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Full text of "Die Umdeutschung fremder Wörter"

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DIE  UMDEUTSCHUNG  FREMDER  WÖRTER. 


VON 


WILHELM  WACKERNAGEL. 


BASEL, 

SCHWEIGHAUSERIBCHE  UNIVERSIT-ETS-BüCHDRUCKEREI. 

1861. 


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Die  Germanischen  Völker  sind  in  Zeit  und  Raum  Nachfolger  der  Rcemer,  Nachbarn 
der  Romanen.  Ihre  Neigung  aber  sich  allem  Fremden  zu  erschliessen  und  noch  mehr  die 
Art,  in  welcher  sie  all  das  Fremde  sich  aneignen,  hat  sie  aus  Nachfolgern  zu  Erben 
werden  lassen  und  sie,  die  vordem  in  den  äussersten  Umkreisen  gestanden,  hoch  auf  den 
Mittelpunkt  der  neueren  Geschichte  hingestellt:  noch  immer  ist  Deutschland  das  schlagende 
Herz  Europas,  das  von  überall  her  Leben  empfängt  und  überall  hin  Leben  spendet,  wo 
nicht  in  anderen  Dingen,  doch  in  Dingen  des  Geistes. 

Die  Einflüsse,  die  von  Rom,  dann  von  der  Romanischen  Welt  aus  den  Germanen 
berührten,  und  die  er  nicht  zurückweisen  konnte  ohne  zugleich  jegliche  Bildung  stumpf 
zurückzuweisen  (denn  auf  ihrer  Stroemung  kam  ihm  der  christliche  Glaube,  kamen  Wissen- 
schaft und  Kunst  und  Ritterthum  und  sonst  noch  wie  viele  und  reiche  Veredlung  und 
Ausschmückung  des  Lebens),  sie  hätten  doch  nicht  so  befruchtend  und  erhebend  zu  wir- 
ken vermocht,  wenn  nicht  bis  tief  in  das  Mittelalter  herab  der  Deutsche  Geist  es  verstan- 
den hätte  das  von  aussen  ihm  gebotene  alsobald  selbständig  fortzubilden ,  zu  entwickeln , 
zu  vollenden,  das  Undeutsche  allmählich  in  ein  Deutsches  umzugestalten.  Beispiele  giebt, 
um  nur  in  naheliegende  Gebiete  den  Blick  zu  werfen ,  die  Geschichte  unsrer  alten  Bau- 
kunst in  den  Fortschritten  von  den  Basiliken  Roms  bis  zum  Dom  von  Köln,  die  der  Vers- 
kunst in  dem  Gange  des  Strophenbaus  von  der  einfach  kirchlichen  Form,  die  Otfried  nach- 
ahmt, bis  zu  den  Ueberkünstelungen  der  Meistersänger,  und  in  der  Umdeutschung  antiker 
Maasse  durch  Sylbenzaehlung  und  Reim,  die  noch  dem  sechzehnten  Jahrhundert  natürlich 
schien;  eines  der  augenfälligsten,  freilich  uns  jetzt  stoerend,  ist  die  Naivitaet,  womit  Malerei 
und  Poesie  sich  über  alles  geschichtliche  Costüm  hinwegsetzten,  Alexander  und  Caesar  ganz 
den  Helden  der  eigenen  Zeit  und  ihrer  Romane  gleich  und  die  Göttinn  der  Liebe  zu 
einer  Frau  Minne  machten. 

Seitdem  sich  aber  diesem  unablässigen  Fortleben  und  Fortwachsen  die  Renaissance 
mit  plötzlicher  Hemmung  in  den  Weg  gestellt ,  von  dieser  in  Wissenschaft  und  Kunst  und 
allem  Leben  entscheidenden  Wendung  an  die  ganze  nachmittelalterliche  Zeit  hindurch 
verhält  sich  der  deutsche  Geist  nicht  mehr  so  schöpferisch  gegen  das  Vorzeitliche  und 
Fremde:    an   die   Stelle  selbstthsetiger  Aneignung    ist  die  Nachahmung   getreten,   die  sich 


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des  Selbst  und  seiner  Thaetigkeit  moeglichst  entäussert,  die  mit  gewissenhafter  Objectivitaet 
in  fremde  Form,  fremde  Anschauung,  ja  sogar  hier  auf  die  Fortentwickelung  verzichtend, 
zurück  in  die  eigene  Vorzeit  wie  in  ein  Fremdes  sich  versetzt.  Die  Kunst,  dichtende  wie 
bildende,  ist  gelehrt  geworden:  die  Gelehrsamkeit  aber  in  ihrer  Entfremdung  von  der 
Kirche  steht  ausserhalb  des  Volkes  und  wirkt  auf  dessen  organische  Lebensentwickelung 
öfter  stoerend  und  verfälschend  als  fördernd  ein. 

Dieser  Gang  und  Stand  der  Dinge  tritt  uns  namentlich  auch  da  und  besonders  klar 
entgegen,  wo  die  Geschichte  unserer  Sprache,  dieser  Hauptausschnitt  unsrer  Volksgeschichte, 
die  Beziehungen  zwischen  Deutschland  und  Ausland,  zwischen  Gegenwart  und  Vorzeil  dar- 
zustellen hat. 

Indem  ich  somit  von  dem  sprachlichen  Verhalten  gegenüber  der  Fremde  handeln  will, 
denke  ich  nicht  sowohl  an  das,  was  die  Stylistik  Barbarismus  nennt,  nicht  an  jene  ganz 
mechanisch  äusserliche  Sprachenmischung,  die  zum  Schaden  der  Latinitset  unsre  ältesten 
Kechtsaufzeichnungen  durch  den  Gebrauch  deutscher  Wörter  mitten  im  Latein  verschuldet 
haben,  dann  noch  anhaltender  und  mannigfacher  zum  Schaden  der  Deutschheit  die  Ge- 
lehrsamkeit des  zehnten,  des  elften,  des  sechzehnten,  des  siebzehnten  Jahrhunderts  durch 
lateinische,  die  hcefische  Schoenthuerei  des  dreizehnten  und  des  siebzehnten  durch  welsche 
Wörter  in  sonst  doch  deutscher  Bede.  Denn  alles  das  sammt  der  halb  bewussten,  halb 
unbewussten  Ironisierung,  welche  die  Lieder  aus  abwechselnd  lateinischen  und  deutschen 
Versen  und  die  s.  g.  macaronischen  Gedichte  dagegen  wandten ,  alles  das  war  eben  nur 
Sache  des  Stiles,  nicht  der  Sprache  selbst.  Zwar  kann  sogar  innerhalb  dieses  Unge- 
schmackes  das  Verfahren  des  Mittelalters  als  ein  noch  gesunderes  deutscheres  und  das  der 
spaeteren  Zeit  als  ein  pedantisch  gänzlich  undeutsches  unterschieden  werden ,  wenn  z.  B. 
um  das  Jahr  1000  Sanctgallische  Schriftsteller  die  lateinischen  Worte,  die  sie  einmischen, 
in  dem  Geschlecht  der  entsprechenden  deutschen  verstehn  und  demgemajss  construieren, 
dagegen  Schriftsteller  des  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhunderts  um  der  lateinischen 
Worte  willen  auch  die  damit  verbundenen  deutschen  sich  lateinisch  denken,  wenn  also 
jene  dero  numero  und  demo  plebe  sagen  ,  weil  zala  weiblich,  Hut  männlich  ist,  diese  dagegen 
ohne  Christo,  bei  Cannas,  weil  ohne  auf  Lateinisch  sine,  bei  apud  heisst.  Aber  den  Kern 
des  Sprachlebens  und  damit  das  Leben  des  Volkes  berühren  solche  Aussendinge  nicht:  sie 
hängen  sich  an,  sie  fallen  ab  mit  den  wechselnden  Zuständen  der  Litteratur  und  der  Ge- 
sellschaft. Was  ihn  berührt,  ist  die  wirkliche  und  eigentliche  Aufnahme  fremder  Wörter 
in  den  Kreis  der  deutschen,  die  Verpflanzung  solcher  in  deutschen  Boden,  die  Einverleibung 
in  den  deutschen  Sprachorganismus.  Allerdings  jedoch  stehn,  wie  wir  gleich  gewahren 
werden,  jene  Barbarismen  der  Litteratur  und  diese  Aneignungen  der  Sprache  jedesmal  in 
einem  sehr  natürlichen  Zusammenhange. 

Die  Wanderung  durch  Finnisches  Gebiet,  dann  die  Niederlassung  mitteninne  zwischen 
Celten   und  Slaven   hat  schon    in  den  frühesten  und  theilweis  noch  in  spaeteren  Zeiten  die 


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Sprachen  dieser  Völker  auf  die  der  Germanen  einwirken  lassen,  doch  überall  nur  mit 
Abgabe  weniger  einzelner  Wörter  wie  der  finnischen  kuha  Gold  und  miekka  Schwert,  die  nun 
auf  Gothisch  gullh  und  meki  lauten  *■',  der  slavischen  knut  Knute  und  smokva  Feige,  auf  Go- 
thisch  hnulhö  und  smakka2,  der  litthauischen  pals  Herr  und  stiklas,  slavisch  stklo  Glas,  auf 
Gothisch  fath  und  slikl  Becher,  des  celtischen  ambactus  Diener,  auf  Gothisch  andbaht,  auf 
Althochdeutsch  ampaht.  Denn  es  waren  das  zum  Theil  nicht  einmal  Culturvölker,  und 
jedesfalls  kam  diejenige  Cultur,  der  das  Gemüth  der  Germanen  sich  ahnungsvoll  entgegen- 
sehnle,  von  ihrer  keinem.  Ich  meine  die  Bildung  durch  das  Christenthum,  dem  man  das 
eine  Verdienst  doch  lassen  wird,  dass  es  unsre  Vaeter  mit  dem  Lateinischen  und  Griechi- 
schen naeher  vertraut  und  mit  einem  besseren  Anbau  des  Bodens  und  mancherlei  Gewerben 
bekannt  gemacht  hat. 

Der  ruhig  dauernde  Bezug,  in  welchen  der  neue  Glaube  die  germanischen  Völker 
zu  den  Völkern  des  Südens  und  Westens  brachte,  öffnete  sofort  auch  ihre  Sprache  einer 
breiten,  tiefen,  nachhaltigen,  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  andauernden  Einwirkung 
der  Sprachen  jener,  der  lateinischen,  die  zumal  noch  in  den  Büchern  und  den  Schulen 
lebte,  der  romanischen,  die  für  das  Leben  ausserhalb  an  den  Platz  der  lateinischen  rückte, 
der  griechischen,  soweit  deren  Einwirkung  durch  das  Latein  vermittelt  ward:  denn  un- 
mittelbar ist  das  alte  Griechisch  kaum  an  irgend  ein  nachrcemisches  Volk  Europas  gelangt, 
kaum  selbst  an  die  Gothen  trotz  ihrer  Bibelübersetzung  aus  griechischen  Texten,  und 
unsre  Philologen  thun  ein  Unrecht,  wenn  sie  z.  B.  in  der  Aussprache  und  Schreibung 
griechischer  Namen  bemüht  sind  die  alten  Spuren  jenes  geschichtlichen  Ganges  auszu- 
wischen. 

Ein  breiter,  tiefer,  nachhalliger  Einfluss:  denn  im  Geleit  und  in  weiterer  Nachfolge 
der  Bekehrung,  im  Verlaufe  des  Mittelalters  und  noch  der  spaeleren  Zeit  trat  eine  je  und 
je  noch  wachsende  Fülle  neuer  fremder  Begriffe  und  damit  auch  neuer  fremder  Worte 
in  den  Bereich  des  deutschen  Lebens  ein,  Worte  der  Kirche,  der  Kunst,  der  Wissen- 
schaft, des  Bodenbaues,  des  Gewerbes,  des  Handels,  des  Kriegswesens;  und  war  auch 
ein  Begriff  nicht  völlig  neu,  so  empfieng  und  lernte  man  doch  jetzt  die  Sache  in  einer 
vordem  nicht  so  gekannten  Vollkommenheit  und  durfte  deshalb  wohl  neben  das  gothische 
ISki,  althochdeutsch  lächi  und  allgemach  an  dessen  Stelle  das  griechisch-lateinische  arzät 
d.h.  archiater  stellen,  neben  goth.  vreitan  allhochd.  rizan  nun  scribere  scripan,  neben  trola 
nun  auch  calcatorium  calcatürä  Kelter  und  pressa  und  torcular  torkul.     Oder  war  auch  der 

1  Ueber  noch  andre  vgl.  JGrimm  in  Hosfers  Zeitschrift  drangen,  vertauschte  man  zuerst  dort  das  deutsche 
für  d.  Wissenschaft  d.  Sprache  I,  19  fgg.  und  den  Ul-  marke  gegen  das  slavische  graniza  Grenze,  im  14ten 
filas  von  Gabelentz  u.  Loebe  II,  2,  4.  Jahrh.  grenitz.    Hievon  also  kann  unser  alamannisches 

2  Vgl.  JGrimm  in  der  Vorrede  zu  "VVuks  Stephano-  Nachbardorf  Crenzach  oder  Grenzach  nicht  den  Namen 
witsch  Serbischer  Grammatik  S.  II;  Schaffariks  Slaw.  tragen  (die  Erklärung  Dumbecks,  Geographia  pago- 
Alterthümer  I,  429;  Ulfilas  II,  1,  IX.  Spalter  im  Mit-  rum  cisrhenanorum  pg.  3),  zumal  es  nicht  immer  so 
telalter,   als  deutsche  Anpflanzungen  neu  gegen  Osten  wie  jetzt  an  einer  Grenze  gelegen  hat. 


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Begriff  ein  allgewohnter,  so  schmeichelte  sich  doch  das  Wort  durch  seine  Neuheit,  durch 
den  ungewohnten  Klang  und  Wohlklang  ein,  und  namentlich  gerieth  in  das  Deutsche 
derer,  denen  der  häufige  Gebrauch  einer  fremden  Sprache  Beruf  oder  Liebhaberei  war, 
von  daher  manch  ein  unnützes  Fremdwort  und  gerieth  durch  ihr  Beispiel  auch  noch  weiter. 
Und  all  diese  Einführungen  hielten  Schritt  mit  dem  vorher  schon  bezeichneten  Stufengang 
des  s.  g.  Barbarismus:  denn  im  früheren  Mittelalter  war  es  die  Kirche  und  ihre  lateinische 
Bildung,  im  spaeleren  das  französisch  gestaltete  Ritterwesen,  in  der  neueren  Zeit  Pedanterei 
und  Hofdienst  neben  einander,  was  mit  Lateinischem,  mit  Franzcesischem ,  mit  Lateinischem 
und  Franzoesischem  unser  Deutsch  zugleich  verderben  und  bereichern  sollte. 

Auf  eigenthümliche  Weise  haben  das  dreizehnte  und  das  sechzehnte  Jahrhundert  die 
Bereicherung  getrieben,  indem  jenes  zu  der  Ueberlragung  franzoesischer,  diess  zu  der 
Uebertragung  lateinischer  Bildungsweisen  auf  deutsche  Worte  den  ersten  Ton  anschlug, 
Tcene  die  beide  heut  noch  forlklingen,  jenes  mit  Ausdrücken  wie  jegerle  und  wandelieren, 
dieses  z.  B.  mit  den  lateinischen  Endungen  deulscher  Namen,  so  dass  noch  wir  jetzt  Froben 
und  Reuchlin  und  lutherisch  sprechen,  weil  man  vormals  Frobenius  und  Reuchlinus  und 
Lutherus  gesprochen  hat.  Ich  weiss  nicht,  ob  dergleichen  Mischung  deutschen  Beginns 
und  fremden  Schlusses  slaets  mit  Bewusstsein  und  Absicht  ist  geübt  worden:  dafür  sind  die 
Fälle  beinah  zu  zahlreich  und  hat  die  ganze  Unart  sich  auch  zu  weit  und  zu  mannigfaltig 
gerade  in  der  niederen  Rede  ausgebreitet;  wenn  jener  Prediger  von  einem  treuen  Bekenner 
des  Christeuthi  sprach,  so  war  wenigstens  er  sich  keines  Unterschiedes  mehr  zwischen 
Deutschem  und  Lateinischem  bewusst. 

Auf  dem  deutschen  Standpunkt  der  Betrachtung,  auf  Seiten  des  Volkes  hat  ein  Be- 
wusstsein, das  in  diesen  Dingen  unterschieden  hätte,  jedesfalls  Jahrhunderte  lang  geman- 
gelt. Vom  Golhischen  an  das  Mittelalter  hindurch  und  noch  jetzt  in  der  halbmittelalter- 
lichen Sprache  des  gemeinen  Mannes  gilt  gegenüber  den  fremden  Worten  jenes  Verhalten, 
das  ich  mir  erlaube  I'mdeutschung  zu  nennen:  das  heisst,  es  werden  die  fremden  Worte 
in  Vocalen  und  Consonanten  eben  den  Gesetzen  fortschreitender  Entwickelung  unterworfen, 
die  für  deutsche  bestehn;  sie  werden  betont  wie  deutsche,  werden  mit  deutscher  Flexion, 
deutscher  Ableitung  bekleidet,  werden  durch  Zusammensetzung  mit  deutschen  Synonymen 
verständlicher  gemacht,  werden  endlich  durch  bald  leisere,  bald  stärkere  Aenderung  ihrer 
Gestalt  in  den  Anklang  an  wirklich  deutsche  Wurzeln  und  in  deutsche  Begriffsanschau- 
lichkeit hereingezogen:  zum  Theil  das  die  gleichen  Wege,  welche  die  Sprache  einschlagt 
um  auch  ältere  deutsche  Worte,  deren  Sinn  unkenntlich  geworden  ist,  wieder  aufzufrischen. 
Wie  da  z.  B.  Luthers  Sindflut  ganz  treffend  sich  in  Sündflut  umgeformt  und  Mal  sich 
neu  verdeutlicht  hat  durch  die  Zusammensetzung  Malzeichen,  so  verdeutlicht  sich  im  Munde 
der  Thüringer  das  franzoesische  lavoir  durch  die  Zusammensetzung  Waschlavör  und  das  grie- 
chisch-lateinische margarita  formt  sich  althochdeutsch  in  marikreoz,  angelsächsisch  in  me- 
regreot  d.  i.  Meerkies  um. 


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Derartige  Erneuerung  alter  und  Aneignung  fremder  Worte,  beides  ist  auch  anderen 
Sprachen  wohl  bekannt:  jene  z.  B.  der  lateinischen,  wenn  sie  die  Schlaefe  tempora  nennt, 
waehrend  das  Wort  ursprünglich  eine  Zusammensetzung  aus  einem  Adjectivum  wie  tenuis 
und  einem  Subst.  wie  griech.  naoncc  muss  gewesen  sein  (vgl.  den  althochdeutschen  Namen 
duniwangi) ,  und  der  altfranzeesischen  und  der  spanischen,  wenn  ihnen  aus  luscimola  roi- 
signor  und  ruisennor  hervorgeht;  diese  der  italienischen ,  deren  Umbildungen  inchiostro 
und  schiavino  dem  griechischen  tyxavGrov  einen  Bezug  auf  chiostro  Kloster,  dem  deutsch- 
laleinischen  scabinus  auf  schiavo  Sclave  geben;  der  lateinischen,  die  gleichartig  mit  den 
Worten  pictura  und  sculptura  auch  ein  architectura  von  ctQxirixrwv  bildet,  aus  ÖQttxciÄxos 
aurichalcum,  und  im  Mittelalter  aus  pascha  pascua  macht;  der  griechischen,  die  ebenso  das 
hebraeische  Jeruschalajim  als  'hgoaÖAvjua,  das  Sanhedrin  als  GVPtdQiov  sich  zurechtlegt. 

Aber  der  neueren  Zeit  und  trotz  so  classischen  Beispielen  gerade  den  Gelehrten  der- 
selben ist  solch  ein  fortarbeilender  Lebenstrieb  der  Sprache  nur  ein  Aergerniss:  unser 
Schriftdeutsch,  wo  es  selber  frisch  aus  der  Fremde  entlehnt,  ändert  an  dem  Entlehnten 
bei  Leibe  nichts,  und  der  Umdeutschungen,  die  von  Alters  her  auf  sie  gekommen  sind, 
sucht  sie  wo  moeglich  wieder  los  zu  werden ,  sucht  wo  meeglich  im  Laut,  im  Ton ,  zum 
mindesten  doch  in  der  Schreibung  die  fremde  Urform  wieder  herzustellen.  Wie  es  indess 
jenen  Pedanten  gehl,  die  mit  halbangeflogener  Kenntniss  des  Altdeutschen  unser  Neudeutsch 
meistern,  die  uns  wieder  eine  Sindflut  aufdrängen  wollen  und  dabei  übersehen,  dass  auch 
dieses  noch  nicht  die  echte  rechte  Form  ist,  sondern  Sinflut  (sin  s.  v.  a.  überall  oder 
immer),  nicht  anders  den  gelehrten  Gegnern  der  Umdeutschung:  es  ist  meistens  doch  nur 
Stückwerk,  was  sie  uns  liefern  und  geliefert  haben.  Allerdings  stehen  Dom  und  Grieche 
und  Märtyrer  und  Papst  in  Laut  oder  Buchstaben  wieder  naeher  bei  domus  und  Grcecus 
und  pxägruQ  und  papa  oder  ndnar«  als  die  älteren  Formen  77t um  und  Kriech  und  Märterer 
und  die  andre  Schreibung  Pabst  denselben  stehen:  aber  immer  noch  ist  Dorn  ein  Mascu- 
linum  und  hat  Grieche  ein  unlateinisches  ch,  hat  Papst  einen  ungriechischen  Ausgang  und 
Märtyrer  ausserdem  noch  einen  Umlaut,  der  ungriechisch  ist.  Es  dünkt  dem  Pedanten 
ein  Grosses,  wenn  er  ausfindig  macht,  man  dürfe  nicht  Araber  betonen,  weil  es  ja  auf 
Lateinisch  Arabs  Arabis  heisse:  von  Hunderten  ganz  gleichartiger  Fälle  und  neben  den  andern, 
welche  diesem  zu  allernächst  liegen,  sticht  er  sich  den  einen  allein  heraus  und  betont 
'Araber  und   betont  dennoch  selbst  arabisch  und  nennt  sich  auch  nicht  Philologe. 

Es  soll  mich  freuen,  wenn  der  bisher  vorgetragenen  oder  besserer  Gründe  wegen  die 
Umdeutschümj  fremder  Wörter  auch  Anderen  als  ein  Gegenstand  erscheint,  der  sowohl 
für  die  Geschichte  der  Sprache  selbst  als  durch  seinen  parallelen  Bezug  auf  die  Culturge- 
schichte  von  Bedeutung  sei.  Die  nachfolgenden  Blätter  werden  eine  Erörterung  desselben 
versuchen,  oder  vielmehr  nur  den  Entwurf  einer  Erörterung:  denn  die  Fülle  des  Stoffes 
noethigt  mich  die  Schranken  enger,  als  ich  eigentlich  sollte,  zu  ziehen  und  die  Belege 
allein  aus  dem  gothischen  und  unsrem  hochdeutschen  Gebiete  zu  entnehmen,  noethigt  mich 


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auch  zu  einer  oft  mehr  als  lexicographischcn  Kürze  und  Dürre  der  Darstellung.  Der  Po- 
lemik aber,  die  wiederholendlich  in  aller  Weitläuftigkeit  Anlass  fände,  würde  ich  auch 
unter  anderen  Umständen  mich  enthalten. 

Mit  dem  heutigen  Festtage  des  Paedagogiums  scheidet  ein  vieljaehriger  verehrter  Lehrer 
aus  dem  Kreis  seiner  Schüler  und  Amtsgenossen  und  ein  neuer  tritt  an  seine  Stelle  und 
sieht  die  Verehrung  Aller  sich  entgegenkommen:  wolle  der  eine  und  der  andre  diese 
Blätter,  mit  denen  der  Lehrer  der  Deutschen  Sprache  sein  Gebiet  an  das  ihrige,  das  grie- 
chisch-lateinische, anzuknüpfen  unternimmt,  freundlich  als  einen  Festgruss  empfangen, 
als  einen  Gruss  hier  des  Willkommens,  dort  des  Abschiedes. 


I.  DIE  CONSONANTEN. 

Als  unsre  Sprache  von  der  Stufe  des  Germanisch-Gothischen,  einem  Standpunkt  auf 
welchem  die  sächsischen  und  die  scandinavischen  Sprachen  sich  heute  noch  befinden, 
zuerst  in  das  Hochdeutsch  übergieng,  wurden  die  stummen  Consonanten  einem  allgemeinen 
Gesetze  nach  in  der  Art  umgeändert,  dass  für  die  Tenuis  eines  Organs  dessen  Aspirata, 
für  die  Aspirata  die  Media,  für  die  Media  die  Tenuis  eintrat:  das  goth.  slepan  lautete  nun 
släfan,  timan  zeman,  kuni  chunni ,  af  aba,  thaurnus  dorn,  ahana  agana,  blöma  pluomo,  dail 
teil,  liugan  liukan. 

Diese  durchgreifende  Wendung  hat  sich  im  Verlauf  des  siebenten  Jahrhunderts  ent- 
wickelt. Gregor  von  Tours  (j  594)  schreibt  noch  IX,  36  und  X,  19  Strataburgum  Strate- 
burgum  mit  t,  mit  b,  mit  g,  eben  wie  die  Provinzenverzeichnisse  bei  Bouquet  II,  2  u.  9 
Strateburgo;  die  Wessobrunner  Glossen  des  achten  zeigen  bereits  Strazpuruc,  also  z  und  p 
und  c:  mitten  inne  im  siebenten  bei  dem  Geographen  von  Ravenna  231,  7  u.  232,  2 
hat  Stratisburgo  noch  die  vorhochdeutschen  Laute,  und  das  z  in  Brezecha  Breisach  und 
Bazcla  231,  9.  10  ist  noch  das  säuselnd  weiche  der  Gothen,  die  Vermittelung  zwischen  s 
und  r:  aber  schon  auch  aspiriert  derselbe  232,  5  Taberna  in  Ziaberna,  232,  11  Turicum 
in  Ziurichi,  231,  6  Porta  in  Porza.   l 

Es  besitzt  aber  unsre  Sprache  durch  Urverwandtschaft  zahlreiche  Worte  gemein  mit 
der  griechischen  und  lateinischen,  und  diese  machen  den  Parallelismus  der  Lautverschie- 
bung voll,  indem  sie  derselben  noch  eine  Stufe  mehr  hinzufügen.  Der  pelasgischen  Tenuis 
solcher  steht  im  Gothischen  u.  s.  f.  die  Aspirata,  im  Althochdeutschen  mithin  die  Media 
gegenüber,   der  Media  die  Tenuis  und  die  Aspirata,    der  Aspirata   die  Media  und  die  Te- 

1  Die  Schreibungen  Ziaberna  und  Ziurichi  weisen  darauf  sazjan  setzen ,  sJcapjan  scafjan  schepfen ,  vakjan  wach- 

hin,  dass  auch  im  Anlaut  der  Uebergang   von  t  in  z  jan  wecken  die  schärfende  und  verhärtende  Wirkung 

von  der  Beimischung  des  Vocales   sei  begleitet  gewe-  übte.  Das  althochd.  zatarra  meretrix  ist  wohl  aus  thea- 

sen,  der  inlautend  im  lat.  leetio,  im  deutschen  satjan  trica,  zu  dessen  Glossierung  es  einmal  dient,  entstanden. 


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nuis:  z.  B.  tacere,  golh.  thahan,  althochd.  dagen;  cvgßi],  turba,  g.  thaurp,  ahd.  dorf;  rsyog, 
tego,  altnord.  thak,  ahd.  dach;  dens  dentis,  odovg  oSövrog,  g.  tunthus,  ahd.  zand;  tqs/sip 
e&gtga,  trahere,  g.  dragan,  ahd.  trakan;  betere,  ßaröv,  angelsächs.  padh,  ahd.  pliad;  (prjyög, 
fagus,  g.  bdka,  ahd.  puocha;  (ppdriop,  frater,  g.  bröthar,  ahd.  pruodar;  hrndus,  g.  gaitci, 
ahd.  fcet'z. 

So  hei  Worten,  die  der  deutschen  Sprache  aus  dem  gleichen  Urquell  mit  den  beiden 
pelasgischen  zugeflossen  sind:  nicht  so  bei  denen,  die  sie  erst  spaeter  aus  letzteren  entlehnt 
hat.  Hier  hält  das  Gothische,  hält  das  alte  Hochdeutsch  grundsätzlich  wie  das  neuere 
den  fremden  Laut,  der  ihm  vorliegt,  fest,  und  die  Tenuis  z.  B.  geht  nicht  in  die  Aspirata 
noch  die  Media  über,  sie  bleibt.  Abgewichen  davon  wird  nur,  wo  die  Sprache  zur  Ab- 
weichung ncethigt.  Das  Gothische  besass  wohl  auch  ein  &,  aber  kein  <p,  kein  /:  es  ver- 
tauschte gleich  der  niederen  und  der  alten  Latiniteet  jenes  gegen  f,  diess  gegen  k  oder 
einfach  h:  praufäus,  drakma,  oqvxiJ  aurahjö.  Es  besass  kein  z  mit  dem  harten  Laute 
wie  ts:  wo  in  lateinischen  Worten  c  und  ti  diesen  Zischlaut  hatten  (und  sie  hatten  unter 
denselben  Umständen  wie  spaeter  ihn  schon  damals),  da  ward  er  entweder  in  ts  aufgebest, 
cautio  in  kavtsjö,  oder  noch  lieber  folgte  man  bloss  dem  Buchstaben  und  sprach  und  schrieb 
wie  die  Griechen  auch  vor  e  und  i  ein  k,  auch  vor  j  ein  t:  also  acetumakeit,  uncia  unkja, 
lectio  laiktjö.  Lnncethig,  da  g  dem  Gothischen  nicht  fehlte,  scheint  die  Aenderung  von 
rgctixög  Grwcus  in  Krek,  von  juaQyceQirijg  in  markreitus:  hier  mag  sich  g  nur  auf  Anlass 
des  folgenden  c  und  l  verhärtet  haben:  der  Gothe  liebte  und  übte  die  Assimilation  in 
mannigfachster  Art:  machte  er  doch  selbst  aus  ceAdßaargog  alabalstraun,  aus  t4ora§ep^s 
Artarksairksus.  Sonst  dagegen  bleiben  die  griechisch -lateinischen  Consonanten,  bleiben 
p  und  f  und  b,  t  und  th  und  d,  und  c  und  g  unangetastet,  und  es  heisst  wie  pondus, 
7TQO(piJTt]g,  cubitus,  aäßßarov,  S-v/uiccua,  SidßoAog,  carcer,  äyysXog  so  nun  auch  im 
Gothischen  pund,  praufetus,  kubitus,  sabbatus,  thymiama,  diabulus,  karkara,  aggilus. 

Gleiches  Verfahren  im  Hochdeutschen,  wo  zuerst  diess  ein  fremdes  Wort  in  sich  auf- 
nahm: also  gradus  wiederum  gräd,  capitale  capital,  und  da  nun  auch  das  Deutsche  den  Z-Laut 
hatte,  lectio  leczä,  cella  zella,  merx  mercis  merz.  Nur  ward  im  Althochdeutschen  ca  u.dgl. 
noch  lieber  gegen  cha,  das  Gegenbild  auch  des  gothischen  ka,  vertauscht:  k  stand  im  Hoch- 
deutschen selbst  nicht  fest  genug:  es  wechselte,  wie  es  auf  ein  gothisches  g  gefolgt  war, 
auch  jetzt  noch  gern  mit  diesem  Consonanten  ab,  kankan  z.  B.  mit  gangan:  also  capella 
chappella,  crux  crucis  chrüzi.  Z  aber  war  die  Aspiration  von  t,  ein  eigenes  th  daneben 
kannte  die  deutsche  Zunge  nicht  mehr,  im  Griechisch-Lateinischen  selber  fasste  man  jetzt 
th  als  ein  blosses  t  auf,  für  strutio  d.  i.  struthio  schrieb  man  sogar  strucio:  auf  Deutsch 
also  wiederum   strüz. 

Waren  jedoch  die  fremden  Worte  schon  in  der  vorhochdeutschen  Zeit,  schon  auf 
der  Stufe  des  Gothischen  in  die  Sprache  herübergenommen,  dann  wurden  sie  auch  im 
Hochdeutschen  ganz  so  behandelt,    als  ob  sie  überliefert  deutsche  wseren,    und  unterlagen 

2 


—     10     - 

derselben  Lautverschiebung:  weil  bereits  der  Gothe  aus  ndnag  sein  papa,  aus  vidua  viduvö 
gemacht,  machte  man  nun  wieder  hieraus  phaffo  und  wituwä,  wie  aus  den  schon  ursprüng- 
lich deutschen  hlaupan  und  dauhtar  hloufan  und  tohtar.  Hiemit  denn  endlich  war  die  volle 
Aneignung  und  Umdeutschung  des  Fremden  eingetreten,  und  verschont  davon  blieben 
hcechstens  die  Personennamen,  deren  Urform  in  beständiger  Gegenwart  vor  Augen  lag. 

Es  moege  nunmehr  ein  Verzeichniss  von  Beispielen  für  diess  zwiefache  Verhalten  zu- 
sammengestellt werden,  mit  der  Bevorzugung  der  althochdeutschen  Worte  und  Formen 
vor  den  mittel-  und  neuhochdeutschen,  die  sieh  gebührt.  Ich  beginne  bei  den  Lippen- 
lauten und  hier  wie  überall  mit  denjenigen  Fällen,  wo  das  griechische  oder  lateinische 
Wort  bereits  im  Gothischen  vorkommt  und  deshalb,  wenn  es  in  das  Hochdeulsch  übertritt, 
seine  Gestalt  verändert. 

LIPPENLAUTE. 

Griechisch  lateinisch  gothisch  P  wird  auf  Hochdeutsch  im  Anlaut  ph  d.  h.  pf,  ebenso 
hinter  Consonanten,  hinter  Vocalen  dagegen  in  der  Regel  einfach  f:  derselbe  Wechsel  des 
verdickten  und  des  reineren  Lautes,  dem  wir  wiederum  bei  z  und  bei  ch  begegnen  werden. 
Kapillön  von  capillare  s.v.a.  xtigtiv  hat  nur  das  Gothische;  auch  hochdeutsch  geworden 
sind  zunächst  ndnag  papa  phaffo,  pondus  pund  phunt,  caupo  kaupön  clioufön  und  atvctm 
siuap  senaf.  Nur  im  Hochdeutschen  nachweisbar,  aber,  wie  die  Form  uns  zeigt,  schon 
früher  entlehnt  (ich  übergehe  all  die  vielen  Beispiele,  die  weiterhin  noch  sonst  ihre  An- 
führung fordern)  pactum  phaht  Gesetz  nebst  dem  bloss  mittel-  uud  ueuhochd.  Zeitwort 
pfehlen  pfechteti  visieren,  palus  phal,  persicum  phersich,  pipare  mittellat.  pipa  phlfä,  pipita 
aus  pituita  (Diez  Wörterb.  267)  phiphiz,  pilum  phil,  nsjunri]  mhd.  phinztac  Donnerstag, 
pistor  phister,  planta  phlanzä,  porticus  phorzich,  postis  phost ,  prnpago  phrofa  Pfropfreis, 
capsa  chafsa,  campus  champh,  cuppa  choph  Becher,  cuprum  chuphar;  in  apiam  epphi  ist  d;is 
regelgemaesse  f  nur  durch  das  i  so  verhärtet.  Bekanntlich  aber  giebt  und  gab  es  Mund- 
arten, die  pf  überall  in  f  zu  vereinfachen  lieben,  und  so  erscheinen  denn  die  meisten 
dieser  Worte  auch  in  solcher  Umgestaltung  und  pressa  fressa  Druck,  mittellat.  punga  fuiitj 
Beutel  allein  so:  gothisch  hiess  es  pügg.  Wenn  aber  aus  piscina  der  Ortsname  Fischine, 
aus  piscalio  fischenze  wird,  so  ist  damit  das  fremde  Wort  piscis  geradezu  in  das  nahlie- 
gende deutsche  übertragen.  Wieder  andere  Mundarten  hallen  überall  und  so  auch  hier 
das  gothische  p  fest  ohne  bis  zum  ph  fortzuschreiten1  Otfried  sagt  z.  B.  porzih  wie  päd; 
neben  cuppa  chuppha  Mütze  tritt  chuppa,  neben  pluma  pßümfedera  auch  plumatium  ph'unaz 
Federkissen  auf,  neben  porrum  phorro  auch  porro,  neben  plaga  pläga  erst  im  Mittelhochd. 
und  seltener  pfläge;  phaht  ist  im  Neuhochdeutschen  gegen  Pacht,  phiphiz  gegen  Pips  auf- 
gegeben. Zu  unterscheiden  von  solchen  mundartlich  begründeten  oder  durch  mundartliches 
Beispiel  veranlassten  Nebenformen  sind  nun  diejenigen  Fälle,  in  denen  sich  niemals  ph, 
staets  nur  p  zeigt:  das  sind  dann  Worte,  deren  Entlehnung  nicht  über  die  hochdeutsche  Stufe 


-    11    - 

« 

zurückgeht,  wie  pes  pedis  peda,  wie  prösä,  capital,  chappella,  oder  die,  wenn  auch  schon 
früher  entlehnt,  doch  wieder  in  Vergessenheit  gerathen  waren,  wie  purpura  goth.  paurpura 
ahd.  purpurä,  scorpio  goth.  skaurpjö  ahd.  scorpjo  scorpo,  7iQO(prjrri<i  g.  praufetus  und  erst 
im  Mittelhochdeutschen  wieder  (vorher  halte  man  wlzago  gesagt)  prophete.  Hauptmerkmal 
dessen,  dass  solche  Worte  jetzt  erst  aufgenommen  worden,  ist  das  in  ihnen  wie  in  rein 
deutschen  ganz  gewoehuliche  Schwanken  des  Anlautes  zwischen  p  und  b,  zwischen  dem 
streng  althochdeutschen  Consonanten  und  dem,  der  im  Gothischen  ihm  vorangegangen  war 
und  wieder  auch  im  Mittelhochdeutschen  folgen  sollte.  Also  populus  pappula  und  bapilla 
Stockrose,  paradis  und  mhd.  auch  baradis,  pix  pech  und  bech,  portus  port  mhd.  porte  und 
borte,  pumex  pumiz  und  mhd.  bimz.  Und  endlich.  Mehrere  Wörter  mit  p  sind  schon  auf 
der  gothischen  Stufe  in  unsre  Sprache  eingetreten  und  haben  dann  auf  der  hochdeutschen 
statt  des  p  ein  ph  oder  f  erhalten  und  sind  noch  einmal  eingetreten  auf  der  hochdeutschen 
und  haben  da  den  Consonanten  etwa  nur  gegen  b  vertauscht:  nccQoixia  parochia  pharra 
und  parrechare  Pfarrangehceriger;  nixakov  petalum  fedelgold  und  pcdalä  bedelä;  pcena  pina 
blna  mit  dem  Zeitworte  phinön  und  pinön  binön;  (phressa)  fressa  und  das  Zeitw.  pressön 
bressön;  puteus  phuzzi  fuzze  und  puzza  buzza;  ftActrvs  nkaxila  platea,  franz.  plat,  goth. 
platja  oder  plati  Strasse,  ahd.  flaz  und  mhd.  plat  blat  flach,  flazzi  geebneter  Boden  und  plattä 
blattä  Platte;  capa  gaphä  caffä  und  chappa;  capo  cappho  und  chappo.  Die  Moeglichkeit  solch 
einer  zweimaligen  Einführung  und  des  Nebeneinanderbestehens  zwiefacher  Formen  wird 
bestätigt,  wenn  wir  zu  flazzi  noch  unser  Platz  kommen  sehen,  vom  franz.  place  d.  h. 
wiederum  platea,  oder  zum  ahd.  phalanza  falanza  palinza  von  palatium  das  mhd.  palas 
von  palais.  Dass  aber  pepo  (phebeno)  Pfeben  bloss  das  erste  p  verschiebt,  wird  Sache  des 
Wohllautes  sein  wie  in  phepis,  einer  Nebenform  zu  phiphiz;  ausserdem  auch  hier  die  Fest- 
haltung beider  p  in  pepano  bebeno. 

Griechisch  lateinisch  gothisch  F:  faskja,  praufetus.  Statt  der  Media  b,  die  im  Althoch- 
deutschen hierauf  folgen  sollte,  zeigt  dasselbe  in  eignen  und  ebenso  in  fremden  Worten 
als  Inlaut  meist  nur  ein  erweichtes  f,  ein  v,  als  An-  und  Auslaut  dagegen  unverändert  fl: 
fäska  oder  fäski,  falco  falcho,  fceniculum  fenachal,  filiolus  fillöl,  ccerefolium  chervola,  graphio 
krävjo  Graf,  Stephanus  mhd.  Steven.  Verleitet  aber  durch  jene  mundartliche  Vereinfachung 
des  ph  in  f,  springt  zuweilen  von  dieser  Seite  her  f  in  ph  hinüber:  es  heisst  auch  phenichal, 
cophinus  chovina  chofina  und  chophenna,  mhd.  auch  philbl  und  phl  neben  fl  franz.  fi,  phln 
neben  ßn  fr.  fin  (lat.  finis,  finitus),  phasant  neben  vasant  fasän  lat.  phasianas,  phlüm  neben 
flüme  lat.  flumen.  Ebenso  kommt  unser  Farn,  lat.  Favonius,  althochdeutsch  als  Phönno  vor, 
und  opharön  von  ojferre  ist  gebräuchlicher  als  offarön. 


Notker  und  seine  Schule  brauchen  v  neben  /  auch  im  ■  seine  Schwächung  /,   wie  p  und  b,  t  und  d,  k  und  g: 

Beginn  der  Worte,  aber  nicht  wie  die  mittelhochdeutschen  der  härtere  Laut  steht  hinter  Interpunctionen  und  vollen 

Schreiher  nur  als  andre  Bezeichnung  des  F- Lautes:  Consonanten,  der  weichere  hinter  Vocalen  und  Liquiden. 
/  und   v  sind    ihnen    ebenso   verschieden^  wie  ph  und 


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Griechisch  lateinisch  gothisch  B:  cumbere  kumbjan,  cubitus  kubitus,  cüßavov  saban. 
Wenn  aber  aus  ßcciri]  der  Golhe  nicht  baita,  sondern  paida  macht  und  sofort  der  Hoch- 
deutsche pheit  d.  i.  Rock  oder  Hemd,  so  haben  hier  beide  Consonanten  die  Accentuierung 
ausgetauscht:  mit  derselben  Umstellung  ist  im  Mittelhochd.  biever  aus  ßeber  lal.  febris,  im 
Neuhochd.  (Ösen  aus  döszen  (mhd.  diezen  döz),  im  Griech.  mda  aus  jusrä  geworden  und 
sehnlich  phedemo  aus  phebeno,  bidemen  aus  bibenen,  KaQ%r)8u>v  aus  Carthago.  Im  strengeren 
Althochdeutschen  rückt  an  die  Stelle  jenes  b  ein  p:  doch  gilt  daneben  auch  hier  und  gilt 
im  Mittelhochdeutschen  allein  der  weichere  Urlaut,  neben  sapon  saban,  neben  alpäri  albäri 
wie  ital.  albaro;  ebenso  chorb  lat.  corbis,  churbiz  Cucurbita,  buliz  Pilz  boletus.  Das  b  vor  l 
im  ahd.  subtil  lat.  subtel  d.  i.  sub  talo  (nach  Papias  s.v.a.  ima  pars  pedis)  mag  doch  als  p 
gesprochen  worden  sein:  die  Ableitung  sufteläre  *  lat.  subtalaris  zeigt  dessen  regelrechte 
Verschiebung  in  f. 

ZUNGENLAUTE. 

Griechisch  lateinisch  T  bleibt  im  Gothischen,  verwandelt  sich  aber,  wenn  die  Worte 
von  der  gothischen  Stufe  weiter  rücken,  althochdeutsch  in  z;  Anfangs  der  Sylben  und 
nach  Consonanten  wird  diess  wie  noch  im  Neuhochdeutschen,  nach  Vocaleu  dagegen  wie 
sz  ausgesprochen,  das  wir  denn  auch  schreiben.  Bloss  dem  Gothischen  eigen  ist  kubitus; 
auch  ins  Hochdeutsche  gekommen  sind  catinus  oder  catillus  katil  chezzil,  acetum  akeit  ezzich, 
umgestellt  aus  echiz  2,  militare  g.  militön  und  miles  militis  ahd.  miliz,  adßßarov  sabbatus 
sambaz  in  sambaztac  3 ;  dazu  strata  (naeml.  via)  Strälaburg,  ahd.  sträza  Sträzpuruc.  Nur 
mit  hochdeutschem  z  vorliegend  noch  andre  dergleichen  Namen:  Tarodunum  Zartuna, 
Tulbiacum  Zulpicha,  Turicum  Zürich  oder  wie  der  Geographus  Ravennas  schreibt  Ziurichi , 
und  Metm  Metis  Meza.  Ferner  catus  chazzä,  stultus  stolz,  tributum  tribüz:  das  erste  t 
wird  hier  nicht  verschoben,  da  zr  unsprechbar  waere:  auch  die  gothischen  trauan  trauen, 
triggv  treu,  trimpan  trampen,  trudan  treten  ändern  im  Hochdeutschen  ihren  Anlaut 
nicht.  Jüngeren  Alters  in  unsrer  Sprache,  da  sie  kein  z  auch  wo  es  moeglich  waere 
zeigen,  sind  tunica  tunicha  und  tunichön  tünchen,  turris  turri  turra  turn,  lectorium  lector, 
mantellum  mantal,  chrotta  Art  Harfe  rottä.  Zweimal  entlehnt,  da  sie  sowohl  mit  z  als  mit  l 
vorkommen,  tabula  zapal  und  tavalä  nebst  tabellä,  taberna  Ziabema  Zaberna  als  Ortsname 
und  tavernä,  talea  zelga  zella  und  zunaechst  auf  franz.  taille  beruhend  das  landschaftlich 
neuhochdeutsche  Teile  Abgabe,  tegula  ziegal  und  tegel  Tiegel,  cutis  cotta  (Diez  Wörterb.  1 1 5) 


1  Das  Unwort  fustilare  in  Graffs  Sprachschatz  HI,  727  3  Einschaltung  der  Lippenliquida  vor  eine  Lippenmuta 
ist  suftilare  zu  hessern.  wie  in  trabea  tremhil  und  wie  noch  öfter  der  Liquida 

2  Doch  könnte  in  ezzich  das  z  auch  aus  dem  c,  das  ich  der  Zunge  vor  deren  Mutas :  charadrius  ital.  calandra 
aber  ebenso  aus  it  (acetum  acitum)  entstanden  sein,  mhd.  galander,  chamwdrys  germandrie  gamandre,  red- 
wie  aus  tapetum  tepU  und  tepich  geworden  ist.  Das  dere  rendre  ahd.  renton ;  andere  Beispiele,  auch  von 
altsächs.  ecid,  angelsächs.  eced  muss  auf  acidum  beruhen.  nz  für  z  werden  spceter  in  Cap.  VI  gegeben  werden. 


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ahd.  chozzä  cuzin  und  mhd.  kutte,  mutare  mtizön  und  muta  g.  möta  ahd.  müta  Mauth,  und 
spella  und  spelza.  Aus  porta  schon  bei  dem  Geogr.  Ravennas  der  Ortsname  Porza,  mit 
p,  nicht  ph,  wie  auch  spseter  das  Appellativum  mundartlich  zwischen  phorze  und  porze 
wechselt;  daneben  gänzlich  unverschoben  porta  borta  und  beide  Behandlungsweisen  mischend 
der  gewöhnliche  Ausdruck  phorta.  Kurt  aber  ist  nur  mitteldeutsche  Nebenform  von  churz, 
lat.  curtus1. 

Griechisch  gothisches  TU  sollte  im  Hochdeutschen  zu  d  werden:  doch  liegen  uns  ausser 
thymiama  keine  gemeinsamen  Worte  vor,  und  diess  eine,  frisch  entlehnt  und  Pflanzenname 
geworden,  lautet  ahd.  limiäm.  Denn  das  Hochdeutsche  nimmt  solche  th  als  t,  thracius  pan- 
ther  cithara  als  Iracisk  pantel  zitarä;  ja  diese  Auffassung  muss  schon  früher  begonnen  haben: 
sonst  hätte  nicht  aus  tQtßiv&oq  arawiz,  aus  mentha  minzä,  aus  catharus  mhd.  ketzer,  aus 
thyrsus  auch  zers  werden  können.  Ebenso  scheint  chrezzo,  unverschoben  chratto,  nicht 
von  crates,  sondern  von  calathus  zu  kommen:  darauf  führen  die  alten  Glossare,  die  es  mit 
letzterem  zusammenstellen.  Thesaurus  altsächs.  tresur  tresu  ahd.  treso  triso  entgeht  dem  z 
durch  diese  Versetzung  seines  r 2. 

Griechisch  lateinisch  gothisch  D,  hochdeutsch  t:  didßoAot;  diabulus  tiuval,  vidua  viduvö 
wituwä,  pondus  pund  phunt.  Hiezu  noch  die  hochdeutschen  Umbildungen  lateinisch-celtischer 
Ortsnamen  auf  dumm  d.  i.  Burg  und  Berg,  wie  Tarodunum  Zartuna,  Lugdunum  Liutana, 
Verdunum  Wirtina;  ferner  delphinus  roman.  dalfin  mhd.  talfln,  dama  ahd.  tänto,  dictare  tihtön, 
discus  tisc,  domus  tuom,  draco  tracho,  durare  mhd.  türen,  Carduus  charto,  candela  chentila,  modius 
mutti,  radix  rätich,  Rliodanus  Roten,  sedile  satul.  Mit  beibehaltenem  d  und  sonach  jünger 
damnare  ßrdamnön,  gradus  gräd,  kalendw  kalend,  modulus  modul,  pardus  pardo,  pes  pedis 
peda.  Zweimalige  Entlehnung:  decima  decimare  techamön  und  dezemo  dezemön,  SccxrvÄog  da- 
ctylus  mhd.  tattel  und  nhd.  Dachtel  Ohrfeige;  ebenso  werden  sich  decanus  techän  techant  und 
dechän.  dechent  verhalten.  Der  Padus  heisst  ahd.  Pfät,  ich  weiss  nicht  wie  im  Genitiv  u.  s.  f.: 
das  Mittelhd.  bildet  denselben  Pfades,  wohl  auf  Anlass  von  pfat  pfades. 

KEHLLAUTE. 

Griechisch  lateinisch  K  und  C.  Wie  schon  bemerkt  und  erklaert  worden,  giebt  das 
Golhische  überall,  auch  wo  auf  das  c  ein  /-Laut  folgt,  diesen  Consonanten  mit  k  wieder, 
also  nicht  bloss  katil,  kaupön,  kavtsjö,  kubitus,  arka,  laiktjo,  sakkus,  Gracus  Krik,  sondern 
auch  acetum  akeit,  carcer  karkara,  lucerna  lukarn,  urceus  aurki,  fascia  faskja,  uncia  unkja, 
wie  xccTgccq  oder  ccesar  kaisar.  Im  Hochdeutschen  sodann  tritt  erstlich  an  die  Stelle  des  c 
vor  a  u.  s.  f.  und  vor  Consonanten  ein  ch;  das  Mittel-  und  Neuhochdeutsche  pflegt,  wie 
mundartlich  auch  schon  früher   geschehn,    im  Anlaut  und  nach  Consonanten  dafür  bloss  k 

1   Die  ältesten  Denkmseler  gewähren  übrigens  scurz  und  2  In   crocodilus    mhd.    kokodrüle    kokatrüle    hocheldritle 

scurt  mit  ebensolchem  Vorschlag  eines  *  wie  in  merula  ist  das  r  nach  hinten  versetzt;  der  vollständigeren  Form 

mittellat.  mirlus   ahd.  smirl,  in  porticus  sportich  und  tresur  vergleicht  sich   ahd.   chlonachla  aus   chonachla 

öfters  auch  in  urverwandten  Wörtern.  lat.  colueula. 


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zu  setzen.  So  heisst  es  nun  chezzil,  choufön,  archa,  sach,  Chriach;  lekzä  kommt  nie  mit  eh 
gesehrieben  vor.  Von  gleicher  Art  calx  chalch,  carnarium  charnäre,  concha  ital.  cocca  ahd.  rhorho 
Art  Schill",  fornax  furnache,  grammatica  gramatich  (die  Schwaben  sprechen  noch  so),  laicus 
leich,  manica  menichä,  psittacus  psüich,  securus  sichur,  soccus  soch;  vor  s  und  vor  t  wird  diess  cli 
in  h  vereinfacht:  buxus  buhs,  pyxis  puhsa,  exul  ihsil,  fructus  fruht,  dictare  tihtön,  tractare 
irahtön.  Folgt  dagegen  dem  lat.  c  ein  i  oder  e,  so  bleibt  der  Kehllaut,  bleibt  das  ch  nur 
dann  in  Geltung,  wenn  die  Worte  schon  auf  jener  früheren  Stufe  deutsch  geworden  sind, 
wo  das  Deutsche  selber  noch  kein  z  besass,  springt  aber  auf  die  Zunge  über  und  wird 
ein  2,  wenn  sie  erst  auf  der  hochdeutschen  sind  entlehnt  worden.  Also  wie  im  Gothischen 
carcer  charchäri,  fäski  oder  fäska  und  vielleicht  noch  echiz  ezzich;  ebenso  mit  ch  ceratum 
oder  cerata  charz  und  cherzä,  ccerefolium  chervola,  cicer  oder  cicera  chichura{,  xvqmxxov  chi- 
richä,  cerasum  chirsa,  cista  chista,  Cancer  chanchar,  bacca  bacinus  (Diez  Wörlerb.  35)  peclün 
Becken.  Aber  die  überwiegende  Mehrzahl  solcher  Worte  ist  von  jüngerer  Einführung  und 
zeigt  desshalb  ein  z:  cedrus  zedarpoum,  centaurea  zenter,  centenarius  zenlenäri,  cymbalum  zimbala, 
census  zins,  incensorium  zinseri,  cyparissus  ziperboum  neben  cupressus  cuprespoum,  ccepulla 
zipolla,  cilhara  zitarä,  cancelli  chanzella,  calceus  kolze,  merx  mercis  merz,  macellarius  metzeler, 
nux  nucis  nuz,  pelliceum  pelliz,  pumex  pumicis  pumiz,  Saracenus  Sarz  und  Serzo  (altnordisch 
hiess  es  Serk)  und  neben  jenem  goth.  aurkt  nun  nrceolus  urzeöl  und  urzöl.  Dazu  kommen 
noch  diejenigen,  die  eigentlich  ausgehn  auf  ti  und  ihi  und  te,  in  denen  aber  diese  Laut- 
verbindungen auch  wie  ci  ausgesprochen  wurden :  Constanlia  Chostanza,  piscatio  fischenze, 
focus  focacia  fochanza  Art  Gebäck,  lectio  lekzä,  martius  marceo,  palatium  phalanza,  prophetia 
profezie,  potio  puzzä,  puteus  phuzzi  und  puzza,  Rwlia  Riez,  struthio  strüz,  tertnts  terze  Fal- 
kenart, Borbetomagus  Wormatia  Wormaza.  Wenn  endlich  mehrere  Worte  mit  beiderlei 
Lauten  des  c  abwechseln,  so  werden  damit  auch  hier  verschiedene  Zeilstufen  der  Aneig- 
nung kenntlich  gemacht:  cheisar  wie  goth.  kaisar  ist  das  ältere,  Burclsara  mhd.  Porzlser  d.  h. 
Porta  Casaris,  Name  eines  Pyrenseenpasses,  erst  das  jüngere  Wort;  so  ferner  cellarium  cliellüri 
und  cella  zella2,  der  Ortsn.  Winkela  und  mit  Auffrischung  des  Sinnes  (vini  cella)  Winzella; 
circulus  chirch  in  der  Redensart  umpi  in  durch,  entstellt  umpichirc  umbih'rg ,  womit  circum- 
quaque  übersetzt  wird,  und  zirc  Kreis,  umbizirg,  zirkil,  circare  zirkön;  crucea  chrucha  und 
crux  crucis  chrüzi3;  decimare  techamön  und  dezemön.  Das  Mittelhochdeutsche  sagt  luzerne  (goth. 
lukarn  war  vergessen)  und  nennt  die  Insel  Cypern  Kipper  und  Ziper :  jenes  ist  KvnQog,  diess 
das  lat.  Cyprus. 


1  Nach  dem  Sprachschatze  von  Graff  IV,  1280  wsere  cicer  kill  (Zelle  und  Kirche)  gebildet:  statt  des  ersteren  fln- 
auch  in  ziser  verändert  worden :  aber  in  dem   ange-  det  sich  auch  vurichilli. 

führten  Belege  ziser  cicer  ist  mit  dem  letzteren  Wort      3   Der  fremde  Name  des  Kreuzes  ist  spaeter  an  die  Deut- 

wohl   eher  cicera  d.  i.  sicera  gemeint  und   ziser  eine  sehen    gekommen    als    das   Christenthum :    die    Gothen 

Umstellung  hievon.  sagten  dafür  galga,  und  noch  im  Althochdeutschen  und 

2  Furichelli  und  witchelle,  Uebersetzungen  von  vestihulum  Altsächsischen  sind  galgo  und  ruodä  d.  i.  Galgen,  boum 
und  porticua,  scheinen  unter  Einwirkung  des  irischen  und  treo  d.  i.  Baum  nicht  minder  geläufig  als  chrüzi. 


-     15     - 

Das  griechische  CIl  musste  der  Gothe  in  k  abstumpfen:  z.  B  Kristus1,  Akaja,  drakma, 
paska;  oder  vereinfachen  zu  h  wie  in  OQVxrj  aurahjö.  Im  Hochdeutschen  folgte  ordnungs- 
gemäss wieder  ein  ch,  also  Christ,  und  während  aus  »lonaclms  der  Gothe  etwa  munakus 
gemacht  hätte  wie  der  Angelsachse  inunec,  sagte  man  ahd.  munich;  so  auch  xa^ög  chamus 
chänio,  aurichalcum  örchalch  und  nur  mundartlich  Krist,  Mino,  örcalc.  Das  Mittelhochdeutsche, 
das  nicht  mehr  chranz  und  starch,  sondern  kränz  und  starc  aussprach,  kehrte  in  eben  die- 
sen und  anderen  Worten  zu  der  gothischen  Tenuis  zurück:  kerubin,  kör,  patriarke. 

Griechisch  lateinisch  gothisch  G  in  synagoye,  äyysAog  aggilus,  punga  pugg,  sigillum 
sigljö  und  Eigennamen  wie  Gabriel;  die  Abweichungen  Krek  und  markreitus  sind  schon 
früher  erwaehnt.  Jenem  Krek  entspricht  im  Hochdeutschen  Chriaeh;  im  Uebrigen  gilt  k  oder 
wieder  g:  angil,  fung,  sigillä,  castigare  castikön,  gemtna  kimina,  graphio  krävjo,  gurgulio  gur- 
gula,  bulga  pulga,  sagulum  segal,  strigilis  strikil,  tegula  ziegal  und  tegel.  Der  diphthongie- 
rende Uebergang  von  sagma  in  soum  ist  wie  der  aus  goth.  bagm  in  hochd.  poum;  dem 
sehnlich  tauschen  augusto  Augustmonat  und  Augustburg  Augusburk  in  den  mittelhochd.  For- 
men ouwest  und  Ouwesburc  das  g  in   w  um. 

HALBCONSONANTEN. 

Die  Halbconsonanlen  berührt  keine  Lautverschiebung:  vimim  lautet  auch  im  Goth.  Win, 
im  Ahd.  win,  vannus  velum  pavo  pulvinar  vivarium  auch  ahd.  wanna  wil  phäwo  phuluwi 
iciwäri;  wiara  Goldschmuck  könnte  aus  viria  umgestellt  sein.  Nur  S  giebt  zu  einigen  Be- 
merkungen Anlass.  Satanas  geht  im  Althochdeutschen  auch  auf  z  und,  mitteldeutsch  weiter 
geführt,  selbst  auf  t  aus;  mit  derselben  schon  so  frühzeitigen  Vermischung  von  s  und  ax 
scheint  hochd.  faz  aus  lat.  vas  entstanden  2  und  haben  die  Niederdeutschen  aus  der  Münz- 
benennung grossus  gros  ihr  gröt,  aus  franz.  escosse  ecosse  von  excutiare  (Diez  Wörterb.  601) 
das  nun  auch  hochdeutsche  Schote,  die  Niederländer  aus  der  glossa  oder  glöse  des  Sachsen- 
spiegels einen  cloit  oder  cloel  gemacht.  In  umgekehrter  Bichtung  tritt  öfters  s  ein,  wo  s 
stehn  sollte:  cinnamömum  sinnamin  (zwischen  zinnamin  und  uusrem  Zimmet  liegen  im  16 
und  17  Jahrh.  Zinnainenl  Zinement),  mortarium  morsäri,  penicillus  pensil,  pipita  phiphiz 
und  pßpfis. 

II.  DIE  VOCALE. 

Die  Vocale  sind  von  Natur  flüssiger  und  flüchtiger  als  die  Consonanten:  deshalb  auch 
unterliegt  bei  ihnen,  wo  die  Worte  nicht  selbst  aus  einheimischer  Wurzel  gewachsen  sind, 


1   Unzweifelhaft   so,  nicht  Christus:   das   griechische  X,  2  Innerhalb   des   Deutschen   selbst  ist  dieses  Wort  ohne 

das  allerdings  die  Handschriften  diesem  Namen  geben,  Wurzel,   wie   es   auch   dem  Gothischen   noch  gänzlich 

gehoert  nur  zu  der  überlieferten  Abkürzung,  in  welcher  abgeht.   Die  Casseler  Glossen  gewsehren  mit  w  die  wie- 

derselbe    zugleich    stsets   erscheint:   XS   d.  i.  Kristus,  der  verschwundene  Umdeutschung  in  wahs. 
XAUS  Kristaus  u.  s.  f. 


—     16     - 

weder  Bestand  noch  Aenderung  so  durchgreifenden  Gesetzen,  als  bei  den  Consonanten  das 
der  Fall  ist.  Vorzüglich  gilt  das  von  den  im  Accent  zurückgesetzten  Schlusssylben:  wir 
werden  späterhin  sehn,  durch  welchen  bunten  Wechsel  der  Farben  das  Deutsche  da  die 
überlieferten  Formen  spielen  laesst.  Um  vieles  fester  stehn  die  betonten  Vocale,  und  auch 
für  sie  darf  man  als  Grundsatz  unsrer  Sprache  doch  bezeichnen,  dass  sie  nur  da  und  nur  so 
verändre,  wo  und  wie  das  eigene  Wesen  dazu  ncelhigt. 

Hauptbeispiel  hievon  ist  die  Behandlung  der  kurzen  E  und  O.  Beide  Laute  sind  dem 
Gothischen  selbst  noch  unbekannt:  seine  eigenen  c  und  o  sind  sämmtlich  gedehnt.  Wo  ihm 
nun  €  und  o  vorliegen,  da  treten,  sobald  die  Sylbe  tonlos  ist,  die  zunaechst  stehenden 
kurzen  i  und  u  an  deren  Stelle,  z.  B.  äyyiÄog  aggilus;  bei  Betonung  des  Vocales  wird  nur 
ein  Wort  so  verwandelt,  das  schon  ganz  der  Sprache  eigen  geworden,  naemlich  pondus 
pund.  Sonst  aber,  wo  *  und  o  betont  sind  oder  wo  auch  unbetont,  doch  durch  die  min- 
dere Geläufigkeit  des  Wortes  in  einem  gehaltneren  Vortrag  ihres  Lautes  sicher  gestellt, 
sucht  und  findet  sich  das  Gothische  einen  andren  Ausweg.  Bekanntlich  ist  ihm  Gesetz, 
dass  betonte  i  und  u,  wenn  ein  h  oder  r  darauf  folgt,  durch  den  in  diesen  Halbconso- 
nanten  enthaltenen  Vocal  diphthongiert,  in  ai  und  au  verwandelt  werden,  wamrend  unbe- 
tonte wie  in  uh  (que)  und  nih  (neque)  bestehen  bleiben:  demgemaess  nun  auch  urreus 
aurki ,  purpura  paurpura.  Nun  konnte  dem  Gothen  nicht  entgehn,  dass  diese  Diphthon- 
gen in  mehr  als  einem  Wort  den  griechisch-lateinischen  e  und  ö  entsprechen:  bairan 
(fSQSiv,  taihun  Sixa  decem,  haurn  cornu  u.  s.  w. ;  noch  ihm  unbekannt  sein,  dass  ebensolche 
e  und  ö  auch  in  Mundarten  anderer  Deutschen  vorkamen,  aber  da  so  wenig  als  in  Ssxcc 
und  decem  gebunden  an  ein  nachfolgendes  h  oder  r,  ja  dass  da  z.  B.  vor  g  dasselbe  Wort 
bald  ein  kurzes  e  aufwies,  bald  sogar  auch  den  Diphthongen  ai:  bei  Strabo  VII,  I,  4  wird 
für  2ty£arrjg  auch  ^aiyiffr^g ,  für  JSi-yljutjgog  auch  2atyi/u>jQog,  von  den  Byzantinern 
theils  rinedtg,  theils  rincciSsg  oder  r^nmSag  geschrieben.  Und  das  Gothische  selbst 
schon  sagte  Joint  jener,  nicht  jins,  trotz  dem  n,  nur  um  einem  Misslaut  auszuweichen. 
Durch  diesen  mehrfachen  Fingerzeig  geleitet,  dehnte  es  denn  seine  ai  und  au,  gleichviel 
welcher  Consonant  auch  folgte,  auf  alle  betonten  oder  schwebenden  e  und  ö  fremder  Wörter 
aus,  der  hebraeischen,  die  in  der  griechischen  Bibel,  und  der  griechischen  und  lateini- 
schen, die  auch  sonst  vorkamen:  also  BoccvsQyüg  Bauanairgais ,  'hpoGOÄv/ua  Iairusaulyma , 
iniaxonog  aipiskaupus,  ixxtyaict  aikklisjö,  cä'Qtffig  hairaisis,  Äeytoov  laigaiön,  speculalor 
spaikulatur,  Pontius  Paunlius.  Zuweilen,  wo  ein  Wort  über  die  Schrift  hinaus  noch  weiter 
ins  Leben  eintrat,  schwankte  sofort  die  Sprache  zwischen  dem  fremdartigen  und  dem  hei- 
mathlichen  Laute,  zwischen  dem  au  und  jenem  in  pund  gebrauchten  w:  es  heisst  aipistaule 
und  aipistule,  apaustaulus  und  apaustulus ,  diabaulus  und  diabulus,  diakaunus  und  kürzer 
diakun. 

In  diesen  Diphthongen,  die  also  aus  i  und  u  hervorgegangen  sind  (es  heisst  auch 
2iy£firjQog  und  Rjmie$)  und  denen  in  andrer  und  spaeterer  Sprache  kurz  e  und   o  gegen- 


—     17     — 

überstehen-  (taihun  ahd.  zehan,  haurn  hörn),  muss  gleichwohl  das  a  sehr  stark  hervor  und 
stärker  als  der  zweite  Vocal  getcent  haben.  Nur  so  erklaert  sich,  dass  manche  Worte, 
die  Ulphilas  mit  air  geschrieben  hätte,  sogar  mit  blossem  ar  vorkommen,  vor  Ulphitas 
schon  und  nach  ihm:  'Eqxvvios  öqvjuÖs  und  'Aqxvviu  6qr\  (goth.  fairguni  Berg,  ahd.  Fer- 
gunna  Virgunna  als  Gebirgsnamen),  von  irmin  Volk  Ermin  und  Arminius,  von  erpf  braun 
Arpus,  Basternm  und  Bastarnae,  sper  lat.  sparum,  Oviqovpoi  und  Varini  Ovcegvoi,  und  aus 
dem  Griechischeu  und  Lateinischen  entlehnt  igißtrS-os  ahd.  arawiz  araweiz  Erbse,  cerata 
cherzä  und  charz,  mercatus  merchät  und  marchät;  ja  Ulphilas  selber  hat  lukarn  von  hicerna. 
Mittelhochdeutsche  Beispiele  pardrls  franz.  perdrix  und  serpant  sarpant  fr.  serpent. 

Dem  Hochdeutschen  sind  im  Gebrauch  hier  des  /  und  U,  dort  des  E  und  0  keine 
Schranken  wie  dem  Gothischen  gesetzt:  massgebender  als  das  in  h  und  r  eingeschlossene 
a  sind  für  seine  Vocalisierung  die  t  und  a  und  u,  die  in  den  Scblusssylben  der  Worte 
offen  vorliegen:  goth.  vairpa  vairpis  vaurpum  vaurpjau  heissen  ihm  wirfu  wirfis  icurfumes 
wurß  wegen  des  i  und  u,  niman  ganuman  aber  neman  kanoman  wegen  des  a  der  Endung. 
In  purpura  und  urceolus  urzeöl  darf  es  demnach  das  lateinische  u  festhalten;  anderswo 
vertauscht  es,  auch  wo  das  Gothische  nicht  ändert  noch  ändern  kann,  u  gegen  o,  i  gegen 
e  oder  führt  umgekehrt  e  und  o  auf  i  und  u  zurück.  /  gegen  e:  chrisma  chrisamo  und 
chresamo,  missa  und  messa,  mittellat.  bicarium  (Diez  Wörterb.  54)  pechäri,  piper  pfeffar, 
simila  similä  simulä  und  semalä,  aivam  goth.  sinap  ahd.  senaf,  spinula  spinulä  und  spe- 
nidä  spenalä.  E  gegen  i:  Confluentia  Chobilinza,  gemma  kimma,  Uns  lins,  mentha  minzä 
und  die  im  Anschlüsse  hieran  gebildeten  atramentum  atraminzä  atarminzä  und  pigmentum 
plminzä,  gewöhnlicher  pimenta;  ferner  auripigmentum  örgimint  (besser  örpimint,  franz.  or- 
piment,  nhd.  Opperment),  mittellat.  pergamentum  ahd.  perimend  mhd.  perment  und  permint, 
zedoarium  zitawar,  ital.  zendado  ahd.  zendäta  mhd.  zindät,  gleichbedeutend  ital.  zendale 
mhd.  zendäl  und  zindäl,  census  zins,  incensorium  zinseri.  U  gegen  o:  recuperare  choparön, 
cuppa  choph  Becher,  puleium  puleiä  und  poleiä,  catapulta  und  puls  pultis  polz,  ital.  seg- 
nuzzo  singoz  kleine  Glocke,  stultus  stolz.  O  gegen  u:  copulare  chupelen,  filiolus  de  fönte 
funtdivillöl,  fornax  furnache,  diaconus  jachono  und  jacnno  wie  goth.  diakun,  mittellat.  com- 
brus  (Diez  Wörterb.  106.  598)  kumber,  monachus  munich,  monasterium  monastri  und  mu- 
nistri,  moneta  muniza,  modius  mutti,  nonna  nunnä,  boletus  puliz,  pondus  phunt  wie  goth. 
pund,  potio  (der  Vocal  gekürzt  durch  die  Verhärtung  des  Consonanten)  puzzä,  Septimus 
mons  Seflimont  und  Seftemunt  Septimer',  spongia  spunga,  tromba  (Diez  356)  trumpä,  tornus 
turnen.  Bei  letzteren  Vertauschungen  wie  bei  jenen  des  e  gegen  i  hat  die  Neigung  des 
Deutschen  vor  doppeltem  oder  consonantisch  verbundenem  n  sein  i  und  u  nicht  umzulauten 
(rinnan  karunnan,  pintan  kapuntan)  und  zugleich,  wie  denn  mehrere  dieser  Worte  erst 
durch  romanische  Vermittelung  ins  Deutsche  gelangt  sind,  dieselbe  Neigung  der  Bomanen 

1   In  der  Form  Setmunt  (Settimunt)  ist  das  p  auf  roma-  tamme,  electuarium  ital.  lattovaro  mhd.  lattewarje,  lac- 

nische  Weise  dem  t  angeglichen  wie  in  dictamnum  dit-         tuca  lattucha,  dactylus  tattel  das  c. 

3 


-     18     — 

für  das  vollere  u  (Diez  Gramm.  I,  152.  413  fg.)  miteingewirkt.  Auf  beiderlei  Anlässe 
macht  auch  das  Mittelhochdeutsche  aus  dem  franzcesischen  blond,  rond,  comte,  fontaine, 
montagne  udgl.  sein   blunt,  runt,  cunt,  funtäne,  muntäne. 

Griechisch  lateinisch  E,  langes  e,  ändert  sich  der  Regel  nach  nicht:  goth.  Jesus,  prau- 
fetus  u.  s.  f.  Das  niedre  Latein  petzte  aber  diesen  Laut  auch  an  die  Stelle  der  Diphthongen 
w  und  ob  (Schneiders  Gramm.  I,  52  fgg.  78  fg.):  für  a  und  tu  nun  ebenso  das  Golhische  in 
Grmcus  Krik  und  i'Zcciov  alev.  Im  Hochdeutschen  sodann  folgt  auf  ein  früheres  6  ursprüng- 
lich deutscher  Wörter  ein  ä  (goth.  le'ki,  letan  ahd.  lächi,  läzan),  auf  das  e  und  a  der  frem- 
den wiederum  e  und  mehrmals  auch  ia,  ein  Diphthong,  der  sonst  dem  langen  e  der  säch- 
sischen Sprachen  gegenübersteht  (ahd.  miata,  altsächs.  und  allfries.  meda,  angelsächs.  med): 
Grund  zu  der  Annahme,  dass  hier  das  fremde  Wort  zunaechst  durch  sächsischen  Mund 
gegangen  sei.  Also  Grmcus  Chriach,  xkvar^Q  kristier,  mensa  goth.  mis  ahd.  meas  mias, 
pesale1  ahd.  phesal  und  phiesal,  beta  pieza,  presbyter  mit  Syncopierung  und  Umdeutung 
auf  prm  und  stare  roman.  preslre  ahd.  pristar  und  priestar,  remus  rieme,  Raetia  Rezi  und 
Rieza.  Cäsar  hiess  cheisar  wie  goth.  kaisar,  gr.  xaTaccQ,  auf  Altsächsisch  kesur  und  auch 
kiesur.  Noch  öfter  jedoch,  auch  diess  wieder  dem  Deutschen  mit  dem  Romanischen  ge- 
mein (Diez  I,  139),  schlaegt  lat.  e,  das  echte  wie  das  aus  ce  oder  ob  verdachte,  in  einfach 
langes  i  um.  Die  gothische  Sprache  (ihr  hat  ei  den  Sinn  von  i)  liebt  und  übt  diesen 
Wechsel  schon  in  zahlreichen  eigenen  Worten,  z.  R.  leiki,  leitan;  dann  wendet  sie  ihn 
auch  auf  griechische  wie  'A&^vai  Atheineis  an  und  auf  das  lat.  acShim  akeit.  Hochdeutche 
Reispiele  (es  kehren  hier  einige  sonst  auch  diphthongierte  wieder)  bela  bizcrüt,  Porta  Cce- 
saris  Burcisara,  clericus  chhrich,  avena  evlna,  fwniculum  finachal  ßnachal,  feria  fira,  per- 
gamenum  pergamin,  pesale  phisal ,  pmna  plna,  sceta  sida,  expensa  spensa  spesa  spisa,  tapc- 
tum  tepit,  delere  dilen  tilön,  thesaurus  fr.  tresor  mhd.  trisor,  velum  velare  wUwllön,  ceepulla 
zipolla;  auch  für  camelus  ahd.  kemel  verlangt  dieser  Umlaut  eine  althochdeutsche  Form 
mit  t.  Das  miltelhocbd.  prisant  aus  franz.  present  scheint  nur  den  Anklang  an  pris  (franz. 
prix,  lat.  pretium)  zu  suchen.  Im  Altsächsischen  übersetzt  prisma,  im  Althochd.  prasma 
und  phrasamo  das  lat.  usura:  rühren  beide  Worte  aus  einem  zu  prmstare  gebildeten  prce- 
stamen  her,  so  sind  die  Vocale  wiederum  lang  und  es  wird  hier  einmal  auch  ein  un- 
deutsches e  in  ö  verwandelt. 

Griechisch  lateinisch  langes  /  ist  zwar  dem  Alt-  und  Mittelhochdeutchen  gerecht:  der 
Golhe,  der  nur  ein  kurzes  i  besitzt,  muss  dafür  ei  gebrauchen:  linum  hochd.  lin  goth. 
lein,  vinum  wln   vein,  /j.ctQyttQCxr}<£  markreilus,  wie  hochd.  stein  pizan  goth.  svein  beitan. 

Die  gleiche  Diphthongierung  wieder  im  Neuhochdeutschen  und  ihr  entsprechend  die 
von   U  in  au:  müh  milia  mila  Meile,  paradisus  paradls  altnhd.  Paradeis,  luna  lüne  Laune, 

1   Anzunehmen   als   Grundlage  für  phesal  phiesal  phisal,  Ziehung   des   Accentes   (vgl.  III  u.  V)    entstanden    aus 

die  mittellat.  p isalis  piselis  pisele  piselum  und  das  alt-  pensale  von  pensum:  eigentlich  Arbeitsraum  der  Wei- 

franz.  poisle  poele;  mit  Tilgung  des   n   und   Zurück-         ber  und  deshalb  ein  heizbarer  Raum. 


-     19     - 

mulus  mül  Maul,  murus  müra  Mauer,  wie  ahd.  ila  ful  nhd.  Eile  faul.  Ueber  die  Endung 
le  nhd.  ei  wird  füglicher  späterhin  gesprochen;  zwei  andere,  It  und  ür,  sind  zwar  eben- 
falls zugleich  lang  und  betont:  ital.  bandito  Verbannter  Bandit,  Jesuit,  Clausür,  Creatur; 
aber  ein  richtiges  Gefühl,  nicht  wie  in  Paradies  die  Pedanterei,  vermeidet  doch  hier  den 
noch  volleren  Laut;  nur  das  Hochdeutsch  mancher  Provinzialen  laesst  etwa  ein  Natauer 
hoeren.  Kauderwälsch  haben  wir  diphthongiert,  dessen  Grundworte  Curia  Chüra  und  Chüro- 
walahon  nicht. 

Griechisch  Y  wird  im  Gothischen  und  weiter  im  Mittelalter  genug  geschrieben:  sein 
eigentlicher  Laut  jedoch,  der  bis  zum  13  Jahrb.  dem  Hochdeutschen  selbst  noch  fremd  war, 
ist  vielleicht  nur  selten  behauptet  worden.  In  Tv%ixog  Tukeikus  macht  der  Gothe  daraus 
ein  u,  und  auch  auf  u  beruht  der  Diphthong  in  SvQog  Säur,  waehrend  in  0/j.vqqov  smyrn, 
anvotg  spyreida  trotz  dem  r  das  y  ungeändert  bleibt;  mittellateinisch  und  hochdeutsch  das 
gleiche  m  in  crypta  crupta  chruft,  cydonium  chulina,  pyxis  buxis  puhsa,  thyrsus  turso  und  wegen 
des  r  gebrochen  torso.  Die  vorherrschende  Auffassung  aber  und  die  auf  langes  y  einzig  an- 
gewendete nimmt  y  als  i:  xvqiccxov  chlrichä,  gryps  gryphis  grlf  gr\fo,  KvnQog  Cyprus  Kip- 
per Ziper,  papyrus  papir  (nhd.  wie  im  Franzoes.  Papier,  im  Provinzialenhochdeutsch  jedoch  Pa- 
peier),  oryza  r'is  Reis,  syllaba  sillaba,  d-vjuta/ucc  gotb.  thymiama  ahd.  tlmiäm,  tympanum  timpana, 
cyparissus  ziperboum,  mit  Brechung  des  t  in  e  gynaceum  genez,  synodus  senöd,  thyrsus  zers. 
Bekannt  ist,  wie  oftmals  die  mittelalterliche  Schreibweise  auch  umgekehrt  y  für  i  gebraucht: 
nur  mceglich,  weil  bloss  die  Schreibung  eine  verschiedene  war,  die  Aussprache  gleich.  In- 
dess  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  mitunter  an  die  Stelle  von  cy  ein  qui  tritt,  wodurch 
y  in  die  beiden  Bestandteile  seines  echten  Mischlautes  aufgelcest  erscheint:  S.  Cyriacus  wird 
auch  Quiriacus  genannt,  xoXoxwS-ig  und  hyoscyamus  ändern  sich  in  coloquintida  und  jus- 
quiamus,  cydonium  auch  in  quiten   Quitte. 

Griechisch  lateinisch  AU  und  EU  werden  im  Gothischen,  das  wenigstens  den  ersteren 
Diphthongen  schon  selbst  besitzt,  doch  überall  zu  av  und  ev:  das  einzige  ganz  durchgehende 
und  unzweifelhafte  Merkmal  itacistischer  Aussprache.  Es  geschieht  das  nicht  bloss,  wenn 
noch  ein  Vocal  darauf  folgt,  wie  in  ivayyiXiov  aivaggäjö:  das  hätte  sein  Gleiches  z.  B.  in 
taujan  thun  imperf.  tavida  und  ausserhalb  des  Gothischen  im  lat.  evangelium,  sein  Aehn- 
liches  in  Worten  wie  vidua  yiduvö,  leo  ahd.  lewo,  deren  w  erst  zur  Aufhebung  des  Hiatus 
eingeschaltet  ist;  es  geschieht  ebenso  wohl  vor  Consonanten:  Hav^og  Pavlus,  cautio  kavtsjö, 
svÄoyicc  aivlaugia.  Das  Hochdeutsche  schliesst  sich  dem  in  kirchlich  altüberlieferten  Worten 
au:  twangeljo,  Pawel;  eulogia  wird  wie  mittellat.  in  oblagia  oblegium  u. dgl.  so  althochd.  in 
oblegi,  obelagi,  oblei  und  obelei,  allsächs.  in  oflige  entstellt  und  umgedeutet1.  Nachgothisch, 
begründet  zugleich  in  der  Eigenart  des  Hochdeutschen,  in  der  verwandten  Neigung  des 
Lateinischen   selbst   und    in   dem   hieraus   entsprungenen  Gesetz   der  romanischen  Sprachen 

_ 

1   Die  diphthongische  Zusammenziehung  oblei  ist  wie  die  von  horologium  orlei. 


—     20     - 

(Schneider  I,  58  fgg.  Diez  Gramm.  I,  158  fgg.),  ist  der  Uebergang  lateinischer  au  in  ö: 
clausa  claustrum  Mose  chlöster,  caulis  und  colis  chdl,  causa  causari  chösa  chösön,  laurus  lör- 
poum  (adj.  laurin),  Lauriacum  Löracha  Lorch,  Maurus  Mör ,  aurichalcum  örchalch,  auripig- 
mmtum  örpimint.  Gerade  auch  vor  r  hat  das  Hochdeutsche  den  Diphthongen  au,  der 
damit  unvertraglich  wsere,  überall  in  6  zusammengezogen:  goth.  ausö  ahd.  örä,  hausjan  hörjan, 
raus  rör. 

Vielleicht  aber  das  Erheblichste,  das  innerhalb  des  Vocalgebietes  die  altdeutsche  Sprache 
zur  Umdeulschung  der  fremden  Worte  gethan  hat,  ist  die  Anwendung  des  Umlautes  auf 
dieselben.  Das  neuere  Deutsch,  wo  es  der  Fremdheit  sich  bewusst  ist,  enthält  sich  grund- 
sätzlich und  der  Regel  nach  jeder  solchen  Aenderung:  das  ältere  macht  darin  keinerlei 
Unterschied;  das  Gothische  assimiliert  zwar  auch,  dem  Umlaut  sehnlich,  die  fremden  i  und 
u  an  ein  nachfolgendes  r:  aber  diese  Angleichung  ist  von  vorn  herein  auf  wenige  Worte 
beschränkt,  und  es  scheint,  die  Gothen  hätten  dieselben  sonst  gar  nicht  aussprechen  kön- 
nen, waehrend  der  Umlaut  des  Alt-  und  Mittelhochdeutschen  nicht  solche  Naturnothwendig- 
keit  besitzt  und  gleichwohl  hier  in  fremden  Worten  so  gut  als  in  deutschen  jeder  betonte  Vo- 
cal,  jedes  a  oder  o  oder  u,  dem  in  der  Schlusssylbe  ein  i  nachfolgt,  dem  /-Laut  angeglichen 
wird.  Beispiele  mit  a  carminare  ahd.  garminön  germindn,  martius  marzeo  merzo,  parcus 
pharrich  pherrich  Pferch,  christianus  christäni  mhd.  krislame;  mit  o  oleum  ahd.  oli  mhd.  öl, 
Colonia  Cholonna  Kölne,  claustrum  klöster  klwsterlm;  mit  m  monachus  munich  münch,  tunica 
tunicha  tünche,  crux  chrüzi  kriuze.  Manche  Worte  sind  in  der  umlautlosen  Form  gar  nicht 
mehr  nachzuweisen:  avena  evina,  acetum  goth.  akeit  hd.  ezzich,  calix  ehelich,  caminata  che- 
minälä,  castanea  chestinna,  catena  chetina,  catinus  chezzin,  manica  menichä,  panicum  phenich, 
sabina  sevina,  tapetum  tepit,  talea  zelga;  bei  andern  kommt  ausser  dem  Umlaut  auch  die 
altertümliche  und  gleichsam  rohere  Diphthongierung  vor,  die  nicht  wie  jener  bloss  die 
Qualität,  sondern  zugleich  die  Quantität  des  Vocals  berührt:  äyyeÄog  goth.  aggilus  hd. 
angil  engil  eingil,  asinus  g.  asilus  hd.  esil  eisil,  castigare  hd.  chestiga  cheistiga,  cavea  hd.  cheviä 
cheiviä,  catillus  g.  katil  hd.  chezzil  cheizzil,  nXttxtXa  g.  platja  hd.  flazzi  flezzi  fläzt,  pallio- 
lum   hd.   phellöl  feillöl  Seidenzeug. 

m.   ROMANISCHE  LAUTGEBUNG. 

Aber  nicht  immer  zeigen  die  lateinischen  und  griechisch-lateinischen  Worte  diejenige 
Form  im  Deutschen,  die  wir  bisher  als  die  jedesmal  gesetzliche  haben  kennen  lernen:  es 
stellt  sich  uns  noch  bald  diese,  bald  jene  Abweichung  bald  in  den  Gonsonanten,  bald  in 
den  Vocalen  dar,  ein  p  zum  Beispiel,  wo  ein  ph,  ein  ü,  wo  ein  ö  zu  erwarten  waere. 
Nur  selten  jedoch  liegt  in  solchen  Fällen  die  Schuld  an  den  Deutschen  selbst:  sie  liegt 
meist  nur  an  denen,  durch  welche  das  Fremde  ihnen  übermittelt  ward.  Das  Latein,  das 
die  ersten  Glaubensboten  und  noch  manches  Geschlecht  hindurch  die  Priester  und  Mönche 
zu  sprechen  pflegten,  es  war  nicht  das  classische  des  Alterthums:  es  war,  wie  zumal  der 


—     21      - 

Süden  und  Weslen  sie  gesendet,  jenes  verworren  zertrümmerte,  aus  dem  sich  durch  eines 
der  groesten  Wunder  der  Geschichte  die  romanischen  Sprachen  herausgebildet  haben,  oder 
es  war  so  versetzt  mit  Worten  und  Wortformen  des  sich  entwickelnden  oder  auch  des 
schon  entwickelten  Romanischen,  dass  man  noch  heut  von  mancher  Rechtsurkunde  und 
mehr  als  einem  Vocabular,  die  sie  aufgezeichnet,  kaum  sicher  zu  sagen  wüsste,  ob  es 
Denkmaeler  nur  noch  des  verdorbenen  Lateins  oder  schon  des  Romanischen  seien,  ob  in 
ihnen  ein  romanisch  aufgefasstes  Lateinisch  oder  ein  lateinisch  aufgefasstes  Romanisch  vor- 
liege. Und  in  solcher  halben  oder  vollen  Romanisierung  trat  denn  ein  grosser  Theil  des 
lateinischen  Wörterschatzes  an  unser  Althochdeutsch  heran  und  beschränkte  die  Wirksam- 
keit des  Gesetzes,  das  nur  für  die  echten  rechten  Formen  galt;  ja  bereits  die  vorhoch- 
deulsche,  bereits  die  golhische  Sprache  ward  von  den  Anfängen  und  Grundlegungen  des 
Romanischen  berührt.  Zwar  dass  Ulphilas  die  Accusalive  von  Ao'i'g  onvpig  Tpcuag  zu 
Nominativen  macht,  Lauidja  spyreida  Trauada,  gemahnt  ebenso  wohl  an  die  neugriechische 
Art:  an  romanische  aber  sein  sigljd  aus  sigillum  und  dergleichen  noch  mehr,  die  Kürzung 
von  Avgustus  in  Agustus  (provenz.  agosl),  das  ö  für  ü  in  möta,  das  ü  für  ö  in  Rüma,  die 
Ausstossung  des  n  in  mensa  mes,  die  Umbildung  von  elepkantus  in  ulbandus  (altfranz.  olifant), 
von  xoAcxpi&ip  in  kaupatjan  (rom.  colpo  colp  coup  aus  colaphus).  Mit  der  Ritterdichtung 
sodann,  seit  dem  zwölften  Jahrhundert,  floss  ein  Romanisch,  das  sich  gar  nicht  mehr  für 
Latein  ausgab,  voll  strcemend  in  die  Sprache  Deutschlands  ein. 

Schon  bisher  ist  wiederholendlich  die  Umbildung  einzelner  Worte  auf  romanischen 
Vorgang  zurückgeführt  und  ist  bei  mehreren  allgemeiner  durchgreifenden  Aenderungen, 
die  dem  Deutschen  selbst  schon  eigen  sind,  doch  auf  das  unterstützend  gleiche  Verfahren 
der  romanischen  Sprachen  hingewiesen  worden:  der  vorliegende  Abschnitt  soll  von  den 
zahlreichen  Fällen,  wo  jener  Vorgang  nicht  bloss  für  Einzelheilen  massgebend  gewesen 
und  die  Einwirkung  mehr  als  bloss  ein  Miteinwirken  ist,  die  hauptsächlichsten  hervorzu- 
heben suchen. 

CONSONANTEN. 

Lippenlaute.  Griechisch  lateinisch  P  wird  von  den  romanischen  Sprachen  gern  in  6 
erweicht  (Diez  Gramm.  I,  256  fg.):  dem  folgend  im  Alt-  und  Mittelhochdeutschen  z.  B. 
aprilis  abritte  aberelle,  pupus  buobe,  Lupodunum  Loboduna;  papa  päbes  und  bäbes,  prapositus 
proposüus  probau  und  brobest  schwanken  wohl  im  Anlaut  nach  althochdeutscher  Weise 
zwischen  Media  und  Tenuis,  im  Inlaut  nicht.  Besondre  Auszeichnung  verdienen  solche 
Worte,  die  zugleich  einen  andern  regelrecht  verschobenen  Consonanten  zeigen  und  damit 
kund  thun,  dass  sie  schon  auf  die  vorhochdeutsche  Stufe  mit  diesem  romanischen  b,  nicht 
aber  mit  dem  rein  lateinischen  p  gelangt  seien:  sonst  waere  ja  auch  diess  in  ph  verscho- 
ben worden:  episcopus  biscof  piscof  piscoph,  puls  pullis  und  catapulta  bolz  polz,  portulaca 
burzala  purzella,  tympanum  zimbala,  duplus  mhd.  topel  Würfelspiel:  vgl.  franz.  doublet  Wurf 


-     22     - 

mit  gleichen  Augen.  Sodann  F  verliert  im  Romanischen  öfters  die  Aspiration  und  wird 
ein  p  oder  b  (Diez  I,  264) :  ebenso  jene  gothischen  kaupatjan  und  ulbandus,  ahd.  Confluentia 
Chobilinza1,  Joseph  Jöseb  Jösep.  Inlautendes  B  aber  und  zuweilen  auch  p  (dessen  Milderung 
in  b  vermittelt  den  Uebergang)  wird  v:  Diez  I,  259  fg.  256  fg.  Indess  vielleicht  nur  iQtßiv- 
&os  arawiz  zeigt  den  W-Laat,  den  wir  im  Deutschen  nun  erwarten:  überall  sonst  wird  auch 
hier  ein  v  geschrieben  und  damit  ein  Laut  bezeichnet,  der  zwar  weicher  als  f,  aber  doch 
auch  härter  als  w  ist,  so  viel  härter,  dass  er  wohl  gegen  f,  niemals  aber  gegen  w  ver- 
tauscht wird:  lupinum  luvinä,  oblata  oblätä  und  ovelät,  populus  povel  bovel,  proba  prüeven, 
sabina  sevina,  tabula  tavalä,  taberna  lavernä  und  mit  Verschiebung  des  Anlautes  diabolus  liuval 
tiufal.  Das  gleiche  deutsche  v  und  f  nun  auch  öfters  da,  wo  das  V  des  Grundwortes  schon 
ein  alt  und  echt  lateinisches  ist:  cavea  cheviä,  avena  evina,  evangelium  neben  ewangäjo  e'van- 
geljo,  breve  prief  gen.  prieves,  mstivale  ahd.  stifid  mhd.  stival;  aus  eulogia  konnte  auf  die- 
sem Weg  ahd.  oblegi,  altsächs.  oflige  werden,  und  nur  das  romanische  falavisca,  Ableitung 
und  Umstellung  von  favilla,  erhält  im  deutschen  falawiska  ein  w,  wahrscheinlich  weil  man 
dabei  an  das  deutsche  Adj.  falawUr  falb  dachte.  Wie  nun?  ist  dem  v  erst  in  unsrer  Sprache 
dieser  härtere  Laut  zugewachsen?  Ich  glaube  nicht:  es  scheint  vielmehr,  dass  auch  hierin 
das  Romanische  dem  Deutschen  vorangegangen.  Schon  ersteres  laesst  sogar  anlautendes  v 
in  ein  entschieden  hartes  f  übergehen  (Diez  I,  267):  daher  nun  auch  hochdeutsch  versus 
fers,  vitula  viola  (Diez  Wörterb.  372)  fidula  figele  Fiedel,  viola  fiol  Veilchen,  vicedominus 
fiztuom,  viüa  fizza,  advocatus  vocatus  fogät  und  seihst  phogät,  vasculum  flasco  (Wörterb.  144) 
flascä  und  aus  dem  einfachen  vas  unser  faz.  Des  harten  Lautes  wegen,  den  man  somit 
gewohnt  war  gerade  im  Beginn  der  Worte  auf  das  lateinische  v  zu  übertragen,  hat  dieser 
Buchstabe  spaeter  die  übliche  Bezeichnung  für  anlautende  deutsche  f  werden  können,  und 
selbst  für  das  Lateinische  nennen  noch  wir  ihn  fau,  nicht  wau.  Der  romanische  Tausch 
von  v  gegen  6  (Diez  Gramm.  I,  266  fg.)  althochdeutsch  in  Verona  Bema,  lavare  labön 
lapön. 

Zungenlaute.  Griechisch  lateinisch  T:  auch  diese  Tenuis  liebt  im  Romanischen, 
jedoch  nie  als  Anlaut,  die  Milderung  zur  Media  (Diez  I,  211  fg.):  Beispiele  der  Art  im 
Deutschen  phlebotomum  fliodema,  lactuca  ladducha,  rota  rad  (das  eigentlich  deutsche  Wort  da- 
für ist  sclpä  Scheibe),  rotulus  rodel,  smta  s'tda,  asphaltus  spaldur,  vocatus  vogdd.  Daneben  ein 
p  in  ph  oder  f  verschoben  und  gleichwohl  nicht  das  t  in  z,  letzteres  also  schon  auf  der 
vorhochdeutschen  Stufe  zu  d  geworden:  petalum  pedalä  bedelä  und  fedelgold,  petraria  phediräri 
fedaräri  und  mit  derselben  Verhärtung  des  romanischen  wie  sonst  des  lateinischen  d  phe- 
taräri  Steinwurfzeug.  Auch  Venelia  Vmedjun  Vene"dje  muss  sein  d  bereits  in  jener  früheren 
Zeit  angenommen  haben,  wo  das  Deutsche  den  zischenden  Laut  des  ti  noch  mit  keinem 
zi  wiedergeben  konnte.     Wie   aber   kommt   tonus   mhd.  dön  zu  der  Erweichung  auch  des 

1   Beim  Geographus  Ravennas  234,  8  Combxdantia :   Hintlberziehung  des  Namens  in  den  Sinn  einer  coambulantia. 


—     23      - 

Anlautes?  Spürte  man  die  alte  Verwandtschaft  des  fremden  Wortes  (rsiveiv  tovoq)  mit 
dem  deutschen  denen  Äonen  spannen?  Eine  weitre  romanische  Eigenheit  ist  die  Tilgung 
des  D  vor  unbetontem  i  oder  was  dem  gleichsteht  e,  und  damit  verbunden  der  Uebergang 
von  i  in  j:  diurnum  mitlellat.  jornus  prov.  jqrn,  deorsum  mittellat.  josum  prov.  jos,  radt'us 
span.  rayo  franz.  rayon:  im  Deutschen  gleichfalls  radius  ahd.  räja  (nicht  raia,  wie  die 
Nebenformen  rage  und  räha  zeigen),  diaconus  jaguno  jacuno  jachono,  mediolus  ital.  miolo 
mhd.  m'xol  nhd.  mundartlich  Meiel;  auch  Joder,  die  landschaftliche  Kürzung  von  Theodorus, 
geheert  hieher.  Eine  andre  Umgestaltung  des  di  ist  zumal  dem  Itaiisenischen  geläufig  (Diez 
I,  217  fg.),  die  Zusammenziehung  und  Schärfung  in  z,  z.  B.  wiederum  radius  razzo  und 
n'ridia  verza:  hieraus  ahd.  wirz{ ,  unser  jetziges  Wirsch  oder  Wirsing;  eben  diess  Wort 
war  gemeint,  wenn  bereits  das  elfte  Jahrb.  den  Namen  Wirziburg,  dessen  Ursprung  frei- 
lich anderswo  zu  suchen   ist,   in  Herbipolis  übertrug. 

Kehllaute.  Griechisch  lateinisch  C:  im  Romanischen  statt  dessen  abermals  die  be- 
liebte Media  (Diez  I,  227  fg.).  Genug  der  Art  nun  auch  im  Deutschen  und  wieder  neben 
Verschiebungen  andrer  Consonanten,  wodurch  die  Einführung  des  g  noch  in  das  Vorhoch- 
deutsche zurückgewiesen  wird:  prwdicare  bredigön  predigön  mit  dem  Subst.  brediga  prediget, 
crocus  rhruogo,  cucnllus  cugulä,  decanus  degän  tegän,  ecce  eceum  roman.  eeco  ahd.  eggo,  ßcus 
figä,  advocatus  fogät,  pers.  käfur  neugr.  xücpovoa  mhd.  gaffer  Kampfer,  capa  ahd.  gaphä, 
carminare  garminön,  carnarium  mhd.  gerner  Beinhaus,  cilicium  (noch  ehe  man  zilicium  aus- 
sprach syncopiert  in  clicium)  ahd.  gliza,  custos  gustör,  crypta  grüß  (noch  empfohlen  durch  den 
Bezug  auf  graban),  hyacinthus  jagant 2,  diaconus  jaguno,  laicus  leigo,  nevTqxoövtj  goth.  painte- 
kuste  mhd.  pfingeste,  apotheca  ahd.  potegä  potagä,  sacrarium  sagaräri,  sacrisla  sigiristo,  speculum 
spiegal:  aus  den  theilweis  daneben  geltenden  deutscheren  Formen  wie  techän  chruft  jachant 
jachono  leich  potachä  hätten  diese  Erweichungen  niemals  hervorgehn  können.  Und  so  stammt 
auch  unser  mundartliches  Gatze,  Getzi  Schöpfgefäss  zunächst  von  einem  romanischen  gazza 
(Diez  Wörlerb.  96)  und  erst  durch  dessen  Vermitteluog  von  dem  allhochd.  chezzi,  lat.  cati- 
num  ab:  wir  haben  da  nur  wie  öfter  ein  den  Romanen  geliehenes  Gut  selber  als  Afterlehn 
zurückempfangen1.  Das  aspirierte  CH  sodann  vor  einem  /-Laut  schärft  sich  romanisch  in 
c,  chelidonia  in  ital.  celidonia,  brachium  in  braccio,  archiepiscopus  in  areivescovo  (Diez  I,  238): 
auch  im   Deutschen  ward  aus  cherubim  zfrublm,  aus  chelidonia  scelliwurz,  aus  ital.  bracciata 


1  Im  Sprachschatz  fehlt  dieses  Wort,  aber  eine  Glosse 
der  Diutiska  II,  233  b  übersetzt  damit  das  lat.  brasicia 
d.  i.  brassica. 

2  Altfranz,  jagunce,  mittellat.  jacintus  wie  hyalinus  jali- 
nus,  hyoseyamus  jusquiamus,   Hieronymus  Jeronimus. 

3  Andere  Beispiele  der  Art  Balcon  von  balco  Balken ; 
Banner  und  Panier  fr.  bannidre,  ital.  bandiera  von 
band;  mhd.  briu  Weib  fr.  bru  von  brüt;  Busch  bosch 
it.  bosco  aus  büwisc  Bauholz,  Holz  von  büuian  (JGrimm 


über  Diphthonge  S.  12) ;  Furrier  fr.  fourrier  von  feurre 
ahd. fuotar  Futter;  Galop  aus  gählouf  Schnelllauf;  Helle- 
barde fr.  hallebarde  aus  helmbarte  Helm  zerhauendes 
Beil ;  Lotto  und  Loterie  vom  goth.  Maut  ahd.  hlbz  und 
hluz  Loos;  Marschall  fr.  marichal  aus  ahd.  marahscalch 
Pferdeknecht;  Bang  aus  hring  Kreis;  Tanz  it.  danza, 
fr.  danse  vom  ahd.  dansbn  ziehen ;  Tartsche  fr.  targe  aus 
ahd.  zarga  Rand;  Tasche  fr.  fache  tasque  aus  ahd.  20- 
sebn  an  sich  neh*men. 


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bracciatello  brezitä  prezitella  Prezel  und,  waehrend  der  Gothe  arkaggilus  gesagt,  aus  archi- 
episcopus  erzibiscof,  aus  archiater  arzat.  Das  Französische  aber  setzt  auch  cha  in  einen 
Zischlaut  um  (charta  charte)  und  verwandelt,  indem  es  die  Neigung  schon  der  Rcemer  zu 
ungehoeriger  Aspiration  der  Kehle  (Schneider!,  183.  205  fgg.)  fest  hält,  sogar  ca  in  dieses 
gezischte  cha,  z.  B.  Caritas  charitas  charite  (Diez  I,  229  fgg.)-  Im  Deutschen  wiederum  hier 
z:  charta  chartarium  mhd.  zarte  zerte  zarter  zerter,  charitas  ahd.  zart  Liebe:  eine  deutsche 
Wurzel  fehlt  diesem  Worte,  es  kommt  allein  im  Hochdeutschen  vor,  die  für  die  Syncope 
beförderliche  Kürzung  Caritas  hat  Olfried  V,  12,  82.  Für  z  wird  mhd.  auch  ts  geschrie- 
ben: xdga  millellat.  und  roman.  cara  franz.  chiere  chere  (Diez  Wörterb.  88)  mhd.  tsieren 
d.  i.  faire  bonne  chere;  z  aber  wie  ts  und  im  älteren  Franzoesischen  ch  selbst,  im  Mittel- 
hochdeutschen auch  seh,  alles  das  erscheint  nur  wie  ein  schüchterner  und  ungenügender 
Versuch  in  der  Darstellung  des  eigentlichen  Lautes,  wenn  man  daneben  die  im  Mittelhoch- 
deutschen gewohntere  Schreibung  hält,  die  mit  tsch:  caslellanus  franz.  chastelain  mhd.  schah- 
telän  tschahtelän,  capa  fr.  chapel  chapeau  mhd.  schapel  Ischapel,  charus  fr.  eher  mhd.  scher 
und  tsehier ,  caballus  fr.  cheval  chevalier  mhd.  zevalier  schevalier  tschevalier.  Endlich  auch 
für  G  stellt  sich  romanisch  gern  ein  härterer  oder  milderer  Zischlaut  ein,  der  Hegel  nach 
nur  wenn  ein  n  oder  r  vorhergeht  (Diez  I,  249  fg.):  unter  eben  dieser  Bedingung  wird 
spongia  im  Altsächsischen  spunsia,  punga  im  Althochd.  phoso  Beutel1,  ohne  dieselbe  caliga 
ahd.  kaliziä   ehelissa  chelisä. 

LIQUIDEN. 

Die  Neigung  der  Liquiden  unter  einander  zu  wechseln  (Diez  I,  189  fg.  199.  202  fg. 
207  fg.)  ist  aus  den  romanischen  Sprachen  und  mit  Worten  derselben  auch  in  die  deutsche 
eingedrungen:  m  vertauscht  gegen  n  in  mespilum  ital.  nespola  ahd.  mespilä  und  nespelä; 
l  gegen  r  in  ealathus  chratto  chrezzo,  xAvcryp  kristier,  malum  granatum  margrant  margram; 
am  häufigsten  aber  umgekehrt  r  gegen  /:  xvqiccxov  chirichä  und  chilichä,  coriandrum  chul- 
lantar,  charadrius  it.  calandra  mhd.  galander  Haubenlerche,  mortariurn  nhd.  mundartlich 
Malter  Mörtel,  morus  ahd.  mürpoum  mürperi  und  mülpoum  mülbere,  prunus  phrümboum  und 
phlümboum,  peregrinus  it.  pellegrino  ahd.  pilikrim. 

Tilgung  des  N  vor  s  hat  in  ursprünglich  unbetonten  Anfangssylben  das  Deutsche  schon 
aus  sich  selbst  geübt:  goth.  Kustanleinus,  ahd.  Costantinuses  puruc  Konstantinopel,  Constantia 
Chostanza,  constare  altfr.  couster  mhd.  kosten;  in  der  betonten  Wurzel  ist  sie  den  Sprachen  der 
Sachsen  und  der  Scandinavier  ganz  geläufig  und  regelrecht  (goth.  ahd.  ans  Gott,  altsächs. 
altnord.  äs,  angelsächs.  ös),  aber  der  gothischen  und  der  hochdeutschen  nicht:  hier  schie- 
ben sogar  einzelne  Mundarten  eher  noch  ein  n  ein:  linse,  meinster  udgl.  Daher,  wenn  im 
— — __ — 

1   Punga  wohl  von  pungere,  in  die  man  hineinstoesst:  pun-  oben  S.  10  angeführt  worden;  wegen  der  Ausstosaung  des 

gere  selbst  wird  auch  mit  phosbn  übersetzt.   Die  naeher         n  vgl.  Diez  Gramm.  I,  204. 
bei  punga  bleibenden  Formen  pugg  und  Jung  sind  schon 


-     25     - 

Gothischen  aus  mensa  mes,  hieraus  im  Althochdeutschen  meas  oder  mias  geworden,  so  wird 
diess  wiederum  von  romanischem  Einflüsse,  wird  daher  rühren,  dass  jene  Tilgung  des  n 
auch  zu  den  altvererbten  Eigenheiten  der  lateinischen  Volkssprache  gehoert1,  wie  gerad 
auch  mesa  romanisch  ist.  Das  Gleiche  gilt  für  insula  ahd.  tsila,  mansionarius  ahd.  mesi- 
näri  mhd.  mßsenmre  misner  und  mensner  (nhd.  Messner  mit  falschem  Bezug  auf  Messe),  pen- 
sale  phesal  phiesal  plnsal,  expensa  spensa  splsa. 

VOCAEE. 

Das  lange  0  lateinischer  Wörter  sinkt  im  Romanischen  (Diez  I,  148.  413  fg.  429) 
und  darnach  im  Deutschen  ehenso  zu  dem  tieferen  Laute  des  w,  nhd.  au,  hinab  wie  kurzes 
o  zu  kurzem  u.  Bereits  der  Gothe  sagte  für  Roma  Rüma;  der  gleiche  Laut  im  Altsächsi- 
schen und  einzelnen  Mundarten  des  Althochdeutschen:  man  mochte  dabei  an  das  Adj.  rüm 
geräumig  denken.  Andere  Beispiele  Vesontio  Bisenzün,  calcatorium  calcatürä  calctüre  mhd. 
kalter  Kelter2,  claustrum  ahd.  chldstar  und  altsächs.  clüstar  ahd.  chlüstarrä  Klausnerinn 3, 
coopertorium  chupartüri  chubertüri  * ,  lectoriutn  lectüri,  morus  mörperi  und  mürperi  mülperi 
Maulbeere,  duos  altfr.  dous  mhd.  tüs  düs  Daus,  hora  mhd.  ör  und  üre  nhd.  Uhr  und  ge- 
legentlich auch  Auer.  Umgekehrt  wird  aber  auch  U  zu  ö,  hochd.  wo,  jedoch  nicht  un- 
mittelbar, sondern  nur  indem  zuerst  das  w  sich  verkürzt,  dann  sich  das  kurze  w  in  o  ver- 
wandelt (Diez  Gramm.  I,  153.  Wörterb.  110.  269):  cupa  cuppa  copa  ahd.  chuofä,  pupus 
buobe;  auf  gleichem  Wege  ist  der  Uebergang  von  fxovasTov  in  das  mhd.  muosen  mit  Mo- 
saik zieren  und  wohl  auch  von  muta  ahd.  müta  Mauth  in  das  goth.  möta  zu  vermitteln. 

Das  mit  dem  Umlaut  gesprochne  franzoesische  ü  erscheint  in  der  mittelhochdeutschen 
Schreibung  diphthongisch  aufgefasst:  advenlura  aventure  äventiure,  creature  creatiure,  hd.  brüt 
franz.  bru  mhd.  briu;  das  Neuhochdeutsche,  dem  iu  zu  eu  wird,  hat  noch  Abenteuer  und 
ebenso  aus  exclusa  escluse  ecluse  Schleuse.  Wenn  auch  jenes  iu  wahrscheinlich  selbst  nur 
wie  ein  langes  ü  gelautet  hat,  so  kann  man  das  doch  mit  aventure  und  äventiure  nicht 
beweisen:  denn,  ein  Beispiel  nothgedrungener  Abweichung  der  deutschen  Aussprache  von 
der  romanischen,  der  romanische  Diphthong  IE,  in  welchem  von  je  her  der  zweite  Vocal 
mit  gutem  Fug  (denn  er  ist  der  einfache  Grundlaut  dieser  diphthongischen  Zersetzung) 
stärker  hervorgetoent  hat,  wird  von  den  Deutschen  ganz  wie  ein  deutsches  ie  d.  h.  mit 
stärkerem  Anschlag  des  ersten  Vocales  aufgefasst:  Sena  ital.  Siena  mhd.  Siene  auf  diene, 
ferus  franz.  und  mhd.  fier  auf  Her,  banniere  baniere  auf  schiere  reimend.    Und  wie  noch  wir 

1  Schneider  I,  458  fgg.  Diez  I,  206  fg.    Eine  deutsch  glos-  '   Denn  so   wird  Graffs  clouzara  (Sprachschatz  IV,  566) 
sierte  Virgilhandschrift  des  10/11. Tahrh.  in  München  hat  zu    bessern    und    der   schon   früh   entstellte   Ortsname 
zu  dem  Verse  Georg.  I,  390  Ucee  nocturna  quidem  car-  Clustirrun  (Förstemann  II,  374)  zu  erklären  sein. 
pentes  pensa  puellae  die  Bemerkung  vulgo  peisa    Graffs  '   Neutralen  Geschlechtes,  weshalb  das  mhd.  fem.  cover- 
Sprachsch.  ni,  352):  gleichfalls  deutsch  oder  romanisch?  Hure  nicht  sowohl  hieraus  hervorgegangen,   als   dem 

2  Syncopierung  und  Tilgung  des  ca   wie  in  euleitra  ital.  franz.  couverture  frisch  nachgebildet  ist. 
eultra  mhd.  kulter  hoher  des  ei. 


-      26     — 

jetzt  Panier  aussprechen ,  so  beruht  überhaupt  in  all  den  vielen  Substantiven  und  Verben, 
die  so  endigen,  unser  te  auf  einem  romanischen  ie. 

IV.  VERLÄNGERUNG  BETONTER,  KÜRZUNG  UNBETONTER  VOCALE. 

Bei  den  mannigfachen  Aenderungen,  denen  im  Romanischen  die  betonten  Vocale  der 
lateinischen  Sprache  unterliegen,  wird  immer  noch  auf  deren  ursprüngliche  Quantitaets- 
unterschiede  die  bestimmteste  Rücksicht  genommen  und  eine  andre  Umgestaltung  auf  die 
kurzen,  eine  andre  auf  die  langen  angewendet:  vgl.  meine  Altfranz.  Lieder  und  Leiche 
S.  139  fgg.  In  diesem  Stück  nun  weichen  die  Deutschen  vollständig  von  den  Romanen 
ab:  unter  ihnen  hat  von  frühester  Zeit  an,  hat  schon  in  der  Gothenzeit  der  Grundsatz 
gegolten  alle  betonten  Vocale  griechischer  und  lateinischer  Wörter,  wenn  der  Consonant 
dahinter  einfach  ist,  für  lang  zu  achten  und  die  eigentlich  kurzen  dann  zu  dehnen:  auffal- 
lend genug,  da  das  Deutsche  selbst  bis  zu  Ende  des  Mittelalters  reichlich  ebenso  viel,  wo 
nicht  mehr  betonte  Kürzen  besessen  hat  als  Längen  und  erst  das  Neuhochdeutsche  dem 
Accent  die  gleiche  Wirkung  auf  die  Quantität  einräumt.  Aber  schon  der  Gothe  dehnt 
nur  in  Folge  des  Tones,  der  dann  meist  ein  lateinischer,  wohl  auch  schlecht  lateinischer 
und  nicht  der  griechische  ist,  nvayyiXiov  in  aivaggeli,  EvoÖiu  in  Aiödia,  'Eg^oysvqs  in 
Airmögaineis,  Aprioxtta  Anliochia  in  Antiökja,  MaxtSovla  in  Makidönja,  OvrjctyoQog  in 
Auneiseifaurus  (denn  et  hat  für  ihn  Sinn  und  Werth  eines  langen  i),  onvQii  anvgtda  in 
spyreida,  Titus  in  Teitus  und,  falls  der  Gothe  wirklich  die  Palme  für  einen  Pechhaum 
gehalten,  pix  picis  in  peik:  peikabagm  bei  Ulphilas  die  Ueberselzung  des  griech.  (potvt£.  Im 
Hochdeutschen  noch  mehr  und  eine  noch  grcessere  Mannigfaltigkeit  solcher  Aneignungen 
mit  Quantitaetenwechsel.  Verlängerung  eines  betonten  a  in  gradus  gräd,  graphio  krävjo 
Graf,  papa  päbes  (phaffb  behauptet  die  Kürze),  Padus  Pfät,  rudius  räja  (denn  a  vor  j  ist 
immer  lang)  und  selbst  vor  einer  Position  in  f'ascia  fäska  fäski;  in  tagena  lägela  Lfegel  ist 
die  Betonung  der  ersten  Sylbe  nicht  ursprünglich.  Eines  e:  wiederum  ewangeljo  und  me- 
trum  mitar;  in  weiterer  Folge  Diphthongierung  oder  Uebergang  in  i:  febris  (kurzer  Vocal 
wie  in  ipsßf-a&cci  und  ahd.  pipen  zittern)  fiebar,  Petrus  goth.  Paitrus  ahd.  Petar  und  Pietar, 
breve  prief,  speculum  spiegal,  cedrus  zedarpoum  und  ziderboum,  tegula  ziegal:  daneben  aber 
auch  mit  Kürze  tegel.  Eines  t  und  y  (die  Verlängerung  ergiebt  dann  im  Neuhochdeutschen 
den  Diphthongen  ei):  viola  ßol ,  rubiola  reblgel,  lyra  lirä  und  all  die  vielen  spaeteren  Worte 
auf  ie,  die  den  romanischen  auf  ra,  ie  (Diez  Gramm.  II,  280)  und  durch  deren  Vermiltelung 
den  griechischen  auf  ia  folgen,  wie  astronomte,  companie,  kurtoisie,  dem  Ursprünge  nach  zu 
unterscheiden  von  denen ,  deren  t  schon  im  Lateinischen  lang  und  im  Griechischen  ein  et 
ist,  wie  PbJtQO/ucWTfiee  nigromanzie,  TigoiptjTfta  profezie.  Wir  kommen  im  naechsten  Ab- 
schnitte noch  einmal  auf  diese  reiche  Wortart  zurück  (reich  besonders  dadurch ,  dass  die 
fremde  und  fremd  betonte  Endung  auch  an  deutsche  Stämme  gehängt  wird)  und  erwaehnen 
hier    bloss    noch,    dass    wo   beides,    Stamm   und  Endung,    fremd   ist,    die    neuhochdeutsche 


-     27     — 

Sprache  das  ie  bald  unverändert  laesst,  bald  diphthongiert:  z.  B.  Chemie  Monarchie,  Bar- 
barei Spezerei,  Copie  Melancholie  Phantasie  und  altertümlicher  (aber  die  Pedanterei,  die 
nicht  gar  zu  deutsch  und  selbst  lieber  eine  Pedanterie  sein  wollte,  hat  das  abgeschafft) 
Copei  Melancholei  Phantasei;  und  dass  auffallender  Weise  auch  schon  das  Alt-  und  Mittel- 
hochdeutsche mehrmals  den  Uebergang  in  den  Diphthongen  zeigt:  monachia  municheie, 
Papia  Pav'ia  Paveia,  probsteie,  sahia  salbeiä,  advocatia  vogteie;  waere  abbateia  das  einzige  Wort 
der  Art,  so  könnte  man  die  Erklaerung  etwa  in  äßßäzeicc  suchen.  Ferner  die  Verlänge- 
rung betonter  6:  chorus  chor,  tonus  dön,  Constantinopolis  Philippopolis  Kunslenöpel  Vinepöpel, 
probare  proben,  rosa  rosa,  thronus  trön;  mit  romanischem  Uebergange  des  ö  in«,  nhd.  aü, 
avarüzä  und  Aberraute,  Umdeutschungen  von  abrotanum.  In  ostrea  nhd.  'Auster  (ahd.  die 
Zusammensetzung  aostorscala)  tritt  ungeachtet  der  Consonantenhäufung  sogar  der  Diphthong 
ein,  der  die  Grundlage  des  althochd.  6  bildet;  anderswo  ist  das  betonte  o  gegen  uo  ver- 
tauscht, d.  h.  man  hat  es  schon  auf  der  vorhochdeutschen  Stufe  in  ö  gedehnt,  da  hochd. 
uo  und  vorhochd.  ö  einander  überall  entsprechen :  -  eleemosyna  alamuosan,  proba  mhd.  mit 
Umlaut  brüeven,  crocus  chruogo,  von  coquere  roman.  coco  ahd.  chuocho,  schola  scuola,  domus 
tuom,  vicedominus  fiztuom.  Endlich  ist  betontes  m  verlängert  in  crux  crucis  chrüzi,  mhd. 
umgelautet  kriuze,  nhd.  diphthongisch  Kreuz. 

Solchen  Dehnungen  der  Kürze,  die  bloss  der  Ton  veranlasst,  steht  in  notwendiger 
Ausgleichung  das  Andre  zur  Seite,  dass  unbetonte  Längen  verkürzt  werden.  Wenn  Ul- 
philas  Klaimaintus  und  aurali  und  Trauada  sagt,  so  ist  schon  ihm  die  Lautdehnung  der 
unbetonten  Anfangssylben  von  Clemens  Clementis,  von  oralis  Schweisstuch,  von  Tqwccs  acc. 
Towädei  verloren  gegangen.  Ebenso  im  Althochdeutschen  poleiä  aus  lat.  puleium;  in  bre- 
digön  Judeo  scrodön  sichur  solari  treso  hat  überall  zwar  die  erste  Sylbe  den  Accent,  aber 
ihr  Vocal  ist  kurz:  der  eigentlich  lateinische  Accent  auf  der  zweiten  oder  dritten  und  damit 
verbunden  die  Kürzung  der  gedehnten  ersten  ist  vorangegangen:  prcedicäre  Judäeus  scrutäri 
secürus  solärium  thesäurus;  in  secretärium  sigitäri  hat  die  Kürzung  sogar  zwei  Vocale  ge- 
troffen. Aehnlich  die  Lautschwächung  in  sacnsta  sigiristo;  Schwächung  und  Kürzung  in 
sacratorium  sigitüri. 

V.  VERRÜCKUNG  DES  ACCENTEÖ. 

Wie  wir  eben  vorher  gesehen ,  haben  bereits  die  Gothen ,  dem  wohlbegründeten  Ueber- 
gewicht  der  lateinischen  Sprache  über  die  griechische  nachgebend,  selbst  griechische  Worte 
auf  lateinische  Art  accentuierl;  den  schon  angeführten  Beispielen  ist  hier  noch  txxhpia 
aikklesjö  beizufügen,  dessen  lateinisch  unbetontes  i  ebenso  zu  j  verstummt  wie  dort  in 
Makidönja  Antiökja,  und  Andrias,  eine  Nebenform  von  Andraias  'Avd$£{tQ,  deren  j  in  früher 
(S.   16)   besprochener  Weise  ein   unbetontes  kurzes  e  bedeutet. 

Dieser  Gebrauch  griechische  Worte  im  Deutschen  wie  im  Lateinischen  selbst  lateinisch 
zu  betonen  hat  sich  das  weitere  Mittelalter  hindurch  und  bis  auf  uns  erhalten  und  ucethigt 


—     28     - 

sogar  die,  die  z.  B.  Aischylos  sprechen,  doch  zu  dem  Accente  Aischylos,  nicht  Aia^vylos; 
er  ordnet  sich  als  einschränkende  Bestimmung  dem  allgemeineren  Grundsatz  unter,  dass 
fremden  Worten  ihr  fremder  Ton  bewahrt  und  jedesmal  diejenige  ihrer  Sylben  accentuiert 
wird,  die  auch  in  der  Ursprache  den  Accent  getragen.  Demgemaess  sind  (wir  sehen  ab 
von  gänzlich  unveränderten,  in  keiner  Beziehung  umgedeutschten  Eigennamen  wie  Her- 
cules Ibycus  Sätanas)  es  sind  auf  der  drittletzten  betont  z.  B.  wieder  Makedonien  und  Evan- 
gelium Evangelien,  Individuum  Individuen;  dort  aber  das  stumme  i  naehert  sich  immernoch 
sehr  dem  j,  hier  das  u  dem  w:  mittelhochdeutsch  konnte  sich  lilium  lilje,  Hispänia  Spanje 
sogar  vergreebern  in  lüge  Spange.  Auf  der  vorletzten  betont  theätrum  Theater,  Charäcter  Cha- 
ractere,  Autor  Autoren;  mit  Verringerung  der  ursprünglichen  Sylbenzahl  apöstolus  Apostel, 
Neäpolis  Neapel.  Auf  der  letzten,  weil  ebenfalls  eine  flectierende,  vielleicht  auch  noch  eine 
Ableitungssylbe  dahinter  abgeworfen,  Idol,  Lucän,  Natur  mhd.  natüre,  glorios,  Mandat,  Or- 
ganist aus  Organiste,  actlv,  Horäz,  Substanz  mhd.  substänzje.  Diess  die  Begeh  aber  noch 
häuhger  beinah,  als  man  ihr  folgt,  wird  von  ihr  abgewichen  und  nach  zwei  gerade  entgegen- 
gesetzten Bichtungen  hin.  Nach  der  einen  im  Neuhochdeutscheu,  doch  so,  dass  die  An- 
fänge dazu  bereits  dem  Mittelalter,  die  Anlässe  wiederum  dem  Bomanischen  zugehoeren. 

Das  Uebergewicht,  das  zu  wiederholten  Malen  die  französische  Bildung  in  Deutsch- 
land hatte,  gab  sich  vornehmlich  auch  darin  kund,  dass  sogar  die  Antike  an  diejenigen, 
die  nicht  eigentlich  gelehrt  waren,  nur  in  franzeesischer  Einkleidung  gelangte:  auf  dem 
Sprachgebiete  entsprang  daraus  die  Gewohnheit  griechische  und  griechisch-lateinische  Worte 
in  ihrer  franzoesischen  Form,  vielleicht  auch  nur  mit  franzeesischer  Umgestaltung  ihrer 
Schlusssylbe,  in  beiden  Fällen  aber  mit  dem  franzoesischen  Accente  zu  gebrauchen.  Der 
Art  schon  im  Mittelalter  und  seit  demselben  die  zahlreichen  Substantiva  auf  ie,  jetzt  ei, 
denen  antike  Worte  mit  doch  unbetontem  ia  zum  Grunde  liegen  (oben  S.  26),  und  die 
noch  zahlreicheren  Zeitwörter,  in  denen  an  lateinische  Stämme  ein  ier  (vgl.  Abschnitt  VIII) 
gehängt  ist,  z.B.  regere  regieren.  Und  eben  der  Art  solche  Substantiva  und  Adjectiva  wie 
Sermon,  Nation,  vaeänt,  Docent,  Facultwt* ,  die  nicht  vom  lateinischen  sermo  u.s.  w.,  son- 
dern vom  franzoesischen  sermön  d.  h.  sermönem  kommen. 

Die  GeläuGgkeit  mehrerer  der  eben  angeführten  franzoesisch-lateinischen  Wortausgänge 
hat  schon  frühzeitig  dazu  verleitet,  sie  auch  auf  deutsche  Stämme  zu  übertragen,  und  in 
der  Sprache  des  Volkes  dauert  diese  Verleitung  jetzt  noch:  der  ganz  undeutsche  Accent 
am  Schlüsse  statt  am  Anfang  stoert  darin  nicht.  Schon  das  dreizehnte  Jahrhundert  zeigt 
uns  Bildungen  wie  galsterie  und  lächenie,  beide  s.  v.  a.  zouberle  Zauberei;  jünger  sind  eselie 
und  bereits  ohne  e  büebery  füllery  u.  s.  f.:  in  dergleichen  Worten  führt  das  Neuhochdeutsche 

1  Um  uns  dem  Lateinischen  wieder  mehr  zu  nsehern  schrei-  franzoesischen  Ursprung  an:  facultet,  maj.estet  oder  auch 

ben  wir  jetzt  in  dergleichen  Worten  het  und  mühen  uns  diphthongisch  moraliteit.    Alterthümlicher  romanisch  ist 

wohl  auch  ein  <e  zu  sprechen:  die  mittelalterliche  Schrei-  Otfrieds  haritat;  das  mhd.  poteetät  hält  das  «  des  ital. 

bung  schliesst  sich  unbefangener  dem  Laut  und   dem  podesth  podestade  fest. 


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ausnahmslos  sein  diphthongisches  ei  durch.  Mit  ier  z.  B.  die  ebenfalls  schon  älteren  buo- 
belieren  halbieren  hofieren  prangnieren  wandelieren,  in  der  Canzleisprache  inhaftieren  läu- 
terieren  schadlosieren  urbarisieren  verlustieren.  Mit  tat  Albertwt  Bestimmtitmt  Kühlitcet  Schivu- 
litcet.  Mit  ion  Läuteration.  Mit  ant  Schnurrant.  Und  auch  mit  al  und  ist  und  ur,  deren 
Betonung  unmittelbar  aus  dem  Lateinischen  herrührt,  solche  Mischworte:  Glasur,  Blumist 
Hornist  Zinkenist,  austragal  Lappalien  Pauschale  Plaudralien  Schmieralien.  Diese  Umwäl- 
schungen  des  Deutschen  waren  als  Kehrseite  der  Umdeutschungen,  von  denen  wir  handeln, 
der  Erwaehnung  werth.  Wenden  wir  uns  noch  einmal  zu  denjenigen  Worten,  die  nicht 
bloss  in  der  Endung,  die  gänzlich  fremden  Ursprunges  sind. 

Bei  denen  auf  ik  schwankt  die  neuere  Accentuierung  zwischen  dieser  Sylbe  und  der, 
die  vorangeht,  d.  h.  sie  betont  bald  auf  französische,  bald  auf  lateinische  Art:  Katholik 
Fabrik  Republik,  Chronik  Metrik  Mystik,  Mathematiker  Musiker  Politiker,  Mathematik  aber  und 
Musik  und  Politik  bald  so,  bald'  so:  die  Sprache  des  Mittelalters  setzte  diess  i  dem  stummen 
i  des  Deutsehen  gleich  und  betonte  krönike,  müsike.  Sonst  aber,  wenn  das  lateinische 
Wort  den  Ton  auf  der  drittletzten  Sylbe  und  in  der  vorletzten  einen  volleren ,  nicht  so 
leicht  verklingenden  Laut  hat,  betonen  wir  im  Deutschen  eben  diese  vorletzte  oder  für  uns 
nun  letzte  und  thun  das  zugleich  nach  dem  Vorgange  der  franzoesischen  und  auf  Antrieb 
der  eigenen  Sprache,  die  schon  längst  verlernt  hat  unbetonten  Schlusssylben  einen  volleren 
Laut  zu  geben,  die  schon  seit  mehr  als  einem  halben  Jahrtausend  an  dieser  Stelle  der 
Worte  bloss  stumme  e  oder  i  kennt.  Also  z.  B.  Araber  Epoche  sEneidc  Areopäg  reciprök 
Thermopylen  Maxime  Organ  Pericöpe  Apocryphe  Ekstase  Despot  Neophyt  concäv;  selbst  altger- 
manische Namen,  die  jedoch  auf  uns  bloss  durch  lateinische  Vermittelung  gelangt  sind, 
müssen  sich  dieser  neudeutschen  neufranzoesischen  Betonung  unterwerfen:  Gepide  Hermun- 
düre  Teutöne  Vandäle;  ja  auch  zahlreiche  Worte  mit  e  in  der  vorletzten  entziehen  sich  ihr 
nicht,  weil  dieser  Vocal  sonst  verstummen  oder  gar,  wie  schon  bei  linea  Linie  geschehn, 
in  ein  j-artiges  i  ausarten  würde:  Idee  Katheder  Anathem  homogen  Conifere  Apluerese.  Und 
so  würden  'Autor  und  Autoren,  Charäcter  und  CharactSre,  für  deren  Accentwechsel  vorher 
der  entsprechende  lateinische  Wechsel  von  äuctor  auctöres,  charäcter  characteres  als  Grund 
ist  angedeutet  worden,  es  würden  in  gleicher  Art  Söcrates  und  socrätisch,  Miher  und  äthe- 
risch, Apostel  und  apostolisch,  Hercules  und  hercüliscli  auch  ohne  das  lat.  Söcrates  socräti- 
cus,  rnther  athereus  u.  s.  f.  den  Accent  hier  auf  diese,  dort  auf  jene  Sylbe  rücken :  denn  mit 
der  Flexion,  mit  der  Ableitung  ist  diejenige  Umdeutschung  eingetreten,  der  ein  söcratisch 
und  herculisch  widerstünde,  und  wir  betonen  ja  eben  deshalb  auch  Cäsaren  Rhetören  trotz 
dem   lateinischen  Cossares  rhetores. 

So  viel  von  der  einen,  der  franzoesisch-neuhochdeutschen  Abweichung,  die  zugleich 
der  lateinischen  und  der  eigentlich  deutschen  Art  entgegen  den  Ton  auf  den  Ausgang  der 
Worte  wirft.  Wir  gehn  zu  der  anderen  über,  durch  welche  dem  Deutschen  wenigstens 
sein  vollstes  Recht  geschieht.     Diese  gehcert  wesentlich  der   althochdeutschen  Zeit  an;   auf 


-     30     _ 

den  spaeteren  Sprachstufen  begegnet   und   durchkreuzt   sie   sich   mit   der  französischen  Be- 
tonungsweise. 

Wie  das  Gothische  die  griechisch-lateinischen  Laute  moeglichst  festhält,  das  Althoch- 
deutsche aber  einen  grossen  Schritt  von  da  aus  weiter  geht  und  eigentlich  erst  deren  Um- 
deutschung  beginnt,  so  ist  das  Gothische  auch  in  den  Accenten  der  Worte  noch  gern 
lateinisch,  das  Althochdeutsche  wagt  den  deutschen  Accent.  Allerdings  bei  Ausdrücken, 
die  gleichsam  geheiligt  sind,  wie  owangtfjo,  wie  epistulä,  ist  der  lateinische  Accent  ihm 
mitgeheiligt:  sonst  dagegen  strebt  es  mit  seiner  Betonung  auch  über  die  drillletzte  noch 
zurück  nach  vorne  hin  und  giebt  den  hcechsten  Ton  der  ersten  Sylbe,  die  im  Deutschen 
der  Regel  nach  einen  solchen  (raegt;  ja  Otfried  (Hartm.  149)  mag  selbst  die  lateinische 
Ablativform  karitate  so  betonen.  Hier  nun  ist  Einwirkung  des  Komanischen  nicht  gedenk- 
bar: es  kennt  wohl  gleichfalls  solche  Verrückungen  des  Accentes  in  ficätum  prov.  ßgado, 
fcenkulum  mittellat.  fenuglus  portug.  füncho,  pensäle  pesale,  secäh  ital.  segale ,  trifölium  franz. 
trefle  (vgl.  Diez  Wörterb.  140.  312.  355  und  oben  S.  18),  aber  eben  nur  in  so  wenigen 
vereinzelten  Fällen:  man  möchte  eher  den  umgekehrten  Einfluss  glauben.  Und  auch  das 
Gothische  hat  schon  Einzelnes  der  Art,  Einzelnes,  nur  wie  zur  Vorbereitung:  catinus  oder 
catillus  kätil  und  sigillum  sigljö.  Desto  zahlreichere  Belege  im  Althochdeutschen  und  auf 
dessen  Grund  noch  in  der  spaeteren  Sprache  und  bis  auf  die  unsre;  all  diese  Blätter  sind 
voll  davon,  so  dass  es  Ueberfluss  waere  hier  noch  eigens  dergleichen  anzuführen.  Ich 
bemerke  nur  noch,  dass  im  Mittelhochdeutschen  selbst  die  frisch  eingeführten  romanischen 
Worte  gern  so  betont  werden:  z.  B.  banniere  bänier  Banner,  altfranz.  panchire  ital.  panciera 
(pancia  Bauch  von  pantex)  bänzier  Panzer,  potio  poisön  pöisün,  chapel  chapeau  schäpeh 
Namentlich  sind  hiebei  die  auf  äte  oder  ät,  roman.  ata  und  mit  ihnen  die  auf  isse  oder 
esse  zu  erwaehnen,  die  jetzt  massenweis  und  zwar  die  auf  äte  besonders  im  mittleren,  die 
auf  esse  im  niederen  Deutschland  aufkommen,  die  letzteren  so  gänzlich  tonlos  auf  der 
Ableitung,  dass  dieselbe  sogar  syncopiert  wird,  wenn  die  vorhergehende  Sylbe  ein  tiefbe- 
tontes er  ist:  villica  meierse,  monetaria  munzerse,  telonearia  tolnerse.  In  beiderlei  Bildungen 
mochte  man  aber  dem  deutschen  Accente  deshalb  schon  den  Vorzug  geben,  weil  häufig 
auch  hier  das  Stammwort  selbst  ein  deutsches  ist:  reinäte  Reinigung,  villäte  von  villen 
Geisselung,  beckerse  Bäckerinn  neben  marteräte  Marter,  predigäte  Predigt,  ebbedisse  abbatissa. 
Zudem  ist  ät  auch  als  wirklich  deutsche  Schlusssylbe,  als  Nebenform  von  6t  gebräuchlich: 
kleinaete  kleinöt  und  kleinät. 

Aber  nicht  bloss  Appellativa,  auch  Eigennamen,  persoenliche  wie  geographische,  wur- 
den so  behandelt:  schon  im  Gothischen  hatte  es  Märja  geheissen,  ebenso  neben  Maria  im 
Althochdeutschen,  mittelhochd.  mit  dem  Umlaute  Merje,  Merge:  Mergenburc  Marienburg, 
Mergentheim  Marienheim.  Jetzt  ausserdem  noch  Antichrislus  Anlichristo ,  Basilea  Bäsala, 
Confluentia  Chöbilinza,  Colönia  Chölonne  Chölina,  Constäntia  Chöstanza  Chöstinza,  Elias,  Ju- 
daus Mdeo,    Matthäus   Mätheus,    Moguntiacum   Mogüntia  Mäginza,   Paradisus  Päradis  Pärdis, 


—     31     - 

Philippus,  Tarvisium  mhd.  Tärvis  Tervis  Treviso,  Troiämts  Tröiän,  Tuscäna  Tüscäne,  Ta- 
berna  ahd.  Zäberna,  Tulbiacum  Zülpicha;  selbst  französisch  endende  wie  Franzois  und 
GrSzois  betont  die  Ritterdichtung  auf  der  ersten  Sylbe. 

Das  Neuhochdeutsche  behauptet  bei  Appellativen  diese  umdeutschende  Betonung  nur 
dann,  wenn  sich  dieselben  bereits  vom  Alt-  oder  Mittelhochdeutschen  her  und  in  solcher 
Umbildung  vererbt  haben,  dass  der  fremde  Ursprung  verwischt  ist:  wo  aber  letzterer  noch 
erkennbar  vor  Augen  tritt,  wird  lieber  zu  dem  ursprünglichen  Accent  zurückgekehrt:  wir 
sprechen  nicht  mehr  fündament  und  chäpella  und  chästel;  und  gar  bei  Worten,  die  erst  das 
Neuhochdeutsche  selbst  aufgenommen,  sind  Betonungen  wie  Cörnpass  und  Ocean  eine  Sel- 
tenheit. Nicht  so  unter  den  persönlichen  Eigennamen,  besonders  wie  der  Volksmund  die- 
selben kürzt:  hier  haben  auch  wir  noch  Alban,  'Andres1,  'Anton,  Appel  d.  h.  Apollonia, 
Bärtel  d.  h.  Bartholomäus,  Bendix  Bendicht  d.  h.  Benedictus,  Christian  Christen,  Christoph  d.  h. 
Christophorus,  Dosrte  d.  h.  Dorothea,  Elsbeth  und  Else  d.  h.  Elisabeth,  Fabian,  Florian,  Kalter 
d.  h.  Katharina,  Loren:,  Margret,  Martin  und  Merten,  Mätthes  und  Matz  d.  h.  Mälthwus, 
Moritz,  Nklas  und  Nickel,  Suse  und  Susi,  Theodor  und  Joder  (s.  oben  S.  23),  Theophil,  TJr- 
ban,  Valentin  und  Veiten,  auf  süddeutschen  Schulen  auch  Homer,  Höraz,  Virgil;  geogra- 
phische ausser  den  schon  oben  angeführten  noch  z.  B.  Bellinzöna  Bellenz,  Clavenna  Chia- 
venna  Klefen.  Der  Zwiespalt  aber  zwischen  Altem  und  Neuem,  zwischen  Einheimischem 
und  Fremden,  in  den  unser  Deutsch  besonders  hier  gerathen  oder  gebracht  ist,  zeigt  sich 
am  auffälligsten  darin,  dass  nicht  wenige  Worte  jetzt  beiderlei  Betonung  empfangen:  so 
Altan,  Altar,  Antichrist,  Continent,  Florenz,  Januar  (aber  Jenner)  und  Februar,  Johann,  Kame- 
rad, Orient,  Pällast  oder  Paläst;  Diamant  und  Demant,  beides  Entstellungen  von  adamas 
adamantis,  sind  auch  in  der  Lautgebung,  August  und  August  im  Sinne  verschieden:  das  alt- 
hochd.  augusto  trug  als  Mouatsname  deu  Accent  ebenfalls  auf  der  Anfangssylbe,  so  dass 
spaeter  öugeste  und  ouste  daraus  hervorgehn  konnte.  Barbär  wurde  noch  vor  hundert  Jah- 
ren Bärbar  betont,  indem  man  die  Schlusssylbe  einem  stummen  er  gleich  setzte  und  dem- 
gemaess  Barbarn  declinierte,  wie  schwäbische  Dichter  furchtbarn;  von  derselben  Art  ist 
unser  Decenwirn  marmorn  Consnln. 

VI.    DEE  UNBETONTEN  SYLBEN. 

Die  Sprache  hatte  sich  so  gewoehnt  den  Hochton  der  Worte  noch  über  die  lateinische 
Abgränzung  hinaus  auf  den  Anfang  zu  werfen,  dass  in  den  seltneren  Fällen,  wo  das  aus 
irgend  welchem  Anlasse  nicht  geschehn  war,  der  nun  tonlose  Anfang  wie  mit  Missachtung 
behandelt  und  durch  eilendes  Drüberhingehn  in  seiner  Körperlichkeit  geschmaelert,  des 
einen   oder   anderen  Lautes   beraubt,    ja  gänzlich  abgeworfen  wurde.     Das  Schwächste  der 


1  Also  'Andreas,  wie  zwar  eigentlich  richtig,  aber  schon  harmonie  gleich   der  angelsächsischen   Legende   dieses 

seit  langem  unüblich  ist.    Im  9  Jh.  accentuieren  neben  Apostels  deutscher  und  lateinischer  'Andreas.   Das  goth. 

einander  Otfried  Andrias,  die  altsächsisch«  Evangelien-  'Andrias  oben  S.  27. 


—     32     — 

Art  haben  wir  schon  aus  dem  Gothischen  kennen  lernen,  die  Kürzung  gedehnter  Vocale 
und  das  Verschwinden  eines  n  vor  st  (oben  S.  24  und  27);  dem  schliessen  sich  Liquiden- 
wechsel an  wie  armarium  barbieren,  mundartlich  Almaring  halbieren.  Schon  stärker  sind  die 
Vocalsyncopierungen  in  uaQyaoirtjg,  in  cilicium,  coröna,  berxjllus,  canönicus,  Jerönimus  d.  i.  IJie- 
ronymus,  auf  denen  goth.  markreitus,  ahd.  gl'iza,  mhd.  kröne,  nbd.  Brille,  Knünich  und  Grolmus 
beruhn.  Am  häufigsten  ist  das  Stärkste,  die  vollständige  Aphaerese  der  ersten,  ja  zweier 
Anfangssylben.  Ein  Theil  der  Worte,  die  als  Beispiel  hiefür  zu  nennen  sind,  ist  sicherlich 
schon  im  Romanischen  und  im  Latein  der  Romanen  so  gekürzt  und  gleich  so  nach  Deutsch- 
land gebracht  worden,  wie  apotheca  ital.  bottega  ahd.  pötacha,  amygdala  mandola  mandalä, 
Apulia  Puglia  mhd.  Pülle,  i^ä/uiros  examitus  altfr.  mhd.  sämlt,  exclusa  afr.  escluse  nhd.  Schleuse, 
excocla  ital.  scotta  mhd.  schotte  Molke,  extruncare  ital.  stronzarc  ahd.  strunzen,  expendere  spen- 
dere  spentön  und  expensa  spesa  spisa:  man  braucht  jedoch  nicht  überall,  wo  beide  Sprachen 
in  der  Aphaerese  zusammentreffen,  romanische  Mittheilung  anzunehmen,  da  Neigung  dazu 
dem  Deutschen  selbst  schon  innewohnte.  Das  belegt  in  besonders  schlagender  Weise  die 
altsächsische  Evangelienharmonie,  die  je  nachdem  auf  einen  Vocal  oder  auf  r,  auf  f  zu 
allitterieren  ist,  bald  Herodes  d.  h.  Erodes  betont  (auch  im  althochd.  Amnionitis  IX,  3  wird 
Herodes  geschrieben),  bald  Herödes  d.  h.  mit  Aphaerese  sogar  dieses  biblischen  Namens 
Rödes,  bald  infern  Hölle,  bald  wieder  mit  Aphaerese  fern;  nicht  minder  schlagend  derglei- 
chen Worte  wie  ahd.  pelzön  pfropfen,  mhd.  rävit  arabisches  Streitross  und  sambelieren  zu- 
sammennehmen (mit  Bezug  auf  samelen  auch  in  samelieren  umgeändert):  das  Provenzalische 
und  Altfranzcesische,  woher  sie  doch  stammen,  sagen  selber  ungekürzt  empeltar,  arabit,  as~ 
sembler,  das  Mittelhochdeutsche  aber  kennt  auch  neben  Aräbi  Arabien  Räbi.  Weitere  Bei- 
spiele apostolus  ahd.  postul,  Arras  nhd.  Rass  Rasch,  asphaltus  ahd.  spaldur,  asparagus  nhd. 
Sparge  Spargel,  cestivale  ahd.  stiful  mhd.  stival  (Anklang  an  ahd.  arstifulen  mhd.  understive- 
len  stützen  und  understibel  Stütze),  elecluarium  mhd.  lattewarje  Latwerge,  episcopus  ahd.  bi- 
scof,  epistola  mhd.  pistel,  eruca  ahd.  rüpa,  hippodromus  mhd.  poderäm,  Hispanus  ahd.  Span, 
historia  storja,  oryza  mhd.  rls,  hospitale  sp'üäl  Spittel;  mehr  als  bloss  ein  Vocal  getilgt  in 
Cucurbita  ahd.  churpiz,  emplastrum  phlastar,  incensorium  zinseri;  zwei  ganze  Sylben  in  cata- 
pulta  polz,  intercilium  eure,  paternoster  nhd.  mundartlich  Nüster.  Für  das  Neuhochdeutsche 
haben  diese  weitgreifenden  Aphaeresen  ihren  Hauptplatz  in  den  niederen  und  alltaeglichen 
Umbildungen  der  Taufnaraen,  eben  der  undeutschen  Taufnamen:  die  deutschen,  deren  An- 
fang gleich  eine  betonte  Begriffssylbe  ist,  werden  nur  hinten  abgekürzt;  von  den  fremden 
erscheint  mancher  mit  der  einen  und  der  anderen  Tilgung,  da  man  ihn  auch  mit  dem 
Hochion  auf  beibehaltener  erster  Sylbe  spricht:  Annette  Nette,  Aegidius  Gidi  oder  Gilg  (franz. 
Gilles),  Auguste  Guste,  Elisabeth  Lisbeth  Lise  Lisette  Sette  Reti,  Erasmus  Rasmus,  Eustachius 
Staches  Stacks,  Jacob  Kmbi,  Johannes  Hannes  Hans,  Johanna  Hanne,  Joseph  Sepp,  Antonius 
Tönnjes  Toni,  Carölus  Role,  Louise  Wise,  Nicolaus  Claus,  Philippus  Lips  Lippel,  Sebastian 
Rastian    Wastel  Raschi,   Sophie  Fike,    Christine   Stine,   Christophorus    Stoffel    Toffel,    Charlotte 


—     33     - 

holte,  Margareta  Grete,  Catharina  Trine  Rina,  Caroline  Line,  Friderike  Rike,  Henriette  Jette  , 
Philippine  Pine,  Salomea  Meli,  Willielmine  Mine  und  Hieronymus  Mus  Müssi  Mussei.  Auch 
die  Beispiele,  wo  ein  vor  den  Namen  gesetztes  und  damit  verwachsenes  Sant  oder  Sand 
d.  i.  Samt  bis  auf  das  beschliessende  t  oder  d  getilgt  wird,  sind  hier  anzuführen:  so  haben 
wir  in  Basel  eine  Dalben-  und  Delsbethen-  d.  i.  Sauct-Alban-  und  Sanct-Elisabethenkirche, 
und  ebenso  ist  aus  Sanct-Urs  Durs,  aus  Sanct-Ilg  (/Egidius)  Dilg  Dill  Till,  in  Baiern  aus 
Sanct-Annenbrunn  Tannenbrunn  geworden.  Damit  vergleichen  sich  in  den  romanischen 
Sprachen  Narnaldo,  Nugo,  Nalazais  aus  Don  Arnaldo,  Don  Ugo,  Donna  Alazais  und  im 
neueren  Griechischen  die  Ortsnamen,  die  mit  einem  aus  slg  verkürzten  2  beginnen  wie 
Samson  d.  i.  sig  'Jljuiaöv,  Schio  Stancliio  slg  Xiov,  slg  xäv  Xiov ,  Stambul  tig  räv  nofov; 
ein  altdeutsches  Städteverzeichniss  hat  Spergimunt  d.  i.  eig  nsgyctfiov,  Stammerre  slg  räv 
Mvq§ccv,  Ismir,  Smyrna. 

In  solchem  Maasse  werden  von  der  betonten  Sylbe  undeutscher  Wörter  die  vorange- 
henden unbetonten  hinabgedrückt.  Nicht  geringere  Wirkung  übt  sie  auf  die  ihr  nachfol- 
genden aus:  auch  hier  veranlasst  sie  Kürzungen  aller  Art,  durch  Syncope  und  durch  Apo- 
cope,  ebenfalls  oft  von  überraschendster  Ausdehnung.  Und  wir  übergehen  noch,  indem 
nun  wieder  Beispiele  anzuführen  sind,  die  neuhochdeutschen  Formen,  in  denen  durch 
Verschwinden  der  stummen  e  die  Kürzung  mitunter  das  moeglich  äusserste  erreicht;  auch 
die  innerlich  zusammengezogenen,  hinten  abgebrochenen  Eigennamen  brauchen  nicht  wie- 
derholt zu  werden. 

Syncope  und  gelegentlich  damit  verbunden  Umstellung  und  Angleichung  der  verblie- 
benen Laute:  aristolöchia  aristolöcia  ahd.  ästriza;  calcatörium  cälcalürä  cälctüre  mhd.  kalter, 
catillum  ahd.  chellä,  ro'ücula  conücula  clwnacla  chunclila  Kunkel ,  phlebötomum  ahd.  ßiodema 
mhd.  flieme,  gynwceum  gynäecium  genuz  genez  genz,  malum  granätum  mhd.  (mälgranai)  mär- 
grant,  ital.  marinäro  märnmre,  matutina  ahd.  mätt'ina  mhd.  metten,  monasterium  ahd.  mönastri 
münistri  mhd.  münster ,  patina  ahd.  phannä,  prcsbenda  roman.  provenda  ahd.  phruonta,  pul- 
pitum  nhd.  Pult,  refectörium  mhd.  revindre  reventer  riftre  rempter,  ajuvQ^oy  goth.  smyrn, 
Trajectum  mhd.  Mastriht  Uztriht  Uztreht ,  trajectörium  trähter  trihtmre;  die  Anfangslänge  von 
ccerefolium  verkürzt  sich  ahd.  in  chervola,  da  nun  zwei  Consonanten  zusammentreffen:  ebenso 
in  den  mittel-  und  neuhochdeutschen  Formen  fenchel  und  kirche  die  Länge  von  fwniculum 
fenachal  und  xvqiuxöv  chirichä:  denn  letzteres  hat  ein  langes  i,  Notker  bezeichnet  es 
ausdrücklich.  l 

Apocope:  crede  mihi  credemich,  circulus  chirch  und  zirc  (oben  S.  14),  lyehnus  lieh  in 
charzlich  (wenn  ich  carchlih  Sprachsch.  IV,  490  richtig  bessere),  Saracenus  Sarz ,  vicedomi- 
nus  ßztuom,  telöneum  zol,  torcular  torcula  toreul,  pater  mhd.  bäte  Pathe,  archiäter  ahd. 
ärzät2,  Moguntiacum  Mogüntia  Mäginza,  portuläca  bürzala,  naQoixia  paroehia  pharra,  lam- 

So   geht-  auch   die  Länge  von  lilium  Hispania  u.  dgl.      2  Vollständiger    im   Mittelniederd.   und   Niederländischen 
Worten  durch  die  Position  lilje  Spanje  verloren.  trsäter  irsetre.   Die  Sachwörter  arzentuom  und  arzente 

5 


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pas  lampadis   mhd.    lampe,    propägo  ahd.  pkrofa   Pfropfreis,    syringium  sirno,  petroselinum 
pedarsilli  pedarsil  peterlln,  cyparissus  ziperboum,  tapetum  teppi ,  charitas  zart,  pulvmar  phulvci, 
disäpulus  diseo.     In  Baiern  ist  einmal  Jemand   den   heiligen   drei  Koenigen  zu  Ehren  Ca- 
bame  genannt   worden   (Schmellers  Wörtern.  II,  690):    allerdings   eine   starke   Abkürzung: 
sonst  pflegt  man  Caspar  Balthasar  Melchior  nur  in   Casper  oder  Chäpper ,  Balzer  oder  Balzi, 
Melchior  oder  Meck  zu  ändern;  und  doch   keine  stärkere  als  die  von  Max  aus  Maximilianus. 
Aber  auch  die  Laute,   die  hinter  dem  Hochton   noch   bestehen   bleiben,    Consonanten 
wie  Vocale,   gerathen  durch  die  Zurücksetzung,    die    sie   gleichwohl    trifft,    in  Schwanken 
und  Schwächung.     Consonantänderungen,  die  unmittelbar  mit  der  Syncope  verbunden  sind, 
haben  wir  so  eben  erst  kennen   lernen;  ausserdem  kommt,   viel    häuöger  hier   als   in    be- 
tonten Sylben,    Umtausch   der   Liquiden   vor   und    wieder  namentlich   der    Uebergang   in  l 
(vgl.  oben  S.  24):    n  in  /  asinus  goth.    asilus   ahd.    esil,   catinus  oder  auch   catillus   goth. 
katil  ahd.   chezzil,  coqu'ma  ahd.  chüchina  und  chuchil,    cuminum  chumin  und  chumil,   lagena 
lägela ,    myrtinus   fivQrivrj  mirtilpoum,    Organum   organä   und   orgelä,    turbo  tnrbönis   turbal; 
r  in  /  carcer  goth.  karkara  ahd.  charchäri  mhd.   karkwre  kerker  und  kerkel,   corpus  corporis 
mhd.  korper  und  körpel,    marmor  ahd.  marmul,    martyr  marlarön  und   marlolön,  mortärium 
mhd.  morter  und  nhd.  Mörtel,   ahd.  mörsäri  und  mörsäli,   murmurare  murmurön  und  mur- 
mulön,  panther  mhd.  pantel ,  peträria  ahd.  phetaräri  mhd.  pfedeler,  prior  pr'iol,  Chrislophorus 
nhd.  Stoffel  Toffel,    incensörium   ahd.  zinseri  und  zinselön  anfachen;  /  in  n  capitäle  cäpitän, 
tribulare  trebenön;   l  in  r  canälis  ahd.  chänali  mhd.  kenel  und  kener,  palliolum  ahd.  phellöl 
mhd.  pfellel  und  pfeller;  m  in  n  balsamum  ahd.  balsamo  goth.  balsan,  thymiäma  ahd.  tlmiäm 
nhd.    Thymian,    cherubim   zerubln,    cinnamömum   sinnamin  (oben  S.   15);    n  in  m  peregrinus 
pilicrln  und  pxlicrlm;   n  in  r  cophinus  ahd.  chovina    nhd.  Kofen  und   Kober:   custos  custödis 
ahd.    ciisfdr  vertauscht   gegen  r  die   Zungen-   und   Zahn-Media.     Die  Liquida  n  aber  zeigt 
auch  in  diesen  unbetonten  Sylben  ihre  Neigung  (vgl.  oben  S.  12  u.  24)  sich  ohne  weiteren 
Anlass,  als  den  die  Gemeinsamkeit  des  sprechenden  Organes  giebt,    vor  einen  Zungenlaut 
einzuschieben:  dormitörium  mhd.  dörmindre  dormenter,  lavätor  ahd.  lävantäri  Walker,  des- 
confiture   deconfiture   mhd.    schumpfentiure ;    besonders   vor  z:    aristolöchia   ästriza   ästrenza, 
focäcia  föchanza,  palätium  phälanza,  piscätio  fischenze,  secrelärium  sigindri;  vgl.  Bililio  Bel- 
litiona  (Geogr.  Rav.  251,  15)  ital.  Bellinzona.     Moeglich  dass  ebenso  unser  Ortsname  Müt- 
tenze  Muttenz  aus  Mutätio  entstanden  ist;  nur  muss  dann  die  Schreibung  Mi ttenza,  in  wel- 
cher  die   älteste  Belegstelle  denselben    giebt   (Wiponis  Vita  Ghuonradi  Imp.  Cp.  21),   mit 
leichter  Besserung  in  Mutenza  geändert  werden. 

und  das  Zeitwort  arzenün  setzen  noch  ein  zweites  Per-  Archigenes  (Juvenal  VI,  235.  XIII,  97.  XIV,  252)  be- 

sonwort  arzen  voraus,  das  jedoch,  da  t  und  n  nicht  ruhen  wird.    In  einem  Wörterbuch  des  13  Jahrh.  heisst 

wechseln,  keine  Entstellung  von  arzäl  sein  kann,  son-  es  (Strassburger  Handschrift  B  114.  Bl.  70  b)  Archigenes 

dem,  wie  ich  schon  zum  Vocabularius  optimus  S.  8  be-  principalis  medicus  qui  optime  seit  modum  in  genesi 

merkt  habe,  auf  dem  appellativ  gewordenen  Eigennamen  i.  nature. 


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Jetzt  noch  die  Vocale  der  Schlusssylben.  Das  Gothische  bleibt  in  diesem  wie  allen 
Stücken  getreuer  bei  der  Urform:  aurali  balsan  kaisar  sinap  ulbandus,  asilus  katil  militön, 
paurpura  viduvö,  sie  halten  sämmtlich  die  eigentlichen  Laute  fest;  aggilns,  spaikulatur, 
diabulus  oder  diabaulus,  aipistaule  oder  aipislida,  apaustaulus  oder  apauslulus,  diakaunus 
oder  diakun  und  aipiskaupus  sind  nothgedrungene  Abweichungen:  Abweichung  mit  Freiheit 
zeigen  uns  nur  ogvxq  aurahjö,  carcer  karkara  und,  falls  es  von  xoAccyiZsiv  herkommt, 
kaupatjan.  Viel  ungebundener  schaltet  das  Hochdeutsche.  Selbst  jene  bereits  im  Gothi- 
schen  angenommenen  Formen  behaupten  sich  hier  nicht  alle:  viel  häufiger  als  cheisar 
heisst  es  im  Allhochdeutschen  ketsur  oder  keisor,  wsehrend  wieder  in  tiufal  fast  einzig  a 
gilt.  Damit  sind  die  zwei  Hauptbemerkungen  über  diesen  Gegenstand  schon  angedeutet. 
Einmal:  wie  das  Althochdeutsche,  dem  Gothischen  folgend,  in  den  Bildungssylben  eigener 
Worte  mit  Vorliebe  den  Vocal  a  verwendet,  so  überwiegt  dieser  auch  am  Schluss  der 
fremden.  Er  wird,  wo  schon  das  Lateinische  ihn  hat,  am  ehesten  belassen  und  zugleich 
am  ehesten  für  andere  Vocale  eingetauscht:  z.  B.  jussellum  jüssal  Fleischbrühe,  decimare 
techamön,  prcepositm  propösitus  pröbast,  speculum  spiegal ,  eleemösyna  älamuosan;  und  wird, 
wo  Muta  und  Liquida  verbunden  sind,  trennend  und  vermittelnd  dazwischen  gesetzt:  tem- 
plum  tempal,  chrisma  chresamo,  Signum  segan,  coriändrum  chüllantar,  cuprum  chuphar,  febris 
fiebar,  fenestra  fenstar,  melrum  metar,  emplastrum  phlastar,  sacrärium  sägaräri,  cedrus  zidar- 
poum.  Nächst  a  am  geläufigsten  ist  i,  ursprüngliches  sowohl  als  nun  erst  eingetretenes:  ca- 
stänea  chestina,  flagellum  flegil,  cydönium  chütina,  scutula  scuzzilä.  Sodann:  etymologisch 
haltlos  wie  dergleichen  Worte  im  Deutschen  sind,  bleiben  sie  oft  nicht  einmal  bei  dem- 
selben Vocale,  sondern  wechseln  mit  mehreren,  ja  beinah  allen  spielend  ab:  Basilea  heisst 
Bäsila  Busala  und  Basula,  famiculum  phenichal  fenachal  und  fenuhal,  labellum  läpel  labal  labol 
und  lapul,  piper  pheffar  fefor  und  pheffur,  simila  sirnilä  simulä  simalä  semalä.  Mit  dem  Aus- 
gange des  Althochdeutschen  und  gar  im  Mittel-  und  Neuhochdeutschen  verschwindet  freilich 
diese  ganze  bunte  Mannigfaltigkeit  der  Schlussvocale,  und  die  a,  die  i,  die  o,  die  u  ver- 
flachen sich  gleichmsessig  in  einen  und  denselben  stummen  Laut,  dort  noch  ein  j,  hier 
ein  e,  und  Syncopierung  tilgt  oft  auch  dieses  noch.  Dem  Althochdeutschen  selbst  war  das 
im  Accent  zurückgesetzte  e  noch  so  wenig  gerecht  gewesen,  dass  nur  in  seltenen  Fällen, 
wo  dieser  Vocal  ihm  überliefert  war,  er  sich  behaupten  konnte,  wie  in  cancelli  chänzella, 
eapella  chäppellä,  castellum  chästel. 

VH.  GESCHLECHT  DER  SUBSTANTTVA. 

In  Betreff  des  Geschlechtes  der  aus  dem  Griechischen,  dem  Lateinischen,  dem  Boina- 
nischen  herübergenommenen  Substantiva  kann  man  freilich  als  Regel  aufstellen,  dass  es 
im  Deutschen  damit  so  gehalten  werde,  wie  die  Ursprache  jedesmal  verlangt,  und  sicher- 
lich herrscht  auch  dieser  Grundsatz  wenigstens  im  Neuhochdeutschen,  das  seine  Entleh- 
nungen  mit   grosserem    Bewusstsein  vollzieht:   im   Ganzen   aber  treten   hier  wie   bei   dem 


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lateinischen  Accente  dem,  was  die  Regel  scheint,  so  viele  und  mannigfache  Ausnahmen 
entgegen,  dass  zuletzt  wieder  nur  eine  theoretische  Behauptung,  eine  Voraussetzung,  ein 
Wunsch  übrig  bleibt.  Nicht  einmal  das  Neuhochdeutsche  selbst  nimmt  es  mit  dem 
Geschlechte  der  Fremdwörter  so  genau,  wie  es  sollte  und  wollte,  geschweige  denn  das 
ältere  Hochdeutsch  und  das  Gothische. 

Nachweisbarer  Anlässe  das  Geschlecht  zu  ändern  giebt  es  mehr  als  einen:  derjenige, 
der  schon  am  frühesten  gewirkt  hat  und  stsets  noch  wirkt,  ist  einfach  der  Missverstand, 
die  unrichtige  Auffassung  und  Behandlung  der  fremden  Wortform.  Porticus  änöaxQoepog 
äro/uog  didAsxrog  Sid/xetQog  dicp&oyyog  nccgayocccpog  sind  sämmtlich  auf  Griechisch  und 
Lateinisch  Feminina:  aber  irre  geführt  durch  die  Form,  machen  wir  und  sogar  die  streng- 
sten Gelehrten  Masculina  daraus;  männliches  Geschlecht  hat  auch  die  alte  Umdeutschung 
von  porticus  phorzich,  haben  domus  ahd.  tuom  Dom,  synodus  ahd.  senöd,  vdodog  goth.  nardus, 
aber  weibliches  ahd.  narda.  Agiotage  apanage  bagage  bandage  courage  emballage  equipage  ere- 
mitage  etage  mariage  menage  passage  personnage,  ebenso  beau  monde,  caprice,  carrosse  sind 
sämmtlich  auf  Franzcesisch  Masculina:  aber  uns  verleitet  das  Schluss-e  sie  weiblich  zu 
gebrauchen,  und  nur  in  Grenzländern,  wo  das  Franzoesische  selbst  lebendig  naeher  steht, 
beert  man  wohl  auch  das  Etage  u.  dgl.  Verzeihen  wir  deshalb  dem  ältesten  Deutschen , 
wenn  es  griechische  und  lateinische  Feminina  auf  a  als  Masculina  nahm,  weil  ihm  selbst 
zahlreiche  Masculina  auf  diesen  Vocal  ausgiengen:  drachma  goth.  drakma,  epistola  aipistula 
(geweehnlich  aber  nach  miaro/.rj  weibl.  aipistaule),  nv%aQiatiu  aiv/aristia,  fascia  faskja, 
uncia  unkja;  mit  hochdeutscher  Vertauschung  des  früheren  a  gegen  o  cholera  cholaro,  concha 
ital.  cocca  ahd.  chocho,  palma  mhd.  balme  Palmzweig,  mittellat.  pasta  Huhn  ahd.  pasto. 
So  ist  auch  aus  dem  Neutrum  chrisma  ahd.  männlich  chresamo,  aus  credo,  dem  Anfangs- 
worte des  Glaubensbekenntnisses,  mhd.  ein  Mascul.  crede  s.  v.  a.  Glaubensbekenntniss  selbst 
geworden. 

Ein  Doppelbeispiel,  das  sich  hier  anschliesst,  evangelium  goth.  weibl.  aivaggeljö,  ahd. 
männl.  ewangeljo,  führt  uns  auf  einen  zweiten  Anlass  des  Geschlechterwechsels.  Die  La- 
tinitsel  der  spaeteren  Zeit  und  des  Volkes ,  nach  ihrem  Vorgang  in  noch  groesserer  Aus- 
dehnung die  romanischen  Sprachen  lieben  es,  die  neutrale  Mehrzahl  auf  a  in  eine  weib- 
liche Einzahl,  Neutra  also  in  Feminina  umzusetzen  (vgl.  Diez  Gramm.  II,  21  fg.);  es  trifft 
das  theils  Benennungen  solcher  Gegenstände,  von  denen  man  besonders  oft  im  Plural  spricht, 
theils  verfolgt  man  nur  die  Analogie  noch  weiter.  Diess  lateinisch-romanische  a  wird  nun 
im  Deutschen  zwiefach  aufgefasst  und  wiedergegeben,  entweder  wie  bei  jenen  echten  Fe- 
mininis  männlich:  also  evangelium  evangelia  ahd.  ewangeljo,  vielleicht  auch  pigmentum  b\- 
mento,  canticum  cantico,  lilium  liljo ;  oder  aber  gleichfalls  weiblich,  und  das  herrscht  vor: 
also  goth.  aivaggeljö,  im  Hochdeutschen  plmenta,  liljä,  ferner  atramentum  atraminza,  bi- 
blium  mittellat.  biblia  mhd.  biblie,  butyrum  ahd.  butra,  calcalorium  ahd.  calcatürä,  catillum 
chellä ,   xvqikxov   chirichä,   crystallum  christalla,   tmigödiov   nhd.  Episode,  vasculum  flasca 


-     37     - 

ahd.  flascä,  phlebotomum  fliodema,  geslum  gesta  inhd.  geste  Erzählung,  cilicium  ahd.  gliza,  idyllium 
nhd.  Idylle,  caputium  Kapuze,  chronicon  cronica  mhd.  kronike,  elecluarium  lattewarje,  mittel- 
lat.  matratium  nhd.  Matratze  (mhd.  malraz  iniiiml.  u.  neutral),  metallum  ahd.  medilla  Scherf, 
mille  milia  mllla,  Organum  organä,  palatium  plialanza,  petalum  pedalä ,  pactum  phaht,  prin- 
cipium  nhd.  Principie  Principi  (Schindlers  Bair.  Wörterb.  I,  344),  sigillum  ahd.  sigillä , 
stibium  stibä,  tympanum  timpana,  talentum  talenta,  tropasum  nhd.  Trophäe,  vocabulum  Vo- 
cabel,  xenium  Xenie;  Kraut-  und  Fruchtnamen  ccerefolium  ahd.  chervola,  cerasum  chirsa, 
cydonium  chutina,  lupinum  luvlnä,  mespilum  mespilä,  petroselinum  mhd.  pitersilje,  persicum 
nhd.  Pfirsiche,  prunum  ahd.  phrüma,  pirum  pirä,  puleium  poleiä,  sisymbrium  sisimbra;  Worte 
wie  Prcemium  Prämien  Prämie,  Studium  Studien  Studie  und  ihnen  sehnlich  Hymnus  Hymnen 
Hymne,  Mythus  Mythen  Mythe,  Nerv  Nerven  Nerve  haben  innerhalb  des  Neuhochdeutschen 
selbst  den  Entwickelungsgang  dieser  Feminina  wiederholt. 

Bei  einigen  gothischen  Worten  lassst  sich  aber  der  Form-  und  Geschlechlswechsel  nur 
erklaeren,  sobald  man  sie,  in  derselben  Art  wie  Aoi's  Lauidja,  2iSoiv  Seidöna,  Tgwccg 
Trauada  genannt  wird  und  wie  das  Masc.  spyreida  von  dem  Accusativ  des  Femin.  ffnvQig 
anvQidcc  kommt,  auf  romanische  Ausgänge  in  o  für  ms  oder  um,  also  beidemal  gleichfalls 
auf  Accusative  zurückführt:  /uiff&ds  misdo,  psalmus  psalmo  konnten  weiblich  werden,  hys- 
sopus  hyssopo  weiblich  bleiben  und  sigillum  sigillo  neutral,  da  das  Gothische  selbst  schon 
Substantiva  des  einen  wie  des  andern  Geschlechtes  auf  ö  besass:  also  mizdö  psalmo  (mit 
der  starken  Nebenform  psalma)  hyssopö  sigljö;  eben  daher  skaurpjd  weiblich,  waehrend 
scorpio  männlich  ist.  So  moegen  auch  jene  ahd.  blmento  cantico  liljo  noch  eher  auf  roma- 
nischen Singularen  in  o  als  auf  lateinischen  Pluralen  in  a  beruhen:  das  gleichförmige  turso 
torso,  lat.  thyrsus,  hat  doch  unzweifelhaft  romanischen  Ursprung. 

Die  Einwirkung  des  niedern  Lateins  und  des  Romanischen  ist  noch  in  anderer  Art 
wahrzunehmen.  Schon  die  classische  Latinitset  schwankt  bei  einzelnen,  die  verdorbene 
bei  vielen  und  allgemach  fast  allen  männlichen  und  neutralen  Worten,  namentlich  der 
zweiten  Declination,  hin  und  her  zwischen  dem  einen  und  dem  andern  Geschlechte;  das 
Romanische  hat  sich  aus  dieser  Ungewissheit  herausgezogen,  indem  es  überall  nur  noch 
das  männliche  gelten  laesst.  Folge  davon  für  das  Deutsche  ist,  dass  auf  allen  Stufen  des- 
selben, auf  den  früheren  durch  lateinische  und  altromanische,  auf  den  späteren  durch 
französische  Missleitung,  neutrales  Geschlecht  gegen  männliches,  zuweilen  auch  umgekehrt 
vertauscht  wird.  Neutra  werden  Masculina:  acetum  goth.  akeit  ahd.  ezzich,  sabbatum  goth. 
sabbatus  (mit  romanischer  Endung  die  indeclinable  Nebenform  sabbatö),  aivam  goth.  sinap 
ahd.  senaf;  'AQ/msAayog  fr.  Archipele  nhd.  Archipel,  balsamum  ahd.  balsamo  (goth.  balsan 
neutral),  breve  briaf,  cuminum  chumin,  credilum  nhd.  Credit,  elementum  mhd.  dement,  fwni- 
culum  ahd.  fenachal,  panicum  fenich,  versus  fers,  flagellum  flegil,  ccerefolium  nhd.  Kerbel, 
labellum  ahd.  lapel,  linum  ahd.  lln  (goth.  lein  neutral),  lolium  ahd.  lolli?  nhd.  Lolch,  man- 
tellum  ahd.  mantal,  momentum  nhd.  Moment,  mustum  ahd.  most,  pactum  nhd.  Pact,  palatium 


-      38     — 

mhd.  palas  (auch  neulr.)  nhd.  Palast,  pelliceum  ahd.  pelliz,  piper  pheffar f  palliolum  phellöl, 
persicum  phirsich,  pilum  phil,  pretium  fr.  prix  mhd.  prts,  punctum  punte,  sabanum  ahd. 
saban  (goth.  neutr.),  sedile  satul,  scamellum  scamal,  scrinium  ahd.  neutr.  scrlni  mhd.  neutr. 
masc.  schritt,  sagulum  ahd.  segal,  signum  segan,  syringium  ahd.  sirno,  speculum  spiegal, 
hospitale  mhd.  spitäl,  templum  ahd.  neutr.  tempal  mhd.  neutr.  masc.  lempel,  d-&Q/u6jutT(>oi> 
nhd.  Thermometer  udgl.,  vinum  ahd.  w'in  (goth.  vein  neutr.),  sceptrum  mhd.  zepter,  cymba- 
lum  zimbal,  mittel lal.  zucharum  nhd.  (mhd.  neutr.)  Zucker.  Masculiua  werden  Neutra: 
oralis  goth.  aurali  ahd.  oral,  modulus  ahd.  modul,  paradisus  paradis,  thesaurus  treso 
(auch  männl.),  im  Neuhochdeutschen  hie  und  da  chorus  Chor,  ferner  Cwlibat,  Consulat, 
Labyrinth,  mundartl.  Ornat,  Principat,  Proletarial  und  vom  lat.  gcnius  fr.  genie.  Auch  den 
Geschlechtswechsel  von  Muschel  ahd.  musculä,  von  Salve,  von  Echo  und  Orchester,  von  Reis 
mhd.  ris  und  Cider  Continent  Piaster  Purpur  verdanken  wir  nur  den  Franzosen:  lat.  mus- 
culus  ist  männlich,  der  substantivisch  gebrauchte  lmperativus  salve  neutral,  echo  orchestra 
oryza  sicera  conlinens  und  span.  piastra  weiblich;  purper  hat  schpn  im  Mittelhochdeutschen 
zwischen  dem  weiblichen  Geschlecht  von  purpura  und  dem  männlichen  von  pourpre  ange- 
fangen zu  schwanken,  aber  noch  im  siebzehnten  Jahrhundert  kommt  das  weibliche  vor. 

Neben  diesen  Anlässen  von  rein  äusserlicher  und  nicht  gerade  schmeichelhafter  Art 
haben  jedoch  in  nicht  seltenen  Fällen  auch  innere  Gründe  dazu  bestimmt,  Fremdwörtern, 
die  man  sich  angeeignet,  ein  anderes  Geschlecht  zu  geben.  Wie  jene  alten  Sanctgaller 
(oben  S.  4)  lateinische  Worte  nach  Massgabe  der  gleichbedeutenden  alamannischen  con- 
struierten,  ebenso  und  mit  noch  besserem  Fug  übertragt  die  Sprache  auf  deren  Um- 
deutschungen  das  Geschlecht  der  einheimischen  Synonymen  oder  geläufiger  Worte  der 
gleichen  Art  oder  der  Gattungsworte  und  macht  z.  B.  domus  ahd.  tuom  Dom,  moneta  ahd. 
muniz  (neben  muniza),  iwra  goth.  jöta,  zwei  Feminina  und  ein  Neutrum  zu  Masculinis, 
weil  ahd.  sal  Haus,  weil  phanlinc  und  skillinc  u.dgl.,  weil  stab  und  vrit  Buchstabe  Mas- 
culina  sind.  Aus  gleicher  Begründung  erhallen  männliches  Geschlecht  die  Feminina  JEina 
Ida  Ossa  (Berg),  cathedra  Catheder  (Stuhl,  Sessel),  cuppa  ahd.  choph  (stouf),  Climax  (Satz), 
consonans  Consonant  und  vocalis  Vocal  (Buchstabe),  decima  ahd.  dezemo  (teil),  lineola 
linnöl  (riz),  macula  Makel  (Fleck),  fr.  marche  Marsch  (Weg),  merx  ahd.  merz  (schaz),  pompe 
Pomp  (Pracht  männl.),  poudre  Puder  (Staub),  im  älteren  Neuhochd.  reverentia  Reverenz 
(Bückling)  und  sententia  Sentenz  (Spruch),  mhd.  auch  öfters  rosa  rose  (bluome) ,  ruina  Ruin 
(Sturz),  sagma  ahd.  soum  (hlast),  Styx  (Fluss),  danse  mhd.  tanz  (leich,  reie) ,  turris  alt-  und 
mittelhd.  turn  (sal),  cedrus  mhd.  zeder  (boum),  tegula  ahd.  ziegal  (stein),  und  eben  dasselbe 
die  Neutra  Marmor  (Stein),  corpus  mhd.  kbrpel  nhd.  Körper  und  Cadaver  (Leib,  Leichnam), 
mhd.  paternoster  das  Vaterunser  und  nhd.  Nüster  Rosenkranz  (wie  crede  oben  S.  36),  tri- 
butum  Tribut  (Zins);  weibliches  die  Masculina  murus  ahd.  miira  (want),  numerus  Nummer 
(Zahl),  pes  ahd.  peda  (wie  spanna,  el'tna),  portus  mhd.  parte  (habe),  papilio  fr.  pavillon  mhd. 
poulüne  (hütte;   meist  männl.  pavilün),   radius  ahd.  räja  (speichä),  Rhodanus  Rlione  und   Ti- 


-a»    39     - 

beris  Tiber  (wie  Donau  Elbe  Oder  Weser),  racemus  fr.  raisin  Rosine  (Beere),  Tour  (Reihe, 
Reise);  neutrales  die  Masculina  camelus  Camel  und  Chamäleon  und  crocodilus  Crocodil  (Thier; 
mhd.  kemel  gamäleon  kokodrille  männl.),  crucifixus  Crucifix  (Bild;  mhd.  männl.  crücifixe)  und 
die  Feminina  Chiragra  und  Podagra  (Uebel,  Weh;  früher  weiblich),  crux  ahd.  chrüzi  (triu), 
faseia  fäski  (lachen;  auch  weibl.  fäska),  feneslra  fenstar  (goth.  augadaurö  ahd.  ougatorä), 
grammatica  ahd.  gramatich  (puoch),  lucerna  goth.  lukarn  (liuhath),  modius  ahd.  mutti  (mez), 
pix  ahd.  pech  (flied,  harz),  pulvis  mhd.  pulver  (stüppe;  auch  männl.),  fr.  rapiere  Rapier 
(Schwert),  Rhinoceros  (Nashorn),  lurris  ahd.  turri  [hüs),  tabula  zapal  (pret),  im  Neuhoch- 
deutschen mit  sämmtlichen  Namen  von  Land  und  Ort  auch  solche  wie  Europa  und  Troja, 
wamrend  das  Mittelalter  alle  dergleichen  Worte  weiblich  nahm  und  sogar  die  wildün  Snewes- 
berg,  die  niuwen  Höhenfels  sagte,  naemlich  bürg. 

Sodann:  eine  Anzahl  Neutra  auf  arium  und  are,  auf  erium  und  orium,  auch  ein  Femi- 
ninum auf  acta  verlauschen  im  Althochdeutschen  all  diese  Endungen  gleichmaessig  gegen 
ari  und  treten  damit  in  eine  personificiereude  Auffassung  und  in  männliches  Geschlecht 
hinüber:  altare  altüri  und  altari  mhd.  altcere  und  aller,  carnarium  charnari,  cellarium  chelläri, 
calcndarium  mhd.  kalendener,  dormitorium  dormindre,  lectorium  lectäri,  mortarium  morsäri 
Mörser  und  morier  Mörtel,  bicarium  pechäri,  petraria  phetaräri,  psalterium  saltäri,  refectorium 
revindre,  sacrarium  sagaräri,  secretarium  sigitäri,  solarium  solari,  spicarium  splchäri,  trajec- 
torium  mhd.  trähter  trihtare,  vivarium  wiwäri,  chartarium  zarter,  incensorium  zinseri. 

Allerdings  bleiben  nach  all  dem  noch  genug  Beispiele  des  Geschlechterwechsels  übrig, 
für  die  von  den  bisher  aufgestellten  Erklärungen  keine  gilt,  die  man  einstweilen  als  blosse 
Launen  unsrer  Sprache  und  als  Zufälligkeiten  wird  betrachten  müssen.  Ich  will  auch 
deren  eine  Auswahl  anführen.  Masculina  werden  zu  Femininis:  ty£ßit>&o$  arawlz,  cancelli 
chanzella,  cophinus  chovina,  cucullus  cucalä,  fructus  fruht,  hyacinthus  Hyacinthe,  carcer  goth. 
karkara,  puteus  ahd.  puzza  und  phuzzl  (daneben  männl.  puzzi),  musculus  Muskel,  narcissus 
Narcisse,  titulus  ahd.  tilula  und  männl.  titul.  Feminina  männlich:  ancora  ahd.  ancher,  cotta 
ahd.  chozzä  und  chozzo,  Cucurbita  churpiz,  viola  f'iol,  pluma  Flaum  (mhd.  pflüme  weibl.), 
yäcpovQa  mhd.  gaffer  Kampher,  lactuca  ahd.  ladducha  u.  ladduch,  maiorana  Majoran,  pas- 
sio  Passion  im  älteren  Neuhochd.,  pcena  mhd.  p'm  neben  weibl.  pine,  franz.  place  Platz, 
eatapulta  ahd.  polz,  punga  goth.  pugg  ahd.  phung,  radix  rätich,  strigilis  strigil,  charitas 
zart,  schedula  Zettel,  mhd.  zedele  weiblich.  Feminina  neutral:  eleemosyna  ahd.  alamuasana 
und  gewöhnlich  alamuasan,  fr.  banniere  mhd.  baniere  nhd.  Ranner  und  Panier,  altfr.  pan- 
chire  mhd.  banzier  (nhd.  Panzer  männl.),  fr.  avenlure  mittelniederd.  eventür  nhd.  Ebenteuer 
Abenteuer  (mhd.  Aventiure  weibl.),  mensa  goth.  mes  ahd.  mias,  rota  ahd.  rad. 


-     40     - 
Vm.    UMDEUTSCHUNG  DURCH  FLEXION  UND  ABLEITUNG. 

DECLINATION. 

Das  Gothische,  wie  es  überall  mceglichst  nahe  bei  dem  bleibt,  was  ihm  auf  Griechisch 
und  Lateinisch  vorliegt,  hält  für  die  Flexion  der  Substantiva  deren  fremde  Nominativform 
in  der  Einzahl  fest,  sobald  es  selbst  auch  solche  Nominative  besitzt,  und  erst  in  den  <]asi- 
bus  obliquis  laesst  es  die  deutsche  Biegung  eintreten,  die  jener  Nominativus  fordert.  Am 
häufigsten  ist  die  Endung  us,  entsprechend  der  gleichlautenden  lateinischen  und  der  griechi- 
schen og:  aggilus  apaustaulus  asilus  assarjus  diabaulus  kubitus  sakkus  ulbandus 4  nebst  Volks- 
und Personennamen  wie  Iüdaius  I4sus  Kri&tus  Paitrus;  und  so  beliebt,  dass  auch  die  En- 
dung rjs  gegen  diese  vertauscht  wird:  /uagyaQirtjg  markreitus,  npocpqTtjg  praufetus,  'Aqtu- 
&o$rtg  Artaksairksus.  Sodann  a,  griechisch  tj:  arka,  muta  möta,  ßaixt]  paida,  nÄareTa 
platja,  lairusaulyma  Krüa  Rüma  Marja2;  Uebertritt  in  die  schwache  Declination  und  somit 
ö  statt  a  (vgl.  oben  S.  37  die  Doppelform  psalma  und  psalmö):  aikklesjö,  oqvx^  aurahjö, 
orsTga  staird,  vidua  viduvö.  Bereits  im  Lateinischen  o:  cautio  kavtsjö,  lectio  laiktjb.  La- 
teinisch e,  gothisch  i:  orale  (für  oralis)  aurali.  Nominative  auf  as  hat  das  Gothische  aber 
nicht:  da  wird  entweder  mit  Abwerfung  des  s  ein  geläufiger  Ausgang  gothischer  Masculina 
hergestellt:  papa,  Satana  (zu  vergleichen,  wie  die  Hinzufügung  eines  $  das  lateinisch  plu- 
ralische t  jener  Volksnamen  auf  us  in  ein  gothisch  pluralisches  eis  verwandelt:  Judai 
Iudaieis);  oder  es  bleibt  zwar  im  Nominativ  das  fremde  as,  aber  die  casus  obliqui  werden 
doch  wie  von  Worten  auf  a  gebildet:  Lukas  Lükins  u.  s.  w.  Endlich  wie  dort  das  s, 
ebenso  könnte  in  aliv  (d.  h.  aliu)  aus  i'Xatov  nur  der  ungothische  Schlussconsonant  des 
Nominativs  beseitigt,  der  Vocal  aber  geblieben  sein. 

Diese  Begründung  der  gothischen  Flexion  fremder  Wörter  auf  die  griechische  und 
lateinische  (eine  Begel,  der  sich  auch  jene  Substantiva  unterordnen,  welche  so  roh  ihr 
Geschlecht  vertauschen)  gilt  allerdings  nicht  ausnahmslos:  zuweilen  wird  auch,  und  wie  es 
scheint  gerade  bei  solchen  Ausdrücken,  die  noch  alltäglicher  im  Mund  des  Volkes  lebten, 
die  ganze  fremde  Endung,  Consonant  und  Vocal,  bereits  im  Nominativus  abgestossen  und 
ohne  ms  oder  um  lautet  nun  ambactus  andbaht,  urceus  aurki,  pondus  pund,  evangelium 
aivaggili,  balsamum  balsan,  catinum  katil,  linum  lein,  ffdßavov  saban,  vinum  vein. 

Im  Hochdeutschen  nun  ist  letzteres  die  Regel:  es  heisst  da  nicht  bloss  wiederum 
ampaht  chezzil  ewangeli  u.  s.  w. ,  sondern  auch  angil  poslul  tiufal  Petar  und  Krist,  oral 
und  olei  und  aus  oleum  oli,  ebenso  census  zins,  labellum  lapel,  milium  milli,  caseus  chäsi, 
breve  priaf;   nicht  der  Nominativ,   sondern  der  Stamm,    wie   ihn   vielleicht  erst   die  Casus 

1  Gewiss    durch    romanische   Vermittelung  (oben  S.  21)  a  Doch  werden  persönliche  Namen  wie  Marja  nach  männ- 

von  elephantus  kommend,  aber  gleich  dem  angelsächs.  lieber  Art  decliniert:  eine  Mischung,  die  sich  erst  wie- 

olfend  und  dem  hochd.  fem.  olpentä  s.  v.  a.  Kamel;  der  der  das  Neuhochdeutsche  zu  Schulden  kommen  laesst, 

Elephant  heisst  angels.  ylpend  (angels.  y  =z  goth.  u)  die  aber  für  das  Gothische  selbst  den  oben  S.  36  be- 

und  elpend,  ahd.  elafant  und  mit  umdeutschendem  Be-  sprochenen  Geschlechtswechsel  der  auf  a  ausgehenden 

zug  auf  helfan  helfant.  Appellativa  noch  begreiflicher  macht. 


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obliqui  zeigen,  wird  herübergenommen:  rudus  ruderis  rudor,  abbas  abbatis  abbat,  miles 
militis  miliz,  pix  picis  pech,  merx  mercis  merz.  Und  dabei  ist  wiederum  Einwirkung  des 
Romanischen  anzunehmen,  nicht  erst  für  die  spsetere  Zeit  in  Entlehnungen  wie  facultas 
facultatem  facultet  (oben  S.  28):  schon  so  alte  wie  chrüzi  und  furnache  weisen  mit  den 
festgehaltenen  Schlussvocalen  deutlich  auf  romanische  Formen,  auf  cruce  aus  crucem,  for- 
nace  aus  fornacem  hin.  Nun  also  Anschluss  an  den  Accusativus:  eine  Eigenheit,  die  uns 
sonst  noch  mannigfach  entgegentritt:  unser  Galgant  ist  aus  galgän,  galegän,  diess  aus  ga- 
langän,  diess  endlich  aus  galangam  von  galanga  entstanden ,  ebenso  Indien  Persien  aus 
fndiän  d.  i.  fndiam ,  Persiän  d.  i.  Persiam. 

Das  Hochdeutsche  verfaehrt  aber  so,  weil  es  keine  Nominative  auf  s  mehr  kennt:  es 
muss  selber  in  starker  Declination  den  Accusativus  mit  für  den  Nominativ  gebrauchen. 
Darum  also  im  Alt-  und  Mittelhochdeutschen  z.  B.  Christ  für  Christus.  Andre  nicht  so 
geläufige  Namen  behalten  zwar  das  us,  jedoch  im  Sinn  einer  Ableitungssylbe,  und  der 
Genitivus  von  Jesus  Matheus  Philippus  wird  ahd.  Jesuses  Matheuses  Philippuses  gebildet. 
Dem  entsprechend  bei  denen  auf  as:  aus  dem  goth.  papa  wird  phaffo,  aber  nicht  ebenso 
aus  Satana  Satano :  man  decliniert  Satanas  Satanases,  Elias  Eliases;  in  gleicher  Art  Johannes 
Johanneses.  Im  Mittelhochdeutschen  werden  diese  allerdings  barbarischen  Formen  wenig 
mehr  gebraucht:  dem  Achilles  Achillese»  z.  B.  wird  Achille  nach  franzoesischem  Muster,  gen. 
Achillen  vorgezogen;  das  Neuhochdeutsche  schwankt  zwischen  Abwerfung  und  Beibehal- 
tung der  Schlusssylbe  und  im  letzteren  Fall  zwischen  Flexionslosigkeit  und  lateinischer 
Flexion.  Sonst  jedoch  ist  solche  Erstarrung  fremder  Declinationsausgäuge  auch  der  neueren 
Sprache  keineswegs  ungeläufig:  es  ist  nichts  anderes,  wenn  wir  von  Studium  den  Genitiv 
Studiums  bilden  und  von  Cherubim  und  Seraphim  eine  neue  Mehrzahl  Cherubinen  Seraphinen. 
Auch  das  alte  päbes  gen.  päbeses  gehcert  hieher:  von  dem  griechischen  ndnecs,  woraus 
schon  die  Gothen  papa  gemacht,  kann  dieses  abendländische  Wort  nicht  kommen:  es  ist 
das  lateinische  papa  mit  dem  altromanischen  s  des  Nominativs,  das  sich  ja  auch  an  voca- 
lisch  auslautende  Masculina  wie  baptista  baptistes  hängt  (vgl.  Diez  Gramm.  II,  38.  44.  46): 
dem  Deutschen  aber  ward  das  es  zur  Ableitungssylbe,  und  nach  Analogie  von  probest  fügte 
es  im  zwölften  Jahrhundert  noch  ein  t  hinzu.  Dem  allem  sehnlich,  insofern  man  den 
Artikel  auch  zu  den  Flexionsmitteln  rechnen  darf,  sind  Ausdrücke  wie  Algebra  Almanach 
Eldorado  Laplata,  wo  der  fremde  Artikel  und  das  fremde  Substanlivum  so  zu  einem  Wort 
verwachsen,  dass  noch  ein  deutsches  der  die  das  muss  davor  gesetzt  werden;  so  kann 
man  auch  von  Elsässern  's  Latwteli  hceren  d.   i.  la  tete. 

Zwei  Endungen  jedoch  finden  auch  im  Hochdeutschen  keinen  Anstand,  weiblich  a 
und  männlich  o.  Beispiele  des  ersteren  archa  und  müta  wie  im  Gothischen,  ferner  feria 
fira,  porla  phorla,  paena  pina,  schola  scuola,  spongia  spunga,  strata  sträza,  Galilea,  Rüma 
u.  s.  f.;  schwach  declinierend,  mit  ä,  goth.  ö,  icitmcti,  anliphönä,  caminata  cheminätä, 
chrustä,    manica  menichä,   prösä,   tinctä,    Erü,   Marjä.     Auch  goth.  laikljö,   dessen  6  schon 

6 


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lateinisch  ist,  lautet  im  Althochd.  lekzä,  potio  puzzä;  mit  dem  stummen  e  des  Mittel-  und  Neu- 
hochdeutschen lekzje  letze,  actio  Actie,  collatio  colläzje,  disputäzje,  piscatio  fischenze,  passje, 
porze,  processje,  punetio  Punze.  Männlich  o,  dergleichen  sich  unter  den  Umdeutschungen  des 
Gothischen  noch  nicht  vorfindet:  capo  chappo,  caupo  choufo,  graphio  krävjo ,  falcho,  leo  lewo, 
ordo,  pavo  phätoo,  scorpio  scorpo,  draco  tracho.  Worte  wie  diese,  deren  Stamm  im  La- 
teinischen mit  ableitendem  on  oder  in  gebildet  ist,  mussten  zu  der  Uebertragung  in  die 
schwache  Declination  des  Deutschen  schon  durch  das  Gefühl  empfohlen  werden,  dass  letztere 
ihren  Ursprung  aus  eben  solchen  Ableitungen  genommen  hatte.  So  konnte  auch  diaconus 
zu  jacho  (neben  jachono),  cydonium  mhd.  zu  küte  Quitte  (ahd.  chutina)  und  es  konnten  auch 
Bildungen  mit  an,  en,  in,  yn  und  blossem  n  zu  deutschen  schwachen  Masculinis  und  Femi- 
ninis  werden:  abrotanum  ahd.  avarüzä,  christianus  ahd.  christäni  mhd.  kristen  und  krisle,  mus 
montanus  ahd.  müremunto,  sabanum  saban  und  sabo,  armenius  harmo  Hermelin,  catena  ahd. 
chetina  mhd.  ketene  und  kell  Kette,  prmtamen  ahd.  phräsamo  altsächs.  prlsmä,  sagena  ahd. 
segina  mhd.  segene  sege,  Saracenus  ahd.  Serzo,  ital.  bottino  ahd.  putina  putin  mhd.  büten 
büte,  coquina  ahd.  chuchina  mhd.  küchen  küche,  cyclaminus  mhd.  cichlamme,  cyprinus  ahd. 
charpho,  matutina  ahd.  matt'ma  mhd.  metten  mette,  eleemosyna  ahd.  alamuosan  und  ala- 
muosa,  dietanmus  mhd.  diltamme;  im  ahd.  pepano  aus  pepo  verdoppelt  sich  das  ableitende  n; 
mhd.  orden,  das  auffälliger  Weise  die  Liquida  schon  im  Nomiuativus  zeigt,  wird  zunächst 
aus  dem  altfrauz.  ordene  ordre  und  nicht  unmittelbar  von  ordo  kommen. 

CONJUGATION. 

Beispiele,  wo  an  Zeitwörtern  fremden  Ursprunges  die  fremde  Flexion  gänzlich  getilgt 
und  eine  davon  ganz  unabhängige  deutsche  an  die  Stelle  gerückt  ist,  finden  sich  nur  in 
geringer  Anzahl:  zwei  starke,  ahd.  scribere  scripan  und  mhd.  pipare  pfifen;  fünf  oder  sechs 
schwache,  goth.  cumbere  kumbjan,  ahd.  coquere  chochön,  offerre  opharön  nebst  seinem  Subst. 
ophar,  reddere  roman.  rendere  rentön,  expendere  spendete  spentön  (Subst.  spenta)  und,  falls 
nicht  das  deutsche  Adj.  wis  der  Stamm  ist,  visere  wisön.  An  den  ersteren  darf  die  starke, 
an  den  letztgenannten  fünf  althochdeutschen  die  Flexion  mit  ö  auffallen.  Denn  die  starke 
gebührt  eigentlich  nur  deutschen  Wurzelwörtern:  dass  man  sie  gleichwohl  diesen  zwei 
fremden  gab,  mochte  durch  die  Analogie  der  begriffsverwandlen  deutschen  Ausdrücke  rizan 
und  gigen  veranlasst  werden.  So  conjugiert  auch  im  Mittelniederländischen  prinden  aus 
fr.  prendre  stark  wie  vinden,  im  neueren  Neuhochdeutschen  preisen  von  Preis  fr.  prix  wie 
preisen  d.  i.  schnüren  und  ebenso  mundartlich  speisen,  kaufen  wie  laufen,  fechten  d.  i. 
pfechten  (oben  S.  10)  wie  fechten  kämpfen.  In  chochön  aber  u.s.  f.  waere  dieselbe  unschein- 
bare Vocalisierung,  die  das  goth.  kumbjan  erbalten  hat,  vielleicht  eher  am  Platz  gewesen: 
das  6  entfernt  sich  merklich  weiter  von  den  bezeichnenden  Lautausgängen  der  dritten  la- 
teinischen Conjugation.     Schicklicher  und  in  weit  überwiegender  Anzahl  werden  Zeitwörter 


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der  ersten  mit  ö  wiedergegeben:  im  Gothisrhen  capillare  kapillöni,  militare  militön,  im 
Althochd.  castigare  chast'ikön  (Subst.  ehestiga),  recuperare  choparön,  causari  chösön,  damnare 
damnön,  fasciare  fäscön,  carminare  garminön,  lavare  labön  (Subst.  laba),  murmurarc  mur- 
murön,  mutare  müzön ,  ordinäre  ordinön  (Subst.  ordena),  provenz.  empeltar  pelzön,  prwdicare 
predigön  (Subst.  prediga),  pressure  pressön  (Subst.  pressa) ,  saltare  salzön,  scrutari  scrodön 
und  scrutön,  decimare  techamön  dezemön,  temperare  temparön,  diclare  tihtön,  titulare  titulön, 
tractare  trahtön  (Subst.  trahta),  tribulare  trebenön,  tunicare  tunichön,  vannare  wannön,  velare 
wllön,  vindemiare  windemön,  circare  zircön.  Auch  delere  pflegt  ein  ö  anzunehmen,  d'dön 
tllön:  der  älteste  Beleg  indess  für  die  Aneignung  dieses  Wortes,  Isid.  61,  5,  gewsehrt  mit 
beibehaltenem  e  ardilet  (ausgetilgt);  in  miscere  miskjan  tritt  für  das  e  ein  j  oder  j  ein. 
Zuweilen  sind  die  Verba  erst  innerhalb  des  Deutschen  selbst  von  fremden  Grundworten 
gebildet,  mit  6  fundamentum  ahd.  fundamentön ,  mittellat.  impotus  aus  griech.  e/ucpvrov 
Impfreis  impitön  und  imphön,  martyr  marlarön  (Subst.  martara) ,  pwna  plna  plnön;  mit  i 
svayysAiov  goth.  aivaggeljan,  exul  ahd.  ihsil  (ihsill  Verbannung)  frihsiljan,  spuma  virspü- 
men  despumare,  lornus  turnen;  mit  ö  und  i  Archigenes  urzenön  und  erzinin  'oben  S.  34), 
caupo  goth.  kuupfm  ahd.  choufön  und  clioufjan,  churitus  zartön  und  zerten.  Das  mittlere 
und  selbst  das  neue  Hochdeutsch  hat  die  Zahl  dieser  einfachen  Verbalbildungen  noch  des 
weiteren  vermehrt;  das  stumme  e,  in  welches  die  alten  ö  und  i  nun  zusammenfliessen , 
würde  bei  althochdeutscher  Lautgebung  meist  wieder  eiu  ö  sein:  altfr.  ameir  bitter  mhd. 
ameiren,  amour  amüren,  roman.  banicare  baneken,  declinen,  düren,  experimenten ,  mittellat. 
forestare  föresten,  foudre  nhd.  mundartlich  futren  fluchen,  prov.  urtar  fr.  heurter  mhd.  hurten, 
constare  altfr.  rouster  kosten  (auch  kostön;  Subst.  koste),  copulare  kupelen ,  ^iovamötiv  muosen, 
pulsare  pfulsen  (Subst.  pulse),  probare  proben,  prov.  dansar  tanzen,  tastar  tasten,  venia  ven- 
jen,  vastare  wasten,  nhd.  orgeln,  rotulus  rodel  rodeln,  angeglichen  rollen,  rumoren  und 
spectakeln;  ein  i:  mhd.  kristieren,  fr.  prix  pris  pr'isen,  proba  prüeven,  spensa  spesa  spise 
(oben   S.  25)  splsen,  fr.  chere  tschieren,  faille  vmlen. 

Noch  viel  häufiger  jedoch  werden  vom  Mittelhochdeutschen  an  die  fremden  Zeitwörter 
in  einer  Weise  umgestaltet,  die  jener  allhochdeutschen  Behandlung  der  Namen  auf  ms  u.  s.  w. 
zur  Seite  steht:  wie  dort  aus  dem  lateinischen  ms  eine  Ableilungssylbe  erwächst  und  dem- 
gemaess  von  Philippus  der  Genitiv  Philippuses  lautet,  so  hier  aus  der  franzcesischen  Infi- 
nitivendung. Und  zwar  ist  es  die  Form  ier,  eine  durch  die  vorhergehende  Consonanz 
bewirkte  Angleichung  von  er,    die   man    aufgreift,    sofort   aber  auch  auf  Verba  übertragt, 

'  Doch   wird    mit  kapillön    das  griech.  xiioiiv   übersetzt,  köpfen,  Mist  muten,  mh&.pfant x>fenden,  ahd.  scala  skelen 

also   ein   Begriffsverhältniss   bezeichnet,  für  das   unsre  schielen,  nhd.  Schaum  schäumen,  Schnauze  schnauzen; 

Sprache  sonst  Zeitwörter  mit  ableitendem  i  bildet:  mhd.  mundartlich   hat  auch   Schuppe  schuppen  den  Umlaut. 

hast  Band  besten  aufbinden,  ahd.  talamasca  Larve  mhd.  Unser  haaren  ist  intransitiv:  die  Haare  verlieren;  das 

tolmetschen  (entlarven)  dolmetschen,  ahd.  fei fillen  schin-  mhd.  Transitiv  behären  hat  durch  die  Vorsylbe  den  Sinn 

den,  mhd.  galle  gellen  die  Galle  ausnehmen,  nhd.  Baut  der  Beseitigung. 
häuten,   mhd.   houbet   houbeten   enthaupten,   nhd.  Kopf 


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die  im  Französischen  lediglich  auf  er,  vielleicht  sogar  auf  ir  ausgehn  oder  in  deren  ier 
das  i  dem  Stamme,  nicht  der  Endung  zugehoert.  Anfangs,  in  der  Sprache  der  Ritter, 
beschränkte  sich  diese  Ableitungs-  und  Flexionsart  ihrem  französischen  Aulasse  gemaess 
auf  franzoesische  Worte:  fieher  ficlrier  fischieren,  laisser  laissier  leisieren,  parier  parrieren, 
chanter  schantieren,  faillir  failieren;  von  lournoyer  mit  Zusaminenziehung  turnieren.  Wie  man 
alsbald  auch  an  deutsche  Stämme  damit  gieng,  haben  wir  bereits  gesehen  (S.  29);  nament- 
lich aber  ist  seit  dem  Ausgange  des  Mittelalters  diess  franzoesische  ier  der  übliche  Weg  um 
lateinische  Zeitwörter  deutsch  zu  machen,  z.  B.  fixieren  laxieren  fallieren,  die  mit  jenen  fischie- 
ren  leisieren  failieren  etymologisch  eins  sind,  studieren,  das  jedoch  nicht  von  studere  kommt, 
sondern  wie  das  fr.  eludier  von  dem  mitlellaleinischen  studiari,  u.  s.  w.  Mehrere  Worte 
erscheinen  in  beiderlei  Formen,  jener  altern  kürzeren,  die  einen  deutschen  Bildungsvocal, 
und  dieser  jüngeren,  die  weitläuftiger  eine  ganze  fremde  Sylbe  als  Ableitungsmittel  braucht; 
es  kann  sich  damit  noch  eine  Aenderung  im  Begriffe  selbst  verbinden:  also  neben  kupelen  u.s.  f. 
nhd.  copulieren,  declinieren,  dictieren,  exilieren,  experimentieren,  fundamentieren ,  mhd.  muo- 
sieren,  nhd.  ordinieren,  mhd.  organieren,  nhd.  pradicieren,  pressieren,  probieren,  pulsieren, 
rentieren,  roulieren,  rumorieren,  spendieren,  temperieren,  titulieren,  tractieren,  tribulieren. 
Die  jüngere  Form  deutscht  weniger  um:  sie  tritt  nseher  zu  der  fremden  Urgestalt  zurück 
und  vergönnt  dem   Wort  keine  deutsche  Betonung. 

ABLEITUNG. 

Deutsche  Ableitung  von  fremden  Worten  geschieht  gleich  deren  Flexion  in  zwiefacher 
Art.  Nach  der  einen  wird  das  Ableitungsmittel  gleich  hinler  den  fremden  Stamm,  viel- 
leicht auch  an  die  Stelle  einer  fremden  Endung  gesetzt,  und  deren  Laute  veranlassen  die 
Wahl  gerade  dieser  deutschen.  Golhische  Beispiele  vidua  viduvö  Wiltwe  viduvairna  Waise, 
Roma  Romanus  Rüma  Rümonus*,  äaijuojp  daimonari  Besessener.  Hochdeutsche  mit  ari: 
carcer  ahd.  charchäri,  catus  mhd.  katere,  lavator  ahd.  lavantäri  Walker,  mango  mangäri , 
martyr  martiräri,  speculator  spekaläri,  extruncare  strunzen  strunzere,  sulor  sütäri,  interci- 
lium  zilre,  vidua  mhd.  witewe  witeware  und  all  die  früher  (S.  39)  erwähnten,  die  ein 
neutrales  orium  u.  s.  f.  in  männlich  ari  umsetzen;  das  Volk  zieht  eben  hieher  Worte  wie 
doclor  und  professor,  wenn  es  Docter  und  Professer  ausspricht.  Mit  ich,  ig,  isk,  lieh: 
canonicus  ahd.  canunich  und  canonlich,  clericus  chlirich,  grammatica  gramatich ,  rusticus 
rustich  rüstig,  antiquus.  antich  antisk  antrisk  ,  Hebrmus  ahd.  hebre'isc,  dramaticus  nhd.  dra- 
matisch Mit  ine  und  linc:  armarium  mhd.  almar  nhd.  Almaring,  amarellus  ahd.  amero 
und  amerinc  nhd.  Ammerling  (mit  ableitendem  z  ahd.  amirzo,  mhd.  emritz),  perca  fr.  perche 
ahd.  bersich  nhd.  Rerschling,  byzanlius  mhd.   bisant  und  b'isantinc  (Münzname  wie  cheisuring 

1  Dasselbe  bn,  das  in  lauhmbni  Blitz  und  sipbni  Schüler  ner  sein  Rümonus  nur  als  eine  Umbildung  des  lat.  Bo- 

zur  Ableitung  dient?    Aber  lauhmbni  scheint  nur  eine  manus  zu  betrachten,    die  gleich msessig  in  beiden  Vo- 

Nebenform  von  lauhmuni  und  sipbni  ein  slavisches  Wort  calen  heruntergesunken  ist. 
(JGrimms  Gramm.  II,  180).     Somit  möchte  es  gerathe- 


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pfenninc  schillinc  Silberling),  boletus  ahd.  puliz  nhd.  Rülstling,  agaricus  Egerling  Angerling, 
piscina  als  Ortsname  mhd.  Fischine  nhd.  Fischingen,  hatte  ahd.  härinc,  cucumer  nhd.  Küm- 
merling, rheda  mhd.  reding ,  salmo  nhd.  Sälmling  Saibling,  trabs  mittellat.  trabeum  ahd. 
tremil  nhd.  Tremeling,  viridia  ahd.  mjjVz  (oben  S.  23)  Wirsing,  viduus  Wittling.  Mit  inn: 
Charis  Charitinn,  fata  altfr.  feie  mhd.  auch  feine,  lupa  ahd.  /upJn  meretrix,  Phoebus  17  Jahrh. 
Phaebussin,  Venus  15  Jahrh.  Fe"/twsst"n ,  üi'dwa  16  Jahrh.  Witlwin.  Mit  o//V  episcopus  mhd. 
auch  bischolf,  guttarium  nhd.  mundartlich  Gutlere  mhd.  gutterolf,  cingulum  mhd.  ztn^eZ  und 
zingolf  ztvingolf  Zwinger.  Mit  o/<:  cuniculus  mhd.  künoh.  Mit  öst:  ahd.  suparöst  als  Super- 
lativ zu  lat.  superus.  Mit  fwft:  balteus  palderich,  pater  mhd.  pfetterich  Pathe,  prov.  oota  pu(i- 
n'cA.  Mit  imc:  tradere  ahd.  trädunc  Uebersetzung,  amylum  nhd.  Amelung.  Mit  an,  mit 
i'nc  und  fc'nc  und  unc,  mit  olf  und  o/<  und  rieh,  all  diese  Bildungen  haben  männliches 
Geschlecht  und  nehmen  auch  Sachbegriffe  in  perscenlicher  Auffassung;  die  mit  olf  olt  rieh 
wie  jenes  Adjectiv  canonlich  sind  allerdings,  wenn  man  es  genauer  bezeichnen  will,  zusam- 
mengesetzt: doch  ist  dieser  vollere  Werth  der  Schlusssylben  längst  schon  abgeschliffen.  Und 
so  mag  auch  Amourschaft  s.  v.  a.  Liebschaft  und  moegen  auch  Volksnamen  wie  ahd.  Rö- 
mari ,  mhd.  Römcere,  nhd.  Rcemer  hier  aufgeführt  werden:  ursprünglich  hat  es  Römwari 
d.  i.  Romwehrer,  Romkrieger  geheissen,  augelsächs.  Römvare,  altnord.  Rümveri. 

Die  zweite  Art  der  Ableitung  vergleicht  sich  jener  deutschen  Flexion  hinter  beibe- 
haltenem ms  und  \er:  vor  dem  isch  und  er  bleiben  al  und  an  und  ens  u.  s.  f.  bestehen, 
und  der  gleiche  Begriff  wird  zweimal,  zuerst  in  fremden,  dann  in  deutschen  Lauten  be- 
zeichnet. Diess  der  Ursprung  unsrer  alisch  in  grammaticalisch  idealisch  moralisch  und  der 
aner  iner  enser  und  anisch  inisch  ensisch  u.  s.  f.,  die  gleich  anderen  undeutschen  Ausgängen 
gelegentlich  auch  hinter  deutsche  Worte  treten:  Gothaner  Hannoveraner  Anhaltiner  Radenser 
Hallenser  Jenenser;  in  Italimner  und  italiwnisch  haben  wir  das  a,  das  früher  auch  hier  ge- 
braucht ward,  umgelautet.  Die  althochdeutsche  Sprache  hat  von  der  Art  bereits  troianus 
troiänisc ,  sapphirinus  saffirlnisc,  indicus  indigisc,  ajgyptius  egypzisc,  die  mittelhochdeutsche 
neben  franzois  aus  franeois  d.  i.  franciensis  auch  schon  franzoisisch  und  Franzoismre.  Mar- 
kalenter  Marketender  ist  mit  ebensolcher  Häufung,  zugleich  mit  umdeutschendem  Bezug  auf 
Markt,  vorn  ital.  mercatante  mercadante  abgeleitet;  Häufungen  von  ier  und  er  sind  die  theil- 
weis  nicht  mehr  üblichen  Rarbierer  Cassierer  Cavalierer  Juvelierer  Officierer  Spezierer  Tape- 
zierer: auch  die  mittelhochdeutschen  aslronomierre  floitierre  krigierre  partierre  patelierre  sind 
aus  astronomierere  u.  s.  f.  zusammengezogen.  Prinzessinn  hat  gleichen  Sinn  mit  Prinzess, 
mhd.  eptischin  nhd.  Aebtissinn  Canonissinn  Diaconissinn  Priorissinn  den  gleichen,  den  schon 
die  einfacheren  Bildungen  abbatissa  mhd.  eppetisse  und  Priorinn  ausdrücken;  dieselbe  Ver- 
doppelung hinter  einem  nicht  fremden  Stamme  in  dem  mittel-  oder  niederdeutschen  tümer- 
schln  Gauklerinn.  Veilchen  und  Veigelein  kommt  von  viola,  das  mhd.  sinegozzel  von  singoz, 
das  nhd.  Scharmützel  vom  ital.  scaramuccio,  Worten  die  alle  selbst  schon  (vgl.  oben  S.  17) 
verkleinernde  Endungen  an   sich  tragen. 


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IX.   UMDEUTSCHUNG  DURCH  ZUSAMMENSETZUNG. 

Bekanntlich  ist  es  den  altechten  Bernern  eigen,  der  Deutlichkeit  für  Andre  und  für 
sich  selbst  und  ihrem  doppelten  Sprachgewissen  dadurch  Genüge  zu  tbun,  dass  sie  dieselbe 
Sache  zweimal  hinter  einander,  erst  franzcesisch,  dann  deutsch,  ja  unter  Umständen  drei- 
malsagen, franzcesiscb ,  bernerisch  und  hochdeutsch:  «Ecoutez!  Loset!  HoerenSie!»  Aus 
eben  diesem  dem  Barbarismus  natürlichen  Bedürfniss  hat  sich  die  Rede  unserer  Vaeter  im 
dreizehnten  und  im  siebzehnten  Jahrhundert  mit  solchen  halbfranzoesischen  oder  halblatei- 
nischen Wortpaaren  angefüllt  wie  ppl  und  strüle,  trüt  und  amls,  yeschaß  und  creatiure, 
Antiquitet  und  Alterthum,  Farn  und  Leumund,  Instrumentum  und  Werkzeug,  Moment  und 
Augenblick,  Postur  und  Stellung,  Uhr  und  Stunde,  Lob  und  Preis,  Stuhl  und  Thron;  genug 
dergleichen  überall  noch  im  Munde  des  gemeinen  Mannes.  Das  fremde  Wort,  dessen 
Verdeutlichung  es  gilt,  nimmt  dabei  der  Regel  nach  den  gebührenden  ersten  Platz  ein. 
Es  ist  ein  Andres,  wenn  man  heiliger  Sanct  Florian  sagt,  wenn  die  ehemalige  Peterskirche 
in  Regensburg  will  Sunt  Peter  hiess,  wenn  man  Jemanden  anredet  mein  Herr  Monsieur: 
hier  muss  wohl  das  deutsche,  da  es  ein  Adjectivum  und   ein  Titel   ist,  vorausgehn. 

Viel  zahlreicher  noch  als  solche  Zusammenstellungen  und  überall  in  der  älteren  und 
zumal  in  der  Sprache  des  Volkes  noch  beliebt  sind  die  Zusammensetzungen,  die  das  fremde 
und  das  deutsche,  das  erklärte  und  das  erklärende  Wort  in  einen  Körper  sich  vereinigen 
lassen,  meist  auch  wieder  mit  Nachfolge  des  erklärenden.  Und  zwar. deckt  dieses  bald 
den  ganzen  Begriff  des  erklärten,  bald  und  gewöhnlicher  nur  einen  Theil  desselben,  oder 
es  reicht,  indem  es  die  Gattung  zu  der  Art  benennt,  darüber  hinaus:  die  Zusammensetzung 
ist  bald  eine  Tautologie,  bald  und  meist  ein   Pleonasmus. 

Zuerst  Beispiele,  wo  das  fremde  Wort  voransieht.  Amorette:  Amelbeere.  Biblia:  Bibelbuch. 
Breve  ahd.  brief  Buch :  briefpuoch.  Campus  ahd.  champh  Zweikampf,  wie  Kampf:  champhwie. 
Chapeau-bas-hut.  Cometslern.  Dama  ahd.  tämo  dämo:  nhd.  Dammhirsch.  Eau-de-Cologne- 
Wasser.  Gynatceum  ahd.  genez  Arbeitsraum  für  Weiber,  tunc  (unterirdischer)  Arbeilsraum  der 
Art:  geneztunc.  Carnarium  mhd.  gerner  Beinbaus:  yernerhüs.  Grenzmark.  Grenzscheide.  Jlostia: 
Hostgott.  Hydra:  mhd.  iderslange.  Caulis  mhd.  köl:  kölkrüt.  Cordonriemen.  Cerasus  Kriese : 
Kriesbeere.  Cuirassierreiter.  Copa  mhd.  kuofe,  kar  Gefäss:  kuoflcar.  Cache  Kutsche:  Kutsch- 
wagen. Libum:  Lebkuchen,  Leblaib,  Lebzelten.  Mulus  Maul:  Maulesel,  Maulpferd,  Maullhier. 
Misellus  ahd.  misal  aussätzig:  misalsuht,  miselsiech.  Monasterium :  Münsterkirche.  Paradisus: 
Paradiesgarten.  Pestis:  Pestseuche.  Pensale  mhd.  pßesel  heizbarer  Arbeitsraum,  gadem  Ge- 
mach: pfieselgadem.  Pistor  P fister:  Pßslerbeck.  Pluma:  ahd.  phlümfedera,  Flaumfeder.  Plai- 
sircergnügen.  Planetstern.  Pabelvolk.  Puls  ahd.  polz,  muos  Speise:  polzmuos.  Psalmus, 
ahd.  scof  Dichtung:  salmsang  psatmscof  Psalm.  Purlauter.  Bosa  ahd.  rösebluomo.  Bota 
ahd.  rad,  sc'ipä  Rad:  radseipä.  Salto-mortale-Sprung.  Sagma  Saum  Pferdelasl:  Sanmlast. 
Synodus  mhd.  scnl  geistliches  Gericht:  Sendgericht.  Shawltuch.  Tempelhaus.  Thunnus:  Thun- 
fisch.    Turtur:  ahd.  turtultüpä.     Vier  üder:   üderbalg.      Tabula  mhd.  zabel:  zabelbret.     Cym- 


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balum  Zimtnel:  Zimmel schelle.  Besonders  häufig  kommen  als  ausdeutender  Bestandtheil  vor 
die  allgemeineren  Worte  Baum:  esculus  eschelboum,  larix  lerchboum,  pinus  plnboum,  sabina 
seviboum,  cedrus  zederboum  u.  s.  f.;  Burg:  Augusta  Ougustburg,  Gunlia  Günzburg,  Borna 
angelsäehs.  Bömaburh:  Mann:  Alarme  Lärm,  16  Jahrh.  Lerman  (personifizierend  wie  Sack- 
mann Plünderung),  ambactus  ahd.  ampahtman  (syncop.  amman)  und  ampahtscalch,  viduus 
Wittmann  nebst  vidua  Wittfrau  Wittweib  und  Wittleute,  Koseformen  fremder  Personenna- 
men (es  tritt  jedoch  ebenso  hinler  deutsche)  wie  Erasmus  Bassmann  Assmann  und  Musmann, 
Chrislianus  Christmann ,  Hieronymus  Grolmann,  Johannes  Hansemann  und, Hannemann,  Simon 
Simmann,  Thomas  Thommann;  Stein:  marmor  mhd.  marmelstein,  onyx  Onychstein,  pumex 
Bimsstein,  tofus  ahd.  tufstein;  Thier:  elephantus  mhd.  helfent  helfender,  Camelus  kemeltier, 
panthera  pantertier,  tigris  tigertier. 

Voranstellung  des  deutschen  Wortes.  Blumenflor.  Eisqletscher.  Federpennal.  Feuers- 
flammen. Frauenharem.  Frühmelte.  Gespons.  Halsgoller.  Hellklar.  Mhd.  missefwlen.  Mit- 
camerad,  Mitcollege,  Mitcompagnon ,  Mitconsorte,  Mitconvictor.  Begenparapluie,  Begenpara- 
sol ,  Sonnenparasol ,  Sonnenparapluie.  Mhd.  rosmül,  rospfert.  Salzsaline.  Scrinium  Schrein, 
Sarg:  ahd.  sarchscrlni.  Schiffsflotte.  Sutor :  mhd.  schuochsüter  schuohstmre  schuoster.  Roman. 
bota  u.  s.  f.  Stiefel:  ahd.  scuopoza  als  Landmass.  Schulzpatron.  Ahd.  sahs  angelsäehs. 
seax  Messer:  ags.  seaxculter,  Lex  Salica  sexcaudrus.  Siegestrophae.  Franzoes.  batte:  ahd. 
slegibalta.     Ueberrest.      Wüsteneremit. 

X.  UMDEUTSCHUNG  DURCH  VERÄNDERUNG  DER  WORTE  SELBST. 

Endlich  ist  noch  von  der  Zahl,  der  Unzahl  derjenigen  Fälle  zu  sprechen,  wo  ein 
fremdes  Wort  nicht  durch  die  äussere  Zuthat  von  Flexion  oder  Zusammensetzung  den 
deutschen  an  die  Seite  gestellt  und  dem  Verständnisse  nseher  gebracht  wird,  sondern  ein 
unmittelbarer  Angriff  seiner  eigenen  Laute,  eine  oft  kaum  merkliche,  oft  wieder  sehr 
kühne  Aenderung  derselben  ihm  den  Anklang  an  deutsche  Wurzeln  und  den  Anschein 
heimathlichen  Ursprungs  und  Begriffsausdruckes  giebt.  Damit  sind  nicht  die  bewussten 
Wortspiele  gemeint,  wie  die  allere  Komik  und  noch  jetzt  der  Witz  des  Volkes  sie  erfindet, 
die  scherzhaften  Verdrehungen  von  Alchymisterei  in  Allkühmisterei,  Decret  in  Drecket,  Lom- 
bardei in  Lumperlei,  melancholisch  in  maulhenkolisch,  Arragonia  in  Narragonia,  Podagra  in 
Pfotengram  u.  dgl.;  auch  nicht  die  willkürlichen  Umdeutungen  jener  Gelehrsamkeit  von 
vormals  und  von  heute,  wonach  Abenteuer  (franz.  avenlure)  aus  Abendtheuer,  hantieren  (fr. 
hanter)  aus  handlhieren  oder  handieren  entstanden  und  so  auch  zu  schreiben  und  zu  spre- 
chen sei.  Die  Aenderungen,  um  die  es  hier  sich  handelt,  gehn  absichtslos  vor  sich;  ent- 
sprungen aus  Nichtverslehen  und  Missverstehen,  nicht  anders  als  ein  grosser  Theil  der 
früher  besprochenen  Geschlechtswechsel,  ziehen  sie  naiv  das  Fremde,  wie  wenn  es  nie  ein 
Fremdes  gewesen  waere,  in  die  Sprache  und  ebenso  in  deren  Wachsthum  mit  herein,  wie 
dort   auf  dem   Wege   der    Lautverschiebung   das   Fremde   mit   dem   Deutschen    forlwächst. 


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Und  nicht  nur  die  Sprache  wird  so  mit  neuen  Worten,  es  wird  durch  solche  Missdeulung 
der  Kreis  der  Vorstellungen  selbst  mit  neuen  Wesen  bereichert:  es  ist  bekannt,  wie  den 
Italienern  aus  dem  Festnamen  Epiphania  der  Name  einer  kindersebreckenden  Fee  Befand  ge- 
worden ist  (beffare  heisst  verspotten):  das  Volk  in  den  Niederlanden,  uach  einem  Zeugniss 
des  zwölften  Jahrhunderts  (Reinardus  I,  1131  fgg.)>  machte  sich  aus  den  hervortoenendsten 
Worten  der  Liturgie,  aus  Excelsis  und  Osanna  und  Allcluia,  neue  Heilige,  und  diese 
S.  Osanna  durfte  um  so  annehmlicher  erscheinen,  da  man  das  Wort  schon  längst,  schon  im 
achten  Jahrb.  als  Weibernamen  brauchte  (Förstemann  I,  112),  als  deutschen  Namen,  ab- 
geleitet von  ös  d.  h.  ans  Gott.  Es  ist  aber  nicht  gerade  das  Laienvolk  allein,  dessen 
Missverstande  wir  diese  letzte  und  graste  Classe  der  Umdeulsrhungen  verdanken:  jetzt 
allerdings  mag  dergleichen  nur  noch  den  Ungelehrten  glücken,  und  die  Sprachgelehrsam- 
keit reicht  jetzt  weit  hinab:  im  Mittelalter  that  unbefangen  auch  die  Geistlichkeit  das  Ihrige; 
ja  beinah  die  meisten  und  fast  all  die  ältesten  Worte  der  Art  sind  aus  geistlichem  Mund 
hervorgegangen:  denn  es  sind  Worte  des  Lebens  in  Kirche  und  Kloster  und  Klostergarten. 
Es  wird  die  Reihe  der  Beispiele  übersichtlicher  machen,  wenn  ich  Appellativa  und 
Eigennamen  von  einander  trenne. 

APPELLATIVA. 

ABC,  17  Jahrh.  Abersei,  14  Jh.  oberz'de.  Abrotanum,  ahd.  avarüzä,  nhd.  Aberraute, 
mhd.  ebereize.  Adjoint,  der  Radschuh.  jEslivale,  ahd.  stiful  mhd.  slival :  oben  S.  32. 
Agrimonia,  mhd.  agramüni,  odermenje.  Ambaclus  ahd.  ampaht  Diener,  goth.  andbaht:  and 
an,  zu,  gegen,  bäht  bedeutungslos.  Anachoreta,  ahd.  einchoraner  alleingekorener,  altsächs. 
enkoro,  angels.  äncra.  Antichristus ,  mhd.  Endekrist.  Apotheker,  Abdecker.  'Aipig  apsis 
mittellat.  absida,  ahd.  apsit  absida  und  abs'üä,  Abseite.  Archiepiscopus  mhd.  erzebischof, 
mitteld.  13  Jahrh.  der  erdische  bischof.  Arcubalista  fr.  arbaleste,  mhd.  armbrest  armbrust 
u.  s.  f.  Aristocrat,  Stockrolh.  Aristolochia,  Osterluzei,  mhd.  östergloye  {gloye  Schwertlilie), 
Eigenname  Oesterlei.  Arrha,  Haar.  Assembler,  samelieren:  oben  S.  32.  Aul:  aut  oder 
naut  entweder  oder,  ja  oder  nein. 

Bagage,  Package.  Bastard,  mhd.  basthart.  Beccabunga,  Bachbunge.  Bibliothek,  Bibel- 
aplheke.     Bleu  mourant,  blümerant.      Bracciatello  ahd.  prezitella  Prezel,    16  Jahrh.  Brettstelle. 

Cwpulla  ahd.  zlpolla  mhd.  zivolle,  in  den  Begriff  der  Zweizahl  gezogen  ahd.  zwibollo, 
mhd.  zwivolle,  nhd.  Zwiebel  Zwiefel.  Capreolus  Weinranke,  ahd.  kraphilln,  sonst  Haschen. 
Carassius  Karausche,  Garäuslein.  Carbunculus,  nhd.  Karfunkel:  funkeln.  Cataplasma,  Kar- 
tenplass.  Char  ä  banc,  Scheerbank.  Chere:  faire  bonne  chere,  16.  17  Jahrh.  gut  Geeckirr 
machen.  Chirurgus,  Gregorius.  Chrisma:  Krisengeld,  Kristengeld  Palhongeschenk.  Cislerna, 
Sigslerne:  ahd.  sigan  sinken,  slroemen,  tropfen,  nhd.  versiegen.  Cilamus,  ahd.  z'itelösa: 
vgl.  griech.  icp^/iiiQov.  Crocodillus,  mhd.  kocheldriUe  S.  13.  Comes  slabuli  altfr.  conne- 
stable,  ahd.  cumistadul  chumistuodalo  (stadal  Stand,  Scheune;  stuodal  Stütze),   mhd.  kunstabel 


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constofeler  u.  dgl.,  nhd.  Kunststwbler.  Cordouan,  n)h<\.  küderwän:  ki'uler  Werg.  Cornus  ahd. 
churnipoum  chuirniipoum,  corna  quirnpcri  quirnalperi:  quirn  chnrni  chiimila  Mühle.  Crypta, 
gruft  S.  23.  Cucumago,  Kugelmagen.  Cuniculus,  mhd.  kilnigel;  nhd.  Zusammensetzungen 
Künighase  und   Hasenkiinlein. 

Dague,  Degen,  männlich  und  ausgesprochen  wie  degen  Krieger.  Desconfire  desconß- 
ture,  mhd.  entscliumpfieren  nhd.  schumpßeren  schimpf eren,  schumpfentiure  schimpfenteur.  Di- 
ptychon, mitlellal.  auf  dictare  bezogen  diclica,  mhd.  dichtavel.  Districtreiter,  Strickreiter. 
Dormitorium,  mhd.  dormital ,  niederd.  Durlich:  vgl.  Refectorium.  Dragomanno  (ital.  vom 
arab.  targomän)  mitlellal.  drogamundus  Dolmetsch,  mhd.  tragemunt  trongemnnt.  AqÖjawv , 
mhd.  dromunl  tragemunt. 

Echapper,  cnlschappen.  Egal,  einjal.  Eleemosyna  mittellal.  elimosina,  ahd.  alamuosan 
alamuosa,  mhd.  armuosen:  at,  arm  und  muos  Speise.  Elephantus,  ahd.  helfant  S.  40.  Escluse 
ecluse  Schleuse,  Schliesse.  Estalage,  Stellage.  Estendard ,  mhd.  stanthart.  Eulogia,  ahd. 
obelagi  u.  s.  f.  S.  19. 

Facitergium  facitergulum ,  ahd.  fezelraga  fazitragala.  Falavisca  ahd.  falawiska  S.  22. 
Faubourg,  Pfahlbürger.  Fourrage  fourragieren,  Fudrasche  fullragiereh:  vgl.  S.  23.  Fronli- 
spice, Fronlenspilze.  Fundamenlum  ahd.  fündament,  mhd.  fundamunt  pf 'und emünte,  fullemunt 
milmunl  pfulmunt,  vollemunt  volmunt.     Furibundus,  ahd.   furifunt. 

Garderobe,  Kleiderobe:  robe  als  Aufbewahrungsort  verstanden,  wie  man  dor  in  Louis 
d'or  als  Goldmünze  versteht  und  so  damit  Friedrichsdor  bildet.  Gigant,  mhd.  w'igant  d.  i. 
Kämpfer.  Gracius  mittelniederd.  grasse,  ahd.  chresso,  nhd.  Kressling:  vgl.  chresso  crasse 
Kresse.  Graphio  ahd.  krävjo  Graf,  bezogen  auf  räuo  Sparren  und  re'fa  Räuber  ahd.  garävo 
angelsächs.  gerffa.  Graphium,  ahd.  grifil.  Grida  ital.,  16  Jahrh.  Kreide  Feldgeschrei, 
Signal:  Kreidenschuss ,  Kreuzschuss.  Gutta  fr.  goulte  Schlagfiuss,  nhd.  Gut,  zusammengesetzt 
Gutschlag. 

Hasard,  mhd.  hasehart  Würfelspiel.  Henri,  Hanrei.  Herbitum,  ahd.  erbisib.  Hume- 
rale,  mhd.  umbeler.     Hyacinthus,  Zinke. 

Interpres,  ahd.  antfrist.  Introducere,  nhd.  einlroducieren.  Involucrum,  ahd.  wulluch 
wollouch.     Jour :  etre  du  jour,  die  Schur  haben. 

Lampelra  lampreta,  ahd.  lamphrida  lantfrida,  mhd.  lamprecht.  Lapathum,  ahd.  pletacha. 
Lemma,  mundartl.  Lehema  d.  i.  Lehenmann.  Leopardus,  mhd.  liebart.  Leun  altfr.  Lyon: 
pauvre  de  Leun,  mhd.  pöverlewe.  Lieutenant,  Leutnamt  Leutnant.  Ligusticum  libuslicum  levi- 
sticum,  ahd.  lubestecco  lubislichel  lubistechal  nhd.  Liebstöckel.  Lustrare,  ahd.  hlüslarjan  (sonst 
s.  v.  a.  lauschen),  liislrichön.     Luth,  Laute. 

Maiorana,  mittellat.  Umbildung  von  amaracus,  mhd.  meigramme,  nhd.  Maigram  und 
Moseran.  Maire,  Meier:  beides  von  maior.  Mancipium,  ahd.  mit  Umdeutschling  des  ersten 
und  missverständlicher  Uebersetzung  des  zweiten  Theils  manahoupit.     Mansionarius ,  Messner 

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S.  25.  Magyccpivris  margarita  goth.  markreitus,  ahd.  marikreoz  mhd.  mergrieze  d.  i.  Meer- 
kies. Mentha,  ahd.  minzä  und  munzä  nhd.  Münze:  ebenso  alermunzä  aus  atarminzä  lat. 
atramentum.  Mercadante,  Marketender  S.  45.  Mergus,  ahd.  merrich:  vgl.  S.  45.  Misellus 
ahd.  mtse/  aussätzig:  mhd.  mislich,  maselsuhl,  müselsuht,  bezogen  auf  mischein  mislim  mischen, 
masel  Blulgeschwulsl,  bemüselen  beflecken.  Misericors  Dolch,  mhd.  mlsenkar  mtsikar  miskar: 
kar  Gefäss.  Mespris  mepris,  mhd.  missepris.  Monier  Bombenmörser,  Mertier  d.  i.  Meer- 
thier.  Muta,  goth.  möta:  mötan  können,  mötjan  begegnen;  vgl.  jedoch  S.  25.  Mus  mon- 
tanus,  ahd.  müremunto  murmenti,  mhd.  murmendln  murmellier  mummeltier.  Myrtus,  mhd. 
merdorn:  vom  Meere,  von  Süden  her  gekommen. 

Narcissus,  nhd.  mundartl.  Marzisli.  Nocturnus,  ahd.  nohturn;  nuohturn  nuohtarmn 
nüchtern:   uohtä  Morgen,   uohternin  nüchtern. 

Obtongus,  nhd.  ablang.  Onocrotalus  mittellat.  cretobolus,  ahd.  horatupil  horotümil  horo- 
tumbel  horolüchil:  horo  Sumpf;  nhd.  Rohrdommel.  Oryza,  ahd.  arwlza  arwlz:  sonst  aus 
tQtßiv&os. 

Panther,  mhd.  pantier.  Paraveredus  mittellat.  parafredus,  ahd.  parafrid  farefrit ,  mhd. 
pferfrit  pferft  pferil  pfert.  Partisane,  Parteisen.  Pastinaca,  Pastnagel.  Paternoster,  Betnuster 
Paler  Beter  Nüster.  Pedissequus,  ahd.  peinseico  beinseggo;  pedissequa,  beinsegga:  sekko  Gunst. 
Pentecoste,  ahd.  ßmfchusti.  Perspectiv,  Sperr fectiv.  Pervinca,  ahd.  perewinka  mhd.  berewinke. 
Petraria,  ahd.  phetaräri  phedernri  fedaräri,  mhd.  pfelermre  pfederwre  vedrer.  Petroselinum , 
ahd.  pedarsilli  federscelli ,  mhd.  auch  peterlin.  Pecet  bcehm.,  nhd.  Pelschet  Petschatt  Petschaft. 
Phasianus,  mhd.  fashan,  ahd.  fasihuon  phasehuon.  Physicus,  Fisigucker.  Piece,  mundartl. 
Biiessli  kleines  Geldstück.  Pietist,  Betist.  Piscatio,  mhd.  fischenze  (S.  10)  und  vischenutz. 
Planchette,  Blankscheit.  Porticus  ahd.  phorzich  phorzeich,  mhd.  auch  furzog  und  wie  noch 
mundartlich  Vorzeichen.  Prado,  Prater  Brater.  Predigt,  mundartlich  Predig  wie  ahd.  pre- 
diga,  verhochdeutsch t  Beredung.  Primissarius ,  Friihmesser.  Psittacus  ahd.  psitich  sitich 
sitach,  mhd.  auch  sickust.  Pulcinello,  Britscheneller.  Pulpitum,  mhd.  pulbret.  Pulsader, 
16  Jahrh.   bulzader:  bulzen  fahren  wie  ein  Bolz.     Pyrethrum,  ahd.  perhtram  nhd.  Bertram. 

Quasimodo,   17  Jahrh.  Kose-Mose.     Quelque  chose,  Geckschosen  Keckschoserei. 

Becuperare,  ahd.  irkoborön.  Refeclorium,  mhd.  revental:  vgl.  S.  34  u.  39.  Benoyer 
renier,  mhd.  vernoigieren.      Beticule,  Ritterkiel.      Rondel,  Rundtheil.      Rubiola,  mhd.  rebigel. 

Scaber,  ahd.  scaberi.  Schächzabel  mhd.  schächzagel  schäfzagel  schäfzaigel;  ebenso  zabeln, 
zagein:  zagel  Schwanz.  Scandula,  ahd.  skintalä  Schindel.  Scarlatum  mhd.  scharlät,  schar- 
lachen  Scharlach.  Scharnützel  Starnützel  aus  ital.  scarnuzzo,  Scharmützel  aus  scatamuecia 
und  scarnuzzo.  Scatola  ital.,  Schachtel,  mundartlich  Stattet  Spattel.  Schedula  mhd.  zedele 
zedel,  nhd.  Zettel:  zetten  streuen.  Scripturale  Federmesser,  Schrifteral;  scriptum,  mhd. 
schriftiure.  Secretarium  sacralorium,  ahd.  sigitäri  sigitüri,  mhd.  sigeltor.  Sengle  sangle, 
mhd.  senket.  Servant  ital.  servente,  Scherwenzel  Scharwenzel.  Spatiari,  ahd.  sparzibeinön. 
Stilbon,    ahd.    stelbon,    mhd.    slalboum.       Stipula,    ahd.    stupfilä:    stupfen    stechend    stossen. 


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Stola:  Slolbruder,  mhd.  sluolbruoder  Kirchendiener.  Strepere,  ahd.  strepalen  stripelen.  Slro- 
plia  Lisi,  ahd.  slrüpitha.  Stuperc,  ahd.  stobarön.  Synodus  ahd.  senöd ,  mhd.  sent  und 
samt:  senden. 

Tabard,  mhd.  tapharl.  Tambour,  Tambauer.  Tiretaine,  Dirdendei.  Theriacum,  mhd. 
driakel.  Triangulus,  Dreiangel  und  Dreianker.  Tubrucus  tubracus,  ahd.  diohpruoch  (Schen- 
kelhose) dieelibräto:  oder  slamml  das  lateinische,  zuerst  von  Isidor  XIX,  22  verzeichnete 
Wort  aus  dem  Deutschen? 

Valeriana,  ahd.  baldrittn.  Yalise,  Felleis  Felleisen.  Vas,  ahd.  wahs  S.  15.  Virgatum 
gelin  Huthen  suchen  gehn,  ein  Schülerfesl,  auch  Kindervirgatum  und   Vergattung. 

Ypsilon,  Ixeland.  Zedoarium ,  ahd.  zilawar,  mhd.  zitwar  zittewar  und  zitvare.  Zibibbo 
ital.,  mundartl.  Zwibibe:  vgl.  oben  cmpulla  Zwiebel.  Zingiberi  prov.  gingebre,  ahd.  gingi- 
bero,   mhd.  gingcbere  ingeber  ingewer. 

Mehrere  Worte  werden  zugleich  durch  eine  Abkürzung,  die  sie  deutschem  Laut  und 
Sinne  naehert,  und  durch  Zusammensetzung  umgedeutscht:  asarum  Haselwurz,  ascalonium 
ascloucli,  colandrum  chölgras,  coloquinthida  cölgerste,  lierodius  herfogel,  leoperina  Über stein, 
chelidonia  scelliwurz,  scopulus  scopslein. 

Mitunter  auch  ändert  sich  zwar  der  Sinn,  aber  kein  Laut  des  fremden  Wortes,  weil 
es  schon  so  eine  deutsche  Wurzel  und  deutschen  Begriff  zu  enthalten  scheint:  irritieren 
heisst  dem  Volk  ohne  weiteres  irre  machen,  Pollron  ein  Polterer,  tribulieren  treiben,  vexie- 
ren mit  Faelisen  zum  Narren  haben,  postulieren  gleich  dem  gewohnteren  Fremdwort  postieren 
s.  v.  a.  in  Geschäften  laufen.  Also  ganz  wie  jene  Wortspiele  mit  fremden  Ausdrücken, 
die  deren  Aeusseres  nicht  berühren ,  wenn  z.  B.  ein  Fall  ein  Falliment  genannt  wird ,  der 
mahnende  Gläubiger  ein  Manichceer,  eiu  mürrischer  Mensch  Mufti,  die  Füsse  in  Nord- 
deutschland Potentaten  [Polen  Pfoteu)  und  ein  beeses  Weib  Sadrach  d.  i.  Satan  und  Drache. 
Dergleichen  ist  wie  ein  vorbereitender  Uebergang  vom  Fremden  zur  Umdeutschung. 

EIGENNAMEN. 

In  der  Ümdeulschuug  derjenigen  fremden  Eigennamen,  die  der  Bibel  und  der  Kirche 
augehoeren,  giengen  das  Gothische  und  noch  das  Alt-  und  Mittelhochdeutsche  nicht  über 
das  Nothwendige  und  das  Naechsle  hinaus;  Petrus  z.  B.  erhielt  in  der  hochdeutschen  Form 
Petar  wohl  auf  Anlass  des  Accentes  eine  andre  Quantität  und  um  der  Flexion  willen  einen 
anderen  Schluss:  aber  die  Aspirierung  Plietar,  die  Diphthongierung  Pietar,  beides  kommt 
nur  als  vereinzelte  Ausnahme  vor,  und  wenn  auch  die  Keronischen  Glossen  einmal  aus 
Aegyplus  Ekißi  machen,  so  werden  doch  sonst  die  echten  Consonanlen  dieses  Wortes 
überall  behauptet. 

Personennamen  audereu  Ursprungs  waren  nicht  so  sicher  gestellt:  das  Riesenkind 
Rainouard  ward  von  der  mittelhochdeutschen  Dichtung  Rennewart,  Attilas  Bruder  Rleda  in 
der  Heldensage  Riaedel  oder  Rloedelin  genannt;  Etzel  jedoch,  wie  Attila  selbst  in  der  Sage 


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heisst,  dient  hier  nicht  als  Beispiel:  ein  so  entschieden  gotttisch  gebildetes  Worl  wie 
Attila,  ein  Kosewort,  s.  v.  a.  Vfeterchen,  konnte  und  musste  sich  auf  dem  gesetzmäßigen 
Weg  der  Lautverschiebung  ahd.  in  Ezilo,  mhd.  in  Etzel  umgestalten;  die'  Umdeutschung, 
welche  bei  diesem  Namen  stattgefunden,  ist  bereits  auf  der  Stufe  des  Golhischen  geschehn. 
Unlerschiedlos  aber  alle  Personennamen,  auch  biblisch  und  kirchlich  überlieferte  umzu- 
deutschen  wagt  erst  die  Alltagssprache  der  neuhochdeutschen  Zeil,  und  es  steht  das  in 
Verbindung  mjt  jenen  häufigen  und  grossen  Kürzungen  derselben  durch  Aphserese  und 
Apocope  und  mit  ihrer  theils  auf  Wortspiele,  theils  sonst  begründeten  appellativen  Anwen- 
dung, die  ich  anderwärts  erörtert  habe.  Es  wird  also  mit  unabweisbarem  Anklang  an 
deutsche  Worte  aus  Balthasar  Bahlltauser  oder  Waldhauser  oder  bloss  Hauser,  aus  Colo- 
mannus  Kelbel,  aus  Dominicus  Tummernix  und  Kussel ,  aus  Emanuel  Mannt,  aus  Helena 
Lene,  aus  Magdalena  Maid,  aus  Medardus  Mwderli  (die  Witterung  des  Medardustages  ist 
weissagend  für  die  Heuerndte),  aus  Silvester  Vestel ,  aus  Veronica  Vrone,  aus  Wilhehnine 
Minnel  u.  dgl.  Wie  gern  das  Volk  in  den  undeutschen  Namen  einen  deutschen  Sinn 
sucht,  zeigt  recht  als  Beispiel  der  Gebrauch  unsrer  Landleute  eine  Tochter,  bei  deren 
Geburt  die  Mutter  sehr  hat  leiden   müssen,  Lydia  zu   nennen. 

Geographische  Namen,  die  ausserhalb  des  biblischen  Bereiches  liegen,  haben  sich 
ebenfalls  schon  seit  früher  Zeit  den  mannigfachsten  Umdeutschungen  unterwerfen  müssen, 
Aenderungen,  die  in  solchem  Sinne  bald  nur  den  Ausgang,  bald  das  ganze  Wort  ergrei- 
fen; wie  die  eigentlich  fremden  werden  auch  Namen  des  sächsischen  und  scandinavischen 
Nordens  auf  Hochdeutsch  so  bebandelt.  Auch  von  dieser  geographischen  Umdeutschung 
noch  Beispiele:  und  dann  schliessen   wir  endlich. 

Alemona,  ahd.  Altmuna,  mhd.  Altmule,  nhd.  Altmühl.  Atta  Bipa,  Haute-Bive  bei 
Freiburg,  Altenrif.  Anjou,  mhd.  Anschouwe.  Antwerpen,  Antorf.  Armagnacs,  die  Arm- 
jacken, Armjäcken,  Armen  Jacken,  Armen  .lecken,  die  Gecken.  Batavium,  ahd.  Bazouwa 
Pazouwa  Passau.  Byzantium,  mhd.  Wizsant.  Angelsächs.  Canlvaraburh  (Burg  der  Verthei- 
diger  von  Kent)  Canterbury:  ebenso  an  den  angelsächsischen  Dativ  Cantvarabyrig  sich  an- 
schliessend ahd.  Kantilbirja,  mhd.  Kanlelberc  Kandelberc:  chandala  kentila  ist  candela;  Abra- 
ham a  S.  Clara  braucht  Kandelberg  als  Wortspiel  mit  Mandel  d.  i.  Kännel  Kanne.  Caucasus, 
mhd.  Goncasals,  Göikelsas,  Gloggensachsen.  Celius  mons,  Kellmünz;  und  Kalmiinz  mhd. 
Chalemunza  aus  Calvus  mons?  Cumberland,  mhd.  Kukumerlant.  Danubius,  ahd.  Tnonouwa 
und  Tuonaha.  Eboracum,  angelsächs.  Eoformc  (Eberstadt),  ahd.  Ebirwich,  engl,  zusammen- 
gezogen York.  Fauces,  mhd.  ze  Füezen,  Füssen.  Finis  terra?  Vorgebirge  in  Galicien,  mhd. 
Finster  sterre,  Finster  Stern:  vgl.  tunkel  Sterne  Abendstern.  Garda,  mhd.  Garte;  Gardasee 
ahd.  Kartse.  Graisivaudan,  mhd.  Graswaldäne,  Graswalde.  Grandval ,  Granfelden.  Hospi- 
tal, Hospenthal.  Languedoc:  Langendogger.  Lugdunum  Lyon,  ahd.  Liutona  Liutana.  Mantova 
Mantua,  mhd.  Mantouwe.  Marabut  Morabite,  mhd.  Merbot.  Mediolanum,  mhd.  Meielän 
Meilän,  nhd.  Mailand:  Meilen,  ein  Dorf  am  Zürcher  See,   im  10  Jahrh.  Meiolano  Meginlano 


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Meilana,  wird  demnach  auf  Latein  ebenfalls  Mediolanum  geheissen  haben.  Mestre,  mhd. 
Meisters.  Mons  Bligardis,  Mons  Beligardis  Montbeliard,  mhd.  Munbiligart  Münpelgart  Müm- 
pelgarten.  Moslem,  Muselmann.  Nantes,  mhd.  Nanlheiz.  Altnord.  Noreg  d.  i.  Nordhveg 
Nordweg,  mhd.  Norweg  Norwege  Norwegen  Nortwegen ,  mit  Bezug  auf  wäc  Wasser  Norwwge, 
mit  Bezug  auf  weide  Norweide.  Nowgorod,  mhd.  Ndgarten  Nägart  Norgart.  Olranto,  mhd. 
Ortrant.  Osmane,  Ottomanne.  Padova  Padua,  mhd.  Padouwe  Badouwe.  IHgya/uos,  «fe 
IUQytt/xov,  mhd.  Spergimunt.  Pliilippopel ,  mhd.  Vinepöpel  Winapöpel:  »Kipper  und  Vine- 
pöpel  hänt  guoter  trinken  gewalt«  Wolfr.  Wilhelm  448,  8;  der  gleiche  (Konsonanten- 
wechsel in  Philadelphia  mhd.  Phlnodelfe.  Piscina,  mhd.  Fischine,  nhd.  Fischingen:  vgl.  S.  10. 
Poloice  Flächenbewohner,  slavischer  Name  der  Rumänen,  mittellat.  Flavus,  ahd.  Falo  nhd. 
Valwe.  Pons  Bagintrudis  Porrentruy,  mhd.  PunreindrCU  Purrendrüt  Burnendrüt  Brunnentrüt 
Brunndrüt.  Ravenna,  ahd.  Rabana  Rapana,  mhd.  Rabene.  Rivoglio,  mhd.  Reifel  Reinval. 
Roma,  goth.  ahd.  Rüma:  s.  S.  25.  Russe  Russland,  mundartl.  Ruess  Ruessland:  Ruess  Buss, 
Bahra.  Schlesien,  mundartl.  Schlesingen.  Mittellat.  und  romanisch  Tehisvenna  Theisvenna 
Thesvenna  Thasvenna  Thasfenne  Tasvanne  Tavannes,  Dachsfelden.  @eG<raAovixq ,  mhd.  Sal- 
nicke  Salnecke  Salnegge.  Tnronis  Tours,  ahd.  Turnis  Turns  Turn.  Venustee  mons,  roman. 
Vestmonza,  Finstermünz.  Verdunum,  ahd.  Wirtina.  Verona,  ahd.  Berna:  beran  bern  Baer; 
vgl.  oben  S.  22.  Vitudurum,  ahd.  Winturdüra  Wintardüra,  mhd.  Wintertüre :  wintur  d.  i. 
goth.  veinatriu  Weinstock:  vgl.  den  ahd.  Ortsnamen  Wlnitre  Wintere  Kcenigswinter,  win- 
terlinc  winlarhallä  wintarperi  wintertrola,  alles  Uebersetzungen  des  lat.  labrusca,  und 
winterbutz  Vogelscheuche  in  den  Beben;  die  Ableitung  wlnzuril  wlnzurnil  winzure  winzurn, 
nhd.  Weinzierel  und  Winzer,  und  die  Ortsnamen  Winzirin  und  Winzurn  (bei  den  Beben 
oder  bei  den  Bebleuten),  jetzt  Winzer,  zeigen  den  regelrechten  Uebergang  des  t  in  z;  die 
Kürzung  des  l  vor  der  mehrfachen  Consonanz  (vgl.  oben  S.  33)  findet  sich  auch  in  Winkela 
Winkel  oben  S.  14.  Vogesus,  mittellat.  Vosegus  Vosagus  Wasagus,  ahd.  Wasago,  mhd.  mit 
Bezug  auf  Walther  von  Aquitanien   Waske  und    Wasken  walt:  ahd.    Wasco  Baske. 

Die  althochdeutsche  Zeit  ist  aber  nicht  selten  von  solcher  Umdeutschung  bis  zur  ei- 
gentlichen Verdeutschung  fremder  Lands-  und  Städtenamen  fortgeschritten,  und  Babylonia,  die 
civitas  confusionis,  heisst  ihr  Scantpurch,  Constantinopolis  Costanlinuses  puruc,  Decapolis  Zehen 
burgx,  Heliopolis  Sunnipurc  und  Sunm'm  purch,  Neapolis  Niuicenburk,  Penlapolis  Finf  purigi. 


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3582      Die  Umdeutschung  fremder 

A3W3    Wörter 


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