicht ein zu grosses
Gewicht legen, da diese Wbb. kein hohes Alter haben; doch
müssen wir zugleich gestehen, dass die Schlauheit des Fuchses
vom Volksaberglauben ebenso übertrieben worden ist, wie die
Dummheit des Esels, und zwar aus einem mythischen Grunde
wie auch in Folge der Ueberlieferung weit mehr als durch die
Beobachtung ausnahmsweiser Eigenschaften dieser Thiere, welche
leicht in der Mythologie miteinander identificirt werden konnten ;
denn in dieser genügen, wie ich schon bemerkte, einige wenige
grobe und rein zufällige Aehnlichkeiten , um dieselben Himmels-
erscheinungen von Thieren eines ganz verschiedenen genus dar-
gestellt werden zu lassen. So reichen die behaarten, röthlichen
Körper des Bären und des Affen und gewisse Posituren, die sie
QnbernatlB, die Thtera. 28
434
gewöhnlich einnehmen^ hin, um uns verstehen zu lassen, wie sie
in den Sagen bisweilen für einander eintreten; aus demselben
Grunde werden dem Affen und dem Bären einige von den
Heldenthaten zugeschrieben, die sonst dem Fuchs der Sage nach-
gerühmt werden. Wie viel grösser muss ^Iso die Verwirrung
gewesen sein, welche zwischen dem canis vulpes (dem röth-
liehen Fuchs) und dem canis aureus (oder Schakal) entstand,
Thieren, welche sich beide gegen Nacht zu zeigen pflegen, welche
beide von kleinen Thieren leben, welche Felle von derselben
Farbe haben, welchen schliesslich sehr helle Augen und mehre
andere zoologische Charakteristika gemeinsam sind?
Der Fuchs der Sage (resp. der Schakal, sein mythisches
Aequivalent) zeigt sich, wie fast alle Gestalten des Mythus, von
zvei Seiten. Wenn er den Abend darstellt und wenn die Sonne
als ein Vogel (der Hahn) dargestellt wird, so ist der Fuchs, der
sprichwörtliche Feind der Küchlein, auch im Himmel der Räuber
und Verschlinger des Hahnes und als solcher der natürliche Feind
des Mannes oder Helden, welcher sich schliesslich schlauer als
der Fuchs zeigt und seinen Untergang herbeiführt. Der Fuchs
betrügt den Hahn am Abend und wird von ihm am Morgen be-
trogen. Er ist also ein Thier von dämonischer Natur, sowohl als
der Verschlinger oder Verräther der Sonne (des Hahnes, Löwen
oder Mannes), in der Gestalt des rothen westlichen Himmels oder
der Abend-Aurora, wie auch als von der Sonne selbst (dem
Hahn, Löwen oder Mann) getödtet oder in die Flucht geschlagen,
in der Gestalt des rothen östlichen Himmels, resp. der Morgen-
Aurora. * Wir sahen schon in Kapitel I die Aurora als ein wei-
ses und als ein thörichtes und schlechtes Mädchen ; ebenso ist es,
nach ihrer thierischjen Metamorphose, beim Fuchs. Die Aurora zeigt
sich im Mythus nicht nur von der Seite, die wir eben besprachen.
Wird sie, der Sonne zugewendet, flir die Tödterin des glänzenden
Tages am Abend gehalten und für verjagt von demselben am
Morgen, so nimmt sie, als der Nacht sich zuwendend, etwas
Heldisches an und gewinnt unsere Sympathieen; sie wird die
Freundin und Helferin des Sonnenhelden oder Sonnenthieres gegen
' In einer deutschen Sage (bei Schmidt, Forschungen, S.10Ö) haben
wir die Gottheit, welche sich als ein Fuchs freiwiUig dem Jäger zum Opfer
anbietet; der Jäger zieht ihm das Fell ab und die Fliegen und Ameisen
fressen sein Fleisch. In einem russischen Mährchen, das ich im Auszüge
mittheilen werde, verzehrt der Wolf den Fuchs, als er ihn ohne seine be*
haarte Bedeckung sieht.
Jt
435
den Wolf oder die Finsteniiss der Nacht. In diesen beiden my-
thischen Auffassungen ist die ganze Sagengeschicbte des Fuchses
im Wesentlichen enthalten und entwickelt; diese ist, so weit sie
den Westen betrifft; schon von Anderen ausführlich erzählt worden.
Ich werde mich darauf beschränken, ihre Hauptzttge aus orienta-
lischen und slavischen Quellen zu eruiren und summarisch darzur
stellen, um sie dann kurz mit den am meisten bekannten Resul-
taten der Forschungen über den westlichen Sagenstoff zu ver-
gleichen ; habe ich die Doppelnatur des Fuchses in der Mythologie
aufgezeigt; habe ich bewiesen, dass die Sonne bald als ein Held,
bald als ein Hahn und bald als ein Löwe, die Nacht als ein
Wolf personificirt wird, so scheint es mir leicht, mit dieser Deu-
tung die ungeheure Mannigfaltigkeit von Sagenstoffen in Ein-
klang zu bringen, auf welche ich leider wegen des geringen Um-
fangeS; auf den ich mein Werk beschränken musS; nicht näher
eingehen kann.
Im Mah&bhärata^ gesellt sich ein gelehrter Schakal nach
Beendigung seiner Studien zu dem Ichneumon, der Mans, dem
Wolf und dem Tiger, doch nur, um sie alle zu täuschen. Er lässt
den Tiger eine Gazelle tödten und schickt alle Thiere zur Waschung
vor der Mahlzeit. Dann hetzt er den Tiger gegen die Maus, von der
er behauptet, sie hätte geprahlt, den Tiger getödtet zu haben ; die
Maus bringt er dazu, ihr Heil in der Flucht zu suchen, indem er
ihr einredet, das Ichneumon habe die Oazelle gebissen und
dadurch deren Fleisch vergiftet; der Wolf giebt Fersengeld, als
ihn derlSchakal glauben macht, der Tiger komme, um ihn zu
verschlingen ; dem Ichneumon macht er weiss, er habe die andern
drei Thiere getödtet, so dass dieses froh ist, als es entwischen
kann; so verzehrt der Schakal selbst die ganze Oazelle allein.
Im Pancatantra^ betrügt der Schakal in ähnlicher Weise den
Löwen und den Wolf um ihren Antheil an einem Kameel ; wie er
den Löwen um den Esel betrog, sahen wir schon. Im zwanzigsten
mongolischen Mährchen sät der Fuchs zwischen den beiden Brü-
dern, Stier und Löwe, Zwietracht, so dass diese in der Folge
einander tödten.
' I, 5666 ff.
> I, 16. IV, 2. Vgl. auch IV, 10 und das Kapitel über den Hasen. —
Pai&ö. III, 14 betrügt der Schakal den Löwen, der seine Höhle in Besitz
genommen hat ; er bringt den Löwen zum BriUlen, versichert sich so seiner
Anwesenheit in der Höhle, und kann entfliehen.
28*
f
/
436
Im Rämäyana' erBcbeint der Schakal als Freand des
Helden y sofern er durch Heiden und Feuerspeien fdr das Unge-
heuer Ehara; welches sich zum Angrifle gegen R&ma rflstet, von
unglücklicher Vorbedeutung ist. ImKhorda-Ävesta wird ein
von Agro-Mainyus, dem Gott der Ungeheuer; verschlungener Held
Takhmo-umpa, d. h. starker Fuchs, genannt.
Eine der in mythologischem Betracht interessantesten Fabeln
ist die von dem Schakal, welcher in Farben fftllt, blau oder opal-
farbig herauskommt und sich nun flir einen Pfau des Himmels
ausgiebt. Die Thiere machen ihn zu ihrem König; doch er ver-
räth sich durch seine Stimme: als er andere Schakale heulen
hört; heult er auch; worauf ihn der LöwC; der wirkliche König
der Thiere ; in Stttcke reisst. ^ Es ist dies eine Variation des
Esels in der Löwenhaut; und noch mehr der Krähe, die sich mit
den Federn des Pfaues schmückt; die schwarze Nacht glänzt wie
ein azurblauer Himmel, wie sahasräksha (eine Benennung Indras
und des Pfaues , als des tausendäugigen oder tausendstemigen).
Die Abend- Aurora; der FuchS; verwandelt sich in den Azurhimmel
der Nacht; bis am Morgen der Belmg entdeckt wird; und der
Löwe (die Sonne) den Fuchs zerreisst; die Nacht und die Aurora
verscheucht.
Das Pan^iatantra enthält noch zwei Erzählungen, welche
sich auf den Schakal der Sage beziehen , nämlich die von dem
neugierigen und einfältigen Sohakal, der bei einem Versuch, das
Fell einer Trommel zu zerreissen, um zu sehen, was darin steckt;
sich einen seiner Zähne ausbeisst, und der sich, als er eine
Bogensehne verspeisen vnll, den Mund verletzt und stirbt;' und
die von dem feigen Schakal, der unter Löwenjungen aufgezogen,
seine Fuchsnatur verräth, als er sich mit den beiden Löwen,
seinen Adoptivbrttdem ; auf den Elephanten werfen soU; statt
dessen aber das Hasenpanier ergreift.^ Im Tuti-Name^ will
• m, 29.
« Vgl. Pane at. I, 10. Tuti-Name II, p. 146.
- * I, 2. II, 3. — In dem neunzehnten mongolischen MShrchen wird dem
jungen Mann, der für einen Helden gilt, befohlen, der Königin das Fell
eines gewissen ihm näher bezeichneten Fuchses zu bringen ; auf dem Wege
verliert der Jüngling seinen Bogen; er geht zurück, danach zu suchen,
und findet den Fuchs todt, dicht neben dem Bogen, den er zu zerbeissen
versucht, der ihn aber getroffen und getödtet hatte.
* IV, 4.
» I, p. 134 f.
437
sieh der Schakal an den Papageien rächen, die er fttr indirekt
mitschuldig an dem Tode Beiner Jangen erklärt; der Lnchs
kommt dazn , der erstaunt ist , den wegen seiner Schlauheit be-
rtthmten^ Schakal in Verlegenheit der Mittel und Wege zur Ver-
nichtung der Papageien zu finden. Endlich räth ihm der.Luchs^
sich lahm zu stellen und sich von einem Jäger bis zu der Woh-
nung der Papageien verfolgen zu lassen, wo er sich dann aus
dem Staube machen könne, während Jener den Papageien Schlin-
gen legen und sie fangen werde.
ImTuti-Name finden wir noch mehre andere Einzelmomente,
die auf den Schakal Bezug haben und welche in die russischen
Mährchen vom Fuchs übergehen.
Der Schakal macht, dass der Wolf in seiner (des Schakals) Höhle,
von der er Besitz genommen, umkommt, indem er den Hirten ruft ^
In einer anderen Erzählung^ verspottet der schlaue Fuchs den ein-
fältigen Tiger; doch das Weib erweist sich an Schlauheit auch
dem Fuchs überlegen. Ebenfalls im Tuti-Name^ lesen wir
von dem Freunde des armen Abnl Megd, der den in die Tochter
des Königs Verliebten belehrt, wie er reich werden, oder doch es
scheinen könne, um die Prinzessin heirathen zu können. In einer
feineren und interessanteren Variation dieser Sage in den russi-
schen Mährchen ist es dagegen der Fuchs, der den armen Helden
reich macht. Das neunzehnte mongolische Mährchen, in welchem
der falsche Held sein Glück macht durch den Raub eines ge-
wissen , schon' vorher in Aussicht genommenen Fuchses , ist eine
andere zwischen den beiden Sagenkreisen, dem indischen und
dem russischen, mitteninne stehende Gestaltung.
Der Name eines Schakals imPancatantraist Dadhipuccha,
d. h. Butterschwanz, mit Butter bestrichener Schwanz (die Aurora
ist ambrosisch).
In dem ersten der Afanassieff'schen Mährchen verzehrt
der Fuchs den Honig, der dem Wolf gehört (was an den Plauti-
' Tuti-Name II, p. 1^ f. — In einem anderen Mährchen desselben
Abends (des 23.) des Tuti-Name haben wir den Luchs (lupus cervarius),
der sich in dem von dem Aften ab Haushofmeister verwalteten Wohnsitze
des Löwen häuslich niederlässt. In dem Mährchen II p. 7 lässt der Fuchs
seinen Knochen ins Wasser fallen, um einen Fisch zu fangen (eine Spiel-
art der bekannten Fabel von dem Hunde und dem Wolf oder Teufel als
Fischer).
> Tuti-Name II, p. 141 t
» I, 168 ff.
438
nischen Sprach erinnert : ^^Saepe condita Inpomm fiant rapinae vul-
pinm'^^), und klagt dann den Wolf an, ihn selbst verspeist zn haben;
der Wolf schlägt eine ArtOottesortheilvor; sie sollen zasammen in
die Sonne gehen, und der, der Honig von sich giebt, soll schuldig be-
funden werden ; sie gehen und legen sich nieder ; der Wolf schläft ein,
und als der Fuchs den Honig von sich giebt^ thut er es auf den Wolf,
der beim Erwachen sich seh uldig bekennt. Bei AfanassiefflV, 1
bringen Hahn und Henne dem alten Mann Kornähren und der alten
Frau Mohnköpfe; das alte Paar macht einen Kuchen daraus und
legt ihn ins Freie zum Trocknen. ' Da schleichen sich der Fuchs
und der Wolf herbei und nehmen den Kuchen; bei der Ent-
deckung, dass er noch nicht trocken ist, schlägt der Fuchs vor,
zu schlafen, während er ganz trocknet. Während der Wolf
schläft, verzehrt der Fuchs den Honig, der im Kuchen ist, und
thut Dünger an seine Stelle. Der Wolf erwacht, und nach ihm
auch der Fuchs aus seinem angeblichen Schlafe ; er beschuldigt
den Wolf, den Kuchen berührt zu haben; der Wolf betheuert
seine Unschuld, und der Fuchs schlägt als Gottesurtheil vor, sie
sollen im Sonnenschein schlafen; das Wachs werde schon bei
dem herauskommen , der den Honig gegessen. ^ De^ Wolf legt
sich wirklich schlafen ; der Fuchs geht mittlerweile zu einem be-
nachbarten Bienenkorb, isst den Honig und wirft die Honigschei-
ben auf den Wolf, der aus seinem Schlummer erwachend , sich
schuldig bekennt und verspricht, um sein Vergehen wieder gut
zu machen, dem Fuchs seinen Antheil an der nächsten Beute zu
überlassen. Im Verfolg der Geschichte schickt der Fuchs den
Wolf, um mit seinem Schwänze im See zu fischen; nachdem er
seinen Schwanz hat erstarren lassen, stellt er selbst sich krank
und lässt sich vom Wolf tragen, indem er auf dem Wege das
' Querolns I, 2.
* Bei Afanassieff IV, 18 entschlüpft ein aussergewöhnlicher Kuchen
auB dem Hause eines alten Mannes und einer alten Frau und wandert um-
her; er findet den Hasen, den Wolf und den Bären, welche ihn Alle essen
wollen; er singt ihnen Allen seine Geschichte vor und erhält Erlaubniss,
weiter zu gehn; er singt sie auch dem Fuchs vor, doch dieser lobt ewar
den Gesang, verzehrt aber den Kuchen, nachdem er ihn auf seinen
Bücken genommen hat«
' Bei Afan. I, 14 findet der Held, Theodor, einige Wölfe miteinander
um einen Knochen, einige Bienen um Honig, und einige Krebse um Ca-
viar kämpfend ; er macht eine gleiche Theilung und die dankbaren Wölfe,
Bienen und Krebse helfen ihm in der Noth.
439
Sprichwort murmelt : ^^Der Geschlagene trägt den Nichtgeschla-
genen/^ In einer Spielart dieses Mährchens frisst der Fuchs
des Wolfes Butter und Mehl ; in ' einer ^ anderen giebt der
Fachs vor; während der Nacht zu dem Kaninchen als Geburts-
helfer gerufen zu werden^ nnd isst die Butter des Wolfes, den er
nachher beschnldigt, sie selbst verspeist zu haben ; um den Schul-
digen zu entdecken; beschliessen sie das Urtheil durch Feuer zu
versuchen; der, aus dessen Fell die Butter herauskommen wird,
soll schuldig befunden werden; vorher gehn sie schlafen; der
Fuchs stürzt den Rest der Butter auf den schnarchenden Wolf
um. Bei Afanassieff IV; 7 verspricht der Fuchs einem alten
ManU; sein Weib wieder ins Leben zurückzurufen ; er ersucht ihn,
ein warmes Bad herzurichten; Mehl und Honig zu bringen; und
dann an der Thilr zu stehen, ohne auch nur ein einziges Mal
sich umzudrehen und nach dem Bade zu sehen; der Alte thut
es; der Fuchs wäscht die Alte, dann verspeist er sie, ohne
etwas als die Knochen übrig zu lassen; sodann macht er aus
dem Honig und dem Mehl einen Kuchen ; den er sich ebenfalls
wohlschmecken lässt; nun ruft er dem Alten zU; die Thttr weit
aufzusperren und — macht; dass er fortkommt In dem ersten
Mährchen des ersten Buches geht der AltC; dessen Frau gestorben
ist^ auf die Suche nach Leichenbittern ; er findet den Bären ; der
ihm anbietet; zu wehklagen ; doch der Alte hält seine Stimme fUr
nicht gut genug; weiter trifft er den FuchS; der denselben Dienst
verrichten will und eine gute Probe von seiner Singfertigkeit ab-
legt (dieses Moment dürfte besser auf den heulenden Schakal als
auf den Fuchs passen). Der Alte erklärt sich vollständig befrie-
digt und stellt das schlaue Thier zu Füssen des LeichnamS; eine
Wehklage zu singeu; während er selbst das Grab graben geht; in
Abwesenheit des Alten schmaust der Fuchs Alles, was er im
Hause findet und das alte Weib dazu. Im neunten Mährchen des
vierten Buches endet die Fabel anders; der Fuchs thut seine
Schuldigkeit als officieller Todtenkläger, und der Alte belohnt ihn
mit einigen Hühnchen ; als der Fuchs jedoch mehr verlangt; steckt
jener zwei Hunde und ein Hühnchen in einen Sack ; als der Fuchs
denselben öffnet; springen die Hunde heraus und verfolgen ihn;
er flüchtet sich in seine Höhle ; vergisst jedoch den Schwanz ein-
zuziehen; der ihn verräth. ;;Cauda de vulpe testatur^S sagt
schon das lateinische Sprichwort. In einer Variation des ersten
Mährchens des ersten Buches erhält der Fuchs als Belohnung
dafür, dass er den Bauer vor dem 3ären gerettet hat^ einen Sack
440
mit a^ei Hennen und einem Hunde. Der Hnnd verfolgt den
Fuchs, der in sein Loch kriecht^ und dann seine Fttsse fragt; was
sie getban haben; sie antworten ^ dass sie weggelaufen wären;
auf dieselbe Frage geben ihm seine Augen und Ohren die Ant-
wort, dass sie gesehen und gehört hätten; der Schwanz endlicb
(hier mit dem Phallus identificirt) antwortet verwirrt, er hätte
sich zwischen seine Beine gelegt; um ihn zu Falle zu bringen.
Darauf steckt ihn der Fuchs zur Strafe aus der Höhle heraus; der
Hund zieht daran den ganzen Fuchs aus seinem Bau und zerreisst
ihn. Im vierten Mährchen des dritten Buches befreit der Fuchs
den Bauer nicht von dem BäreO; sondern von dem Wolf; da*
Bauer betrügt ihn darauf in derselben Weise, indem er Hunde in
den Sack steckt ; der Fuchs entwischt, lässt aber seinen Schwanz,
zur Strafe daftlr, dass er ihm bei der Flucht hinderlich ist, im
Maule des Hundes zurück; darnach ertrinkt der Fuchs, indem er
in ein Fass voll Wasser fällt (ebenso der Pallus, vgl. das Kapitel
über die Fische), und der Bauer zieht ihm das Fell ab. In einem
andern russischen Mährchen, welches Afanassieff in den An-
merkungen zu dem ersten Buche seiner Sammlung erwähnt, rettet
der Fuchs den Bauer vor dem Bären und verlangt dafür dessen
Nase, wird jedoch von dem Bauer so in Furcht gejagt, dass er
sich eiligst davonmacht. In einem slawischen Mährchen, auf wd-
ches ebenda Bezug genommen wird, macht der Vogel Bein Nest,
nach dessen Eiern der Fuchs ein Gelttstchen hat; der Vogel in-
struirt den Hund, welcher den. Fuchs verfolgt; der letztere, von
seinem Schwanz verrathen, hält das gewöhnliche Zwiegespräch
mit seinen Füssen, Ohren und dem Schwänze. Im zweiundzwan-
zigsten Mährchen des dritten Buches fällt der Fuchs sammt dem
Bären, dem Wolf und dem Hasen in eine Grube, in der kein
Wasser ist. Die vier Thiere werden vom Hunger gepeinigt, und
der Fuchs schlägt vor, dass einer nach dem andern seine Stimme
erheben und aus vollem Halse schreien solle ; der, dessen Geschrei
am schwächsten ist, solle von den Anderen verzehrt werden;
Der Hase kommt zuerst an die Reihe, dann der Wolf. Nun räth
der Fuchs dem Bären, seine Tatzen in die Seiten zu stemmen
und so zu singen; infolge dessen stirbt der Bär und der Fuchs
verzehrt ihn. Von Neuem hungrig droht er einem Vogel, der
seine Jungen füttert, diese zu tödten, wenn er ihm nicht etwas
zu Essen bringe; der Vogel besorgt ihm eine Henne aus dem
Dorfe. Darauf erneuert der Fuchs seine Drohungen und veriangt
von dem Vogel etwas zu Trinken; sofort erhält er Wasser aus
Ui
dem Dorfe. Wieder will der Fuchs die jangen Vögelchen am-
briogen, wenn ihn der alte Dicht ans der Grube befreit; der
Vogel wirft Holzscheite hinein und hilft so dem Fuchs heraus.
Darauf verlangt der Fuchs vom Vogel, er solle ihn zum Lachen
bringen ; der Vogel lädt ihn ein , hinter ihm her zu rennen ; als
sie zu dem Dorfe kommen, schreit er: ^^Frau, Frau, bring mir ein
Stück Talg'' (babka, babka, priniessi mniä sala kussök); die
Hunde hören das Geschrei, kommen herbei und machen dem
Fuchs den Garaus. Im vierundzwanzigsten Mährchen des dritten
Buches rettet wiederum der Fuofas den Bauer vor dem Wolf;
diesen hat nämlich der Bauer in einen Sack eingeschlossen, um
ihn vor der Verfolgung der Jäger zu schützen. Kaum ist der
Wolf ausser Gefahr, als er den Bauer fressen will, mit dem Be-
merken: „Alte Gastfreundschaft wird vergessen.''^ Der Bauer
ersucht ihn, doch das Urtheil des ersten Vorübergehenden abzu-
warten; der Erste, dem sie begegnen, ist eine alte Stute, die
ihres Alters wegen aus dem Stall fortgeschickt worden ist, nach-
dem sie lange ihrem Herrn gedient hat; sie findet die Ansprüche
des Wolfes ganz gerecht. Der Bauer bittet den Wolf, doch noch
auf einen zweiten Passanten zu warten ; das ist ein alter schwarzer
Hund, der nach langen Diensten aus dem Hanse geworfen ist,
wdl er nicht einmal mehr bellen kann; er stimmt d^ Entschei-
dung der Stute bei. Der Wolf lässt sich erbitten, noch auf einen
dritten und entscheidenden Richter zu warten; sie treffen den
Fuchs, der zu einer sehlauen Kriegslist seine Zuflucht nimmt; er
stellt sich, als ob er an der Möglichkeit zweifle, dass ein so
grosses Thier wie der Wolf in einen so kleinen Sack gehe.
Höchlich entrüstet über so ungerechtes Misstrauen, beweist der
Wolf, dass er die Wahrheit gesagt, kriecht wieder in den Sack
und wird von dem Bauer so lange geprügelt, bis er todt ist
Doch beweist sich der Bauer selbst gegen den Fuchs undankbar,
indem er sagt, dass alte Gastfreundschaft zu vergessen sei
(eigentlich: die gastliche Aufnahme mit Brod und Salz, hlieb-
sol). In dem achten Mähreben des vierten Buches bringt der
Fuchs auf seinem Rücken ein Mädchen, das sich im Walde verirrt
hat und das er weinend auf einem Baume fand, zu seinen Eltern
zurück. Die Alten jedoch sind dem Fuchs nicht dankbar; denn
auf seine Bitte um eine Henne als Belohnung stecken sie ihn
' Vgl. Lou loup penjat in den Contes de rArmagnac, gesam«
melt von Blad^, Paris 1867, p. 9.
442
mit eineiu Hnude zusammen in einen Sack ; der Rest des Mähr-
chens ist dem Leser schon bekannt In dem dreiundzwanzigsten
Mährchen des vierten Buches heirathet der Fuchs die Katze und
jagt den Bären und den Wolf in die Flucht. Wir haben schon
den Fuchs des russischen Mährchens erwähnt, welcher den Wolf
schickt; mit seinem Schwänze Fische zu fangen , wobei der
Schwanz erfriert. In einem norwegischen Volksmährchen wird
statt des Wolfes der Bär auf diese Weise von dem Fuchs be-
trogen. In einem serbischen Mährchen hören wir von einem
Fuchs, welcher von einem Wagen drei Käse stiehlt, und nachher
von dem Wolf gefragt wird, wo er sie gefunden habe. Der Fuchs
antwortet, im Wasser. Der Wolf will auch Käse fischen, und
lässt sich vom Fuchs zu einer Quelle führen, in deren Wasser sich
der Mond spiegelt; diesen bezeichnet der Fuchs als Käse; der
Wolf müsse nur das Wasser auflecken, um dazu zu kommen. Der
Wolf leckt und leckt, bis ihm das Wasser zu Mund, Nase und
Ohren herauskommt (wahrscheinlich weil er in der QueUe ertrank).
Der Wolf, das schwarze Ungeheuer der Nacht, nimmt die Stelle
der Krähe in Verbindung mit dem Käse (dem Monde) und dem
Fuchs ein; das serbische Mährchen selbst sagt uns, was der Käse
darstellt ^). In einem russischen Mährchen , das im Jahre 1860
von Podsniesznik publicirt und in den Anmerkungen zu dem
ersten Buche der Afanassieffschen Sammlung angeführt ist,
wird der Fuchs von einem Bauer getödtet, dem er Fische ge-
stohlen hat; der Bauer zieht ihm das FeU ab und geht davon.
Da kommt der Wolf und wehklagt beim Anblicke seines Pathen
ohne Fell über dessen Leichnam nach der vorgeschriebenen Gere-
monie, dann — Msst er ihn. Wir sahen den Fuchs schon als
Leichenbitter und als Geburtshelfer. Bei Afanassieff III, 20
will der Fuchs als Grobschmied arbeiten. In anderen russischen
Mährchen haben wir den Fuchs-Beichtvater und den Fuchs-Arzt;
endlich ist der Fuchs als Pathe ein sehr beliebtes Thema der
russischen Mährchen. In einem derselben^ erscheint der Fuchs
als Heirathsvetmittler zwischen zwei jungen Männern und zwei
Prinzessinnen. Doch vor AUem ist der Fuchs dadurch berühmt.
' Vgl. den englischen Ausdruck, den man vom Monde gebraucht:
„made of green cheese^* (aus grünem Käse gemacht); es ist dies der schon
früher besprochene Zusammenhang zwischen Grün und Gelb.
' Siehe das russische Historische und Juridische Archiv Ka-
la« so ffs Nr. i.
\
443
dass er die Heirath des armen Bnhtan Buhtanoyi(5 nnd seiner
alter ego, Koszma Skorobogatoi (i. e. Cosimo der Schnell-reich-ge-
wordene) mit der Tochter des Tzaren zu Stande gebracht hat.
Buhtan besitzt nur fttnf Kopeken. Der Fuchs hat sie gewechselt
und bittet den Tzaren ; ihm einige Scheifel zu leihen; um damit
das Geld zu messen. Diese Scheffel werden jedes Mal zu klein
befunden und grl^ssere gefordert^ bei deren Benutzung der schlaue
Fuchs immer Sorge trägt, eine kleine Münze auf dem Boden
zu lassen. Der Tzar ist tlber den Reichthum Buhtans erstaunt,
und der Fuchs verlangt die Tochter des Tzaren für Buhtan zur
Gemahlin. Doch dieser will den Bräutigam erst sehen. Wie ihn
anziehen? Der Fuchs lässt nun Buhtan in den Sumpf nahe bei
des Königs Palast fallen; während sie über eine kleine Brücke
gehen. Er geht darauf zu dem Tzaren, berichtet ihm das Un-
glück, und bittet ihu; für Buhtan einen Anzug zu leihen. Buhtan
legt ihn an und betrachtet unablässig dieses sein neues Aeus-
seres. Als der Tzar darüber erstaunt ist, beeilt sich der Fuchs
zu bemerken, dass Buhtan nie vorher so schlechte Kleider ange-
habt hat; und nimmt die erste Gelegenheit wahr, Buhtan vor
einem so verdächtigen Auftreten zu warnen. Darauf starrt Buh-
tan immerfort nur die goldene Tafel an; dem darüber verwun-
derten Tzaren erklärt der Fuchs, in Buhtans Palast fänden sich
solche Tafeln nur im Badezimmer; mittlerweile giebt er auch
Buhtan einen Wink, sich doch mehr umzusehen. Die Hochzeit
wird gefeiert, und die Braut heimgeführt Der Fuchs läuft voraus ;
doch statt sie in Buhtans ärmliche Hütte zu führen, bringt er sie
•in ein verzaubertes Schloss, nachdem er durch einen listigen
Streich die Schlange, die Krähe und den Hahn daraus vertrieben. ^
— Dem armen Kuszinka sind nur ein Hahn und fünf Hennen
geblieben. Er föngt den Fuchs durch Ueberraschung, als derselbe
im Begriff ist, seine Hennen zu fressen, lässt sich jedoch durch
dessen Bitten bewegen, ihn frei zu lassen. Der dankbare Fuchs
verspricht, ihn in Cosimo den Schnell-reich-gewordenen zu ver-
wandeln. Der Fuchs geht in den Park des Tzaren und trifft
den Wolf; der ihn fragt, wie er so fett geworden sei; er ant-
wortet; er habe im Schlosse des Tzaren bankettirt Der Wolf
drückt den Wunsch aus, ebenfalls dorthin zu gehen; und der
Fuchs räth ihm, vierzig mal vierzig (also 1600) Wölfe einzuladen.
Der Wolf folgt seinem Bath und bringt sie alle zu dem Palast
* Afan. IV, 10.
U4
de» TzareO; worauf der Fuchs dem Tzaren erzählt; Cosimo der
Seh nell-reieh-ge wordene sehicke ihm die Wölfe zum Geschenk. Der
Tzar ist Über den grossen Reich tb um Cosimos erstaunt; der Fuchs
wendet dieselbe List noch zweimal an; mit den Bären und den
Mardern. Darnach bittet er den Tzaren, ihm einen silbernen
Scheffel zu leihen, da Cosimos goldene alle voll Geld seien. Der
Tzar giebt ihm einen, und als ihn der Fuchs zurückschickt, lässt
et ein paar kleine Münzen auf dem Boden zurUck und ersucht
den Tzaren, seine Tochter dem Cosimo zur Ehe zu geben. Der
Tzar entgegnet, erst müsse er den Bewerber selbst sehen. Der
Fuchs lässt den Cosimo ins Wasser fallen und stafürt ihn mit
vom Tzar geliehenen Kleidern aus, der ihn mit grossen Ehrenbe-
zeigungen empfängt. Nach einiger Zeit giebt der Tzar den
Wunsch zu erkennen, Cosimos Aufenthaltsort zu besuchen. Der
Fuchs geht voraus, und findet auf dem Wege Herden von Schafen,
Schweinen, Kühen und Kamelen. Er fragt alle Hirten, wem die*
selben gehören, und erhält überall zur Antwort: „Dem Schlangen-
Lanzenreiter^^ Der Fuchs befiehlt ihnen, zu sagen, dass sie Co-
simo dem Scbnell-reich-gewordenen gehörten, sonst würden sie
von König Feuer und Königin Loszna ' Alles zu Asche gebrannt
sehen. Er kommt zu dem Palast von weissem Stein, in welchem
der König Schla&gen-Lanzenreiter lebt. Er jagt ihn in Schrecken
und zwingt ihn, sich in den Stamm eines Eichbaumes zu flüchten,
wo er verbrannt wird. Cosimo, der Schnell-reich-gewordene wird
Beherrscher aller Besitzungen des Schlangen-Lanzenreiters und
geniesst sie mit seiner Braut. ^ (Ich habe nicht nöthig, mich bei
der mythologischen Bedeutung dieses Mährchens aufzuh^ten;^
die von Feuer verzehrte Schlange findet sich in den primi-
tivsten Mythen; hier scheint der canis-vulpes, die rothe Hün-
din, der Fuchs theilwds die Rolle der vedischen Boten-Htlndin zu
spielen.)
Im ersten Mährchen Afanassieffs jagt der Fuchs statt
' £b ist vielleicht beachtenswerth, dass im piemontesischen Dialekt der
BUtK 1 o 8 2 n a heisst.
* Afan. IV, 11. Im Pentamerone II, 4 ist es statt des Fuchses
die Katze, welche den Pippo Gagliufo reich macht und vor ihm her rennt.
£ben80 wie sich in den russischen Mährchen der Mann undankbar gegen
den Fuchs zeigt, so verflucht im Pentamerone die Katze schliesslich
den undankbaren Pippo Gagliufo, dem sie Wohlthaten erwiesen hatte. In
der folgenden Erzählung bietet sieh der Fuchs der jungen Braut, die ihren
verlorenen Gemahl sucht, zum Gefährten an.
V
445
der Schlange den Hasen aus seinem Wohnsitze. Der Fuchs hat
ein Haus von Eis, der Hase eins von Holz. Beim Nahen des
Frühlings schmilzt das Haus des Fuchses ; da dringt er unter dem
Vorwand sich zu wärmen in des Hasen Haus ein und jagt den
Besitzer fort Der Hase weint und die Hunde kommen^ um den
Fuchs wegzujagen; doch der ruft von seinem Sitze am Ofen aus,
wenn er herausspringe, so werde Jeder, den er zu fassen be-
komme, in tausend Sttlcke gerissen werden; daraofhin laufen
die Hunde erschrocken davon. Der Bär kommt, dann der Stier;
doch auch ihnen jagt der Fuchs Schrecken ein. Schliesslich er-
scheint der Hahn mit einer Sense und fordert ihn laut auf, heraus-
zukommen, falls er nicht zerschnitten werden wolle. Der er-
schrockene Fuchs springt heraus und wird mit der Sense zer-
fleischt. In einem anderen kleinrussischen Mährchen, in den An-
merkungen Afanassieffs zu dem ersten Buche seiner Samm-
lung, ist dagegen der Fuchs das Opfer, welches die behaarte
Ziege aus seinem Wohnsitze vertreiben will. Mehre Thiere, Wolf,
Löwe und Bär bieten ihre Hilfe an; doch nur dem Hahn allein
gelingt es, den Eindringling wieder herauszutreiben. Hier erscheint
der Hahn als der Freund des Fuchse» und der Feind der Ziege.
Bei Afanassieff HI, 23 vertheidigt der Fuchs das Schaf gegen
dto Wolf, der es beschuldigt, sich in sein Fell gehüllt zu haben,
und stürzt durch seine Schlauheit den Wolf ins Verderben. IV, 3
retten Katze und Lamm den Hahn vor dem Fuchs; diese Wider-
sprüche erklären sich durch die zwiefache mythische Bedeutung,
die wir oben dem Fuchs zugewiesen haben, und durch seine
Doppelnatur als Abend- und als Morgen- Aurora. Am Abend be-
trügt er gewöhnlich den Helden, am Morgen das Ungeheuer. Bei
Afanassieff IV, 2 ersucht der Fuchs den Hahn, vom Baume
herabzukommen, um ihm zu beichten. Der Hahn thut es und
soll eben vom Fuchs verspeist werden ; da schmeichelt er diesem
so,, dass er ihn entschlüpfen lässt. (Der Sonnenhahn, in der
Nacht in Gewalt des Fuchses, entwischt ihm und kommt am
Morgen wieder hervor.) Das Mährchen IV, 3 giebt uns den inter-
essanten Text der Worte, mit denen der Fuchs den Hahn be-
trügt:
^Uähncheti, Hähnchen,
Mit dem goldenen Eämmofaen,
Mit dem Butterkopf,
Mit der Stirn Ton geronnener Milcht
Zeig* Dich am Fenster;
446
Ich geb' Dir etwas Uaferschleim
In einem rothen Löffel/* '
Vom Fuchs gefangen, ruft der Hahn den Beistand der Katze
an nnd schreit: ,,Mieh bat der Fachs fortgeschleppt; er trag mich;
den Hahn ; in den finst^n Wald, in ferne Lande ^ in fremde
Lande, aaf die dreimalneante (siebenandzwanzigste) Erde, in das
dreissigste Königreich; Katze Catonaieyi6, rette mich!'^
Die Schelmenstreiche des Fachses sind jedoch weit mehr im
Occident als im Orient berühmt. Ein Sprichwort sagt, dass, am
aU die hinterlistigen Schurkereien des Fachses aufzuschreiben,
alle in Ghent fabricirten Stoffe, als Pergament verwandt, nicht
ausreichen würden. Dieses Sprichwort rechtfertigt mich, wenn
ich nur wenig davon sage, weil ich nicht so viel sagen darf, als
ich wünschte. Griechen und Römer ergehen sich in unzähligen
Betrachtungen über die Schlauheit und die Falschheit des Fuchses.
Der cynische Maccbiavelli stellt im 18. Kapitel des „Principe^'
den Grundsatz auf, ein guter Fürst müsse zwei Thieren nach-
ahmen, dem Fuchse und dem Löwen (d. h. müsse Schlauheit und
' „Pietushök, pietusbök,
Zalatöi grebesbök,
Mäsliannaja galovka, *
Smiatanij lobök;
Vigbliani v oshko;
Dam tebie kashki,
Na krasDoi loszkie/*
lu einem noch nicht veröfientlicbten toscaniscben Mäbrcben, das leb
in Antignano bei Livomo enäblen borte, will ein Uabncben mit seinem
Vater (dem Hahn) in die Maremma geben, um Futter zu sucben. Sein
Vater rätb ibm, es nicht zu tbun, aus Furcbt vor dem Fuchs; doch das
Küchlein ist eigensinnig; auf dem Wege triftt es den Fucbs, der es auf-
fressen will, als das Hübnchen ibn bittet, es docb in die Maremma geben
zu lassen, wo es fett werden, Eier legen , Junge ausbrüten und so dem
Fucbse mit einem viel gebaltreicberen Aiahle aufwarten werde, als es jetzt
könne. Der Fucbs ist zufrieden. Das Hübncben brütet bundert Junge
aus; als sie gross geworden sind, machen sie sich auf den Heimweg; jedes
Ton ihnen trägt eine Aebre' im Schnabel, nur das jüngste nicht. Auf dem
Wege treffen sie den Fucbs, der auf sie wartet; verwundert beim AnbUck
der Tbiere, die aUe Stroh im Schnabel baben, fragt er die Alte, was sie
denn tragen. „Lauter Fuchsschwänze,^' entgegnet diese; der Fucbs giebt
Fersengeld. — Den Fuchsschwanz in Verbindung mit Komäbren finden
wir in der Sage von Simson; der brandstifbende Fucbs findet sich auch
bei Ovid, Fasti IV, 705. — Bei Sextus Empiricus lesen wir, dass
ein Fuchsschwanz, einem schwachen Elbemann an den Arm gehängt, dem-
selben von grossem Nutzen ist.
447
Kraft besitzen), doch besonders dem Fuchse; und dies entspricht
der Sentenz, welche von Plutarch (in den Moralia) dem Lysander
beigelegt wird ; „Wo das Löwenfell nicht genügt, kleide dich in
das des Fuchses". Aristoteles betrachtet im nennten Buche der
Tbiergeschichte den Fuchs ebenfalls als den Freund der
Schlange; wahrscheinlich wegen der Analogie, welche zwischen
ihnen in Bezug auf Falschheit nach einem andern griechischen
Sprichwort besteht, welches sagt: „Wer triumphiren will, muss
sich mit der Stärke des Löwen und der Klugheit der Schlange
waffiien". Ein sprichwörtlich gewordener lateinischer Vers sagt:
„Vulpes amat fraudem, lupus agnam, femina laudem/^
Es giebt in der griechiscUen und römischen Fabelwelt kaum
ein Thier, welches nicht vom Fuchs betrogen wird; nur dem
Fuchs allein gelingt es nicht, den Fuchs zu täuschen. Bei Aesop
versucht ein Fuchs, der in einer Falle seinen Schwanz verloren
hat, die anderen Füchse von der Nutzlosigkeit dieses Anhängsels
zu überzeugen; diese jedoch entgegnen, er würde ihnen eine
solche Belehrung gar nicht haben zukommen lassen, wenn er
nicht selbst recht gut wüsste, dass der Schwanz ein nützliches
Glied ist Der Fuchs betrügt den Esel, den er dem Löwen zur
Beute fallen lässt (wie im Pandatantra) ; er betrügt den -Hasen,
den er dem Hunde in die Hände spielt; dieser kommt jedoch bei
Verfolgung des Hasen um Hase und Fuchs ; ' er betrügt die Ziege,
welche er in den Brunnen lockt und darin ihrem Schicksal über-
lässt; er täuscht auf mehrfache Weise bald den Hahn, bald den
Wolf; und er spielt sogar dem mächtigen Könige der Thiere
seine Streiche, wobei er jedoch auch zuweilen Unglück hat. Eine
schöne Fabel des Thomas Morus zeigt uns das Gegenstück zu
der griechischen Fabel von dem- Fuchs und dem kranken
Löwen, d. h. den kranken Fuchs, der von dem Löwen besucht
wird:
„Dum jacet aogusta vulpes aegrota caveraa,
Ante fores blando constitit ore leo. *
Etquidy amica, vale. Cito me lambeute valebis,
Nescis in lingua vis mihi quanta niea.
' So kann im Mjrthus der üund des Kephalos durch eine Bestimmung
ded Schicksals den Fuchs nicht einholen; weil jedoch andrerseits durch
eine Bestimmung des Schicksals auch Niemand dem Hunde des Kephalos
entrinnen kann, so werden Beide, Hund und Fuchs, auf den Befehl des
Zeus in Steine verwandelt (die beiden Auroren oder die untergehende
Sonne und der untergehende Mond).
I
i
448
Lingua tibi medica est, vulpes ait, at nocet illnd,
Vicinos quod habet tarn bona lingua malos/'
Wenn wir nun gar in das Mittelalter kommen; so entwickelt
sich die Fabel von dem Fuchs in solcher Mannigfaltigkeit; dass
das Studium aller Phasen, die sie durchmacht; das Thema eines
besondern Werkes werden mttsste.^ Es genüge hier die Bemer-
kung; dasS; um die Idee des Fuchses als des Typus jeder Art
von Bosheit und Schlauheit in Flandern und in der Folge in
Frankreich und Deutschland populär zu machen; es der Priester
ist; welcher meistentheils die menschliche Verkörperung des männ-
lichen Reinart ist. Die Procession du Renart ist berühmt;
es war eine Farce, von Philipp le Bei 1313 bei (Gelegenheit seines
Streites mit dem Papste Bonifacius VIII. ersonnen und von den
Pariser Scholaren in Scene gesetzt. Die Hauptperson war ein in
ein Fuchsfell gehüllter und darüber eiü Chorhemd tragender Mann,
dessen Hauptbeschäftigung es war, Hühnchen zu jagen. Diese
Gestalt der Satire gegen die Kirche geht jedenfalls auf frühere
Zeiten zurück, bis auf die Epoche der ersten Differenzen zwischen
Kirche und Reich im XI. Jahrhundert, in welchem zwei lateinische
Gedichte auftauchten, Reinardus Vulpes und Ysengrimus;
mit dem Schisma von England und der Reformation des XVI.
Jahrhunderts wurde jedoch Reinardus Vulpes' entschieden
ein römischer Fuchs. Die Feinheit und Vollkommenheit des
Gedichtes, welches S. Naylor, sein englischer Uebersetzer, die
„unheilige Schriit der Welt'' nennt, vermehrte noch die Popularität
des Fuchses und machte ihn noch sprichwörtlicher. Die Haupt-
themen des Gedichtes waren sphon da, nicht allein in mündlicher,
sondern auch in schriftlicher Uebcrliefernng; sie wurden geordnet
und gruppirt, und dem Fuchse ward eine menschlichere, eine
boshaftere, ja, eine noch heuchlerischere und pfäffischere Natur
denn bev*or gegeben; leider jetzt nur mehr denn je —
„Urbibus et castris regnat et ecclesiis."
Macchiavelli, St. Ignazio di Loyola und St Vincenzo de' Paoli
' Diese Arbeit ist allerdings fast schon vollständig besorgt, wenigstens
was den fränkisch-germanischen Theil betri£ft, in der gelehrten und inter-
essanten Einleitung (pp. 5 — 163), welche Ch. Potvin seiner gebundenen
Uebersetzung des Roman duEenard (Paris, Bohu^; Bruzelles, Lacroiz,
1861) vorausgeschickt hat. Ich höre, dass Prof. Scbiefher vor drei Jahren
in Petersburg Vorlesungen über das Mährchen vom Fuchs gehalten hat,
weiss jedoch nicht, ob dieselben publicirt worden sind.
449
haben dafür gesorgt ^ seinen Typus über die ganze Welt zu
verbreiten.
Der Wolf ist besser, wenn er ein Wolf ist, denn dann wissen ^
wir wenigstens, was er will ; wir wissen, dass er unser Feind ist,
und sind infolge dessen auf unserer ßut; doeb auch er verkleidet
sich bisweilen durck Betrug und Zauberei als Schaf, als Schäfer,
Mönch oder Bttsser, gleich Ysengrim, und hat von diesem Ge-
sichtspunkt ans nicht wenig Aehnlichkeit mit seiner Pathe, dem
Fuchse; es ist bekannt, dass unter den Streichen Reinarts auch
eine aussereheUche Verbindung mit der Wölfin ist.
Schon im Bigveda finden wir mehre interessante mythische
Daten über den Wolf; er ist darin ganz und gar dämonisch, wie
der erschöpfte Vrika, welchem in einem Hymnus die A^vins seine
Kräfte wiedergeben, * mir nicht der Wolf, sondern die Botenkrähe
zu sein scheint, welche während der Nacht den Sonnenhelden
tragen moss.
Im Bigveda^ sagt der Fromme, dass einstmals der röth-
liehe Wolf (welcher hier mit dem Schakal oder dem Fuchs ver-
wechselt zu werden scheint) ihn auf dem Wege kommen sah, und
dass er erschrocken floh ; ^ er ruft die (glänzende) Nacht an, den
Wolf, den Räuber weit fort zu senden,^ und den Gott Pdshan
(die Sonne), den bösen Wolf, den bösen Geist, von dem Pfade der
Frommen zu entfernen, den Wolf, den wegelagemden, diebischen,
betrügerischen, falschen. ^ Nachdem der Dichter den Feind Vrika
genannt hat, bittet er, mit Verwünschungen, dass er seinen eignen
Körper zerreisse ; ^ und das wilde, zaubermächtige Thier, ^ welches
Indra tödtet, ist wahrscheinlich ein Wolf. Doch glaube ich ausser-
dem in dem Kigveda den lupus piscatör der russischen
und westlichen Sage zu finden (nach Aelian gab es den Fischern
befreundete Wölfe am Palus Maeotis). Im seehsundfunfzigsten
» Vrik^^ öi^ ^a^ün^tk ^ktam; Rigy. yil, €iÖ, 8. — Der d«^k-
bare Wolf und die dankbare Krähe leisten dem Iwan Tzarevid gemein-
samen Beistand bei A fan. II, 24.
* Aruno mä sakrid vf ika^ pathä yantam dadar9a hi u^ gihite niddyya ;
Rigv. I, 105, 18. *
* Yävayä vi'ikyam vrikam yavaya stenam drmya; Rigv. X, 127, 6. —
Ein Wolf, im Traum gesehn, kündigt nach Cardano einen Räuber an.
< Yo nah püshann agho vriko duh9eva &dide9ati apa sma tvam patho
^ahi — Paripanthinam mashivftnam hnra9ditam — Dvayftvinai^; 9^6^* I)
42, 2-4.
* Svayam ripus tanvam ririshishta; Rigv. VI, 51, 6. 7.
* Mäyinam mrigam; Rigv. I, 80, 7.
Ouberufttls, «U« Thiere. 29
!
450
Hymnus des achten Buches ruft Matsya (der Fisch) die ädityas
(d. h. die glänzenden Götter) an, ihn und die Seinigen aus dem
Rachen des Wolfes zu befreien. So müssen wir in einer andern
Strophe desselben Hymnus mit Grund annehmen , dass es ein
Fisch ist, welcher spricht, wenn sie, die einen schrecklichen Sohn
hat (d. h. die Mutter der Sonne), apgerufen wird als Beschtttzerin
vor dem , der in den seichten Wassern sie zu tödten versucht. *
Wir finden auch einen in seichtem Wasser liegenden Fisch aus-
drücklich in einem anderen Hymnus erwähnt, * was uns beweist,
dass das Bild des Fisches ohne Wasser, welches in der späteren
indischen Sage eine weite Entwicklung erfuhr, schon dem vedi-
sehen Zeitalter vertraut war. Wir finden den Hund als dert
Feind des Wolfes in den indischen Worten vrik&ri, vrikar&ti
und vrikadan^a. (Bei Afanassieff IV, 13 will der Wolf den
Hund fressen; der Letztere, welcher sich zu schwach zum Wider-
stände fahlt, bittet den Wolf, ihm etwas zu essen zu bringen, damit er
grösser und dem Gaumen des Wolfes angenehm werde; als er
sich jedoch ordentlich re'staurirt bat, ftlhlt er Kraft und jagt den
Wolf in die Flucht. Die Feindschaift des Hundes und des Wolfes
wurde auch volksthfimlioh in den äsopischen Fabeln.)
Schon im Rämäyana^ treffen wir den sprichwörtlichen
Ausdruck von den Schafen, die sich nicht mehren, wenn sie der
Wolf oder Schakal hütet (rakshayämanä na vardhante meshä
gomäyunä).
Im Mahäbharata heisst der zweite der drei Söhne Euntis,
der starke, schreckliche und gefrässige Bhima, Wolfs bauch
(Vrikodara, der in die nächtliche oder winterliche Dunkelheit
eingeschlossene Sönnenheld). Hier zeigt der Wolf eine heldische
und mitleidige Natur, wie er im Tuti-Name,* obwohl sehr aus-
gehungert, Mitleid mit einem Mädchen hat, welches sich zu einem
Stelldichein begiebt; wie er in demselben Tuti-Name^ dem
Löwen gegen die Mäuse hilft, und wie in der Erzählung von
* Te na äsno vrikftnäm ädity^o mumodata; ^ig^- ^HI* ^9 1^* "^
Parshi dine gabhfra ftn ugraputre ^ighUnisatal^ ; Rig^> VIII, 56, 11.
* Matsyam na dina udani kshiyantam; $igv. X, 68, 8.
" III, 45. — In der 22. Nacht des Tat i- Name (p. 125) dringt da-
gegen der Wolf in die Höhle des Schakals ; hier sind also Wolf und Scha-
kal schon von einander unterschieden, nämlich als rother and schwarzer
Wolf.
* I, p. 253.
* 1, p. 271.
451
Ardshi Bordshi der Wolfssohn, der die Sprache der Wölfe ver-
steht^ diese den Eaufleaten lehrt; bei denen er lebt; wie die
russische Wölfin, welche ihre Milch dem Iwan Karolievic giebt,
damit er sie der Hese, seinem Weibe, bringe, welche sie von ihm
verlangt hatte, in der Hoffnung, dass er dabei nms Leben kommen
werde ; ^ und wie die Wölfin des fünfzehnten ehstnischen Mähr-
ebens, welche auf das Oeschrei eines Kindes herbeikommt und
es mit ihrer Milch nähK. Das Mährchen erzählt uns, dass die
Mutter des Kindes selbst Wolfsgestalt angenommen hatte und,
wenn sie allein war, ihre Wolfskleidung auf einen Felsen legte,
um als nacktes Weib ihrem Kinde die Brust zu reichen. Ihr Ge-
mahl, davon unterrichtet, befiehlt, den Felsen heiss zu machen,
so dass das Wofsfell, wieder darauf gelegt, verbrennt und er so
seine Gattin wiedererlangt Die Wölfin, welche den Zwillingen
Romulus und Bemus in der römischen Sage die Milch giebt, ist
nicht weniger ein Weib als die säugende Wölfin des ehstnischen
Mährchens. ^ Der germanische Held Wolfdietrich, die Wölfe,
welche in russischen Mährchen fOr den Helden jagen, dem Mars
und dem Thor als ihre Jagdhunde geweiht, haben dieselbe segens-
reiche Natur. (Die Abend-Aurora kleidet sich in der Nacht in
ein Wolfsfell, nährt als Wölfin den neugeborenen Sonnenhelden,
und legt am Morgen ihr Wolfsfell ab auf den feurigen Felsen des
Ostens, worauf sie ihren Gatten wiederfindet) Was uns Solinus
von den Neuri erzählt, nämlich, dass sie sich zu bestimmten
Zweiten in Wölfe verwandelten, und was uns von den Arkadiem
berichtet zu werden pflegte, sie würden, wenn sie über einen ge-
wissen Sumpf gingen, auf acht Jahre Wölfe, giebt uns eine neue
Vorstellung von den zoologischen Verwandlungen des Sonnenhelden. ^
> Vgl. A fan. VI, 51. V, 27. 28.
* Es beisst aach, dass die Amme der romischen Zwillinge eine Bub-
lerin war, weil lupae oder lupanae feminae Namen waren, mit denen
man solche Weiber beseichnete, woher auch der Name lupanaria för
die Bordelle : „Abscondnnt spurcas haec monumenta lupas.'* Olaos liag-
nus schreibt, dass Wölfe, dorch den Gerach angezogen, schwangere Frauen
anfielen, daher der Braucht Schwangere nicht ohne Begleitung eines be-
wa£fneten Mannes ausgehen zu lassen. Die Alten glaubten, dass der Phal-
lus des Wolfes, gebraten genossen, die Venus errege.
' In den Legendes et Croyances Superstitieuses de la
C reuse, ges. von Bonnafoux, Gu^et 1867, p. 27, lesen wir über den
loup garou, dass der Wolf Jedem dankt, der ihn verwundet. Es heisst,
dass die in dem Fell des loup garou Verborgenen verdammte Seelen sind :
„Chaque nnit ils sont fore^ d'aller chercher la maudite peau k un endroit
29*
452
Bei Lafontaine ^ treibt der Schatten des Wolfes am Abend das
Schaf in die Flucht. Als verwandelter Held zeigt sich der Wolf
von einer gtttigen^ günstigen Seite. Nach Baronins zeigte sich
im Jahre 617 eine Anzahl Wölfe bei einem Kloster und zerriss
mehre Mönche, welche ketzerischen Irrlehren anhingen. Die von
Gott gesandten Wölfe zerrissen auch die tempelschänderischen
Diebe der Armee Francesco Marias, des Herzogs von Urbino,
der den Schatz des Hlgen Hauses von Loreto hatte in seinen
Beutel stecken wollen. Ein Wolf bewachte und schlitzte gegen
die wilden Thiere den Kopf St. Edmunds, des Märtyrers, Königs
von England. St. Oddo, Abt von Clugny, wurde auf einer Pilger-
fahrt von Füchsen angefallen, von einem Wolf befreit und be-
gleitet; so zeigte ein Wolf dem seligen Adam den Weg, ebenso
wie bei Hero dot die Wölfe den Priestern der Ceres als Führer
dienten. Als einst ein Wolf zwei Stuten zerrissen hatte, welche
einen Karren zogen, wurde er von St. Eustorgius gezwungen,
den Karren an ihrer Stelle zu ziehen, und seinen Befehlen zu ge-
horchen. St. Norbert zwang einen Wolf, erst ein Schal*, das er
in den Klauen hielt, fahren zu lassen, und dann das Schaf den
ganzen Tag zu hüten, ohne es zu berühren. Wir lesen in der
Jugendgeschichte des syrakusischen Herrschersund Helden Hiero IL,
dass einst, als er in der Schule war, ein Wolf ihm seine Schreib-
tafel entführte, um ihn zur Verfolgung zu reizen; kaum war
Hieron heraus, als der Wolf in die Schule zurücklief und den
Lehrer sammt den andern Schülern umbrachte.
Sogar nach seinem Tode ist der Wolf nützlich. Die Alten
hielten ein Wolfsfell, von Jemandem, den ein toller Hund gebissen,
umgenommen, für ein Zaubermittel gegen Wasserscheu. Nach
Plinius erleichtert Reiben von Wolfszähnen am Zahnfleisch den
Kindern das Zahnen (was ganz glaublich ist; nur dass jeder an-
dere scharfe Zahn dieselbe Wirkung haben würde, indem er die
coovena et ib courent ainsi jusqu*^ ce qu'ils rencontrent une äme chari-
table et courageuse qui les ddlivre en les blesaant/^
1
1»
devant qu'il füt uuit
11 arriva nouvel encombre;
Un loup parat, tout le troupeau s^enfuit
Ce n'^it pas un loup, ce n'eo dtait que Tombre.'*
Die Schafe thateo jedoch Recht daran, zu fliehen. In der Edda sagt die
vierte Schwalbe: „Wenn ich des Wolfes Ohren sehe, so denke ich, dass
der Wolf nicht weit davon ist'* Das Zwielicht ist der Schatten oder das
Ohr des Wolfes.
458
Zähne eher hervorkommen lässt). In 8icilien ^aabt man, dass
ein Woliskopf den Mnth erhöht^ wer auch immer ihn anfeetzt.
In der Provinz Girgenti werden flir Kinder, welche die Eltern
gern stark, tapfer and kampflustig aufwachsen sehen möchten,
Schuhe aus Wolfsfell gemacht. Sogar die Thiere, welche von
Personen in solchen Schuhen geritten werden, werden von ihrem
Schmerz geheilt. Das Thier allupatu (d. b. welches einmal von
einem Woli gebissen worden ist) wir4 unverwundbar, und fühlt
nie Schmerz irgendwelcher Art. In Sicilien glaubt man auch,
dass wenn ein Wolfsfell im Freien aufgehängt ist, es Trommel-
telle platzen lässt, wettn sie geschlagen werden. Dieser Aber-
glaube erinnert uns an die Fabel von dem Fuchs, der sich durch
Zerreissen des Trommelfelles oder durch Zerbeissen der Bogen-
sehne tödtet; die mythische Trommel (d. h. die Wolke) wird zer-
stört, wenn dem Wolfe das Fell abgezogen wird. In einer äso-
pischen Fabel empfiehlt der Fuchs dem kranken Löwen das
Wolfsfell als Heilmittel.
Doch gewöhnlich zeigt sich 4er Wolf der Sage diabolisch;
und wie der Dämon bald als ein Meister in jeder Art von Falsch-
heit und Bosheit, bald als ein Narr dargestellt wird, so auch der
Wolf. Im griechischen Mythus würde Lycaon, der Klteig von
Arcadien, ein Wolf, weil er Menschenfleisch gegessen halte. Nach
Servius raubten die Wölfe unter dem Volke, welches deswegen
Hirpini hiess (im Sabinischen heisst der Wolf hirpus), die
Eingeweide des dem Pluto dargebrachten Opferthieres und brachten
dadurch eine Pestilenz ttber das Land. Wölfe zerrissen den Hel-
den Milo im Walde. Wölfe sind Vorboten des Todes; der loup
garou der französischen Volkssage ist eine diabolische Gestalt. *
In der Edda wollen die beiden Wölfe Sköll und Hati der eine
die Sonne und der andere den Mond ergreifen; der Wolf ver-
schlingt die Sonne, den Vater der Welt, und gebiert eine Tochter.
Er wird darauf von Vidarr getödtet. Hati geht dem glänzenden
Verlobten des Himmels voraus; der Wolf Frenis, der Sohn des
dämonischen Lokis, beisst, von den Äsen gefesselt, dem Hdden
Tyr die Hand ab, welche ihm dieser als ein Unterpfand der
' Lou8 loups'garous soun gens counio nous autes; m^ an heyt un
countrat dab lou diable, e cado s^ aoun four^atz de se cambia en bestios
per ana au sabbat e courre touto la neyt. Y a per aco un mouy^ de
lous goari. Lous cau tira sang pendent qn* an perdut la forme de l*home,
e asta leu la reprengon per toutjour; Blad^, Contes et Proverbes
Populaires recueillis en Armagnac, Paris 1867, p. 51.
*
454
Treue der Äsen in den Rachen gesteckt hatte. ^ Der Nanna des
Pentamerone wird^ nachdem er die Welt durchreist hat; in
die Gestalt eines Wolfes gehttUt, und wechselt Charakter und
Farbe ; indem er boshaft wird; die drei Söhne des Königs der
Finnen gehen, das Wolfsthal am Wolfssee ^ zu bewohnen, und
finden dort drei spinnende Weiber, welche sich in Schwäne ver-
wanden können. Am Weihnachtsabend trifift der König Helgi
eine Hexe, die auf einem Wolf reitet und Schlangen als Zttgel
hat* Wölfe fressen einander; der Wolf Sinfiölti wird ein
Eunuch; der Wolt, welcher vor dem Helden flieht, ist ein Vor-
zeichen des Sieges, ebenso wie der Wolf, welcher unter den Zwei-
gen einer Esche heuk. (Das Heulen des Wolfes , das Schreien
des Esels, das Zischen der Schlange, kttnden den Tod des dämo-
nischen Ungeheuers an; dieses Heulen muss nothwendig am
Morgen oder im Frühling stattfinden, wenn der Held seine Kräfte
wiedererlangt hat, da die Edda sagt, dass „ein Held nie gegen
Sonnenuntergang kämpfen darf.") Wenn Gunnar (der Sonnen-
held) sein Leben verliert, wird der Wolf Herr des Schatzes und
des Erbes Nifl's ; die Helden braten den Wolf. Alle diese Einzel-
heiten der Sage vom Wolf in der Edda kommen zusammen, um
uns den Wolf als ein finsteres und diabolisches Ungeheuer zu
zeigen. Die Nacht und der Winter ist die Zeit des Wolfes bei
mittelalterlichen Schriftstellern ; die Götter, welche nach der deut-
schen Sage in Wolfisfellen auftreten, stellen die Sonne dar als
sich in der Nacht oder in der schneeigen Winterszeit verbergend
(daher der dämonische weisse Wolf eines russischen Mährchens ^
' Wir sollten vielleicht hier die von Caesarios Heisterbaciensis ange-
führte Sage hinzufügen, nach welcher ein Wolf ein Mädchen in den Arm
beisst und sie an einen Ort sieht, wo noch ein Wolf ist; je mehr sie
schreit, desto wüthender beisst der Wolf. Der andere Wolf hat einen
Knochen in der Kehle, den das Mädchen herauszieht; hier spielt das Mäd-
chen die Rolle des Kranichs oder Storches der Fabel; der Knochen kann
bald der Mond, bald die Sonne sein.
' Siehe Völundarkv. Einl.
* An einer andern Stelle der Edda sitzt der Adler auf dem Wolf.
Nach dßr römischen Sage von der Gründung Laviniums sahen die Trojaner
ein sonderbares Wunderzeichen. Ein Brand wüthet in den Wäldern; der
Wolf bringt trockene Zweige in seinem Munde, um es besser brennen zu
machen, und der Adler hilft ihm, indem er die Flammen mit seinen
Schwingen anfacht. Der Fuchs dagegen taucht seinen Schwanz ins Was-
ser, um das Feuer damit zu loschen; es gelingt ihm aber nicht
♦ Vgl. Afan, III, 19.
456
inmitten sieben schwarzer Wölfe). Sofern der Sonnenheld ein
Wolf wird, hat er eine göttliche Natur; sofern dagegen der Wolf
die eigentliche Gestalt des Teufels ist, ist seine Natur durchaus
bösartig. Der verdammte Mensch, der geächtete Verbrecher, der
Bandit, der utlagatus oder Vogelft*eie trugen nach der Sage
des Mittelalters ein caput lupinum (in England, wulfes-
heofod; in Frankreich, teste loeue). Der Wolf Ysengrin,
theils von dem äsopischen Wolf, theils aus skandinavischen, in
Deutschland, Flandern und Frankreich verbreiteten Mythen stam-
mend, besitzt viel von der diabolischen Verschlagenheit des Fuch-
ses; er wendet gewöhnlich gegen die Schafe dieselben Schliche
an, wie der Fuchs, wenn er Hühnchen in die Falle locken will.
Das französische Sprichwort lässt den Fuchs den Vögeln predigen;
das italienische lässt den Wolf, der die Schafe ködern will, Psal-
men singen. Wie wir Schakal und Fuchs im Orient verwechselt
sahen, so werden in der occidentalischen Sage Reinart und Tsen-
grin bisweilen wegen ihrer Schlauheit identificirt. Ein neuerer
französischer Schriftsteller, der den Wolf beobachtet hat, sagt, er
sei „effrayant de sagacity et de calcul.^' ^ Bei A fa n. II, 2 geht
derselbe Zauberer- Wolf, der die Zicklein durch Nachahmung der
Stimme der Ziege zu täuschen gewusst, zu dem Hause eines alten
Mannes und einer alten Frau, welche fänf Schafe, ein Pferd und
ein Kalb haben. Der Wolf kommt und fängt an zu singen. Die
Alte bewundert den Gesang und giebt ihm ein Schaf, dann die
anderen, dann das Pferd, sodann das Kalb und endlich sich
selbst. Dem allein gebliebenen Alten gelingt es schliesslich, den
Wolf fortzujagen. In dem vorhergehenden Mährchen, in welchem
die Thiere einander die Schuld zuschieben, giebt der dämonische
Wolf, als die Reihe an ihn kommt, Gott die Schuld. Wir sprachen
schon von dem Wolf, der auf den Befehl des St. Enstorgius den
Karren an Stelle der von ihm gefressenen Stuten zieht. Bei Afa-
nassieff III, 25 kommt der Wolf zu dem schlafenden Arbeiter
■ Les loups, qui ont tr^ peu d'amis en France, et qui sont oblig^
d'apporter dans toutes leurs d^arches une excessive prudence, chaasent
presque toujours k la muette. J'ai dt^ plusieurs fois en position d*admirer
la profondeur de leurs combinaisons strat^gique; c*est ^frayant de saga-
city et de calcul; Toussenel, L'Esprit des B^tes, I. — Aldrovandi, De
Qu ad r up. Dig. Vi v. II: „Lupi omnem vim ingenii naturalem in ovibus
insidiando exercent; noctu enim oyili appropinquantes, pedes lambunt, ne
strepitum in gradieudo edant, et fpliis obstrepentibus pedes quasi rep«
mordeot/*
4Ö6
tiütl bbriecfat ihn; der Arbeiter erwacht ^ fosst den WM beim
Sehwanze ^ und tödtet ihn. Ein anderes Mal trifift derselbe Ar-
beiter ^ als er mit seinem Vater auf die Jagd geht^ nachdem er
sich mit Geld bereichert hal^ das in einer verlassenen Mühle ron
drei Rilubem versteckt worden war, wiederum zwei Wölfe,
wdche die Pferde fressen, sich dabei aber so in das Geschirr ver-
wickeln y dass sie selbst den Wagen wieder nach Hause ziehen
müssen; hier haben wir also das Wunder des St. Eustorgius auf
sein natüiliches mythisches Verhältniss zurückgeführt. Hier zeigt
sich d^ Wolf offenbar das erste Mal als ein dummes Tfaier; der
Dämon lehrt dem kleinen Sonnenhelden am Abend seine Künste,
und wird vom Helden selbst am Morgen verrathen; der Fuchs
betrügt den Sonnenhahn am Abend, virird aber am Morgen selbst
ton ihm foetrogeii; dem Wolf glückt am Abend seine böse That,
am Morgen stürzt er sich selbst ins Verderben. Wir erwähnten
schon das n(H*w^8che Mährchen von dem kleinen Schmierbock,
der, von der Hexe in einen Sack gesteckt, zweimal ein Loch in
den Sack macht und entflieht; das dritte Mal lässt er die Hexe
ihre eigene Tochter frdssen. Schmierbock ist der Widder; die
Hexe odejr Nacht steckt ihn in den Sack. In dem piemonte-
sisehen' und in dem russischen Mährehen haben wir statt des
Schmierbockes Piecolino (den sehr Kleinen) und Klein-Fingerchen
' Im PiemonteBiscIien erzählt man die Anekdote , dass «Jemand eiüst
einen Wolf traf, seine Üand diesem so weit in den KadieA steckte, dass
sie deki Schwanz anf der andern Seite erreichte, und dann den Schwanz
dem Wolf durch den Leib und Hos dem Rachen herauszog, so dass der
von innen nach aussen gekehrte Wolf starb.
' In einem sehr populären, aber noch nicht veröffentlichten piemon-
tesischen Mährchen sitzt Piecolino auf einem Baume und isst Feigen; der
Wolf kommt votbei, und verlangt einige, indem er droht: „Piculin, dame
ihi fig, dass no , i te mangiu." Piccotino wirft ihm zwei hinunter, die dem
Wolf derb auf die Nase schlagen. Nun droht der Wolf, ihn zu fressen,
wenn er ihm nicht eine Feige herunterbringe; Piecolino gehorcht; der
Wolf steckt ihn in einen Sack und trägt ihn in sein Haus, wo schon die
Mutter- Wölfin wartet. Auf dem Wege überkommt den Wolf jedoch ein
Bedürfhiss und er muss sich etwas seitwärts von der Strasse schlagen;
mittlerweile macht Piecolino ein Loch in den Sack, kriecht heraus und
legt einen Stein an seine Stelle. Der Wolf kommt zurück , nimmt den
Sack auf die Schultern, stellt aber seine Betrachtungen darüber an, dass
Piecolino viel schwerer geworden ist Er geht nach Hause und sagt der
Wölfin, sie solle lustig sehoi und in dem Kessel Wasser heiss machen; er
schüttet den Sack in das heisse Wasser aus; der Stein macht das siedende
Nass dem Wolf auf den Kopf spritzen » und er wird zu Tode verbrüht.
<
457
(malcik-8 palcik, d. h. der kleine Finger, welcher nach dem Volks-
aberglauben der weise ist). Das russische Mährchen ist folgendes :
Eine alte Frau schneidet sich beim Backen eines Kuchens (des
Mondes) den kleinen Finger ab und wirft ihn ins Feuer. Aus
dem kleinen Finger im Feuer wird ihr ein zwerghafter, aber sehr
starker Sohn geboren, der später viele Wunderthaten verrichtet.
Eines Tages verspeist er die Kaidaunen eines Ochsen im Walde;
der Wolf kommt vorbei und verzehrt Zwerg und Kaidaunen mit
einander. Darauf nähert sich der Wolf einer Schafherde, doch
der Zwa^ schreit aus dem Bauehe des Wolfes: ,,Schäfer, Schäfer,
Du schläfst und der Wolf stiehlt ein Schaf." Der Schäfer ver-
jagt den Wolf, der seinen unruhigen Oast gern los werden möchte ;
der Zwerg ersucht nun den Wx)lf, ihn zu seinen Eltern nach
Hause zu bringen; kaum sind sie dort angekommen, als der
Zwerg zu dem Hintertheil des Wolfes herauskommt und den Wolf
am Schwänze packt^ mit dem Rufe : „Schlagt • den Wolf todt,
schlagt den Grauen todt" Die alten Leute kommen und tödten
den Wotf. * Der mythische Wolf stirbt bald nach nur einer
Nacht, bald nach nur einem Winter des Lebens. Es wurden je-
doch dem mythischen Wolf Bastardsöhne geboren, die, nur ihr
Fell wechselnd, lange Zeit unter den Sterblichen wohnten, inmitten
der btlrgerliehen €resell6chaft> jedoch mit Beibehaltung ihrer
Wolfsgewohnheiten. Das französische Sprichwort sagt: ^Le loup
alia ä Rome; il y laissa de son poil et rien de ses coutumes."
Die heidnische Wölfin nährte mit ihrer Milch römische Helden;
der katholische Wolf, von Dante ' niedergedonnert, nährt sich von
ihnen —
,,£d ha natura si malvagia e ria,
Che mat non empie la bramosa voglia,
£ dopo il pasto ha piü fame che pria.
Molti aön gli animali a cni 8*ammoglia.**
' Vgl. die bekannten englischen Feenmälirchen von Tom- Thumb
tmd Uop-ö*-my-Thumb.
• Inferno, I.
'
4^8
KAPITEL XIU.
Der LVwe, der Tiger , der Leopard , der Panther und das Chamäleon*
Der Tiger and der Löwe haben in Indien gleichen Rang und
sind beide die höchsten Symbole königlicher Stärke and Majestät. ^
Der Tiger der Menschen and der Löwe der Menschen sind zwei
AasdrttckC; die so viel als ,,Fttrst'^ bedeaten^ da man den Fürsten
für den besten Mann hielt. Die Stärke ist es , welche in natür-
lichen Beziehangen Sieg and Ueberlegenheit verleiht; deshalb
stellen der Tiger and der Löwe, die Könige der Thiere genannt,
den König in den socialen Beziehangen anter den Menschen dar.
Der narasinha Indiens hiess im Mittelalter der König par excel-
lence; so warde aach in Griechenland der König läiov genannt
Der Mythas von dem Löwen and dem Tiger ist wesentlich
ein asiatischer; nichtsdestoweniger warde ein grosser Theil da-
von in Griechenland entwickelt, wo Löwe and Tiger za einer
Zeit nicht anbekannt waren and wie in Indien etwas jenem von
orientalischen Königen hervorgebrachten frommen Schrecken Aebn-
liches eingeflösst haben müssen.
Wir erwähnten schon das vedische Ungeheaer: Löwe des
Westens, in welchem wir die erblassende Sonne erkennen. Der
starke Indra, der Tödter des Ungeheaers Vritra, wird ebenfalls
als Löwe dargestellt. Ebenso wie der jüdische Simson in Ver-
bindang mit dem Löwen gefanden wird, and dieser Löwe mit
Honig, and wie die Stärke Simsons and die des Löwen im Haar
ihr Centrum haben soll (mit dem Verlast ihrer Strahlen oder
ihrer Mähne verliert die Sonne all ihre Kraft), so finden wir in
dem parallelen Mythas analoge Umstände. Tvashtar, der himm-
lische Grobschmied der Inder, welcher bald für die Götter, bald
für die Dämonen Waffen fertigt (der röthliehe Morgen- and Abend-
' Herakles, Hector, Achilles unter den griechischen, Wolfdietrich und
einige Andere unter den Helden der deutschen Sage haben diese Thiere
als Abzeichen. Loewe ist der Name von Hildebrand's Ross. Vgl. Die
Deutsche Heldensage von Wilh. Grimm, Berlin 1867. Als Agarista
imd Philipp von einem Löwen träumte, wurde das als ein Vorzeichen be-
trachtet, bei der Ersteren für die Geburt des Pericles, bei dem Letzteren
für die Alezander des Grossen.
l
i
459 ' .
Himmel wird mit einer gltthenden Schmiede verglicben; der
Sonnenheld oder die Sonne in dieser Schmiede ist ein Grobschmied),
wird aach in einem vedischen Hymnus ^ als ein Löwe dargestellt^
welchem zugewandt (d. h. dem Westen zugewandt) Himmel und
Erde sich freuen, obwohl sie (wegen des Lärmens, den er macht,
als er zur Welt kommt) zuerst sehr erschrocken sind. Die Gestalt
eines Löwen ist eine der Lieblingsfiguren, die von dem Grob-
schmied des Mythus und der Sage geschaffen werden.
In dem Märka^deya-P. ' will sich dieser selbe Tvashtar
(den der Bigveda als einen Löwen darstellt) an dem Gott
Indra rächen, der (vielleicht am Morgen) einen seiner Söhne ge-
tödtet hatte, und schafft einen andern Sohn, V^itra (den Bedecker),
indem er eine Haarlocke sich vom Kopfe reisst und sie in das
Feuer wirft (die Sonne verbrennt jeden Abend in der westlichen
Schmiede ihre Strahlen oder Mähne, und das finstere Ungeheuer
der Nacht wird geboren). Indra schliesst mit Vritra einen
Waffenstillstand (in russischen Mährchen fordern fast immer Hel-
den und Ungeheuer vor dem Kampfe einander auf, zu erklären,
ob sie Krieg oder Frieden haben wollen), bricht aber in der
Folge den Vertrag ; fUr diese Treulosigkeit verliert er seine Stärke,
die auf Märuta, den Sohn des Windes (den Hannmant des
Rämäyana; in einem vedischen Mythus wird die Stimme des
Märuta mit dem Brttllen von Löwen verglichen) ^ und auf die drei
Pä^dava-Brttder , die Söhne der Kunti übergeht (damit wird der
Uebergang der Sage aus dem Veda in die beiden Hauptepen der
Inder angezeigt). So verliert in demselben Märkandeya-P.
Indra, als er Ahalyä, die Gattin Gautamas, entehrt hat, seine
Schönheit (in andern puranischen Legenden wird er ein Eunuch
oder hat tausend Bäuche; Indra ist mächtig wie die Sonne; er
ist auch mächtig in der Wolke, vermittelst des Donnerkeiles;
wenn er sich aber in dem heitern und stemenreichen Himmel
verbirgt, ist er machtlos), welche auf die beiden Afvins übergeht,
die sich später in den beiden Pändava-Söhnen Mädrts wieder er-
' Ubbe tvashtar bibhyatur gftyamAn&t pratidi sinham prati ^shayete;
Rigv. I, 95, 5.
' » V.
' Tc svftnino rudriyil varshanirnigah si&hft na hesbakratavah sudftna-
vah; Rigv. III, 26, 5. — In dem böhmischen Mährchen vom Grossvater
Vsieveda wird der junge Held von dem Prinzen, der ihn vernichten
will, autfgesandt, die drei goldenen Haare dieses Grossvaters (der Sonne)
TU holen.
460
neuen, wie üie Söhne der Dämonen in den Söhnen EMiritaräshttas
personificirt werden,
TvÄfthtar, der Scbi^pfer bald göttlicher, bald ungeheuerlicher
Gestalten, Tvashtar der Löwe, muss nothwendig Löwengestalten
schaffen. In einem toscanischen Mährchen feHigt der Orobsehmied
einen Löwen, vermittelst dessen Argentofo bei Nacht in das
Zimmer dner jungen Prinzessin eindringt, mit der er sich ver-
einigt. Im PentameronelV, 3 kehren die drei Prinzenbrüder,
als der Fluch der Fee vorüber ist , mit ihren Bräuten , von sechs
Löwen gezogen, heim. Dieser Löwe- Verführer erinnert uns an
Indra^ der ebenfalls ein Löwe und ein Verführer von Weibern
war. Ein Hymnus sagt uns, dass Indra wie ein schrecklicher
Löwe kättnpft;^ in einem anderen Hymnus wird derselbe Löwe,
wie in der Simsonsage, in Verbindung mit Honig betrachtet.^
In der 22. Nacht des Tuti-Name zeigt sich der Löwe als Herr
von Reich thdmem ; von einem Jilenschen, der ihn einen König nennt,
geschmeichelt, lässt er diesen die Schätze i^ammeln, welche vo^
einer Karawane, die der Löwe vernichtet hat, auf den Boden
gestreut worden sind. ^ Seine Königsnatur wird auch im Rämä-
yana^ gezeigt, in welchem König Da^aratha sagt, dass sein
Sohn Kama, der Löwe der Menschen,' nach seiner Verbannung
verschmähen werde, das Reit^h in Besitz zu nehmen, das Bharata
genossen, ebenso wie der Löwe verschmäht, Fleisch zu essen, das
von anderen Thieren beleckt worden ist. Vielleicht aus diesem
Grunde bedeutet in der Fabel der Löwenantheil die ganze Beute.
Der Stolze wird der Gewaltsame, der Tyrann, und dann das ün-
* Siüho na bhima äyudhäni bibhrat; Rigv. IV, 16, 14. Vgl. I,
174, 3.
' Sinham nasanta inadhvo ayäfiam harim ara bam divo asya patim;
Rigv. IX, 89, 3.
' In der griechischen Fabel will Ptolemaeus, König von Egypten, an
Alexander als Zeichen der Huldigung Geld senden; der Maulesel, das
Pferd, der Esel und das Kamel bieten sich freiwillig an, die Säcke zu
tragen. Auf dem Wege treffen sie den Löwen, der sich ihnen anschliessen
will, indem er sagt; dass er ebenfalls Geld trage; doch an solche Arbeit
nicht gewöhnt, bittet er die andern Vier demüthig, seine Last unter sibk
zu theilen. Sie gehen darauf ein; bald nachher kommen sie durch ein
herdenreiches Land; der Löwe hat Lust, dort zu bleiben und verlangt
sein Geld surück; doch da dieses dem der Anderen gleich ist, so niitfmt
er, um einem Irrthum vorzubeugen, mit Gewalt sowohl sein eigenes als
das ihre.
• II, 62.
461
geheaer. Im A i t a r e y a - B r. " greift die Erde , voll von 6aben
gemacht auf der rechten Seite — d. b. hier, auf dem öfttlichen
Theile — , die von den ädityas (oder (glänzenden Göttern) den
Aügirasen (den sieben Sonnenstrahlen, weisen Männern, dann den
Priestern) dargebracht sind, am Abend die Nationen au mit weit-
geöfinetem Munde, eine Löwin geworden (sinhibhütvä). Im
Rämäyana^ wird der Wagen, der das Ungeheuer Indraft trägt,
mit Ungestüm von vier Löwen gezogen. Im Tuti-Name^ haben
wir die Fabel von dem Löwen, anstatt von dem Wolf, der das
Lamm anklagt, und dem Löwen, der sich vor dem Esel, dem
Stier (wie in der Einleitung zum Panöatantra) und dem Luchs
ftirchtet. Die westliche Löwen-Sonne ist bald ungeheuerlich, bald
alt, bald krank, bald hat sie einen Dom im Fnss,^ bald ist sie
blind, bald närrisch. Das Löwenungeheuer, welches die Wohnung
des Ungeheuers, den höllischen Wohnsitz bewacht, findet sich in
einer grossen Zahl von Volksmährchen. In der griechischen Sage
begegnet uns das Löwenungeheuer mehr als einmal; ein solches
ist der Löwe, welcher das Land des Königs von Megara ver-
wüstet, der dem Helden ftlr die Erlegung des Thieres seine
Tochter zur Gemahlin geben will; ein solches ist ferner die
Löwin, welche mit ihrem blutigen Gebiss (der Purpur im Rachen
des Hundes und das Fleisch darin haben mythisch dieselbe Be-
deutung) Thisbe's Schleier blutig macht, so dass Pyramids sie
für todt hält und sich selbst den Tod giebt; als Thisbe das sieht,
tödtet sie sich in der Verzweiflung ebenfalls (eine alte Gestaltung
des Todes von Romeo und Julia); ein solches ist der von Hera-
kles bezwungene nemäische Löwe; femer der Löwe vom Berge
• VI, 5, 35.
• V, 43
^ I, 229.
• Die Anekdote von Androcles und dem für dei) ^usgezo^^nen Dorn
dankbaren Löwen wird fast mit denselben Worten von Mentor dem Syra-
cusaner, Helpis von Samos, dem Abt Gerasimos, St. Uieronymus und (was
den blinden Löwen betrifit, dem das Gesicht wiedergegeben wird) von
Macharios dem Bekenner erzählt. Der Dom in dem FuBse des Löwen ist
eine zoologische Gestaltung des Helden, der an den Füssen verwundbar
ist Im sechsten der von Frau Gonzenbach herausgegebenen sicilianischen
Mährchen zieht der Knübe Giuseppe einem Löwen einen Dom aus dem
Fuss; der dankbare Löwe giebt ihm eines seiner Haare; durch dieses
Haar kann der junge Mann, im Falle der Bedrängniss, ein schrecklicher
Löwe werden, und als solcher beisst er dem König der Drachen den-
Kopf ab.
N
462
OlympoS; den der junge Polydamos ohne Waffen tödtet ; ebenso
die Löwenungebener mit Menschengesichteni; welebe nach Solinas
am Kaspiseben Meere wohnten; ein solches war endlich die Chi-
mära, theils USwe, theils Ziege und theils Drache ; und mehre
andere mythische Gestaltungen des Ueberganges der Abendsonne
in das Dtfnkel der Nacht
Und unter dieser Auffassung des Löwen als eines Ungeheuers
glaubten die Alten einmttthig, dass er vor allen Thieren den
Hahn fürchte, und zwar besonders seinen feurigen Kamm. Der
Sonnenhahn des Morgens vernichtet die Ungeheuer gänzlich. In
einer Fabel bei Achilles Tatius beklagt sich der Löwe, dass Pro-
metheus einem Hahn erlaubt habe, ihn zu schrecken, doch bald
darauf tröstet er sich , als er hört , dass der Elephant yon dem
kleinen Muskito gequält wird, welcher ihm in den Ohren summt.
Auch Lucrez stellt im vierten Buche De Rerum Natura den
Hahn als gefährlichen Samen ausstreuend dar:
„Nimirum quia sunt gallomm in corpore quaedam
Semina, quae com sint ocqUs immissa leonam
Pupillas interfodiont acremque dolorem *
Praebent, ut neqaeant contra durare feroces."
Bisweilen geht der Held oder Gott in die Gestalt eines Löwen
über, um die Ungeheuer zu besiegen, wie Dionysos, ApoUon,
Herakles in Griechenland, und Indra und Vishnu in Indien. Als
in der Legende von St Marcellus dem Heiligen in einer Vision
ein Löwe als eine Schlange tödtend erschienen ist, wird dies als
ein Vorzeichen tttr den glflcklichen Ausgang des Zuges Kaiser
Leo's nach Africa gedeutet. Bisweilen werden dagegen Held und
Heldin Löwe und Löwin durch die Rache von Gottheiten oder
Ungeheuern. Atalanta verlangt von den Bewerbern um ihre
Hand, dass dieselben sie im Rennen ausstechen, und tödtet die,
welche verlieren. Hippomenes hat durch die Gunst der Liebes-
göttin drei Aepfel aus dem Garten der Hesperiden erlangt und
' So schreiben audi die Ahen dem Löwen eine besondere Abneigung
gegen starke Gerüche sn» wie Ejnoblaueh and weibliche pudenda. Doch
gehört dieser Aberglaube in dieselbe Klasse mit dem, welcher der Löwin
Unfruchtbarkeit zuschreibt. Die Weiber des Alterthums betrachteten die
Begegnung einer Löwin als ein Vonseidien der Unfruditbarkeit. In der
äsopischen Fabel rühmen sich die Füchse vor der Löwin ihrer Fruchtbar-
keit, während diese nur ein Junges Eur Welt bringe. ,)Ja,** antwortet sie,
i,aber es ist ein Löwe.*^ Unter dem Zeichen des Löwen wird auch die
£rde dürr, und folglich unfruditbar.
1
i
463
fordert Atalanta zo dem Wettlanf heraus; auf dem Wege wirft
er die Aepfel hin; Atalanta kann der Versnchnng, sie aufzulesen,
nicht widerstehen , und Hippomenes überholt sie, um sich dann
mit ihr in dem der Mutter der Götter geweihten Haine zu ver-
einigen ; die beleidigte Qöttin verwandelt das junge Paar in einen
Löwen und eine Löwin. In den Gesta Romanorum tödtet
ein Mädchen, die Tochter des Kaisers Vespasian, den Freier um
ihre Hand in einem Garten in Gestalt eines wilden Löwen. Em-
pedodes jedoch betrachtete die Verwandlung in einen Löwen als
die beste aller menschlichen Metamorphosen. Wenn die Sonne
in das Zeichen des Löwen tritt, erreicht sie den höchsten Grad
von Macht; und die goldene Krone, welche die Florentiner ihrem
Löwen auf dem Marktplatze am Johannistage aufsetzten, war
ein Symbol des Nahens der Jahreszeit, die sie mit dem einzigen
Wort sol Hone bezeichnen. Dieser Löwe ist rasend und macht,
wie es heisst, Pflanzen und Thiere rasend. Die heidnische Le-
gende erzählt von Prometheus —
„insani leonis
Vim stomacho apposiiisse nostro.^'
Der mythische Löwe, die Sonne, giebt dem Menschen nicht
nur Wuth, Raserei, sondern auch Krafbein.^
Der Tiger, der Panther und der Leopard besitzen mehre von
den mythischen Zttgen des Löwen als einer verborgenen Sonne,
mit welchem sie noch dazu bisweilen in ihrem Charakter von
allgestaltigen Thieren verwechselt werden. Der Leopard war
dem Gotte Pan heilig, dessen Natur wir schon kennen, und der
Panther dem Dionysos, weil er nach der Sage eine grosse Vor-
liebe Air Wein hatte (wir sahen den vedischen Löwen Indra in
Verbindung mit Honig und Indra selbst in Verbindung mit dem
Soma), und weil die Ammen des Dionysos in Panther verwandelt
waren. Dionysos erscheint bald von Panthern umringt, mit denen
' Horaz, Carm. I, 16.
* Sculpebant Ethnici auro vel argento leonis imaginem, et ferentes
hnjosmodi simalacra generosiores et audaciores ovadere dicebantor; idcireo
non est mirum si Aristoteles (in lib. de Secr. Secr.) scripserit annulum ex
auro vel argento, in quo coelata sit icon puellae eqoitantis leonem die et
hora soils vagantis in domidlio leonis gestantes, ab omnibus honorari;
Aldrovandi, De Qu ad rap. Dig. Vi v. I. — In den Zeichen des Thier-
krdses kommt Virgo hinter Leo; auch die Christen feiern die Aufnahme
der Jungfrau in den Himmel gegen Mitte Augnst, wenn die Sonne ans
dem Zeichen des Löwen in das der Jungfrau tritt
464
er Räuber schreckt und in die Flucht schlägt, nnd bald von
Tigern gezogen. Dionysos ist zu gleicher Zeit ein phallischer nnd
ein ambrosischer Gott, nnd daher der Gott des Weines; so hat
in Indien Qiva, der phallische Gott par excellence, so wie Tvash-
tar, Knvera und Yama, fast mit ihm gleichbedeutende Gestalten,
den Tiger zu seinem Abzeichen nnd ist mit einem Tigerfell be>
deckt. Bs ist eine sonderbare Thatsache, dass in der indischen
Tradition dem Tigerschwanz eine tödtende Kraft beigelegt wird.
Ein indisches Sprichwort sagt, dass ein Haar ans dem Tiger-
schwänze Einem die Ursache des Todes sein könne, ^ was
uns natürlich die Vorstellung von dem Tiger Mavuxvi^g weckt,
der an seinem Schwänze Stacheln (jahfTQa} hat, welche er als
Pfeile wirft, um sieb %\\ vertheidigen. ^
Nachdem wir den Tiger, den Panther und den Leopard, ge-
fleckte nnd allgestaltige Thiere, betrachtet und sie mit dem
Löwen verglichen haben, dessen Kampf gegen die Schlange wir
ebenfalls erwähnten, ist es natürlich, noch ein paar Worte über
das Chamäleon hinzuzufligen , über dessen Feindschaft gegen die
Schlange und von dessen Heilkräften griechische und römische
Schriftsteller so Langes und Breites geschrieben haben. Von dem
krikalä^a oder krikaläsa, dem Chamäleon, ist schon in einem
vedischen Brähmana die Rede. In dem 55. Gesänge des letzten
Buches des Rämäyana lesen wir, dass König Nriga verdammt
wurde, in Gestalt eines Chamäleons allen Creaturen viele hundert
tausend Jahre unsichtbar zu bleiben, bis der Gott Vishnu, in der
Gestalt des Vasudeva inkamirt, kommen werde, ihn von diesem
Fluche zu befreien, mit dem er belegt worden war, weil er
sein Urtheil, in einem zwischen zwei Brähmanen schwebenden
Streite über das Eigenthumsrecht einer Kuh und eines Kalbes
aufgeschoben hatte. In den Mährchen von den dankbaren Thieren
erntet, wie bekannt, der Held oft ihren Dank daf6r, dass er ihre
Beute in gleiche Theile getheilt hat, während sie sich mit einander
darüber stritten. Aus dem letzten Buche des Rämäyana er-
fahren wir auch, dass die Gestalt des Chamäleons die ist, welche
> Vgl. Böhtlingk, Indische Sprüche, 2. Aufl. I, 1.
* Ktesias bei Phot Bibl. (p. 45 b. ed. Bekker). Ktesias erklärt dieses
Wort als „Verschlinger von Menschen^; mit Hilfe des Sanskrit kaun es
nur erklärt werden , indem man an Stelle des Anfang«-M eines von den
Wörtern setzt, die „Mensch^* bedeuten, wie nara, gana, manava, mä-
nusha etc. Antikora dürfte von dem sanskritischen antakara (»ider
ein Ende macht, Vemichter, Tödter) absuleiten sein.
Eayera^ der Qoü des ReichtbnmS; annahm, als die Götter, von
dem Anblick des Ungeheuers Rävana geschreckt, flohen. Wie
Tama and Qiva fast gleichbedeutende Gestalten sind, so besteht
zwischen Yama und Kuvera dasselbe Verhältniss wie zwischen
Pluto und Plutus. Dem Tig^r Qitä bntspricht das Chamäleon
Kuvera , und der Chamäleoi^Gott dee Reichthums, der Feind der
Schlange, hängt in der Mythologie eng mit dem Löwen Indra
tusammen, mit d^fm Löweti, der das Schlang^nungeheüer tödtet,
ttaä mit deib Löwto, der nach deni Schatze tttstem ist
Onbtnwtlt, dto thtora. SO
466
KAPITEL XIV.
Die Splmne*
Im Toscanischen herrscht ein sehr interessanter Aberglaube
über die Spinne: man glaubt^ eine Spinne; die man am Abend
sieht, dtlrfe nicht verbrannt werden, da sie Glück bringe; wärend
sie, am Morgen gesehn, verbrannt werden müsse, ohne dass man
sie anrührt. ' Die Abend- und Morgen- Aurora werden mit der
Spinne und dem Spinngewebe verglichen ; die Abend- Aurora muss
die Morgen-Aurora während der Nacht verfertigen. Wir haben
schon bei einer früheren Gelegenheit das piemontesische Sprich-
wort angeführt: „Rosso di sera, buon tempo si spera." Wenn
die Sonne im Westen ohne Wolken untergeht, wenn die glän-
zende Spinne sich am westlichen Himmel zeigt, so ist das für
den nächsten Morgen ein Anzeichen schönen Wetters. Im Big-
V e d a haben wir darüber mehre interessante Data ; die Aurora
webt während der Nacht (und heisst deshalb vayanti ; ^ bisweilen
wird sie von Räkä, dem Vollmonde ^ unterstützt) das Gewand für
ihren Gemahl. In einem andern Hymnus aber wird sie gebeten,
bald zu scheinen, und nicht zu lange an ihrer Arbeit zu weben,
damit die Sonne mit ihren Strahlen nicht darauf falle und es
' Vgl. den deutschen Spruch:
„Eine Spinne am Abend
Ist erquickend und labend;
Eine Spinne am Morgen
Bringt Kummer und Sorgen.^
» 9fgv. II, 38, 4. - Bei A fan. IV, 54 lässt der König, der keine
Kinder hat, das siebenjährige Mädchen in einer einzigen Nacht ein
Fischernetz anfertigen.
' In der deutschen Sage haben wir die Spinnerin im Monde: ^Die
Altmärkische Sage bei Temme 49^ ,die Spinnerin im MondeS wo ein Mäd-
chen von seiner Mutter verwünscht wird, im Monde zu sitzen und zu
spinnen, scheint entstellt, da jener Fluch sie nicht wegen Spinnens, son-
dern Tanzens im Mondschein trifft;'^ Simrock, Deutsche Mythologie,
2. Aufl. p. 23. — Vgl. auch Kapitel I und das über den Bären, wo wir
von einem Mädchen lesen, das in der Nacht mit dem Bären tanzt —
Vielleicht ist auch ein Zusammenhang zwischen dem vedischen rftkft und
d^axvri anzunehmen. [?]
46t
verbrenne.^ In der Sage von Odysseus löst Penelope in der
Nacht die Arbeit des Tages wieder auf; es ist das eine andere
Seite desselben Mythns; Penelope löst^ als Aurora ^ am Abend
ihr Gewebe auf; um es am Morgen wieder von Neuem zu fertigen.
Der Mythus von Arachne (Name der Spinne und der berühmten
lydischen Jungfrau, welche Athene, die Aurora, nach M. Müller,
spinnen lehrte, und deren Vater Idmon ein Purpurfftrber war),
welche Athene, eifersüchtig auf die Geschicklichkeit, die sie sich
im Weben in Purpurfarben erworben hatte, auf die Stirn schlägt
und in eine Spinne verwandelt, ist eine Spielart desselben My-
thus von der webenden Aurora. Wenn die Spinne dunkel wird
und ihr Gewebe finster ist, dann nimmt die Spinne oder der
Sohn der Spinne, Aurnaväbha, eine Ungeheuergestalt an. Aurna-
väbha (ürnaväbhi, ürnanäbbi, ürnanabba, als Spinne, kommen
schon in den vedischen Schriften vor) ist der Name des finsteren
Ungeheuers Vritra, welches Indra unmittelbar nach seiner Geburt
auf den Antrieb seiner Mutter tödten muss. ^ Im Mahäbhä-
rata* finden wir zwei Weiber, welche spinnen und weben,
Dhatä und Vidhatä; sie spinnen am Webestuhl des Jahres, „am
sausenden Webstuhl der Zeit'', mit schwarzen und weissen Fäden,
d. h. sie spinnen die Tage und die Nächte. Wir haben also eine
gutartige, segensreiche, wohlthätige, und eine bösartige Spinne.
Im Pentamerone V, 4 heirathet die junge Parmetella
einen schwarzen Sklaven, der ihr zu Dienern Schwäne giebt,
„vestute de tela d'oro, che, subeto 'ncignannola da capo a pede,
la mesero 'n forma de ragno, che parcva proprio na RegiQa."
(Der schwarze Mann wird während der Nacht ein schöner Jüng-
Ung, vielleicht als der Mond; sie will seine Züge sehen, und er
verschwindet; es ist dies eine Spielart des Mährchens von der
Indiscretion des Weibes.) Bei Afanassieff ü, 5 spannt die
Spinne ihr Netz aus, um Fliegen, Moskitos und Wespen zu fangen ;
eine Wespe, die ins Netz fällt, bittet, sie freizulassen in Anbe-
tracht der vielen Kinder, die sie hinterlassen würde (dieselbe
List wird von der Henne gegen den Fuchs angewandt in dem
' Vy udhft duhitar divo mft diram tanutha apafii net tvft stenam yathft
ripuih tapAti süro aröishft; jßigv. V, 79, 9.
* Vfitram aTftbhinad dänum fturnayftbham ; Rigv. II, 11, 18. — Ga^-
Mno nu ^atakratur vi pfiöhad iti mfttaram ka ngrä^ ke ha ^rinvire ftd im
^vasy abravtd &umaväbbam ahi^uvam te potra santu Bish|aral^; ^'gv.
VIII, 66, 1. 2.
• I, 802. 825.
4«e
obenerwähnten toscaniscfaen Mäfarchen). Die leichtgläubige Spinne
lässt sie fliegen; sie warnt nun Wespen, Fliegen und Muskitos
vor dem Netze der Spinne. Diese bittet nun das Heupferdchen,
die Motte und die Wanze (nächtliche Thiere) um Hilfe ^ welche
verkättden^ dass die Spinne gestorben ist^ indem sie ihren Geist
am Oalgen, der später vernichtet wurde ^ aufgegeben habe (die
Abend-Aurora ist in die Nacht verschwunden). Die FüegeU;
Moskitos und Wespen kommen wieder hervor und fallen in das
Netz der Spinne (in die Morgen- Aurora.) Bei Afanassieff VI^
18 breitet das schöne Mädchen, welches aus dem Hause der sie
verfolgenden Hexe flieht, einen Schleier aus, den sie mit Hilfe
eines schlkien jungen Mädchens (des Mondes) mit Gold gestickt
hat; sofort entsteht ein grosses Feuermeer, in welches die alte
Hexe filllt und verbrennt ; und hier kommen wir auf den italie-
nischen Volksglauben zurttck, dass die Spinne am Moi^n ver-
brannt werden muss.
Die Spinne ist ein Landthier, doch sie webt ihr Netz in der
Luft; und so — als Mittelding zwischen den Thieren der Erde
und denen der Luft — liefert sie uns eine Brücke, welche uns
in natürlicher Weise von dem ersten Theile unseres Werkes zu
ddm zweiten führt. ^ Ich bofle^ diese Brücke wird sich als ebenso
genügend erweisen wie der Sack, in welchem der junge ehst-
nische Held den Schatz aus der Hölle trägt, ein Sack, der aus
den Fäden einer Spimne gefertigt, aber so stark ist, dass es un-
möglich ist, ihn zu zerreissen. Ulh wünschte, ich hätte in dem
ersten Buche E^was v(hi der Geschicklichkeit der Spinne gdiabi,
und ich könnte mit einigen wenigen Fäden aus dem Labyrinthe
der arischen Thiersage ein Gewebe spinnen, welches, wenn nicht
so glänzend wie das Arachne's, so doch dauerhafter wäre als das
Penelope's.
' Tch bemerke noch, wie in Krilofifs niBsiscfaeu Fabeln der Spinne die-
selbe Rolle zngetheiK wird, wie im Westen dem Zaankdnig (dem reguliw)
und dem Kä£ar. Der Adler trägt, ohae es za wissen, eine apkuie in
seinem Schwanz auf einen Baum, welche ihn dann mit ihren Netzen um-
spinnt. Vogel und Spinne wechseln also mit einander.
Zweiter ThciK
Die Thiere der Luft.
KAPITEL I.
Y9geL
Der Himmel; besonders bei Nacht^ wird bald als eine Strasse
anfgefasst, auf welcher Jemand wandern kann, und wo sich wohl
bisweilen der Wanderer ^verirrt oder Andere irreführt; bald als
die Luft selbst; in welcher Jemand fliegt oder im Fluge getri^en
wird; bisweilen mit (Gefahr zu fallen; bald als ein Baum, auf
welchem Jemand spricht oder^Nesty baut, bisweilen mit der Ge-
fahr; dass die Worte unheilvoll sind; oder dass d\p Nester herab-
fallen; und bald als ein See, auf welchem Jemand unter Gefahr
eines Sehiffbraches segelt
Die Himm^-AtmoBphäre und der Himmel-Baum sind die
Welt dfer Vögel und Insekten des Mythus. Der Gott; der Dämon,
der Held und das Ungeheuer nehmen^ wenn sie dieses Gebiet
durcheilen, entweder die G^talten geflügelter Thiere an, oder
benutzen diesdben, um die Pfade des Himmels zu ersteigen;
oder aber sie werden von ihnen ins Verderben gefllhrt.
Die Sonne und der Mond; die Sonnenstrahlen; die Donner-
keite; die BiitzC; die Aurora; die Wolken, welche sich bewegen
und donnero; und die sich bewegende Finstemiss selbst nehmen
oft in den Mythen die Gestidten fliegender Thiere an.
Im Kigveda heisst die Sonne ein Vogel (vi);^ die Ayvins
' 9igv. I, 72, 9.
470
koiümen mit den Rädern des Wageng gleich einem Vogel mit
Federn ; » Indra ist der schöugefltigelte Rothe ; ^ die Haruts sitzen
gleich Vögeln auf dem Grashalm ; * Agni erfüllt den Wunsch des
Vogels;* die Schöngeflügelten Agni's (d. h. die Donnerkeile) er-
scheinen als Vernichter, wenn der schwarze Stier gebrüllt hat
(d. h. wenn die schwarze Wolke gedonnert hat) ; ^ die Anstrengun-
gen Savitars vernichten nicht die Wälder der Vögel ;^ aus dem
Hause der Aurora kommen die Vögel heraus; "^ die Göttinnen und die
Bräute der Helden werden aufgefordert, Männern mit ungestutzten
Schwingen zu Hilfe zu kommen.^ Endlich zeigt uns ein interes-
santer vedischer Hymnus die Sonne und den Mond , Indra und
Soma, als zwei schöngeflügelte, in Freundschaft vereinte Vögel,
welche beständig um denselben Baum (d. i. den Himmel) fliegen;
der eine von diesen isst den süssen pippala, der andere glänzt,
ohne zu essen. Beide, schönbeschwingt, singen, wie sie treulich
den Ambrosiaschatz hüten. Der Honig dieses Baumes heisst
pippala; diesen Honig essen alle Vögel und auf diesem Baume
bauen sie ihre Nester. *
— — — — — »^.^«^-^— *
' Vir na parnäih; ^igv. 1, 183, 1.
' Aruna^ supama^; Rigv. X, 55, 6.
* Vayo na sidann adhi barhisbi priye; Rigv. I, 85, 7.
* Blanmasädhano vel^; Rigv. I, 96, 6.
^ A te Bupamä aminantafi cvfti^ krisbno non^va vrishabho yadidam;
Rigv. I, 79, 2. '
* Van&ni vibbyo nakur asya t&ni vrat6 devasya savitur minanti; Rigv.
U, 38, 7.
^ Ut te vaya^id vasater apaptan; Rigv. I, 124, 12. ~ Bei A fan. II,
23 wirft die schöne Helene, eine Gestaltung der Aurora, als sie beim Ko-
nig auf dem Ball ist, mit einer Hand Knochen, worauf Vögel entstehen,
und mit der andern Hand Wasser, worauf Gärten und Quellen erscheinen.
* Abbi no devir avasft mabal^ 9armanä nnpatnih adbinnapatri^ saöan-
täm; Rigv. I, 22, 11. — Wenn die Göttinnen hier mit den Nymphen
identisch sind, so sind sie vielleicht id^tisch mit den Wolken, und ich
möchte auf diese Stelle die Sage des Rftmftyana (V, 56) zurückfuhren,
nach welcber die stolzen Berge einst beschwingt (die Wolken) waren und
nach Belieben über die Erde hinstreiften*, Indra mit seinem Donnerkeil
schnitt ihnen die Flügel ab und sie fielen herab.
* Dv4 suparnä sayugä sakhftyft samftnaxh vriksham pari shasva^te
tayor anya^ pippalam evftdv atty ana^nann anyo abhi (S&ka^tti — Tatrft
suparnä lamritasya bhägam animesham vidathäbhievaranti ; Rigv. I, 164,
20. — Vielleicht dürfen wir mit dieser Legende die beiden Vögel Amru
und Camru^ vergleichen, von denen der eine die Bäume Hubis, ükedhwo-
bis und Vi^po-bis, welche den Samen aller Bäume enthalten, schüttelt,
damit der Same herabfällt; der andere verbreitet ihn (vgl. Ehorda-Avesta
p. LIV).
9
471
\
Die Weisheit der Vögel wird in der arischen Volkssage sehr
gertthmt. Davon erzählt das Härkandeya-P. ^ eine lange und
instruktive Legende.
Der weise (jaimini möchte gern einige Episoden der grossen
Sage des Mähäbhärata, die dunkel scheinen, erklärt haben.
Er nimmt seine Zuflucht zu dem gelehrten Märkandeya; doch
dieser sagt, er könne ihm keinen Aufschluss geben, räth ihm aber,
die Vögel, die Besten der Vögel, die Söhne Dronas zu fragen,
welche das Wesen der Dinge kennen, welche ttber die heiligen
Abhandlungen nachdenken, die Vögel Pifigäksha, Vibodha, Su-
pattra und Sumukha, die seine Zweifel lösen würden. Sie leben
in einer Höhle in der Mitte der Vindhyäs ; er solle zu ihnen gehen und
sie befragen. Öaimini wundert sich, wie einfache Vögel solche Weis-
heit besitzen können. Märkandeya erzählt ihm nun ihre Abkunft.
Eine Nymphe, die durch ihren Gesang den Büsser Durväsa ver-
führt hatte, wurde verdammt , in der Familie des Vogels Garuda
wiedergeboren zu werden, und sechzehn Jahre in der Gestalt
eines Vogels zuzubringen , bis sie nach Geburt von vier Söhnen
von einem Pfeil verwundet werden und ihre ursprüngliche Gestalt
wiedererlangen sollte. Als Vogel heisst sie Tärkshi und ist mit
dem Vogel Drona vermählt, der weise und in den Vedas und
Vedäügas wohl unterrichtet ist. Tärkshi ist bei der Schlacht
zwischen den Käuravas und den Pändavas zugegen; ein Pfeil
trifft sie in den Leib, aus welchem vier mondgleich glänzende
Eier heraus auf die Erde fallen. Nach der Schlacht nähert sich
der Asket Qamika dem Platze, an welchem die vier Eier liegen,
iind hört die jungen Vög^lchen cicikuci schreien. Der weise
Mann wundert sich , dass- sie solchem Gemetzel entronnen sind,
schliesst, dass sie Brahmänen sqn müssen, und denkt, das ist ein
Umstand von höchst gtlnstiger Vorbedeutung und ein Wahrzeichen
von hohem Glück (mahäbhägyapradarQini). Er trägt die Vögel
in sein Haus, und setzt sie an einen Ort, wo sie vor Katzen,
Mäusen, Falken oder Wieseln sicher sind. Die Vögel wachsen
unter der Obhut des Weisen heran und lernen auch, indem sie
dem von ihm ertheilten Schulunterricht zuhören; ihre Dankbarkeit
drücken sie ihrem Erretter durch Worte aus, welche sie durch
Uebung deutlich zu artikuliren gelernt haben. Nach ihrem
früheren Sein befragt, erinnern sie sich, dass einst ein Weiser
lebte; Namens Vipuläfvan, Vater von zwei Kindern, Sukrisha und
> Calcutta, 1851.
472
Tupib^ni, uod ^m 8ic (^e Vier) Söhne Tuipb^inw wf^ren. Als
sie bei ihrem V^ter in den Wäldern lebten, kam eipst Indra, der
König der Götter, zu ihnen in Gestalt eines alten {liesenvogels
und yerlangte von deip gastfreundlichen Weisen Menschenfl^isch.
Dieser wundert sich, dass ein Vogel in ^inem Alter, in welchem
doch jede {i^gierdQ erloschen sein sollte, so grausam ist, Men-
schenfleisch zu verlangen. Doch verlangt er von seinen eigenen
Söhi^^ (gleich Vicvämitra in der in Kap. I erwähnten Sage von
^unahgepa), dass sie sich zur Erfüllung dieser Pflicht opfern.
Zuerst verweigern si^ diesen Act der Gastfreundschaft nicht, doch
als sie hören, dass sie von dem Vogel verzehrt werden sollen,
wi^dersetze^ sie sich ganz energisch, und (bhren unter anderen
Argun^^nten das physiologische, oder vielmehr materialistische an,
4ass ihre Tugend, wenn sie tugendhaft sind, sogleich mit ihren
Leibern verschwinden wird, während sie sich dagegen, um ihre
Tugend lange zu bewahrep, verbunden glauben, auch ihre
Existenz sp lange als möglich hinauszuziehen {ym sahen schon
die Katze, welchp ein ähnliches Argument zur Rechtfertigung
ihrer Fettheit anfuhrt). Ihr Vater flucht ihnen, über diese Wei-
^rung uAch g^ebenen^ Versprechen enjtrttstet, verd^mt sie, als
Thiere wiedergeboren zu werden, und bietet ßi^fh grossmüthig
selbiEit dem hungrigen Vogel an. Indra offenbairt mh in «einer
eigentlichen göttlichen Ges]i;alt und verschwindet, nachdem er ^en
Weisen geae^t Die Söhne bitten ihren Vajtier,^ sie von dem,
Flnche zu befreien; er hat Mitleid mit ibn^n, k^nn %ber sein
Wort nicht znrücknehmen ; nnr ^ine MU^erui^g 4^ Strafe steht in
seiner Ma,cht. Sie sind verdammt, ihre Thiergestalt zu behalten,
werden jedoch entschädigt durch die Gabe, das Geheimniss alle^
Seins zu erschauen. Aus diesep Grunde begrttsst sie Qamtka,
als er sie findet, als Brahmanen. Uebrigens ist der Doppelsinn
leicht begreiflich, wenn wx bedenken, diy^ das Wort dvi^a, oder
zweimal geboren, „Vogel" (d.. h. zuerst als Ei, dann als Thier ge-
boren) ebensowohl als „Brahmane^' bedeutet (der Br^hmane yrir4
wiedergeboren, indem er den heiljigen Strick, di^ pi;aetexta upd
das Sakrament des heiligen O^les ni^mt). D\e Etjrmologie
kommt uns hior zu dem Verstilndniss dßx Sage z.qi Hilfe. Ebenso
wie der Brahmane der weiseste unjter den Menschen, so sind 4^
dvigas oder Vögel die weisesten m^ter den Thieren. Von ihrem
Vater, d^m Einsiedler, verflucht, gehen nni^ d|e Vögel zu dem
Berge Vindhya, welcher von vielen gesegneten Strömen bewässert
wird, wo sie als strenge Büsser leben. Auf dem Wege sie um
Rath zu fragen, hört (^aimini 9ie schon in 4er Nftbe ihrer Woh-
nnng deutlich miteinander sprechen. Er geht näher und sieht sie
auf dem Gipfel eines Felsens sitzen. Er wendet sich mit liebens-
würdigen Worten an sie; die Vögel antworten ihm, da ein so
weiser Mann sie besucht habe, sei ihr Wunsch erfttUt, und ihr
Fluch habe ein Ende. Folgen die Fragen Öaiminis ttber Ganär-
dana, Draupadi, Baladeva und diefUnf Söhne Draupadis. Vor
der Aptwort singen die Vögel eine Art Hymnus an Vishnu und
stellen seine hauptsächlichen Inkarnationen dar. Im Mahäbhä-
rata^ gehen die ascetischen Brahmanen in Gestalt von Vögeln
den rishi Händavya trösten, der auf Befehl des Königs gepfählt
worden ist, weil er den Räubern der königlichen Beute Gastfreund-
schaft erwiesen hat
Vögel wissen Altes; deshalb wfrd hauptsächlich nach ihnen
gewahrsagt ; Wahrzeichen werden mit Vorliebe a u s p i c i a oder
auguria genannt Im letzten Buohe des Rämäya^a werden
die Ungeheuer durch folgende Vorbedeutungen geschreckt: —
„Tausende von (Meiern und Enten mit Mäulem, die Flammra
q>eien, welche einen Kreis bilden gleich dem des Todesgottes;
die Tauben, die Rothfässe, die s&rikas (turdus salicae) wurden
Tcrscheucht'*
Im A V e s t a erscheint oft Veretraghna als Vogel und als der
Vogelspn^he kundig. Eine Vogelfeder leistet im A vest a dem
Veretraghna HUfe, wie bei Firdusi Zal durch das Verbrennra
ewer Feder des Vogels Simurg diesen selbst zu seinem Beistande
herbeiruft.* Nach einer Sage desKhorda-Avesta entfloh die
»I, 4806.
* »Die Beschwömng vermittelst einer Feder ist gewiss eine alteranische
Vorstellung.^ Rhorda-Avesta p. 147 Anm. 1. — In einem bisher nicht
veröffentlichten Montferratensischen Mährchen, welches mir Herr Ferraro
mittheilte, muss eine Frau, welche im Garten einer Hexe Petersilie ge-
gessen hat, dieser ihre Tochter zur Strafe für diese Beleidigung überlassen.
Das Mädchen muss dann drei schwere Prüfungen bestehen: an einem
Tage einen Berg Weizen und Hirse in die einseinen Kömer, aus denen
er besteht, su sondern, an einem Tage einen Berg Aepfel essen, und an
einem Tage den Flachs eines Jahres waschen, trocknen und plätten. Die
erste Prüfung besteht sie, indem sie vermittebt zweier Vogelfedern tausend
Vögel herbeiruft, welche das Getreide von der Hirse sondern. — Im P e n -
tameroneV, 4 streifen sich die Vögel selbst die Federn ab, um eine
Mi^tratze zu füllen, welche die junge Parmetella hat anfertigen sollen. In
einem toskanischen Mährchen wird der junge Bruder wegen des Besitzes
einer ^aenfeder getödtet
or THf
UNIVf
I
474
Majestät des alten Tima, der stolz und Ittgoeriseh geworden war
(so wurden in Indien der himmlische Yama nnd der glttckliche
Qiva unterirdische; zerstörende Gottheiten), sichtbarlich mit dem
Körper eines Vogels.^ Nach dem Volksaberglauben Weissruss-
lands ist der kleine Vogel diedka (der Kleine) der Wächter von
Schätzen und hat Augen von Feuer und einen feurigen Bart (es
ist das unzweifelhaft eine Darstellung der dämouisehen Abend-
sonne, Kuvera oder Plutos. *) In den Contes Merveilleux
Porchat's erscheint der rothe Vogel als Bote.
» Kh.-Av. p. 175.
* Bei Afan. V, 88 verwüstet ein solcher kleiner Vogel während der
Nacht das Feld eines Herren ; der jüngste der drei Brüder, der für dumm
gehalten wird, fängt ihn und verkauft ihn dem Könige, welcher ihn hinter
Schloss und Riegel legt. Des Königs Sohn befreit den kleinen Vogel, der
ihm aus Dankbarkeit > ein Pferd giebt, welches Schlachten gewinnt, und
einen Apfel, durch dessen Hilfe er eine Prinzessin heirathen kann. — V,
22 verwandelt sich der junge Mann, der den Unterricht des Teufels ge-
nossen, in einen Vogel, und sagt zu seinem Vater, er solle ihn verkaufen,
aber den Käfig solle er nicht fahren lassen. Der Teufel kauft den Vogel
ohne Käfig; er steckt ihn in sein Taschentuch und will ihn seiner Tochter
mitbringen ; als er aber heimkommt, ist der Vogel verschwunden. — V, 42
befreit der König der Vögel Iwan von der Hexe, welche ihn verzehren
will, und bringt ihn zu seiner Verlobten. Die Hexe reisst dem König der
Vögel ein paar Federn aus, kann ihn aber nicht halten. — V, 46 lehrt
der Teufel dem jungen Helden die Sprache der Vögel. — VI, 69 holt das
kluge Mädchen aus dem Reiche der Finstemiss den Vogel, der spricht,
den Baum, der singt, und das Wasser des Lebens, womit sie ihre beiden
älteren Brüder, die von einer Hexe in einen Brunnen geworfen sind, wie-
der ins Leben ruft (die Aurora befreit die A^vins). — In dem fünften sici-
lianischen Mährchen von Frau Gonzenbach holen Bruder und Schwester
aus dem Schlosse der Hexe das Wasser, das tanzt, und den Vogel, der
spricht Der Vogel erzählt dem Wasser, in Gegenwart des Königs, die
Geschichte von den beiden jungen Leuten. — Im Pentamerone II, 5
lehrt der Fuchs der jungen Grannonia, was Vögel sagen. — Im Penta-
merone V, 7 ist es der jüngste der fünf Brüder, welcher die Vögel-
sprache verstehen lernt. — Bei Pietro de Crescenzi (X, 1) finden wir einen
„rex Daucus (Dacus?), qui diviuo intellectu novit naturam accipitrum et
falconum et eos domesticare, ad praedam instruere, et ab aegritudinibus
liberare.** — In der Legende von 'St Franciscus von Assisi kann sich der
grosse Heilige Vögeln verständlich machen und Schwalben Schweigen ge-
bieten; derselbe Heilige macht einen Wolf mild und zahm; das Wunder
des Orpheus wiederholt sich in zahlreichen anderen Legenden. — In der
Edda hat Atli ein langes Gespräch mit einem Vogel, dessen Sprache er
versteht. — Schliesslich zeigt die ganze Komödie des Aristophanes: „"O^-
v^§s^ die Weisheit und göttliche Macht der Vögel, und, als Wahrsagethiere,
ihre innige Beziehung zu den Donnerkeilen des Zeus. — Nach deutschem
475
In der Zal-Sage bei Firdasi kommt ein Räthsel vor, was
zwei Gypressen bedeuten^ eine verwelkt, die andere grünend; erst
baut anf der einen; dann anf der anderen ein Vogel regelmässig
sein Nest Der Held Zal, der das Bäthsel löst^ sagt:
„Die zwei Cjpressen sind die Himmelsseiten,
Die beiden, die uns Glück und Leid bereiten;
Der Vogel, der drin nietet, ist die Sonne,
Sie giebt beim Scheiden Schmerz, beim Kommen Wonne.***
Im achtzehnten ehstnischen Hährchen bezeichnen zwei Vögel,
die miteinander sprechen, den Ort, wo der bezauberte Ring Salo-
mes, den der junge Held sucht, liegt. Als der Held den Ring
findet, kann er sich nach Belieben in einen Vogel verwandeln;
doch die Tochter der Hölle stiehlt ihm den Ring in Gestalt
eines Adlers. Im vierten ehstnischen Mährchen wird das sieben-
jährige Mädchen von einem gütigen Zauberer in einen Vogel
verwandelt^ als sie eine weite Reise machen soll. In dem 35. der
Mährchen von San Stefano di Calcinaia erschreckt der Teufel
das Weib des Vogelfängers in Gestalt eines ungeheuren und un-
geheuerlichen Vogels. ImPentameronelV, 5 hält eine Fee
in Gestalt eines Vogels den Arm des Königs von Alta-Marina auf,
als er im Begriff ist, sein eigenes Weib Portiella zu tödten. Die
Fee war der jungen Frau dankbar, weil diese die im Walde
Schlafende vor den lästemen Angriffen eines Satyrs gerettet hatte,
indem sie sie weckte. * Der König schliesst Portiella in ein
lichtloses Verliess ein; der Vogel macht ein Loch in die Mauer
und bringt ihr Speise, indem er das Gefltlgel aus der Kttche
stiehlt während der Abwesenheit des Kochs. Portiella schenkt
einem Sohne das Leben, der ebenfalls von dem Vogel ernährt
wird. Der „oiseau bleu, couleur du temps^', in dem
Mährchen von Madame d'Aulnoy, der zur Nachtzeit von der
Cypresse an das Fenster der eingekerkerten schönen Florine
fliegt, ist eine schöne Variation desselben Mythus. Mehre russi-
sche Mährchen enden mit folgendem Refrain : „Kleiner Azurblauer
fliegt und sagt, azurblau, doch schön.'' ^ Sofern die Morgen- oder
Glauben lehrt Schlangenfett die Vögebprache verstehen. S. Simrocki a.
a. O. p. 457.
■ Schack, Heldensagen von Firdusi, p. 122.
* Eine Abart des Mythus von Priapus (vgl. Kapitel III).
* Sinidka letat i gavarft: Sin da charosch. — Der dunkelblaue Vogel
ist ein Symbol des aiorblaaen Nacht- oder Winter-Himmels, während da-
gegen der hölzerne Vogel, nach welchem die westph&Usohen Mädchen am
476
FrttblingB-Sonne aas dem dankelblaaeo Vogel Naekt oder Winter
heraacALommt; können ¥dr den italienischen and deatschen Volks-
aberglanben verstehen; dass Vogekxcremente, die auf Jemanden
fallen, Gltick bedeuten. Das Excrement des mjrthischen Vogels
Nacht oder Winter ist die Sonne. In Verbindang mit dem Mor-
gen oder Frühling betrachtet, ist der dunkelfarbige Vogel der
Nacht oder des Winters glttckyerheissend, an sich betrachtet oder
in Beziehung auf die Abendsonne oder den zu Ende gehenden
Sommer ist es ein unheilvolle»' und diabolisches Th^er. So der
Vogel Kämek der Yasts, welcher seine Flügel ttber alle Sterb-
lichen aasbreitete und die Welt finster machte, indem er das
Sonnenlicht nicht herabliesa; regnete es, so fing er den Kegen
mit seinen Fltigehi auf; die Menschen starben, abgesehen von
denen, welche der Vogel selbst auf&ass; in sieben Tagen und
sieben Nächten tödtet ihn der Held Kere^äQpa, so dass er nieder-
fällt ; noch im Fallen tödtet er Menschen und Thiere. ^
Femer ist der Vogel, welcher Speise bringt, ein fast in allen
Sagen der indogermanischen Völker sehr beliebtes Thema. Jeder
hat von dem Vogel gehört, der (nach Diodorus Sicnlus) die von
ihrer Mutter in der Wttste, an steinigem Ort verlassene Semi-
ramis mit geronnener Milch und Käse (dem Mondschein), die
von den benachbarten Schafherden gestohlen waren, ernährte;
und derselbe persische Vogel ernährt nach der Legende mehre
andere Kinder, künftige Helden Iran% welche in ähnlicher Weise
ausgesetzt worden waren; in der Sage von Bomnlus und Remns
nimmt der Specht dieselbe Stelle ein wie die säugende Wölfin.*
In der feuchten Nacht und dem feuchten Winter wird der junge
Sonnenheld, sich selbst ttberlassen, von Vögeln ernährt Die
Nachtigall oder nächtliche Sängerin flötet ihre süssen Melodieen
aus dem nächtlichen Baume, das Erwachen des jungen Tages
vorausverkündend; in der Baum- Wolke tobt der Donner, spricht
das Orakel, prophezeit der Vogel. Theo^rit nennt die Dichter
St. JobanniBtage mit Stöcken werfen, ein Symbol des Pbaiius su sei a
scheint ; die den Vogel trifEt, ist Königin. Der Vogel ist ein sehr bekanntes
Symbol des Phallus; ein phallischer Ursprung muss auch dem Volksglauben
zugeschrieben werden, dass ein Vogel dadqrch hilflos gemacht werden
kann, dass man ihm Salz auf den Schwanz streut Wird der Lüsternheit
eines Thieres Raum gegeben, so verliert es aUe Energie; nur der ürdhva-
retas ist stark.
'- Khorda- Avesta 4). LXVUl f.
' Vgl. das Kapitel über den Specht.
,,die Vögel der Mnsen'^ {Mmmiv oQviSag). Der kokila idt der Vogel
der ittdidchen Dichter und lehrt ihnen Weisen; diesem Vogel eüt-
spricht der indische Kyknos des Tnti-Kame, von dem es
Msst, er habe unzählige Löcher im Schnabel , ans deren jedem
ein mdodiseher Ton dringt.
Der indische kavi, der römische vates und der griechische
(uxvTig repräsentiren den Sänger und den Seher in einer Person;
so sind auch die Sänger des Waldes zugleich allwissende Pro-
pheten. Zuerst prophezeiten sie nur das Wetter, wie der Donner
das Gewitter verkündet, schliesslich Alles. Die toskanischen
Bauern wollen noch heutigen Tages aus dem Oesange der Vögel
errsthen , was ftlr Wetter am folgenden Tage sein wird. ^ Die
Auguren , die aucelli und die amspices waren selbst im Mittel-
alter noch bewahrt, nach dem Zeugniss des Du Gange. ' Was die
Augurien und Auspicien des griechischen und römischen Alter-
thums betrifit, so verweise ich den Leser auf die zahlrei<5ben
gelehrten Werke, welche sie im Besondem behandeln. Ich muss
jedoch bemerken, dass, während unter den Römern das Augurium
noch fbr etwas so Ernstes und Feierliches galt, dass Publius
Claudius und Lucius Junius für todeswtürdige Verbrecher gehalten
wurden, weil sie gegen den Willen der Augurien zu einer Expe-
dition aufgebrochen waren, die Griechen Augurien und Auspicien
schon ins Lächerliche herabgezogen hatten. Der Leser erinnert
sich ohne Zweifel, wie in der Iliade der Held Hector erklärt, dass
er sich nicht daran kehre, ob die Vögel nach rechts, der Aurora
und Sonne zu, oder nach links, nach Sonnenuntergang zu fliegen.
Bei Eusebius^ lesen wir, dass Alexander dem Grossen, als er
nach dem Rothen Meere aufbrach, ein Vogel gebracht wurde,
damit er nach dem Brauche das Vorzeichen beachte; als Antwort
tödtete Alexander den Vogel mit einem Pfeil; den über diese
Verletzung der Regeln entrüsteten Umstehenden entgegnete er:
„Welch' eine Narrheit ist das? Wie soll dieser Vogel, der seinen
eigenen Tod durch diesen Pfeü nicht vorhersah, das Geschick
unserer Fahrt prophezeien ?'' Auch in Indien herrschte der Brauch
' Elin Bergbewohner der Provinz Siena sagt: „Ich nahm am dem
Sänge der Vögel wahr, dass sich das Wetter ändern würde; ihre Stimme
erzählte mir; es war so lustig;** Giuliani, Moralitk e Poesia del Vi-
vente Linguaggio della To sc ana (Florenz, 1870), p. 149.
* Vgl. s. TT. albanellus (haubereau) aTis augural is species,
und aucellus.
* Praepar. ETang. IX.
m
AognrieD nnd Anspicien. Nscb dem Rfimäya^a' siod VSgel,
man bei der Hochzeit nach links ziehen liebt, ein Bchlimmes
leicben;' das« dem R&ma zur Linken Vi^l mit Gesebrei
en, ist fUr ihn die Anktlndignng eines ernsten Missgescbiokee,
lieb des Banbes der Sttä.>
1,76.
■ B«i den BSmem dagegen war der Flog nach linki ein «ehr gute«
lachen; 10 heult ea im Epidiona des Ptaatni: „Tacete, habet« ani-
I bonam, liqnido exeo foraa aiupicio, ave eEniatra." (Vielleicht ist je*
dieser Wechsel von rechts and linka von der Terschiedenen Stellung
Beobachters abhuogig.) In der mittelalterlichen Alexandersaga trifft
ander einen Vogel mit HenachengeBicbt (eine Harpyc)^ der ihn aaf-
iit, sich nach rechts au wenden, «p er wunderbare Diuge sehen werde,
gl. Zacher, Pseado-Catlistfaene«, HaUe 1667, p. 142.
• B«m&7. III, 64.
m
KAPITEL IL
Der Falke» der Adler^ der Geier, der PMnix, die Harpje, die NfMlit-
eule, die Fledemums, der Greif and die Sirene (Heeijmigfer.)
Der heldischeste der Vögel ist der Raubvogel; die Stärke
seines Schnabels^ seiner Schwingen und Erallen, seine Grösse und
Schnelligkeit; Hessen ihn als einen schnellen himmlischen Boten;
Träger and Kämpfer betrachtet werden.
Der Falke ; der Adler and der Geier; drei mächtige Raub-
vögel; spielen gewöhnlich in Mythen und Legenden dieselbe Rolle ;
die Schöpfer der Mythen hatten von Anfang an ihre allgemeine
Aehnlichkeit bemerkt; ohne ihren specifischen Differenzen irgendwie
Rechnung zu tragen.
Der Raubvogel ist in der Mythologie gewöhnlich die SonnC;
welche bald in ihrem Glänze scheint, bald sich in der Wolke der
Dunkelheit zeigt; indem sie Blitzstrahlen; Donnerkeile und Son-
nenstrahlen hervorbrechen lässt Der Blitz, der Donnerkeil; der
Sonnenstrahl sind bald der Schnabel, bald die Kralle des Raub-
vogels; und bald auch der ganze Vogel selbst
Im Rigveda erscheint der Gott Indra oft in der (Gestalt
eines Falken, ^ena. Indra ist gleich einem Falken, der schnell
ttber die anderen Falken dahinfliegt und, wohlbeschwingt, den
Menschen die Götterspeise bringt.^ Er liegt hinter hundert
eisernen Schlössern ; trotzdem gelingt es ihm, schnell zu entfliehen ; *
davoneilend trägt er in seinen Krallen die schöne, jungfräuliche,
glänzende Ambrosia; durch welche das Leben verlängert und die
Todten wieder zum Leben gebracht werden ' (der Regen, welcher
auch mit der ambrosischen Feuchtigkeit des Mondes verwechselt
wird. In der ersten Strophe desselben Hymnus heisst Indra
* Pra ^yenal^ ^yenebhya ft9upAtyft — AdakraySi yat svadhayft sapamo
havyam bharan manaye deva^shtam: ^igv. IV, 26, 4. — Der soma ^ye-
näbbfita wird auch erwäbnt Kigv. I, 80, 2; IV, 27; IX, 77, u. ö.
* ^atam mä pura ftyasir araksbann adba ^yeno ^vasft nir adiyam;
Bigv. IV, 27, 1.
* Yam te ^y^na^ d&mm avrikam padftbbarad aninam minam andhasalt^
— enft vayo vi läry äyur givasa eoft ^agftra bandhutA; 9igv. X, 144, 5.
480
ebenfalls Ambrosia). ^ Der Falke mit eisernen Krallen tödtet die
feindlichen Dämonen,' bat grosse Athemskraft , und zieht von
fem den hunderträdrigen Wagen. ' Doch zittert der Falke, wäh-
rend er die Ambrosia durch die Lüfte trägt^ aas Furcht vor dem
Bogenschützen E;i(änU; ^ der ihm in der That eine seiner Erallen
(aus welcher nach dem Aitareya-Brähmana^ der Igel ent-
stafid) und effle seiner Federn abschoss, Wdcb^ adf die Erde fifel
und dann ein Baum' wurde. ^ fTach dem Siege über Ahi; den
Schlangen-Dämon, flieht Indra gleich einem erschreckten Falken. ^
Dies ist die erste Spur der legendarischen und sprichwörtlichen
Feindschaft zwischen dem Raubvogel und der Schlange. Im
dritten jauche des Rämäyana sagt R&ya^a, er wolle S!tä ent-
ftihren, wie der Schönbeschwingte die Schlange (snpamah
pannagamiva).
Doch ist Indra im Bigyeda nicht allein ein Falke, sondern
ebenso auch Agni. Mätarifvan und der Falke erregen, der eine
das himmlische Feuer, der andere die Ambrosia des Berges. * Der
Wagen der Afvins wird auch bisweilen von Falken, so schndl wie
himmlische Geier, gezogen. ^ Sie werden selbst mit zwei (Meiern rer-
glichen, welche um den Baum schweben, wo sich der Schatz befindet *^
^ Im Mahäbhftrata (I, 2383) nimmt die Ambrosia die Oestalt von
Sperma an. filü Rdhig, von seined Weibe Girikä fern, denKt an sie;
Sperma entfliesst ihm und fftilt fiof ein Blatt. ISin Fft&e entführt das Blatt;
ein anderer Falke sieht es and streitet mit ilnb im den Besiti des Blattes;
sie kämpfen mit einander und das Blatt fällt in da» Wasser der YannnA,
wo die Nymphe Adrikft (gieiebbedetttend mit QtrikA), durch einen Flueh
in einen Fisch verwandelt, das Blatt sieht, das Sperma verzehrt, befrachtet
and befreit wird. Tgl. das Kap. übel: die Fische.
* 97eiio *yoptehtir häixü dlisyda; Bigv. X, M, 8. -^ Iii d<^ russiscÜen
Ifäii-chen sind Falk« and Uuivd mweilen die mäiohtigsten. Helfer dias Helden.
* Ghrishu^ ^enAya kfitvana ^a^; ^igv. X, 144, 3. — Tarn su|*u:-
nalji parävata^ ^yenasya patra ftbharat ^atadakram; 9i£>^* ^ ^4^* 1*
* Sa pürvyal^ pavate yam divas pari 9yeno mathftyad ishitas tiro ra^al^
sa madhva ft yavate yevi^ina it kri9ftnor astur manasiha bibhyash&;
Bigv. IX, 77, 2.
» lU, 8, 26.
* Anta^ patat patatry asya parnam; Rigv. IV, 27, 4. — Vgl Kahn,
Die Herabkanft des Feaers a. d. Göttertr. p. 188 f. a. p. 180 f.
^ gyeno na bhttal|^; Bigv. I, 32, 14.
* Anyaifa divo m&tari^vA ^abhftrftmathnftd anyam pari ^yeno ädre^;
Bigv. I, 93, 6.
* A vftm 9yenAso a^vinä vahanta ~ ye aptoro divytoo na gfidbrim;
;v. Ij 118, 4.
>• Ojidfaretk vpkshadi nidhimantam adha;^9igv. II, 39, 1.
I
481
(wir sahen im vorigen Kapitel, dass der Baum der Himmel ist). Die
Maruts werden ebenfalls Gridhras oder Geier (nach M* Müller Falken)
genannt^ Im Rigveda scheipt die Sonne, wenn sie in das Meer
hinabgeht, mit einem Geierauge. * Weil nun der Sonnengott in
den vedischen Mjrthen oft die Gestalt dieses Raubvogels annahm,
so lesen wir im Aitareya Br&hmana, dass der zum Opfer
bestimmte Platz dieselbe Gestalt hatte. Im Rämäya^a finden
wir bei dem Opfer eines Pferdes, dass der Opferplatz die Gestalt
des Vogels Garnda hat, des mächtigen mythischen Adlers der
Inder. Schon im 149. Mythus des zehnten Buches des Rigveda
heisst der alte schönbeschwingte Sohn der Sonne Savitar: Garut-
mant Der mythische Vogel ist das Aeqnivalent des geflügelten
Sonnenpferdes oder EUppogryphes ; und wirklich nennt der 148.
Hymnus des ersten Buches des Rigveda, bald nachdem er die
Falken gepriesen, welche den Wagen der AQvins ziehen, diesel-
ben schöne fliegende Pferde (a^vä vapushah patamgäh). Wir be-
merkten, dass von den beiden Zwillingen oder den beiden Brü-
dern einer vor dem anderen den Vorzug hat. So ist auch von
den beiden mythischen Geiern, den beiden Söhnen der Vinata in
der Sage desMahäbhärata,^ nachdem ihre Mutter das Ei vor
der eigentlichen Zeit aufgebrochen, der eine, Aruna, unvollkommen
geboren; seiner Mutter fluchend verdammt er sie, die Sklavin
ihrer Nebenbuhlerin Eadrfi fünftausend Jahre hindurch zu sein,
bis ihr anderer Solin, der glänzende, vollkommene und mächtige
Sonnenvogel Garuda sie zu erlösen kommt Aruna wird der
Wagenlenker der Sonne; Garuda ist das Ross des Gottes Vish^u,
das Sonnenross, die Sonne selbst, siegreich in all seinem Glanz.
Nicht sobald sind die beiden Vögel geboren, als auch das Ross
Ucdaihgrava erscheint, was wiederum bezeichnet, dass Sonnenvogel
und Sonnenross identisch sind. Gleich dem Falken Indra od^r
dem Falken Indras ist Garuda, der Vogel Vishi^us, oder Vishi^n
selbst, durstig, trinkt viele Ströme,^ ninunt den Schlangen die
Ambrosia fort, wie im Rigveda durch einen Ring von Eisen
geschützt Gleich Vishnu macht sich Garuda sehr klein, dringt
nnter die Schlangen, bedekt sie mit Staub und blendet sie ; dieser
' Rigv. I, 88, 4. — I, 165, 2 werden die Maruts ausdrücklich mit
Falken, die durch die Luft fliegen, verglichen : ^yenän iva dhra^ato antarikshe.
* Drapsall^ samudram abhi yag ^igftti pa^yan gridhrasya dakshasft;
^igv. X, 123, 8.
• I, 1078 ff.
« Mbh. I, 1495.
OabeniAtif^ Die Thler«. 31
482
That halber nimmt ihn Vishnu zu seinem himmlischen Rosse. ^
Der Gott Vishnu zieht auf dem Rtleken des Schönbeschwingten
in den Kampf gegen die Ungeheuer ; ^ im Zorn wirft er sie mit
dem Schlagen seiner Flügel zu Boden; die Ungeheuer schiessen
auf ihu; als eine andere Erscheinungsform des Helden, ihre Pfeile,
und er kämpft für sich und für den Helden. ' Als der Vogel
Garuda erscheint, werden die Fesseln der Ungeheuer, welche
Schlangen gleich die beiden Brüder R&ma und Lakshma^a ein-
schnüren, gelöst, und die beiden jungen Helden erheben sich
glänzender und stärker, denn bevor. ^ Die Nishädas kommen aus
ihren feuchten Wohnsitzen und verschwinden in den gähnenden
Rachen Garudas zu Tausenden, von Wind und Staub eingehüllt. ^
(Die Morgen- und die Frühlingssonne verschlingen die schwarzen
Ungeheuer der Nacht und des Winters.)
Bisher sahen wir den Falken, den Adler (als Garuda) und
den Geier miteinander vertauscht; auch die mythische Genealogie
der Inder bestätigt diese Vertauschung. Nach dem Räm&yana^
wurde von Tämrä (eigentlich die Röthliche; sie schenkte auch
Eräunct, der Mutter der Brachvögel, das Leben) Qyeni (das
Falkenweibchen), von Qyeni Vinatä geboren. Vinatä (eigentlich :
die Gebogene, Gebeugte) legte die Eier, aus denen Aruna und
Garuda kamen (die beiden Dioskuren kamen ebenfalls, wie be-
kannt, aus dem Ei der mit dem Schwan vereinigten Leda) ; Ga-
ruda seinerseits war Vater von zwei ungeheuren Geiern, Gatäyu
und Sampäti. In dieser Genealogie scheint uns die aufsteigende
Bewegung der Sonne beschrieben zu sein, gleich dem My-
thus von der Sonne Vishnu, der aus einem Zwerge ein Riese
wird. Der Geier datäyu weiss Alles, was in der Vergangen-
heit geschehen ist, und Alles, was noch in Zukunft geschehen
wird, sofern er, gleich der vedischen Sonne, vi(vaveda ist, all-
sehend, allwissend, und die ganze Erde durchmessen hat Im
Rämäyana lesen wir von dem letzten grimmen Kampfe des
alten Geiers Gat&yu mit dem schrecklichen Ungeheuer Rävana,
welcher die schöne Sita während der Abwesenheit ihres Gatten
Rama entführt Obwohl alt an Jahren, steigt Gatäyu in die
* Mbh. I, 1496 f.
* Bamäy. Vn, 6.
» Ib. VII, 7.
* I b. VI, 26.
* Mbh. I, 1387 f.
* III, 20.
483
Lüfte, am die Entftihrang Sitas durch Rävaijia in einem von
Eseln gezogenen Wagen zn verhindern; der Geier zerbricht mit
seinen starken Erallen Bogen und Pfeil RävanaS; schlägt und
tödtet die Esel, zertrümmert den Wagen, wirft den Wagenlenker
herunter^ zwingt Rävana, herabzuspringen , und verwundet ihn
auf tausenderlei Arten; doch schliesslich gelingt es dem König
der Ungeheuer, dem treuen Vogel mit seinem Schwert die Flügel,
Füsse und Flanken zu zerhauen; dieser giebt sein Leben in Pein
und Kummer auf, während der Dämon das geraubte Weib nach
LafLkä bringt.
Soweit finden wir also in dem Raubvogel immer einen Freund
des Helden und des Gottes. Ein solcher ist auch im Rä-
mäyana^ der ungeheure Geier, welcher sich auf die Fahne des
Ungeheuers Khara setzt und diei^elbe mit Blut bespeit, um ihm
sein Missgeschick zu prophezeien ; und ein solcher ist der ältere
Bruder 6atäyu's, der Geier Sampäti, der, aus einer Höhle kom-
mend, den grossen Afien Hanumant unterrichtet, wo Sita gefunden
werden kann. Nachdem Sampäti den Hanumant gesehen, ge-
winnt er seine eigenen Schwingen wieder, welche von den Sonnen-
strahlen verbrannt worden waren, als er einst seinen jüngeren
Bruder vor ihnen hatte schützen wollen bei einem Fluge, in wel-
chem sie zu hoch in das Bereich der Sonne gekommen waren ^
(eine Variation der griechischen Sage von Daedalus und Icarus,
der von Hanumant, welcher der Sonne nachfliegen wollte, um sie
zu fangen, und der von den beiden Afvins).
Wenn in der ganz volksthümlichen indischen Sage von dem
buddhistischen König, welcher sich selbst opfert, statt der Taube,
die bei ihm Gastfreundschaft gesucht hat, der Falke als Verfolger
der Taube erscheint, so ist diese Verfolgung nur scheinbar; sie
ist nur eine Probe, auf welche Indra, der Falke, und Agni, die
Taube^ die Tugend des Königs stellen wollen. Nicht sobald sieht
der Falke, dass der König sich dem Tode weihen will, als auch
beide, Falke und Taube, ihre göttliche Gestalt annehmen und den
heiligen König mit Segnungen überhäufen. ^ Indra und Agni sind
« III, 29.
» RÄmäy. IV, 58. 59.
* Die zahlreichen orientalisdien Variationen dieser Sage vgl. bei Ben-
fey, Pai&datantra, Einleit p. 888 f. — Bei Afan I, 5 (vgl. I, 6) wird
Klein Uana aus den Tiefen der £rde nach Russland anf den Flügeln eines
Adlers zurückgetragen. Wenn der Adler hungrig ist, wendet er den Kopf,
und Hänschen giebt ihm zu essen; als die Speisevorräthe zu Ende sind,
31*
484
ebenfalls^ mit einander vereinigt, selbst eine Erscheinungsform
der beiden A^vins, gleich den beiden treuen Tauben, welche sich
im dritten Buche des Pancatantra opfern.
nährt ihn Hänschen mit seinem eigenen Fleische. — II, 27 werden die
beiden jungen Leute auf den Schwingen des Vogels Kolpalitza aus der
Welt der Dunkelheit in die des Lichtes getragen; als die Vorräthe zu
Ende sind, giebt das Mädchen dem Vogel Fleisch von ihrem Schenkel zu
essen. Doch der Jüngling, der das Wasser des Lebens bei sich hat, heilt
das verliebte Mädchen; vgl. auch A fan. V, 23 und V, 28, wo wir statt
des Adlers den Falken finden. — Dieselbe Selbstopferung wird in einem
piemontesischen Mährchen (von mir in der ersten Nummer der Rivista
Orientale angeführt) von einem jungen Prinzen geübt, welcher über
das Meer setzen will, um die von ihm geliebte Prinzessin zu sehen; das-
selbe thut auch der junge Held des folgenden noch nicht bekannt ge-
machten toskanischeu Mährchens, welches ich von einem gewissen Martino
Nardini aus Prato horte : — „Ein dreiköpfiger Drache stiehlt während der
Nacht die goldenen Aepfel im Garten des Königs von Portugal; die drei
Söhne des Königs wachen während der Nacht: die beiden ersten schlafen
ein, doch der dritte entdeckt den Dieb und verwundet ihn. Den Tag
darauf folgen die drei Brüder der Spur, welche das Blut des Ungeheuers
zurückgelassen hat: sie kommen an einen schönen Palast, in welchem sich
eine Cisteme befindet; in diese wird der dritte Bruder hinabgelassen; er
hat eine Trompete bei sich, um ein Signal zu geben, wann er heraufge-
zogen werden will. Einem dunklen Pfade folgend gelangt er an eine
schöne Wiese, wo drei glänzende Paläste sind, einer von Bronze, einer
von Silber, und einer von Gold; der Blutspur folgend geht er in den
Bronzepalast; ein schönes Mädchen öfinet ihm das Thor, und ist erstaunt,
warum er in die unterirdische Welt herabgekommen sei ; die jungen Leute
gefallen sich einander und versprechen sich zu heirathen ; das Mädchen hat
eine Krone von Brillianten, von denen sie ihm die Hälfte als Pfand giebt.
Der Drache kojnmt heim und sagt:
^Ucci, ucci
0 che puzzo di Christianucci,
0 ce n'^ o ce n*^ stati,
O ce n*e di rimpiattati.*'
Das Mädchen, welches den jungen Helden versteckt hat, liebkost den
Drachen und lässt ihn in Schlaf fallen. Während er schläft, bringt sie
den jungen Mann aus seinem Versteck, giebt ihm ein Schwert und sagt,
er solle dem ungeheuer die drei Köpfe mit einem Schlage abhauen. Von
einem zweiten Mädchen unterstützt, macht es der junge Held in dem Silber-
palaste mit einem fünfköpfigen Drachen ebenso. Auch dem zweiten Mäd-
chen verspricht er, sie zu heirathen. Darauf klopft er an das Thor des
goldenen Palastes, das von einem dritten Mädchen geöffnet wird; auch
sie fragt: „Was führt Euch her, hierin der Unterwelt Euer Leben zu ver-
lieren? Hier wohnt der siebenköpfige Drache.*' Er verspricht, sie zu hei-
rathen; der Drache will nicht zur Ruhe gehen; doch das Mädchen be-
redet ihn schliesslich dazu, worauf die jungen Leute ihm den Kopf mit
48Ö
Der weise ^aeua des A vest a hat einen fast gleichen Cha-
rakter wie der vedische Vogel gyena. Nach dem Bandehe sh
zwei Streichen abbauen. Die drei Mädchen, welche drei von den Drachen
entführte Prinzessinnen waren, werden erlöst, und nehmen alle Schätze,
die sie finden können, zu sich, um sie auf die Oberwelt zu bringen. Sie
kommen an die Cisterne, der üeld giebt das Trompetensignal und die
beiden Brüder ziehen alle Schätze, wie auch die drei Mädchen herauf;
ihren jungen Bruder aber lassen sie allein in der unterirdischen Welt und
verschliessen die Cisterne mit einem Stein. Die beiden älteren Brüder
zwingen die drei Prinzessinnen, zu erklären, sie seien von ihnen befreit
worden; darauf gehen sie zu dem König von Portugal und rühmen sich
dieser angeblichen That, indem sie bemerken, der dritte Bruder sei umge-
kommen. Die drei Prinzessinnen sind traurig, worüber sich der König von
Portugal wundert. Die älteren Brüder wollen das Mädchen lieirathen,
welches in dem Bronzepalast war; diese erklärt jedoch, sie wolle nur den
heirathen, der ihr die andere Hälfte der Brilliantenkrone bringe. Sie
schicken zu allen (ioldschmieden und Juwelieren, um einen zu finden, der
sie anfertigen könne. Mittlerweile schreit der unten verlassene dritte
Bruder um Hilfe; ein Adler naht sich der Grube und verspricht, ihn auf
die Oberwelt zu bringen, wenn er seinen Hunger stillen wolle. Der junge
Held steckt auf Anweisung des Adlers Eidechsen und Schlangen in einen
Sack und ruft den Adler, nachdem er reichlichen Speisevorrath gesammelt.
Er befestigt den Sack um seinen Hals, um dem Adler jedes Mal, wenn
er Nahrung verlangt, ein Thier zu geben. Als sie noch ein paar Arm-
längen von der Oberwelt entfernt sind, ist der Sack leer; der Jüngling
schneidet sich selbst etwas Fleisch ab und giebt es dem Adler, der ihn
nun auch ans Ziel bringt Auf die Frage, wie er seine Heimath erreichen
könne, erhält der Jüngling von dem Adler die Anweisung, er solle nur
der Landstrasse folgen. Ein Holzkohlen Verkäufer kommt vorbei; unser
Held bietet ihm seine Dienste au, wenn er ihm zu essen geben wolle.
Jener behält ihn einige Zeit bei sich; dann empfiehlt er ihn einem alten
Manne, seinem Freunde, einem Silberschmied. Mittlerweile sind die Diener
des Königs sechs Monate lang gegen Sonnenuntergang gewandert, um
einen Süberschmied zu finden, der die andere Hälfte der Krone anfertigen
konnte, doch vergebens; sie wandern nun sechs Monate nach Sonnenauf-
gang, bis sie an die Wohnung des armen Silberschmieds kommen, wo der
dritte Bruder Dienste leiste\ Der Alte sagt, er könne die verlangte halbe
Krone nicht anfertigen; doch der Jüngling verlangt die andere Hälfte zu
sehen, erkennt sie wieder, und verspricht, sie in acht Tagen ganz zurück-
zubringen. Nach Ablauf dieser Zeit schickt der König nach der Krone
und dem Verfertiger, doch der Jüngling sendet statt seiner den Meister.
Die Prinzessin besteht darauf, auch dessen jungen Helfer zu sehen; er
wird geholt und in den Palast gebracht; der König erkennt ihn nicht
wieder, und fragt ihn, welche Belohnung er wolle ; er antwortet, er wünsche
das, was die Krone der Prinzessin kostet. Die Letztere erkennt ihn;
darauf auch ihr Vater. Der junge Held heirathet die Prinzessin, wie er
selbst ihr versprochen hatte ; die beiden Brüder werden mit Pech bestrichen
und dienen bei der Hochzeit als Fackeln.*^
486
stehen zwei (aenas an den Thoren der Hölle, welebe den beiden
Falken oder Geiern der Dämmemng in den Veden entsprechen.
Der Vogel mit schlagenden Flügeln, in welchen der Held Thrae-
taona im Eborda-Avesta verwandelt wird, erinnert uns an
den kriegerischen Geier der Inder nnd kann als Bindeglied zwi-
schen dem zendischen gaena nnd dem persischen Simnrg gelten.
Der Vogel Simnrg hat sein wunderbares Nest anf dem Berge
Elbnrs, auf einer Spitze ; die in den Himmel ragt und welche
keines Menschen Auge je erschaut hat. Der kleine Zal wird auf
diesem Berge ausgesetzt; er ist hungrig und friert; er schreit;
der Vogel Simnrg fliegt vorbei, hört sein G^chrei und trägt das
Kind in sein Nest. .Eine geheimnissvolle Stimme segnet den
herrlichen Vogel, welcher den Knaben ernährt, unterrichtet, be-
schützt und stark macht, ihm auch, als er ihn g^ehen lässt, eine
von seinen Federn giebt mit dem Bemerken, 2jal solle nur, wenn
er in Gefahr sei, diese Feder in das Feuer werfen; sofort werde
er zu seiner Hilfe dasein und ihn in das Königreich zurück-
tragen. ^ Er bittet ihn nur, seinen treuen und liebenden Erretter
nie zu vergessen. Darauf trägt er den jungen Helden in seines
Vaters Schloss. Der König preist den göttlichen Vogel mit fol-
genden Worten: — „0 König der Vögel! Der Himmel hat Dir
Stärke und Weisheit verliehen ; Du bist der Helfer des Bedürftigen,
gnädig den Guten, und der Tröster der Bedrängten; möge Deine
Grösse ewig währen !^' In dem fünften Abenteuer Isfendiars, bei
' In einem bisher nicht veröffentlichten Montferratensischen Mährchen
ist ein blinder König Vater von drei Söhnen; er würde geheilt werden,
wenn er seine Augen in Oel mit einer Feder des Vogels Greif, der anf
einem hohen Berge nistet, baden könnte. Der dritte Bruder hat das Glück,
ihn zu fangen , durch Hilfe einer alten Frau , der er sich gütig erwiesen
hat; er bringt den Vogel Greif seinem Vater, und dieser erlang^ sein
Augenlicht und seine Jugend wieder. — Vgl. Pentamerone IV, 3 die
Geschichte f in welcher ein Falke, d. h. ein verwandelter Prinz ebenfalls
dem Bruder seines Weibes eine seiner Federn giebt, die er in Bedrängniss
auf den Boden werfen soll; und wirklidi, als der junge Tittone es be-
nöthigt, erscheint ein Ueer Falken, um das von Tittone geliebte, aber ein-
gekerkerte Mädchen zu befreien. — Pentam. V, 5 dient der Falke einem
jungen König als Wegweiser; dieser sucht eine schöne Prinzessin, welche
eine Hexe in Schlaf versenkt hat und welche für todt gehalten wird. Sie
wird Mutter von zwei Söhnen, welche Sonne und Mond genannt werden.
— In Nr. 6 der sicilianischen Mährchen bei Frau L. Gonzenbach befreit
ein junger Manu einen Adler, welcher sich in den Zweigen eines Baumes
verfangen hat; durch eine für diesen Dienst eriialtene Adlerfeder kann
sich der junge Mann beliebig in einen Adler verwandeln.
487
Firdusi; erscheint dagegen der giganÜBche Vogel Simnrg als
dämonisch, als der, der mit seinen Schwingen die Sonnenstrahlen
verdunkelt (in den V ö g e 1 n des Aristophanes rufen die Zuschauer,
als eine grosse Zahl Vögel erscheint: ,;0 Apollo, die Wolken !'0-
Isfendiar kämpft mit ibm und haut ihn in Stücken.
Während in der skandinavischen und deutschen Mythologie
der Falke gewöhnlich eine glänzende Gestalt ist, welche von den
Helden und von Freya vorgezogen wird, ist der Adler eine fin-
stere Form, welche mit Vorliebe von den Dämonen oder wenig-
stens von dem Helden oder Gott (gleich Odin ^), der in der fin-
steren Nacht oder windigen Wolke verborgen ist, angenommen
wird« Die Edda erzählt uns, dass die Winde durch das Flügel-
schlägen eines Riesen hervorgebracht werden, welcher in Gestalt
eines Adlers am äussersten ^ Ende des Himmels sitzt ; aquila und
aquilo scheinen, wie etymologisch, so auch mythisch in innigem
Zusammenhange zu stehn. In den Nibelungen träumt Krim-
hilt, sie sehe ihren geliebten Falken von zwei Adlern erwürgt.
In dem Kapitel über den Elepbanten sahen wir, wie der
Vogel Garuda einen Elephanten, eine Schildkröte, einen Baumast,
und Einsiedler in die Lüfte trägt. In der griechischen Variation
desselben Mythus haben wir statt Garuda den Adler. In der
Edda kochen drei Äsen (Odin, Loki und Hönir) einen Ochsen
unter einem Baum; auf dessen Gipfel sitzt ein Adler, der ein
Stück von dem Fleisch zu haben wünscht Die Äsen willigen
ein ; der Adler nimmt fast den ganzen Ochsen fort, worauf Loki,
entrüstet, den Adler mit einem Pfahle verwundet; doch während
das eine Ende desselben in dem Adler haften bleibt, fährt das
andere in Lokis Hand, und der Adler entführt ihn in die Lüfte.
Loki fühlt seine Arme brechen und bittet den Adler flehentlich,
Erbarmen mit ihm zu haben; der Riesenvogel lässt ihn los, unter
der Bedingung, dass er statt seiner Iduna und ihre Aepfel erhalte.'
' Im neunten ehstnischen Mährehen ist es der Adler, welcher dem
Donnergott die Botschaft bringt, die ihn in Stand setzt, seine vom Teufel
gestohlene Wafie wiederzuerlangen. — Im ersten ehstnischen Mährchen
erscheint ebenfalls der Adler als der glückverfaeissende Bote des jungen
Prinzen.
* In dem Mährchen, La Principessa che non ride (in den No-
velline di S. Stef. di Calc.) haben die jungen Adler dieselbe Fähig-
keit, Alles, was sie berühren, hinter sich her zu ziehen; und wir können
diese ihre Eigenthtunlichkeit sehr wohl verstehn, sofern sie Gestalten der
Winde (oder der Wolken) sind; auch der Wind sieht Alles hinter sich
488
Bei Afanassieff V, 23 frisst der Adler die Sehafe eines
Baaeni; nachdem er von demselben Woblthaten empfangen. ^^Adler'^
nannte man im Mittelalter gewisse Dämonen, von denen es biess,
sie erschienen in Gestalt eines Adlers , besonders wegen ihres
räuberischen Wesens und ihrer Adlernase. ^
Der Falke dagegen, bemerke ich nochmals, erscheint gewöhn-
lich als g(Htlich, allem Diabolischen feindlich. Bei Afanassieff
V, 22 und VI, 46 verwandelt sich der Held in einen Falken,
um den Hahn zu erwürgen, in den sich der Teufel nietamorpho-
sirt hat (ein russisches Sprichwort sagt jedoch vom Teufel , dass
er mehr gefalle denn der glänzende Falke). ^ Wollte man in
der russischen Volkssprache etwas unmöglich bu Erreichendes
bezeichnen, so sagte man : „Gleich der Windsbraut auf dem Felde,
und dem glänzenden Falken am Himmel.'^ Wir wissen, dass
das lateinische accipiter und das griechische üi}ivjt%aQog
„sohnellbeschwingt'^ bedeuten. Bei Afanassieff 1, 7 erscheint der
Falke in Gegensatz zu der schwarzen Krähe. Als es dem jungen
Mädchen gelingt, als Mann verkleidet, den Tzaren drei Mal zu
täuschen, sagt sie zu ihm: „Ach! Du Krähe, Krähe 1 Du hast
nicht verstanden, o Krähe, den Falken in einem Käfig zu fangen/'
Der Falke war eines der unterscheidenden Zeichen des
her, was ihm in den Weg kommt, zumal der heftige Nordwind (aquilo). —
In russischen Mährchen haben wir bald die unheilvollen Störche, bald die
wunderbaren Gänse, welche die Stelle des Altes mitfortziehenden Adlers
einnehmen.
' In dem 10. der sicilianischeu Mährchen von Frau Gonzenbach dringt
der König der Räubermörder in das Zimmer, wo das junge Weib des
Königs schläft, au dem er sich rächen will. — Stephanus Stephanius, der
Erklärer des Saxo Grammaticus schreibt, dass es bei den Engländern,
den Dänen und anderen nordischen Völkern Brauch war, einem getödteten
Feinde zum Schimpf ein Schwert in den Rücken zu stossen, und zwar so,
dass der Rückgrat auf beiden Seiten durch eine Wunde der Länge nach
getrennt wurde; dann wurden herausgeschnittene Fleischstreifen an den
Seiten befestigt, um Adlerflügel darzustellen. (In russischen Volksmährchen
finden wir bei Kämpfen zwischen Helden und Ungeheuern häufig An-
spielungen auf einen ähnlichen Brauch.)
* Panravilas satanä Indshe yasnavo sakalä, A fan. VI, 16. — Das
Sprichwort kann jedoch einen andern Sinn haben, nämlich: der Teufel in
persona ist besser als eine schöne Maske, hinter der etwas Diabolisches
steckt Der Teufel nahm bisweilen die Gestalt eines Falken an, wie wir
aus der Sage von Endo wisseu, der sich in eine Person verliebte, die nur
eine Erscheinungsform des Teufels war; Guilclmus Neubrigensis, üist
An gl. I, 19.
r
4S»
mittelatteriiehen Rittere; sogar Edelfrauen hielten Falken. Krim-
hilt zieht einen wilden Falken; als Brnnhilt sich auf den Scheiter-
baafen stürzt, um Sigurd nicht zu Überleben^ lässt sie zwei
Falken und zwei Hunde mit opfern. Auf den Grabroälem mittel-
alterUoher Ritter und EdelArauen fand sich nicht selten ein Falke
als Emblem ihres Adels. Nach einem Qesetz vom Jahr 818
sollten Scbw^ und Falke des unterliegenden Ritters von dem
Sieger respectirt werden imd im Besitze des Besiegten bleiben:
der Falke zum Jagen, dae Schwert zum Kämpfen. Bei Du Gange
lesen wir, dass im Jahre 1642 Monsieur de Sassay als sein
Feudalrecht in Anspruch nahm, „nt nimirum accipitrem suum
ponere posbit gsuper altare majus ecclesiae Ebraicensis (von
Evreux), dum sacra in eo peragit ocreatus calcaribusque instruc-
tns presbyter parocbus d'Ezy, pulsantibus tympanis, oiganorum
loco.'^ Nach bqrgundffichem Rechte musste der, der eines Anderen
Falken zu stehlen versuchte, vor Allem den Falken selbst gewin-
nen^ indem er ihm zu essen gab (sex nncias camis aceipiter ipse
super testones comedat); weigerte sich aber der Falke zu essen,
so hatte der Räuber dem Eigenthümer Entschädigung zu leisten
und ausserdem eine Geldstrafe zu bezahlen (sex solido» Uli cujus
aceipiter est, eogatuf exsolvere; muletae autem nomine solides
duos)* Nach einer Mittheilung meines gelehrten Freundes, Graf
Geia Kuun, war der Falke das Feldzeichen Attilas. Nach einer
in der Chronik von Keza und Buda bewahrten Sage sah Emeaa,
als sie mit Attila sehwanger ging, im Traum einen Falken, der
ihr eine glttckliche Zukunft verkttndete.
Nicht weniger geehrt war der Falke im griechischen Alter-
thum ; nach Homer war er der schnelle Bote Apollos ; nach Aelian
der dem Zeus heilige Spion Apollos; nach Porphyries (welcher
Jedem, der Wahrsagerei treiben will, das Herz eines Falken,
Hirsches oder eines Maulwurfes empfiehlt) hat er nach dem Tode
die Fähigkeit zu prophezeien. In der Iliad e wird Apollo, der
von dem Berge Ida herabkommt, mit dem schnellen Falken, dem
Tödter der Tauben, dem schnellsten aller Vdgel, vergUcben.
Zahlreich sind die abergläubischen Vorstellungen, die sich an den
Falken knüpfen, welche Aelian gesammelt hat; so z. B. dass er
nicht die Herzen der Thiere frisst; dass er über einem Leichnam
webklagt; dass er Unbegrabene einscharrt, oder wenigstens ihre
Augen mit Erde bedeckt, da er in diesen die Sonne wiederzu-
sehen glaubt, auf welche er als das liebste Gestirn immer den
Blick heftet; dass er Gold liebt; dass er siebenhundert Jahre
490
lebt; nicht zn sprechen yon den ausserordentlichen Heilkräften,
welche immer jedem heiligen Thiere zugeschrieben werden; und
welche ganz besonders als dem heiligen Falken wesentlich an-
haftend betrachtet werden. Mehre von den Eigenschaften des
heiligen Falken gingen auch auf Falken niederer Art tlber, so
z. B. auf den Habicht (milvus), ^ von welchem es heisst, dass er
unter die Sterne versetzt worden sei, weil er dem Zeus die Ein-
geweide des Ungeheuers Stier-Schlange gebracht habe, und nach
dem dritten Buche von Ovids Fasti, weil er dem Zeus den ver-
lorenen Ring wiedergebracht (eine alte Form des mittelalterlichen
Ringes Salomos, d. h. der Sonnenscheibe): —
^ ,,Jupiter alitibus rapere imperat, attulit illi,
Milaus et mentis venit in astra enia/^
Bezüglich des Habichts finden wir eine Fabel, ^ nach welcher
er in der Todesstunde seine Mutter bittet, die benachbarte Statue
des Gottes um Qnade anzuflehen, und besonders um Verzeihung
für den Frevel, den er oft begangen, indem er sich auf das Bild
des Gottes entleert habe. '
Eine reichere Version dieser Erzählung finden wir in einer
anderen Fabel, welche das griechische Sprichwort illustrirt:
yfOerov Tuiv^Qog fmieverai'' ; doch haben wir statt des Falken den
Käfer, und statt der Statue den Gott selbst, Zeus, mit Adlers-
eiem in seinem Schoosse. Der Käfer (der gastliche Mond) will
den Adler bestrafen, der die Gesetze der Gastfreundschaft in Be-
zug auf den Hasen (ebenfalls der Mond) verletzt hat, und ver-
sucht seine Eier zu vernichten; der Adler geht und legt sie in
den Schoos des Zeus; der Käfer, der weiss, dass Zeus alles Un-
reinliche hasst, lässt etwas Koth auf ihn fallen ; Zeus vergisst die
Eier, schüttelt sich und zerbricht sie. Hier ist der Adler mit
Zeus identificirt, wie in den vedischen Hymnen der Falke mit
Indra. In der ersten von Pindars pythischen Oden spricht der
Dichter von dem Adler als auf dem Scepter des Zeus schlafend
(ein Donnerkeil ist das wirkliche Scepter des Zeus). Der Adler
des Zeus wird auch als den Donnerkeil in seinen Klauen haltend
* In. Piatos Phaedon werden raubgierige' Menschen in Wölfe und
Habichte verwandelt
* Vgl. Aldroyandi, Ornith. v. — An einer andern Stelle sagt Aldro-
V a n d i : „Narrant qui res Africanas Uteris mandarunt Aquilam marem
aliquando cam Li^ia coire . . . producique ac edi Draconeni) qui rostro et
alis avis speciem referat, cauda serpentem, pede Lupum, cute esse versico*
lorem, nee supercilia posse attoUere.'*
491
dargestellt^ was mit dem Sprach: ^^Fulmina sub Jove sunt'' in
völligem Einklang steht. Als Zens sich zum Kampfe gegen die
Titanen rüstet, bringt ihm der Adler seinen Pfeil ^ aas welchem
Grande Zeas den Adler za seinem Feldzeichen nahm. Bei Di o
Cassias lassen die Adler die goldenen Donnerkeile aas ihren
Klanen aaf das Lager der Pompejaner fallen and fliegen zu dem
Lager Cäsars, ihm den Sieg za verkünden. Wir finden bei den
Alten sehr zahlreiche Beispiele von Adlern, welche den Helden
bald Sieg, bald die höchste Macht verkünden, welche sie bald
nähren, bald retten, bald sich selbst für sie opfern. ^ Der Adler
des Zeas, der königliche Adler, nährt sich nicht von Fleisch,
sondern von Kräatem, besonders von der Feachtigkeit dieser
Kräuter; daraas verstehen wir den Raab des Ganymedes, des
Schenken des Zeas, welcher von dem Adler in derselben Weise
entführt wurde, wie der Falke Indras im Bigveda den Soma
raubt. Der griechische Adler ist gewöhnlich, gleich Zeus, ein
Spender von Licht, Fruchtbarkeit und Glück Plinius erzählt von
einem Adler, welcher unmittelbar nach der Heirath des AugustuS,
als ein Vorzeichen der Fruchtbarkeit in der Familie, der Livia
Drusilla eine weisse Henne mit einem Lorbeerzweige im Schnabel
in den Schooss fallen Hess; dieser Lorbeerzweig wurde einge-
pflanzt und wuchs zu einem herrlichen, dichten Hain heran; die
Henne aber hatte eine so zahlreiche Nachkommenschaft, dass
später das Landhaus, wo sich das zugetragen, die „Hennenvilla''
hiess. Sueton macht dazu die Bemerkung, dass im letzten Lebens-
jahre des Nero sämmtliche Hennen starben und das Lorbeer-
wäldchen einging. Wir finden den Adler in Zusammenhang mit
dem Lorbeer auch in dem Mythus von Amphiaraos, dessen Speer,
von dem Adler entflihrt und in den Boden gesteckt, zu einem
Lorbeerbaum heranwuchs.
Als in Kapitel I des ersten Theiles von dem Mythus von
der Aurora die Rede war, erwähnten wir den jungen Helden,
der die schöne Prinzessin am Ufer des Flusses ihrer Kleidung
beraubt Im griechischen Mythus finden wir eine zoologische
Version dieser Sage. Aphrodite (hier die Abend-Aurora) badet
im Acheloos (dem Strome der Nacht); Hermes (das äusserste
' Denen, die alles das zusammenfinden wollen, empfehle ich die Lek-
türe von Aldrorandi, Ornithologia I, wo sie eine umfangreiche und
gründliche Behandlung der Raubvögel finden. — Vgl. auch Bachofen, D i e
Sage von Tanaquil, Heidelberg 1870.
492
westliche Licht, and vielleicht sogar der Moi^) verliebt sich in
sie nnd lässt vom Adler (dem Vogel der Nacht) ihr die Kleider
fortnehmen ; um diese wiederzuerlangen, gewährt ihm die Göttin
Alles, was er verlangt. Bei Strabo finden wir eine Version
dieser Erzählung; welche uns an das Feenmährchen von Cinderella
erinnert. Während Rhodope badet, erhascht der Adler einen ihrer
Pantoflfeln ans den Händen der Mägde und trägt ihn zu dem
Könige von Memphis, der beim Anblick des Schuhs sofort sich
in den Fuss, der ihn getragen, resp. in dessen Besitzerin verliebt;
er lässt alle Lande nach dem Mädchen, dem der Schuh gehört,
durchsuchen> und heirathet Rhodope, als diese sich endlich findet.
Aelian sagt, dass Psammetich dieser König war. Doch ist der
griechische Adler nur so lange segensreich, als der Gott Zeus, den
er darstellt^ gnädig ist; als Zeus der Tyrann des Himmels wird
und den Prometheus verurtheilt, an einen Felsen gebunden zu
werden, ist es der Adler, der an seinem Herzen frisst. Und weil
der Dichter Aeschylos den Prometheus verherrlichte ^ indem er
ihn die Tyrannei des Zeus verfluchen liess, deshalb ohne Zweifd
ging die Sage, dass Aeschylos, der kahlköpfige Alte, von einer
Schildkröte getödtet wurde, welche der Adler, seinen Kopf für
einen weissen Felsen haltend, aus der Höhe hatte herabfallen
lassen, um jene zu zerbrechen und dann zu verzehren. Der Adl^^
der nach Theophrast denjenigen ^ welche schwarze Nieswurz
abschnitten, den Tod verkündete, war ebenfalls ein unheilvoller
und dämonischer Vogel. In dem achten Buche von Ovids Meta-
morphosen wird König Nisus, der goldhaarige (die Abend-
sonne)^ in einen Seeadler (Nacht oder Winter) verwandelt, als
seine Tochter Scylla (Nacht oder Winter), um ihn den Feinden
in die Hände zu geben, ihn seiner Stärke beraubt^ indem sie ihm
die Haare abschneidet (eine augenfällige Variation der Sonnen-
sage von Simson und Delila). ^
Auch der Geier ist in den Sagen alter Klassiker ein heiliger
Vogel; Herodot sagt, dass er dem Heracles sehr theuer ist (dem
Tödter des Adlers, der an dem Herzen des Prometheus nagt,
* Es ist sehr zu bi dauern, dass der Verf. solche Parallelen zwischen
indogermanischer und semitischer Mythologie nicht öfter zieht. Ein weites
Gebiet der Forschung liegt hier noch vor uns. Bahnbrechend auf dem-
selben und eine neue Epoche für die Erklärung der mythischen Bcstand-
theile des Alten Testamentes anhebend, dürfte die Arbeit eines jüngeren
Gelehrten werden, welche in hoffentlich nicht zu langer Zeit erscheinen
wird, A. d. Uebers.
welcher fttr den Helden den Becher gemacht hatte, in welchem
er im Stande war, über das Meer zu 8etzen); er kündigt dem
Romains^ Caesar und Augustus die Alleinherrschaft an. Plinius
schreibt; dass verbrannte Geierfedem Schlangen fliehen machen;
dieselben Federn haben nach Plinius die eigenthümliche Fähigkeit,
die Geburtswehen zu erleichtem, zumal, wie Hieronymus (adv.
Jovinianum II) schreibt, „si medicorum volumina legeris^ videbis
tot curationes esse in vulture, quot sunt membra/'^ Zwei Geier
(eine Erscheinungsform der A$vins) fressen täglich in der Hölle
die immer wieder wachsende. Leber (immortalejecur Virgils)
des Riesen Tityo, des Beleidigers der dem Jupiter theuren Latona
(des Mondes). (Das Ungeheuer der Nacht wird jeden Tag ge-
tödet, erhebt sich aber jede Nacht wieder von Neuem.) Die beiden
Jünglinge Aegipios und Nephron sind eine andere Gestaltung der
A^vins; sie hassten einander wegen der Liebe, die Jeder zu der
Mutter des Andern hegte, und wurden von Zeus in zwei Geier
verwandelt, nachdem sich Aegipios, infolge einer List Nephrons,
mit seiner eigenen Mutter vereinigt hatte. Iphiclos bittet die
VQgel um Rath, wie er Kinder bekommen l^önne, von dem Geier
abwärts, während dieser allein den Grund anzugeben wusste,
warum Iphiclos keine Kinder hatte, und auch allein ihm die
Mittel, zu solchen zu kommen, bezeichnen konnte. Philakos hatte
den Iphiclos zu tödten versucht; als es ihm nicht gelungen war,
befestigte er sein Schwert an einen wilden Birnbaum; um das
Schwert wuchs eine Decke von Baumrinde, welche es den Blicken
der Menschen verbarg. Der Geier zeigt den Platz, wo dieser
Baum wächst, und giebt dem Iphiclos die Anweisung, die Rinde
abzunehmen, den Rost von dem Schwerte abzuschaben und ihn
nach zehn Tagen mit einem Trinkspruch zu trinken; Iphiclos
erhält Nachkommenschaft.
Der Geier bewahrt also in der griechisch-römischen Sage
gewöhnlich den heroischen und göttlichen Charakter, den er in
der indischen hat, obwohl seine Gehässigkeit in der alten Volks-
phraseologie sprflchwörtlich wurde. Lucian nennt einen grossen
Esser den grössten aller Geier. Femer wurde ihm die besondere
Fähigkeit zugeschrieben, einen Leichnam zu wittern, sogar schon
vor dem Tode; daher sagt Seneca in einer Epistel an Jemanden,
■ Vergleichende Stadien über Volksmedicin könnten das Thema eines
besonderen Werkes abgeben, das sehr instructiT und interessant werden
dürfte.
494
der die Erbschaft einer noch lebenden Person nicht erwarten
kann : ^^Vnltur es^ cadaver exspectas^', and Plantos sagt im T r u -
culentns von gewissen Parasiten: ^,Jam quasi vultarii triduo
prius praedivinabant, quo die esitori sient/'
Neben diesen königlichen Raubvögeln^ welche mythisch wurden,
sind noch mehre mythische Raubvögel; die niemals existirten^
anzumerken, so z. B. der Phönix , die Harpye, der Greif, die
Strigen , die Seleucidenvögel , die stymphalischen Vögel , und die
Sirenen. Die Volksphantasie glaubte lange Zeit an ihre Existenz,
doch gilt von ihnen Allen dasselbe, wie von dem arabischen
Phönix :
,,Zwar rühmen Alle sein Bestehn,
Doch hat ihn Niemand je gesehn.*' ■
In der That, Niemand hat sie je gesehen; ein paar Gott-
heiten oder Helden allein nahten sich ihnen; ihr Sitz ist im
Himmel, wo sie, nach ihren verschiedenen Naturen und den ver-
schiedenen Plätzen, die die Sonne oder der Mond am Himmel
innehaben, anziehen, rauben, verfuhren, bezaubern oder vernichten.
Der Phönix ist ohne allen Zweifel die östliche und westliche
Sonne; daher konnte Petrarca mit Recht singen:
,,N^ 'n ciel n^ 'n terra h piu d'una Fenice/*
da es doch nur eine Sonne giebt; und wir sagen, gleich
den alten Griechen, von einem seltenen Mann, resp. einer solchen
Sache, dass er oder sie ein Phönix ist Tacitus, der im vier-
zehnten Buch die Fabel vom Phönix erzählt, nennt ihn animal
sacrum soli; Lactantius sagt, dass er allein die Geheimnisse
der Sonne kennt:
,,£t sola arcanis consda, Phoebe, tuis,**
und stellt ihn dar als seinem Vater im Tempel der Sonne die
letzten Ehren erweisend ; Claudian nennt ihn avis Solls, und
beschreibt sein ganzes Leben in einem schönen kleinen Gedichtchen.
Er ist im Osten geboren, im Walde der Sonne, und nährt
sich, bis er seine volle glänzende Gestalt gewonnen hat, von
Thau und Wohlgerttchen ; daher sagt Lactantius:
„Ambrosios libat coelesti nectare rores
Stellifero teneri qui ceddere polo.
Hob legit, his mediis alitor in odoribus ales,
Donee maturam proferat effigiem/*
> „Come TAraba Fenice;
Che ci sik, ciascan lo dice;
Dove sik, nessun lo sa/'
495
Dann nährt er sich von Alleni^ was er sieht. Wenn er dem
Sterben nahe ist, denkt er nnr an seine Neugebort:
„Componit bustumque sibi partumque faturam** (Claud.);
er soll einen kleinen Wurm in seinem Neste niederlegen, welcher :
„Fertur vermis lacteus esse color" (Lact.).
Bevor er stirbt, mfl; er die Sonne an:
„Hie sedet et solem biando clangore salatat
Debilior miscetqae preces et sapplice cantu
Praestatura novas vires incendia poscit;
Quem procul abductis vidit cum Phoebus habenis,
Stat subito dictisque pium solatur alumnum** (Claud.). ^
Die Sonne löscht den Brandy welcher den Phönix verzehrt und
aus welchem er wieder erstehen soll. Schliesslich wird der Phönix
mit der Dämmerung wiedergeboren:
f^Atque ubi sol pepulit fulgenüs lumina portae,
Et primi emicuit luminis aura levis,
Incipit iUa sacri modulamina fnndere cantus,
Et mira lucem voce eiere novam" (Lact.).
Meines Erachtens sind keine Beweise weiter nöthig, die
Identität des Phönix mit der Morgen- und Abendsonne, und in
weiterem Sinne, mit der Herbst- und Frtthlingsonne zu erhärten.
Was von ihm im Alterthum und im Mittelalter gefabelt wurde,
stimmt vollständig ttberein mit der zweifachen glänzenden Er-
scheinung der Sonne, welche jeden Tag und jedes Jahr stirbt,
um aus ihrer Asche wiedergeboren zu werden, und der des Helden
(resp. der Heldin), welcher unverletzt durch die Flammen des
Scheiterhaufens hindurch schreitet
Wenn ich nicht Alles, was sich auf die semitische c(nd ägyp-
tische Mythologie bezieht, bei Seite gelassen hätte , um mich ein-
zig und allein mit den Mythen der Indogermanen und theilweis
denen ihrer nächsten Nachbarn, der Turanier, zu beschäftigen, so
hätten interessante Details über den Cult des Phönix wie auch
anderer Thiere in Aegypten geliefert werden können. Auf jeden Fall
lässt sich behaupten , dass der Gült des Phönix zu Heliopolis eine
durchsichtige zoologische Gestaltung des Sonnenmytbus ist Auf
den europäischen Grabdenkmälern hat man oft genug später den
Phönix mit dem Motto: post fata resurgo, als Symbol der
Unsterblichkeit der Seele dargestellt.
Die Natur des Phönix ist dieselbe wie die des brennenden
Vogels (szar-ptitza) russischer Feenmährchen , welcher den Zwerg
verschlackt, der seine flier stehlcD geht (die Abepd-Aorora ver-
schluckt die Swne). ^
Der Sonneiiyogel des Abends ist ein Raubvogel ; er zieht mit
seiner feuchten Klaue an sich; er zieht in die Dunkelheit der
Nacht ; er hat die Nacht hinter sich ; seine Erscheinung ist be-
zaubernd und sein Blick verlockend, doch der übrige Körper ist
ebenso grässlich, wie seine Nfttor.
Vergil und Dante schreiben den Harpyen Weibergesichter zu :
^Ali baimo late e colli e visi umani
Piü con artigli e pennuto il gran yentre/*
Rutilius' sagt, dass ihre Klauen kleberig sind:
i,Quae pede glutiueo qaod tetigere trahuiit "
Andere gebep ihnen Geierleiber; Bärenohren , Menschenarme und
FUsse, und die weissen Brüste von Weibern. Servius bemerkt,
als er von ihrem Namen ,;Canes Jovis'^ spricht, dass ihnen dieses
Epitheton gegeben wurde, weil sie die Furien in Person sind,
„unde etiam epulas apud \rergilium abripiunt, quod Furiarum esf
Diener der Rache des iZeus, besudeln sie die Ernte des König-
Sehers Phineus, des von Apoll begeisterten, den Einige als eine
Gestaltung des Prometheus, des Oflfenbarers der Geheimnisse des
Zeus, Andere als den Blenaer seiner eigenen Söhne betrachten.
Der Raubvogel, der Abendsonnenvogel wird während der
Nacht eine Strix oder Hexe. Wir machten schon auf den Volks-
glauben aufmerksam, dass die Katze im Alter von sieben Jahren
eine Hexe wird. Ein alter Aberglaube, den Aldrovandi überliefert,
erkennt ebenfalls Hexen in Katzen, und es heisst dort auch, dass
sie in dieser Gestalt den Kindern das Blut aussaugen. Dasselbe
thun die Hexen der Volksmährchen ^ und die Striges. Während
der Nacht saugen sie den Kindern das Blut aus, d. h. die
Nacht nimmt der Sonne die Farbe, das Roth, das Blut Ovid
stellt im sechsten Buche der Fasti die bösen Striges *folgender-
massen dar:
« Vgl. A fan. V, 27.
> Itip. L
* Theil Ii Kftp. 1 sahen irir, vie die Hexe dem «ßh^nen Mädohen die
Briiste auAi^aogt — Bei Dfi Cai^ge, s. y. Amma l<9l|en ifir Folgendes : ,,l8i-
doruB, lib. Xli, cap. Vil, bubo strfx nocturna: ,Haec avis, inquit ille,
vulgo Amma dicitur ab amando parvulos, unde et lac praebere dicitur
nascentibus* Anilem banc fabulam non habet Papiaa MS. Ecclesiae Bitu-
rtoeMis. Sic enim ille: Amma afis nocturna ab aoiando dicta, baec et
ftäz dioitnr a Stridore."
497
,,Nocte volant, paerosque petunt nutricb egentes,
£t vitiant cunis corpora rapta suis.
Carpere dicantur iactentia viscera rostris,
Et plenum poto sanguine guttur habent/*
Festas leitet das Wort strix a stringendo ab^ wegen des
landläufigen Glaubens^ dass sie Kinder erwürgen. Die Striges
greifen in dem obenerwähnten Bache der Fasti das erst fünf
Tage alte Kind Procas an
„Pectoraque exsorbent avidis infantia Unguis**
Die Nymphe Crane vertreibt die Hexen mit einer Zanberrnthe und
heilt so die Kinder :
„Protioiis arbutea postes ter in ordine tangit
Fronde ter arbutea limina fronde notat.
Spargit aquis aditns, et aquae medicamen habebant,
Extaque de porca cruda bimestre tenet.**
Die üblichen Beschwörungsformeln werden binzugeftlgt und
schliesslich :
nPost iilud nee aves cunas violasse feruntur,
Et rediit puero qui fuit ante oolor.**
Serenus Sammonicus empfiehlt als Schutzmittel, wenn die
strix atra das Kind bedrängt, Knoblauch, dessen starker Geruch ,
wie wir sahen, sogar den Ungeheuern Löwen zur Flucht treibt.
Dieselbe bösartige und dämonische Natur theilen auch die
Fledermäuse und die Vampyre, welche ich in den beiden Be-
schwingten, die nicht zu saugen gebeten werden, eines vedischen
Hymnus erkenne. ^
Eine analoge Natur hatten die stymphalischen Vögel, welche
die Sonnenstrahlen mit ihren Schwingen verdecken, ihre Federn
als Pfeile gebrauchen, Menschen und Löwen verschlingen, und
wegen ihrer Klauen furchtbar sind :
„Ungnibus Arcadiae volucres Stymphala colentes^* (Lucr.);
Heracles und später die Argonauten scheuchten sie durch das
' Mft mäoi ime patatrini vi dugdhäm; Rigv. I, 158, 4. — In Sicilien
heisst die Fledermaus taddarita und wird als eine Gestaltung des Dä-
mons betrachtet ; um sie zu fangen und su tödten, singt man :
ttTaddarita, *ncanna, 'ncanna,
Lu dimonio ti 'ncanna
£ ti *ncanna pri li peni
Taddarita, veni, veni.*'
Wenn sie gefangen ist, wird sie beschworen, weil sie gotteslästerliches Oe-
schrei ausstosst. Man tödtet sie durch Feuer, oder aber heftet sie an ein
Kreus.
0«b«ni«tli, dl« Thl«r«. 32
498
Geräusch eines musikalischen Instrumentes und durch Zusammen-
schlagen ihrer Schilde und Speere zum Fluge auf. Der Vogel
von Seleucia^ den Galenus als ^^von unersättlicher Gier, bösartig,
schlau ; Verschlinger von Heuschrecken^' beschreibt, hat ebenfalls
diese diabolische Natur. Wenn unsere Identification der Heu-
schrecke mit dem Monde annehmbar ist, so genügt schon sein
Schatten, die Heuschrecke zu tödten. Sofern jedoch die Heu-
schrecken als Vemichter von Getreide betrachtet werden, werden
die Vögel von Seleucia, welche sie zu verschlingen kommen, für
segenbringend und tlir die Diener des Zeus gehalten.
Die Greife werden mit einer Doppelnatur dargesteDt, baicf
als günstig, bald' als bösartig. Solinus nennt sie: „alites fero-
cissimae et ultra rabiem saevientes.^' Ktesias erklärt, dass Indien
Grold in Bergen besitzt, welche von Greifen bewohnt sind, die
vierftlssig, so gross wie Wölfe sind, Beine und Klauen von Löwen,
rothe Federn an der Brust und an andern Theilen, Augen von
Feuer und goldene Nester haben. Um des Goldes willen kämpfen
die einäugigen Arimaspi mit den Greifen. Da die Letzteren
lange Ohren haben, so hören sie leicht die Goldräuber, und wenn
sie dieselben fangen, so tödten sie sie unerbittlich. Im griechi-
schen Alterthum waren die Greife der Nemesis, der Rachegöttin,
heilig, und wurden auf Gräbern dargestellt, wie sie einen Stier-
kopf niederdrücken ; doch waren sie weit berühmter als der goldenen
Sonne, dem Apollo, heilig, dessen Wagen sie zogen (der Hippo-
gryph, der in mittelalterlichen Heldengedichten den Helden trägt,
ist völlig gleichbedeutend mit ihnen). Und da Apollo die prophe-
tische und wahrsagende Gottheit ist, deren Orakel sich auf Be-
fragen in Räthseln offenbart, so bedeutet das Wort Greif auch
Räthsel: Logogryph ist eine räthselhafte Rede, und griffonnage
ist das, was wir etwa „Erähenftlsse'' nennen.
Was endlich die Sirene oder Seejungfer betrifft, welche ein
Weibsgesicht hat, und bald in einen Vogel, bald in einen Fisch
endigt, nach griechischen Grammatikern jedoch oben die Gestalt
eines Sperlings, unten die eines Weibes hat, so scheint sie viel-
mehr ein lunares denn ein solares Wesen zu sein. Die Sirenen
locken besonders Schiffer an, und fliegen hinter dem Schiff des
schlauen Odysseus her, der sich die Ohren zustopft, weshalb sie
sich verzweifelnd ins Meer stürzen. Die Sirenen sind Zauberinnen
gleich Circe ; darum nennt sie Horaz zusammen : ^
' Nach einem, bis jetzt noch nicht veröffentlichten, sicilianischen Mähr-
499
»ySirenum voces et Circes pocala nosti/*
PlininSy welcher an ihre Existenz in Indien glaubte, schrieb ihnen
die Fähigkeit zu, Menschen in Schlaf zu singen, uro sie dann za
zerreissen ; sie beruhigten die Winde des Meeres durch ihre süssen
Stimmen; sie wussten und offenbarten Alles (gleich der Fee oder
Madonna Mond). Manche sagen, dass die Sirenen aus dem
Blute des von Heracles getödtoten Acheloos stammen; Andere,
dass sie Kinder des Acheloos und einer der Musen sind; Andere
wieder, dass sie einst Mädchen waren, welche Aphrodite in Sire-
nen verwandelte, weil sie Jungfrauen bleiben wollten. In dem
16. ehstnischen Mährchen verliebt sich die schöne Meermaid, die
Tochter der Mutter der Wasser, in einen jungen Helden, mit dem
sie sechs Tage in der Woche gemeinschaftlich zubringt; den
siebenten, Donnerstag, verlässt sie ihn, um in die Fluthen zu
tauchen, verbietet jedoch dem Jüngling, sich ihr neugierig zu
nahen: der junge Mann ist unfähig , seine Neugierde zu unter-
drücken, überrascht das Mädchen im Bade, und entdeckt, dass
sie unten Fisch and oben Weib ist:
„Desinit in piscem mnlier formosa sapeme;"
die Meermaid weiss sich beobachtet und verschwindet für immer
den Blicken des Jtlnglings. ^
chen, welches mir Dr. Ferraro mittheiltc, eatführte einst eine Sirene ein
Mädchen und nahm es mit sich auf die See; obwohl sie ihr gelegentlich
erlaubte, auf das Ufer zu gehen, so machte sie ihr doch ein Entkommen
durch eine an ihren eigt>nen Schwanz befestigte Kette unmöglich. Der
Bmder befreite seine Schwester, indem er der Sirene Brod und Fleisch
hinwarf, ihren Hunger zu stillen, während sieben Grobschmiede beschäftigt
waren, die Kette zu durchfeilen.
' Vgl die Geschichte von der schönen Melusina; femer Pentame-
rone IV, 7, wie auch die Lohengrinsage in dem Kapitel über den Schwan.
dl*
500
KAPITEL m.
Der Zaunkönig, der Küfer niid das JohanneswflrmclieB«
Von den grössten Vögeln gehen wir jetzt zu den kleinsten
über; von dem rex zu dem regnlns (italien. capo d'oro,
Goldkopf), und zu den rothen, goldenen und grünen Käfern (gelb
und grün werden oft miteinander vertauscht, wie schon früher an
den gleiclibedeutenden Wörtern: hari und harit gezeigt wurde),
welche mit ihm gleichbedeutend sind und in der Mythologie für
ihn eintfeten. Ich sehe den Zaunkönig in dem sehr kleinen
Vogel (iyattikä Qakuntikä) des Rigveda, welcher da« Gift der
Sonne verschlingt. * In einem deutschen Volksliede betrauert der
Zaunkönig die Uebel des Winters, den er übrigens darsteUt (in
seinem Charakter als Mond absorbirt er die Dünste der Sonne).
Ein schottisches Kinderlied feiert des Zaunkönigs Testament:
„The wren, she lies in care's nest,
Wi' meikle dole and pyne.*'
Der Zaunkönig (gr. ßaackiaxog, altd. kunigli) erscheint
gleich dem Käfer als Nebenbuhler des Adlers. Er fliegt höher
als der Letztere. In einem Montferratensischen Mährchen ^ fordern
Adler und Zaunkönig einander heraus, ihre Flugkraft zu messen.
Alle Vögel sind anwesend. Während sich der Adler, den Zaun-
könig verachtend, stolz in die Lüfte erhebt, und so hoch fliegt,
dass er bald ermüdet ist, hat sich der Zaunkönig unter eine seiner
Schwingen gesetzt, kommt, als er ihn erschöpft sieht, heraus, und
steigt, Sieg rufend, noch höher. Plinius sagt, dass der Adler der
Feind des Zaunkönigs ist: „Quoniam rex appellatur avium.''
' Gaghftsa te visham; Rigv. I, 191, 11.
* Nach Mittbeilung meines Freundes Dr. Ferraro. — Ein ähnliches
Mährchen wird noch in Pommern, Brandenburg, und in Irland erzählt,
mit der Variation, dass der Storch der Rival des Adlers im Fliegen ist:
ab der Storch ermüdet herabfallt, kommt der noch nnermüdete Zaunkönig,
der unter seinen Flügeln verborgen war, hervor, um sich mit dem Adler
zu messen und ist siegreich. — In einem hessischen Volksmährchen schlägt
der Zaunkönig sämmtliche, vom Bären geführte Thiere durch eine List
in die Flucht.
501
Aach Aristoteles erzählt; dass der Adler nnd der Zaunkönig mit-
einander kämpfen. Die Fabel von dem ' Wettkampfe zwischen
dem Adler und dem Zaunkönig war schon im Alterthum bekannt ;
derselbe soll stattgefunden haben^ als die Vögel einen König ein-
setzen wollten. Der Adler, der höher als alle anderen Vögel ge-
flogen war, sollte eben als König proklamirt werden ; da flog der
Zaunkönig unter einer seiner Schwingen hervor, setzte sich auf
seinen Kopf und erklärte sich llir siegreich. Der Zaunkönig und
der Käfer scheinen gewöhnlich den Mond darzustellen, welcher
als Beschtltzer der Ehen bekannt ist; aus diesem Grunde sollten
nach Aratos keine Heirathen stattfinden, während der Zaunkönig
in der Erde verborgen war. Wir wissen, wie der Vollmond (ein
phallisches Symbol) als die günstigste Zeit fttr Heirathen be-
trachtet wurde. Nach Sueton wurde der Tod Cäsars an den
Iden des März durch einen Zaunkönig vorverkündigt, der in dem
Pompejanischen Tempel von mehren andern Vögeln zerrissen
wurde, als er einen Lorbeerzweig fortrug (ebenso der Adler; aus
dem winterlichen Dunkel, welches ganz besonders von dem Monde
regiert wird, kommt der Frühling hervor; der schwarze Adler
stellt bisweilen die Dunkelheit dar, wie der Zaunkönig den Mond,
welcher in der Dunkelheit wandert).
Wir sahen im vorigen Kapitel den Käfer, der auf dem Adler
fliegt Plinius sagt von den persischen Magiern, dass sie Hagel,
Heuschrecken und andere ähnliche Landplagen fortzauberten,
indem mit einem Smaragd „aquilae scalperentur aut scarabaei.'^
Nach Telesius nennen die Galabrier in Cosentino den goldgrttnen
Käfer „Mondpferd'' (equus lunae). Es ist dies der heilige Käfer,
welcher so oft auf alten Kameen und Obelisken, wie auf den Ge-
wändern der Mumien dargestellt ist. Doch giebt es einen andern
Käfer, welcher der indogermanischen Sage noch vertrauter ist,
nämlich den kleinen und fast runden, mit rothem Mantel und
schwarzen Flecken (Gottesktthchen). Er war schon in Lidien
bekannt, wo indragopa (Schützling Indras) der Name eines
rothen Käfers ist In einem indischen Verse lesen wir, dass der
rothe Käfer herabfällt, weil er zu hoch geflogen ist^ (in diesem
Mythus wird das Auf- und Untergehen sowohl des Mondes als
der Sonne dargestellt; vgl. die Sagen von Icaros, Hanumant und
Sampati). In Deutschland giebt man dem rothen Käfer den Rath,
' Atjunnatim präpya narah prävära^ kitako yatha sa vina<^yatya8ain*
deham; Böhtlingk, Indische Sprüche, 2. Aufl. Spr. 181.
50»
zu fliegen, weil eein Haus in Flammen stehe.' In Rascdand
beisst derselbe rotbe Käfer mit sehwarzen Flecken ^das Goties-
ktthchen'^ (wir sahen schon den Kuh-Mond), und die Kinder sagen
zu ihm:
fjGotteskübchen,
Flieg zum Himmel,
Gott wird Dir Brod geben.*"
Im Piemontesischen heisst derselbe Käfer das Hühnchen St
Michaelis, und die Kinder sagen zu ihm:
,, Hühnchen St. Michaeb,
- Breite Deine Flägel aus und flieg zum Himmel." *
Im Toskanischen heisst er luofa , * und die Kinder rufen ihm zu :
„Lucia, lucia,
Metti Tali e vola yia.*'
(Breite Deine Flügel aus und flieg weg.)
Der'rothe Käfer mit schwarzen Flecken wird in Sicilien auch
Santu Nicola, oder gar „kleine Taube'^ (palumedda) genannt So
oft einer von ihren Zähnen ausfällt, erwarten die Kinder ein Geschenk
^ Dieselbe Vorstellung herrscht in einigen Tbcilen Englands, wo die
Kinder folgende Worte an den K&fdr richten:
„Cow-lady, cow-lady, fly away home;
Your house is all burnt, and your children are gone.*'
Im Englischen heisst er: ladybird, ladybug, ladycow und ladyfly. Das
Lax\<lvolk nennt ihn auch: golden knop (Vgl. Trench, On the Study of
Words).
' „Boftsia Karövka
Paletf na niebo.
Bog dat tibi^ hleba.«*
> „La galifia d' San Michel
Büta j ale e vola al cieL^
* Ohne Zweifel der Hlgen Lucia heilig. In Tirol giebt nach Beins-
berg. Das festliche Jahr, St Lucia den Mädchen, St Nicholas den
Knaben Geschenke. Das Fest der Hlgen Luda wird am 15. September
gefeiert; diesen Abend darf Niemand lange aufbleiben; denn wer immer
diesen Abend arbeitet, findet am Morgen die ganze Arbeit vernichtet.
Die Nacht der Hlgen Lucia wird sehr gefürchtet (die Heilige verliert ihr
Augenlicht ; der Sommer, die warme, sonnige Jahreszeit, erreicht ein Ende ;
der Madonna-Mond verschwindet, und wird dann Königin des Himmels,
Wächter des Lichtes, als die Hlge Lucia), und Beschwörungsfonnelii wer-
den gegen den Alp, Teufel und Hexen in Anwendung gebracht Ein
Kreuz wird in das Bett gelegt, damit keine Hexe hineinkann, in der
Nacht sehen die, welche unter dem Einfluss des Schicksals stehen, nach
eilf Uhr ein Licht, welches sich auf den Dächern der Häuser langsam hin-
und herbewegt und verschiedene G^talten annimmt; aus diesem Licht,
Luciescbein geheissen, werden gute und böse Vorbedeutungen geiogea
505
von dem Käfer; sie verateeken den Zahn in einem Loch und
rufen das Thierchen an ; ^ wenn sie dann an ihren Platz zurück-
kommen, so finden sie gewöhnlich eine Münze da, welche Vater
oder Mutter hingelegt hat. Die englische ladycow (coccinella
septempunetata) hat in Deutschland mehre Namen, welche Mann-
hardt in seinen „Oermanischen Mythen^' gesammelt hat; unter
anderen finden wir die : Gottesvögelchen, Gottespferdchen, Marien-
hähnehen , Goldhähnchen , Himmelsthierchen , Sonnenrögelchen,
Sonnenhähnohen , Sonnenkälbchen , kleine Sonne, Franenktthle,
Marienktthle, Unser lieben Frauen Kttehlein. In der schwedischen
Provinz Upland senden die Mädchen den Käfer zum Liebsten mit
den Versen:
„Jungfrau Marie,
Schlüsselmagd,
Flieg nach Osten,
Flieg nach Westen,
Flieg dahin, wo mein Liebster wohnt/**
Die Verehrung, welche dem rothen Käfer erwicisen wird,
entspricht der, welche der „Feuerfliege'' (cicindela) bewahrt ist;
nicht so gut bebandelt wird jedoch der Feuerkäfer, welchen
deutsche Kinder im Frühling in eine Büchse stecken und i^ach
Hause .tragen^ (das glänzende Qltthwürmcben , das in Qecken
steckt, gleich dem S^annkönig, das auch im Italienischen forasiepe
heisst, und um welches die dummen Mönche des Pancatantra
im Winter herumsitzen, um pich zu wärmen). Im Toscanischen
wird dem armen Glühwürmchen, welches im Spätfrühling (in
D^fitschland etwas später, daher sein Name Johanniswünnchen)
erscheint, mit einer Züchtigung gedroht. Es scheint mir wahr-
scheinlich, dass die Stockschläge, welche der 1 u c c i o 1 a angedroht
werden, eine Anspielung auf die bevorstehende landwirthschaftliche
Operation des Dreschens des Getreides sind; die Kinder singen
es, wenn sie es gefangen haben, folgendermassen an:
■ „Santa Nicola, Santa Nicola
Facitimi aseiari ossa e chiora.**
(St. Nicholas, St Nicholas,
LabS mich Knochen and Münze finden.)
* Nach Mannhardt, German. Mythen^ p. 252, der den schwedischen
Text and die deutsche Uebersetzung giebt.
* Kahn und Schwärt«, N. d. S. M. a. G«, p. 377.
L
„Lttooiola, laceiolay vien da me, »
Ti dar6 un pan del re, '
Con delP ova afiritellate,
Carne secca e bastonate."
(Johannisw.y Johannisw., komm' zu mir; Ich will Dir ein Königs-
brod geben, mit gesottenen Eiern , Speck and — Schlägen.) Es
beisst im ToscaDischen , dass das Johanniswürmchen dem Weizen
leuchtet, wenn das Rom in die Aehren za schiessen beginnt; ist
es ausgewachsen, so verschwindet das Johanniswürmchen. * Kinder
pflegen das Johanniswürmchen zu fangen und es unter ein Glas
zu stellen, in der Hoffiiung, am Morgen ein (Goldstück an Stelle
des Johanniswürmchens zu finden. In Sicilien heisst das Jo-
hanniswürmchen das Lichtchen des Schäfers (cannilicchia di
picuraru).
Ich nehme an, dass zu derselben Mytbenreihe der Schmetter-
ling (vielleicht der schwarze kleine Schmetterling mit rothen
Flecken) gehört, welcher in Sicilien der kleine Vogel von guten
Nachrichten (occiduzzu bona nova) oder kleines Schweinchen des
St. Antonius (purciduzzu di St. Antonio) heisst, und welcher fOr
glückbringend gehalten wird, wenn er in ein Haus kommt Er
wird gebeten, in das Haus zu kommen, welches dann sofort ge-
schlossen wurd , damit das Glück nicht hinaus kann. Ist das
Insekt im Hause, so singt man:
„In Deinem Munde Milch und Honjgseim,
Gresundheit und Besitz in meinem Heim.*^
Der Schmetterling war im Alterthum sowohl ein phallisches
Symbol (und deshalb hielt ihn Eros in der Hand) als auch ein
Symbol der Trauer mit Verheissung der Auferstehung und Ver-
wandlung ; die Seelen der Abgeschiedenen wurden als Schmetter-
linge dargestellt, welche von einem Delphin ins Elysium getragen
werden. Der Schmetterling wurde auch oft auf den sieben Saiten
' Oder, wie es in einer andern Version heisst:
»,LuccioIa, lucciola» bassa, bassa,
Ti dar6 una materassa,'* etc.
(Jobannisw., Johannisw., herab, herab, ich will Dir eine Matratze geben.)
' Auch Plinius schrieb im 13. Buch seiner Nat. Bist: „Lucent^s
vespere cincindelas Signum esse maturitatis pamci et milii/* G. Telesins
schrieb iip XYII. Jahrhundert ein elegantes lateinisches Gedicht auf das
Johanniswürmchen oder cicindela.
' „'Ntr* k to vucca latti e meli,
'Ntr' k mö casa saluti e beni.**
605
der Leier nod aaf einer brenDenden Fackel dai^reetellt. Er stirbt,
am wiedei^boren zu werden. Die Pbasen des Mondes scheinen
am Himmel den zoologischen Verwaodlangen des S(
zu entsprechen.
Andere Käfer — der grtlne Käfer and der Maik
sitzen ebenfalls in den Feenmährchen ansserordenti
ItD Fentamerone ID, & kann der Maikäfer (sc
Toskanischeo heiset er auch indovinello) die Guit
rettet den Helden Nardiello, nnd bringt die Prinzes
gelacht hat, znm Lachen. Dasselbe thnt bei Afanas:
der grttne Käfer, der den in den Snmpf gefall«
reinigt
m
KAPITEL IV.
1>ie Biene, die Wespe, die Fliegre, die Mtteke, der Mnskito, die Bremse
and die Cieade.
Ich finde die Bienen in der vediseben lifythologiey wo die
AQvins y^den Bienen den süssen Bonig bringen ,^ ' wo die Bosse
der AfvinS; verglichen ,^t ambrosischen Schwänen, unschuldig,
goldene Schwingen habend, welche mit der Dämmerung erwachen,
im Wasser schwimmen, und sich erfreuen/' angerufen werden, zu
kommen „gleich der Honigfliege (d. h. der Biene) zu den Säften/' ^
Die Götter Indra, E^rishi^a und Vishnu wurden wegen ihres
Namens Mädhava (d. h. aus madhu geboren, dazu gehörend oder
in Zusammenhang damit) in Indien auch mit Bienen verglichen;
die Biene als Honig machend und tragend (madhukara) ist speciell
der Mond; als ihn saugend, ist sie besonders die Sonne. Bhra-
mara oder Wanderer, wie man in Indien die Biene nannte, ist
ebenso auf die SoDue, wie auf den Mond anwendbar. Im M a h ä -
bhärata' beisst es, dass die Bienen den Vemichter des Honigs
(madhuhan) tödten. In dem Kapitel über den Bären sahen wir,
wie der Bär von den Bienen getödtet wurde (vgl. den Namen
Beowulf, der als „Bienenwolf' erklärt wird), und wie er in Indien
eine Personification Visbnus war. Nun ist es nicht nninteressant
zu erfahren, wie Madhuhan, ursprünglich der Vemichter des
madhu, ein Name Krishnas oder Vishnus im Mahäbhärata
und im Bh&gavata-P. wurde; aus madhu (Honig) wurde ein
Dämon gemacht, der von dem Gotte getödtet wird (Sonne und
Mond, Sonne und Wolke sind Nebenbuhler; der Sonnenbär ver-
' Madhu priyam bharatho yat saradbhyal^; JKigv. I, 11*2, 21.
s HaiisäBO ye v&m madhumanto asridho idranyapansiä ohnva usharbadha^
ndapruto mandino mandini8pri90 madhvo na makshah savanftni gadhatha;
Bigv. IV. 45, 4. Hier giebt makeha in Verbindung mit madhva den
Sinn von madhumaksha und madhumakshika, was Biene bedeutet,
und nicht Fliege, wie das Pet WB. angiebt, dessen gelehrte Herausgeber
SU dieser leichten Correktor in den neuen „ Verbesserungen^* umsomehr ver-
anlasst sein dürften, als in diesem Hymnus, ebenso wie in dem I, 112 die
Bienen in Zusammenhang mit den A^vins betrachtet werden.
» III, 1333.
507
sichtet den Bienenetook des Mondes und der Wolken). ^ Vishnu
(als Hi»i die Sonne und der Mond) wird bisweilen als eine Biene
auf einem Lotusblatt, und K^hna mit einer azurfarbenen Biene
auf seiner Stirn dargestellt Wenn die Inder Honig aus einem
Bieoenstock nehmen, so halten sie immer in der einen Hand die
Pflanse ocymum nigrum (engl toolsy), welche dem K^sh^a (eigent-
lich dem Schwarzen) heilig ist, weil eine der von Kpshi^a geliebten
Mädchen in dieselbe verwandelt wurde. ^
In der „Legende von Ibrahim Ibn Edhem'^ im Tuti-Name'
lesen wir von einer Biene, welche ein Stttckchen Brod vom Tische
des Königs nimmt und einen blinden Sperfing damit fttttert.
Mdhaaon oder Bienen waren die Namen der Nymphen, welche
den Zeus ernährten; die Priesterinnen der nährenden (}öttin Do-
rnet^ Messen ebenfalls MHujkku.
Nach Porphyries^ wurde auch der Mond (Seifend) eine Biene
(Melissa) genannt. Selene wurde dargestellt als von zwei weissen
Kossen oder zwei Ktthen gezogen ; das Horn dieser Kttbe scheint
dem Stachel der Biene lu entsprechen. Die Seelen der Todten
kommen, dem Aberglauben nach, in Gestalt von Bienen von dem
Monde auf die Erde herab. Porphyrios fügt hinzu, dass, da der
Mond der Gipfelpunkt des Sternbildes des Stieres sei (als selbst
ein Stier), Bienen für in dem Cadaver des Stieres geboren ge-
halten wtlrden. Daher der Beiname ßovyevelg, den die Alten
den Bienen geben. Nachdem Dionysos in Gestalt eines Stieres
zerrissen worden war, wurde er nach denen, welche in die Diony-
sischen Mysterien eingeweiht waren, in Gestalt einer Biene wieder-
geboren ; daher der Name Bovyeyi^ auch dem Dionysos selbst nach
Plutarch gegeben wurde. Dreihundert goldene Bienen wurden in
Verbindung mit einem Stierkopf auf dem Grabmal Childerich's,
des Frankenkönigs, dargestellt Bisweilen finden wir statt des
' Der DonaergoU (Indra) in GegensaU su den Bienen findet sich auch
in einer von Menzel angeführten Legende der Tsoberkessen. Der Gotl;
vernichtet sie; doch eine von ihnen verbirgt sich unter dem Hemde der
Mutter Gottes, und von dieser einen stammen aUe anderen Bienen ab. — Nach
dem Volksglauben der Normandie (bei Menzel) sind die Bienen (dasselbe
gilt von den Wespen und Bremsen) rachsüchtig, wenn man sie schlecht
behandelt, bringen aber, gut gepflegt, Glück ins Haus. In Bussland wird
es für einen grossen Frevel gehalten, eine Biene »u todten*
* Vgl. Addison, Indian Reminiscences.
» II, p. 112 ff.
50g
Imiareii Stieres den Sonnenlöwen ; and der Löwe in Verbindung
mit Bienen kam in den Mysterien Mithras (und in der Simson-
Sage) vor.
Naeh der finnisehen Mythologie von Tomasson ^ wird die
Biene gebeten: ^^Biene^ Du Weltvöglein, flieg in die Weite, über
neun Seen, Über den Mond, über die Sonne^ hinter des Himmels
Sterne, neben der Achse des Wagengestims; flieg in den Keller
des Schöpfers, in des Allmächtigen Vorrathskammer, bring Arznei
mit Deinen Flügeln, Honig in Deinem Schnabel, fUr böse Eisen-
wunden und Feuerwunden/'
Nach einem Volksglauben, welcher mit der tscherkessischen
Legende im Einklang steht, stammen die Bienen allein von allen
Thieren aus dem Paradiese ab.* Auch Vergil preist in) vierten
Buche der Oeorgica die göttliche Natur der Biene, welche ein
Theil des Geistes Oottes ist, niemals stirbt, und allein unter allen
Thieren lebendig in den Himmel steigt ^in der griechischen, .
römischen und deutschen Volksage personificirt die Biene die
Seele, und da diese als unsterblich betrachtet wird, so entrinnt
auch die Biene dem Tode): — -
„Esse apibos partem divinae mentis et haustus
Aethereos dixere: Deum namque ire per omueb
Terrasque tractusqae maris coelumque profiindum.
Hiuc pecudcs, armenta) viros, genus omne ferarow,
Quemque sibi tenues nascentem arcessere vitas; ,
Scilicet hue reddi deinde ac resoluia referri
Omnia; nee morti esse locum; sed viva volare
Sideris in numerum atque alto succedere coelo.*'
' Bei Menzel, Die vorchristliche Unsterblichkeitslehre. In
diesem Werke, auf das ich den Leser aufmerksam mache, behandelt Men-
zel die Verehrung der Biene und des Ilonigs sehr ausführlich.
* Auch im Engadin glaubt man, dass die Seelen der Menschen in
Gestalt von Bienen die Welt verlassen und wieder in dieselbe zurück-
kehren. Die Bienen werden dort als Boten des Todes betrachtet; vgl.
Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch, I, 147 f. — Wenn Je-
mand stirbt, wird die Biene folgendermassen angerufen:
„Bienchen, unser Herr ist todt,
Verlass mich nicht in meiner Noth."
In Deutschland kauft mau nicht gern die Bienen eines Verstorbenen, da
man glaubt^ sie sterben oder verschwinden unmittelbar nach ihm : — „Stirbt
der Hausherr , so muss sein Tod nicht bloss dem Vieh im Stall und den
Bienen im Stocke angesagt . werden ;*' Simrock, a. a. 0. p. 601. — Im
Orient war es Brauch, grosse Männer in einer Gruft zu bestatten, welche
mit Honig oder Bienenwadhs als Symbol der Unsterblichkeit besprengt war.
609
Das Wachs der Bienen mnss, weil es das Licht der Kerz^
nährt, und überdies in Kirchen gebraucht wird; > ebenfalls mit
zur Vergrössemng des göttlichen Ansehens der Bienen und zu
dem Glauben an ihre Unsterblichkeit beigetragen haben. Nach
einem Schriftstück aus dem Jahre 1482 (bei Du Gange) wurde
die heilige Krankheit oder ^ignis sacer'^ (eine pestartige Rose)
durch in Wasser aufgelöstes Wachs geheilt
Der Bienenstock nimmt an der göttlichen Natur der Bienen
Theil und lenkt meine Aufmerksamkeit auf die madhumati ka^a
oder madhoh kagä des Kigveda und des Atharvaveda,
welche den A^vins zugeschrieben wird und bestimmt ist, die
Opferbutter zu zerlassen, die eine ähnliche Natur hat, wie der
caduceus Mercurs und die Zauberruthe, welche aus allen Ter-
schiedenen Elementen und doch aus keinem im Besonderen besteht,
die Tochter des Windes, und bisweilen vielleicht der Wind selbst ;
die an im a, die Seele (die Biene), ist ein Atbem, ein Lüftchen,
ein Windhauch {ävs^wg, anila), der seinen Ort ändert, aber nie
vergeht; sie sammelt und zerstreut Honig und Wohlgerüche, und
— fort ist sie, veränderlich wie der amerikanische Fliegenvogel,
der Honig saugt, und dessen beständiges Flügelschlägen dem
Summen einer Biene gleicht Bei Du Gange ^ finde ich eine Rede
an die Mutter der Bienen, welche folgendermassen lautet: „Ad-
jure te, Mater aviornra per Deum regem coelorum et per illum
Redemptorem Filium Dei te adjuro, ut non te altum levare, nee
longo volare, sed quam plus cito potest ad arborem venire; ibi
te allocas cum omni tuo genere, vel cum socia tua, ibi habeo
bona vasa parata, nt vos ibi, in Dei nomine, laboretis,^' etc.
Bei Afanassieff V, 22 verwandelt sich eine Biene in
einen jungen Helden, um dem alten Manne zu beweisen, dass
er im Stande ist, seinen Sohn zurückzuholen, der drei Jahre
beim Teufel in der Lehre gewesen ist (der Mond setzt die alte
Sonne in Stand, die junge zu finden; er hilft der Sonne den
Teufel betrügen). In demselben Märchen setzt sich die Schutzfee
in Oestalt einer Mücke auf den jungen Helden, den sein Vater
aus zwölf Helden, welche miteinander die grösste Aehnlichkeit
^ Der Adel der Bienen ist vom Paradies entsprossen und wegen der
Sünde des Menschen kamen sie von da heraus und Gott schenkte ihnen
seinen Segen, und deshalb ist die Messe nicht zu singen ohne Wachs;
Leo, Malberg. Glossae.
*£aluz. Capitulor. torn. IL p. 663, in oratione ad revocandum
ezamen apum dispersum ex Cod. Bis. S. Galli.
510
haben, herauserkennen soll. V; 48 seiclinet die Mttcke unter
den zwölf einander auBserordentlich äbnliehen Mädchen die Eine
ans, welche der junge Held liebt, d. h. die Tochter des Priesters,
deren sich der Teufel bemächtigt hatte, weil ihr Vater einst ra
ihr gesagt hatte: „Der Teufel hol* Dich!"» Diese charaktmati-
scbe Mttcke rerrichtet das Amt der Fee Mond, d. h. der Führerin
und Botin des Helden. Wir sahen sehen den Mond als Gast-
wirthin. Bei Afanassieff IV, 31 haben wir die Fliege, welche
in ihrem Palast (nach in, 16 ein Pferdekopf) die Laus, den Floh,
den Muskito, das Mäuschen, die Eidechse, den Fuchs, den Hasen
und den Wolf aufnimmt und bewirtiiet, bis der Bär dasukommt,
und mit einer Tatze den ganzen Fltegenpalast sammt allen den
nächtlichen Thieren, die er enthält, zertritt. Wir sahen auch den
Helden, der seinen Stier fttr eine Pflanae verhandelt, die ihm
Glttck bringt, und die Biene, die aus dem todten Stier geboren
wird. Bei Afanassieff m, 7 sammelt dagegen der fttr när-
risch gehaltene dritte Bruder Fliegen und Muskitos in zwei
Säcken, die er an eine Eiche hängt, wo er fir dieselben gutes
Rindyieh einhandelt
Wir wissen, dass der Mond als der Richter der Abgeschiedenen
im Reiche des Todes und als tine allwissende Fee dargestellt
wurde. Die emsigen Bienen haben den besonderen Ruf höherer
Intelligenz.^ Bei Phaedrus III, 13 giebt die Wespe Beweise
derselben Weisheit; sie sitzt auf ttom Ricbterstuhl als gewissen-
hafter Richter zwischen den Prohnen und den Arbeitsbienen, die
um den Honig streiten, welchen die Bienen gesammelt und auf
einer hohen Eiche aufgespeichert haben, den jedoek auch die
Drohnen beansprudien.
' Diese Episode, welcHe in sahlreichen Feenmälirchen, in dem reizenden ^
indischen Gedichte von Nala und in einer sehr charakteristischen Poesie
des Grafen Alexis Tolstoi wiederkehrt, knüpft sich an einen indogermani-
sehen Yolksbrauch, Ton dem sich, besonders m Italien «nd in Bnssland,
nock Sparen finden: nämlich die Vertanschang der Ehegatten. Zoweilen
muss der Mann die verkleidete Frau wiedererkennen, oder die falsche, die
ihm statt der rechten dargestellt wird, zurückweisen; bisweilen ist es die
Gattin, welche einer solchen Probe unterworfen wird. Wenn die Ehegatten
prädestinirt sind, wenn ihre Ehe „im Himmel geschlossen*^ ist, so müssen
sie sich wiedererkennen; tgl. hierüber noch meine Storik eomparata
degli usi nuziali indoeuropaei, Milan 1869.
* Bei l>u Gange: „Apis significat formam virginitatis, site sapien-
tiam, in malo, invasorem.^ Papias M. S. Bitur. ex illo forsan officii
Ecdesiait in feste S. Cedliae: „Cedlia fmmula tua, Domine, qnasi Apis
tibi argumentosa deservit,** d^.
i
tu
Die Fli^e, die Mlloke und der Mcmkito sind ewar klein,
quälen aber die schreeklichsten Tbiere, and führen sogar bisweilen
deren Tod herbei; der Käfer kriecht auf den Atiler, nm dem
Hasen en entgehen ; der Hase lockt den Elepbanten und den Löwen
in das Wasser ; ^ der Mond lockt die Sonne in die Nacht und
den Winter; der Mond überwältigt die Sonne; die Sonne wird
der Strahlen beraubt, der Held veriiert seine Haare, und damit
seine Kräfte; die Fliege fällt ttber den kahlen Kopf des Greises
her und quält ihn in jeglicher Weise; der Alte will die Fliege
schilpen, trifift aber nur sich selbst Bei Phaedrus wiederum
finden wir die Fli^e in Streit mit der landbauenden Ameise;
die Fliege prahlt, sie nehme an den Graben, die man den Göttern
darbringe, Theil, rit wohne zwischen Altären, fliege durch jeden
Tempel, sitze auf den Hänptem von Königen, geniesse die Küsse
schöner Frauen, und das Alles, ohne irgend welche Arbeit zu
tfann. Die Ameise antwortet der Fliege, indem sie sie auf das
Nahen des Winters verweist, für welchen die Ameise, die schwer
gearbeitet hat, Vorrath in Menge besitzt, während die Fliege vor
Kälte und Hunger umkommt Femer sagt die Ameise zur ihr in
einem charakteristischen Verse:
„Aestate me lacessis; cum bruma est, siles."
Derselbe Streit wird mit mehr Wahrscheinlichkeit von andern
Fabeldichtem der lärmenden und faulen Gicade und der schweig-
samen und fleissigen Ameise zugeschrieben.
Im vorigen Kapitel sahen wir den musikalischen Käfer. Wir
^ Vgl. die Kapp, über den Hasen, den Löwen und den Elephant en.
Die Laos und der Floh haben dieselbe mythische Natur wie der Muskito
und die Fliege. — In dem nennten ehstnischen Mährchen bringt der
„Donnersohn'* vermittelst einer Laus, die er dem Papa Donnergott zum
Kitzeln auf cGe Nase setzte diesen dazu, dass er die Hand, um seine Nase
zu kratzen, von dem Donnerwerkzeug fortnimmt, das der Donnersohn
packt und sofort in die Holle trägt. Die Läuse , welche von dem Kopfe
der von dem guten Mädchen gekämmten Hexe, oder von dem der von dem
bösen Mädchen gekämmten Madonna fallen» sind schon erwähnt worden.
Die Madonna, welche das Band kämmt, ist auch ein Gegenstand der christ-
lichen Sagenmalerei. — Im Pentamerone I, 5 lesen wir von einem Laus-
Ungeheuer. Der König von Altamonte mästet eine Laus so lange, bis sie
so gross wie ein Widder ist; darauf lässt er ihr das Fell abziehn, lässt es
beschmutzen, und verspricht dem seine Tochter zur Frau zu geben, der
erraihen würde, was das für ein Fell ist. Der Ogre allein erräth es und
schleppt das Mädchen fort, welches später sieben Helden befreien, „subito
che TAucielle (die Vögel) gridaro: Viva lo Sole.''
&12
sind versucht; uns die Biene als musikalisch zu denken, weil
ihre Gestalt sehr häufig den griechischen Musen und Apollo bei-
gelegt, und d^r Name ^^Biene von Delphi'' der pythischen Seherin
(als einer Wolke) gegeben wurde. Doch nach Plato yerwandelten
die Musen die Menschen; welche so in das Singen vertieft waren,
dass sie darüber Essen und Trinken vergassen, in Cicaden. Wenn
dieser Mythus nicht eine satirische Erfindung Piatos gegen die
Dichter ist, so gehören die Bienen als Musen, und die, welche
durch die Musen Cicaden wurden, in dieselbe mythische Familie.
Nach Isidorus entstehen die Cicaden aus dem Speichel des Euckuks ;
dieser Glaube drückt figürlich den Uebergang vom Frühling in
die Sommerzeit, in die Herbstzeit, die Zeit der Fülle aus. (Nach
Hesychius wurde der Esel in Cypern f^tri^ TtQwtvog, cicada ma-
tura, genannt; die Cicade (als die Sonne) stirbt, und der Esel
(als Nacht oder Winter) erscheint. • Nach Manuel Philes ^ nähren
sich die Cicaden von dem östlichen Thau; vielleicht ist das eine
Beminiscenz an den griechischen Mythus, welcher die Sonne
Titbon zum Liebhaber der Aurora macht Die Sonne nährt sich
von der Ambrosia und ist deshalb unsterblich ; sie besitzt jedoch
nicht die Gabe ewiger Jugend , ihre Glieder vertrocknen ; nachdem"
sie den ganzen lärmenden Tag, den arbeitsreichen Sommer hin-
durch gesungen, stirbt sie ; aus diesem Grunde stellte der griechische
Mythus den alten Tithon als in eine Cicade verwandelt dar. ^ Die
Cicade wird im Frühling aus dem Speichel des Euckuks wieder-
geboren, und am Morgen aus dem Thau der Aurora ; die beiden Be-
richte entsprechen einander. Die Cicade des Sommers erscheint, und
der Euckuk des Frühlings verschwindet; daher der Volksglaube,
dass die Cicaden mit dem Kuckuk Krieg bis aufs Aeusserste
führen, indem sie ihn unter seinen Flügeln angreifen ; daher glaubt
man, dass der Kuckuk seine eigene Amme verschlingt ; die Aurora
verschlingt die Nacht; der Frühling verschlingt den Winter.
* Ile^l tfiaofp iS^avrirog, XXIV, mit den BemerkangeD des Joachim Ca-
merarius.
* Plutarch führt in der Vita Sullae unter den Vorzeichen des
Bürgerkrieges zwischen Marius und Sulla auch das an, dass ein Sperling
eine Cicade zerriss, von welcher er einen Iheil im Tempel der Bellona
Hess, während er den anderen davontrug.
513
KAPITEL V.
Ber Kueknk, der IteilMr, ta» Httselbubn, das Rebhuhn, die Nacbtlgall,
die Sehwaibe, der Hperlinir und der Wiedehopf*
Der kokila oder indische Kuckak ist für den indischen
Dichter^ was die Nachtigall flir den persischen nnd die der anderen
indogermanischen Nationen ist Sein Gesang wird mit den aus-
gesuchtesten £pitheten belegt; eines der häufigsten ist: hridaya-
grahin^ herzraubend. Koka, ein Synonym von kokila, kommt
schon in einem yedischen Hymnus vor. > Der indische Commen-
tator erklärt es durch: dakraväka, was so viel als ^^Reiher^'
sein mus% obwohl es die WW. durch ^^anas casarca'' wieder-
geben. Bigv. l, 42 und 43 kommt ein Vogel vor, der sowohl
an der Natur des Euckuks wie der des Reihers oder des Brach-
vogels theilhat. A. a. 0. ,,lässt der Vogel, schreiend, voraus-
sagend, was kommen wird, seine Stimme fahren, wie der Boots-
mannn sein Boot;'' er wird angerufen, „dass er von gutem Vor-
zeichen sei'', dass „der Falke ihn nicht trefife, noch der Oeier,
noch der Bogenschütze ihn trefife mit Pfeilen," „dass er gegen die
unheilvollen westlichen Regionen hin rufe und segensreiche, glttck-
bedeutende Worte spreche, dass er der östlichen Seite des Hauses
zurufe mit segenverheissenden Worten." ^ In diesem prophetischen
Vogel, welcher von der. B^ihaddevatä als kapin^ida erklärt
. wird, sieht das Pet WB. das Haselhuhn, welches auch durch tit-
tiri (Rebhuhn) gegeben wird. Eine brahmanische Sage verwandelt
die Schtller Vai^ampayanas in Rebhühner, die auf die Vedas des
Tä^avalkya loshacken. Die Schtller des Vai^ampayana sind
die Compilatoren des Taittiriya-Veda, oder Rebhuhn-Veda,
oder auch schwarzen Veda. Die Vedas vertreten in der orien-
talischen Sage Usweilen die Stelle des verzauberten Ringes. In
der westlichen Sage wird der Teufel oder das schwarze Unge-
« Rigv. vn, 104, 22.
* Kanikrada^ ^anusham prabruvfina iyarti yft<Sam ariteva nftvam su-
mangala^ da 9akiiiie bbavftsi mft tvä kft did abbibbft Yi^vyäyidat. Ma tvä
9yena ud vadhin raa supamo mH tv& vidad ishumftii viro astft; pitryämanu
pradi^m kanikradat sumangalo bhadr&?adi vadeha. Ava kranda dakshi-
nato girihfinto ramaSgalo bbadravftdi ^akunte; 9ig^* H» ^*^-
Gubeniatis, die TUcre. 33
l
heuer ein Hahn, um die Perle oder den Ring des jungen Helden
aufzupicken. In den Schriften des Hieronymus und des Augustinus
lesen wir aucb^ dass der Teufel oft; die Gestalt eines Rebhuhnes
annimmt. ^ Das 4ndische tittiri erscheint wieder in dem russischen
tieteriev (Haselhuhn). In einem Mährchen bei Afanassieff II
giebt der Pfau einem Bauer ein goldenes Haselhuhn für ein Ge-
richt kiss61; das aus einem Haferkom gemacht ist, welches in
einem Düngerhaufen gefunden wurde (eine Variation der bekannten
Fabel von dem Hühnchen und der Perle). Das Haselhuhn findet
das Korn. Bei AfanassiefiT V sitzt ein Haselhuhn auf dem Eich-
baum, vermittelst dessen der Bauer-Held in den Himmel kommen
soll; es fallt herab, von der Kugel einer Flinte getrofieU; die von
selbst losgegangen ist, weil ein aus dem Baum hervorbrechender
Funke auf das Pulver gefallen ist und die Ladung hat explodiren
machen. Das Rebhuhn und der Bauer kommen in Volkssagen
oft in Verbindung mit einander vor. Die Schuhe, welche der
Bauer fUr Rebhühner nimmt, sind sprichwörtlich. Odoricus Foro-
juliensis spricht in seinem Itinerarium von einem Mann in
Trapezunt, welchen viertausend Rebhühner begleiten; ging er
umher, so flogen die Rebhühner über ihm in der Luft; ging er
schlafen, so kamen auch die Rebhühner herab. Nach dem
Ornithologus ritten die Zwerge, in dem Kriege gegen die
Kraniche, auf Rebhühnern. Ein aussergewöhnlicher Grad von
Intelligenz und prophetischer ELraft wird diesen Vögeln zuge-
schrieben. Aldrovandi versichert in seiner Ornithologia, dass
zahme Rebhühner laut schreien, wenn Gift im Hause bereitet
wird. Das Rebhuhn hiess im Alterthum auch daedal a, sowohl
wegen seiner Intelligenz als wegen der Fabel, nach welcher Talos,
der Neffe des Daedalus, der Erfinder der Säge, von seinem Oheim
und Meister von der Burg zu Athen herabgestürzt und von den
mitleidigen Gittern in ein Rebhuhn verwandelt wurde.
Doch um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen, d. h.
auf den indischen kapiugala, so müssen wir bemerken, dass Prof.
Kuhn ^ in ihm viel mehr den Kuckuk als das Haselhuhn sieht.
Eine Legende der Brihaddevatä belehrt uns, dass Indra, be-
* St. Antonius von Padua sagte von dem Rebhuhn: „Avis est dolosa
et immunda et hypoeritas habentes, ut dicit Petrus, oculos plenos adulterii
et incessabilis delicti signa.** — nS^dsMoe novs^ Rebhuhn-Fuss, bedeutet im
griechischen Sprichwort einen betrügerischen Fuss.
* Indische Studien, I, 117. 118.
&15
I ft «
l^erig^ bestingen zu werden ^ ein kapin^a wurde und sich zur
Rechten des weisen Mannes setzte, der durch das Verdienst
seiner Lobgesänge in den Himmel erhoben werden wollte; der
Weise erkannte mit dem Ange des Sehers in dem Vogel den
Qott und sang als Lobpsalmen die beiden vedischen Hymnen, deren
einer mit dem Worte stntim beginnt^ Der Gtott Indra findet
sich wieder in Qestalt eines Enckuks, kokila, im Kämäyana,^
wo er die Nymphe Rambhä sendet, den ascetischen Vifv&mitra
zu verfuhren; um ihre Anziehungskraft noch zu vergrössem,
setzt er sich in Oestalt eines lieblich singenden Kuckuks neben
sie. Doch ViQvämitra durchschaut mit dem Auge des strengen
Bttssers, dass das eine Versuchung Indras ist, und der Nymphe
fluchend, verdammt er sie, ein Stein im Walde zu werden und
zehntausend Jahre lang zu bleiben.
Theil I, Kap. I sahen wir schon den Euckuk in Verbindung
mit dem donnernden Zeus und als den indiscreten Beobachter
himmlischer Liebesverhältnisse und als Agenten in denselben.
Im Tuti-Name' haben wir statt des Kuckuks die Nachtigall
Diese lacht über den betrogenen Vezir. Der König will wissen,
worüber sie lacht, und Oulfischän klärt ihm das Räthsel auf, nicht
sowohl weil er im Stande ist, die Sprache der Vögel zu ver-
stehen, als vielmehr, weil er von dem Gefängniss aus, in das er
gesteckt worden war, die geheime Liebe der falschen Vezirslrau
mit dem Oberelephantenflihrer beobachtet hat
In dem griechischen Mythus von Tereus finden wir mehre
der bisher genannten Vögel vereinigt, dazu noch die Schwalbe;
der Fasan ninunt die Stelle des Rebhuhnes ein, und der Wiede-
hopf die des Kuckuks. Itys, den sein Vater Tereus, ohne es zu
wissen, gegessen hat, wird ein Fasan; Tereus, der die Procne
verfolgt, wird ein Wiedehopf; Procne, die vor ihm flieht, wird in
eine Schwalbe verwandelt; Philomela, die Schwester Procnes, der
von Zeus die Zunge ausgeschnitten war, um sie am Sprechen zu
hindern, nahm die Oestalt einer Nachtigall an ; daher sagt Martial :
„Flet Philomela nefas incesti Tereos, et quae
Mota puella fdit, garmla fertur avis/'
' Stotim tu panar ev^hanam indro bhütrft kapu&^al)^
Risher gigamishor ft^ftm vaTä^e prati dakshinftm
Sa tarn Arahena samprekshya (kduhushft pakshirüpinam
Par&bhytai api tushttva sdkt&bhyftm tu kanikradat.
« I, 66.
» U, p. 74 ff.
d9»
516
Bezüglich des Wiedehopfes sind mehre VorsteUangen im
Umlauf; welche denen von dem Euckuk und der Schwalbe ent-
sprechen. In einigen Gegenden Italiens heisst er das Märzhähn-
chen oder das Maihähncheu; weil er in diesen Monaten erscheint
Er kündigt den Frühling an. Die Alten sahen seinen Gesang
vor der Reife des Weines als ein Vorzeichen einer reichlichen
und guten Weinernte an. Er besitzt die Fähigkeit^ Geheimnisse
zu erratben; wenn er schreit, so kündigt er an^ dass Füchse im
Gras verborgen sind ; klagt er seufzend , so bedeutet das Regen ;
vermittelst eines gewissen Krautes erschliesst er geheime Plätze. ^
Nach Gardanus siebt der, der seine Schläfen mit Wiedehopf blut
bestreicht, wunderbare Dinge im Traume. Albertus Magnus sagt
uns, dass wenn ein alter Wiedehopf blind wird, seine Jungen
seine Augen mit dem Kraut; das verschlossene Plätze öfifnet, be-
streichen, und dass er wieder sehend wird. Es stimmt das voll-
ständig zu einem indischen Mährchen (einer Variation der Lear-
sage); welches Aelian erzählt, und nach welchem ein König von
Indien mehre Söhne hatte; der jüngste wurde von den anderen
schlecht behandelt, die schliesslich auch ihren Vater misshandelten
und vertrieben. Der jüngst« Bruder allein blieb seinen Eltern
treu und folgte ihnen; doch während sie auf der Flucht waren,
starben sie vor Müdigkeit; der Sohn öffnete mit seinem Schwerte
sein eigenes Haupt und begrub darin seine Eltern; die Sonne,
von diesem Anblick gerührt, verwandelte den Jüngling in einen
schönen Vogel mit einem Kamm. Doch kann dieser Vogel mit
dem Kamm statt des Wiedehopfes auch die Lerche sein, von
welcher die Griechen eine ähnliche Sage hatten.
Der Kuckuk ist der Vogel des Frühlings ; sobald er erscheint,
lassen sich die ersten Donnerschläge, die Verkünder der heissen
Jahreszeit, im Himmel hören. Nach Isidor ist es der Habicht, der den
faulen Kuckuk aus fernen Gegenden bringt. Zur Zeit des Plinius
glaubte man, der Kuckuk werde von dem Falken geboren, und Alber-
tus Magnus versichert: „Cuculus quidam componitur ex Columba et
Niso sive Sparverio; alius ex Columba et Asture, mores enim habet
ex utroque composites.'^ Es kann, zoologisch gesprochen, nichts
Verkehrteres geben ; doch sofern der Blitz den Donner trägt, kann
der mythische Falke sehr wohl den Kuckuk tragen, resp. ihn hervor-
bringen. Femer sind die Gewohnheiten des Kuckuks sehr sonder-
bar, und haben nichts mit denen des Falken und der Taube, oder
1 Vgl. das Kap. über den Specht.
517
eines anderm Thieres gemein. Eb ist bekannt; dass sich unter
den indischen Namen des Kncknks auch die : anyapashta und
anyabhrita finden, welche bedeuten : ^^von einem Anderen genährt'^
(die Krähe heisst anyabhrit oder Ernährer Anderer, weil sie die
Eier des Kuckuks pflegt, welche dieser übrigens in die Nester
viel kleinerer Vögßl legt). Aus dieser sonderbaren Gewohnheit
des Kuckuks schloss man natürlich, dass sich der männliche
Kuckuk mit dem Weibchen des fremden Vogels, dem er später
die Eier anvertraute, begattete, so dass diese Eier Bastardeier
des Weibchens, das sie ausbrütet, wären. Wir sahen vorhin
Indra als Kuckuk und als Verführer; Indra als Ehebrecher ist
auch populär in der Sage von Ahalyä, in welcher der Hahn als
der indiscrete Verräther der geheimen Liebe Indra's erscheint.
In einem Volksliede aus der Bretagne flösst die böse Stief-
mutter ihrem Sohne den Verdacht ein^ dass sein junges Weib ihn
verräth, mit den Worten : pröservez votre nid du coucou." *
Der Kuckuk ist die Sonne oder der Sonnenstrahl in der
Pinstemiss, oder noch öfter der Donnerkeil, der in der Wolke
verborgen ist. Dätyuha ist einer der indischen Namen des
Kuckuks und auch der Wolke, aus welcher allein der Kuckuk
der Sage nach trinkt. Als verborgene Sonne ist der Kuckuk bald
ein abwesender Gatte, ein Hausherr auf Reisen oder im Walde^
bald ein Verführer, der in geheimem Liebesverkehr mit dem Weibe
eines Anderen steht In jedem Falle ist er oft ein phaUisches
Symbol und ergetzt sich deshalb an Mysterien. Er sitzt auf dem
Scepter der Hera, der Beschützerin der Heirathen und Geburten,
während Zeus selbst, der Donnerer, ihr ehebrecherischer Bruder,
yconaw^, Kuckuk, heisst, weilersich,^umnicht erkannt zu werden, in
Gestalt eines Kuckuks in Heras Schooss verborgen hatte. Daher
wurde der Gesang des Kuckuks als ein gutes Vorzeichen für
jeden Heirathslustigen betrachtet. In dem Montferratensischen
Volksliede, welches bei deü Ostereiern gesungen wird, wird der
Gutsherr in versteckter Weise darauf aufmerksam gemacht, dass
es Zeit ist, seine Töchter zu verheirathen. In schwedischen und
dänischen Volksmährchen bringt der Kuckuk dem Ehepaare die
Hochzeitsnuss. Das Alles nur, weil der Kuckuk eine phallische
Bedeutung hat, weil er Mysterien liebt, und weil er nur im Früh-
ling, in der Zeit der Liebe erscheint. Uebrigens wird auch der
Kuckuk als treuloser Ehemann betrachtet; so nennt in der
' VUlemarqud, Barsaz Breiz, 6. 6d. p. 498.
518
Asinaria des Plantns eine Frau ihren. Mann cncnloS; weil er es
mit anderen Weibern hält Der Kuekuk ist also eigentlich der
treulose Gatte ^ der heimliche Liebhaber. Der Kuekuk ist der
Spötter; wenn die Kinder Verstecken spielen ^ so pflegen sie in
Deutschland und in Italien, wie auch in England dem^ der sucht,
„Kuekuk'' zuzurufen. Das lateinische Wort cpcu, mit welchem
die Winzer ; welche zu spät kamen, der Verspottung ausgesetzt
wurden y der entsprechende piemontesische Brauch (vgl. Theil I,
Kap. I), und der italienische Ausdruck cuculiarC; fbr: ^^lächer-
lich machen'^, zeigen den Kuekuk als ein schlaues Thier. Er ist
der erste der Wandervögel, so heisst es, der erscheint, der letzte,
der verschwindet. In Deutschland glaubt man, dass die Wein-
beeren schwer reifen, wenn der Kuekuk noch nach dem Johannis-
tage singt. Er ist der willkommene Bote des Frühlings ^ auf dem
' Daa altenglische Volkslied feiert ihn ab den Bringer des Sommers:
„Sumer is icumen in, Ihude sing cuccu.*^
Das altangelsächsische Lied von St. Guthlak macht den Kuekuk sum Pro-
pheten des Jahres (geacas gear budon). Das alte deutsche Mailied bewili-
kommt ihn mit den Worten:
„Der Kuekuk mit seinem Sänge macht Jedermann froh.*^
Das schottische Volkslied liebkost ihn folgendermassen :
„The cuckoo *8 a fine bird, he sings as he flies;
He brings us good tidings, he tells us no lies.
He sucks little bird's eggs to make his voice clear,
An4 when he sings ,cuckooS the summer is near.*^
Bei Shakspeare (Love*s Labour Lost, V, 2) stellt die Eule den Winter,
der Kuekuk den Frühling dar: „This side is Hiems, winter, this Ver, the
Spring; the one maintained by the owl, the other by the cuckoo.'* — Li
einer mittelalterlichen lateinischen Belöge (bei Uhland, Schriften III)
wird der Tod des Kuckuks in folgenden Versen beklagt:
„Heu cuculus nobis fuerat cantare suetns,
Quae te nunc rapuit hora nefanda tuis?
Omne genus hominum Cuculum complangat ubique!
Perditus est cuculus, heu perlt ecce mens.
Non pereat Cuculus, veniet sub tempore veris
Et nobis veniens carmina laeta ciet.
Quis seit, si veniat? timeo est submersus in undis,
Vorticibus raptus atque necatus aquis.'*
Ein deutsches Volkslied zeigt uns den nassen, dann von der Sonne ge-
trockneten Kuekuk:
„Ein Kuekuk auf dem Zaune sass,
Kuekuk, kuekuk!
Es regnet sehr und er ward nass.
519
Lande, wo er die Bauern zur Arbeit ruft. Hesiod sagt, dasB e»
Zeit ist zu pflügen, wenn der Kucknk auf dem Eichbaam ruft.
Da jedoch der Kuckuk nur selten sieb zeigt, da er wesentlich
die in den Wolken verborgene Sonne ist, und da wir wissen, dass
diese Sonne sich von verschiedenen Seiten zeigt, als weiser Held,
der in Alles eindringt, als unerschrockener Held, der jeder Ge-
fahr trotzt, als verrathener Held, als getäuschter Gatte, als Ver-
räther, als Ungeheuer oder Dämon, so zeigt sich auch der Kuckuk
von einer unangenehmen und unheilbringenden Seite. Der Treu-
lose, der heimlich die Frau eines Anderen besucht, wird der ab-
wesende Gatte, der auf Reisen ist, der Ehemann im Walde, wäh-
rend seine Frau zu Hause Gäste bewirthet; oder auch der Ehe-
mann, der schläft, während seine Frau nur zu wach ist; daher
der Vers des Plautus :
,^t etiam cubat cuculus, surge, amator, i domum/'
und das französische cocu (daneben coucoul, couqniol,
cucuault^) zur Bezeichnung des Ehemannes einer treulosen
Frau. Bei Aristophanes heissen untähige und unerfahrene Männer
TioxKvyeg. Nach Plinius bringt ein mit einem Hasenfell gebun-
dener Kuckuk Schlaf (d. h. die Sonne verbirgt sich, der Mond
ersißheint, und die Welt f^llt in Schlat). Nähert sich der Kuckuk
einer Stadt und kommt er hinein, so bedeutet das Regen (d. h
die in Wolken verborgene Sonne bringt Regen). Bei Plutarch
(Vita Arati) fragt der Kuckuk die anderen Vögel, warum sie
vor seinem Anblick fliehen, da er doch nicht wild sei; die Vögel
antworten, dass sie in ihm den künftigen Falken fürchten. Der
Kuckuk, der sich auf den Speer Luitprand's, des Königs der
Longobarden niederliess, wurde von diesen als ein Unglttckszeichen
betrachtet, als ob der Kuckuk ein Unglücksvogel wäre. In
Italien sagen wir „die Jahre des Kuckuks^', und im Piemontesi-
schen „so alt wie ein Kuckuk'S um hohes Alter zu bezeichnen.
Eine mittelalterliche Ecloge schreibt dem Kuckuk die Jahre der
Sonne zu. Da Niemand sieht, wie der Kuckuk verschwindet (der
Glaube, dass er von den Cicaden getödtet wird, ist nicht in all-
l>arnach da kam der Sonnenscheiii,
Kuckuk, kuckuk!
Der Kuckuk der ward hübsch und fein.*^
— Vgl. auch ,,die Entstehung des Kuckuks" bei Hahn, Albanesische
Mähreben, II, 144. 316.
' Du Gange, s. v. cuculus.
580
gemeine Aufnahme gekommen) , so wird angenommen^ dass er
niemals stirbt ^ dass es immer derselbe Enckuk ist, der ein Jahr
wie das andere in demselben Walde singt Und sofern er un-
sterblich ist, muss er Alles gesehen haben und Alles wissen. Man
fragt den Knc^uk, wie viele Jahre man noch leben wird. Der
Frager zählt dieselben nach der Zahl der Schläge des Kuckuks.
Wir sagten im Beginn dieses Kapitels, dass der kokila die
Nachtigall der indisehen Dichter ist and mit dieser vollständig
gleichsteht. Wir bemerkten soeben aber auch, dass. der Kuckuk
auch eine phallische Bedeutung hat In dem Kapitel iHber den
Esel sahen wir, dass von diesem häufig dasselbe gilt. Diese drei
Thiere finden sich zusammen in der brannten Fabel von dem
Kuckuk, der sich mit der Nachtigall um den höheren Rang im
Singen streitet. Der Esel, den man wegen seiner langen Ohren
fttr den besten Kritikus in Sachen der Musik hält, erklärt sich flir
den Kuckuk. (In der schönen Krilofischen Fabel ist der von dem
Esel vorgezogene Vogel nicht der Kuckuk, sondern der Hahn; die
Nachtigall heisst darin die Sängerin der Liebe). Darauf appellirt
die Nachtigall mit melodischem Sänge an den Menschen. ^
Ein deutsches Lied aus dem XVL Jahrhundert^ stellt die
Nachtigall dem Kuckuk gegenüber, indem sie singe, springe und
immer lustig sei, wenn die anderen Vögelchen schweigen.
Nach Pliuius sprachen die Nachtigallen der jungen. Cäsaren,
der Söhne des Claudius, griechisch und lateinisch, und dachten
darauf, jeden Tag etwas Neues zu lernen. So spricht der Orni-
t h o 1 o g u s von zwei Nachtigallen, welche sich im Jahre 1 546 in
Regensburg stritten, welche am besten deutsch spräche; in einer
dieser Discussionen wurde der Krieg zwischen Karl V. und den
Protestanten vorausgesagt. Bei Afanassieff VI, 46 singt eine
Nachtigall in einem Käfig schmerzlich; der Alte, der sie besitzt^
sagt zu seinem Sohne Basil, er wolle sein halbes Vermögen darum
geben, zu wissen, was die Nachtigall mit diesem wehmttthigen
Gesänge sagen wolle. Der Knabe, der die Sprache der Vögel
versteht, sagt seinen Eltern eine Prophezeiung der Nachtigall voraus,
dass sie eines Tages ihm dienen würden. Der Vater ist empört ;
eines Tages, als der Knabe schläft, schleppt er \^n in ein Boot
und setzt dieses in das Meer. Die Nachtigall verlässt sofort das
Haus und setzt sich auf die Schulter des Knaben. Ein Schififs-
* Vgl das Kap. über den Pfau.
« Uhland, Schriften lü» 25.
521
capitain findet den Knaben und die Nachtigall nnd nimmt sie zn
sieb; die Naehtigall verkündet Sturm nnd Piraten. Schliesslich
kommen sie in eine Stadt^ wo der Königspalast von drei Krähen
besetzt ist^ welche Niemand trotz Mer Bemühungen fortjagen
kann ; der König verspricht dem, der sie vertreibt^ das halbe Reich
nnd seine jüngste Tochter; wer es versucht, ohne Erfolg zu haben^
ist dem Tode verfallen. Der Knabe stellt sich auf Anweisung
der Nachtigall und sagt dem König, die beiden Krähen seien mit
ihrem Jungen da, um einen Bescheid zu erhalten ^ ob die junge
Krähe ihrem Vater oder ihrer Mutter gehöre (wir sahen eine ähn-
liche indische Legende in dem Kap. über den Hund). Der König
sagt : „dem Vater'' ; die junge Krähe fliegt mit dem Vater davon,
während das Weibchen eine andere Richtung nimmt Der Knabe
heirathet die Prinzessin, wird ein grosser Herr, erhält die Hälfte
des Reichs, macht Reisen, und ist eine Nacht ohne ihr Wissen der
Gast seiner eigeneYi Eltern, die ihm Wasser zum Waschen bringen.
So hat sich die Prophezeiung der Nachtigall erfüllt. In der
russischen Volkslegende von Ilia Muromietz (Elias von Hurom)
heisst das räuberische Ungeheuer, welches von des Helden Pfeil
getödtet wird, Nachtigall (Salavöi). Es hat sein Nest auf zwölf
Eichen gebaut und tödtet Alle, die ihm in den Weg kommen,
durch blosses Pfeifen. ' In Sömunds Edda sagt der Zwerg
Allwis von dem Winde, er werde von den Menschen Wind, von
den Göttern Landstreicher, von den Riesen Weiner, von den
Alfen Brttller und in dem Höllenraum, d. h. in den unter-
irdischen Gegenden Pfeifer genannt; das russische dämonische
Nachtigall-Ungeheuer dürfte also als der Wind in der Dunkelheit
erscheinen.*
Die Nachtigall wird, gleich dem Kuckuk, von der Sappho
Botin des Zeus genannt (bald die Sonne, bald der Mond, bald
der Wind, bald der Donner, welcher Regen ankündigt). Sie zeigt
sich auch von einer unhdlvollen Seite unter dem Namen TtatdoXemQy
Kindermörder, den ihr Euripides giebt. In einem Voiksliede der
Bretagne ' wehklagt die Nachtigall, dass der Monat Mai mit seinen
Blumen vorbei ist. In einem andern Liede aus der Bretagne scheint
die Nachtigall dieselbe phallische Bedeutung zu haben, wie im
Tuti-Name. Während der Nacht ist ein Weib unruhig wegen der
Nachtigall (des Mondes) ; ihr Gatte hat sie in einem Netz gefangen.
" Vgl. Afan. I, 12.
* Villemarqu^ Barsas Breis, 6. 6d. p. 392.
-.«ri^
522
und lachte als er sie hat^ Die Nachtigall ist, wie ihr Name in
den germanischen Sprachen zeigt, die ^ Sängerin der Nacht^ und
ein nächtlicher Vogel. Und als solcher^ als ein Vogel, der im
Verborgenen singt, ergetzt die Nachtigall (gleich dem Monde) Ver-
liebte, welche sie zu ihrem geheimen und geheinmissyoUen Boten
in deutschen und französischen Volksliedern machen. Im Penta-
merone V, 3 macht das Mädchen Betta einen Kuchen, der die
Gestalt eines schönen Jünglings mit goldenen Haaren hat; Dank
der Liebesgöttin spricht der Kuchen-Jttngling und geht auch, und
Betta heirathet ihn; doch eine Königin beraubt sie seiner. Betta
geht ihn suchen ; eine alte Frau giebt ihr drei Wunderdinge, ver-
mittelst deren Betta von der Königin die Erlaubniss erhält,
während der Nacht bei ihrem Knaben, der der Gemahl der Königin
geworden ist, zu schlafen; eines dieser drei Wunderdinge ist ein
goldener Käfig mit einem Vogel aus Edelsteinen und Gold, welcher
gleich einer Nachtigall singt. In deutschen Volksliedern suchen
Verliebte die Nachtigall durch Gold günstig zu stimmen, doch sie
antwortet, sie wisse nicht, was sie damit anfange solle; die Nachti-
gall (gleich dem Kuckuk, welcher den Heirathen günstig ist) hilft
bald den Liebenden, bald zwingt sie sie zur Trennung. In einem
englischen Volksliede * gehen zwei Liebende zusammen in den schat-
tigen Wald, wo die Nachtigallen singen ; das Mädchen wird von der
Nachtigall erschreckt; doch als sie ihren Liebsten geheirathet hat,
fürchtet sie nicht mehr den finstem Wald noch der Nachtigall Schla-
gen. Wie auch die Phantasie der Dichter solche Sagen ausgeschmückt
hat, ihr phallischer Ursprung lässt sich immer noch verfolgen. Ein
deutsches Volkslied sagt, dass die Sonne, d. h. der Tag, die Nachti*
gall austrocknet. Nach Hochzeitsbräuchen des Volkes ist es eine
grosse Schande, wenn sich das junge Paar nach der Brautnacht
von der Sonne im Bett überraschen lässt; daher der Streich, den
dem jungen Ehemann seine Freunde zu spielen pflegen, indem sie
die Fensterladen schliessen, damit die Strahlen der Morgensonne
nicht in das Gemach dringen.
' „Quand il le tint, se mit ä rire de tout son coeur. Et il T^touffa, et
le jeta dans le blanc giron de la pauvre dame. Tenez« tenez, ma jeune
Spouse, voici votre joli rossignol; c'est pour vous que je Tai attrap^; je
suppose, ma belle, qu*il vous fera plaisir;** Villemarqu^, Barsaz Breiz,
6. ^d. p. 154.
" Dixon, Ancient Poems, Ballads and Songs of the Pea-
sentry of England; vgl. auch Ralston, Songs of the Russian
People, über die Sagen von Kuckuk und Nachtigall in Russland.
523
Die Schwalbe bat dieselbe mythisebe Bedeutung wie der
Knckuk; sie ist der frobe Bote des Frttblings^ der ans dem
finsteren Winter anftaucbt. Zar Winterszeit ist die Scbwalbe an-
glückbringend; im Frtlbling dagegen segenbringend.
Im Piemontesiscben beisst die Scbwalbe das Htthnchen des Herrn.
In der Edda ratben sieben Scbwalben^ eine nacb der anderen^ dem
nnentscblossenen Sigard^ das Ungebeaer^ welcbes die Schätze be-
wacht; za tödten. Sigard folgt dem Käthe der Schwalben, findet
and erlangt das verborgene Gold and gewinnt sein Weib wieder
(die Sonne beirathet den Frühling, die bltthende and grünende
Erde, wenn die Schwalben kommen and za singen beginnen). Im
PentameronelV, 5 blendet die Schwalbe die Hexe, welche sie
aas ihrem Neste vertrieben hatte (der Winter zwingt die Schwalben,
fortzaziehen ; die heisse and glänzende Jahreszeit zerstreat die
winterliche Dunkelheit). In Deutschland beissen die Schwalben
Vögel der Madonna; St. Franciscus nannte die Schwalben seine
Schwestern. Im Oberinnthal glaubt man, dass sie dem Herrgott
den Himmel bauen halfen. In Deutschland, wie in Italien werden
die Schwalben als Vögel von der besten Vorbedeutung betrachtet ;
es ist eine Todsünde, sie zu tödten, oder ihre Nester zu zerstören.
In Deutschland und Ungarn giebt die Kuh dessen, der ein
Schwalbennest zerstört, keine Milch mehr, oder aber mit Blut
vermischte. Es ist rathsam, immer ein Fenster ofien zu haben,
weil eine Schwalbe, die ins Haus kommt, jede Art von Glück
hineinbringt, ebenso glaubt man, dass Gäste Glück ins Haus
bringen, und das ist ein schöner Glaube, der Jeden ehrt und
eines der deutlichsten Zeichen der geselligen Natur des Menschen
ist. In den Vögeln des Aristophanes werden die Schwalben
mit dem Bau des Hauses der Vögel betraut Solinus schreibt,
dass sogar die Raubvögel die Schwalbe, als einen heiligen Vogel,
nicht anrühren dürfen. Nach Arrian weckte eine Schwalbe, welche
um den Kopf des schlafenden Alexander schwirrte, durch ihr
Zwitschern den grossen Eroberer, um ihn vor den Machinationen,
die in seiner Familie gegen ihn geplant wurden, zu warnen. In
einer Fabel warnt die Scbwalbe die Henne, nicht auf den Eiern
der Schlange zu sitzen. Schwalben wurden im Alterthum bei
Kriegen als Boten gebraucht. Nach Plinius giebt der Kopf einer
am Morgen gut genährten Schwalbe, bei Vollmond abgeschnitten,
in Leinwand gebunden und aufgehängt, ein vortreffliches Mittel
gegen Kopfschmerzen ab.
' Doch antwortet in einer Fabel, in welcher die Schwalbe mit
524
ihrer Schönheit prahlt^ die Erähe^ dass sie immer gleich schöD,
die Schwalbe es aber nur im Frühling sei. In einer anderen Fabel^
in dem Briefe des Hlgen Gregorius von Nazianz an den Prinzen
SelensiuS; prahlten die Schwalben gegenüber den Schwänen damit,
dass sie vor der grossen Masse zwitschern, während jene nnr für
sich singen, und auch das wenig nnd an abgelegenen Orten. Die
Schwäne antworten, dass es besser ist, wenig and gut einer aus-
gewählten Gesellschaft vorzusingen als der Allgemeinheit viel und
schlecht. Die Griechen rathen in einem Sprichwort den Menschen,
keine Schwalben unter ihrem Dache zu halten, d. h. vor Schwätzern
auf der Hut »u sein. Die Schwalbe beginnt hier offenbar, wie in def
mythischen Tragödie von Tereus, sich von einer unheilvollen Seite
zu zeigen, weshalb Horaz sie nenüt:
,Jnfelix aviö et Cecropiae dorouä
Aeternum opprobrium.**
Die Schwalbe, schön und segensreich im Frühling, wird häss-
lieh und fast diabolisch in den anderen Jahreszeiten. Daher hielten
es die Alten für ein schlechtes Zeichen, von Schwalben zu träumen.
Nach Xenophon ging die Erscheinung von Schwalben der Expe-
dition des Cyrus gegen die Scythen vorher und zeigte so den
unglücklichen Ausgang derselben an. Dasselbe Vorzeichen geben
die Schwalben dem Darlus, als er gegen die Scythen zieht, und
dem Antiochus, welcher mit den Parthem kämpft. Ks heisst auch,
dass Pythagoras in seinem Hause keine Schwalben haben wollte,
weil sie insektenfressend wären. Bei S u i d a s heisst das puden-
dum muliebre x^A^cJv; vielleicht als solches wurde die Schwalbe
im Gegensatz zum Sperling, der ein bekanntes phallisches Symbol
ist, (gleich den Tauben) als der Venus heilig dargestellt. ' Der
Sperling zerstört das Nest der Schwalbe, wie ein deutsches Volks-
lied diese sagen lässt:
„Als ich auszog, auszog,
Hatt* ich Kisten und Kasten voll,
Als ich wiederkatD, wiederkam,
Uatt' der Sperling,
Der Dickkopf, der Dickkopf
Alles verzehrt"
Die Schwalbe ist auch eine diabolische, finstere Gestalt, welche,
durch Bezanbernng der Hexe, das schöne Mädchen annimmt, als
' Currum Deae prosequentes gannitu constrepenti lasciviunt Passeres;
Apal^jos, A sin US Aureus VI.
es sich bei dem BruDDeu (<1. b. bei dem Ocean der Nacbt oder
des Wintere) befindet. '
' Eioe Frau aub Antignano bei Livoroo ereählte mir einst die
ecbichte von einer schönen Prinzessin, welche auf einen Baum die B
kunft ihres Cratten erirartete, dor ihr Kleider kaofen gegangen war. V
rend sie wartet, kommt eine NegeHn herbei, um Kleider zu waschen,
riebt im Waaser das Spiegelbild der schönen Prituessin. Sie veran
sie herabzukommen, indem sie ihr das Haar zu kämmen anbietet,
steckt ihr einen Nagel in den Kopf; die Prinzessin verwandelt siel
eine Schwalbe. Die Negerin nimmt ihre Stelle bei dem zurückkehre)
Gatten ein. Die Schwalbe lässt sich von diesem fangen; ihren I
streichelnd findet er den Nagel und zieht ihn heraus ; die Schwalbe
wieder die schöne Prinxessin. Dasselbe Mährchen wird noch aasfdhrli
im Pieraontesischen, in anderen Theilen Tascana's, in Calabrien und S'
erziihlt; doch haben wir statt der Schwalbe die Taube, wie auch
Tnti-Name.
526
KAPITEL VI.
l>ie Eule, die Krähe, die Elster und der Storeh.
Die Eule, die Krähe^ die Elster und der Storch stehen im
Mythus in inniger Beziehung zu einander. Um eine Vorstellung
von dem Ungeheuer zu geben, welches in der Nacht umherwan-
dert^ vergleicht der B i g v e d a dasselbe mit einer khargalä, ^ was
wahrscheinlich eine Eule ist (auch naktacara gen.) ; er weist auch
den Fromn^^en an, den Tod und den Oott des Todes durch Be-
schwörungsformeln zu vertreiben, wann die Eule ihr hässliches
Geschrei ausstösst und wann der kapota oder die schwarze Taube
das Feuer berührt ^ (so lesen wir auch bei Menander : „wenn die
Eule schreit, haben wir Grund, furchtsam zu sein*'); im Pan6a-
tantra^ vergleicht der König der Ejrähen ebenfalls die feindliche
Eule, welche gegen Nacht kommt, mit dem Gott der Todten (dem
Gott Yama). In Ungarn heisst die Eule der Vogel des Todes.
Im Mahäbhärata^ wird der Geist des Bösen, welcher hell sieht,
im Trttben fischt, und in seinen abscheulichen Handlungen Geschick
und Glück zeigt, mit der Eule verglichen, welche (wahrscheinlich
als Mond) jede Gestalt in der Nacht unterscheidet. Im Mahäbhä-
rata ferner^ tödtet die Eule die Krähen bei Nacht, während sie
schlafen. Im Rämäyana^ streitet die Eule (als Mond) mit dem
Geier (der Sonne), der sich ihres Nestes bemächtigt hatte; die
beiden Streitenden appelliren an Räma, der jeden von Beiden
fragt, wie lange ihm das Nest gehört habe; der Geier antwortet:
„so lange die Erde mit Menschen bevölkert ist;'' die Eule: „so
lange die Erde mit Bäumen bedeckt ist/' Räma entscheidet mit
Recht zu Gunsten der Eule, indem er bemerkt, dass sie einen
älteren Anspruch hat, da es schon vor den Menschen Bäume gab,
' Pra yä ^igäti khargaleva Daktam apa druhä ianvam gühamänft;
Rigv. VII, 104, 17.
* Yad ulüko vadati mogbam etad yat kapotah padam agn&u krinoti,
yasya dütah prahita esha etat tasmfti yamftyanamo astu mrityave; Rigv. I,
165,4.
» III, 73.
* m, 15128, und Hitopa de9a IV, 47.
• III, 308; X, 38.
• VI, 64.
527
und ist daran, den Geier zu bestrafen, als er davon absiebt, in-
dem er erfährt, dass der Letztere einst der König Brahmadatta
war, der von dem weisen Gautama vemrtheilt wurde, ein Geier
zu werden, weil er diesem Büsser einst Fleisch und Fisch zur
Speise angeboten hatte. Räma berührt den Geier, und dieser
nimmt sofort seine menschliche Gestalt wieder an. Das dritte
Buch des Pancatantra handelt von dem Kriege zwischen den
Eulen und den Krähen. Die Vögel sind es müde, einen König
wie den Garuda zu haben, der ganz nutzlos ist, an Niemanden
als an den Gott Vishnu denkt und sich gar nicht die Beschtttzung
der kleinen Vögel, seiner Unterthanen, angelegen sein lässt; sie
denken darauf, einen anderen König zu wählen und wollen diese
Wahl auf die Eule fallen lassen ; ^ da legt die Krähe ihr Veto
ein, von welcher das Pancatantra sagt, sie sei der schlaueste
unter den Vögeln, wie der Barbier unter den Menschen, der Fuchs
unter den Thieren und die Bettelmönche unter der Klerisei. Der
Krieg zwischen der Eule und der Krähe (dem Mond und der
dunklen Nacht) ist in der indischen Sage sehr volksthümlich ;
käkäri, Feind der Krähe, ist einer der Sanskritnamen der Eule,
und die käkolükikä, der Eulen- und Krähenkrieg, wird, wie schon
mehre Mal von den gelehrten Forschern der Chronologie der
indischen Literatur bemerkt worden ist, schon in der Grammatik
Päninis erwähnt.
Bei A fan a SS ie ff IV, 30 isst die Krähe die Eier der Gänse
und der Schwäne. Die Eule verklagt die ELrähe aus Hass beim
Adler; die Krähe leugnet zwar, wird aber doch zu Gefängniss
verurtheilt.
In dem neunten Buche von des Aristoteles Thierge-
schichte finde ich auch, dass die Krähe mit der Eule kämpft,
deren Eier sie am Mittag zerstört, während dagegen die Eule
während der Nacht die Eier der Krähe verzehrt. Im Italienischen
bedient man sich des Ausdruckes: „die Eule unter den Krähen'^,
um eine ernste Gefahr zu bezeichnen. Bei Tzetzes finden wir auch
eine Fabel, nach welcher die Krähe nahe daran war, zum König
' Vgl. was Du Gange aus einem Schriftstück vom Jahre 1300 anführt :
„Aves elegcrunt Regem quemdam avem vocatam Due, et est aris pulchrior
et major inter onmes aves, et accidit semel quod Pica conquesta fuerat de
Accipitre dicto Domino Regi, et congregatis avibus, dictus Rex nihil dixit
nisi quod flavit (flevit?). Vel (veluti) idem de rege nostro dicebat ipse
Episcopus, qui ipse est pulchrior homo de mundo, et tamen nihil seit
facere, nisi respicere homines/*
528
der Vögel erwählt zu werden^ da sie sich mit den Federn ge-
schmückt hatte, welche anderen Vögeln abgefallen waren; da
kommt die Eale herbei (bei Babrins ist es die Schwalbe)^ erkennt
eine von ihren Federn, rupft sie aus> und giebt damit den andern
Vögeln ein Beispiel, welche binnen Kurzem die Krähe ganz kahl
rupfen. (Es ist das eine Variation dßr bekannten Fabel von der
Krähe in d^n Federn des Pfaus, und derselben in entgßgenge-
setztem Sinne genommenen im Pan^atantra, wo die Krähe der
kluge, die Eule der einfältige Vogel ist) Es giebt noch andere
Merkmale der Schlauheit, welche der Eule in Fabeln zugeschrieben
wird; so z. B. sagte sie den anderen Vögeln vorher, dass ein
Bogenschütze sie mit ihren eigenen Federn tödten werde, und
rieth ihnen, die Eichen nicht wachsen zu lassen, da auf ihnen die
Mistel wächst, mit der Vögel gefangen werden. Der deutsche
Eulenspiegel, der boshafte Possenreisser der Sage> der einen
grossen Hut trägt, gehört wahrscheinlich zu derselben mythischen
Familie. Die Griechen betrachteten die Eule bIb eine Gestaltung
der Tochter des Nykteus, des Königs von Lesbos (nach Anderen
des Königs von Aethiopien ; Nykteus und der schwarze Aethiope
sind Beide die Nacht), welche sich in ihren Vater verliebte und
ohne sein Wissen bei ihm lag; ihr Vater wollte sie tödten, doch
Athene erbarmte sich ihrer und verwandelte sie in eine Eule, die
jedoch, ihres Verbrechens eingedenk, immer das Licht flieht (sie
ist dem Tage fem, gleich dem Monde). Die Eule war der Athene
heilig, der Göttin der Weisheit, sofern sie im Dunklen sieht; der
Flug des Nachtvogels war deshalb den Athenern ein Zeichen,
dass die Göttin, welche ihre Stadt beschützte, gnädig gesinnt war,
daher wurden die Eulen Athens sprichwörtlich. Die Eule war
übrigens (nach dem Aberglauben der alten Griechen, den Plinius
erwähnt) dem Dionysos feind (als Trunkenem, als leidenschaft-
lichem Weinliebhaber; der Mond, der den Winter regiert, bringt
die Kälte, vermindert die Wärme); daher die Vorschrift der alten
Medicin, dass Euleneier, drei Tage lang in Wein getrunken,
Trunkenbolde massig machen. Philostratus (in der Vita A p o 1 -
lonii) geht so weit zu behaupten, dass man nach Genuss eines
Euleneis eine Abneigung gegen den Wein fasst, noch bevor man
ihn gekostet hat Doch wurde schon im Alterthum die Eule ge-
wöhnlich als der gemeine und unheilbringende Vogel angesehn,
der sie in Wirklichkeit ist. Es heisst von Demosthenes, das» er,
bevor er ins Exil ging, erklärte, dass sich Athene an drd Furcht
^inflössenden Bestien ergetze: der Eule, dem Drachen und dem
529
Volke von Athen. Bei Aelian und bei ApulejuB ist von den
Eulen als von Unheil verkündenden Vögeln die Rede.' Daher
wurde und wird die männliche Eule besonders in Italien^ Bussland,
Deutschland und Ungarn als ein Vogel schlechtesten und traurigsten
Charakters angesehn. ^ In dem vierten Buche von Vergils Aeneis
ist der Gesang der männlichen Eule verhängnissvoll :
„Seraque calmioibus ferali carmine Bubo
Visa queri et longas in fletum dueere voces/*
Die Römer reinigten die Stadt mit Wasser und Schwefel; wenn
zufällig eine männliche Eule oder ein Wolf in den Tempel des
Jupiter oder in das Capitol gerathen war. Nach Silius Italiens
war auch die Niederlage von Cannae von der Eule prophezeit :
j.Obseditque frequens castroram limiua Bubo/^
Und Ovid sagt im zehnten Buche der Metamorphosen:
,Jgnayus Bubo dirum mortalibus omeo;
Nam dirae mortis nuntius esse solet/^
Im fünften Buche wird Ascalaphos von Ceres in eine Eule ver-
wandelt und verdammt, Unheil zu verkünden, weil er die Proser-
pina bei Jupiter angeklagt hatte, heimlich gegen das Verbot einen
Oranataptel gegessen zu haben.
' Bei den Tataren wurden nach Aldrorandi die Federn der männlichen.
Eule als Amulet getragen, wahrscheinlich um dadurch die Eule selbst
fernzuhalten, ebenso wie in den vedischen Hymnen der Tod selbst ange-
rufen wird« dass er fernbleibe. Im K hör da Avesta (p. 147) verleiht
eine Ealenfeder dem Zarathustra Kraft. — Wir sind bekannt mit dem un-
heilvoUen Monde in der Gestalt Proserpina^s ; die Inder betrachteten Manu
als verwandt mit dem Monde, mit dem er übrigens auch identificirt wurde.
Manu als der erste Mensch und der Vater der Menschen ist auch der Erste
der Todten. Manu giebt dem Indra den Soma. Die sterbende Sonne wird
in dem Reiche des Todes mit dem Monde vertauscht ; doch von dem Reiche
des Mondes kommen die Seelen herab, und zu ihm kehren sie zurück.
Mit Manu hängt Menerva zusammen, eine römische Gestaltung der
griechischen Athene. Die Eule, das Symbol der Minerva ist vielleicht
gleichbedeutend mit Manu als Mond. Der innige Zusammenhang, welcher
zwischen der jungfräulichen Aurora und dem jungfräulichen Monde in
Mythen und Sagen besteht, ist bekannt ; sie leisten wechselsweise einander
Dienste. Athene kann sehr wohl die beiden klugen Mädchen dargestellt
haben — den Mond, der in der dunklen Nacht Alles sieht; die Aurora,
welche aus der finsteren Nacht kommend Alles erleuchtet. Das Haupt des
Zeus, aus dem die Athene entspringt, scheint eine Gestaltung des östlichen
Himmels zu sdn.
Oubornatto, die Thlere. 34
6ao
Die Gabe der Propbetie ist nach dem Volksglauben bei der
Enle so'gross^ dass Albertus Magnus zu seiner Zeit ganz ernsthaft
schreiben konnte: ;,Si cor ejus cum dextro pede super dormientem
ponatur, statim tibi dicit quidquid fecerit, et quidquid ab eo
interrogaveris. Et hoc a fratribus nostris expertum est moderne
tempore/' Als in Macbeth die Hexen im Kessel das höllische
Gebräu bereiten^ thun sie unter anderen hässlichen Ingredienzien
auch hinein:
„Eye of newt, and toe of frog,
Wool of bat, and tongue of dog,
Adder's fork, and blind-worm's sting,
Lisard's leg, and owlet's wing.'^
In Sicilien verkünden die klagende Eule, die krächzende
Krähe und der heulende Hund in der Nähe des Hauses einem
Kranken den nahen Tod; doch wird am meisten unter den Eulen
die gehörnte Eule (jacobu, chio vu oder chiö ; der gehörnte,
abnehmende Mond ; bekanntlich betrachtet der Volksaberglaube die
Zeit, in welcher der Mond abnimmt, als besonders unheilvoll) ge-
f&rchtet. Die gehörnte Eule schreit bei dem Hanse eines Kranken
drei Tage vor seinem Tode; sind keine Kranken im Hause, so
kündigt sie wenigstens ^ einem der Bewohner an, dass er die
Bräune bekommen wird. Wenn die Bauern in Sicilien im Frühling
die Klage der gehörnten Eule zum ersten Male hören, so gehen
sie zu ihrem Herren und sagen ihm den Dienst auf; daher das
Bicilische Sprichwort :
,,Quannu canta lu chi6
Cu 'avi patruni, tinta canciar lu p6/'
Der sicilianische Dichter Giovanni Meli bezieht sich in dem kleinen
Gedichte, Pianto di Palemone mit folgenden Versen auf die
schlimme Vorbedeutung der gehörnten Eule :
„Ah! miu patri lu predissi,
£ trimava 'ntra li robbi,
Ch*eu nascivi 'ntra recclissi
£ chiandanu li jacobbi.**
In der sicilianischen Volkssage La Principessa di Carini
hüllt sich, als der Mönch spioniren geht, der Mond in die
Wolken, und die gehörnte Eule fliegt kreischend durch die Luft:
„Lu jacobbu chiancennu svulazzau/^
In mehren deutschen Volksliedern beklagen sich die gehörnte
Eule und die gemeine Eule, dass sie allein und verlassen im
Walde sind. Die Eule (als der Mond) wird in der deutschen
i
531
Sage als nächtliche Spinnerin dargesteUt ^ Auch findet sich die
unheilvolle Eule in Verbindung mit dem schwarzen Raben
erwähnt. ^
Ich bemerkte schon im Kapitel über den Wolf, dass vrika
in den vedischen Hymnen sowohl Wolf wie Krähe bedeutet. Beide
stellen die dunkle Nacht dar. Die Eule mit den gelben Augen
(in Athen hiessen gewisse, das Bild einer Eule tragende Münzen
Eulen, und in Italien werden Goldmünzen vulgär Eulenaugen
genannt) scheint im Besonderen den Dämmerungsvogel darzustellen
(daraus verstehen wir, warum sie speciell der Athene heilig war),
und noch viel öfter die Nacht mit dem gelben Auge des Mondes.
Die Krähe dagegen scheint Repräsentantin der finsteren Nacht
oder Wolke zu sein. Die Eule, welche das Nest der Krähe zerstört
und den Betrug der mit fremden Federn geschmückten Krähe
aufdeckt, ist wohl identisch mit dem Monde, der das Dunkel ver-
scheucht, oder dem sahasräksha (dem himmlichen Pfau), der die
tausend Augen des Sternenhimmels schliesst und die tausend
Sterne erbleichen lässt. Die Eule, als König der Vögel (wir kennen
auch den Indra-Mond als Mrigaräga), scheint gewöhnlich identisch
zu sein mit dem Monde, dem Herren der Nacht. Indra ist oft
der Pfau-Gott, der azurblaue nächtliche Sternenhimmel; doch sind
Blau und Schwarz, wie wir sagten, gleichbedeutende Farben
(der azurblaue Gott Indra wird der schwarze Krishna; die Krähe
wird ein Pfau), und werden mit demselben Wort bezeichnet ; daher
treten der blaue und der schwarze Vogel für einander ein. Nach
Festus war die Krähe vor dem Pfau der Juno heilig. Der Krähen-
Pfau ist schon im Pan6atantra' sprichwörtlich, wo wir lesen,
dass der vorschnelle Dummkopf eine Krähe für einen Pfau hält.
Die Stimme des Pfaus ist so schrill wie die der Krähe; im
Rämäyana^ lacht das Wasserhuhn (^alakukkubha, der Reiher,
' „Selbst in sternloser Nacht ist keine Verborgenheit, es lauert eine
grämliche Alte, die Eule; sie sitzt in ihrem finstem Kämmerlein, spinnt
mit silbernen Spindelehen und sieht übel dazu, was in der Dunkelheit vor-
geht. Der Holzschnitt des alten Flugblattes zeigt die Eule auf einem
Stühlchen am Spinnrocken sitzend/*
* „Wenn durch die dünne Luft ein schwarzer Rabe fleucht
Und krähet sein Geschrei, und wenn des Eulen Fraue
Ihr Wiggen-gwige heult: sind Losungen sehr rauhe.**
— RochholZf a. a. O-, I, p. 155.
* I, 175.
* 11,5.
84*
532
der Eisvogel, die Ente, der Schwan) über den Pfau, als er dem
Kuckuk antworten will. So verspottet das griechische Sprichwort
die Krähen, welche mehr geehrt werden als die Nachtigallen
(xoQcnieg arfdoviov aidexTijuwTSQoi) , Martial stellt sie den Schwänen
gegenüber :
„Inter Laedaeos ridetur corvus Olores;**
und das griechische Sprichwort macht die Dohle unter den Musen
(xoloiog ev taig Movixxig), wie das lateinische den „gracnlus ad
fides'' lächerlich. In einer Variation von Afanassieff VI, 46
nimmt die Krähe die Stelle der prophetischen Nachtigall ein. Der
Fuchs (Frühling, Aurora) nimmt der Krähe (Winter, Nacht) den
Käse (den Mond), indem er sie singen macht. Im Mahäb-
härata' verkleidet sich das Ungeheuer Rähu als Gott, um die
Ambrosia der Götter zu trinken; die Sonne und der Mond ver-
rathen den Betrug ; Rahu wird erkannt und Vishnu schneidet ihm
mit seiner Scheibe den Kopf ab; es ist dies eine alte Variation
der Fabel von der Krähe unter den Pfauen. Diese Verkleidung
der Krähe erscheint jedoch ganz natürlich, wenn wir bedenken,
dass Indra ein Pfau ist, und dass im Rämäyana^ eine gewisse
gelehrte Krähe (pändita) von Hanumant der Sohn Indras (putrah
kila sa ^^rasya) genannt wird. Ich bemerkte bei einer früheren
Gelegenheit, dass der vedische Indra in den indischen Gedichten
sich von einer unheilvollen und bisweilen sogar von einer diabo-
lischen Seite zeigt. Im Bämäyana' greift eine Krähe die
Sita mit Flügeln, Schnabel und Krallen an; Räma schleudert
einen bezauberten Pfeil auf sie; der Vogel stirbt durch göttliche
Gnade nicht, doch sieht er bei seinem schnellen Fluge, während
es aus der Wolke regnet, nichts als Pfeile und Schatten von
Pfeilen in der Luft. Darauf kehrt diese Krähe zu Räma zurück,
um ihn zu ersuchen, sie von diesem Zauber zu befrein; Räma
sagt, dass die Bezauberung ihren vollen Lauf haben müsse, doch
dass er sie auf einen Theil des Körpers beschränken könne; die
Krähe solle den Theil auswählen, auf den Räma zielen solle.
Der schlaue Vogel hofft, dass Räma sein Ziel fehlen werde, und
sagt, eines von seinen Augen ; Räma trifft es , zur grossen Ver- .
wunderung Sitäs, gegen welche die Krähe Krieg zu ftlhren be-
gonnen hatte, nachdem Rama ihre Stirn roth bezeichnet hatte.
' I, 1152.
• II, 105. V, 3.
» Ib.
53
Q
Ich führte im vorigea Kapitd aus dem Pandatantra den
indischen Volksglaaben an, dass die Krähe der schlauste der
Vögel ist, wie der Fuchs das schlauste Thier. Aristoteles sagt,
dass die ^rähe die Freundin des Fuchses sei; im Rämäyana
wird die List, deren sich in der westlichen Fabel der Fuchs be-
dient, um den Käse aus dem Schnabel der Krähe zu escamotiren,
von der Dohle (särikä oder gracula religiosa) angewandt. Ein
Raubvogel hat einen Papagei in den Klauen, und eine särikä im
Schnabel ; die Dohle sagt : „Papagei, beiss den Feind in den Fuss,
wenn er allein in der Luft schwebt, und wenn sein Schnabel
mich drückt; da sein Schnabel beschäftigt ist und Dich nicht
beissen kann, so beisse Du ihn, damit er Dich gehen lasse;'' die
Dohle hoffte, dass der Raubvogel auch den Schnabel vor Schmerz
öffnen und sie fliegen lassen werde. Bei Plautus wird ein schlauer
Sclave mit einer Krähe verglichen. Die Krähe personificirt in der
indischen Sage auch den Schatten eines Todten ; den Krähen
Speise geben ist für die Inder dasselbe wie den Seelen der Todten
Mahrung geben; daher wurde immer, und wird sogar nach allen
Indienreisenden noch heut ein Theil ihrer Mahlzeit für die Krähen
übrig gelassen. Auch im Rämäyana* befiehlt Räma der Sita
den Rest der Speise für die Krähen aufznheben. Bei der Flucht
der Götter vor den Dämonen, die im letzten Buche des Rä-
mäyana geschildert wird, verbirgt sich Indra selbst in der Ge-
stalt eines Pfaues, und Yama, der Gott der Todten, in der einer
Krähe. In der griechischen Mythologie, bei dem Kampfe gegen die
Riesen, ist es Apollo, der sich in eine Krähe verwandelt, doch wahr-
scheinlich in eine weisse, da weisse Krähen nach griechischem Glauben
der Sonne heilig sind. Es heisst, dass die Krähe einst weiss war,
doch dass Apollo sie schwarz machte, empört darüber, dass dieses
Thier ihm die unwillkommene Nachricht von der Treulosigkeit
seiner Dame, der Prinzessin Koronis brachte; hier nimmt die
Krähe die Stelle des Kncknks ein. In einem anderen griechischen
Mythus verliert die Krähe die Gunst der Pallas, weil sie ihr die
Einsicht verschafft, dass Erichthonius, welcher der Pallas ans dem
auf die Erde gefallenen Samen des himmlischen Grobschmieds
* II, 105; vgl. auch Du Cange, s. v. corbitor. — In der deutschen
Sage vom Kaiser Friedrich Barbarossa, der im Kifihäuser wohnt, erwacht
der Kaiser und fragt: „Fliegen die Raben noch um den Berg?* Er erhält
eine bejahende Antwort. Da seufzt er und legt sich wieder nieder, weil
die Stunde seiner Auferstehung noch nicht da ist.
534
geboren ist, von den drei Töchtern des Kekrops gefunden worden
ist. Für die Dienste der Krähe bewilligte ihr Yama das Recbt^
die Lqichenspeise zu essen , weshalb die Schatten der Todtefi;
wenn der Krähe diese Nahrung gegeben wird, in eine bessere
Welt eingehen können. Daher der griechische Fluch: egnoQCcmg!
Geh' zum Henker! stirb I Daher ist in Indien wie in Persien, in
Russland wie in Deutschland, in Griechenland wie in Italien die
Krähe in eminentem Sinne der UnglUcksvogel von schlimmer
Vorbedeutung. Nach Aelian pflegten die Bewohner des alten
Hadria die Dohlen zu beschwichtigen, dass sie nicht ihre Felder
verwüsteten, indem sie zwei Gesandte zu ihnen schickten, welche
ihnen einen Brei von Od und Mehl vorsetzten. Nahmen die
Dohlen die Gabe an, so war das ein gutes Zeichen. Bei Lambert
von Aschaflfenburg sieht ein Wallfahrer im Traum eine schreck- <
liehe Krähe, welche krächzend um Köln herumfliegt und welche
von einem glänzenden Reiter verjagt wird; der Pilger erklärt,
dass die Krähe der Teufel , der Reiter aber der Hlge Georg ist.
In der Chronik des Seligen Antonius finden wir stinkende, schwarze
Sümpfe „in regione Puteolorum in Apulia" beschrieben, aus denen
die Seelen in Gestalt von Vogelungeheuem in den Abendstunden
des Sabbats aufsteigen, Vögel, die weder fressen noch sich fangen
lassen, sondern umherschwirren, bis am Morgen eine ungeheure
Krähe sie zwingt, wieder in das Wasser zu tauchen. In Deutsch-
land bedeutet nach Roch holz eine Krähe, die sich auf das Dach
eines Hauses setzt, in welchem sich eine Leiche befindet, dass die
Seele des Verstorbenen verdammt ist In Brusasco im Piemon-
tesischen singen die Kinder folgenden Vers, indem sie im Chorus
das Geschrei der Krähe nachahmen:
„CumaiasB, ^
Porta *1 sdiass
Me mari Vh morta
Sut la porta.
(Krähe, bringe den Sieb; meine Mutter ist gestorben, unter der
Thtir. Qu6 1 — Der Sieb verrichtet hier wahrscheinlich denselben
Dienst wie die Wage, auf welcher der Heilige Michael im pie-
montesischen Glauben die Seelen der Abgeschiedenen abwiegt;
ist die Seele ohne Sünde, so muss sie durch den Sieb hindurch-
gehen; wenn nicht, so bleibt sie darin. Der Osten und der
Westen sind die beiden Himmelsthore; am westlichen Thor stirbt
die Sonne, mit der Abend-Aurora; am östlichen stirbt die Nacht)
536
Id einem schwedischen Volksliede in der von Warrens übersetzten
Sammlung lese ich folgenden Vers, in welchem die Krähe ganz
und gar die Gestalt eines Ungeheuers annimmt:
„£^ flog ein Rabe über das Dach,
Hatt* Menschenfleisch in den Krallen«
Drei Tropfen Blutes träuften herab,
Ich spürte, wo sie gefallen.'^
Bei Afanassieff IV, 39 sagt ein alter Mann, der einiges
Korn hat auf die Erde fallen lassen, dass er, wenn die Sonne
es wärmte, der Mond es beschiene und die Krähe ihm das Ge-
treide aufpicken helfen wollte, Jedem eine von seinen drei Töchtern
geben würde. Sonne, Mond und Krähe erhören ihn und heirathen
die drd Mädchen. Einige Zeit danach geht der Alte seinen
Schwiegersohn Krähe besuchen, der ihn im Schnabel eine endlose
Leiter hinaufträgt; oben lässt die Krähe den Alten fallen und
er stirbt.
Da Indra oder Zeus, d. h. der Begengott, bald die Gestalt
eines Kuckuks, bald die einer Krähe annimmt, verkündet im
15. Märchen des Siddhikttr die Krähe dem durstigen Prinzen die
Nähe von Wasser. Tomraaso Badino von Piacenza ' erzählt eine
Fabel, welche uns an die biblische Sintfluthsage erinnert. Phoe-
bus sendet die Krähe nach Weihwasser zum Opfer des Zeus ; ^
doch die Krähe sieht, als sie zu dem Brunnen kommt, einige
Feigen neben demselben ; statt sich ihres Auftrages zu entledigen,
wartet sie, bis die (phallischen) Feigen reifen. Daher wurde die
Krähe als Zögerer (Aufschieber) sprichwörtlich (die Legende vom
Hlgen Athanasius sieht in der Krähe deshalb den Zauderer, weil
sie mit ihrem Geschrei „cras^' Bagt). Die Bedeutung des Mythus
scheint mir augenfällig; die donnernden Regenwolken spenden
gegen Ende Juni Wasser, wenn die ersten Feigen und das Ge-
treide reif sind (bei Plutarch, Vita Niciae haben wir statt
dessen die goldenen Datteln) ; die Krähe stellt den Regengott dar ;
wie der Kuckuk den Frühlingsregen, so bringt die Krähe den
Sommerregen, und später, wenn die letzten Feigen reifen, den
Herbstregen, der den Winter ankündigt, welcher den Krähen lieb
ist;^ 80 nennt sie Horaz
' Bei Aldrovandi, Ornithologia. Die Botenkrähe kommt oft in
Sagen vor.
* Bei Plutarch leiten zwei Krähen Alexander den Grossen, als er das
Orakel des Zeus Ammon befragen geht
* Daher der Name Avis S. Martini, den auch die Krähe erhalten,
536
„Imbrium dirioa aris imminentum«*' '
In einem schwedische» Volksliede wird der Botenkrähe Wass^-
meth angeboten; sie bittet jedoch um kleine Körner fRr ihre
Jnngen. Bei Afanassieff VI, 52 wird die Krähe nach dem
Wasser des Lebens und Todes ausgeschickt; sie soll Versuche
damit an sich selbst anstellen^ bevor sie es bringt.
Doch aus der Dunkelheit kommt Licht, die Sonne; aus der
schwarzen Nacht der helle Tag; aus der schwarzen Krähe die
weisse; daher finden wir im ersten ehstnischen Mährchen die
Krähe als den „Lichtvogel" dargestellt, ebenso wie sie im grie-
chischen Mythus dem Apollo heilig war. In dem sechsten sicilia-
nischen Mährchen bei Frl. L. Gonzenbach tragen Krähen den
Giuseppe^ der in einem aus getrockneter Pferdehaut gemachten
Sack eingeschlossen ist, auf einen Berg, der mit Diamanten be-
deckt ist, und das Ei einer Krähe tödtet das Riesenungeheuer,
dem es auf den Kopf geworfen wird. Im Pentamerone IV, 9
sieht ein König das Blut einer getödteten Krähe auf weissem
Marmor, und wünscht sich eine Braut, die so weiss ist wie der
Marmor und so roth wie das Blut, und Haare hat, so schwarz
wie Krähenfedem. Der närrische Held Iwan, bei Afanassieff
IV, 9, nennt die Krähen seine kleinen Schwestern, und streut
ihnen die Mahrung aus, welche in den kleinen Töpfchen enthalten
war, die er zum Verkauf trägt. In deutschen und schwedischen
Volksliedern, in denen die Krähe oft aLs Beistand des schönen
Mädchens (der Sonne) erscheint, heisst sie der Bruder der Heldin.
Die Krähe ist der bekannte Bote des Heiligen Oswald, Königs
von England. Die Krähe bringt oft den Helden Glttck, sogar
durch Selbstopferung; der Tod der Nacht und des Winters
weil sie oft um den Martinstag kommt. Bei Du Gange und in dem Ro-
man du Renard finden wir ebenfalls, dass dem Fluge der Krähe Auspi-
cien entnommen werden; über denselben Brauch in Deutschland vgL Sim-
rock, a. a. O. p. 546.
> Horaz, Carm. lU, 27, 10. — Bei Afan. (IV, 36) wird die Dohle
gefragt, wohin sie geflogen ist. Sie antwortet: „Auf die Wiesen, um
Briefe zu schreiben und dem Mädchen nachiOBeufiien;'' und das Mäd-
chen erhält den Rath, an das Wasser zu eilen. Sie erklärt, sie furchte
den Krebs. In diesem Mädchen, das sich vor dem Krebse flirohtet, glaube
ich das Zeichen der Jungfrau (die von dem Krebs des Sommers angeiogea
wird) erkennen zu dürfen , der Jungfrau , welche sich dem Wasser, dem
Herbst und dem Uerbatregen nähert; der Jungfrau, welche von der deo
Regen gebenden Krähe geliebt wird.
J
537
bringt wieder Tag und FrtthUog; daher die bertthmten Verse
de8 Horaz :
^Oscioem corvum prece suscitabo
Solis ab ortu."*
Mehre der mythischen Charakteristika der Krabe , ja, ihre
Haaptzttge, werden anch der Elster (corviis pica) beigelegt
Die blatte Elster scheint als Vogel von fibler Vorbedeutung sogar
in ein^n vedischen Hymnus vorzukommen, in Verbindung mit der
Auszehrung.^ Bei Afanassieff I, 46 stehen die Elstern in
Beziehung su dem mythischen Wasser ; eine Elster wird nach dem
Wasser des Lebens, eine andere nach dem Wasser der Sprache
ausgesandt 7 um die beiden Söhne eines Prinzen und einer Prin-
zessin wiederzuerwecken, welche eine Hexe während des Schlafes
mit der Hand des Todes berührt hat Diese heiden Ektem
scheinen den beiden Krähen, Huginn und Muninn zu entsprechen,
welche der skandinavische Gott Odin jeden Tag in die Welt
sandte, um alle dort umlaufenden Neuigkeiten zu erfahren, die sie
bei ihrer Btlckkunft ihm in die Ohren flüsterten. In einer deut-
schen Sage bei Grimm erseheint die Elster als Bringer der Spring-
wurzeL Die Griechen und Römer betrachteten die Elster als dem
Bacchus heilig, weil sie in Verbindung mit dem ambrosischen
Trank steht; und da Trunkenbolde geschwätzig sind, so ist die
Ehsiter wegen ihrer Geschwätzigkeit berüchtigt. Wir sahen die
Dohle unter den Musen; bei Theokrit fordert die Elster die
Nachtigall zum Singkampfe heraus; bei Galen ist sie die sprich-
wörtliche Nebenbuhlerin der Sirene ; die neun Töchter des Euippes
wurden in Elstern verwandelt, weil sie sich angemasst hatten,
mit den Musen im Singen zu wetteifern, weshalb Dante, die
Calliope anrufend, fortfahren will, zu singen —
„con. quel SQOno
Di cai le Piche mkere aentiro,
Lo oolpo lal che diaper^ perdoao/'
Der Leser kennt ohne Zweifel die Fabel von Ami, wie sie Ovid
giebl, die in ihrer Goldgier ihr Vaterland an den Feind verrieth
und in eine Dohle (monedula), die Freundin des Goldes, verwan-
delt wurde. Im zehnten Buche seiner Geschichte erzählt Livtus
die Fabel von einer Krähe, welche das Gold im Kapitel ass. In
einer dänischen Volksballade wird der Botenkrähe Gold ange-
* Horaz, Carm III, 27, 11 f.
* Säkam yakshma pra pata ödtheoa kikidivina; Rigv. X, 97, 13.
538
boten; gleich dem Knckuk antwortet sie^ sie wisse nicht, was
damit anfangen, nnd bittet sich Krähenfntter ans. Die Elster
wurde auch sprichwörtlich als Oold- und Silberdieb; beides ver-
steckt sie; nicht sowohl weil sie glänzende Metalle liebt; als viel-
mehr weil sie alles Helle ; Glänzende hasst. Die Krähe und die
Elster verstecken die Sonne und die goldenen Kornähren in der
regnerischen und winterlichen Jahreszeit. In der deutschen My-
thologie ist die Elster ein Vogel der Unterwelt; in welchen sich
oft Hexen verwandeln ; oder auf dem sie reiten. Daher herrscht
auch in Deutschland der Glaube ; dass die ELster während der
zwölf Tage zwischen Weihnachten und Epiphanias (wenn die
Tage wieder länger zu werden anfangen) getödtet werden muss.
Da jedoch jede Art von Bosheit in der Hölle gelernt wird; wurde
die Bosheit der Elster sogar noch sprichwörtlicher als die der
Krähe. Die Elster bedient sich ihrer höllischen Kenntnisse bald
um Uebles zu thun ; als eine böse Fee ; bald um als gütige Fee
den Menschen Gutes zu thun: die Farbe der blauen Elster er-
scheint bald glänzend; bald finster; die Mischung von Weiss und
Schwarz in der Farbe der Elster (wie der Schwalbe) repräsen-
tirt die beiden einander entgegengesetzten Seiten; von denen sie
sich im Mythus zeigt Im deutschen Aberglauben spricht die
Elster von dem Nahen des Wolfes; daher häit man es fär un-
nützen MuthwilleU; eine Elster zu tödten. Im russischen Volks-
liede bestraft die Elster den lässigen kleinen Finger; der nicht
zum Brunnen nach Wasser gehen will:
„Die Elster, die Ebter,
Hatte die Grütze gekocht,
Sie sprang auf die Schwelle,
Sie lud die Gäste ein.'*'
Sie lädt alle Gäste eiu; mit Ausnahme des kleinen Fingers ; wel-
cher wegen seiner Faulheit der kleinste ist; — wir erwähnten
schon den faulen kleinen Bruder; der sich weigert; Wasser zu
holeu; in Kapitel I. In Bussland glaubt maU; dass eine Elster,
die sich auf die Schwelle eines Hauses setzt, die Ankunft von
Gästen bedeutet; dieser Glaube erinnert mich an die Elster des
' Sarövka, sarövka,
Kasha varila
Na parök skakäia,
Gastiei sasziväla.
539
Petronins : ^^Snper limen antem cavea pendebat aürea^ in qua pica
varia intrantes salntabat/' ^ .
Wie die Krähe und die El^er in der Mythologie in Verbin-
dung mit dem Wasser und mit dem unheilvollen und höllischen
Winter gedacht werden, so stellt der Storch besonders die reg-
nerische und winterliche Jahreszeit dar. Der Reiher^ schon in
dem Kapitel über den Knckuk erwähnt, bietet mehre der Gha-
rakterzttge des Storches im Mythus. Bei Afanassieff IV, 9
geht der Storch, mttde aUein zu leben, zu dem Reiher und schlägt
vor, dass sie sich heirathen. Frau Reiher schickt ihn mit Ver-
achtung fort. Doch kaum ist der Storch weg, als der Reiher
bereut und seinerseits dem Storch den Vorschlag macht; dieser
weigert sich aus Eigensinn. Auch ihm thut es wieder leid und
er kehrt zum Reiher zurück; das Reiherweibchen ist nun ihrerseits
verdriesslich und giebt dem Storch einen Korb. So geht es
weiter; Storch und Reiher besuchen einander und machen sich
gegenseitig Anträge ; bis jetzt aber haben sie sich noch nicht ge-
heirathet. Obwohl diese Fabel eine satirische Bedeutung hat,
weist sie doch implicite auf die Verwandtschaft von Reiher und
Storch hin. Der Reiher und der Storch sind zwei Vögel, welche
in gleicher Weise das Wasser lieben und deshalb zur Darstellung
vdes wolkigen, regnerischen, winterlichen, finsteren Himmels dienen,
der oft, wie wir schon sahen, als ein dunkles Meer dargestellt
wird. Aus der Nacht, der Wolke oder dem Winter kommt die
junge Sonne, die neue Sonne, das Heldenkind heraus, das im
Wasser ausgesetzt worden ist; daher der deutsche Einderglaube,
dass die Störche die Kinder aus dem Brunnen bringen. ^ Eigent-
lich wird jedoch das Heldenkind, so lange es der Storch noch
im Schnabel hält, als noch nicht geboren betrachtet; es wird erst
in dem Augenblick geboren, in welchem der Storch, seinen
' Die Elster ist sprichwörtlich als Schwätzerin; daher tod ihrem ita-
lienischen Namen gaiza das Wort gazze^tta zur Bezeichnung der
Zeitungen als Ausplauderem von Geheimnissen. — Im Dialogus Crea-
turarum, dial. 80, heisst es von der Agazia genannten Elster: „Pica est
avis callidissima . . . Uaec apud quemdam venatorem et humane et latine
loquebatur, propter quod senator ipsam plenarie fulciebat. Pica autem
non immemor beneficii, volens remunerare eum, volavit ad Agazias, et cum
eis familiariter sedebat et humane sermocinabatur. Agaziae quoque in hoc
plurimuro laetabantur cupientes et ipsae garrire humaneque loquL^*
* Daher im Volksliede die Bitte an den Storch, ein Schwesterchen zu
bringen ; vgl. Kuhn und Schwarz, N. S. M. u. G. p. 452. Als Brioger von
Kindern ist der Storch der Feind der Schlange; vgl. Tzetzes I, 945.
/
540
Schnabel öffnend, das Kind der Matter in den SchooM legt. Der
Storch personificirt den unheilvollen Himmel, den Himmel, wenn
der himmlische Held, die Sonne, gestorben ist. Daher in Deatsch-
land der Glaube, dass Störche, die über eine Sehaar Menschen
fliegen, den Tod Eines derselben bedeuten; die Wolken and die
Schatten, di^ sich zusammenziehen, verkünden das Verscheiden,
den Tod der Sonne.
In russischen Mährchen haben wir den Storch von zwei
Seiten (daneben die, wahrscheinlich importirte, Fabel von d^u
Storch und dem Fuchs als Vettern, die einander zum Abendbrod
einladen). Bei Afanassieff 11, 17 bittet dn alter Mann den
Storch , ihm^ an Sohnes Stelle zu sein (der Ruf dei^ Störche als
zärtlicher Väter und Söhne ist alten Datums ^). Der Storch giebt
dem Alten einen Sack, aus welchem zwei Jünglinge hervor-
kommen, die den Tisch mit einer seideneji Decke bedecken und
ihn mit allerlei schönen Dingen besetzen. Eine Pathe, welche
drei Töchter hat, verwandelt des Alten Sack, während er auf
dem Heimwege ist. Von seiner Frau ausgelacht und geschlagen
kehrt der Aite zum Storch zurück, der ihm einen anderen Sack
giebt, aus welchem wieder zwei Jünglinge herauskommen, welche
die Leute tüchtig durchprügeln. Vermittelst dieses Sackes erlangt
der Alte den ersten wieder und zwingt seine Frau zum Gehorsam.
In einer Version dieses Mährchens macht der Storch dem närri-
schen Helden drei Geschenke — ein Pferd, das sich auf den Be-
fehl stehen zu bleiben in einen Haufen Gold verwandelt, und auf
den Befehl weiter zu gehen wieder seine frühere Gestalt annimmt ;
ein Tischtuch, das sich selbst aufdeckt und abdeckt, und ein
Horn, aus dem die beiden Prüge\jüngen kommen. Bei Afanas-
sieff IV, 37 heibst es, der Storch sei der Bruder der Wald-
sehnepfe; sie heuen zusammen, sonst thun sie nichts. Wir er-
wähnten im Kapitel über den Bären die Störche, welche die Ernte
eines Bauern verzehren, der ihnen die Füsse abzuschneiden droht
Sie werfen ein Fass Wein um, um seinen Inhalt zu trinken; der
empörte Bauer fasst sie und bindet sie an seinen Wagen, doch
die berauschten Störche sind so stark, dass sie Bauer, Wagen
und Pferd in die Luft heben. Hier zeigt sich der Storch von
einer diabolischen Seite, als Repräsentant der winterlichen Jahres-
zeit; der Wagen des Bauern ist der Sonnenwagen. Bei A fan as -
* Vgl. Philes VI, 2, und AristophaneB in deo Wolken:
yy^Bl %avi vMOTTOvs jov Ttati^a ndXiv j^etpuv.^*^
Jl 1
541
sieff VI, 5 bindet ein betrügerischer Soli
dass er anf dem KUckwege iirdie ander
Störche anf die Weide führe. Hier habeB
bringende nnd bfillische Natnr der Kräht
ten, im arischen Glauben eine der Gestalt
der Abgeschiedenen annehmen.
542
KAPITEL VII.
Der Speeht und 4er MartliiSTOfeL
Der Specht hat die Ehre gehabt, sehon von Adalbert Kahn
mit grosser Gelehrsamkeit behandelt worden zn sein, in dem treff-
lichen Werkte über das himmlische Fener and Wasser, auf wel-
ches ich den Leser fUr die Hanptmythen, die auf ihn Bezug
haben, verweise, d. h. für die Vergleichung des vedischen Falken
und des vedischen Feuer-bhurai^yu mit dem griechischen ^oQutvevgf
dem römischen picus Feronius, der incendiaria avis,
dem picus, der den Donner trägt, und dem, der den Zwillingen
Romulus und Remus Speise iHingt, ' der sich selbst an Wein
ergetzt, femer mit dem König Picus, dem Stammvater eines Ge-
schlechtes, und den entsprechend^i deutschen Sagen. Ich werde
hier nur auf die mythologische Verwandtschaft zwischen picus
und corvus pica (picumnus wurde in gleicher Weise auf den
Specht und die Elster angewandt) aufmerksam machen, um auf
das doppeldeutige vedische Wort v^ika zurückzukommen, wel-
ches Wolf und Krähe bedeutet ; daher vielleicht entstand auch die
Verwirrung zwischen der Wölfin, welche die römischen Helden
nährt, und dem Specht, der sich in derselben Sage als ihr Er-
nährer zeigt. Der Specht, die Elster und der Wolf personificiren
in gleicher Weise den Gott in der Dunkelheit, den Teufel, die
Wolke, den Nachthimmel, die Regenzeit, den Winter; aus der
Nacht und dem Winter erhebt sich, von der Wölfin oder dem
Unglücksvogel genährt, die junge Sonne; der durchdringende
Schnabel des Spechtes in der Wolke ist der Donnerkeil; in der
Nacht und im Winter ist es bald der Mond, der die Dunkelheit
verscheucht, bdd der Sonnenstrahl, der aus dem Dunkel dringt.
Der Donnerkeil, der Mond und der Sonnenstrahl nehmen femer
in den Mythen bisweilen die Gestalt des Phallus an; der Specht
als Phallus und der König Picus als Stammvater eines Geschlechtes,
scheinen mir identisch zu sein. Die römische Legende bringt
' „Lacte quia infantes nescit crevisse ferino
Et picum ezpositiB saepe tulisse cibos?**
Ovid, Fasti, III.
t
'•
543
picus in Verbindung niit picumnns^ pilamnas^ pilum and
p ist OF; ebenso wie ein norwegisches Mähreben deirKaeknk; den
wir als phallisches Symbol schon kennen, mit Mehl in Verbindung
bringt Im piemontesischen Dialekt ist der gemeine Name des
Phallus piciu; im Italienischen haben pinco und pinoio die-
selbe Bedeutung; pin ei one (franz. pin son) ist der Buchfinke;
und p i n c 0 n e bedeutet einen Karren^ aus demselben Grunde, aus
dem der Esel als phallisches Symbol die personifidrte Dummheit
ist. Wir kennen schon Indraals Euokuk, als Pferd und als
Falken. Fttr Indra als Specht bietet uns der Taittirtya-Brähma^a
eine beachtenswerthe Analogie. Indra tödtet dort den wilden
Eber, der in sieben Bergen (den Schatten der Nacht, den Wolken)
eingeschlossen ist, indem er sie durch die Berührung mit dem
Stiel eines heiligen, glänzenden und goldenen Krautes au&pringen
lässt (sa darbhapin^am uddhritya sapta girtn bhittvä ^) ; dieser
kann der Mond in der Nacht oder aber der Donnerkeil in der
Wolke sein; der Donnerkeil wird in arischen Sagen auch nicht
selten als eine Zauberruthe dargestellt Mit einer goldenen Ruthe
verwandelt im siebenten Buche der Aeneis die Zauberin Circo
den weisen König Picus, den Sohn des Saturn (als Jupiter-Indra ;
Suidas spricht auch von einem /Z^xog Zetig, der in Greta begraben
ist) in einen Vogel, in den picus, der dem Qott der Krieger
(Mars-Indra) heilig ist; daher sein Name picus martius, der
Specht, welcher Regen verkttnden soll (gleich Zeus und Indra) —
„Pictts equüm domitor, quem capta capidine conjus,
Aurea percussum virga, versa mque yenenis,
Fecit avem Circe, sparaitque coloribas alas.'*
Plinius berichtet, dass der Specht die Fähigkeit besitzt, jeden
verschlossenen Ort zu öfhen, indem er ihn mit einem gewissen
Kraut berührt, das mit dem Monde zunimmt und abninunt ; ^ dieses
' Vergleiche pii&^üla mit pii&gala und piÄ^ara. ~ Rigv. X, 28,
9 haben wir ebenfalls den Berg, der mit einem Erdhaufen verschloBsen ist :
Adrim logena vy abhedam ärftt Diese Analogie ist um so beachtens-
werther, als in demselben Hymnus, Strophe 4, von dem wilden Eber die
Bede ist.
* Dieselbe Kraft, den Berg vermittelst eines Krautes su öffnen, finde
ich dem Martinsvögelchen zugeschrieben (wahrscheinlich ist der Krieger
Martinus ein blosses Pendant des römischen Martius, und der Mar-
tinsvogel nichts Anderes als der Pi|cus Martius), in Verbindung mit
der Venus, bei Simrock, a. a. O. p. 415 „Schon in einem Gedichte Meister
Altschwerts, ed. Holland, S. 70, wird der Zugang zu dem Berge durch ein
\
544
Kraut ist vielleicht der Mond selbet; welcher die Verstecke der
Nacht öfimct,* oder der Donnerkeil; welcher die Verstecke der
Wolken erschliesst. In den yedisohen Hymnen wird Indra^ ge-
wöhnlich der Regen- nnd Donnergott^ oft mit dem Soma (Ambrosia
und Mond) vereinigt; ja sogar mit ihm identificirt. Plinins be-
merkt ttberdies; dass wer mit dem Sohnabel eines Speohtes Bienen
ans dem Bienenstock nimmt; v(m den Bienen nicht gestochen ivird ;
dieser Honig kann der Regen in der Wolke ebenso wie die Mond-
Ambrosia oder der Than der Morgen-Anrora sein; daher der
Sehnabel des Spechtes eb^sowohl der Donnerkeil als der Mond-
strahl oder der Sonnenstrahl. Beownlf (der Bienenwolf) wird
ebensowohl in Zusammenhang mit dem Specht als mit dem Bären
gebracht; der ;;Bienen{ressei^^ deutscher Sagen oder die pica
m crops erklärt den römischen Aberglauben und den Beowulf.
Gleich der Krähe hält sich auch der Specht im Dunkeln auf, deeh
bringt er Wasser; sucht nach Honig und findet das Licht In der
Aulularia spricht Plautus von ;;pici; qui aureos montes incolunt^^
Sofern die Spechte das Nahen des Winters verkündeten oder zur
Linken gesehen wurden, waren sie nach dem bekannten Spruch
des Horaz:^
„Teqne tiec laevos vetet ire picus^,
Vögel von schlinmer Vorbedeutung. ImOrnithologus heisst es,
dass der grüne Specht (der Mond, nach der vorerwähnten Doppel-
deutigkeit von h a r i) den Winter vorbedeutet (der Mond, wie wir
schon sagten; regiert den Winter). Aus diesem Grunde konnte St
Epiphanios den Specht mit dem Teufel vergleichen. Nach Plinius
verkündete der Specht, der sich dem Prätor Lucius Tubero auf
den Kopf setzte, während er sein Richteramt verwaltete, dem Reiche
baldigen Untergang, wenn man ihn frei liessC; dem Prätor aber
baldigen Tod; wenn man ihn tödtete; Lucius Tubero, von Liebe
zu seinem Vaterlande durchdrungen, ergriff den Specht, tödtete
ihn und starb selbst bald darauf. So konnte Plinius die Spechte
mit Rec^t „in auspiciis magni'^ nennen.
Bei Afanassieff IQ; 20 lässt sich der Specht, der gewöhn-
Kraut gefanden, das der Springwnrzel oder blauen Schlüstelblume unserer
Ortssageu gleicht« Kaum hat es der Dichter gebrochen, so kommt ein
Martiosvogelchen geflogen, das guter Vorbedeutung zu sein pflegt; diesen
folgt er und begegnet einem Zwerge, der ihn in den Berg su Frau Venus
fuhrt.«
^ Carn. Itl, S7.
_. — J
540
lieb als ein sehr sehlauer Vogel ersebeint^ von dem Faebs tänscben,
der seine Jangen frisst ^ unter dem Verwände , ibnen eine
Kunst zu lehren. IV, 25 zeigt sieh dagegen der Speeht von einer
beroiseben und furchtbaren Seite. Er scbliesst Freundschaft mit
einem alten Hunde, der aus seiner Hütte vertrieben worden ist^
und bietet ihm seine Dienste als Quartiermacher und Lieferant an.
Eine Frau bringt ihrem Manne^ der auf dem Felde arbeitet^ das
Mittagessen. Der Specht fliegt vor ihr her und thut so, als ob
er sich fangen lassen wolle ; um ihm besser nachlaufen zu können^
stellt die Frau das Essen auf den Boden und der Hund verspeist
es (in einer Variation dieses Mährchens verschaff; der Speeht dem
Hunde auf ähnliche Weise Etwas zu trinken). Darauf trifiHt der
Hund den Fuchs ; dem Specht (der sich vielleicht der Verrätherei
des Fuchses^ welcl^er seine Jungen gefressen, erinnerte) zu Gefallen
rennt er gegen den Fuchs los und misshandelt ihn. Ein Bauer
kommt vorbei und prügelt den armen Hund zu Tode. Der Specht
wird vor Rachewuth ganz toll und fängt an auf den Bauer und
seine Pferde loszuhacken. Der Bauer will den Specht peitschen,
statt dessen peitscht er seine Pferde zu Tode. Doch des Spechtes
Rache ist noch nicht befriedigt; er geht zur Frau des Bauern
und hackt auf sie ein ; sie will ihn schlagen, schlägt aber statt
dessen ihr^ eigenen Söhne (es sind das zwei Variationen des
Mährchens von der Mutter, welche ihren Sohn schlägt und den
Esel meini, der, wie schon bemerkt, als Phallus dem Spechte ent-
spricht. Der Mythos von Silenos, den wir in Verbindung mit dem
Esel sahen, ist ebenfalls schon von Ad. Rabe in seiner Beziehung
auf den Specht besprochen worden. Im dritten Buche des Pan-
catantra haben wir einen Vogel, der Oold fallen lässt, ein
Charakteristikum des Esels in Feenmährchen). Hier hat der Specht
dieselbe Stellung, wie in einem anderen schon erwähnten rus-
sischen Mährchen der winterliche, Uebel bedeutende Storch, die in
der Dunkelheit der Wolke versteckte Sonne.
Der Eisvogel, der Sturm ankündigt und der Vogel St. Mar-
tins haben dieselbe winterliche und phallische Natur wie der
Specht. Im Piemontesischen wird ein Dummkopf spottweise Mar-
tin-Piciu (was uns an den picus pistor und den picus mar-
tins erinnert) genannt ; der oben angeführte italienische Ausdruck
p i n c 0 n e hat dieselbe Bedeutung. Die Sonne, die sich in Dunkel-
heit oder Wolken verbirgt, verliert ihre Macht Das Symbol des
Phallus ist evident Hier beachte die griechische Fabel von dem
Vogel ivy^ rer^oxvajuo^, mit den vier Strahlen, der langen Zunge,
QnbcriMtti; dl« ThtoM. 35
546
immer veräDderlicb (die Franzosen nennen ihn paille en cul). Pan
soll der Vater eines Mädchens gewesen sein, Jynx, welche den
Zeus zu verfuhren versachte und deshalb von der rachsüchtigen
Hera in einen Vogel gleichen Namens verwandelt wurde. Bei
Pindar bedient sich Jason dieses Vogels^ der Gabe der Aphrodite,
um die Gunst Medeas zu erlangen. Bei Theocrit wird dieser
Vogel von verliebten Mädchen angerufen, die Liebsten ins Haus
zu ziehen; Weiber bedienten sich dieses Vogels bei ihren Unheil
stiftenden Liebesmysterien.
Nach Aristoteles, Thiergeschichte V, sitzt der Eisvogel
auf seinen Eiern an heiteren Wintertagen, weshalb diese rifiiqat
aXtjo&vtvai genannt werden; der Stallt citirt einen Spruch des
Simonides über diesen Vogel : „Wenn Zeus in der Winterszeit zwei-
mal sieben warme Tage werden lässt, so sagefi die Sterblichen:
,Diese8 laue Wetter nährt die buntgezeichneten EisvögeK" Ovid
erzählt, dass Alcyon in den Vogel dieses Namens (den Eisvogel)
verwandelt wurde, als sie um ihren im Meer ertrunkenen Gatten
weinte; daher sang Ariost:
,,£ 8*udir le Alcione alia marina
Dell* antico infortanio lamentarse.'^
Die Eisvögel wurden bekanntlich von den Seeleuten als Wetter-
propheten angesehen ; ja sogar die todten Eisvögel trocknete man
und hängte sie auf, um sich ihrer als eines Kompasses zu be-
dienen. Deshalb hat Shakspeare die Hofschranzen mit dem Eis-
vogel vergliche;], der in seinen Bewegungen der Richtung des
Windes folgt Dieser Vogel, mehre Spechtarten, der Zaunkönig,
die Krähe und das Rothkehlchen (schottisch: Robin Redbreast,
englisch auch ruddock and Robin-ruddock genannt), welches „with
charitable bilPS nach dem Ausdruck Shakspears in Cymbeline>
auf unbegrabene Leichen Grabesblumen wirft, ^ sind sämmtlich
> „Thou shalt not lack
The flower that's like thy face, pale primrose; nor
The azured hare-bell, like thy veins; no, nor
The leaf of eglantine, whom not to slander,
Out-sweetened not thy breath; the mddock would,
With charitable bill (0 bill, sore-shaming
Those rich-left heirs, that let their fathers lie
Without a monument!), bring thee all this/*
IV, 2.
' Vgl. das über den Wiedehopf, den Storch und die Lerche Gesagte.
-- Ueber den Vogel gaulus finde ich bei Du Gange Folgendes: „Gaulus
547
Vögel, welche dem St. Martin; dem heiligeo Todtengräber, dem
*ringer des Winters heilig sind, der nach celtischen und deutschen
Sagen seinen Mantel mit den Armen theilt. Deutsche Legenden
sind reich an Begebenheiten, die sich an diesen unheilvollen und
winterlichen Vogel knüpfen, welfetem bald der norwegische 6er-
trudenvogel, bald der Kuckuk, bald die avis incendiaria ent-
spricht. Daher heisst dasselbe Rothkehlchen, das in der deutschen
Sagö dem St. Martin heilig ist, in den von Viliemkrqü6 heraus-
gegebeneü Volksliedern der Bretagne Jean rouge-gorge und
ist dem St. Johannes heilig ; doch kann dieser Johannes der Winter-
johannes &eiri, dessen Fest am 27. December, d. h. zwei Tage
nach der Geburt Christi, feefeiert wird, in den Tagfen, an welchen
der HMland, die Sonne, Wiedergeboren wird und das Licht zu-
nlmmi Vögel von derselben unheilvollen Natur wie der des
HIgen Mä,rtin erscheinen in dem bretägnischen Llede Bran (oder
der Kriegsgefangene): — „In Kerioan, auf dem Schlachtfelde,
steht eine Eiche, die ihre Zweige Ober das Gestade ausbreitet;
es steht eine Eiche auf dem Platze, wo die Sachsen vor Evan dem
Grossen die Flucht ergriffen. Auf dieser Eiche halten beim nächt-
lichen Mondesglanz Vögel eine Zusammenkunft, Vögel mit weissem
und schwarzein Gefieder und eineit kleinen Blutfleck am Kopfe;
mit ihnen kommt eine alte graue Krähe und zugleich eine junge
Krähe. Beide sind sehr müde und ihre Flttgel sind nass; sie
kommeti von jenseit des Meeres, sie kommen fernher; und die
Vögel singen ein so schönes Lied, dass das gross^^ Meer besänftigt
schweigt und aufhorcht , dieses Lied singen sie mit einer Stimme,
mit Ausnähme der alten und der jungen Krähe, sobald die Krähe
gesagt hat : ,Singt, Vö^elchen ; singt, singt, Vögeichen vom Lande ;
ihr rtferbt nicht weit von der Bretagne*/' Dieselben Trauervögel,
die mit den Todten Mitleid haben, wie der Storch, tragen auch
Sbrge für Neugeborene und bringen das Licht heraus. Das wol-
kige, nächtliche oder wiMerliche Ungeheuer deckt seine Schätze
auf; der Leichfenvogel bfegräbt die Todten und erweckt sie wiedet
zum Leben; sein Schüabel dringt durch den Berg, findet das
Wasser tmd das ^euer und zerreisst den Schleier des Todes ; sein
gläni&ender Kopf verscheucht die düsteren Schatten.
MeropB a^i^ a)libu8 fnfeüfia, unde et Apiastira Vocitatur. Pa|)iä6: ^Meropes,
Gentfd avium, idem et GauK, qui parentes sues recondere, et alere dicttntur,
sunt autem virides et vocantur ApiastraeS^*
35*
548
KAPITEL VIII.
Die Lerche und die Wachtel.
Der Haubenlerche wird id den Vögeln de? Aristophanes der
Name König gegeben, und es wird ihr derselbe Liebesdienst
gegen Leichen beigelegt, den wir schon beim Rothkehlchen des
Winters, beim Storch und beim Wiedehopf gefunden haben. Nach
Aristophanes war die Lerche nicht nur das erste aller Thiere,
sondern bestand auch vor der Erde und vor den Göttern Zens und
Kronos und den Titanen. Daher war, als der Vater der Lerche
starb, keine Erde da, ihn zu begraben; da begrub die Lerche
ihren Vater in ihrem eigenen Kopfe (oder in ihrem pyramiden-
artigen Kamme). Goropius erklärt den Glauben, dass die Lerche
vor der Erde existirte, mit der Bemerkung, dass die Lerche
sieben Mal des Tages den Preis Gottes in den Lüften sang, und
dass Gebet das Erste war, was in der Welt existirte. In der
indischen Kosmogonie schafft Pragäpati, der Schöpfer, als er sich
vervielfältigen will, zuerst den Stoma oder Hymnus.^ Det Vater
der Lerche ist also der Gott selbst. Die Haubenlerche ist identisch
mit der einen Kamm tragenden, d. b. Strahlen entsendenden
Sonne. In der Legende vom Hlgen Christophorus sehe ich ein
Wortspiel zwischen den Wörtern Christus und crista; in jedem
Falle sehe ich darin eine Personification der Sonne. St Christo-
phorus trägt in der Legende Christus und ist mit der Lerche ver-
bunden. Als Goropius als Kind ein Bild sah, welches den Hlgen
Christophorus darstellte, wunderte er sich, dass die Lerche nicht
vor dem Baum-Stabe des Heiligen floh, während doch vor ihm
die Sperlinge flohen, sobald er sich ihnen näherte; er erhielt die
Antwort, dass die Lerche sich vor dem Hlgen Christophorus des-
halb nicht fürchtet, weil sie auf der Schulter des Heiligen ihren
Schöpfer, Gott, sieht. Christus, der Vater der Lerche, stirbt, und
die Lerche begräbt ihn in ihrer crista. Ebenso machte ein Wort-
spiel aus der alauda die laudatrix Dei; so scheint mir das
Wortspiel mit crista und Christus in die Legende vom Hlgen
Christophorus eingedrungen zu sein. Im neunzehnten mongo-
' Taittirtya Yagurv. VII, 1, 4.
549
liscben Mährchen macht der arme jnnge Mann sein Glttck, als
er eine Lerche anf seines Vaters Grabe hört^ die sich aal den
Webestahl gesetzt hat Die Lerche ist eine Erscheinangsform des
jungen Mannes selbst, der jungen Sonne, welche aas arm reich
wird ; der Webestuhl, auf welchen sich die Lerche setzt, ist der
Himmel. Der griechische Name der Haubenlerche {xo^vdog, TcoQvdaXri)
entspricht dem lateinischen galerita. Suetonius erzählt von
Julius Caesar : * ,, Ad legiones, quas a republica acceperat, alias
private sumptu addidit, unam etiam ex Transalpinis conscriptam,
vocabulo quoque gallico (Alauda enim appellabatur).'^ Die äso-
pischen Fabeln von der Mutterlerche mit ihren Jungen und von
der Lerche und dem Vogelfönger zeigen uns diesen Vogel schlau
und weise. Da die Lerchen den Preis Gottes nur singen, wenn
der Himmel heiter ist, und da sie den Morgen und den Sommer
verkünden, * so stellen sie die Sonne dar, welche Alles erleuchtet^
welche selbst allglänzend, allsehend (v i { v a v e d a) ist, die goldene
Sonne. Im dreizehnten ehstnischen Mäbrchen soll das schlafende
Mädchen erwachen, wenn es wieder das Sommerlied der Lerche
hört. (Hier ist das Mädchen die Erde, welche im Frühling er-
wacht.)
Der indische Name der Lerche ist nicht weniger interessant als
der lateinische Alauda. Bharadväga oder Lerche kann den
Bringer von Speise und Gütern ebensowohl bedeuten als den
Bringer von Tönen (den Hymnensänger) und den Opferer. In
dieser dreifachen Erklärung, welche das Wort Bharadväga
zulässt, scheint fast der ganze Mythus von der Lerche enthalten.
Bharadväga wird dann auch der Name eines berühmten Dichters
und eines der berühmten mythischen sieben Weisen, welcher naeh
der Sage von einer Lerche mit Nahrung versehen wurde, und
welcher der Sohn des Bphaspati, des Gottes des Opfers, Feuer, sein
soll, identisch mit Divodäsa, einem der Lieblinge des Gottes Indra,
welcher für ihn die starken himmlischen Städte Qambaras z^^tört
Auch das Taittiriya-Brähmana zeigt uns den weisen
Bharadväga in Verbindung mit Indra. Bharadväga ist alt ge-
worden, indem er drei Stufen des Lebens eines eifrigen Büssers
durchmachte ; Indra naht sich dem greisen Weisen und fragt ihn,
wie er seine Lebenszeit anwenden würde, wenn er noch viele
■ Vita Caes. cap. 24 (ed. Roth).
* Daher enählt Gregorius von Tour bei Du Gange: »^o Ecclesia Ar-
verna, dum matutinae eelebrarentur Vigiliae, in quadam civitate avis Cory-
dalus, quam Alaudam vocamus, ingressa est.*^
Jahre zu leben hätte. Der Weise antwortet; daßs er die l^asse
und ernste Beschäftigung fortsetzen wtt|*de. In den dr^i ^rßteq
Stufen seines Lebens hat Bh^radvaga di? drei Ved^ stjudirt (der
Atharvaveda ist erßt später^ und v^ird auph beut 90cb nicht
als ein heiliges Buch anerkannt). Ip der vieftei^ Periode \^rx^t
Bharadväga. s^rvavidyd; Universalwis^ns^baft; wird t^nst^rbliob
und steigt im Vereiamit der Sonne (ädf tjasja sayp^am) iq deq
Himmel auf.
Die Wachtel steht ebenfalls in inniger Bezie)iiu^g %\x Her
SommersonnC; doch besonders zii dem Mo^ide.
Vartikä und vartaka sind ihre indischen ^i^ßn, welche ^\p
Lebhafte; Schnelle; Wachsame (ygl. deuteches Wachtel) uqA
Pilger (ygl. russisches perepiolj^a) b^defiten. Im Qigyedf^
befreien di^ A^yins die Wachtel aus Qufden ; 9\ß e^löa^n 4if)
Waclitel yon der Wptb de9 Wolfep ; ^je rettep sie aif s dep) Rachen
•
des WolfeS; der sie yer^oUingt. * ßei Af^p^ssie^ff VI, 41
kommt das weise Mädchen auf einem Hasßp m^^ ^^^^ W^htßl
an ihre Band gebunden, und stellt sich dem T^r^n? dessep
Räthsel sie lösen mps9> um ihp zp heirat|)^. Diese Wacl^t^ ist d^ß
Symbol des Tzaren selbst oder der Sonne ; das weise Mädqh^p ii^
die Aurora (od^r f}er fVUhlipg); welctfe auf d^m ^i^^ßp^, d. \\. auf
dem MdudC; die Schatten ^qt Nacht (oder 4ßs W^p);ßrs) durch-
eilend der Sonne nahe koipmt. Die Griect^en und ^ömer glapb^n,
yielleicht w^il sie di^ Bemerkung ufachteu; das» der Mqqd der
Wfu^btel den ^chli^f benimmt; dai^ die Wachtel deir Litt^na heilig
war, und berichten; dass Jppilier eipe Wachtel wurde, um h|^i der
Latona zu liegep; aus welctier Vereinigung Diapi^ un^ Appllo
(Mond und Soune) heryorgingen. ^ Andere yers^cl^em auph, d$^
' Vartikäm grasitftm amundatam; Rigv. I| 112, 8. — Amui<^taih var-
tik&m anbaaal^; I, 118, 8. — Asno vrikAsya varttkftm abbike yavaä narä
näsatyamamaktam; I, U6, 14. — Vrikai^a <Ud vartikäm antar ^yftd jp^ya^i
^gibhir grasitilm i^muj&iSatam; ^ 39, Iß.
* Diese Fabel wird auch anders erzählt: Jupiter wohnt der Latopa
bei, und schändet dann ihre Schwester, Asteria, welche von den Göttern
aus Erbarmen in eine Wachtel verwandelt wird. Jupiter wird ein Adler,
um sie zu fangen; die Gotter verwandeln die Wachtel in einen Btein —
(ygt. die Erzählungen von Indra al^ K^cf^u^ un4 ^pih^ft, yc\^ Ii^c^a ^
Hahn und Ahalyft. Es ist ein Volksglauben, dass Wachteln, gleich dem
Kranich, wenn sie wandern, kleine Steine fallen lassen, um bei ihrer
Btickkehr die Orte, an denen sie vorbeigekommen sind, wiederzuerkennen)
— der lange Zeit im Wasser liegt, bis er auf das Gebet der Latona
herausgenommen wird.
551
die Wivchtci deqi Hercules heilig war, welcher durph den Geruch
einer Wachtel sein Leben wiedererlangte, als eei ihm Typhon
geoammen hatte. Die aus der Gewalt des Wolfes befreite Wachtel
der Veden und der durch die Wachtel von dem Ungeheuer
Typhon befreite Hercules sind offenbar zwei analoge Gestalten
desselben Mythus. Es herrscht der Glaube, dass hei Aufgang des
Mondes di^ ^Wachtel schreit, auch dass ihr Kopf nach Einfluss des
Mondes grösser oder kleiner wird. Da die Wachtel die Sonne
darzustellen scheint und die Hitze liebt, so fürchtet sie den kalten*
Mond. Aus diesen mjrthischen Beziehungen der Wachtel leitete
sich ohne Zweifel die Furcht her, welche die Alten vor der
Wachtel hatten, die nach ihrem Glauben während der Nacht
giftige Nieswurz ass und deshalb giftig und epileptisch war.
Plutarch berichtet in den Apophthegmata, dass Augustus
einen Statthalter von Aegypten mit dem Tode bestrafte, weil er
eine Wachtel gegessen hatte, die den Preis bei dem Kampfe davon
getragen hatte; es herrschte nämlich lange der Brauch, Wachteln
mit einander kämpfen zu lassen, ebenso wie in Athen das Wachtel-
spiel eine beliebte Unterhaltung war; bei diesem Spiel wurden
mehre Wachteln in einen Kreis gestellt, und wer eine traf, bekam
alle anderen. Nach Artemidor zeigten Wachteln ihren Ernährern
das Unglück an, von dem sie heimgesucht werden würden von
Seiten des Meeres. Die Wachtel, welche gegen den Mond erregt
ist (so schreibt Aelian, dass der Hahn erregt ist und frohlockt,
wenn der Mond aufgeht *), prophezeit die hässliche Jahreszeit, die
Regen- oder Winterszeit, und zieht auch selbst in wärmere
Gegenden. Die Wachtel wacht, wandert und schreit während
der Nacht; nach der Anzahl der Rufe, die sie nacheinander auf
den Feldern ausstösst, schliessen die toscanischen Bauern auf
den Preis des Getreides, gewöhnlich wiederholt sie ihren Ruf vier
' Aelian sagt, dass der Hahn beim Monde in Gunst steht, sei es weil
er der Latona in Kindesnöthen beistand, oder weil er gewöhnlich (als
Symbol der Fruchtbarkeit) für den Erleichterer von Geburten gehalten
wurde. Es war natürlich, die Wachtel, ein wachsames Thier, als dem
Monde, dem nächtlichen Wächter besonders lieb zu betrachten. — Der
Hahn war als Neuigkeitenbringer dem Merkur heib'g; als Heiler vieler
Krankheiten dem Aesculap; als Krieger dem Mars, Hercules und der
Pallas, welche nach Pausanias eine Henne auf ihrem Helme trug; als
Vergrösserer der Familie den Laren etc. etc. Sogar die Pfaffen ver-
schmähen es nicht, ad majorem Dei gloriam Huldigungen in Gestalt von
Hähnen, Kapaunen und Hühnchen anzunehmen.
552
er mebr Mal; schreit sie drei Ua), so wird das Getreide billig,
ireit sie öfter, so wird ea thener sein ; deshalb sagt man, daas
; Wachtel den Preis des Getreides macht Die Wachtel kömmt
t der Sonne im Frtthling and geht mit der Sonne im September.
I Mahäbhärata' erscheint, als der Held Bhima von einer
ormen Schlange bedrängt wird, eine Wachtel nahe der Sonne,
nkel (pratyädityamabbäsTarä), mit nur einem Ftttgel, einem
Ige nnd einem Fusse, entsetzlich anznschauen, Blnt spuckend
Lktam vamanti). Diese Wachtel stellt wohl den rothen Abend-
umel, im Westen, oder den rothen Himmel am Ende des
mmers dar.
> 111, 12437.
553
KAPITEL IX.
Der Uakn und die Henne.
• UlenTQvoiv war der Gefahrte und Trabant des Mars.
Als Mars in Abwesenheit des Volcan die Nacht bei der Venus
zubringen wollte, stellte er den Alektryon als Wächter an die
Thttr. Alektryon jedoch schlief ein, und Mars, von dem heim-
kehrenden Gatten überrascht, verwandelte aus Zorn den Alektryon
in einen Hahn, damit er Wachsamkeit lerne ; daher singt Ausonius :
«Ter dara instantis £oi
Signa canit serus deprenso Marte satelles.^
Nach einer puranisotien Legende nahm Indra, der indische Mars,
als 6r in Ahalyä, die Frau des Gautama, verliebt und von Candra
(dem Monde) begleitet war^ die Gestalt eines Erikaväka (Hahnes
oder Pfaus) an und ging um Mittemacht bei der Wohnung der
Ahalyä singen, während ihr Gemahl abwesend war. Dann ent-
kleidete er sich der Hahnsgestalt und liess Candra als Wächter an
der Thttr, während er sich mit Ahalyä (der Henne) vereinigte.
Mittlerweile kehrt Gautama heim ; Candra hat die Liebenden nicht
vor seinem Kommen gewarnt ; der Heilige verwandelt die Ahalyä
in Stein, ttber den Leib Indras aber streut er tausend Bäuche,
die jedoch von den mitleidigen Göttern später in tausend Augen
verwandelt wurden (sahasräksha ist einer der indischen Namen
Indras und des Pfaues.) Nach einer Variation dieser Sage wird Indra
ein Eunuch, erhält aber, wie wir sahen, als Ersatz die Testikeln eines
Widders. In Aitareya-Brähmana wird der Gott Brahman
Pra^äpati ein Ziegenbock oder ein Behbock (ri^ya), um bei seiner
eigenen Tochter Aurora zu liegen. Im Bigveda VBl, 32
und 33 wechseln der Gott Indra und der Gott Brahman die Plätze.
Indra ist zuerst schön (giprin) ; dann wird er ein Weib (stri hi
brahmä babhüvitha). Im Bämäyana (I, 49) verurtheilt Gau-
tama den Indra zur Kraftlosigkeit und Ahalyä dazu, im Walde
verborgen zu bleiben, in der Asche liegend (bhasma^äyini), bis
Bäma sie befreien kommt. Der Aschehimmel, der Steinhimmel,
der Wasserhimmel sind identisch. Ahalyä (die Abend-Aurora)
in der Asche ist der Keim zu dem Mährchen von Cinderella und
von der Figlia di Be di Dacia, die von ihrem eigenen, in sie ver-
liebten Vater verfolgt wird.
554
Ein italienischer Volksglauben; der schon von Plinins nnd Cola-
niella erwähnt wird; besagt, dass die Eier; auf denen die Henne sitzt,
wenn es donnert; schlecht sind. Umllem abzuhelfen^ empfiehlt PliniuS;
in den Hühnerkorb einen ei^ern^n Na^el oder auch etwas von einer
Pflugschar aufgerissene Erde zu thun. Columella sagt, dass Viele
kleine Lorbeerzweige und Knoblauchwurzeln; nebst eisernen Nägeln
hineinlegen. Alles das sind Symbole der schwefeligen Donner-
keile (Y?egen ihres starken Gieruches) und des ^a eiserne Waffe
^ufgefassten Dpnnerkeiles-; d$u( empfohlene Mittel ist nach dem
Qrundsatze similia similibus; aus demselben GrundC; aus
welcheip zum Teufel gebetet wird; wenn man ihn fem halten
will- In Sicilien legt maU; w^Q" eine Henne auf den E^ern sitzt;
auf den Boden des Nestes einen Nagel; welcher die Eigenthüfi-
lichkeit hat; jede Art voi^Oeräusph an^nzi^en und zu absorbireu;
so dass ea den Häbnoben nicht s^hadpt ^uq scheint es fair
interessant; einen ähnliche» GUubm im ye4i9cl)eq Alterthum m
finden. In einer lß,tropb^, in weloher d^s Wort an d & sowohl durch
Bier als durch Testikelp wißiclergegc^n werden kanu; wird Indr^
der Donnergott; folgendermas^ imgerufen : „Tbne uns keip Leid;
o Iiidra; vernichte um nicht; nunm uns nipht unsere gpUebtep
Frende«; zerbnoh nicht; o Grosser, o Starker, unsere Eier (oder
Testikeln); verdirb nicht die Früchte unseres Leibe».'' ^ Indra
kaan nicht nur aelbst ein f^unuob werden, soq4cm fpr kann a^ch
Andere zn Eunucheq machen.
Der Hakn und die eiedegende Henqe w^ren und siud ^|s
Vögel; welo Im %mboie derFfiUe sind uuA dieSwue per^oniiicirQQy
in Indien und in Peraien beiligf^ Thiere, und es gilt für einep
Frevel, sie zu tiidten. Oicero sagt in der Oratio pro Murena,
dass bei den Alten der; der ohne Noth ^inen Ußbn tödtete, l^edue
geringere SUnde beging, deuu der; der seinen eigenen Va.ter
erwttrgte. Bei Dp Gange lei^eq wir, ^BSß Geofi'r^ I.; (ien^ der
Bretagne; bei seinem Aufenthalte in Rom einst von einer Frau
mit einem 8tein erschlagen wurde, w^ü Bein Vogelfi^ke eine
ihrer Hennen getödtet hatte. Derselt>e Aberglaube in 3e%ug stuf
ihre Hennen lebt noch unter vielen Hausfrauen in Italien.
Im Ay^&^a heisst es: ;;Der Vogel, der dw Kamen Parödars
fährt; den die ttbelreden4eB Mensciien mit ^em Namen Kahrkatac
' M& DO vadhir iiidra ftia para da mä na^ priyä bhoganani pra mos-
hih än(|ä ma no magbavao öbakra nir bken mä aa^ paträ bh^ sahagftauS'
häni; Rigv. I, 104, 8.
555
bekgi^; dieser Vogel erbebt mw Stmmfi bei S^v göttlichen
Morgenrötbe. Steht auf> ibr Menscheii^ preiset die beste Reinheit,
vertreibet die DaÄvas." (Vßodidad, XVffl, 34-3a) Sem
Geschrei verjagt den Diwm de« ^cblafe^ Busby^n^ta. ^ Vergleicht
doch aach der ebristlicbe Diohter Prudenitip; der in Qbristfis
nock ein Symbol der Sonne sieht, diesen mit dem ^ahn^ der ja
oristatus, er istiger, cristeus genannt wird;^ er bittet
Obristos, den Sebiaf atn verspbfmeh^n, die Fesseln der Nitcbt zju
brechen^ die alte Sünde zu tilgen und da^ npne Liebt ^a brii^en,
nachdem er von dem Hahn gesagt hat:
,,FerttDt Vivantes dt^emones,
{jaeto4 tenebris noctium
Gallo canente ezterritos
* ...
Sparsim timere et cedere
omues credimuB
lUo quietis tempore
Quo gaUus ez0ultaQ8 canit
Christum r^disse ex inferis/'
Wir sahen im vorigen Kapitel die Haubenlerche in Verbindung
ipit St. Gbristophorus. In Deutschland Hess man am 25. Juli,
dem Tage, welcher dem St. Jacob (dem Heiligen, der, wie map
im Piemontesischen sagt^ die Flasche leert)^ ' dem St. Christopboras
' Vgl. a. a. O. und Veudidad XI, fffi. Der Hahn parfidars kommt
auch wieder vor in einem Fragment de* Khorda-Avesta (XXXIX):
„Da, vor dem Kommen der Morgenröthe, spricht dieser Vogel Parodara,
der Vogel der mit Messern verwundet, Worte gegen das Feuer ^us. ,Bei
seinem Sprechen läuft Bushyai&^ta mit langen Händen herzu von d^ nörd-
lichen Gegend, von den nördlichen Gegenden, also sprechend, also sagend :
^Schlafet, o Mensphen, schlafet, sündlich Lebende, schlafet, die ihr ein
sündiges Leben führt* ^ — Da in dem Gedichte des Prudentius die Vor-
stellungen von Sohlaf und Sünde mit einander verbunden sind, so liegt die
Vermuthung nahe, dass der Dichter in die Mysterien des Mithra — d. h.
des Sonnenoultus eingeweiht war.
' Vgl. Du Gange, s. h. w. — S. v« gall in a führt Du Gange ei^
altes mittelalterliches Glossar an, nach irelchem gallina Christus, Weis-
heit und Seele bedeutet. — Der Hahn des Evangeliums verkündet und
verräth Christus drei Mal, in den drei Nachtwachen, welchen bisweilen die
drei Söhne der Sagen entsprechen.
* Nach einer Legende von St Jacobus wallfahrten einst zwei alte
Leute mit ihrem jungeu Sohn nach Santiago de Compostella in Spanien.
Auf dem Wege, in einem Qasthofe zu San Domingo de la GaUada bietet
die Tochter des Gast^rirthes dem jungen Mann ihre Liebesgunst an, wird
aber zurückgewiesen ; aus Rache steckt sie eine silberne Schüssel in seinen
BeiaoBack; er wird angehalten und frfs Dieb gepfählt. Die greisen Eltern
556
and dem alten Donnergott Donar heilig \At, Hähne tanzen and
opferte sie dann. Donar trägt Oerwandil auf seinen Schaltern
über Ströme; wie der Riese Christophoras Christas.
Weit verbreitet in Italien^ Deatschland and Rassland ist ein
Aberglaaben, nach welchem eine Henne, welche kräht wie ein
Hahn; von der schlimmsten Vorbedeatang ist; and es ist die all-
gemeine Ueberzeagang ; dass sie sofort getödtet werden masS;
wenn man nicht vorher sterben will. ^ Da derselbe Glaabe aach
in Persien existirt; so ist die darauf bezügliche Erörterang Sadders
interessant, welcher beweisen will; dass die Henne ; die kräht
wie ein HahU; nicht getödtet werden darf, weili wenn sie ein
Hahn wird; das bedeatet; dass sie im Stande sein wird; den
Dämon zu tödten. ^ Bei Berücksichtigang der orientalischen and
setten ihre Wallfahrt Dach Santiago fort; St. Jacob hat Mitleid mit ihnen
und wirkt ein Mirakel, das erst später als von ihm herrührend erkannt
wird. Auf der Heimkehr kommen sie nämlich wieder nach San Domingo-,
hier finden sie ihren Sohn, den sie doch hatten pHihlen sehen, am Leben,
wofür sie dem Heiligen feierlichen Dank spenden. Alle sind erstaunt Der
Präfekt des Ortes ist gerade bei Tafel, als ihm die Nachricht gebracht
wird ; er will sie nicht glauben , und meint , der junge Mann sei ebenso*
wenig am Leben als das gebratene Federvieh, das eben aufgetragen wird.
Kaum hat er diese Aeusserung gcthan, so beginnt der Hahn zu krähen,
bekommt wieder Federn, springt von der Schüssel und fliegt davon. Des
Gastwirths Tochter wird verurtheilt, und zu Ehren des Mirakels wird der
Hahn als ein heüiges Thier geehrt und in San Domingo die Häuser mit
Hahnenfedern geschmückt. Ein ähnliches Wunder begab sich, nach Sigo-
nio, im XI. Jahrhundert im ßolognesischen; doch statt St Jacob erscheinen
Christus und St. Peter wunderthätig. — Vgl. auch die Verwandtschaft des
Hlgen Elias (und des russischen Helden Ilya), welcher am 21. Juli gefeiert
wird, wann die Sonne in das Zeichen des Löwen tritt, mit Helios, dem
Sonnengotte der Griechen.
^ Vgl. das arab. Sprichwort: „Wenn eine Henne kräht wie ein Hahn,
so soll sie geschlachtet werden.^* Meidani allerdings denkt in seiner Sprich-
wörtersammlung an nichts weniger, denn an eine mythologische Deutung;
vielmehr bemerkt er nicht unwitzig, der Dichter Farazdak habe zuerst
sich dieses Spruches bedient „in Bezug auf ein weibliches Wesen, waches
Verse machte.'^ A. d. Uebers.
* Dadurch ist jedenfalls zu erklären, was Olearius in seiner „Persiaui-
schen Reisebeschreibung*' (p. 295 der Ausgabe v. J. 1696) erzählt: „1st
jemand unter ihnen (den Einwohnern von Kebrabath, einer Vorstadt Isfa-
hans) gestorben, lassen sie aus dem Sterbehause einen Hahn aufl das Feldt
lauften ; wenn derselbe von einem Fuchse erhaschet und weggeführet wird,
halten sie darvor, dass des Verstorbenen Seele ins andere Leben aufge-
nommen sei. Wenn aber diese Probe etwa roisslingeu oder wegen anderer
Zufälle verdächtig werden möchte, nehmen sie eine andere für die Hand,
557
enropäiscbeo abergläubischen Vorstellnngen wird nun, hoffe ich,
Prof. Spiegel folgende Stelle klar finden, welche ihm etwas dunkel
schien: „Qui religione sinceri sunt ludificationes expertes, quando
percipiunt ex gallina vociferationem galli non debent illam gal-
linam interficere ominis causa, quia earn interficiendi jus nullum
habent... Nam in Persia si gallina fit gallus, ipsa infaustum
diabolam franget Si autem alium gallum adhibueris in auxiliuni,
ut cum gallina consortium habeat, non crit incommodum ut tunc
ille diabolus sit interfectus/' Nach einem siciliaüischen Sprich-
wort darf eine Henne, die wie ein Hahn kräht, weder fortge-
geben noch verkauft, sondern muss von ihrer Besitzerin gegessen
werden. *
Bei Afanassieff y, i5 krähen die Hähne und der Teufels-
spuk verschwindet. Im 40. Märchen desselben Buches kräht der
Hahn und der Teufel verschwindet aus dem Reiche, in welchem
er alle Menschen und Dinge in Stein verwandelte. Nur der Sohn
eines Bauern, der die ganze Nacht bei brennenden Lichtem mit
Gebet zubringt, entgeht der teuflischen Bosheit; nach drei solchen
Nl^chten kommen alle in Stein verwandelte Menschen wieder zum
Leben und der fromme junge Bauer heirathet des Königs schöne
Tochter.
Bei Afanassieff V, 30 wird der Alte, als der Hahn zu
krähen anfängt, plötzlich starr und still. Hierin Hegt vielleicht
eine Anspielung auf die alte Soxme des Abends und auf das
Krähen des Hahnes am Abend. Der Hahn der Nacht nimmt also
bisweilen eine diabolische Gestalt an. Bei Afanassieff V, 22
wird der Teufel ein Hahn, um das Korn zu fressen, in welches
der junge Mann^ der zuerst ein goldener Ring geworden war,
zuletzt verwandelt worden ist Doch hat dieser Hahn der Nacht,
der dämonisch ist, obwohl sein Kamm (die Sonne) immer roth
ist; selbst doch immer schwarze Farbe. Der Hahn ist roth am
Morgen und am Abend; in der Nacht ist er schwarz, mit seinem
der sie mehr trauen. Sie tragen nehmlich ihre Leichen mit besten Klei-
dern behangen und mit güldenen Ketten und allerhand Geschmeide ge-
ziehret auff den Todtenac^er, und staffeln sie mit hölsem Gabeln an die
Mauer; wenn nun die Vögel des Himmels das rechte Auge aushacken,
wird er unfehlbar dos Himmels würdig geschätzet; wird aber da^ linke
Auge aussgefressen, so muss er verdammet sein/*
* La gallina cantatura
Nun si vinni, ne si duna,
Si la mancia ia patruna«
858
rotbeii tCamm bald hacl^ (JkibÜ, bald nadi Wedteti geWöiid^; 8ttf
den kleinen Ftiäl^en einer Henne ^ steht das vensäubette, bewfe^-
liche^ rassisöbe Hütteben, das dii^ jnngen Hdden tind aeldhmen
auf einer B^ährt im Walde treffen.
ImP^ntaihäronell, U befiehlt ein^ K^nigiü die Hfthne
in dkt Stadt zu iMten, dktirit das Gekf^he adfUbft, wöll Ibte,
solatige Hähtie kt-äb^ü, iüfolgä küier Bteänbefüti^ ünßlbiig H
ihren Söhti wifederiuferkeütifen und i\i nihanneif. Die Heie
nimmt fii6r Selbst ofibnbär äi% ^est^U fl^ fliabotiscfato HahniBS
an, der in dgr l^acht kräht. ^
ImPfentäirierolife IV, 1 füttert flfer atlt^ Minfee' Aniello
■ Tgl. Afdn. I, 8. 11, 30. BisWeileii haben wir statt der Hennenfüsse
Hundepfoten; vgl V, 28.
* Ich theUe hier ein in Cosenza in Calabrien erzähltes Mäh'rcheii tütt:
— Ein armes Mädchen ist allein äu^ deiA Feld^; sie ^€üeki eiii^ Räpii^zM,
sieht ^ideil Btem, g^ht hinab üüd kötmnt ün diem PatHst der Feen, welche
sie li^gewlÄnen. Sie bittet um die ErbrabniBs, bu ihrer Mutter zurück-
kehren zu dürfen, und erhält sie auch; sie erzählt ihrer Mutter, dass sie
jede , Nacht ein Geräusch hört, ohne Etwas ^u sehen, und erhält den Rath,
ein Licht anzuzünden« dann werde sie sehen. Den nächsten AbenVl han-
delt das Mädchen danach, und sieht einen sehr schönen Jüngling mit eineih
Spie^ipf alif seiner Briiöt. D^h dtittiMi Abend thüt sie dasselbe , doch ein
Tn>pf^n Wachs fällt attf deh Spiegel und weckt den Jüngling auf, weksher
kläglich schreit: ^,Du sollst von hier fortgehen.^* Das Mädchen will fort-
gehen; die Feen geben ihr ein grosses Knäuel, mit der Anweisung, äüt
die Spitze des höchsten Berges zu gehen una es dann sic^ selbst ^ü üb^-
lassen; wonin es geht, dorthin m^se sie folgen, äiö gehorcht uHd kommt
in eih6 Stadt, #o Wegeh der Abwedenh^it defer Prm^en Tratier herrscht;
die KönigiA sieht das Mädchen rom Fenster aus und lässt sie zu sich
kommen. Nach einiger Zeit schenkt sie einem schönen Knaben das Leben,
und ein Schuhmacher, der bei Nacht arbeitet, beginnt zu singen :
„Schlaf, schlaf, mein Sohn;
Wöhh Deine Mutter wüsste,
IHss Du meih Söhn bist,
So würde sie Dich in eine goldene Wiege legen,
Und in goldene Windeln.
Schlaf, schlaf, mein Sohn.^<
Die Königin erfährt darauf von dem Mädchen, dass der, der so singt, der
Prinz ist, welcher bestimmt ist, deod Palaste fem zu bleiben, bis die Sonne
aufgeht, ohne dass er es merkt. Es wird Befehl gegeben, alles Geflügel
in der Stadt zu tödten, und alle Fenster mit einem diamantbesäten
schwarzen Schleier zu verhängen, damit der Prinz glaube, es sei noch
Nacht und den Aufgang der Sonne nicht bemerke. Der Prinz wird auch
wirklich getäuscht und heirathet das Mädchen, welches der Liebling der
Feen ist; sie leben glücklich und zufrieden.
559
einen Hahn sehr gut; da er jedoch später in Qeldnoth kommt,
so verkauft 6t ihn ^.wei Zauberern; diese öagen sKüeihander, als
sie heimgehen, dass der Hahn sehr werthvoll ist, Wegbn deä iti
ihm enthaltenen Steines, der in einem Ringe eingedbhlossen, Einen
befähige^ Alles zn erlangen, was man begehrt; (der lap i Uns
aleetoriuB, welcher so grosä wie eine Bohne ist, gleich Orystal,
für Schwangere gnt ist und Müth einflödst; es wird angeführt,
dass der Held Milo ihm seine ganze Stärke verdankte). Minec'
Aniello hOrt das, stiehlt den Hahn^ t(5dtei ihn, nimmt den Stein
und wird durch denselben wieder jung, in einem schönen Palast
von Gold und Silben Als die Zauberer ihn dieses in einem Ring^
eingeschlossenen Steines berauben. Wird d€$r junge Mann wieder
alt, und geht seinen Ring in dem Reiche der tiefen Höhle (de
Pertuso cupo), das von der Ratte bewohnt ist, sübhen. Die Ratten
nagen an dem Finger des Zauberers, welcher den Ring hat;
Minec' Aniello entdeckt seinen Ring und verwandelt die beiden
Zauberer in Esel; er reitet auf einem Esd und wirft ihn dann
den Berg hinab; der andere Esel Wird mit Speck beladen, und
den Ratten zum Danke gesaugt. Hier erscheint der Hahn als
nächtiiches Thier; d^r Stein, der in dnehi Ringe eingesdhlossen,
Wunder thut, ist die Sonne, welche heraufkommt, Vvenn sie von
dem Hahn der Nacht angerufen wird. Nach sicilianischem Glauben
bedeutet Träumen von Bruthennen und Küchlein in unbewohnten
und verödeten Häusern, dass Schätze in denselben versteckt sind
und man sie ausgraben soll.
Im ersten ehstnischen Mährchen bringt „die schlaue Alte
bald heraus, was der Dorfhahn hinter ihrem Rtlcken der jüngsten
Tochter ins Ohr gekräht hatte." Im dritten derselben giebt eine
Frau ihrem Mann Abends drei gesottene schwarze Hühnereier zu
essen, wodurch sie Mutter dreier Helden wird. Im neunten ehst-
nischen Mährchen betrügt ein junger Mann den Teufel , mit dem
er einen Pakt schliesst, indem er ihm Hahnenblut statt seines
eigenen giebt. Im vierten Mährchen kommt ein grosser goldener
Hahn aus einem Felsen, wenn dieser mit einem goldenen Stabe
dreimal geschlagen wird, und setzt sich auf die Spitze des
Steines ; er schlägt mit den Flügeln und kräht ; bei jedem Krähen
kommt eine Wundergabe aus dem Felsen: Tisch und Stühle und
herrliche Speisen und Getränke. Im 24. Mährchen giebt die Fee
der Königin ein Körbchen mit einem Vogelei darin ; im muss sie
drei Monate gleich einer Perle an ihrem Busen tragen ; erst wird
dann eine kleine Puppe geboren, aus der bei guter Pflege ein
560
wirkliches Mädchen wird; zugleich mit dieser Verwandlung wird
die Königin einem schönen Knaben das Leben schenken. Linda,
Kaiews Gemahlin, in der finnischen Mythologie, ist ebenfalls aus
dem Ei einer Waldschnepfe oder eines Haidehuhnes geboren.
In Ungarn und Deutschland (wo man einen farbigen Hahn
aus Zinn auf den Giebel hoher Gebäude setzt, um den Wind an-
zuzeigen; es ist das der Wetterhahn; Jeder hat schon von dem
Hahn auf dem St. Marcus-Platze in Venedig gehört, der die
Stunden angiebt) herrscht der Glaube, dass man den Teufel durch
das Opfer eines schwarzen Hahnes besänftigt Der rothe Hahn
dagegen bedeutet Feuer. '
Im Montferrato glaubt man, dass eine schwarze Henne, leben-
dig in der Mitte aufgeschlitzt, und auf die St.elle gelegt, wo man
den Schmerz des mal di punta ftihlt, die Krankheit und den
Schmerz vertreibt, unter der Bedingung, dass nach Abnahme dieses
sonderbaren Pflasters die Federn' im Hause verbrannt werden.
Das Federvieh, das bei Festen in Essex und Norfolk (wo-
von sich Spuren in dem Schlagen des Napfes durch einen Mann
mit verbundenen Augen beim Mittfastenfest in mehren Theilen
Frankreichs und im Remontesischen erhalten haben) derjenige
gewinnt, dem es gelingt, es mit verbundenen Augen auf die
Schultern eines Anderen zu schlagen (bisweilen ist es in einen
zwölf oder vierzehn Fuss hohen Napf eingeschlossen, nach welchem
mit Pfeilen geschossen wird '), ist eine Personification des unheil-
vollen Hahnes, aus welchem, wenn er getroffen wird, das tägliche
' lu den Aunalen der Stadt Debreczen aus dem Jahre 1564 lesen wir
Folgendes: „Aetema et ezitialis memoria de ineendio triam ordinum in
anno praesenti: feria secunda proxima ante fest. nat. Mariae gloriosae
ezoirta est flamma et incendinm periculosum in platea Burgondia; eadem
similiter ebdomade ezortum est incendinm altera yice, de platea Csapo de
domo inquilinari Stephan! literati, multas domos... in cinerem redegit, et
quod majus inter caetera est, nobilissimi quoque templi divi Andreae et
turris tecturae oombustae sunt, ex qua turri et ejus pinnaculo, gallus etiam
aerens, a mnltis annis insomniter dies ac noctes jejono stomacho stans et
in omnes partes ndvigilans, flammam ignis sa£ferre non Valens, invitos de-
Tolare, descendere et illam suam solitam stationem deserere coactus est,
qui gallus tantae ciadis commiserescens ac nimio dolore obmutescens de
pinnacnlo desiliendo, coUo confracto in terram coincidens et suae vitae
proprlae quoque non parcens, fideU suam serritium invitus derelinquendo,
misere expiravit et vitam suam finivit sie.**
' Reinsberg von Düringsfeld bemerkt (Das festliche Jahr), dass
bisweilen in Nord-Walsham, statt des Hahnes eine Eule genommen wird,
ein anderes uns schon bekanntes Symbol der Trauer und des Unglücks^
561
Feuer heranskommt. Das Opfer eines Hahnes war Braneh in
Indien, Grieehenland and Deatschland.
Ebenso wie die Alten pflegten, Wachteln miteinander kämpfen
zn lassen, so auch Hähne; daher hiess der Hahn aach Sohn des
MarS; 'yiQsog vecmog. Wir wissen schon, dass des Hahnes Kamm
dem gemahnten Löwen Furcht einjagt; Kamm und Mähne sind
gleichbedeutend, und wir sahen auch, welche wunderbaren Kräfte
dem lapillus alectorius zugeschrieben wurden. Plutarch
schreibt, dass die Lacedämonier dem Mars den Hahn opferten,
um den Sieg in dem Kampfe davonzutragen. Pallas trug den
Hahn auf ihrem Helm, Idoroeneus auf seinem Schild. Plutarch
sagt ferner, dass die Einwohner von Carien einen Hahn am
Ende ihrer Lanzen zu tragen pflegten, und fuhrt den Ursprung
dieses Brauches auf Artaxerxes zurück; doch scheint er noch viel
älter zu sein; denn die Carier trugen Helme mit Kämmen schon
zur Zeit des Herodot, weshalb die Perser den Cariem den Namen
„Hähne'' gaben. Hahnenkämpfe, die in England so volksthümlich
wurden, sind auch in Tndien gewöhnlich. Philo der Alexandriner
erzählt von Miltiades, dass er vor der Schlacht von Marathon den
Muth seiner Soldaten durch Veranstaltung von Hahnenkämpfen
anfeuerte; dasselbe that, nach Aelian, Themistocles. Johannes
Goropius (welcher die schnurrigen Etymologieen von Danen
und Alanen durch de Hahnen und All Hahnen giebtü)
berichtet, dass die Dänen in den Krieg zwei Hähne mitzunehmen
pflegten, einen um die Stunden anzuzeigen, den anderen um die
Soldaten zum Kampfe anzufeuern. Du Gange belehrt uns, dass
Hahnenduelle auch in Frankreich im XVU. Jahrhundert Brauch
waren und giebt einige Fragmente aus mittelalterlichen Schriften,
in welchen sie als ein abergläubischer Brauch und als etwas
Verwerfliches verboten werden.
Es ist bekannt, dass die alten Römer, bevor sie in die Schlacht
gingen, mit Hähnen und anderem Gefltlgel Augurien anstellten,
obwohl dieser Brauch bisweilen verspottet wurde. Publius Clau-
dius z. B. soll vor einer Seeschlacht im ersten punischen Kriege
die Auguren befragt haben, um nicht gegen die Sitte des Landes
zu Verstössen ; als nun die Auguren verkündeten , dass die Vögel
nicht fressen wollten, Hess er sie ins Meer werfen mit den Wor-
ten: „Wenn sie nicht fressen wollen, so lasst sie trinken.''
Die Verehrung, die dem Hahn und der Henne erwiesen wurde,
erstreckte sich tbeilweise auch auf das Ei; das lateinische Sprich-
wort: „Gallus in sterquilinio suo plurimum potest", zeigt den
Gubenifttit, die Thtere. 36
562
grossen Werth des Eis. Die Perle, nach welcher der Vogel im
Düngerhaufen sucht; ist nichts Anderes als sein eigenes Ei; und
das Ei der Henne im Himmel ist die Sonne selbst. Während der
'Nacht ist die himmlische Henne schwarz, doch am Morgen wird
sie weiss, und als solche ist sie wegen des Schnees die Henne des
Winters. Die weisse Henne ist günstig wegen der goldenen
Hühner, die sie ausbrütet. Im Montferrato glaubt man, dass die
Eier, die eine weisse Henne am Himmelfahrtstage ^ in ein neues
Nest legt, ein gutes Mittel gegen Magen-, Kopf- und Ohren-
schmerzen sind, wie auch dass sie, auf ein Kornfeld getragen, das
Getreide vor dem Mehlthau oder dem Brande, und dass sie die
Weinberge vor dem Hagel bewahren. Die Eier, welche zu Ostern
gegessen werden und an welche sich so viele Volksbräuche, Lie-
der und Sprichwörter, die mythologisch in Einklang stehen, in
den verschiedenen Ländern Europas knüpfen, feiern die Aufer-
stehung des himmlischen Eis, eines Symboles der Fülle, ^ der
Frtthlingssonne. Die Henne der Fabel und der Mährchen, welche
goldene Eier legt, ist die mythische Henne (die Erde oder der
Himmel), welche jeden Tag der Sonne das Leben schenkt. Das
goldene Ei ist der Beginn des Lebens in der oi*phischen und in-
dischen Kosmogonie ; durch das goldene Ei beginnt die Welt sich
zu bewegen und Bewegung ist das gute Princip. Das goldene
Ei bringt den glänzenden, arbeitsvollen und segensreichen Tag
hervor. Daher ist es ein vortreffliches Vorzeichen, mit dem Ei zu
beginnen, welches das gute Princip darstellt; daher das doppel-
deutige lateinische Sprichwort: „Ab ovo ad malum'', das „vom
Guten zum Bösen", eigentlich aber: „vom Ei bis zum Apfel" be-
' Ein ähnlicher Brauch hat sich noch in Cosentino im Toscanischen
erhalten, wo die Bauern am Himmelfahrtstage bei Sonnenaufgang mitten
auf ihr Feld einen Korb mit Eiern tragen.
^ Nicht allein das Ei der Henne ist ein Symbol der Fülle, sondern
auch die Knochen des Greflügels dienten in der Volkssage zur Darstellung
der ehelichen Treue und Vereinigung. Wenn in Russland zwei Leute
(wohl Mann und Frau) einen Vogel miteinander essen, so theilen sie den
Brustknochen (englisch merry thought); jeder von ihnen bewahrt einen
Theil auf, mit dem Versprechen, an dieses Ereigniss zu denken. Giebt
nun Einer von den Beiden in der Folge dem Anderen Etwas, so muss der
Empfänger sofort sagen: ,,ich denke daran^; wenn nicht, so sagt zu ihm
der Gebende: „Nimm und denke dran*". Der Vergessliche hat verloren.
Ein ähnliches Spiel, verde d. h. Grün genannt, ist im Toscanischen im
Frühling zwischen Verliebten üblich. (Vgl. die deutsche Sitte, Vielliebchen
zu essen.)
563
deutete, da die ROmer ihre Mahlzeiten mit hartgesottenen ]
zu eröffnen und mit Aepfeln zn bescbliessen ptlegten (ein Br;
der noch onter zahlreichen italienischen Familien lebt). >
Doch ab ovo beginnen bedeutet auch: „mit dem Anfang
fangen". Horaz sagt, dass er die Beschreibung des trojania
Krieges nicht mit den ZwillingseierD beginnt :
„Nee gemino bellum TTOJftnum orditus ab ovo,"
mit einer Anspielung auf das Ei der Leda, auf welches auch das
chiscbe Sprichwort: ^| qW^^^?»' anspielt, das man tod einem i
nen und geputzten Mann sagt, und indem er sieh aul' die sc
Helena und ihre beiden glänzenden Brtlder, die Dioskuren be:
Doch ist hier der weisse Hahn ein weisser Schwan geworden,
dem im folgenden Kapitel die Rede sein wird.
' Die Sonne ist ein £i am Anfang des Tages; aietiiTd ein Apfel
am Abend, im westlichen Garten der Heaperiäen, oder findet einen sol
504
KAPITEL X.
t
Die Taube, die Ente, die Gans und der Schwan*
Sofern es eine weisse und eine graue Tanbe/ eine weisse
und eine dunkel- oder feuerfarbige Ente und Gans, einen weissen
Schwan und den Flamingo, einen rothen und einen schwarzen
Schwan giebt, nahmen diese Vögel, Taube, Gans, Ente und
Schwan nach der Verschiedenheit der Farbe, die sie auf Erden
haben, auch mythische Gestaltungen an, welche bisweilen einander
entgegengesetzt sind, als sie an den Himmel versetzt wurden, um
Himmelserscheinungen darzustellen. Während die weissen für
die mehr poetischen Bilder der Mythologie dienten, zeigten sich
die rothen und die schwarzen bald von einer guten, bald von
einer bösen Seite, den Helden bald in sein Verderben lockend^ bald
ihm Glück bringend. Die rothen Farben z B. des Westlichen
Himmels erscheinen als Flammen, in welche die Hexe den jungen
Helden stürzen will, während die rosigen Tinten des östlichen
Himmels gewöhnlich der Scheiterhaufen oder Feuerofen sind, in
welchem der Held die übelwollende Hexe verbrennt, die ihn ver-
derben will ; aus der Morgendämmerung, aus dem weissen Himmel,
aus dem Schnee des Winters, aus der weissen Erde oder dem
weissen Schwan kommt das goldne Ei (die Sonne) hervor; bald
taucht das schöne Mädchen, bald der junge Held aus ihnen auf
— die Aurora und die Sonne, oder aber der Frühling und die
Sonne. Die Abend-Sonne und -Aurora in der Nacht, die Sonne
und die grünende Erde, welche sich ihres Farbenschmuckes im
Herbst entkleidet, verhüllen, bedecken, verlieren, verirren sich;
ihre lebhaftesten Farben werden im Dunkel der Nacht selbst
dunkel, oder von dem Schnee des Winters bedeckt ; der Held wird
eine dunkelfarbige Taube oder ein düsterer Schwan, der das Ge-
wässer durchkreuzt. Ich habe mehr als ein Mal bemerkt, wie
die Nacht des Jahres vollständig der Nacht des Tages entspricht ;
die Sonne, die sich in der Nacht des Abends versteckt, und die
' Das indische Wort kapota für Taube bezeichnet auch die graue
Farbe des Spiessglases und die Farbe der gemeinsten Taubenart.
565
Sonne, die sich in der Winter-Nacht verhüllt, werden oft durch
dasselbe mythische Bild dargestellt
Sehen wir jetzt, unter was flir mythischen Gestaltungen die
Taube, die Ente und der Schwan im Orient erscheinen, um sie
dann mit westlichen Sagen zu vergleichen.
Der Bigveda bietet uns die unheilvolle Taube, die graue
oder dunkele, die Botin nächtlicher oder winterlicher Dunkelheit
Da man sie in dem vedischen Hymnus mit der Eule verbunden
fand, so vermuthete man in ihr einen andern Vogel als die Taube,
und die C!ommentatoren wollten in dem vedischen kapota viel-
mehr den turduB macrurus als die Taube sehen ; doch scheint
mir diese Deutung unzulässig, da der vedische kapota als ein
Hausvogel und den Wohnungen der Menschen nahe erscheint, was
man von Drosseln nicht, wohl aber von Tauben sagen kann. Im
Rigveda X, 165 wird der kapota als Bote des unheilvollen Nir-
riti oder Todes, und des Todesgottes Yama beschworen, kein
Uebel zu thun: „Sei uns gnädig,'* ruft der Dichter aus, „sei uns
gnädig, schneller (oder Botschaft bringender) kapota; nicht feind-
lich möge uns der Vogel sein, o Götter, in den Häusern. Wenn
die Eule jenen schlimmen Schrei austösst, wenn der kapota das
Feuer berühii;, so werde geehrt Mrityu, Yama, dessen Bote er ist.*' *
Vögel von schlimmer Vorbedeutung müssen auch in den Tauben
gesehen werden, welche vor dem Unglücklichen im Pancatantra
fliehen. ^ In der buddhistischen Legende von dem König, der sich
opfert, um sein Wort zu halten, ist der Falke, der übrigens im
Sanskrit auch den Namen kapotari, Taubenfeind, ilihrt, die Er-
scheinungsform Indras, die von ihm verfolgte Taube, die Agnis,
des Feuers. Diese Legende findet sich wieder im Tuti-Name,^
jedoch mit der Variation, dass Moses^ie Rolle des buddhistischen
Königs spielt Um die Pflichten der Gastfreundschaft zu erfüllen,
„schneidet Moses von seinen heiligen Gliedern soviel ab, als eine
Taube wiegt,** um es dem Habicht zu geben. In andern indischen
Variationen dieser Legende von dem Helden, *der sich selbst
opfert, finden wir zwei Tauben (im Pancatantra), welche sich
für einander opfern, zwei Tauben, die einander lieben. Hier
haben wir eine Erscheinungsform der beiden A^vins, der beiden
Brüder, deren einer sich für den andern opfert; die bekannte La-
' Qival^ kapota ishito uo astu anäga devä]|^ ^akuiio griheshu; Str. 2,
« II, 9.
» II, p. 32 f.
1
566
fontaineBcfae Fabel, Les Deux Pigeons, ist eine Reminiscenz
an die orientalische Legende. Ebenso ist anch eine Variation der
Sage von den beiden Brüdern in der ^ äsopischen and Lafon-
taineschen Fabel von der Taube enthalten ^ welche der Ameise,
die in Gefahr za ertrinken ist, einen rettenden Grashalm Euwirft,
weshalb die dankbare Ameise bald darauf den Jäger, der die Taube
gefangen bat, in den Fuss beisst, so dass er sie wieder fliegen
lassen muss. In dem Kapitel, welches von der Schwalbe handelt,
sahen wir das schöne Mädchen auf dem Baum am Brunnen durch
die Bezauberung der Hexe in eine Schwalbe verwandnlt; zahl-
reiche andere Sagen geben statt der Verwandlung in eine Schwalbe
die in eine Taube. ^ Das Mährchen von dem Mädchen Filadoro
und der Insel der Ogren im Pentamerone;' ein piemontesi-
sches Mährchen, das mein Freund Prof. Alex. Wesselofiski in sei-
nem Essay über den Dichter Pucci veröffentlicht hat; das 13.
sicilianische Mährchen bei FrL Gonzenbach (von dem das zwölfte
eine Variation ist); Afanassieff VI, 49 (mit welchem zu y^-
gleichen ist No ö der Novell, di S. Ste£ di Calc.) und eine
grosse Anzahl anderer analoger europäischer Mährchen behandeln
alle das von der Hexe in eine Taube verwandelte Mädchen: wie
die Schwalbe weiss und schwarz ist, so erscheint auch diese Taube,
in welche das Mädchen verwandelt ist, bald weiss und bald
schwarz. Nicht minder zahlreich sind die Mäbrchen, in denen
wir statt von der jungen Prinzessin v<m jungen Prinzen lesen,
die in Tauben verwandelt werden. — Ich lasse hier zwei solche
folgen, die (besonders das zweite) ausserordentlich interessant
sind. Ich habe sie von der Bauerfrau Uliva Selvi in Antignano
bei Livorno im Toscanischen.
Es war einmal ein grosser Herr; der hatte zwölf Söhne und
eine Tochter; die war aber durch Bezaub^ting in einen Adl«*
verwandelt worden und wurde in einem Käfig gehalten. Der
Vater geht jeden Tag mit seinen Söhnen zur Messe; jeden Tag
trifit er eine alte Bettelirau und giebt ihr Almosen; eines Tages
jedoch hat er kein Geld bei sich, kann also kdnes geben; da
flucht ihm die Alte, er solle seine zwölf Söhne niemals wieder-
sehen. Gesagt gethan; die zwölf Söhne werden zwölf Tauben
' Es Bcbeint mir, dass dieselbe Verwirrung zwischen coluber und
CO lumb a entstand, wie swischen xilv^^og^ einer Schlangenart, und
XeliScap, der Schwalbe.
* U, 7. V, 9.
507
und — fort sind sie. Die verzweifelnden Eltern weinen, und ver-
gessen in ihrem Schmerz den Adler zu füttern. Dem grossen
Herrn vis-ä-vis wohnt der König, der sich in den Adler wie in
ein schönes Mädchen verliebt ; er stiehlt ihn und ersetzt ihn
durch einen anderen Adler. Nicht weit davon wohnt eine Wasch-
frau; die hat eine sehr schöne Tochter, so schön, dass sie dieselbe
nur bei Nacht aus dem Hause lässt. Sie waschen an dem von
Pappeln umgebenen Brunnen; um Mitternacht, als sie waschen,
hören sie ein Geräusch unter den Pappeln und das Mädchen er-
schrickt. Eines Nachts horchen sie und hören, wie die Tauben
einander erzählen, was ihnen am Tage begegnet ist. Darauf fliegen
sie in einen schönen Garten; das Mädchen folgt ihnen ; sie treten in
einen schönen Palast ein ; die Waschfrau berichtet dem grossen Herrn,
was sie gesehen hat ; dieser ist sehr erfreut und verspricht ihr eine
gute Belohnung, wenn sie ihm zeigen wolle, wo seine Söhne schlafen
gehn. Vater und Mutter gehen hin; die Tauben sagen: „Wollte uns
unsere Mutter sehn "; dann fliegen sie davon. Der Herr fragt einen
Astrologen um Rath, der ihm die Anweisung giebt, die alte Hexe
durch Versprechen von Almosen in sein Haus zu locken, sie in
ein Zimmer einzuschliessen und sie durch Gewalt zu zwingen, die
Mittel anzugeben, durch welche die Tauben wieder in Jünglinge
verwandelt werden, oder aber sie zu tödten. Die Alte giebt ein
Pulver, das auf den höchsten Berg geschüttet, die Tauben nach
Bause zurückkehren lassen soll. Das Pulver hat die gewünschte
Wirkung. Unterdess ist der junge König immer bei seinem
Adler, worüber seine Mutter ungehalten ist. Die zwölf Brüder
trefien eine Fee, die ihnen sagt, wer ihren Adler (ihre Schwester)
hat, und dass sie bald als ein schönes Mädchen heimkehren
wird. Der Adler wird wieder das schöne Mädchen, das der
König heirathet.
Die andere G^chichte lautet folgendermassen :
Es war einmal ein König; der hatte einen schönen Sohn und
der war verliebt in eine schöne Prinzessin. Er wird sammt zwei
Dienern von den Zauberern entführt und in eine Taube verwan-
delt, desgleichen die Diener; einer wird grün, der andere roth,
der dritte pavonazzo, graulich-violett. Sie setzen ihn in einen
schönen Palast, wo er sieben Jahre lang bleiben muss. Jeder hat
ein grosses Bassin — eines ist von Gold, das andere von Silber,
das dritte von Bronze. Wenn sie hineintauchen, so werden sie
drei schöne Jünglinge. Die Prinzessin stirbt mittlerweile fast vor
Schmerz 9 weil sie nicht weiss, wohin ihr Liebster ist; sie lässt
568
sich das Haar auf einer Terrasse kämmen, da entfuhren die drei
Tauben ihr den Spiegel, das Haarband und den Kamm. Ein
grosses Fest wird in dieser Stadt gefeiert, zu welchem die Mäd-
chen vom Lande bei Nacht gehn; auf dem Wege geht eines von
ihnen ein wenig abseits kurz vor Tagesanbruch; sie sieht ein
goldenes Thor, findet auf der Erde ein goldenes Schlttsselchen,
mit welchem sie das Thor öffnet, und tritt in einen schönen Garten.
Am Ende des Weges steht ein schönes Schloss; sie findet in dem-
selben die drei Bassins und sieht die Tauben als Jünglinge.
Mittlerweile wird die Tochter des Königs vor Kummer krank und
liegt allem Anschein nach im Sterben; der König will sie um
jeden Preis geheilt sehen. Das Mädchen, das im Palast gewesen,
erzählt der Prinzessin Alles, was sie gesehn hat; die Letztere
wird geheilt und geht mit dem Mädchen in den Palast, wo sie
einen Tisch für drei Personen finden; sie verstecken sich. Der
Prinz und die Prinzessin treffen einander; _doch der Erstere ge-
räth darüber in Verzweiflung, weil ihre Ungeduld die Bezauberung
noch um sieben Jahre verlängert habe, während von den ersten
sieben Jahren nur noch drei Tage fehlten. Er wird wieder eine
Taube; sie muss sieben Jahre auf einem Thurm, allen Unbilden
des Wetters ausgesetzt, zubringen. Sieben Jahre sind um; die
Prinzessin ist so hässlich geworden, dass sie wie ein Thier aus-
sieht; lang hängen die Haare über die verbrannte Haut. Die Be-
zauberung ist zu Ende; er kommt, nach ihr zu sehn; sie sagt:
„Wie viel habe ich für Dich gelitten !" Der Prinz aber erkennt sie
nicht wieder und verlässt sie; sie bleibt nackt in einem dichten
Walde und geht ihren Vater suchen. Die Nacht kommt hei*an ;
die Prinzessin und ihre Dienerin wissen nicht, wohin sie ihre
Zuflucht nehmen sollen; sie erklimmen einen Baum, von welchem
aus sie ein Licht bemerken. Sie gehen auf dasselbe zu und
finden einen schönen kleinen Palast; eine schöne Dame, eine Fee,
erscheint und fragt: „Bist Du es, Caroline?" Das war nämlich der
Name der Prinzessin. Doch die Fee kann keine Nachricht von
dem Prinzen geben und schickt sie zu einer anderen Fee, ihrer
Schwester; doch auch da dasselbe traurige Resultat; die Prin-
zessin geht zu einer dritten Fee, jedesmal die doppelte Entfer-
nung zurücklegend. Die drei Feen waren drei Königinnen, die
von demselben jungen Prinzen verrathen worden sind. Die dritte
Fee giebt der Prinzessin eine Zaubermthe; sie soll zu dem Prin-
zen gehen und ihm das thun, was er ihr gethan hat, nämlich ins
Gesicht spucken. Sie wird in einem Boot vor das Schloss des
^
I
569
jungen Prinzen gebracht; dort zanbert sie^ nach Anweisung der
Fee^ vermittelst der Zauberrnthe einen schönen Palast hervor, einen
Palast y der noch viel schöner ist als der des Königs , mit einem
schönen Brunnen. Der junge König will sie sehen; er schickt ihr
einen Handkuss; sie schlägt ihm das Fenster vor der Nase zu.
Darauf lädt er sie zum Gastmahl; sie schlägt ab. Er schickt ihr
einen prächtigen Diamanten; den giebt sie ihrem Hausmeister,
mit dem Bemerken, dass sie einen viel schöneren hat Er schickt
ihr ein glänzendes Gewand, das sich in die flache Hand nehmen
lässt ; sie zerreisst es und giebt die Fetzen dem Koch als Küchen-
tücher. Der junge König wird immer leidenschaftlicher ; er sendet
ihr seine beste Uhr, die sie jedoch auch ihrem Hausmeister giebt.
Er wird krank vor Liebe und will sie absolut heirathen. Er
schickt seine Mutter. Die Prinzessin verspottet den Prinzen; sie
will nicht kommen, sondern sagt: ,, Warum kommt er nicht selbst ?^'
Seine Mutter bittet sie noch einmal, zu kommen. „Er soll kom-
men,'' antwortet sie ; endlich willigt sie doch ein, zum Prinzen zu
kommen, wenn von ihrem Palast bis zu dem des Königs ein so
dicht bedeckter Weg für ihre Equipage gemacht wird, dass kein
Lichtstrahl hineindringt. Halben Weges öfihet sich die Decke,
die Sonnenstrahlen fallen auf den Weg, und — verschwunden ist
sie. (Vgl. den indischen Mythus von Urva^i.) Der König ist
dem Tode nahe; seine Mutter geht wieder zu der Prinzessin,
welche verlangt, dass man ihn ihr als Todten auf einer Bahre
bringt Der König bekennt, dass er vier Mädchen verrathen hat,
und dass er wegen der Vierten ein so jämmerliches Ende nimmt
Die Prinzessin lacht ihn aus und speit ihm zwei Mal ins Gesicht ;
beim dritten Mal steht er auf; sie versöhnen und heirathen sich.
(Der Speichel der Prinzessin, der den todten Prinzen wieder auf-
leben lässt, ist der Thau der Aurora oder des Frühlings, welcher
die Sonne wieder zum Leben bringt.) ^
Bis bieber ist die Taube als eine traurige und diabolische
Gestalt erschienen, welche der Held oder die Heldin annahmen,
gezwungen durch fremden 2Jauber. Einen düsteren Charakter
haben auch die beiden Tauben, welche sich auf die Raen des
Schiffes setzen, in welchem Gennario seinem Bruder Milluccio
einen Falken, ein Pferd, und eine weisse und rothc Braut mit
schwarzen Haaren bringt (eine Variation der Sage von den Agvins
" Vgl Pentam. II, 5. IV, 8 und Afan. V, 22.
570
und der von dem Jüngling, der sich fllr seinen Bruder opfert).
Die beiden Täuben sprechen mit einander; eine sagt, dass 6en-
nariello 'seinem Bruder Milluccio einen Falken bringt, der ihm
unmittelbar nach seiner Ankunft die Augen ausreissen werde,
dass aber der, der Milluccio warnen oder ihm den Falken nicht
bringen sollte, in Stein verwandelt werden würde; dann dass
Gennariello seinem Bruder M. ein Pferd bringt, dass ihm beim
ersten Ritt das Genick brechen werde, mit derselben Prophezeiung;
und endlich, dass 6. seinem Bruder ein Weib bringt, um dessent-
willen ein Drache Braut und Bräutigam in der ersten Nacht ihrer
Vereinigung verschlingen werde, wieder mit der Warnung, Mil-
luccio nicht zu warnen. Der schlaue Gennariello haut dem Falken,
bevor er ihn dem M. giebt, den Kopf ab; dem Pferde, bevor er
es reitet, die Beine ; dem Drachen aber, der herankommt, das
junge Paar zu verschlingen, trennt er den Kopf vom Rumpfe.
Milluccio, der den Drachen nicht gesehn, wohl aber seinen Bruder
mit einem Messer in der Hand sieht, denkt, dieser wolle ihn
tödten; er lässt ihn binden und verurtheilt ihn zum Tode. Genna-
riello enthüllt Alles und wird zu Marmor. Milluccio erfährt, dass
sein Bruder wieder ins Leben zurückgerufen werden kann, wenn
er den Marmor mit dem Blut seiner zwei kleinen Söhne bestreicht ;
er schlachtet seine Kinder ; die Mutter will sich in der Verzweif-
lung aus dem Fenster stürzen ; da sieht sie ihren Vater auf sich
zukommen, der ruft : „Drinto na nugola/' Er erweckt ihre Kinder
und sagt, dass er nur aus Rache Allen so bittern Schmerz bereitet
habe: dem Gennariello, weil er seine Tochter entführt bat; dem
Milluccio, weil er die Ursache ihrer Entführung war; seiner
Tochter, weil sie der Heimath entlaufen ist. Die beiden Tauben,
welche auf den Raen des Mastes sassen, waren also Boten des
Todes fUr den Helden und die Heldin, wie sie andrerseits bis-
weilen sogar ihre eigene Trauergestalt sind. Der Leser erinnert
sich ohne Zweifel, wie unter den Leichenspielen bei der Bestat-
tung des Patroclus in der 111 as auch mit Pfeilen nach einer
Taube geschossen wird, die an dem Mast eines Schiffes aufge-
hängt ist. (Er erinnert sich gewiss auch der beiden prophetischen
Tauben, welche auf zwei Eichen oder Buchen in Dodona orakelten,
und welche riefen : „Zeus war, Zeus ist, Zeus wird sein, o Zeus,
der grösste der Götter!") Die Taube erscheint hier in Verbindung
mit unheilvollen Wassern; bekannt ist die Fabel von der Taube,
welche den Tod erleidet, indem sie mit dem Kopf gegen eine
571
Wand stösfity 'auf welcher Wasser gemalt ist. ^ In der Sage von
der Königin Rodegonda rettet die heilige Königin in Gestalt einer
Tanbe Seelente ans dem Sohiffbrueh. Nach ApoUonlns leitete
eine Tanbe die Argonanten. Es heisst^ dass Semiramis nach
ihrem Tode in eine Tanbe verwandelt wnrde. Die Taube er-
scheint anch anf christlichen Monnmenten als ein Symbol der
Traner; deswegen nnd weil sie anch oft als Symbol des ülgen
Geistes diente, der von einem grossen Theil des Volkes in Italien^
Dentschland; Holland nnd Rnssland gehegte Abei^lanbe, dass es
Sttnde sei, eine Tanbe zn essen. Bekanntlich wnrde der Taube
im Alterthnm, besonders in Syrien nnd Palästina grosso Verebmng
erwiesen.
Bisweilen wird die Gestalt der Tanbe freiwillig von den beiden
jungen liebenden Helden angenommen, um der Verfolgung des
Ungeheuers zu entfliehen, wie z. B. in der 6. der Novelline di
San Stefano. Bisweilen ist die Tanbe (gleich der Krähe) die,
welche Menschen nnd Göttern Freude und Gutes bringt. Die
ktlnstHche Tanbe, gemeiniglich die Tanbe der Pazzi genannt
(von dem Namen der vornehmen Florentiner Familie, welche das
Privilegium besass), welche in Florenz am Hlgen Sonnabend,
d. h. am Osterabend, von dem Altar der Kathedrale aufsteigt, aut
den kleinen Platz zwischen Santa Maria del Fiore und dem Bap-
tisterium Sti Johannis fliegt, dort das Feuerwerk entzündet, und
so die Auferstehung Christi einer Schaar Bauern verkttndet, welche
in die Stadt geströmt sind, um aus dem Fluge der Taube zn
auguriren, ob sie im folgenden Jahr eine gute Ernte haben werden,
— ist ein Symbol des Endes des Winters und des Beginnes des
Frühlings. In den Metamorphosen Ovids verwandeln die
Töchter des Anius durch die Gnade des Bacchus Alles, was sie
anrühren, in Korn, Wein nnd Oel^ nach den Worten desselben
Anius:
„Tactu natarum cuncta mearam
In segetcm laUcemque meri baocamque Minervac
TraDsformabantur/*
' Es heisfit von der verwittweten Turteltaube, dass sie niemals wieder
aus irgend einem Brunnen mit klarem Wasser trinken will, aus Furcht,
das Bild ihres verlorenen Gefährten zu erwecken, indem sie ihr eigenes
im Wasser sieht Die Christen behaupten, dass die Stimme der Turtel-
taube den Schrei, den Seufzer, und später nach Christi Auferstehung den
Freudenruf Maria Magdalenas bedeutet. Aelian sagt, dass die Turteltaube
nicht allein der Göttin der Liebe und der Göttin der Ernte, sondern auch
den onbeilvoUeD Paroen heilig ist.
/
572
Agamemnon will sie als Speisevorratb für das Heer mitnehmen;
doch die Töchter des Anius weigern sich; Agamemnon will sie
durch Gewalt zwingen ; doch Bacchus erbarmt sich ihrer und ver-
wandelt sie in weisse Tauben. Bei AfanassieffVI^öO kommen
zwei Tauben und lesen die Gerste aus ftlr Masba oder Klein-
MariC; das schwarze (comushka) oder hässliche oder schmutzige
kleine Mädchen, die verfolgte Cinderella; dann lassen sie sie auf
den Ofen steigen und verwandeln sie in ein ausserordentlich
schönes Mädchen, indem sie das Mirakel Indras (und der Agvins)
wiederholen, der dem Mädchen mit der hässlichen Haut die Schön-
heit wiedetgiebt. Das Feuerwerk des toscanischen Volksglaubens,
der Ofen und der Wagen Indras thun dasselbe Wunder. Im
Pentamerone 1,6 erhält das Mädchen ZezoUa, zu Hause „eine
Katze, ein Kohlenmädchen'' genannt, weil sie immer das Feuer
hüten muss, und von ihrer Stiefmutter schlecht behandelt, durch
die Taube der Feen von der Insel Sardinien Wohltbaten; diese
bringt ihr nämlich eine Pflanze, welche goldene Datteln giebt,
einen goldenen Spaten, einen goldenen Wassereimer und ein
seidenes Tischtuch. Das Mädchen muss die Pflanze pflegen, und
wenn sie einen Wunsch hat, so muss sie einfach daran denken
zu sagen:
„Dattolo mio 'naurato,
Co la zappatella d'oro fhaggio zappato,
Co lo secchietello d'oro t'haggio adacquato,
Co la tovaglia de seta fhaggio asduttato;
Spoglia a te, e vieste a me.^'
Der Dattelbaum giebt einige von seinen Reichthümem zum Schmuck
des Mädchens her. So kommt sie, als der junge König eine Fest-
lichkeit bekannt macht, in königlichem Schmuck und flimmert beim
Tanz gleich der Sonne. Als der Prinz ihr zum ersten Mal folgt,
wirft sie Gold hinter sich ; das zweite Mal Perlen ; das dritte Mal
ihren Pantoffel ; an diesem Schuh wird sie wiedererkannt, und ge-
heirathet Im 22. ehstnischen Mährchen setzen sich, als der junge
prinzliche Liebhaber ankommt, zwei Tauben auf den Rosenbusch,
in dem die schöne Tochter des Gärtners durch Bezauberung ein-
geschlossen ist; das schöne Mädchen kommt aus dem Rosenbusch
und heirathet den Prinzen, der die andere Hälfte des Ringes be-
wahrt hat, indem sie ihre Hälfte zeigt. In dem griechischen
Mythus spielen Aphrodite und Eros ; sie wollen sehen, wer die
meisten Blumen pflückt; der geflügelte Eros gewinnt, doch die
Nymphe Peristera hilft der Aphrodite; entrüstet verwandelt sie
573
Eros in die TtsQimeQa oder Taube, welche Aphrodite, um sie zu
trösten, in ihren Schutz mmmt. Die Tauben ziehen bald den
Wagen der Venus bald begleiten sie ihn (gleich den Sperlingen).
In der Odyssee bringen die Tauben dem Zeus die Ambrosia, ' und
in Gestalt einer Taube besiegt Zeus (bekanntlich ein alter ego
Indras) die jungfräuliche Phthia. Catull .erwähnt, indem er von
Caesars salacitas spricht, den columbulus albulus oder das Venus-
täubchen. * Hier, wo die Taube ein phallisches Symbol wird,
werden wir an die bekannte mythische Episode von dem lachenden
Vogel oder Fisch erinnert durch das italienische Sprichwort: „Eine
Taube, die lacht, will die Bohne haben*^ (gesagt von einer Frau,
wenn sie über ihren Liebhaber lacht*). Von der Aphrodite wird
erzählt, dass sie die Aspasia von einem Geschwür durch Hilfe
einer Taube heilte (vgl. die Deichsel von Indras Wagen in der
vedischen Sage von Apälä,
Doch wird im Mythus die Stelle der Tauben bisweilen von
Enten eingenommen, die mit Schwänen vertauscht sind.
Das indische Wort hansa bedeutet bald Schwan, bald Ente
(anas), bald Gans (anser), bald Phaenicopterus. Kein Wunder
also, dass die Mythen Thiere miteinander vertauschten, die unter
dieselbe Benennung zusammengeworien waren. Russische Mähr-
chen sprechen von den Vögeln : Gans-schwäne (gu^lebedi), welche
den jungen Helden bald entführen, bald ihn retten.
In den vedischen Hymnen wird der hansa (Ente-Schwan
oder Gans-Schwan) mehr als einmal dargestellt Agni (das Feuer),
' In der Sage vom HeiUgen Remigius ist es eine Taube, die dem Bi-
schof das Oelfläschchen zur Salbung des Königs Chlodwig bringt
* „Et iUe nunc superbus et superfluens
Perambalabit omnium cubilia,
Ut albulus columbus, aut Adoneus?
Ginaede Romule^ haec videbis et feres?'*
Die Keuschheit und eheliche Treue, die das Sprichwort den Tauben zu-
schreibt, wird ihnen hier abgesprochen. Catull hat ofienbar genau den
Charakter dieser Thiere beobachtet, welche ganz im Gegentheil oft von
schamloser Untreue sind.
* Wir können hier noch ein anderes italienisches Sprichwort erwähnen :
„Zwei Tauben mit einer Bohne fangen/* In der italienischen Anatomie
heisst ein Theil des Phallus Bohne (faba, fava). Die Vögel und besonders
die Drosseln und die Tauben haben nach dem Volksglauben nicht nur die
Fähigkeit, andere Vögel, sondern sogar Pflanzen zu befruchten. Schon
Ad. Kuhn hat auf die Worte des Plinius Hist Nat XVI, 44 aufmerksam
gemacht: „Omnino autem satum nullo modo nascitur, nee nisi per alvum
avium redditum, maxime palumbis ac turdis/*
or J
574
der gebeten wird, sieh in den Häasem zugleich mit der Aurora
zu erheben, wird mit einem Schwao in den Wassern (oder mit
dem Licht in der Finstemiss, der Sonne in dem azurnen Himmel)
verglichen. * Der Gott Agni wird selbst hansa genannt^ der Ge-
nosse (als Donnerk^) der Beweglichen (Wogen oder Wolken),
in Gemeinschaft gehend mit den himmlischen Wassern.' Der
Sang der Gefährten des Bphaspati, die den Ktiben oder
Auroren des Morgens Hymnen singen, gleicht dem Sänge der
hansas. ^ Die Maruts, mit den glänzenden Leibern (die Winde,
welche blitzen, heulen und donnern) werden mit schwararttckigen
hansas verglichen^ (die uns an die schwarz- und weissrttckigen
Schwalben, schwarzen und weissen Krähen, Schwäne erinnern).
Die Pferde der beiden A^vins werden mit hansas, ambrosiseben,
unschuldigen, goldfltlgeligen verglichen, die mit der Aurora er-
wachen (als Sonnenstrahlen), die in den Wassern schwinunen
freudig und heiter.^ Bei Afanassieff VI, 2 macht eine Ente
ihr Nest auf dem Kopfe des Diebes, der aus dem Himmel in das
Wasser gefallen ist. Die Henne iegt ein goldenes Ei (die Sonne)
in ihr Nest am Morgen und ein silbernes am Abend (den Mond).
Im Bigveda lese ich, dass Bribu sich auf den Kopf der Diebe
(Panis) setzte, tausend Gaben umherstreuend. ^ Ich glaube Jn
Bribu einen Vogel und eine Personification Indras sehen zu dürfen.
Biribu wird im Qäflkhäyana als ein takshan dargestellt, was durch
„Erbauer, Künstler, Zimmermann '^ erklärt wird; daher wird Bribu
für den Zimmermann der Paji^is gehalten. Doch scheint dies nn-
Wabrscheinlich, ausserdem dass es auch mit dem indischen Texte
in Widerspruch steht. Der eigentticbe, ursprüngliche Sinn des
Wortes takshan ist: „der Zerschneider; der in Stücke bricht;^'
in Bribu sehe ich also nicht den Zimmermann der Panis, sondern
' Qvasity apsa hanso na aidan kratvft öetishtho vi^m osharbhnt;
Bigv. I, 65, 9.
' Bibhatsünftm sayugam hansam Uhur apftm divyftnäm sakhye daran-
tam; X, 124, 9.
' Hansäir iva sakhibhir vävadadbhir a^manmayäni nahani vyasyan
brihaepatir abhi kanikradad g&; X, 67, 8.
* Sasva^ cid dhi tanva^^ ^umbhaminft ft hansaso nilaprishthä apaptan;
VU, 59, 7.
^ Vgl. das Kapitel über die Biene.
^ Adhi bribu^ paninam varshishthe mürdhann astbät urn^ kakslio na
gafigyah; Bigv. VI, 45, 31. — Bribum sahasradätamam sürim sahasrasftta-
mam; VI, 45, 33.
575
ihren Vernichter. Da wir in einem anderen vedischen Hymnos '
Bribu auch in Verbindung mit zwei anderen Vögeln^ nämlich dem
bharadvä^a (der Lerche) und dem stoka (dem Knckuk) finden^
so bin ich geneigt, auch Bribu für einen Vogel zu halten. End-
lich sehe ich^ da ich Bribu in Verbindung mit Indra finde^ in
diesem Vogel, der sich auf den Kopf der Panis setzt, eine Er-
scheinungsform des Gottes Indra selbst. Die Ente legt in rus-
sischen Mährchen ihr Ei auf den Kopf des Räubers; so nimmt
Indra den Panis ihre Schätze vom Kopfe. Wir wissen schon von
den Perlen, welche von dem Kopfe der guten Fee fallen, die das
gute Mädchen kämmte; wir wissen auch, dass die mythischen
Wasser in Beziehung zu den Schätzen stehen. Wir mtlssen hier
an die Sage des Rämayapa von dem Ursprung des Ganges erin-
nern, der seine Wasser, bevor er sie auf die Erde ergoss, lange
Zeit auf den haarigen Kopf des Gottes Qiva strömen liess, welcher
eine etwas erhabenere Grestaltung des Kuvera, des Gottes des Reich-
thnms ist. ^ Wir wissen auch, dass die Perle und das Ei in den
Mythen identisch sind.
Der Gott Brahman wird in der indischen Mythologie auf
einem weissen hansa reitend dargestellt.
Im Rämäyjaa wird der Himmel mit einem See verglichen, in
welchem die glänzende Sonne als goldene Ente herumschwimmt. ^
Räma (eine Gestalt der Sonne Vishnu), dessen Sprache wie die eines
liebestrunkenen hansa klingt,^ schleudert mit seinem göttlichen
Bogen, einen Pfeil, der durch sieben Palmbäume, den Berg und
die Erde dringt, aus welcher er später wieder herauskommt, um in
Gestalt eines hansa zu Rama zurückzukehren. ^ Kabandha der
» Rigv. VI, 46.
^ Die Gans findet sich in Verbindung mit den Räubern bei Af anas-
sieff VI, 23. Zwei Diener stahlen dem König eine werthvoUe Perle;
nahe daran, entdeckt zu werden, geben sie die Perle auf Rath einer alten
Frnu in einem Stück Brod der grauen Gans; die Gans wird nun angeklagt,
die Perle gestohlen zu haben. Sie wird getödtet, die Perle gefunden und
die Diebe gehen frei aus.
' V, 55. — Bei A fan. V, 49 kommt ein Räthsel vor, in welchem die
Verlobte als eine Ente dargestellt wird. £in Vater schickt seinen Sohn
aus, das ihm vorbestimmte Weib su finden, mit folgendem räthsel haftem
Befehl: „Geh nach Moskau; dort giebfs einen Teich, in dem Teich ist
ein Netz ; geht die Ente in das Netz, so nimm sie; wenn nicht, so zieh dss
Netz heraus." Der Sohn kommt heim mit der Ente, — d. h. mit seinem
anvertrauten Weibe.
* II, 46.
* IV, 11.
u>':
« 1
1 ^
^ .
L- V
576
durch Feuer geht und dadurch seine Ungeheuergestalt verliert
wird von hansas gezogen, als er in den Himmel aufsteigt. ^ End-
lich sind die hansas bekannt^ welche als Liebesboten zwischen
dem Prinzen Nala und der Prinzessin Damayanti in der bertlhmten
Episode des Mahäbhärata dienen.
Bei Afanassieff I; 4 ist Häuschen (Ivasco) auf einer Eiche,
welche die Hexe benagt, um sich in seinen Besitz zu setzen; drei
Flüge Gänse-Schwäne kommen nach einander vorbei; Häuschen
bittet sie um Hilfe; der erste Plug weist ihn ab, ebenso der
zweite; die Vögel, die zu dritt kommen, nehmen ihn auf ihre
Flügel und bringen ihn nach Hause. * VI, 19 zeigen sich dagegen
die Gänse-Schwäne von einer bösen Seite, indem sie das Brüderchen
von der unachtsamen Schwester .fortholen. Das Mäbrchen sagt
auch, dass diese Thire schon lange den bösen Ruf hatten, kleine
Kinder zu rauben. Die Gänse-Schwäne tragen d6n Knaben in
das Haus einer Fee, wo er mit goldenen Aepfeln spielt. Die
Schwester folgt seinen Spuren; sie fragt einen Ofen, einen
Apfelbaum und einen Milchbach, wohin die Vögel ihren Bruder
gebracht haben, — vergebens ; schliesslich enthüllt ihr der boshafte
kleine Seeigel (iosz) das Geheimniss. Die Schwester bringt den
Knaben heim, von den Gänse-Schwänen verfolgt und sich während
der Nacht durch den Bach, den Apfelbaum und den Ofen ver-
bergend.
Doch wenn Gänse, Enten und Schwäne bisweilen diabolische
Ei-scheinungsformen der trügerischen Hexe sind, so thun sie doch
im Allgemeinen Gutes und führen zu Gutem. In einer Variation
von Afanassieff VI, 46 prophezeien die Gänse Iwan dem
Kaufmannssohn die Zukunft; Iwan hat nämlich in der Schule
des Teufels unter Anderem auch die Vogelsprache gelernt. Bei
Afanassieff VI, 60 hilft der Schwan, ein schönes Mädchen,
dem unglücklichen Danilo, dem der Prinz befohlen hat, einen
Pelz zu nähen, der goldene Löwen zu Knöpfen und Vögel von
jenseit des Meeres zu Knopflöchern hat; derselbe Schwan ver-
richtet noch andere Wunder für den geliebten Jüngling. Bei
Afanassieff IV, 46 lässt die alte Hexenschlange die Prinzessin
in Abwesenheit des Prinzen eine weisse Ente werden. Die Ente
legt drei Eier, aus denen sie drei Söhne hat, zwei schöne und
einen missgestalteten, aber schlauen. Die Hexe tödtet die beiden
» III, 75.
».Vgl. A fan. VI, 17.
Söhne im Schlafe und verwandelt sie in Einten ; cter dritte ent-
geht durch seine Seblanheit demselben Geschick; die weisse
Ente fliegt, ntb ihre Söhne besorgt, Kum Palast des Prinzen
und singt:
,,Kr!k, krik, meine SÖhnefaeii!
Krik, krik, Täabcheo!
Die alte Hexe hat euch getödtet;
Die alte Hexe, die hose Schlange,
Die trügerische bÖse Schlange!
Euer eigener Vater hat euch geraubt,
Euer eigener Vater, mein Gemahl;
Sie ertränkte «as in dem reiasenden Strome,
Sie verwandelte uns in kleine weisse Enten,
Und sie selbst lebt in königlichem Prunk !^^
Der Prinz fängt die Ente und sagt: >, Weisse Birke, stec*' dich
hinten schönes Mädchen, herv^orl" Bei dieser Zauberformel erhebt
sich der Baum hinter ihm und das schöne Mädchen, die Prinzessin,
steht vor ihm> Br zwingt nun die Hexe, die Kinder wieder ins
Leben «u rufen.
Der Tod der Ente macht bisweilen das Glück des Helden,
oder der Heldin, wegen des Eis, welches er hervorbringt (die
Sonne am Morgen und der Mond am Abend). Bei A fan as -
sieff V, 63 sucht der Junge Held auf den Rath eines unbe-
kannten JttngHngs unter den Wurzeln einer Birke eine Ente,
welche den einen Tag (des Morgens) ein goldenes Ei, den anderen
(des Abends) ein silbernes Ei legt ; auf ihrer Brust stehen folgende
Worte mit goldenen Lettern : — „Wer ihren Kopf isst, wird König
werden; wer ihr Herz isst. Wird Gold speien/^ Er bringt sie
seiner Mutter, die in Abwesenheit des Vaters ein Liebesverhältniss
mit einem anderen Herren hat. Der Herr liest die goldenen
Lettern und räth der Frau, die Ente zu kochen ; doch die beiden
Söhne kommen ihm zuvor ; während ihre Mutter in der Messe ist,
isst der Eine den Kopf, der Andere das Herz der Ente; sie erleben
das, was in Kapitel H von Ihnen erzählt ist. * Das goldene Ei
der Ente verursacht den Tod der Hexe und des Ungeheuers in
zahlreichen slavischen Mährchen. Bei Afanassieff V, 33 oöen-
bart eine Wundergans, ähnlich den Gänsen des Capitols, die Ver-
räther. Das Weib eines reiehen Kaufmanns verlangt von
ihrem Oemahl, er solle ihr das Wunder der Wunder verschaffen.
' Vgl. eine interessante Variation dieses Mährchens bei Hahn, Grie-
chische und Albanesisc he M&hrehen.
QubenutUs, dl« TlUer«. 97
578
Er kauft in der siebenundzwanzigsten Welt and im dreissigsten
Königreich (welches das Reich der anderen Nacht- Welt, ist) einem
alten Manne eine Gans ab^ ^ welche, bis auf die Knochen gekocht
und gegessen, wieder lebendig wird. Als am Morgen der Kauf-
mann abwesend ist, lädt seine Frau einen ihrer Liebhaber zu
sich ein und will zu seinem Empfange die Gans braten. Sie sagt
zu ihr; „Komm her*'; die Gans gehorcht; sie befiehlt ihr, sich
in die Bratpfanne zu legen; die Gans weigert sich. Die Frau
steckt sie mit Gewalt hinein, bleibt aber selbst an die Bratpfanne
gefesselt;^ der Liebhaber versucht, sie zu betreien, bleibt aber
ebenfalls fest hängen; die Diener kommen zu Hilfe, kleben aber
Alle an einander an und Alle zusammen an der Bratpfanne, bis
der Mann erscheint, seines Weibes Bekenntniss hört, den Lieb-
haber durchprügelt und die Frau von der Gans befreit
Auch im Pentamerone erscheinen Gänse als Enthtiller
des Betruges. Wenn Marziella ihr flaar kämmt, streut sie Perlen
und Blumenknospen umher; wenn sie geht, so wachsen unter
ihren Füssen Lilien und Veilchen ; ^ ihr Bruder Ciommo will sie
dem König als Gemahlin zuführen ; doch die alte Tante setzt ihre
eigene hässliche Tochter an Stelle ihrer schönen Nichte. Der
empörte König schickt Ciommo, die Gänse zu hüten; dieser giebt
aber nicht Acht auf sie; doch Marziella, die von einer Sirene
entführt worden war, kommt aus der Tiefe des Meeres, um sie
zu füttern „de pasta riale^', und ihnen „Roeenwasser^' zu trinken
zu geben. Die Gänse werden fett und singen bei des Königs
Palast:
„Pire, pire, pire :
Assai hello h to sole oo la luna;
Aasai chiü bella ^ chi coveraa a ouie.^*
Der König schickt einen Diener nach den Gänsen, und entdeckt
' So stiehlt in einem norwegischen Mährchen das schmutzige Kohlen-
mädchen den Zauberern wilde Enten. — Im achten ehstnischen Mährchen
wird der dritte Bruder in die Hölle geschickt nach den Enten und Gän-
sen mit goldenen Federn.
' In einer skandinavischen und italienischen Variation dieses Mähr-
chens haben wir statt der Gans den Adler und seine Jungen, aber wieder
die Gans im Pentamerone V, 1, wo sie dasselbe thut wie im russischen
Mährchen, nur mit einigen mehr vulgären und wenig decenten Zusätzen.
* Das Bild von den Füssen, die Blumen spriesbcn lassen, ist sehr alt;
Kenner der indischen Literatur erinnern sich an die pushpi^yau <iarato
^anghe der Geschichte von ^una^^epa im Aitareya-Brihmana.
579
80 Alles; er will das schöne Mädchen heirathen; doch die^ Sirene
hält sie an einer goldenen Kette gefesselt; der König durchfeilt
mit einer geräuschlosen Feile eigenhändig die Kette, welche den
Puss des Mädchens fesselt, and heirathet dasselbe. * Einr Gänse-
hirt ist es, der im zwanzigsten ehstniscben Mährchen das schöne
' No. 9 der Novell, di S. Stef. di Calc. ist eine interessante Va-
riation hierron; das schöne Mädchen, welches die Gänse füttert, ist in die
Haut eines alten Weibes verkleidet; die Gänse, welche sie nacfet sehen,
rufen: „Coc^, la bella padrona cfa* i' ho/* bis der Prinz den Koch in das
Zimmer eintreten und die alte Haut wegnehmen lässt, während das Mäd-
chen schläft; dann heirathet er sie. — Das folgende noch nicht veröffent-
lichte Mährchen wurde mir von Herrn Greco aus Coeeaza in Calabri^n
mitgetheilt, und ist eine Variation des Mährchens aus dem Pentamerone:
Sieben Prinzen haben eine sehr schöne Schwester. £^n Kaiser be-
schliesst, sie zu heirathen, doch unter der Bedingung, dass er ihre sieben
Brüder enthauptet, wenn er sie nicht nach seinem Geschmack findet. Sie
brechen zusammen auf, aber die Stiefmutter sammt ihrer Tochter folgt
ihnen. Auf dem Wege ist es heiss, und der älteste Bruder ruft: „Sola-
bella schütze mich vor der Hitze, denn Du musst dem König gefallen.^
Die Stiefmutter nimmt ihr das Halsgeschmeide ab und legt es ihrer eigenen
Tochter an; so geht es weiter, durch alle sieben Brüder hindurch, bis die
Stiefmutter dem schönen Mädchen Alles abgenommen hat; sie kommen
an einen See; di^ Alte stösrt sie hinein; cane Sirene hält sie mit einer
goldenen Kette am Fuss. Die Prinzen kommen mit der hässlichen Schwe-
ster an; der König heirathet sie, schlägt aber den sieben Brüdern die
Köpfe ab. Das schöne Mädchen bittet die Enten im See um Nachricht
von ihren Brüdern ; die Enten antworten, dass man die Exekution an ihnen
vollzogen hat Sie weint ; die Thränen werden Perlen, von denen sich die
Enten nähren. Dieses Wunder kommt zu Ohren des Königs; er folgt den
Enten, fragt das Mädchen, warum sie die Menschen fliehe; sie antwortet:
„Ach! wie kann ich, die ich durch eine goldene Kette gefesselt bin?*'
Dann erzählt sie Alles. Der König erkennt seine Braut; auf des Königs
Bath fragt sie, wie sie sich nach dem Tode der Sirene befreien könne.
Den nächsten Tag erzählt Solabella dem König, dass die Sirene nicht
sterben werde, weil sie in einem kleinen Vogel lebt, der in einem in ein
Marmorgehäuse und sieben Eisenhülsen eingeschlossenem Käfig steckt;
den Schlüssel aber hat sie selbst; stürbe aber die Sirene, so würden ein
Reiter, ein weisses Boss und ein langes Schwert nöthig sein, die Kette zu
durchschneiden. Der König bringt ihr ein gewisses Wasser, das sie auf
seinen Bath der Sirene zu trinken giebt; diese fällt in Schlaf; so kann
das Mädchen die Schlüssel nehmen und den kleinen Vogel tödten. Als
das geschehn, stürzt sich das weisse Boss in den -See und das Schwert
zerschneidet die Kette. Darauf nimmt der König seine schöne Braut in
seinen Palast, und die alte Stiefmutter wird in einem Pechhemde ver-
brannt; die sieben Brüder werden mit einer Salbe gerieben, welche sie
wieder lebendig macht, und jeder ruft aus: „0! was für einen schönen
Traum habe ich gehabt!*'
37*
r-r'^m::
\
\
580
Mädchen von dem Gatten-Ungeheuer^ dem Frauenmörder (Barbebleu);
befreit.
In den russischen Mährchen nehmen die Feen (in deutschen
Sagen bisweilen auch die Jungfrau Maria) manchmal die Ge-
stalt von Gänse-Schwänen an, um Über das Wasser zu setzen;
so spinnen in der Edda drei Walkyren an den Ufern des Sees,
mit ihren Schwangestalten dicht hinter sich. „Die Mädchen,"
sagt das Gedicht von Völund, „flohen aus dem Süden über Mork-
ved, damit der junge AUhvit seine Bestimmung erfüllen könne.
Die Töchter des Südens sassen auf dem Gestade, das kostbare
Gewand zu spinnen: Eine von ihnen, das schönste Mädchen der
Welt, klammerte sich an den weissen Busen Egils; Svanhvit, die
zweite, trug Schwanenfedem ; die dritte umschlang den weissen
Nacken Völunds." > Die Bertha der deutschen Volkssage hat nur
den Fuss der weissen Gans oder des Schwanes der Walkyren
behalten; daher ihr Name: Gänsefuss, und: Reine p6dauque;
ebenso hat auch die Göttin Freya nur den Schwanenfuss behalten.
Wenn die Form einer Ente, Gans oder eines Schwanes zer-
stört wird, so bleibt der junge Held oder die Heldin zurück. In
einer deutschen Sage in Simrocks Deutscher Mythologie
finden wir einen bezauberten Jäger, der eine wilde Gans im
Fluge triflft; sie fällt in einen Busch; er geht hinzu, um sie auf-
zuheben, doch statt ihrer erhebt sich ein nacktes Weib vor ihm
(vgl. den oben besprochenen Rosenbusch, auf welchem die Tauben
sitzen). Die englische Sitte, am St. Michaelstage eine Gans zu
essen, wird von der Sage auf die Zeiten der Königin Elisabeth
zurückgeführt, welche am St. Michaelstage die Nachricht von der
Niederlage der Unbesiegbaren Armada empfing, als sie eben eine
Gans gegessen hatte. Da jedoch nach Reinsberg - Dttringsfeld
der Brauch, am St. Michaelstage eine Gans zu essen, aus den
Zeiten Edwards IV. datirt, so müssen wir schon annehmen, dass
sich auch Königin Elisabeth nur nach einer schon bestehenden
Volkssitte richtete.^ Die St. Michaelsgans kündet, gleich dem
' Die alte Ogrin im Pen tarn er one V, 9, die drei schone Mädchen
in drei Citroneo bäumen eingeschlossen hält und die die Esel füttert, welche
die Schwäne an den Ufern des Flusses schlagen, ist eine Variation des-
selben Mythus.
' Statt der Qänse wurden auch Schwäne zur Feier gegessen; ein la-
teinisches Lied des deutschen Mittelalters (bei Uhland, Schriften III, 71.
158) bietet uns die Klage des gebratenen Schwanes. — Im Pai^datantra
haben wir den von der Eule geopferten Schwan. Um den Schwan anzu-
581
Eisvogel, den Winter an. Sie wird als ein Augurinm des Ew
der regnerischen nnd winterlichen Jahreszeit gegessen j denn
bald der Waeserrogel, der Eisvogel, die Gans, die Ente, oi
der Schwan kein Wasser mehr Sndet, sobald das Meer der Na
oder der Schnee des Winters aufgetrocknet ist, sobald der Was«
vogel verwundet, verspeist, gestorben ist, wird das goldene
gefunden, kommt die Sonne heraus, kehrt die Aurora wieder,
scheint der Frllbling wieder, kommt der.üeld und das schi
Mädchen hervor. Wenn der Held oder die Heldin ein Wasservo
wird, • ein Schwan wird, von einem Schwan gezogen wird oi
auf ihm reitet, so bedeutet das, dass er über das Meer des Toi
setzt und dass er in das Reich des Hlg. Graal zurückkehrt. W(
er auf dem Schwan zu dem schönen Mädchen kommt, darf
Niemand fragen, woher er kommt. Der Schwan erwartet ihn t
zieht ihn noch einmal in seine Zaubergewalt und in sein finste
Reich, sobald dasselbe von den Lebenden erwähnt wird. ]
Phantasie der celtischen und germanischen Nationen hat in ein
Cyclns zahlreicher, bezaubernder Sagen diesen Mythus mit ein
feierlichen Mysterium umkleidet; die geniale Musik R. Wagn
hat ihm im Lohengrin noch einen neuen Zauber geliehen. Loh
grin, der recen's natns, der von selbst entstandene Hi
langt an in einem Kabn, der von einem Schwan gezogen wi
dieser Schwan ist der von einer Hexe verzauberte jOngste Brui
. Elsas; Lohengrin kommt, Elsa zu befreien und heifathet :
doch vergisst er nicht, dass so lange er bei ihr bleibt, ancb
Qual ihres Bruders danre, derselbe in der Gestalt eines Schwa
leiden mass ; wehe dem, der ihn fragt, wer er ist, woher er
kommen, oder was jener Schwan bedeutet ; denn er würde df
geoöthigt sein, sich zu erinneru, dass der Schwan auf seine '.
freinng durch ihn wartet. Lohengrin muss entweder seiner Lii
zu Elsa entsagen, oder- seine Ritterehre dem Schwan gegentll
dessen mysteriöse Natur er kennt, preisgeben; er sagt Elsa
tranriges Lebewohl, vereinigt sie mit ihrem jungen Bruder, t
verschwindet dtlster auf den dunkeln Wassern, über deren mo
belle Tiefen er gekommen war. Das ist die Sage von den bei<
locken,' lädt ihn die Trauereule, die ihn tödtoD will, Id eia Lotuawäldc
ein, jedoch nur, um ihn in eine dunkle Grube fallen zu laasen, wo
Schwan vw einigen reisenden Kaufleuten getödtet wird, die ihn für i
£ule halten.
'Als Id der Edda der Held Sigurd stirbt, beweinen die Gs
■eines Tod.
582
Brüdern; durch den nordischen Genius zu ihrer vollen poetischen,
idealen Schönheit verklärt. Die Sonne und der Mond erscheinen
abwechselnd vor der Dämmerung und dem Frühling. Sie sind
getrennt, und einer befreit den anderen in den Sagen, die von
dem guten Genius dem Menschen eingegeben sind, wie einer den
anderen verfolgt und täuscht in anderen von dem bösen Genius
eingegebenen Sagen. Wir haben selbst in den vedischen Hjrmnen
die Afvins, die göttlichen Zwillinge, bald mit den Dämmerungen,
bald mit der Sonne und dem Monde identificirt, von Schwänen
gezogen; Lohengrin ist die Sonne; Elsas Bruder ist der Mond.
Wenn die Abend- Aurora, wenn die herbstliche Erde die Sonne
verliert, findet sie den Mond; wenn die Morgen- Aurora oder die
Erde des Frühlings den Mond verliert, so tritt die Sonne an seine
Stelle ; die Liebenden wechseln die Plätze. Ein Schwan verursacht
die Geburt des anderen, trägt den anderen, stirbt fUr ihn, wie
eine Taube für die andere, und wie die Dioskuren ihr Leben för
einander hingeben. Und wirklich befindet sich die Sage von den
Dioskuren in manchen Punkten in wunderbarer Uebereinstimmung
mit den nordischen Legenden von dem Schwanenritter. Zeus wird
ein Schwan und verbindet sich mit Leda, dem Weibe des Tyn-
dareos und erzeugt mit ihr die Sonne und den Mond, Polydeukes
und Helena ; nach Homer ist nur Helena allein die Tochter des Zeus,
Polydeukes aber und Castor sind Söhne des Tyndareos; nach
Herodot ist dagegen Helena die Tochter des Tyndareos, und da-
mit stimmt auch Euripides überein. der uns sagt, dass die Dios-
kuren Söhne des Zeus sind. In den Heroiden Ovids, in denen
die ursprüngliche Tradition schon alterirt ist, gebiert Leda, nach-
dem sie sich mit dem Schwan Zeus vereinigt, zwei Eier; Helena
kommt aus dem einen. Castor und Polydeukes aus dem anderen.
Offenbar heisst es hier: „tot capita, tot sententiae ;^^ doch sind
diese Widersprüche weit davon entfernt, den Mythus von der
Sonne, dem Monde und der Aurora (oder dem Frühling) auszu-
schliessen; sie bestätigen ihn vielmehr. Es ist immer schwierig,
die Vaterschaft eines Kindes festzustellen, dessen Geburt mit
wunderbaren Umständen verknüpft ist, was doch gewiss von der
aussergewöhnlichen Geburt der Helena und ihrer beiden Brüder
gilt. Das> worauf es hier ankommt, ist das, dass wir den Schwan
haben, welcher mit der Leda Söhne zeugt; diese Söhne, welche
theils die Natur des Vogels, theils die des Weibes haben, mtlssen
eine doppelte Gestalt annehmen, und werden bald Schwäne gleich
ihrem Vater, bald glänzen sie in der Schönheit ihrer Mutter; wenn
583
wir überdies anoebmeD, daes cur ein
von dem Schwan geboren wurde, so 1
Bmder die Helena lieben, ohne sich <
machen. ' Noch beror eie durch die i
wnrde, hatte dies Mädchen Helena Abent<
entflihrte sie. Die Dioskuren kommen
wie Lohen^^in auf dem Schwan nur Be
ihr Verfuhrer beabsichtigt, sie zu verde
die Abenteuer der beiden Diosknren,
anderen tOdtet, der Sage von dem Seht
Bruder oder Schwager för den Schwan
So vereinigen Indien, Griechenland an
faltigen Gestaltungen die Figur des Sc
von den beiden BrUdern oder den beid
den MytbuSj Griechenland gab ihm F
ihn mit dem Affekt und der Energie d
' Vgl. hienu »ucli da« 24. eheUiiiche '.
: im Ei geboreo wird uud in weich« sich
1 der KÖnigtu geborener Bruder verliebt.
bU
KAPITEL XI.
Der Papttgei«
Der Mythus von dem Papagei nahm seinen Ursprung im
Orient und entwickelte sieh fast ausschliesslich bei den orien-
talischen Nationen.
Ich erwähnte in dem Kapitel tlber den Esel, dass die Wörter
bari und harit ebensowohl grOn als scbönhaarig bedeuten, und
dadurch den epischen Mythus von den Ungeheuern mit Papageien-
gesiebtem oder den von Papageien gezogenen Ungeheuern ent-
stehen Hessen. Die Sonnenpferde, werden haris genannt, hart
sind die beiden Eosse Indras ; Hari ist ein Name Indras selbst,
und ganz besonders des Gottes Vishnu ; doch giebt es noch mehre
schönhaarige Gestalten am Himmel als diese; solche sind der
goldene Donnerkeil, «welcher durch die Wolke hindurchschiesst,
und der goldene Mond, der Wanderer der Nacht. Femer nahmen,
weil grün und gelb (goldfarbig) diesen gemeinsamen Namen flihren,
alle diese Schönen , und besonders der Mond, die Gestalt bald
eines grünen Baumes, bald eines grünen Papageis an. Eine sehr
interessante vedisQhe Strophe liefert uns einen evidenten Beweis
dafür. Die Sonnenrosse (oder die Sonne selbst, Hari) sagen, dass
sie die Färbe hari den Papageien, den Fasanen (oder Pfauen ; ^
Benfey und das Petersburger Wörterbuch erklären ropaiiäk&
durch Drossel) und den Bäumen verliehen haben, welche deshalb
härayas heissen. Wie die Bäume grün sind, so ^ind auch die
Papageien gewöhnlich grün (bisweilen auch gelb und rothj in
jedem Falle ist die Bezeichnung hari auf sie anwendbar). ' Der
Mond ist wegen seiner Farbe bald ein Baum (ein grüner), bald
ein Apfelbaum mit goldenen Zweigen und Aepieln, bald ein Pa-
' Von dem Papagei singt Statius in Verbindung mit denselben Vögeln,
Sylvae II:
„ . . . Lux volucrum, plagae regnator Eoae,
Quam non gemmata volucri Junonia cauda
Vinceret, aspectu gelidi non phasidis ales.'*
* Eine pathetische Elegie in Sanskrit-Distichen von buddhistischem
Charakter bietet uns den ^uka oder Papagei, der sterben will, ab der
A^okabauro, wt Icher immer seine Zuflucht gewesen ist, vertrocknet ist.
586
pagei (goldoi oder grttn und glänsend). Der Mond ia dar Nacht
ist die weise Fee, welehe Alles weiss und Alles lehren kann. In
der Einleitung sum Mah&bhärata wird der Name Papagei
(Quka) dem Sohne ErishEias d. h. des Schwanen gegeben, welober
(als Mond) den Ungeheuern das Mah&bhärata liest In dem
Kapitel über den Esel sahen wir den Esel und das UngehencH!
des Bäm&jana mit Papageiengesich tem. Sofern jedoch der
Esel ein Symbol des Phallus ist, wird auch der Papagei von dem
indischen Gott Kama, dem Gott der Liebe (daher auch Qnkaväha
genannt) geritten. Der Mond (im Indischen masculinum) ist
schon Theil I Kapitel I als Symbol des Phallus erwähnt worden ;
ebenso wie der Donnerkeil die Wolke durchbricht, durchbricht
der Mond die Finsterniss der l^acht, enthüllt die Geheimnisse der
Nacht. Deshalb sehen wir in der Qukasaptati und anderen in-
dischen Mährchenbüchern , in denen der Papagei mit der Nacht
identificirt wird, denselben oft in Liebesgeschichten erscheinen
und Liebesgeheimnisse enthüllen.
Manche von den Mährchen über den Papagei gingen in den
Occident über, jedenfalls durch literarische Uebertragung, d. h.
durch die arabischen und lateinischen Uebersetzungen indischer
Mährchen aus dem Mittelalter. Ein solches ist z. B. das folgende,
mir von Dr. Ferraro mitgetheilte Montferratensische Mährchen:
Ein König zieht in den Krieg; fürchtend, ein anderer König,
welcher sein Nebenbuhler ist, werde seine Abwesenheit zur Ver-
führung seines Weibes benutzen, stellt er einen seiner Freunde,
in einen Papagei verwandelt, ihr zur Seite ; dieser Freund ermahnt
sie zur Treue, so oft der königliche Nebenbuhler durch Ver-
mittelung eines alten Weibes die Königin in Versuchung fdbren
will. Die Königin schenkt seinen Ermahnungen Gehör und bleibt
bis' zur Rückkehr ihres Gemahles treu. Das ist in wenigen
Worten die Rahmenerzählung des indischen Papageienbuches,
von welchem das Tu ti -Name eine persische Version ist — In
einer Variation dieses Mährchens, die ich in Turin hörte, ist da-
gegen das Weib untreu und bedeckt den Käfig des Papageis, da-
mit dieser nichts sehe ; dann brät sie dem Gaste zu Ehren einige
Fische; der Papagei denkt, dass es regnet. Der Fisch und der
Regen erinnern uns an den Mythus von dem' phallischen und
regnerischen Kuc^uk.
Manche von den abergläubischen Vorstellungen der Inder
von dem Papagei sind schon im Alterthum nach Griechenland
übergegangen, und Aelian zeigt sich recht wohl unterrichtet von
586
der heiligen VerehniDg, welche die indischen Brahmanen dem-
selben erwiesen. Oppian erzählt uns überdies von einem Aber-
glaoben, welcher das über den wesentlich lunaren Charakter
des mythischen Papageis Gesagte bestätigt ; er sagt, dass der
Papagei and der Wolf zusammen weiden^ weil die Wölfe diesen
grünen Vogel lieben; das bedeutet aber genau dasselbe, als ob
er gesagt hätte, dass die finstere Nacht den Mond liebt.
KAPITEL XII.
Der Pfan.
Wir sohliessen anaere mythische Fahrt darch das Reich
geäugelten Thiere mit dem Vogel, der alle Farben trägt.
Der heitere nnd stemenbesäte Himmel nnd die gtSns
Sonne sind Pfanen. Das rabige, azurblaue Firmament,
mit taosend glänzenden Angen lenchtet, nnd die Sonne, w
in allen Farben schillert, erBcheinen wie ein Pfan in dem gf
Glänze seiner mit Angen gesprenkelten Federn. Wenn
Himmel oder die tansendstrablige Sonne (BabaBräu(;a) in
Wolken verborgen oder von den herbstlichen Wassern verhüll
so gleicht sie wiedemm dem Pfan, welcher in dem dui
Theile des Jahres, wie noch eine grosse Anzahl anderer in
haftem Farbenschmuck prangender Vugel, sein schönes 6e'
ablegt und dunkel und ecbmncklos wird; die Krähe, welche
Pfanenfedem angelegt hat, kräht wieder mit den anderen Ki
in traurigem Concert. Im Winter hat der Krähen-Pfau N
was ihm geblieben ist, als das onangenebme und Bchrille Gesi
das dem der KiitheD nicht nnähnlich ist. Gewöhnlich beic
von dem Pfan, er babe Engelfedero, eine Tenfelsstimme
einen Diebsgang. Der Eräben-Pfau ist sprichwörtlich. *
Der Pfan verbirgt sich, wenn er hässlich wird; so aucl
Bimmel, und so die Sonne, wenn die Herbstwolken sie bede*
in den Sommerwolken dagegen poltert der Donner, nnd (
machte auf die Menschen der ersten Periode der HenBcbheii
Eindruck einer nnwiderstehlichen, sehr lieblichen und angene
Mnsik, indem er dem melodischen Gesänge des kokila
Kuckuks) oder des Wasserhuhnes (des Reibers, Eisvogels
Ente oder des Schwanes) ähnelt. Im Rämäyana erscb«
wie schon in dem Kapitel über den Kncknk bemerkt wurd<
Pfau nnd der kokila als Nebenbnbler im Singen; obwob
Wasserhuhn den Hahn wegen seiner AomassuDg auslacht, i
doch dieser Wetteifer kein geringer Beweis für die mytt
■ Vgl. dM Kap. über die ErUie.
5S8
Identität der beiden Vögel. ^ Der indische Mythus zeigt uns in
der That den Gott Indra (bald Himmel^ bald Sonne) als einen
Pfau und als einen Kuckuk (gleich Zeus). Wenn der Himmel
blaU; heiter und sternenhell ist, wenn die Sonne mit ihren tausend
Strahlen glänzt, oder wenn der Regenbögen seine Farben spielen
lässt^ so wird darin der sahasräksha oder tausendäugige Indra
als Pfau gefunden; wenn der Himmel oder die Sonne in der
Wolke donnert und blitzt^ so wird tndra ein kokila, welcher
singt. In No. 20 der Novelline di San Stefano di Cal-
ci n a i a stehlen zwei Brüder ihrem jüngsten Bruder eine Pfauen-
feder und tödten ihn (d. h. sie tödten den Pfau, eben^ wie in
dem russischen Mährchen dem kleinen Bruder die rothen Schuhchen
gestohlen; er selbst aber getödtet wird). Wo das Brüderchen be-
graben liegt, da wächst ein junges Bäumchen; aus diesem wird
ein Stock und aus diesem eine Pfeife gemacht ; wenn man darein
bläst, so singt sie das Trauerlied des kleinen Bruders, der uip
einer Pfauenfeder willen getödtet worden ist. Wenn der glänzende
Hipimel oder die Sonne in den Wolken verborgen ist, wenn die
leuchtenden Federn des Pfaus abgerissen sind,^ wenn der Pfau
begrabe^ ist, so spricht der Baum, welcher sein Grab ist (die
Wolke), bei der Rückkehr des Frühlings, gleich dem Kirschbauqn
d^s Polidorus bei Vergil und dem Stamm des Pier delle Vigue
in pante's Hölle ; der Baum wird ein Rohr, eine Zauberflöte^ ein
melodischer kpkila. Indra-kpkila erinnert uns an Indra den Pfau,
an Indra, dessen Pferde sogar in den vedischen Hymnen „Pfaueur
federn^' haben, ^ und einen „Pfauenschwanz/* * Wir sahen schon,
djiss der Körper Indras, nach seiner Vereinigung (als Sonne) mit
Ahalyä, mit tausend Bäuchen (Wogen oder Wolken; vgl. d^
doppelsinnige si^hasradh&ra als Beiwort der Sonnenscheibe,
' Die rassische Fabel (bei Kriloff) zeigt uns den Esel als Richter zwi-
schen 4er Nachtigall (dem kokila) und dem Hahn im Singkampfe; im
Sanskrit bezeichnet ^ikhin, eig. der mit einem Kamm versehene, sowohl
den Hahn als den Pfau; neben mayüra, Pfau, haben wir maydradataka,
4en Mßuakahii. Mayüra iat aMch der Name eine« indischen DichteiB. —
In dem Kapitel j^kßr den Kuckuk «aheu wir den Kuckuk iind die Naobjj-
g^U als Nebenbuhler im Singen; der kokila und der Pfau haben dieselbe
Bedeutung.
* Daher schreibt Aldrovandi mit Recht, dass der Raucb der verbrann-
ten Pe4«rn des Pfaus (d. h. des himmlischen Pfaus), wenn man ihn in die
Augen ziehen lässt, diese von der Entzündung heilt
' A mandrair indra haribhir y&hi mayüraromabhi^ ; Rigv. III, 45, 1.
* A tvft rathe hitanyaye hari maydra^epyä; VIII, 1, 25.
_. A
589
eigeütlich weil sie tausend verwundende Pfeile hat) bedeckt wird«
d. b. mit tausend Augen (Sternen oder Sonnenstrahlen); daher
seine Namen SahasradriQ^ Sahasranayana^ Sahasranetra und
Sahasräksha, die alle dieselbe Bedeutung haben. Der lange
glänzende Schwanz des Pfaus nahm eine phallische Gestalt an.
Nach dem Pet. WB. ist mayüre^vara (oder Qiva-Pfau) der Eigen-
name eines liflga oder Phallus, des bekannten Emblems des
Qiva; welches unsere Aufmerksamkeit auch auf Mayüraratha^
Mayüraketu, Qikhivähana und Qikidhvaga lenkt, lauter Namen
Skandas, des KriegsgotteS; welcher ebenfalls ein phallischer Gott
ist^ gleich Mars, dem Liebhaber der Venus, und gleich dem
' indischen Kämadeva, Gott der Liebe, welcher auf dem Papagei
reitet, und uns so auf das lunare phallische Symbol zurtlckführt. '
Der Himmel mit der Sonne sowohl wie mit dem Monde wird seiner
Kraft beraubt, wird entsetzt und ersetzt durch den unfruchtbaren
Himmel mit den Sternen der Nacht oder den Wolken des Herbstes ;
der Phallus fällt; der impotente Himmel bleibt zurück — Indra
der Eunuch, Indra mit tausend Bäuchen, Indra der in die Wogen
der gefleckten Wolken taucht, Indra der W^idder, der regnerische
oder herbstliche Indra, Indra, der in dem Meere des Winters verloren
ist, Indra der Fisch, Indra ohne Strahlen, ohne Blitz und ohne
Donner, Indra, der Verfluchte, er der gleich einem Pfau ((ikhinj
schön und glänzend gewesen war, Indm als der Pfau, der Feind
der Schlange (ahidvish, ahiripu). Nach dem Tuti-Name ver-
kündet ein Pfau, von dem eine Frau träumt, die Geburt eines
schönen Sohnes.
Die Griechen waren ebenfalls mit dem Mythus vom Pfau
vertraut und erweiterten ihn. Im ersten Buche von Ovids Me-
tamorphosen bewacht der hundertäugige Argus, welcher Alles
sieht (Panoptes und Sohn des Zeus), auf Befehl der Göttin Juno,
' Nach dem Pandatantra (t, 175) führen gerade im Uause des
(Jiva (des phallischen Gottes) die Thiere miteinander Krieg; die Seblattge
(die Nacht) will. die Maus Pressen (die Maus scheint hier das graue Z#ie-
licht zu sein); der P£eui (hier wohl der Mond) will die Schlange ▼erzehren
(ygl. die vorigen Anmerkungen; nach Aelian fand Jemand, d&r dem König
von Aeg7pten einen für heilig gehaltenen Pfau stehlen wollte, an dessen
Stelle eine Natter); der Löwe (die äonne) will wiederum den Pfau fres-
sen. (Der indische Name des Chamäleons mayürftri, Feind des Pfkus, ist
beAchtenswerth ; das Thier, weiches seine Farbe ver&ndert, ist der Feind
des allfarbigen Vogels; Gtötter und Dämonen sind in gleicher Weise vi^
varüpa und kämardpa).
590
der glänzenden und stolzen Gemahlin Jupiters, welcher der Pfau
heilig ist, — deshalb heisst er auch ayis s. ales Jnnonia;
der Pfau Junos ist Jupiter selbst, wie wir schon sahen, dass Jupiters
Kucknk er selbst ist; Argus der Sohn des Zeus ist Zeus selbst, —
während zwei Augen ruhen (vielleicht die Sonne und der Mond) mit
den tlbrigen (den Sternen) Jo^ (die Tochter des Argus selbst, die
Priesterin der Juno, identisch mit Isis, dem Monde, der von Jupiter
geliebten). Mercur schläfert den Argus durch Musik ein und
tödtet den Schlummernden. Die Augen des todten Argus gehen
auf den Schwanz des Pfaus über (d. h. der todte Pfau ersteht
wieder). Der Pfau, welcher jährlich seinen farbenreichen Schmuck
verliert und erneuert und eine sehr zahlreiche Nachkommen-
schaft hat, diente gleich dem Phönix als Symbol der Unsterblich-
keit und als eine Pereonification des Umi^tandes, dass der Himmel
verdunkelt und wieder heiter wird, dass die Sonne stirbt und
wiedergeboren wird, dass der Mond aufgeht, verfinstert wird, unter-
geht, sich verbirgt und wieder von Neuem aufsteigt. Es heisst
von Pythagoras, dass er glaubte, die Seele des Pfaus sei in
Euphorbos, die des Euphorbos in Homer und die Homers in ihn
Übergegangen. Weiter soll dann aus ihm die Seele des Pfaus in
den Dichter Ennius gewandelt sein, weshalb Persius sagt :
„Postquam destituit esse
Maeonides qaiotiis pavone ex Pythagoraeo.**
Wenn der Pfau Zeus, wenn Zeus I>yaus, wenn Dyaus der leuchtende
und glänzende Himmel, das göttliche Licht ist, welcher von
meinen Lesern möchte dann die Wahrheit des pythagoräischen
Glaubens in Abrede stellen? Der Traum, dass wir die Söhne des
göttlichen Lichtes und bestimmt sind, in das himmlische Vater-
land zurückzukehren, ist gewiss tröstlicher als der traurige Schluss
modemer Wissenschaft, die uns aut bewusstlose Vegetabilien auf der
Oberfläche der Erde zurückflihrt. Der einzige Rückhalt ist, dass
diese selbe häretische Mythologie, welche oft selbst in ihren
gröbsten Formen in unsere ungläubige Vernunft einen Strahl der
Hoffnung auf die Unsterblichkeit der Seele faUen lässt, dass diese
Mjrthologie, welche alles Todte wieder auferweckt und in neue
Lebensgestaltungen giesst, uns nicht erlaubt, an eine Ewigkeit der
himmlischen Freude zu glauben ; Himmel wie Erde befindet sich in
beständiger Umwälzung, und die Götter des Olymp sind auf ihrem
göttlichen Thron nicht sicherer als unsere Automaten von Königen
aut ihrem irdischen. Die metempsychosis endet nicht, wenn die
Seele in den Himmel eingebt ; im Gegentheil, im Himmel trifft sie
&91
das (reschiok, die Boaderbarsten and TerechiedeosteD Ver
iQDgeii zn erleiden; aus der GestaU des Helden sahen wir
die des Vierflisslers und des Zweifäsalers übergehen. Ihr
hat sein Ende noch nicht; die Gottheit oder der Held mus
noch mehr erniedrigen nnd die untente Stufe der Organisint
der zoologischen Stafenleiter einnehmen. Der Thier-Gott v
der Gestalt des dummen Fisches seine Sprache verliere
wird wie eine Schlange kriechen oder die grotesken Sp
der sebmntzigen KrOte machen.
Dritter Thcil.
Die Wasserthiere.
— D«r ÜMbt, der heilige oder St. Peten Ftwh, der Eu-pfen,
iseh, der HBrin;, der Aal, das tioldflgohokeit , der Seei^l,
Baneh, der BrasseM, der Delphis und der Wallflseh.
igveda flieht der Gott Indra, nachdem er das Un-
etödtet bat, eoteetzt Ober die nennaudneunzi^ Strttme;
ter Regengott geblitzt und gedonnert hat, wird er durch
es Werk erschreckt ; der vedische Dichter Tragt ihn, was
habe; doch der Gott geht weiter, obne ihm zu ant-
BS Ungeheuer todtend, hat er die Wasser entfesselt: der
hat durch die Verwondung seines Feindes sich selbst
; des Ungeheuers oder sein eigener Schatten verfolgt
Casser wachsen und drohen, ihn zu verschlingen. Der
t ftlrchtet aber die Wasser, die er selbst in Plus» ge-
Indra wurde verdammt, in den Wassern (der Nacht
iViuters) verborgen zu sein, weil er das Ehebett der
tehrt hatte. Der in den Wassern eingeschlossene, der
ist seine flnchwUrdigste Erscheinungsform. ' Die himm-
alg kriegeriacher Gott kennt keine Pvrcht, oder vielmehr er
'arcfat (der Hymnus asgt: „Aber yillreih kam apa^ya indra
I ^a^Doso bhir agadiihat; ^igv. I, 82, 14), läatt sich aber
. einen Spuk tdirecken, der entKeder ein nächtlicher äobatten
!e Manu der Feeoni&hrclies) iit, oder ein FiKh (der Mond),
roD ihm aelbst in Freiheit geaetzten Wauern auf ihn springt.
598
tische Metamorphose in einen Fisch ist wohl die niedrigste Trans-
mutation, und deshalb die geftirchetste ; der Fisch lebt speciell;
um sich immer von Neuem zu erzeugen; um also den Fall des
Gottes nach einem phallischen Verbrechen darzustellen, ist er ver-
dammt, in den Wassern zu liegen. Wir wissen, dass der Fischer
in der Qakuntalä in Qakrävatära (d. h. Fall Indras) lebt Wir
sahen, wie Latonas Schwester, wie Rambhä und Ahalyä nach
ihrem Vergehen mit Jupiter, resp. mit Indra Steine in den Was-
sern werden. Der Fich, machtlos und dumm gemacht, wird faul
und bewegungslos gleich einem Stein (Sonne und Mond gehen in
die Wolke ein). Wir finden das Bild von dem Stein mit dem Honig
schon im Bigveda^ in enge Verbindung mit dem von dem Fisch
gebracht, welcher In seichtem Wasser liegt, oder von dem Fisch,
der kraftlos gemacht und seiner Lebensfähigkeit beraubt ist. Die
Legende von der Nymphe Adrikä (von dem Worte*adri, Stein,
Felsen, Berg, Wolke) bietet dieselbe Analogie zwischen der Stein-
Wolke, d. h. dem Stein in den Wassern, und dem Fisch. Durch
einen göttlichen Fluch ist Adrikä in einen Fisch verwandelt und
lebt in der Yamunä. In diesen Wassern liest sie ein Blatt auf,
auf welches das Sperma König Uparicaras gefallen ist, der in
Girikä (oder Adrikä selbst; die Worte adri und giri haben die-
selbe Bedeutung) verliebt ist; dieses Blatt hatte der Vogel gyena,
d. h. der Falke in die Wellen der Yamunä fallen lassen. Die
Nymphe isst das Sperma, wird von Fischern gefangen und zum
König Uparicara gebracht; der Fisch wird aufgeschnitten, und die
Nymphe nimmt wieder ihre himmlische Gestalt an; ein Sohn und
eine Tochter werden von ihr geboren, Matsya der männliche Fisch,
und ihn entsetzt. — In No. 22 der von mir veröffentlichten toskanischen
Mährcheu stirbt der junge Held, weicher ohne Furcht alle Gefahren der
Hölle bestanden hat, beim Aablick seines eigenen Schattens. (Wir haben
hierauf schon Bezug genommen, als wir von dem Hunde und dem Löwen
sprachen, die durch ihren eigenen Schatten in den Tod gelockt wurden.)
— Bei A fan. V, 46 stirbt der Eaufmannssohn , der sich weder vor der
Dunkelheit noch vor Räubern noch vor dem Tode fürchtete, vor Entsetzen,
als er ins Wasser fällt, weil der kleine Barsch auf ihn gesprungen war,
während er im Fischerboote schlief. — Leieht ist auch der Uebergang von
der Vorstellung Indras, der sieh im Soma berauscht^ zu der von dem Fisch,
wenn wir beachten, dass matsya (Fisch) eigentlich den Berauschten be-
deutet (von der Wurzel mad, berausehen).
' A9näpinaddham madhu pary apa^yam matsyam na dina udani
kshiyantam; Rigv. X, 68, 8.
Oubwnwtb, die Thier«. 3^
594
und Matsyi, der weibliche.* Der männliche wird später König
der matsyas oder Fische, welche einige wissenschaftliche Autori-
täten, jedoch meines Erachtens unrichtig, mit einer historischen
Nation zu identificiren versucht haben; denn es genügt nicht, sie
im Mahäbhärata als Volk genannt zu finden, um ihre wirk-
liche historische Existenz zu beweisen, da wir wissen, dass die
ganze Basis des Mahäbhärata mythologisch ist. Wenn wir
noch dazu die Matsyas in den vedischen Hymnen finden, so ist
das ein Grund mehr, auf die mythische Natur des im Bigveda
in Verbindung mit den Wassern genannten Volkes zu schliessen.
In einer anderen Legende des Mahäbhärata fUUt das Sperma
des Büssers Qaradvat (eigentlich: der Herbstliche oder der Reg-
nerische) bei dem Anblick einer schöqen Nymphe auf das Holz
eines Pfeiles ; dieser spaltet sich und zwei Söhne werden geboren,
die zu dem Kbnig gebracht werden ; eine Variation dieser Legende
wird weiter unten in den westlichen Sagen gefunden werden,
welche mit der Geschichte von dem Fisch zusammenhängen. ^
Den neunundneunzig oder hundert Städten (^ambaras (den
Wolken), die von Indra zerstört werden, entsprechen die neun-
undneunzig Ströme, über welche Indra setzt. In dem Vishnu-
Puräna* empfangt ein Fisch den Helden Pradyumna (eine Be-
nennung des Gottes der Liebe), der von (^ambara in das Meer
geworfen ist, und setzt ihn in Stand, Mäyädevi wiederzufinden
und zu heirathen.
König Guha (der Verboi^ene? der Dunkle?), der König der
schwftrzen Nishädas, der König von Qriiigavera (worin wir schon
den Mond erkannt haben), empfängt während der Nacht Räma
an den Ufern des Ganges, nimmt ihn gastlich auf und setzt ihm
Fleisch, Fische und Getränke vor. *
In der Qukasaptati und im Tuti-Name lachen die
Fische über die Prüderie einer Odaliske; wir sahen schon in
Theil I Kap. I die phallische Bedeutung des Fisches, welcher
lacht.
Im Khorda-Avesta finden wir den scharfsehenden Fisch
' Mbh. 2371-2392.
* Mbh. I, 5078 — 5086. — In einer anderen Variation desselben My-
thus kommt aus dem Sperma des weisen Bharadvä^a, den dieser bei dorn
Anblick einer Nymphe verliert und in einem Becher auffangt, Drona, dfr
Bogenschütze par excellence; I, 5103 — 5116.
» V, 27.
* Rämäy. JI, 92.
595
Earo-ma^^yo (den späteren Khar-mähi), welcher den Weissen
Haoma; d. h. die Ambrosia (mit welcher anch das Sperma iden-
tificirt wurde) vor den AngriflFen böser Wesen zu schlitzen hatj
Bei Psendo-Callisthenes verlangt Alexander, als er
zu der glänzenden Quelle gelangt ist, welche Wohlgertlche ver-
breitet, von seinem Koch Etwas zu essen ; der Koch wäscht einen
Fisch in dem glänzenden Wasser; da wird der Fisch wieder
lebendig und — fort ist er; der Koch trinkt etwas von dem
Wasser des Fisches, und giebt davon auch der Tocher Alexan-
ders, Une, welche durch den Fluch ihres Vaters eine Nereide oder
Meermaid wird, während er den Koch mit einem Stein um den
Hals in das tiefe Meer werfen lässt. Ich habe nicht nöthig, mich
bei der Analogie zwischen dieser Legende und dem Mythus von
Indra. oder bei der phallischen Bedeutung des Mythus länger auf-
zuhalten.
Wir wissen schon, dass phallische und dämonische Bilder
bisweilen einander entsprechen ; daher stiehlt im neunten ehst-
nischen Mährchen der Teufel den Fischern die Fische; daher
nimmt in der Edda der räuberische Loki die Gestalt eines Lachses
an, und fängt den Hecht, in welchen der Zwerg Andvarri sich
verwandelt hat. Der Hecht ist der Wächter des Goldes und eines
Ringes, der jenem entwendet ist; der Fisch geht in den Stein und
verktlndet, dass Gold die Ursache des Todes der beiden Brüder
sein wtlrde. Der ambrosische Regen, welcher aus der Wolke
kommt, und der ambrosische Thau sind das Wasser, in welchem
der Fisch gewaschen wird, und der ambrosische Thau ist das
Wasser oder der Same des Fisches ; der schönhaarige und silberne
Mond im Ocean der Nacht ist der kleine Goldfisch und der kleine
Silberfisch, welcher die Regenzeit, den Herbst, die Ueberschwem-
mung verkündet Aus dem wolkigen, nächtlichen oder winter-
lichen Ocean kommt die Sonne heraus, die in dem Meer ver-
lorene Perle, welche der Gold- oder Silberfisch wieder zu Tage
bringt.
Der kleine Goldfisch unsrer Aquarien, der cyprinus chry-
soparius, der cyprinus auratus, sophore (der indische
faphara, fem. gap hart), und der glänzende Hecht können
sich gleich dem Monde ausdehnen und zusammenziehen. Wir sind
schon bekannt mit dem Meerungeheuer, welches im Rämäyana
(gleich der Sirene) aus dem Meere den Schatten Hanumants an-
lockt, und sich bald sehr klein, bald sehr gross machen kann;
wir sehen den Zwerg Andvarri der Edda, der sich in der 6e-
3ö*
3
596
stalt eines Hechtes rersteckt; wir sind vertraut mit dem Gott
Vishnu oder Hari, der aus einem Zwerge ein Riese wird (hari
bedeutet schönhaarig oder golden, und bezieht sich bald auf die
SonnC; bald auf den Mond) ; Vishnu in seiner Incarnation als
Fisch nimmt zuerst die Gestalt des kleinen Goldfisches (^aphari)
an ; und besonders in dieser Gestalt wird Vishnu mit dem Monde,
dem Regenten der Regenzeit, identificirt. Wie der Mond in
Vierteln von ausserordentlicher Kleinheit zu ebensolcher Grösse
anwächst, so ist in der indischen Sintfluthsage, wie sie von den
Commentatoren der Veden, im Mahäbh&rata und in den pura-
nischen Legenden erzählt wird, der Gott Vishnu oder Hari zuerst
ein ausserordentlich kleiner Fisch, eine Qaphart, welcher den Bttsser
Manu ersucht, ihn aus dem grossen Strome, dem Ganges, zu
nehmen, wo er von den Wasser Ungeheuern verschlungen zu werden
fllrchtet Manu setzt den kleinen Fisch in das Gefäss, das er bei
seinen religiösen Waschungen benutzt; in einer Nacht wächst der
Fisch (hier offenbar als Mond) so sehr, dass er nicht mehr in dem
Geföss bleiben kann; Manu setzt ihn in einen Tümpel, dann in
den Ganges ; schliesslich wächst der Fisch so mächtig an, dass Manu,
Vishnn in ihm erkennend, . genöthigt ist, ihm vollständige Freiheit
im Meere zu geben. Darauf verkündet der dankbare Fisch, dass
in sieben Tagen die Wasser die Welt überschwemmen, und alle
Gottlosen umkommen werden ; er befiehlt ihm (wie der Gott der
Bibel dem Noah) ein Schiff zu bauen : „Da hinein sollst Du gehen,''
sagt Vishnu zu ihm (Manu), „mit sieben Weisen, einem Paar von
jeder Thierart, und dem Samen jeder Plauze. Du sollst darin
das Ende der Nacht Brahmans erwarten, und wenn das Schiff
von den Wogen hin und hergeworfen wird, sollst Du es durch
eine lange Schlange an das Horn eines ungeheuren Fisches heften,
welcher in Deine Nähe kommen und Dich über die Tiefen des
Abgrundes hinttberleiten wird." Am bestimmten Tage verbreiten
sich die Wasser des Meeres über der Oberfläche der Erde ; der Fisch
erscheint, um das Schiff zu ziehen und so den Manu zu retten.
Das Schiff bleibt auf dem Horn, d. h. auf der Spitze des Berges
sitzen. Nun assimilirt sich dieser kleine Goldfisch, welcher eine
Incarnation Vishnus ist, sobald er gehörnt wird, um das Schifl
Manus zu ziehen, einem anderen interessanten Seethier, dem Seeigel
oder Igel des Ganges, cin^umära, was auch einer der Namen des
Zwerges Vishnu ist, und eigentlich den kleinen Vemichter bedeutet.
Die achtzehnte Strophe des kostbaren Hymnus I, 116 im Rig ve da
zeigt uns den gin^umära oder Seeigel, welcher zusammen mit
597
einem anderen gehörnten Thiere, dem Stiere (wir sahen schon
den Mond als gehörnten Stier) den Wagen der A^vins, voll von
Reichthttmern, zieht ; ^ wir wissen, dass der Wagen der A^vins oft
ein Schiff ist. Qinj;amära bedeutet im Sanskrit auch den Delphin;'
der Delphin aber und der kleine Barsch, mit seinen kleinen Hör-
nern, seinen Stacheln und seinem dtlnnen Körper, an einem Ende
in eine Spitze auslaufend, in russischen Mährchen der Unruhige
(kropacishko) genannt, stehen in Beziehung zu einander, da sie
das Kästchen fortziehen; der kleine Barsch nimmt die Stelle des
„kleinen Vemichters'^, des (in^umära, des Seeigels ein, dessen
Stacheln ein sehr interessanter sicilianischer Vers mit hundert Rudern
vergleicht, mit denen er rudern muss; sicilianische Kinder streuen,
wenn sie ihn gefangen haben, etwas Salz auf ihn und singen :
„Vöcami, vöcami, centa rimi,
Vöcami, vöcami, centu rimi/*
(Rodert für mich, rudert für mich, hundert Ruder.)
Dann bewegt er sich und die Kinder freuen sich. In dem klei-
nen russischen Gedicht Kaniok Garbnnok von Jershofi, das
schon in Theil I Kapitel 11 erwähnt wurde, muss Iwan för den
Sultan einen Ring suchen, der in einem ins Meer gefallenen
Kästchen eingeschlossen ist. Iwan kommt auf seinem Buckel-
Pferdchen in der Mitte des Meeres an , wo sich ein Wallfisch be-
findet, der sich nicht bewegen kann, weil er eine Flotte (d. h.
das Sonnenschiflf) verschluckt hat. Die Rolle, welche hier der
Wallfisch spielt, ist dieselbe, wie die des Meerungeheuers, welches
den Hannmant im Rämäyana verschluckt, um ihn wieder aus-
zuspeien, ganz wie das der Fall ist bei dem biblischen Jona (die
Nacht verschlingt die Sonne). Hanumant geht in den Fisch
hinein durch dessen Mund und kommt am Schwänze wieder
heraus; allerdings sagt Hanumant selbst in der Erzählung, die er
im 56. Gesänge des ftinften Buches davon giebt, dass er bei dem
rechten Ohr herausgekommen wäre. Ist die Nacht mit dem
Monde verbunden, so trägt der Stier-Mond oder Fisch-Mond den
Helden oder dient ihm als Brücke, statt ihn zu verschlingen. In
russischen Feenmährchen ist der braune Hecht (welcher wegen
' Revad uvllha sai^ano ratho väm vrishabha^ 9a 9iii9umära9 6a yuktä.
' Der Leser wird sich uicht wundem, den Delphin, den Wollfisdi und
den Seeigel hier unter den Fischen zu finden. Wir sehreiben keine Na-
turgeschichte, sondern classificiren die Thiere nach den Rubriken, in
welche die Volksphantasie sie gewiesen hat, so roh und unwissenschaft*
lieh dieselben auch sind.
598
seiner Farbe die keusche Wittwe genannt wird) * bald eine Ge-
stalt; welche der Teufel annimmt , um den jungen Helden zu
fressen, der ein kleiner Barsch geworden ist, * und bald ein colos-
saler Fisch mit grossen Zähnen, welcher die kleinen Fische um-
bringt. ^ Bald dagegen dient er dem Iwan Tzarevie, der das
Entenei sucht, welches in dem Hasen unter der Eiche mitten im
Meere steckt, als Brücke/ bald wird er in der Quelle (wie der
Mond, der Soma im Brunnen) gefangen von dem dummen und
faulen Emil ; und weil ihm Emil das Leben schenkt, so macht er
ihn reich, indem er mehre Wunder für ihn verrichtet* Ein an-
' Der Hecht bekommt im Frübliog eine bläuliche oder grünlich-blaue
Farbe; daher der Name golubbi-perö (d. h. mit bläulichen Flossen;
im Deutschen wird die bläuliche Farbe hecht-grau genannt; im neun-
zehnten der russischen Mährchen von Erlenwein werden dem Hecht
goldene Flossen zugeschrieben), der ihm auch in Russland gegeben wird.
Golub oder braun, violet und azurblau ist ein Name, der in Russland
der Taube gegeben wird; so sagen wir in Italien, dass die Taube pavo-
naszo ist (eigentlich die Farbe des Pfaus, welcher gewöhnlich blau oder
grün ist). Im Sanskrit ist einer der Namen des Pfaus hari, ein Wort,
das sowohl den Mond wie die Sonne bezeichnet. Nach derselben Analogie
kann der bläuliche oder grünliche Hecht den Mond darstellen. Eine an-
dere Analogie, durch eine ähnliche Auffassung verursacht, findet sich
wieder in dem Worte ^yäma, welches schwarz, azurn, und auch silbern
bedeutet, weshalb es zur Bezeichnung des convolvolus argenteus
verwandt wird (wir müssen uns erinnern, dass der lateinische Name des
Hechtes lucius, eigentlich der Glänzende, ist). Der Hecht nimmt die
Farbe des Wassers an, in welchem er lebt; dieses aber ist dunkel, schwarz,
azurn, grünlich, silbern; als azurn oder grünlich oder silbem repräsentirt
der Hecht den Mond; als dunkelfarbig die finstere Nacht, die Wolke, die
Winterszeit. — Bei A fan. IV, 32 erzählt der kleine Barsch, dass der
Hecht einmal glänzend war (d. h> im Frühling) und dass er schwarz
wurde, nach dem Brande, welcher in dem See von Rastoff vom St Peters-
tage (20. Juni) bis zum St. Eliastage (20. Juli) statthatte (d. h. im Anfang
des Sommers). Wie wir aus dem Pseudo-Callis thenes erfahren,
giebt es bei dem schwarzen Steine, welcher Jeden, der ihn berührt, schwarz
macht, Fische,* welche in kaltem Wasser und nicht am Feuer gekocht wer-
den. Ich erinnere hier auch an den gelb und schwarz gefleckten „Hecht-
k ö n i g".
« Afan. V, 22.
» Afan. 1, 2. — Vgl. Novelline di San Stef. di Calc. No. U
und Pentamerone V, 8.
* Afan. II, 24.
* Vgl. Seite 163. — Afan. V, 55. VI, 32. - Es ist derselbe Fisch,
welcher dem Mädchen von dem er einst gerettet worden ist, und das von
ihrer Stiefmutter verfolgt wird, zu Hilfe kommt, tür sie den Weizen von
599
deres Mal wird der phallische Hecht mit den goldenen Flossen
gefangen ; gewaschen, geviertheilt und gebraten; das schmutzige
Wasser wird fortgethan und (bei Afanassieff) von der Kuh
oder (bei Erlen wein) von der Stute getrunken ; ' einen Theil des
Fisches isst die schwarze Sklavin, als sie ihn auf die Tafel bringt,
das Uebrige die Königin; daher werden drei junge Helden, als
Brüder betrachtet, zu gleicher Zeit von der Kuh (oder Stute), von
dem schwarzen Mädchen und der Königin geboren. Ein anderes
Mal (wie z. B. in der satirischen Fabel Kriloffs) zieht der Hecht
den Karren zusammen mit dem Krebs und dem Reiher; und hi^r,
so dürfte es scheinen, sind diese beiden Thiere vielmehr dumm
als intelligent, sofern -der Krebs den Karren auf die Erde zurück-
zieht und der Reiher mit ihm in die Lüfte steigen will, als der
Hecht ihn ins Wasser zieht. Hier haben wir die gewöhnliche
Uebereinstimmung zwischen dem phallischen Bilde und dem des
Einfaltspinsels. So wird im piemontesischen Dialekt der Phallus
und der Dummkopf merlu (Amsel) genannt. Von dem Worte
merlo (lat. merula) ist der Name des Fisches merluccio
oder merluzzo (gadus merlucius, der Schellfisch oder
Kabeljau) abgeleitet, der bei den Römern a s e 1 1 u s, bei den Grie-
chen ovloKog heisst. Der Eiäel ist ein bekanntes Symbol des
Phallus, und da Bacchus ebenfalls ein phallischer Gott ist, so
lesen wir bei Plinius: „Asellorum duo genera^ Gallariae minores
et Bacchi, qui non nisi in alto capiuntnr.^^ Baccalä, der italie-
nische Name des Stockfisches, scheint mir aus den beiden Namen
3^chus und Callaria zusammengesetzt zu sein. Im Piemontesi-
schen wird ein dummer Mensch ebenfalls baccalä genannt. Es
giebt auch einen Fisch merula, der sich durch seine ausseror-
dentliche Geilheit buchstäblich selbst verzehren soll. ^ In Italien
finden wir folgendes Sprichwort: „Die Amsel hat den Po (oder:
der Gerste sondert (gleich der Madonna, der reinigenden Mondfee, der
nächtlichen Futzerin des Himmels) und ihr glänzende Gewänder giebt,
VI, 29. — V, 24 finden wir statt des Hechtes als fecundator den Brassen,
weicher ebciifalls „der mit goldenen Finncu^^ (szlatopioravo) genannt wird
und dessen Farben dieselben sind wie die des Hechtes.
' In dem neunzehnten Mäbrchen bei E r 1 e n w e i n und in einer Spiel •
art desselben in dem letzten Buche von Afan/s Mährchen. — Ein ähn-
liches Mährchen wird im Montferrato erzählt, das jedoch ofienbar corrum-
pirt ist.
'Vgl. Salvianus, Aquatilium Animalium Historiae, Romae
1564.
600
den FluBs) passirt)'' um einen bis zur Impotens erschöpften Mann
zn l)ezeicl)nen. Die Alten schreiben von dem Fisch, den die
Griechen x^^oo^pQvg, die Römer aurata nennen^ (^ass er sich
von den Frauen mit der Hand fangen lässt^ und (nach Athenaeus)
der Venus heilig ist. Venus, Aphrodite, die Göttin der Liebe^
stellte in den Mythen speciell die Aurora und den Frühling dar
(daher essen wir im Frühling und am Freitag, dem Tage der
Freya, dies Veneris, Fische); deshalb waren ihr die gemini
pisces heilig, und der Scherz mit dem poisson d'Avril ist,
wie schon Theil I Kap. I erwähnt, phallischen Ursprungs. ^ Aphro.
dite und Eros, von Typbon verfolgt / verwandelten sich in Fische
und tauchten in die Fluthen des Euphrat Wir sagten schon, dass
der Gott der Liebe in Indien den Fisch zum Zeichen hatte. Der
griechische Eros wurde oft auch statt auf dem phallischen Schmet-
terling, auf einem Delphin reitend dargestellt; nach anderen Be-
richten reitet er auf einem Schwan mit Delphinen vor sich. In
einem Epigramm der Anthologia Graeca trägt der Delphin
eine müde Nachtigall. In mehren Theilen des Elsass essen am
Abend des St. Andreastages die Mädchen Häringe, um während
der Nacht von dem Manne zu träumen, der ihren Durst stillen
soll. ^ Der Fisch julis des Plinius (eine Art Steinfisch) heisst
im Italienischen do nz eil a (Fräulein), speciell in Neapel uüd
Venedig aber menchia di re (Königsphallus), und auch andere
Fische bekommen ihre Namen von den Zeugungstheilen. ^ Der
Phallus wird in Neapel U pesce genanüt ; nuovo pesce bedeutet
im Italienischen einen dummen Menschen. Einen wesentlich
phallischen Charakter besitzt ferner der Aal> welchen nach Aga-
tharchides (bei Hippolitus SalvianuB) die Böotier als Schlachtopfer
bekränzten und feierlich den Göttern darbrachten, welchen nach
Herodot die Aegypter als einen göttlichen Fisch verehrten and
welchen Athenaeus pomphaft die Helena der Mahlzeiten nennt.
Der Aal wurde sprichwörtlich; die italienischen Redensarten:
„den Aal fassen", „den Aal beim Schwänze halten", „wenn der
' In Deutschland singen die Kinder am ersten April:
„April! April I April!
Man kann den Narren schicken, wohin man wiU.*^
^ Vgl. Simrock, a. a. 0. p. 561 : „In der Mark muss man zu Neujahr
Hirse oder Häringe essen, im Wittenbergischen Häringssalat, so hat man
das ganze Jahr über Geld/^
' Vgl. Salvianua, 1. 1. — Die Art gewisser Fische Schaum aus dem
Munde zu spritzen, mag ein phallisches Bild geweckt haben.
601
Aal deo Köder angebiseeü hat, so muBS er dorthin, wohin er ge-
zogen wird'S ^^^^ ^^^ zweideutig. Anch die Deutschen haben
ein Sprichwort vom Aal, welches uns an die Geschichte von dem
Koch erinnert, welcher mit der Tochter Alexanders das Fisch-
wasser trinkt ^ Der Phallus enthüllt Geheimnisse , und deshalb
,,erzählt Gilbert bei Leibnitz Script, rer. Brnnsw. I, 987, ein
Frauenzimmer, welches Aal gegessen, habe plötzlich Alles sehen
können, was unter Wasser war''* ^eine Variation der Erzählung
von dem Fisch^ der lacht, welcher bei Afanassieff ni, 9 Jeden,
der ihn besitzt, reich macht, und von dem Fisch silurus (dem
Wels), so genannt von dem griechischen aeiw und ovQa, weil er
seinen Schwanz schüttelt, welcher bei Afanassieff VI, 58 den
Arbeiter reinigt, det in den Sumpf gefallen ist und die nie
lachende Prinzessin zum Lachen bringt). In der achtzehnten der
Novelline di San Stefano di G. fängt ein Fischer einen Aal
mit zwei Schwänzen und zwei Köpfen, welcher so gross ist, dass
er ihn nicht allein fortbringen kann. Der Aal spricht und befiehlt,
seine beiden Schwänze in den Garten zu pflanzen, seine Einge-
weide der Hündin und seine beiden Köpfe der Fischersfrau zu
geben. Zwei Schwerter werden aus den Schwänzen im Garten
(in der indischen Sage sahen wir aus dem Holz des Pfeiles
^aradyats zwei Söhne geboren), zwei Hunde von der Hündin,
und zwei schöne Jünglinge (die beiden Ayvins) von der Frau ge-
boten. In dem Kapitel über die Taube sahen wir die beiden
Liebenden, als sie verfolgt werden, die Gestalt von Tauben an-
nehmen. In dem 14. sicilianischen Mährchen bei Frl. L. Gon-
zenbach verwandeln sich der Knabe und das Mädchen, von der
Hexe verfolgt, zuerst in Kirche und Küster, dann in Garten und
Gärtner, dann in Rose und Rosenbusch und endlich in Brunnen
und AaL In der vierten der Novelline di San Stef. wird
das schöne Mädchen von der Dienerin des Priesters (d. h. von
der Dienerin des schwarzen Mannes, von der schwarzen Frau
oder der Nacht), welche an dem Brunnen wäscht, gebeten, von
dem Baum herabzukommen. Das Mädchen folgt der Bitte, wird
in den Brunnen {;eworfen und von einem ungeheuren Aal ver-
' „Bei llans Sachs (Nürnb. Ausg. von 1560, 14» 1 , 96) essen eine Frau
und eine Magd den für den Herrn bestimmten AhI; eine £ist<'r schwatst
es aus; um sich tu rächen, rupfen die Weiber ihr deu Kopf kahl. Daher
man sprichwörtlich von einem kahlen Mönche sagt: Der hat gewiss vom
Aale ausgeschwatit.*' Menzel, Die vorchristliche Unsterbl.-L.
•Ibid.
602
schluDgen. Die Fischer fangen den Aal und bringen ihn zu dem
Fürsten; die Hexe tödtet ihn und wirft ihn in ein Rohrdickicbt.
Der Aal wird darauf in ein grosses und schönes Rohr verwandelt^ '
welches ebenfalls zu dem Prinzen gebracht wird, der es mit
einem Federmesser behutsam öfinet und das schöne Mädchen
herauskommen lässt (diese Sage ist eine Variation der von dem
hölzernen Mädchen). * Diese Gestalt eines diabolischen Aales ist
eng verwandt mit dem Schlangennngeheuer ; die a n g u i 1 1 a erin-
nert an den anguis; daher finden wir im Pentamerone I, 9
statt des Aales als Befrachter; wie in dem 18. toskanischen
Mährcheu; den Fisch draco marinus (ital. trascina) genannt,
über welchen Volaterranus die sonderbare Bemerkung macht: ^^Si
manu dextra adripias eum, contumacem renitentemque experieriSy
si laeva, subsequentem/' — als ob er damit sagen wollte, dass
die linke Hand die des Teufels ist. So beschreibt Oppian die
Hochzeit der murana, Muräne ^ mit der Schlange (nach Aelian
und Plinius der Viper). Andere Fische haben einen wesentlich
diabolischen Charakter angenommen, wie z. B. der Fisch äXciTtri^
(vulpeS; vulpecula), von welchem Aelian erzählt, dass er den
Angelhaken verschluckt, um ihn dann mit seinen eigenen Einge-
weiden wieder auszuspeien; die rana piscatrix, auch Meer-
teufel geheissen ; der tQvyoivy pastinaca (ital. brnco), welcher
nach Oppian mit seinem Stachel Menschen tödtet (die Fama sagt,
dass Odysseus mit dem Knochen eines rQvyoiv getödtet wurde).
Die Wunden des Seeskorpions wurden nach den Alten durch die
TQlyka (die Meeräsche, Seebarbe, Rothbart, lat. muUus, engl,
red mullet) geheilt, welche nach Athenaeus und Apollodor der
Artemis und der Diana Trivia, dem Monde, heilig war; Plutarch
schreibt, dass er der Diana als jagender Fisch heilig war, weil er
den Seehasen, der dem Menschen schädlich ist, tödtet; doch sahen
wir , dass der mythische Hase der Mond selbst ist ; der Brassen,
silurus, glanis oder piscis barbatus, hatte nach Manardus
(bei Ippolito Salviano) den Ruf, die Menschen anzufallen ; ja, in
einem dieser Fische, welche auch wirklich sehr gefrässig sind, soll
einst eine mit Ringen bedeckte Hand gefunden worden sein. Doch
' Es ist bekannt, dass das Wort ikshvstku auf das Wort ikshu,
Zuckerrohr, zurückgeführt wird. In dem vierzigsten Gesänge des ersten
Buches des Kämäyana, schenkt eine von den beiden Frauen Sagaras
einem Sohne das Leben, welcher sein Gesclüecht fortpflanzt; die andere
Frau gebiert ein ikshväku (Rohr oder Rürbiss), das 60000 Söhne enthält«
603
diese Binge in dem Leibe des Fisches (gleich dem Edelstein
cimediaO erinnern uns an den kleinen Barsch, die Delphine,
den Wallfisch; und den Ring, der in das Wasser gefallen ist und
bei dem Fisch wiedergefunden wird, welcher vielleicht das inter-
essanteste Thema von Sagen in dem mythischen Cyklns der
Fische ist.
Iwan ist, um wieder auf das Gedicht Jershoffs zurückzu-
kommen, mit seinem Buckel-Pferdchen in die Mitte des Meeres
in die Nähe des Wallfisches gekommen, welcher eine Flotte ver-
schluckt hat ; * auf dem Wallfisch ist ein Wald gewachsen ; Weiber
gehen in seinem Schnurrbart Pilze suchen. Iwan theilt ihm seinen
Wunsch mit und der Wallfisch ruft alle Fische zusammen, doch
Niemand kann ihm Auskunft geben, ausgenommen ein kleiner
Fisch, der kleine Barsch, welcher jedoch augenblicklich mit der
Jagd eines seiner Feinde beschäftigt ist. Der Wallfisch schickt
Gesandte zum Barsch, welcher unwillig einen Augenblick vom
Kampfe ablässt, um das Kistchen zu suchen; er findet es, ist
jedoch nicht stark genug, es aufzuheben. Die zahlreichen Scharen
der Häringe kommen und versuchen es, — vergebens. Zulezt
heben zwei Delphine das Kistchen. Iwan erhält den ersehnten
Ring; des Wallfisches Fluch hat ein Ende; er speit die Flotte
aus und kann sich wieder bewegen, während der kleine Barsch
die Verfolgung seiner Feinde wieder aufnimmt. Dieser Krieg des
Barsches mit seinen Gegnern hat in der russischen Volkssage
seine Herodots und Homere gefunden, die ihn in gebundener und
' Cimedia, gemma, quae invenitur in cerebro piscis; Du Caoge,
8. h. V.
' Bei A fan. 1, 13 (eine Variation davon ist das böhmische Mährchen von
„Grosspapa Vsieveda^*) beklagt sich der Wallfisch, dass alle Fuss-
gänger und Berittenen über ihn fortgehen und ihn bis auf die Knochen
verzehren. Er bittet den Helden Basilius, die Schlange zu fragen, wie
lange er noch dieses Schicksal erleiden muss; die Schlange antwortet, bb
er die zehn Schifie des reichen Marcus ausgespiecn hat. — Im Peuta-
luerone IV, 8 lehrt der Wallfisch dem Mädchen Cianna den Weg zu der
Mutter der Zeit, indem er sich als Belohnung dafür von dem Mädchen nur
Belehrung darüber ausbittet, wie er frei im Meere herumschwimmen könne,
ohne an Felsen und Sandbänke zu stossen. Cianna bringt die Antwort, dass
er sich mit der Seemaus (lo sorece marine, vielleicht identisch mit
dem Seeigel), die ihm als Führer dienen werde, befreunden müsse. — Im
Pent am. V, 8 wird das kleine Mädchen im Meer von einem grossen ver-
zauberten Fisch aufgefangen, in dessen Bauch sie schöne Gesellschaft,
Gärten und einen schönen, mit Allem ausgestatteten Palast findet. Der
Fisch trägt das Mädchen ans Ufer.
604
ungebandener Rede gefeiert haben. Afanassieff giebt im
dritten Buche seiner Mährehen^ nach einem Manuscript des vorigen
Jahrhunderts, die Beschreibung der Aburtheilung des Barsches
vor dem Tribunal der Fische. Der Brassen (leq6) klagt den Barsch
an, den bösen Kämpfer (wie der Seeigel der kleine Vemichter ist ;
dieser und der Barsch werden in russischen Sagen um so leichter
miteinander verwechselt, als der erstere josz, der letztere jorsh
heisst); welcher alle anderen Fische mit seinen rauhen Borsten
verwundet, und sie gezwungen hat, den See von Rastoflf zu ver-
lassen. Der Jorsh vertheidigt sich mit der Bemerkung, dass die
Stärke ihm inhärire ; er sei kein Brigant, sondern ein gutes Geschöpf,
das überall bekannt sei, hochgeschätzt und von grossen Herren
mit viel Behagen verspeist werde. Der Brassen appellirt an das
Zeugniss, welches andere Fische gegen den kleinen Barsch ablegen ;
dieser beklagt sich nun, dass die anderen Fische in ihrem Eigen-
dünkel durch den Gerichtshof ihn und seine Gefährten zu Falle
bringen wollten, indem sie aus seiner Kleinheit Nutzen zögen.
Die Richter berufen nun die Äalraupe als Zeugin. Diese aber
entschuldigt sich, dass sie nicht erscheinen könne; ihr Bauch
sei zu fett, und sie könne sich nicht bewegen; ihre Augen seien
klein und ihre Sehkraft gering ; ausserdem habe sie dicke Lippen
und könne vor Leuten von Rang und Stand nicht sprechen. Der
Häring legt Zeugniss gegen den Barsch ab, zu Gunsten des
Brassen. Unter den Zeugen gegen den Barsch befindet sich auch
der Stör; er zeigt sich gegen den Barsch sehr boshaft; er be-
hauptet nämlich, dieser müsse, wenn er esse, mehr ausspucken
als er verschlucken könne, und beklagt sich, dass eines Tages,
als er durch die Wolga in den See von Rastoflf schwimmen
wollte, der kleine Barsch ihn seinen Bruder genannt, ihn aber ge-
täuscht habe; um ihn von dem See fernzuhalten, habe er ihm nämlich
weiss gemacht, er sei auch einst ein Fisch von solcher Grösse
gewesen, dass sein Schwanz dem Segel eines Schiflfes glich, sei
aber so klein geworden, nachdem er in den RastofiT-See gezogen
wäre. Der Stör erzählt nun weiter, er habe sich dadurch ein-
schüchtern lassen, und sei in dem Flusse geblieben, wo seine
Söhne und Gefährten vor Hunger gestorben und er selbst in die
grösste Noth gerathen wäre. Er bringt ausserdem noch eine
schwere Klage gegen den Barsch vor; dieser hätte ihn nämlich
dem Fischer in die Hände spielen wollen, indem er ihn beredet
vorauszugehen, weil die älteren Brüder vor den jüngeren den
Vorrang hätten. Der Stör gesteht, dass er dieser Schmeichelei
f,
h
605
Oehör gab and in das Netz ging, das ^r den Thttren vornebmer
Häuser äbnlich fand — gross, wenn man hineingeht, aber klein,
wenn man wieder heraus will; der Barsch aber habe ihm noch
spöttisch zugerufen : ^,Leide um Christi willen !'* Die Auseinander-
setaungen des Störs machen tiefen Eindruck auf das Oemtith der
Bichter, welche befehlen, dem Barsch die Knute zu geben und
ihn zu pfählen, zur Strafe für seine Betrügerei; das Urtheil wird
von dem Krebs mit einer seiner Klauen besiegelt Doch der
Barsch, der den Spruch gehört hat, erklärt ihn (Ur ungerecht,
spuckt den Richtern in die Augen, springt in das Strauchwerk
und entschwindet den Blicken der Fische, welche beschämt und
gekränkt zurückbleiben.
Bei Afanassieff IV, 32 finden wir zwei Variationen dieser
Thiersage.
Der unruhige Barsch nimmt Besitz von dem Bastofif-See. Von
dem Brassen vor Gericht gefordert, sagt er aus, dass vom
St Peterstage bis zu dem St. Eliastage der ganze See in Feuer
stände, und fährt als Beweis fär diese Behauptung an, dass die
Augen der Boche, und ebenso die Finnen des Barsches von den
Folgen des Brandes noch roth sind, dass der Hecht dunkelfarbig
geworden ist, und dass die Aalraupe infolge des Brandes schwarz
ist Diese Fische, als Zeugen vorgeladen, erscheinen entweder
gar nicht oder leugnen die Wahrheit dieser Behauptungen. Der
Barsch wird festgenommen und gebunden, doch es fängt an zu
regnen; der Bichtplatz wird morastig; der Barsch entkommt,
gelangt von einem Flttsschen in das andere, endlich in den Strom
Kama, wo der Hecht und der Stör ihn finden und ihn zur
Exekution zurückbringen.
In der anderen Version bittet der Barsch, als er vor (Bericht
gebracht wird, um die Erlaubniss, nur eine Stunde im Bastoff-
See spazieren zu dttrfen; nach Ablauf der bestimmten Zeit ver-
säumt er, sich zu stellen, quält vielmehr die anderen Fische auf
jegliche Weise, sie stechend und reizend. Die Fische nehmen
ihre Zuflucht zu dem Stör, der den Hecht schickt, damit er nach
dem Barsch sehe; der kleine Barsch wird zwischen den Steinen
gefunden ; er entschuldigt sich damit, dass es Sonnabend sei, und
dass in seines Vaters Hause ein Fest sei, räth auch dem Stör
mittierweile etwas für seine Constitution zu thun und sich zu'
amiisiren ; den nächsten Morgen, obwohl es Sonntag sei, verspricht
er, sich den Bichtem zu stellen (die Analogie zwischen den Hand-
lungen des Barsches und denen des Beineke Fuchs ist sehr
. ,',<^,<^T J*\'^-.Jt'
606
beacbtenswertb). Unterdess macht der Barsch Beinen Gefährten
betrunken. Der Sanskritname des Fisches, matsya, von der
Wurzel mady bedeutet, wie wir wissen, trunken und lustig,
eigentlich: feucht dat. madidus); im Italienischen sind briaco
und folle bisweilen gleichbedeutend; im piemontesischen Dialekt
sind bagnä (nass) und im beeil (Idiot) Ausdrücke von gleicher
Bedeutung. Trunkenheit bat zwei Seiten: es giebt eine, die
impotent und dumm macht, und eine, die heiter anregt und die
Kräfte verdoppelt; die Art der Trunkenheit ist lediglich eine
Frage der Quantität und Qualität des Getränkes und der Con-
stitution des Trinkers. So giebt es auch zwei Arten von Toll-
heit: eine, die Jemanden in Raserei versetzt, für den dann die
Zwangsjacke sich empfiehlt; und eine, die mit der vollständigen
Erschöpfung eines Mannes endigt. Wenn Indra betrunken ist,
wird er ein Held; ist der Hecht betrunken, so ist er ein Narr
(vgl. das englische mad, das italienische matte, d. h. wahn-
sinnig, toll, mit dem deutschen matt, d. h. erschöpft). Als der
Barsch den Hecht betrunken gemacht hat, schliesst er ihn in
einem Strohschober ein, wo der betrunkene Fisch sterben muss.
Da kommt der Brassen und holt den kleinen Barsch unter den
Steinen hervor, um ihn vor Gericht zu stellen. Der Barsch ver-
langt ein Gottesurtheil. Er sagt zu seinen Richtern, sie sollten
ihn in ein Netz stecken; bliebe er darin, so hätte er Unrecht;
käme er heraus, so hätte er Recht; der Barsch stösst sich so
lange in dem Netz hin und her, bis er draussen ist. Der Richter
spricht ihn frei und giebt ihm in dem See vollständige Freiheit;
nun beginnt der Barsch seine zahlreichen Rachestflckchen gegen
die kleinen Fische, indem er seine Schlauheit in beständigen An-
strengungen, sie zu vemichteu, bewährt.
Wie der Betrunkene und der Narr bald intensivere Kraft
•haben, bald sie ganz verlieren, so verdoppeln sie bald ihre Ver-
standeskraft, bald verlieren sie dieselbe völlig. Daher finden wir
unter den mythischen Fischen sehr weise und sehr dumme. Sehr
populär ist das Mährchen von den drei Fischen von verschiedener
Intelligenz, von denen sich der faule und unvorsichtige von -dem
Fischer fangen lässt, während seine beiden Gefährten entkommen ;
es findet sich im ersten Buche des Pancatantra. Im fttnften
Buche des Pan6atantra kommt eine Variation vor: wir lesen
von einem Fische, der den Verstand von Hundert hat (gatabuddhi),
von einem, dei^ den Verstand von Tausend hat (Sahasrabuddhi),
und von dem Frosch, der den Verstand von Einem hat (Ekabuddhi);
60?
doch jene beiden Fische bilden sich nur ein^ Verstand tn haben;
der eine Verstand des Frosches ist besser als die hundert and
tausend der Fische. Der Frosch entkommt; während die beiden
Fische den Fischern in die Hände fallen.
Der kleine Seeigel (der Zwerg Vishnu und der Delphin sind
mit ihm identisch^ da das Wort (in^umära im Sanskrit doppel-
deutig ist) zieht im Bigveda den Wagen der Beichthttmer; in
der Edda wacht ein Zwerg in Gestalt eines Hechtes (lat. 1 u c i u s)
über Gold und behütet den Ring ; in russischen Sagen zieht der
kleine Barsch (furchtbar^ gleich dem josz^ durch seine scharfen
Stacheln), im Verein mit den Delphinen das Kästchen aus dem
Meere, welches den Bing des Sultans enthält Das Horn des
Mondes, welches in dem Meere der Nacht erscheint, gehört bald
dem Stier, welcher den flüchtigen Helden trägt, bald dem Fische
(iapharf an, welcher gross geworden ist, das Schiff des Manu ins
Schlepptau nimmt und es so vor dem Schiffbruch aus den Wogen
rettet. Bald ist es der Sonnenheld (oder -Heldin), welcher die
Gestalt eines Fisches annimmt, um sich zu retten; bald hilft der
Fisch dem Sonnenhelden (resp. der Sonnenheldin) beim Entkommen ;
bald taucht der kleine goldene oder glänzende Fisch in das Meer oder
in den Fluss, um die Perle oder den Bing für den Helden (resp. die
Heldin) zu suchen, der verloren gegangen war, den Bing, ohne den
König Dushyanta seine Braut Qakuntalä nicht wieder erkennen kann ;
bald speit er vorn oder hinten aus, was er verschluckt hat —
den Helden, die Perle, den Bing (die Sonnenscheibe).
Im sechsten Akte der Qakuntalä findet der Fischer
in dem Magen eines Fisches (des cyprinus dentatus) den
mit dem Edelstein geschmückten Bing, welchen König Dushyanta
der ^akuntalä als Zeichen der Wiedererkennung gegeben hatte.
Die Classen cyprinus und perca haben, als die Stachligen
oder Verwundenden in dem genus Fisch, der Mythologie die
grösste Zahl von Helden geliefert ; der Seeigel wird wegen seiner
Stacheln mit ihnen identificirt; die Namen Hecht, brechet,
pike, die der lue ins im Deutschen, Französischen und Eng-
lischen fährt, bezeichnen seine Fähigkeit zu stechen oder mit seinem
platten und schneidigen Munde zu zerspalten (der Fisch lucio-
perca sandra ist eine Mittelform zwischen dem Hecht und dem
Barsch). Das Mondhom, der Donnerkeil, der Sonnenstrahl haben
dieselbe Prärogative wie diese Fische, der Delphin konnte ebenso
wegen der beiden sensenförmigen Flossfedern, welche er vom hat,
oder wegen seiner starken und gekrümmten Bückenflossfeder, als
608
wegen seiner schwarzen and silbernen Farbe sehr gnt zar Dar-
stellung der beiden Mondhömer nnd der Mondphasen dienen. So
sind der Hecht and der Brassen auf dem Rücken dankel oder
bläulich; unten weiss. Der Delphin hat auch einen platten Hund
nnd scharfe Zähne^ wie der Hecht. ^ Das Mondhoni verkündet
Regen; so verkündet das Erscheinen der sensenförmigen Floss-
federn des Delphins auf den Wogen des Meeres den Seefidirem
einen Sturm^ warnt sie und rettet sie vor Schiffbruch ; daher kann
er, als (in^nmftra, gleich dem Seeigel den Wagen, d. h. das mit
Reichthümera beladene Schiff der Agvins gezogen haben. Der
Delpin, welcher im griechischen Mythus auf Befehl Poseidons über
Amphitrite wacht, ist identisch mit dem Delphin, dem Spion des
Meeres, oder dem Monde, dem Spion des nächtlichen und winter-
lichen Himmeis. Sofern der Himmel der Nacht oder des Winters
mit dem Reiche der Todten vei^liohen wurde, tragen nach grie-
chischem Glauben beide, sowohl der Delphin als der Mopd^ die
Seelen der Todten.
Der cyprinus par excellence, der Karpfen (lat. ear-
pus) wird in Verbindung mit dem Monde in einem eleganten
Oedichtehen des Hieronimus Fraoaston»ei gefeiert. Carpus war
der Name eines Fährmannes des Gardasees, welcher den fliehenden
Saturn fttr einen Räuber hielt, welcher Gold forttrug, und ihm
dieses Gold zu entreissen versuchte; darauf verfluchte Saturn ihn
und seine Genossen in der folgenden Weise:
,,GeiM inimica Deani) dabitur qaod poscitis uurum :
Hoc inu) Bttb fönte aumm pascetis avarL
Diz^r^t: ant illüi yeniam posceutibus et yoz
Deficit, et jam se cemunt mutescere et ora
in rictum late patulum producta dehiscunt,
In pinnas abiere manus; vestisque rigescit
In squamas, caudamque pedes sinuantor in imam;
Qui fuerat sabka obdactus formidine mansit
PalliduB ore color, quamquam livoris iniqai
Indicium Buffusa nigris sunt corpora guttis;
Carpus aquas, primus numen qui laesit, in amplas
Se primus dedit et fundo se condidit imo.*^
Aus den bisher von uns gegebenen Vergleichungen folgt noth-
wendig, das wiitl, das muss Jeder zugeben, dass die Geschichte
' Kin Aberglaube über den Zitterfisch (Torpedo), den Plinius erwähnt,
möge hier eine Stelle finden: „Mirum quod de torpedine invenio, si capta
cum Luna in Libra fuerit triduoqae asser vetur sub dio, faciles partus fsL-
Cere postea quoties inferatur.^
600
von dem Fisch, der das Gold oder den Edelslein 9n(;ht; der ihn
findet oder der ihn in sieh enthält, eine sehr alte aridohe Sage ilt.
In den vedischen Hymnen sehen wir bald Indra bald die A^vins
die Helden vor dem Schiffbrach retten und Jedermann Reichtfantn
bringen; wir sahen amch den fin^nmära (Seeigel, Delphin oder
Vishnu) den Wagen der die Reichthttmer bringenden A^vins stehen.
Die Griechen nannten einen Fisch von sonderbarer Gestalt bald
ZsvQt bald x«^x«;e (wie auch Hephaest s. Mulciber s. Volcanus,
der Metallarbeiter heisst) oder Grobschmied; daher der Name
Zeus faber, unter welchem die Römer diesen Fisch kannten.
Derselbe hat wirklich eine Ungeheuergestalt. Sein Nacken ist
bräunlich mit gelben Streifen ; der übrige Körper hat eine silber-
graue Farbe; an den Seiten hat er zwei Flecken vom tiefsten
Schwarz. Seine Rückenflossfeder öflnet sich wie ein Fächer, nach
allen Seiten Strahlen werfend, und mit starken Stacheln versehn,
welche diesem hervorragenden Theile das Ansehn eines Kammes
geben. Wir erinnern daran, dass der Hahn und die Lerche mit
Christus und St Christophorus verglichen wurden ; ebenso ging es
dem Zeus oder faber , als ebenfalls cristatus. ^ Die italienische
Legende berichtet, dass jene beiden schwarzen Flecken (welche
den Körper eines Fisches einer Schmiede ähnlich machen; daher
der Name Grobschmied) verursacht sind durch die Spuren, welche
St Christophorus eines Tages an ihm zurückliess, als er Christus
über den Strom trug. Der Fisch, welcher die crista trägt, und
St Christophorus sind hier mit einander identisch. Doch noch
mehr: in Rom, in Genua und in Neapel heisst dieser Fisch der
Fisch St. Peters, weil er der Fisch sein soll, den Petrus im Evan-
gelium fing und in dessen Munde (als xaXxevg muss er allerdings
wohl Münzen zu schlagen vei*standen haben) durch ein Wunder
Christi St Petrus das Geldstück fand, welches als Zinsgroschen
dienen sollte. Ist es wahrscheinlich, dass die in arischen Sagen
so gewöhnliche Vorstellung von dem Fisch mit Gold im Munde
in Judaea umlief? Meines Erachtens: nein! wie ja auch petrus
und petra, mit denen Christus ein schlechtes griechisch-latei-
' Du Gange schreibt s.v. citula über diesen Fisch: „Idem forte piscis,
quem GkiHi doream vocant ab aureo latemm colore, nostri et fiispani,
Galli Baionenscs jau, i. e. gaUum, a dorsi pinnis surrectis veluti galloram
galliaaceomm cristis/' Der Fisch Zeas lebt in der Einsamkeit; daher
scheint er mir identisch mit dem heiligen Fisch, df&lat, von welchem
Aristot. H. A. VII, 11 gesagt wird, er lebe da, wo es sonst keine Thiere
weiter giebt.
Qnbemati^ die Thine. 39
610
nisches Wortspiel macht, in Verbindung mit dem Fisch ein an-
derer mythischer Fall ist, der mich auf die arische Welt zurück-
fuhrt und mich von der semitischen fortreisst, wie von dem
kindischen Glauben an die judäische Anthenticität der evange-
lischen Geschichte, unbeschadet meines Glaubens an die Heiligkeit
der Lehre.
i
611
KAPITEL IL
Der Krebs»
Im achten ebBtoischen Mähreben klagt eine jange Fraa : ;,Ich
habe einen tollen Mann, der mich alle Tage schlägt, wenn ich
seine tollen Launen nicbt befriedigen kann. Heute befahl er mir,
ibm zur Nacht einen Fisch zu kocben, der kein Fiscb sein dürfe,
und der wohl Augen, aber nicht am Kopfe habe. Wo auf der
Welt soll ich ein solches Tbier finden?" — „Weine nicht, junges
Weibchen," tröstete sie Schlaukopf; „Dein Mann will einen Krebs,
der zwar im Wasser lebt, aber kein Fisch ist, und der auch
Augen hat, aber nicbt im Kopfe."
Wenn die Bonne im Monat Juni in den Wendekreis einzu-
treten scheint, welcher das Zeichen des Krebses (lat. cancer;
gr. xccQxivog] skrt. karkata, karka, karkataka; im In-
dischen heisst das Sternbild des .Krebses karkin, den Krebs
habend; vgl. (a^in, den Hasen habend, als Namen des Mondes)
trägt, so heisst es, dass sie wieder zurückkommt ; am ersten Tage
des Sommers beginnen die Tage länger zu werden, wie sie am
ersten des Winters kürzer werden; die Sonne im Juni wurde des-
halb mit einem Krebs verglichen, welcher rückwärts geht, oder
wurde dargestellt als von einem Krebs gezogen, welcher in diesem
Falle speciell der Mond ist. Wir kennen Alle den Mythus von
Heracles, der beim Kampfe mit der Lernäischen Schlange von
dem Krebse gepackt und zurückgezogen wurde, den deshalb Hera
in das himmlische Sternbild verwandelte. Im Pseudo-Cal-
1 i s t h e n e s kehrt Alexander erschreckt von seiner Fahrt zur Quelle
der Unsterblichkeit um, als er sieht, dass die Krebse seine Schiffe
zurück in das Meer ziebn. Ebenda finden wir einen Krebs, der
sieben kostbare Edelsteine enthält. Alexander hält ihn in einem
Gefasse, das in einen grossen Käfig eingeschlossen ist, an einer
eisernen Kette; ein Fisch zieht den Käfig eine Meile zum Meer;
Alexander, halbtodt vor Schreck, dankt den Göttern für die
Warnung, rettet sein Leben und überzeugt sich, dass es nicht
opportun ist, Unmögliches zu unternehmen. In der siebenten Er-
zählung des ersten Buches des Pa^eatantra erschreckt dagegen
der alte Kranich den Krebs und die Fische durch die Androhung
612
eines Besnches der Oötter in dem Wagen Rohinls^ des rothen
Weibes des Ltinus, d. h. im Sternbilde des Wagens oder der Stiere
(dem yieiien Lanfe des Mondes), infolge dessen der Regen zu
fallen aufhören, der Teich austrocknen, und Krebse und Fische
sterben würden; die Fische lassen sich von dem Kranich täuschen,
der sie auf dem Wege auffrisst; der Krebs dagegen merkt auf
der Hälfte des Weges den Betrug des Kranichs, tödtet ihn und
kehrt in den Teich zurück. Prof. Benfey hat eine Variation dieser
Erzählung in den buddhistischen heiligen und historischen Werken
Ceylons gefunden. In den äsopischen Fabeln tödtet der Krebs
die Schlange. Pancatantra I, 20 verursacht der Krebs zu
gleicher Zeit den Tod der Schlange und des Kranichs durch das
Ichneumon; der Krebs, welcher ein Bischen rückwärts, ]und dann
wieder ein Bischen vorwärts geht, verursacht, in den Himmel ver-
setzt, bald den Tod des Sonnenhelden und bald den des Unge-
heuers, bald befreit er den Sonnenhelden von dem Ungeheuer und
bald zieht er ihn ins Wasser; Pancatantra V, 15 nimmt sich
der junge Held Brahmadatta den Krebs zum Reisegefährten ; dieser
tödtet die Schlange, welche den Helden tödten will, als er in dem
Schatten eines Baumes schläft Dieser mythische Krebs, dieses
rothe Thier, welches die Schlange tödtet, ist bisweilen die Sonne,
lässt sich jedoch vielleicht noch öfter mit dem gehörnten Monde
vergleichen, welcher zunimmt und abnimmt, und den im Schatten
der Nacht und des Winters schlafenden Sonnenhelden vor der
schwarzen Schlange rettet, die seinen Schlaf zu einem ewigen
machen will; Brahmadatta erkennt beim Erwachen den Krebs
als seinen Retter. So sahen wir schon mehr als ein Mal den
Mond in mehren Gestalten als Retter des Sonnenhelden (resp.
-heldin) betrachet. Wenn die Sonne am Abend im Westen herab-
sinkt, so muss sie nothwendig wie der Krebs rückwärts, gehen,
um am Morgen auf derselben östlichen Seite,, von der sie kam,
wiederzuerscheinen ; wenn die Sonne rückwärts geht und die Tage
kürzer werden, nach der Sommersonnenwende, so lenkt auch der
Krebs im Thierkreise seine Schritte zurück. Wenn die Sonne
rückwärts geht, regiert der Mond entweder die Finstemiss der
kalten Nacht, oder bringt im Herbst den Herbstregen ; die Hörner
des Mondes und die des Krebses dienen bald dazu, den Helden
in die Wasser zu ziehn (am Abend und nach der Junisonnen-
wende), bald ihn aus den Wassern zu ziehn (gegen Dämmerung
und gegen Frühling). Die Sonne wird bald dargestellt als in den
Mond verwandelt, und bald als vom Monde getäuscht oder gerettet.
^T
613
Die Sonne, welche ihre Schritte zurUcklenkt, ist ein Krebs; der
Mond, der zurückzieht oder herauszieht, ist ebenfalls ein Krebs
und scheint in dieser Beziehung dieselbe Stelle einzunehmen wie
der Seeigel mit hundert Rudern oder der Delphin mit der sensenför-
migen Flossfeder, welcher den Wagen des Sonnenhelden oder
diesen selbst zieht In der Krilofischen Fabel zieht der ELrebs
den Wagen mit dem Hecht und dem Reiher (der letztere nimmt
hier die Stelle des Kranichs ein, den wir oben in Verbindung mit
dem Krebse sahen und welcher im Sanskrit auch karkata, wie
der Krebs genannt wird). Bekanntlich erhielt der Seekrebs, P a -
linurus vulgaris seinen Namen von dem Steuermann Palinurus,
der in das Meer fiel. Bei Afanassieff I, 14 zwicken und er-
wecken dadurch die Krebse den jungen Helden Theodor (Gottes-
gabe; ein Aequivalent von Brahmadatta, Gabe des Gottes Brahman),
den die Hexe eingeschläfert hatte ; sie sind dem Helden dankbar,
weil er den Kaviar, um den sich die Krebse stritten, zu gleichen
Theilen unter ihnen vertheilt hatte.
Wir sahen die Herausforderung zu einem Wettlauf zwischen
dem Hasen und der Heuschrecke; beide scheinen zu verlieren.
Darnach sahen wir die Herausforderung zu einem Wettkampf im
Fliegen zwischen dem Adler und dem Zaunkönig oder dem Käfer,
in welchem das Thier, welches das Symbol des Mondes ist, ge-
winnt. So finden wir auch, da dem Frühling der Juni oder der
Monat des Krebses folgt, bei Afanassieff IV, 5 einen Wettlauf
zwischen 4em Fuchs (der wie die Dämmerungen des Tages, so
auch die Tag- und Nachtgleichen des Jahres darstellt) und dem
Krebs * (bekanntlich wurde der Krebs, Palinurus vulgaris, von
den Römern auch locusta genannt). Der Krebs heftet sich an den
Schwanz des Fuchses; als dieser am Ziele ankommt, wendet er
sich um, um zu sehen, wie weit entfernt sein Gegner noch ist;
doch dieser lässt den Schwanz des Fuchses fahren, setzt sich
ruhig hin und bemerkt ganz kaltblütig, dass er schon längere
Zeit warte.
' Liebrecht in der Academy bemerkt hierzu, dasä dieses rassische
Mährcheti, in welchem der Krebs den Fuchs im Wettlauf durch eine List
schlägt, in mannigfachen Gestaltungen wiederkehrt im atten Griechenland
(Aesop ed. Koraes, No. 287), in Armenien (Vartan No. 8), in Arabien
(Locmau No. 20), in Siam (vgl. Bastian in Benfejs Orient und Occi-
dent III, 497) und in Ceylon (Steele's Kusa Jatakaya p. 257). - Ueber
das Auftreten indogermanischer Thierfabeln bei den Arabern vgl. das
Seite 427 Bemerkte.
614
Im ersten ehstnischen Mährchen verhandelt sich der jnnge
Prinz anf den Rath des Adlers in einen Krebs nnd befreit das in
eine Teichrose verwandelte schöne Mädchen; das seine ursprüng-
liche Gestalt wieder erhält, nachdem der Prinz gesagt hat: „Aus
der Teichrose die Jungfrau, aus dem Krebs der Mann." ^
Wir sahen schon die Nachtigall nnd den Hirsch als Bilder des
Mondes j hier finden wir auch einen Krebs als lunare Gestalt. Der
Mond ist der Wächter der Nacht ; entweder schläft er mit offenen
Augen wie der Hase, oder er ist wachsam wie der Hirsch , oder
er rechtfertigt, als Nachtigall, das griechische Sprichwort von den
Wächtern, welche weniger als die Nachtigallen schlafen (ovS"
oaov di^oveg vTtvoavoiv), oder er weckt , als Krebs, mit seinen
Zangen die, welche eingeschlafen und von Gefahr bedroht sind. ^
Bei Plinins finden wir die Nachtigall; den Hirsch und den Krebs
in Eintracht; er belehrt uns, dass Krebsaugen mit Nachtigallen-
fleisch zusammen in ein Hirschleder eingebunden nützlich sind,
Einen wach zu erhalten. Der Mond wacht in der That nicht
allein selbst, sondern lässt auch die Menschen wachen, oder sie
wenigstens die Schlafenszeit aufschieben ; femer kennen wir schon
die Aufregung, in welche sein Erscheinen die Wachtel versetzt,
welche nicht schlafen kann, wenn der Mond am Himmel steht
Plinius empfiehlt auch den Flusskrebs, in Stücke zerschnitten und
getrunken, als Mittel gegen jedes Gift, doch besonders gegen das
der Kröte. In der Hist. Miracul. Heisterbac. lesen wir von
einem Manne Namens Theodorich, mit dem Beinamen Cancer, den
der Teufel in Gestalt einer Kröte verfolgte; er tödtet die diabo-
lische Kröte mehr denn ein Mal^ doch immer erhebt sie sich
wieder; da fasst Cancer, der den Teufel erkennt, einen herioschen
Entschluss, entblösst einen von seinen Schenkeln und lässt sich
beissen; der Schenkel entzündet sich, wird jedoch endlich geheilt;
seit jenem Tage aber ist und bleibt Cancer ein heiliger Mann.
Deutscher Aberglaube verbindet sich mit griechisch-römischem in
der Betrachtung des Krebses als eines Feindes des Ungeheuers;
' Vgl. Seite 117 f.
* Wir wissen, dass Luchsaugen so viel als sehr scharfe Augen be-
deuten; alte Aerzte empfehlen gegen den Stein oder den Blasengries bald
das iTncurium, den Stein, welcher aus dem Urin der Luchse entstanden
sein sollte, und bald Krebsaugen. Der Mond lerstört mit seinem Licht
den Steinhimmel, den Nachthimmel; deshalb werden Krebsaugen gegen
die Steinkrankheit empfohlen. Wenn der Mond nicht am Nachthimmel
steht, so ist der Stein da.
i
615
wie wir jedoch im griechiBch-römiscbeii Glauben neben dem Krebse,
welcher erweckt , auch den Krebs sahen^ der den Sonnenhelden
zu vernichten sucht; so findet in dem deutschen Mythus der Tod
des Sonnen- und Tageshelden Baidur statt, als die Sonne in das
Zeichen des Krebses eintritt
616
KAPITEL lU.
Die SohildkrSte.
Von den drei Hauptbezeicbnungen der Schildkröte im Indischen,
kürma, kacchapa und ka^yapa; scheint ganz besonders die
dritte, in Verbindung mit der zweiten für die Geschichte der
Mythen von Bedeutung zu sein. Der Ausdruck kürma ist das
gewöhnlich gebrauchte Wort zur Bezeichnung der wirklichen
Schildkröte, während der Ausdruck kafyapa mythischen Zwei-
deutigkeiten die Entstehung gab, welche beachtet zu werden
verdienen.
Wir wissen von der berühmten Inkarnation Vishnus als Schild-
kröte, von welcher das Kürma-Puräna handelt. Das Problem
war, den Ocean von Milch aufzurühren, um Ambrosia zu machen ;
das Meer hatte keinen Grund, da die Erde bis dahin noch nicht
existirte; die Wasser des Oceans aufzurühren, war Etwas von
colossaler Grösse nöthig ; die Götter nahmen ihre Zuflucht zu dem
mandara, welcher zu diesem Zweck gemacht wurde, als dem
König der Ruthen, k a g a p a ; die Götter und die Dämonen schütteln
die Ruthe und die Ambrosia kommt heraus; nicht sobald war die
Ambrosia producirt, als die Welt der belebten Wepen geschafien
zu werden begann. Der Charakter dieser Kosmogonie ist wider-
natürlich phallisch; der weisse Schaum des Meeres (entstanden
aus den Zeugungstheilen des von seinem Sohne Kronos kastrirten
Uranos), aus dem Aphrodite ersteht, und die kosmische Ambrosia
sind nichts Anderes als das zeugende Sperma. In einer späteren
Periode sah man in dem mandara einen Berg; die Worte ka^apa
und kacchapa (in der Folge zu kagyapa umgebildet) wurden
verwechselt, und der König der Ruthen oder der Phallus par
excellence wurde eine Schildkröte. Der mandara (von der rad.
mad, mand, trunken machen, froh machen) kann jedoch auch
den bezeichnen, der froh macht, den Erreger, Aufrührer; wie jedoch
von mad das Wort m a t s y a kommt, der bald betrunkene, bald
dumme Fisch, so bedeutet auch das Wort mandara eigentlich:
träge Und gross, und hängt eng mit manda zusammen, das neben
träge, langsam, schwach, auch betrunken bedeutet, mit mandaka,
närrisch, dumm, und mit mandana, lustig; und so können wir
L
^ 617
yerstehen, wie sieb in dem himmliseben Paradiese, in dem man-
dana oder Erfreuenden, der ßanm mandara, der Berauschende,
befand. Scbliesslich bangt es mit mantbana, Erreger, zusammen,
und ist identiscb mit manthara, das ebenfalls Erreger, langsam,
faul bedeutet. Docb giebt es nocb eine andere Analogie, welche
uns das Verständniss das populären Doppelsinnes von ka^apa
er8chlie«st, das mit kaechapa verwechselt und später ka^yapa oder
Schildkröte wurde, nämlich die Analogie von kürma. Als der
mandara oder mantbara als ein Erzeuger von Ambrosia aufgefasst
wurde, identificirte man bald den mantbara selbst (den Langsamen,
den Späten, den Gekrümmten) mit der Schildkröte; und wirklich
1st mantbara der Name, den eine Schildkröte im Hitopa-
de^a fuhrt und mantharaka der einer anderen im Soma-
deva und im Pancatantra. Einfach als die Faule und die
GekrtUnmte betrachtet, verband sich sehr natürlich der Begriff
der Schildkröte in der Vorstellung mit diesem Namen; der pri-
mitive Mythus wurde verwickelt, und der mandara und der ka^apa,
welche ursprünglich identisch waren, wurden am Ende von
einander unterschieden ; die Wörter verloren im Laufe der Zeit
ihre ursprüngliche Bedeutung; der mandara (als der Langsame)
wurde ein Berg (der sich nicht bewegt), und der kagapa eine
Schildkröte, welche den Berg trägt, ungeheuer breit, schwer und
faul. Wie es in der Mythologie oft vorkommt, dass zwei ver-
schiedene Persönlichkeiten aus zwei Namen hervorgehen, die zuerst
auf dasselbe mythische Object oder Wesen angewendet wurden,
und da beide Wörter etwas Schweres bezeichnen, so stellte man
sich vor, dass der eine schwere Gegenstand den anderen trüge,
und dass die schwere Schildkröte, in welche sich der Gott Vishnu
verwandelte, den schweren Berg hielte, welchen sein (VishnusJ
alter ego, Indra, auf ihn gelegt hätte. Da die Begriffe schwer
und gekrümmt beide sowohl in ka^apa als in mandara liegen,
so schickt sich die Schildkröte, als kürma, ganz trefflich zum
Amte eines Trägers, eine {Behauptung, die ich aufzustellen wage,
sofern ich in kür-ma dieselbe Wurzel wiedererkennen zu dürfen
glaube, welche im sanskritischen guru, feni. gurvi, Superlat.
garisbtha (lat. gravis, ans garvis) und im lateinischen cur-
V u s erscheint. *
Was die Bezeichnung kaechapa anlangt, auf welche das
indische Epitheton der Schildkröte ka^yapa zuiückzuführen
* Vgl. die Sanskrit wurzeln kar, kur, gur, gür.
618 -
sein dürfte, so bedeutet sie eigentlich : der Herr, der Wächter der
Gestade, der, der die Gestade einnimmt, und ist eine höchst
glückliche Bezeichnung der Schildkröte, wie auch völlig in Ein-
klang mit dem, was in der in Theil I Kap. X von uns er-
zählten Sage von ihr berichtet wird. Beide Thiere (der Elephant
und die Schildkröte, Sonne und Mond) frequentiren die Küsten
desselben Sees und haben eine heftige Abneigung gegen einander,
indem sie in ihren Thiergestalten den Streit fortsetzen, der zwischen
ihnen bestand, als sie zwei Menschen, und zwar zwei Brüder
waren. Sie ärgern sich gegenseitig und halten so in der mythischen
Thierwelt den Streit aufrecht, der zwischen den beiden mythischen
Brüdern besteht, welche mit einander i^m das Reich des Himmels
kämpfen, sei es in der Gestalt der Dämmerungen oder der Tag-
und Nachtgleichen', oder von Sonne und Mond, oder von Däm-
merung und Sonne, oder von Dämmerung und Mond, je nach
einer der mannigfaltigen Deutungen, welche sich sämmtlich mit
derselben Berechtigung und Wahrscheinlichkeit dem Mythus von
den AQvins geben lassen, je nach ihrem Auftreten unter Himmels-
erscheinungen, die, obwohl verscbieden, trotzalledem eine grosse
Aehnlichkeit haben. In diesem seltsamen mythischen Kampfe
zwischen der Schildkröte und dem Elephanten, dem der Vogel
Garuda ein Ende macht, welcher beide in die Lüfte trägt, um
sie zu verschlingen, scheinen jedoch die Schildkröte und der Ele-
phant im Besonderen die beiden Dämmerungen des Tages und
die des Jahres zu personificiren, d. h. die Tag- und Nachtgleichen
oder die Sonne und den Mond in der Dämmerungstunde, die
Sonne und den Mond am Tage der Tag- und Nachtgleiche, an
den Ufern des grossen himmlischen Sees.
In der Erzählung von der Schildkröte und dem Elephanten,
die von dem Vogel Vishnus in die Lüfte getragen werden, im
Mahäbhärata, ^ kommt noch ein anderer interessanter Umstand
vor, welcher die kosmische Deutung des Mythus von der Schild-
kröte, die ich eben gab, bestätigt. Der göttliche Kagyapa wird
darin erwähnt; er wünscht, einen Sohn zu haben und lässt sich
deshalb bei dem Opfer, das zur Erlangung von Kindern dar-
gebracht wird, von den Göttern dienen (die Götter sind es ja,
welche den mandara, den Erzeuger von Ambrosia, sich herum-
bewegen lassen). Der phallische Indra trägt auf seinen Schultern
einen Berg Holz, welcher oflenbar dem mandara oder ka^apa
' I, 1353—1456.
619
entspricht; und beleidigt auf dem Wege die aus den Haaren des
Leibes Brahmans geborenen Zwerg-Einsiedler ^ d. h. die Haare
selbst; diesem ka^yapa wird der Name Pra^äpati oder Herr der
Zeugung gegeben. Wir treffen hier wieder den ungeheuren Phal-
lus, welcher die Ambrosia hervorbringt (oder den Soma, welchem
Savitar, der Erzeuger und der Herr der Kreaturen entspricht^)
und lebende Wesen in der Welt erzeugt. Ka^yapa, als der Er-
zeuger betrachtet, wurde deshalb mit den Bewegungen der Sonne
und des Mondes, welche ebenfalls Erzeuger sind (als Soma und
Savitar), in Beziehung gesetzt ; und in Anbetracht dessen erscheint
ka^yapa auch als der Befruchter der dreizehn Töchter Dakshas,
welche den dreizehn Monaten des Mondjahres entsprechen (Dak-
sha^ä ist der Name eines lunaren Sternbildes und des Weibes eines
phallischen Qiva, und daksha^äpati einer von den indischen
Namen des Mondes ; Daksha wird auch mit Pra^äpati identificirt ;
deshalb muss sich Ea^yapa, wahrscheinlich als der phallische
Mond, mit seinen eigenen Töchtern oder mit seinen dreizehn
Mondläufen vereinigt haben). Von den dreizehn, durch Ea^yapa
fruchtbar gemachten Weibern wurde Alles, was lebt, geboren,
Götter, Dämonen, Menschen und Thiere, so dass in der Kosmo-
gonie des mandara, des Ka^apa und dann der Schildkröte der
mandara, so oft er geschüttelt wurde, die phallische Ambrosia
hervorbrachte, von welcher alle belebten Dinge spontan gezeugt
wurden.
Doch hatte die Schildkröte, in Verbindung mit dem Monde
genommen, bisweilen auch eine unheilvolle Bedeutung. Die Seelen
der Todten gehen in die Welt des Mondes, in den Himmel der
Nacht, und die Seelen der Lebenden steigen aus der Welt des
Mondes, d. h. aus der Nacht herab; Qiva, der Gott des Paradieses,
wird der vernichtende Gott; Plutus und Pluto werden identificirt.
So glaube ich in einer Anmerkung Prof. Hang's zu dem Aitareya-
Br. die Schildkröte erkennen zu dürfen, als im Besonderen den
sterbenden Mond, den verbrannten Mond darstellend, welcher das
Feuer des Frühlings zum Grabe hat, um dessen Leichnam sich
auch der Mond in der hier gleichbedeutenden Gestalt eines
Fisches herumbewegt (als hari, grün, gelb) und welcher selbst
später zum Vorschein kommt Wir wissen, wie Hari oder Vishnu,
der bald die Sonne und bald den Mond (welche zusammen, wie
' Savitä vai pra8avänämi90. A it. Br. Vgl. die ErzähluDg von Qunal^-
^pa; er erBchelnt offenbar als eine Gestaltung Pragäpatis. •
«
\
620
Indra und Soma rakshohanau oder Ungehcucrtödtcr genanot wur-
den) darstellt, bald rait der Schildkröte, bald mit dem Vogel
Garuda, dem Feinde der Schildkröte, identificirt ist. Hier ist die
Anmerkung Prof. Haug's: „At each Atirätra of the Gaväm aya-
nam the so-called Ghayana ceremony takes place. This coQsists
in the construction of the Uttara Vedi (the northern altar) in the
shape of an eagle. About 1440 bricks are required for this
structure, each being coni^ecrated with a separate Yagnsmantra.
This altar represents the universe. A tortoise is buried alive in
it, and a living frog carried round it and afterwards turned out."
Ueber das Blut einer Schildkröte als Gegengift gegen das Gilt
einer Kröte ist schon oben gesprochen worden. Die Schildkröte
findet sich auch in Verbindung mit Fröschen in einer Fabel des
Abstemius ; die Schildkröte beneidet die Frösche, welche sich sehr
schnell bewegen können, hört jedoch auf," sich zu beklagen, als
sie dieselben die- Beute des Aales werden sieht.
Einer von den zehn Sternen des Sternbildes der Schildkröte,
das im nördlichen Himmel gelegen ist — d. h. in dem wolkigen
und finsteren, besonders von dem Monde regierten Herbsthimmel
— wurde von den Griechen IvQa genannt, und es wurde gefabelt,
dass die Schildkröte, aus welcher Hermes die Lyra gemacht hatte,
in dieses Sternbild verwandelt worden wäre. Ich mache hier
auch auf die deutsche Bezeiclmung Schildkröte aufmerksam,
wie darauf, dass die Koribanten ihre geräuschvolle Musik und
ihre pyrrhischen Tänze mit Pauken und Waffenlärm begleiteten,
und dass die Kureten, um dem Kronos die Geburt des Zeus zu
verheimlichen , mit ihren Lanzen gegen die Schilde schlugen. Es
ist interessant, zu beobachten, dass auch im Sanskrit kaccha der
Name der kleinen Schilder der Schildkröte, kadchapa ist; dass
kacchapt der terminus für das Geräusch der donnernden Sarasvati
oder des Donners ist, und dass mehre vedische Dichter Ka^yapa
heissen. Nach dem griechischen Mythus erhielt die Schildkröte
von Zeus selbst - d. h. von dem Regengott, dem Gott der Wol-
ken, dem Gott in Verbindung mit den Schildwolken, welche seine
Geburt verbargen, wir können hinzufttgen, von dem Gott Schild-
kröte — die Macht, sich unter Schilden zu verbergen und ihr
Haus bei sich zu tragen. Die Römer pflegten neugeborene Kinder
in einer Sckildkrötenschale zu baden, wie in einem Schilde. Mau
prophezeite dem Clodius Albinus die Erreichung souveräner Macht,
weil bei seiner Geburt einige Fischer seinem Vater eine unge-
heure Schildkröte gebracht hatten. Die Schildkröte beschützt
621
ZeuS; den neugeborenen Kriegsgott; die Schildkröte macbi^ wegen
ihrer Schilder^ das neugeborene Kind zum Krieger und verkündet
ihm Herrschaft; ein vom Himmel gefallener Schild war für die
Römer ein Vorzeichen der Siege, welche sie als kriegerisches
Volk erringen sollten, so sagt Ovid:
„ . . . Totam jam sol emerserat orbem :
Et gravis aetberio venit ab axe fragor.
Ter tonuit sine nahe Deus, tria falgura misit.
Credite dicenti: mira sed acta loquor.
A media coelum regione dehiscere coepit*.
Submisere oculos cum dace'turba suo.
Ecce leri scutum versatum leniter aura
Oeeidit: a popnlo clamor ad astra venit*'
Unter diesem Aspekt wird die Schildkröte der dunkle Mond,
im Gegensatz zum glänzenden, der langsame Mond, im Gegensatz
zum springenden; sie wird der Wintermond; bisweilen wird sie
auch bald die Wolke, bald die Erde, bald sogar die Dunkelheit
(als solche erscheint sie dämonisch in einer deutschen Sage, wo
zwei Teufel, welche die Gestalt von Ungeheuern Schildkröten an-
genommen hatten, die Grundsteinlegung des Mersebnrger Domes
hindern wollen; die Schildkröten werden mit dem Bann belegt
und ihre Leiber erschlagen; zum Andenken daran sollen die
Schalen dieser Schildkröten in der Kirche aufgehängt sein; auch
im 14. Fargard des Vendidad sollen die Schildkröten als dä-
monisch getödtet werden). Wir sahen Theil I Kapitel I den
Hasen-Mond von dem Kuhwagen überfahren und zermalmt, was
uns die Vorstellung weckte von der Wolke, welche ttbar den
Mond geht, oder auch die von der Verfinsterung des Mondes
durch die Erde, welche im Sanskrit auch Kuh genannt wird. Im
Sanskrit wird die Erde, welche aus den Wassern kommt — eine
Insel, ^ wie der Mond und die Wolke die Inseln des Himmels
' Es ist interessant« in den 'A^ä'ib-ul-Mablükftt (Wunder der
Schöpfung), einem arabischen Werke des XIII. Jahrhunderts, eine Steile
zu finden, welche in der Uebersetzung Lane^s folgendermassen lautet:
„The tortoise is a sea and land animal. As to the sea tortoise it is very
enormous, so that the people of the ship imagine it to be an island. One
of the merchants relates as follows regarding it: ,We found in the sea an
island elevated above the water, having upon it green plants, and we went
forth to it, and dug [holes for fire] to cook; whereupon the island moved,
and the sailors said, „Come ye to your place, for it is a tortoise, and the
heat of the fire hath hurt it, lest it carry you away.^* By reason of the
enormity of its body it was as though it were an island, and earth coUec-
622
sind — auch kfirma, d. h. Schildkröte genannt (eigentlich die
Gekrümmte^ die Bucklig«, die Hervorstehende; manthara ist ein
Name der Schildkröte, und Manthara ist der Name des buckligen
Weibes, das im Rämäyana den Bäraa ins Verderben stürzt).
Daher haben wir auch im Westen neben den Fabeln von dem
springenden Hasen (dem Monde) und der Kuh, von der springen-
den Heuschrecke (dem Monde) und der Ameise, die Fabel von
dem Hasen und der Schildkröte, welche um die Wette rennen;
der tjlase, der sich auf seine Schnelligkeit verlässt, schläft ein
und verliert, während die Schildkröte durch ihre Ausdauer siegt
Wir sahen schon die Schildkröte in den indischen Sagen als
den Nebenbuhler des Adlers oder des Vishnuitischen Vogels
Garuda. Die beiden werden bald identificirt, bald kämpfen sie
miteinander (wir müssen uns daran erinnern, dass auf den Rath
Ka^yapas der Vogel Garuda den Schlangen die Ambrosia raubte).
In Griechenland war das Sprichwort von der Schildkröte, welche
den Adler besiegt, schon verbreitet; bald ist es der Adler, der die
Schildkröte in die Lüfte trägt, oder vielmehr sie fliegen machte
bald ist es dagegen die Schildkröte^ welche trotz des Adlers
zuerst anlangt. Es ist interessant, hiemit die siamesische Fabel
zu vergleichen, welche A. Bastian im Orient und Ocident ver-
öffentlicht hat und welche augenscheinlich indischen Ursprungs ist.
Der Vogel Khroth, unzweifelhaft der indische Garuda, die Sonne,
will eine Schildkröte verzehren (hier wahrscheinlich der Mond),
welche an dem Ufer eines Teiches liegt. Die Schildkröte willigt
ein, gegessen zu werden, unter der Bedingung, dass der Khruth,
die Herausforderung zu einer Schnelligkeitsprobe annimmt, wer
am ehesten an das andere Ufer gelangt, der Vogel durch die
Luft, die Schildkröte durch das Wasser. Der Vogel Khruth geht
daraufein; die Schildkröte stellt nun am ganzen Seeufer ihre Freunde
auf, rings herum, jede ein paar Schritt vom Wasser; darauf giebt
sie dem Vogel das Signal zum Fliegen. Wo sich der Khruth auch
immer niederlassen will, überall findet er, dass die Schildkröte
schon vor ihm da ist Vielleicht stellt dieser Mythus die Be-
ziehung der Sonne zu den Mondläufen dar.
ted upon its back Id the length of time, so that it became like land, and
produced plantsV* Offenbar nimmt hier die Schildkröte dieselbe Stelle
ein, wie in der Volkssage der lunare Wallfisch (vgl. Kap. I). Vgl. Lane,
The Thousand and One Nights, London 1841, vol. Ilf, chap. XX
n. 1 und 8, p. 80 fi. — Grein, Bibliothek der angelsächsischen
Poesie (Gott. 1857) 1, 235.
623
KAPITEL IV.
Der Frosch) die grrline Eidechse und die KrQte.
So leid es mir thut, kann ich doch nicht vollständig der Mei-
nung des berühmten Prof. Max Mtiller beistimmen y wenn . er zu
der Uebersetzung eines Hymnus des Rigveda in seiner „His-
tory of Ancient Sanskrit Literature" bemerkt: „Der 103.
Hymnus des siebenten Mandala^ welcher ein Lobgedicht auf die
Frösche heisst, ist offenbar eine Satire gegen die Priester.'* Es
ist möglich, dass man in einer späteren Periode zur Verspottung
einer der der mänddkas ähnlichen Brahmanenschule diesem Hym-
nus einen satirischen Sinn unterlegte, doch scheint mir das durch-
aus nicht in der Intention des yedischen Dichters gelegen zu
haben. Prof. Mttller hat selbst in seiner „History*' klärlich ge-
zeigt, wie die yedischen Hymnen in den Händen der Brahmanen
gelitten haben, durch eine höchst willkührliche Interpretation ; die
interessante Geschichte von dem hypothetischen Gotte Kas ist ein
schlagender Beweis dafür; es ist also möglich und sogar wahr-
scheinlich, dass man Versuche machte, diesen yedischen Hymnus
als Mittel der Satire zu benutzen, doch lässt sich, wenn ich mich
nicht täusche, in dem Hymnus selbst keine Spur einer satirischen
Bedeutung finden. Vor Allem muss ich bemerken, dass die Anu-
kramanikä des Rigveda den Hymnus eigentlich nur par^anya-
stuti, oder Hymnus zu Ehren Par^anyas, den Gewitterhymnus
nennt; zweitens scheint es wenig glaublich, dass ein satirischer
Hymnus, der auf die Carikirung der Priester zielte, in das siebente
Buch aufgenommen sein sollte, welches dem Vasishta, dem
frömmsten aller sagenhaften Brahmanen, zugeschrieben wird, ihm,
der zum Ruhme des Brahmanismus und der Rechte der Priester-
kaste einen so langen und unglücklichen Krieg gegen Vifvämitra,
den Kämpen der Kriegerkaste, führte ; wenn sich also ein satiri-
rischer Hymnus gegen die Priester in dem dem weisen Vi^vämitra
zugeschriebenen dritten Buche des Rigveda befunden hätte, so
würde ich darin nichts Befremdendes gesehn haben, während
er unter den von Vasishta geschriebenen Hymnen entschieden am
unrechten Orte sein würde. Mir scheint vielmehr der Hymnus,
wenn er von Fröschen spricht, nicht auf die Frösche der Erde
624
sondern auf die Wolken, die Wolken-Frösche anzuspielen, welche
von dem regnerischen Monde angezogen werden, wenn der Sturm
seine Höhe erreicht. Wir wissen, dass im ttigveda die Weiber
der Götter Hymnen zu Ehren des blitzenden und donnernden
Gottes Indra weben, welcher das Sehlangenungeheuer getödtet
hatte ; das die Wasser der himmlischen Wolke zurückhielt; wir
hörten ja auch in Theil I Kapitel I . die Kühe freudig brilllen vor
ihrem Befreier Indra, welcher seinen Samen auf sie tropfen lässt,
sobald mt aus der Hoble, in der sie eingeschlossen waren, befreit
sind. Die Hymnen 10 i und 102 des siebenten Buches sind zu
Ehren Indras wie Par^anyas gesungen; der Hymnus 103 ist
ebenfalls ihm zu Ehren gesungen, jedoch von den Wolken des
Himmels selbst, von den himmlischen Fröschen, da der Frosch,
welcher quakt, an den Himmel versetzt, nichts Anderes ist als die
donnernde Wolke; in der That hat im Sanskrit das Wort bfteka,
welches Frosch bedeutet, auch die Bedeutung Wolke. Wir sahen,
dass der Kuckuk , der im Frühling singt und die Landleute er-
mahnt, an die Arbeit zu gehen, den Donner in der Wolke per-
sonificirt; der Frosch hat dasselbe Amt; er kündet, gleich dem
Donner, das nahende Gewitter an ; mit den ersten Donnerscblttgen
meldet sich aber der Sommer, und so verkündet besonders der
quakende, der singende Frosch den Sommer. Ich erinnere mich,
dass noch vor wenigen Jahren in Turin die Kinder in der Hei-
ligen Woche, um das nahende Fest der Auferstehung Christi zu
begrüssen, welcher unter Blitzeszucken und Donnerschlägen starb,
ein hölzernes Instrument bliesen, das ein scharfes Gequiek hören
Hess, ähnlich dem Quaken eines Frosches und das deshalb canta-
rana (der Frosch singt) hiess. Nach Plinius sterben die Frösche
im Winter und werden im Frühling wiedergeboren; wenn die
Frösche einen König haben wollen, und in der griechischen Fabel *
eine Schlange, in der Kriloffschen Fabel einen Reiher ei^alten,
so symbolisiren die Schlange und der Reiher die Herbst- und
Winterszeit. Indra, Zeus und Christus werden geboren und
wiedergeboren unter dem G^äusch von musikalischen Instru-
menten, Schilden, Waffen, Winden und Donner, unter dem Brül*
len der Kühe, dem Meckern der Ziegen, dem Schreien der Esel,
' Vgl. Fand. iV, 1, wo der König der Frösche eine schwarze ächlango
um Hilfe anruft, uro sich an gewissen Fröschen zu rächen, welche seine
Feinde sind, statt dessen aber alle Frösche und seinen eigenen Sohn iu
den Tod sturst.
625
and dem Quaken der FrOsche, welche Aristophanes em q>vli^d6v
yivog nennt. Im 103. Hymnus des 7. Buches des Bigveda
brüllt ein mandüka (Frosch oder Wolke) me eine Kuh
(gomäyu); ein anderer wie eine Ziege (agamäyu); einer ist pri^ni
oder gefleckt; ein anderer harita oder schönhaarig; golden , roth
(die Wolke, die von dem Blitz und der Gewalt des Windes ge-
boren ist), und, als Frosch, grün oder gelb; wird der manddka
oder Frosch an den Himmel versetzt, oder, als gomäyu, mit der
Kuh identificirt, so ist es kein Wunder, dass in der Fabel der
Frosch sich einbildet, sich zu der Grösse eines Ochsen aufblasen
zu können ; sobald jedoch die kleine Wolke eine grosse geworden
ist, birst sie schliesslich, und ebenso geht es dem Frosch bei sei-
nem Versuch, sich auszudehnen und so gross wie der Ochse zu
werden. (In dem 18. ehstnischen Mährchen finden wir ein Un-
geheuer, welches einen Körper hat wie ein Ochse, und Fttsse wie
ein Frosch,) Wenn Indra und Zeus ihre Arbeit in der himm-
lischen Wolke gethau haben, wenn die Wolke zerstreut ist, wenn
die Frösche von Wasser betrunken sind, hören sie auf, zu qua-
ken; so stellen sie in den Fröschen des Aristophanes ihr Gequak
ein, als Dionysos (o Nvaalog) den stygischen Sumpf passirt hat;
als dagegen Zeus die Erde mit Wasser überfluthet, ziehen sie sich
(Jiog g>€vyovteg ofißQov) in die Tiefen der Wasser zurück, um im
Chorus zu tanzen (wie die Apsarasen). Sie quaken unaufhörlich,
bevor der Regengott ihren Wünschen genügt, bevor es regnet
der Donner lässt sich immer vor dem Begen und beim Ausbruch
des Gewitters hören; daher wird im Rigveda selbst Indu (der
Mond) als Begenbringer (oder der Regen selbst) angefleht) zu
eilen und pit Indra, dem Regengott, über die Befriedigung des
Wunsches der Frösche zu verhandeln. ^ Hier ist es also speciell
Indu , welcher dem Verlangen der Frösche nach Regen genugthut.
Indu als Mond bringt oder verkündet den Soma, den Regen ; und
in diesem Punkte wird der Frosch, den wir zuerst mit der Wolke
identificirten, auch mit dem regnerischen Monde identificirt Ein
anderes Charakteristikum des Frosches machte diese Identificirung
noch natürlicher, nämlich seine grüne Farbe (harit). Harit
(d. h. grün sowohl al» gelb) bezeichnete im Sanskrit den gelben
Mond, den grünen Papagei und — den Frosch. Als diese Iden-
tification bewerkstelligt war, konnten die Griechen von dem Frosch
von der Insel Seriphos (ßdrQaxog leqitpiog) fabeln, welcher stumm
* Vftr in mandüka idhatindrayendo pari srava; ^ig^* 1^? 1^^'
QubenuUls, die Thtare. ^
626
war; so lesen wir in den Vitae des St. Regnlas und des St.
Benno , dass diese beiden Heiligen y als sie bei der Predigt durch
das Quaken der Frösche gestört wurden, diesen Schweigen befah-
len, worauf auch wirklich die Frösche für immer verstummten.
In Wahrheit, die Frösche schweigen (sterben sogar, nach Plinius)
im Winter, der unter dem besonderen Regimente des schweigen-
den Mondes steht; der Frosch und der Mond werden miteinander
vertauscht. Bei Ovid wird der Frosch in den Mythus von Pro-
serpina, d. h. den Mondmythus hineingezogen; mehre Bauern Ly-
ciens nahmen nämlich Froschgestalt an, weil sie das Wasser, aus
welchem Ceres und Proserpina trinken wollten, trübten; ihr Qua-
ken (Koaxen) ist die Strafe* zu welcher sie von den Göttinnen
verurtheilt wurden, weil sie in jenen Wassern ein gemeines Ge-
räusch mit ihrem Munde ausgestossen hatten. ' Ein anderer Be-
weis für die Identität des Frosches mit dem Moäde ist das latei-
nische Sprichwort: „Rana cum gryllo", welches späterhin zur
Darstellung zweier entgegengesetzter Dinge diente, während die-
selben jedoch thatsäcblich in Anbetracht ihrer schrillen Stimme,
ihrer Art zu hüpfen und ihrer gemeinsamen mythischen Verbin-
dung mit dem springenden Monde, identisch sind. Wir denken
an den Mond und die Wolke oder die nächtlichen Schatten bei
dem Kriege zwischen den P'röschen und den Mäusen, welche ein-
ander vernichten, bis der Falke (die SonneJ kommt, um mit der
grössten Unparteilichkeit ihnen beiden den Garaus zu machen.
Wir denken femer an den kleinen Goldfisch, den schönhaarigen
Mond, und den Hecht, bei dem Frosch, der im Tu ti- Name des
Sultans Ring findet, welcher in den Strom gefallen war, aus
Dankbarkeit gegen den jungen Helden, der ihn einst vor der
Schlange gerettet hatte; es heisst, dass der Frosch und die
Schlange zwei Feen waren, welche, von ihrem Fluche befreit, sich
zur Beschützung des jungen Helden (der jungen Sonne) vereinigten.
In dem 23. mongolischen Mährchen tanzt der goldene Frosch (der
Mond) ; die Dohle (die Nacht) entführt ihn, um ihn zu verzehren ;
der Frosch empfiehlt ihr, ihn im Wasser abzuwaschen; die Dohle
wird hineingezogen und der Frosch entkommt glücklich, wie der
^ Eine ähnliche Sage lief um von der Tarantel (stellio). Ceres wollte
trinken ; der Knabe Steiles hinderte sie, und die Göttin verwandelte ihn in
einen stellio. Nach Uipian kommt von stellio, das dann auch einen
listigen, betrügerischen Menschen bedeutet, das crimen stellionatus
(das Vergehen des Betruges).
627
Barsch rassischer Mährchen; dieser Frosch soll die Tochter des
Drachenitirsten sein, welcher ttber die Perle wacht. Als Tochter einer
Schlange, erscheint der goldene Frosch (der Mond), wenn er dankel-
farbig ist, selbst als eine diabolische Schlange oder Zauberin, und ist
mehr Kröte als Frosch ; dann ist es, nach Sadder, ein Verdienst, die
Frösche zu tödten : „R^i^&s ^i interfecerit aliquis quicunque fortis
eorum adversarius, ejus quidem merita propterea erunt mille et
ducenta. Aquam eximat eamqae removeat et locum siccum faciat
et tum eas necabit a capite ad calcem. Hinc Diaboli damnum
percipientes maximum flebunt et ploratnm edent copiosissimum/'
In der zweiten kalmtlkischen Erzählung des Siddbikür nehmen
zwei Drachen, welche den Strom zurtlckhalten, der die Erde be-
wässert und fruchtbar macht, und welche jedes Jahr einen Menschen
fressen, die Gestalt von Fröschen an (eines gelben und eines grünen),
und sprechen miteinander ttber die Art und Weise, wie sie getödtet
werden können. Des Königs Sohn versteht ihre Sprache und
tödtet sie, wobei ihm ein armer Freund hilft, mit dem zusammen
er sich bereichert, doch nur um später, gleich den beiden mythischen
Brüdern, die gefährlichsten Abenteuer zu bestehen.
DoQh wird die diabolische Gestalt eines Frosches bisweilen
von dem schönen Mädchen (oder aber von dem schönen Jtlngling)
in Folge eines Fluches oder einer Bezauberung angenommen.
Sf> bei Afanassieff II, 23. Ein Tzar hat drei Söhne, von
denen jeder einen Pfeil abschiessen muss; wo der Pfeil hinfällt,
soll jeder sein vorbestimmtes Weib finden. Die beiden ältesten
Brüder heirathen auf die Weise zwei schöne Weiber; der Pfeil
des jüngsten Bruders Iwan dagegen wird von einem Frosch auf-
gefangen, den er heirathen muss. Der Tzar will sehen, welche
von den drei Bräuten ihrem Zukünftigen das schönste Geschenk
machen wird. Alle drei geben ihrem Gemahl ein Hemde, doch
das der Fröschin ist das schönste; denn während Iwan schläft,
d. h. in der Nacht, streift sie ihr Fell ab, wird die schöne
Helene (gewöhnlich die Aurora, doch hier, so scheint es, die gute
Fee Mond) und lässt von ihren Dienerinnen das allerschönste
Kleid anfertigen; dann wird sie wieder ein Frosch. Der Tzar
(ein wahrhaft patriarchalischer Tzar !) will nun sehen, welche von
seinen Schwiegertöchtern am besten Brod bäckt ; die beiden ersten
Frauen wissen nicht, was sie thun sollen, und schicken heimlich, um
zu sehn, was der Frosch thut; dieser, der Alles sieht, versteht den
Streich und bäckt das Brod absichtlich schlecht; dann aber, als er
allein ist und Iwan schläft, wird der Frosch wieder die schöne Helene
40*
688
and lä69t von ihren Dienerinnen ein Brod backen^ wie e^ ihr Viiter
nur an Feiertagen ass. Das Brod des Frosches wird als das
beste ausgerufen. Schliesslieh will der Tzar sehen^ welche von
seinen Schwiegertöchtern am Best^ tanzt Iwan ist betrübt,
weil er seine Frau flir einen wirklichen Frosch hält ; doch Helene
tröstet ihn, indem sie ihn auf den BaU schickt, wo sie ihn
treffen werde; Iwai) freut sich; dass sein Weib sprechen kann,
und geht auf den Ball; der Frosch streift seine Haut ab, wird
noch einmal die schöne Helene, zieht sich glänzend an, kommt
auf den Ball, und Alle rufen bei ihrem Anblick (wie bei dem der
homerischen Helena): „Wie schönt'' Zuerst setzen sie sieh an
die Speisetafel ; Helene nimmt Knochen in eine Hand und Wasser
in die andere; ihre Schv^erinnen thun das Gleiche. Darauf
beginnt der Bali. Helene spritzt Wasser aus der einen Hand,
und es entstehen Haine und Quellen ; und wirft die Knochen aus
der anderen (vgl. die Knochen der Kuh), aus denen Vögel
herausflattern (dasselbe wird in einem Mährchen erzählt, das ich
im Piemontesischen als Kind hörte). Mittlerweile eilt Iwan heim,
um die Froschhaut zu verbrennen. Als Helene nach Hause kommt,
kam sie nicht wieder Frosch werden, und ist sehr betrübt
darüber; ndenn'' sagt sie, als sie am Morgen an der Seite Iwans
erwacbtf ^^Iwan Tzarevid, Du bist nicht geduldig genug gewesen ;
ich hätte Dein sein können; jetzt, da Gott es anders will| lebe
wohl! Suche mich in der siebenundzwanzigsten Erde, in dem
dreissigsten Königreiche'' (d. h. wohl : in der Hölle, in der Nacht,
in welche der Mond und die Aurora hinabsinken, und aus welcher
der Mond wieder herauskommt und sich erneut, nach 27 Tagen;
dass russische Mährchen ist offenbar eine Yariation der Fabel von
Amor und Psyche). ' Darauf verschwindet sie. Iwan geht seine
Braut in der Wohnung der Froschmutter suchen, welche eine
Ue%» ist; er nimmt ihr die Spindel weg, welche Gold spinnt, und
wirft einen Theil davon vor sich, einen Theil hinter sich.
Helene erscheint wieder, und das Paar flieht auf dem Teppich,
der von selbst fliegt.
Doch nehmen im Volksmärchen der Held und die Heldin
durch Bezauberung statt der Gestalt eines schwarzen Frosches
auch die einer Kröte an, und bisweilen die einer gehörnten
Eidechse ; ^ daher die Verse Mehun's :
' Vgl. auch A fan. VI^ 55; Masha (Marie), Iwans Weib, ersdieint zu-
erst als Gans, dann als Frosch, als Eidechse und als Spindel.
* Im Pentam« I, 8 ist es eiao la^erta cornuta (g^örnte Ei-
628
„Boter^u)r et coqleavrea, virions de deables/'
Sofeni die Kr&te eine dem Dämon eigene Gestalt ist^ wird sie ge-
fürchtet und gejagt; sofern diese diabolische Gestalt dagegen
einem göttlichen oder fttrsüiehen Wesen aufgezwungen ist^ wird sie
als eia heiliges Thier betrachtet und verehrt. Im Toscf^nisehen wird
es Ton den Bauern als ein Sacrilegium betrachtet; eine Kröte £u
tödten. Ein vulgäres toscanisches Lied, das ich in San Stefano di
Galcinaia hörte, sjHicht von der Verwandlung des schönen Mädchens
in eine Kröte; die Mutterkröte spricht ihrer Tochter Trost ein, indem
sie ihr Hoflnung auf baldige Heirath des Königssohnes macht:
„Botta, gragna, >
II figlio del re che poco ti ama,
Se non t*ama, t'amerk,
Quando per isposa Ifii favi^"
Der Prinz heirathet die Kröte, welche sofort in ein schönes
Mädchen verwandelt wird. Bezüglieh der abergläubischen Vor-
stellungen von der Kröte, die in Siciiien herrschen, kann ich aus
Briefen meines Freundes Gins. Pitr6 folgende interessante Notizen
beibringen: — „Die Kröte bringt Glück; wer kein Glück hat,
muss sich mit einer Kröte versehn und sie in seinem Hause mit
Brod und Wein füttern, * einer geweihten Nahrung, da Kröten, wie
dcchse, der Mond), welche über das G^chiok des Mädchens RenltoUe (der
Aurora) wacht.
' „Kröte, es hagelt! Der Sohn des Königs, Der dich wenig liebt, wird,
wenn er Dich nicht liebt, Dich lieben, sobald er Dich geheiraüiet haben
wird." Die Wörterbücher haben das Wort gragnare als Verbum nicht;
da jedoch gragnuola, Diminutiv von gragna, den Hagel bedeutet, so
hat das Verbum hier aagenscheinlich die Bedeutung : es hagelt. In Italien
glaubt man, dass Kröten aus den ersten dicken Tropfen entstehen, welche
beim Beginn eines Gewitters in den Staub fallen.
' Einen ähnlichen Aberglauben in Deutschland constatirt Bochholz,
Deutscher Gl. u. Br. f p. 147: „Auch die flauskröte, Unke,
Muhme genannt, wohnt im Hauskeller und hält durdi ihren Einfluss die
hier verwahrten Lebensmittel in einem gedeihlichen Zustand. Dadurch
kommt Wohlstiand ins Jijai^, und das Thier heisst daher Schatzkrö^. In
Verwechslung mit dem braunschwarzen Kellermolch wird sie auch Gmöhl
genannt und soll eben so oft ihre Farbe verändern, als der Familie eine
Veränderung bevorsteht." — Bekannt sind die mannigfachen Vorstellungen,
die sich an den Salamander knüpfen, nämlich dass er der Macht des
Feuers widersteht, dass er im Feuer lebt, das« er wie Feuer wird: „immo
ad ignem usque elementarem orbi lunari finitimum ascendere'* (nach Al-
drovandi), und dass er, selbst der Haare haar, die Haare Anderer durch
seinen Speichel sum Ausfallen bringt, weshalb Martial eine Frau mit
folgendem Verse zur Kahlköpfigkeit verdammt:
630
behauptet wird, entweder ,Herren' oder ,Weiber der Aussenwelt*
oder ,unbegriflfene Genien/ oder ,mäcbtige Feen' sind, welche
unter einem Fluche leiden. Deshalb werden sie nicht getödtet,
noch auch beunruhigt; geschieht dieses, so kommen sie in der
Nacht und speien Wasser auf die Augen dessen, der sie gestört
hat, so dass dieselben nie wieder heilen, selbst nicht, wenn er sich
dem Wohlwollen der Santa Lucia empfiehlt." Daher schreibt der
Dichter Meli in seinen Fata Galanti, dass er einen Bauer daran
verhinderte, eine Kröte zu tödten:
„Jeu ch'avia 'ntisu da li mici maggiuri
Che li buffi 'un si divinu ammazzari,
Fici in moda chi Tira e lu rancuri
A ddu viddanu cci fici passari/*
Zur Belohnung ftlr diese Lebensrettung erscheint ihm die Kröte
bald nachher in der Gestalt eines sehr schönen Weibes, und ver-
spricht, ihm alle Tage seines Lebens beizustehen:
„Oh picciotti furtunatu!
£a ti pmtiggiro d'ora nu' avanti,
Jeu su' dda buffa, chi tu, gratu e umanu
Sarvasti antura da Timpiu viddanu/^
In Cavour im Piemontesischen hörte ich von einer Bauer-
frau folgendes .Mährchen, in welchem die Kröte die diabolische
Gestalt ist, welche ein schöner Jüngling angenommen hat :
Ein paralytischer Mann hat drei Töchter, Catharine, Clorinde
und Margaret; er macht sich auf die Reise, um einen grossen
Arzt zu consultiren, und fragt seine Töchter, was er ihnen von
der Reise mitbringen soll ; Margaret will mit einer Blume zufrieden
sein. Er kommt an seinen Bestimmungsort, ein Schloss ; Alles ist
zu seinem Empfange bereitet, doch der Doctor ist nicht zu finden ;
er macht sich auf den Reimweg; da fallt ihm die Blume ein; er
kehrt um, und will eben im Schlossgarten eine Gänseblume
(margerita) pflücken, als ihm eine Kröte warnend den Tod binnen
drei Tagen prophezeit, wenn er ihr nicht eine von seinen Töchtern
zum Weibe giebt. Der Vater setzt diese davon in Kenntniss,
),fi[oc salamandra caput aut saeva novacula nudet.**
Piinius empfiehlt deshalb gegen das Gift, welches dem Salamander zuge-
schrieben wird, den Samen der haarigen und stacheligen Nessel mit einer
Schildkrötensuppe. Der Salamander des Volksglaubens scheint mir den
Mond darzustellen, welcher von selbst glänzt, welcher von seinem eigenen
Feuer lebt, welcher selbst keine Strahlen oder Haare hat, welcher aber
der Sonne die Strahlen oder Haare ausfaUeu lässt.
631
und die jüngste willigt eiD; um ihrem Vater das Leben zu retten.
Ihr Vater wird geheilt, und die Hochzeit findet statt; während
der Nacht wird die Kröte ein schöner Jüngling, der jedoch seine
Braut waiiit, niemals zu irgend Jemandem davon zu sprechen;
thue sie das doch, so werde er immer eine Kröte bleiben; er
giebt ihr einen Ring, vermittelst dessen sie Alles erlangen kann,
was sie verlangt. Die Schwestern haben eine Ahnung von dem
Geheimniss und bringen sie zum Plaudern ; die Kröte wird krank
und verschwindet; Margaret ruft ihren Gemahl durch den Ring,
— vergebens; da wirft sie den Ring, als nutzloses Möbel, in
einen Tümpel, aus dem der schöne Jüngling heraussteigt, um nie
wieder eine Kröte zu werden; sie gemessen nun zusammen ihr
Glück ungestört
In einem ebenfalls noch nicht veröfientlichten, toscanischen
Mährchen, das mir die Bauerfrau Uliva Selvi in Antignano bei
Livomo erzählte, haben wir statt der Kröte einen Zauberer,
schrecklich anzuschann. Der Vater der drei Töchter ist Seemann ;
er verspricht der ersten einen Shawl, der zweiten einen Hut, der
dritten eine Rose zu bringen. Auf der Rückreise will das Schifif
nicht weiter, weil er die Rose vergessen hat; er holt sie aus
einem Garten; ein Zauberer händigt dem Vater die Rose sammt
einer kleinen Büchse ein, um sie einer seiner Töchter zu geben,
welche der Zauberer heirathen soll. Um Mitternacht erzählt der
Vater nach seiner Rückkehr der dritten Tochter Alles, was ihm
begegnet ist. Die kleine Büchse wird geöfinet; sie trägt die
dritte Tochter zu dem Zauberer, welcher gerade König von
Pietraverde und eben ein schöner junger Mann ist Er zeigt
ihr in dem Palast drei Zimmer, ein rothes, ein weisses und ein
schwarzes. Sie leben glücklich miteinander. Mittlerweile soll
sich die älteste Schwester verheirathen ; der Zauberer fuhrt sein
Weib in das rothe Zimmer; sie will zur Hochzeit gehn und der
Zauberer willigt ein, warnt sie jedoch, Niemandem zu sagen, wer
er ist, oder irgend Etwas, was sie von ihm weiss, zu erzählen,
widrigenfalls sie ihn verlieren würde ; wollte sie ihn dann wieder
haben, so müsste sie warten, bis er alle Schuhe, die überhaupt
auf der Welt existiren, abgetragen haben würde. Er giebt ihr
ein Kleid, welches man schon von Weitem rauschen hört, wenn
sie darin geht ; er sagt ihr ferner, wenn ihr die Haarnadel herab-
fiele, so solle sie die Braut dieselbe auflesen und behalten lassen,
verbietet ihr auch, irgend Etwas, was man ihr zu essen oder zu
trinken anbietet, zu berühren. Sie beobachtet all diese Vor-
632
Schriften nach dem Buchstaben. Die zweite Schwester soll sich ver-
heirathen ; der Zauberer führt seine Gemahlin in das weisse Zimmer
und giebt ihr dieselben Vorschriften wie vordem ; nur soll sie statt der
Haarnadel ihren Brilliantring fallen lassen. Der Vater stirbt ; der
Zauberer flihrt sein Weib in das schwarze, das Trauerzimmer.
Sie will zu dem Begräbniss gehn und erhält nach den üblichen
Warnungen die Erlaubniss dazu; der Zauberer giebt ihr ausser-
dem einen Ring;- wenn sie diesen schwarz werden lasse, so
müsse sie ihn (den Zauberer) verlieren ; sie vergisst die Warnung
und verliert ihn. Sie wandert sieben Jahre lang umher, und
Niemand kann ihr Nachricht von dein König von Pietraverde
geben; sie verkleidet sich nun als Mann und gelangt in eine
Stadt, wo sie in die Dienste des königlichen Stallmeisters tritt;
kaum berührt sie die Kutschen, als sie auch schon blank und
sauber sind. Die Königin kommt vorbei und erstaunt über die
Erscheinung des Jünglings ; sie engagirt . ihn erst als Küchen-
jungen, dann als Tafeldiener, und endlich als valet de chambre.
Die Königin verliebt sich so in den vermeintlichen Jüngling, dass
sie ihn um jeden Preis ganz besitzen will, — vergebens! sie
klagt ihn nun an, dass er ihr das Leben nehmen wolle. Das
Mädchen wird ins GefUngniss geworfen, jedoch von dem König
begnadigt und freigelassen. Sie setzt, immer noch als Mann ver-
kleidet, ihre Wanderung fort, kommt in die Hauptstadt und fragt
nach dem König von Pietraverde; man sagt ihr, der sei längst
gestorben, und zeigt ihr ein Zimmer, wo seine Bahre von Wachs-
kerzen getragen ist; er werde nicht erwachen, bis die Kerzen
verzehrt sind. Sie geht hinzu und weint; der König nimmt drei
Haare aus seinem Bart und empfiehlt ihr, dieselben sorgfältig zu
bewahren. Sie setzt ihre Wanderung fort, immer noch als Mann
angezogen, und wird wieder von Reitknechten eines Königs
angenommen. Die Kunde von ihrer Tüchtigkeit gelangt zu den
Ohren des Königs, der sie in seiner Küche beschäftigt. Die
Königin verliebt sich in sie; — vergebens! Sie verklagt den ver-
meintlichen Burschen beim König, der das Mädchen ins Gefäng-
niss wirft; sie wird zum Tode verurtheilt, und das Schaffet wird
hergerichtet. Als sie zur Hinrichtung geht, erinnert sie sich der
drei Haare und verbrennt eines; eine Armee von Kriegern
erscheint, die von dem König von Pietraverde geschickt sind; sie
erschrecken das ganze Volk des Königs, den sie zwingen, die
Hinrichtung bis zum nächsten Tage aufzuschieben. Den nächsten
Tag thut sie dasselbe mit demselben Erfolge. Den dritten Tag
633
bringt sie das dritte Haar heraus. Die Kavallerie erscheint^ dies-
mal mit dem König von Pietraverde selbst als Befehlshaber; er
ist so gekleidet; dass er wie ein Brilliant; wie die Sonne glänzt ;
er befreit das Mädchen, lässt sie als Prinzessin kleiden, und setzt
einen Gerichtshof ein, der über ihre Sache entscheidet ; ihre Un-
schuld wird festgestellt, und der Königin der Kopf abgeschlagen.
Aldrovandi erzählt mehre Fälle von Weibern, welche Kröten
das Leben gaben. ^
Wie sich nach dem doppelten und widersprechenden Charakter,
den die Kröte zeigt, erwarten lässt, hält zwar der Volksglaube die
Feuchtigkeit, welche die Kröte, wenn man sie reizt, hinten aus-
spritzt, ftir tödtlicji, ja, hält sogar die Pflanzen, über welche die
Kröte sich bewegt hat, für vergiftet; empfiehlt dennoch aber das
Ti'agen getrockneter Kröten unter den Achselhöhlen als ein Zau-
bermittel gegen Pest und Gift. Dieselbe alexipharmische Kraft
wurde auch dem sogenannten Krötenstein beigelegt, welcher der
Sage nach seine Farbe veränderte, wenn sein Träger vergiftet
war. Man glaubte, dass der Krötenstein aus dem Krötenkopf
genommen werde; doch die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass
das von den Quacksalbern als Bufonita, Krötenstein verkaufte
Amulet aus dem Zahne eines fossilen Fisches gemacht ist. ^ Aus
der Kröte, dem schwarzen Thiere der Nacht, des Dunkels oder
Winters, kommt die Sonnenperle; so betrachten auch deutsche
' „Suessanus tradit, quod bufonem quempiam obviam fieri felicissimum
angurium faisse antiquitas existimavit. — Anno 1553, in villa quadam
Thuringia ad Unstram, a muliere bufo caudatus natus est, quemadmodum
in Hbro de prodigiis et ostentis . habetur. Nee miram, quia Ooelius Aura-
lianus et Platearius scribunt mulieres aliquando cum foeto humano bufones
et alia animalia hujus generis eniti. Sed hujus monstrosae eonceptionis
causam non assignant. Tradit quidem Platearius illa praesidia, quae ad
provocandos menses commendantur, ducere; etiam bufonem fratrem Saler-
nitanorum quemadmodum aliqui lacertum fratrem Longobardorum nomi-
uaut. Quoniam mulieres Salemitanae potissimum in prindpio eonceptionis
succum apii et porrorum potant, ut hoc animal interimant, antequam foe-
tus viviscat. Insuper mulier quaedam ex Gesnero, recens uupta cum om-
nium opinione praegnans diceretur, quatuor animalia bufonibus similia
peperit et optime valuit/* — Aldrovandi liest auch in der Uist. Mirac.
Heisterb. , dass einige Mönche eine lebendige Kröte in einer Henne an
Stelle der Eingeweide fanden. Bei demselben Autor findet ein Pfafie eine
ungeheure Kröte auf dem Grunde eines Weinkruges; indem er noch seine
Betrachtung darüber anstellt, wie eine so grosse Kröte durch eine so kleine
OeÖnung gehen konnte, verschwindet die Kröte.
* Vgl. TargioniTozzetti, Lezioni di Materia Me dica,Firenze, 1821.
634
Volksmährchen die Schildkröte als heilig wegen der Perle, die in
ihrem Kopfe enthalten sein soll. In Ungarn heisst es, dass in
der trockenen Jahreszeit die Kröte den Thau verschlackt; man
glaubt ferner, dass der Frosch, gleich der Schlange, im Frühling
einen kostbaren Stein ausspeit, welcher der Schlangen- oder der
Froschstein heisst. Nach einer Mittheilung des Grafen Geza Knun
werden in dem Testament eines Bürgers von Kaisa drei goldene
Ringe erwähnt, deren einer einen „Froschstein" enthält.
Schon oben wurde Ijemerkt, dass die Stelle der Kröte in
Volksmährchen bisweilen von der gehörnten Eidechse eingenommen
wird; die Eidechse stellt ebenfalls die dämonische Gestalt, die
Gestalt der Hexe dar. Interessant ist in dieser Beziehung die
Erörterung Karl Simrocks über das Wort Eidechse, dessen
ältere Form Hagedisse (d. i. Hexe) ist. Als Hexe wird die
Eidechse im griechischen Mythus von Apollo getödtet, welcher
davon den Beinamen aavQOKTovog hat. ^ Sofern jedoch die Eidech-
sen im Frühling erscheinen und die schöne Jahreszeit ankündigen,
werden sie (nach Porphyries) als der Sonne heilig, und deshalb
als von guter Vorbedeutung betrachtet 'Ein Bologneser Sprich-
wort sagt; „Sanf Agnes, la luserta cor pr' al paes/' um anzu-
zeigen, dass eine schönere Jahreszeit beginnt, sofern sich mit dem
Erscheinen der Eidechsen am St. Agnestage, d. h. im Beginn des
März, der Frühling bemerkbar macht. In Sicilien glaubt man,
die kleinen Eidechsen, welche San Giuvanni heissen, nicht tödten
zu dürfen, weil sie in der Gegenwart des Herrn im Himmel sind
und dem Herrn die kleine Lampe anzünden (wie wir schon das
Johanneswürmchen dem Getreide Licht geben sahn). Wenn sie
aber doch getödtet werden, so muss der, der es thut, damit ihn
nicht ihr Fluch trifit, zu dem Schwanz, der hin und her wackelt,
sagen, dass er nicht der wirkliche Tödter war, sondern dass der
Hund des St Matthäus das Verbrechen begangen habe:
„Nun fu' ieu, nun fu* ieu:
^ _ Fu lu cani di San Matteu."
' Einige ausserordentliche Eidechsen , von denen Aldrovandi spricht,
haben eine halb heilige, halb Ungeheuematur : ,,Praeter illud memorabile,
quod Mizaldas recitat accidisse anno Domini 1551, mense Julii in Hnngaria
prope pagnm Zichsum juxta Theisum fluvinm nimirum in multorum homi-
num alvo lacertas naturalibus similes ortas faissc. Interdum contingit, ut
animadvertit Schenchius, lacertam viridem in caeti magnitudinem excros-
cere, quails aliquando Lutetiae visa est. Saepe etiam lacertae duobus et
tribus caudis refertae naseuntur, quas vulgus ^udentibus favorabiles esse
nugatur."
^ or THE
CA' [^cjß^ 635
Man hält sie für mächtige Fürsprecher bei dem Herren, und des-
halb wärmen sie die sicilischen Kinder in ihrem Busen und nähren
sie mit in Wasser aufgeweichten Brodkrumen.
Doch ein besonders heiliger Charakter wird der iacerta
viridis (ital. ramarro; sicil. vanuzzu, Diminut. von Gio-
vanni) und der d(4q)lgliaiva zugeschrieben; von welcher letzteren
die Alten glaubten^ dass sie zwei Köpfe habe (wie der indische
ahfrani), indem ihr Schwanz für einen Kopf genommen wurde.
Diese Schlangenart wird in Indien noch heut für heilig gehalten
und verehrt. ^ Die grüne Eidechse des Volksaberglaubens ist
theils solar und theils lunar. Das Glühwürmchen und die Wachtel
sind; als Sommerthiere der SonnC; als nächtliche Wächter dem
Monde heilig; so erscheint die grüne Eidechse, als ein Sommer-
thier, welches die Schlange des Winters verjagt, speciell in Be-
ziehung zu der Sonne; sofern es jedoch auch die Schlange der
Nacht giebt; nimmt die grüne Eidechse oder der grüne ramarro
die Stelle des Krebs-Mondes ein, d. h. sie weckt den jungen
SonnenheldeU; welcher in der Nacht schläft, und weckt den schla-
fenden ManU; damit ihn die Schlange nicht beisse. Der Mond
des Winters weckt die Sonne des Frühlings, der Mond der Nacht
weckt die Sonne des Tages; die Mond-Eidechse verjagt, gleich
dem Mond-Krebs, die Schlange oder das schwarze Ungeheuer.
Im Piemontesischen, Toskanischen und in Sicilien wird die grüne
Eidechse für den Freund Jedermanns gehalten; und wirklich
heisst sie in Sicilien guarda omU; weil man dort glaubt, dass
sie von Behexung heilt, vielleicht wegen des gelben Kreuzes,
welches das Volk auf ihrem Kopfe zu sehn glaubt. In San
Stefano di Calcinaia sagt man, dass die grüne Eidechse, wie ein
Christ; Christenmenschen in die Ohren zischt, wenn sich ihm die
Schlange naht: man erzählt sogar mehre Fälle von Schäfern oder
' Im Mahäbh. 1 , 981 — 1003 heisst es , dass Amphisbaenen (dun-
4ubhä8, dundavas, ndgabhritas, meines Eraefateus iudentisch mit den man-
nuni Malabars), als gute Thiere, nicht getödtet werden sollen; eine Am-
phisbaena erzählt, sie sei einst der weise Sahasrapäd gewesen (eigentlich
der Tausendfüssige ; die amphisbaena scheint eine Eidechse ohne Füsse zu
sein, und mit einem Schwanz, der die Gestalt ihres Kopfes hat, wodurch
der Glaube an ihre Zweiköpfigkeit aufkam; sie scheint eine andere
Personification des kreisenden Jahres zu sein, gleich der Schlange), und
sei eine Schlange in Folge eines Fluches geworden, weil sie einst einen
Brahmanen durch eine nachgemachte Schlange aus Gras erschreckt hatte;
beim Anblick des weisen Kuru wird die amphisbaena von diesem Fluche
erlöst.
636
BaaerO; welche eingeschlafen waren und von einer über sie schlu-
pfenden grünen Eidechse gerettet wurden (Aldrovandi erwähnt einen
ähnlichen Aberglauben). Man glaubt femer, dass die ^ne Ei-
dechse, gefangen und in ein Gefäss mit Oel gesteckt, das Ra-
marro-Oel hervorbringt, welches gegen Wunden und Qift gut sein
soll. In den Gentes Merveilleux Porchats beschützt eine
Fee den armen Laric und bringt ihm in Gestalt einer dankbaren
c 0 u 1 e u V r e , die er im Winter im Schnee erfroren fand und in
seinem Busen wärmte, Glück. Die couleuvre lässt für Laric aus
den Schnäbeln gewisser Rebhühner Goldstücke fallen, giebt ihm
die Fähigkeit, Alles zu linden, was er braucht, und legt seinem
Weibe eine goldene Kette um. So entsprechen einander der gol-
dene (oder grüne) Fisch, der goldene (oder grüne) Frosch und die
goldene (oder grüne) Eidechse in dem schönen Mythus von der
guten Mond- Fee, welche den Sonnenhelden, resp. die Sonnen-
heldin sowohl in der Nacht des Tages als der des Jahres be-
schützt.
laa«^
637
KAPITEL V.
Die Sehlange and das Wassernngeheaer«
Das Tbier^ mit welchem ich die Betrachtung der mythischen
Zoologie schliesse, ist vielleicht das volksthttmiichste der ganzen
Reihe. Der allgestaltige Dämon lässt den Gott oder den Helden,
der in seine Macht fällt, die verschiedensten Thiergestalten an-
nehmen ; doch fast immer bewahrt er für sich als seine beliebteste
und bevorzugteste (restalt die der Schlange. Den Teufel, sagt
das Yolkssprich wort, kennt man am Schwänze ; und um zu zeigen,
dass Weiber mehr wissen als der Teufel, fügt es hinzu, dass sie
auch wissen, wo der Teufel seinen Schwanz versteckt, oder wo
er sein Gift hält, denn sein Gift und seine Macht, Böses zu thun,
stecken in seinem Schwänze. Ein Teufel ohne Schwanz würde
nicht ein wirklicher Teufel sein ; sein Schwanz verräth ihn, und
dieser Schwanz ist der Scblangensch wanz. ^ Bei A f a n a s s i e f f V, 45
kommt die Teufel-Schlange jede Nacht zu der jungen Wittwe
in Gestalt ihres abgeschiedenen Gatten, speist mit ihr und schläft
bei ihr bis zum Morgen; jede Nacht wird diese dttnner, wie eine
Kerze vor dem Feuer; ihre Mutter räth ihr nun, wenn sie bei
Tische sitzen, einen Löffel auf den Boden fallen zu lassen, damit
sie, ihn aufhebend, die Füsse des nächtlichen Gastes etwas ge-
nauer ansehe; statt seiner Fttsse siehr sie nur einen Schwanz.
Darauf geht die Wittwe in die Kirche, um sich die Absolution
ertheilen zu lassen.^
Die Teufel-Schlange erscheint in besonderer Verbindung mit
den unterirdischen Wassern (Finstemiss der Nacht und des
Winters, und Wolkenhimmel); welche die Schätze, die Perle, den
Sonnenhelden oder die Sonnenheldin mit den Wassern der Jugend
' AagustinoB, Hom. 3ß, sagt von dem Teufel: „Leo et draco est;
Leo propter impetum, Druco propter insidias.'* Im Albanesischen heisst
der Teufel dreikj, im Romanischen dracu.
' Ein Sprichwort des Rslmäyana sagt, dass „nur eine weibliche
Schlange die Füsse einer männlichen Schlange unterscheiden kanu^^ (V, 38:
Ahireya hyahe^ pädäu vigftniyftnna sam^aya^). Die Füsse der Schlange
sind wie die des Teufels (identisch mit dem Phallus) nur für eine weib-
liche Schlange erkennbar.
■
638
nnd des Lebens verbergen. Die Teafel - Schlange ziebt alles
Schöne an sicb^ bald um es zu verschlacken; bald um es wie
ein Geizhals zu hüten. Der Drache wurde das Symbol des Zurück-
halters der Wasser, des Hüters der Schätze, welcher Alles, was
glänzt, verschlingt oder an sich zieht. Nach Du Gange ist
dracns der Name eines „species daemonum, qui circa Rhodanom
fluvium in Provincia visuntur forma hominis, et in cavemis man-
sionem habent/' In einem alten lateinischen Manuskript bei
Du Gange wird der Teufel hydra oder Wasserschlange genannt;
Hincmarus Remensis glaubt, dass die Schatten der Dämonen aus
dem Wasser citirt werden können, ^ Daher der in deutschen und
slavischen Ländern so häufige Brauch, — das Wasser zu segnen,
um die Ungeheuer daraus zu vertreiben;^ daher auch der Brauch,
den ich in mehren Theilen Russlands beobachtet habe, wo die
Kinder, bevor sie in den Fltlssen baden, und sobald sie die Füsse
in das Wasser stecken, tiefe Verbeugungen und das Zeichen des
Kreuzes machen; daher wird, nach Du Gange, der Meergott
Neptunus im Mittelalter unter dem Namen Aquaticus eine
Personification des Teufels;' daher nimmt auch die Fischotter
(m;d^^) in der Edda einen diabolischen Charakter an, wo die
Äsen ihr das Fell abziehn und es mit dem Golde itlllen, das dem
Zwerg-Hecht Andvaijii abgenommen ist, und bei A f a n a s s i e f f 1, 6,
wo sie die Thiere der Menagerie eines Tzaren umbringt und
schliesslich den dritten Sohn des Tzaren, Iwan, unter einen unge-
heuren weissen Stein (den schneeigen Winter) in der Unterwelt
zieht, wo Paläste von Gold nnd Silber und drei schöne Mädchen,
' Tom. I : ,,Sunt qui in aquae inspectione umbras daemonum evocant, et
imagiones vel ludificationes ibi videre et ab iis aliqua audire se periii-
bent." — Vgl. auch Aoguetinos, De Civitate Dei, VII: „Ipse Numa,
ad quem nullus Dei propheta, nuUus äanctus Angelus mittebatur, Hydro-
mantiam facere compulsus est, ut in aqua videret imagines deomm vel
potius ludificationes daemonum, a quibus audiret, quid in sacris constituere
atque observare deberet. Quod genus divinationis idem Varro a Persis
dicit allatum."
' £r besteht auch in Rumänien, wo das neue Sonnenjahr durch die
Segnung des Wassers gefeiert wird, um die Dämonen» die es bewohnen,
zu bannen.
■ Codex Reg., 5600 anu. circ. 800, fol. 101, bei Du Gange: „Sunt
aliqui rustici homines, qui credunt aliquas mulieres, quod vulgum didtur
striasy esse debeant, et ad infantes vel pecora nocere possint, vel dusiolus,
vel Aquatiquus, vel geniscus esse debeat/* Neptunus , vel aliquis genius,
quia quis praeest designari videtur.
J
639
Schwestern des Fischotter-Ungeheuers, sind, welches in dem Meere
schläft and so schnarcht, dass es die Wogen in einem Umkreise
von sieben Werst aufrührt, bis Iwan, nachdem er das Wasser
der Stärke getrunken hat, dem Ungeheuer mit einem Schlage den
Kopf abschlägt.
Doch um denselben Weg auch hier einzuschlagen, dem wir
bis hieher immer gefolgt sind, wollen wir vor Allem die Sagen
von dem Wasserungeheuer, dem Drachen oder der Schlange in
der indischen Mythologie durchgehn.
Die wichtigste der Heldenthaten, welche der vedische Gott
Indra vollbringt, ist, wie schon bemerkt, die, dass er das Unge-
heuer tödtet; der Kampf Indras mit dem Ungeheuer ist das
Thema aller grossen indo-persischen, griechisch-römischen, turko-
slavischen , skandinavo - germanischen und fränkisch - celtischen
Epen, wie auch der bei weitem grösseren Anzahl derVolksmährchen,
welche das wahrhafte epische Material der neuen Epopöen sind.
Indra, Vishnu, Ahura-Mazda, Feridun, Apollo, Heracles, Eadmos,
Jason, Odin, Sigurd, und mehre andere Götter und Helden werden
wegen ihres Kampfes mit der Schlange und deren Besiegung ge-
priesen. Gewöhnlich erscheint nun in den vedischen Hymnen das
schwarze Ungeheuer (krishna), das wachsende Ungeheuer (rauhin),
das erwachsene Ungeheuer (pipru), das Bedecker -Ungeheuer
(vritra), das austrocknende Ungeheuer (gushna), das zurttck-
haltende Ungeheuer (namuci) unter dem Namen und der Gestalt
einer Schlange, oder ist ihr doch ähnlich, * und neigt sich jeden-
falls zu der Annahme der Schlangengestalt wegen seines Geschäftes
als constrictor, seiner schwarzen Farbe und anderer charakteris-
tischer Eigenschaften, welche er gemeinschaftlich mit der Schlange
(Ahi) besitzt. «
Das von -Indra getödtete Ungeheuer, das Ungeheuer mit der
schrecklichen Stimme, dem Indra mit einem Donnerkeil den Kopf
einschlägt, hat gleich der Schlange keine Füsse, keine Hände
' Die Ungeheuer, welche durch Zaubertrug in den Himmel steigen,
aber von Indra getödtet werden, kriechen wie Schlangen: Mftyäbhir
utsiaripsata indra dyäm; Rigv. VIII, 14, 14.
* Arbuda, d. h. das Ungeheuer, welches Indra, der Widder (mesha),
während es liegt, mit seinen Füssen zertritt ^ (denn ni-kram scheint nur
diese Bedeutung zu haben), ist nichts Anderes als eine Schlange; femer
ist der, dessen Volk die sarpäs oder Schlangen sind, der König der
Schlangen. Mit Arbuda dürfte das lat. rep-ere, rept-are, rept-ilis
in Verbindung zu bringen sein.
i.
640
und keine Schaltern J Doch die Schlange wird im Kigveda
auch oft ausdrücklich als ein Ungeheuer erwähnt, welches die
Wasser zurtlckhält und welches von Indra getödtet wird. Die
Schlange, die Erstgeborene der Schlangen^ lag auf dem Berge, ^
lag unter ihrer Mutter, ^ hielt zurück die Wasser , ihre Weiber,
eingeschlossen, wie ein Geizhals seinen Schatz;^ ein Geizhals
oder reicher Räuber, ^ einem Zauberer gleichend, stand der
Schlangen-Dämon in einer Höhle eingeschlossen und hielt die
Wasser darin zurück; ^ er legte sich nieder und schlief vielleicht;'
er lag bei den sieben Strömen ; ^ Indra stört ihn auf; ^ in einem
anderen Hymnus jedoch reizt die Schlange mit lautem Getöse
Indra und stürmt gegen ihn an. ^^ Wenn Indra die Schlange mit
dem Donnerkeil tödtet, oder sie zertritt, oder sie verbrennt, so
öffnet er den Strom der Wasser und lässt ihn herausfliessen, nach
dem Meere zu; er lässt die Sonne geboren werden und findet
die Kühe ; * ^ er zerstört die Bänke des Zauberers , erzeugt die
Sonne, den Tag und die Dämmerung, hält jeden Feind in einer
^ A päd ahasto apritanyad indram lisya va^ram adhi sänäu ^agliana;
Rigv. I, 32, 7. — Yo vya&sam ^abrish^ena manyunä yal^ 9ambaram yo
ahan piprum avratam; I, 101, 2. — Apädam atiam mahatä vadhena nl
duryona ävrinan mpdhravädam ; V, 32, 8.
* Ahann ahim parvate 9i9riyänam; I, 32, 2. — Ahann enam pratha-
ma^m ahinäm; I, 32, 3.
' Nidävayft abhavad Tritaraputrendro asyä aya vadhar ^abhara — attarft
sür adharah putra äsid dftuuh ^aye sahayatsä na dheno^; I, 32, 9. Eigent-
lich spricht dieser Vers von Vritra und nicht von Ahi; da jedoch der Be-
decker und der Constrictor aequivalent sind, so scheinen mir hier, in dem-
selben Hymnus, unter zwei analogen Benennungen nicht zwei getrennte
Wesen unterschieden werden zu dürfen.
* Däsapatnir ahigopä atishthan niruddhft äpal^ panineva gltva^; I, 32,
11. — Der Leser wird sich an das Sprichwort von dem Stall, den man
hinter der gestohlenen Kuh verwahrt, erinnern; vgl. Seite 177.
' Av&daho diva ä dasyum u66ä; I, 33, 7.
* Guhähitam guhyam gülham apsu apivritam mäyinam k8hi3rantam uto -
apo dyäm tastabhvänsam ahann ahim ^ura viryena; II, 11, 5.
^ A9ayänam ahim vagrena maghavan vi v^ri^öah: IV, 17, 7.
* Sapta prati pravata ä^ayanam ahim vagrena vi rina' aparvau; IV,
19, 3.
* Sasantam va^renäbodhayo 'him; I, 103, 7.
'® Navantam ahim sam pinag rigishin; VI, 17, 10.
'* Sa^mähina iadro arno apäm präirayad ahihachä samudram aganayat
HÜryam vidad gäh; II, 19, 4. — Srigah sindhünr ahinä ^agrasÄnän; Rigv.
IV, 17, 1. — Ahann ahim anv apas tatarda pra vakshanä abhinat parva-
tanam; I, 82, 2.
641
Entferanng/ macht ^ dass der Rumpf der Schlange auf die Erde
fällt, gleich einem Banme^ der mit Aexten niedergehauen, oder
mit den Wurzeln herausgerissen ist,^ und lässt (wie auch in
russischen Mährchen der fleld den Rumpf des Ungeheuers, dem
er den Kopf abgeschlagen hat, ins Meer wirft) über das getödtete
Ungeheuer die Wasser gehen, welche "freudig machen ; * die Göt-
ter, welche dem Indra dreihundert (nach einem andern Hymnus
nur hundert) Ochsen zu essen und drei Seen Ambrosia zu trinken
gegeben haben, damit er im Stande sei, AM zu besiegen, sind
erfreut Ober den Sieg, den Indra über die Schlange errungen,
sammt ihren Weibern und sammt den Vögeln; und nicht nur
diese, sondern auch die Weiber, die Frauen der Qötter, singen
bei dieser Gelegenheit einen Hymnus auf Indra. ^
Wir sahen schon mehre Mal im Laufe dieses Werkes, wie der
Held oder die Heldin durch die Tödtung ihrer Ungeheuergestalt
befreit werden; die Wasser oder Regenwolken, welche die Unge-
beuerweiber oder Dämonen sind, so lauge das Ungeheuer sie in
der Dunkelheit hält, werden die glänzenden Weiber der Götter,
sobald sie befreit sind ; dasselbe lässt sich von der Aurora sagen,
welche von dem finsteren oder feuchten Ungeheuer Nacht zurück-
gehalten wird, oder von dem Frühling, der im düsteren Reiche
des Winters festgehalten wird; solange sie in der Gewalt des
schwarzen Dämons sind, sind sie schwarz und ungeheuerartig,
und leben mit ihm im höllischen Reiche; aus diesem Rdche be-
freit, werden sie schöne Mädchen oder Prinzessinnen von blenden-
dem Glanz. Wenn das Ungeheuer mit dem Grott oder dem Son-
nenhelden des Donnerkeiles kämpft, so bewaffnet es auch seine
Weiber und bedient sich ihrer als mächtiger Helfer ; ^ daher zielt
' Yad indrähan prathama^m ahinäm ftn mftyinäm aminäh prota
mftyäh — ät süryam ^anayan dy&m uBh&sam täditnä 9atrum na kilft vivitse ;
I, 32, 4.
^ Ahan vritram vritrataram vyansam indro va^ena mahatä vadhena
skandl^sneiva kuli9enä vivriknähih 9ayata upaprik prithivyäh; I, 32, 5. —
Ud vriha rakshah sahamülam indra yn<f6sk madhyam praty agram ^rinthi;
III, 20, 17.
> ^AJ^i'^™ mano ruhänä ati yanty äpa^; I, 32, 8.
^ Ana tv& patnir b^ishitam vaya^ da vi^ve devftso amadann anu tvft;
I, 103, 7. — Asmä id u gnä9 did devapatnir indräy&rkam abihatya üvu^;
I, 61, 8.
^ Striyo hi däsa Ayudhftni dakre; Rigy. V, 30, 9.
Oubeniatli, die Thlere. 41
642
auch Indra auf sie and zerfleischt die scbwarzbäochigen Hexen^ '
indem er. selbst später verdammt wird, Sabasrayoni zu werden.
In der arischen Volkssage ist es jedoch oft die Tochter, das Weib
oder die Schwester des Ungeheuers, welche dem Helden Mittel
and Wege zur Tödtung desselben an die Hand giebt. In rassi-
schen dährchen ist eines der am öftesten empfohlenen Mittel zur
Vernichtung des Ungeheuers, das in der unter dem Baum in der
Mitte des Meeres li^enden Ente befindliche Ei zu nehmen und
es dem Ungeheuer an die Stirn zu schleudern, so dass dieses so-
fort stirbt ; mit * dem Tode des Ungeheuers heirathen die beiden
jungen Liebenden, — die Tochter, Gattin oder Schwester des Un-
geheuers und der junge Held — einander. Wir sahen eben, dass
sofort nach der Tödtung des Ungeheuers durch Indra die Wasser
herausströmen and die Sopne erscheint In einem andern vedi-
schen Hymnus finden wir auch den interessanten Umstand mit
dem Ei, welches uns einerseits an die Themen russischer Volks-
mährchen, andrerseits an den, schon Theil TL Kap. IX erwähnten
Aberglauben erinnert, dass der Donnerkeil die Eier der Henne
zerbricht: Indra zerbricht mit seiner Stärke die Eier des Unge-
heuers, das die Wasser austrocknet, und gewinnt die glänzenden
Wasser;^ die Eier zermalmend oder die Testikeln des finstren
Ungeheuers verwundend, macht er, dass die Sonne aus ihnen
herauskommt, und infolgedessen stirbt das Ungeheuer.^ Die sym-
■ Sa VTitrahendra^ krishnayoni^ puramdaro däsir ftirayad; II, 20, 7.
— Indra der TÖdter des Pipru, Indra puramdara, eigentlich der den Vollen
verwundet, der den VoUen oder Gresch wollenen spaltet, und Indra der
Zerfleischer der schwarsbäuchigen Hexen sind gleichbedeutend; vgl. was
über den Donnerkeil als Phallus Theil I Kap. I, wo von dem Kuckuk die
Rede war, und Theil 11 Kap. V gesagt wurde. — Rigv. I, 32, 9 ver-
wundet Indra auch die Mutter des Ungeheuers: Indro asyä ava vadhar
gabhära.
* Uto nu 4id yao^asi ^ushnasyd^ijani bhedati ^eshat svarvatir apai^;
Rigv. VIII, 40, 10. — :^igv. I, 54, 10 heisst es, dass der Wolkenberg
sich in den Eingeweiden des Bedeckers befindet; man könnte sagen, dass
die Schlange die Wolke in Gestalt von Eingeweiden umwindet. Der Leser
wird sich an das erinnern, was wir Theil I Kap. I über die Eingeweide,
das Herz und die Leber des Opferthieres bemerkt haben.
' Bei A fan. V, 20 finden wir eine sonderbare Variation, welche für
die Geschichte der MyÜiologie und der Sprache von Bedeutung ist. Eine
PrinsessJA' fvagt die jSdilaage, ihren Q«mahl, wodurch sein Tod herbeige-
führt werden könne; die Schlange antwortet, ihr Tod könne herbeige-
führt werden durch den Helden Nikita Kaszemiaka, der in der That herzu-
643
bolische Darstellung des Sonneigahres durch eine Schlange, die
sich in den Schwanz beisst, ist gleichbedeutend mit dem Mythus
von dem Schlangenungeheuer ^ welches stirbt^ als seine Eier zer-
brochen sind, d. h. als das Licht aus seiner finsteren Httlle
heraustritt.
Sofern nun aber weiter aus dem Schlangenungeheuer, der
Wolke und der Finstemiss, Blitzstrahlen, Donnerkeile, Sonnen-
strahlen^ Feuerzungen hervorkommen, nehmen sogar Schlangen in
den vedischen Hymnen bisweilen eine göttliche Natur an. Der
vedische Gott des Feuers, Agni, der von den Wassern Geborene
(napäta apäm), Ahir-budhnya genannt, ist schon mit dem Ilv&atv
oq>ig der Griechen verglichen worden. Agni wird auch mit einer
Schlange mit goldener Kähne > verglichen ^ welche uns an das
gehörnte Ungeheuer erinnert, welches austrocknet, und von wel-
chem in einem andern Hymnus als von Indra getödtet die Rede
ist ' Indra selbst wird der, der die Stärke der Schlange hat,
genannt. ' Die Maruts haben- den Zorn der Schlange ; ^ und wie
die Maruts von goldenem Schmuck und Zierrath glänzen, so er-
scheinen die Ungeheuer mit Gold und Perlen geschmückt ^ Im
Aitareya-Br.^ ist die Schlange Arbuda sogar ein fishi, ein
weiser Dichter geworden ^ wie Pytho das Orakel der Weisheit in
Griechenland wird, und die Schlangen stellen den Vedas der
Götter einen eigenen, den Sarpaveda, gegenttber. An derselben
Stelle des Aitareya-Br. haben wir die Beschreibung eines
Kampfes zwischen den Göttern und einer giftigen Schlange, deren
kommt und das Ungeheuer t5dtet, indem er es in das Meer taucht. Nikita
soil deshalb ICaszemiaka heissen, weil seine Beschäftigung die war, Felle
zu serreissen. Die zerrissenen Felle (ygl. auch den Jupiter Aegiochus)
nehmen hier die Stelle des an der Schlange zerbrochenen Enteneis ein
und der von Indra zerbrochenen Eier des Ungeheuers. Im ItaL bedeutet
ooccio Scherben eines G^fasses, und in der Botanik auch Samenhülse;
incocciarsi bedeutet ärgerlich sein. Im Piemontesischcn sagt man von
Jemandem, der andere Leute quält, dass er die Büchsen, und mehr vulgär,
dass er die Testikeln zerbricht
> Hhranyake^ 'hil|^; 9igv. I, 79, 1.
* Vi ^ringi^am abhinad <5hu8hnam indra^; I, d3, 12.
> Ahi9ushma8attv&; V, 33, 5.
* Ahimanyaval^; I, 64, 9.
* Cakrfinftsa^ parinaham prithivyä hiranyena maninä ^umbhamftnft^; I,
33,8. * *
* VI, 1, 1.
41*
644
gieriges Auge nach dem Soma schielt, in dessen Besitz sie gern
gelangen möchte. Die Götter verbinden ihr die Augen; die
Schlange singt einen Vers zum Preise des Soma ; die Götter singen
als Gegengift mehre Verse und vereiteln den Erfolg des Verses
der Schlange. Auch die Hexe (äsuri) mit der langen Zunge
(Dirgha^ihvi) ist ohne Zweifel eine Schlange, die Hexe, welche
wiederum im Aitareya-Br. * die Morgenlibation der Götter be-
leckt und sie berauschend macht. Im Rämäyana wird erwähnt,
dass die langzungige Hexe (Dirghagihvä), die V^rschlingerin, von
Indra getödtet wird. Der Kampf zwischen den Göttern und den
Schlangen um den Besitz der Ambrosia ist das Thema einer lan-
gen Episode in dem ersten Buche des Mahäbhärata. ^ Die
Schlange liebt Feuchtigkeit, Wasser, Ambrosia und Regen. Als
Bbfma, der Sohn des Windes, in die Wasser des Ganges gewor-
fen wird, fällt er in das Reich der Schlangen, welche ihm das
Wasser der Stärke zu trinken geben. ^ In dem Mahäbhärata
ruft die Mutter der Schlangen, welche von der Sonne verbrannt
worden sind, den Regen an, sie wieder zum Leben zu bringen;
Indra verhüllt, ihr zu Gefallen, den Himmel mit Wolken.* Im
Rämäyana werden statt der Schlangen die Affen durch den
Regen wiedererweckt. Die Frtihlingsregengüsse erwecken auch
die Erde, welche im Aitareya-Br. ^ Sarparagni genannt wird
und zuerst, gleich den Schlangen, kahl, d. h. vegetationslos war;
sie rief die himmlische Kuh an und wurde mit Bäumen bedeckt
In der vediscben Kosmogonie, die wir in dem Kapitel über die
Schildkröte darstellten, wird eine sehr interessante Erzählung von
der Art und Weise gegeben, auf welche der grosse Stock oder
' I, 3, 22. — In russischf^n Mährchen finden wir häufig eine Schlange
oder Hexe, welche mit ihrer Zunge die eisernen Thore zu durchfeilen oder
zu durchstechen versucht , welche die Schmiede einschliessen, in welche
sich der verfolgte Held geflüchtet hat^ er zieht von drinnen, von göttlichen
Schmieden unterstützt, die Zunge der Hexe mit rotbglühenden Zangen
herein und fuhrt so ihren Tod herbei; darauf öfinet er die Thore der
Schmiede, welche bald den rothen Abend-, bald den rothen Morgenhimmel
darstellt.
* I, 792 ff. — Vgl. auch das zweite ehstnische Mährchen, wo der
junge 1:1 eld in dem Reiche der Schlangen aus dem Becher des 'Schlangen-
königs selbst Milch trinkt.
» Mbh. I, 5008 ff.
* I, 1283—1295.
» V, 4, 23.
646
Phallus, der Erzeuger der Welt, züm Umdrehn gebracht wird.
Die Schlange Ananta (die Unendliche) oder Vasuki , ^ welche die
Berge in Umwälzungen versetzt, schlängelt sich darum; der Berg
und die Schlange sind synonym ; ^ es sind zwei Phalli, welche
einander reiben und den Samen hervorbringen (nägalatä oder
Kletterschlange, Schlangenkriecher, ist einer der indischen Namen
des Phallus; und im Sanskrit bezeichnet näga, nägapada, näga-
pe<;a, nägapä^aka Vereinigung in der Weise von Schlangen,
welche ihre Körper in ihrer ganzen Länge auf einander legen, ^
ebenso wie Feuer hervorgebracht wird durch die Reibung zweier
Stücke Holz — der arani). Ananta oder Vasuki, und Mandara oder
Ka^apa, dann auch Ka^yapa, werden miteinander identificirt ; und
das ist um so wahrscheinlicher, als Kagyapa auch Vasuka genannt
wird und als Kagyapa selbst in einer anderen kosmogonischen
Legende des Mahäbhärata als zwei Weiber befruchtend er-
scheint: Kadrü, eigentlich die Dunkle, und Vinata, ^ eigentlich die
Hohle, Gekrümmte, Geschwollene (zwei Bezeichnungen, durch
welche in gleicher Weise der yoni dargestellt zu werden scheint),
deren eine das Ei hervorbringt, aus dem Schlangen ausgebrütet
1 Vgl. KämAy. I, 46, und Mbh. I, 1053. llöO. — in dem R&mäy.
(Vi, 26) sollen die Pfeile der Ungeheuer binden, gleich Schlangen; der
Vogel Gfiru4a erscheint und die Schlangen machen sich los, die Fesseln
sind verloren. Rilma und Lakshmana, für todt gehalten, stehen stärker
denn bevor wieder auf.
' Wie wir sahen, dass mandara gleichbedeutend ist mit manthara,
der Schildkröte, welche nach der kosmogonischen Sage das Gewicht des
Berges trägt oder des ungeheuren Stockes, der den Berg hervorbringt, so
trägt in einer anderen indischen Legende (Mbh. i, i587 f.) Ananta das
Gewicht der Welt. — Die Ruthe von Perlen, welche in Fett gelegt, dem
jungen Prinzen Alles verschafit, was er begehrt, scheint dieselbe, ursprüng-
lich phänische Bedeutung xu haben wie der mandara; es ist der König
der Schlangen, der sie dem jungen Prinzen verleiht. Das Fett kann in
dem mythischen Himmel die Milch der Morgendämmerung oder der Regen
der Wolke, oder der Schnee, oder der Thau sein; sobald der Donüerkeil
das Fett der Wolken berührt, oder sobald der Sonnenstrahl die Milch der
Dämmerung, der Sonne berührt, kommen Reichthümer heraus.
* Der coitus wird im Tuti-Name auch Schlangenspiel genannt
(II p. 76). Preller und Kuhn haben schon die phailische Bedeutung des
caducous (r^iTfiTTiXog) des Hermes nachgewiesen, der bald mit zwei Flügeln,
bald mit zwei Schlangen dargestellt wird. Die phallische Schlange ist
die Ursache des Falles des ersten Menschen.
* Vinatä ist auch der Name eines weiblichen Krankheitsdämons im
Mahäbhärata (lU, 14480).
646
werden, und besonders die mit menschlichen Gtesichtenii gleich
den Teufeln, und deren andere das, welchem Aruqa und Garuda
(eine Gestalt der A^vins) entspringen. Während sich im M a h & -
bhärata die Schlange Vasuki an dem Mandant reibt und ihn in
Umdrehung versetzt, bilden der Wind, der Bauch und die Flam-
men, die sie aus dem Munde bläst, Wolken, mit deren Wasser
die schaffenden Götter später erquickt werden. Obwohl dieses
letzte Moment die Schlangen auf die Wohlfahrt der Götter bedacht
zeigt, nehmen sie in der indischen Sage dieselbe Stelle ein, wie
Angrus Mainyus oder Ahriman in der persischen; während der
eine Phallus glänzenden Erscheinungen und guten Wesen das
Leben giebt, verdanken dem anderen finstere Erscheinungen und
böse Wesen ihre Entstehung.
Unter den Erzeugnissen des phallisehen und Schlangengenius
der Dunkelheit befinden sich die Wolken. Im R&mftya^a^
schläft das Ungeheuer Kumbhakarna sechs Monate lang ; kein noch
so grosser Lärm von Pauken und Trompeten noch irgend ein
Getös kann ihn wecken; er wird mit Hämmern geschlagen, aber
fühlt nichts; Elephanten gehen über ihn, aber er rtthrt sich nicht:
schliesslich genügt das Klirren der goldenen Zierrathen von Wei-
bern, um ihn aufzustören. Er erhebt sich ; seine Arme gleichen
zwei grossen Schlangen und sein Mund dem Bachen der Hölle.
Er gähnt, und ein furchtbarer Windstoss durchzittert die Welt bis
an ihre Enden. Der Anblick Kumbhakarnas, als er sich erhebt,
gleicht dem einer ungeheuren regenschwangeren Wolke gegen
Ende des Sommers, er ist gehörnt gleich einem Berge und brüllt
gleich einer Donnerwolke. Kaum ist er geboren, als er, durch
den Fluch Brahmans verdammt, das ganze Jahr mit Ausnahme
eines einzigen Tages (d. h. im Herbste) zu schlafen, Nahrung
verlangt, und Büffel, wilde Eber, Männer und Weiber verschlingt ;
einst verschluckte er sogar die zehn Nymphen oder Apsarasen (die
Wolken, welche über den Wassern wehen) des Gottes Indra; er
findet, dass die Welt nicht mit genug Thieren zur Stillung seines
Hungers versehn ist. Als sich Kumbhakarna bewegt, um gegen
die Affen Bamas zu kämpfen, zieht er seine Feinde an sich, um
sie zu verschlingen; er empfängt den Stoss ganzer Berge, ohne
erschüttert zu werden. Bäma schlägt ihm einen seiner Arme ab,
dieser aber (oder die Schlange oder die Wolke, welche abge-
schnitten ist, |B;leich d^m Stock d^r Mährchen, der von selbst
> VI, 87 flF. 46.
647
schlägt) fährt forty die Ungeheuer zu massaorirefi, fidma hant dem
Kambhakarna den andern Arm ab; aber auch dieser metzelt die
Feinde auf eigene Faust nieder. ^ SchliessUeb schiesst ihn Räma
in Mund und Herz; das Unthier fällt und zermalmt in seinem
Fall zweitausend Affen mit seinem riesigen Leibe. Hier sehen
wir also wieder das Ungeheuer und die Schlange in Beziehung
zu den Wolken und Wassern. Die Schlange, d. h. die Regenzeit
oder die Nacht berühren^ ist für den Sonnenhelden (oder -heldin)
dasselbe wie sterben. Im Mahäbh&rata^ fällt das Mädchen
Pramadvarä todt zu BodeU; als sie unversehens auf dem Wege
mit Aem Fuss auf eine Schlange getreten ist; Ruru bringt sie
wieder zum Leben, indem er die Hälfte seines eigenen Lebens
preisgiebt In dieser Sage personificirt das Jahr oder der Tag
das Leben; der Sommer opfert sich ftlr den Winter, der Tag für
die Nacht, die Sonne ftlr den Mond, und — vice versa. In der
schönen Sage von Savitrt opfert sich das Weib und weiht sich dem
Yama, dem Gott der Todten, um ihrem Gatten treu zu sein. In
demselben Mahäbh&rata^ fällt der König Partkshit in die
Gewalt Takshakas, des Königs der Schlangen, einer Erscheinungs-
form Yamas des Todtengottes (auch Ananta genannt), weil er eine
todte Schlange auf die Schultern eines Brahmanen geworfen hatte.
Im R&mäyana* heisst es, dass ein Mann, der im Schlaf in die
Hände des Todtengottes, Yama, gefallen war, von einer giftigen
Schlange gebissen wird. Eben der Strick, mit welchem Yama,
der Todtengott, die Menschen bindet, ist eine Schlange. Auf diese
Schlange Yamas mttssen wir das verhängnissvolle Halsband mit
sieben Schlangen und hieben Perlen (ein Symbol des Jahres, halb
glänzend, halb düster) zurückführen, welches Hepbaestos der
Harmonia und dem Kadmos bei Gelegenheit ihrer Hochzeit gab.
Kadmos und Harmonia werden Schlangen und von den Göttern
in den Himmel aufgenommen. Die Töchter des Kadmos nehmen
sämmtlich ein unglückliches Ende. Das Halsband kommt später
in den Besitz der Eryphile, weshalb den Amphiaraos, und in der
Folge auch den Alcmaeon Unglück trifft Als Sitd, ^ um den un-
gerechten Verdächtigungen ihres Gemahls und der üblen Nachrede
> Vgl hierzu TheU I Kap. I. U.
« I, 949, 974.
» I, 1671. 1980 ff.
♦ IV, 16.
* Rtmfty. VII, 101 105.
ft46
des Volkea aa entgebea^ aus doR BUeken der Menschen zn ver-
schwinden, und unter die Erde zn versinken wttnscbt^ trsLff&a sie
die Schlangen (pannagäs^ die nicht auf Füssen Gehenden) auf
ihren Köpfen (vgL in der christlichen Sage die heilige JnngfraU;
welche dem SchlaDgen-VeriÜhrer den Kopf zertritt);^ und aus den
Tiefen der Erde schallt eine Stimme herauf: ^^Sejiwer ist au er-
langen der Anblick dieses WeibeS; welches in den drei Welten
wohnt; hier unten weilend> wird sie von den Schlangen geehrt
(pu^yate n4gaih) und in der Welt der Sterbliche von JedenuMin ;
Nektar der höher Gepriesenen^ ist sie die Sättigerin der Unsterb-
lichen/^ Das Keich der Nägas^ oder die Stadt Bhogavati (ein
zweideutiges Wort^ das sowohl ^^it Schlangen versehn^^ als ^^mit
Beichthümern versehn^' bedeutet) ist voll von Schätzen, wie die
Hölle der westlichen Sage. Diese höllische Welt sank definitiv
u n t e r die Erde, als die Götter, nach ihrem Fall, niedrigere Ge-
stalten auf der Erde und auf den Wassern der Erde annahmen;
die untere Welt wurde das Beich der Schlangen und der Teufel^
des vedischen wolkigen und finsteren Himmels (Teufel und
Schlangen stellt deshalb die jtldische Sage mit grossem Becht als
gefallene E^gel dar). Die Schätze des HimmelS; von dem wol-
kigen oder finsteren Ungeheuer Nacht oder Winter vevsteckt,
giligen in die Erde ein; die Beobachtung himmlischer E^rschei-
nnngen kam dieser Vorstellang zu Hilfe. Die wahren mythischen
Schätze des Himmels sind die Sonne und der Mond in ihrem
Glänze ; wenn sie untergehn, so scheinen sie sich unter der Erde
zu verbergen; der Sonnenheld geht unter die Erde, er geht in
die Hölle, nachdem er alle seine Schätze und alle seine Beich-
thümer verloren hat; er tritt in Armuth seine unterirdische Beise
an; wenn sich die Sonne von dem Berge erhebt, so scheint sie
aus dem Boden zu steigen ; der Sonnenheld kehrt von seiner Beise
durch die Hölle zurück, er kommt glänzend und reich zurück;
der höllische Dämon giebt ihm einen Theil der Schätze, die er be-
sessen^ wieder, oder aber der junge Held gewinnt sie wieder durch
seine Tapferkeit. Doch diese Hölle war einst der feuchte, winter-
liche, nächtliche Himmel selbst, aus welchem bald die Sonne,
bald der Mond auftaucht; der Held oder der Gott wurde verdunkelt
oder verfinstert, und nahm in dem Himmel selbst eine finstere
Gestalt an; wie wir schon sagten,* der, der diese Gestalt vernichtet,
zerfleischt oder tödtet, leistet dem armen, verfluchten Wandeijnden,
' Vgl. hierüber Theil I, Kap. I und XU, Theil III, Kap. IV.
649
der sie trägt^ einen Dienst. Wir werden an das Wasser-Unge-
bener imRämäyana^ durch den Oandharva ^ Tumbum erinnert,
welcher in Folge eines Fluches die Gestalt des Ungeheuers
Virädha annahm, welches dem Rama die Sttä entführt, lediglich
in der Absicht, sich von Räma tödten nnd dadurch von dem Fluch
befreien zu lassen, so dass er wieder in den Himmel aufsteigen
kann. In ähnlicher Weise befreit Hanumant die Ogrin des Sees,
die Ergreiferin (grahi) und Verschlingerin , welche einst eine
Nymphe war, ^ von ihrem Fluche. Der Körper des alten Bishi
Qarabhaliga giebt uns ebenfalls die Vorstellung eines Schlangen-
leibes., ^arabhafiga wflnscht sich davon zu befreien, wie eine
Schlange ihre alte Haut abstreift. Er geht nun in das Feuer;
dieses verbrennt ihn ; Qarabha&ga kommt aus dem Brande jung,
glänzend und so flimmernd wie Feuer heraus. ^ In der berühmten
Episode von Nala im Mahäbhärata^ bittet dagegen die
Schlange Karkatoka, von den Flammen umgeben, den Nala, sie
aus denselben zu befreien; sie macht sich klein, damit Nala sie
forttragen könne ; Nala thut es und die Sehlange beisst ihn ; dar-
auf verliert er seine Gestalt, welche in die der Schlange übergeht.
In dieser neuen diabolischen Gestalt wird Nala unverwundbar
und unsichtbar. Die verschiedenen Rollen, die das Feuer in den
Sagen spielt, lassen sich durch Beziehung auf den Sonnenhelden,
bald am Morgen, bald am Abend, bald im Frühling, bald im
Herbst verstehn: son Morgen und im Frühling geht die Schlange
der Nacht in die Flammen ein und wird wieder ein schöner Jüng-
ling; am Abend und im Herbst konunt die Schlange aus den
Flammen der Abend-Aurora oder des Sommers heraus und wird
der Mond, nachdem sie die Sonne hat verschwinden lassen oder
sie unsichtbar und unverwundbar gemacht hat. Bei A fan as -
> III, 8.
' Vgl. das über die Gandharvas in Theil I, Kap. lU Bemerkte.
* Rämfty VI, 82. — Diese Nymphe wird grfthi, weil sie einst einen
heiligen Brahmanen mit ihrem Wagen geschlagen hatte. Derselbe Gruud
wird für den Fluch angeführt, der den in eine ungeheure Schlange ver-
wandelten König Nahusha trifft; diese Schlange quält den Helden Bhima;
sein Bruder Yudhisbthira eilt herbei und beantwortet in befriedigender Weise
die abstrusen philosophischen Fragen, welche die Schlange an ihn richtet;
diese lässt den Bhima los, streift ihr Fell ab und steigt als Nahushii
zum Himmel auf ; M b h. UI, 12356 ff.
* K&mäy. UI, 8.
* m, 2609 ff.
650
sieff VI, 47 ist ein Jäger (der jagende Sonnenheld) im Begriff,
den Ofen zn beizen ; eine Schlange liegt darin und yerspricbt, ihn
glücklich zu machen und ihm die Sprache aller Thiere zu lehren,
wenn er sie aus dem Feuer ziehen wolle. Sie sagt dem Jäger,
er solle nur das Ende seines Stockes in das Feuer stecken ; dadurch
werde es ihr möglich, zu entfliehn ; der Jäger willigt ein, wird aber
gewarnt, bei Todesstrafe Niemandem das Geheimniss zu verrathen.
Die Schlange ist in der indischen Sage nicht blos ungeheuer-
lich und bösartig, sondern zugleich auch die gelehrte und die,
die Wissen verleiht ; sie opfert sich, um den Helden das Wasser
des Lebens, das Wasser der Stärke, das heilkräftige Kraut oder
den Schatz forttragen zu lassen ; sie verschont nicht nur, sondern
begünstigt sogar den vorbestimmten Helden; sie vernichtet Indi-
viduen, aber erhält die Species; sie verschlingt Nationen, schützt
jedoch die regenerirenden Könige; sie vergiftet Pflanzen und lässt
Menschen in tiefen Schlaf fallen, aber giebt in ihrem geheimen
Reiche der Sonne neue Stärke, welche wiederum der Welt jeden
Morgen und jeden Frühling neues Leben giebt In dem vedischen
Himmel ist die Schlange ein Zauberer, der in jeder Art von
Zauberei erfahren ist; im Reiche der Schlangen gewinnt der ver-
irrte junge Held seinen 'Glanz, seine Weisheit und seine Sieges-
gewalt wieder. Daher die Verehrung der Schlange in Indien als
des Symboles jeder Art von Wissen. Wir fanden bei einer
früheren Gelegenheit die gehörnte oder mit einer crista versehene
Schlange, welche im Rigveda das Feuer oder den €U)tt Agni
personificirt, und daher konnten wir den Kamm oder die Mähne
der Sonne verstehn, welche aus der Dunkelheit herauskommt ; so
liegt der Gott Hari oder Vishnu auf einer mit einer crista ver-
sehenen oder mähnenköpfigen Schlange. Dreiköpfige Schlangen
oder Drachen, wie sie in den Mährchen berühmt sind, kommen im
HarivauQa^ vor und entsprechen dem vedischen Ungeheuer
Trigiras, d. h. Dreiköpfiger. Die crista der Schlange ist der Gott
Vishnu selbst, als Sonnengottheit, welche aus dem Leibe der Schlange
herauskommt. Daher wird besonders die Hauben-Schlange, im
Malabarischen Nalla Pämba genannt, in Indien verehrt „Die
plötzliche Erscheinung einer dieser Schlangen,'' schreibt Lazzaro
Papi, ^ „wird als ein Vorzeichen eines Glücks oder Unglücks be-
* Tri9ir8hä iva nägapotfts; 12, 744.
* Vgl. Papi, Lettere sulle Indie Orientali, Lucca, 1829; diese
Schlange ist die cobra de capello der Portogisen.
651
trachtet Es ist die Gottheit selbst, die in dieser Gestalt steckt^
oder diese ist wenigstens ihr Bote nnd die Bringerin von Beloh-
nungen oder Zttchtignngen. Obwohl sie sehr giftig ist, wird sie
weder getödtet, 'noch irgendwie bennmhigt in dem Hanse, in
welches sie kommt, sondern respectirt, und von den Abergläu-
bischeren sogar geliebkost und angebetet. Sie geben ihr Milch
zu trinken und die Bequemlichkeit; an welche sie gewöhnt ist;
sie errichten kleine Hütten fttr sie und bereiten Nester für sie
unter grossen Bäumen. Das erinnert mich an die alten Ein-
wohner von Preussen, welche mehre Schlangen zu Ehren -des
Patriumpho oder Patrimpos, ihrer Gottheit, mit Milch nährten. Die
Familie, in welcher eine dieser Schlangen ihren Wohnsitz auf-
schlägt, hält sich fttr glücklich und sicher vor Armuth und an-
derem Missgeschick ; stirbt Jemand, wie das nicht selten vorkommt,
an ihrem Biss, das Opfer seiner Leichtgläubigkeit, so ist das, sagen
sie, eine Strafe Gottes, die ihn für ein Verbrechen trifft" Eis ist
fast derselbe Glaube, wie der, welchen wir im vorigen Kapitel in
Bezug auf die Kröte und die Amphisbaena fanden. In Ungarn
sagt man, wie Graf Geza Kuun mir mittheilt, dass manche Feen
mit einer Sehlangenhaut geboren werden, ihre Gestalt aber wieder
annehmen, sobald diese Schlangenhaut abgefallen ist. Es heisst,
dass sich unter einer Schlangenzunge ein kostbarer Stein finden
lässt Wenn sich die Schlangen in der Frühlingssonne wärmen,
so blasen sie den Stein (oder die Sonne selbst) aus, und. ver-
bergen ihn in der Folge unter der Zunge einer noch grösseren
Schlange, des Königs der Schlangen.
Die Schlange beschützt und verwahrt nach dem Volks-
glauben die verlorenen Schätze, und behütet die Seele des
todten Helden ; deshalb werden in Indien die Schlangen, wie die
Krähen unter den Vögeln, als verkörperte Seelen der Todten ver-
ehrt. In Deutschland ^ verleiht die weisse Schlange (d. h. der
schneeige Winter) Jedem, der von ihr isst (oder dem sie die
Ohren ausleckt), die Gabe, die Vögelsprache zu verstehn, wie
auch die Gabe universaler Kenntniss (in der Christnacht, d. h. in
der Mitte des Schnees können die, welche vorbestimmt sind,
Wunder zu sehn, in den Ställen die Sprache des Viehs, und in
den Wäldern die Sprache der Vögel verstehn; der Sage nach sah
Charles le Gros in der Christnacht Himmel und Hölle offen, und
■ Vgl. Simrock, Deutsche Mythologie, pp. 478. 513. 514, und
Bochbolz, Deutpober Gl. und Br., I, 146.
652
konnte seine Vorahnen erkennen). So erhielten in Griechenland
MelanipuS; Gassandra nnd Tiresias die Sehergabe durch ihre
BerUhrnng mit der Schlange, in späterer Zeit durch den Python
nnd die pythische Seherin symbolisirt^ als die Bewahrer aller
Weisheitsorakel. In der skandinavischen Mythologie nimmt auch
Odin die Qel^talt einer Schlange (ormr) nnd den Namen Ofhir
aU; ebenso wie in der griechischen Mythologie Zeus eine Schlange
wird, als er den Zagreus^ den Stierköpfigen; einen anderen Zeus
oder einen anderen Dionysos schaffen will. Bei Rochholz und
Simrock finden wir Andeutungen derselben Verehrung der Schlange
als eines guten Hansgeistes wie in Indien. Crewissen kleinen
Hausschlangen wird Milch zu trinken gegeben; sie werden zu
Wächtern über kleine Kinder in ihren Wiegen angestellt, mit
denen sie ihre Nahrung theilen ; sie bringen den Kindern, in deren
Nähe sie sich aufhalten, Olück ; es wird deshalb als ein todwttrdiger
Frevel betrachtet, sie zu tödten. Es wird femer gefabelt^ dass ein
Kind bisweilen mit einer Schlange um den Hals geboren wird
und dass beide dann unzertrennlich sind (ein Bild des Jahres und
des Tages, halb glänzend und halb finster^ voneinander nicht zu
trennen). Sie bewacht das Vieh in den Ställen und besoi^ guten
und schönen Mädchen Männer^ die ihrer würdig sind. Nach einer
Volkssage befinden sich in jedem Hause zwei Schlangen (eine
männliche und eine weibliche), welche nur erscheinen, um den
Tod des Hansherrn, resp. der Hausherrin anzuzeigen ; wenn diese
sterben, so hat auch das Leben der Schlangen ein Ende. Eine
dieser Schlangen tödten heisst das Haupt der Familie tödten.
Von dieser Seite, als Beschützer von Kindern, als Mädchenver-
sorger, und mit dem Haupt der Erzeuger der Familie identificirt,
ist die Schlange wiederum eine Erscheinungsform des Phallus.
Aus der finsteren Schlange der Nacht, des Winters, ja^ aus dem
vom Monde erhellten, nächtlichen und winterlichen Himmel taucht
die Tages-, die Frtthlingssonne, der Tag und die warme und
glänzende Jahreszeit auf. Der Ogre, Drache oder die Schlange
hält die Wasser in der Wolke und die Wasser in den Strömen
zurück, besetzt die Brunnen, liegt an den Wurzeln des Baumes,
welcher Honig giebt, des ambrosischen Baumes, des Baumes in
der Mitte des Milchmeeres; wieder werden Baum und Phallus
identificirt. Der phrygische Attis, von Cybele geliebt, wird seines
Phallus beraubt und stirbt; Cybele verwandelt ihn in eine Fichte
(welche Fichtenäpfel trägt und immergrün ist, welche gleich dem
Monde sogar die Schrecken des Winters übersteht), in welcher
J
653
der regenerirende Phallus personificirt wird ; die Cypresse, welche
die drei Brüder der Feenmährchen während der Nacht hüten
müssen, welche aber nur der jüngste Bruder glücklich von dem
Drachen oder der Schlange befreit, die sie entführt, wird auch in
der persischen Sage als in der Mitte eines Ambrosia-Sees be-
iindlich dargestellt. Die Schlange stiehlt diesen Baum, wie sie im
indischen Mythus den Göttern die Ambrosia stiehlt; sie weiss
sehr wohl, dass auf ihm die regenerirende Kraft des Helden
beruht, den die Schlange gebissen hat; bisweilen stiehlt sie ihm
den Baum, und bisweilen wacht sie über denselben. Aus dem
goldenen Apfel oder aus der Orange des von dem Drachen be-
wachten Baumes kommt im Volksmährchen das schöne Mädchen ;
der Drache hält sie auf dem Wege ein zweites Mal zurück, indem
er sie auf einen Baum steigen lässt oder sie in den Brunnen
wirft, bei welchem das schöne Mädchen ein dunkler Fisch oder
ein dunkler Vogel (eine Schwalbe oder eine Taube) wird, um
aus dem Fisch (resp. dem Vogel) wiederum in der Gestalt eines
schönen Mädchens herauszukommen. Die Liebe der jungen Prin-
zessin zu dem jungen Helden in russischen Mährchen kommt aus
dem Entenei unter dem Baume, und der Tod des Schlangen-
drachen wird durch dasselbe herbeigeführt. Hier erscheint das
finstere Ungeheuer der Nacht und des Winters, das Schlangen-
ungeheuer, in Vormundschaft des Mondes, des Beschützers von
Heirathen, als ein ambrosischer und immergrüner Baum, und
gleich der Cypresse, ein Trauerbaum, welcher zu gleicher Zeit
ein Symbol der Unsterblichkeit ist. Aus dem Monde des Winters
und der Nacht kommen der Sonnenheld des Frühlings und des
Tages, das Mädchen Frühling und das Mädchen Aurora heraus.
Die Schlange will, gleich der Kröte, dem Frosch, dem Fisch und dem
Vogel, den Mond des Winters und der Nacht bald für sich, bald
bietet sie denselben dem jungen Helden, den sie beschützt. Der
Mond erscheint, wenn die Tagessonne im Westen untergeht ; daher
wurde der Garten der Hesperiden, wie schon der Name sagt, für
im Westen gelegen gehalten; der Mond regiert die nördliche
himmlische Gegend, die kalte Jahreszeit; aus diesem Grunde ver-
setzte ApoUodorus diesen selben Garten der Hesperiden in den
Norden, unter die Hyperboräer, wo nach Aelian auch der Baum
des Vergessens wuchs. In Indien wurde der ambrosische Baum,
der Baum der Unsterblichkeit, der Baum von Brahmans Paradis,
gleich dem Monde und Civa (dem Gotte des Paradises und der
Hölle, dem phallischen und vernichtenden Gotte), ebenfalls in den
654
Norden versetzt; auf den Berg Mern^ den pballischen und
uranfänglichen Berg; bei dem See dee VergessenS; von einem
Drachen bewacht; weil jedoch der Drache oder die Schlange
öfter Böses als Gutes darstellt, weil Qiya, der Mond; und die
Cypresse sich von zwei Seiten zeigen, phallisch und unheilvoll;
paradisisch und infernalisch; weil Kagyapa^ der grosse UrpfaalluS;
einander entgegengesetzte Dinge in der Gestalt eines Vogels und
in der einer Schlange schuf, so werden auch auf dem Berge
Meru zwei Bäume dargestellt, ein Baum des Guten und ein
Baum des Schlechten; ein Baum des Lebens und ein Baum des
Todes. * Die Sage von dem Baume mit den goldenen Aepfeln
oder Feigen, welcher Honig oder Ambrosia giebt, welcher von
Drachen bewacht wird; und in welchem das Leben, das Glück,
der Ruhm; die Stärke und die Schätze des Helden ihren Anfang
haben; finden sich bei allen Völkern indogermanischen Ursprungs
in grosser Anzahl; in Indien wie in Persieu; in Russland wie in
Polen; in Schweden wie in Deutschland, in Griechenland wie in
Italien führen Volksmythen, Epen, Lieder und Mährchen dieses
merkwürdige Thema phallischer Kosmogonie, seine ursprüngliche
Bedeutung theilweise nicht kennend; mit sehr mannigfachen
Zwischenfällen weiter aus. ^
^ Es ist wohl unzweifelhaft^ dass auch die alten jüdischen Erzählungen
Ton Adam und Eva, dem Paradise, der Schlange, und den beiden Bäumen
(des Lebens und der Erkenntniss des Guten und Bösen) lediglich mytho-
logisch zu verstehen sind, und es wäre wohl Zeit, dass gegenüber Leuten,
welche sich auch heute noch immer dieser Erkenntniss verschliessen , die
mythologischen Bestandtheile des A. T.s sorgfältig zusammengestellt und
ihr mythologischer Charakter mit Evidenz nachgewiesen würde.
' Vgl. wiederum die Liegende von Adam und Eva, dem Baume, der
Schlange und dem Sündenfall. In der mittelalterlichen Komödie La S ibila
del Oriente sagt Adam im Sterben zu seinem Sohne: „Mira en cima de
mi sepulcro, que un arbol nece.** In russischen Mährchen soll der junge
Held glücklich sein, bald weil er an seines Vaters Grab gewacht hat,
bald weil er die väterliche Cypresse vor dem Dämon beschützt hat, der sie
rauben wollte. Nach einer Predigt Hermann von Fristlars (vgl. Mussafia,
Sulla Leggenda del legna della Croce) soll der Baum, an dessen
Holz Christus starb, eine Cypresse gewesen sein. Dieselbe mittelalterliche
Legende beschreibt das irdische Paradis, aus welchem Adam vertrieben
wurde, und wohin Seth sich begiebt, um für Adam das Gnadenöl zu er-
langen. Der Baum steigt bis zum Himmel auf und seine Wurzel reicht
bis hinunter in die Hölle, wo Seth die Seele seines Bruders Abel sieht
Auf der Spitze befindet sich ein Kind, der Sohn Gottes, das verheisseae
Oel. Der Engel giebt dem Seth drei Kömer, welche er dem Adam in den
656
Die persische Eosmogonie trägt einen weniger materiellen
Charakter als die indische; ihr Princip ist jedoch dasselbe. Ahu-
Mund stecken soll; drei Sprossen schiessen auf, welche in der Höhe einer
Armlänge bis zur Zeit des Moses bleiben ; dieser verwandelt sie in Wunder-
ruthen und pflanzt sie vor seinem Tode wieder; David findet sie wieder
und verrichtet mit {ihnen Wunder. Die drei Sprösslinge werden eine Pflanze,
welche stolz zu einem Baum aufwächst. Salomo will mit diesem Holz den
Tempel bauen; die Arbeiter können Nichts damit anfangen; darauf läset
er es in den Tempel bringen; eine Sibille versucht, sich darauf zu setzen,
und ihre Kleider fangen Feuer; sie ruft: ,^e8us, Gott und mein Herr!'^
und prophezeit, dass der Sohn Gottes an diesem Holze werde aufgehängt
werden. Sie wird zum Tode verurtheilt und das Holz in einen Fischteich
geworfen, welcher dadurch thaumaturgische Kräfte erlangt; das Holz kommt
heraus, und man will eine Brücke daraus machen ; die Königin des Ostens,
Saba, weigert sich, darüber zu schreiten, weil sie eine Vorahnung hat, dass
Christus an diesem Holze sterben werde. Abia lässt das Holz verbrennen
nnd ein Fischtümpel erscheint darüber. ~ Folgendes schreibt ein Schrift-
steller, dem man gewiss nicht den Vorwurf der Ketzerei machen wird,
über das Symbol der Schlange (Martigny, Dictionnaire des Antiquit^s
Chr^tiennes): „Les ophites, suivant en cela les nicolaites etles premiers
gnostiques, rendirent au serpent lui-m§me un culte direct d*adoration, et
les manich^ens le mirent aussi ä la place de Jösus Christ (S. Augustin.
De Haeres. cap. XVII. et XL VI.) Et nous devons regarder comme ez-
tr^ement probable que les talismans et les amulettes avec la figure du
serpent qui sont arriv^ jusqu* k nous, proviennent des h^r^tiques de la
race de Basilide, et non paa des paiens, comme on le suppose commun^-
ment** Denjenigen, welche die bewunderungswürdigen Studien Strauss'
und Renans fortsetzen, bleibt es vorbehalten, den versteckten Sinn dieses
Mythus aufzusuchen. Wenn wir im Stande sein werden, an semitische
Studien mit derselben freien Kritik zu gehen, wie an indogermanische
Forschungen, so werden wir eine semitische Mythologie bekommen; für
den Augenblick freilich haben eine natürliche Abneigung, die geliebten
Vorstellungen unserer leichtgläubigen Kindheit aufzugeben, und mehr denn
Alles ein weniger ehrenhaftes Bedenken, was die Welt dazu sagen würde,
Männer von wissenschaftlicher Bedeutung davon abgehalten, jüdische Ge-
schichte und Ueberlieferung mit vollständiger Unparteilichkeit und Strenge
des Urtheils zu prüfen und zu untersuchen. Wir möchten nicht gern als Vol-
tairianer erscheinen und ziehen es vor, unsere Augen zu schlicssen, unsere
Ohren zu verstopfen gegen das, was ein kritisches und positives Studium der
Geschichte uns bietet, was aber freilich unserem Stolz als Menschen und
unserer Eitelkeit als Christen weniger angenehm ist.f)
f) Der Leser möge bedenken, dMs ein Italiener eprichtl In Deutschland
ist es glücklicherweise nicht ganz so schlimm, obgleich in Bezog auf Erklärung
des A. Ts. in streng wissenschaftlichem, ganz vorurtheilslosem Sinne aoch bei ans
oft noch Vieles zu wünschen übrig bleibt. Aach in Italien wird sich hoffentlich
dieser in wissenschaftlichen Dingen einzig und allein berechtigte Sinn immer mehr
Bahn brechen, trotz aller Anstrengungen Jener Partei, die auf die Dauer doch
nicht wird „des Himmels Sonne mit ihren Kutten verhingen" können.
\
656
ramazda und Angromainyas, welche als die Schöpfer der Welt
die erste Stelle einnehmen, sind zwei in Gegensatz zu einander
stehende männliche Wesen. Von Ahuramazda stammt Thraetaona
oder Feridnn ab, ,,welcber die Schlange (azbi) Dahäka (s. Dah&k s.
Sohak) schlug, welche drei Rachen, drei Köpfe hatte, sechs Augen,
tausend Kräfte ; welche als die kräftigste Druj hervorge-
bracht hatte ABgramainyus, hin zu der mit Körper begabten Welt,
zum Verderben für das Reine in der Welt/' ^ In der indischen
Sage finden wir den Vogel Garuda auf Seiten der Götter und den
Näga oder die Schlange auf Seiten der Dämonen; so ist auch
in der persischen Sage der Vogel Simurg auf Seiten der Götter
und die Schlange oder das Meerungeheuer auf der der Dämonen.
Im Khorda-Avesta ^ heisst es' von Kere^ä^pa: „Welcher schlug
die Schlange Qruvara, die Pferde verschlingende, Menschen ver-
schlingende, die giftige, gräuliche, auf welcher das Gift floss
daumesdick, das grttne, auf welcher Kere^ä^pa [sie wahrscheinlich
für eine Insel haltend ^] in einem eisernen Kessel Speise kochte
um die Mittagszeit, es brannte die Tödtliche und sie machte sich
davon, hervor vom Kessel sprang sie, hin zum fliessenden Wasser
eilte sie, zurück wich erschreckt Kere^ägpa der muthige" [vgl.
Ya^na IX, 34—39]. Es scheint eine gewisse Analogie zu herr-
schen zwischen diesem Mythus des A vest a und dem russischen
Mährchen von dem furchtlosen Helden, der, in einem Fischerboot
eingeschlafen, in den Strom iällt, als er ttber den kleinen Fisch
erschrickt, der auf ihn gesprungen ist. (Die Schlange erscheint
auch als Feind des Feuers imKhorda-Avesta.)^ Die Schlange
verui*sacht die Krankheiten, welche zu heilen Thraetaona gebeten
wird ; sie vergiftet, was immer sie sieht und berührt. Im S c h a h -
Name verschwindet die Sonne, von einem Meerungeheuer oder
Krokodil verschlungen. Im dritten Abenteuer Isfendiars wird der
Held fast berauscht durch den giftigen Rauch und den Pesthauch
des Drachen, den er siegreich bekämpft hat, und fällt, nachdem
er gesiegt, wie todt hin ; so flieht Indra, nachdem er das Schlangen-
ungeheuer besiegt hat, mit Entsetzen über die Ströme, gleich einem :
Tollen, Wasserscheuen, erschreckt von dem Schatten, dem Rauch
oder dem Wasser der todten Schlange, weil dieser Schatten,
' Ya^na, IX, 25. 27; Khorda- A vesta p. LIX f.
« XXXV, 40 (p. 176).
> Vgl. Theil III, Kap. I und UI.
* Einl. p. LX.
J
657
welcher vielleicht sein eigener nnd nicht der seines Feindes ist,
ihn in jene vergifteten Wogen zu stürzen, und ihn in ein Meer-
ungeheuer zu verwandeln droht; ihn so seinem Feinde ähnlich
machend. In Persien wird deshalb die Schlange im Allgemeinen
als an dämonisches und ungeheuerliches Thier, als die Personifi-
cation des bösep Princips betrachtet. Man betet zu ihr, um sie
fortzubeschw))ren, um sie fernzuhalten. Der persische Genius hat
nicht die Beweglichkeit, die Elasticität des indischen ; seine mjrthi-
schen Bilder sind strenger, starrer, und nicht so vielgestaltig;
daher blieb die Schlange in der persischen Sage das dämo-
nische Thier par 'excellence. Im Tuti-Name [dagegen, wel-
ches indischen Ursprungs ist, zeigt sich die Schlange von zwei
Seiten. Die Schlange will den Frosch fressen. (Im Pane a -
tantra III, 15 reiten die Frösche auf der Schlange und springen
vergnügt auf ihr herum, wie die Frösche des Phaedrus auf dem
König Log, welchen ihnen Jupiter zum Spott geschickt hatte ; die
Schlange und die Ruthe werden einander ähnlich gedacht) Der
Held rettet den Frosch, worauf die Schlange ihm Vorwürfe m^cht,
weil er ihr so die Nahrung fortnehme ; der Held schneidet darauf
etwas von seinem eigenen Fleische ab, um es der Schlange zu
geben ; ^ die Schlange beschützt den Helden später immer und
heilt mit einer Salbe die Königstochter, welche von einer andern
Schlange gebissen worden ist; der König giebt dem Helden, der
den Hunger der Schlange gestillt hatte, seine Tochter zur Ge-
mahlin. Im PaÄcatantra HI, 10 stürzen sich zwei kleine
Schlangen, die mit einander plaudern, selbst ins Verderben und
machen dadurch das Glück des Helden und der Heldin. Ein
* £f\ie Variation 4er ind|schea Legende von dem Falf^en (Indra), der
Taube (Agni)) und dem König yivi, welcher dem Falken etwas von eeinem
eigenen Fleische zu fressen giebt, um die Taube, seinen Gast yor ihm zu
retten. Hier wird die Schlange mit dem Falken oder Adler identificirt; in
dem mongolischen Mährchen jedoch ist der Drache dem Manne dankbar, der
ihn von dem Vogel Garuda befreit hat; der König der Drachen hält Wache
über die weissen Edelsteine) kommt an auf einem weissen Pferde, in Weiss
gekleidet (wahrscheinlich der Schnee des Winters oder der Mond); der
König der Drachen belohnt den Helden, indem er ihm eine rothe Hündin,
etwas Fett und eine Perlenschnur giebt. — P aii d. 6 haben wir die Schlange
und die Krähe, die eine am Fusse eines Baumes, die andere oben auf dem
Wipfel desselben; die Schlange isst die Eier der Krähe und die Krähe
rächt sich, indem sie der Königin ein goldenes Halsband stiehlt und es in
das Loch der Schlange wirft; die Leute der Königin gehen das Halsband
suchen, finden die Schlange und tödten sie.
Gubematif, die Thiere. 42
658
Eönigssobn hat in seinem Leibe . eine Schlange; ohne es zn
wissen, and wird krank ; in Verzweiflung verlässt er seines Vaters
Palast und gebt betteln; er erhält die zweite Tochter eines an-
deren Königs zur Gemahlin, welche ihrem Vater niemals, gleich
ihrer ältesten Schwester^ gute Worte gegeben hatte (eine Variation
der Sage von Cordelia und Lear); als eines Tages der junge
Prinz, mit dem Kopfe auf einem Ameisenhttgel, Eingeschlafen ist,
steckt die kleine Schlange, welche in seinem Körper ist, ihren
Kopf heraus, um etwas frische Luft zu schöpfen, und sieht eine
andere Schlange aus dem Ameisenhügel kommen ; ' die beiden
kleinen Schlangen fangen an, mit einander zu plaudern und sich
einander bei Namen zu nennen ; die eine beschuldigt die andere,
den jungen Prinzen durch das Bewohnen seines Leibes zn quälen,
und die Angeklagte muss zwei Krtlge voll Gold zahlen, die unter
dem Ameisenhttgel versteckt werden; im Verlaufe des Streites
sagt jede von ihnen, wie leicht es sein würde, die andere zu
tödten; ein kleines Senfkorn würde genügen, die erste zur Buhe
zu bringen, und ein wenig heisses Oel die zweite (die Schlange
wird getödtet, indem sie verbrannt wird; die reiche Lanzenreiter-
Schlange des russischen Mährchens wird in dem Stamm einer
Eiche verbrannt, in welche sie sich aus Furcht vor dem Feuer
und dem Blitz geflttchet hat) ; versteckt hört das Weib des Helden
Alles, befreit ihren Gatten von der kleinen Schlange in seinem
Leibe und tödtet die andere Sehlange, um den Schatz, den sie
verborgen hält, zn nehmen.^ In der vierzehnten der No veil ine
di San Stef. willigt die jüngste der drei Töchter, um ihren
Vater vor dem gewissen Tode zu retten, darein, die Schlange zu
heirathen, welche sie auf ihrem Schwänze in ihren Palast trägt,
wo sie dann ein schöner Mann, Namens Sor Fioranto, mit den
rothen und weissen Strtlmpfen, wird. Doch sie darf das Geheim-
niss Niemandem verrathen. Das Mädchen kann aber (wie in der
' Wir sahen schon Theil I Kap* VII, wie die Ameisen Schlangen aus
ihren Hohlen hervorkommen machen; in Baiern muss (nach Düringsfeld,
Das festl. Jahr p. 259) eine Natter, die im August gefangen wird, in
einem Gefäss wohl verwahrt werden, damit sie vor Hitze und vor Hunger
stirbt; dann wird sie auf ein Ameisennest gelegt, damit diese Thiere all
ihr Fleisch fressen; von dem, was übrig bleibt, wird eine Art Paternoster
gemacht, das gegen alle Ausschläge auf dem Kopfe sehr gut sein soll.
* Hier haben wir eine Schlange, welche andere austreibt und ver'
Dichtet. In ähnlicher Weise wurde eine Bronzeschlange, welche von dem
Erzbischof Amolfo im Jahre 1001 aus Constantinopel gebracht worden war, in
\
659
Fabel von Amor und Psyche) der Versuchung, zu ihren Schwestern
zu plaudern, nicht widerstehn, und — ihr Gatte verschwindet;
sie findet ihn wieder, nachdem sie sieben Flaschen mit ihren
Thränen gefüllt hat; zuerst eine Wallnuss, dann ein^ Haselnuss,
endlich eine Mandel zerbrechend, deren jede ein prächtiges Ge-
wand enthält, erlangt sie ihren Gatten wieder und wird von ihm
wiedererkannt. ^ In einer Variation dieses Mährchens in meiner
kleinen Sammlung giebt eine gute Schlangen-Fee der blinden
Prinzessin guten Rath und schenkt ihr die Haselnuss, die Mandel
und die Wallnuss; jede enthält eine Wundergabe; durch die erste
gewinnt die Prinzessin ein Auge von dem falschen Weibe wieder,
durch die zweite das andere Äuge, welches die Schlange an seine
Stelle setzt, und durch die dritte, eine goldene Henne mit vierund vierzig
goldenen Küchlein, findet sie den verlorenen Gatten wieder. In einem
noch nicht publicirten sicilianischen Mährchen, das mir Dr. Ferraro
mittheilte, legt sich eine Schlange um den Hals des Königs
Moharta, um ein schönes Mädchen zu rächen, das der König ver-
lassen hatte, nachdem er sie entehrt; um sich von der Schlange
zu befreien, muss der König das Mädchen in aller Form heirathen.
In der sechszehnten der No veil ine gehen die drei Söhne des
Königs das Wasser holen, welches tanzt und springt, und welches
ein Drache bewacht, der Alle, die sich nahen, verschlingt; der
der Basilika des St Ambrosius zu Mailand verehrt ; Einige sagten, dass es die
Schlange des Aesculap, Andere dass es die des Moses sei, Andere , dass
es ein Bild Christi wäre; für uns genügt es hier, zu bemerken, dass es
eine mythische Schlange war, vor welche Mailändische Mütter ihre Kinder
brachten, wenn sie an Würmern litten, wie wir aus den Aufzeichnungen
San Carlo Boromeo*s erfahren, der nach seinem Besuche der Basilika
schreibt: „Est quaedam superstitio ibi mulierum pro infantibus morbo ver-
mium laborantibus.'*
' Immer sind Cb drei Wundergaben, wie wir drei goldene Aepfel, drei
schöne Mädchen, drei rerzauberte Schlösser im Reiche der Schlangen
haben (vgl. Afan. I, 5). Die Köpfe des Drachen sind in diesem Mährchen
und gewöhnlich drei, bisweilen aber auch fünf, sechs (Afan. 7, 28), sieben
(P e n t a m I, 17. A f a n. II, 27), neun (III, 2. Y, 24) oder zwölf (A f a n, II, 30).
— Afan. n, 21 erscheint zuerst die Schlange mit drei Köpfen, dann die
mit sechs, dann die mit neun Köpfen, welche Wasser auswerfen und das
Königreich zu überschwemmen drohen. Iwan Tzarevid tödtet sie. Afan. 11,
22 fliegt die Schlange des schwarzen Sees, mit feurigen Flügeln, in den
Qarten des Tzaren und entführt die drei Töchter; die erste wird yon der
fünfköpfigen, die zweite von der siebenköpfigen , und die dritte von der
zwölfköpfigen Schlange eingeschlossen; der junge Held Frolka Sidien
tödtet die drei Schlangen und befreit die drei Töchter.
42»
660
Drache schläft von zwölf bis zwei Ubr^ und zwar mit offenen
Augen ; d. h., wenn wir darunter zwölf Uhr Mittags verstehn, der
Drache schläft, wenn die Sonne wacht; verstehn wir zwölf Uhr
Nachts, so schläft er, wenn der Mond am Himmel steht, der mit
dem mit offenen Augen schlafenden Hasen verglichen wird. ^ Auf
einer alten neapolitanischen Vase, die von Gerhard und Panofka
erklärt ist, finden wir einen Baum und einen Brunnen, eine
Schlange (identisch mit der welche an den Wurzeln des Baumes
Yggdrasill in der Edda nagt), drei Hesperiden und Heracles.
Eline Hesperide giebt der verwundeten Schlange in einer Schale
etwas zu trinken, die zweite pflückt einen Apfel, die dritte ist daran,
einen zu pflücken, und Heracles hat ebenfalls einen Apfel in der
Hand. Der Mythus und die Erzählung von dem Ogre und den
drei Orangen stimmen vollständig mit einander überein. ^ Das
Mädchen wurde zuerst mit der Schlange identificirt als Tochter
des Drachen und als weibliche Schlange ; sie legt beim Nahen des
jungen Helden ihre Vermummung ab, und enthüllt all ihren Glanz.
In einem noch nicht veröffentlichten Montferratensischen Mährchen,
das mir Dr. Ferraro mittheilte, sieht ein schönes Mädchen, als sie
einen Kohlkopf (ein Bild des Mondes) abpfltlckt, unter dessen Wur-
zeln ein grosses Zimmer, steigt hinab, und findet dort eine Schlange,
welche sie glücklich zu machen verspricht, wenn sie sie küssen
und bei ihr schlafen wolle; das Mädchen willigt ein. Nach drei
Monaten nimmt die Schlange zuerst die Beine, dann den Leib,
endlich das Gesichtt eines schönen Jünglings, eines Königssohnes,
an und heirathet seine junge Retterin. In der Volkssage haben
wir auch das Gegenbild desselben Mythus, nämlich das schöne
' Wenn die mythische Schlange sich auf das Jahr bezieht, so ent-
sprechen die Standen den Monaten, und die Monate, während deren die
mythische Schlange schläft, scheinen die Sommermonate xu sein.
'Im Pent am. II, 5 lässt sich eine Schlange von zwei Leuten, die
keine Kinder haben, an Sohnesstatt annehmen , und verlangt dann die
Tochter des Königs zur Gkmahlin^ der König, der die Schlange lächerlich
machen wiU, verlangt, dass sie alle Obstbäume des königlidien Gkirtens
golden werden, den Boden des Gkirtens sich in kostbare Edelsteine ver-
wandeln, und seinen ganzen Palast ein Gebäude von Gold werden lässt.
Die Schlange sät Obstkeme und Eierschalen in dem Garten; aus den
ersteren wachsen die verlangten Bäume auf; aus den letzteren wird das
Edelsteinpflaster; darauf salbt sie den Palast mit einem gewissen Kraute,
und er wird zu Gold. Die Schlange holt des Königs Tochter in einem
goldenen, von vier goldenen Elephanten gezogenen Wagen, legt die
Schlangenhülle ab, und wird ein schöner Jüngling.
661
Mädchen, das wieder zur Schlange wird. In einer deutschen
Legende * hofft der junge Held, das schöne Mädchen dnrch drei
Küsse zn befreien ; ^ das erste Mal ktlsst er sie als ein schönes
Mädchen, das zweite Mal als ein Ungeheuer, halb Weib halb
Schlange; das dritte Mal weigert er sich, sie zu küssen, weil sie
ganz und gar zur Schlange geworden ist.
Wenn der Tag oder der Sommer stirbt, so zeigt sich die
mythische Schlange (in absolutem Widerspruch mit dem, was die
Naturgeschichte lehrt ; man möchte fast sagen, dass die Schlange,
wenn sie aufhört auf der Erde zu kriechen und die Thiere der
Erde zu verschlingen, die Thiere des Himmels verschlingen geht) ;
dann beginnen die Nordwinde zu pfeifen, — und die Schlange,
besonders die mjrthische Schlange, ist ein berühmter Pfeifer. Auch
Isidorus ' identificirt den Basilisk und die Schlange, regulus ge-
heissen, mit dem Zischen selbst : „Sibilus idem est qui et Regulus :
sibilo enim occidit antequam mordeat vel exurat/' Bei Afa-
nassieff V, 25 fordern der Zigeuner und die Schlange einander
zum Wettkämpf heraus, wer am lautesten pfeifen kann. Wenn
die Schlange pfeift oder zischt (d. h. im Herbst), verlieren alle
Bäume ihre Blätter. Der Zigeuner schlägt die Schlange durch
eine List; er redet ihr ein, dass sie den Wirkungen seines
Pfeifens nicht werde widerstehen können, wenn sie nicht ihren
Kopf bedecke, und schlägt sie dann unbarmherzig, so dass die
Schlange von der Ueberlegenheit des Zigeuners überzeugt ist, und
sagt, dass sie ihn wie ihren älteren Bruder verehre. ^ Ich führte
schon im Theil I Kap. I das russische Mährchen von Alexin, dem
Sohne des Priesters, oder dem göttlichen Alexin an, welcher
gegen Tugarin, den Sohn der Schlange oder den Schlangen-
dämon kämpft und die heilige Jungfrau bittet, die Schwingen
des Ungeheuers in dem Regeji der schwarzen Wolke zu baden:
von Wasser schwer, werden sie dieses zu Boden ziehen.
Hier kommen wir wieder zuiUck zu dem einfachen, aber
grandiosen vedischen Mythus, dem ältesten von allen, von denen
wir ausgingen; wir kehren zur lyrischen Poesie zurück, zu ihr.
^ Vgl. Mone, Anzeig. lU, 88.
^ Vgl hierzu die Theil I Kap. l und H erzählten Mährchen.
» Origines XIV, 4.
* Vgl. A fan. VI, 10, wo der schlaue Arbeiter zur Belohnung dafür,
dass er den kleinen Teufel im Pfeifen besiegt und dass er ihm weiss ge-
macht hat, dass er mit einem Stocke die MTolken schlagen könne, das
Geld erhält, welches in einem Hut bleiben kann, der nie leer wird.
662
der geoffeabarten, gemOthyoIleD, reieh an lieblichen und forcbt-
en UeberrascbuDgeii , voll eines naiven EuthaBiaamga, voll
affenekräftiger Impulse, zu ihr, die anbewnsst einer aenen
UisatioD, einem neuen Glauben den UrspruDg gab, noch nobe-
kt von pballiBcben Kosmogoaien, noch UDdnrohbrochen und
[it ihres Reichtbums beraubt durch die nntruchtbareo Träume
er ennuchenartigen Metaphysik.
Schluss.
,.K Mm« qoei ch« con lao» lütonUa
ÜBclto faor del paU^o t I» rivft
SI Volga 4ll' ODd> parlglloss a g<i>M,
Cob) I'lDlmo mln che ancor taggln
SI ToUa fDdiatro a rinlru..."
nnd die Schatten der mytbischeD Ungebener ziehen
meinem geistigen Auge vorüber and beecbäftigen i
scbreckten Geist. Hat wäbrend dieses ' meines einsam
baltes anf dem Olymp nur ein scbreckücher Alp aaf m
oder babe icb das wabre Weeen der veränderlichen Oe
Himmels in ihrer tbierischen Erscheinangsfonn voll
erfaast? Die alte Mythologie, die wir anf der Scb
lernen pflegten, war voll von Incesteo Jnpitere, des
der Venns; doch es waren ja clasBische Mythen; die
hiessen ja Götter ! und unsere guten Alten quälten, b<
geblieben Jagd nach symbolischen ' Bedeutnugen, il
Witz ab, um aus jeder olympischen Skandalgescb
moralische Lektion zn Nutz und Frommen der lieben i
ziehn. . Die Kunst dnrite Jupiter als Stier, als Adler, a
als Verfttbrer in Tbiergestalt darstellen, ohne dass dadi
den Anstand gefehlt oder die Heiligkeit der Schule ve
den wäre; und die jungen Schiller wurden ermnntei
rbetorischen Exercitien in italienischen oder lateinisct
die Lieblingsstolfe der classiacheD Mythologie zu behan
sich doch die ganze, bedenklich anrttchige Gescbic
Symbolik und moralische Ällegorisirerei ins Göttliche '
platonische oder metaphysische Liebe nicht der Sinne i
664
bedarf, um sich mitzutheileD; so waren die Tbiergestalten des
Gottes für unsere alten Lehrer weiter nichts als eitel Symbole
und Allegorien, ersonnen und dargestellt, um eine erhabene päda-
gogische Weisheit zu verhüllen. Doch lange genug haben wir
uns in diesen kindischen Träumen gewiegt ; es ist endlich an der
Zeit, mit ihnen zu brechen. Es thut Noth, endlich einmal muthig
den Problemen der Geschichte mit demselben Freimuth und Eifer
ins Gesicht zu schauen, mit welchem die Naturforscher in die
Mysterien der Natur eindringen und den Schleier zerreissen ; auch
ist dieser Versuch nicht so gefährlich; haben wir doch als Be-
weise unserer historischen Thesen gewisse positive Data, die uns
in Sprache und Sage durch mündliche und schriftliche Ueber-
lieferung erhalten sind. Wir erfinden nicht ; wir häufen nur auf und
ordnen dann die Facta, welche sich auf die allgemeine Geschichte
des Volksdenkens und Volksempfindens in unserer bevorzugten
Race beziehn. Die Schwierigkeit besteht nur darin, die Facta zu
classificiren ; die Facta selbst liegen klar und in grosser Anzahl
vor Augen. Es ist sehr leicht m^lich, sich in ihrer Anordnung,
und daher auch in ihrer Deutung itn Speciellen zu täuschen; ich
meinerseits wenigstens bin nicht ohne Bangen, dass ich hier und da
bei der Erklärung einzelner Mythen einen unglücklichen Versuch
gemacht habe ; doch das kann, das darf in keiner Weise ein Vorurtheil
wecken gegen die Grundwahrheiten, welche die vergleichende
Mythologie sich als eine positive Wissenschaft constituiren lassen,
die fürderhin, wie jede Wissenschaft, mit Nutzen streben und
wirken wird. Der Hauptirrthum, in den die Vertreter der neuen
Wissenschaft zu verfallen dröhn und zu dem ich selbst mich wohl
habe zuweilen im Verlaufe dieses Werkes verleiten lassen, ist der,
dass sie ihre Beobachtungen auf einen speciellen Lieblingspunkt
des Mythus beschränken, und fast alle Mythen darauf zurück-
führen, deren Beweglichkeit und deren getrennter Geschichte, d. h.
deren Manifestationen in verschiedenen Perioden sie nicht genug
Rechnung tragen. Der Eine sieht in den Mythen immer nur die
Sonne, ein Anderer den Mond in ihren mehrfachen Umdrehungen,
und ihrem Verhältnis» zu der grünenden und glänzenden Erde;
der Eine sieht die Finstemiss der Nacht in Gegensatz zu dem
Lichte des Tages, ein Anderer dasselbe Licht in Gegensatz zu
der finsteren Wolke; der Eine die Liebe der Sonne mit dem
Monde, ein Anderer die der Sonne mit der Aurora. Diese ver-
schiedenen, speciellen und noch dazu exclusiven Gesichtspunkte,
von denen aus die Mythen bisher gewöhnlich von gelehrten
665
Männern behandelt worden sind, haben UbdwoUenden Gregnem
die willkommene Gelegenheit geboten, die Wissenschaft der ver-
gleichenden Mythologie als eine Wissenschaft lächerlich su machen,
die wenig ernsthaft ist und welche ihre Natur nach dem Gelehrten,
der sich mit ihr beschäftigt, verändert Doch dieser Einwurf schlägt
sich durch seine eigenen Waffen. Denn was beweist die concordia
discors aller Gelehrten in diesem Fache? Sie beweist meines Er-
achiens nur eins : die Reproduction und Befestigung derselben natür-
lichen Mythen unter vielfältigen Gestalten, die Darstellung analoger
Erscheinungen durch analoge M3rthen, und dass sich die Variationen,
die wir in den Mährchen treffen, auch in den Mythen finden. Die
Sonne verjagt die Dunkelheit am Tage, der Mond die Dunkel-
heit in der Nacht; beide heissen hari, schlhihaarig, golden,
glänzend. Indra ist hari ; als hari ist er bald mit der Sonne ver-
wandt, die in der Wolke donnert (Jupiter Tonans), bald mit dem
ambrosischen Monde, der Regen anzieht (Jupiter Pluvius); Zeus
räumt seinem Sohn Dionysos das Feld, und sei es als Sonne, sei
es als Mond, er ist immer Zeus der Glänzende, Diespiter oder der
Vater des Lichtes; im ersten Falle dringt er durch die Wolke,
im zweiten durch die Finstemiss. Ja sogar wenn der Mond oder
die Sonne verborgen ist, wenn Zeus oder Dionysos sich in seinen
erhabenen Nimbus hüllt, bereiten sie neue glänzende Erscheinun-
gen vor. So ist Vishnu hari und als hari wird er bald mit der
Sonne, bald mit dem Monde identificirt ; . oder um genauer zu
sprechen, die Sonne hari und der Mond hari werden in eine
einzige mythische Persönlichkeit, in einen Gott zusammengeworfen,
der sie Beide in verschiedenen Momenten repräsentirt: in Vishnu.
Es wäre wünschenswerth, dass das ganze Gebiet der Mythen in
seiner vollen Ausdehnung und zwar sowohl dem Stoffe nach, als der
2ieit nach, studirt würde ; doch das hindert nicht, dass sich ein Ge-
lehrter (wie das auch die Proff. Kuhn, Müller, Br<^al gethan haben) in
Einzelforschungen auf einen speciellen Punkt beschränkt, um eine
mythologische Thesis zu beweisen. Bei diesem Punkte legt er seinen
Hebel an ; und in diesem einen Punkte erreicht seine Darstellung den
höchsten Grad von Klarheit. Das, was daran zu viel ist, lässt
sich leicht corrigiren; und die Mythen gehen aus diesen Einzel-
forschungen, die von Tag zu Tage tiefer werden, in helleren
Farben hervor. Es würde eine Uebertreibung sein, wollte man
allen Mythen ein und dieselbe Entstehungsart zuschreiben, ebenso
wie wenn man unumschränkt eine einfache Verwechslung von
Worten fUr den Ursprung aller Mythen ansehn wollte. Zwei-
\
666
dentigkeit spielte ohne Zweifel bei der Bildung der Mythen eine
Hauptrolle; aber diese selbe Zweideutigkeit würde nieht immer
ohne die Präexistenz^ so zu sagen, malerischer Analogien mög-
lich gewesen sein. Das Kind, das noch heut, zum Himmel auf-
blickend, eine weisse Wolke für einen Schneeberg hält, weiss ge-
wiss nicht, dass parva4a in der Sprache der Veden Wolke und
Berg bedeutete; es fährt jedoch fort, seinen elementaren Mythus
durch einfache Analogien von Bildern auszufahren. Der Doppel-
sinn von Wörtern folgte gewöhnlich der Analogie äusserlicher
Gestalten, wie sie^ dem Urmenschen erschienen, auf dem Fusse.
Er hatte die Wolke noch nicht Berg genannt, und doch sah er
sie schon als solchen. Als die Verwechslung der Bilder statthatte,
wurde die der Wörter fast unvermeidlich, und diente nur dazu,
jene zu bestimmen, ihr in dem äusserlichen Laut eine festere
Form zu geben, und sie zu einer Art von Stamm zu gestalten,
aus dem mit Hilfe neuer Beobachtungen, neuer Bilder, neuer
Zweideutigkeiten ein ganzer Baum mythischer Genealogien
erblühen sollte.
Ich habe mir die Erforschung des am wenigsten erhabenen
Theiles der Mythologie angelegen sein lassen. In dem primi-
tiven Menschen, welcher die Mythen schuf, zeigt sich dieselbe
zweifache Tendenz, die wir an uns selbst beobachten — der In-
stinkt, der uns mit den Thieren verbindet, und der Instinkt, der
uns zu der Erfassung des Göttlichen und des Idealen erhebt
Das ideale Streben wurde das Loos Weniger; materielle Instinkte
das Vieler; jenes war die Verheissung des Fortschrittes der
Menschheit; diese repräsentirten jene taule, widerstrebenhe Ma-
terie, die noch gegen den Fortschritt reagirt. Daher Bilder der
erhabensten Poesie neben anderen, gemeinen und rohen, welche
uns an die Verwandtschaft des Menschen mit jenem lüsternen
und unverschämten Thiere erinnern, von dem er abstammen soll.
Der Gott, der ein Thier wird, kann seine Göttlichkeit nicht immer
intact bewahren ; die Thiergestalt ist die seines avatära, seines Falles,
seines Sinkens; sie ist die Gestalt, die der Gott oder der Held gewöhn-
lich in Folge eines Fluches oder eines Verbrechens annimmt. Der
indische und der pythagoraeische Glaube betrachteten die Annahme
einer Thiergestalt als Sühne einer Schuld. Und die Gott-Bestie,
die Held-ßestie, die Mensch-Bestie kann sich nicht ganz bestia-
lischer Handlungen enthalten. Der stolze und wilde König Vi^vä-
mitra, der indische Nebukadnezar, nimmt, als er in Gestalt eines
Ungeheuers durch den Wald wandert, die Natur der Wald-Rak-
667
sfaasaS; der Verscfalinger an; die schönen himmlischen Nymphen
werden Meerungeheuer und verschlingen die Helden, die sich
ihnen nahen. Erst wenn die Thiergestalt getödtet ist, wenn die
Materie abgeschüttelt ist, nimmt der Gott oder der Held seine
göttliche Güte, Schönheit und Herrlichkeit wieder an. Hier be-
findet sich die Mythologie mit der Physiologie nicht in Wider-
spruch; der Charakter der mythischen Persönlichkeiten ist das
Resultat ihrer Eörpergestalt , ihres Organismus, bis mit einer
neuen in der Species stattfindenden physischen Verwandlung auch
die moralischen Züge eine Modification erleiden; Licht ist gut;
Finstemiss ist böse, gut nur, sofern sie für Licht einschliessend,
verhüllend gehalten wird. Aus dem dunklen Holze, das gerieben
und geschüttelt wird, aus dem dunklen Steine, der geschlagen
und ausgedehnt wird, kommt der Funke heraus, der Brände ver-
ursacht; wenn der Leib in schnelle Bewegung gesetzt wird, so
kommt der Glanz des Blickes, der Sprache, der Neigung, des Ge-
dankens heraus: der Gott bricht durch. Die Substanz an sich
ist dunkel ; wird sie jedoch erregt, so erzeugt sie Licht ; so lange
sie unthätig ist, ist sie böse; und sie ist es noch, so
lange sie alle« Lebende an sich, als an ein Centrum der Schwere,
anzieht. Sofern das Ungeheuer schöne Dinge verschlingt, ist es
böse, soweit es dieselben frei ausgehen und strahlen lässt, ist es gut.
Wollet die Wolken, die Finstemiss zerstreuen, die Materie, welche
tendirt sich zusammenzuziehen, das Leben zu absorbiren, unthätig
zu werden, auseinanderziehen und ausspannen, — und das gött-
liche Licht wird hervorkommen, das glänzende, vsrstandesthätige
Leben wird erscheinen; der gefallene, der in Stein verhandelte
Held, der unthätige Substanz geworden ist, wird glänzend und
beweglich wieder in den göttlichen Himmel aufsteigen.
Sicherlich, ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass das
die Intention des Mythus war. Die Moral ist oft das Anhängsel
der Fabel, reicht aber nie bis zu der Urfabel selbst zurück. Der
elementare Mythus ist ein spontanes Product der Phantasie, nicht
der Reflexion. Wenn der Mythus da ist, dann mögen Kunst und
Religion sich seiner bedienen, als einer Allegorie, für ihre ästhe-
tischen und moralischen Endziele; doch der Mythus selbst ist
eines moralischen Bewusstseins baar; er zeigt, wie gesagt, nur
mehr oder weniger erhabene Instincte. Habe ich mehre physiolo-
gische Gesetze mit den Mythen zu vergleichen gesucht, so ge-
schah das nicht, weil ich dem Mythus eine grössere Weisheit bei-
lege als er in Wirklichkeit enthält, sondern nur um darauf hin
698
zuweisen, dass weit besser als die Metaphysik, die Natarwissenschaft
mit den Kriterien positiver Philosophie uns die Urerzeugung^ der My-
then und ihre successive Entwicklung in der Sage erforschen hilft.
Ich hatte die niedrigste Seite der Mythologie darzustellen, d. h. den
Gott im Thiere ; sofern nun unter den verschiedenen mythischen Thie-
ren, die ich besprochen habe, mehre den günstigen Charakter und die
glänzende Gestalt des Gottes bewahren, werden sie gewöhnlich als
die Gestalt betrachtet, welche die Gottheit annimmt, entweder um
heimlich die verbotene Frucht zu geniessen, oder um eine Strafe fOr
ein früheres Vergehen abzubüssen; in jedem Falle geben uns diese
Gestalten nicht gerade ein übermässig hohes Bild von der göttlichen
Vortrefflichkeit und Herrlichkeit. Statt dem Gott alle Attribute der
Schönheit, Güte und Stärke zugleich beizulegen, statt in einem alle
Götter, oder alle sympathischen Gewalten und Gestalten der Natur zu
vereinigen, wurde für jedes Attribut eine neue göttliche Gestalt ge-
schahen. Und weil der primitive Mensch viel mehr zu Vergleichen
als zu Abstractionen geneigt war (vgl. den Stier, den Löwen, den
Tiger als Symbole der Stärke ; das Lamm, den Hund, die Taube als
Symbole der Güte u. a. m.); weil es aber in seiner Sprache
keine Bindewörter gab, durch welche er hätte die beiden Glie-
der einer Vergleichung verbinden können: deshalb wurde ein
starker König ein Löwe, ein treuer Freund ein Hund, ein mun-
teres Mädchen eine Gazelle und so fort. Wie oft hört man von
Leuten, die in einem Augenblick gern an einem fernen Ort sein
möchten: „Ich wünschte, ich könnte ein Vogel werden, um dort-
hin zu kommen!'^ Sie beqeiden den Vogel nur um seine Flügel,
die ihn schnell fliegen und wohin gelangen lassen, und würden
gern für dieses eine alle sonstigen Vorzüge hingeben. So opfern
auch im mythischen Himmel Götter ihre glänzenden Gestalten,
um ein bestimmes Ziel zu erreichen. So folgt Indra, um den
Edelmuth des Königs Qivi auf die Probe zu stellen, als Falke der
Taube Agni. Der Mensch der Urzeit schreibt dem Gott nur
Flügel zu, wenn er ein Vogel geworden ist; als Gott kann er
keine haben. So muss er auch, um einen Wagen zu ziehn oder
einen Helden durch die Lüfte zu tragen, ein Hippogryph werden,
d. h. Pferd und Vogel ; fällt er in das Meer, so muss er ein Fisch
werden, um nicht zu ertrinken.
Der Gott kann seine göttliche Macht nur unter der Bedin-
gung ausüben, dass er die Gestalten der Thiere annimmt, welche
die Eigenschaften, deren er bei einem bestimmten mythischen
Begebniss benöthigt, als Privilegium besitzen. Doch in dieser
TliiergeHt&tt , in welcher der Gott eine beaoode
UbernatUrlicber Weise entwickelt, rerduokeU i
grosser Tbeil seines gßttliehen Glanzes. Obwohl
beit in dieeeni sonderbaren and nngificklichen
rascbt hat, wird der Leser, hoffe ich, die armsei
die Gottheit anf vielen Seiten dieses Bncbes ge
mir attfbärdeai noch wird er schlecht von dg
ich ihn vielleicht einiger lllnsionen beraubt
unvollkommene , doch vielleicht nicht nntzlose
macht habe.
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